Untersuchungen zur deutschen
Staats- und Rechtsgeschichte
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Der Reichsgedanke des staufischen Kaiserhauses
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Dr. Mario Klammer
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Untersuchungen
zur
Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
herausgegeben
Dr. Otto ßierke
Professor dor Röchle an der Universität Berlin
95. Heft
Der Reichsgedanke
des staufischen Kaiserhauses
Dr. Mario Kraramer
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
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Der Reichsgedanke
des staufischen Kaiserhauses
Ein Beitrag
zur Staats- und Geistesgeschichte des Mittelalters
Dr. Mario Krammer
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
190s
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Prlßled lu German/
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Vorwort
Im allgemeinen herrscht die Anschauung, dass in Deutsch-
land während des Mittelalters zwischen den beiden Grundbegriffen
des Staatslebens, dem Königtum und dem Kaisertum, ein Unter-
schied nicht gemacht worden sei. Die vorliegende Abhandlung
sucht dagegen zu zeigen, dass erst in der Stauferzeit, unter
dem Einfluss ganz besonderer Umstände, eine Verschmelzung
beider Begriffe erfolgt ist, dass aber in bestimmten Kreisen an
ihrer Sonderung auch damals festgehalten wurde. Die Staufer
suchten das Königtum aus einer deutschen zu einer dem
Kaisertum wesensgleichen Institution, zu einem im wahren Sinne
römischen Königtum zu machen. Demgegenüber wurde aber
von den Fürsten, zumal von denen, die an der deutschen
Königswahl und -krönung besonders beteiligt waren, die boden-
ständige Eigenart ihres Königtums mit Nachdruck und schliesslich
auch mit Erfolg vertreten. Die fürstliche Anschauungsweise
niederzuringen, gelang den Staufern nicht. Auch ein neuer
Ansturm, den Kaiser Ludwig IV. und die Publizisten seiner
Umgebung im Jahre 1338 gegen sie unternahmen, blieb ohne
dauernden Erfolg.
Der Ursprung und die Entwicklung der stanfischen Be-
strebungen, ihr Widerspiel und ihre Einwirkungen auf die An-
schauungen Deutschlands und der Kurie sollen im Folgenden
dargelegt werden. Wie sich die Ansichten dann weiterhin
gebildet haben, das hoffe ich bald an anderem Orte näher
ausführen zu können. Auch auf die Ideen der vorstaufischen
Zeit komme ich noch zurück.
Berlin, im Mai 1U08.
Mario Krummer
50472t
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Inhalt
Scito
Vorwort,
Erstes Kapitel. Per Imperialistische Rclchwsedanke
Friedrichs I. und Heinrichs YI. . . . . . * 1 ö '•*
I. Die römische und die deutsche Staatsidee. Seit der
Mitte des 12. Jhds. gewinnt jene ein starkes Uebergcwicht
Uber diese. Friedrichs I. und Heinrichs VI. imperialistische
Gesinnung und Politik S. 1 — 8. — II. Heinrichs Plan,
seinen Sohn Friedrich durch Papst Cölestin III. zum erblichen,
römischen König krönen zu lassen (1196). S. 8f. — III.
Glaubwürdigkeit des Berichts der Marbacber Annalen. Die
Begriffe Kaisertum und Königtum in dieser Quelle und beim
Reinhardsbrunner Chronisten. S. 9 — 20. — IV. Einordnung
des Plans in Heinrichs Politik im Jahre 1 196. Eine italienische
oder sizilischc Krönung kann er nicht erstrebt haben.
S. 20—32, — V. Erklärung des Plana aus der erfolgten
Wandlung des Begriffes .Romanorum rex*. Der „rei“ kein
deutscher, sondern ein römischer König oder Caesar. Hor-
leitung des staufischen Reiclisgedankens Überhaupt aus den
zusammenwirkenden Einflüssen Ottos von Freising und der
Legisten auf Friedrich I, S. 32 — 39.
Zweites Kapitel. Die Fortführung der »tantlschcn
Reformidee dnreh Philipp von Schwaben und
Friedrich II. » . _ . . . . . . H i> — t>H
I. Die Kaiserwahl Philipps (1198). Bein Auftreten als
römischer König, Das Speyerer Schreiben und die deutsche
Staatsgesinnung der Fürsten verglichen mit dor Eikes von
Repgow. Der Bericht der Halberstädter Chronik. Otto IV.
zum deutschen Könige erwählt (1198). Die Kaiserwahlen
Ottos (1208) und Friedrichs II. (1211), Friedrich nennt
sich unter päpstlichem Einfluss anfangB »Erwählter römischer
Kaiser“. Seine zweite Wahl (1212) und die Heinrichs (VII.)
von 1220 sind deutsche Königswahlen. S. 39—66. — II,
Die Kaiserwahl Konrads IV. (1237), Abschaffung des
deutschen Königtums, veranlasst durch Heinrichs (Vll.)
Stellungnahme gegenüber dem Kaisertum Friedrichs 11.
Friedrichs Wahlreform und Einsetzung Konrads zum Erben
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Seite
im Imperium. Scheitern des ganzen Unternehmens Sieg
der deutschen Königsidee Das Braunschweiger Weistum
von 1252 als Protestkundgebung des imperialistisch gesinnten
Teilen der Fürsten. S. 56— fl».
Drittes Kapitel. Plc Einwirkung des stauttschen
Relchsgedankens auf Doktrin and Politik (1er
römischen Kurie * , , , . * . . . . * . fir,— 77
Innocenz' III. und Bonilaz' VIII. Lehren über das Verhältnis
des Kaisertums und des Königtums zum Papsttum. Das
Königtum nach Innocenz deutsch, nach Bonifaz römisch.
Uebergang zu dieser Lehre unter Innocenz IV. durch Anualime
der im Braunschweiger Weistum enthaltenen stanfischen
Lehre. Gegenströmung unter den deutschen Fürsten, Das
Khenser Weistum gegen die päpstliche Doktrin (1338).
Schluss , , . . , . . . . . , . . . . 77 — 84
Hauptergebnisse, Vorbliek auf die Zeit Ludwigs des Baiem,
Der Erlass des Kaiserwalilgeactzes Licet iuris (1338) als ein
erneuter Versuch einer imperialistischen Gestaltung des
Reiches.
Abkürzungen
MO. = Monumeuta Uermaniae historica. Jlannov. et Berel. 1820 ff. Mit Sb.
und Const. sind die Bände der Scriptores und Constitutioues et acta
publica bezeichnet.
Reg. imp. V — J. F. Boehmer, Regesta imperii V, neubearbeitet von
J. Ficker uud Ed. Winkelmann, Innsbruck 1877 ff.
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Erstes Kapitel
Der imperialistische Reichsgedanke Friedrichs I.
und Heinrichs VI.
I.
Als man im vergangenen Jahrhundert daran ging, Deutschland
zum Einheitsstaate zu machen, plante und schuf man ein Kaiserreich.
Nur ein Kaiser, glaubte man, könne über das geeinte Reich gebieten,
da auch dessen Vorbild, das mittelalterliche Reich, Kaiser als
Herren über sich gehabt hatte. Aber, wenn auch von jeher das
Kaisertum als ein höchst kostbares und unveräusserliches Gut
der deutschen Nation betrachtet worden ist und die edelsten
Naturen des Mittelalters dieser Idee eine leidenschaftliche Ver-
ehrung gewidmet haben — ich erinnere nur an Otto III. und
Dante — so darf dabei doch nicht vergessen werden, dass
das alte Reich seinem Ursprünge und seinem Wesen nach wie
alle anderen Länder der Christenheit ein königliches war und
dass auch die Menschen jener Tage diese Thatsache niemals
ganz aus den Augen verloren haben.
Chronisten der Salierzeit wie Lampert von Hersfeld und
Ekkehard von Aura, die von starkem Staatsbewusstsein erfüllt
sind,1) sprechen von dem Ruhm und der Ehre des deutschen König-
reichs; der letztere weiss zu berichten, dass dessen Gebieter
ehedem auch noch das römische Kaiserreich hinzuerobert haben,
so dass nun zwei Reiche, das deutsche und das römische, in
der Hand des jeweiligen Herrschers vereinigt sind.11) Ent-
') Waitz, Deutsche V erfassungsgeschichte Bd. VI. 2. Auflage (bearb.
von G. Seeliger), S. 466.
l) Stellen aus Lampert von Hersfeld (ed. Holder - Egger) führt
Waitz a. a. O. reichlich an. Bei Ekkehard ron Aura ist zu vergleichen die
Praefatio ad imp. Heinricum V. (MG. SS. VI, p. 9): „cui Dei dispositione
univerius orbis tarn Komanus quam Teutonicus gaudet omni nisu
Krammer, der Reichsgedanke des stauiischen Kaiserhauses. 1
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o
sprechend nennt auch Gottfried von Viterbo Heinrich VI. König
der Römer und der Deutschen; er sagt ferner, dass Karl
der Grosse durch seinen Vater Erbe des deutschen Königreichs,
durch seine Mutter Erbe des römischen Kaiserreichs ge-
worden ist.1)
Von diesen beiden, hiernach wohl auseinandergehaltenen
Ideen, der kaiserlichen und der königlichen, hat im Verlaufe der
mittelalterlichenStaatsentwicklung das rechtliche Uebergewicht
in der Hauptsache die königliche gehabt. Denn alles, was
ausserhalb Deutschlands gelegen war, hatten die Deutschen
allein durch Eroberung gewonnen, nichts war ihnen von irgend-
jemandem übertragen worden. Indem sie sich einen König
setzten, bestellten sie zugleich den Herrn Uber das burgundische
und italienische Reich. Diese Herrschaftsgebiete und Herrschafts-
rechte fielen ihm durch die Wahl und Einsetzung in Deutsch-
land ohne weiteres zu; in ihrem thatsächlichen Umfange
beruhte die Reichsgewalt lediglich auf der Idee des fränkisch-
deutschen Königtums. Der Anspruch freilich auf das dominium
mundi konnte nur auf Grund des Kaisertums erhoben werden,
doch unlösbar war ja auch dies mit dem Königtum verbunden.2)
Von drei verschiedenen Seiten aus hat man diese fränkisch-
deutsche Struktur des Reiches durch eine andere zu ersetzen .
gesucht, bei der die Herrschaft über Teile desselben oder über
das Ganze auf dem Gedanken des Kaisertums erbaut werden
sollte. Ein Versuch ist von den Inhabern des römischen
Papsttums, ein zweiter von den Bewohnein der Stadt Rom, ein
dritter von den Trägern des römischen Kaisertitels ausgegangen.
Dieser dritte wird uns im Folgenden am meisten beschäftigen.
Papst Johann VIII. (872—882) hat die Auffassung be-
gründet, dass die Herrschaft in Italien auf dem Kaisertum
beruhe und dass sie mit diesem von der Kurie vergeben
applaudere, videlicet Henricns quintus rex et quartus imperator . . . Cum
igitur tota intentio liuiua libri tarn Romani imperii, quam Teutonici
regni deserviat honori, quorum regnorum coniuuctio cepit a Karolo.
') Speculum regum in MG. SS. XXII. p. 21.
’) Daher erklärt aich Friedrichs I. Aeusserung über regnum und
imperiuin; «. u. S. 4, Amu. 1.
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8
werde.1) Diese Meinung gewann besonders seit dem dreizehnten
Jahrhundert an Ansehen; auch von Burgund wurde das gleiche
behauptet und die Konsequenz gezogen, dass der Papst beide
Lande deu Deutschen entziehen und anderweitig verleihen könne.
Dass dieselbe Lehre endlich auch auf Deutschland ausgedehnt
wurde, werden wir weiter unten noch sehen.
Neben dieser Anschauung erwuchs im 12. Jahrhundert
eine zweite. Man fing damals in Italien wieder an, das alte
römische Recht und den römischen Staat in ihrer Eigenart zu
bewundern und zu begreifen. Aber dabei blieb es nicht, man
suchte was gewesen war neu zu beleben, dem alten Recht eine
Anwendung auf die Verhältnisse der Gegenwart zu geben und
den alten Staat wieder herzustelien. Mau fand, dass der von
der Kirche geprägte Begriff des Kaisertums, wonach es von ihr
eingesetzt war und ihr zu dienen hatte, falsch war; es
ergab sich aus den Quellen als eine Institution rein weltlichen
Ursprungs und weltlicher Art. So bedurfte man, um einen
Kaiser zu haben, gar keiner päpstlichen Krönung. Er hatte
nach der bekannten Institutionenstelle I, 2, § 6 seine Gewalt
vom römischen Volke, also war dies zu Wahl und Ein-
setzung der Kaiser allein berechtigt. In der That sind
die Römer schon unter Konrad III. und Friedrich I. mit
derartigen Ansprüchen hervorgetreten2); sie haben dann 1211
eine Wahl Friedrichs II. vollzogen und 1328 Ludwig den Bayern
dnrch Abgeordnete investiert. Zu Pisa und zu Marseille ist
ferner Alfons von Kastilien zum Kaiser erwählt und eingesetzt
worden. Arnold von Brescia, der kühne Haupt Vertreter dieser
Ideen im zwölften Jahrhundert hatte sogar daran gedacht, den Zu-
sammenhang Roms mit Deutschland völlig zu lösen und einen
Volkskaiser erwählen zu lassen.
') Kroeoer, Wald und Kriiuung der deutschen Kaiser und Könige in
Italieu (Studium aus dem Collegium Sapientiae VI. 1901), S. 14 ff. 19. Zum
folgenden vgl. Ficker, Forschgn. i. Reichs- und RechUgesch. Italiens II.,
S. 468 ff.
> *) Vgl. Fomtow, lieber den Einfluss der altrömischen Vorstellung vom
Staate auf die Politik K. Friedrich! I. (Dias. Halle 1886), S 12. Die Be-
lege für die ganze Periode vom 12. bis zum 14. Jahrhundert sind zusammen
gestellt bei Werminghoff (s. die folgende Note) S. 163, Anm. 1.
1*
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So wurde von Seiten der Kurie und des Volkes behauptet,
dass s i e in Italien die Herrschaft zu vergeben hätten, dass die
deutschen Könige nicht ohne weiteres auch Herren über dieses
Land seien. Ein Herrscher wie Kaiser Friedrich I. konnte
all’ diesen Strebungen nur ein Feind und Verfolger sein; dem einen
wie dem anderen Gegner hat er die deutsche Staatsauffassung
entgegengehalten.1)
Andererseits gewann gerade damals die Idee des Kaisertums
auch für Deutschland erhöhte Bedeutung. Nun, wo die Würde
und Hoheit dieses Instituts von Fremden, die dasselbe für
ihr Eigen erklärten, in beredten Worten verkündet wurde,
galt es zu zeigen, dass dies so hochgerühmte Kaisertum
allein bei den Deutschen sei, dass ihr Reich die Fortsetzung
des alten römischen, ihr Herrscher der Nachfolger der Cäsaren
sei.2) Die Rechte und Embleme der heidnischen Imperatoren
*) Bezüglich seines Konflikts mit dem Papste sind die in MO. Const.
I., p. 229 ff., nr. 164 — 168 abgedruckten Aktenstücke zu vergleichen (s.
auch Wermingboff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands I, 1906,
8. 167); besonders kommt liier die oft zitierte Stelle in Betracht (nr.
166, p. 231, Z. 29): Cumque per electionem principum a solo Deo
reguum et imperium nostrmu sit . . . Friedrichs Gesinnung gegen die
Körner dürfte Otto von Freising iu seiner berühmten Rede, die er ihn vor
Rom halten lässt, richtig getroffen haben. Die Stadt Rom, welche damals
das Joch der Priesterscbaft abgeworfen hatte, schickte (1166) ihm Gesandte
entgegen, die ihn baten, die alte Machtstellung der Stadt — orbis sub hoc
principe recipiat gnbernacnla — wiederaufzurichten. Die Stadt verleibt die
Krone und das Reich, sie sagt in der Rede der Gesandten zum Könige u. a.:
orbis imperium affectas, corouam prebitura gr&tanter assurgo, iocanter
accurro; ferner: Hospes eras. civem feci. Advena fuisti ex transalpinis
partibux, principem constitni. Quod meum iure fuit, tibi dedi. Darauf
erwidert aber Friedrich: Gloriaris me per te vocatum esse, me per te primo
civem, post principem factum, quod tuum erat a te suscepisse. Quae dicti
novitas quam ratione absona, quam veritate vacua sit, estimationi tuae
prudentumque relinquatur arbitrio. Revolvamus modernorum imperatorain
gesta, si non divi nostri principes Karolus et Otto nullius beneficio
traditam, sed virtute expugnatam Grecis seu Langobardis
' Urbem cum Italia eripuerint, Francorumque apposuerint
terminis. Ottonis Gesta Friderici 1. II., c. 29. 30. ed. Waitz p. 108 ff.
s) Dafür sind besonders wieder angebliche Aeusserungen Friedrichs I.
in jener Rede bei Otto von Freising (S. 109; vgl. oben Anm. 1) anzn-
füliren. Der König sagt zur Stadt : Vio cognoscere antiquam tuae Romae
gloriam? Senatoriae dignitatis gravitatem? Tabernaculorum dispositionemV
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fi
haben die Staufer auf sich übertragen, immer wieder in Briefen
und Urkunden die Erhabenheit ihres Kaisertums betont, es
als ihre Pflicht und ihr Recht betrachtet, das alte Reich der
Römer in vollem Umfange wiederaufzurichten. Die auswärtigen
Könige waren für sie nur reguli, „arme künege“, Beherrscher
von Provinzen des Imperium, eine Lehre, die nicht minder auch
von der romanistischen Jurisprudenz der Zeit verfochten ist.
Thatsächlich gelang es den Staufern, sich einige fremde Reiche
zu unterwerfen. Die Idee des deutschen Königreichs wurde so
verschlungen von der des römischen Kaiserreichs. Jenes erschien
nur mehr als eines der dem Imperium untergebenen Länder.
An Stelle des alten trat ein neuer, imperialistischer „Reichs-
begriff“.1)
Bezeichnend hierfür ist, dass damals die Deutschen anfingen,
sich Römer zu nennen.2)
Ein Zeuge für den Wandel der Anschauungen ist ferner
der dem Kaiserhof so nahestehende Gottfried von Viterbo.
Während er im Speculum regum (entstanden 1183) von Heinrich
als dem Könige der Römer und der Deutschen spricht (s. oben
S. 2, Anm. 1), nennt er ihn in der Memoria seculorum von 1185
nur noch Kaiser der Römer und Divus.:l)
Dabei war damals Heinrich nicht einmal zum „Caesar“
ernannt, was erst Anfang 1186 geschah. In jenen Jahren
aber hat sich Friedrich aufs eifrigste bemüht, den in Deutsch-
land bereits erwählten und gekrönten König Heinrich von den
Päpsten zum Kaiser krönen zu lassen.4) Wie die alten heidnischen
Imperatoren, wie Karl der Grosse, Ludwig der Fromme und
Equeatris ordinis virtutem et disciplinam . . . ? Nostram intuere rem publicam.
Penes nos cuncta haec sunt. Ad dos simul oinnia haec cum imperio
demanarunt. Non cessit nobis nndum Imperium. Virtnte sua amictum venit.
Ornament» sua secum traxit. Penes nos sunt consules tui. Penes
nos est senatns tuus. Penes nos est miles tuus. Proceres Francorum
ipsi te consilio regere, equites tuam ferro iniuriam propellere debebunt.
') Vgl. Burdach, Walther von der Vogelweide 1 (1900), S. 171 ff.
s) Vgl. Pomtow a. a. O. S. 66 f.
3) MG. SS. XXII, p. 106. Vgl. ferner p. 103 die Widmung au Heinrich VL
und die Einführung p. 94. Zwar hat Gottfried die Arbeit an der Memoria
lange vor 1185 begonnen (s. Wattenbach. Deutschlands Geschichtsquellen
II • 296), doch sind gerade diese Stücke offenbar erst zuletct entstanden.
*) Toeche, Kaiser Heinrich VL, S. 514 f.
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Otto I. wollte auch er den Sohn als Kaiser neben sich sehen.
Denn nur als solcher konnte er wahrhaft Mitregent des
Vaters sein. Friedrich betrachtete das Reich eben als ein
römisches Imperium, das seiner Natur nach nur Kaiser, nicht
Könige als Herrscher Uber sich haben konnte. Und aus
R&cksicht auf diese Anschauung des Hofes spricht Gottfried,
der sein Buch gerade zu der Zeit schrieb, wo Friedrich die
Erhebung Heinrichs betrieb, von diesem nur noch als von einem
zweiten römischen Kaiser.
Da es Friedrichs fester Entschluss war, auf irgend eine
Weise den kaiserlichen Charakter der Reichsgewalt darzuthun,
griff er, als die Päpste sich ihm nicht willfährig erwiesen,
zu einem Mittel, das dem altrömischen Staatsreclit entlehnt
war. Er ernannte, wie schon gesagt wurde, Heinrich zum
Caesar, das heisst zum Unterkaiser. Zugleich wurde Heinrich zum
Könige von Italien gekrönt und ihm die Herrschaft dieses
Landes völlig überlassen , während Friedrich sich ganz den
deutschen Angelegenheiten widmete. So erscheint Italien als
eine der Provinzen des Kaiserreiches, über die vom Angustus
ein Caesar gesetzt wird. Als solcher war er auch der
natürliche Nachfolger des Augustus und nur als solcher hatte
er ein Recht zur Herrschaft, als fränkisch-deutschem Könige
hätte ihm Friedrich keine Regierungsgewalt einräumen können ;
neben der einen, allumfassenden kaiserlichen Gewalt wollte die
imperialistische Doctrin im deutschen Reiche ebensowenig wie
auswärts ein bodenständiges Königtum sehen. Der einzige
Souverän auf Erden war der römische Princeps, alles Herrscher-
tum hatte sich von ihm herzuleiten.
Es ergab sich hieraus die Konsequenz, die deutsche Königs-
gewalt der Einheit des Reiches zu Liebe völlig zu beseitigen.
Dies ist die Aufgabe, die sich Heinrich VI. gestellt hat.
Dabei ist aber gewiss nicht anzunehmen, dass Heinrich zu-
gleich auch die Verbindung zwischen Sacerdotium und Imperium
lösen und die von Friedrich rezipierte Uebertragungs weise durch
blosse Ernennung des Nachfolgers zur allein herrschenden machen
wollte, wodurch man allerdings dem Vorbilde des antiken Im-
perium mehr entsprochen haben würde. Friedrich selber hat
gewünscht, dass der von ihm ernannte Cäsar auch noch gekrönt
würde und demgemäss weiter mit der Kurie unterhandelt. Eine
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Krönung durch den Papst bedeutete nach stauflscher Anschauung
ja keine Uebertragung des Reiches durch ihn, sondern durch Gott
oder Christus, wobei der Papst nur die Mittelsperson war.
Eine göttliche Autorisation glaubte aber kein mittelalterlicher
Herrscher entbehren zu können.1)
Nach dieser Seite hin lagen also keine weiteren Ent-
wicklnngsmöglichkeiten — hier konnte und wollte man nicht
ein altes Band zerreissen — wohl aber nach einer anderen.
Durch die völlige Ausschaltung der Idee des deutschen Königtums
und die Errichtung des Reichs allein auf der des Kaisertums
wäre einer unumschränkten Herrschaft Thür und Thor geöffnet
worden. Ein Erbkönig hätte doch keine anderen Machtmittel
als ein Wahlkönig gehabt; zu jedem Versuch, hier grundstürzend
umzugestalten, fehlte auch ihm wenigstens die rechtliche
Handhabe. Das deutsche Königtum ist, wiewohl einzelne seiner
Träger zu höchster Macht gediehen waren, institutionell be-
trachtet, immer ein unvollkommenes Gebilde geblieben, das nie
die Entwicklungshöhe der fränkischen, merowingisch - karo-
lingischen Monarchie erreicht hat. Eine Regeneration der
höchsten Gewalt war aber wohl im Anschluss an eine andere
Institution, an das römische Kaisertum, möglich. War das Reich
einmal eine allein hierauf gegründete Herrschaft geworden, so
konnte kraft kaiserlicher plenitudo potestatis überall in Ver-
fassung, Verwaltung und Rechtspflege eingegriffen und so das
widerspenstige Deutschland und Italien nach dem Muster des
straff zentralisierten sizilisch-apulischen Reiches allmählich um-
gestaltet werden. Die Politik Friedrichs II. hat ja später,
wenigstens für Italien, ein derartiges Ziel fast ganz erreicht.2)
Hier war man eben gewöhnt, die deutsche Herrschaft als be-
ruhend auf der Idee des Kaisertums zu betrachten. In Deutsch-
land dagegen regierte der Herrscher, auch wenn er Imperator
hiess, doch nur kraft königlichen Rechts; wurde aber die Grund-
*) Wir können für das Gesagte wieder Gottfried von Viterbo als
Zeugen anrufen, er sagt im Pantheon, MG. SS. XXII, p. 221, dass nur
allein durch des Papstes Salbung das Kaisertum gewonnen werdeu kann
(„Absque manu pape quem protulit aurea Roma Non decet ut capiat
monocrator io Urbe coronaui“), doch sei nicht er, sondern Christus der
Investitor („Ungit eum [seil, imperatorem] presul, set Christus inunctor
habetur“). S. a. Hauck, Kirchengesch. Deutschlands IV. 216 '.
a) Ficker, Forschungen II, 53!» ff. III, 364.
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8
läge seines Amtes einmal verändert, so musste es auch selber
eine andere Gestalt annehmen.
Wir wenden uns jetzt der näheren Untersuchung des
Refonnplans Heinrichs VI. zu.
II.
Weitaus am wichtigsten ist für uns der Bericht der Annales
Marbacenses überden Reformversuch Heinrichs VI. im Jahre 1196.
Sie allein bringen, unmittelbar nachdem sie von dem Würzburger
Reichstage des Frühjahrs, wo der Kaiser die Erblichkeit seines
Hauses bei den anwesenden Fürsten durchsetzte, erzählt haben,
die weitere Nachricht, dass er dann um die Zeit des Johannis-
festes nach Apulien aufbrach, sich aber unterwegs in Italien
lange aufhielt und mit dem Papste über eine Einigung ver-
handelte. Dabei forderte er von diesem — es war Cölestin III.
(1191 — 1198) — , dass er seinen, damals erst zweijährigen
Sohn Friedrich taufen und zum Könige salben solle. Die
Verhandlungen führten aber zu keinem Ziele.
Diese zwei Versuche, der, die Fürsten zum Verzicht auf
ihr Wahlrecht, und der, die Kurie zur Krönung zu bewegen,
bilden zusammen den grossen Reformplan Heinrichs VI. Nur
wenn man sie beide im Zusammenhänge ansieht, gelangt man
zum rechten Verständniss dessen, was der Kaiser im Grunde gewollt
hat. Dabei ist aber die Vorbedingung, dass man an dem klaren
Wortlaut des Berichts in den Annalen nicht rüttelt. Es kann, so
auffallend das auch klingen mag, nur die Vollziehung einer
römischen Königskrönung durch den Papst beabsichtigt worden
sein. Diese Ansicht ist aber, obwohl sie von Forschern wie
Toeche1) und Hauck2) angenommen wurde, doch kaum als die
zur Zeit herrschende zu betrachten. Zuerst ist Winkelmann8)
gegen sie aufgetreton ; er meint, dass „in regem ungere“ gleich
wie „in imperatorem ungere“ zu verstehen sei, dass Friedrich
also — wie einst Heinrich VI. selber — zu Lebzeiten des
Vaters zum Kaiser gekrönt werden sollte, und dieser Auf-
fassung hat sich nicht nur Caro in seiner Dissertation „Die
') Kaiser Heinrich VI., 8. 436.
a) Kirchengeschichte Deutschlands Bd. IV, 8. 678.
3 ) Philipp von Schwaben S. 6.
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9
Beziehungen Heinrichs VI. zur römischen Kurie 1190 — 1197“
(Rostock 1902), S. 42 angeschlossen, sie ist auch von Bloch
in seiner Ausgabe der Annales Marbacenses p. 68, n. 5 als die
allein richtige bezeichnet worden, und sie hat endlich Hampe
in einem eigens dieser Frage gewidmetem Aufsatz1) näher zu
begründen gesucht. Während Winkelmann seinerzeit noch die
Möglichkeit, dass man Friedrich zum sizilischen Könige habe
erheben wollen, offen gelassen und also selber seine These nicht
mit so völliger Bestimmtheit hingestellt hatte, hat jetzt Hampe
auch gegen diese Annahme wie gegen die des Plans einer
italienischen oder römischen Königskrönung so viel vorgebracht,
dass die Winkelmannscbe Ansicht nunmehr völlig gefestigt
erscheint.
Hier soll nun der so angefeindete Bericht der Annalen
zunächst in Kürze auf seine Zuverlässigkeit geprüft, dann die
gewonnene Thatsache, dass im Jahre 1196 wegen einer Krönung
Friedrichs zum römischen Könige unterhandelt wurde, in die
sonstigen Ereignisse dieses Jahres und weiter in das System
der politischen Ideen Heinrichs VI. eingeordnet werden.
III.
An den Anfang unserer Untersuchung sei der vollständige
Bericht der Marbacher Annalen über das Jahr 1196 gestellt2);
er lautet:
Anno Domini MCXCVI. Imperator habuit curiam Herbipolis
circa mediam quadragesimam, in qua plurimi signum dominice
crucis acceperunt. Ad eandem curiam imperator novum et
inauditum decretum Romano regno voluit cum principibus
conürmare, ut in Romanum regnum, sicut in Francie vel ceteris
regnis, iure hereditario reges sibi succederent; in quo principes
qui aderant assensum ei prebuerunt et sigillis suis confirmaverunt.
') Zum Erbkaiserplan Heinrichs VI. Mitt. il. Iust. f. österr. Geschichts-
forschung Bd. XXVII (1906), S. 1 — 10. Daher hat dann auch H. Krnbbo
in seiner Besprechung des IV. Bandes von Hauck (Hist. Vierteljahrschr.
Bd. X, S. 246) die Ansicht des Verfassers korrigiert. Ich habe den Aus-
führungen Uampes bereits im Neuen Archiv d. Gesellschaft f. ältere deutsche
Gesch. Bd. XXXII, S. 765 widersprochen.
J) MG. SS. XVII, p. 167. In der von Bloch besorgten Neuausgabe
in den Script, rerum Germ. p. 66.
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in
Ipso anno imperator circa festum beati Ioliannis baptiste
i cum paucis in Apuliam iter arripuit, unde etiam in Ytalia
magnuni est passus contemptum. Interim missis legatis suis,
imperator cepit cum apostoiico de concordia agere volens, quod
filium suum baptizaret — nondum enim baptizatus erat — et
quod in regem ungeret. Quod si fecisset, crucem ab eo aperte,
ut putabatur, accepisset. Ipso tempore frater imperatoris Cun-
radus, dux Suevie, obiit; et Philippus frater eius ducatum accepit.
Itaque imperatore apud urbem Tyburtinam per tres ebdomadas
expectante, missis ab utraque parte sepius nunciis et apostoiico
ab imperatore preciosis xeniis transmissis, et cum res, ut imperator
voluit, effectum habere non potnit, iter cum magna indignatione
versus Syciliam movit.
Interea in Theutonieis partibus, mediantibus Cunrado
Maguntino archiepiscopo et duce Suevie Philippo, omnes fere
principes prestito iuramento filium imperatoris in regem clegerunt.
Der Abschnitt der Annalen, in dem sich diese Stelle findet,
ist im Zusammenhänge wohl erst um 1199 zu Strassburg auf-
gezeichnet worden. Zwar zeigen diese Strassburger Annalen
gerade für die Jahre 1195 und 1196 einige Verwirrung, doch
gehen sie offenbar auf gute, gleichzeitige Notizen zurück.1)
Der Quellenwert der Nachricht über die geplante Königs-
krönung würde sehr herabgemindert werden, wenn der Erweis
erbracht werden könnte, dass wichtige Ereignisse des Jahres
1196 unklar und schief in den Annalen wiedergegeben sind.
Das scheint in der That möglich zu sein. Bloch deutet in
seiner Mitteilung (s. u. Anm.) darauf hin; er hat dabei eine dem
zitierten Bericht über das Jahr 1196 fast unmittelbar vorauf-
gehende Stelle im Auge, die sich ihrerseits wieder der aus-
führlichen Erzählung des Annalisten von dem Wormser Reichstag
(Dezember 1195) und von einer Gesandtschaft des Königs von
Cypern an Heinrich VI. anschliesst; die Stelle lautet:
Interim imperator laborabat, quod principes filium suum,
qui iam erat duorum annorum, eligerent in regem et hoc
Dies der Inhalt einer Mitteilung tilochs an Hanipe (a. a. O. S. 1,
Anm. 1.). Da zur Zeit Blochs Untersuchungen über die Marbacber Annalen
noch nicht vorliegen, kann Uber deren Zusammensetzung und Entstehung
nichts Näheres angegeben werden. Doch ist das Obige für unsero Zwecke
hinreichend.
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iuramento firmarent; quod feie omnes, prcter episcopum
Coloniensem, singillatim se facturos promiserunt. Quod si factum
esset, ipse etiam crucem manifeste, sicut dicebatur, accepisset.
Unde cum ad enriam vocati venissent, quod promiserant, non
fecerunt. Unde etiam ipse remissius quam prius de expeditione
cepit tractare.
Darauf folgen noch die Worte: Eodem anno Hamideus
comes de Monte Biligardis occisus est ab Ottone fratre imperatoris.
Dann kommt der zitierte Bericht über das Jahr 1196.
Diese Nachricht über ein Versprechen der Fürsten, des
Kaisers Sohn zum Könige zu erheben, das sie hernach auf
einem anderen Reichstage nicht mehr hielten, bezieht sieh ohne
Frage auf Heinrichs VI. erfolgreiche Unterhandlungen über die
Einführung der Erbnionarchie auf dem Tage zu Wiirzburg
(Frühjahr 1196) und auf das Scheitern dieses Planes auf dem
folgenden Tage zu Erfurt im Herbst desselben Jahres.1) Der
Gang der Handlung ist kurz, aber in der Hauptsache getreu
wiedergegeben, nur ist das Ganze durch den groben Fehler,
dass von einer Wahl Friedrichs gesprochen wird, entstellt.
Und ausserdem ist es ja falsch, nämlich zum Jahre 1195 statt
1196, eingereiht.
Wenn nun dor Annalist diese Dinge bei der um 1199 er-
folgten Redaktion so schlecht wiedergab, so kann er allerdings
auch manches andere falsch berichten und auch unter anderem
vielleicht irrig von einer Königs-, statt von einer Kaiserkrönung
Friedrichs reden. Doch wird dies Argument hinfällig, da sich
wahrscheinlich machen lässt, dass der Verfasser ungleich unter-
richtet gewesen ist und ihm offenbar über einiges gute, über
anderes ungenügende Nachrichten zu Teil geworden sind.
Wie mir scheint, hat er von der Thatsache, dass Heinrich
im Jahre 1196 die Einführung der Erbmonarchie plante —
worüber er sich ja so erregt — erst später bestimmte Kunde
erhalten; in jenem Jahre selber ist ihm über die genannten
Versammlungen zu Würzburg und Erfurt überhaupt nur ein
unklares Gerücht zu Ohren gekommen. Er hörte lediglich von
Reichstagen, auf denen über die Nachfolge im Reich ver-
') Auf dem Erfurter Tage wurde in der That auch der Krenzxugaplan
erörtert; a. Cbron. ReiiiliardsbrunnenaU, MO. SS. XXX, p. 657.
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handelt worden sei, und bezog das — wie ja natürlich — auf
den Plan einer Königswahl. Bei der Redaktion des Ganzen
wusste er mit dieser Thatsache, deren er sich entsann oder die
er aufgezeichnet hatte, nichts rechtes zu beginnen; sie gehörte
in die Jahre 1195/96, passte aber nicht zu 1196, da ja Friedrich
damals gewählt wurde. So stellte er sie zu 1195; und da er
ferner noch von einer hartnäckigen Opposition des Erzbischofs
Adolf von Köln gegen eine Wahl des jungen Staufers gehört
zu haben sich erinnerte, brachte er diese Nachricht mit an
derselben Stelle unter. Dagegen schrieb er getrennt davon, am
rechten Orte, das auf, was er mittlerweile über den Erbkaiser-
plan erfahren hatte, von dem er aber nur die Annahme zu
Würzburg, nicht die Ablehnung zu Erfurt wiedergiebt. Von
einem im Herbst 1196 in Deutschland abgehaltenen Reichstage
weiss er überhaupt nichts.
Will man dieser Erklärung gegenüber annehmen, dass der
Annalist um die wahre Bedeutung des Erfurter Tages vom
Herbst 1196 einmal doch genau gewusst und hernach schlecht
darüber berichtet habe, so muss man weiter fragen: Ging sein
guter Bericht über die einstweilige Annahme des Erbkaiserplanes
auf dem Tage von Würzburg im Frühjahr 1196 aus gleichzeitig
oder aus später erworbener Kenntniss hervor? Neigt man
der ersteren Alternative zu, so ist gar nicht zu begreifen, wie
der Verfasser, dem bei der Redaktion von 1199 die Thatsache
der einstweiligen Annahme noch so lebhaft in der Erinnerung
war und der doch — wie wir jetzt ja annehmen wollen — einst
auch von dem Ausgange des kaiserlichen Pianos, von der Ab-
lehnung, die er auf dem Erfurter Tage erfuhr, gewusst hat,
gerade nur von dieser Versammlung eine so ganz falsche
Vorstellung haben, ihre wahre Bedeutung so völlig vergessen
konnte? Warum soll ihm das Ende des „unerhörten“ Wagnisses
so ganz entschwunden, der Anfang aber erinnerlich geblieben
sein? Zumal der thatsächliche Verlauf der Dinge ihm gar
keinen Anlass bot, auf den Gedanken eines allgemeinen Wider-
standes gegen eine Wahl Friedrichs zu kommen.
Räumt man aber der zweiten Möglichkeit den Vorzug ein,
das heisst, giebt man zu, dass der Verfasser von der wahren
Bedeutung des Tages von Würzburg erst später erfuhr, so ist
das wahrscheinlichste, dass er überhaupt von dem ganzen Erb-
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kaiserplan erst später gehört hat, womit wir zu der oben gegebenen
Erklärung der Stelle „Interim imperator“ zurückkämen. Da
der Annalist im Jahre 1196 von dem Reformplan noch nichts
wusste, so konnte er die Verhandlungen der damaligen Reichs-
tage nur auf eine Wahl beziehen. Dementsprechend machte er
sich davon gleichzeitig eine Notiz und suchte diese dann bei der
endgültigen Redaktion mit dem, was er mittlerweile von dem
Erbkaiserplan erfahren hatte, so gut es ging zu vereinen.
Warum er aber gerade über den Tag von Erfurt und den
Ausgang des Reformplanes so schlecht unterrichtet ist, lässt sich
vielleicht noch näher darthun. Er hatte wohl Beziehungen zu
Leuten in der Umgebung Heinrichs, zu seinen Ministerialen.
Von der Unterwerfung Siziliens, von den in Gegenwart des
Kaisers abgehaltenen Reichstagen in Deutschland 1195 und 96
und von den italienischen Ereignissen des Jahres 1196 weiss
er gut zu erzählen. Der Erfurter Tag aber fand zu einer Zeit
statt, als Heinrich in Italien weilte und gerade die Verhandlungen
mit dem Papste führte; von dieser Versammlung konnte ihm sein
Gewährsmann natürlich nichts, dagegen wohl von dem, was in
Italien zur gleichen Zeit vor sich ging, berichten. Andererseits
giebt z. B. die Reinhardsbrunner Chronik, deren Verfasser Be-
ziehungen zu dem thüringischen Landgrafenhause gehabt hat,
über diesen Fürstentag, auf dem der Landgraf die erste Stelle
einnahm, einen sehr guten Bericht. Der Strassburger Annalist
dagegen blieb bezüglich desselben Tages auch, als ihm einige
Zeit nach 1196 sein aus Italien zurückgekehrter Gewährsmann
Bericht über die Ereignisse dieses Jahres erstattet hatte, auf
die unbestimmten, ihm einst zugegangenen Gerüchte, angewiesen.
Die Stelle „Interim imperator“ kann also keineswegs den
Wert des Berichts über Heinrichs Unternehmungen und Unter-
handlungen in Italien während des Jahres 1196 mindern, im
Gegenteil, wir können annehmen, hier war der Verfasser der
Annalen gut unterrichtet.
Wenn man nun diesen Bericht unbefangen betrachtet, so
kann gar kein Zweifel darüber walten, dass der Annalist hier
eine römische Königskrönung Friedrichs meint. Er spricht
in diesen Abschnitten häufig von „eligere in regem“, einmal
(ed. Bloch p. 72) auch von „regem inungere“; immer ist der „rex“
schlechthin der eigene, römische König. Neben ihm kennt er
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noch andere Könige; neben dem Romanum regnum -- das man
sich als auf Deutschland, Italien und Burgund beschränkt zu
denken hat — noch andere regna z. B. Sizilien,1) Frankreich,
Cypern. Dem Imperium unterwirft sich der König von
Cypern ; seine Gesandten bitten den Kaiser, Bischöfe zu senden,
„qui regem Cypri nngerent in regnum, quia ipse semper
vellet homo esse Romani imperii“ (p. 67). Ebenso heisst
es vom Könige Leo von Armenien (p. 64); petebat ab eo (seil.
imperatore) exaltari in regnum in terra sua, disponens se
semper esse subiectum Romano imperio.
In diesen beiden Fällen ist wohl nicht ganz ohne Absicht
der Ausdrnck imperium gewählt, denn diese Fürsten unter-
warfen sich und ihre regna Heinrich VI. nicht in seiner Eigenschaft
als deutschem Könige, sondern als Kaiser. Damals schien ja
überhaupt das regnum weit über seinen alten Umfang hinaus
wachsen und ein imperium, wie es einst bestanden hatte, werden
zu wollen. Nicht nur jene Fürsten, auch andere auswärtige
Herrscher, wie der König von England und der Fürst von
Antiochien — von dem der Annalist gleichfalls berichtet, er
habe geschworen: se semper veile esse imperio Romano
subiectum per omnia (p. 61) — ergeben sich dem römischen
Princeps. Sagt der Verfasser imperium, so hat er also das
Reich mehr nach seinen universalen, sagt er regnum, mehr
nach seinen nationalen Beziehungen im Auge. Dementsprechend
heisst es an der eingangs zitierten Stelle der Annalen: Kaiser
Heinrich will, dass im regnum Romanorum dasselbe Thron-
folgerecht gelten solle: „sicut in Francie vel ceteris regnis“.
Hier, wo es sich um einen Akt der inneren Politik,2) nicht um eine
Erweiterung des Reiches nach aussen hin handelt, erscheint das
regnum der Römer als ein Reich neben anderen. Nicht wahllos
verwendet also der Autor die Begriffe regnum und imperium; dem-
nach dürfte er auch rex und imperator auseinanderzuhalten wissen,
da für ihn die beiden Ausdrücke verschiedene Bedeutung haben
mussten. Warum sollte er auch gerade an der fraglichen Stelle
') Er spricht p. 6 5 von Palermo als der sedes regui Siciliae und p. 72
von Aachen als der sedes regni ohne Zusatz.
*) Vgl. auch die konsequente Verwendung von regnum in der Er-
zählung von den Throustreitigkeiten nach Heinrichs Tode (S. 72).
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das eine für das andere gesetzt haben?1) Etwa weil es im
Reiche immer nur einen Kaiser zur Zeit geben durfte? Gerade
dann aber hätte der Verfasser wohl das Auffallende einer be-
absichtigten Erhebung eines zweiten Kaisers eher hervorgehoben
als verschleiert. Er bezeichnet ja auch den Erbkaiserplan als
etwas Unerhörtes, das mit dem geltenden Staatsrecht in Wider-
spruch stehe.
Der Schwierigkeit, welche die Ausdrucks weise der Annalen
dem Winkelmannschen Erklärungsversuche bereitet, sucht
K. Hampe aber noch durch den Hinweis auf eine Stelle der
zeitgenössischen, sehr gut unterrichteten Reinhardsbrunner
Chronik zu begegnen, wo, wie er meint, die Kaiserkrönung ganz
deutlich als „unccio regia“ bezeichnet werde. Dadurch wäre
allerdings die Möglichkeit nahe gerückt, dass unserem Annalisten
auch von einer K ö n i g s krönung berichtet wurde und dass er
das „königlich“ allzu wörtlich auffasste, zumal ja der Plan
einer Königskronung mit dem, was er sonst über Heinrichs Be-
mühungen im Jahre 1196 wusste, wohl zu vereinen war. Er
selber meint jedenfalls nur eine solche.
Aber die Auslegung, welche Hampe der fraglichen Stelle
in der Chronik von Reinhardsbrunn gegeben hat, scheint mir
nicht zutreffend zu sein. Die Stelle (MG. SS. XXX, p. 549)
lautet:
Post insignem, sed miserandum Jerosolimitane profeccionis
triumphum Frederico Romanorum imperatore mortuo, Heinricus
illustris, rnaior natu filiorum ipsius Romani monarchiam apicis
longe ante patris mortem quasi successione hereditaria, eleccion e
tarnen priucipum Aquisgraui optinuit, sed unccionem
regiam non nisi patie Yconiensis heremi vastitate circumdato
et famis acrimonia reliquo exercitu lacerato consequi promeruit,
*) Vgl. auch was er zum Jahre 1191 sagt: Eodem anno rex Heinricus. .
in Italiam profectua est. . . pro imperiali consecratione (p. 62). — Wenn
er den griechischen Kaiser nur rex nennt, so erklärt sich das wohl aus der
Anschauung von dem einen imperinm Romanum. das allein den Staufern
zukomml. S. Hampe S. 7. Nur wer Rom besitzt, ist ein rechter Kaiser,
vgl. Friedrich I. bei Rahewin IV. e. 35. Jene Ausdrucksweise begegnet
übrigens auch bei Otto von Freising, s. Chronicon ed. Wilmanns p. 247.
Zn ihrer Erklärung sei noch verwiesen auf den alten Anspruch der Byzantiner,
allein den Titel eines ßaaiXcw; führen zu dürfen. (Vgl. darüber A. (iasquet in
der Revue historique Bd. 26, 281 ff.)
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Iß
quippe cum Roma altitonans duos imperatores in eodem tempore
et circa idem imperium habere non sweverit. Confectis itaque
serenissimi principis supprema morte carnis nianubiis, prefatus
lieres eius, imperator augustns, sicud successionis hereditarius,
ita etiam felicitatis paternarum virtutum querens esse proprietarius
et imperatorie celebritatis usufruetuarius, festinos transal-
pinandi procinctus imperat.
Dazu hat der Herausgeber der Chronik, 0. Holder-Egger,
bemerkt (p. 549, n. 10), dass der Chronist hier von einer im
Mai 1190 — zur Zeit als Friedrich I. in Ikonium weilte —
vollzogenen Königskrünung Heinrichs spreche, dass diese Angabe
aber ganz irrig sei und teilweis in Widerspruch zu den sonstigen
Berichten der Chronik stehe. Dagegen meint der Chronist nach
Hampes Ansicht (S. 9): „Heinrich verdiente nicht, die Kaiser-
krönuug vor dem Tode seines Vaters zu erlangen, weil Rom
niemals zwei Kaiser zu derselben Zeit zu haben pflegte.“ Er
sagte dies aber in seiner schwülstigen Weise so: „Heinrich ver-
diente nicht, zum Kaiser gekrönt zu werden, ehe nicht der
Vater eingebettet war in die Oede der Ikonischen Wüste und
das übrige Heer von nagendem Hunger zerfleischt.“ Hampe beruft
sich dabei noch auf die unmittelbar folgende Wendung: „confectis
itaque serenissimi principis supprema morte carnis manubiis“,
d. h. nachdem also Friedrich gestorben war. Gewiss vermag
sie die auch mir einleuchtende Auslegung Hampes zu stützen.
Heinrich erhielt die Krone nicht, wie Holder-Egger will, als
Friedrich in Ikonium weilte, sondern erst als dieser gestorben war.
Aber insofern möchte ich doch Hampe widersprechen,
als mir mit der unccio regia keinenfalls eine K a i s e r krönung
gemeint zu sein scheint. Die unccio ist der electio principum
entgegengestellt; Heinrich hatte zu Aachen wohl die Wahl der
Fürsten erlangt, — nun fragt der Leser sofort, warum nicht
ebenda auch gleich die Krönung? Deshalb fährt der Chronist
fort: „Die Krönung aber wurde ihm erst nach des Vaters Tode
zu Teil.“ Und weshalb geschah das nicht vorher? Weil zwei
Kaiser nicht zugleich im Reich sein können. Heinrich wäre
also durch die Königskrönung Kaiser geworden. Allerdings
geht die Meinung des Chronisten dahin. Das Kaisertum wird
nicht erst durch die römische Krönung erworben. Heinrich,
heisst es, hat „die römische Monarchie“ wie durch Erbgang,
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doch unter Zustimmung der Fürsten überkommen, er tritt nach
des Vaters Tode sofort in dessen Recht ein und hat die volle
kaiserliche Gewalt; er wird daher auch von dem Verfasser der
Chronik vor der Kaiserkrönung bereits „imperator augustus“
genannt. Den Inhalt des Kaisertums bildet hiernach offenbar
nicht die advocatia ecclesiae, sondern die Herrschaft über das
Reich. Der Autor steht unter dem Einfluss der von uns oben
behandelten Idee des römischen Imperium. Das Reich ist auch
ihm ein römisches Kaiserreich und seine Herrscher sind von Anfang
an römische Kaiser. Der Gedanke des fränkisch -deutschen
Königtums tritt daneben auch hier stark zurück. Demgemäss
konnte die Wahl als eine electio in imperatorem — als solche
hat man sie hernach ja bezeichnet — und die Handlung zu
Aachen als eine Investitur in das Kaiserreich aufgefasst
werden. Wäre Heinrich vorher in Aachen investiert worden,
so wäre ihm damit die Befugniss zu augenblicklichem Antritt der
kaiserlichen Herrschaft übertragen worden, es hätte dann in
der That zwei Verweser für das Imperium, zwei „imperatores“
gegeben. Der Verfasser weiss nicht, dass ein derartiger Zu-
stand thatsächlich früher bestanden hat, er hält ihn überhaupt
für unzulässig.
Die kaiserliche Krönung weiss er, worauf schon Holder-
Egger hinwies, sehr wohl von der königlichen zu scheiden; er
erzählt bald hernach von Heinrich:
Summum pontificem pro regni1) dyademate et exultacionis
oleo adire decrevit. Denique Heinricus rex accepit coronam
imperialem a domino Celestino. . . . Imperator accedens . . .
coronam imperialem optinuit et benedictionem.
Er nennt ihn hier rex, meist aber, wie gesagt, schon vor
der römischen Krönung imperator, dies war er der Sache, jenes
dem Titel nach. Ferner kann man aber noch auf eine Stelle
verweisen, nämlich auf den Schlusssatz des oben angeführten
Stückes der Reinhardsbrunner Chronik.
Heinrich, wird da erzählt, will nach Italien ziehen, um sich
Apulien zu unterwerfen und die Kaiserkrönung zu erlangen.
Das sagt der Verfasser in dem Satze von prefatus heres eius
') Die Verwendung des Wortes regnum da, wo man imperiom erwarten
sollte, erklärt sich wohl daraus, dass regnum nicht nur .Königreich*,
sondern auch allgemein .Reich* oder .Herrschaft* bedeutete.
K ramm er, der Ueicbsgedanke des staufischen Kaiserhauses 2
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bis procinctus imperat, dessen Sinn sich etwa dahin wiedergeben
lässt: „Da sein Erbe, der erlauchte Kaiser, danach trachtete,
wie auf ihn bereits die Thronfolge übergegangen war, so nun
auch der Besitzer des Erfolges, den die väterliche Tüchtigkeit
gehabt hatte, zu werden und zu dem Genuss der kaiserlichen
Feierlichkeit zu kommen, befahl er rasche Rüstung zum Zuge
Uber die Alpen.“ Mit dem „Erfolg der väterlichen Tüchtigkeit“
ist dabei offenbar die Gewinnung des staufischen Anrechts auf
Sizilien durch Friedrich I. gemeint. Die Worte „imperatoria
celebritas“ sind nicht etwa mit „kaiserliches Ansehen“, „kaiser-
liche Würde“ zu übersetzen, denn dieser war Heinrich ja durch
den Tod des Vaters schon teilhaftig geworden. Als Inhaber
der Kaisergewalt giebt er den Befehl zu jenen Rüstungen,
mittelst deren er in den Ususfructus der imperatoria celebritas
zu gelangen hofft. Dagegen hat er schon vor dem Aufbruch
in Deutschland die unccio regia, durch die er zum imperator
wurde, erhalten. Die Kaiserkrönung und die Königskrönung
stellt der Chronist also deutlich einander gegenüber.
Man wird aber einwenden: Der Grund, den der Chronist
dafür vorbringt, dass Heinrich bei Lebzeiten des Vaters nicht
gekrönt werden konnte, sei der nämliche, der, wie andere
Quellen1) berichten, von der Kurie den Bemühungen Friedrichs
um eine Kaiserkrönung seines Sohnes entgegengehalten worden
ist. Daher wäre doch wohl auch hier eine Kaiserkrönung ge-
meint. Ich gebe zu, dass der Chronist in der That von diesem
Plane Friedrichs gehört haben mag, doch hat er ihn offenbar
ganz falsch aufgefasst, was wieder mit seinen Staatsanschauungen
zusammenhängt. Für ihn ist ja der König sofort auch „imperator
augustus“; also wird schon durch die Aachener Krönung ein
Kaiser kröirt. Demgemäss konnte er leicht zu dem Glauben
gelangen, dass jener Einwand, der gegen Friedrichs Unter-
nehmen erhoben worden war, sich gegen den Plan einer Krönung
zu Aachen, nicht gegen den einer Krönung zu Rom gerichtet
habe; in der That entsprach ja auch der erstere Gedanke weit
mehr der Gewohnheit als der letztere.
') Z. ß. Chrou. reg. Col. ail a. 1185: Unde cum imperator vellet, ut
imperiali benedictione sublimaretur, fertur papa [Lucius TII.] reapondisae . . .:
uou esse conveniena, duos imperatore» preesse Romano imperio.
Ed. Waitz p. 184. Vgl. Toeche, Kaiser Heinrich VI., S. 615.
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Jedenfalls kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die
in so engem Zusammenhänge mit Aachen erwähnte unccio regia
nur als die dort zu vollziehende Königskrönung aufzufassen
ist. Damit wäre einer Hauptstütze des Hampeschen Beweises
der Boden entzogen.
Und im Allgemeinen lässt sich hinsichtlich der Auslegung
des Marbacher wie des Reinhardsbrunner Chronisten sagen:
Die Entwicklung des Staatsgedankens ging während des zwölften
Jahrhunderts, wie wir wissen, dahin, dass anfangs zwischen
deutschem Königtum und römischem Kaisertum sorgsam unter-
schieden wurde, dann aber, seit Friedrich I., der letztere Begriff
stark das Uebergewicht gewann. Das deutsche Reich wurde als
römisches Imperium, die Deutschen als Römer, der blosse König
schon als Imperator angesehen. Unter diesen Umständen erscheint
es nicht als annehmbar, dass nun wieder dem deutschen Reich
entlehnte Ausdrücke, wie rex und unctio regia, angewandt worden
wären, wenn es sich an den fraglichen Stellen um das römische
Kaisertum gehandelt hätte.
Der Marbacher Annalist, der seine Worte sorgsam wählt,
der nicht schwülstig schreibt wie der Reinhardsbrunner und
regnum und rex nur für Deutschland anwendet, erzählt ein paar
Seiten weiter, dass die unctio in regem dem Trierer und dem
Kölner Erzbischof zusteht (p. 72 der Neuausgabe). Wäre ihm
nicht — so können wir sagen — von seinen gut unterrichteten
Gewährsmännern (s. oben S. 13) auf das Bestimmteste ver-
sichert worden, dass Heinrich thatsächlich eine Krönung Friedrichs
zum römischen Könige erstrebt habe, so hätte er gewiss die
Ausdrucksweise nicht gewählt, die wir bei ihm finden. Von
selber kann er auf diesen so weit ausserhalb des Bereichs
aller staatsrechtlichen Gewohnheit liegenden Gedanken nicht
gekommen sein. Dass er sich bei ihm nicht länger aufhält und
keine Betrachtungen darüber anstellt, dass solches deutschen
Fürsten zu tun gebühre, erklärt sich sehr wohl daraus, dass
er eben erst von dem „unerhörten Wagniss“ Heinrichs, der
einstweilen geglückten Umwandlung des Reiches in eine Erb-
monarchie gesprochen hatte. Hierdurch hatte Heinrich die
Reichsverhältnisse völlig verändert, und wie dadurch für ihn die
Notwendigkeit die Fürsten zu bitten, sie möchten seinen Sohn
in gewohnter förmlicher Weise küren, hinweggefallen war, so
2*
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bedurfte es nun auch nicht mehr des Vollzuges der altherge-
brachten Krönung in Aachen. Mit all' diesem hatte Heinrich
nun gebrochen. Dennoch musste der junge Erbkönig gekrönt
werden. Das war ja auch in England und Frankreich üblich.
Wenn Heinrich jetzt dies Amt keinem deutschen Fürsten,
sondern dem Papste übertragen wollte, so konnte das dem Autor
nach dem bisherigen Vorgehen Heinrichs schon als ein be-
greiflicher Schritt erscheinen. Es handelte sich eben damals
überhaupt um einen Ausnahmezustand.
Dass endlich die Ausdrucksweise unserer Quelle es ver-
bietet, an den Plan einer sizilischen oder italienischen Königs-
krönung zu denken, wurde oben bereits angedeutet (S. 1 3 f).
Man müsste denn vermuten, der Autor habe einen dieser Pläne
mit den sonstigen Bemühungen Heinrichs um Friedrichs Nach-
folge im römischen Reiche vermengt. Doch wäre man dadurch
wieder zu der so wenig wahrscheinlichen Annahme genötigt,
dass der Annalist selbständig auf den Gedanken einer römischen
Königskrönung durch den Papst gekommen sei. Und meint
man dennoch, dass Kaiser Heinrich VI. eine sizilische Krönung
seines Sohnes beabsichtigt habe — an eine italienische ist aus
bestimmten Erwägungen1) fast garnicht zu denken — , so frage
ich, warum hat denn der Annalist gerade diesen Umstand nicht
klar berichtet, er, der sonst über die Geschicke Siziliens und die
staatsrechtliche Stellung dieses Landes sehr wohl unterrichtet ist?
Nach allem wird nicht zu bezweifeln sein, dass in der
That, so auffallend es auch klingen mag, im Jahre 1196 Kaiser
Heinrich VI. den Papst Cölestin III. um eine Krönung des
jungen Friedrich zum römischen Könige ersucht hat. Es ist
jetzt an uns, eine Probe des Exempels zu geben und zu zeigen,
dass sich ein derartiger Plan weit eher als der irgend einer
anderen Krönung in die damalige Politik des Kaisers den
Fürsten wie dem Papste gegenüber einreihen lässt.
IV.
Auf dem Reichstage zu Worms, im Dezember 1195, legte
Heinrich VI. zuerst den deutschen Fürsten den Plan der Um-
') Darüber a. unten S. 30.
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gestaltung des Wahlreichs in eine Erbmonarchie vor.1) Er
begehrte dazu ihre Einwilligung in herrischer Weise und drohte,
sie, falls sie sich weigern sollten, als Reichsfeinde in den Kerker
werfen zu lassen. Sie erbaten und erhielten Bedenkzeit. Auf
der nächsten Versammlung, im April 1196 zu Würzburg, gaben
die meisten, zum Teil aus Furcht vor des Kaisers Macht, zum
Teil verlockt durch seine Gegenanerbietungen ihre Zustimmung.
Nur der Westen verharrte in unerschütterlichem Widerstande.
Köln, wo damals Adolf von Altena den Krummstab führte, war
der Mittelpunkt der welfischen, dem Kaiserhause feindlichen
Partei. Vergebens suchte Heinrich, der sich nach dem Würz-
burger Tage bis in den Juni hinein am Rhein auf hielt, die
dortigen Fürsten zu gewinnen. In ihrem Kern blieb die
Gegnerschaft uuerschüttert. Es galt einen anderen Versuch
zu ihrer Ueberwindung zu machen.2)
Schon vor seinem Abzüge nach Italien, der den Marbacher
Annalen zufolge um Johanni 1196 stattfand, hat Heinrich
von Deutschland aus eine Botschaft an die Kurie gesandt.3)
Er schrieb im Juni an den Papst,4) all’ sein Sinnen sei darauf
gerichtet, zwischen der Kirche und dem Reiche jetzt einen alle
Zeiten überdauernden Frieden zustandezubringen. Er habe den
päpstlichen Legaten Petrus, Kardinalpriester von S. Cecilia,
nur deshalb so lange zurückgehalten, um einen so wichtigen
Vertrag mit ihm in Müsse und gründlich dnrchberaten zu können.
Aber auch damals hat er den Kardinal noch nicht von sich
gehen lassen. Erst am 4. September schrieb Cölestin III. an
den Bischof von Fermo5): Praeterea scias, quod in proximo
expectamus nuncios imperatoris, qui cum dilecto filio P. tit. S.
Cecilie presbitero cardinali, apostolicae sedis legato, sunt ad
nos, sicut aecepimus, accessuri pro paee inter ecclesiam et
imperium reformanda. Kurz znvor muss also Heinrich wieder
eine Botschaft und mit dieser den Kardinallegaten an die Kurie
gesandt haben.
i) Zum Folgenden s. Toeche a. a. O. S. 413 ff.
а) S. auch Toeche 8. 416.
*) Ebenda 8. 431 f.
*) MG. Const. I, p. 629. nr. 371.
б) Toeche 8. 435. Jafle-Löweufeld, Kegeata pontificuiu Korn. 17 426.
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22
Wir treffen Heinrich bereits im Juli in Oberitalien an; er
urkundet am 28. in Turin.1) Er war auf dem Wege nach
Apulien, wo er aber erst im Dezember eintraf, so dass die
Aeusserung der Marbacher Annalen, er habe sich auf seinem
Wege dorthin lange in Italien aufgehalten, vollkommen zutrifft.
In jener Zeit, sagen sie dann, habe Heinrich wegen des Friedens
und wegen der Krönung seines Sohnes mit der Kurie zu unter-
handeln begonnen; weiter heisst es: Ipso tempore frater
imperatoris Cunradus dux Suevie obiit. Von diesem wissen
wir, dass er am 15. August zu Durlach oder zu Oppenheim
starb.2) Vor dem 23. schon hatte den Kaiser die Nachricht
in Mailand erreicht.3) Also schon im August muss Heinrich
seine Verhandlungen mit der Kurie eingeleitet haben; dazu
stimmt das, was wir aus dem Briefe Cölestins an den Bischof
von Fermo wissen. Die hier Anfang September erwartete
Gesandtschaft wird es also mutmasslich gewesen sein, welche
dem Papste die Bitte des Kaisers unterbreitet hat, seinen Sohn
zu taufen und zum Könige zu krönen.
Es ist durchaus begreiflich, dass Heinrich damals und zwar
erst damals mit einem derartigen Anschläge hervortrat. Er
hatte sich kurz zuvor von der Hartnäckigkeit des Widerstandes
der westdeutschen Fürsten und besonders Adolfs von Köln
überzeugt. Hier war mit Unterhandlungen nichts mehr
auszuricbten. Wenn aber jetzt der Papst den jungen Friedrich
zum Könige krönte, so wurde damit gegen den Mittelpunkt der
Gegnerschaft, gegen Adolf von Köln, ein vernichtender Schlag
geführt, ihm das Krönungsrecht entzogen und er damit seiner
alle anderen Fürsten überragenden Stellung beraubt. Gerade
sein Widerstand wird begreiflich, wenn man bedenkt, dass er
durch Heinrichs Reformplan wohl am allerschwersten getroffen
wurde. Denn er hatte es ja in der Hand, dem Erwählten die
Stadt Aachen, die sedes regni, zu eröffnen, sein alleiniges Recht4)
») Ebenda S. 422.
J) Die Quellen geben beide Orte an; vgl. Toeche S. 440, Anm. 1.
’) Das ergiebt sieb ans Reg. imp. V, nr. 10 b. c.
*) Nach dem Schreiben der deutschen Bischöfe an den Papst Hadrian IV.
von 1157 hatte Friedrich L erklärt: regalem nnctionem Coloniensi, supremam
vero, qnae imperialis est, summo pontifici (recognoscimus). MG. Const. L,
p. 233, nr. 167. Rahewin, Gesta Frid. III, c. 17; ed. Waitz p. 149.
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23
war es, ihn dort zu krönen und zu salben. Einem ehr-
geizigen Fürsten wie Adolf war damit ein Mittel zu gewaltiger
Steigerung der Macht und des Einflusses der Kölner Kirche in
die Hand gegeben; er und seine Nachfolger haben es in diesem
Sinne zu gebrauchen gewusst.1)
Aber abgesehen davon, dass der Kölner Heinrichs Erzfeind
war und rücksichtslos gegen ihn vorgegangen werden musste,
war es in jedem Falle notwendig, wie die deutsche Wahl so
auch die deutsche Krönung zu beseitigen. Denn, wenn auch
die Fürsten durch ihren Verzicht auf die Wahl zugleich auch
das ihnen in ihrer Eigenschaft als Wähler zustehende Recht,
bei einem Teile der Aachener Handlung, der Thronerhebung,
mitzuwirken, aufgegeben hatten und sie so den Charakter einer
Einsetzung ins Reich durch die Wählerschaft in Zukunft
nicht mehr haben, sondern nur als rein geistliche Feierlichkeit
fortbestehen konnte, so war doch gerade damit für den hohen
Klerus die Möglichkeit eröffnet, wie einst, bevor das Laientum
in die Handlung eingedrungen war,2) das Königtum als eine von
ihm eingesetzte, ihm gegenüber zu gefügiger Ergebenheit ver-
pflichtete Institution hinzustellen. Derartige Folgerungen haben
die Bischöfe früher aus ihrem Salbungs- und Krönungsrecht
wohl zu ziehen gewusst; ich erinnere vor allem an Hinkmar
von Reims.3) Sogar ein Absetzungsrecht glaubte man aus dem
Einsetzungsrecht ableiten zu können.4) Festgelegt ist die
Grundanschauung in den Worten, mit denen bei jeder Krönung
der Kölner Bischof den König anzureden pflegte: Sta et retine
amodo locum, quem hucusque paterna successione tenuisti
hereditario iure . . . delegatum tibi per auctoritatem Dei . . .
et per presentem traditionem nostram, omnium scilicet
') Vgl. M. Krammer, Wabl und Einsetzung des deutschen Königs
(Quellen u. Stadien z. Verfassungsgesch. d. deutschen Reichs berausgeg. von
K. Zeumer I, 2), S. 13 ff. 43 ff. 101 ff.
s) Das lässt sich erst seit dem 12. Jahrh. deutlich beobachten; s. Krammer
a. a. 0. 8. 12 ff. S. 26.
s) Lilienfein, die Anschauungen von Staat und Kirche im Reiche der
Karolinger (Heidelberg 1902), S. 100. 124. 148. Krammer a. a. O. S. 26.
*) Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte VI2, 8. 601 f.
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episcoporum ceterorumque Dei servorum.1) Später, im
13. und 14. Jahrhundert, haben die Erzbischöfe von Köln mit
allen Kräften danach gestrebt, die Wählerschaft von der
Aachener Handlung fernzuhalten, sie an der Vollziehung der
Thronerhebung zu hindern und die so umgestaltete Handlung
unter Hintansetzung der Wahl zur alleinigen Rechtsbasis des
Königtums zu machen.2)
Durch die blosse Beseitigung der Wahl wäre also die Selbst-
ständigkeit und Unabhängigkeit der staufischen Herrschaft keinen-
falls schon erreicht worden. Erst, wenn die Aachener Handlung
beseitigt wurde, konnte Heinrich getrost in die Zukunft blicken,
ohne befürchten zu müssen, dass eine Hierokratie die Macht
seines Hauses wieder stürzen würde. Bei diesem Unternehmen,
das seinem Reformplane also den notwendigen Abschluss ge-
geben hätte, sollte ihm der Papst helfen. Wenn dieser jetzt
den jungen Prinzen zum Könige krönte, hätte er seine Befugnis
zu dieser Krönung verteidigen müssen und wäre dauernd zum
natürlichen Gegner Adolfs und seiner Ambitionen geworden.
Von den übrigen Fürsten waren die Laien ja von ihrem Anteil
an der Krönung völlig zurückgetreten, von den Geistlichen selbst
Mainz und Trier lange nicht so stark an der Handlung inter-
essiert wie Köln; sie alle hätten keinen Anlass gehabt, dem
Kaiser, weil er eineu der Ihren eines Sonderprivilegs beraubte,
zu zürnen. Vielleicht wäre es manchem von ihnen sogar nicht
unlieb gewesen.
Unter diesen Umständen hätte Adolf von Köln sich in das
Unvermeidliche wohl fügen müssen. Zu solchem Ziele aber war
nur durch eine päpstliche Königs krönung zu gelangen. Nur
dadurch wären, wie gesagt, Papst und Erzbischof unversöhnliche
Gegner geworden. Auf eine Kaiserkrönung hin hätte sich Adolf
wohl auch unterworfen, doch sicherlich nur unter der Bedingung,
dass nun an Friedrich die Aachener Königskrönung noch nach-
geholt werde. Ein Vollzug dieser Handlung war durch den
der Kaiserkrönung keineswegs unmöglich gemacht, da ja ein
') So in allen Ordines, die bei W&itz, Die Formeln der deutschen
Königs- und d. röm. Kaiserkrönung vom 10. bis 12. Jhd. (Abh, der KgL
Oe», d. Wisi. zu Göttingen XVHL 1873) gedruckt sind.
a) Kr&mmer a. a. O. S. 101 ff.
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Kaiser der Römer als solcher noch durchaus kein Recht hatte,
auch als deutscher König auftreten zu können. Heinrich wäre
also nichts übrig geblieben, als das Weiterbestehen der Aachener
Handlung förmlich zu sanktionieren.
Aber man wird nun entgegnen: In gleichem Masse wie der
Kaiser diese Königskrönung vermeidet, erstrebt er doch eine
solche durch den Papst? Tauscht er aber damit nicht lediglich
einen Herrn gegen den anderen ein? Unterwirft er nicht mehr
als alle bisherigen Herrscher das Reich dem Papste, da er
diesem ja zu dem ihm ohnehin zustehenden Rechte der Kaiser-
krönung auch noch das der unccio in regem überweisen will,
ihm also ausser dem römischen Kaisertum auch das deutsche
Königtum unterwirft?1) Darauf sei hier erwidert (vgl. unten
S. 32 ff.), dass Heinrich seiner Dynastie zunächst eine feste und
dauernde Herrschaft über Deutschland sichern wollte, um, wenn
ihm dies gelungen war, ungestört seinen Lieblingsplänen nach-
gehen und das Reich weit über die bisherigen Grenzen hinaus
erweitern zu können. So dachte er sich eine Machtstellung
zu gewinnen, von der aus sich auch der päpstliche Einfluss
jederzeit leicht zurückdämmen lassen würde.
Eine abschliessende Erklärung, weshalb Heinrich diese
Königskrönung durch den Papst vornehmen lassen wollte und
welche Anschauung er von diesem neuartigen Königtum hatte,
kann erst gegeben werden, wenn wir die weiteren Schritte
Heinrichs im Jahre 1196 und auch noch die Möglichkeit einer
sizilischen Königskrönung Friedrichs erörtert haben.
Es ist überliefert, welche Stellung Heinrich ebendamals,
als er mit der Kurie jene Verhandlungen führte, den übrigen
Grossen des Reichs gegenüber einnahm, denen also, die ihm vor
Kurzem ihre verbriefte Zustimmung zu dem Reformplan gegeben
hatten.
Zu Anfang Oktober forderte der kaiserliche Legat Graf
Gerhart von Querfurt die namens des Kaisers nach Erfurt ein-
berufenen Fürsten auf, nun energisch an die Vorbereitungen zu
dem in Aussicht genommenen Kreuzzuge zu gehen. Er erhielt
aber vom Landgrafen Hermann von Thüringen, der für die
Versammelten sprach, eine sehr kühle Antwort. Weiter be-
') Vgl. Uampe a. a. O. S. 5.
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26
richtet der Chronist von Reinhardsbrunn, der bei den nahen
Beziehungen seines Klosters zum landgräflichen Hause über
den Verlauf all dieser Verhandlungen sehr gut unterrichtet ist:
Verum de hereditando posteris suis regno coram principibus
universis verbum imperator insumptum cum suarum
ostensione litterarum inrevocabiliter in eodem
concilio refricavit. Atque ita ibi nihil aliud diffinitum esse
dinoscitur, nisi quod gravibus principes defatigati expensis minus
benivolum erga imperatorem animum habuerunt.1)
„Aber hinsichtlich der Vererbung des Reiches an seine
Nachkommen“, sagt die Chronik, „erinnerte der Kaiser — unter
Vorweisung der darüber ausgestellten Briefe2) — au das ihm
unwiderruflich gegebene Wort.“
Zu derselben Zeit ungefähr, im Spätsommer oder Herbst
1196, als Heinrich an die Kurie jenes Ansinnen einer Königs-
krönung stellte, muss er also auch nach Deutschland eine
Botschaft, welche die Fürsten energisch an ihre Pflichten er-
innern und sie in der Treue erhalten sollte, gesandt haben.3)
>} MG. SS. XXX, P. 557.
s) Die Wendung „cum suarum ostensione litterarum* kann sieb hier
nnr auf die Urkunden beziehen, in denen die Fürsten vor Kurzem dem
Kaiser ihre Zustimmung zu dem Erbkaiserplan erteilt hatten und die er
ihnen, als nicht lange nach dem Erfurter Tage, gegen Ende des Jahres,
der Plan fallen gelassen wurden wieder zurückstellen liess.
*) Es ist durchaus nicht notwendig, mit Toeche (S. 443, Anm. 4) anzu-
nehmen, dass der Graf von Querfurt von Heinrich bereits damals mit
der Anweisung nach Erfurt geschickt worden sei, im Falle eines sich jetzt
erhebenden Widerstandes der Fürsten gegen den Reformplan dieselben
namens des Kaisers von ihrem Versprechen zu entbiuden und die Erlaubnis
zu einer Wahl Friedrichs zu erteilen. T. meint: Da die Wahl im Dezember,
der Reichstag aber wohl im Oktober stattfand, so habe Heinrich bei der
Kürze der zwischen beiden Ereignissen liegenden Zeit nicht erst auf Nach-
richt von dem Erfurter Tage hin jene Anweisung an den Gesandten erteilen
können. Der Reinhardsbrunner Chronist sagt aber mit aller Klarheit, dass
der Kaiser auf dem Erfurter Tage sein Wort nicht zurUcknahtn und dass
dort überhaupt nichts rechtes geschah, nur dass sich hier zuerst eine un-
günstigere Stimmung uuter den Fürsten geltend machte. Erst später berichtet
er, dass Heinrich „videus principes . . . difficiliter sibi annuere“, das
heisst, nachdem er von ihrem Verhalten in Erfurt gehört hatte, von seinem
Vorhaben abliess. Da also Heinrich eine Gesandtschaft nach Deutschland
geschickt haben muss, die jeden Abfall vom Reformplan zu verhindern Ordre
hatte, so ist wohl das wahrscheinlichste, dass diese schon zu einer Zeit aus
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27
Während gegen die Widersacher des Kaisers, gegen Adolf von
Köln und die Seinen, ein vernichtender Streich vorbereitet
wurde, galt es sich zugleich der Anhängerschaft zu versichern,
damit sic nicht ins Wanken geriete. So passt der Plan Heinrichs,
den wir aus den Marbacher Annalen kennen, sehr gut zu dem,
was die zeitgenössische Heinhardsbrunner Chronik über seine
ebendamals den ihm anhängenden Fürsten gegenüber beobachtete
Politik meldet.
Die in Erfurt Versammelten gingen also nicht geradezu
gegen den Erbkaiserplan vor; sie zeigten sich nur in einer
anderen, dem Kaiser sehr am Herzen liegenden Angelegenheit,
schwierig und gaben ferner zu verstehen, dass ihnen die
Unkosten, welche der Reichsdienst damals mit sich brachte, zu
viel würden. So musste Heinrich erkennen, dass man ihm
unlustig folge, dass er sich nur durch ein grösseres Entgegen-
kommen die Dienstbereitschaft seiner Untergebenen zurück-
erkaufen könne. Dementsprechend hat er auch gehandelt. Die
genannte Chronik sagt, nachdem sie ihrem Berichte über den
Erfurter Tag zunächst einiges andere *) angereiht hat (1. c.p. 558):
Italien abgiug, wo der Kaiser eben erst in die Vei handlangen mit der Kurie
eingetreten war, also wohl hoffen konnte, des Nordens mit ihrer Hilfe Herr
zu werden. Als diese erst ihre ablehnende Haltung deutlicher kundgegeben
hatte, hat Heinrich nicht mehr seine Anhänger io so schroffer Weise an
ihre Pflicht mahuen zu müssen geglaubt ; er ist zu Kompromissen bereit ge-
wesen und hat den Reforraplan aufgegeben. Demnach dürfte die Botschaft
nach Deutschland etwa gleichzeitig mit der an die Kurie, im August 1196,
abgegangen sein; vielleicht ging damals auch Heinrichs Bruder Philipp, der
neuernannte Herzog von Schwaben, nach dem Norden. Dann aber kann
der Erfurter Tag schon vor Mitte Oktober beendigt worden sein, wofür
vielleicht auch der Umstand anzuführen ist, dass in einer aus Erfurt vom
17. dieses Monats datierten Urkunde Konrads von Mainz als Zeugen ausser
dem Bischof von Havelberg und einigen thüringischen Grafen keiner von den
grossen Herren, die am Reichstage teilnahmen, mehr genannt ist (Geschichts-
quellen der Provinz Sachsen XX1I1. U. - B. d. Stadt Erfurt, hrsg. von
C. Beyer, I (1889), 8. 27, nr. 61). Dann kann endlich deu Kaiser in Mittel-
italien die Nachricht von diesem Tage schon Anfang November erreicht
haben und da die Wahl wohl erst Ende des Jahres stattfand, kann sie sehr
gut auf eine nun erst erteilte Erlaubniss hin vollzogen worden sein.
*) Der Verfasser unterbricht den Gang seiner Erzählung von den
deutschen Angelegenheiten, um einige Ereignisse mitzuteilen, die gleichzeitig
im Orient vor sich gegangen sind. Er entschuldigt diese Unterbrechung
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Henricus . . . videns Theutonice principes de regno posteris
suis hereditando diföciliter sibi annuere, continuo alia usus
via revocavit prius habitam . . . voluntatem.
Während er also vorher an seinem Plane mit grösster
Energie festhielt, liess er ihn, nachdem ihm — etwa Anfang
November1) — von der unter den Fürsten herrschenden
Stimmung berichtet worden war, sogleich fallen. Hierzu hat
ihn aber gewiss nicht nur diese Nachricht bewogen. Wir
wissen zwar nicht, welchen Gang die Verhandlungen mit dem
Papste vom September bis November genommen haben. Wahr-
scheinlich ist nur, dass Cölestin III. keine übereilten Zu-
geständnisse gemacht hat und überhaupt in einen Frieden,
durch den, wie Heinrich wollte, der kuriale Einfluss in Sizilien
völlig ausgeschaltet w’erden sollte, nur unter dem härtesten
Druck der Umstände eingewilligt haben würde. Bei den weiteren
Verhandlungen gegen Anfang Dezember hin, wo, wie gleich
ausgeführt werden soll, nicht mehr die Krönungs-, sondern nur
noch die sizilische Sache zur Diskussion stand, hat der Papst
einen Aufschub bis Epiphauias 1197 vermutlich deshalb ver-
langt,2) weil er, über die Stimmungen in Sizilien unterrichtet,
einen Aufstand gegen das kaiserliche Regiment in nächster
Zeit3) glaubte erwarten zu können. Ebenso wird er auch bei
den Verhandlungen über die Krönung Friedrichs gewartet haben,
ob sich nicht die Anhängerschaft des Kaisers etwas erschüttern
lassen würde. Jedenfalls musste Heinrich damit rechnen, dass
der Papst, dessen Kardinallegaten im Herbst 1196 gerade in
Sachsen weilten,4) ebensogut wie er selber über die zu Erfurt
damit, dass er Dinge, die zeitlich zuaammeugehürteu, nicht von einander
trennen dürfe und geht dann mit den oben augeführten Worten zur weiteren
Schilderung der Politik Heinrichs VI. über.
') Er hielt sieb damals in Mittelitalien auf. (Vgl. Reg. iinp. V,
nr. 611 d).
a) Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands IV, 07H. Vgl. Auu. Marb.
p. 69: Imperatore in [Sycilia existente] impernt rix, Bicut dicebatur, simultate
inter ipsos exorta, coniurationem [ad versus imperatorem ab omnibus]
Apulie et Sycilie civitatibu» et castellis fieri effecit, consciU, ut fertur,
Lonbardis et Romania, ipso etiarn, si fas cst credi, apostolico
Celestino. S. dazu Bloch in Ann. Marb. p. 69, X. 4.
3) Er brach erat im Mai 1107 aus; >. Bloch 1. c. p. 60, X. 3.
4) S. Hauck a. a. Ü. S. 675.
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laut gewordenen Gesinnungen der Fürsten unterrichtet wurde.
Heinrich musste sich sagen, dass, wenn er jetzt auf dem bisher
eingeschlagenen Wege weiter ginge, er dadurch die Fürsten
dem Papste geradezu in die Arme treiben würde.
Aus diesen Erwägungen heraus wird es vollkommen be-
greiflich, dass Heinrich, wie gesagt, etwa im November 1196,
den Fürsten ihr Wort zurückgab und ihnen eine Wahl Friedrichs
gestattete, die dann auch am Ende des Jahres mit grösster
Bereitwilligkeit zu Frankfurt vollzogen wurde. Die Unter-
handlungen mit dem Papste hat er auch unter diesen ver-
änderten Aspekten energisch fortgeführt. Wir finden ihn am
3. November in Spoleto, am 16. in Tivoli, am 27. in Palestrina,
am 2. Dezember in Ferentino dicht bei Rom, erst am 18. ist
er wieder in Capua.1) Entsprechend berichten ja die Marbaeher
Annalen, dass er drei Wochen bei Tivoli wartete, dass Boten
hin und her gesandt wurden, dass der Kaiser dem Papste die
kostbarsten Geschenke machte, die Angelegenheit aber dennoch
nicht den erwünschten Fortgang nahm, weshalb der Kaisei
unmutig nach Sizilien abzog.
Damals, in der Zeit von Mitte November bis Anfang
Dezember, kann die Forderung einer Königskrönung von Seiten
Heinrichs nicht mehr erhoben worden sein; durch sie hätte er
jetzt alle Fürsten aufs empfindlichste verletzt, weil damit allzu
offen kundgegeben wäre, wie sehr gering er die Rechtskraft
ihrer Wahl einschätzte. Deun wem das Wahlrecht zustand,
der hatte auch das Recht der Krönung und Investitur, ohne
welches jenes bedeutungslos war. Heinrich hätte sehr ernstlich
besorgen müssen, dass, wenn die Kurie von seinem Vorhaben
etwas ausplauderte, die Wahl Friedrichs überhaupt nicht Zu-
standekommen würde.
Es wird daher um jene Zeit vor allem nur noch die
sizilische Frage erörtert worden sein. Denn ohne dass diese
geregelt, ohne dass über die zukünftige staatsrechtliche Stellung
dieses Landes entschieden worden und die dort höchst strittige
Grenze zwischen kirchlicher und staatlicher Gewalt gezogen
wäre, war kein Friede zwischen dem Reich und der Kurie
möglich. Gewiss ist diese Frage auch schon vorher, im Spät-
’) Stumpf, die Reichskanzler etc. Reg. 604S— 5052. Bloch 1. c. p. 68, N. 6.
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sommer und Herbst, zwischen Kaiser und Papst erörtert worden,
doch ist durch diese Annahme, wie ein Blick auf Heinrichs
sizilische Politik sogleich lehren wird, die Möglichkeit, dass er
damals eine sizilische Königskrönung Friedrichs geplant habe,
um keinen Schritt näher gerückt.
Dass an eine italienische Krönung am allerwenigsten
zu denken ist, hat schon Hampe (a. a. 0. S. 5) mit Recht be-
tont. Sie zu vollziehen, war Sache des Erzbischofs von Mailand ;
um ihretwillen brauchte man sich nicht an den Papst zu wenden.
Hier haben wir uns also nicht aufzuhalten.
Gegen die erwähnte Annahme aber, dass eine sizilische
Krönung geplant sei, wogegen schon Hampe mancherlei geltend
gemacht hat, ist m. E. vor allem einzuwenden, dass Heinrich
damals ernstlich die Einverleibung Siziliens ins Reich plante *)
Die sehr grossen Zugeständnisse, die er der Kurie nach eigenem
Zeugnisse hat machen wollen,l 2) waren wohl der Preis, den er
für eine Entlassung des Königreichs aus dem Lehnsverhältniss
zum heiligen Stuhl zu zahlen bereit war. Als ihm dies durch-
zusetzen nicht gelang, gab er gleichwohl seiner Willensmeinung
deutlichsten Ausdruck. Friedrich wurde durch die Frankfurter
Wahl Rex Romanorum et Sicilie, und auf die Rückseite seiner
sizilischen Münzen Hess Heinrich das Bild des Erwählten
prägen mit der Umschrift „König Friedrich“.3) Erst in seinem
Testament4) hat er diese Pläne aufgegeben, die Abhängigkeit
des Königreichs von der Kirche und damit dessen Trennung
vom Imperium anerkannt. Friedrich II. hat dann (Nov. 1220)
versprechen müssen5):
imperium nichil prorsus iuris habere in regno Sicilie nec
nos racione imperii obtinere aliquid iuris in ipso, cum ad
nos non racione patris aut predecessorum ipsius, sed ex matrum
tantum successione pervenerit, que a regum Sicilie stirpe
descendit, qui regnum ipsum ab ecclesia Romana tenebant . . .
Ad tollendum omnem presumptionem et suspicionem unionis
l) Vgl. den Bericht der Hist, de exped. Frid. imper&toris Ansberts
(Fontes rerum austriacarum. Scriptores V, p. 89.), s. auch Toeche S. 586 f.
J) Toeche S. 430. Winkehnann, Philipp von Schwaben S. 5, Anm. 5.
’) Toeche S. 446.
*) MG. Const. I, p. 530, nr. 379, § 1 — 3.
s) Ibid. IL p. 105, nr. 84.
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eiusdem regni ad imperinm providimus et promittimus, quod
tarn in regno quam in imperio pro regni negotiis officiales
de regno ipso habebimns et utentur sigillo ad expedienda
ipsius regni negotia special i.
Der Wiederkehr von Zuständen, wie sie unter Heinrich VI.
bestanden hatten, sollte vorgebeugt werden. Nach dessen Auf-
fassung herrschten die Staufer „racione imperii“ in Sizilien.1)
Unter ihm waren Deutsche zugleich über Reichslande und über
sizilische Provinzen gesetzt worden. Markwald von Anweiler
hatte in Mittelitalien ausser kaiserlichem Gebiet noch die
sizilischen Grafschaften der Abruzzen und von Molise unter sich
gehabt. Die Kaiserin Konstanze hat dann nach Heinrichs Tod
die Deutschen aus dem Königreich zu entfernen gewusst. Ihr
Sohn behielt einstweilen die bisherigen Namen bei, nach der
Krönung zu Palermo2) aber nahm er den alten Titel der
Normannenkönige: „Rex Sicilie, ducatus Apulie et principatus
G'apue“ wieder an und gab dadurch — wohl aus Rücksicht auf
Papst Innocenz III., mit dem damals wegen der Belehnung
verhandelt wurde3) — zu erkennen, dass er lediglich als Sohn
seiner Mutter ein Recht zur Herrschaft habe. Die Führung
des römischen Königstitels wurde unterlassen.
Heinrich VI. ging also aller Wahrscheinlichkeit nach damit
um, vom Papste Cölestin III. die „unio regni ad Imperium“
sanktionieren zu lassen. Zu welchem Zweck sollte er unter
diesen Umständen eine sizilische Krönung Friedrichs erbeten
haben? Wäre dadurch nicht gerade wieder zum Ausdruck ge-
kommen, dass Sizilien ein selbstständiges Reich neben dem
Imperium sei? War Heinrichs Wille, dass es eine Provinz des
Imperiums bilden sollte, einmal durcbgesetzt, so galt dort wie
anderweit das Thronfolgerecht des römischen Reiches. Einer
besonderen Sicherung der Nachfolge Friedrichs in diesem Lande
bedurfte es dann keineswegs.
') Dafür ist besonders auf eine von v. Kap-herr (Deutsche Zeitschrift
f. Geschichtswissenschaft I, 106) mitgeteilte Stelle zu verweisen, welche
lautet: Nos pro obtinendo regno Siciliae et Apuliae, quod tum antiquo
iure imperii tum ex haereditate illustris consortis nostrae ... ad
imperium deveniatur (Urkunde Heinrichs vom 21. Mai 1191 bei Gattula, Ad
hist. Cassinensis accessiones I, p. 270).
a) Reg. imp. V, nr. 699 a.
*) Ibid. nr. 531 a.
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Man könnte aber vielleicht einwenden: Heinrich, der sich
wohl sagte, dass die Kurie Sizilien sehr ungern aus dem Lehns-
verbände entlassen würde, wollte damals auch gar nicht die
„unio regni ad imperium“ bei der Kurie betreiben, sondern nur
wie in Deutschland so auch im Süden die Thronfolge seines
Hauses sichern und deshalb sollte der Papst den jungen
Friedrich krönen.
Dagegen kann aber geltend gemacht werden: Wenn der
Kaiser von der Kurie ein so zähes Festhalten an ihrem Rechte
erwarten und daher den Gedanken der „unio“ einstweilen zurück-
stellen zu müssen glaubte , konnte er dann wohl über-
haupt darauf rechnen, dass sie seinen Sohn krönen würde, ohne
dass dieser vorher den Lehnseid leistete, ohne dass er selber
von seiner in Rom genugsam bekannten staatsrechtlichen An-
schauung zurücktrat? Jedenfalls hätte man an der Kurie die
Sache so gewendet, dass die Krönung geradezu wie eine
Anerkennung der Lehnsabhängigkeit Siziliens erschienen wäre.
Heinrichs Schritt wäre also kein glücklicher gewesen; die
Freiheit Siziliens von Rom, die er so konsequent und energisch
verteidigt hatte, wäre ernstlich gefährdet worden. Und endlich
bedurfte Friedrichs Nachfolgerecht, wie schon Hampe hervorhob,
in Sizilien am allerwenigsten besonderer Sicherung.
Demnach dürfte also die Stelle der Marbacher Annalen
schwerlich auf den Plan einer sizilisehen Krönung Friedrichs
zu beziehen sein.
V.
Nach dem Bisherigen kann es als das wahrscheinlichste
bezeichnet werden, dass Heinrich VI. im Jahre 1196 seinen
Sohn Friedrich durch den Papst zum römischen Könige krönen
lassen wollte. Aber es ist verständlich, wenn man sich dennoch
schwer zu dieser Annahme entschliesst, eine derartige Königs-
krönung durch den Papst erscheint als etwas zu ungewöhnliches,
zu unglaubwürdiges. Man wird immer noch — unter Hinweis
auf die gleichartigen Bestrebungen Friedrichs I.1) — geneigt
bleiben, der Möglichkeit, dass eine Kaiserkrönung beabsichtigt
worden sei, den Vorzug zu geben.
’) Vgl. Hampe a. a. O. S. 0.
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Wir müssen, um diesen letzten Zweifel zu belieben, vorerst
der eingangs geschilderten Verschiebung in den Staats-
anschauungen besonders unter Friedrich I. gedenken. Der
Staat war ein römisches Kaiserreich geworden, alle Macht
wurde vom Kaisertum hergeleitet, eine Sondergewalt kraft
eigenen Rechts, ein deutsches Königtum, konnte es neben und
unter ihm nicht geben und daher konnte auch der als rex unter
dem kaiserlichen Vater stehende Sohn nicht mehr als fränkisch-
deutscher König, sondern nur noch als Unterkaiser, als Caesar
aufgefasst werden. So allein war seine Stellung mit dem Staats-
recht des Imperium vereinbar. Diesen Uebergang erleichterte
der Umstand, dass die Herrscher den Titel eines römischen
und nicht den eines deutschen Königs führten. Es war also
damals möglich, dass der Papst eine römische Königskrönung
vollziehen und dadurch das Nachfolgerecht eines Kaisersohnes im
Imperium anerkennen konnte. Der Begriff des rex Romanorum
hatte sich gewandelt.
Dabei wählte Heinrich aus verschiedenen Gründen eine
Königs- und nicht eine Kaiserkrönung. Erstens mochte er sich
daran erinnern, dass einst seinem Vater, als er um Heinrichs
K a i s e r krönung bat, erwidert worden war, es sei nicht
Rechtens, dass zwei Kaiser im Reiche seien. Zwar war die Kurie
später von diesem Grundsatz abgekommen und hatte versprochen,
Friedrichs Bitte gewähren zu wollen — ein Versprechen, von dem
sie sein Tod entbunden hatte. Aber ihm, Heinrich, war
man in Rom zur Zeit sehr wenig günstig gesinnt, man wusste
von seinen Reformplänen und es war zu erwarten, dass die
Kurie unter abermaliger Betonung jenes Grundsatzes den
unbequemen Bittsteller abweisen würde. Dagegen mochte das
Gesuch um eine Königskrönung, gegen welches sich jener Ein-
wand nicht erheben liess, ihr aus dem Grunde sympathisch
sein, weil alsdann der bodenständige, deutsche Charakter, den das
römische Königtum trotz seines Namens bisher besessen
hatte, verschwinden würde. Die Idee des fränkisch - deutschen
Königtums beseitigt und an seiner Stelle die des römischen
Kaisertums allein herrschend zu sehen, musste für die
Kurie eine sehr verlockende Aussicht sein. Denn nur
das römische Kaisertum konnte sie als eine von ihr ab-
hängige Institution betrachten, das deutsche Königtum stand
Krammor, der Itciehsgudanke des stuiißschcn Kaiserhauses 3
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•M
ihr ebenso unabhängig wie das von Frankreich oder England
gegenüber.
Dem Kaiser empfahl sich der Gedanke der Königskrönung
ferner aber noch deshalb, weil angesichts einer Weihe zum
Kaiser die Fürsten sich wohl darauf berufen hätten, dass das
deutsche König- und das römische Kaiserreich zwei verschiedene
Dinge seien und der römische Kaiser als solcher ohne weiteres
noch nicht deutscher König sei.1) Einem römischen Könige
gegenüber Hess sich aber nicht so argumentieren. Denn der aus
der deutschen Wahl und Einsetzung hervorgegangene Herrscher
hiess eben schon seit etwa einem Jahrhundert rex Komanorum.
Die Möglichkeit, diesen Begriff zwiefach auslegen zu können,
kam der kaiserlichen Politik sehr zustatten.
Das Königtum musste aber seines bodenständigen Charakters
entkleidet weiden, den es sicher, wenn Friedrich in Deutschland
gekrönt worden wäre, behalten hätte. Es wäre nach wie vor
neben dem Kaisertum als eine Sondergewalt kraft eigenen Rechts
erschienen, was sich mit dem Gedanken der Allgewalt des
Kaisertums nicht vertrug und auch gefährlich werden konnte,
falls etwa König Friedrich später einmal, während sein Vater
noch lebte, in Deutschland regieren sollte, wo dann sicher von
hier aus versucht werden würde, in störender Weise die
Selbständigkeit des Königtums zu betonen, wie das hernach
unter Heinrich (VII.) in der That geschehen ist.
Sonach konnte der Kaiser den jungen Friedrich nicht in
alter Weise zum Könige krönen lassen. Dennoch musste damals
den Deutschen gegenüber sein Anrecht am Reiche auf irgend
eine Weise kundgethan und ebendies ferner auch vom Papste
anerkannt werden. Dem Plane einer Kaiserkrönung näher zu
treten, schien nicht ratsam. So ergab sich von selber der Aus-
weg, die römische Königskrönung dem Papste zu übertragen.
Wie sich Heinrich im Einzelnen den Vollzug derselben
gedacht hat, wissen wir nicht. Soviel aber kann mit Bestimmtheit
gesagt werden : durch diese Krönung sollte der junge Friedrich
') Vgl. oben S. 24. Die Kurie hätte sich dieser Anschauung gewiss
nicht widersetzt, ibr kam es uur auf Italien an, das sie als Dependenz des
Kaisertums ausali (vgl. S. 2 dieser Abhandlung und Picker, Rainald vou
Dassel [1850], S. 21).
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nicht als deutscher König, sondern als der Erbe des römischen
Kaiserreiches anerkannt werden, der einstweilen, bis zum Tode
seines Vaters, rex Romanorum oder Caesar hiess. Nicht das
Teutonicum regnum, das Romanum imperium wäre ihm durch
des Papstes Vermittlung übertragen worden. Es ist daher an-
zunehmen, dass man sich den Formen der römischen Kaiser-,
nicht denen der deutschen Königskrönung angeschlossen haben
würde und sich die Handlung demnach von einer Kaiserkrönung
kaum wesentlich unterschieden hätte.
So wäre Friedrich als zukünftiger Imperator anerkannt
worden, er hätte als solcher dem Vater folgen können, ohne
dadurch die Kurie zu verletzen. Einer besonderen Kaiserkrönung
hätte es dann nicht mehr bedurft. Die Kontinuität des Kaiser-
tums wäre also erreicht, der Staat völlig als römisches Imperium
konstituiert worden und die Aufgabe Heinrichs nur gewesen,
dies zu so hoher Macht und Festigkeit zu bringen, dass neben
ihm das Papsttum stets ein ungefährlicher, ja gefügiger Faktor
bleiben würde.
In der That ist denn ja auch Heinrich VI. bemüht ge-
wesen, das altrömische Kaisertum seinem Umfange nach wieder
aufzurichten. Wie kaum ein zweiter Herrscher vor und nach
ihm hat er den ganzen Erdkreis unter seine Gewalt zu bringen
gesucht.1) Richard von England wurde sein Lehensmann und
musste sich in der auswärtigen Politik den Winken des Kaisers
fügen. An eine Eroberung Frankreichs, Spaniens, Nordafrikas
wurde gedacht, zunächst aber an eine Wiedervereinigung Ost-
und Westroms. Dies Ziel zu erreichen,2) sollte der Kreuzzug
dienen, den Heinrich gleichzeitig aufs eifrigste betrieb. Auf
dem Erfurter Tage von l V96 wurden die Fürsten ernstlich er-
mahnt sich bereitzuhalten. Als Schwager der Tochter des
1195 gestürzten Kaisers Isaak glaubte Heinrich Erbansprüche
auf das byzantinische Reich erheben zu können. Schon hatten
die Könige von Cyprus und von Armenien den Staufer als
ihren Kaiser anerkannt. Er war im besten Zuge, den Schwer-
punkt des Reiches von Deutschland an das Mittelmeer, ja nach
>) Zum Folgenden vgl. Toeche a. a. 0. S. S55 ff.
2) Bekanntlich ist die Grobernng von Byzanz wenige Jahre darauf
einem Kreuzheer geglückt. Der Plan Heinrichs ist daher keinesfalls als
ein nnerhilrtes Wagniss zu betrachten.
3*
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Byzanz, der Stadt Konstantins, zu verlegen, dessen Namen der
junge Sohn des Kaisers sogar hatte führen sollen.
Wie sehr diese Pläue im Einklang stehen mit denen, die
uns bislang beschäftigt haben, braucht nicht näher dargelegt
zu werden. Auch sie bezweckten, den Schwerpunkt des Reiches
von Deutschland hinweg zu verlegen.
Damit die Idee des allbeherrschenden und allumfassenden
römischen Kaiserreichs, welche schon Friedrichs I. Seele erfüllt
hatte, in voller Reinheit und Kraft neu aufleben könne, be-
schloss Heinrich VI. den ihr widerstrebenden Begriff eines
deutschen Königtums für immer auszutilgen und die seit Jahr-
hunderten getrennten Hälften des römischen Reiches wieder in
eines zu zwingen. Der Plan scheiterte; und bald hernach
sank auch sein weitdenkender, weitgreifender Urheber in ein
frühes Grab.
Ueberblicken wir zum Schluss die Bestrebungen Friedrichs I.
und Heinrichs VI. im Ganzen, so können wir uns bei aller
Bewunderung doch eines Missbehagens nicht entsehlagen. Warum
kam soviel geistige Kraft nicht der Festigung eines deutschen
Gemeinwesens zu Gute? Doch ist nicht zu vergessen, dass
Friedrich in einer Zeit aufwuchs, wo, nach einem Worte von
Karl Wilhelm Nitzsch,1) die Lokaltöne des Bodens und seiner
Gewächse verschwanden. So bodenständig und deutsch uns
Friedrichs Erscheinung auch anmutet, völlig konnte er sich
diesem Geiste der Zeit so wenig wie andere entziehen. Von
grosser und nachhaltiger Wirkung auf ihn ist, glaube ich, be-
sonders der Eindruck gewesen, den er von der Chronik Ottos
von Freising empfing. Hier war von einem kraftvollen Geiste
der erste, grosszügige Versuch gemacht worden, die Welt-
geschichte fest in den Rahmen eines philosophisch-theologischen
Systems zu spannen. Sein Werk heisst nicht eine Chronik,
sondern das Buch von den zwei Staaten, der himmlischen und
der irdischen civitas. Er kennt nur eine irdische civitas; in ihr
sind vier grosse Weltmonarchien auf einander gefolgt, die
assyrische, die medisch - persische, die macedoniscbe und die
römische, von der man annahm, dass sie dauern würde bis zum
Ende der Tage. Es sind Gedanken, die bekanntlich vom
') Deutsche Studien (1879), S. 17.
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Augustin, Hieronymus und Orosius herrühren. In diesem
System war kein Platz für eine deutsche Monarchie als fünfte.
Das deutsche Keich wurde lediglich als Fortsetzung des
römischen angesehen. Nur dadurch hatte es eine sittliche Be-
rechtigung, die den übrigen Staaten der Zeit abging, da sie zu
Unrecht dem Kaiser den Gehorsam versagten. Wenn also
Friedrich das damals arg daniederliegende römische Kaisertum
als Weltmonarchie wiederherznstellen bemüht war, so fröhnte
er damit nicht nur dynastischem Ehrgeiz, sondern er diente auch
einer sittlich-religiösen Idee.
Doch wäre diese Idee an sich gewiss noch nicht im Staude
gewesen, bei Friedrich den Gedanken des nationalen, deutschen
Königtums in den Hintergrund zu drängen. An ihm als
an einer historischen Thatsache vorbeizukommen, gelang selbst
Otto nicht und es kommt dadurch eine gewisse Unklarheit in
sein System.
Zwar hält er streng an der Kontinuität der vierten
Monarchie fest, jeder deutsche König ist als solcher schon ein
Nachfolger des Augustus. Dennoch ist er über den historischen
Ursprung des Reiches keineswegs im Unklaren. Er schildert,
wie neben dem niedergehenden römisch-byzantinischen Reiche
das von diesem unabhängige Frankenreich — wie eine neue fünfte
Monarchie — emporkam,1) wie Karl der Grosse als König der
Franken Italien und andere Lande gewann und wie erst
danach auch das Imperium an ihn fiel, wie dann der deutsche
König Otto durch die Eroberung Italiens das deutsche Reich,
welches ehedem ein Teil des fränkischen gewesen war, ver-
grösserte und wie auch er erst darauf die Kaiserwürde über-
nahm.2) Unter Hinweis auf eben diese Tbatsachen hat zwei
Jahrhunderte später der Würzburger Domherr Lupoid von
Bebenburg in seiner Schrift „De iuribus regni et imperii“ die
Ansprüche der deutschen Könige als solcher auf die Herrschaft
') Vgl. Bernheim iu Milt. d. Inst. f. Österreich. Geschichtsforschung
Bd. VI, S. 32. Cbron. ed. Wilmauns 1. IV, c. 31 — 33. V, 2E>.
*) Vgl. Chron. VI, 19: Verum Otto . . . Italiam qnoqne, quae per
plures iam annos Francis seu Germania alienata fuerat, regno adicere
parat. VI, 24: Vide regnum Teutonicorum cum regno Francoruin affine et
quodammodo cognatum principium habere. Ibi primus Karolus sine regiu
nomine regia honorem gerebat. Hic tuagnus Otto Saxouum dux, regibus
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in Italien gegenüber der Kurie verteidigt, die das Herrscher-
recht über den Süden vom Kaisertum herleiteto. In seinem
thatsächlichen Umfange beruhte auch für Otto das Reich auf
der Idee des deutschen Königtums. Wir kennen die Worte
(s. oben S. 4, Anm. 1), die er Friedrich gegenüber den Römern
in den Mund legt: Dem fränkischen Reich ist diese Stadt
samt Italien von unseren Vorgängern einverleibt worden! Durch
die päpstliche Krönung erwirbt der König keinerlei Herrsch-
gewalt, sondern nur den Namen eines Kaisers.1)
Otto leitet also durchaus nicht das Herrscherrecht seines
Gebieters vom Kaisertum her, dies erscheint vielmehr als ein
zum Königtum hinzutretendes Amt, durch welches es in eine
höhere Sphäre gerückt wird und erst seine volle, sittliche Be-
rechtigung erhält. Der Inhalt des Kaisertums kann demnach
nur ein ganz allgemeiner sein: Schutz und Verteidigung der
Christenheit, im Besonderen der römischen Kirche.
Bei einem Könige wie Friedrich I. musste die boden-
ständige, deutsche Staatsauffassung natürlich in noch weit
höherem Masse überwiegen. Anders wurde dies erst, als er
mit den Legisten, den Lehrern dies römischen Rechts, in nähere
Berührung kam. Während er vorher die Idee des Imperium
zwar verehrt, sie aber zugleich als einen für das Staatsleben
wenig bedeutungsvollen Begriff angesehen haben mochte, trat
ihm jetzt das Kaisertum als ein realer Faktor des politischen
und rechtlichen Lebens mit aller Schärfe vor Augen. Mit dem
römischen Rechte im Allgemeinen gewann auch das römische
Kaisertum praktische Bedeutung. Auf derartige Gedanken-
gänge einzugehen, war aber Friedrich um so mehr geneigt, als
Otto von Freisings Werk schon seinerseits dazu beigetragen
hatte, ihn für die Idee des Kaisertums besonders empfänglich
zu machen. Dies schwebte jetzt nicht mehr als ein unbe-
stimmter Begriff in den Lüften, sondern war die Krönung eines
adhnc ox Stirpe Karoli manentibus, regni summam atiministrabat. IUitis
fllius Pippious non sotum re. ged et nomine rex coepit esse et dici, buius
simili modo filius Ueiuricns regio nomine meruit honorari. Ulius filius
Karolus magnus non solum regnnm, sed etimperium, capto Desiderio,
primus obtinnit ex Francis, istins filius Otto magnus post multos triumphos
primus 'ex Teutonias post Karolos, capto Berengario, Romanis imperavit.
' j Vgl. Bernheim a. a. 0. S. 33.
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tief ins Leben hineingreifenden staatlich -rechtlichen Systems
geworden; es hatte seine theologisch -philosophische Färbung
gegen eine juristisch- politische eingetauscht. Neben dem so
gefassten Herrscherideal des Kaisertums musste allerdings das
des Königtums verblassen.
So glaube ich psychologisch die Entstehung des staufischen
Reichsgedankens erklären zu können. Er beruht im letzten
Grunde auf persönlichen Erfahrungen und Eindrücken Kaiser
Friedrichs I.; ihn in all' seinen Konsequenzen zu verwirklichen,
hat sich Heinrich VI. bemüht; wie die Nachfolger Philipp und
Friedrich II. die Reformidee weitergeführt haben, ist nun zu
zeigen.
Zweites Kapitel.
Die Fortführung der staufischen Reformidee
durch Philipp von Schwaben und Friedrich II.
I.
Im Zusammenhänge mit dem Erbkaiserplan Heinrichs VI.
sind die „electiones in imperatorem“ der staufischen Zeit zu
behandeln. Von mehreren Herrschern dieser Periode wird
immer wieder berichtet, dass sie zu „Kaisern“, nicht zu Königen
erwählt wurden. Nicht nur gut unterrichtete chronikalische
Quellen erzählen davon, auch in Urkunden und Briefen tritt
diese vorher nicht begegnende Thatsache so deutlich hervor,
dass man angesichts dieser offenkundigen Umformung der Wahl
kaum daran zweifeln kann, dass damals thatsächlich die höchsten
Gebieter Deutschlands als Kaiser und nicht als Könige ange-
sehen worden sind und sich selber als solche betrachtet haben.
Dennoch hat man sich bisher nicht recht entschlossen können,
dies allgemein zuzugeben, vor allem aus der Erwägung heraus,
dass ein erwählter römischer Kaiser für das Mittelalter staats-
rechtlich ein Unding sei, da nur der römische König gewählt
werde, der als solcher Anspruch auf die Kaiserkrönung habe.1)
') So K. Hainpe in der Zeitschrift für Gesch. d. Oberrheins N. F.
XX, 10 ff. Vgl. ferner C. Rodenberg in seiner Abhandlung „Ueber wieder-
holte deutsche Königswahlen“ (Gierkes Untersuchungen z. deutschen Staats-
und Rechtsgescb. Heft XXVIII), S. 33.
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Diese Anschauung geht von der Annahme aus, dass die-
jenige Staatsidee, welche wir die fränkisch -deutsche nannten,
stets unangefochten in Geltung gestanden habe. Wir wissen
aber, dass sie seit Friedrich I. mehr und mehr von dem Ge-
danken, dass das Reich nichts sei als ein Imperium und die
Reicbsgewalt allein auf dem römischen Kaisertum beruhe, ver-
drängt worden ist. Friedrich und Heinrich waren beide bemüht,
das Nachfolgerecht ihrer Söhne ins Kaisertum sicherzustellen,
damit das Reich keinen Augenblick ohne Herrscher bleibe.
Dementsprechend konnte auch, als das Reich nach Heinrichs
Tode (1197) ledig war — die kurz zuvor (1196) vollzogene
Wahl Friedrichs wurde von den Fürsten nicht als gültig an-
gesehen — nach staufischer Auffassung nur wieder ein neuer
Kaiser, nämlich Philipp, aufgestellt werden. Sehr bald darauf
wurde von den Gegnern der Staufer, an deren Spitze nach
wie vor Erzbischof Adolf von Köln stand, Otto von Braunschweig,
zum Könige erwählt, hier also der imperialistische Gedanke
nicht rezipiert, dagegen auf der anderen Seite ihm zu Liebe —
wie wir gleich sehen werden — der Charakter der Wahl um-
gedeutet.
Wir haben über diese Doppel wähl eine urkundliche und
eine chronikalische Quelle heranzuziehen.
In dem bekannten Schreiben der deutschen Reichsfürsten
an den Papst Innocenz III. vom Mai 1199, der sogenannten
Speyerer Erklärung,1) wird der Kurie von jenen mitgeteilt:
quod mortuo inclito domino nostro (Henrico) Romanorum
imperatore augusto collecta multitudine principum . . . illustrem
dominum nostrum (Philippum) in imperatore m Romani
solii rite et sollempniter elegimus.
Es sei im Voraus gleich bemerkt, dass der Gedanke der
„electio in imperatorem“ nicht hier zuerst auftaucht; schon bei
der Wahl selber, also etwa ein Jahr früher, muss man ihn
übernommen haben. Als der Vater dieses Gedankens dürfte
König Philipp gelten, er hat gewiss die Staatsanschauung des
kaiserlichen Bruders geteilt und von seinen Bestrebungen ge-
wusst. Doch ist der rechtliche Charakter der Kaiserwahl in
') MG. Const. II, nr. 3, p. 3 sq. Zeurner, Quellensammlung z. Gesell.
<1. deutschen Reichsverfassung (1904), nr. 23, S. 24 f.
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voller Klarheit nur von ihm und seinen Vertrauten, nicht auch
von den Fürsten seines Anhangs erfasst worden.
Wir beobachten, dass er im Widerspruch gegen alles
Reichsherkommen *) sich gleich nach der Wahl (6. März 1198)
und vor der förmlichen Krönung und Einsetzung durch die
Fürsten (8. September d. J.) König der Römer nannte und
auch von der Wahl die Jahre seines Reiches zählte.2) Er trug
sogar am Osterfeste 1198 zu Worms die kaiserliche Krone und
die anderen Insignien, ohne doch diese aus der Hand von
Bischöfen des Reichs empfangen zu haben. Anscheinend legte
er auf die deutsche Krönung gar keinen Wert. Dazu stimmt,
dass in der gedachten Speyerer Erklärung ihrer auch nicht mit
einem Worte gedacht wird. Zwar war sie nicht wie die
Ottos IV. streng nach der Regel der Gewohnheit vollzogen
worden, doch hätte Philipp sie immerhin erwähnen und sich,
wie er später gethan hat, damit entschuldigen können, dass er
lediglich durch trügerische Vorspiegelungen Adolfs und der
Seinen verleitet, den schon begonnenen Zug nach Aachen auf-
gegeben habe.3) Aber unmöglich konnte von jemanden, der zum
Imperator erwählt worden war, dann noch gesagt werden, er
sei in Aachen zum Könige gekrönt worden. Denn wohl konnte
die Wahl als eine Kaiserwahl, nimmermehr aber die deutsche
Krönung als eine kaiserliche bezeichnet werden. Dagegen heisst
es ausdrücklich, dass Philipp binnen Kurzem mit den Fürsten
nach Rom „pro imperatorie coronationis dignitate sublimiter
obtinenda“ ziehen würde.
König Philipp betrachtete ebenso wie sein Bruder und wie
sein Vater das Reich als ein römisches Imperium, wo es neben
') Dazu Klammer, Wahl und Einsetzung S. 62 f.
2 Die Aunales Colouienses heben diese Thatsache nnd die im Folgenden
berichtete ausdrücklich hervor, sie sagen: Nomen regium sibi ascribit et
apud civitatem Wangiouum in albis (d. b. in septimana in albis, in der
Osterwoche) coronatus progreditur. Ed.Waitz p. 164. Vgl. Reg. imp.V, nr. 15 a.c.
s) MO. Const. II. p. 12, nr. 10: Scriptum excusatorium ad pontificem
a. 1206.: Medio quoque tempore cum maxiino et gloriosissimo exercitu ad
sedem Aquensem pro recipienda corona ire volentes, astutia et dolis
adversariorum nostrorum circumventi, exercituin nostruu remisimus, accepto
tarnen prius ab eis sacramento, quod etiam ipsi in nos vota sna deberent
transferre. Sie wählten aber — cumque nos ipsi sic decepissent — durch
englisches Oeld bestochen den Grafen von Poitou.
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der kaiserlichen keine andere, selbständige, königliche Gewalt
geben konnte. Die deutsche Königskrönung, durch welche eine
derartige Gewalt geschaffen wurde, war daher für ihn eine
rechtlich vollkommen irrelevante Handlung, der er sich nur aus
politischen Gründen unterzog. Er wollte im wahren Sinne
römischer, nicht fränkischer König sein; gerade so wie einst
Heinrich VI. und unter ihm dann Friedrich II. durch die Wahl
römische Könige, das heisst Cäsaren, Unterkaiser geworden
waren, die nur noch der Krönung durch den Papst bedurft
hatten, um Augusti zu werden. Dass Friedrich II. als ein
kraft Erbrechts berufener Nachfolger Heinrichs eine derartige
Stellung hatte einnehmen sollen, zeigten wir bereits ; das gleiche
war ihm aber auch, als er (Ende 1196) erwählt worden war,
zugedacht. Denn auch er führte damals sogleich den römischen
Königstitel, ohne gekrönt worden zu sein. Da Heinrich Sizilien
als Reichsland betrachtete, Hess er Friedrichs Bildnis auf
die Rückseite seiner sizilischeu Münzen prägen mit der
Umschrift: König Friedrich; der Sohn hatte neben ihm Anteil am
Kaisertume.1) Im Zusammenhänge des Reformplanes hatte
Heinrich versucht, der Krönung ihren alten Charakter völlig
zu nehmen; später gaben er und nach ihm in deutlichster Weise
König Philipp wenigstens zu verstehen, dass sie nach den
Anschauungen der Herrscher ohne staatsrechtliche Bedeutung
sei, dass man zwar das fürstliche Wahlrecht wieder anerkannt
habe, darum aber doch nicht gesonnen sei, sich dem in der
Krönung am lebendigsten zum Ausdruck gelangenden Gedanken
des fränkisch-deutschen Königtums zu unterwerfen.
Wir können demnach wohl den Umstand, dass Philipp
gegenüber der deutschen Königskrönung ein geringschätziges
Wesen zur Schau trägt, als Bestätigung für unsere obige Be-
hauptung, dass Heinrich VI. sie habe beseitigen wollen, ver-
wenden. Das auffällige Benehmen Philipps und der unglaubwürdig
erscheinende Plan Heinrichs erklären sich beide als entsprossen
aus einer und derselben Idee, dem Reichsgedanken des staufischen
Kaiserhauses.
In eine Reihe mit den sonstigen , oben geschilderten
Handlungen Philipps gehört nun auch der sicherlich von ihm
Vgl. oben S. 31.
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herrührende Gedanke der „electio in imperatorem“. Es wurde
dadurch der Rechtscharakter der Wahl klarer als durch den
zweideutigen Ausdruck „electio in regem Romanorum“ bezeichnet.
Neben einer römischen Kaiserwahl konnte es als zweiten,
ergänzenden Rechtsakt nur eine römische Kaiser-, keine deutsche
Königskrönung mehr geben.
Anscheinend haben die Fürsten, indem sie thatsächlich eine
Kaiserwahl vollzogen und von einer solchen nach Rom be-
richteten, Philipps Idee gebilligt, ja gefördert. Doch kann kein
Zweifel darüber herrschen, dass sie dem Gedanken des Imperium
nahegetreten sind, ohne daraus dieselben Konsequenzen zu
ziehen wie die Staufer. Philipp wird ihnen seines Hauses
geheime Ideen gewiss nicht offenbart haben. Gerade in der
Königseinsetzung kam ja der Gedanke, dass die Fürsten dem
von ihnen Erwählten das Reich übertrugen, in rechtsförmlicher
Weise zum Ausdruck.1) Sie war eine von dem germanischen
Rechtsempfinden des hohen Adels notwendig geforderte Handlung,
an deren Abschaffung damals nicht gedacht werden konnte und
der sich Philipp auch hat unterziehen müssen.
Andererseits aber sind doch ohne Frage auch die Fürsten
von der im zwölften Jahrhundert neuerstandenen Idee des
römischen Reiches nicht unberührt geblieben.
Wir bemerkten schon früher gelegentlich, dass diese nicht
nur das Stauferhaus erfüllt hat, sondern auch in weitere Kreise
eingedrungen ist. Zu derselben Zeit, als in fremdem Lande
der Ruhm des Imperium von beredten Zungen verkündet wurde,
als die Stadt Rom behauptete, sie allein habe die höchste
Würde zu vergeben, kam auch den Deutschen die Bedeutung des
Kaisertums recht zum Bewusstsein. Wie zur Entgegnung
wurde nun betont, dass die Deutschen berechtigt und ver-
pflichtet seien, die altrömischen Traditionen aufrechtzuerhalten
und weiterzuführen. Als den Ausgangspunkt dieser Bewegung
in Deutschland haben wir den kaiserlichen Hof zu betrachten.
Denn, wenn auch die Staufer ihre Umgebung gewiss_nur zum
kleineren Teil völlig in ihre Reformgedanken eingeweiht haben,
so haben sie jedenfalls aus ihrer starken Vorliebe für das
Kaisertum kein Hehl gemacht, diese vielmehr aufs deutlichste
*) Vgl. Krawiner, Wahl und Einsetzung S. 8 ff.
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kundgetan. Von hier aus wurde sie nach allen Seiten hin weiter-
getragen und begierig aufgenommen. Ueberall, wo der germanische
Charakter des Reiches dem nicht allzu wirksam widersprach,
drangen römische Benennungen ein; die Deutschen worden zu
Romani, das Reich ein Imperium Romanorum, der König ein
Imperator. Indem aber dabei an einer deutschrechtlichen
Institution wie der Königskrönung doch festgehalten wurde,
die ihrem Wesen nach nur zur alten und nicht mehr zur neuen
Staatsanschauung passte, ergab sich ein Zwiespalt im Verfassungs-
leben, der allein durch die völlige Verwirklichung des staufischen
Reformgedankens behoben worden wäre.
Dieser Zwiespalt begegnete uns bereits beim Reinhards-
brunner Chronisten, welcher nur vom Kaiser und vom Kaisertum
spricht, aber die Handlung, durch welche ein Kaiser die Gewalt
im Imperium erhält, doch nicht anders als königliche Salbung
bezeichnen kann. Im Kreise der grossen Reichsf&rsten machte
sich dieser Zwiespalt aber nicht in gleichem Masse geltend.
Denn hier konnte und wollte man nicht auf hören, in der
Aachener Königseinsetzung den entscheidenden, deu konstitutiven
Akt bei der Bestellung des Herrschers zu sehen. Freilich
liebten damals auch die Fürsten es, mit dem Kamen des
Kaisertums zu prunken. Doch blieben sie im Grunde deutsch
und waren nicht von dem festen Boden ererbter Gewohnheit
zu verdrängen. Ihnen ist es zu danken, dass die Idee des
deutschen Königtums erhalten blieb. In anderen Schichten
des Volkes aber, wo kein so starker Gegendruck herrschte, wo
man zwar im deutschen Recht sonst ganz zu Hause, nur in
den Fragen des Staatsrecht wenig bewandert war, da konnten
die imperialistischen Ideen ungehindert eindringen und die
zersetzendsten Wirkungen ausüben. Das zeigt sich besonders
bei näherer Betrachtung des Sachsenspiegels; und da wir an
den Aussprüchen Eikes von Repgow über Kaisertum und
Königtum nicht achtlos vorübergehen können, so sei hier eine
kurze exkursorische Erörterung seiner Staatsanschauungen ver-
stauet.
Man kann es als charakteristisch für die Macht des
staufischen Reichsgedankens betrachten, dass der Verfasser einer
grossen Darstellung deutschen Rechts eine völlig imperialistische,
römische Staatsauffassung vertritt. Keine Spur eines boden-
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ständigen, deutschen Staatsempfindens treffen wir bei ihm an;
nur das sächsische Stammesgefühl ist entwickelt. Nachdem die
Babylonier, Perser und Macedonier die Weltherrschaft inne-
gehabt hatten, fiel sie an Rom und Julius (Caesar) wurde
Kaiser: Noch hevet rome behalden dar von dat werltlike sverd
unde von sente peteres halven dat geistlike, dar umme het sie
hovet aller werlde (Landrecht III, 44, 1). Von einem deutschen
Königreich ist nie die Rede, nur von deutscher Art oder
von deutscher Zunge, dagegen sagt Eike (III, 53, 1), dass
Sachsen, Baiern, Franken und Schwaben früher einmal König-
reiche gewesen sind, bis sie von den Römern unterworfen und
zu Herzogtümern erniedrigt wurden, doch, fährt er fort, behilden
sie die vorsten to manne unde de van lene under deme namen.
Seitdem haben ihnen aber die Kaiser auch diese beiden Rechte
entzogen. Noch näher führt das kaiserliche Landrechtsbuch,
der sogenannte Schwabenspiegel, die Geschichte der Unter-
werfung jener Lande durch die Römer aus (v. Daniels § 120):
Daz geschach, do Julius ze Rome Kinnig wart, unde er
tiuschiu lant betwang. Da wolte Julius niut, daz über elliu
duschen riche iut me Kiunigriches were wan sins, unde oucli
iut me Kiuniges wan er.
Der historische Verlauf der Dinge ist geradezu auf den
Kopf gestellt. Noch im zwölften Jahrhundert hatte man das
Herrscherrecht der Deutschen über Rom sehr mit Recht auf
die wiederholte Einnahme und Unterwerfung dieser Stadt zurück-
geführt. Rom galt als eine Stadt, Italien als eine Provinz des
fränkisch - deutschen Reiches. Nun aber sollen die Römer
Deutschland erobert haben. Deutschland ist eine Provinz des
römischen Reiches; nicht als ein deutscher, sondern als ein
römischer König oder Kaiser gebietet der von den Deutschen
erwählte Herrscher in Sachsen, Baiern, Franken und Schwaben.
Zur Erklärung dieser Staatsanschauung Eikes genügt es
nicht, darauf hinzuweisen, dass ihm die Lehre von den vier
Weltmonarchieen geläufig ist. Denn, obwohl Otto von Freising
sie sicher weit mehr in sich aufgenommen hat, so hat er darum
doch der Idee des deutschen Königtums alle Gerechtigkeit
widerfahren lassen. Wäre in Eikes Zeit der Gedanke des
„regnum Teutonicum“ in kraftvoller Weise wie einstmals betont
worden, so wäre das einem so aufmerksamen Beobachter des
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Rechts seiner Zeit gewiss nicht entgangen. Irgendwie hätte
diese Staatsidee in seinem Rechtsbuche sich bemerkbar gemacht.
Sein Zeitalter war von nichts anderem mehr erfüllt als von
der Idee des „Romanum imperium“; hinter ihr war die des
„regnum“ zurückgetreten. Auf sächsischer Erde haben im
Jahre 1198 und im Jahre 1208 Kaiserwahlen stattgefunden,
wovon Eike sicher gehört haben wird; er spricht ja auch von
„des keiseres köre“ (III, 57, 2). Da es ihm an historischer
Bildung völlig fehlte, so war er in den Fragen des Staatsrechts
gänzlich abhängig von der herrschenden Meinung, von den
Schlagwörtern des Tages; es musste ihm daher das Reich
lediglich als ein römisches erscheinen. Und da Julius Caesar
das römische Reich aufgerichtet hatte, so konnte Eike die
Zugehörigkeit der deutschen Lande zu diesem Reiche nur auf eine
Eroberung derselben durch die Römer, durch Caesar zurückfuhren.
Er setzt demnach Kaiser und König einander vollkommen
gleich; der Begriff eines deutschen Königs, der dem des römischen
Kaisers gegenüberstünde, existiert ja für ihn nicht. Er hebt
vielmehr hervor, dass von Rechtswegen die Deutschen den
König küren sollen (III, 52, 1); man kann hinzufügen, nur sie
und kein anderes Volk. Das, d. li. dies Vorrecht, erwarb ihnen
der König Karl (der Grosse), setzt das kaiserliche Landrechts-
buch hinzu (v. Daniels § 118). Es ist eben kein bodenständiger,
deutscher König, den sie erwählen, bei dem sich das von selber
verstünde, sondern aus ihrer Wahl geht der Gebieter Roms,
des Hauptes aller Welt, hervor, der durch die Weihe zu Aachen
den Namen eines römischen Königs, durch die zu Rom den
eines Kaisers empfängt (III, 52, l)1).
So ist Eike von Repgow ein echter Vertreter des
imperialistischen Geistes seiner Zeit, „einer Zeit, in der die
Idee des deutschen Reiches, die die Vergangenheit so lebendig
erfasst hatte, vor der des Romanum imperium verblasste“2).
') Man darf an dieser Stelle freilich nicht den Homeyerschen Text zu
Gründe legen, wo königliche und kaiserliche Gewalt geschieden werden,
sondern den der „von späteren Zusätzen freien“ Quedliuburger Hand-
schrift, der auch Zeumer in seiner Quellensammlung z. Gesell, d. deutschen
Reichsverfassung S. OS ff. gefolgt ist.
ä) So F. Vigener am Schlüsse seines Buches: Die Bezeichnungen für
Volk nnd Land der Deutschen vom 10. bis zum 13. Jahrhundert (Heidelberg
1901), S. 259 Uber die Zeit vom Ausgange des 12. Jahrhunderts ab.
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In der Salierzeit war ein solches Verkennen der nationalen
Struktur des Reiches nicht so leicht möglich wie damals, wo sich
im Gefolge der staufischen Politik die Klarheit des politischen
Blicks vielfach stark getrUbt hatte. Heimisch im Land der
Ideale wurde der Deutsche ein Fremder im Hause seiner Väter.
Es konnte also auch für die Fürsten in dem Gedanken einer
Kaiserwahl — vorausgesetzt, dass neben dieser die Königs-
einsetzung bestehen blieb — damals nichts liegen, was sie hätte
argwöhnisch machen können.
Wir kehren zur Erörterung der Doppel wähl von 1198 zurück
und wenden uns nunmehr jener chronikalischen Quelle zu,
auf die oben verwiesen wurde. Es handelt sich um die Chronik
der Bischöfe von Halberstadt, eine gute, gleichzeitige Quelle.1)
In ihr wird berichtet:2)
Defuncto siquidem imperatore Henrico in electione
imperatoris perniciosa dissensio inter principes est exorta.
Cum enim electores Saxonie principes ad eligendum impera-
torem universos imperii principes crebrius invitarent, quidam
principes avaricie dediti huic sacre electioni exsecrabiles inter-
ponere non sunt veriti condiciones . . . Verum principes Saxonie
non ferentes Imperium sine rectore sub tante more periculo
vacillare, quibusdam aliarum provinciarum principibus convocatis
... in villa Arnestede .... dominum Philippum ducem Swevie,
filium et fratrem divorum imperatorum Friderici et Henrici,
imperatorem unanimiter elegerunt . . . Hac igitur electione
celebrata Moguntiam est adductus populoque ostensus, sicut moris
est facere de electis, et pari voto omnium et consensu, acclamatione
quoque et applausu in regem est collaudatus .... et Taran-
tasiensis archiepiscopus ipsum in regem consecravit et insigniis
imperialibus, que penes ipsum erant, pariter insignivit.
Adolfus vero Coloniensis archiepiscopus et quidam principes
Reni . . . Ottonem ... in regem eligunt . . . Qui capta
Aquisgrani civitate eundem electum intronizatum in sede regia
collocantes, diademate regio coronabant.
Hier wird also von einer Kaiserwahl Philipps in Arnstadt,
von einer Königswahl und -krönung desselben zu Mainz und
*) Vgl. Wftttenbacli, Deutschlands Qeschicbtsqnellen 11°, S. 356.
*) MG. SS. XXIII, p. 113.
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nur von einer Königswahl und -einsetzung Ottos berichtet.
Diese Darstellung ist durchaus zutreffend, da der Gedanke einer
„electio imperatoris“ wohl bei der Arnst&dter, doch, wie wir
sogleich sehen werden, nicht bei der Mainzer Wahl Philipps
und nicht bei der Erhebung Ottos hat aufkommen können. Und
da wir wissen, dass in staufisch gesinnten Kreisen jene Idee,
wie das Speyerer Schreiben beweist, lebendig war, so werden
wir nun mit aller Bestimmtheit sagen, dass die Arnstädter
Wahl Philipps von Schwaben (6. März 1198) als die Wahl
eines Kaisers vollzogen worden ist. Von dieser Thatsache ist
dem Chronisten Nachricht zugekommen. Er hat sie über-
nommen, obwohl er zu meinen scheint, dass die Wahl im
Grunde nur eine „electio in regem“ war. An Philipp wird nach
seinen Angaben eine Kaiserwahl offenbar deshalb vollzogen,
weil jener, als Mitglied des bisherigen Herrscherhauses ohnehin
der Nächstberechtigte zum Throne, Sohn und Bruder von
Herrschern ist, die zum Königtum noch das Kaisertum er-
worben hatten, und er nun natürlich in alle Rechte jener, in
den vollen Umfang ihrer Macht eintreten und wie sein Bruder
Kaiser sein soll. Dass er dessen Stellung einzunehmen hat,
folgt ja auch daraus, dass er im Besitz des „Reichs“, wie man
sagte, das heisst, der alten, echten Reichsinsignien1) ist. Und
zwar werden die seinen im Unterschiede von denen Ottos immer
„kaiserliche“ genannt.2) Denn unter ihrer Zuhilfenahme ist ja
Heinrich nicht nur mit dem König-, sondern auch mit dem
Kaiserreich investiert worden. Dagegen konnte der Welfe
unmöglich an die Traditionen der Staufer anknüpfen; er musste
wieder von vorn an fangen, erst König werden, dann das
staufische Königtum und Kaisertum bekämpfen und die höchste
Würde für sich und sein Haus zu erlangen suchen. Als Philipp
1208 ermordet worden war und seine Anhänger zu Otto über-
gingen, da berichtet dieselbe Quelle, dass nun dieser von ihnen
zum Kaiser erwählt wurde, dass man ihm die kaiserlichen
Insignien übertrug, ihm Philipps Tochter Beatrix zur Gemahlin
*) Vgl. MG. Const. II, p. 12, nr. 10, § 5.
*) S. oben: insigniis imperialibus; ferner Gesta episcnpnrum
Halberstad. 1. c. : Rex autem festuin »ativitatis Domini Magdeburch . . .
celebravit, ipseque die sancto regalibns indumentis, imperiali djadetnate
insignitus, sollempniter incedebat.
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gab, wodurch er auch das staufische Hausgut erhielt. So wurde
er förmlich und in allen Stücken als Erbe der Staufer anerkannt.
Gewiss giebt der Chronist über Philipps Kaiserwahl keine
willkürlich gebildete Anschauung wieder; auch der Fürsten
Meinung war, die kaiserliche Würde bei den Deutschen und
ihrem Königshause erhalten zu müssen. Um aber zu erklären,
wie sie sich bereit finden iiessen, dieser ihrer Meinung durch
den Vollzug einer Kaiserwahl Ausdruck zu geben, muss man
tiefer greifen und auf die imperialistische Stimmung des zwölften
Jahrhunderts verweisen, von der auch sie, freilich nicht so stark
wie die Staufer, ergriffen waren. Dies geistige Milieu ist
die letzte Voraussetzung ihres Thuns.
Ferner soll Philipp gleich im Anschluss an die Arnstädter
Kur zu Mainz, bevor er dort gekrönt wurde, nach alter Sitte
dem Volke gezeigt und von allen zum Könige erwählt worden
sein. Wie verträgt sich diese Thatsache damit, dass er eben erst
znm Kaiser erhoben war?
Es war ein alter Brauch, dass der von den Fürsten Er-
wählte unmittelbar vor der Krönung dem versammelten Volke
gezeigt wurde, das ihn durch allgemeinen Zuruf anerkannte.
Widukind1) berichtet das schon von der Wahl Ottos I. Auf
eine derartige Handlung beziehen sich wohl die Worte des
Chronisten; sie sind nach meinem Dafürhalten eher so als dahin
auszulegen, dass Philipp dort noch von einigen Fürsten, die ihm
bisher nicht zugefallen waren, erwählt sei.'2) Zwar heisst es:
l) Ed. K. A. Kehr p. 55.
*) Dies ist die Ansicht C. Rodenberg's, die er in seiner Abhandlung
.Ueber wiederholte deutsche Kuuigswshlen“ (Gierkes Untersuchungen z,
deutsch. Staats- und Rechtsgesch. ßd. XXVIII 18S9), S. 13 f. dargelegt hat.
Er erinnert auch an das sogenannte Entschuldigungsschreiben K. Philipps
an P. Inuocenz III. (1206; HG. Const. p. 10. nr. 10). aus welchem hervor-
ginge, dass nach der Arnstädter Wahl noch eine Nachwahl in Aussicht ge-
nommen sei. Philipp berichtet, dass, als er mit Ueeresmacht gen Aachen
zog, seine rheinischen Gegner aus Furcht vor ihm geschworen hätten, ihn
auch ihrerseits wählen zu wollen, dass sie dies Versprechen aber nicht ge-
halten, sondern Otto erkoren hätten (cf. 1. c. p. 10, § 6). Mag man nun
auch staufischerseits damals die Ansetzung eines besonderen Wahltages für
diese Wähler geplant haben — was sich übrigens keineswegs mit Sicherheit
aus dem Angeführten ergiebt — , so kam es doch nicht dazu, da ja Otto von
ihnen erwählt wurde. Davon aber, dass er daun zu Mainz von einer Anzahl
Fürsten erkoren sei, sagt Philipp a. a. O. kein Wort.
Krammer, der Keirhssednnke des statiflschen Kaiserhauses ' 4
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populoque ostensus ... et pari voto omnium et consensu,
acclamatione quoque unanimi et applausu, wobei man geneigt
sein könnte, aus den Worten pari — consensu auf eine Fürsten-
wahl und aus dem Uebrigen auf die hernach erteilte Zustimmung
des Volkes zu scliliessen. Doch müsste alsdann auch die Fürsten-
wahl im Anschluss an die Darstellung Philipps vor dem Volke
stattgefunden haben, was wenig wahrscheinlich ist. Sollte er
nicht erst, nachdem sich die Grossen über ihn geeinigt hatten,
vor das Volk getreten sein? Auch wären bei einer Nachwahl
durch Fürsten und Volk jene doch gewiss vor allen anderen
Anwesenden deutlich hervorgetreten und diese Thatsache hätte
der Chronist sicher in unzweideutiger Weise mitgeteilt. Er
will durch die Worte pari — consensu, so scheint mir, nur die
völlige Einstimmigkeit bei der in der Form allgemeinen Zurufs
(acclamatio) vollzogenen Anerkennung charakterisieren.
Diese „acclamatio“ wurde aber stets im Rahmen der
Königskrönung vollzogen. Derselbe Erzbischof, der gleich darauf
die Salbung und Investitur vornahm, stellte den Erwählten der
Menge vor. Und da die Krönung nichts anderes als eine
„unecio regia“ sein konnte, so musste auch jene Wahl eine
„collaudatio in regem“ sein. Der einzelne Akt durfte dem
Geiste der Gesamthandlung nicht widersprechen. Zu Mainz
konnte also von einer „electio imperatoris“ keine Rede sein.
Auf Seiten der Gegner, der Welfen, konnte endlich der
Gedanke einer Kaiserwahl vollends garnicht aufkommen.
Während Philipp gegenüber der Königseinsetzung mit
Absicht eine geringschätzige Haltung einnahm, wurde hier
hervorgehoben, ') dass Otto vor allem aus dem Grunde dem
Staufer überlegen sei, weil nur er von dem Erzbischof von Köln
und nur er am rechten Orte, zu Aachen, gekrönt und gesalbt
worden sei. Hatte der Staufer auch fast alle Macht im Reiche
für sich und war auch sein Haus seit langem im Besitz der
Krone, so stand demnach doch das Recht allein auf dieser, der
wölfischen Seite. So konnte man aber nur argumentieren, wenn
man an der Idee des fränkisch -deutschen Königtums festhielt.
Diese wollte und durfte man also nicht aufgeben. Die Wahl
selber konnte unter diesen Umständeu, wo die Einsetzung so
') Zum Folgenden auch K nimmer a. a. O. S. 41 ff.
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61
sehr in den Vordergrund trat, natürlich nur eine „electio in
regem“ sein. Auch auf der staufischen Seite wäre der Gedanke
der Kaiserwahl gewiss nicht aufgetaucht, hätte nicht Philipp
in seiner dem Königtum und der Königswahl und -einsetzung
feindlichen Tendenz ihn aufgebracht.
So ist die Ausdrucksweise unserer Quelle, der Gesta
episeoporum Halberstadensium, überall durchaus berechtigt. Nur
da, wo wirklich die Idee des Kaisertums beherrschend in den
Vordergrund trat, bei der Arnstädter Wahl, weiss der Verfasser
von einer „electio in imperatorem“ zu berichten.
Diese Quelle ist ferner die einzige, welche, wie bereits
erwähnt, zum Jahre 1208 berichtet, dass damals König Otto IV.,
und zwar in Halberstadt selber, zum Kaiser erwählt wurde.1)
Die sächsischen Fürsten, welche bisher Philipp angehangen
hatten, erhoben hier an seiner Stelle den Welfen; sie über-
gaben ihm die kaiserlichen Insignien und vermählten ihn mit
der Tochter des ermordeten Herrschers. So wurde Otto auf
alle Weise als der vollberechtigte Nachfolger Philipps, als der
neue Imperator, anerkannt.
Freilich berichten die übrigen Quellen,2) von denen z. Bsp.
Arnold von Lübeck sich über den Hergang bei der Wahl gut
unterrichtet zeigt, nur von einer „electio in regem“. Doch
ist das sehr erklärlich. Man war zu sehr an den Gedanken
gewöhnt, dass die Wahl eine Königswahl sei. Wurde nun
einem Chronisten von der Kur eines „Kaisers“ berichtet, so
mochte er das für belanglos, nur für einen ungenauen Ausdruck
halten, den man eher zu verbessern als anzunehmen habe. Nur
wer, wie der Halberstädter Chronist, schon von der Wahl von
1198 her wusste, dass man in staufischen Kreisen mit Vorliebe
und Nachdruck die Idee der Kaiserwahl betonte, nahm auch
weiterhin keinen Anstand, diese Thatsache ohne Besserungs-
versuche zu verzeichnen, wenn ihm abermals von einer solchen
berichtet wurde.
Als dann der Welfe nach Italien gezogen war und die
Kaiserkrone gewonnen hatte, bald darauf aber infolge seiner
*) Principe« . . . iam dictum regem Ottonem in imperatorem
nnanimiter elegerunt. MG. SS. XIII, p. 122.
*) S. Reg. imp. V, nr. 240 c.
4*
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Eroberungspolitik mit der Kurie in Konflikt geraten und von
ihr in den Bann gethan war, regte Innocenz III. bei den
deutschen Fürsten die Aufstellung Friedrichs von Sizilien als
Gegenkönig an. ln einer Fürstenversammlung zu Nürnberg,
im August 1211, wurde Friedrich dann auch und zwar zum
Kaiser erwählt.1) Eine Gesandtschaft begab sich zu ihm nach
Sizilien; er nahm die Wahl und demgemäss den Titel eines „er-
wählten römischen Kaisers“ an,2) den er als erster aller deutschen
Könige und den nach ihm erst wieder Maximilian I. geführt hat.
Er wurde ferner aber unter Vermittlung des Papstes auch
von Senat und Volk der Stadt Rom förmlich als Kaiser aner-
kannt (collaudatus) ’) und endlich von Innocenz bestätigt.
Hierauf zog er durch Italien nach Deutschland, wo er am
5. Dezember 1212 zu Frankfurt auf einer sehr zahlreich be-
suchten Fürsten Versammlung zum Könige erwählt und gleich
darauf auch, am 9., zu Mainz von dem dortigen Erzbischöfe
gekrönt wurde.4)
Dass Friedrich damals zu Nürnberg zum Kaiser er-
wählt wurde, kann kaum einem Zweifel unterliegen. Es wird
nicht nur von der Erfurter St. Peterschronik und der Ursperger
Chronik berichtet, A) sondern Friedrich sagt auch selber in einem
Schreiben vom 26. September 1212, der König von Böhmen habe
') Reg. imp. V, ur. 10787 a.
2) Ibid. nr. 650 a.
J) Chron. Urspergeuse ed. Perl* p. 92.
•) Reg. imp. V, nr. 680 a. b. 6s2.
5) Chron. S. Petri Erphesfurt. ed. O. Holdor-Egger p. 209: donec
iidem [principes] in oppido Nurenbere collecti publice . . Fridericum Heinrici
imperatoris fllium antea ab universitate electum, futurum imperatorem
declararent Chron. Ursperg. ed. 6. H. Pertz p. 92: Tune principes
Alamanniae, rex videlicet Boemiae, dux Austriae, dux Bawariae et langravins
Turingiae et alii quam plures convenientes Fridericum regem Siciliae elegerunt
in imperatorem coronandum. Vielleicht ist die Ausdrucksweise beider
(Quellen dahin zu erklären, dass jede von ihnen von einer Erhebung eines
„imperator“ gehurt hat, keine sich aber recht entschlies9en mag. .in
imperatorem eligere“ zu schreiben, paher sagt die eine: .sie erklärten
ihn zum künftigen Kaiser“, die andere: .sie wählten ihn zu dem (vom
Papste) zu kriinenden Kaiser“. Auf die eine wie auf die andere
Weise wird angedeutet, dass die eigentliche creatio des Kaisers dem Papste
zusteht — zum Kaiser wird man nicht durch eine Wahl, sondern nur durch
eine Krönung — , die Fürsten bestimmen hier bloss, wen jener zu weihen hat.
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53
ihn vor allen anderen Fürsten zum Kaiser erwählt.1) Ausser-
dem wissen wir, dass bei den Wahlen von 1198 und 1208
die Idee des Kaisertums hervorgetreten ist. Warum sollte da
nicht auch Friedrich, der doch ein Spross des staufischen Kaiser-
hauses war, zum Imperator erhoben worden sein?
Man wollte aber auf fürstlicher Seite bei dieser Wahl
ebensowenig wie bei den von 1208 und 1198 dadurch, dass
man von einer Kaiserwahl sprach, die Grundlagen des Reichs-
rechts verändern.2) Man gewöhnte sich daran, den König
„imperator“ zu nennen, weil dadurch seine vor allen anderen
Monarchen ausgezeichnete Stellung angedeutet wurde. Daher
konnte auch der Erzbischof von Mainz von dem Frankfurter
Tage sagen, hier hätten alle Fürsten einmütig Friedrich zum
Kaiser erwählt.3) Der Mainzer, der ihn vor Kurzem erst zum
Könige gekrönt hatte und der wohl hoffen mochte, dass das
Krönungsrecht von den Kölnern wieder auf die Mainzer Erz-
bischöfe übergehen würde, wäre gewiss nicht geneigt gewesen,
sich derartiger Ausdrücke zu bedienen, wenn er klar erkannt
hätte, was für staatsrechtliche Folgerungen aus dem Begriff
einer „electio in imperatorem“ gezogen werden konnten.
Auffällig ist dabei, dass Friedrich II. im Gegensatz zu
Philipp, der doch auch zum Kaiser erwählt worden war, sich anfangs
nicht rex, sondern „in imperatorem electus“ nannte. Erst nach
der Frankfurter Kur nahm er den herkömmlichen Titel an.
Ohne Frage hat er bei der Wahl des kaiserlichen Namens
unter päpstlichem Einfluss gehandelt.4) Schon Rodenberg hat
M MO. Const. II, p. 54, ur. 43. Reg. nr. 671.
*) Vgl. oben,S. 43.
*) Rodenberg a. a. O. S. 32, Anm. 6 setzt freilich diese Urkunde
(1214 März 26; vgl. Reg. imp. V, nr. 726) zwischen der Nürnberger und
der Frankfurter Wahl an. Doch weisen alle Angaben in ihr auf das Jahr
1214; auch konnte kaum von dein erstgenannten Tage gesagt werden, dass
dort „universi principes“ Friedrich gewählt hätten, wohl aber von dem
letzteren (Vgl. Reg. nr. 680a). — Auch Reiner von Lüttich spricht von
dieser Wahl als von einer .electio in imperatorem“, die Kölner Königs-
chronik dagegen von einer Königswahl; vgl. Reg. imp. I. c.
*) So auch Rodenberg S. 32 ff., welcher aber leugnet, dass Friedrich
in Nürnberg zum Kaiser erwählt worden sei. Wenn dieser (s. oben
Anm. 1) dem König von Rühmen dankt, weil er ihn vor allen zum Kaiser
erwählt habe, so sei das daraus erklärlich, dass Friedrich damals vor der
Frankfurter Wahl von sich nur als Kaiser reden konnte, da die Kurie ihn
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(a. a. 0. S. 36) darauf hingewiesen, dass Otto IV. und nach
ihm Friedrich II. von der Kurie stets nur so genannt worden
sind. Der Grund hierfür liegt klar zu Tage. Dem Papsttum
kam es vor allem darauf an, Reichsitalien unter seine Gewalt
zu bekommen. Der Kurie war die Anschauung geläufig, dass
die Herrschaft über Italien eine Dependenz des Kaisertums
sei und mit diesem vom Papste übertragen werde. Als „rex“
hatte der in Deutschland Erwählte hier nichts zu sagen; als
solchen durfte ihn also die Kurie nicht bezeichnen, weil da-
durch anerkannt worden wäre, dass seine Herrschaft auch
über Italien auf dem Königtume, also einem von der Kurie
gänzlich unabhängigen Institut, beruhte, und sie dann nicht befugt
gewesen wäre, ihm gegebenenfalls das Regiment über Italien
zu entziehen und bei Vakanzen dort an des Kaisers Stelle zu
gebieten. Nannte sie ihn aber „erwählter Kaiser“, so wurde
damit kundgethan, dass er die volle Herrschergewalt erst mit
der Krönung in Rom erlange. In der That hat dann auch
Inuocenz III. vor der Weihe Ottos IV., aber nach seiner
Approbation, von der zur Zeit noch herrschenden Vakanz des
Kaiserreiches gesprochen.1)
nur als solchen anerkannte und er von ihr damals immer noch völlig ab-
hängig war. Doch übersieht K., dass die Kurie ihn nur in Italien allein
als Kaiser dulden wollte; in allen Beziehungen zu Deutschland mochte
er als König auftreten, das konnte sie ihm nicht bestreiten. Friedrich hätte
daher wohl von einer Königswahl sprechen können, doch er wusste offenbar,
dass die Fürsten es liebten, ihre „electio* als eine „electio in imperatorem“
zu betrachten. Ebenso soll Erzbischof Siegfried von Mainz in soinem
Schreiben aus Rücksicht auf den Papst die Nürnberger Wahl als Kaiserwahl
bezeichnet haben, doch ist dasselbe erst nach dem Frankfurter Tage
verfasst und bezieht sich auf diesen; hier kann also auch nicht das von R.
angenommene Motiv wirksam gewesen sein, da ja Friedrich nunmehr eine
starke Stellung in Deutschland gewonnen hatte. — Als eine Kaiser wähl
hat bereits Scbeffer Boichorst (des. Schriften II, 336) die Nürnberger Kur
Friedrichs erkannt.
') In einem Briefe an den Bischof von Vercelli aus dem Jahre 1206,
der als normativ ins Corpus iuris (c. 10 X 2, 2 de foro competenti) auf-
genommen ist, schreibt der Papst, die Bürger hätten sich über Bedrückung
durch ihre Konsuln beklagt und fährt fort: Liceat tarnen ipsis, qui sub
eiusdem consulibus taliter duxerint contendendum, si se in aliquo senserint
praegravari, ad tuaw, sicut bactenus servatum est, vel ad nostram, si
maluerint, audientiam appellare, hoc praesertim tempore, quo vacante
imperio ad iudicem saecularem recurrere nequeont.
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55
Das gleiche Verfahren wurde naturgemäss auch Friedrich II.
gegenüber befolgt. Ihm aber musste man besondere zu ver-
stehen geben, dass er hinsichtlich Italiens von der Kurie völlig
abhängig sei, weil er König von Sizilien war und die Kurie
eine abermalige Vereinigung Siziliens mit dem Reiche um keinen
Preis zugeben konnte.1) Vorläufig mochte Friedrich auf sein
Königreich nicht verzichten: wenn er später sich weigern würde,
nun, dann konnte man ihn des Kaisertums und seiner Dependenzeu
entsetzen.
Indem Friedrich die Herrschaft als „electus in imperatorem“
antrat, erkannte er die kurialistische Rechtsauffassung an.
Zwar war er von deutschen Fürsten dem Namen nach zum
Kaiser, der Sache nach zum Könige erkoren worden, doch
musste er sich damals der Kurie unbedingt fügen. Für sie kam
es zunächst vor allem darauf an, dass er in Italien, wo Otto IV.
mit grosser Macht stand, an möglichst vielen Orten als Herrscher
angenommen würde. Dabei sollte er nun überall als erwählter
Kaiser auftreten, als solcher, nicht als König, Gehorsam fordern
und somit die Anschauung festigen und weiterverbreiten, dass
über Italien nur ein von der Kurie approbierter Kaiser zu ge-
bieten habe. Ebendeshalb Hess ihn auch Innoccnz von den
Römern zum Imperator erwählen.
Erst als Friedrich in Deutschland angelangt, hier die
Mehrzahl der deutschen Fürsten ihm zugefallen war und ihn
erwählt hatte, konnte er wieder nach alter Weise als römischer
König in allen Teilen des Reiches Gehorsam verlangen. Bei
dieser zweiten Wahl scheint man denn auch, wie um gegen
die kuriale Ansicht zu protestieren, mit einem gewissen Nach-
druck betont zu haben, dass es sich um eine Königswahl
handle.2) Es mag dies als ein weiteres Symptom dafür ange-
sehen werden, dass im Kreise der Reichsfürsten die fränkisch-
') Uierzu vgl. Rodeuberg a. a. 0. S. 34 ff.
*) Vgl. wag der Hofkanzler Konrad von Speyer an den König von
Frankreich (Keg. imp. V, nr. ß»2; Huillard-lireliolle«, Higtoria diplomatica
Friderici II., T. II, p. v.'iO und dazu Rodenberga Bemerkungen a. a. O.
S. 38) gchreibt: Nos . . . F. Romanorum imperatorem electum ... in
dominum et regem Romanorum uniformiter clegimus; ... ab arcbiepiscopo
Sloguntino ... in Romauorum regem est solempnisgime, prout deeuit et
oportuit, coronatus.
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deutsche Rechtsauffassung — wie wir schon so oft bemerkten
— trotz aller Angriffe im Kerne nicht erschüttert worden war.
Wir wenden uns der Wahl Heinrichs (VII.), des ältesten
Sohnes Friedrichs II., zu (1220). Von ihr ist sehr wenig zu
berichten. Zwar erscheint Heinrich in einer bald nach der
Wahl ausgestellten Urkunde seines Vaters als „erwählter
römischer Kaiser“.') Doch ist dieser Fall, soviel ich sehe,
durchaus vereinzelt, sonst heisst Heinrich bis in den Dezember
des genannten Jahres, wo er — wohl durch die Nachricht von
der Kaiserkrönung Friedrichs veranlasst*) — sich König der
Römer und „semper augustus“ zu nennen begann, stets nur
„in Romanorum regem electus“. Man bezeichnetc damals
mitunter den König als imper&tor, ohne immer damit aus-
di ticken zu wollen, dass das Kaisertum etwas vom Königtum im
Weseu verschiedenes sei. Den thatsächlichen Charakter der
Wahl hat Friedrich nicht verändern können. Bei der Kur von
1220 wurde nämlich das bevorzugte Wahlrecht, das sich seit
1198 einige Fürsten zuschrieben, wie es scheint, anerkannt.'1)
Da aber diese Gruppe in der Hauptsache von don rheinischen
Erzbischöfen gebildet wurde, die am allerwenigsten Anlass
hatten, eine Veränderung des Reichsrechts, durch welche das
Ansehen der Königseinsetzung bedroht wurde, zu wünschen,
da weiterhin Friedrich ganz von dem guten Willen seiner Fürsten
abhängig war, so ist nicht anzunehmen, dass damals von seiner
Seite irgend ein Reformversuch gemacht worden ist. Heinrich
wurde nach alter Weise zum Könige erwählt.
II.
Dagegen tritt bei der folgenden Wahl, bei der Konrads IV.
im Jahre 1237, der Gedanke der „electio in imperatorem“ aufs
allerdeutlichste hervor. Hier hat Friedrich II. den Versuch
Heinrichs VI. insofern erneuert, als auch er das deutsche König-
tum beseitigen und durch das römische ersetzen wollte. Die
Wahl konnte er allerdings nicht mehr abschaffen, doch hat er
eine Reform derselben angestrebt und dadurch den Uebergang
zum Erbkaisertum wenigstens vorbereitet.
') Reg. imp. V, nr. 3849 f.
2) Ibid. nr. 3853.
3) Vgl. Krammer ». n. O. 8. 41 ff. 53.
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In dem Wahldekret1) von 1237 heisst es, dass das Recht,
einen römischen Kaiser zu wählen, früher beim Senat der Stadt
Rom gewesen, nun aber auf die deutschen Fürsten übergegangen
sei, „ut ab illis origo prodiret imperii, per quos eiusdem utilitas
et defeusio procurantur“. Diese haben beschlossen: Da Friedrich,
der regierende Kaiser, in Nacheiferung der früheren Cäsaren,
sich die grössten Verdienste um das Imperium erworben habe,
wollen sie ihn durch eine Wahl seines Sohnes zu seinem Nach-
folger ehren, ut, dum filium eius ex nunc in futurum irnpera-
torem nostrum post eius mortem assumimus, iuste pro
imperio pater hactenus laborasse se gaudeat. Sie haben daher
auf Wunsch und Bitte des Vaters den Sohn erwählt: in
Romanorum regem et in futurum imperatorem nostrum post
obitum patris habendum. Sie schwören dem Vater: quod
prefatum Conradum a uobis in regem electum post mortem
prenominati patris sui dominum et imperatorem nostrum
habebimus, eidem in omuibus, que ad imperium et ius
imperii pertinent, intendentes sibique iurabimus fidelitatem,
eidem, prout est moris et iuris imperii, sacramenta prestantes
ac ad obtinendum solemniter imperii diadema sibi, prout de
iure tenemur, consilium et auxilium impendemus.
Dass es sich hier um eine Kaiserwahl handelt, kann wohl
keinem Zweifel unterliegen. Wird doch das Recht der Fürsten
zur Wahl des Reichsoberhauptes, obwohl es historisch aus ganz
anderer Wurzel erwachsen war, auf ein angebliches Wahlrecht
des römischen Senats, das auf jene übergegangen sei, zurüek-
gefuhrt. Wie wir wissen, schrieben sich damals Senat und
Volk der Stadt Rom als Nachfolger des alten Senats, der alten
Bürgerschaft das Recht der Kaiserwahl zu. Da aber nach
deutscher Auffassung, wie sie in der schon oben berührten
Stelle des Otto von Freising hervortritt, das Imperium mit allen
seinen Institutionen auf die Deutschen überging, so sind als
Nachfolger des Senats die ersten Ratgeber des deutschen
Kaisers, die Fürsten, zu betrachten.2) Sie allein können daher
auch den Imperator erwählen.
l) MG. Coiiät. II, p. 439, nr. 329.
*) Otto von Freising lässt den König Friedrich I. zur Stadt Rom
sprechen: Non cessit nobia nudum imperium. Virtute sua amictuin venit.
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öS
Friedrichs Sohn Konrad sollte also einstweilen römischer
König sein, mit dem Tode des Vaters aber sofort an dessen
Stelle als römischer Kaiser treten. Erst dann sollte er ein
eigenes Recht auf Herrschaft haben und kraft desselben Ge-
horsam fordern dürfen; entsprechend erklären die Fürsten, sie
würden ihn dann für ihren Herrn halten und ihm in allen
Reichsangelegenheiten (in omnibus, que ad imperium et ius
imperii pertinent) zu Diensten sein. Von Verpflichtungen der
Fürsten gegen ihn als König ist keine Rede. Hierzu kommt,
dass Konrad auch nicht zum Könige gekrönt und nicht investiert
worden ist; sein Titel war und blieb: „Erwählter römischer
König“. Er hat sonach niemals das Königtum rechtlich in Besitz ge-
nommen und konnte daher auch nicht auf Grund seiner Königs-
würde irgendwelche Rechte beanspruchen; seine Befugnis zur
Regierung als König stammte vielmelir allein aus der Hand des
Kaisers her, dessen Statthalter in Deutschland er war.
Solange Friedrich lebte, waren die Fürsten ihm, dem Kaiser,
verpflichtet, damit aber ohne weiteres auch jedem, den er
für sich regieren liess; dem Statthalter des Kaisers konnten sie
nicht ebenso wie diesem selbst Treue schwören.
Das Königtum Konrads IV. war also keine bodenständige,
sondern nur eine vom Kaisertum abgeleitete Gewalt, gerade so
wie es einst das Königtum Heinrichs VI., Friedrichs II. und
Philipps gewesen war. Es war kein deutsches. Sondern ein
in wahrem Sinne römisches Königtum; Heinrich VI. und Philipp
von Schwaben hatten sich nicht als deutsche Könige, sondern
Unterkaiser, als Cäsaren betrachtet. Die schon bei Friedrich I.
begegnende Tendenz,1) den Charakter des Königtums zu ver-
ändern, lebte im Jahre 1237 wieder auf. Ein alter Plan des
Stauferhauses schien seiner Verwirklichung nahe zu sein. Im
Einverständnis mit den Fürsten wurde das Reich als ein
kaiserlicher Staat konstituiert, in dem allein ein Imperator zur
Regierung berechtigt sein sollte.
Ornaments sua secam traxit. Penes nos sunt consules tui. Penes uns est
senatus tuus. Penes nos est miles tuus. Proceres Francorum ipsi te
consilio regere, equites Francorum ipsi tuam ferro iuiuriam propellere
debebunt. Eil. Q. Waitz p. 110. 3. oben 3. 4, Aum. 2 dieses Buches.
’) Vgl. oben S. ftf.
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59
Was aber ist für Friedrich die Veranlassung gewesen,
diese Reform in die Wege zu leiten? Der Hinweis auf seine
Vorliebe für die Hoheit des römischen Kaisertums kann nicht
genügen. Es gilt ein realeres Motiv zu suchen.
Zwischen Friedrich und Konrad sollte ein klares Rechts-
verhältnis geschaffen werden, wie es zwischen Friedrich und
Heinrich (VII.) nicht bestanden hatte. Daraus hatten sich
mannigfache Misshelligkeiten zwischen Vater und Sohn ergeben,
die endlich zu einem völligen Bruch und zum Kriege zwischen
beiden geführt hatten.
Heinrich war gekrönt und investiert worden und obwohl
er von dem so erworbenen Regierungsrecht nur kraft der
ihm vom Vater erteilten Erlaubnis Gebrauch machte, so war
doch unter ihm von Anfang an das selbständige Herrscherrecht
des Königs, das diesem eine eigene Gewalt neben der des
Kaisers lieh, aufs deutlichste betont worden. Schon die
Regentschaft, welche in den ersten Jahren des jungen Königs
die Herrschaft führte, hatte das gethan. Obwohl Heinrich das
Recht zur Erteilung von Belehnungen, wie er selber später
(1234) sagte, nur der Gnade des Vaters verdankte,1) so teilte
doch die Reichsregierung dem Kaiser unter Heinrichs Namen
mit, eine Belehnung sei „tarn nostra quam vestra auctoritate“
erfolgt (122I).2) Ferner bestätigte Heinrich (1232) den Bürgern
von Worms aus königlicher Gewalt und nach der Er-
mächtigung, die er von seinem Vater neuerlich dazu erhalten
habe, alle Privilegien seiner Vorfahren am Reiche.3) Besonders
klar hat einmal der Pfalzgraf bei Rhein die beiden Grund-
elemente der Macht Heinrichs dargelegt. Der König erklärt,
jener sei auf einem Reichshofe (1228) vor ihn getreten:
recognosccns nos coram maioribus regni nostri ex mandato
serenissimi domini imperatoris, patris nostri, et ex nostra
electione regia ius habere imperii administrandi, dignos feodis
infeodandi etc.4)
*) Vgl. MG. Conat. II, p. 432, nr. 322, $ 7.
s) Reg. imp. V, nr. 3869. Vgl. R. Boerger, die Beiebnungen der
deuteeben geistlichen Fürsten (Leipziger Studien a. d. Gebiet d. Gesch. VIII,
1), S. 63.
^ Reg. nr. 4245.
4) Reg. nr. 4110; Bühmer, Acta imperii S. 283.
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60
Unter solchen Umständen war für Heinrich die Versuchung
nahegerückt, jeden Eingriff Friedrichs als eine Verletzung der
Hoheit seines Königtums zu betrachten, wiewohl doch anderer-
seits der Kaiser unmöglich auf seine oberste Verfügungsgewalt
über Deutschland verzichten konnte. Wie Heinrich selber die
Dinge ansah, ergiebt sich aus seiuem Rechtfertigungsschreiben
an den Bischof Konrgd von Hildesheim1), in dem er auseinander-
setzt, wie sehr er zum Wohle des Reiches lind zur Vermehrung
des Ruhmes und der Ehre seines Vaters beigetragen, wie dieser
aber, statt ihm zu danken, unaufhörlich in sein Regiment ein-
gegriften habe. Berechtigte und nützliche Verfügungen von ihm
habe Friedrich aufgehoben und seinerseits Bestimmungen ge-
troffen, denen er, Heinrich, nur gezwungen zugestimmt habe.
Auch habe der Kaiser Verläumdem sein Ohr geliehen und
ihnen Widerrufsbriefe über königliche Regicrungshandlungen ge-
geben. Heinrich ersucht endlich den Bischof, gleich anderen
Fürsten zwischen ihm und dem Vater vermitteln zu wollen; sie
möchten mit ihm den Kaiser bitten: quod honorem nostrum,
quem de gratia Dei omnipotentis et sua habere dinoscimur,
in nullo diminuat et immutet.
Hier tritt uns ein starkes Verlangen nach möglichst
selbständiger Führung der Herrschaft entgegen, welches ge-
tragen wird von dem Bewusstsein, dass diese Herrschaft ihrer
Natur nach auf eine gewisse Selbständigkeit Anspruch erheben
kann. In diesem Verhältnisse des Sohnes zum Vater, dem jener
teils abhängig, teils eigenmächtig gegenüberstand,'-') lag von
vornherein der Keim eines Zwistes.
In Heinrich (VII.) begegnet uns also ein Staufer, der für
die Unabhängigkeit des Königtums vom Kaisertum eingetreteu
ist. Natürlich ist ihm dieser Gedanke von der Regentschaft
anerzogen worden; an ihrer Spitze stand Engelbert, der als
Erzbischof von Köln in besonderem Masse derartigen Ideen zu-
geneigt sein mochte.
I
') 1234. Sept. 2. MG. Const. II, p. 431, nr. 322.
*) So ist das Verhältnis auch von Ficker, Engelbert der Heilige
(1853), S. 106. 107 und besonders S. 109 dargelegt worden. Die Ansicht
Winkelmanns (Forsch, z. deutschen Gesch. I, 8. 21 ff), dass Heinrich ganz
unselbständig gewesen sei, steht meines Erachtens nicht im Einklang mit
dem, was uns die Urkunden über das Wesen seines Regiments berichten.
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Der alte Zustand sollte im Jahre 1237 nicht wieder
von neuem begründet, vielmehr der Wiederkehr störender Miss-
helligkeiten zwischen Vater und Sohn vorgebeugt werden.
Unmöglich konnte es weiterhin noch unter der obersten, kaiser-
lichen Gewalt eine Sondergewalt kraft eigenen Rechts, ein
deutsches Königtum, geben. Daher wurde der Charakter des
Königtums umgedeutet, aus dem freien deutschen ein vom
Kaisertum abhängiges römisches Königtum gemacht, so dass in
Zukunft Friedrich allein als Herrscher kraft eigenen, Konrad
dagegen nur als solcher kraft abgeleiteten Rechts auftreten
konnte. Als Statthalter des Augustus, als Cäsar beherrschte
er Deutschland. Er hatte kein Recht, in höherem Masse als
jener für gut befand, Selbständigkeit zu beanspruchen.
Hand in Hand mit dieser reichsrechtlichen Reform ging
eine zweite, die mit ihr aufs engste Zusammenhänge
Bei der Wahl von 1237 erscheinen zum ersten Male die
Mitglieder des jüngeren Reichsfürstenstandes als alleinberechtigt.1)
Genannt sind in dem Wahldekret eine Anzahl Erzbischöfe und
Bischöfe, ferner von Laien der Pfalzgraf bei Rhein, der König
von Böhmen, der Landgraf von Thüringen und der Herzog von
Kärnthen. Von den späteren Kurfürsten stehen die Erzbischöfe
von Mainz und Trier — Köln war gerade ledig — dabei zwar
an erster Stelle und, was mehr besagen will, unter den Laien
ist der Pfalzgraf als vornehmster sogar dem Könige von Böhmen
vorangestellt, doch mehr als dieser Rangvorzug wird ihnen nicht
eingeräumt. Sie treten keineswegs — wie sich das bei der
Wahl von 12202) und weit deutlicher bei der von 12473) be-
obachten lässt — auch hier als „electores“ den gewöhnlichen
„principes“, die nur ein Recht der Zustimmung zu der Wahl
jener vier haben, gegenüber. Vielmehr heisst es, dass alle ein-
mütig Konrad gewählt haben. Dementsprechend hat Friedrich
auch späterhin daran festgehalten, dass allen Fürsten das Wahl-
recht gleichmässig zustehe.4)
*) Vgl. G. Seeliger in den Mitt. d. Inst. f. oesterr. Gesell. Bd. 16.
S. 88 ff.
*) S. oben S. 56.
3) Krnmmer, Wahl und Einsetzung S. 93.
*) Vgl. L. Weiland in den Forschungen z. deutschen Geschichte Bd. 90,
S. 336 ff.
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Ich möchte vermuten, dass es dieser Neuerung bedurfte, um die
Umwandlung der Königs- zu einer Kaiserwahl überhaupt durch-
führen zu können. Denn wäre Friedrich unter Anerkennung der be-
vorzugten Stellung der drei Erzbischöfe mit seinem Ansinnen
an Mainz und Trier herangetreten, so hätten sie es ohne Frage
zurückgewiesen, weil dadurch ja das Königtum ausgeschaltet
und damit der durch einen von ihnen oder besser durch den
Kölner unter ihrer Assistenz zu vollziehenden Aachener Krönung
jede Bedeutung genommen wurde. Sie hätten sich sagen müssen,
dass in Zukunft — mochten sie auch noch so stark betonen,
dass ihnen ein besseres Wahlrecht zukomme — seitens der Kaiser
darauf keine Rücksicht genommen zu werden brauchte, da
nicht mehr wie ehedem eine von ihnen zu vollziehende Krönung
notwendig zum Antritt des Herrscheramts gehörte, da man
ihrer Mitwirkung nicht mehr bedurfte, um ein Herrscherrecht
zu begründen. Ihr Krönungsrecht und ihre Sonderstellung bei
der Kur bedingten einander.
Die übrigen Wähler, geistliche und weltliche, waren am
Fortbestände der Krönung und des Königtums viel weniger
interessiert. Ihr Wahlrecht wurde keineswegs gefährdet, viel-
mehr im Gegenteile ausdrücklich anerkannt, dass von ihnen
alle Macht des Kaisers ausginge, und es mochte ihrem Ehrgeize
schmeicheln, Wähler des Kaisers zu sein. Da das Wahlrecht
jetzt nur noch wenigen zustand, so war zu erwarten, dass diese
unter sich keine bevorrechtete Sondergruppe wieder aufkommen
lassen würden. Der Wert einer Wablstimme war gestiegen.
Nach allem ist zu sagen: Bei der Wahl von 1237 wurden
die rheinischen Erzbischöfe offenbar „majorisiert“. Es blieb
ihnen angesichts der Einigkeit, die zwischen dem mächtigen
Kaiser und der Mehrzahl der grösseren Fürsten bestand, nichts
übrig, als sich einstweilen zu fügen.
Friedrich II. hatte von der Macht des Kaisertums die
denkbar höchsten Anschauungen.1) Neben ihr konnte eine
Sondergewalt kraft eigenen Rechts, wie.es das deutsche Königtum
war, nicht bestehen. Im Laufe der Regierung Heinrichs (VII.)
hatte sich ergeben, dass diese theoretische Forderung auch
praktisch eine richtige war. Das haben offenbar auch die
') Vgl. auch Hampe9 Ausführungen in der Hist. Zeitschrift Bd. 8H, S. 13.
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63
Fürsten eingesehen; freilich musste Friedrich die bevorzugte
Stellung, welche die rheinischen Erzbischöfe seit 1198 bei der
Wahl hatten, vorerst beseitigen, ehe er seinen Reform plan
durchführen konnte. Dass der Erzbischof von Köln — dem in
dieser Politik sich anzuschliessen der Trierer und der Mainzer
geneigt, ja genötigt waren — der gegebene Gegner der Idee des
Kaisertums war, haben wir schon oben genugsam erkannt.
Für Konrad kam daher wie für Philipp als rechtlich
relevant nur die römische, keine deutsche Krönung in Betracht.
Während aber Philipp sich dieser dennoch hat unterziehen
müssen, ist Konrad auch nach Friedrichs Tode in Deutschland
nicht gekrönt worden, sondern gleich nach Italien gezogen.
Dagegen ist er von seinem Vater in aller Form zum Erben im
Kaiserreich eingesetzt worden; wir finden im Testamente1)
Friedrichs II. folgenden Satz:
Statuimus itaque Conradum Romanorum in regem electum
et regni Hierosolomitani heredem, dilectum filium nostrum, nobis
heredem in imperio et in omnibus aliis empticiis et quoquo-
modo acquisitis et specialiter in regno nostro Sicilie.
Konrad soll also das Kaiserreich samt allem Hinzugekanften
oder sonstwie Hinzuerworbenen, worunter im Besonderen Sizilien
verstanden ist, erben.
Diese Erbeneinsetzung ist kein bedeutungsloser Akt; im
Gegenteil, wir gelangen von hier aus erst zum völligen Ver-
ständnis der politischen Ideen Friedrichs II.
In dem über Konrads Wahl ausgestellten Dekret war aufs
rückhaltsloseste anerkannt worden, dass allein die Fürsten über
die Nachfolge im Reiche zu bestimmen hätten, und ihre Macht
und Herrlichkeit in den tönendsten Worten gepriesen worden.
Doch es waren nur Worte; thatsächlich suchte Friedrich in
geschickter Weise ihren Händen das Recht zu entwinden, indem
er es von vornherein unmöglich machte, dass der König
investiert wurde. Der Kaiser allein machte ihn zum Herrscher.
Konrad sollte in ganz anderer Weise als Heinrich vom Vater
abhängig sein. Daher empfing er die Herrschaft über Deutsch-
land allein von diesem, und infolgedessen übergab ihm Friedrich
später ganz in derselben Weise auch das Imperium überhaupt.
>) MO. Gönnt. II, p. 8S5. nr. 274.
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04
Diese Art der Uebertragung entsprach gewiss allein dem
imperialistischen Sinne Friedrichs. Der Kaiser sollte kraft
seiner Allgewalt den Nachfolger ernennen und der Hochadel
des Reichs sich der kaiserlichen Entschliessung bereitwilligst
unterwerfen. Nach diesem Ziele lenkte er die Entwicklung
energisch hin und er hat vielleicht den Zeitpunkt, wo dies Ideal
verwirklicht sein würde, als einen nicht allzu fernen betrachtet.
So sehen wir, hat Friedrich II. nicht minder als Heinrich VI.
und Philipp danach getrachtet, die Königseinsetzung zu be-
seitigen; mit ihr hätte die Wahl Kraft verloren.
Der Reformplan Friedrichs scheiterte ebenso wie der
seines Vaters. Die führenden Männer der Folgezeit waren
gerade diejenigen, gegen welche die Staufer am eifrigsten ge-
kämpft hatten, die rheinischen Erzbischöfe. Sie haben Gegen-
könige aufgestellt, welche die Ueberhand über das Stauferhaus
in Deutschland gewannen. Sie schlossen sich bald darauf mit
einigen anderen Grossen zum Kurfürstenkolleg zusammen, das
dann von entscheidendem Einfluss auf die Reichsgeschicke
wurde. Damit war der Sieg der fränkisch-deutschen Königsidee
entschieden; das Kaisertum entschwand in den Jahrzehnten von
der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ab den Fürsten Deutsch-
lands in weitere Fernen.
Erst unter Kaiser Ludwig dem Baiern trat es wieder in
ihre greifbare Nähe. Davon ist hernach zu handeln, zuvor
aber muss einer sehr merkwürdigen Nachwirkung der
staufischen Ideen noch eingehender gedacht werden.
Es handelt sich dabei um ein von dem Kanonisten Heinricus
de Segusio und von Lupoid von Bebenburg verwertetes Weistum,
das K. Zeumer ermittelt hat und das nach den überzeugenden
Ausführungen1) des Letzteren im Frühjahr 1252 zu Braunschweig
von den Fürsten gefunden worden ist. Es lautet:
Rex autem Romanorum ex quo electus est in concordia,
eandem potestatem habet quam et imperator nec dat ei
inunctio imperialis nisi nomen.
Die Veranlassung zur Findung dieses Weistums war folgende:
Dem Könige Wilhelm von Holland hatten sich einige Fürsten nicht
') Neues Archiv der Gesellschaft für ült. deutsche Gesell. XXX,
403—415.
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05
unterwerfen wollen und ihren Widerstand offenbar damit be-
gründet, dass sie nicht verpflichtet seien, ihre Lehen von einem
Könige zu nehmen. Erst als das Weistum ergangen war,
nahmen sie, wie es in der Erfurter St. Peterschronik1) heisst,
die Lehen von ihm „sicut a Romanorum imperatore“. Ihre
Weigerung erklärt Zeumer daraus, dass sie, seit langem daran
gewöhnt, von dem Kaiser Friedrich und seinen für ihn regierenden
Söhnen belehnt zu werden, einen blossen Köni£ nicht als rechten
Herrn über sich betrachten mochten.2} Doch kann man dem
meines Erachtens entgegenhalten, dass der Gedanke, ein König
sei als solcher berechtigt Lehen zu erteilen, doch nicht so ohne
weiteres erlöschen konnte. Noch Heinrich (VII.) hatte kraft
königlicher Autorität Lehen erteilt, König Konrad dann freilich
nur als Beauftragter seines Vaters gewirkt, aber es war doch
immer so gewesen, dass nach dem Tode eines Kaisers zunächst
ein König in Deutschland gebot. Die Behauptung jener Fürsten
erscheint demnach als reichlich kühn.
Wie wir früher dargelegt haben, hatte man auf fürstlicher
Seite ehedem, zur Zeit des Thronstreites etwa, den von den
Staufern aufgebrachten Gedanken der „electio in imperatorem“
übernommen, ohne darum an dem deutschen Grundcharakter
der Verfassung irre zu werden, woraus sich natürlich eine unklare
Staatsanschauung ergab. Unter König Wilhelm aber leugneten
die Fürsten die Zuständigkeit des deutschen Königtums überhaupt ;
sie verwarfen vollkommen diese Institution zu Gunsten des
Kaisertums. Dieser Radikalismus entsprach durchaus der Ent-
wicklung, welche die Idee des Kaisertums mittlerweile in
Deutschland durchgemacht hatte. Kaisertum und Königtum
waren unter Heinrich (VII.) miteinander in Konflikt geraten;
neben der allumfassenden und allbeherrschenden Gewalt des
Augustus konnte es fürder keine zweite Macht kraft eigenen,
nicht abgeleiteten Rechts, kein deutsches Königtum, nur noch
ein Unterkaisertum geben. Die Art, wie die Wahl Konrads IV.
im Jahre 1237 vorgenommen wurde, zeigt, dass damals mit dem
Gedanken des deutschen Königtums völlig gebrochen wurde.
') Mou. Erphesfurtensia eil. O. Holder-Egger p. 247.
s) A. a. O. S. 409.
K ramm Pr, <lor Npirh^prlnnkf' «W «ttnnfi^-hon KarcrJiau^ps
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06
Andererseits aber erheischte das Interesse der rheinischen Erz-
bischöfe gebieterisch ein Festhalten an der Idee des bodenständigen
Königtums. Daher stellten sie den Staufeni einen König wie
Wilhelm von Holland entgegen, der in alter Weise investiert
wurde und demnach für diejenigen, welche an dem staufischen
Reformplan festhielten, der Vertreter einer mit der Reichsgrund-
gewalt, mit dem Kaisertum, konkurrierenden, daher gefährlichen
und vor Kurzem erst beseitigten Staatsidee war. Nur Konrad IV.,
bezüglich dessen man 1237 ausdrücklich übereingekommen war,
ihn nach Friedrichs II. Tode (1250) als den neuen Kaiser
betrachten zu wollen, der nicht wie Wilhelm kraft königlichen,
sondern allein kraft kaiserlichen Rechts im Sinne des neuen
Reichsgedankens regierte, konnte für die Imperialisten der
gegebene Herrscher sein. Doch hielten sie es für ratsamer,
statt sich zu einem fernen, in Deutschland wenig mächtigen und
vom Papste gebannten Herrscher zu bekennen, sich hinter ihrer
Staatsauffassung, der Wilhelms Auftreten widersprach, zu ver-
schanzen.
Das energische Vorgehen Friedrich II. hatte den Zwiespalt
beseitigen sollen, der unter den früheren Staufern dadurch ent-
standen war, dass zwar die Idee des Kaisertums in den Vorder-
grund geschoben, jedoch die des deutschen Königtums — wenn man
von dem Versuche Heinrichs VI. absieht — nicht radikal aus-
gerottet worden war. Nur Heinrich VI. und Friedrich II.
haben, jener für ganz kurze, dieser für etwas längere Zeit,
einen klaren Rechtszustand geschaffen. So reiht sich der
Reformversuch Friedrichs würdig dem Heinrichs an.
Auf die weitere Entwicklung des Reichsrechts hat das
Braunschweiger Weistum keinen Einfluss ausgeübt; dort herrschten
andere Gedanken. Ein tragisches Geschick aber hat es gefügt,
dass die Idee, die Friedrichs Tod überlebte, nun als eine furcht-
bare Waffe überging in die Hände seiner Feinde, der Päpste;
und hierbei scheint das Braunschweiger Weistum der Uebergang
der Idee von dem einen ins andere Lager vermittelt zu haben.
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67
Drittes Kapitel.
Die Einwirkung des stautischen Reichsgedankens auf Doktrin
und Politik der römischen Kurie.
Nicht nur die Staufer, auch die Päpste des dreizehnten
und vierzehnten Jahrhunderts haben eine Reform der Reichs-
verfassung angestrebt. Wie jene haben auch diese in ihr den
Gedanken des Kaisertums rein durchzuführen, die ihm zuwider-
laufende Idee eines daneben kraft eigenen Rechts bestehenden
deutschen Königtums zu beseitigen gesucht. Erst um die Mitte
des dreizehnten Jahrhunderts wagt sich aber die päpstliche
Politik so weit vor, und die Anregung hierzu scheint sie durch
Uebernahme des stanfischen Reformgedankens erhalten zu haben.
Vergleichen wir das Vorgehen Innocenz’ III. gegenüber dem
Reiche mit dem Bonifaz’ VIII.
Nur insofern als der deutsche König Kandidat für das
Kaisertum war, konnte Innocenz1) beanspruchen, seine persön-
lichen Eigenschaften und den Verlauf der Wahl zu prüfen, um
jenen zu bestätigen oder zu verwerfen. Das Kaisertum, ein halb
geistliches, halb weltliches Amt, gehörte in den Machtbereich
der Kirche; hätte diese Brücke zwischen ihr und Deutschland
nicht bestanden, so wäre sie keinenfalls befugt gewesen, sich
in die deutschen Wahlhändel zu mischen. Dementsprechend
erhielten Otto IV. und Friedrich II. von der Kurie mit der
Bestätigung den Titel eines „erwählten römischen Kaisers“ zu-
erkannt und sind von ihr auch weiterhin — bis zur Kaiser-
krönung — stets so genannt worden.2) Dass sie ausserdem
noch Könige waren, ging die Kurie nichts an, allein ihr Anrecht
auf das Kaisertum sollte durch die Bestätigung festgestellt
>) Hinsichtlich der Anschauungen Innocenz' III. und Bonifaz' VIII.
kann ich auch auf meine Untersuchung Uber den .Einfluss des Papsttums auf
die deutsche Königswahl“ (Rechtsgeschichte des Kurftirstenkollegs I. Phil.
Diss. Berlin 1903) verweisen. Die im folgenden gegebene Darlegung der
Art, wie sich der Uebergang von den Ansichten des früheren Papstes zu
denen des späteren vollzogen hat, findet sich dort aber noch nicht. Sie
konnte ich erst im Anschluss an die Zeumersche Entdeckung des Weistums
von 1262 und meine Untersuchungen Uber die staufische Kaiseridee geben.
*) Vgl. Rodenberg, Ueber wiederholte deutsche Königswahlen S. 36.
6*
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08
werden. Da man päpstlicherseits Italien als Dependenz
des Kaisertums betrachtete und hier nur einen Kaiser als be-
rechtigten Herrscher ansah, so war es konsequent, wenn
Innocenz noch zur Zeit, als Otto IV. schon bestätigt war, von
einer Vakanz des Reiches (s. oben S. 54) sprach. Er war
zwar erwählter, doch noch nicht gekrönter Kaiser. Ebenso
sollte ja auch Friedrich als Kaiser, nicht als König in Italien
auftreten. Wenngleich das Königtum dem Namen nach ein
römisches war wie das Kaisertum, so herrschte doch im Süden
damals durchaus die Vorstellung, dass jene Würde ihrem Wesen
nach eine deutsche sei, die an sich mit Rom, Italien und dem
Kaisertum garnichts zu thnn habe.
Ganz anders ist das Vorgehen Bonifaz’ VIII. gegenüber
König Albrecht I. Jetzt hängt auch die königliche Gewalt in
Deutschland vom Papste ab; er bestreitet ausdrücklich, dass
durch die Wahl ein Recht zur Führung des königlichen Titels
und zum Antritt der Regierung in jenem Lande gewonnen
werde, dies verleihe vielmehr erst der Papst durch seine
Approbation.1)
Es fragt sich, wie und wann der Uebergang von dem
Standpunkt Innocenz' III. zu dem Bonifaz’ VIII. vollzogen
worden ist?
Der Charakter des Romanorum rex muss sich in der
Zwischenzeit verändert haben. Wäre dieser auch zur Zeit
Bonifaz’ nichts als der deutsche König gewesen, ein rein welt-
licher Herrscher, so hätte der Papst doch wohl nicht so nach-
drücklich dessen völlige Abhängigkeit vom apostolischen Stuhl
verkündigt, da er sie juristisch kaum hätte begründen können.
Vielmehr hätte ein solches Hinübergreifen in weltliche Dinge der
kurialistischen Doktrin von den zwei Gewalten geradezu wider-
sprochen.2) Bonifaz’ Vorgänger müssen die Lehre Innocenz* III.
gew'andelt, müssen den Boden bereitet haben, von dem aus
Bonifaz VIII. und Johann XXII. ihre kühnen Angriffe gegen
Deutschland unternehmen konnten.
■) Vgl. Krammer a. a. 0. S. 31.
s) Vgl. Hostiengig lecturn »uper II. 1. decretalium c. Novit.: „Juris-
dictionen] nostram* per hoc qnod dicitur hie patet, qnod papa non habet
utrnmqne gladium et qnod iurisdictioneg sint diatincte. Freilich
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69
Als ein Vorgänger Bonifaz’ VIII. kann in dieser Beziehung
Kaiser Friedrich II. angesehen worden. Dank seinen Be-
mühungen wurde das Königtum für kürzere Zeit ein seines
deutschen Gehalts beraubtes, vom Kaisertum allein hergeleitetos
und abhängiges Institut. Dem Schützling der Kurie, Wilhelm
von Holland, gegenüber, der wieder als ein König der älteren
Art auftrat, beriefen sich einige Fürsten darauf, dass sie nur
dem Kaisertume unterworfen seien. Sie erkannten Wilhelm erst
an, nachdem sie zuvor in Braunschweig durch ein Weistum fest-
gestellt hatten, dass der einhellig erwählte römische König die-
selbe Macht habe wie der Kaiser und die Salbung ihm nur
einen Namen gebe. Sie unterwarfen sich nicht den Staats-
anschauungen der rheinländisch-kurialistischen Partei des Königs,
sondern hielten am staufischen Reichsgedanken fest.
Für sie beruhte die Gewalt im Reiche auf der Idee des
Kaisertums; es musste in Braunschweig also von ihrer Seite
ausdrücklich erklärt werden, dass ein König einem Kaiser gleich-
zuachten sei. So wurde die Wesensgleichheit von römischem
Königtum und Kaisertum verkündet, jenem sein historischer Inhalt
genommen und es, ganz in staufischem Sinne, zu einer blossen
Vorstufe des Kaisertums gemacht. Gegen das Weistum haben
auch gleich darauf zu Frankfurt der Kölner Erzbischof und
andere geistliche Fürsten protestiert, indem sie erklärten,
dass Wilhelm rein als erwählter und zu Aachen gekrönter
König sein Regierungsrecht habe.1} Es sollte verhindert
werden, dass sich die staufische Staatsauffassung von neuem
wieder einschlich. Die ihr entgegengesetzte, in der Protest-
kundgebung niedergelegte Anschauung ist für Deutschland die
herrschende geblieben. Sie begegnet auch in dem Weistum,
das uns in der Bulle Qui celum Urbans IV. von 1263 erhalten
ist,2) in dem selber wieder die Frankfurter Erklärung benutzt
hatte Innocenz III. der Kurie ein ziemlich weitgehendes Recht zum Ein-
greifen in weltliche Dinge zugewiesen, doch musste dasselbe stets durch be-
sondere Umstände motiviert sein, auch wurde dadurch die prinzipielle Unab-
hängigkeit des Staats von der Kirche nicht angetastet. Vgl. Scholz,
Publizistik zur Zeit Philipps des Schönen (Stuttgart 1903), S. 84 ff.
') MG. Con8t. II, p. 466, nr. 359. Zeumer, Quellensammlung S. 77, nr. 66.
a) MG. Const. II, p. 525 f., nr. 405, Abs. 5 — 7. Zeumer, a. a. 0.
S. 88, nr. 74, Abs. 5—7.
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70
wurde und das seinerseits dann den Appellationen König Ludwigs
des Bayern (1323/24) gegen die päpstlichen Uebergriffe und dom
gleich gerichteten Rhenser Weistum von 1338 zu Grunde ge-
legen hat.1)
Wie diese Entwicklungslinie nimmt aber auch eine zweite
ihren Ausgangspunkt im Jahre 1252. Für die Kurie wurde
durch das Braunschweiger Weistum der Ansporn gegeben, nun
auch die Abhängigkeit des römischen Königtums vom Papsttum
zu behaupten. Dass von dem Weistum nach Rom Kunde ge-
drungen ist und Papst Innocenz IV. es gebilligt hat, ist durch
Zeurner bereits erwiesen worden.2) Als Beweis dafür aber,
dass auch die in dem Weistum enthaltene Anschauungsweise
dort rezipiert wurde, kann folgender, schon von Ficker als merk-
würdig bczeichneter Fall betrachtet werden. Im Jahre 1256,
während der nach dem Tode König Wilhelms herrschenden
Vakanz des Reiches, verlieh der Nachfolger Innocenz' IV.,
Alexander IV., dem Bischof von Verdun vice regia auctoritate
die Regalien.1) Der Papst erscheint hier als der berufene
Vertreter des Königs im deutschen Reiche, zu dem Verdun
gehörte. Sonst begegnet in der Regel nur der Anspruch,
den Kaiser in Italien oder auch in Burgund vertreten zu
können. Er ist, wenn auch verhüllt, schon von Innocenz III.
erhoben worden4) und dann in der zweiten Hälfte des dreizehnten
Jahrhunderts klarer hervorgetreten. Dieser Anspruch ist bald
erklärt, da ja nach alter päpstlicher Anschauung in Italien die
Herrschaft von Rechtswegen nur dem vom Papste einzusetzenden
Kaiser zustand, dessen Gewalt mit dem Tode des jeweiligen
Inhabers an ihren Urheber, die römische Kirche, zurückfiel.’)
‘) Vgl. Müller, Kampf Ludwigs d. Bayern mit der römischen Kurie
(1879/80), Bd. H, S. 68 und 300.
2) Neues Archiv XXX, 410f.
3) M6 Eplae. s. XIII. 3, 390: Alexander verleiht die Regalien, cum
imperium vacat ad presens vice regia auctoritate, doch unter der Bedingung,
dass der Bischof dem künftigen römischen Könige, nachdem dessen Wahl
durch den apostolischen Stuhl bestätigt worden, alles Herkömmliche erwoise.
Erst mit der Bestätigung hört das Interregnum in Deutschland auf, erst
durch sie erhält der König dort die Regierungsgewalt. Vgl. auch J. Ficker,
Forsch, z. Reichs- und Rechtsgescb. Italiens II, S. 469.
4) In der Decretale c. 10 X 2, 2 de foro competenti.
5) Ficker a. a. O. II, S. 468 ff.
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71
Deutschland aber und sein Königtum ging sie garnichts an.
Dennoch bildet in unserem Falle offenbar der Gedanke die
Voraussetzung, dass auch Deutschland von der Kurie abhängig
sei. Zu ihm war man aber gelangt, weil nach 1252 das Königtum
in Rom nicht mehr als eine bodenständige, deutsche, sondern
als eine römische und demnach der Kurie untergebene Gewalt
betrachtet wurde. So glaube ich, lässt sich der auffällige
Anspruch Papst Alexanders IV. am besten erklären.
Zu dieser Weiterbildung ihrer Doktrin sah sich die Kurie
durch das Vorgehen der Fürsten auf dem Braunschweiger Tage
gedrängt. Sie war genötigt gewesen, ihrem Schützlinge Wilhelm
von üolland ausser den rheinischen Fürsten auch die grossen
Herren Norddeutschlands zu gewinnen. Ihre staufische Staats-
autfassung, die derjenigen der Rheinländer widersprach, musste
das Papsttum dabei, wiewohl ungern, mit in den Kauf nehmen.
Innocenz IV. wird daher, als er das Weistum billigte, sofort den
Weg gesucht haben, der aus diesem Dilemma hinausführte.
An sich stand natürlich die imperialistische Staatsauffassung
mit ihrer schroffen Ablehnung jedes päpstlichen Einflusses auf
das Kaisertum in scharfem Gegensatz zur päpstlichen Lehre.
Von den Kurialen ist das Weistum damals gewiss allgemein
als ein aumasslicher und ungesetzlicher Schritt der Deutschen
betrachtet worden. So haben es auch die beiden Gesandten
der Kurie beurteilt, die in Braunschweig zugegen waren, der
Kardinallegat Hugo und der Erzbischof von Embrun Hcinricus
de Segusio, nachmals Kardinalbischof von Ostia, der berühmte
Kanonist. Dieser fügt seiner Mitteilung des Fttrstenspruchs die
Worte bei1): Sicut vidi in Alemannia per principes iudicari.
Sed, quiequid illi iudicaverint, non videtur, quod habeat
potestatem hanc (sc. imperialem), quousque per sedem apostolicam
fuerit approbatus. Alioquin in potestate ipsorum principum esset
hereticum vel alium minus idoneum promovere, quod esse non
debet, ut patet in eo quod legitur et notatur supra de electione
Venerabilem (c. 34 X 1, 6).
Er meint also: „Aber, was jene Fürsten auch als Recht
verkündet haben mögen, fest steht, dass erst durch die Approbation
die kaiserliche Gewalt verliehen wird.“ Für den Hostiensis ist
') Vgl. Zeumer, Neues Archiv XXX, 412.
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das Weistum eine mit dem kanonischen Recht nicht harmonierende
und daher wirkungslose Satzung, auf die er mit einiger Ver-
achtung herabsieht. Was ferner die Meinung des Legaten an-
langt, so hat dieser von Braunschweig aus einen Brief an die
Bischöfe von Schwerin und Havelberg (1252 März 25) ge-
schrieben,-) in dem er mitteilt, dass Wilhelm, den gewisse
Fürsten, die dazu berechtigt wären, längst „legitime in regem“
erwählt haben und den der Papst bestätigt habe, nun auch
noch von dem Herzog zu Sachsen und dem Markgrafen von
Brandenburg zum Könige erwählt sei; man möge ihm daher
allenthalben „tamquam regi“ Gehorsam leisten. Der Legat,
der von dem Weistum doch sicher ebenso wie der Hostiensis
gewusst haben wird, sagt erstens nichts davon, dass Wilhelm
nunmehr erst als einhellig Erwählter zu gelten habe, wohin
doch gewiss die Ansicht der Urheber des Weistums giug, im
Gegenteil, er betrachtet Wilhelms erste Wahl als die ent-
scheidende und sieht in der zweiten eine nur notgedrungen
geduldete Anmassung. Zweitens sagt er auch davon nichts,
dass Wilhelm als einhellig Erwählter jetzt auch die kaiserliche
Gewalt habe, dass man ihn hinfort nicht nur als König, sondern
auch als Kaiser anzusehen habe. Das Weistum war in keiner
Beziehung nach dem Sinne des Legaten.1) Von ihm wird es
ignoriert, von dem Hostiensis ausdrücklich verw orfen, Innocenz IV.
dagegen hat es gebilligt. Er wird es also verstanden haben,
der gegen Rom gerichteten Aktion der deutschen Fürsten die
Spitze abzubrechen. Der Legat und der Kanonist blieben beide
in herkömmlichen Rechtsanschauungen befangen, er hatte die
Kühnheit, sic zu durchbrechen, die kuriale Doktrin veränderten
Verhältnissen anzupassen, den U ebergang vom Begriff des
deutschen zu dem des römischen Königtums zu vollziehen.
Innocenz musste diesen Gegenzug thun. Die mächtigsten,
weltlichen Fürsten Deutschlands schienen der imperialistischen
s) MH. Const. II, nr. 459, p. 63t. Zeumer, Quellensammlung nr. 65, p. 77.
') Zeumer, Neues Archiv XXX, 410 nimmt an, dass es unter seiner
Zustimmung gefunden worden sei. Z. siebt in dem Weistum nicht einen
gegen die Kurie gerichteten Schritt, sondern eine in Uebereinstimmung mit
ihren offiziellen Vertretern vorgenommene Handlung der Anhänger Wilhelms,
die auf diese Weise der Einrede anderer Pürsten, die nur von einem Kaiser
ihre Lehen nehmen wallten, wirksam begegneten.
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73
Lehre zugetan zu sein. Fuhren die Päpste jetzt fort, das
Königtum, von dem die Deutschen behauptet hatten, es enthalte
in sich die ganze Fülle der kaiserlichen Gewalt, als etwas
Unantastbares zu betrachten, so musste das Kaisertum bald
den Händen des Papsttums entgleiten.
In die Wirklichkeit umgesetzt hat den Gedanken Innocenz' IV.
erst sein Nachfolger. Es kann noch an anderen Fällen als
dem oben erörterten gezeigt werden, wie gerade unter Alexander IV.,
der seit 1234 den Pontifikat innegehabt hat, die Machtbefugnisse
der Kurie über das Reich erweitert worden sind.
Innocenz IV. nahm gegenüber der Königswahl vor 1252
noch folgenden Standpunkt ein : Der deutsche König ist Kandidat
für das römische Kaisertum; passt dem Papste ein Kandidat
nicht, so kann er das ruhig sagen; er darf sich aber Uber die
betreffende Wahl kein Urteil erlauben, insofern sie eine weltliche,
deutsche Staatsaktion ist. Innocenz hat seine Anschauungen
in dem bald nach 1245 entstandenen Kommentar3) zu den
Dekretalen Gregore IX. niedergelegt. Um zu begründen, wes-
halb Innocenz III. in seiner Dekretale über die Königswahl
(c. 34 X de elect. I, 6 Venerabilem) den erwählten und ge-
krönten Otto von Braunschweig König nennt, schreibt er;
Regem: quia Aquisgraui per Colouiensem archiepiscopum
l‘uit coronatus . . . . et ideo, cum sit in possessione coronam
regni habendo, non est vis, si eum regem nominat.
Durch die Aachener Krönung erwirbt also der Erwählte
ohne Zutun des Papstes die Herrschaft über das regnum.
Ferner bemerkt der Glossator zu einer anderen Stelle der ge-
nannten Dekretale:
Justo cassavit enim papa quiequid factum erat de Phyflippo]
duce, sed non confirmavit electionem regis Ottonis et ideo
reservavit contradictoribus potestatem dicendi in formam et
pereonam, etsi interim debent eum habere pro rege
propter coronam, quam accepit a Coloniensi archie-
piscopo apud Aquisgrani.
Insofern als die Wahl Philipps eine „electio in imperatorem“
ist, hat sie der Papst cassiert; über die Ottos ist noch keine
a) Apparatur in V libros decretalium. In der von mir benutzten Aus-
gabe (Argentor 1478), fol. 107.
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74
endgültigo Entscheidung getroffen. Insofern aber beide Wahleu
„elcctiones in regem“ sind, berühren sie das päpstliche Rechts-
gebiet nicht, doch, da bei der Erhebung eines Königs die
Aachener Krönung der entscheidende Akt ist und nur Otto sie
erhalten hat, so ist er jedenfalls — also vor der Konfirmation —
rex. Die Unabhängigkeit des deutschen Königtums von der
Kurie kann kaum deutlicher ausgesprochen werden. Endlich
heisst es noch in derselben Glosse:
Credimus tarnen, quod si imperator coronam in loco debito
rccipere non posset, nihilominus tarnen auctoritatem ad-
ministrandi ab archiepiscopo Coloniensi possit recipere
vel sua auctoritate habet ex electione.
Also auch wenn ein erwählter und bestätigter Kaiser die
Krone in Rom nicht erhalten kann, so hat er doch kraft der
königlichen Wahl und Krönung Befugnis zur Herrschaft.
Von diesem Standpunkt Innocenz’ IV. ist Alexander IV.
deutlich abgewichen. Als im Jahre 1255 noch zu Lebzeiten
Wilhelms von Holland eine neue Königswahl in Deutschland
geplant wurde, verwarf und cassierte er diese im Voraus und
bedrohte den, der sich auf Grund derselben König nennen
würde, mit dem Bann.1) Ebenso verbot er nach dem Tode
Wilhelms in Schreiben an die Erzbischöfe von Köln, Mainz und
Trier C 1256 Juli 28)2) eine Königswahl Konradins, des letzten
Hohenstaufen, da dieser „propter infantiam nimiumque defectum
etatis“ nicht erwählt werden könne und belegte jeden, der an
seiner Wahl teilnehmen würde, mit dem Bann. Alexander IV.
betrachtete die römische Königswahl als eine vom Urteil des
Papstes abhängige Rechtshandlung. Wäre eine Wahl und
Krönung Konradins zustandegekommen, so hätte er sie gewiss
verworfen und Konradin nicht als rex anerkannt.
Kann ein Papst einer Königswahl alle Rechtskraft nehmen, so
ist er es aber auch, der sie ihr giebt; er kann die römischen
’) Schreiboa an den Erzbischof von Köln und an alle Fürsten und
Städte Deutschlands vom 28. Ang. 1255. Fontes rerum anstriacarum II 25,
186 und 189. Reg. imp. V, nr. 9008. 09: clectionem, nomiuacionein vel
assumpcionem ex nunc cassam et reprobam promulgamus. Vgl. auch
Clemens' IV. Schreiben an den Kg. von Böhmen (1268; MO. Const. II, nr.
408, p. 538 {., Abs. 8). Krammer a. a. O. S. 20 ff.
2) Reg. nr. 9068. MO. Epistolae s. XIII. 3, 397 ff.
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/o
Könige ein- und absetzen. Hierbei ist auch an eine Stelle des
kanonischen Rechtes zu erinneru (c. 16 in VI to I, 6), wo es
heisst: Die päpstliche Bestätigung oder Verwerfung der Wahlen
zu Kathedral- und Regularkirchen findet statt, weil diese dem
apostolischen Stuhl unmittelbar unterworfen („immediata
subiectio“) sind. Ebenso ist also auch das römische Königtum
der Kurie unterworfen. Wir treffen demnach die Anschauungen
Bonifaz’ VIII. schon bei Papst Alexander IV. an. Doch bereits
unter seinem Vorgänger scheint sich der Wandel in dem System
der Kurie vollzogen zu haben.
Ausführlicher soll auf diese Dinge hier nicht eingegaugcn
werden. Nur ein weiteres Symptom der neuen kurialistischen
Anschauungsweise sei noch erwähnt; es stammt aus dem
Pontifikat Urbans IV. (1261—1264). Zwar waren die Rechts-
ansprüche des Papsttums aufs gewaltigste gesteigert worden;
von ihrer Verwirklichung war man jedoch noch wTeit entfernt.
Als die Kurie anlässlich der Doppelwahl von 1257 verlangte,
dass diese Angelegenheit ihrem Schiedsspruch unterbreitet
werde, musste sie die Erfahrung machen, dass die deutschen
Kurfürsten keineswegs gewillt waren, dem Papste irgendwelchen
bedeutsamen Einfluss auf das Reich zuzugestehen, vielmehr
dessen Freiheit und Unabhängigkeit energisch verteidigten.
Man erkannte also in Rom, dass es unmöglich war, Deutschland
am Qängelbande zu halten, dass man vielmehr befürchten müsse,
cs könnten eines Tages wieder die unbotmässigen Deutschen
nach Italien hinübergreifen und, wie einst die Staufer, die
dortige territoriale Stellung der Kurie aufs ernstlichste be-
drohen. So entschloss sich Urban, Deutschland aufzugeben, um
sich Italien zu sichern; das Kaisertum sollte mit der daran ge-
bundenen Herrschaft über den Süden den Deutschen entzogen,
Deutschland als ein selbständiges Reich, nun aber — und das
ist das Wichtige für uns — nicht mehr unter einem rex
Romanorum, sondern unter einem rex Thentoniae konstituirt
werden.1) Die Befugnis, den Titel eines Königs der Römer
zu verleihen, sollte, nicht minder als das Recht zur Kaiser-
krönung, die Kurie behalten. Dementsprechend blieb denn auch,
*) Vgl. Rodenberg, Zur Geschichte der Idee eines deutschen Erbreiches
im 13. Jhd. Milt. d. Inst. f. üsterr. Gesch. Bd. 16., S. 3 ff.
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als der Reformplan nicht zur Ausführung kam, Deutschland
wie zuvor ein von der Kurie abhängiges Reich.
Von den Päpsten der Folgezeit „nominierte“, das heisst er-
nannte Gregor X. Rudolf von Habsburg zum rex Romanorum.1)
Bonifaz VIII. bezeichnetc den erwählton und gekrönten König
Albrecht als blossen dux Austriae, der kein Regierungsrecht
habe. Und Johann XXII., Benedikt XII. und Clemens VI.
haben Ludwig den Bayern durch sein ganzes Leben mit ihren
Bannflüchen verfolgt, nur weil er sich nicht der kurialistischen
Staatsanschauung beugen wollte, sondern, freilich nicht immer
mit gleicher Festigkeit, die Unabhängigkeit des Reiches zu
wahren suchte.
Ueber die von den deutschen Walilfürsten ausgehende
Reaktionsbewegung gegen die päpstliche Rechtsanschauung
sprachen wir vorhin schon; sie gipfelt in dem berühmten
Weistum, das die Kurfürsten am 16. Juli 1338 zu Rhense am
Rhein gefunden haben und das man den Grundgesetzen des
alten Reiches zurechnct.-) Hier wird als geltendes Recht er-
klärt, dass der von den Kurfürsten zum König der Römer Er-
wählte sich den Königstitel beilegen und die Verwaltung der
Güter und Rechte des Imperium übernehmen darf, ohne vorher
eine Bestätigung oder Erlaubnis zum Antritt des Königtums
vom apostolischen Stuhl erhalten zu haben.
Der unabhängige Charakter des deutschen Königtums und
zugleich die Befugnis des Trägers dieser Würde, über das ganze
Imperium (nicht nur über Deutschland) gebieten zu können,
werden hier in klaren, kurzen Worten festgelegt. Die eingangs
dieser Abhandlung skizzierte deutsche Staatsauffassung (s. S. 2)
kommt in dem Weistum zum ungetrübtesten Ausdruck. Ihr
Grundgedanke sollte, ohne andere Zutaten, scharf Umrissen, in
rechtlicher Form verküudet werden.
Unter den Staufern hatten sich einst die drei rheinischen
Erzbischöfe, die auch innerhalb des Kurfürstenkollegs die
■) Rodenberg a. a. 0. S. 36 ff.
*) Zeumer, (juellensammlung S. 155, ur. 126 b. und Neues Archiv
Bd. XXX, S. 110. In der Quellensammlung ist der seiner Zeit von Ficker
(Zur Uesch. d. Kurvereins von Rense. Silz. Ber. d. Wiener Akademie.
Phil.-hUt. CI. XI, J03 f.) gegebene Text abgedruckt, im N. A. auf Grund der
llaudschriften eine neue, kritische Edition gegeben.
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t i
beherrschende Stellung einnahmen, der kaiserlichen Politik
widersetzt, die ebenso wie dann die kuriale, das Königtum,
an dessen Bestellung sie den wesentlichsten Anteil hatten,
seines freien, bodenständigen Charakters entkleiden und in
dauernde, rechtliche Abhängigkeit von einem Kaisertum bringen
wollte, auf das sie weit geringeren Einfluss besassen. Das
Interesse, flir das man zn Rhense stritt, war das Gleiche, nur
die Front, gegen die man sich wandte, eine andere.
So ging im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts die Ver-
tretung der Idee des Kaisertums von den Staufern über an die
Päpste. Ihrer Politik aber haben jene die Wege gebahnt, indem
sie sich bemühten, das ursprüngliche Wesen des Königtums zu
zerstören. Hätte dieses fortbestanden, so wären derartige An-
griffe der Kurie auf das Reich nicht möglich gewesen. Durch
das Vorgehen der Staufer aber wurde die Findung jenes Braun-
schweiger Weistums von 1252 veranlasst, durch welches das
Königtum dem Kaisertum einfach subsummiert wurde und von
wo aus die Päpste den Antrieb zu ihrer das Reich ein Jahr-
hundert aufwühlenden und erschöpfenden Politik empfangen haben.
Das Braunschweiger Weistum nimmt also in der Geschichte
der Idee des Kaisertums im späteren Mittelalter eine zentrale
Stellung ein.
Schloss.
Fassen wir endlich die Ergebnisse der vorliegenden Ab-
handlung kurz zusammen.
Im Mittelalter betrachtete man das deutsche Reich als die
Fortsetzung des Imperium Romanum, den deutschen König als
den Nachfolger der Imperatoren. Das Reich wurde damit zu
der letzten jener vier grossen Weltmonarchieen, die nach einander
den Gedanken der civitas terrena in besonders hervorragendem
Masse verwirklicht hatten; von dem römischen Imperium als
dem vierten glaubte man, dass es dauern würde bis zum Ende
der Tage, bis zum Hereinbruch des Reiches Gottes auf Erden.
Der König wurde durch diese Charakterisierung als römischer
Kaiser über alle anderen Herrscher des Abendlandes erhöht, er
wurde zum Repräsentanten der Einheit aller Christenheit im
Weltlichen, wie es der römische Bischof im Geistlichen war.
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78
Die Idee des Kaisertums ist zu allen Zeiten des Mittel-
alters in Deutschland gefeiert worden, dennoch war, wenigstens
in der früheren Zeit bis zu den Staufern, das Bewusstsein dafür
durchaus lebendig, dass das Reich trotz dieser Einkleidung
seinem Ursprünge nach ein deutsches war uud die thatsäcliliche
Macht des Gebieters, nicht nur in Deutschland, sondern auch
in Italien und den anderen Nebenlanden, keineswegs auf dem
römischen Kaisertum, sondern auf dem deutschen Königtum,
seinen Rechtstiteln und Machtmitteln beruhte. Die Vogtei der
Kirche freilich und den Anspruch auf das dominium mundi hatte
der Herrscher nur als Kaiser. Demgemäss fand die Ehre des
deutschen Königtums wie die des Kaisertums ihre Vertreter.
Aber auch ein Mann wie Otto von Freising, der wiederum mit
ganzer Seele an der Idee des Imperium hängt und dessen
Kontinuität energisch betont, weiss doch sehr wohl, dass das
Reich nicht aus dem römischen, sondern aus dem fränkischen
Staate hervorging und dann als deutsches Reich bestand, bis
sich seine Herrscher auch das Kaisertum hinzuerwarben.
Solange die Idee des Imperiums nicht einen realeren
Charakter erhielt, konnte sie die kräftig entwickelte des deutschen
Reiches nicht ernstlich gefährden.
Seit der Mitte etwa des zwölften Jahrhunderts begannen
aber die Könige sich von dieser Idee abzuwenden und sich
nur noch als römische Imperatoren zu fühlen. Wirksam wird
dabei auf Friedrich I. der Einfluss Ottos von Freising, weit
mehr noch derjenige der geistigen Bewegung Italiens gewesen
sein, wo man damals mit regem Eifer das alte, römische Recht
wiederzubeleben suchte. Die Idee des Imperium Romanum
bekam im Zusammenhänge damit ein neues Leben, sie gewann
an greifbarer Gestalt und Farbe mehr denn je zuvor; sie konnte
jetzt den Kampf mit dem Gedanken des Regnum Teutonicum
wagen.
Das Problem, wie die beiden Institutionen, römisches
Kaisertum und deutsches Königtum, unter den jetzt veränderten
Umständen, zu einander in Beziehung zu bringen seien, tauchte
mit aller Schärfe auf, als Friedrichs Sohn Heinrich von den
deutschen Fürsten erwählt und gekrönt, also zum deutschen
König erhoben worden war. Konnte er, nun das Reich als ein
völliges Imperium Romanum galt, als solcher Mitregent des Vaters
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werden? Wenigstens äusserlich musste er als ein römischer,
nicht deutscher Herrscher charakterisiert werden. Daher be-
mühte sich Friedrich um seine Kaiserkrönung, daher ernannte
er ihn zum Caesar.
An den Wurzeln hat das Problem Heinrich VI. zu fassen
gesucht, indem er den Fürsten ihr Wahl- und Thronerhebungs-
recht nahm und so die Möglichkeit gewann, statt vom Kölner
Erzbischof vom Papste eine Königskrönnng seines Sohnes
Friedrich zu erbitten. Hierdurch wäre das Königtum seines
bodenständigen Charakters gänzlich beraubt und als ein im
wahren Sinne römisches Königtum, das heisst, als eine dem
Kaisertum wesensgleiche, nur dem Namen nach von ihm ver-
schiedene Institution gekennzeichnet worden.
Nach dem Scheitern dieses Reformplanes suchte Heinrichs
Nachfolger Philipp der Idee des Kaisertums dadurch gerecht
zu werden, dass er sich gleich zum Imperator erwählen liess
(1 198) und bald darauf durch Anlegung der kaiserlichen Insignien,
die sein Bruder getragen hatte, das Imperium förmlich in Besitz
nahm. Die Krönung und Einsetzung durch die Fürsten waren
für ihn rechtlich bedeutungslose Akte, da sie von dem Begriff
des deutschen Königtums untrennbar waren, er aber von vorn-
herein als römischer König gelten wollte.
Wie Philipp wurden dann auch Otto IV. (1208) und
Friedrich von Sizilien (1211) zu Imperatoren erwählt.
Naturgemäss sind damals nicht nur die Staufer, sondern
auch weitere Kreise von der neubelebten Idee des Imperium
Romanum ergriffen worden. Daraus, dass die Fürsten auf
Philipps Wahlreform eingingen und an ihr festhielten, ergibt
sich, dass auch sie von jenem Gedanken lebhaft berührt waren.
Doch haben sie sich ihm gewiss nur äusserlich angeschlossen;
sie wurzelten zu tief im Herkommen und waren zu sehr an der
Königskrönung beteiligt, als dass sie sich ihn mit der gleichen
Konsequenz wie die Staufer hätten zu eigen machen können.
Der geschworene Feind jenes Gedankens war natürlich der
Erzbischof von Köln ; die von ihm angeregte und geleitete erste
Wahl Ottos IV. (1198) konnte daher nichts als eine deutsche
Königswahl sein. Aber auch andere Kreise der Fürsten
dachten im Wesentlichen so wie er. Denn als der Papst
Innocenz III. den erwählten Friedrich von Sizilien, ehe er nach
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Deutschland kam, in Italien als Kaiser hatte auftreten und
regieren lassen, damit die Herrschaft über dieses Land als eine
Dependenz des Kaisertums und nicht des deutschen Königtums
erscheine, wurde Friedrich darauf in Frankfurt von einer
grossen Fürsten versammlung mit bewusster Absicht zum deutschen
Könige gewählt und so im Gegensatz zu der päpstlichen An-
schauung die alte Staatsauffassung, dass Italien dem Regnum
Teutonicum unterthan sei, wieder zu Ehren gebracht. Aller-
dings wurde auch diese Wahl dann von einem der vornehmsten
Fürsten mit dem neuerdings eingebürgerten Ausdruck der „electio
in imperatorem“ bezeichnet.
In anderen Schichten des Volkes aber, wo man mit dem
Staatsrecht weniger intime Fühlung besass und mehr unter dem
Eindruck der Schlagwörter des Tages stand, fand die Idee des
Kaisertums um so freieren Eingang. Der Verfasser des grossen
deutschen Rechtebuches, Eike von Repgow, kennt das Reich
überhaupt nur als das römische Imperium. Ihm haben nach
seiner Meinung die Römer unter Caesar Deutschland einverleibt.
Lediglich als Nachfolger Caesars, als römische Kaiser oder
Könige, führen die jetzigen Herrscher in Deutschland ihr
Regiment. Von einem deutschen Reiche, einem deutschen
Königtum hat Eike gar kein Bewusstsein; Kaisertum und
Königtum sind für ihn wesensgleiche, nur dem Namen nach
von einander verschiedene Begriffe.
Hätte der Gedanke des deutschen Reiches in Eikes Tagen
so unangefochten und ungetrübt geherrscht wie einst in vor-
staufischer Zeit, so wäre auch sein Rechtsbnch von ihm erfüllt,
so wäre es auch hierin deutsch.
Die Idee des deutschen Königtums, welche also in den
Kreisen der Fürsten trotz mannigfachen Nachgebens gegenüber
der imperialistischen Strömung der Zeit im Wesentlichen doch
festgehalten wurde, kam auch bei der folgenden Wahl, der
Heinrichs (VII.) im Jahre 1220, zum Ausdruck. Besonders
deshalb, weil hier der Anspruch einiger Fürsten auf ein bevor-
zugtes Wahlrecht, der schon bei der Wahl Ottos 1198 aufgetaucht
war, anerkannt worden ist. Da zu diesen Fürsten in erster
Linie der Kölner, Mainzer und Trierer Erzbischof gerechnet
wurden, so konnte eine Wahl, wo diese als bevorzugte Wähler
wirksam waren, immer nur eine deutsche Königswahl sein. In
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der Folgezeit aber ergab es sich bald als dringende Not-
wendigkeit, die Idee des deutschen Königtums völlig fallen zu
lassen, wenn das Reich nicht aus den Fugen gehen sollte.
Als der junge König Heinrich unter einer Regentschaft
für seinen kaiserlichen Vater in Deutschland die Regierung
führte, wurde von den Vormündern, an deren Spitze Erzbischof
Engelbert von Köln stand, der Charakter des Königtums als
einer vom Kaisertum geschiedenen, frei neben ihm stehenden,
bodenständigen Gewalt mit Nachdruck betout. Der mündig ge-
wordene König, dessen Selbständigkeitsgefühl aus dieser Lehre
seiner Erzieher reiche Nahrung gezogen hatte, that dann in
noch erhöhtem Masse das Gleiche. Da aber Friedrich sich
seine oberherrliche Verfügungsgewalt über Deutschland nicht
beschneiden lassen konnte, so kam es endlich zum völligen Zer-
würfniss und zu einem Kriege zwischen Vater und Sohn, der
mit der Unterwerfung und Absetzung Heinrichs schloss.
Der bisherige unnatürliche Zustand konnte nun unmöglich
erneuert werden. Der Gegensatz zwischen Kaisertum und
Königtum musste in einer für die höchste Gewalt vorteilhaften
Weise ausgeglichen werden. Jetzt boten auch die Fürsten ihre
Hand zur Reform.
im Jahre 1237 wurde daher der zweite Sohn Friedrichs,
Konrad IV., zum römischen, nicht zum deutschen, Könige und
zum künftigen Kaiser erwählt. Als Kaiser wollten ihn die
Fürsten nach dem Tode seines Vaters betrachten, als solcher
erst sollte er ein Herrscher kraft eigenen Rechts sein, vorher
eine vom Kaisertum delegierte, keine bodenständige, eine
römische, keine deutsche Königsgewalt innehaben. So wurde
das Kaisertum auch von den Fürsten als die alleinige Reichs-
grundgewalt anerkannt.
Die Stellung Konrads entsprach mutatis mutandis der-
jenigen, die Heinrich VI. im Erbreieh seinem Sohne Friedrich
zugedacht hatte. War es Heinrichs Absicht gewesen, dem
römischen Könige keine deutsche Krönung zu Teil werden zu
lassen, so ist sie an Konrad tatsächlich niemals vollzogen
worden.
Ermöglicht wurde diese Reform aber nur dadurch, dass
das Vorrecht der rheinischen Erzbischöfe zu einem blossen
Vorrange herabgemindert wurde.
Krammcr, der Keidisgcdankc des staufischen Kaiserhauses ti
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Die Reichsreform hatte keinen Bestand. Bald darauf er-
hoben sich die Erzbischöfe im Bunde mit der Kurie gegen das
Stauferhaus und stellten ihm wieder deutsche Könige, erst
Heinrich von Thüringen, dann Wilhelm von Holland entgegen.
Dieser Versuch, die Idee des deutschen Königtums neu zu be-
leben, blieb auf Seiten des an der Reform von 1237 festhaltenden,
also imperialistisch gesinnten Teiles der Fürsten nicht ohne
Widerspruch. Als sich im Jahre 1252 einige Grosse Nord-
deutschlands dem Könige Wilhelm unterwarfen, thaten sie dies
nur, indem sie gleichzeitig durch ein Weistum verkündeten, ein
König sei dasselbe wie ein Kaiser; jener sei von diesem nicht
der Sache, sondern nur dem Namen nach verschieden. So
deuteten sie das Wesen der königlichen Würde Wilhelms ihrer
imperialistischen Staatsauffassung zu Liebe um; aus einem
deutschen machten sie ihn zu einem römischen Könige.
Doch blieb dies Weistum auf die weitere Entwicklung des
Reichsrechts ohne Einfluss. Sie wurde bestimmt durch die
rheinischen Erzbischöfe, die sich bald nach 1252 mit anderen
Fürsten zum Kurfürstenkolleg zusammenschlossen und von da an
die Reichsgeschicke in ihrer Hand hielten. In einem Weistum
der Kurfürsten, dem Rhenser Spruch von 1338, hat endlich
der deutsche Königsgedanke seine prägnanteste und berühmteste
Ausprägung erhalten.
Dagegen hat das Weistum von 1252 die Kurie veranlasst,
ihre Lehre vom Verhältnis der Kirche zum Reich in folgen-
schwerer Weise umzugestalten. Die von Papst Innocenz III.
zuerst eingehender entwickelte kuriale Lehre, welche dann als
ein Teil des kanonischen Rechtes von Innocenz IV. auch
glossiert worden ist, beruhte auf dem Gedanken der Scheidung
des deutschen Königtums vom römischen Kaisertum ; jenes stand
der Kurie unabhängig gegenüber, dies war ihr untergeordnet,
von ihm wurde die Herrschaft über Italien und das Arelat her-
geleitet. Nur quoad imperium, nicht quoad regnum hatte der
Papst ein Recht zur Bestätigung der Wahl der Fürsten. Nun
aber war im eigenen Lager der Kurie, in das ja jene nord-
deutschen Herren übergegangen waren, ein Recht verkündet
worden, welches, die Grundlage der päpstlichen Doktrin zer-
störend, Wesensgleichheit der beiden Institutionen lehrte
und dabei dem Kaisertum die freie, nnabhängige Stellung des
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Königtums zuwies. Dieser Lehre gegenüber, die das Papsttum
wohl bei seinen Feinden, doch nicht auch bei seinen Freunden
erwartet hatte, blieb ihm nichts übrig, als sich dieselbe, so
weit sie die Wesensgleichheit von Kaisertum und Königtum
betraf, anzueignen, dabei aber den Anspruch auf die Abhängigkeit
des Kaisertums von der Kurie keineswegs aufzugeben. So
gewann sie das Recht, nunmehr auch das aus einem deutschen
zu einem römischen gewordene Königtum als ein ihr unter-
geordnetes Gebilde, Deutschland als ein ihr unterstelltes Reich
und die Königswahl als eine ihrer uneingeschränkten Aufsicht
unterworfene Handlung zu betrachten.
Dieser, wohl noch von Innocenz IV. gegebenen Anregung
sind die Päpste des dreizehnten und des vierzehnten Jahrhunderts
eifrig gefolgt, besonders seitdem Bonifaz VIII. mit der ihm
eigenen schroffen Konsequenz diese Lehre vertreten hatte.
Wäre der Gedanke des deutschen Königtums niemals ver-
lassen worden, so hätte Deutschland gegenüber der Kurie eine
unangreifbare Position behalten. Die Staufer aber wagten es,
auf das Grenzgebiet des römischen Kaisertums überzugehen,
auf das auch die Kurie alte Rechte besass. Sie waren eifrig
bestrebt, dem Reiche einen imperialen Charakter zu geben.
Ihre Bemühungen kamen, als ihre und des Reiches Macht ge-
fallen war, der Kurie zu Gute. Sie wurde der glücklichere
Erbe ihrer Politik.
Einem Nachspiel zu dieser, auf das ich anderen Ortes aus-
führlicher einzugehen gedenke, seien hier noch einige Worte
gewidmet.
Gegen die soeben dargelegte Politik des Papsttums war
das Rhenser Kurfürstenweistum vom 16. Juli 1338 gerichtet,
das dem frei erwählten deutschen Könige die Befugniss zu
sofortigem Antritt der Regierung im ganzen Reiche zuwies. In
diesem Sinne ist der Spruch auch von dem einzigen publizistischen
Vertreter des deutschen Reichsgedankens in jener Zeit, von
dem Würzburger Domherrn, Lupoid von Bebenburg, ausgelegt
worden. Lupolds gute Beziehungen zu Erzbischof Balduin von
Trier, dem Leiter der kurfürstlichen Reichspolitik, bürgen uns
dafür, dass er den Sinn des Weistums richtig erkannt hat.
Die hier niedergelegte Staatsanschauung, die das Kaisertum
als für die Reichsregierung rechtlich vollkommen belanglos
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ausser Spiel Hess, blieb aber nicht unwidersprochen. Am Hofe
Kaiser Ludwigs IV. weilten damals zahlreiche papstfeindliche
Schriftsteller, die das Reich, dessen Wesen sie wie Eike von
Repgow verkannten, nur als römisches Imperium betrachteten
und, erfüllt von dem Gedanken der Freiheit des Kaisertums
vom Papsttum, wünschten, dass Kaiser und Kurfürsten sich
offen für diese ihre Schulmeinung erklärten. Es gelang ihnen,
den leicht bestimmbaren Kaiser dem Einflüsse Balduins zu
entziehen. Ohnehin war Ludwig begreiflicherweise geneigt, sein
Kaisertum weiter zu führen, auf das er nach Balduins Willen,
weil es unrechtmässig, ohne Zutun der Kurie, erworben war,
verzichten sollte. Den Kurfürsten bewiesen die Publizisten
durch eine spitzfindige Deduktion, dass Kaisertum und Königtum
im Wesen dasselbe sei. Dadurch hat Balduin sich allerdings
nicht irre machen lassen, die übrigen Kurfürsten aber gingen
zur imperialistischen Partei über. So kam es zu dem Reichs-
gesetze Licet iuris vom 6. August 1338, durch das dem Er-
wählten das Recht zuerkannt wurde, sofort als Kaiser aufzutreten
und wo dementsprechend sein ganzes Regiment als ein kaiserliches
bezeichnet wurde.
Hier begegnet uns also auch ein Versuch, der imperialistischen
Idee zu Liebe den deutschen Grundcharakter des Reiches zu
verfälschen. Wir finden den Kampf der zwei Staatsanschauungen
wieder, dessen Vorhandensein und dessen Entwicklung wir in
dieser Abhandlung für eine frühere Zeit festzustellen gesucht haben.
Druck von Ollo billiger, Allwasser.
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Die heilige Lanze
ein Abzeichen des alten Reichs
von
Adolf Hofmeister
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Untersuchungen
zur
Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
heraasgegeben
von
Dr. Otto Gierke
Professor der Rechte an der Universität Berlin
96. Heft
Die heilige Lanze
ein Abzeichen des alten Reichs
Voll
Adolf Hofmeister
Breslau
Verlag von M. «& H. Marcus
ISO«
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Die heilige Lanze
ein Abzeichen des allen Reichs
von
Adolf Hofmeister
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
190g
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Dem Andenken meines Vaters
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Vorwort
Diese Untersuchung ist aus der Notwendigkeit erwachsen,
eine Stelle in der Chronik des Otto von Freising zu erklären.
Dort wird wie in vielen mittelalterlichen Quellen die Erwerbung
der heiligen Lanze durch Heinrich I. berichtet und hinzugefügt,
daß eben diese Lanze die deutschen Könige seitdem führten. Ich
wußte von dem Wiener Lanzeneisen und ich kannte die Be-
schreibung Liudprands, auf den auch Otto letztlich zurückgeht.
Eine Vergleichung beider zeigte alsbald, daß sie nicht zu cin-
einander stimmen. Damit war die Notwendigkeit einer um-
fassenderen Untersuchung gegeben, die sich um so weniger auf
die eine oder andere Einzelheit beschränken konnte, als auch in
andern Hauptpunkten die Unrichtigkeit oder Unklarheit der
herrschenden Vorstellungen sich erwies.
Für das Verständnis meiner Ausführungen bemerke ich. daß
ich einerseits die allgemeine Geschichte der Reichsinsigriien und
ihre Bedeutung und ebenso andrerseits die Geschichte der ver-
schiedenen heiligen Lanzen überhaupt als bekannt voraussetze.
Auf den allgemein -geschichtlichen Zusammenhang gehe ich nur
da ausführlicher ein, wo derselbe bisher nocli nicht hinlänglich
klar gestellt oder seine Bekanntschaft nicht ohne weiteres anzu-
nehmen ist. im wesentlichen also da, wo es sich um Italien
und Burgund handelt, zwei Gebiete, die für die Vorgeschichte
und die Anfänge unsres Symbols von der größten Wichtigkeit sind.
Ich würde meine Aufgabe kaum in dieser Weise und nicht
ohne zeitraubende Vorarbeiten haben durchführen können, wenn
nicht jetzt für Burgund und zum Teil auch für Italien das ge-
samte historische Material, ähnlich wie für Deutschland in den
„Jahrbüchern“ der Münchener historischen Kommission, in den
Büchern Poupardins über das Königreich Burgund und das
Königreich Provence umfassend und gründlich gesammelt vorläge
und ich nicht durch eigene Arbeiten mit den italischen Ver-
hältnissen der in Frage kommenden Zeit vertraut gewesen wäre.
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vrii
Wenn ich jetzt die Frucht meiner Forschungen vorlege, so
geschieht das nicht nur, weil ich in diesem hesondern Falle zu
neuen und wichtigen Ergebnissen gekommen zu sein denke, sondern
mehr noch, weil ich hoffe und wünsche, daß dadurch ähnliche
Untersuchungen über andere Stücke der Reichs-Insignien und
-Symbole angeregt werden mögen, Untersuchungen, wie wir sie
für das später wichtigste und der Gegenwart interessanteste Stück,
den Reichsadler, bereits aus Gritzners Feder besitzen ’), der auch
für die Fahnen des alten Reichs nur wenig zu tun gelassen hat2),
und wie sie für das Kreuzsymbol als solches, das Schwert, be-
sonders aber die Krone ein dringendes Bedürfnis sind. Daß auch
sie sich nicht auf einen kleinen Zeitausschnitt beschränken dürfen,
sondern, wenn sie mehr sein wollen als eine Materialsammlung,
die ganze Entwicklung bis zum Ende des alten Reichs ins Auge
fassen und dabei stets die noch vorhandenen Stücke selber heran-
ziehen müssen, liegt auf der Hand. Wenn diese Einzelarbeit
einmal getan sein wird, so wird zugleich für die Geschichte und
Bedeutung der Reichsinsignien im Ganzen nicht wenig gewonnen
sein und damit auch unser Wissen von dem Wesen des alten
Reichs und seiner Verfassung manche Vertiefung erfahren.
Ich erfülle noch die angenehme Pflicht, allen denen zu danken,
die mich bei der Vollendung und Drucklegung dieser Arbeit aufs
freundlichste unterstützt haben. Zu besonderm Dank bin ich
Herrn Professor Dr. 0. Redlich und Herrn Professor Dr. E. von
Ottenthal in Wien verpflichtet. Ihre Güte hat es mir ermög-
licht, nach Abschluß meiner Untersuchung noch die einschlägigen
Teile der umfangreichen Sammlungen zur Reliquiengeschichte zu
benutzen, die aus dem Nachlaß des Professors Budinszky auf
dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung in Wien be-
wahrt werden. Sie haben mir vielfach eine sehr erwünschte Kon-
trolle meines Materials und einzelne interessante Ergänzungen
geboten. Die Hinweise, die ich dieser Quelle verdanke, sind in
jedem Falle durch ein beigesetztes (B.) kenntlich gemacht.
Steglitz, im April 1908 , fT
A. Hofmeister
') In seinem unten S. 2 A. 4 genannten Buche.
*) Vgl. auch K. Weller, Der Vorstreit der Schwaben und die Iteichs-
sturmfahne des Hauses Württemberg, Württembcrgische Viertoljahrshefte
für J.andesgeschichte. Neue Folge XV (1906) S. 263 — 278.
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Inhalt
Einleitung
Seite
Die heilige Lanze einst und jetzt. Die Bedeutung der Rcichs-
insignien im allgemeinen, der heiligen Lanze im bc9ondorn . . 1
Erstes Kapitel
IMe Erwerbung der heiligen Lanze durch Heinrich 1.
Allmähliche Vermehrung der Reichskleinodien. Das .Schwert
.der alten Könige.“ Das Kreuz. Die Lanze, Investitur-Symbol bei
den Langobarden und den Franken. Die heilige Lanze. Der
Bericht Liudprands. Die jüngeren Quellen. Sigebert. Alberich.
Frutolf. Ekkehard. Otto von Freising. Die österreichischen, im
besondere die Aduiuntcr und die Salzburger Annalen. Keine
echte Überlieferung für das Jahr 922.
Deutschland und Burgund bis auf Heinrich I. Oberherrlichkeit
Arnulfs über die fränkischen Teilreiche, Rudolf 1. Ton Burgund
und das deutsche Reich. Rudolf II. und Burchard von Schwaben.
Für eine Beteiligung des Reichs an dem Abkommen von 922 fehlt
jeder Anhalt. Der Tag von Worms 926. Die Beziehungen Bur-
gunds zu Deutschland geregelt. Diuuals wahrscheinlich ist die
heilige Lanze an den deutschen König gekommen I
/weites Kapitel
Die staatsrechtliche Bedeutung der heiligen Lanze
Ursprung und Bedeutung der heiligen Lanze in Italien. Die
Pfalzgrafen Giselbert und Samson. Die heilige Lanze als Kon-
stantin-Lanze und die Nagelreliquie. Die Eiserne Krone von
Monza. Der Name Konstantins als Inbegriff des Imperiums.
Kaiser Ludwig III. und sein Sohn Karl Konstantin. Rudolf II. von
Burgund als König von Italien. Die Konstantin- Lanze kein Ab-
zeichen des burgundischen Königreichs.
Die Bedeutung der heiligen Lanze für das deutsche König-
tum. Die Anfänge bei Liudprand und Widukind. Die Verwendung
der heiligen Lanze im allgemeinen, bis ins 13. Jahrhundert. Die
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X
Seite
heilige Lanze als Investitursymbol bei der Erhebung Heinrichs II.
Sie behält diese Funktion nicht, bleibt aber eins der hervor-
ragendsten Abzeichen der Herrschaft bis ins 14. Jahrhundert.
Die Rcichsinsiguien als „Heiligtümer.“ Die heilige Lanze verliert
ihre Bedeutung als eigentliches Insigne IS
Exkurs I. Zur Geschichte Heinrichs VI. und seines Bruders
Philipp in den Jahren 1196 nnd 1197 38
Exkurs II. Zu den Reichssprnchen Rcinmars von Zwctor . 42
Drittes Kapitel
Die Gestalt der heiligen Lanze
Die heilige Lanze mit und ohne Schaft. Die Form des Lanzen-
eisens. Die Wiener Lanze. Die Beschreibung Liudprands. Die
Wiener Lanze ist nicht das von Heinrich I. erworbene Exemplar.
Arnold von St. Emmeram und das Bambcrgcr Missale Heinrichs II.
Der Wechsol tritt zwischen 1035 und 1099 ein. Mögliche Gründe.
Verlust der Reichsinsignien im Kriege. Die Melker Lanze ist
keine deutsche Königslanze 44
Viertes Kapitel
Die deutsche Königslanze als Mauritiuslanze
Die Inschrift an der Wiener Lanze. Karl Martell und Karl
der Kahle als angebliche Besitzer der Mauritius-Lanze. Der
hl. Mauritius und das Königreich Burgund. Die Mauritius-
Lanze kein Insigne des burgundischen Königtums. Sie ist nicht
durch den Anfall Burgunds 1032 an Deutschland gekommen. Der
Bericht Hugos von Flavigny. Spätere Sagen, Bonizo, Gottfried
von Vitcrbo, Thomas von Pavia. Der historische Hintergrund
der Sage. Otto der Große nnd Konrad von Burgund. Die
Könige von Burgund als Äbte von St. Maurice d’Agaune. Der
Rückgang der Abtei, sie kommt an das Haus Savoyen. Boso von
Vienne und das rcgnum Arelatense. Boso und der hl. Mauritius.
Unkenntnis der wirklichen Vorgänge in den Zwicfalter Annalen
nnd bei Spätem. Die Bamberger Legende Heinrichs II.
Die Ottonen und der hl. Mauritius. Magdeburg. Der hl. Mau-
ritius als Patron des Königs und des Reichs. Die deutsche Königs-
lanze als Mauritius-Lanze. Kein Zusammenhang mit dem Ver-
schwinden des ursprünglichen Eisens und seiner Ersetzung durch
das Wiener 54
Exkurs III. Zu Wilhelm von Mahnesbury, Gcsta regurn
Anglorum II 135 (Das Schwert Konstantins und die Lanze des
hl. Mauritius in England. Das Schwert Karls des Großen bei
den Normannen in Irland. Die Passionslanze als Lanze Karls
des Großen) 67
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XI
Fünften Kapitel
Andere Kiintgslanzen
Die Lanze des Degenkönigs Rudolf und des Böhmenherzogs.
Die Lanze (?) des hl. Olav in Norwegen. Die ungarische Königs-
lanze.
Die polnische Königslanze. Heute in Krakau. Nicht dauernd
eigentliches Insigne. Beschreibung, stimmt genau zu der
Liutprands. Die polnische Überlieferung. Dio Krakauer Lanze
ciue Nachbildung der ursprünglichen deutschen. Kein Geschenk
Ottos III., sondern eigenmächtig angenommen durch Bolcslav
Chabri 1025 70
Sechstes Kapitel
Ule deutsche Klinigslanze als Longinns-Lanze
Aufkommen der neuen Benennung und Deutung. Widerspruch
dagegen. Verstummen des Zweifels seit Karl IV. Das festuui
lancee et clavormn. Die deutsche Lanze als reine Reliquie. Die
Reformation macht sie zur bloßen Rarität 78
Schloss
Ergebnisse. Allgemeinere Beziehungen . . 84
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Abkürzungen
Moiiumenla Germaniuc bistorica.
Ilannov. ct Bcrol. 1826 ff.
Scriptores
Legcs
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Einleitung
Die kaiserliche Schatzkammer iu der alten Hofburg zu Wien
bewahrt mit den übrigen Insignien des heiligen römischen Reichs
deutscher Nation auch die heilige Lanze, die einst vor andenn als
Sinnbild seiner Macht und seiner erhabenen Würde geehrt und
gehütet wurde. Der Lanze und dem „merklich Stück“ des heiligen
Kreuzes verdankt es ja in der Volksanschauung nicht zum wenigsten
den Namen des „heiligen.“
Heute ist ihr Ruhm dahin. Bocks großes Prachtwerk über
die Reichskleinodien gedenkt ihrer nur flüchtig im Anhang und
nur auf Grund von Beschreibungen des 18. Jahrhunderts1). Wenn
der Lanze neuerdings eine Untersuchung gewidmet wurde’), so
galt sie der Reliquie, die in der Hand des Longinus die Seite
Christi geöffnet haben sollte, nicht dem Wahrzeichen des alten
Reichs.
Der hohe Wert, den das Mittelalter bestimmten symbolischen
Handlungen beim Übergang der Herrschaft auf einen neuen Re-
genten beimaß, die geradezu staatsrechtliche Bedeutung, die den
Reichsinsignien für Erwerbung und Behauptung der höchsten
') Franz Bock, Die Kleinodien des heiligen Römischen Reichs deutscher
Nation. Wien und Leipzig 1864.
•) F. de MdI 7, Reliqnes de Constantinople. La Sainte Lance, in der
Revue de l’Art chrdtien, 40 me Annde, 4 e 8drie , Tome VIII (XLVI e de
la collection), Lille— Paris 1897, 8. 1—11. 120—127. 287 — 302. Besonders
wichtig sind die Abschnitte über die von Jerusalem nach Konstantinopel
und von da nach Paris und Rom gekommene, sowie über die 1098 von den
Kreuzfahrern in Antiochia gefundene, jetzt in Etschmiadzin, westlich von
Eriwan in Russisch Armenien, befindliche Lanze.
Ho tmelster, Die heilige Leu« 1
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2
Gewalt, zukam1), sind stets in ihrem ganzen Umfange erkannt
und gewürdigt worden. Den tiefem Wurzeln dieser Erscheinung,
die in dem innersten Gefühlsleben der Völker zu suchen sind, ist
man vor längerem von .staatswissenschaftlicher Seite in all-
gemeinerem Zusammenhang nachgegangen !). Über die äußere
Geschichte der Reichsinsignien im ganzen sind wir im wesentlichen
auch durch neuere Forschungen unterrichtet’).
Auf die Lanze entfällt dabei nur ein kleiner Teil des
Interesses, und gerade über sie sind mit am meisten wider-
sprechende und unbestimmte Vorstellungen verbreitet4). Und
doch verlohnt es sieh wohl, ihr größere Aufmerksamkeit zuzu-
wenden. Hat sie doch lange zu den vornehmsten Abzeichen des
Königs gehört, und führt sie uns doch unmittelbar in die Zeit,
wo das deutsche Reich sein selbständiges Dasein beginnt, wo es
*) Mit ihnen wird dein Erwählten „das Ueich überantwortet“, M.
Kramincr, Wahl und Einsetzung des deutschen Königs, Weimar 1905, S. 1 f.
und 79 f. in Quellen und Studien zur Verfassungsgeselüchte de? deutschen
Reiches in (Mittelalter und Neuzeit hgb. von Karl Zeumer 12. Vgl.
Frensdorff in der gleich zu nennenden Abhandlung S. 61 ff.
s) W. Roscher, Politik, Stuttgart 1892, S. 41 f. Frensdorff hat
darauf hingewiesen.
*) F. Frensdorff, Zur Geschichte der deutschen Reichsinsignien, in
den Nachrichten von der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen,
phil.-hist. Klasse 1897, S. 43—89. Er behandelt besonders die Zeit der
Aufbewahrung in Nürnberg.
4) Man sehe etwa die dürftigen Notizen bei E. Gritzner, Symbole
und Wappen des alten deutschen Reiches, Leipzig 1902 (Leipziger Studien
aus dem Gebiet der Geschichte VIII 3), S. 18 und 28.
Am vollständigsten handelt über die einschlägigen Fragen Alexander
Prze zdziocki, 0 wldczni zwanej 4. Maurycego, przecbowanej w skarbcu
katedry Krakowskiej (Über die Lanze des hl. Mauritius im Domschatz zu
Krakau), in der ßiblioteka Warszawska 1861. Tom drugi. Poezet Nowy,
Tom II. (2. Band. Neue Reihe), S. 505 —547, dessen Abhandlung aber
ihrer Sprache wegen nicht viel Beachtung hat linden können. Auch aus
J. P. Roeders Codex historicus testimonioruin locupletissimorum de fatis
klinodiorunt augustalium Norimbergae adservatorum, edidit Chr. Th. de Murr,
Francofurti et Lipsiae 1789, ist noch immer einzelnes zu entnehmen; darin
vor allem eine reichhaltige Bibliographie der älteren Litteratur von 1467
bis 1789 (von Murr). Das Material für die deutsche Lanze bis zum 12. Jahr-
hundert bei Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichtc VI, 2. Auflage besorgt
von G. Seeligor (1896), S. 296 ff.
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3
aber zugleich als Erbe der älteren Linie der Karolinger die Nach-
folge der römischen Imperatoren und mehr noch eine, wenn auch
wenig bestimmte Oberherrlichkeit über die übrigen Teilstaaten des
einstigen Gesamtreiches der Franken in Anspruch nimmt, in die
Zeit also, die die Anfänge des Systems sah, dessen Entwickelung
und Verfall den wesentlichen Inhalt der mittelalterlichen Geschichte
ansmacht.
1
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Erstes Kapitel
Die Erwerbung der heiligen Lanze
durch Heinrich I.
Erst allmählich ist der Bestand der Reichskleinodien so reich-
haltig geworden, wie er uns heute vorliegt. Namentlich was man
bei der später geläufigen Unterscheidung von „Reliquien“ und
„Kleinodien“, d.h. eigentlichen Insignien, den ersteren zurechnete, ist
in seiner Masse verhältnismäßig jungen Ursprungs'). Bis ins
13. Jahrhundert kennen wir davon nur das Kreuz und die Lanze.
Auch sie hat das Reich nicht von jeher besessen. Für das
fränkische Königtum der Karolinger sind Schwert, Scepter und
Krone die Zeichen der Herrschaft*). Eine Spur davon wird man
bei Widukind finden, wo er neben der heiligen Lanze und anderen
Insignien ausdrücklich vom „Schwert der alten Könige“ spricht*).
Das Kreuz treft'en wir zuerst unter Karl III., dem Arnulf
von Kärnten auf das heilige Holz, ähnlich wie später Heinrich V.
dem Vater, den Eid der Treue leistete, freilich, ohne ihn darum
besser zu halten4).
') Vgl. Frensdorff a, a. 0. 8. 45.
*) Vgl. Waitx, VG. III* 8. 249 ff.
*) Widokind, Ros gestao Saxonicae 125 od. K. A. Kohr (SS. rorum
Gennanicarum), Hannover 1903, S. 33: (Konrad I. auf dom Totenbett xu
seinem Bruder Eberhard) Somptia igitur his insigniis, lancea sacra, armillis
aureiB cum clamide et veterum gladio regum ac diademate . . .
4) Ann. Koldenses Pars III. auct. Meginhardo 887 cd. Kurze (S8. rcrum
Germanicarum), Hannover 1891, S. 106: Cui (sc. Arnolfo) imperator lignuni
b. crucis, in quo prius ei fidem se servaturum iuraverat, per Liutbertum
archiepiscopum destinavit, ut sacramentorum suorum non immemor tarn
ferociter et barbare contra eum non faeeret. Quo viso lacrimas fudisse
perbibetur; tarnen disposito prout voluit regno . . . Diese von A. Winkler,
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5
Die heilige Lanze hatte nach Widukind I 25 bereits Konrad I.
im Sterben mit den übrigen Insignien durch seinen Bruder an
Heinrich von Sachsen geschickt. Doch das beruht zweifellos auf
einem irrigen Rückschluß des Autors aus den Verhältnissen seiner
eigenen Zeit1).
An sich ist allerdings die Lanze als Symbol für die Über-
tragung der Herrschaft wie bei den Langobarden8), so auch bei
den Franken wohl bekannt, wie die oft angeführte Szene zwischen
Guntramn und Childebert II. 585 lehrt*). Als Abzeichen des
Königs finden wir sie häufig, häufiger wohl als andere, auf bild-
lichen Darstellungen, insbesondere auf Münzen schon in mero-
vingischer Zeit und auf Siegeln der ostfränkischen (deutschen)
Herrscher seit 832 4).
Aber die Lanze, die nachher als das siegverleihende Abzeichen
des Reiches galt, die heilige Lanze ist das nicht. Sie hat erst
Heinrich I. von König Rudolf II. von Burgund erworben.
Wir haben darüber den ausführlichen Bericht Liudprands
von Cremona in seiner Antapodosis IV 25*). Ich setze die ganze
Die deutschen Rcichskleinodien, Berlin 1872 (Sammlung gemeinverständlicher
Vorträge hgb. von Virchow und Holtzendorff VII 154), S. 25 vertretene
Beziehung de» „lignum s. crucis“ ist freilich von Waitz VG. VIS 300 A. 1
abgelehnt worden. Sie scheint mir aber wegen des analogen Falles bei
Heinrich V. unabweisbar. Vgl. Meyer von Knonau. Jahrbücher de» deutschen
Reichs unter Heinrich IV. und Heinrich V., Band V S. 57, und unten S. 50 A. 1.
') Ungangbar ist natürlich der Ausweg Melys, Revue de l’Art chretien
1897, S. 292 f., Konrad möge ja schon die spätere heilige Ranze an Heinrich
geschickt haben, sie sei aber vielleicht nicht in dessen Hände, sondern auf
Umwegen in die des burgundischen Königs gelangt.
*) Bei diesen regelmälüg, Paulus diac., Hist. Langob. VI 55, MG. SS.
rerum Langobardicarum S. 184: Langobardi . . . Hildeprandum . . . regem
levaverunt (i. J. 735). Cui dum conturn, sicut moris est, traderent . . .
*) Gregor Turon., Hist. Francorum VII 33, MG. SS. rerum Mero-
vingicarum I 313: Post baec rex Gunthramnus data in manu regis Childe-
berthi basta ait: ,Hoc est indicium. quod tibi omne regnum meuin tradedi . .
Vgl. H. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte II (1892) S. 16.
4) Zuerst bei der Urk. Ludwigs des Deutschen für Salzburg, Mühl-
bacher, Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern, 2. Auflage,
Nr. 1346 (1807); Sybcl und Sickel, Kaiserurkunden in Abbildungen 19.
S. im übrigen Waitz VG. II l3 S. 174. VI» S. 297 A. 1.
*) ed. E. Dümmlcr (SS. rerum Gcrmanicarum), Hannover 1877, S. 91 f.
Die Bibelstellen sind zum Teil bereits in der Liudpraud-Übersetzung vou
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Stelle im Wortlaut hierher, da ihre genaue Auslegung von grund-
legender Wichtigkeit ist. Liudprand schreibt : Burgundionum rex
Kodulfus, qui nonnullis annis Italicis imperavit, lanceam illam a
Samson comite dono accepit. Erat enim exepta ceterarum specie
lancearum, novo quodam modo novaque elaborata tigura, habens
iuxta lumbum medium utrobique fenestras. Hec pro pollicibus
perpulcrae duae acies usque ad declivum medium lanceae exten-
duntur. Hane igitur Constantini Magni, sanctae fllii Helenae,
vivificae crucis inventricis, fuisse adfirmant, quae media in spina,
quam lumbum superius nominavi, ex clavis manibus pedibusque
domini et redemptoris nostri Jesu Christi adfixis cruces habet.
Heinricus itaque rex, ut erat Dei timens totiusque religionis
amator, audito Rodulfum tarn inestimabile donum habere caeleste,
nuntiis directis temptavit, si premiis aliquibus id posset adquirere
sibique adversus visibiles atque invisibiles hostes arma invictissima
triumphumque perpetuum preparare. Quod cum rex Rodulfus
modis omnibus se numquam hoc acturum ediceret, rex Heinricus,
quia mollire hunc muneribus non potuit, minis terrere magnopere
curavit. Omne quippe regnum eius cede atque incendiis se depo-
pulaturum esse promisit. Quia vero quod petebatur munus erat,
quo caelestibus terrea Deus coniuaxerat, lapis scilicet angularis *)
faciens utraque unums), Rodulfi regis cor emollivit, iustoque regi
iusta iuste petenti cominus tradidit. Neque enim pace presente
simultatd locus erat. Kam et eo, qui his crucifixus est, a Pilato ad
Herodem properante, Jacti sunt amici in illa die, qui priue
inimici erant ad invicem*). Quanto autem amore rex Heinricus
prefatum inestimabile donum acceperit, cum in nonnullis rebus,
tum in hoc presertim claruit, quod non solum eo dantem se
auri argentique muneribus, verum etiam Suevorum provincie parte
non minima honoravit. Deus autem, qui, quo quisque quid
animo peragat, intuetur4), non muneris quantitatis sed bonae
voluntatis inspector ac retributor, quanta ob prelibatam rem
t. d. Osten-Sacken, 2. Aufl. von W. Wattenbach, Oescbicbtscbreiber
der deutschen Vorzeit 29, Leipzig 1890, S. 65 naebgewiesen.
‘) Jes. 28, 16; Eph. 2, 20.
*) Eph. 2. 14.
*) Luc. 23, 12.
*) 1. Keg. 16, 7.
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mercede aeterno in saeculo pium donaverit regem, indiciis quibus-
dam hoc etiam in tempore prodidit, dum contra se insurgentes
hoc vietorifero preeunte signo semper hostes terruit atque fugavit.
Hac igitur occasione, iinmo Dei voluntate, sanetam rer Heinricus
rompheara adeptus est; quam filio suo. de quo inpresentiarum
nobis sermo est, decedens cum regno simul hereditario dereliquit.
Qui quanta donum inestimabile veneratione coluerit, victoria non
8olum indicat presens ') , verum divinorum, ut promturi sumus,
admiranda largitio munerum’).
Alle spätem — es sind nicht wenige — die das Gleiche,
wenn auch nie so ausführlich, berichten, schöpfen unmittelbar
oder mittelbar aus dieser Stelle. Es ist nicht unnötig, das nach-
drücklich zu betonen, ehe wir uns um volle Klarheit über die
Zuverlässigkeit und die Tragweite unsres Berichts bemühen.
Liudprands Antapodosis ist der einzige Zeuge für die Er-
werbung der heiligen Lanze durch Heinrich I. Bei dem genug-
sam bekannten Charakter dieses Werkes, das zum grollen Teile
mehr einer Anekdotensammlung mit historischem Hintergründe,
als wirklicher Geschichtserzählung gleicht, können solche allein-
stehenden Nachrichten nicht ohne weiteres als gut beglaubigt
gelten. Doch in diesem Falle ist ein Zweifel an der berichteten
Tatsache nicht berechtigt. Liudprands Schwäche ist die prag-
matische Verknüpfung, der wirkliche Zusammenhang der Ereig-
nisse, seine Stärke liegt in der Auffassung des Einzelnen ohne
Rücksicht auf den Platz, den es, bedingt und bedingend, in der
Gesamtheit des Geschehens einnimmt3). Um das Letztere handelt
') Bei Birten 939.
5) Er meint die Erfolge Ottos während seiner Regierung.
3) Antapodosis III 46 z. B. läßt er den König Hugo zusammen mit
der Marozia durch Alberich aus Rom vertrieben werden, während diese
vielmehr von ihrem Sohn in Haft gehalten wnrde. Den mit dor
Marozia-Geschichto zusammenhängenden Sturz Lamberts von Tuscien erzählt
er c. 47 nach diesem 932 erfolgten Ereignis, während dessen Nachfolger
Boso schon vor 17. Okt. 931 an seine Stelle getreten zu sein scheint, und
die Erhebung des jungen Lothar zum Mitkönig (931 Mai 15.) bringt er
gar erst IV 2 als erstes der von ihm aus eigner Anschauung zu berichtenden
Ereignisse, nachdem er doch bereits III 49 — 52 den Einfall Arnulfs von
Baiern in Italien von 934 —35 erzählt hat. Es ist so auch sehr wohl
möglich, daß er III 43 die Einsetzung Papst Johanns XI. (März 931) fälsch-
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ft
es sich liier, zudem um etwas, worüber Liudprand bei seinen
engen Beziehungen zum Ottonischen Hofe aufs beste unteirichtet
sein konnte.
Liudprand macht seine Angabe gelegentlich1), als er
Ottos I. Sieg über die Aufständischen unter Giselbert von Loth-
ringen und Eberhard von Franken bei Birten 939 berichtet, den
er dem Gebet des Königs und der Seinen vor den Passionsnägeln
an der Königslanze zuschreibt2). Er gibt eine zwar nicht leicht
verständliche, aber ganz konkrete Beschreibung der Lanze, auf
die zurückzukommen ist; er hat nach seiner Art keine Zeit-
bestimmungen, gibt aber kurze und bestimmte Angaben über die
äußere Geschichte, die sich gerade dadurch empfehlen, daß sie
das Sagenhafte als solches kennzeichnen und mit dem, was sie
als Tatsache geben, alsbald und sehr überraschend auf einen
toten Strang führen.
Von König Rudolf von Burgund hat Heinrich den Schatz
erworben, vom Grafen Samson jener, der zeitweilig auch König
in Italien war. Den Grafen Samson kennt die Geschichte ver-
hältnismäßig gut 3). Welches Interesse aber verband seine Person
mit dem Kleinod des deutschen Königs? Liudprand schweigt,
lieh dem Markgrafen Wido von Tuscien tuschreibt: wahrscheinlicher ist
mir jetzt allerdings, daß Liudprand vielmehr darin irrt, daß er Johann XI
unmittelbar auf den bald nach seiner Qefangensetzung im Juni 928 ge-
storbenen Johann X. folgen läßt. Der Tod Widos ist dann nicht, wie ich
Mitteilungen usw. S. 403 mit den Frühem angenommen habe, auf 928—29,
sondern mit Hauck Kirchengeschichte Deutschlands III 3 (1906) S. 212
A. 5 auf 931 Frühjahr anzusetzen.
9 Antapodosis IV 24 Ende: Sed quia lanceae ipsius sanctae memoriam
fecimus, hic, qualiter ad eum pervenerit, inseramus. Es folgt c. 25, wie
oben angeführt.
*) Antapodosis IV 24: Rex denique . . ., quoniam fluvio intercedente
corporali presentia subvenire suis non poterat, recordatus populi Domini . . .
protinus de equo descendit seseque cum omni populo lacrimas fundens
ante victoriferos clavos manibus domini et salvatoris nostri Jesu Christi
adiixos suacque lanceae inpositos in orationem dedit, usw.
3) Vgl. über ihn meine Bemerkungen in den Mitteilungen des Instituts
für österreichische Geschichtsforschung VII. Ergänzungsband S. 379 A. 5
und R. Poupardin, Le royaume de Bourgogno (888 — 1038). Etüde sur les
origincs du royaume d'Arlcs (Bibliothequu du Fecolc des hautes etudes 136),
Paris 1907, 8. 377—379.
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9
und im Grunde kann man nur antworten: gar keines, wenn nicht
ein rein äußerlich antiquarisches.
Nach Liudprand hat der Graf die Lanze dem König Rudolf
zum Geschenk gemacht; sie wäre also solange sein Eigentum
gewesen. Heinrich I. wiederum wird bei ihm lediglich durch
religiöse Gründe getrieben, mit Versprechungen, Drohungen,
schließlich sogar Gebietsabtretung den Erwerb durchzusetzen:
eine Begründung, wie sie wohl unserem Autor passend und möglich
erschien, wie sie vielleicht ancli zu seiner Zeit, etwa ein Mensehen-
alter nach dem Ereignisse, unter den Hofleuten umging, die
aber für die historische Betrachtung nicht zulässig ist, zudem
auch mit dem bekannten Charakter des deutschen Königs1) in
Widerspruch steht. So hat man seit Alters mit Recht versucht,
die Lanzengeschichtc aus den burgundisch-deutschen Beziehungen
zu erklären und in diesem Zusammenhänge die tiefem Gründe
aufzudecken, die den Besitz des Kleinods dem deutschen König
so überaus wertvoll machten. Ein sicheres Ergebnis freilich ist
auf diesem Wege bisher nicht gewonnen worden und bei der
Dürftigkeit unsrer Quellen auch nur bis zu einem gewissen
Grade zu erwarten*).
Es erhebt sich zunächst die Frage, wann hat sich der Vor-
gang abgespielt? Liudprand gibt kein Datum; schon aus seinen
Worten entnehmen zu wollen, daß Rudolfs italisches Königtum
(922 — 926) damals bereits gewesen war, weist Poupardin mit Recht
als zu weitgehend zurück *). Rudolfs Vorbesitzer war ein italischer
Graf, aber auch damit gewinnen wir zunächst nichts. Denn war
Samson, wie Liudprand das nicht anders meinen kann, Privat-
besitzer der Lanze, so konnte er, auch ehe der König von Burgund
nach Italien kam, auf Grund irgendwelcher Beziehungen ihm mit
ihr ein Geschenk machen4).
*) Er wies die Krönung von geistlicher Hand zurück.
*) Die altern Meinungen sind zusammengestellt bei Waitz, Jahrbücher
des deutschen Reichs unter König Heinrich I., 3. Auflage (1335), S. 66 A. 5,
und bei Poupardin, Le rovauine de Bourgogne 8. 32 f. Ich brauche darum
auf sie nicht ausdrücklich einzugehen.
*) Le rojaume de Bourgogne S. 376 A. 4.
*) Daß Rudolf die Lanze in Italien empfing, ist erst eine — freilich
sehr nahe liegende — Combination des nur aus Liudprand schöpfenden Prutolfs
MG. SS. VI. 182,30: Ituodolfus. qui nonnullis annis Italicis imperabat, lan-
ceam quandam ibi a Samsone quodaiu cornite dono accoperat . . .
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10
Spätere annalistische und chronistische Quellen nennen freilich
vielfach ein bestimmtes, aber nicht das gleiche Jahr, und obwohl
ihre Abhängigkeit von Liudprand unzweifelhaft und kaum bestritten
ist, fehlt es nicht an Bemühungen, für eines dieser Daten historische
Glaubwürdigkeit zu beanspruchen. Das hat vor allem Waitz,
wenn auch mit aller ihm eigenen Zurückhaltung, getan, dessen
Ansatz v. Ottenthal1) und neuerdings Poupardin aufgenommen
haben.
An sich ist die Möglichkeit eines selbständig überlieferten
Datums auch in einer abgeleiteten Darstellung nicht gänzlich aus-
geschlossen. Aber wahrscheinlich ist diese Annahme von vorn-
herein nicht. In unserem Falle zumal bestehen gewichtige Be-
denken dagegen.
Aus Liudprand schöpfen Frutolf von Michelsberg und Sige-
bert von Gembloux, aus Sigcbcrt und Liudprand zusammen
Alberich von Trois-Fontaines2). Sigebert, der den Bericht seines
Gewährsmannes in einen kurzen Auszug bringt, setzt ihn ganz
willkürlich zu 929. Er hat auf die vorhergehenden Jahre eine
Reihe Notizen aus Liudprand verteilt, mit unserer hat er das ihm
sonst leer bleibende Jahr 929 gefüllt5). Aus ihm hat dasselbe
Jahr Alberich, der an Sigeberts Worte die Beschreibung der
Lanze aus Liudprand und einen Satz aus Otto von Freising
anfügt4).
Frutolf (+ 1103 5) bringt seine Angabe in dem längeren Ab-
schnitt zu Anfang Heinrichs I., den er auf 920 ansetzt *). Sein
Werk hat bald darauf Ekkehard von Aura überarbeitet und durch
') Die Regesten des Kaiserreichs unter den Herrschern aus dem
Sächsischen Hause. Erste Lieferung. Innsbruck 1893. Nr. 7 a.
*) Auf Liudprand beruhen auch die Vita Gerhards von Brogne c. 13,
MG. SS. XV. 2 S. GG4, und Andrea Dandulo, Chron. VIII c. 10 P. XII,
Muratori SS. rerum Italicarum XII 200, die aber beide kein Jahr nennen.
3) MG. SS. VI. 347. Ans ihm abgeleitet sind die Ann. Dorenses
MG. SS. XXVII. 518, die zur Abwechslung 927 statt 929 ansetzen. Zu
928 — 932 haben sie nichts.
4) MG. SS. XXIII 759, vollständig bei Leibniz, Accessionum histori-
carum Tom. II, Hannover 1698, S. 266. Über seinen abweichenden Text
der Liudprandstelle s. unten S. 48.
5) Bresslau im Neuen Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Gc-
schichtskunde XXL (1896) S. 215.
«) MG. SS. VL 182.
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11
Auszüge aus Sigeberts Clironik erweitert1). Zu 025 bringt er
nach Sigebert 024 einen Satz über Rudolfs italisches Königtum,
an den er in der Redaktion K die an ihrem früheren Orte fortge-
lassene Lanzengeschiehte mit Frutolfs Worten anschließt8). Aus
Ekkehard Fassung E haben das Jahr 925 der Annalista Saxo*)
und der Chronographus Saxo *) ; aus der gleichen Quelle schöpfen
die Pöhlder Annalen, die ihre Notiz dem 6. .Jahre Heinrichs I. zu-
weisen s).
Aus Frutolf schöpft auch Otto von Freising in seiner Chronik
VI 18‘). Er stellt die Sache ans Ende von Heinrichs Regierung
unmittelbar vor seinen Tod, weshalb dann die Reiehersperger
Annalen das Jahr 935 annehmen7). Auf Otto von Freising aber
beruhen, wie schon Wattenbach bemerkt hat, auch die österreichischen
Annalen noch aus dem 12. Jahrhundert, die Salzburger •) und die
Admunter 9) Annalen zu 922, ebenso in wörtlicher Übereinstimmung
mit letztem die Garstener Zusätze 10) der Melker Annalen und
aus demselben Born gespeist auch deren aus dem 14. Jahrhundert
*) Die Recensionon D und E in der Ausgabe von Waitz, MG. SS. VI.
>) MG. SS. VI. S. 183 f., vgl. S. 180 Anin. **.
s) MG. SS. VI. 596.
*) Gedruckt als Annales Magdeburgenses MG. SS. XVI. 142. Nach
Waitz MG. SS. VI. 552 hat der Chronographus den Annalista ausgeschrieben.
Ich untersuche hier diese Frage natürlich nicht.
5) MG. SS. XVI. 60. Da sie Heinrichs erstes Jahr = 919 setzen,
so entspricht bei ihnen das sechste dem Jahre 924. Nach ihnen die Sächsische
Weltchronik c. 148, MG. Deutsche Chroniken II, 158, die hinzusetzt: Dit
is dat sper, darvan gelieret is Komisch rike mit deme krucc unde mit der
cronen.
6) MG. SS. XX. 237,5. Auf Frutolf gehen weiter zurück die Gesta
episcoporum Halbcrstadensium, MG. SS. XXIII 83,10 ohne Jahr, UDd Albert
von Stade, MG. SS. XVI 311 zu 920. Wenn die Gesta ep. Haiberst, von
der Lanze sagen: cui inclusa sunt de spina, de cruce, ex clavis manibus
et pedibus Salvatoris nostri alixis, so ist das nur ein Mißverständnis der
von Frutolf übernommenen 'Worte Liudprands.
7) MG. SS. XVII. 443. Auf Otto beruht auch Gottfried von Viterbo
Pantheon XXIII. c. 28, MG. SS. XXII 233, soweit er nicht einer zweiten
unten S. 57.61 behandelten Version folgt.
Ann. S. Budberti Salisburgcnses 922, MG. SS. IX. 771.
B) Anu. Aduiuntcnses 922. MG. SS. IX. 573.
Iu) Auctarium Garsteuse 922, MG. SS. IX. 565.
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12
stammende Melker Erweiterungen '). Auf verhältnismäßige Selb-
ständigkeit können von diesen vier am ehesten die Salzburger
und die Admunter Annalen Anspruch machen, aber auch sie be-
nutzen wieder eine gemeinsame Quelle*), sodaß im besten Falle
ein einziges Zeugnis übrig bleibt.
Für die Admunter Annalen ist es sicher, daß ihre Notiz aus
Otto stammt, den sie auch sonst benutzen *), und auch für die Salz-
burger Jahrbücher kann meines Erachtens an dieser Herkunft ein
Zweifel nicht bestehen, denn auch sie haben anderweitig dieselbe
Quelle ausgeschrieben 4). Die nahe Verwandschaft ihrer Fassung
mit der Admunter liegt auf der Hand 4). An eine selbständige
’) Auctariuui Mellicensc 922, MG. SS. IX. 536. S. auch unten S. 63
A. 3.
s) Vgl. 0. Redlich, Die österreichische Annalistik bis rum Ausgang
des 13. Jahrhunderts, in den Mitteilungen des Instituts für österreichische
Geschichtsforschung III (1882) S. 527 ff.
J) i. B. 1132 S. 578 aus Ottos Chronik VII 18 und 20; 1137 S. 578
aus Otto VII 20 und 21; ebenso an vielen andern Stellen, i. B. zu 535, 612,
1002, 1009, 1037, 1040, 1042, 1044, 1047 und öfter. Vielleicht auch 921,
S. 573 aus Otto VI 16 (wo aber Heinrichs I. Thronbesteigung mit Frutolf
zu 920 gesetzt wird) und 18.
4) Am klarsten wird das 1137 S. 775, wo zu den aus Otto VII (20 und)
21 übernommenen Todesfällen (vgl. Auct. Garst. S. 569) nur der Tod des
Salzburger Propstes Hermann hinzugefügt ist. Des weiteren kann inan z. R.
folgende Notizen auf Ottos Chronik zurückführen. 1132 S. 775 Lotharius
— substituit (auch im Auct. Garst.), Otto VII 18—20; 1105 S. 774 Hein-
ricus — cepit (zum Teil auch im Auct. Garst. S. 568), Otto VII 10 und 1 1 ;
1009 S. 772 Heinricus — convertit (noch wörtlicher zu Otto stimmt Auct.
Garst. S. 567), Otto VI 27: 955 S. 771 über die Ungamschlacht am Lech,
mit Ausnahme des Tagesdatums (d. Name „Otto* für den verräterischen
Grafen von Scheiern ist leicht durch ein Mißverständnis zu erklären : Auct.
Garst. S. 566 stimmt wieder in dem unbestimmten quodam Schirense comite
genauer zu Otto; da« Tagesdatum enthielten schon die Anu. Mellicenses),
Otto VI 20; 921 S. 771 Heinricus rex et Arnoldus dux paciiicantur (auch im
Auct Garst. S. 565), Otto VI 18; 918 S. 771 Exhinc regnum Teutonicorum
supputatur (auch im Auct. Garst 919 S. 565), Otto VI 17; 914 S. 771 Ar-
noldus dux regi rebellans in Ungariam pellitur (auch im Auct. Garst S. 565),
Otto VI 16. Ist diese Ableitung richtig, so wird die Annahme einer selb-
ständigen baj rischen Überlieferung für die beiden zuletzt genannten Er-
eignisse hinfällig. Auch sie führt dann über Otto auf Frutolf und damit
auf Liudprand zurück; ihre Daten verlieren damit jeden Wert.
4) Ann. S. Itudb. Salisb. 922, MG. SS. IX. 771: Heinricus rex
lanccam sacram a rige Rudolf o Burgundiae mims extorsit.
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Benutzung des Otto in Salzburg und in Admunt läßt sich hier
nicht denken und so das Datum 922 sich nicht retten. Denn es
wäre zu auffällig, wenn an beiden Orten die ursprüngliche Über-
lieferung durch einen ^uszug aus dem gleichen Schrittsteller ver-
drängt wordem wäre, ijuod * *s ist durch eine andere Stelle gesichert,
daß ihre gemeinsame Quelle selber bereits Ottos Chronik aus-
schneb 1 ) .
Nicht vor der Mitt, des 12, Jahrhunderts *) ist somit das
Datum 922 mit der Lanzengesehichte verbunden worden, in einer
Kompilation, die liier ihwn^toty, einetÄuelle entnahm, die selber
kein bestimmtes Jahr nannte.;,, hin:-' echte Mjberlieferung aus der
1. Hälfte des 1U. Jahrhunderts dfuTei. wir 4*rin nicht mehr er-
blicken. „iji, . |,v,.
tJWßrib. ' tvtfiü -.it.
Wir haben kein direkt beglaubigtes Daton^fv können »vir etwa
indirekt zu einem bestimmten Ansatz gelangen ?
Zweimal zwischen 919 und 936 gibt es in den hurguudiacli-
deutschen Beziehungen einen Punkt, an den sich aLknüpfen läßt,
922 und 926. \
Als mit dem Sturze Karls III. zu Ende 887 das kaum wieder
vereinigte Reich Karls des Oroßen endgültig auseinander^, be-
hauptete sein Erbe auf dem ostfränkischen Thron nicht ohne Erfolg
einen Vorrang gegenüber den andern Königen, die mit einziger 4
Ausnahme Widos von Spoleto (und des Herzogs von Aquitanien)
Ann. Admunt. 922, MG. SS. IX. 573: Heinricus rex Luttum sacram
quam reges nostri hatte nus haben t a Kudol/o rege Burgundiac minis extorsU.
Otto Fris. Chron. VI 18, MG. SS. XX. 237, 5. Lanceam quoque sa-
cram, quam reges nostri hactenus habent , a Kudolfo Lugdunensis Galliae
seu Burgundionum rege minis extorsit.
Mit Frutolf hat diese Fassung im einzelnen nichts gemein, da er
Liudprands Erzählung ausführlich mit nur geringen Kürzungen wiedergibt.
Statt des für Otto charakteristischen quam — hactenus habent hat er: eam-
que credimus esse, quae eitunc hodieque in imperatorum tutela solet manere.
*) Zu 1132 finden sich sowohl in den Salzburger, wie ausführlicher in
den Admunter Annalen irrig Angaben Ottos über den ersten und den zweiten
Zug Lothars nach Italien vereinigt, s. oben S. 12 A. 3 und 4.
*) Die Entstehung dieser den Admunter und den Salzburger Annalen
zu Grunde liegenden Kompilation l&ßt Wattenbach, Deutschlands Ge-
schichtsquellen im Mittelalter TI* S. 805 .in Salzburg etwa um das Jahr
1180“ erfolgen.
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14
seine Zustimmung zu ihrer neuen Würde für notwendig erachteten.
Man darf seine Stellung darum wohl als eine oberherrliche für
den gesamten Umfang des alten Reiches ansfiechen. Begründet
war sie offenbar in dem Anspruch, den ,dRJPk Urbe der älteren
Linie der Karolinger auf die Kaisiwwfij^WWffiP**1 .
Im Herbst 888 war König nd •) nach
anfänglichem Widerstreben in Uafjfauburg bei Arnulf erschienen,
um, dem Beispiele Odos von ^atfi^nrirojMpnd, die deutsche
Oberhoheit anzuerkennen 'jrfKur in der Form ge-
schehen sein, daß Rudo^fl|Bffi^$bf4?P'nig den Treueid leistete
und sein Reich aus dtgjlfcN mBmm, wie das in den analogen
Fällen lnr Odo "^.■<-efi,'.\r TOiWriaul4) und besonders aus-
drücklich für ]0fn uen FJnfiÜti^i6) bezeugt ist6).
Aber Jfr -jfen.ehmeu dauerte nicht. Bald kam es wieder
zu Keiner **«er JIOüMBurgund war neben Lothringen in der
Herr^r ■ Arnulf 8!lä seinem Bastard Zwentibold
em von Poupardin näher begründeten Sprachgebrauch,
id“ für das, was man früher meist als „hochburgundisches“
nisches“ Reich bezeichnet«, „Provence“ für die von Boso von
ündete Herrschaft verwende.
lühlbacher, Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern,
_ _ — 0-“, Nr. 1804 (1756) b; Poupardin, Le royatimc de Bourgognc S. 16.
| ” s) Mühlbacher a. a. 0. Nr. 1800 (1752) a. 1908 (1857) a.
4) Mühlbachcr a. a. 0. Nr. 1806 (1758) b. 1892 (1841) d.
*) Mühlbachcr a. a. 0. Nr. 1897 (1846) f. Als die Großen 890 Ludwig
von der Provence, den Sohn Bosos, zum König wählten, waren 2 Gesandte
Arnulfs zugegen, die dem jungen Herrscher, wie cs scheint, mit dem Sccpter
die Investitur erteilten. Mühlbachcr, a. a. O. Nr. 1846 (1797) a und
Poupardin, Le rojaume de Provence sous los Carolingiens (855--933?),
Paris 1901 (Bibliotheque de l’ecole des hautes etudes 131), 8. 155 ff.
*) Die Regensburger Fortsetzung der Ann. Fuldenscs, unsere einzige
Quelle über das, was zu Regensburg zwischen Arnulf und Rudolf verging,
sagt zu 888 freilich nur, ed. Kurze, S. 116: Rodolfus enim inito consilio
cum primoribus Alamannorum sponte sua ad regem urbein Radasbonam us-
que pervenit multaque inter illos convcnienter adunata ipso a rege cum
pacc permissus, sicuti venit, ad sua remcavit. Aber sic gebraucht dieselben
oder ähnlich unbestimmte Wendungen auch bei Berengar und Karl dem
Einfältigen, wo nach anderen Stellen derselben oder anderer Quellen kein
Zweifel au der Bedeutung sein kann. So glaube ich mich zu der oben ge-
gebenen Auslegung berechtigt.
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15
übertrug1). Zu erneutem offensiven Vorgehen scheint dem Bur-
gunderkönig erst der Tod Ludwigs des Kindes Anlaß gegeben zu
haben*), ohne daß wir über die näheren Umstände oder den
Erfolg unterrichtet wären.
Erst mit der Niederlage, die des ersten Königs gleichnamiger
Sohn Rudolf II. bei Winterthur einige Jahre später durch den
vor kurzem zur Macht gelangten Herzog Burchard von Schwaben
erlitt1), setzt unsere Kenntnis wieder ein. Offenbar suchte Rudolf
seine Grenzen auf Kosten des Nachbars zu erweitern. Ob und
wie weit er damals damit Erfolg hatte, ist nicht zu sagen. Jeden-
falls gelangten beide bald zu einer Verständigung. Der König
gewann die Tochter4) und die Unterstützung des Herzogs für
sein Unternehmen gegen Italien.
Daß das deutsche Reich als solches in irgend einer Weise
dabei beteiligt war, davon findet sich keine Spur. Die ganze
Stellung Burchards gegenüber König Heinrich I. läßt es meines
Erachtens ausgeschlossen erscheinen, daß dieser gegen seinen
Herzog mit dem burgundischen König in Verbindung zu treten
auch nur versucht haben sollte. Er mag das getroffene Abkommen
gebilligt haben, aber schon dafür gibt es keinen Anhalt; an ein
aktives Eingreifen seinerseits ist nicht zu denken. Damit fehlt
es auch an jeder Möglichkeit, die Erwerbung der heiligen Lanze
an diese spätestens 922 zum Abschluß gekommenen Ereignisse
anzuknüpfen.
Anders steht es um das Jahr 926. Als damals zu Ende
April Herzog Burchard vor Novara seinen Tod gefunden hatte,
griff der deutsche König in Schwaben durch, indem er den mehr
*) Mühlbacber, a. a. 0. Nr. 1908 (1857) a; Poupardin, Le rojaume
de Bourgogne S. 25 f.
s) Ann. Alamannici, Redaktion der Handschriften von Monza und Verona
912, MG. SS. I. 55: Ruodolfus rex Bnrgundiae ad civitatem Basileam. et inde
ad propria. Basel war also damals noch nicht burgnndisch.
3) Ann. Sangallenses maiores 919, MG. SS. I 78; neu berausgegeben
von Henking in den Mitteilungen zur vaterlftndischen Geschichte hgb. vom
histor. Verein in St. Gallen XIX (1884) S. 281. Die Zweifel gegen das
Jahr entbehren der Begründung, wie Poupardin, Le rojaume de Bourgogne
S. 371 ff. nachweist.
4) Ann. Sangallenses maiores 922. ■ , - '
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von ihm abhängigen Franken Hermann zum Herzog ernannte ').
Das war zugleich der gegebene Augenblick, das Verhältnis zu
Burgund zu regeln. Wir haben keine ausdrückliche Überlieferung
dafür, daß damals etwas derart geschah. Langer aber kann man
damit nicht gewartet haben. Auch für Rudolf lag die Not-
wendigkeit eines Übereinkommens nach dem Scheitern seiner
italischen Unternehmung auf der Hand, umsomehr, als sein glück-
licher Nebenbuhler in Italien, Hugo von Vienne und Arles, sich
des Wohlwollens des deutschen Nachbarn zu versichern eilte ’).
Wir wissen, daß im November 926 ein König Rudolf in
Worms am deutschen Hofe wars), und es ist bei dem Schweigen
Flodoards und zumal bei der wenige Monate später erfolgten Ver-
bindung Heinrichs mit dem mit seinem Könige zerfallenen Grafen
von Vermandoi8 nicht wahrscheinlich, daß dies der gleichnamige
König von Frankreich war4). Waitz hat zudem darauf aufmerksam
gemacht5), daß nach Liudprand Rudolf an Heinrich die Lanze
cominus übergab*), ohne freilich Gewicht darauf zu legen. Aber
cominus kann nur von einer persönlichen Überreichung „von Hand
zu Hand“ verstanden werden, und gerade in diesem Punkte einen
Irrtum Liudprands anzunehmen, ist methodisch nicht gerechtfertigt.
Wir kennen noch eine Zusammenkunft des burgundischen
und des deutschen Königs 935, an der als Dritter Rudolf von
Frankreich teilnahm *). Aber nach Liudprand trat Heinrich I. bei
Erwerbung der Lanze einen Teil Schwabens an den König von
Burgund ab. Ohne hier in die Erörterung darüber einzutreten,
was damit im einzelnen gemeint sei'), so ist doch soviel klar,
*) Möglicherweise erst auf dem gleich tu besprechenden Tage zu Worms,
Ottenthal Regesten Nr. 13 a.
>) Liudprand Antapodosis III 21, vgl. 48.
*) DH. I. 11, MG. Diplomat» I 48, 35 (926 Nov. 3., Worms).
4) S. besonders W. Lippert, König Rudolf von Frankreich, Leipzig
1886, S. 58 A. 2, dem sich Poupardin, Le royaume de Bourgogne S. 58
anschließt.
*) Jahrbücher des deutschen Reichs unter König Heinrich I., 3. Auf-
lage, S. 67 A. 5 zu S. 66.
*) 8. oben 8. 6.
*) Flodoard Annales 935, SS. III 382, 40; ed. Lauer (Collection de
textes, Paris, Picard, 1905) 8. 61. Ottenthal Regesten Nr. 49a.
*) Sicher gehörte Basel dazu, das 911 noch deutsch (s. oben S. 15 A. 2),
dann aber bis 1006 burgundisch war (Ann. Eiusidlenses 1006, MG.
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daß es sich nur um bereits strittiges oder wenigstens von
Rudolf II. begehrtes Gebiet handeln kann. Von einem Vorgehen
des Burgunders gegen die deutsche Grenze oder irgendwelchen
dahin zielenden Bestrebungen wird nach 92(5 nichts fiberliefert,
und es ist nicht wahrscheinlich, irgend etwas derart anzunehmen.
So kommt das Jahr 935 für uns nicht in Frage.
Wir gelangen mit einiger Wahrscheinlichkeit zu dem Er-
gebnis: Heinrich I. hat die heilige Lanze von dem burgundischen
König erhalten, als dieser im November 92(5 nach der Umwälzung
in Italien und bei der veränderten Lage in Schwaben in Worms
weilte, um seine Beziehungen zum deutschen Reiche zu regeln.
Wir haben zugleich für die Leistungen beider Teile einen an-
gemesseneren Zusammenhang gewonnen. Es ist verständlich, wenn
der König von Burgund mit dem Geschenk Stimmung zu machen
suchte für die Erreichung seiner politischen Ziele, und es ist ver-
ständlich, wenn die folgende Generation in dem, was er erreichte,
fas Äquivalent für seine Gabe sah.
Hat man damals die Lanze nur als Reliquie betrachtet, oder
frar ihre Erwerbung zugleich und vornehmlich das Symbol eines
jtaatsrechtlichen Vorgangs?
v. III 144). Ob die Abtretung durch Heinrich im Grunde nur eine An-
fjkennung des durch den Vertrag zwischen Kudolf und Burkhard geschaffenen
^•Standes war, ist bei dem Schweigen der Quellen nicht zu entscheiden.
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Zweites Kapitel
Die staatsrechtliche Bedeutung der heiligen Lanze
Es ist sehr möglich, daß in Worms der König von Burgund
die Oberhoheit des deutschen Königs anerkannte und den Treueid
seines Vaters erneuerte. Das Eingreifen Ottos des Großen nach
dem Tode Rudolfs II. legt diese Annahme zum mindesten sehr
nahe1). Ob die heilige Lanze dabei eine Rolle spielte, wissen
wir jedenfalls nicht*). Aber bedeutete ihr Besitz für Rudolf II.
wirklich nicht mehr als der einer Reliquie, war ihre Erwerbung
für ihn wirklich nur ein privatrechtlicher Schenkungsakt?
M6)y hat angenommen, daß Graf Samson nicht im eigenen
Namen, sondern als Vertreter der Großen Italiens handelte, di«
mit der Übersendung der Lanze als eines „signe d’investiture <Ua
royaume d’Italie“ den Burgunder aufforderten, ihre Krone in Bellte
zu nehmen5). Poupardin sucht diese Annahme sehr scharfsinnig
besser zu stützen. Er hält den Grafen Samson für identisch mit
dem Grafen Giselbert von Bergamo, der zu Ende 921 oder zn
Anfang 922 nach Burgund ging und Rudolf zum schleunigen
Einmarsch in die Lombardei veranlaßte4). Den Grafen Giselbert
kennt man seit langem als Pfalzgrafen König Hugos 926 und 927 *).
*) Vgl. unten S. 59.
*) So auch Poupardin, Lc royaume de Bourgogne S. 33.
*) Revue de l’Art ehret ion 1897 S. 293 f.
*) Liudprand, Antapodosis II G4 50. Vgl. Poupardin, I«e
royaume de Bourgogne S. 40.
*) Monunienta historiae patriae ed. iuaau regis Caroli Alberti Kill
Nr. 521, König Hugo für S. Sisto in Piacenia, 926 Sept. 3., uml NT. 524,
Placitum des Pfalzgrafen Giselbert in Paria, 927 Mai 14. Ra ist möglich,
daß G. schon durch König Rudolf das Amt des 921 Tun den Ungarn er-
« .1 i e
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19
Samson hat 929 die gleiche Wörde bekleidet1) und war schon
935 durch den Burgunder Sarilo ersetzt*). Nach der Chronik
von Novalese ist im 10. Jahrhundert in Breme bei Turin ein
Pfalzgraf Samson „illusus a propria coniuge“ Mönch geworden *),
und Giselberts Gattin Rotrude kennen wir als Konkubine König
Hugos4).
Trotzdem ist es nicht möglich, beide für eine und dieselbe
Person zu erklären. Denn Samson lebte nach saliscbem4), Gisel-
bert von Bergamo aber nach langobardischem Recht4), und Sam-
scblagenen Pfalzgrafen Odelrich erhielt Vgl. J. Ficker, Forschungen lur
Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens I 313 § 170.
') Monumcnta historiae patriae XIII N. 534. Ficker a. a. 0. kennt
ihn nicht als Pfalzgrafen, wohl aber Dümmler zu Liudprand Antapodosis
III 41. 930 in der Urkunde über einen Libellarvertrag mit Abt Jngelbert
von Nonantola heißt Samson wieder nur comes, Monum. hist, patriae XIII
N. 535, und ebenso in der Urkunde König Hugos, Muratori Antiquitates
Italicae II 938 vom gleichen Jahr. Die Könige Hugo und Lothar nennen
ihn 932 einfach ihren consiliarius, Monum. hist, patriae XIII N. 543.
*) Rudolf Hübner, Oerichtsurkunden der fränkischen Zeit, Zeitschrift
der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung,
Band XIV, N. 868, Parma 935 Mai SO., und N. 869, Pavia 935 Sept 18.
*) Chronicon Novaliciense V 23 und Appendix 3, MG. SS. VII 115 und
123, 5; Monumenta Novaliciensia vetustiora hgb. von C. Cipolla (Fonti per
la storia d’Italia pubblicate dall’ Istituto Storico ltaliano, Roma 1901) II
265 und 288.
4) Liudprand Antapodosis IV 14. Monum. hist, patriae XIII N. 575
(Urk. der Könige Hugo und Lothar von 945 März 29.). Rotrude lebte als
Witwe noch 959, als ihr Sohn Lanfrank schon tot war. Monum. hist, patriae
XIII N. 634.
4) Monum. hist, patriae XIII N. 534, Pavia 929 Nov. 19.: Constat nos
Samson comes sacri palacii, qui professo sum ex nacione mea lege vivere
Saliham, et Liutkarda filia quondam Wifredi, qui professa sum ex nacione
mea lege vivere Gumbada, set nunc modo pro ipso viro mco lege vivere
videor Saliham . . .
4) Urk. seines (schon 962 als Graf von Bergamo vorkommenden,
Lupus II S. 275) Enkels Giselbert von 993 März, Lupus Codex diplomaticus
civitatis et ecclesiae Bergomatis II (1799) S. 395: Manifestum est nobis
domnis Giselberti comes palatii et filius b. m. Lanfranchi item comes palatii
de vico Vagilate et Alsinde comitissc filia b. m. Ardoini marchio iugalibus,
qui profesri «mm ns legem vivere Langobardorum . . . Zu derselben
Fam'li. •< ö Tcnbar auch die Frau dos Markgrafen Almorich, die sich
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20
sons uns bekannte Frau Liutgarde, die Witwe des Pfalzgrafen
Odelrich, hat auch ihren zweiten Gemahl überlebt l).
Zudem betrachtet Liudprand die beiden Grafen nicht nur als
verschieden von einander, sondern was er berichtet, schließt eine
Identität geradezu aus. Giselbert ist nach ihm, was die Urkunden
bestätigen, der Schwiegersohn des Paveser Richters Walpert,
dessen großer Einfluß zum Teil eben auf dieser Verbindung be-
ruht. Samson aber ist der geschworene Feind von Walperts
Verwandten und Genossen Gezo; er zeigt dem Könige Hugo den
Weg, der zum Untergang der beiden Verräter führt, zu einer
Zeit, wo nach des Autors Worten der Pfalzgraf Giselbert bereits
verstorben war®).
954 Dez. 6., Muratori Antiquitates Italicae II 129 und Gloria Codice diplo-
raatico Padovano N. 44 S. 66, nennt: Francha Lanfranchi et relicta
supradicti Almerici, que profcssa sum ex natione mea lege vivere Lango-
bardorum. Ihren Vater Lanfrank habe ich, Mitteil. d. Inst. I. Österreich.
Geschichtsforschung VII. Erg.-lid. S. 262, mit dem 945 und wohl noch 954
vorkommenden, 959 bereits verstorbenen Pfalzgrafen Lanfrank identifiziert,
sie ist dann also eine Enkelin Giselberts I. und der Kotrude und Schwester
Giselberts II. Damit ist, wie ich jetzt meine früheren Ausführungen be-
richtige, unvereinbar, daß Franks schon 903 als Frau Almerichs genannt
wird. Muratori Antiquitates Italicae III 143. I)a aber Almerich meines
Wissens erst 938 wieder vorkomuit, so ist sehr möglich, daß entweder das
Datum dieser Urkunde falsch überliefert oder das Stück überhaupt zu ver-
werfen ist. Solange es nicht gelingt, das Dunkel zu beseitigen, das über
der Stellung des Markgrafen Almerich liegt, wird auch hier keine Ent-
scheidung zu treffen sein.
') S. die Urk. von 953 bei Affö, Iatorie dolla citta di Parma I 351.
Im Jahre 963 ist sie tot, ebenda 353.
*) Liudprand Antapodosis III 39—41. Giselbert, und mit ihm zu-
sammen die Königsrichter Walpert und Heverardus (= Gezo), kommt zuletzt
927 Mai 14. vor, s. oben S. 18 A. 5; Samson ist Pfalzgraf 929 Nov. 19., s. oben
S. 19A.5. Zwischen 927 und 929 wird also sein Vorgänger gestorben seiu.
Walpert ist wohl noch mit dem Walpertus iudex domni regis in Turin 929
Pebr. 28., Monum. hist, patriae Charta« I N. 79, zu identifizieren. Zwischen
929 und 935, wo auch Samsons Rolle bereits ausgcspielt erscheint, sind
also die berührten Vorgänge anzusetzen, und zwar wohl recht nahe dem
ersten Termin, wenn auch der Köuigsrichter Giselbertus filius quondaui
Walpcrti in Mailand 929 Juni 10., Monuui. hist, patriae XIII N. 531, kaum
ein Sohn unseres Walperts sein wird und Bischof Leo von Pavia erst 931
nachweisbar ist.
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•21
So kann die — nicht im Original überlieferte1) — Urkunde
König Rudolfs von 924, die als Intervenienten einen Grafen Gi-
selbert „qui et Sanson“ nennt, nichts beweisen; es ist eher an-
zunehmen, daß in ihr neben dem Erzbischof Lambert von Mailand
nicht zwei Grafen, Giselbert - Samson und Wilhelm, sondern drei,
Giselbert, Samson und Wilhelm, als Fürsprecher für Bischof und
Kirche von Piacenza auftreten *). In Samson mit Mely den „Groß-
wähler“, den wahren Königsmacher dieser Jahre, einen italischen
Warwick zu sehen, dazu fehlt es an jeder Unterlage. Wenn wir
Liudprand folgen, ist es sogar sicher, <laü er weder an der Er-
hebung Rudolfs noch an der Hugos leitenden Anteil hatte’).
Auf diesem Wege ist eine staatsrechtliche Bedeutung der
heiligen Lanze, bevor sie an den deutschen König kam, nicht zu
erweisen. Aber dall sie damals wirklich nicht mehr als eine
Reliquie war, wird man nicht so sicher behaupten dürfen. Ja,
ich gestehe, es wird mir schwer, mich mit diesem Gedanken
zu befreunden, wenn ich erwäge, welche Wichtigkeit man
ihr als Rechtssymbol im deutschen Reich kaum 100 Jahre später
bcimall.
Konstantin der Große, sagt Liudprand, solle die Lanze einst
geführt haben. Damit steht offenbar in Zusammenhang, daß
man ihre Heiligkeit auf eine Reliquie von den Nägeln der Passion
Christi gründete. Denn seit dem Ende des 4. Jahrhunderts er-
freute sich ja die Erzählung der weitesten Verbreitung, daß
Konstantins Mutter Helena in Jerusalem zugleich mit dem Kreuz
die 4 Nägel gefunden und ihrem Sohne daraus Helm und Zaum
■) Poupardin, Le royaume de Hoiirgogne S. 878 A. 6.
*) Montun. bist, patriae XIII U. 513: dilcctissimos fidelca nostros,
Lauibertuin videlicet reverentissimum arcbiepiscopum, Giselbcrtum qui et
Sanson ct Willclmum illustres comitos . . . imploraasc, wofür etwa zu lesen
sein mag: . . . Giselbcrtum quoque et Sanson et Willelmum . . .
*) Adalbert ron Ivrea, Giselbert von Bergamo, Pfalzgraf Odclrich
sind 021 — 22, Liudprand Antapodosis II 61 — 64, 925 -‘26 vor allem Lampcrt
von Mailand, ebenda 111 12, die Häupter der Bewegung, nicht zu vergessen
der Rolle, die Hugos tuscischc Stiefverwandte, Ennengard von Ivrca und
ihre Brüder, spiclteu, ebenda III 7 ff. und Flodoard Annales 926, MG. SS.
III 376, 35: cd. Lauer S. 35.
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oo
habe fertigen lassen '). Das hat M61y den Anlaß gegeben, die
Lanze mit der Eisernen Krone von Monza in Verbindung zu
bringen*). Der Monzaer Reif entstammt nun freilich der Zeit
um 900 3). Name und Begriff der Eisernen Krone aber findet sich
erst über 350 Jahre später4), ihre unzweifelhafte Gleichsetzung
mit dem erstem nicht vor dem 15. Jahrhundert8), und die Auf-
fassung des Eisenrings im Innern als Nagelreliquie ist gar erst
in der 2. Hälfte des lfi. Jahrhunderts nachzuweisen*). So ist
diese Vermutung unhaltbar.
Daß die Untersuchung hier von dem Namen Konstantins
auszugehen hat, liegt zudem auf der Hand. Die Nagelreliquie ist
durch ihn ohne weiteres erklärt, während umgekehrt vom Nagel
zur Lanze und von der Lanze zu Konstantin zu kommen un-
möglich ist.
Der Name Konstantins als Vertreter und Grand der höchsten
weltlichen Gewalt ist dem Mittelalter von früh an durch die
Konstantinische Schenkung geläufig7). Allzuviel freilich will es
*) Vgl. Acta Sanctorum Aug. 18. Tom. III S. 561—568, De 8. Helena
§§ VI— IX, H. J. Floß, Geschichtliche Nachrichten ober die Aachener
Heiligtümer, Bonn 1855, S. 36 ff. (B.), und die gleich zu nennenden Arbeiten
von Kroener 8. 1 19 ff. und Haase S. 101 f. Heilige Nägel zeigte man be-
kanntlich im Mittelalter an den verschiedensten Orten. Einen von den
4 Nägeln sollte auch der Griff des Konstantinschwerts tragen, von dem
Wilhelm von Malmcsbury, Gesta regum Anglorum II 135, MG. SS. X 460,
10 spricht.
*) Revue de l’Art chretien 1897, S. 295.
*) F. Bock, Die Kleinodien des heiligen römischen Reichs deutscher
Nation S. 157 ff. (Griechische Arbeit). Eg sind gute Gründe dafür geltend
gemacht worden, daß das Stück ursprünglich nicht als Krone, sondern als
Armreif diente.
4) Rolandin von Padua zu 1259, MG. SS. XIX. 139,35, nachgewiesen
von A. Kroener, Wahl und Krönung der deutschen Kaiser in Italien
(Lombardei) Dissertation, Freiburg i. B. 1901. S. 114.
s) Doch scheint der Monzaer Reif bereits in dem Inventar von 1275
bei K. Haase, Die Königskrönungen in Oberitalien und die eiserne Krone,
Dissertation, Straßburg 1901, S. 69 f., als corona parva bezeichnet zu
werden.
*) Kroener a. a. 0. S. 143ff. ; Haase a. a. 0. S. 101 ff.
*) So nennt z. B. Ermoldus Nigellus die Krone, mit der 816 Papst
Stephan IV. Ludwig den Frommen zu krönen kam, die Krone Konstantins,
MG. Poetac II 36, v. 42öf., vgl. Scheffer-ßoichorst in den Mitteil. d. Inst.
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23
nicht besagen, wenn wir gerade um 900 in Italien zwei Kaiser
mit Konstantin verglichen finden '). Gewichtiger ist ein anderer
Umstand.
Im Herbst 900 hatte der Sohn Bosos von der Provence, der
Enkel des letzten italischen Karolingers, der in vieler Augen als
der rechtmäßige Erbe des Imperiums galt*), als Ludwig III. das
Königreich Italien, einige Monate später die Kaiserkrone gewonnen.
Sein Sohn, dessen Geburt allem Anschein nach gerade in diese
Zeit und vor die Blendung des jungen Kaisers 903 zu setzen ist1),
führt die Namen Karl Konstantin. Daß der erste dem eben be-
rührten Gedankenkreise entstammt und die Anknüpfung der neuen
Dynastie an die Karolinger versinnbildlichen soll, liegt auf der
Hand. Um so auffälliger ist der zweite. Ihn zu erklären sind
verschiedene Wege gewählt worden *), von denen meines Erachtens
f. Österreich. Geschichtsforschung X (1889) 307 ff. Über Konstantin den
Großen im Mittelalter s. im allgemeinen Art. Graf, Roma nclla memoria e
ncllc imaginazioni del medio evo II (Torino 1883) S. 46-120. 446 (B.)
') Gedicht anf den Tod Kaiser Lamberts (898), MG. Poetae IV. 1,402
v. 3; Gesta Berengarii IV, v. 150 ff., ebenda S. 400 (bei der KaiserkTönung
Berengars I., Dezember 915).
’) Poupardin, Lc royaume de Provence sous les Carolingiens S. 146 und
324 ff.: W. Lcvison im Neuen Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche
ücsehichtskunde XXVII. 399 ff. und 493 ff.
3) Er tritt in Urkunden seines Vaters 923 als ambasciator, 927 als
comcs (von Vienne) auf, Poupardin Le royaume de Provence S. 209 und
225. Kicher Histor. II. 98 cd. Waitz (SS. rerum Germanicarum), Hannover
1877, S. 85 nennt ihn grandevus (im Jahre 951).
*) Poupardin Le royaume de Provence S. 210 sucht ihn durch die
mütterliche Herkunft Karl Konstantins zu erklären und nimmt darum, da
er gleichzeitig, vrie schon früher Gingins-la-Sarra, mit großer Wahrschein-
lichkeit Ludwigs III. Gemahlin Adelheid als Tochter Rudolfs I. von Burgund
nachvreist (S. 208), die Behauptung Richers a. a. O. auf, nach der Karl
Konstantin ex regio quidein generc natus erat, sed concubinali stemmatc
usque ad tritavum sordebat. Aber abgesehen davon, daß König Konrad von
Burgund, der Enkel Rudolfs I„ den Grafen von Vienne ausdrücklich seinen
consanguineus nennt, spricht aufs stärkste dagegen der Umstand, daß man
nicht einen der hochangesehenen Karolingemamen und gerade den Namen
Karl einem Bastard gegeben haben würde — Hugo von Arles z. B. nennt
seinen rechtmäßigen Sohn Lothar, seine Bastarde aber Hubert, Boso, Ted-
bald, Gottfried; ähnlich früher Arnulf von Kärnten, Karl III. usw. Außer-
dem wird auf diese Weise gar nichts gewonnen. Denn eine Familie
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der nach Gingins-la-Sarra von Kampers eingeschlagene den) Ziele
nahe kommen dürfte '). Freilich seinen Hinweis auf die byzan-
tinische und die aus ihr erwachsende abendländische Kaiserprophetie
möchte ich mir nicht aneignen, da der erwartete Kaiser der End-
zeit eben nicht Konstantin, sondern Konstans heißt. Ich sehe
vielmehr in dem Namen Karl Konstantins eine direkte Anknüpfung
an den mächtigen Imperator des 4. Jahrhunderts ’) und einen Be-
leg dafür, daß dessen Name gerade damals als Inbegriff des
Imperiums galt.
Nur wenig später und aut demselben Boden tritt uns die
heilige Lanze entgegen, die ebenfalls an den Namen Konstantins
anknüpft. Ich lasse es dahingestellt sein, ob etwa Darstellungen
wie das bekannte Mosaik Leos III. im Lateran 3) für die Wahl
gerade dieses Abzeichens mit wirkten. Sie lag ja auch ohne das
nahe genug. Die Vermutung aber scheint mir gestattet, daß man
sich damals, als nach dem Ausgang des karolingischen Kaisertums
die Bewerber um den Thron Italiens ihre Ansprüche nicht mehr
mit dem Namen Konstantin ist für diese Zeit in den in Betracht kommen-
den Gegenden noch nicht nachgcwicscn. Erst nach der Mitte des 10. Jahr-
hunderts wird er häutiger. Nur für den Namen G'onstantius gibt es Belege
aus dem 9. Jahrhundert. So ist die Angabe des unzuverlässigen Bicher,
von der Fludoard nichts weiß, zu verwerfen. Möglich, daß ihr eine dunkele
Erinnerung an die Vorgeschichte der Familie unter Lothar II. und Karl
dem Kahlen zu Grunde liegt.
*)F. Kampers, Die deutsche Kaiseridee in Prophetie und Sage,
München 1896, S. 42. F. de Gingins-la-Sarra im Archiv für Schweizerische
Geschichte VIU (Zürich 1851), S. 78.
*) Etwas Ähnliches bedeutet im 7. Jahrhundert sicher, daß der älteste
Sohn des Kaisers Heraklius Heraklius Konstantin heißt. Vielleicht darf
man auch daran erinnern, daß später Konstantin Porphyrogcnnetos (912—959)
der erste byzantinische Kaiser dieses Namens nach dem Sohn der Irene ist.
— Daß Friedrich II. ursprünglich den Namen Konstantin führte, ist be-
kannt; man beachte aber, daß seine Mutter Konstanzc hieß.
s) Mely, Kcvuc de l’Art chreticn 1897, S. 297 f. Was der hl. Petrus
hier Karl dem Großen reicht, ist eine Fahnenlanze, hat also unmittelbar
sicher nichts mit der heiligen Lanze zu tun. l)ic conta atque signa der
Konstantin isclicn Schenkung, hgb. von K. Zcuinor § 14, in d6r Festgabe für
Rudolf Gneist, Berlin 1888. S. 56, gehören meines Erachtens nicht in diesen
Zusammenhang.
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ohne weitere? auf angestammte Rechte stützen konnten, auch ilirer
als Mittel bediente1).
Es ist vielleicht kein Zufall, daß wir der Lanze Konstantins
zum ersten Mal gerade bei Rudolf von Burgund begegnen. Denn
von Wido und Lambert abgesehen, für die von vornherein die
entschiedene Überlegenheit im Felde und bald auch die päpstliche
Krönung in die Wagschale fielen, konnten sich die Prätendenten
in Italien ihrer Abstammung von den Karolingern rühmen, und
sowohl Berengar I. wie Ludwig III. haben das reichlich getan.
Mit Rudolf stand es anders, und so mag jene glückliche Fügung,
der wir im Mittelalttu- so oft begegnen, unser heiliges Zeichen
gerade damals in die Hand eines seiner Anhänger gelegt haben,
als man seiner am meisten bedurfte.
Aber das ist nicht mehr als eine Möglichkeit. Auf keinen
Fall ist es berechtigt, irgendwann eine ausdrückliche Investitur des
italischen Königs durch die heilige Lanze anzunehnien, und noch
weniger kann davon in Burgund die Rede sein, da sie ja nur
ganz vorübergehend im Besitz eines einzigen burgundischeu Königs
gewesen ist. Es ist darum nicht wahrscheinlich, daß, wenn
Rudolf II. 926 die Abhängigkeit Burgunds vom Deutschen Reiche
anerkannte, die Übergabe der heiligen Lanze an Heinrich I. das
Symbol dafür war *). Oh etwa der deutsche König ihre Auslieferung
anf Grund seiner Ansprüche auf das Kaisertum forderte 3), darüber
läßt sich nichts ausmachen. Zum italischen Königtum jedenfalls
steht die Lanze fortan in keinerlei Beziehung.
Die hohe Bedeutung der Lanze in den Händen ihrer neuen
Besitzer, der deutschen Könige, ist bekannt. Sie zählte bald zu
') Zu welchen Wucherungen später der Name Konstantins Anlaß gab,
zeigt die noch weiter zu besprechende Krzählung des Thomas von Paria.
MG. SS. XXII 495, 25, der unter den imperialia insignia auch das frenum
factum de clavis Christi nennt. Kincn solchen Zaum zeigt man in Mailand,
M e ly, Revue de l’Art chretien 1897, S. 294 f.
*) Der Vorgang bildet also keine Analogie zu dem zwischen Heinrich III.
und Peter von Ungarn, vgl. unten S. 30. I>ic Belehnung Berengars II. und
Adalberts von Italien 952 geschah mit einem goldenen Scepter, Liudprand
Legatio c. 5, Opera ed. Dnmmlcr, S. 139.
*) Vgl. Mely, Revue de l’Art chretien 1897, S. 293 f.
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2fi
den vornehmsten Symbolen der Herrschaft und diente zeitweilig
geradezu zur Investitur des neuen Königs. Der deutsche König
ist als solcher der berufene Kaiser; sein Abzeichen gilt darum
ohne weiteres als Abzeichen des Imperiums. Ein fester Unter-
schied besteht in dieser Hinsicht für die Lanze so wenig, wie für
die übrigen Reichsinsignien *), für die auch später ein solcher sich
nicht durchgesetzt hat *).
Schon die nächste Generation ist erfüllt von der hohen He-
deutung der heiligen Lanze. Für Liudprand ist sie ein Unter-
pfand des Siegs und der göttlichen Gnade für den Inhaber, und
auch eine engere Verbindung mit dem Königtum als solchem
scheint bei ihm schon angebahnt 3). Widukind rechnet sie zu
den königlichen Insignien4); eine besondere Rolle teilt er ihr
freilich nur in dem Kampf gegen die ungläubigen Ungarn zu5).
*) Waitz VG. VI* 288 ff. A. niemand. Das Ccremoniell der Kaiser-
krönungen von Otto I. bis Friedrich II., Historische Abhandlungen hgb. von
Th. Heigcl und H. Grauert IV, München 1894, S. 79 f.
*) Legte der Umstand, dali sowohl Otto IV. 1198 wie Friedrich II.
1212 und 1215 und Wilhelm von Holland 1248 Gegenkönige und ihre Gegner
im Besitz der echten Insignien waren — ebenso lag es 1346 für Karl IV.,
ähnlich 1292 für Adolf und vielleicht 1257 für Richard — , Otto und
Friedrich sic aber für die Kaiserkrönung benutzen konnten, den Gedanken
an eine Trennung nahe, so ist dieser doch nicht zu entwickelter Durch-
führung gelangt. Ein Ansatz dazu (in dem Entwurf der Bulle Qui celuiu
von 1263), Kranimer Wahl und Einsetzung des deutschen Königs S. 80 A. 1,
ist ohne Folge, die corona argentea wesentlich nur gelehrte Konstruktion
geblieben. Rudolf von Habsburg hat 1273 die echten Insignien rasch nach
der einmütigen Wahl erhalten, doch wohl gerade um sie bei der Krönung
in Aachen zu verwenden, und daB Friedrich der Schöne 1314 mit ihnen
in Bonn sich krönen lassen konnte, ist für ihn ins Gewicht gefallen, J. D.
von Oienschlager Erläuterte Staats-Geschichte des Römischen Kaisertums
in der Ersten Holfte des 14. Jahrhunderts (1755) S. 89. Es wird sich ver-
lohnen, diesen Vorstellungen einmal genauer nachzugehen. Dann wird wohl
auch die etwas rätselhafte Schenkung königlicher Insignien an die Marien-
kapelle zu Aachen durch Richard 1262, Böhmer-Ficker Rcgesta imperii
V. 1, Nr. 5400, besser verständlich werden, mit der die Stadt Aachen be-
kanntlich in der Endzeit des alten Reichs ihren Protest gegen die Aufbe-
wahrung der Reichskleinodien in Nürnberg stützte.
3) Liudprand Antapodosis IV 24f. S. oben S. 6 — 8.
4) Widukind Res gestac Saionicae 125. S. oben S. 4 A. 3.
5) Widukind III 46 S. 108: (Otto I. am Lech 955) Et his dictis
arrepto clipeo ac sacra lancea ipse primus equum in hostes vortit,
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Vollentwirkelt zeigen uns die staatsrechtliche Bedeutung erst
Thietmar und Thangmar zu Beginn des 11. Jahrhunderts.
Vergegenwärtigen wir uns zunächst, in welcher Weise die
heilige Lanze bis zum 13. Jahrhundert in Wirksamkeit tritt.
Wie die übrigen Reichsinsignien folgt sie regelmäßig dem
Herrscher auf seiner Wanderung durch das Reich. Bei feierlichen
Gelegenheiten wird sie zusammen mit dem Kreuzesholz dem König
voraufgetragen '). Sie begleitet ihn in die Schlacht1) und dient
gewissermaßen als Feldzeichen s), das sicherste Unterpfand des
fortissimi militU ac optimi imperatoris officium gerens. Danach Thietmar
Chron. II 10 (4), ed. Kurze (SS. rerum Gerinanicarum), Hannover 1889, S.24. Die
lancea sacra ist für Widukind offenbar ein ganz gel&ufigcr and fester Begriff.
*) Benzo von Alba, Ad Heinricum IV. 1. I. 9, MG. SS. XI 602 :
l’rocessio vcro Romani imperatoris cclebratnr talibus modis. I’ortatur ante
cum sancta crux gravida ligni dominici et lancea s. Mauricii. Er spricht
von der Kaiserkrönung. Dieser Teil ist geschrieben 1085/86 nach H. Lehm-
grübner, Benzo von Alba, Berlin 1887 (Historische Untersuchungen hgb.
v. Jastrow, Heft 6), S. 28. Bonizo, Ad amicum 1. IV., MG. Libelli de litc
1 581, s. unten S. 28 A.3. Gottfried von Viterbo, Pantheon XXIII c. 28, MG.
SS. XXII 233,5: sacram lanceam imperii, que coram imperatoribus fertur.
Gregor IX. an Friedrich II., 1227 Juli 22., MG. Epistolae sacc. XIII. selectae
I (1883) N. 365 S. 279: Cruz, ubi est lignum Domini, ot lancea, ubi
clavus eius consistit, ante tu in prnccssionibus solcnmibus deportantur.
Waitz VG. VI 1 S. 297 meint, daß die Lanze dem König auch auf der
Reise vorangetragen wurde. Das ist aber sehr unwahrscheinlich und beruht
wohl nur auf einem MißverstSndnis der Worte Arnolds, Do S. Emmerammo
II 33, MG. SS. IV. 567,25: Augustus (Otto III. im J. 996) ex more prece-
dente sancta et crucifera imperiali lancea oiivit de civitate ista (Regensburg),
pctitnrU8 Italiam. Daraus ist, meine ich, nur zu entnehmen, daß der
Auszug aus Regensburg in besonders feierlicher Weise erfolgte, wie es bei
dem Aufbruch zum Römerzug ja auch sehr angemessen war.
*) So bei Birten 939, Liudprand Antapodosis IV 24; bei Plelch-
feld 1086, Ann. Augustani MG. SS. III 132: vor Gleichen 1088, Frutolf
1089, MG. SS. VI 207, 20: Ibi Burchardus Losannae episcopus, qui ea die
sacram imperatoris lanceam ferebat. occisus est, und Ann. S. Disibodi 1089
MG. SS. XVII 9: B. Losannae episcopus intcrfectus est, qui lanceam regalem
ferebat. 1176 nach der Schlacht von Legnano schreiben die Mail&nder an
Bologna: Scutum imperatoris, vexillum, crucern et lanceam habemus,
Radulf de Diceto Ymag. hist. 1 176, MG. SS. XXVII 268,10. Hierher ist
wohl auch der lancifer Richar zu ziohen, der 982 in der Niederlage Ottos II.
in Kalabrien seinen Tod findet, Thietmar III 20 (12).
s) So unter Otto 1. 955 am Lech, Widukind III 46 (hier neben dem
angelus, dom Bild des hl. Michael, Widukind III 45, der auch das Feld-
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2*
Sieges. Sie wir/1 der verkörperte Inbegriff der Macht und der
Stärke dos Reichs *) nnd seines göttlichen Rechtes *), das wahre
„insigne imperii“ 5), mit dem vorübergehend geradezu die Fülle
der Regierungsgewalt von den Vertretern des Volkes dem neuen
Herrscher übertragen wird.
Als zu Anfang 1002 Otto III. in jungen Jahren unvermählt
verstarb, nahm Herzog Heinrich von Baiern als nächster Seiten-
verwandter die Krone kraft Erbrechts in Anspruch. Er stieß aber
auf mannigfachen und ernsten Widerstand und hat sein Ziel nicht
ohne weitgehendes Entgegenkommen erreicht4). Zu den Gegnern
seiner Ansprüche gehörte Erzbischof Heribert von Köln, einer
der Vertrauten des toten Kaisers5). Er war unter denen, die
der Leiche Ottos das Geleit in die Heimat gaben : als der Baiern-
herzog von ihnen die Reichsinsignien übernahm, hat Heribert
gerade die Lanze zurückbehalten und erst gezwungen ausgeliefert ”*).
Mit der Lanze empfing darauf Heinrich II. in der Versammlung
Zeichen Heinrichs I. bei Merseburg 933 ist, ebenda I 49). Ähnlich unter
Otto III. im aufständischen Rom 1001, Thangmar, Vita Bernwardi c. 24,
MG. SS. IV 770: Bcruwardus episcopus dominicam liastain snbiit, und
signifer ipse cum sancta hast» in prima fronte aciei egredi parat.
•) Landulf Hist. Mediolan. III 31. MG. SS. VIII 98,40: lancea, in
qua Dei clavus erat inclusus, Iiomani imperii stabilimcntuin ab hostibus
durissimis (!).
*) Liudprand Antapodosis IV 24.25: Gottfried von Viterbo,
Pantheon XXVI c. 3 MG. SS. XXII 273: Lancea Mauricii reliqui
premazima signis Plurima christicolis peperit miracula dignis, Clavus
namqno Dei innctus habetur ei. Subicit imperio bell» gestata potentes.
Motibns ipsius nequount obsi stere gentes, Hec ubi bclla movet, vincere
cuncta seiet. Lancea sancta solct regnorum vincere lites: Ipsa facit pro-
ceros Romanos esse Quiritcs. Ex hac cesar habet, quod sibi regna favent.
*) Bonizo Ad amicum 1. IV,, MG. Libelli de lite 1 581 : lancea, insigne
scilicct imperii, ante nostras usque hodie portatur imperiales potest-ates:
Sigcbert 929, MG. SS. VI 347: et haue ad insigne et tutamen imperii
postcris reliquit (Heinrich I).
*) Vgl. Waitx VG. VI* 181 ff., Usingcr in Excurs III bei S. Hirsch,
Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich II., Bd. I S. 429 ff.
s) Vgl. Hauck, Kircbcngeschichtc Deutschlands III1 (1906) S. 398.
6) Thietmar IV 50 (31): (Hcinricus) eorpus iinperatoris cum apparatu
impcriali, lancea dumtaxat oxcepta, quam Heribertus archipresul clam pre-
mittens, suam sumpsit in potestatem. Archiepiscopus autem custodia parum-
per detentus .... sacrain mox lauceam romisit.
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•2‘J
zu Mainz nach der Wahl und vor der Krönung das Reich1), mit
der Lanze übertrug ihm einige Wochen später Herzog Bernhard
im Namen der Sachsen die Herrschaft8).
Es ist dies das einzige Mal, daß der heiligen Lanze aus-
drücklich eine bestimmte Funktion beim Übergang der Herrschaft
zugewiesen wird. Daß man sich damals ihrer als Investitursymbols
bediente, steht gewiß in Zusammenhang damit, daß mit der Fahnen-
lanze Herzogtümer und Grafschaften als Lehen übertragen wurden,
ein Brauch, der gerade in dieser Zeit zuerst nachweisbar ist3).
Wir wissen nicht, ob ein gleicher Gebrauch der heiligen
Lanze vorher unter den drei Ottonen oder bei der folgenden Er-
hebung Konrads H. (1024) 4) statt hatte. Sicher ist, daß damals
die Lanze, und zwar die heilige Lanze, ein notwendiges Attribut
des Königs war, das nach deutschem Vorbilde unter Otto III. der
Ungarnfürst5), nach dem Tode Heinrichs II. der Polenherzog6) zu-
gleich mit der Königswürde annahmen, und daß eben unter diesem
Zeichen der erstere später Heinrich III. sein Reich auftrug 7).
*) Thangmar Vita Bernwardi c. 38, SS. IV. 775: Omnibus ergo pari
Toto in electione illius concordantibus .... Heinricum Mogontiam cum
snmmo honore ducentes .... regimen et regiam potestatem cum dominica
basta illi tradiderunt, ac deinde rite omnibus peractis .... solleinpnitcr
illum umerunt.
r) Thietmar V 17 (9): Bernhardus igitur dux accepta in manibus sacra
lancea ex parte omnium regni curam illi fideliter eommittit. Daß das gleiche
Symbol bei der Anerkennung durch die Thüringer vorher und die Lothringer
nachher Verwendung fand, ist möglich, aber nicht überliefert. Über die
Zeichnung im Bamberger Missale Heinrichs II. s. unten S. 49 A. 2.
5) Thietmar V 21 (13): als dem elsässischen Grafen Gerhard Ton den
widerspenstigen Einwohnern seines Gebiets diese lancoa signifera gestohlen
wird, tristis abiit tarn vaeuus a bonelicio quam a militari signo; VI 3.
Vgl. Waitz VG. VIJ 74; neuerdings auch J. Br uc kauf, Fahnlehn und
Fahnenbelchnung im alten Deutschen Reiche, Leipziger Historische Ab-
handlungen hgb. von E. Brandenburg, G. Sceliger, U. Wilcken III, Leipzig 1907,
*) Auch in der Redaktion C des Ademar von Chabannes III G2, SS.
IV 144 f., J. Lair, Etudes critiqucs sur divers textes des Xe et Xle sieclcs
II 228 f. (Paris 1899), werden ihm nur nach der Wahl und Weihe zusammen
Sccpter, Krone und Lanze übergeben. Vgl. unten S. G6 A. 1.
*) S. unten S. 71 f.
*) S. unten S. 76 f.
*) S. unten S. 72. l)a die ungarische Königslanze im Jahr vorher bei MenfÖ
in die Hände der Deutschen gefallen war, muß sie zu dem genannten Zweck
zurückgegeben worden sein, was den Hergang noch bemerkenswerter macht.
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30
Für die (weltlichen) Fürstenlehen ist die Fahnenlanze oder
die Fahne, wie es nun gewöhnlich heißt, das eigentliche Investi-
tursymbol geblieben; für die Königreiche ist in der Praxis des
deutschen Hofes das Schwert schon im 12. Jahrhundert, wohl
in Anknüpfung an altere Anschauungen '), in diese Stelle ein-
gerückt *).
Aber eins der hervorragendsten Abzeichen der Herrschaft ist
die heilige Lanze seitdem unbestritten J), auch wenn sie niemals
in der eigentlichen Krönungsfeierlichkeit einen Platz gefunden
hat1). Ihrer bemächtigt sich Anno von Köln zugleich mit der
Person des jungen Königs in Kaiserswerth 1062 s), sie fordert
Heinrich V. Ende 1105 dem Vater ab6), sie empfängt Konrad Iü.
*) Vgl. Waitz, VG. in» 252, bes. A. 1. 2.
*) Otto von Freising, Gesta Friderici I. imperatoris II 5, ed. Waiti
(SS. rerum Germanicarum), Hannover 1884, S. 85, der Dänenkönig Knud
entsagt (1152) per porrectun gladium dem Königstitel: Est enim consue-
tudo curiae, ut regna per gladium, provinciae per voxillum a principe
tradantur vel recipiantur. Dementsprechend befindet sich unter den Sym-
bolen, mit denen die Bürger von Pisa (MG. LL. Constitutione» II. N. 392
S. 491,35) Alfons von Kastilien als römischen König und Kaiser investieren,
ein Schwert. Ganz allein steht cs, wenn 1349 Günther von Schwarzburg
von jedem seiner Wühler durch Überreichung einer Adlerfahne förmlich
investiert wird, s. M. Krummer Wahl und Einsetzung des Deutschen Königs,
S. 28. Bruckauf übersieht den Zusammenhang, in den diese Vorgänge ein-
zuordnen sind, und spricht darum a. a. 0. S. 25 der Angabe Ottos von Frei-
sing zu Unrecht die positive Grundlage ab. Natürlich ist Ottos Aussage
an sich nur für das 12. Jahrhundert beweiskräftig.
3) Vgl. auch Jacob Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer. 4. Aufl. (1899)
II 225 f., und oben S. 27 f.
4) Di emand a. a. 0. S. 80 A. 5. Hier hat das Schwert stets seine Stelle
behauptet, s. das Formular bei Waitz, Die Formeln der Deutschen
Königs- und der Römischen Kaiserkrönung usw., Abhandlungen der Kön.
Ges. der Wissenschaften zu Göttingen XVIII (1873), S. 40: Pustea ab epis-
copis ensem accipiat et cum ense totuin sibi regnum fideliter ad regenduin
. . . sciat esse commendatum.
*) Berthold 1062, MG. SS. V, 272,5: SS. XIII, 732, 10: Hanno Agrippinae
Coloniae archiepiscopus .... Henricum regem cum lancea et aliis imperii
insignibus . . . vi arripuit. Ann, Altahenses maiores 1062, ed. Oefele
(S8. rerum Germanicarum). Hannover 1891, 8. 59: curtein adeunt, crucem et
regiam lanceam ex capella auferunt, regem ipsum navi imponunt.
*) Brief Heinrichs IV. an Philipp I. von Frankreich, Jaffe Biblio-
theca rerum Gormanicarum V X. 129 S. 244: coronam, sceptrum, crucem.
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31
zu Regensburg 1138 von Heinrich dem Stolzen*). Daß sie in den
Wirren nach dem vorzeitigen Tode Heinrichs VI. sich mit den
übrigen Insignien von Anfang an in den Händen des staufischen
Thronbewerbers befindet, scheint für diesen ins Gewicht zu fallen*).
Ihren Besitz betont Philipp selber dem Papst gegenüber 1206*),
ihrer Übergabe wird ausdrücklich gedacht 1208 an Otto IV.4)
und 1219 an Friedrich 11.*), und wie Otto in seinem Testament
lanceam et gladium misi Moguntiam. Brief Heinrichs IV. an den Sohn,
MO. LL. Constitutione« I. N. 77 S. 129,10: lanceam et crucem et omnia
regalia insignia. Brief Heinrichs IV. an Hugo von Cluny, Migne Patrologia
latina 159,935 f.: crux et lancea ceteraque regalia insignia. Vita
Heinrici IV. c. 10, ed. Eberhard (SS. rerum German icarum), Hannover 1899,
S. 34: crucem, coronam et lanceam ceteraque regalia . . . Frutolfi
Continuatio 1106, MO. SS. VI 231: regalia vel imperialia insignia, crucem
scilicet et lanceam, sccptrum, globum atque coronam .... Contin. I.
Mariani Scoti 1128, MO. SS. V 562: Crux, lancea, corona et cetera
regni insignia. Oesta Galcheri episcopi Cameracensis c. 33, MO. SS. XIV 206 :
eni coronam, lanceam, | sceptrum regni potentiam | omnemque tulit
gloriam. Suger Vita Ludovici VI. c. 9, MO. SS. XXVI 49: insignia regalia,
videlicet coronam, sceptrum et lanceam s. Mauricii.
') Kaiserchronik v. 17 200 ff., MG. Deutsche Chroniken I 391: Ze
Rt-gensburch antwurt er ime schöne I daz sper joch die chröne | durch des
riches ere. Gottfried von Viterbo, Pantheon XX111. c. 48, MG. SS. XXII,
260,20: Coactus vero tandcm regalia, id est crucem et lanceam et coro-
nam reddidit.
*) Continuatio Admuntcnsis der Ann. Mellicenses 1198, MG. SS. IX,
588,30, s. unten S. 38: vgl. Chron. regia Colon. Contin. II. 1204, ed. Waitz,
S. 173: Philippus . . . animadvertcns causam suaui secundo processu in pro-
spcrum agi et regalia insignia, crucem scilicet, lanceam, sceptrum cum
corona, potestati sue contradita . . .
3; MG. LL. Constitutione« II N. 10 S. 12,15: Habuimus etiam in po-
testate nostra sanctam crucem. lanceam, coronam, indumenta imperialia et
omnia insignia imperii.
4) Chronica regia Coloniensis Continuatio III. (= S. Pantaleonis I.)
1208, ed. Waitz (SS. rerum Germanicarum), Hannover 1880, 8. 227 : Otto
. ... ab Omnibus in regem eligitur, diadema cum lancea imperiali ei
assignatur.
*) Chronik des Stifts S. Simon u. Judas in Goslar 17, MG. Deutsche
Chroniken II 596: Des rikes krönen und dat sper uam he to Goslar. Vgl.
Winkclmann, Jahrbücher der Deutschen Geschichte. Friedrich II.,
Band I S. 11 ff.’
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32
sie an bevorzugter Stelle unter den Reiehsinsignien aufgeführt
hatte1), so tat dies auch Friedrich, als er beim Papst über den
Pfalzgrafen Heinrich klagte, der sie ihm auszuliefern ungebührlich
zögere *).
„Sper, kriuz’ unde kröne,“ oder auch bloü „sper unde kröne“
gelten dem 13. Jahrhundert als der Inbegriff der Reichsgewalt, ja
der Herrschaft schlechthin3). Wer sie und den Trifels besitzt,
l) Testament Ottos IV. vom 18. Mai 1218, MG. IX. Cunstitutiones II
N. 42 S. 52: te, frater Heinrice palatine comes Rheni, rogamus, ut . . . .
sanctai» crocem, lanceam et coronam, dcntern s. Johannis baptiste et im-
perialia insignia, preter pallium nostrum quod dandum est ad s. Egidimn,
20 septimanas post decessum nostrum conscrves et nnlli hominnin reprcsen-
tes, nisi ei quem principes animiter elegerint et iuste, aut ei qui nunc
est elcctus, si principes in eum consenserint.
J) Friedrich II. an Papst Honorius III., 1219 Januar 12., Hagenau,
Winkclmann Acta imperii inedita I N. 151 S. 128: Supplicamus iternm,
nt si comes Henricus de Brunsrich coronam, lanccam et alia regalia nobis
non assignaverit, ut tenetur et debet, secundum quod ei tarn per littcras
quam per nuntios principum Universitas iam prccepit . . .
3) Vgl. im allgemeinen K. Menge, Kaisertum und Kaiser bei den Minne-
singern, Progr. des Kgl. Kath. Gyrnn. an Marzellen zu Köln 1880, S. 25 ff.
Walther von der Vogel weide, hgb. von Lachmann (6. Ausgabe,
Berlin 1891) S. 25, 11 — 13; hgb. von Wilmanns (2. Auflage, Halle 1883,
Germanistische Handbibliothek hgb. v. J. Zacher I.) S. 161: Knnc Con-
stantin der gap sö vil, / als ich ez iu bescheiden wil, / dem stuol ze Hörne :
sper kriuz’ unde kröne. In der Ausgabe von Pfeiffer (3. Auflage von
Bartsch, Leipzig 1870) Nr. 85 S. 188 (auch in Grimms Deutschem
Wörterbuch V, Leipzig 1873, Sp. 2539, und von Menge S. 28) werden un-
richtig alle drei Stücke auf die Marterwerkzeuge Christi bezogen, von denen
die Dornenkrone unter den Reiehsinsignien nie eine Rolle spielte, wenn
sich auch später nntcr deren Reliquien — wie hätten sie fchlon können
— 5 Domen davon befanden. Das Gedicht gehört, nach Koppmann, ins
Jahr 1213. Nur die Bearbeitung der Sage vom Priester Johannes in deut-
schen Reimen von etwa 1350 — 1400, Zarncke in den Abhandl. der Kgl.
Sächa. Ges. der Wissensch. VII, Leipzig 1879, S. 1004 ff. (B.), nennt Vers
1228 ff. als „die cleinad von dem rieh“, die sie Friedrich II. beilegt, „das
kruocz, die naget nnd das sper, / und unser frauwen hemd her / und die
krön duornin, / darzuo den rock purpurin.“ Die offiziellen Quellen wissen
von den drei letzten Stücken nichts.
Reinmar von Zweter, hgb. von G. Roethe, Leipzig 1887, N. 147 S. 485,
von Friedrich II.: des riches rinc vil witer wirt, nimt man im cröne unt
ouch daz sper.
Her Wahsmuot von Mülnhüsen (um 1240 — 50), F. H. t. d. Hagen
Minnesinger I S. 327 f. (vgl. IV 260 f.), K. Bartsch Deutsche Lieder-
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33
auf dem sie gehütet werden, der ist der echte König *). Und
umgekehrt, wer als König zu wirklicher Macht nicht kommt, der
hat nach der Volksauffassung den Trifels mit seinem Schatze nicht.
Wilhelm von Holland und Richard von Kornwall haben nach
Konrad IV.*) die Burg und den Hort mit der Lanze besessen
und nicht geringen Wert darauf gelegt J). Aber als die Erhebung
dichter des 12. — 14. Jahrhunderts (3. Auflage von W. Golther, Stuttgart
1893) S. 205 Nr. 52, Vers 11 ff.: Und waore ich künic in Tschampenige /
(so waere ich witenän erkant), / sü lieze ich sper und al die kröne /
e min lip daz ist sö schöne. — Prensdorff, Nachr. v. d. Kgl. Ges. d. Wiss.
iu Göttingen 1897 S. 61 führt es auf die Rivalität Frankreichs mit Deutsch-
land zurück, daß Ludwig IX. 1239 die Spitze des heiligen Lanzeneisens von
Konstantinopel erwarb.
*) Über den Trifels vgl. Prensdorff a. a. 0. S. 49 f.
*) Ihm hatte 1246 Sept. 17. Isengard, die Gattin seines Truchseß
Philipp von Palkenstein „die bürg Trivcls und die keiserlichon Zeichen“
überantwortet, Huillard-Breholles Historia diplomatica Friderici II. Band
VI 2 S. 878, Böhmer-Ficker Regesta imperii V 1 Nr. 4515. Vgl. unten
8. 45 A. 5. Daß Friedrich II. den seit der Ergebung Heinrichs (VII.) 1235, s.
Frensdorff a. a. 0. S. 64 A. 4, für ihn gehüteten Trifels mit den Insignien
an Konrad übergeben ließ, steht offenbar mit dem Gegenkönigtum Heinrich
Raspes in Zusammenhang. Daß Konrad sie damals von dem Trifels ent-
fernt habe, ist nicht anzunehmen.
*) Wilhelm von Holland hat den Trifels erst nach dem Tode Kon-
rads IV. gewonnen, er schreibt (Fcbr. od. März 1255, Böhmer-Ficker Regesta
imperii V 1 Nr. 5239) an den Abt von Egmont, Böhmer Fontes rerum
Germanicarum II 447 (aus Johann de Beka): Insuper accedat tibi ad
cumulum gaudiorum , quod castrum Dricsvelt et insignia imperialia,
diademo (!) videlicet cum multis sanctuariis et ornatu ineffabili, lanceam
et coronain, in nostro dominio habemus et pacifico possidemus.
Bischof Johann von Lübeck an die Stadt Lübeck, Lübischcs Urkunden-
buch I 1 (Lübeck 1843) Nr. 254 S. 234, Böhmer-Ficker Regesta imperii
V 1 Nr. 5349 zu 1258, nach den „Verbesserungen und Zusätzen“ aber „doch
erst ins J. 1259“ gehörend, von König Richard, dem er gehuldigt hat: Preterea
castrum Driuels cum insigniis imperialibus, lancea ot corona cum dyadema(te)
imperii ac aliis ineffabilibus pretiosissimis sanctuariis et omamentis videlicet,
habet et tenet. Vgl. Nr. 5293 f. Die Annahme Frensdorffs a. a. 0.
S. 50 A. 5, daß Richard erst 1269 die Reichsinsignien erlangt habe, ist
unhaltbar. Denn Böhmer-Ficker Nr. 5349 ist zurZeit Papst Alexanders IV.
(1254 — 1261) und sicher von Bischof Johann II. von Lübeck geschrieben,
dem 1260 schon Johann III. folgte. Außerdem hobt der Entwurf der Bulle
Qui celum 1263 den Besitz der Insignien durch Richard horvor, MG. LL.
Constitutiones II N. 405 S. 527.
Hofmeister. Oie heilige l.anze °
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34
Rudolfs von Habsburg das „Interregnum“ beendet, da singt
man erst*):
Nü seht daz wunder got vermac:
sper unde kröne üf Drivels was vil manigen tac
behalten, e sich ieman sin vermaeze.
Nach kaiser Vrideriches zit
wären künige vtinve J), der nie keiner sit
ze Ache wenic küniges stuol besaeze.
Swie vil sie truogen arebeit,
mit kost, mit koufe unde oueh mit gäbe,
daz riche was in unbereit:
nfi hab’ ez im von Havekesburc der gräve,
der milte Ruodolf unverzaget;
in also grözen eren wart nie kiinic betaget:
kum heil dem Gotes dzerwelten Swäbe!
Es ist nur eine Nachwirkung der durch das Interregnum be-
gründeten Meinung, die die Jteichsinsignien mit dem Tritels ver-
knüpft, wenn uns ein steirischer Chronist das Streben Albreehts
von Österreich nach der Nachfolge seines Vaters im Reich mit den
Worten erzählt*):
der herzog Albreht
boten üf saut,
Trivels er sich underwant :
kriuze, sper unde nagel,
unsers ungeluckes hagel,
Karies swert und kröne,
des hete man vil schöne
da gephlegen die stunt,
sit dem kunic wart kunt
sines libes ämaht;
') Meister Rümzlant, F. H. v. d. Hagen Minnesinger III 61. Rudolf
erhielt die Insignien alsbald nach der Wahl (29. Sept. 1273) ausgeliefert.
Sächsische Weltchronik, Sächsische Fortsetzung, MG. Deutsche Chroniken
II 286: Darnach obir virzen tage wart imc gecntwert daz heilige sper
unde die e.ronc zu Bobardcn (16. Oktober, Röhtner-Redlich Regesta im*
perii YI 1 S. 18 Nr. 4 b).
*) Damit können nur Konrad IV., Heinrich Raspe, Wilhelm von Holland,
Richard von Kornwall und Alfons von Kastilien gemeint sein.
*) Ottokars Reimchronik Vers 39281 ff., MG. Deutsche Chroniken VIS.äll.
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denn diese befanden sich damals auf der habsburgischen Feste
Kiburg '). Aber es ist charakteristisch für die Auffassung der Zeit.
Wie hier, so wird auch ferner die Lanze allein oder an be-
vorzugter Stelle unter den Insignien genannt, ohne deren Besitz
dem deutschen König an der Fülle der Herrschaft noch ein
wesentliches fehlt. Das ist der Fall 1292, als sie nach seiner
Krönung Adolf von Nassau von Albrecht von Österreich empfängt s),
and ebenso noch, als sie 1323 nach der Gefangennahme Friedrichs
des Schönen dessen Bruder Leopold an Ludwig den Baiern s) und
') Johann von Victring 111 I, Böhmer Fontes rerum Germanicarum
1 331. Vgl. Frensdorff a. a. 0. S. 55.
’) Ottokars Reimchronik Vers 60 200 ff., MG. Deutsche ChronikeD V 2
5. 800 f. : Ouch wart verriht sider, / swaz zwischen in lac uneben, / so dar
dem kunic' wart gegeben 1 das rieh und alle die Teste, / die man gehörende
weste / von alter dem riche zun, / wand man späte unde fruo / sagte in
sin ör / dem herzogen vor, / für daz der erstürbe, / der mit rehtc daz er-
würbe, / daz er des hordes solde phiegen, / der üf Trivels ist gelegen, /
sper, nagel unde kröne / vil wirdiclich und schöne, / ob ez iemen ander
het, / daz er unrehte tet, / swer sin niht zc rehtc wielte / und ez darüber
innc hielte: j der biete daz rieh gevangen: / des wacr manigem missegangen /
an Übe und an guote. Usw.
Merkwürdig ist der Vertrag Friedrichs des Schönen mit dem Grafen
Reinald von Geldern von 1314 Noy. 16., Neues Archiv d. Ges. f. ält. deutsche
Gcschichtsk. XXIII (1898) N. 33 S. 303: Et si commode et absquo preiudicio
iuris nostri fieri poterit, in eodem loco Insula Dei volumus coronari, quodque
ibidem corona et lancea cum imperialibus insignibus reponantur. Die Sache
scheint so zu liegen. Als Friedrich in Aachen keinen Einlaß gefunden hatte,
nahm er zunächst das geldrische Wagcniugcn als Krönungsort in Aussicht
und wollte dort die Insignien bewahren lassen, wie das früher auf dem
Trifels und auf andern Burgen geschah. Das erste kam nicht zur Aus-
führung: Friedrich erhielt die Krone bekanntlich zu Bonn 25. Nov. 1314.
Ebensowenig ist unseres Wissens das zweite auch nur zeitweilig Wirklich-
keit geworden ; vgl. unten S. 37.
*) Matthias von Ne n bürg (Albertus Argentincnsis), Böhmer Fontes
rerum Germanicarum IV 201 : Tractabatur autern sepe de liberacione
Friderici. Et impediente liberacionem, quod duz (sc. LSpoldus) insignia
sanctuariorum imperii, lanceam videlicet et alia, noluit rcsignare usw.
6. Fortsetzung der Chronica minor, 3. Böhmischer Teil, Monumenta
Erphesfurtensia ed. 0. Holder-Eggcr (SS. rerum Germanicarum), Hannover
1899, S. 700, 25, nachdem die Schlacht bei Mühldorf erzählt ist: Postca
Fridericus coronam regni lanceam que, quas diu tenuerat, Ludwico resig-
navit. Albertinus Mussatus s. unten S. 36 A. 2. Ludwig erhielt die
3*
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3fi
1350 Ludwigs ältester Sohn an Karl TV. ausliefert '). Der Besitz
der Lanze macht nicht zum König, aber er ist, wie es unter
Ludwig dem Baiem heißt, das Unterpfand des wahren König- und
Kaisertums *).
Aber schon seit längerer Zeit geht eine andere Auffassung
nebenher, die seit Karl IV. die eben erörterte völlig in den Hinter-
grund gedrängt hat. Seit dem 13. Jahrhundert tritt uns in Ver-
bindung mit den Insignien der Ausdruck sanctuaria häufiger ent-
gegen3), der im besondern auf die Lanze Anwendung findet*), wie
er auch wohl durch sie wesentlich mit hervorgerufen ist. Die
Reichsinsignien erhalten dadurch in ihrer Gesamtheit den Charakter
Insignien zu Nürnberg, wohl zwischen 6. Nov. und 18. Dez. 1323 nach J. E.
Kopp Geschichte der eidgenössischen Bünde V 1 (Berlin 1858) S. 101 A. 1.
') Heinrich von Rebdorf, Böhmer Fontes rcrum Gcrmanicaruin IV
537 f. : Anno Domini MCCCL ... de mensc Aprili Ludewicus marchio
Brandenburgensis insignia imperialia, vidolicet lanceam, qua perforatum
fuit latus domini nostri Jesu Christi, et claros ac gladium Karoli Magni
necnon alia, quc rcscrvata fuerunt in oppido Monacho per Ludewicmn
patrem suum, tradidit Karolo regi predicto in Nurcnbcrg, qui in Bohemiam
in civitatem Pragensem ipsa deducit. Matthias von Neuburg, Fortsetzung.
Böhmer Fontes rerum German. IV 277: Marchio quoque lanceam, clavos,
parteni crucis Christi et alia insignia, que imperium dicuntur, per I.udewicum
patrem suum rolicta regi presentavit recepta caucione de reducendis infra
terminum vel in Nürenberg vel in Frankenfort per regem, quod non fucrat
impletum, sed ea Pragam perduxit. de quo Bohemia nimium gratulabatur.
Vgl. unten S. 37 A. 1.
*) Albertini Mussati Ludovicus Bavarus (geschrieben 1329), Böhmer
Fontes rerum Gcrmanicarum 1 187 f: De hoc autem Ludorico, cur nondum
ipsum cesarem aut imperatorem vocaverimus, depromere non incongruum
putamus. Vere quidcm elcctionem primitivain a veris imperii electoribus
satis idoneam fateri non prohibemur. Itemque et victum prelio campestri
Fridericum Austric ducem, cum pro causa imperii certaretur, constare satis
novimus. Reliquiasquc domini nostri Jesu Christi, lanceam scilicet et
clavos, que veluti pignora quedam veri iinperatoris et Romani
regis habentur, ab illo oodcm bello quesita potenter, sicut rcra sunt,
indubitanter asserimus . . . Uber den „verus rex“ vgl. K. Zeumcr im
Neuen Archiv der Ges. für ältere deutsche Geschichtskundc XXX 105 und
Krammer, Wahl und Einsetzung des deutschen Königs S. 21 f.
*) Oben 8. 33 A. 3.
*) Oben S. 35 A. 3.
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37
von Reliquien, sie werden zu den ,, Heiligtümern des Reiches“ '),
dem „heiligen Reiche“5), und als solche werden sie bei feierlichen An-
lässen, an ihrer Spitze die Lanze, dem gläubigen Volke gezeigt, wie
wir das zuerst 1315 in Basel bei der Doppelhochzeit der beiden
habsburgischen Brüder Friedrichs des Schönen und Leopolds sehen5).
Vom 10. bis ins 14. Jahrhundert war die Lanze ein Zeichen
der Herrschaft, dessen Besitz wenn nicht als Bedingung, so doch
als Unterpfand der königlichen Gewalt galt und darum für
jeden Kronbewerber schwer in die Wagschale fiel. Das wird jetzt
anders. Die heilige Lanze verliert ilire staatsrechtliche Bedeutung
und wird zur reinen Reliquie4). Die Goldene Bulle (1356)
*) Nebeneinander „das heiligthumb und die Cleinudien, die zue dem
Reich gehörend,“ Urk. Ludwigs des Altern von Baiem-Brandenburg von
1349 Mai 26., Ch. G. v. Murr Journal zur Kunstgeschichte und zur allgemeinen
Litteratur XII (1784) S. 39: reliquias sacri imperii una cum aliis adiunctis
cimoliis und „das heiligthuin und die Kleinodien des h. Hoiches“ in den Ur-
kunden desselben und Karls IV. von 1350 März 12., s. unten S. 45 A. 3. Aber
einfach insignia sanctuariorum imperii schon oben S. 35 A. 3 und unten
S. 37 A. 3: ebenso übergibt Kaiser Sigmund der Stadt Nürnberg „unser
und des heiligen reichs heiligtum, mit namen sant Karies des kuniges
swertc, sant Mauricii sworte, die crono saut Karies“ usw., Urk. von 1423
Sept- 29. Ofen, Murr Journal zur Kunstgeschichte XII S. 77. Im J. 1246
dagegen wurden beide Teile als „die keiscrlichen Zeichen“ zusammengefaßt,
in der oben S. 33 A. 2 genannten Urkunde.
*) „Das heilige Kciche,“ Urk. Ludwigs des Alteren 1348 Dez. 9.,
Oienschlager Erläuterte Staatsgeschichte UB, Nr. 98 S. 273 und ebenso
ebd. Nr. 99 S. 274. Über die verschiedenen für die Rcichsinsignien ge-
brauchten Ausdrücke vgl. Frensdorff a. a. O. S. 61 ff.
3) Matthias von Neuburg (Albertus Argentinensis), Bjihmer, Fon-
tes rerum Germanicarum IV 189: Monstrabantnr autem inibi sanctuariorum in-
signia, que regnurn dicuntur, scilicet lancea, clavus, pars crucis Salvatoris,
corona, gladius Karoli (andre Lesart : corona Karoli, gladii) et alia. Nach Basel
gekommen sind sie natürlich im Gepäck Friedrichs des Schönen; mit dem
Schatz der Basler Kirche haben sic nichts zu tun. — Eine ähnliche „Heilig-
tumsweisung“ hat unter Ludwig dem Baiem Ende 1323 in Nürnberg, s. o.
S. 35 A. 3 Ende, und im nächsten August in Regensburg stattgefunden,
Aventinus Annales ducum Boiariae 1. VII c. 16, bgb. von Riezler 11,415.
*) Das hat Frensdorff a. a. 0-, S. 63 richtig erkannt Mely, Revue
de l'Art chretien 1897, S. 287 verkehrt das wirkliche Verhältnis in sein
Gegenteil, wenn er die Lanze seit 1273 bei der Krönung des deutschen Königs
verwandt werden läßt.
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38
könnt sie nicht1), und ebenso gedenken z. B. weder die Glosse
zum Sachsenspiegel*) noch Peter von Audio3) ihrer unter den
Reichsinsignien. Diese Entwicklung ist aufs engste verbunden
mit einer andern, auf die erst im 6. Kapitel eingegangen werden
kann.
Exkurs I.
Zur Geschichte Heinrichs VI. und seines Bruders
Philipp in den Jahren 1196 und 1197.
Die Admunter Fortsetzung der Melker Annalen *) berichtet
(MG. SS. IX 588,30) zum Jahre 1108: Philippus dux Suevorum,
qui cnicem, coronam et lanceam ceteraque insignia imperalis ca-
pellae, quae regalia dicuntur, vivente adliue imperatore de Apulia
adduxerat, pro eo, quod nepos eius Fridericus infantulus esset, cui
tarn ipse quam alii principes etiam cum subscriptione iuraverant,
sub nomine quidem tutoris ad regnum aspirat. Diese Angabe,
daß Philipp die Reichsinsignien aus Italien zurückgebracht habe,
hat Toeche bestritten, denn erstens sei Philipp im September
1197 gar nicht bis Apulien gekommen, und zweitens werde
Heinrich VI. die Insignien schwerlich vom Trifels mit über die
Alpen genommen haben*).
Meines Erachtens ist diese Stelle unbedenklich zu verwerten.
Denn Toeches erster Einwand beruht auf einem einfachen Irrtum.
‘) K. Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichs-
verfassung in Mittelalter und Neuzeit, Leipzig 1904, Nr. 130 S. 15911., bcs.
c. 22 S. 174.
*) Landrecht III SO § 1. Sie kennt 5 Kleinode, dy tu deine rike hören,
nämlich Krone, Banner, Fahne, Apfel und Scepter, Frensdorff a. a. 0., S. 54.
s) Libellus de Cesarea raonarchia (geschrieben 1460) II 8, hgb. von
Harbin in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, German.
Abt. XIII (1892) S. 185: Tcrcio principaliter Romanorum imperator excellit
omnes alios reges in insigniis imperialem gloriam decorantibus, et sunt qua-
tuor: imperiale dyadema, gladius, sceptrum et pomum aureuin seu globus.
Dietrich von Niem läßt die Lanze bereits im 11. Jahrhundert ver-
loren gehen, s. unten S. 70 A. 1.
4) Vgl. oben S. 31 A. 2.
4) Th. Toeche, Jahrbücher der Deutschen Geschichte, Heinrich VI
(1867) S. 470 A. 6.
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39
Es ist freilich sicher, daß Philipp im Herbst 1197, im Begriff
seinen Neffen zur Krönung nach Aachen zu holen, noch nicht
einmal bis Rom vorgerückt war, als er sich auf die Kunde von
des Bruders Tode (1197 Sept. ’JH.) zur Umkehr genötigt sah.
Das hat aber mit dem Bericht der Admunter Fortsetzung nichts
zu tun. Denn hier heißt es ausdrücklich, Philipp habe die Über-
führung der Insignien noch zu Lebzeiten des Kaisers besorgt.
Toeches zweiter Grund steht und füllt mit der Voraussetzung,
daß damals bereits die Insignien für gewöhnlich an einem be-
stimmten Orte verwahrt wurden. Das ist indes nicht zu er-
weisen. Friedrich I. z. B. scheint sie noch ganz in der alten
Weise mit sich herumgeführt zu haben1); daß Heinrich VI. eine
andere Praxis befolgte, ist natürlich nicht ausgeschlossen, aber
doch durch nichts zu belegen. Aber selbst angenommen, er habe
die Insignien in der Regel auf dem Trifels lagern lassen, so hat
er sie doch ohne jeden Zweifel gerade im Sommer 1196 mit
nach Süden genommen. Denn damals betrieb er den Plan, seinen
Sohn vom Papste zum römischen König krönen zu lassen, und
dazu bedurfte er notwendig der altehrwürdigen Abzeichen, die
auch jeder neue König mit sich zur Kaiserkrönung nach Rom führte.
So sind die Insignien im Sommer 1196 sicher nach
Italien gekommen. Ende 1197 aber sind sie ebenso sicher
in Deutschland und zwar in den Händen Philipps von
Schwaben, der nach der Meinung des Ursperger Chronisten auf
ihren Besitz gestützt das Reich in Anspruch nahm5). Sie müssen
also in der Zwischenzeit zurückgebracht worden sein. Fraglich
kann nur sein, wann und durch wen. Daß dies erst nach dem
Tode des Kaisers geschehen sein sollte, ist in jeder Hinsicht so
unwahrscheinlich wie nur möglich. Die Angabe der Admunter Fort-
setzung entspricht also, was den Zeitpunkt der Überführung im
allgemeinen angeht, durchaus den gegebenen Verhältnissen. Es ist
schon darum nicht berechtigt, ihre weitere Nachricht abzulehnen,
') Vgl. 8. 27 A. 2.
*) Chron. Ursperg. MG. SS. XXIII 365, 20: Volobat (sc. Philipp) enim
tenere imperium, cum in pntestate sua haberot insignia imperialia, utpote
coronain et crucem et alia quae attinebant. V. d. Hagen Minnesinger IV
673 hat diese Stelle dahin mißverstanden, daß der im Satz vorher genannte
Bischof Konrad von Straßburg damals die Insignien besessen habe.
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daß der Herzog von Schwaben der heiter diese.« Transports ge-
wesen sei. Ein solche Aufgabe bedurfte einer durchaus zuver-
lässigen Persönlichkeit. Philipp genoß das vollste Vertrauen seines
kaiserlichen Bruders, der, wie längst bemerkt ist, in diesem,
ursprünglich zum Geistlichen bestimmten, jüngsten der Söhne
Barbarossas sich einen nahen Gehilfen für die Durchführung
seiner Pläne heranzubilden bemüht hatte ').
Damit ist die Möglichkeit gegeben, den Zeitpunkt und die
näheren Umstände des Vorgangs noch etwas genauer zu bestimmen.
Am 15. August 1196 verschied unerwartet der dritte der
staufischen Brüder, Konrad Herzog von Schwaben3). Bereits
vorm oder am 23. August desselben Jahres war Philipp, damals
Herzog von Tuscien 5), vom Kaiser zur Nachfolge in das staufische
Familienherzogtum berufen worden *). Er kehrte darauf in die
deutsche Heimat zurück und feierte zu Pfingsten 1 197 an der
alten Versammlungsstätte in Gunzenlech bei Augsburg inmitten
der schwäbischen Großen gleichzeitig seine Umgürtung mit den
ritterlichen Abzeichen und seine Vermählung mit der griechischen
Irene 5).
Irene war ihm bereits mehrere Jahre früher nach der Ein-
nahme Palermos (1194 Nov. 20.) durch den kaiserlichen Bruder
verbunden worden6). Daß die junge Frau erst jetzt mit Philipp
zusammen nach Deutschland kam, läßt sich nicht gut bezweifeln ').
Es ist kaum anders anzunehmen, als daß sie solange ihre
Tage in Unteritalien verbrachte. 1196 kam Heinrich VI. erst
*) Vgl. E. Winkelmann, Jahrbücher der Deutschen Geschichte,
Philipp von Schwaben und Otto IV. von Braunschweig, I (1873) 8. 14 ff.
*) Böhmer-Ficker, Regesta imperii V 1 N. 10b.
5) Bevor ihm im April 1195 die Verwaltung Tuscicns übertragen wurde,
hatte er nach der Eroberung Untoritaliens 1194 das Fürstentum Capua er-
halten, Ann. Aquenses 1193, MG. SS. XXIV 39.
*) Böhmer-Ficker, Reg. imp. V 1, N. 10b und c.
s) Vgl. Böhmer-Ficker, Keg. imp. VI N. 10 d. — Pfingstver-
sammlungen der Großen Schwabens und Baiems in Gunzenlech z. B. 1127
(Hochzeit Heinrichs des Stolzen mit der Königstochter Gertrud), 1175 (Welf
der Ältere), Hist. Welf. Weingart. c. IG und Contin. Staingad., MG.
SS. XXI 463 und 471.
«) Toechc, a. a. 0. 8. 3G3 f.
*) Vgl. Chron. Ursperg. 1197, MG. SS. XX1I1 364: Otto Sanblas.
c. 44, MG. SS. XX 328.
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41
im Dezember dorthin '). Daß Philipp noch damals den Bruder
begleitete, ist wenig wahrscheinlich. Denn die Ankunft des
jungen Herzogs in Schwaben und die Versammlung in Gunzen-
lech werden zum Teil ausdrücklich in zwei verschiedene Jahre
gesetzt *). So ist der Bericht Ottos von St. Blasien wohl darin
ungenau, daß er die beiden Brüder zusammen in Sizilien weilen
läßt. Er irrt ja auch sicher darin, daß dort die Übertragung
Schwabens an Philipp erfolgt sei 3). Offen bleibt natürlich die
Frage, ob Philipp vorher allein die Verlobte aus Unteritalien
geholt habe. Da seit Ende August sein Aufenthalt am kaiser-
lichen Hofe nicht mehr belegt ist, ist das sehr möglich.
Damit fällt auch die Angabe der Admunter Fortsetzung, daß
der Herzog die Insignien aus Apulien hergebracht habe. Aber
die Tatsache der Überführung selber wird davon nicht berührt.
Natürlich konnte der Kaiser die Insignien erst dann heim-
senden, als er endgültig die Absicht aufgegeben hatte, seinen
Sohn vom Papst krönen zu lassen. Die Verhandlungen darüber
waren im August und September 11DB im Gange, und jetzt hat
Krammer es höchst wahrscheinlich gemacht, daß sie erst etwa
im November abgebrochen wurden, als der Kaiser auf die wenig
günstigen Nachrichten vom Erfurter Reichstage den ganzen Erb-
kaiserplan fallen ließ4). Ist das richtig, so kann Philipp erst
damals den Weg in sein neues Herzogtum angetreten, erst da-
mals die Insignien nach Deutschland zurückgeführt haben. Gleich-
zeitig hat Heinrich die Wahl des jungen Friedrich durch die
Fürsten zu betreiben begonnen, und man wird annehmen dürfen,
daß Philipp in diesen Verhandlungen nicht untätig war, die Ende
des Jahres zum glücklichen Abschluß kamen.
‘) S. S. 68 A. 6 zu den Annales Marbacenses qui dienutur cd. Bloch
(SS. mrum Germanicarum), Hannover 1908.
*) Chron. Urspcrg., MG. SS. XXIII 364: vgl. Hugonis Chron. Contin.
Wein gart., MG. SS. XXI 478.
3) Otto San blas. e. 44, MG. SS. XX 328: Hcinricus imperator inortuo
fratre Cuonrado Philippe fratri auo, qui in Sicilia interim cum co manebat,
data sibi sponsa sua filia Constantinopolitani imperatoris ducatum Alamannie
concegBit ipsumque cum eadem sponsa sua in Germaniam deatinavit usw.
Vgl. oben S. 40 A. 4 und S. 41 A. 1.
4) M. Kr amincr, Der Rciehsgedanke des stautischen Kaiserhauses,
Breslau 1908 (Gierkes Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Kechts-
gcschichte Heft 95), S. 25 ff. Durch die Freundlichkeit des Verfassers konnte
ich die Druckbogen einsehen.
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42
Exkurs IT.
Zu den Reichssprüchen Reinmars von Zweter.
In dem oben S. 32, A. :( angeführten Spruch (Nr. 147)
schildert Reinmar, der damals bekanntlich am böhmischen Hofe
lebte, die Unzufriedenheit einer Reibe von Fürsten mit Friedrich II.
und mahnt zu Vorsicht bei einer Neuwahl. Roethe1) setzt diesen
Spruch wie den vorhergehenden N. 146 in die zweite Hälfte des
Jahres 1240, in die Zeit, wo König Wenzel von Böhmen bereits
wieder von der päpstlichen Partei, der er seit Ende 1237, Anfang
123S angehörte, zur kaiserlichen zurflckgetreten war (Ende Juli
oder Anfang August 1240). In dem „reservierten gedämpften Ton
der Strophen“ findet er einen Ausdruck des Widerspruchs zwischen
den Ansichten des Dichters und seines Königs.
Nach Roethes einleuchtender Annahme sind in der Heidel-
berger Handschrift 1) (Cod. palat. 350) die politischen Sprüche
Reinmars*) chronologisch geordnet. N. 143 ist, wie er S. 61 ff.
überzeugend nachweist, unter dem Eindruck der zweiten Bannung
Friedrichs am 20. März 1230 3) und des Rundschreibens Gregors IX.
vom 1. Juli des gleichen Jahres mit seinen Anklagen gegen den
Kaiser4) entstanden. N. 144 soll den Gesinnungswechsel des
Dichters, bisher eines eifrigen Anhängers des Staufers, begründen*);
die folgenden Sprüche führen uns zu den Versuchen, eine Neu-
wahl zu stände zu bringen. Ein Kandidat dafür war der junge
König Erich von Dänemark, Waldemars Sohn. Davon spricht
Albert von Passau in einem Brief an den Papst Mitte Juni 1239 6).
Der Plan scheiterte aber nach einem andern Briefe desselben vom
5. Sept. 1240 an der Weigerung des jungen Fürsten7), nachdem
er noch im April 1240 betrieben worden war*). In diese Zeit
*) G. Roethe, Die Gedichte Keinmars von Zweter, Leipzig 1887.
S. 66 ff.
*) N. 125—147; die N. 148—157 trennt er von ihnen, vielleicht ohne
genügenden Grand, ab.
*) Böhmer-Ficker, Regesta imperii V 1 N. 2428 b.
4) Böhmer-Ficker- Winkelmann, Regesta imperii V 2 N. 7245.
5) Roethe S. 63.
*) Böhmer-Ficker-Winkelmann, Reg. imp. V 2 N. 11228.
’) Böhmer-Ficker-Winkelmann, Reg. imp. V 2 N. 11297.
*) Böhmer-Ficker-Winkelmann, Reg. imp. V 2 N. 10155 c.
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gehört sicher Reinmars Spruch N. 148. Es ist nicht ganz kon-
sequent, wenn Roethe ihn aus der chronologischen Reihe aus-
scheidet und vor N. 145 — 147 entstanden sein läßt.
N. 145 geht gegen eine Absicht Venedigs, das Reich an
seinen Herzog zu bringen. Es ist schon an sich recht fraglich,
ob Albert gerade daran dachte, als er dem Herzog von Baiern
sagte, die Kirche werde gegebenenfalls ohne Rücksicht auf die
Fürsten „sibi providere . . de persona alius Gallici vel Lom-
bardi aut alterius in regem vel patricium aut etiam advocatum“
(Brief an den Papst, August 1240 '). .ledesfalls können darum
solche Bestrebungen bereits im Jahre vorher wirksam gewesen
sein. Es besteht also kein Grund, N. 145 bis in den Sommer
oder die zweite Hälfte 1240 herabzurücken.
N. 146 und 147 zeigen die Stimmung, die von den Fürsten
eine Neuwahl erwartet. N. 146 spricht noch mehr hypothetisch:
ir vürsten, seht ir iht
an im2) sö schuldehaftes, da von er süle des riches abe
gestän,
So nemt iu einen usw.
N. 147 behandelt den Plan als feststehend:
Sumlichen vürsten ist ez leit,
daz Roemisch rieh gevallen ist in dise unwerdikeit:
si dunket unde sprechent, ein ander phlaege des riches
baz dan er.
Nü seht vür iuch, des riches welaere,
den ir nü weit, daz er si schänden laere usw.
In beiden wird gemahnt, eine gute Wahl zu treffen. N. 148
endlich nennt nun einen Fürsten, der dem Ideal des Königs ent-
spreche. L)a liegt es doch näher, auch eine zeitliche Aufeinander-
folge dieser drei Sprüche anzunehmen, d. h. N. 146 und 147 ge-
hören in die Mitte oder die zweite Hälfte 1239.
') Böhmer-Ficker- Winkelmann, Reg. imp. V 2 N. 11294.
*) Friedrich II.
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Drittes Kapitel
Die Gestalt der heiligen Lanze
Auch die äußere Erscheinung der heiligen Lanze hat im
Laufe der Zeit eine durchgreifende Veränderung erfahren.
Spricht Liudprand von der Lanze des Königs, an der die
Kreuzesnägel befestigt seien, führte sie dieser selber ') oder einer
seiner Großen*) im Kampfe, so wird man nicht leicht daran
denken, daß sie damals nur aus dem Eisen bestehend in ein
Keliquiar eingeschlossen war, sondern annehmen, daß sie, weithin
sichtbar, wie eine richtige Lanze einen langen Schaft gehabt hat. Für
die Zeit Ottos des Großen ist daran nach den Worten Liudprands5)
und Widukinds4) nicht zu zweifeln, und auch weiterhin ist es
durch das, was wir von der ungarischen und der polnischen
Königslanze wissen5), durch eine bildliche Darstellung aus der
Zeit Heinrichs II. ®) und durch die Lanze des Gegenkönigs Rudolfs
von 1080’) bis zum Ende des 11, Jahrhunderts ganz gesichert.
Man kann sich also dagegen nicht auf die Ycon des Alexios
Murzuphlos berufen, die 1204 vor Konstantinopel von den Kreuz-
■) Otto der Große 955, s. oben S. 26 A. 5.
*) Ein lancifer Richer 982: Bischof Bernward von Hildesheim 1001
Bischof Burchard von Lausanne 1088. S. oben S. 27 A. 2 und 3.
*) Liudprand Antapodosis IV 24, S. 91: ante vietorileros elavos
manibus domini et salvatoris nostri Jesu Christi adfiios suaeque lanceae
inpositos . . .
4) Oben S. 26 A. 5.
5) Unten S. 71 tf.
®) Unten S. 49.
») Unten S. 70.
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fahrern im Fplde erbeutet wurde, so auffällig die Parallele aucli
scheint l).
Heute fehlt freilich der Schaft, und das war schon im Jahre
1350 der Fall. Damals zuerst hören wir, daß das Eisen der
Lanze mit anderen Reliquien5) zusammen in dem großen kreuz-
förmigen Reliquiar von vergoldetem Silber auf bewahrt wurde5),
dem man sie später nur bei der öffentlichen „Heiligtums-Weisung“
entnahm.
Es ist sehr möglich, daß dieser Zustand schon länger bestand.
Doch läßt sich nicht genau bestimmen, wann der Wechsel eintrat.
Im Jahre 1208 war die Lanze vielleicht noch mit einem Schaft
verbunden4). Dagegen 1246 mag sie bereits wie heute bloß
aus dem Lanzeneisen bestanden haben, doch befand sich dieses
damals noch nicht in dem großen Kreuz, das nur zu der Kreuz-
partikel in nähere Beziehung gesetzt wird5). Der letzteren diente
') Die Ycon wird beschrieben bei Alberich votiTrois-Fontaines 1204.MG.
SS. XXI II 883 (vollständig bei Leibniz Access, hinter. II b, S. 434 f.) : In
hac (sc. ycona) mirabiliter fabrefacta est niaiestas Domini et imago b.
Mariae et apostolorum cum reliquiis in eu repositis. Ibi est dens, quem in
pueritia mutavit Jesus, et ibi habetur de lancea, qua in cruce fuit vulne-
ratus, de sindone et de 30 inartiribus. Hane yconam cum in praoliis
ferre essent soliti, nequaquam antea potuerunt ab hnstibus superari . , .
Petrus de Brachvelis Kampsonem patriarcham super galee nasale sic percussit,
quod ille cadens ad torram yconam dimisit nobilcm quam sibi
praeferri faciebat (der Kaiser Alexios Murzuphlos) iconarn ordini (’ister-
siensi nostri dedicavere victores.
*) Dem „mcrcklich Stück" des heiligen Kreuzes, dem /.ahn Johannis
des Täufers und dem Artn der lü. Anna.
3) Urkunde Ludwigs des Altern von Baiem-Brandenburg bei dor Über-
gabe der Keichskleinodien Mönchen 1350 März 12. (nicht April 6.), Murr
Journal zur Kunstgeschichte XII 8. 4G, und Gegenurkunde Karls IV. vom
gleichen Tage, ebenda 8. 49. Das Kreuz ist beschrieben bei Quirin Leitner,
Die hervorragendsten Kunstwerke der Schatzkammer des Österreichischen
Kaiserhauses, Wien 1870 — 73, S. 28, mit Abbildung.
*) Das darf man vielleicht aus dem Ausdruck lancea imperialis, oben
S. 31 A. 4, schließen. Auch die Ausführungen Gottfrieds von Viterbo, Pan-
theon XXVI, MG. SS. XXII 273, sind so am besten verständlich.
s) S. das Verzeichnis in der oben 8. 33 A. 2 angeführten Urk.
Konrads IV. (überliefert in einem Falkensteinischen Kopialbuch s. XV.): „die
keiserlichen Zeichen, mit namen unsers herren holtz mit eirnc gülden cruce
mit edelen steinen gezieret, sant Johanns des Dofers zaen in einem
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es schon 1227 '), ja sogar schon unter Heinrich IV.*) als Behält-
nis; die Entstehung des Reliquiars ist danach unter Konrad II.
zu setzen s).
Nun zur Form des Lanzeneisens.
Wir haben die Beschreibung Liudprands, und wir haben die
Lanze selber im Wiener Schatz4). Alle sind darin einig, daß beide
zueinander aufs genaueste stimmen.
Der mittlere Teil des Wiener Lanzeneisens ist unter Karl IV.
mit einem Goldblech umkleidet worden, das die Aufschrift trägt:
„Lancea et clavus Domini.“ Unter diesem Bande befindet sich
ein zweites von Silber6), dessen Aufschrift später zu erörtern ist.
Nach Beseitigung der störenden Hüllen ist die Gestalt im wesent-
lichen folgende.
Die Dille1), mit kurzen senkrecht abstehenden Ohren am
unteren Ende, geht nicht ganz bis zur Mitte des Eisens. In sie
cristallen, sant Kunegunden arm, saute Mauricien aper me unsere
herr e n na bete und ein »über enfuder darüber, dar cruzemit der kedene
und mit deute heilichdome, die güldene crone mit gülden cruce, zwei swert
mit zwein seliciden gezieret mit edulem gcsteinc. daz gülden vingerlin mit
deme robine linde vier gaphire, den gülden appcl mit dem cruce, den kaiser-
lichen inantel* usw. Daß das .gülden cruce mit edclen steinen gezieret“ das
Reliquiar ist. wird durch den Vergleich mit den Urkunden von 1350, oben
S. 45 A. 3, gesichert.
') Gregor IX. an Friedrich IL: Cruz ubi est lignum Domini, oben
S. 27 A. 1.
*) Benzo von Alba, oben S. 27 A. 1 (1085/86): sancta cruz gravida
ligni dominici.
*) Wegen der Inschrift:
t Ecce crucem Domini fugiat pars hostis iniqui,
Hinc, Chuonrade, tibi cedant omnes inimici,
die seit des Nürnberger Kal »Schreiber« Johann Müllners .Relation“ von
1630 (von Murr als Anhang zu Koeders l’odcz historicus tcstimonioruin
de fatis klinodiorum abgedruckt) S. 421 f. falsch auf Konrad III. bezogen wird.
4) Genaue Beschreibung bei Leittier, Die hervorragendsten Kunstwerke
der Schatzkammer des Österreichischen Kaiserhauses S. 26 ff. Gute Ab-
bildungen ebenda und mit sorgfältiger Angabe der Maßo ßei Mel;, Revue
de l'Art chretien 1897 S. 287 und 289. Ich hebe im folgenden natürlich
nur das für meinen Zweck Wesentliche hervor und verweise für alles
Nähere auf Leitner.
*) Es wird erwähnt in dem Inventar von 1246, s. oben A. 5 zu S. 45.
e) Sie müßte Liudprands „mittlerem Grat“ entsprechen.
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sind der Länge nach zwei flache Seitenteile eingefalzt, die sich
nach der Klinge zu verjüngen und früher mit Lederriemen, jetzt
meist mit Silberdraht an die Dille gebunden sind. An die Dille
setzt sich als ein längliches Spitzoval das Spießblatt, in dessen Mitte
der ganzen Länge nach ein leerer Raum ausgestemmt ist, um einen
merkwürdig gestalteten Nagel aufzunehmen *). Als Ganzes gesehen,
verjüngt sich das Eisen also nicht von seiner Wurzel bis zur
Spitze ununterbrochen, hat auch nicht etwa in der Mitte eine
Ausbuchtung, sondern da, wo die beiden ungleichen Hälften Zu-
sammenstößen, eine sehr merkliche Einschnürung, die auch durch
die beiden Hüllen für den Beschauer nicht ausgeglichen wird.
Nun zu der Beschreibung Liudprands. Er sagt*): „Erat
enim exepta ceterarum specie lancearum novo quodam modo novaque
elaborata flgura, habens iuxta lumbum medium utrobique
fenestras. Hec (!) pro pollicibus perpulcrae duae acies
usque ad declivum medium lanceae extenduntur. Hane
igitur Constantini Magni, sanctae filii Helenae, vivifieae crueis
inventricis, fuisse adfinnant, quae media in spina, quam lum-
bum superius nominavi. ex clavis manibus pedibusque domini et
redemptoris nostri Jesu Christi adfixis cruces habet/
Das heißt: „Die Lanze,“ oder richtiger die Lanzenspitze
oder das Lanzeneisen, „hat neben dem mittlern Grat zu beiden
Seiten fensterartige Öffnungen.“ Was dann folgt, ist sehr schwierig
zu verstehn. Nehmen wir zuerst die Worte, wie sie überliefert
sind. Dann muß „Hec“ gleich „Hae“ gesetzt und mit acies ver-
bunden werden, das in jedem Falle Nominativ Pluralis ist. „Acies“
’) Der Nagel wird heute durch 4 parallele Schnürungen von Silber-
draht rund um 'die Schneide festgehalten. Er hat durch Ausbrechen des nach
unten gerichteten Stückes eine Stütze verloren. Dieses fehlende Stück
glaubt Leitncr S. 57 f. in einer von Karl IV. dem Prager Domschatz
(St Veit) verehrten Reliquie wiederzuerkennen. — Übrigens besteht an dem
Wiener Eisen das, was allgemein als ein Nagel gilt, vielleicht doch aus
zweien, die mit den Köpfen aneinander gestellt sind. Entscheiden läßt sich
das natürlich nur durch erneute Untersuchung des Stückes selber. Ich
kann darauf verzichten. Denn Liudprands Beschreibung paßt dazu in keinem
Falle. Daß eine Anordnung, die möglicherweise die modernen Fachleute
täuschte, auch unsero mittelalterlichen Gewährsmänner irre führen konnte,
wird niemand leugnen.
*) Antapodosis IV 25 S. 91.
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48
müßte dann dasselbe wie vorher „fenestrae“ bedeuten. Nun wird
aber „Pollex“ im Gegensatz zu „lumbus,“ dem mittlem, als ein
Seitengrat erklärt1), die „pollices“ sind hier also die beiden
durch die bezeichneten Öffnungen abgetrennten Seitenkanten
des Eisens, die mit dem Mittelgrat sich in der Spitze ver-
einigen. „Acies“ kann ich dann aber nur als eine zweite Be-
zeichnung für diese Seitenkanten ansehen, die damit jede als
Schneide gedacht erscheinen. Dadurch verliert das „Hec“ jede
Beziehung zum Vorhergehenden und wird völlig unverständlich.
Ich halte es darum für notwendig mit Alberich1) „ae“ statt „Hec“
zu lesen. Was heißt nun „ad declivum medium lanceae“? Darauf
läßt sich erst im 5. Kapitel bestimmter antworten. Hier ist nur
zu betonen, daß unter „lancea“ auch in diesem Falle das Lanzen-
eisen unter Ausschluß des Schafts verstanden werden muß5). Wir
haben also folgenden Satz gewonnen: „und die für Seitenkanten
sehr schönen beiden Schneiden4) ziehen sich bis zur abfallenden
Mitte (oder zum mittlem Abfall) des Lanzeneisens hin.“ Liud-
prand schließt : „An dem genannten mittlern Grat hat das Lanzen-
eisen Kreuze aus den Nägeln, die durch die Hände und Füße
Christi geschlagen waren4).“
Auch diese Beschreibung gibt ein in der Hauptsache völlig
klares Bild, aber ein durchaus anderes, als es das Wiener
Lanzeueisen bietet, eine Tatsache unbestreitbar und offen zu Tage
liegend, aber bisher, so viel ich sehe, nicht bemerkt e).
') Du ( 'ange, Glossarium mediae et intimae latiuitatis, editio nova
aucta a L. Favre (1885) s. v. lumbus („sumpta a vitibus nomcnclatura“).
3) S. nächste Anmerkung.
J) Darum ist die Lesart Alberichs von Trois Fontaines zu 929, Leib-
niz Access, histor. 11 266: ac pro pullicibus propulchrae duae ansae usquc
ad declivum medium lanceac extendebantur, unmöglich. Sie verdankt ihren
Ursprung offenbar nur einem Mißverstehen des Ausdrucks „pollices“, wie es
ähnlich auch der Übersetzung in den .Geschichtschreibern der deutschen
Vorzeit“ zugrunde liegt.
4) Oder: .und als Seitenkanten ziehen sich zwei sehr schöne
Schneiden“ usw.
s) Das kann man nicht von solchen Kreuzen verstehen, wie sie, mit
Gold auigelegt, an der Wiener Lanze auf jeder Seite der Ohren und des
Nagels, in diesen dreimal, eingehauen sind.
6) Weder von Leitner, noch von Frzezdziecki oder von Mely, die beide
die Beschreibung Liudprands mit der Wiener und auch mit der Krakauer
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43
Es kann kein Zweifel bestehen, die heute in Wien bewahrte
Lanze ist nicht die von Liudprand um die Mitte des 10. Jhs. be-
schriebene, ist nicht die wahrscheinlich 326 von Heinrich I. erworbene.
Nach Liudprand hatte die deutsche Königslanze Kreuze am
Eisen. Arnold von St. Emmeram nennt unter Konrad H. die
heilige Lanze crucifera l). Aber es bleibt zunächst zweifelhaft,
worauf sich dieser Ausdruck bezieht. Denn ein bekanntes Bild
in dem Bamberger Missale Heinrichs II. zeigt den König, wie
ihm zwei schwebende Engel von rechts und links Lanze und
Schwert reichen*). Die Lanze ist gewiß die heilige Lanze; die
Form des Eisens läßt sich indes nicht bestimmen, da die Spitze
in einem edelsteinbesetzten Futteral steckt, das auf der Spitze
ein Kruzifix trägt. Daß wir ein solches Futteral sonst nicht
kennen, fällt natürlich nach keiner Seite ins Gewicht. Trotzdem
ist nicht daran zu zweifeln, daß noch unter Konrad II. das erste
Exemplar existierte. Denn, wie unten zu zeigen, die 1025 von
Boieslaw Chabri angenommene polnische Königslanze ist eine Nach-
bildung der deutschen und stimmt genau zu der Beschreibung
Liudprands *). Weiter ist, wenn wir in Arnolds Worten an sich
Lanze verglichen. Prz. kannte die Wiener Lanze allerdings noch nicht ohne
die störenden Höllen.
•) De S. Emmerammo II 33, MO. 38. IV 567,23: ex more precednnte
sancta et crucifera imperiali lancea. Dali Arnold, der in den Jahren 1035
bis 37 schrieb, nicht die Kaiaerlanze seiner Zeit, sondern nur die von Otto III.
996 geführte meint, ist nicht glaublich.
9) Jetzt in München, Kgl. Bibliothek Cim. 60 (= Cod. lat. Monac. 4456),
f. 11a. Farbige Abbildung bei J. H. von Hefncr-AItcneck, Trachten
Kunstwerke und Gerätschaften vom frühem Mittelalter bis zum Ende des
18. Jahrhunderts I* (1879) Tafel 47, doch fehlt hier der musivische Hinter-
grund mit den Umschriften (davon auf die Lanze bezüglich: Propulsans
coram sibi confert angelus hastam), den die ebenfalls farbige Tafel bei
Ed. Hcyck, Deutsche Geschichte I (Bielefeld und Leipzig 1905) zu S. 328
Abb. 205 bietet. Bemerkenswert ist der lange knorrige Schaft der Lanze.
Auf f. 11b desselben Codex steht rechts von dem thronenden König mit
Krone, Scepter und Apfel, ein Mann mit dem Schwert, links einer mit Schild
und Lanze, Hefner-Alteneck I9 Tafel 48; ebenso, aber beide links, in Cim.
58 f. 24a (Otto III.) Die Lanze ist beide Male mit anders geformter Spitze
dargestellt, aber durch nichts von einer gewöhnlichen unterschieden. Vgl.
Giesebrecht Geschichte der deutschen Kaiserzcit II9 609 f.
*) Unten S. 73 f.
Hofmeister, Die heilige Lanze d
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50
nicht mit Sicherheit die Lanze Liudprands wiederfinden, zum
mindesten klar, daß die bei ihm gemeinte bereits von Heinrich II.
geführt wurde, und so ergibt sich doch, daß nicht nur zu An-
fang von Konrads II. Regierung, sondern noch 1035 — 37 das
alte Eisen existierte.
Zu Ende des 11. Jahrhunderts war dagegen schon das heutige
Wiener Eisen dafür eingetreten1). Zwischen 1035 und 1099 hat
es das ursprüngliche an der deutschen Königslanze ersetzt. Ist
dafür eine Erklärung möglich?
Die Reichsinsignien und im besonderen die Lanze begleiteten
gewöhnlich den Herrscher auf seinen Zügen im Kriege nicht minder
als im Frieden. So waren sie mannigfachen Fährlichkeiten aus-
gesetzt, und wir wissen, daß sie zu wiederholten Malen in feind-
liche Hände kamen*). Es ist sehr möglich, daß hin und wieder
■) Landulf Hist. Mediolan. III 31, MG. SS. VIII 98 (Heinrich IV.
im Kampf mit den Sachsen und Rudolf): (Der König) suis (die in Gefahr
sind) cum Omnibus militibus praeter illos, quibus lancea, in qua Dei
clavus erat inclusus, Romani imperii stabilimentum ab hostibus durissi-
mis, curabatur, citissime occuirit et occurrendi multos libcravit virtute.
Heinrich IV. an Hugo von Cluny, 1106, Mignc Patrol. lat. 159, 934: super
crucem et dominicum darum cum lancea . . . iuravit (der Sohn dem
Vater 1099). Adalbert, Vita Heinrici II. c. 31, MG. SS. IV. 810 Note i
Zusatz des Cod. bibl. unir. Dips. N. 844 (und danach Ann. Reicherspcrg.
1004, MG. SS. XVII 445,5): lanccam claro dominice passionis
insignitam. Gottfried ron Viterbo, Pantheon XXVI 3, MG. SS.
XXII 273: Lancea Mauricii . . . Olavus natrique Dei iunctus habetur ei.
Gregor IX. an Friedrich II. 1227, MG. Epistolae saec. XIII. selectae I N. 365
S. 279: lancea ubi clavus eius consistil. Usw.
*) Zuerst 978, als Otto II. vor Lothar von Frankreich in eiliger Flucht
aus Aachen weichen mußte, Richer Historiae III 71 ed. Waitz S. 111:
Regia quoque insignia a penetralibus erepta asportantur. Mit Waitz VG.
VI* S. 386 f. wird zwar gewöhnlich bestritten, daß hier die eigentlichen
Reichsinsignien gemeint seien. Meines Erachtens ist ein Zweifel daran
nicht möglich. Denn mit dem kaiserlichen Hofe befanden sich zur Zeit des
Überfalls natürlich auch die Reichskleinodien in Aachen. Richer sagt aus-
drücklich, daß Otto „relicto palatio atque regio apparatu“ geflohen sei,
und „regius apparatus“ heißt eben „die königlichen Insignien“, wie Thietmar
IV 50(31): corpus imperatoris cum apparatu imperiali, lancea duintaiat ex-
cepta, beweist. — 1176 bei Legnano erbeuteten die Mailänder Schild, Fahne,
Kreuz und Lanze des Kaisers, s. oben S. 27 A. 2. Aber auch damals wurden sie,
wie das erste Mal, wieder zurückgegeben: durch den Erzbischof Konrad
von Salzburg ließ der Kaiser nach dem Frieden „crucem et lanceam Domini
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51
ein Stück völlig in Verlust geriet und dann durch ein neues
ersetzt werden mußte. In der kritischen Zeit ging in den Kämpfen
um Würzburg die Königslanze bei Pleichfeld verloren, wurde
jedoch alsbald wiedergewonnen '). Aber 2 Jahre später fiel sie
vor Gleichen in Thüringen aufs neue den Sachsen unter Markgraf
Ekbert von Meißen in die Hände *). Ist sie bei dieser Gelegenheit
endgültig in Verlust geraten, und hat Heinrich IV. damals zum
Ersatz das heute in Wien befindliche Eisen — etwa aus den Stücken
des alten — vielleicht zerhauenen — anfertigen lassen? Es ist
das eine Möglichkeit’), aber auch nicht mehr.
Wir wissen nicht, was aus der ursprünglichen Lanze wurde.
Sicher ist nur, daß das Reich stets nur eine, nicht mehrere Lanzen
neben einander besaß4).
et alia imperii insignia“ in der Stille nach Deutschland bringen, Continuatio
Claustroneoburgenais tertia der Melker Annalen 1178, MG. SS. IX 632,20.
Was die Parmesen 1248 erbeuteten, vgl. Frensdorf! Nachr. v. d. kgl. Ges.
d. Wiss. zu Göttingen ph.-hist. Kl. 1897 S. 52 A. 6, waren nicht die eigent-
lichen Reichsinsignien: diese ruhten damals auf dem Trifels, s. oben S. 33
A. 2.
') Ann. Augustani 1086, MG. SS. III 132: hastam etiam regiam
deauratain ab hoatibus abroptam recepit. Schlacht bei Pleichfeld 1086
Aug. II.
*) Bernold 1088, MG. SS. V. 448,15: Iternm Saxones factione Eggiberti
marchionis Heinrico rebellarunt eumque ablatis sibi regalibus insignibus
de obsidione cuiusdam munitionis in quendam montem turpiter fugarunt,
und 1089, ebenda Z. 25: Ipse autem Heinricus perditis regalibus insignibus
rix de manibns insequentium eripitur: sicque usquc ad Babinberc de Thu-
ringia fugiendo tandem pervenit ibique inglorius sollemnizare compellitur.
Der Träger der Königslanze fand damals seinen Tod, s. oben S. 27 A. 2;
der Unglückstag war der 24. Dez. 1088.
’) Landulf von Mailand, oben S. 50 A. 1, konnte leicht die Lanze
der 90er in die 70 er Jahre zurücktragen; von der verschiedenen Form
wußte er schwerlich etwas. Nach Leitner Die hervorragendsten Kunstwerke
der Schatzkammer S. 27 ist bei der Wiener Lanze das Spießblatt in der
Mitte zerbrochen und durch aufgeschweißte Eisenplättchen und ein um die
Bruchstelle geschmiedetes eisernes Band wieder zusammengefügt. Er meint
der Schaden möge bei der Herstellung der Öffnung für den Nagel entstanden
sein. Eher möchte ich daran denken, daß nach ihm Karl IV. ein Stück
des Nagels herausbrach, wenn nicht ein Unfall in einem der Kämpfe des
11. oder 12. Jahrhunderts daran Schuld ist.
*) Das geht aus den Verzeichnissen von 1246, 1350, 1423 — 24 hervor.
Aventin ist meines Wissens der erste, der zwei Lanzen nebeneinander nennt,
4'
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Gerade unter Heinrich ni. oder IV. soll Markgraf Ernst von
Österreich (1055 — 1075) dem Kloster Melk die heilige Lanze ge-
schenkt haben, die dort noch heute bewahrt wird. Seit wir zuerst
von ihr hören, gilt sie als Lanze des heiligen Mauritius, wie das
über 200 Jahre auch für die deutsche Königslanze der Fall war.
Die Melker Überlieferung beginnt gerade im 14. Jahrhundert')
zu einer Zeit, wo der Mauritius-Name für diese bereits tot war*).
Aber die heutige Wiener Lanze ist durch eine Inschrift als die
ehemalige Mauritius-Lanze gesichert. Das Melker Eisen ist auch
nicht das ursprüngliche, von Heinrich I. erworbene Stück. Denn
seine Form*) stimmt nicht zu der Beschreibung Liudprands. So
ist die Melker Lanze überhaupt keine deutsche Königslanze; eine
positive Erklärung kann ich für sie allerdings nicht geben4).
Annales ducum Boiariae 1. VII. c. 16, hgb. von Riezler II 415: sacra au-
gustalia, imperii ingignia, bastam, clavog, vivificae crucis magnam partem,
quae Christus servator uoster sangaine suo consecrarit, divat; Anna« bracchium,
dentem divi Joannis baptistae, ensem atque hastam divi Mauritii,
diadema aureum, ensem Caroli Magni et alia huiuscemodi penetralia numero
centum viginti.
') Im Necrologium Melliccnso s. XII. fügt eine Hand des 14. Jbs. zu
der Eintragung „V. Idus Junii Kraust marchio obiit“ hinzu: „Lanceam s.
Mauricii et crateram beati Udalrici Medlicam attulit“, MG. SS. IX. 499 A.
17. Dann die Historia fnndatinnis coenobii Mellicensia bei Kollar Analecta
Monumentorum omnis aevi Vindobonensia I (1761) S. 876: contulit loco
nostro Melicensi lanceam s. Mauricii, in qua impressa videtur portio quae-
dam dominici ligni s. crucig, quam angelus Dei impressit usw. (auch bei
Hueber, s. nächste Anmerkung). Vgl. J. E. Keiblingcr, Geschichte des
Benedictiner-Stiftes Melk in Nieder- Österreich 1, 2. Ausgabe Wien 1868,
S. 168—171.
*) S. unten S. 79.
*) Abbildung und Beschreibung bei Phil. Hueber, Austria ex arebivis
Mellicensibus illustrata, Lipsiae 1722, S. 297. Es ist von ganz einfacher
Gestalt, nicht durchbrochen: in der Mitte ist das Holz vom Kreuz zu sehen.
Als Länge geben Hueber und Keiblinger 2 Wiener Put! an; die Abbildung,
die in natürlicher Größe sein soll, ist 34,4 cm lang. Das Eisen hat
keinen Schaft, die Fassung (aus der Zeit Herzog Rudolfs IV. 1358 — 1365)
ist in den Napoleonischen Kriegen in die Münze gewandert.
4) Daß die Melker Lanze nicht mit der ungarischen Königslanze iden-
tisch sein kann, hat Zeißberg, Zeitschrift für die österreichischen Gym-
nasien XVIII (1867) S. 334 A. 78 mit Recht gegen Keiblinger bemerkt.
Aber seine eigene Ableitung aus der Heirat Emsts I. (+ 1015) mit der
Gisela von Schwaben, der Nichte Rudolfs III. von Burgund (S. 335), ist
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Heilige Lanzen kennt man ja an vielen Orten '), und der Name
des hl. Mauritius kann auf einer vagen Erinnerung an die alte
Bezeichnung der Reichslanze beruhen.
Die Möglichkeit, daß wir die alte Lanze irgendwoanders
wieder vorfinden, ist immerhin ins Auge zu fassen; sie kann
jedenfalls nicht von vornherein verneint werden.
kaum weniger phantastisch. Auch v. d. Hägens Gleichsetxung der Melker
Lanze mit der des Hugo yon Flavigny, Minnesinger IV. 673 A. 4, wird
durch unsere weiteren Ausführungen hinfällig.
') Vgl. Mely, Hevue de l’Art chreticn 1897 S. 302: Müllners Relation
bei Roeder Codex historicus testimoniorum de fatis kiinodiorum S. 436:
Herold in der unten S. 83 A. 1 genannten Abhandlung. Eine Lanze des
bl. Udalrich will man in Ebenfurth an der Leitha besitzen, Keiblinger
a. a. 0. S. 171 A. 2.
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Viertes Kapitel
Die deutsche Königslanze als Mauritius- Lanze
Bei Liudprand ist die deutsche Königslanze die Lanze Kon-
stantins, das Wiener Lanzeneisen aber zeigt auf seiner silbernen
Hülle die folgende Inschrift'): CLAVVS DOMINICVS +
HEINRICVS D[E]I GRA TERCIVS ROMANO IMPERATOR AVG
HOC ARGENTUM IVSSIT — FABRICARI AD CONFIRMATIONE
CLAVI DNI ET LANCEE SANCTI MAVRICII. SANCTVS
MAVRICIVS. Die Wiener Lanze ist also eine Mauritius-Lanze.
Daß bereits Karl Martell die Lanze dieses Heiligen gegen
die Saracenen geführt habe, beruht auf einem Mißverständnis
recht jungen Datums*), und kaum über das Jahr 1100 geht die
') Ich gebe sie nach der Abbildung bei Leitncr a. a. 0. S. 27.
*) Karl Martell bei Poitiers 732 Moreri Le Grand Dictionnairc histori-
que, Nouvelle edition par M. Dronet VII. (Paris 1759) s. v. Maurice (Saint)
S. 359 und danach Przezdziocki in der Biblioteka Warszawska 1831 S. 510
und 523. Offenbar liegt hier ein Mißverständnis von Wilhelms von Malmes-
bury Gesta regum Angloruni II 135, MG. SS. X. 460,15 (aus den Jahren
1119—24) zu Grunde, wonach Hugo von Francien im 10. Jahrhundert dem
König Aethelstan von England zum Geschenk macht „lanceatn Karoli Magni,
quam imperator invictissimus contra Saracenos eiercitum ducens, si quando
in hostcm vibrabat, nunquam nisi victor abibat“, und „vexillum Mauricii
beatissimi martyris et Thebeae legionis principis, quo idem rex in bello
Hispano quamlibct infestos et confertos inimicorum cuneos dirumpere et in
fugam solitus erat cogere." Vgl. Mely Revue de l’Art chretien 1897 S. 298 ff.
und oben S. 22 A. I. Die Historia monasterii Croylandensis des angeblichen
Ingulf ist ein Machwerk des 14. Jahrhunderts, F. Liebermann im Neuen
Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtakunde XVIII (1893)
S. 257 ff. Die genannten Stücke haben in England unseres Wissens nie
eine Rolle gespielt.
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55
trübe Überlieferung zurück, die sie Karl dem Kahlen beilegt ’).
Auch sie ist offenbar durch die Vorstellungen von der deutschen
Königslanze beeinflußt.
Der hl. Mauritius ist der Hauptheilige des Königreichs
Hurgund. St. Maurice d'Agaune im Wallis, der Ort seiner Marter,
kann als dessen Wiege bezeichnet werden*).
Aus Burgund kam die Lanze Liudprands, die Konstantin-Lanze,
nach Burgund weist auch die Wiener Lanze. Und doch sind es
nicht dieselben ! Hat etwa das deutsche Reich zweimal aus der-
selben Quelle eine heilige Lanze bezogen? Das ist in der Tat
die gewöhnliche Annahme.
Auf Grund der mit ihm und seinem Vorgänger geschlossenen
Verträge war Konrad II. der rechtmäßige Erbe des kinderlosen
Königs Rudolfs III. von Burgund. Als 1032 der lange erwartete
Todesfall eintrat, wurden dem Kaiser im Auftrag des Sterbenden
die Insignien seines Reichs überbracht. Die zuverlässigen Quellen
heben dabei nur das Diadem hervor *). Erst Hugo von Flavigny
sagt ausdrücklich, daß Rudolf dem Kaiser seine Herrschaft mit
der Lanze des hl. Mauritius, dem „insigne“ des burgundischen
■) Karl der Kahle für die Kirche Vienne, 854 Juli 6. Arles, J. a
Bosco Floriacensis retus bibliotheca, I.ugduni 1605, iin laevum ryston 8. 55 f.,
vgl. U. Chevalier Dcscription analytique du cartulaire du chapitre de Saint-
Maurice de Vienne, Valence 1891, S. 16, N. 16: intercessione et meritis b.
Mauritii praecipui martyris, cuius corona et lancea noa tibique victores non
dubitamus. Das Stock, eine notorische Fälschung, steht zweifellos in Ver-
bindung mit der von W. Gundlach im Neuen Archiv d. Ges. f. alt. deutsche
Geschichtskunde XV (1890) S. 102, vgl. XIV S. 254 A. 2, unter Erzbischof
Guido 1094 — 1121 gesetzten Fabrikation der unechten Vienner Briefe nnd
Urkunden.
*) Über die Geschichte des Klosters vgl. A. Jahn, Die Geschichte der
Burgundionen und ßtirgundiens bis zum Ende der 1. Dynastie, Halle 1874,
II. 286 fl. Noch heute nennt es sich die „königliche Abtei“ (S. 324).
s) Hermann von Reichenau 1032, MG. SS. V. 121: Roudulfns ignavus
Burgundiae rcgulus obiit et diadema eius regnique insignia Counrado im-
peratori per Seligcrum allata sunt. Chronicon Suevicmn universale 1032,
MG. SS. XIII 71: Roudolfus rez Burgundiae moriens diadema suum Choun-
rado imperatori misit. Verwirrt am Ende des 12. Jhs. Reincri vita Reginardi
ep. I.eod. c. 17, MG. SS. XX 577,30. Bei Otto von Freising, Chron. VI
30, MG. SS. XX. 242, liegt keine selbständige Überlieferung vor.
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5fi
Reichs hinterlassen habe '). Auf seine Autorität hin ist, wenn
auch nicht ohne leises Bedenken, im allgemeinen dies als Tatsache
angenommen worden2).
Die Lanze Konstantins ist, wie bemerkt, niemals das Ab-
zeichen des burgundischen Königtums gewesen; aber auch die
Mauritiuslanze darf nicht weiter als solches gelten.
Hugo von Flavigny schrieb freilich in unmittelbarer Nach-
barschaft Burgunds, aber erst 2 Generationen nach dem Tode des
letzten Königs 3). Er bringt unsere Stelle, indem er beim Tode
Odos von der Champagne vor Bar 1037 weit zurückgreifend die
Ereignisse seit der Heirat Konrads von Burgund mit Mathilde
von Frankreich4) in einen ganz kurzen Abriß zusammendrängt.
Es springt in die Augen, wie er von einem einzelnen bestimmten
Vorgang nicht reden kann und nicht reden will, wie seine Worte
lediglich die allgemeine Tatsache des Übergangs Burgunds an
das deutsche Reich ausdrücken sollen. Er weiß offenbar von der
Mauritiuslanze als deutscher Königslanze, er weiß, daß sie aus
Burgund kam, und er kennt den hl. Mauritius als Patron dieses
Reichs. So verknüpft er ihre Erwerbung mit dem Vorgang, der
den augenfälligsten Einschnitt in den Beziehungen beider Staaten
bildet, mit dem Anfall Burgunds an Deutschland.
Daß die Erzählung Hugos in der Tat auf diese Weise ent-
standen ist, wird die Betrachtung einiger weiterer Berichte lehren.
Die Erwerbung der hl. Lanze und die Erwerbung des König-
reichs Burgund sind zwei Ereignisse, die auf Mit- und Nachwelt
den größten Eindruck gemacht haben. Sie haben offenbar die
Phantasie aufs lebhafteste beschäftigt, und es ist nicht zu ver-
') Hugo v. Flavigny, Chron. II. 29, MG. SS. VIII. 401,40: Rodulfns
vero rex absque liberis existons Conrado imperatori ßurgundiac regnum
reliquit, dans ei lanceam s. Mauricii, quod erat insigne regni
Burgundiae. Eo vero defuncto et Conrado regno potito Odo usw. Nach
ihm Hugo von Flcury, Chron. MG. SS. IX, 388,10.
’) So von Waitz, VG. VI2 S. 298: Gieacbrecht, Geschichte der
Deutschen Kaiserzeit IIS S. 272; Breßlau, Jahrbücher des deutschen Reichs
unter Konrad II., Bd. II, S. 10; Diemand, Das Ceremoniell der Kaiser-
krönungen S. 99 A. 1 ; Poup ardin , Le royaumc de Bourgogne S. 148 und 382.
3) Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im MA. II6 S. 135.
*) Zwischen 963 u. 966, Poupardin, Le royaume de Bourgogne S. 386.
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57
wundern, wenn die Sage allmählich die geschichtlichen Zusammen-
hänge völlig verschoben hat.
Ihre ersten Anfänge finden wir bei Bonizo am Ende des
11. Jhs. Otto der Große hat die Lanze nach ihm gewonnen, als
er, von König Rudolf von Burgund angegriffen, diesem Reich
und Krone raubte1).
Weiter ausgebildet und ganz anders gestaltet tritt sie uns
100 Jahre später bei Gottfried von Viterbo entgegen. Er kennt
aus Otto von Freising die Erwerbung der Lanze durch Heinrich I.,
hat aber daneben noch eine andere, von ihm bevorzugte Version*).
König Boso von Arles hat sie danach besessen und ihre sieg-
bringende Kraft genossen. Einst bei der Weihnachtsmesse in
Arles vergreift sich der König, erzürnt, daß er nicht dazu
eingeladen, an dem Bischof. Da sammeln die Bischöfe seines
Landes ein Heer und treiben ihn aus dem Reiche. Beschämt und
gebrochen zieht er sich in ein Kloster zurück, nachdem er seine
Herrschaft und die Lanze dem Kaiser Otto übertragen hat1).
') Bonizo Ad Amicum 1. IV, MG. Libelli de lite I. 581 : Otto vir
magnifieus et totus christianissimus. Hic primum, ut superius dizimus,
ITngaros dcbellavit .... Ladoicum cognatum suum per Ugonis tyrannidem
patemn solio pnlsum regno restituit. Nam militari manu intravit Pranciam
. . . . Inde Aquisgrani voniens aquilam, Komanorum signum, quod contra
Gennano« multis temporibus alis eiten sis stabat, Francigcnis usque hodie
prominere precepit (Er überträgt hier, was Lothar von Frankreich 976
unter Otto II. getan, auf Otto I.!). Hinc Maguntiam veniens Ruodolfum Bur-
gundionuin regem bella sibi inferentem vita privavit et regno. Cuius lan-
cea, insigne scilicet imperii, ante nogtras usque hodie portatur imperiales
potestates.
») Gottfried von Viterbo, Pantheon XXIII, c. 28, MG. SS. XXII, 233,5:
Iste Ucnricus rex sacram lanceam imperii, quae coram imperatoribus fertur,
a Rodulfo rege Burgundie minis citorsit. Alii dicunt a Bosone rege Pro-
vincie fuisse eam ad imperium [tempore primi Ottonis imperatoris, dies
fehlt iu den beiden ersten Redaktionen (B und C)] translatam. Nur die
zweite Version berücksichtigt er in der Erklärung der Reichsinsignien (Kreuz,
I.anze, Schwert, Seopter, Krone und Apfel) Pantheon XXVI 3, MG. SS. XXII
273 f.: hier heißt es S. 274,1: Rex Arelatensis illam dum Boso teneret
Et sibi pugnanti semper fortuna faveret, Extitit indigenis terror amara
ferens usw.
3) Imperii solium cum maximus Otto teneret
Et valitura satis mundi fortuna faveret,
Huic rex Boso loquens verba geincndo refert:
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58
Wieder etwas anders gewendet und mit den üppigsten Wuche-
rungen einer bis hart an und über die Grenzen des derb komischen
streifenden Phantasie zeigt sie uns endlich abermals 100 Jahre später
Thomas von Pavia '). Ihm hat der Abt von St. Maurice d’Agaune aus
einer Aufzeichnung seines Klosters folgendes erzählt. Seitdem einst
König Sigismund von Burgund sich und seine Herrschaft der
Abtei St. Maurice übertragen hatte, bekleideten ihre Äbte bis
auf Otto I. nacheinander zugleich die königliche Würde. Auf
„Trado tibi regnum, cunctos depono decores,
Amodo nostra tibi sacra laucea prcstet honores ;
Sola michi monachi vita colenda foret.
Lancea Mauricii, mea quam tibi dextera tradit,
Est capud illorum, que nunc mca regna notari,
Nunc capud iuipcrii lancea saricta dabit.“
') Gesta imperatorum et pontiflcum MG. SS. XXII, 495 f. (De Ottone
primo): Erat co tempore regnum Ilurgundie abbatie s. Mauricii. Nam Sigs-
mundus rex Burgundie hoc monastcrium construxit .... et .... ae et
regnum auum predicto tnonasteri» contulit (Nam-contulit aus Vincenz von
Beauvaia), a quo tempore uaque ad teinpus huius Ottonia plurea abbates
successive abbatica et regia dignitate potiti sunt .... In hoc monaatcrio
imperialia insignia, acilicet frenum factum de clavis Christi et lancea et
corona, conscrvabantur ex mandato summi pontiiieis nulli tradenda niai ei,
quem summus pontifex in imperatorein aliquandn designaret. que preaentaret
pape, cum ab ipso esset corona imperii decorandus. Otto igitur mandat
abbati, ut sibi imperatori hcc sine mora transmittat. Kcspondit abbas
dicens nunciis, se illa nulli daturum nisi de mandato summi pontiiieis ....
Liberi igitur facti (sc. nobiles) imperatori homagium facinnt, terras suas
in porpetuum feudum suacipiunt, aicque a tempore illo regnum Burgundie
in ins imperii translatum est. Ilabitis ergo insigniis Otho cum potenti
manu Ytaliam petiit et Romam venit, a summo pontifice coronam potens
imperii. Negat sibi papa, quod petit, nisi ecclesiam s. Mauritii in pristinum
statum reducat. Hoc impossibile fore imperator respondit, cum castra for-
tissima nobilibus infeudaverit et totum regnum Burgundie in ius im-
periale transtulerit: satisfactionem possibilcm sibi sc facturuin promittit
. ... In recompensationem vero delicti abbatiam in quo prius fuerat loco
rehedificari fecit eodem nomine, sed non cquali magnitudine, possessionum
latitudine vel honore. Reversus ctiam in Alamaniam in alodio proprio apud
Magdeburoch ecclesiam mire pulcritudinis ad honorem s. Mauricii fabricans
divitiis magnis et honoribus ampliavit (Reversus — ampliavit aus Martin
von Troppau). Hoc in monastcrio s. Mauritii in dyocesi Sedunensi a quo-
dam venerabili abbate eiusdem monaaterii audivi, eo affirmante, quod omnia
hec in quodaui libro huius monaaterii scripta erant.
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Anordnung des Papstes bewahrte man im Kloster die kaiserlichen
Insignien, den Zaum aus den Kreuzesnägeln, Lanze und Krone,
um sie nur zum Zwecke der Krönung an den auszuliefem, den
der Papst zum Kaiser bestimmte. Otto I. verlangte ihre Aus-
lieferung, der Abt verweigerte sie ihm, da keine päpstliche
Anordnung dazu vorliege. Es kam zum Kampf, aber erst beim
zweiten Versuch siegte der König durch Verrat und Bestechung
und zerstörte „in furore Theotonico“ ') die Abtei von Grund aus.
Da leistete ihm der burgundische Adel den Treueid und nahm
seinen Besitz von ihm zu Lehen. So kam Burgund an das Reich.
Mit den Insignien zog Otto nach Rom und ward vom Papst zum
Kaiser gekrönt, nachdem er versprochen hatte, sein Unrecht an dem
Gotteshaus nach Möglichkeit wieder gut zu machen. Er haute
auch wirklich die Abtei wieder auf. aber ihren alten Glanz er-
reichte sie nicht wieder, denn das Königtum Burgund hatte er
ans Reich genommen und ihre festesten Burgen dem Adel zu
Lehen gegeben.
Es ist kein Zufall, dak! die beiden Ereignisse in der Sage an
den Namen Ottos des Großen geknüpft sind. Vor Otto I. war
die Abhängigkeit Burgunds von Deutschland im besten Falle eine
leere Form. Er war es, der sie als erster energisch und augen-
fällig wirksam machte. Nach dem Tode Rudolfs II. im Juli 937
hat er gegenüber den Aspirationen Hugos von Italien rücksichts-
los durchgegriffen, die Person des jungen Königs Konrad in seine
Gewalt gebracht und während mehrerer Jahre bis zu dessen
Mündigkeit selbst die Regierung geführt*). Konrad erscheint
auch weiterhin ganz unter dem Einfluß des deutschen Königs und
häufig in dessen Umgebung: Burgund ist ein Nebenland des Reichs,
ein Verhältnis, das, durch die Ehe Ottos I. mit Konrads Schwester
noch enger geknüpft, auch unter Adelheids Sohn und Enkel
erhalten blieb3). Das Eingreifen Ottos hat das Schicksal des
') Über den Furor Teutonicus vgl. Dümmler, Sitzungs-Berichte der
Kgl. Preuß. Akad. der Wissensch zu Berlin 1897 S. 112 ff., wo ich diese
Stelle nicht angezogen finde.
*) Widukind II 35: regem cum regno in suam accepit potestatem.
Flodoard Ann. 940, MG. SS. III 387, 15: cd. Lauer S. 78: Conradum . . .
quem iam dudum dolo captum sibiquc adductum retincbat.
*) Über die Form der Abhängigkeit ist nichts überliefert, doch halte
ich es (gegen Hirsch, Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich 11.,
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burgundischen Reichs entschieden und damit zum guten Teil die
Stellung Deutschlands und Frankreichs bis über das Mittelalter
hinaus bestimmt.
Deutlich spiegeln sich in der Sage die inneren Verhältnisse
Burgunds wieder, vor allem der übenagende Einfluß der hohen
Geistlichkeit. Unmittelbar in die Entstehungszeit führt uns die
Fassung des Thomas von Pavia. Die Behauptung, daß die Abte
von St. Maurice Könige von Burgund gewesen seien, entspricht
durchaus den Tatsachen, abgesehen davon, daß das 13. Jahr-
hundert sich dies nur als eine Herrschaft der Kirche, ja, aus-
drücklich der Mönche über das Land vorzustellen vermochte.
Laien-Abt von St. Maurice d’Agaune war Rudolf I., als er nach
dem Zusammenbruch von 887 die Hand nach der Krone streckte,
Äbte von St. Maurice sind er und seine Nachfolger geblieben'1).
Die Entwickelung der Abtei bewegte sich in absteigender Linie.
Sie mußte leiden unter den Vergabungen an die Großen aus ihrem
ausgedehnten Besitz *), und sie litt vor allen Dingen, als seit dem
Beginn des 11. Jahrhunderts das Haus der Grafen von Maurienne
und Savoyen den entscheidenden Einfluß auf sie gewann 3). Gerade
Bd. I 388 A. 2 u. a.) für wahrscheinlich, daß Konrad dem deutschen König
den Lehnscid leistete, wie das 952 Berengar und Adalbert von Italien tun
mufften. Vgl. oben S. 14 und 18 und l’oupardin, Le royaume de Bourgogne
S. 70 ff.
') Vgl. hierzu Poupardin, Le royaume de Bourgogne S. 197 und
327 ff. Erst in den letzten Jahren Knnrads treten wieder eigene Äbte auf,
ohne daß aber dadurch die freie Verfügung des Königs beschränkt erscheint.
*) Vgl. Poupardin Le royaume de Bourgogne S. 215 A. 3.
*) Zuerst 1020 Burchard von Aosta als Propst; vor ihm 1002 sein
Mntterbruder Anselm, gleichfalls Bischof von Aosta, als Propst von St.
Maurice Nachfolger seines Halbbruders, des königlichen Bastards Burchard II.
von Lyon, der seit 1001 die Abtswnrde inne hatte, Poupardin Le royaume
de Bourgogne S. 329 f.
Auf einem Irrtum ziemlich jungen Datums beruht es, wenn bei Moriri
Le Grand Dictionnaire historique, Nouvelle edition par M. Drouet VII (Paris
1759) s. v. Saint-Maurice, ordre militaire, S. 362 und danach von
Przezdziecki in der Biblioteka Warszawska 1861 S. 522 f. King und Lanze
des hl. Mauritius als Besitz des Hauses Savoyen aufgeführt wird. Bei
Mor£ri geschieht das in Verbindung mit der von ihm selbst als fabelhaft
bczeichnetcn Gründung des Ritterordens des hl. Mauritius 1434 durch
Amadeus VIII., die in Wahrheit erst 1572 durch Herzog Philipp Emanuel er-
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61
in den Jahren, wo Otto I. die Regierung in Burgund führte, traf
die alte Abtei ein schwerer Schlag. Die Saracenen zerstörten sie
so gründlich, daß Udalrich von Augsburg bei seinem Besuch die
Brandstätte von ihren Bewohnern verlassen fand1).
An eins darf hier vielleicht noch erinnert werden. In den
30 er Jahren des 11. Jahrhunderts, als Konrad II. seine Herrschaft
in dem ihm angefallenen Lande zu befestigen suchte, machte ihm der
unruhige Bischof Burchard von Aosta Schwierigkeiten, der sich nach
dem Tode seines Oheims Burchards n. 1031 des Erzstuhls Lyon be-
mächtigt hatte; 1036 von einem Anhänger Konrads gefangen,
wurde er eine Zeit lang von dem Kaiser in Haft gehalten*).
Burchard von Aosta war Propst von St. Maurice, wie Burchard II.
von Lyon dort Abt gewesen war’).
Aber wie kommt es, daß Gottfried seine Erzählung an den
Namen Bosos von der Provence knüpft? Es ist nicht ohne Be-
deutung, daß diese Vermischung uns erst am Ende des 12. Jahr-
hunderts entgegentritt. Sie hat ihren Ursprung in dem Begriff
das „arelatischen Reiches.“ Arles als „Sitz des Reiches Burgund“,
kennt bereits Rahewin4), und diese Anschauung war damals
schon allgemein5). Staatsrechtliche Anerkennung fand sie, als
Friedrich I. sich 1178 in Arles krönen ließ6), und so sehen wir
folgte. 8. 359 s. v. Maurice (Saint) hat Moreri richtiger nur den Ring als
Abzeichen der Savoyer, und ebenso weiß Herold Noribergam insignium imperia-
lium tutelarein (unten S. 83 A. 1) S. 158 A. 66 nur Ton ihrem Anspruch
auf Schwert und Ring des Heiligen.
') Flodoard Ann. 940 (Ende), MU. 8S. 111 388, ed. Lauer S. 79,
gibt an, daß die Saracenen „vicum monasterii s. Maurioii“ besetzten; damit
ist doch wohl die Notiz in Gerharde Vita s. Udalrici c. 15, MG. SS. IV 404,
zu verbinden. Vgl. im übrigen Ponpardin Le royaume de Bourgogne
S. 91 f.
*) Poupardin Le royaume de Bourgogne S. 156 f. 170. 264 A. 6.
*) Oben S. 60 A. 3.
4) Gcsta Priderici I. imperatoris III 12, ed. Waitz (SS. rcrum Ger-
manicarutn), Hannover 1884, S. 143: Arelatum sedem regni Burgundiae.
Vgl. Otto von Preising ebenda II 48 S. 125.
5) Vgl. Hirsch, Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich II.,
Band I S. 379 A. 5.
*) Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit V 2 S. 896.
VI S. 559; P. Fournier, Le royaume d’Arles et de Vienne, Paris 1890
S. 62 f.
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62 _ '
bei Gottfried an einer anderen Stelle die Theorie völlig aue-
gebildet *).
Arles war seit AJters die Metropole der Provence und damit
neben Vienne des südburgundischen Reiches, des Reiches Provence,
wie es am kürzesten genannt wird. Das Reich Provence ist ge-
stiftet durch Boso von Vienne 879, und Boso ist der einzige
kraftvolle König desselben geblieben*). Seine Persönlichkeit war
wohl geeignet, lange im Gedächtnis zu haften und der Mittel-
punkt mancher Erzählung zu werden.
Von Beziehungen Bosos zu St. Maurice wissen wir freilich
nichts — abgesehen davon, daß sein Schwager Karl der Kahle
einmal vergebens versuchte, ihm die reiche Abtei zuzuwenden *).
Aber Boso war Graf von Vienne; hier fand er sein Grab in der
Kathedrale, die die Gebeine des hl. Mauritius zu besitzen sich
rühmte und seit dem Beginn des 8. Jahrhunderts dessen Namen
führte4). Bis ins 17. Jahrhundert bewahrte sie als ihr Palladium
das Haupt des Heiligen in einem von Boso gestifteten Reliquiar5).
So sehen wir deutlich alle die Fäden vor uns, aus denen die
Sage nach und nach ihr Gewebe spann. Fast Zug für Zug ihres
Bildes ist in der Geschichte aufzufinden; aber das Ganze hat
nichts mehr mit der Geschichte zu tun. Der Zusammenhang, in
dem jetzt alles erscheint, ist ein völlig anderer. Bonizo zeigt
uns, wie schon in den letzten Jahrzehnten des 11. Jahrhunderts
von dem geschichtlichen Hergang nur eine ganz trübe Erinnerung
vorhanden war, in der bloß die beiden Tatsachen, die Erwerbung
>) Pantheon XXm c. 15, MG. SS. XXII 221:
Scribere rera volens, quot sint loca prima corone,
Qnatuor imperii sedes video ratione
Primas Aquisgrani locus est, post hec Arelati,
lade Modoetie regali sede iocari,
Pott solet Ytalie summa corona dari (nämlich in Rom).
Vgl. Gesta Friderici Vers 11051., ebenda S. 331:
Nunc videt optatum regem gaudens Arelatum,
Rite coronatum, regali sede locatum.
*) Vgl. R. Poupardin, Le royaume de Provence sous les Carolingiens,
Paris 1901.
*) Poupardin Le royaume de Provence S. 57 f.
*) Poupardin Le royaume de Provence S. 1391. und 359.
5) Poupardin Le royaume de Provence S. 357 ff.
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63
der Lanze aus Burgund und die Erwerbung des Landes selber
einen festen Punkt bilden. Die näheren Umstände sind dem Ge-
dächtnis völlig entschwunden, und fast notwendig hat sich damit
eine Verbindung beider Momente vollzogen.
Nicht anders ist auch die Erzählung Hugos von Flavigny
zu beurteilen. Ihr liegt ebensowenig eine echte Überlieferung zu
Grunde1) wie den Zwiefalter Annalen, die, unabhängig von
Hugo, mit einer aus Hermann von Reichenau oder dessen Quelle
geschöpften Angabe über den Anfall Burgunds an Konrad II. die
letztlich auf Liudprand zurückgehende Lanzengeschichte verbinden*).
Daß sie in diesem Zusammenhang die Konstantinlanze nennen,
gibt besser als alles andere über den wahren Charakter dieser Be-
richte Aufschluß. Mit ähnlichem Rechte könnte man für spätere
Angaben Glaubwürdigkeit beanspruchen, nach denen bereits
Heinrich I. die Mauritius-Lanze erwarb*).
Beigetragen hat sicher zu der Verwirrung, daß bei beiden
Ereignissen ein burgundischer König Rudolf die eine Hauptrolle
spielte, und daß auch die Vereinigung Burgunds mit Deutschland
von einem König Heinrich in die Wege geleitet wurde. Wirklich
schreibt auch ein Zusatz zu der um 1146 geschriebenen Bamberger
Legende Heinrichs II. diesem die Erwerbung der heiligen Lanze zu4).
') Zu demselben Ergebnis kommt Zcißberg in der Zeitschrift für die
österreichischen Gymnasien XVIII (1867)8. 331 und Melv, Revue de l’Art
chretien 1897, S. 293.
*) Ann. Zwifaltenses minores 1032, MG. SS. X 54: hgb. von E. Schneider
in den Württembergischcn Geschichtsquellen III (1889) S. 10: Kodolfus
rex Durgundic, frater Gisile regine, moriens diadema suum cum regno
et lancea a quodam Samsone, Italien comite, acquisita, que Gonstantini
fertur fuisse, misit Counrado imperatori. Dieser Teil stammt aus dem
Ende des 12. Jahrhunderts.
*) Sifridi presbyteri de Ralnhusin Compcndium histori&rum (Anfang
des 14. Jahrhunderts), von Heinrich I., l’istorius Illustrium veterum scrip-
torurn Tomus unus (Francofurti 1613) S. 688: Ipse lanceam s. Mauricii a
duce Burgundiae accepit. Dies beruht wahrscheinlich auf Gottfried von
Viterbos Angaben. Auch Auctarium Mellicense 922, s. oben S. 11 f.
4) Adalbert, Vita Heinrici II. c. 31, MG. SS. IV 810: Burgundiorum
quoque non humana sed divina fuit victoria. l)ui cum armis et omnibus
belli copiis essent instructi, viri ad bella doctissimi, armis positis non
hominis metu sed Dci nutu, rogantes ca quae pacis sunt, dextras dedernnt,
wo der Cod. bibl. univ. Lips. N. 844 hinzusctxt: et ad insignia regalia
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tu
Eine Mauritius-Lanze als Abzeichen der Burgundisehen Könige
hat es also nie gegeben. Deutschland kann sie darum nicht von
ihnen geerbt haben. Es hat überhaupt nur einmal aus Burgund
eine Lanze bezogen, unter Heinrich I., die Lanze Konstantins,
die uns Liudprand beschreibt.
Wie die deutsche Königslanze zu dem Namen des heiligen
Mauritius kam, ist trotzdem nicht unerklärlich.
Schon früh ist der Kult dieses Heiligen weit verbreitet. Ich
erinnere nur an das 741 gegründete Niederaltaich im Passauer
Sprengel *). Aber zu rechter Entfaltung gelangte, seine Verehrung
gerade in Deutschland erst vom 10. Jahrhundert ab und zwar
unter burgundischem Einfluß. Daß ein solcher Otto I. bestimmte,
937 unter die Schutzheiligen seiner Stiftung Magdeburg den hl.
Moritz aufzunehmen, ist zweifellos, da die Beteiligung Rudolfs II.
von Burgund urkundlich feststeht3). Zwei Jahrzehnte später er-
hielt der deutsche König auch den Leib des hl. Moritz selber3),
der, nach Magdeburg übertragen, nun seine Genossen Petrus und
Innocenz ganz in den Hintergrund drängte.
lanceam clavo dominice passionis insignitarn addiderant. Das ist übernommen
in die Ann. Reicherspergenses 1004, MO. SS. XVII 445, 5.
Mille, Abrege chronologique de l'histoire de Kourgogne LU (1773)
S. 117 l&ßt Heinrich U. von Rudolf III. in aller Form adoptiert werden
und vergleicht den Vorgang iwischen Guntramn und Childcbert, bezieht aber
die heilige Lame nicht in seine Kombination ein.
■) Hauet, Kirchengeschichte Deutschlands I3 508 A. 1. Außerdem
der hl. Mauritius Schutzheiliger z. B. in Prüm 762, DK. 16, MO. Diplomata
Karolina I 22, 35: Angers 770, 1)K. SO, ebenda S. 88, 20; Montereau-Faut-
Vonne, Dep. Seine ct Marne, 786, DK. 154, ebenda S. 209, 20; Ebershciin-
müuster in Elsaß (Stiftung des 7. oder 8. Jahrhunderts) 810, DK. 210, eben-
da S. 281, 25, vgl. Chron. Ebersheim. c. 15, MG. SS. XXHI 439, 5
(Mauritiuskirche in Siegolsheim, Ende des 9. Jahrhunderts).
*) DO. I. 14 (937 Sept. 21.), MO. Diplomata I S. 101: ob remedium
patris nostri et . . . neenon et Ruodolli regis, qui sanctum transmisit Inno-
centium, vgl. DO. I. 15, ebenda S. 102 f.
*) Weihnachten 960, Thietmar II 17 (11), natürlich vom König von
Burgund, wenn das auch nicht ausdrücklich gesagt wird. Vgl. Poupardin
Le royaume de Bourgogne S. 78.
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«5
Magdeburg nahm durch die Gunst des großen Kaisers und
seines Hauses eine bevorzugte Stellung ein. So kam auch sein
Hauptheiliger rasch zu hohem Ansehen '). Unter Heinrich II. ist
er geradezu zum Patron des Reichs geworden*), dessen Beistand
der König nicht minder für den Zug nach Italien als gegen die
Polen erfleht 3).
Brun von Querfurt nennt den hl. Mauritius unmittelbar neben
der heiligen Lanze. Die Vermutung ist nicht abzuweisen, daß
für ihn beide schon in Zusammenhang stehen4). Ausdrücklich
*) 983 wurde er Schutzpatron von Repesholt in Ostfriesland, Hauck,
Kirchengeschichte Deutschlands III3 1038. Sein Vorkommen in Einsiedeln
934, Konstanz 934/7 G und Bainville, Diözese Toul. 957, Hauck a. a. 0. S. 1020
und 1033, Mit wegen der Zeit und der Nachbarschaft zu Burgund nicht
ins Gewicht. Häufiger werden die Moritz-Stiftungen in Deutschland im
11. Jh., Hauck a. a. 0. S. 1015, 1019. 1028, 1030 und 1039 kennt folgende:
Hildesheim i. J. 1025, Augsburg vor 1029, Naumburg um 1032, Minden
i. J. 1043, Siegburg i. J. 1064, Münster zw. 1064 u. 1084. St. Moritz
in Mainz ist erst 1148 nachweisbar, Hauck a. a. 0. IV 935. Eine capella
s. Mauricii an der Kaiserpfalz zu Pavia erwähnt DO. III. 411 (1001
Okt. 14.), MG. Diplomat» II S. 844,30 ; eine Mauritiuskirche in Cremona
Ann. Cremonenses 1113, MG. SS. XXXI. 185,10.
3) Brun von Querfurt an König Heinrich IL, mit Bezug auf des Königs
Stellung zu Boleslaw Chabri von Polen uud den heidnischen Liutizen, Giese-
brecht Geschichte der deutschen Kaiserzeit ID S. 704; Bonuinne estpersequi
christianum et habere in amicitia populuui paganum ? Quae conventio Christi
ad Belial (2. Cor. 6, 15), quae comparatio luci ad tenebras (2. Cor. 6, 14)?
Quomodo conveniunt Zuarasi vel diabolus et duz sanctorum vester et
noster Mauritius? Qua fronte coeunt sacra lancea et, qui pascuntur
huinano sanguine, diabolica vexilla? Zeißberg, Zeitschrift für die Österreich.
Gymnasien XVIII (1867) S. 332 A. 70 und XIX (1868) S. 93 (B.) zieht auch
das „inparibus ducibus" bei Thietmar VI 25 (19) hierher.
*) Thietmar VI 3: A Merscbnrg tune exiens s. Mauricii apud Dcum
intcrcessionem itincrisque prosperitatem Magadaburg peciit (1004 Anfang);
VIII (VII) 16 (11): ad Magathaburg proficiscens interventum Cristi militis
Mauricii ad exsuperandam hostis Bolizlavi contumatiam suppliciter rogavit
(1015). Bis 1004 führte der König einen Teil der Mauritius-Gebeine mit
sich, DH. II. 63, MG. Diplomata III, S. 78,10 (1004 Febr. 24. oder 25.,
Magdeburg).
4) So auch Zeißberg in der Zeitschrift für die österreichischen Gym-
nasien XVIII (1867) S. 331. Vgl. auch die Münzen mit der Umschrift
SCS MAVRICIVS bei H. Dannenberg, Die deutschen Münzen der sächsischen
und der fränkischen Kaiserzeit, Berlin 1876, S. 252 ff. (von ihm Konrad II.
uud Heinrich III. zugewiesen), auf denen der König zum Teil Lanze (so
Uofuieitter, Die heilige Lause 5
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66
tritt uns die deutsche Künigslanze als Mauritiuslanze auf der
silbernen Hülle des Wiener Lanzeneisens entgegen. Hier nennt
sich ein „Heinricus Dei gratia tercius Romanorum imperator
augustus.“ Leitner und Mely haben darin Heinrich III. (1039 bis
1056, Kaiser seit 1046) gesehn. Fis handelt sich hier aber um
die Kaiserwürde, und so mag nicht dieser, der als Kaiser der 2.,
sondern Heinrich IV., der als Kaiser (seit 1084) der 3. dieses
Namens war, zu verstehn sein. Das führt uns bereits in die letzte
Zeit des 11. Jahrhunderts, und hier setzt auch unsere sonstige
Überlieferung ein. Seit Benzo von Alba1) herrscht für ein Jahr-
hundert. allgemein die Anschauung, die in der deutschen Königs-
lanze die Lanze des hl. Mauritius sieht*).
Daß diese Namensänderung in Verbindung damit erfolgte,
daß an die Stelle des ursprünglichen das heutige Wiener Lanzen-
Tafel 28,650; mit Troddeln Tafel 28,649) oder Fahnenlanze (so Tafel
28,646) führt.
‘) Ad Hcinricum IV. 1. I 9, MG. SS. Xll 602, s. oben S. 27 A. 1.
Die „lancea s. Mauricii“ nennt freilich schon die Fassung C der
Chronik des Ademar von Chabannes (+ 1034) überall da. wo die im all-
gemeinen kürzere Fassung A nur „lancea sacra" hat, III 33 z. J. 1002, MG.
SS. IV. 131, und III 62 z. J. 1024, 1. e. S. 144 f., (s. auch III 31, 1. c.
S. 129 Q, J. I.air Ktudes critiques sur divers textes des Xe et X Io siecles.
II. Historia d'Ademar de Chabannes. Paris 1899, S. 162 f. 228 f. 158.
Nach Waitz sollte der Text C eine erst nach 1159 entstandene interpolierte
Fassung darstellen. Ilmi hat sich Chavanon in seiner Ausgabe (Collection
de textes, Paris Picard 1897, S. XXI) angeschlossen, während Lair 1. c. S. 283
nach sehr eingehender Untersuchnng zu dem Ergebnis kommt: Der Text
C ist eine vollständigere Fassung als der Text A, aber darum ist C noch
nicht eher als A eine interpolierte Fassung, denn wir kennen die ursprüng-
liche nicht. Aber eben darum müssen diese Stellen für unsere Unter-
suchung ausscheiden. Über Ademars Unglaubwürdigkeit in deutschen
Dingen s. Breßlau, Konrad II. Band 1, Excurs 1.
*) Hugo von Flavigny II 29, MG. SS. VIII 401,40: Sugcr, V. budo-
vici VI. c. 9, MG. SS. XXVI 49; Gottfried v. Vitcrbo, Pantheon XXVI 3,
MG. SS. XXII 273 f.; sie findet sich noch im Inventar vom Trifels 1246,
oben S. 45 A. 5, und zuletzt, aber nur aus gelehrtem Wissen, nicht aus
lebendiger Anschauung, bei Sifrid de Balnhusin, oben S. 63 A. 3, und im
Auctarium Mellicense, oben S. 11 A. 1 aber nicht mehr bei der Übergabe
an Karl IV. 1350, s. die oben S. 45 A. 3 angeführten Urkunden, wo zum
ersten Male ein gladius s. Mauricii erscheint (die damit bezeichnete
Walle weist Gritzner, Symbole und Wappen des alten Deutschen Reiches
S. 51 in die Zeit Ottos IV). — Der hl. Mauritius spielte auch bei der Kaiser-
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«7
eisen trat, darf man nicht annehmen. Denn noch unter Konrad II.
haben wir die Lanze Liudprands getroffen, während schon unter
Heinrich II. die Beziehung auf den hl. Mauritius festzustehen
scheint. So muß also zunächst nur der Name Konstantins durch
den des Mauritius verdrängt sein, ein Vorgang, dessen Ergebnis
die wenig später erfolgte Vereinigung Burgunds mit Deutsch-
land nur befestigen konnte.
Exkurs EH.
Zu Wilhelm von Malmesbury, Gesta regum
Anglorum II 135.
Oben S. 54 A. 2 habe ich die Entstehung der Gesta regum
Anglorum Wilhelms von Malmesbury nach Waitz MG. SS. X
450 in die Jahre 1119 — 1124 gesetzt. Ich trage hier nach, daß
nach Stubbs in seiner Ausgabe des Werks die erste Recension
der Gesta in oder um 1 1 25 vollendet wurde ').
Folgende Geschenke gibt nacli Wilhelm Hugo von Francien
an König Aethelstan, um dessen Schwester zur Ehe zu erhalten:
das Schwert Konstantins des Großen mit einem der vier Nägel
vom Kreuz Christi, die Lanze Karls des Großen, das Banner des
hl. Mauritius aus dem Besitz desselben Königs, ein kostbares
krönung in Uom eine gewisse Rolle. Seit der 2. Hälfte des 12. Jhs. setzte
sich ja eine Tradition durch, nach der in der Peterskirche nicht mehr vor
der Confessio s. Petri, sondern vor dem Mauritins-Altar die Salbung des
vor dem Petrus-Altar zu krönenden Kaisers stattzufinden hatte. Die Kaiser-
kröuung selber verlegt vor den Mauritius-Altar der MG. LL. II 187 — 193
(auch Liber Ceusuum ed. P. Fahre et L. Duchesne p. I* — 6*) gedruckte Ordo,
der jetzt wieder mit beachtenswerten Gründen auf Heinrich III. (1046; statt
auf Heinrich VI. bezogen wird, vgl. Schwarzer in den Forschungen zur
Deutschen Geschichte XXII 172 ff. und Diemand Ceremoniell der Kaiser-
krönungen S. 16 ff. Merkwürdig sind die Sporen des hl. Mauritius, mit
denen hier der Kaiser nach der Krönung angetan wird, MG. LL. II 192 (B).
Die Anrufung desselben Heiligen in den Laudes ebd. findet sich schon in
der von Duchesne Liber Pontificalis II 37 N. 33 mitgeteilten Litanei aus
der Zeit Karls des Großen, während sie in den spätem Ordines nicht mehr
erscheint.
*) Wilhelm von Malmesbury, De gestis regum Anglorum, ed. W.
Stubbs, I, London 1887 (Herum Britannicarum medii aevi scriptores), S.
XIX f. und XXXI.
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«8
Diadem, ein Stück des heiligen Kreuzes in einem Kristall und
ebenso ein Stück der Dornenkrone. Wie Wilhelm fortfährt, ver-
erbte Aethelstan dies auf seine Nachfolger mit Ausnahme der
beiden letzten Stücke, die er an Malmesbury gab '). Unter den
englischen Kronschätzeu werden die hier genannten Sachen sonst
nicht aulgeführt 2); von einer Ausnahme wird gleich die Rede sein.
Doch ist der Bericht Wilhelms in eine Reihe späterer Quellen
übergegangen. Ich erwähne nur den Liber monasterii de Hyda
c. 15 (B.), weil hier für Hugo von Francien Otto der Große
eingetreten ist5).
Mit dem Schwert Konstantins und der Lanze des hl. Mau-
ritius watfnet sich in der Sage Gydo von Warwick, als er für
König Aethelstan den Riesen Colibrand bekämpft, der mit den
Königen Olav von Dänemark und Golanus von Norwegen in
England eingefallen ist4). Für Konstantin sei hier daran erinnert,
daß Britannien als seine Heimat galt und so in mannigfache Be-
ziehungen zu ihm gesetzt wurde5). Dagegen scheint der hl. Mau-
ritius hier im frühem Mittelalter keine besondere Bedeutung
gehabt zu haben*).
') et cctcris quidcm successores reges ditavit : partern vero crucis et
coronae Malmesbiriae delegavit, qnorum sustentaculo adhuc credo vigore
locum. Vgl. Wilhelm von Malmesbury, Geste pontilicum Angloruin V
§ 246, ed. Hamilton, 1870 (Kerum Britannic. medii aevi scriptores).
*) Vgl. A. Taylor, Glory of Kegality, London 1820: Th. Silrer, The
coronation Service, Oxford 1831.
s) Liber monasterii de Hyda c. 15, cd. E. Edwards (Rrruin
Britann. medii aevi script.), S. 117: Copulavit etiam rex istc (sc. Aethelstan;
aliam sororem suam nomine Kginam Othoni imperatori, a qno recepit . . .
Item partern s. crucis et partcm coronae spineae, quarum aliquas partes rex
Atheistanus monasterio Malmesbyry delegavit, ut scribit Marianus Scotus in
Historia Angloruin.
*) Henr. de Knighton De eventibus Angliae I c. V, ed. Lumby,
1889 I 25 (Rerum Brit. medii aevi script.): fecit (sc. Gydo) se armari de
mclioribus armaturis rcgis et cinxit se gladio Constantini lanceamque
s. Mauricii in manu tulit scandens meliorem dcxtrarium regis (B). Mehr
über das Schwert Konstantins s. bei Graf, Koma nclla memoria e nelle
iinaginazioni del medio evo II 47 (B).
6) Vgl. auch Acta Sanctorum Uct. XII 274 f. (B).
8) Searle, Onomastieon Anglo-Saxonicum, Cambridge 1897, kennt nur
einen Prior von Christ Church in Canterbury (9. oder 10 Jh.) und einen
Bischof von London (1086 — 1107) dieses Xantens. Ich verdauke den Hin-
weis hierauf Herrn Prof. K. Liebermann in Berlin.
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ßn
Die Karls-Sage ist, wie Gaston Paris auspeführt hat, erst
durch die Normannen nach England gebracht worden1). Es ist
in diesem Zusammenhang nicht ohne Interesse, daß in zwei irischen
Quellen das Schwert Karls in Verbindung mit den ^Fremden“,
d. h. den eingefallenen Normannen erscheint5). Auch der Bericht
Wilhelms von Malmesbury ist damit in diesem Teil wenigstens
als ziemlich jungen Ursprungs anzusehen. Man wird nicht mit
G. Paris aus ihm auf vereinzelte frühere Beziehungen der Karls-
Sage zu England schließen dürfen.
Wilhelm sagt, man habe die Lanze Karls des Großen für
die Lanze der Passion Christi gehalten : ferebatur eadem esse, quae
dominico lateri centurionis manu impacta pretiosi vulneris hiatu
paradisum miseris mortalibns aperuit. Die Passionslanze spielt in
den französischen Epen und besonders in der Graals-Sage. eine
bedeutende Rolle5): Karl der Große führt ihre Spitze am Knauf
seines Schwerts .loyeuse in der Chanson de Roland4). Es ist
möglich, daß diese Vorstellung allmählich auf die Anschauungen
von der deutschen Königslanze eingewirkt und so zu deren Be-
deutungswandel beigetragen hat.
') G. Paris, Histoire poetiquc de Charleniagne, Paris 1865. S. 154 ff.
a) Chronicum Sjcotorum ( — 1135), cd. W. M. Hennessy, 1866
(Kerum llrit. medii aevi scrijil.) i. J. 993, S. 235: The ring uf Touiar aud the
sword of Carlus were forcibly taken by Maelsechlainn (König Tun Irland),
son of Dornhuall, froni the Foreigners of Ath-cliath (=Dublin); ebd. 1027,
S. 267: Auihlaibh (= Olav), son of Sitric, was captured by Mathghamhain
TIa Riagain. king of the South of Bregh, and detained, until he delivered . . .
the sworil of Carlus, und Annals of Loch Ce 1029 ed. W. M. Hennessy
1871 (Kerum Brit. medii aevi script. 1 I S. 31: Amhlaibh, son of Sitric,
king of the Foreigners, was taken prisoner by Mathghamhain (Ja Riagain.
king of Bregha. until he gave . . . the sword of Carlus . . .: Chron. Scot.
1056, S. 285: The sword of Carlus and great eonsiderations besides were
taken therefor by the son of Mael-na-mbo (sc. Diarmaid king of the
Foreigners), for he was security for him. Ich entnehme diese Stellen der
Sammlung Budinszky.
*) R. Schröder, Claube und Aberglaube in den altfranzösischen Dich-
tungen, Erlangen 1886, S. 43 f. (B).
*) Hgb. von Th. Müller 1878, Vers 250311. (B): Das altfranzösische
Rolandslied, kritische Ausgabe von E. Stengel, I, Leipzig 1900, S. 263
Nach der Karlamagnus-Saga I 50 (hgb. von Unger, Christiania 1860) S. 44.
hat er sie vom griechischen König erhalten. Vgl. G. Paris, Hist. poet. de
Charleniagne S. 372 (B). Eine Lanze Karls des Groben kennen auch L e s
Grandes Chrouiques de Frauce publ. par Paulin Paris 14 (1837) S. 210 (B).
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Fünftes Kapitel
Andere Königslanzen
Welches Gewicht man auf die heilige Lanze als Abzeichen
der königlichen Gewalt legte, ist am besten daraus ersichtlich,
daß der erste deutsche Gegenkönig Rudolf von Rheinfelden eine
Nachbildung von ihr führte, bis sie der Böhmen her zog 1080 bei
Flarchheim eroberte. Sie diente von nun an diesem und seinen
Nachfolgern nach Art der deutschen ').
Heilige Lanzen haben auch andere Fürsten geführt. Kreuz
„und andere Heiligtümer“ wurden dem norwegischen König bei
der Huldigung voraufgetragen*), und wenn es richtig ist, daß
zu diesen die Lanze des hl. Olav gehörte3), so könnte bei dem be-
') Frutolf 1079, MO. SS. VI 203,25 (Schlacht bei Flarchheim 1080
Jan. 27): Ibi dui ßoemiae Fratizlaus regalem lanceam Ruodolli adeptus
est; quac exinde permissione rcgis Heinrici semper quemvis illius gentis
ducatu insigncm in omni festiva proccssionc precedit. Diesen Bericht hat
Dietrich von Niem mißverstanden und, da zu seiner Zeit unter Karl IV.
und Wenzel die deutsche Lanze mit den übrigen Kcichsinsignien in Prag
aufbewahrt wurde, geschlossen, daß dies seit 1080 der Fall gewesen sei,
die deutschen Könige aber sie nur vorher per ducentos annos et ultra ge-
führt hätten, Privilegia aut iura imperii circa investituras episcopatuum et
abbatiarum bei Schardius Sylloge historico-politico-ecclesiastica (Argcntorati
1618) S. 163. Bei der Krönung Wratislaws zum König 1086 wird eine
Lanze nicht erwähnt.
Die hasta s. Wenceslai martyris im böhmischen Heer gegen König
Lothar 1126, Wissehrader Fortsetzung des Cosmas MG. SS. IX 133,5 und
20, gehört wohl nicht hierher.
*) Die Hirffskrä, das Rechtsbuch für das königliche Dienstgefolge, auf-
gezeichnet 1274—77, sagt in Kap. 5, Norges Gamlo Love II (1848): „En
aeftir pat skall bera fram hin (dem gewählten König) haclgha kross oc
affra bclgha doma.“
3) Die „Heiligtümer“ bestanden nach Jens Dolmer, Hird-Skraa, udi ded
gamle Norske Sprok rettcligen ofversat paa Danskc, Kopenhagen 1666, S. 47 f.,
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71
herrschenden Einfluß des Deutschen Reichs auf seine östlichen
und nördlichen Nachbarländer auch hier dessen Beispiel einge-
wirkt haben. Allein die Existenz einer solchen norwegischen
Königslanze scheint mir nicht über allen Zweifel erhaben. Denn
Olav der Heilige wird regelmäßig mit der langen Streitaxt dar-
gestellt ’), die jeder aus Norwegens Wappen kennt, und vor
Sverrir ist 1177 nur nach einem Siege über die Gegner das
erbeutete Banner oder Abzeichen des Nationalheiligen im Triumph
einhergetragen worden J).
Maßgebend wurde das deutsche Vorbild s) sicher für Ungarn
und Polen, teils mit, teils ohne Bewilligung des deutschen Königs,
die freilich auch im erstem Falle nicht so gut wie für Böhmen
bezeugt ist.
Die ungarische Königslanze soll als eine Nachbildung der
deutschen Otto III. an Stephan I. bei seiner Taufe gegeben haben.
Trotz ihrer wenig lautern Quelle möchte ich diese Nachricht nicht
ganz verwerfen 4). Dem Charakter des Kaisers entspricht eine
solche Handlung sehr gut. Es ist sicher, daß die Annahme der
Königswürde durch den Ungarnfürsten mit der Zustimmung und
vornehmlich in dem Sarg und der I.anze Königs Olavs des Heiligen (f 1030).
Das Kreuz wird nach ihm auf König Sigurd Jorsalfar (+ 1130) zurückgeführt.
') Siche die Abbildungen bei 0. A. Överland, lllustreret Norges
Historie I (Kristiania 1885) S. 507, 509, 523, 53t (= 616), 542, 578, 610.
III (1888) S. 197.
*) P. A. Munch, Det norske Folks Historie III, (Christiania 1857)
S. 72. K. Maurer, Vorlesungen über altnordische Rechtsgeschichte, hgb.
von der Ges. der Wiaaensch. in Kristiania, Leipzig 1907, I 1 S. 261 kennt
koine Lanze unter den norwegischen Königsinsignien.
*) So auch Waitz VG. VI* S. 299.
*) Ademar von Chabanncs Fassung C (s. oben S. 66 A. 1), III 31,
MG. SS. IV 129f„ Lair a. a. 0. S. 158: Regem Ungrie baptizavit (nämlich
Hrun von Querfurt), qui vocabatur Gouz, et mutato nomine in baptismo
Stephanum vocavit, quem Oto imperator in natali protomartiris Stephani a
baptismate eiccpit et regnum ei liberrime habere permisit, dans ei licenti&m
ferre lanccam sacram ubique, sicut ipsi imperatori mos est, et reliquiaa
ei clavis Domini et lancea s. Mauricii ci concessit in propria lancea. Hier
ist von Otto III. die Rede. Adalberts Vita Heinrici II. c. 29, MG. SS.
IV 810 überträgt das auf Heinrich II., gedenkt aber der Laute nicht.
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72
unter den Auspicien des deutschen Herrschers erfolgte ’), und die
ersten ungarischen Könige haben eine solche Lanze geführt. Es
spricht nichts dafür, daß sie nicht gleichzeitig mit der Königs-
krone von dem ersten König angenommen wurde, und in diesem
Falle kann das natürlich nicht gegen den Willen und ohne die
Billigung des Kaisers geschehen sein.
Lange freilich hat das .junge Königreich dieses Wahrzeichens
nicht genossen. Bei Menfö fiel sie 1044 in die Hände des
deutschen Königs Heinrichs III *), der sie dem Papst zum Ge-
schenk machte, nachdem ihm noch zuvor der neue Ungarnkönig
im nächsten Jahr sein Beicli unter diesem Symbol aufgetragen
hatte 3). In der Übersendung der Lanze (und der Krone) hat später
Gregor VII. einen Beweis für die Abhängigkeit Ungarns vom
römischen Stuhl gesehen4).
Dauernder haben die polnischen Könige ihre heilige Lanze
besessen. Heute, und schon vor rund 000 Jahren s), wird sie im
') Thietmar IV 59 (38). Vgl. M. Bädingcr, Österreichische Ge-
schichte I (1858) 8. 397 ff.
*) Ann. AHahcnscs maiores 1044 ed. Oefele (SS. rerum Germanicarum).
Hannover 1891, S. 37: lancea regia deaurata capitur. Sigebcrt 1043, MG.
SS. VI 358: lanceam insigne regis recepit.
3) Ann. Altahenses maiores 1043 S. 40: Petrus rez regnum Ungariae
cum lancea deaurata tradidit cesari domino suo corain omni populo suo et
nostro. Vgl. Steindorff, Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich III.,
Band I S. 234 A. 2.
4) Gregorii VII. Rcgistrum II 13, Jaffe Bibliotheca rerum Germani-
carum II 128. Die Lanze wurde in Rom in der Peterskirche (Arnulf Gesta
archiepiacoporum Mediolanensium III 6, MG. SS. VIII 18) „ante confes-
siunem b. Petri“ (Bonizu Ad amicum 1. V., MG. Libelli de lite I 583 f.), später
über der Porta Guidonea (= Porta Sudarii) gezeigt, J. Ciampini De sacris
acdificiis a Constantino Magno constructis, Romac 1693, cap. 4 scct. 10 X.
126, S. 79.
s) Vincentius Vita S. Stanislai rnaiur I 2, MG. SS. XXIX 508, Monu-
menta Poloniae historica IV (1884) S. 365f. : Hec autem regalia insignia.
corona videlicct, sccptrum et lancea, usque in hodiernum diern in armario
Cracoviensis ecclesie ad memoriam posterorum iacent rccondita. Vinceuz
schrieb nach 1253 und schöpfte im übrigen aus der Vita minor, die c. 20,
MG. SS. XXIX 505, Monum. Pol. hist. IV 269, diese Stelle noch nicht hat
und ihrerseits wieder auf den sog. Martinus Gallus zurückgeht. Krakau
war seit 1320 Krönungsort statt Gnesen.
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Krakauer Domsehatze aufbewahrt ’). Wie die deutsche ist auch
sie später nicht mehr zu den eigentlichen Insignien gezählt worden.
1030 hat sie Miesko II. geführt’), und bis auf Wladislaw Lo-
kietek (f 1333) erscheinen polnische Fürsten auf Siegeln mit
Lanze’) oder Fahnenlanze4); seit Kasimir III. (1333 — 1370) ist
mir hier nur das Seepter bekannt5). Der Wechsel mag also
etwa zur gleichen Zeit wie in Deutschland erfolgt sein.
Nach den Abbildungen Przezdzieckis zu urteilen ist die
Spitze auf einem Holzschaft befestigt. Das Eisen wächst zunächst
in seiner gröltcren Hälfte auf beiden Seiten gleichmäßig mit
geradliniger Kante in die Breite, um dann mit merklich stärkerer
Neigung ebenso sich wieder verjüngend in die Spitze ausznlaufen *).
In dieser zweiten, kleineren Hälfte sind zu beiden Seiten des
stark hervortretenden Mittelgrats schmale längliche Öffnungen
ausgeschnitten, die langsam breiter werdend sich von der Spitze
bis zu der breitesten Stelle des Eisens erstrecken’). Es ergibt
') Abbildung und Beschreibung bei Przezdziecki am S.2A.4 genannten
Orte, sowie in Chromolithographie in den Wzorv Sztuki Sredniowiocznej i z.
epoki odrodzeuia po koniec wieku XVII. w dawnoj Polsce. Wydawane przcz
Alexandra l’rzezdzieckiogo i Edward» Itastawieckiego. Serya Trzecia (Monu-
ments du moyen-äge ct de la renaissancc dans l'ancienne Pologne depnia les
temps les plus rccules jnsqu ä la tin du XVII siede. Publics par Alexander
Przezdziecki et Edouard Rastawiecki. Troisieme Serie) Heft III und IV, War-
schau 1861, hier auch mit kurzem französischen Begleittext. Von Przezdziecki
hat Me ly seine Abbildung übernommen, Revue de Part chretien 1897 S. 302
’) S. unten S. 76.
*) Miesko III. der Alte 1175, Boleslaw der Schamhafte 1255,
Th. Schiemann, Rußland, Polen und Livland bis ins 17. Jahrhundert,
Berlin 1886, S. -141 und 469.
4) Przcmislaw I. von Großpolcn 1256 und 1257, Przemislaw II.
(f 1296), Wladislaw Lokietek 1315, Schiemann a. a. 0. S. 473. 476. 481.
5) Schiemann a. a. 0. S. 494 usw.: Johannes Crassinius, Poloma 16,
bei M izler Historiarum Poloniae srriptorum Colleetio magna I (1761) S. 399,
nennt anläßlich der Erhebung Heinrichs von Valois 1574 als die regia
insignia, die der Erzbischof von Gncscn nach der Krönung dem Könige
überreicht nur Schwert, Seepter und Apfel.
*) Seine Länge beträgt 50, die größte Breite 7 cm. Für die Wiener
Lanze sind die entsprechenden Zahlen 50,8 und 7,9 cm dies init den Ohren
am untern Ende). Unter diesem Gesichtspunkt besteht also kein wesentlicher
Unterschied.
*) Eine Inschrift scheint sic nicht zu tragen, wenigstens sagt
Przezdziecki nichts davon. Diu Hülle (unten S. 76) hindert, auders als boi
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74
das ein Rild, das der Beschreibung der Konstantin-Lanze bei
Liudprand genau entspricht. Wir haben vor allem die beiden
„Fenster“, wir haben auch das „declivum medium“, das heißt
die Stelle, von der beiderseits, nach der Spitze und nach dem
Schaft zu, die Seitenkanten sich einander nahem.
Haben wir hier in Polen die im 1 1 . Jahrhundert in Deutsch-
land verschwundene alte Lanze wiedergefunden ?
Die polnischen Geschichtschreiber geben in der Tat einen
Bericht, nach dem ihre Fürsten in ihrem Kleinod die echte deutsche
Kaiserlanze besitzen würden. Otto III. soll sie im Jahre 1000
am Grabe des hl. Adalbert seinem neuen Freunde Boleslaw Chabri
gegen einen Arm des Heiligen zugleich mit der Königskrone
verehrt haben. Aber die Quelle ist spät; der sog. Martinus
Gallus im Anfang des 12. Jahrhunderts am Hofe des dritten
Boleslaw ist der erste, der davon weiß'), und die Überlieferung
selber ist nicht wesentlich älter. Nicht die Konstantin-Lanze ist nach
ihr die polnische Königslanze, sondern die Mauritius-Lanze, die hier
— vielleicht gar nicht unrichtig — ebenso wie in der Fassung C
der Wiener, nicht, die Form des Kisens mit voller Sicherheit zu erkennen.
So erscheint es nebensächlich, daß der von ihr verdeckte Teil meines
Wissens noch nicht untersucht ist.
Keine getreue Nachbildung der Krakauer, doch aber anscheinend durch-
brochen gedacht ist die Lanze Boleslaws des Schamhaften und die Fahnen-
lanze Przemislaws 1 und II., oben S. 73 A. 3 und 4.
') Chronicae Polouorum I 6, MG, SS. IX 429, Monuinciita Poloniae
historica I (1864; S. 401 : ,Non cst dignuin lantuni ac virum talcm, sicut
unum de principibus, duccm aut comitem noininari, sed in regale solium
glorianter redimitum dvadcuiatc sublimari'. Kt arcipiens imperiale dradema
capitis sui capiti Bolezlavi in amicitiae foedus imposuit et pro vcxillo
triumphali clavum ei de cruce Domini cum lancea s. Mauricii
dono dedit, pro quibus illi Bolezlavus s. Adalberti brachium redonavit. F.t
tanta sunt illa die dilectione couniti, quod iniperator eutn fratrem et
cooperatorcm iinperii constituit et populi Romani amictim et socium
appellavit. Otto III. wird hier als „Otto Rufus“ bezeichnet, also mit Otto II.
verwechselt. Von den spätem haben „Otto tercius“ die Miracula s. Adalberti
mart. 9, MG. SS. IV 615, „Otto iniperator tertius dictus Rufus“ Bogu-
phali II. Chron. Poloniae, Monum. Poloniae hist. II (1872) S. 483. In der
neuesten Ausgabe der Chronik des Gallus vun L. Finkei und St. Kqtrzjriski,
Fontes reruin Polonicaruui in ustun scholaruin I, Leopoli 1899, steht unsre
Stelle S. 11 f.
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der Ademar-Clironik bereits Otto TIT. beigelegt wird '). Dieser
Zug kann an sich alter sein als die Gallus-Chronik. Aber diese
beschreibt ihre Lanze gar nicht so wie Liudprand die ältere deutsche,
sondern, und das also in krassem Widerspruch zu dem noch heute
in Krakau befindlichen Objekt, deutlich nach dem Bilde der
heutigen Wiener*), die wir in den Händen des deutschen Königs
mit Sicherheit erst am Ende des 1 1 . Jhds. nachzuweisen ver-
mochten. Die völlige Unglaubwürdigkeit des Chronisten liegt jetzt
zu Tage. Nicht einmal in der Beschreibung des Abzeichens seines
Fürsten hat er sich die Mühe genommen dieses selber auch nur
eines flüchtigen Blickes zu würdigen, sondern es blindlings
hach dem Vorbilde bei dem gewaltigen westlichen Nachbar ge-
schildert, um ja nicht sein Land hinter diesem zurückstehen zu
lassen.
Auf den sog. Martinus Gallus geht in unserem Falle die
gesamte spätere polnische Überlieferung zurück, auch der Passus
in den Wundem des hl. Adalbert*).
Der ganze Zusammenhang, in den der Vorgang von Anfang
an gestellt wird, ist unmöglich. Daß ein Kaiser sich eines Haupt-
abzeichens seines Reiches zu gunsten eines fremden Fürsten ent-
*) Oben S. 71 A. 4. Von einer Verleihung der Mauritiuslanze an
Boleslaw weiß Adcmar nichts. Nach der Fassung C, III 31. MG. SS. IV
130,40, I.air a. a. 0. S. 159, erhielt Otto III. den Arm des hl. Adalbert,
nachdem er dom Folenfürsten den Thron Karls des Großen geschenkt hatte.
T) pro vexillo triumphali darum . , de cruce Domini cum lancea s.
Mauricii. Das hat man freilich später so umgedentet, als ob ltoleslaw Lanze
und Nagel als zwei verschiedene Stöcke bekommen habe, (so wohl schon in
den Mirac. s. Adalberti), und man zeigte dann den Nagel in Krakau in
einer eignen Monstranz, s. Cronica Petri coinitis Poloniae (Anfang des
16. Jahrhundert«), Monnm. Poloniae hist. III (1878) S. 762 f., und des
Johannes Crassinius Polonia von 1574, I 4 bei Miller Hist. Poloniae Script.
I 394.
*) Miracula s. Adalberti rnart. 9, MG. SS. IV 616, Monum. Poloniae
hist. IV (1884) 8. 237. Der sog. Martinus Gallus nennt als seine Quelle
für Ottos Besuch in Gnescn einen »über de passione martiris (sc. Adalberti).“
Aber in der ihm davon vorliegenden Fassung war die Lanzengeschichte
noch nicht enthalten. Denn unser Text der Miracula erzählt, wio Otto III.
zum Grabe Adalberts kommt, wie er dem Boleslaw die Krone aufsetzt, be-
richtet dann kurz über die folgenden Polcnfürsten bis auf Boleslaw II. und
bringt erst nachträglich die Lanzcngeschicbte mit den Morten: Dedit igitur
in prefata coronacione Otto imperator regi Boleslao pro insigniis regalibus
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7fi
äußert hätte, ist selbst bei einem Otto III. undenkbar. Daß andrer-
seits der Polenkönig gewaltsam in den Besitz des Kleinods gelangt
wäre, ist ebenso ausgeschlossen. Denn schon die Lanze Mieskos II.
von 1030 ist gewiß mit der heutigen Krakauer zu identifizieren;
jene wird als deaurata bezeichnet'), und eine breite Binde von
vergoldetem Kupfer deckt den mittleren Teil der letzteren. Wäre
das aber die echte deutsche Königslanze gewesen, so hätte sie
sicher bei Mieskos Unterwerfung zu Merseburg 1033 zurück-
gegeben werden müssen. Die Krakauer Lanze kann also nur eine
Nachbildung der ursprünglichen deutschen sein, und dazu stimmt
auch, daß sie der Kreuze aus den Passionsnägeln*) und überhaupt
einer Nagelreliquie zu entbehren scheint5).
Boleslaw Chabri hat erst lange nach den Gnesener Festtagen,
erst nach dem Tode Kaiser Heinrichs II. eigenmächtig sich zum
König gemacht4). Die politischen Verhältnisse der nächsten Zeit
schließen es aus, daß er oder einer seiner Nachfolger vom deutschen
König eine Lanze als Angebinde erhielt. Unter diesen Umständen
ist es nicht berechtigt, überhaupt an der Schenkung einer Lanze
durch Otto III. an Boleslaw festzuhalten. Der Polenfürst ist nicht
ianceam b. Mauricii et unuui ex clavis Domini. Man sieht, wie dieses
Stock nachträglich in eine fertige Krzfihlung cingefiigt ist.
Die spätem Berichte hat Przezdziecki in der Biblioteka Warsiawska
1 86 1 S. 506 ff. zu8ammengestcllt.
') Chronographus Saxo (Ann. Magdeburgenscs) 1030, MG. SS. XVI 170,
es ist von Miesko von Polen die Kede, der nach dem Tode des Markgrafen
Thictmar in die Ostmark eingefallen ist: Quid tibi, cruenta belua, regale
ornamentum in corona et lancea deanrata? Quae conventio Christi ad
Belial (2. Cor. 6,15)? Usw. Die Worte sind unter dem frischen Eindruck
der Ereignisse niedergesebrieben. wie Pertz und Breßlau, Jahrbücher des
Deutschen Reichs unter Konrad II., Bd. I S. 291, bemerken. Zeißbcrg,
Zeitschrift für die Österreich. Gjmn. XIX (1868) S. 97 (B.) sieht darin eine
beabsichtigte Entgegnung auf den Brief Bruns (oben S. 65 A. 2).
*) Die beiden liegenden Kreuze aus Eisendraht über dem untern Teil
des Mittelgrats sind offenbar nicht dafür anzusprechen. Freilich ist mir ihr
Zweck ebenso unklar wie der der 3 Binden gleicher Art um den durchbrochenen
Teil der Spitze. Über Ähnliches an der Wiener Lanze s. oben S. 47 A. 1.
5) Derartiges könnte allenfalls noch unter der Goldbinde verborgen sein.
*) Rocpcll, Geschichte Polens I (1840) 8. 113 Anm. und S. 162f.;
Hirsch, Jahrbücher des Deutschen Reichs unter Heinrich II., Bd. I. S. 502 ff.
Hierauf geht auch wohl die merkwürdige Stelle bei Bonizo Ad amicum 1.
V, MG. Libelli de lite 1 583: Cui (Heinrich II.) succcssit in regnum Cuon-
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( <
unter diesem Symbol vom Kaiser aus einem Volksherzog zu einem
Reichsherzog gemacht worden ‘). Wir müssen vielmehr annehmen,
daL! die polnische Königslanze 1025 von Boleslaw Ohabri aus
eignem Antriebe zugleich mit der Krone als königliches Abzeichen
angenommen wurde2), offenbar unter dem Einfluß des deutschen
Brauchs. Daß man in den folgenden Zeiten polnischer Ohnmacht
sich dieses Ursprungs von Titel und Abzeichen nicht gern erinnerte,
daß man beides vielmehr aus einer Verleihung des Kaisers her-
leitete und daß man dabei an den Aufsehen erregenden Besuch
Ottos III. in Gnesen mit seiner Wirkung für die kirchliche
Selbständigkeit des werdenden Kulturstaats anknüpfte, ist um so
verständlicher, als ziemlich derselbe Vorgang unter demselben
Kaiser sich Ungarn gegenüber tatsächlich abgespielt zu haben
scheint.
Die Untersuchung der Krakauer Lanze bestätigt die Beschrei-
bung der alten deutschen Reichslanze bei Liudprand; sie beweist
zugleich, daß diese noch in dieser Form von Konrad II. geführt
wurde3). Das ursprüngliche Eisen selber aber haben wir auch
hier nicht wiedergefunden.
radus, Francus gencrc vir bellicosissimus, qui et post mortem imperatoris
Heinrici Boemios signa regalia fereutes bello prostravit et signa
red uiit.
*) Wie J. Stasinski, De rationibus quae inter t’oloniam et imperinm
Romano-German icum Ottonum imperatormn aetate intercedebant, Dissert.
Berlin 1862, S. öTf. annahm. Vgl. dazu H. Zeillbe rg. Über die Zusammen-
kunft Kaiser Ottos 111. mit Herzog Boleslaw 1. von Polen zu Gnesen,
Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien XVIII (1867) S. 313 — 348. Bis
1792 hatte man in Krakau auch ein Schwert, das nach einer Inschrift
Boleslaw von Otto III. erhalten haben sollte. Przezdziecki erklärt die
Krakauer Lanze richtig für eine Nachbildung der deutschen, hält aber im
übrigen an der Fabel des sog. Gallus fest. C. Wersche, Das staats-
rechtliche Verhältnis Polens zum Deutschen Reich während des HAs., Zeit-
schrift der histor. Ges. f. d. Prov. Posen III (1888) S. 247 ff. 375 ff., bietet
für unsre Zwecke nichts.
*) Vgl. Wipo Gesta Ouonradi II. irnp. c. 9, ed. Hreßlau (SS. reruro
Germanicarum), Hannover 1878, S. 24: Bolizlaus . . . insignia regalia et
regiurn nouieu in iniuriam regis Chuonradi sibi aptavit.
*) Oben S. 49 f.
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Sechstes Kapitel
Die deutsche Königslanze als Longinus-Lanze
Das Eisen der deutschen Lanze ist seit dem Ende des 11. Jahr-
hunderts nicht mehr gewechselt worden, und ihre Gestalt hat
seitdem keine wesentlichen Änderungen erfahren, wenn man von
dem Verschwinden des Schafts absieht. Aber ihr Name ist nicht
derselbe geblieben.
Als 1492 Sultan Bajazeth II. dem Papst das Eisen der
Longinusianze1) zum Geschenk anbot, das mit Konstantinopel an
die Türken gekommen war, zeigten manche Kardinale Bedenken,
ob man sich durch die Annahme der Gabe nicht lächerlich machen
werde. Denn, sagten sie, die wahre Lanze der Passion soll schon
in Nürnberg sein oder in Paris oder auch in Venedig*). Also
nicht mehr Mauritius-Lanze, sondern Longinus-Lanze ist damals
das Eisen unter den deutschen Reichskleinodien, die sich seit 1424
in Nürnberg befanden.
Im Inventar von 1246 sind wir ihr noch als Mauritius-Lanze
begegnet. Aber schon 1227 war sie für Gregor IX. die Lanze,
die die Seite Christi geöffnet habe, also die Longinus-Lanze*), und
') Longinus heißt in der Legendo der römische Sold&t, der mit seiner
Lanze die Seite Christi öffnete.
*) Johannis Burchardi Argcntinensig Diarium 1483—1506, ed. Thuasne
Baris 1883, 1 473f. Über die Lanzen- Reliquien von Konstantinopel-Rom
und Venedig-Baris s. die überzeugenden Ausführungen von Mely in der
Revue de l'Art chretien 1897 S. 4 ff. Daß das kleine Pariser Stück die der
Konstantinopolitanischcn abgeschlagene äußerste Spitze sei, hat übrigens
bei dieser Gelegenheit der Sultan selber dem Papst mitgeteilt, s. Diario
della cittä di Roma di Stefano Infessura hgb. von 0. Tommasini, Fonti per
la storia d'Italia 1890, S. 274.
*) Schreiben an Friedrich II., MG. Epistolae saec. XIII. selectae
1 N. 365 S. 279:Lanceam considera diligenter, cuius acumen latus eius
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79
wenig später finden wir diese Anschauung auch in die Ver-
gangenheit zurflckgetragen *). Sifrid von Balnhusin kennt aus
einer älteren Quelle noch die Mauritiuslanze, ebenso die Melker
Zusätze der Melker Annalen, und Lupoid von Bebenburg weist
ausdrücklich die Gleichsetzung der deutschen Lanze mit der
Passionslanze ab, da diese, erst 1098 in Antiochia getunden, jetzt
in Paris sei*).
aperuit, de quo Christus largitcr sacramenta tue salutis effudit. Die
Worte sind durchaus eindeutig. — Als Passionslanze bezeichnet schon
Wilhelm von Malmesbury seine oben S. 54 A. 2 erwähnte I.anze Karls des
Großen: vgl. Mcly in der Revue de l’Art chreticn 1897 S. 297. Daß aber
auch die deutsche Lanze al* solche galt, davon weiß z. B. Thiofrid von
Epternach (f 1110), Flores cpitapbii sanctorum IV 3, Migne Patrologia
latina 157, 394 f., augenscheinlich noch nichts.
■) So in der etwa um 1240 zusammengeschriebenen 3. Klosterneuburger
Fortsetzung der Melker Aunalen zu 1178, MG. SS. IX 632,20: Cuonradus
archiepiscopus a domino imperatore in Lombardiam vocatus apud Thau-
rinum ad ipsum venit; dimiasus ab eo crucem et lanceam Domini et
alia imperii insignia ad partes Tcuthonie occulte secum transportavit. — Das
älteste Zeugnis für die deutsche Lanze als Passionslanze würde sich im
Cod. Lat. Monae. 1003 (aus Schcftlarn) saec. XII. der Chronik Ottos von
Freising linden, wenn die Schrift einer Handglosse f. 94v zu VI 18 Ende:
.De lancea Domini“ richtig auf Anfang des 13. Jhs. zu bestimmen wäre.
Sie ist aber offenbar jünger.
r) Libellus de zelo catholicae tidei veterum principum Gernianorum
c. 12, bei Schardius Sylloge historieo-politico-ccclesiastica (Argentorati 1618)
S. 226. Von einer Mauritiuslanze weiß er nichts, obwohl er die Über-
tragung der Mauritius-Reliquien nach Magdeburg durch Otto I. erwähnt,
S. 227. Der Traktat de zelo usw. ist jünger alB der bald nach den Tagen
von Eense und Frankfurt (1338) verfaßte De iuribus regni et imperii,
Kiezlcr Die Literarischen Widersacher der Päpste zur Zeit Ludwig des
Bayers S. 190 A. 2. — Zufällig hatte ich Gelegenheit die Handschrift b. 35
der Bremer Stadtbibliothek einzusehen, die u. a. auch Lupolds Libellus de
zelo catholicae iidei etc. enthält. Hier fehlt in c. 12 die entscheidende
Stelle von .Nec est putandum, quod ferrum huius lanceae sit illud, quo
unus militum tempore passionis domini nostri Jesu Christi sacrosanctum
latus eins aperuit“ bis zum Schluß, die in allen mir zugänglichen Aus-
gaben von der Baseler von 1497 au steht. An eine Interpolation etwa des ersten
Herausgebers (Jakob Wimpheling. nach einer Speirer Handschrift) ist nicht
zu denken. Denn es werden hier Lupolds gewöhnliche Quellen in der üb-
lichen Weise citiert: .Haec ex historia Francorum ac Gotfridi et Martini
cronicis sunt collecta.“ Es wird also eine mehrfache Bearbeitung durch den
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80
Aber seit Karl IV. sind diese Zweifel verstummt '). Schon
1350 hatte Clemens VI. einen Ablaß für die einmal- im Jahre
vorzunehmende Weisung der Lanze und der anderen „Reichs-
heiligtümer“ gewährt2), und 1354 stiftete Innocenz VI. auf Bitte
des Königs das Fest zu Ehren der Lanze und der Nägel (auch
festurn armorum Christi genannt), das am 2. Freitag nach Ostern
in Deutschland und Böhmen begangen wurde’). Damit ist ihr
Platz in der allgemeinen Anschauung angewiesen. Als Longinus-
lanze hat sie unbestritten gegolten, bis nach der Reformation der
kritische und kriegerische (Jeist der neuen Zeit auch dieses
Heiligtum angriff.
Diese Entwicklung ist bedingt dyrch die Entwicklung des
mittelalterlichen Denkens und Empfindens im allgemeinen. Die
Frömmigkeit des 13. und 14. Jahrhunderts ist eine andere als
die des 10. und 11., die des ottonisehen eine andere als die des
Verfasser selbst anzunebmen sein, wie sie nach den Mitteilungen J. Sch walin s
im Neuen Archiv der Ges. für ält. deutsche Geschichtskunde XXXII 237 fT.
auch bei dessen großer Schrift Ile iuribus regni et iuiperii vorzuliegen scheint.
') Die Longinus-Lanze vorher z. B. bei Albertinus Mussatus, oben
S. 36 A. 2: dann bei Heinrich von Kebdorf 1350, oben S. 36 A. 1, und
1361, BShmer Fontes rerum Gcrmanicaruui IV 547: Clemens VI. 1350, s.
nächste Anui., usw. Tbeodorich Engelhus (f 1434) läßt demgemäß
Heinrich 1 lancoain Domini erwerben, Leibniz SS. rerum Brunsvicensium II
1073, und ebenso ein Zusatz zur Chronica minor iu einer Handschrift des
15. Jahrhunderts Boso von Arles nicht wie bei dem zu Grunde liegenden
Gottfried (oben S. 57) die Mauritius-Lanze, sondern lanceam Domini an Otto
übergeben, Monuments Erphesfurtcnsia ed. 0. Holder-Egger S. 620.
Jchan de Mandeville schreibt dem deutschen Kaiser den Schaft der
Passionslanze zu, während das Eisen in Paris oder Konstantinopel sei, s.
The buke of John Maundevill being the travels of Sir John Mauduville,
Knight 1322 — 1356, ed. by G. F. Warner, Westminster 1S89, c. 2 S. 7,
und Mely a. a. 0. S. 289.
Im übrigen fasse ich mich hier und im folgenden kurz und verweise
auf Frensdorff und Mely, da ein eigentliches vcrfassungsgeschichtliches
Interesse nicht mehr besteht.
*) „que sanctuaria sacri Romani imperii nuncupantur,“ 1350 Aug. 17.
Avignon, Murr Journal zur Kunstgeschichte XII N. 10 S. 51.
9) petitin continebat, quod ipso inter sacras reliquias, quae imperiales
vulgariter nuncupantur quaeque tanquam pretiosissimus imperii Iiomaui
thesaurus consueverunt per Romanum regem seu imperatorem, qui est pro
tempore, conservari et reverentissime ctiain honorari, habet in sua custodia
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81
karolingischen Zeitalters; ihr Verhältnis zu der Gesamtheit der
^ Lebensbetätigungen des einzelnen und des Volkes hat sich ver-
ändert. Die alten Symbole und Heiligtümer verlieren allgemein
ihre zündende Kraft; neue, gröber auf die Sinne vrirkende treten
an ihre Stelle oder die alten verändern ihre Bedeutung in dieser
Bichtung.
So ist es auch der heiligen Lanze im Deutschen Keich er-
gangen, und im Verlauf dieser Entwicklung ist ihre staatsrecht-
liche Bedeutung geschwunden1). Um die Mitte des 14. Jahr-
hunderts ist das entschieden. Das äußere Ansehen der heiligen
Lanze ist dadurch nicht erschüttert*), nur die Art ihrer Wert-
schätzung verändert worden. Je mehr ihre Bedeutung für Kaiser
und Reich zurücktritt, um so größer wird ihre Verehrung in den
Kreisen des wundergläubigen Volkes. Sie führte alljährlich große
Scharen nach Nürnberg, „der Hauptstadt des Reiches in den
letzten Jahrhunderten des Mittelalters“*), wo sich seit Kaiser
Sigmund „daz wirdig Heiligtum“ befand.
Den Umschwung brachte die Reformation, der Nürnberg früh
zufiel. Seit der letzten Heiligtumsweisung von 1523*) waren
predictam sacratissimam lanccam necnon unum ex clavis prcdictis, prout
predccessores sui clare memorie catbolici Komanoruin reges seu imperatores
utiam habuerunt nsw., 1354 Febr. 13. Avignon, Murr a. a. 0. N. 11 S. 54.
Die Supplik Karls ist gedruckt Monumenta Vaticana Kes gestas Bohemicas
illustrantia II, opera J. F. Noväk, l’rag 1907. N. 209 S. 89 (cum ipse habcat
sub sua custodia, prout sui prcdeccssores Komanoruin reges scu imperatores
habere consueverunt, sacratissimam lanceam, qua salvatoris uostri latus
sanctissimum extitit perforatum, et unum clavum, cum quo prcciosissimum
corpus eiusdem salvatoris nostri cruci fuit aflixum, qui clavus et lancea
tanquum prestantissime reliquic ac preciosissimus tbesaurus
Itomani imperii reliquic imperiales vulgariter appcllantur et
consueverunt et debent per imperatorem seu regem Komanoruin, qni est pro
tempore, conservari et roverentissime custodiri), vgl. N. 210 und 211 S. 90;
andre hierher gehörige Stücke sind N. 19 und 20 S. 9f. und X. 217 S. 92.
*) Oben S. 36 11. Über ein besondres hier vielleicht wirksames Moment
s. S. 69.
*) Vgl. Frensdorff in den Nachrichten v. d. Kgl. Gesellschaft der
Wissenschaften in Göttingon phil.-hist. Kl. 1897 S. 45.
*) Frensdorff a. a. 0. S. 67.
4) Mnllners Relation von 1630, bei Roedcr Codex historicus testimo-
niorum de fatis klinodiorum augustalium S. 464.
Hulmelster, Ult* heilige I.nnze
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82
seinen Hütern von ilen ß Gruppen, in die man die Reichsklein-
odien zu teilen pflegte, niimlieh Reliquien verschiedener Art, das
kaiserliche Gerät Karls des Großen1) und Reliquien des Leidens
Christi, die erste und die letzte nur mehr Raritäten, die man
ihres Alters und ihrer Geschichte wegen bewahrte, denen eine
lebendige Bedeutung nicht mehr zukam.
So vollständig hatte, was die Lanze betrifft, früher die
Reliquie gesiegt, daß auch jetzt ihr ursprünglicher Charakter
nicht wieder in seine Rechte eintrat. Nur im 18. Jahrhundert
hat eine Altdorfer Dissertation sich um den Nachweis bemüht, daß
die Lanze nicht zu den Reliquien, sondern zu den eigentlichen
Kleinodien gehöre, und einen Platz in den Krönungsfeierlichkeiten
für sie in Anspruch genommen, wobei sie freilich den Gegensatz
von „Reliquien“ und „Kleinodien“*) in eine Zeit zurücktrug, die
von ihm noch nichts wußte, und übersah, daß seit seinem Be-
stehen die Lanze stets zu den enteren zählte ').
Vergessen hat man die Lanze, so lange das alte Reich stand,
nicht. Nach wie vor feierte die katholische Welt das festum lancee
et clavorum 4). In den zahlreichen Abhandlungen über die Reichs-
kleinodien ist ihr ein breiter Raum gewidmet. Gegen sie richten sich
vor allem die Angriffe der Protestanten, sie als eine echte Reliquie
') d. h. die für die Krönung des neuen Königs gebrauchten Stücke. Wie
und wann sie zu dem Namen Karls des Großen kamen, hat Frcnsdorff
a, a. 0. S. 58ff. dargelegt,
*) Die Scheidung hängt mit dem Anwachsen des Reliquienschatzes zu-
sammen, das ja überhaupt für das spätere Mittelalter charakteristisch ist.
Den ersten derartigen Zuwachs, den Zahn Johannes des Täufers, nennt das
Testament Ottos IV. 1218 noch ohne weiteres mit Kreuz, I.anze und Krone und
den übrigen Insignien zusammen, MG. LL. Uonatitutioncs II X. 42 S. 62.
Auch das Inventar von 124fi, wo „sant Kunigunden arm“ hinzugekommen
ist. und die Urkunden von 1350, wo der Arm der hl. Anna den der hl.
Kunigunde verdrängt hat, machen noch keinen ausdrücklichen Unterschied.
s) Wolfgangus Albertus Spioa. Ilissertatio historico-critica de imperiali
sacra lancea non inter reliquias imperii sed clinodia referenda cum problc-
mate du novo S. R. I. oflicio archilanciferatu . . . sub moderainine . . .
doinini Johannis Davidis Koeleri . . . Altorfii 1731. Sie will damit zugleich
die Berechtigung und Notwendigkeit eines neuen Erzürntes des „ Erz-Speer -
Trägers des Heil. Hörn. Reichs" nachwoisen.
4) zum Teil noch houte, s. Wetzor und Welte, Kirchenlexikon VII3
(1891) Sp. 1421 (s. v. Lanze).
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83
des Leidens Christi zu erweisen, ist die vornehmlich« Sorge der
Altgläubigen. Es ist nicht unsere Aufgabe, hier die Gründe zu
schildern, mit denen für und wider gestritten wurde. Des
Jesuiten Gretser Syntagma de insignibus imperii1) beschäftigt sich
fast ausschließlich mit ihr, und als „das Hauptstück“ betrachtet sie
auch des Nürnberger Ratsschreibers Johann Müllners Relation“
von 1 <>30, die den Standpunkt der protestantischen Stadt gegen die
Flugschriften des Bamberger Weihbischofs Friedrich Foerner S. J.
verteidigen sollte.
') Erschien Ingolstadt 1618 und ist dann wieder abgedruckt auf S.
59 — 112 des Anhangs zu der Hallenser juristischen Dissertation „Noribcrgam
insignium impcrialium tutclarem“ von 1713, deren Verfasser nicht, wie immer
angegeben wird, J. P. Ludewig, unter dessen Vorsitz die Disputation statt-
fand, sondern Wolfgang Hieronymus Herold, Noribcrgensis ist.
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Schluß
Wir sind am Ende. Vergegenwärtigen wir uns kurz die ge-
gewonnenen Ergebnisse.
Die heilige Lanze tritt uns zuerst als Konstantin-Lanze in
Italien zu Anfang des 10. Jahrhunderts entgegen. Es ist anzu-
nehmen, daß ihr von vornherein eine politische, wenn auch noch
keine bestimmte staatsrechtliche Bedeutung zukam. 02H hat sie
König Rudolf, inzwischen auf seine Heimat Burgund beschränkt,
dem deutschen König Heinrich I. überlassen, unter dessen Nach-
folger Otto dem Großen sie bereits als hervorragendes Abzeichen,
als Unterpfand des Siegs über die Feinde des Herrschers und
des Reichs gilt. Den Höhepunkt erreicht ihre Bedeutung, als die
Ottonische Hauptlinie ausstirbt. Heinrich II. empfängt mit ihr
die Fülle der Reichsgewalt von einzelnen Stämmen durch die
Hand ihrer Vertreter. Diese bestimmte staatsrechtliche Funktion
ist der Lanze nicht geblieben. Wohl aber ist sie seitdem neben
der Krone das Abzeichen des Königtums schlechthin, das dem
deutschen Vorbilde die Könige von Ungarn und Polen entlehnen.
Unter den Ottonen wird der aus Burgund übertragene
hl. Mauritius zum bevorzugten Reichspatron, und wohl schon zu
Anfang des 11. Jahrhunderts wird die Lanze auf ihn bezogen,
ein Prozeß, dessen Fortgang durch die 1032 erfolgte Vereinigung
Burgunds, des Mauritius-Staates, mit dem Reich unterstützt sein
mag. Aber ebensowenig wie die Konstantin-Lanze ist die Mauri-
tius-Lanze jemals das Abzeichen des burgundischen Königtums
gewesen; sie ist nicht erst damals erworben worden. Die deutschen
Könige und Kaiser haben nie zwei heilige Lanzen nebeneinander
besessen, Mauritius-Lanze und Konstantin-Lanze sind ein und
dasselbe; der eine Name hat den andern abgelöst.
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85
Aber etwas später, zwischen 1035 und 1099, ist das ursprüng-
liche Eisen verschwunden und das heutige Wiener an seine Stelle
getreten, wohl weil das erstere bei irgend einer Gelegenheit in
Verlust geraten war. Das Wiener Eisen ist nicht das der ur-
sprünglichen deutschen Königslanze, das wir nicht mehr besitzen.
Wir besitzen aber eine getreue Nachbildung davon, ohne die
Nagelreliquie, in der Krakauer Lanze, die Boleslaw Chabri nach
dem Muster der deutschen als Abzeichen seines neuen Königtums
1025 hat anfertigen lassen.
Bis ins 14. Jahrhundert zählt in Deutschland die heilige
Lanze zu den vornehmsten Abzeichen der Reichsgewalt. Doch
schon bald nach 1200 tritt die Mauritius-Lanze hinter derLonginus-
Lanze zurück, und dieser Name siegt mit Karl iy. endgültig über
den alten.
Damit mag eine Veränderung äußerer Art in Zusammenhang
stehen. Während die deutsche Königslanze früher einen Holz-
schaft besaß, treffen wir spätestens 1350 das bloße Lanzeneisen
in einem Reliquiar bewahrt.
Damals geht es mit ihrer Bedeutung unter den eigentlichen
Reichsinsignien zu Ende. Sie wird reine Reliquie und genießt
als solche die höchsten Ehren, bis die Reformation auch dem ein
Ziel setzt.
Frensdorlf hat mit Waitz im Hinblick auf andere Stücke der
Reichskleinodien hervorgehoben, „daß auf das einzelne Exemplar
der Insignien kein unbedingter Wert gelegt werde“ *). Für die
heilige Lanze trifft das nicht zu, trotzdem gerade hier ein Wechsel
des Objektes sicher stattgefunden hat. Auf Schritt und Tritt
sehen wir vielmehr, wie es von Anfang an gerade die Lanze,
die heilige Lanze, ist, mag sie nun nach Konstantin, Mauritius
oder Longinus sich nennen, die der König bewahrt oder erstrebt,
die das Volk verehrt. Das hängt offenbar mit ihrem Doppel-
charakter als Insigne und als Reliquie zusammen. Sie ist auch
das zweite von jeher gewesen, und diese Eigenschaft war natürlich
nicht ohne weiteres übertragbar.
l) Nachrichten v. d. Kgl. Ges. d. Wiss. in Güttingen phil.-hist. Kl. 1897
S. 53 und 64 f. Vgl. Waiti VG. VI» 293 f.
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8fi
In diesen beiden Reiten ihres Wesens ist sie ein vollendeter
Ausdruck der mittelalterlichen Welt- und Rechtsanschanung.
Versuchen wir die zu Grunde liegenden Vorstellungen kurz
zusammenzufassen. Mit dem allgemeinen Bedürfnis, einen recht-
lichen Hergang durch ein sichtbares Zeichen kenntlich zu machen,
verbindet sich der germanische Gebrauch der Lanze als Abzeichen
des Königs. An die imperiale Überlieferung des Altertums knüpft
der Name Konstantins, an die religiös -kirchliche Wesensrichtung
der ausgehenden Antike und der mittelalterlichen Welt die Nagel-
reliquie an. Man mag eine Art innerer Notwendigkeit darin er-
kennen, daß das so geschaffene Symbol zum Abzeichen des römisch-
deutschen Imperiums wurde.
In seinen Wandlungen spiegelt sich die Entwicklung der
mittelalterlichen Welt, deren Weg vom Allgemeinen zum Besondem,
von den Institutionen zu den Personen und von den Personen
wieder zu den Institutionen führt. Der Patron des Imperiums,
Konstantin, weicht dem Patron des sächsischen Kaiserhauses, dem
hl. Mauritius, der zugleich als Glaubenszeuge und Kriegsmann das
Ideal der besten Zeit des Mittelalters verkörpert. Wie dann
allmählich das Band zwischen Herrscherhaus und Reich sich
löst, als die Staufer nicht in dem Sinne, wie die Salier
das Erbe der Ottonen, die Nachfolge ihrer Vorgänger anzutreten
vermögen, wie die Kirche den Staat in ihr System zwingt,
so gewinnt in der Würdigung der Lanze, des Abzeichens der
Staatsgewalt, der religiös-kirchliche Einschlag die Oberhand, sie
wird zur Longinus-Lanze. Und wie der Staat wiederum von der
kirchlichen Bevormundung sich befreit und die moderne Theorie
seines Wesens sich begründet, da verliert die Reliquie für ihn
ihren unmittelbaren Wert. Wohl bleibt das Reich ein heiliges,
seine Fahne die Kreuzfahne; seine königlichen Abzeichen aber
sind neben dem Schwert Scepter, Krone und Apfel, und sein
bevorzugtes Sinnbild ist der römische Adler.
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Die Bauerschaften der Stadt Geseke
von
I)r. plii). et rer. pol. Josef Lappe
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Untersuchungen
zur
Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
herausgegeben
Dr. Otto Gierke
Professor der Hechte un der Universität Berlin
97. Heft
Die Bauerschaften der Stadt Geseke
Josef Lappe
l»r. phit ot rer. pol.
Breslau
Verlag vou M. & H. Marcus
1SH>S
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Die Barschaften der Stadt Geseke
Ein Beitrag
zur Geschichte der deutschen Stadtverfassung
von
Josef Lappe
Dr. phil. et rer. pol.
Oberlehrer nm Realprogymnasium zu Lunen a. d. Lippe
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
190*
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Dem Andenken
des
Sanitätsrates Dr. med. Xaver Schupmann
gewidmet
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Inhaltsverzeichnis
Seite
(Quellen untl Literatur VIII — XVI
Einleitung 1 — 3
Die Besiedelung des Landes 3 — 10
Die Entwicklung der Stadt Geseke 20 — 33
Die Huden und Bauerschaften 34 — 48
Die Mitglieder der Bauerschafteu 48— 65
Die Beamton der Bauerschafteu 65— 78
Die Versammlungen der Hauerscliaftou 78 — 85
Die bauerscliaftliclien Flurgericbto 85 — 95
lus tinium rcguudoruiu 96 — 111
Die Allmende 112 — 127
Sitten und Bräuche 127 — 139
Das Finanzwesen. Ausschluss aus der Bauerschaft 139 . 144
Stadt und Bauerschafteu 144 — 158
Die Aufhebung dor Bauerschafteu 158—160
Anlagen 161 — 169
Karten 170 — 171
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Ungedruekte Quellen
A. KauerschHn«bflfher
1 1. Vül nieder Bauerscliat'tsbuch vum Jahre 1654—1722.
(Geseker Stadtarchiv.)
2. Völmeder Hauerschaftsbuch vom Jahre 1722 — 1825.
(Geseker Stadtarchiv.)
3. l'rotokolle die Völmeder Mast betreffend vum Jahre 1684 bis zur
Aufhebung der Hauerschaft. (Geseker Stadtarchiv.)
4. Völmeder Uauerschaftsblich vom Jahre 1825— 1H50.
(Geseker Stadtarchiv.)
5. Acta der Völmeder Hauerscbaft zu Geseke über Verkauf von
Immobilien. (Aus der Zeit der Aufhebung. Geseker Stadtarchiv.)
6. Acta betr. die Rechnungen über Einnahme und Ausgabe bei der
Völmeder Hauerscbaft von 1829- 1842. (Geseker Stadtarchiv.)
7. Helege dazu für die gleiche Zeit. (Geseker Stadtarchiv.)
8. Rechnung der Völmeder Hauerscbaft von 1844—1850.
(Geseker Stadtarchiv.)
U. Rechnung über die Verwendung des Erlöses aus den Waldungen der
Völmeder Hauerschaft von 1846— 1848. (Geseker Stadtarchiv.)
II. 1. Stalper Bauerschaf tsbncli vom Jahre 1696— 171». (Geseker Stadtarchiv.)
2. Stalper Hauerschaftsbuch vom Jahre 1714—1731. (Geseker Stadtarchiv.)
3. Stalper Hauerschaftsbuch vom Jahre 1736 — 1795. (Geseker Stadtarchiv.)
4. Stalper Hauerschaftgbuch vom Jahre 17U5 1810. (GesekerStadtarchiv.)
5. Stalper Hauerschaftsbuch voin.lahre 1808—1842. (GesekerStadtarchiv. )
III. 1. Protoeollnm Hurscapiae Hucstedeusis, Vom Jahre 1702—1769.
(Geseker Stadtarchiv.)
IV. 1. Slockheiuier Hauerschaftsprotokolle vum Jahre 1677—1688. 2 Hefte.
(Mein Hesitz.)
2. Slockheiuier Bauerschaftsbuch vom Jahre 1692—173*.
(Archiv des Altertumsvereius zu Paderborn.
Geschenkt von Sanitätsrat L)r. Schnpmann.)
3. Protokolle der Stockheimer Hauerschaft über Flurbesichtigungen
wegen Feldfrevel vom Jahre 1775 — 1807. (Mein Besitz.)
4. Protokolle Uber Vorpachtung der der Stockheimer Hauerscbaft ge-
hörenden Grundstücke vom Jahre 1786— 1806. (Mein Besitz.)
5. Acta, Obligationen und den Verkauf resp. Ankauf der zur Stockheimer
Hauerschaft gehörenden Grundstücke betreffend, vom Jahre 1805 — 1838.
(Mein Besitz.)
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IX
6. Acta diveraa, die Stocktaeimer ßauerschaft zu Geseke betreffend.
Vom Jahre 1667—1835. (Mein Besitz.)
7. Acta, das Rechnungswesen Uber Einnahme und Ausgabe der Stock-
heimer Bauerschaft betreffend, vom Jahre 1804 — 1827. (Mein Besitz.)
8. Stockheimer Bauerschafts- Manual - Akten in Bachen Stockheimer
Bauerschaft contra Ueringer Hude zu Geseke. (Mein Besitz.)
9. Acta, betreffend die Rechnungen Uber Einnahmo und Ausgabe bei
der Stockheimer Bauerschaft zu Geseke fUr die Jahre 1828 — 1841
nebst beigehefteten Belegen. (Mein Besitz.)
10. Acta Uber die Reinstellung der iiu Bauerschaftsbuche nufgefUhrten
Stockheimer Bauerschaftsbereelitigungen. Jahr 1836. (Mein Besitz.)
11. Stockheimer Bauerschafts - Auseinandersetzuugs -Akten aus den
Jahren 1839 und 1840. (Mein Besitz.)
12. Acta der Stockheimer Bauerschaft, Verkauf der Eichenstämme
im Leimenbusche betreffend. Jahr 1838. (Mein Besitz.)
13. Acta verschiedenen Inhalts zu den Angelegenheiten der Stockheimer
Bauerscliaft und Acta der letzten Jahre. (Mein Besitz.)
14. Acta manualia Uber die vorhandenen Rückstände bei der Stock-
heimer Bauerschaft und dergleichen betreffend. (Mein Besitz.)
15. Mehrere lose Blätter, die Stockheimer BRuerschaft in der letzten
Zeit betreffend. (Mein Besitz.)
16. Mehrere Rechnungen Uber die einzelnen Jahre. (Mein Besitz.)
17. Verschiedene Papiere der Stockheimer Bauerschaft bis zur Auf-
lösung im Jahre 1887. (Mein Besitz.)
V. 1. Holthauser Bauerschaftsbnch vom Jahre 1780—1845.
(lleseker Stadtarchiv.)
2. Papiere der Holthauser Bauerscbaft aus der Zeit der Auflösung.
(Geseker Stadtarchiv.)
VI. Verzeichnisse der die einzelnen Bauerschaften bildenden Güter nnd der
Besitzungen der Bauerschaften aus dem Jahre 1811.
(Geseker Stadtarchiv.)
B. Hudebttcher
I. 1. Hellweger Hudebuch vom Jahre 1659—1734.
2. Hellweger Hudebuch vom Jahre 1736 — 1823.
3. Hellweger Hudebuch vom Jahre 1824 — 1872.
II. 1. Stockheimer Hudebnch vom Jahre 1841 — 1873.
III. I. Hiisteder Hudebuch vom Jahre 1822—1872.
Sämtliche HudebUcher sind mein Eigentum.
€. Einzelne Urkunden
aus dem
Geseker Stadt- und Gerichts-Archiv
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Giessen. 1800.
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Abkürzungen
1. V. B. B. = Völmeder Bauerschaf tsbuch
2. St. B. B. = Stälper Bauerschaftabuch
3. H. B. B. = Hüsteder Bauerschaftsbuch
4. Holth. B. B. = Holthauser Bauerschaftsbuch
5. Stöckli. B. B. = Stockheimer Banerschaftshuch
6. H. H. B. = Hellweger Hudebuch
7. St. H. B. == Stockheimer Hudebuch
8. Hiist. H. B. = HUsteder Hudebuch
Zu diesen Abkürzungen wird jedesmal das Datum des betreffenden
Zitates hiuzugefügt, so dass es sich in den betreffenden Büchern leicht
finden lässt.
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Einleitung
Diese Arbeit ist die Ergänzung und Fortsetzung der
Dissertation über die Geseker Huden1); was dort nur allgemein an-
gedeutet wurde, soll hier ausführlich dargelegt und begründet werden.
Bauerschaft und Hude bildeten ursprünglich eine einheitliche
Markgenossenschaft, die sich erst dann in die beiden Genossen-
schaften spaltete, als sie das platte Land verlassen und sich
hinter den Mauern der Stadt neu angesiedelt hatte. Es werden
daher im folgenden zunächst die Dörfer, die sich ursprünglich
in der heutigen Geseker Feldmark angebaut hatten, aufgezählt
und ihre markgenossenschaftlichen Beziehungen dargelegt. So-
dann folgt die Angabe der Gründe, weshalb die Dörfer gezwungen
waren, ihren bisherigen Standort zu verlassen und sich in der
mittlerweile gegründeten Stadt Geseke neu anzubauen. Darauf
soll dargelegt werden, wie es kam, dass die bis jetzt noch ein-
heitliche Markgenossenschaft in die beiden erwähnten Genossen-
schaften zerfiel. Nach eingehender Schilderung der Bauerschaften
soll das Verhältnis dieser Sondergemeinden zur Stadt, beziehungs-
weise deren Vertretern, Bürgermeister und Rat klar, gestellt
werden. Zum Schluss folgt ein kurzer Ueberblick über den
Zerfall und die Aufhebung der Bauerschaften.
Die wichtigste Quelle für die folgende Untersuchung bilden
die sog. Bauerschaftsbücher, d. h. die Protokolle über die
Bauergerichte und Notizen über wichtige Vorgänge in den
Bauerschaften. Zum Glück fliesst diese Quelle reichlicher, als
es bei den Huden der Fall war.2) Freilich geht auch hier
keine Nachricht über die Mitte des 17. Jahrhunderts hinaus,
weil die Bauerschaftsbücher zum grossen Teil in den vorher-
') Lappe, Josef, Die Qeseker Hudeu. Dissert. Münster, 1907.
*) Siebe das Literatur- Verzeichnis.
Lappe, Die Geseker Bauerscbalten 1
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2
gehenden stürmischen Kriegsjahren vernichtet worden sind.1)
Die vorhandenen Bücher wurden in besonderen Kisten auf-
bewahrt'-) und dem Vorsteher der Bauerschaft, dem Holzgrafen
anvertraut.3) Diese wurden von dem scheidenden Holzgrafen
in einem besonderen Verzeichnis aufgez&hlt seinem Nachfolger
übergeben, der über den Empfang zu quittieren hatte.4) Aber
trotzdem ist der grösste Teil verloren gegangen. Als die
Bauerschaften noch blühten, sind manche Urkunden im Besitze
der früheren Vorsteher geblieben, teils infolge der Gleichgiltigkeit
der Bauerschaften, die von deren Vorhandensein gar nicht
wussten/’) teils aber auch von den Inhabern absichtlich und
widerrechtlich behalten.6) Einige Bücher sind nach der Auf-
hebung der Bauerschaften verloren gegangen. Was nicht in
Archiven aufbewahrt ist, habe ich nach eifrigem Suchen in den
Familien der letzten Holzgrafen aufgefunden und an mich
gebracht. Neben den Bauerschaftsbüchern liefern auch die
Hudebücher für diese Darstellung manches Material, besonders
hinsichtlich der Beziehungen zwischen Huden und Bauerschaften
und der markgenossenschaftlichen Verhältnisse der ältesten
Zeit. Die über diese Frage vorhandene Literatur ist möglichst
■) V. B. B. Einleitung zu B. 1 vom Jahre 1664: .aber ein überfall
von den hessischen Völkern (im Jahre 1633) da« schrei» aufgeschlagen, die
briefschaften weggeraubt unt ruiniert also das man deren weinig wieder
bekommen.“
s) H. B. B. 26. Jnni 1717: .Es ist auch beliebt, dass ein Kistgcn
gemacht werde, wohrin der bauerschaft briefe aufbehalten werden.“
s) a. a. O. und sonst oft.
«) z. B. St. B. B. 17. April 1833.
3) So werden einem Mitglied der Vülmeder Bauerschaft die Schulden
zum Teil erlassen, weil der Schuldner verspricht (V. B. B. 4. Juli 1719),
dass er .die der Bauerschaft dienlige oder zuständige Urkunden und nach-
richteu ad protocollum getreulich einliefern würde.“
■) So soll ein wegen schlechter Amtsführung abgesetzter Holzgraf die
Bauerschaftsbücber herausgeben. Es gehen im Aufträge der Hüsteder
Bauerschaft 2 Mitglieder zu ihm (H. B. B. 25. Juni 1717), welche „referiren,
dass sie den Herrn W. Thoholte gewesenen Holzgrafen in seinen Kleidern
ein pfeiff Tuback rauchendt angetroffen undt ihnen committirter Massen
gesagt betten, der aber resolvirt hette, dass dasjenige, was gegen ihn ge-
schehen wehre, er für eine injurie aufnehmen thäte undt obschon seine
Hüter sich hette müssen abnehmen lassen, so liesse er doch seine Ehre sich
nicht abnehmen, er hette noch einige Cbartequen undt ein klein Buch der
Baurschaft zugehörig, so er noch zur zeith nicht wollte herausgeben.*
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3
vollständig zu Rate gezogen, es werden aber nur dann Hinweise
gegeben und Stellen zitiert, wenn die betr. Erörterung dadurch
Aufklärung und Begründung erhält. Ich halte es für unnütz,
jedesmal darauf zu verweisen, wo sich ähnliches findet, mit der
„lieben Notennot“1) möchte ich die Leser und mich selbst ver-
schonen. Die angeführten Werke werden der Kürze halber
nicht jedesmal mit vollständigem Titel, Druckort und Druckjahr
zitiert, da das Literaturverzeichnis in dieser Hinsicht die nötige
Auskunft gibt.
Die Besiedelung des Landes
Die Stadt Geseke, am Nordostrande des Hellwegs gelegen,
gehört geographisch dem grossen münsterländischen Busen an,
der im Süden vom Haarstrang, im Osten vom Eggegebirge und
im Norden vom Teutoburger Walde umschlossen wird, während
im Westen die Basis von isolierten, flachgeröllten Hügelmassen
gebildet wird. Geseke liegt ungefähr in der abgestumpften,
runden Spitze, in die der münsterländische Busen im Osten
endigt, am Fusse des hier allmählich ansteigenden Haarstranges.
Die Feldmark ist zum grössten Teil sehr fruchtbar, besonders
soweit sie vom Ausläufer der Soester Börde gebildet wird, jedoch
im südlichen Teile sind die Verwitterungsprodukte des Pläner-
kalks derart fortgewaschen, dass nur eine dünne Ackerkrume
übrig geblieben ist.2) Die Flächengrösse der Geseker Feldflur
beträgt mit Ausschluss des Stadtbezirkes 18 800 Morgen, nimmt
also einen Raum ein, wie ihn nicht viele Gemeinden aufzu-
weisen haben. Die Länge vom Norden nach dem Süden beträgt
ungefähr 12 km, während der Weg vom Westen nach dem
Osten etwa 8 km ausmacht. Schon diese Ausdehnung lässt
vermuten, dass die heutige Feldflur nicht das ursprüngliche Bild
der Besiedelung bietet, und die folgenden Ausführungen werden
zeigen, wann und wie Geseke mit seiner Umgebung den jetzigen
Charakter erhalten hat.
Die ältesten Bewohner des Landes waren die Kelten, die
nach Müllenhoff vor den Germanen auf der rechten Rheinseite
*) Dahlmann in <lem Vorwort zu seiner Geschichte von Dänemark.
*) L Shers, Geschichte von Geseke. S. 22*.
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4
bis an den Harz und die Thüringer Gebirge wohnten1) und
nach Meitzen gerade den Hellweg, auf dessen Nordrande Geseke
liegt, am längsten gehalten haben.2) Keltische Namen haben
sich in Stal-pe und Apel-bach, zwei Flurbezeichnungen bei
Geseke, erhalten.3) Als dann die letzten menapischen Kelten
zu Cäsars Zeit die Landstriche rechts des Rheins räumten,
scheint der Hellweg zunächst in die Hände der Sigambren und
Chamaven gefallen zu sein, bis diese um die Zeit des Varus
von den chattischen Marsen vertrieben wurden,4) die hier nach
der geistvollen Hypothese Meitzens unter Beseitigung der
keltischen Einzelhöfe ihre heimatlichen Dörfer angelegt haben,
wie sie bis auf die Gegenwart bestehen geblieben sind.5) Nach-
dem die Marsen durch die Feldzüge der Römer, besonders
unter Germanikus 1 4 und 1 6 n. Chr. aufgerieben waren, haben
die Brukterer um die Wende des 1. Jahrhunderts dieses Gebiet
in Besitz genommen6) und sind die Herren desselben geblieben,
bis sie mit dem auf 715 angesetzten Einfalle der Altsachsen
unter deren Oberhoheit kamen.7) Geseke lag auf der Ostgrenze
der Brukterer gegen die Angrivaren, später der Westfalen
gegen die Engern8) und bildete seit dem 13. Jahrhundert die
nordöstliche Spitze des Herzogtums Westfalen gegen das
Fürstentum Paderborn, heute des Regierungsbezirks Arnsberg
gegen den Regierungsbezirk Minden.
■) Hüllen hoff, Deutsche Altertumskunde. 2. Bd. S. 236. .Der Harz,
die Thüringer und die weiter ostwärts streichenden Hüben bildeten einst
deu Urwald-Gürtel, der die Germanen von den Kelten schied.“
Meitzen, Siedelung und Agrarwesen der Westgermanen und Ost-
gertnanen. I. Bd. 8. 622 fä.
*) MUllenhoff, a. a. O. 8. 227. „ndd. apa . . . steht nur zu ir. ab floss
in richtigem Verhältnis.“
4) Meitzen, a. a. 0. I, 623.
Ä) a. a. 0. 8. 524.
•) a. a. O. II, 23 ff.
*) a. a. O. II, 25.
8) a. a. O. Vergl. auch Büttger, Diüzesan- und Gaugrenzen Nord-
deutscblands. 3. Abt. 8 10. 24. 32. Ledebur, Die Gränzen zwischen
Engern und Westphalen. Wigands Archiv für Geschichte und Altertums-
kunde Westphalens I, 1, 4tiff. Ebenda III, 3, 94. Sproner-Menke, Hand-
atlas für die Geschichte des Mittelalters uud der neueren Zeit. 3. Auflage.
Gotha 1880. Karte 33.
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6
Die Feldmark der Stadt Geseke war ursprünglich dorf-
weise, nicht hof weise besiedelt, wie aus der Gemengelage
der Ackerparzellen hervorgeht.1) Aber nicht eine Ansiedlung
beherrschte die ganze Flur, wie heute die Stadt Geseke, sondern
eine Anzahl grösserer und kleinerer Siedelungeu bedeckte das
Land, wo sich jetzt ununterbrochen die von der Stadt aus be-
stellte Ackerflur erstreckt. Wir schliessen das zunächst aus
den bis ins 13. Jahrhundert zurückgehenden Urkunden, in denen
von Gutsübertragungen die Rede ist. Darin wird der Name
der Ansiedlung oder des Dorfes angegeben, in dessen Bereich
das übertragene Gut fällt.2) Vor allem aber geben die bis in
die unmittelbare Gegenwart reichenden Huden und Bauerschaften
ein deutliches Bild der ursprünglichen Besiedelung. Beide
bildeten ja, wie schon erwähnt wurde, eine Markgenossenschaft,
und aus deren Kenntnis dürfen wir einen sicheren Rückschluss auf
die Zeit machen, als die Dörfer noch im offenen Felde lagen.
Da Hude und Bauerschaft bis zu ihrem Untergange alle Rechte
über die Dorfmark besassen, die jeder Dorfgenossenschaft zu-
standen,3) können wir aus beider Herrschaftsbereiche die Aus-
dehnung der betreffenden Dorfmark bestimmen. Den gleichen
Schluss dürfen wir aus dem Umfange des über je eine Dorfmark
sich erstreckenden Zehntgebietes ziehen.4) Von einer Feldflur
hat sich sogar durch den Bericht Uber einen Schnadzug aus
dem Jahre 1706 eine genaue Angabe der Grenzen erhalten.5)
Weiteren Anhalt geben die Landwehren. Diese hatten den
Zweck, eine Grenze der betr. Mark zu bilden, fremde Vieh-
herden abzuhalten, eigenen Herden den Ausgang zu verwehren.
') Besonders beweisen das die Kaufbriefe der alteren Zeit, in denen
die zu einem Oute Land gehörenden Parzellen aufgezählt werden. Sie sind
ober die ganze Flur verstreut. (Nach mehreren in meinem Besitze be-
findlichen Kaufbriefen aus dem 18. Jahrhundert.)
5) Diese Urkunden finden sich bei Seibertz, Urkuudenbucb zur Landes-
und Rechtsgeschicbte des Herzogtums Westfalen. 3 Bde. und Wilmans-
Fiuke, Westfälisches Urkundenbuch III. und IV. Bd.
*) Für die Huden beweist das die Arbeit über „die Geseker Huden",
für die Bauerschaften die folgende Untersuchung.
4) Der Zehnte der Geseker Feldmark war unter verschiedene Besitzer
verteilt und genau auf ein Zehnt-Gebiet beschränkt, das seinen Namen nach
dem betreffenden Dorfe führte.
5) Von dem Dorfe Uüstede.
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6
Schutz und Sicherheit von Person und Eigentum zu gewähren usw.1)
Diese die Dörfer umschliessenden Landwehren sind heute noch
zum Teil erhalten, wo sie abgetragen sind, lässt sich ihr Lauf
trotzdem deutlich bestimmen, weil „der verarbeiteten Dammerde
leicht üppigere Gewächse entspriessen wie einem dürren, müden
Umlande“.'2) So lässt sich auch daraus die Lage einzelner
Dörfer finden.3) Eine nicht unwichtige Quelle zur Entscheidung
der hier besprochenen Frage sind ferner die Flurnamen. Wenn
in den soebeu erwähnten Urkunden der Name eines Dorfes
genannt wird und in den Flur bezeichn ungen eines bestimmten
Gebietes die gleichen Namen öfter wiederkehren, so ist gewiss
der Schluss berechtigt, hier die ursprüngliche Lage des Dorfes
zu suchen.4) Aber nicht nur die Dorfmark im allgemeinen,
sondern auch den eigentlichen Dorfbezirk, den Platz, wo die
Wohnhäuser standen, können wir angeben. Zunächst kommt
hier in Betracht, dass im Mittelalter die Gerichtsstätte im
Dorfe mit einer Linde geschmückt war. ’) Wo wir also Linden
finden, die noch heute den Namen eines Dorfes tragen, dürfen
wir den Dorfplatz vermuten. Ferner ist man wiederholt beim
Pflügen, Drainieren, Planieren usw. an einzelnen Stellen der
Feldmark auf Grundmauern usw. gestossen, Funde, die sich
für die genauere Lokalisierung ebenfalls verwerten lassen.6)
Dazu kommt, dass bis zur Verkoppelung in den siebziger Jahren
des verflossenen Jahrhunderts an mehreren Stellen der weiten
Flur Gärten lagen. Diese umgaben ursprünglich die Dörfer
und blieben auch nach deren Abbruch als Gärten in Gebrauch,
') Ueber Landwehren im allgemeinen s. Thudichum. Ueber Dorf-
einfriedigungen usw. Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 7. Bd.
1. bis 5. Heft
s) Nordhoff-Westhoff. Römische Landwehren, Strassen usw. Bonner
Jahrbücher. 1895. Heft 96 und 97.
s) Es finden sich also hier Landwehren um Dorfgemarkungen, die
Thudichum Überhaupt nicht gefunden haben will. a. a. O. col. 9t: .Land-
wehren um Dorfgemarkungen, die noch zu einem und demselben Landgericht
gebürten, also nicht selbständige Territorien bildeten, habe ich bis jetzt
nirgends angetroffen.“
*) In diesem Punkte mnss ich mich auf meine Ortskenntnis berufen,
für die ich absolute Zuverlässigkeit in Anspruch nehmen darf.
6) Bluntschli, Die wirtschaftliche Rechtsordnung der deutschen Dörfer.
Kritische Ueberschau der deutschen Gesetzgebung usw. 2. Bd. S. 316.
“) Mach mündlichen Berichten.
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7
weil sie besonders eingefriedigt waren und dem Weidezwange
nicht unterlagen.1) Wenn wir daher die erwähnten Gärten
bestimmt lokalisieren können, haben wir den Dorfplatz gefunden.
Sichern Aufschluss über die Lage der Dörfer gibt uns schliesslich
die Flurkarte der Geseker Feldmark aus der Zeit vor der Ver-
koppelung. Es ist ja bekannt, dass das Bild der Dorffluren
von der ältesten Zeit her sich garnicht oder doch nur wenig
geändert hat.2) Nun besitzen wir eine Karte von der Geseker
Feldmark, die der Geometer Schmitz im Jahre 1821 entworfen
hat.3) Ein Blick darauf zeigt, dass sich an einzelnen Stellen
der an Wegen nicht gerade reichen Feldflur die Wege derart
häufen und kreuzen, dass man berechtigt ist, hier den ur-
sprünglichen Dorfplatz zu suchen. Denn die Wege unterstanden
dem besonderen Schutze des Dorfgerichtes4) und blieben daher
selbst da noch unverrückt erhalten, als sich die Dörfer an
einem andern Orte angebaut hatten. Wenn also an gewissen
Punkten die Wege fast sinnlos durcheinander laufen, ungefähr
wie in einem deutschen Haufendorfe, so dürfen wir hier einen
ursprünglichen Dorfplatz suchen. Nach diesen Vorbemerkungen
können wir daran gehen, die Lage der Dörfer genauer zu be-
stimmen.
Ganz im Osten lag Stalpe,5) das zuerst im Jahre 1258
urkundlich erwähnt wird.*) Ministerialen von Stalpe werden
bald darauf als Zeugen wiederholt genannt.7) Die Dorfmark
lässt sich durch die Flurnamen bestimmen. Im südlichen Teile
erstreckte sich die Ackerflur, das „Stälper Feld“, bis an eine
von drei Markgenossenschaften benutzte Allmende, die Hölter
Heide, im Norden schloss das „Stälper Holz“ die Dorfmark ab,
') Hagemann, Handbuch des Landwirtschaftsrechtg. Unter dem
Kapitel. Gärten.
a) Darauf wird besondere von Aug. Meitzen in seinem Werke über
Siedelung und Agrarwesen uew. wiederholt hingewieeen.
3) S. Karte I. Das Original befindet eich im Ueeeker Stadtarchiv.
Diese Karte ist durch den um die Lokalgeschichte gehr verdienten Sanitätg-
rat Dr. Schnpmann (f) nach dem Original entworfen.
*) 8. den Abschnitt über lug finium regundorum.
’>) Vergl. für dag folgende die Karte I.
*) Seibertz, Urkunden -Buch, L n. SH. 8. 3S8. in rubo apnd Stalpe.
7) Wilmang-Finke, Wegtf. Urk. Buch. IV. n. 1034. anno 1265:
Conradua de Stalpe. 1. c. IV. n. 2532. anno 1298: Thidericug de Stalpe.
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8
im Osten, wo später die neue Landwehr lief, begann das Gebiet
der Engem. Die Lage des Dorfes verrät uns die „Stälper
Linde“, wo auch ausserge wohnlich viele Wege erhalten sind.
Die Stelle, wo die von der Stadt nach dem Osten laufende sog.
„Ostern Landwehr“ die Hölter Landwehr kreuzte, heisst noch
heute der „Winkel zu Stalpe“ und der Dorfbrunnen der „Stälper
Saut“.
Nach Westen schloss sich an Stalpe das Dorf Volmede
an, das im Jahre 1265 zum ersten Male,1) später wiederholt
erwähnt wird.2) Auch ein Ministerial von Volmede ist bekannt.3)
Die Grenze nach Osten bildete Stalpe, im Norden schloss die
„Volmer Mark“ die Dorfmark ab, im Westen lief der „Völmer
Bach“, dessen Quelle das „Völmer Spring“ heisst, über die
Grenze hin. Die gesamte Ackerflur heisst das „Völmer Feld“.
Gälten zu Volmede werden noch im 18. Jahrhundert genannt.4)
Die Lage des Dorfes gibt uns die „Völmer Linde“3) an, die
auch durch das Kartenbild mit den daselbst zahlreich laufenden
Wegen bestätigt wird. Gerade in der Nähe dieser Linde sollen
Pflüger auf Grundmauern gestossen sein.
Im Westen schloss sich Krewete an, das vom Völmer
Bach und Geseker Bach umgrenzt wurde. In Urkunden aus
älterer Zeit wird diese Siedelung nicht erwähnt, wir wissen
von ihr nur aus den Hüsteder Bauerschaftsbüchern, in denen
wiederholt Güter zu Krewete erwähnt werden.6) Die Lokalisierung
') Wilmans-Finke, Westf. Urk. Buch. IV. n. 1034: curtim quandam
Velmede apud Gesike sitam.
*) Seibertz, Urk. Buch. I. n 484. p. 629 Amn. anno 1371. decima . . .
in Velmede juxta (iejseke.
3) s. Note 1. Andrea* de Velmede.
*) z. B. um 1380 bei Seibertz, Quellen der Westfälischen Geschichte.
1, 281 und im Jahre 1734 (28. Juli) im Völmeder Hauerschaftsbuche.
6) Weil in der Nähe dieser Linde drei Dornenbdache standen, heisst
sie die „Vulineder Linde zu den drei Dören.“ (So noch in der Allodifikations-
urkunde eines stiftiseben Kunkellehens vom 28. Februar 1832. Mein Besitz.)
Jetzt heisst Bie kurz .die drei Dören Linde*.
*) Hilst. B. B. 24. Juni 1708. „weilen durch Absterben Heinrich
Röggener vom Krewete guth eine Bawrschaft ledig gefallen, er aber
selbigen Krewete Guths gegentheill kentlich besitzet.“ Ebenso 24. Juni 1710.
Zuletzt 3. Juli 1768: „dass dieser baursekaft unter 4 Krewete Metern der
Uebrauch wero.“
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9
im allgemeinen ermöglicht uns die Flurbezeichnung „Kreweter
Wiesen“.
Nordwestlich von Volmedo und Krewete folgt H ii s t e d e.
Dieses Dorf wird schon 1218') und 12262) erwähnt.') Im
Norden schliesst das „Hüster Bruch“ als Gemeinweide und die
„Hüsteder Mark“4) als Gemeinwald die Dorfmark ab. Auf
dem linken Ufer des Geseker Baches dehnt sich die Ackerflur,
das „Hüster Feld“ aus, das von der „Hüster Trift“ durch-
schnitten wird. An diesem Wege liegt die „Hüsteder Linde“,
so dass wir hierher das Dorf zu verlegen haben, genauer auf
den östlich von der Linde liegenden fruchtbaren Rücken, weil
man hier noch vor kurzem beim Planieren und Drainieren auf
Grundmauern gestossen ist und selbst Gräber blossgelegt hat.
In diese Gegend werden auch wiederholt Gärten von Hüstede
verlegt.5)
Im Süden dieser 4 Siedelungen lag Isloh, das unmittelbar
an Volmede grenzte. Es wird um 1300 wiederholt erwähnt.®)
Die Lokalisierung wird ermöglicht durch das „Isloher Feld“,
das der „Isloher Weg“ durchschneidet, der dann weiter durch
die „Isloher Grund“ zur „Isloher Breite“ führt. Eine genauere
Angabe über die Lage des Dorfes müssen wir uns versagen,
da alle oben erwähnten Momente fehlen.
In diesen Siedelungeu dürfen wir uralte Anlagen der
Germanen vermuten.7) Auf die keltische Herkunft des Wortes
Stalpe wurde schon hingewiesen, und gerade „die Namen auf-apa,
Wasser, ein Wort, das in älterer Zeit in altsächsischen Ge-
') Seihertx. Urk. Buch. 1. n. 151. S. 194. „nobiles fratres de hustede
. . . . agros prope huseke male“ (die noch heute sog. .Hüsteder Mühle“.)
*) Wilmans-Finke, Westf. Urk. Buch. IV. n. 149. Abt Albert vom
Abdinghof in Paderborn kauft „inansum ununi in Hustide.“
3) Sonst noch 1313 (Seih. 1. c. 11. n. 556. S. 124. Ziff. 109; und 1338
(I. c. IL n. 666. S. 281. Ziff. 172 und 174).
*) Dieser Name ist heute geschwunden. Noch erhalten in den Hüst..
B. B. 18. Januar 1686 und 6. Juli 1714.
5) Hüst, B. B. 25. Juni 1704. 25. Juni 1705. 6. Dexember 1707.
‘1 Seibertx, Urk. Buch. II. n 551. S. 107. Ziff. 6. „curiam in Yslo“.
1. c. S. 110. Ziff. 67. 68. „curtim in Yslon“. Am 10. Juni 1313 1. c. II.
n. 556. S. 126, Ziff. 165. „cur. in Isselo.“
7) Für die folgenden Erörterungen s. Arnold, Die Ortsnamen als
Geschichtsquelle. Stuttgart. 1882.
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10
bieten vorzugsweise üblich gewesen und schon früh erloschen
ist, sind die ältesten.“1) Zur selben Zeit wie Stalpe muss
auch Isloh angelegt sein. Denn der gleichen Periode gehören
„die Namen an, in denen Wald oder Bäume gleich als Grund-
worte Vorkommen. Hier fallen vor allem die Worte auf-loh
auf.“2) Einer etwas jüngeren Schicht, dem 5.-8. Jahrhundert,
gehören die übrigen Dörfer an.1) In eine noch spätere Zeit
fällt die Anlage der nunmehr folgenden weiteren Siedelungen
in der Geseker Feldmark.
Die nordwestliche Spitze der Geseker Feldmark bildet
Ebbinghausen, begrenzt im Osten von Hüstede, im Norden
und Westen von dem Geseker beziehungsweise Bönninghäuser
Bach umschlossen. Es wird zum ersten Male am 29. Juli 1284
und seitdem öfter erwähnt.4) Die „Ebbinger Hecke“5) und
der „Ebbinger Weg“,6) der von Geseke aus nach Ebbinghausen
führt, geben ungefähr die Lage des Dorfes an. Eine am Ende
des Weges sich findende fruchtbare Erhöhung in einer sonst
feuchten Umgebung kann wohl als der Platz der Siedelung in
Anspruch genommen werden.
Im Süden schliesst sich Heringhausen an, das schon
im Jahre 9527) erwähnt wird, dann wieder öfter im 13. Jahr-
') Arnold, a. a. 0. S. 64.
») a. a. O. S. 66.
*) &. a. 0. 8. 73. „Ebenso sind die Namen auf -ithi zum Teil sehr
alt.“ Ebenda die Angabe der Zeit der Entstehung dieser Namen auf -ithi.
-ide, -ede.
4) Wilmang-Finke, West!. Urk. Buch, IV. n. 997. 8. 504, Am
11. Dezember 1999 ebenda n. 2586. S. 1164. Ferner um 1300 bei Seibertz,
Urk. Buch. I. n. 484. 8. 614 note. „1 dom. in Ebinchuys*. Ebenda II.
n. 551. 8. 110. Ziff. 77. „inans. I in Ebbincbusen“. Ebenso Ziff. 121.
s) In den Bauerschaftsbilchem heisst sie die „Ebbinger hegge“ (Stockh
B. B. 6. Aug. 1697) oder „Ebinger Inge“ (ebenda 15. Mai 1810). Auch
„Ebbiger biege“ genannt. (Nach einem Anschreibehucho meines Urgroas-
vaters.)
') So noch Stockh. B. B. 24. August 1694. Im Laufe der Zeit wurde
daraus ein „Ebbeger Weg“, dann „Egger Weg“ und daraus von dem deg
Plattdeutschen unkundigen Kataeterbeamten ein „Eier Weg“ gemacht. Han
zieht auch hier, wie man in Fragen der Worterklärung auf die ursprüngliche
Form zurückgehen muss.
') Am 26. Oktober 952 bei Seibertz, Urk Buch. I. n. 8. 8. 9.
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11
hundert.1) Ministerialen von Heringhausen werden 12892) und
12923) genannt. Die Dorfmark lässt sich ziemlich genau durch
das „Heringer Feld“ und „Heringer Bruch“ bestimmen. Im
Norden lag die „Heringer Hude Landwehr“ mit der „Heringer
Warte“.4) Die Lage des Dorfes gibt die „Heringer Linde“ an,
wo auch die Wege sich zahlreicher finden.
Dann folgt weiter nach Süden W i e t h e i m , das im
Westen bis an die Western Schledde reichte. Güter zu Wietheim
werden im Jahre 1284 erwähnt.5) Von dem Zehnten zu Wietheim
bezog um 1300 das Stift zu Meschede8) einen Teil. Der Flur-
name „in Wietheim“ und die an dieser Stelle auffallend zahlreich sich
kreuzenden Wege ermöglichen es uns, die eben erwähnte Lage
anzugeben. Eine noch 1667 sich findende Bezeichnung „bey
dem Wiethmer Holzwege“7) ist heute geschwunden.
Weiter südlich liegt Stockheim, ebenfalls durch die
Western Schledde begrenzt. Es wird 12188) und 1290°) und
später wiederholt erwähnt.10) Auch vom Stuckheimer Zehnten
bezog das Stift zu Meschede um 1300 einen Teil.11) Nach
Westen war Stockheim durch die „Stockheimer Landwehr“
geschützt, die im Süden durch den Weg nach Rüthen durch-
brochen wurde („Rüther Schling“). Die Flurnamen „Stockheimer
Bruch“, Stockmar Weg“, „in den Stoekmar Oehrden“,12) „beim
*) z. B. a. a. O. I. n. 311. S. 388.
*) „Detbardus de Herdinchus* bei Wilmans-Finke, W. Urk. B. IV. 3.
n. 2040. Al» Zeuge einer daB Stift zu Geseke betreffenden Urkunde.
3) a. a. O. IV. 3. n. *221.
4) Erwähnt Stockb. B. B. 1677 und 24. Aug. 1679. Heute als Flur-
name geschwunden. Im Jahre 1806 auf Abbruch rerkauft. Stockb. B. B.
9. Nov. 1806.
s) Wilmans-Finke, Westf. Urk. B. IV. n. 1783. „bona sita in Withem“.
*) Seibertz, Quellen der westf. Gescb. I. S. 418. anno 1314. „de
decima in Wythem XII solid“.
7) In einer Urkunde über Schnadweisung der Stockheimer Bauerscbaft
aus dem Jabre 1667.
8) Seibertz, Urk. Buch. I. n. 151. S. 194. „mansum unum Stochern“.
•) Wilmans-Finke, Westf. Urk. B. IV. 3. n. 211 1. „bona sita Stochern“.
,0) 31. Oktober 1372. Seibertz, a. a. O. H. n. 832. S. 606: „bonum
nostrum Stochern in campis Ghesike situm“.
") Seibertz, Quellen der westf. Gesch. I. S. 418: „de decima in
Stochern XXII sol*.
ia) In der Schnadweisung der Stockheimer Bauerscbaft vom Jahre 1667.
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12
Stockmar Holl“1) geben die Ausdehnung der Dorfmark an. Die
Lage des Dorfes bezeichnet die „Stockheimer Linde“,2) in deren
Nähe wiederholt Gärten erwähnt werden.3) Es lag auf einer
nach Westen schroff sich senkenden Anhöhe, die der „Stock-
heimer Berg“ heisst.4)
Der jetzt folgende südliche Teil der Geseker Feldmark
war wegen seiner Unfruchtbarkeit besonders im Westen nicht
besiedelt. In dem Schleddetale jedoch an einer Stelle, wo sich
fruchtbares Schwemmland in nicht unbeträchtlicher Ausdehnung
fand, lag „Passinghausen“, auch „Persinghausen“ ge-
nannt. Es wird 1298 erwähnt.5) Den Passinghauser Zehnten
bezog das Stift zu Geseke.6) Ein Renfrid von Persinghausen
war 1289 Ratsherr zu Geseke.7) Wegen seiner Lage hiess es
„Grundpassinghausen“.6) Oberhalb Passinghauseu lag eine
Warte,9) die sog. „Warte Lugethal“10) oder „Luedahl“, später
die „Störmeder Warte“ genannt.
Nun folgt nach Süden und Osten eine weite Strecke
unfruchtbaren Landes, wo die Erde zum Teil derart fortgewaschen
ist, dass für eine Besiedelung die wirtschaftliche Möglichkeit
') Stöckli. K. B. 24. August 1695.
3) Am Wege nach Störmede, daher heute die Störmeder Linde genannt.
In den ßanerschaftsbnchern von Stockheim heisst sie bis ins 19. Jahrhundert
hinein die „Stockheimer Linde“. 24. August 1695. 19. April 1722: „beyr
Stockmar Linde“. 29. April 1817.
*) 24. August 1695. 29. April 1817: „der Weeg bei der Stockheimer
Linde an den Gartens“.
*) Schnadweisung von 1667 (8. S. 11 Anm. 7.): „Der Weg unter dem
Stöckmer Berge zwischen der Landwehr und der Schlee.“
s) Wiluians-Kinke, Westf. Urk. B. IV. n. 2484. S. 1 1 19. „aliis dnobus
mansis in villis Persinchosen et Störmede sitis.“
®) Seibertz, Quellen der westf. Gesch. I. S. 301: „Agnes de Cuninges-
berch legavit . . . partem suatn decime I’ersinchusen sita.“ Stockh. B. B.
19. September 1827.
7) Wilmans -Finke, a. a. O. IV. 3. n. 2040.
®) Stockh. B. B. 22. August 1717.
’) a. a. O. 24. August 1695. „vom Wege so oben der warde in der
grundt zu Passinghauseu durch ihr Land gehet.“ 24. August 1712. „der
Weg, so aus der gruudt zu Passingbans auf den Berg und so forthan durch
die lender bis auf den warde weg lauft."
,0) a. a. O. 4. Juli 1816 „Bey der Wahrde Lugethal.“ Das Excerpt
für den folg. Namen ist verloren gegangen. Die Trümmer dieser Warte
sind heute noch zu sehen.
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fehlte. Erst wo im Südosten wieder tiefgründiges, fruchtbares
Erdreich beginnt, findet sich das Dorf Eising hausen. Um
1300 bezieht das Stift zu Meschede einen Teil vom Elsinghauser
Zehnten.1) Das Stift zu Geseke war hier begütert.2) Nach
Westen war es durch die „Eisinger Landwehr“ geschützt, in
der die „Eisinger Warte“ lag. Nach Süden dehnte sich die
Feldflur bis zum „Eisinger Haken“ aus. Das Dorf lag nördlich
vom Abel-Bach oder der Ostern-Schledde, östlich von der
Eisinger Landwehr, wie sich aus dem Vorhandensein mehrerer
auf engem Raume sich findender Wege ergibt. Die Eisinger
Landwehr ist zum grössten Teile abgetragen, nur im Süden
findet sich noch ein Rest. Die Eisinger Warte ist ab-
gebrochen.
Nach Osten folgt als letztes das Dorf Holthausen. Es
wird schon vor 1160 erwähnt,3) dann im 13. Jahrhundert und
später oft4) Es gab ein doppeltes Holthausen, ein Holthausen
auf dem Ostern-Berge5) und auf dem Western-Berge,6) die
durch eine bedeutende Talsenkung, das Bett der Ostern-Schledde,
die sog. „Hölter Grund“ getrennt waren. Die Feldmark können
wir genau durch die Flurnamen „Hölter Klei, — Mark, = Heide“
bestimmen. Nach Osten wurde Holthausen durch die „Hölter
Landwehr“ mit der „Hölter Warte“7) abgeschlossen. Die
„Hölter Linde“ lag auf dem Western-Berge, in deren Nähe
man auch auf Grundmauern gestossen sein soll. Es lag hier
der kleinere Teil von Holthausen, weshalb es auch „Lüttke
Holthausen“ genannt wird. Das grössere Holthausen lag auf
dem Ostern -Berge, einer fruchtbaren Erhöhung, wo ausser-
*) Seibertz, Quellen der westf. Gesell. 1. 8. 418. „de decima in
Elzincbusen solid.“
*) a. a. O. S. 280 and 295: „enria in Elzinchusen.“ Aua dem Jahre 1380.
’) Seibertz, Drk. Buch. III. n. 1060. S. 417.
4) a. a. O. L n. 484. S. 607. n. „mana. in Holthna in paroch. Geseke.*) **
6) a. a. O. II. n. 796. anno 1371. „curtem sitam in Holthusen opp
dem Oysterberge in der Geseker Marke.“
e) a. a. O. II. n. 796. 8. 629. anno 1363. „1 mans, in Holtbnysen
ppe. oppid. Geseke opp deme Westenberge.“ Ebenso 8. 631. Beide zu-
sammen erwähnt um 1300 a. a. O. „2 mans. in Oystenberg, 1 in Westen-
berg to Holthusen ap. Geseke.“
Die Reste dieser Warte sind noch heute im sog. „Warte-Busche"
zu sehen.
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14
gewöhnlich viele, sich zwecklos schneidende Wege die Lage
dieses Dorfes erkennen lassen.
Die zuletzt genannten sieben Dörfer gehören, wie schon
angedeutet wurde, der spätesten Periode der Besiedelung des
Landes an. „Die Endungen -heim und -hausen sind vorzugs-
weise für die Franken zur Bezeichnung nengegründeter Orte
häufig geworden“.1) „Die vielen Ortsnamen auf -heim und
-hausen aber in unzweifelhaft sächsischen Gebieten, besonders
in Westfalen sind fränkische Kolonien, die darin angelegt
wurden, um nach der Eroberung durch Karl den Grossen das
Land dauernd an die fränkische Herrschaft zu fesseln“.2) „Denn
überall wurden fränkische Kolonien angelegt und in fränkischer
Weise benannt“.3) Charakteristisch für diese Zeit ist die An-
lage neuer Orte im Walde,4) die sich in den Grund Worten wie
Holthausen, Stockheim und Wietheim noch verrät. Dass auch
in der Geseker Feldmark Franken angesiedelt sind, ist zweifellos.
Lag Geseke doch am Hellweg, an dom „königliche villae mit
Königshofen angelegt sind, in die Franken bineingeführt sind“.5)
Wir müssen diese sieben Dörfer also der jüngsten historischen
Schicht, der Karolingerzeit zuweisen. Es war bis jetzt von
diesen Ansiedlungen unterschiedslos als von Dörfern die Rede;
es ist nunmehr unsere Aufgabe, ihre Grösse, beziehungsweise
die Anzahl der zu jeder Ansiedlung gehörenden Hufen zu be-
stimmen. Ein Rückschluss aus späteren Jahrhunderten auf die
älteste Zeit ist gestattet, da „die ursprüngliche Zahl der Hufen
jeden Dorfes bis zur Aufhebung der Feldgemeinschaft dieselbe
geblieben ist“.6) Die Bauerschaften haben, soweit wir das be-
') Arnold, die Ortsnamen als Geschichtsquelle. S. 40.
s) a. a. 0. S. 82.
s) a. a. O. S. 42. Dieselben Theorien entwickelt in seiner deutschen Ge-
schichte. II, 1. S. 278 nnd II, 2. 8. 81. Vergl. jedoch auch die Kritik von Witte
im Korrespondensblatt deutscher Geschicbtsvereine. 47. Jahrgang. S. 139.
4) Arnold, Ortsnamen. S. 81.
6) Kübel, Reichshöfe am Hellweg usw. S. 43. Ferner S. 94. 98. Vor
allem kommt hier desselben Verfassers Werk: Die Franken, ihr Eroberungs-
und Siedelungssystem im deutschen Volkslande in Betracht.
®) Maurer, Geschichte der Dorfverfassung. I. S. 89. Wir gebrauchen
hier den Ausdruck „Hufen“, weil er in der Wissenschaft allgemein einge-
bürgert ist; in den Bauerschaftsböcbern ist statt dessen immer von „Gütern“
die Rede. Es sei jedoch gleich darauf hiugewicsen. dass wir im folgenden
meist den hier üblichen Terminus anwenden werden.
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15
obachten können — und das sind doch fast zwei Jahrhunderte — ,
stets peinlich darauf gesellen, dass in dieser Frage keine Ver-
wirrung eintrat, und unberechtigte Ansprüche zurückgewiesen.1)
Danach gehörten zu
Stalpe
42
Güter2)
Volmede
46
*
3)
Hüstede und Krewete
20
*
4)
Heringhausen
18
>1
•'■)
Stockheim
29
ft
6)
Wietheim
6
rt
8)
Ebbinghausen
2
rt
6)
Passinghausen
2
y>
7)
Holthausen und Isloh
28
n
8)
Wie aus den vorstehenden Zahlen hervorgeht, waren die
Ansiedlungen zum Teil winzig klein9.) Wenn also auch in
andern Gegenden von untergegangenen Ortschaften die Rede
ist, so müssen die Vorstellungen, die bisher über deren Grösse
geherrscht haben, vielleicht in gleicher Weise revidiert und An-
siedlungen, die bisher für Dörfer nach unserer jetzt herrschenden
Anschauung gegolten haben, mehr als Einzelhöfe betrachtet
werden.
In dei Mitte dieser Ansiedlungen lag ausserdem eine Grund-
herrschaft. Wir erfahren davon zum ersten Male durch eine
') Stöckli, fi. B. 24. August 1707. „Die baurschaft kann von einem
guht keine 2 baurachaften gestehen.“ Es sei hier schon kure bemerkt, dass
mit jedem Oute das Genossenschaftsrecht verbanden war, so dass wir aus
der Zahl der Genossenscbafts-, beziehungsweise Bauerschaftsrechte auf die
Zahl der Güter schliessen können.
*) Protokolle die Völmeder Rast betreffend. Einleitung aus dem
Jahre 16S4.
3) a. a. O nach Angaben aus dem Jahre 1603.
4) Nach einem Verzeichnis vom 26. Pebr. 1811.
6) Stockb. B. B. 24. August 1723.
6) Stockh. B. B. 23. September 1723.
t) a. a. O. Dasselbe beweist noch eine andere Stelle aus dem gleichen
B. B. Leider habe ich auf dem Excerpte das Datum zu notieren vergessen.
*) Nach einem Verzeichnis vom 17. Febr. 1811.
*) Auffallend gross ist die Hufenzabl bei Stalpe und Volmede, da doch
nach Heitzen, Siedelung und Agrarwesen usw. I, 169 „das Kulturland der
Dörfer 300 — 400 ha, die Besitzungen etwa 10 — 30 Hufen umfassen“
sollen.
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16
Urkunde aus dem Jahre 952, ') in der König Otto I. ein zu
Geseke von den Geschwistern üahold gegründetes Frauen-
kloster2) in seinen Schutz nimmt. Diese Familie Hahold war
nicht, wie oft behauptet wird, ein Grafengeschlecht, sondern
„eine begüterte freie Familie“.3) Zur Gründung des Klosters
gibt sie ihren Gutshof („in illorum praedio“) her, aus dessen
näherer Beschreibung wir das Bild eines mittelalterlichen Fron-
hofes gewinnen.4) Es werden erwähnt das Herrenhaus mit den
Nebengebäuden („cum monasterio edificiisque preparatis“), etwa
Speicher, Scheunen, Ställen usw., ausserdem Land („omne solum“),
also Obstgärten usw., auch eine Kirche,5) und vor allem die
Mauer, die das Ganze umschliesst („muri ambitu continetur“).
Von dieser Umwallung sind die Spuren zum Teil noch deutlich
zu sehen.8)
Daran schlossen sich ausserhalb des Herrenhofes die
Wohnungen der Hörigen,7) der sog. Kötter, und zwar an der
l) Seibertz, Urk. B. I. n. 8. 8. 9 vom 26. Oktober 952. „Noverit
omuium fidelium noatrorum .... industria, qualiter noB ob amorem I)ei
omniumque Sanctorura interventumque fidelium noatrorum Hoholti acilicet
fratriaque eiua Prunonis uecoon et Friderici aororiaqoe eorum Wicpurgae
quoddam monaateriuiu in loco Gesiki, in illorum praedio ab illia in honore
Dei eiuaque genitricis aemper Mariae Virginia sanctique Ciriaci martiria
noviter vonatructum, quia predictua Uobolt dedit eiuadem monaaterii
edificiorumque aanctarum puellarum locum aimu) cum monasterio edificiisque
preparatis et omne, quod eiuadem civitatis interioris muri ambitu continetur
solum et omnem terram quam antea prespiter illius in beneficium poBsedit
et insuper bobaa X possessaa in noatrum mundiburdium accepimua*. Vgl.
auch Wilmans-Philippi, Die Kaiser- Urkunden der Provinz Westfalen.
Bd. II. Abt. 1. Münster 1881, ferner Monum. German. Kaiser-Urkunden. I, 239.
*) Seibertz, Landes- und Rechtsgeschichte des Herzogtums Westfalen.
II, 129 sagt, es sei im Jahre 946 gegründet worden, belegt das aber nicht
urkundlich. In der Urkunde heisst es nur, es sei .kürzlich gegründet*
(noviter constructum) worden.
9) Spancken, Zur Geschichte der Vogte des Stifts Geseke. S. 170.
*) Maurer, Geschichte der Fronhöfe usw. I. S. 126. 132. 136.
*) Weil der Priester (prespiter illius sc. Hoholti) genannt wird.
*) Viedenz. Neue Beitrüge zur Geschichte der Stadt Geseke. S. 7.
Der Verfasser vermutet hier eine römische Befestigung, was von Nordhoff
(Westf&l. Zeitschrift. Bd. 53. Abt. 1. S. 261. n. 2) mit der kurzen Be-
merkung: „Gar seltsame Kundgebungen Uber römische Anlagen* abgewiesen
wird. Vergleiche auch die Huden. S. 13.
7) Maurer, a. a. 0. I. S. 333 ff.
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17
Ostseite der Umwallung, die noch jetzt der „Katt-Hagen“ d. h.
Kötter-Hagen genannt wird. Von hier aus wurden die zum
Gutshof gehörenden Salländereien') bebaut, deren Lage durch
die Flurbezeichnung „Auf dem Fronhofe“ bekannt ist.2) Ob
diese Länder an Kolonen gegen Zins und Dienst hingegeben
waren oder sich im Besitze des Grundherrn befanden und vom
Fronhofe aus bebaut wurden oder beide Wirtschaftsweisen liier
vereinigt waren,3) lässt sich bei dem Mangel an Nachrichten
nicht entscheiden. Im 14. Jahrhundert ist das Land an Meier
ausgetan.4)
Nachdem so gezeigt ist, dass dieGeseker Feldmark ursprünglich
von 1 2 Ortschaften und einer Grundherrschaft bedeckt war, ist
es unsere weitere Aufgabe, die markgenossenschaftlichen Be-
ziehungen dieser Ansiedlungen festzustellen. Dieses Gebiet
gehörte ursprünglich zur Störmeder Mark,5) die ungefähr die
späteren Gerichte Geseke und Erwitte umfasste.8) Im Laufe
der Zeit ist diese Mark in mehrere kleinere Marken zerfallen.
Im Jahre 1015 werden schon die Störmeder, Geseker und
Stockheimer Mark erwähnt,7) 1328 die Holthauser, Geseker und
Stockheimer Mark.8) Von da ab fehlen weitere Nachrichten
über die Markverhältnisse dieser Gegend, und wir sind deshalb
gezwungen, aus den Verhältnissen der späteren Zeit Rück-
schlüsse auf die ältere zu ziehen. Zunächst kommen hier die
verschiedenen historischen Schichten der Besiedelung9) in
Betracht, sodass es nicht zu gewagt ist, in der 1015 erwähnten
Mark Geseke eine die Ortschaften Stalpe, Volmede, Hüstede,
*) Maurer, a. a. O. I, 264. II, 422.
ä) S. Karte I.
s) Maurer, a. a. O. II, 422. I, 264.
*) Seibertz, Quellen der weatf. Geacb. I. S. 281: „curia Vrouhof in
Ghesike dabit I1II molta ailiginia et IIII molta ordei et IlII molta avene“
und aonst oft.
5) Seibertz, Karls des Grossen Gaurerfassung. Wigands Archiv.
VI. S. 127. 147.
e) Seibertz, Landes- und Rechtagescbicbte. I. 8. 167.
7) Monom. Germ. Histor. XIII. Script. XI. p. 119. 41. „omne praedium,
quod in marcha Stunnethi, Geaike et Stockheim habuit.* (Aua der Vita
Meinwerci.)
aj Seibertz, Landes- und Rechtsgeschichte. I. S. 167. Anm. 17.
") S. oben S. 9. 14.
Lappe. Die Geseker Banerschaflen 2
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18
Krewete und die Grundherrschaft umfassende Mark zu sehen,
während zur Stockheimer Mark die Ansiedlungen der Karolinger-
zeit gehören. Den ursprünglichen Umfang der Geseker Mark
erschliessen wir aus der Tatsache, dass diese einzelnen Dorf-
marken in Weidegemeinschaft standen, woraus hervorgeht, dass
„das Gebiet ursprünglich eine einzige grosse Genossenschaft
bildete“.1) Zunächst kommen hier die „Koppelweiden“2) in
Betracht, an denen mehrere Gemeinden teil hatten.3) So
standen Volmede und Hüstede in Koppelhude im Grauwinkel,
ebenso Stalpe und Volmede auf der Hölter Heide und auf einem
Grenzstück. Ferner haben Stalpe und Volmede die Vor- und
Nachhude auf den Wiesen an der Flachsstrasse und am
Völmeder Spring, ebenso beide die Stoppelhude im Völmeder
und Stälper Felde, Stalpe die Nachhude auf den Wiesen
in der Ringeljucht und den Kreweter Wiesen, Volmede die
Stoppelhude auf dem Huchte, einem Teile der Hüsteder
Feldmark: also alles Momente, die auf eine ursprüngliche Mark-
gemeinschaft schliessen lassen. Im Laufe der Zeit ist auch
diese Mark in mehrere kleine zerfallen.4) Zunächst schied
Hüstede mit Krewete aus, die später die Hü^ter Hude und
Bauerschaft gebildet haben, dagegen blieben Stalpe, Volmede
und die Grundherrschaft Geseke noch zusammen. Wir schliessen
das aus der gemeinsamen Benutzung des Waldes zur Mast,'1)
für Stalpe und Volmede besonders daraus, dass noch im
19. Jahrhundert der Vorstand der Völmeder Bauerschaft „zu-
folge alten Herbringens“ interimistischer Holzgraf zu Stalpe
war.8) Denn eine Markgenossenschaft, die aus mehreren Ort-
') Maurer, Einleitung zur Geschichte der MarkverfasBUng usw. S. 198.
Ebenso Markverfassung 8. 10. 16. 17. 20. 84.
'*) Tliudichuin, die Gau- und Mark Verfassung in Deutschland. S. 261.
s) Für die nächsten Ausführungen sei auf die Geseker Huden, S. 29ff.
verwiesen.
*) Ueber diesen Vorgang im allgemeinen s Maurer, Einleitung zur
Geschieht« usw S. 193. Auf die Frage nach Mutter- und Tochterdörfern
in diesem Gebiete soll hier nicht eingegangen werden Darüber s. Maurer,
Geschichte der Dorfverfassung, 1. S. 22. Einleitung zur Geschichte usw.
8. 179. Haussen, Agrarhistorische Abhandlungen, I. 8. 46. Landau, Die
Territorien. 8. 116. 119.
5) Siehe den Abschnitt über die Allmende.
*) St. B. B. 8. September 1822.
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19
schaden bestand, hatte nur einen Vorsteher,1) und aus der er-
wähnten Tatsache dürfen wir schliessen, dass beide zuvor nur
einen Vorstand hatten und also auch eine Markgenossenschaft
bildeten. Schliesslich zerfiel auch diese, und an deren Stelle
traten Stalpe und Volmede, die in den betr. Huden und
Bauerschaften weiterlebten, während die Grundherrschaft sich
auf löste.2) Von den übrigen Ortschaften bildete Heringhausen
eine Mark für sich, Holthausen und Isloh die Holthauser Mark
und Stockheini, Wietlieim, Ebbinghausen und Passinghausen
die Stockhcimer Mark.3) Das ersehen wir aus den betr. Huden
und Bauerschaften. Es findet sich der Ausdruck „Mark“ nur
mehr als Flurname, die zu einer Genossenschaft vereinigten
Ortschaften heissen „Bauerschaften“.4) Es wird daher im
folgenden nicht mehr der Terminus „Mark“ oder „Mark-
genossenschaft“ Anwendung finden, sondern statt dessen der
hier übliche „Bauerschaft“ gebraucht werden. Es gab also
zuletzt in der Geseker Feldmark sechs Bauerschaften, und
zwar 1. die Hüsteder, 2. Stälper, 3. Völmedcr, 4. Holthauser,
5. Stockheimer und 6. Heringhauser Bauerschaft. Bei der Art
ihres Entstehens waren die zugehörigen Marken nicht genau
gegeneinander abgegrenzt, und bis in die. jüngste Zeit hinein
herrschten unter den Bauerschaften Streitigkeiten über die
Grenze/’) wie zwischen Volmede und Stalpe noch im Jahre 1827,“)
wählend zwischen beiden auf einer andern Seite die Grenze
genau bestimmt war.7) Bei andern dagegen wurden die strittigen
Grenzstücke gemeinsam benutzt oder verkauft.8)
') Thudichum. die Hau- und Markverfassung. 8. .18.
*) S. o. S. 17.
s) Ueber Eininghausen besonders in einer demnächst folgenden Schrift
Uber „die Herren Erben au Oeseke.“
4) Derselbe Ausdruck mit der gleichen Bedeutung findet sich auch bei
Maurer, Einleitung sur Oeschicbte usw. 8. 63 Maurer, Geschichte der
Dorfverfassung. I. 8. um. „Die Gesamtheit der in Markgemeinschaft
lebenden Bauern nannte man sehr häufig Bauerschaft.“ Heise, Geschichtliches
aus dem Amte Diepenau. S. 03. „Die Gemeinden bestanden aus Bauerschaften,
die in verschiedene Dorfschaften zerfielen.“
5) Bluntschli, Rechtsordnung der deutschen Dörfer. 8. 299.
•) Geseker Huden. 8. 29.
,) Volm. B. B. 2. September 1684
“J Geseker Hudeu. 8. 29.
2*
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20
Die Entwicklung der Stadt Geseke
In der oben angeführten Urkunde vom Jahre 952 (S. 16)
bedarf eine Stelle noch der näheren Erörterung. Otto I. erklärt,
er habe unter anderm in seinen Schutz genommen „omne quod
eiusdem civitatis interioris muri ambitu continetur solum“. Der
Sinn dieser Stelle leuchtet unmittelbar ein bis auf die Worte
„eiusdem civitatis.“ Diese bilden entweder den partitiven
Genitiv zu „quod“, und dann würde zu übersetzen sein: „allen
Grund und Boden, der (als Teil) von der genannten civitas
(sc. Geseke) von dem Umfang der innern Mauer umschlossen
wird“, oder aber sie sind der subjektive Genitiv zu „interioris
muri“, und dann hiesse die Stelle: „allen Grund und Boden, der
von dem Umfang der inneren Mauer der genannten civitas um-
schlossen wird“. In beiden Fällen ergäbe sich aus diesen
Worten, dass in der civitas Geseke ein von einer besonderen
(inneren) Mauer umschlossener Bezirk liegt, der von dom
übrigen Bereiche der civitas durch die genannte Mauer abge-
schlossen ist. Dieser übrige Bereich ist aber ebenfalls befestigt,
denn dem „murus interior“ muss ein „murus exterior“ entsprechen.
Geseke ist also eine Befestigung, in der ein dnrch eine besondere
Mauer befestigter Fronhof liegt.1) Das ergibt sich auch aus
der Bedeutung des Wortes „civitas", die „unter den Ottonen
•) Dieselbe Auffassung bei Seibertz, Landes- und Kechtsgescbicbte. II.
S. 151. Kampschulte, Beiträge zur Geschichte der Stadt Geseke. S. 35.
Besäen, Geschichte des Bistums Paderborn. I. S. 101 übersetzt oberflächlich :
„alle GrundslUcke, die er innerhalb der Stadtmauer besaas". Gleich flüchtig
Hegel, Entstehung des deutschen Städtewesens. S. 31: .Das Frauenkloster
heisst in der Urkunde, wodurch es Otto I. in seinen Schutz nahm, sogar
eine mit Mauern umgebene cmtas.1.
Eine befremdende Interpretation dieser Stelle gibt Viedenz, Neue Bei-
träge zur Geschichte der Stadt Geseke. S. 0. Die erwähnte Stelle „kann
wohl nur auf eine zweifache Befestigung, aber nicht auf eine doppelte
Mauer bezogen werdeu. Die östliche wird als die innere, die westliche als
die äussere bezeichnet sein." H. Schäfer (Geseker Zeitung. 1906. n. 89.
7. Nov.) denkt „an das Vorhandensein vou Suburbien an der äusseren Stadt-
mauer der damaligen civitates.“ Geseke ist ihm „eine stadtäbnliclie
Ortschaft“.
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21
und Saliern den befestigten Ort, die „Burg“ bedeutet“.1) Diese
Burg Geseke soll für die umwohnende ländliche Bevölkerung in
Zeiten der Not eine Zufluchtsstätte sein,2) die umliegenden
Dörfer haben deshalb die Schanzarbeiten zu verrichten und jedes
für sein Teil die Befestigung zu unterhalten.3) Auch diese
äussere Mauer ist heute noch in dem sog. „Damm“ bezw. „Wall“
erhalten. Als später eine steinerne Mauer gebaut wurde,
wurden die Grundsteine direkt auf diesen Wall gelegt, wie bei
Abtragungen und Durchstechungen der letzten Zeit deutlich zu
sehen war. Unter den beiden im Jahre 952 erwähnten Mauern
haben wir uns freilich noch keine Steinwerke zu denken,
sondern „einen einfachen Erdwall mit Pallisadenkrönung und
allenfalls Torfortifikationen“.'1)
Hier wird sich auch bald neben der agrarischen Bevölkerung
der Umgegend ein anderes Element angesiedelt haben, nämlich
Handwerker und Kaufleute, die mit Vorliebe als Standort für
ihre Tätigkeit befestigte Orte aufsuchten.3) Dazu kommt, dass
Geseke an einer der berühmtesten Handelsstrassen des frühen
Mittelalters lag, am Hcllwog, der von Köln über Dortmund,
Soest, Lippstadt, Paderborn, über die Egge nach Korvey an die
Weser und von da nach Herford und Minden führte,6) so dass
auch dieser Umstand Gewerbetreibende zur- Niederlassung be-
wegen mochte. Ferner lag in Geseke die Haupt kirche dieser
Gegend. Wenn sie freilich auch erst in der zweiten Hälfte
') Rietschel, Markt und Stadt. S. 217. Derselbe, Die civitas auf
deutschem Hoden bis zum Ausgange der Karolingerzeit. Hellwig, Deutsches
Städtewesen zur Zeit der Ottonen. S. 6. civitas bedeutet „eine äusserlich
besonders qualificierte Stätte, einen auf bestimmte Weise befestigteu Ort."
Ebenso Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte. 4. Aull. S. 620.
3) Keutgen, Untersuchungen über den Ursprung der deutschem Stadt-
verfassung. S. 45. Maurer. Geschichte der Städteverfassung. I. S. 125. 491.
3) S. die vorhergehende Note. Ferner Hellwig, Deutsches Städtewesen
zur Zeit der Ottonen. S. 18. Die gleichen Verhältnisse in Worms nnd
Mainz bei Schaube, Zur Kntstebuug der Stadtverfassung von Worms, Speier
und Mainz. S. 56. Allgemein über diese Pflicht Maurer, Geschichte der
Fronhüfe. II. S. 524.
*J Lamprecht, Deutsches Städteleben am Schluss des Mittelalters.
S. 92 [6], V arges, Zur Entstehungsgeschichte Bremens. S. 360 und die
Noten.
5) Hegel, Die Entstehung des deutschen Städtewesens. S. 27 ff.
") Kretzschmer, Historische Geographie von Mitteleuropa. S. 402.
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22
des 11. Jahrhunderts1) erwähnt wird, so dürfen wir doch aus
allgemeinen Anhaltspunkten schliessen, dass sie schon zur
Karolingerzeit bestanden hat.2) Nun hat gerade der Besuch
der Kirchen zum Marktverkehr Anlass gegeben, und in der
Nähe der Kirchen sind vor allem Märkte entstanden,’1) so dass
wir auch hieraus auf die Existenz einer gewerbetreibenden
Bevölkerung in Geseke schliessen dürfen. Weiter kommen hier
die Marktprivilegien der Ottoncn für die Klöster4) in Betracht,
um ihnen durch die daraus fliessenden Einkünfte ein sicheres
Einkommen zuzuwenden.5) Dieses Herrscherhaus hat sich auch
besonders des Klosters zu Geseke angenommen,6) und wenn
auch keine Urkunde über die Verleihung des Marktprivilegs
an Geseke existiert, so ist gleichwohl die Annahme eines
solchen nicht willkürlich. Dio wirtschaftliche Basis war für
eine Handel und Gewerbe treibende Bevölkerung in Geseke
gegeben. Schon oben (S. 15) wurde berechnet, dass etwa
200 Hüfner in der Gcseker Feldmark wohnten. Dazu kam das
Stift, die „Einläufigen“, die keine ganze Hufe und zum Teil
überhaupt keinen Grund und Boden besassen, und jedenfalls noch
Ortschaften der weiteren Umgebung. Freilich blieb diese Markt-
ansiedlung klein, da der Umkreis, in dem sie ihre Waren ab-
setzte, verhältnismässig beschränkt war.7) Mit den übrigen
Ansiedlungen stand sie in keiner markgenossenschaftlichen Be-
ziehung, da „der Kaufmann und Handwerker keinen Ackerbesitz
]) Seibertz, Urk. Buch. I. n. 28. p. 31 zwischen 1056 — 1075. „Baptis-
inalem ecclcsiain eiusilem villo" (sc. Geseke). 1. c. n. 32. p. 36. 17. Mai 1077.
„mntricem ecclesiain que sita est in Gcsocho.“
") Ueseker Zeitung. 1905. n. 10 — 12.
3) Kietsckel, Markt und Stadt. S. 39. Maurer, Geschichte der
Städteverfassung in Deutschland. I. S. 283. Helnw, Zur Entstehung der
deutschen Stadtverfassung. Historische Zeitschrift. Bd. 58. S. 224. Bd. 59.
S. 199.
*) llellwig, Deutsches Städtewesen zur Zeit der Ottonen. S. 36.
Uathgen, Die Entstehung der Märkte in Deutschland. S. 23. 58. Keutgen,
Untersuchungen über den Ursprung der deutschen Stadtverfassung. S. 84.
„Die zahlreichsten Marktgründungeu fallen in die Zeit von 940—1070.“
*) Hegel, Die Entstehung des deutschen Städtewesens. S. 54.
*) Seibertz, Urk. Buch. I. n. 8. S. 9. 1. c. n. 9. S. 11. 1. c. n. 16. S. 19-
7) Ueber diese Abhängigkeit s. Below, Die Entstehung des modernen
Kapitalismus, llistor. Zeitscbr. Bd. 91. S. 439. Ebenso a. a. O. Bd. 86.
S. 1 ff.
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•23
braucht“ *) und ebensowenig eine Allmende, uud weil vor allem
in den spätem Huden und Bauerschallen zu Geseke sich Spuren
dieser Beziehungen hätten erhalten müssen.2) Von einer recht-
lichen Privilegierung dieses Ortes und einem spezifisch städtischen
Gemeindeleben kann bis zum 13. Jahrhundert noch keine Bede
sein, ln den Urkunden bis zu dieser Zeit heisst Geseke ent-
weder „locus“,1 ') was „ungefähr dasselbe wie unser „Ort“ be-
deutet“,4) oder „civitas“, worunter durchaus keine „juridisch
besonders qualificierto Eiuheit, ein Bechtssubjekt irgend welcher
Art zu verstehen“ ist,5) oder „villa“, die den Fronhof mit den
Kolonen bezeichnet.8) Eine Stadt ist Geseke erst zu Beginu
des 13. Jahrhunderts geworden. Am 13. April 1180 hatte
Friedrich I. den Erzbischof Philipp von Cölu mit dem Herzogtum
des in die Acht erklärten Heinrich des Löwen über Westfalen
und Engem belehnt,7) soweit es sich Uber die Bistümer Cöln
und Paderborn erstreckte.8) Zu den Vorrechten des Herzogs
gehörte der Burgenbau und die Verleihung des Stadtrechts, B)
und von diesem Beeilte haben die Cölner Erzbischöfe reichlich
Gebrauch gemacht. Durch ihre Tätigkeit sind im Herzogtum
Westfalen zu Anfang des 13. Jahrhunderts die Städte wie Pilze
aus der Erde geschossen. Im Jahre 1222 wurde Attendorn
befestigt und mit Stadtrecht be widmet,11') 1200 Büthen,") 1220
') Schulte, lieber Reichenauer Städtegriindungen. 8. 143. Rietschel.
Markt und Stadt. 8. 53. 6t. 125. 142. Anm. 2. Lamprecht, Ursprung des
Bürgertums. 8. 411.
s) Geseker Huden. 8. 15.
3) Seibertz, Urk. B. I. n. 8. S. 9. anno 952. 1. c. n. 9. S. 11. anno 958.
*) Hellwig, Deutsches Städtewesen zur Zeit der Üttonen. S. 11.
5) Hellwig, 1. c. S. 6.
6) Maurer. Geschichte der Fronhöfe. 11.447. Rietschel, Die civitas.
S. 85. Hellwig, 1. c. S. 10.
7) Urkunde bei Wilni ans- Pbilippi, Die Kaiserurkunden der Provinz
Westfalen. Bd. II. Abt. I. n. 240. 8. 335.
8) Ueber die Grenzen des Dukates der Cölner Erzbischöfe s. Grauert.
Die Herzugsgewalt in Westfalen seit dem Sturze Heinrichs des Löwen.
Jansen, Die Herzogsgewait der Erzbischöfe von Cöln in Westfalen. S. 8.
°) Janseu, a. a 0. S. 12. 71. Seibertz, Landes- uud Rechtsgesch.
III. 8. 94.
10) Seibertz, a. a. O. II. 8. 338.
“) a. a. O. III. 8. 23.
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24
Brilon,1) 1243 Schmallenberg:,2) 1272 Werl,3) um diese Zeit
auch Obermarsberg,4) um 1250 Winterberg und Padberg,3) in
der 2. Hälfte dieses Jahrhunderts noch Warstein, Belecke und
Kallenhart.fi) In diese Periode der Städtegründungen fällt auch
die Verleihung des Stadtrechts an Geseke. Eine darüber direkt
handelnde Urkunde ist freilich nicht auf uns gekommen, wie
wir überhaupt über die Vorgänge der Städtegründungen im
einzelnen sehr wenig unterrichtet sind;7) dass aber Geseke zu
Anfang des 13. Jahrhunderts Stadtrecht erhalten hat, beweist
eine Urkunde aus dem Jahre 1218.8) Darin schenken die
Edlen Brüder Walther und Iwan von Hüstede dem Stifte zu
Geseke unter anderm „areae prope ecclesiam sancti petri . . . .
excepta area godefridi, que dimissa est ei coram pretorio in
iure civili.“ Das hier erwähnte „pretorium“ ist allgemein
„das Ding- oder Gerichtshaus, ständiges Versammlungs- und
Rechtfindungslokal des städtischen Schöffenkollegs,“9) wo die
Uebertragungcn von Eigentum zu geschehen pflegten.10) „Ius
civile“ ist das Stadtrecht.11) Geseke hat also 1218 ein Stadt-
recht und Gerichtshaus. Das geht noch ferner aus einer andern
Stelle derselben Urkunde hervor. Unter den Zeugen wird eiu
„Bernhardos plebanus forensis ecclcsie“ genannt. Ecclesia
forensisist„die Pfarrkirche eines forum, einer Marktansiedlung,“12)
und da nun „Marktrecht und Stadtrecht, ius fori, ius forense
mit ius civitatis, ius civile identisch gebraucht werden,“11) so
') a. a. O. III. 8. 23.
*) a. a. O. III. S. 82.
3) a. a. O. III. S. 155.
*) a. a. O. III. 8. 163.
») a. a. Ü. III. 8. 176. 177.
•) a. a. 0. IV. S. 8 ff.
7) Jansen, a. a. O. 8. 83.
8) Seibertz, Urk. B. 1. n. 151. 8. 194.
*) Geugler, 8tadtreebtsaltertUmer. 8. 124. Ebenso Seibertz, Landes-
und Kechtsgeschichte. III. S. 663. „Das Gerichtsgebäude biess pretorium
zu Soest im Jahre 1159: in pretorio i. e. coram sede iudiciaria." Aehnlich
Varges, Entstehungsgeschichte Bremens. 8. 363.
,0) Gengier, a. a. O. 8. 397.
ll) Below, Ursprung der deutschen Stadtverfassung. S. 17.
>2j Rietscbel, Markt und Stadt. S. 149. 171.
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25
dürfen wir auch aus dieser Stelle auf das Stadtrecht schlicssen.1)
Geseke erhielt dieses Recht von Rüthen, war also eine Tochter-
stadt von Rüthen.2) Obwohl auch über diese Vergabung keine
Urkunde vorhanden ist,3) so geht es doch aus dem Rechtszug
von dem Stadtgericht zu Geseke an das zu Rüthen als Oberhof
unzweifelhaft hervor.4) Bald darauf werden Stadtgericht und
Richter wiederholt erwähnt,5) Bürgermeister und Räte genannt6)
und Urkunden des Rates mit dem Stadtsiegel versehen,7) das
„den Patron der Pfarrkirche (nämlich den hl. Petrus) als
geistigen Repräsentanten auch der bürgerlichen Gemeinde dar-
stellt.“8) Geseke hat sein eigenes Münzsystem,9) vier Jahr-
märkte10) und eigene Flächen-11) und Hohlmasse.12) Wer von
’) Eine sonderbare Auffassung dieserStellegibtKainpscbulte, Beiträge
zur Geschieht)] der Stadt Geseke. S. 43: „Im Jahre 1218 fUhrt die Petri-
kirche auch noch den NameD: foressis ecclesia, Kirche der Mark oder
Forensen, woraus sich schliessen lässt, dass damals die Auswärtigen noch
einen sehr bedeutenden Teil der Parochianen ad S. Petrum bildeten.“ Schon
Soibertz hat aus der ersten Stelle auf ein Stadtrecht in Geseke geschlossen.
Landes- und Rechtsgeschichte. III S. 171. 302.
s) Gaupp, Deutsche Stadtrechte. I. S. XXI. Kamptz, Die Provinzial-
nnd statutarischen Rechte in der preussischen Monarchie. II. S. 689.
3) Wigands Archiv. Bd. II. Heft 3. S. 256.
4) Seibertz, Landes- und Rechtsgescbichte. III. S. 302. Gaupp,
Deutsche Stadtrechte. I. S. XVIII.
5) Wilmans-Finke, Westf. Urk. B. IV. n. 997. S. 504. 25. Juli 1264.
1. c. n. 1034. S. 521. 22. Hai 1265. 1. c. u. 2565. S. 1146. 6. Februar 1299.
*) a. a. O. n. 997. S. 504. 29. Juli 1264. „astantibus etiam consulibus“. . .
„Elyas tune magister consulum“. 1. c. u. 1034. S. 521. 22. Mai 1265. 1. c.
n. 2040. S. 941, 4. Novembor 1289 nnd später oft.
7) a. a. O. u. 997. S. 604. 29. Juli 1264: „sigillo burgensium in Gyseke
fecimus commnniri.“ n. 2 1 1 1 . S. 972. 30. November 1290 : „sigilli nostri muuimi ne.“
n. 2268. S. 1030. 12. November 1293: „sigillo universitatis uostre.“
8) Below, Das ältere deutsche Städtewesen. S. 86.
9) Um 1400 werden bei Seibertz, Urk. B. III. n. 908. S. 5 erwähnt:
.Jerlikes erve tynses achtcyn Schillinge geldes als to Ghesike ginge is.“
Volrn. B. B. 24. Aug. 1685: „9 Pfenige Geseker geworde (?).“ Steinen,
Westfälische Geschichte. St. 30. S. 1116. „Die Stadt (Geseke) hat die
MUuzgerechtigkeit gehabt. Hiervon dienet dieses zum Beweis, dass 1657
die Gesicker Schillinge abgesetzet worden.“
I0) Steinen, a. a. O.: 1. Judica. 2. Exaudi. 3. Matthäus. 4. Nicolaus.
u) Stockh. B. B. 9. Juni 1827: „4 Morgen Geseker Maas.“
Iä) Allodifikations - Urkunde eines stiftiseben Kunkel - Lehens vom
28. Februar 1832. Scheffel und Spint Gerste „Geseker Maass“. Stockh.
B. B. 19. März 1836: „2 Becher Hafer Gesecker Maas.*
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26
den Erzbischöfen, ob Engelbert I. (1214 — 1225)' ) oder schon
einer seiner Vorgänger Geseke das Stadtrecht verliehen hat,
muss bei dem Mangel urkundlichen Materials unentschieden
bleiben.
Mit dieser Anlage von Burgen und Städten verbanden die
Erzbischöfe von Cöln die Absicht, ihren Plan, ein territoriales
Herzogtum in dem ihnen verliehenen Gebiete zu begründen,2)
zur Durchführung zu bringen und den Widerstand der Grossen,
die nach Territorialhoheit strebten, dadurch zu brochen. „Gelang
es ihnen, in ihrem Herzogtum an vielen Punkten Burgen zu
bauen, die Errichtung von Befestigungen seitens der Grossen
aber zu verhindern, so konnten sie jederzeit leicht einen starken
Druck auf das wehrlose Gebiet der Territorialherren ausüben.“3)
Der gefährlichste Gegner war der Bischof von Paderborn, und
gerade das Gebiet, das im Westen an das Fürstentum Paderborn
grenzte, also sich über Geseke, Rüthen, Brilon und Marsberg
hinzog, wurde von Cöln stark befestigt.4) Nun hatten diese
testen Punkte nur Wert, wenn sie eine zahlreiche Bevölkerung
hatten, die gegebenenfalls zu Angriff und Abwehr zu verwenden
war. Die eigentlich städtische Bevölkerung, d. h. Handwerker
und Kaufleute, hätte wegen ihrer verhältnismässig geringen
Zahl diesem Zwecke nicht genügen können. Deshalb Hessen
die Erzbischöfe von Cöln die in der Nähe der festen Punkte
liegenden Dörfer abbrechen und ihre Bewohner sich hinter den
Mauern der benachbarten Stadt anbauen. Hier kommen nur
die Städte in Betracht, die auf dem Grenzgebiet gegen Pader-
born lagen.5) So zogen mehrere Dörfer aus der Umgebung
') So Seibertz, Landes- und Recbtsgeschicbte. III. S. 302.
2) Seibertz, a. a. O. III. S. 184.
3) Jansen. Herzogsgewalt der Kölner Erzbischöfe. S. 72.
4) Seibertz, Diplomatische Familiengeschichte der Dynasten und Herren
im Herzogtum Westfalen. S. 112. 175. Von Rüthen heisst es (Seibertz,
Urk. B I. n. 113): „oppidi, quod apud Roden pro paco terrae de novo
construximus.“ Ueber die Anlage von Burgen nnd Städten in dieser Gegend
8. oben S. 23. 24.
5) Ueber die hier erwähnten Vorgänge im allgemeinen s. Arnold, Orts-
namen als Geschichtsquelle. S. 63. Landau, Historisch- topographische Be-
schreibung der wüsten Ortschaften. S. 384ff. Varges, Zur Entstellung der
deutschen .Stadtverfassung. Jahrbücher für Nationalökonomie Bd. 63. S. 809.
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27
von Brilon in die Stadt,1) ebenso gingen in Rüthen vier Dörfer
auf,2) ferner erhielt Marsberg Verstärkung durch Zuzug mehrerer
benachbarter Ortschaften,3) so dass die Stadt im Anfang des
13. Jahrhunderts auf 500 Häuser angewachsen war,4) Medebach
nahm 11 kleine Dörfer in sich auf,5) ja selbst Dörfer wurden
durch benachbarte kleinere vergrössert.5) In gleicher Weise
legten auch die Paderborner Bischöfe auf der Grenze gegen
die Cölner Diözese Befestigungen an und suchten sie in der
angegebenen Weise zu verstärken. Die Stadt Paderborn selbst
wurde durch die Aufnahme benachbarter Dörfer derart ver-
grössert, dass schon 1231 die Gokirchpfarre „propter multitudinem
populi“ geteilt werden musste.8) Salzkotten wurde mit Mattem
und Gräben umgeben uud „durch die Hinzuziehung mehrerer
nächstgelegener Dörfer“ verstärkt,7) ebenso Büren aus einer
Burg zur Stadt gemacht und befestigt,8) auch Wünnenberg hat
benachbarte Dörfer in sich aufgenommon,8) und in Warburg sind
acht Dörfer aufgegangen.10) Wenn so auf Cölner und Pader-
borner Gebiete Dörfer abgebrochen und in den benachbarten
Städten wieder aufgebaut wurden, müssen wir dasselbe von
Geseke und den Nachbardörfern annehmen. Gerade diese
Stadt lag unmittelbar auf der Grenze, den Städten Paderborn
und Salzkotten gegenüber, und eignete sich so besonders zu
einer Opcrationsbasis gegen das benachbarte Feindesland. Wir
konstatieren also, dass mit dem Anfang des 13. Jahrhunderts
*) Seibertz, Landes- und Kecbtsgeschichte. XII. 8. 543. Die An-
führung dieser Ortschaften a. a. O. III. 8. 440. Becker, Geschichtliche
Nachrichten über die in dem Briloner Stadtgebiete untergegangeneu Dorf-
schaften.
2) Bender, Geschichte der Stadt Huden. S. 134.
3j Westfäl. Zeitschrift für Geschichte uud Altertumskunde. Bd. 4t.
Abt. 2. S. 23. n. 37.
*) Steinen, Weitlll. Geschichte. St. 30. S. 1125. § 5.
5) Seibertz, Landes- und Kechtsgoschichte. III. S. 543, wo auch die
Dörfer aufgezählt Sind.
•) ÜUbinger, Die Verfassung der Stadt Paderborn im Mittelalter.
S. 168. 8. auch S. 31.
7) Soibertz, a. a. O. III. S. 94 Die untergegaugenen Dörfer anf-
gezählt in der Geseker Zeitung. 1907. n. 34 — 43.
8) Hessen, Geschichte des Bistums Paderborn. I. S. 167.
®) Grün, Zur Geschichte dos Sintfeides. S. 15.
,0) Giofers, Dio Anfänge der Stadt Warburg. S. 196.
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die aufgezählten 12 Ortschaften, beziehungsweise sechs Bauer-
schaften ihre bisherigen Wohnsitze verliesseu und in die benach-
barte Stadt Geseke verpflanzt wurden. Ueber die Einzelheiten
dieses Vorganges sind wir freilich nicht unterrichtet, wie über-
haupt fast alle Ereignisse aus diesem Gebiete und dieser Zeit
in Dunkel gehüllt sind.
Noch ein ernsterer Grund bewog die Bauerschaften,1) das
wehrlose platte Land zu verlassen und hinter den Mauern der
benachbarten Stadt dauernd Schutz zu suchen. Es ist schon
an andern Orten darauf hingewiesen worden, dass z. B. am
Ostharz die „ausserordentlich umfangreichen Feldfluren der
Städte, welche weit über das Hass der Zweckmässigkeit hinaus-
gehen, sieh nur aus dem jede andere Rücksicht zurückdrängenden
Bedürfnis des Schutzes und der leichteren Abhülfe augenblicklicher
Not erklären lassen.“2) „Die Ursachen, welche veranlassteu,
dass die Bewohner eines verwüsteten Dorfes ihre Gehöfte nicht
wieder herstellten, sind vorzugsweise in der allgemeinen Un-
sicherheit begründet, welche durch das ganze Mittelalter vor-
züglich auf dem platten Lande in meist schneidender Weise
hervortritt. Eben diese Unsicherheit war es, welche seit dem
Ende des zwölften und durch das dreizehnte und hin und
wieder auch noch im vierzehnten Jahrhundert die Anlage einer
Menge von Städten in Gegenden hervorrief, wo bis dahin noch
keine anderen Befestigungen als nur erst Burgen vorhanden
gewesen waren.“ „Indem die neuen städtischen Festen n&tur-
gemäss zu Brennpunkten des Krieges wurden, kamen die noch
bestehenden benachbarten Dörfer in eine um so mehr gefährdete
Lage. Wurde ein solches Dorf nun zerstört, so bot sich für
die Bewohner vorerst keine andere Zufluchtsstätte dar als die
nahe Stadt, und häutig war es der Fall, dass die Flüchtlinge
in derselben blieben, und statt ihr verbranntes Haus im Dorfe
wieder aufzubauen, ein solches lieber in der mehr gesicherten
Stadt aufrichteten. “:i) Diese Ursachen gelten auch für die in
') £9 sei hier noch einmal darauf aufmerksam gemacht, dass unter
„Bauerschaften“ die „Markgenossenschaften“ verstanden sind, ohne Rücksicht
darauf, ob sie von einem Dorfe oder mehreren gebildet werden.
*) Mcitzon, Siedelung und Agrarwesen. I. 8. 114.
5) Landau, Historisch • topographische Beschreibung der wüsten Ort-
schaften. S. 3S4 ff. Eiue nicht recht verständliche Ursache dieser Er-
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der Geseker Feldflur gemachten Beobachtungen. In dem Kampfe
zwischen den Erzbischöfen von Cöln als den Herzogen und den
weltlichen und geistlichen Territorialherren „suchte der Gegner
den Gegner zu überbieten, man sengte und plünderte das flache
Land, vernichtete die Saaten und verbrannte die offenen Dörfer.“ l)
Besonders arg trieb es der Paderborner Bischof Simon. Er
drang im Jahre 1254 mit einem grossen Heere in das Gebiet
des Erzbischofs von Cöln und seiner Verbündeten ein und ver-
wüstete es ringsum durch Brand und Raub.2) Die Städte
Kallenhard, Warstein und Werl wurden zerstört.3) Dabei musste
Geseke, das das Bollwerk Cölns gegen Paderborn bildete und
vor allem der Zankapfel zwischen den streitenden Parteien
war,4) am härtesten mitgenommen werden. So war denn in
diesen argen Zeiten für die Dörfer die ultima ratio: Wie sie
bisher in Zeiten der Not hinter den schützenden Mauern vor-
übergehend Rettung gefunden, so mussten sie hier bei den
Jahrzehnte langen Kämpfen dauernden Schutz suchen, das platte
Land endgültig verlassen und ihre Häuser in der Stadt wieder
aufbauen. Spätestens bei dem furchtbaren Einfall Simons im
Jahre 1254 sind sie vom Erdboden verschwunden. Einzelne
geschichtliche Daten dieser Zeit lassen mit Sicherheit darauf
Scheidungen gibt Hahn, Die Städte der norddeutschen Tiefebene. S. 144 [52]:
„Die grosse Zahl der wüsten Dorfstellen in der (Magdeburger) Börde
erklärt sich nicht ausschliesslich durch die Verwüstungen des 30jährigen
Krieges, sondern ist vielfach darauf zurückzufUhren, dass die Bewohner
kleinerer Dörfer diese verliessen und sich in den grösseren mit ansiedelten,
um ihre Ackerflächen zu erweitern.“
’) Jansen, Die Herzogsgewalt der Erzbischöfe von Köln. S. 66. Ueber
diese Kriege s. Mendthai, Die Städtebünde und Landfrieden in Westpbalen
bis zum Jahre 1371. 8. 4 ff.
Bericht der Westfälischen Grossen, die auf Seiten Cölns standen,
an den Papst Alexander IV. vom 12. Februar 1255. (Seibertz, Urk. Buch.
I. n. 281. S. 349): .magno exercitu congregato iutravit hostiliter in estate
preterita terrarn nostram quam circnmienB circumquaque vastavit incendiis
et rapinis.“ S. auch Graunert, Die Herzogsgewalt in Westfalen. S. 92ff.
3) Seibertz, Landes- und ltecht8geschichte. UI. S. 114.
4) Im Frieden zwischen Siegfried von Cöln und Otto von Paderborn
vom 12. Dezember 1294 heisst es (Seibertz, Urk. Buch. I. n. 450. S. 551):
„propter Opida Geseke et Saltzkotten , . . quasi frequentius contigit inter
ipsos discordiam exoriri.“ Vergl. über diese Kämpfe Seibertz, Landes- und
Recbtsgeschichte. 111. S. 118 ff.
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schliessen, dass um die Wende des 13. Jahrhunderts die liier
in Frage stehenden Vorgänge abgeschlossen waren.
Im Jahre 1265 überweist Vogt Rudolf von Geseke dem
Kloster Bredelar „ein Gut zu Volmede bei Geseke mit allem
Zubehör, auch Haus und Hof, in Geseke gelegen.“1) Volmede
hat also schon seine frühere Wohnstätte verlassen und sich in
der Stadt neu aufgebaut. Ebenso überträgt derselbe Vogt im
Jahre 1280 dem Stifte zu Geseke „seine Curtis, in der Stadt
Geseke gelegen.“11) Auch hier liegt der Hof in der Stadt,
während ursprünglich ausser den Hörigen des Klosters keine
Ackerbau treibende Bevölkerung in der Stadt wohnte. Im
Jahre 1289 werden Stockheimer Güter an „oppidani in Ghesike“
verkauft.3) Nach dem Zuge der Dörfer in die Stadt gehören
die bisherigen Landbewohner zu den Geseker Bürgern. Es
werden daher die verkauften Güter gelegentlich nicht mehr nach
ihrem Dorfe genannt, sondern einfach als „im Geseker Felde
gelegen“4) angeführt. Jetzt hat sich, nachdem sämtliche Dörfer
ihre Wohnstätte verlassen, für das ganze Gebiet der Flurname
„Geseker Feld“ gebildet. Im Jahre 1266 vermittelt Bischof
Simon von Paderborn zwischen dem Stifte und den Bürgern zu
Geseke wegen eines Streites über Pflugpfennige.3) Der Pflug
diente vielfach als Mass und bedeutete das durchschnittliche
bäuerliche Besitztum, also die Hufe, in Geseke das „Gut
Land“,3) auf das die Steuern und Lasten gelegt wurden.7) In
’) Wilmans-Finke, Westfälisches Urk. Buch. IV. n. 1034: „curtim
quandaui Velmede apud Gesike sitam.“ . . . „eandem enrtem cum omuibus
pertinentiis suis, domum quoque et aream in Gesike sitaio.*
s) Seibertz, Ork. Buch. I. n. 391. S. 478: .curtim nostram sitam in
oppido Gesike.”
s) Wilmans-Finke, Westf. Urk. Buch. IV. n. 2111. S. 972.
4) 1. c. IV. n. 2643. S. 1145. 6. Februar 1299: „agri ... in campo
Gesekensi siti.“ Ebenso 1. c. IV. n. 2565. S. 1154. 19. Juni 1299.
6) Seibertz. Urk. Buch. I. n. 337. S. 420. 27. April 1266: .questio
discordie super obulis de aratris in opido Ghesike annis singulis persolvendis."
•) Seibertz. Bandes- und Kechtsgeschichte. I. S. 271. Maurer,
Einleitung zur Geschichte nsw. S. 133. Waitz, Hufe. 8. 22.
7) Maurer, a. a. O. S. 134. Wigands Archiv. I. 2. S. 24. Seibertz,
Urk. B. I. n. 23. S. 25: „quinqnaginta aratra de deciniatione ibi circum-
quaque ei concessiraus.” Dahl mann, Geschichte von Dänemark. Bd. I. König
Erich, gen. Pflugpfennig, erregt durch eine Steuer von jedem Pfluge Er-
bitterung und Empörung unter den Bauern.
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31
diesem Jahre gehört also die Ackerbau treibende Bevölkerung,
die aus den umliegenden Dörfern eingezogen ist, zu den Bürgern
der Stadt („burgenses predicti opidi“).
Im Jahre 1256 ist eine Mühle ausserhalb Geseke zerstört1)
und um 1300 innerhalb der Stadtmauern wieder anfgebant, nach-
dem sie wiederholt zerstört worden war.2) In gleicher Weise,
so schliessen wir, sind die Dörfer zerstört und schliesslich end-
gültig in die Stadt verlegt.
Jetzt untersteht die frühere Landbevölkerung dem Rate
der Stadt, und es ist daher die Pflicht des Rates, bei Streitig-
keiten zwischen der Grundherrscliaft in der Stadt und den
Bauern, die Geseker Bürger sind, seine Untertanen zu schützen.
So bringt er 1326 einen Vergleich zwischen dem Stifte einerseits
und den Erben der Stockheimer Mark andererseits über die
Teilung dieses Waldes zustande.3)
In einem Verzeichnis der Wohnhäuser der Stadt ans dem
Jahre 1360 sind 497 Häuser aufgezählt.4) Hätten die Dörfer
noch im offenen Felde gestanden, so würden sie später keinen
Raum zum Aufbau in der Stadt gefunden haben.
Alle Güter, die früher von den Dörfern aus bestellt wurden,
werden nach Uebersiedelung der Dörfer in die Stadt von der
Stadt aus bebaut. So heisst es in einem Güterverzeichnis des
Stiftes aus dem Jahre 1380,5) dass die Güter zu Stockheim,
Heringhausen und Ebbinghausen von der Stadt Geseke aus
bestellt werden.
Aus den angeführten Daten ist der Schluss zu ziehen, dass
um 1260, spätestens um die Wende des 13. Jahrhunderts die
sechs Bauerschaften das Land verlassen und sich in der Stadt
angesiedelt haben. Nun ist freilich noch nach diesem Termin
oft von den Dörfern die Rede, so dass es den Anschein gewinnt,
’) äeibertz, Urk. Buch. I. n. 297. S. 369: ,si molendinum extra
vicum Saltcoten et Uiaeke de novo couatructimi fuerit.*
’) I c. I. n. 484. S. 618: „molendinum qnoudam fuit situm extra
oppidum et qnia aepe deatruebatur per inimicoa, fuit tranapoaitum infra
opidum*
s) 1. c. II. n. 616. S. 218.
4) 1. c. II. n. 765. S. 473. Amu.
5) Seibertz, Quellen der weatf. Ueachichte. I. S. 295: „hec curie
coluutur ex opido Oheaike.“
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als ständen sie noch auf dem alten Platze.1) Aber dagegen ist
zu erwidern, dass „noch im späten Mittelalter der Begriff des
Dorfes nicht auf den Raum beschränkt ist, welchen die Wohn-
stätten einnahmen, sondern es war die gesamte Feldflur, welche
das Dorf darstellte, so dass auch schon längst ihrer Wohnungen
beraubte Dorffluren dennoch nach wie vor immer noch Dörfer
genannt wurden.“2) Daher ist auch noch in der Zeit, in der
nachweislich die Dörfer schon in der Stadt aufgegangen waren
und als Huden bezw. Bauerschaften fortlebten, von den unter-
gegangenen Dörfern die Rede, als existierten sie noch wie früher
auf dem jetzt verlassenen Dorfplatze. ')
Die Stellen, an denen sich die einzelnen Bauerschaften in
der Stadt niederliessen, sind erkennbar durch den Bezirk, den die
aus den Bauerschaften hervorgegangenen Weidegenossenschaften,
die Huden in späterer Zeit einnahmen.4) Naturgemäss Hess sich
jede an dem Tore nieder, das zu ihrer Feldmark führte. Mussten
sie doch jetzt von der Stadt aus ihre Aecker bestellen und vor
allem das Vieh auf die Gemeinweide treiben, so dass sie die
ihren Marken zunächst gelegenen Stadtteile einnahmen.5)
Hüstede und Krewete Hessen sich am Mühlentor nieder und
besetzten die Mühlenstrasse und Bachstrasse, Stalpe iiess sich
am Osttor nieder und besetzte einen Teil des Hellwegs, den
Rennenkamp, Teich und die Ostmauer, Volmede nahm dasselbe
Tor ein und besetzte den grossen Hellweg mit den Seitengassen,
Holthausen und Isloh besetzten das Stein- und Westtor und
nahmen den kleinen Hellweg mit den Nebengassen, sowie die
Bachstrasse bis zu Hustede hin in Besitz, Passinghausen,
Stockheim, Wietheim und Ebbinghausen nahmen das
lüdische Tor (luiske Porte = Schilftor) ein und Hessen sich an der
lüdischen Strasse, der Markt- und Kuhstrasse mit ihren Seiten-
gassen nieder, Heringhausen endlich besetzte das Viehtor und
') Hierfür Belege anzuführen ist überflüssig, da in den oft genannten
UrkundenbUcbern von Seibertz und Wilmans-Fiuke fast alle im Index
angegebenen Stellen den Beweis liefern.
*) Landau, Die Territorien. S. 115.
3) Stöckli. B. B. 24. Aug. 1660: „baurgliodt von einem in heringer
baurscbaft belegenen Krbgntb landt“. Hüst. B. B. 24. Juni 1714: „als
ein uhralter Iiauwrglied zu hüstede binnen Ueseke" u. a. m.
*) Ueber diesen Punkt zum näheren Verständnis s. u. S. 36.
6) Für die folg. Ausführungen s. Karte II.
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liess sich an der Viehstrasse und Bäckstrasse mit den zuge-
hörigen Gassen nieder.
Ueberblicken wir den Stadtplan, so ergibt sich daraus, dass
die Stadt planmässig angelegt ist,1) dass aber „von einer ursprüng-
lichen Mehrheit von Ansiedlungen keine Spuren zurückgeblieben
sind“.2) Ferner ziehen wir aus den vorstehenden Erörterungen
den auch für die allgemeine Städtegeschichte wichtigen Schluss:
Die Stadt ist nicht erst durch den Zusammentritt der Dörfer
entstanden, sondern schon vor dem Zuge der Dörfer in die Stadt
existierte eine Markt- und Stadtgemeinde. Diese bildete den
Krystallisationspunkt, an den sich die erwähnten Bauerschaften
bezw. Dörfer ansetzten. ■i)
In dieser Zeit ist wahrscheinlich auch die Stadtmauer ge-
baut, deren Fundamente unmittelbar auf den schon bestehenden
Wall gelegt wurden. Zugleich wurde das ganze Geseker Gebiet
mit einer Landwehr umschlossen, deren Spuren neben den
älteren Dorflandwehren zum Teil noch deutlich zu sehen sind.
Um 1300 wurde also die städtische Bevölkerung von
folgenden Elementen gebildet:4)
1. Den Mitgliedern des Stiftes und des zugehörigen Fronhofes;
2 Der kriegerischen Dienstmannschaft des Stiftes5) und des
Erzbischofs von Cöln;6)
3. Der eigentlich städtischen Bevölkerung, den Kaufleuten
und Handwerkern;
4. Der agrarischen Bevölkerung;
5. Der dienenden Bevölkerung der erwähnten Klassen;
0. Den wenigen Vertretern der später sog. liberalen Berufe
wie Richter, Priester usw.
') Rietschel, Markt und Stadt. S. 129.
2) Fritz, Stadtanlagen, S. 10 behauptet das Gegenteil nach andern
Stadtplänen.
3) So Bchon Rietschel, Markt und Stadt. S. 169.
*) Vergl. im allgemeinen Juama-Sternegg, Ueber die Anfänge des
deutschen Städtewesens. S. 6.H6ff.
6) Seibertz, Urk. Buch. I. n. 151 S. 195: .Preterea ministeriaies
ecclesie“ (sc. Sti. Cyriaci).
*) I. C. IT. n. 765 S. 482. Ziff. 47.
Lappe, Oie Geseker Bauer -chatten 9
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Die Huden und Bauerschaften
Durch den Aufbau der Bauerschaften in der Stadt trat
zunächst keine Veränderung ein. „Es waren eigentlich nur die
Wohnstätten derselben versetzt worden, die Gemeinden aber
bestanden fort.“1) „Bei dem in die Stadt übersiedelteu und
zum Bürger gewordenen Bauer änderte sich weiter nichts, als
dass derselbe wie seither von seinem Dorfe, nunmehr von der
Stadt aus sein Land bestellte.“2) Vor allem blieb die Hufen-
verfassung3) auch jetzt noch dieselbe wie vor dem Zuge in die
Stadt. „Zur einer Hufe gehörte ein dreifaches, der Hof mit
dem Wohnhaus, das Ackerland und das Nutzungsrecht an einem
ungeteilt belassenen Teil des Grundes und Bodens."4) Die
gleichen Bestandteile werden auch nach dem Zuge der Dörfer
in die Stadt bei Güterübertragungen angegeben. Zunächst bildet
der Hof mit dem Wohnhaus noch lange einen Teil des „Gutes“
bezw. der „Hufe“.5) Es wird in den Urkunden ausdrücklich
erwähnt, dass zu dem übertragenen Gute ein in der Stadt ge-
legenes Wohnhaus mit der Sohlstätte gehört,'*) einmal wird sogar
’) Land an, Historisch • topographische Beschreibung der wüsten Ort-
schaften. S. 39 1.
s) a. a. 0. S. 390. Leber den Abbruch von Dörfern und deren
Wiederaufbau in den Städten s. Maurer, Uescbichte der Städteverfassung
in Deutschland. II. S. 131.
3) Ueber die Hufe t. Waitz, Die altdeutsche Hufe. Bluntschli,
Die wirtschaftliche Rechtsordnung der deutschen Dörfer. S. 298 — 300.
4) Waitz, a. a. O. S. 12.
6) Es sei noch einmal betont, dass sich das Wort „Hufe“ in den
Bauerschaftsbüchern nicht findet, statt dessen heisst es immer: „ein Out
Land“. Wo im folgenden dieser Terminus gebraucht wird, ist darunter die
sonst sog. „Hufe" zu verstehen.
*) Wilmans-Finke. Westfälisches Urkunden - Buch. IV. n. 1034.
22. Mai 1265: „curtim quandam Velmede apud Gesike sitam .... eandem
curtem cum omnibus pertinentiis suis, domum quoque et aream in Gesike
sitainu. Seihertz, Urk. Buch. I. n. 391. S. 478. anno 1280. Vogt
Rudolf von Erwitte überträgt dem Stifte: .curtim nustram sitam in oppido
Gesike ... in agris et pascuis et cum omnibus proventibus.“ In dem
GUterverzeichnis des Stiftes zu Geseke aus dem Jahre 1380 bei Seihertz,
Quellen der westf. Gesell., I. S. 294 heisst es: .De domo pertinente ad
dictum bonum recipiet prepositura etc.“ 1. c. .De hono dicto >dat gut by
me heleweyghe-, quod colit Conrad scultetinc . . . clenodia dabuntur de
domo pertinente ad dictum bouum.“
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31%
die Lage des zugehörigen Wohnhauses in dem Stadtteile an-
gegeben, wo sich das Dorf, in dessen Feldmark das Gut lag,
niedergelassen hatte.1) Ebenso werden auch noch die übrigen
Bestandteile der Hufe zusammen aufgeführt wie in den Urkunden
der Karolinger Zeit.2) Die Sohlstätte mit dem Wohnhaus, das
Ackerland und die gesamte zugehörige Allmende bilden also
noch ein zusammengehöriges, einheitliches Ganzes.
Die Gesamtheit dieser Hufen macht die betreffende Bauerschaft
aus, sie sind die eigentlichen Rechtssubjekte, und ihre Inhaber
sind die Bauerschaftsgenossen, dio in ihrer Gesamtheit die
Bauerschaft repräsentieren, mag sie sich nun aus wenigen oder
vielen Hufen, aus einer oder mehreren Siedelungen zusammen-
setzen/1) Auch diese Bauerschaftsverfassung blieb nach dem
Aufbau derselben in der Stadt bestehen, nur mit dem Unter-
schiede, dass jetzt alle Banerschaften in einem Bezirke lagen
und nicht mehr in verschiedene Ortschaften zerfielen, und dass
ferner die Sohlstätten mit den Wohnhäusern ausserhalb der
zugehörigen Bauerschaftsmark in dem Stadtbezirke lagen. Nach
wie vor gab es auf dem früheren Raume 6 Banerschaften, die
ganz so wie zu der Zeit, da die Wohnhäuser noch im Mark-
gebiete lagen, die den Banerschaften zukommenden Rechte
ausübten, also „die gewöhnliche Banerweisung hielten, und die
Mängel, so sich zwischen den Bauern daselbst mit zu nahe
pflügen, graben, zünen, potten, beschädigen mit dem Viehe, und
'l Iu dem Güterverzeichnis de» Kloster» Bredelar au» dem Jahre 1416
bei Seibertz, Quelle» der westfälischen Geschichte. I. S. 14S: „Primo ein
hu8 und eynen hoff vor der Oaterporteu (es ist von Geseke die Rede) dar
unse gud tu horit to velmede dar nu tor tid inne wonot (Name fehlt) unde
dat gud nndir hovet und dat gildet ver malder hardis korns.“ Es ist dies
das S. 34. n. 6 erwähnte Volineder Gut.
*) Wilmans-Finke, Westf. Urk. B., IV. n. 17S3 aus dem Jahre 1284:
„bona sita in Withem .... cum agris, silvis, aqnis, pascuis. piscationibus
et cum omuibus ipsorum iurihus et pertinenciis.“ 1. c. n. 2040 aus dem
Jahre 1289: „mansura cum omnibus suis attinentiis videlicet in silvis,
pratis, pascuis et aquis.“ Ebenso im Jahre 1299: „bona . . . cum omnibus
eorum attinentiis et appendiciis scilicet agris, silvis aquis pascuis et aliis
quibuscumque.“
*) Maurer, Einleitung zur Geschichte usw. S. 147. Gierke, Ge-
nossenschaftsrecht. II. 8. 276. b. Laraprecht, Deutsches Wirtschafts-
leben. 8. 290. Sommer, Von deutscher Verfassung im germanischen
Preussen. S. 44.
3*
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36
gemeinen oder schlechten Schmähworten zutrugen, schlichteten,
entschieden.“1
N eben diesen Hufeninhabern als den eigentlichen Bauerschafts-
genossen sowie ihren Familicngliedern und zugehörigem Gesinde
gab es noch andere in der Mark ansässige Leute, die eigene
Wirtschaft und eigenen Rauch und meist auch mehr oder weniger
Ackerland hatten. Weil sie keine volle Hufe hatten, waren
sie keine Mark- bezw. Bauerschaftsgenossen im eigentlichen
Sinne2) und daher von den den vollberechtigten Mitgliedern zu-
stehenden Rechten ausgeschlossen. Da aber bei der Agrar-
verfassung des Mittelalters eine selbständige bäuerliche Wirtschaft
ohne Allmendegenuss unmöglich war, so wurde die eben erwähnte
Klasse der Markangehörigen zur Benutzung der Allmende in
mehr oder minder beschränktem Masse zugelassen.3) Besonders
war es ihnen erlaubt, ihr Melkevieh mit auf die Gemeinweide
zu treiben, aber zu Holz und Mast waren sie nicht berechtigt.4)
Diese Verhältnisse wurden ebensowenig wie die übrigen schon
erwähnten nach der Niederlassung der Bauerschaften in der
Stadt verändert, auch jetzt wurden ausser den Hufeninhabern
als den wahren Bauerschaftsgenossen noch andere nicht voll-
berechtigte zur Mitbenutzung der Allmende zngelassen. Alle
übrigen in der Stadt schon vorhandenen oder später noch ent-
stehenden Wirtschaften waren jedoch vom Mitgenuss der Weide
ausgeschlossen. So war das Weiderecht von Anfang an in der
M Bestimmung der Dorfgericbtsbarkeit im Jurisdiktionsrezess zwischen
Churfürst Sälen tin von Cöln und dem Herrn von Hürde vom 20. Febrnar X577
bei Seibertz, Urk. Buch. III. n. 1029. S. 262.
s) Wittich, Die Grundherrschaft in Nord Westdeutschland. 8. 260.
3) Th u die hum. Die Gau- und Mark Verfassung in Deutschland.
8. 212. 243. 256. Wittich, Grundherracbaft. 8. 250. Keinhold, Ver-
fassungsgeschichte Wesels. 8. 16.
4) Rübe), Die Dortmunder Keichsleut«. 8. 161. Dass es auch in
Geseke solche minderberechtigte Markangehörige gab, ist zweifellos, obgleich
der Natur der Sache nach von ihnen nicht die Rede ist. Nur an einer
Stelle findet sich eine hierauf gehende Notiz bei Seibertz, Urk. Buch.
III. n. 1060. S. 417 zwischen 793 — 1160: „Ein loepe juxta Gesike heribreht
et frater snus cum multis aliis." Thudichum, Gau- und Markverfassung.
8- 212: „Welche keinen Ackerbau trieben, kein Geschirr hielten, hiessen
einläufige, einleuftige, einläufer. Sie führen eigenen Haushalt und sind
verheiratet.“ Schröder, Recbtsgeschichte. 4 Aufl. 8. 426. Anm. 6.
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37
Stadt auf die Zahl der ursprünglich berechtigten beschränkt
und projizierte sich auf eine bestimmte Zahl von Sohlstätten,
es „klebte den Wohnstätten an“.1) Die Gesamtheit dieser weide-
berechtigten Sohlstätten bildete die „Hude“, die in jeder
Bauerschaft das Weiderecht ausiibte. Es gab also ebenso viele
Huden wie Bauerschaften:2) 1. Die Stälper Hude. 2. V Ölmeder
Hude. 3. Hüsteder Hude. 4. Stockheimer Hude. 5. Hering-
hauser Hude. 6. Holthauser Hude. Die Zahl der Huderechte
war weit grösser als die der Bauerschaftsrechte, wie die Zu-
sammenstellung beider ergibt.
Huderechte.3) Banerscbaftsrechte.4)
Stalpe
85
42
Volmede
04
46
Hustede
57
20
Stockheim
90
39
Heringhausen
82
18
Holthausen
65
28
Diese Huden sonderten sich mit der Zeit als selbständige
Genossenschaften von den Bauerschaften ab. Ueber die Einzel-
heiten dieses Vorganges sind wir nicht genauer unterrichtet;
im allgemeinen scheint er sich in folgender Weise vollzogen
zu haben:
Von der Hufe bildeten die Sohlstätte und das Ackerland
das aus dem Gemeineigentum ausgeschiedene Privateigentum,
mit dem unterschiedslos die Allmende verbunden war. ’) Nun
sahen wir soeben, wie sich das Recht, die Gemeinweide zu
benutzen, auf die Sohlstätte radicierte und die Gesamtheit dieser
weideberechtigten Sohlstätten eine eigene Genossenschaft, die
Hude neben der Bauerschaft bildete. Von den Inhabern dieser
Sohlstätten waren aber die meisten nicht Mitglieder der eigent-
lichen Markgenossenschaft, der Bauerschaft; an ihrem Besitz,
der Sohlstätte, klebte nur das Weiderecht. Beides, Sohlstätte
und Weiderecht, bildete als Besitz der Nichtvollgenossen eine
Einheit und wurde zusammen übertragen. Diese Verhältnisse
') Geseker Huden. S. 34 ff. Ad dieser Stelle näheres Uber diesen Punkt.
s) a. a. 0. S. 26.
») a. a. O. S. 36.
‘) s. o. S. 15.
6) Waits, Die altdeutsche Hufe. S. 21.
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38
konnten nicht ohne Einfluss auf die übrigen weideberechtigten
Sohlstätten bleiben, die einen Teil einer Hufe bildeten und zu
einer Bauerschaft gehörten. Auch diese Sohlstätten verbanden
sich enger mit dem Weiderecht, traten mehr insofern hervor,
als sie Mitglieder der Hudegenossenschaft waren, und lösten
sich so allmählich von dem Hufenverbande und damit von der
Bauerschaft los. Auf diese Weise gingen aus je einer Ge-
nossenschaft durch Spaltung zwei neue hervor: 1. Die Hude,1)
die sich aus den weideberechtigteu Wohnhäusern zusammen-
setzte, und 2. die Bauersehaft, die von der Gesamtheit der zu
den Hufen gehörigen Ackerländern, den sog. „Gütern Land“2)
gebildet wurde. Wie an den Wohnstätten ein Huderecht, so
„klebte an einem Gut Land ein Bauerschaftsrecht“.') Streng
genommen ist die Bauerschaft die alte Markgenossenschaft, die
durch die Absonderung der Huden einen Teil ihres Herrschafts-
bereiches verloren hat. An die Stelle der bis jetzt bestehenden
sechs Markgenossenschaften sind also zwölf, je sechs Huden
und Bauerschaften getreten. Bei der Teilung der Allmende
fiel der Hude naturgemäss das ausgesprochene Weidegebiet zu
') Hude, auch wohl Hode genannt, kommt von hüten. Eine andere
Art von Genossenschaften mit gleichem Namen findet sich bei Maurer,
Fronhöfe. IV. S. 3: „M an nannte die hörigen Genossenschaften aucli
Hoden. Das Wort Hode kommt von hüten, bewahren, schützen. Die Hodun
sind demnach wahre , Schutzgenossenschaften gewesen.* Sollte hier ein
Irrtum vorliegen ?
*) Dieser Name findet sich in den Bauerschaftsbüchern für das Acker-
land und soll im folgenden beibehalten werden. Gleiche Erscheinungen,
dass die Berechtigung mit dem Ackerlande verknüpft ist, finden sich bei
Stüve, Wesen und Veifassung der Landgemeinden. 8. 30. 31. 43. Dass
Ländereien ohne die Wohnung veräussert werden, darüber vergl. Maurer,
Fronhöfe. I. 8. 336.
3) Stockh. B. B. 14. Januar 1836: .ein Holthäuser Gut Land, woran
ein ständiges volles bauerschaftsrecht klebt.* Stockh. B. B. 18. Januar 1836:
ein Stockheimer Stiftsgut .mit allen daran klebenden Rechton.* 1. c.
11. Januar 1836: Ein Stockh. Abdiughöfer Gut: .daran klebt eine Erb-
bauerschaft.* Volin. B. B. 36. August 1731: Ein Hördisch Lehngut .mit
der anklebenden 4tcu Teil Bauergerechtigkeit“. 1. c. 26. August 1764:
.weilen dieser fall an des N. teihl vor dies mahl anklebig.“ Ebenso
31. August 1766. Andere Ausdrücke: Hüst. B. B. 29. Juni 1706: .eiu
halb hüster westphälisch freyen Stuhls guht, davon die Bauerschaft depen-
diert.“ Hüst. B. B. 26. Juni 1729: „Zu diesem seinen antbeill gehörte
eine halbe baurschaft.“
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39
und zwar der Heringhauser Hude des Heringhauser Bruch
(ungef. 200 Morgen gross), der Hlisteder Hude das Hiisteder
Bruch (115 M), der Stälper oder Rennenkämper1) Hude das
Rennenkämper Bruch (100 M.), der Stockheimer Hude das
Stockheimer Bruch (225 M.) und der Völineder oder Hellweger
Hude das Mittel-Bruch (43 M.), Krückenbruch (20 M.) und
sonst noch etwa 30 M. Weidegrund.2) Bei dieser Aufteilung
wurden von Anfang an keine scharfen Grenzen gezogen, so dass
die Grenzstreitigkeiten zwischen den Huden und Bauerschaften
bis ins 19. Jahrhundert hinein dauerten und z. B. erst 1838
zwischen der Bauerschaft und Hude zu Volmede durch einen
Graben eine „ewige Grenze“ festgelegt wurde.3) Die übrige
Allmende, besonders der Wald, fiel der Bauerschaft anheim.
Auch in diesen Wäldern hatte die Hude das Weiderecht, wie
die Hüsteder Hude im Erlholze (80 Morgen gross), das der
Hüsteder Bauerschaft gehörte, die Stälper und Völmeder Hude
im Stälper Holze (274 M.), die Hölter Hude im Geseker Holz
(2800 M.) und im Schlagholz (120 M.).3) Da das eigentliche
Weidegebiet, die sog. Brüche, mit Bäumen teilweise bewachsen
war, so machten die Bauerschaften auch hierauf Anspruch.
Dieser Streit wurde schliesslich dahin geschlichtet, dass den
Huden der Grund und Boden, den Bauerschaften jedoch die
aufstehenden Bäume und das Bepflanzuugsrecht gehörten.4)
Ausserdem hatten die Huden das Weiderecht auf der gesamten
übrigen Allmende, z. B. der Hölterheide, die Vor- und Nach-
hude auf den privaten Wiesen und die Stoppelhude im ganzen
Bauerschaftsgebiete nach der Ernte.5) Den Huden fiel also
') Nach ihrer Lage am Hellweg hiess die Völmeder Hude die Hell-
weger und die Stälper nach ihrer Lage am Kemicnkaiup die Kemieukämper Hude.
s) Geseker Huden. S. 29 fä.
a. a. O. S. 30.
*) So die Geringer und Stockheimer Bauerschaft auf dem Heringer
Bruche (Ges. Huden. S 73), dio Völmeder und Stälper Bauerschaft auf
dem Renuenkämper (1. c. S. 75) und Mittel-Bruch (1. c. S. 76). Das
Gegenteil behauptet allgemein Hagemann. Landwirtschaftsrecht. S. 243:
„Wem die Bäume xugebören und wer mithin das Recht hat, sie au fällen,
der ist für den Eigentümer des Grund uud Bodens zu halten, worauf sie
stehen.“
6) Geseker Huden. S. 29 ff.
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nur ein kleiner Teil der Mark zu, der grösste blieb den Bauer-
schaften erhalten. Auf diesem jeder Genossenschaft zustehenden
Gebiete übte jede die ihr zustehenden Rechte aus, so dass die
heutige Feldmark der Stadt Geseke in 12 Genossenschafts-
gebiete zerfiel. Bei der überragenden Bedeutung der Bauerschaften
konnte es jedoch nicht ausbleiben, dass sie sich gelegentlich
Uebergriffe in das Hudegebiet erlaubten und hier Angelegenheiten
zu ordnen suchten, deren Regelung den Huden zustand. So
bestrafte die Völmeder Bauerschaft jemand, weil er einen neuen
Graben „von der gemein heide und wallemey gans frisch ab-
gestochen“ hatte, obwohl dieser Frevel auf Hudegebiet be-
gangen war und der Schuldige „auf seine kosten die hode
zusamen kommen lassen“ wollte.1) Auch die Schnadziige um
die ganze Mark-) mit Einschluss des Hudegebietes hielt nach
dem Zerfall der einheitlichen Markgenossenschaft die Bauerschaft.3)
So haben wir in diesen Sondergemeinden der Stadt Geseke,
den Huden sowohl wie Bauerschaften, wahre Markgenossenschaften
zu sehen, die beide auf ihrem gegen früher freilich eingeschränkten
Gebiete alle den niederen Verwaltungs- und Gerichtsorganisationen
des Mittelalters zustehenden Rechte ausübten. Für die Huden
ist der Machweis an anderer Stelle schon erbracht, den Bauer-
schafton dient diese Untersuchung. Von vornherein ist die
Ansicht abzuweisen, als seien in den beiden Genossenschaften
') Volm. B. B. 28. Juli 1734.
2) Maurer, Einleitung zur Geschichte usw. S. 226. Dorfverfassung.
II. S. 6 über Schnadziige und Markumziige.
3) Hilst. B. B. 30. Juni 1706. Mehrere Bauerglieder haken .sich zu
felde begeben, und auf dem Huchte unten von dem grünen Wege, so aul
Krivete Wieselten schiesset den Weg hinan, biss au den Küster Mühlenweg,
von dannen über den Bach, bis auf Bürgermeister Lips Thohulte abnewandt,
strack aus über das Krückebrock, nach dem düstern Wege bis auf .Stuken-
berges Eiche und dem Fluss so von den Recken kouipt, und zwischen
Faderborn und Ciillcn die Schnade ist, den Graben und Eiche hinab bis in
die Seltenaw, die Seltenaw hinab bis an die Kuhebrücke, von danuen ins
süden auf die KUttike Kuhebrücke, von dannen die Esbecke hinaun bis auf
die newe Wiese, dann umb die kurze Wende bis an den richte padt, von
dannen auf den grünen Weg, welchen die Herren Erben ziehen, den Weg
hinaus bis an den grünen Weg bey der nonnen Walckemiihlen die Wende
hinann bis an den Weg so nach der HUster Mühlen gehet, Uber den Wog
bis wieder an den griineu Weg so aus der Krewete Wiese lauft.* S. auch
Maurer, Städte Verfassung. II. S. 171.
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41
städtische Verwaltungsbezirke zu sehen. Für die Bauerschaften
ist das schon deshalb ausgeschlossen, weil die Inhaber der
Güter Land, an denen die Bauerschaftsrechte klebten, nicht nur
über die ganze Stadt zerstreut waren, sondern auch in benach-
barten Ortschaften wohnten,1) also gar keinen geschlossenen
Stadtbezirk bildeten. Für die Huden geht es daraus hervor,
dass es in der Stadt sechs Huden gab, während zu Verwaltuugs-
zwecken Geseke in vier Bezirke geteilt war.'2) Die oft aufgestellte
These, die Huden und Bauerschaften seien Verwaltungsbezirke
der Städte, muss demnach aufgegeben werden.
Von diesen Bauerschaften bedürfen die Stockheimer und
Heringhauser noch einer besonderen Besprechung. Beide ge-
hörten ursprünglich derselben Markgenossenschaft an.3) Bei der
Teilung der Allmende fiel Heringhausen, abgesehen von dem
der Hude später gehörenden Gebiete, nur das Erlholz zu, so
dass die Mitglieder nur wenig Brennholz und gar kein Bauholz
erhielten.'4) Auch hatten sie sonst keine Einkünfte, woraus sie
die laufenden Ausgaben, besonders für die jährliche „Bauerzehr“
hätten bestreiten können. Sie schlossen sich deshalb wieder
an Stockheim an und bildeten so die „uniirten Bauerschaften“5)
Stockheim und Heringhausen, die in jeder Beziehung wie eine
einzige Bauerschaft handelten. Als aber um 1680 die Hering-
häuser für sich je zwei Fuder Holz aus dem Erlholze gehauen
hatten, ohne die Mitglieder der Stockheimer Bauerschaft
partizipieren zu lassen, während sie an den Einkünften der
Stockheimer in gleichem Masse Anteil hatten, da brach Streit
zwischen den beiden Bauerschaften aus. Als nun die Stockheimer
') So sind Hüsteder Guter unter Bauern aus Verne, Enkhausen, Verlar,
Holsen. Winkhauseu, Mönninghausen, Bönninghausen, Störmede, Garfeln,
Schwelle verteilt. Hiist. B. B. an verschiedenen Stellen. Ebenso Stockh.
B. B. 16. März 1825: „Wenigstens 1 /3 der Bauerglieder «vobnen nicht nur
ausser der Stadt, sondern auch im andern Gerichtsbezirke.“
'-) Seibertz, Urk. Buch. II. u. 765. S. 473. note 320. anno 1350
circa. Hier werden 4 Bezirke genannt: 1. Osthofen. 2. Westhofen. 3. Nort-
hofen. 4. Middelhofen. Diese Einteilung bestand noch 1828 in Kraft.
Stockh. B. B. 15. März 1828.
») S. o. S. 17.
4) Hierüber ein ausführliches Protokoll Stockh. B. B. 8. Juni 1681.
Die folg. Erörterungen sind demselben Protokoll entnommen.
5) Stockh. B. B. 24. August 1723.
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„zwey aus ihren consorten zu den heringhausern abgeordnet,
selbige zu befragen, ob gedachten, ihnen und einem jeden erben
so vill holtz anzuweisen, sonsten konten sie absonderlich einen
Holzgrafen und Knecht erwehlen, . . . und als ihre abgcordneten
zu zwey mahl abgeschickten referirt, dass solches nicht thun
wollten undt also von einander gangen,“ da trennten sich beide
Bauerschaften und lebten eine Zeit lang geschieden. Nach wenigen
Jahren einigten sie sich jedoch wieder. Am 24. August 1685
sind die Heringhäuser zwecks Einigung mit Stockheini „sämbtlich
comparirt undt den zu aufhebung dieses Streits aufgerichteten
Rezess approbirt undt denselben zu unterschreiben angelobt,
womit dau diselben widerumb acceptirt, undt nach aufgenohmenen
Gericht sämbtlich mit übrigen baurglidern bei zeitlichen Vor-
mündern eingekehrct undt lustig gemachet.“1 *) Seitdem sind sie
vereinigt geblieben, so dass es den Anschein hat, als wären sie
von Anfang an eine Bauerschaft gewesen-)
Zum Schlüsse dieses Kapitels Uber die Entstehung der
Huden und Bauerschaften sollen die iu andern Städten sich
findenden Sondergenieinden aufgezählt und die Ansichten über
ihren Ursprung und Zweck besprochen werden. Ganz allgemein
werden Sondergemeinden in Gent,3) Worms3) und Strassburg3)
erwähnt, ferner in Schlettstadt4) und Colmar.4) Hie Stadt
Aachen ist in mehrere Bezirke, Grafschaften genannt, geteilt,
die nach den Toren benannt werden: Cölnerportze, Sent Aylbretz-
portze, Portschierportze, Scharportze, Sent Jakobsportze, Künynx-
portze, Puntportze, Nuweportze.5) In Minden gibt es drei
Huden, die Fischerstädter, Simeonstorsche und Kuhtorsche,
später Konigstorsche Hude,6) in Hameln fünf Huden, die Neu-
torsche, Westtorsche, Osttorsche, Mühlentorsehe und Brücken-
l) a. a. O. 24. August 1685.
з) Dass auch in den Bauerschaften dieselbe Anschauung über ihren
Ursprung herrschte, geht aus zwei Bemerkungen im Stälper Bauerschafts-
buche hervor. Vcrgl. Anlage I.
*) Hiillmatin, Städtewesen des Mittelalters. II. S. 419.
*) Fritz, Deutsche Stadtanlagen. S. 10.
5) Lörsch, Achener Hechtsdenktnäier. S. 188.
и) Schröder, Die älteste Verfassung der Stadt Minden. S. 8.
Philippi, Zur Vcrfassuugsgeschichte der westfälischen Bischofssiädte S. 52.
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torscbe Hude,1) in Paderborn fünf Bauersehaften, die Kämper,
Westersträsser, Königssträsser, Maspern und Gierssträsser Bauer-
scliaft,2) in Dortmund drei Bauersehaften, die Westerbauerschaft,
Osterbauerschaft und Burgbauerschaft,3) ebenso in Brackei bei
Dortmund,4) in Brilou vier Bauersehaften, deren Vorsteher
„Burskopshereu“ genannt wurden,3) in Rüthen ebenfalls vier,8)
in Werl drei Bauersehaften.7) Sondergemeinden ähnlicher Art
begegnen in Mühlhausen, in dem ein Dorf der Umgegend auf-
gegangen ist und wo noch später unter oiner Linde das
Flurgericht abgehalten wird,8) ebenso halten in der Nähe von
Buttstädt die Nachkommen von drei untergegangenen Dörfern
jährlich ein Feldgericht;®) ähnliches findet sich in Wesel10) und
Wernigerode.11) In Zierenberg „bilden die Grundbesitzer der
an die Stadt tibergegangenen Fluren der verwüsteten Dörfer
Norbach und Leutwardessen noch bis heute besondere Genossen-
schaften, welche sich auch jetzt noch in dem Sondergenusse
der Gemeindegüter ihrer ehemaligen Dörfer finden.“12)
>) Meinardus, Einleitung zum Urkundeubuch des .Stifte« und der
Stadt Hauitdu. S XXXXI Varges, Zur Entstehung der deutschen Stadt-
vertässung. Jahrbücher Tür Nationalökonomie. Bd. 63. S. SOS. Hegel,
Vergrüsserung und Sondergeineinden der deutschen .Stadt®, S. 10.
,J) HUbiuger, Die Verfassung der Stadt Paderborn im Mittelalter.
S. 31. Pbilippi. a. a. O. S. 52. Hegel, a. a. 0. 8. 10.
3) Fransdorff, Dortmunder Statuten und Urteile. Einleitung S. II.
Riibel, Die Dortmunder Keicbsleute. S. 77. Soft. Hegul, a. a. O. 12.
Hegel, Die Entstehung des deutschen Städtewesens. S. 143. Varges,
a. a. O. S. 810.
4) Kübel, a. a. O. S. 79.
6) Seibertz, Landes- und Reclitsguscbiclite. I. 8. 166. n. 14. Die
Bemerkung an derselben .Stelle, in Geseke hätten sieb drei Bauersehaften
befunden, muss nach den vorhergehenden Erörterungen berichtigt werden,
a. a. O. III. S. 425. n. 77.
®) Seibertz, a. a. O. III. S. 426. n. 77.
7) a. a. 0. Seibertz behauptet a. a. O. I. S. 166, dass „die Bauer-
schaften fast in allen westfälischen Städten von einiger Bedeutung bis in
die neuesten Zeiten sich erhalten haben“, ohne freilich Belege anzuführen.
*) Rietschel, Markt und Stadt. S. 94.
°) Maurer, Einleitung zur Geschichte usw. S. 174.
I0) Reinbold, Verfassungs-Geschichte Wesels. S. 9.
n) Varges, Zur Verfassungsgeschichte der Stadt Wernigerode. Zeit-
schrift für Kulturgeschichte. III S. 174. In diesen beiden Städten findet
sich nur eine Soudergemeinde.
12) Landau, Wüste Ortschaften. S. 384.
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44
Bauerschaften werden wieder in Braunschweig erwähnt,')
in Soest sechs als Hoven bezeichnete Sondergemeinden,2) in
Osnabrück heissen sie Laischaften, und zwar die Hegerlaischaft,
Martinianer Laischaft, Haselaischaft , Natrupper Laischaft,
Herrenteichslaischaft,1) ebenso in Münster sechs Laischaften.4)
Bauerschaften finden sich in Cöln,:>) Hildesheim ;8) in Halbenstadt
heissen sie „neyberschaft“*) und in Coesfeld „Kluchten“.6) Auch
in Lünen habe ich diese Sondergemeinden durch mündliche Er-
kundigungen festgestellt, ohne indessen näheren Aufschluss über
sie erhalten zu können. Diese Aufzählung kann durchaus
keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen, denn nur von
wenigen Städten sind die Sondergemeinden bekannt geworden,
und selbst von den in der Literatur erwähnten sind manche
nicht zu meiner Kenntnis gelangt, so dass wir uns die Ver-
breitung dieser Sondorgemeinden viel weiter zu denken haben.
lieber den Ursprung und die Bedeutung dieser Sonder-
gemeinden finden sich meist nur kurze, oft nicht ganz klare und
auch falsche Bemerkungen. Maurer sagt von den Bauerschaften
nur, dass sie „in das Bürgerrecht aufgenommen wurden, ihnen
jedoch die Besorgung ihrer Markangelegenheiten überlassen
wurde.“7) Schröder sieht in diesen „Sondergenieinden innerhalb
■) Varges. Die Entstehung der Stadt Braunschweig. Zeitschrift des
Harzvereins. Jahrg. 26. 8. ISO. Die Entwicklung der Autonomie der Stadt
Braunschweig. a. a. O. S. 303. IKSgel, Sondergemeinden. S. 14.
а) Varges, Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung, a. a. O.
Diese Sondergemeiuden heissen auch „Thjr“ und „Tjgge“. In Geseke liudet
sich dieser Ausdruck nicht, wie Sei her tu, Landes- und Hechtsgeschichte.
I. S. SIS behauptet. Hegel. Soudergetneinden. S. II. Entstehung des
deutschen Städtewesens. S. 143.
3) Stiive, Topographische Bemerkungen Uber die Feldmark der Stadt
OsnabrUck und die Entwicklung der Laischaftsverfassung. S. 63. Diese
laischaften sind Weidegenossenschaften, deren Weiderecht ebenfalls an den
Wohnstätten klebt, a. a. 0. S. 60. l’hilippi, Verfassungsgeschichte der
westfälischen Bischnfsstädte. S. 62 Hegel, Sondergemeiuden. S. 9.
Varges, Entstehung der deutschen Stadtverfassung, a. a. O.
4) Varges, a. a. 0. 1’ hilippi, a. a. 0. S. 53. Hegel, Sonder-
gemeinden. S. 8. Entstehung des deutschen Städtewesens. S. 143.
б) Hüllmann, Deutsches Städtewesen. II. S. 419. Varges, a. a. O.
Liesegang, Die Soudergemeiuden Cölns. Wrede, Die Collier Bauerbänke.
6) V arges, a. a. O.
7) Maurer, Städteverfassung. 11. S. 142.
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der Städte einzelne nach und nach in das Weichbild der Stadt
aufgenommene Landgemeinden, die zum Teil noch lange nach
der Ausbildung der städtischen Gesamtgemeinde in einer gewissen
Selbständigkeit fortgedauert haben.“1) Gengier spricht davon,
dass „die mit ihrer Feldmark das städtische Gebiet berührenden
Dörfer sich allmählich in Vorstädte verwandelten.“2) Von den
Bauerschaften hat er keine klare Vorstellung.3) „Die Höfer-
schaften dagegen, in der Sprache der Rechtsdenkmäler „hoven“
geheissen, waren bäuerliche Genossenschaften, welche sich aus
den Insassen eines oder einer Mehrheit herrschaftlich oder
örtlich zusammengehöriger Höfe, curtes, gebildet haben. In-
sofern nun solche Höfe oder Hofverbände bei der ersten Anlage
einer Stadt in Mitleidenschaft gezogen wurden, sei es dass sie
die Grundfläche für den neueu Häuseranbau gewährten, sei es
dass sie als äussere Erweiterung zu der bereits gegründeten
städtischen Niederlassung hinzukamen, vermochte sich das Ge-
dächtnis jener originären Vereinigung in der Bezeichnung der
einzelnen betreffenden Stadtteile als hoven lebendig zu erhalten.“4)
Nach Seibertz waren die Städte des Herzogtums Westfalen Je
nach ihrem Umfange in mehrere Bauerschaften geteilt, die unter
dem Vorsitze eines Bauerrichters an den dazu bestimmten
Gerichtsplätzen teils ihre gemeinschaftlichen Angelegenheiten
ordneten, teils kleinere Sachen entscheiden Hessen.“5) Die Ent-
stehung der Bauerschaften denkt er sich folgendermassen :
„Sollte der Grundsatz gewahrt werden, dass alle Hausstellen
gleichberechtigt seien, so mussten die gemeinschaftlich auszu-
Ubenden Berechtigungen in Hude und Holz in eine gemeinsame
*) Schröder, Deutsche Hechtsgeschichte. 4. Aufl. S. ß41. S. auch
die Note 85 und die dort genannte Literatur. lieber Sondergemeinden im
hesondern vergl. iiegel, Vergrösserung und Sondergemeinden der deutschen
Städte im Mittelalter. Liebe, Die kommunale Bedeutung der Kirchspiele
in den deutschen Städten. Lamprecht, Der Ursprung des Bürgertums.
S. 411.
*) Öen gier, Deutsche Stadtrechtsaltertümer. S. 74.
3) a. a. O. S. 55 ff.
4) a. a. O. S 60. Als Beispiel führt er anch Geseke an. Wie falsch
diese Auffassung der Hofen wenigstens bei Geseke ist, ist schon gezeigt.
S. o. S. 40.
6) Seibertz, Landes- und Recbtsgescbichte. III. S. 888. Aehulich
a. a. O. S. 425. Anm. 76.
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40
Masse geworfen und die Stadtbewohner nach Strassen in besondere
Nachbarschaften, Bur- oder Bauerscliaften geteilt werden, um
nach diesen Abteilungen an den gemeinschaftlichen Nutzungen
teilnehmen zu können.“1) Der Ursprung der Huden in Hameln,
die durchaus den Geseker Huden ähneln,2) ist nach Meinardus
folgender: „Die Interessenten (der Huden) sind die sog. Erben
der Stadt und jener Ortschaften. Diese Erben waren nun in
der Tat die alten Markgenossen, die Erefexen, wie sie heissen,
weil sie das erbliche Recht hatten, in ihrer Allmende das Holz
mit der Axt zu fällen und ihr Vieh grasen zu lassen
Dio Dörfer, deren Erben mit den Stadterben im 14. Jahr-
hundert gemeine Mast und Weide hatten, sind mit der Zeit
verschwunden, ihre Bewohner zogen in die Stadt und bildeten
dann die Huden.“3) Die Laischaften zu Osnabrück sind nach
Stüve4) auf folgende Weise entstanden: Die Osnabrücker Feld-
mark war ursprünglich Eigentum der ganzen Stadt, so dass alle
Bürger die gesamte Allmende benutzten. Der Natur der Sache
nach benutzte jedoch jeder den Teil der Gemeinweide, der dem
von ihm bewohnten Stadtbezirk bezw. dem betreffenden Tore
zunächst lag. Gleichwohl trat zunächst keine Teilung der
Allmende unter die einzelnen Stadtviertel ein. Wann und wie
diese erfolgte, d. h. die einzelnen Laischaften entstanden,
entzieht sich unserer Kenntnis. Die Laischaften sind also
Weidegenossenschaften, die je einen Teil der Stadt einnehmen
und ebenso einen ihnen aus der gesamten Feldmark aus-
geschiedenen Allmendeteil gemeinsam zur Weide benutzen.
Aehnlich denkt sich Hübinger die Entstehung der Bauerscliaften
in Paderborn.3) Auch hier war ursprünglich die gesamte
■) a. a. O. S. 427.
4) Meinardus, l'rkundenbucli de« Stiftes und der Stadt Hameln.
S. XXXXI. Varges, Zur Entstehung der deutschen .Stadtverfassung.
Jahrbücher für Nationalökonomie. Bd. 03. S. 808. Die B «Unten Dürfor,
aus dunen diese Huden hervorgegangen sind, Messen: Wedele Vorste vor
dem Neuen Tore, Honrodern vor dem Westtore, Harthom vor dem Mühleu-
tore, Klcin-Afferde vor dem Ostertore, Wenge vor dem Brückentore.
*) Meinardus, a. a. (). S. XXXXU1.
*) Stiive, Topographische Bemerkungen über die Feldmark der Stadt
Osnabrück und dio Entwicklung der IjaiHchaftsverfnssung. S. 08 ff.
5) Hübinger, Die Verfassung der Stadt Paderborn im Mittelalter.
S 37. 43.
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47
Allmende Eigentum der Stadt. Nach Anwachsen der Be-
völkerung triebon die Bürger das Vieh aus dem Tore und auf
die Weideplätze, die ihnen zunächst lagen. Diese Verhältnisse
consolidierten sich mit der Zeit, so dass die Bauerschaften „die
allmähliche Bildung als Stadtviertel“ sind. Nach Hübinger sind
die Bauerschaften und Hudogenossenschaften in Paderborn
identisch und ebenso „sind die politischen Verbände auch die
wirtschaftlichen.“ Anders erklärt Philippi den Ursprung der
Sondergemeinden in diesen beiden Städten und in Münster.1)
Er sucht die Entstehung von Paderborn, Osnabrück und Münster
aus mehreren aus Bauerschaften erwachsenen Sondergemeinden
darzutun, die in Paderborn auch den Namen Bauerschaften, in
Münster und Osnabrück den gleichbedeutenden „Laischaften“
führen. Schaube dagegen behauptet, es „habe zuerst eine von
diesen Sondergemeinden die mit dem Markte ausgestattete,
städtische Organisation erlangt und dann die andern in sich
aufgenommen.“2) Die Aachener Grafschaften sind nach Hegel
städtische Verwaltungsbezirke, keine Sondergemeinden, :|) und der
Zweck der Sondergemoinden in Gent, Köln, Worms und Strass-
burg war nach HOllmann die Erleichterung der Verwaltung der
Städte.4) Der Charakter der Kölner Bauerschaften ist noch
nicht festgestellt. „Die Forscher sind im Zweifel, ob wir es
mit Sondergemeinden, also früheren Landgemeinden, oder Re-
gierungskörpern zu tun haben.“5) Allgemeine Erörterungen
über Sondergemeinden finden sich am ausführlichsten bei Varges
in seinen Aufsätzen über die Entstehung der deutschen Stadt-
verfassung. „Oft ist die Stadtgemeinde durch Synoikismus d. h.
durch V ereinigung mehrerer Ortsgemeinden oder durch Zusammen-
legen von Teilen verschiedener Dorfgemeinden entstanden.
Ursprünglich bildete jede dieser Ortsgemeinden auch innerhalb
des Mauerringes eine selbständige Gemeinde mit eigener dörflicher
«
') Philippi, Zur Verfassungsgeschichte der westfälischen Bischofs-
städte. Vergl. dazu die Rezension von Schaube in den Göttinger Ge-
lehrten Anzeigen. Jalirg. 1894. Bd LT. 8. 5 66.
*) a. a. 0. 8. 655. Ueber die gleichen Verhältnisse in Geseke, wo
jedoch schon eine Harktgemeinde existierte, s. o. S. 33.
s) Hegel, Sondergemoinden. 8. 8.
•) Hiillmann, Städtewesen des Mittelalters. II. 8. 4i9.
6) Varges, a. a. 0. S. 810. 8. auch die Literatur o. 8. 44. n. 6.
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Verwaltung und eigener Allmende.“ „Diese Sondergemeinden
blieben zuweilen lange mit den Dorfgemeinden, aus denen sie
gekommen waren, in Zusammenhang, weil sie und die Dorf-
gemeinde Anrecht auf das Gemeindeland hatten.“ Diese Sonder-
gemeinden heissen in manchen Städten Bauerschaften. „Doch
wird das Wort burskap auch vielfach in verschiedenen Städten
zur Bezeichnung künstlich geschaffener Verwaltungsdistrikte
gebraucht. Man entlehnte einfach den Namen von den eigent-
lichen Sondergemeinden.“ „Die Sondergemeinden sind auf ver-
schiedene Weise entstanden. In den meisten Fällen, und zwar
handelt es sich meist um sehr alte Städte, scheint es vorgekommen
zu sein, dass schon bei Entstehung einer Stadt, d. h. bei Um-
mauerung eines Ortes und Errichtung einer Festung, mehrere
Gemeinden zusammengelegt wurden, wahrscheinlich um der
Festung eine grössere Zahl Verteidiger zu schaffen. Wir wissen,
dass man in ähnlicher Weise in Ungarn mehrere Dörfer ver-
einigte, um so widerstandsfähige Dörfer gegen die Türken zu
schaffen.“ „Weit häufiger handelt es sich bei den Sondergemeinden
um eine nachträgliche Einverleibung in eine schon fertige Stadt.“
Viele Dörfer, die um eine Festung lagen und sich in Kriegsnot
hinter die Mauern zu flüchten pflegten, haben „ihre alten Wohn-
sitze ganz aufgegeben und sich unter Beibehaltung ihrer Sonder-
gemeindeverfassung innerhalb der Mauern niedergelassen.“1)
Einer Kritik der hier angeführten Theorien enthalten wir
uns, weil dazu eine genaue Kenntnis aller Einzelfälle erforderlich
wäre und sie für viele schon durch die Darlegung des Ursprungs
der Geseker Huden und Bauerschaften gegeben ist. Besonders
die Sondergemeinden in den westniederdeutschen Städten werden
sich wohl anf gleiche Weise wie die der Stadt Geseke erklären
lassen.
Die Mitglieder der Bauerschaften
Nachdem so gezeigt wurde, wie die ursprünglich einheitliche
Markgenossenschaft sich in Hude und Bauerschaft spaltete, und
die Huden schon an anderer Stelle behandelt sind, ist es nun-
mehr unsere Aufgabe, das Wesen der Bauerschaften klar zu
*) Varges, s. a. 0. Bd. 63 8. 808 ff.
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legen. Die Bauerschaften wurden von einer verschieden grossen
Anzahl „Güter Land" gebildet, die durch den Zerfall der
Hufenverfassung nach Ausscheiden des Wohnhauses entstanden
waren.1) Diese Güter wurden von vielen in der ganzen Dorf-
mark zerstreut liegenden Parzellen gebildet.2) Die Grösse
eines solchen Gutes wird einmal auf 40 Morgen,3) ein andermal
auf 32 Morgen 3 l/a Ruthen augegeben, wobei jedoch zu bemerken
ist, dass der Besitzer des letzten Gutes selbst erklärt, er „habe
aus diesem Gute mehrere Stücke mit Ausschluss des Bauerrechts
verkauft,“4) so dass sich hier etwa 40 Morgen ergeben würden.
Die Siedelungen der Geseker Feldmark gehörten zu den
sog. „gemischten Dorfsehaften“, die von freien Erbherren und
hörigen Bauern gebildet wurden.5) Von den 18 Heringhäuser
Gütern war 1 ein Erbgut,6) von den 29 Stockheimer Gütern
6 Erbgüter, von den 6 Wietheimer Gütern 3 Erbgüter,7) von
den 46 Volmeder Gütern 7 Erbgüter,6) von den 28 Hölter
Gütern 9 Erbgüter,9) von den 42 Stälper Gütern 9 Erbgüter.9)
Die Inhaber dieser Güter hiessen die „Herren Erben“,10) auch
die „privilegyrten Herren Erben“,11) und die daran klebende
Bauerschaft war eine „Erbbauerschaft“.12) Der grösste Teil
>) s. o. 8. 37 ff.
а) S. o. S. 5. Anm. 1.
s) Volm. B. B. 25. August 1714.
4) Stöckli. B. B. 14. Januar 1836. Nach einer Notiz im Volm. Mast-
bucbe. S. 33: .N. 1 halt das halbe Out ad 12 Morgen. N. 2 hatt von
der andern halbscheidt ad 6 Morgen gekauft“ betrüge dieses Out nur
24 Morgen, ln der Literatur wird die Hufengrösse gewöhnlich auf
30 Morgen geschützt, z. B. Waitz, Die altdeutsche Hufe. 8. 31. Landau,
Die Territorien in Bezug auf ihre Bildung und Entwicklung. S. 36.
б ) Maurer, Dorfrerfassung. I. S. 95. Fronhilfe. III. 8. 97. Haussen,
Agrarhistorische Abhandlungen. II. 8. 87.
*) Stöckli. B. B. 24. August 1723.
7) Nach einem Verzeichnis der Stockh., Wietb. usw. Güter.
8) Volm. Maat-Buch aus dem Jahre 1684.
9) Nach Verzeichnissen aus dem Jahre 1811.
10) So unzühlich in allen BauerachaftsbUihern. Ueber das Wort vergl.
Grimms Wörterbuch. III. 8. 711 s. v. Erbe. Löw, Markgenossenschaften.
8. 71. Bremisches Wörterbuch. I. 8. 327. (Nach Löw, a. a. O. S. 72.
Anm.) Philippi, Westfäl. Bischofsstüdte. 8. 43.
») Höst. B. B. 25. Juni 1746,
'*) Stockh. B. B. 24. August 1712.
Lappe, Die Geseker Bauerscbaften 4
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der Bauerschaftsgütor war jedoch von einem Grundherrn ab-
hängig. Zur Erläuterung seien die Volmeder Güter angeführt.1)
Davon waren ausser den erwähnten 7 Erbgütern 1 Lehngut
der Abdissin zu Geseke, 1 Lehngut der Herren von Hörde,
1 „Westphelinger“ Lehngut, 6 „Westphelinger Stuhlgüter“,
10 Meiergüter des Stiftes zu Geseke, 2 „Heilige Drey Königs
Güter ad S. Petrum“, 1 „Gnth zu St. Annen Altar ad
St. Cyriacum“, 2 „8. Michaelis Guither ad S. Petrum“, 3 Güter
des Klosters Böddeken, 4 Güter des Klosters zu Holthausen
bei Büren,2) 6 Güter der Herren von Thülen, 1 „Vicarienguith
im Thumb zu Paderborn“, 1 Gut des Klosters Bredelar, das
später durch Auswechselung dem Dechanten zu Soest gehörte.
Einen gleichen Charakter tragen die Güter der übrigen Bauer-
schaften, soweit sie in den Bauerschaftsbüchern genannt werden.
Die Inhaber dieser Güter heissen „Bauern“ oder „Heuerlinge“,3)
die Besitzer dagegen waren die „Erbherren“,4) „gnädigen Erb-
herren“,5) „Domini Directi“.6) Von diesen abhängigen Gütern
waren wieder die einen erblich, die andern auf Lebenszeit und
wieder andere auf eine bestimmte Pachtzeit ausgetan. Für die
Bauerschaftsverfassung war jedoch der Charakter der Güter von
keinem Belang, alle hatten die gleichen Rechte und Pflichten.7)
Der Besitz eines solchen Gutes, gleichviel welcher Art es war,
verlieh die Mitgliedschaft. So folgte der Erbe eines Bauerschafts-
gutes unmittelbar seinem Erblasser. Andere erwarben die
») 8. 49 Anm. 8.
i) Ein Ciaterzienser-Kloater für Frauen. Vergl. Steinen, Westfälische
Geschichte. St. 12. S. 516. Abs. 3.
*) B. B. passim. Vergl. auch Manrer, Frouhöfe. IV. 8. 18.
4) Volm. Mast -Buch. Einl „ob sie gewin guiter seindt unt wer
Erbberr darzu ist.*
s) Stöckli. B. B. 26. Mai 1706. Jemand .provocirte an die Gnädigen
Erbherren als ein hochw. Thumb Capitel za Paderborn“.
*) Volm. Mast -Buch. 8. 28: „nnnc N. Bawer worden, weilen der
Dominns Directns diese Länder dem N. auf einige brackzeitb bat nnter-
gethan.“
T) In den BauerscbaftsbHchern ist von einem Unterschiede der zuge-
hörigen Güter hinsichtlich der Rechte und Pflichten nichts zu bemerken.
Ueber einen Fall s. den Abschnitt: Die Beamten der Bauerschaften. Vergl.
Löw, Markgenossenschaften. 8. 28. 89. 90. Maurer, Dorfverfassung. I.
8. 126. Haussen, Agrarhistorische Abhandlungen. II. 8. 87.
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61
Mitgliedschaft durch den Kauf eines Gutes.1) Der Ehemann,
dem die Frau ein Bauerschaftsgut mitbrachte, wurde durch die
Heirat Mitglied,2) ebenso der „nachfolger in matermonio“3) oder
der „successor in thoro“.4) Von den abhängigen, besonders
den Zeitpachtgütern wurde der Mitglied, der durch „einen
Meyer brieff“5) damit „investiert“ war.6)
Wenn eine Bauerschaftsstelle durch den Tod des bisherigen
Inhabers oder sonstwie frei geworden ist, so wird der zur Nach-
folge Berechtigte durch den Vorstand aufgefordert, sich zur
Aufnahme in die Bauerschaft zu melden.7) Der Bewerber
muss zunächst beweisen, dass ihm das betreffende Gut gehört.
So tritt ein Vater vor versammelter Bauerschaft ein Gut Land
mit zugehöriger Bauerschaft seinem Sohne ab.8) Der Käufer
muss den Kaufbrief vorzeigen, ^ andere legen die Originalrolle
eines Gutes vor,10) wodurch sie sich als Inhaber legitimieren;
statt beider genügt eine gerichtliche Beglaubigung, dass der
Bewerber Inhaber des Gutes ist, auf Grund dessen er die
Bauerschaft prätendiert.11) Die Inhaber von Meiergütern
>) Stockb. B. B. 84. Aug. 1693. 24. Aug. 1710. Uüst. B. B. 6. Dez. 1717.
Volm. Mast-Buch. S. 44.
а) St. B. B. 3. Juli 1828. Volm. Mast-Buch. S. 47.
3) Volm. Mast-Buch. S. 33. B. 30. August 1744.
4) a. a. O. S. 52.
б) Stöckli. B. B. 26. Aug. 1696.
6) Stockh. B. B. 24. Aug. 1684. Ebenso 24. Aug. 1692.
i) Volm. B. B. 21. September 1776: „weilen einige Bauerglieder in
vorherigen jahren verstorben undt dadurch die folgende bauerschaftsstellen
seyn erörtert worden, so seyn die Negeste in der Ordnung hierüber durch
den Bauerknecht avisirt worden, worüber auch erschienen und ihre berechtigkeit
vorgestellet.“ Ebenso a. a. 0. 25. Aug. 1743. 29. Aug. 1756.
8) Stockh. B. B. 24. Aug. 1729.
*) Stockh. B. B. 24. Aug. 1710: „prodncirt N. N. einen Kaufbrief
vermög dessen Joh. Beske ihrne ein holthauser guht landts verkauft.*
le) Stockh. B.B. 24. Aug. 1692: „producirteoriginalrullamübereinUeringer
guht Landes von einem hochw. Kapitel Stifts Geseke et snb eius Capitulari sigillo
de anno 1604“. a. a. 0. 5. Febr. 1703: „original rulle auf pargament beschrieben*.
Darunter ist eine Urkunde zu verstehen, in der die zu dem Gute gehörenden
Aecker aufgezäblt werden und die von einem Besitzer auf den andern übergeht.
u) Stockh. B. B. 19. Januar 1836: „zeigte eine gerichtliche Urkunde
vor, wornach er Ankäufer des Wietheimer Erbguts wäre“. In älterer Zeit
wird die Beglaubigung von dem Magistrat der Stadt ausgestellt oder ein
„Extractus protocolli Magistratus Gesocensis* vorgelegt
4*
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legitimieren sich „per productionem eines Meyer brieffs“1) oder
nur durch die Quittung, dass der Weinkauf an den Gutsherrn
gezahlt ist.2) Dann erfolgt die Aufnahme in die Bauerschaft
„salvo jure tertii“ oder „mitt Vorbehalt eines dritten seines
rechts“.3) Kann der Bewerber keine genügenden Beweise Vor-
bringen, wird er „angewisen seine intention besser darzutun.
bis dahin die baurschaft suspendirt wirdt,“4) oder es wird die
Aufnahme „aus ermangeln der requirirenden dokumenten bis
zur nächsten konvokation verschoben.“5) Wenn ein Bauerschafts-
recht nicht ausgeübt wurde, fielen die Nutzungen der Bauerscbaft
zu. Bei Abgang eines Mitgliedes war festgesetzt, dass „die
Erben des abgehenden bauren die nuzungen der baurschaft
geniesen solln, wenn selbiger vor Jakobi abgegangen oder ver-
storben, sollte aber dieser fall nach Jacobi sich erreichen, so
fällt der baurschaft für das jahr die nuzung anheim, und hat
der neue angenommene baur nicht ehender als das nechstfolgende
jahr zu partizipiren.“6)
Zur Mitgliedschaft ist Grossjährigkeit erfordert. Als einmal
der Sohn eines verstorbenen Bauern im Alter von 12 Jahren
aufgenommen werden sollte, protestierten die Mitglieder, weil
„es anjetzo das ansehn hette, das gegen alte hergebrachte
löbliche Gewohnheit lauter Kinder zu Bauern und Erben gemacht
werden konten.“7) Meist wird nur erwähnt, dass der Bewerber
„majorenn“ sei,8) zweimal auch das Alter, 19a) und 2010) Jahre,
angegeben.
Hat jemand bei der Bauerschaft Pächte und Brächten nicht
*) Stockt. B. B. 26. Aug. 1626: „qualiticirte sieb per productionem
eines Meyer brieffs Unter handt Ihro liochw. Fraw Abdissin wegen eines
Stockmar Stiftsguht“.
а) Hiist. B. B. 15. Juni 1719: .vermiige biebey producirter quitung
de 21. M&rty 1719 Br. Hochwürden Prior den weiukauff gezahlt bette* *•).
3) Volrn, B. B. 27. Aug. 1780.
«) Btockb. B. B. 26. Aug. 1705.
б) Volm. B. B. 24. Aug. 1687.
St. B. B. 21. Mai 1798.
7) HUst. B. B. 25. Juni 1702.
“) Btockb. B. B. 26. Aug. 1713: .weilen dieser nnbn majorennis uudt
die baurschaft selbst vertretten wolte“. Ebenso Hilst. B. B. 29. Jnni 1706.
*1 Btockb. B. B. 19. Aug. 1720.
*•) Volm. B. B. 28. Aug. 1740.
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gezahlt, so muss er sie vor der Aufnahme erlegen.1) Ebenso
muss der Käufer die Rückstände seines Vorgängers decken.2)
Wer es versäumt hat, sich pünktlich um die Bauerschaft zu
bewerben, und dadurch sich manchen Lasten der Zwischenzeit
entzogen hat, wird nicht eher aufgenommen, als „bis er erstlich
alle onera als geldt kollekten arbeit und sonsten das kontingent
so seinem guthe obliegen thuet beim geringsten bezahlt hat“.3)
Der Bewerber muss Bürger der Stadt Geseke sein.4) Ist
er es nicht, so muss er „stipuliren gegen Martini bttrger zu
werden,“5) oder „anloben, sich binnen 2 Monaten zum bürger
zu qualiviciren,“6) oder er wird „mit der kondition admittirt,
dass binnen jahres wegen villeicht restirenden bürgergeldes
völlige richtigkeit ad protocollum referiren solle.“7) Ferner
wird verlangt, dass der Bewerber ein ehrbares Gewerbe treibt.
So ist es Gesetz, dass „bey der baurschaft keiner admittiret
würde, der selbsten ein schäfer abgeben thäte“, und er kann
nur dann „admittiret werden, wan er beständig einen schäfer
halten undt somit niehmahlen die schafe selbst hüthen, viel-
weiniger die crepirte abdecken würde.“8)
Bei der Aufnahme muss das Bauerglied „stipulato“ oder
„durch Handtastung angeloben, R) mitt bauerrecht last und dracht
sich begnügen zu lassen,“ 10) oder sich „crpiethen mit bauerrecht
jedesmahl vergnügt zu sein“,11) ferner „praestanda zu prästiren,
’) Stockh. B. B. 24. Äug. 1723.
») Hüst. B. B. 24. Juni 1731. 24. Juni 1736.
*) Volm. B. B. 24. Aug. 1684.
*) Knieke, Einwanderung in den wegtf. Städten. S. 132: .Jeder
Inhaber von Stadtrechtsgut muss auch seinen Wohnsitz uud Bürgerrecht in
der Stadt haben“. Die gleiche Erscheinung bei den Kölner Bauerbänken.
Wrede, Kölner Bauerbänke. S. 20.
») Stockh. B. B. 24. Aug. 1726.
•) Volm. B. B. 28. Aug. 1740.
*) Stockh. B. B. 24. Aug. 1721.
») St. B. B. 15. Dez. 1778.
•) Hüst. B. B. 24. Juni 1736. a. a. O. 20. Juni 1750: .durch ge-
wöhnlichen Handttast“. ürimms Wörterbuch. Bd. IV. 7. 2. col. 419:
.Handtastung. Ergreifung der Hand, gelobend“.
>°) Volm. B. B. 24. Aug. 1686.
>*) a. a. O. 24. Aug. 1711. Darunter ist zu verstehen, dass sich der
Bewerber dem Bauerschaftsgerichte unterwerfen wolle.
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auf Citation zu erscheinen, gebott und verbott zu parieren",1)
und „dass er sich einem ehrbaren bawer gemäss auffUhren
wollte“.2) Dafür hat er 2 Bürgen oder „wahrbürgen zu stellen“,3)
auch wohl einen Bürgen und einen „Vorsprecher“,4) welche
„dan adstipulirt, dass Sie dahin caviren theten, gestalt der N.
sich mit baurrecht vergnügen lassen solle“,5) oder „sich zu jeder
vorfallenden Beschwer da der jetz angenommener Bauer sich
der gebühr und nach baurrecht nicht verhalten sollte, dajegen
zu ? sich offeriren“.®) Wenn diese „praosentes et acceptantes
vor denselben einzutretten sich schuldig offeriren, bitten sie, den-
selben anzunehmen“,7) dagegen muss der Bewerber „den bürgen
schadeloesshaltung versprechen“.8)
Wer also „die baurschaft gewinnen und deren midtgliedt
zu sein begehrt, muss erstlich uhraltem herkommen nach be-
weisen, von welchem Guhte er die baurschaft haben will, obs
Erbe, Lehen, Stuhl oder pachtgut sey, wer sein antecessor gewesen,
und mus de facto bürger sein, sonsten wird er nicht zugelassen,
ob er auch mit baurrecht will zufrieden sein, unt muss zwey
bürgen stellen und folgenden aydt abschweren, und legen seine
zweye finger auf dieses beygesetztes Creutz:
Ich N. gelobe und verspreche, dass ich dieser baurschaft
uhraltes recht unt gerechtigkeit wie dass von Churfürsten zu
ChurfÜrsten confirmirt will helfen bewahren, auf gebott und
verbott erscheinen und mit baurrecht zufrieden sein, nichts
ungebührliches so gegen ihr alt herkomenen recht und gerechtigkeit
strebet üben, auch nichts jegen den zeitlichen holtzgrafen unt
gantzen baurschaft in billigen Sachen vornemmen oder rath-
schlagen, sondern ihren nutzon forderen unt schaden wandelen
wo schade geschehen dem holtzgrafen denuncyren, dem zeitlichen
vorgestelleten holtzgrafen in baurschaftssachen gehorsahmen, bey
versamblung der baurschaft mich ehrlich halten alle unnütze
>) Stockh. B. B. *4. Aug. 1725. Hiist. B. B. 16. Juni 1715.
*) Hilst. B. B. 20. Juni 1760.
*) Volm. B. B. 24. Aug. 1687. Httst 20. Juni 1756.
*) Volm. B. B. 24. Aug. 1666. Latinisiert „caventes“. Stock. B. B.
24. Aug. 1725.
6) Volm. B. B. 24. Aug. 1700. 26. Aug. 1701.
*) a. a. 0. 25. Aug. 1721. Aebnlich Hüst. B. B. 16. Juni 1716.
') a. a. 0. 24. Aug. 1712.
*) a. a. 0. 24. Aug. 1666.
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geschwätze, fluchen, schweere, Scheltwort, hader, zanck, und
sonsten >alle unerbarkeit meiden bey Verlust der baurschaft. So
helf mir Gott undt die heiligen Evangelia.
Wan er den aydt abschworen, muss er den holtzgrafen undt
gantzer baurschaft stipuliren.“1)
Bei der Aufnahme sind an Gebühren, die „Einkrönungsjura“
genannt werden, zu zahlen:
1. für die Bauerschaft 1 rth. 9 gr.,
2. für den Bauerknecht 4 gr. und
3. für Jahrkuchen oder Honigkuchen 4 gr.2)
Das Geld muss sofort gezahlt werden, höchstens wird dem
Bewerber „dilatio bis künftigen Sontagh verstattet.“3)
Sind einige der vorstehenden Bedingungen nicht erfüllt, so
muss der Inhaber des Gutes Land, an dem die Bauerschaft
klebt, einen Vertreter stellen. Dieser heisst „Gangenoss“.4)
Wer kein Bürger der Stadt Geseke ist, muss einen „gangenos
präsentiren,“5) ein anderer muss „den gangenoten platz für ihn
vertretten“.*) Ebenso tritt für die unmündigen Inhaber von
') Einl. zum ersten Volm. B. B. Vergl. auch Maurer, Geschichte
der Markverfassung. S. 114.
J) St. B. B. 16. März 1818. Stockb. B. B. 25. Aug. 1715. Hüst.
B. B. 16. Juni 1715. Voim. B. B. Einl. „dem baurkuecbt vier grosgen vor den
Willkomm“, und a. a. 0. 27. Sept, 1761. Vergl. auch Maurer, Dorf-
verfa8suug. I. S. 177.
s) Volm. B. B. 24. Ang. 1694.
*) So fast in jedem Gerichtsprotokolle sämtlicher Bauerschaften.
Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, s. v. ganerbe.
„Das Präfix ga- als Vertreter von lat. con = „zugleich mit“ war dem
Altgerm, geläufig.“ Der Gangenoss ist also der Mitgenoss, der den Inhaber
eines Bauerscbaftsgutes in allen die Bauerschaft betreffenden Angelegenheiten
vertritt. Jak. Grimm schreibt (Wiener Jahrbücher der Literatur. 1829.
Bd. 45. S. 128): „Die Gankgenoten haben die Mark za umgehen, ihre
Grenzen zu wahren.“ Seibertz, Die Freigrafscbaft Stalpe, S. 116 schreibt:
.Jeder Inhaber (eines Freigutes), wenn er nicht Bürger oder Einwohner
von Geseke war, musste einen Mandatar oder Gangenossen bei Hegung des
Freigerichts stellen."
6) Stockb. B. B. 24. Aug. 1712. Maurer, Dorfverfassung. I. S. 124.
Haussen, Agrarhistor. Abhandl. II. S. 117.
«) Hüst. B. B. 24. Juni 1709. Aehnlich Stockh. B. B. 24. Aug. 1679
a. a. 0. 24. Aug. 1693. St. B. B. 11. April 1842. a. a. 0. 12. Mai 1812.
Ein Bauer aus dem eine Stunde von Geseke entfernten Dorfe Verne, das
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Bauerschaftsgütern ein Gangenoss ein,1) bei Waisen gewöhnlich
der Vormund.2) Auch Frauen müssen sich bei der Bauerschaft
vertreten lassen.3) Witwen stellen meist ihren schon erwachsenen
Sohn,4) Schwiegermütter ihren Schwiegersohn.5) Ist ein Mitglied
durch Krankheit oder Altersschwäche verhindert, persönlich sich
den Pflichten der Bauerschaft zu unterziehen, so muss ein
Gangenoss für ihn eintreten.8) Der Vater „stell seinen . Sohn,
bittend denselben zu admittiren“,7) desgleichen wenn der
„schweger vatter nicht woll auf das persönlich erscheinen kann,
kommittirt er (dem Schwiegersohn), die bauerscbaft in seinem
nahmen zu gewinnen“.8) Wenn Korporationen Bauerschafts-
güter besitzen, müssen sie ebenfalls die „bauerschaftsgerechtigkeit
bekleiden lassen“8) durch einen Gangenossen. Für die Schulen
der Stadt tritt ein städtischer Beamter ein,10) das Stift stellt
einen seiner Beamten,11) ebenso werden die Jesuiten zu Paderborn,12)
das Kloster Böddeken13) und das Kloster Nazareth zu Störmede14)
vertreten. Auch ein Mitglied, das längere Zeit von Geseke
fern bleibt, muss „der Ordnung nach in seiner Abwesenheit zu
Ergentzung des collcgii einen gangenossen stellen“.15) Der
früher zu Paderborn, damals zum Königreich Westfalen gehörte, hat ein
Out Land gekauft. „Da es der Bauerschaft bekannt, dass der N. ein Aus-
länder (!) und einen gangenoss stellen muss“.
>) Stöckli. B. B. 26. August 1713. Uüst. B. B. 24. Juni 1723.
») Stockh. B. B. 24. August 1710. Uüst. B. B. 24. Juni 1733.
s) Volm. Hast-Buch. S. 44 C. St. B. B. 3. Juli 1828. Uüst. B. B.
24. Juni 1723 u. b. o.
«) Volm. B. B. 28. Aug. 1740.
») Stockh. B. B. 29. Ang. 1728. a. a. O. 29. Aug. 1729. Uüst. B. B.
29. Jnui 1721.
*) HUst. B. B. 24. Juni 1743.
7) Stockh. 24. Aug. 1721. Uüst. B. B. 24. Juni 1743: Bauerschafts-
mitglied kann der Sohn erst dann werden, wenn er Besitzer des Gutes ist,
also nach dem Tode des Vaters.
®) Stockh. B. B. 25. Aug. 1715. Ebenso Uüst. B. B. 24. Juni 1709.
Stockh. B. B. 25. Aug. 1715.
0) Volm. B. B. 21. Sept. 1775.
,0) Volm. Hast- Buch. S. 19.
") a. a. 0. S. 33 A.
>») a. a. O. S. 35.
>5) Volm. B. B. 21. Sept. 1776.
») Stockh. B. B. 24. Aug. J729.
Uüst. B. B. 24. Juni 1731.
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Bruder „giebt sich an gangenoss zu werden vor seinen in
frembden landen seyenden Bruder“,1) jemand, der in Oesterreich
weilt, hat Vertreter „qua mandatarios solchen Guts constituirt
und für den sie daher gangenothen werden“,2) ein anderer,
dessen „bruder einige zeit verreiset gewesen und ihme nicht
wisigh ob selbiger thott oder lebendig sey, hat sich resolvirt,
auch obligirt, vor seinen bruder eiozutretten“.3) Ist jedoch
ein Mitglied nur vorübergehend abwesend, braucht ein Gangenoss
nicht gestellt zu werden,4) die auf das betr. Gut fallenden
Lasten muss dann für die kurze Zeit ein anderer übernehmen.5)
Auch der Gangenoss muss sich vor der Aufnahme legitimieren.
Entweder muss der Inhaber vor versammelter Bauerschaft er-
klären, dass er den N. zu seinem Gangenossen bestelle,6) oder
der Bauerknecht bezeugt es im Aufträge des Besitzers,7) oder
der Gangenoss überreicht „Memorial und Bitt“ seines Auftrag-
gebers,8) eine schriftliche Urkunde8) oder „seine schriftliche
Volmacht von seinem Principalen“.9) Ist der Gangenoss noch
nicht Bürger, so wird er nur unter der Bedingung aufgenommen,
dass er „sich zwischen hier und necbsten S. Martini zum Bürger
qualificire“.10)
Der Sohn einer Witwe wird als Gangenoss aufgenommen,
obwohl er „zu besserer Erlernung seiner provession weinigstens
noch 2 Jahr reissen muss'1.11) Bei Aufnahme des Vertreters
’) Stöckli. B. B. 24. Ang. 1710.
») Htist. B. B. 26. Juni 1729.
*) Stockb. B. B. 24. Aug. 1681.
*) Volm. B. B. 29. Aug. 1756.
6) Yolm. B. B. 24. Aug. 1692. 24. Ang. 1703.
•) Stockh. B. B. 25. Aug. 1715. Hüst. B. B. 30. Juui 1720.
’) Stockb. B. B. 29. Aug. 1729.
*) Hüst B. B. 24. Juui 1709.
*) Stockh. B. B. 24. Aug. 1679. Eine solche Vollmacht aus dem
Jahre 1731 lautet t. B. : „Ich endts unterschriebene ertheile hietuit dem H.
Amtmann Heinrich Fttrstenberg macht undt gewaldt, die mir zuständige
bauerschaft nicht allein zu bekleiden, sondern auch alles dabey uSthiges zu
beobachten; gestalt ich dan alles, was Er in Kraft dieser Vollmacht in
meinem nahmen thuen wirdt, ratificiert haben will bey Verpfandung aller
meiner baab undt gütheren. so geschehen Paderborn d. 14 ton Augusti 1731.
Wittib Vogelius geb. Palmers.“
10) Hüst. B. B. 26. Juni 1729.
“) Volm. B. B. 1740.
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sind die gleichen „Einkrönungsgebühren“1) oder „Aufnahme-
gebühren“,2) auch Jura“3) genannt, zu zahlen, die von dem
Auftraggeber zu erlegen sind.3) Wenn der Gangenoss bald
nach der Aufnahme stirbt, wird gelegentlich die Hälfte
für den Nachfolger erlassen.3) Eine Witwe „sistirt zwar
einen gangenos ista conditione das wan sie binnen jalirs
sich wider verheyraten wolte, derselbe alsdan die baurschaft
vertretten solte absque novis juribus.“4) Auch der Gan-
genoss muss den Eid schwören5) und „desphals handttastung
thun“8) und ebenso 2 Bürgen stellen.8) Das Verhältnis zwischen
Gangenoss und Auftraggeber ist aus den Bauerschaftsbüchern
nicht klar ersichtlich. Der Gangenoss „lobt durch Handschlag
an, alle prästanda nahmeus seines prinzipalen zu entrichten“,7)
wogegen der Auftraggeber „sich verpflichtet, alles dasjenige,
was (der Gangenoss) in seinem Namen beschliessen, genehmigen
und verhandeln wird, so anzusehen, als wenn er es selbst ver-
handelt und vollzogen habe“.8) Danach geniesst der Inhaber
des Bauerschaftsgutes alle damit verbundenen Einkünfte,9) wo-
gegen er auch wieder alle Lasten zu tragen hat. Der Gangenoss
hat nur dafür zu sorgen, dass sein Auftraggeber allen Pflichten
nachkommt. Daher dankt ein Gangenoss auf, weil sein Prinzipal
die Gogräfenhafer nicht abliefert und er „diserthalb verdrisslichkeit
hette“.10)
Die Gangenossenschaft erlischt, wenn die Bedingungen für
die Aufnahme des Besitzers erfüllt sind. Gebt ein Gut in
andere Hände über und ist der neue Inhaber zur Aufnahme
qualificiert, so ist damit der Gangenoss „abgesetzt“,11) ebenso
wenn der Auftraggeber „maiorennis“ geworden ist und „die
*) Hiiat. H. B. 24. Juni 1744.
>) St. B. B. 12. Mai 1812.
*) Volm. B. B. 24. Aug. 1670.
«) Stockh. B. B. 25. Aug. 1716.
5) HÜst. B. B. 29. Juni 1721.
*) a. a. O. 24. Juni 1709.
7) St. B. B. 12. Mai 1812.
®) a. a. 0. 11. April 1842.
•) Stockh. B. B. 11. Januar 1836.
“) St. B. B. 24. Aug. 1739.
») a. a. O. 24. Aug. 1693. 24. Aug. 1723.
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baurschaft selbst vertretten will“.1) Wenn eine Frau sich
verheiratet, so wird ihr Mann Mitglied und der Gangenoss ab-
gesetzt.2) Die Baugenossenschaft während der Abwesenheit
des Inhabers hört bei dessen Rückkehr auf.3) Ein Sohn, der
für den Vater Gangenoss war, muss bei Aufnahme nach dessen
Tode wieder die Einkrönungsgebühren erlegen.4)
Von den die Bauerschaften bildenden Gütern sind nur
wenige geschlossen,5) die meisten sind in mehrere Teile zer-
fallen. Trotz der Landespolizei - Ordnung von 1723, dass „in
dem Herzogtum Westfalen keine schatzbare, so bürgerlich als
Bauerngüter vermittels Alieuation, Permutation, Distraktion,
noch sonsten einigerley Weise . . . von denen Bauernhöfen nicht
verschlissen werden“,6) setzt sich dieser Prozess der Teilung
bis zur Aufhebung der Bauerschaften fort. Schon frühzeitig
gibt es nicht blos halbe, sondern auch viertel Güter;7) „der
Soestisch vicarii Meyer sind ad 5 bis 6“ von einem Gute,8) ein
anderes Gut zerfällt in 8 Teile,9) und von einem Völmeder
Gute wird gar der zwölfte Teil erwähnt.10) Gegen Ende, be-
sonders seit der Aufhebung der Unteilbarkeit der Bauerngüter
und des Reconsolidationsrechtes im Jahre 1809 ") werden die
Verhältnisse immer ärger, so dass keine Ordnung mehr zu halten
ist. Alle Teilhaber dieser zersplissenen Güter können aber
nicht Mitglieder der Bauerschaften sein, sondern jedes Gut hat
nur ein Bauerscbaftsreeht. Zerfällt das bisher einheitliche Gut .
unter mehrere Besitzer, so haben diese sich entweder in Güte
darüber zu einigen, wie „die bauerschaft zwischen ihnen alterniren
*) ». a. O. 24. Aug. 1713. Hüst. B. B. 29. Juni 1706.
s) St. B. B. 3. Juli 1828.
*) Stockh. B. B. 24. Aug. 1681. 24. Aug. 1710.
Höst. B. B. 24. Juni 1744.
5) Ungeteilt waren um 1800 von den 28 Hölter Gätern 11.
„ ., „ 1800 „ „ 20 Httsteder Gätern 7.
,. „ „ 1800 „ „ 46 Völmeder Gätern 15.
„ „ ,. 1800 „ ., 42 St&lper Gütern 14.
6) Sommer, Darstellung der Rechtsverhältnisse der BauergUter. S. 62.
1) z. B. HUst. B. B. 24. Juni 1736. a. a. 0. 24. Juni 1751. Volm.
B. B. 26. Aug. 1731 u. 8. 0.
«) Stockh. B. B. 27. Aug. 1702.
•) a. a. 0. 24. Aug. 1696.
,0) Volm. B. B. 24. Aug. 1720.
, u) Sommer, a. a. O. S. 9. Beilage XI. ,
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60
soll“,’) oder „es müssen die Competetentes darüber sortiren“,2)
und die Bauerschaft hat „einen nach getrockenem Lose zn ad-
mittiren“.3) Bleibt jedoch ein Gut unverteilt, obwohl es mehreren
Besitzern gehört, so haben diese einen Gangenossen zu stellen.4)
Von den geschlossenen Gütern wird eine „Erbbauerschaft ohne
Interessenten bekleidet“5) oder „eine stehende Bauerschaft,
d. h. eine Bauerschaft, die ohne Interessenten ist“,6) mit einem
geteilten Gute dagegen ist „eine Wechselbauerschaft“ verbunden.7)
Bei diesen Gütern wechselt also das Bauerschaftsrecht unter
den Interessenten, bald ist dieser, bald jener Inhaber eines
Teiles des betreffenden Gutes Mitglied der Bauerschaft, und
zwar „derogestalt, dass einer nach dehme andern alternatim
davon Bauer sein müsse“.8) In dieser Beziehung ist Grundsatz,
dass auf den „die baurgerechtigkeit devolvirt“,9) dem „unerfüllt“,10)
dessen „vorsass mit thott abgangen“11) oder „sehlig verstorben“10)
ist. Es soll also der festgesetzten Reihenfolge nach jeder Teil-
haber eines Gutes die daran klebende Bauerschaft nach dem
Tode des Vorgängers an treten und bis zu seinem Tode bekleiden.
Verkauft der gegenwärtige Vertreter einer Bauerschaft seinen
zu dem Gute Land gehörenden Anteil, so geht die Bauerschaft
auf den Ankäufer „ad dies vitae“ des Verkäufers über,12) der
Ankäufer „gewinnt diese Bauerschaft bis auf den Todt seines
Verkäufers“,13) er wird „so lange zum baur acceptirt, als (der
') Stöckli. B. B. 24. Aug. 172J. Volm. B. B. 24. Aug. 1726.
4. Aug. 1714.
J) Höst. B. B. 24. Juni 1751.
5) Stockh. B. B. 29. Aug. 1728.
a. a. O. 26. Aug. 1709.
5) a. a. O. 24. Aug. 1721.
•) Volm. B. B. 24. Okt. 1834.
i) St. B. B. 31. Dezember 1817.
8) Hüst. B. B. 29. Juni 1706.
9) Stockh. B. B. 24. Aug. 1660.
IB) Hüst. B. B. 24. Juni 1723.
n) Stockh. B. B. 20. Aug. 1713. Ebenso Hüst. B. B. 29. Juni 1706.
Jemand erklärt, weil „nach Absterben seines Vatters der N. von jenerseith
baur gewesen“, so sei nach dessen Tode „also juxta alternationis modum
die baurschaft auf ihnen gefallen, als bathe, ne in futurum inde resultetur
Confusio zur Banrschaft admittiert zu werden“.
“) Volm. Mast-Buch. S. 27. 44. Hüst. B. B. 24. Juni 1736.
13) Volm. B. B. 26. Aug. 1731.
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61
Verkäufer) lebet, nach dessen Thodt die baurschaft auf den
Gegenteil fallen thut“.1) Und wenn der Käufer stirbt, so geht
die Bauerschaft auf seine Erben bis zum Tode des Verkäufers
über.2) Wenn der Inhaber der Bauerscbaft schon lange Zeit
von Geseke fort ist, ohne etwas von sich hören zu lassen, so
wird er unter der Annahme, er „wäre gewiss schon längst todt,3)
pro civiliter mortuo gehalten“,4) und das Bauerschaftsrecht geht
auf den Gegenteil über. Der Ehemann, der durch Heirat ein
Bauerschaftsgut erhalten hat, ist Mitglied bis zum Tode seiner
Frau.5) Wenn jemand von seinem Gutsherrn entsetzt, ab-
gemeiert wird, so geht die Bauerschaft nicht auf den Nach-
folger, sondern auf den nächstfolgenden Interessenten des
betreffenden Gutes über.6) Der Gangenoss muss bei dem Tode
seines Prinzipals die Bauerschaft einem andern abtreten.7)
Ebenso geht die Bauerschaft weiter, wenn der Gangenoss stirbt")
oder aus der Stadt zieht und dadurch das Bürgerrecht verliert.*)
Treten bei Erledigung einer Bauerschaftsstelle mehrere Bewerber
auf, die zugleich die Bauerschaft prätendieren, so „sollen die
alten bauerprotokolle nachgesehen werden, wehr undt welche
vormahls die bauerscbaft quaestionis betretten“,10) um so den
Berechtigten festzustellen. Ist dadurch keine Entscheidung zu
gewinnen, so wird einer aus den Prätendenten „durch die
mehrsten Stimmen“11) der Bauerschaftsmitglieder bestimmt. In
einem solchen Falle wird die Reihenfolge auch dadurch fest-
gesetzt, dass alle Interessenten ein Los ziehen, wodurch für die
>) Stöckli. B. B. 24. Aug. 1700.
*) St. B. B. 28. April 1832. Es sei jedoch bemerkt, dass in zwei
Fälleu (HUst. B. B. 6. Dez. 1717. 24. Juni 1727) die B&uerschaft beim
Verkaufe nicht auf den Käufer, sondern auf den folgenden Interessenten
Übergebt.
9) Stockh. B. B. 18. Januar 1836.
«) Hüst. B. B. 24. Juni 1731.
6) Volm. Mast-Buch. S. 52.
•) Volm. B. B. 24. Aug. 1718.
7) Höst. B. B. 24. Juni 1717.
») Volm. B. B. 24. Aug. 1696. 24 Aug. 1666. HUst. B. B. 24. Juni 1734.
St. B. B. 24. Aug. 1720.
*) Volm. B. B. 24. Aug. 1684.
10) Stockh. B. B. 24. Aug. 1704. Hilst. B. B. 29. Juni 1706. Ebenso
a. a. O. 26. Aug. 1703.
u) Volm. B. B. 30. Aug. 1749.
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62
Zukunft eine feste Ordnung eingeführt wird.1) Wenn jemand
„auf vielmaliger Erinnern nicht zu gewinnung der baurschaft
sich qualificiren will“,2) so wird er übergangen, und ein anderer
Interessent wird Mitglied. Es darf keine Zögerung in der
Uebernahme der Bauerschaft eintreten, nicht einmal wenn jemand
seinen Sohn aus der Fremde erwartet,3) sonst fällt sie an den
Gegenteil.
Hinsichtlich des Nutzens und der Last, die mit der
Bauerschaft verbunden sind, wird als Recht gewiesen: „wan die
mitinteressenten der baurschaft genutz alle Jahr mitt geniessen
wollen, dass auch alle und jedesmalig die last und Arbeit mitt
tragen oder mitt geniessen sollen“.4) So bitten 2 Brüder, die
eine Bauerschaft zusammen besitzen, einen von ihnen zu „ad-
mittiren, sich erbiethend gleiche onera und commoda zu tragen,
auch die jura, hierzu nötig, in sambt zu erlegen“,5) andere
„vergleichen sich dahin, dass (der eine) die baurschaft gewinnen
möge, die commoda aber in gleiche Theile partiren wollen,
welches dann nach (des einen) Thott (der andere) seinen (des
Toten) Erben gleichfalls prästiren solle.“6) Will einer von
mehreren Interessenten die Bauerschaft gewinnen, so muss er
sich zuvor mit ihnen „vergleichen und darüber einen Schein
beibringen“.7) Zuweilen einigen sich die Interessenten jedoch
1) 8t. B. B. 24. Aug. 1724.
*) a. a. O. 29. Aug. 1756. Es ist dies jedoch nicht dahin zu verstehen,
als wären alle Teilbesitzer eines Gutes gleichberechtigt. Der Orad der
Berechtigung ist abhängig von der Grösse des Anteils. Zerfällt z. B. ein
Out in 2 gleiche Teile, so sind beide Interessenten gleich berechtigt. Ebenso
wenn es in 3, 4 oder mehr gleiche Teile zerfällt. Besitzt jedoch der eine
Interessent die Hälfte, zwei weitere die andere Hälfte, so ist der erste
ebenso oft zum Qenusse der Bauerschaft im Turnus zuzulassen wie die
beiden andern. Es würde also folgende Beihenfolge eintreten:
1. Der Besitzer der einen Hälfte.
2. Der Besitzer des einen Viertels.
3. Der Besitzer der einen Hälfte.
4. Der Besitzer des andern Viertels.
Dasselbe gilt mutatis mutandis von allen andern Teilgütern.
») a. a. 0. 29. Aug. 1717.
*) Volm. B. B. 24. Aug. 1666.
R) Stockh. B. B. 29. Aug. 1728.
«) a. a. O. 26. Aug. 1715.
’) a. a. 0. 24. Aug. 1679. Aehnlicb St. B. B. 16. März 1818.
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63
dahin, dass jeder während der Zeit seiner Mitgliedschaft alle
mit der Bauerscbaft verbundenen Rechte geniessen, dafür aber
auch allein alle Lasten tragen soll.1) Sind mit einem geteilten
Gute unaufgeteilte Länder und Wiesen verbunden, so ist es
„unter den Meyern der Gebrauch, mit diesen ländern und Wiesen
brackzeitlich des Nutzens halber zu alterniren“.2) In der
letzten Zeit der Bauerschaften ist es durchweg Brauch, dass
die Interessenten „alles gemeinschaftlich in gleiche Teile ohne
allen Abzug teilen, einerlei wer als Bauerglied fungirt“.3)
Die Güter der Bauerschaften bestanden nicht nur aus Acker-
parzellen, sondern mit ihnen waren auch Stücke Wald verbunden,
die aus dem Gemeinwald ausgeschieden waren.'*) Diese zu den
Bauerschaftsgütern gehörenden Waldparzellen hiessen „Acht-
wercke“5) und wurden nach den betreffenden Gütern benannt,
z. B. „ein Heilig Drey König achtwerck“.8) Diese Achtwercke
konnten unter die Interessenten nicht gut aufgeteilt werden
und waren daher meist „sämptlichen interessenten zuständig“,7)
von denen sie gemeinschaftlich benutzt wurden. Doch wurde
der zu einem Gute gehörende Wald auch unter die Interessenten
aufgeteilt und verlost, weil „Uneinigkeit entstehen dorffe, der
saeh ein End zu machen“.8)
Mit jedem Gute war nur eine Bauerschaft verbunden, denn
„die baurschaft konnte von einem guht keine 2 baurschaften
gestehen“.0) Es konnte jedoch ein Mitglied mehrfach berechtigt
sein, wenn es mehrere Güter besass. So war bei der Hüsteder
Bauerschaft jemand zweimal berechtigt, von einem Gute ganz
und von einem andern zu einem Drittel,10) ebenso bei Stockheim
‘) St. B. B. 24. Januar 1702.
*) 3. Juli 1768: brackzeitlich d. h. jede Brachzeit, die 6 Jahre dauert,
geniesst ein anderer diese Länder.
5) Stockh. B. B. 19. Februar 1836. 16. Januar 1856. Ebenso St. B. B.
9. Harz 1842. 11. April 1842.
*) Bluntscbli, Wirtschaftliche Rechtsordnung der deutschen Dörfer.
8. 312. Hüst. B. B. 81. Jan. 1706. St. B. B. 18. Juni 1817.
6) Volm. B. B. 27. September 1684. Ueber Achtwerke s. Landau,
Territorien. S. 171.
®) Volm. B. B. 27. Jannar 1723.
7) a. a. O. 20. März 1721.
8) St. B. B. 30. Juni 1716. Weiteres s. den Abschnitt über die Allmende.
•) Stockh. B. B. 24. Aug. 1707.
10) Hüst. B. B. 24. Juni 1723.
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von zwei ganzen Gütern,1) gelegentlich war einer sogar dreimal
berechtigtes Mitglied.2) Natürlich konnte jeder die Mitgliedschaft
von mehreren Bauerschaften ausüben, wenn er in verschiedenen
Bauerscliaften Güter besass.3) Für die mehrfach berechtigten
Mitglieder war das Weistum gegeben: „Derjenige so 2 oder
drey oder mehr baurgerechtigkeit haben undt geniessen, dieselben
sollen wie billig von einem jeden Guthe die onera tragen“.4)
Doch kam es einmal vor, dass der Erbe von zwei Bauerschaften
bei der Aufnahme nicht doppelte, sondern einfache Einkrönungs-
gebühren zahlte.5)
Es war bei den Bauerschaften Vorschrift, dass „ein jeder
seine bawrschaft so vaciren wieder gewinnen soll bei Verlust
der bauergerechtigkeit, damit die Arbeit unt andere onera ab-
gestattet werden“.6) Wenn die Erben eines verstorbenen Mit-
gliedes beim Bauergerichte „als termino semel pro semper
ordinato sich nicht wieder accomodiren, sollten sie des Jahr
fellige baurgefelle nicht zu geniessen haben“.7) Wurde bei
Teilgütern von dem Interessenten, auf den die Bauerschaft im
Turnus gefallen war, kein Gangenoss gestellt, so ging das
Bauerrecht auf den folgenden Interessenten über;8) bei den
geschlossenen Gütern dagegen ruhte dann die Bauerschaft und
die damit verbundenen Einkünfte fielen der ganzen Bauerschaft
zu.9) Ebenso ging die Bauerschaft im Turnus weiter, wenn
berechtigte Interessenten „vor das mahl“1“) verzichteten oder
„die baurschaft nicht wider gewinnen wollten“11) oder freiwillig
„abtraten“.12) Von einem in Concurs geratenen Gute ruhte die
l) Stockb. B. B. 26. Aug. 1696. 25. Aug. 1706.
») 8t. B. B. 31. Okt. 1816. Stockb. B. B. 8. Juni 1681.
*) Stockb. B. B. 24. Aug. 1679. Gleiche Erscheinungen bei den
RSlner Bauerbänken. Wrede, Bauerbänke. S. 58.
4) Vota). B. B. 24. Aug. 1684.
6) Stockh. B. B. 26. Aug. 1696.
*) Volm. B. B. 24. Aug. 1684.
7) Stockh. B. B. 10. Januar 1688.
8) Volm. Mast-Buch. S. Sl vom Jahre 1782. Volm. B. B. 22. No-
vember 1779.
•) a. a. 0. 12. Juli 1780.
“) a. a. O. 25. Aug. 1743. 25. Aug. 1701.
,l) Volm. Mast-Buch. S. 33 B vom Jahre 1744.
n) Stockh. B. B. 26. Aug. 1696.
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Bauerschaft, „bis dahin sich ein Käufer beim Magistrat melden
wird, der alsdan sich de novo wird einkrönen lassen“,1) ebenso
war die Bauerschaft eines Gutes vakant, wenn sich kein Be-
sitzer meldete.2) Von einem Zeitpachtgute war der Pächter
während der Pachtzeit Bauerschaftsmitglied; war das Gut nicht
verpachtet, so ruhte auch die Bauerschaft.1) Wenn mehrere
Interessenten eines Teilgutes sich vor dem Bauergericht zur
Aufnahme meldeten und die Entscheidung nicht sogleich ge-
troffen werden konnte, wurde die Aufnahme bis zum nächst-
jährigen Gerichte verschoben, und die Bauerschaft blieb bis
dahin vakant.4) Bei der zum Teil grossen Zersplitterung der
Güter konnte es nicht ausbleiben, dass bei der Aufnahme in
der Wahl des berechtigten Interessenten ein Irrtum vorkam.
Wenn z. B. ein Gut in acht Teile zersplittert war, kam der
letzte Interessent erst dann an die Reihe, wenn alle Vorgänger
bis zu ihrem Tode die Bauerschaft vertreten hatten. Da konnten
bei der Wahl des Berechtigten Irrungen nicht ausbleiben.
Stellte sich dann später heraus, dass ein Irrtum vorgekommen
war, so wurde der zu Unrecht Aufgenommene ausgeschlossen
und statt seiner der im Turnus folgende aufgenommen.5) „Um
den Nutzen verglichen sich beide Teile“.6) Wenn einer ohne
Berechtigung „in die baurschaft hineingetrungen ist“, so wird
der Berechtigte „vor gehöriger Obrigkeit mandatum restituendi
fructus auszubringen nicht unterlassen“.7)
Die Beamten der Bauerschaft
An der Spitze der Bauerschaft steht der Holzgraf.8)
Wenn ein Holzgraf gestorben ist und „das zeitliche mit dem
’) Volm. Mast-Buch. fol. 60 v.
J) Stockh. B. B. 26. Januar 1836.
*) Volm. B. B. 28. Aug. 1768.
4) HQst. B. B. 26. Juni 1708. Stockh. B. B. 26. Aug. 1708. 24. Aug. 1724.
6) Volm. B. B. 24. August 1720. St. B. B. 3. Juli 1828. HUst.
B. B. 30. Juni 1726.
•) Volm. B. B. 19. Mai 1821.
7) Stockh. B. B. 24. Aug 1692.
8) Er trägt diesen Namen a potiori, weil von der Allmende der Wald
allein der Bauerschaft verblieben ist. Vergl. Maurer, Einleitung zur
Qeschichte usw. S. 44. Langwerth, Darstellung der im Herzogtum
Bremen bestehenden Jurisdiktionen. S. 87.
I.appc, Die Geacker Uauorsehaftcn 5
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B6
ewigen verwechselt“ hat,1) so muss „nach verflossener sechs-
wöchiger Zeit“ ein neuer gewählt werden.2) Der Vormund der
Bauerschaft3) lässt die Mitglieder zur Neuwahl gewöhnlich in
seiner Wohnung zusammenkommon.4) Hier werden dann zu-
nächst entweder „die beiden eitesten der baursekaft erwehlet,
die vota des künftigen holzgreven hinc inde anfzunehmen, denen
auch dan ein annotator beygegeben wird“,5) oder „nachdem (der
Vormund und ein anderes Mitglied) zu ausrechnung deren
Stimmen ausersehen worden, begeben sie sich auf ein apartes
Zimmer, und vernehmen von einem jeiden bawerglidt in separato
sein Votum, und annotiren dasselbe getrewlich“.*) Es wird auch
wohl ein „Kayserlicher Notarius requirirt, der Wahl eiues
newen Holtzgräfen beizuwohnen, deren (Bauerglieder) sämbtliche
vota getreulich ins besondere aufzunehmen“. Ihm werden zwei
Mitglieder „zur Einnehmung deren votis adjungirt, welchem
nach sämbtliche gliedere abtretten und jede in separato sein
votum abgeben“.7) „Hierauf werden die vota von man zu man
colligiert“.8) Wer durch Stimmenmehrheit8) gewählt ist, wird
„dan von anwesenden zum newen Holtzgrefon angenohmen undt
ihme darzu in optima forma congratuliert undt haben Herren
Erben und bawren dass Vertrawen zu New Erwehlten Herrn
Holtzgrefe, dass er jederzeit der baurschaft jura observiren
weder“.10) Der Holzgraf wird abwechselnd aus den Besitzern
der Erbgüter, den sog. Erben, und den Bauern oder Heuerlingeu
') Stockh. B. B. 23. Juli 1730.
а) Voim. B. B. 15. Oktober 1684.
3 ) S. u. S. 73.
*) Stock. B. B. 15. April 1721. Volm B. B. 10. Aug. 1710. Hüst.
B. B. 28. Okt. 1750.
б) Volm. B. B. 10. Aug. 1710.
•) Hüst. B. B. 28. Okt. 1760.
*) Volm. B. B. 29. Aug. 1751. St. B. B. 15. Oe*. 1772: „wie sie
viritim herein gekommen und ihre vota abgegeben“.
«) Hüst. B. B. 24. Juni 1705.
9) Volm. B. B. 29. Ang. 1761: „per plurimorum vota“. Stockb. B. B.
23. Juli 1730: „per vota m&iora“. a. a. 0. 23. Juli 1730: „per plurima
vota“. Volm. B. B. 24. Aug. 1684: „per pluralitatem votorum“. Hält.
B. B. 28. Okt. 1750: „durch die mebriste stimmen*.
Hüst B. B. 24. Juni 1717.
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erwählt,1) indem entweder die Erben oder die Bauern „einen
Abstand thun“2) oder „einen Abtritt thuen“,3) also sich von der
andern Partei trennen und aus ihrer Mitte den Holzgrafeu
wählen lassen. Weil aber infolge dieser streng durchgeführten
Abwechselung „die bauerschaft offtermahls in schaden gerathen,
ist also beliebt, Yon solcher alternation abzustehen und allemahls
einen so qualificirt zu erwehlen“.4) Bei der Hüsteder Bauerschaft
dagegen ist es „bräuchlich, dass aus den Erben ein neuer
Holtzgrefe erwehlet werden müste“5) und „die Herren Heuerlinge
aus den Erben eins der Baurschaft dienliches subjectum zum
Holtzgräfen erwehlen“.5) Im Jahre 1706 wollen auch hier die
Heuerlinge zur Holzgrafschaft zugelassen w’erden. Bei der
Versammlung „gewärtigen die Erben, dass die Herreu Heuerlinge
aus ihrem der Erben gremio einen newen Holtzgräfen erwehlen
wollten, wiedrigenphals sie gesinnet währen, ihnen einen Holtz-
gräfen vorzusotzen“. Die Heuerlinge protestieren dagegen, dass
die Erben „das jus Holtzgravii prätendiren, und würden solches
niehmals zugeben, absonderlich dahe doch bey andern Bauern-
schaften notoria praejudicia obhande», dass aus dehnen Heuer-
lingen Holtzgräfen erwehlet und de facto tales gefunden würden.
Daher die Heuerlinge ad simultaneum jus Holtzgravii bestünden,
weill aequalia onera abtragen und also aequale jus haben müssen,
sich vor wie nach ad notoria praejudicia beziehende und zu ihrer
Notthurft communicationemprotocollorum verlangende, in Eventum
aber wollten ad superiorem Holtzgravium scilicet zu Herrn
Bürgermeister und Rath provoziren“. Die beiden Parteien
können sich nicht einigen, und so wählen die Erben einen Holz-
grafen aus ihrer Mitte.6)
Der Holzgraf einer Bauerschaft soll nicht auch zugleich
dasselbe Amt bei einer andern bekleiden; wird er gleichwohl
*) Hüst. B. B. 6. Juni 1706. Volm. B. B. 15. Okt. 1684: .ob dass
zwaren vor dies mahl die Wahl an den U. Erben gestanden aus den
heuerlingen einen (sc. Uolzgrafen) zu eligireu*.
a) Stockh. B. B. 24. Aug. 1680.
*) Hüst. B. B. 24. Juni 1705. 24. Juni 1717: .einen abdritt ge-
nommen'4.
4) Volm. B. B. 20. Dezember 1696.
*) HÜBt. B. B. 24. Juni 1705.
«) a. a. O. 6. Juni 1706.
6»
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von einer zweiten gewählt, so „muss er die Holdergrebeschaft
abtretten“;1) einmal wird ihm die Annahme des Amtes freilich
gestattet, „jedoch citra consequentiam“.2) Wenn der Holzgraf
nicht im stände ist, den Amtspflichten nachzukommen, so wird
zu seiner Unterstützung ein Vizeholzgraf ernannt.3) Dieser hat
keinen Anspruch darauf, einmal Holzgraf zu werden, mit Abgang
des Holzgrafen ist er seines Amtes entsetzt,4) mag er sich auch
„bey hoher Obrigkeit bei seinem angeworbenen Recht fürderlichst
zu manuteniren suchen, absonderlich es ungereimt sein wollte,
einen reputierten Menschen ohne Ursach zu entsetzen“.5) Wenn
jedoch die Erben und Bauern „erfahren müssen, dass zeitiger
Herr Holtzgrefe wegen allemahl angebender entschuldigung
seiner Schwachheit der bawrschaft Nutzen und aufkommen
schlecht in acht nehme, befinden sie für nötig, salvo tarnen per
omnia honore (des Holzgrafen) einen newen Herrn Holtzgrefen
zu erwehlen“,0) und setzen damit den alten ab. Zuweilen dankt
der Holzgraf, wenn er alt und schwach geworden, selbst ab;7)
sonst bekleidet er sein Amt auf Lebenszeit. Ist er jedoch nur
vorübergehend „wegen vorhabender reise“3) oder „wegen Un-
pässlichkeit“9) oder „schwächheit halber“10) verhindert, pflegt
er einen andern „begehren zu lassen, seine stelle in soweit zu
vertreten“,8) oder er „substituirt einen andern, nöthiges zu ob-
serviren“.8) Bei einer Angelegenheit, die den Holzgraf selbst
betrifft, wird „der eiteste von der Bauerschaft“11) zu seiner
Vertretung bestimmt.
Der Holzgraf muss „der Bauerschaft in ihrem Gerichte
vorstehen“12) und dabei „das protocollum führen“.13) Er hat
>) Volm. B. B. 1654.
s) Volm. B. B. 26. Aug. 1736.
*) Hilst. B. B. 24. Juni 1702. 24. Juni 1706. Urkunde Uber Scbnad-
Weisung der Stockh. B. vom Jahre 1667.
4) Hüst. B. B. 6. Juni 1706.
5) a. a. 0. 24. Juni 1705.
•) a. a. O. 24. Juni 1717.
7) a. a. O. 24. Juni 1706.
*) Httst. B. B. 24. Juni 1724.
') Volm. B. B. 24. Aug. 1719.
>•) a. a. 0. 24. Aug. 1666.
") Stockb. B. B. 21. Juli 1682.
n) Hüst. B. B. 24. Juni 1705.
**) a. a. O. 24. Juni 1724. Siehe den Abschnitt über die Versammlungen.
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09
über Einnahme und Ausgabe bauerschaftlicher Gelder jedes Jahr
Rechenschaft abzulegen,1) bei Verpachtung von Ländern und
Wiesen, die der Bauerscbaft gehören, stellt er im Namen der
Bauerschaft den Meierbrief aus’) und bewahrt die Bücher und
Briefschaften der Bauerschaft.3) Bei Ausgängen zwecks Be-
sichtigung von Feldfreveln geht er gewöhnlich mit ins Feld.4)
Vor allem hat er die Genossenschaft nach aussen z. B. bei
Prozessen zu vertreten.3) Zur Fühlung von Prozessen muss
er von der Bauerschaft beauftragt sein,8) er „hat keine macht,
für sein haupt ohne vorwissen der banrschaft processus anzu-
fangen“,7) geschieht es gleichwohl, so muss er die Kosten selbst
zahlen.8) Auch für alle anderen Schäden, die der Bauerschaft
durch eigenmächtiges Vorgehen des Holzgrafen entstehen, muss
er aufkommen.®)
Für die mit dem Amte verbundenen Pflichten wird der
Holzgraf nnr sehr gering gelohnt. Das „Holzgrafensalarium“
beträgt bei Hüstede10) und Volmede11) 1 Th. 9 gr., bei Stockheim
und Heringhausen zusammen 2 Th. 18 gr.,IS) bei Stalpe 5 Th.'3)
Ausserdem erhält er jährlich sein Deputatholz ,4) und bekommt
bei allgemeiner Holzverteilung ein Fuder „vorab“.18) Wenn
Mast ist, darf er drei Schweine extra treiben18) und erhält von
jedem in Mast gehenden Schweine 1 gr. Schreibgeld.17) Bei ausser-
gewöhnlichen Bemühungen erhält er eine besondere Vergütung.18)
') Siehe den Abschnitt Qber das Finanzwesen.
*) Hüst. 24. Juni 1762.
s) a. a. O. 24. Juni 1717.
*) St. B. B. passim.
6) Stockh. B. B. 7. März 1709.
") Volm. B. B. 25. Aug. 1738.
7) Hüst. B. B. 24. Juni 1707.
»J St. B. B. 10. April 1829.
•) Volm. B. B. 24. Febr. 1834.
10) Hüst. B. B. 30. Juni 1748.
>*) Volm. B. B. 30. Aug. 1749.
IS) Stockh. B. B. 16. Juli 1725.
M) St. B. B. 12. Mai 1812.
14) a. a. O. 3. Juli 1828.
•5) Hüst. B. B. 26. Januar 1706. 17. Januar 1723.
'*) St. B. B. 28. September 1811.
”) St. B. B. 16. Okt. 1696.
>*) Stockh. B. B. 27. Aug. 1702. Hüst. B. B. 24. Juni 1705.
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70
Zur Regelung der wirtschaftlichen Angelegenheiten der
Bauerschaften waren die Brachstecher bestimmt. Ihre Auf-
gabe war es, wie schon der Name sagt, das Brachfeld abzu-
stechen.1) Ausserdem mussten sie das sog. Friedefeld, das
von Schäfern und Hirten nicht betrieben werden durfte, in der
Weise festsetzen,2) dass sie rund herum Büsche, die sog. Friede-
büsche, in die Erde steckten.'1) Die Beschlüsse der Bauerscbaft
über Ausbesserung der Wege waren von den Brachstechern
anszuführen.4) Ihre feldpolizeilichen Aufgaben bestanden darin,
der „baurschaft interesse fleissig in obacht zu nehmen, auch
Acht zu haben, dass sonst denen privatis mit abpflügen und
sonst kein schade zugefüget, und schaden thuende zeitig denuntiirt
und gebührend bestraft werden“.5) Bei Anzeige von Flur-
schäden sollten sie „auf jede Citation compariren, augenschein
einnehmen und darob ad protocollum referieren“,6) und bei der
jährlichen Versammlung der Bauerschaft wurden sie gelegentlich
gefragt, ob „ihrem wissen und gewissen nach nichts vorgefallen,
weil dies jahr gahr kein excess vorgebracht worden“.7) Es
sollte darauf „gesehen werden, dass zu den brachstechem
Ehrliche, aufrichtige, verstendige unt des orths kundige Leuthe
seyen undt genommen werden“.8) Bei Antritt ihres Amtes
hatten sie vor versammelter Bauerschaft den Eid9) zu schwören:
„Ich N. schwere, dass so oft Ich vom zeitlichen holtzgrefen
unt dieser bawrschaft begehret werde eine landt- oder holtz-
weisung zu tliuen dass Ich selbige Weisung laut vorgebrachten
rollen oder guten beweisstumben von beyden partheyen, aufrichtig])
ohne einige partialiteit, gunst, gäbe, freundtschafll, hass oder
>) Volm. 34. Aug. 1684.
>) ft. a. O. 3. September 1684. Stockb. H. B. 36. Aug. 1707.
13. September 1780.
>) a. a. 0. 7. Oktober L705.
«) a. a. O. 19. April 1783.
») HUat B. B. 34. Juni 1734.
*) a. ft. O. 86. Juni 1709.
7) Volm. B. B. 29. Aug. 1717.
") ft. a. 0. 24. Aug. 1684. Ebenda findet aicb die folgende .forma
juramenti* der Bracbgtecher.
9) Daher auch .aidtschwerer* (a. a. O.) und „aydtsckwera“ (Stockb.
B. B. 24. Aug. 1692) genannt.
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niedt verrichten will, und ad protoeollum bringen, auch nichts
in solchen begebenheiten ohne vorwissen des holtzgrefen in
dieser bawrschaft district üben oder verrichten, unt will auch
auf gebott erscheinen, undt wan Ich aussgeschicket werde vom
holtzgrefen unt bawrschaft einen augenschein einzunemmen oder
darzu helfen, denselben fleissig einnemmen undt die streitenden
partheyen meinem besten verstandnuss nach bawrrecht ent-
scheiden helfen ohne einige partialiteit, und alles was sich be-
funden dem holtzgrefen ad protoeollum fleissig referiren;1) Auch
so will Ich dieser bawrschaft Länderey, garten, wiesche, geholtz
unt waldemeinen so vill mir bewusst laut vorgebrachten
beweissthumben aufrichtig!» weisen und beschützen helfen so
vill möglich ist, fort!» dieser bawrschaft renthen wie die auch
nahmon haben mögen will helfen bewahren unt wass dessen in
abgangh kommen behülflich sein dass selbige wieder beygebracht
werden Es sey mitt gutem rahtt briefschaften oder beweissthumben,
auch allen schaden so woll zu holtz als zu felde an wegen
undt Stegen so geschehen, dem holtzgrefen und gantzer bawrschaft
denuncyren, undt also dieser bawrschaft als ein aidtschwerer
auch Ehrlicher aufrichtiger undt frommer mann getrewlich bey-
stehen will, allen schaden wandelen und Nutzen beförderen.
Also helf mir Gott undt die Heiligen Evangelia.“2)
') Ueber diese Tätigkeit siebe den Abschnitt über jus finium regundornm.
J) Eine andere Formel findet sich bei Stalpe. St. B. B. 24. Aug. 169«:
„Ich, N. N., gelobe und schwere zu Gott und allen seinen beyligen, dass
iclr auf erfordern hiesigen stalper Bauergericbts so oft einige landes- oder
holtzweisung solte vorgenohmen und von jemanden gesuchet werden, nach
meinem besten wissen und gewissen so viel und weit die von denen Partheyen
producirende briefliche urkunden, rollen oder glaubhafte designationes nacli-
weisen werden, einem jeden ohnpartheysch recht wiederfabren lassen,
niemanden aus lieb, gunst, gift oder hass uud neid etwass ab- oder zu-
weisen. sondern vermög absebwerenden ayds getreuwlicb und aufrichtig
handelen, auch da einige verlorne stück an holtz und lande, sie geboren
der baurschaft zu oder wehine sie wollen, mir Uber kurtz oder lang Vor-
kommen und darüber kundschaft erhalten oder wUrcklich haben mögte, solche
einem zeitigen boltzgreven und der gantzen baurschaft offenbahren, wie dau
der baurschaft schnallen, geholtz und dero selben zuständige oder ohne herre
lieggende Plätze ohne unterscheid und unterschleif weisen, danebst allen im
geholtz sowoll als felde befindenden schaden angeben solle und wolle, so
wahr mir (iott hilft uud seine beyligen Evangelien.“
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72
Der Braehstecher sind bei Httstede,1) Volmede2) und
Stalpe1) je vier, bei Stockheim4) für Höringhausen zwei, Stock*
heim zwei, Wietheim einer und für Passinghausen und Ebbing-
hausen zusammen einer, also im ganzen sechs. Bei Hüstede
werden je zwei aus den Erben und den Heuerlingen erwählt.5)
Ueber die Wahl der Brachstecher heisst es in den Protokollen:
„Dan seyn die alten brackstecher aufgestanden“6) und „haben
sich ex sessione begeben und einen abtritt genohmen, umb die
Wahl anderer vorzunehmen,“7) es sind „die vorigen Jahrs er-
wehlten Brachstecher zusahmen getretten und haben ahn ihren
platz erwehlet“,8) es haben „die alte aydtschwerers an ihren
platz erwehlet“ .'O Während danach die alten Brachsteeber
jedes Jahr ihre Nachfolger zu bestimmen haben, heisst es bei
Volmede einmal, „es seyndt von der gantzen baurschaft zu aydt-
schweren erwehlet und deputirt“.10) Doch scheint die Wahl
mehr eine Formsache gewesen zu sein, weil bei eingetretener
Verwirrung „die Ordnung der Brachstecher, um alle miss-
verständnis zu beseitigen, vorn im Buehe angefangen wurde“,1')
also jeder der Reihe nach dieses Amt antreten musste. Gegen
die Wahl der neuen Brachstecher darf die Bauerschaft
protestieren, wenn einer von ihnen „jegen bawerschaftliche
interesse gehandelt und mit anfanger eines Prozesses ist“.1*)
Die alten und neuen Brachstecher bilden eine besondere
Kommission zur Prüfung der Rechnung des Holzgrafen, die sie
zu unterschreiben haben.13) Ueber das Resultat müssen sie der
gesamten Bauerschaft Bericht erstatten.14) Für die Mühen
Hüst. B. B. 24. Juni 1707.
*) Volm. B. B. 29. Aug. 1761.
s) St. B. B. 18. Juni 1810.
4) Stöckli. B. B. 24. Aug. 1660.
6) Hüst. B. B. 24. Juni 1707.
4) a. a. O. 24. Juni 1730.
’) a. a. O. 24. Juni 1744.
e) a. a. 0. 24. Juni 1726.
*) Stockh. B. B. 24. Aug. 1692.
1#) Volm. B. B. 24 Aug. 1694.
") a. a. O. 17. Okt. 1808.
'*) a. a. O. 29. Aug. 1761.
,3) a. a. O. 31. Aug. 1727.
14) Stockb. B. B. 24. Aug. 1722.
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73
und Arbeiten, die mit dem Amte verbunden sind, erhalten die
Brachstecher .keine Vergütung. Jedoch „für extraordinäre
Mühe“1) und „wegen dieses Jahr vorgefallener arbeidt“2) wird
ihneu eine Entschädigung gewährt. Nach den im Aufträge
der Bauerschaft unternommenen Ausgängen ins Feld haben
sie jedesmal freie Zeche3) oder erhalten für den Tag z. B.
8 gr.<)
Jode Bauerschaft hatte einen Vormund. Dieser hatte
eine Kasse zu führen und jedes Jahr der gesamten Bauerschaft
Rechnung über Einnahmen und Ausgaben zu legen.5) Ferner
war er verpflichtet, den Bauerschaftsmitgliedern jährlich „das
traktament zu geben“.6) Er bekleidete dieses Amt ein Jahr;
nur gelegentlich findet sich, dass er 3 oder 4 Jahre Vormund
ist.7) Auch dieses Amt wird abwechselnd von einem Erben
und einem Heuerling bekleidet.8) Zu Hüstede haben „sowohl
Erben als heuerlinge concludiert, das hinführo umb alle Streitig-
keiten ferner zu verhüten, alter gewohnheit nach (die Vor-
mundschaft) alternierte und die Erben und Heuerlinge einjahr
umbs andere die Zehrung halten sollten“.9) Die Erben wählen
den Vormund aus den Heuerlingen und die Heuerlinge hin-
wiederum aus den Erben.10) Doch ist auch hier die Wahl Form-
sache. Der Vormund wird bestimmt „nach der einmahl gemachten
in principio innotirter Ordnung“.11) Als bei Stockheim „durch
Absonderung der Heringer bauren man in confusion geiahten
>) Stockh. B. B, 1778.
*) a. a. O. 20. Aug. 1731.
3) Siehe den Abschnitt über jus hui um regundorum.
<) St. B. B. 10. Aug. 1784.
s) Stockh. B. B. 19. Aug. 1720. Hiist. B. B. 1. De*. 1707.
*) Hüst. B. B. 30. Juni 1720.
,) s. B. Volm. B. B. 26. Aug. 1684.
8) Volm. B. B. 1659. ,to einem nigeu vormuneren erküren von den
Erfen“. 1663. item „von den hiirlingen*. a. a. O. 24. August 1684.
„da unter den Erben diesmahl die wähl gewesen undt als von einem Erb-
gudt die Last der Vormundschaft auf selbes guth gefallen*.
») Hüst. B. B. 24. Juni 1702.
10) Volm. B. B. 24. Aug. 1694: „worauf die heuerlinge alle auf-
gestanden und auf den Erben N. X. angeordnet, welcher dan dieses officium
schuldigst occupirt". 1695: „als haben sich die Erben zusahmengetahn undt
aus den heuerlingen erwehlt".
u) Stockh. B. B. 24. Aug. 1721. a. a. O. 19. Aug. 1720.
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und eben nicht gewusst, wohran die vormundtsch&ft devolvirt,
als ist placidirt, derhalb Zettel per numeros gezogen und ein
jeder nach seinem numer undt gezogenen Los die vormundtschaft
administriren solle“.1) Ebenso ist von der Volmeder Bauerschaft
„concludirt, dass wegen der Vormundschaft zu Verhütung
künftiger Differenz zwischen den Erben und Hewrlingen eins
vor all lottirt werden solle“.’) Der Vormund wird bestimmt
„der alten Observans nach durch umbhaltung eins blumeu-
krantzs“,*) des sog. „Vormundskranzes“,4) den der Holzgraf
dem dazu Erwählten „altem Gebrauch nach präsentirt“.8) Der
Kranz wird von dem neuen Vormund „wie brauchlich aufs
blosse Haupt gesetzt“.®) Nachdem er „sich bedaneken gethan“,7)
wird „demselben darzu Glück gewünscht und durch den Baur-
knecht solcher (Kranz) zu dessen Behausung geschickt“.“) Wenn
er zufällig in der Versammlung nicht anwesend ist, so wird
der Kranz entweder seinem Stellvertreter überreicht*) oder „mit
dem behörigen bier durch den Knegt zugesandt“, ,0) worauf der
neue Vormund „dan dafür danck per famulum Burschapiae
sagen lässt“.11) Die Neuwahl findet bei dem üblichen Jabres-
festo, dem „Traktamente“ statt.1’) Als Lohn erhält er jährlich
ein Fuder Holz,18) das sog. „Vormünderfuder“,14) ferner treibt
er ein Schwein in die Mast,18) geniesst während des Amtsjahres
bauerscliaftliches Land1*) und bekommt gelegentlich etwas Geld
>) Stockh. B. B. 24. Aug. 1682.
*) Volm. Hast-Buch. S. 60.
3) Volm. B. B. 28. Aug. 1768.
«) a a. O. 28. Aug. 1735.
») Stockb. B. B. 19. Aug. 1720.
a) HUst. B. B. 26. Juni 1705: „Weilen der N. N. solchen Kranz wie
brauchlich nicht aufs blosse haupt sondern auf den hudt gesetzt“, wird er
bestraft.
’) Volm. B. B. 28. Aug. 1735.
“) Stockh. B. B. 19. Aug. 1720.
») Höst. B. B. 26. Juni 1718. 24. Juni 1724.
“) Volm. B. B. 25. Aug. 1770.
<>) Höst. B. B. 29. Juni 1721.
ia) a. a. O. 24. Juni 1702. 24. Juni 1762.
“) Stockh B. B. 1722. Höst. B. B. 26. Januar 1706.
>•) Volm. B. B. 24. Aug. 1698.
,s) a. a. O. 28. Septembej 1714.
l*) a. a. O 24. Aug. 1722. St. B. B. 12. Hai 1812.
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überwiesen.1) Von dem einkommenden Getreide erhält er „das
10. scheffel Krimpe in hartkorn undt das 9. schl in haber“.2)
Die meisten der Bauerschaft obliegenden Angelegenheiten
hat der Bauerknecht3) zu besorgen. Er muss ebenso wie
die schon genannten Beamten Mitglied der Bauerschaft sein,4)
erst wenn sich aus der Bauerschaft keiner bereit findet, wird
ein Fremder gewählt/’) Ist die Stelle frei geworden, so haben
sich aus dem Kreise der Mitglieder die Bewerber zu melden.
Die versammelte Bauerschaft wählt durch Stimmenmehrheit
einen von ihnen, während des die Bewerber die Versammlung
verlassen. Bei seiner Einführung hat er folgenden Eid „mitt
aufgerichteten Fingern“ zu schwören:6) „Ich N. schwere dass
Ich eine aufrichtige undt nach hiesiger Stadts Ellen abgemesseue
ruhten ad — 16 fuess oder — 8 — Ellen langh gebrauchen
will, unt die acker, garten oder wiessen, geholtz, driften undt
wege so mir zu messen vom zeitlichen holtzgreffen Erben und
bawren anbefohlen worden getrewlich undt aufrichtigh messen,
die Zahl der ruhten Ellen undt fuess fleissigh beobachten undt
dem zeitlichen holtzgrefen oder einem anderen von demselbigen
bevollmechtiget die zahl derselben überbringen undt das messen
also trewlichst verrichten. Auch so will ich keinen menschen
in dem bezirck velmeder7) gerechtigkeit ohne vorwissen dess
holtzgrefen kein landt, wiese, garten, geholtz oder wass mit
der ruhten kan gemessen werden, Messen, sondern alles mit vor-
wissen undt willen dess zeitigen holtzgrefen verrichten, undt will
fleissige aufsicht haben auf dass geholtz so woll der meyer als
bawrschaft geholtz es sey auf waldemeinen oder sonsten dass
der bawrschaft zugehörigh ist damitt nichts davon entrücket
oder verwüstet werde undt in specie an fruchtbahren bäumen
nndt jungen heisteren sondeni dieselbe jungen heister hegen
damitt dass geholtz nit zum Verderb gerahten möge, wan aber
>) Hiiat. B. B. 16. Jnli 1713.
а) Holtb. B. B. 10. Okt. 1784.
3J Aach Banerschaftsdiener, Bauerdiener, Famulus, Holzwärter, Holl-
knecht. Förster, Knecht und geschworener Messer genannt.
«) Volm. B. B. 3. Oktober 1779.
б) St. B. B. 24. Aug. 1766.
«) a. a. O. 24. Ang. 1684.
7) Bei den andern Banerschaften der entsprechende andere Name.
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schade geschehen solle, den thäter darüber ertappete oder er-
fahren kan wer den schaden getlian denselben gleich pfänden
undt dem holzgrefen dennncyren. So will ich auch allen Feldt-
schaden den schaden an wegen und Stegen dem holzgräfen
ofenbahren. Darneben will Ich der bawrschaft einkompften unt
gefalle trewlich undt fleissig beytreiben, undt die gebott und
verbott so mir vom holzgräfen anbefohlen werden fleissigh ver-
richten, auch allen nutzen der bawrschaft befördern unt allen
schaden so vill möglich verhüten, unt was geheimb ist keinem
menschen ofenbahren, und nichts nach gunst, gäbe, freundschaft,
hass oder niedt sondern alles fleissigh getrewlich undt aufrichtigh
verrichten. Also helf mir Gott undt die Heiligen Evangelia.“
Darauf muss „der angenommener Bauerknecht einen Driling
gutes biers der Bauerschaft geben.“1) Wenn der Bauerknecht
gestorben und noch kein neuer gewählt ist, muss der jüngste
aus der Bauerschaft bis zur Neuwahl diese Stelle bekleiden.'-2)
Bei Unfähigkeit, den Pflichten des Amtes nachzukommen, wird
entweder ein „interimistischer“ Bauerknecht gewählt,3) oder der
alte dankt auf.4) Wenn er dagegen „seine Dienste schlecht
observiret/’) seinen Knechtsdienst einige Jahr hero schlecht
verdritt, also dass dadurch der Bauerschaft ein ziemlicher
schaden zugekehret wird,“6) wird er abgesetzt. Bei „unhöflicher
Aufführung“7) wird er bestraft oder wogen „des schlechten
Betragens“ abgesetzt.8)
Die mit diesem Amte verbundenen Pflichten sind zum
grössten Teil schon in dem Eidschwur enthalten. Er hat die
Aufsicht in Wald und Feld zu führen, den Holzgrafen und die
Brachstecher bei Besichtigung der Feldfrevel zu begleiten,9) die
Länder abzumessen ,0) und die gefundenen Vergehen dem Holz-
grafen anzuzeigen. Ferner muss er die Mitglieder der Bauerschaft
>) Httst. B. B. 4. April 1707.
2) Volm. B. B. 24. Aug. 1666.
3) St. B. B. 19. Ang. 1725.
4) Hiist. B. B. 4. April 1707.
s) Volm. B. B. 3. Oktober 1779.
») Hiist. B. B. 26. Juni 1729.
?) Stockh. B. B. 1779.
») St. B. B. 28. De*. 1786.
*) Siebe den Abschnitt Uber die Feldpolizei.
IU) Siehe den Abschnitt Uber jus flnium regundornm.
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zu Versammlungen citieren,1) ebenso zum Begräbnis eines ver-
storbenen Mitgliedes einladen,2) kleinere Arbeiten an Wegen,
Gräben, Bächen usw. für die Bauerschaft verrichten,3) dem
neuen Vormund den Kranz überbringen, den Holzgraf zum Rat-
haus begleiten und das „Bauerbuch“ tragen4) und ähnliche
Kleinigkeiten.
Als Lohn für diese Arbeiten empfängt er jährlich 2 Thaler,5)
später 5 Thaler „zur Aufmunterung zu seiner ferneren Tätigkeit.“6)
Ausserdem ist ihm bauerschaftliches Land überwiesen, das sog.
„Knechtsland“7) oder „Deputatland“,8) eine „Trift und einige
morgen Kley“,9) eine Wiese10) usw. Diese Länder muss er selbst
bestellen, ohne Erlaubnis der Bauerschaft darf er sie nicht ver-
pachten.11) Ferner erhält er jährlich ein Paar Schuhe,12) zu deren
Beschaffung ihm gelegentlich ein Stück Land angewiesen wird.13)
Wenn Holz gehauen ist, bekommt er mit Holzgraf und Vor-
mund ein oder mehrere Fuder vorab.14) Bei Ausgängen erhält
er einen Teil der Strafgelder,15) bei Holzverkäufen von jedem
Baume ein Stammgeld,16) für Citirung zur Versammlung und
Einladung zum Begräbnis jedesmal 4 gr.17) und für ausser-
gewöhnliche Arbeiten eine entsprechende Vergütung.18)
Neben diesen stehenden Beamten werden zu vorübergehenden
Zwecken besondere Kommissionen eingesetzt. So haben die
alten und neuen Brachstecher die Rechnung des Vormunds zu
>) Stockh. B. B. 1818.
2) Hüst. B. B. 24. Juni 1734.
») Volm. B. B. 3. Mai 1730. 30. August 1733.
«) a. a. 0. 19. Mai 1781.
5) a. a. O. 10. Januar 1793.
«) St. B. B. 11. Mari 1842.
’) Stockh. B. B. 1810.
») Hüst. B. B. 29. Juni 1717.
») Stockh. B. B. 8. Juni 1681.
'•) a. a. 0. 24. Aug. 1680.
,l) Hüst B. B. 29. Juni 1717.
i») Volm. B. B. 24. Aug. 1698. Stockh. B. B. 1805.
1S) Scbnadweisung der Stockh. B. 1667.
■4) Hüst. B. B. 26. Januar 1706. 17. Januar 1723.
i>) Siehe den Abschnitt über die Feldpolizei.
'•) St. B. B. 3. Februar 1826.
'*) Hüst. B. B. 24. Juni 1734. Stockh. B. B. 1818.
18) Volm. B. B. 3. Mai 1730. 30. August 1733.
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prüfen und bei geringeren Anlässen Beschlüsse zu fassen.1) Zn
dem gleichen Zweck der Rechnungsprüfung wird einmal eine
Kommission von drei Mitgliedern eingesetzt,2) ebenso zu Führung
von Prozessen.3) In den letzten Jahren der Bauerschaftcn, wo
infolge der sich häufenden Geschäfte alle Mitglieder nicht jedes*
mal citiert werden konnten, wurden sechs Deputierte gewählt,4)
mit denen „in minder wichtigen Angelegenheiten beraten und
auch die Beschlüsse definitiv abgeschlossen werden konnten;
jedoch durfte dieses nicht andere geschehen als wenn der Wert
noch unter 12 Th betrug. Diese gelobten den versammelten
Bauereehaftsmitgliedern, nach Vorschrift und Gewissen das
Interesse der Bauerschaft wahrzunehmen und dem Holzgrafen
nach Kräften mit Rat und Tat au die Hand zu gehen.“
Die Versammlungen der Bauerschaften
Die im vorhergehenden Abschnitt genannten Beamten
waren die ausführenden Organe der Bauerschaften; in ihren
Handlungen waren sie an die Weisungen der Bauerschafts-
genossen gebunden. Diese gaben ihren Willen kund iu den
jährlichen Versammlungen, den Bauergerichten, 5) das von
Hüstede „altem Herkommen gemäss in festo Sti. Joannis
(24. Juni) gehalten“ wurde,8) von Volmede, Stalpe und Stockheim-
Heringhauseu „auf Bartholomaei“ (24. August)7) und von
Holthausen „in festo S. Laurentii“ (10. August).8) Weil der
24. August in die Zeit der Ernte fällt und somit mancher Ge-
nosse verhindert war, pflegte man, wenn „das festum Bartholomai
auf einen Freytag9) oder Sauibstag111) eingefallen“ war, das
Gericht auf den folgenden Sonntag zu verschieben. Später
') a. a. O. 2. Dezember 1722.
J) Hilst. B. B. 26. Jnoi 1709.
3) St. B. B. 30. März 1827.
*) a. a. O. 17. April 1833.
6) Lateinisch „ordinaria juridica". Stockh. B. B. 25. Aug. 1706.
») Hüst. B. B. 29. Juni 1706.
T) In den B. B. passim.
«) z. B. Holtli. B. B. 10. Aug. 1780.
») Stockh. B. B. 26. Aug. 1696.
>°) a. a. 0. 25. Aug. 1697.
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wurde ein- für allemal der Sonntag als Gerichtstag bestimmt,1)
bis infolge eines Churfiirstlichen Befehles, dass „keine Zusammen-
künfte oder Gelage aufm Sontag gehalten“’) werden sollen, wieder
der 24. August gewählt wurde. „So balt der Gottesdienst ge-
schehen“,3) erschienen die Genossen an den Sonntagen, sonst
genau „zwischen 12 und 1 Uhr nachmittag“4) „auf schlag
zwölf“®) oder „umb klock zwölf“.®) Konnten in einer Sitzung
sämtliche Angelegenheiten nicht erledigt werden, so wurde am
Nachmittag eine zweite etwa „in des Vormünders behausung
beym trunck bier“ abgehalten, ’) manche Sachen auch auf den
folgenden Tag verschoben und dann erledigt.8) Zu diesen
Jahresgerichten mussten die Mitglieder „ohncitirt erscheinen“.“)
Aus zwingenden Gründen wurde manchmal ein anderer Tag
gewählt. In Kriegszoiten „wegen der andauernden Durch-
märsche“,10) auch „wegen ankommende Herren Commissäre des
kopschatz halber“ ")| oder „wegen anderer geschehen wird
heutige Convention anticipirt“,1*) „anticipandogehalten“.'*) Ebenso
wenn „zeitiger Vormundt Herr Bürgermeister wegen eingefallenen
Landtags zu Arnsberg nicht erscheinen“'4) oder sonst „wegen
ehehaffter Behinderung“ '®)und „wegen sonderbahrer Verhinderung
in festo S. Joannis Baptistae das Gericht nicht geheget werden"1*)
konnte, wurde es auf einen späteren Tag verschoben. In diesen
Fällen mussten die Mitglieder zu der Versammlung cingeladeu
■) a. a. O. 19. Aug. 1731.
a) Volm. B. B. 25. Aug. 1770.
*) Stockh. B. B. 26. Aug. 1703.
*) Volm. B. B. 24. Aug. 1684.
®) Volm. B. B. 24. Aug. 1687.
*) Stockh. B. B. 30. Aug. 1716.
7) z. B. Hüst.. B. B. 24. Juni 1704 u. s. o. „ante“ und „poat
prandium“.
8) St. B. B. 22. Aug. 1717.
*) Stockh. B. B. 24. Aug. 1683. 24. Aug. 1724.
10) Hüst. B. B. 4. Juni 1758.
u) Stockh. B. B. 24. Aug. 1717.
ia) Hüst. B. B. 16. Juni 1715.
13) a. a. O. 20. Juni 1765.
'*) Stockh. B. B. 29. Aug. 1728.
“) Hüst. B. B. 30. Juni 1720.
I6) a. a. O. 26. Juni 1718.
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80
werden, sie erschienen „praevia citatione“1) oder „praevia
avisatione“.*) Aus besonderen Anlässen fielen die Jahres-
versammlungen zuweilen aus. So im siebenjährigen Kriege
„wegen der Viellen Durchmersche und einquartirungen der
Französchen Militz hat 1757 das bawerschaftliche gericht nicht
gehalten werden können“,®) auch 1761 nicht, als Herzog
Ferdinand von Braunschweig in der Geseker Feldmark lag und
zu Volmede, Stalpe, Hüstede und Holthausen Wiesen und
Aecker „abfuragirte“.*) Auch in den andern Jahren dieses
Krieges mussten die Versammlungen der Bauerschaften teils
wegen der Gefahren, teils wegen der Bedrängnisse und der
Armut, auch wegen Verbotes seitens der Behörden unterbleiben.
Erst 1764 konnte „nach hergestelleten lieben frieden“ wieder
Gericht gehalten werden.*)
Die Versammlungen wurden vor den Toren des Stadtbezirkes
abgehalten, in dem sich die Bauerschaften neu angebaut hatten.®)
Die Erben und Bauern von Stockheim, Wietheim, Ebbinghausen,
Passinghausen und mit ihnen die von Heringhausen „erschienen
an gewöhnlichem Gerichtsplatz vor der luischen pfordte“T)
„unter den zwey linnen“,8) die von Hüstede „in loco consueto
vor der Mühlenpforten“*) und die von Volniede „auf ihrem
ordentlichen Gerichtsplatz vorder oistpforten zur rechten seithe“10)
„auf dem Schützenhagen“.11) Ebendort hielten auch Stalpe1®)
und Holthausen ia) ihr Gericht. Aus zwingenden Gründen wurde
das Gericht manchmal an einen andern Platz verlegt, so „wegen
starcken Regewetters in des zeitigen vormünders haus“,14) „wegen
') Stockh. B. B. 29. Aug. 1728.
*) Volm. B. B. 29. Aug. 1717.
*) Höst. B. B. 1767.
‘) a. a. 0. 1761.
6) St. B. B. 1757—1764.
*) S. Karte H.
7) Stockh. B. B. 24. Aug. 1681 u. s. o.
e) a. a. O. 24. Aug. 1685. 24. Aug. 1704: „unter den liudeus*.
9) Hilst. B. B. 24. Juui 1708.
10) Volm. B. B. 29. Okt. 1675.
u) a. a. 0. 28. August 1735, 24. Aug. 1696: „vor der oistpforten
Suidseits als in loco consueto“.
») z. B. St. B. B. 24. Aug. 1748.
>3) z. B. Holth. B. B. 10. Aug. 1780.
“) Höst. B. B. 29. Juni 1721. Stockh. B. B. 24. Aug. 1714.
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81
eingefallenen regenwetters in dieWachtstubevorderoistpfoiten“.1)
In Kriegszeiten wählte man das Haus des Vormunds, „weilen
an gewöhnlichen Ort Bedenken getragen“,2) desgleichen pflegte
die Versammlung während der Verhandlungen „ex loco zu
weichen, weilen es unstättig und regnerisch Wetter gewesen,
und sich nach des Herrn Vormunders Hause zu begeben, all-
wolie man das Gericht gehalten“,3) ebenso „weilen Holtzgrewe
unvermögend, als seint (die Mitglieder) in dessen Behausung
erschienen“.4) Wenn ein anderer Platz gewählt wurde, musste
es den Mitgliedern bekannt gemacht werden, weil sie sonst,
wenn „gewöhnlicher Ort nicht bestimmt wird, nicht völlig Zu-
sammentreffen“.5) Zu diesen Versammlungen wurden von den
Kanzeln der beiden Kirchen alle eingeladen, die eine Klage
vorzubringen hatten.8)
•) Volm. B. B. 24. Aug. 1793.
2) Hüst. B. B. 4. Juni 1758.
s) Hüst. B. B. 24. Juni 1702.
4) Stockh. B. B. 24. Aug. 1701.
6) Hüst. B. B. 25. Juni 1717.
®) Diese Bekanntmachungen lauteten: .Anstehenden Dingstag so dar
seyn wird der 30. oder letzter Tag dieses zu endt nahenden Monaths Jtmy
soll das Baurgericbt geheget und gehalteu werden, da dan .lemandt
einige in solchem districtu verübte Bxcessen und Klag vorzubringeu, Kan
sich auf vorbesagten Tag dess Morgens mub Sieben Uhr am (Goriehtsplatz )
angeben und dem befinden nach bescheidts gewertigen.
Datum Gesick.
27 Juny 1682.
Holzgrebe Erben und Bauern zu *
.Zu wissen sey biemit Jedermenniglichen, dass auf Diugstag liegst
folgender Wochen so dar «ein wird der 22 dieses laufenden Monaths Juny
das Baurgericbt geheget werden solle, So dan Jemandt einige dahin
gehörige gebreche vorzubringen, Hatt sich an vorgemeltem Dingstag am
(Oerichtsplatz) morgens umb Sieben Uhr anzugeben, und dem befinden nach
bescheidts zu gewertigen.
Datum 17 Juny 1683
Holsgrebe Erben und Bauern zu “
.Auf anstehendem Mittwoch, so dar seyn wirdt der 4te dess bevor-
stehenden Monaths Novembris soll das Baurgericbt Morgens umb
8. Uhr gehalten werden, da dan Jemandt dess orths gehörige Klagen vor-
zubringen, Kan sich umb besagte Zeit und Tagh am (Gerichtsplatz) angeben
und bescheidts gewertigen.
Signatum Gesick 31. Oktobris 1687
Holzgrebe Erben und Bauern zu “
Lappe, Die Geseker Bauersiballi'n 8
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82
Die Mitglieder erschienen sehr oft nicht vollzählig, wie sich
aus vielen Präsenzlisten ergibt, es genügte, wenn sie „in ziemblicher
Anzahl“1) anwesend waren. Wer fern- blieb, musste sich vorher
entschuldigen,’) sonst wurde er bestraft.*) Ebenso mussten die,
die „zu spät ans gericht kamen“, je einen Jahrkuchen schenken.4)
Die gesamte Bauerschaft kam zusammen, „umb sothanes
Gericht zu bekleiden“,5) „erschien zu dessen Bekleidung““) und
„hegte das gewöhnliche Baurgericht“ 7) unter den üblichen
Formalitäten, „wobei auch observanda observht“.8) Der Holz-
graf führte den Vorsitz im Gericht, es wurde „praeside Holtz-
gravio“ gehalten,*) der ancb „das protocollum zu führen“ hatte.1*)
Doch wurde hierzu auch gelegentlich ein besonderer Schreiber
genommen.’1) Wenn der Holzgraf „wegen Krankheit,'*) leibs
Schwachheit”) oder vorhabender reise“14) an dem Gericht nicht
teilnehmen konnte, musste er einen Stellvertreter ernennen und
„durch ihn diesen Actum protokolliren lassen“.”) Zu Beginn
der Sitzung wurde „fürerst numerus der Herren Erben und
Bauren examinirt“,'*) der Holzgraf pflegte zu „befragen, ob alle
bawrglieder gegenwertig, darauf der baurknecht refortirte“.'7)
Die Teilnehmer sassen während des Gerichtes.1“) Gewöhnlich
') Stöckli. B. B. 24. Aug. 1727.
>) Volm. B. B. 24. Aug. 1066.
*) Stöckli. B. B. 24. Aug. 1712 *. B. mit 2 gr.
4) a. a. O. 24. Aug. 1711. Ueber Jahrkuclien g. den Abschnitt über
Sitten und Bräuche.
*) HÜ8t. B. B. 24. Juni 1726.
c) a. a. O. 24. Juni 1730.
') a. a. O. 24. Juni 173G.
8) Volm. B. B. 31. Aug. 1732.
•) Stockh. B. B. 26. Aug. 1716.
'») Hüat. B. B. 24. Juni 1724.
") Volm. B. B. 4. Juli 1676.
'*) Hiist. B. B. 29. Juli 1748.
ls) Volm. B. B. 24. Aug. 1722.
M) Hüst. B. B. 24. Juni 1724.
16) Volm. B. B. 24. Aug. 1722.
16J St. B. B. 24. Aug. 1690.
H) a. a. O. 24. Aug. 1687.
'*) Das geht aus der Bemerkung (Volm. B. B. 24. Aug. 1696) hervor:
.worauf die heuerlinge alle aufgestanden*. St. B. B. 24. Aug. 1712:
„Dieweil wegen eingefallenen regenwetters die bauren in loco consuoto nicht
sitzen künnen*.
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wurden zuerst die Brachstecher gewählt. Darauf wurde vom
Holzgrafen „anwesenden Herren Erben und bawren nach altem
herkommen vorgetragen, weil auf heutigen tagh die beysahmen-
kunft gehalten würde, ob jemand sich zum newen baurschafts-
genossen angeben wolle. Hierauf gab (der Bauerknecht) an,
dass N. die Bauerschaft gewinnen wolle“.1) Die das Gericht
beschäftigenden Fragen wurden dadurch entschieden, dass der
Holzgraf „votierte“’) und „die Herren Erben und Bauern einer
nach dem andern befraget wurden, ob ihnen bewusst, dass“ usw.,
worauf sie „überlegten und dan aussagten“®) oder „der sembt-
lichen anwesenden Herren Erben und Bauern Bescheid“ gegeben
wurde4) oder worauf „Erben und Bauern referirten“.6) Gelegent-
lich wurden auch die Aeltesten der Bauerschaft besonders befragt,6)
worauf vom Holzgraf der gegebene „bescheidt ertheilet“ wurde.7)
Klagen konnten schriftlich eingereicht werden.") * Es war „bei
allen baurschaften hieselbst rechtens und uhralt herpracht auch
noch in viridi observantia, dass keine procuratores beim baur-
gericht admittirt, sundern die citati selbst in processu sistiren
mussten“.*) Wurde über Vergehen abgeurteilt, so mussten die
Schuldigen die Sitzung verlassen.10) Der Beschluss der Bauer-
schaft wurde dem Anwesenden „in faciem publicirt“11) und auf
Wunsch im Auszug aus dem Protokoll überreicht.1’) War zu
einem Beschlüsse Einstimmigkeit erforderlich, so pflegten die
anwesenden Mitglieder, wenn auch „zwar in Exigua copia bey
einander, für ihre persona (etwas) zu bewilligen, übrige Meinung
den andern hiuterlassendt“.1®) Die Verhandlungen betrafen
gewöhnlich die Neuwahl der Brachstecher, Aufnahme neuer
>) Volm. B. B. 24. Aug. 1666.
а) a. a. O. 24. Aug. 1685.
») Stockh. B. B. 24. Aug. 1699.
*) Volm. B. B. 24. Aug. 1666.
*) a. a. 0. 24. Aug. 1712.
б) a. a. O. 24. Aug. 1689.
7) a. a. 0. 24. Aug. 1685.
8) a. a. O. 29. Okt. 1675.
s) a. a. O. 24. Aug. 1684.
*°) Stockh. B. B. 6. März 1693.
u) Hilst. B. B. 24. Juni 1730.
ls) a. a. O. 28. Januar 1714.
ls) a. a. 0. 28. Juni 1707.
ß*
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Mitglieder,*) Strafsachen*) und Geldangelegenheiten.3) Wenn
einmal nur wenige Mitglieder erschienen waren, wurden wichtige
Sachen bis zur nächsten Zusammenkunft verschoben.4)
Neben diesen jährlichen Bauergerichten fanden in dringenden
Fällen ausserordentliche Versammlungen statt. Bei Neu-
wahl des Holzgrafen,3) bei Verpachtung von bauerschaftlichen
Ländereien,*) zur Beratung Uber dringende Ausbesserung der
Wege,7) in Prozesssachen der Bauerschaft,8) bei schweren
Holzfreveln *) und bei Gesuchen um Bewilligung von Bauholz10)
wurden sämtliche Mitglieder besonders citiert,*1) indem gelegentlich
„die gehörige Citation ex ambone in beyden Pfarrkirchen erging“.15)
Diese Versammlungen fanden meist nicht auf dem Gericbtsplatze
statt, sondern im Hause des Holzgrafen,1*) „in dem heiligen
geist“,14) „auf dem Stadts- oder Rahthaus“,15) gewöhnlich am
Rathaus **) oder „unter den rhathaus im Keller“,17) auch einfach
„am Weinkeller“.18) Da die Gefahr bestand, dass viele Mit-
glieder fern blieben, wurden alle eingeladen „bey Straf ihres
voti“.1*) Wenn aber in einer Versammlung „anwesende gahr
wenig undt sich nicht resolviren konten, blieb (die vorliegende
Sache) ausgestellet bis zu anderweiter Zusammenkunft“ *",) oder
’) Nur bei den Jahre» Versammlungen konnten neue Mitglieder aufge-
nommen werden. Stockh. B. B. 26. Aug. 1701.
8. den Abschnitt Uber Jus finium regundorum.
3) S. den Abschnitt Uber das Finanzwesen.
«) St, B. B. 24. Aug. 1719.
6) S. o. S. 65.
•) Hüst. B. B. 6. De*. 1744.
7) Volm. B. B. 30. November 1721.
8) Stockh. B. B. 24. Februar 1684.
») a. a. O. 6. März 1693.
>») Volm. B. B. 26. Juni 1722.
n) Stockh. B. B. 7. Februar 1706.
>*) Volm. B. B. 4. Mai 1719.
>») Stockh. B. B. 14. Okt. 1827.
■*) Volm. B. B. 20. Januar 1692: ein Armen- und Krankenhaus.
l6) a. a. O. 21. Nov. 1722.
"*) Stockh. B. B. 13. Februar 1729.
»») a. a. O. 19. April 1722.
,e) a. a. 0. 8. Juni 1761. Volm. B. B. 20. De*. 1695.
'*) Volm B. B. 21. November 1722.
*>.i HUst. B. B. 26. Juni 1717.
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85
es wurde bei den abwesenden Mitgliedern „besondere Umfrage
gehalten“.') Bei Angelegenheiten, die eine schnelle Entscheidung
verlangten, sollten vom Holzgrafen „die Brackstecher undt
einige negst beym rathaus wohnende baurglieder auf (den andern
Tag) frühe umb 6 uhr im alten Keller zu erscheinen citirt und
dieselben vernohmen werden, wie es am besten anzufangen“.*)
Geheime Zusammenkünfte der Bauerglieder ohne Wissen des
Holzgrafen waren streng verboten. So waren einmal „derer
ad 15 beysahmen gewesen (im Hause des Vormunds) und hatten
ihn gefragt, ob er eins rnahls zapfen wolle“. Zwei Mitgliedern,
von denen der eine, „ad eiusmodi conventicula als citans sich
gebrauchen laesen“, der andere „in specie gesagt, die baursehaft
bette den holtzgraef eingesetzt, konte auch woll wider absetzen,
wurde der baursehaft sich zu endteusern auferlegt“, ebenso
allen übrigen „deswegen das sie in privato conventicula über
das Gehöltz gehabt“.®)
Die bauerschaftliehcn Flurgerichte
Die Bauerschaften übten über das gesamte Bauerschafts-
gebiet mit Ausschluss des Weidebezirkes die Feldpolizei aus,*)
sie waren die „berechtigte der feldpolizey“.®) Jedes Bauerglied
war verpflichtet, der „Stipulation nach alle delicte ad protocollum
anzugeben, wer solches schuldiger massen nicht angab, wurde
altem Gebrauch nach in Strafe condemnirt“.*) Zur Verhütung
von Forstfreveln war als Aufseher der Holzknecht bestimmt,
der zuweilen „mit 2 Gehilfen den forstfrevlern nachstellte“ 7)
und „die Holzdiebe in der Nacht aufpasste“. H) Besonders im
Winter waren Holzdiebstähle an der Tagesordnung. Daher
wurde bestimmt, dass der Reihe nach alle Mitglieder den Dieben
') St. B. B. 18. Juni 1810.
*) Stöckli. B. B. 6. April 1724.
s) a. a. O. 13. Januar 1686.
4) Vergl. darüber Maurer, Einleitung zur Geschichte usw. § 66.
Dorfverfassung. II. § 157 ff. Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte.
Index s. v. Dorfgericht.
6) Stockh. B. B. 15. Mai 1810.
*) a. a. O. 25. Aug. 1706.
7) a. a. O. 24. Dez. 1816.
•) a. a. O. 24. Dez. 1808.
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im Walde aufpassen sollten ') Diese sollten „mit Gewehr sich
zum Holtz begeben, so sie in der that ertappen thäten, herein-
bringen, gegen die flüchtigen oder wiederspenstigen ihr gewehr
jedoch ohne lebensgefahr gebrauchen undt denenselben mit einem
Schreckschuss nachschiessen“.3) Um die Forstfrevel möglichst
einzuschränken, durfte „vor Sonnenauf- und nach Sonnenunter-
gang weder Hieb noch Abfuhr statthaben ; wer sich ausser der
bestimmten Zeit mit einem Haugeschirr oder Wagen in dem
Bezirke betreten Hess, wurde als Holzdieb angesehen und be-
straft“.3) Die Bauerschaften hatten von Holzdieben um so mehr
zu leiden, weil Geseke mit seiner Feldmark zum grössten Teil
an das Fürstentum Paderborn grenzte und Untersuchung und
Bestrafung mit vielen Umständlichkeiten verbunden waren.4)
Zudem pflegten die Frevler die Zeugen einzuschüchtern, so dass
jemand „sagte, er forchte die Wahrheit zu sagen, weil er allein
wohnte“.*)
Die Forstfrevel bestanden zunächst darin, dass von dem
auf bauerschaftlichem Grunde gehauenen Holze, das unter
sämtliche Mitglieder verteilt war, dom einen und andern „das
mehrste holtz weggestohlen“ wurde.") Starke Bäume wurden
wegen der damit verbundenen Gefahr, leicht entdeckt zu werden,
gewöhnlich nicht gestohlen. Meist wurde Brennholz gehauen
wie Dörneiy) junge Eichen8) und das an Gräben und Wegen
wachsende Krüppelholz.*) Besondere waren die in dem Felde
allein Wohnenden leicht zu Holzdiebstählen geneigt. So wurde
„die Meiste Zeit (in der Oelmühle) der Kachelofen mit widen-
holtz angestochen, so dass an den Wiedenbäumen grossen Schaden
von Jahr zu Jahr geschah“. Es war nämlich Sitte, dass „bcy
Winterszeit die Junge so olie schlagen Hessen Nächtlicher weilen
widen undt ander holtz in die Mühle brachten und damit die
’) St. B. B. 20. Januar 1720.
*) a. a. O. 4. März 1718.
5) Stockh. B. B. 6. Sept. 1814.
*) a. a. O. 7. März 1709. Der Holzgraf musste dio Bauerschaft iu
dieser Augelegeuheit in Boke vor Gericht vertreten.
s) a. a. O. 1808. Ohne Datum.
«) a. a. O. 15. März 1703.
7) Hiist. B. B. 10. Okt. 1707.
8) Stockh. B. B. 1. Juni 1694.
») Hüst. B. B. 30. Okt. 1706.
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stube anhitzten“.1) Ferner wurden besonders im Frühjahr junge,
aufgeschossene Bäume zu „Feizbohnenstangen“2) oder „Hopfen-
stangen“3) aus dem Holze gestohlen. Wo sich solche „Vitz-
stöcke“ und „Vitsbohnenstangen“ in einem Hause oder Garten
fanden, musste der Besitzer über ihre Herkunft Rechenschaft
geben.4) Wenn ein Baum gehauen war und im Fallen einen
oder mehrere andere ruiniert hatte, so musste der Hauer diese
Bäume gegen eine von der Bauerschaft festgesetzte Taxe über-
nehmen, falls keine Böswilligkeit vorlag.5) War jedoch der
Schaden durch Fahrlässigkeit entstanden, so wurde verlangt,
dass an die Stelle der beschädigten Bäume neue gepflanzt wurden,
und obendrein wegen der Frevels eine Strafe festgesetzt.5) Die
gleichen Grundsätze kamen in Anwendung, wenn jemand auf
fremdem Grunde einen Baum gehauen hatte. War es aus
Unkenntnis der Schnad geschehen, so musste er für die Taxe
und gegen Erlegung der entstandenen Kosten übernommen
werden,7) lag böse Absicht zu Grunde, so trat noch eine scharfe
Bestrafung ein.8) Als ein besonders schweres Vergehen wurde
es angesehen, wenn „aus einer Hecke, die um einen Garten
ging, mehrere Stämme ausgehanen wurden, so dass das Vieh
eindringen“ konnte,9) ebenso wenn der Hagen, der ein Gehölz
nach aussen abschloss, weggehauen wurde, so dass „solches
geholtz, weilen selbiges auf dass feldt schiesset, dem Kuhehirten
sowoll als den schefern gantz geöfnet war, also dass die Kühe
ohne einige hinderung dareinfallen und verderben konnten“.10)
Ein solcher Frevler musste „den schaden nicht allein ersetzen,
sondern auch den ausgehauwenen hagen dergestalt zumachen,
damit durch das Viehe kein weiterer schade zugefügt werden
könne“,11) oder „einen beständigen grafen in platz des abge-
*) Hüst. B. B. 10. Februar 1700.
*) a. a. 0. 4. Mär* 1707.
*) a. a. O. 31. Mai 1706.
«) a. a. O. 29. Juni 1717. 25. Juni 1725.
s) Stockh. B. B. 27. April 1S06.
*) a. a. 0. 22. April 1697.
7) St. B. B. 11. Januar 1811.
•) a. a. O. 17. März 1812.
•) Hilst. B. B. 25. Juni 1708.
I0) Stöckli. B. B. 5. Februar 1703.
») Stockh B. B. 24. Aug. 1711.
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hauweneu bagens aussehmeissen oder aber mit einem lebendigen
hagen den ohrt dergestalten versehen, damit das Gehölz vor
allem schaden des Viehes versichert und behütet werden könne“.')
Auch die Benutzung der zu den geteilten Gütern gehörigen, im
gemeinsamen Niessbraueh verbliebenen Aehtwercke unterlag
der Regelung durch die Bauerschaft.2) Es war nämlich „von
sambtlichen Erben und bauren unanimiter concludiret, dass kein
baurglicd, welcher Interessenten hatt, erlaubt seye, ohne deren
eonseus einen bäum zu verkaufen oder zu verschenken“. Die
Einfahrt ins Gehölz war deshalb nur bei „Vorzeigung deren
interesseutcn Scheins“ gestattet.'1) Wer ohne Erlaubnis seiner
Interessenten in dem zugehörigen Achtwerck gehauen hatte,
wurde wegen „geschehenen einseitigen hauwens“ bestraft.4)
Wenn die Besitzer sich geeinigt hatten, „für Conservierung des
gehöltz kein holtz noch bäum zu hawen“, so wurde jedes Ver-
gehen durch „das ohne Vorwissen der interessenten gchawene
holtz“ von der Bauerschaft bestraft.5) Besonders streng war
es verboten, im Walde ein Feuer anzuzünden, was häufig von
den Pferdehütern geschah.8) Auch die Schäfer pflegten „beim
Legern von den im Schweinestall gesetzten Kluftern“ ein Feuer
zu machen,7) besonders im Winter „Teigen von den bäumen zu
howen,8) am Schweinestall das Stroh aus dem Tag zu ziehen“9)
und zu verbrennen. War jemand dabei gesehen worden, wie
er „mit einer tragt Dornenstemme (durch das Feld) kam, so
*) a. a. () 6. Februar 1703.
*) S. o. S. 63.
3) St. B. B. 24. Aug. 1736.
*) a. a. O. 26. Januar 1722.
6) Volm. B. B. 11. März 1712.
*) Stockh. B. B. 24. Aug. 1664. 4. Aug. 1702: Mehrere Delinquenten
haben .ihre pferde gehütet, alwo der H. Rohrinann feur angeschlagen utub
eine pfeife toback zu schmugen, alwo der Job. berg ein stückagen drückenes
boltz an rohrmannes tubackapfeife angezündet undt damit ein feuer, ungefehr
ein achritt von dem verbrannten bäum, gemacht, ihr naaae kidelen davon zu
drückenen, gestünde aber nicht dass er den bäum angezüudet sondern es
müste der bäum von dem inumelichen holtz, so Job. Iiump ex poat auf das
feur geschmissen, angegangen seyn".
7) Stockh. B. B. 26. April 1682. Legern = pirchen. Ueber den
Schweinestall s. den Abschnitt über die Allmende.
8) Volm. B. B. 19. Februar 1725.
') Stockh. B. B. 25. Aug. 1697.
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wurde er befraget, wo er solche stemme geholet undt mit wessen
Bewilligung solches undt woh gehauen“.') Den bei der Tat
ertappten Frevlern wurde das gehauene Holz uud das Beil ge-
nommen,1 2) einmal wurden die Diebe „im wegtragen ertapfet
und zur urkundt ihnen die Schuh abgenommen“.') Wenn der
Bauerschaft ein Diebstahl angezeigt wurde, erhielt der Bauer-
knecht den Befehl, dem Dieb etwa vor dem Osttore aufzupassen
und „anzudeuten, die Wagen aufs Markt zu führen und daselbst
das holtz bis zu fernerer Verordnung niederzulegen“.4) Doch
nicht nur der Holzdieb wurde bestraft, sondern jeder, der zugab,
dass „frembdes und gestohlenes holtz (in seinem Hause) zum
schaden und nachteil seines negstens verbrandt würde“/’)
In gleicher Weise hatten die Bauerschaften die in der
Ackerflur begangenen Frevel zu bestrafen. Wer „mit dem
diingel wagen durch den schon grünen roggen“") oder durch die
Gerste fuhr,7) wurde von der Bauerschaft bestraft, war jedoch
„excusirt“, wenn er „docirte, dass darzu vom (Besitzer) Urlaub
gehabt“.8) Ebenso war es verboten, das Heu über die
Wiesen anderer zu fahren.9) Wer bei solchen Delikten ertappt
wurde, dem wurde der Wagen gepfändet, bis er „zu redimirung
des abgepfendeten Holtzes“ Schadenersatz geleistet hatte,10) oder
ein Pferd genommen, das erst „relaxirt wurde data laesis
satisfactione et solutis expensis“.") Wurde der Frevel erst
später angezeigt, so wurde ebenfalls zur Pfändung geschritten,
wenn der Schuldige die Strafe und den Schadenersatz nicht
leisten wollte. So wurde in einer Mühle der dort liegende Oel-
samen eines Delinquenten mit Beschlag gelegt,12) gegen Untertanen
des Fürstentums Paderborn wurde „der Knecht angewiesen, wenn
') littst. B. B. 10. Fcbr. 1706.
‘) Stöckli. B. B. 10. Januar 168S.
’) Httst. B. B. 24. Juni 1708.
4) Volm. B. B. 14. Januar 16112.
s) HUst. B. B. 10. Februar 1706.
*) Volm. B. B. 27. Aug. 1742.
7) Httst. B. B. 80. Okt. 1706.
e) a. a. O. 25. Juui 1724.
*) a. a. O. 26. Aug. 1740. 8. November 1705.
10) Stockb. B. B. 5. Januar 1693.
") Httst. B. B. 4. Aug. 1732.
,s) a. a. O. 8. Nov. 1705.
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sie sich mit ihren Pferden wieder im Cölluischen sehen Hessen,
die Pferde zu arrestiren“,1) oder das noch nicht vollständig
eingefahrene Grummet wurde gepfändet.1) Kam es zu einer
Lokalbesichtigung, so musste der Schuldige die Ausgaugskosten
zahlen.2)
Ein fast in jeder Saatzeit zu rügender Frevel war es, dass
der Pflüger das schon bestellte Stück seines Nachbars als An-
wand benutzte und in der darauf stehenden Frucht wie Wurzeln,3)
Bohnen4) und „auf grünen roggen“5) wiederkehrte, wodurch
die Frucht „schädlich verdorben“ wurde.6) Es wurde in dieser
Hinsicht zuweilen so rücksichtslos gefrevelt, dass jemand „auf
(einem andern) zuständigem grünen und haudtlangen säet mit
flug und pferden witter umbkehrto, den flug aufm säet ein und
aussetzte undt somit totaliter verdarb“7) oder „auf fremden
land mit 3 pferden umbkehrte, der roggen verschleifte undt
damit solches nicht gemerket werden solle, solchen verschleiften
roggen abschnitt und den grund ad 5 fues umbgrub, wessenthall)
zu recht erkaudt wurde, dass Beklagter darahn zu tili gethan,
(dem Beschädigten) vor solchen schaden satisfaktion zu thuen
schuldig, der baurschall aber einen goldgulden vor straf undt
ausgangskösten zu erlegen angewiesen wurde“.8) Andere Flur-
beschädigungen bestanden darin, dass junge Füllen, die ins Feld
mitgenommen wurden, nicht angebunden wurden und so „im
roggen auf- und abliefen“,9) dass in der Nähe der Mühlen „die
Esels und Hunde Schaden im Roggen thaten“10) und vor allem
„dass anfstehender haber undt Waitzcn zu unterscheidtlichen
mahlen nach ausweis der alten und niwen foessporren undt
koets durch die kuhe verdorben wurde“.11) Besonders mussten
die Schäfer beobachtet werden, damit sie nicht im Felde ab-
1) a. a. O. 21. Juli 1705.
2) a. a. O. 25. Aug. 1740.
*) Volm. B. B. 28. Aug. 1740.
4) Hiist. B. B. 29. Juni 1721.
6) Volm. B. B. 12. April 1730. 28. .Juni 1723. 1. Sept. 1685.
•) Hiist. B. B. 29. Juni 1721.
7) Stockb. B. B. 7. Okt. 1705,
®) a. a. 0. 20. Nov. 1700.
®) a. a. O. 15. Mai 1708.
>°) Volm. B. B. 28. Juni 1723.
**) Stockb. B. B. 7. Aug. 1702.
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hüteten. So wurde einer bestraft, weil er „mit Kühe undt
füllen im Raufutter auf der baurdrifft gehütet“,1) oder „wegen
abheutungh des theichs wie dan auch das in dem Inunenbusch
gebeutet“.2) Ein anderer wurde in der Gerste „ertapfet und
dessen Schafe davor, behalten“,3) ebenso wurden die Müller
wegen des durch ihre Hühner, Gänse uud Enten angerichteten
Schadens bestraft.4) Pferde, die auf fremden Ländern weideten,
wurden in den Pfändestall getrieben und erst gegen Erlegung
der Strafe und Kosten freigegebeu.5) Besondere schwer wurde
es geahndet, wenn der „Kuhehirte friedebüsche des jüngst ab-
gestochenen Fridefeldts ausgezogen theils zerbrochen undt das-
selbe durehgangs gebeutet“ hatte.6) Zur Verhütung dieser
Frevel gingen zuweilen der Holzgraf, die Brachstecher und der
Bauerknecht ins Feld, und wo sie einen Delinquenten ertappten,
schritten sie sofort zur Execution.7)
Neben dieser negativen Aufgabe, Diebstähle in Wald und
Feld zu verhindern und Flurbeschädigungen zu bestrafen, hatten
die Bauerschaften auch manche Aufgaben zur Ermöglichung
und Hebung der landwirtschaftlichen Kultur zu lösen. In dieses
Gebiet gehörte zunächst der Wegebau. Nur die Bauerechaft
hatte das Recht, im Felde neue Wege anzulegen und das dazu
erforderliche Land zu enteignen.6) Wenn dagegen ein Privat-
mann für seinen Gebrauch einen Weg zum Teil über fremden
Grund und Boden machte, so wurde ihm die Benutzung unter-
sagt und er „des Verbrechens halber in strafe coudemnirt“.9)
Die Wege in der Geseker Feldmark hatten dasselbe Aussehen,
wie es uns die Schriftsteller von den Wegen im allgemeinen in
deutschen Landen erzählen, sie waren „in einen so schlechten
Stande, dass dieselben nicht einmal mit einem ledigen Wagen
>) a. a. 0. 24. Aug. 1698.
ä) a. a. 0. 24. Aug. 1681.
3) a. a. O. 24. Aug. 1686.
4) Volm. B. B. 2. Juli 1686.
6) Hüät. B. B. 22. Sept. 1706.
«) Stockh. B. B. 7. Okt. 1705.
7) Volm. B. B. 8. Okt. 1685.
*) Stockh. B. B. 1778. Unter Ausgaben: .dem N. N. für das Land,
worüber jetz der Weg gehet 23 Th.*
9) Hüst. B. B. 10. Februar 1706.
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durchzukommen war“5) und „dass die bereits abgemehete rogen
früchten aus hiesiger Gemarkung nicht darüber gebracht werden
konnten“.6) Die Landespolizey kümmerte sich nur wenig um
diese Angelegenheiten. Höchstens wenn „Ihre Churfürstliche
Durchlaucht Clemens August unser gnädigster Herr die Stadt
durchzupassircn willens“ war, wurden von der ChurfUrstlichen
Regierung zu Arnsberg Beamte „abgeschicket wegen der Visitation
zu kalten undt Anweisung zu thun, welchen weg am füglichsten
Iliro Durchlaucht Jassiren konnte“, und da der „ausgesehene
Weg ohnmöglich passabel war“, musste er von der Bauerschaft
in guten Stand gesetzt werden.1) Eine solche Reise hatte doch
schliesslich auch den Erfolg, dass „von Ihrer Ckurfürstlichen
Durchlaucht eine abormahlige Erinnerung die besserung der
Wege anlangend ins landt ausging“.'-) Die schlechten Wege
wurden in primitiver Weise dadurch passierbar gemacht, dass
die weiche Erde ausgeworfen wurde, so dass die Wagen über
den härteren Untergrund fahren konnten.3) Infolgedessen waren
die Wege bis zu einem Meter tiefer als das umliegende Land,
und auch heute noch lässt sich der Lauf der alten Wege deutlich
verfolgen, obwohl seit der Separation vor mehr als 30 Jahren
diese Wege verlassen und zum Ackerland gezogen sind. Nur
selten und dann auch nur auf die schlechtesten Stellen wurden
Steine4) und Grand ') gefahren. Gewöhnlich begnügte man sich
damit, dass man Dörner ausrodete,6) Weidenbäunie „stübte“7)
und das Unterholz der Wälder haute,6) auch ganze Bäume
„kloffte“ (spaltete)”) und das Holz in die gefährlichsten Stellen
warf und „mit erden deckte“.1'1) Die Arbeiten wurden entweder
von sämtlichen Mitgliedern bezw. deren Stellvertretern ver-
>) Stockh. B. B. 29. April 1817.
») a. a. O. 7. Aug. 1813.
») Stockh. B. B. 30. Juli 1724.
•) a. a. O. 24. Aug. 1725.
6) a. ft. O. 24. Aug. 167».
«) z. B. a. a. 0. 24. Aug. 1721. iliist. B. B. 25. Juui 1736.
7) Volm. 20. März 1721. 29. März 1798.
e) Stöckli. B. B. 19. April 1722.
’) Volm. B. B. 1764.
">) Stockh. B. B. SO. Aug. 1730.
ll) Volm. Mast-Buch. Einl.
«*) Volm. B. B. 30. Juli 1764.
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richtet1) oder mir „die fahren für geldt, jedoch dass sämbtliche
baurglieder dazu handtdienste thun sollen“.2) Manchmal wurden
die Fuhren und Arbeiten auch Delinquenten als Strafe auferlegt. "1)
Nur selten sollte „die nöhtige besserung der wegen aus gemeiner
der baurschaft mittelen geschehen und fürgenommen werden“,4)
besonders pflegten schwierigere Arbeiten verdungen zu werden.5)
Bauerknecht8) und Holzgraf7) hatten dabei die Aufsicht zu
führen.
In gleicher Weise hatten die Bauerschaften darauf zu sehen,
dass die Wege nicht beschädigt wurden. Yor allem musste eine
Verengerung der Wege durch die Anlieger verhindert werden.
Die Landbesitzer, deren Aecker auf einen Weg schossen und
die auf dem Wege wiederzukehren pflegten, die sog. „anwandts-
genossen“,8) setzten beim Pflügen den Pflug zu spät aus und
zu früh ein, so dass sie dadurch einen Teil des Weges zu ihrem
Lande zogen.8) Ebenso pflegten die Anlieger die Erde von den
Wegen auf ihr Land zu werfen9) und besonders die weniger
benutzten „mit Gras bewachsenen Wege auszustechen“, ,0) so dass
dadurch die Wege unbrauchbar gemacht wurden.11) Alle diese
Vergehen wurden von der Bauerschaft bestraft. Die zuletzt
genannten Wege waren meist „etwas hoch, dass (der Anlieger)
ohne ungemach sein landt nicht pflügen konte“, und es wurde
ihm deshalb „gegen erleggung von (z. B. 4 gr.) vergönnt, dass
der Weg seinem lande gleich machen möge“.12) Anlieger, deren
Aecker den Wegen parallel liefen, schränkten diese dadurch
ein, dass sie z. B. „3 foer vom Wege zu ihrem landt pflügten“.13)
Besonders schwer wurde es geahndet, wenn die durch das Land
*) Stockh. B. B. 20. Aug. 1730. Vota. B. B. 24. Aug. 1722,
а) Stockh. B. B. 24. Aog. 1726. 24. Aug. 1721.
3) Hüst. B. B. 25. Juni 1736. Vota. B. B. 20. März 1721.
‘) Stockh. B. B. 23. Juli 1730.
б) Vota. B. B. 1764.
•) Vota. Mast-Buch. Einl. 1721.
7) Stockh. B. B. 1. Mai 1730.
8) Stockh. B. B. 30. Juli 1726.
») a. a. 0. 22. Okt. 1723. Vota. B. B. 24. Aug. 169H.
I0) Vota. B. B. 24. Aug. 1690.
») Hüst. 1. B. B. 21. Okt. 1717.
'*) Hüst. B. B. 24. Juni 1710.
IS) Stockh. B. B. 7. Febr. 1700.
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laufenden Wege „absque licontia mnbgepflüget“1) und besät
wurden.2) Die Delinquenten hatten entweder eine Strafe zu
zahlen, oder es wurde ihnen das auf dem Wege stehende Korn
abgemäht.3)
Neben der Unterhaltung der Wege fiel den Bauerschaften
auch der Brückenbau als Aufgabe zu. Sie hatten beschädigte
Brücken zu reparieren4) und eingefallene neu zu bauen.5) Den
Privaten war es streng verboten, ohne Erlaubnis der Bauerschaft
über fliessende Bäche Brücken zu legen, weil sie zuweilen da-
durch das Flussbett versperrten, so dass „dadurch ville lender
verwüstet wurden und grosser Schaden geschah“. Ein solcher
Frevler wurde „andern zum abschew in (z. B. 2 Th.) straf
deklarirt“.6) Auch die nur für Fussgänger bestimmten schmalen
Uebergänge über Bäche, die sog. „Schemms“, z. B. über den
Völmeder Bach bei der Völmeder Mühle und der „Flaxroth“,7)
über die Schledde „beim Gerichte“8) und den Benninghauser
Bach „beim brannten bäum“8) mussten von den Bauerschaften
erhalten, und wenn sie „ruinös“8) waren, ersetzt werden. Auch
die Regulierung des Flussbettes der durch Bauerschaftsgebiet
fliessenden Bäche lag den Bauerschaften ob. Besonders die bei
starken Regenfällen gefährlich anschwellenden Schiedden im
Osten und Westen der Geseker Feldmark machten ihnen viel
zu schaffen. Die Ufer mussten fortwährend durch Einrammen
von Pfählen in Ordnung gehalten werden.9) Wenn die Bäche
„gantz und zumahlen bewachsen und voller Schlamms“ waren,
mussten die Bauerschaften sie „als ihnen zuständig ausreumen
und werfen lassen“.10) Ebenso mussten die Bauerschaften die
>) a. a. O. 26. Aug. 1706. 5. Juli 1681.
“) a. a. 0. 24. Aug. 1660.
3) a. a. O. 24. Aug. 1682.
4) Hüst. B. B. 6. De*. 1736. Volm. Mast-B. Einl. 1716.
6) Hüst. B. B. 30. Juni 1748.
6) a. a. 0. 28. Juli 1706. Hinsichtlich der Brücken, die von den Bauer-
schaften und den Huden gemeinsam benutzt wurden, war es Regel (Volm.
B. B. 19. Mai 1827), dass die Bauerschaft „die nilthigen Materialien unent-
geldlig beitrug, die Hude hingegen die Kosten und nilthigen Handarbeiten
leistete“.
7) Volm. B. B. 16. Mai 1749.
B) Stockh. B. B. 6. Mai 1724.
*) a. a. O. 1787. 1812. 1815.
••) Volm. B. B. 17. Juni 1700.
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in ihren Bezirken liegenden Gräben in stand halten und zu
Zeiten ausstechen1) und auswerfen2 *) lassen. Wenn ein Anlieger
einen Graben reinigte, um die Erde auf sein Land als Dünger
zu werfen, wurde er bestraft'1) und verurteilt, die Erde wieder
in den Graben zu werfen.4) Doch wurde es zuweilen gegen
eine Entschädigung an die Bauerschaft gestattet.5) Da die
Wege vielfach bedeutend tiefer lagen als das angrenzende Land,
so sammelte sich in ihnen nach Regenzeiten das Wasser an
und verdarb die anliegenden Aecker. Wer nun „gesinnet war,
in seinem Lande am Wege her einen Graben zu machen, damit
der Weg trucken bliebe und seinen Nachbahrn kein schade
zugefüget würde“, musste von der Bauerschaft die Erlaubnis
haben, die ihm „nach abgeernteten Roggen den platz zum graben
abzeichnete“.6) Wer einen zu seinem Lande gehörigen Graben
breiter machte und dadurch den Weg einengte, wurde bestraft
und musste den Graben in den alten Zustand bringen.7) Schliesslich
mussten die Bauerschaften auch die in ihren Distrikten gelegenen
Brunnen, die alten Dorfbrunnen, in stand halten und die dazu
erforderlichen Eimer liefern.8)
Diese Arbeiten wurden entweder von allen Mitgliedern zu-
sammen1*) oder durch Delinquenten als Strafe1") oder durch
Tagelöhner im Aufträge der Bauerschaften11) verrichtet. Wegen
dieser Pflicht zu „Unterhaltung der brücken und Wegebesserungen“
genossen die Bauerschaften „Steuer- und schatzungsfreyheit“.12)
1) HUst. B. B. 6. Dez. 1735.
s) Stockh. B. B. 1. Mai 1730. St. B. B. 30. April 1712.
3) Volm. B. B. 28. Sept. 1684.
«) Hüst. B. B. 26. Mai 1713.
6) Stockh. B. B. 24. Aug. 1699.
') HUst. B. B. 8. Nov. 1709.
7} a. a. 0. 26. Juni 1749.
8) St. B. B. 29. Juli 1720.
») Stockh. B. B. 9. März 1805.
>•) Hüst. B. B. 6. Dez. 1735.
n) Stockh. B. B. 6. Mai 1724.
'*) Volm. B. B. 16. März 1811: „Da zufolge gnädigster Verordnung
die Bauerschaften nach aufgehobener Steuer- und »ebatzungsfreyheit von
Unterhaltung der briieken und Wegebesserungen befreyet sind.“
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Ins fintum regundorum *)
Die wichtigste Aufgabe der Baucrschaftcn war es, in ihren
Gebieten die Grenzen in Wald und B’eld in Ordnung zu halten
und in strittigen Fällen zwischen den Parteien eine Entscheidung
durch Urteilsspruch herbeizuführen. Zunächst mussten sie die
Grenzen zwischen Gemeinbesitz und Privateigentum aufrecht
erhalten und besonders bei Abpflügen von den breiten Wegen,
den sog. Triften, „die angräntzenden, welche zu nae eingedrungen
hatten, wieder ab- und zu den Triften stechen“.2) Sodann
waren sie verpflichtet, jedem Besitzer auf seinen Wunsch die
Aecker zu messen und abzugrenzen. ') Wenn ein bisher ge-
schlossenes Gut Land geteilt wurde, musste die Bauerschaft
alle zu dem Gute gehörenden Parzellen in entsprechende Stücke
aufteilen,4) vor allem auch bei Meiergütern die in der „Meyer-
rottulle“ genannten Parzellen in der Feldflur aufweisen, gegen
die Nachbarn abgrenzen und etwa verloren gegangene wieder
aufsuchen.5) So war der frühere Besitzer eines Meiergutes „von
Kindt auf im Krieg6) herumgeloffen, also dieses guth in vorigem
Kriege sambt anderen Aeckern öde und wüst gelegen, nach
dem friedensschluss ein jeder das seinige angegriffen, dieses
guth aber liggen geblieben, (der Besitzer) auch als sich endtlich
allhier niedergelassen, seine ländereien dem einen hier dem
andern dort brackzeitlich verkauft, woraus dan erfolget, dass
kaum ein Stück landes juxta rullam seine Mahse hatte“. Sein
Nachfolger, dem das Gut „ex nova gratia von Ihro hochw\
H. Prälaten zum Abdinghof meyerstättisch untergethan, wusste
nun nicht anders als durch Messung sein undt seiner benach-
barten lander, sofern dieselbe etwas übrig hetten, zu seiner
Mahs zu gelangen. (Er bat daher), seine wie auch der benach-
bahrten Länder zu messen unt jedes rulle zu conferiren undt
») Volm. B. B. 16. März 1692. 1763. Stockh. B. B. 24. Aug. 1699.
23. Juli 1727 u. 8. o.
*) Volm. B. B. 17. Mai 1810.
Stockh. B. B. 1. Februar 1702.
4) a. a. O. 31. März 1700.
6) Hiitt. B. B. 1. Okt. 1704.
*) Es ist der 30jährige Krieg gemeint. Die Stelle findet sich Stockh.
B. B. 31. März 1700.
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sofern sicli an ein oder andern Stück Abgang oder lieber
schuss finden solte, Ihme hiesigen bauiTecht gemäss zu attri-
buiren“.
In der älteren Zeit mussten häufig Grenzstreitigkeiten ein-
treten, weil das Grundbuchwesen noch nicht geregelt war und
sichere Schnadzeichen fehlten. Oft bildete ein Graben die
Grenze,1) und „alle Triften und Gemeinweiden waren von den
daran grenszenden Grundstücken durch alte Grabens abge-
schnadet“.2) Statt der Gräben wurden auch wohl hintereinander
Kuhlen ') gegraben, so dass die Verbindungslinie die Grenze
war, oder die Grenze wurde „durch Ausgraben eines Klumps
Erde punktiert“.4) Statt dessen wurden auch Pfähle in die
Erde gerammt.5) Ferner zeigten „steine in die ausgegrabenen
Gruben gesetzt“ die Grenze an,6) oder es wurde „ein kiessel-
stein vor die rechte schnath erkandt“.7) Auch Hecken bildeten
die Grenze, hinter denen „den bekanten heerbringen nach (dem
Eigentümer der Hecke) l'/9 fuss gehörten“.6) In den Wäldern
dienten gewöhnlich Bäume als Grenzzeichen. Erwähnt werden
„eine schnadteiche, derhalben auch so dick erwachsen“,9) und
„zur Schnadbezeichnung bestimmt gewesene Kopfeichen“, '")
eine Pappel und ein Dornbusch,11) „am Westende eine alte
Eiche, in der mitte ein Erlenstamm, ins osten eine wiede“12)
oder „am ostende eine heister, im mitten eine Kopfwiede, am
westende ist ein hegedorn geknicket“ ’2) usw. Ein Schnadbaum,
der drei Besitzungen trennte: ein Achtwerck der Vicarie zu
den heiligen drei Königen an der Stadtkirche zu Geseke, ein
Achtwerck des Stiftes, dessen Schutzpatron der hl. (Jyriacus
war, und die Besitzung der Völmeder Bauerschaft, war nach
>) St. B. B. 1. April 1815. 2. Juli 1826. Stöckli. 26. Juui 1806.
s) Volm, B. B. 17. Mai 181G.
3) Stockh. B. B. 27. Juli 1712.
St. B. B. 2. Juli 1825.
6) Hilst. B. B. 1. Juli 1738. Stöckli. B. B. 25. Juni 1805.
0) Volm. B. B. 30. Juni 1706. Hilst. B. B. 22. Aug. 1712.
7) Volm. B. B. 5. Juli 1714.
*) Stockh. B. B. 13. April 1808.
9) a. a. 0. 16. Mai 1703.
•») St. B. B. 8. Juli 1820.
”) Stockh. B. B. 19. Aug. 1710.
IS) Volm. B. R 27. Sept. 1684.
I. appe, I>ie Gesekor Baiierschatteii 7
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den entsprechenden Richtungen hin mit folgenden Zeichen ver-
sehen: H = hl. drei Könige, SC = St. Cyriacus, V = Volmede,1)
ein anderer Baum war mit + und G gezeichnet’) und „eine
buche verzeichnet mit einem Kreyenfuss als eine Schnad be-
funden“.3) In ähnlicher Weise bildete zwischen Ackerparzellen
ein Weidenbaum4) oder „alte Schnadbüsche“*) oder „ausge-
schlagene Weisdornen und einige kleine Eichen“*) die Grenzen.
Solche Grenzbäume abzuhauen war „hochstrafbarlich“,7) und der
Schuldige wurde „zu anpflantzung einer newen schnaeteiche an-
gewiesen“.8) Allgemeine Grenzzeichen, besonders als Feld-
zeichen und Ausgangspunkt für Messungen waren Hecken und
breite Büsche, die „vor allem conservirt werden mussten“,*) so
dass sie sich Jahrhunderte laug gehalten haben trotz ihrer
scheinbaren Zwecklosigkeit.
Zwischen den einzelnen Ackerbeeten hatte sich im Laufe
der Zeit eine natürliche, zuverlässige Grenze gebildet. Das
Land „wurde in hoch gewölbten Beeten gepflügt, um dem
Wasser den erforderlichen Abzug von dem bebauten Lande
nach den Furchen zu sichern“.10) So kam es denn manchmal
vor, dass ein „Stück lands blanck stand, wie es gesät“ werden
sollte, so dass der Landmann „beyderseits 2 fuer (Furchen)
liggen lassen“ musste.11) Indem so das Wasser von den hohen
Rücken in die Furchen nach beiden Rändern hin abfloss, wurde
allmälich der in dem Boden noch zum Teil reichlich vorhandene
Diluvialsand12) weggewaschen und in den Grenzfurchen zusammen-
getragen. Noch heute kann man diese Beobachtung an Ländern
machen, die im Herbst gepflügt und den Winter Uber liegen
*) Volm. B. B. 27. Sept Sopt. 1084.
s) St. B. B. 1. April 1815.
3) a. a. O. 10. Märe 1717.
*) HUst. B. B. 30. Okt. 1706.
5) a. a. 0. 2. Aug. 1706.
“) St. B. B. 8. Juli 1820.
~l St. B. B. 26. Januar 1706.
») Stockb. B. B. 15. Mai 1703. St. B. B. 10. Februar 1787.
9) Volm. B. B. 25. Aug. 1737.
10) v. d. Goltz, Geacbichte der deutschen Landwirtschaft II. S. 267.
Hanssen. Agrarhistorische Abhandlungen. II. S. 260. Amu.
11 ) Stockh. B. B. 26. Aug. 1703.
“) 8. o. S. 3.
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geblieben sind. Schon in dieser kurzen Zeit hat sich in den
Furchen au den Ackerrändern eine beträchtliche Menge Sand
angesammelt. So bildete denn dieser in Jahrhunderten in die
Rinnen gespülte Sand, die sog. „Sand- oder Mehlfurche“, ')
zwischen den Ackerbeeten eine sichere, nicht leicht zu ver-
rückende Schnad, die bei Grenzstreitigkeiten aufgedeckt wurde,
wenn sie zugepflügt war, und meist die Entscheidung gab.2)
Doch gaben alle diese Sehnadzeichen keine durchaus feste
Grenze an, und die Bauerschaftsbüeher sind deshalb mit Grenz-
streitigkeiten Jahr für Jahr angefüllt. Besonders gab das sog.
„Teilland“, d. h. das Land, das unter zwei Besitzer noch nicht
genau aufgeteilt war, zu solchen Zwistigkeiten oft Anlass,3)
und die einzelnen Ackerparzellen waren manchmal derart ver-
schoben, dass keiner das ihm gehörige Stück genau angeben
konnte und Irrungen über die Grenze eintreten mussten.4) Nur
selten kam es vor, dass jemand seinem Nachbar zu nahe mähte,
weil die zwischen den beiden Ländern laufende Furche dem
Mäher einen sichern Anhaltspunkt gab, wie weit er gehen
durfte. Wenn Roggen6) oder Gerste“) einmal „über die vor
abgeschnitten“6) war, durfte das Getreide nicht abgefahren
werden „bis zu erörterung der Sache“,*) und der Delinquent
wurde „zur erstattung des Roggens ad J/4 Scheffel zu erlegen
angewiesen“.6) Wer in den Wiesen dem Nachbar „eine Gehe
Gras abgemehet“, musste „sich wegen zu nahe gemegeten
Grases abfinden und ein Bund Heu (dem Beschädigten) er-
statten“.’) Wenn ein Graben zwischen zwei Aeckern lief und
einem der Nachbarn gehörte, so durfte der andere die darin
enthaltene Erde nicht auf sein Land werfen,9) tat er es dennoch,
so wurde „selbigen boy willkürlicher Strafe anbefohlen, die aus
dem Graben auf sein landt geworfene Erde wider einzuwerfen“.'’)
l) St. B. B. 30. Äug. 1806.
s) Näheres hierüber s. u. S. 105.
3) Stockh. B. B. 24. Äug. 1711. 20. April 1722.
*) Hüst. B. B. 28. Okt, 1705.
6) Stockh. B. B. 27. Äug. 1678. 6. Äug. 1697. vor= Furche; sonst:
foer, fuer, fuhr genannt.
*) Volm. B. B. 3. Äug. 1714.
’) Hüst. B. B. 22. Ang. 1702. Stockh. B. B. 15. Aug. 1728.
") Hüst. B. B. 3. Ang. 1705.
») Stockh B. B. 30. Jnli 1682.
7*
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100
Die meisten Grenzfrevel geschahen durch Abpflügen, ge-
wöhnlich bei parallel laufenden Stücken dadurch, dass der eine
Nachbar von dem Stücke des andern einen Teil zu seinem
Acker pflügte. Dieser abgepflügte Teil konnte sich über das
ganze Stück erstrecken oder etwa „ahm westende 1 fuhr, in
der mitte und am Oistende 2 fuhr“ ’) oder nur an einem Ende,
dagegen in der Mitte und am andern Ende überhaupt nicht4)
oder nur in der Mitte, so dass „ein Bauch in das Land ging“.8)
Bei „2 wendigen“ Stücken konnte das ganze Stück oder nur
die Hälfte beschädigt sein.4) Meist war nur eine und andere
Furche abgepflügt, gelegentlich auch „4 fues oder einen schuthen
still lang in die längde undt machten solche vier fues wenigst
6 fuer“,8) einmal klagte sogar jemand, dass ein Nachbar „Ihme
von Jahren zu Jahren abgepflüget, also das Ihme an seiner
Morgenzahl ein mcrkliges manquiren th&te“.*) Zwischen einzelnen
Aeckern gab es auch eine sog. „Wandelfuhr“, d. h- eine Furche,
die weder dem einen noch dem andern Nachbar gehörte und
daher bald zu dem einen, bald zu dem andern Lande unbestraft
hinzugepflügt werden durfte.') Auch von den sog. Anwanden,
auf denen mehrere darauf schiessende Nachbarn wiederkehren
durften,; wurde abgepflügt, indem der Pflug zu spät ahs- und zu
früh eingesetzt wurde.8) Umgekehrt pflügte der Besitzer der
Anwand von den Köpfen der darauf schiessenden Stücke ab.8)
Hie und da gab es auch zwischen zwei Parzellen eine „grüne
Schnadefohr“,6) die nicht nmgepflügt werden durfte, sonst wurde
der Frevler „ad restitntionem der schnadefoer verweisiget“.10)
') Hiist. B. B. 26. Juni 1717.
*) a. a. 0. 2. Nov. 1726.
s) a. a. O. 28. Okt. 1706.
4) Stöckli. B. B. 27. Juni 1781.
6) Stockb. B. B. 18. Mai 1707. Schute = Spaten.
•) Volm. B. B. 6. Juni 1722.
7) a. a. O. 4. Juli 1708. So gab es auch bei den Brachfeldern
„Wandelitücke“, die „au beyden bracbfeldem gezogen werden* konnten, so
dass Schäfer und Schweinehirten „keine ursach hatten, eygenrichterlich zu
verfahren undt den schönen brachroggen inutliwilliger und hochstrafbarer
Weise abzuhüten“. Stockh. B. B. 11. Mai 1697.
8) HOst. B. B. 19. Okt. 1705.
*) a. a. 0. 30. Okt. 1706.
,#) Stockh. B. B. 24. Aug. 1696.
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101
Wenn ein Stück bestellt war, durfte der Pflug nicht mehr um
den Acker gehen, weil zu befürchten war, dass jemand diese
Gelegenheit benutzte, um von dem Nachbarstück eine Furche
zu seinem Lande zu ziehen. Gleichwohl kam es vor, dass
jemand „einige Tage sein stück landes ohne zuzupflügen liggen
gelassen undt hernacher erst zugepflüget hatte, damit desto
besser abpflügen können“,1) oder „dass er sein Land nicht gleich,
sondern eine Zeitlang hernach zupflügte“ ®) oder dass er, „nach-
demahlen er der erste im seggen gewesen, undt nachdem dessen
Nachbahrs auch gesegget undt ihr landt beführet, nachfuhrte“.8)
Solches Tun war „nicht breuchlich, sondern hochstraf bahr“,8)
„wieder akermans brauch und manier“,4) und „dieser in hiesiger
Fcltmarck ungewöhnliche Excess des nachfuhrens wurde, damit
sich ein anderer daran spiegeln solle, jedes Stück so nachgefort
auf eine Tonne biers oder 1 Th. 9 gr. gesetzt“.8) Wer bei der
Bestellung seines Landes den „roggen (seines Nachbars) mit
der Egde verschleifet“ hatte, wurde „exemplariter bestraft“.*)
Diese Frevel musste jedes Mitglied der Bauerschaft an-
zeigen, sobald es davon erfuhr.7) Ferner war der Bauerknecht
verpflichtet, alle zu seiner Kenntnis gekommenen Grenz-
verschiebungen dem Holzgrafen zu melden.8) Gewöhnlich zeigten
die Beschädigten selbst den Delinquenten an.®) Wer es unter-
liess etwa „wegen naher Freundschaft“,10) oder weil der Abpflüger
„ihm 3 Pf. Fleisch versprochen, das dieses abpflügen nicht entdeckte,
sondern dahevon Stillschweigen sollte“,11) wurde „wegen solcher
Verschweigung“ bestraft.11) Noch schwerer wurde es geahndet,
wenn jemand ohne Wissen der Bauerschaft das ihm genommene
») a. a. O. 23. Aug. 1725.
») Hiist. B. B. 29. Juni 1721.
3) Stöckli. B. B. 8. Okt. 1684.
•) St. B. B. 22. Januar 1696.
s) Stockb. B. B. 22. April 1697.
«) a. a. O. 12. Juni 1708.
7) S. o. S. 54.
8) S. o S. 75. Er hiess deshalb auch der „promotor officii bur-
gehapiae“. Volm. B. B, 24. Aug. 1721.
») Höst. B. B. 24. Juni 1705. 26. Okt. 1717. Stockh. B. B.
16. Nov. 1706.
•») Stockh. B. B. 18. Sept. 1701.
“) Höst. B. B. 1. Okt. 1704.
1J) Volm. B. B. 4. Aug. 1714.
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102
Land wieder zu seinem Stück pflügte. Ein solcher war „scharf
zu bestrafen, weil er gehörendt nicht geklaget und sein eigen-
richter gewesen“.’) Die Anzeigen konnten zu jeder Zeit dem
Holzgrafen erstattet werden, nur bei Gelegenheit erfolgten sie
während des Gerichts vor versammelter Bauerschaft, mit der
Bitte: „ihn zu seiner maas zu verhelfen“.’) Ausserdem wurden
jedes Jahr zwei Besichtigungen „im (Bauerschafts) felde und
sonst in ihrer Jurisdiktion“3) abgehalten, sog. „Ausgänge ex
officio“4) oder „fohr Visitationen“,*) im Sommer Ende Juni
oder Anfang Juli, im Winter Ende Oktober oder Anfang No-
vember.*) Entweder hielt „der Holtzgrafe mit fi Mitgliedern
als newen und alten Brackstecheren gewöhnlicher Massen den
Ausgang“,7) oder „6 Brachstecher, Vormund und Knecht
hielten den ordinären Ausgang“,8) oder vom Holzgrafen „wurde
dem Vormund und 2 Bauergliedern eommittirt, im felde ge-
schehenen schaden nachzusuchen und zu referiren“.“) Einige
Tage darauf „referirten sie, als sie mit dem Bauerknecht aus
Commission des zeitigen Holtzgräfen am 24. Nov., umb den in
hiesiger Bawrschaft distrikt geschehenen Excessen und Schaden
zu besichtigen, sicli zum Felde begeben, hätten alles fleissig
observirt und befunden, dass usw.“10) Wenn sie einen Frevel
entdeckten und den Besitzer des Landes nicht kannten, wurde
dem Bauerknecht „anbefohlen, sich zu erkundigen, weme dieses
stück zugehöre“. ") Diese Ausgänge unterblieben etwa wegen
der Gefahr in Kriegszeiten”) oder „wegen beständiges regen
wetter, da die Furchen voller Waser gestanden, so dass kein
Ausgang gehalten werden können“. ,s)
■) Stockh. B. B. 10. Mai 1711. 2. Juni 1786.
-) Hiist. B. B. 24. Juni 1705.
3) St. B. B. 1. Juli 1722.
’) Stockh. B. B. Nov. 1731.
5) St. B. B. 17. Juni 1796.
Nach einem Verzeichnis im Stockb. B. B. von 1777 bis isos.
7) Hüst. B. B. 26. Juni 1711.
») Stockh. B. B. 29. Okt. 1808.
9) Hüst. B. B. 24. Nov. 1735.
’°) a. a. O. 6. Dez. 1736.
»») Stockh. B. B. Nov. 1731.
'*) Volm. B. B. 1760.
’*) Stockh. B. B. 21. Okt. 1789, ähnlich Herbst 1804.
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103
War nun von einem Stück abgepflügt, so hatte sich der
Beschädigte zunächst an den Nachbar zu wenden, um sich in
Güte mit ihm über den angerichteten Schaden auseinander-
zusetzen.1) Kam zwischen beiden eine Einigung zu stände, so
musste „solches ad protocollum bursckapiae denuntyrt werden“.’)
Wenn jedoch der Beschädigte den Delinquenten „deshalb oftmals
besprochen, aber keine Satisfaktion erhalten“3) hatte oder ihn
„dieserhalb beschicket, er jedoch zu solcher restitution nicht
anschicken wollte“,4) musste die Sache dem Holzgraf angezeigt
weiden. Dieser schickte dann den Bauerknecht zu dem Ange-
klagten und Hess ihn auf die Folgen aufmerksam machen, wenn
er sich nicht in Güte mit dem Kläger auseinandersetzte, worauf
sich dann „Beklagter mit dem baurknecht coram protocollo
angab“ und sein Vergehen eingestand.5) Wenn er aber „auf
vorgehaltene Klagte antwortete“,“) er sei sich des Abpflügens
nicht bewusst, so musste an Ort und Stelle der „augenschein
eingenohmen“ werden.7) Zu diesem „extraordinären Ausgang“
mussten alle Personen durch den Bauerknecht geladen werden,")
der dann dem Holzgrafen berichten musste, dass er deu Ange-
klagten „in faciem verabladet“ oder „dessen fraw die citation
angekündiget“ hätte.9) Bei der Citation kam es einmal vor,
dass des Beklagten „fraw gegen ihn schändete und mit der
forcken ihn ausm Haus jagte“.10) Zu der Ortsbesichtigung
wurden eingeladen zunächst die streitenden Parteien, dann ein")
oder mehrere Brachstecher,1’) ferner der Vormund,18) auch wohl
„ein alter in dasiger gegend bekanter Manu“14) und „einige in
>) a. a. 0. 16. Dez. 1711.
’) Volm. B. B. 28. Sept. 1714.
s) Stöckli. B. B. 2. Juni 1685.
•) a. a. O. 10. Sept. 1787.
5) a. a. O. 17. Okt. 1723.
•) Volm. B. B. 31. März 1746.
7) Höst. B. B. 30. Juni 1720.
8) Stockh. B. B. 27. Juni 1781.
*) Stockh. B. B. 22. April 1697.
10) Hilst. B. B. 24. Jnni 1708.
n) a. a. 0. 3. Juni 1744.
1J) Stockh. B. B. 7. Nov. 1725 u. s. o.
“) Höst. B. B. 12. Jnti 1712.
>«) Volm. B. B. 26. Juli 1780.
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104
loco qust benachbahrte baurglieder“,1) ausserdem der Herr des
Knechtes, der abgepflügt hatte,’) und der Grundherr des schuldigen
Meiers.’) Ihnen schloss sich jedesmal der Bauerknecht und zu-
weilen auch der Holzgraf4) an, die also „auff geschehene Klagte
einen Ausgang hielten“.*) Der Termin wurde verschieden an-
gesetzt; meist sollte der Ausgang nach vorgebrachter Klage
gleich am folgenden Tage stattfinden,5) zuweilen jedoch „der
augenschein gelegentlich eingenohmen werden“.*) Auch die Zeit
des Ausgangs war verschieden, einmal „frühe umb 5 Uhr“,7)
um 7 Uhr,8) 8 Uhr’) und später am Nachmittag 2 Uhr. °)
Die Geladenen kamen vor den Toren zusammen, an denen sich
die Bauerschaften niedergelassen hatten, also bei Volmede vor
dem Osttor, u) bei Hüstede vor dem Mühlentor1’) und bei
Stockheim-Heringhausen vor dem Viehtor13) oder dem lüdischeu
Tor,14) und „erschien alsdan einer oder andere nicht, sollte
nicht destoweniger mit abmessung aller interessirten stücke be-
gonnen undt jedem das seiuige zugestochen werden“.’3) Es
wurde „daselbst denen Partheyen zu vordrist die güte vorge-
halten“.15) Wenn „dieselbe nicht haften wollte“15) und die
Parteien „sich in der güte nicht comportiren konnten“,1*) „sondern
oculoruni inspectionem gebotten“,17) dann wurden sie „dem baur-
recht gemess zur stipulation angewiesen“,18) „sich mitt baurrecht
vergnügen zu lassen“.'") Dann musste jede Partei einen Bürgen
*) Stockh. B. B. 2. Juni 1685.
’) Vota. B. B. 7. Okt. 1702.
3) ». a. 0. 4. Juli 1676.
<) Höst. B. B. 12. Juli 1712.
s) Stockh, B. B. 12. Juli 1726. Hiist. B. B. 30. Juni 1720.
“) Stockh. B. B. 28. Okt. 1723. 17. Aug. 1727.
7.1 a. a. 0. 12. Juli 1726.
Hüst. B. B. 30. Juni 1720.
9J a. a. O. 24. Juni 1705.
*•) St. B. B. 4. März 1813.
") Vota. B. B. 14. Nov. 1684. 2. Nov. 1695. 6. Juli 1722.
'») Hiist. B. B. 30. Juni 1720.
lä) Stockh. B. B. 12. Juli 1726.
M) a. a. 0. 7. Sept. 1685.
IS) Vota. B. B. 18. März 1710.
'•) a. a. O. 2. Nov. 1695.
>7; stockh. B. B. 7. Okt. 1684.
18) Vota. B. B. 14. Dez. 1690.
,a) Vota. B. B. 27. Sept. 1684.
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stellen und „angeloben, denselben schadlos zu halten“.1) Darauf
„erhoben sich die erschienenen ad locnni quaestionis“,*) um
„das factum in praesentia partum in augenschein zu nehmen“.11)
„Wer dan im Unrecht befunden, sollte die Strafe und aufgehende
Kosten gestehen“.4)
Ein etwas abweichendes Verfahren wurde eingeschlagen,
wenn der Bauerknecht oder die Brachstecher solche Frevel
berichteten. Entweder Hess der Holzgraf diese Fälle „bis zur
negsten bauerschaftlichen Convention“ ruhen,11) oder die Ange-
klagten „wurden zum sichern Tag citiert“") „bei straf (etwa)
eines goldtgulden“.’) Zu derselben Zeit Hess der Holzgraf die
Brachstecher in die Wohnung des Vormunds kommen, „wo bey
nebts auch alle excessisten des abpflügens citirt waren“.8) Hier
wurden die Angeklagten „vorgefordert“,*) und wenn sie die All-
klage bestritten, wurde gegen sie in derselben Weise wie bei
Privatklagen vorgegangen.
Zu diesen Lokalbesichtigungen hatten die streitenden
Parteien und die geladenen Nachbarn „ihre beweisthumb vor-
zubringen“,10) sei cs „eine alte auf Pergament geschriebene
Urkunde“11) oder ein Kaufbrief,1*) auch „rulle“ genannt,13) oder
ein Auszug aus dem Kataster der Stadt Geseke.1*) An Ort
und Stelle wurde „dem baurknecht anbefohlen, in beyden Ländern
zu graben und die sandfohr nachzusuchen“,111) und wenn „eine
') Volm. B. B. 27. Sept. 1684.
3) a. a. 0. 18. März 1710.
*) a. a. 0. 6. Juui 1722.
*) a. a. 0. 18. Januar 1685. 4. Juli 1676: Kin Kläger bittet, seiu
Land „sumptibus succumbentis in Augenschein zu nehmen“.
*) Höst. B. B. 10. Okt. 1707. 25. Okt. 1707.
*) a. a. O. 24. Juni 1741.
’) St. B. B. 22. Januar 1606.
b) Volm. B. B. 16. April 1769.
») Hiist. B. B. 30. Okt. 1706.
i*>> Volm. B. B. 27. Sept. 16h4.
”) St. B. B. 11. Juli 1817. 4. März 1813. Volm. B. B. 4. Juli 1676
>’) Stockh. B. B. 16. Nov. 1706.
IS) a. a. O. 18. Mai 1705. 26. April 1723.
,4j Hilst. B. B. 6. Juni 1744. 23. Juni 1745: „Extractus Catastri
Civitatis Oesicensis.“
15) Höst. B. B. 7. Aug. 1741 u. a. o.
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106
alte beständige fohr befunden“') wurde, war der Streit meist
entschieden. So war die Sandfurche das gewöhnliche Beweis-
mittel, und wenn daher ein Abpflüger „zu bedeckung seines
Verbrechens die in der schnath befindliche sant- und schcidefohr
aus dem gründe ausgepflüget“, so wurde er „wegen dabey er-
zeigten frevell und arglist“ scharf bestraft.*) Wenn jedoch
Korn auf dem Felde stand, unterblieb die Untersuchung, weil
„im grossen roggen sich nicht graben lasset“.3) Wenn aber
ohne Wissen der Bauerschaft „partes vorher wieder baurrecht
in der erde nachgesuchet“ batten,4) wurden sie wegen „eigen-
richterlich nachgesuchter und nachgegrabener sandtfuer“ bestraft.3)
Konnte auf diese Weise eine sichere Grenze nicht gefunden
werden oder wollten sich die Parteien dabei nicht beruhigen,
so wurde zur Abmessung geschritten. Dabei ging man von
einer in der Nähe gelegenen feststehenden Schnad aus.“) Eben-
deshalb „musten, wan der augenschein genaw genohmen werden
sölte, alle nachbahren und Interessenten benennet und darzu
citirt werden“.’) Von hier aus wurde dann „durch den ge-
schworenen Landmesser“8) „in twers (= quer) unt langk mitt
der Massruhten ab- und zugemessen“9) und das, was „nach
überschlagh der ruthe befunden“ war,10) mit der in den Urkunden
angegebenen Grösse verglichen. Ausserdem wurde gelegentlich
die Grenze bestimmt „nach ausweis des Mistes, sintemahlen des
Klägers Stück mit Mist bestrewet, des Beklagten landt aber
nicht gedünget war“,") oder wenn der Angeklagte „zuvordrist
den roggen mit der sichell abgeschnitten, wie solches die umge-
wendeten fohren nachwieseu“.1*) Darauf war „nach alter ob-
') Volm. B. B. 21. Mai 1712.
8) a. a. O. 20. Märt 1721.
s) a. a. O. 28. Juli 1734.
4) Volm. B. B. 30. Juni 1706.
5) Stöckli. B. B. 28. Februar 1706.
<>) St. B. B. 4. März 1813.
7) Volm. B. B. 23. Januar 1703.
Stöckli. B. B. 4. Juni 1707.
9) Volm. B. B. 4. Juli 1676. Stöckli. B. B. S. Febr. 1703: „mit
der rutben abgeschlagen.“
*°J Stöckli. B. B. 4. Juni 1707.
n) a. a. 0. 23. Aug. 1701.
"j Volm. B. B. 16. Mai 1700.
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107
servantz die iibermass abzustechen“,') die „mitt büschen,7)
rutten oder stocken zugestochen3) undt Klägeren beyznpflügen
befohlen“4) wurde. Auf Wunsch wurde zwischen den Parteien
„zu verhütuug weiteren Streits eine schnadefoer gelegt“5) oder
die Grenze „mitt pfählen abgezeichnet“ und die Parteien „in
erbliche immerwehrende richtige possession und besitz gesetzet.“®)
Wenn von dem Angeklagten diese Grenzzeichen „wieder zuge-
worfen und die Stöcke ausgezogen“ wurden, dann musste der
Holzgraf „mit dem Knecht wieder dahin gehen, nochmahl
graben und zustechen“.7) Der Delinquent wurde „wegen aus-
ziehung der rutlieu in 1 goltgld deklarirt“.8) Um das Verfahren
abzukürzen, pflegte der Bauerknecht das abgepflügte Land am
Tage vor der Besichtigung schon abzustechen.") Stellte sich
bei der Besichtigung heraus, dass „Kläger ohngebührlich ge-
klaget“10) und „nicht belügt zu klagen“,’1) so musste er die
Kosten zahlen und wurde „in (etwa 12 gr.) brüchte fellig er-
klehrt“,10) „weilen er seine Klachte nicht justificirt“.1*) Ueber
die Grenzregulieruug wurde „dem befinden nach ad protocollum
referirt“.18) Von diesem Protokoll stand den Interessenten eine
Kopie zu.14)
Auf Grund dieses Referates wurde das Urteil gesprochen.
Gewöhnlich „sollte bey nechster Zusammenkunft der baurschaft
hierüber statuirt werden, was billig und rechtens“,15) und bei
den jährlichen Bauergerichten wurden die Delinquenten „wegen
begangenen Excessus vorgefordert und angewiesen, bis (zur
a. a. ü. io. Juli 1712.
а) a. a. 0. 26. Juni 1731.
3) Stöckli. B. B. 7. Sept. 1685.
4) a. a. 0. 30. Okt. 1723.
б) a. a. O. 26. Okt. 1702.
«) Volm. B. B. 4. Juli 1676.
’’) Stockk. B. B. 25. Juni 1785.
8J Hilst. B. B. 23. Aug. 1706.
9) Stockb. B. B. 12. Juli 1686.
*°) a. a. O. 9. Juli 1726.
») Volm. B. B. 9. Aug. 1713.
“) a. a. O. 2. Juli 1728.
13) a. a. 0. 6. Juni 1722. HUst. B. B. 3. Juni 1744.
w) Volm. B. B. 11. Februar 1714.
Stockh. B. B. 14. Mai 1704.
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108
Entscheidung) einen abstand zu nehmen".*) Sonst wurde das
Urteil von dem Holzgrafen und den Brachstechern,’) auch wohl
von „versandeten alten und neyen Brachstechern in des Holz-
gräfcu Behausung“3) gefällt. Waren die Verurteilten anwesend,
so wurde ihnen das Urteil „in faciem publiciert",4) sonst war
es ihnen „per famulum zu hinterbringen"1*) und „sogleich an-
zukündigen".*) Bei Anwesenheit der streitenden Parteien
mussten beide nach Verkündigung des Urteils „vor der bäurschaft
stipulato sich freuudnachbarlich zu halten angeloben".7) Es
scheint auch, als hätte der Holzgraf allein das Urteil sprechen
können. Denn die Strafen, die auf Abpflügen gelegt wurden,
waren durch das Herkommen fest bestimmt, und der Holzgraf
brauchte also nach dem Referate der Brachstecher nur die
allgemeine Norm auf den angezeigten Fall anzuwenden. Auf
jede abgepflügte Furche war als Strafe eine Tonne Bier oder
ein Goldgd festgesetzt, also z. B. auf 4 Furchen „altem Gebrauch
nach vier Tonne bier oder 4 goltgd“.8) Ausserdem mussten
für jeden Fall 4 gr. an den Holzknecht gezahlt werden,*) so
dass jemand, der bei derselben Gelegenheit in 2 Fällen ver-
urteilt war, 8 gr. geben musste.*0) Daneben musste der Ver-
urteilte die in den einzelnen Fällen verschieden bemessenen
„Augenscheinskosten“ bezahlen,*') die entweder unter die Brach-
stecher verteilt*') oder von der gesamten Kommission bei dem
Vormund verzehrt wurden.'*) War durch das Abpflügen dem
Kläger Schaden zugefügt, so wurde das Urteil gesprochen „salvo
damno illato",'3) und der Verurteilte musste die auf dem abge-
>) a. a. O. 2*. Attg. 1723. Hüst. B. B. 28. Juni 1707.
») Volm. B. B. 26. Juni 1731.
3) Stockb. B. B. 19. De*. 1805.
*) HilBt. B. B. 10. Februar 1706.
») Stockh. B. B. 9. Juli 1726.
•) Volm. B. B. 3. Nov. 1695.
7) a. a. 0. 27. Sept. 1681.
8) Stockb. B. B. 23. März 1699 u. g. o.
*) Hilst. B. B. 3. Nov. 1745 u. s. o.
I0) Stockh. B. B. 7. Februar 1706.
*t) a. a. 0. Frühjahr 1777. Stockb. B. B. 17. Nov. 1706: „Aus-
gangskosten*.
1!) Volm. B. B. 27. Sept. 1684.
,5j Hüst. B. B. 16. Februar 1729.
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109
pflügten Lande „aufsteliende früchten unabgethan unt einerndtendt
almstehen lassen“.1) Bei der Verurteilung kam nicht in betracht,
ob das Abpflügen „nur in den stopfein und nicht zur saeth ge-
schehen“,*) oder ob die abgepflügten Furchen von dem Delinquenten
unbenutzt geblieben waren.*) Wenn dagegen das Land „nur
etwas angepflüget“4) war oder „befunden wurde, dass das ab-
pflügen von alters her geschehen, wurde beklagter nicht straf-
fällig befunden“.5)
Diese Strafe von 1 Th. für die Furche konnte ermässigt,
„mitigiert“*) werden. Der Angeklagte wurde regelmässig „wie
gebräuchlich in (etwa 5 goltgl.) straf deklarirt undt darauf zu
accordiren angewiesen“,7) d. h. er hatte das Recht, um Er-
mässigung der Strafe zu bitten. Meist wurde von dem Verurteilten
selbst accordiert und „die ihme diktirte straf auf (eine niedrigere)
gethetiget“.8) Doch war es auch Sitte, dass er ein Mitglied
„zum Vorsprechen begehrte“*) und ihn zum Holzgraf schickte,
um für ihn zu accordieren.10) Dieser oder auch mehrere „bürgen
erschienen ad protocollum, boten (eine gewisse Summe) und
bathen, ihren pupillum dafür diesmal passiren zu lassen“.11)
War die gebotene Summe annehmbar, so wurde die Strafe „auf
vieles anhalten dafür belassen“,11) hatte aber der Verurteilte
„zu geringe sich erbotten, wurde er deshalber wieder abge-
wiesen“.14) Dann wurde ihm „die straf ex officio angesetzt“ ,s)
und er „ohnabdinglich gebrüchtet“.14) Der Verurteilte erschien,
') Volm. B. B. 4. Juli 1676.
J) a. a. O. 25. Aug. 1712.
3) Stockb. B. B. io. Sept. 1787.
4) Mist. B. B. 30. Okt. 1706.
‘) Stöckli. B. B. 16. Juli 1726.
«) Hüst. B. B. 24. Juni 1704.
’’) Volm. B. B. 3. Februar 1691.
8) Stockb. B. B. 26. Aug. 1683.
•) Volm. B. B. 18. Januar 1685.
10) Hilst. B. B. 29. Juni 1721.
>') Stockb. B. B. 24. Aug. 1723.
’2) Volm. B. B. 18. Januar 1685. St. B. B. 29. Okt, 1781: „Da ein
solches anbieten gantz minechtig (= geringschätzig), ex officio die Briicbten
ansusetxen“.
1S) Volm. B. B. 29. Aug. 1720.
>4) a. a. O. 24. Aug. 1697. Hilst. B. B. 10. Not. 1706.
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110
um zu accordieren, manchmal recht spät nach dem Urteil, sogar
2 — 3 Jahre später.') Die Strafe wurde „auf inständiges an-
halten“ !) oft ganz erlassen oder doch bedeutend gemildert,
wenn besondere Gründe diese Milde angezeigt erscheinen Hessen.
Eine Frau kam mit einer geringen Strafe davon „in Ansehung
der mit ihrem Man ausgestandener schwerer Krankheit und
dieserhalb verwendeter vieler Kosten“,3) ein Mann „wegen
seines miserabelen zustandes“4) und „in ansehung seines Alters“,3)
oder „weilen es schlechte Zeiten seien“,8) auch „in ansehung,
dass er das land zum erstenmahl gesahmet, er auch gebrechlich“,7)
oder „in ansehen das landt schiegt scie“,8) einem andern „nach
anlobung der besserung ex causis moventibus in ansehung seines
Unglücks mit den Kindern“®) oder „da er seine schuldt frey-
willig bekandt“10) oder „ob simplicitatem“11) und einer Frau
gar, damit „sie mit dem Mane in ruhe bliebe“.11)
Für den Frevel und die dadurch verwirkte Strafe haftete
der Täter, bei Abmähen also der Mäher,13) bei Abflügen der
Pflüger,14) ganz ohne Rücksicht darauf, ob er auf eigenem oder
fremdem Lande gearbeitet hatte. Es wurde allerdings gelegentlich
der Besitzer des Landes, für den ein anderer gepflüget hatte,
wegen des Abpflügens bestraft, aber dann nur „salvo regressu
gegen sein pflüger“,13) der ihm die Strafe ersetzen musste. Wenn
jedoch der Pflüger „auf befehl des (Besitzers) das Umbpflügen
tun müssen“, wurde der Besitzer bestraft.18) Wenn ein des Orts
nicht kundiger Pflüger sich über die Grenze bei einem andern
') Nach einer Zusammenstellung von 1778 — 1785 im Stöckli. B. B.
-J St. B. B. 22. Januar 169(1.
s) Hüst. B. B. 6. Nov. 1717.
4) Volm. B. B. 19. Februar 1725.
») St. B. B. 16. Okt. 1690.
a. a. 0. 17. Aug. 1685.
7) a a. 0. 10. Juli 1712.
») a. a. 0. 24. Aug. 1718.
»J Stockh. B. B. 25. Aug. 1683.
>«) Volm. B. B. 24. Aug. 1712.
«) Hüst. B. B. 1. Okt 1704.
>») a. a. O. 24. Juni 1704.
13) Volm. B. B. 16. Sept. 1685.
Hüst. B. B. 29. Juni 1721.
») a. a. O. 10. Nov. 1706.
■*) Stockh. B. B. 12. Juui 1707.
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111
erkundigt hatte und falsch unterrichtet worden war, so „sollte
er, so ferne er den Mann, so ilime das gesagt und abpflügens
befohlen, nambhaft machen konte, der straf erlasen sein“.1)
Die gleichen Grundsätze fanden Anwendung, wenn der Knecht
eines Besitzers abgepflügt hatte. Der Herr erklärte, dass „sein
Knecht solches gepflüget hätte, undt wen selbiger abgepflüget,
mögte davor stehen“,2) und der Knecht wurde auch bestraft.3)
Um sich die Strafe zu sichern, pflegte die bauerschaft dem
Herrn zu „befehlen, seinen Knecht kein lohn zu geben, bis er
accordiert“ hätte,2) oder sie liess sich den Rest des Lohnes,
z. B. ein Paar Schuhe und 30 gr. zur Sicherheit übergeben.4)
Weil aber der Herr „doch vor seinen Knecht stehen musste“,3)
wurde er „salvo regressu gegen seinen Knecht zum accordiren
angewiesen“.8) Wenn „der Knecht schon abgegangen gewesen“,
wurde der Herr milde bestraft,7) oder ging straflos aus, wenn
„sein voriger Knecht ihm ohnlangst aus dem Dienst und in
hollandt gangen war und er von selbigem nichts in handen
hatte“.8) Andererseits war der Knecht nicht strafbar, wenn
„sein Herr dabey gewesen und solches (Abpflügen) wohl gesein“,*)
oder wenn er es gar befohlen hatte, „sintemahl einom Bauer-
gliedt nicht gebühret, eigenrichterlich seines Nachbarn Landt zu
begehren undt das Abpflügen seinem Knecht zu befehlen“.10)
Für die Kinder haftete der Vater, wenn auch eine gelinde Be-
strafung des Vaters eintrat, weil „seine Kinder bey seiner
Bettlägerigkeit das pflügen gethan“,11) oder weil er während
dieser Zeit beim Grundherrn „in Herrendienste war“.12)
>) a. a. 0. 25. Sept. lose.
») Hilst. B. B. 20. Sept. 1706.
») Stöckli. B. B. 29. Okt. 1095.
4) a. a. 0. 25. Aug, 1097.
6) Volm. B. B. 26. Aug. 1731.
e) Stöckli. B. B. 24. Aug. 1701. Volm, B. B. 3. Februar 1711.
7) Volm. B. B. 12. Febr. 1725.
s) Hüst. B. B. 7. Juli 1722.
») Volm. B. B. 29. Aug. 1728.
I0) Hüst. B. B. 28. Okt. 1705.
'») a. a. O. 29. Juui 1721.
») a. a. 0. 26. Okt. 1717.
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112
Di« Allmend«
Bei der Ausscheidung der Huden aus den bisher einheit-
lichen Markgenossenschaften fiel ihnen die Gemeinweide zu, die
gesamte übrige Allmende behielten die Bauerschaften. Zu-
nächst gehörten ihnen alle Wege, die sog. Triften, wie die
Krumme Trift,1) Stockmar Trift,1) Hüster Trift2; usw., uud
ebenso die kleineren Wege,3) ausserdem alle öffentlichen Plätze
wie „der freye Stuhl“4) und die früheren Dorfgericbtsplätze/’)
die Linden,9) das Land, auf dem früher die Warten oder Heiligen-
häuschen standen,7) Steinbrüchc,8) Landwehren9) usw. Vor
allem blieben Allmende die weniger fruchtbaren Stellen der
Mark, die sog. Kleyländer,1'1) der Dreisel»,10) die Heiden,11) die
überhaupt nicht in Kulter genommen wurden, so dass Volmede
noch 1804 „einen grossen plaz Ackerland öde liegen“ hatte12)
und Stalpe 1817 etwa CO Morgen Heideland nicht unterbringen
konnte.13) Dann gehörte den Bauerschaften auch das sog. Oed-
und Unland, z. B. Teiche,14) ferner die winzigen Stücke, die
bei der Aufteilung des Landes zwischen den Gewannen und
sonst übrig geblieben waren, die kleinen „Ekksken“,1'1) Streifen
Landes, die an den Parzellen entlang liefen, sog. „Uebermasse“,16)
die Anwenden, z. B. „anwands halbe morgen“,17) usw. Die
meisten in den Gewannen liegenden Besitzungen haben die
>) Stockta. B. B. 1792.
s) Stöckli. B. B. 9. Juni 1809.
3) n. a. O. 24. Aug. 1695.
•) Hüst. B. B. 24. Jnni 1714.
6) St, B. B. 24. Aug. 1702.
z. B. Stockh. B. B. 1822.
7) a. a. 0. 23. Juli 1817.
») St. B. B. 29. Aug. 1790.
») a. a. O. 21. Not. 1786.
>•) Stockh. B. B. 28. Dez. 1806.
ii) St. B. B. 10. Juni 1820.
») Volm. B. B. 30. Sept. 1804.
’3) St. B. B. 17. März 1817. Ueber einen ChnrfUrstl. Befehl, diese
Länder in Cnltur zu nehmen, siebe Anlage IV.
i*) Stockh. B. B. 24. Aug. 1695.
“) Hiizt. B. B. 24. Juni 1705.
'») HUst. B. B. 29. Juni 1717.
>7) Volm. B. B. 30. Okt, 1811.
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11«
Banerschaften jedoch dadurch erhalten, dass herrenloses Gut
ihnen als Eigentum zufiel. Es war allgemeiner Grundsatz, dass
Land, für das sich kein Herr nachweisen Hess, der Bauerschaft
gehörte.1) Daher verlangte sie z. B. von den gegenwärtigen
Inhabern eines Gartens, „ihr beweistumb zu produciren oder
der baurschaft denselben abzutretten“,2) und wenn einer schon
12 Jahre ein Stück Land genutzt hatte, aber keinen Besitzer
nennen konnte, so musste er der Bauerschaft davon Pacht
zahlen.3) Wenn sich dann nachträglich von solchem verpachteten
Lande ein Eigentümer fand, musste es ihm wiedergegeben
werden,4) und wenn ein Käufer eines Gutes dartun konnte,
dass aus dem Kaufbrief „zu ersehen war, dass zu diesen Gutli ein
fünfgarth gehören thäte, welches die Bauerschaft (einem Pächter)
untergethan, so begehrte er, ihme solches zu seiner disposition
frey liggen zu lassen“.5) Auf diese Weise waren die Bauer-
schaften, besonders Stockheim zu recht erheblichen Besitzungen
gekommen, die sowohl Ackerland wie Wiese umfassten und
entsprechend dem Ursprung in der ganzen Bauerschaftsmark
zerstreut lagen.6) Dieser Besitz gehörte den Bauerschaften
.jure dominii directi“.7) Sie benutzten ihn nur zu einem ge-
ringen Teile selbst. Sie Hessen gelegentlich einzelne Wege be-
säen und das „Korn auf den zugesecheten Wegen“8) entweder
auf dem Halme „plus offerenti verkaufen“8) oder zunächst durch
die Brachstecher mähen und dann versteigern.10) Einzelne Stücke
hatten die Beamten der Bauerschaft in Besitz, z. B. der Bauer-
knecht mehrere Parzellen.11) Das meiste Land wurde von der
Bauerschaft verpachtet. Die Wege wurden in der Weise aus-
getan, dass sie „alle 6 Jahr zweimal besamet, die übrigen
') a. a. O. 7. Januar. 1685.
s) Stockb. B. B. 24. Aug. 1685.
s) a. a. 0. 25. Aug. 1683.
*) Stöckli. B. B. 24. Aug. 1704.
6) Hüst. B. B. 24. Juni 1746,
«) Stockh. B. B. 1692.
7) a. a. O. 30. Juli 1726.
*) a. a. O. 19. Aug. 1731.
•) a. a. O. 24. Aug. 1622.
>») a. a. O. 24. Aug. 1711.
>') Volm. B. B. 30. April 1809.
Lapp*?, Hio G*Hdi r D.iii<*r.'clte»l«*n
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It4
4 Jahr zum allgemeinen Trift- nnd Fahrweg gebraucht“ werden
sollten.1) Gewöhnlich wurde Land „brockzeitlich“ d. h. auf
sechs Jahre verpachtet.2) Der Pächter hatte nur in den fünf
Jahren, da das Land bestellt wurde, die Pacht zu zahlen,3)
nicht in dem Bracbjahr.4) In diesem sechsten Jahre war „ehr
verbunden, aufs neue sich anzugeben undt recognitionem zu
prästiren“,4) d. h. für das Brachjahr musste er den sog. Wein-
kauf zahlen, der grösser-') und kleiner6) als die jährliche
Pachtsumme sein konnte. Das Jahr, wo der Pächter „primam
pachtam solvit oder zahlt“, wurde bei der Verpachtung be-
sonders angegeben. Bei der Uebernahme pflegte der Pächter
„sich vorzubehalten, dass er nach verflossenen 5 Jahr die
Denuntiatio oder das jus prothemysios vor andern her behalten
wolle“.7) Die Wiesen wurden meist auf 1 Jahr verpachtet.8)
Daneben wurden Aecker grösseren und geringeren Umfangs auf
Lebenszeit eines Pächters, „auf sein lebtag“9) oder „ad dies
vitae“10) ausgetan, meist auch auf Lebenszeit seiner Frau.11)
Wer so „auf sein und seiner Gattin Lebzeiten bemeyert“ war,12)
musste „davon jährlich undt alle Jahr unerachtet der Brache“
Pacht zahlen12) und ein „vergnüglich laudemium als ein (ge-
wisses Maas) wein“ geben.13) Gewöhnlich wurde nach dem Tode
des Pächters mit dem betr. Stück „sein unmündiger Sohn ex
nova gratia auf seine lebtagh gleich seinem Vatter bemeyert“.14)
Das gepachtete Land konnte von dem augenblicklichen Besitzer
mit Genehmigung der Bauerschaft an einen andern verkauft
’) Stockb. B. B. 9. Juni 1809.
J) Hüst. B. B. 9. Nov. 1704.
») St. B. B. 6. März 1819.
*) Hüst. B. B. 24. Juni 1712.
6) a. a. 0. 26. Juni 1704.
*) a. a. O. 25. Juni 1706.
’) Hiist. B. B. 25. Juni 1704.
») St B. B. 30. März 1827.
*) Stockb. B. B. 25. August 1705.
l°) a. a. 0. 19. Aug. 1708.
u) Volm. B. B. 18. Juni 1700.
**) Stockb. B. B. 25. Aug. 1695.
>») Hüst. B. B. 23. Juli 1703.
M) Stockb. B. B. 8. Juni 1681. 26. Januar 1706.
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115
werden.1) Wenn die Pacht zwei2) oder drei3) Jahre nicht gezahlt
wurde, war der Meier entsetzt. Ausserdem wurde Land „erb-
meyerstättisch“4) oder „in Erb Meyer statt verliehen“,5) wofür
der Meier Jährlich, es seye bracke oder nicht, (die Pacht)
liefern“ sollte,6) und zwar „dergestalten, dass wan er den jähr-
lichen Canonem davon ins dritte jahr anschwellen lassen würde,
(das Land) der Bauerschaft wieder heimbgefallen sein sollte“.7)
Weiter wurde bedingt, dass „die Erben nach seinem Thott der
Bauerschaft mit einem newen Weinkauf verfallen, und solche
zu thetigen schuldig sein sollen“,8) und es musste das Ver-
sprechen gegeben werden, das Land „ohne Vorwissen der
Bauerschaft nicht zu ?, zu versetzen oder zu verkaufen“.8)
Die verpachteten Aecker durften nicht geteilt werden, und wenn
ein Meier ohne Testament starb, entschied das Los unter den
Erben.9) Starb der Meier ohne direkte Nachkommen, so fiel
das Land der Bauerschaft wieder anheim.10) Ueber die Be-
meierung wurde ein Meierbrief ausgestellt, der vom Holzgraf
allein oder mit den Brachstechern unterschrieben wurde.11) Statt
des Meierbriefs genügte auch ein Auszug des betr. Protokolles
im Bauerschaftsbuche. 12) Schliesslich wurde auch bei grösseren
Komplexen jedem Bauerschaftsmitgliede ein Teil, etwa ein
Morgen überlassen, wovon jährlich eine geringe Entschädigung
an die Bauerschaft gezahlt werden musste.13)
Bei den Verpachtungen hatten die Mitglieder den Vorzug,
„zumahlen ein Bauemgeliet der neigste“ war.14) Es wurde so-
>) a. a. O. 21. Aug. 1763.
*) Hilst. B. B. 23. Juli 1705.
>) Stockb. B. B. 8. Juni 1681. St. B. B. 24. Aug. 1741.
«) a. a. 0. 17. Okt 1818.
s) a. a. O. 23. Juli 1817.
•) Hüst. B. B. 21. De*. 1731.
7) Stockb. B. B. 21. Aug. 1763.
*) Httst. B. B. 20. Februar 1706.
•) Stockb. B. B. 24. April 1723.
>°) Volm. B. B. 5. Mai 1835.
“) a. a. 0. 4. Aug. 1827.
>•) a. a. O. 21. August 1763: .ist loco eines Meyerbriefes demselben
Extractus hujus protocolli mitzuteilen verstauet worden.*
“) Stockb. B. B. 24. Aug. 1682.
Volm. B. B. 24. Aug. 1726.
8*
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116
wohl das schon in Kultur genommene als auch das noch öde
Land, das noch „umgebrochen“ werden musste, verpachtet.1)
Die Pächter waren gehalten, dass „keiner sein unterhabendes
Lande öhde liggen lassen sollte“,2) wenn es geschah, wurde der
Meier bestraft.3) Wenn die Pacht mehrere Jahre lang nicht
gezahlt war, sollte „auf das genawste alle Satisfaktion nach-
gesuchet und dahrzu durch rechtliche mittel vermögt werden“.'1)
Es wurden die aufstehenden Früchte mit Beschlag belegt,5)
oder wenn das Land abgeerntet werden sollte, wurde ein Fuder
Getreide weggenommen, in ein Haus gefahren und gedroschen.8)
Doch wnrde häutig ein Teil der Pachtsumme erlassen, weil dem
Pächter sein Haus abgebrannt,7) weil „er wegen Dürre das
Land nicht hatte nutzen können“,8) weil „er von dem Lande
wegen Mausefrass nichts bezogen hatte“,8) „wegen der schlechten
und geldlosen Zeiten und da Comparent viele Arbeit an dem
Grundstück gethan habe“,8) weil „kränkliche Umstände, die er seit
6 Jahren gehabt, ihn in seinem Haushalt zurückgesetzt hatten“,8)
„wegen seiner bekanntlichen Unglücksfälle und weil es der
Mühe nicht lohnte, in den betreffenden Ländern zu ärnten“,8)
oder weil das gepachtete Land „in gebührenden Zuschlag nicht
konnte gehalten werden, und ihm nicht konnte zu nutz
kommen“.8)
Der wichtigste Teil der Allmende war der Wald, der zu-
nächst Brenn- und Bauholz lieferte und vor allem zur Schweine-
mast benutzt wurde.
Von den Bauerschafton besassen an Wald: Stalpe das
Stälperhölz, etwa 270—280 Morgen gross,10) Stockheim ein
Schlagholz am Rosengarten, an hohem Gehölz den Leimenbusch,
■) Hiist. B. B. 24. Juni 1702. Stockh. B. B. 29. April 1787.
s) Volin. B. B. 24. Juni 1721.
s) Hiist. B. B. 9. No?. 1704,
4) a. a. O. 25. Juni 1704.
s) a. a, O. 24. Juni 1740.
Volui, B. B. 2. Dez. 1722.
7) Stockh. B. B. 20. April 1825.
8J a. a. 0. SO. April 1825.
®) a. a. O. 24. Aug. 1000. Nach dem siebenjährigen Kriege (St.
B. B. 2. Dez. 1773) konnten die Bauerscbaftsländer „wegen Abgang deren
pl'erden nicht elocirt werden*.
*) Geseker Huden. S. 74.
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117
Immenbnsch und Brackenbusch,1) Yolmede 42 Morgen hohes
Eichengehölz,2) Hüstede 80 Morgen Erlenholz,5) aber keinen
Hochwald, so dass kräftiges Holz bei Bedarf von andern Bauer*
schäften erbettelt werden musste.4) In diesen Wäldern waren
die Huden weidoberechtigt.’) Ausserdem hatten die Bauer*
schäften auf den Brüchen der Huden das Bepflanzungsrecht/’)
ebenso gehörten ihnen die auf den Triften stehenden Bäume.6)
Einen unbedeutenden Besitz bildeten die auf den Wegen
wuchernden Dornen,7) Hecken in dem Felde8) und auf feuchte
Stellen gepflanzte Weiden.9)
Das Schlagholz wurde gehauen, wenn es „hauwisch“ ge-
worden war,10) gewöhnlich alle 10 Jahre.11) Zuwoilen wurde das
aufstehende Holz verkauft,12) und zwar entweder öffentlich13)
oder nur an die Mitglieder versteigert.14) Bei öffentlicher Ver-
steigerung wurde der Verkauf in beiden Pfarrkirchen bekannt
gemacht15) oder an die Kirchtüren geheftet.16) Gewöhnlich
wurde „von sambtlicher citirter auch erschienener baurschaft
conclndirt, (das Holz) gesambter Hand zu hauwen undt zu
partiren“.17) Deshalb sollte „ein jeder einen tauglichen Holtz-
hauer schicken und vor der (betreffenden) pforten glock 6 uhr
erscheinen lassen“18) oder „einen capabelen Mann stellen und
in des Vormunds Behausung mit einer scharfen Barte er-
') Nach verschiedenen Notizen aus Stockb. B. B.
s) Stockh. B. B. 9. Juni 1809.
3) Oeseker Huden. S. 73.
*) Volm. B. B. 18. Januar 1686.
6) Oeseker Huden. S. 73 ff.
') Stockh. B. B. 1677. St. B. B. 18. Februar 1822.
■) Hüst. B. B. 10. Febr. 1707.
*) a. a. O. 26. Juni 1710.
») Stockh. B. B. 8. Mai 1830. 6. April 1836.
10) a. a. 0. 6. Januar 1694.
») a. a. O. 16. März 1828.
>7) a. a. 0. 14. Nov. 1703. 20. Aug. 1713.
IS) a. a. O. 28. Dez. 1812.
St. B. B. 20. Nov. 1828. 10. April 1829.
**) Volm. B. B. 18. März 1811.
>•) Holth. B. B. 27. Aug. 1820.
17) Stockh. B. B. 6. Januar 1694.
••) Höst. B. B. 15. Nov. 1717.
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118
scheinen“.1) Wenn das Holz „abgestemmet gewesen, wurde
es in gleiche Teile oder häufen gesetzet und folgendts ver-
loset“.2) Zum Abholzen musste jeder antreten oder einen Ver-
treter schicken; nur sie erhielten Holz: „die übrige haben
keine Hawers geschickt, also haben solche auch keine Nummeren
bekommen“.3)
Von dem Hochwald wurden die nutzlosen Bäume ver-
steigert, z. B. „eine hohle Eiche, worin ein Bienenstock war“,4)
oder ein Baum, „welchen der Umsturz drohte und durch und
durch verbrannt war“.5) Gewöhnlich wurden darin Bäume
zu Bauholz gehauen. Die Regelung des Holzbaues im Hoch-
wald unterlag den Bestimmungen der gesamten Bauerschaft,
die bei dem jährlichen Gerichte entschied, ob und wie viele
Bäume gehauen werden sollten. Es durfte „ausser der Bauer-
konvention und allerseiths bewilligung kein Holz verschenkt
werden“,6) und daher wurde von Stockheim „juxta conclusum
burschapiae in der ßauerschaft extra festum Barthol. vor der
ltidischen Pfordte einen Baum zu verehren supplicant abge-
wiesen“.7) Daher sollte bei Gesuchen der Holzgraf „nie dar-
auf decretieren, dass solche jedem baurgliede zur genehmigung
präsentirt werde, sondern derselbe sollte die Sache zur völligen
Zusammenkunft aufschieben“.8) In dringenden Fällen sollte
der Holzgraf mit den alten und neuen Braehstechem selb-
ständig in dieser Angelegenheit Vorgehen können.8) Wenn der
Holzgraf allein einen Baum verschenkt hatte, musste er vor
versammelter Bauerschaft um Amnestie bitten: „weilen dieses
eine nothsache gewesen, so würden sämbtliche baurglieder da-
gegen nichts einzuwenden haben“.8) Also nur von gesamter
Bauerschaft bei dem jährlichen Bauergericht durften Gesuche
um Holz genehmigt werden. Der Bittsteller musste „ein unter-
, ') Holtb. B. B. 12. Nov. 1808.
’) a. a. O. 20. Nov. 1747. 13. Dez. 1717.
*) Volm. B. B. 9. Februar 1780.
*) Stockh. B. B. 1832.
») St B. B. 12. Juni 1813.
«) Volm. B. B. 29. Mürz 1711.
7) Stockb. B. B. 25. Aug. 1727.
*) Volm. B. B. 30. Mai 1808.
•) a. a. O. 12. August 1780.
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119
dienstliches Memorial mit bitte um Erlangung eines Baumes
übergeben“,1) das er gelegentlich schon vorher „durch einige
der vornembsten H. Erbten hiesiger baurschaft kraft unter-
schriebener Handt salvo praejudicio conclusi consentiren“2)
liess. Die Gesuche wurden besonders bewilligt bei „grund-
oder haubtbau“,3) „in ansehen (der Bittsteller) sein nieder-
gelegtes Haus zum ziehratb der Stadt aus dem Grunde new
erbauen Hesse.“4) Gewöhnlich wurden Bitten um Ueberlassung
eines oder mehrerer Bäume nach einer Feuersbrunst vorgebracht.
„Nachdemahlen den 30. Sept. (1699) abents umb 8 Uhr in
der Kuhestrasse in Stoffel Magnus Haus ein feur aufgangen
undt bis zur Mülenpfordten zu 52 heuser eingeäschert, so wurde
auf anhalten der verbranten leuhte von der baurschaft placidirt
und concludirt den armen leuthen mit etwas bawholtz zu ver-
helfen undt denjenigen so grosse heuser wider bauwen würden
proportionaliter bawholtz anzuweisen.“5) Dabei „sollten dan
die baurglieder den Vorzug haben“.6) Wenn „das Gehöltz
gahr verhauen“ 7) war, wurden die Bittsteller „vor diesjahr zur
gedult verwiesen“.8) Wenn das Gesuch von der Bauerschaft
genehmigt war, ging ein Beauftragter mit dem Holzknecht in
den Wald und suchte einen passenden Baum aus,8) der „an-
geplackt“ wurde, so dass „die merckmahle der bauerschaft-
lichen plackackse“ zu sehen waren.10) Dafür musste das sog.
„Stammgeld“ gezahlt werden.11) Die Bäume wurden meist ver-
schenkt, höchstens „ein billiges Taxat“ erhoben.12) Wenn aber
*) Stockh. B. B. 24. Aug. 1700. 22. Aug. 1717: „übergab dienst-
geliorsamlistea Memorial undt bitte.*
») Volm. B. B. 26. Jnni 1722.
’) a. a. 0. 31. Aug. 1732.
*) a. a. O. 20. März 1721.
») Stockh. B. B. 30. Sept. 1699.
*) a. a. U. Ferner Stockh. B. B. 20. Aug. 1713.
7) Volm. B. B. 24. Aug. 1721.
•) a. a. O. 24. Aug. 1726.
») St. B. B. 12. Januar 1811.
10) Stockh. B. B. 4. Mär* 1810. Ebenda: „merckmahle der Plackung“.
Volm. B. B. 18. April 1826: „mit einem Placken bezeichnen.“ 3. Nov.
1826: „mit dem Waldhammer bezeichnen.“
u) St. B. B. 17. Februar 1819.
u) Stockh. B. B. 24. April 1824.
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120
ein geschenkter Baum der Angabe zuwider nicht zum Haus-
bau verwendet wurde, musste er bezahlt werden,1) und war er
einem Bittenden „zu dachlatten verehret und hatte selbiger das
haus mit stroh bedecket, so wurde ihm Zeit gegeben, intra
annum et diem pfannen auf den tag zu schafen, widrigenpfahls
den Baum vor 6 Th. bezahlen sollte“.2) Ebenso durften die
an die Bauerglieder verkauften Bäume „nicht ausser denen
baurgliederen hinwieder verkaufet werden“. Wer dagegen fehlte,
wurde bestraft und bei späteren Verkäufen ausgeschlossen.1)
Wenn ein Baum ohne Erlaubnis der Bauerschaft gehauen war,
wurde er dem Delinquenten genommen und entweder vor einem
Tore4) oder auf dem Markte ’) niedergelegt, wo er versteigert
wurde.*)
Bei der grossen Bedeutung der Wälder waren die Bauer-
schaften darauf bedacht, sie möglichst zu schützen. Deshalb
waren einzelne Wälder mit Gräben umzogen, um das Vieh
fern zu halten, und durch einen Schlingbaum abgeschlossen.
Der Schlüssel dazu wurde von der Bauerschaft bewahrt und
nur auf Bitten jedesmal herausgegeben.7) Das gehauene
Schlagholz wurde mit einem Zaun umgeben, damit die neu
ausschlagenden Stämmchen nicht von dem Vieh vernichtet
würden.8) Wenn ein Gehölz „durch Windtsturm undt den ver-
brannten leuthen geteilten bäumen gantz verhauwen und ver-
dorben“ war,9) so wurde von der Bauerschaft „zu anwacksung
junger Eigen concludirt gemelten busch ad 2 brachzeiten zu
verschonen und allen und jeden kuhe hirten, scheferen, Schweine-
hirten, kuhe- und pferdehüteren, auch sonst jeder manniglichen
bey 20 goltgl. straf anbefohlen, sich nicht allein des hütens
und weidens, sondern auch grasschneidens oder meyens auf
2 brackzeiten in gedachten busch zu enthalten“.10) Der Kuh-
‘) St. B. B. 10. April 1829.
*) Stockh. B. B. 26. Aug. 1703.
*) St. B. B. 11. Mai 1791.
«) a. a. O. 16. Juli 1818.
•■) Stockh. B. B. 30. De*. 1780.
«) a. a. O. 28. De*. 1816.
’) Volm. B. B. 11. Mär* 1711.
*>} Hüst. B. B. 20. Nov. 1717.
>) Stockh. B. B. 24. Aug. 1705.
10) a. a. 0. 4. Aug. 1702.
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121
liirt, der zeitweilig in den Wäldern hütete, durfte deshalb auch
keinen „siegen Bock“ mitnehmen.1) Waren junge Bäume auf
die gehauenen Stellen zu pflanzen, so „gingen sambtliche baur-
schaften auf geschehene Citation zum busch und rotteten daraus
ettliche eichen und pflanzten selbige sofort auf die bauerölirde,
drift und im holz herum. Gott gebe ihnen Wachstumb“.2) Zu
diesem Zwecke waren „Eichelnkämpe“ angelegt,3) oder die
jungen Eichen wurden aus den Nachbardörfern gekauft.4)
Diese wurden zum Schutze mit Dornen umbunden.5) Wer
straffällig und auch mit Erlaubnis der Bauerschaften Bäume
gehauen hatte, musste an deren Stelle neue pflanzen.®) Waren
die jungen Eichen herangewachsen, dann „sollten sie gestüft
werden, damit selbige besseres wacksthumb haben mögten“.7)
Zum Schutze der auf die Triften gepflanzten Eichen war es
streng verboten, mit Pfluggeschirr und Wagen darüber zu
fahren. Zur Aufsicht wnrde deshalb ausser dem Bauerknecht
noch ein besonderes Mitglied bestimmt.8)
Neben der Gewinnung von Brenn- und Bauholz wurde der
Wald vor allem zur Schweinemast benutzt. Deshalb sollte bei
Gewährung von Bauholz möglichst darauf gesehen werden, dass
„unfruchtbare Bäume“ angowiesen wurden.8) Die Bauer-
schaften hatten in sämtlichen in ihren Bezirken liegenden
Wäldern die Mastgerechtigkeit, sowohl in den privaten wie in
deu Gemeindewäldern. Daher hatten die Bauerschaften das
Recht, eine vollständige Rodung von Waldparzellen zu ver-
bieten.10) Wenn Bauerschaftsmitglieder in ihren Achtwercken
zu stark gehauen und so „gegen das interesse der baurschaft
was die Mastgerechtigkeit belanget zu viel gethan, hatten sie
]) a. a. O. 10. April 1723.
a) St 13. B. 9. Mai 1799.
s) a. a. O. 23. März 1823.
*) Stockb. B. B. 1781.
s) a. a. 0. 12. April 1729.
•) a. a. O. 24. Aug. 1685.
i) a. a. 0. 7. Februar 1706. stufen = die überflüssigen Zweige ab
hauen.
*) a. a. O. 6. April 1805.
•) a. a. O. 24, Aug. 1725.
,0) Volm. B. B. 25. Aug. 1721. St. B. B. 24. Aug. 1742.
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122
sich dadurch der Mastgerechfigkeit verlustig gemacht“.1) Hoch-
wald war nur im Bezirk von Stockheim, Stalpe und Volmede.
Die beiden letzten Bauerschaften und das Stift zu Geseke be-
trieben gemeinsam die Mast. Bei Stockheim gingen der Holz-
graf, die alten und neuen Brachstecher und der Bauerknecht,2)
bei Stalpe-Volmede die Holzgrafen von Volmede und Stalpe
und der Rentmeister des Stiftes3) zur Zeit der Eichelnreife
aus, um „altem herkommen nach die mast wege und eicheu zu
besehen“.4) „Nach eingenohmenen augenschein und beschehenen
Bericht der brachsteckerV) nachdem sie „fleissig das holtz
theils durchritten, theils umb- uud durchgangen“,*) wurde be-
schlossen, wie viel Schweine getrieben werden sollten. Man
unterschied „volle Mast“,7) „ziemblich gute Mast“,8) auch „au-
sehentliche Mast“,8) „einige Mast“10) und„Springmast“,n)je nach-
dem viele oder wenige Eicheln auf den Bäumen waren und
dementsprechend viele oder wenige Schweine getrieben werden
konnten. Es lag die Gefahr nahe, dass mehr Schweine ge-
trieben wurden, als Nahrung in den Wäldern zu finden war,
und so kam es denn zuweilen, dass „bey etwa weinigh von
') a. a. 0. 20. März 1721.
») Stockh. B. B. 23. Sept. 1723.
*) St. B. B. 28. Sept. 1811.
4) Stöckli. B. B. 26. Sept. 1681.
6) a. a. O. 24. Aug. 1660.
•) St. B. B. 27. Sept. 1723.
7) Stockh. B. B. 6. Ukt, 1701: „Weilen Gott dies jabr volle Maat
beschert*.
*) Volm. B. B. 17. Sept. 1701: „Nachdem der liebe Gott dies jabr
eine ziemblich gute Maat gnädig verlieben.* Stöckli. B. B. 23. Sept.
1723: „Da Gott der Allmächtige — dem dafür höchatens zu dalicken —
den Eichbaum dis jabr ziemblich gesegnet.*
*) Volm. B. B. 1761 (während des siebenjährigen Krieges): „Weilen
der liebe Gott bey dieser betrübten und armsekligen Zeit noch dieson Trost
denen bawergliederen zu Stalpe und Volmede hat beygelegt, dass das Ge-
höltz mit einer ansehentlichen Mast ist gesegnet worden“. St. B. B.
21. Sept. 1776: „Nachdemahlen der grundgüthige Gott uns dieses Jabr mit
einer etwaigen Eichelmast erfreuet.*
,0) Stockh. B. B. 24. Sept. 1712: „Als Gott einige Mast beschert.*
Volm. B. B. 1746: „Als Gott der allmächtige den Eichbaum im Stalper
holtz in etwa gesegnet.“
») St. B. B. 30. Okt. 1821.
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Gott bescherender mast gemeinlich übertrieben wurde, dahero
die aufgetriebene schweine in ihrer Menge ohngefeistet wieder
zu haus kamen“.1) Es wurde berechnet, wie viel Schweine
in die Mast gehen konnten, und diese Zahl durch die Zahl der
Mitglieder geteilt, woraus sich ergab, wie viel jedes Bauer-
schaftsrecht treiben konnte. „Wan eine volle Mast war, sollten
die interessenteu von der mastung provitiren, wan aber keine
volle mast wäre, so künten die Interessenten, weilen selbe keine
onera prästiren täthen, keine mastung prätendiren.“ 2) Bei
Vollmast kamen gewöhnlich runde Zahlen heraus. Schwieriger
jedoch war es, bei Halb- oder gar Springmast die Verteilung
vorzunehmen. Denn hier kam aut ein Bauerrecht nicht ein
ganzes Schwein, sondern nur ein halbes Schwein und noch
weniger. Dann mussten die Mitglieder, auf die zusammen ein
Schwein fiel, jedesmal „sich d&rumb vergleichen“, :i) indem sie
„sich deklarirten, durch die Würfels ihre manquirende tusse zu
gewinnen“.4) Gewöhnlich wurde in diesem Falle nicht gemein-
schaftlich getrieben, sondern die Mast wurde verpachtet.
„Weilen Gott gahr wenig mast beschert, das solche nicht
verteilen werden konnto, als wurde sämbtlicher baurschaft
kund gethan, das solche plus offerenti verkauft werden sollte“.5)
Meist wurde nur an die Bauerschaftsmitglieder verpachtet.®)
War die Mast aussergewölmlich günstig, wurden auch Nicht-
mitglieder zum Genüsse gegen eine Gebühr zugelassen. So
trieben bei Stockheim Bauern aus dem benachbarten Dorfe
Verlar im Fürstentum Paderborn mit, die dafür „jährliche vom
Schwein eine gantz geben“7) mussten. An Stelle eines grossen
Schweines durften „zwey kleine Schotter“ (Schösslinge) ge-
trieben werden.8)
Die Zeit des Auftriebs und des Abgangs war verschieden
nach der Zeit der Reife und vor allen nach der Art der Mast.
') Stockb. B. B. 24. Aug. 1660.
») St. B. B. 4. Okt. 1789.
3) Stockh. B. B. 30. Sept. 1722.
«) St. B. B. 8. Okt. 1774.
6) Stockb. B. B. 1715. 22. Sept. 1720.
*) a. a. O. 25. Sept. 1724. Volm. B. B. 28. Aug. 1735.
7) Stockb. B. B. 25. Aug. 1697. gantz = Uans.
■) St. B. B. I. Dez. 1705.
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124
Entsprechend gab es auch für die Dauer der Mast keine Regel.1)
Wenn die Mast ausserge wohnlich günstig war und „sich be-
fand, dass von denen auf das holtz getriebenen Schweinen die
Eicheln nicht alle consumiret werden konnten“, wurde nach
der Hauptmast noch eine „Nachmast“ gehalten, in die je nach
Möglichkeit eine grössere oder geringere Zahl von Schweinen
getrieben wurde.2) Wenn plötzlich „Mausefrass auf dem Holtz
einfiel“, wurde die Mast abgebrochen,3) ebenso wenn sie „wegen
häufig fallenden wilden tauben“ verdorben wurde.4) Es wurden
nur mehr zwei Herden ausgetrieben, da die fruchtbaren Wälder
sonst verschwunden waren. Stockheim-Heringhausen trieben
in ihren Wäldern und ebenso Stalpe-Volmede in dem Stälper
Holze und der Volmeder Mark.'1) Zu den beiden letzten ge-
sellte sich noch das Stift und die Stadt Geseke, da beide in
dem Weidebezirke von Stalpe-Volmede Waldparzellen hatten,
so dass diese vier Interessenten zusammen eine Mastgenossen-
schaft bildeten. Der Anteil jedes Interessenten richtete sich
nach der Grösse des ihm gehörenden Waldkomplexes. Während
Volmede und das Stift ,je pro quinta interessirt“ waren, hatte
Stalpe drei Fünftel von der Mastgerechtigkeit.6) Die Stadt
hatte nur einen geringen Anteil, der den Beamten der Stadt:
dem Bürgermeister, Stadtsecretär, Kemmer, Unterkemmer und
') Es sollen hier einige Termine des Auftriebs und des Abgangs an
gegeben werden. Auftrieb. Abgang.
Stockh. B.
B.
24. Sept. 1712:
24.
Sept,
15.
Nov.
St. B. B.
24.
Sept. 1822:
24.
11
17.
Dez.
Stockb. B.
B.
6. Okt. 1701:
1.
Okt.
7.
11
»» 11
9. Dez. 1687:
4.
»»
9.
11
11
*
29. Sept. 1723:
5.
11
7.
11
Volm. Mast-Bueh. Einl. 1700:
12.
•t
13.
Nov.
**
,,
„ 1701:
11.
1»
19.
1t
St. B. B.
5.
Okt. 1812:
23.
1»
27.
11
»1 11
7.
Okt, 1814:
25.
• »
15.
Dez.
Stockb. B.
B.
30. Sept. 1722:
s.
»1
16.
Nov.
St. B. B.
30
Okt. 1821:
6.
Not.
7.
Jan. 1822.
*)
St. B. B.
27
Nov. 1783.
*)
Volm. B.
B.
1. Okt. 1756.
*)
St. B. B.
25
Sept. 1799.
s. S. 116.
*)
Volm. B.
B.
25. Aug. 1738.
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125
den beiden Stadtdienern zufiel.1) Ausserdem wurde es dem
Cliurfiirstlichen Richter gestattet, ein Schwein mitzutreiben,
jedoch nur gegen ein „reversale gratis et citra consequentiam“.2)
Um diese freiwillige Gunst nicht zu einem Rechte werden zu
lassen, wurde zuweilen sein Schwein beim Austrieb „zurtick
und nach haus getrieben“,2) damit „man sich vorsehe und keine
läuse in den Peltz setzen lasse“.3) Weil auch den Pfarrern
der Mittrieb eines Schweines gestattet war, stand zu befürchten,
dass auch sie sich ein Recht anmassen und „ihre Schuhe nach
diesem Leisten schneiden mögten“.2) Ferner wurden die
Franziskaner4) und die Kuhhirten der entsprechenden Huden
zugelassen, damit „sie bey Zeiten aus dem holtz bleiben solten“.3)
Auch die Beamten der Bauerschaften waren noch besonders
berechtigt,8) und schliesslich wurden zur Deckung der ent-
stehenden Unkosten sog. „Unkostenschweine“ mitgetrieben.7)
Zur Bewachung der in die Mast getriebenen Schweine
wurde ein Hirt gemietet, der sog. „Schwähn“, der zu seiner
Unterstützung einen Jungen halten musste“.8) Aus besonderen
Gründen, z. B. in Kriegszeiten, wo wegen der „vielen Durch-
märschen und streifenden partheien die Mastschweine leicht ge-
fahr leiden“ konnten, wurden zwei Hirten und zwei Jungen
gewählt.9) Er musste versprechen, dass er „kein holtz noch
eckern nach haus tragen“ wolle.19) Des Nachts wurden die
Schweine entweder in einen Zaun getrieben11) oder in einen im
Walde stehenden Schweinestall, den sog. Maststall, der aus
') St. B. B. 11. Dez. 1822.
*) a. a. O. 31. Januar 1700.
3) a. a. O. 10. Okt. 1690.
*) Stöckli. B. B. 1789.
“) St. B. B. 19. Sept. 1707.
0) Stöckli. B. B. 30. Sept. 1722. 8t. B. B. 12. Sept. 1700: Auch
da9 Stift trieb gleich viele Beamtenschweine wie Stulpe, „wer diese prae-
judiciutn gemacht, das ein hochadeliches Stift den Stalpern als maioribus
sive primariis gleicbgelie, dor andtwordt dafür zu seiner Zeit, es muss woll
ein rechter fuchsscliwäntzer gewesen sein, hae per parenthesin.“
7) Stöckli. B. B. 1688.
B) Volm. Mast-Buch. Eint. 1701,
*) St. B. B. 23. Sept. 1767.
“) a. a. O. 28. Sept. 1778.
M) Stoekh. B. B. 22. Sept. 1686.
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120
Brettern gebaut,1) mit Stroh bedeckt2) und von einem Graben
umgeben war.3) Daneben stand ein Hirtenhaus, das sog.
„Schlafhaus“, in dem der Hirt während der Zeit des Austriebs
wohnte.4) Nach Abgang der Schweine wurden Stall und
Hirtenhaus oft widerrechtlich von Schäfern benutzt5) und die
Bretter und Balken weggestohlen.8) Alle Schweine mussten
zusammen gehütet werden, und „dass alleine hüthen war gantz
und gahr nicht erlaubet und stritt solches gegen die polizey“.7)
Bei der Mietung erhielt der Hirt einen Weinkauf,8) ferner von
jedem Schwein eine kleine Summe als sog. „Wehnegeld“.9)
Beim Auftrieb und Abgang der Schweine erhielt er mit dem
Jungen eine Mahlzeit und Branntwein10) und durfte während der
Mast ein Schwein mittreiben.11) Ausserdem bekam er einen
nach Wochen berechneten Lohn.12) Dieses Geld wurde durch
Repartition von jedem getriebenen Schweine erhoben.13) Zu
diesem Zwecke wurden die Schweine beim Auftrieb notiert,
wofür ein „Schreibgeld“ zu zahlen war.14) Die übrigen Kosten
wurden durch die „Unkostenschweine“ gedeckt.15) Aussergewöhn-
liche Ausgaben wurden aus der Bauorschaftskasse beglichen.16)
Bei schlechter Aufführung wurde der Schweinehirt abgesetzt.17)
Alle durch seine Fahrlässigkeit entstandenen Schäden, bc-
') Volm. B. B. 17. Sept. 1701.
*) a. a. O. 7. Sept 1789.
s) a. a. O. 12. April 1789.
*) St. B. B. 21. De*. 1820.
&) Volm. B. B. 19. Februar 1725. Stöckli. B. B. 26. April 1682.
6) Volm. B. B. 17. Sept. 1701.
*) St. B. B. 21. De*. 1793.
8) Stockb. B. B. 29. Sept. 1723.
*) a. a. O. 1688. Wehnegeld = Gewöhnungsgeld.
10) St. B. B. 18. Februar 1823.
») Stockb. B. B. 24. Sept. 1712.
>») *. B. Stockb. B. B. 9. De*. 1687. 29. Sept. 1723: für die Woche
27 gr. St B. B. 5. Okt. 1812. 7. Okt. 1814: 2 Th. Wocbealobn.
1S) Stockh. B. B. 30. Sept. 1722: „hodegeld". St B. B. 9. Okt. 1820.
Volm. Hast-Buch. Einl. 1713.
’*) Stockh. B. B. 24. Sept. 1686.
“) St B. B. 9. Okt 1820. 28. Sept. 1811.
,c) a. a. O. 18. Februar 1823.
I7J St B B. 18. De* 1789.
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127
sonders wenn Schweine verloren gingen oder umkamen, musste
er ersetzen.1)
Diesen Besitz in Feld, Wiese und Wald suchten die
Bauersch&ften möglichst zu erhalten. Zu diesem Zwecke
wurden ab und zu Ausgänge ins Feld gehalten, um die „Bauer-
schaftsländer, Wiesen, Gehöltz, Driften und Wüsten“ festzu-
stellen, wozu vorher wiederholt „die Nachbarn und Inhaber
solcher bauerstücke von den Cantzein zu Geseke und (den
Nachbardörfern) citirt“ wurden. Ueber das Resultat wurde
eine Pergamenturkunde ausgestellt, die von dem öffentlichen
Notar beglaubigt wurde.2) Bei andern Ausgängen wurden die
Zehntknechte des Bauerschaftsgebietes, die besondere ortskundig
waren, mitgenommen.3) Aus dem gleichen Grunde wurde von
dem Besitz der Bauerschaften nichts veräussert. Nur „aus
besonderen bewegenden Ursachen“ wurde gelegentlich ein kleines
Stück verkauft, weil die Bauerschaften sonst „etwas aus ihren
Gründen zu veräussern und ihre jährliche Revenuen zu schmälern
nicht gemeint“ waren, und dann wurde noch bestimmt, dass
das gezahlte „Capital auf jährliche pension angelegt“ würde.4)
Sitten and Bräuche
Die Bauerschaften waren nicht nur wirtschaftliche Ge-
nossenschaften, sondern sie umfassten das ganze Leben ihrer
Mitglieder und gedachten ihrer noch nach dem Tode. Wie
alle Genossenschaften des Mittelalters beseelte auch sie ein
religiöser Geist. In ihren Bezirken standen Cruzifixe5) und
„heiligenstämmchen“,6) die von ihnen errichtet und erhalten
wurden. Vor allem waren die Gerichtsstätten vor den Toren
mit „Heiligenhäuschen“ geschmückt.7) Als der Holzgraf
„denen versambleten baurgliedem proponirt, ob nicht geiällig,
*) a. a. O. 29. Dez. 1712.
*) Stockh. B. B. 1667.
s) a. a. O. 8. Mai 1806. 26. Bept. 1827.
*) Htist. B. B. 25. Juni 1743.
6) Stockh. B. B. 1. Mai 1781.
•) a. a. 0. 13. Juni 1696.
i) a. a. O. 30. Okt. 1804. Vota. B. B. 8. April 1830. Hiiat. B, B.
16. Nov. 1732.
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128
ahn den banrgerichtsplatz zu Gottes Ehren aus mittel der baur-
schaft ein heiligen Häusgen errichten zu lassen, so ist resolutio
dahin unaniiniter ausgefallen, ein aus steinen gehawenes häusgen
alda errichten und die bildnis (je eines Heiligen) darein setzen
zu lassen“.1) Diese Heiligenhäuschen wurden von dem Bild-
hauer „nach dein ihm gegebenen Formular“2) gemacht und
nach der Errichtung „in- und auswendig illuminirt“ (ange-
strichen).3) Bei der Verfolgung des eigenen Interesses vergass
inan der Armen nicht und Hess sie an den zum Teil reichlich
itiessenden Einkünften teilnehmen. So wurde ihnen gelegentlich
der Ueberschuss der Rechnung geschenkt4) und „zur Bekleidung
derjenigen armen Kinder, welche zur Kommunion gingen“, eine
bestimmte Summe ansgeworfen.3) Ferner wurden in die Mast
zwei sogen. „Spendeschweine“ getrieben. Von dem hierfür
einkommenden Gelde „muste den ai-men eine Spende gebacken
und ausgeteilt werden“.6) Von dem Vormund wurde den bei
Gericht versammelten Bauerschaftsgenossen „das spftnde broidt,
wovon er hiebey eines zu besichtigen presentirte, anhero ge-
schickt. Wie nun das broidt besichtiget, auch woll gebacken
und gutli zu seyn anerkannt, so wurde solches unter die armen
auszutheilen befohlen“.7) Ebenso wurden bei voller Mast an
die studierende Jugend 5 Thaler, sonst 3 Thaler geschenkt.6)
Der Geist genossenschaftlicher Zusammengehörigkeit offenbarte
sich besonders beim Tode eines Mitglieds. Von den Bauer-
schaften war „vereinbahret, dass woferne einer von dieser
Communität und Gesellschaft ableibig würde, die sambtlichen
Herren Erben und Bauern obligirt sein sollten, mit selbigem
baurglidt zur Kirchen zu gehen und dessen leichnamb zur
Erden zu begleiten undt nicht auszubleiben, er habe dan eine
ehrbahre Ursache undt sich deshalb bei citirenden baurknecht,
der seiner Citation halber vor seine Mühe 2 Kannen bier bei
>) Hüst. B. B. 24. Juni 1730.
*) a. a. 0. 10. Not. 1732.
3) a. a. O. 20. Januar 1733.
«) St. B. B. 21 Januar 1S22.
6) Volm. B. B. 30. April 1S41.
«) St. B. B. 16. Okt. 1696.
’) Hilst, B. B. 29. Juni 1748.
“) St. B. B. 16. Okt. 1726.
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129
zeitlichen Vormünder trincken sollte, entschuldigen lasen, die
ohne ursach ausplibende aber der baurschaft mit 3 gr. straf
verfallen sein sollten".1) Bei derselben Bauerschaftsversamm-
lnng hatte ein Genosse „versprochen, dass nach seinem Thott
und bey seinem Hinscheiden seine Erben der baurschaft ein
trauerlaken zu bedeckung des Sarchs zu ewigen Gedächtnis
hergeben sollten“.1) Aber auch über das Grab hinaus gedachte
man der Genossen. Einem Holzgraf schien es ungehörig, dass
die Genossen „zweymahl jedes Jahrs Zusammenkommen thäten
und sich dasjenige, was aus der Bauerschaft Einkombsten nach
bestrittener Nothturft vorräthig bliebe, zu guth machten undt
sicli divertirten, dabey aber der aus dem collegio vorhin ver-
storbenen gahr nicht gedacht würde. Weilen er aber nichts
billigeres zu sein erachtete als deren auch eingedenk zu sein,
und selbigen zu helft zu kommen, so wolte er vernehmen, ob
nicht gefällig wäre, jährlich für die verstorbenen aus dem baur-
schafltscollegio wenigstens eine Seelenmesse lesen zu lassen und
solcher beizuwohnen, worauf alle Erben und Bauern einstimmig
resolvirten, dass jährlich in St. Petri Kirchen dahier pro de-
functis ex gremio eine messe gelesen werden und dieser alle
membra Burschapiae beywolinen sollten".2)
Dieser religiöse Geist bestimmte die Bauerschaften auch,
den Segen Gottes für ein gutes Wachstum in Wald und Feld
herabzuflehen. Dem Pfarrer der Stadtkirche wurde eine ge-
wisse Summe Geldes überwiesen, um „füi die gemeinheit pro
avertendo omni malo in sacrificiis missa memento zu machen“,3)
und „damit der allmächtige die mast wieder besegnen mögte,
wurde Herr Stadts Pastor ersuchet, pro hac intentione ein all-
gemeines gebett des sontags wiederhohlen zu lassen“.4) Ferner
wurde eine Summe bestimmt, „vor 3 messen zu lesen, dass Gott der
Herr den Eichbaum segnen und dass Ungeziefer abwehren wolte“,5)
und den Mönchen eines Klosters wurde gestattet, ein Schwein
für „Benediktion des holtzes" in die Mast frei mitzutreiben.6)
>) Stockh. B. B. 24. Aug. 1682. St. B. B 22. Ang. 1728.
а) Hüst. B. B. 24. Juni 1784.
>) St. B. B. 1. Okt. 1740.
a. a. 0. 1. Okt. 1766.
б) a. a. O. 24. Aug. 1736. 7. Okt. 1768.
a. a. 0. 26. Sept. 174B.
I.app*. Di* OosPkor Ranfrarhatlfn •*
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130
Aber mehr als von der Sorge für die Toten wurden die
Bauerschaften von den Bedürfnissen der lebenden Generation
in Anspruch genommen. Fast alle Einkünfte dienten dazu, den
Bauerschaftsgenossen das Leben angenehmer zu machen, und
wo sich nur eine Gelegenheit bot, ass und trank man auf
Kosten der Bauerschaften. War von den Mitgliedern im Inter-
esse der Genossenschaft eine Arbeit zu verrichten1) oder das
Holz zu hauen,2) war die Mast zu besichtigen3) oder im Walde
wegen Holzdiebstahls der Augenschein zu nehmen,4) wurde ein
Banm angeplackt5) oder Holz verlost,5) Land verpachtet6) oder
Korn verkauft7) — jedesmal wurde gegessen „Salzkuchen und
Weissbrot und Krengel“ und getrunken „Wein und Bier und
Branntwein“. Wenn ein Angeklagter vor dem Holzgraf und
den Brachstechern erscheinen musste und verurteilt wurde,
wurde ein Teil der Strafe „der compagnie zum wein zum besten
offerirt“8) und „sogleich vertrunken“.9) Die Brachstecher er-
hielten nach den Ausgängen in dem Hause des Vormunds
„Caffee und Zucker und Z weyback sowie Wein und Bier und
Branntwein“.10) Der Vormund erhielt für dies „kleine trakta-
ment dem herbringen gemäs“ ohne die Getränke jedesmal 3 gr.,
und „weilen nun die Vormünder sich beschwerten, dass sie für
3 groschen denen ausgehenden wenig geben könnten, und ver-
meinten, dass ihnen ein mehreres dafür zugelegt werden müste,
wurde resolvirt, dass vors künftige für jede person zu speisen
bey denen Ausgängen sechs gr. guth gethan werden solten“.11)
Wenn in einem Jahre „viele ausgänge gehalten und nur ein-
mahls dabey eine geringe Zehrung der baurschaft angerechnet
wurde“, wurde beschlossen, bei einer besonderen Gelegenheit
mehr als gewöhnlich zu verzehren.12) Und ebenso heisst es in
•j Stockh. B. B. 24. Juni 1734.
2) a. a. 0. 8. Januar 1686.
3) a. a. O. 25. Sept. 1681.
<) Hüst. B. B. 7. Sept 1762.
*) Stockh. B. B. 1780.
Hüst. B. B. 28. Dez. 1719.
7) St. B. B. 18. Februar 1822.
■) Volm. B. B. 2. Aug. 1713
») a. a. 0. 24. Aug. 1723.
10) a. a. 0. 2. Juli 1763.
") Hüst. B. B. 24. Juni 1744.
>») Volm. B. B. 31. Aug. 1727.
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131
den Berichten über Rechnungslage, die von den alten und
neuen Brachstechern gehalten wurde, jedesmal: „Bey abgelegten
Holtzgräfen undt Vormundts Rechnung seyn von anwesenden
Herren Erben und Bauern vertruncken“ ’) „an wein und
bier“,2) verzehrt „an fleisch und brodt“,3) „an schincken“,4)
„Hering undt Butter“,5) und ferner ausgegeben „vor pfeifen
und Tuback“.8) Wenn einmal eine Versammlung sämtlicher
Mitglieder in der Wohnung des Vormunds abgehalten wurde,
wurde „auf begehren der anwesenden Herren wein gehöhlt“7)
und „bier sambt dabey gehörigen confectüren präsentirt“.8)
Ebenso wurden für die durch Mastangelegenheiten hervor-
gerufene Mühewaltung von den beteiligten Mitgliedern der
Banerschaften „die Unkostenschweine beym guten glas brant-
wein nebst einer guten mahlzeit und trunek bier verzehrt“.
Bei guter Mast gab es gutes Essen und Trinken, und „sonsten
muste man sich strecken nach der decken“.") Ein allgemeines
Fest, der sog. „Bauerzehr“, wurde jährlich am Tage des Ge-
richtes gehalten. Hierfür wurden die meisten Einkünfte auf-
gewandt, vom „baurlandt und Kley sambt wiesen, theichen undt
driften wurde jährlicher Zehr gehalten“.10) „Sambtliche Herren
Erben und bauren mit den frauwen“ nahmen daran teil.11)
Die nicht aufnahmefähigen Besitzer eines Gutes Land wurden
durch die Gangenossen vertreten, durften aber selbst nicht er-
scheinen, weil es „überall Manier war, das wohe unter Bauer-
schaft einer ein Ganggenosse constituiert, derselbe in con-
vivio nicht, sondern der constituierter Ganggenosse dahebey
compariere, und wohe einer einen ganggenossen hät, der-
selbe des constituentis persone vertretten müsse, mit nichten
aber ein solcher constituens beim convivio sich eindrängen
>) Stockh. B. B. 19. Aug. 1731.
») HBit. B. B. 1. Juli 1737.
s) Volm. B. B. 4. Okt. 1795.
*) Stockh. B. B. 1. Mai 1730.
5) &. a. O. 1. Juni 1810.
«) Volm. B. B. 30. Aug. 1783.
1) Htiat. B. B. 24. Juni 1744.
«) Volm. B. B. 18. Aug. 1715.
») St. B. B. 11. Okt. 1711.
,0) Stockh. B. B. 8. Juni 1G8I.
'<) a. a. O. 25. Aug. 1721.
9*
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13-2
könne“.1) Die Genossen und ihre Frauen erschienen nach be-
endigtem Bauergericht in dem Hause des Vormunds, um „dabey
ihren gewöhnlichen Zehr zu halten“.2) Der Vormund musste sieh
bei Antritt seines Amtes verpflichten, sämtlicho Genossen in
der gleichen Weise zu bewirten wie seine Vorgänger. Ge-
legentlich wurde vom Vormund ein Stellvertreter „zu haltung
des tractaments erkohren“.8) Für diese mit dem Amte ver-
bundene Bast wurde keine Vergütung gewährt, denn es war
„uhr alters gebreuglig gewesen, dass bey dem zehr nichtes vor
des kochers lohn noch ein paar tuffeles vor die Vormundersgen
auch vor dass gewürtz nicht mehr als 9 gr. geregnet“ würde,4)
und wenn einige Mitglieder darin eine Aenderung einführen
wollten, wurde beschlossen, „es bey den alten stilo lasen
undt ins künftig ebener masen diesem nackommen zu wollen“.4)
Bei diesem Feste wurde Bier und Wein getrunken und der
Preis dieser Getränke dem Vormnnd von der Bauerschaft fest-
gesetzt/’) Der Vormund musste das Bier selbst brauen8) und
„im fall solches nicht passabele, solte dasselbe verworfen und
ein anderes gutes bier angeschaffet werden“.*) So kam es
denn gelegentlich, dass der Bauerzehr erst einige Wochen
später als gewöhnlich gehalten wurde, weil „dem Herrn Vor-
mund zweymahl die Bier verunglückt“ war.6) Zu den Ge-
tränken wurden Honigkuchen und Salzkuchen, gewöhnlich Jahr-
kuchenK) genannt, gereicht. Ausserdem wurde ein grosses Essen
gegeben. Bei Hustede hatte ein Mitglied für alle Zeiten „ein
unsträfllich Kalb, eine Kloth butter undt ein Kähs zu geben“.9)
') Hüst. B. B. 25. Juni 1702.
'■') Stöckli. B. B. 24. Aug. 1723. Hiist. B. B. 24. Jnni 1702.
3) Hilst. B. B. 24. Juni 1730.
*) a. a. O. 24. Juni 1712.
!‘) Hiist. B. B. 24. Juni 1704. 29. Jnni 1717.
“) Volm. B. B. 3. Okt. 1779.
7J Hilst. B. B. 29. Juni 1717.
8J a. a. O. 24. Jnni 1754. Stöckli. B. B. 25. Aug. 1721.
9J Hiist. B. B. 24. Juni 1702. 25. Juni 1705. In einem Beriet;*
über das (Jelago der Stälper Banerscliaft vom 24. August 1709 werden er-
wähnt: Scliin ken, Mettwurst, Rindfleisch, Hübner, Kalbfleisch, Schrutbennen.
Butter, fiewiirze, Corintheii, Rosinen, Baumül, Zucker, Weissbrot und andere
„Notbwendigkeiten“ wie Lichter, (lonfektüren und Nüsse. Die Niisse kamen
von einer von der Bauerschaft verpachteten Waldparzelle, der sog. „holte-
gäbe" oder „Nussgabe“ ein. St. B. B. 20. Dez. 1774.' 11. Juli 1730.
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1 33
Dieser Last suchte sicli das verpflichtete Mitglied zu entziehen
und liess deshalb „gegen die alte Berechtigkeit undt der baur-
schaft höchstens präjudicirlich ein projekt zu papier setzen,
dass er ins künftig nicht wie uhr alters von seiten zu seiten
gebräuchlich gewesen, praestanda als ein Kalb zu prästiren
orler liefern gesinnet wäre, sondern auf eine andere nianir oder
Weise“.1) Doch wurde dieser Antrag abgelehnt, und bis zur
Aufhebung der Bauerschaft musste jährlich das Kalb an den
Vormund abgeliefert werden,2) obgleich die Bauerschaft Gefahr
lief, schlechtes Fleisch zu erhalten. So hat einmal „zeithiger
Vormünder der samptlichen Gesellschaft das gebrachte Kalb
präsentiret, dahebey sich beschwehret, das selbiges zware ohn-
strafflich sein müsste, dieses Fleisch aber augenscheinlich so
beschaffen, das es fast einer ehrsamben Bauerschaft nicht zur
taffel vorgebracht werden dorffe; weilen nuhn nach Aussage des
Herrn Holtzgräffe und der altisten Bawrglieder niehmahls ein
solches schlechtes Kalb beigebracht, das solches ihme so wohl
als der samptlichen bawrschaft zu nicht geringer Prostitution
gereichte, so bathe hierüber zu votiren und zu resolviren,
wohrauff das präsentirtes Fleisch besichtiget und per unanimia
dahin concludiret, das (das schuldige Mitglied) ins künftig sich
dieserhalb besser vorzusehen, vor diesmahl mit dem Herrn Vor-
münder, welcher am platz des Kalbs einen Hammel anschaffen
müsse, abzufinden habe“.3) Die zu den Gelagen erforderlichen
Biergläser besass die Bauerschaft selbst4), und der „Korb,
worin der Bauerschaffts Gläser stehen“, wurde dem Vormund
jedesmal von seinem Vorgänger übergeben.5) Bei dem Feste
pflegten „Spilleuthe“6) zu musiciren, und weil Stockheim und
Volmede an demselben Tage den Bauerzehr hielten, so dass
„eine baurschaft deren Stadtsmusikanten entbehren musste,
solches aber durch Versetzung des sonst gewöhnlichen Tages
l) Hüst. B. B. 24. Joni 1714.
*) z. B. noch 1810. a. a. 0. 24. Juni 1810.
*) a. a. O. 24. Juni 1704.
Stockh. B. B. 31. Marz 1727. Hüst. B. B. 29. Juni 1746.
») Hüst. B. B. 1. Juli 1737.
Stockh. B. B. 25. Aug. 1681 : „Den Spilleuthen vor 2 Tagen auf-
Wartung!) — 12 gr.“ Danach scheint das Fest 2 Tage gedauert zu
haben.
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134
remedyrt werden konte“, wurde von Volmede das Fest auf den
nächsten Sonntag verlegt.1)
Zuweilen wurde der Bauerzehr verschoben, z. B. „aus
Mangel des Biers“,2) oder wenn der Vormund zum Landtag
nach Anisberg berufen war, wurde „bis dessen widerkunft die
recreationsversamblung verschoben“.3) Aus besonderen Ur-
sachen wurde das Fest auch aufgehoben. So wurde bei Stock-
heini „von sämbtlichen resolvirt, wegen besseruug der woge den
gewönlichen völligen Zehr einige Jahre einzustellen“ 4) und
statt dessen „mit einem fass bier, saltkuchen und Krengel
friedig zu scyn“.5) Wenn jedoch mit dem überschüssigen
Gelde die Wege ausgebessert waren, wurde „der sonst gewöhn-
liche zehr oder völlige traktament der baurschaft wieder be-
willigt und angestellt“.6) In Kriegszeiten wurde „wegen der
Kriegstrubelen“7) und „viellen Durchmärsche und einquar-
tierungen der Militz kein Zehcr gehalten“.8) Während des
siebenjährigen Krieges fielen alle Jahresfeste aus, weil Jahr
für Jahr die Stadt in Mitleidenschaft gezogen war; so 1759,
„weil flandrische Husaren die Kautonierungs Quartier in
') Volui. B. B. 24. Aug. 1725. lieber den Zweck dieser Keier lässt
sieb eine Notiz im Nt. B. B. 12. April 1767 folgendennasseu aus: „Das bier
tractament ist nicht als ein Überflüssiges verzehr, sondern vielmehr als eine
geringe Vergeltung eben darum anzusehen, weilen kantlich die baurschaften
in ihren feld district die grabens auszuwerfen und die verdorbene feldwege
wie hergebracht auszubessern schuldig, welche Arbeit die interessanten
entweder selbst oder durch ihre dienstbotteu verrichten lassen müssen,
für welche mühe und arbeit an statt taglohn, welches gewiss ein viel-
inehreres kosten würde, selbigen geineltes bier tractament praesentirt wird
und diessen uhralten herbringen gomäss damit vorlieb nehmen; folglich
wan solches bier tractament eingezogen würde, sothane abschaffung mehr
eine Verschlimmerung als eine Verbesserung des pupliquen gemeinen wessens
nach sich ziehen würde, mithin solches geringes bier tractament nicht ab-
geschaffet werden mag noch darf.“
a) Hüst. B. B. 24. Juni 1762.
») Volm. B. B. 24. Ang. 1694.
*) Stockh. B. B. 24. Aug. 1723.
61 a. a. O. 19. Juli 1729.
«) a. a. O. 24. Aug. 1726.
’) Hüst. B. B. 24. Juni 1760.
e) a. a. O. 1757.
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135
hiesiger Stadt bezogen“,1) 1761, weil „die beyde Hauptarmeien
zu unterschiedlichen mahlen in hiesiger Feldmark gelagert und
felder, Wisens und garthens merenteils ansfouragirt“, 1762,
weil „die Kriegsunruhen dieses Jahr noch täglich hiesigen
Orthen mit marschcn und remarschen occupiren“, und „wegen
der einquartirung der hessischen Cavalleristen, so mitt mundt-
portionen und completen rationen jeder bürger hatt 5 Wochen
lang erhalten müssen, wodurch das liebe brodt und hier unter
den leuthen so bedürftig geworden, dass die mehrste leutlie in
hiesiger Stadt sich kümmerlich des brodts und des Wasser am
platz des biers sich haben bedienen müssen.“ Auch infolge
drängender A erntearbeiten wurde der Zehr nicht gehalten;
wenn z. B. „die ärnete des Roggens so späht eingefallen, dass
auch kein Werktag darinnen zu verabsäumen war, wurde einem
jeiden Bauergliede zu einer etwaigen Recreation drey maas
bier bei Herrn Vormundt nach ihrer Behausung abzuhohlen
beliebt“,'2) oder wegen einer Teuerung wie im Jahre 1772, da
„eine so grosse Theurung der flüchten geweson, dass kein
brodt und backorn vor kein Geld zu haben gewesen, und das
scheffel rokken im lezts des july ad 2 Th. 8 gr. und gerste
1 Th. 32 gr. und die Haber allerletz ad 1 Th. gegolten, so
dass die hiesigen Einwohner den gantzen Sommer hindurch
das brodt von Lippstadt haben holen müssen“.3)
Den Vorsitz bei diesen Festen führte der Holzgraf, der
Ruhe und Ordnung halten sollte.4) Gleichwohl konnten arge
Ausschreitungen nicht ausbleiben, und wioderholt berichten die
Bauerschaftsbücher von „Tumult“ während der Versammlung5)
und von „trunckcnheit“ der Genossen, fi) dass sie „trunken ge-
wesen“7) und „sich vollgcdrunckcn und gespeyen“ hätten.8)
Dabei haben dann die Betrunkenen „gar grob excedirt, sich
'J Volm. B. B. 17&7. Auch die folgenden Angaben finden sich an
derselben Stelle.
!) a. a. O. 25. Aug. 1770.
») a. a. O. 1772.
*) Httst. B. B. 25. Juni 1702.
6) Volm. B. B. 24. Aug. 1704.
*) a. a. O. 24. Ang. 1684.
') Httst. B. B. 6. Dez. 1707.
®) Volm. B. B. 25. Aug. 1714.
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136
widerwillig und gegen bauerrecht bezeiget“,1] „gröblich auf den
Tisch mit Händen geschlagen“,2) dass das Bier umgestossen 3)
und die Gläser zerbrochen wurden.4) Daun fingen sie an, „sich
ohuhoflich anzustellen“,5) „Injurien auszugiessen“6) und „ärger-
lich und ungebiirlich zu reden“,7) selbst Brüder „gerieten in
zaukerey, scheltworthe und schlagerey“.8) In dieser Stimmung
sagte man sich dann allerlei Liebenswürdigkeiten. Da wurde
einem Müller „fürgehalton, dass er in der Mühle zu viell ge-
multert und das Korn abgestohlen liette als ein schelm und
dieb“,9) ein anderer „in öffentlicher Compagnie unterschiedliche
mahle vor einen Fuchs ausgescholten“10) und ihm von einem
Genossen „gesagt, er solle ihm in Mars lecken“, worauf der
Beleidigte „replicirte: das wan so in der baurschaft sollte zu
gast geladen werden, wollte er lieber die Baurschaft quit-
tieren“.11) Ein Mitglied musste bestraft werden, weil es „sich
in seiner drunckenheit gegen sämtliche Bauerglieder mit in-
juriösen Wörtern heraussgelassen hatte“.12) Wenn dann der
Holzgraf Ordnung schaffen wollte, wurde er „ungebührlich vor
die Brust gestossen und hisce formalibus : Du, ich habe dir die
erste Stimme gegeben, angeredet“.13) Einmal kam es sogar
dahin, dass ein Genosse, der zuvor „bei Versamblung der
baurglieder sich unhöflich gehalten und geschlagen“ hatte und
deshalb an die Luft gesetzt war, nachher „sogahr mit ge-
ladenem Gewehre auf des Vormunders Hausthür und daraus
gehende Leuhte feuer gab“.14) Andere suchten von dem
Mahl sich etwas für die folgenden Tage zu reservieren und
') a a. O. 24. Aug. 1684.
2) Hüst. B. B. 6. Dez. 1707.
■’J Volui. B. B. 24. Aug. 1684.
•) Stockb. B. B. 24. Aug. 1682. 24. Aug. 1711
6) a. a. O. 24. Aug. 1723.
«) a. a. 0. 23. Aug. 1686.
7) Hüst. B. B. 6. Duz. 1707.
8) Volin. B. B. 24. Aug. 1711.
“) Hüst. B. B. 24. Juni 1710.
>") a. a. 0. 25. Juni 1702.
") a. a. O. 24. Juni 1702.
I2J St. B. B. 24. Oktober 1716.
13 ) Hüst. B. B. 6. Dez. 1707.
Stockb. B. B. 21. Sept. 1701.
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137
wurden dabei ertappt, wie sie „wieder erbahr- und Höflichkeit
ein Stück Käs in Schnupftuch in den Sack gestochen“ hatten.')
Manchmal wollten auch Fremde an dem Feste teilnehmen, so
dass der Vormund, in dessen Hause alle versammelt waren,
sich beschweren musste, dass ein unverschämter Eindringling
„ihme molestieret und in convivio beiwohnen und sich ein-
dringen, ja gahr nicht habe weichen wollen, bis er ihm Essen
und Trinken vor der Stube gegeben“.'') Diese Delinquenten
wurden als „höchst straffällige“1 * 3) angesehen und „wegen dieser
Excessen und bei versambleter bawrschaft ärgerlich verübten
ungebührlichkeiten“ scharf bestraft.4 5)
In gleicher Weise wurde gegen die vorgegangen, die sich
Beleidigungen gegen die Beamten der Bauerschaft hatton zu
schulden kommen lassen. Wer beim Jahresfeste „ober den
Holtzgrewen zu sitzen sich erkühnet“, wurde zu einem Jahr-
kuchen verurteilt.3) Wer das vom Vormund Vorgesetzte Essen
tadelte6) und sein „hier verachtete, obzwarn solches nicht zu
verachten“,7) oder gar Zweifel an seiner Ehrlickheit hegte,
dass „nicht alles ehrlich zuginge“,8) und deshalb von einem
Genossen „aus nachbarlicher Liebe“ angezeigt wurde,9) hatte
sich dieserhalb vor der Bauerschaft zu verantworten. Als ein
Bauerglied bei einer Grenzfestsetzung durch die Brachstecher
geglaubt hatte, diese darauf aufmerksam machen zu müssen,
dass „man also messen solte, dass nach ihrem Todt die Brach-
stecher auch messen mogten“, wurde er bestraft wegen dieser
„groben, unverschemeten, ausgestürzten Injurien“.10) Besonders
wurde der Bauerknecht geschützt, weil er im Aufträge der
Bauerschaft polizeiliche Funktionen auszuüben hatte und des-
halb leicht den Beleidigungen ausgesetzt war. So musste er
cs sich zuweilen gefallen lassen, dass ein Holzdieb, der von
1 ) Hüst. ü. B. 25. Juui 1704.
*) a. a. O. 25. Juni 1702.
3j Volm. B. B. 24. Aug. 1684.
4) Hüst. B. B. 6. Der. 1707.
5) a. a. 0. 26. Juni 1702.
®) Stockh. B. B. 25. Aug. 1721.
7) a. a. 0. 26. Aug. 1704.
") St. B. B. 15. Januar 1783.
») Hüst. B. B. 26. Juni 1706.
K) Stockh. B. B. 22. Stürz 1678.
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138
ihm vor das Bauergericht geladen wurde, ihm „mit höhnischen
und gahr spöttlichen Worten begegnete“1) und die Frau eines
audern Delinquenten „gegen ihn schändete und mit der forcken
ihn ausm haus jagte“.2) Auch alle andern Versammlungen der
Bauerschaften, sei es aller Mitglieder oder auch nur der Be-
amten, wurden gegen Ungebührlichkeiten durch das Bauer-
gericht geschützt. So war es strafbar, wenn „auf dem gerichts
Platz wehrenden Gerichts Tuback gcrauchet“ wurde,3) wenn
bei derselben Gelegenheit der neue Vormund „bei umbge-
haltenen Krantz solchen Kranz wie branchlich nicht aufs blosse
haupt, sondern auf den liudt gesetzt“ hatte,4) und wer gar „in
präsentz sambtlicher brachstechcrs des Vormunds Tochter beim
tisch sitzendt geküsset, wurde, weilen solches gegen die Erbar-
keit ist, in zwey firtell wein strafe declarirt“.5) Ebenso wurden
auch alle andern Beleidigungen der Genossen gegen einander vor
dem Bauergericht gerügt, selbst wenn sie nicht bei bauer-
schaftlichen Versammlungen gefallen waren. So trat „ge-
bührende Bestrafung“ ein, wenn jemand einen andern „wider
angelobte Pflicht und Ehrbarkeit vor eine Wetterkatze ausge-
scholten“6) oder „ihn öffentlich aufm Marckt angefallen, andert-
halb Scheffel rübesamen von ihme gefordert und ihm seine
Saat vom Lande genohmen“ hatte.7) Wenn zwei Bauerschafts-
genossen wegen Beleidigungen Streit hatten, durfte „keiner aus
der Bauerschaft so weinig mit einem als anderen in bawr-
schaftlichen Sachen Gemeinschaft halten noch zutrincken, bis
vor ordentlicher Obrigkeit die Sache unter ihnen ausgemacht
und dann darauf erklärung vor der Bauerschaft erfolget“ wäre.6)
Doch war dies Verbot aufgehoben, wenn der Beleidiger sich
mit dem Beleidigten „der vorgebrachten injurien halber mit
darreichung der handt abgefunden“ hatte.9) Wer gegen einen
Genossen eine ehrenrührige Aussage gemacht hatte, wurde so-
') Volm. B. B. 1715.
2) Httst. B. B. 24. Juni 1708.
s) Volm. B. B. 1696.
<) Höst B. B. 26. Juni 1705.
*) Stöckli. B. B. 26. Aug. 1704.
«) HUst.. B. B. 24. Juni 1702.
7) a. a. 0. 9. Nov. 1704.
81 a. a. O. 24. Juni 1710.
•) Stockb. B. B. 20. April 1722.
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139
lange aus der Bauerschaft ausgeschlossen, bis er den Beweis
für seine Behauptung geliefert hatte. Gelang ihm dies nicht,
wurdo er wogen Verleumdung von der Bauerschaft bestraft.1)
Das Finanzwesen. Ausschluss aus der Bauerschaft
Das Finanzwesen der Baucrschaften hatte einen durchaus
natural wirtschaftlichen Charakter. Wir können uns damit be-
gnügen, die einzelnen Erscheinungen, soweit sie in den vor-
stehenden Erörterungen gegeben sind, hier zusammenzufassen.
Der Holzgraf erhielt ein Fuder Holz und durfte ein oder
mehrere Schweine in die Mast schicken,2) die Brachstecher
hatten für ihre Tätigkeit nach den Ausgäugen freies Essen
und Trinken,3) der Vormund erhielt als Entschädigung für
seine nicht geringe Mühe ein Fuder Holz, Land und freie
Mast,4) der Holzknccht hatte von der Bauerschaft Land, Holz
und freie Mast/') und der Schweinehirt durfte ebenfalls ein
Schwein in die Mast treiben.6) Das bare Geld, das der Holz-
knecht erhielt, musste gezahlt werden von jedem neu ein-
tretenden Mitgliede,7) von den Verurteilten8) und als Stamm-
geld von denen, die von der Bauerschaft einen Baum erhielten.9)
Der Schweinehirt erhielt seinen Geldlohn im sog. „Webnegeld“
von jedem aufgetriebenen Schweine und am Schluss durch eine
Repartition, sodass die Bauerschaftskasse gar nicht in Mit-
leidenschaft gezogen wurde. Die Ausgaben für Wege- und
Brückenbau waren gering, weil diese Arbeiten entweder von
allen Genossen oder von Verurteilten verrichtet wurden. In
der gleichen Weise wurden die Arbeiten zur Hebung der
Waldkultur erledigt. Die von den Brachstechern nach den
Ausgängen gehaltene Zeche wurde von den Strafgeldern, die
>) St. B. B. 6. Der 1717.
*) S. o. S. 69.
5) S. o. S. 73.
<) S o. S. 74.
5) S. o. S. 77.
«) 8. o. S. 126.
7) 8. o. S. 55.
«J 8. o. S. 108.
») S. o. 8. 119.
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140
die Delinquenten zu zahlen hatten, beglichen. Die Kuchen
zu den Jahresfesten wurden von den neu eintretenden Mit-
gliedern und von Verurteilten geschenkt, das Fleisch ebenfalls
von Bauergliedern geliefert und die damit verbundene Arbeit
vom Vormund unentgeltlich verrichtet. Die mit der Mastwirt-
schall sonst verbundenen Ausgaben wurden durch die sog. „Un-
kostenschweine“ gedeckt. Die übrigen Geldausgaben, z. B.
Vergütung für die Tätigkeit des Holzgrafen, ebenso der Brach-
stecher, des Vormunds und des Holzkuechts, ferner bei Ver-
dingung von Wegearbeiten, Brückenbau usw. wurden beglichen
durch die Einkrönungsgebühren, die jedes Mitglied bei seiner
Aufnahme zu zahlen hatte, die Strafgelder, die von Ver-
urteilten zu entrichten waren, und vor allem durch die Ein-
künfte, die der bauerschaftlichc Grundbesitz gewährte. Wenn
einmal aussergewöhnliche Geldaufwendungen zu machen waren,
wurden entweder Bäume gehauen und der Erlös zur Be*
gleichung der Ausgaben verwandt,1) oder es mussten alle
Bauerglieder dazu beisteuern.2)
Bei den Bauerschaften gab es eine doppelte Kassen-
führung, eine des Vormunds und eine des Holzgrafen. Der
Vormund hatte die grössten Ausgaben zu machen für die
Speisen beim Jahresfeste und nach Ausgang der Brachstecher,
um Frevel im Felde zu besichtigen, und vor allem für die Ge-
tränke, wie Bier, Wein und Branntwein, die bei jeder Ge-
legenheit den Beamten und den übrigen Mitgliedern gereicht
wurden. Ebenso musste er das Gehalt an die Beamten, be-
sonders an den Holzknecht zahlen.3) Die Einnahmen bestanden
zunächst ans den Einkrönungsgebühren bei Aufnahme neuer
Mitglieder,4) dann in einem Teile der Strafgelder5) und vor
allem in den Einkünften aus den verpachteten Ländern.6)
Jeder Vormund musste am Ende seiner Amtsführung „in pre-
sentz der eitesten der Erben und Bauern wie auch der Brach-
stecher“ am Tage nach dem Gericht Rechnung über „bis dato
') Volra. B. B. IS. Nov. 1706. St. B. B. 17. Jan. ISIS.
») Stöckli B. B. 19. Aug. 1720.
’) Hüst. B. B. 24. Juni 1734.
*) a. a. 0. 24. Juui 1744.
5) a. a. 0. 6. Juni 1725. Stockh. B. B. 25. Scpt. 1686 n. 8. o.
“l Hlist. B. B. 1. llai 1723. Stöckli. B. B. 24. Aug. 1678 u. s. o.
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141
geschehenen Vorschuss und Ausgabe“ legen,1) wozu „alte und
newe brachstechern und wer sonst dazu invitirt wurde, undt
keine sonst erscheinen solten“.2) Wenn nichts zu beanstanden
war, wurde „das Absolutorium erteilt“,2) wenn aber die Rech-
nung nicht in Ordnung war oder der Vormund sie noch nicht
aufgestellt hatte, wurde die Kassenführung getadelt4) und
„dan zu deren aufnahme ein bequemer terminus ausgesehen“.5)
Den Ueberschuss sollte „der Herr Holzgrafe zu berechnen
haben“,9) wenn jedoch die Ausgaben die Einnahmen über-
stiegen, musste das Deficit aus der Kasse des Holzgrafen ge-
deckt werden.7) Weil das Amt des Vormunds von jedem Mit-
gliede bekleidet werden musste und darunter zweifellos manche
zu einer Kassen führung nicht geeignet waren, konnten häufige
Tadel nicht ausbleiben. Dazu kam, dass die Strafgelder und
Pächte schlecht bezahlt wurden, so dass fast Jahr für Jahr
der Vormund ermahnt werden musste, „die solvende fleissiger
beyzutreiben“ und „den rest einzumahuen“.8) Wenn die
Schuldner nicht willig zahlen wollten, wurde Befehl gegeben,
das aufstehende Getreide „verarrestiren“9) zu lassen. Wenn
die Pächte einkamen, die gewöhnlich in Getreide bestanden,
sollte darauf gesehen werden, dass „gut markgiebig Korn“
geliefert würde.10) Das den Bauerschaften gehörende Getreide,
sowohl das selbstgewonnene wie das eingelieferte, wurde meist-
bietend verkauft.
Neben der Vormundskasse gab es eine sog. Bauerschafts-
kasse, die der Holzgraf zu verwalten hatte. Das Gebiet beider
Kassen ist nicht genau geschieden. Die Ausgaben, die der
Vormund zu machen hatte, standen freilich fest, so dass der
Holzgraf meist die ausserordentlichen Auslagen decken musste.11)
') Stockk. B. B. 23. Aug. 1G86.
*) a. a. 0. 24. Aug. 1727.
3J St. B. B. 18. Juni 1810.
*) HUst. B. B. 1. Dez. 1717.
•r’J a. a. O. 29. Juni 1722.
«) a. a. O. 24. Juni 1744.
') a. a. O. 25. Juni 17.34.
*>) Stöckli. B. B. 24. Aug. 1078.
») a. a. O. 24. Aug. 1082.
•“) Volm. B. B. 8. Okt. 1084.
") a. a. O. 20. Ang. 1724.
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142
An Einnahmen werden verzeichnet die Einkronungsgebiihren
und Brächte, auch Pachtgelder und Einkünfte von verkauften
Bäumen,1) ferner der Ueberschuss von der Vormundsrechnung
und der Mastnutzung.2) Auch der Holzgraf sollte jährlich an
demselben Tage wie der Vormund vor der gleichen Kommission
Rechnung legen.-1) Da aber der Holzgraf im Gegensatz zum
Vormund auf Lebenszeit gewählt war, unterblieb oft die Rech-
nungsablage, so dass sie sich gelegentlich ein halbes Menschen-
alter und länger hinzog.4)
Neben diesen beiden Kassen gab es noch eine besondere
für die „Mastbetreibung“,5) die die durch die Benutzung der
Mast sich ergebenden Einnahmen und Ausgaben zu regeln
hatte.
Den aus diesen drei Kassen sich ergebenden Ueberschuss
sollte „zeitiger holtzgräfe gegen ein sicheres Unterpfand mit
vorwissen der baurschaft bis zur denunciation ausleihen“.6)
In den vorhergehenden Kapiteln wurde wiederholt gezeigt,
wie die Bauerschaften Frevel und Ungehörigkeiten vor ihr
Forum zogen und gewöhnlich mit Geld bestraften. Diese
Strafgewalt erstreckte sich auf alle Delinquenten, mochten sie
Mitglieder sein oder nicht. Wie suchten sich nun die Bauer-
schaften zu helfen, wenn die Verurteilten sich widersetzten
und die auferlegte Strafe nicht zahlen wollten? Gegen die
Mitglieder wurde in diesem Falle mit Ausschluss aus der
Bauerschaft vorgegangen. Wer sich weigerte, das Strafgeld
zu erlegen, hatte „sich der baurschaft so lang zu enthalten,
bis er solche erlegt“,7) und wurde bis „zu deren Erlegung vor
kein baurglidt erkant“8) oder sollte „bis daran der baurschaft
entsetzet sein“.9) In der gleichen Weise ging man gegen die
') Stockh. B. B. 1783. Hüat. B. B. 26. Juni 1736.
“) Volm. B. B. 26. Aug. 1724.
3) Stöckli. B. B. 24. Aug. 1722. Hilst, B. B. 25. Juni 1736.
*) t. B. Stockh. B. B. 18. Dez. 1706: von 1690 — 1706. Hüst. B. B.
1. Juli 1737: von 1720—1737.
ß) Stockh. B. B. 1778.
») a. a. O. 25. Aug. 1726.
7) Hüst. B. B. 6. Doz. 1707. 27. Juni 1704.
“) Stockh. B. B. 25. Aug. 1706.
•) a. a. O. 25. Aug. 1683.
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143
vor, die die Pacht noch nicht gezahlt1) oder den der Bauer-
schaft zugefügten Schaden noch nicht ersetzt hatten.2) Bei
aussergewöhnlichen Ausgaben musste der auf jedes Mitglied
fallende Beitrag „sub poena remotionis a Burscapia“ bezahlt
werden, und wer damit im Rückstand blieb, wurde ausge-
schlossen, „bis dahin uhraltem gebrauch gemees praestanda
prästirt“.5) Ein Holzdieb sollte „der baurschaftsgercchtigkeit
privirt und davon verwiesen weiden, bis er dieserhalb ein satt-
sames gnüge geleistet haben wird“.4) Wenn jemand seinen
Genossen „gröblich injuriert und derentwegen sich zu vergleichen
ihme auferleget worden, welches aber nicht thun wollen“,5)
wurde er „so lang der baurschaft verwiesen, bis dahin sich mit
ihm wegen ausgegossener injurien abgefunden“.6) Wer bei
Gericht sich „ungebührlich gehalten undt den Holzgrewen dis-
putirt“,') wurde ebenfalls wegen der „dem zeitlichen Holz-
grewen angethanen undt ausgegossenen Injurien abgewiesen“.8)
Ein Angeklagter, der sich vor dem Bauergericht verantworten
sollte, wurde vom Holzknecht zitiert „bey Verlust seiner baur-
schaft“,9) und wenn „er seinem Versprechen nach sich mitt
baurrecht begnügen zu lassen wiedersetzet und nicht pariren
oder die Herren Erben und Bauern ad locum quaestionis zu
begleiten nicht würdigen wollen und trutzigen Gemüthes
herausgesagt, dass er mitt der baurschaft nicht zu tun hatte“,10)
wurde er ausgeschlossen. Auch wer fortgesetzt den Versamm-
lungen der Bauerschaften fernblieb, ging des Bauerschafts-
rechtes verlustig.11) Ferner war „sowohl in eiteren als jüngeren
Zeiten einliällig resolvieret worden, dass diejenige, so ihr hohes
Gehöltz schädlich verhaueten, ja gahr die tragbahrtesten
Bäume auswerths verkauften, ihr Bauer- und mastgerechtigkeit
>) a. a. 0. 24. Aug. 1684.
2) Hüst. B. B. 24. Juni 1705.
s) Volnj. B. B. 24. Aug. 1684.
HUst. B. B. 20. Nov. 1717.
*) Stockh. B. B. 27. Aug. 1678.
•) a. a. O. 20. April 1722. Hüst. 24. Juni 1710.
’) Stöckli. B. B. 24. Aug. 1706.
“) a. a. 0. 24. Aug. 1683.
•j a. a. 0. 24. Aug. 1711.
,0) Vohn. B. B. 4. Juli 1676.
"1 St. B B. 27. Febr. 17B3.
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144
verlustig seyn sollten“.1) Wem so „der baurschaft sich zu
emlteusern auferlegt war“, wurde dann „angewiesen, von
niwen zu gewinnen“.2) Ueber den Ausschluss, der von
sämtlichen Genossen beim Bauergericht beschlossen wurde,
wurde ein Protokoll ausgestellt,-1) das „dem beklagten per fa-
mulum hinterbracht wurde“.4)
Das Vorgehen gegen solche widerspänstige Verurteilte,
die nicht Mitglieder der Bauerschaften waren, soll bei Gelegen-
heit im folgenden Abschnitt behandelt werden.
Stadt und Bauerschaften
Das Stadrecht war auf den Raum innerhalb der Mauer
beschränkt,'’) die Befestigung zog die Grenze, wie weit sich
städtische Rechte und Pflichten erstreckten.6) In dem Ver-
trage zwischen Erzbischof Konrad von Köln und Simon von
Paderborn vom 20. August 12’56 einigten sich die beiden
streitenden Parteien dahin, Salzkotten und Geseke gemeinsam
zu besitzen, soweit das „Weichbild“ beider Städte reichte,7)
und in dem Vertrage zwischen Erzbischof Siegfried von Cöln
und Otto von Paderboni vom 7. Februar 1287 wurde dieser
Weichbildbezirk bestimmt durch die Mauern, Wälle und Gräben
beider Städte.8) Da nun Weichbild den Bezirk bezeichnet, in
dem das Stadtrecht gilt,8) so erstreckte sich das Stadtrecht
von Geseke nur über den Raum, der innerhalb der Befestigungs-
> ) a. a. 0. 21. Sept. 1776.
2) Stöckli. B. B. 13. Januar 16H0.
:1) Hüst. B. B. 2G. Juni 1709.
4J Stockb. B. B. 24. Aug. 1711.
6) Kuutgen, Untersuchungen Uber den Ursprung der deutschen Stadt-
verfassung. S. 21.
•) Below, Der Ursprung der deutschen Stadtvarfassung. S. 20.
Aehnlich in der Entstehung der deutschen Stadtverfassung. Histor. Zoitse.hr.
Bd. 59 S. 200.
7) Wilmans-Finke, Westf. Urk. Buch IV No. GGO. S. 370: „oppidutn
Saltcoten . . . cum termino, quod dicitur wicbilide . . . Simile erit de
oppido in Gysike.“
8) a. a. O. No. 1977. S. 914. „oppida tum Gysike quam Saltcoten
infra muros septa et fossata eorumdem.“
9) Kietscbel, Markt undt Stadt. S. 18G. Keutgen, Untersuchungen
über den Ursprung usw. S. 79.
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H r.
werke lag. Daher unterstanden die Bauerschaften, bevor sie
in die Stadt gezogen waren, nicht dem Stadtrechte, sondern
dem Landrechte, sie bildeten einen Teil der Gografschaft Ge-
seke') und unterstanden mithin dem Gogericht, nicht dem
Stadtgericht. Als dann die Dörfer zerstört wurden und die
Bewohner sich in der Stadt anbauten, fielen die eigentlichen
Rechtssubjekte, die Güter Land, nicht in das Weichbild,
sondern gehörten ganz wie früher zum Gogericht. Denn das
Stadtrecht blieb auch jetzt noch auf den früheren Bezirk be-
schränkt, und „der Stadt Geseke Feldt-Marck“ unterstand auch
fernerhin dem Gogericht Geseke. Wie die Dörfer Störmede,
Mönninghausen, Bönninghausen, Ehringhausen, Langeneike,
Ermsinghausen, Esbeck, Dedinghausen und Rixbeck zum Hoch-
und Gogericht Geseke gehörten und in diesem Bezirk „die
Brachten an dem Gogericht Geseke erthätiget“ wurden, ebenso
dehnte sich das Gogericht auch über die Feldmark der Stadt
Geseke aus und „die Brüchten, so in der Stadt Geseke Feldt-
marck an dem Gogericht fielen, sollten dem Churfürsten als
dem Landt- Fürsten Vorbehalten sein und bleiben“.'2) Daher
sei noch einmal mit Nachdruck betont, dass das Gebiet, auf
dem früher die Bauerschaften standen, auch weiterhin in den
Bezirk des Gogerichts fiel,3) dass dagegen das Stadtrecht auf
den von der Befestigung eingeschlossenen Raum beschränkt
blieb. Nun waren die eigentlichen Rechtssubjekte der Bauer-
schaften die Hufen und nach dem Ausscheiden der Huden aus
den Bauerschaften die „Güter Land“, die auch ferner in den
Bezirk des Gogerichts fielen. Daher unterstand die Gesamt-
heit dieser Güter d. h. eine Bauerschaft nicht dem Stadt-
gerichte, sondern dem Hoch- und Gogerichte Geseke. Manche
Tatsachen aus der Geschichte der Bauerschaften beweisen
diese Behauptung. Bis zu ihrer Auflösung mussten die Bauer-
') Seibertz, Urkundeti-Bucb. I. No. 484. S. BIS (um 1300): Item ju-
diciutn Uograviat.ua in Geseke extendit se auper V parochias.
*) Nach dem Jurisdiktionsrezess zwischen Churfürst Salentin und der
Familie von Hürde zu Stürmede vom 20. Februar 1577. Seibertz, l’rk.-
Buch. III. No. 1029. S. 261 ff.
3) Ebenso „wurde das Gohgericht den mitten durch den Bezirk
gehenden Landwehren der Stadt Lüneburg gegenüber von den Herzogen
ausdrücklich geschützt". Hammerstein-Loxten, Der Bardcugan. S. 321.
I.npp»*. Oie t llanitoHtsfliit 10
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schäften die „Cburfürstliche Gogreben haber“1) an das Go-
gericht abliefern, ursprünglich „zur Fütterung der Pferde des
das Gericht abhaltenden Herzogs oder seines Vertreters“,-)
„das einer fri sie in sinem hus und hof, das in nieman darin
schmähe, Überlauf noch benotte“.3) Hüstede,4) Heringhausen,4)
Stalpe,ß) Holthausen') und Stockheini8) mussten je 12 Scheffel
liefern, „so churfürstl. H. Richtern jährlich zahlet werden
mussten“.’) Dieses Quantum musste von den einzelnen zu
einer Bauerschaft gehörenden Gütern in gleich grossen Teilen
aufgebracht werden, so dass z. B. bei Stalpe jedes Gut 7 '/*
Becher Hafer lieferte.10) Die Bauerglieder mussten den zu
entrichtenden Teil an einem bestimmten Tage in der Wohnung
des Vormunds Zusammentragen, wobei ihnen „ein driling bier
presentirt wurde“.11) Der Vormund musste diese Gografen-
hafer an die Zahlstelle abliefem, und „die Quittung der chur-
fürstlichen Herren Richter sollte den baurprotokoll eingelegt
werden“.12) Selbst nachdem das Herzogtum Westfalen an
Hessen-Darmstadt und dann an Preussen gefallen war, wurde
die Gogrebenhafer noch weiter entrichtet.11) Da „sich die Zu-
ständigkeit des Landgerichts auf alles in der Grafschaft be-
legene Eigen erstreckte“,14) und die Gogerichte an die Stelle
der Landgerichte getreten waren,14) so wandten sich streitende
Parteien bei Prozessen um ein Stück Land an das Churfürst-
liche Gericht zu Geseke, und nach gefallener Entscheidung
meldete sich die eine Partei bei der Bauerschaft, dass ihr
*) Stöckli. B. B. 5. Juli 1708.
*) Hammerstein-Loxten, a. a. O. S. 338.
3) (trimm, Weistiimer, I, 8. 150 bei Tliudichum, Gau- und Markver-
faasung. 8. 150.
•) HUst. B. B. 6. Dez. 1736.
*) Stockh. B. B. 24. Aug. 1723.
«) 8t. B. B. 14. Dez. 1718.
7) Stöckli. B. B. 25. Aug. 1721.
8) Holtli. B. B. 10. Okt. 1784.
>) t. t. O. 23 Juli 1730.
“) St. B. B. 24. Aug. 1746.
») a. a. O. 14. Dez. 1718.
l3) Stöckli. B. B. 24. Aug. 1723.
ls) a. a. O. 18. Juni 1819.
u) Schröder, Deutsche Rechtageschichte. 8. 559
“) a. a. O. S. 603.
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147
„solches streitige Stücke vom Churfürstlichen Gericht zuer-
kandt“1) sei. Von den Dorfgerichten gingen Appellationen an
das Gogericht.2) Wenn daher ein von den Bauerschaften Ver-
urteilter ohne Grund bestraft zu sein glaubte, appellierte er
an das Gogericht zu Geseke, das dann von den Bauerschaften
Bericht einforderte. „Worauff dem Herrn Gografen das pro-
tokollum sowohl alt als new vorgelegt und dargethan wurde,
dass die Bauerschaft in Uhralter observantz und possession
«lie in Ihrem Distrikt geschehenen Excesse zu bestrafen habe“,
so dass das Gogericht es bei der verhängten Strafe liess.3)
In einem Streite zweier Interessenten um die Mastnutzung
„schickte churfürstlicher Richter per pedellum pönal befehl,
bey 10 ggd straf (den einen) nicht zuzuiassen, sondern dafür
einkommende Gelder einzuhalten“.4) Ebenso wandten sich die
Bauerschaften an das Gogericht, wenn Verurteilte sich dem
Bauergericht widersetzten und die verhängte Strafe nicht
zahlen wollten, und die „Execution erfolgte durch churfürst.
H. Richter“.'*) Wenn ein Angeklagter vor der Bauerschaft
nicht erscheinen wollte, w*urde „auf dessen Kosten H. Gograf
ersucht“.8) Wollten die Erben eines verstorbenen Holzgrafen
die bauerschaftlichen Urkunden und Bücher nicht herausgeben,
wurde derselbe Weg von den Bauerschaften eingeschlagen, und
„auf andeutuugh der Execution von Churfürstl. H. Richter
wurden die Briefschaften und Rullen extradirt“.7) Die Bauer-
schaften hatten nicht das Recht der Execution, und eintretenden
Falls musste daher von ihnen ,jede Obrigkeit dieses Ohrts
vermöge Churfürstl. privilegio baurschaft dato ad Exequendum
ersuchet“ 8) werden. Also jede Obrigkeit in der Stadt Geseke
sollte den Bauerschaften gegen Widerspänstige beistehen. Die
eine Obrigkeit haben wir schon kennen gelernt, es war das
’) Volm. B. B. 7. Januar 1685.
2) Tkudichum. Gau- und Harkrerfassuug. S. 78. I/iw, Markgenossen-
schaften. S. 230.
s) Höst. B. B. 21. Juli 1705.
<) St. B. B. 28. Sept. 1723.
s) Höst. B. B. 7. Sept. 1752.
•) St. B. B. 2. Märe 1723.
1) Stöckli. B. B. 8. Juni 1681.
*) a. a. O. 21. Juli 1682.
in*
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148
Gogericht, die andere war die Stadt selbst bez. deren Ver-
treter, Bürgermeister und Rat, und durch diese wurde die erste
allmählich ganz bei Seite gedrängt.
Nach dem Aufbau der Bauerschaften in der Stadt waren
die Besitzer der Bauerschaftsgüter bezw. deren Vertreter
Bürger geworden, sie unterstanden also dem Stadtgericht.
Wie sich daher die Bauerschaften gegen Holzdiebe, die in
fremden Gerichtsbezirken wohnten, an das betreffende Gericht,
z. B. das Boker Friedensgericht gegen Holzdiebe aus Verlar
wandten,1) so pflegten sie gegen Delinquenten aus Geseke, die
sich wegen Holzdiebstahls „noch nicht abgefunden hatten, die
Manutenentz beim Magistratgerichte nachzusuchen“.2) Wenn
jemand von seinem Nachbar in den Wiesen durch Abmähen
beschädigt war, wurde er von der Bauerschaft „befugt, weil
beklagter das hew bereitz fertig, selbigem durch Bürgermeister
und Rath verbietlien zu lassen bis austragh der Sachen“.3)
Gerade wie sich die Bauerschaften bei Widerspänstigkeit Ver-
urteilter an das Gogericht wandten, ebenso „sollte regierender
H. biirgermeister pro executione demanda ersuchet werden“4)
oder „pro facienda executione requiriret werden“5) oder „pro
venundanda executione ersuchet werden“.6) Wenn ein in
fremdem Gerichtsbezirk wohnender Verurteilter sich in Geseke
sehen liess, wurde der Bürgermeister beauftragt, ein Pferd bis
zur Zahlung der Strafe zu arrestieren,7) oder gar der Frevler
selbst wurde ausgeliefert und Bürgermeister und Rat „ersucht,
der baurschaft zu ihrem schaden, Kosten und brüchten zu ver-
helffen“.6) Mit dem gleichen Rechte wie an das Gogericht
konnte von den Bauergerichten an das Stadtgericht appelliert
werden.9) Als bei Hüstede die Erben und Heuerlinge wegen
>) Stockh. B. B. 7. März 1709. 14. Mai 1828.
2) Volm. B. B. 21. April 1807.
3) a. a. O. 21. Mai 1716.
‘) Stockh. B. B. 24. Aug. 1711.
6) Volm. B. B. 24. Aug. 1771.
*) Hüst. B. B. 10. Februar 1796.
J) a. a. 0. 21. Juli 1705.
8) St. B. B. 2. Januar 1706.
9) Gleiche Erscheinungen in Herford bei Ilgen, Herforder Stadt- und
Gerichtsverfassung, S. 60, in Rüthen bei Bender, Gesohichte der Stadt
Rüden, S. 139 und Köln bei Wrede, Bauernbänke, S. 45. So wurde zu
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149
der Wahl des Vormunds in 8treit geraten waren und die
Erben eigenmächtig einen Holzgrafen aus ihrer Mitte wählten,
erklärten die Heuerlinge, sie „wollten ad superiorem Holtz-
gravium scilicet zn Herrn Bürgermeister und Rath provo-
ziren“.1) Ein Verurteilter, der bei Grenzstreitigkeiten Un-
recht erlitten zu haben glaubte, „protestirte von allem, konnte
sich darzu nicht einlassen, wollte diese Sache coram magistratu
ausmachen“,2) ein anderer „protestirte und wollte sich in
omnem eventum den recurs ad magistratuni Vorbehalten“.3)
Ebenso gingen die Bauerschaften gegen solche Delinquenten,
die „die Klage negirten“, beim Stadtgericht vor, damit „die
Sache beym H. brgstr. und Rath ausgemacht würde“.4) Wenn
eine Bauerschaft mit jemand um ein Stück Land in Streit ge-
riet, wurde die Sache „bei Bürgermeister und Rat in einem
gerichtlichen Streit“ entschieden,5) und erst wenn der Ma-
gistrat der einen von zwei streitenden Parteien ein Stück
Land zuerkannt hatte, durfte die Bauerschaft der siegenden
Partei „zu dem ihrigen verhelfen“.6)
Somit stand bei Appellationen ein doppelter Weg offen,
ans Gogericht und Stadtgericht. Daher erklärten Appellanten
häufig vor dem Bauergericht, sie „wollten und müssten sich
bey hoher Obrigkeit beschwehren“,7) ohne die höhere Instanz
zn nennen. Ebenso wollten die Bauerschaften „zu effektuierung
(der Strafe) executionem a superioribns imploriren“8) oder „an
höhere obrigkeit klagen“6) u. a. m., ohne Angabe der höheren
Instanz.
Stalpe ala Recht gewiesen (St. B. B. ‘23. Aug. 1722), dasa „anwesenden
H. Erben und Bauren nicht anders bewusst, als dass H. Bürgermeister
nnd Rhat als oberholtzgraf jederzeit erkannt derrgestalteu, fahls einer am
baurgericht beschwehrt, au U. Bürgermeister und Uliat sein recursnm zu
nehmen frey stehe.“
>) Hüst. B. B. 6. Juni 1706.
a) Vota. B. B. 4. Aug. 1714.
3) St. B. B. 18. Febr. 1796.
*) Volm. B. B. 20. März 1783.
5) Httst. B. B. 27. Juni 1718.
*) Stockh. B. B. 16. Sept. 1692.
■) HUst. B. B. 24. Juni 1704. 24. Juni 1705.
8) a. a. 0. 24. Juni 1713.
») Stockh. B. B. 6. März 1693.
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150
Wer mit dem Urteil dieser Instanzen noch nicht zufrieden
war, appellierte entweder an das Offizialgericht zu Werl oder
an die Regierung zu Arnsberg.1) Dagegen finden sich keine
Appellationen an das Rüdener Gericht als den Oberhof von
Geseke,'2) wie solche sonst allgemein üblich waren.3) Ein
wegen Holzfrevels bestrafter Delinquent appellierte nach Werl,4)
ein anderer, der wegen einer Strafe executiert war, nach
Arnsberg,5) ebenso ging in einer Streitsache um einen Graben,
wem nämlich die ausgeworfene Erde gehören sollte, Appellation
nach Arnsberg.®) Wenn bei Teilgütern Verwirrung in der
Reihenfolge eintrat und sich eine Partei bei der Entscheidung
der Bauerschaft nicht beruhigen wollte, zog sich der Streit
zuweilen jahrelang hin und kam „ad curiam Archiepiscopalem
Werlensem“.7)
Diese Gerichte, das Gogericht und Stadtgericht zu Geseke,
das Offizialat zu Werl und die Regierung zu Arnsberg, kamen
nur als Appellationsinstanzen in bauerschaftlichen Sachen in
Betracht, sie durften sich jedoch keinen Eingriff in die Rechte
der Bauerschaften erlauben und vor allem keine Klagen an-
nehmen, die nicht zuvor bei der Bauerschaft verhandelt worden
waren. Die Bauerschaften mussten sich besonders forgesetzt
der Eingriffe seitens des Bürgermeisters erwehren. Wenn die
Stadt ohne Erlaubnis auf bauerschaftlichem Grunde einen
Baum gehauen hatte und deshalb bei höherer Instanz von der
Bauerschaft belangt worden war, musste sie sich wie jeder
andere Delinquent zu einem Vergleiche herbeilassen und ver-
sprechen, künftig ähnliches nicht wieder zu tun.8) Am schärfsten
gingen die Bauerschaften gegen Eingriffe in das jus finium re-
gundorum vor. Kam dem Holzgraf etwas derartiges zu Ohren,
so liess er sofort die Bauerschaft Zusammenkommen, und „weilen
*) Steinen, Weatf. Geschichte. St. 30. S. 1083. cap. VI.
*) Seibertz, Urk.-Buch, II, No. 851 S. 625. 31. Juli 1377. „Qnod a
aententiia judicia, proconsulum et congulum opidi in Geaecke appeliari
poasit et debeat ad judiciuin opidi in Huden.“
*) Schröder, Rechtageacbichte. S. 631.
4> Voltn. B. B. 29. Sept. 1783.
*) Stöckli. B. B. 24. Uärz 1684.
•) a. a. O. 24. März 1684.
’)Hügt. B. B. 24. Juni 1719. 24. Juni 1747.
8) Stockh. B. B. 24. Aug. 1710. 16. Dez. 1780.
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151
inan befunden, dass die baurschaft in ihrem hergebrachten jure
finium regundorum mercklich lädirt und aucli sonsten wegen
der brächten högst gravirt, als wurde einhellig concludirt, dass
von solches Urteil a die notitiae appellirt“1) und in dieser
Sache „processus appellatorius ausgebracht und H. Offlciali
Werlensi als judici a quo insinuirt“2) werde. Einen ähnlichen
Vorgang meldet dasselbe Bauerschaftsbuch aus dem Jahre
17633): „Weilen in praejudicium Burschapiae im Herbts 1763
der (N l) contra (N 2) in puncto des Abpflügens bey bürger-
meyster und Rhath Klage geführt, dan auch der Augenschein
ohne Vorwissen der bawrschaft durch zweyen Rhathsgliedern
eingenommen worden, der (N 2) auch darüber ad curiam citirt
worden, so hat zeitiger H. Holzgräve — da er diesen actum er-
fahren — dajejen solemnissime protestiren lassen, dem (N 2)
auch durch den bawrknecht bedeuten lassen, ad curiam dies-
falls nicht zu erscheinen bis auf weiterer Verordnung, welchem
(N 2) auch comparirt. Wie nun das jus finium regundorum denen
bawrschaften absolute competirt, so habe (sc. der Holzgraf)
diesfahls nahmens der baurschaft diesen recessum übergeben“.4)
In gleicher Weise wehrten sich die Bauerschaften, wenn die
Stadt im Bauerschaftsgebiet eigenmächtig einen Weg angelegt
hatte. Als einmal Bürgermeister und Rat am Prövenholz
eine Trift abgestochen hatten, wurden beim Bauergericht „die
Herren Erben und Bauern einer nach dem andern befraget,
ob ihnen bewusst, dass bei ihrem lebtag eine drift vom Rosen-
garten bis Prövenholz umb dis holtz gekannt oder gesehen
hatten, überlegt, dan ausgesagt, das sie fill undt oftmahl ge-
pflüget, gangen und gewandelt, nimahls aber eine Drift ge-
*) Volm. B. B. 16. März 1692.
3) a. a. 0. 19. Januar 1698.
3) a. a. O. 1763. Gleiche Protestationen der Stalper Bauerschaft
gegen solche Eingriffe am 30. Juni 1767 und 26. März 1791, auf die hin
der Magistrat die Besichtigung nuterliess. Wenn trotzdem eine Besichtigung
vorgenommen wurde, dann „vesolvirton die Bauerglieder, dass diese Sache
gehörigen orths angezeiget und prosequirct werden solle". (St. B. B.
20. Mai 1777.) Bei solchen Eingriffen „fand die Bauerschaft sich genötigt,
Kurfürstliches gericht zu Geseke geziemend zu requiriren“. (St. B. B.
23. Okt. 1801.) Gewöhnlich gingen die Beschwerden nach Werl.
4) lieber den Verlauf eines solchen Prozesses einer Bauerschaft gegen
den Kat der Stadt Geseke vergl. Anlage II.
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152
sehen, weniger davon vestigia vorhanden, sondern es wehren
die länder bis ans holtz allzeit gesät, undt weilen die Baur-
schaft das jus finiuni regundorum von undcrschiedlichen Jahren
hergebracht, wollen pro conservatione juris sic von solchen usu
protestirt haben“.1) Dagegen durften Bürgermeister und Rat
bei Appellationen, die wegen Grenzstreitigkeiten vom Bauer-
gericht an sie ergangen waren, eine Ortsbesichtigung im bauer-
schaftliclien Distrikt vornehmen, aber nur in Begleitung des
Vorstandes der betreffenden Bauerschaft.-) Ebensowenig
duldeten die Bauerschaften einen Eingriff in ihre inneren An-
gelegenheiten wie die Wahl eines Holzgrafen. Als ein Holz-
graf gestorben war, hatten Bürgermeister und Rat von den
Erben „Bauerbücher und Protokolle per Deputatos ex ma-
gistratu abforderen lassen undt so stündtlich sich extradiren
wollen lassen.“ Auf eine Anzeige kamen sofort einige Bauer-
schaftsglieder zusammen und protestierten gegen diese Gewalt-
tätigkeit. Als dann aber „solche Protestation ohnaugesehen
Bürgermeister und ratli wiircklich mit Zuziehung der Schützen
die bauerbücher und Protokolle abholen lassen wollen, undt
dan wiircklich durch einen Kleinschmidt die Schäppe eröffnet
werden wollen, hatte (die Witwe) für sich undt nahmens der
baurschaft dagegen noehmahlen protestirt und solche gewaldt
nicht zugeben wollen“. Daraufhin war der Bürgermeister ab-
gezogen, hatte aber gedroht, wenn die Bücher nicht bis Mittag
abgeliefert wären, dass dann die Erben „den nachmittag darzu
durch schärfere Execution vermögt werden sölten“. Als dann
die Bauerschaft noch einmal zusammengekommon war, gab sie
den Erben den Befehl, die Bücher ihr auszuliefern, und er-
klärte feierlich, es solle „die wähle eines ueuwen Holzgrafen
nicht vor bürgermeister und rath, sondern auf ihrem gewöhn-
lichen platz zur Zeit, wan es den Herren Erben und bauer-
gliedern beliebig, vorgenohmeu werden, undt könnten sie sich
von Seiten H Bürgermeister und Rath kein gesätz geben oder
einen modum eligendi präscribiren lassen“. Darauf wurde be-
schlossen, wegen dieses Vorgehens gegen die Bauerschaft Be-
schwerde beim Offizialat zu Werl einzureichen.3) Auf eine
') Stöckli. B. B. 24. Aug. 1699.
a) St. B. B. 24. Dez. 1756.
3J Stockh. B. B. 17. Mai 1751.
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153
gleiche Beschwerde der Stälper Bauersehaft hin entschied
Werl, dass Bürgermeister und Rat sich in die Wahl des neuen
Holzgrafen nicht einmischen, auch von den Erben verstorbener
Holzgrafen die Bauerschaftsbücher nicht einfordern dürften.1)
In derselben Weise wehrten sich die Bauerschaften gegen
Eingriffe seitens der Grundherrschaft, des Stiftes zu Geseke.
Als einmal die Aebtissin bei einem Grenzstreit, der ihre Meier
anging, die Parteien zitieren Hess, verbot die Bauerschaft bei
Verlust des Bauerschaftsrechtes, der Vorladung Folge zu
leisten.2)
So sahen sich denn Bürgermeister und Rat gezwungen,
die Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Bauerschaften an-
zuerkennen und dem entsprechend mit ihnen als zum Teil eben-
bürtigen Gewalten zu verkehren. Wenn die Stadt zum Bau-
holz einen Eichbaum nötig hatte, waudte sie sich wie jeder
Bittsteller mit einem Gesuche an die Bauerschaft, :i) und wenn
jemand bei Bürgermeister und Rat um junge Eichen auhielt,
wurde er au eine Bauerschaft verwiesen, wobei die Stadt-
vertretung das Gesuch nur befürworten konnte.4) Als sich einmal
ein Auswärtiger wegen eines in seinem Achtwerk geschehenen
Holzdiebstahls mit einer Anzeige an den Bürgermeister wandte,
Hess dieser die Sache der betreffenden Bauerschaft zur Unter-
suchung und Bestrafung zugehen, •’’) und eine andere ähnliche
Angelegenheit wurde „dan auch von damahligen regierenden
Bürgermeister zu untersuchen hiesigem H. Holzgraf und baur-
schaft nach hergebrachten privilegiis committirt“.6) Es war
ein feststehender Grundsatz: „dass jeder Zeit Bürgermeister
und Rat dahier in den Fall man zu fordeist Klage wegen
baurschaftlichen Sachen vor der baurschaft introducirt, daselbst
die Sache warten lassen müsse, were dan ein oder ander theil
dabey beschwert, so könnten gravati ihre media appellationis
an Herrn Bürgermeister und Rath vornehmen“.7) In gleicher
') St. B. B. 19. Mai 1752.
s) a. a. O. 30. März 1705.
s) Stöckli. B. B. 8. Juli 1683.
*) a. a. O. 24. Aug. 1692.
5) Hiist. B. B. 23. Januar 1714.
“) Volrn. B. B. 21. Mai 1716.
7) a. a. O. 24. Aug. 1722.
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154
Weise wurden von der Regierung zu Arnsberg Kläger „zu
dem uhralten privilegirten Gericht remittirt“ >) und die „Streit-
sache an hiesiges baurgericht ut forum competens remittirt“.1)
Das Offizialatgericht zu Werl hatte auf eine Beschwerde der
Stälper Bauerschaft gegen Bürgermeister und Rat zu Geseke
folgenden Bescheid gegeben: „In Sachen der Stälper baurschaft
zu Geseke Impetraten eins, gegen uud wieder bürgermeister
und Rath zu Geseke Inipetranten anderentheils, wird aus reprä-
sentirten acten zu recht erkant, das impetrante bey den her-
beygebrachten jure in causis finium privative zu cognosciren,
zu schützen undt zu manuteniren, forth impetraten sich dar-
unter all ferner turbation undt beeinträchtigung /: wie durch
den in Sachen des Camerarii Stolman ctra Beiner erkant- und
abgehaltenen augenschein geschehen :/ zu enthalten schuldig“.2)
Nur wenn ein Delinquent wiederholt gefrevelt und trotz der
Strafen sich nicht gebessert hatte, so dass „anzunehmen war,
dass er incorrigibel undt sich ahn der ihm ahn diktirter Straf
nicht abschrecken und in der Bösheit vertiertet“ wäre, bat der
Bürgermeister die Bauerschaft, „diesen frevelmut dem fisco
civitatis zu recommandiren, damitt künftighin, dah der Be-
klagter sich ahn der jetzo gesetzter und künftig setzender
newen Schnatt wieder vergreifen würde, am Leibe abgestrafet
werden möge“.3)
Im Laufe der Zeit hatte es jedoch die Stadt auch zu
einer gewissen Herrschaft über die ganze Feldmark gebracht.
Die Schafweide ging die Stadt an. Die Flur war in mehrere
Bezirke geteilt, die von dem Bürgermeister an Schäfer ver-
pachtet wurden.4) Ebenso wurden die Schweine der Stadt,
die zu diesem Zwecke in zwei Bezirke geteilt war, auf die
ganze Feldmark von zwei Schweinehirten getrieben. Auch die
Jagd war an die gesamte Stadt übergegangen, und daher
„hatte die gantze Stadt ein wolfes jagt durchs gantze Stälper-
holtz gehalten und hinter dem Schweinestall westseits ein
wildtschwein aufgejagt, geschossen und gefangeu, dessen langede
6 fuss — höhe 3'/9 fus. Ist unter Bürgermeister und Raht
') Stockh. U. B. 24. März 1684.
2) a. a. 0. 15. Dez. 1769.
3) Hüst. B. B. 28. Januar 1714.
*} Dies uuil das folgende nach Mitteilungen alter Leute.
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verteilt worden“.’) Die auf der Grenze der Feldmark fliessenden
Bäche gehörten der Stadt, die davon die Fischpacht bezog.
Dafür musste sie auch die Brücken und Schemme, die darüber
führten, unterhalten.'2)
Auch die Tatsache, dass die Besitzer der Bauerschafts-
güter Bürger der Stadt waren und dem Stadtgericht unter-
standen, musste im Laufe der Zeit zu einer gewissen Ober-
gewalt der Stadt über die Bauerschaften führen. Wir sahen
schon, dass vom Bauergericht an das Stadtgericht appelliert
werden konnte.3) Bürgermeister und Rat waren der Ober-
holzgraf,4) und wenn ein Holzgraf zu Volmede starb, sollte
der regierende Bürgermeister „als Oberholzgrafe“ bis zur Neu-
wahl dieses Amt bekleiden.3) Bürgermeister und Rat hatten
das Interesse der ganzen Stadt gegen den kurzsichtigen Egois-
mus der Bauerschaften zu vertreten. Besonders bestand die
Gefahr, dass man, wie überhaupt im 17. und 18. Jahrhundert8),
schonungslos mit den Wäldern umging, ohne an die nach-
folgenden Generationen zu denken, so dass „dieses den Abgang
des Bauholtzes verursachte, wan wider Verhoffen ein Brand
in der Stadt entstünde“. Daher wandte sich der Bürgermeister
gegen ein rücksichtsloses Abholzen der Wälder an die Regierung
zu Arnsberg.7) Aus dem gleichen Grunde wurden Verbote der
Bauerschaften, die in Zuschlag gelegten Wälder zu betreiben,
von Bürgermeister und Rat bekräftigt.8) Ebenso gab die Stadt-
behörde auf Grund höherer Weisuug den Bauerschaften Befehl,
die Wege auszubessern9) und „die sembliche in ihren Districkten
befindlichen Driftwegen ohn betzüchlich alten gebrauche
nach mit Pfählen oder steyne abzuschnaden“.10) Wollten die
Bauerschaften diesen Befehlen nicht nachkommen, wurden sie
*) Volm. B. B. 22. Dez. 1684.
*) Stockh. B. B. 10. Mai 1810. 19. April 1722. 30. Mai 1806.
3) S. o. S. 148.
«) Hüst. B. B. 21. Okt. 1706. Volm. B. B. 28. Juli 1754.
4) Volm. B. B. 4. Juli 1676.
*) y. d. Goltz, Geschichte der deutschen Landwirtschaft, II. S. 271.
7) Stockh. B. B. 12. Februar 1780.
*) Stockh. B. B. 4. Aug. 1702. Volm. B. B. 26. Aug. 1731.
•) Volm. B. B. 29. Nov. 1721.
I0) Stockh. B. B. 11. Mai 1810.
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156
bei der Regierung zu Arnsberg angezeigt.’) Auch bei Ver-
käufen bauerscbaftlichen Grundes widersetzte sich der Magistrat
und verbot den Verkauf.2) Einen gewissen Einfluss auf die
Feldmark erlangte die Stadt auch dadurch, dass der auf die
Länder gelegte Schatz an die Stadt gezahlt werden musste.
Dadurch war die Stadt zur Anlage eines Grundbuches ge-
zwungen, und bis zum 19. Jahrhundert hat sie die Grundbuch-
sachen in der Hand gehabt. Daher mussten Auflassungen
selbst in der Feldmark vor dem Stadtgerichte, nicht aber vor
dem Bauergerichte erfolgen.-'’) Wenn bei einem Streit nicht
gewiss war, ob das Land „vormahls dlvidirt oder noch indivisus
seye, wurden partes wider ad magistratum verwiesen, ihre
sache da ferner rechtlich auszumaehen“.4) Da die Mitglieder
der Bauerschaften zugleich Bürger der Stadt waren, konnte es
nicht ausbleiben, dass das Interesse der Stadt auf ihre Hand-
lungen bestimmend einwirkte. Die städtischen Beamten wurden
zum Teil unentgeltlich zur Mast zugelassen,5) wenn die Stadt
ein Stück Land mit Eichen bepflanzen wollte, wurden ihr die
jungen Bäume von den Bauerschaften „verehret“,®) und wenn
einmal die Stadt durch lange Kriogsjahre tief in Schulden ge-
raten war, sollten laut Churfürstl. Befehls „deren baurschaften
Einkünfte und sonstige Gerechtigkeiten untersucht werden und
denen selben die offenkundige ohnvermögenheit der in Schulden
vertieften Stadt Geseke vorgestellt, auch diese zu einem er-
klecklichen beytrag beredet werden“.7) Es wurde in diesem
Falle jedoch noch ausdrücklich betont, dass die Unterstützung
freiwillig geschehe, und wenn „die Bauerschaftsrevenüen zu ge-
meinen besten der Stadt emploirt werden, dass die revenüen
denen gütheren allein annex wären“,8) die Stadt also keinen ge-
setzlichen Anspruch darauf machen könnte. Ebenso schenkten
>) Volm. B. B. 30. Aug. 1750.
») Holt li. B. B. 3. Febr. 1811.
3) Geseker Stadtarchiv. Gewöhnlich erfolgten Auflassungen vor dem
Dorfgerielite. Schröder, Deutsche Rechtsgcscbickte, S. 606.
*) St. B. B. 20. April 1748.
6) S. o. S. 124.
6) Stockh. B. B. 19. Aug. 1731.
’) Volm. B. B. 18. Mai 1781.
*) St. B. B. 19. Nov. 1766.
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sie mit Rücksicht auf die Allgemeinheit dem Schützenverein
eine Vogelstange,1) und als „ein liebhaber des scheibenschiessens
umb ein Stück holtz in behuf erbawung eines newen schützen
keuschen bath“, wurde es ihm bewilligt, weil „sein petitum pro
bono publico gereichen thäte“.2) Gleichfalls wurde der Stadt
von allen Banerschaften eine Feuerspritze geschenkt,3) alle
Mitglieder der Bauerschaften erhielten von der betr. Bauer-
schaft einen Feuereimer,4) und eine bestimmte Summe Geldes
wurde „jährlich behufs Zahlung der studirenden jugendt“ aus
der Bauerschaftskasse verwendet.5) Daher trugen sie auch
zur Reparatur der Stadtkirche, der ecclesia forensis, nicht aber
der Stiftskirche bei, und schenkten Geld für die Kanzel6) und
Heiligenstatuen.7) Umgekehrt trat auch die Stadt gelegentlich
den Bauerschaften helfend zur Seite, und wenn sie einmal
grössere Anlagen machten, die der Allgemeinheit zu gute
kamen, z. B eine Brücke bauten, erhielten sie von der Stadt
einen Beitrag.8)
Doch wurde durch diese Beziehungen zwischen Stadt und
Bauerschaften der Charakter der Bauerschaften nicht verwischt.
Sie blieben selbständige Genossenschaften, die in ihrem Gebiete
alle Rechte und Pflichten hatten, die den niederen Gerichts-
und Verwaltungsbezirken zukamen. Besonders wahrten sie
ihre Unabhängigkeit gegen Eingriffe der Stadt, so dass ein
Bürgermeister sie in einer Beschwerdeschrift einmal „eine
separate Republique“ nannte.9)
So gab 6s in der heutigen Geseker Feldmark 12 Ver-
waltungs- und Gerichtsbezirke, die Gebiete der sechs Huden
und der sechs Bauerschaften. In der Stadt lag ein unab-
hängiger Gerichtsbezirk, die Immunität des Stiftes, die eben-
falls ihre Selbständigkeit gegen Bürgermeister und Rat zu ver-
’) Stockt. B. B. 31. Mai 1S30.
s) Volm. B. B. 34. Aug. 1714.
>) a. a. 0. 19. Okt. 1786.
*) St. B. B. 24. Aug. 1702.
6) Stockb. B. B. 24. Aug. 1726.
*) HUst. B. B. 25. Juni 1740. Volm. B. B. 30. Aug. 1739.
7) Stockb. B. B. 1810.
®) Volm B. B. 26. Aug. 1724.
•) Stockb. B. B. 12. Februar 1780.
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158
teidigen wusste.1) Dazu kam noch das Gebiet der sog. „Herren
Erben“, einer besonderen Genossenschaft, die die gleichen
Rechte und Pflichten wie die Bauerschaften nnd Huden hatte.2)
Es zerfiel also der heutige einheitliche Stadtbezirk Geseke bis
zum Beginn des 19. Jahrhunderts in folgende 15 von einander
unabhängige Verwaltungs- und Gerichtsbezirke:
1. Die Stadt Geseke.
2. Die Immunität des Stiftes.
3. Das Gebiet der Herren Erben.
4 — 9. Die Huden.
lü— 15. Die Bauerschaften.
Die Aufhebung der Bauerschaften
Als durch den Reichsdeputations-Hauptschluss im Jahre 1803
das Herzogtum Westfalen an Hessen-Darmstadt und später (181*5)
an Preussen gefallen war und durch beide Staaten eine neue
Aemterorganisation eingeführt wurde, war den Bauerschaften
das Todesurteil gesprochen. Während bisher die abhängigen
Güter nicht beliebig getrennt werden durften, wurde 1811
durch die Hessen-Darmstädtische Regierung die Zerstückelung
und Verteilung der Güter erlaubt.-’) Schon darin lag der Keim
des Zerfalls. Denn jetzt gab es so viele Interessenten der
Bauerschaften, dass es im Laufe der Zeit ganz unmöglich war,
Ordnung in der Reihenfolge der Mitgliedschaft zu halten.4)
Dazu kam, dass die an den Gütern klebende Bauerschafts-
berechtigung sich von dem Boden löste und zu einer Aktie
verflüchtigte, die einen bestimmten Anteil an der Allmende
gewährte,5) so dass wohl die Güter, nicht aber das Bauer-
schaftsrecht verkauft wurde,-') und von Teilgütern die einen
berechtigt und die andern nicht berechtigt waren.6) Ferner
wurden von den Teilgütern einige Stücke ohne Bauerrecht ver-
kauft, so dass auf einem verhältnismässig kleinen Teile die
') Seibertz, Urk.-Buch, III. No. 903. S. 6 Amn. 3.
*) Hierüber demnächst in einer besonderen Untersuchung.
*) (jeseker Stadtarchiv.
‘) S. o. S. 48 ff.
*) Stockh. B. B. 3. Okt. 1836. 10. Dez. 1825.
«) a. a. 0. 2. März 1836.
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Berechtigung haften blieb.1) Auch die „Steuer- und Schatzungs-
freyheit der Bauerschaften“ wurde aufgehoben2), und „nach
aufgehobener fryheit und der neuen Aemter Organisation
konnte das vorher bestandene herbringen, dass die Unterhaltung
eines wegs oder brücke dem Guhtsbesitzer, in dessen bezirk
solcher weg oder brücke gelegen, ausschliesslich obgelegen
habe, fernerhin nicht weiter bestehen“,3) so dass auch die
Pflicht der Unterhaltung von Wegen, Brücken usw. für die
Bauerschaften wegfiel. In der Waldwirtschaft wurden die
Bauorschaften den Forstbehörden unterstellt und bei eigen-
mächtigem Vorgehen bestraft.4) Die Polizeigewalt der Bauer-
scbaften wurde ebenfalls aufgehoben, so dass sie sich jetzt bei
Holzfrevel an die städtische Behörde wenden mussten.3) Die
jährlichen Bauergerichte durften nicht mehr gehalten werden,*)
und in der Beamtenorganisation der Bauerschaften trat eine
totale Umwandlung ein.7) Die Wälder wurden entweder in na-
tura unter die Berechtigten verteilt,8) oder die Bäume wurden
verkauft und der Erlös unter die Mitglieder verteilt.8) Dabei
wurde die Bedingung gestellt, dass „die Bäume nicht gehauen,
sondern gerötet werden“ sollten,10) damit der Grund und Boden
leichter und höher verkauft werden konnte. Denn der ganze
Grundbesitz der Bauerschaften wurde ebenfalls versteigert.11) Da
die kleinen Ecken usw. nicht verkauft werden konnten, wurden
diese bei der Separation dor Geseker Feldmark zusammen-
gelegt, und das dadurch gebildete Grundstück wurde verkauft.12)
So sind Huden und Bauerschaften vor der neuen Zeit ge-
schwunden und die letzten Spuren der ältesten Besiedelung
und Verfassung des Landes verwischt. Doch ein dunkles Be-
') Volra. B. B. 3. Okt. 1826.
<J) a. a. 0. 16. März 1811.
s) Verfügung vom 30. Sept. 1809 auf einem loseu Blatte iu einem B. B.
4) Stockb. B. B. 28. Dez. 1816.
s) a. a. 0. 1826.
*) Stockb. B. B. 20. Januar 1823.
7) St. B. B. 29. Januar 1816.
8) a. a. 0. 31. Dez. 1817.
*) Stockb. B. B. 14. Januar 1836.
>°) a. a. 0. 23. Nov. 1835.
“) a. a. 0. 7. April 1840. 14. Okt. 1827 u. s. o.
**) Stockb. B. B. 31. Dez. 1887.
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100
wusstsein der alten Zustände hat sich erhalten. Noch heute
wird vor den Toren, an denen sich die Bauerschaften nieder-
gelassen hatten, das Osterfeuer angezündet, und diese Stadt-
teile, die sich, abgesehen von kleinen Verschiebungen, mit den
Hudebezirken decken, umschlingt ein Band der Zusammen-
gehörigkeit, so dass sich ihre Jugend gegenseitig so ehrlich hasst
wie feindliche lndianerstärame. Und als altersgraue Zeugen einer
längst vergangenen Zeit ragen die von den Bauerschaften er-
richteten Heiligenhäuschen1) in die Gegenwart und lassen vor
den Blickon des Wissenden eine versunkene Welt erstehen.
Es sind bescheidene Steinbauten, in einer Nische mit dem
Bilde eines Heiligen in Flachrelief geschmückt und aussen mit
einer Inschrift versehen. Es sind folgende:
I. Hüstede: a) Vor dem Mühlentor. Madonna mit dem
Kind, verehrt von Johannes von Nepomuk.
In honorem S. Joannis Nepomuceni Mart3Tris
Burscapia Huestedensis • Anno 1736.
b) Unter der Hüsteder Linde. Johannes der Täufer.
In honorem S. Joannis Baptistae Burscapia
Huestede me posuit. Anno 1736.
II. Stockheim - Heringhausen. Vor dem Viohtor.
Die heilige Familie mit dem jugendlichen Johannes.
HONORl ET -CVLtVI SACRJ3 PROSAPLE • BVRSCA-
PlA • STOCKHElMENSlS • LoCARl - FEClT. Anno 1723.
III. St alpe. Vor dem Osttor. Hl. Dreifaltigkeit.
Laudetur santissima2) Trinitas.
Ex dono Burschapiac Stalpensis.
IV. Volmede. Unter der Drei-Dornlinde. Christus am
Kreuze.
In honorem Jesu Christi B. M. V. Sti. Joannis
et Maria2) Magdalene Burscapia Volmedensis.
Anno 1730.
V. Holthausen. Vor dem Steintor. Maria auf dem
Halbmond, der Schlange den Kopf zertretend.
In honorem Bmae V. Mariae Immaculate conceptae
Baurscapia Holthusana posuit. Anno 1733.
') S. o. S. 127.
a) So in der lnechrif».
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Anlage I.
Ursprung der Bauerschaften nach dem
Stälper Bauerschaftsbuche
(Zu S. 42. Anm. 2.)
St. B. B. 9. Dezember 1766.
„Als in denen uhralteu Zeiten die benachbarte Dorfschaften
dieselbe verlassen und in stadt Geseke sich begeben, hat jede
Dorfschaft ihre grfinde sowohl in concreto als abstracto mitt
allen ihren rechten und gewohnheiten und in specie das jns
finium regundorum in ihren feld distriet an sich behalten, gleich-
wie solches jns auch von ihre Churfürstl. Durchl. Maximilian
Henrich höchstsei. andenkens im jahr 1663 durch einen solenen
recess zwischen Stadt und Gogericht Geseke ist bestätiget
worden, diesse baurschaften halten zu dessen ewigen andenken
jährlich zur renovation eine Zusammenkunft und zu exercirung
ihres juris finium regundorum nach jeder sommer und winter-
saath durch 4 aus ihren gliedern bestellete brachstechern oder
agrimessores ihre besonderen ausgänge und Visitation. Dieselbe
müssen mit ihren Vorsteher und knecht im holtz und ihrer feld-
mark fleissig acht geben, dass keiner dem anderen zu nahe
haue, pflüge, egge, und schade, dieselbe müssen besorgen, dass
die in ihren feld distriet belegene wege verbessert und im
stand gehalten, dieselben müssen bewerkstelligen, dass jährlich
an Se. Churfürstl. Durchl. oberkellerey zu Arnsberg schuldige
15 sch haber eingesamblet und Churf. richter eingeliefert
werden, zur zeit der etwa vorfallenden Eichelmast, so denen
gütern dieser Dorfschaft anklebig, müssen dieselbe die nöthige
obsorg und eintheilung machen, und weilen alles dieses ohne
kosten nicht verrichtet werden mag, werden aus den wenigen
jährlichen vom Vormund berechnenden einküuften den brack-
stecheren für ihre besondere mühewaltuug etwas zu mittagessen
und auch sambtlichen mitgliedern eine kleine recreation an
hier etwas weisbrod, pfeifen und tuback gegeben, vom zeithigen
holtzgral'en dabey die rechnung abgehalten, der Überschuss ein-
Lappe, Die Qesplcer R&uerechaften 1 1
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genohmen, asserviret und nach möglichkeit zum nutzen und
erkaltung der sambtlicher baurschaft zu kleinen Capitalien an-
gelegt, also dass diesse gründe und wenige einkünfte, welche
nicht der gemeinen Stadt Geseke, sondern denen mitgliederen
jeder baurschaft gehören und derselben gütheren anklebig, auch
diese ihre besondere lasten abtragen, jeder baurschaft ver-
bleiben, mithin zu der gemeinen Stadtsschulden nicht mögen
verwendet und applicirt werden.“
St. B. B. 12. April 1767.
„Die Vorfahren hätten in den älteren zeithen mitt dem
ordinairen banrschaftlichen Empfang dass geringes Bier tracta-
ment nicht bestreiten können, wan nicht dieselbe durch per-
sönliche auflagen in Specie mit denen einkrönungsjurium, auch
durch versammlete jährliche wenige Überschüsse die Einnahmen
verbessert hätten. Die Beschaffenheit der einkrönungsgelder
bestehet darin, dass als die Dorfschaften in alten zeithen ver-
wüstet und dieselbe sich bey Geseke zusammengezogen, die
landgüther vor und nach unter ihre Erben verteilet worden,
nahmens eins jeden vormahlen ohnverteilte hübe landts wrird
bey der jährlich beybehaltener Zusammenkunft einer zum baur-
glied angenohmen und nach dessen absterben muss dessen guths
Interessent zum baurglied angenohmen zu werden sich melden,
wan darunter kein contradictio vorfallet, wird derselbe als
qualificatus mit Zahlung eins sogenannten einkrönungsgelderen
gegen Versprechung stipulata manu im felde, im abpflügen
auch im holtz in verderblichen holtzhauen achtung zu haben,
auch sonst dehnen zeithiichen holtzgräfen befehlen zu pariren
und in denen banrschaftlichen Zusammenkunft als ein Ehrbares
baurglied bey straf der exmission sich aufzuführen angenohmen.“
Anlage II.
(Zu S. 151. Anm. 4.)
Prozess der Stälper Bauerschaft gegen den Rat
der Stadt Geseke
St. B. B. 30. Juni 1767.
„Als Vorkommen, dass der Magistrat dahier in causa Stoll-
mann contra Beiner wegen einer Strittigkeit im Stälper holtäs
ein augenschein erkandt und solche mit Zuziehung einiger De-
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putirten der Stalper baurschaft einzunehmen auf heutigen tag
festgesetzet worden; kündig aber ist, wan in denen baurschafts
districten in holtz und feld wegen deren limiten einige irrungen
vorfallen, der baurschaft privative competire, darüber den
augenschein einzunehmen, zu protocolliren und zu cognosciren,
ist für dienlich befunden, dagegen sofort per notarium Weber
eine schriftliche protestation dem Magistrat zu insinuiren, so dan
auch sofort entworfen und laut heutigen dato dem praesidirenden
bgstr Becker per notarium Weber insinuirt worden, darauf
auch der Magistrat den augenschein aynseitig nicht eingc-
nohmen.“
5. Dezember 1767.
„Nachdemahlen zwaren in causa Stollmau contra Beiner
von seithen der Stalper baurschaft unterm 30. Juni a. c. gegen
den von dem Magistrath vornehmen wollenden augenschein pro-
testirt, hingegen aber der Magistrath inattenta hat; protestatione
ihren vorherigen decreto inhaerirt, so ist der Herr holtzgräf
benöthiget worden, dieserthalb zu Werll zu klagen, worauf
derselbe folgendes decretum erhalten;
Extractus Protocolli in causa Burschapiae Stalpensis
in Geseke contra D. D. Consules et Magistratum ibidem
hic Werlis in Archicpiseopali Curia habitus.
Anno Dni 1767 die Sabbathi 5ta mensis X bris pror Iskenius
exhibet ob morae periculum humillimam supplicam cum petito
tenoris scquentis.
Hochwürdiger!
Es sindt von ihro Churf. Drchl. Maximilian Henrich
höchtstsel. andenkens die baurschaften zu Geseke bey ihren ge-
rechtsamen nicht allein belassen und gehandhabt worden,
sondern es hatt auch nebst anderen die Stalper baurschaft das
jus finium regundorum privative et absque omni contradictione
immerhin ruhig excercirt; es hatt aber der Magistrat zu Geseke
vorigen Sommer decretirt, in dem Stälper geholtz ad instantiam
des Stollmanns wegen strittiger limiten einen augenschein
gleichwohl mitt Zuziehung einiger deputirten ans bem. baur-
schaft einnehmen zu wollen, und also die baurschaft in ihren
gerechtsahmen zu kränken und zu turbiren getrachtet; ob nulin
wohl die Stalper baurschaft dagegen feyerlicbst protestirt und
darauf magistratus acquiescirt, so hatt man doch in die gewisse
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erfahrung gebracht, dass anjetzo in curia decretirt seye, dass
der augenschein in mehr gern, geholtz inattenta protestatione
auf einen commodum tag eingenohmen werden solle, obgleich
biss auf heutige stund der baurschaft weder eine gegen-
protestation insinuirt, weder von sonstigen Vorhaben etwas
kundt gemacht worden; wan aber die Stalper baurschaft in
ruhiger excercirung ihrer gerecktsahmen nicht turbiren lassen
— mithin nicht zugeben kann, dass mit einnehmung sothanen
augenscheins von seithen des Magistrats fortgefahren und alsso
der ged. baurschaft ein Eingriff geschehe; alss ergeht an
Ew. hochw. die gehorsahmbste bitte, die Stalper baurschaft bey
ihrem höchst confirmirten et absque omni contradictioue biss
liiehin privative exercirten jure finium regundorum oberlich zu
manuteniren; fort brgstr und rath alle fernere turbation bey
nahmhafter brüchten straf zu inhibiren oder sonsten zu er-
kennen, wie am dienlichsten hatte gebetten werden sollen,
können oder mögen. Desuper j y Xskenius.
Ex tum Adm. Qdus et amplissimus Dnus Offlis decrevit in
mdm. Sequentem:
Es wird H. brgstr und Rath zu Geseke auf den inhalt
gegenwärtiger Supplication binnen zehen tagen ab intimatione
hujus sich in ihrer orklährung mit bestandt vernehmen zu lassen
anbefohlen und soll diesem neclist hierunter rechtlich erkandt
werden. Sic actum ut supra. Casp. Anton.
insinuatuni per notarium Weber ll1*" xbris 1767.
Folget die victoriense urthell so Veneris 15 xbris 1769
in causa Burschapiae Stalpensis contra Bgstr und rath zu
Geseke beym Offizialat gerieht zu Werll publicirt in puncto
jurisdictionis privativae juris finium regundorum und lauthet
wie folget:
In Sachen der Stälper Baurschaft zu Geseke impetranten
Eins gegen und wieder H. brgstr. und Rath zu Geseke impetraten
anderen theils wird aus repraesentirten acten zu recht erkandt,
dass impetrante bey den herbeygebrachten Jure in causis finium
regundorum privative zu cognosciren zu schützen und zu manu-
teniren, fort impetraten sich darunter all fernerer turbation
und beeinträchtigung /: wie durch den in Sachen des Camerarii
Stollmann contra Beiner erkandt und abgehaltenen augenschein
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geschehen:/ zu enthalten schuldig, anbey in die aufgegangen
gerichtskösten fällig zu ertheilen seyn, wie wir hiemit erkennen,
schätzen, manuteniren, sich zu enthalten anbefehlen und fällig cr-
theilen von rechts wegen.
Iskenius egit gratias. G. C. Bigeleben oftlis.
Von dieser urthel ist nach Cölln appelliret und dorth die-
selbe confirmiret, worauf abermahlen ad revisorium a Bonn
appelliret, welche revisions urthel sich in hiesigen Buch im
Jahr 1784 notiret befinden wird.“
„Sabbatbi 11 augusti 1770.
H. Brgstr schickte durch den Stadtsdiener folgenden Ex-
tractum protocolli ein in causa Stollmann contra Beiner.
bescheidt.
Es wird termino des abermabligen erkandten augenscheins
terminus auf den künftigen montag den 1 3 tco dieses anberahmet
und von seithen Magistrats darzu H. bgstr Bertram und Lude
wig Richters deputirt, den Stalper baurschafts holtzgräfen soll
dieses per extractum communicirt werden, gestalten gleichfals
darzu beliebige zu deputiren und den Stalper holtzknecht der
messung halber adhibiren zu lassen, und um 7 uhr sich in loco
questionis eiuzutinden, jeder parthey aber freygestellet die con-
fines darzu zu requiriren und in loco zu sistiren.
Hierauf ist den insinuirenden Stadtsdiener anton utzel so-
fort folgende schriftliche resolution dem Herrn brgstren zu
überlieferen mitgegebeu worden:
Da die Stalper baurschaft bey der uhralten observantz
und gerechtigkeit in causis finium regundorum privative zu
cognosciren von hochw, officialat gericht am 15lcnxbris 176'J
kräftigst manutenirt und löblichen magistratui in causa Stoll-
mann contra Beiner alle fernem turbation inhibirt worden, als
könte er Dr. Rump als Holzgraf der Stalper baurschaft das
ihm zugestellete Dccretum nicht anders als ein in jure ge-
hassigtes attentatum ansehen und müsste dagegen kraft seines
ambts und habender Vollmacht protestiren, wie er hiemit in
optima forma juris protestiren thäte. Geseke den 11 aug. 1770.“
„Sententia revisionis Bonnensis in causa Burschapiae contra
Brgstr und rath in pto jurisdictionis finium regundorum.
folget die victoriense revisions urthel so den 8 ten Junii publiciret
folgenden Inhalt.
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Sententia.
In revisions Sachen Bürgermeister und rath zu Geseke
impctranten eins wieder die Stalper Baurschafl Opponenten
anderentheils ist auf Verlesung aller instantien aeten und dar-
aus erstatteten rclation zu recht erkandt, dass von vorigen
istans richteren wohl geurtheilet, übe) aber appelliret und
revisio gebetten worden; dahero die urthel a qua zu confirmiren
und zu bestättigen seyn: wie dan hiemit zu recht erkandt,
confirmiret und bestättiget wird, inipetranten zugleich in die
bey hiesigen revisorio aufgegangene kosten moderamine salvo
fällig ertheilen.
Publicatuni Bonn 18 lon Junii 1784.
In abgeuhrteilter revisionssachen der Stälper Baurschafl
triuinphanten eins wieder bgstr und rath zu Geseke succum-
benten anderen theils werden die bey hiesigen revisorio auf-
gegangene kosten zu viertzig sechs rht und viertzig albus
hiemit ermäsiget.
Signatum Bonn. 9. Juni 1784.
Ad. Mdtm
H. Weber.“
„Actum Geseke den 25,cn Febr. 1785.
Der Herre Notarius Nolten qua magistraiis erschien coram
Protocollo Burschapiae Stalpensis und stellete convocirten Brack-
stecheren vor, dass ihn von Bgstern und Rath der auftrag ge-
geben wäre, mit der Stälper Baurschaft wegen deren in Sachen
Stälper Baurschaft contra Brgstr und Rath zu Werll, Cölln
und Bonn verwendeten Kosten, worüber gedachte baurschaft
bereiths Executoriales ausgebracht und insinuiren lassen, ter-
minen zu accordiren, proponirte mithin, dass Brgstr und Rath
erkläret hätten, triumphirende Baurschaft die kosten zu re-
stituiren, da aber die Stadt jetzo wegen vieler abgaben die
gelder nicht aufbringen könten, so hätten sie resolviret, die
ganse Summa, deren kosten in drey terminon uud zwaren den
ersten termin auf Jacobi, den zweiten auf aller Heiligen a. c.,
den dritten im Januario 1786 olmfehlbar zu entrichten, bathe
dahero nahmens der Stadt, ihnen die begehrte terminen zu be-
willigen und den Execut ionslauf zu hemmen, zu seiner Justi
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fication erbothe sieb Extractum Protocolli Magistratus in
forma boyzubringen.“
Die Bauerschaft ist mit diesem Vorschläge einverstanden,
und die Stadt zahlt in drei Raten die Prozesskosten.
Anlage III.
Zu Seite 42 ff. ist noch nachzutragen, dass sich auch in
dem etwa eine halbe Stunde westlich von Geseke gelegenen
Dorfe Störmede bis ins 19. Jahrhundert hinein eine Bauerschaft
erhalten hat, die aus einer südlich von Störmede gelegenen
Dorfschaft namens Volxmer entstanden ist. Die Lokalisierung
wird durch die „Volxmer Linde“ und den „Volxmer Paut“
(= Teich) ermöglicht. Aus einigen im Geseker Stadtarchiv
befindlichen Blättern, die diese Bauerschaft betreffen, ergibt
sich in allgemeinen Zügen dasselbe Bild, das wir von den
Geseker Bauerschaften gewonnen haben. Sie wurde von etwa
30 Gütern gebildet, deren Besitzer zum grössten Teil in Stör-
mede wohnten. Auch sie übte die Feldpolizei usw. aus und
zog von den „Excessisten“ die Strafen ein. Ebenso musste
sie jährlich 12 Scheffel „Churf. Gogrevenhaber“ abliefern, die
auf die einzelnen Güter repartiert waren. Die Allmende, be-
stehend aus den „Driften“ und dem sog. „Bauerkley“, war
unter die Mitglieder gegen eine gewisse jährliche Abgabe auf-
geteilt. Ebeuso wurde jährlich bei dem Vormund „der Erben
und Bauren gewöhnlicher Zech gehalten“. Wie die Geseker
Bauerschaften sich gegen Eingriffe vou Bürgermeister und Rat
zu wehren hatten, so protestierte auch die Volxmer Bauer-
schaft gegen ungesetzliche Eingriffe seitens des Geseker Go-
gerichtes, dem ihr Gebiet unterstand. Als einmal der Richter
eigenmächtig einen Augenschein im Bauerschaftsgebiete ge-
nommen hatte, sandte sie einem Notar folgenden Protest:
„Domine Notarie.
Euch Herren Notario giebt die Bauerschaft zu Völxmar
zu vernehmen, welcher gestalt Herr Probst zu Eiklo jüngster
zeith wegen einigen von denen schäferen an dessen in Völxmar
Distrikt und gerechtigkeit besameten rübesamen verübten
Schadens am Chrfl. gericht zu Geske Klage eingeführt, auch
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Iß«
sothanen eingeklagten schaden dass Chrfl. gericht gemelt facta in
contrarium remonstratione inattenta in augcnschein zu nehmen
undt darob den befinden nach zu verfahren intentionirt die
Baurschaft hingegen zum prajuditz ihrer seithero gebragter
gerechtsamkeit nicht zu geben kan, dass dieser schade, wovon
der augcnschein dem Völxmar Gericht undt Baurschaft ' von
alters hero indubitate competirt, vom Chrfl. Gericht eingenolimen,
taxirt und abgestrafet werde, so hatt dieselbe in eventum ermeltes
Chrfl. Gericht diesen punkt zu der Bauerschaft nicht remittiren
würde, darwieder in optima juris forma protestiren wollen,
bittendt diese protestation dem Chrfl. zeitligen Herrn Gerichts-
verwalteren der gebühr zu intimiren undt darob nötigen schein
pro condigno zu communiciren.
Geseke den 13. September 1701.
Gerardt Rump, pro tpre
Holtzgrewe zu Volxmer.“
Das Bauergericht wurde jährlich an einem nicht fest be-
stimmten Tage unter der Volxmer Linde am Volxmer Paut
abgehalten, wozu alle, die Klagen vorzubringen hatten, von
den Kanzeln der benachbarten Kirchen eingeladen wurden.
Anlage IV.
(Zu Seit» 112. Audi. IS.)
Verfügung der Churfürstl. Regierung zu Arnsberg an
Bürgermeister und Rat zu Geseke vom 23. Oktober 1786.
„Wohl Ehrenfeste auch hochachtbahre günstige
gute Freunde.
Iliro Churfürstl. Durchlaucht unser ggstr Herr haben . . .
sich unterthänigst referieren lassen, das von sehr geraumen
jahren viele hunderten der stadt Geseker bauerschaften zuge-
hörigen morgen äcker undt anderen gründen öde und wüst
legen.
Die uhrbahrmachuug dieser grundstücker wirdt. vielen
wünschen, die aus mangel auszuwanderen genötiget sind, ge-
legenheiten zum unterhalt darbiethen.
Höchst iliro Churfürstl. Durchlaucht haben dahero gnädigst
befohlen, mit täthigkeit, ernst, patratischen eiffer aufl anlegung
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verschiedener Colonien den bedacht zu nehmen. Um dieser den
sta&th so ersprissliche landes fürstliche absiclit nach thunlichkeit
zu erreichen, gescbiehet eucli hiemit sonderlich der aufftrag,
ilie holtz graeffen einer jeden bauerschaft vor euch zu be-
scheiden und ihnen, das sie die öde und wüst liegende ihnen
zugehörige grundtstücke binuen jahrsfrist uhrbahr machen,
selbe cultiviren undt zu fruchttragenden äcker oder wiesen
bringen sollen, zu bedeuten, als wiedrigens Ihro Churfürstl.
Durchlaucht kraft landesherliche macht undt gewaldt zum
wohl des staaths darüber disponiren undt auff eine den besten
des landes undt unterthanen angemessener arth verordnen werden
undt derfals der ohnzielsetzliche unterthänigste Vorschlag ge-
schehen soll.
Wir erwarten von euch, über die erfolgung vermitz bey-
schlusses des protocolls den bericht und seiner Zeit die um-
stendliche an Weisung, ob und was für gründe nach publication
des gegenwärtigen jede bauerschaft ulnbahr gemacht habe und
wie viele morgen hingegen diejenige ertragen, welche nach ab-
lauff des bestimmten Termini noch wüst undt öde hinliegen
mit Empfehlung Gottes.
Arensberg, d. 23ten Oktober 1786.“
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■yHn.r,'
iSpn!
171
Lageplan der Stadt Geseke
Karte Nu. 11.
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Druck von Otto Hilliper. Altwasser
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Die deutsche Königswahl
im corpus iuris canonici
von
Dr. Karl Gottfried Hugelmann
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Untersuchungen
. zur
Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
herausgegeben
von
Dr. Otto Gierke
Professor der Rechte an der Universität Berlin
98. Heft
Die deutsche Königswahl
im corpus iuris canonici
von
Dr. Karl Gottfried Hugelmann
ßreslau
Verlag von M. &. H. Marcus
iyo9
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Die deutsche Königswahl
im corpus iuris canonici
Dr. Karl Gottfried Hugelmann
Hreslan
Verlag von M. & H. Marcus
1909
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Herrn Dr. Siegfried Rietschel
o. Ö. Professor an der Universität Tübingen
und
Herrn theol. et iur. Dr. Rudolf R. v. Scherer
k. k. Holr.it und o. ö. Professor an der Universität Wien
in dankbarer Verehrung
gewidmet
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Vorwort
Das Widmungsblatt, mit welchem dieses Buch vor die
Öffentlichkeit tritt, deutet auch seine Entstehungsgeschichte an.
Nachdem unter dem Einflul.i verehrter Lehrer das Interesse für
rechtsgeschichtliche Forschung in mir geweckt worden war, empfing
ich wälirend eines mir unvergeßlichen Semesters in der „Musen-
stadt Tübingen“ durch Herrn Professor Rietschel die An-
regung zur Beschäftigung mit der deutschen Königswahl. Er
hat mich zuerst in die Methoden streng wissenschaftlicher Forschung
eingeführt, unter seiner unmittelbaren Leitung habe ich mit der
Sammlung des Materials begonnen; in meinem Aufsatz „Der Ein-
fluß Papst Viktors II. auf die Wahl Heinrichs IV. Ein Beitrag
zur Geschichte des päpstlichen Approbationsrechts bei der deutschen
Königswahl“ (Mitt. d. Inst. f. österr. Geschf. XXVII 209 ff.) und
in einer Besprechung der Krammer’schen Arbeiten (in derselben
Zeitschr. XXVI II 684 ff.) sind die ersten Ergebnisse meiner in
Tübingen begonnenen Untersuchungen niedergelegt. Bei diesen
Untersuchungen fiel mir nun auf, daß das Verhalten des corpus
iuris canonici und speziell der Glosse zur deutschen Königswahl
bisher nicht systematisch erforscht wurde, obwohl doch seit über
einem Dezennium der Einfluß des kanonischen Rechts im Mittel-
punkt der Erörterungen über die Königswahlen steht; durch eine
Konzentration meiner Forschungen nach dieser Richtung, hoffte
ich, nicht nur einen neuen Anhaltspunkt für die Lösung der
angedeuteten strittigen Frage zu gewinnen, sondern vielleicht
auch einen kleinen Baustein liefern zu können für das m. E.
wichtigste Gebiet der deutschen Rechtsgeschichte, das Verhältnis
zwischen kanonischem Recht und deutschem Recht, für dessen
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VTTI
Behandlung Gierkes unsterbliches Werk (ich verweise insbesondere
auf § 11 des III. Bandes) den Grund gelegt hat. Es wurde
mir nun das Glück zuteil, mich auch auf diesem, ins kanonische
Recht einschlagenden Gebiete meiner Arbeit der Führung eines
hochverehrten Mannes zu erfreuen, Herrn Hofrats v. Scherer,
der in diesem Stadium meine Arbeit in nie ermüdender, geradezu
väterlicher Güte durch Rat und Tat gefördert hat.
Was das Quellenmaterial dieses Buches anlangt, so bin ich
bei der Sammlung, ohne mich daraufzu beschränken, ausgegangen
von dem Buche Estevan Daoyz, iuris pontißcii tomus IV. in duas
partes divisus continens conclusiones, indicem ac summain omnium
materiarum, i/uae ex/ m nuntu r in textu et glossis iuris atnonici ,
Burdegal 1624 (aus der Grazer Universitäts-Bibliothek). Soweit
nichts anderes ausdrücklich bemerkt ist, ist den Zitaten aus dem
corpus iuris canonici selbst die Ausgabe von Friedberg, denen
aus der Glosse das in der Seminar-Bibliothek der Wiener theo-
logischen Fakultät befindliche Exemplar der Ausgabe Lugduni,
Sumptibus Joannis Antonii Huguetan et GuiUielmi Barbier,
MDCLXXI zugrunde gelegt. Soweit ich bei der Zuweisung
einzelner Glossenstellen Schulte gefolgt bin, habe ich mich an
sein großes zusammenfassendes Werk Geschichte der Quellen und
Literatur des kanonischen Rechts gehalten und Verweise auf
die durch dasselbe überholten, von mir durchgesehenen Einzel-
Untersuchungen desselben Verfassers unterlassen. Schließlich
möchte ich bezüglich der literarischen Verweise ausdrücklich
hervorheben, daß Schröders Lehrbuch der deutschen Rechts-
geschichte noch nach der 4. Auflage zitiert wird.
Es erübrigt mir noch, allen jenen herzlichen Dank zu sagen,
die dieses Buch gefördert haben und die alle einzeln zu nennen
nicht möglich ist: so allen meinen verehrten Lehrern, die historisches
und juristisches Interesse in mir erweckt, meinen Freunden, die
mich bei den mit der Drucklegung verbundenen Arbeiten unter-
stützt haben, und den verehrlichen Bibliotheks-Verwaltungen. In
letzterer Hinsicht fühle ich mich verpflichtet, das außerordentliche
Entgegenkommen der n. ö. Landes-Bibliothek, des hochwürdigen
Stiftes Melk und des hochwürdigen Schottenstiftes in Wien be-
sonders hervorzuheben. Vor allem aber will ich Zeugnis geben
der warmen Dankbarkeit gegenüber jenen beiden eingangs genannten
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rx
Männern, welchen ich meine wissenschaftliche Bildung zum
großen Teil verdanke und welche ich als Vorbilder echter deutscher
Wissenschaft verehre, deren unverrückbarer Wahlspruch auch
mein Leitstern war bei der Darstellung einer von der Parteien
Haß und Gunst nur zu oft verwirrten Seite unserer nationalen
Rechtsentwicklung: Veritati!
Wien, im Dezember 1908
Dr. Karl Gottfried Hugclmann
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Inhaltsverzeichnis
Seit«
Vorwort VII
Inhaltsverzeichnis X
Einleitung: Das „Verhältnis von Staat und Kirche“ im Mittel-
alter l
Di« l«io« dos einen eliristliulion Weltreich«, ihre Wurzeln
und der Versuch ihrer Verwirklichung im fränkischen und im
römisch-deutschen Kaisertum. S. 1. Als Felge der Idee des
Univcrsalismus der „Synergismus“ des kirchlichen und staat-
lichen Lebens: Papst und Kaiser, die zwei höchsten Organe
des Weltreichs. S. 4. — Das Verhältnis zwischen beiden „Ue-
walten“ in soiner historischen Kntwicklung: die Stellung des
römischen Imperators, des germanischen Königs (insbesondere
des fränkischen), Karls des Großen. In der überragenden Macht-
stellung Karls des Großen doch ■schon Keime des Umschwungs:
die Entstehung des Kirchenstaats und die Krönung durch den
Papst als Grundlage der Translationstheorie. S. 8. — Die zwei
Etappen im Kampfe der Päpste gegen die kaiserliche Übermacht
und für die Durchsetzung des „hiernkratischen“ Systems: der
Inrestiturstreit und der Kampf um Sizilien. S. 11. Das Er-
gebnis des Kampfes: die extreme Durchführung des „hiern-
kratischen“ Systems in der Bulle „Unam Sanctam", der Fall des
Kaisertums und damit auch der Grundlage des „hierokratischen-
Systcms, als Konsequenz der Kurverein von Itense. S. 15. — Die
Bedeutung der Besetzung des Thrones in diesem Kampf und das
Maß ihrer Beeinflussung durch das kirrhliche Amterrecht, das
päpstliche Dovolutionsrecht, das Wahlverfahren. S. 17. — Plan
der folgenden Darstellung. S. 21.
Erstes Kapitel: Die Bestimmungen des corpus iuris canonici
und die Lehre der Glosse über die Besetzung des
deutschen Thrones 23
Die eminente Bedeutung des corpus iuris canonici als Recht-
fertigung für die Beschränkung der Untersuchung auf dasselbe.
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XI
Saite
I. Dm Gratlanlsche Dekret 24
Die Darlegung der „hierokratischen“ Doktrin Gregors VII.,
speziell gegenüber dem deutschen Königtum: Depositionsrecht,
Schiedsrichteramt und Approbationsrecht (persona idonea und
Wahlverfahren). Relativ geringer Niederschlag im Gratianischen
Dekret S. 24. — Scharfe Unterscheidung zwischen regnum und
imperium. S. 27. — Fehlen einer Behandlung der Königswahl ex
professo ; Streit der Glossatoren über die Frage, ob die conlirmatio
papae (nicht schon die Wahl) das ius imperii verleiht oder ob
sie zu dem schon mit der Wahl erworbenen ins imperii
nur das excrcitium imperii hinzufügt. S. 28. Das päpstliche
„Substitutionsrecht“ als Vorläufer des Devolutionsrechts. S. 30.
Der Streit der Glossatoren über das Erbrecht, speziell die
Anerkennung eines dom römischen König (?) zustchenden De-
signationsrechts. S. 31. — Die Gregorianische Depositiops-
theorie im Gratianischen Dekret. S. 34. — Anführung
von Gegenargumenten. S. 35. — Versuche einer abschwächenden
Interpretation in der Glosse, insbesondere die infolge der Ex-
kommunikation ipso iure eintretende Suspension vom königlichen
Amt und ein vorläufiges .Substitutionsrecht des Papstes. S. 37. —
Unvereinbarkeit der dargestellten Theorie mit dem staats-
kirchlichem System des Dekrets nach der modernen Auffassung,
Vereinbarkeit nach der mittelalterlichen Auffassung, deren histo-
rische Wurzeln. S. 40.
II. Die Gregorianischen Dekretaten
Rückblick und kurze Kkizzicrung der weiteren Entwicklung.
1. Die Bulle „Venerabilem“
Die Vorgeschichte : die Doppelwahl S. 43., die Ver-
handlungen mit dem Papst S. 44. — Kurze Analyse der
Bulle. S. 46. — Dio Grundzüge der Thronbesetzung als
Rechtfertigung für die reprobatio Philipps: das Wahlrecht der
Fürsten; das ius examinandi personal» (Approbationsrccht)
des Papstes. 8. 47. Die Ausrufung Ottos zum König:
Unklarheit der Bulle bezüglich des ius altcri partium favere,
Grund hiefür in dem wirklichen Ausgangspunkt des Papstes,
Ansätze zu einem päpstlichen Kontirinations- und Devolutions-
recht. S. 49. — Weitere Argumente für Ottos Königtum:
die Krönung, Konstruktion des Wahlakts in Anlehnung an
einzelne Bestimmungen des kanonischen Walilverfahrens (unitas
actus und Majoritätsprinzip). S. 55. — Eigentümliche Aus-
gestaltung des Prinzips der persona idonea. 8. 58.
2. Die Glosse zur Bulle „Venerabilem“ im Zusammen-
hänge mit den Parallelstellen der Dekretalon und
der Glossen
42
43
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XTT
Sette
I. Die Glosse zur Bulle „Voncrabilem“ in ihrer historischen
Entwicklung 60
II. Systematische Darstellung ihrer einschlägigen Lehren (im
Zusammenhang mit den Parallelstellen der Dekretalcn). . 63
A) Das Wahlrecht der Fürsten. S. 63.
1. Ablehnung des Erbrechts. S. 63.
2. Beschränkung des primären Wahlrechts der Pursten
durch die liechte des Papstes. S. 66.
3. Einschränkung des Wählerkreises. S. 67.
B) Die Rechte des Papstes. S. 70.
1. Das Approbationsrecht im weiteren Sinn als Korrelat
des fürstlichen Wahlrechts. S. 70.
2. Die Rechte des Papstes bei zwiespältigen Wahlen. S. 72.
a) Das (prozessual ausgestaltete, jedoch nicht rein
hiorokratisch begründete) Rieht er amt. S. 72.
— Die Dekretale „Novit“. S. 74.
b) Das ius alteri partium favere. S. 76. — Die
einzelnen Fälle: das angebliche freie Ermessen des
Richters in dubio, die Nuanzierung des Approbations-
rechts bei merita paria, das Devolutionsrecht; ins-
besondere (als wirkliche historische Wurzel) das
partes cogere in concordiam. S. 77.
3. Die Krönung (behebt zwar das Entscheidungsrecht
bei zwiespältigen Wahlen, nicht aber das Approbations-
recht). S. 83.
C. Das Wahlverfahren. S. 84.
1. Das Majoritätsprinzip (allmähliche Durchsetzung, im
Unterschied von Kirchonämtern keine Qualifikation).
S. 84.
2. Der Wahlakt im engeren Sinn. S. 85. — Ähnlich-
keiten (vor allem unitas actus) und Unterschiede
gegenüber den Kirchenämtern (kein Hinweis auf die
Canones „Quia propter“ und „Oumana“). S. 85. —
Reflexwirkung der teilweisen Subsumtion unter das
Ämterrccht: Deduktion allgemeiner Rechtssätze. S. 87.
3. Die das passive Wahlrecht (die „Idoneität“) behan-
delnden Glossen und ihre Bedeutung für den Wahlakt.
S. 87. — Der abweichende formelle Vorgang gegenüber
der Behandlung von Bischofswahlen. S. 88. — Die
einzelnen Indignitätsfälle (vielfach, aber nicht schlecht-
hin identisch). S. 89. — Die Wahl ein actus legi-
timus ? 8. 91.
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XIII
Seit«
UI. Das Verhältnis der dargelegten Theorie ium staatskireben-
rechtlichen System dor Dekretalen. 92
Die Ausdehnung der potestas in temporalibus durch
das kanonische Recht im Gegensatz zur Kntwicklung des
deutschen Geisteslebens: darein fügt sich vollständig die
dargelegte Theorie. 8. 92. — Das Depositionsrecht. S. 95.
3. Das Summarium zur Bulle „Venerabilem“ .... 96
(bestätigt die gewonnenen Ergebnisse).
III. Der Abschluss der kanonischen Theorie: Der I.lber Sextus,
die Clementinen und dlo Extravaganten 98
Rückblick und kurze Skizzierung der weiteren Entwicklung.
1. Der Liber Seitus, insbesondere die Deposition
Friedrichs II. 100
Inhaltsangabe der Depositions - Bulle. S. 100. Unter-
scheidung zwischen der Stellung Friedrichs als Kaiser und als
König von Sizilien. S. 101. — Die Depositions-Sentenz: theo-
retische Annäherung an den Standpunkt Gregors VII. bei An-
klingen der Kompetenz-Begründung ratione peccati nnd prak-
tischem Entgegenkommen; streng hiorokratischer Standpunkt
bezüglich der (definitiven) Wirkung der Deposition; oppor-
tunistischer bezüglich der Voraussetzungen (gravissimacrimina).
8. 102. — Die Glosse privamus. Darlegung ihrer auf dem
principium unitatis anfgebauten, bereits sehr hierokratisebon
staatskirchen rechtlichen Theorie. S. 105. — Einfluss diuser
Anschauungen auf die Königswahl: das Devolutionsrecht.
S. 109. Das Kurfürstenkollegium. S. 111. Schweigen be-
züglich des Wahlverfahrens. S. 112.
2. Die Theorie vom Fidelitätseid und die Bestim-
mungen über die Königswahl in den Clementinen
und ihrer Glosse 112
Die Berührungen zwischen dem Papsttum und dem
deutschen Thron nach der Deposition Friedrichs II. S. 112.
— Die historische Veranlassung der Clementinen „Romani
principes“ und „Pastoralis* nach der Wahl Heinrichs VII.
S. 113. — Die Auffassung des Kaisertums als einer der Welt-
herrschaft entkleideten, unter der Lehenshoheit des Papstes
stehenden staatlichen Organisation in den Clementinen „Romani
principes“ und „Pastoralis“. S. 115. — Die Erlangung der
Kaiserwürdc nach der Clomentine „Romani principes“; die
Unterscheidung zwischen Kaisertum und Königtum und dio
eventuelle Einschränkung der Translationstheorie auf ersteres.
Die Annäherung der Königswahl an die Bestimmungen des
kanonischen Wahlverfahrens ohne volle Subsumierung, die
unbestrittene Stellung des Kurfürstenkollegiums. S. 118. —
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Seit»*
xrvr
Die Stellungnahme der Glosse hiezu im allgemeinen. S. 120.
Insbesondere ihre Unklarheit bezüglich der Unterscheidung
zwischen Kaisertum und Königtum. S. 122. — Abschließende
Zusammenfassung. S. 124.
3. Die Extravaganten. Der extreme Hierokratismus
der Bulle „Unam Sanctam“ 125
Allgemeine Bedeutung der Bulle „Unam Sanctam“. S. 125.
Die Grundzüge ihrer hierokratischen Theorie. S. 125.
Deren Rückwirkung auf das Kaisertum. S. 126. — Speziell
die vacatio imperii, das Vikariat in Italien: die advocatia
sedis apostolicae (und das lombardische Königreich) als
wesentlicher Inhalt des Kaisertums; die päpstlichen Rechte
gegenüber demselben als einem geistlichen Amt, unklares
Verhältnis bezüglich des Königtums. S. 128. — Vollständiger
Umsturz des hierokratischen Systems, Emanzipation des
deutschen Staatsrechts vom kanonischen Recht und infolge-
dessen Aufhören der kanonischen Gesetzgebung über die
Besetzung des deutschen Thrones. S. 130.
Zweites Kapitel. Die rechtshistorische Bedeutung der
kanonischen Doktrin über die Besetzung des deutschen
Thrones 132
Feststehendes Ergebnis: Die Befestigung des Wahlprinzips;
Weitergehen der herrschenden Theorie: Umschwung des Kfinigs-
wahlenrechts im 13. Jahrhundert durch Rezeption kanonischen
Ämterrechts; Plan der folgenden Untersuchung.
1. Systematische Zusammenfassung der Lehre von der deutschen
KSnigswahl nach dem ausgebildeten kanonischen Recht . 133
Wesen und Verknüpfung der Kaiser- und der Königswürde,
grundlegende Bestimmungen bezüglich der letzteren, ihre Be-
setzung, die Rechte des Papstes, der Regierungsantritt; alles
in allem: keine volle Gleichsetzung (Deposition und Bestellung
eines Koadiutors).
II. Bas Verhältnis zwischen kanonischem Recht und deutschem
Reichsrecht im allgemeinen 138
Die Fragestellung. S. 138. Das Recht als Produkt des
Gemeinschaftslebens an sich (der Staat bereits das Produkt
einer weit vorgeschrittenen Rechtsentwicklung). S. 139. Die
Vielheit der Rechtsordnungen. Ihre Durchkreuzung. S. 140.
Insbesondere die Rechtskollisionen zwischen Staat und Kirche,
auch im Mittelalter. 8. 143. — Resultat: Die Notwendigkeit
empirischer Untersuchung im einzelnen. S. 144.
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XV
Seit»
III. Oer tatsächliche Einfluss dos kanonischen Rechtes auf die
Uestaltung der dentscheu Kiinlgswahl 145
Disposition.
1. Die eiectio communis 145
Die herrschende Rezeptions-Theorie. S. 145. — Die
Widerlegung der Bresslausehen Theorie (von der bewußten
Rezeption des Papstwahlenrechtcs) durch Lindner. S. 147.
— Ergänzung der Lindnerschen Argumentation gegen die
Rezeptions-Theorie im allgemeinen: das Schweigen des Cor-
pus iuris canonici. S- 147. Die eiectio per unutn als
altes Erbstück deutschen Rechtes. S. 148. — Der wirkliche
Einlluss des kanonischen Rechtes : infolge der Umgestaltung
der nominatio durch das Majoritätsprinzip wird die eiectio
communis zu einem ständigen Formalakt, der in der goldenen
Rulle wegfällt: eine Anlehnung an kanonisches Recht in
Einzelheiten ist wohl vorhanden, jedoch nicht in der juristisch
bedeutsamen Frage der Stimmenfibertragung. S. 150. — Die
Schwierigkeiten des Protestes von Speyer und der Bulle
„Yenerabilem“ (die arbitri). S. 154. — Zusammenfassung
und Übergang zum folgenden. S. 156.
2. Die Entstehung des Kurfürstenkollegiums . . . 157
Die Jlayersche Hypothese: die Rezeption dos Skrutatoren-
kollegiums. S. 157. — Widerlegung, insbesondere durch das
Schweigen des corpus iuris canonici S. 159: die innere
Unwahrscheinlichkeit der Hypothese. S. 160. — Als positive
Seite des Problems die deutsclirechtliche Wurzel des Kur-
fürstenkullegiuuis: die Kurfürsten im Sachsenspiegel — ein
Elektorenkollegiuui. S. 161. — 1. Die Entstehung des
kurfürstlichen Vorrechts: die ältesten „Wahlvorrechte“
(Mainz, Köln, Trier, Pfalz). S. 163. — Die entscheidende
Bedeutung der Doppelwahl von 1198: das ius principale
eines nicht ganz fest umgrenzten Wählerkreises (Einfluss des
Stauimesherzogtums), welches der Papst bereits als ein ius
exclusivnm auffaßt; andere unterstützende Momente: der
jüngere Reichsfnrstenstand, die parallele Entwicklung in den
Domkapiteln; die Konsolidierung des ius principale bei
den folgenden Wahlen: die Designation 1220 beobachtete
die Formen des alten (ein elector) und des neueu Rechts
(das ius principale der principes electores). S. 164. — Der
Abschluss der Entwicklung durch den Sachsenspiegel (der
die verschiedenen Theorion kombiniert): der Kreis der
Wühler überhaupt (die Reichsffirsten im engeren Sinn, die
Friderizianischen Privilegien), der Kurfürsten (Brandenburgs
Erzamt und Beziehungen zu Eike, Vereinigung von Bayern
und Pfalz), das Vorrecht als ius eligendi (im technischen Sinn)
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XVT
S. 170: die Wahl von 1237 ala erste auf Grund des Sachsen-
spiegels vorgenommene. 8. 178. — 2. Das Vorrecht wird
zu einem ins exclusivuni: Verknüpfung des ius eligendi
mit dem ius principale bei den folgenden Wahlen ; das Braun-
Schweiger Weistum 1252: das Zurücktreten des Konsensrechtes
der Nicht-Kurfürsten bei der Wahl: die Einschränkung des
Fnrstenkreiscs : das ausschließliche Wahlrecht der Kurfürsten
(entsprechend ihrem ausschließlichen Konsensrecht zu Re-
gierungshandlungen) bei der Doppelwahl 1257 (Böhmen)
und in der Bulle „Qui celum“ 12G3. S. 174. — Abschließende
Zusammenfassung. S. 177.
3. Das Majorit&tsprinzip und die unitas actus . . . 178
Allgemeine Bemerkungen, Anknüpfung an die bisherigen
Ausführungen. S. 178. Eingliederung in die allgemeine
Hechtsentwicklung: das Werden der Korporation. S. 179. —
Der Wahlort, die Teilnahme bestimmter Fürsten als essentiale,
damit bereits das Erfordernis der unitas actus; bewußte
Forderung der Förmlichkeiten (und der unitas actus) durch
Gregor VII. und Innozenz III. in der Bulle „Venerabilem“,
Durchsetzung bereits bei den folgenden Wahlen (die Rechts-
bücher). S. 180. — Die großen Widerstände gegen das in
der Bulle „Venerabilem"' ohne organische Verbindung mit der
unitas actus aufgestellte Majoritätsprinzip, größer sogar als
auf anderen dem kanonischen Einfluss entrückten Gebieten des
Rechtslcbcns: die Wahlen bis 1257. 8. 182. — Das stärkere
Durchdringen des Prinzips bis zu Rudolf von Habsburg.
8. 184. — Der Abschluss der Entwicklung: die bewußte An-
wendung des Majoritätsprinzips und der unitas actus durch
Balduin von Trier als Gegengewicht gegen die päpstlichen
Rechte (das wiederholt ohne Widerspruch geübte Approba-
tionsrecht und das 1314 ncuerdiugs beanspruchte Schieds-
richteramt): die Anwendung der Korpora tions - Theorie
auf das Kurfürstenkollegium durch Lupoid von Bebenburg;
der Kurvcrcin von Rense und die goldene Bullo. S. 185. —
Ergebnis: hier allerdings starker kanonischer Einfluß, aber
doch Selbständigkeit des deutschen Rechts (keine qualifizierte
Majorität). S. 187.
Anhang I: Verzeichnis der zitierten Stellen aus dem corpus
iuris canonici 189
Anhang II: Bibliographie der deutschen Königswahl . . 194
Alphabetisches Register 204
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Einleitung
Das „Verhältnis von Staat und Kirche“ im
Mittelalter.
Der Umstand, daß der erste Staat, innerhalb dessen die
christliche Kirche nach dreihundertjähriger Kampfeszeit rechtliche
Anerkennung erlangte, zu dem sie in rechtliche Beziehungen trat,
das römische „Weltreich“, das imperium Roraanum, war, ist so-
wohl für die katholische Auffassung des Verhältnisses zwischen
Kirche und Staat überhaupt als auch in weiterer Folge für die tat-
sächliche Gestaltung dieses Verhältnisses, teilweise bis auf die
Gegenwart, bestimmend geworden. Der gewaltige Gedanke des
einen christlichen Weltreichs, welcher durch Jahrhunderte
Gemeingut des abendländischen Kulturkreises, bis gegen das Ende
des Mittelalters der unverrückbare Mittelpunkt aller1) und noch
■) Krst im 14. Jahrhundert wurde der Bestand des Weltreichs theo-
retisch in Zweifel gezogen, wohl vor allem infolge des Kampfes zwischen
Philipp dem Schönen von Frankreich und Bonifaz VIII.: indem der König
seine Souveränität behauptete, also den Bestand des Weltreichs negierte,
stritt er am wirksamsten gegen die politischen Ansprüche des Papstes.
Siehe unten S. IG. Vgl. Kehm, I losch, der Staatsrechtswissenschaft
(Marqiiardsens Handbuch d. öffentl. Hechts. Rinleitungsband I. Abteilung),
Freiburg i. B. und Leipzig 189G, S. 19G (daselbst Anm. 2 weitere literarische
Belege). Doch hat jene Ansicht, welche theoretisch am Kaisertum festhielt,
bis zum Ausgang des Mittelalters die Oberhand behalten. Noch zu Beginn
des 14. Jahrhunderts fand der Reichsgedanke seine literarische Vertretung
von monumentaler Größe in Dantes „göttlicher Komödie.* Die Beschränkung
Rudolfs und Albrechts von Habsburg auf Deutschland erscheint dem Dichter
als schwerste Ptlichtversäumuis ; Fegefeuer, VI 97 bis 105:
O deutscher Albert, der das wildgewordno
Unbändge [seil. Italien] du sich selber überlässest,
Hugelmanu, Die deutsche Küuigswibl 1
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2
weit darüber hinaus eine Forderung mancher (auf katholisch-
theologischer Grundlage aufgebauter) ') staatswissenschaftlicher
Systeme geblieben ist, stellt sich als eine Verknüpfung des
römischen Staatsgedankens *) und jener erhabenen religiösen
Lehre dar, die sich „an alle Völker“ wendet, der Lehre vom
„Gottesreiche“, das schon der heilige Augustinus als civitas
Dei gedacht hat3). Zweimal hat dieser Gedanke seine gestaltende
Und sollt’st doch seines Sattels Bug umspannen.
Ein recht Gericht fall’ aus den Sterneu nieder
Auf dein Geschlecht, und unerhört und klar sei's,
Dali dein Nachfolger Furcht darob empfinde:
Denn du nebst dem Erzeuger hast geduldet,
Von Halbbegicrde jenseits festgehalten.
Daß wüst gelegt des Reiches Garten würde.
iPhilalethcs’ Übersetzung)
Vgl. auch Liber I in Dantes Monarehia, bes. das signifikante cap. 2. Siebe
unten S. C Anm. 1.
■) Wie stark die alten Anschauungen nachwirkten, erhellt wohl am
deutlichsten aus der Tatsache, daß noch Art. I § 1 der letzten Wahl-
kapitulation vom 5. Juli 1792 lautete: Zum ersten, daß wir in Zeit solcher
Unserer königlichen tVürde, Amt und Regierung die Christenheit , den Stuhl zu Korn,
pdbstliche Heiligkeit und christliche Kirche als derselben Aavokeit in gutem treulichem
Schutz und Schirme halten sollen und wollen. Gärtner, Corp. Jur. eccl., II
Salisb. 1799. p. 3.
Als Uuriosum mag angeführt worden, daß noch im 20. Jahrhundert (!)
gelegentlich eine derartige Staatsauffassung vertreten werden konnte. Z. B.
erklärtes P. Augustin lioesler, C. SS. R., Der Katholizismus, seine Aufgabe
und seine Aussichten nach Prof. Dr. Albert Ehrhard, Hamm i. W. 1902,
S. 11, als möglich, die .Verbindung (von Papsttum nml Kaisertum) als
wünschenswerten Höhepunkt des Reiches Gottes auf Erden . . . anzustreben."
a) Vgl. über den Einfluß des römischen Staatsgedankens auf die kirch-
lichen Anschauungen (und auf die kirchliche Verfassung, welche jedoch
außerhalb des Rahmens dieser Untersuchung liegt) Sägmüller, Die Idee
von der Kirche als imperinm Romanum im kanonischen Recht, Tübinger
Theologische Quartalschrift, LXXX (1898) 50 ff.
3) Viele haben die Schrift des hl. Augustinus De civitate Dei als ein
frühes Bekenntnis zum .hierokratischen“ System gedeutet: vgl. Rehui a. a.
0. (vgl. oben S. 1 Anm. 1) 8. 156 Anm. 5. In neuerer Zeit scheint man von
dieser Ansicht mehr abzukommen und faßt die civitas Dei als symbolische
oder mystische Bezeichnung der communio sanctorum auf (arg. B. De
civitate Dei XV 1: quas ctiam my stice appcltamus duas dvitates hoc est duas socie -
tatet hominum quarum est una quae praedestinata est in aeternum regnare cum Deo ,
altera aeternum supplicium subire cum Diabolo); so vor allem Reuter,
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3
und siegende Kraft bewährt1): das erstemal sammelte die Tatkraft
der Karolinger, des größten Herrschergeschlechtes aller Zeiten, das
ganze Abendland zum Selbsterhaltungskampfe für seine Kultur gegen
den Islam und dann gegen die Avaren im fränkischen Reiche, das
sich zum weltbeherrschendeu Kaisertum erweiterte;*) das zweite-
Augustinische Studien, Gotha 1887, Studie III, Freih. v. Hcrtling
in Bruders Staatslexikon der Görres-Gesellschaft 2. Aull., Band I
Art. Augustinus, und neuerlich in der Weltgosch, in Karakterbildern,
I. Augustinus, Mainz 1902, SS. 100 bis 105, Reh in a. n. 0. SS. 155, 15(i.
Scjrich, Die Geschichtsphilosophie Augustins nach seiner Schrift I »o civitate
Dei, l.eipz. — Giss. 1891, und Bieglcr, Die civitas Dei des hl. Augustinus,
Paderborn 1894, haben zu der wichtigen Frage nur ungenügend Stellung
genommen.
*) Die hier vertretene Auffassung des fränkischen und des römischen
Reiches deutscher Nation beruht im wesentlichen auf den von Julius
Fic ker vor nahezu einem halben Jahrhundert veröffentlichten Untersuchungen,
welche in. E. bis heute in Bezug auf ausgebreitote Quellenkenntnis, souveräne
Beherrschung des Tatsachen-Materials und tiefen historischen Blick un-
übertroffen sind. Die beiden hierher gehörigen Werke sind: .Das deutsche
Kaiserreich in seinen universalen und nationalen Beziehungen. Vorlesungen
gehalten im Ferdinandeum in Innsbruck.* Innsbruck 1861 : .Deutsches
Königstum und Kaisertum. Eine Entgegnung auf die Abhandlung Heinrichs
v. Sybel Die deutsche Nation und das Kaisertum.* Innsbruck 1862. In
dein erstgenannten Werk hatte Ficker gelegentlich auf Heinrich v. Sybels
am 28. Nov. 1859 in der Münchener Akademie der Wissenschaften zur Ge-
burtstagsfeier König Maximilians II. gehaltene Rede (über die neueren Dar-
stellungen der deutschen Kaiserzeit) Bezug genommen; v. Sybel hatte
hierauf in der Schrift .Die deutsche Nation und das Kaisertum“, Düssel-
dorf 1862, ausführlich geantwortet, v. Sybel sieht im fränkischen und,
allerdings in abgeschwäcbtetn Maße, auch im römisch-deutschen Kaisertum
anationale, ja sogar antinationalc und nur in geringem Maß kulturfördernde
Bildungen : Ficker erblickt in beiden die ihrer Zeit voll genügenden, kultur-
tragenden Organisationen, speziell im römisch deutschen Kaisertum ein in
seiner Art vollendetes Produkt deutschen Geistes und deutscher Tatkraft
.die größte geschichtliche Tat der Nation“. Daß die von Ficker aus seiner
Auffassung für die zukünftige Gestaltung der deutschen Verhältnisse ge-
zogenen Schlüsse durch den Verlauf der Geschichte widerlegt wurden, be-
weist m. E. nicht, daß seine Auffassung der Vergangenheit falsch ist,
sondern nur, daß er die Anpassungsfähigkeit der alten Formen an die neuen
Bedürfnisse der Nation überschätzte.
l) Vgl. Ficker, Das deutsche Kaiserreich (vgl. die vorige Antn.), SS.
17 bis 25; Ficker, Deutsches Königtum und Kaisertum (vgl. die vorige Anui.),
S. 35 Anm. 1. Eine ähnliche Anschauung findet sich in neuester Zeit bei
1*
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4
mal erwuchs um den Kern des deutschen Königreichs, in dem sich
zur Abwehr der Magyaren die deutschen Stämme zusammen-
geschlossen hatten, unter deutscher Führung das „ heilige römische
Reich deutscher Nation“, ') das nicht nur die Behauptung und
Sicherung des Errungenen ermöglichte, sondern die abendländisch-
arische Kultur zu einer Blüte von niemals übertroffener Harmonie
gedeihen ließ, ja das noch, als seine beste Kraft bereits gebrochen
war, wie einst das sterbende imperium Romanum den Hunnen,
dem Mongolensturm standbielt. *) Faktisch war allerdings im
römisch-deutschen Kaisertum, dessen „Einheit ... in germanischer
Weise von unten auf erbaut“5) war, alles andere, als der römische
Staatsgedanke verwirklicht; faktisch haben der Verwirklichung
auch der universalen Tendenz, wie Julius Ficker4) überzeugend
dargetan hat, sehr reale Verhältnisse die den politischen und
Schücking in seinem hoch verdienstlichen Werke l>er Kegicrungsan tritt:
eine rechtsgeschichtliche und staatsrechtliche Untersuchung. Buch I: l>ie
Urzeit und /.eit der Ost- und Westgermanischen Stammesreiche, Leipzig
1899, S. 1 75. Vgl. auch unten S. 9 Anm. 2.
l) Vgl. Kicker, Das deutsche Kaiserreich (vgl. S. 3 Anm. 1), SS. 42 bis
99; Ficker, Deutsches Königtum und Kaisertum (vgl. ebenda), SS. 3(! bis 39.
*) Vgl. Haumer, Geschichte der Hohenstaufen, 4. Band, 4. Aull. 1872,
SS. 12 und 13. Mag Haumer immerhin zu weit gehen, wenn er in den
energischen Rüstungen Deutschlands und in den schweren Verlusten bei
Liegnitz den einzigen Grund für den Rückzug der Mongolen sieht,
so scheint mir seine Darstellung doch weit richtiger zu sein als die Lamp
rechts (Deutsche Geschichte, III. Band, Berlin 1893, SS. 281 und 282),
welche mit unbegreiflicher Flüchtigkeit über die Mongolengefahr hinweg-
geht, die sich angeblich „alsbald nach der Schlacht von Wahlstatt (bei
Liegnitz) als völlig eingebildet erwies.“ Vgl. auch Stralcoach-Grassiuann,
Der K, infall der Mongolen in Mitteleuropa, Innsbruck 1893, wo m. E. die
Mongolen-Gefahr allerdings ebenfalls unterschätzt (S. 148). aber doch der
Erfolg der deutschen ltüstungen ausdrücklich hervorgehoben wird (S. 14C).
3) Ficker, Das deutsche Kaiserreich, S. 53.
*) Das deutsche Kaiserreich, SS. 61 bis 63; Deutsches Königtum und
Kaisertum, SS. 37 bis 52. — Wie wenig selbst das Kaisertum Karls d. Gr.
seine universale Tendenz verwirklicht hat, dafür geben seine Beziehungen
zum byzantinischen Kaiserreich einen drastischen Beweis. Vgl. hierüber
Ilarnack, Das karolingische und das byzantinische Reich in ihren wechsel-
seitigen politischen Beziehungen, Göttingen 1880; der Abstand zwisebeu der
Idee und deren praktischer Verwirklichung ist scharf gezeichnet SS. 41 ff.
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5
kulturellen Bedürfnissen der in ihm vereinigten Völker genau ent-
sprechenden Grenzen gezogen, bei deren Überschreiten durch die
Erwerbung Siziliens1) es sofort ins Wanken geriet. Aber der
bei seiner Bildung ideell wirksame Gedanke des Universalismus
hat genügt, dem Verhältnis des Staates zur Kirche sein charakte-
ristisches Gepräge zu geben: nur aus ihm erklärt sich jener
„Synergismus“,2) jene innige Durchdringung des staatlichen und
kirchlichen Lebens, welche in ihrer konsequentesten Durchführung
in Kirche und Staat überhaupt nicht zwei verschiedene
Lebensordnuugen, sondern im Kaisertum eben nur das eine
Gottesreich (gewissermaßen den iituoxoffpot) 3) und folgegemäß
*) Vgl. Picker, Pas deutsche Kaiserreich, SS. 101 bis 115; Picker,
Deutsches Königtum und Kaisertum, SS. 57 bis 61. Wie der Prwerb
Burgunds 1033 den Reichsbau zum Abschluß brachte (Picker, Pas
deutsche Kaiserreich, SS. 62 und 63; Picker, Pcntscbes Königtum
und Kaisertum, bes. S. 47), su bedeutet die Erwerbung Siziliens 1194
den Keim der Zersetzung. Pie sizilische Pulitik der letzten Hohen-
staufen setzte sich mit allen Traditionen des Kaisertums und mit allen
nationalen Interessen in Widerspruch. Wäre sie nicht am Widerstande des
Papsttums gescheitert, so wäre zwar ein mächtiges Kaiserreich erhalten ge-
blieben, alleiu es wäre „der Charakter des Kaiserreichs ein ganz anderer
geworden.“ .Nicht Deutschland würde dem neuen Weltreich sein Gepräge
gegeben haben: Sizilien wäre das Hauptland geworden, das Lund, wo der
romanische Staatsgedanke durch den EinlluU niuliammedanischer Anschau-
ungen unterstützt in voller königlicher l'numschränktheit, in einer bis auf
das Geringste eingreifenden Beamtenregierung, in einer die Ausbeutung aller
Kräfte für Willkürzwecke gestattenden Zentralisation unter der Herrschaft
Priedrichs seinen frühesten Ausdruck wiedergefunden hat; es wäre das die
Ordnung gewesen, welche die staatliche Regel für das Gesamtreich be-
stimmt hätte.“ (Ficker, Pas deutsche Kaiserreich, S. 108). Alle diese
von Picker in hellstes Eicht gerückten Zusammenhänge werden immer wieder
verkannt oder doch viel zu wenig gewürdigt. Vgl. übrigens auch unten
SS. 14 und 15.
5) ln diesem „Synergismus“ erblickt Ehrhard in seinem mit Recht so
berühmt gewordenen Buch (Per Katholizismus und das 20. Jahrhundert,
9. bis 12. Aull., Stuttgart und Wien 1902, SS. 24 und 25) neben Univcrsalis-
mus und „Klerikalismus“ (natürlich nicht in des Wortes landläufiger Be-
deutung) ein Charakteristiken des Mittelalters.
3) Die Lehro von einer dreifachen Ordnung (x'.mo«) dos Seins im
Weltganzen, im Staat (in der wO.ts) und im Individuum gehört der
griechischen Philosophie an. Wie in das Individuum, so ist auch in die
M clt eine Seele eingeschaffen (Platos Schilderung im Timaeus, pag. 30 A ss.);
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6
in Papst und Kaiser eigentlich überhaupt nicht die Träger
zweier Gewalten in unserem Sinn, sondern zwei Organe des
einen Weltreichs erblicken ließ1). Für die Stellung dieser
anderseits bestellt ein i’arallclisuius zwischen dem beseelten Individuum und
dem Staate (l’latos Republik, namentlich 36!), 43!), 440). ln das mittel-
alterliche Denken läßt sich die Vorstellung von einer dreifachen Ordnung
des Seins allerdings nicht ohne weiteres einfügon: ihm erscheint das Welt-
ganze als ein unendlich reicher tiliederbau kosmischer Ordnungen, ihm
„stellt sich jedes besondere Wesen, sofern es ein tianzes ist, als ver-
kleinertes Abbild des „macrocosmus“ der Welt, als „mierocnsiuus* oder
minor mundus dar" (Oierke, Das deutsche Gcnosscnschaftsrecht, 111. Hand,
Berlin 1881, SS. 5 14 uml 5 1 5 [das Wort „jedes“ ist von mir gesperrt]: von
den Belegen hebe ich hervor Thomas v. Aquino, Summa contra gentiles 111 q.
76 bis 83 und de regim. princ. 1 c. 12). Immerhin kommt dem Imperium
in dieser Stufenreihe von Ordnungen eine besondere Bedeutung zu: und cs
darf dieser Unterschied wohl nicht übersehen werden, wenn man vielfach
zwischen dem staatlichen Leben des Deutschen und des Griechen, dessen
staatenbildende Kraft sich in der mit; nahezu erschöpfte, Parallelen zieht:
denn soweit immer die Dezentralisation im deutschen Staatsleben gehen
mag, auch „das politische Denken des eigentlichen Mittelalters geht
vom Ganzen aus, legt aber jedem Teil ganzen bis herab zum Individuum
selbständigen Wert bei“ (Oierke, a. a. 0. 8.514) [Ihr die Mitteilungen über
die griechische Philosophie bin ich meinem Freunde Dr. phil. Hans Eibl
in Wien zu Danke verpflichtet.]
') Vgl. Kelim, a. a. O. (vgl. oben S. I Anm. 1) 8. 161, wo Anm. 4 weitere
literarische Belege angegeben sind. Diesen Punkt hat übrigens v. Sy bei in
der oben (S. 3 Anm. I) genannten Festrede, so wenig wir mit ihren historischen
Ausführungen im allgemeinen nbcreinstiminen können, scharf hervorgehoben :
„Der Krieg war nicht eigentlich ein Streit zwischen Staat und
Kirche, sondern ein Kampf zwischen den beiden Oberhäuptern der geistlich-
politischen Weltherrschaft um die vorwiegende Machtstellung“ (a. a. 0.
S. 21). Nur eine andere Terminologie, aber im wesentlichen dieselbe Auf-
fassung findet sich auch bei Sägmüller, a. a. 0. (vgl. S. 2 Anm. 2) S. 72:
„nach mittelalterlicher Anschauung ... ist die ganze Menschheit eine
Universitas, zugleich mit der Christenheit identisch. Dieser universelle
Menschheitsverband zerfällt nun, entsprechend der leiblichen und geistigen
Seite des Menschen, selber wieder in zwei Lebensordnungen, Kirche und Staat,
saccrdutium und imperium“. Speziell für die fränkische Zeit vgl. Lilien-
fein, Die Anschauungen von Staat und Kirche im lteich der Karolinger,
Heidelberg 1902 (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Ge-
schichte, herausgegebcu inn Marek s und Schäfer, l.Heft): ob die hier ver-
fochtene Ansicht, daß der zweimal (im fränkischen und im deutschen Reich)
gemachte Versuch, das Ideal der Einheit von Kirche und Staat zu ver-
wirklichen, an einem innern Widerspruch scheitern rnußto, richtig ist, möge
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beiden Organe zueinander in ihrer historischen Entwicklung
aber ist wieder die Auffassung der Zeitgenossen,1) derzutolge
sich das römisch-deutsche Kaisertum als Fortsetzung des fränkischen
dahingestellt bleiben. Für diu Zeiten politischen Gleichgewichts ist der
gelegentlich (x. B. W olfsg ruber, Lehrbuch der Kirchengesch. f. Mittelschulen
Wien 1887) zur Veranschaulichung des Verhältnisses zwischen den beiden
„Oberhäuptern“ herangezogene Vergleich mit den beiden Brennpunkten einer
Kllipsc ganz zutreffend. ln der „göttlichen Komödie“ (vgl. S. 1 Anm. 1)
hat auch dieses Verhältnis von l’apst und Kaiser folgenden dichterischen
Ausdruck gefunden (Fegefeuer, XVI I0G bis 112):
Kinst pflegte Koni, der guten Ordnung Gründrin,
Zwei Sonnen zu besitzen, welche diesen
Und jenen Weg, der Welt und Gottes, zeigten.
Verlöscht hat eine jetzt die andr’; cs eint sich
Das Schwert dem Hirtenstab, und so verbunden,
Mull sich notwendig Beides schlecht behaben,
Uicweil vereint Kins nicht das Andre fürchtet.
(Philalethes’ Übersetzung.)
Eine andere, eigentlich moderne Anschauung bildet sich im letzten Kapitel
der Monarchie (Liber III cap. 18), wo die Souveränität der Kirche und des
Staates behauptet wird — ein unlösbarer Widerspruch zu der ganzen Be-
weisführung des 1. Buches. Auf diesen Widerspruch hat richtig aufmerksam
gemacht Kelsen, Die Staatslehre des Dante Alighieri, Wien und Leipzig
1905 (Wiener Staatswissenschaftliche Studien, herausgegeben von Bernatzik
und v. l’h il ippov ich, VI3), SS. 117 f. Indem wir auf dieses Buch auch
behufs Orientierung über die einschlägige Literatur verweisen, müssen wir
ausdrücklich bemerken, dab wir den meritorischen Bemerkungen des Verf.
über „das Verhältnis Dantes zum katholischen Dogma“, welche auf gröblicher
Unkenntnis des letzteren beruhen, nicht beistimmen.
') Vgl. diesbezüglich Sägmüller, a. a. 0. (vgl. S. 2 Anm. 2), SS. 51
bis 53. Über die Bedeutung, welche diese Auffassung in der Politik der Päpste
hatte, vgl. unten S. II Anm. 2: ferner meine Abhandlung Iler Einfluß Papst
Viktors II. auf die Wahl Heinrichs IV. (Mitt. d. Inst. f. österr. Gcschf., XXVII
209 bis 238), SS. 209 und 210: diu daselbst S. 210 Anm. I ausgesprochene
Ansicht möchte ich dahin rektifizieren, daß die Beweisführung Gregors VII.
zunächst als eine konsequente Folgerung aus seiner hierokratischen Auf-
fassung des allgemeinen kirchlichen Leitungsrechtes erscheint, sich im ge-
gebenen Fall aber überdies aus der Fiktion der Kontinuität des Kaisertums
völlig erklärt Daß an der erwähnten Fiktion auch die Kaiser, gerade
der späteren Zeit, festhielten, ist eine allbekannte Tatsache, welche für die
Rezeption des römischen Rechts von großer Bedeutung war: vgl. z. B. von
Romanisten v. Ozjhlarz, Lehrbuch der Institutionen des römischen Rechtes,
4. Aull., SS. I und 2, von Germanisten Schröder, Lehrbuch der deutschen
Rcchtsgescbichte, 4. Aul)., SS. 783 und 784.
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und in zweiter Linie des römischen darstellte, in mehr als einer
Hinsicht bedeutsam geworden.
Im alten römischen Reich hatte der in Byzanz residierende
Kaiser, welcher der Kirche staatliche Macht- (vielfach sogar
Zwangs)mittel ') zur Verfügung stellte, anderseits gegenüber der
Kirche oder besser gesagt innerhalb derselben eine Stellung er-
langt, in welcher sich deutlich ein dem kirchlichen Ideenkreis
und ein den gegebenen staatlichen Verhältnissen entnommenes
Element erkennen läßt: die Stellung des altjüdischen Königs
nnd des römischen pontifex maximus 2). Und wenn auch zur
richtigen Erfassung des Verhältnisses nicht, wie es vielfach ge-
schieht, außer acht gelassen werden darf, daß ratione peccati der
Kaiser der Kirche (nicht nur dem Papste) unterworfen blieb3), so
läßt sich doch nicht leugnen, daß sich, zum mindesten was das
äußere Kirchenregiment anlangt, allmählich eine ganz außer-
ordentliche Machtfülle in seiner Hand vereinigte*). Und es kann
wohl kaum überraschen, daß eine ähnliche Stellung des Monarchen,
nachdem sie einmal dem kirchlichen Leben vertraut geworden,
') Vgl. Maasson, Neun Capitol über Freie Kirche und Gewissensfreiheit,
Graz 1876, SS. 69 bis 88.
*) Vgl. Schulte, Die Macht der römischen Päpste über Fürsten, I.änder,
Völker, Individuen, 2. Aull. Frag 1871, S. 137.
*) Einigermaßen hervorgehoben bei Horgenröther-K irsch, Hand-
buch der allgem. Kirchengcsch., I. Band 4. Aull., S. 428 oben (Belegstellen
Amn. 2) und S. 430 unten (Belegstellen Anm. 3 und Anin. 1 auf S. 431).
Was den eklatantesten Fall, die öffentliche Kirchenbußc des Thcodosius,
anlangt (vgl. z. B. auch Hertzberg, Gesell, des röm. Kaiserreichs, Berlin
1880, S. 830), ist die herkömmliche Darstellung, derzufolgc Ambrosius den
Kaiser von der Kirchcntnr weggewiesen hat, durch die Untersuchung von
F. van Ortroy S. I. (Les vics grecqOes de s. Ambroise et leurs sources,
Ambrosiana Milano 1897, Nr. IV) allerdings als unhistorisch erwiesen. Daß
die Sache an sich hiedurch nichts an ihrer Bedeutung einbnßt, ist treffend
ausgefnhrt von Koch im 28. Bande des Historischen Jahrbuchs der Görrcs-
Gesellschaft SS. 257 ff., Die Kirchenbuße des Kaisers Theodosins d. Gr. in
Geschichte und Legende. Die Ergebnisse der Untersuchung van Ortroys sind,
ohne daß dabei auf dieselbe Bezug genommen würde, zusammengfaßt in einem
Artikel des Osservatorc cattolico 1905 Nr. 284, der in Übersetzung im
86. Bande des Archivs f. kath. Kirchcnr. (SS. 168 ff.) wiedergegeben ist (ich
habe nur diese Übersetzung oingesehen).
*) Vgl. v. Scherer, Handbuch des Kirchenrcchtos, I. Band, Graz 1885,
SS. 30 und 31, bes. Anm. 4.
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mochte sie immerhin aus den angcdeutcten spezifischen Verhält-
nissen erwachsen sein, auch in den germanischen Stammesreichen
seitens der Kirche um so bereitwilliger eingeräumt wurde, je
mehr die Könige die kirchlichen Interessen förderten, und seitens
der Könige um so voller durchgesetzt wurde, da die kirchliche
Organisation der Stammesreiche mit der kirchlichen Zentralgewalt
— schon mit Rücksicht auf den geringen Verkehr — nur lose
zusammenhing ’). Geradezu selbstverständlich erscheint es, daß
sich bei den fränkischen Herrschern, welche vom Ruhme des
abendländischen Sieges über die Mauren umstrahlt waren und sich
um die Päpste ein ganz besonderes Verdienst durch die Verteidi-
gung des römischen Territoriums gegen die Langobarden erworben
hatten, eine Machtstellung der angedeuteten Art in gesteigertem
Maße entwickelte; ebenso auch, daß sie einen bisher noch nicht
dagewesenen Höhepunkt erreichte, nachdem die Kaiserkrönung
Karls des Großen durch den Papst dem tatsächlich bereits
erfolgten Obergang des Weltreichs symbolischen Ausdruck und
religiöse Weihe verliehen und mit der faktischen Machtstellung des
germanischen Königs die Würde der alten Imperatoren vereinigt
hatte s). Und doch lagen gerade in den hier berührten Ereignissen
■) Vgl. Hauck, Kircliengeschichte Deutschlands, I. Teil 2. Aull.,
II. Ruch 2. Kap., insbes. SS. 142 bis 151. S. 149 ist speziell darauf hin-
gewiesen, daß sich auch in der Rechtsstellung der germanischen Könige die
beiden im Text bezüglich der römischen Imperatoren hervorgohubenen
Elemente nachweiscn lassen.
’) Ks soll nicht unerwähnt bleiben, daß im Gegensatz zu unserer Auf-
fassung Ohr, Die Kaiserkrönung Karls des Großen, Tübingen und Leipzig
1904, nachzuweisen versucht, „nicht in historischer Notwendigkeit1' sei „das
folgenschwerste Ereignis deutscher Vergangenheit (seil, die Kaiserkrönung
Karls d. Gr.) in die Erscheinung“ getreten, vielmehr danke „das
Mittelalter sein Entstehen dem Zufall.“ Einseitig sieht Sackur, Ein
römischer Majestätsprozeß und die Kaiserkrönung Karls d. Gr., Hist. Zeitschr.
87. Rand, SS. 385 II. (daselbst auch weitere Literaturnachweise) den Grund
für die Kaiserkrönung lediglich in der Notwendigkeit, ein für das an l’apst
Leo begangene Kapitalverbrechen kompetentes Forum zu schaffen. — Ex
professo behandeln das „Verhältnis von Staat und Kirche“ zur fränkischeu Zeit
Döllinger, Das Kaisertum Karls d. Gr. und seiner Nachfolger, Münchener
historisches Jahrbuch für 18G5, SS. 29911.: ferner Weyl, Das fränkische
Staatskirchcnrecht zur Zeit der Mcrovinger, Hreslau 1888 (Gierkes Unter-
suchungen 27), und Weyl, Die Beziehungen des Papsttums zum fränkischen
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auch bereits die Keime jener Entwicklung, die im Lauf der
nächsten Jahrhunderte eine so vollständige Verschiebung im Vcr-
hfillnis der beiden höchsten Gewalten herbeiführen sollten: die
Errichtung des Kirchenstaats und die Tatsache, daß die Krönung
Karls des Großen durch den Papst erfolgte. Fanden die
Päpste im Kirchenstaat') die genügenden Machtmittel, um für
alle Zukunft die Entartung der kaiserlichen Macht zu einer
schrankenlosen Despotie zu verhindern, wodurch allein im Gegen-
satz zum asiatischen Orient die abendländische Kulturblüte des
Mittelalters ermöglicht wurde, so bot ihnen dio zweite oben er-
wähnte Tatsache die Handhabe, geradezu die Abhängigkeit der
kaiserlichen Gewalt als der übertragenen von der primären päpst-
lichen zu behaupten. Und so wenig wir geneigt sein mögen, die
Folgerungen, welche die Päpste aus diesem Standpunkt abgeleitet
haben, als für die deutsche und überhaupt für die abendländische
Entwicklung segensreich anzuerkennen, so darf doch am aller-
wenigsten der Rechtshistoriker die tatsächlichen Grundlagen der
päpstlichen Ansprüche übersehen: wie das Streben der Könige,
speziell der deutschen seit Otto I., nach der Kröuung durch den
Staats- und Kircbenrcclit unter dun Karolingern, Breslau 1892 (tiierkca
Untersuchungen 40), wo die Machtstellung des fränkischen Königs in kirch-
lichen Fragen vielleicht sogar überschätzt, die ltedeutung, welche der An-
erkennung der päpstlichen Autorität in Glaubonssachen ziikoniuit, in. E.
unterschätzt wird; schliolllich Uli r, Dur Karolingische Gottesstaat in Theorie
und Praxis, Lcipz.-Diss. 1902, und Lilienfein in dein oben (S. 6 Anni. 1)
angeführten Werke.
') Die Bedeutung des Kirchenstaats für die Stärkung der kirchlichen
Zentralgewalt und damit für die Steigerung der kirchlichen Autorität in
weltlichen Dingen ist in helles Licht gesetzt von Maasscn, a. a. 0. (vgl.
S. 8 Anin. 1) SS. 102 bis 105 und 118 bis 122. Bezüglich der Bedeutung
des Kirchenstaats für die abendländische Kultureiitwicklung vgl. Ficker,
Das deutsche Kaiserreich (vgl. S. 3 Anin. 1), SS. 93 bis 97, bes. S. 96. —
Ob das römische ticbiet schon unter den Karolingern ein Staat im Kechts-
■inno war oder ob das Verhältnis der Päpste zu den Karolingern noch unter
die Institution des Königsschutzes und der Immunität fiel und nur die
Grundlage für die spätere Entwicklung des Kirchenstaates bildete, kann für
unsere Frage uncrörtort bleiben. Die letztere Ansicht vertritt Guudlach,
Die Entstehung des Kirchenstaates und der kuriale Begriff der Bes publica
Romanorum, Breslau 1899 (Gicrkes Untersuchungen 50), die erstere, wie
es scheint, Schnürer, Die Entstehung des Kirchenstaates, Köln 1894.
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Papst und insbesondere der Umstand, daß in aller Regel ein nicht
vom Papst gekrönter König den Kaisertitel nicht beanspruchte, ')
beweist, hatte die Anschauung der Päpste eine starke Unterlage
im allgemeinen Bewußtsein; auch die immer wiederholte Be-
hauptung der Papste, sie hatten die Weltherrschaft „in Gcrraanos“
übertragen, fand, auch abgesehen von dem abschließenden for-
malen Akt der Kaiserkrönune Karls des Großen durch den Papst,
in den Umstanden, unter denen das später mit der Kaiserwürde
bekleidete Geschlecht der Karolinger überhaupt auf den Thron ge-
langt war, eine nicht zu unterschätzende materielle Stütze’). I)a
das heilige römische Reich deutscher Nation, wie bereits an-
gedeutet, als Fortsetzung des römischen und fränkischen Kaiser-
tums gedacht wurde,3) mußten diese Tatsachen während des
ganzen Mittelalters ihre entscheidende Wirksamkeit behalten.
In zwei Etappen, die durch die Knlossalgestalten Gregors VII.
und Innozenz’ III. gekennzeichnet sind, hat die päpstliche Politik
gegenüber dem deutschen König- und Kaisertum die Konsequenzen
aus den skizzierten Tatsachen zu ziehen gesucht: im Investitur-
') l>ie einzigen Ausnahmen sind Ludwig der Fromme und dessen 8ohn
Lothar; erstcrem setzte am 11. Sept. 813 Karl der Große die Kaiserkrone
aufs Haupt, letzterem im Jahre 817 Ludwig der Fromme: doch in beiden
Fällen wurde die Salbung durch den Papst nachgeholt. Vgl. NI aurcnbrocher,
Geschichte der deutschen Königswahlen vom IO. bis 13. Jahrhundert, Leipzig
1889, SS. 17. bis 19. — Ganz unbekannt war übrigens die Ansicht, daß
der deutsche König bereits mit der Wahl auch diu Kaiser* ürde erlange,
bereits im 13. Jahrhundert nicht. Vgl. unten die Ausführungen am Ende
des Abschnitts III 2 des II. Kapitels.
3) Diese .Translationstheorie" wird gewöhnlich zurfickgeführt auf
Innozenz' III. Hülle „Venerabilem'* (vgl. unten SS. 43 ff.): doch weist sie als
älter nach der interessante Aufsatz von Dnllingcr, Das Kaisertum Karls
des Großen und seiner Nachfolger (vgl. oben S. 9 Anm. 2), SS. 391 ff.
Wenn sic auch vielleicht von Innozenz III. ihre prägnante Formulierung
erfahren hat, so ist die Theorie dem Wesen nach doch auch vom Papsttum
bereits früher vertreten worden: schon Gregor VII. war sie geläutig (vgl.
unten S. 25). Mit Gregor VII. beginnt die Zusammenstellung bei Gicrke,
Das deutsche Genossenschaftsrecht, III. Hand, Berlin 1881, S. 531 Anm. 28
und 29. Die Theorie wird uns im Laufe unserer Untersuchungen wiederholt
begegnen: hier sei nur erwähnt, daß sic einmal auch von Seite des Kaisurs
(nämlich von Albrecht I.) offiziell anerkannt wurde (vgl. unten die Aus-
führungen am Beginne des Abschnittes 1112 des I. Kapitels).
3J Vgl. oben 8. 7 Anm. 1 und die vorige Anm.
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streit und im Kampf um Sizilien. Es ist liier nicht der Ort, die
Faktoren im einzelnen zu untersuchen, welche den unvermittelten,
geradezu plötzlichen Umschwung in der Auffassung des Ver-
hältnisses von Staat und Kirche unter Gregor VII. herbeigeführt
haben, kaum ein Menschenalter nach der außerordentlichen, der
Karls des Großen ebenbürtigen Machtstellung Heinrichs III.1).
Nur in Kurze sei hervorgehoben, daß der Kampf, in welchem das
erwachende Selbständigkeitsgefühl der sich im Geiste der großen
cluniazensi8chen Reform verjüngenden Kirche2) und das mit
1000 Fäden an die realen, historisch gewordenen Verhältnisse
geknüpft« Interesse des Staates 3) aneinanderprallten, sich an einer
Einzelfrage entzündete, und zwar an einer solchen, welche ein
königliches, nicht ein kaiserliches Recht betraf, an der allerdings
mit Rücksicht auf die überragende kulturelle und politische Be-
deutung der Bischöfe4) hochwichtigen Besetzung der Bischofs-
stühle. Erst im Verlauf dieses Kampfes, als Waffe in ihm, hat
der Riesongeist Gregors VII. 5), unterstützt durch innerdeutsche
‘) Vgl. meine oben S. 7 Anm. I zitierte Abhandlung, S. 236.
’) Vgl. bezüglich dieses Momentes besunders Phillips, Kirchenrecht
§ 124; ferner Brück, Lehrbuch der Kirchengesehichte, 7. Auf!. Mainz 1898,
§§ 96 und 114. Poch ist. durchaus nicht ausschließlich von katholisch-kirch-
licher Seite die l'nhaltbarkeit der im 11. Jahrhundert bestehenden Verhält-
nisse vom kirchlichen Standpunkt aus hervorgehoben worden: nur beispiels-
weise soi angeführt, was Schröder, a. a. O. (vgl. oben 8. 7 Anm. 1)
S. 499, darüber sagt: „Pall die Kirche, sobald sie zum Bewußtsein ihrer
selbst gekommen war, sich gegen diese Zustände auflehnen inuBtc, war
selbstverständlich“.
s) Per flrund lag im wesentlichen in der sofort zu erwähnenden
politischen Stellung und Bedeutung, welche das Bistum erlangt hatte. Vgl.
die folgende Anm.
4) Über die Bedeutung des Bistums in roligiöscr Beziehung vgl.
Phillips, Kirchenrecht, I. Band 3. Aufl., SS. 167 bis 220 (katholischer
Standpunkt) und Sobm, Kirchenrecht, Leipzig 1892, SS. 205 bis 227 (pro-
testantischer Standpunkt): in politischer Beziehung Hauck, a. a. 0.
(vgl. oben S. 9 Anm. 1), 111. Teil, Leipzig 1896, SS. 6 ff., SS. 782/783,
ferner Ficker, Pas deutsche Kaiserreich (vgl. S. 3 Anm. I), SS. 51 und 52,
Deutsches Königtum und Kaisertum (vgl. S. 3 Anm. 1), SS. 84 und 85:
die Bedeutung des deutschen Bistums in kultureller Beziehung, welche
eine zusammenfassende Würdigung in hohem Maß verdienen würde, hat eine
solche meines Wissens bisher nicht gefunden.
*) Per Kindiiß der Persönlichkeit Gregors ist scharf hervnrgehoben in
Martens’ Gregor VII., bes. II. Band, Leipzig 1894, SS. 3 und 4. Mag dies
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Strömungen und Parteigeist der deutschen Fürsten'), aus den
oben angedenteten Elementen das „hierokratische“ System erbaut,
das die volle Abhängigkeit der weltlichen von der geistlichen
Gewalt, die Auffassung auch der ersteren als eines kirchlichen
Amtes und folgerichtig das Einsetzungs- und Absetzungsrecht des
Papstes gegenüber den Königen behauptete, insbesondere gegen-
über dem deutschen, dessen kaiserliche und königliche Würde
auch vielleicht in zu abschließender Weise geschehen (allerdings sehr ab-
schwächend a. a. 0. S. 217: „Gregor war ein Kind seiner Zeit“), mag man
auf die im Text berührten Verhältnisse und auf gelegentliche Vorläufer der
„hiorokratischen“ Theorie (vgl. z. B. oben S. 2 Anm. 3 und S. 11 Amn. 2) noch
soviel Gewicht legen : so wird sich doch auf keinen Fall leugnen lassen, daß
diese Theorie erst im Kopfe Gregors VII. feste Gestalt gewann und daß hier ein
Fall vorliegt, in dein sich die Persönlichkeit in besonderem Maß als historisch
wirksamer Faktor gezeigt hat. Wie tiefgreifend der Einfluß Gregors VII.
auch auf anderen Gebieten gewesen ist, darüber belehrt anschaulich die
ausgezeichnete Arbeit von Sägmüller, Die Idee Gregors VII. vom Primat
in der päpstlichen Kanzlei, Tübinger Theologische Quartalschrift, LXXVIII
577(1. Seine hohe Bedeutung für unsere Frage hebt auch Hauck her-
vor (Der Gedanke der päpstlichen Weltherrschaft bis auf Bonifaz VIII.,
Leipzig Univ.-Progr. 1904), der, soweit ich sehe, die Vorläufer der „hiero-
kratiseben“ Theorie verhältnismäßig am ausführlichsten behandelt. Weuu
sonach die in letzterer Zeit behauptete jüdische Abstammung des Papstes
(P. Fedele, le famiglie di Anacleto II. e di Gelasio II. im XXVII. Bande
des Archivio della societä romana di storia patria, SS. 399 flf.) erweisbar
wäre, so fände die moderne Kassentheorie, sofern man in den extrem hiero-
kratiseben Ansprüchen Gregors eine der jüdischen Theokratie verwandte
F.rscheinung erblickt (gerade bei dem populärsten Vertreter der Kassen-
tbeorie Houston Stewart Cham berlain scheint dies allerdings nicht
der Fall zu sein: Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts, 3. Aufl., S. (141
Anm. 1 und S. G4G), eine überraschende Bestätigung. Zwar erhebt Tan gl
(Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichte, 31. Hand,
SS. 1 59 fl“. , Gregor VII. jüdischer Herkunft?) kaum zu entkräftende Ein-
wände gegen die Annahme Fedeles; immerhin muß in diesem Zusammen-
hang der von dem genauen Kenner Gregors, Martens, a. a. 0. S. 217 (vor
Fedeles Untersuchung) in seinem „Gesamturteil über Gregor“ aufgestellte
Satz „Von Herzen ein gläubiger Christ, ließ er sich bei seinen kirchlichen
Handlungen und Unternehmungen mehrfach von alttcstauieutliclieu Vor-
stellungen leiten* erhöhtes Interesse gewinnen. Eine kurze Übersicht über
den Stand der Kontroverse gibt der Artikel von Landau, Jüdische Päpste,
Beil, zur (Münchner) Allg. Zeitung, 1906, Nr. 269.
') Richtig hervorgehoben bei Maurenbrecher, a. a. O. (vgl. oben
S. 11 Anm. 1) bes. SS. 112 und 1 18/119. Vgl. auch unten SS. 14 und 15. Wenn
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dabei nicht scharf auseinandergehalten wurden ’). Weder das
Papsttum noch das Königtum konnte bekanntlich im ersteu Kampfe
seinen Standpunkt vollständig durchsetzen; vielmehr stellte sich
nach dem Abschluß des Investiturstreits durch ein klassisches
Kompromiß*), das Wormser Konkordat, auch im Verhältnis von
Papsttum und Kaisertum (nach der überzeugenden Darstellung
Julius Fickers)*), allmählich eine Gleichgewichtslage her, die erst
um die Wende des 12. und 13. Jahrhunderts unheilbar gestört
wurde. In der nun anhebenden zweiten Etappe des Kampfes haben
dieselben innerdeutschen Strömungen, wie in der ersten, der neu
erwachte Gedanke des Wahlreichs und der Partikularismus4), als
also jemand vom nationalen Standpunkt aus für das übermäßige An-
wachsen der päpstlichen Macht im späteren Mittelalter verantwortlich ge-
macht werden soll, so sind es gewiß nicht die l’äpste, welche, von der
pflichtgemäßen Wahrung der ihnen anvertrauten Interessen ausgehend, im
Laufe des Kampfes in das entgegengesetzte Extrem verfielen, sondern die
deutschen Fürsten, welche (vielfach aus kleinlichem I’arteigeist) verabsäumten,
ein entsprechendes (iegengewicht zu bilden.
') Vgl. die genaue Darlegung von „Gregors hiorokratischer Doktrin"
bei Martens a. a. 0. (vgl. oben S. 12 Anm. 5), II. Band, 3. Buch, bes.
SS. 13 bis 22, 28 bis 30, 37 bis 43, G7 bis G9. Vgl. auch unten S. 24 IT.
a ) Uber die juristische Natur des Wormser Konkordats besieht eine
umfassende Literatur, auf welche hier natürlich nicht eingegangen werden
kann. Zur Orientierung sei auf folgende Schriften verwiesen: Schäfer,
Zur Beurteilung des Wormser Konkordats, Phil. u. hist. Abh. der Berliner
Ak. d. Wissensch. 1903, SS. 1 IT. ; Bernheim, Das Wormser Konkordat und
seine Vorurkunden, Breslau 1906 (tiierke’s Untersuchungen 81): Kudorff,
Zur Erklärung des Wormser Konkordats, Weimar 19U4I (Zeumers (Quellen
und Studien 1 4).
*) Das deutsche Kaiserreich (vgl. S. 3 Anm. I), SS. 93 bis 99; Deutsches
Königtum und Kaisertum, SS. G2 bis 83, bes. SS. 72 bis 74: „Waren die
maßlosesten Ziele der päpstlichen Politik durch Gregor bereits bestimmt
ausgesprochen, »ährend doch die folgenden Päpste von einer weltbeherrschen-
den Stellung in weltlichen Dingen tatsächlich weit entfernt waren, so werden
wir umso sicherer schließen dürfen, daß auch hier wieder die Natur der
Verhältnisse einem Erfolge jenes Slrebens im Wege stand, daß ein ge-
nügender Gegendruck vorhanden war. Und umso gewisser werden wir diesen
in dem deutschen Kaiserreich zu suchen haben, als erst mit seiner Zer-
rüttung durch die sizilischen Angelegenheiten der Plan päpstlicher Welt-
herrschaft wieder aufgenommen werden konnte, und zwar nun mit ent-
schiedenem Erfolg“.
4; Vgl. Maureubrecher a. a. 0. (vgl. oben S. 11 Anm. 1) SS. 182ff.
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entscheidender Faktor mitgewirkt; anderseits hat der Kampf die
stärksten Rückwirkungen auf die deutsche Verfassung geübt,
speziell gerade auf die Besetzung des deutschen Thrones, worauf
wir sofort zurückkommen werden1); aber das treibende Moment,
der psychologische Angelpunkt, lag für die Päpste in der Welt-
stellung des Kaisers, konkret gesprochen in dem Versuch, durch
die Erwerbung Siziliens das Weltreich zur Wirklichkeit zu machen,
gleichzeitig aber innerhalb desselben die volle Suprematie des
Kaisertums über das Papsttum herzustellen2). Dem Papsttum ist
es gelungen, nicht nur diesen Versuch zurückzuweisen, sondern
im Gegenteil uuter kluger Benützung aller Verhältnisse, insbe-
sondere auch des unterdessen ausgebildeten Lehenswesens3), die
Gedanken des bürokratischen Systems in alle Konsequenzen
zu verfolgen: in den Gregorianischen Dckretalen gegenüber den
Dist. 10 und 96 des Dekrets hat diese Wandlung ihren kano-
nischen4), in der Zweischwerter-Theorie des Schwabenspiegels
gegenüber der des Sachsenspiegels5) ihren reichsrechtlichen,
*) Vgl. unten SS. 17 ff.
*) Vgl. Ficker, Das deutsche Kaiserreich (vgl. oben S. 3 Anm. 1),
SS. 104 bis 108, bes. S. 107; Deutsches Königtum und Kaisertum (vgl. ebenda),
SS. i> 8 und 59.
3) Ks genügt wohl ein kurzer Hinweis auf die liedeutung, welche die
Stellung der Päpste als I.ebenshcrren der sizilischen Könige gewann. Nur
vermöge dieser Stellung konnten sie ui. F.. die dauernde Vereinigung von
Sizilien und Deutschland in der Hand der Staufer verhindern. Vgl. oben
SS. 4 und 5, bes. Anm. 1. Dagegen ist es unrichtig, wenn behauptet
wird, daß die potestas in temporalibus überhaupt vom Papsttum als Uber-
lehensherrlichkeit anfgefaßt wurde: vgl. Martens, Das Vaticanum und
Bonifaz VIII., München 1888, SS. 20 und 21. Über den Versuch des Papst-
tums, seiu Verhältnis zum Kaisertum als ein lehensherrliches zu konstruieren,
vgl. unten den Abschnitt 1112 des 1. Kapitels.
4) Vgl. diesbezüglich unten S. 35 bes Anm. 3.
5) Sachsenspiegel, I.andrecht, 1 Art. I: Zwei ttaert Hz gut in ertrlche
zu beschirmene du Christenheit. Derne bähte ist gesetzt daz geistliche ■
deme keisere daz weltliche Sc h waben Spiegel, Landrecht, Vorw.
d: Sit nu got des vrides fürste haizet , so liez er zwai sioert hie uf trtricht. do er
ze himet für zeschirmt der christenhait . diu leeh unser herre sante peter
beidiu eins von geistlichem gerihte. duz ander von weltlichem gerihte. das welt-
lieh swert des gerihtes. daz lihet der habest dem ehaeiser. daz geistlich
ist dem pabest ges.tzet daz er da mite rihte. Den tlegeusatz abzuschwächen ver-
sucht Höfler, Kaisertum und Papsttum, Ein Beitrag zur Philosophie der
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in der Stellung der „Pfaffenkönige“ gegenüber der Friedrichs I.
ihren realpolitischen Ausdruck gefunden. Aber in diesem Kampfe
war nicht nur die Weltmachtstellung des Kaisers, sondern
das Kaisertum selbst gebrochen worden und damit in dem
Augenblick, in dem das hierokratische System in seine Konse-
quenzen durchgeführt wurde, eine der wichtigsten Grundlagen
dos ganzen Systems gefallen; nichts ist charakteristischer, als
daß die schließliche Formulierung und feierliche (jedoch nicht
dogmatische) Verkündigung der hierokratischen Staatsauffassung
seitens des Papsttums nicht im Kampfe mit dem deutschen
Kaiser, sondern mit dem französischen König erfolgte; aber
auch nichts begreiflicher, als daß in dem Augenblick, in dem
der aufrechte Bestand des Kaisertums endgiltig dahin war, in
dem ein anderes Volk im Kampfe zwischen weltlicher und
geistlicher Gewalt in den Vordergrund trat, die hierokratische
Staatsauffassung sofort aufhörte, in Deutschland ein bestimmender
Faktor zu sein. Die Bulle „Unam sanctam“ (1302) und der Kur-
verein von Rense (1338) stehen in einem nahen Zusammenhang*).
Geschichte, frag 1862, SS. 110 uml 111, m. E. ohne Erfolg: das genannte Werk
bringt überhaupt bezüglich des hier behandelten Gegenstandes eine Fülle
interessanter Einzelheiten, lallt jedoch eine klare Gesamt-Auffassung ver-
missen.
') Vgl. über die hierher gehörigen historischen Vorgänge Drumann,
Geschichte Bonifacius VIII., Königsberg 1852, VI. Abschnitt (§§ 1 bis 7).
Eine Übersicht über die speziell die Bulle „Dnam Sanctam“ betreffende
Literatur gibt Berchtold, Die Bulle ITnam Sanctam, München 1887,
SS. 48—88. Berchtold selbst vertritt hier die Ansicht, dal! durch die
Bulle „Tn ui n Sanctam“ die hierokratische Doktrin dogmatisch festgelegt
wurden sei. Seine Beweisführung wurde schlagend widerlegt durch Martens
in der bereits S. 15 Amu. 3 genannten Schrift, SS. 20 bis 36: nur die Definition
am Ende der Bulle ist dogmatisch, diese aber enthält keine Billigung des
hierokratischen Systems. Dagegen sind alle Versuche, auch den übrigen,
nicht dogmatischen Teil der Bulle abschwächend zu interpretieren (so be-
sonders Hergenröther, Katholische Kirche und christl. Staat, Freibnrg i. B.
1873, SS. 332 bis 334) an dem klaren Wortlaut der Bulle gescheitert.
Die bereits im bejahenden Sinn erledigte Kontroverse über die Echtheit
der Bulle l'nam Sanctam kann hier nicht erörtert werden. Vgl. auch unten
die Ausführungen im Abschnitt 1113 des I. Kapitels.
s) Dali theoretisch der Gedanke des Kaisertums weit länger aufrecht er-
halten wurde, ist oben SS. 1 und 2, beg. in den Amn., näher ausgeführt worden.
Damit steht keineswegs im Widerspruch die Tatsache, daß das Kaisertum
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Hiemit haben wir bereits den Punkt berührt, welcher zum
eigentlichen Thema dieser Untersuchung führt: die deutsche
Königswahl *). Es ist von vorneherein klar, daß bei dem Versuche,
faktisch bereits iin 13. Jahrhundert seine politische Bedeutung verlor und
in weiterer Konsequenz mit dem Beschlüsse des Kurvereins von Rense
das hierokratische System in Deutschland endgiltig überwunden wurde.
Durch diesen Beschluß ist die Selbständigkeit des deutschen Königtums
gegenüber dem Papsttum sichergestellt worden. Der darüber hinausgehende
Satz, demgemäß auch die Kais er würde von der Krönung durch den Papst
unabhängig sein und dem deutschen König ipso iure gebüren solle, ist
bekanntlich erst seit Maximilian I. (1508) praktisch durchgeführt worden;
und erst damit hat der alte Kaisergedanke jede praktische Bedeutung
verloren.
•) Zum Verständnis des Folgenden halte ich es für nötig, den von mir
bezüglich der älteren deutschen Königswahl eingenommenen Standpunkt fest-
zulegen, indem ich mich bezüglich der quellenmäßigen Belege und Literatur-
nachweise auf meine oben S. 7 Anm. 1 erwähnte Abhandlung beziehe. Be-
züglich der Königswahlenliteratur im allgemeinen vgl. daselbst S. 226
Anm. 2 und Anhang II dieser Untersuchung. Zur Sache habe ich mich in
der genannten Abhandlung S. 226 folgendermaßen geäußert:
„Ich stehe in dieser vielumstritteneu Frage auf dem neuerdings von
Ernst Mayer in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte
(XXIII Germ. Abt. SS. 1 II., Zu den germanischen Königswahlen) vertretenen
Standpunkt , daß das deutsche Königswahlenrecht aus einer gemein-
germanischen Wurzel „herausge wachsen“ ist (a. a. 0. S. 48). Mau vergegen-
wärtige sich nur die berühmte Schilderung, welche Tacitus (Germania cap. 11)
von den germanischen Dingen, in denen nach seiner ausdrücklichen Be-
merkung (cap. 12) auch die Volkswahlen vorgenommen wurden, entwirft.
Die Teilnehmer kommen allmählich zusammen; die principes besprechen
die Angelegenheiten, bevor sie vor die Vollversammlung gebracht werden.
In dieser selbst erstatten mox rex vel princeps, prout aetas cuique, prout
nobilitas, prout decus bellorum, prout facundia est, die Vorschläge; die
übrigen bilden nur den „Umstand“, sie beschränken sich darauf, den Vor-
schlag fremitu aspernari oder armis laudare, sie verweigern oder erteilen
das „Vollwort“. Hier haben wir m. E. die Grundform germanischer Be-
schlußfassung vor uns; von hier aus hat sich ebensowohl die spätere Form
der Urteilsfindung, wie der deutschen Königswahl entwickelt. Daß bei jener
die Ausbildung fester juristischer Formen früher und stetiger erfolgte, als
bei dieser, liegt in der Natur der Sache, da hier der Bildung eines Ge-
wohnheitsrechts die langen Zwischenräume zwischen den Königswahlen und
die Verknüpfung mit den politischen Interessen der Wähler in gleichem
Maß im Wege steheu. Insbesondere hat sich das Prinzip der Einstimmig-
keit, demzufolge nach altgermanischem Recht eine Pflicht der Minorität,
Hngetminn. Die deutsche Königswahl 2
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das hierokratische System durclizuführen , die Besetzung des
Thrones eine Hauptrolle im Kampfe zwischen geistlicher und welt-
licher Gewalt spielen mußte, und zwar in erhöhtem Maß in
sich der Majorität zu unterwerfen, nicht bestand, bei der deutschen Königs-
Wahl durch Jahrhunderte erhalten. Jeder einzelne mußte den Kandidaten zu
seinem König küren, ihn als solchen anerkennen; aber diese Anerkennung
mußte nicht von allen uno actu ausgesprochen werden, was bei der großen
Zahl der Wäliler wohl ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre.
Kür uns ist hier am wichtigsten die Form, in welcher die eigentliche
Wahlhandlung vorgenommen wurde, — natürlich nach dem soeben An-
geführten ohne der Anerkennung durch die etwa abwesenden Wahlberech-
tigten zu präjudizieren. Und diesbezüglich erkennen wir mit einer einzigen
Ausnahme in allen uns vorliegenden genaueren Berichten über Königswahlen
bis zur Doppolwahl des Jahres 1198 eine Gliederung des Wahlakts, welche
mit der Schilderung des Tacitns übereinstimmt: ein engerer Kreis besonders
einflußreicher Wähler, vielleicht mitunter nur die in Betracht kommenden
Kandidaten, einigen sich auf eine Person; einer oder einige aus diesem
Kreise sprechen nun in der eigentlichen Wahlversammlung den Kurspruch;
die übrigen Wähler erteilen in formloser Weise, sei cs durch Zuruf, sei es
durch Handerheben, das „Vollwort.“ Keine einzige glaubwürdige Quellen-
stello, abgesehen von der schon erwähnten Ausnahme, steht einer solchen
Gestaltung der deutschen Königswahl entgegen; sie wird in überraschender
Weise bestätigt durch den gleichen Vorgang bei den ebenfalls auf ger-
smanischc Wurzeln zurückgehenden französischen Königswahlen, wie er he"
sonders schön im Wahlprotokoll von 1059 bezeugt ist.
Es ist und bleibt das große Verdienst Lindncrs, diese Zwei-
bezw. Dreiteilung des Wahlaktes in seinem Buche Die deutschen Künigs-
wahlcn und die Entstehung des Kurfürstentums (Leipzig 1893) klar durch-
geführt zu haben. Ich trage auch kein Bedenken, für die Phasen des
Wahlakts die von Lindner vorgeschlagcnen Namen „Wahl“ und „Kur“,
bezw. „clectio“ und „laudatio“ beizubehalten, wenngleich sic in den Quellen
m. E. nicht als termini tcchnici gebraucht werden. Für unrichtig halte ich
Lindners Ansicht allerdings in zwei wesentlichen Punkten: 1. Die „Kur"
scheidet sich nicht in die von einem Wähler an erster Stelle aus-
gesprochene clectio und die in verschiedener Form hinzutretende
(audatio, maßgebend ist vielmehr der Unterschied zwischen der von
einem oder mehreren gesprochenen Kurformel (electio) einerseits
und dem „Vollwort“ (laudatio) des „Umstands“ anderseits; damit ist
auch schon gesagt, daß 2. die laudatio gewiß nicht nach Lindncrs An-
sicht lediglich die Bedeutung cinos „Treugelöbnisses“ oder, wie er jetzt
sagt, einer „Huldigung,“ einer „Gelobung“ gegenüber dem bereits gewählten
König hatte, sondern eine Phase eines konstitutiven Aktes war.
Damit steht keineswegs im Widerspruch, daß unmittelbar im Anschluß an
die Wahl dem neuen König der Eid geleistet wurde, ja daß manchmal,
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Deutschland, wo beim Auftauchen dieses Systems keine erbliche
Königswürde bestand. Auf das Zusammenwirken der päpstlichen
Ansprüche und der an ihrem Wahlrecht festhaltenden deutschen
Fürsten hatten wir bereits oben ’) hinzuweisen Gelegenheit.
Bedenkt man, daß der erste große Zusammenstoß zwischen Papst-
und Königtum, bei welchem es sich ja gerade um die Besetzung
der Bistümer handelte, mit der Durchsetzung der kanonischen
Wahl im kirchlichen Ämterwesen zusammenfiel *), so leuchtet
wohl sofort ein, daß das Wahlrecht der deutschen Fürsten dem
Papsttum die Handhabe bot, ohne schrotfen Bruch mit dem be-
stehenden Recht durch -Anwendung kanonistischer Grundsätze,
besonders durch die Betonung eines Approbationsrechts5), hiero-
kratischen Gedanken zum Durchbruch zu verhelfen. Ein weiterer,
diese Entwicklung fördernder Umstand von kaum zu überschätzender
Bedeutung liegt darin, daß die deutsche Königswürde die Voraus-
setzung für die vom Papste zu verleihende römische Kaiserwürde
war, und wir haben auch diesbezüglich bereits darauf hingewiesen4),
daß die Behauptung der Päpste, sie hätten das imperium „in Ger-
manos“ übertragen, einer tatsächlichen Unterlage nicht entbehrte
und daß ihr Anspruch, die Kaiserwürde zu verleihen, eigentlich
unbestritten war. Moderne, und zwar nicht ausschließlich katho-
lische, Historiker5) haben auf Grund dieser Sachlage ein Recht
wenn einzelne beim eigentlichen Wahlakt nicht anwesende Fürsten nach-
tr Sgl ich einen König anerkannten, der Eid vielleicht die einzige Form
dieser Anerkennung war. Denn auch in diesem letzteren Fall wurde erst
durch den Eid, welcher die Anerkennung in sich schloß, ein öffentlich-
rechtliches Verhältnis, welches den Gewählten zum König des Anerkennen-
den machte, geschaffen.“
') Vgl. oben SS. 13 und 14.
*) Vgl. meine oben S. 7 Anm. 1 und S. 17 Anm. 1 zitierte Abhandlung,
S. 221 Anm. 3.
*) Vgl. meine Abhandlung, ebenda (vgl. die vorige Anm.): Krimmer,
Der Einfluß des Papststums auf die deutsche Königswahl, Berl. Iliss. 1903,
bes. SS. 42 ff., woselbst allerdings von der ersten nachhaltigen Behauptuug
des Approbationsrechts durch Gregor VII. nicht die Rede ist; ferner auch
unten bes. SS. 24 f., 48 ff.
•) Vgl. oben SS. 10 und 11.
s) So Phillips, Was ist das Kaisertum? Vermischte Schriften, II.Band,
Wien 1856, 8. 471 (mit gewissen Einschränkungen) : Hefele, Wie dachte
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der Päpste anerkannt, die Rechtsgiltigkeit der Königswahl als
Voraussetzung für die Obertragung der Kaiserwiirde zu prüfen
und, falls eine gütige Königswahl nicht zu erzielen war, das
Kaisertum auf ein anderes Volk zu übertragen. Da jedoch eine
solche Übertragung an der politischen Unmöglichkeit scheitern
mußte und die abstrakte Unterscheidung, welche der erwähnten
Auflassung zugrundeliegt, dem mittelalterlichen Rechtsempfinden
gerade des deutschen Volkes schlechterdings unverständlich war *),
so ist es nicht auffallend, daß die Päpste, als die Gleichgewichts-
lage zwischen den beiden höchsten Gewalten neuerlich gestört war,
im Kampfe um die Suprematie einen andern Weg einschlugen *)
sich Innozenz III. das Verhältnis de» Papstes zur Kaiserwahl ? Tübinger
Theologische Quartalschrift XLIV 617 (wörtlich gleich in) V. Bande der
Konziliengesch., 2. Aufl. Freiburg 1886, S. 789); Krammcr a. a. 0. (vgl.
oben S. 19 Anm. 3) S. 15 Anm. 4. Nicht ganz klar Janssen, Geschichte
des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters, I. Band, 17. und
18. Aull., SS. 502 und 503.
') Ist eine scharfe juristische Konstruktion und begriffliche Scheidung
überhaupt erst späteren Stadien der Kechtsentwicklung eigen, so fehlte sie
insbesondere dem mittelalterlichen deutschen Recht. Erst gegen Ende des
Mittelalters hat man ja z. B. dun Staat als Rechtspersönlichkeit kon-
struieren und öffentliches und Privatrecht unterscheiden gelernt; vgl.
Brunner in Holtzendorffs Enzyklopädie, 5. Aull., S. 270, Rietschel,
Milt. d. Inst. f. österr. (jeschf. XXVII 408 und 9 (in dein Aufsatz Landleihen,
llofrecht und Immunität). Und bis zum heutigen Tag fehlt, um auch aus
dem Privatrecht ein Beispiel anzuführen, im österreichischen Recht (und
bis zu einem gewissen Grade auch nach dem neuen bürgerlichen Gesetzbuch
für das deutsche Reich) die scharfe Unterscheidung zwischen dem Recht an
der Sache und dem Anspruch auf eine Sache, zwischen rei vindicatio und
condictio: vgl. Strohal, Die Giltigkeit des Titels u. s. w., Vortrag, Graz
1891, SS. 32 ff., ferner v. Mayr, Der Bercichcrungsnnsprnch, Leipzig 191X3,
§ 38 bes. SS. 383 ff. Gerade darin liegt die charakteristische Schönheit des
deutschen Rechts, daß es die Erscheinungen des Lebens nicht logisch zer-
gliederte, sondern in der Fülle der Wirklichkeit zu erfassen strebte, daß es,
um „dem Stofflichen gerecht zu werden, die Denkformen offen, flüssig, er-
weiterungsfähig hielt" ; daß es zwar „nicht unlogisch" war, aber „von der
Logik einen sparsameren Gebrauch" machte. Vgl. Gierke, Das deutsche
Genossenschaftsrecht, II. Band, Berlin 1873, SS. 6 ff.
*) Gelegentlich hat die päpstliche Partei übrigens die Zulässigkeit,
das Kaisertum unabhängig vom deutschen Königtum zu verleihen, behauptet.
Über den diesbezüglichen Versuch Gregors IX. vgl. Krammcr, a. a. 0. (vgl.
oben S. 19 Anm. 3) SS. 19 f., und unteu S. 53 Anm. 2. Besonders als sich die
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und, abermals durch die Anwendung kanonischer Grundsätze (so-
gar durch die Behauptung einer Art von Devolutionsrecht)1), die
Besetzung des deutschen Königsthrons zu beeinflussen suchten.
Schließlich liegt es in der Natur der Sache, daß die Päpste bei
der Beurteilung der von ihnen zu prüfenden Königswahlen nicht
nur, was die Person des Gewählten, sondern auch was den Wahl-
akt anlangt, gelegentlich kanonische Wahlgrundsätze an wendeten2),
zumal ja überhaupt die Auffassung des weltlichen Herrschertums
als eines kirchlichen Amtes, wie bereits erwähnt1), dem Gedanken-
kreis des hierokratischen Systems entsprach. In jüngster Zeit ist
allerdings nacbgewiesen worden, wie gerade eine geschickte Aus-
nützung der auf die geschilderte Art von den Päpsten selbst ge-
förderten Formenstrenge im Wahlverfahren während der Kämpfe vor
1338 dazu diente, die Unabhängigkeit des deutschen Königsthrones
wiederherzustellen4).
Im Folgenden sollen zunächst die hier kurz skizzierten Be-
rührungen zwischen dem deutschen Königswahlenrecht nnd dein
kanonischen Recht in ihren einzelnen Phasen geschildert werden,
insoweit sie einen Niederschlag im großen kanonischen Hechtsbuch
gefunden haben5). Daß diese Berührungen den gewöhnlich ange-
deutsche Königswahl vom päpstlichen Einfluß emanzipierte, scheint sich die
kurialistische Publizistik dieser Theorie bemächtigt zu haben; wenigstens ver-
tritt sie Augustinus Triumphus (+ 1328), Summa de potestate ecclesiae
Venet. 1484, Q. 37 a. 5 (dieses Werk war mir nicht zugänglich; ich zitiere
nach v. Scherer, a. a. 0. — vgl. oben S. 8. Amu. 4 — S. 40 Anm. 39).
Über die Tätigkeit der französischen Politik in dieser Richtung vgl. unten
die Ausführungen zu Beginn des Abschnitt III 2 des I. Kapitols. — Inno-
zenz III. war diese Theorie m. E. noch fremd ; vgl. unten SS. 48 ff. : bes.
Anm. I auf S. 32 und Anm. 2 auf S. 54.
') Vgl. Krammcr, a. a. 0. (vgl. oben S. 19 Anm. 3), SS. 27 ff. und
45 f.; v. Scherer, a. a. 0. (vgl. S. 8 Anm. 4), S. 40 Amu. 43; ferner auch
unten SS. 51 ff.
*) Vgl. Krummer, a. a. 0. SS. 41 f.: Derselbe, Wahl und Einsetzung
des deutschen Königs im Verhältnis zu einander, Weimar 1905 (Zeumcrs Quellen
und Studien 12), SS. 60ff und 10411: ferner auch unten SS. 57 f.
*) Vgl. oben S. 13.
*) Krummer, Wahl und Einsetzung, SS. 66 bis 71, 104 und 105: vgl.
auch meine Besprechung dieses Werkes, Mitt. d. Inst. f. öslerr. Geschf.,
XXVIII. 684 ff.
*) Über die innere Berechtigung dieser Umgrenzung des Theuias vgl.
unten SS. 23 f.
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nommenen durchgreifenden Einfluß auf das VVahlverfahren
bei der deutschen Königswahl tatsächlich nicht geübt haben, glaube
ich an anderem Orte (Mitt. d. Inst. f. österr. Geschf., XXVIII.
689 ff.)1) nacbgewiesen zu haben; ihre rechtshistorische Bedeutung
ausführlich zu würdigen, soll dem zweiten Teil dieser Untersuchung
Vorbehalten bleiben.
•) Vgl. obeD S. 21 Anm. 4: rgl. ferner die oben S. 7 Anm. 1 genannte
Abhandlung, S. 232 Anm. 1.
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Erstes Kapitel
Die Bestimmungen des corpus iuris canonici
und die Lehre der Glosse
über die Besetzung des deutschen Thrones.
Von einem corpus iuris canoDici ') kann bekanntlich nicht in
dem Sinne gesprochen werden, „als ob nur Bestimmungen, welche
in demselben aufgenommen sind, gesetzliche Kraft hatten“; viel-
mehr ist die formelle Rechtsgiltigkeit aller seit dem 3. März 1'298,
an welchem Tage die letzte authentische Dekretalensammlung exklu-
siven Charakters, der Liber Sextus, publiziert wurde, ergangenen
kanonischen Rechtssatzungen von deren Aufnahme in das corpus
iuris canonici unabhängig. Trotzdem kann auch für die spätere
Zeit den in das corpus iuris canonici aufgenommenen Rechts-
satzungen eine gewisse eminente Bedeutung nicht abgesprochen
werden: da die kirchliche „Spruchpraxis an die gemeine Sentenz
der Schule wie an eine Autorität sich hielt“, die „Aufnahme
und Bearbeitung“ der Rechtssatzungen „durch die Schule gleich-
bedeutend mit der Rezeption und Verbreitung derselben in der
Praxis“ war, so mußte dem „Komplex der von der Glossatorcn-
schule rezipierten Rechtebücher“, dem corpus iuris canonici,
das Gewicht der Tatsachen erhöhte Wirksamkeit verleihen, be-
sonders seit der durch das Breve Gregors XIII. vom 2. Juni 1582
„eraendationem“ einbegleiteten römischen Ausgabe. Diese Er-
wägungen lassen es gerechtfertigt erscheinen, unsere Unter-
■) Vgl. zu dun folgundcn Bemerkungen über das Corpus iuris canonici
v. Scherer, a. a. (>. (vgl. oben S. 8 Anm. 4) §§ 54, 55 und 56, ferner
Groß, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, 3. Aull. Wien 1899, §§ 19
und 20.
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Buchung auf das corpus iuris canonici zu beschränken: nicht in
dem Sinne, als ob wir damit jede einzelne Phase und
Episode in der Entwicklung erfassen könnten; sondern in der
Erkenntnis, daß wir hier dasjenige finden, was dauernder Be-
sitz des kirchlichen liechtsbewußtseins geworden ist und in
dieser Eigenschaft durch die päpstlichen Publikationsbullen, bezw.
durch die Autorität der Schule beglaubigt wurde. Soweit es
übrigens zum Verständnis unerläßlich scheint, wird im folgenden
auch auf die Zwischenglieder der Entwicklung eingegangen werdeu.
I. Das Gratianische Dekret
Es ist bereits oben darauf hingewieseu worden, daß im Laufe
des Investiturstreits Gregor VII. das Recht in Anspruch nahm,
die Besetzung des deutschen Thrones entscheidend zu beeinflussen.
Und zwar bewegte sich dieser Anspruch in einer dreifachen
Richtung: der Papst behauptete das Recht der Absetzung des
Königs, der schiedsrichterlichen Entscheidung in Thronstreitigkeiten
und der Approbation der Königswahl *). In allen diesen Beziehungen
hat Gregor VII. das behauptete Recht auch tatsächlich ausgeübt:
er hat auf der Synode vom 14. bis 22. Febr. 10765) und zum
zweitenmal am 7. März 1 080 3) Heinrich IV. nicht nur exkommuni-
ziert, sondern gleichzeitig in feierlicher und formeller Weise des
Thrones für verlustig erklärt4); er hat, als nach der ersten Ab-
setzung Heinrichs trotz der in Canossa erfolgten Lösung
vom Kirchenbanne zu Forchheim (15. März 1077) Rudolf von
Schwaben zum König gewählt, der Streit in Deutschland somit
zu einem rein politischen geworden war, nachdrücklich das
Schiedsrichteramt beansprucht 5), welches auf der Synode vom
11. Febr. 1079 von den Gesandten Rudolfs (im Gegensatz zu
') Vgl. oben SS. 13 und 14, insbes. Anm. 1 auf S. 14.
*) Jaffe, Reg. Pont. (ed. II), post 4978.
•) Ibidem, poBt 5154.
4) Der VerluBt des Thrones war keineswegs nur eine Folge des Kirchen-
bannes, sondern eine selbständige Kirchenstrafe. Im Jahre 1076 trug die-
selbe den Charakter einer tempor&ren Maßregel (Suspension), im Jahre
1080 einer definitiven (Doposition). Siehe diesbezüglich Martens, a. a. O.
(vgl. oben S. 12 Anm. 5) SS. 25 bis 30. Vgl. auch unten SS. 38 ff.
4) Jaffe, 1. c. (cf. oben Anm. 2): 5034, 5035,5036.
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denen Heinrichs) ausdrücklich anerkannt wurde *) ; er hat schließ-
lich das schon vor der Wahl Rudolfs in dem Briefe v. 3. Sept.
1076’) beanspruchte Approbationsrecht bei der zweiten Absetzung
Heinrichs wenigstens insofern ausgeübt, als er den bereits 1077
gewählten Rudolf als König anerkannte’). Diese weitgehenden
Ansprüche leitete der große Papst, mochte er sich immerhin ge-
legentlich auch auf wirkliche oder vermeintliche Präzedenzfälle
aus der deutschen (bezw. fränkischen) Vergangenheit berufen4),
in erster Linie aus dem allgemeinen kirchlichen Leitungsrechte
des Papstes ab: er behauptet die Unterordnung aller Staaten
unter die Kirche, aller Fürsten unter den Papst, und zwar unter
ausdrücklichem Ausschluß einer Oberherrschaft des
deutschen Reiches’); er vindiziert sich in der unzweideutigsten
Weise das Absetzungsrecht, welches den eigentlichen Angelpunkt
seiner staatskirchlichen Politik bildet, ebensowohl gegenüber dem
französischen4) wie dem deutschen König, das Schiedsrichteramt
gerade so in Ungarn7) wie in Deutschland. Er hat mit eineta
Wort das hierokratische System beim ersten Entwurf bis in die
äußersten Konsequenzen durchdacht und die auf dem Höhepunkt kirch-
licher Macht nach anderthalb Jahrhunderten praktisch gewordenen
Ansprüche der Kirche iu Gedanken noch überflügelt8) : auch er
‘j Ibidem, post 5102.
s) Ibidem, 5002. Vgl. auch meine oben S. 7 Anm. 1 zitierte Ab-
handlung, S. 209.
’) Ibidem, post 5154. (Die formelle Anerkennung liegt in den Worten
öt autem Rodulfus regnum Teutonieorum regat et de/endat).
*) Jaffe, Bibi. rer. Germ., II SS. 242 und 458. Vgl. auch oben
S. 7 Anm. 1, ferner meine daselbst zitierte Abh. S. 210 Anm. 1.
*) Jaffe, Reg. Pont. (cd. II.), 4944.
*) Ibidem, 4891.
7) Ibidem, 4952.
8) Hauck will a. a. 0. (vgl. SS. 12 13 Anm. 5) SS. 33 f. allerdings
eine Fortbildung der von Gregor VII. gelehrten „Herrschaft über das Reich“
zn einer .Herrschaft im Reiche“ bei Folgen III. erkennen. Jedoch ganz
abgesehen davon, daß die von Hauck angezogene Urkunde in ihrer Verein-
zelung beinahe Zweifel an ihrer Echtheit wachzurufen geeignet ist, beinhaltet
m. E. das nach Hauck von Gregor VII. beanspruchte rcgiuien universale
wenigstens bedingt auch eine „Herrschaft im Reiche.“ Darüber, daß
Innozenz III. weniger weit ging als Gregor VII., siehe unten SS. 48 ff.,
bes. Anm. 2 auf S. 54.
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huldigt dem Gedanken des einen christlichen Weltreichs, aber
dessen absoluter Monarch, in geistlichen und in weltlichen Dingen,
ist der Papst, alle weltlichen Fürsten bekleiden eigentlich nur
ein kirchliches Amt '). Hei dieser Auffassung der Dinge ist es
begreiflich, daß der Anspruch der deutschen Könige auf die
Kaiserkrone nicht in den Vordergrund trat und jedes klare Ver-
ständnis für die Bedeutung der Kaiserwürde fehlte, wenngleich
anderseits gerade die frühere enge Verknüpfung von kirchlicher
und weltlicher Gewalt, von Kaisertum und Papsttum in Deutsch-
land den Streit hier besonders heftig entbrennen ließ. Ferner
bot das in Deutschland bestehende Wahlrecht der Fürsten, wie
ebenfalls bereits oben angedeutet 3), dem Papst eine sehr bequeme
Handhabe, um im Hunde mit den partikularistischen Strömungen
auf die Bestimmung der Person des Königs Einfluß zu gewinnen;
dies ist der Punkt, an dem das hierokratische System Gregors
durch die Hurührung mit dem deutschen Staatsrecht eine charak-
teristische Nuance annahm: durch die Behauptung eines Ap-
probationsrechts und speziell durch die Aufstellung des kanonischen
Grundsatzes der persona idonea. Was den Wahlakt selbst an-
laugt, dessen Giltigkeit ebenfalls der Prüfung des Papstes unter-
liegt, so wurde das Hecht des Papstes, sich bei demselben durch
Legaten vertreten zu lassen, in Forchheim als selbstverständlich
hingenommen3); von einem Verlangen, die speziellen Formen des
kanonischen Hechtes zu beobachten, ist jedoch nicht im mindesten
die Hede; nur gegen eine „simonistische“ Wahl haben die Legaten
Einsprache erhoben, was wohl in moralischen Erwägungen eine
hinlängliche Erklärung findet.
Wir wollen an dieser Stelle nicht im einzelnen untersuchen,
inwieweit die dargelegten päpstlichen Ansprüche das deutsche
') Besondere scharf und rücksichtslos gegenüber Irland und Spanien
betont: Jaffe, 1. c. 5059 und 5041. Auch anderen Königen gegenüber
machte Gregor VII. seine angeblichen Hechte in tumporalibus geltend, jedoch
nicht in so schroffer Weise; Jaffe, 1. c. 5096 (Norwegen), 4955 (Rußland),
Jaffe, Bibi. rer. denn., II S. 199 (Dänemark).
*) S. 19.
*) Dies ergibt sich aus dem Berichte Brunos, De bollo Saionieo cap.
91 (MG. SS. V 365). Allerdings darf nicht außer acht gelassen werden, daß
cs eine Wahlversammlung der päpstlichen Partei war.
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Königswahlenrecht tatsächlich modifiziert haben. ') Nur kurz mag
erwähnt werden, daß durch die geschilderten Vorgänge das Wahl-
recht der Fürsten dauernd gestärkt wurde; daß für die spätere Ent-
wicklung des hierokratischen Systems gerade die Behauptung des
päpstlichen Approbationsrechts (nicht des Absetzungsrechts) be-
sondere Bedeutung gewann, wird uns weiter unten, bei Be-
sprechung der Dekretalen Gregors IX., noch näher beschäftigen. *)
Worauf hier mit allem Nachdruck verwiesen werden soll, ist die
Tatsache, daß im Gratianischen Dekret die Ansprüche
Gregors VII. bezüglich der Besetzung des deutschen
Thrones relativ geringe Spuren hinterlassen haben.1) Also
nicht einmal innerhalb des kanonischen Rechtes fanden um die
Mitte des 12. Jahrhunderts die Ansprüche Gregors VII. ent-
schiedene Anerkennung; eben der Gleichgewichtszustand, welcher
sich nach dem Wormser Konkordat nach unseren Ausführungen
in der Einleitung4) herausgebildet hatte, kommt in dieser Zurück-
haltung des Gratianischen Dekrets zum Ausdruck.
Bevor wir auf Einzelheiten eingehen, sei bemerkt, daß im
Gratianischen Dekret und in den dazu gehörigen Glossen an vielen
Stellen, wenn auch nicht durchgehends, zwischen regnum und
imperium scharf unterschieden ist. So ist vor allem das berühmte
Papstwahldekret Nikolaus II. vom Jahre 1059 aufgenommen (c. 1
Dist. 23), in welchem die begriffliche Scheidung geradezu
klassischen Ausdruck gefunden hat: .... Henrici, qui in pr eben-
darum rex habetur, et futurus imperator Deo concedente spe-
ratur . . . Voll Glossen, welche die Würde des imperator im
Gegensätze zu den reges hervorheben, sei nur beispielsweise die
') Über die Bedeutung des Anspruchs auf Prüfung des Wahlakts vgl.
die Ausführungen iui Abschnitt III 3 des II. Kapitels.
*) Vgl. unten SS. 48 ff. Siehe ferner meine üben S. 7 Amn. 1 zitierte
Abh. S. 225, schließlich Mirbt, Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII.,
Leipzig 1894, SS. 549 und 550.
5) Entgegengesetzter Ansicht Hauck a.a. 0. (vgl. oben SS. 12/13 Anm. 5)
S. 33. Im allgemeinen bezeichnet auch S&gmüller, Die Bischofswahl
bei Gratian (Görres - Gesellschaft, Sektion f. Rechts- u. Sozialwissensch.,
1. Heft), Köln 1908, S. 19, Gratian „als ausgesprochenen Graporianor.“ Vgl.
unten S. 35, bes. Anm. 3.
*) Vgl. oben S. 14.
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signifikante Glosse zu c. 22 Dist. 63 (zu den Worten per singulos)
erwähnt ').
Von der Besetzung des deutschen Thrones durch Wahl
ist ex professo im Gratianischen Dekret meines Wissens nirgends
die Rede2). Es sind nur einzelne gelegentliche Bemerkungen
der canones zu erwähnen, welche den Glossatoren einen An-
knüpfungspunkt zu Ausführungen über diesen Gegenstand boten.
Die wichtigste hierher gehörige Stelle findet sich im c. 24 Dist. 93,
welcher einem Briefe des hl. Hieronymus’) entnommen ist. Es ist
hier von der kirchlichen Hierarchie die Rede, speziell von der
Wahl des Bischofs und des Archidiakons. Im § 1 heißt es nun:
Nam et. Alexandriae a Marco euangelista utque ad Eraclam et
Dionisium episcopos, presbiteri es se semper unum eligebant et in
escelttori grndu collocabant, quem episcopnm nominabant , quo-
modo si exercitus imperatorem faciat. Es ist offensichtlich,
daß mit dieser gelegentlichen Anspielung auf wiederholte Vor-
kommnisse in der römischen Kaiserzeit eine juristische Äußerung
über diese „Kaiserwahlen“ in keiner Weise beabsichtigt sein
konnte. Und es ist sehr charakteristisch für die juristische
Methode des Mittelalters, daß die Glosse zum Worte imperatorem
bemerkt: Es sola enim eleclione Principum dico eum verum
Imperatorem, antequam a Papa confirmetur. Arg. hic licet non
ita appelletur , ut dixi 63. dist. c. quanto. contrarium est verum
extra de elect. c. venerabilem , 23. dist. c. in nomine. Der Hin-
weis auf c. 10 (quanto) dist. 63 gilt offenbar der Glosse zum
Worte relatio: diese referiert über die verschiedenen Ansichten
bezüglich des Zeitpunktes, bis zu welchem eine variatio electionis
zulässig ist (subscriptio, publicatio scrutinii, confirmatio) und
behandelt ira Zusammenhang damit die Frage, welches Recht die
') Hier heißt es u. a. : Ergo in Francia , et in Hispania unus est enim
Imperator .... fateamur ergo Imperatorem esse dominum mundi .... Diese
Glosse dürfte auf Johannes Teutonicus zurückgeheu (vgl. über ihn unten
S. 29 bes. Anm. 1), sofern man die Sigle loan. in den Glossen imperator
und unus zu c. 41 C. 7 q. 1 auf ihn beziehon will : der Wortlaut der letzteren
zeigt, daß sie auf denselben Glossator zurnckgehen, wie die in Bede stehende
Glosse.
*) Ober das Recht des Königs, seinen Nachfolger in Italien zu ernennen,
vgl. unten S. 33.
J) Migne, Patrol. Lat., Tom. XXII 1194 (epist. 146).
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Wahl dem Gewählten verleiht. Darauf wird geantwortet: ...ius
praelaturae , et ius administrandi : sed non exercitium praelaturae,
eel admmutrationü ; dieses exercitium im Gegensatz zum ius wird
eben erst durch die Konfirmation erworben. Zur Begründung
wird u. a. angeführt: electio enim facit imperatorem, ut 93 d. c.
legimus (eben der oben besprochene c. 24 Dist. 93).
Aus dem Zusammenhang der beiden angeführten Stellen geht
wohl mit Sicherheit hervor, daß in der Glosse imperatorem zn
c. 24 Dist. 93 der Schlußsatz „contrarinm .... in nomine“ ein
Zusatz von anderer Hand ist. Denn in der Glosse relatio zu c. 10
Dist 63, die ausdrücklich als von demselben Glossator stammend
bezogen wird, ist so zweifellos die im ersten Satz der Glosse impera-
torein vertretene Ansicht als die richtige bezeichnet, daß in ihr die
wahre Meinung des Glossators und keineswegs eine nach scho-
lastischer Methode aufgestellte, im nächsten Satz widerlegte These
zu erblicken ist. Der Glossator, welcher an beiden Stellen die
Ansicht vertritt, daß die „electio principum“ und nicht die con-
firmatio papae „verum imperatorem facit“, dürfte nach der Sigle
Jo. in der Glosse relatio Johannes Teutonicus1) sein. Die hier er-
örterte Streitfrage ist offenbar gar nicht durch die glossierten Stellen,
') Johannes Teutonicus ist der eigentliche Schöpfer der glossa or-
dinaria zum Dekret. Daß er eine mehr kaiserliche Richtung vertreten hat,
ist nach den spärlichen Nachrichten, welche wir über sein Leben haben,
durchaus wahrscheinlich (einen Beleg hiefür könnte, außer den oben SS. 27/28
Anm. 5 genannten Olossen, z. B. die Ulusse zu c. 5 Dist. 10 bieten, falls man
die Sigle Joan. daselbst auf Johannes Teutonicus beziehen will). Vgl. über
ihn Schulte, Geschichte derQuellen und Literatur des kanonischen Rechts
von Gratian bis auf I’apst Gregor IX., Stuttgart 1875, SS. 172 ff. u. 222 f.';
ferner v. Scherer, a. a. O. (vgl. S. 8 Anm. 4) S. 256. (Nicht von
unmittelbarer Bedeutung für unsere Krage ist der Aufsatz von Reich, Uber
die Zeit der Veröffentlichung der Johanneisehen Glosse zum Dekret, Zeit-
schrift f. Kirchenrecht XIX. (1884), 426 ff.) Außer Johannes Teutonicus
(welcher jedenfalls um 1215 in Bologna nachweisbar ist) könnten über-
haupt nur Johannes Kaventinus (1160 Bischof v°n Faonza) und Johannes
Hispanus (vollendete 1 186 eine lcctura super decretum) in Betracht kommen :
vgl. Schulte, a. a. 0. SS. 137 ff. u. 149 ff. Gegen ersteren spricht die
Art der Zitation (Jo. ohne jeden Zusatz), Schulte a. a. 0. S. 140 und
S. 149 Amn. 3. Beider Tätigkeit fällt übrigens vor den Thronstreit von 1 198,
welcher höchst wahrscheinlich die in unserer Glosse behandelte Streitfrage
veranlaßt hat.
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30
sondern durch die Ereignisse nach 1 198 und speziell durch die Rulle
„ Vencrabilem“, welche ja in derCompilatio III. publiziert und somit
dem Glossator zugänglich war, angeregt worden. Wir sehen hier das
Wahlrecht der deutschen Fürsten anerkannt. Streit scheint nur da-
rüber zu herrschen, ob der gewählte König mit der Wahl bereits das
ius imperii erlangt und lediglich für das exercitium der päpstlichen
Confirmation bedarf oder ob die letztere erst das ius imperii ver-
leiht. Dabei dürfte aber die Scheidung zwischen regnura und
imperium dem Glossator nicht so deutlich zum Bewußtsein ge-
kommen sein, wie an den oben (S. 27) angeführten Stellen.
Sehr interessant ist ferner die Glosse zu c. 10 Dist. 96, der
angeblich einem Briefe des Papstes Gelasius I. an den Kaiser
Anastasius, in Wirklichkeit einem Schreiben Gregors VII. an den
Bischof Hermann von Metz entnommen ist. '). Soweit sie hier
mitgeteilt wird — ein andrer Teil des Briefes ist als c. 3 C. 15
q. 6 ins Dekret übergegangen und wird uns weiter unten*) von
eiuer anderen Seite her beschäftigen — , klingt die Äußerung des
Papstes ziemlich harmlos. Denn so entschieden auch ein Vor-
rang an Würde für das sacerdotium (der bekannte Vergleich mit
Gold und Blei!) und die volle geistliche Gewalt gegenüber dem
Königtum beansprucht wird, so findet sich doch kein einziger
Satz darin, welcher auf eine potestas in temporalibus gedeutet
werden müßte. Dies wird auch von der Glosse an zwei Stellen
(zu den Worten auctoritas und te pendere) mit aller juristischen
Schärfe betont. In schroffem Gegensatz hiezu bemerkt die Glosse
unmittelbar darauf zum Worte iudicio: Zacharias quoqtu Papa
regem Francorum deposuit et in locum eius Pipinum substitvit, ut
infr. V). q. 6. c. aliis (3). An dieser mit dem bezogenen c. 3
G. 1 5 q. 6 gleichlautenden Stelle der Glosse, die also, wie ersichtlich,
demselben Briefe Gregors VII. entnommen ist, wird mit aller
Entschiedenheit ein Absetzungsrecht und, über ein Approbations-
recht hinausgehend, eine Art Einsetzungsrecht gegenüber dem
Königtum behauptet. Daß die dafür angeführte historische Be-
gründung nicht aus der Luft gegriffen ist, wurde bereits oben
(S. 11) betont. Es erscheint nicht ausgeschlossen, aber mit Rücksicht
auf den noch zu erörternden3) Gedankengang der Glossatoren keines-
') Jaffe, Bibi. rer. Gern., II S. 457.
*) SS. 34 ff. >) Vgl. unten SS. 40 ff.
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31
wegs sicher, daß auch hier die Glosse zum Worte iudicio nicht
auf denselben Glossator zurrtckgeht, wie die Glossen zu den Worten
auetoritas und te pendere. Die letzteren dürften mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit dem Johannes Toutonicus, die erste möglicher-
weise dem Bartholomäus von Brescia zuzuweisen sein, auf den ich
auch den oben (SS. 28 u. 29) genannten Zusatz „contrarium . . . in
der Glosse zu c. 24 Dist. 93 zurückführen möchte Die — wie
erwähnt, auf Gregor VII. zurückgehende — Behauptung eines
BSubtitutions“rechts ist ein Vorbote jenes Gedankenkreises, der
für gewisse Fälle, iure devolutionis, dem Papst die Besetzung des
Thrones vindizierte, eine Auffassung, die uns noch eingehend be-
schäftigen wird’). Hier sei nur nebenbei erwähnt, daß sich in
der glossa ordinaria zum Gratianischen Dekret (c. 8 Dist. 10 gl.
discrevit) auch schon ein anderer, demselben Gedankenkreis ange-
höriger Satz findet : A ’am etiam varante Imperio supplet dejertum
Imperii, ut X de fo-ro competentiae c. licet (c. 10 X [[ 2).
Das äußerste Extrem gegenüber der zuletzt erörterten Auf-
fassung, welche dem Papst ein Besetzungsrecht bezüglich des
Thrones einräumt, bildet die Anerkennung des Erbrechts, welches
bekanntlich unter Konrad III. und Friedrich I. (und später unter
Heinrich VI.) in der deutschen Politik diskutiert wurde5).
Auch dieser Standpunkt findet in der Glosse zum Gratianischen
Dekret seine Vertretung. Wir wollen ganz absehen von jenen
Stellen, wo, den tatsächlichen Verhältnissen auch bei Anerkennung
des Wahlrechts entsprechend , dem Königssohn eine gewisse <
Anwartschaft auf den Thron zuerkannt wird, wie dies z. B. in
der Glosse zu c. 2 Dist. 63 (zum Worte Augustos) der Fall ist4).
Allein an einer Stelle wird geradezu ein Erbrecht behauptet.
Sie findet sich in der Glosse zu c. 9 C. 7 q. 1. In dem glossierten
‘) Über Bartholomäus Brixiensis vgl. Schulte, Die Geschichte der
Quellen und Literatur des kanonischen Buchte von Papst Gregor IX. bis zum
Konzil von Trient, Stuttgart 1877, SS. 83 IT. Die Art der Anfügung paßt
durchaus in den Itahmen der Bearbeitung der Glosse durch Bartholoinacus :
Schulte, a. a. 0. S. 87.
*) Vgl. unten SS. 51 ff.
3) Vgl. Mauronbrecher, a. a. 0. (vgl. S. 11 Antn. 1) SS. 155 ff,
172 ff, 17711.
4) Die für uns entscheidenden Worte lauten : Not. quod filii Imperatorum
dicunlur etiam Augusti, qum sperabatur , quod essen! futuri Imperaiores . . .
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32
Canon (einem Briefe des hl. Cyprian’) wird als warnendes
Beispiel vor einem Schisma in der Kirche auf das Volk Israel
hingewiesen, welches die Strafe Gottes traf, weil es vom Sohne
Salomons abfiel ( relieto rege nun) und einen anderen König wählte.
Die Glosse bemerkt nun zu den Worten rege suo: Scüicet ßio
Salomonis. Hierauf fährt sie — eine höchst charakteristische
Beweisführung — fort: Et est hie argumentum, i/uod jilii Regum
de iure debent, esse reges. Als Gegenargumente werden in
scholastischer Weise der bereits oben (SS. 28 ff.) besprochene
c. 24 Dist. 93 und der c. 6 C. 8 q. 1 angeführt. Letzterer Canon
ist dem Commentar des hl. Hieronymus zum Titusbrief’) ent-
nommen und spricht davon, daß nicht einmal die Söhne des
Moses, cui facie ad fadem Deus locutus est, ihrem Vater in seiner
Würde (dignitas) folgten, sed e.rtrancus de alia tribu eligitur Jesus ,
ut scriremus, principatum in populos non sanguini deferendum esse,
sed vitae. Obwohl aus dem Zusammenhang, in den der Canon
gestellt ist, trotz der Ausdrucksweise (principatus in populos) klar
hervorgeht, daß es sich um geistliche Ämter (speziell um das
bischöfliche) handelt, argumentiert dennoch die Glosse — wir
finden hier dieselbe Methode, wie oben — zu den Worten
non sanguini: Arg. quod reges debent fieri per electionem und
zieht als weitere Belege den oben (SS. 28 ff.) besprochenen
c. 24 Dist. 93 sowie c. 16 C. 8 q. 1 an, der, einer Homilie des
Origines s) entnommen, dieselbe Angelegenheit, die Nachfolge
des Moses, behandelt und dabei besonders die göttliche In-
spiration als Erfordernis der Bischofswahl betont. Vom Wahl-
prinzip läßt allerdings unsere in Bede stehende Glosse (zu c. 6
C. 8. q. 1) zwei Ausnahmen gelten. Die eine bedarf nach dem
eben Bemerkten keiner weiteren Erläuterung: quod autem David
in vita sua Salomonem sibi successorem instituit, instinctu Spiritus
sancti est factum Wichtiger ist die unter Berufung auf c. 23
Dist. 63 angeführte zweite Ausnahme: nisi habeant ex privilegio
constituere successorem sibi. Bevor wir auf diese näher eingehen,
sei nur zweierlei kurz erwähnt. Erstens die charakteristische Be-
gründung, mit welcher die Glosse die Grundsätze, die sie für
') Corpus Script. Eccl. Lat., III. Cypriani Opera, Tom. II. pag. 754.
3) Mignc, Patrol. Lat., Tom. XXVI 596.
s) Migne, Pratrol. Graeca, Tom. XII 744/5.
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33
das Königtum aufstellt, auf „omnes saeculares potestates“ ausdehnt:
eine einfache Berufung auf eine Bestimmung des coder Justini-
aneus])(!). Zweitens möchte ich noch hervorheben, daß sich in den
besprochenen Stellen die bürokratische Tendenz einer Gleich-
setzung von Königtum und Kirchenamt bemerkbar macht.
Der früher berührte c. 23 Dist. 63, auf den die Glosse zu
c. 6 C. 8 q. 1 Bezug nimmt, ist das bekanntlich gefälschte')
Privileg Papst Leos VIII. für Kaiser Otto I., welches in den
Worten gipfelt: largimur Domino Ottoni primo, regi Teutonicorum,
eiueque »uccessoribue huius regni Italiae , in perpetuum faeultatem
eligendi svccessorem atque summae »edi* apoetolicae Pontificem
ordinandi . . . Mir scheint es näher zu liegen, im successor den
Nachfolger des Papstes zu sehen (dafür spricht auch die Rubrik
zu diesem Canon)'). Offenbar aber hat man in dem zitierten
Satz eine Einräumung nicht nur eines „Wahlrechtes bezüglich
des Papsttums, sondern auch eines weitgehenden Designations-
rechtes bezüglich des Königtums erblickt. Letzteres sucht die
Glosse zum Worte successorem einschränkend dahin zu inter-
pretieren, quod tantum in Italia permittit (teil, papa) ei (i. e.
regi) facere succeseorem. In diesem Zusammenhang gewinnt die
Bezugnahme auf c. 23 Dist 63 in der Glosse zu c. 6 C. 8 q. 1
besondere Bedeutung. Es scheint daraus hervorzugehen, daß
auch die hierokratische Partei unter den Dekretisten
dem römischen König ein Designationsrecht in engerem
oder weiterem Umfang zuerkannte4).
') Vgl. unten SS. 64, 65, 77, 80.
') Vgl. Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts, I. Band
Berlin 1869, SS. 240 ff.
') In der Friedbergischen Edition ist zwischen perpetuum und facul-
tatem das Wort sibi eingeschoben, womit natürlich die im Text aus-
gesprochene Annahme unvereinbar wäre. In der Editio Komana fehlt dieses
Wort; ebenso bei Ivo, Panorm. VIII 136 (nach Migne, Patrol. Lat., Tom.
CLXI 1338).
4) Nach dem Wortlaut sprächen dieStellen, wenn man die glossierte
Stelle überhaupt auf die Designation bezieht, für die Ansicht Meisters,
Deutsche Verfassungsgesch. von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert,
(Grundriß der Geschichtswissensch. II 3) S. 79 Anm. 2, der im Gegensatz zu
Schröder, a. a. 0. (vgl. oben S. 7 Anm. 1) S. 485, dem König (nicht
nur dem Kaiser) das Designationsrecht zuspricht. Doch ist der Charakter
des Canons als Fälschung, der Umstand, daß Otto I. tatsächlich Kaiser
Hngelmann. Die deutsche König, wähl 3
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34
Wir haben bereits früher (SS. 30 f.) bei Besprechung des
päpstlichen Substitutionsrechts auch die Frage der Deposition
berührt. Während die Ansprüche Gregors VII. bezüglich der
Königswahl ') und des Schiedsrichteramtes*) ira Gratianischen
Dekret keine Aufnahme gefunden haben und jene Glossatorcn,
welche nach 1198 zur Frage des Approbationsrechts Stellung
nehmen mußten, gewaltsam an canones anknüpften, die ex pro-
fesso von anderen Materien handelten, ist die Depositionstheorie5)
Gregors VII., wenn auch mit gewissen Abschwächungen, im
Gratianischen Dekret rezipiert, und zw. in den c. 3 bis 5 C. 15
q. 6. Da auch diese Frage mit der Besetzung des deutschen
Thrones zusammenhängt, soll der Inhalt dieser Stellen kurz
skizziert werden. Die zitierte Quaestio geht davon aus, daß die
confessio non sit e.rtorta, sed spontanen (c. 1 ); daran schließt sich eine
Erörterung darüber, daß die Apostolica auctoritas penitus illiciUt
in irritum deducit i u rammt a (c. 2), wobei unter illicita iuramenta
eben vor allem die iuramenta extorta verstanden werden. Und
nun fährt Gratian fort: A ßdelitatis etiam iuramenta Romanus
jionti/e.c nonnnllos absolvit, cum aliquot a suis dignitatibus deponü.
Zum Beweise werden angeführt eine Stelle aus dem früher (SS. 30 f.)
bereits besprochenen Briefe Gregors VII. an den Bischof Hermann
von Metz (c. 3), ein Teil eines Dekrets Gregors VII. von der
war uml als solcher in der Rubrik bezeichnet wird, schließlich die nicht
durchgehend» sichere Terminologie der Glosse (oben SS. 27 und 30) zu be-
rücksichtigen.
') Die Literatur über das päpstliche Approbationsrecht bei der deutschen
Königswahl habe ich kurz zusammengnstellt in meiner wiederholt zitierten
Abhandlung (vgl. oben S. 7 Amu. 1), S. 200 Amn. 2.
*) Die Literatur über das päpstliche Schicdsrichterarnt fällt großenteils
mit der über das Approbationsrecht zusammen. Vgl. Schröder, a. a. O.
(vgl. S. 7 Anm. 1) S. 480 An:n. 50.
3) bezüglich der Literatur über die Absetzbarkeit des deutschen
Königs — außer der Absetzung durch den Papst stand bekanntlich auch
die durch die Fürsten, bzw. die Kurfürsten, und durch den l’falzgrafen in
Frage — verweise ich auf Meister, a. a. 0. (vgl. oben S. 33 Anm. 4) S. 80
Anm. 3, Schröder, a. a. 0. S. 482 Anm. 59, ßO und 02. Unter den da-
selbst genannten Schriften möchte ich hervorheben Redlich, Diu Absetzung
deutscher Könige durch den Papst, Münst.-Diss. 1892 (hinzufügen möchte
ich Freih. v. Horch, zur Absetzung des Königs der Deutschen, Innsbruck
1S80 — eine Gegenschrift gegen Harnack).
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35
römischen Synode im März 1078 ') (c. 4) und ein Schreiben
Urbans II.*) (c. 5). C. 3, dem die (SS. 30 f. besprochene) Glosse
zu c. 10 Dist. 96 entnommen ist, erzählt den Thronwechsel im
fräukischen Reich mit dem Zusatz, daß der merovingische König
non tarn pro suis iniquitatibus , quam pro eo, quod tantae potestati
erat inutilii, abgesetzt wurde und daß der Papst omnex Francigenas
a iuramenlo fidelitatie absolvü; beigefügt wird noch, daß auch die
milites jener Bischöfe, qui a pontificali gradu deponuntur, a vinculo
iuramenti gelöst werden. C. 4 löst a xacramento alle diejenigen,
qui excommunicatis fidelitate aut sacramento constricti sunt, und
verbietet ihnen, ne eis (scü. excommunicatis) fidelüatem observent.
C. 5 schließlich enthält ein ganz analoges Verbot an die iurati
milites eines im Rann befindlichen Hugo comes mit folgender
charakteristischen Begründung: Qui si sacramenta praetenderint,
moneantur, oportere Deo magis servire quam hominibus. Fideli-
tatem enim, quam < 'hristiano principi iurarunt, Deo eiusque
sanctis adversanti, et eorum precepta calcanti, nulla cohibentur
auctoritate persolvere.
Es muß hervorgehoben werden, daß diese Depositionstheorie
wie ein erratischer Block im Gratianischen Dekret steht; sie paßt
absolut nicht zu den prinzipiellen Darlegungen über das Verhält-
nis von geistlicher und weltlicher Gewalt in der Dist. 10 und in der
Dist. 96, wo zwar nicht in strenger Folgerichtigkeit, aber doch im
Prinzip die juristische Gleichordnung der geistlichen und welt-
lichen Gewalt anerkannt wird3). Es kann daher auch keineswegs
') Jaffi, Bibi. rer. Germ., II S. 308.
») .Taffe, Reg. Pont. (ed. II.), 5724. Urban II. regierte 1088 bis 1099.
3) Selbstverständlich erschöpfen die genannten beiden Distinktionen
nicht im entferntesten die einschlägigen Bestimmungen des Gratianischen
Dekrets; solchen sind vielmehr auch Dist. 93 und 97, ferner Quaestio 2 der
Causa 11, schließlich die Quaestiones 5 und 23 ss. der Causa 21 in weitem
Umfang gewidmet, ganz abgesehen von unzähligen verstreuten, mehr oder
minder in Betracht kommenden Canones. Dabei muß wiederholt betont
werden, daß das im Text gekennzeichnete Grundprinzip im Gratianischen
Dekret keineswegs reiu durchgeführt ist: wird im allgemeinen der prinzi-
pielle Unterschied zwischen Priestertum und Königtum festgehalten (scharf
z. B. in c. 4 C. 2 q. 7), so werden sie bisweilen auch wieder ganz naiv
unter dieselben Bestimmungen subsumiert (so z. B. c. 2 Dist. 36, c. 14
Dist. 50, der unten SS. 38 f. besprochene c. 22 C. 23 q. 4). Die für die
3*
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überraschen, daß die Glosse zum Dekret ein außerordentliches
Schwanken zeigt. — Beim c. 3 wird zum Worte deposuit bemerkt
Ergo Papa deponit Fmperatorem und zum Belege auf c. 10 u. 11
der Dist. 96 verwiesen, ferner unter Hinweis auf die Bulle
„Venerabilera“ die stereotype Begründung beigefügt nam et tränt-
Jtrre potent Imperium. Daß der bezogene c. 10 Dist. 96 über
die Deposition nichts enthält, sondern nur an einer Stelle der
Glosse das Depositionsrecht behauptet wird, haben wir bereits
(oben SS. 30 f.) gesehen. Der c. 1 1 stellt ebenfalls nur im all-
gemeinen die höhere Würde der geistlichen Gewalt fest, von
einem Depositionsrecht ist weder in ihm noch in der dazu ge-
hörigen Glosse die Rede. Als Argumente gegen das Depositions-
recht führt die in Rede stehende Glosse zum c. 3 C. 15 q. 6
(zum Worte deposuit) den c. 24 Dist 93 und den c. 6 Dist 96
an. Von ersterem wurde bereits oben (SS. 28 ff.) ausführlich
gehandelt In letzterem erklärt Papst Nikolaus I. im Anschlüsse
an Papst Gelasius I.1) (man denkt unwillkürlich an die Bulle
„Immortale Dei“ Leos XIII.), daß Chrittut officia
potettatie utriusque (teil, pontificaiut et imperii) ditcrevit , und
spricht das geflügelte Wort, wonach militant Deo minime se nego-
liis taecularibut implicaret J). Höchst merkwürdig ist es nun, daß
die Glosse zu diesem gewiß nichts weniger als bierokratisch an-
mutenden Canon das Bestehen eines Depositionsrechts zugibt, und
zwar vor allem unter Berufung auf den eben besprochenen c. 3
C. 15 q. 6. — Wie zu c. 3 Argumente gegen das Depositions-
recht, führt die Glosse auch zu c. 4 C. 15 q. 6 (zum Worte fideli-
tatis) Argumente gegen die Auffassung an, daß dem exkommuni-
zierten Fürsten gegenüber der Eid weder gehalten werden müsse
noch dürfe. Sie verweist diesbezüglich auf c. 94 C. 11 q. 3,
eine Stelle aus den Enarrationes ad psalmos des hl. Augustinus *),
Steigerung der kirchlichen Hechte so bedeutsame Konstantinischc Schen-
kung (rgl. oben S. 10, bes. Anm. 1) jedoch (c. 14 Dist. 96) wurde, wie ich
hervorheben möchte, nicht von Gratian ins Dekret aufgenuminen, ist viel-
mehr eine Palea.
') Gelasius I. starb 496, Nikolaus 1. regierte 858 bis 867. — Migne,
l’atrol. Lat., Tom. CXIX 960 et Tom. LLX 109.
*) Zurück geht das geflügelte Wort auf den II. Brief des hl. Paulus an
Timotheus.
3) Migne, l’atrul. Lat., Tom. XXXVII 1654.
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wo betont wird, daß die Christen selbst dem Apostaten Julian
gegenüber nur insoweit den Gehorsam verweigerten, als seine
Befehle gegen das Gewissen verstießen; die Glosse zu diesem
Canon klärt dies dabin auf, daß eben Julian nicht nominatim ex-
communicatiu g war, daß er adhuc tolerabatur ab ecclesia, erkennt
also die Möglichkeit einer sozusagen indirekten Deposition an. —
Unter den Gegenargumenten fehlt c. 24 De poen. Dist. 3, eine
von der Sünde und Reue des Königs David handelnde Stelle aus
einem Brief des hl. Hieronymus '), auf welche sich die Glosse an
einem ganz anderen Orte (c. 45 De poen. Dist. 1 gl. soli) in
allerdings gezwungener Interpretation beruft, indem sie bemerkt:
Regum. . delicta golum Deum habent ultorem. Nam alium non ti-
ment. Denselben Standpunkt nimmt auch die Glosse zum er-
wähnten c. 24 De poen. Dist. 3 selbst (zu den Worten alium
non timebant) ein. Diese Stellen sind um so bemerkenswerter, als
hier über die Leugnung eines Depositionsrechtes hinaus-
gehend, auch die geistliche Strafgewalt gegenüber dem
König in Frage gestellt erscheint.
Ebenso interessant wie die starke Betonung von Gegenargu-
menten sind in den Glossen zu c. 3 u. 4 C. 15 q. <> die Versuche
einer abschwächenden Interpretation. Als solche muß zunächst
aufgefaßt werden die Bemerkung zum Worte inutilis (c. 3), daß
dies Wort nicht im Sinne von insufficiens zu verstehen sei, viel-
mehr sei der deponierte König diggnlulug .... cum mu/ieribue,
et effoeminntug gewesen; die weitere Bemerkung, daß dem rex
insufficiens nur ein Koadiutor beizugeben wäre, beweist aller-
dings, wie hierokratisch trotzdem der Glossator denkt, indem
er ohne weiteres Bestimmungen über die Besetzung kirchlicher
Ämter auf das Königtum überträgt3). Was die Tendenz anlangt,
die Fälle des Depositionsrechts einzuschränken, so kehrt sie noch
in viel späterer Zeit wieder, in der in den Liber Sextus überge-
gangenen (c. 2 in VI10 II 14) von Innozenz IV. auf dem Konzil
von Lyon (1245) gegen Friedrich II. erlassenen Depositionsbulle
und ganz besonders in der dazu gehörigen Glosse (zum Worte
gravissima) 3). Auch diesbezüglich findet sich übrigens in der
*) Ibidem, Tom. XXII 1042.
3) Vgl. oben RS. 32, 33, 35 Anni. 3: unten S. 48.
3) Vgl. unten die Ausführungen im Abschnitt 111 1 des 1. Kapitels.
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Qlosse zum Dekret auch die gegenteilige Ansicht vertreten, c. 6
Dist. 40 gl. a fide devius : hier wird die Bestimmung, daß der
Papst nur, falls er „a fide devius“ ist, angeklagt werden kann,
eingehend erörtert und die im Anschluß daran aufgeworfene Frage
Sed pro quo peccato polest deponi Imperator t beantwortet pro
quolibet : si est incoxrigibtlis , unde deponitur, si est minus utilis, ut
(C) 15 q. 6 c. alius (3). — Viel einschneidender ist ein anderer
Versuch, welcher eigentlich das Depositionsrecht im juristischen
Sinn leugnet. Zum Worte deposuit c. 3 C. 15 q. 6 folgt auf die
Gegenüberstellung der Argumente und Gegenargumente folgende
solutio: dicitur deposuisse. qui deponentibus consensü. Der Glossa-
tor, von dem diese WTorte stammen (vielleicht Johannes Teutoni-
cus)1), war sich offenbar bewußt, wie wenig das Depositionsrecht
in das staatskirchenrechtliche System des Dekrets passe. Er er-
klärte den Canon in einer zwar dem wirklichen historischen Ver-
lauf der Thronbesteigung Pippins, aber gewiß nicht dem Wortlaut
entsprechenden Weise dahin, daß nicht von einer Deposition durch
den Papst, sondern von dessen Zustimmung zn der durch politische
Faktoren herbeigeführten Absetzung des Königs die Hede sei s) —
Eine dritte Art einschränkender Interpretation findet sich in der schon
(SS. 36 f) besprochenen Glosse zu c. 94 C. 11 q. 3. Im Anschluß an
die Darlegung, wonach die ausdrückliche Exkommunikation durch
Aufhebung der Treue- Pflicht indirekt einer Deposition gleichkäme,
wird diese Wirkung näher dahin präzisiert, daß sie non tollit obli -
gationem , qua est vasallus obligatus domino, sed tantum eßeetum
obligationis, unde domino absoluta statim tenetur ei obedire. Es
würde also die Exkommunikation die Rechte des dominus nur
suspendieren. Einen ähnlichen Effekt, wenn auch in anderer
juristischer Konstruktion, strebt wohl auch die Glosse zu c. 22
C. 23 q. 4 an : in der gewiß nicht juristisch gemeinten Bemer-
kung im (fälschlich dem hl. Augustinus zugeschriebenen) über de
praedestinatione et gratia*), daß Nabuchodonosor infolge seiner
Reue regnum, quod perdiderat, rursus accepit, erblickt die Glosse
■) Vgl. oben S. 29 bes. Anm. 1.
*) Uber die Bedeutung dieser Auffassung für die Theorie Ton der
Volkssouveränität gegen Ende des Mittelalters vgl. Gierke, I'as deutsche
Genossenschaftsrecht. III. Band Berlin 1881, S. 579 Anm. 188.
s) Migne, Patrol. Lat., Tom. XLV 1675.
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ein Argument nicht nur dafür, tptod depositns potent retlitui, son-
dern auch dafür, i/uod deponitus rentitutu« praeferendus sU substituto.
Das oben wiederholt erwähnte „ Substitutionsrecht“ des Papstes
(SS. 30 f., 34 f.) wäre so in sehr einschränkender Weise erklärt1).
Die zuletzt erwähnte einschränkende Interpretation wird m. E.
dem Gedankengang des Dekrets am meisten gerecht. Die ganze
Frage der Deposition wird, wie wir gesehen haben, im Zusammen-
hang mit der Frage nach der Lösbarkeit des Eides behandelt.
Im dictum Gratiani, welches vom c. 2 zu c. 3 hinüberleitet (vgl.
oben S. 34), findet sich allerdings der Ausdruck „deponit“; in den
Rubriken aller 3 canones (3 bis 5 C 15 q. 6) wird jedoch durch-
wegs die Frage der Eideslösung betont; von der Deposition selbst
ist auch in der zum c. 3, welcher doch ausdrücklich das Wort
„deponere“ gebraucht, nicht die Iiede. Für die Auffassung, daß
mit der Lösung vom Bann auch die Treue-Pflicht wieder in
Kraft trete, beruft sich die Glosse zu c. 94 C. 11 q. 3 mit vollem
Recht auf die deutliche Bestimmung der c. 4 und 5 C. 15 q. 6.
ln diesen Zusammenhang läßt sich allerdings der vorangehende
c. 3 ohne gewaltsame Interpretation nicht einfügen. Daß übrigeus
auch die abgeschwächte Form der Deposition: eine infolge der
Exkommunikation ipso iure eintretende Suspension vom
königlichen Amt und ein vorläufiges Substitutionsrecht
des Papstes mit dem Prinzip der juristischen Gleichordnuug
der geistlichen und weltlichen Gewalt absolut unvereinbar ist, be-
darf keines Beweises Fragen wir uns, wie dennoch dieser Gegen-
satz im Denken der Kanonisten um die Wende des 12. und
13. Jahrhunderts überbrückt werden konnte, so finden wir die
Antwort m. E. im c. 5 (C. 15 q. 6)s): weil eine nach der Natur
des Fidelitatseides essentielle Bedingung der Treue-Pflicht die
Zugehörigkeit zur Kirche Christi ist, zessiert mit der Exkommuni-
kation die Treue-Pflicht ipso iure; ja der Eid darf nicht einmal
gehalten werden, weil er die volle Hingabe an die Person des
dominus zum Inhalt hat, seine Erfüllung also durch eine eut-
gegenstehende höhere Pflicht, die Treue gegen Christus, unmöglich
') Darüber, daß Gregor Vif. nicht nur eine Suspension, sondern auch
eine eigentliche Deposition des Königs, und zwar unabhängig von der Kt-
koinniunikalion. ausgesprochen hat, siche oben S. 24 bes. Anm. 4.
3 ) Vgl. oben S. 35.
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40
geworden ist. Mit diesem Treu Verhältnis des Vasallen wurde
das üntertanenverhältnis schlechthin identifiziert, wenn auch im
Widerspruch mit dem Reichsrecht, welches das Bewußtsein von
der von jedem Lehensverhältnis unabhängigen Pflicht des Ge-
horsams gegenüber der Reichsgewalt keineswegs verloren hatte ').
Die Gleichsetzung des Treu-Eides im allgemeinen mit dem spe-
ziellen Vasalleneid des Lehensmannes (dem Fidelitätseid im
engeren Sinne), welche im letzten Stadium der Kämpfe zwischen
Papst- und Kaisertum bezüglich des vom Kaiser dem Papst ge-
leisteten Eides ein so große Rolle spielen sollte2), hat schon für
Gratian die Brücke gebildet zwischen der prinzipiellen Anerkennung
der juristischen Gleichordnung von geistlicher und weltlicher Ge-
walt einerseits und der Gregorianischen Depositionstheorie ander-
seits. — Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Glossa-
toren nicht ausnahmslos diesen Gedankengang sich angeeignet
haben. Johannes Faventinus3) betont ira Gegenteil, daß die Eides-
lösung eine Folge der Deposition sei, indem er zum Worte
sacramento (c. 3 C. 15 q. 6) bemerkt: Supple, ratione dignitatis
praestito, non ratione personae. Das Schwanken der Glosse ist
eben eine Folge des Schwankens im Dekret, wo ja an einer Stelle
(vgl. oben S. 39) mehr die Deposition betont wird. An diese
Stelle schließt sich Johannes Faventinus auch an, indem er als
Inhalt der ganzen pars II. (c. 3 bis 5) der Quaestio angibt, quod
Laicus ineorrigibilia per Eccleeiam poeeit deponi a sua dignitate.
Es ist übrigens kein Wort darüber zu verlieren, daß obige
Argumentation für unser modernes Empfinden, das in Staat und
Kirche zwei „Gewalten“ im Sinne zweier verschiedener, von einander
juristisch prinzipiell unabhängiger Lebensordnungen erblickt, den
Widerspruch nicht zu überbrücken vermag. Aber unbillig und
unhistorisch wäre es, zujverkennen, daß der angedeutete Gedanken-
gang der Kanonisten in‘_den realen Tatsachen ihrer Zeit wurzelte.
Es war eben eine nach rechtlichem Ausdruck strebende und das
juristische Denken bestimmende Tatsache, daß Kaisertum und
') Vgl. besonders Lindner, Mitt. d. Inst. f. österr. Gcschf., XVII
561 ff.
’) Vgl. unten Abschnitt IQ 2 des I. Kapitels.
*) Johannes Favantinns starb 1190 anf dem Krenzzug. Vgl. über; ihn
Schulte, a. a. 0. (vgl. oben S. 29 Anm. 1) SS. 137 ff
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Papsttum als die Häupter, als die zwei höchsten „officia“ inner-
halb der einen kirchlichstaatlichen Lebensordnung empfunden
wurden; es war Tatsache, daß dieser Synergismus des Geist-
lichen und Weltlichen im Rittertum zur vollsten Geltung kam
und dem Rittertum neben dem weltlichen einen geistlichen
Charakter mit spezifischen kirchlichen Pflichten verlieh; und es
war schließlich Tatsache, daß das mit dem Rittertum eng zu-
sammenhängende Verhältnis der Vasallität und des Lehensbandes
im Verhältnis zwischen Kaiser und Reichsfursten das allgemeine
Ontertanenverhältnis bereits im 12. Jahrhundert stark in den
Hintergrund drängte1)- So mögen wir es als elementaren Aus-
druck historischer Tatsachen begreifen, wenn das, was unserem
Empfinden als unbehebbarer Gegensatz erscheint, im Kopfe eines
mittelalterlichen Juristen, wenngleich ihm das Bewußtsein des
Gegensatzes nicht völlig fehlte, als vereinbar erschien. Als Bei-
spiel hiefür möge die nach ihrem ganzen Gedankengang wohl von
einem Glossator stammende Glosse zum Worte discrevit c. 8 Dist. 10
(es handelt sich um den auch an anderer Stelle im Dekret ein-
gereihten und daher schon in anderem Zusammenhang 3) besprochenen
Ausspruch Nikolaus I., bzw. Gelasius I.) den Abschluß dieses
Abschnittes unserer Untersuchung bilden. Sie beginnt mit den
Worten: Cum ergo potestates istae (seil, pontificatus et Imperium)
eint distinctae, es t hie arg. quod Imperium non habetur a Papa, et
quod Papa non habet utrumque gladium s). Als weiteren Beweis
führt der Glossator u. a. unter Hinweis auf c. 24 Dist. 93, mit
dem wir unsere Untersuchung des Gratianischen Dekrets begonnen
haben, an nam exercitus facit Imperator em; als Gegenbeweis u. a.
unter Hinweis auf c. 3 C. 15 q. 6 das — somit anerkannte —
päpstliche Depositionsrecht. Dieses Übergreifen ins weltliche
Gebiet scheint ihm jedoch die prinzipielle „distinctio“ beider
„potestates“ (vel officia) nicht aufzuheben; ausdrücklich erklärt
*) Vgl. Schröder, a. a. 0. (vgl. S. 7 Anin. 1) SS. 398 und 412
(Erblichkeit der Lehen seit Beginn d. 12. Jahrh.); ferner (die „Feudalisierung“
besonders stark betonend) Amira, Grundriß des germanischen Rechts,
2. Aufl. S. 97.
>) Vgl. oben S. 36.
*) Im Gegensatz hiezu gl. coelestis zu c. 1 Dist. 22: Argum. quod
Papa habet utrumque gladium , scilicet spiritualem, et temporalem.
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42
er: ego credo pntestates esse distinctas: licet Papa quandoipie utramque
postestatem sibi asxumat. Und nach Erläuterung weiterer derartiger
Beispiele spricht dieser Olossator, der die „distinctio“ beider
Gewalten vertritt, den Satz aus, der uns schon früher (S. 31) be-
gegnete: . . . oacante Imperio supplet (Papa) dejectum Imperii')*)1).
II. Die Gregorianischen Dekretalen
Wir haben im Gratianischen Dekret als Nachwirkung des
ersten großen Kampfes zwischen Papsttum und Kaisertum eine
— allerdings abgeschwächte — Depositionstheorie gefunden. Wir
haben ferner gesehen, wie die Glosse, in etwas gewaltsamer An-
knüpfung an einzelne Canones-Stellen, die durch die politischen
Ereignisse einer späteren Zeit in den Vordergrund getretene Streitfrage
des päpstlichen Approbationsrechts behandelt. Wir konnten annehmen,
daß Johannes Teutonicus, der Schöpfer der glossa ordinaria, der Wahl,
nicht der Approbation konstitutive Wirkung zuschreibt, immerhin
aber die Approbation für die Vorbedingung des exercitium imperii
hält, wahrend andere Glossatoren mit der Anerkennung des Erbrechts
das päpstliche Approbationsrecht gänzlich bedeutungslos machen
und wieder andere gerade in der confirmatio papae den Rechts-
grund wenigstens der kaiserlichen Würde erblicken. In den
Gregorianischen Dekretalen und der dazu gehörigen Glosse hat
sich aus diesen Elementen als herrschende Lehre herausgebildet:
Anerkennung des fürstlichen Wahlrechts und des päpstlichen
Approbationsrechts (in weiterem oder engerem Umfang), Ober-
tragung einzelner Grundsätze des kanonischen Wahlverfahrens
auf die deutsche Köuigswahl, Ansätze zu einem wenigstens sub-
sidiären päpstlichen Devolutionsrecht, und zwar dies alles mit
Rücksicht auf die unlösliche Verknüpfung der römischen
') Derselbe Ucdanko kehrt auch wieder in der Dlesse zu c. 3 C. 2 q. 6
izuui Worte sacerdotium).
*) Ks mag kurz erwähnt werden, (lall die (llnssc zum Dekret anüer der
Absetzung noch 'eine andere Art de» Verlustes der Königswnrde kennt,
welche dem kanonischen Amtorrecht entnommen ist: nämlich den Eintritt
in einen Orden. Vgl. c. 26 0. 27 q. 2 gl. dignitate.
3) Der berühmte c. 33 Dist. 63 (tibi domino) wurde bei obigen Dar-
legungen außer Hetracht gelassen, da eine ltehandlung des kaiserlichen
Eides nicht im I’lane dieser Arbeit liegt; vgl. unten die Ausführungen am
Hcginne des Abschnitts 1112 dieses Kapitels.
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Kaiser- mit der deutschen Königswürde. Die eigentliche
sedes materiae ist die berühmte Bulle „Venerabilem“ (c. 34 X de
elections I 6); sie führt gleichzeitig in jene historischen Ereignisse')
ein, welche den Anstoß zur Wiederaufnahme der kirchlichen An-
sprüche geboten haben.
1. Die Bulle „Venerabilem“
Heinrich VI. hatte bei seinem Tode (1 197) bekanntlich einen
unmündigen Sohn Friedrich hinterlassen als Erben der sizilischen
Krone und als bereits (1196) gewählten deutschen König, der
auch schon den Eid der deutschen Fürsten empfangen hatte.
Trotzdem regte sich sofort die Opposition gegen das staufische
Haus; um ihr zu begegnen, wählte die staufische Partei, in
deren Lager die erdrückende Mehrheit der deutschen Fürsten
stand, mit Außerachtlassung der Hechte des unmündigen Königs
dessen Oheim Philipp von Schwaben am 9. März 1098 in Mühl-
hausen zum deutschen König. Am 9. Juni kam zu Köln die
Gegenwahl Ottos IV. zustande, wie es scheint unter maßgeben-
dem Einfluß der päpstlichen Politik, die ja ein vitales Interesse
daran hatte, der Vereinigung der sizilischen und der römisch-
deutschen Krone in einer Hand ein- für allemal einen Riegel vorzu-
schieben. Für den Einfluß der Kurie spricht wenigstens, ab-
gesehen von den großen Zugeständnissen Ottos IV. an die Kirche,
sein Schreiben an den Papst, in welchem er unter geradezu auf-
dringlichem Hinweis auf seine kirchliche Gesinnung, derentwegen
der dominus sechste selbst sua ineffabili clementia seine Wahl be-
') Vgl. zur folgenden historischen Darstellung von Älteren: Hnrter,
Geschichte Papst Innucenz’ III. und seiner Zeitgenossen, I. Band, Hamburg
1834, Raumer, Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, II. Band,
4. Aull. 1871, SS. 4 1 0 fl". . Winkelmann, König Philipp Ton Schwaben (in
den Jahrbüchern der Deutschen Geschichte), Leipzig 1873, SS. 131 bis 271 ;
von Neueren: Maurenbrecher, a. a. 0. (vgl. S. 11 Anm. 1) SS. 181 ff.,
J as tro w- W i n tcr, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Hohenstaufen (in
Bibi. Deutscher Geschichte), II. Band, Stuttgart 1901, SS. 83 bis 141,
Loserth, Geschichte des späteren Mittelalters (in der II. Abt. des Hand-
buchs der mittelalterlichen und neueren Geschichte von Beluw und
Meinecke), München und Berlin 1903, SS. 27 ff. Auf die Streitfragen
bezüglich der Datierung einzelner Urkunden wird selbstverständlich im
folgenden nicht eingegangen.
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wirkt« (etfecit), um die Berufung zur Kaiserkrönung ansucht1), so-
wie das damit in Einklang stehende Wahldekret der Wähler, in
welchem sogar direkt um „Konfirmation“ der Wahl gebeten
wird8). Während Philipp unbegreiflicher Weise die Krönung
unterlassen hatte, wurde Otto bald nach der Wahl vom Kölner
Erzbischof allerdings nicht mit den echten Insignien gekrönt (12. Juli
1198). Erst am 8. September folgte die Krönung Philipps mit den
echten Insignien und in Gegenwart eines gegen seine Instruktion
handelnden päpstlichen Legaten, jedoch in Mainz durch den
Erzbischof von Tarantaise, und hierauf auch die Wahlanzeige an
den Papst3).
Innozenz III. beanspruchte nun im Throustreit ähnlich, wie
einst Gregor VII., das Entscheidungsrecht4). Die staufische
Partei, welche Uber den zu gewärtigenden Schiedsspruch kaum
im Zweifel sein konnte, lehnte ab; in der Erklärung von Speyer
(28. Mai U99)5) brachte sie ihren Rechtsstandpunkt zum klaren
Ausdruck, welcher durch eine Gesandtschaft Philipps dem Papst
zur Kenntnis gebracht wurde; das Beglaubigungsschreiben der Ge-
sandten4) und die ihnen erteilte Antwort des Papstes’) sind uns
erhalten. Noch durch anderthalb Jahre zögerte der Papst mit einer
endgiltigen Entscheidung; wohl hatte er im Juli oder August 1200
das (in der Erklärung von Speyer gestellte) Ansinnen, Philipp
zum Kaiser zu krönen, abgewiesen*); aber erst im Jahre 1201
erfolgte die formelle Anerkennung Ottos IV. als König, und zwar
in feierlicher Form, indem er nach vorheriger Mitteilung der
B öhmer-Fi eker, Reg. Iinp., 202. MG., Const. (Leg. Sectio FV)
1L, No. 18.
*) Böhmer-Ficker, Reg. Imp., 203. MG., 1. c. No. 19.
3) Böh mer- Ficker , Reg. Imp., 21. MG., 1. c. No. 2.
4) Potthast, Reg. Pont., 685 et fi86. Schon hier klingt das ius alttri
farti favert an, welches sich mit einem Schicdsrichturamt nicht deckt: vgl.
darüber unten SS. 76 ff.
*) Böh mer-Fi cker, Reg. Imp., 27. MG. 1. c. (cf. oben Anm. 1; No. 3
*) Böhmer-Ficker, Reg. Imp., 28. MG., 1. c. No. 4.
’) Potthast, Reg. Pont, 1055. Böhmer-Fickor-Wink el mann.
Reg. Imp., 5679. Baluze, Registrum Domini lnnocentii III. super negotio
Romani Imperii, Parisiis 1682, No. 18.
*) Potthast, Reg. Pont., 1103. Böhmer- Ficker- Winkelmann,
Reg. Imp., 5684.
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päpstlichen Entscheidung an die deutschen Fürsten am 3. Juli
in der Kölner Domkirche durch den Kardinallcgaten Guido von
Präneste zum König ausgerufen wurde. Über die Gründe für
die päpstliche Entscheidung sind wir in allen Details unterrichtet
durch die „Deliberatio“ (vermutlich eine Ansprache des Papstes
im Kousistorium), eine der merkwürdigsten und denkwürdigsten
Äußerungen der päpstlichen Politik, welche offenbar zeitlich un-
mittelbar vor die entscheidenden Schritte in Deutschland zu setzen
ist'J. Gegen das Vorgehen des Kardinallegaten protestierten die
deutschen Fürsten, welche auf Seite Philipps standen, in einem
Schreiben, das in den Januar 1202 fallen dürfte“). Als Antwort
auf diesen Protest erging im März 1202 die Bulle „Venerabilem“,
deren juristische Analyse uns nunmehr beschäftigten soll3).
') Etwa Ende des Jahres 1200. Vgl. Krammer, Wahl und Ein-
setzung (vgl. S. 21 Anm. 2), SS. 47 und 48, bes. Anm. 2 auf S. 47.
Potthast, Reg. Pont., 1183. Böhmer-Kicker- Winkelmann, Reg. Imp.,
5724a. Baluze, 1. c. (cf. S. 44 Anm. 7) No. 29.
’) Böhmer-Picker, Reg. Imp., 65. MG., 1. c. (cf. S. 44 Anm. I)
No. 6.
s) Potthast, Reg. Pont, 1653. Böhmer-Ficker- Winkelmann,
Reg. Imp., 5783. Den Zitaten im folgenden wird der Text nach MG, 1. c.
No. 398, zugrundegelegt. In die Gregorianischen Dekretalen ist die Bulle
mit einigen Auslassungen aufgenommen worden ; auf die wesentlichen
kommen wir im Verlauf unserer Darstellung (SS. 49, 57 f.) zurück.
Die Bulle „Vencrabilem“ hat sowohl vom päpstlichen als auch vom
kaiserlichen Standpunkt aus einseitige Interpreten und Beurteiler gefunden.
Von ersteren nenne ich Phillips, a. a. 0. (vgl. 8.12 Anm. 4) § 127,
Hergenröther, a. a. 0. (vgl. S. 16 Anm. 1) SS. 267f; auch die im
übrigen treffliche Untersuchung von Hefele, Wie dachte sich Innocenz III.
das Verhältnis des Papstes zur Kaiserwahl 7 (vgl. S. 19 Anm. 5) scheint mir
von Einseitigkeit nicht ganz frei zu sein; vgl. darüber unten S. 54 Anm. 1.
Anderseits geht Lu chaire, Innocenz III, La papaute et l’empire, Paris 1906,
SS. 95 bis 99, auf den springenden Punkt in der Beweisführung des
Papstes, die Verknüpfung dos deutschen Königtums mit dem römischen
Kaisertum, nicht ein: bei Hauck, Kirchougeschichte Deutschlands, IV. Teil
Leipzig 1903, S. 705, findet sich nur eine abfällige Bemerkung und eine
sehr summarische (unvollständige) Inhaltsangabe: noch weniger nimmt in
den Arbeiten von Schwemer (Innocenz III. und die deutsche Kirche
während des Thronatreits 1198 — 1208, Straßburg 1882) und Engelmann
(Philipp von Schwaben und Papst Innocenz III. während des deutschen
Thronstreits 1198—1208, Berl.-Progr. 1896) die Bulle „Vencrabilem“ den ihrer
Bedeutung entsprechenden Platz ein.
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4 f
Die Bulle nimmt zunächst in der Einleitung auf das Protest-
schreiben der deutschen Fürsten Bezug, welche gegen das Vor-
gehen des Kardinallegaten angeblich folgende Einwände erhoben
hätten '). Derselbe habe entweder als elector oder als cognitor
fungiert; im ersteren Falle habe er sich ein ihm nicht zustehendes
Beeilt angemaßt, im zweiten sei der Schiedsspruch ungiltig, da
Philipp von Schwaben nicht geladen war. Hierauf legt nun die
Bulle in drei Abschnitten den Reehtsstandpunkt der Kurie dar. Im
ersten (Verum nos ... absit omnino!) werden die Grundprinzipien
') Der Papst hat offenbar die Fürsten, welche gegen jede Einmischung
seinerseits protestiert hatten, absichtlich nicht verstanden. Dies ergibt eine
Gegenüberstellung des Protestes (vgl.
gäbe in der Bulle.
Der Protest.
No bis ergo suprascriptorum principum
cum dolore aperit Universitas, quod
Prenestinus ep iseopus in Roma-
norum regis electione contra om-
nem iuris ordinem se ingessit, nec
videre possumus, cuius personam incul-
pabiliter gerat. Gerit enim vel personam
electoris vel personam cognitoris. Si elec-
toris, quomodo quesivit opportunitatem ,
qualiter arbitris absentibus mendacio veri-
tatem et crimine zur tute m mutaret ? Quo-
modo enim ea pars principum, quam
numerus ampliat . quam dignitas eßert ,
iniuste nimium est contempta? Et si
cognitoris, hanc gestare non po/ui t.
Romanorum enim regis electio si
in se scissa fuerit, non est superior
iudex, cuius ipsa sententia inte-
granda, sed elig entium voluntate
spontanen consuenda
Sed si vos iudicem confiteamur ,
oben S. 44 Anm. 5) und seiner Wieder*
Die Bulle.
Inter cetera vero , que dicti principe s
per easdem nobis litteras intimarunt , Mac
1 precipue obiectione sunt usi dicentes, quod
venerabilis f rat er noster Prenestinus epis-
copus , apostolice sedis legatus, aut electo-
\ ris gessii aut cognitoris personam : si
electoris , in alienam messen t mise-
! rat falcem et electioni se inger/ns
principum derogaverat digni tati;
si cognitoris, absente altera partium vide-
tur perperam processisse , cum citata non
fuerit et ideo non debuerit contumax
iudicari.
factum hoc excusationem habere
non po/es t. Vestrum enim in vos
possumus exercere gladium, quia
absente alia parte sententia a ittdice dicta
nulbun haben t firmitatem .
Vgl. darüber auch die Ausführungen unten in den Abschnitten 111 1
und III 2 des II. Kapitels.
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47
der Thronbesetzung aufgestellt: einerseits erkennt der Papst jenen
Fürsten, ad quos de iure ar antiqua conmetudine noscitur pertinere,
ius et potestatem rügend i regem in imperatorem pottmodum promo-
rendum zu; anderseits wird für das Papsttum ohne jede Ein-
schränkung beansprucht ius et auctoritas exaniinandi personam
rlectam in regem et promovendam ad Imperium. Im zweiten Teil
(obiectioni ostensum) wird das Vorgehen des Kardinal-
legaten eingehend gerechtfertigt; er habe weder als elector noch
als cognitor fungiert (als elector nicht, da er nec fecit aliquem
eligi nec elegit, als cognitor nicht, da er neutrius electionem quo-
ad /actum eligentium con/irmandam duxerit aut etiam infirmandam ),
sondern als denuntiator, welcher personam ducie eiusdem denuntiamt
indignam et personam regis ipsius denuntiavit idoneam quoad Im-
perium obtinendum. Nebenbei wird erwähnt, daß auch, was den
Wahlakt anlangt, die Wahl Ottos IV. einwandfrei sei: plures ex
illi«, qui eligendi regem in imperatorem de iure ac consueludine
obtinent potestatem, hätten ihr zugestimmt (consensisse) ; die Wähler
Philipps seien, weil sie die Wahl absentibus aliis et contemptis
vorgenommen, ihres Wahlrechts überhaupt verlustig gegangen.
Weiter wird geltend gemacht, daß Philipp nec ubi debuit nec a
quo debuit coronam et unctionem accepit. Zur reprobatio Philipps be-
durfte es keines Verfahrens propter mani/esta impedimenta per-
sone, es genügte die conderapnatio (welche eben der Kardinallegat
verkündet hatte). Quod autem , fährt die Bulle fort, cum in elec-
tione vota principum dioiduntur, post ammonitionem et expectationem
alleri partium favere postimus, ex iure patet pariter et
e.remplo, was hierauf nach beiden Richtungen (ius und exemplum)
noch näher dargelegt wird. Im dritten Teil (Sunt enim
assumendus) werden nun die notoria impedimenta, welche Philipp
entgegen stehen, im Detail aufgezählt. Philipp ist exeommuni-
catus, periurus, de genere perseculorvm und — dem Wahlrecht der
Fürsten als Verwandter der letzten Könige (!) gefährlich. Schließ-
lich wird der Adressat (dux Zaringie) ermahnt, von Philipp sich
loszusagen, non obstante iuramento , cum eo ipiantum ad obtinendum
imperium reprobato iuramentum huiusmodi non debeat observari.
Schälen wir aus den skizzierten Darlegungen die Grundge-
danken heraus, so steht an der Spitze die Betonung des Wahl-
rechts der Fürsten. Dieser Gedanke wird so stark betont, daß
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die Verwandtschaft des einen Wahlwerbers mit dem bisher re-
gierenden Hause geradezu als ein Mangel erscheint. So falsch
es nun wäre, nach dem Vorgang von Maurenbrecher’) in der Be-
tonung des Wahlrechts an sich eine Neuerung zu erblicken, ebenso
sicher ist die Ausschließung eines Kandidaten wegen seiner Ver-
wandtschaft mit dem früheren Herrscherhaus ein revolutionärer
Akt. Dafür daß eine derartige Verwandtschaft nach dem deutschen
Rechtsbewußtsein eine gewisse Anwartschaft auf die Wahl gab,
ist ein schlagender Beweis das Wahldekret Ottos IV.1), welches es
für nötig hält, den König als de longa et antiqua regum prosa-
pia ex utraque linea s^ctabilüer editum zu bezeichnen. Der
mit der ganzen deutschen Geschichte brechende Standpunkt des
Papstes ist eine Folge des Bestrebens, die partikularistischen
Strömungen im Reich an die kirchlichen Interessen zu binden3),
teilweise wohl auch eine Konsequenz jener Anschauung, welche
im Königtum ein kirchliches Amt erblickt und daher kanonische
Vorschriften auf dasselbe anwendet4). Daß die Bulle überdies
wiederholt einschränkend von jenen Fürsten spricht, welche de
iure ac antiqua consuetudine ein Wahlrecht besitzen, wird uns
weiter unten noch eingehend beschäftigen.
Das Wahlrecht der Fürsten ist nach der Theorie der Bulle
„Venerabilem“ beschränkt durch sehr weitgehende Rechte des
Papstes. Es ist der Grundsatz der persona idonea, dessen Über-
tragung auf die Königswahl uns schon bei Gregor VII. begegnete6),
mit aller Schärfe betont. Und zwar argumentiert die Bulle
folgendermaßen: der deutsche König ist zur Würde des römischen
Kaisers berufen, dessen Aufgabe es ist, advocatus et defensor se-
dis apostolicae zu sein; also darf zum König nur derjenige gewählt
werden, der zur Erlangung der kaiserlichen Würde geeignet ist.
Ferner: die kaiserliche Würde wird durch inunctio, comecratio et
coronatio seitens des Papstes übertragen; also ist es dessen Auf-
gabe, die „Idoneität“ der persona electa in regem et promovenda
in Imperium zu prüfen. Sed et principe» recognoscere debent et
*) A. a. 0. (vgl. S. 11 Amn. 1) S. 181 und 182.
*) Vgl. oben S. 44 Amn. 2.
*) Vgl. oben SS. 13, bes. Amn. 1, und 14, bes. Amn. 4.
‘) Vgl. oben SS. 32, 33, 37 und S. 35 Anm. 3.
6) Vgl. oben SS. 25 und 26.
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utü/ue recognoscunt , quod iue et auctorita e examinandi pereonam
eleclam in regem et promovendam in Imperium ad non spectat , qui
tarn inungimue, coneecramus et coronamus. Eist enim regulariter
ac generaliter observatum, ut ad eum examinatio persone perlineat,
ad quem impositio manus spectat. Numquid enim ei principes non
solum in discordia, eed etiam in concordia sacrilegum quemcumque
vel excommunicatum in regem , tirampnuin vel fatuum, hereticum eli-
g er ent aut paganum , nos inungere, consecrare ac coronare hominem
huiusmodi deberemusf Abeit omnino!
Es ist nicht zu leugnen, daß von diesem Standpunkt aus die
„reprobatio“ Philipps als innerhalb der päpstlichen Kompetenz
liegend erscheint. Viel komplizierter verhält es sich mit der
Ausrufung Ottos IV. zum König. Die Bulle sagt im zweiten Teil
ihrer meritorischen Auseinandersetzungen, in direkter Anlehnung
an kirchlichen Sprachgebrauch, daß der Legat pereonam ducis .
denuntiavit indignam et pereonam regis . . idoneam non
tarn propter studia eligenti um, quam propter merita
electorum ’); an diese Äußerung über die Würdigkeit der Person
knüpft die Bulle im weiteren Verlaufe (In reprobatione vero . . . )
an, nachdem sie nur nebenbei, sichtlich ohne Anspruch auf auto-
ritative Geltung (qnamvis ), die Rechtsgiltigkeit der
Gegen wähl Ottos IV. erwähnt und — die darauf bezügliche Stelle
fehlt in der Gregorianischen Sammlung — als ein weiteres Argu-
ment für Otto IV. den korrekten Vorgang bei seiner Krönung in
Köln hervorgehoben hat. Und nun kommt die entscheidende Stelle:
Quod autem cum in electione vota prinripum dividvntur, poet ammo-
nitionem et expeetalionem alteri partium favere possimue, maxime
poetquam a nobie und io, consecratio et coronatio postulantur, sicut
utruque pars a nobie multoties postulamt, ex iure palet pariter et
exemplo. Numquid enim, ei principes ammoniti et expectati vel non
poterint vel noluerint convenire, apostolica sedes advocato et de/ensore
carebit eorumque culpa ipsi redundabit in penamf Sciunt autem prin-
') Vgl. Krammer, Der Einfluß des Papsttums (vgl. S. 19 Anm. 8),
S. 18; v. Simsen, Analekten zur Geschichte der deutschen Königswahlen
(Progr. Freiburg i. B. 1895) II, bezeichnet gradezu c. 36 Dist. 63 als ka-
nonistische Grundlage für das Vorgeben des Papstes, welches allerdings in
der Bulle „Venerabilem“ nur mehr abgeschwäcbt zum Ausdruck kommt (vgl.
unten S. 78).
Hagelmana. Die deutsche Kuuigtrwehl 4
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cipes . . . tjuod cum Lotliarius et Corradus in dtscordia ) uissent
electi, H omanus pontifex Lothar in m coronaint et imperium oiilinuit
coronalus, eodem (’orrado tune demum ad eins gratiam redeunte.
Nos ergo per nunlios principuin m emoratos eos duximus commonen-
<tos, ut sind nos a iuris ipsorum cessantus iniuria, sic ipsi contra
ius nostrum sc nequaquam iniuriosos ostendant, sed a prefato ducc
iiisto quidem a nobis iudicio reprobato recedant et prefato regi non
ahrmant adherere, nisi tune demum contra personatn vel factum
legitimum quid ab eis obiectum fuerit et ostensum. Hier läßt die
Halle entschieden die bisherige Klarheit vermissen. Im ersten
Teil ist, wie wir uns erinnern, als Grundsatz der Thronbesetzung
aufgestellt worden: Wahlrecht der Fürsten, welchem die Pflicht,
eine persona idonea zu wählen, gegenüborsteht; das dem Papst
zustehende ius examinandi personam, wodurch das fürstliche Wahl-
recht eingeschränkt wird. Im letzten Satz des zweiten Teiles erkennt
der Papst ebenfalls ausdrücklich das Wahlrecht der Fürsten an, er
macht die Rechte Ottos IV. davon abhängig, daß weder gegen
seine Person noch gegen den Wahlakt Einwendungen erhoben
werden können. Wie erklärt sich aber von diesem Standpunkt
aus die feierliche Ausrufung zum König durch den Kardinal-
legaten, der doch angeblich neutrius electionem quoad factum
eligentium eonfirmandam duxerit aut etium injirmandam t
Wenn der päpstliche Legat den Wahlakt nicht geprüft hat, wie
konnte er, das Wahlrecht der Fürsten vorausgesetzt, Otto IV.
zum König ausrufen? Und wenn man über diesen Widerspruch
damit hinwegkäme, daß man in der päpstlichen Bulle ein Einge-
ständnis des vom Legaten in dieser Hinsicht begangenen Ver-
säumnisses erblicken wollte, welches eben durch die den Oppo-
nenten noch nachher gewährte Möglichkeit, ihre Einwendungen zu
erheben, saniert würde, so sind damit die Schwierigkeiten nicht
gelost. Der Papst begründet sein Vorgehen, insoweit es sich um
Otto handelt, mit dem ihm zustehenden Recht, bei zwiespältigen
Wahlen „alteri partium favere“. Daß dieser vage Ausdruck im
Sinne einer autoritativen, die Katholiken verbindenden Stellung-
nahme gedacht ist, wozu allerdings der angeführte Präzedenzfall
wenig paßt1), ergibt sich zur Evidenz aus dem Schluß des päpst-
•) Bei diesem „Präzedenzfall“ hatte es sich um die Aufstellung eines
üegenkönigs (eben Kunrads) gegen den bereits im ruhigen Besitz der Re-
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liehen Schreibens. Als was ist aber diese Stellungnahme aufzu-
fassen? Als ein Schiedsspruch, worauf die Hervorhebung der
zwiespältigen Wahl hindeutet, gewiß nicht; denn die Bulle hat,
obwohl sie überall die Zulässigkeit eines päpstlichen Schiedsspruchs
(die auch von den opponierenden Fürsten angeblich nicht ge-
leugnet worden war) voraussetzt, doch ausdrücklich für den kon-
kreten Fall die Ausübung des Schiedsrichteramts durch den Le-
gaten a priori in Abrede gestellt (nec copnitoi't ■» pertonam exhibuit).
Oder soll dem Papst das Recht zustehen, bei zwiespältigen Wahlen
ohne Prüfung des Wahlakts die persona dignior zum Kaiser zu
krönen, womit im Sinne des Papstes infolge der unlöslichen Ver-
knüpfung beider Ämter auch über die königliche Würde ent-
schieden ist? Auch diese Auffassung ist nicht klar zu Ende ge-
führt, weil sonst der Papst den Fürsten nicht das Recht zuge-
stehen könnte, ihre Einwendungen gegen den Wahlakt vor-
zubringen.
Diese Unklarheit der Bulle findet ihre sehr natürliche Er-
klärung darin, daß der Papst bei der Entsendung des Kardinal-
legaten in Wirklichkeit von einem anderen Grundgedanken aus-
gegangen war, als in der Bulle angegeben wird. In der Bulle
bildet den Ausgangspunkt das Wahlrecht der Fürsten, welches
allerdings durch die Rechte des Papstes in weitem Umfang be-
schränkt ist; in der Antwort an die Gesandten Philipps, welche
den Beschluß von Speyer überbracht hatten1), und in der Deli-
beratio3) hatte der Papst anders gesprochen: hier hatte er „princi-
paliter et finaliter“ das Recht der Thronbesetzung für das Papst-
tum in Anspruch genommen, welches — das ist offenbar der
eigentliche Gedanke des Papstes — freiwillig und gewissermaßen
auf Widerruf den deutschen Fürsten ein Wahlrecht ein-
geräumt hat. Von diesem Standpunkt aus ergeben sich mit
Leichtigkeit die im Interesse der päpstlichen Politik liegenden
Konsequenzen: das ins eiaminandi personam (ein Approbations-
gicrung befindlichen Lothar gehandelt. Vgl. Maurenbrecher, a. a. 0.
(vgl. S. 11 Anrn. 1) SS. 151 u. 152, Bernhardi, Lothar v. Sopplinburg (in
den Jahrbüchern der Deutschen Geschichte), Leipzig 1879, SS. 47 bis 49
und 139 ff.
•) Vgl. oben S. 44 Anui. 7.
’) Vgl. oben S. 45 Anm. 1.
4*
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recht im engeren Sinne) und als Kehrseite das Reprobationsrecht
gegenüber einer persona indigna'; das Entscheidungsrecht bei
zwiespältigen Königswahlen; schließlich das freie Besetzungsrecht
des Papstes, wenn die Fürsten überhaupt keine Wahl vornehmen
oder eine persona indigna wählen, also ein Devolutionsrecht. Und
von diesem letzteren Recht hat der Papst Gebrauch gemacht; da
die Kirche eines Schirmherrn in der Person des Kaisers, die not-
wendig mit der des deutschen Königs verbunden war, bedurfte,
wurde vom Papst eine dazu geeignete Person, Otto IV., zum
König ausgerufen, ohne daß dabei seine Wahl entscheidend ins
Gewicht fiel. Es kann kaum ein Zweifel sein: am 3. Juli 1201
hat ein Papst den Versuch gemacht, unter dem Schein einer
Approbation einen deutschen König zu ernennen1). Daß auch
dieser Versuch aus den historischen Voraussetzungen durch-
aus erklärlich ist, haben wir im Verlauf unserer Untersuchung
*) Die Antwort des Papstes an die Gesandten Philipps im Konsistorium
(vgl. oben S. 44 Anm. 7) behandelt in einer an Gregor VII. gemahnenden,
geradezu brüsken Art ein allgemeines Leitungsrecht des sacerdotium gegenüber
den reges, wobei der Papst im Unterschiede zu seinen sonstigen Äußerungen
von der kaiserlichen Würde beinahe ganz absieht. Erst gegen Ende heißt
es unter Abbrechen des bisherigen Gedankenganges: Verum ad apostolicam
sedem iampridem fuerat recurrendum , ad quam negotium istud pr in cipa liier
et finaliter dinoscitur pertinere ; principaliter , quia ipsa transtulit
imperium ab Oriente in occidtntem ; finaliter , quia ipsa concedit coro -
na m imperii. Die Dclibcratio (vgl. oben S. 45 Anm. 1) beginnt vielsagend mit
den Worten: In nomine .... Interest apostolicae sedis diligenter et pru-
dentcr de imperii Romani p rovistone tractare t cum i mperium noscatur
ad eam principaliter et finaliter pertinere ; principaliter t cum per
ipsam et propter ipsam de Graecia sit tra nslatum , per ipsam tramlationis
actriccm, propter ipsam melius defendendam\ finaliter , quoniam Imperator a
summa Pontifice finalem sive ult im am manus impositionem promotionis
proprie arcipit , dum ab eo benedicitur , coronatur et de imperio investitur.
Gegen Ende der Deliberatio aber führt der Papst aus: Quod si neutrum
elegerint , cum diu expectaverimus . . . ., cum negotium istud dilationem
non capiat , cum Otto et per se devotus existat Ecclesiae, et ex utraque parte trahat
originem ex genere ilevotorum, , ei mamfeste favendum, et ipsum recipiendum
in Regem, et . ad coronam Imperii evocandum. Obwohl der Papst in den
meisten Schreiben, in denen er seine cndgiltige Entscheidung den deutschen
Fürsten initteilte, seinen Gedanken bereits mehr oder weniger verschleierte,
haben ihn die gegen das Vorgehen des Kardinallegaten protestierenden
Pürsten doch richtig herausgcfnhlt. Dafür spricht wenigstens der Satz, der
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dargelegt1); ebenso selbstverständlich aber ist es, daß die deutschen
Fürsten der Fortentwicklung des Rechtes in dieser Richtung den
entschiedensten Widerstand entgegensetzen mußten, und ihr
mannhaftes Auftreten wenigstens in diesem Augenblick bleibt für
alle Zeit eine stolze Erinnerung der deutschen Geschichte*). Der
Protest der Fürsten hatte Erfolg; in der Bulle „Venorabilem“
konnte der Papst seinen konsequenten Standpunkt uicht vertreten.
Wohl vergißt er auch hier nicht, darauf hinznweisen, daß das
Wahlrecht ad cos (principe*) .... ab apostolica tede pervenerit ,
que Romanum imperium in persona magnißci Karoli a Graecit
tramtidit in Germanos ; aber hatte er hieraus früher die Konsequenz
gezogen, daß die Thronbesetzung „principaliter“ dem Papst zustehe,
so geht er nunmehr aus von dem Wahlrecht der Fürsten.
Wohl beschränkt er dieses mit Rücksicht auf die an das Königtum
geknüpfte Kaiserwürde auch jetzt durch weitreichende Rechte des
Papstes, wobei er nicht versäumt, auf die ihm zustehende inunclio,
consecratio et coronatin hinzuweisen (damit hatte er früher den
Ausdruck „finaliter“ begründet); allein er kann die letzte Kon-
sich an die oben S. 46 Amu. t mitgetcilto Stelle unmittelbar «»schließt: Quid
ergo predieti Prenestini sententUe in Ottone firmiere potuit, cum nichil ante in
ea f etc tum fit ?
Ich will hier besonders horrorhuben, daß das Vorgehen des Papstes vielfach
ganz anders aufgefaßt wird, als von mir: so, abgesehen von Phill ips und Uefele
(vgl. oben S. 4b Am». 3, unten S. 54 Anm. 2), von Sccliger und Kram in er;
vgl. darüber des letzteren Wahl und Einsetzung (vgl. S. 21 Anm. 2) S. 49.
■) Vgl. oben SS. 11 und 19 f.
*) Tatsächlich wurde eine Besetzung des deutschen Thrones durch den
Papst nie mehr versucht. Boi dom Plane Gregors IX. (1227—1241), den
Bruder des französischen Königs, Robert, auf den Thron zu erhoben, scheint
es sich nach der Begründung Alberts von Passau ausschließlich um eine
provisio imperii gehandelt zu haben; vgl. Kramuier, Iler Einlluß des
Papsttums (vgl. S. 1!) Anm. 3) SS. 19 und 20 (daselbst weitere Vcrweiso),
ferner oben S. 20 Anm. 2. Dagegen scheinen Gregor X. ( 1273) und
Klemens VI. (vor der Wahl Karls IV. 1347) tatsächlich eine Besetzung des
deutschen Thrones angedruht zu haben, allerdings ohne es auf einen Versuch
ankomnien zu lassen; Kramtncr a. a. O. SS. 19 und 20 bzw. 40, Redlich,
Rudolf von Habsburg, Innsbruck 1903, S. 153. Über den von Innozenz IV.
(vor dor Wahl Heinrich Raspes 1246) gemachten Wahlvorschlag, der sich
als eine Abschwächung des päpstlichen Besetzungsrechtes auffassen läßt,
vgl unten Abschnitt III 1 des ersten Kapitcts (gegen Ende), ferner über
diu Behandlung des Devolutionsrechts in der Glosse unten SS. 79 f.
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Sequenz seines Standpunktes, das Devolutionsrecht, nicht aufrecht-
halten. Er stellt den Grundsatz der persona idonea in den
Mittelpunkt, für den Fall, daß die Fürsten die ihrem Wahlrecht
correlate Pflicht, eine persona idonea zu wählen, verletzen, nimmt
er, und zwar auch bei einer concors electio, das Reprobationsrecht
in Anspruch. Im übrigen spricht die Bulle nur von zwiespältigen
Wahlen: sie setzt das Recht des Papstes, als Scbiedrichter zu
fungieren und als solcher den Wahlakt zu prüfen, voraus; sie
räumt ihm aber auch das Recht ein, ohne Prüfung des Wahlakts
die persona dignior als König anzuerkennen und zur Krönung zu
berufen, wobei allerdings — inkonsequenter Weise — den Fürsten
zugestanden wird, die Mangelhaftigkeit des Wahlaktes einzuwenden.
Alles in allem: der Papst beansprucht bei allen Wahlen
das ius examinandi personam, ein Approbationsrecht im
engeren Sinne (nach der Terminologie Engelmanns); bei
zwiespältigen Wahlen das Schiedsrichteramt oder die
Berufung der persona dignior unter Vorbehalt eventueller
Einwendungen gegen den Wahlakt; mit dieser Möglich-
keit, den Wahlakt zu prüfen, ist bereits ein Übergangs-
stadium zum Approbationsrecht im weiteren Sinne
(einem Konfirmationsrecht nach der Terminologie Engel-
manns)1) gegeben. Ein Devolutionsrecht behauptet die
Bulle „ Venerabilem“ ausdrücklich nicht; was zu ge-
schehen hat, wenn dio Fürsten gar keine Wahl vornehmen
oder nach der reprobatio eines in concordia electus eine
neue Wahl verweigern, bleibt offen, wobei allerdings
zu beachten ist, daß mit der für die päpstlichen Rechte
bei zwiespältigen Wahlen angeführten Begründung
(Numquid . . . penara?), welche ebenso auf den ni cht ent-
schiedenen Fall paßt, der Behauptung eines Devolutions-
rechtes durch Anwendung der Analogie die Wege ge-
ebnet sind8).
*) Engel mann, Der Anspruch der Päpste auf Konfirmation und
Approbation bei den deutschen Königswahlen, Breslau 1886. S. 5, unter-
scheidet confirmatio electionis und approbatio pcrsonae: beides umfaßt die
Approbation im weiteren Sinne, in dem das Wort gebräuchlich ist. Über
die Fortentwicklung des päpstlichen Approbationsrechts vgl. unten SS. 70 tf.
8) Am nächsten kommt meiner Auffassung Hefele; er unterscheidet
sich Ton mir nur dadurch, daß er Innoceni 111. eine scharfe Scheidung
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Wie erwähnt, schiebt die Bulle in den Gedankengang, der
das Recht Ottos IV. aus der päpstlichen Entscheidung ableitet,
in ihrem Bestreben, durch Häufung der Gründe das Recht Ottos
zwischen den Rechten des Papstes gegenüber dem Königtum und dem
Kaisertum zuschrcibt, womit die Behauptung einer Einmischung des Papstes
in innerdeutsche Verhältnisse gänzlich gefallen wäre. In dieser Kichtung
ist die Auffassung Hefolo’s m. E. unrichtig: der Papst hat vielmehr die
Verknüpfung von deutschem Königtum und römischem Kaisertum für eine
notwendige gehalten und eben daraus (im Gegensatzo zu Gregor Yll.,
der von seinem allgemeinen kirchlichen Leitungsrecht ausgeht) die Rechte
des Papsttums gegenüber dem deutschen Königtum abgeleitet. Ich will
hier die interessante und übersichtliche Zusammenfassung Hofele’s (a. a. U.
— vgl. oben S. 19 Anm. 5 und S. 45 Antn. 3 — SS. 616 und 617), welche in
die Konziliengeschichte (V. Band, 2. Aull. Freiburg 1886) übergegangen ist,
im Wortlaut anführen:
„Die Anschauungen Innozenzens konzentrierten sich sonach in folgendem:
a) An sich steht den deutschen Fürsten das ganz ungosclmiälert freie
Wahlrecht ihres Königs zu.
b) Auch seitdem die Päpsto die früher von den Byzantinern be-
anspruchte Kaiserwürde des Abendlandes auf einen germanischen König
(Karl den Großen und Otto I.) übertragen haben, wählen die deutschen
Fürsten diesen König, welcher Kaiser werden soll, ganz frei und und un-
abhängig vom Papst.
c) Nun aber tritt das Recht des Papstes oin. Da der Gewählte nur
durch päpstliche Salbung u. s. w. Kaiser wird, so steht dem Papste das
Recht der Prüfung zu, ob er solcher Sendung u. s. w. würdig sei. Dies
schließt weiter in sich, daß falls diese Prüfung zu ungunsten des Ge-
wählten ausfällt, die Deutschen entweder einen Andern zum König wählen
müssen, oder wenn sie dies verweigern, der Papst die Kaiserwürdc einem
andern König zuwendet, da die Kirche eines Advokatus und Defensors bedarf.
d) Im Falle einer strittigen deutschen Königswahl aber ist cs Auf-
gabe deB Papstes
«0 die deutschen Fürsten vor allem zur Wiederherstellung der Kinheit
zu ermahnen, damit sie sich auf einen Kandidaten, etwa einen dritten,
vereinigen.
ß) Sind diu diesfallsigen päpstlichen Ermahnungen fruchtlos, so ent-
scheidet der Papst entweder als freigewählter Schiedsrichter oder iure
proprio kraft seines Amtes für den Einen oder Andern der Prätendenten,
und er muß dies tun, ist völlig dazu berechtigt, weil die Kirche, wie be-
merkt, nicht auf lange eines Defensor u. s. w. entbehren kann.
y) Aber der Papst trifft seine Entscheidung nicht infolge eines von ihm
gefällten Urteils über das Faktum der Wahl (d. h. er hat nicht zu unter-
suchen, ob die Wahl des Einen mehr berechtigt sei, als die des Andern,
nach Priorität, Majorität der Stimmen u. dgl.), sondern er entscheidet
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von jedem Standpunkt aus unanfechtbar zu machen, zwei
weitere Argumente ein: 1. die Ungiltigkeit der Wahl Philipps
und die Giltigkeit deijenigen Ottos, 2. die formgerechte Krönung
des letzteren. — Was das zweite Argument anlangt, so springt
zunächst in die Augen, daß auch die Krönung Ottos IV. an einem
sehr wesentlichen Mangel litt, da er ja nicht mit den echten
Insignien gekrönt worden war. Auch wird durch dieses Argument
eine weitere Unklarheit in die Bulle hineingetragen; konnten wir
für die Beurteilung des Verhältnisses zwischen fürstlichem Wahl-
recht und päpstlichem Einfluß noch einigermaßen einen sichern
Standpunkt gewinnen, so entsteht durch die Ilereinzerrung der
Königskrönung eine unentwirrbare Konfusion. Bestehen die
Rechte des Papstes (examinatio personae und Entscheidungsrecht
bei zwiespältigen Wahlen) auch gegenüber dem Gekrönten? Aus
dem Satze Et quoniam dux predictue nee ubi debuit nee a quo
debuit coronam et unctionem accepit, memoratus vero re. e et ubi debuit ,
mdelicet Aquügrani, et a quo debuit, scilicet venerabili fratre nostro
Coloniensi archiejnscopo recepit utrumque, nos uliipie non Pkilippum
sed Ottonem reputamue et nominamus regem iustitia exigente
scheint hervorzugehen, daß das Entscheidungsrecht des Papstes bei
zwiespältigen Wahlen nach der Königskrönung zessieren soll, daß
er den gekrönten König, falls er eine persona idonea ist, zum
Kaiser krönen muß. Allerdings paßt dazu nicht der bald darauf
wieder aufgenommene Gedankengang, der das Vorgehen des
Papstes bezüglich Ottos IV. durch Hinweis auf das Recht, bei
zwiespältigen Wahlen alteri partium farere, begründet. Und
vollends fehlt jede Andeutung darüber, ob die Königskrönung,
auch wenn sie einem überhaupt nicht Gewählten in Köln durch
den Kölner Erzbischof zuteil geworden sein sollte, ein Recht auf
die Kaiserkrönung verleiht, ein allerdings in der Praxis kaum denk-
barer Fall. Dagegen scheint es mir zweifellos, daß im Sinne
der Bulle das ius examinandi personam, das Approbationsrecht,
und als dessen Kehrseite das Reprobationsrecht gegenüber einer
persona indigna auch nach der formgerechten Königskrönung fort-
lediglich nach der Qualität der Personen, und gibt demjenigen Präten-
denten den Vorzug, der für die Kirche ein besserer Defensor u. s. w. zu
werden verspricht.“
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besteht1)- Jedenfalls ist die Hereinziehung der Königskrönung
nicht geeignet, die Stellung des Papstes zu stärken, und es kann
kaum als Zufall angesehen werden, daß der darauf bezögliche
(S. 56 mitgeteilte) Satz in den Gregorianischen Dekretalen weg-
gelassen wurde. — Was nun die Wahl selbst anlangt, so ist zunächst
zu betonen, daß die diesbezüglichen im zweiten Teil der Bulle ein-
geschalteten Bemerkungen nach dem ganzen Zusammenhang keinen
rechtsverbindlichen Charakter haben können*). Es hat sich also
mit der Bulle „Venerabilem“ das kanonische Recht, auf den Zu-
sammenhang der Königs- und der Kaiserwürde gestützt und von
den aus diesem Zusammenhang fließenden Rechten des Papstes
ausgehend, der deutschen Königswahl wohl insoferne bemächtigt,
als durch Ausgestaltung der Lehre von der persona idonea eine
Einschränkung des passiven Wahlrechts gegeben ist. Die Bulle
hat ferner in autoritativer Weise eine Einschränkung des aktiven
Wahlrechts auf einzelne Fürsten behauptet, und zwar bei Auf-
stellung der Grundprinzipien für die Besetzung des deutschen
Thrones. Diese Aufstellungen der Bulle sind zweifellos voll-
giltiges kanonisches Recht. Nicht dasselbe gilt, wie gesagt, von
den im zweiten Teil der Bulle enthaltenen Bemerkungen über den
Wahlakt selbst. Trotzdem bleibt es interessant, daß der Papst
hier dem kanonischen Wahlverfahren entnommene oder wenigstens
verwandte Bestimmungen auf die deutsche Königs wähl an wendet:
nämlich a) die Bestimmung, daß die Unterlassung der Einladung
eines Wahlberechtigten die Wahl ungiltig mache und diejenigen,
welche eine solche Wahl vornehmen, ihres Wahlrechts verlustig
werden, womit das Erfordernis der unitas actus aufgestellt ist,
b) das Majoritätsprinzip, allerdings in einer vom kanonischen Recht
etwas abweichenden Form3). Es muß hervorgehoben werden, daß
von diesen beiden Bestimmungen die erste nur in abgeschwächter
Form in die Gregorianischen Dekretalen übergegangen ist: die
Konsequenz, daß die Teilnehmer an einer mangels gehörigen
') Vgl. bezüglich der Königskrönung unten SS. 83 f.
*) Vgl. oben S. 49.
*) Über die tatsächliche Durchsetzung der unitas actus und des
Majorit&tsprinzips bei der deutschen Königswahl vgl. die ausführlichen
Darlegungen im Abschnitt III 3 des II. Kapitels.
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Ladung ungiltigen Wahl ihres Wahlrechts verlustig gehen, ist
wenigstens nicht ausdrücklich gezogen; der darauf bezügliche
Satz ist vveggelas8en. Nichts wäre verfehlter, als aus solchen
incidenter eingeschalteten Bemerkungen, welche gelegentlich ein-
zelne Bestimmungen des kanonischen Hechts auf die deutsche
Königswahl übertragen, schließen zu wollen, daß im Sinne des
kanonischen Rechts die Bestimmungen über kanonische Wahlen
überhaupt auf die Königswahl anzuwenden seien. Dies ergibt
sich zur Evidenz daraus, daß der von Innocenz III. hier gegen-
über der Königswahl des Jahres 115)8 eingenommene Standpunkt
von demjenigen erheblich abweicht, den er wiederholt zwiespältigen
Bischofswahlen gegenüber eingenommen hat. Dem letzteren zu-
lolge wäre auch die Wahl Ottos IV. ungiltig, weil trotz der
Ungiltigkeit der ersten Wahl vor der zweiten ein Ausspruch des
Papstes hätte abgewartet werden müssen1). Die Bulle „Venera-
bilem“ hat eben alles dasjenige aus dem kanonischen Recht, aus dem
Reichsrecht und aus politischen Erwägungen zusammengetragen,
was fü r den päpstlichen Kandidaten, und alles beiseite gelassen,
was gegen ihn sprach. Die Frage war zu einer Machtfrage ge-
worden, wobei ich allerdings nicht übersehe, daß die kulturellen
und auch die national-deutschen Interessen keineswegs, wie viel-
fach behauptet wird, einseitig mit der Macht des staufischen
Hauses verknüpft waren*).
Über die Notwendigkeit der Ladung ist in diesem Zusammen-
hänge nichts Näheres zu bemerken; von der Einschränkung des
Wählerkreises und vom Majoritätspriuzip, im Zusammenhang mit
dem auch auf die Bedeutung der Königskrönung zurückzukommen
sein wird, kann erst bei Besprechung der Glosse eingehender ge-
bandelt werden *). Dagegen soll hier, als Abschluß unserer
Erörterung über die Bulle „Venerabilem“, unsere früheren Aus-
führungen ergänzend, die den dritten Teil der Bulle bildende
Darlegung über die persona idonea Platz finden4). Es werden hier,
') Näheres unten SS. 88 f.
*) Vgl. oben S. 5 Anm. 1.
3) Unten SS. 67 ff., 83 ff.
*) Das passive Wahlrecht nach deutschem Iieichsrecht behandelt Frh.
v. Borch, die gesetzlichen Eigenschaften eines deutsch-römischen Königs
und seiner Wähler, Innsbruck 1884. Vgl. auch Schröder, a. a. 0. (vgl.
S. 7 Anm. 1) S. 481.
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wie bereits (S. 47) erwähnt, folgende Gründe gegen die „Idoneität“
Philipps angeführt: er ist excommunicatu«, periurus, de genere persecu-
torum und mit dem bisherigen Königshause verwandt; hiemitistzu-
8ammenzuhalteu, dal! im ersten Teile der Bulle, wo zuerst der Grund-
satz der persona idonea betont wird, als Beispiele von personae
indignae angeführt werden :paganus, heretictu, excommunicatu s, sacri-
legus, tirampniu, jatuus. Überblicken wir diese Fälle, welche natür-
lich nur eine exemplifikative Aufzählung bilden sollen, so begegnet
uns allerdings eine große Reihe von solchen, die nach allgemeinen
Grundsätzen bei kanonischen Wahlen das passive Wahlrecht aus-
schließen; hierher gehört der excommunicatus, wozu der sacrilegus
und der periurus zu zählen sind, sowie der paganus und hereticus,
auch der fatuus1). Es muß aber hervorgehoben werden, daß die
Bulle diese Fälle nicht schlechtweg aus den allgemeinen Bestim-
mungen des kanonischen Rechts auf die Königswahl überträgt,
sondern aus der Natur des mit dem königlichen verbundenen
kaiserlichen Amtes ableitet. Direkt auf die weltliche Herrscher-
gewalt deutet der tirampnus, und mehr als zweifelhaft ist es, ob
die Abstammung de genere persecutorum bei einer Bischofswahl die
Indignität begründen würde*). Eine ganz eigenartige Stellung
nimmt schließlich die ebenfalls als Mangel ins Treffen geführte
Verwandtschaft mit dem Königshause ein, welche wir bereits bei
Beginn unserer Analyse (SS. 47 f.) als eine Steigerung des
fürstlichen Wahlrechts besprochen haben. Hier liegt derselbe
Gedanke vor, der das ganze kanonische Ämterrecht beherrscht;
aber seine Anwendung auf den konkreten Fall erfolgt viel weniger
aus allgemeinen Erwägungen, als aus politischen Motiven3). So
sehen wir, daß das kanonische Recht auch dem dem kanonischen
Wahlverfahren entnommenen Grundsatz der persona idonea in
seiner Anwendung auf die deutsche Königswahl eine eigenartige
Ausgestaltung gegeben hat, in der die verschiedensten
') Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts, II. Band Ber-
lin 1878, S. 488, V. Band Berlin 1895, S. 271 bes. Anm. 16, I. Band Berlin
1869, S. 7 (im Zusammenhang mit II. Band S. 4761, II. Band S. 487,
II. Band S. 487 Z. 7 (im Zusammenhang mit I. Band S. 16),
a) Eine derartige Vorschrift bei KirchenXmtern ist erst seit Bonifaz VIII.
(1294 — 1303) bekannt; vgl. Uinschius, II. Band S. 488 bes. Anm. 10.
3) Vgl. oben SS. 12/13 bes. Anm. 1 auf 8. 13, S. 14 bes. Anm. 4, 48.
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Strömungen sich kreuzen, die verschiedensten Elemente
sich mischen, beherrscht und vereinigt durch das
Interesse der päpstlichen Politik.
2. Die Glosse zur Bulle „Vencrabilem“ im Zusammen-
hänge mit den Parallelstellen der Dekretalen und der
Glossen.
I. Indem wir an die Untersuchung der Glosse schreiten,
müssen wir zunächst bemerken, dati sie die brennenden in der
Bulle behandelten Fragen nicht so eingehend erörtert, als man
vermuten sollte. Eine ganze Anzahl von Stellen (zu den Worten
cognitori, in messem, eligentium, commonendos, innodatus, postulavit,
iuramentum) enthält lediglich Worterklärungen, bzw. Sachverhalts-
Ergänzungen und Zitate, die für die meritorische Entscheidung der
staatskirchenrechtlichen Fragen ohne erhebliche Bedeutung sind.
Es ist selbstverständlich, daß diese Teile der Glosse in den wei-
teren Darlegungen nicht berücksichtigt werden. Dasselbe gilt
von der Glosse zu dem Worte carebit und zu den Worten venire
und Gaboanitas. An ersterer Stelle wird die Natur der dem
Kaiser zugeschriebonen advoeatia sedis apostolicae erörtert, was
mit unserem Thema in keinem unmittelbaren Zusammenhang steht;
zu den Worten venire und Gaboanitas wird der für die Beur-
teilung der Indignität Philipps lediglich als Vorfrage in Betracht
kommende Umstand des angeblichen Eidbruches behandelt, wobei
auf die Lösbarkeit des Eides naher eingegangen wird ').
') In der Bulle nimmt Innozenz 111. den Standpunkt ein, daß der
Treueid, wolchen Philipp, wie die andern Fürsten, dem Kinde Friedrich be-
reits 1136 geleistet hatte, oin illicituni iuramentum war (offenbar, wie wir
aus der Delibcratio — vgl. oben S. 45 Aum. 1 — wissen, weil Friedrich eine
persona indigna war: vgl. auch weiter unten die Ausführungen über die
Glosse zum Worte illicituui SS. 63 f.): trotzdem hätte Philipp, bevor er
dem Eide entgegcnhandelte, die Entscheidung des Papstes einholcn müssen.
Von diesem Standpunkt aus hätten auch alle Wähler Ottos sich an ihrem
Eide versündigt, sofern sic nicht vor der Wahl bereits die Zu-
stimmung des Papstes erlangt hatten. Die Glosse zum Worte venire
sucht über den Widerspruch dadurch hinwegzukommen, daß sie das Schwer-
gewicht darauf legt, Philipp hätte nicht im eigenen Inturesse gegen den
Eid handeln dürfen; an sich sei durch einen zweifellos unerlaubten und
datier ungiltigon Eid natürlich niemand gebunden: nur in zweifelhaften
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Für das Verständnis der Glosse zur Bulle „Veuerabilem“ ist
grundlegend die Tatsache, daß sie Teile sehr verschiedenen Alters
enthält, ln den gedruckten Ausgaben beginnt sie mit der auf
Johannes Andreae (geb. ca. 1270, gest. 1348)') zurückgehenden
Formulierung des „Rechtssatzes“ , welcher der Abbas Siculus
(lehrte seit 1421, gest. 1453) *) eine Disposition beifügte. Dies
sind wohl die jüngsten Teile der Glosse. Es folgt in den ge-
druckten Ausgaben eine kurze Erzählung des Sachverhalts (Casus),
an welche sich mit dem Übergang hunc catum protequitur Bernar-
dus in modum seqi /entern eine etwas breitspurige paraphrasierende
Wiedergabe der Bulle anschließt. Zu den erwähnten den Übergang
bildenden Worten sagt eine Randbemerkung: hie tarnen casu» non
est Bemardi , nee habetur in velustis exemplaribus. Im Gegensätze zu
dieser Randbemerkung rührt die Paraphrase doch von demselben
Bernardus her, wie der ganze Casus (einschließlich der gleich zu
erwähnenden Notabilia), nämlich von dem berühmten Schöpfer der
glossa ordinaria zu den Dekretalen, Bernardus Parmensis de Bo-
tone (geb. zu Beginn des 13. Jahrli., gest. 1263)*). Die an und
für sich naheliegende Vermutung, daß es sich um eine Stelle aus
den „Casus decretalium“ des Bernardus Compostellanus junior
(wirkte zwischen 1245 und 1260) 4) handelt und eine Verwechslung
vorliegt, wird durch den Handschriften-Befund widerlegt. Sonst
findet sich noch die Sigle Bern., welche offenbar auf Bernardus
Parmensis hinweist, in den Glossen zu den Worten in messem,
illicitum und venire6).
Fällen sei eine Entscheidung des superior einzuholen, andernfalls servandum
nt iuramtntum, dummodo sine interitu salutis aeternae strvari possit. Über eine
andere Auffassung der Frage, dio in der Glosse ebenfalls vertreten wird,
vgl. unten S. 96 Amn. 2.
') Vgl. über ihn Schulte, a. a. 0. (vgl. oben S. 31 Anm. 1) SS. 205 ff.,
v. Scherer, a. a. 0. (vgl. oben S. 8 Anm. 4 ) SS. 263 und 264.
*) Vgl. über ihn Schulte, a. a. 0. SS. 312 f.
3) Vgl. über ihn Schulte, n. n. 0. SS. 114 ff., v. Scherer, a. a. 0.
S. 260.
4) Vgl. über ihn Schulte, a. a. O. SS. 118 ff., bes. SS. 118 und 119.
*) Die Prager Handschrift des Hornardus Parmensis (Prag Museum XVII A 9,
von Schulte a. a. 0. S. 115 Anm. 6 unter der Signatur I B2 verzeichnet, fol.,
von verschiedenen Händen des ausgehenden 13.oderdes beginnenden
14. J ahrhunderts geschrieben, äußerlich sehr schön, aber reich au Schreib-
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Am Schlüsse der besprochenen Paraphrase sind die in der
Bulle enthaltenen kanonischen Bestimmungen in einer ganz guten
Inhaltsangabe (Not.) zusammengestellt. Sie lautet: Not. quod hic
multa notabilia eliciuntur : [1] primuni e/it, quod ins eligendi He-
gern in Imperatorem promovendum de iure communi pertinet ad
Prineipes. [2] Item, ud eum pertinet examinatio , ad quem petti-
net ronfirmatio. Item ad officium illius , qui confirmat electum
etiamei nihil ei obiieiatur, peitinet inquirere, an eit idoneus. Item
quandoque reprobaiur elertio gut ins propter gereonam eiert i indignam
quam propter eligentes. [ ■'! ] Item, in electvmibue glue nur et contemp-
tus uniue, quam ei multi praesentee contradicunt. [4] Item iude.r
potest ulteri jmiti farere. [5] Item /mblice excommunicatue repelli-
tur ab elertione. Item periurium manifestum repellit aliquem a
dignitate. Item, persecutores Ecclesiarum ab Eccleeiastico honore
debent repelli, ut puniantur, in quo peccacerunt. [6] Item , cum
dubitatur an iuramentum eit Micitum , recurrendum eet ad Sedem
Apostolicam. [7] ln honoribus non debet eemper eucceeeio attendi.
oder Lesefehlern) enthält den Caans samt Paraphrase nnd Notabilia, und zwar
schließt sich in der Handschrift unmittelbar an personam an sic (!) eketoris
falcem wisit bis reprobari (sic! I, observari) non debet, daran die Notabilia mit
der Einleitung ex hac decretali multa notabilia eliciuntur priuntm est il/uil quod
u. s. w. mit geringen Abweichungen wie in der l>ruckausgabe bis zum Schluß
(. . . non ienet). Fast das ganz gleiche Bild zeigt die Wiener Handschrift
(Hofbiblothek 2214, 157 X 229 mm, von verschiedenen Händen um die Wende
des 13. und 14. Jahrhunderts sehr schön geschrieben, vgl. Schulte, a. a. O.
S. 115 Anin. 6): auch sic enthält, was das wesentliche ist. den ganzen Casus
samt Paraphrase undNotabilia. In der aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts
stammenden Bamberger Handschrift der Casus decretalium des Bcrnardus
Coinpostcllanus junior (Kgl. Bibliothek in Bamberg Cod. Ms. Can. 55, von
Schulte a. a. O. S. 119 Anm. 4 unter der Signatur P II 3 verzeichnet) finde
ich dagegen keinerlei Berührungspunkte mit der erwähnten Paraphrase.
Aus alledem ergibt sich wohl mit Bestimmtheit, daß die Bemerkung der
Corrcctorcs Uornani, wonach die Paraphrase nicht von Bernhard ist, unrichtig
ist. — Was die (flössen anlangt, in denen sich sonst die Sigle Bern, findet,
so sind die in der Itrnckausgabe dem betreffenden Glossator zugeschriebenen
Ulnssenstellen sowohl in der Wiener- als in der Melker Handschrift des
Apparates des Bcrnardus Parincnsis (Hofbibliothek 2199, Stiftsbibliothek
L. 31, Schulte, a. a. 0. S. 115 Anm. 3) mit geringen Abweichungen ent-
halten. Einen Casus enthalten diese beiden Handschrilleti überhaupt nicht
(dagegen ist die Angabe Schuttes, daß die Melker Handschrift nur
den Apparat „ohne den Text*- enthalte, unrichtig).
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63
[Hj Item , in fine not. quod mbhtto principali , accestorium
mm tenet.
Wir wollen nun im Folgenden zunächst vom Wahlrecht der
Fürsten (oben 1 und 7), dann von den Rechten des Papstes (oben
2 und 4), hierauf vom Wahlverfahreu (oben 3) und schließlich von
den näheren Bestimmungen über die „Idoneität“ (durch welche das
passive Wahlrecht eingeschränkt wird, oben (S) handeln.
II. A) Das Wahlrecht der Fürsten. 1.) Wir erinnern
uns, in der Glosse zum Dekret einer Stelle begegnet
zu sein , welche das Wahlrecht der Fürsten negiert und
die Erblichkeit der Krone behauptet, womit der päpstliche
Einfluß natürlich paralysiert wäre'). Eben der Umstand,
daß eine derartige Anschauung vor nicht langer Zeit in
Diskussion gestanden, mag für Innocenz III. mitbestimmend ge-
wesen sein, als er das Wahlprinzip an die Spitze der Bulle
„Venerabilem“ stellte. Es kann nicht wundernehmen, daß die Glosse
diesen Standpunkt ganz und voll rezipiert hat, daß er insbesondere
in dem jüngeren Teil derselben, in dem Rechtssatz des Johannes
Andreae, aber auch in der von uns (oben S. 61) besprochenen
Paraphrase sowie in der auf dieselbe folgenden Inhaltsangabe der
Bulle als etwas ganz Selbstverständliches erscheint, speziell in
der letztgenannten Stelle als iure comtnuni feststehend erklärt
wird. War ja doch der entschiedenste und weitreichendste Ver-
such einer rechtlichen Einschränkung des Wahlprinzips unter
Heinrich VI. endgiltig gescheitert und infolge des Thronstreites
sowie nicht minder gerade des päpstlichen Einflusses im 13. Jahr-
hundert auch die faktische Kontinuität des Königshauses außer
Übung gekommen.
Ex professo wird das Erbrecht erörtert und abgelehnt in den
Glossen zu den Worten illicitum, ex successione und de domo.
Die erstgenannte Stelle (vermutlich von Bernardus Parmensis)’)
befaßt sich mit jenen Ausführungen der Bulle, welche begründen,
warum Philipp als periurus anzusehen sei; es wird daselbst aus-
geführt, daß sein dem minderjährigen Friedrich geleistetes inraraentum
zwar illicitum gewesen sei, daß er aber trotzdem vor dem Abgehen
') Vgl. oben SS. 31 ff.
*) Vgl. oben S. 61 Anui. 3 und 5.
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«4
tod demselben die päpstliche Entscheidung hätte einholen müssen.
Zum Worte illicitum bemerkt die Glosse: Quoniam fuit de
suceessione vieentis C. de pactis 1. pactum, tarnen hie voluntas ar-
cessit vieentis unde videtur fettere C. e<>d. I. ult. Sed illa lot/uitur
in haereditaria suceessione , tfuae in imperio locum habere non
potest, nec etiam in beneficiis Ecclesiasticis locum habet , wofür als
Belegstellen angeführt werden c. 2 X 111 8 de concess. praebendae,
c. 15 X III 30 de dec. u. c. 15 X III 38 de iure patronatus.
Diese Glosse ist zunächst ein interessantes Beispiel für die so
vielfach beliebte Argumentation aus Analogien des römischen
Rechts, hier aus dem Codex, wobei man sich einer prinzipiellen
Scheidung zwischen öffentlichem und Privatrecht nicht bewuBt
wird'). Was die für uns entscheidende Frage des Wahlrechts
bei der Thronbesetzung anlangt, so liegt in dieser Glosse die
denkbar schärfste Ausschließung jeder Möglichkeit,
nach der bisherigen deutschen Sitte auch nur faktisch
eine Nachfolge zu sichern. Die dafür angeführte Begründung
zeigt aufs deutlichste die Tendenz, die Bestimmungen des kirch-
lichen Ämterrechts auf die Besetzung des deutschen Thrones aus-
zudehneu*); ein Vergleich der zitierten Belegstellen ergibt, wie
unter den Begriff des sanctuarium sowohl eigentliche Kirchenämter
als weltliche mit der Kirche in Beziehung stehende Rechte in
geradezu naiver Weise subsumiert werden3). Es kann daher auch
') Vgl. oben 8. 33, unten SS. 65, 77, 80.
*) Vgl. oben SS. 32, 33, 35 Anm. 3, 37.
3) c. 2 X 111 8 de concess. praebendae ist eine bereits in die Comp. I.
aufgenommene Bestimmung des III. Laterancnsischen Konzils (1179), dem-
zufolge (so das Summarium) beneßeia mm cacantia concedi vel promittt non debent
. . . . c. 15 X III 30 de dec. geht auf Alexander III. (1159 — 1181) zurück
und war gleichfalls in die Comp. I. aufgenommen worden; es schließt dag Erb-
recht bezüglich der decimae aus (dteima laico iure hereditär io concedi non po-
test nach den Worten des Summarium) und enthält hiefür u. a. die Begrün-
dung: qnoniam sanctuisrium Dei iure hereditario possideri non debet . c. 15 X III
38 de iure patronatus, ebenfalls auf Alexander III. zurückgehend und in die
Comp. I. aufgenommen, bestimmt, daß non potest patronus ecclesiam sibi reti-
nere, vel etiam alteri concedere propria auctoritatc (dies die Worte des Summarium),
und zwar quum sanefisariuw Dei iure hereditario) teneri non possit. Die näheren
kritischen Nachweise vgl. in der Ausgabe von Friedberg.
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65
Dicht mehr wunder nehmen, wenn die Glosse auf der Suche nach
weiteren Gründen zu den Worten de domo unter Berufung auf
den von uns oben (S. 32) erörterten c. 16 C. 8 q. 1, der von
dem geistlichen Oberen handelt, bemerkt, nicht nur aus
einem andern Haus, immo de alia tribu (sie!) eligi debet (seil,
iwperator). Die Erzählung, wie Moses auf göttliche Inspiration
den Josua als Nachfolger bestellte, paßt zwar zur Ablehnung des
Erbrechts, aber nicht im mindesten zur Begründung eines Wahl-
rechts. Anderseits nimmt die Glosse zur Bulle „Venerabilem“ von
jenen Canones des Gratianischen Dekrets, welche nach unseren
obigen Ausführungen von den älteren Kanonisten zur Begründung
des Erbrechts herangezogen worden waren, überhaupt keine Notiz,
auch nicht durch die der scholastischen Methode doch so geläufige
Anführung als Gegenargument.
Mit der Frage des Erbrechts befaßt sich schließlich auch die
interessante Bemerkung zu den Worten ex successione. Auch sie
knüpft, wie die bisher erörterten Stellen, an den dritten Teil der
Bulle an, wo Philipps Indignität begründet wird. Der Passus in
der Bulle, der zum Verständnis der Glosse nötig ist, lautet:
Insuper si supradiiius du.r . . Imperium obtineret, libeitas principum
in eleiiione peiiret et imperii obtinendi de cetera ceteris fiducia tolle-
retur : Nitm si, prout oliin Fredericus Corrado et Henricus gost?nodum
Frederieo, sic nunc vel Fredericus Philip/)o vel Philippus Frederieo
suecederet, cideretur imperium non ex electione, sed ex successione deberi.
Pruetereu cum mul/i grimigum ex imperio ctpie sin/ nobiles et potentes,
in enrum praeiudicium redundaret, si nannisi de domo durum Suevie
cideretur uluptis ad imfvrium ussumendus. Zu den Worten ex
successione bemerkt die Glosse : treu successiones rontinuae videntur
ius successirmis inducere, immo dune : quia binus actus inducit c<m-
suetudinem, arg (t )2!> q. 2 c. da nos(2fi )et (t ’od.) de episcogali audient. I.
nemo. Die Glosse treibt hier entschieden Konsequenzmacherei, aus
deu beiläufigen Ausführungen der Bulle, die in der Verwandtschaft
des Thronwerbers unter den gegebenen Umständen einen von
mehreren Indignitätsgründen erblickt, schmiedet sie einen förm-
lichen Rechtssatz: drei oder, wie sich der Glossator verbessert,
zwei „Successionen“ ohne Unterbrechung sind unzulässig, nämlich
drei Regierungen Verwandter nacheinander, bei denen zwei
„Successionen“ stattfinden. Die Begründung ist allerdings eine
UuKclm»an. Die deuteebe Küuigswehl ö
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unglaubliche Rabulistik: daß zwei faktische Snccessionen Ge-
wohnheitsrecht schaffen, soll aus c. 25 C. 25 q. 2') hervorgehen;
hier ist nämlich von den Sillani (recte : Scyllaceni) die Rede, welche
zweimal nacheinander ihren Bischof ermordet haben, was Papst
Gelasius als tarn velut usum consuetudinernque sacrilegum be-
zeichnet. Was die Sache selbst anlangt, so wird, um das Wahl-
recht der Fürsten zu schützen, eben dieses Wahlrecht ein-
geschränkt: sie dürfen den König nicht dreimal nacheinander
demselben Hause entnehmen.
2.) Wie verhält sich nun dieses im Prinzip ganz unbestrittene,
gegen ein Eindringen erbrechtlicher Gedanken mit gewissen
Garantien umgebene Wahlrecht zu den Rechten des Papstes?
Wir haben gesehen, daß in der Bulle selbst der ursprüngliche
Gedanke des Papstes, dem das Besetzungsrecht des Papstes als
das Primäre erscheint, zwar Spuren hinterlassen hat, trotzdem aber
die Bulle von dem Wahlrecht der Fürsten ausgeht; sie beschränkt
es durch das Princip der persona idonea und das dem Papst
diesbezüglich zustehende Approbationsrecht und stellt außerdem
für die Fälle zwiespältiger Wahlen ein nicht ganz klar gefaßtes
päpstliches Entscheidungsrecht auf. Diese beiden Rechte des
Papstes sind von den Glossatoren ausgestaltet worden und werden
uns weiter unten ausführlich beschäftigen. Hier sei nur soviel
bemerkt, daß das schon in der Bulle stark betonte Approbations-
recht umsomehr in den Vordergrund treten mußte, nachdem mit
der fortschreitenden Ausgestaltung des Wahl Verfahrens die Möglich-
keit zwiespältiger Wahlen sich verminderte; so ist begreiflich, daß
in dem an die Spitze der Glosse gestellten Rechtssatz des Johannes
Andreae das Wahlrecht der Fürsten lediglich eingeschränkt er-
scheint durch die korrespondierende Pflicht, nur eine persona
idonea zu wählen, und das dem Papst diesbezüglich zustehende
Approbationsrecht: der Papst muß denjenigen, der in korrekter
Weise gewählt wurde, approbieren (und zum Kaiser krönen), so-
ferne er eine persona idonea ist. Von dem ursprünglichen
Standpunkt Innocenz’ III. finden wir, wie besonders deutlich der
angeführte Rechtssatz zeigt, in der Glosse im allgemeinen keine
Nachwirkung; nur der Abbas Siculus, welcher in seiner Disposition
') Vgl. die kritischen Nachweise in der Ausgabe von Friedberg und
bei Jaffe, Keg. l‘out. (ed. II.), 725.
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den Inhalt des mit „Verum nos“ beginnenden Teiles der Bulle
durch den Satz umschreibt caplando beneooleniiam Prinei-
puvi, ipsorum iu» et potestalem declarat, mag den ursprünglichen
Gedanken des Papstes, der allerdings für seine Zeit keinerlei Be-
deutung mehr hatte, durchschaut haben. Auch von der, wie wir
gesehen haben, durch den Wortlaut der Bulle nahegelegten
Möglichkeit, das aus dem ursprünglichen Gedanken des Papstes
sich unmittelbar ergebende Devolutionsrecht auf dem Umwege
eines Analogieschlusses festzuhalten, hat die Glosse zur Bulle
„Venerabilem“ keinen Gebrauch gemacht1). Wenn dieses Recht
gelegentlich von Päpsten behauptet und von Kanonisten vertreten
worden ist, so hat das eben selbst innerhalb des kanonischen
Rechts nur einen episodenhaften Charakter gehabt8). Auch dem
Papst gegenüber ist das Wahlrocht der Fürsten das
Primäre und dergestalt gesichert, daß die Besetzung
des deutschen Thrones ohne Mitwirkung der deutschen
Fürsten auch vom kanonistischen Standpunkt aus als un-
möglich erscheint; dieser Zustand findet in der Glosse
zur Bulle „Venerabilem“, die für das ganze kanonische
Recht eigentliche sedes materiae bezüglich der
deutschen Königswahl geblieben ist, getreuen Ausdruck.
3.) Können wir so das Wahlprinzip bei jenen Glossatoren,
die sich mit der Bulle „Venerabilem“ befaßten, als feststehend be-
trachten, so ergeben sich bereits bezüglich des Wählerkreises
tiefgreifende Abweichungen. Die Bulle hat an zwei Stellen, das
einemal autoritativ, das anderemal incidenter, einschränkend von
Wahlfürsten gesprochen: illi principe s, denen das Wahlrecht
de iure ac de comuetudine zusteht8). Es ist nun äußerst interessant,
daß die Glosse an zwei Stellen den diesbezüglichen Inhalt der
Bulle falsch wiedergibt. In dor von uns (oben S. 61) besprochenen
Paraphrase heißt es : S<ribit Papa super hoc negotio Duci Zarin-
giae, direns rerognosnt ins eligendi in Imperatorein postea
promovendum ad Principe s pertinere, et de iure et untiqua
ronsuetudine. Und die darauf folgende knappe Inhaltsangabe,
') Nur eine Spur findet sich in der Glosse zum Worte favere; vgl.
darüber unten SS. 79 und 80.
8) Vgl. oben S. 53 Anm. 2, unten SS. llOf.
3) Vgl. oben SS. 47, 48 und 57.
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68
deren Wortlaut wir bereits oben (SS. 62 f.) wiedergegeben haben,
bemerkt kurz: primtim est, quod iwt rügend i Regem in Imperato-
rem promovendum de iure communi perlinet <td Priwipe a. Erst
bei Johannes Andreae kehrt der wahre Gedanke der Bulle wieder;
sein Rechtssatz lautet : Eiert us in Imperatoren < a maiori / Hirte
Worum, ad qua» »pectat electio, ei j'uerit idoneu e, per Papam
ranßrmabitur , vel jiotiue appmbabitur.
Wie erklärt sich diese auffällige Tatsache? M. E. zunächst
dadurch, daß die Beschränkung des Wählerkreises zu jener Zeit,
in welcher die zuerst genannten Stellen geschrieben wurden,
praktisch noch nicht durchgedrungen war, während Johannes
Andreae es bereits mit dem nahezu abgeschlossenen Kurfürsten-
kulleg zu tun hatte Es scheint mir aber aus dem ganzen
Sachverhalte, wie schon hier kurz bemerkt sei, auch hervorzugehen,
daß bei der Bildung des KurfOrstenkollegs ein direkter kauonistischer
Einfluß mindestens nicht so stark wirksam war, als vielfach an-
genommen wird. Ist es doch schon beachtenswert, daß die
Bulle selbst jeden Hinweis darauf unterläßt, welche Fürsten
eigentlich das Wahlrecht besitzen. Und noch in der Delibe-
ratio*) hatte der Papst selbst als gegen Otto sprechend hervor-
gehoben, daß puurioree prinripee auf seiner Seite stünden, während
er nunmehr behauptet, daß Otto von der Majorität der
Wahlfürsten gewählt wurde. Von einem ganz andern Gesichts-
punkte aus hatte Innouzenz III., wie wir gesehen haben1), die
Ausrufung Ottos IV. zum König augeordnet, von einem Ge-
sichtspunkt aus, den seine getreuesten Anhänger in Deutschland
zu vertreten nicht wagen durften, den er selbst in der Bulle
„Venerabilem“ nicht durchfuhren konnte. Indem er nun einer-
seits sein Vorgehen als Ausübung des ihm bei zwiespältigen
Wahlen zustehenden Rechtes, alten' partium farere, zu rechtfertigen
versuchte, sah er sich anderseits, um Ottos Stellung unanfechtbar
zu machen, nach Gründen für die Giltigkeit seiner Wahl um.
Da kam ihm nun die Auflassung zu statten, welche die deutschen
Anhänger Ottos, deren Mittelpunkt der streitbare Erzbischof von
') Vgl. oben S. 61.
3) Vgl. oben S. 45 Amu. 1.
s) Vgl. oben SS. 51 fl.
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fi9
Köln war, sich zurecht gelegt hatten. Diese pochten darauf, daß
nach altem deutschen Brauch bei den Königswahlen niemals das
Prinzip der mechanischen Gleichheit gegolten '), daß faktisch viel-
mehr seit jeher je nach der politischen Machtstellung einer oder
einige unter den Wählern den Ausschlag gaben. Es ist ferner
kein Zweifel, daß sich bereits im 12. Jahrhundert diese Verhält-
nisse zu konsolidieren begannen und unter diesen ausschlag-
gebenden Wählern, welche allein die Kurformel gesprochen haben
dürften, regelmäßig die drei rheinischen Erzbischöfe und der
Pfalzgraf zu finden waren, ohne daß aber der Kreis dieser quali-
fizierten Wähler geschlossen oder ihr Vorrang rechtlich geregelt
war. Daran scheinen die deutschen Anhänger Ottos angeknüpft
zu haben, indem sie ein formelles Vorrecht einzelner Fürsten be-
haupteten. Aus dem Kreise des Kölner Erzbischofs dürfte nun
dieses Argument in die Umgebung des Papstes gelangt sein und
hat zunächst in der Deliberatio eine vorsichtige und den Tatsachen
angepaßte Verwertung gefunden: auf den oben erwähnten Ein-
waud (daß pauciores principes auf Ottos Seite stünden) erwidert
der Papst, es hätten immerhin tot oel pluret ex hi», ad quo»
prineipalit er »pectat elertio, Otto ihre Stimmen zugewendet,
übrigens komme es mehr auf die „Idoneität“ als auf die Wähler-
zahl an. Hier hatte der Papst nur in der deutschen Rechtsent-
wicklung tatsächlich vorhandene Strömungen verwertet, allerdings
gleichzeitig durch übergroße Ausdehnung der päpstlichen Rechte,
wie oben gezeigt, das Wahlrecht der Fürsten an sich nahezu
illusorisch gemacht; in der Bulle mußte er bezüglich der päpst-
lichen Rechte einen Schritt zurückmachen, umsomehr suchte er
die Stellung Ottos durch den Hinweis auf die Giltigkeit seiner Wahl
zu festigen. Dazu war es nötig, die Einschränkung des Wähler-
kreises schärfer zu betonen; daß es aber nicht rätlich war, die
einzelnen Wahlberechtigten unzweideutig zu bezeichnen, springt
in die Augen.
Wir können also folgendermaßen rekapitulieren. Das Argu-
ment der Deliberatio war dem Gedankenkreis der kölnischen Par-
tei in Deutschland entlehnt und stand mit den tatsächlichen Vcr-
■) Vgl. bezüglich des Folgenden die näheren Ausführungen im Ab-
schnitt III 2 des II. Kapitels.
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hältnissen wenigstens nicht a priori in Widerspruch. Der mit der
Bulle „Venerabilem“ ins kanonische Recht aufgenommene Satz, daß
einzelne Fürsten ein ausschließliches (nicht bevorrechtetes)
Wahlrecht haben, war nicht nur dem deutschen Rechtszustand,
sondern auch den tatsächlichen Verhältnissen gegenüber ein Novum.
Daß später die deutsche Rechtsentwicklung in dieser Richtung
ging, ist bekannt. Ob und' inwieweit dabei der durch Innozenz III.,
beziehungsweise Gregor IX. ins kanonische Recht aufgenommene
Satz von Bedeutung war, wird im zweiten Kapitel dieser Unter-
suchungen erörtert werden1). Hier sei nur soviel nochmals
betont, daß er bei den Kanonisten selbst, wie die Glosso
zeigt, erst in viel späterer Zeit Verständnis fand.
B. Die Rechte des Papstes. Da von einem Devolutions-
recht, wie bereits erwähnt, in der Glosse ex professo nicht die
Rede ist, haben wir hier nur von dem Prüfungsrechte des Papstes
bei einhelligen und von seinem Entscheidungsrechte bei zwie-
spältigen Wahlen zu handeln.
1.) Das Approbationsrecht des Papstes ist iu der Glosse an
keiner einzigen Stelle in Diskussion gestellt, es erscheint überall
als ebenso selbstverständlich, wie das Wahlrecht der Fürsten.
Steht es in der wiederholt (vor allem SS. G2 und 63) angeführten
Inhaltsaugabe noch neben dem Entscheidungsrechte des Papstes bei
zwiespältigen Wahlen, so tritt es bei Johannes Andreae bereits
als das einzige Correlat, welches auf päpstlicher Seite dem Wahl-
recht der Fürsten gegenübersteht, auf. Es ist oben (S. 66) bereits
darauf hingewiesen worden, daß dies mit der fortschreitenden
Abschließung des Wählerkreises und mit der Ausbildung des
Wahlverfahrcus zusammenhängt, wodurch zwiespältige Wahlen im
alten Sinne begrifflich unmöglich werden.
Mit dieser Verdrängung des Entscheidungsrechts bei zwie-
spältigen Wahlen durch ein einheitlich gefaßtes Approbationsrecht
geht aber Hand in Hand eine Änderung in der Auffassung des
letzteren. In der Bulle ist das Approbationsrecht identisch mit
dem ius examinandi personam, es umfaßt nicht die Prüfung des
Wahlakts, zu welcher nur bei zwiespältigen Wahlen Ansätze vor-
handen sind, ln dem Maße nun, in welchem die Ausbildung des
*) Im Abschnitt III 2.
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Wahlverfahrens, von dem wir noch weiter unten1) zu handeln
haben, Fortschritte machte, indem die Einhaltung bestimmter
Normen in dieser Hinsicht als essentielles Erfordernis erschien,
mußte die Prüfung des Papstes sich auch auf den Wahlakt be-
ziehen ; denn nur dem ordnungsgemäß Gewählten mußte er,
natürlich unter der Voraussetzung seiner „Idoneität“, die kaiserliche
Würde übertragen. In dieser Beziehung ist es nun von Bedeu-
tung, daß die Glosse auch die nicht autoritativen Ausführungen
der Bulle über das Wahlverfahren als schlechthin verbindliches
kanonisches Recht betrachtet, wie sich insbesondere aus der ge-
waltsamen Interpretation des Wortes „quamvis“ s) ergibt. Die inci-
denter gemachte Äußerung der Bulle, daß die contemptio eines
Wählers die Wahl nichtig macht3), wird — allerdings in abge-
schwächter Form — in der wiederholt (SS. 62 f., 70) berührten
Inhaltsangabe zum Rechtssatz erhoben: Item , in electionibu» plus
nocet amtemptus uniiu, quam »i mtiUi praesentes contradicaiU. Und
dasselbe Ergebnis hat eine Untersuchung des von Johannes An-
dreae formulierten Rechtssatzes: der Papst muß den Gewählten
krönen, aber nur unter der Bedingung, daß er eine persona idonea
und daß er von der Mehrheit der Wahlberechtigten ge-
wählt ist. Damit ist die Prüfung des Wahlakts wenigstens in
der Richtung des aktiven Wahlrechts und der Majorität vollstän-
dig in eine Reihe gerückt mit der Prüfung der Person, während
in der Inhaltsangabe die letztere noch ganz im Vordergründe steht
und expressis verbis von der Prüfung des Wahlakts bei einstim-
migen Wahlen überhaupt nicht die Rede ist.
Mit dem Durchdringen eines bestimmten Wahlver-
fahrens ist die Zwiekur im alten Sinn unmöglich ge-
') SS. 84 ir.
*) Id est, quia. vel proprie Unetur. et quod Jtcit supra non tam proptcr
stlld’a eligentium, ete. L non proptcr studia eligentium, sed propter merita eUcto-
rum , persona m ducis denuntiavit indignam, et persona nt rcgis idonea nt. sie supra
(hier wird eine andere Stelle aus der Dekretalensammlung bezogen).
unde bene sequitur. quamvis plures, ete. et sie non gessit cognitoris personam:
quia retulit se tan tum ad merita eleetorum, non ad studia eligentium, quamvis potue-
runt se referrex ut in/ra sequitur. vel possunt verba teneri proprie; et quamvis
ponitur pro quia, ut praedixi. sed superior littera, seil, cum neutrius clectio-
nem, ete. videtur contrario.
3 ) VgL oben S. 57.
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72
worden. Hand in Hand damit hat sich der Umfang des
Approbationsrechts erweitert, es amfaßt nicht nur die
Prüfung der Idoneität (das Approbationsrecht im e. S.),
sondern auch die Prüfung des Wahlakts (das Konfir-
mationsrecht). Klectus in imperatorem a maiort parle
illorunt , ad quoe spertat elertio, si fuerit idoneus , per l‘a-
pam confirmabitur, rel potius app robabitur.
2.) Was nun zwiespältige Wahlen anlangt, so müssen wir
uns vor Augen halten, daß die Bulle zunächst für den Papst
a) das Recht, einen Schiedsspruch zu fällen, voraussetzt.
Die Darstellung der Bulle, daß die Pürsten selbst ein derartiges
Recht des Papstes nicht bestritten, sondern lediglich wegen
mangelhaften Verfahrens den Spruch des Kardinallegaten anfoch-
ten, erweist sich allerdings bei näherer Untersuchung als ein ab-
sichtliches Mißverstehen, indem die Fürsten jede Einmischung des
Papstes abgelehnt und das mangelhafte Verfahren nur als argu-
mentum ad hominem gebraucht hatten1). Trotzdem scheint es
jedoch naheliegend, daß das Schiedsrichteramt des Papstes im
öffentlichen Rechtsbewußtsein stärkere Anhaltspunkte hatte, als
die übrigen päpstlichen Ansprüche. Es war ja bei dem Umstande,
daß mangels detaillierter Wahl Vorschriften und unter der Nach-
wirkung des Prinzips der Einstimmigkeit jede Doppelwahl das
Reich in zwei feindliche Lager zerroißen mußte, tatsächlich ein
Bedürfnis nach einer entscheidenden Instanz vorhanden und als
solche mußte sich, ganz abgesehen von seiner überragenden geist-
lichen Stellung, gewiß der Papst umsomehr empfehlen, da tat-
sächlich jeder der Streitteile von ihm die Krönung zum Kaiser
verlangte. Überdies war ein derartiges Schiedsrichterarat der
Päpste in weitestem Umfange nichts Neues, wie wir vor allem
bei Gregor VII. gesehen haben’), und so kann es wohl nicht
überraschen, wenn die Glosse (wie die Bulle), vor allem in der
Inhaltsangabe, auf die wir immer wieder (vgl. oben SS. 70 und 71)
zurückkommen (Ilern, iudej- potest alleri parti favere), eine
richterliche Entscheidung des Papstes als etwas ganz
Selbstverständliches ansieht.
*) Vgl. oben S. 46 Anm. 1.
*) Vgl. oben S. 24.
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73
Was nun die juristische Natur dieses Entscheidungsrechtes
anlangt, scheint mir allerdings ein Unterschied gegenüber der
Aulfassung Gregors VII. und eigentlich auch gegenüber der Inno-
zenz’ III. vorzuliegen. Wenn die Bulle den Ausdruck cognitor,
die Glosse den Ausdruck iudex gebraucht, so ist dies ganz
charakteristisch. Nicht mehr als Schiedsrichter erscheint der
Papst, sondern als iudex Ordinarius, vor dem über die Frage der
Königswahl ein kanonischer Prozeß abgefübrt wird. Darauf werfen
auch die von der Glosse absente altera zitierten Stellen (c. 2 X
II 20 de test. et attest. und c. 2 C. 3 q. 9)') helles Licht;
beide sind einfach dem kanonischen Prozeßrecht entnommen; daß
die erstere, welche lediglich die Zeugenvernehmung absente
altera parte als nichtig erklärt, auf den vorliegenden Fall, wo
eine Zeugenvernehmung überhaupt nicht stattfand, nicht paßt, sei
nur nebenbei erwähnt. — Anderseits finden wir in der Be-
gründung des päpstlichen Rechtes m. E. eine weniger strenge
Durchführung des hierokratischen Systems als bei Gregor VII.
Schon die Bulle „Veuerabilem“ beruft sich ausdrücklich nicht auf
jenes allgemeine päpstliche Leitungsrecht in temporalibus, welches
Gregor VII. ohne Bedenken behauptet hatte und welches erst
in der Bulle „Unam Sanctam“ wiederkehrt s); sie begründet, wie
wir (SS. 47 und 50) gesehen haben, das päpstliche Entscheidungs-
recht „iure“, durch Hinweis auf die Verknüpfung der königlichen
und kaiserlichen Würde, und „exemplo“ *), durch Anführung eines
angeblichen Präzedenzfalles, des Streites zwischen Lothar und
Konrad. Auch die Glosse zeigt keine Spur der Begründung in
der Art Gregors VII., sie beschäftigt sich mit der Begründung
*) Die erstgenannte Stelle geht auf Gregor I. (590 — 604) zurück und
war bereits in die Comp. I. aufgenommen worden; über ihren Inhalt wird
im Text gehandelt, die kritischen Nachweise siehe in der Ausgabe von
Friedborg und bei Jaffe, Reg. Pont., 1912. Die zweitgenannte Stelle ist
pseudo-isidorisch, angeblich von Papst Eleutherus (174?— 189) und findet
sich bereits in vielen älteren Sammlungen; die kritischen Xachwoise siehe
in der Ausgabe von Friedberg und bei Jaffe, Reg. Pont, + 68; im Gra-
tianischen Dekret lautet die Rubrik: Aisinte aJvetsario sententiam ferri non lieet.
’) Vgl. oben SS. 25 und 54 Anm. 2, unten SS. 125 ff.
•) In dieser Weise wird dio Unterscheidung der Bullo iure palet paritet
et exemplo (vgl. oben SS. 47, 49 und 50) bereits in dor (S. 61 genannten)
Paraphrase aufgefailt.
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74
überhaupt nur oberflächlich. Zum Worte Lotharius führt sie als
Gegenargument gegen die Beweiskraft des Präzedenzfalles c. 7 X
1 6 de electione') an, womit offenbar auf die Worte angespielt
werden soll: ne rpwd de quibutdam pro necessitate temporis /cuium
est, trahatur u potsteris in ej-eiapUitn- darüber, daß der Präzedenz-
fall überhaupt nicht stringent ist9) und daß die Anführung nur
eines Beispiels überhaupt mit der oben (SS. 65 ff.) besprochenen
Theorie vom binus actus nicht im Einklang steht, schweigt der
Glossator.
Die Glosse unterläßt auch jede Anspielung auf einen anderen
in den Dekretalen vorkommenden Fall, welchen wir in diesem
Zusammenhang nicht übergehen wollen, auf c. 13 X II 1 de iu-
diciis5). In dem daselbst mitgeteilten Schreiben nimmt Inno-
zenz III. in einem Streit zwischen Philipp August von Frankreich
und Johann von England über ein feudum das Schiedsrichteramt
in Anspruch, also in einem Falle, in welchem die Beziehung zur
kaiserlichen Würde völlig fehlt. Aber auch hier steht der Papst,
theoretisch wenigstens, nicht auf dem extremen Standpunkt Gre-
gors VII. Auf einem Umwege sucht er sein Recht zu begründen:
die beiden Könige haben in der fraglichen Sache einen Vertrag
geschlossen und beschworen; über den Eidbruch zu urteilen, ist aber
Sache des Papstes, und auf diese Weise steht es ihm indirekt
auch zu, den Streitfall zu entscheiden. So wird theoretisch die
juristische Unabhängigkeit des Königtums aufrecht erhalten; ra-
ttone peccati jedoch et inducendo ad poenitentünn , wie die Glosse zu
den Worten iudicare de feudo bemerkt, wird die potestas tempo-
') Es ist dies eine von Alexander III. auf dem dritten Lateranensischcn
Konzil (1179) getroffene, in die Comp. I. aufgenummene Entscheidung über
die Besetzung von Kirchenämtern. Siehe die kritischen Nachweise in der
Ausgabe von Friedberg.
*) Vgl. oben S. 50, bes. Anm. 1.
s) Es ist dies ein aus dem Jahre 1204 stammendes, bereits in die
Comp. III. aufgenommenes Schreiben Innozenz’ III. an die französischen
l’r&laten. Kaymund von Pennafortc bat das Schreiben in die offizielle
Sammlung anfgenommen. (Das Summarium lautet: Judex eceksiastkus potest
per viam denunciationis evangelicae seu iudiciatis procedere contra quemlibet peaatorem,
etiam takum , maxime rationc perturii vtl paeis fractae). Die kritischen Nachweise
siehe in der Ausgabe von Friedberg. Eine eingehende Würdigung hat
die Dokretale gefunden in Phillips’ Kirchenrecht, § 129.
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rali t dem Papste unterstellt, dessen Sache es ist, corrigere quem-
libtt de peecato (Abbas ') in der dem Casus folgenden Inhalts-
angabe der in Rede stehenden Dekretale c. 13 X II 1). Dieser
Umweg, die päpstliche Gewalt auch in weltlichen Angelegenheiten
zu begründen, kehrt unter Gebrauch fast derselben Worte in der
Bulle „Venerabilem“ an der Stelle wieder, wo der Papst die In-
dignität Philipps auf seinen angeblichen Eidbruch zurückführt*),
und enthält in nnce die Doktrin von der potestas indirecta in
temporalibus1). Daß praktisch auch auf diesem Wege die Unab-
hängigkeit der weltlichen Gewalt negiert wird, ist klar, da dem
Ausspruch des geistlichen Richters über das peccatum eine juri-
stische Wirkung zugeschrieben wird. Ober den hierin nach unserer
modernen Anschauung unleugbar gelegenen Widerspruch und seine
Erklärung aus der mittelalterlichen Denkweise verweisen wir auf
unsere Ausführungen über die Depositionstheorie im Gratianischen
Dekret4); an die dort mitgeteilte Glosse erinnert aufs lebhafteste
die zu unserer Dekretale (c. 13 X II 1), besonders zu den Worten
iurisdictionem nostram: auch hier heißt es nach prinzipieller An-
erkennung der „distinctio“ der geistlichen und weltlichen Gewalt:
non ergo de temporali iurUdictione debel intromütere se Papa, nisi
in subsidium, ncilicef cum iudex sueculnris negligens est, vel cum
vacat imperium. Also eine subsidiäre Gerichtsbarkeit des
Papstes ohne Rücksicht auf die Natur des streitigen Rechts!
Damit geht die Glosse über den Gedanken Innozenz’ III. hinaus,
welcher an der Begründung seiner Kompetenz ratione peccati
') Der sog. Abbas antiquus, zu unterscheiden von dem oben S. 61 Anui. 2
behandelten Abbas Siculus, schrieb in den 60 'r Jahren des 13. Jahrhunderts:
vgl. über ihn Schulte, a. a. 0. (vgl. oben S. 31 Anm. 1) SS. 130 ff.
*) Die Dekretale „Novit“ (c. 13 X II 1 de iud.) sagt : .... numjuid
non poterimus de turamenii reliqione cognoscere, quod ad iudidum ccclestae non eit
dubium perlinere , ui rupta pacis foedera reformentur ? An der im Teit bezogenen
Stelle der Bulle .Venerabilem- heißt es : Utrum . . inramentwn lüitum fucrii
an illidtum et id(o servandum an non servandum txstUerii , nemo sant mentis ignarat
ad nostrum iudidum pertinere.
3) Über diese Theorie von der potestas indirecta in temporalibus,
deren klassischer Vertreter der Jesuit Bellamiin (f 1621) ist, vgl. v. Scherer,
a. a. 0. (vgl. S. 8 Anm. 4) S. 53, bes. Anm. 13.
4) Oben SS. 40 ff.
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7fi
festbält'). Praktisch ist allerdings der Unterschied dann von ge-
ringer Bedeutung, wenn man den Begriff des peccatum im
weitesten Sinne faßt, wie die Glosse peccat in ijisum erklärt:
id ent, ojfendit , cel luedit eum. Die Dekretale selbst subsumiert da-
runter jede Friedensstörung: pracip ue quum contra pacem perca-
tur, ijuae egt vinndum ruritatis. Und dieser Gedanke kehrt in der
Glosse zweimal wieder : <td Ecrlesiam * pertat purem eereare, sagt
der Abbas ; ud Ecclesiam spectat purem gern t re, et obsercari facere
heißt es in der Glosse zum Worte pacem unter nicht unpassendem
Hinweis auf die große kulturhistorische Übung dieses Rechtes durch
die Kirche, auf die trenga Dei*).
Wenden wir uns nach dieser Abschweifung wieder der Glosse
zur Bulle „Vcnerabilem“ zu, so haben wir nunmehr zu untersuchen,
wie sie
b) das in der Bulle, abgesehen von einer schiedsrichterlichen
Entscheidung, für den Papst beanspruchte Recht, altert partium
facere, behandelt. Die Glosse knüpft diesbezüglich an das Wort
favere an und bemerkt wörtlich: Si facet, ergo nun debet eene iu-
dex. (( ') II </. 3 r. tpta/uor (78) et r. get/ucns (79). Sed dir quod
in dubio potegt facere, cui vulL ff. de leg. 2 l. si i/ttii servum § ei
inter duos. ff. de bo. auct. iud. pass. L in venditione § ult. ff. <ul
Syl. I. gi ipiis in gruci § si rum omnes. Vel potesl rngere partes
ad mnrnrdiam. Istit . de satisd. tu. § sin autem et infra de offic.
deleg. r. suspirionis § ab ipso (r. .7,9 X I 29 de officio iud. del.)
et supra eod. rum inter R. (c. 18 X f 6 de clertinne). tune demum
debet facere , cum merita elertorum et eligentium paria sunt. arg.
infra de iure patron. cap. ipinniam in iptibusdam (r. <7 X III 38 de
iure patron.') et. 63 dist. rap. (sic!) si forte (36) rel rum potestas
eligendi devoluta est ad ijtsum. supra eod. cap. banne circa fin (ein,
*) Damit steht nicht in Widerspruch der in der Dekretale „Novit“ ent-
haltene Hinweis auf verschiedene Gesetze der Kaiser, durch welche dio
Kompetenz des geistlichen Gerichts über den ihm iure proprio zustehon-
den Umfang ausgedehnt wurde (Non igitur iniuriosum ....). Denn der Papst
sagt im weiteren Verlauf ausdrücklich: Quum enim non Aumanat consHtutiom,
sed drvinae legi potius innitamur . . , . .
*) Die Literatur über die treuga Dei verzeichnet Schröder a. a. O.
(vgl. S. 7 Anm. 1) S. 652 Anm. 2.
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77
c. 23 X 16 de eiert i me. Der Glossator trägt mit Recht Bedenken, eine
Entscheidung, von welcher der Ausdruck favere gebraucht wird, als
Richterspruch gelten zu lassen, und begründet diese ziemlich ein-
leuchtende Ansicht durch weit hergeholte, wenig passende Beleg-
stellen aus dem kanonischen Prozeßrecht1), ohne daraufhinzuweisen,
daß die Bulle der Entscheidung den Charakter eines Schiedsspruches
ausdrücklich abspricht. Er zieht aus diesem Sachverhalt auch nicht
die klare und bestimmte Konsequenz, daß kein Schiedsspruch vorliegt,
sondern führt eine Reihe von Fällen an, welche eben von der für
den Richter geltenden Regel angeblich eine Ausnahme bilden. Bei
Anführung dieser vier Fälle verläßt er allerdings unversehens das
Gebiet des Richterspruchs : läßt sich der zweite Fall noch darunter
subsumieren, so sind der dritte und vierte einfach dem kanonischen
Wahlverfahren entnommen. Allein dieser Sachverhalt ist dem Glossa-
tor nicht zum Bewußtsein gekommen, er ist sich darüber nicht
klar geworden, daß das in Rede stehende Recht von der Ausübung
eines Richteramtes seiner juristischen Natur nach verschieden ist. So
zögert auch der Glossator, von dem die Inhaltsangabe herrührt,
nicht, aus der Bulle schlechterdings den bereits (oben S. 72)
zitierten Bechtssatz zu formulieren: Iudex polest (seil, unter be-
stimmten Voraussetzungen) alter i purti favere.
Werfen wir nun einen Blick auf die einzelnen von der Glosse
angeführten Ausnahmsfälle, so ist zunächst bezüglich des ersten,
der wirklich unter die Ausübung des Richteramts zu subsumieren
ist, zu bemerken, daß er weder durch die angeführten Belege aus
dem römischen Recht auch nur für den Bereich des letzteren
hinlänglich gestützt ist*) noch dem kanonischen Prozeßrecht voll-
') c. 78 C. 11 q. 3 (pseudo-isidorisch) geht angeblich auf Gregor I.
(590—604) zurück, c. 79 ist den Comment. in Amos des hl. Hierony-
mus entnommen; vgl. bezüglich des ersteren die kritischen Nachweise bei
Jaffe, Keg. Pont. (ed. II), f 1949, bezüglich des letzteren siehe Migne,
Patrol. Lat. Tom. XXV 1067. Die angeführten Stellen wenden sich
ganz allgemein gegen eine „perversio iudicii“ dnreh timor, amicitia u. dgl.
’) Die angeführten Stollen aus dem römischen Recht (vgl. oben
S. 76) lauten folgendermaßen. L. 8 § 3 D. de legatis 2 (XXXI): Si inter
duos dubitetier dt todtm legato , cui potius dari oportet, ut puta si Titio retictum
est tt duo ehtsdem nominis amici testatoris veniant ei legatum petant et heres solvere
paralos sie, deinde ambu defendere keredem parati sint , tligere debere her edem ,
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78
ständig entspricht'). Mit diesem ersten Fall (in dubio potegt
favere) wäre nahe verwandt der dritte (rum merita electorvm et
eligentium paria sunt), wenn man hier eben überhaupt an einen
Richterspruch denken wollte. In Wirklichkeit handelt es sich um
eine Nuancierung des Approbationsrechts, welche dann eintritt,
wenn bei einer Zwiekur für beide Kandidaten gleich gute Gründe
sprechen: in diesem Fall soll der Approbierende ein freies Ent-
scheidungsrecht haben. Die hiefür angeführten Belegstellen han-
deln, wie nebenbei bemerkt sei, von allerdings verwandten, aber
nicht durchwegs von derselben Materie: c. 3 X III 38 de iure
patron.*) von dem Falle, wenn mehrere in Gemeinschaft Präsen-
tationsberechtigte sich nicht auf eine Person einigen ; c. 36 Hist. 63
handelt zwar von zwiespältigen Bischofswahlen, doch weist hier
cm sohrnt \ ut ab to defendatur. L. 8 § 4 L). 425 (de robus auctoritate iudicis
possidendis): Si untts sit, qui possideat bona, expeditum erit de locatione : quod si
non unus, sed plurcs sin/, quis eorum debeat locare et vendcrc, quaeritur. et liqui-
dem eonvenii inter eos, expeditissimum est: natu et omnes possunt locare et uni hoc
negotium dort: si vero non conrvemt, tune diccndum est praetorem causa cognita
e tigere debere , qui lotet vel vendat. L. 3 § 4 D. 295; Si, cum omnes domini agressu-
ram pa/eren/ur , uni servus opem tulit, an sit excusandus, an vero quia omnibus non
fu/it, plectendus? et tnagis est, ut, si quidem omnibus ferre potuit , quamvis quibus-
dam tulit, supplicio adßciendum: si vero simul omnibus non potuit, excusaruium, quia
quibusdam tulerit. natu illud durum est dicere, si cum duobus auxilium ferre non
possit , elegit altert esse au xi/io, electione crimen cum contraxisse . Bezüglich
der Argumentation aus dem römischen Kocht vgl. oben SS. 33, 64, 65,
unten SS. 80, 89, 96 Anm. 2, S. 109 Anm. 2 und S. 112 Amn. 2.
') c. 32 X II 20 de test. et attest. (eine in das Jahr 1205 fallende,
bereits in die Comp. III. übergegangene Dekretale Innozenz* III. — vgl. die
Ausgabe von Friedberg; Potthast, Keg. Pont., 2622; Migne, Patrol.
Lat., Tom. CCXV 743).
*) Dieses Caput geht auf das dritte Lateranensische Konzil (1179) zurück
und findet sich bereits in der Comp. I.; vgl. die kritischen Nachweise in der
Ausgabe von Fried borg. — Nicht uninteressant ist die Glosse zu diesem
Caput, welche den Vorschlag der Patrone ebenfalls als Wahl behandelt.
So heißt es schon in den auf den Casus folgenden Not. ; Item electio maioris
partis tenet , dum modo eiet tu $ sit idoneus. Und zu den Worten qui maioribus
wird unter Heranziehung von Stellen, die das kanonische Wahlrecht be-
treffen, die Frage abgehandelt, ob bei der zwiespältigen Präsentation die
einfache oder die durch sanioritas qualiiiziertc Majorität erforderlich sei
( me m quid requiritur , quod maioris sit meriti , et quod plures eum praesentent),
und im Sinne der einfachen Majorität entschieden (videtur sufficere , si sit
idoneus , dum tarnen haben t tnaiorem parle m , licet alius sit melior).
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79
Leo I. ') den Metropoliten an, die persona dignior zu konsekrieren
(praeferre = bevorzugen). Dieser Standpunkt entspricht dem,
welchen wir in der Bulle „Venerabilem“ bezüglich der Königs-
wahl zu finden glaubten; die Glosse jedoch biegt gewissermaßen
die Spitze um, wenn sie nur von den Fällen gleich guter
Gründe bei beiden Kandidaten spricht und dann das Wort favere
als ein freies Entscheidungsrecht deutet Auch der letztange-
führte Fall (der Devolution) wird, abgesehen davon, daß hier von
einer richterlichen Entscheidung schon gar nicht die Rede sein
kann, dem Gedankengang der Bulle nicht gerecht Die dazu an-
geführte Belegstelle enthält die Entscheidung des Papstes über die
mit dem deutschen Thronstreit so eng zusammenhängende Mainzer
Bischofswahl, die allerdings weitgehende Analogien zur Bulle
„Venerabilem“ aufweist; der Unterschied .liegt eben darin, daß
der Papst als schließliches durchschlagendes Argument für seinen
Kandidaten anführt: wenn selbst alle gegen seine Wahl vorge-
brachten Einwände zutreffend wären, hätte er (der Papst) doch
freie Hand, ihm die bischöfliche Würde zu verleihen, nämlich iure
devolutionis, weil dann nicht nur die Wähler des Gegenkandidaten,
sondern auch die Wähler des päpstlichen Kandidaten (eben infolge
der fehlerhaften Wahl) ihres Wahlrechts verlustig gegangen
wären1). Daß Innozenz III. auch bei der Entscheidung des
deutschen Thronstreits von derartigen Gedankengängen beeinflußt
war, haben wir bereits dargelegt; und die Anführung dieses Falles
(der Devolution) in der Glosse zum Worte favere ist eben des-
') Migne, Patrol. I.at., Tom. LIV 666. Weitere kritische Nachweise
bei Jaffü, Keg. l’ont., 411. Vgl. oben S. 49 Amn. 1.
’) Die Entscheidung Innozenz’ III,, welche sich bereits in der Comp.
III. lindet, stammt aus dem Jahre 1202 (vgl. die Ausgabe von Friedberg
und Pütthast, Reg. Pont., 1647). Die Wahl selbst hatte Ende des Jahres
1200 stattgefunden (vgl. Krammer, Wahl und Einsetzung . — vgl. S. 21
Anm. 2 — S. 47 Amn. 2); die staufiache Partei hatte den Bischof von
Worms postuliert, eine kleine päpstliche Minorität Sigfrid von Eppcnstein ge-
wählt. In der Entscheidung des Papstes, welche über Beschwerde gegen
die vom Kardinallegaten Guido von Präneste gefällte Entscheidung erging,
spielt folgendes Argument eine große Rolle: da die Partei des Wormsers
letzterem die Administration übergab, ohne die Entscheidung des Papstes
über die Postulation abzuwarten, wurde sie ihres Wahlrechtes verlustig ;
also erscheint die Wahl der Minorität, wie klein sic auch gewesen sein mag,
als einhellig. Das durchschlagende Argument aber ist das im Text angeführte.
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halb interessant, weil hier eine Spur von dem ursprünglichen
Gedanken des Papstes, den er in der Bulle „Venerabilem“ fallen
gelassen hat, zum Vorschein kommt1).
Von besonderer Bedeutung ist m. E. der an zweiter Stelle
angeführte Fall : vel potest cogere partes in conrordiam. Zwar ist
mit den angeführten Belegstellen aus dem römischen und kano-
nischen Recht auch hier nicht viel anzufangen. Die römisch-
rechtliche und die eine kanonische (c. 39 X I 29 de officio iud.
del.) sind der Qualifikation des in Rede stehenden Rechtes als
Ausübung eines Richteramtes insofern angemessen, als sie dem
Prozeßrecht im weitesten Sinn entnommen sind, behandeln aber so
spezielle und ungewöhnliche Fälle, daß von ihnen aus von vorn-
herein ein verallgemeinernder Schluß unzulässig erscheint*). Die
zweite dem kanonischen Recht entnommene Stelle (c. 1 f> X 1 G de
electione) erzählt, daß Papst Cölestin III. (1191 — 1198), um den
Frieden in einem Kloster wiederherzustellen, den Abt zur Re-
nunziation zwang (ad componendum coegit invitum) und ihm da-
für custodiam et etiam prioratum verlieh, ein Vorgang, dessen
juristische Qualifikation allerdings ebenso erheblichen Schwierig-
keiten begegnet, wie sie der Glossator bei dem von der Bulle
„Venerabilem“ behaupteten iu« alteri partium favere empfunden zu
') Vgl. oben SS. 51 ff.
*) Die dem römischen Recht (§ 1 Inst. I 24 de satisdatione tutorum et
curatorum — vgl. bezüglich des römischen Rechts S. 77 Anm. 2) ent-
nommene Stelle bezieht sich auf die Bestimmung des gesch&fls führenden
Vormunds unter mehreren Mitvormnndern (also einen Zweig der auBer-
streitigen Gerichtsbarkeit) und lautet : ... sin autem ipsi tutores dissersserint
circa tligendum tum vtl tos qui gerere debent, praetor partes suas interpo -
nere debet. (idem ei in pturibus ex inquisitione datss probandum es/, id est ut
rnaior pars eligert possit, per quem administratio /irret). — ■ c. 39 X I 29, eine
Entscheidung Gregors IX. (1227 — 1241, vgl. Potthast, Kog. Pont., 9554)
lautet : Suspicionis causa contra iudicem assignala, non ipse qui fortan provocatus
obesset , sed arbitri potius, eoratn quibus probatio est facienda, et ad quos omnia, quae
aa httne arttculum faciunt, pertinere noscun/ur , possunt ad hoc terminum assignare.
Ab ipso quoque iudice, ati sicut iurisdietio. sic et cetera, sine quibus explicari causa
non potest, mtelliguntur esse commissa, iidem ut conveniant , si discordes
fuersnt , in unatn senteniiarn , vel tertium eoncorditer advocent, cum quo
duo vel alter eorum id faciat, sunt cogendi, ne huiusmodi occasssone prinetpale
negotium plus debito prorogetur.
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haben scheint'). Was aber dieser Konstruktion des ius alteri
partium favere als ein „partes in concordiam cogere“ m. E. be-
sondere Bedeutung verleiht, ist der Umstand, daß hier die Wurzel
bezeichnet ist, aus der tatsächlich dieses nicht zu voller Klarheit
entwickelte Recht hervorwuchs. Das altgermanische Wahlprinzip
war das der Einstimmigkeit in dem Sinne, daß die Minorität
durch die Wahl nicht gebunden war1); os fehlte an einer korpo-
rativen Organisation des Reichs, der Voraussetzung einheitlicher
Willensbildung, und jede Zwiekur bedeutete einfach die Zusammen-
schließung der Reichsgenossen in zwei nicht nur von einander ge-
trennte, sondern geradezu feindliche Genossenschaften; nur ein
gütlicher Vergleich oder ein Waffengang der beiden Könige konnte
die Einheit wieder herstellen. Und als nun allmählich der Korpo-
rationsgedanke sich durchsetzte, da suchte man immer noch, eine
tatsächliche concordia, eine ausdrückliche Zustimmung der Minorität
herbeizuführen, beziehungsweise formell die Wahl als eine einstimmige
erscheinen zu lassen; das ist ja der Sinn der electio communis9),
und bis auf den heutigen Tag hat die altgermanische Auffassung
deutliche Spuren in unserem öffentlichen Recht, und zwar im
Strafprozeßrecht (besonders im englischen) *) und in noch höherem
') Die Stelle ist eine aus dem Jahr 1199 stammende, bereits in die
Comp. III. aufgenommene Entscheidung Innozenz’ III.; vgl. die kritischen
Nachweise in der Ausgabe von Friedberg und bei Potthast, Keg. Pont.,
667. Zum besseren Verständnis sei hier nur folgendes bemerkt: nach der
Renunziation des H. wurde R. senior zum Abt gewählt; ihn zwang später
Cölestin III. zur Renunziation, nachdem ernste Zweifel an der liechtsgiltig-
keit der ersten Renunziation (des H.) aufgetaucht waren. Der weitere Inhalt
der Entscheidung, bei der es sich eigentlich um die Wahl eines R. junior
nach dem Tode des H. handelt (sie wird als von Suspendierten vorgenommen
kassiert, vgl. unten S. 88), ist hier ohne Interesse.
*) Vgl. die näheren Ausführungen im Abschnitt III 3 des II. Kapitels.
3) Vgl. Abschnitt III 1 des II. Kapitels.
4) Im englischen Schwurgerichtsprozell kann das Urteil nur auf Grund
eines einstimmigen Verdikts der Geschworenen gefällt werden. Nach anderen
Prozeßordnungen genügt eine (eventuell qualifizierte) Majorität; doch wird
bekanntlieh iui deutschen Reich (anders in Österreich) das Verdikt durch
den Geschworenen-Obmanu ohne Angabe des Stimmenverhältnisses mitgeteilt,
erscheint also als ein einhelliges. Vgl. Geyer, Lehrbuch des gemeinen
deutschen Strafprozeßrechts, Leipzig 1880, S. 762.
HugelLuauu, Die deutsche Küulgswshl b
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82
Maße auf dem Gebiete des Staatsrechts im Pariameutsrecht, aller-
dings vor allem im ungeschriebenen, hinterlassen1). Daß es nun
nahe lag, die notwendige Einstimmigkeit durch einen Aus-
spruch des Papstes herbeizuführen, wurde bereits (oben S. 72)
betont. Und vergegenwärtigen wir uns die Lage eines Papstes,
der dem deutschen König die Kaiserkrone verleihen sollte und
sich nun deren zwei gegenübersah, so blieb ihm allerdings
nichts anderes übrig, als alteri parti favere. Als eine
aus kanonistischer Auffassung fließende Einschränkung
erscheint es bereits, wenn er sich an eine persona idonea
oder, wie wir annahmen, sogar an die persona dignior
gebunden hielt. Daß mit der Entscheidung über die
Kaiserwürde auch über die Königswürde im Sinne der
päpstlichen Auffassung entschieden war, läßt sich aller-
dings nicht logisch deduzieren, ergab sic'h aber sehr
natürlich aus der mittelalterlichen Auffassung des
römisch-deutschen Kaisertums9). Als sich nun für die
Wahl ein bestimmtes Verfahren auszubilden begann, dif-
ferenzierte sich das ius alteri parti favere zu einem dem
staatsrechtlichen Verhältnisse der Zeit durchaus nahe-
liegenden Recht auf schiedsrichterliche Entscheidung,
welche auch den Wahlakt berücksichtigen mußte, wobei
sich die Theorie der Differenzierung nicht völlig be-
wußt wurde. Als schließlich mit dem vollen Durch-
dringen der korporativen Organisation des Reiches, die
sich in einer festen Wahlform (vor allem im Majoritäts-
prinzip) manifestierte, die Zwiekuren begrifflich un-
möglich waren, wurde das Entscheidungsrecht des
*) Hierher gehört der im deutschen Reichstag und im österreichischen
Abgeordnetenhaus übliche Gebrauch, die Tagesordnung durch einheitlichen
Beschluß der Partei-Obmänner (Senioren - Konvent, Obmänner - Konferenz.)
festzustellen, ferner diu von den Minoritäten häufig beobachtete Übung,
bei gewissen Abstimmungen (dofinitive Präsidentenwahl u. dgl.) leere Stimm-
zettel abzugeben, in besonderem Mall aber die im österreichischen Abge-
ordnetenhaus eingebürgerte Gewohnheit, von einzelnen Bestimmungen der
Geschäftsordnung (erste Lesung der Vorlagen vor ihrer Zuweisung an den
Ausschuß) Umgang zu nehmen, wenn von keiner Seite ein Widerspruch erfolgt.
9) Vgl. oben SS. IM f., 48 f.
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Papstes von dem einheitlich gestalteten und gedachten,
Approbationsrecht aufgesaugt.
Bevor wir zur Besprechung dieses Wahl Verfahrens übergehen,
wollen wir noch auf ein anderes Institut einen Blick werfen,
welches ebenfalls der Übergangsperiode von der Einstimmigkeit
zum Majoritätsprinzip seine Bedeutung verdankt und die päpst-
lichen Rechte zu modifizieren geeignet war, auf die Königskrönung
durch den Kölner Erzbischof.
3. Wir erinnern uns '), daß die Bulle „Venerabilem“ unter den
Gründen, welche für Otto IV. sprechen, die Krönung desselben
„ubi debuit et a quo debnit“ ins Treffen führte. Wir haben darauf
hingewiesen, daß dieser Passus eine unheilbare Verwirrung er-
zeugen muß, indem jeder Anhaltspunkt dafür fehlt, inwieweit dem
Gekrönten gegenüber die päpstlichen Rechte zessieren sollen, die
KaiserkTÖnung also gewissermaßen eine notwendige Folge zwar
nicht der Königs wähl, aber doch der Königskrönung sein soll.
Eine richtige Erkenntnis dieser Sachlage, bei der gewiß eine Ein-
schränkung der päpstlichen Rechte durch die juristische Durch-
führung des von Innozenz III. ausgesprochenen Argumentes mög-
lich war, veranlaßt« wohl die Weglassung dieses Passus in der
Dekretalen-Sammlung. Nichtsdestoweniger finden wir in der Glosse
eine Stelle, welche auf unsere Frage Bezug nimmt. Zum Worte
observari wird bezüglich der Ungiltigkeit des Philipp geleisteten
Eides (vgl. oben S. 47) bemerkt: etiamsi ei tarn coronato iurasset,
post reprobatümem legitimain ei (Philippo) non teneretur (seil Ju.r
y.aringie) in alit/uo ratione iura men/ i. Wenn hiefür der von uns
(oben SS. 34 ff.) ausführlich behandelte c. 3 C. 15 q. 6 als Beleg-
stelle herangezogen wird, so liegt offenbar der Gedankengang zu-
grunde, daß dasjenige, was nach der Deposition eines schon im
ruhigen Besitz der Herrschaft befindlichen Königs gilt, gewiß
auch nach der beim Regierungsantritt erfolgten Reprobation gelten
müsse. Daß der Beweis sehr wenig scharf ist, weil der Mero-
winger Childerich 111., von dem die bezogene Stelle handelt, über-
haupt nie gekrönt wurde, sei nur nebenbei erwähnt, ebenso daß
die zweite Belegstelle (c. 3 X I 7 de translatione) ’) überhaupt
keinen Zusammenhang mit unserer Frage erkennen läßt.
*) Vgl. oben SS. 49, 55 ff.
’) Den Inhalt dieser von Innozenz III. im Jahre 1198 erlassenen
6*
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Was uns hier vor allem interessiert, ist das Verhältnis der
KönigskTönung zu den päpstlichen Rechten. Was das Appro-
bationsrecbt, das ius examinandi personam, anlangt, ergibt sich, wie
wir bereits aus dem Gedankengang der Bulle (oben SS. 56 und 57)
geschlossen haben, daß es nach der kanonistischen Doktrin in
voller Kraft auch gegenüber dem Gekrönten fortbesteht Dagegen
läßt die Glosse bezüglich des Entscheidungsrechtes bei zwiespäl-
tigen Wahlen ebensowenig, wie die Bulle, einen sicheren Schluß
zu. Aus der Natur der Sache scheint sich jedoch zu ergeben,
daß der Papst den ordnungsgemäß zum König Gekrönten, falls er
eine persona idonea ist, allerdings zum Kaiser krönen muß. Ich
habe andernorts ') nachzuweisen gesucht, daß diese Betonung der
Krönung, also der Einsetzung (Investitur) des Königs, eben durch
das Bedürfnis hervorgerufen war, bei zwiespältigen Wahlen eine
sichere Rechtsgrundlage zu schaffen. Dieser Bedeutung der Krö-
nung wird man nur gerecht, wenn man sie an Stelle des
päpstlichen Entscheidungsrechtes treten läßt. Die Instanz, bei
der die Entscheidung lag, war dann eben nicht der Papst, sondern
der Erzbischof von Köln, worauf Mario Krammer richtig hinge-
wiesen hat*). Dieser war nun allerdings der prädestinierte Ver-
treter der päpstlichen Politik in Deutschland ; immerhin bleibt es
aber eine nur zu begreifliche Vorsicht, wenn die kanonische
Legislation und Doktrin diesem Rechte des Kölners gegenüber
eine große Reserve beobachtete.
C. Das Wahlverfahren. Im Mittelpunkte steht hier, wie
schon unsere bisherigen Untersuchungen gezeigt haben,
1. das Majoritätsprinzip. Ich verweise bezüglich des Durch-
dringens dieses Prinzips im deutschen Königswahlen recht auf die
obigen Ausführungen, SS. 81 ff. Inwieweit dieses Durchdringen
eben durch die Bestimmungen des kanonischen Rechtes beein-
(PotthaBt, Reg. Pont., 352), in die Coniji. III übergegangenen Dekretale
(nähere kritische Nachweise auch in der Ausgabe von Friedberg) gibt
das Sununariuni richtig wieder: Episcopus , gut pnpria auctoritate de ma ectlesia
se trans/ert ad aliam, careint utraque .
') Vgl. oben S. 21 Anm. 4.
*) Wahl und Einsetnung (vgl. oben S. 21 Anin. 4) SS. 22 und 103.
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flußt war, wird uns noch in anderem Zusammenhänge beschäftigen ’).
Hier haben wir nur auf die Theorie des kanonischen Rechts selbst
einen Blick zu werfen.
Die Bulle „Venerabilem“ hatte klar und deutlich das Majoritäts-
prinzip aufgestellt im Gegensatz zu den vorsichtigen Äußerungen
in der Deliberatio, allerdings nicht in autoritativer Form, sondern
incidenter in dem mit quamvis eingeleiteten Satze*). Es ist nun
interessant, daß die Glosse, welche durchaus geneigt ist , aus
diesen incidenter gemachten Äußerungen der Bulle Rechtssätze
zu formulieren3), dies bezüglich des Majoritätsprinzips nicht tut.
Sie verhält sich ihm gegenüber ganz ähnlich, wie wir dies oben
(SS. 67 f.) bei Besprechung de3 Wählerkreises gesehen haben.
Die von uns (8. 61) besprochene Paraphrase gibt den Inhalt der
Bulle fast wörtlich wieder, aber in der darauf folgenden Inhalts-
angabe fehlt jeder Hinweis auf das Majoritätsprinzip. Erst in
dem an die Spitze der Bulle gestellten Rechtssatz des Johannes
Andreae ist es mit aller Klarheit und Schärfe formuliert ; sehr be-
greiflich, da es sich zu seinerzeit in der Praxis des deutschen Reichs-
rechts bereits durchgesetzt hatte4). Übrigens darf hier nicht un-
erwähnt bleiben, daß zu dieser Zeit im kanonischen Wahlverfahren
bei der Papstwahl bereits die Zweidrittel- Majorität gesetzlich
festgelegt war, während bei den übrigen kanonischen Wahlen eine
andere Qualifikation, die sanioritas, verlangt wurde, zu deren Er-
setzung durch die Zweidrittel-Majorität wenigstens Ansätze vor-
handen sind i). Bezüglich der deutschen Königswahl findet sich
in der Glosse zur Bulle „Venerabilem“ nicht die geringste Spur
von der Zweidrittel-Majorität und auch die Theorie der sanior
pars spielt keine Rolle, wenn auch immerhin in letzterer Hinsicht
das dem Papst eingeräumte Recht, alteri (beziehungsweise digniori)
parti favere, praktisch denselben Effekt hatte.
2. Bezüglich des Wahlakts im engeren Sinne macht sich
die fortschreitende Tendenz, auf das Königtum schlechthin Bestim-
mungen des kirchlichen Ämterrechtes anzuwenden, welche uns in
') Unten im Abschnitt 111 3 des 11. Kapitels.
*) Vgl. oben SS. 49, 57 f., 71.
*) Vgl. unten S. 87, oben SS. 71 und 77.
4) Vgl. uuten Abschnitt Hl 3 des 11. Kapitels am Ende.
*) Vgl. diesbezüglich die c. 9 et 43 in VI to 1 6 de electione.
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86
der Glosse schon wiederholt begegnete '), in besonderem Maße
bemerkbar. Schon die Einreihung der ganzen Bulle „Venerabilem“
in den Titel de electione, welcher zur Gänze dem kirchlichen Ämter-
recht gewidmet ist, ist für diese Tendenz charakteristisch. Bei
der Zurückweisung der erbrechtlichen Gestaltung des deutschen
Königtums (vgl. unsere obigen Ausführungen SS. 63 bis 66, bes.
zur Glosse illicitum SS. 63 f.), nicht minder bei Besprechung der
päpstlichen Rechte (vgl. unsere obigen Ausführungen über das
päpstliche Approbationsrecht S. 7 1 , über das päpstliche Ent-
scheidungsrecht bei zwiespältigen Wahlen SS. 73 und 77 ff.), ist sie
uns deutlich entgegengetreten. Es ist dafür ebenso charakteristisch
die Berufung auf Belegstellen, welche ausschließlich von Kirchen-
ämtern handeln (vgl. oben SS. 64 und 76 fl'.), wie dies besonders
deutlich in der Glosse zum Worte eiaminatio *) hervortritt, wie die
Formulierung von Rechtssätzen aus den Ausführungen der Bulle.
Daß in dieser Beziehung die incidenter gemachte Bemerkung der
Bulle bezüglich der contemptio von Wählern in der Glosse (und
zwar in der Inhaltsangabe) als rechtsverbindlicher Satz des ka-
nonischen Rechtes erscheint, wurde bereits in anderem Zusammen-
hang (S. 71) erwähnt, ebenso (S. 57), daß damit die kanonistische
Theorie für die Königswahl das wichtige Erfordernis der
unitas actus aufgestellt hat. Weit hinaus geht über diese An-
wendung einzelner kanonischer Rechtssätze auf die Königswahl
der Casus, welcher in voller Verkennung der historischen Er-
eignisse und des Gedankens der Bulle erzählt: Papa mitit quen-
dam legatum in Alemaniam , ut alteram electionum praedictaruin,
quam canonicam inveniret , confir märet ’). Der Schöpfer der
*) Vgl. oben SS. 33, 35 An in. 3, 37, 48 und 64: unten SS. 88, 90, 95,
98, 105, 108, 109 Anm. 1 und 110.
*) Zum Worte examinati» bemerkt nämlich die Glosse nur lakonisch:
77 d. c. qui est. Gemeint ist offenbar c. 3 Dist. 78, welcher mit den Worten quid
est beginnt, eine Stelle aus einem Briefe Leos I. (440—461 : vgl. die kritischen
.Nachweise in der Ausgabe vou Friedberg und bei .Taffe, Keg. Pont. [od. II.),
410: Migne, Patrol. Lat., Tom. LIV 647 et 658). Die Stelle lautet: Quid est;
man us cito imponerc , mm ante ctatem maturitatis, ante tempus rxamims. . . . ,
handelt also von der Ordination.
*) Lindncr, Der Hergang bei den deutschen Köuigswahlen, Weimar
1899, SS. 8 und 9, legt unter sehr beachtenswerter Begründung dar, .canoni-
cus“ bedeute an sich nur „regelm&tSig"1, ,rechtmäUig'‘ schlechthin: es könne
daher aus dem Gebrauch des Wortes in den deutschen Wahlberichten
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87
glossa ordinaria hat damit aus der Anwendung einzelner kano-
nischer Rechtssätze generalisierend geschlossen, daß das ganze
kanonische Wahlverfahren auch für die Königswahl maßgebend
sei. Demgegenüber ist jedoch sehr zu beachten, daß von der
Glosse zwar, wie wir gesehen haben, viele Bestimmungen des
kanonischen Ämterrechtes auch im einzelnen als für das Königtum
verbindlich angeführt werden, so insbesondere für das Wahlver-
fahren das Prinzip der unitas actus, daß aber doch auch äußerst
wichtige Bestimmungen weder in der Bulle noch in der Glosse
eiwähnt werden. Es sind dies die grundlegenden Bestimmungen
der Canones „Quia propter“ (c. 42 X I 6 de electione) und „Cumana“
(c. 50 X I 6 hoc tit.) über die Wahlformen (per » crutinium , per
compromürum und per irupirationem) und über die essentialia
electionis ( requisitio , publicatin und collatio, electio) *).
Die Reflexwirkung der Behandlung des Königtums als kirch-
liches Amt, auf welches das kanonische Ämterrecht in weitem
Umfang angewendet wird, ist es, wenn anderseits die Glosse aus
Bestimmungen der Bulle, die spezifisch der Königswahl gelten,
Rechtssätze von ganz allgemeiner Geltung ableitet. Wir
haben bereits (S. 238) ein Beispiel besprochen : aus dem Recht des
Papstes, alteri partium favere, das die Bulle für den Fall der
Zwiekur behauptet, macht die Glosse den allgemeinen Rechtssatz
Iudex potest alteri parti favere. Im übrigen genüge der Hinweis
auf die oben (SS. 62 f.) mitgeteilte Inhaltsangabe.
3. Abschließend mögen hier eine Reihe von Glossenstellen
Erörterung finden, welche sich ex professo mit der Frage des
passiven Wahlrechtes — das aktive wurde bereits oben unter A 3
nicht auf die Einhaltung gerade der kanonischen Rechtsformen ge-
schlossen werden. So beachtenswert, wie gesagt, die Ausführungen Lindners
sind, so kann doch m. E. darüber kein Zweifel sein, dali an der im Text
besprochenen Stelle der Glosse nach dem ganzen Zusammenhang die liech ts-
fürmlichkeit nach kanonischen Grundsätzen gemoint ist.
') c. 42 X I 6 ist der berühmte Beschluli des 4. I,aterancnsischcn Konzils
(1215), welcher bereits in die Comp. IV. aufgenommen worden war (näliorc
Nachweise in der Ausgabe von Friedberg); vgl. über ihn vor allein
v. Wretschko, Deutsche Zcitschr. f. Kirchenr., XI 327 ff.
c. 50 X I G enthält eine Entscheidung Gregors IX. aus dem Jahre
1228 (vgl. Potthast, Reg. Pont., 8152; daselbst und iu der Ausgabe von
Friedberg nähere kritischo Nachweise).
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8«
untersucht — befassen, dabei aber auch auf die rechtliche Natur
des Wahlakts manches Licht fallen lassen. Die Frage des passiven
Wahlrechts ist vom Standpunkt des kanonischen Rechts gleichbe-
deutend mit der Frage der „Idoneität“. Auch in dieser Beziehung
finden wir in der Glosse wie in der Bulle ') keinen Anhaltspunkt
dafür, daß die Indignitätsfälle bei der Königswahl und bei ka-
nonischen Wahlen schlechthin dieselben wären. Wohl aber
zeigt sich die fortschreitende Tendenz in dieser Richtung darin,
daß in einer großen Zahl einzelner Fälle Belegstellen aus dem
kanonischen Ämterrecht herangezogen werden. Dies gilt vor allem
von der Glosse zum Worte electus, wo die von der Glosse aufge-
stellte Behauptung, daß die Wahl Philipps als eines publice excom-
municatus ipso iure nichtig (nulla) war, durch Hinweis auf c. 8
X I 4 de cousuet. , c. 16 X I 6 de olectione und c. 23 X II 28
de appellat. a) begründet wird. An den beiden erstgenannten
Stellen wird eine von Suspendierten vorgenommene Wahl „kassiert“,
und zwar nach c. 8 X I 4, wo überdies ein Suspendierter gewählt
war, „iustitia exigente“. Beide Stellen sind also nicht ganz be-
weiskräftig, da — von allem andern abgesehen — die in der Bulle
„Venerabilem“ verteidigte Wahl Ottos IV. ohne vorangegangene
„Kassation“ der Wahl Philipps erfolgte. Es ist schon oben
(S. 58) darauf verwiesen worden, daß Innozenz III. wiederholte
Entscheidungen, welche auch in die Dekretalen - Sammlung über-
gingen, gefällt hat, denen zufolge, abweichend von dem Vorgang
im Thronstreit, vor der Vornahme einer zweiten Wahl der Aus-
spruch des Papstes über die Ungiltigkeit der ersten abgewartet
werden muß. Daß die Praxis in diesem Punkt keine einheitliche
war, ergibt sich allerdings z. B. aus der dritten (oben an-
geführten) Stelle c. 23 X II 28 de appellat., wo eine Wahl kon-
firmiert wird, obwohl eine früher vorgeuommene Wahl eines pu-
‘) Vgl. oben SS. 58 ff.
*) Die erste Stelle (c. 8 X I 4) ist eine aus dem Jahre 1209 stammende, die
zweite Stelle (c. 16 X I 6) eine aus dem Jahre 1199 stammendo Kutscheidung
Innocenz’ III., beide bereits in der Comp. III. enthalten: die dritte Stelle
geht auf Alexander III. (1159 — 1181) zurfick und war schon in die Comp. I.
aufgenommen worden. I>ic kritischen Nachweise siehe in der Ausgabe von
Friedberg, außerdem bezüglich der orsten Stelle. bei Potthast, Keg. Pont.,
3590, bezüglich der zweiten ibidem 657, bezüglich der dritten Jaffe, Keg.
Pont. (cd. II.), 12668: bezüglich der zweiten vgl. auch oben S. 81 bes. Anm. 1.
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blice excommunicatus nicht der päpstlichen Entscheidung unter-
breitet worden war. Jedenfalls scheint der in der letztgenannten
auf Alexander 111. zurückgehenden Dekretale befolgte Vorgang
nicht der normale zu sein *).
Von den einzelnen Indignitätsfällen der Bulle behandelt die
Glosse nur die excommunicatio (unter dem Stichwort publica),
den Meineid (periurium), die Abstammung de genere persecutorum
(progenitores) und das Sacrileg (sacrilegus). Darunter befindet
sich einer, für den die Glosse selbst keine Belegstelle aus dem
kanonischen Ämterrecht anzuführen vermag; zum Worte progeni-
tores bemerkt sie in ßliis enim paterni criminis exempla metn-
untur und verweist auf c. (21 und) 22 C. 6 q. 1, wo eine aus
dem römischen Recht*) entnommene Stelle die Söhne begnadigter
Verschwörer gegen den Kaiser als infam und erbunfähig erklärt.
— Dagegen finden sich Verweise aus dem kanonischen Ämterrecht
bezüglich des excommunicatus und periurus. Bezüglich des ersteren
verweist die Glosse zum Worte publica auf c. 12 X II 25 de ex-
ceptionibus, auf c. 9 X V 27 de clerico exc., auf c. 24 X II 27
de sent. et re iud. und schließlich auf c. 1 in VIto II 12 de
exceptionibus s), um die Notwendigkeit der publica excommuni-
') Die Begründung macht einen gezwungenen Eindruck : die Appellation
der Partei des Exkommunizierten wird deshalb zurfickgowiescn, weil sie
selbst nach eingelegter Appellation gegen ihren Kandidaten die Wahl
Torgenommen hatte und somit oinc Einrede aus einem gl eichen Ver-
halten der Gegenpartei nicht mehr Vorbringen konnte (nnr diesen Ge-
danken hebt das Summarium hervor). Als Norm gilt also auch hier, daß die
Kassation der ersten Wahl abzuwarten ist, bevor zu einer zweiten geschritten
wird. Ganz besonders scharf kommt diese Norm zum Ausdruck in c. 29 X I 6
de electione und c. 11 X V 31 de cxcessibus pracl., zwei Entscheidungen In n o-
ccnz' III. aus den Jahren 1205 und 1209, beide bereits in die Comp. III.
aufgenommen (vgl. dio kritischen Nachweise in der Ausgabe von Friod-
berg und bei Potthast, Keg. Pont-., 2472 und 3662). Dies erkennt klar
die Glosse zum letzteren caput, indem sic zum Worte irritam bemerkt:
Erqo fuit haec securuia flectio irrita ipso iurey quüi prima non cassaia
secunda non potuit nee debuit attentari, etiamsi prima ipso iure nulla fuisset.
*) L. 5 Cod. IX 8.
*) Die erste und zweite Stelle (c. 12 X II 25 und c. 9 X V 27) gchon
auf Gregor IX. (1227 — 1241) zurück, dio dritte (c. 24 X II 27), welche sich
bereits in der Comp. IV. tindet, ist eine Dekretale Innocenz' III. (1198—1216),
die vierte (c. 1 in VI«1 11 12) geht auf das Konzil von Lyon (1245) zurück.
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catio zu beweisen. Alle diese Bestimmungen, mit Ausnahme
der an zweiter Stelle genannten, sind dem Prozeßrecht ent-
nommen: c. 24 X II 27 enthält die Weisung, ein Urteil zu
kassieren (infirmare), falls einer der Richter im Moment der
ürteilsfällung „publice excommunicatus“ war; c. 12 X II 25 und
c. 1 in VI*° II 12 regeln die dem Beklagten zustehende prozeß-
hindernde Einrede der excommunicatio (maior) des Klägers und
bestimmen, daß die publica excommunicatio sogar von Amts-
wegen und in jedem Stadium des Prozesses zu berücksichtigen ist.
Die an zweiter Stelle genannte Bestimmung, c. 9 X V 27, befaßt
sich mit der suspensio a divinis und stellt fest, daß die cele-
bratio divinorum nur dann Irregularität zur Folge hat, wenn sie
in Kenntnis (oder verschuldeter Unkenntnis) der Suspension er-
folgte, was das Summarium extensiv auch auf die Nichtbeachtung
der Exkommunikation ausdehnt. Hier haben wir also wieder ein
Beispiel für das wahllose Subsumieren weltlicher Angelegenheiten
nnter Nonnen rein kirchlicher Natur. Die scharfe Forderung der
publica excommunicatio ist eine Fortbildung des Gedankens,
welcher uns schon im Gratianischen Dekret begegnete, daß nur
dem nominatim excommunicatus gegenüber die Treuepflicht
ze8siert'). Den Ausführungen der Bulle gegenüber erscheint diese
scharfe Betonung allerdings beinahe wie ein Gegenargument;
denn wenn die Bulle auch von der publica excommunicatio spricht,
so unterläßt sie es doch aus guten Gründen, die Frage der Pu-
blizität der Exkommunikation Philipps näher zu prüfen*). —
Die kritischen Nachweise siehe außer in der Ausgabe von Friedberg be-
züglich der ersten Stelle bei Potthast, Reg. Pont, 9614, bezüglich der
zweiten ibidem 7882 ct post 9611, bezüglich der dritten ibidem 5023, be-
züglich der vierten ibidem, Vol. II., pag. 996, X aliae Constitutioncs (in
Concilio Lugdunensi) no. 3.
') Vgl. obon S. 37.
J) Vgl. darüber Winkel m a ii n , a. a. 0. (vgl. oben S. 43 Anui. 1) SS. 31 f.,
80 ff., 137 ff. Die Exkommunikation war zwar von Coelestin 111. öffentlich ver-
hängt worden, scheint aber in Deutschland nicht bekannt gewesen zu sein.
Zur Zeit der Bulle „Venerabilem“ hatte übrigens Philipp längst vom Bischof
von Sutri die Lossprechung erhalten, und zwar vor der mit einer Erneuerung
der Wahl verbundenen Krönung. Innocenz III. hat die Giltigkeit der Los-
sprechung geleugnet, weil der Bischof gegen seine Instruktion gehandelt
hatte: dies ist jedoch gloicbgiltig für die Frage der Publizität. Was den
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Ganz ähnlich wie zum Worte publica argumentiert die Glosse
auch zum Worte periurium, wo ebenfalls von den für geistliche
Ämter geltenden Bestimmungen auf das Königtum geschlossen
wird. Als Beweis dafür, daß periuri . . non tolnm non debeni pro-
moeeri ad honort s, iwo st promnti tunt , debent repelli, wird c. 10
X II 24 de iureiurando *) angeführt, welches die Weisung enthält,
einen oidbrüchigen Priester seines Amtes zu entsetzen (ab ecclena
removere). In voller Übereinstimmung damit steht das von unserer
Glosse als Belegstelle für die Infamie des Eidbrüchigen, den an-
geblichen Grund der Amtsentsetzung (Infame* enim sunt), ange-
führte c. 2 X III 22 de fideiussoribus *) : von der Infamie ist
darin nicht die Rede, wohl aber wird über eidbrüchige Kleriker
die suspensio ab officio et beneficio verhängt. Als Gegenargument
(Qwindoijue periurium rvm repelli/') bezieht sich die Glosse auf
c. 27 X II 24 de iureiurando5}, wo lediglich (nach der richtigen
Inhaltsangabe des Summarium) erklärt wird, daß das (von einem
Bischof) contra utilitatem ecdesiaxtiram geleistete iuramentum
(als illicüvm ) non tenet ; dementsprechend bemerkt auch unsere
Glosse nach Anführung des Gegenarguments Sed intellige ibi
periurium, i. temernrium iuramentum.
Sehr interessant ist schließlich, was die Glosse zum Worte
sacrilegum bemerkt. Sie verweist darauf, daß angeblich selbst
die familia sacrilegi nach c. 8 C. 17 q. 4 *) re/>ellitur a sacramentis
Indignitätsfall der Exkommunikation an sich anlangt, so bemerkt Winkol-
m an n unter Berufung auf Hurter (vgl. oben S.43 Anm. 1): .Der Beschützer
der Kirche und dennoch aus derselben ausgeschlossen sein, war ein Wider-
spruch, der selbst Philipps treueste Anhänger irre zu machen geoignet war“.
*) Eine Dckrctalc Alexanders III. (1159—1181), welcho bereits in die
Comp. I. aufgenommen worden war: vgl. die kritischen Nachweise in der
Ausgabe von Friedberg und boi Jaffe, Reg. Pont. (ed. II.), 14001.
’) Eine ebenfalls bereits in die Comp. 1. aufgenommene Dekretale
Lucius' III. aus dem Jahre 1181: vgl. die kritischen Nachweise in der Aus-
gabe von Friedberg und bei Jaffe, Reg. Pont. (cd. II.), 14532.
s) Eine schon in der Comp. III. enthaltene Dekretale Innocenz’ III.
aus dem Jahre 1201: vgl. die kritischen Nachweise in der Ausgabe von
Friedberg und bei Potthast, Reg. Pont., 1310.
4) Dieser Canon ist einem fälschlich dem hl. Augustinus zugosebriebenon
Brief entnommen (vgl. Migne, Patrol. Lat., Tom. XXXIII 1096): daLi auch
die famitia sacrilegi repe/litur a sacramentis , scheint mir daraus nicht
hervorzugehen.
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Ecchtiae und nach c. 11 C. 3 q. 41) ab aliü artibu* Ugitimit.
Wenn man daraus die Konsequenz ziehen will, daß die Königs-
wahl ein actus legitimus ist, so ergeben sich weittragende
Folgerungen für den Wahlakt, welcher, um das praktisch Wichtigste
hervorzuheben, nicht an eine Bedingung geknüpft werden kann’).
Dadurch würde aber die Rechtsgiltigkeit von Wahlkapitulationen
und dergleichen in Frage gestellt, und es ist kaum anzunehmen,
daß der Olossator diese Folgerungen hat ziehen wollen1). Der Hin-
weis auf die actus legitimi, zu denen auch die sacramenta gezählt
werden, dürfte bloß als Analogieschluß aufzufassen sein.
III. Fragen wir nun zum Schluß, wie die Ausgestaltung,
welche die in der Bulle „Venerabilem“ enthaltene Theorie über
die deutsche Königswahl durch die Glosse gefunden hat, in das
staatskircheurechtliche System der Dekretalen paßt, so bieten sich
der Beantwortung größere Schwierigkeiten, als bei Beantwortung
derselben Frage bezüglich der Depositionstheoric und des
Gratianischen Dekrets4). Während nämlich in letzterem mehrere
Titel ex professo das Verhältnis der geistlichen und weltlichen
Gewalt behandeln, ist dies bei den Dekretalen nicht der Fall.
Aus den Bestimmungen über verschiedene Einzelgebiete kirchlichen
Lebens, welche auch den staatlichen Bereich berühren, müssen die
Prinzipien der kanonischen Legislation und Doktrin mehr er-
■) Dieser Canon geht angeblich auf Felix II. (Gegen papst 355—365)
zurück, und zwar auf das Jahr 362, ist aber pscudoisidorisch (vgl. Mignu,
l’atrol. I.at., Tom. XIII 21, Jaffe, Keg. Pont. [cd. II.], t 230). Kr schränkt das
Klagerecht gewisser Personen ein, ohne aber darunter (wenigstens aus-
drücklich) den sacrilegus zu nennen.
*) Die Literatur über die actus legitimi vgl. bei Windscheid - Kipp,
Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. And. (Noubcarbeit.: 2. Aull.), I. Hand,
Frankfurt a. M. 1906, § 95 Note 2.
*) Doch sprachen manche Momente für eine solche Annahme, vor allem
der bekannte Einspruch des Legaten gegen eine Wahlkapitulation bei der
Wahl Rudolfs von Schwaben 1077, da darin ein sinionistisches Vorgehen
liego (liruno, De bello Saxonico cap. 91, MG. SS.V 365 — vgl. auch oben S.26).
F erner das charakteristische dccrotum de electione pontificum ln noccnz’ IV.
vom Jahre 1245 (Potthast, Reg. Pont., 11732): Cum actus UgUimt düs tt
conditiones abhorrcant sanctione legaü, tt inter ltgitimos actus c/tctio ponti-
ficutn ctltbtrrimus habeatur, in cUctionibus seu postulatienibus vet
scrutinus , ex quibus ius aritur eligendt , vota condiiionalia , alternativa tt incerta re-
probamus et inhibemus ....
*) Vgl. oben S. 35.
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schlossen werden, als sie ausdrücklich dargelegt wären. In dieser
Beziehung haben wir uns bereits oben (SS. 74 ff.) bei Besprechung
des dem Papst zustehenden Richteramtes überzeugt, wie ratione
peccati die weitesten Gebiete staatlichen Lebens, ja die Friedens-
wahrung, in welcher sich doch die Aufgabe des mittelalterlichen
Staates nahezu erschöpfte, schlechthin dem geistlichen Richter-
spruch unterstellt wurden. Und zur vollen Deutlichkeit wird diese
Lage der Dinge bei einer Untersuchung der Titel de maioritate
et obedientia, de treuga et pace, de iudiciis, de constitutionibus,
ne clerici vel monachi saecularibus negutiis se immisceant, qui
filii sint legitimi, de haereticis '). Daß dabei prinzipiell an der
distinctio der Gewalten noch immer festgehalten wurde, war nur
möglich, weil es nicht als logischer Sprung empfunden wurde, die
ratione peccati gefällten Entscheidungen mit Rechts Wirkungen
auszustatten. In dem Maße, als die Gebiete, auf welche sich
diese indirekte potestas in temporatibus erstreckte, größer wurden,
mußte auch die Spannung zwischen Prinzip und Praxis wachsen,
da viele Fälle nicht, wie dies bezüglich des Eides und der De-
position allerdings nach unseren Darlegungen (oben SS. 40 ff.) an-
erkannt werden muß , kraft der Tatsachen , der lebendigen
') Es sind dies die Titel I 2, I 33, I 34, II 1, III 50, IV 17, V 7. Von be-
sonderer Bedeutung sind außer den im Text ausführlich erörterten Dekretalen
„Venerabilem“ (c. 34 X 1 C de electione) und „Novit“ (c. 13 X II 1 de
iudiciis) die Dckretale „Solitau“ (c. fi X I 33 de maior. et obed.) und die
Dckretale „I’er Vencrabilem“ (c. 13 X IV 17 ijui filii sint legitimi). Über
die erster«, welche Innozenz III. im Jahre 1201 an den Kaiser von Byzauz
gerichtet hat und welche sich bereits in der Comp. III. findet (vgl. die
kritischen Nachweise in der Ausgabe von Friedberg und bei Potthast,
Reg. Pont., 1278) handelt Phillips in seinem Kirchenrecht, § 128; der Papst
betont hier lediglich den allgemeinen Vorrang des sacerdotium, ohne sich
über die Frage der juristischen Abhängigkeit klar zu Kullern. Oie Dekretale
„Per Venerabilcm“ hat eine geistvolle und originelle Behandlung vom streng
hiorokratischen Standpunkt aus gefunden durch Molitor, Die Dckretale Per
Venerabilem und ihre Stellung im öffentlichen Hechte der Kirche, Münster
1870 (in. F,. ungenügend orientiert über den Standpunkt des Verf. Martens,
Ein deutscher Vertreter des Hiernkratismus, Zeitschr. f. Kircbenr. XVII
57 ff.); sie ist eine, ebenfalls bereits in die Comp. III. aufgenommene,
Entscheidung Innozenz' III. aus dem Jahre 1202 (vgl. die kritischen Nach-
weise in der Ausgabe von Friedberg und boi Potthast, Keg. Pont, 1794).
Besonders hervorguhoben sei noch, daß der Ausdruck tu se immisceant
saecularibus ncgotüs (III 50) eine rein asketische Bedeutung angenommen hat
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Wirklichkeit, sondern durch künstliche theoretische Konstruktion
unter die ratione peccati zu behandelnden subsumiert wurden.
Und diese Entwicklung des kanonischen Rechts war begleitet von
der gerade entgegengesetzten des deutschen Geisteslebens, in dem
sich die begriffliche Scheidung von Staat und Kirche allmählich
zu vertiefen begann1).
In der Glosse hat sich diese Spannung, die ja außerhalb der
kanonischen Bechtsentwicklung auftrat, nicht bemerkbar gemacht,
wir haben vielmehr oben (S. 75) bereits ein signifikantes Beispiel
dafür kennen gelernt, wie selbst die Ausübung einer ihrem Um-
fang nach unbeschränkten subsidiären Jurisdiktion des Papstes
mit der prinzipiellen distinctio der Gewalten für vereinbar ge-
halten wurde s). Damit ist allerdings bereits ein anderer Gedanken-
kreis berührt, der „principaliter“ die Regierung des Weltreichs dem
Papst zuwies; so hatte Gregor VII. im ersten Anlauf das biero-
kratische System gedacht, wir haben bei Innozenz III. wenigstens
Spuren davon erkannt und wir werden es in vollem Umfang bei
Bonifaz VIII. wiederfinden5). Die ganze Translationstheorie, wie
sie auch die Glosse zur Bulle „Venerabilem“ zu den Worten Caroli
und transtulit entwickelt4), geht im Kerne darauf zurück, wenn-
') Kino, allerdings in. E. ungenügende, Andeutung dieser mit dem
Sinken der kaiserlichen Machtstellung zusammenhängenden Erscheinung linde
ich bei Kehm, a. a. (). (vgl. oben S. 1 Amu. 1) SS. 176 und 177. Es ist hier
zwar vom Beginn des 14. Jahrhunderts die Rede, die daselbst angeführten
Tatsachen machten sich jedoch schon in den letzten zwei Dritteln des 13.
mit aller Macht geltend.
*) Besonders deutlich zeigt sich das prinzipielle Festhalten an der
„distinctio“ in der Glosse (Casus, gegen Ende) zu c. 13 X IV 17: Item in
certis casibus iurisdictionem temporalem potest exeereere in aliena temporali iurtsaictione.
*) Vgl. unten SS. 125 IT. — . Mit aller Schärfe vertritt diesen Gedanken
Z.B. die Glosse zu c.3 X I 41 (zu den Worten iure minoris): item ( eec/esia ■) fungitur
iure imperü, imo maior est imperio,
*) Die entscheidende Stelle in der Glosse zum Worte transtulit lautet:
et cum nollent [seil. Imperatores Constantinopolitaru) patrocinari Ecc/esiae Romanae.
Stephanus Papa II. etatione Ron Linus transtulit imperium ad Carolutn Magnum,
qui fuit ftltus Pipini, quem Zacharias praedeeessor eins substituerat Ludovico Regi
Francorutn , quem deposuerat , de quo legitur rj. q. 6 e. alius (vgl. oben S. 35).
Die Glosse zu den Worten in Gennanos beginnt: Sic ergo regnum mundi Irans-
latum est ad Theutonicos. nam ipsi habent regnum Romanae ecdesiae. Vgl. bezüg-
lich dieser Glosse die folgende Anui. und unten S. 96, bezüglich der Trans-
latiunstheorie im allgemeinen obeu S. 1 1 Amu. 2.
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gleich dieses Argument häufig ohne Bewußtsein des Zusammen-
hangs angewendet wurde. Mit der distinctio der Gewalten ließe
sich die subsidiäre Jurisdiktion des Papstes höchstens ver-
einen, wenn ein analoges Recht negligeute oder vacante sede
apostolica auch dem Kaiser eingeräumt wäre, wovon jedoch keine
Rede ist.
So wenig als dieser grundlegenden Widersprüche ist sich die
Glosse der praktischen Schwierigkeit bewußt geworden, die zentrale
Gewalt des Kaisertums gegenüber dem unmittelbaren Eingreifen der
päpstlichen Jurisdiktion aufrecht zu halten. Man denke nur an
den päpstlichen Schiedsspruch zwischen Frankreich und England!
Die Glosse in Germanos (zur Bulle „Venerabilem“) aber vertritt mit
der größten Unbefangenheit und detailliert die zentrale Stellung
des Kaisertums ').
Jedenfalls müssen wir alles in allem sagen, daß die
Tendenz, die päpstlichen Rechte bei der Königswahl
auszudehnen und die letztere den Bestimmungen des
kanonischen Ämterechtes in weitem Umfang zu unter-
werfen, das Kaisertum und mit ihm das deutsche König-
tum als kirchliches Amt zu fassen, sehr wohl in die
geschilderte staatskirchenrechtliche Entwicklung sich
einfügt. Und es würde fast wundernehmen, wenn in dem Ge-
bäude als Schlußstein die bereits im Gratianischen Dekret ent-
haltene Depositionstheorie fehlen sollte. Tatsächlich findet sie
sich auch — zwar nicht in den Dekretalen, da es an einem
historischen Anstoß gefehlt hatte J) — wohl aber in der Glosse.
') Die Glosse fährt nach dein in der vorigen Anm. mitgeteilten Satz
(unter Anführung von Belegstellen zu jedem einzelnen Satz) fort: Et sic
polet, <]uoJ imperium non es t apud Gnueos , lieet largo nomine appelletur Imperator,
sicut ct rex Schacorum (sic!) dicitur rex, quoniam extra ecelesiam non rst Imperium,
esi autem imperator HU super omnes reges, et omnes nationes sunt sub eo. Ipse
enim est prirueps ntundi et dominus, et ttiam Juda ei sub eo sunt, et omnes pro -
vineiae. et omnia sunt in potestate imperatoris.
2) He dl ich behauptet a.a.O.(vgl. oben S.34 Aru». 3), Papst Alexander III.
habe ii» Jahre 1167 Kaiser Friedrich I. und Papst Innozenz III. im Jahre
1211 Otto IV. abgesetzt. Allein die erstere Mattregel durchzuführen (wenn
man sie überhaupt als erwiesen annehmen will), wurde seitens der Kurie
uicht einmal versucht; und im zweiten Fall fielen die poli tischen Verh<-
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96
Schon der Casus weist bei Nennung Friedrichs II. auf dessen
spätere Deposition durch Innozenz IV. *) hin; und zum Worte
transtulit wird die Deposition des Merowingers Ludwig (sic !) und
die Substitution Pipins an seine Stelle unter Hinweis auf c. 3
C. 15 q. 6 erwähnt*).
3. Das Summarium zur Bulle „Venerabilem“
DasSummarium zur Bulle „Venerabilem“ bestätigt im großen
und ganzen dasjenige, was wir aus der historischen Betrachtung
der Bulle selbst, aus der Untersuchung der dazu gehörigen Glosse
und aus dem inneren Zusammenhänge der in den Dekretalen ent-
haltenen Bestimmungen staatskirchenrechtlicher Natur als den
Entwicklungsgang des kanonischen Rechtes zu erkennen glaubten.
Dem als das Primäre anerkannten Wahlrecht der Wahlfürsten
steht ein sowohl die Person des Gewählten als auch den Wahlakt,
für den Majorität und unitas actus gefordert werden, betreffendes
Approbationsrecht des Papstes gegenüber. Allerdings ist zu be-
achten, daß das Summarium gewissermaßen den Schlußpunkt der
nisse so stark ins Gewicht, daß man daneben die p&pstliche Sentenz fast
übersehen konnte und sich an die oben (S. 38) erörterte Auffassung der
Glosse zum Gratianischen Dekret erinnert fühlt. — Übrigens ist in die
Dekretalen selbst als c. 6 X III 34 de Toto die Ton Innozenz III. im Jahre
1198 an den Sohn des Königs von Ungarn (wegen Nicht-Erfüllung des
Kreuzzugs- Gelübdes) gerichtete Drohung mit der privatio regni übergegangen.
Das p&pstliche Schreiben war bereits in der Comp. III. enthalten; vgl. die
kritischen Nachweise in der Ausgabe von Friedberg und bei Potthast,
Reg. Pont., 4.
') Vgl. unten SS. 100 fT.
9) Das außerdem bezogene c. 3 X I 7 de translatione steht in keinem
Zusammenhang mit der Absetzung (oder Krönung) des Königs. Wenn die
Glosse (im Anschluß an den erstem, bereits oben S. 83 besprochenen, durch
die dort angeführten Verweise belegten Satz) weiter bemerkt Item arg. quod
destructo prindpati, et accessorium, so scheint daraus jene Auffassung zu sprechen,
die wir (oben S. 40) bei Johannes Faventinus kennen lernten. Belegt wird
der zweite Satz (abgesehen von einigen römischrechtlichcn Stellen) durch
c. 17 X I G de clectione (eine bereits in der Comp. III enthaltene Dekretale
Innozenz’ III. aus dem Jahre 1199 — die kritischen Nachweise in der Aus-
gabe von Friedberg und bei Potthast, Reg. Pont., 83G); hier heißt es
am Ende: . . . eleetionem duximus trritandam, quiequid ex ca et ob eam
factum est den uncia nte j penitus non teuere.
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97
Entwicklung bezeichnet1) und dasjenige, wozu wir bisher nur
Ansätze gefunden haben, zu voller Klarheit entwickelt. Dies gilt
ebensowohl von dem unzweideutigen Hinweis auf das ausgebildete
Kurfttrstenkolleg wie von der vorbehaltlosen Anerkennung des
päpstlichen Devolutionsrechts.
Das Summarium lautet: Eleetio imperatori s. spectat a<l Prin-
cipes Gennanos, tres praelatos, et quatuor laicos, et eleetio } acta
per eorum maiorem partem, ceteids non contemptis, tonet. Et ad
Papam pertinet electuiiP) e.raminare, approbare, et inunyere, consecrare,
et eoronare, si est dignus; vel reicere , si est intlignus ut quia sacri-
legus, e.rcommunicatus, tyrannus, fatuus vel haereticus, paganus ,
periurus, vel ecclesiae persecutor. Et electoribus nolentibus eligere ,
1‘apa supplet. Et data paritate vocum eligentium, nee accedente
maiori concordia, Papa p otest gratificari cui vult..
Was zunächst das Devolutionsrecht des Papstes anlangt, so
ist es in merkwürdiger Weise mit dem Reste des alten ius alteri
partium favere (besonders in der oben S. 78 [dritter Fall] besprochenen
Konstruktion) verknüpft. Das letztere stellt sich gewissermaßen als
eine Abschwächung des Devolutionsrechts dar, welche bei dem
einzigen noch möglichen Fall der Z wiekur eintritt: obwohl hier
eine gütige Wahl überhaupt nicht vorliegt, soll doch der Papst
einem der beiden Kandidaten die kaiserliche Würde verleihen.
Mit der kaiserlichen Würde ist auch über die königliche ent-
schieden, die als unlösbar miteinander verknüpft erscheinen; von
der mitunter auftauchenden begrifflichen Scheidung beider’) findet
sich hier nicht die leiseste Spur, wie schon der Ausdruck eleetio
imperatoris beweist. Über das Kurfürstenkollegium wird weiter
unten nochmals gehandelt werden4).
’) Im allgemeinen gelten allerdings die Suinmarien als älter als die
(Jlo8se, ohne daß aber in jedem einzelnen Falle darüber Sicherheit bestände.
Eben der fortgeschrittene Standpunkt unseres Summariuins, besonders in Bezug
auf das Kurfürstenkollegium, spricht für eine jüngere Entstehungszeit.
*) I>a im ersten Satze festgestellt ist, unter welchen den Wahlakt
betreffenden Bedingungen allein die „eleetio teilet“, so kann nur die
unter Einhaltung dieser Bedingungen festgestellte Person als electus be-
zeichnet werden. Wenn der Papst also nur dem electus (im technischen
Sinne) die Kaiserwürde verleihen soll, muß er den Wahlakt prüfen.
*) Vgl. S. 20 Anm. 2 und S. 53 Anm. 2.
4) Vgl. unten SS. Ulf.
Hugeluauo. Die deutsche König^wabl ~
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98
III. Der Abschluss der kanonischen Theorie:
Der Liber Sextus, die Clementinen und die Extravaganten.
Durch Innocenz III. war die mittelalterliche Kirche zum fak-
tischen Höhepunkt ihrer weltlichen Macht emporgeführt worden,
auf dem sie sich um die Mitte des 13. Jahrhunderts als ent-
scheidender Faktor der europäischen, besonders der deutschen
Politik bewahrte. Das kauonische Recht führte allerdings die
hierokratische Staatslehre im folgenden Jahrhundert noch weit
über jene Entwicklungsstufe hinaus, die in den Dekretalen ihren
Ausdruck gefunden hat; allein praktisch wirksam wurden diese
Ausgestaltungen des hierokratischen Systems nicht, wie wir schon
in der Einleitung (oben S. 16) dargelegt und begründet haben.
Machen wir an diesem Wendepunkt, wo die Entwicklung der
tatsächlichen politischen Verhältnisse und die Fortbildung des
kanonischen Rechtes sich scheiden, einen Querschnitt durch das
letztere, wie wir es aus der kanonischen Gesetzgebung und der
daran anschließenden Literatur kennen gelernt haben, so bietet sich
folgendes Bild. Nach wie vor steht im Mittelpunkt der Theorie
das eine christliche Weltreich. Noch anerkennt sie, wie im
Gratianischen Dekret, im Gegensatz zu Gregor VII. den Bestand
zweier Gewalten, der päpstlichen und der kaiserlichen, und deren
prinzipielle Scheidung; aber schon hat sie durch konsequente
Durchführung jener Auffassung, welche an die ratione peccati
gefällten Entscheidungen juristische Wirkungen knüpft, indirekt
die päpstliche Jurisdiktion in weitestem Umfang über weltliche
Angelegenheiten ausgedehnt, welche in den Formen des aus-
gebildeten kanonischen Prozesses vor ihrem Forum behandelt
werden. Ergibt sich aus dem letzteren Umstand praktisch eine
strikte Einschränkung der kaiserlichen Gewalt, der von der ideellen
Weltherrschaft nur die Aufgabe geblieben ist, advocatus sedis
apostolicae zu sein, auf das Territorium Deutschlands und seiner
„Nebenländer“, so bot anderseits eben jene kirchliche Aufgabe,
welche mit dem deutschen Königtum verknüpft war, den Anlaß,
gerade bei der Besetzung des deutschen Thrones kanonische
Rechtsnormen anzuwenden. Unter Zurückweisung jeder Tendenz
zum Erbkünigtum wurde das Wahlrecht, welches jedoch nicht
mehr allen Fürsten zuerkannt wurde, scharf betont; dem gegenüber
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99
war ein einheitliches Approbationsrecht des Papstes in voller Aus-
bildung begriffen, welches sich in gleicher Weise auf die „Idoneität“
der Person wie auf den Wahlakt bezog, bei dem das Majoritäts-
princip und einzelne kanonische Wahlvorschriften sich durchsetzten.
Daß in diesem System das Depositionsrecht des Papstes latent
vorhanden war, wäre selbstverständlich, wenn auch nicht der erste
politische Anlaß zu seiner neuerlichen Betätigung, zur Absetzung
Friedrichs II. durch Innocenz IV. (1245), geführt hätte. Ja, ein-
zelne Kanonisten zogen auch bereits unumwunden die Konsequenz
des päpstlichen Devolutionsrechts und des Überganges der vollen
kaiserlichen Gewalt auf den Papst vacante imperio, womit eigent-
lich die Selbständigkeit der weltlichen Gewalt bereits auch theoretisch
negiert war. Diese letzte Konsequenz hat dann schließlich klar
und unzweideutig die Bulle „Unam Sanctam“ gezogen, worauf je-
doch der gänzliche Umschwung in der deutschen Rechtsentwicklung
auf dem Fuße folgen mußte, wie an anderer Stelle (oben S. 16)
bereits ausgeführt wurde. Die Versuche des Papstes, seine
Machtstellung dem deutschen Kaiser- und Königtum gegenüber
nicht nur zu behaupten, sondern noch zu stärken, indem er aus
dem Eide des Kaisers ein Lehensverhältnis zum Papsttum ableiten
wollte, hatten höchstens den einen Erfolg, den vollen Umschwung
der Dinge zu beschleunigen.
Die angedeuteten Ereignisse haben ihren Niederschlag im
kanonischen Rechtsbuch gefunden. Zunächst ist die von Innocenz IV.
auf dem Konzil von Lyon (1245) ausgesprochene Deposition
Friedrichs II. als c. 2 II 14 de sent. et re iud. in den über
Sextus übergegangen und hat der Glosse Anlaß zu juristischer
Durchbildung der Depositionstheorie gegeben. Außer mit dieser
werden wir uns auch mit der den angeblichen Fidelitätseid des
Kaisers behandelnden Bulle Klemens’ V. vom Jahre 1311 (Konzil
von Vienne), cap. un. in Clem. II 9 de iureiurando, und mit der
zeitlich vorausgehenden, jedoch erst in die Extravagantes communes
als c. 2 I 8 de maiorit et obedient aufgenommenen Bulle „Unam
Sanctam“ zu befassen haben. Besonders die erstere steht mit
unserem Thema, der Besetzung des deutschen Thrones, in Zu-
sammenhang, und die dazu gehörige Glosse wirft manches Streif-
licht auf das päpstliche Approbationsrecht und auf die deutsche
Königswahl. Um diese wichtigen, grundlegenden werden sich
7*
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100
auch leicht die übrigen, minder wichtigen, zerstreuten Bestimmungen
der letzten kanonischen Kompilationen gruppieren lassen. Die
berühmte Bulle über die deutsche Königswahl „Qui celum“ (1263),
mit welcher sich Drban IV. ein großes Verdienst um die Kon-
solidierung der zerrütteten deutschen Verhältnisse erworben hat,
ist ins corpus iuris canonici nicht übergegangen und bildet daher
hier nicht den Gegenstand unserer Erörterung1).
1. Der Liber Sextus, insbesondere die Deposition
Friedrichs II.
In derNarratio der Depositionsbulle gegen Friedrich II , welche,
wie gesagt, in den über Sextus aufgenommen wurde (und zwar
mit dem Summarium Papa imperatorein deponiere polest e.r eauei*
legitimis) !), wird der Hergang der Ereignisse folgendermaßen er-
zählt3). Der Papst habe, um den Streit zwischen dem Kaiser
und der Kirche zu beseitigen, dem ersteren durch eine Gesandt-
schaft vorgeschlagen, die Streitfrage durch ein Schiedsgericht der
Reges y praelati et principes tarn ecclesiastici tjuam saeculares
schlichten zu lassen. Friedrich habe nicht nur Genugtuung für
seine früheren Verfehlungen verweigert, sondern auch den Vor-
schlag des Papstes abgelehnt. Als der Papst nun das Konzil ein-
berief, habe Friedrich die dahin reisenden Kardinäle gefangen
genommen. Der Papst zählt nun die „gravissima scelera“ des
Kaisers auf: periurium pacem quoncLim inter eeclesiam et impe-
rium reformaUim lewere vtolamio , sacrileginm durch Gefangen-
nahme der Kardinäle, haeresis und Außerachtlassung der ihm als
') Vgl. iin II. Kapital die Ausführungen am Rnde der Abschnitte 1 1 1 2
und III 3.
*) Vgl. oben S. 99 ; kritische Nachweise bei Pntthast, Reg. Pont,
11733.
*) Bezüglich der wirklichen historischen Vorgänge, welche in der Dopo-
sitionsbulle nicht gerade unrichtig, aber doch in einseitiger Beleuchtung
geschildert werden (insbesondere wird der Kernpunkt des Konflikts, die lombar-
dische Frage, übergangen), vgl. Raumer, a. a. 0. (vgl. oben S. 43 Anm. 1),
III. Band, 4. Aull. 1872, SS. 427 bis 441, nnd IV. Band, SS. 19 bis 28 und
Gl bis 80: Jastrow-Winter, a. a. 0. (vgl. oben S. 43 Anm. 1) SS. 4K8 bis
472, 48G bis 489 und 499 bis 525; Loaerth, a. a. 0. (vgl. oben S. 43 Anm. 1)
SS. 103 bis 107 und 112 bis I1G: llanck, Kirchengeschichta Deutschlands,
IV. Teil, Leipzig 1903, SS. 798 (1.: Redlich, a. a. O. (vgl. oben S. 34
Anui. 3), SS. 15 II. und 31 II.
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101
König von Sizilien der Kirche gegenüber obliegenden Vasallen-
und Lehenspflichten. Hierauf folgt als Dispositio die Dopositions-
Sentenz : Ab« itaque cum fratribus nostris et sancto concilio
deliberatione praehabita diligentia quum Jesu Christi vices , licet
immer iti , teneamus in terris , nobisque in 11. Petri persona eit dictum:
„ (^nodcvnque ligacrris supei' terram, ligatum seit et in coelis memo-
ralum principem , qui se imperio et regnis, omnupie honore et digni-
tate reddidit tarn indignum, tpiique proptev suas iniquitates a Deo,
ne regnet v el imperet, est abiectus, suis ligatum peccatis et abiectum,
omniipie honore ac dignitate privatum a Domino ostendimus, denun-
ciamus et nihilominus sententiando privamus, omnes qui , a
iuramento huiusmodi peipeluo absoleentes, auctoritate npostolica fir-
mier inhibendo, ne ipusipiam de cetera sibi tanupiam iviperatori vel
regi pareat et intendat .... Nach der Androhung der excom-
municatio latae sententiae heißt es wörtlich : Illi autem, ad quos in
eodem imperio imperatoris spectat eleclio, eligant Obere successorem ,
während der Papst sich und den Kardinalen die freie Verfügung
bezüglich Siziliens vorbehält.
Um die Bulle richtig zu würdigen, muß vor allem die mit
voller juristischer Schärfe durchgeführte Scheidung zwischen der
Stellung Friedrichs als Kaiser und als König von Sizilien beachtet
werden. Letzteres hatte er tatsächlich als kirchliches Lehen, und
es kann im Prinzipe das AbsetzungRrecht des Papstes unter ge-
wissen Voraussetzungen kaum bezweifelt werden '). Was die Bulle
bezüglich Siziliens sagt, kommt für unser Thema höchstens inso-
fern in Betracht, als das tatsächlich einmal bezüglich Siziliens
bestandene Lehensverhältnis zwischem dem Kaiser und dem Papst-
tum den späteren Versuch Klemens’ V. weniger ungeheuerlich er-
scheinen ließ s). Daß die Eingehung eines Leheusbandes mit der dem
Kaiser theoretisch eingeräumten universalen Stellung unvereinbar
war, springt in die Augen; daß aber der tatsächliche Besitz
Siziliens den Kaiser in kürzester Zeit zum faktischen und ab-
soluten Weltherrscher hätte machen müssen, wurde andernorts
(oben SS. 14 f.) dargelegt.
*) Die Literatur über die Lehcnsentzichung, welche bei gewöhnlichen
Lehen allerdings im Wege der Privatiunsklago erfolgte, sieho bei Schröder,
a. a. 0. (vgl. oben S. 7 Anm. 1) S. 421 Anm. 109.
*) Vgl. unten SS. 113 ff.
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102
Untersuchen wir nunmehr die Depositions-Sentenz, so erinnert
sie sehr deutlich an die Sentenzen Gregors VII1): der Kaiser wird
abgesetzt, die Untertanen des Treueids entbunden und ihnen der
weitere Gehorsam untersagt Die Deposition ist, wie hier zur vollen
Deutlichkeit erhellt, ein ganz selbständiger Akt, nicht eine ein-
fache Folge des Bannes, der ja schon lange vorher über Friedrich
verhängt war *). Es wird gegen den weltlichen Herrscher ein
bekanntes kanonisches Strafmittel in Anwendung gebracht, ohne
daß auf die Besonderheit seiner Stellung als Kaiser besonders
Bezug genommen wird, obwohl anderseits die unlösliche Ver-
knüpfung seiner kaiserlichen und königlichen Würde — in der
Bulle selbst und in der Glosse — als ganz selbstverständlich
erscheint5). Das Becht des Papstes wird aus ganz allgemeinen,
ihm von Christus übertragenen geistlichen Befugnissen abgeleitet.
Trotzdem unterscheidet sich die Sentenz in etwas von denen
Gregors VII. und bringt den Gedankengang Innocenz’ III., der
seine Jurisdiktion in weltlichen Dingen ratione peccati begründet
hatte, einigermaßen zum Ausdruck. Der Papst stellt zunächst
deklarativ fest, daß der König wegen seiner Unwürdigkeit durch
Gott abgesetzt ist, und spricht erst auf Grund dieser Tatsache —
eigentlich ein Widerspruch! — die „Privation“ aus. Die Gründe
für diese direkt auf Gottes Autorität zurückgefuhrte De-
position sind „crimina ecclesiastica“ des Kaisers, wie die
Glosse aufs schärfste zu den Worten deieravit4), sacrile-
') Vgl. oben S. 24 (besonders dio in den Anm. enthaltenen Belege).
*) Und zwar handelte es sich dabei um eine ciconimunicatio publica
und solennis. Dies hebt auch dio tilosse ausdrücklich hervor, indem sic
zum Worte anatheuiatis bemerkt: Id est, cxrommunicationis cum solemnitate
factac. Vgl. im Gegensatz hiezu oben SS. 36 f., 90; vgl. auch bezüglich
der Tatsache oben S. 100 Anm. 3.
3) Die Glosse knüpft an jene Stelle der Bulle an, welche die Bereit-
willigkeit des I’apstes zum Frieden mit dem Kaiser, wio mit allen Menschen
ac mundo rtiam unberso ausspricht. Zu den letzterwähnten Worten bemerkt
die Glosse: Cutus dominus es! (seil, imfirator). Dio zitierten ßolegstellcn,
c. 17 et 18. C. 9 q. 3 und „prooe(mium) huius libri“ (offenbar die Publikations-
bullc Bonifaz’ VIII.), nehmen auf die kaiserliche Würde keinen Bezug und
sind offenbar lediglich als Beweis für die Allgemeinheit der kirchlichen
Gcsctzgebungs- und Gerichtsgewalt gedacht.
4) Die Glosse zum Worte deieravit besagt (unter Anführung von Beleg-
stellen zu jedem einzelnen Satz): Ptriuriu m crimen Ecclcsiasticum tst.
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103
gium *) und haorcsi ’) betont. So können wir im allgemeinen sagen,
daLi der prinzipielle Standpunkt der Bulle sich bereits sehr stark
dem Gregors VII. nähert, daß aber die Begründung der päpst-
lichen Rechte ratione peccati immer noch eine Rolle spielt und in
der Glosse, die übrigens zum Worte pacem auch die Aufgabe der
Friedens Währung in der oben (S. 76) dargelegten Weise der Kirche
vindiziert ’), sogar stärker betont wird. Praktisch ist allerdings gerade
die in Rede stehende Bulle zum weitestgehenden Entgegenkommen
bereit, indem der Papst seinen Streit mit dem Kaiser einem
Schiedsgericht unterbreiten will, ein ganz neuer und vereinzelter
Gedanke4), der mit der Ableitung der päpstlichen Rechte gegen den
Kaiser ans den allgemeinen, dem Papst von Christus übertragenen
Befugnissen kaum vereinbart werden kann; mit Recht bemerkt
/■/ gravissimum crimen in quoiibet: pracscriitn in praclato , vc l principe: cum eo-
rum facta trahantur ab aUis in cxcmptum. ct itko gravius punitur. Daran schließt
sich folgende Additio: DUit Innoc. quod praelati , et principis verbtim debct
esse ßrmissimum , etiatn sine iuramcnto (was wieder belegt wird) mit der auf
Johannes Andreac (vgl. oben S. 61 Anm. 1) deutenden Sigle Joan. Andr.
') Die Glosse zum Worte sacrilegium beginnt quod cst etiam crimen
Euksiasticum und behandelt dann dessen Bestrafung unter Anführung zahl-
reicher Bolcgstellen.
*) Zum Worte hacresi macht die Glosse die interessante Bemerkung
Propter quod crimen non solum Imperator , sed etiam Papa deponi debet, wobei auf
c. 6 Dist. 40 (sehr zweifelhafter Herkunft, siehe die kritischon Nachweise in
der Ausgabe von Friedberg) verwiesen wird, dessen Glosse uns oben (SS. 37 f.)
bereits beschäftigt hat. Im weiteren Verlauf wird von der Glosse zum Worte
haercsi und zwei Additiuncs diu Bestrafung der Häresie eingehend behandelt.
3) Die markanteste Stelle lautet: Iluiusmodi iudicium (». e. ad pacem attin-
gens) ad Eccksiam spectat. sup, de iud, c. novit (das SS. 74 ff. besprochene
c. 13 X II 11 de iudiciis).
4) I)cr Vorschlag zu dem als Schiedsgericht fungierendon Generalkon-
zil, auf dem auch die weltlichen Fürsten vertreten sein sollten, war zuerst
von Friedrich II. selbst gemacht, dann schon vun Gregor IX. aufgegriffen
worden. Es wäre dies gewiß nicht geschehen, wenn der Papst nicht damals
der Entscheidung gewiß gewesen wäre. In viel späterer Zeit, im Kampfe
zwischen Karl V. und Klemens VII., wurde der gleiche Vorschlag von kaiser-
licher Seite gemacht, und es scheint mir sehr wahrscheinlich, daß den Ver-
fassern der Staatsschrift vom 17. September 1526 das Vorgehen Gregors IX.
und Innozenz’ IV. vorschwebte. Vgl. Pastor, Geschichte der Päpste seit
dem Ausgang des Mittelalters, IV. Band II. Abt., Freiburg 1907, SS. 242 ff.
(bes. 244 oben).
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104
die Glosse zum Worte vocare, daß der Vorschlag des Papstes „de
gratia“ erfolgte.
Indem wir die in der Glosse ad Apostolicae (am Ende) ab-
gehandelte Frage, ob der Papst bei Ausübung des der Kirche
zustehendon Depositionsrechts an die Mitwirkung des Konzils ge-
bunden sei, als eine rein innerkirchliche übergehen, wollen wir
nunmehr die Wirkung der Deposition untersuchen. Diese ist zu-
nächst im Gegensatz zu der in der Glosse zum Gratianischen
Dekret bevorzugten Ansicht eine dauernde ‘), es soll ein successor
gewühlt werden. Ihre Konsequenz ist die Lösung vom Treueid
(nicht umgekehrt), was uns als eine vereinzelte Ansicht schon in
der Glosse zum Dekret, später in der Glosse zur Bulle „Venera-
bilem“ begegnet ist7), und zwar erfolgt die Lösung entsprechend
dem definitiven Charakter der Sentenz „perpetuo“. Da die Ab-
setzung in Ausübung geistlicher Jurisdiktionsrechte erfolgte, so
ist eine weitere selbstverständliche Folge das Verbot, dem Abge-
setzteu weiterhin Gehorsam zu leisten. Eben weil die Gehorsams-
leistung mit einer höheren Pflicht im Widerspruch steht, erfolgt
die Lösung von dem diesbezüglichen iuramentum, welches ge-
wissermaßen ex post zu einem illicitum geworden ist.
Finden wir so bezüglich der theoretischen Begründung des
Depositionsrechts eine Annäherung, bezüglich seiner praktischen
Wirkung bereits eine volle Rückkehr zum Standpunkt Gregors VII.,
so äußert sich bezüglich der Voraussetzungen derselbe Opportu-
nismus, welcher dem Papst sogar ein Schiedsgericht akzeptabel
erscheinen ließ. Mit auffallender Beflissenheit werden die crimina
des Kaisers als gravissima bezeichnet. Und zu diesem Worte
bemerkt die Glosse im Gegensatz zu dem sie sonst beherrschenden
Bestreben, die Konzessionen des Papstes abzuschwächen, — es
scheint, daß diese Stelle auf einen imperialistisch gesinnten Ka-
nonisten zurückgeht3) — : Hone dirit: quia marima causa subesse
debuü Imperatoris dc/iosüioni. Nec est similis depositioni cleri-
corum , qui pro quolibet magno peccato dej>oni possunt. Der als
') Vgl. oben 8S. 38 f.
*) Vgl. oben S8. 40 und 96 Anm. 2.
3) Man könnte an des Abbas Siculus (vgl. oben 8. 61 Antn. 2) Lectura
in Scxtum denken ; mir stand wedor eine Handschrift noch eine Ausgabe
zur Verfügung.
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105
Belegstelle hiefür angeführte c. 1 Dist. 81 bestimmt, daß das
Freisein von einem peccatnm grave Voraussetzung für die Ordi-
nation zum Bischof ist '). Die nähere Begründung der Unter-
scheidung geht allerdings nur auf ganz allgemeine theologische
Erwägungen ein. Die an zweiter Stelle genannte ist der Natur
des geistlichen Amtes entsprangen: Item clerici ministrant s acru -
menta (was eine höhere sittliche Integrität erfordert): sed mm
/trincl/m. Die hiefür herangezogene Belegstelle, c. 4 Dist. 31, ver-
bietet den sacerdotes mit Rücksicht auf die necessilate * ministerii
cotidiani — dies ist offenbar das tertium comparationis — , ne
misceantur uxoribus*). Die andere Erwägung der Glosse ist rein
opportunistisch: </uia, ubi maius scandalum, et periculum timetur ,
agendum est brnignius. hoc autem insurgit in (le/iositione Im/wa-
toris, tpti guaei praeest omni/ms Christianis. Der den opportuni-
stischen Grundsatz angeblich enthaltende c. 25 Dist. 50 sagt ganz
allgemein: Verum in huiusmodi causis, ubi .... non huius aut illius
hominis periculum, sed populo rum strnges iacent, det rahendum est aliipiid
seuerilati , ui, maioribus malis mnandis karilas sincera subueniat*).
Interessant ist die Erwägung der Glosse vor allem deshalb, weil
sie ausdrücklich nur auf die kaiserliche Würde Rücksicht nimmt;
das Wort quasi erscheint gegenüber dem von der Glosse zitierten
c. 41 G. 7 q. I4) (allerdings) bereits als eine Abschwächung.
Im Widerspruch mit der Bemerkung der letztbesprochenen
Stelle der Glosse steht besonders die die ganze Depositionstheorie
rekapitulierende Stelle zum Worte privamus, welche uns umsomehr
beschäftigen muß, da sie den Zusammenhang mit der ganzen
staatskirchlichen Theorie des Liber Sextus herstellt. Sie lautet:
Propter crimina: ergo degemit Papa Imperatorem : ul hic. Idem
cum est inutilis, bi. ipiaest. 6. c. alias (3). et dat coadiutores igsis
') Der Canon ist zum größten Teil dein 41. Tractatus in Joannis Evan-
gelium des hl. Augustinus entnommen. Mignc, l’atrol. Lat., Tom. XXXV 1697.
*) Der Canon geht auf Innozenz 1.(401 ? — 417) zurück. Mignc, l’atrol.
Lat., Tom. LVI 523 et 524: Jaffü, ltcg. Pont. (cd. II.), 286.
5) Der Canon ist einem Hriofe des hl. Augustinus entnommen. Migne,
I’atrol. Lat., Tom. XXXI11 812 et 813.
*) Dieser Canon ist einem Briefe des hl. Hieronjmtis entnommen.
Mignc, Patrol. Lat., Tom. XXII 1080.
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in«
male administranlibus. svp. eod. lib. de svp. negl. prael. c. grandi.
( c. 2 in Vit« I 8 de supplcnda neglig. prael.). per negligetitiam
ipso nun iurisdictionem assumit. eup. de for. comp. c. licet, (offenbar
c. 1 0 X II 2 de foro compet.). < 'ompellil ipsos iuxtitiam facece.
21). tptaest 5. c. udministratores (2ti). et ius canonicum etiam de-
bitie caeibus obeercnre , sup. eod. Ubr. de for. comp. c. 2 (c. 2 in
Vit« II 2 de foro cotnpet). de iureiur. c. licet (c. 2 in Vit« II
11 de iureiur.) in/ra de »ent. exc. c. decernimue (c. 8 in Vit« V
1 1 de sentent. excomm.). Unum enim oportet esse prici/iatum , ad
i/uem omnes recurrant. 7 q. /. c. in apilms (41). qui fil. eint leg.
c. per cenerabilem [circa f. rer«, is ceroj etc. (c. 13 X IV 17 qui
filii sint legitimi) et de hoc cide, quod dicit Innoc. et Hott, de
for. comp, licet ex suscejito (c 10 X II 2 de foro compet.)’).
') Das erst« der beiden letztgenannten Zitate bezieht sich auf das
Werk Commcntaria Innocentii IV. super libros V decrct., welches ich nach
dem in der Wiener Univ.-Bibl. befindlichen Exemplar der Ausgabe Frankfurt
1.170 (bei Schulte, a. a. 0. — vgl. oben S. 31 Anm. 1 — S. 92 Anin. 1 ist diese
Ausgabe nicht verzeichnet) benützt habe. Hier wird (Bl. 197 verso), ui. E.
über das kommentierte (unten S. 107 besprochene) c. 10 X II 2 hinaus-
gehend, für den Papst schlechthin eine subsidiäre Jurisdiktion im Falle der
Vakanz und Negligenz in Anspruch genommen, und zwar sowohl gegenüber
dem Kaiser als auch jedem alius Princeps qui super iorem neu habet (während
in andern Fällen die subsidiäre Jurisdiktion des Kaisers cintritt). Die
Begründung ist in beiden Fällen verschieden: bezüglich des Kaisers
heißt cs (nach einer die consccratio, die czaminatio, die advocatia sedis
apostolicac und den Eid des Kaisers berührenden Darlegung, die mit den
Worten schließt et ab so [seit, papa] Imperium tenet [seil, imperatar]): inde
esi , quod m iure (recte: iura) sueetdit Papa, imperio vacantt ; bezüglich des
zwoiten Falles hingegen (wo übrigens auch einer grundsätzlich abweichenden
Ansicht Ausdruck gegeben wird) wird ausdrücklich erklärt: sed heenon facit quod
ab eo (sei/, papa ) teneat regrsum (seil, princeps'), sed de plcnitudinc potestatis quam habet,
quia vicarius est Christi. Auf eine detaillierte Aufzählung von elf Fällen, in
die sich die Voraussetzungen für die subsidiäre Jurisdiktion auflosen
lassen, folgt eine prinzipielle staatskirchcnrechtlichc Auseinandersetzung.
Hegen Ende derselben finden sich folgende charakteristische Sätze : . . licet
in multo distincta sint officia et regimina mundi tarnen quandocunque neeesse est ad
Papam re.urrendum , swe sit necessitas iuris, quia iudex dubius esi , quam
sententiam de iure proftrre debeat, vel necessitas facti, quia ahus non
sit iudex superior , swe facti, puta quia de facto iudices minores non possuni
suas sententias exequi , vel esolunt Daß eine derartige „distinctio“ der
Gewalten jeder praktischen Bedeutung entbehrt, bedarf keines Beweises. —
Das zweite Zitat bezieht sich offenbar auf die Lectura in Decretales des
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107
Hier haben wir eine geradezu systematische Darlegung des
extrem-hierokratischen Systems. Den metaphysischen Ausgangs-
punkt bildet das principium unitatis, welches später Dante gerade
zur Begründung der kaiserlichen Souveränität und Suprematie
heranzog1); der von der Glosse zitierte c. 41 C. 7 q, 1 paßt
besser zu diesem Gedanken’); dagegen enthält c. 13 X IV 17
allerdings die allgemeine Weisung, in zweifelhaften Fällen sich an
den apostolischen Stuhl zu wenden (recurrere) 3). Der unus prin-
ceps ist der Papst, der zum Papst-Kaiser geworden ist und, um
mit Hauck zu sprechen, die Herrschaft über das Reich und die
Herrschaft im Reiche übt4). Die Herrschaft über das Reich übt
er, indem er die Fürsten zur Gerechtigkeit zwingt, die Herrschaft
im Reich, indem er im Falle ihrer negligentia selbst die weltliche
Jurisdiktion ausübt; ein Bindeglied zwischen beiden Gedanken
stellt es dar, daß er in gewissen Fällen die Beobachtung des ka-
nonischen Rechts erzwingt Der Zwang zur Gerechtigkeit erfolgt
laut des zitierten c. 26 C. 23 q. 5, indem weltliche Würdenträger
wegen ungerechter Amtsführung (besonders gegenüber der Kirche)
exkommuniziert werden4); zum Nachweise des Übergangs der welt-
Henricus de Sogusia (1244 Gesandter des französischen Königs Heinrich 111.
bei Papst Innozenz IV., 1261 Kardinalbischof von Ostia und Velletri, daher
Hostiensis, gestorben zu Lyon 1271); leider ist mir weder eine Hand-
schrift noch eine Druckausgabe des Werkes zugänglich (vgl. Schulte
a. a. 0., S. 125 Anin. 17).
') Vgl. oben S. 1 Anm. 1 und S. 6 Anui. 1.
*) Vgl. oben S. 105 Anm. 4.
3) Es ist dies die oben S. 93 Anm. 1 erwähnte Dekretale „Per Venera-
bilolll ■*. Die offenbar bezogene Stelle lautet: ’fria quippt distinguit iudicia: primum
inter sanguinem et sanguinem, per quod criminelle intelligitur et ereile ; ultimum inter
lepram et lepram , per quod ecclcsiastieum et criminale notatur : medium inter causam et
causam , quod ad utrumque refertur, tarn eeclesiasticum quam civile, in quibus quum
illiquid fuerit difficile, vel ambiguum, ad iudicium est sedis apostolicae recurrendum
Im Zusammenhang scheint mir die Dekretale übrigens an der iuris-
dictio ratione pcccati festzuhaltcn, jedenfalls abor, wie die Rücksicht auf
die liechte des Königs beweist, keine unmittelbare „Herrschaft im Reich“
zu beanspruchen.
4) Vgl. oben S. 25 Anm. 8.
5) Die ziterte Stelle ist ein Canon des im Jahre 877 gehaltenen Konzils
von Ravenna; die kritischen Nachweise siehe in der Ausgabe von Fried-
berg. Im Siunc unserer Glosse knüpfen sich zweifellos an die kirchliche
Zensur juristische Folgen.
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108
liehen Jurisdiktion auf den Papst wird c. 10 X II 2 zitiert, wo
Innozenz 111. in sehr vorsichtiger Weise die Austragung bürger-
licher Rechtssachen vor dem geistlichen Richter bei negligentia
des iudex saecularis (vor allem vacante imperio) für zulässig er-
klärt ‘). Besonders charakteristisch für den Standpunkt des Liber
Sextus sind die für die Beachtung des kanonischen Rechtes ange-
führten Belegstellen: da wird der ecclesiasticus iudex Ordinarius
angewiesen, gegen den iudex saecularis kirchliche Zensuren in
Anwendung zu bringen, wenn dieser gegen die Bestimmungen des
kanonischen Rechts Exkommunizierten das Klagerecht, die Zeugnis-
föhigkeit u. s. w. zuerkennt (c. 8 in VIto V 11)*), wenn er die
Beschwerde der Ehegattin wegen Veräußerung der dos trotz nach-
gewiesener Zustimmung der Ehegattin und trotz des von ihr eid-
lich bekräftigten Verzichtes auf das Beschwerderecht entgegen-
nimmt (c. 2 in VItu II ll)3), schließlich wenn er sich in Zivilklagen
gegen Geistliche als kompetent erklärt (c. 2 in Vit« n 2)4). Von
diesem extrem-hierokratischen Standpunkt aus ist es nur kon-
sequent, wenn die oben (SS. 105 f.) mitgeteilte Glossenstelle das
Depositionsrecht im schärfsten Sinne faßt und dessen Ausübung
auch dem inutilis gegenüber für zulässig erklärt, und zwar unter
Berufung auf den von uns (SS. 34 ff.) ausführlich erörterten c. 3
C. 15 q. 6S). Es kann auch nicht überraschen, wenn in weiterer
') Die Entscheidung Innozenz’ III., welche im Jahre 1206 eriloß und
bereits in die Comp. III. aufgenommen wurde (die kritischen Nachweise in
der Ausgabe von Friedberg und bei Potthast, Iteg. Pont, 2785) bezieht
sich ausschließlich auf die Commune Yercelli und beruft sich ausdrücklich
auf alten Brauch, der nicht ausgedehnt, sondern im Gegenteil einge-
schränkt wird. Vgl. oben 8. 75.
3) Nach der Ausgabe von Friodbcrg aus der unten Anm. 4 genannten
Dekretalo Alexanders IV. (in den Nachweisen soll es offenbar statt „cf. c. 1
supra (8, 22)“ heißen .cf. c. 1 supra (3, 28)“: auch die Verweisung auf Pott-
hast, Reg. Pont. — angeblich 18188 — ist offenbar irrtümlich).
*) Aus der in der folgenden Anm. genannten Dekretalo (nach der Aus-
gabe von Friedberg).
*) Einer Dckretale Alexanders IV. aus dem Jahre 1256 entnommen: die
kritischen Nachweise in der Ausgabe von Friedberg und bei Potthast,
Reg. Pont, 16308.
s) Bezüglich der abschwächenden Interpretation des Wortes inutilis in
der Glosse zum Dekret vgl. oben S. 37. — Kurz erwähnt sei, daß in der Glosse
zur Depositionsbulle (nämlich zum Worte absolventes) auch der oben S. 35
besprochene c. 5 G. 15 q. 6 zitiert wird.
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109
Analogie zum kirchlichen Ämterrecht die Bestellung eines coadiutor
für' den König als zulässig erklärt wird, ein Recht, von dem
Innocenz IV. tatsächlich laut c. 2 in VI to I 8 in Portugal Ge-
brauch gemacht hat1)’).
Fragen wir nun, wie sich diese Theorien für die deutsche
Königswahl wirksam erweisen, so kommt zunächst der in der
Bulle auf die Depositions-Sentenz folgende Satz in Betracht: llli
autem , ad quos in eodem imperio spectat. Imperator is electio, eliganl
libere succeesorem. Dieser Satz scheint mir lediglich das freie
Wahlrecht der Fürsten betonen zu wollen und, wenn man darin
auch keinen formellen Verzicht auf das Approbationsrecht erblicken
') Uber einen ähnlichen Gedanken in der Glosse zum Dekret vgl. oben
S. 37. — Was die hier mitgeteilte Dekretale Innozenz.’ IV. anlangt, so wurde
sie im .lahre 1245 und zwar unmittelbar nach der Deposition Friedrichs II.
erlassen; vgl. die kritischen Nachweise in der Ausgabe von Friedberg
und bei I’otthast, Heg. Pont., 1 1751. Als Coadiutor wurde in Ermangelung
von Söhnen der Bruder als nächster Agnat bestellt. — Sehr interessant ist
die Glosse Bcgcs, welche in weitem Umfang das kanonische Amtcrrecht (und
auch zivilrechtliche Bestimmungen) per analogiam auf das Königtum an-
wendet, aber das Erbrecht in Portugal anerkonnt. Sic lautot (mit Weg-
lassung der äußerst zahlreichen Verweise): Kex iste dissipator, et negiglens erat,
ut patet per inferiora, et per utrumque videtur , quod poterit removeri (folgen Be-
lege), et sic non debuit ei curator dari: sed potius debuil regno prrvari. et sie ad
fratrem ordine geniturae converti, cum filios non haberct (folgt ein Beleg). Die ,
quod rex, eui per successionem regnum defertur, propter supradicta
privari non debuit , sed curator dari: ut hic factum fuit , ad instar furiosi
(folgt ein Beleg aus dem römischen Hecht), et custodiet regnum, et regem:
sicut ipse curator furiosum , et patrocinium (Beleg uns dem römischen Recht).
satisdat talis rem eius, cui datier, sahmm fore (Belege aus dem römischen Hecht).
Papa autem hic non curat cautionem requirere. Propter de/ictum autem bene prrvatur
rex regno per superiorem suum, vel per Ecdesianr. cum superiorem non habet
(hier wird u. a. die im Tezt behandelte Depositionsbulle gegen Friedrich II.,
ferner der oben SS. 34 ff. besprochene c. 3 C. 15 q. (I und das oben S. 95
Anm. 2 erwähnte c. 6 X III 84 de voto zitiert), et tune vel succedet proximus,
sci/icet, cum per successionem defertur: vel eligent Uli, ad quos pertinet. a/ium (hier
wird die Bulle „Vonerabilem* zitiert).
*) Zur Vervollständigung der staatskirchenrechtlichcn Theorie des Liber
Sextus sei u. a. auf c. I et 3 in VI 10 111 23 de immunitate verwiesen, wo
die Steuer- Immunität der Kirche verfochten wird. Die Immunität (von
Steuer und Gericht) war ja der wichtigste Streitpunkt zwischen der Kirche
und «lern werdenden Territorialstaat : an der Frage der Steuer-Immunität
entzündete sich der große Kampf zwischen Bouifaz VIII. und Frankreich.
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. 110
wird, dem auch sonst (trotz aller prinzipiellen Betonung
der weitgehendsten kirchlichen Rechte) bemerkbaren Streben nach
praktischer Anpassung entsprechend die Geneigtheit des Papstes
auszusprechen, jeden von den Fürsten Gewählten zum Kaiser zu
krönen. Anders allerdings hat die Glosse diesen Satz aufgefaßt,
sie sieht in dem „eligant“ einen päpstlichen Befehl. Schon zu den
Worten illi autem wird nach Erörterung des aktiven Wahlrechts,
worauf wir noch zurückkommen werden, die Frage aufgeworfen:
Sed numquid Papa po-stet Principe» electione /rrirare, et per xe
eligere imperio vacantel Es wird nun die Antwort eines mit der
Sigle Ber. bezeichneten Glossators (offenbar Petrus Bertrandus,
1320 Bischof von Nevers, 1349 gestorben)1) mitgeteilt, derzufolge
dies nicht zulässig ist, dummodo ipsi (teil, principe») velint eligere,
wohl aber, »i nollent eligere , vel concordare non possent. Damit
ist, über das Approbationsrecht des Papstes hinausgreifend, auts
klarste ein Devolutionsrecht behauptet. Begründet wird es unter
Hinweis auf die Bulle „Venerabilem“, welche allerdings einen der-
artigen Analogieschluß offen läßt, und aus den allgemeinen Er-
wägungen des kirchlichen Ämterrechts: et hoc maxime in lairis
locum habet , wozu ohne ersichtlichen Grund auf c. 28 X III 38
de iure patronatus *) und die dazu gehörige Glosse verwiesen
wird1). In der näheren Ausgestaltung des Devolutionsrechts hat
allerdings auch hier das kanonische Ämterrecht nicht schlechthin
Anwendung gefunden. Gleich in der folgenden Glosse (zum Worte
eligant) wird nämlich unter ausdrücklichem Hinweis auf die ab-
weichenden Bestimmungen bei anderen Kircbenämtern bemerkt,
daß die Wahl nicht innerhalb einer bestimmten Frist erfolgen
') Vgl. Schulte, a. a. 0. (vgl. oben S. 31 Anm. 1) SS. 235 und 23G im
Zusammenhang mit S. 505.
*) In der von Innocenz III. im Jahre 1206 erlassenen, schon in die
Comp. III. aufgenomtnenen Dekretale (vgl. die kritischen Nachweise in der
Ausgabe yon Friedberg und bei l’otthast, Keg. Pont., 2725) wird die
Frage untersucht, ob und in welchem Maße sieb der päpstliche Legat die
Kesetzung ron Pfründen reservieren kann, an denen ein klerikales oder lai-
kales Patronatsrecht besteht.
3) (iemeint ist offenbar die Glosse zu den Worten quempiam praesentare,
wo es U. a. heißt : Sei/ numquid Ugatus passet dare Ecc/rsiam irwito patrona laico f
Quod videtur ; quia plus iuris halft in eoncessiont prüf latus, quam in praesentatiant
patronus .
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111
müsse; daher komme es, quod Papa non potest eligere, niti prius
illos admoneat. Die Berufung auf die Bulle „Venerabilem“ erfolgt in
analoger Anwendung der dort bezüglich des Entscheidungsrechtes bei
Zwiekuren gegebenen Bestimmungen auf das Devolutionsrecht '). Ob
mit der Notwendigkeit einer wohl mit einer Fristsetzung ver-
bundenen admonitio bei Fehlen einer generellen Bestimmung die
Rechte des Papstes eingeschränkt oder erweitert sind, ist Ansichts-
sache a).
Wie schon angedeutet, gibt die Glosse zn den Worten illi
antem eine Aufzählung der sieben Kurfürsten, welche in einer
Additio zur Glosse, in Verse gekleidet, wiederholt wird*). Wo-
rauf ich nnn besonders aufmerksam machen möchte, ist der Um-
stand, daß in diesem späteren Zusatz und n u r in diesem bei jedem
der weltlichen Kurfürsten seines Erzamtes Erwähnung geschieht
Einer näheren Erörterung bedarf der auf die erste Aufzählung
folgende Satz: El dicunt quidam, quod Rex liohemiae de necessittttc
vocandus turn est, nisi cum alii discordant : nec istud ins habui/
ab anliquo: sed hodie de facto tenet et hoc per Hont, de elect. c.
venerabilem*). Diese Stelle ist deshalb von besonderem Interesse,
weil sie uns zeigt, daß auch unter den Kanonisten die Stellung
des Königs von Böhmen nicht unbestritten war. Die referierte
') Siche die entscheidenden Worte der Bulle .Venerabilem“ oben
SS. 49 f.
*) Am 21. April 1246 hat Innocenz IV. bekanntlich den deutschen
Fürsten trotz des in der Depositionsbulle eingenommenen Standpunktes
einen so entschiedenen Wahlvorschlag (der Vorgeschlagene war Heinrich
Haspe) gemacht, daß diu Wahl nahezu als Zeremonie erscheinen mußte, das
Vorgehen des Papstes aber einer provisio iure devolutionis nahekam. Vgl. oben
S. 53 Anin. 2: die Briefe des Papstes siehe MG., Ep. saec. XUI., II No. 159.
s) Die erste Aufzählung, mit welcher die Glosse zu den Worten illi
autem beginnt, lautet: Sei/ieef Archiepiscopus Maguntin. Colon. Treueren, et
qoatoor laiei, scilicet. Palatinos Comes Rheni , i/ux Saxoniae, Marekio Rrandenborgen.
et Rex Rohemiae o/irn ciux. Die Additio sagt: Prae/ati eltetores Imperatoris his
versibus continentur :
Magna Maguntia , crassa Colonia , Treveris altna.
Atqoe Palatinos dapifer, dux portitor ensis:
Marehio praepositns eamerae. pineerna Rohemus.
Romanom regem statuendi dant sibi legem.
•) Vgl. obeu S. 106 Anui. 1 am Ende.
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112
Ansicht des Hostiensis dürfte ihren Grund in den Vorgängen bei
der Wahl des Jahres 1257 haben, auf die wir im zweiten Kapitel
zurflckkommen werden1). Im weiteren Verlauf der Glosse wird
die abweichende Ansicht des c. legimus dist. 93 (c. 24 Dist. 93),
welchen wir oben (S. 28) ausführlich besprochen haben, unter An-
führung einer ganzen Reihe von Stellen aus dem corpus iuris
civilis mitgeteilt *), und daran die von uns soeben erörterte Frage,
ob der Papst eligere /xwit, geknüpft.
Bezüglich des Wahlverfahrens gibt uns die Depositionsbulle
und die dazu gehörige Glosse, wie die kurze hier gebotene Obersicht
dartut, keinen Anlaß, das Bild zu modifizieren, das wir aus der Be-
trachtung der Glosse zur Bulle „Venerabilem“ gewonnen haben,
welche ja in ihren jüngeren Teilen zum mindesten nicht älter ist
als die hier behandelte Glosse zur Depositionsbulle gegen
Friedrich II.*)
2.) Die Theorie vom Fidelitätseid
und die Bestimmungen über die Königswahl in den
Clementinen und ihrer Glosse.
Auch nach der Absetzung Friedrichs II., mit welcher die
Kurie allerdings nicht dnrchzudringen vermochte, fehlte es nicht
') Vgl. unten die Ausführungen am Ende der Abschnitt« III2 und III 3
des II. Kapitels. Die Lehre des Hostiensis wurde unter Angabe des
Gewährsmannes von Johannes von Huch in die Glosse tum Sachsen-
spiegel aufgenommen, und twar offenbar aus der glossa ordinaria, wobei
auch die Zitierung des c. 24 Dist. 'J3 mit übernommen wurde. Vgl. darüber
Schuster, Mitt. d. Inst. f. öst. Geschf. III 406 und 407 (in dem Aufsatz
Beiträge zur Auslegung des Sachsenspiegels, a. a. 0. 392 ff.).
a) Es sind folgende Stellen zitiert: 1. 2 §§ 2, 8, 9, 11 D. I 2 de
origine iuris (bei der ein Zusammenhang mit dem Satz, daß exercitus facit
imperatorem , wenig deutlich ist); § 6 Inst. II de iure naturali et gentium
et civili (Std et quod principi placuit, legis habet vigorem, cum lege regia, quae
de imperio eius lata est, populus ei et in eum omne suurn imperium et
potestatem concessit ); 1, 1 Cod. I 17 de veteri iure enucleando (gemeiut
offenbar folgende Stelle im § 7: cum enim lege antiqua , quae regia nuncu-
pabatur , omne ius omnisque potestas popu/i A’omani in imperatoriam
tr am lata sunt potestatem . . .). Bezüglich der Argumentation aus dem
römischen Itecht vgl. oben S. 77 Anm. 1.
3) Eine Stelle aus der Novella super Sexte Decretalium des Johannes
Andrea«, in welcher das hier erörterte c. 2 in VI to II 14 kommentiert wird,
erörtert Grauert in seinem Aufsatz Zur deutschen Kaisersage, Hist. Jahrb.
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113
an interessanten Berührungen zwischen dem Papsttum und dem
deutschen Thron: bei den Wahlen der sogenannten „Pfaffenkönige“ ')
kamen sie zunächst zum Vorschein, in der Bulle „Qui celum“8)
nnd bei der unter dem Einfluß Gregors X. zustandegekommenen
Wahl Rudolfs von Habsburg5) haben sie sogar einen maßgebenden
und für die Konsolidierung der deutschen Verhältnisse günstigen
Einfluß geübt. Allein diese Ereignisse haben im corpus iuris
canonici keine unmittelbar erkennbaren Spuren zurückgelassen ; auch
die theoretische Anerkennung der Translationstheorie von deutscher
Seite unter Albrecht I.4) und die Versuche Frankreichs, Klemens V.
zu einer neuerlichen Translation des Imperiums zu veranlassen6),
haben zu keiner kanonischen Legislation Gelegenheit geboten.
Erst die unter Abweisung der französischen Versuche im Jahre
1308 erfolgte Wahl Heinrichs VII. führte im Laufe der Begeben-
heiten zu Weiterungen, welche den Gegenstand wichtiger in die
Clementinen aufgenommener Entscheidungen bilden: c. un. (Ro-
mani principes) in Clem. II 9 de iureiurando und c. 2 (Pastoralis)
in Clem. II 11 de sent. et re iud.
Der diesen Entscheidungen zugrunde liegende Sachverhalt ist
* in Kürze der folgende8). Die Wahl Heinrichs VII. erhielt, ohne
daß im Wahldekret ausdrücklich darum angesucht worden
<1. Uörres-Gesellsch., XIII 1 15 ff. Die Stelle ist nicht in die glossa ordinaria
übergegangen, ich linde sie nicht in den gedruckten Ausgaben; es genüge
daher trotz des grollen juristischen Interesses der Stelle dieser kurze Hin-
weis auf Grauerts Aufsatz. Ob die von ihm gezogenen historischen
Folgerungen richtig sind, ist dabei für unsere Zwecke irrelevant.
') Vgl. oben S. 16, ferner die Ausführungen gegen Ende der Ab-
schnitte III 2 und 111 3 des 11. Kapitels.
*) Vgl. oben 8. 99, unten S. 176 Anm. 5.
*) Vgl. Redlich, a. a. 0. SS. 152 ff.: vgl. auch oben S. 53 Anm. 2.
4) Vgl. Krammer, Der EinfluB des Papsttums (vgl. oben S. 19 Anm. 3)
S. 27 bes. Anm. 4; ferner Phillips, Kirchenrecht, III. Hand Kegensburg
1848, 8. 197 bes. Anm. 10.
s) Vgl. Phillips, a. a. 0. SS. 272 ff., Krammer, Wahl und Einsetzung
(vgl. oben S. 21 Anm. 2) 8. 68. Der Versuch von französischer Seite war
nicht neu, er war bereits vor der Wahl Rudolfs von Habsburg gemacht
worden (vgl. Redlich, a. a. 0. SS. 152 f.): wührend des deutschen Thronstreites
nach 1314 wurde er nachdrücklich erneuert (vgl. Krammer, Der Einfluß
des Papsttums SS. 35 und 36).
*) Eine kurze, übersichtliche Darstellung findet sich bei Phillips,
Kirchenrecht, $ 132. Im allgemeinen kommen für die einschlSgigcn historischen
Hugelmauu, Die deutsche Köuigswabl 3
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114
war '), die päpstliche Approbation, nachdem eine hiezu bevoll-
mächtigte Gesandtschaft im Kamen des Gewählten in Avignon den
sogenannten Sicherheitseid geleistet hatte9). Der Luxemburger,
in dem das alte Kaiserideal lebendig war, unternahm im Jahre
1312 nach Ablegung eines Eides, in dem er vor allem die Un-
antastbarkeit des Kirchenstaates zusagte3), seine Romfahrt, auf
welcher er zuerst die lombardische Krone und schließlich in Rom
nach Ablegung eines dritten Eides4) die Kaiserkrone aus der Hand
eines Vertreters des in Avignon weilenden Papstes empfing5).
Bereits in Rom kam es aber zu einem heftigen Konflikt, indem
die zu König Robert von Neapel stehende guelfische Partei
Heinrich den Eintritt in die Peterskirche verwehrte, sodaß die
Ereignisse besonders in Betracht: Lindner, Deutsche Geschichte unter den
Htibsburgern und Luxemburgern (in der Bibi. Deutscher Geschichte),
I. Band, Stuttgart 18!tt), SS. 18t) — 277: Losertb, a. a. O. (vgl. üben S. 43
Aun. I) SS. 246 — 255.
') Vgl. Krainnicr, Wahl und Einsetzung (vgl. oben S. 21 Anm. 2)
SS. 68 und 69.
*) Vgl. Otto, Die Eide und Privilegien Heinrichs VII. und Karls IV.
(Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken,
herausgegeben vom kgl. preuü. hist. Inst, in Koni, IX. Band SS. 316 ff.),
S. 317.
3) Otto, a. a. 0. S. 318.
*) Otto, a. a. 0. SS. 320 f.
s) Nicht uninteressant (allerdings teilweise unrichtig) ist, was die
Glosse zum Worte vestigiis über die dreimalige Krönung bemerkt: Scire Jebes
fprout habetur etiam in Pontificali), quod rex Romanorum eoronatur triplici Corona.
Prima est ferrca {siel), quam recipit ab archiepiscopo Cobnien. in Aquisgrano
ehtsdem dioecesis: ferrum autem fortitiuiinem designat , qua vineere Jebet rebelles, et
infideles conculeare. Seconda est argen tea ( sic! ), quam ingressus Italiam recipit a
Mcdblanensi Archiepiscopo in vi/hs A/edioeen. eins dem dioeeesis: tarnen ipsc Jlenrieus
recepit ilbm A/edioiani in Fxclesia S. Ambrosis, argentum autem designans muss-
ditiam, et ebritatem , signißeat ipsum principem taiern esse debere. Tertia est de puro
nitro, qua eoronatur per Papam in Ecclesia S. Petri , a*t altare S. Alauricii et
designat aurttm, quod omnibus metatlis est excellentius, ipsum imperatorem aliis
regibus , et principibus in poientatu, et iustitia excellentiorem esse de-
bere. Sic o/im in his tribus metaltis Jabatur tributum Romanis , ui scripsi (hier
folgt ein Verweis auf eine andere Glossenstelle). Additb. Ham tripHcem
coronam trip/ici carntine adnotatam videas?
Eerrea Romani gestaut diademab reges.
Est argentea post haec his obbta corona.
Hinc aurum eapiti saivum datur Jmpenali.
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115
Krönung im Lateran vorgenommen werden mußte. Nun schien
der Krieg mit dem König unvermeidlich; da trat der Papst da-
zwischen, indem er sowohl den Kaiser als den König unter Berufung
auf das von ihnen geleistete „iuramentum fidelitatis“ zum Frieden
mahnte. Hierauf erhob der Kaiser feierlichen Protest, welchen
er notariell beglaubigen ließ: er habe niemals und niemandem
gegenüber ein iuramentum fidelitatis (worunter er einen Lehens-
eid verstand) geleistet. Er zitierte Robert von Neapel, den
Sprossen des französischen Königshauses und den Vasallen des
Papstes, dreimal vor seine Kurie und verurteilte ihn schließlich
in contumaciam am 26. April 1313 zum Tode durch das Schwert.
Seine Kompetenz begründete er mit seiner Eigenschaft als Lehens-
herr in bezug auf einige piemontesische Besitzungen des Königs,
hauptsächlich aber mit der oberstrichterlichen Gewalt des Kaisers.
Zu diesen Streitfragen nehmen die am 14. März 1314 (also nach
dem Tode des Kaisers) publizierten Dekretalen „Romani principes“ *)
und „Pastoralis“ *) Stellung: jene erklärt den Eid des Kaisers in
bestimmtester Weise als einen Fidelitätseid, diese verneint die
Kompetenz des Kaisers und erklärt seinen Urteilsspruch für
nichtig.
Es ist selbstverständlich für die Auffassung des Verhältnisses
zwischen Papsttum und Kaisertum von grundlegender Bedeutung,
wenn der vom Kaiser geleistete Eid als ein Fidelitätseid im engeren
Sinne, als ein Homagium, betrachtet wird. Auf die Eide der deut-
schen Könige seit Otto 1., für welche os noch an ausreichenden
Vorarbeiten fehlt“), kann hier nicht näher eingegangen werden; es
•) c. un. in Clem. II 9 de iureiurando. I)aa von Johannes Andreae
(vgl. über ihn oben S. 61 Anm. 1) stammende Summarium lautet: luramenta,
quae Komanat ccdesiat praestant Romani principes, fidelitatis existunt. Die kritischen
Nachweise siehe in der Ausgabe von Friedberg.
a) c. 2 in Clem. II 11 de sent. et re iud. Das Summarium des
Johannes Andreae besagt: Sententia lala contra eitatum, extra citantis lerri-
torium existentem, nul/a est ipso iure. Die kritischen Nachweise siche in der
Ausgabe von Friedberg.
*) Eine umfangreiche Literatur besteht nur über die (teilweise ange-
zweifelten) „Privilegien“ Ottos I. (Dahlmann- Waitz, Quellenkunde 7. Aull.,
Nr. 3577): die Eide Ottos IV. spielen in der Literatur über den Thronstreit
natürlich eine Rolle; ziemlich viel erörtert wurde auch der Eid Albrechts I.,
8*
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116
würde dies eine selbständige Abhandlung erfordern. Auch auf
die Lehenshoheit der Kirche einzelnen Staaten, besonders Sizilien
und Neapel, gegenüber1), anf die angebliche Behauptung der-
selben Frankreich gegenüber unter Bonifaz VIII.*) und auf den
Streit zwischen Kaiser Friedrich I. und Hadrian IV. (1154 — 1159)
über dieselbe Frage3) mag nur andeutungsweise hingewiesen
werden. Sicher ist, daß die Behauptung einer päpstlichen
Lehenshoheit gegenüber dem Kaisertum durch die Aufnahme
der Dekretalo „Romani principes“ in die Sammlung Klemens' V.
Bestandteil des kanonischen Rechtes geworden ist. Es ist
dabei unerheblich, daß die Fassung der vom Kaiser geleisteten
Eide die päpstliche Ansicht hinfällig erscheinen ließ; daß
die Dekretale „Romani principes“ ein Lehensverhältnis tatsächlich
behaupten wollte, ist zweifellos, da sie die Gehorsamspflicht des
Kaisers nnd sein iuramentum in bestimmtester Weise auf die-
selbe Stufe stellt, wie die Verpflichtungen des Vasallen der
Kirche, Roberts von Neapel4). Gerade durch diese Gleich-
den n. a. K ramm er (Der Einfluß des Papsttums SS. 27 und 28, woselbst auch
die Literatur verzeichnet ist) für einen Lehenseid hält. Vgl. auch oben S. 114
Anui. 2. Für eine zusammenfassende Darstellung, die meines Wissens nicht
existiert, kämen außerdem besonders in Betracht die Krönungs-Ordines.
*) Hier dauerte das Vasallen- und Lehensvorhältnis formell bis znui
Jahre 1800. Vgl. die gute Übersicht in Wetzers und Weltes Kirchen-
lexikon, 2. Auf]., IX. Baud 1895, Sp. 81 ff.
*) Vgl. die oben 8. 16 Anrn. 1 angeführte Literatur über die Bulle „Unam
Sanctam“.
*) Vgl. darüber Maurenbrecher, a. a. 0. (vgl. obon S. 11 Anm. 1)
SS. 170 nnd 171 (daselbst auch weitere Literatur-Angaben).
*) In der Bulle lautet die betreffende Stelle: . . . inter alia inserentes
in eis {i. e. Utens), quod, quum ipsi reges eiusdem eectesiae specialissimi
fi/ii sibi iuramento fidelitatis et alias multiplieiter essent adstricti ,
ipsius eeclesiae debeant esse promptissimi defensores. An und für sich begründet
nicht jedes iuramentum tidclitatis ein vasallitisches Verhältnis. Dies kommt
in der Glosse zum Worte fidelitatis zum Ausdruck, welche den dritten, von
Heinrich VII. vor seiner Krönung geleisteten Eid als Pidelitätseid im Sinne
des c. 18 C. 22 q. 5 anspricht und dann fortfährt: et videre potes, quod
not. l/ost., in summa , de feu. $ quid si fidelitas. ubi etiam ponis ptenam, et p/eniorem
fidelitatis formam. In quo, et quid differat ab homag io , dieam in f. de re iud.
e. pastoralis. § rursus [de hot Inn. de reg. iur. cap. ult.]. Tatsächlich linden
sich in der Glosse zur Bulle Pastoralis, und zwar sowohl zum Initium als
auch in der Glosse zu den Worten homoqnc ligius (auf diese wird oben
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117
Stellung1) hatte hier der Papst den Vorrang der kaiserlichen
Würde im alten Sinn auf das schärfste negiert. Die Negie-
rung der Weltherrschaft des Kaisers bildet auch den eigentlichen
luhalt der zweiten hier zu besprechenden Clementine „Pastoralis“.
Denn die Nichtigkeit des kaiserlichen Urteils wird hauptsächlich
damit begründet, daß der Kaiser vor sein Gericht niemanden
laden kann, dessen Domizil außerhalb des „districtum imperii“
liegt, wobei zum districtum imperii offenbar außer Deutschland
nur das lombardische und das burgundische Königreich gerechnet
werden ’). Die Weltherrschaft des Kaisertums war hiemit vom
kanonischen Hecht auch theoretisch aufgegeben, das Kaisertum
war eine staatliche Organisation unter anderen, und zwar eine
unter der Lehenshoheit des Papstes stehende.
angespiclt) umständliche, aber wenig klare Auseinandersetzungen über bonc-
ticiuui, feudnni, lidelitas und hoinagium: übrigens ist auch die oben zitierte
Stelle aus dem Gratianischen Dekret auf ein Yasallitisches Verhältnis
durchaus passend. Es wurde hier zu weit führen, auf diese komplizierten,
lehensrechtlichen Fragen näher einzugehen ; es genügt die Feststellung,
daß der Kaiser tatsächlich mit dem im vas|allitischcn Lehens-
bande stehenden König von Neapel auf eine Stufe gestellt wird;
es erscheint daher auch eine nähere Untersuchung der zitierten Stellen aus
der Summa des Hostiensis und aus den Commentaria Innozenz’ IV. als über-
llfissig (vgl. bezüglich des letzteren Werkes oben S. 106 Amn. 1, bezüg-
lich des ersteren Schulte, a. a. O. — vgl. oben S. 31 Anm. 1 — SS. 125 ff.)
l) Die Glosse scheint sich allerdings eines Unterschiedes bewußt zu
sein, indem sie zum Worte Sicilia bemerkt, daß es speciale patrimonium Eccte-
siae sei.
J) Sehr charakteristisch ist die Glosse zur Hülle „Pastoralis“. Zu den
Wurten districtum imperii bemerkt sie: !'er hanc litteram, et sequentes pattl ,
tjuot/ Imperator non distrin^it totum orbem , licet dkatur dominus mundi
(letzteres wird u. a. durch den bekannten, oben S. 107, bes. Anm. 2, be-
sprochenen c. 41 C. 7 q. 1 belegt). Ihre praktische Spitze erhält diese
Einschränkung insbesondere im weiteren Verlauf der Glosse, wo zum Worte
districtum bemerkt wird ; außerhalb des districtum imperii sei das angebliche
Delikt des Königs Robert begangen worden, cum Koma (der Tatort, vgl. oben
S. 114) st'/ de tempora/i dominio Ecclesia; (was wieder durch Zitate belegt wird).
.Daß aber der alte Kaisergcdanke nicht tot war, zeigt gerade die Glosse zu
den Worten districtum imperii; denn im Anschluß an die oben zitierte Stelle
führt sie als Gegenargument das ius commune an : facit tarnen pro ipso ius
commune , quo fundat intentionem suam in orbe, sicui — An dieser Stello
möge noch folgendes Work erwähnt werden; Eitel, Der Kirchenstaat unter
Klemens V., Berlin und Leipzig 1907 (Abhandlungen zur mittleren und neueren
Geschichte, herausgegeben von v. Below, Finke und Meinecke, Heft 1).
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118
Ausführlich verbreitet sich die Clementine „Romani principes“
über die Erlangung der kaiserlichen Würde, welche in inkonse-
quenter Weise doch als eine ganz eigenartige, einzige aufgefaßt
wurde, wie sich aus der Betonung der Translationstheorie ergibt.
Der erste Satz der Clementine lautet: Romani, principes . . . Romano
pontifici , a qno a/qirobationempersonae ad imperialis celsitudinis apicem
assumendae, nec non vnctionem, consecrationem et imperii coronam
accipiunt, ma submittere capita non reputarunt indignum, seque
illi et. eidem erclesiae, qvae a Graecis Imperium transtulit
in Germanos, et a qua ad certos coram principes ius et potestas
eligendi regem, in imperatorem poetmodum promooendum peroenil,
adstringere oinculo iuramenti ... In diesem Satz ist aus-
gesprochen: 1.) daß das Papsttum die kaiserliche Würde mit
der des deutschen Königtums verknüpft hatte, was um so be-
deutungsvoller ist, als vor kurzem Frankreich auf eine neuerliche
Translation hingearbeitet hatte; 2.) daß die Wahl des deutschen
Königs und damit indirekt des Kaisers kraft päpstlicher
Übertragung den Kurfürsten zusteht; 3.) daß dieser Wahl jedoch
nur die Bedeutung einer Designation zukommt, daß es dem Papst
zusteht, die „Idoneität“ der Person zu prüfen und durch die unctio,
consecratio und coronatio die Kaiserwürde selbst (das ius in re) zu
übertragen. Was hier zunächst auffällt, ist die scheinbare Ein-
schränkung des Approbationsrechts auf dio Prüfung der „Idoneität“.
Daß eine solche Einschränkung nicht beabsichtigt war, ergibt sich
aus den weiteren Darlegungen der Bulle. Der Papst erklärt aus-
drücklich: nos , eodem mandato et decreto elertionis eiusdem Henrici
ex parte prinriptim tarn ecclesiasticorum qua m saecularium, qui
eundem elegerant, nobis per dictos nuncios ]>raesentatis, plena cum
eisdem frat.ribus deliberatione disetwns, Jactaque nobis de electione
huiusmodi coneordi et legitivia plena fide, examinata quoque persona
ipsius Henrici, prout absentia patiebatur eiusdem , et de ipsius fide,
probitate et aliis, ipiae in persona imperatoris sunt merito requi-
renda, cum pluribus praelatis et aliis magnae auctoritatis ciris,
qui eiusdem Henrici mores, conditionem et statum plenius noverant,
inquirfto, eiusque persona, cuius etiain nos et fratres nostri aliquotem
prius notüiam habebamus, propter quod facilius transivimus in
examinatione huius modi, idonea re/nUata, ipsum nominacimus,
denunciuoinuts, et declaravimus regem Romanoruin, iqieius approbantes
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119
jwrsnnam, eumque tufficierUem et- habilem deelarantes ad mscipimdam
imperial i» celsitudims digmtatem, ac decementes unctionem , con-
»errationem, imperiique Romani coronam tibi per manus nostrat
debere concede . , . Hier ist mit der größten Schärfe ausgesprochen,
daß der Papst den Wahlakt geprüft hat; es ist dies auch ein
Erfordernis der Logik, da ja eben die giltige Wahl zum deutschen
König Voraussetzung der Erlangung der Kaiserwürde sein soll.
Der Papst hätte demnach zunächst zu prüfen, ob die Königswahl
nach deutschem Reichsrecht giltig ist, wenn dies der Fall
ist, in zweiter Linie, ob der gewählte König die Eignung zur Kaiser-
würde besitzt, wobei kanonistische Grundsätze in Betracht kommen.
Fällt eine dieser beiden Prüfungen zu ungunsten des Kandidaten
aus, so kann er zweifellos nicht Kaiser werden. Soweit ist alles
klar. Welche weiteren Folgen treten jedoch ein bezüglich des
Kaisertums und des Königtums? Was das erstere anlangt, so
kann wohl der Papst in diesem Falle von seinem Translations-
recht Gebrauch machen; allerdings auch nur dann, wie aus dem
Worte „debere“ am Ende der zitierten Stelle hervorgeht. Sehr
zweifelhaft aber erscheint es, ob der Papst nur die Translation
vornehmen oder ob er die deutschen Fürsten auch zu einer neuen
Wahl zwingen kann. Die zweite Auffassung entspricht mehr dem
früheren Standpunkt der Kirche. Der Bulle „Romani principes“
scheint sie mir allerdings eigentlich nicht mehr angemessen zu
sein, indem hier zwar einerseits die Weltstellung des Kaisertums
negiert wird, anderseits aber seine Scheidung vom deutschen
Königtum mit bisher unbekannter Schärfe zum Durchbruch kommt.
Die auf Grund dieser Scheidung logische Antwort auf unsere
Frage wäre die, daß der Ausspruch des Papstes tatsächlich nur
in Bezug auf die kaiserliche Würde Wirksamkeit hat und die
königliche ganz unberührt läßt. Es scheint mir jedoch trotzdem
nicht, daß die Bulle diese Auffassung hat: ganz unwahrscheinlich
ist dies bezüglich des päpstlichen Ausspruches über die Giltigkeit
der Königswahl, der im Sinne des Papstes gewiß, wenn er einmal
überhaupt erflossen war, schlechthin respektiert werden mußte;
zweifelhaft bleibt dagegen, ob auch bei Anerkennung der Wahl
und Reprobation des Kandidaten lediglich wegen Untauglichkeit
für das Imperium die deutschen Fürsten zur Wahl eines anderen
Königs verpflichtet sein sollen oder ob in diesem Falle allerdings
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120
die Wahl intakt bleibt und der Papst nur zur Translation des
Imperiums schreiten kann.
Bevor wir untersuchen, wie sich die Glosse zu diesen Fragen
verhält, seien noch einige Punkte erwähnt, zu deren Erörterung
die zuletzt besprochene Stelle Gelegenheit bietet. Zunächst muß
hervorgehoben werden, daß die Prüfung in einer Art und Weise
geschieht, die sie dem bei Kirchenämtern gebräuchlichen Infor-
mativprozeß annähert1). Anderseits werden bei der Prüfung des
Wahlakts offenbar nicht schlechthin die Grundsätze des kanonischen
Wahlverfahrens zur Anwendung gebracht; nicht die canonica,
sondern die legitima electio wird verlangt’). Ja, in der Betonung
der concors electio liegt eine starke Abweichung von dem damals
bereits allgemein gütigen kanonischen Becht; sie scheint auch ein
Abgehen von jenen Forderungen zu sein, die bereite Innocenz III.
aufgestellt hatte’), und ließe sich der Widerspruch nur dadurch
lösen, daß Heinrich VII. von der Mehrheit aller Kurfürsten und
mit den Stimmen aller anwesenden gewählt worden war4). Das
Kurfürstentum selbst erscheint in der Dekretale als eine ganz
gefestigte Einrichtung.
Die Glosse nun steht bezüglich des Kurfürstenkollegiums auf
demselben Standpunkt, wie die Bulle; kurz und bündig erklärt
sie zu den Worten ad certos: </ui mint Uli , not. de re iud. c. ad
Ajmtolirae in fin. lib. 6 (die oben SS. 111 f. besprochene Stelle).
Was den Wahlakt anlangt, so wird nur das Wahldekret erwähnt;
die Schlußworte der Glosse zu den Worten nos itaque und die
kurze Glose zum Worte decreto scheinen dafür zu sprechen, daß
*) Das Verfahren ist jedoch nicht ganz so streng, wio im eigentlichen
Informativprozeß, über den zu vergleichen ist llinschius, a. a. 0. (vgl. oben
8. 59 Anm. 1), II. Band SS. 672ff. In den Glossen zu den Worten noverant und
aliqualem wird es allerdings ganz auf eine Stufe gestullt, auch die
Abweichungen von der normalen Strenge werden durch Bestimmungen
des kirchlichen Ämterrechtes begründet. Wie sich dor Papst atiqua-
lern notitiam des Kandidaten, derentwegen er facilius transk'U, erworben hat,
erfahren wir aus der Glosse zum Worte notitiam : Fuerat mim pro promotione
fratris sui Treverensis Archiepiscopi (der berühmte Balduin) atiquo tempore in
curia (stii. Henriati)
*) Vgl. oben S. 118.
*) Vgl. oben S. 57.
4) Vgl. unten S. 153 Anm. 2.
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121
es als essentielles Erfordernis betrachtet wurde1). Klar und
deutlich ist auch die Translationstheorie und das Approbatinns-
recht des Papstes, dieses jedoch ohne Eingehen auf die einzelnen
Verzweigungen, betont. Das Translatinnsrecht begründet die
Glosse zum Worte pervenit durch kurzen Hinweis auf die Hülle
„Venerabilem“. In der Glosse zum Initiura heißt es: ... spute
Ecclesia transtulit Imperium a Graecis in Germanos, id est, Ale-
manos. Nam Graeci solebant habere Imperium. Et a qua Ecclesia
ins , et /wtest-as eligendi regem aliquem, suppleo, />ostmodum promo-
cendum in I nqseratorem, pervenit ad certos principes eorum , quia
sunt certi principes in Germania qui habent / lotestatein , et ius eli-
gendi aliquem regem in Imperatorem quod ius ecclesia eis ron-
cessit . . . Und noch früher findet sich in derselben Glosse
folgende Stelle: Nam Romanus Pontifex approlmt eos, scilicet in-
spiciendo an sint lales, quod posaunt tempore necessitatis fidem
Christianam , id est, fidem Christi defendere. Et a quo Romano
Pontifice ipsi pritwipes assumunt, id est, habent, oel capiunt coronam
im/ierii : nee non, id est, etiam ipsi principes accipiunt unctionem
... et conseerationem, quia Papa eos consecrat. Das klingt fast
so, als ob die Prüfung des Papstes sich nur auf die Tauglichkeit
der Person bezöge und die Reprobation das Königtum unberührt
ließe.
*) Die Glosse 7. um Worte dccrcto beschränkt sich darauf, c. 11 Dist. Gl
(eine Entscheidung Gregors I. aus dem Jahre 592; die kritischen Nachweise
in der Ausgabe von Friedberg, bei Jaff£, Reg. Pont. [ed. II.] 1178, Migne,
Patrol. Lat., Tom. LXXVII 561) und c. 20 X I 6 de electione (oine bereits
in der Comp. III. enthaltene Entscheidung Innozenz' III. aus dem Jahre 1200;
die kritischen Nachweise in der Ausgabe von Friedberg und bei Potthast,
Reg. Pont., 953) zu zitieren. Die letztere Stelle, welche von etwas ganz
anderem handelt, erwähnt nur gelegentlich, daß dem Papst das Wahldekrot
Torgelegt wurde; die erstgenannte jedoch verlangt für die Postulation die
„solempnitas docreti“, was die Rubrik auf die electio ausdehnt. In der
Glosse nos itaque wird gegen Ende die mehrfache Redoutnng des Wortes
dccretum dargelegt und u. a. gesagt: Quandoque dicitur Consensus eligentium
in scriptis redactus; als Beweis wird wieder das erwähnte c. 20 X 1 6 und c. 9
C. 2 q. 1 (eine Palea, und zwar ein schon in älteren Sammlungen erhaltener
Beschluß des dritten Konzils von Soissons aus dem Jahre 852, die kritischen
Nachweise in der Ausgabe von Priedberg) zitiert; hier wird in causis
gestorum schlechthin scriptura gefordert und unter den einzelnen Fällen erwähnt:
Qui ad sutnmum sacerdotiutn prouehstur, decreto manibus omstium roborato etigitur.
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122
Übrigens wird an mehreren Stellen von der Glosse das Ver-
hältnis zwischen königlicher und kaiserlicher Wurde ex professo
erörtert. Dabei tritt uns zunächst die scharfe Scheidung entgegen,
die wir in der Balle gefunden haben. Nur nebenbei sei erwähnt,
daß zu der Stelle, die Heinrich Imperatoren! , tune Romanorum
regem nennt, Johannes Andreae1) bemerkt: </«»' nondum coronatue
erat. Mit aller Schärfe aber polemisiert die Glosse zum Worte futu-
rus*) gegen die Vermengung beider Würden und stellt fest, daß
nicht die Wahl, auch nicht die Approbation, sondern erst die
Kaiserkrönung die kaiserliche Würde verleiht: Illud est contra
Joan. qni not. 93 dtit. legimue. quod eola prinri/mm elrctio facit
verum Imperutorem: vides enim , ipiod etiam approbatus ab Ecclesia
hn/ierator n<m est, donec enronatiemem, et coneecrationem recc/ierit ab
Ecclesia, facit quod dicam in § porro [super cerb. reges in gloxs.]
Die hiemit berührte, offenbar von demselben Glossator herrührende
Glosse zum Worte Reges bietet die größten Schwierigkeiten. Der
Anfaug ist einigermaßen klar, aber nur schwer mit demjenigen zu
vereinbaren, was wir bisher gehört haben: Romanos, nt sequitur.
Et per hanc litteram oidetur , eptod rex Romanoruin, qui nondum
est Imperator, vel coroniitus, pririlegia dare possit, de, quo satis no.
in Spe. de rescr. firaesentata. § /in. rer. item quod est obtentum.
Hier wird also behauptet, daß der römische König bereits Privi-
legien erteilen könne, und zwar nach dem ganzen Zusammenhang
solche, die zur Kompetenz des Kaisers gehören5). Die Glosse
setzt allerdings sofort bei, daß diese Auffassung bestritten ist
(et hoc disputant), und stützt sie durch eine weitere Autorität
(et tenuit Jaco. de Are. niius quaestionem ad litteram posuit Cgn.
') Vgl. über ihn obon S. Gl Amn. I.
s) Die Glosse knüpft an die Eingangsworte des dritten unmittelbar
vor der Kaiserkrönung geleisteten Eides an, welche nach der Bulle lauten:
Eqo Htnruus Romanorum rex , annuente Domino futurus imperator promitto
3) Es handelt sich nach dem Text der Bulle um die seitens der reges
und imperatores der Kirche verliehenen privilegia, deren Wahrung Heinrich
in seinem zweiten Eide beschworen hatte. Unter diesen Privilegien sind vor
allem die verschiedenen den Kirchenstaat betreffenden Schenkungen gemeint.
DaO aber die Herrschaft über Italien im Sinne des Papstes ein Ausfluß der
kaiserlichen Würde ist, werden wir bei Besprechung der Extravaganten
(unten S. 129) deutlich erkennen.
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123
in lege, bene a Zennne. Cod. de quadr. praescript. ) Die
Streitfrage scheint sich also hier dämm zu drehen, ob der römische
König bereits vor der Kaiserkrönung das exercitium imperii
hat; denn daß er die königlichen Rechte schon vorher ausftben
konnte, ja sogar vor der Approbation, konnte wohl kaum bestritten
werden. Im nächsten Satze nun verschiebt die Glosse die ganze
Streitfrage: Inn<*\ in decret. venerabilem: dicit quod «i Imperator
non poesit recifiere coronain in loco debito, nihilominus auctoritatem
administrandi reripere potent a (,'oloniensi archie/risco/w, ad quem
s pectat , o el ex ipxa eledione habet iUam semndum eiim. Hier
ist auf einmal von der Königskrönung in Köln die Rede,
von welcher das ius administrationis abhängen soll ; es ist schwer,
hier an das exercitium imperii und nicht an die administratio regni
zu denken. Und doch scheint das erstere gemeint zu sein. Denn
nachdem der Glossator die beiden möglichen Interpretationen der
(falsch wiedergegebenen)5) Bulle „Venerabilem“ dargelegt hat,
stützt er die zweite (daß der Erwählte bereits mit der Wahl auctori-
tatem administrandi erlangt) durch folgenden Hinweis : refert Hont,
de eerbor. signif. ') super qnibvsdam quod vidit in Alemania per
principe s iudirari , et teneri , quod rex Romanornm jiost electionem
roncorde in habeut omnem potextutem, quam Imperator , et quod
unctio nihil addit et facit quod not. Joan. .93. distimt. cap. legimus.
ut. xcripsi super ver. posUptam [et supei' cersi. fvtunu. in gloss.]
Wir lernen also hier bereits die dritte Ansicht kennen: das exer-
citium imperii wird nicht durch die Kaiserkrönung (dies die erste,
vom Glossator zum Worte futurus vertretene Ansicht), auch nicht
durch die Königskrönung (dies die zweite, von einzelnen Auslegern
') Die Abkürzung Dyn. bezeichnet den Romanisten Cinns (oder Cynns),
der Verweis gilt zweifellos seiner Lcctura über den Codex (verfaßt in den
Jahren 1312 bis 1314) und zwar zu 1.3 Cod. VII 37. Derselbe war (ihibel-
line und verteidigte die kaiserlichen Ansprüche. Vgl. über ihn v. Savigny,
Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, VI. Hand, Heidelberg 1850,
SS. 71 ff. — Wer mit der Abkürzung Jaco. de Aro. gemeint ist, vermochte
ich bisher nicht mit Sicherheit festzustellcn. Ich vermute darunter Jacobus
de Ardizone vgl. über ihn v. Savigny, a. a. 0. V. Hand SS. 85 ff.. Schulte,
a. a. 0. (vgl. oben S. 31 Anm. 1) S. 82 Anm. 7.
*) Vgl. oben SS 55 und 56.
*) Vgl. oben S. 106 Anm. 1 am Ende.
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der Bulle „Venerabilem“ gelehrte Ansicht), sondern bereits durch
die Königswahl erworben. Damit ist die scharfe begriffliche
Scheidung, zu der wir in der Bulle und in der Glosse so starke
Ansätze gefunden haben, wieder aufgegeben, da sonst der Glossa-
tor die zweite und vor allem die dritte Ansicht a priori zurfick-
weisen müßte. Er hält aber gerade die dritte für sehr diskutabel;
allerdings wird eine concors electio gefordert, was mit unsern
obigen Darlegungen über die Bedeutung der Königskrönung über-
einstimmt. Aber selbst an diesem Erfordernis wird nicht strenge
festgehalten; überraschender Weise fährt der Glossator fort: Sed
</uod plus est, vidi , ei haben forma » ipianindatn liierarum , quae de
regigtrig Innoe. HI. dirun/ur extrartae, quae nwnarvnt xuper negotin
disrordiae elertionig, de qtta Inquitur decret. venerabilem. quarum
altera dirigebatur Archiepigctqm , Kpixcopis, et praelati« , et principi-
bux Aletnanuie , et. Sclaviae (p el Sclavoniae , et altera xperialiter
Mnguntino, inter alia referenteg , quod inconcusea conxuetudo im/>erii
facta , certa, rationi comuma iuri gubni.ra, per patientiam xedix
Apogtnlieae tolerata, et jyer tolerantiam a/probata, hoc habet, quod
dunbu* electix in discnrdia, uterque. adniinixtrat ut rex, et omnem
imperii iurixdu'tinnem exercet : quod declarat ibi Pa/ut locum ha-
bere, donee per Papam alteriux electio fnerit apprnbata, aut repro-
bata '). Daraus geht hervor, daß sich der Glossator über die
Frage absolut nicht klar werden konnte.
Abschließend müssen wir konstatieren, daß die Glosse in
keiner Weise geeignet ist, die oben (SS. 119f.) bei Besprechung
der Bulle offen gelassene Frage zu klären. Überhaupt hat sie
den Unterschied zwischen regnum und imperium eher verwischt
und verwirrt, als verdeutlicht. Worin Papst Klemens V. ihn trotz
Negierung der Weltstellung des Kaisers suchte, werden wir unten
') Jedenfalls scheint mir auch diese Glosse dafür zu sprechen, daä die
Krage nach der staatsrechtlichen Bedeutung der Krönung erst durch die
Zwiekurcn aktuelles Interesse gewann: in diesem Sinn habe ich sie in
meiner oben (S. 21 Anm. 4) erwähnten Besprechung der Krammer’schen
Arbeiten (S. 687) verwertet.
Mir sind Briefe Innozenz’ III. mit dem vom Glossator angegebenen
Inhalt nicht bekannt. Allenfalls könnte unter dem an den Erzbischof
adressierten Brief der bei Baluze, 1. c. (cf. oben S. 44 Anm. 7) sub 1,
abgedruckte gemeint sein, aus dem sich der vom Glossator zum Ausdruck
gebrachte Gedanke wenigstens folgern lfiUt.
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bei Besprechung der Extravagante „Si fratrum“ (c. un. in Extrav.
Joan. XXII. tit. 5 ne sede vacante aliquid innovetur) *) erfahren*).
3. Die Extravagantei). Der oxtreme Hierokratismus
der Bulle „Unam Sanctam“.
Als Klemens V. seine angebliche Lehenshoheit über den Kaiser
verfocht, war bereits jene Bulle erschienen, die den Gipfelpunkt
des hierokratischen Systems bedeutet, die Bulle „Unam Sanctam“.
Mit ihrer Aufnahme ins kanonische Rechtsbuch s) hat sich inner-
halb des kanonischen Rechts die von Gregor VII. vertretene
extrem hierokratische Doktrin durchgesetzt. Anderseits ist gerade
dies für die Staaten und speziell für Deutschland der Anlaß ge-
worden, ihre staatsrechtliche Gestaltung entschieden vom kano-
nischen Recht zu emanzipieren, mit dem Hierokratismus zu brechen 4).
Es ist nicht notwendig, hier auf die Vorgeschichte der Bulle
„Unam Sanctam“ und auf ihre juristische Analyse näher einzugehen,
da in dieser Hinsicht eine ausgezeichnete und voll ausreichende
Literatur5) besteht Insbesondere verweise ich auf die eindrin-
genden Forschungen von Martens, dessen Interpretation der Bulle
ich mir in vollem Umfang zu eigen mache. Ich hebe nur be-
sonders hervor, daß die Bulle aufs schärfste die unmittelbare Ab-
hängigkeit aller Staaten vom Papsttum vertritt, daß also von einer
Weltherrschaft des Kaisertums, das ja in den Kämpfen mit den
Päpsten faktisch seine Lebenskraft eingebüßt hatte, nicht mehr die
Rede ist; ferner, daß die Herrschaft des Papsttums über alle Staaten
eine auf göttlicher Anordnung beruhende, absolut unbeschränkte
') Vgl. unten SS. 128ff.
*) Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß in der Glosse zum
Worte pace die Friedenswahrung in dem oben (S. 76) dargelegten Sinn
ganz allgemein für die päpstliche Kompetenz reklamiert wird.
*) Die Bulle wurde unter dem 18. November 1302 erlassen und später in
die Sammlung der Extravagantes cominuncs als c. 1 I 8 de inaiorit. et
obedient, aufgenommen : vgl. die kritischen Nachweise in der Ausgabe von
Friedberg und bei Potthast, Keg. Pont., 25189. Mit dem Streite
zwischen der Kurie und Frankreich beschäftigen sich übrigens auch c. 8 in
VI to III 23 de immunitate, c. un. in Clem. III. 17 de immunitate, c. un.
Extrav. cotnm. III 13 de immunitate, c. 2 Extrav. comm. V 7 de privilegiis.
«) Vgl. obben S. IG.
*) Vgl. oben S. IC Anm. 1.
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ist. Uterque ergo (gladius) ent. in poteetate ecclesiae , »pirituali» icilicet
yladiu » et muteriali» sagt ausdrücklich die Bulle „Unam Sanctam“.
Lediglich die Ausübung der der Kirche iure proprio zustehenden
weltlichen Gewalt hat diese den Staaten überlassen: Hie (»eil. ma-
terial in gladiu») quidem pro ecclenia (ille vero ab ecclesia) exercendu »,
zwar manu regum et militum , ned ad nutum et patientiam sacer-
doti x, wie die Bulle sagt; in /lotestale errlexiae non ad wmm , ned
ad fiatientiam et ad nutum nach den Worten der Glosse (zu den
Worten uterque ergo est). Es ist nur eine konsequente Durch-
führung des Gedankens, wenn die Bulle das Einsetzungsrecht und
volle Jurisdiktion, welche offenbar auch die Absetzung in sich
begreift1), gegenüber den weltlichen Herrschern der kirchlichen
Obrigkeit zuspricht: » pirituali » (»eil. / mtenta ») terrenam potentatem
inntituere habet, et iudicare , »i bona non fuerit ; denn, wie die Glosse
(zu den Worten nam veritate testante) richtig bemerkt, »i habet
eam inntituere, habet eam iudicare , »i bona non fuerit ; quia euiu»
e»l rändere , eia» e»t deeiruere: et quia etiam quantum ad terrenam
poteutateni habeat eam in»tituere: et »i non bona fuerit habet eam
iudicare, et destituere; und zusammenfassend (in derselben Glosse
schon früher): » pirituali » potesta s /xiteet terrenam /loteetatem inxti-
tuere, iudicare, tram/erre et plantare.
Wir wollen hier nicht naher auf die Begründung Bonifaz’ VIII.,
welche übertreibend als eine „an Aberwitz grenzende“ bezeichnet
wurde9), eingehen, auch nicht auf die nähere Ausgestaltung der
Theorie in der Glosse, welche die geistliche und weltliche Gewalt
*) So haben, wie die im Text zitierten Glossenstcllcn beweisen, auch
die auf Seite des Papstes stehenden Glossatoren die Bulle aufgefaßt. Be-
züglich anderer Auffassungen vgl. oben S. 16 Anm. 1, ferner Phillips,
Kirchenrecht, § 130.
*) SoDrumann, a. a. 0. (vgl. oben S. IG Anm. I) II. Teil S. 57. Man
muß sich vor Augen halten, daß die von Bonifaz VIII. vorgebrachte alle-
gorische Schriftauslegung, so wenig beweisend sie auch ist, dem Mittelalter
ganz gel&ufig war. Der Vergleich der einen Kirche mit dem unteilbaren
Kock findet sich schon bei Gregor IV. (827—844), der Vergleich mit der
einen Taube (des hohen Liedes) bald darauf bei Hincmar von Rheims:
vgl. Lilienfein, a. a. 0. (vgl. oben S. 6 Anm. 1) S. 73, bzw. 106. Befremd-
lich wirkt die mit der Prätention eines logisch geschlossenen Be-
weises auftretende systematische Zusammenfassung solcher Argumente
allerdings.
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als ein duplex dominium, gewissermaßen als Ober- und Unter-
eigentum konstruiert hat, und nur kurz erwähnen, daß nns in der
Glosse auch eine sehr interessante Polemik gegen die Auflassung
der Bulle „Unam Sanctam“ erhalten ist*). Was uns interessiert,
sind vor allem die Rückwirkungen der dargelegten Ansichten auf
das deutsche Kaisertum. Daß einerseits seine Weltstellung mit
der prinzipiellen Behauptung eines unmittelbaren päpstlichen
Rechtes über alle Staaten auch theoretisch negiert war, wurde
schon bemerkt. Anderseits wurde dementsprechend in der Glosse,
und zwar in der Auseinandersetzung über da3 duplex dominium,
die Translationstheorie eigentümlich ausgestaltet, sodaß nicht nur
das Kaisertum, welches ja trotz der Beschränkung auf den distric-
tum imperii infolge der advocatia sedis apostolicae für die Kirche
von besonderer Bedeutung war, sondern schlechthin jede welt-
liche Gewalt als auf unmittelbarer päpstlicher Übertragung
beruhend erschien. Die betreffende Stelle findet sich in der auf
die oben (S. 126) erwähnte Polemik folgenden Widerlegung und
lautet: sic videtur mihi , quod in adcmtu Christi omnis honor , et
omnis jsrincipatus, et omne dominium , et iurisdictio de iure , et ex
iusla causa per illum, qui supremam manum habet, nee errare po-
test, omni infideli subtracta fuerint, et ad fideles translata et
hoc in persona Christi filii I)ei citri , qui non solum sacerdos fuit,
sed et rex .... Ifuius autem regni, et sacerdotii principa-
tum perpetuum commisit filius Dei Petro, et successori-
*) Die Additio zur Glosse porro subesse Romano Pontifici lautet (unter
Weglassung der zahlreichen Belegstellen): Quaero, utrum potestas spirilualis
debeat denominari (siet) temporalii Et viiietur , quod non, quia iurisdictiones sunt
distinctae. Non ergo Papa debet se intromittere de potestate tempora/i; sed debet
ttmporalia dimittere Imperatori. Regibus, et a/iis dominis temporahbus. alias poneret
fakem suam in messem alienam. quod non est faciendum. praeterea secundum /lug.
(i. e. Hugucionem'). Imperator a solo Deo habet potestatem in temporalibus Papa
in spiritualibus et sie mrisdietiones sunt distinetae , ut dicunt primae eoncordantiae,
et lieet coronatu recipiat a Papa'. gladium tarnen ab altari . etiam ante
fuit Imperium quam Apostolatus. Praeterea potestas spirilualis indigeret tempora/i
mu/toties. ergo tton dominatur ei. Praeterea si potestas spiritua/is dominaretur
tempora/i, haberet dominium temporalhtm, Sed dominium earundem rerum non po-
lest esse simul , et semel in solidum eodem tempore apud phtres. ergo nul/us alter
haberet dominium; quod est falsunr. ergo, etc. (ein grotesker Trugschluß). Auf
diese Einwendungen folgt dann eine eingehende Widerlegung, offenbar von
demselben Glusaatur.
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1-28
bus eiut (folgen Zitate). Et de tu li dominio divinc dico, ipjod
omni* temporalie potextae egt evbiecta xpirituali, et debet potestas
spirituali» fioteglati temporuli dominari. Die weltliche Gewalt er-
scheint sonach als eine vom Papste quoad usum verliehene.
Von diesem Standpunkt aus war es nicht mehr inkonsequent,
bei Vakanz der weltlichen Gewalt eine unmittelbare päpstliche
Jurisdiktion eintreten zu lassen, und zwar prinzipiell nicht nur
beim Kaisertum, wo allerdings allein der Fall praktische Bedeutung
hatte, dain Erbmonarchien eine vacatio etwas ganz Ungewöhnliches
ist. Fis sind uns derartige Gedankengänge wiederholt bei Kanonisten
und auch auf päpstlicher Seite begegnet) '). Aber erst die Extra-
vagante Johannes’ XXII. vom Jahre 1317 „Si Iratrum“ (c. un. Extrav.
Joann. XXII. tit. 5 ne sede vacante aliquid innovetur2) hat die
Frage ex professo nnd prinzipiell geregelt. Sie stellt den Grund-
satz auf, quotl vacante imperio , xicut et nunc per obituin quondam
llenrici Romanorum Imperatoris varagge dignoxcitur, quum in tllo
ad gaecularem iudicem nequeat habrri rerurtus, ad xummum Ponti-
Jicem , rui in /‘rrgona beati Petri terreni ximut et roelestis imperxi
iura I)eux ipge commisit , iniperii prardicti iuritdictio, reyimen et
dixpoeitio devolvuntur, et ea ipxa durante ipsiue vacatione im-
perii per xe, r el all um xeu aliox txercuixxe noxcitur memorato.
Hier haben wir dieselbe Begründung, wie in der eben zitierten
Glossenstelle; dagegen scheint hier die Weltstellung des Kaiser-
tums festgehalten zu sein. Allein man braucht sich nur an die
Veranlassung3) dieser Extravagante zu erinnern, um zu erkennen,
') Vgl. oben SS. 31, 42, 75, 107. Es ist hier vielleicht am Platze, an
die in Deutschland geübte Keichverweserscbaft Papst Victors 11. (1055
bis 1057), der auch als Papst Bischof von Eichstädt geblieben war, zu er-
innern. Ich habe darüber unter Anführung der Literatur in meiner oben
S. 7 Anm. 1 genannten Untersuchung SS. 215 und 216, 217 und 218, 223
und 224, 234 und 235 gehandelt. Herr I>t. Tomek, Studicnprifekt aui f. e.
Klcrikal-Seminar in Wien, hat mich nun auf folgende büchst interessante
Stelle bei Petrus Damiani (Epistolae 15: Migne, Patrol. Lat., Tom.
OLIV, 210) aufmerksam gemacht: Ohristus sagt zu Papst Viktor II.:
• etiam monarchias addidiz immo subiato rege dt medio, iotms Romani imperii vaton-
tis tibi iura ptrmisi.t
*) Vgl. die kritischen Nachweise in der Ausgabe von Friedberg.
3) Eine gute Übersicht dieser Ereignisse bei Phillips, Kirchenrecht,
§ 132.
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129
daß dieser Auffassung lediglich theoretische Bedeutung zukommt,
daß sie ein der großen historischen Vergangenheit des Kaiser-
tums, welche noch nachwirkte, gezollter Tribut ist. Bereits
Klemens IV. (1265-1268) hatte seinerzeit Karl von Neapel, Kle-
mens V. nach dem Tode Heinrichs VII. Robert von Neapel zum
Vikar des Reiches in Italien ernannt; gegen diejenigen, welche
sich einen solchen Titel in Italien anmaßten — und deren gab
es nicht wenige — richtete sich die Extravagante „Si fratrum“.
Niemals hat einer der päpstlichen Vikare die Ausübung von
Jurisdiktionsrechten über andere Staaten nnter dem Titel der
Weltherrschaft beansprucht; seine Aufgabe beschränkte sich auf
die Friedenswahrung im lombardischen Königreich, welche tat-
sächlich nur auf diese Weise gesichert werden konnte, und auf
die advocatia sedis apostolicae, während schon in Deutschland
der Pfalzgraf und der Herzog von Sachsen ihres Amtes walteten;
auch die Extravagante „Si fratrum“ spricht nur von Italien,
mit keinem Worte von Deutschland. Wir sehen daraus, was als
der eigentliche Kern des imperium erschien: eben die advocatia
sedis apostolicae und die damit notwendig verbundene Friedens-
wahrung in Italien, das lombardische Königreich. Auf die Be-
kleidung dieser kaiserlichen Würde hatte der ordnungsmäßig ge-
wählte deutsche König ein Recht, falls er die vom kanonischen
Recht geforderten Eigenschaften besaß (vgl. oben SS. 1 1 8 f . ) ; tat-
sächlich übertragen wurde sie ihm jedoch erst durch die Kaiser-
krönung seitens des Papstes, und solange diese nicht erfolgt war
( vacanie imperio), war es Sache des Papstes, für die Ordnung in
Italien zu sorgen, einen defensor ecclesiae, einen vicarius imperii
zu bestellen. Daß auf dem Boden dieser Auffassung das Kaisertum
fast völlig zu einem kirchlichen Amt geworden ist, daß sich nicht
nur Approbationsrecht und Depositionsrecht, sondern auch das Devo-
lutionsrecht von selbst verstehen, braucht nicht gesagt zu werden
und bedurfte auch keiner Hervorhebung mehr in den päpstlichen
Entscheidungen. Wie tief aber das Kaisertum in der Auffassung
des kanonischen Rechtes von seiner alten Höhe herabgesunken
war, dafür bietet einen drastischen Beweis die Glosse zu c. un.
Extrav. Joann. XXII. tit. 21), zu den Worten debitam confir-
') Die Eitravagante stammt aus dem Jahre 1318.
Hngelmaoo. Die deutsche Kfmlgswabl
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130
raationem. In der betreffenden Extravagante wird erklärt, daß die
capitanei, Lokalbehörden im Kirchenstaat, der päpstlichen Konfir-
mation bedürfen; und dazu bemerkt die Glosse: debitum dicii,
ijuiti examituitio in confimuindis habet praecedere , wofür als Beleg-
stellen — die Dekretalen „Venerabilem“ und „Romani Principes“
angeführt werden. Fürwahr diese unbefangene Gleichsetzung des
Kaisertums mit einer Lokalbehörde im Kirchenstaat wirkt wie eine
Satire anf die damalige Lage des von seiner stolzen Höhe herab-
gestürzten Kaisertums. Anderseits scheint mir gerade die bei der
Bestellung des Vikars für Italien zutage tretende Einschrän-
kung und Konkretisierung der kaiserlichen Rechte für die oben
(S. 119) nahegelegte Auflassung zu sprechen, welche wenigstens
bis zu gewissem Grade eine Loslösung des deutschen Königtums
vom Kaisertum bedeutet: dem ersteren gegenüber ergäbe sich
aus den Beziehungen zum Kaisertum lediglich ein einge-
schränktes Approbationsrecht des Papstes, während Depositions-,
Devolutions- und Translationsrecht nur bezüglich des Kaisertums zu-
lässig wären. Vorn strengen Standpunkt der Bulle „Unain Sanctara“
aus wären allerdings alle diese Rechte gegenüber jeder weltlichen
Gewalt, also auch gegenüber dem deutschen Königtum unzweifel-
haft. Das Vorgehen Klemens’ V., seine Argumentation aus der
speziellen kaiserlichen Würde ist eigentlich ein Abfall von den
Grundsätzen der Bulle „Dnarn Sanctam“, die eben selbst innerhalb
des kanonischen Rechtes uur schwer sich durchzusetzen vermochten.
Im 13. Jahrhundert war die Kirche zum Staat geworden, wie
Maassen ') bemerkt. Oder noch genauer gesagt: innerhalb der
großen staatskirchlichen Organisation des Mittelalters hatte die
eine der beiden Gewalten die volle Suprematie erlangt. Wie die
Kirche in sich selbst die geistigen Kräfte fand, um ihrer eigent-
lichen Aufgabe sich wiedergeben zu können, dieses größte und
unerklärliche Ereignis in der Geschichte des Christentums ge-
hört nicht zum Gegenstände der Rechtsgeschichte. WTas aber
die Entwicklung der realen staatskirchlichen Verhältnisse anlangt,
so betone ich wiederholt, daß die letzte Stufe der hierokratischeu
Pintwicklung nur mehr innerhalb der kanonischen Rechtstheorie,
nicht in der Wirklichkeit der politischen Verhältnisse erreicht
wurde. Als Bonifaz VIII. das Recht in Anspruch nahm, Mo-
■) A, a. 0. (vgl. oben S. 8 Amu. 1) S. 228.
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131
narchen ein- und abzusetzen, als Klemens V. den deutschen
Kaiser an seine Lehenspflicht erinnern zu dfirfen glaubte, brachen
bereits die Stützen des ganzen bürokratischen Gebäudes krachend
zusammen und durchbrauste der Sturm einer neuen Entwicklung
Europa. Mit dem Falle des imperium, welcher, abgesehen von
dem Bewußtwerden der Nationen, gerade durch die Kämpfe mit
den Päpsten herbeigeführt worden war, war auch die wichtigste
Voraussetzung des ganzen Systems gefallen. Außerhalb der
kirchenrechtlichen Entwicklung, aus der Urkraft ihres Volkstums
hatten die Nationen sich za Staaten gebildet, die den Rahmen
der einen staatskirchlichen Organisation sprengen mußten , Speziell
das deutsche Volk verlor mit dieser Entwicklung die Möglichkeit
einer auch nur ideellen politischen Weltherrschaft; aber zugleich
hatte für das deutsche Volk die hierokratische Regelung des Ver-
hältnisses von weltlicher und geistlicher Gewalt Sinn und Be-
deutung verloren. Wir werden im zweiten Kapitel sehen, daß das
deutsche Staatsrecht wertvolle Elemente seiner Entwicklung, zu-
nächst für die Ausgestaltung der Königswahl, dem kanonischen
Recht verdankte, wenngleich die Entwicklung aus germanischen
Keimen niemals unterbrochen wurde. Aber eben indem es sich
zu einer höheren Stufe vervollkommt hatte, hatte es die Fähigkeit
gewonnen, die Konsequenzen aus dem dauernden Verluste der
Weltherrschaft zu ziehen, sich vom kanonischen Recht zu eman-
zipieren, die Bulle „Unam Sanctam“ bei dem nächsten Versuch
päpstlicher Einmischung in die deutsche Königswahl mit dem
Beschluß von Rense zn beantworten1). Damit war das deutsche
Staatsrecht zu einem rein nationalen geworden, die deutsche
Königswahl war von diesem Tage an kein Gegenstand der ka-
nonischen Gesetzgebung.
') Über die Doppclwahl von 1314, die darauf felgenden Ereignisse und
den Knrverein von Iicnse besteht eine fast unübersehbare Literatur (in
Dahlma nn - Waitz’ Quellenkunde No. 4499 bis 4522 und 5069 bis 5071).
Zur allgemeinen Orientierung über die historischen Ereignisse nenne ich
I.induer, a. a. 0. (vgl. oben 8. 1 13 Amu. 6) 8S.2811T., und I.o serth, a. a. 0.
(vgl. oben 8. 43 Anm. 1) SS. 256 IT. Als das Stoffgebiet dieser Arbeit nahe be-
rührend hebe ich hervor Felten, Die Hülle Ne practereat und die Rccon-
ciliationsverhandlungen Ludwig des Bayern mit dem Papst Johann XXII. ,
1. Teil Trier 1885, II. Teil Trier 1887. (Die dem Kaiser die Herrschaft in
Italien absprecheudo Bulle ist danach eine Fälschung). Auf den Kurverein
von Reuse kommen wir im zweiten Kapitel zurück. (
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II. Kapitel
Die rechtshistorische Bedeutung
der kanonischen Doktrin über die Besetzung
des deutschen Thrones.
Daß die päpstliche Politik und das kanonische
Recht das deutsche Staatsrecht beeinflußt, daß sie die
Befestigung des Wahlprinzips gefördert und den An-
sätzen zum Durchdringen des Erbrechts mächtig ent-
gegengewirkt haben, bedarf nach unseren bisherigen
Ausführungen keines Beweises. Die heute herrschende
Lehre aber geht weiter, sie behauptet, daß in der Entwicklung
des deutschen Königswahlenrechtes im 13. Jahrhundert ein plötz-
licher Umschwung durch Rezeption kanonischen Ämterrechtes
stattgefunden habe. Nachdem bereits Harnack (Das Kurfürsten-
kollegium bis zur Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, Gießen
1883) auf diesen Einfluß hingewiesen und tatsächlich eine weit-
reichende Ähnlichkeit in der Fassung der Wahldekrete dargetan
hatte, wurde die Theorie von einer förmlichen Rezeption — ab-
gesehen von einer Anregung Seeligers (Deutsche Zeitschr. f.
Geschichtsw., Mbl. N. F., II 24) — durch Bresslau (Deutsche
Zeitschr. f. Geschichtsw., Vierteljahresh. N. F., II 122 ff., Zur
Geschichte der deutschen Königswahlen von der Mitte des 13.
bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts), Ernst Mayer (im II. Bande
seiner Deutschen und französischen Verfassungsgeschichte, Leipzig
1899) und v. Wretschko (Zeitschr. d. Sav. -Stift, f. Rechtsg.
XX Germ. Abt. 1(54 ff., Der Einfluß der fremden Rechte auf
die deutschen Königswahlen bis zur goldenen Bulle) begründet,
v. Wretschko hat hiebei das in der goldenen Bulle zum ersten-
mal streng formulierte Prinzip der unitas actus und das seit
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133
dem Kurverein von Rense durchgesetzte, in die goldene Bulle
aufgenommene Majoritätsprinzip in den Kreis seiner Betrach-
tungen gezogen, während sich Bresslau auf die Wahlform im
engeren Sinne, auf die im KnrfÜrstenkollegium zweifellos übliche,
jedoch durch die goldene Bulle abgeschaffte electio communis be-
schränkte. Ernst Mayer behauptete im Gegensatz zu v. W retschko
auch für die Entstehung des Kurfürstenkollegiums Rezeption ka-
nonischen Ämterrechts. Da wir glauben, durch die Untersuchung
der wichtigsten kanonischen Rechtsquelle einige neue Anhaltspunkte
gewonnen zu haben, soll die vielerörterte Frage im Folgenden noch-
mals kurz geprüft werden. Es soll zu diesem Zwecke zunächst
anf Grund der bisherigen genetischen Untersuchungen in syste-
matischer Zusammenfassung dargelegt werden, inwieweit das aus-
gebildete kanonische Recht selbst die für Kirchenämter
geltenden Bestimmungen, insbesondere das kanonische Wahl-
verfahren, auf die Besetzung des deutschen Thrones angewendet hat.
i. Systematische Zusammenfassung
der Lehre von der deutschen Königswahl nach dem
ausgebildeten kanonischen Recht1).
Auch als das kanonische Recht die Weltstellung des Kaiser-
tums bereits negierte, in ihm nicht mehr den Träger einer der
beiden Gewalten im einheitlichen christlichen Weltreich sah,
schrieb es ihm noch immer die Aufgabe der advocatia sedis
apostolicae zu3). Von diesem Standpunkt aus konnte es auch
ohne Heranziehung der extrem-hierokratischen Theorie der Bulle
„Unam Sanctam“3) als kirchliches Amt gefaßt werden. Auf die
*) Eine ähnliche Zusammenstellung bietet Krammer, Der Einlluß des
Papsttums (vgl. üben S. 19 Anm. 3), SS. 41 ff. Ein Vergleich wird am besten
zeigen, in welchen Punkten ich mich von ihm untorscheide; ich halte es
für überflüssig, in jedem einzelnen Fall darauf zu verweisen. Bereits in
meiner oben S. 21 Anm. 4 erwähnten Besprechung habe ich bedauert, daß
Krammer die Glosse nicht herangezogen hat: zur Begründung, weshalb im
Folgenden ausschließlich auf das Corpus iuris canonici entscheidendes Ge-
wicht gelegt wird, verweise ich auf die obigen Ausführungen, SS. 23 f.
Zu beachten ist, daß es sich in manchen Beziehungen noch immer um Rechts-
znstände handelt, die sich im Flusse befinden.
») Vgl. oben SS. 98, 116 f., 128 f.
3) Vgl. oben S. 130.
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134
Bekleidung dieses Amtes, welches durch die Kaiserkrönung über-
tragen wird, hat nach der Anschauuug des ausgebildeten kanonischen
Rechtes infolge päpstlichen Privilegiums der rechtmäßige deutsche
König einen Anspruch1). Infolge dieser Verknüpfung wird auch
das deutsche Königtum von den Bestimmungen des kirchlichen
Ämterrechts erfaßt; außerdem tritt der deutsche König, indem
er nach der kanonischen Interpretation des von ihm vor der
Kaiserkrönung geleisteten Fidelitätseides das Kaisertum zu Lehen
empfängt, in ein vasallitisches Verhältnis zum Papst1), was bei
den Trägern anderer Kirchenämter nicht der Fall ist.
Nur der rechtmäßige deutsche König hat Anspruch auf
die Erlangung der Kaiserwürde: die Einhaltung der deutsch-
rechtlichen Bestimmungen über die Besetzung des Thrones, so-
weit sie dem kanonischen Recht nicht widersprechen, erscheint
damit als ein vom kanonischen Recht selbst gefordertes, allen
anderen Kirchenämtern fremdes Moment5). In Anwendung der
für kirchliche Ämter geltenden Bestimmungen wird die Besetzung
durch Wahl gefordert, die durch Erbgang schroff abgelehnt ').
Der König muß, um die Kaiserwürde zu erlangen, alle Eigen-
schaften besitzen, die ihn zur advocatia sedis apostolicae be-
fähigen5); weigern sich die Deutschen, einen solchen König zu
wählen, so zieht dies mindestens das Recht des Papstes zur Trans-
lation des imperium auf ein anderes Volk nach sich11). Das aktive
Wahlrecht steht ausdrücklich den sieben Kurfürsten zu, und zwar
nach der Auffassung des kanonischen Rechts kraft päpstlicher
Verleihung7).
Im Falle der Vakanz tritt die Scheidung von Königtum
und Kaisertum') deutlich zutage; die Reichs verweserschaft in
Deutschland steht unter räumlicher Abgrenzung der beiden Ge-
biete dem Pfalzgrafen und dem Herzog von Sachsen zu, für Italien
') Vgl. oben SS. llSf.
*) Vgl. oben SS. 1 16 f. (bes. Anm. 4).
5) Vgl. oben SS. 97 (bos. Anm. 2), 119.
*) Vgl. oben SS. 118, 63 bis 66, 96, 109.
») Vgl. oben SS. 119 f., 59, 89.
•) Vgl. oben SS. 1 19 f.
*) Vgl. oben S. 118.
•) Vgl. oben SS. 119, 121 ff.
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185
bestellt der Papst einen Vikar, dem bis zur Besetzung der kaiser-
lichen Würde die advocatia sedis apostolicae obliegt1); dem
kirchlichen Ämterrecht würde die Ausübung der königlichen und
kaiserlichen Jurisdiktion durch das Kurfürstenkollegium, beziehungs-
weise durch einen oder mehrere von den Kurfürsten gewählte Vikare
entsprechen®). Die Ausschreibung und Vorbereitung der Neuwahl
richten sich im allgemeinen nach deutschem Recht, insbesondere
gelten nicht die Fristen des kirchlichen Ämterrechts, nach deren
Ablauf ipso iure Devolution eintritt; vielmehr steht es dem Papst
zu, nach Verlauf eines entsprechenden Zeitraumes die Kurfürsten
(wohl unter einer Fristsetzung) zur Vornahme der Wahl aufzu-
fordern, und erst, wenn dieso Ermahnung ergebnislos bleibt,
kommt die Devolution in Frage 3). Was den Wahlakt selbst an-
langt, so ist unitas actus ein unbedingtes Erfordernis, wie im
kanonischen Ämterrecht: alle Wahlberechtigten müssen geladen
werden, die Ausbleibenden gehen ihres Wahlrechtes verlustig *).
Für die Ausschließung der Wahlkapitulationen, welche allerdings
auch bei den geistlichen Wahlen erst später allgemein und strenge
durchgeführt wurde5), finden sich nur einzelne Ansätze6). Zur
Giltigkeit der Vfohl fordert noch Klemens V. im Gegensatz zu
früheren Anläufen des kanonischen Rechts die concordia der An-
wesenden 7) ; von der dem kanonischen Ämterrecht eigentümlichen,
qualifizierten Majorität ist überhaupt keine Spur zu finden8).
Auf die bei der kanonischen Wahl als essentielles Erfordernis
immer wiederkehrende electio per unum scheint das kanonische
Recht bei der deutschen Königswahl wenigstens kein Gewicht zu
legen, da sie nirgends besonders erörtert wird9), von der Zu-
•) Vgl. üben SS. 128 ff.
J) Vgl. Hinschius, a. a. 0. (vgl. S. 59 Anm. I), II. Band, SS. 232
und 233.
*) Vgl. oben SS. 1101.
*) Vgl. oben SS. 57, 86, 120 (nur so erklärt es sieb, dal! Kleuiens V.
von einer concors electio sprechen kann).
5) Vgl. Ilinscbius, a. a. 0. (vgl. oben Anm. 2) S. 608 Amu. 10.
Immerhin datiert schon von Innozenz III. ein Verbot.
«) Vgl. oben SS. 91 f.
7) Vgl. oben S. 120.
8) Vgl. oben S. 85.
<J) Vgl. oben S. 87.
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136
lässigkeit der verschiedenen kanonischen Wahlformen ist nirgends
die Rede '). Dagegen wird, wie bei den kirchlichen Wahlen, die
Notwendigkeit des Wabldekrets hervorgehoben ’).
Die vollzogene Wahl wird der päpstlichen Approbation unter-
breitet, welche nach einer dem kanonischen Informativprozeß
nacbgebildeten Untersuchung1) gewährt wird. Der Papst prüft,
wie bei kanonischen Wahlen, den Wahlakt und die „Idoneität“
der Person 4), er hat insbesondere auch die als Voraussetzung ge-
forderte Giltigkeit nach deutschem Recht (vgl. oben S. 134) zu
untersuchen. Verweigert er die Approbation mangels dieser Vor-
aussetzung, wobei besonders der Wahlakt in Betracht kommt, so
hat dies anch bezüglich der Ungiltigkeit der Königswahl deklarative
Bedeutung, sodaß die Fürsten zu einer Neuwahl schreiten müssen 5) ;
verweigert er dagegen die Approbation lediglich wegen Untaug-
lichkeit für das kaiserliche Amt, so mag der Gewählte König
bleiben, dem Papst steht jedoch auch in diesem Fall die Trans-
lation des imperium zu6). Eine selbstverständliche Folge dieses
weitgehenden Rechtes aber ist es, daß der Papst, ohne eine
dauernde Translation vorzunehmen, auch zu einer einmaligen Be-
setzung der kaiserlichen Würde iure devolutionis, wie bei andern
Kirchenämtern, schreiten kann, daß es ihm insbesondere freisteht,
trotz einzelner Mängel der Person die Approbation de gratia
(nicht iustitia exigente) zu erteilen, ähnlich wie bei Kirchen-
ämtern im Falle der Postulation7). Inwieweit diese Rechte des
Papstes auch das deutsche Königtum ergreifen, bleibt auch oder
vielmehr gerade im ausgebildeten kanonischen Recht offen*).
Der erwählte deutsche König empfängt die deutsche Königs-
krone aus der Hand des Kölner Erzbischofs in Köln, wobei die
’) Vgl. oben S. 87.
>) Vgl. oben SS. 120 f.
*) Vgl. oben S. 120.
*) Vgl. oben SS. 118 f.
») Vgl. oben SS. 119 und 121.
*) Vgl. oben SS. 119 f., 130.
*) Man kann nicht sagen, daß in dem von Krammer, a. a. 0. (vgl.
oben S. 133 Anm. 1) S. 44, angeführten Fall eine Postulation vorliegt. Viel-
mehr erteilt der Papst de gratia die Approbation, obwohl die W&hler eine
electio vorgenommen hatten.
») Vgl. oben SS. 119f., 121, 130.
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137
Vornahme noch anderer Einsetzungsformen (Inthronisation u. dgl.)
natürlich nicht ausgeschlossen erscheint; man kann nicht behaupten,
daß dieser Krönung nach kanonischem Recht (normalerweise)
konstitutive Wirkung beigelegt wird '), es wird anderseits nirgends
die Forderung aufgestellt, mit dieser Krönung bis zur Erlangung
der Approbation zu warten. Erst nach der Approbation, vor
welcher der Gewählte bereits einen Eid ablegt ’), erfolgt die Rom-
fahrt, auf welcher er nach Ablegung eines zweiten Eides die
lombardische und nach Ablegung eines dritten Eides die Kaiser-
krone, letztere durch den Papst oder dessen Vertreter, empfängt*);
das dabei nach kanonischer Auffassung geknüpfte vasallitische
Verhältnis wurde bereits (S. 134) berührt. Erst durch die Kaiser-
krönung wird der Gewählte Kaiser, erhält er das ius in re, erst
mit ihr erlischt wohl das Amt des für Italien bestellten Vikars;
trotzdem übt er schon vorher insoferne kaiserliche Rechte, als er
in seinem zweiten Eide kaiserliche Privilegien erneuert und be-
stätigt4). Wie es sich im allgemeinen mit dem ius administrandi
verhält, in welchem Zeitpunkt es eintritt, ist, wie ersichtlich, «
nicht einmal bezüglich des Kaisertums völlig klar, bezüglich des
Königtums aber ganz und gar unklar*), wobei bemerkt werden
mag, daß diese Frage im kanonischen Recht auch bezüglich der
bischöflichen Würde keine einheitliche Lösung gefunden hat8).
Diese kurze Übersicht bringt wohl deutlich zum Bewußtsein,
daß das kanonische Recht zwar in weitem Umfang das
kanonische Ämterrecht auf das Kaisertum und auch auf
das deutsche Königtum anwendet, aber doch mit tief-
greifenden Einschränkungen. Ist in manchen Belangen die
Gleichsetzung mit einem kirchlichen Amte nicht zur Reife und
Klarheit gediehen, so ist in anderen geradezu eine abweichende
Regel nng eingetreten. Es entspricht dieser Stellungnahme zur
Besetzung des Thrones, wenn das ausgebildete kanonische Recht
>) Vgl. oben SS. 55 ff., 83 f., 1 23 f., 114 Anm. 5.
*) Vgl. oben S. 114.
*) Vgl. oben S. 114f.
‘) Vgl. oben SS. 118, 122.
*) Vgl. oben SS. 123 f.
6) Vgl. Hinschius, a. a. 0. (vgl. S. 135 Anm. 2) SS. 671 und 672.
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138
auch die Absetzung, welche allerdings Aber die Träger jeder
weltlichen Gewalt (nicht nur des Kaisertums) verhängt werden
kann, auf die Fälle der gravissima crimina einzuschränken ge-
neigt ist *). In einem speziellen Fall (in Portugal) wurde für
mildere Fälle die Bestellung eines Coadiutors nach dem Muster
der Kirchenämter für zulässig erklärt2); cs steht nicht viel im
Wege, diese Bestimmung auch auf den deutschen Thron anzu-
wenden, doch fehlt es bezüglich der Voraussetzungen im einzelnen
und bezüglich der Bestellungsform an jeder gesetzlichen Regelung.
II. Das Verhältnis zwischen kanonischem Recht und deutschem
Reichsrecht im allgemeinen3).
Nachdem wir nunmehr die Grenze abgesteckt haben, innerhalb
welcher das kanonische Recht die Bestimmungen des kirchlichen
Ämterrechtes auf die Besetzung des deutschen Thrones anwendet,
erhebt sich die prinzipielle Frage, ob die innerhalb dieser Grenzen
nach kanonischem Recht bestehende Gleichsetzung des König-, be-
ziehungsweise Kaisertums mit einem kirchlichen Amte auch nach
deutschem Recht besteht.
Diese Formulierung der Frage widerspricht allerdings voll-
ständig der herkömmlichen Betrachtungsart, mit der an die Be-
urteilung der Kämpfe zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt
im Mittelalter herangetreten wird. Hier finden wir die Frage in
') Vgl. oben SS. 104 f.
s) Vgl. obon SS. 108 f.
3) Als jüngste zusammenfassende Darstellung der rocbtsphilosophischen
Theorien nenne ich Stammler, Wesen des Hechtes und der Rechtswissen-
schaft in: Systematische Rechtswissenschaft (Teil II Abt. VIII von Hinne-
bergs Kultur der Gegenwart), Berlin und Leipzig 1906. Von noch jüngeren,
diesem Thema gewidmeten Abhandlungen hebe ich hervor Gareis, Vom
Begriff der Gerechtigkeit, Gießen 1907 (aus der der juristischen Fakultät
in Gießen zur 3. Jahrhundertfeier der Universität gewidmeten Festschrift),
Jellincks Prorektoratsrede: Der Kampf des alten mit dem neuen Recht,
Heidelberg 1907, und Loenings: Wurzel und Wesen des Rechts, Jena
1907. Das Verhältnis zwischen kanonischem und deutschem Rcichsrecht be-
handelt Bernheim in der oben S. 14 Anm. 2 genannten Untersuchung. Im
Folgenden ist jedoch auf diese Literatur nirgends Bezug genommen.
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139
aller Regel so gestellt: wer hat Recht, der Papst oder der Kaiser?
Und mit einer souveränen Sicherheit wird häufig je nach dem
persönlichen Standpunkt einem von beiden zugebilligt, daß er
„im Recht“ war, womit im Sinne der ganzen Fragestellung auch
über die Gegenseite das Urteil gesprochen ist, daß sie „unrecht“
gehabt hat. Es soll auch keineswegs geleugnet werden, daß es
ein rechtsphilosophisches System gibt, und zwar ein wohldurch-
dachtes, achtunggebietendes System, von dem aus die obige Frage-
stellung durchaus logisch und berechtigt erscheint. Wer im
Recht das die äußeren Lebensbeziehungen erfassende
göttliche Gebot erblickt, den sich in einer äußeren Lebens-
ordnung durchsetzenden göttlichen Willen, wer also —
sofern er den Gedanken konsequeut durchführt — den Unterschied
zwischen Recht und Moral lediglich darin findet, daß jenes nur
die äußeren Lebensbeziehungen (nicht auch die inneren, seelischen
Vorgänge) erfaßt, der wird die Frage gar nicht anders stellen
können. Es ist daher ganz selbstverständlich und nur konsequent,
daß viele (durchaus nicht alle) ') Kanonisten von einem bestimmten
theologischen Standpunkt aus (der jedoch keineswegs, wie vielfach
angenommen wird, von der katholischen Kirche dogmatisch fest-
gelegt ist) den Kampf zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt
im Mittelalter in der angedeuteten Weise behandeln; ebenso aber
im höchsten Grade widersinnig und inkonsequent, wenn eine der-
artige Betrachtungsart vielfach auch trotz prinzipieller Negierung
der rechtsphilosophischen Voraussetzung angewendet wird.
Das Recht ist ein Produkt des Gemeinschaftslebens, ein so-
ziales Phänomen, ein Erzeugnis der menschlichen Natur,
der nicht die Isoliertheit des Individuums entspricht, die vielmehr
Vergesellschaftung geradezu erfordert. Wir kennen kein Volk
und keine Stufe der Kulturentwicklung, wo wir nicht über den
Individuen, wenn auch vielleicht nicht voll entwickelt, soziale
Verbände sich erheben sähen, nicht bloß durch den Zufall und
die Interessen des Augenblicks zusammengeführte Gemeinschaften,
sondern die Tendenz zur Dauer in sich tragende, über das
individuelle Interesse hinaus zwecksetzende, die Individuen be-
') Als selbständige soziale Erscheinung .behandelt das Recht vor allein
v. Scherer in seinem berühmten Werk ^vgl. oben S. 8 Aum. 4.)
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140
herrschende Verbände. Mit dem Bestände eines jeden sulchen
Verbandes sind aber auch alle Elemente des Rechts gegeben,
welches als nichts anderes sich darstellt, denn als die vom Ge-
samtwillen geforderte, weil vom Gesamtbewußtsein für
den Verbandszweck als notwendig erkannte, eventuell
mit der Gesamtmacht des Verbandes durchgesetzte Ordnung
der äußeren Lebensbeziehungeil im Rahmen des Verbandes. Und
in dem Maße, in dem Gesamtwille und Gesamtbewußtsein stärker
zum Ausdruck kommen, in dem die Herrschermacht des Verbandes
über die Individuen steigt, also sein Recht wächst, entwickelt
er sich selbst zu immer vollkommeneren Formen, vor allem zum
Staat, der, weit entfernt, alles Rechtes Quelle zu seiu,
selbst als Produkt einer weit vorgeschrittenen Rechts-
entwicklung sich darstellt.
Es würde hier viel zu weit führen, die Willensbildung im
Verbände, d. h. das verschiedene Verhältnis, welches zwischen dem
Individual-Wiilen der Verband-Genossen und dem Gesamtwillen
des Verbandes besteht, und den damit zusammenhängenden Unter-
schied zwischen Genossenschaft und Körperschaft darzulegen oder
auf die Verknüpfung sozialer Verbände mit Grund und Boden,
das wichtigste Ereignis der Kulturgeschichte, näher einzugehen und
den damit gegebenen Begriff der Gebietskörperschaft, deren höchste
bisher erreichte Form eben der Staat ist, zu erörtern. Für unseren
Zweck genügt die Feststellung der nach unseren kurzen Dar-
legungen in die Augen springenden, unumstößlichen und ele-
mentaren Tatsache, daß es nicht ein immer und überall gleiches,
sogenanntes Naturrecht gibt, daß vielmehr ebenso, wie die
Menschen kraft ihrer Naturanlage in zahlreichen und ver-
schiedenartigen sozialen Verbänden leben, so auch das Recht
differenziert, verschiedenartig und vielgestaltig ist.
Dieser Erkenntnis kann sich auch derjenige unmöglich verschließen,
der wie der Verfasser auf Grund seiner Weltanschauung in der
Menschheit bei voller Anerkennung der Differenzierung und Viel-
gestaltigkeit doch eine höhere Einheit erblickt und folgerichtig
annehmen zu dürfen glaubt, daß einem Geiste, vor dem der ganze
Ablauf der vielverschlungenen Menschheitsgeschichte klar und oflen
liegt, auch in den differenzierten Rechtsordnungen irgend etwas
Gemeinsames, über ihrer Vielheit irgend eine zusammenfassende
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141
Einheit erkennbar sein muß. Aber Vermessenheit wäre es m. E.,
wenn ein wahrheitsuchender Forscher, dem nur ein verschwindend
kleiner Teil im unabsehbaren Ablauf der Menschheits-Entwicklung
als Gegenstand seiner Forschung vorliegt, jenes Gemeinsame und
jene Einheit erkennen und darstellen zu können glaubte1).
Wir müssen aber über die Erkenntnis, daß es verschiedene
Rechtsordnungen gibt, hinaus noch einen Schritt weiter machen.
Die vorurteilslose Betrachtung der sozialen Tatsachen, der histo-
rischen Ereignisse zeigt in einer jeden Zweifel überwindenden Weise,
daß diese verschieden gearteten Rechtsordnungen nicht immer
und notwendig neben einander bestehen, so daß sie durchwegs
entweder innerhalb verschiedener räumlicher Grenzen gelten oder
verschiedene Individuen umfassen oder verschiedene Lebensbe-
ziehungen regeln, sondern daß sie im Gegenteil sich vielfach
und mannigfaltig durchkreuzen. Wir müssen darauf verzichten,
den im Verlauf der Geschichte, vor Ausbildung des modernen (Terri-
■) Es bedarf wohl keiner Hervorhebung, daß die im Text vorgetragene
Auffassung, derzufolgc die Entwicklung des Rechts nach ihm immanenten
Kräften erfolgt, mit einer theistischen Weltanschauung ebenso verträglich ist,
wie die analoge Anschauung auf naturwissenschaftlichem Gebiet. Ja, Jh e r ing,
Geist des römischen Rechts, Erster Teil, 2. Aull., SS. 61 f., sagt sogar: „Man
lehrt uns Gott zu erkennen in der Rlunic und dem Baume, man weist uns
auf die Gestirne, um in der Uncrmeßlichkeit ihrer Zahl und in den Gesetzen
ihrer Bewegung das erhabenste Beispiel göttlicher Allmacht zu finden. Aber
so hoch der Geist über der Materie, so hoch steht auch die Ordnung und
Majestät der geistigen Welt über der der substantiellen. Wunderbarer als die
Bewegung der W oltkörper im Raum ist die Bewegung der sittlichen Gedanken
in der Zeit, denn sie gehen nicht unangefochten einher wie die Gestirne,
sondern sie stoßen bei jedem Schritt auf den Widerstand, den menschlicher
Eigensinn und Unverstand und alle bösen Gewalten des menschlichen Herzens
ihnen entgegensetzen. Wenn sic dennoch sich verwirklichen im bunten
Gewirr widerstrebender Kräfte, wenn das sittliche Planetensystem mit
derselben Ordnung und Harmonie sich bewegt wie das Planetensystem des
Himmels, so liegt darin oin glänzenderer Bewois der göttlichen Wcltlcitung,
als in allem, was man der äußeren Natur entnehmen kann Diese
Poesie der Ordnung und Gedankenmäßigkeit der Rechtsentwicklung uns vor
Augen zu führen, ist eben das römische Recht wie kein anderes geeignet:
in meinen Augen ist die Geschichte dieses Rechts ein unübertroffenes Kunst-
werk, in dem die höchste Einfachheit und Einheit mit der reichsten Fülle
der Entwicklung sich paart.“ Indem ich diese schönen Worto zitiere, will
ich allerdings nicht sagen, daß ich sie mir inhaltlich in allen Punkten zu
eigen mache.
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142
torial-) Staats natürlich in gesteigertem Maße, aufgetretenen Erschei-
nungen dieser Art im einzelnen nachzugehen. Ihre Möglichkeit wird
am schlagendsten durch die Tatsache bewiesen, daß sie auch heute
noch auf dem doch einigermaßen konsolidierten staatsrechtlichen
Gebiet Vorkommen. Wir wollen nicht zu großes Gewicht auf die
Verhältnisse legen, welche bei Anerkennung einer revolutionären
Partei als kriegführende Macht entstehen, in welchem Fall ganz
zweifellos bezüglich ein und desselben Gebietes zwei einander
zur Gänze widersprechende und sich ausschließende, vollwirksame
Hechtsordnungen bestehen. Aber ein geradezu klassisches Beispiel
bietet das österreichische und das ungarische Staatsrecht: so gewiß
es ist, daß das Königreich Dalmatien nach österreichischem
Staatsrecht eines der „im Reichsrat vertreteuen Königreiche und
Länder“ ist, ebenso zweifellos gehört es nach ungarischem Staats-
recht zu den Ländern „der heiligen Stephanskrone“; und derselbe
Monarch, der als König von Ungarn und Kroatien in Erfüllung
beschworener, verfassungsmäßiger Pflichten den Landtag der
„vereinigten“ Königreiche Kroatien, Slavonien und Dalmatien
einberuft, derselbe Monarch beruft in Gemäßheit der zu Hecht
bestehenden österreichischen Verfassung den österreichischen
Keichsrat ein unter Einschluß der Vertreter Dalmatiens1).
Dieses Beispiel zeigt auch aufs deutlichste, daß ein und dasselbe
Individuum von der Herrschaftsmacht zweier einander wider-
sprechender Rechtsordnungen ergriffen werden kann.
') Die österreichische Verfassung bestimmt: „Zur gemeinsamen
Vertretung der Königreiche Böhmen, Dalmatien,.... und der Stadt Triest mit
ihrem Gebiete ist der Keichsrat berufen“ (§ 1 des [Staatsgrund-jUeseUes
v. 21. Dez. 1867, No. 141 ItGß.); „für alle Angehörigen der im Keichsrate
vertretenen Königreiche und Lander besteht ein allgemeines öster-
reichisches Staatsbnrgerrecht“ (Art. 1 des Staatsgrundgesetzes vom
21. Dez. 1867, No. 142 KGK.). Im krassen Widerspruch dazu stehen die
Bestimmungen des ungarischen Hechts: Es „werden als zum Gebiete
Kroatiens, Slavoniens und Dalmatiens gehörig anerkannt: ;
endlich das gegenwärtige Dalmatien“ (§ 66 des Gesetzartikels XXX vom
Jahre 1868): „der Landtag der Königreiche Kroatien, .Slavonien und Dal-
matien wählt in das ungarische Abgeordnetenhaus 40 Abgeordnete“ (der
bis heute nicht aufgehobene § 5 des Gesetzartikels V vom Jahre 1848): „den
Landtag der Königreiche Kroatien, Slavonien und Dalmatien beruft
Se. Majestät der König in die Landeshauptstadt Agram“ (§ 1 des kroatischen
Gesetzartikels II vom Jahre 1870).
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143
Wenn eine derartige Kollision selbst zwischen den Rechts-
ordnungen zweier Gebietskörperschaften möglich ist, wofür
sich noch weitere Beispiele anführen ließen, so leuchtet wohl vou
selbst ein, daß sie noch viel leichter sich ergeben muß, wenn sich
eine Gebiutskörperschaft und ein anderer nicht an ein be-
stimmtes Gebiet gebundener Verband begegnen. Wie aber
der Staat die vollkommenste Form der Gebietskörperschaft, so ist
der ausgebildetste reine Persoual- Verband die katholische Kirche,
welche ihrem Wesen nach jede räumliche Begrenzung ihrer
Rechtssphäre perhorreszieren muß. Es ist daher eine in der
Macht der Tatsachen begründete Erscheinung, daß zwischen
Staat und Kirche die schwersten und tiefgreifendsten
Rechtskollisionen sich ergeben haben, welche die Rechts-
geschichte kennt. Denn wenn es auch durchaus möglich ist,
theoretisch die Rechtskollision auszuschließen , indem man die
Kirche im Gegensätze zum Staat auf die Verwirklichung eines
geistigen Zwecks oder, was mir richtiger erscheint, auf die Ver-
wirklichung ihres Verbandszweckes mit geistigen Mitteln (unter
Ausschluß physischen Zwangs) beschränkt, so stellen sich doch
praktisch infolge der geistig-körperlichen Natur aller jener Menschen,
die zugleich Mitglieder des staatlichen und kirchlichen Verbandes
sind, der Verwirklichung dieser Scheidung die größten Schwierig-
keiten entgegen. Und ob man diese Scheidung als wünschenswert
ansieht oder nicht, der Rechtshistöriker steht vor der unabänder-
lichen Tatsache, daß sie eben in Wirklichkeit nicht durchgerührt
wurde, daß der Gesamtwille und das Gesamtbewußtsein der Kirche
häufig stark genug waren, ein dieser oder jener vom Gesamtwillen
und Gesamtbewußtsein eines staatlichen Verbandes getragenen
Rechtsordnung widersprechendes Recht festzuhalten, und um-
gekehrt.
Es mögen sich nun allerdings Bedenken erheben, ob eine
derartige Betrachtungsart dem Mittelalter gegenüber zulässig ist,
nachdem in unseren Ausführungen selbst der Gedanke des
einen christlichen Weltreichs so scharf betont worden ist.
Mit Rücksicht darauf kann gewiß nicht geleugnet werden, daß
dem Mittelalter im Gegensatz zur modernen Zeit als
wünschenswertes Ziel ein Zustand vorschwebte, in dem es
begrifflich nur ein Recht gibt, in dem auch zwischen staatlichem
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144
und kirchlichem Recht schlechtweg jeder Widerspruch aus-
geschlossen erscheint. Dnd es scheint mir allerdings, daß es —
man denke nur an Pipin und Karl den Großen — Zeiten gegeben
hat, in denen die Verwirklichung des letzteren Zieles nahezu er-
reicht war. Was aber das für uns in Betracht kommende heilige
römische Reich deutscher Nation anlangt, so wurde bereits in der
Einleitung darauf hingewiesen, daß bei ihm der Gedanke des
Universalreichs nur mehr ideell wirksam war1), und es kann daher
auch nicht überraschen, wenn der in ihm grundgelegte Synergis-
mus des Geistlichen und Weltlichen sich auf die Dauer nicht
stark genug erwies, das Heranswachsen von Staat und Kirche
nach eigenen Lebensgesetzen als zwei von einander unabhängigen,
ja einander bekämpfenden Verbänden zu verhindern. Es wurde
schon in anderem Zusammenhang angedeutet, wie dieser Prozeß
bereits im 13. Jahrhundert im vollen Flusse war, wie ihn gerade
die innerhalb des werdenden kanonischen Rechts rapid fort-
schreitende Zurfickdrängung des bei der Gründung des Reichs als
gleichberechtigtes Organ gedachten Kaisertums gefördert hat*).
Es kann daher m. E. kein Zweifel darüber bestehen, daß
empirisch untersucht werden muß, inwieweit das im 13.
und 14. Jahrhundert feste Formen annehmende deutsche
Staatsrecht im einzelnen die Bestimmungen des damals
geltenden kanonischen Rechts rezipiert hat, daß die bloße
Erkenntnis, inwieweit das kanonische Recht selbst das deutsche König-
tum, beziehungsweise das Kaisertum, einem kirchlichen Amte gleich-
setzt, die rechtshistorische Bedeutung dieser kanonischen
Doktrin nicht erschöpft. Wenn das kanonische Recht selbst
einen Unterschied zwischen der Besetzung des deutschen
Thrones und eines kirchlichen Amtes macht, wird dies
gewiß ein sehr beachtenswertes Argument dafür sein,
daß ein solcher Unterschied umsomehr nach deutschem
Recht bestanden hat; insoweit aber das kanonische Recht
beide gleichsetzt, wird sorgfältig zu prüfen sein, ob da-
durch das tatsächlich geltende deutsche Recht in jedem
einzelnen Fall beeinflußt wurde.
*) Vgl. oben SS. 4 ff.
») Vgl. üben SS. 93 ff.
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145
III. Der tatsächliche Einfluß des kanonischen Rechtes
auf die Gestaltung der deutschen Königswahl.
Indem wir von dem nunmehr gewonnenen Standpunkt aus
an den letzten Teil unserer Untersuchung herantreten, müssen
wir von der electio communis ausgehen, da diese den Schlüssel
bildet für die Entstehung des Kurfürstenkollegiums, welche an
zweiter Stelle erörtert werden soll. Abschließend wollen wir uns
mit der unitas actus und dem Majoritätsprinzip beschäftigen, wobei
auch auf das Approbationsrecht einiges Licht fallen wird.
1. Die electio communis
Bresslau ') hat die von ihm aufgestellte Theorie folgendermaßen
formuliert: „In der Zeit von 1257 bis 1314 vollziehen sich die
deutschen Königswahlen in einer Form, die vorher nicht nach-
weisbar ist. Die auf der Wahlversammlung erschienenen Kur-
fürsten übertragen, nachdem in mehr oder minder langwierigen
Verhandlungen eine materielle Einigung zwischen ihnen erfolgt
ist, durch einen rechtsförmlichen Akt ihr Wahlrecht auf einen
aus ihrer Zahl und dieser eine Bevollmächtigte vollzieht die Wahl
in rechtsgiltiger Weise, indem er die feierliche Wahiformel aus-
spricht. Durch diesen Ausspruch des einen Wählers, und durch ihn
allein, wird derjenige, über dessen Person man sich zuvor geeinigt
hat, erwählter römischer König (in Romanorum regem electus);
was dem Aussprucli der Wahlformel vorangeht, schafft noch keine
rechtsgiltige Wahl; die übrigen Kurfürsten wählen nicht, sondern
approbieren höchstens die vollzogene Wahl“ (a. a. 0. S. 122).
„Unsere Untersuchung hat zu dem Ergebnis geführt, daß das Ver-
fahren bei den deutschen Königswahlen von der Mitte des 13. bis
zur Mitte des 14. Jahrhunderts, welches wir klarzulegen beabsich-
tigten — rechtsförmliche Übertragung des Wahlrechts auf einen
einzelnen Wähler durch die Gesamtheit derselben und Vollziehung
der Wahl durch jenen — , genau und bis in alle Einzelheiten
übereinstimmend auch bei den Papstwahlen und Bischofswahlen
derselben Epoche beobachtet wurde. Daß der Brauch sich sowohl
in Deutschland wie bei der römischen Kurie selbständig und un-
') Bezüglich der folgenden Zitate au» Bresslaud Abhandlung, vgl. oben
S. 132.
Hugelmauu. Ott deutsche Königs wähl 1"
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146
abhängig entwickelt habe, wird niemand annehmen, der aus unseren
vorangehenden Darlegungen erkannt hat, wie weit die Überein-
stimmung geht; daß man im Kardinalskollegium ein Verfahren
nachgeahmt habe, welches bei den deutschen Königswahlen zuerst
aufgekommen wäre, wird niemand glauben, der das Verhältnis er-
wägt, in welchem Papsttum und Königtum um die Mitte des
13. Jahrhnnderts zu einander standen. Es kann daher mit voller
Bestimmtheit angenommen werden, daß die deutschen Kurfürsten,
nachdem um die Mitte des 13. Jahrhunderts das ausschließliche
Recht der Königswahl auf sie übergegangen war, und als sie sich
nun über die Art zu verständigen hatten, in der sie ihr neues
Recht ausüben wollten, mit bewußter Absicht beschlossen, die
Wahl des Königs in derselben Form zu vollziehen, die bei der
Papstwahl und — wohl in Nachahmung dieser — bei den
ßischof8wahlen üblich war“ (a. a. 0. S. 139). — Etwas ab-
weichend sind die Anschauungen v. Wretschko’s1). Zwar kommt
auch er zu dem „Ergebnis“, „daß die Einrichtung der electio in
der Gestalt, wie sie uns 1257 zum erstenmal bei den deutschen
Königswahlen begegnet, der Form und dem Wesen nach den
kirchlichen Wahlen, wo wir dieselbe in viel frühere Zeit zurück-
verfolgen können, nachgebildet wurde“ (a. a. 0. S. 173), und auch
er glaubt, daß „der Anschluß an das kirchliche Wahlwesen bis
zu einem gewissen Grade ein beabsichtigter“ war (a. a. 0. S. 174).
Jedoch stellt er im Unterschied zu Bresslau, der eine direkte
Beeinflussung durch die Papstwahlen behauptet (a. a. 0. SS. 29 ff.),
die Bischofswahlen in den Vordergrund (a. a. 0. SS. 171 f. bes.
Anm. 2 am Ende, wozu insbesondere auch v. Wretschko’s Abhandlung
über die electio communis bei den kirchlichen Wahlen im Mittelalter,
Deutsche Zeitschr. f. Kirchenr. XI 321 ff., zu vergleichen ist)
und erkennt, daß „der Anschluß an kirchliche Einrichtungen
— und das hat Bresslau nicht in Betracht gezogen — auch ein
unbewußter“ war, nämlich „das Ergebnis jenes tiefgehenden Ein-
flusses, den die Kirche und ihr Recht in jenen Tagen auf alle
weltlichen Verhältnisse ausübte“ (a. a. 0. S. 175). — Die Theorie
von der Rezeption der electio communis aus dem kanonischen
') Kezüglich der folgenden Zitate ans v. Wretschko’s Abhandlung
Tgl. oben S. 132.
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147
Recht hat auch Mario Kraramer in seinen beiden Schriften
(Rechtsgeschichte des Kurfürstenkollegs bis zum Ausgange Karls IV.,
I. Kap. Berliner Diss. 1903; Wahl und Einsetzung des deutschen
Königs im Verhältnis zu einander, Weimar 1905 [Quellen und
Studien zur Verfassungsgeschichte des deutschen Reiches in Mittel-
alter und Neuzeit, herausgegeben von Zeumer, Band I Heft 2] ‘)
angenommen s).
Die bisher kurz skizzierte Theorie wurde ausführlich bekämpft
von Lindner3) im ersten Abschnitt seiner Streitschrift „Der Hergang
bei den deutschen Königswahlen“ (Weimar 1899). Seine Argumente,
denen ich im wesentlichen zustimme, lassen sich in zwei Gruppen
teilen. Die eine richtet sich lediglich gegen die Ausgestaltung
der Theorie durch Bresslau, welche schlagend widerlegt wird : und
zwar wird gegen die Zurückführung der Rezeption auf einen Be-
schluß der Kurfürsten das gänzliche Fehlen eines diesbezüglichen
Berichtes und die innere Unwahrscheinlichkeit, gegen die Annahme
der Papstwahlen als Muster der Königswahl der Umstand an-
geführt, daß den geistlichen Wählern, insbesondere den rheinischen
Erzbischöfen, die Bischofswahlen doch viel näher liegen mußten.
Die spezifischen Besonderheiten der Bresslau’schen Theorie scheinen
mir damit erledigt zu sein; dagegen bedürfen die von Lindner
vorgebrachten Beweise gegen eine Rezeption überhaupt einer
mehrfachen Ergänzung.
Lindner widerlegt diesbezüglich (8. 6) den von Bresslau für
die Rezeption geltend gemachten Grund, daß durch die Anwendung
der kanonischen Wahlform die Wahl (wenigstens quoad factum) gegen
päpstliche Bedenken gesichert wurde, vor allem durch den Hin-
weis auf die Tatsache, daß manchen Wahlen trotz zweifelloser
') Vgl. hiezu oben S. 19 Anm. 3 und S. 21 Anm. 4.
*) Auch Harnack mulä in diesem Zusammenhänge genannt werden.
Er bezeichnete bereits in den Historischen Aufsätzen, dem Andenken an
Georg Waitz gewidmet, Hannover 1886, SS. 373 f. (in dem Aafsatze Über
das Alter einiger bei der deutschen Königswahl beobachteten Normen) die
Hülle „yui celum“ von 1263 (vgl. unten SS. 176, bes. Anm. 5, und 184 f)
als Keimpunkt der electio per unurn.
*) Über die Lindner’ sehe Theorie habe ich ausführlicher gebandelt
in meinem oben S. 7 Anm. 1. genannten Aufsatz SS. 229 ff. Die mit Lind-
ners Auftreten einsetzende Literatur ist daselbst in Anm. 2 zu S. 226 ver-
zeichnet.
10*
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148
Vornahme einer electio communis die päpstliche Anerkennung versagt
blieb. Wir können in dieser Richtung den Beweis noch weiter-
fiihren durch den Hinweis, daß im kanonischen Recht
selbst, wo es sich, sei es autoritativ, sei es literarisch, mit
der deutschen Königswahl beschäftigt, gerade von dem
Erfordernis der electio communis nirgends mit einem
Worte die Rede ist1). Es wäre also gewiß in dieser Richtung
keinerlei Ursache für eine Rezeption zu finden. Im Gegenteil
kann das Schweigen der kanonischen Quellen nnr dahin gedeutet
werden, entweder daß das kanonische Recht selbst das Erfordernis
der electio communis lur die deutsche Königswahl nicht aufstellte
oder daß dieses Erfordernis tatsächlich bei der den diesbezüglichen
Erörterungen hauptsächlich zugrunde liegenden Wahl Philipps von
Schwaben (also lange vor 1257) bereits beobachtet worden war.
Damit sind wir bei dem m. E. springenden Punkt angelangt.
Wenn selbst die von Bresslau behauptete, von Lindner bestrittene
Übereinstimmung zwischen den kirchlichen Wahlen und den
Königswahlen in der fraglichen Periode bestehen sollte — wir
werden darauf noch zurückkommen — , so könnte daraus auf eine
Rezeption der electio communis doch nur dann geschlossen werden,
wenn diese Einrichtung früher bei deutschen Königswahlen nicht
nachweisbar wäre. Läßt sich aber die electio communis im deutschen
Königswahlenrecht früher nachweisen als im kanonischen Wahlrecht
— Bresslau selbst behauptet ihr Auftreten (a. a. 0. S. 136) für
Papstwahlen erst seit Urban IV., und zwar auch da ohne durch-
schlagenden Beweis*) — , dann ist die ganze Theorie gefallen.
Selbst die minutiöseste Übereinstimmung in den Details könnte
') Vgl. oben S. 87.
*) A. a. 0. S. 136 beruft sich Bresslau lediglich auf den Ausdruck
„cnimnuniter eligentes“. Dali dieser Ausdruck nicht im technischen Sinne
einer communis electio gedeutet werden m u U, ergibt sich daraus, dali sich seit
dom 9. Jahrhundert die Ausdrücke „communi voto“ oder „communi consilio“
eligere zur Bezeichnung einstimmiger Wahlen schlechthin iindon: vgl.
v. Wretschko, Deutsche Zeitschr. f. Kirchenr. XI 329 Anm. 2 (in dem oben
8. 14G erw&hnten Aufsatz). Der Plural „eligentes“ scheint die technische Be-
deutung im Sinne Bresslaus aber geradezu auszuschlielien. Auf den von
I.indncr, Der Hergang bei den Deutschen Königswahlen (vgl. oben S. 147)
S. 9, hervorgehobenen Umstand. daU die Wahl Lothars (1123) als „communi
decreto“ vorgenouimeu bezeichnet wird, möchte ich weniger Gewicht legen.
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149
dann nor beweisen, daß die formelle Ausgestaltung der boreits
vorhandenen Einrichtung im Anschluß an kanonisches Recht er-
folgte, keineswegs aber, daß die Einrichtung selbst rezipiert
wurde. Die unabhängige Entstehung der gleichen Einrichtung
in beiden Fällen könnte auch durchaus nicht wundemehmen, da
eben ähnliche Verhältnisse zu ähnlichen Rechtsgestaltungen fuhren;
dafür bringt gerade ßresslau selbst (a. a. 0. S. 138) durch Hin-
weis auf die Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten von
Nord-Amerika einen drastischen Beleg.
Lindner hat tatsächlich eine Widerlegung Bresslaus auch
nach der angedeuteten Richtung versucht und m. E. das Vor-
kommen der electio durch einen elector bei der deutschen Königs-
wabl vor 1257 überzeugend dargetan. Wenn dies vielfach ver-
kannt werden konnte, so liegt die Schuld wohl in den an anderer
Stelle (Der Einfluß Papst Viktors II. auf die Wahl Heinrichs IV.,
Mitt. d. Inst. f. österr. Geschichtsf., XXVII. 229 ff.) hervorgehobenen
Mängeln der Lindner’schen Theorie'), vor allem darin, daß er,
über das Ziel hinausschießend, für alle Königswahlen einen
elector annahm. Gerade von diesem Standpunkt aus konnte die
von ihm (a. a. 0. S. 19) gegen Bresslau angeführte Stelle aus den
Annales Marbac. ad a. 1 220 s) nicht ihre volle Beweiskraft gewinnen.
Die Stolle erzählt die Designation Heinrichs folgendermaßen:
lleinricus ßlius imperatoris , admodum jmer quasi decennü , per
Otlonem Wirziburgewem episcopum, cuim tu/ele deptitatus fuerat a
patre, de eonsensu principuni in regem electux. Daß iiiemit tat-
') Es sei hier neuerlich das große Verdienst Lindnerg hervorgohoben,
die bezüglich des Kurfürstenkollegiums bereits früher erfaßte Struktur der
Königswahl (vgl. z. li. W eizsäckor, Kcnso als Wahlort, l’hilos. u. hist.
Abh. d. Berl. Ak. d. Wissensch. 1890, SS. 31 lf.) im älteren deutschen liecht
nachgewiesen zu haben. Was die Literatur vor Lindner anlangt, borufe ich
uiich auf die Verweise in Mitt. d. Inst. f. österr. Geschf. XXVII 226
Anm. 2; ich füge nur noch bei Seeligcrs zusammenfassende Darlegung in
derselben Zeitschrift, XVI 47 f. (in seinem ersten Artikel gegen Lindner,
Neue Forschungen über die Entstehung des Kurkollegs). Soweit die Theorien
vor Lindnerg Auftreten noch in der heutigen wissenschaftlichen Diskussion
eine Bolle spielen , wird gelegentlich im nächsten Abschnitt (II 2) dieses
Kapitels darauf zurückgekommen werdon; vgl. auch unten S. 156 Anm. 3
und schließlich Anhang II.
») MG. SS. XVII 174.
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150
sächlich die Funktion eines elector gemeint ist, ergibt sich mit
voller Klarheit, wenn man — und dies hat Lindner unterlassen
— damit dasjenige vergleicht, was dieselben Annales Marbac. ad
a. 1237*) von der in Wien vorgenommenen Designation des
jüngeren Kaisersohnes, Konrad, erzählen: Ubi(Wiene) etiam (i»i-
perator) Chuonradum . . . eligi fecil in regem. Quem elegerunt
archiepiscopi Moguntinus et Treeereneit, et rex Boemie
et dux Bavarie qui et palatinu» comes Rheni, coneen-
tientibus ceterie principibnt, qui aderant, tarnen paucie.
Ich glaube kaum, daß man beim Zusammenhalt beider Stellen
au ihrer Zuverlässigkeit1) zweifeln kann: das einemal fungierte
ein einziger elector, das anderemal eine Mehrheit von electores;
jedenfalls ist hiemit ein Menschenalter vor 1257 eine electio per
unum nachgewiesen.
Ich habe auf diese Ungleichmäßigkeit bei den deutschen
Königswahlen bereits zu wiederhoitenmalen (Mitt d. Inst. f. österr.
Geschf. XXVII 230, Anm. 2 und 3, und XXVIII 690 f., bes.
Anm. 1 zu S. 691) hingewiesen und kann mich auch auf meine
damaligen Darlegungen und Quellennachweise berufen. Für
unseren Zweck genügt es hier, hervorzuheben, daß eine electio
per unum bei deutschen Königswahlen vom 10. bis ins 13. Jahr-
hundert, wenn auch keineswegs als ausnahmslose Erscheinung,
nachweisbar ist9). Hiemit ist aber die Annahme, daß die
Einrichtung als solche aus dem kanonischen Recht rezi-
piert wurde, gefallen.
Es kann nunmehr nur noch die Frage aufgeworfen werden,
ob die nähere Ausgestaltung der im deutschen Königswahlenrecht
l) Ibidem 178.
*) Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, II.
Band, 6. Aull., S. 452.
5) Die Wahlen, bei denen das Fungieren eines elector nachweisbar
oder wenigstens wahrscheinlich ist, sind die Wahlen Heinrichs 1., Ottos I.,
Heinrichs IV. (1056) und Konrads IV., abgesehen von den Designationen,
bei denen der Vater des zu Wählenden die electio vorn ahm. Unter Um-
ständen trat aber an seine Stelle ein anderer elector, bo bei der im Text
besprochenen Designation Heinrichs VII. (1220) der Bischof von Wnrzburg
(auch die Wahl von 1056 kann man so auifassen). Ich füge hier eine be-
sonders signifikante Stelle über die Designation Heinrichs VI. (1169) bei,
Annal. Pegav. ad a. 1169 (MG. SS. XVI 260): .... Christiano epucopo (Mo-
guntino) viel eiut («. e. imperatoris) prolofuente, Heinricus . ... in regem ehgintr . . .
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151
bereits vorhandenen Einrichtung der electio per unum im An-
schluß an kanonische Wahlformen erfolgt ist. Zur Beantwortung
dieser Frage ist ein Vergleich zwischen den kanonischen und den
Königswahlen von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 14. Jahr-
hunderts erforderlich, wie er von Bresslau für die Papstwahlen, von
v. Wretschko für die Bischofswahlen durchgeführt wurde ‘). Lindner
hat hier nicht nur den Behauptungen der Rezeptionstheorie wider-
sprochen, sondern überhaupt eine tiefergreifende Ähnlichkeit der
Wahlen geleugnet. Auf diesem Gebiet wird man ihm allerdings nur
teilweise folgen können: die electio per unum scheint mir tatsächlich
in der fraglichen Periode in beiden Fällen dieselbe Funktion gehabt
zu haben, nämlich die Wahl als eine Äußerung des Gesamtwillens
der Wähler erscheinen zu lassen, deren Kollegium zur Korporation
wurde Diese Entwicklung war im Kirchenrecht früher beendet
als im deutschen, dieses mag auch von jenem bei der Durch-
setzung des Korporations-Begriffs gefördert worden sein, und nur
in diesem Sinne kann m. E. von einer Rezeption kanonischen
Rechts bei der deutschen Königswahl die Rede sein. Allein
hi er wurde lediglich eine in der Natur der Sache liegende
Entwicklung gefördert. In ihrem Mittelpunkte stand die all-
mäliche Durchsetzung des Majoritätsprinzips und der unitas actus,
und damit veränderte ebenso allmählich die alte electio per unum
ihre juristische Funktion. War früher die eigentliche Einigung
in formloser Weise erfolgt, worauf der angesehenste Wähler die
electio vornahm, der vom „Umstand“ das „Vollwort“ erteilt wurde,
so nahm nunmehr (wie Lindner a. a. 0. SS. 28 ff. im Anschluß an
') Vgl. oben SS. 13*2 f. und 146.
3) Diese Funktion der electio communis im kanonischen Wahlverfabrou
ist bereits klar erkannt von Gierke in seinem monumentalen, unerschöpf-
lichen tienosscnschaftsrecht, III. Hand, Berlin 1881, SS. 315 und 316. Uber
die Anwendung der Korporations-Theorie auf das Kurfürstcnkollcginm, ins-
besondere seit Lupoid von Bebenburg (gest. 1354), vgl. ebenda SS. 603 und 604:
über den Zusammenhang des Durchdringens der Korporations-Theorie mit der
Politik des Erzbischofs Balduin von Trier handeln neuerlich Höhlbaum,
Der Kurverein von Kense im Jahre 1338 (Abh. der Ges. d. Wissensch. zu
Güttingen, Philol.-hist. Klasse, N. F. VII 3), SS. 22 ff., undKrammer, Wahl
und Einsetzung (vgl. oben S. 21 Amn. 4) SS. 60 und 69; letzterer stellt den
weiteren Nachweis in Aussicht, daU direkt die Theorie Lupolds durch Balduin
beeinilulSt wurde (ebenda S. 60 Anm. 2).
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152
Ernst Mayer richtig ausführt) die Einigung, die Wahl oder
nominatio, feste Formen an, sie wurde zur materiellen Abstimmung,
der gegenüber nun die electio per unum als ein reiner Formalakt
erschien, der gewissermaßen das Resultat der nominatio als korpo-
rativen Gesamtwillen zusammenfaßte. Wie wenig dabei von einer
bewußten Rezeption kanonischen Rechtes die Rede war, ergibt
sich zur Evidenz daraus, daß bei keiner einzigen deutschen
Königswahl von jenem Akt, der im kanonischen Wahlverfahren
von der nominatio zur electio hinüberleitet, von der collatio
votorum durch scrutatores, auch nur eine Spur zu finden ist1).
Weit entfernt, daß die electio per unum im 13. Jahrhundert aus
dem kanonischen Recht rezipiert worden wäre, war das alte
deutsche Rechtsinstitut, nachdem mit dem Durchdringen der unitas
actus und des Majoritätsprinzips der Schwerpunkt der Wahl-
handlung sich in die zur formellen Abstimmung werdende nomi-
natio verlegte, zu einem Formalakt eingeschrumpft, der in der
Übergangszeit vom Prinzip der Einstimmigkeit zu dem der
Majorität die Funktion hatte, die Wahl formell als eine einstimmige
erscheinen zu lassen*). So ist es allein begreiflich, daß dieser
angeblich erst im 13. Jahrhundert rezipierte Akt in der goldenen
Bulle (1356) nicht mehr zu finden ist, worauf merkwürdiger Weise
in diesem Zusammenhänge meines Wissens bisher nicht hin-
gewiesen worden ist. Die Form war mit dem vollen Durch-
dringen des Korporations-Begriffs und der ihm entsprechenden
Ausgestaltung der nominatio bedeutungslos geworden und wurde
im deutschen Recht beseitigt, während sie das konservativere ka-
nonische Recht noch weiter fortschleppte.
') Vgl. oben 8. 87.
*) v. Wrctschko, Deutsche Zeitschr. f. Kirchenr. XI 37011. (in dem
oben S. 14G erwähnten Aufsatz) führt allerdings scharfsinnig aus, nicht
die Einstimmigkeit, sondern die Einheitlichkeit des Wahlwillens der von
den Wählern zu unterscheidenden Korporation komme durch die electio
communis zum Ausdruck. Trotzdem glaube ich diu Fassung des Textes ver-
treten zu können : bevor der Korporationsgedanko vollständig durchdrang,
konnte man sich die Einheitlichkeit des Wahlwillens nur durch die Ein-
stimmigkeit herbeigeführt denken; und eben in der Weise vollzog sich der
Übergang von der genossenschaftlichen zur korporativen Auffassung, daß
man unter bestimmten Voraussetzungen die Wahlen wie einstimmige be-
handelte, die Einstimmigkeit gewissermaßen fingierte.
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153
Nachdem die electio per ynum zu einem Formalakt sich
krystallisiert hatte, war es naheliegend, daß sie nunmehr als
ständige Einrichtung bei deutschen Königswahlcn erschien. Daß
das den geistlichen Wählern von den kanonischen Wahlen her
geläufige Vorbild auch zu dieser Stabilisierung beitrug, soll durch-
aus nicht geleugnet werden, berechtigt aber ebensowenig zur An-
nahme einer Rezeption wie die m. E. wenig belangvolle Anlehnuug
in der Fassung des Wortlauts1). Daß man übrigens in dem
kleinen Kurfürstenkollegium die electio nicht gut von mehreren
sprechen lassen konnte, was früher allerdings im größeren Wähler-
kreis häufig, vielleicht sogar die Regel gewesen war, liegt auf
der Hand. Auch der Funktion der electio, die Einheitlichkeit
des Wahl willens zum Ausdruck zu bringen, entsprach nur die
electio per unum. Mit voller juristischer Schärfe kommt diese
Funktion im kanonischen Recht zum Ausdruck, wo häufig auch
nach der zwiespältigen nominatio oder examinatio, wenn nur
die entsprechende Majorität vorhanden ist, alle Wähler ihr Wahl-
recht auf den olector übertragen, der nunmehr in ihrer aller
Namen die electio vornimmt2). Diese rechtsförmliche Übertragung
glaubte nun Bresslau auch bei den deutschen Königswahlen der
fraglichen Periode als ständigen Brauch nachweisen zu können,
womit allerdings in einem entscheidenden Punkte eine Rezeption
*) Sogar darauf scheinen die unbedingten Anhänger der Rezeptions-
Theorie Gewicht zu legen, daß der Kürspruch bei der Königswahl mit den
Worten begann Innomint sanctat et tndn-iduac tiinitatis (z. B. Bresslau a. a. 0.
S. 124: .Man beachte, daß auch hier der Kürspruch, wie der von Johann
von Victring initgetcilte, mit einer Invokation der Gottheit begann"). M. E.
kann diese Eingangsforuiel, die iin Mittelalter bei jedem wichtigeren Goschäft
ganz selbstverständlich war, nach keiner Richtung auch nur im min-
desten als rechtshistorisches Argument verwertet werden.
•) Vgl. darnbor v. Wrctschko, Deutsche Zcitschr. f. Kirchenr. XI
368 Amn. 2 (vgl. ober. S. 146). Zu dieser vollen juristischen Durch-
bildung ist es im Königswahlcnrecht nicht gekommen: wenigstens
ergibt sich aus keiner der von Bresslau a. a. 0. mitgeteilten Quellenstelleu,
daß anwesende in der Minorität gebliebene Wähler dem elector ein
Mandat gaben, im Gegenteil scheinen alle Wahlen im letzten Jahrhundert
vor der goldenen Bulle auf Grund einer tatsächlichen Übereinstimmung
aller Anwesenden erfolgt zu sein, vgl. unten S. 154. Anderseits finden
sich Ansätze zu einer derartigen Stimmenübertragung bei der Königswahl
schuu beträchtlich früher, vgl. unten S. 154.
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154
kanonischen Rechts einigermaßen wahrscheinlich gemacht wäre.
Doch ist der Nachweis nicht erbracht worden. In dem frag-
lichen Zeitraum sind im ganzen 10 Königs wählen vorgenommen
worden. Bei vieren darunter (den beiden Wahlen Albrechts I.,
Juni und Juli 1298, Karls IV. 1346 und Günthers 1349) fehlen
nach Bresslaus eigenen Angaben nähere Nachrichten, und können
wir nur auf eine electio per unum schließen. Was die Wahl
Richards (1257) anlangt, so kann ich in der von Bresslau (a. a. 0.
S. 124) angeführten Belegstelle nicht die geringste Spur von einer
formellen Stimmenübertragung durch einen anwesenden Wähler
finden1). Bei der Wahl Adolfs von Nassau (1292) ist der Sach-
verhalt sehr zweifelhaft, da von der Stimmenübertragung zwar in
anderen Quellen, nicht aber im Wahldekret die Rede ist. Sicher
bezeugt ist die Stimmenübertragung nur bei den Wahlen Rudolfs
von Habsburg (1273), Heinrichs VII. (1308), Friedrichs des
Schönen und Ludwigs des Bayern (1314). Es kann also wohl
nicht von einem ständigen Gebrauch gesprochen werden, sondern
nur von dem Ansatz zu einer Entwicklung, welche durch die
goldene Bulle, die die electio per unum überhaupt abschaftle,
unterbrochen wurde. Dies scheint aber zum mindesten eine be-
wußte Rezeption auch dieses Details auszuschließen. Erwägt man
ferner, daß die im kanonischen Recht, wenn auch nicht regel-
mäßig, vorkommende Übertragung des Stimmrechts auch seitens
der bei der Nomination in der Minorität Gebliebenen im deutschen
Königswahlenrecht überhaupt nicht bezeugt ist3), daß anderseits
Ansätze zu einer Stimmenübertragung als Grundlage der electio
schon lange vor dem 13. Jahrhundert, schon bei Lambert von
Hersfeld, nachweisbar sind5), so muß die Rezeptions-Theorie
wohl auch in dieser Richtung als widerlegt gelten.
In diesem Zusammenhang ist nur noch auf eine Urkunde ein-
zugehen, welche von einem elector spricht, nämlich auf die von
') Nur daß der abwesende Mainzer Erzbischof dein Kölner seino Stimme
übertragen hat, wenigstens nach der Behauptung dos letzteren, welcher als
elector fnngierto, geht aus der Stelle hervor. Der allein anwesende Pfalz-
graf beschrankte sich gegenüber der electio des Kölners auf einen einfachen
Konsens.
*) Vgl. oben S. 153 Anm. 2.
s) Vgl. die von mir in Mitt. d. Inst. f. österr. lieschf. XXYII1 691
Anm. 3 mitgeteilten Stellen.
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155
den Wählern Philipps im Jahre 1202 an den Papst gerichtete
Beschwerdeschrift. Hier erheben die Fürsten, wie wir schon bei
der Untersuchung der als Antwort ergangenen Bulle gesehen
haben'), Protest gegen das Vorgehen des Kardinallegaten Guido
von Präneste. Die Inhaltsangabe dieses Protestes in der Bulle
„Venerabilem“ ist allerdings eine ungenaue. Der Gedankengang
der Fürsten ist vielmehr folgender: der Papst hab keinerlei Beeilt,
sich in eine deutsche Königswahl einzumischen, infolgedessen sei
das Auftreten des Legaten, das man nur als das eines elector
oder als das eines cognitor auflassen könnte, auf jeden Fall un-
gehörig. Aber selbst wenn man diesen prinzipiellen Standpunkt
nicht einnehme, habe der Legat ungehörig gehandelt: wenn als
elector, quonwdo (piesioit opportunitatem, qualiter arbitris absentibus
mendacio ceritatem et crimine miiutem mufartt. Quonwdo enim en
pars prtneipum, quam numents nmpliat, tpiam dignitns effni,, iniuste
nimium est rontemptaf ; handelte der Legat jedoch als cognitor, so
hätte er ebenfalls gefehlt, weil die Gegenpartei nicht geladen war.
Vergleichen wir damit die Antwort des Papstes, so ergibt sich, daß
er die Bestreitung seines Rechtes, als cognitor überhaupt zu fungieren,
nicht verstehen wollte ; anderseits hatten für ihn die näheren Aus-
führungen über den elector kein Interesse, da er ein derartiges
Recht nicht behaupten wollte. In seiner Antwort verschiebt sich der
Inhalt des Protestes dahin : fungierte der Legat als elector, so hat
er sich widerrechtlich eines Amtes angemaßt; fungierte er als
cognitor, so hat er es au der gehörigen Ladung fehlen lassen.
In diesem Zusammenhänge wird sofort klar, daß aus der oben
angeführten Stelle keine so weittragenden Schlüsse auf den Vor-
gang bei den deutschen Königswahlen gezogen werden dürfen,
wie dies Ernst Mayer (a. a. 0. S. 387) a) tut, wenn er aus der
gelegentlichen Bezeichnung der scrutatores als arbitri im kano-
nischen Recht schließt, es müsse auch bei den deutschen Königs-
wahlen scrutatores gegeben haben. Die Fürsten argumentieren
nur ad hominem aus dem kanonischen Recht und sagen, wenn
selbst dieses Recht auf deutsche Königswahlen anzuwenden wäre,
sei das Vorgehen des Legaten inkorrekt gewesen. Und noch
') Vgl. oben S. 46 Anm. 1.
*) Vgl. oben S. 132.
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156
weniger kann die Antwort des Papstes, der Legat habe nicht
als elector fungiert, da er nec Jecit aliquem eligi nec clegit et
sic electinni se net/uaipinm ingessit , für den Vorgang bei deutschen
Königswahlen ein Material bieten. Vergegenwärtigen wir uns den
im ersten Kapitel ’) ausführlich dargelegten Gedankengang der Bulle
„Venerabilem“, derzufolge der Wahlakt Ottos bereits früher rechts-
gültig vorgenommen war, so kann den angezogenen Worten wohl
nur der ganz allgemeine Sinn beigelegt werden, daß der Legat
überhaupt eine Wahl weder veranlaßt noch an einer solchen als
Wähler teilgenommen, daher sich in die Wahl überhaupt in keiner
Weise eingemischt habe.
Die viel erörterten Stellen aus dem Jahre 1202 bieten
uns also keinen Anlaß, das bereits früher gewonnene Bild
der Entwicklung zu modifizieren oder auch nur zu ergänzen.
Dieses Bild aber war folgendes: in alter Zeit ein nicht ab-
gegrenzter Wählerkreis, das Prinzip der Einstimmig-
keit, die formlose Wahl, die electio durch einen oder
mehrere und das Vollwort des Drastands; seit der Mitte
des 13. Jahrhunderts das korporativ gestaltete Kur-
fürstenkollegium, in dem das Prinzip der unitas actus
und der auch die Widersprechenden bindenden Majoritäts-
wahl sich durchsetzte, die formelle Ausgestaltung der
Wahl als Abstimmung, die Einschrumpfung der immer
per unum vorgenommenen electio zu einem in einzelnen
Details an verwandte kanonische Formen sich anlehnen-
den Formalakt, der in der goldenen Bulle wegfiel.
Gelingt es uns, aus diesen Elementen auch die Entstehung des Kur-
fürstenkollegiums zu erklären, so ist das einzige noch fehlende
Glied in der organischen Entwicklung der Königswahlen gefunden9).
') Vgl. oben SS. 47, 48 ff.
*) Nicht 7.u verwechseln mit der iin Text vertretenen Auffassung
welche in .Wahl“ und .Kur“ die beiden Phasen des Wahlakts erblickt und in
letzterer wieder die .electio“ und .laudatio“ scheidet, ist die vor Lindners
Auftreten (vgl. oben S. 149 Anm. 1) geläufige Unterscheidung von .Vorwahl“
und .Wahl“ (gelegentlich auch schon .Kur“ genannt), bei welch letzterer
sich ein .Vorstimmrccht“ einzelner Pürsten, der späteren Kurfürsten, heraus-
gebildet habe. Der wesentliche Unterschied dieser in Vielen Ausgestaltungen
auftretendeu Anschauung gegenüber der Elektor-Theorie liegt darin, daß sic
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157
2. Die Entstehung des Kurfürstenkollegiums
Wie schon oben (SS. 132 f., 155) angedeutet, hat Ernst Mayer
im II. Bande seiner Deutschen und französischen Verfassungsge-
schichte ') auch die Entstehung des Kurfürstentums auf Rezeption
einer kanonischen Wahleinrichtung zurückgeführt, nämlich der
Skrutatoren, deren Amt durch das IV. Lateranensische Konzil (1215)
endgiltig geregelt wurde, aber schon früher vorhanden war*). „Die
Schilderung“, die im Sachsenspiegel von der Königswahl gegeben
wird, entspricht nach Mayers Darlegungen „fast bis auf das Wort
der Schilderung des Skrutinium bei Bernardus Papiensis, wie der
letztere den Skrutatoren auferlegt, ui oidelicet illum eligant quem
lediglich oder doch hauptsächlich in der Reihung der Kurfürsten bei
der Abstimmung, im Rechte, zu erst (nicht: in qualifizierter Weise) zu küren,
den Keim des Wahlvorrechts erblickt. Als Vertreter dieser Auffassung seien
genannt Phillips (vgl. unten S. 163 Anm. 4): Weiland, Über die Geschichte
der deutschen KSnigswahlen im 12. und 13. Jahrhundort, Forschungen zur
Deutschen Geschichte XX 305 ff.: Tannert, Die Entwickelung des Vorstimm-
reebtes unter den Staufen und dio Wahlthcorie des Sachsenspiegels, Bonn 1882;
Guidde, Die Entstehung des Kurfürstenkollegiums, Frankfurt a. M. 1884.
In der im Test gegebenen Ausgestaltung der Elektor-Thcorie, boi welcher
scharf zum Ausdrucke kommt, daß die sogenannte laudatio begrifflich ein
Teil des konstitutiven Wahlakts ist, ist der Gegensatz bedeutend ge-
ringer als bei Lindner: ja, in jener Ausgestaltung, welche die Theorie der
Vorwähler durch Tannort a. a. 0. erfahren hat, berührt sie sich nahe mit
unserer int Text vertretenen Auffassung. Nach dieser Auffassung erscheint
der Wahlvorgang einfach als die allgemeine Form der germanischen Beschluß-
fassung, die sich bei der Urteilsfindung bereits früher scharf herauskrystal-
lisiert hat: doch muß im Gegensatz zu denjenigen, die in der „Kur* nur ein
„Wahlurteil“ sehen (Ernst Mayer, Wcrunsky; vgl. die näheren Nachweise
in Mitt. d. Inst f. österr. Geschf. XXVII 228 Anm. I), der konstitutive
('harakter der „Kur“ betont werden, welche nur in der Form dor Beschluß-
fassung mit der Urteilsschöpfung übereinstimmt. Schließlich sei hier noch
bemerkt, daß Maurenbrecher in dem wicderhult zitierten Werk (vgl.
S. 1 1 Anm. 1) die Herleitung des Kurfürstenkollegiums aus einem Kreise
irgendwie bevorrechteter Wahl fürsten überhaupt verwirft und diese
letzte Einschränkung des Wählerkreises einseitig auf den Sachsenspiegel
zurückführt (vgl. unten S. 170 Anm. 8).
‘) Vgl. auch unten S. 159.
*) Vgl. darüber z. B. v. Wretschko, Deutsche Zeitschr. f. Kirchenr.
XI (vgl. oben S. 146) 327 Anm. 3. Es kann als sicher gelten, daß kirch-
liche Skrutinialwablcn mindestens seit der Mitte des 12. Jahrhunderts
Vorkommen.
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158
omnium vel maioris partin arbitrio viderint fwaelertum, so sollen
nach dem Sachsenspiegel die sechs ersten an der Kore nicht kiesen
na iren Mutwillen, nenne tven die t forsten alle to koninge erwelt,
<len sollen si nllererxt bi natne kiesen Nachdem Mayer in
der bereits behandelten Wahlbeschwerde an den Papst aus dem
Jahre 1202 ein entscheidendes Argument für das Skrutinium bei
der deutschen Königswahl gefunden zu haben glaubt, fährt er fort:
„Nach der Schilderung des Sachsenspiegels sind die Skrutatoren
sechs, nach der vorangehenden Wahlreform Innozenz’ III. sind es
drei. Wenn man nun bedenkt, daß der deutsche König von zwei
Kollegien gewählt wird, den geistlichen und den weltlichen Parsten,
so wird man in den drei geistlichen und drei weltlichen „Kur-
fürsten“ eben nur die Skrutatoren ihres Kollegs zu sehen haben.
Wie die kirchlichen Skrutatoren durch einen aus ihrer Mitte die
Wahl erklären lassen, so verkündet jedenfalls seit der zweiten
Hälfte des 13. Jahrhunderts immerein Kurfürst das Wahlresultat.
Das ist nach der Angabe des Sachsenspiegels sicher, daß zu seiner
Zeit das Skrutatorenarat bereits in festen Händen war “
Und zwar bestand das geistliche Skrutatorenkollegium nach Mayer
aus den „drei mächtigsten Erzbischöfen“, das weltliche aus „Erz-
beamten", wobei „freilich nur drei von den vier“ genommen
werden konnten (a. a. 0. SS. 388 und 389). Bezüglich der Ent-
wicklung dieses Amtes zu einem ausschließlichen Wahlrecht
kommt Mayer zu keinem sicheren Resultat. Er begnügt sich
mit der „Annahme“, „daß die Fürsten“ (deren Zahl nach seinen
Darlegungen eine äußerst geringe geworden war) „stillschweigend
unter den Konsentierenden aufgingen und der zeremoniöse Vor-
rang der Kurfürsten sich von selbst in ein ausschließliches Recht
verwandelte“; „es stimmt zu dieser allmäligen Veränderung, wenn
in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu Verfügungen über
Reichsgut ohne weiteres die Willebriefe der Kurfürsten an Stelle
der fürstlichen Willebriefe aufkommen; die Kurfürsten sind eben
jetzt in diejenigen fürstlichen Kompetenzen eingetreten, die durch
die bisherige Übung scharf Umrissen waren“ (a. a. 0. S. 398). —
Mayers Theorie war von Krammer in seiner Dissertation (vgl. oben
S. 147) akzeptiert worden. In seiner zweiten Abhandlung hat er
eine eigene Theorie aufgestellt, bezüglich deren ich auf meine
bereits wiederholt erwähnte Besprechung in den Mitt. d. Inst. f. österr.
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159
Geschf. XXVIII 684 ff. verweise1). — Mayer selbst hat seine Ansicht
bezüglich der Entstehung des Kurfurstenkollegs auch in seiner
spateren Abhandlung Zu den germanischen Königswahlen (Zeitschr.
d. Sav.-Stift. f. Kechtsg. Germ. Abt. XXIII 1902 lff.), wo er
für die ältere deutsche Königswahl lebhaft das Anknüpfen an ge-
meingermanische Wurzeln verficht, im wesentlichen festgehalten.
Lindner3) hat, m. E. mit vollstem Recht, der Theorie Mayers
widersprochen, indem er gegen sie dasjenige ins Treffen führt,
was überhaupt gegen eine Rezeption kanonischen Rechtes spricht
und bereits bei Besprechung der electio communis (vgl. oben
S. 147) angedeutet wurde. Wir wollen auch in dieser Hin-
sicht als Ergebnis unserer Untersuchungen ganz be-
sonders betonen, daß das kanonische Rechtsbuch selbst
keinerlei Anhaltspunkt für Mayers Anschauungen bietet3).
Es ist zwar richtig, daß die Tendenz zur Einschränkung des Wähler-
kreises von kirchlicher Seite gefördert wurde, indem man zu einer
Zeit, in welcher zweifellos noch alle Fürsten wahlberechtigt waren,
von „Wahlfürsten“ sprach. Aber gerade in diesem Zusammenhang
gewinnt es eine besondere Bedeutung, daß die kanonischen Quellen
von einem Skrutatorenamt bei der deutschen Königswahl nichts
wissen. Wenn Mayer aus der Wahlbeschwerde von 1202 das Vor-
handensein der Skrutatoren konstatieren will, so muß dem ent-
gegengehalten werden, daß gerade die darauf ergangene Antwort,
die Bulle „Venerabilem“, nicht von Skrutatoren, sondern von aus-
schließlich berechtigten Wahlfürsten spricht4). Wie die arbitri
in die Wahlbeschwerde hineingekommen sind, haben wir oben
(SS. 155 f.) dargelegt; der Papst fand es gar nicht für nötig, auf
den Gedankengang der Fürsten einzugehen, er behauptet schon
1202 das Vorhandensein ausschließlich berechtigter Wahlfürsten,
womit er allerdings der deutschen Entwicklung, wie wir wissen,
weit vorauseilte; allein sein Vorgang wäre ganz und gar undenk-
bar, wenn der engere Fürstenkreis ein Skrutatorenkollegium, also
eine dem Papst wohlvertraute und gewiß erst vor kurzem ins
deutsche Recht übernommene Einrichtung gewesen wäre. Mit der
') Vgl. daselbst itisbos. SS. 689 f.
*) A. a. 0. (vgl. oben S. 147) 8. 28.
*) Vgl. oben 8. 148.
‘) Vgl. oben SS. 47, 48, 57, 67 ff.
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160
Wahlbeschwerde von 1202 fällt aber die einzige Belegstelle, aus
der Mayer auf ein tatsächliches Vorkommen von Skrutatoren vor
der Zeit des Sachsenspiegels schließt. ’).
Die in Rede stehende Theorie leidet überdies noch an besonderer,
innerer Unwahrscheinlichkeit. Es ist zunächst hervorzuheben, daß
der Sachsenspiegel, wenn er das Vorbild der Skrutatoren im Auge
gehabt hätte, die Kurwürde Böhmens gewiß in anderer Form
zurückgewiesen und die Dreizahl der Skrutatoren irgendwie her-
vorgehoben hätte. Daß auch die Aufgabe der Kurfürsten nach
dem Sachsenspiegel eine andere ist, als die der Skrutatoren bei
Bernhard von Pavia, auf welchen sich Mayer mit Außerachtlassung
der Worte „vel maioris partis“ bei letzterem und „bi name“ bei
ersterem beruft, habe ich andernorts (Mitt. d. Inst. f. österr. Geschf.
XXVIII 689 Anm. 2) bereits hervorgehoben; daß sich im Sachsen-
spiegel keine Spur von der collatio votorum findet, sei noch be-
sonders betont. Weiters aber widerspricht die Mayer'sche Hypothese
zweier Skrutatoren-Kollegien allem, was wir von den Königswahlen
des 12. Jahrhunderts wissen*). Von einer scharfen Sonderung
l) Merkwürdigerweise findet Mayer das Schweigen der Quellen ganz, be-
greiflich, da das Skrutatoren -Amt etwas wenig Bedeutsames sei (Deutsche
und französische Verfassungsgeschichte 11. Hand S. 394, Zcitsehr. d. Sav.-
Stift. f. Kechtsg. XXIII öl und 53). Ja, er geht soweit (Deutsche und
französische Verfassungsgeschichte II. Hand S. 339), zu behaupten: „ . . . An
sich ist die Skrutatoren tatigkeit etwas Unwesentliches: so wenig man
heutzutage in l’arlamentsberichten von der Stimmzählung durch das Hureau
spricht und so sehr man nur die Abstimmung erwähnt, geradeso hatten
auch die alten dürftigen Quellen nur Anlaß, von der materiellen Wahl zu
reden“. Vom kanonistischen Standpunkt aus muü man diese Hchauptung
geradezu als ungeheuerlich bezeichnen, wenn man erwägt, daß den
Skrutatoren nach älterem Recht eine collatio nutueri ad numentm, zeli ad
zelum, meriti ad meritum oblag (c. 35, 42, 55, 57 X IC de electione).
’) Vgl. Maurenbrecher, a. a. 0. (vgl. S. 11 Anm. 1) VI. und VII.
Abschnitt, woselbst überall weitere Belege angeführt sind. Über die Doppel-
wahl von 1198 wird im Text noch näher gehandelt werden. Einzig und
allein die Wahl Lothars (1125) könnte im 12. Jahrhundert zu der Annahme
zweier Wahlkollcgien Veranlassung geben, wenn man ausschließlich cap. 7
der vielerörterten Narratio de electione Lotharii (MO. SS. XII 510 ss.) be-
achtet. Allein hier wird die Huldigung am Tage nach der Wahl erzählt.
Dafür, daß bei der Wahl selbst keine Teilung in ein geistliches und
weltliches Kollegium bestand und überhaupt kein Skrutinium staltfand, bietet
gerade die anschauliche Schilderung der rorausgehendeu cap. 4 bis C einen
kaum widerlegbaren Beweis.
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161
in ein geistliches und ein weltliches Wahlkollegium wissen wir
Sicheres uur bezüglich der Wahl Konrads II. (1024); möglicherweise
war sie auch (1077) bei der Wahl Rudolfs von Schwaben vorhanden *).
Jedenfalls kann im 12. Jahrhundert davon keine Rede sein; und
vollends in der ersten Hälfte des 1 3., der eigentlichen Entstehungs-
zeit des Kurfürstentums, waren die Wählerversammlungen so
schwach besucht, daß das Fungieren zweier Skrutatorenkollegien
innerhalb gesonderter Wählerkurien geradezu widersinnig erscheint *).
Wie übrigens die zwei Skrutatorenkollegien zu einem einheit-
lichen Wahlkolleginm zusammengewachsen sein sollen, ist un-
unerfindlich.
Was nun die positive Seite des Problems anlangt, so ist es
gänzlich unrichtig, wenn Mayer (Zeitschr. d. Sav.-Stift. f. Rechtsg.
XXIII 57) behauptet, daß sich im alten deutschen Wahlrecht
kein Anknüpfungspunkt für die Entstehung des Kurfürstenkollegiums
findet. Eine kurze Untersuchung der Königswahlen ergibt das Gegen-
teil und vervollständigt dadurch die Widerlegung der Mayer’schen
Hypothese. Indem wir an diese Untersuchung herantreten, ist zu-
nächst als sicheres Resultat aller bisherigen Untersuchungen über
die Königswahlen die fortschreitende Einengung des Wählerkreises
festzustellen: die Wahl Konrads II. (1024) war die letzte, an der
zweifellos noch das Volk teilnahm, die Wahl Konrads IV. (1237)
die erste, an der bestimmt nur Mitglieder des jüngeren Reichs-
fürstenstandes, die Wahl Richards von Kornwall (1257) die erste,
an der bestimmt nur Kurfürsten teilnahmen J). Weiter verweise
') Vgl. bezüglich der Wahl von 1024 die Belege bei Maurenbrecher
a. a. 0. (vgl. oben 8. 11 Antn. 1) SS. 89 ff.: die Hauptquelle ist Wiponia
Vita Chnonradi, cap. 2 (MG. SS. XI 25 7 88.). Was die Wahl von 1077 anlangt,
so wird die Trennung in zwei Wahlkollegien(wcnigstena bei den Vorberatungen)
ausdrücklich bezeugt in Bertholdi Annales ad a. 1077 (MG. SS. V 292),
w&hrend Brunn, l)e bello Saionicn, cap. 91 (ibidem V 365), dagegen zu
sprechen scheint: im allgemeinen vgl. über diese Wahl Maurenbrecher,
a. a. 0. SS. 115 ff.
’) Vgl. die Nachweise für die einzelnen Wahlen bei Maurenbrecher
a. a. 0. im VIII. und IX. Abschnitt (SS. 209 ff.).
*) Vgl. bezüglich der Wahl von 1024 oben Anm. 1, von 1287 unten
SS. 173 f., von 1257 unten SS. 176 f. Gelegentlich wird übrigens auch nach
1024 von einer Teilnahme des Volkes gesprochen; so in Bertholdi Anuales ad
a. 1077 (vgl. oben Anm. 1) und bezüglich der Deaignation Heinrichs 111. (1028)
in Wiponis Vita Chuonradi (MG. SS. XI 267 et 268)
HugelmsDn, Die deutsche Küuigswihl 11
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162
ich auf das schon oben (S. 150)1) rekapitulierte Resultat be-
züglich der Königswahlen bis 1198, bei denen sehr häutig zu
bemerken ist, daß nach Erzielung einer materiellen Einigung ein
engerer Wfthlerkreis (oder auch ein einziger Wähler) die solenne
electio vornimmt, während die übrigen auf eine Art Vollwort be-
schränkt sind. Der Eigenschaft eines solchen Elektorenkollegiums
entspricht nun bis ins Detail die Rolle, welche noch der Sachsen-
spiegel den späteren Kurfürsten zuweist2). Die Frage nach der
Entstehung des Kurfürstenkollegiums löst sich also in die doppelte
Untersuchung auf, 1 .) wie gerade die späteren Kurfürsten zu einem
Recht auf die Funktion als elector gekommen sind, 2.) wie sich
dieses Recht in ein ausschließliches Wahlrecht verwandelte.
') Vgl. auch oben S. 17 Anm. 1.
*) Ssp. Landr. III 57 § 2: In des keiters köre sal der erste sin der
bisehof von Megense , der andere der von Triere, der dirte der von Keine . Under
den leien ist der erste an me küre der phalans-greve von me Rine, des richet truelst-
seze ; der andere der herzoge von Saehsen , der marsehalk ; der dirte der tttarggrdve
von Brandenburg, des rlehes kemerer. Der sehenke des riehes , der küng von Bohemen
en hat nieheine kure , nmbe das, das her nieh düseh en ist, Sint kiesen des riehes
vürsten alte, pfafftn und leien. Die zu me ersten anme kure gemtanl sint, die
en suln nieht kiesen nah irme suiitzriUen : zoen Stoen die vürsten alle su kunge er
Wien, den suln sie aller erst bie nässten kiesen. Eine unbefangene Interpretation
der Stelle führt zu folgenden Ergebnissen: 1.) Die Wahl im weitern Sinne
zerfällt in zwei Phasen, die Wahl im engeren Sinne (ersoeten) und die Knr
(kiesen)-, beide werden von der ganzen Fürsten Versandung, nicht in zwei
gesonderten Kollegien (die vürsten a/te, pfa/fen ttmi leien) vorgenonunen.
2.) Die Wahl ist auf dem Prinzip der Einstimmigkeit aufgebaut : erst
wenn eine faktische Einigung erzielt ist (steten die vürsten alle ztt kunge er-
Wien), wird zur Kur geschritten. 3.) Hei der Kur fällt eine besondere
Aufgabe den Kurfürsten zu: sie kiesen aller erst bie namen-, nach ihnen
kiesen des riehes vürsten alU. Nur die Kurfürsten, welche zuerst kiesen,
müssen namentlich kiesen: ihre Aufgabe ist es, die formelle Kurfonnel
zu sprechen, der sich dann die. anderen Fürsten als Umstand mit ihrem
Vollwort anschließen. — Die Aufgabe, als Wahlzeugen gegenüber dem Papste
zu fungieren, welche der Auctnr vetus de beneliciis und das Eehenrccht
des Sachsenspiegels den Kurfürsten zuweisen, mag als ein Zeichen dafür
von Bedeutung sein, daß der mittelalterlichen Auffassung die Behandlung
der Kflnigswahl als eines Wahlurteils nicht fremd war. Bei der wirk-
lichen Enstchuug des Kurfürstenkollegiums spielte diese Funktion keine
Holle, da ihre tatsächtliche Übung durch die Kurfürsten (wie Meister,
Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert
[Meisters Grundriss der Geschichtswissenschaft TI 3] S. 120, richtig bemerkt)
nicht nachweisbar ist. Vgl. auch oben S. 156 Anm. 2.
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163
Was zunächst die erste Frage anlangt, so lassen 9ich für eine
Reihe von späteren Kurfürsten bis in die älteste Zeit besondere
Vorrechte bei der Wahl nachweisen. Bezüglich der Erzbischöfe
von Mainz und Köln, glaube ich, dies bereits an andern Orte
getan zu habend- Fassen wir den Usus, soweit sich ein solcher
bereits um die Mitte des 11. Jahrhunderts herausgebildet hatte,
zusammen: „Der Mainzer Erzbischof genoß gewisse, allerdings
noch nicht fest umschriebene Vorrechte; er sprach, soferne nicht
der Vater des zu wählenden Königs noch lebte, allein oder
wenigstens an erster Stelle den Kurspruch; in dem Recht, den
König zu krönen, wurde er eben damals durch den Erzbischof
von Köln verdrängt“. Daß die Reichsverweserschaft dem Mainzer
zustand, berichtet uns bereits Lambert von Hersfeld2); daraus er-
klärt sich wohl auch das wiederholt von ihm in Anspruch genommene
Recht der Wahlausschreibung. Vom Erzbischof von Trier, welcher
in früherer Zeit bei der Inthronisation hervorgetreten war, hören
wir 1138, daß er bei der Wahl das entscheidende Wort sprach
und ein Mitwirkungsrecht bei der Krönung durchsetzte 3). Es
entsprach eine derartige hervorragende Bedeutung wohl auch
der allgemeinen politischen Stellung der drei mächtigen Erz-
bischöfe, von denen zwei damals schon Erzkanzler des Reiches
waren. Bezüglich der weltlichen Kurfürsten wissen wir wenigstens,
was den Pfalzgrafen anlangt, daß 1077 der Franken-Herzog, an
dessen Stelle ja später der Pfalzgraf trat, als erster der weltlichen
Elektoren die Wahlformel gesprochen hat4); auch batte der Pfalz-
*) Mitt. d. Inst. f. Oaterr. Geschf. XXVII 322 ff., woher auch das fol-
gende Zitat genommen ist.
*) I.aniperti Hersf. Annales ad a. 1054 (SS. rer. Germ., Lamperti Mo-
nachi Hersf. opera, pag. 6G).
3) Die Teilnahme an der Krönung iat um so bedeutsamer, da sich der
energische Albere in diese Funktion mit dem päpstlichen Legaten teilte. Ob der
formelle Wahlvorschlag von Albero oder vom Legaten ausgegangen war, bleibt
zweifelhaft: Ottonis episc. Fris. Obrem. 1. VII cap. 22 (MG. SS. XX 2G0) und
Annalca Magdeb. ad a. 1138 (MG. SS. XVI 186) apreeben für letzteren, Geata
Alberonia archiep. (auctore Balderico) cap. 15 (MG. SS. VIII 252) und Anualea
Col. Max. I. ad a 1138 (MG. SS. XVII 758) für erateren. Vgl. im allge-
meinen Bernhardi, Jahrbücher der Deutschen Geachichte unter Konrad III.
(1883) SS. 9 bis 20, 38 bia 45 und 49 bia 53.
4) Vgl. oben S. 1G1 Anm. 1. Auf daa hier berührte Moment hat hereita hin-
gewiesen Phillips, Vermischte Schriften, III. Band Wien 1860, SS. 232 f.
11*
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lß^
graf als Stellvertreter des Königs im Hofgericht eine hervorragende
politische Position.
Trotz alledem konnte im Jahre 1198 auch nur von einem
Rechte dieser Fürsten auf die Funktion von electores nicht die
Rede sein; die Übung dieses Amtes richtete sich offenbar bis
dahin nach den aus der augenblicklichen politischen Lage ent-
springenden Machtverhältnissen. Daß man nach einem Recht in
dieser Hinsicht überhaupt fragte, wurde eben durch die Doppel-
wahl des Jahres 1198’) veranlaßt. Diese Wahl wurde unter ganz
exzeptionellen Umständen vorgenommen. Die politischen Verhält-
nisse waren äußerst kompliziert: der bereits gekrönte, im zartesten
Kindesalter stehende Friedrich II. hätte in sturmbewegter Zeit
die Regierung antreten sollen; gegen ihn hatte die Opposition der
welfisch-kurialistischen Partei leichten Stand, was die Staufen ver-
anlaßte, die Kandidatur Philipps aufzustcllen und damit selbst
den Rechtsboden zu verlassen. In diesem Moment waren die
beiden angesehenen Fürsten, deren hervorragende Rolle bei der
Wahl wir soeben besprochen haben, der Erzbischof Konrad von
Mainz und der Pfalzgraf Heinrich, von Deutschland abwesend.
Es kann nach allem bisher Ausgeführten nicht wundernehmen,
daß der Kölner Erzbischof Adolf im Verein mit seinem Trierer
Kollegen die Vorbereitung der Wahl als seine Sache ansah; er
war aber der haßerfüllte Gegner der Staufen. Bereits zu Beginn
des Jahres 1198 traten die beiden rheinischen Erzbischöfe mit
einer ziemlich großen Anzahl geistlicher Fürsten in Andernach
zur Vorberatung der Wahl zusammen; von bedeutenderen welt-
lichen Fürsten war allein Bernhard von Sachsen zugegen. Es
kann auf dem Tage von Andernach kaum unbekannt geblieben
sein, daß die staufische Partei, in deren Lager die überwiegende
Zahl der Fürsten stand, ebenfalls zu einem entscheidenden Schritt
und 292 f. (in dein auch sonst heute noch sehr beachtenswerten, aber wenig
gewürdigten Aufsatz Die deutsche Kfmigswahl bis zur goldenen Bulle.)
') Vgl. bezüglich der Doppel wähl von 1198 oben SS. 43IT., in Anm. 1
zu S. 43 ist diu einschlägige Literatur verzeichnet (wo auch die Quellen-
nachweise zu finden sind). Ich verweise hier noch auf Krammers wieder-
holt bezogene Schrift Wahl und Einsetzung (vgl. oben S. 147) SS. 43 bis 53
und 97 bis 99, mit der ich in der hohen Bewertung der Dnppelwahl für
die Entstehung des Kurfürstenkollegs übereinstimuie und der ich mich hier
in vielen Einzelheiten anschließe.
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165
rüstete. Unter diesen Umständen gewinnt die Annahme an Wahr-
scheinlichkeit, daß die rheinischen Erzbischöfe ihre Teilnahme an
der Wahl schon damals als ein essentielles Erfordernis anfstellten;
sie mochten es auch als genügend ansehen, nachdem die beiden
einzigen anderen Fürsten, welchen nach ständigem Herkommen ein
Vorrang bei der Wahl zustand, von Deutschland abwesend waren.
Doch scheint es allerdings wahrscheinlich, daß man darüber ver-
handelte, ob nicht dem Herzog von Sachsen, an dessen mächtiger
Unterstützung viel gelegen war, ein gleicher Vorrang einzuräumen
sei l).
Früher, als die welfische (rheinische), machte die staufische
Partei („die Fürsten des Ostens“) den entscheidenden Schritt.
Die Gründe für das Zögern der ersteren lassen sich nur erraten:
Kandidaten-Sorgen scheinen die Hauptrolle gespielt zu haben;
nicht unwahrscheinlich scheint es, daß sie auch ihrer Sache nicht
sicher war, so lange die Stellung des Mainzers und des Pfalz-
grafen ungewiß blieb. Sei dem wie immer, jedenfalls wurde auf
einer gut besuchten Fürstenversammlung der staufischen Partei
zu Mühlhausen, an welcher von mächtigen Fürsten der oben er-
wähnte Herzog von Sachsen und der Herzog Ludwig von Bayern,
als Abgesandter der wölfischen Partei der Bischof von Münster
teilnabm, Philipp von Hohenstaufen zum König gewählt. Leider
sind wir über den formellen Vorgang bei der Wahl schlecht
unterrichtet*). Sicher wissen wir nur, daß der Erzbischof von
Magdeburg der erste an der Kur war; ihn ließ man offenbar als
den angesehensten Kirchenfürsten des Ostens in die Stelle des
abwesenden Mainzers einrücken. Darüber jedoch, ob alle an-
wesenden Fürsten die Kurformel aussprachen oder nur einige
oder nur der Magdeburger Erzbischof, dafür bieten weder das
Wahldekret noch die anderen Quellenstellen einen irgendwie
sicheren Anhaltspunkt; es kann also diese Wahl nur mit großer
') Vgl. Krauimcr, a. a. 0., SS. 97 und 98.
*) Die wichtigsten Quellen unserer Kenntnis sind abgesehen vom Wahl-
dekret (vgl. oben S. 44 Amn. 3) Chron. Montis Sereni ad a. 1198 (MG.
SS. XX11I 167), die Magdeburger Chronik (Deutsche StSdtechroniken VII,
123), Gesta episc. Haiberst. (MG. SS. XXIII 113) und Gest. Trever. Cont. IV.
(ibidem XXIV 390). Daß Erzbischof Ludolf von Magdeburg der erste an der
Kur war, sagt ausdrücklich die Magdeburger Chronik, auch Chron. Montis
Sereni spricht für sein bedeutsames Uervortreten.
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Vorsicht verwertet werden. Nicht unwahrscheinlich dünkt es mich,
dali es in Ermangelung der sozusagen sachverständigen Wahlleiter
recht formlos herging, weshalb diese Wahl auf die Weiterent-
wicklung des Rechtes keinen unmittelbaren Einfluß nahm.
Umso bedeutsamer wurde das Verhalten der rheinischen
Partei. Es ist uns mit Sicherheit überliefert, daß der Kölner
Erzbischof sofort beim Erhalt der Nachricht nicht nur den Wahl-
ort, was uns hier nicht interessiert '), sondern auch das Recht der
Wähler bemängelte. Mag die weitere Mitteilung, daß er speziell
die Abwesenheit des Mainzers und des Pfalzgrafen hervorhob,
immerhin zweifelhaft sein, so ist sie doch nicht von vornherein
unwahrscheinlich; er wollte damit eben sagen, daß ihre Abwesen-
heit nur durch seine Anwesenheit saniert werden könne. Jeden-
falls kann der Erzbischof von Köln seine Worte, wenn er sie
wirklich gesprochen hat, nur in diesem Sinne gemeint haben;
denn noch im selben Jahre 1198 schritt er zur Wahl Ottos IV.,
ohne die Rückkehr des Mainzers und des Pfalzgrafen (des Bruders
Ottos IV.) abzuwarten2). Bei dieser Wahl fehlte der Erzbischof
von Trier, doch behauptete der Kölner, sich seiner Zustimmung
versichert zu haben und auch von anderen Fürsten, was offenbar
nichts Ungewöhnliches war, zur Abstimmung ermächtigt worden
zu sein2). Oie Unterzeichnung des Wahldekrets sondert scharf
jene Wähler, welche elegerun/, von dem Grafen von Kuke, welcher
coTuiemit, was mit den bereits früher gewonnenen Anschauungen über
den Vorgang bei den Königswahlen übereinstimmt4). Wichtiger
‘) Vgl. unten SS. 180 f.
*) AU Quellen kommen außer dem Wahldekret (vgl. oben S. 44 Amn. 2
und unten Anm. 4} hauptsächlich in Betracht Chron. Montis Sereni ad a. 1 198,
tiesta cpisc. Haiberst, und Gest. Trcver. Cont. IV., welche bereits in Anm. 2 zu
S. 165 zitiert wurden, ferner Anna). Col. Mai. ad a. 1198 (MG. SS. XVII 806).
3) Schon in Mitt. d. Inst. f. öster. Geschf. XXVIII 691 habe ich, auf-
merksam gemacht durch meinen verehrten Lehrer Herrn Professor Rictscliel,
die Stimmonnbertragung als Faktor bei der Entstehung des Kurfnrsten-
kollegiums angeführt. Außer bei der Wahl Ottos IV. 1198 (Gest. Trevcr.
Oont. IV. — vgl. die vorige Anm.) ist Stimmennbertragung auf das be-
stimmteste bezeugt bei der Doppelwahl von 1257, vgl. oben 8. 154,
unten SS. 176 f. und 184 f. (daselbst Belege und Literatur).
4) Über die Unterschriften der Wähler und deren Kcihcnfolge handelt
ausführlich Harnack, Das Kurfürstenkollegium bis zur Mitte des 14. Jahr-
hunderts, Gießen 1883, SS. 19 Q'. Aus dem Text ergibt sich, daß ich mit
ihm nicht ganz nbereinstimme.
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167
aber wurde es, daß die Partei Ottos nach der Wahl sich zu
wiederholtenmalen auf die bessere Qualität ihrer Wähler berief,
inl i/ung de iure spednt electin , i/uorum inlerest regem eligere , </ui
de iure eligere deben) '). Er wurde im ersten Kapitel’) eingehend
dargelegt, wie sich die Kurie dieser Anschauung bemächtigte:
schon in der Deliberatio 3) spricht Innozenz III. von „principaliter“,
in der Bulle „Venerabilem“3) bereits von ausschließlich berechtigten
Wahlfürsten. Dabei war es otfenbar niemandem ganz klar, wer
diese bevorrechteten Fürsten seien; die Dinge waren eben im Fluß.
Sicher ist nur soviel, daß die drei Erzbischöfe und der Pfalzgraf
dazu gehörten; wenn man nur ihnen ein Vorrecht zuerkennt, so
ist die Ausdrucksweise des Papstes, daß „tot vel plures“ von ihnen
Ottos Wahl zugestimmt haben6), durchaus erklärlich, da zur Zeit
dieser Äußerung Köln und Pfalz auf Ottos, Trier auf Philipps
Seite stand, Mainz eine schwankende Haltung einnahm. Obrigens
mahnte den Papst wohl der Umstand zu vorsichtigem Ausdruck,
daß gewiß noch andere mächtige Fürsten, die nicht vor den Kopf
gestoßen werden durften, ein gleiches Vorrecht, wenn es einmal
znr Diskussion gestellt war, beanspruchten. Es wurde schon
oben (S. 165) in diesem Sinn auf Sachsen verwiesen, und es ist
mehr als wahrscheinlich, daß durch Bernhard von Sachsen,
der in Andernach mit der Theorie der rheinischen Erzbischöfe
vertraut geworden war, gelegentlich der Wahl in Mühlhausen
auch Ludwig von Bayern davon erfahren hatte. Erwägt man,
daß das Sonderbewußtsein der Stämme keineswegs erloschen
war"), so wird man begreifen, daß besonders der Sachse
nachdrücklich auf seinem Rehte bestand. Wollte man wenigstens
dieses Recht, über welches schon in Andernach verhandelt worden
sein dürfte, zugestehen, so lag die Sache für die rheinische Partei
*) Cf. ßaluzc, 1. c. (cf. oben S. 44 Anm. 7) No. 3, 5, 7, 9. Vgl. auch
I.indner, Die Deutschen Königswahlen und die Entstehung des Kur-
fürstentums, Leipzig 1893, SS. 98 f.
*) Vgl. oben SS. 68 f.
3) Vgl. oben S. 69 und S. 45 Anm. 1.
‘) Vgl. oben SS. 47, 48, 57, 69.
s) Vgl. oben S. 69.
6) Einseitig wird die Bedeutung dieses Momentes (der Stämme} betont
von l’billips, a. a. 0. (vgl. oben S. 163 Anui. 4) und (allerdings abgeschwäehtj
von Weiland, a. a. 0. (vgl. oben S. 156 Anm. 2).
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168
minder günstig, und sie mag dann wohl auf den Herzog von
Lothringen-Brabant, den Vater der Braut Ottos IV., einiges Gewicht
gelegt haben. Der Papst konnte in diesem Fall auf Seite Ottos
Köln und Pfalz, immerhin auch Mainz und eventuell Lothringen,
auf Seite Philipps Trier und Sachsen, allenfalls noch Bayern
zählen, womit seine Ausdrucksweise ebenfalls völlig übereinstimmt1).
Wie immer dem aber sei, auf keinen Fall wurden alle, welche
laut Wahldekrets „elegerunt“, zu diesem besonders, „principaliter“
berechtigten Kreise gezählt
Vergegenwärtigen wir uns nunmehr, bevor wir weiterschreiten,
knrz, was zur Behauptung eines bevorrechteten Wählerkreises
geführt hat, so erinnern wir uns zunächst des durch alten Brauch
gegebenen Vorranges von vier Fürsten, von denen wenigstens
zwei, Mainz und in gewissem Sinn auch Pfalz, eine hervorragende
Rolle als electores spielten. Die exzeptionellen Verhältnisse bei
der Doppel wähl von 1198 führten einerseits dahin, daß dieses
Recht juristisch konstruiert wurde, ohne daß man aber zu völliger
Klarheit dnrehdrang *), anderseits dahin, daß, eben infolge der
erhöhten Bedeutung des Vorranges, auch andere Fürsten mächtiger
Stämme ihn beanspruchten. Dadurch wurde die rheinische Partei,
die zunächst nur behauptet hatte, daß keine Wahl ohne An-
wesenheit wenigstens einiger bevorrechteter Wähler gütig sei,
dazu gedrängt, für eine gütige Wahl die Zustimmung der Majorität
dieser „principaliter“ berechtigten Wähler zu fordern. Nach diesen
halben Schritten war es ganz natürlich, wenn der Papst schließlich
den Unklarheiten ein Ende zu machen suchte und einfach einen
engeren Kreis von Wahlfürsten annahm. Dabei muß man sich
gegenwärtig halten, daß tatsächlich damals die Tendenz zur Ein-
schränkung des Wählerkreises vorhanden war, indem eben das
ganze Reichsregiment von dem älteren auf den jüngeren Reichs-
fürstenstand übergegangen war und bereits an den Wahlen von
1 198 nur wenige dem letzteren nicht angehörige Wähler teil-
genommen batten*). Auch die eben damals sich vollziehende
') Vgl. bereits die Darlegungen Harnacks, a. a. 0. (rgl. oben S. 132),
S. 26 ff.
*) Vgl. oben 8S. 68 ff.
*) Laut der Wabldekrete (vgl. oben S. 163 Anm. 2 und S. 166 Anm. 2)
an der Wahl Philipps warthia Moravit, marthio dt Kumtiptrc alttqut totius
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lfift
parallele Entwicklung in den Domkapiteln, deren Wahl- und Kon-
sensrecht ein ausschließliches wurde, mag fördernd gewirkt haben ').
Es ist dem Papste nicht gelungen, das ausschließliche Wahl-
recht eines engeren Fürstenkreises sofort durchzusetzen, so wenig,
daß die kanonistische Theorie selbst, wie wir im ersten Kapitel3)
gesehen haben, den Standpunkt nicht festhalten konnte. Immer-
hin ist das Vorgehen des Papstes keineswegs ohne Einfluß
geblieben, es hat die Herausbildung eines enteren Fürsten-
kreises zweifellos befördert Die Stellung des Erzbischofs von
Köln als eines „principaliter“ Berechtigten wurde scharf zur Geltung
gebracht, als er 1205 anf Philipps Seite trat; dieser mußte sich
vor der Krönung einer Neuwahl unter der Leitung des Kölners
unterziehen, dessen Zustimmung somit leicht als essentielles Er-
fordernis erscheinen konnte’) (auch Lothringen tritt bei dieser Wahl
noch einmal hervor). Ebeuso verlangte und erreichte 1208, als
Otto IV. nach Philipps Tod allgemein anerkannt wurde, Bernhard
von Sachsen eine Neuwahl, bei der er die führende Rolle gespielt
haben muß4) (der erste an der Kur war allerdings wieder der
Erzbischof von Magdeburg, außerdem treten der Markgraf von Meißen
und der Landgraf von Thüringen hervor). Doch haben in beiden
Fällen auch nicht bevorrechtete Wähler, vielleicht sogar solche,
die nicht zum jüngeren Reichsfürstenstand gehörten, an der Wahl
teilgenommen. Ob einzelne darunter als electores (im technischen
Sinn) fungierten, können wir auf Grund der erhaltenen Nachrichten
nicht mit Bestimmtheit entscheiden. Ober die Wahl Friedrichs II.
(1212) ’) wissen wir leider fast gar nichts. Bei der Designation
AUnmtmit nobiUs (wenigstens durch nachträgliche Anerkennung auf dem
Kuichstag von Nürnberg), an der Wahl Ottos IV. ffem-icus comts de A'uke.
') Diesen Prozeß in dun Domkapiteln behandelt ausführlich v. Bo low,
Die Entstehung des ausschließlichen Wahlrechts der Domkapitel, Leipzig 1883,
Rist. Studien 1 1. Heft.
3) Vgl. oben SS. 69 IT.
J) Vgl. bezüglich der Quellen Rodenberg, Über wiederholte deutsche
Königswahlcn im 12. und 13. Jahrhundert (Gierkes Untersuchungen, 28),
SS. 6 ff.
4) Diese Wahl behandelt ziemlich ansführlich Lindner, a. a. 0. (vgl.
oben S. 167 Anm. 1) SS. 110 ff., auf welche Darstellung, ohne sie mir zu
eigen zu machen, ich bezüglich der Belege verweise.
5) Vgl. Lindner, &. a. O. SS. 113 f. Ich stimme Lindner bei in
der Auslegung des Briefes Friedrichs 11., aus welchem Quidde, a. a. 0.
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170
Heinrichs (1220) fungierte, wie wir oben (S 149) bereits gesehen
haben, nur ein elector (im technischen Sinne), und zwar gewisser-
maßen als Stellvertreter des kaiserlichen Vaters, was bei einer De-
signation dem alten Brauch entsprach; daß nicht nur Mitglieder des
jüngeren Reichsfürstenstandes beteiligt waren, scheint (nach einer
sofort zu nennenden Quelle) wahrscheinlich, jedenfalls wählten
nicht ausschließlich die 1198 in den Vordergrund gerückten
Fürsten. Wenn diese Designation ganz in den Formen des alten
Herkommens vorgenommen wurde, so kommt doch der 1198 durch-
gedrungene Standpunkt „principaliter“ berechtigter Wähler darin
zum Ausdruck, daß sich der Hofkanzler in einem Schreiben nach
Rom auf die eota tarn electarum , quam etiam omnium prineijmm
et nnbilum beruft1).
In diese gärende Zeit nun fällt die Abfassung des Sachsen-
spiegels2). Seine Theorie stellt aus den sich kreuzenden Ansichten
und Interessen sozusagen die mittlere Linie dar*); sie ist eine
(vgl. oben S. 156 Anm. 2) S. 45, und l'annert, a. a. 0. (vgl. oben
8. 156 Anm. 2) S. 31, darauf geschlossen hatten, daß 1212 der Böbmenkönig
ein Vors tim in recht ausgeübt habe. Nur soviel läßt sich also aus dem Briefe
schließen, daß der Bühuicnkünig 1212 Wähler war; die tatsächliche Aus-
übung eines bevorzugten Wahlrechtes durch Böhmen ist vor 1237 (vgl. unten
88. 173 f.) nicht nachweisbar.
') Per Brief ist gedruckt in MG.. Ep. saec. XIII, I No. 127. Ausführlich
handelt darüber Lindner, a. a. O. (vgl. oben 8. 167 Anm. 1) S8. 115 ff. Ich
kann I.indncrs Ausführungen, so scharfsinnig sie sind, nicht beiptlichten. Mir
scheint es sehr wahrscheinlich, daß inan die Giltigkeit der Wahl sowohl nach
altem als nach neuem (von Innozenz III. behauptetem) liecht betonen wollte:
das letztere forderte aber speziell die Zustimmung bestimmter Wahlfürsten
als essentiale negotii. Leider können wir nicht feststellen, welche von den
nach der Poppelwahl von 1138 hervorgetretenen Wählern tatsächlich mit-
wähltcn ; als electores im technischen Sinn fungierten sie, wie gesagt, nicht.
Die Wahl von 1220 ist ein typisches Beispiel dafür, wie in Übergangszeiten
von altem zu neuem liecht wichtige Rechtsakte, um sio gegen jede An-
fechtung zu schützen, unter beide Rechte subsumiert werden.
*) Über Ausgaben des Sachsenspiegels und einschlägige Literatur vgl.
Schröder, a. a. 0. (vgl. oben 8. 7 Anm. 1) § 53, SS. 680 ff. (bes. die ein-
leitende Literatur-Übersicht und Anm. 4 ff. auf 8. 680). Ich füge noch bei Gut-
jahr: Zur Schriftsprache Eykes von Rcpgowe, Progr. Leipzig- Lindenau 1905.
*) Die größte Bedeutung legt dem Sachsenspiegel für die Entstehung
des Kurfürstenkollegiums bei Maurcnbrecbcr, a. a. 0. (vgl. oben S. 11
Anm. 1) 88. 227 ff. Wie unsere Darstellung gezeigt haben dürfte, bat sich
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Kombination der verschiedenen Theorien, die in dieser Zeit des Auf-
schwungs der juristischen Literatur begreiflicher Weise wie Pilze in
die Höhe geschossen waren1). Er erkennt ein Wahlrecht nur mehr
den Reichsfürsten im engeren Sinne zu, deren Stellung unterdessen
ja tatsächlich durch die Friderizianischen Privilegien (1220, 1232)
eine gefestigte und abgeschlossene geworden war1). Unter ihnen
räumt er nun einzelnen Fürsten ein besonderes Wahlrecht ein,
welches er aber im Anschlnß an alten deutschen Brauch konstruiert;
seine Theorie viel mehr, als Maurenbrechcr meint, an die gegebenen Ver-
hältnisse angeschlosscn. Näber kommt unserer [ Darstellung Krainmer,
Wahl und Einsetzung (vgl. oben S. 147) SS. 54 und 99: nur legt or auf die
Erzürnter viel zu viel Gewicht (vgl. unten S. 172 bea. Anm. 1) und betont
zu wenig die Funktion der Kurfürsten als electores. — Von Schriftstellern,
welche sich mit dem Verhältnis des Sachenspiegcls zur Königswahl früher
befaßten, seien genannt: llomeyer, l»as Verhältnis des Schwabenspiegels
zum Sachsenspiegel, SS. 35 ff.: Ficker, liber die Kntstchungszeit des
Sachsenspiegels, Innsbruck 1859, SS. 99 ff.: Schuster, Beiträge zur Aus-
legung des Sachsenspiegels, Mitt. d. Inst. f. österr. Gcschf. III 392 ff.
Weitere Literaturangaben bringt Maurenbrecher, a. a. O. S. 228 Anm. 1.
*) Über die Wahltheorien handelt ausführlich Lindnor, a. a. O. (vgl.
oben S. 1 67 Anm. 1) SS. 183 ff. Erhalten sind uns allerdings nur zwei, die älter
sind als der Sachsenspiegel : der Engländer Hoger von Hovedcn, welcher um
1198 den Erzbischöfen von Köln und Mainz, dem Herzog von Sachsen und
dem Pfalzgrafen ein sehr bevorzugtes Wahlrecht zuschreibt; ferner das
Baseler Fürstenverzeichnis aus dein Beginne des 13. Jahrhunderts, welches
den Pfaizgrafen als summus in thetiont imperatoris bezeichnet. Daß dies
aber nicht dio einzigen tatsächlich im Umlauf befindlichen Theorien waren,
zeigt wohl schon die bunte, widerspruchsvolle Fülle aus der späteren Zeit.
Unter diesen spätoren Theorien seien nur einige erwähnt: Aegidius von Orval
(vor 1251), welcher die Einsetzung der Kurfürsten auf Karl den Großen und
Papst Leo III. zurückführt, nennt als erster die späteren Kurfürsten ohne
jeden Zusatz oder Vorbehalt (Treverensis, Moguntinus , Colcnunsis arrhitpucopus,
tnarchio Brandenburgtnsit , dux Saxonit , comti Palatums Reni, dux Boemit)
als ausschließliche Wähler: der Kardinal Heinrich von 8egusia gibt dem
Böhmenkönig nur für den Fall der Stimmengleichheit das Entscheidungs-
recht (vgl. oben S. 111); dreimal begegnen wir auch dem dux Austriae in
Wählerlisten, und zwar zweimal bei dem Engländer Mathacus von Paris
(um 1257) und dann bei dem noch späteren, ebenfalls englischen Schrift-
steller Thomas Wikes, in dessen Aufzählung der Böhmenkönig und der
Pfalzgraf fehlen und außer dem Herzog von Österreich auch der von Bayern
genannt ist. Bezüglich aller näheren Belege verweise ich auf Lindner; die
Theorie der jüngeren Recbtsbficher siehe unten S. 182 Anm. 2.
*) Vgl. Schröder, a. a. 0. (vgl. oben S. 7 Anm. 1) S. 590.
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sie sollen den König „aller erst bie namen“ kiesen, d. h. die
feierliche Kurformel sprechen, wahrend die anderen bei der Kur
auf das Vollwort, die laudatio, den Konsens beschränkt sind.
Unter den bevorrechteten Fürsten finden wir zunächst jene vier,
deren Vorrecht schon 1198 am sichersten fundiert war: die drei
rheinischen Erzbischöfe und den Pfalzgrafen. Was die übrigen
anlangt, begegnen wir nur dem Herzog von Sachsen wieder. Das
Fehlen des Herzogs von Lothringen, dessen Anspruch, sofern er
überhaupt geltend gemacht worden war, in den politischen Ver-
hältnissen am wenigsten begründet war, kann nicht auffallen. Die
einzige Neuerung im eigentlichen Sinn ist das Erscheinen des
Markgrafen von Brandenburg, während das scheinbar viel näher
liegende Bayern fehlt Die Erklärung ist wohl in erster Linie in
der Person des Verfassers zu suchen: Eike lag eben, welcher An-
sicht bezüglich seiner Lebensstellung man sich auch anschließen
mag, der Brandenburger, dessen Ansehen überdies vor kurzem
durch Übertragung eines Erzamts bedeutend gestiegen war1),
gewiß näher als der Bayernherzog. Außerdem scheint eine
der herrschenden Theorien das Kuramt mit dem Erzamt ver-
knüpft zu haben; Eike allerdings lehnt diese Theorie mit der
Begründung ab, daß einer der Erzbeamten, der König von
Böhmen, als Nichtdeutscher überhaupt kein Wahlrecht habe. Als
äußerst wichtiges Moment kommt auch in Betracht, daß seit
■) Nur »Is untergeordnetes Moment wird m. E. die Bedeutung des
Krzamts zu verwerten sein. Die meisten Forscher gehen allerdings viel
weiter und sehen das Erzamt als die wesentliche Grundlage des bevor-
zugten Wahlrechts (beziehungsweise Vorstimmrechts) au: so Waitz,
u. a. in der Abhandlung Die Reichstage zu Frankfurt und Würzburg 1208
und 1209 und die Kurfürsten, Forschungen zur Deutschen Geschichte,
XIII 199 fl.: Schröder, a. a. 0. S. 476: Brunner, Grundzüge der deutschen
Bechtsgoschichte, 2. Aull. § 33: Redlich, Rudolf von Habsburg, Innsbruck
1903, SS. 137 ff.: Krimmer, Wahl und Einsetzung (vgl. oben S. 147, ferner
S. 164 Anm. 1). Seeliger in der 2. Aufl. von Waitz, Verfassungsgeschichto,
VI. Band, SS. 332 ff., bringt die Erzürnter in enge Beziehung zu den Stammes-
horzogtümern, womit ein Übergang zu der oben S. 167 Anm. 6 berührten
Theorie gegeben wäre. Der entschiedenste Bekämpfcr der Erzämter-Theorie
ist Haedicke, Kurrecht und Erzamt der Laienfürsten, Programm von Schul-
l’forta 1872 (worauf Waitz in obiger Abhandlung antwortete). Eine Mittel-
stellung nimmt ein Meister, a. a. 0. (vgl. oben S. 162 Anm. 2) SS. 118 f.
ErBt Albert von Stade gründet das Kurrecht auf das Erzamt (Annales
Sud. ad. a. 1240, MG. SS. XVI 367). Vgl. auch obon S. 111.
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1215 die Pfalz und Bayern in einer Hand vereinigt waren, des
letzteren Kurrecht also nicht sinnenfällig zum Ausdruck kam1).
Von dem nunmehr gewonnenen Standpunkt aus, glaube ich,
läßt sich die bisher verkannte *), ganz außerordentliche Bedeutung
ermessen, welche der Wahl Konrads IV., die im Jahre 1237 in
Wien vorgenommen wurde, zukomramt. Wir haben über diese
Wahl fast gar keine Nachrichten in den gleichzeitigen Quellen3),
doch kaun über Art und Zeit sowie über die Wähler kein Zweifel
obwalten, da uns das Wahldekret4) erhalten ist. Es sind, wie
wir daraus entnehmen, an der Wahl ausschließlich Mitglieder des
jüngeren Keichsfürstenstandes beteiligt gewesen, womit für die
Aussonderung eines engeren Fürstenkreises eine feste Voraus-
setzung gegeben war. Es dürfte überdies die erste Wahl ge-
wesen sein, bei welcher den Wühlern bereits die Bestimmungen
des Sachsenspiegels Vorlagen. Daß es sich eigentlich um eine
Designation handelte, mochte einerseits deshalb weniger ins Gewicht
fallen, da die Macht des Kaisers keine überragende war5), ander-
seits dürften eben die Bestimmungen des Sachsenspiegels nicht
ohne Wirkung geblieben sein. Wenigstens berichtet uns unsere
einzige ausführlichere Quelle, die sehr verläßlichen Annales Marbac.
ad a. 1237 6), über die Wahl in einer Art, die uns aufs deutlichste den
Vorgang des Sachsenspiegels wiedererkennen läßt. Die Stelle, auf
deren besondere Glaubwürdigkeit übrigens schon oben (SS. 1 49 f.)
verwiesen wurde, lautet: Quem elegerunt archiepitcopi Moguntinu »
>) Vgl. Itiezlcr, Geschichte Bayerns, II. Baml Gutlia 1880, S. 45;
ferner Phillips, a. a. 0. (vgl. eben S. 1C3 Amn. 4) 8. 323.
*) EinigcrmaUcn gerecht werden der Wahl, soweit ich sehe, nur
Ficker, a. a. 0. (vgl. oben S. 170 Amn. 3) S. IOC f., W eilend, n. a. 0. (vgl.
oben S. 15C Amn. 2) S. 330, und yuidde, a. a. 0. (vgl. oben 8. 15C Amn. 2)
SS. 33 IT., sowie Hist. Zeitschr. LI II 131.
z) Speziell in den österreichischen (Quellen finden wir über den Her-
gang der Wahl gar nichts. Dies ist leicht erklärlich, da die Wahl nach
Niederwerfung Friedrichs des Streitbaren sozusagen in Feindesland, in Wien,
vorgenomnien wurde, wo das Heer des Kaisers mit dessen Sohne Konrad zu-
sammeugetroffen war. Vgl. Vancsa, Geschichte Nieder- und Ober-Österreichs,
I. Band Gotha 1905, SS. 440 f., 404 f. (wo allerdings von der Walil selbst
nicht die Kede ist).
«) MG. Lege» II 322.
*) Vgl. Loserth, a. n. 0. (vgl. oben S. 43 Amn. 1) SS. HM f.
*) Vgl. oben S. 150 Anm. 2.
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174
et Treverensis et re.r Roemie et duz Ravarie qui et palatinu*
eornes Rheni , corwentientibus ceteris principibu «, qui aderant, tarnen
pauris. Der Erzbischof von Köln, der Herzog von Sachsen und
der Markgraf von Brandenburg waren in Wien nicht anwesend;
soweit sie aber in Wien anwesend waren, fungierten die vom
Sachsenspiegel bezeichneten Fürsten tatsächlich als electores.
Ein Unterschied gegenüber dem Sachsenspiegel liegt nur darin,
daß dem König von Böhmen, dem treuen Freunde des Kaisers, ein
gleicher Vorrang eingeräumt wurde; ob Bayern ebenfalls unter
die bevorrechteten Wähler gehört, blieb bei der Sachlage un-
entschieden. Das Wahldekret steht mit der Nachricht der Annales
Marbac. durchaus nicht, wie Harnack1) meint, im Widerspruch;
wenigstens finden sich in kirchlichen Wahldekreten die Ausdrücke
„vota conferre“ und „eligere“ häufig zur Bezeichnung der beiden
Stadien der Wahlhandlung1). Wir können also annehmen, daß
im Jahre 1237 das spätere Kurfürstenkollegium inklusive den
König von Böhmen , der ja ein besonders eifriger Anhänger
Friedrichs II. war, tatsächlich jene Funktion übte, die ihm der
Sachsenspiegel zuwies, insofern dies eben alle jene Kurfürsten
taten, die überhaupt anwesend waren. Nebenbei sei bemerkt,
daß die W'ahl auch den weitergehenden Ansprüchen der Bulle
„Venerabilem“ genügt hätte, da bei Mitzählung des Böhmenkönigs
die Majorität der Kurfürsten ihr zugestimmt hatte.
Was wir nun von den weiteren Wahlen wissen, zeigt uns,
daß sich zunächst der Vorrang der Kurfürsten dahin konsolidierte,
daß ihnen einerseits die Funktion von electores zukam und daß
anderseits ihre Zustimmung nötig war, um die Wahl unanfechtbar
zu machen. Die Wahl Heinrich Raspes, des Landgrafen von
Thüringen (1246), ist allerdings in vollstes Dunkel gehüllt, wir
wissen über den Hergang bei derselben gar nichts’). Auffallend
ist nur der Umstand, daß bei dieser Wahl von päpstlicher Seite
’) A. a. 0. (vgl. oben S. 132) S. 39, bes. Anm. 1.
*) Vgl. v. Wretscliko, Deutsche Zeitschr. f. Kirchcnr. XI 345 Anm. 1
(vgl. oben S. 146).
*) Vgl. über diese Wahl Lindner, a. a. 0. (vgl. oben S. 167 Anm. 1),
XIX. Abschnitt (SS. 123 ff.), fernerReuß, Die Wahl Heinrich Raspes, Progr.
Lüdenscheid 1878. Über die der Wahl vorausgegangene Absetzung Fried-
richs II. und den Wahlvorschlag des Papstes wurde im I. Kapitel (SS. 53 und
109 ff., bes. S. 53 Anm. 2 und S. 111 Anm. 2) gehandelt.
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175
kein Gewicht auf das ausschließliche oder auch nur bevorzugte
Wahlrecht einzelner Fürsten gelegt wurde1); man sah offenbar
voraus, daß bei der damaligen politischen Lage dies nicht den
kirchlichen Interessen entsprochen hätte, fanden sich doch von den
Kurfürsten nur die Erzbischöfe von Mainz und Köln zur Wahl
ein. Die Wahl konnte aber auch für die Fortentwicklung des
Rechts nicht von Bedeutung sein, weil der „Gewählte“ nicht im
geringsten sich durchzusetzen vermochte und — infolge seines
frühen Todes — der politische Kampf gar nicht zur vollen Ent-
faltung kam. Vom nächsten Gegenkönig, Wilhelm von Holland,
aber erfahren wir, daß er (1247) von Fürsten, die an der Königs-
wahl ein Recht haben, unter Zustimmung anderer gewählt wurde*);
die Wähler sind offenbar die drei rheinischen Erzbischöfe. Als
nun einige Städte ihre Unterwerfung verweigerten, quod nobiles
jrrincipes dux Saxonie et marchio Hrandenlmrgensis , qui vocem
habe nt in electione predicta , electioni non comemerant3), unterzog
sich Wilhelm auf dem Braunschweiger Reichstag (1252) einer
Nachwahl durch die genannten beiden Fürsten, der auch der
König von Böhmen zustimmte *). Hierauf wurde das Weistum ge-
funden, daß der rex Romanorum ex t/uo electu# in concordiu eandem
poteetutem Ziabet quam Imperator . . . i). Wir können hier auf
') MO., Ep. saec. XIII., II No. 1 20 et 121 159 s. Ich stimme bezüglich
dieser Schreiben im wesentlichen den Ausführungen I.indncrs bei.
*) Potthast, Hog. Pont., 12734: MO., Const. (Log. Sectio IV.) II,
No. 352. Vgl. zum folgenden Krimmer, Wahl und Einsetzung (Tgl. oben
S. 147), SS. 54 ff.
s) MO., Const. (Leg. Sectio IV.) II, No. 459.
*) Lindner, a. a. 0. (XX. Abschnitt SS. 127 IT.), verhält sich diesen
Nachrichten gegenüber (Hauptquelle sind die Erfurter Annalen, MO. SS. XVI
38 et) sehr skeptisch. Nun ist ja gewiß richtig, daß an der Sache vieles
dunkel bleibt, insbesondere das gänzliche Zurücktreten des Pfalzgrafen (auch
die Zustimmung des Hnhmcnkonigs bleibt zweifelhaft). Trotzdem glaube
ich aus der Haltung der Städte, der Nachwahl und dein Hraunschweiger
Weistum im Zusammenhang mit Krimmer u. a. (vgl. oben Anm. 2, bei
Krammer die weitere Literatur) schließen zu dürfen, dall sich die Reehts-
anschnuung vom ius principalc einzelner Wähler, wie es im Text gefaßt ist,
durchgesetzt hatte. Daß auch andere Wähler mitwählten, wird durch
obige Darstellung nicht geleugnet; nur daß die Zustimmung bestimmter
Wahlfürstcn als essentiale erschien, wird behauptet.
5) Zeurncr, Ein Reichsweistum über die Wirkungen der Königswahl
aus dem Jahre 1252, Neues Archiv d. Oeselisch, f. ältere deutsche Gescb.,
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176
den auch im übrigen höchst interessanten Rechtssatz des näheren
nicht eingchen; aber es scheint, daß man die Wahl, nachdem ihr
die Kurfürsten zugestimmt hatten, als concors und daher allgemein
verbindlich betrachtete, was auch 1255 Papst Alexander IV. ent-
schieden zum Ausdruck bringt1)- Damit war das Konsensrecht
der übrigen Fürsten praktisch fast belanglos geworden; von dem
unter Zwang politischer Kämpfe ans altem Brauch geborenen ins
principale zn einem ius exclusivum war nur mehr ein Schritt
Er vollzog sich umso leichter bei dem raschen Zusammenschmelzen
des jüngeren Reichsfürstenstandes *), dessen Befugnisse, Königswahl
und Konsensrecht zu den Regierungshandlungen, analog der Ent-
wicklung in den Domkapiteln3) auf das Kurfürstenkollegium über-
gingen4). Bereits im Jahre 1257 wurde Richard von Kornwall
von Kurfürsten gewählt, welche überdies behaupteten, daß die
ausgebliebenen Kurfürsten ihr Wahlrecht verwirkt hätten8); auch
die Wähler Alfons’ leugneten nicht mehr das ausschließliche Wahl-
recht der Kurfürsten, sondern betonten nur, daß sie die Majorität
der Kurfürsten darstellen4). Hiemit war der Streit auf ein
XXX (1904) 40') IV. Dieser Aufsatz ist für uns nueh deshalb von Interesse,
weil er bei der Erschließung dieses Weistums von der oben S. 128 mit-
geteilten Stelle aus der Lectura sive apparatus super quinque libris decre-
taliuui des Hustiensis nusgeht.
*) Böhmer — Kicker — Winkelmann, Heg. Imp., 9008 et 9009.
*) Vgl. oben SS. 158 f. Schon lange vor Ernst Mayer hat Kicker auf
dieses Moment hingewiesen in dem glänzenden Aufsatz Fürstliche Wille-
briefe und Mitbesicgelungen, Mitt. d. Inst. f. österr. Geschf. III 1 ff.
5) Vgl. oben SS. 168 und 169, bos. Anm. 1 zu S. 169.
*) Diese zweite Seite der Entwicklung des Kurfnrstenkollegiums hat
kräftig betont Kicker in dem (Anm. 2) genannten Aufsatz, auf welchen
Redlich, Rudolf von Habsburg, Innsbruck 1903, S. 139 Anm. 1, neuerlich
hingewiesen hat. Vgl. auch die Aufsätze von I.amp recht. Die Entstehung
der Willebriefe und die Revindikation des Reichsguts unter Rudolf v. Habs-
burg und Zur Vorgeschichte des Konsensrechts der Kurfürsten , Forschungen
zur Deutschen Geschichte XXI 1 ff. u. XXIII 63 ff.
s) Vgl. über die Doppelwahl von 1257 Lindncr, a. a. 0.(vgl. oben S. 167
Anm. I) XXII. Abschnitt (SS. 147 ff.), wo ihr allerdings eine nicht nur die
Entwicklung abschließende, sondern bahnbrechende Bedeutung zugeschrieben
wird. Die m. E. maßgebende Quelle ist die Bulle „Qui celum“ vom 27. August
1263 (MG., Ep. saec. XIII., III No. 560), welche dun Rechtsstandpunkt
beider Parteien darlegt (vgl. unten S. 177). Der Standpunkt der Partei
Richards daselbst cap. 4.
*) L. c. (Qui celum, cf. vorige Anm.) cap. 5.
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177
ein anderes Terrain gerückt, welches wir im Folgenden kurz über-
blicken wollen; die eine Ursache der Doppelwahlen, die Unsicherheit
des aktiven Wahlrechts, war beseitigt, es handelte sich nunmehr
noch um die Durchsetzung der unitas actus und des Majoritätsprinzips.
Wir werden uns bei dessen Besprechung mit der Bulle „Qui celum“
vom Jahre 1263 zu befassen haben; hier sei nur erwähnt,
daß dieselbe, die Entwicklung abschließend, auch das
ausschließliche Wahlrecht der sieben Kurfürsten, das —
wenn auch zunächst ohne Bezeichnung bestimmter Fürsten —
zuerst von päpstlicher Seite behauptet, allerdings im
weiteren Verlauf nicht konsequent festgehalten worden
war, als unanfechtbaren Rechtssatz feststellt1). Das
Papsttum hat sich mit ihr ein unleugbares, großes Verdienst um
die Entwicklung des deutschen Staatsrechts erworben’). Daß
aber das Kur fürsten kol legium3) ohne Anknüpfung an altes
') Vgl. oben SS. 167 ff., ferner 176 Amn. 5.
a) In der Bulle „Qui celum" hat ein so namhafter Forscher, wie Lorenz,
Deutsche Geschichte im 13. und 14. Jahrhundert, I. Band Wien 1863, SS. 219 ff.,
geradezu die Einsetzung des Kurfürstenkollegiums erblickt, die er als ein
schweres Verhängnis für die deutsche Geschichte auffaßt: in den Sitzungs-
berichten d. Wiener Ak. der Wisscnsch. XVII 175 ff. hat er diese Ansicht
allerdings abgeschwächt. Direkt verteidigt wurde päpstliche Einsetzung (und
zwar durch Gregor V. im Verein mit Otto III.) von Wilmanns, Die Reorgani-
sation des Kurfürstenkollegiums durch Otto IV. und Innozenz III., Berlin 1872,
und zwar soll die Reorganisation auf dem Reichstage von Würzburg 1209
erfolgt sein. Gegen Wilmanns richtet sich Langhaus, Die Fabel von der Ein-
setzung des Kurfürstenkollegiums durch Gregor V. und Otto III., Berlin 1875
(zuerst erschienen im Iglaner Programm 1874). Vgl. auch oben S. 147 Anm. 2.
3) Als letzte Theorie über die Entstehung des Kurfürstenkollegiums sei
noch erwähnt die bereits in der vorigen Anm. (Wilmanns) gestreifte Theorio von
der Einsetzung durch Reichstagsbescbluß. Rein vertreten wird die Theorie
von Schirrmachor, Die Entstehung des Kurfürstenkollegiums, Berlin 1874;
er führt die Einsetzung auf oinen angeblichen Frankfurter Reichstag 1209
zurück. Vornehmlich gegen diese Theorie richtet sich der oben S. 172 Anm. 1.
erwähnte Aufsatz von Wait z. Seither galt sie, wie die in der vorigen Anm.
besprochene Theorie, im allgemeinen als gänzlich abgetan. Doch faßt in
neuester Zeit Ernst Mayer (zuletzt Zeitschr. d. Sav.-Stift. f. Rechtsg., Germ.
Abt. XXIII 51) sein Urteil (vor allem bezüglich der letzteren Theorie) in ein
non liquet zusammen. Ein solches non liquet muß wohl auch bezüglich
der von Zeumer, Hist. Zeitschr. XCIV 211 f., behaupteten „Möglichkeit"
gelten, „daß gegen Ende 1256 durch ein nicht erhaltenes Weistum der Kreis
Ho Keimten, Die deutsche Köolgswahl 12
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178
Recht aus dem kanonischen Recht rezipiert worden wäre,
entspricht nicht der tatsächlichen Entwicklung1).
3. Das Majoritätsprinzip und die unitas actus
Schon die bisherigen Darlegungen haben wiederholt das
Majoritätsprinzip und die unitas actus berührt. Er wurde (oben
SS. 81 f.) angedeutet, daß nach altgermanischer, ins deutsche
Recht übergegangener Auffassung die Wahl nur ein persönliches
Verhältnis zwischen dem Wähler und dem Gewählten herstellt,
nur den Zustimmenden bindet. Nur der einhellig Gewählte ist
König aller Reichsgenossen, nur auf Grund einer einhelligen Wahl
kann überhaupt das Reich als einheitlicher Organismus erscheinen,
während es mit jeder Doppelwahl in zwei Genossenschaften
auseinanderfällt ’). Aus dieser rein genossenschaftlichen Organi-
sation erwuchs ganz allmählich die körperschaftliche, über die
Genossen erhob sich die Korporation. Die Feststellung bestimmter
Wälder bis zur schließlichen Ausbildung des Kurfürstenkollegiums
ist die eine Seite dieses Prozesses, auf den bereits Otto Gierke in
seinem monumentalen Werk hingewiesen hat3). Dabei ist zu be-
merken, daß erst das Kurfürstenkollegium als ein korporatives
Organ im eigentlichen Sinn erscheint: sein Wille gilt kraft
Reichsverfassung als der des Reiches, auch die Nicht-Kurfursten
bindend. Aber erst mit der Durchsetzung des Majoritätsprinzips
und der unitas actus in diesem ein Organ des Reiches darstellenden
Kollegium, welche viel rascher als die bisherige Entwicklung vor
sich ging, ist die körperschaftliche Organisation vollendet : es sind
der Kurfürsten als der ausschließlichen Wähler des Königs .... festge-
stellt“ wurde.
l) Die weitere Entwicklung des bereits ausgebildeten Kurfürsten-
kullegiuins, besonders die Streitigkeiten urn einzelne Wahlstinuncu, sind für
unser Thema nicht von unmittelbarem Interesse. — Abschließend sei noch
die durch das gleichzeitige Erscheinen der Lindner'schen Arbeit ungebühr-
lich in den Hintergrund gedrängte Schrift von Kirchhöfer, Zur Ent-
stehung des Kurkollegiums, Halle a. S. 1893, erwähnt, mit der sich unsere
Ergebnisse an manchen Punkten berühren.
*) Vgl. oben SS. 72, 81 f.
3) A. a. 0. (vgl. oben S. 151 Anrn. 2) SS. 5G8 ff., bes. 573 f. und 603.
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1 73
die Voraussetzungen festgestellt, unter denen allein, aber auch
notwendigerweise das Reich durch sein Organ handelt, der Wille
des Kurfürstenkollegiums der Wille des Reiches ist, der jeden
entgegenstehenden Willen eines einzelnen unter den einheitlichen
Gesamtwillen beugt. Wir haben bereits (oben SS. 151 f.) ge-
sehen: wie unter dieser Umwandlung die alten deutschen Rechts-
formen ihre juristische Natur verändern; wie der Schwerpunkt
der Wahl in die materielle Einigung durch Majoritätsbeschluß, in
die nominatio, fällt; wie ihr gegenüber die electio per unum ein
Formalakt wird, der in der Übergangszeit die Funktion erfüllt
die Majoritätswahl als eine einhellige erscheinen zu lassen.
Es soll noch einmal aufs schärfste betont werden,
daß diese Entwicklung im Zuge de r allgemeinen Rechts-
entwicklung erfolgte, daß sie soweit reicht, als es ger-
manischer Anschauung entsprossene Verbände gibt, seien
sie weltlicher oder kirchlicher Natur. Es ist hier nicht der
Ort, darauf einzugehen, inwieweit den Korporationen des germa-
nischen Rechtes genossenschaftliche Eigentümlichkeiten verblieben
sind und welche Mischformen unser Rechtsleben hervorgebracht
hat. Aber das scheint mir für das Verständnis unerläßlich, daß
es sich um eine große einheitliche Entwicklung handelt,
bei der auch innerhalb des kanonischen Rechtes die
germanischen Elemente eine starke Rolle gespielt haben.
Es läßt sich allerdings nicht leugnen, daß das kanonische
Recht, welches in den für die kirchliche Verfassung so
wichtigen romanischen Gebieten von Anfang an die
mächtigsten Impulse vom römischen Recht empfangen
hatte, schneller und klarerden Korp orationsbegriff ent-
wickelte, als das deutsche. Die im Wesen jeder Asso-
ziation liegende Tendenz zur Stärkung der Organisation,
welche auch in der deutschen Rechtsentwicklung, wenn auch
schwächer als anderswo, sich geltend machte, empfing nun
wieder aus dem kanonischen, mit dem es sich so vielfach
berührte, j a du rchdran g '), lebhafte Förderung. Es wurde
bei der Geschichte des Kurfürstentums darauf hingewiesen, daß
das Papsttum auch direkt fördernd und beschleunigend eingegriffen
') Vgl. oben SS. 5 L, 17 ff., 143 ff.
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hat, und dargetan, wie die unter dieser Entwicklung sich um-
gestaltenden Formen in Details an kanonische Vorbilder an-
gepaßt wurden. Wir konnten aber in der Annahme be-
wußter Rezeption kanonischen Ämterrechtes speziell
für die Königswahl der herrschenden Theorie nicht
folgen, indem sie uns nur zu geringem Teil nachweis-
bar erschien. Stärker und unmittelbarer wird sich der
kanonische Einfluß bezüglich des Majoritätsprinzips
und der unitas actus erweisen. Dabei bemerke ich von vorn-
herein, daß ich mich bezüglich dieser abschließenden Entwicklung
in weitem Umfang den dankenswerten Untersuchungen v. Wretschkos
(vgl. oben S. 132), Höhlbaums (Der Kurverein von Rense im
Jahre 1338, Abh. d. Kön. Gesellsch. der Wissensch. zu Göttingen,
Philo8.-hist. Klasse, N. F. VII 3, Berlin 1903) und Krammers
(Wahl und Einsetzung, vgl. oben S. 147) anschließe1).
Die germanische Wahl erschöpfte sich, wie gesagt, begrifflich
nicht in einem einheitlichen Akt; sie mußte nicht, aber sie konnte
in eine Fülle verschiedener Willenserklärungen, partielle Wahlen
oder auch Einzel-Anerkennungen, sich auflösen’). Germanischen
Rechtsanschauungen entsprach es, der Wahl auch symbolischen
Ausdruck, z. B. durch Erhebung auf den Schild oder die Schultern,
zu geben. Unter diesen Symbolen hatte seit Karolinger Zeiten
die Thronerhebung (und später die Krönung) in Aachen besondere
Bedeutung, und dies ließ jene Wahl, an die sie sich anschloß,
hervorragende Wichtigkeit erlangen. Keineswegs war diese sym-
bolische Königs-Einsetzung der eigentliche konstitutive Akt, sie
konnte im Gegenteil auch ganz unterlassen werden’); aber wenn
sie stattfand, war es naheliegend, vorher alle Einzel-Anerkennungen,
soweit sie schon Vorlagen, in einer universalis electio zusammen-
zufassen, die dann naturgemäß auf fränkischer Erde vorgenommen
wurde. So eingewurzelt war dieser Brauch, daß man es versuchen
konnte, als das erstemal durch die Partei Philipps von ihm ab-
gewichen wurde, u. a. daraus die Ungiltigkeit der Wahl zu
') Ich wcrilc datier davon abseben können, bezüglich jeder Einzelheit
auf die im Text genannten Untersuchungen zu verweisen.
*) Es sei auf die näheren Darlegungen Mitt. d. Inst. f. Osterr. Geschf.
XXVII 22G ff. und XXVIII G86 ff. verwiesen.
J) Vgl. Mitt. d. Inst. f. österr. Geschf. XXVIII G87.
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folgern '). Die Einhaltung des Wahlortes ist die erste essentielle
Förmlichkeit, die wir im deutschen Königswahlenrecht finden.
Faßte man als solche auch die Ausübung der (oben SS. 164 ff.)
besprochenen Prärogativen des Mainzers und eventuell des
Pfalzgrafen, wie es die Partei Ottos IV. tat, so war man in
naiver Weise ohne begriffliche Konstruktion eigentlich bei dem
Erfordernis der unitas actus angelangt.
In aller Schärfe war die Einhaltung bestimmter
Förmlichkeiten als Erfordernis für die Giltigkeit der
Wahl schon lange vorher von päpstlicher Seite ge-
fordert worden, und zwar durch Gregor VII., indem er 1076
vor der Wahl Rudolfs die Fürsten ermahnte, ihm behufs
Approbation der Wahl mit tunlichster Beschleunigung über ne-
gorium personam et. more« eius zu berichten *). Auch nach der
Doppelwahl des Jahres 1198 bemächtigte sich Innozenz III. mit
Lebhaftigkeit der von Ottos Partei ausgehenden Anregung, die
er in der Bulle „Venerabilem“ zu der streng kanonistischen Formu-
lierung verdichtete: quod Jautores Philippi, abtentibus aliit et,
rontemptis, ipeum eligei'e /»reumpserunt pateat eot perperam
procesdsxe ; cum ej-plorati eit iuris , quod electioni plus contemptus
unius quam contradictio multorum obsistal 3). Wir haben uns
im ersten Kapitel (SS. 71, 86) überzeugt, wie die Glosse
an diesem Rechtssatz festhielt und ihn unterschieds-
los als Requisit kirchlicher Wahlen wie der Königswahl
ansah. Für seine Rezeption in Deutschland bot die rasch
fortschreitende Verengerung des Wählerkreises4) eine günstige
Voraussetzung. Tatsächlich bemerken wir bei den folgenden
Wahlen eine größere Einheitlichkeit, als dies früher häufig der
Fall war; auch als man 1205 die Zustimmung der noch
fehlenden „principaliter“ Berechtigten für Philipp und 1208 nach
Philipps Tode für Otto einholte, ließ man es nicht bei nach-
träglichen Einzel-Anerkennungen (den collaudationes des älteren
Rechts) bewenden, sondern schritt (wenigstens im erstgenannten
*) Vgl. oben 88. 16G f. (daselbst Belege).
*) Vgl. Mitt. d. Inst. f. österr. Geschf. XXVII 209. Der betreffende Brief
Gregors VII. findet sich bei Jaffe, Bibi. rer. Germ., II 245.
*) Vgl. oben SS. 57 f.
4) Vgl. oben 8. 176.
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1R2
Falle bestimmt) zu einer förmlichen Neuwahl1). Als Rechtssatz
kennen allerdings auch die Rechtsbücher8) die Notwendigkeit der
unitas actus nicht; allein indem sie den Hergang normieren,
setzen sie dieselbe überall als das Normale voraus.
Größere Widerstände, als die Durchsetzung der
unitas actus, hatte die Aufnahme des zweiten von der
Bulle „Venerabilem“ geforderten Prinzips, des Majoritäts-
prinzips, zu überwinden. Der Grundsatz der Einhelligkeit
bat sich als altes deutsches Erbgut gerade bei der Königswahl
trotz alles kanonischen Einflusses zäher behauptet als auf anderen,
dem unmittelbaren kanonischen Einfluß entrückten Gebieten des
deutschen Rechtslebens, wofür Ssp. Landr. II 55 einen deut-
lichen Beleg bietet5). Es mag dio Bulle „Venerabilem“ selbst
*) Vgl. oben S. 169, bos. Auui. 3 und 4. Die Wahl 1205 erfolgte in
Aachen, nachdem Köln und Lothringen schon vorher kidlaudiert hatten.
Ob nach der collaudatio der sächsischen Großen im Jahre 1208 noch eine
förmliche Wahl auf dem Frankfurter Reichstag erfolgte, darüber sind die
Ansichten sehr geteilt
*) Mit der bereits oben S. 162 Anm. 2 mitgetcilten Stelle aus dem Sachsen-
spiegel stimmt der Deutschenspiegel, 303 (Ausgabe von Kicker, Innsbruck
1859, SS. 138 f.) fast wörtlich überein. Der Schwabenspiegel, Landr. 129
und 130, unterscheidet sich von den beiden älteren Uechtsbüchem in mehr-
facher Richtung: 1.) er normiert umständlich und detailliert den Hergang,
womit dio unitas actus schärfer betont ist: 2.) er normiert ausdrücklich das
Majoritätsprinzip in der Form der Folgepflicht für die Minorität: 3.) er er-
kennt das Kurrecht sieben Fürsten zu, wobei er aber den siebenten ohne
näheren Hinweis als des des rieht s schenke bezeichnet, sodaß es otfen bleibt,
ob Bayern oder Böhmen gemeint ist.
*) Die Stelle lautet: Swaz sS der bürmeister schaffet des dorfes vröuten
mit willekore der meisten menie der gebäre des cn mac der minnere teil nicht
Widerreden. Vgl. v. Wrctschko, a. a. 0. (vgl. oben S. 132) S. 187 Anm. 4, wo
die Stelle allerdings ebenso wie eine Reihe anderer (insbesondere auch die in
der vorigen Anm. zitierten) eine etwas andere Wertung erfährt. Wohl gibt
auch v. Wrctschko zu. daß die Statuierung der Folgepflicht (vgl. unten
SS. 185 und 187) für die Minorität bereits ein vorgerückteres Stadium der
germanischen Hechtsentwicklung darstcllt, allein er stellt sie immerhin noch
in scharfen Gegensatz zum Majoritätsprinzip. Er nimmt ferner auch bei
der zitierten Sachsenspiegelstelle eine solche Folgepflicht an, was m. E. dem
Wortlaut widerspricht: sie enthält in. E. das Majoritätsprinzip pure et simple.
Nicht ganz klar sind die Darlegungen Ernst Mayers über die Folgepflicht
in dem Aufsatz Zu den germanischen Königswahlen (tgl. oben S. 159).
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an dom langsamen Durchdringen des Majoritätsprinzips nicht ohne
Schuld gewesen sein. Sie hat das Prinzip der unitas actus neben
dem der Majoritätswahl aufgestellt, es aber unterlassen, beide in
organische Verbindung zu setzen. Man konnte sie zum mindesten
dahin deuten, daß einerseits kein Wähler bei der Wahlhandlung
„kontemniert“ werden durfte, daß aber anderseits die Majorität
derselben tatsächlich anwesend sein und einhellig zustimmen
mußte, wenn die Wahl unanfechtbar sein sollte. Daß die
Majorität der Anwesenden nach ordnungsgemäßer Ein-
berufung entscheide, war in der Bulle nicht ausdrücklich gesagt.
Die kanonistische Doktrin selbst hat übrigens, wie uns die Be-
trachtung der Glosse gezeigt hat, das Majoritätsprinzip zunächst
fallen lassen1). In den Jahren 1205 und 1208 hat man, wie wir
sahen, Gewicht darauf gelegt, die Einstimmigkeit der Wähler her-
zustellenvon der Wahl 1212 wissen wir leider fast gar nichts s) ;
1220 und 1237 vollzogen sich die Wahlen glatt, die Frage wurde
überhaupt nicht akut4). Sehr bedenklich dagegen stand es um
die Wahl Heinrich Baspes (124t>)4), da von den bevorrechteten
Wählern nur die drei Erzbischöfe anwesend waren. Wollte man
also ein ius principale der Kurfürsten in dem Sinne zugestehen,
daß die Majorität von ihnen zur Giltigkeit der Wahl erforderlich
sei, so konnte man die Wahl nur durch scharfe Betonung der
unitas actus aufrecht halten, indem man die Ausgebliebenen als
ihres Wahlrechts verlustig gegangen ansah. Ob derartige Er-
wägungen tatsächlich angestellt wurden, wissen wir nicht; ob aber
unter den Anwesenden ein Majoritätsvotum genüge oder Ein-
helligkeit erforderlich sei, konnte schlechterdings auch damals
gar nicht zur Diskussion gelangen. Wie sehr übrigens das alte
deutsche Recht im Volksbewußtsein fortlebte, zeigt der Beschluß
der Städte gelegentlich der Wahlen von 1247, 1257 und 1273,
nur einem in concordia Gewählten sich zu unterwerfen6). Und
l) Vgl. oben S. 85.
*) Vgl. oben S. 169.
*) Vgl. oben S. 169.
*) Vgl. oben SS. 170, beziehungsweise 173 f.
s) Vgl. oben SS. 174 f.
6) Vgl. nber die Wahl Wilhelms von Holland oben j,S.J175, bes.
Anm. 3 und 4; Aber den Beschluß der Städte vor der Wahl von 1257 Lindner,
a. a. U. (vgl. S. 167 Anm. 1) S. 134, über die Wahl Rudolfs von Habsburg
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wir haben gesehen, daß Wilhelm von Holland tatsächlich erst
anerkannt wurde, nachdem die concordia, allerdings nur der Kur-
fürsten, hergestellt worden war, und zwar in einer Weise, welche
wieder die unitas actus nicht völlig wahrte.
Einen bedeutsamen Markstein bildet dann die Doppelwahl
des Jahres 1257 l). Richard war vor Frankfurt, welches nebenbei
bemerkt seit damals ständige Wahlstadt blieb, von Köln, Mainz
und Pfalz gewählt worden. Die Behauptung des Mainzers, daß
er auch Trier vertrete, erwies sich als unwahr, da eben unter
dessen Führung mit den Stimmen von Sachsen, Brandenburg und
Böhmen in Frankfurt Alfons zum Könige gewählt wurde. Die
Partei Richards legte alles Gewicht auf die Einhaltung des ordnungs-
mäßigen Herganges bei der Wahl, die über Einberufung von Mainz
und Pfalz loco et tempore debito erfolgt sei; die ausgebliebenen
Wähler seien ihres Wahlrechtes verlustig gegangen, die Wahl
daher sogar eine einstimmige. Wir finden also hier die denkbar
schärfste Bedeutung der unitas actus. Die Wähler Alfons’ stehen
zwar ihrerseits auch auf dem Standpunkt, daß sie den vollständig
korrekten Wahlvorgang eingehalten hätten, allein sie betonen
anderseits mit Entschiedenheit, daß die Mehrheit der Kurfürsten
auf ihrer Seite stehe; sie scheinen dies für vorteilhafter gehalten
zu haben, als den Hinweis auf die auch bei ihnen unter konse-
quenter Folgerung aus der unitas actus bestehende Einhelligkeit.
Dabei ergab sich noch die Komplikation, daß infolge eines nie-
mals aufgeklärten Mißverständnisses beide Parteien die Stimme
des Böhmenkönigs für sich als ausschlaggebend in Anspruch
nehmen konnten, was zu der oben (S. 111) erwähnten Theorie
Veranlassung geboten haben mag*). Jedenfalls war mit der Doppel-
wahl von 1257 unitas actus und Majoritätsprinzip in den Mittel-
punkt der Erörterung gerückt worden. Die über die Wahl ergangene
Bulle „Qui celum“ (vgl. oben S. 176) nahm die Darlegungen beider
Parteien ausführlich auf, ohne aber eine dezidierte Entscheidung
unten S. 185, bes. Anm. 2; über die Betonung der concordia seitens des
Papstes (Klemens’ V.) in viel späterer Zeit noch oben S. 120.
') Vgl. oben SS. 176 f., bes. Anm. 5 und 6 in S. 176.
*) Einen Erklärungsversuch, der innere Wahrscheinlichkeit für sich
bat, bringt Lindner, a. a. 0. (vgl. oben S. 167 Anm. I) SS. 156 f.
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185
zu treffen '). Es ist ferner auch richtig, daß man bei der Wahl
Rudolfs von Habsburg alles daransetzte, um der Forderung weiter
Volkskreise entsprechend eine einhellige Wahl zustande zu bringen,
was auch gelang *). Doch schon der Schwabenspiegel fordert nur
mehr die Majorität der Kurfürsten und statuiert für die Minorität
die Folgepflicht5). Und gerade unter der Regierung Rudolfs er-
folgten zwei wichtige Kundgebungen, welche für das Eindringen
des Korporations-Gedankens in das Kurfürstenkollegium charakte-
ristisch sind*): 1276 spricht Rudolf ausdrücklich davon, daß die
Kurfürsten einstimmig oder mit Majoritätsbeschluß einen König
wählen können; 1281 aber wird erklärt — es ist interessant, wie bei
der Entstehung des Kollegiums auch hier neben dem Wahlrecht dem
Konsensrecht zu begegnen — , daß zu Vergabungen von Reichs-
gut die Zustimmung der Majorität des Kollegiums erforderlich
sei. Nöch immer war die innere Beziehung zwischen den beiden
Prinzipien nicht ausdrücklich ausgesprochen. Aber sie waren
wenigstens jedes einzeln aufs schärfste betont worden; und da bei
konsequentem Festhalten der unitas actus die Ausgebliebenen ihres
Wahlrechts verlustig geben mußten, so wurde man mit logischer
Notwendigkeit dazu gedrängt, die Majorität der Anwesenden
ais entscheidend anzusehen.
Die Entwicklung ist schließlich in der ersten Hälfte des
14. Jahrhunderts unter dem Einfluß einer bedeutenden Persönlich-
keit, des Erzbischofs Balduin von Trier, in bewußter Weise zum
Abschluß gebracht worden, was Höhlbaum (a. a. 0. — vgl.
oben S. 180 — SS. 22 ff.) und Kraramer (a. a. 0. SS. 69 ff.)
in dankenswerter Weise nachgewiesen haben. Nach einer kurzen
Zeit verhältnismäßiger Ruhe drohten neue Verwicklungen infolge
der päpstlichen Ansprüche auf das Approbationsrecht und das
Schiedsrichteramt11). Das letztere war im Thronstreit zwischen
') Von Interesse ist es auch, daß Alfons gelegentlich seine Wahl aus-
drücklich als canonice vorgenominen erklärt (MG., Const. [Leg. Sectio IV]
II, No. 397); vgl. oben S. 80 Anm. 2,
5) Redlich, a. a. 0. SS. 154 ff. (bezüglich des oben S. 183 erwähn teD
SUdte-Beschlusses SS. 157 f.).
5) Vgl. oben S. 182 Anm. 2.
*) Redlich, a. a. 0. S. 348 Anm. 3, beziehungsweise SS. 464 f.
l) Über die einschlägige Literatur vgl. oben S. 131 Anm. 1.
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ISfi
Richard und Alfons, das erstere bei der Wahl Rudolfs von Habs-
burg unbestritten geübt worden'). Es wurde im ersten Kapitel
(SS. 80 ff.) umständlich dargelegt, wie die päpstlichen Ansprüche
in der Möglichkeit von Doppelwahlen ihren wichtigsten Stützpunkt
hatten. Kam es nun 1308 darauf an, einer Einflußnahme der
Kurie zugunsten eines französischen Wahlwerbers, 1314 darauf,
einem eventuellen Schiedsspruch der Kurie vorzubeugen, so mußte
vor allem die Formgerochtheit des Wahlaktes betont
werden (wobei man nicht unterließ, in einer Reihe von
Einzelheiten sich an das kanonische Recht anzulehnen).
Dazu aber war Voraussetzung die begriffliche Einheitlich-
keit des Wahlaktes. Von diesem Zusammenhang geben auch die
Wahldekrete Heinrichs VII. und Ludwigs des Bayern Zeug-
nis"), die einerseits den Wahlakt ganz kanonistisch al s ein-
heitlichen Formalakt fassen, anderseits von einer Appro-
bation keine Erwähnung tun. Dnd als nach 1314 der Papst
tatsächlich das Schiedsrichteramt beanspruchte, wurde zuerst in
den Appellationen von Nürnberg (1323) und Sachsenhausen (1324)*)
das Majoritätsprinzip und noch schärfer die unitas actus unter Ab-
lehnung päpstlichen Einflusses betont, 1338 auf Grund des Kur-
vereins von Reuse4) das Majoritätsprinzip reichsgesetzlich festge-
legt. Auch hier war noch nicht ausdrücklich gesagt, daß die
') Vgl. Krammer, Oer Einfluß des Papsttums (vgl. oben S. 147),
SS. 23 f.
") Pas Wahldekret Heinrichs VII. ist ahgedruckt MG. Luges II.
490 bis 492, ferner bei Zeumer, Quellen-Sammlung, No. 118; das Wahl-
di'kret Ludwigs des Bayern bei Oleuschlager, Staats-Geschichte (Frank-
furt 1755), (’rkundenbuch No. 26.
3) Oienschlager, a. a. 0. No. 37 und 43. In der Appellation von
Sachsenhausen (Abs. 6) kommt übrigens auch die alte deutschrochtliche
Auffassung (vgl. oben SS. 81, 178) zum Durchbruch, derzufolge im Falle der
Z wiekur die. Schlacht die Einheit herstelle, welcher rein deutschrechtliche
Gedanke sogar in die Bulle _Qui ecluni“ Eingang gefunden hatte.
4) Die Literatur über den Kurverein von Itcnse und den darauf fol-
genden, das Weistum zum Keichsgesetz erhebenden ReichstagBbeschluß von
Frankfurt siehe bei Schröder, a. a. 0„ (vgl. oben S. 7 Anm. 1) S. 656
Anin. 22. Außerdem wären zu nennen Zeumer, Ludwigs des Bayern
Königswahlgesetz .Licet iuris“ vom 6. August 1338, Neues Archiv XXX
84 ff. (mit Abdruck des Weistums) und die im Text wiederholt angezogenc
Arbeit von Höhlbaum (vgl. oben S. 180).
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187
Majorität der Anwesenden entscheide; klipp und klar hat
diese organische Verbindung der unitas actus und der Majoritäts-
wahl erst die goldene Bulle1) 1356 ausgesprochen. Wenn aber
die Annahme richtig ist, daß Balduin von Trier die Anwendung der
Korporations-Theorie auf das Kurfürstenkollegium bei
Lupoid von Bebenburg inspiriert hat, dann wäre wohl sicher an-
zunehmen, daß die Bestimmungen der goldenen Bulle bereits irn
Smne der ebenfalls unter Balduins Einfluß zustande gekommenen
Appellationen und der Constitution „Licet iuris“ gelegen waren ’j-
Mit der letzteren war, wenigstens juristisch, auch die
zweite Voraussetzung des päpstlichen Einflusses auf
die Wahl, die Notwendigkeit der Kaiserkrönung be-
seitigt worden; es wurde bereits in der Einleitung (SS. 19 ff),
auf die tieferen Zusammenhänge verwiesen, welche dies ermög-
lichten.
Aus dem Gesagten geht mit aller Deutlichkeit hervor,
daß auf die Durchsetzung der unitas actus und der Majori-
tätswahl das kanonische Recht einen größeren Einfluß
übte, als auf die Entstehung des KurfUrstenkollegiums,
und einen unmittelbareren, als auf den Hauptbestandteil
des Zeremoniells, die electio per unum. Wie die letztere
ihre juristische Natur unter der eben geschilderten Entwicklung
veränderte, soll hier nicht wiederholt werden. Es sei nur erwähnt,
daß schon vor der juristischen Formulierung des Majoritätsprinzips
der die Geister beherrschende Gedanke der tatsächlichen Feststellung
der Majorität eine erhöhte Bedeutung und damit dem ganzen Nomi-
nationsakt einen veränderten Charakter verleihen mußte; denn
es mußte nun in der Entscheidung der Majorität für die Minori-
tät zum mindesten ein starkes moralisches Kompelle liegen, den
Widerspruch fallen zu lassen und dadurch die Wahl formell zu
einer einhelligen zu machen, welche fiktive Einhelligkeit eben in
*) Die Ausgaben der goldenen Bulle und die Literatur über dieselbe
siche bei Schröder, a. a. 0., S. 656 Anm. 23. Beizulugen wäre Zeumer,
Die goldene Bulle Kaiser Karls IV. (Quellen und Studien zur Verfassungs-
geschichtc des deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit, herausgegeben
von Zeumer, Band II Heft 1), Weimar 1308. Die entscheidende Stelle siud
die §§ 3 und 4 des 2. Kapitels.
a) Vgl. insbesondere Höhl bäum. a. a. 0. (vgl. oben S. 180) S. 23. und
Kram wer, a. a. 0. (vgl. oben S. 180) SS. 70 II.
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iss
der electio per unum ihren Ausdruck fand1). Wenn wir aber
den starken kanonischen Einfluß im letzten Stadium unserer
Untersuchung noch so entschieden betonten, so darf doch nicht
unerwähnt bleiben, daß sich auch hier die (bereits oben
S. 85 hervorgehobene) Selbständigkeit der deutschen
Rechtsentwicklung im schließlichen Resultat mani-
festiert: die kanonische Entwicklung führte zur quali-
fizierten, die deutsche zur einfachen Majorität. Daß
gerade die Rezeption kanonischen Rechtes, soweit
sie wirklich stattfand, die wirksamste Waffe wurde
im Kampf für die Unabhängigkeit des deutschen
Thrones vom päpstlichen Einfluß, ist eine der interessan-
testen Erscheinungen der Rechtsgeschichte. Der Deutsche hat
hier, wie anderwärts, indem er fremde Einflüsse in sich aufnahm
und inuerlich assimilierte, seine Selbständigkeit nicht aufgegeben
sondern behauptet2)3).
') Vgl. oben S. 152.
*) Das päpstliche Devolutionsrecht und Depositionsrecht hatten sich
im deutschen Recht niemals eingelcbt: cs genügt daher ein kurzer Hinweis
auf unsere Darlegungen im I. Kapitel, bcs. S. 53 Anin. 4, und auf die wieder-
holt zitierte gründliche Arbeit von Redlich, Die Absetzung deutscher
Könige durch den Papst, Diss. Münster 1892.
3) Erst während der Korrektur konnte ich in folgende zwei Arbeiten
Einsicht nehmen, welche das Thema dieses Werkes berühren: Werming-
hoff, Neuere Arbeiten über das Verhältnis von Staat und Kirche in Deutsch-
land während des späteren Mittelalters, Histor. Vierteljahrsschrift XI 153 ff. :
Krummer, Der Reichsgedanke des staulischen Kaiserhauses, Rreslau 1908
(Gierkes Untersuchungen, 95). Es genüge hier die Bemerkung, daß sie
m. E. keinen Anlaß geben, die in diesem Werk vertretenen Anschauungen
in wesentlichen Punkten zu modifizieren.
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189
Anhang I.
Verzeichnis
der zitierten Stellen des corpus iuris canonici *>
Breve „emendatlonem“.
23
gl. imperatorem
28*, 29*,
Decretum (Iratlant.
31*
Pars I.
Dist. 96.
15, 35
Dist. 10.
15, 35
c. 6. gl.
SB*
c. 5. gl.
29i
c. 10.
30*, 36**
c. 8.
gl-
36”
gl. disorevit
31, 41, 42
gl. auctoritas
80*, 31*
l)ist. 22. c. 1.
gl. te pendere
30*, 31*
gl. coelcstis
41a
gl. indicio
30*, 31*,
Dist. 23. c. 1
27
35*
Dist. 31. c. 4.
105”, 105z
c. 11.
36”
Dist. 36. c. 2.
35»
c. 14.
353
Dist. 40. c. 6.
103-z
Dist. 97.
35s
gl. a fide devius
38"
Dist. 30.
Pars 11.
c. 14.
35s
C. 2.
c. 25.
105”, 105s
q. 1. c. 9.
12H*
Dist. 61. c. 11 (u.Rubrik)
I21i*
q. 6. c. 3. gl. sacer-
Dist. 63.
dotiutn
42i
c. 2. gl. Augustos
31*, 81«*
q. 7. c. 4.
35a
c. 10. gl. relatio
28*, 29*
| C. 3.
c. 22. gl. per sin-
q. 4. c. 11.
92*, 92i
gulos.
28, 28 i
q. 9. e. 2 (u. Rubrik)
73*, 73i
c. 23.
32, 83*,
C. 6.
88s*
q. 1.
gl. successorem
33*
c. 21.
89*, 89-2
Rubrik zu c. 23
33,
c. 22.
89*, 89z
c. 33.
42s
C. 7.
c. 36.
49t\ 76*,
q. 1.
78*, 79i
c. 9. gl. rege suo
32*
Dist. 81. c. 1.
105”
c. 41
105, 105],
Dist. 93.
85j
106, 107,
c. 24.
28*, 29*,
1172
31*, 32*,
gl. Imperator
28i
36”, 41,
gl. unus
28t
112", 122
C. 8.
*) Die linke Kolumne enthält die zitierten Stellen des corpus iuris canonici, die
rechte die Seitenzahlen dieses Buches (die Anmerkungen sind in kleineren Ziffern
. beigesetzt). Fettdruck bedeutet, dali auf der betreffenden Seite von der Qucllen-
stelle ei professo gehandelt, gewöhnlicher Druck, dal! sie nur vergleichsweise
zitiert wird; ein Stern (*) bedeutet, daß auf der betreffenden Seite unmittelbar
von der Besetzung des deutschen Thrones, zwei Sterne (**), daß vom Verlust des
Thrones die Kode ist.
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190
q- !•
C. 25. q. 2. c. 25. |
65*, 06*
c. 6.
32*, 33*
C. 27. q. 2. c. 26. gl.
gl. non sangnini
82*, 33*
dignitato
42s“
c. 16.
32*. 65*
C. 33. q. 3. (l)e Poeni-
C. 9. q. 3.
tentiaj
c. 17.
102s
Diät. 1. c. 45. gl. soli
87“
c. 18.
102;i
Dist. 3.
C. 11.
c. 24.
37“
q. 2.
35s
gl. alium non ti-
q. 3.
inebant
37"
c. 78.
76*, 77i*
c. 79.
76*, 77i*
Decretales («regoril IX.
15
c. 94.
86“, 87“,
Liber I.
89"
tit. 2.
93, 93i
gl-
87“, 88“,
tit. 4. c. 8.
88*. 882
C. 15.
8!***
tit. 6.
c. 7.
74*, 74i
q. 6.
40
c. 16.
76*, 80*.
c. 2 — 3. (l)ictnm
81 1, 88*
Oratiani)
39“
c. 17.
962”
c. 3.
30, 30“,
c. 20.
121 1*
38", 41,
e. 23.
77*, 79*,
83*. 944,
79s*
96", 105"
c. 29.
89i*
108, 109i
c. 34 („ V enerabilen“)
112, 28*,
gl. dcposuit
36“
30*, 36",
Snlutin zur gl. de-
48*, 45 IT.*,
posuit
88“
60t, 63*,
gl. inutilis
37“
66*. 67*,
gl. sacramcnto
40"
68*, 69*,
c. 4. gl. lidelitatis
80"
70*, 71*,
c. 5.
80", 1085
72*. 73*,
c. 3-5.
84t“,
75 t, 79*,
39“, 40“
80*, 83*,
C. 17. q. 4. c. 8.
91 f.*, 9U
84*, 85*,
C. 21.
86*, 88*,
q. 5.
35s
|
90*, 92,
q. 23 ss.
35s
1
93 1, 109i,
C. 22. q. 5. c. 18.
II64
110*, 111*,
(1. 23.
112, 121*,
q. 4.
123*. 124*,
c. 22.
353, 88 f“
130*, 155,
gl-
88**, 89“
156, 159*,
q. 5. c. 26.
106, 107, |
j
167*, 174*,
107j ,
181* 182*
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191
gl. Rechtssatz
til*, «8*, |
«6*, es*,
70*, 72*,
85*
Disposition
«l*, «e\
07*
Casus
01*, 86*,
96**
Paraphrase
er, es-,
87*, 78s*,
85*
Notabilin
61*, 62*,
63*, 88*,
70*, 71*,
72*, 77*, ■
85*, 86*,
87*
gl. absente albern
73*
gl. carebit
60
gl. Caroli
1*4, 94*
gl. cognitori
60
gl. comuionendos
60
gl. de domo
63*, 65*
gl. electus
88*
gl. eligentiuin
60
gl. eiaininatio
86, 86:
gl. ex snccessione
63*, 65*
gl. favere
76 IT.*
gl. (iaboanitas
60
gl. illicitnm
61*. 61,
68 ff.*
gl. in (iermanoa
1*5, !*5t
gl. in uiesscm
60, 61
gl. innodatus
60
gl. iuramentum
60
gl. I.otharius
74*
gl. periuriuin
89*, »1*
gl. postulavit
60
gl. progenitores
80*
gl. publica
89*
gl. quainvis
71*, 71t*
gl. sacrilegus
89% 91*
gl. transtulit
1*4, 944,
96**
gl. venire
60, 60i, 6 1
Sununariuui
97*
c. 35.
160,*
c. 49.
87*, 87,,
160,*
c. 50.
87*, 87,
c. 55.
160,*
c. 57.
160,*
tit. 7. c. 3.
83*. 882,
96 g**
Suimnarium zttc.3
. 83g
tit. 29. c. 39.
j 76,80*, 80g
tit. 33.
98, 93,
c. 6 („Solitac“)
98i
tit. 34.
93, 93,
tit. 41. c. 3. gl. iure
minoris
1 l*4s
.iber II.
tit. 1.
93, 93i
c. 13. („Novit*)
74 IT., 93i,
103*
gl. Not. (Abbas)
75, 76
gl. imlicare de
feudo
74, 75
gl. iurisdirtionem
nostram
75
gl. paceni
76
g). peccatin ipsum
76
Suniinariuin
74s
tit. 2. c. 10.
31, 106,
108, 108i
tit. 20.
c. 2.
73*, 73, ,
c. 32.
78i
tit. 24. ,
c. 10.
91*, 91i
c. 27.
91*, 913
äununariuni zu
c. 27
91
tit. 25. c. 12.
89». 89s
90*
tit. 27. c. 24.
89*, 89s,
90*
tit. 28. c. 23
88*, 882
Hmnmarium /.u
c. 23 j
89i
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192
Liber III.
gl. Reges
tit. 8. c 2.
64*. 64 8
Summarium zu
Liber II.
c. 2
64s
tit 2. c. 2.
tit. 22. c. 2.
91*, 91s
tit 30. c. 15.
64*, 64s
tit 11. c. 2.
Summarium zu
c. 15
64s
tit. 12. c. 1.
tit. 34. c. 6.
05»", 109]
tit. 38.
tit 14. c. 2. („Ad
c. 3.
1 76*, 78*.
78 2
Apostolicae“)
g>-
782
c. 15.
64*, 64s
gl. absolreutes
Summarium zu
gl. ac mundo eti-
c. 15
64s
am universo
c. 28.
110«, 1102 i
gl. ad Apostolicae
gl-
1 110*
gl. anatbematis
gl. quempiam
gl. deieravit
praesentare
110s*
tit. 50.
03, 93i
gl. grarissima
Liber IV.
gl. haeresi
tit. 17.
03, 93i
c. 13. („Per Voncra-
gl. illi autem
bilem“)
93i, 106,
107, 107s
Additio zur gl.
gl. Casus
i 04»
illi autem
gl. pacem
Liber V.
gl. privamus
tit. 7.
03, 93 1
gl. sacrilegium
tit 27. c. 9.
89*, 89s,
90*
gl. vocare.
Summarium zu
Summarium
c. 9
90*
tit 31. c. 11.
89i*
Liber III.
tit 23.
Liber Sextua Oec re tallum.
c. 1.
Fublications-Bulle.
102s
c. 3.
Liber I.
tit. 6.
Liber V. tit. 11. c. 8.
c. 3
c. 43.
tit. 8. c. 2.
85s
805
i 106, 100, Clementlnae.
10i>i I Liber II.
10»i
106, 108,
108<
106, 108,
1083,4
89’, 89»,
90*
37* ,90-,
lOOff.-,
100 ff.*,
1091, 120*
IO85"
102, 102»
104
1022
102“,
102«“
37“ ,104“ ,
104s
103-,
103»"
iio*,ur,
111»*
111»*
103, 103]
105 f.“,
108“,
IO81-
104
100
109«
100», 125s
106, 108,
IO82
Digitized by Google
193
9. c. un. („Romani
i
1
gl. homoque ligius
116*
principes“)
99, 118,
Summarium
115a
115, 115i,
116, 116«,
Liber III. tit. 17, c. un.
125s
gl. zum Initium
118 ff.*,
130*
121*
Extravagantes
Johannis XXII.
gl. ad eortoB
120*
tit. 2. c. un. gl. debi-
gl. aliqualem
120]'
tam conlirmationem
129 f.*
gl.- decreto
120M21»*
1 tit. 5. c. un. („Si fra-
gl. fidelitatis
1164
trum“)
125, 128 ff.
gl. futurua
gl. nos itaque
122, 122t
120*, 12h*
Extravagantes communes.
gl. notitiam
gl. noverant
120i*
120t*
Liber I. tit. 8.
gl. pacc
125z
c. 2. („Unam sanc-
16, 16, ,73,
gl. ponrcnit
121*
tam“)
99, 125 ff.,
gl. Roges
122* ff.,
130, 181,
gl. Sicilia
124i*
117i
Additio zur gl.
188
gl. tune Roma-
norurn regem
122
porro subesse Ro-
mano Pontifici
127, 127,
gl. vestigiis
114s*
gl. nam veritate
Summarium
115i
testante
126
11. c. 2. („Pasto-
113, 115,
gl. uterque ergo
ralis“)
117
est.
126
gl. zum Initium
1164
Liber III. tit. 13. c. un.
gl. districtum iin-
1253
perii
117*
Liber V. tit. 7. c. 2.
125s
Hügel maun. Die deutsche KOuigswahl
13
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104
Anhang II.
Bibliographie der deutschen Königswahl.
I. Oie wichtigsten der bisherigen Bibliographien.
1. Bezüglich der älteren Literatur:
a) Olenschlagcr, Neue Erläuterungen der Güldenen Bulle, Frankfurt
und Leipzig 1766, § 26 Anm. 8.
b) Gemeiner, Berichtigungen im teutschen Staatsrecht und in der
Reichsgeschichte, Bayreuth 1793, I. Auflösung der bisherigen Zweifel
über die Entstehung der kurfürstlichen Würde, SS. 3—10.
c) Costa, Bibliographie der deutschen Rechtsgeschichte, Braun-
schweig 1858, No. 169 und 1973 ff.
Bezüglich der neueren Literatur:
2. In Werken allgemeiner Natur:
a) Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte;
4. Aufl., Leipzig 1902, S. 471 Anm. 9; 5. Aufl., Leipzig
1907, S. 481 Anm. 9.
b) Brunner, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte,
3. Aufl., Leipzig 1908, § 33.
c) .Meister, Deutsche Verfassungsgeschichte von den An-
fängen bis ins 15. Jahrhundert (Grundriss der Geschichts-
wissenschaft, herausgegeben von Meister, II 3) Leipzig
1907, SS. 71, 75, 117 ff. (daselbst auch eine ziemlich
vollständige Übersicht der herrschenden Theorien), 125.
3. In der Königswahlen-Literatur:
a) Hugelmann, Mitt. d. Inst. f. österr. Geschf. XXVII
(1906) 226 Anm. 2 (in dem Aufsatz „Der Einfluss Papst
Viktors II. auf die Wahl Heinrichs IV. Ein Beitrag zur
Geschichte des päpstlichen Approbationsrechts bei der
deutschen Königswahl“).
b) Lindner, Die deutschen Königswahlen und die Ent-
stehung des Kurfürstentums, Leipzig 1893, Vorwort.
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195
c) Edmund Meyer, Mitt aus der hist. Lit., III (1875)
1291)'. (Die neuesten Forschungen über die Entstehung
des Kurfürstenkollegiums).
d) Seeliger, Deutsche Zeitschr. f. Geschichtsw. Monatsbl.,
N. F. II (1898) 1 ff. (in der Einleitung des Aufsatzes
„ Forschungen über die Entstehung des Kurkollegs“).
4. Ja9trow, Jahresbor. d. Geschichtsw., VI (1883) II 400 ff.
(bespricht alle die deutsche Königswahl betreffenden Er-
scheinungen der Jahre 1883 bis 1886).
II. Die Literatur über die deutsche Königswahl im allgemeinen.
A. In Werken allgemeiner Natur.
1. a) Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte (zuerst
erschienen Göttingen 1808 — 1823), II. Teil, 5. Aufl.
Göttingen 1843, § 287, SS. 346 ff.
b) v. Daniels, Handbuch der deutschen Reichs- und Staaten-
Rechtsgescbichte, IV. Band Tübingen 1863, SS. 431 ff.
c) Zöpfl, Deutsche Rechtsgeschichte, 3. Aufl. Stuttgart
1858, §§ 44 und 45, SS 454 ff
2. a) Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, VI. Band, 2. Aufl.
(besorgt von Seeliger) Berlin 1896, SS. 161 ff. und 189 ff.
b) Schröder, wie oben I 2 a, 4. Aufl. SS. 471 ff, 5. Aufl.
SS. 481 ff
c) Brunner, wie oben I 2 b.
Derselbe, Deutsche Rechtsgeschichte; I. Band, 2. Aufl.
Leipzig 1906, SS. 16611’.; II. Band, 1. Aufl. Leipzig
1892, SS. 23 ff.
d) Amira, Grundriss des germanischen Rechts (Sonder-
abdruck aus Pauls Grundriss der germanischen Philo-
logie) 2. Aufl. Straßburg 1901, SS. 97 f.
e) Heusler, Deutsche Verfassungsgeschichte, Leipzig 1905,
SS. 188 ff.
f) Meister, vgl. oben I 2 c.
3. a) Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, III. Band
Berlin 1881, SS. 568 ff. (vgl. oben S. 178 Anm. 2) und
315 f. (vgl. oben S. 151 Anm. 2).
b) Lorenz, Deutsche Geschichte im 13. und 14. Jahrhundert,
I. Band Wien 1863, SS. 219 ff
13*
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19«
c) Ernst Mayer, Deutsche und französische Verfassungs-
gescbicbte, II. Band Leipzig 1899, SS. 386 ff.
d) Werminghoff, Verfassungsgeschichte der deutschen
Kirche im Mittelalter (Grundriss der Geschichtswissen-
schaft, herausgegeben von Meister, II 6) Leipzig 1907,
SS. 29 ff.
4. a) Ficker, Vom Reichsfurstenstande, I. Band Innsbruck
1861, SS. 167 f.
b) Redlich, Rudolf von Habsburg, Innsbruck 1903, SS. 137 ff.
c) Blondei, Etüde sur la politique de l’empereur Fr^deric LI.
en Allemagne et sur les transformations de la Constitution
Allemande dans la premifere moitie du 13« sifecle, Paris
1892, SS. 28 ff.
d) Puntschart, Schuldvertrag und Treugelöbnis, Leipzig
1896, 88. 329 ff.
B. Spezialliteratur: Die deutsche Königswahl in
rechts vergleichender Beleuchtung.
1. Schttcking, Der Regierungsantritt, Eine rechtsgeschichtliche
und staatsrechtliche Untersuchung, I. Buch, Die Urzeit und
die Zeit der Ost- und Westgermanischen Stammesreiche,
Leipzig 1899.
Vgl. dazu folgende Besprechungen: Julius Oierke, Zeitschr.
d. Sav.-Stift. f. Rechtsg., XXI (1900) Germ. Abt. 309 ff. ; Geffckcn,
Deutsche Literatur-Zeitung, 1900 Sp. 498 ff.
2. Phillips, Ober Erb- und Wahlrecht mit besonderer Be-
ziehung auf das Königtum der germanischen Völker, München
1836 (Vermischte Schriften, I. Band Wien 1856, SS. 104 ff.)
3. Ernst Mayer, Zu den germanischen Königswahlen, Zeitschr.
d. Sav.-Stift. f. Rechtsg., XXIII (1902) Germ. Abt. 1 ff.
Vgl. auch oben II A 3 c.
4. Lindner, Der Elector und die Laudatio bei den Köuigs-
wahlen in Frankreich im Vergleich mit den deutschen Ver-
hältnissen, Mitt. d. Inst. f. österr. Geschf., XIX ( 1 898) 40 1 ff.
(vgl. unten II C 17).
5. v. Wretschko, Der Einfluss der fremden Rechte auf die
deutschen Königs wählen bis zur goldenen Bulle, Zeitschr. d.
Sav.-Stift. f. Rechtsg., XX (1899) Germ. Abt. 164 ff.
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197
Vgl. auch v. Wretschko, Die electio communis bei den kirchlichen
Wahlen im Mittelalter, Deutsche Zeitschr. f. Kirchenr., XI (1900)
321 ff.
G. K ramme r, Rechtsgeschichte des KurfÜrstenkollegs bis zam
Ausgange Karls IV. Erstes Kapitel: Der Einfluss des Papst-
tums auf die deutsche Königswahl. Breslau Diss. 1903.
Vgl. zu 5 und 6 auch unten II C 19 und 20.
C. Spezialliteratur; Fortsetzung: Die Geschichte der
deutschen Königswahl und des Kurfürstenkollegiums
im allgemeinen.
1. Gemeiner, vgl. oben I 1 b.
2. Rospatt, Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle,
Bonn 1819.
3. Phillips, Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle;
Vermischte Schriften, III. Band Wien 1860, SS. 199 ff.
(zuerst erschienen in den Sitzungsberichten d. Wiener Ak.
der Wissensch., Band XXIV (1857) SS. 365 fl’, und Band
XXVI (1858) SS. 41 ff.)
Vgl. dazu die Besprechung ronWaitz: Gesammelte Abhandlungen,
I. Band (Abhandlungen zur deutschen Verfassung«' und Bechts-
geschichte, herausgegeben von Zcumcr) Göttingen 1896, SS. 485 ff
(zuerst erschienen im Jahrgang 1859 der Göttinger Gelehrten
Anzeigen, SS. 641 ff; bezieht sich auch auf Fickers unten sub III
Ala genannte Abhandlung).
4. Ficker, Artikel „Kurfürstentümer“ in: Bluntschli und Brater,
Staats Wörterbuch, VI. Band Stuttgart und Leipzig 1871,
SS. 171 ff.
5. Hädicke, Kurrecht und Erzamt der Laienfursten, Programm
von Schul-Pforta 1872.
Dagegen: Waitz, Die Reichstage zu Frankfurt und Würz-
burg 1208 und 1209 und die Kurfürsten, Forschungen zur
Deutschen Geschichte, XIII (1873) 199 ff. (vgl. oben S. 172
Anm. 1).
6. a) Wilmanns, Die Reorganisation des Kurfürstenkollegiums
durch Otto IV. und Innozenz III., Berlin 1872.
b) Schirrmacher, Die Entstehung des Kurftirstenkollegiums,
Berlin 1874.
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198
c) Langhaus, Die Fabel von der Einsetzung des Kurfürsten-
kollegiums durch Gregor V. und Otto III., Berlin 1875
(zuerst erschienen im Iglauer Programm 1874).
Vgl. die Besprechung der sub 5, G a und G b genannten Ar-
beiten von Edmund Meyer, vgl. oben I 3 c, ferner den iu II C 5
angeführten Aufsatz von Waitz, schließlich die Besprechung der
sub 6a und Gb genannten Arbeiten von Winkelmann, Hist.
Zcitschr., XXXII (1874) 76 ff. (Zur Geschichte des Kurfürsten-
kollegiums); vgl. auch oben 8. 177 Anm. 2 und 3.
7. Harttung, Die Thronfolge im deutschen Reiche bis zur
Mitte des 11. Jahrhunderts, Forschungen zur Deutschen Ge-
schichte, XVIII (1878) 129 ff.
8. Weiland, Ober die deutschen Königs wählen im 12. und
13. Jahrhundert, Forschungen zur Deutschen Geschichte, XX
(1880) 303 ff.
9. Schröder, Zur Geschichte der deutschen Königswahl, Zcitschr. d.
Sav.-Stift f. Rechtsg. II (1881) Germ. Abt. 200 f.
10. Ficker, Fürstliche Willebriefe und Mitbesiegelungen, Mitt.
d. Inst. f. österr. Geschf., III (1882) 1 ff.
11. Harnack, Das Kurfürstenkollegium bis zur Mitte des 14. Jahr-
hunderts, Gießen 1883.
Vgl. folgende Besprechungen: Tannert, Mitt. d. Inst. f. österr.
Geschf., V (1884) 629 ff.; Quiddc, Hist. Zeitschr., LIII (1885)
127 ff.: Jastrow, Mitt. aus der hist. Lit., XIII (1885) 331 ff.:
Bresslau, Deutsche Literatur-Zeitung, 1883 Sp. 1657 ff.
12. Tannert, Die Entwickelung des Vorstimmrechtes unter den
Staufen und die Wahltheorie des Sachsenspiegels, Köln 1884
(Erweiterung einer Bonner Dissertation, Die Entwickelung
des Vorstimmrechts unter den Staufen, Straßburg 1882).
13. Quidde, Die Entstehung des Kurfürstenkoliegiums, Frankfurt
a. M. 1884.
14. Harnack, Oberdas Alter einiger bei der deutschen Königs-
wahlbeobachteten Normen, in: Historische Aufsätze dem An-
denken an Georg Waitz gewidmet, Hannover 1886, SS. 367 ff.
15. Maurenbrecher, Geschichte der deutschen Königswahlen
vom 10. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, Leipzig 1889.
16. Kirchhöfer, Zur Entstehung des Kurkollegiums, Halle a. S.
1893.
Vgl. dazu und zu dem sub 17 a genannten Buch die Besprechung
von Chroust, Hist. Zeitschr., LXX1II (1894) 318 ff.
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199
17. Die Lindner’sche Theorie.
a) Lindner, Die deutschen Königswahlen und die Ent-
stehung des Kurfürstentums, Leipzig 1893.
Ygl. dazu folgende Besprechungen: Schröder, Zeitschr. d. Sav.-
Stift. f. Rcchtsg., XV (1894) Gcrui. Abt. 192 f. : — ng., Literarisches
Zentralblatt, 1893 SS. 1302 f.: Bodenberg, Juristisches Literatur-
blatt, 1894 S. 136: Beckmann, Zeitschr. f. Kulturg., I (1894)
251 IT. (betrifft auch das sub II G 15 genannte Buch.)
b) Seeliger, Neue Forschungen über die Entstehung der
Kurkollegs, Mitt. d. Inst. f. österr. Geschf., XVI (1895)
44 ff.
c) Lindner, Über die Entstehung des Kurfürstentums,
Eine Entgegnung, ebenda XVII (1896) 537 ff
d) Seeliger, vgl. oben I 3 d.
e) Lindner, vgl. oben II B 4.
f) Seeliger, Königswahl und Huldigung, Hist. Vierteljahrs-
schrift, I (1898) 511 ff
18. Graucrt, Göttinger Gelehrte Anzeigen, 1894 SS. 625 ff. (in einor Be-
sprechung vun Kcnipf, Dio Geschichte des grollen deutschen Inter-
regnums, Würzburg 1893).
19. a) Bresslau, Zur Geschichte der deutschen Königswahlen
von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts,
Deutsche Zeitschr. f. Geschichtsw. Vierteljahresh., N. F.
II (1898) 122 ff
b) Vgl. oben II B 3 und 5.
c) Lindner, Der Hergang bei den deutschen Königswahlen,
Weimar 1899.
Vgl. dazu die Besprechung von v. Wretschko, Zeitschr. d.
Sav.-Stift f. Rechtsg., XX (1899) Germ. Abt. 268 ff.
20. a) Krammer, vgl. oben II B 6.
b) Derselbe, Wahl und Einsetzung des deutschen Königs
im Verhältnis zueinander, Weimar 1905.
Vgl. dazu folgende Besprechungen: Hügel mann. Mitt. d. Inst,
f. österr. Geschf., XXVIII (1907) 684 ff. (betrifft auch die sub II
B 6 genannte Abhandlung): Held, Hist. Zeitschr., I C (1907) 564 ff.
21. Hugelmann, in dem oben sub I 3 a genannten Aufsatz SS.
226 ff
22. Zeumer, Ein Reichsweistum über die Wirkungen der
Königswahl aus dem Jahre 1252, Neues Archiv d. Gesellsch.
1. ältere deutsche Geschk., XXX (1904) 403 ff
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•200
III. Oie Literatur über einzelne Spezialgebiete aus der
Rechtsgeschichte der deutschen Königswahl.
A. Die Behandlung sachlicher Spezialgebiete.
1. Die deutsche Königswahl und der Sachsenspiegel (vgl. oben
S. 170 Anm. 3).
a) Homeyer, Das Verhältnis des Schwabenspiegels zum
Sachsenspiegel, 1852 (aus den Sitzungsberichten d. Ber-
liner Ak. der Wissensch.), SS. 35 ff.; Derselbe, Die Stellung
des Sachsenspiegels zum Schwabenspiegel, Berlin 1853,
SS. 93 ff.
Ficker, Ober die Entstehungszeit des Sachsenspiegels,
Innsbruck 1859, SS. 99 ff.
b) Schuster, Beiträge zur Auslegung des Sachsenspiegels,
Mitt. d. Inst- f. österr. Qeschf., III (1882) 392 ff.
c) Vgl. oben II C 12.
d) Becker, Der Sachsenspiegel und die weltlichen Kurfürsten,
Deutsche Zeitschr. f. Geschichtsw., XII (1896) 279 ff.
2. Die Beziehungen des Herzogs von Österreich zur Königswahl
berührt Chmel, Sitzungsberichte d. Wiener Ak. der Wissensch.,
Band XXIII (1857) SS. 531 ff. (in dem Aufsatze „Die öster-
reichischen Freiheitsbriefe“).
3. a) Roden berg, Ober wiederholte deutsche Königswahlen im
13. Jahrhundert, Gierkes Untersuchungen 28, Breslau
1889.
b) Kröne r, Wahl, Krönung der deutschen Kaiser und
Könige in Italien, Freiburg i. B. 1901.
4. Frh. v. Borch, Die gesetzlichen Eigenschaften eines deutsch-
römischen Königs und seiner Wähler bis zur goldenen
Bulle, Innsbruck 1884.
5. Muth, Die Beurkundung und Publikation der deutschen
Königswahlen bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, Gött.
Diss., Duderstadt 1881.
6. a) Schellhass, Das Königslager vor Aachen und vor
Frankfurt in seiner rechtgeschiclitlichen Bedeutung,
4. Heft der Historischen Untersuchungen, herausgegeben
von Jastrow, Berlin 1887.
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201
b) Beckmann, Das mittelalterliche Frankfurt a. M. als
Schauplatz von Reichs- und Wahltagen, Frankfurt
a. M. 1888.
c) Weizsäcker, Rense als Wahlort, Philos. u. hist. Abh.
d. Berliner Ak. der Wissensch., 1890 SS. 31 ff.
7. Der die Entwicklung abschließende Kurverein von Rense
(Die wichtigsten Werke).
a) Ficker, Zur Geschichte des Kurvereins zu Rense,
Sitzungsberichte d. Wiener Ak. der Wissensch., Band XI
(1854) SS. 673 ff.
b) Weiland, Über die Sprache und die Texte des Kur-
vereins und des Weistums von Rense, Neues Archiv der
Gesellsch. f. ältere deutsche Geschk., XVIII (1893) 329 ff.
c) Höhlbaum, Der Kurverein zu Rense 1338, Abh. d.
Gesellsch. der Wissensch. zu Göttingen, Phil.-hist. Klasse,
N. F. VII (1903) 3.
d) Zeumer, Ludwigs des Bayern Königswahlgesetz „Licet
iuris“ vom 6. August 1338 (mit einer Beilage: Das Renser
Weistum vom 16. Juli 1338), Neues Archiv d. Gesellsch.
f. ältere deutsche Geschk., XXX (1904) 85 ff.
8. Hier könnte auch die autsschlieUlich die päpstlichen Hechte boi der
Königswahl behandelnde Literatur angeführt worden: vgl. über dieselbe
oben S. 84 Amn. 2 und 3: ferner Hugelmann, vgl. oben I 3 a.1)
B. Die Behandlung einzelner Königswahlen.
1. Waitz, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter König
Heinrich I., 3. Aufl. Leipzig 1885; Exkurs II: „Über die
Erhebung Konrads I.“
2. Besonders die „universalis electio“ Ottos I. behandelt Held
in der oben sub II C 20 b genannten Besprechung.
3. Dsinger, Die Erhebung Heinrichs II. zum deutschen König;
Exkurs zu Hirsch, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter
Heinrich H., II. Band Leipzig 1862.
4. Hugelmann, vgl. oben I 3 a.
5. a) Niemann, Die Wahl Lothars von Sachsen zum deutscheu
König, Gött. Diss. 1871.
■) Ausdrücklich sei bemerkt, daß die Literatur über die goldene Hülle
in diese Bibliographie nicht aufgenommen wurde.
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202
b) Schneiderreit, Die Wahl Lothars TTI., Halle Diss. 1892.
c) v. Simson, Analekfcen 'zur Geschichte der deutschen
Königswahlen, Programm Freiburg i. B. 1895, I.
d) Voges, Das Pactum in der Narratio de electione
Lotharii, Halle Diss. 1885.
e) Wiehert, Die Wahl Lothars III. zum deutschen König,
Forschungen zur Deutschen Geschichte, XII (1872) 55 fl.
6. a) Hasse, Erhebung König Friedrich I., Historische Unter-
suchungen, Arnold Schäfer gewidmet, Bonn 1882,
SS. 319 ff.
b) Holtzmann, Die Wahl Friedrichs I. zum deutschen König,
Historische Vierteljahrsschrift, 1 (1898) 181 ff.
c) Peters, Die Wahl Kaiser Friedrichs I., Forschungen zur
Deutschen Geschichte, XX (1880) 451 ff.
d) Prutz, Kaiser Friedrich I., I. Band Danzig 1891, SS. 399 fl.
e) Simonsfeld, Die Wahl Friedrichs I. Rotbart, Sitzungs-
berichte d. hist. Klasse d. Münchner Ak. der Wissensch.,
1894 SS. 239 ff
f) Wetzold, Wahl Friedrichs I., Gött. Diss. 1872.
7. Die Literatur über die Doppelwahl von 1198 fällt im wesent-
lichen mit der über den Thronstreit im allgemeinen und über
die Bulle „Venerabilem“ zusammen; vgl. darüber oben S. 43
Anm. 1 und S. 45 Anm. 1. Beizufugen wäre:
a) Lindemann, Kritische Darstellung der Verhandlungen
Papst Innocenz’ III. mit den deutschen Gegenkönigen,
Magdeburger Programm 1885.
b) v. Simson, vgl. oben HI B 5 c, U (vgl. oben S. 49
Anm. 1).
8. Reuß, Die Wahl Heinrich Raspes am 22. Mai 1246,
Programm Lüdenscheid 1878.
9. Die Doppelwahl von 1257.
a) Busson, Die Doppelwahl des Jahres 1257 und das
römische Königtum Alfons’ X. von Castilien, Münster 1866.
b) Fanta, Ein Bericht über die Ansprüche des Königs
Alphons auf den deutschen Thron, Mitt. d. Inst. f. österr.
Geschf., VI (1885) 94 ff.
c) Hampe, Ungedruckte Briefe zur Geschichte König Richards
von Cornwall ans der Sammlung Richards von Pofi,
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203
Neues Archiv d. Gesellsch. f. ältere deutsche Geschk.,
XXX (1904) 673 ff.
d) Otto, Alexander IV. und der deutsche Thronstreit, Mitt
d. Inst f. österr. Geschf., XIX (1898) 75 ff
e) Redlich, Zur Wahl des Königs Alfons von Castilien,
ebenda XVI (1895) 659 ff
f) Rodenberg, Der Brief Urbans IV. vom 27. August 1263
und die deutsche Königswahl 1257, Neues Archiv d.
Gesellsch. f. ältere deutsche Geschk., X (1885) 172 ff
g) Tannert, Die Beteiligung Herzogs Heinrich von Baiern
an der Wahl des Jahres 1257, Historische Untersuchungen,
Arnold Schäfer gewidmet, Bonn 1882, SS. 336 ff
10. Bärwald, De electione Rudolfi I. regis, Diss. Berol. 1855.
11. Über den Thronstreit nach 1314 vgl. oben III A 7, ferner
S. 131 Anm. 1.
C. Die Behandlung einzelner Kurstimmen.
1. Lorenz, Die siebente Kurstirame bei Rudolfs I. Königswahl,
Sitzungsberichte d. Wiener Ak. der Wissensch., Band XVII
(1855) SS. 175 ff.
2. Bär wald, Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde
Rudolfs I. betreffend die baierische Kur, Ein Beitrag
zur Entstehungsgeschichte des kurfürstlichen Collegiums,
Wien 1856.
Vgl. dazu die Besprechung von Waitz, Gesammelte Abhandlungen
I. Band (vgl. oben sub. II C 3) SS. 476 ff. (zuerst erschienen im
Jahrgang 1857 der Göttinger Gelehrten Anzeigen, SS. 609 ff.).
3. Muffat, Geschichte der bayrischen und pfälzischen Kur
seit der Mitte des 13. Jahrhunderts, Abh. d. hist. Klasse d.
Münchner Ak. der Wissensch., 1869 SS. 239 ff.
4. Scheffer-Boichorst, Zur Geschichte der bayrischen und
pfälzischen Kur, Sitzungsberichte der philos.-philol. u. hist.
Klasse d. Münchner Ak. der Wissensch., 1884 SS. 462 ff.
(Gesammelte Schriften, II. Band Berlin 1905, SS. 165 ff.)
5. Müller, Geschichte der böhmischen Kur von der Wahl
Rudolfs L bis zur Wahl Karls V. 1273-1519. T.I(-1356).
Diss. Würzburg 1891.
6. Zeumer, Die böhmische und die bayrische Kur im 13. Jahr-
huudeit, Hirt Zeilschr., XCIV (1902) 209 II.
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•204
Alphabetisches Register
Das Register enthält alle auf den SS. 1 — 188 verkommenden Personen — ,
insbesondere auch Autorennamen (ausgenommen die Autoren der gebräuch-
lichen Nachschlage- und Qucllenwerkc, wie Waitz-Dahluiann , Friedbergs
Ausgabe des corpnB iuris canonici u. dgl.), Ortsnamen, die Anfangsworte
der nicht im corpus iuris canonici enthaltenen Bullen und Reichsgesetze,
schließlich wichtige Sachbezeichnungen.
A
Aachen 56 114* 180 182‘.
Abbas antiquus 751 76.
Abbas Siculus 61 66 75 751 1043.
Abendland, 10, 10» 52‘ 543.
Absetzbarkeit des (deutschen) Königs
343 423 963 1743: vgl. auch Depo*
sitionsrecht.
Abstimmung 82' 152 156 1 56* 160*
166.
Actus binus, Theorie vom 65 74.
Actus legitimi 92 92*.
Administratio 79* 80* 124 137.
Admonitio 543 60 111 135.
Adolf von Nassau 154.
Adolf, Erzbischof von Köln 164.
Advocatia sedis apostolicae 2' 48 49
54» 60 98 106' 127 129 133 134
185.
Aegidius von Orval 171*.
Albero archicp. Trev. 163*.
Albert von Passau 533.
Albert von Stade 1721.
Albrecht I. von Habsburg 1* ll3 113
115» 154.
Alemannia: vgl. Deutschland.
Alexander III. 643 74> 883 89 91' 953.
Alexander IV. 1083 4 176.
Alexandria 28.
Alfons (von Kastilien) 176 1 84 185*
186.
Allegorische Schriftauslegung 1 26*.
Ambrosius, hl. 83 114*.
Amira 41*.
Amt, kaiserliches; vgl. Kaiserwürde.
Amt, kirchliches: vgl. Kirchcnaint.
Analogie 54 64 67 92 95 109 109'
110 149'.
Anastasius, Kaiser 30.
Anathema; vgl. Kirchenbann.
Andernach 164 167.
Annalen, Erfurter 175*.
Annalcs Rertholdi 161' *,
Annalcs Col. Max. I. 1633 166».
Annalcs Magd. 1633.
Annalcs Marbacenses 149 150 173
174.
Ansprüche, päpstliche 1* 27' 72 185
186.
Anwartschaft 31 48.
Apostolatus 127'.
Apostolischer Stuhl: vgl. sedes apo-
stolica.
Apparatus des Bernardus Parmcnsis
61*.
Appellation 89'.
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205
Appellationen (von Nürnberg und
Sachsenhausen) 186 187.
Approbation (Approbationsrecht) 183
19 24 25 26 27 30 34 34' 3 42
51 52 54 54' 56 66 68 70 72 78
83 84 86 96 97 99 109 110 114
118 121 122 123 124 129 130 136
1367 137 145 181 185 186.
Aquino; vgl. Thomas.
Arbitri 80* 155 158.
Archidiakon 28.
Arier 4.
Askese 93'. •
Assoziation; vgl. Verband.
Auctnr vetus de beneßeiis 162*.
Augustinus, hl. 2 23 36 38 91* 105* 3;
vgl. auch Gottesreich.
Augustinus Triumphus 20*.
Avaren 3.
Avignon 114.
B
Balduin, Erzbischof von Trier 120*
151* 185 187 187'.
Baluze 44» 45' 124' 167'.
Bann; vgl. Kirchenbann.
Bartholnmacus Briziensis 31 31'.
Baseler Fürstenverzeichnis 171'.
Bayern 1.50 168 171" 172 173 174
182».
Beamtenregierung 5'.
Bellarmin 753.
Below v. 43* 169*.
Below-Finke-Meinecke 1 17’.
Beneficiuin 64 MC*-
ßerchtold 16'.
Beruardus Compostellanus junior 61
61».
Beruardus Parmcnsis de Botono 61
61» 63.
Bernhard von Pavia (Papiensis) 157
160.
Bernhard von Sachsen 164 167 169.
Beruliardi 50' 163».
Bernheim 14'J 138».
Bertholdus : vgl. Annales.
Beschlußfassung, germanische 156*.
Besetzungsrecht 31 52 53* 132 134
136 137 144.
Biegler, 2».
Binus actus; vgl. Actus.
Bischöfe 91 105 137.
Bistum 12 12»* 19.
Böhmen 111* 142' 150 160 169» 172
174 175 182* 184,
Bologna 291.
Bonifaz VIII. 1' 59* 94 10234109>
116 126* 130.
Borch, Frh. v. 343 58* 344.
Brabant, Herzog von Lothringen 168
169 172.
Brandenburg lll3 162» 171' 172 174
175 184.
Brauch (deutscher) 64 69 108' 145 153
154 163 165 168 170 171 176 180.
Braunschweig, Reichstag von 175*.
Braunschweiger Weistum 175*.
Bresslau 132 133 143> 145 146 147
148 148a 149 151 153» 153* 154.
Brück 12*.
Brunner 20' 172.
Bruno 26» 923 161'.
Bürgerliches Gesetzbuch für das
deutsche Reich 20'.
Bürgermeister 182».
Burgund 51.
Byzanz 4* 8 54« 93' 94*.
C
Canonicus (— regelmäßig) 863 185'.
Canossa 24.
Capitanei (im Kirchenstaat) 130.
Casus dccrctalium 61 61» 75 86 96.
Causa iegitima 100.
Causae cognitio 77».
Cclebratio divinorum 90.
Chamberlain, Houston Steward 12».
Childerich III. 83 96.
Christentum (Christenheit) 2' 15» 37
105 130.
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20«
Christianus (princeps) 35.
Christianus episc. Mog. 1503.
Christus als Quelle der päpstlichen
Rechte 102 f: insbesondere der
päpstlichen Weltherrschaft 127:
Treuepflicht gegen Christus 39:
vgl. auch Gott und vicarius Christi.
Chronicon Montis Sereni 165’ 166*.
Chronicon Ottonis ep. Fris. 1631.
Chronik, Magdeburger 165’.
Chuonradi Vita 161 1 *.
Cinus (Cynus) 1231.
Civitas dei: vgl. Gottesreich.
Clementinen 98 112 fl.
Clerici 91 93 104 105 108 147 153.
Olugny 12.
Codex (Justiniancus) 33 64 123'.
Cülestin III. 80 81' 90».
Cogerc partes in concordiam 80 ff.
Cognitor 46 47 51 60 71* 73 155.
Collatio(votorum)87 152 160 1 60' 174.
Collaudatio 181 182'.
Conunentar des hl. Hieronymus 32.
Commentaria in Ainos 77*.
Commentaria Innoc. IV. super libros
V decret. 106' 116'.
Common itio: vgl. Admonitio.
Communio sanctornm 23.
Compilatio I. 73' 74' 78* 88* 91 1 3
Compilatio III. 30 743 78' 79* 81'
83* 88» 89* 91" 93' 95* 96' 108'
1103 121».
Compilatio IV. 893.
Compromissum 87.
Concordia (discordia) 49 50 54 54"
76 80 80» 81 101 110 118 120 121
123 124 135 135» 175 176 183 184
184': vgl. auch F.instiinmigkcit.
Stimmengleichheit.
Condempnatio (eines Wahlwerbers) 47
Condictio 20'
Confessio (= Versprechen) 34
Conflrmatiu 29 30 42 44 50 54' 62
68 72 86 88 129 130
Consecratio 48 49 53 97 106' 118
i 119 121 122.
| Consensus 47 121' 154' 166 169
170' 172 175 176 185.
Consilium commune 148».
Constitutio humana 76 '.
Constitutiones 93 187.
Consuetudo 17» 66 67 82' 124; vgl.
auch Actus binus und Brauch.
Contemptio (von Wählern) 71 86 97
183.
Contumacia »(Verurteilung in contu-
maciam) 115.
I Coronatio 47 48 49 52' 53 56 97
114" 118 119 121 122 123; vgl.
auch Krone.
Corpus iuris canonici 23 23' 24 100
113 1333.
Corpus script. Eccl. Lat. 31 s.
Corroctores Romani 61 s.
Crimen ecclesiasticum 102 102»
103' 3 104 105 138 155.
Cyprian 31.
Czyhlarz v. 7 '.
D.
Dänemark 26 '.
Dalmatien 138 142 142».
' Dante Alighieri 1 ' 6 1 107.
David, Kflnig 32 37.
Decima 64 3
Docretum commune 1483.
Defensor (ecclesiac) 48 49 54 3 116*
129.
Dekret: vgl. Gratianisches und Wahl-
dekret.
Dekretalen, Gregorianische 15 42 ff.
92 ff.
Dekretisten 33,
Deliberatio 45 51 52» 60' 68 69 85
167.
Delikt 117».
Denuntiatio (Denuntiator) 47 49 74 3.
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207
Deposition (Depositionsrecht) 13 24
24* 25 27 30 38 39 39 ‘ 83 92 93
95 96 99 100 101 102 104 105
108 109 112 126 129 130 138 188».
Depositionstheorie, Gratians 34 ff. 75.
„ Gregorianische 24 f. 40.
„ Innozenz I', IV. 37 lOOff.
Designationsrecht 33 33* 118 149
150 150» 161 3 169 170 173.
Deutschenapiegel 182*.
Deutsches Geistesleben 94.
Deutsches Staatsleben 5».
Deutschland 41 51 16 16* 26 45 68
81* 86 90* 98 117 121 123 124
125 128* 145 164 165 168*.
Devolutionsrecht 21 31 42 52 53*
54 67 70 76 79 97 99 110 111
111» 129 130 135 136 188».
Dionysius 28.
Discordia; vgl.Concordia,Doppelwahl.
Districtus imperii 117 117* 127.
Döllinger 9* 11*.
Dogma 6 1 16 1 139.
Dominium (duplex) 127 127*.
Dominium temporale occlcsiae 117 -.
Domkapitel 169 169 1 176.
Domas 63 65.
Doppelwahl 17 1 54*^66 68 70 71 72. ff.
84 86 87 97 111 124 124«
178 186 186*.
— von 1198 17 1 29 * 4»ff. 1640.
181.
— von 1257 166* 176 f. 184 f.
— von 1314 113*115*131131».
— von Bischöfen 58 78 79 79*.
Dorf 182*.
Dos 108.
Drumann 16* 126*.
E.
Ecclesia 40 52 1 75* 95' 100 103»
110» 121 122.
Ecclesia episcopalis 83».
Ecclesia Komana 94* 115'.
Editio Romana 33*.
Ehrhard 5».
Eibl 5».
Eichstädt, Bischof von 128 '.
Eid 17 1 36 39 40 42» 43 47 59 60
60 1 62 63 74 74 75» 75* 83 91
93 97 99 100 102 102* 104 106'
108 114 115 115» 116 116* 122»
134 137
Eigentum ; vgl. dominium.
Eike 172.
Einrede, prozeßhindernde 89 1 90.
Einsetzungsrecht 13 30 84 126 137
177» 180.
Einstimmigkeit 17' 70 71 72 81 81*
82 82' 83 148» 152 152* 156 162»
178 179 182 183 184 185 187;
vgl. auch Concordia.
! Eitel 117*.
| Electio 17' 29 52' 54' 60 62 65 68
69 71 71* 72 76 77* 78* 87 97
97» 109 110 121 121* 122 136*
146 150 150» 153 154 154' 156
156* 157 162 166 167 171' 173
174 175 181.
Electio canonica: vgl. Wahlen, kirch-
liche.
Electio communis 81 133 145 146
148 148» 151* 159.
Electio irrita 89' 96*.
Electio legitima 120.
Electio per unum 17' 135 147* 149
150 151 152 153 154 156 179 187
188.
Electio pontificum ; vgl. Papstwahl.
Electio universalis 180.
j Electus 68 71* 88 97* 145 149 175.
Elektor 46 47 71» 76 97 111» 149
150 150» 153 153» 154 154* 155
156 156» 162 163 164 168 169 170
170' 3 174.
Eicktorenkollegium 162.
Elektor- Theorie 156*.
Eleutherus, Papst 73 '.
Ellipse 6 '.
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208
Eoarrationes ad paalmoi 36 37.
Engelmann 45 8 54 54'.
England 95; vgl. auch Strafprozeß-
recht.
Entscheidung, richterliche 72 ff.
Entscheidungsrecht, (freies) päpst-
liches 52 1 60 1 66 70 73 79 79»
80« 81» 82 84 86 87» 88» 89 >93»
108» 111 121 1 129.
Entscheidungsrechtdes Böhmenkönigs
171».
Eraclas 28.
Erblichkeit (Erbinonarchie) 19 31 63
64* 65 f. 86 89 98 109» 128 132 134.
Erbunf&higkeit 89.
Erfurt; vgl. Annalen.
Ermahnung: vgl. admonitio.
Erzamt 111 158 170» 172 172».
Erzürnter- Theorie 172*.
Erzbischöfe, rheinische 41 3 97 147
162» 164 165 167 172 175 183:
vgl. auch Köln, Mainz, Trier.
Erzkanzler 163.
Essentialia electionis 87 170» 175*.
Eugen III. 25 6.
Examinatio 49 50 51 54 56 62 70
84 86 86» 97 106» 118 130 153.
Eiercitium imperii 29 30 42 123 124
128 137.
Exkommunikation; vgl. Kirchenbann.
Extravaganten 98 99 125 ff.
F.
Fatuus 49 59 97.
Favere, ius alteri parti 48* 50 52» 62
67» 68 72 76 ff. 85 87 97.
Fedelc 12».
Felix II. 92».
Felten 131 '.
Feudalisierung 41 '.
Feudunr. vgl. Lehenswesen.
Ficker 3» » 4 4'»« 5» 10» 12« 14
15» 170» 173» 176»* 182».
Fidelitas; vgl. iuramentum.
Finke 117 2.
Forchheim 24 26.
Formalakt 152 153 156 179 181 186.
Franken 3 7 9 25 30 35 163 180.
Frankfurt 177* 182» 184 186*.
Frankreich 16 28» 95 109» 113 113*
115 118 125» 157.
Französischer Wahlwerber 188.
Freisingen, Bischof von 163».
Friedenswahrung 93 103 115 125»
129.
Friedrich L 16 31 65 95* 116.
Friedrich II. 5» 37 42 60» 63 96 99
100 101 102 103* 109» 112 164
169 169* 170» 171 174 174».
Friedrich der Schöne 154.
Friedrich der Streitbare 173*.
Frist 135.
Fürst, christlicher 35 105 107.
Fürsten (deutsche); vgl. Reichs-
fürs teil stand.
— geistliche und weltliche 100
103« 118 162» 164.
— rheinische 165, 166.
— s&chsische 182».
— des Ostens 165.
Fürstenverzeichnis; vgl. Baseler.
G.
Girtner 2».
Gareis 138*.
Gebietskörperschaft 140, 143.
Gegenkönig 50 ' 175.
Gegenpapst 92*.
Gehorsam 37 38 93 102 104 116.
Geistliche; vgl. Clerici.
Gelasius I. 30 36 36 » 41 66.
Gelobung 17».
Goneralkonzil als Schiedsgericht 104*.
Genossenschaft 81 140 152* 178 179.
Gerichtsbarkeit, ausserstreitige 80*.
— kirchliche ; vgl. Jurisdiction,
Kompetenz.
Germanen 4 9 11 17* 19 53 54* 81
94* 95 118 121 131 156* 159 178
179 180.
Folgepflicht 182* 182* 185. .Gesamtwille, einheitlicher 179.
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209
Gesandt«; vgl. Legaten.
Gesandtschaft zur Leistung des Sicher-
heitseides 114.
Geschichte, deutsche 48 52 177*.
Gesetzbuch, vgl. Bürgerliches und
Kanonisches.
Gesetzgebung, vgl. Kanonische.
Gesta Alb. archiep. 163*.
Gesta episc. Haiborst. 165“ 166“.
Gesta Trever. Cont. IV. 165“ 166““.
Gewalt, kirchliche (geistliche = päpst-
liche) 13 16 18 20 21 26 30 35 36
37 39 40 41 42 73 75 92 93 94 95
98 102 104 126 127' 128 131 133
138 139 144.
Gewalt, weltliche (kais.) 13, 16 18 20
21 26 30 33 35 39 40 41 42 59
75 92 94 95 98 99 126 127 127'
128 130 131 133 138 139 144.
Gewohnheitsrecht; vgl.Brauch.Consuc-
tudo.
Geyer 81*.
Gierke 5* 9“ 10' 11“ 14“ 20‘ 38* 151“
178.
Giltigkeit der Wahl 136 170' 180
181 183; vgl. auch Kassation.
Gladins: vgl. Schwert.
Gleichgewicht, politisches 6*.
Gleichheit, mechanische 69.
Goldene Bulle 132 133 152 153“ 154
156 187 187'.
Gott, als die den König absetzende
Autorität 102;
als Quelle der päpstlichen Rechte
128;
als Quelle , bzw. Urgrund des
Rechts 139 141»;
Anrufung Gottes bei der Wahl
153';
vgl. auch Christus, Heiliger Geist.
Gottosreich 2 2* 3 5.
Gratia 104 136 1 36*.
Gratian 27* 34 85* 40.
Gratianisches Dekret 24 ff. 65 75 90
92 95 95* 98 104 116*.
Hugolmaan, Die deutsche Königawahl
I Granert 112*.
, Gregor X. 73' 77' 105* 121.
Gregor IV. 126*.
Gregor V. 177*.
Gregor VII. 7‘ 11 11* 12 12* 14'*
18’ 19» 24 25* 26 26' 27 30 31
34 39 ' 44 48 52 ' 54* 72 73 74 94
98 102 103 104 125 181.
Gregor IX. 20“ 27 29' 31' 53» 70
80“ 87' 89* 103*.
Gregor X. 53“ 113.
Gregor XIII. 23.
Gregorianer 27*.
Griechen 5* 52' 53 95' 118 121.
Gross 23'.
Guelfen; vgl. Partei.
Guido von Praeneste 44 45 46 47 49
50 51 52 52' 72 79“ 86 155.
Günther 154.
Gundlach 10“.
Gutjahr 170*.
Hadrian IV. 116.
Haedicke 172'.
Händeauflegung 49 52' 86“.
Haercticus (haeresis) 49 59 93 97
100 103 103*.
Handschrift, ßamberger 61*.
— Melker 61*.
— Prager 61*.
— Wiener 61*.
Handschriften 61.
Harnack 4* 34* 132 147“ 166* 168'
174.
Hauck 9* 12* 12* 25* 27» 45* 100*
107.
Hefele 19* 45’ 52' 54“.
Heiliger Geist 32.
Heinrich I. 150*.
Heinrich III. 12 106 161».
Heinrich IV. 24 25 27 63 149 150'
150» 170.
Heinrich VI. 31 43 63 65 150*.
Heinrich VII. lli. 114 114*116* 118
14
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210
120 120‘ 122 122* 3 128 129 150»
154 186* 186».
Heinrich 1H. von Frankreich 106'.
Heinrich Raspe 53' IIP 174 183.
Heinrich, Pfalzgraf 1C4.
Heinrich von Segusia; vgl. Hostieneis.
Heinrich, Graf von Kuke 168’.
Hergcnröther 161 45*.
Hergenröth er- Kirsch 8’ 45*
Herkommen; vgl. Brauch.
Hermann, Bischof von Metz 30 34.
Herrschaft ; vgl. Päpstliche Herrschaft
Herrscher; vgl. Weltlicher Herrscher
Herrscherhaus (Königshaus) 48 59
63 65 66.
Hersfeld; vgl. Lambert.
Hertling, Frh. v. 25.
Hertzberg 83.
Hierarchie, kirchliche 28.
Hierokratie (bürokratische Doktrin,
hierokratisches System) 23 71 12»
13 14> 15 16 16' 16* 18 19 21 25
26 27 33 36 37 64 73 931 94 98
99 107 108 125 130 131 133.
Hieronymus, hl. 28 32 37 77 1 1054.
Hincmar von Rheims 126*.
Hinneberg 138*.
Hinschius 33* 59'* 120' 135»» 137«
HSfler 15*.
Höhlbaum 151* 180 185 186* 187*.
Hofgericht 164.
Hofkanzler 170.
Hohenstaufen 5* 15* 43 44 58 164* |
165.
Homagium 115, 116*.
Homeyer 170*.
Homo ligius 116*.
Hostiensis 106' 112 112' 116* 123
171“ 175*.
Hugelmami 7* u. a. a. 0.
Hugo, comc8 35.
Hugucio 127'.
Huldigung 17* 160*.
Hunnen 4.
Hurter 48' 90*.
1.
IdoneiUt 26 48 49 50 52 54 54* 56
57 58 59 62 63 66 68 69 71 71*
72 78* 79 82 84 85 88 89 ff. 98
99 118 119 121 136; vgl. auch
Indignität.
lhering v. 141'.
„Immortale Dei“, Bulle 36.
Immunität 10' 109*.
Imperium (Reich, h. römisches deut-
scher Nation) 5 5* 6' 14* 25 27
28 29 30 31 36 38 41 42 47 48
49 50 52' 53 53* 62 64 65 67 68
72 75 81 82 94* 95 ' 97 99 100
101 103* 105 106' 108 109 110
111* 113 114» 117* 118 119 120
121 122 122** 123 124 125 128
128' 129 131 134 136 149 150 150*
163 171 175 178 179.
Imperium Romanum 1 4 9 9' 19 112*
12T.
Indignität 60 60' 62 65 70» 75 88
89 90* 97 101 102 136.
Individuum 5*.
Infamie 89 91.
Informativprozess 120 120' 136.
Innoeenz 1. 105*.
Innocenz III. 11 1 1» 20* 25* 44 54»
58 60' 63 66 68 70 73 74 74* 75
78' 79 79» 81* 83 83* 88 88* 89‘
89* 90» 91* 93' 94 95« 96» 98 102
102* 108 108' 110» 120 121' 123
124 124' 135» 158 167 170' 181.
Innocenz IV. 37 53* 92» 96 99 108*
106' 109 109' IIP 116*.
Insignien ; vgl. Krone, deutsche.
Inspiration 32 65 87.
Interessen, kirchliche (päpstliche) 1 3
48; kulturelle 58.
Interpretation 108» 123 125 134 162'
169».
Inthronisation 137 163.
Innnctio : vgl. unctio.
Inutilis 37 108.
luvestitio imperii 52'.
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211
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Investiturstreit 11 14 24 84.
Irland 261.
Irregularität 90.
Islam 3
Israel 12s 32 95'.
Italien 28a 33 1145 1223 128 129 130
131 1 134 1 37.
Ivo 33».
J.
Jacobus de Ardizone (Jaco de Are)
123'.
Janssen 193.
Jaatrow-Winter 43' 1003.
Jcllinek 188*.
Jesus; vgl. Christus.
Joanuis Evangelium; vgl. Traetatus.
Johann XXII. 128 131».
Johann von England 74.
Johann von Viktring 133'.
Johannes Andreac 61 63 66 68 70
71 83 108* 1123 115* * 122.
Johannes Faventinus 291 40 403 962.
Johannes Hispanus 29'.
Johannes Teutonicus 28' 29 291 31
38 42.
Johannes von Buch I121.
Josua 63.
Jndaei; vgl. Israel.
Judex 62 72 73 75 76 77 IV 80» 87
106' 108 128.
Judex ccclesiasticus 743 753.
Judicium 30 31 74 77 * 93 1033 1073.
Julian Apostata 37.
Juramcntum: vgl. Eid.
Juramcntum fidelitatis 34 35 36 39 40
83 91 101 104 112 115 ff.
— illicitum 60' 61 63 64
753 86 104.
Jurisdiction (Gerichtsbarkeit, Gewalt)
päpstliche, absolute 126 ff.
— ratione peccati : vgl. dieses.
— subsidiäre 75 94 94> 95
106*.
— Ausdehnung über weltliche An-
gelegenheiten 98 104 106 ff
Jus ad rem und ius in re 20* 118
137.
Jus commune 117 *.
— exclusivum 176.
— principale 175* 176 183.
— proprium 543 76‘.
K
Kaiser (Kaiserreich); vgl. Byzanz, Im-
perium.
Kaisergedanke 163 1 1 7*.
Kaiserideal 114.
Kaiserkrönung 9 93 10 11 II* 16*
26 44 49 51 54 56 66 71 72 82 83
84 110 114 1143 115 122 122» 123
129 134 137 187; vgl. auch Krone.
Kaisersohn 150; vgl. auch Königs-
sohn und Vater.
Kaisertitel 11.
Kaisertum 1 3 4 4‘ 5 51 7 V 8 11
12 14 15 IS* 16 16» 20 203 26 40
42 453 545 59 82 95 99 115 116
117 119 125 127 128 129 130 133
134 136 137 138 144: vgl. auch
Kaiserwürde.
Kaiserwahl 28.
Kaisorwürdo 11 ll1 13 16» 19 20 26
42 43 48 52 1 53 54» 57 71 73 74
82 97 97a 102 105 117 118 119
122 1223; vgl. auch Kaisertum.
Kaiserzcit, römische 28.
Kanonische Gesetzgebung 84 92 98
1023 113 132; vgl. auch Recht,
kanonisches.
Kanonisches Rcchtsbuch 21 99 125
159: vgl. anch Corpus iuris.
Kanonisten 40 65 67 70 104 111 128
139.
Kardinäle, Gefangennahme derselben
durch Friedrich II. 100 f.
Kardinallegat: vgl. Guido, Legaten.
14*
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212
Karl der Große 4* 9 9* 10 1 1 1 1 1
13 53 54» 94* 144 171».
Karl IV. 53» 154.
Karl von Neapel 128 129.
Karolinger 81 101 11 180.
Kassation (der Wahl) 88 89' 90.
Katholizismus 2 12» 19 50 139 143.
Kelsen 6».
Kirchenamt 13 19 21 26 32 33 37
42» 48 48 54» 59 59» 64 74* 85 86
87 88 89 91 95 109* 120* 133 134
135 136 137 138 144 180.
Kirchenbann 24 24» 35 36 37 38 39
39» 47 59 62 88 89 89» 90 90» 97
101 102 102» 107 108.
Kirchenbuße, öffentliche 83.
Kirchenrccht: vgl. liecht, kanonisches.
Kirchenstaat 10 10» 114 122» 130.
Kirchenstrafc; vgl. Strafgewalt, geist-
liche.
Kirchhöfcr 178».
Klagerecht 92* 101 1 108.
Klemens IV. 128 129.
Klemens V. 99 101 113 116 124 125
128 129 130 131 135 135*.
Klemens VI. 53».
Klemens VII. 103*.
Klerikalismus 5».
Kloster 80.
Koadjutor 37 109 138.
Koch 8».
Köln 43 45 49 56 123 154» 1821 184;
vgl. auch Annalen.
— Domkirche von Köln 45.
— Erzbischof von Köln 41» 44 56
68 69 83 84 114» 122 136
154» 162» 163 164 166 167
168 169 171 1 174 175.
König, fränkischer 9».
— französischer 1625 53» 106 1 115.
— germanischer 9».
— kroatischer 142 ».
— merowingischcr 35.
— römischer 122 123 145 175.
König von Böhmen 111 150 162’
169* 171* 172 174 175 175* 184.
— von Neapel 114 115 116*.
— von Portugal 109 1091.
— von Sizilien 15» 101.
— von Ungarn (und Kroatien) 95»
142 142».
Königreich, burgundisches 117.
— deutsches 3» 4 12; vgl. auch
Königtum, deutsches.
— lombardisches 117 129.
Königshaus: vgl. Herrscherhaus.
Königskrönung 57» 83 84 90» 96»
114» 124 124» 137 163 163» 164
169 180.
Königsschutz 10».
Königssohn 31 31* 47; vgl. auch
Kaisersohn und Vater.
Königswahlen, französische 17*.
Königtum 26» 74.
Königtum (Königswürde, Königsthron),
deutsches 14 16» 19 20» 21 24 ff.
27 35» 43 45» 82 95 98 101 102
118 f. 122ff. 130 133 f. 137 144
175 f. ; vgl. auch Eegnum, Rex.
Kollegium 151 158 160» 161 162*
174 178 185.
Kompetenz, fürstliche 158.
— kaiserliche 115 122.
— päpstliche (geistliche) 49 54*
75 76» 84 86 95 103 110 111
125» 127.
Kompilationen, kanonische 100.
Konkordat, Wormser 14 14» 27.
Konrad II. 161.
Konrad IH. 31 50 50» 65 73.
Konrad »V. 150 150» 161 178 180».
Konrad, Erzbischof von Mainz 164.
Konsensrecht ; vgl. Consensus.
Konsequenzmacherei (in der Glosse)
65 131.
Konsistorium 45 52».
Konstantinische Schenkung 35».
Konstitutiver Charakter der Wahl
bzw. Krönung 17» 187 156» 180.
i
I
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213
Konxil 100 104: vgl. auch Gencral-
konzil.
— Lateranensisches III. 64» 74*
78»
— Lateranensisches IV. SU 157.
— von Lyon 32 893 22 106!
— von Ravenna 107».
— von Soissons 12 11.
— von Vienne 22.
Kore: vgl. Kur.
Korporation 81 82 140 151 151» 152
152» 156 128 122 185 182,
Köapo; 53.
Krummer 18? 18! 122 20» 21! 21?
211 451 421 521 53» 79» 84 1131»
1 14» 1153 1241 133'.1 138! 142 151»
158 164' 1851 170» 1221 175»,* 1SU
185 1 86' 187» 188».
Kreuzzugs-Gelfibde 95».
Krieg 142.
Kroatien und Slavonien 142 142!
Krone, deutsche 43 58 63 1 14» 136.
— lombardische 114 114» 132.
sizilische 43.
— des hl. Stephan 142.
— des Kaisers 1141 127 1 131
Krönungs-Ordines 115».
Knke, Graf von 1683.
Knr 121 156» 158 162» 185 165» 169 172.
Kuraint (Kurrecht) 122 1 72 1 123 182 !
Kurformel (Kurspruch) 121 62 145
153' 162» 183 185 122.
Kurfürsten LU f- Hl3 LLS 120 134
156» 183 184 185.
Kurffirstenkollegium 8S 22 97'
133 135 L52 ff. 128 f. 1S5 187
Wahlverfahren innerhalb des-
selben 145 ff. 1421 153 158.
Wahlfürsten als Vorläufer der
Kurfürsten 88 156» 188 ff 120
170' 175*.
Absetzuu gsrucht der Kurfürsten,
343.
Kurie 43 48 95» 112 115 1253 145
161 167 188.
Kurverein von Rcnsc 18 16» 131 1 33»
188 186*.
I.
Ladung 155.
I.aicus 4Q 643 743 22 im
Lambert von Hersfeld 154 183 163»
Lamprecht 4» 176*.
Landau 12».
Landgraf von Thüringen 182 174.
Langhaus 177».
Langobarden 2.
Lateran 1 15: vgl. auch Konzil.
Laudatio 121 156» 172.
Leclnra in Decretales des Henricus
von Segusia 106!
Lectura in Seztum 1043.
Lectura sive apparatus des Hostiensis
123 175»
Lectnra super decretum 29!
Legaten, päpstliche 1 10».
— bei der Königswahl 28 923
163': vgl. auch Kardinallegat.
Legatum 77».
Lehenswesen 15 15? 40 41 411 24
22 100' 101 1011 115 1153 116
116“ 117 125 131 134 182!
Lcitungsrecht, kirchliches 2! 52! 54».
Leo L 22 86».
: Leo III. 9» 171!
Leo VIII. 33.
Leo XIII. 36.
Lez divina 76!
Lez regia 112».
Liber de praedestinatione et gratis
38.
Liber Seztus, 100 ff., 105 ff-, 109».
„Licet juris“, Constitutio, 187.
Licgnitz, Schlacht bei 4».
Lilienfein 6‘ 9» 126».
Lindner 12! 40 40! 863 113" 131! 142
1 1473 148 148» 149 142! 150 151
156» 159 167' 169*» 170* 121 1743
175' »* 128! 128! 1836 184».
Literatur, jnristische (im 13, Jahr
hundert) 171.
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214
Loening 1 38*.
Logik 2Ü! 126*.
Lokalbehörden (im Kirchenstaat); vgl.
Capitanei.
Lombardei 100» 114 112 129.
Loren?. 177*.
Loserth 431 1003 113« 18L1 173*.
Lothar von Supplinburg 11 1 511 23 24
148’ 160».
Lothringen-Brabant (Herzog von) 1£8
169 122 182'.
Lucbaire 453.
Lucius III 91».
Ludolf, Erzbischof von Magdeburg
1£5 1 05»
Ludwig, der Bayer 131 1 154 180
Ludwig der Fromme 11'.
Ludwig von Bayern 165, 167
Lupoid von Bebenburg 151* 187.
Luxemburg 114.
Lyon; vgl. Konzil.
M
Maassen 81 1Ü1 1 30.
Macht, kriegführende 142.
Macrocosmus 5*.
Mähren 1683.
Magdeburg; vgl. Annalcs.
Magdeburg, Erzbischof von 1 65.
Magdeburger Chronik 165’.
Magyaren, 4.
Mailand, Erzbischof von 114*.
Mainz 44 13.
— Erzbischof von Mainz, 41s 441
1‘24 150 1503 1541 162» 163164 163 i
lfifi l£2 1£S 171 1 na 135 181 L84,
Majorität (M.-Prinzip) 11* 54» 52 f. 68
II 22 783 80» 81* 83 84 f. 32 33
133 135 143 131 f. 153 136 138
160 168 174 176 177 178 ff. 182 ff.
182 f.
Mandat 153*.
Marchio do Rumesperc 1683.
Marcus, Evangelist 28.
Markgraf von Brandenburg 162* 171 1
172 174 175.
Markgraf von Mähren 1683.
Markgraf von Meissen 169.
Marquardsen 4L
Martens 12« 14' 133 16' 24« 93' 125.
Mathaeus Paris 17I1.
Mauren 9.
Maurenbrechcr 11! 13! 141 3t* 43!
48 5ü! 1163 158* lfiü 160» 161'*
170*.
Maximilian L 16» 12.
Mayer Emst 12! 132 133 152 155
156» 152 158 153 16Q lfili! lfil 176*
I773 182*.
Mayr v. 201
Meinecko 43! 117*.
Meissen 169.
Meister 33‘ 34* 162» 172‘.
Merowinger 35 83 9fi-
Mesokosmos 5.
Metropolit 23.
Microcosmus 51
Militcs 35 126.
Minorität II! 79» 81 82! 153» 154
182» 3 185 182.
Mirbt 27».
Mittelalter 1! 5* 5! 13! 21P 28 126»
130 138 143
Molitor 331
Monarch 2fi 128! 13Q 142.
Mongolen 4 4*.
Monza 114*.
Moses 32 65.
Mühlhausen 43 1£5 167.
Münster, Bischof von 165.
N
Nabuchodonosor 38.
Nachfolger; vgl. Succession.
Nachwahl 125 175*.
Narratio de elect. Lotharii 160*.
Nation: Nationale Bedeutung des
Kaisertums 3', der päpstlichen
Macht 13'.
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215
Nation : Nationaler Charakter des
deutschen Staatsrechts 131.
— Nationales Interesse gegenüber
der Politik der staufischen Kaiser
51 58,
Naturrecht 140.
.Ne praetereat“, Bulle 131'.
Neapel 114 115 116 116*.
Necessitas teinporis 14.
Negligentia 106* 1Ü1 1QSL
Neuwahl 135 136 182,
Ncvers 116.
Nikolaus L 41 22 3fi 361.
Nikolaus II. 21.
Nobiles 1683 llß,
Nominatio 152 153 154 113 181.
Nord-Auierika 149.
Norwegen 26 '■
Notar 115.
Novella super Scxto Decr. 1 12*.
Nürnberg 186.
ü
Oberhäupter (des Weltreichs) 61.
Obrigkeit (Obere) kirchliche 65 126.
Occident: vgl. Abendland.
Oesterreich 311 821 142 142! * 1211.
Ohr 9*.
Oiensehlager 186 186? L
Opportunismus 1114 1115 155.
Orden 42a.
Ordination 86* 105.
Organisation 131, 1773 112.
— korporative 81 82 178.
Orient Iß 52 ‘.
Origines 32.
Ortroj, von 8L
Osservatore cattolico 82.
Ostia 1061.
Otto 1 14a 3 *.
Otto L Iß 33 33* 542 115 1153 15ßl
1502
Otto III. 171a.
Otto IV. 43 44 41 48 49 5Q 52 52?
55 56 58 6ß? 68 62 83 88 95a 1 153
156 166 1663 162 168 1683 162
181.
Otto, ep. Fris. 1633.
Otto, ep. Wirziburgcnsis 149.
P
Pactum; vgl. Vertrag.
Paganus 42 52 92.
Palca 353 121'.
Papst — Kaiser 102.
Papsttum 5? 11* 14 15 16 162 4fi 41
424151101113115118125146
177 122.
Papstwahl 85 145 146 141 151.
Päpstlicho Herrschaft „im Reich“
und „über das Reich“ 25? lßl.
Päpstliche Lehenshoheit 116 117.
Parallelismus 51
Parlamentsrecht 82 82 1 142 1421
Partei, kriegführende; vgl. Macht.
„ revolutionäre 142.
Parteigeist der deutschen Fürsten 13?.
Partikularismns 14 26 48.
Passau: vgl. Albert.
Pastor 103*.
Patrimonium ecclesiae 1 17 *■
Patronat 64 64 3 78a 1 10 1 10a 3.
Paulus, hl. 36 a.
Pax; vgl. Friedenswahrung.
Peccatum 24 743 15 16 93 94 98 lßl
102 103 104 105 107 3.
Perjurium; vgl. Eid.
Persecutor ecclesiae 62 23.
Personal -Verband 143.
Perversio judicii 11 *•
Peterskirche 114 1145.
Petrus, hl. 101 121 128.
Petrus Bertrandus Llfi.
Petrus Damiani 128 '.
PfafTenkönigc 16 113.
Pfalzgraf 343 62 Ul5 129 134 150
154 1 162 a 163 164 165 166 161
168 131? 122 123 134 175* 181 184.
Pfründe 110*.
Philalethes 1 *.
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216
Philipp von Schwaben 12? 13 A4 45
4£4iia&i52'sfi5aGo»eaeä
13 83! 88 20 90» 148 133 164
165 162 168 1G83 169 180 181.
Philipp August Ton Frankreich 74.
Philipp der Schöne von Frankreich JLi.
Phillips 12» 12* IM 45» 32? 743 93»
113« S-6 1261 128 3 136» 163* 167*
173
Philosophie, griechische 5».
Piemont 115.
Pippin 30 38 94 « 96 144
Plato 31
Poenitentia 38 74
rofkiC 31
Politik, deutsche 31 28.
— europäische 98.
— französische 20».
— päpstliche 71 LI 141 23 43 43
51 58 60 84 134.
— sizilische 5!
Populus Romanus: vgl. Rom.
Portugal 102 1021 138
Postulatio 60 793 923 121' 136 1367.
Potvstas tcmporalis (in temporalibus)
13? 26> 25 753 93 1221
Praelati 1021 HO3.
Praeneste: vgl. Ouid».
Prärogative ; vgl. Vorrecht.
Präsentation 28 78».
Präsident von Nord- Amerika 82' 142.
Praetor 80».
Präzedenzfall 30 50‘ 23 24.
Priestertum; vgl. Sacerdotium.
Princops (in verschiedener Bedeutung)
12 1 1021 1061 112» L13L
— in der Bedeutung „Rcichs-
fürst“: vgl. Fürsten.
Principatus (in populos, unus princi-
patus) 32 106 102 127.
Principium nnitatis 107.
Priorität (der Wahl) 54».
Privation 95» 101 1 102 103 109* IIP.
Privationsklage 101 !
Privileg, gefälschtes, Leos 111. für
Otto L 33.
Privilegien Ottos L 115».
— Friedrichs II. 171.
— päpstliche, als Rechtsgrund
des kurfürstlichen Wahl-
rechts 134.
Privilegienhoheit des electus 122 1223
137.
Protest Heinrichs VII. 113.
— von Speyer 43 45* 46 46]
52* 133 132 f.
Provisio imperii 33? 112*.
Prozeßrecht, englisches 81 81«.
— kanonisches 13 22 80 20 28
120 136.
— römisches 81*.
Prüfungsrecht, päpstliches 54» 20 LI
112 120 121 136.
Psaluti; vgl. Knarrationes.
Pseudo-Isidor 73' 221 92'.
Publicatio; vgl. Scrutininm.
Publizistik, kurialistische 201
Publizität (der Exkommunikation) 90*.
Quelle des Rechts 140
„Qui celum“, Bulle 100 113 147»
176* 122 177» 184.
Quidde 156» 169» 173».
K
Rabulistik (in der Glosse) 66.
Raspe: vgl. Heinrich.
Ratione peccati : vgl. Peccatum.
Rassentheorie 12».
Raumer 4? 431 1003.
Ravenna, Konzil von 107».
Kaymund von Pennaforte 743.
Recht, altes und neues 170'.
— deutsches 201 134 133 144 149»
IM 132 122 128 181 182
IM 186» 188».
— kanonisches 26 22 38 42 32
38 52 60 62 62 20 21 23
II 80 84 83 86 863 88 20
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217
94 96 98 107 IO« 11 fi 117
12Q 125 129 130 131 132
132 IM 133 IM 133 138
1383 144 145 146 148 149
L3Q 131 132 133 134 133
139 IGO 169 178 178 179
186 187 188.
— öffentliches 2£Li 23 SO 64 82
1242. 123 142 143.
— österreichisches 20 !
— privates (Zivilrecht) 2Q2 64 92'
108 109'.
— römisches 64 11 21 77» 8Q 80»
81« 89 96* 1Q22 112* 1412
179.
— Wesen des Hechts 138 ff.
vgl. auch Jus, Prozeßrecht,
Staatsrecht.
Hechtsbewußtsein, öffentliches 72.
Hechtsbuch: vgl. Kanonisches.
Kecbtsbüchcr, deutsche 1715182 182s
Rechtsentwicklung, deutsche (germ.)
62 IQ 22 132 115 02 1823 133.
— kanonische 94 116 188.
Rcclitsformen, alte deutsche 179
— kanonische 863.
Hechtskollision 143.
Rechtsordnung 14Q 141 142 143 149.
Rechtspersönlichkeit 20 !
Rechtsphilosophie 1383 139
Rechtssachen, bürgerliche; vgl. Recht,
privates.
Reconciliations-Verhandlungen 131 1
Recursus 128.
Redlich, Oswald 53» 1 1 33,* U2I 176«
185*.»
Redlich, Otto 343,« 95» 1003 188*.
Reform, cluniazensischc 12.
Regicrungshandlungen 176.
Rcgnum, rex (Romanoruui) 33 33«
122* *
Rehm 12 22 3» 4‘ fii 24i
Rei vindicatio 201.
Reich, fränkisches 3 31 62 2 1 1 35.
— hl. römisches, deutscher Nation
12 32 4 11 4343 107 122 144:
vgl. auch Imperium, Kaiser-
tum, Kaiserwürde.
Reichsfürstenstand 161 163 162 170
171 173 176.
Reichsgewalt: vgl. Zentralgewalt.
Reichsgut 138 185.
Reichsrecht 13 4Q 33 332 83 112
138 1383.
Reichsregiment 168.
Reichstag, deutscher 821
— von Braunschweig 175.
— von Frankfurt 177« 1821 1 86«.
— von Nürnberg 1683.
— von Würzburg 177*.
Reichsverfassung 178.
Reichsverweser 1 28* 134 1 63 : vgl.
auch Vikar des Reiches.
Religion 1 122 75».
Rense; vgl. Kurverein.
Renunziation (eines Abtes) 8Q 81 ‘.
Reorganisation 177»; vgl. auch Organi-
sation.
Reprobatio (eines Walilwcrbers) 42 32
34 56 61 5 83 112 121 124.
Requisitio (votorum) 82.
Reue: vgl. Poenitentia.
Reuß 1743.
Reuter 2i
Rezeption 12 23 132 133 146 147 148
142 13Q 131 132 133 153* 154 131
159 180 181 188.
Rheims; vgl. Hincmar.
Richard von Kornwall 154 161 126
1 76s 184 186.
Richteramt 13 II IS 12 81 2ü 23
108 115: vgl. auch Schiedsrichter.
Rictschel 202 1 66».
Riezler 173!
Rittertum 4L
Robert von Neapel 53» 114 113 116
117' 128 122.
Rock, unteilbarer 126».
Rodenberg 1693.
Roeßler 21
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218
Roger von Hovcden 171 *.
Rom 1 2 22! 4 5! 8 2 11 1228 35
1122 LU 1171 US 122 121L
— römisches Gebiet 10'.
Komfahrt LLi IM.
Rudolf von Habsburg L! 113 1 1 3&
IM 183« 185 186.
Rudolf von Schwaben 24 25 923 3
181 184
Kudorff 14».
Kuinesperc I683.
Rußland 26!
S
Sacordotium fii 30 33* 421 521 231
105 121* 126 121
Sachsen 1 1 13 122 134 162! 163 168
171 ■ 172 174 173 184.
Sachsenbausen 186.
Sachsenspiegel 15 151 1 12* 156* 153
138 ISO 162 162! 130 170* 1 131!
133 114 182! * 184.
Sackur 22.
Sacramentum 21 91* 10.5.
Sacrilegus (sacrilegium) 42 52 66 82
21 21! 221 21 100 102 103'.
Sägmnller 2! fil 11 12«.
Salbung 111 54*.
Salomon, König 32.
Salus aeterna 60'.
Sanctuarium 64 643.
Sanioritas 181 85.
Savigny, v. 1231.
Scelcra (als Indignit&tsgründe) 1(X).
Sch&fer 14!
Scherer, v. 8* 20! 21! 23! 221 64!
£1! 35* 139'.
Schiedsrichter 24 25 34 44 46 51 M
12 13 34 26 13 82 25 100103104
185 186.
Schiedsrichterauit, päpstliches 34! 44!
54! 103*.
Schild, Erhebung auf Schultern oder
Sch ISO.
Schirrmacher 1773.
Schlacht 186!
Schnürer 101.
Scholastik 22 32 65,
Schröder 2! 12! 33« 34Ü 41! 54! 58!
26! 101! 1 703 111* 132! 1 186* 187
Scbücking 3L
Schulte v. 8* 22! 31! 403 fil ' 3 *-* 3
25! 106! 110 116* 123!
Schuster 1 121 1703.
Schwaben ; vgl. Sucvia.
Schwabenspiegel 15 15« 1823 185.
Schwcmer 453.
Schwert 15 145 126 127‘ 1413.
Sclavia (Sclavonia) 124.
Scrutinium 81 92* 155 152 157,J 158
152 160 16Q1 3 164
Sedcs Apostolica 48 42 52> 53 60 62
25 28 10£! 101 107» 124 121 122
133 134 135.
Seeliger 52 1 132 142! 1724
Scgusia: vgl. Hosticnsis und Heinrich.
Seyrich 2i
Sicherheitseid 114.
Sigfrid von Kppenstein 79!
Sillani (Scyllanei) 66,
Simonie 26, 923.
Simson, v. 49!
Sitte, deutsche 64 'gl. auch Brauch.
Sizilien 5 5! 12 14! 15 15s 42 100
101 146 117!
Slavonien 142 142!
Söhne von Verschwörern 82,
Sohm 12!
Sohn: vgl. Kaisersohn, Königssohn,
Vater.
SoisBons, Konzil von 121!
Solemnitas 121 !
Sonderbewußtsein (der Stömrne) 167.
Sou*erSnit&t 4! fi! 38! 103.
Spanien 261 28!
Speyer 44, 54
Spruchpraiis 23.
Staatsgedanko, römischer; vgl. Rom.
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219
Staatskirchenrcckt 2? 28 22 25 26
10.5 106' 109» 133 13L
Staatskirchlichc Organisation 131.
Staatsrecht, deutsches 15 215 131 132
144 177.
osterreiches und ungarisches
132.
Stade; vgl. Albert.
Städte 125 1251 133 183«.
Stämme (Stameshcrzogtümer) 4 2
162 167« 133 172'.
Stammler 1 38 3
Stephan 11. 24 h
Steuer (-Immunität) 1093.
Stimmengleichheit (-Verhältnis) 13
81* 171».
Stimmennbertragung 133 i 60 3 1 Gt» 3.
Stimmenzählung; vgl. Scrutinium.
Strafgewalt, geistliche 23i 31 132
107» 133.
Strakosch-Grassmann 4 3.
Strohal 20'.
Substitutionsrecht 31 33 32 26,
Succcssion (successor) 283 32 33 62
63 £3 65 131 133 132 132J 121
Suevia 65.
Summa contra gentiles des hl. Tho-
mas von Aquino 51
Summa des Hostiensis 1 16*.
Summarien 97'.
Superior 60
Suprematie 23 131 130.
Suspension 23i 32 321 8JLJ 88 23 8L
Sutri, Bischof von 903.
Sybol v. 31 5? 6*.
Symbole der Thronerhebung 180.
Synergismus 5 51 31 144.
Synode 23 35,
Systom, staatskirchenrechtliches 38
22; vgl. auch Hierokratie
und Staatskirchenrecht.
— staatswissenschaltliches 2.
r.
Tacitus Ul
Tangl 121
Tannert 156» 169».
Tarantaisc, Erzbischof von 33.
Taube des hohen Liedes 126
Territorialstaat 1093 142.
Testament, altes 12».
Testator 773.
Theismus 1411.
Theodosius 81
Theokratie, jüdische 12h
Theologie 2 135 139.
Theorien ; vgl. Binus Actus, Bresslau,
Deposition, Elektoren, Erzürnter,
Hierokratie, Korporation, Lindncr,
Mayer Ernst, Potestas in tempora-
libus. Kassen, Rezeption, Sachsen-
spiegel, Translation, Wahl, Zwei
Schwerter.
Thomas von Aqnino 51
Thomas Wikes 111
Thronstreit; vgl. Doppelwahl.
Thüringen, Landgraf von 162 174.
Timotheus-Brief 36*.
Titus-Brief 32.
Tomck 128 '.
Tractatus in Ioannis Evangelium 105'.
Translationsthoorie 11* 521 833 231
96 3 113 118 119 120 121 121 130
134 136.
Treue — Gelöbnis (— Pflicht) 17' 38
32 33 601 23 132 133.
Trcuga Dei 16 76! 23.
Trevcr. Gest. Cont. 1653 166J.
Trier, L63 173.
— Erzbischof von Trier 413 120*
150 162 3 163 165 3 166 166* 3
162 168 171' 183 185,
Tyrannus 32 52 22,
U.
Umstand Ul 151 156 162*.
Cnctio 47 38*12 53 56 92118112
121 123,
Ungarn 25 142 1421 ; vgl. auch König.
Unitas actus 52 57 3 86 81 26 132
135 135151152 156 172 128 183
181 L82 1823 183 184 IM 186 182.
Universalismus 31 5 51
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•220
Univorsalreich : vgl. Weltherrschaft.
Universitas 6 ».
Unterschriften der Wähler 166*.
Untcrtanon, Eid der 18 41 102.
Urban II. 33 35».
Urban IV. 1UQ 148.
Urteil Ui 54» 81« 113 LII 156».
Usus : vgl. Brauch.
Utilitas ecclesiae 2L
V.
Vakanz UMl 128 1 _?8' 129 1.54.
Vancsa 123L
Vasallität 33 41 101 115 11t; 116» t
IM 131
Vater: vgl. Söhne.
Vater (kaiserlicher, königlicher) 150*
183 170: vgl. auch Kaisersohn,
Königssohn.
Vclletri 106'.
Verband 132 140 143 U2.
Vercelli, Commune 1081.
Verfassung, deutsche: vgl. Staatsrecht,
deutsches.
— kirchliche 2* 17!).
— österreichisch-ungarische: vgl.
.Staatsrecht, österreichisches
und ungarisches.
Vergabungen (von Reichsgut) 135.
Vergleich 81 .
Verhältnis von Staat und Kirche:
vgl. Staatskirchenrecht.
Verschwörer 82.
Vertrag M 74,
Verwandschaft (als Indignitätsfall)
48 85.
Vicarius Christi 106».
Vienne, Konzil von 22,
Vikar des Reiches 122 IS) 137: vgl.
auch Kcicbsverweser.
Vikar, päpstlicher 129 135,
Viktor II. 128» 142,
Viktring; vgl. Johann.
Vincu[um caritatis HL
| Volk, deutsches 51 2Q 54» 131 134
188
Volk, Teilnahme desselben an der
Königswahl 161».
Volkssouveränität: vgl. Souveränität.
Vollwort U! 131 136 182 1G2» U2.
Vormund 80».
Vorrecht (Vorrang bei der Wahl) 82
70 93' 15G* 158 1G3 1G5 1G7 ]68
1695 172 1721 174 18|
Vorschlag (Wahlvorschlag) 78» 111*
163» 174».
Vorstimm (wähl) recht 15G» 169* 172'.
| Vota: vgl. Collatio, Stimmen.
W
Wähler 82 88 1361 1U 152» 133 153»
134 136 I6üi 162! 170* Uli 175*
177».
Wählerkreis 156» 1G1 1G8 181.
Wählerkurie 147 153 1G1 1G2.
WatTengang 8L
Wahl, kanonische (kirchliche) 12 21
42 48 32 13 78» 12 21i 83 86 82
88 82! 22 120 148 148 148! 131
151» 132 IM 138 157» 182 1SL
— des Präsidenten der Ver-
einigten Staaten von Nord-
Amerika 149.
— des Präsidenten des Parlaments
82»: vgl. auch Doppelwahl,
Nachwahl, Neuwahl.
Wahlausschroibung 163.
Wahlbeschwerde von 1202 : vgl. Pro-
test von Speyer:
— wegen der Mainzer
Doppelwahl 79».
Wahldekret 120 120» 132 138 134
183 1G5» 168 1G6» 168» 173 114
188 186».
Walilformol ; vgl. Kurformel.
| Wahlfürstcn : vgl. Kurfürsten,
j Wahlkapitulation 2! 92* 135.
Wahlkollegien 160» 181 161».
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Wahlleiter 166.
Wablort 133 ÜÜ 184.
Wahlprotokoll 17‘.
Wahlreich UL
Wahlstatt, Schlacht von 4*.
Wahltheorieen 171*.
Wahlurtcil 1563 I <i2a.
Wahlversammlung 263 145 Itil.
Wahlvorrecht; vgl. Vorrecht.
Wahl zeugen 162*.
Waitz 1221 1773.
Wattenbach 1303.
Weiland 1532 167* 123 1 7.1*
Weistum 125 1773 1 8ti‘.
Weistum, Braunschweiger 17.7 175s.
Weizsäcker 1491.
Welfen; vgl. Partei.
Weltganzes 73.
Weltgeschichte in Charakterbildern
3».
Weltherrschaft 51 3! 143 101 117» 144
Weltliche Angelegenheiten 77 90 93
93 1 98 102.
Weltlicher Herrscher 1112 126.
Weltreich, christliches 1 l1 6 9 11
15 23 94 93 Ml L12 112 124 125
121 123 129 151 L33 143 144.
Weltreich, riimisches 1_.
Werminghoff ISS 3
Weruusky 15(1 3
Wetzor- Welte 1161.
Weyl 9».
Wien IM U2 1733 114.
Wilhelm von Holland 115 183® 134
186*.
Willebriefe 178.
Willkür 182 3.
Wilmann 111? 1773 177‘.
Windscheid-Kipp 92».
Winkeltnann 431 903.
Wipo, Vita Chuotiradi 61 1 L
Wolfsgruber (1‘.
Worms, Bischof von 79
Wormser Konkordat 14 142 97
Wretschko, von 81* 1253 132 133
1451 143 143* 151 1523 1533 1573
1142 18Q 182 3.
Würzburg, Bischof von 149 1503.
/.
Zacharias 3(1 94 4.
Zaringin 41 31 83.
Zeno 123.
Zensuren, kirchliche: vgl. Strafgewalt,
geistliche.
Zentralgewalt Ml 413 97.
Zentralisation 5 1 3.
Zeremonie 111* 153 187.
Zeuge 13 108 : vgl. auch Wahlzeuge.
Zeumer 1252 1773 133 18B34 IS7».
Zweidrittel-Majorität 85.
Zweischwerter- Theorie 15 152 41 126
Zwiekur (zwiespältige Wahl); vgl.
Doppel wähl.
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Verlag von M. & H. Marcus in Breslau, Kaiser-Wilhelmstr. 8
Festgabe Für Felix Bahn
zu seinem 50 jährigen Doktorjubiläum
gewidmet von gegenwärtigen und früheren Angehörigen der
Breslauer juristischen Fakultät
I. Deutsche Rechtsgeschichte
10 Mark
Beycrle, Konrad: Ergebnisse einer alainannischen Urbarforschung 2, — M.
Brie, Siegfried: Die Stellung der deutschen Rechtsgelehrten der Rezeptions-
zeit zum Gewohnheitsrecht . . . • 1,20 M.
Hedemann, Justus Wilhelm: Die Fürsorge des Gutsherrn für sein Gesinde
(Brandenburgisch-Preussische Geschichte) 1,60 M.
Naendrup, Hubert: Dogmengoschichto der Arten mittelalterlicher Ehren-
minderungen 5, — M.
Schnitze, Alfred: Gerüfte uud Marktkauf in Beziehung zur Fahrnis-
verfolgung 2, — M.
II. Römische Rechtsgeschichte
3 Mark
Kleineidam, Feodor: Beitrüge zur Kenntnis der lei Poetelia 1, — M.
Klingmüller, Fritz: Über Klagenverj&hrung und deren Wirkung 1, — M.
Leonhard, Rudolf: Die Replik des Prozessgewinns (replica rei secundum
me judicatac), ein Beitrag zur Lehre von den beiden Funktionen der
exceptio rei judicatac 1,20 M.
III. Recht der Gegenwart
9 Mark
Beling, Emst: Die Beschimpfung von Religionsgesellschaften, religiösen
Einrichtungen und Gebräuchen, und die Reformbedürftigkeit des § 166
StGB 1,20 M.
Fischer, Otto: Vollstreckbarkeit 1,80 M.
Gretencr, Xaver: Die Religionsverbrechen im Strafgesetzbuch für Russ-
land vom Jahre 1903 1, — M.
Hey mann, Emst: Die dingliche Wirkung der handelsrechtlichen Traditions-
papiere (Konnossement, Ladeschein, Lagerschein) 3,20 M.
Jacobi, Ernst: Die Pflicht zur Berufung der Generalversammlung einer
Aktiengesellschaft 0,80 M.
Meyer, Herbert: Die rechtliche Natur der nur scheinbaren Bestandteile
eines Grundstücks (§ 95 BGB.) 1, — M.
Schott, Richard: Über Vcrüusserungsverboto und Resolutivbedingungen im
bürgerlichen Recht 1,20 M.
Druck von A. Favorke, Breslau
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Verfall des offiziellen und Entstehung
des privaten Zweikampfes in Frankreich
von
Alexander Coulin
Dr. jur. und Dr. pliil.
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Untersuchungen
xur
Deutschen Staats* und Rechtsgeschichte
herausgegeben
von
Dr. Otto Gierke
Professor der Rechte an der Universität Berlin
99. Heft
Verfall des offiziellen und Entstehung
des privaten Zweikampfes in Frankreich
von
Alexander Coulin
Dr. jur. und Dr. phil.
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1909
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Verfall des offiziellen
und
Entstehung des privaten Zweikampfes
in Frankreich
Alexander Coulin
Dr. jur. and Dr. pbll.
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1909
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Alle Rechte Vorbehalten
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Josef Köhler
in steter Dankbarkeit und Verehrung
gewidmet
vom Verfasser
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Inhalt.
Seil«
Inhalt VH
Verzeichnis der Abkürzungen IX
Vorwort XV
Erste« Kapitel:
Oer Niedergang des gerichtlichen Zweikampfs im französischen
Recht.
Erster Abschnitt:
Die städtische Bevölkerung und der Zweikampf.
§ 1. Die flandrischen Privilegien 1
§ 2. Die übrigen Privilegien der städtischen Bevölkerung des zwölften,
dreizehnten, vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts ... 2
§ 3. Die Jnden- und Lombardenprivilcgion 29
Zweiter Abschnitt:
Die Kirche und der Zweikampf.
§ 4. Die Stellung der Konzilien, P&pste und kirchlichen Schriftsteller
zum gerichtlichen Zweikampf 30
§ 5. Der Einfluß der Kirche auf die Formalien des gerichtlichen
Zweikampfs 40
§ 6. Kampfgerichtsbarkeit kirchlicher Gerichte, Teilnahme dos Klerus
am Kampf und privilegium fori 48
Dritter Abschnitt:
Das Königtum und der Zweikampf.
§ 7. Die französischen Könige und der gerichtliche Zweikampf vom 61
Beginn des zwölften bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts
§ 8. Der gerichtliche Zweikampf und die französischen Könige in der
Zeit von 1260 bis 1306 69
§ 9. Die Ordonnanz von 1306 und die weitere Entwickelung des ge-
gerichtlichen Zweikampfs 87
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vm
Zweites Kapitel :
Oie Entstehung des modernen Privatzweikampfs.
Erster Abschnitt:
• Der Vorgänger des modernen Privatzweikampfs.
§ 10. Einleitung 107
$ 11. Die Entstehung des außergerichtlichen ernsthaften Zweikampfs 116
§ 12. Die Entwickelung des außergerichtlichen Zweikampfs bis zur
Mitte des sechzehnten Jahrhunderts 126
Zweiter Abschnitt:
Der moderne Privatzweikampf.
§13. Die Entwickelung des modernen Privatzweikampfs in Frankreich 139
§' 14. Die EepressiTgesetzgcbung gegen den modernen Privatzweikampf
bis zum Tode Heinrich 111 142
i
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Verzeichnis der Abkürzungen,
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WarukSnig, Flandrische Staats- und Rechtsgesohichtc. Bd. 21. Tübingen
1836.
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Vorwort.
Untersuchungen über die Geschichte und Dogmatik des Zwei-
kampfes sind in den letzten Jahrzehnten wieder modern geworden ;
auch an populär-wissenschaftlichen Schriften, die in mehr oder
minder tendenziöser und dilettantischer Weise diesen Gegenstand
behandelt haben, ist zur Zeit kein Mangel. Soweit sich die vor-
handenen Arbeiten mit der Rechtsgeschichte des modernen Zwei-
kampfes beschäftigt haben, haben sie großenteils auf einem histo-
risch unzureichenden Material ihre Leitsätze aufgebaut. Die Lücken
der Überreste haben sie dabei weniger aus den Quellen der be-
handelten Zeit, die doch wirklich nicht so spärlich fließen, als aus der
Tiefe ihrer eigenen Spekulation ergänzt. War schon durch diese
wenig kritische Methode ein leidlich getrübtes Bild entstanden,
so trug man zum Überfluß noch moderne Anschauungen in die
Darstellung rein geschichtlicher Vorgänge hinein. Aber auch von
einem andern Fehler, der in der mehr spekulativen und bequemeren
Art des Arbeitens seine Wurzel findet, hielten sich die Arbeiten
noch bis in die neueste Zeit nicht immer fern. Ausgehend von
dem schiefen Gedanken, daß Rechts- und Kulturinstitute innerhalb
des westeuropäischen Kulturkreises gleichmäßig und nach gleichen
Gesetzen entstehen, sich ändern und vergehen, hat man nicht be-
dacht, daß wie die Ursachen, so auch die Art und Weise der ge-
schichtlichen Veränderung sehr mannigfaltig sind; ja man hat
sogar in der irrigen, von der historischen Wissenschaft, längst über-
wundenen Auffassung, als ob die nordgermanische Rechtsgeschichte
das Urbild und der Repräsentant der gemeingermanischen sei,
Quellen dieses Kreises mit westgermanischen Quellen kombiniert
und daraus historische Kontinuitäten konstruiert, und hat es dem-
gemäß nicht für nötig erachtet, ehe man au die Darstellung der Ge-
schichte des westeuropäischen modernen Privatzweikampfes heran-
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XVI
trat, die Entwickelung des gerichtlichen Zweikampfes, des Turniers
und der Fehde und die Entstehung des Privatzweikampfes inner-
halb der schon früh abgeschlossenen kleineren Kultur- und Eechts-
gebiete Westeuropas mit Mitteln, die dem heutigen Stand der
historischen Wissenschaft entsprechen, zu untersuchen. Man zog
vielmehr unter Überspannung der komparativen Methode in buntem
Durcheinander Quellen des einen Rechtsgebietes zur Darstellung
der Geschichte des Zweikampfes in einem anderen Rechtsgebiete
heran und gab das so gewonnene, in den verschiedensten Farben
schillernde Mosaik für eine Geschichte des westeuropäischen Zwei-
kampfes aus.
Unter Benutzung der in meiner Darstellung des gerichtlichen
Zweikampfes im altfranzösischen Prozeß gewonnenen Resultate
sollen in dieser Schrift die genetischen Zusammenhänge des ge-
richtlichen Zweikampfs, des Turniers und des modernen Prirat-
zweikampfs in Frankreich untersucht werden. An der Hand der
Ergebnisse dieser Spezialuntersuchung und der Untersuchung der
Zweikampfinstitute in anderen, auch sonst in der Entwickelung
des Straf- und Prozeßrechts ihrer Zeit verhältnißmäßig abge-
schlossenen Gebieten wird sich dann erst rechtsvergleichend unter
Beiseitelassung einzelner Sonderbildungen ein Bild der Ent-
wickelungsgeschichte des westeuropäischen modernen Zweikampfs
zeichnen lassen. Freilich ist dies ein mühsamer und langwieriger
Weg; dafür werden aber die Ergebnisse einer derartigen Unter-
tersuchung auch größeren Anspruch auf Richtigkeit erheben dürfen,
wenn auch exakte Resultate hier so wenig wie auf anderen Ge-
bieten der wissenschaftlichen Forschung zu erzielen sein werden.
In der Geschichte der französischen Kampfinstitute tritt ein
Zug scharf hervor: Mit dem allmählichen Verschwinden des
kämpflichen Beweises aus dem Zivil- und Strafprozeß kommen
außergerichtliche ernsthafte Zweikämpfe bei den Angehörigen des
Ritterstandes mehr und mehr in Übung. Der Erforschung dieser
Erscheinung, die sich als eine historische Entwickelungsreihe sehr
komplizierter Natur darstellt, der Herleitung und Darstellung der
den modernen privaten Zweikampf beherrschenden Idee, die sich
in unveränderter Starrheit trotz des Wechsels der äußeren Formen,
in die sie sich kleidete, Jahrhunderte lang gleich geblieben ist,
und der Entwickelnngsgeschichte dieser äußeren Formen bis zu
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XVTI
dem Moment, wo diese sich so konsolidieren, daß die Formen des
modernen Privatzweikampfs unschwer als deren Spielart ange-
sprochen werden dürfen, und als Delikt gebrandmarkt. werden, ist
diese Arbeit gewidmet.
Das erste Kapitel behandelt den Niedergang des gerichtlichen
Zweikampfs.' Von den ersten Symptomen einer allmählichen Ver-
drängung des kämpflichen Beweises, die als Ausfluß der Giiden-
politik der flandrischen Städte zu Beginn des zwölften Jahrhunderts
in Erscheinung treten, ausgehend werden die französischen Städte-
privilegien, soweit sie sich mit dem Zweikampf beschäftigen, ana-
lysiert und gruppiert; dabei läßt sich eine immer schärfer hervor-
tretende, anfangs auf Einschränkung des kämpflichen Beweises,
später auf Abschaffung des kämpflichen Grußes gerichtete Tendenz
erkennen. Sodann wird die Stellung der Kirche zum Zweikampf
kurz skizziert; es zeigt sich dabei, daß die maßgebenden kirch-
lichen Faktoren in dieser Frage eine gesunde Realpolitik ver-
folgen, sich im großen und ganzen von einer übertriebenen Be-
kämpfung dieses Beweismittels mit Rücksicht auf die geschichtlichen
und kulturellen Grundlagen des Gebietes femhalten und erst mit
dem allmählichen Vordringen des Enqueteverfahrens nach dem Norden
und seinem Eindringen in die königlichen Gerichte die Anwendung
des Zweikampfs absolut verbieten. Weiterhin wird die Stellung-
nahme der französischen Könige zum Kampfordal erörtert; das auf den
ersten Blick planlos und schwankend erscheinende Verhalten der
Kapetinger erscheint bei tiefer dringender Betrachtung als das
Ergebnis einer klugen Rechtspolitik, die keineswegs von der mehr
abstrakten Frage, ob der gerichtliche Zweikampf ein sicheres und
sittlich erlaubtes Beweismittel sei, Richtung gebend bestimmt
wurde. Im großen und ganzen richtete sich die königliche Ge-
setzgebung in der Zeit vom Beginn des zwölften bis zur Mitte
des dreizehnten Jahrhunderts nach den Wünschen der drei Stände;
die Kirche wurde in der 'Ausdehnung der Kampffähigkeit auf ihre
Eigenleute begünstigt, die Städte wurden durch immer weitere
Beschränkung des Kampfzwanges in ihren Interessen geschützt und
der Adel wurde seinen Wünschen entsprechend mit gesetz-
geberischen Maßregeln auf dem Gebiete des Kampfrechts verschont.
Der wachsende Einfluß der legistischen Theorie führt eine grund-
sätzliche Änderung in der Gesetzgebungspolitik herbei; auch die
U
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xvrn
Zweikampfsgesetzgebung wird auf alle Stande ausgedehnt, gleich-
zeitig wird im Interesse der Schaffung und Stärkung der könig-
lichen Justizhoheit der Zweikampf beschränkt und die Enquete
kraftvoll gefordert und dadurch der Adel nicht unerheblich in
seinen Interessen geschädigt; diese Maßnahmen sind das Werk
der zweiten Hälfte des dreizehnten und des ersten Drittels des
vierzehnten Jahrhunderts; im Mittelpunkt der Betrachtung stehen
dabei die Ordonnanzen von 1260 und 1306. In dieser Zeit hatte
sich die nichtritterliche Bevölkerung des Kampfes entwöhnt; der
Zweikampf selbst war feierlicher, prunkhafter nnd exklusiver ge-
worden; gegen die Ordonnanz von 1306 und die mit ihr im Zu-
sammenhang stehenden Anordnungen reagierte nur noch der Land-
adel. Trotz des äußeren Erfolges den die „humides priöres“ der
Ritterschaft hatten, war das Schicksal des gerichtlichen Zwei-
kampfes, als der erste Valois den Thron Ludwigs des Heiligen be-
stieg, endgültig entschieden. Vereinzelt kommen allerdings noch
Kampfprozesse im fünfzehnten und zu Beginn des 'sechszehnten
Jahrhunderts vor; aber schon die Schriftsteller der zweiten Hälfte
des sechszehnten Jahrhunderts kennen den Kampf als prozessuales
Beweismittel nicht mehr aus eigener Anschauung und geben da-
her nur ein getrübtes, vielfach verworreneres Bild dieses Instituts.
In einer Zeit, in der der gerichtliche Zweikampf innerhalb
der durch die Gesetzgebung Philipps des Schönen gezogenen Grenzen
noch in lebendiger Rechtsübung stand, setzte eine neue Entwicke-
lungsreihe ein, die vom tomeamentum quasi hostile particulare ihren
Ausgangspunkt nimmt und als Kontrastbewegung zur Verdrängung
des gerichtlichen Zweikampfs aus der Praxis den Kampfgedanken
auf eine neue Basis stellt: Der Zweikampf wird das einzig zu-
lässige Mittel der Bewährung der ritterlichen Ehre; mit dieser
Entwickelungsreihe beschäftigt sich das zweite Kapitel. Wenig
gefährlich von äusserster Courtoisie beherrscht, Mannesmut, Ehr-
gefühl und persönliche Verantwortlichkeit stärkend, hat dieses In-
stitut während zweier Jahrhunderte ein glanzvolles und nützliches
Dasein geführt, bis auch ihm das Königtum, das eine exklusive
Zuständigkeit für die Gestattung dieser Kämpfe im fünfzehnten
Jahrhundert beanspruchte und im sechzehnten Jahrhundert durch-
setzte, den Todesstoß gab. Anknüpfend an einzelne Elemente des
gerichtlichen Zweikampfs, hatte die vom Königtum beliebte Be-
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XIX
Schränkung <}es außergerichtlichen autorisierten Zweikampfs einer-
seits zu einer begrifflichen Annäherung desselben an den gericht-
lichen Zweikampf geführt und andererseits zu einer stetig wach-
senden Abneigung der ritterlichen Kreise, vor dem König oder
seinen Kommissaren zu kämpfen, Anlaß gegeben. In Anlehnung
an die prinzipiellen Gedanken des außergerichtlichen Zweikampfes,
aber in anderen äußeren Formen, die man auf den Kriegszügen
in Italien kennen lernte, hält nunmehr der Privatzweikampf seinen
Einzug in die französische Rechtsgeschichte; seine Blütezeit ist
nur von kurzer Dauer, umso länger aber die durch die Zeitver-
hältnisse und die Haltung des französischen Königtums bedingte
blutige Erntezeit, in der die Blüte des französischen Adels ver-
nichtet wurde.
Um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts setzte eine
strenge Repressivgesetzgebung ein , die bis zur Revolution in
Geltung blieb, und drückte dem ritterlichen Institut das Brand-
mal des Verbrechens auf; an dem ehrliebenden, waffenfrohen,
trotzigen Sinne des französischen Adels prallte die Hochflut dieser
Gesetzgebung machtlos ab; keine Todesstrafe, keine Konfiskation
hat es vermocht, den Privatzweikampf zu beseitigen; ja gerade
unter der strengsten Repressivgesetzgebung war der Kampf ä ou-
trance am häufigsten; die Verdrängung des Privatzweikampfs aus
der breiten Öffentlichkeit, die Nötigung der Duellanten „ä la
mazza“ oder, wie man in Frankreich sagte, „dans beaux champs“
zu fechten, ist vielleicht ilie einzige dauernde Wirkung dieser Ge-
setzgebung gewesen; in der Praxis aber sah man sich bald ge-
nötigt, die Strenge der Gesetze durch nicht immer angebrachte
Begnadigungen zu paralysieren. Seit dem Beginn des siebzehnten
Jahrhunderts weist die französische Antiduellgesetzgebung, trotz-
dem sie zahllose Edicte produzierte, so gut wie keine neuen le-
gislatorischen Gedanken auf, auch die äusseren*Formen des Privat-
zweikampfs, die wir nunmehr als Erscheinungsformen des Zwei-
kampfdelikts anzusprechen haben, ändern sich wenig und unwesent-
lich, so daß man berechtigt ist um die Wende des sechzehnten
und siebzehnten Jahrhunderts in der Entwickelung des Zweikampf-
problems in Frankreich wenn auch keinen Abschluß so doch einen
hervorragenden Ruhepunkt zu konstatieren; dieser Umstand recht-
fertigt den formellen Abschluß dieser Arbeit an diesem Punkte
der Entwickelung des Problems.
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XX
Bei dieser Arbeit ging mein Bestreben darauf, nicht nur eine
referierende oder eine pragmatische, sondern vielmehr eine gene-
tische Geschichte des Zweikampfes zu geben und ihn systematisch
und konstruktiv zu erfassen. Hoffentlich ist es mir dabei gelungen
das ungeheuere Quellenmaterial so auszuwählen und so zu ver-
dichten, daß der Zusammenhang der einzelnen Entwickelungsreihen
stets klar erkennbar geworden ist, damit diese Arbeit auch der
Erkenntnis des so verschieden beurteilten modernen Privatzwei-
kampfs dienstbar gemacht werden kann; denn nur dann wird sie
den mit der Darstellung rechts- und verfassungsgeschichtlicher
Probleme zu verbindenden weiteren Zwecken vollauf entsprechen.
Ich freue mich, daß ich auch diese mannigfach umgestaltete
und erweiterte Arbeit gleich meiner philosophischen Doktor-
dissertation, die in ihrem Teildruck sich mit dem Thema der
ersten beiden Paragraphen dieser Arbeit befaßte, meinem hoch-
verehrten Lehrer, dem Herrn Geheimen Justizrat Professor Dr. Josef
Köhler, als Widmung darreichen darf.
Berlin, im Januar 1909
Couiin
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Erstes Kapitel
Der Niedergang des gerichtlichen Zweikampfs
im französischen Recht.
Erster Abschnitt
Die städtische Bevölkerung und der Zweikampf.
§ i
Die flandrischen Privilegien.
Die französischen Stadtverfassungen sind wie die deutschen
erst im Mittelalter entstanden. Die fränkische Periode hat noch
keine Städte im Sinne des Mittelalters gekannt. Marktrecht,
Immunität, Gerichtsbarkeit und politische Selbstverwaltung zeichnen
die Städte des Mittelalters in rechtlicher Beziehung aus. Die
Rechte der Städte beruhen auf Privilegien, die teils bei der Grün-
dung, teils bei der Erhebung eines Ortes zur Stadt verliehen und
späterhin hauptsächlich anläßlich der Bestätigung und Erneuerung
dieser Privilegien oder auch bei anderen Gelegenheiten vielfach
erweitert wurden. Unter diesen Privilegien befinden sich nun seit
Anfang des zwölften Jahrhunderts Rechtssätze, die die Stellung
der städtischen Bevölkerung oder eines Teils derselben hinsichtlich
des gerichtlichen Zweikampfes regeln.
Die frühesten zur Zeit bekanntet! Privilegien dieser Art finden
sich in den flandrischen Küren.
In Ypern war man bis zum Jahre 1116 gewohnt, bei Klagen
durch duellum, judicium igniti ferri aut aque den Gegenbeweis
zu führen. In diesem Jahre gab nun Balduin der sechste, Graf
von Flandern, omnibus burgensibus Ypre libertatem quinta manu
per quatuor electos parentos suos juramento se purgare. Konnte
der Beklagte den Eid nicht leisten oder mißlang der Eid, so
zahlte er Wette und Buße. Damit war jede Möglichkeit eines
gerichtlichen Zweikampfs unter den burgenses beseitigt1).
*) vgl. Warnkönig, Flandrische Staats- und Rechtsgeschichte Bd. 2l
c'ottliu, Zweikampf In Frankreich 1
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2
Nach der der Stadt Saint-Omer im Jahre 1127 vom Grafen Wil-
helm von Flandern bewilligten Küre werden alle Angehörigen der
Gilde auf allen flandrischen Harkten in allen Sachen unter Aus-
schluß des kämpflichen Beweises dem Urteile der Schöffen unter-
stellt1).
Dieser Art von Privilegien reiht sich im Jahre 1187 ein
solches für die Stadt Tuurnay an. In ihm bestimmte Philipp-
August: nemo civium alium civem ad duellum provocare poterit;
die Bürger sollen sich vielmehr in ihren Prozessen unter einander
der aqua frigida oder des Eidhelferbeweises, selbdritt oder selb-
siebent, bedienen’).
Wie Thierry ausführt3;, verdanken die nordfranzösischen
Städteprivilegien dieser Zeit wesentlich den Gilden ihre Entstehung.
Dieser Ansicht darf man aber auch, soweit sie die städtischen
Kampfprivilegien anlangt, ohne weiteres beipflichten, da diese
Privilegien den großen Zielen der Gildenpolitik gerecht, werden,
indem sie den Kampf zwischen Angehörigen der Gilde bezw. der
Gemeinde aus dem Prozeß ausschalten und durch Beweismittel
ersetzen, die rascher eine Entscheidung herbeizuführen geeignet
waren, keine besonderen, nur mit Zeitverlust und bei körperlicher
Gewandheit erlernbaren Fertigkeiten voraussetzten und so der Ge-
werbe- und Handelstätigkeit der Städtebewohner mehr entgegen-
kamen.
§ 2
Oie übrigen Privilegien der städtischen Bevölkerung des
zwölften, dreizehnten, vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts.
I. Wenn die Privilegien in anderen Teilen Frankreichs auch den
Zweikampf nicht ohne weiteres ausschlossen, so ist ihnen doch
fast ausnahmslos eine denselben mehr oder minder beschränkende
Tübingen 183G. p. 58 no. 75. — Warnkoenig, Histoire de la Plandre (_ V.
p. 321 bei Proost, Kecherches p. 96.
') vgl. Giry, S. Omer p. 372 f. — Girj bezieht dieses Privileg auf
sämtliche Einwohner; demgegenüber habe ick aber schon in meinem alt-
französisckcn Zweikampf p. 31, Note 8 dargetan, dall es sich nur auf die
Gilde erstreckt.
*) Tournay (1187) Ord. XI p. 250. art. 21. — vgl. hierzu Le Glay A.
d. N. L p. 76. "
s) Thierry I. p. 25 f.
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8
Bestimmung eigen. Wie in Deutschland, so lassen sich auch in
Frankreich eine Reihe von Stadtrechtsfamilien, die das gemeine
Recht der einzelnen Landschaften durchbrechen, unterscheiden.
Wo eine Gemeinde ein wünschenswertes, ihren Rechts-, Verfassungs-
und Wirtschaftsverhältnissen entsprechendes Privileg in Übung sah,
trachtete sie darnach bei Verleihung oder Bestätigung ihrer eigenen
coutume die Aufnahme dieses Privilegs von ihrem Stadtherrn in ihre
coutume zu erlangen. Wo ein Stadtherr mehreren Gemeinden
Privilegien erteilte, verlieh er den einzelnen Gemeinden dieselben
oder ähnlich lautende coutumes. So kommt es denn, daß die
einzelnen Stadtrechte oft wörtlich übereinstimmende oder doch
ähnlich lautende coutumes besitzen und sich in dieser Hinsicht
den deutschen Stadtrechtsfamilien vergleichen lassen. Trotz der
Verschiedenheit, die die einzelnen Stadtrechtsfamilien aufweisen,
lassen sie sich doch auf Grund ihrer kampfrechtlichen Bestim-
mungen in größere Gruppen einordnen. Dem Inhalt nach lassen
sich die kampfrechtlichen Bestimmungen der französischen Städte-
Privilegien unterscheiden in solche, die den Personenkreis der
Kampffähigen beschränken, in solche, die die Rechtsverhältnisse,
über welche im Kampfprozeß entschieden werden kann, beschränken,
in solche, die den Rücktritt vom Kampfrechtsverhältnis erleichtern,
in solche, die die prozessualen Voraussetzungen des kämpflichen
Grußes vermindern, und in solche, die die Ausschließung des
kämpflichen Beweises in das Belieben der Parteien stellen.
II. Über die gemeinfranzösischen persönlichen Voraussetzungen
und Beschränkungen der Kampffähigkeit habe ich bereits in meinem
gerichtlichen Zweikampf1) gehandelt. An dieser Stelle handelt es
sich darum, über das gemeine Recht hinausgehende, in Städte-
privilegien enthaltene, den Personenkreis der zum Kampfrecht un-
tereinander Fähigen einschränkende Bestimmungen hervorzuheben.
In dieser Hinsicht lassen sich zwei Beschränkungen feststellen.
a) Im Jahre 1179 verlieh Ludwig VII. der Stadt Etampes ein
Privileg das die Verwendung von Mietskämpfen *) in den Prozessen
der Stadtbevölkerung ausschloß, er bestimmte nämlich: „Campio
conducticius non recipiatur5).“ Ähnlich, aber im Ausdruck präziser
*) Gerichtlicher Zweikampf p. 21 ff.
*) Über den Begriff vgl. Gerichtlicher Zweikampf p. 88 f.
*) Etampes (1179) in Ord. XI, p. 212 art. 8.
1*
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4
ist eine Bestimmung des im Jahre 1190 von Philipp -August der
Stadt Amiens bestätigten Stadtrechts, die folgendermaßen lantet:
„Infra tines communie non recipietur campio conducticius contra
hominem de communia '). Noch weiter ging das im übrigen dem-
selben Ideenkreis entstammende Privileg Philipp-Augusts für
Crepy-en-Valois vom Jahre II So; dieses ordnete an: „Si homo
de communia hominem de communia per vadia appelaverit per se
ipsum aut per advocatum s) qui sit de communia appelabit; nul-
lusque ab utralibet parte erit advocatus qui non sit de communia“*).
b) I legen Ende des zwölften Jahrhunderts scheint zwar der
Begriff des crimen publicum im gemeinfranzösischen Recht noch
nicht ausgebildet zu sein, während ihn das kanonische Recht in
dieser Zeit schon nach römischem Vorbild aufnahm; trotzdem
kommen Fälle von Oftizialverfolgung in dieser Zeit im weltlichen
Recht vor, die aber als schwere Mißbräuche empfunden werden,
wie uns gegen sie gegebene Privilegien bezeugen. Diese Privi-
legien richten sich in gleicher Weise gegen weltliche, wie gegen
geistliche Gerichtsherrn. So hat Philipp- August im Jahre 1181
der Stadt Novon folgendes Recht verliehen: „Si episcopus implaci-
taverit aliquem de communia pro aliqua foris factura vel
pro banno, non poterit convinci vel appelari per aliquem
servientem ejus , nisi alium approbatorem adduxerit , qui
si defuerit sacramento se purgabit“ *). Ein ähnliches Privileg gab
derselbe König der Stadt Roye im Jahre 1183; dieses Privileg
bestimmte: „Si super Burgensera de forisfacto clainorem fecerimus,
nequaquam ei per duellum faciemus comprobari; sed ßurgensis
super hoc forisfacto, recto stabit judicio Scabinorurn eoque se de-
fendet, nisi aliquis clamator forisfactum recto judicio eorumdem
difracionare possit et talis sit clamator qui difraeionare sufficiat.
') Amiens (1190, 1209, 1225) in Ord. XI, p. 26G art. 17.
*) d. h. Kampf stell Vertreter i. c. S.; vgl. darüber Gericbtl. Zweikampf
p. 88.
*) Crepy-en-Valois (1185, 1215) in Ord. XI. p. 306 art. 25. Es ist
übrigens nicht ganz unwahrscheinlich, daß diese Privilegien auf das Stadt-
recht von liouen zurfickgchen, das allerdings einen ziemlich schwierigen
Ifeweis für die Mictskimpfenqaalit&t des zurückzuweisenden Kampfstcllver-
trcterB verlangt. Vgl. hierüber Gerichtl. Zweikampf p. 91, Not« 5.
4) Noyon (1181) in Layettes no 307.
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5
Serviens enim n oster hominpm de communia per vadia non potent
appellare, si super Burgensein forisfactum nostrum assequi pote-
rimus1). Fast gleichlautend damit ist ein Privileg desselben
Königs für Cr6py-en-Valois, in dem es heißt: „Nos etiam non
possumus, nec aliquis de servientientibus nostris appellare per
vadia duelli hominera de Communia5). Dieses Privileg scheint
wieder einem im Jahre 1195 der Stadt Saint-Quentin verliehenen
als Vorlage gedient zu haben; in diesem bestimmt Philipp-August:
„Nos vero nec aliquis serviens quem habemus hominem de com-
munia per vadia appelare possumus5).
Wie ich schon in meinem gerichtlichen Zweikampf hervor-
gehoben habe4), spielt bei diesen Privilegien auch das Moment
der geminderten Freiheit mit, der Hauptgrund dieser Privilegien
ist aber in dem Umstand zu suchen, daß dieser Art von servien-
tes, die nebeneinander mit den vavassores genannt werden, von
vornherein infolge ihrer ständigen Übung im Kampf eine nicht
zu unterschätzende Überlegenheit über die städtische Bevölkerung
in dem Prozeß zur Seite stand und daß diese Ungleichheit der
Bedingungen dem Wesen des Ordals widersprach. Dieser Gedanke
der mangelnden Gleichheit der Bedingungen, liegt wohl auch einer
weiteren Bestimmung der contume von Saint-Quentin zu Grunde.
Dort heißt es: „Si vavassor aut serviens burgensi catallum debeat
et iustitiae nostrae iudicio scabinornm stare nolit maior ei iubere
debet, ut infra dies 15 talem habeat dominum, qui pro catallo
burgensis eum iudicio stare faciat; quem si infra terminum non
adduxerit, per iustitam nostram et scabinos de eo catallo proseque-
tur iustitiam. Si vero adduxerit dominus ille, aliquem ex parte
sua statuere poterit, qui in die sibi statuto de eo catallo intra
villam iustitiam teneat usque ad vadia et insuper hoc catallo data
fuerint vadia dominus debet utrumque ad duellum infra duas leucas
salvo conducto ducere et reducere“ s).
') Roye (1183) in Ord. XI. p. 229 art. 13.
•) Crilpy-en-Yalois (1185, 1215) in Ord. XI, p. 30G art. 19.
5) Saint-Quentin (1195) in Ord. XI, p. 272, art. 15.
4) Gerichtl. Zweikampf p. 21 II und III.
l) Saint-Quentin (1195) in Ord. XI, p. 273 art. 34- Vgl. auch Le Glay
in A. d. N. I. p. 77 zu art. 41, wo allerdings der Zweck des Privilegs nicht
erkannt ist.
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Das Schwergewicht liegt in diesem Privileg auf der Ermög-
lichung eines unbeeinflußten, gerechten Urteils; ist eine Bürgschaft
hierfür in der vorgesehenen Weise nicht zu erlangen, so findet
ein kämpfliehes Verfahren nicht statt. Hierher ist auch ein Pri-
vileg für La Boche-Pot vom Jalire 1233 zu rechnen, das wieder
stärker die von vornherein bestehende Ungleichheit der Personen
hervorhebt und in Streitigkeiten um Schuld, falls Gläubiger oder
Schuldner ein prepositus oder sertiens des Gerichtsherrn ist, den
kämpflichen Beweis ausschließt. Hugo von La Röehe-Pot bestimmte
nämlich hier: „Et si prepositus vel serviens noster factam nobis
creanciam negaret creditor cum duobus legitimi testimonii viris
iuratis contra ipsum probaret. Similiter prepositus vel serviens
noster pagamentum factum creditoribus probaret sine bello, sine
duello“ ').
III. Über gemeinfranzösischen oder in dem Rechte einzelner
Landschaften vorkommenden Ausschluß des kämpflichen Beweises
beim Streit um bestimmte Rechtsverhältnisse habe ich in meinem
Gerichtlichen Zweikämpf schon die entsprechenden Angaben ge-
macht“). Hier sollen nun die Beschränkungen, die sich in Städte-
privilegien linden, soweit sie den Kampf zum Beweis irgend welcher
Rechtsverhältnisse der Stadtbevölkerung betreffen, erörtert werden.
In Betracht kommen hier nur einige den Eigenschaftsprozeß be-
treffende champagner Urkunden, die, wie sie auch ursprünglich
gedacht gewesen sein mögen, ob als Privilegium favorabile, für die
einen Bürger als Eigenmann beanspruchenden Herren oder als
privilegium onerosum dieser Herren, wogegen allerdings der Text
der Urkunden spricht, doch in ihrem Geltungsbereich eine neue
Bresche in die allgemeine Zulässigkeit des kämpflichen Beweises
legten. So wurde der Kampf durch den Zeugenbeweis ersetzt für
Kigenenschaftsklagen gegen Einwohner von Chaource, und die
Kanoniker von Saint-Quiriace mußten ihre serfs durch Zeugen-
beweis der Eigenschaft überführen 3). Ein Privileg für Eimes vom
Jahre 1227 ließ nur bei der Unmögliclikeit des Eidhelferbeweises
■) La Hcchc-I’ot (1233) bei Garnier II no. 328.
a) Gerichtlicher Zweikampf p. 4. 7. 8. 10 11 fl'. 17. 18.
*) Chauurce (1165) und Saint-Quiriace (1176) bei D’Arbois de Jubain-
rillc 111, p. 160 n». 135 und ii». 252.
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7
den kämpfliehen Beweis in dieser Art von Prozessen zu '), während
gemeinrechtlich fast tiberall der Zweikampf gebräuchlich war*).
IV. Eine weitere Gruppe von Privilegien war zwar nicht auf
eine Beschränkung des Zweikampfs von vornherein gerichtet, aber
dadurch, daß diese Privilegien feste Gebührensätze für den Ver-
gleichsabschluß enthielten und diese je nach dem Stadium, in dem
sich der Prozeß befand, abstuften, so daß zu Beginn des Kampf-
rechtsverhältnisses kleinere und dann fortlaufend immer höhere
Gebühren erhoben wurden, bestimmten sie die Parteien zur Ein-
gehung von Vergleichen und hielten sie indirekt vom kämpflichen
Austrag des Prozesses ab, der ja besonders in Strafsachen, wo die
talio supplieii drohte, für die Parteien viel unangenehmere Folgen
haben konnte, als sie die Zahlung einer unverhältnismäßig ge-
ringen Gebühr mit sich brachte. Von diesem Standpunkt aus
betrachtet, erscheinen auch die nunmehr zu erörternden Privi-
legien als Momente, die gleichzeitig als Ursachen des beginnenden
und als Begleiterscheinungen des sich vollziehenden Niederganges
des gerichtlichen Zweikampfs angesprochen werden dürfen. In der
großen Reihe dieser Privilegien lassen sich unschwer zwei Klas-
sen unterscheiden, je nachdem eine Mitwirkung des Richters
beim Vergleichsabschluß ausdrücklich erfordert wird oder der
Vergleichsabschluß unter den Parteien ohne richterliche Mit-
wirkung gültig abgeschlossen werden kann. Eine ganze Anzahl
von Privilegien aus dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert
lassen sich weder der einen noch der anderen Abteilung zuzählen,
da die Ausdrücke, die die Form des Vergleichsabschlusses be-
treffen, zu farblos gewählt sind, um in dieser Richtung einen
Schluß zu gestatten.
a) Der ersteren Kategorie gehört die coutume von Lorris vom
Jahre 1155 an; mit den übrigen Privilegien dieses Stadtrechts
hat auch der hier in Frage stehende Artikel 14 eine sehr große
Verbreitung gefunden3), die höchstens noch an Zahl der Tochter-
') Firne» (1227) in Layettes no 1913; vergl. Escneil (1229) in Layettei
no. 2017.
*) vgl. Gerichtl. Zweikampf p. 6 f.
*) vgl. i. B. Montargis (1170, 1320, 1537) in Ord. XI, p. 472 art. 17 —
14 Gemeinden (1175, 1412) in Ord. X, p. 51 art. 13. — Voisines (1187, 1391)
in Ord. VII, p. 450 art. 14 — Ervy (1199, 1376) in Ord. VI p. 201 art, 11 =
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Privilegien durch die loi de Beanmont-en-Argonne übertroffen
wird. Dieses durch Ludwig VII. der Stadt Lorris-en-Gätinois
verliehene Privileg lautet: „Etsi homines de ... . vadia duelli temere
dederint et Prepositi assensu antequam ohsides tribuantur concorda-
verint duos solidos et sex denarios persolvat uterque et si obsides
dati fnerint septem solidos et sei denarios persolvat uterque.
Et si de legitimis hominibus duellura factum fuerit, obsides devicti
centum duodecim solidos persolvent '). Dieses Privileg bringt der
Bevölkerung der damit bewidmeten Städte eine große Er-
leichterung gegenüber dem gemeinen Recht. Mit der Reichung
des Kampfespfandes wurde ja einerseits das Klagrecht konsumiert,
andererseits das Bcweiserfüllungs- und Beweisannahmegelöbnis
bekräftigt und abgeschlossen8), und die Parteien waren nunmehr
bei Vermeidung der Sachfalligkeit gezwungen den Prozeß weiter
zu betreiben3). Demgegenüber begründet dieses Privileg einmal
einen Anspruch auf die Erledigung des Rechtsstreits durch Ver-
gleich, und dann gibt es, im Gegensatz zum gemeinen Recht, das
mangels einer gesetzlichen Vorschrift die Festsetzung der Ver-
gleichsgebühr dem freien Ermessen der Gerichtsherrn überließ,
wie schon hervorgehoben, feste Sätze für die Gebühren. Gleich-
zeitig normiert dieses Privileg die im Falle des Unterliegens von
den Bürgen zu entrichtende Gebühr4), die wohl der amende der
im Zivilprozeß unterliegenden Partei entspricht*), im Verhältnis
Buutiot, Troyes I, p. 279 — Clairy-en-Orleanois (1201, 1383, 1434, 1461) in
Ord. XV, p. 168 art. 13. — Mailly-le-Chäteau (1229, 1371) in Ord. V, p. 716
art. 12. — Vermanton (1235, 1410) in Ord. IX, p. 578, art. 16. n. a. m.
') Lorris (1155 1187 u. öfter) Ord. XL p. 201 art. 14.
*) vergl. Gcrichtl. Zweikampf § 18. V. p. 74 f.
*) vgl Gerichtl. Zweikampf § 55 p. 166 f.
4) Die Bürgenstrafe im Zivilprozeß, und wie wir wohl annehmen dürfen
auch im Strafprozeß, erscheint hier schon in einer verhältnismäßig frühen
Zeit gemildert, in Geld ausgedrückt und gesetzlich festgelegt: vgl. dagegen
für das gemeine Recht meinen Gerichtlichen Zweikampf § 54. V. p. 163 und
l’rou, Lorris p. 191 ff.
*) Zu dieser Folgerung bestimmen mich einerseits Urkunden derselben
Zeit, die einen ähnlichen Betrag für diese »inende festsetzten, wie Yille-
neuTC-prea-Pont (1175) in Ord. VI p. 320 art, 4, andererseits aber auch die
Erwägung, daß die Haftung des Bürgen wohl kaum auf einen höheren Betrag
als die anieude der Partei gehen kann.
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zu der in den ersten Stadien des Prozesses zu entrichtenden amende
leidlich hoch genug, um auch im Zivilprozeß oder im Prozeß
wegen kleinerer Straftaten den Parteien den Abschluß eines Ver-
gleichs als wünschenswert erscheinen zu lassen, ganz abgesehen
davon, daß auch in der Normierung einer festen amende für den
Prozeßverlust eine nicht zu unterschätzende Milderung gegenüber
dem gemeinen Hecht liegt, das in diesem Falle arbiträre Strafe'),
wo nicht peinliche Strafe*) verhängte. Waren nicht die gering-
fügigen amendes für den Vergleich in Zivil- und Strafsachen zu
Beginn und noch vor der Entscheidung, so könnte man in dem
Privileg wegen der eben erörterten Milderungen gegenüber dem
gemeinen Recht sogar einen Ansporn zum leichtfertigen Abschluß
eines Kampfrechtsverhältnisses, zum mindesten in Zivilsachen, er-
blicken. Dem widersprechen aber eine Unzahl von Urkunden, die
uns auf Schritt und Tritt begegnen und zeigen, daß dieses Pri-
vileg nicht gegen' die ihm zugrunde liegende ratio von den Par-
teien ausgebeutet worden ist.
b) Die andere Kategorie dieser Privilegien tritt, nach dem
uns vorliegenden Material zu urteilen, zum ersten Male mit dem
Stadtrecht von Villeneuve-prös-Pont, das im Jahre 1175 von dem
Pfalzgrafen Heinrich von Troyes erlassen wurde, in Erscheinung.
Die einschlägige, im Artikel 4 enthaltene Bestimmung lautet: „Si
vadia duelli data fuerint preposito homines sine preposito compo-
sicionem facere poterunt inter se sed facta composicione uterque
preposito offeret duos solidos et sei denarios quos prepositus si
voluerit accipiat et si eciam obsides dati sint componere poterunt
sine preposito et uterque reddet preposito septein solidos et sex
denarios si eos voluerit accipere. Si duellum victum fuerit, victus
reddet C solidos“ J).
Demselben Ideenkreis entstammt ein der Stadt Andelot im
Jahre 1269 vom Grafen Thiebaut V. von Champagne verliehenes
Privileg, das allerdings ausdrücklich betont, daß die amende von
100 Schillung nur für den Besiegten in Zivil- und kleineren Straf-
sachen normiert ist, während für die namentlich aufgezählten fünf
*) su diu artesische cuutumc (1800) bei Le (May, A. d. X. I. p. 79.
Dies nimmt Lo (ilay 1. c. wohl mit Recht für Cambray an.
3) Villenenvo-pres-Punt (1175, 1377) in Ord. VI, p. 320, art. 4.
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großen Verbrechen den Besiegten eine arbiträre Strafe trifft. Der
Wortlaut des Privilegs ist folgender: „Si qui vadia duelli dederint
et postea inter se eoinposuerint uterque solvet duos solidos et di-
midium pro emenda. Si maugra sacramenta facta fuerint et postea
composuerint uterque reddet quindecim solidos. Si duellum factum
fuerit victus persolvet centum solidos nisi duellum fuerit de furto
multro omicidio incendio vel prodicione quia tune esset victus
in voluntate nostra“ *).
In diese Reihe dürfen auch zwei weitere Privilegien, die die
Cäsur im Gebührentarif bei den ictus J) eintreten lassen und be-
sondere Strafbestimmungen für den Mietskämpfen enthalten, sonst
aber denselben Gedankengang, wie die beiden soeben angeführten
Privilegien, denen sie auch lokal nahestehen, erkennen lassen,
füglich gerechnet werden. Das eine dieser Privilegien ist noch
in lateinischer Sprache abgefaßt und im Jahre 1372 der Stadt
Clermont-en-Bassigny von Karl V. als coutume von 1348 bestätigt;
man darf aber wohl aus einer Vergleichung mit dem an zweiter
Stelle aufzuführenden im Jahre 1348 der Stadt Perrusses von
Guy de Clermont verliehenen Privileg, das nur eine freie fran-
zösische Übersetzung des Privilegs von Clermont ist und ent-
sprechend den königlichen Ordonnanzen des ersten Drittels des
vierzehnten Jahrhunderts den Kampf nur mit königlicher Ge-
nehmigung zuläßt, schließen, daß das Privileg für Clermont vor
1348 entstanden ist. Diese beiden Privilegien setzen für den
Besiegten eine amende von 100 Schilling und einer obole bezw.
maille fest; diese amende kann aber, wie schon erörtert, nur zur
Anwendung kommen in leichteren Strafsachen und in Zivilsachen.
Da sich nun aus dem Privileg von Perusses, wie wir auch sonst
feststellen können, eine strikte Anwendung der königlichen Ordon-
nanzen in diesem Gebiete von Frankreich ergibt und da die Ordon-
nanz vom Jahre 1306 den Kampf als Beweismittel nur noch in
den Fällen, wo es sich um die großen Verbrechen handelt, zu-
läßt >), so kann das Privileg von Clermont bezw. seine Vorlage,
>) Andolot (1269, 1396) in Ord. VIII, p. 126 art. 7.
’) Über diesen Begriff vgl. meinen Gericht!, Zweikampf § 44, V.
p. 130 f.
3) vgl. dieselbe in ltec. II. pag. 832.
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ganz abgesehen von dem Satz : Pugil etc. '), spätestens in den
ersten Jahren des vierzehnten Jahrhunderts entstanden sein.
T)as Privileg für Clermont-en-Bassigny hat folgendermaßen ge-
lautet: „Si vero duellum fuerit iudicatum coram domino vel coram
preposito suo deducetur et si armati fuerint in duello et sine icti-
bus concordes eos esse contigerit, unus quisque septem solidos et
sei denarios persolvet. Si autem post datos ictus concordiam
fecerit, unusquisque quindecim solidos et sei denarios persolvet.
Vietus autem in duello centum solidos et obole persolvet. Pugil
vero condueticius si vietus fuerit pede vel pugno privabitur*).
Das Privileg von Perrusses ist folgendermaßen gefaßt: „Pour
gaige de bataille li dit bourgeois plaideront pardevant moy
ou mes hoirs. Si eil qui auront gitie ledit gaige acordent sanz
cop ferir combien qu’il veignent en champ chascun paiera ä moy
ou ä mes hoirs sept souz et seys deniers Tournois et se il accor-
dent depuis le coups donnez chaseun paiera quinze soulz Tournois.
Qui sera vaincuz en champ de bataille il paiera ä moy ou ä mes
hoirs cent solz Tournois et une maille et li Champion qui se com-
batra pour autrui se il est vaincuz aura cop6 le pied ou le poing
pourveu toutes voyes ös choses dessus touchans gaige de bataille
que li Roy nostre Sire si eonsente“ s).
Ein ebenfalls hier aufzuführendes, in den Gebührensätzen
aber etwas abweichendes Privileg verliehen im Jahre 1256 König
Thiöbaut von Navarra und mehrere lothringische Herzöge der Stadt
Neuf-Chäteau-en-Lorraine, und bestimmten: „Se aucuns faisoient
bataille ä aucun et il en sont aecorde chacun doit six solz et
trois deniers d’amende et se aueuns ferme la bataille et li uns
est vaincus ... eil qui Champions est qui vaincus sera paient
cent solz d’amende et li Champions est en la merey ä Seigneur“ 4).
Eine geringere amende, nämlich 60 Schilling, wurde dem
Rechte von Anjou entsprechend*) nach der im Jahre 1190 von
Philipp-August und Richard I. von England der Stadt Tours be-
stätigten coutume von der im Zivilprozeß und Prozeß wegen
■) Die Vertretung durch Kämpfen war bekanntlich in Strafsachen un-
zulässig. Vgl. ücrichtl. Zweikampf p. 90, Not« 9 und p. 89, Note 4.
*) Clerniont-en-Bassigny (1348, 1372) in Ord. V, p. 600, art. 6.
*) l’errusscs (1348, 1383) in Ord. VII. p. 33 art. 14.
4) Neuf-Chäteau-en-Lorraine (1256. 1390) in Ord. VII. p. 365. art. 19.
b) vgl. ücrichtl. Zweikampf p. 153, Note 4 und 5.
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12
kleinerer Straftaten unterliegenden Partei erhoben; dagegen wurden
nur 7'/j Schilling für den Vergleich und zwar ohne Rücksicht
auf das Stadium der Prozedur erhoben l). Dieser Vergleich konnte
von den Parteien inter se, d. h. außergerichtlich abgeschlossen
werden4), wenigstens so lange das Obergericht noch nicht mit
dem Prozeß befaßt war. Dabei betont das Privileg ausdrücklich,
daß für die Niederlage die amende von fiO Schilling nur erhoben
wird, „nisi forte penam corporis sui meruerit“3).
Dieser Gruppe gehört endlich noch ein Privileg für die Stadt
Dreux an, das ihr im Jahre 1269 vom Grafen von Dreux bewilligt
wurde und in Einzelheiten Eigentümlichkeiten aufweist, im Großen
und Ganzen aber denselben Gedankengang wie die bisher betrachteten
coutumes widerspiegelt. Dies Privileg lautet: „Derechief. qui-
conques de la commune se plaint a joustice de chastel ou de heri-
tage ou de meffet s’il n’est tel que l’amende doie monter plus de
soixante solz il puet lessier la plainte se il li plest, se gages ne
sont doun6 et se gages sont doun6, Tarnende est pour les dens
parties de sept solz et demi et se gages sont ranforci^4) Tarnende
est pour les deux parties de vint et eine solz et se bataille est
jugiöe Tarnende est de soixante solz pour les deux parties“4).
Der durch die Ordonnanz vom Jahre 1306 geschaffenen
Ordnung tragen zwei Privilegien des vierzehnten Jahrhunderts
Rechnung, indem sie nur den Zweikampf im Strafprozeß berück-
sichtigen. Diese beiden Privilegien lassen ansdrücklich einen
außergerichtlichen Vergleich zu und beide kennen einen Vergleich
noch nach dem Ausgang des Kampfes; mit dieser letzteren Be-
stimmung stehen sie, wie ich in meinem Gerichtlichen Zweikampf
nachgewiesen habe, übrigens nicht vereinzelt da*). Das eine
dieser Privilegien findet sich im achten Artikel der im Jahre 1373
') ebenso Auxerre (1194, 1379) in Ord. VI. p. 421, art. 7.
ä) Ob dies, nachdem das Obergericht zuständig geworden war, noch
znl&ssig war, läßt sich bei der Unbestimmtheit der Stelle nicht mit Gewiß-
heit sagen.
*) Tours, S. Martin (1190) in Layettes no. 371. — vgl. Gerichtl. Zwei-
kampf p. 49.
*) d. h. nach der Bfirgenbestellung.
s) Dreux (1269) in Layettes No. 5575.
*) vgl. Gerichtl. Zweikampf § 45. V. p. 134.
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18
von Karl V. der Stadt Tannay bestätigten coutume und hat fol-
genden Wortlaut: „Se aucunes personnes de quelque estat que
eiles soient entrent en gaiges de bataille contre quelconques per-
sonnes que ce soit en la dicte ville pooste justice et lieux dessuz
diz et quelque eas que ce soit il pourront aecorder entre eulx
en paiant es diz Seigneurs ou Dam es qui a present sont et apres
seront ä leurs lioirs leurs bailli prevost ou prevosts ou lieutenants
ou deputez soixante solz tournois d'amende tant seulement et se il
sont arm6 ou entrent en champ ja soit ce qu’il soient combatu et il se
puissent aecorder entre eulx il s’en pourront yssir et departir en pay-
ant cent solz tournois d’amende fes dessus nommez ou ä Tun d’eulx sanz
autre punicion et entre porteront leurs armes quittes et delivreesen Tun
eas et en l’aultre et se li gaiges est oultrez Tarnende sera sur le vaincu
selon la coutume du pays“ ’). Wohl derselben Vorlage entstammt
die in den Gebührensätzen gleiche, aber in der Formulierung ab-
weichende coutume von Rouvray und la Cumoigne in ihrem zehnten
Artikel, die diesen Städten im Jahre 1367 vom Abt von Saint-
Germain-d’Auxerre verliehen wurde. Die einschlägige Stelle be-
stimmt: „Derechief nous avons octrojA et aecordons ä noz diz
Bourgeois Bourgeoises habitans et ceulx que dit est que se aucun.s
d’eulx baillent ou offrent gaige de bataille li uns contre l’autre
en Iugement ou autrement que doresnavant dudit gaige de leur
auctorite et volente soit receuz jugiez ou non il pourront aecorder
et faire paix ensemble senz dangier de Justice et senz amende
et se ainsi estoit que le dit gaige feust jugie ou oultrez et les
parties presentes en champ et eulx combatues ou non dudit gaige
les dictes parties pourront aecorder et faire paix ensemble pour
paiant soixante solz tournois et se ledit champ de bataille estoit
du tout accompliz et li uns vaincuz que cilz qui vaincuz sera et si
plfcge se aucuns en y a 2) seront quitte d’ amende envers Justice pour
payant par une fois pour principal et plbge cent solz tournois senz
empörter ne avoir autre penitence ou peine corporele ou civile“ *).
Im Zusammenhang hiermit verdienen zwei weitere Privilegien
') Tannay (confirm. 1373) Ord. YJL pag. GO art. 8.
3) Diese fakultative ßürgenbestcllung im Strafprozeß ist eine Singu-
larität dieses Privilegs und ein Anzeichen für die allm&lige Änderung und
den eintretenden Verfall dieser Prozedur.
3) Rouvray et la Cumoigne (1367, 1390) in Ord. VII, p. 345, art. 10.
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14
eine Erörterung; auch sie kennen nur noch im Strafprozeß den
Zweikampf und auch sie kennen als kleinste Vergleichsgebühr 60
bezw. 65 solz, eine amende, die im Vergleich zu den früher
betrachteten unverhältnismäßig hoch erscheint, uns aber bei den
soeben erörterten coutoumes von Tannay und Bo uv rav et la Cu-
moigne schon begegnet ist. Schon das Privileg von Drein ’) würde
uns aber den Grund dieser Normierung erklären, wenn wir nicht
anderweitig schon wüßten, daß man petits mefaits und grands
crimes in manchen Gegenden Frankreichs nach der dafür zu er-
hebenden amendes unterschieden hat, so daß alle Straftaten, die
mit mehr als 60 bezw. 65 Schilling bestraft wurden, den grands
crimes zugezählt wurden. Diese niederste Vergleichsgebühr von
60 bezw. 65 Schilling hat man demnach in den vorliegenden Privi-
legien deshalb so normiert, um auch die ganze Kampfprozednr
als zur grans joutise gehörig zu charakterisieren. Beide Privi-
legien erweisen sich auch insofern als innerlich verwandt, und
vielleicht nach derselben Vorlage redigiert, als sie die Cäsur im
Gebürentarif bei den ictus eintreten lassen. In dem Privileg für
Grancey bestimmte Wilhelm v. Poitiers, Bischof von Langres,
folgendes: „Toutes amendes qui seront faites en nostre dicte ville
de Grancey et ou finaige se gouverneront par la maniöre accous-
tumez cuy en arriere exccptez que se nostre hommes habitans de
la ville de Grancey appeloient li uns Pautre de gaige de champ
de bataille il pourroient estourder li uns ä l'autre se il leur plai-
soit parmi paiunt h nous soixante et sine solz de celui qui seroit
trovez en tort2): et s'il avoient ( ! ) en champ sanz cop donner ou se li
Premiers cop estoient donnez il pourroient acoorder parmi ladicte
amende en paiantä nous ou ä noz hoirs ou ä ceulx qui de nous auroient
cause les faiz et missions que mises y aurichiens pour ceste cause
depuis que li diz charaps seroit fourniez fut par le fait de conseil ou
autrement et se li champ estoit outrez li vaincu seroit ä nostre
voulente de corps et des biens“3). Das Privileg, mit dem im
Jahre 1354 Johann I. die Stadt Joinville begnadigte, hatte folgenden
’) »gl- oben pag. 12.
*) Vielleicht dürfen wir hier an einen Scheinkampf denken, wie ihn
das Recht von Amiens kennt und wie ihn Dom Morin für das Gätinois an-
nimmt. Ygl. Gericht!. Zweikampf p. 137, Note 2.
3) Grancey (1348, 1406) in Ord. IX, p. 161, art. 9.
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15
Wortlaut: „So aucuns des diz habitants estoient en gaige de ha-
taille, avant qui’il en soient armez il en peut faire paix et accord
et oster de peril panni soixante solz d'amende et se il en estient.
armez et deans les licez avant que coux en fust donnez il s’en
puent departir et oster de peril parmi cent solz d’amende. Et
en cas que li premier coup en seroient donnei que l’en dit les
coups le Roy encore en puent departir et oster de peril parmi
dix livres d’amende reservez les depenz de nous de notre eonseil
et de partie leaux taxation preeedant. Et si il advient que li
ehamps seroit parfaiz et fenis li convainou seroit en corps et en
biens a notre volentez“ ■). Dali dem Sieger eine Entschädigung
bezahlt wurde, ist dem Kampfprozeß der Spützeit beinahe überall
nicht fremd*), daß aber beim Vergleich dem Gericht außer der
amende depenz bezahlt werden, ist eine 'Eigentümlichkeit dieser
coutume. Ebenso lassen sich auch sonst keine Belegstellen dafür
finden, daß beim Vergleich (accord, paix) die eine Partei der
andern eine Entschädigung bezahlte oder die Kosten ersetzte,
während im Zivilprozeß wohl eine Abstandssumme in den Vergleich
aufgenommen wurde oder im Strafprozeß wohl bei Mord auch eine
Geldsumme bezahlt wurde5). Wo sich aber eine Entschädigung
der einen Partei beim Vergleich findet, ist sie Gegenstand des
Vergleichsvertrags und wird nicht etwa vom Gericht festgesetzt
und hat nicht den Charakter des Kostenersatzes. Die Erklärung
dieser Bestimmung ist vielmehr anderswo zu suchen. Weiter
unten4) werden Privilegien zu erörtern sein, die einen Rücktritt
der Parteien ohne Vertrag gestatten; bei diesem einseitigen Rück-
tritt findet sich nun eine Entschädigungspflicht des penitens, so
z. B. in einem Privileg für Vienne1). Es wäre nun immerhin
möglich, daß das Privileg für Joinville noch eine zweite Vorlage,
die einen einseitigen Rücktritt vom Kampfvertrag zuläßt, benutzt
hat und diese am Schluß verwendet hat, während sie den Anfang
einer andern Vorlage, die den Vergleich als einzige Möglichkeit
der Lösung des Kampfrechtsverhältnisses kennt, entnommen hat.
■) Joinville (1354) in Ord. IV, p. 297 art. 18.
*) Vgl. Gerichtl. Zweikampf § 48, p. 141.
J) Vgl. Gerichtl. Zweikampf p. 135.
4) pag. 22 ff.
*) Vienne (1364, 1391) in Ord. VII, p. 432, art. 31.
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lfi
Wahrscheinlicher und weniger gezwungen ist aber eine andere Er-
klärungsmöglichkeit. Vielleicht hat hier, wie wir dies schon für
das Privileg für Grancey angenommen haben, ein Scheinkampf
stattgel'unden, aus dessen Ergebnis eine Kostenersatzpflicht geltend
gemacht wurde.
c) Wie schon oben hervorgehoben '), sind uns außer den bis-
her erörterten Privilegien noch eine ganze Keilte anderer Privi-
legien erhalten, die dieselben Grundgedanken wie die bisher be-
sprochenen Privilegien erkennen lassen, bestimmtere Angaben da-
rüber, ob der Vergleich im Gericht oder außergerichtlich abzu-
schließen war, aber nicht enthalten. Es ist aber für unsere Zwecke
notwendig, auch sie hier, wenn auch nur summarisch, aufzuführen,
um zu zeigen, wie sehr das gemeine Recht durch derartige Privi-
legien durchbrochen wurde. Diesen Privilegien ist es, entsprechend
ihrer oder ihrer Vorlagen Entstehungszeit, eigentümlich, daß sie
in erster Linie den Vergleich in Zivil- und leichteren Strafsachen
berücksichtigen.
Im Jahre 1179 begnadigte Heinrich 1., Pfalzgraf von Troyes,
derselbe, von dem wir schon oben*) ein Privileg für Villeneuve-
prfes-Pont kennen lernten, die Stadt Melun mit einer Carta eom-
muniae, die unter anderem auch folgendes Kampfprivileg enthielt:
„Si de duello compositio sine ictu facta fuerit quinque solidis
emendabitur si post ictum compositio facta fuerit uterque dabit
triginta solides si duellum vietum fuerit vietus sexaginta solidos
persolvet“ 3).
Im Jahre 11X7 gab Herzog Hugo III. von Rurgund der Stadt
Dijon ein Privileg folgenden Inhalts: „Si compositio de duello
ante ictum vel post ictum fiat XXXII sol. et VI den. habebo; si
duellum vietum fuerit vietus LXV sol. persolvet“4). Dieses Privi-
leg hat dann in der Kourgogne eine ziemlich große Verbreitung
gefunden, so wurde es im Jahre 1257 der Stadt Pontaillier ver-
liehen 6). In den einzelnen Gebührensätzen abweichend und mit
arbiträrer Strafe des Besiegten, aber doch wohl nach dem Vorbild
■1 oben pag. 7.
J) Vgl. oben p. 9.
3) Melun (1179) in Layettes no. 299.
*) Dijon (1187) bei Garnier 1, pag. 9 no. 5 art. 22.
5) Pontailler (1257) bei Garnier 11, pag. 299 no. 374 art. 11.
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17
des Stadtrechts von Dijon, wie Garnier1) annimmt, wurde dann
durch Udo von Burgund der Stadt Beaune folgendes Privileg ver-
liehen: „Si compositio de duello ante ictum vel post ictum fiat,
LXV sol. et VI den. habebo; si duellum victum fuerit, in dispo-
sitione mea erit“8). Dasselbe Privileg wurde im Jahre 1231 durch
HerzogHugoIV. von Burgund derStadtMontbard gegeben und im Jahre
1 276wurde die StadtSemurmit ihm durch Herzog Robertn.von Burgund
bewidmet8). ln den Stralbestimmnngen diesen Privilegien ähnlich,
ist das Privileg Philipps von Vienne für Seurre vom Jahre 1278,
das folgenden Wortlaut hatte: „Se champ de bataille est abramis
et pais ou accord« en soit faicte devant le copt. ou aprfes le col
le sire de Sehure en aura d’amende 65 sols et se bataille est
oultree le vaincu sera en volunt« et en la disposition du seigneur
de Sehure4). Eine arbiträre Strafe des Besiegten kennt ebenfalls
ein Privileg für Moleme, das der Bischof Guy von Langres im
Jahre 1 260 dem Abt von Moleme bestätigte, es heißt da : „senotre home
de Moloimes qui sunt avoue forment bataille champel par devant
nos s’il font paiz ehascuns doit V sols d’amende li vaincu est en
nostre volante“ 5).
Eine coutume, die in den Gebührensätzen an das Recht von
Lorris erinnert6), nämlich die von Letfond vom Jahre 1285, be-
stimmte: „En cas de champ de bataille et de gages jetes si les
Champions s’accordaient devant qu’ils fussent ploiges ils devront
2 sols 6 deniers et 1 denier au maieur fors le meurtre et le lar-
ein s’ils sont ploiges et qu’ils s’accordent avant d’etre venus au
champ ils devront 7 sols 6 deniers et 2 deniers au maieur et si
la bataille est ferree et outree et sauf meurtre ou larcin le vaincu
doit 110 sols toumois et 12 deniers au maieur“').
•) Garnier meint irrtümlich in Bd. I, p. 210. Note 8 die coutume von
Beaune sei in ihrem Artikel 22 wörtlich übernommen, das ist aber nicht
richtig, wie eine Vergleichung der amendcs zeigt.
J) Beaune (1203) bei Garnier I, p. 210, no. 124, art. 22.
*1 Montbard (1231) und Semur (1276) bei Garnier II, p. 99 und 360,
no. 311, art. 22 und no. 388, art. 26.
4) Sourre (1278) bei Garnier II, pag. 214 no. 352, art. 8.
*) Moleme (1260) bei Garnier II, pag. 312 no. 377, art. 11.
*) Vgl. oben pag. 8.
7) Leffond (1285) boi Garnier II, pag. 397.
Conltn, Zweikampf In Frankreich 2
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Ein der Stadt Villefranche im Jahre 1217 von Archibald VIII.
von Dampierre genannt von Bourbon gegebenes Privileg stufte die
Gebühren nach der Zahl der Termine, für deren Einhaltung von
den Parteien immer wieder ein neues plegium veniendi ad jus be-
stellt wurde1), ab und hatte folgenden Inhalt: „Si bellum firmum
fuerit, de primo fidejussore habebit dominus XV sol. si pacem
fecerint, de secundo XV sol. de aliis duobus sexaginta solidos
et de bello victo nichil habebit dominus, nisi alios solidos snpra
dictos et perdet querelam. Si bellum firmum fuerit de furto vel
adulterio vel homicidio de perditione (!), victus erit in voluntate
domini; in omnibns aliis querelis victus nichil debet domino nisi
sexaginta solidos et perdit querelam’).
Die der Stadt Beaumont-sur-Oise *) im Jahre 1223 von König
Ludwig VTII. verliehene contume bestimmte über die beim Ver-
gleich zu entrichtenden amendes: „De vadiis duelli datis infra
banleugam habebit communia quindecim solidos tantum de hosta-
giis triginta solidos de duello victo sexaginta septem solidos et
dimidium si duellum fuerit de fundo terre vel pecunia“4). Die
amende beim Vergleich und die Strafe des Besiegten in den grollen
Strafprozessen sind hier arbiträr, außerdem tritt Konfiskation ein.
Die charte von Rethel vom Jahre 1253 hatte ein Kampf-
privileg folgenden Wortlautes: „Et se par aventure avenoit que
bataillie fust loice devant le prevost par tesmoignage de echevins
pour meuble ou j>ar heritage ou pour autre ehose et paiz en venoit
entre les parties chascune partie me paieroit quatre livres et
demi de parisis et qui vaincus seroit il perdroit toute la querelle
et si me paieroit tonte Tarnende devant dite et encore avec les
counstanges de la bataille raisonnablement ä l’eswart des esche-
vins“ *).
') Vgl. Gericht! Zweikampf § 21. V a. pag. 82.
Villefranche (1217) in B & L.
*) Die älteste Vorlage hierfür ist die coutumc von Chambli (1173. 1222)
in Ord. XII, p. 304, art. 11 = Beaumunt-sur-Oise (1222) in Ord. XII, p. 298.
art. 8 — Aanierea (1223) in Ord. XU, p. 313, art. 8; in diesen drei cuutuuiea
erhebt aber der tierichtsherr die amende und nicht die commune. Vgl. unten
p. 68, Note 8.
4) Beaumont-sur-Oise (1223) in Layettea no. 1621.
s) Kethel (1253) in Kethel I, pag. 225, no. 141.
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19
Endlich mag hier noch ein Privileg Wilhelms von Tilchätel
für Veronnes vom Jahre 1294 erwähnt werden: „Qui fermerai
champ“, war darin bestimmt, „se il font pais chascnns doit eine
solz, se il sont armes et fait li grand sairement cliacuns doit
quinze solz li vaincuz en bataillö chasques paie sexante sols se ce
n’est meurtres ou homicides ou raz ou incendiaires ou larrecins
ou traisons que lors seroit il h nostre volenti “ l).
V. In meinem Gerichtlichen Zweikampf’) habe ich die gemein-
rechtlichen prozessualen Beschränkungen, wie sie sich in der
Spatzeit des gerichtlichen Zweikampfes herausgebildet haben, er-
örtert. Hier sind nun prozessuale Beschränkungen des kämpflichen
Grußes in den Privilegien darzustellen. Daß das Gerichts zeugnis *),
daß der Beweis durch zwei Schöffen4) nach einigen Stadtrechten
nicht gescholten werden konnte, habe ich früher schon ausgeführt;
einzelne Privilegien und zwar gerade solche, die eine sehr große
Verbreitung gefunden haben, wie die Privilegien der coutume de
Ijorris und der loi de Beaumont, sind aber in der Beschränkung
des kämpflichen Grußes durch prozessuale Beweisvorschriften
noch viel weiter gegangen und zwar in dreifacher Hinsicht:
a) Einzelne Privilegien bestimmen, daß der Kläger den Be-
weis durch einen oder zwei Zeugen zu erbringen hat; ist dieser
Beweis nicht möglich, so gestatten sie dem Beklagten bezw. An-
geklagten, sich durch einen Eineid zu reinigen; so sagt z. B. die
coutume von Lorris in ihrem zweiunddreißigsten Artikel: „Et si
aliquis hominum de Lorriaco accusatus de aliquo facto fuerit et
teste comprobari non poterit contra probationem impetentis per
solam manum suam se deculpabit 4). Das Stadtrecht von Amiens4)
bestimmt in seinem dreißigsten Artikel: „Quod si accusator testem
non habuerit, ille qui accusabitur per sacramentum se defendet.“
Das Stadtrecht von Laon vom Jahre 1189 bestimmte: „ . . . Quod
si eum aut verberaverit aut vulneraverit extra terminos paeis, nisi
per homines pacis legitimo testimonio de prosecutione vel insidiis
') Veronnes (1294) bei Garnier 11, pag. 417. ne. 411, art. 7.
’) vgl. Gericht!. Zweikampf § 20. HI, pag. 77 ff.
*) vgl. Gericht!. Zweikampf § 1. X. i. p. 12 f; vgl. Beaumont art. 30.
*) eod. loc. p. 13 Note 7 und p. 79, Note 8.
6) Lorris (1155) in Ord. XI. p. 201 art. 32.
•) Amiens (1190) in Thierry I, p. 180, art. 30.
2*
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20
potuerit oonprobari, saeramento se purgare licebit“ '). Ferner
sind hierhin zu rechnen die Artikel XII bis XIV und XLII der
loi de Beaumont, die in einer Reihe von kleineren Zivil- und
Strafsachen dem Kläger, durch zwei Zeugen zu beweisen, anfgeben,
widrigenfalls sie dem Beklagten gestatten, sich solus juramento
zu reinigen8). Auch die loi de Vervins bestimmte für die kleineren
Prozesse in ihrem dreizehnten Artikel: „Quod si neque Scabinos
neque juratos testes habuerit par Leve Roy eum vocabit id est sola
manu faciet jusjurandum“ '). Dieses letztere Privileg wurde dann
im Jahre 1235 durch Enguerrand III. von Coucy den Städten
Solers und Saint-Aubin-prös-Coucy*) und im Jahre 1233 der
Villefranche-ä-Corny verliehen ').
Noch weiter gehen zwei andere Privilegien. In Issoudun be-
stimmte ein Privileg vom Jahre 1190: „Si quis accusatus fuerit
de hiis injuriis que satisläctionis sexaginta solidos exigunt, si duo-
bus legitimis testibus et cognitis devinci poterit, satisfacionem
persolvet, aliter non“ *). Die consuetudo remensis que pro jure
servatur ordnete an: „Si reus negaverit (|Uod actor petit et si actor
quia testes non habet ad probandum dicat se probaturum contra
eum per vadium belli non auditur nisi reus appelatus sit de cri-
mine“ ').
b) Esmein hat einmal gesagt: „le serment purgatoire de
l’accusfe assiste des „cojurantes“, si usite ä l’epoque franque, disparait
prösque completement, on n’en trouve plus que quelques traces
(nämlich in unserer Periode')“ ). Ausgenommen hat er davon nur
das normannische Recht'). Diese Behauptung ist richtig, soweit
sie sich auf das gemeinfranzösische Recht stützt; sie ist aber falsch,
soweit sie sich auf das gemeinfranzösische Recht allein gründet
und die Durchlöcherung dieses Prinzips durch zahllose Privilegien
•) Laon (1189) in Layettes no. 358.
*) Beaumont-en-Argonne (1182) art, 12. 13. 14 42. pag. 101 und 106.
*) Yervins (1233) art. 13 in B. & L. p. 236.
') Solers und Saint-Aubin-pres-Concy in B. & L. p. 236.
*) Corny (1233) in Bethel I, p. 109, no. 72.
') Issoudun (1190) in Layettes no. 380.
7) Keims legislatif 1. p. 40 (circa 1248) art. 40.
8) Esmein, Pr. C. p. 46.
') 1. c. p. 46, Note 1.
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21
nicht berücksichtigt. Tm Recht von Amiens kann der percussor
selbdritt beweisen, daß er in Notwehr gehandelt hat1); mit der
Modifikation, daß der Kläger bello resistere poterit, kennt auch
die loi de Beaumont diesen Satz*), wie diese letztere überhaupt
vielfach unter Ausschluß des Zweikampfs von dem Eidhelferbeweis
Gebrauch macht; so verwendet sie ihn zur Reinigung des Ange-
klagten in mittleren Strafsachen, wo er, falls der Kläger keine
Zeugen beibringen kann, bald selbdritt3), bald selbsiebent4) schwört.
Endlich verwendet die loi de Vervins diesen Beweis bei den großen
Verbrechen, sie bestimmt nämlich : „Si quis inculpatus de quo
magno crimine fuerit et ille se defendere voluerit, septem sacra-
mentis se purgabit, ille vero uno probabit; si autein reus se de-
fendere non poterit, convictor eum excaeeabit vel suspendet vel
secundum judieium damnabit“4). So lebt hier in den Privilegien
dieses Beweismittel der fränkischen Zeit fort oder es wird aufs
Neue wieder zu Ehren gebracht anstelle des gerichtlichen Zwei-
kampfes.
c) Noch ein anderes Beweismittel der fränkischen Zeit gelangt
in den Privilegien wieder zu Ansehen, das judieium aquae; auch
von ihn ihm meint Esmein8), daß es nur sporadisch in unserer
Periode noch vorkomme; wenn man aber bedenkt, daß die loi de
Beaumont es als alleiniges Beweismittel für die großen Verbrechen,
wie Brandstiftung, Diebstahl, Tötung jeder Art, und raptus ver-
wendet1), und daß dieses „Bömer-Recht“ in mehr als fünfhundert
Gemeinden des Nordostens nach und nach Verbreitung gefunden
hat8), so kann man schon um deswillen nicht mehr von einem
nur vereinzelten Vorkommen reden. Aber auch nach anderen
Stadtrechten wurde das judieium dei angewendet, so nach dem
Recht von Laon bei mähaing*).
') Amiens (1190) in Thicrry I, p. 180 art. 6.
*) Beaumont (1182) art. 19, p. 102.
*) Beaumont (1182) art. 15 und 16, p. 102.
4) Beaumont (1182) art 17, p. 102.
4) Vervins (1233) art. 28. B & L, p. 236.
6) Esmein Pr. C, p. 46.
*) Beaumont (1182) art 29, p. 104.
8) vgl. die Aufzählung bei Bonvalot p. 156 bis 247.
*) Laon (1189) in Layettes no. 358.
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22
d) Im Anschluß hieran mögen noch einige Restimmungen der
loi de Beaumont Erwähnung finden. Im Prozeß um Grund-
eigentum kann der Beweis nur per testimonium majoris et ju-
ratorum erbracht werden '). Im Prozeß um Schuld kennt
auch dieses Recht eine „ Mindestwertgrenze“ *), die es auf 10 Schilling
festsetzt; Schuld von mehr als 10 Schilling hat der Gläubiger
cum testimonio burgensium zu beweisen, aber alter bello contra-
dicere potent5). Beim Anefang gilt dasselbe Prinzip4). Dies
sind aber auch neben dem oben 6) erwähnten Falle des per-
cussor die einzigen Fälle, in denen der Beweis durch Kampf ge-
führt werden kann.
VI. Einschneidender in ihrer die Abschaffung des gericht-
lichen Zweikampfs fördernden Wirkung sind eine Reihe von Privi-
legien, die dem Recht des Südens, des Südostens und Südwestens
entspringen und bald die Auflösung des Kampfrechtsverhältnisses,
bald die Entstehung des Kampfreohtsverhältnisses vom einseitigen
Willen einer Partei abhängig machen oder gar das Kampfrechts-
verhältnis mit dem übereinstimmenden Willen beider Parteien zu-
stande kommen lassen.
a) Ein Kampfprivileg, das in der Auvergne einige Verbreitung4)
gefunden hat und im Jahre 1 249 7) vom Grafen Alphons von Poitiers,
dem Bruder Ludwigs des Heiligen der Stadt Riom verliehen
wurde, traf folgende Bestimmungen: „Si eontigerit firmari dnellum
apud Riomum in nostra curia ex quo illi qui firmant dederunt
gagia duelli, nos habemus ibi LX sol. ad voluntatem et miseratio-
nem nostram in illo qui se retraheret a duello. Item homines
ville Riomi non tenentur firmarc duellum; et si firmaverint vel
juraverint, etiam in ipso campo duelli potest se retrahere qnicun-
que voluerit, et ille qui se retraxerit debet nobis sexaginta solidos“*).
') Beaumont (1182) art. 25, p. 103.
’) Boaumont (1182) art. 33, p. 105.
*) vgl. Gerichtl. Zweikampf p. 8, Note 10.
4) Bcaumont (1182) art. 34, p. 105.
4) vgl. oben p. 21, Note 2.
*) Nach den Laycttes wurde auch die Stadt Pont-du-Chäteau damit
bewidmet.
7) Riviere datiert falsch. März 1248 ist nach unserer Rechnung 1249;
vgl. Riviere, Auvergne p. 253.
s) Riom (1249) in Layettes no. 3755.
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23
Ob dies nun ursprünglich nicht zwei Privilegien waren und das
zweite, mit „Item“ beginnende, dann erst auch die Eingehung,
nicht bloß den Rücktritt, wie das erste, in das Belieben einer
Partei setzte, geht aus den Layettes nicht mit Sicherheit hervor;
wenn Rivifcre den mit „Item“ beginnenden Satz nur als Variante
anführt '), so wird er der Rechtsentwicklung dieser Landschaft
nicht gerecht; denn zweifelsohne tendiert diese auf eine immer
größere Einschränkung des kämpflichen Beweises und zweifellos
bedeutet dieser zweite Satz einen gewaltigen Fortschritt in dieser
Beziehung, ganz abgesehen von grammatischen und stilistischen
Bedenken, die in dieser Zeit allerdings nicht zu hoch eingeschätzt
werden dürfen.
Demselben Ideenkreis wie der erste Satz des Privilegs für
Riom entstammt eine Bestimmung der coutume von Perouse; dort
heißt es: „Et si bataille est formte ä la Paerose en la eort au
Segnor puisque aurant jur6 li Sires ha sessante solz ä sa merci
de celui qui se retreroit“.*)
Auch den einunddreißigsten Artikel der im Jahre 1364 be-
stätigten coutume von Vienne darf man dieser Gruppe zuzählen.
Dabei läßt die lateinische Sprache dieses Privilegs vielleicht auf
eine ältere Vorlage schließen; die einschlägige Stelle hat folgenden
Wortlaut: „Si duellum firmatum fuerit et juratum in manibus
dominorum et altera pars postmodum penitere voluerit, solvat do-
minis decem libras vel alias gratificet cum eis et emendam faciat
alteri non penitenti“.3)
b) Eine zweite Gruppe von Privilegien stellt den Abschluß
und den Rücktritt in das Belieben der Partei, ohne eine amende
in letzterem Falle zu erheben, und verweist wegen der Entscheidung
des Prozesses in diesen Fällen den Kläger auf andere Beweismittel,
falls er überhaupt noch eine Entscheidung herbeiführen will.
In erster Linie ist hier ein Privileg für Clermnnt-Ferrand, das
etwa 1262 entstanden und ziemlich schlecht überliefert ist, zu
nennen. Der dritte Artikel dieses Privilegs lautet folgendermaßen
„Cum duellum sic . . . dicta villa nostra et inter homines nostros
') Riviero, Auvergne pag. 258.
*) Perouse (1260, 1275) in B & L pag. 86.
3) Vienne (1364, 1391) in Ord. VII, p. 432. art. 81.
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24
praedictos fieri proberaus ac etiam volentibus et licet petentibus
partibus sed de gagio appelatis si gagium seu duellum refutavit
seu subire recusavit tacite vel expresse etiamsi non sit usus
deffensionibus sive competentibus seu jactu gagii non habeatur
propter hoc pro comraota nec aliquam poenam propter hoc pa-
tiatur sed appelans si velit crimen quod objicit appelatum per
viam juris scripti legitime prosequeretur nec etiam appelans
gagium a se oblatum contra quemcunque prosequi seu subire
nullatenus compellere nec etiam volens admittatur nec poenam seu
molestiam aliquam propter hoc patiatur“ ‘). Der Oedankengang
dieses sehr unklaren Privilegs wird uns erst deutlicher, wenn wir
es zwei offenbar aus demselben Provinzialrecht entsprungenen
Privilegien gegenüber stellen.
Im Jahre 1281 erhielt die Stadt Billom ein Privileg folgenden
Inhalts; „Volumus et concedimus hominibus dictae villae tarn nunc
viventibus quam futuris quod nullus eornndem de quocunque crimine
appelatur vel aecusatus fuerit teneatur se purgare vel deffendere per
gagium seu duellum nec cogatur ad duellum seu bellum faciendum :
et si gagium seu bellum refutaverit seu duellum subire recusaverit
non habeatur propter haec pro convicto nec poenam aliquam propter
hoc patiatur sed appelans si velit crimen quod objicit appelato
per viam juris scripti legitime prosequatur nec etiam appelans
gagium seu duellum a se oblatum seu proeuratum contra quem-
cunque prosequi seu subire nullatenus compellatur si prosequi
nolit nec poenam seu molestiam propter hoc patiatur“ *). Zwischen
diesem und dem vorhergehenden Privileg besteht, besonders im
letzten Teil ein sehr intimer Zusammenhang; fast wörtlich ist
die Übereinstimmung in der zweiten Hälfte. Aber ein Blick aui
den ersten Teil der Privilegien von Clermont und Billom zeigt,
daß trotz des verschiedenen Wortlauts sachliche Differenzen
zwischen den beiden Privilegien nicht bestehen. Damit ist aber
auch für unsere Zwecke eine eingehende textkritische Betrachtung
des Privilegs von Clermont überflüssig.
Schärfer in der Form und knapper im Ausdruck ist ein
Privileg, das wahrscheinlich erstmals im Jahre 1270 der Stadt
*) Clermont (circa 1262) bei Riviere, Auvergne pag. 298 art. 3.
J) Billom (1281) bei Riviere, Auvergne p. 332.
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25
Riom gegeben wurde, seitdem eine große Verbreitung im Süden
gefunden hat und schließlich auch nach dem Norden durch-
gedrungen ist1). Trotzdem das Privileg nicht ausdrücklich den
Rücktritt von dem einmal abgeschlossenen Kampfrechtsverhältnis
gestattet, dürfen wir, insbesondere wenn wir bedenken, daß es in
Riom an die Stelle der beiden schon besprochenen *) Privilegien
getreten ist, annehmen, daß es auch nach Abschluß des Kampf-
rechtsverhältnisses Anwendung fand, wie das ja eigentlich schon
in den Worten: ' „nee cogatur ad duellum faciendum“ liegt.
Dieses Privileg bestimmte: „Quod nullus habitans in dicta Villa
de quocunque crimine appelatus vel aceusatus fuerit nisi velit
teneatnr se purgare vel defendere duello nec cogatur ad duellum
faciendum; et si refutavit, non habeatur propter hoc pro convicto
sed appelans si velit probet crimen quod obicit per testes vel per
alias probaciones juxta formam juris.“ Das Privilegium für
Asnieres vom Jahre 1312 fügt hier noch hinzu: „vel Curia ad
inquisitionem procedat, si videtur Curiae secundum qualitatem
criminis expedire“. Hier wird also auch im Norden, was wir in
den vorhergehenden Privilegien nur fiir den Südosten und Süden
konstatieren konnten, ein mit dem alten Anklageprozeß untrennbar
verbundenes Prinzip durchbrochen, an dem der Norden bisher
festgehalten hatte: sagt doch die „Consuetudo remensis que pro
jure servatur“ in ihrem Artikel 16: „Si quis ab inicio specifi-
caverit qualiter probare velit quod intendit sive per testes sive
per juramentum ad aliam probationem reverti non proterit5).“
Schon bei Beaumanoir findet sich aber zu Gunsten der Ordonnanz
Ludwig des Heiligen über die Abschaffung des Zweikampfs eine
kleine Einschränkung dieses Prinzips, obwohl es im Großen und
Ganzen aufrecht erhalten ist; er sagt nämlich: „Se li ples est
*) Riom (1270, 1325 in Ord. XI, pag. 495 art 6. — Beaumont-on-Perigord
(1277, 1471) in Ord. XV. pag. 447 art. 8 — Salmcranges-en-Auvorgne (1280,
1331) in Ord. XII. pag. 517 art. C. — Bastidc-dc-Mont-Chabrin (1297, 1307)
in Ord. XII, pag. 363 art. 7. — Fleurence (1299, 1396) in Ord. VIII, pag.
97 art. 47. — Nouvelle Bastide ä Gardemont (1310) in Ord. XII, pag. 383
art. 7. — Asnieres (1312) in Ord. XII, p. 399 art. 9. — Villefranche (1357)
in Ord. EU, pag. 205 art. 8.
*) Vgl. oben pag. 22 f.
3) Reims legislatif 1. pag 37 art. 16.
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2fi
entam^s seur los gages par l’ancienno coustume, li siros ne le
puet pas ramener a Pestablissement le roi, se ee n’est par l’acort
des deus parties, car il convient querele de gages et toutes autres
quereles demener selonc ee que li ples est entam^s In den
Privilegien dieser Gruppe ist aber schon das Prinzip ganz und
gar verlassen, sowohl eine einzelnen Partei, als der Gerichtsherr,
dem die Aufnahme des Begriffs des crimen publicum hier zu
statten kommt, können die Prozedur wechseln.
c) Das zuletzt angeführte Privileg bildet den Übergang zu
einer weiteren Gruppe von Privilegien, ja man könnte dieses
Privileg, wenn man es außerhalb des Zusammenhanges der ge-
schichtlichen Entwicklung betrachtete, seinem Wortlaut nach schon
dieser neuen Gruppe zuzählen. Den nunmehr zu betrachtenden
Privilegien, die dem Süden angehören, liegt der Gedanke zu
Grunde, daß der Zweikampf, der nach ihnen noch geltenden Rechtes
ist, nur noch mit Übereinstimmung beider Parteien als Beweis-
mittel angeordnet werden kann und daß dieser Vertrag der
Parteien wiederum durch contrarius consensus gelöst werden kann;
daneben bleibt aber die alte Prozedur in Kraft und es kann ins-
besondere hier nicht von einem konventionellen Prozeß die Rede
sein: nur finden auch hier die bisherigen Privilegien sinngemäße
Anwendung11). Zum ersten Male erscheint ein derartiges Privileg,
wenigstens soweit das uns bekannte Material reicht, in der coutoume
von Montpellier-, hier heißt es: „Duellum vel judicium eandentis
ferri vel aquae ferventis vel alia canonibus vel legibus improbata
nullo modo in curia Montespessulani rata sunt, nisi utraque pars
convenerit“, oder wie die coutume von Carcassonne, die das Privileg
übernommen hat, sagt: „nisi partes consenserint“ ’). Etwas aus-
führlicher behandelt dieselben Gedanken die coutume von Gontaud
sie bestimmt nämlich in ihrem einhunderteinundfünfzigsten Artikel:
„E establi e aenstumet et donet en franquessa que ja nulhs horgues
ni borgueza de la bila de Guontald ni de la honor ne sia tengut
ni costrent ä eombatre ab alcun en negun cas si no era la volun-
') Hcawnanoir ch. 1723 in fine.
J) Montpollier (1204), Carcassonne (circa 1204) in Layettes no. 721
art. 62 und no. 745 art. 48.
5) Dies zeigen sehr anschaulich die art. 152, 153 u. 156 der coutume
von Gontaud ;X1V.) in Gironde VII, p. 113.
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27
tat d’ambe doas las partidas si es assaber d’aquel qui apelara c
d’aquel qui sera apelat e aquel qui refuzara la batalha per aequo
ne sia tengut per atents d’aequo per que sera apelat1)“. Auch
die coutume von Montferrand vom Jahre 1291 zeigt, in ihrer
Redaktion vom Jahre 1486 dieselben Grnndsätze; ihr Artikel 20
lautet nämlich: „Le seigneur dudict Montferrand et son dit baile
et sergent dudict lieu item ne aulcun d'eulx ne autre quelconque
ne peuvent jecter gaige de batailie en la cort dudict Montferrand
ne ailleurs contre lesdiz consulz ne aulcun d’eulx item ne aussi
contre ladicte communite ne contre aucune d’icelle et si de faict
il advient que ledict gaige de batailie soit gecte ne vault et ne
doit tenir ains est nul de soymesmes sans autre declaracion et
peut estre refuzö d’estre pris par celluy contre qui ledict gaige
de batailie aura este gect6 sans pour raison dudict refuz payer
aucune esmende ne souffrir aucun dommaige et encore s'il a este
pris ou aeeepte il peut loisiblement estre reeuze." Dali aber dieser
Artikel im Sinne der übrigen Privilegien dieser Gruppe, auch in
seiner überarbeiteten Gestalt, angesprochen werden darf, beweist
der folgende Artikel dieser coutume: „Les forains requerrans
ledict gaige de batailie esdictz habitans de Montferrand pour le
vuydange ou <U>cision d’aucun diflerant ne doivent point estre oys
ne receuz. Toutefois s'ilz sont appelez ou requis audict gaige
de batailie par ceulx dudict Montferrand ils scront tenus y res-
pondre comme de raison“2). Darnach darf man die Worte „il
peut loisiblement estre recuzt's“ des Artikel 20 doch nur so auf-
fassen, daß in Montferrand der Kampf nur, wenn beide Parteien,
sofern es Bürger waren, übereinstimmten, statthaben konnte, daß
aber die Weigerung eines Teils gpnügte, um dies Beweismittel
auszuschließen. Wenn die eine Partei dagegen ein Auswärtiger
war, so entschied der Wille des Bürgers, der hier den Kampf
in Anspruch nehmen konnte, über die Wahl des Beweismittels.
VII. Ein schlimmerer Feind als alle bisher betrachteten
Privilegien erwuchs aber dem gerichtlichen Zweikampf aus der
Einführung des Inquisitionsprozesses im Süden. Haben die
coutumes von Montpellier und Carcassonne dem gerichtlichen
*) Gontaud (XIV) art. 151 in Gironde VII, p. 113.
*) Montferrand (1291, I486) art. 20 und 21 boi Ririere, Auvergne.
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28
Zweikampf noch ein bescheidenes Plätzchen gewährt, so finden
es die coutumes von La Reole '), Limoges (1212), Aigues-Mortes
(124(1), Avignon (1251) nicht einmal mehr der Mühe wert den
Zweikampf auch nur zu erwähnen*), und schon in dieser Zeit
finden sich auch in den mehr nördlich gelegenen Landschaften
coutumes, wie die von Fumel vom Jahre 12(15, die unter ab-
sichtlicher Übergehung des Zweikampfes bestimmte: „Vulguo e
acostumero que negus hom no pusca proar home d’esta vila des
fach que sera fag en esta vila sino fascia per homes d’esta vila
o de la honor o ab carta publica o ab letras sageladas de
sagel autentic“ 3).
VIII. Fast niemals aber findet sich in den Städteprivilegien
ein ausdrückliches Verbot des Zweikampfes, abgesehen von den
flandrischen Städteprivilegien, zu welchen wir oben*) auch das
für Tournay vpm Jahre 1187 zählen dürfen. Dieses Privileg hat
nun im Jahre 1340 eine kleine Erweiterung erfahren, so daß es
nunmehr als absolutes Zweikampfverbot erscheint: in dieser Fassung
lautet es: „Que bourgeois, citoyen, habitans de Tournay ne puisse
appeler ne estre appele de champs de bataille l’un eontre l’autre
dedans la ville ne dehors ne autres forains ne les puissent appeler
de gaige de bataille mes prendre la loy de la ville de Tournay
etc.“ s).
Außer diesem Privileg findet sich nur noch eines, das den
gerichtlichen Zweikampf absolut verbietet, nämlich das für Aigue-
perse in der Auvergne im Jahre 1374 erlassene; es lautet:
„Dedans la ville et franchise dessusdite ne peut avoir gage de
bataille ne doit estre juge par nous ou par nos gens ne par les
eonsuls sur home ne sur ferne de ladicte franchise par appelement
de meurtre de trahison de roberie ne pour nul autre cas qu’on
demande ä autre ains doit estre atteint et prouvö par loyaux
garens devant nous ou devant nostre bailly ou chaistellain appellös
') La Röole (1201, 1395) in Gironde II, p. 230 ff.
*) vgl. z. B. Aigues-Mortes (1246) in Layettes no. 3522, Avignon (1251)
in Layettes no. 3937.
*) Fumel (1265, 12971 in Gironde VII, p. 17 art, 8.
*) vgl. oben pag. 2.
s) Tournay (1187, 1340, 1370) in Ord. XI, p. 250 art. 21, XII. p. 57,
art. 21, V, p. 378, art. 30.
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2f>
les consuls et presens ou lenr eertains procureurs et doit on jnger
selon les paroles“ *).
Daß aber der gerichtliche Zweikampf noch gemeinrechtlich
bis ins sechszehnte Jahrhundert bestanden hat, das beweisen nicht
zum wenigsten die Bestätigungen der bisher betrachteten Privi-
legien, die daher auch jeweils in den Noten von uns aufgeführt
worden sind. Jedes dieser Privilegien hat aber an seinem Teil
zum allmählichen Niedergang und Verschwinden des gerichtlichen
Zweikampfs beigetragen.
§ 3-
Oie Juden- und Lombardenprivilegien.
I. Von einem anderen Gesichtspunkte aus habe ich in meinem
Gerichtlichen Zweikampf die Privilegien der Juden und der Lom-
barden im Kampfrecht behandelt, nämlich mit Rücksicht auf die
denselben mangelnde Volksgemeinschaft ’). Hier sind sie darzu-
stellen als Anzeichen und Ursachen des Niedergangs des gericht-
lichen Zweikampfs im französischen Recht. Wie schon früher ge-
zeigt, war sowohl in den Streitigkeiten der Juden bezw. Lombarden
mit ihren Volksgenossen der kämpfliehe Beweis zulässig, als sie
auch von der einheimischen Bevölkerung gefordert werden konnten *).
Dies ändert sich durch die Juden- und Lombardenprivilegien des
vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts.
II Nach einer Ordonnanz Philipps V. sollen die Juden nur
noch wegen Mords gefordert werden können; es heißt da: „Nous
ordonnons et octroyons ä tous nos Juifs et ä ceux qui istront
d'iceui que nuls soient Chrestiens ou autres les puissent ou aucun
d’eux mettre en gages de bataille pour nul cas se n’est pour
meurtre apparant“ 5). Aber schon die Ordonnanz Johann l. vom
Jahre 1360 und die mit ihr gleichlautende Karls V. vom Jahre
1372 verbieten den Zweikampf der Juden absolut4).
III. Noch im Jahre 1320 stand vor dem Parlament ein
Kampfprozeß zweier Lombarden an, der mit einem döfaut des
*) Aigueperse (J374) bei Riviere, Auvergne p. 467.
ä) vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf § 4, II, p. 23 f.
*) Phil. V (1317) in Ord. I, p. 646. art. 1.
*) Ord. III, p. 479 u. V. p. 495, art. 22.
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Angeklagten schloß '). Aber seit dem Jahre 1380 werden, wie
ich in meinem Gerichtlichen Zweikampf schon hervorgehoben habe a),
fflr einzelne bestimmte Lombarden dem Judenprivileg von 13G0
entsprechende Privilegien erlassen, die die Herausforderung der
Lombarden zum Zweikampf absolut verbieten; sie haben stets
denselben Wortlaut und bestimmen: „ . . . voulons que en nostre
dit Royaume aucun ne les puisse appeler de gaige de bataille
pour quelconque occasion que ce soit“ s).
IV. Diese Privilegien sind alle erst in der Zeit nach der
Ordonnanz von 130t) erlassen, also in einer Zeit, wo der Zwei-
kampf durch die königliche Gesetzgebung auf den Beweis der
großen Verbrechen eingeschränkt war; aber auch hier schließen
sie noch den Zweikampf als Beweismittel gegen Juden und Lom-
barden aus und engen so den Personenkreis der kampffähigen
Bevölkerung ein. Eine derartige Privilegierung der Fremden
konnte nicht ohne Rückwirkung auf die Beweisangebote der
städtischen Bevölkerung, um diese wird es sich ja wesentlich
handeln, in ihren Prozessen unter sich bleiben, und hat sicherlich
ihrerseits wiederum den auf Abschaffung des gerichtlichen Zwei-
kampfs gerichteten Bestrebungen Vorschub geleistet.
Zweiter Abschnitt.
Die Kirche und der Zweikampf.
§ 4.
Die Stellung der Konzilien, Päpste und kirchlichen Schriftsteller
zum gerichtlichen Zweikampf.
I. Bei der Bedeutung, die den Konzilien, den Päpsten und
den kirchlichen Schriftstellern in der kirchlichen Rechtsgeschichte
zukommt, und bei dem Einfluß, den die drei Faktoren auf die
Entwickelung des kirchlichen Rechts Frankreichs gehabt haben,
kann diese Darstellung nicht davon absehen, wenn auch nur in
') Buutaric, Actes du Pari. II, p. 364, no. 6391 (1320).
a) Gerichtl. Zweikampf p. 24.
3) Ord. VI, p. 481 (1380) art. 22; Ord. XV, p. 253 (1429, 1442, 1461).
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31
den Grundlinien und summarisch, die Stellung dieser Faktoren
zum Zweikampf zu skizzieren.
II. Die Konzilien:
a) Ausdrücklich gebilligt hat kein Konzil den gerichtlichen
Zweikampf; wohl aber haben sich frühe schon die Konzilien mit
dem Zweikampf beschäftigt. Das Konzil von Dingolfingen vom
Jahre 770 schreibt einen Vergleichsversuch beim Kampfprozell in
seinem canon 2 vor1). Das Konzil von Lillebonne (1080) setzt
in seinem canon 19 strenge Strafen für Kleriker, die ohne bischöf-
liche Erlaubnis einen Kampf unternehmen, fest*). Die Konzilien
von Paris (1212) und Rouen (1214) verbieten den Kampf auf
Friedhöfen und in Gegenwart eines Bischofs3). Im Großen und
Ganzen tasten aber diese Konzilien den Kampfprozeß nicht an,
sondern erschweren ihn nur in unbedeutenden Einzelheiten.
b) Mit dem Konzil von Valence (X55) erscheint das erste
allgemeine kirchliche Kampfverbot; der canon 12, der offenbar
auf Agoberts Schriften sich gründet, bestimmt nämlich, daß der
Sieger als homieida nequissimus et latro cmentus ab ecclesiae et
omnium fidelium coetu separatus ad agendam legitiinam poeniten-
tiam modis omnibus compellatur, und daß der Besiegte als tam-
quam sui homieida et propriae mortis spontaneus appetitor domi-
uicae oblationis e.ommemoratione habeatur alienus nec cadaver
juxta sacrorum canonum decretum cum psalmis et orationibus ad
sepulturaiu deducatur4). Diese Repressivmaßregel hat die erbetene
königliche Sanktion nicht erlangt und zur Anwendung ist
sie wohl ebensowenig gelangt, wie dieselbe Bestimmung des Kon-
zils von Limoges (994)*). Erst das Laterankonzil (1215) nimmt
in seinem canon 18 wieder eine Bestimmung gegen den Zwei-
kampf auf. Dieser canon geht aus von dem Verbot an die Geist-
lichen bei einem Blutgericht mitzuwirken, es verbietet sodann den
Geistlichen bei drei einseitigen Ordalien jede Art von benedietio
*) M. <1. I,. fol. III, p. 4G8.
*) Lillebonno (1080; in I.ayettci no. 22, canon 19.
3) vgl. Saplavrulles p. 78 — Hessin I, p. 124 can. 15 — de Smcdt (95)
pag. 72.
*) Mansi XV. p. 9 and 10 — vgl. Saplayrollcs p. 40 und 77, und Hof-
mann p. 611.
*) Cainpignculles I, p. 39.
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n?
und consecratio und hält im Anschluß daran die früher gegen
den Zweikampf erlassenen Verbote aufrecht1). Es liegt hier die
Vermutung nahe, daß man damit auf frühere Bestimmungen, die
sich auf das Verhalten der Geistlichen beim Kampfordal beziehen,
abstellen wollte, da derartige Bestimmungen in Konzilienschlüssen
und päpstlichen Erlassen schon seit dem XL Jahrhundert wieder-
kehren. Einen Hinweis auf den eanon 20 des dritten Lateran-
konzils (1179) kann man aber wohl nicht darin sehen; dieser traf
nämlich nur Anordnungen bezüglich der Turniere*). Diese Be-
stimmung scheint dann auch in den canon 9 des Konzils von
Trier (1227) aufgenommen worden zu sein, wo den Geistlichen
neben dem Wallentragen und der Einsegnung des heißen Eisens
nur die passive Teilnahme an einem Zweikampf, 'Turnier oder
einer Hinrichtung verboten wird5); denn bei einer «anderen Auf-
fassung des canon IS des vierten Laterankonzils hätte man sicher-
lich schärfere Worte gegen den Zweikampf gebraucht. Nach einer
Notiz bei Peeheur hat das Konzil von Saint-Quentin (1234) den
Zweikampf verdammt5). Das Konzil von Penafiel ( 1 302) verbietet
Bischöfe und Kanoniker herauszufordern 5). Das Konzil von
Aranda (1473) bedroht den Zweikampf mit Strafe*) und das Tri-
dentinum bestraft die Teilnahme am gerichtlichen Zweikampf in
seiner sessio 25 de ref. c. 19 mit Exkommunikation und Ver-
weigerung des kirchlichen Begräbnisses7).
UI. Die Päpste:
a) In früherer Zeit haben die Päpste mehrfach den Zweikampf
gebilligt. Johann XIII. ließ ihn im Jahre 967 für kirchliche
Angelegenheiten zu8); Alexander II. wies den Vogt der Kirche
von Lucca an: „per bellum et omnibus modis“ das Kirchengut
zu verteidigen’). Paschalis II. bestätigt im Jahre 1 114 ein könig-
’) Mansi XXII, col. 1006.
’) Ebenso Mansi XXII. col. 229 und Saplayrolles p. 79— a. A. Hilden-
brand p. 171, de Smedt (95) p. 73, Ducoudray p. 379, Tardif, Proc. p. 9t.
3) Saplajrolles p. 79.
4) vgl. Peeheur, Soissons III, p. 337.
4) ßatnpigneullcs II, p. 98.
*) Aranda (1473) can. 20. bei Hofmann p. 635.
’) vgl. Saplayrolles p. 79 f.
*) Patetta p. 288.
’) vgl. de Smedt (95) p. 58 Note 2, der allerdings bellnm nicht auf
Kampf bexiehen möchte.
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33
liches Privileg, das den serfs des Kapitels von Notre-Dame-de-
Paris das Recht gab, gegen jedermann zum Zweikampf zugelassen
zu werden1). Eugen III. hat auf eine Anfrage wegen der von
dem Erzbischof von Paris ausgeübten Kampfgerichtsbarkeit erklärt:
„Utimini consuetudine vestra“*). Innozenz III. hat die Statuten
von Benevent, die den Zweikampf zuließen, in forma communi
bestätigt 3).
b) Seit der Mitte des zwölften Jahrhunderts mehren sich die
päpstlichen Erlasse, die den Zweikampf einschränken oder ver-
dammen. Mit Vorliebe weist man schon auf Nikololaus I. hin,
der im Jahre MtJ7 an Karl dem Kahlen wegen der Ehescheidung
Lothars und Teutbergas einen Brief schrieb4). Hier liegt aber
weder eine allgemeingültige Äußerung des Papstes in seiner Eigen-
schaft als pastor et magister omnium Christianorum vor, noch ist
es die Antwort auf eine Anfrage. Andererseits liegt hier ein
eigentümlicher Fall vor; voraufgegangen war die Reinigung durch
Kesselfang, wegen derselben Sache sollte nun noch ein Zweikampf
stattlinden, das war aber wider alles Recht; denn die durch ein
Ordal gegebene Entscheidung wurde stete als unantastbar angesehen;
ferner war Teutberga ihrer persönlichen Freiheit und der Beratung
mit ihren Verwandten beraubt, auch dies widersprach dem geltenden
Recht. Es waren also im wesentlichen prozessuale Mängel, die
den Papst zu seinem Einschreiten bestimmten; aber nirgends findet
sich in dem Brief eine allgemeine Verdammung des gerichtlichen
Zweikampfs als solchen4).
Gregor V. soll nach Patetta*) im Jahre 998 zwischen zwei
geistlichen Parteien einen Zweikampf zugelassen haben; hierfür
’) cart. de N.-D. de Paris t. II. p. 394; — ygl. Tanon, Eglises p. 17.
*) vgl. hierüber Petras Oantor bei Tanon, Eglises p. 18.
s) bei Hofmann p. 626 f. — de Smedt (95) p. 63 meint als souverain
temporel habe er den Kampf dulden müssen; dies Moment scheint mir aber
nicht durchschlagend zu sein; sicher ist ja, daß er den Kampf für ein
prava consnetudo hält ; er muß aber auf die Landessitte Rücksicht nehmen,
die damals noch viel zu fest am Zweikampf hielt, als daß man an die Ab-
schaffung desselben hätte denken können, sonst hätte dieser pontifei in jure
canonico apprime versatus sicherlich die Statuten nicht bestätigt.
4) bei Migne CXIX, col. 1144 ep. 148.
s) a. A. Saplajrolles p. 42.
*) Patteta p. 288 — a. A. Hofmann p. 621.
Coalia, Zweikampf in Frankreich 3
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34
liegt jedoch nicht nur kein Beweis vor, sondern es ergibt sich
vielmehr aus einer ürkunde, daß in diesem Fall aus prozessualen
Gründen ein Beweis und damit auch der kämptliche Gruß über-
flüssig war. ') Im Jahre 999 hat derselbe Papst sicherlich einen
Zweikampf verhindert*); im weiteren Verlaufe des Prozesses er-
schien die Gegenpartei nicht mehr und wurde unter Sylvesters
Hegierung im Königsgericht kontumaziert *). Eine bestimmte
Stellungnahme Gregor V. ergibt sich allerdings aus diesem Material
nicht, historisch wahrscheinlicher ist aber, daß er ein Gegner
dieses Beweismittels war. Nach Le Glay soll durch eine Bulle
vom Jahre 1 1 '24 der Zweikampf verboten worden sein, ob von
Thebaldus Buecapecus oder von Honorius II., das sagt er nicht4);
das Original oder ein Abdruck desselben war nirgends zu finden.
Seit Innocenz II. nimmt die Kurie den Kampf gegen den
gerichtlichen Zweikampf ernhafter auf. Im Jahre 1140 verfügt
dieser Papst die Absetzung von Geistlichen, die in Person oder
durch Kämpfen von diesem Beweismittel Gebrauch machten5) und
verbietet einem Frauenkloster einen Besitzstreit durch Kämpfen
zum Austrag zu bringen*). Hadrian IV. verbietet im Jahre 1156
dem Abt Arduin von Saint-Qermain-d’Auxerre den Zweikampf beim
Streit um Grundstücke seiner Abtei und erklärt die Ansprüche
derer, die ihre Rechte gegen das Kloster nicht anders beweisen
können für null und nichtig*). Alexander III. erklärte auf eine
Anfrage des Bischofs von Auxerre in einem Streit, um das Eigentum
den serfs, daß der Beweis nicht durch Kampf erbracht werden
dürfe*) quia monomachia sit sacris eanonibus interdicta. Im
Jahr 1171 schreibt er dem Erzbischof von Upsala, daß die katholische
Kirche den kämpfliehen Beweis gegen niemanden, am allerwenigsten
aber gegen einen Bischof zulasse, und bedroht diejenigen, die
') M. G. Diplom. II.1 no. 278. p. 703.
*) wie die Gegenpartei behauptete, sei er dazu bestochen worden, vgl.
M. G. Dipl. II1 no. 339 p. 768 — Saplayrollcs p. 82.
3) M. G. Dipl. II1 no. 339. p. 768.
*) Le Glaj in A. d. N. I. p. 76.
s) Du Cange s. v. duellum.
*) Migne CLXXIX, col. 118 — Uofinann p. 622.
7) vgl. Prou, Lorria p. 187, Note 3.
°) bei (Jampigueulles I. p. 39.
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einen Kleriker fordern mit der Exkommunikation'), Außerdem
sind uns zwei Dekretalen dieses Papstes erhalten, in welchen er
fordernde und geforderte Kleriker mit Absetzung bestraft, den
Bischöfen aber für den Fall, daß eine Tötung oder Verstümmelung
in dem Kampf nicht stattgefunden hat, dieselben zu begnadigen
gestattet*). Clemens III. bestätigte im Jahre 1187 totum dominium
des Klosters Saint-Denis de Nogen t-le-Rotrou praeter duellum in
burgo Sancti Dionysii5). Coelestin ID. verbietet den Klerikern
in Person oder durch Kämpfen am Kampfe teilzunehmen; er ver-
wirft den Zweikampf als Beweismittel beim Streit um Kirchengut
und betont, daß er eine Versuchung Gottes sei und manchmal
auch Unschuldige in ihm unterliegen4). Innocenz III. entscheidet
den Einspruch gegen die Wahl eines Kanonikers von Saint-Ursin
de Bourges, der einmal an einem Kampfurteil mit gewirkt hatte,
zum Prior dahin, daß zwar eine Irregularität hierdurch eingetreten
sei und entsetzt ihn seiner Dignität, er dispensiert ihn aber gleich-
zeitig von den Folgen der Irregularität für die Zukunft, da er
mit Bücksieht auf die Landessitte bona fide gewesen sei und auch
eine Tötung oder Verstümmelung bei dem Kampfe nicht vor-
gekommen sei s). Honorius III. verbietet der Stadt Florenz eine
Streitigkeit mit dem Kapitel Sanctorum Apostolorum in Florenz
im Kampfe auszutragen®). Gregor IX. hat in seiner Dekretalen-
sammlung an verschiedenen Stellen die den Zweikampf verwerfenden
Erlasse seiner Vorgänger aufhehmen lassen-, bei dem nach der
Publikationsbulle ausschließlichem Charakter dieser Dekretalen-
sammlung bedeutet sie eine unbedingte Verwerfung dieses Ordals
durch Gregor IX7). Innocenz IV. hat im Jahre 1245 in Über-
einstimmung hiermit dem Kapitel von Notre-Dame-de-Paris die
Anwendung des kämpflichen Beweises im Freiheitsprozeß gegen
seine Leute verboten ®) und die Verwendung von testes, instrumenta
') Migne CC, col. 855-859.
*) c 1. X. l,so u. c. 1. X. 5,14.
*) cart. S. Dionysii de Nogento no. CXIII (1187) p. 227.
4) c 2. X. 5,14 u. c 1. X. 5,36.
*) Migne CCXV, col. 1381 ; vgl. Hofmann p. 625.
•) de Smedt (95) p. 63. Note 1.
7) Daß damit endgültig die Stellung der Kirche festgelegt sei, kann
man allerdings nicht sagen; a. A. de Smedt (95) p. 64.
•) Gart, de N.-D. de Paris 11 p. 394. Der Dictionaire historiquc des
3*
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und anderen legitimae probaciones in diesen Prozessen oontraria
consuetudine non obstante angeordnet. Im Jahre 1250 richtete
er einen Erlaß nacli Saint-Denis, indem es heißt: „Cum igitur
duella maxime super bonis ecclesiasticis sustineri non debebunt,
cum 8acris sint canonibus interdicta, ne de coetero hujusmodi
reproba probatio exigatur a vobis. auctoritate presentium districtius
inhibemus, statuentes, ut in judiciis ad declarationem justitae
vestrae sufficiant alia vobis legitima documenta Im Jahre 1252
schrieb er an den Erzbischof von Sens und den Bischof von Troyes
und ordnete an, daß die Kirche fortan das Eigentum an homines
de corpore nicht mehr durch Kampf, sondern durch festes et alia
documenta legitime beweisen solle; er verbietet darin den Klerikern
in Person oder per alios in duello pugnare, weil sie dadurch der
executio sacrorum ordinum entfremdet werden; er untersagt die
Zweikämpfe, praesertim cum de rebus ecclesiasticis agitur, weil
Gott dadurch versucht werde und sepius judicia pervertantur, und
ordnet an, daß wer den Kampf verweigert, einen rechtlichen
Nachteil nicht erleiden solle’). Alexander lYr. verbot im Jahre 1255
abermals den kämpfliehen Beweis im Streit um das Eigentum an
Leibeigenen der Kirche1); im Jahre 1258 richtete er einen Erlaß
an den Bischof von Auxerre, in dem er den Kampf verbot*). Pietro
Angeleri dal Murrone, der spätere Papst Coelestin V, hat den
Zweikampf mit folgenden Worten verdammt: „Duelluni est sin-
gularis pugna inter duos ad probationem veritatis: non debet fieri
neque inter laicos, quia hoc est tentare deum. Quidam dicunt
quod qui se offert peccat, qui vero coactus non peceat, sed contra-
rium tene probabilius 6).“ Clemens V. und Johann XXII. waren
bestrebt einzelne Zweikämpfe zu verhüten6). Urban V. hat im
moourg p. 770. verlegt diese Urkunde vom 4. 9. 1245 in das Jahr 1246 und
ließt daraus eine Erlaubnis des Papstes in schwierigen Sachen auf den Zwei-
kampf zurfickzugreifen.
*) bei Ducoudray p. 380.
*) Keims administratif I’ p. 733 no. 241.
*) Durand, v° duel.
*) vgl. J. Tardif in Nouv. Kevue hist, de Droit (1887) p. 170.
s) S. Petri Coelestini P.P.V. Opus c. IX. part. VII. cap. VIII in Max.
Bibliotheca. Patr. Lugd. JXXV. p. 851. bei de Smedt (95) p. 71.
°) Languedoc IV. p. 144 (1308) u. Boutaric, Actes II. p. 604 no. 7730
(1325).
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37
Jahre 1370 ein strenges Verbot an die Stadt Rom erlassen, wo
es sich um die öffentliche Anordnung eines Zweikampfs handelte1).
Auch Martin V. war bestrebt einen Zweikampf zu verhüten5).
Ein energisches Verbot des Zweikampfs haben dann im sechzehnten
Jahrhundert Julius II. in seiner Bulle „Regis pacifici.“ (1509),
Leo X. (1519) in der Bulle „Quam Deo et hominibus“, Clemens VH.
in der Bulle „Consuevit Romanus pontifex“ erlassen’’), das in
seinen Strafbestimmungen im Jahre 1500 von Pius IV. in der
Bulle „ La quae a praecessoribus“ noch erweitert wurde4). Aufs
neue hat dann Gregor XIII. zwei Bullen gegen den Kampf ver-
lassen, „Firmum“ und „Ad tollendum“, welch letztere sich aller-
dings auf den Privatzweikampf bezieht4). Zehn Jahre später
wiederholte Clemens VIII. in der Bulle „Illius vices“ von Jahre 1592
das Verbot*) und im Jahre 1752 hat Benedikt XIV. in seiner
Bulle „Detestabilem“ die alten Verbote wieder eingeschärft’).
IV. Die kirchlichen Schriftsteller.
a) Einzelne kirchliche Schriftsteller billigen den Zweikampf.
Regino stellt den Zweikampf als geltendes Recht-dar bei der Zengen-
schelte und lätit ihn hier zu, sofern die eine Partei oder beide Parteien
Laien sind e); auch beim Ehebruch billigt er den kämpflichen Beweis*),
ohne in einem dieser Fälle für die Teilnehmer eine Kirchenbuße zu
erwähnen ,0). Yvo von Chartres billigt den Kampf beim Streit um
das Eigentum an Grundstücken, „quia haec causa sine monomachia
terminari non poterat.“ Im allgemeinen soll aber nach seiner
') Tgl. Köhler, Studien IV. p. 338. (1370)
*) Histoires des papes IV, p. 302.
3) Magn. Bull. R. I, 498, 596, II, 93 und Wagner v°. dnel.
*) vgl. hierzu auch Köhler, Studien p. 338 f.
4) Magn, Bull. R. II, 493 und Wagner v°. duel.
«) Magn. Bull. R. III, 14.
*) Magn. Bull. R. XIX. 18‘
8) Regino, libri duo de synodalibus causis et disciplinis eccleaiastieis
II. cap. 334, bei Migne CXXVIV, col. 347.
*) Regino, 1. c. II. cap. 77 u. 78 bei Migne CXXXIV. col. 300.
,0) An dieser Stelle bespricht Regino auch den oben p. 33 erörterten
Brief Nikolaus I. an Karl I. ; in seiner Billigung des Kampfes im Falle des
Ehebruchs scheint mir der beste Beweis für die oben vertretene Auffassung
dieses Briefes zu liegen.
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Ansicht erst nach Erschöpfung aller übrigen Beweismittel zum
Ordal geschritten werden').
Eine Reihe von kirchlichen Schriftstellern duldet den Kampf,
ohne ihn jedoch ausdrücklich zu billigen. So verwirft Atto von
Verceil zwar den Kampf unter Laien nicht, meint aber: „saepe
innocentes victi, nocentes vero victores in tali judicio esse9).“
Burchard von Worms erwähnt den Kampf5), ohne ihn zu miß-
billigen, woraus man wohl zum mindesten auf eine Duldung des-
selben schließen kann. Yvo von Chartres schreibt in einem Brief
an Lisiard von Soissons bezüglich des Kampfes: „leges eccle-
siasticae potius hoc prohibent quam jubent ')“ ; in einem andern
Brief an den Erzbischof Radulf von Reims sagt er, man müsse
nach Erschöpfung aller übrigen Beweismittel zum divinum testi-
monium schreiten, „non quod lex hoc instituerit divina, sed quod
exigat incredulitas humana5):“
b) Schon verhältnismäßig früh finden sich aber kirchliche
Schriftsteller, die den Kampf verwerfen. Der Erzbischof Agobert
von Lyon hat mit großem Scharfsinn in seinem über adversus
legem Gundobadi et impia certamina quae per eam geruntur6),
sowie in seinem über de divinis sententiis digestus cum brevissi-
mis adnotationibus contra damnabilem opinionem putantium divini
judicii veritatem igne vel aquis vel conflictu armorum patefieri ')
vom rechtlichem, religiösen und sittlichen Standpunkt den Zwei-
kampf bekämpft; den Erfolg seiner Arbeit durfte er nicht einmal
in seiner Provinz erleben, wohl aber holten spätere Jahrhunderte
aus seinen Werken das Rüstzeug zum Kampf gegen dieses Ordal*).
') ep. 168 bei Migne CLXII, col. 184.
*) Atto, De pressuris ecclesiasticis bei Migne CXXIV. col. 58 vgl. de
Smedt (95) p. 65, der in dieser Äußerung schon oine Verwerfung des Zwei-
kampfs erblicken will.
s) Collectarinm IX, 51 bei Migne CXL.
*) ep. 280 bei Migne CLXII, col. 281.
*) ep. 252 bei Migne CLXII, col. 258.
®) bei Migne C1V, col. 114—126; vgl. Patetta p. 373 ff.
>) Migne CIV, col. 249-268: vgl. Hofmann p. 609 ff.
*) Über die Ausführungen Agoberts vgl. die treffliche Darstellung bei
Saplayrolles p. 28 — 39. — Ob der von Agobert in cap. 13 seines über ad-
veraus legem Gundobadam zitierte Avitus von Vienne wirklich schon im
Anfang des sechsten Jahrhunderts (!) den Zweikampf verworfen hat, kann
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Regino vom Prüm steht nicht auf diesem schroff negierenden
Standpunkt, wie schon oben gezeigt; wohl aber verwirft er den
Kampf zwischen zwei geistlichen Parteien '). Atto wiederum ver-
dammt den Zweikampf auch schon in dem Fall, wo nur eine
Partei ein Kleriker ist*). Yvo von Chartres schließt den Kampf
zum Beweise des Bruches von Sponsalien aus, „quia secundum
beatum Augustinum quamdiu habet homo quid faciat non debet
tentare Deum suum5).“ Wegen des blutigen Charakters des
Zweikampfs verwirft er die Anordnung desselben durch ein geist-
liches Gericht, hat aber gegen die Anordnung durch den welt-
lichen Richter nichts einzuwenden4). Gratian verwirft in seinem
Dekret den Zweikampf, jedoch führt er auch hier widersprechende
Stellen an, um damit die Richtigkeit seiner Theorie in ein um so
helleres Licht zu setzen5). Bernhard von Clairvaux verwirft den
Zweikampf: „Quae miseros tarn dira libido exeitat“, schreibt er,
quod proximi corpus gladio, cujus fortasse et anima perit, trans-
verberent6).“ Petrus Cantor verurteilt scharf und treffend das
Karapfordal : er meint, der pugil vertraue entweder auf seine Kraft
und Tapferkeit oder auf seine Kunst oder auf seine Unschuld oder
auf ein göttliches Wunder. In den beiden ersten Fällen mißbilligt
er es, weil damit die Voraussetzungen auf der einen Seite andere
sind als auf der andern. Im dritten Fall erscheint es ihm ver-
werflich als eine praesiunptio et anticipatio divini judicii und im
letzten Fall verdammt er es als eine diabolica tentatio Dei7).
Petrus Pictaviensis bekämpft dies Beweismittel zum Teil mit Argu-
menten, die er Agoberts Schriften entnimmt; nach seiner Ansicht
ist der Tod, der etwa auf einem Verbrechen als Strafe steht, dem
Mord, der durch eine Tötung der Gegenpartei begangen wird, vor-
dahin gestellt bleiben; jedenfalls hat die Ansicht Patcttas (1. c. p. 329),
daß wir cs hier mit einer Erfindung Agoberts zu tun haben etwas für sich;
a. A. Hofmann p. 617.
') Beginn 1. c. II. cap. 334 bei Migne CXXXIV, col. 347.
*) Atto 1. c. bei Migne CXXIV. col. 58.
*) ep. 183 bei Migne CLXII, col, 184.;
*) ep. 247 bei Migne CLXU, col. 254.
s) e. 2 qu. 5.
6) ep. 363. bei Migne CLXXXII, col. 566.
7) Verbum abbreviatum cap. 78 f. bei Migne CCV, col. 233.
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zuziehen *). Thomas Aquinas endlich verwirft den Zweikampf,
weil er einmal in die Geheimnisse, die Gott Vorbehalten sind,
einzudringen versucht und andererseits nicht durch die lex Dei
geboten ist*).
§ 5.
Der Einfluss der Kirche auf die Formaiien des gerichtlichen
Zweikampfs.
I. Neben den soeben betrachteten Konzilienschüssen, päpst-
lichen Erlassen und der Stellungnahme hervorragender Kirchen-
sehriftsteller, die einen maßgebenden Einfluß auf die Praxis der
kirchlichen Gerichte im Süden schon zu Beginn des dreizehnten,
im Norden aber erst um die Wende des vierzehnten Jahrhunderts
erlangten, ging eine andere Tätigkeit der kirchlichen Organe
innerhalb Frankreichs einher, die ihre Berechtigung aus der alt-
hergebrachten Auffassung des gerichtlichen Zweikampfs als Ordal 3)
und der daraus sich ergebenden Mitwirkung des Klerus bei den
Formalien nahm, die aber bei der Ohnmacht der Kirche, bei dem
konservativen Zug der ßechtsentwiekelung und mit Rücksicht auf
die herrschende Landessitte nur auf eine Erschwerung der Formalien
gerichtet sein konnte. Dieser Einfluß der Kirche auf die Ge-
staltung der Formalien geht teils darauf aus bestehende Formen
zu verändern, teils neue Formalien in das bestehende Recht ein-
zugliedern. Wahrend sich aber der Zweck der von der weltlichen
Gewalt ausgehenden Änderungen in der ersten Zeit in der Er-
möglichung der Klarstellung der objektiven Wahrheit erschöpfte
und seit dem ausgehenden dreizehnten Jahrhundert auf prunk-
vollere und prächtigere Ausgestaltung des Kampftermins richtete,
waren die unter kirchlichem Einfluß eingeführten Neuerungen neben
') Sententiae IV. bei Migne CCXI, eol. 1151.
7) Summa totiug theologiac 2. 2. qu. 95. a. 8 ad 3.
3) Schon die Volksrechto zählen, wie Dcclarcuil nachgewiesen hat
(p. 330), von Anfang an den Kampf unter die Ordalien, und diese Auffassung
blieb bis zum Verschwinden des gerichtlichen Zweikampfes aus der Praxis
die mallgebende (vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf § 26. pag. 99. Note 1).
Dieser Ansicht schloß sich auch die kirchliche Theorie an (vgl. Patetta p.
327, no. 3, Saplayrolles p. 25, Note 1), wie auch Petrus Cantor 1. c. und
Thomas Aquinas 1. c. dies durch nebeneinander Stellung des Kampfes und
der einseitigen Ordalien bezeugen.
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der Erleichterung der Erforschung der materiellen Wahrheit in
erster Linie dazu bestimmt, den kämptlichen Austrag zu verhindern
oder doch wenigstens zu erschweren, um so ein Blutvergießen zu
vermeiden; allerdings dienten diesem Zweck indirekt auch teil-
weise die von der weltlichen Gewalt ausgehenden Vorschriften
über den Eintritt der Sachfälligkeit der pflichtigen Partei.
II. Zunächst macht sich der Einfluß der Kirche in der Be-
schränkung der Zeit, zu welcher ein Kampftermin abgehalten
werden durfte, geltend. Ein solcher Termin durfte nicht statt-
finden in der geschlossenen Zeit, in der octava eines hohen Festes,
an einem der vier Quatember und an dem Tag de la dedication
de l'Eglisc oü la bataille doibt estre faicte; in der Normandie
war der Kampf auch in der Zeit von Judy nonne jusques au
Lundy ensuivant soleil levant verboten1).
III. Am deutlichsten zeigt sich aber der kirchliche Einfluß
im Präsentationstermin und den ihn vorbereitenden Akten:
a) Vor dem Kampftermin unternahmen die Parteien zur Vor-
bereitung auf den Waft'engang Pilgerfahrten; besonders bevorzugt
wurde hierbei eine Wallfahrt zu einem wundertätigen schwarzen
Kreuz in der Kirche des heiligen Drausius zu Soissons’).
b) Die Nacht vor dem Kampfe wurde in der veillee d’armes
verbracht; sie war, nach der Zahl der Quellen, die von ihr be-
richten, zu schließen, sehr verbreitet und bestand in einer Nacht-
wacne in der Kirche, die im Gebet zugebracht wurde’).
c) Zur Vorbereitung zum Kampfe gehörte die Buße, wobei
die Absolution jeder Partei erteilt wurde4), und das Abendmahl;
für die hierbei stattfindenden Messen hatten sich bestimmte
Formularien herausgebildet. Ein derartiges Formular6) wurde
*) vgl. die Gelege in meinem Gerichtlichen Zweikampf § 25 p. 96 u. 97.
*) vgl. meinen gerichtlichen Zweikampf § 26. II. 1 p. 100 Note 2.
*) vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf § 26, II. 2 p. 100 f.
*) vgl. meinen gerichtlichen Zweikampf §26, II. 3 p. 101.
5) mitgeteilt von Delisle in Ecole des Chartes XVIII (1856/7) p. 253 ff.
Nach diesem Formular wurden zwei Messen gelesen. Die eine fand, wie
das auch sonst äblich war (vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf § 26, II,
p. 101) vor der Präsentation statt, vielleicht noch vor dem Urteil. Als
Vorbereitung zu ihr schreibt das Formular vor: „Chi certc cose deit en-
querre, ses junies deit faire, e ses elemosinas, et deit estre e missa, et
matinas deit orer, e ses VHtum psalmes“ (die althergebrachten 7 Buß-
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von einem Mönch von Fecamp zu Beginn des zwölften Jahr-
hunderts aufgezeichnet. Ein anderes bei Gottesurteilen übliches
psalmeu), „e sa letaoia. eg ses oratiuns et aqua bencdicta.“ Die Messe ent-
spricht im wesentlichen der für das festnm inventionis sanctae Crucis
(3. Mai) üblichen (vgl. M. R. p. 581), so der introitus Gal. 6., der Psalm 66,
die Oratio, nicht aber die Epistel, wohl aber nach dem zweiten Alleluja das
„Dulce lignum“, das Evangelium Joh. 3,1 nicht das Offertorium, wohl aber
die Secreta „Sacrificium Domine“ und die Postcommunio „Repleti alimonia“.
Einzelne Teile stimmen mit der für das festum cxaltationis Crucis (14. Sep-
tember) vorgeschriebenen überein (vgl. M. R. p. 694), so die für beide
Feste gleichen Introitus, Psalm, Dulce lignum, ebenso das dieser Messe ent-
nommene Offertorium: „Protege domine.“ In kleineren Einzelheiten weist
das Formular Eigentümlichkeiten auf, die Anknüpfungspunkte an das Missale
Romanum nicht bieten, so in der Epistola: „Fratres confido in vobis“
(vielleicht Gal. 5,10), nach dem ersten Alleluja: „Nos autem“. in der Com-
munio: „Redemptor mundi“, und in dem Psalm nach der Postcommunio:
„Profitiat.“ An die Secreta schließt sich zunächst ein „Agnus dei“ an,
darauf folgt die oratio: „Ore preiuns devino misericordie, o ma damne
sancta Maria e ma damc sainte Cruiz e ina damne sancta Elena e toz sainz
et totes saintes et toz les fedelz domine Deu, qui trinus est in umero et unus
est in hominc, que il tot preient domine Deu, que il declarast et il demonstrast
ceste cose que nuls uem ne puscet estre encolpet si eil non chi dreit i ad.“
Darauf führt das Formular mit folgendem Ceremoniell fort: „Ore deit l’on
prendre une rotcle et ensan sunt en un fust et metre lo mance ensz cl liva,
et lier bien que n’cn chidet, et puis prendre lever par la rotele ad vos dunz
et jus prendre.“ Dem folgt die Oratio: „Domino Jhesu Christ«, fili Dei vivi,
quia tu mundas manus posuisti in cruce et nos omnes tuo praetioso san-
guinc redemisti, appareat veritas tua super librum istum, qui in deiteram
formasti et benedizisti in substantia hominum et ad continondum, si veritas
est, qui culpabilis sit, ille homo aliquid qui fest nommet ille, si ille furtum
fecerit aut consenscrit, tornet librum istum, et si ille furtum non fecerit
nec consenserit, non tornet, Domine Deus Abraham, Domine Deus Isaac,
Domine Deus Jacob, Dominc Deus Michael, Domine Deus Gabriel, Domine
Deus Raphael, Domine Deus angclorum. Domine Deus archangelomm, Do-
mine Deus prophetarum, Domine Deus virginum. Domine Deus sanctorum,
Domine Deus qui liberasti tres pueros de camino ignis ardentis, Sidrac,
Misac, Abdnego, Domino Deus, qui liberasti Danielem de lacu leonum,
libera innocentcm et trade malefactorcm in culpam.“ Daran schließt sich
der vollständige Psalm: „Miserere mei, Deus“, an: es folgt ein „Gloria“,
hierauf ein: „Enquor, enquirere“, endlich ein „Agnus Dei“, dem sich die
Communio: „Redemptor mundi etc.“, sowie die Postcommunio: „Repleti
alimonia“ anreiht.
Das Formular führt dann fort: „Missa de natali Domini deit o dire
chi camp ist.“ Ob sich dies auf eine zweite Messe bezieht, oder, ob statt
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Formular teilt neuerdings Proost ’) mit; diese Messe war ur-
sprünglich nur für das judicium aquae bestimmt, hat. aber später-
hin auch beim zweiseitigen Ordal Verwendung gefunden. Diese
der eben besprochenen beim Kampf diese Weihnachtsmesse gelesen wurde,
läßt sich mit Bestimmtheit aus dieser kurzen Bemerkung nicht entnehmen.
Diese zweite Messe stimmt genau überein mit der im Missale Romanum
unter der Überschrift: „In nativitate Domini ad secundam missam in
aurora“ Torgeschriebenen : nur diu oratio pro commcmoratione sanctae Ana-
stasiae (vgl. M. R. p. 27 f.) fehlt im Formular von Fecatnp.
Eine zweite oder dritte Messe, je nach der Bedeutung, die der eben
besprochenen Anweisung des Formulars beizulegcn ist, „deit l'un dire por
lc campion quant il entret el camp.“ Das Formular faßt sich kurz und
besagt nur: „Missam de la ressurection, missam de sancta trinitatc, missam
de sancto Stephano“ etc. Diese letztere Anweisung ist wohl alternativ zu
verstehen: der Psalm kann dabei freigewählt werden.
■) Proost, Recherches p. 97 — 99: als Quelle gibt er Spelmanns
Glossarinm archeologicuui an: in der Londoner Ausgabe vom Jahre 1G87
war es jedoch nicht aufzufinden. Berührungspunkte mit den Formularien
des Missale Romanum sind fast nicht vorhanden: mit diesem verglichen,
wäre ihm ein eklektischer Charakter bei zulegen. Es ist im wesentlichen
aus zwei von Martene mitgeteilten, ursprünglich beim judicium aquae an-
gewandten Formularicn zusammengcstellt. Der Kompilator hat sein Werk
nicht mit besonderem Geschick ausgeführt, er benützt bald das nHch Martonc
aus einem Codex Uticensis monasterii stammende, bald das aus einem
Ritual für die Kirche von Soissons herrühronde Formular, ist dabei aber
darauf bedacht, die Abweichungen des ersten Formulars im Numerus, das
nur für eine Person bestimmt war, in Klammern neben den Plurales des
Ms. von Soissons aufzuführen.
Das Formular beginnt mit dem Introitus: „Justus es Domine et rectum
judicium tuum, fac cum servo tun sccundum misericordiam luam.“ Darauf
folgt der Psalm: „Beati immaculati in via.“ (übereinstimmend mit Utica,
Soissons, sowie M. R. für Dominica XVII. p. P. (Psalm 118) p. 472), daran
schließt sich die Oratio: „Absolve, quaesumus etc.“ (Übereinstimmend mit
Utica und Soissons, wobei beide numeri vermerkt werden. — Das M. R.
p. 493 bat in seiner Oratio für Dominica XXIII p. P. einen kürzeren Text
unter Weglassung der auf das Gottesurteil bezüglichen Stellen). Es folgen
die beiden lectioncs; die eine „libri levitici“ stimmt überein mit Utica und
M. R. für feria IV. p. Dominicam Passionis p. 174, nur ist der Text im
letzteren Formular länger: die andere: „Ad Ephosios“ stimmt überein mit
Soissons und M. R. p. 486 für Dominica XIX. p. P. Hieran reiht sich das
Graduale: „Rs. Propitius csto, Domine, peccatis nostris, ne quando dicant
gentes, ubi est Dous eorum. Vs Adjuva nos, Deus salutaris noster, et
propter honorem nomiuis tui, Domino, libera nos. Alleluja. Deus judex
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Formularien zeigen trotz großer Verschiedenheit in den Einzel-
heiten doch manche innere Berührungspunkte. In beiden finden
sich Akte, durch die der, welcher sich dem Gottesurteil unter-
justus, fortis et paticns, num quid irascctur per singulos dies?“ (Überein-
stiuimend Utica und Soissons: ein ähnliches Graduate findet sich nicht im
M. K.) Das Evangelium accundnm Marrum schließt sich an: „Cum egressus
esset Jhcsus in via, percurrcns quidam genu fleio ante eum rogabat eum
dicens: Magister bone, quid faciam, ut vitam aetemam percipiam ?
Jhcsus autem dixit illi: Quid me dicis bonum? nemo bonus nisi solus Deus
Praecepta nosti? Ille diiit: qnae? Dixit ei Jhesus, non occidas, non
fureris, non adultereris. non falsum testimonium dicas, non fraudem feceris.
Honora patrem tuum et matrem. At ille respondens ait: Magister haec
omnia custodivi a juventute mca. Jhesus autem intuitus eum, dilexit eum
et dixit ei, unum tibi deest: vade, vende, quaecumque habes et da pau-
peribus et babebis thesaurum in coelo et veni sequere me.“ (Übereinstimmend
Utica und Soissons: während sich das Evangelium in keinem Formular des
M. R. findet). Hierauf folgt das Offertorium: „Immittet Angelum Dominus
in circuitti timentium et eripict eos; gustate et videte quam suavis est
Dominus.“ (Übereinstimmend Utica und Soissons). Nunmehr gibt das
Formular die .Anweisung: „Hic offerant.“ Dieser folgt die Secreta:
„Intercessio sanctorum tuorum misericordiac tnae. Domine munera nostra
conciliet, et quam merita nostra non valent, eorum deprecatio indulgentiam
valeat obtincre per Dominum. (Mehrfache kleinere Abweichungen im Text
dieser Secreta lassen darauf schließen, daß die beiden von Martene mit-
geteiltcn Formulare vom Kompilator nicht direkt benutxt wurden: vielleicht
ist auch der Text den Proost mitteilt nicht der ursprüngliche Text der
Kompilation. Von hier an folgt das Formular dem von Utica, während der
Text von Soissons ein ganz anderer ist: in der Praefatio und den nach-
folgenden Henedictiones erscheint aber der Pluralis stets an erster Stelle
und in Klammer der Singularis, während doch nur das Formular von
Soissons den Pluralis hat.) Hieran schließt sich die Praefatio an mit den
Worten: 0 aeterno Deus, qui non solum peccata dimittis, sed ipsos etiam
justificas peccatores, et reis non tantum poenas rclaxas. sed dona largiris
et praemia. Cujus nos pictatem supplices exoramns, ut famulos (lum) tuos
(um) N. non de praeteritis judices reatibus, sed hujus culpae veritatem
spectantibus insinuas. quatenus et in hoc populus tnus pracconia nominis
tui efferat, et te vitae praesentis et perpetuae auetorom agnoscat per Christum.“
ln dem von Proost mitgeteilten Formular folgt nunmehr die Überschrift: „Bene-
dictiones ad judicium“, deren Inhalt folgendermaßen lautet: „Deus, de quo
scriptum est, quia justus es et rectum judicium tuum, fac cum his (hoc) servis
(tu) tuis (o) secundum misericordiam tuam, utnon de pristinisjudicetnr reatibus“,
(Nach der Anschauung jener Zeit nahm man an, daß das Ordal auch ein Urteil
Gottes über frühere Vergehen zum Ausdruck bringen konnte, selbst wenn
die Partei in dem zur Verhandlung stehenden Fall unschuldig war: damit
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ziehen will, (1er göttlichen Gerechtigkeit näher gestellt wird,
nämlich die Invocationes : im Formular von Feramp geschehen
sie in der Form des Eides, in dem von Proost mitgeteilten Formu-
lar in der Form des Abendmahls. Der Zweck ist in beiden der-
selbe: wer die Invooatio unwürdig, im Bewußtsein seiner Schuld
vomimmt, der soll von Gott durch den unglücklichen Ausgang
des Ordals gestraft werden. In beiden Formularien erfolgt eine
Benedictio derer, die sich dem Gottesurteil unterziehen wollen;
sie geschieht in beiden in der Form des Gebets und in ihr wird
Gott angerufen, er möge durch sein Urteil die Walirheit erkennen
erklärte man sich die der objektiven Wahrheit widersprechenden Ent-
scheidungen durch Ordalien, vgl. z. B. Saint-Benoit-sur-Loire (964/968) in
Miracula S. Benedicti VI<”« cd. par Certain bei D'Arbois de Jubainville I,
pag. 143 IT.) sed in hoc prout meruerint (it). tna benedictione praeveniente,
veritatem subseciuantur (atur) judicium. Amen.“ — .Et qui justns et amator
jnstitiae, et a cujus vnltu videtur aequitas, fac in conspectu populi tui, ut
nuliis malorum praestigiis veritatis tuae fuscentnr examina. Amen.“ —
„Petitiones nostras, Domine, placatus intende et culparum omnium praeteri-
tarum eis (ei) veniam dementer attribuc : et si culpabiles (is) snnt (est),
tua larga benedictio non eis (ei) ad suffragium, sed hujus culpae ad insinu-
andam veritatem proiicicat. Amen.“ (Mit kleinen Abweichungen überein-
stimmend mit Utica). Das Formular von Utica läßt hier zunächst eine
Adjnratio ante perceptionem Corporis Domini folgen : in derselben beschwört
der Priester den Beschuldigten: .ut nullo modo praesumas hoc sacrosanctum
Corpus Domini accipere, neque ausus sis ad hoc sanctum altare accedere
si hoc furtum fecisti, aut consensisti, aut scis qui hoc egerit.“ Darauf
folgt die Anweisung: .Si autem tacuerit et nulli hoc dixerit, vertat se
sacerdog ad altare et Burnat sacrificium in semet ipso. Postea vero communicet
cum, qui aquae judicio probandus est, ita dicens: Corpus Domini nostri et
hoc sanguis etc.“ Unser Formular bei Proost kürzt hier nur ab, wie ja die
Formulare überhaupt nicht den ganzen Inhalt der Messe mitteilen; auch
bei seiner späteren Verwendung für den Kampf hat sicher vor der communio
ein ähnlicher Akt stattgefunden. Das von Proost mitgeteilte Formular fährt
nunmehr mit der Anweisung fort : .Hic commnnicent (et) post Sacerdotem
et dicat Sacerdos: Corpus hoc et sanguis Domini nostri Jhesu Christi sit
vobis (tibi) ad probationem hodie.“ (Übereinstimmend mit Utica; nur ist
hier unser Formular wieder an erster Stelle pluralisch gefaßt). Es folgt
die Communio: .Justus Dominus et justitiam dilexit, aequitatem videt vultus
ejus.“ Daran schließt sich die Postcommunio: .Perceptis, Domine Deus,
muneribus suppliciter deprecamur, ut hujus participatio Sacramenti et a
propriis nos rcatibus indesinonter expediat et in famulis (o) tuis (o) veri-
tatis sententiam dcclaret per Dominum nustrum.“ (Übereinstimmend mit
Utica).
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lassen. Nach beiden Formularien findet der Akt in der Kirche
unter aktiver Teilnahme eines Priesters in Gegenwart des Volkes
statt.
d) Vor oder nach der Messe Hellen die Parteien Almosen an
die Armen verteilen; nach der Messe opferten sie, teils neben
der Spende von Almosen, teils anstatt derselben1). Hierin ist
unschwer eine satisfactio operum zu erkennen, die aber mit Rück-
sicht auf die kurze dem Büller zur Verfügung stehende Zeit in
Geld umgewandelt ist*).
e) Hei der Leistung der Kampfeide war in der Regel ein
Priester zngegen, der die Parteien auf den Eid vorbereitete 3).
f) Der Kid selbst wurde auf Reliquien, Evangelien. Missalien.
oder auf den mit den Worten: Te igitur beginnenden canon
missae oder auf das Kruzifix geleistet4).
g) Tn der Eidesformel findet sich regelmäßig eine Anrufung
Gottes, er möge helfen, die Wahrheit zu erforschen4).
h) Zum wenigsten unter christlichem Einfluß umgestaltet,
höchst wahrscheinlich aber erst durch die Kirche in den Prozeß
eingeführt sind die „sorceries“. Dieser Eid beruhte auf dem
mittelalterlichen Aberglauben, daß man durch Zaubermittel oder
auch durch das Beisichtragen geweihter Dinge den Erfolg des
Ordals verkehren könne4); so führte man einen weiteren Eid in
das Verfahren ein, in dem Glauben, daß Gott denjenigen, der
trotz Leistung desselben „sorceries“ beim Kampfe gebrauche,
unterliegen lassen werde’).
i) Vor Beginn des Kampfes forderten die Parteien die Zu-
schauer gelegentlich auf, für sie zu beten, oder sie ließen während
des Kampfes in der Kirche für sich beten oder eine Messe lesen').
’) vgl. meinen Gerichtl. Zweikampf § 26, II. ä. pag. 101, Note 10 u. 11.
*) vgl. Seeberg, Grundriß § 86,4 p. 72.
*) vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf § 26, II, 7, p. 102, § 35. II.
p. 117.
4) vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf § 30, VI, p. 111, Note 10 — 15.
') Beispiele in meinem Gerichtlichen Zweikampf § 30, IX, 5, p. 112
Note 9.
*) vgl. Hildenbrand § 28, o. 109, Note 1.
’) vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf $ 35 p. 117 f.
') vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf § 26 II. 6. p. 101 f. — vgl.
auch das oben pag. 41 f. besprochene Formular von Fccauip.
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k) In der Nähe des Kampfplatzes blieb ein Priester, um dem
Besiegten und seinem Bürgen, die ja in älterer Zeit von der talio
8upplicii betroffen wurden '), bei unglücklichem Ausgang des Kampfes
den Trost der Kirche zu spenden1).
l) Der Sieger pflegte in einem Dankgottesdienst nach dem
Kampf Gott für den Sieg zu danken5).
IV. Partikularrechtlich wurden in Laon Kleriker als Bürgen
zugelassen, aber dieses plegium christianitatis hatte dann zur Folge,
daß der Kampfvertrag aufgehoben wurde; man hat geglaubt hierin
ein Moment der Erschwerung oder Verhinderung des Zweikampfs
an sich sehen zu dürfen. Ich möchte darin lieber mit Rücksicht
auf die gemeinfranzösische Rech tsentwick hing ein privilegium des
Klerus erblicken, das den Zweck hatte, den Klerus vor der Bürgen-
strafe zu schützen4).
V. Diese ganze aktive Teilnahme des Klerus an wichtigen
Akten des Prozesses mit ihrem wundervollen Zeremoniell erscheint
in den Quellen nicht etwa nur vereinzelt oder als Anhängsel an
die Hauptprozedur, sondern es hat sich, wie die Epen und die
unzähligen Urkunden beweisen, organisch und untrennbar mit dem
althergebrachten Verfahren verbunden und wird dem tiefreligiösen
Charakter des frommen fränkischen Volkes entsprechend in gleicher
Weise in den Gerichten weltlicher, wie geistlicher Gerichtsherren
angewandt. Und doch lag auch in dieser Mitwirkung der Kirche
beim Zweikampf ein neuer Keim des Verfalls dieser Prozeßart;
denn sobald die Kirche in Frankreich mächtig genug war, um
sich von diesem Beweismittel in ihren Gerichten und in ihren
Prozessen zu emanzipieren, war es nur noch eine Frage der Zeit,
wann sie ihren Dienern die Mitwirkung bei dieser Prozeßart in
den Gerichten weltlicher Gerichtsherrn verbieten und so diesen
Prozeß eines wesentlichen Elements berauben wollte.
*) vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf §. 54 p. 162 f.
*) vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf § 26. II. 7 p. 102.
8) vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf § 47 p. 140.
4) vgl. meinen Gerichtl. Zweikampf § 21. VII. al 2. pag. 84 — anders-
wo schätzte man sich in späterer Zeit vor einer derartigen Eventualität,
indem man Kleriker überhaupt nicht mehr als pleges zulieil, da sie sich ja
in jedem Stadium des Verfahrens auf ihr Privileg berufen konnten. Vgl.
z. B. Beaum. 1800 und 1321.
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§ 6.
Kampfgerichtsbarkeit kirchlicher Gerichte, Teilnahme des Klerus
am Kampf und privilegium fori.
I. In unserer altfranzösischen Periode haben wir zwei Arten
von kirchlichen Gerichten zu unterscheiden, die curia ehristiani-
tatis und die curia saecularis '). Die weltliche Gerichtsbarkeit der
Kirche resortierte in letzter Linie von König*), während die justi-
cia de Christianitate vom König unabhängig war. In den geist-
lichen Gerichten i. e. S. bevorzugt«1 man unter den Ordalien
mehr die einseitigen, wie die Probe des heißen Eisens’), seltener
die Wasserprobe4), die aber in karolingischer Zeit noch überwog’).
So wird denn auch in unserer Periode das judicium calidi ferri
gelegentlich als die probatio secundum legem monachorum schlecht-
hin bezeichnet*). In der curia saecularis war, vorausgesetzt daß
sieh eine andere Beweisraöglichkeit, wie ja das Ordal überhaupt
erst dann zulässig war, nicht ergab, der Kampf das bevorzugte
Ordal, das denn gelegentlich auch als die probatio secundum
legem saeculariam schlechthin aufgeführt wird*). Die Grenzen
sind jedoch fließend; dies erklärt sich unter anderem wohl auch
aus dem Umstand, daß der eine Gerichtsherr, der ja beide Arten
von Gerichtsbarkeit hatte, bald dieses, der andere bald jenes Ordal
bevorzugte oder im einzelnen Falle für zweckmäßiger hielt7) und
demgemäß die Rechtsbildung beeinflußte. Im einzelnen werden
zahlreiche Fälle des Gebrauchs dieses Beweismittels in den Ge-
richten geistlicher Gerichtsherren berichtet. Der Abt von Saint-
') vgl. über diese Paul Fuumier, Officialites p. 1 f.
*) vgl. z. B. Beaum. 322.
’) z. B. Saint-Omer (1150) in Giry, Saint-Omer p. 126 — Saint-Aubin-
d’Angcrs (1056) in Hist. VI. p. 429. — vgl. Schaeffner II, p. 214 und
Tardif, Proeedure p. 91, Note 1.
4) vgl. Schaeffner II. p. 214.
5) Dies folgt aus dem Umstand, daß die aus dieser Periode stammenden
Meßformuluricn sieb fast durchweg auf die Wasserprobe beziehen.
*) vgl. Saint-Aubin-d’ Angers ■/. vicomte de Thouarce (1056) in Hist.
VI, p. 429.
*) so war z. B. Yvo v. Chartres der Ansicht, daß Streitigkeiten über das
Eigentum von Grundstücken nur durch Kampf entschieden werden konnte.
Vgl. oben p. 37 u. 38, Note 1.
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Maur - snr - Loire , der Bischof von Toul, der Abt von Saint-
Pierre - de - Bourgeuil , der Abt von Saint - Pfcre - de - Chartres,
der Bischof von Chartres , der Bischof von Dol , der Bischof
von Quimper, der Abt von Saint -Diez, der Abt von Longe-
ville, der Abt von Luxembourg, der Abt von Saint-Michel, der
Abt von Saint-Nicolas-d’Angers, der Bischof von Sens, der Bischof
von Langres, der Abt von Saint- Mart in-de-Tours, das Kapitel von
Notre-Damc-de-Paris, die Äbtissin von Sainte-Marie-de-Troyes,
der Erzbischof von Paris, der Abt von Saint-Cr£pin- de-Soissons,
der Abt von Saint-Pierre-de-Beanx-sur-Meuse, der Erzbischof von
Reims, der Abt von Bonneval, der Bischof von Saint-Brieuc, das
Kapitel von Sainte-Merry, der Bischof von Agens, der Abt von
Saint- Victor-de-Marseille, der Erzbischof von Embrun, der Abt
von Saint-Maurioe-de-Savigny, der Erzbischof von Grenoble u. a.
m. ') haben es in ihren Gerichten zugelassen.
•) S»int-Maur-s.-L. (1066) in Marchegay, Anjou 1, p. 331 no. 63 —
Toul (1069) bei Benolt, Toul p. LXXXI11 — Chartres (1086) in Cart. de
Saint-Pere-de-Chartrea p. 248 no. 114, (1267) in Olim I, p. 167 — Chartrea
(1090—1100) in Cart. de Saint-Pere-de-Chartrea II, p. 313 cap. LXIII. —
Saint-Pierre-de-Bourgeuil (1082, 1202, 1214) in Hiat. XIV, p. 118 u. Viollet
III. p. 311. — Dol (1196) in Lobineau I, p. 204 pr. II, 345 — Quimper
(Ende XII) in Lobineau I, p. 204 = Morice I, p. 376 — Saint-Diez (1115 bis
1123), Longeville (1121), Luxembourg (1123, 1124), Saint-Michel (1135) bei
Calmct CCLXI, CCLXVII, CCLXXI, CCLXXIII, CCCIII. — Saint-Nicolaa-
d Angers (1136) in Layettea no. 65. — Sens (1176) bei Prou, Lorria p. 188,
Note 2. — Langres (1213) bei Garnier no. CCXLV. — Saint-Martin-dc-Tours
(1190) in Layottes no. 371. — N.-D.-de-Paris (1139, 1193, 1203) in Cart. de
N.-D.-de-Paris I, 233, II, 259, 325. Vgl. auch Brussel p. 978, XXII —
Sainte-Maric-dc-Troyes (1197) in Cart. de Nonnaina-de-Troyes p. 12 no.
15. — Paris (1199, 1222; 1228) in Cart. de N.-D.-de Paris 1,80, 123 und
Layettos no. 1554; Cart de N.-D.-dc Paria I, 128. — Saint-Crepin (1233)
bei Peeheur III. p. 337. — Orleans (1244) in Layettea no. 3338. —
Soisaona (1259) in Olim I, 425. — Saint-Pierre-do-Beaux-s.-M. (1262) bei
Dom Ganneron p. 361. — Beima (1265) bei Brussel p. 983. — Bonneval
(1265) in Layettea no. 5068. — Saint- Brieuc (1311) in Olim III s. 679. XLV.
Sainte-Merry bei Tanon, Eglises p. 27. — Agens (1317) in Boutaric, Actes
du Pari. no. 5366 vgl. 5367. — Saint-Victor-de-Maraeille (1173, XI, 1193,
1235) in Cart. de Saint-Victor-de-Maraeille uoa. 557, 156, 992, 993, 994,
pag. 895, 183, 444, 446, 448. — Embrun (1146) in Cart. de Saint-Victor-de-
Maraeille no. 990, j). 442. — Saint-Maurice-de-Savigny (1090, 1121) in Cart. de
Saint-Maurice-de-Savigny noa. 835, 906. p. 444, 482 f. — Grenoble (circa
1040) in Cart. de l'egliae cathedrale de Grenoble no. XL VI, p. 119.
Coulln , Zweikampf In Frankreich 4
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Während in Spanien die Frage, ob die römische oder moz-
arabische Liturgie Anwendung finden solle, im elften Jahrhundert
im gerichtlichen Zweikampf entschieden wurde, finden sich in
unseren französischen Quellen nur Beispiele für die Anwendung
des Kampfes zur Entscheidung von Zivil- und Strafsachen. Hier-
bei überwiegen die Zivilsachen; in den uns vorliegenden Urkunden
handelt es sich um das Eigentum an Feldgrundstücken '), um das
Eigentum oder einen Anteil an einer Kirche5), um das Eigentum
•an Unfreien5), um den Nießbrauch an einem Grundstück4), um
die Erhebung von Abgaben8), um den Anspruch auf eine prevöte4),
um Schenkungen 7) und um Freiheitsprozesse4). Von Strafsachen
finden sich Mord 9), Todschlag 10), Diebstahl 1 '), Verrat '*), Notzucht lä),
’) Fleury Saint-Denis (834) (in Hist. VI, p. 313. — Saint-Aubin-
d'Angcrs (1056) in Hist. VI, p. 429. — Saint-Pierrc-de-Bourgeuil (1082) in
Hist. XIV, p. 118. — Sainte-Croix-de-Talmond •/. Saint-Martin-de-Tours
(1098) in Marchegay, Duell p. 557. — Saint-Serge-d-Augers •/. Saint-Aubin-
d’Angers (1064) bei Prou, Lorris p. 187. — Yvo von Chartres ep. 168 bei
Migne LX1I col. 171. — Saint-Denis-de-Nogcnt-le-ltotron (1100, 1120) in
Cart. S. Diouysii de Nogento no. XIX, p. 62. — Saint-Maur-s. -Loire (1125,
1135) in Marchegay, Anjou I, 394. — Saint-Crepin (1135) in Pecheur II,
p. 397.
*) Saint-Medard (968) in Hist. VIII, p. 67. — Verrieres (circa 1100)
in Cart. S. Dionysii de Nogento p. 125 no. 53. — Saintcs (1134, 1151)
no. 53. — Beziors (1053) in Languedoc II, 222 no. 205.
3) Til-Chätel (1090 5) in Petit, Bourgogne I, 253. — Pleury (1136)
in Hist. VI, p. 484. — Saint-Germain-des-Pres (1154) bei Boulliart no. 52.
über das Datum vgl. meinen Gerichtl. Zweikampf § 1. IV. p. 6, Note 7.
*) Cart. de Saint-Pere-de-Chartres I, pag. 160 no. 33 (1070).
4) Marmontier (1044) in Cart. de Marmoutier p. XXYI1, Note I. —
Saint- Wandrillc '/. den Grafen von Evroux (1034) in Neustria pia bei Canel
p. 73, 74. — Bonneval (1265) in Layettes no. 5068. — Saint-Germain-des-
Pres (1027) in Hist. X, 612. — Talmond (1092, 1124 und circa 1094) in
Cart. de Talmond nos 108 u. 58.
•) Saintes (1134) in Cart.' inedits d. 1. Saintonge II, no. 218, — Ju-
mieges (1240) in Hist. XXIII, 339.
*) Beaulieu (960) in Cart. de Beaulieu p. 85 no. 47. — Talmond (1095)
in Cart. de Talrnond no, 59.
•) Saint-Benoit-sur-Loirc (964/ 8) bei Jubainville I, 143 f. — Cart. de
Saint-Aubin-d'Angers (sine dato) in Franc aleu p. 263.
*) Bessin I, p. 81 (1137) p. 99 (1190). — Sainte-Genevieve (1266) in
Tanon, Eglises p. 27.
10) Saint-Maur-sur-Loire (1066) in Marchegay, Anjou I, p. 331, no. 63.
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schwere Körperverletzung') und Beleidigung1). In Zivilsachen
wurden die Parteien im Kampf termin meist durch Kämpfen oder
Kampfstellvertreter vertreten, während in Strafsachen ja nach ge-
meinfranzösischem Recht eine Vertretung durch Kämpfen unzu-
lässig war5). Bei den von den kirchlichen Gerichten angeordneten
Zweikämpfen finden sich häufig Kleriker jeden ordinis als Zu-
schauer ein4), und zwar auch noch, nachdem die Konzilien von
Paris und Rouen die Anwesenheit der Bischöfe beim Zweikampf
verboten hatten5), sind Kleriker als Zuschauer in den Urkunden
erwähnt4). Die Kämpfe scheinen häufig an geweihten Orten statt-
gefunden zu haben; es hängt dies offenbar damit zusammen, daß
man zwischen den gebräuchlichen einseitigen Ordalien, der Probe
des heißen Eisens und dem Kesselfang, die in der Kirche ab-
gehalten wurden, und dem zweiseitigen Ordal in der Praxis keinerlei
sachlichen Unterschied machte. Auch gegen diese Unsitte wendeten
sich die beiden Konzilien von Paris und Rouen5), wie ja auch
das vierte Laterankonzil mit dem Verbot der Mitwirkung eines
Priesters beim Kesselfang und bei der Probe des heißen Eisens
implicite die einseitigen Ordalien aus dem Bereich der geweihten
Orte verbannen wollte*).
II. Schon im frühen Mittelalter wird auch in Frankreich
der Grundsatz betont, daß die Kirche nach der lex romana lebt7).
Der praktischen Verwirklichung dieses Prinzips stand aber die
Unkenntnis des römischen Rechtes im Wege, die manchmal nicht
") Saint-Maur-sur-Loire (1066) in Marchegay, Aujou X, p. 331, no. 63.
— SoiBsons (Anf. XII) bei Pucheur II, p. 196 (Kirchenraub) — Saint-Ger-
main-des-PreB (1273) bei Tanon, Kgliaee p. 26. — Saint-Benoit-de-Paris
(1292) bei Viollet III, p. 311.
1J) Saint-Geruiain-des-Pres (1273) bei Tanon, EgliseB p. 27.
•*) Saint-Germain-des-Pres (1230) bei Tanon, Eglises p. 27.
') N.-D.-de-Paris (1269) in Gart, de N.-D.-de-Paris III, p. 433.
*) Saint-Brieuc (1311) in Olim III J p. 679.
*) vgl. meinen Gerichtl. Zweikampf § 28. p. 88 f.
4) z. B. Saint-Benoit-sur-Loire •/• Saint-Denis (833/40) bei Prou, Lorris
p. 186 f. — Saint-Germain-des-Pree (1280) bei Tanon Eglisea p. 27.
*) vgl. oben § 4, II a p. 31, Note 3.
*) vgl. oben § 4 II b p. 32, Note 1.
') so die Konzilien von Orleans (51 1) can. 1 und Tours (567) can. 20
bei Audigier, Auvergne p. 287.
4*
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52
einmal durch eine Anfrage bei den Rechtsgelehrten behoben werden
konnte *). Dann mag es aber auch hier, ähnlich wie das Rofredus
vom langobardischen Rechtsgebiet berichtet*), manchmal zweifel-
haft gewesen sein, ob in allen Fällen das römische Recht An-
wendung finden sollte, insbesondere ob auch in dem Fall, wo die
Kirche Rechtsnachfolgerin eines Nichtklerikers war. Die Kleriker
selbst waren der Bevölkerung ihrer Heimat zum größten Teil
entnommen und demgemäß auch in der Kultur und im Recht
ihrer Heimat befangen. Aus allen diesen Gründen erklärt es sich,
daß in den Prozessen der Kirche das einheimische Beweisrecht
und mit ihm der Zweikampf noch bis ins dreizehnte Jahrhundert
zur Anwendung gelangte und von einer Verwendung des „römischen“
Prozeßrechts Abstand genommen wurde.
Das Kampfprozeßrecht selbst aber ermöglichte den Klerikern
vielfach die Umgehung einer persönlichen Mitwirkung oder Teil-
nahme am käinpflichen Beweis.
1. Der geistliche Gerichtsherr konnte sich in seiner curia
saecularis durch seinen Vogt, und seit dem dreizehnten Jahr-
hundert durch seine Beamten (camerarius, bailli, prevöt) in seinen
gerichtsherrlichen Funktionen vertreten lassen ä).
2. Im Zivilprozeß konnte sich die kirchliche Partei, wie jede
andere, jederzeit durch einen Kämpfen oder einen Kampfstell Ver-
treter vertreten lassen; die kirchlichen Parteien haben auch
häufig von diesem Recht Gebrauch gemacht*).
') Saint-Renoit-sur- Loire •/. Saint-Denis (833/40) io Mir. S. Ren. lib.
I, cap. 25, p. 56, bei Pron, Lorris p. 186, 187.
*) Kofredus I.
*) Über den Inhalt dieser Funktionen vgl. meinen Gerichtlichen Zwei-
kampf § 15. XIII. p. 53 f. — vgl. ferner die in meinem Gerichtlichen Zwei-
kampf pag. 51. Note 7, pag. 52 Note 1 u. 2 angegebenen Quellen; außerdem
Cartulaire de Rourgeuil fol. 101 (1214) und Du Cango (1202) bei Viollet
III. p. 311.
*) Saint-Fleury Saint Denis (834) in Hist. VI, 313 — Saint-Medard
(968) in Hist. VIII, 67 — Mannoutier (1044) in Gart, de Marmoutier p. XXVII
Note 1. — Saint-Aubin-d’Angers (1056) in Hist. VI, 429. — Saint-Sergc-
d’Angers Saint-Aubin-d’Angers (1064) bei Prou, Lorris p. 187. — Saint-
Pierre-de-Rourgeuil (1082) in Hist. XIV, p. 118. — Til-Chitel (1090/5) bei
Petit, Rourgogne L, 223. — Sainte-Croix-de-Talmoud •/. Saint- Martiu-de-
Tours et Saint-Jean-de-Fontaines (1098) in Marchegay, Duell p. 557 f. —
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53
3. Nun sollte man denken, daß hei Prozessen zweier kirch-
licher Parteien untereinander der kämpfliche Beweis unterblieben
wäre; unsere Urkunden belehren uns jedoch nicht selten eines
andern ').
4. Bei Prozessen einer kirchlichen und einer weltlichen
Partei lag es in der Hand der kirchlichen Partei, falls sie näher
zum Beweise war, das Beweismittel z. B. ein einseitiges Ordal *)
zu bestimmen; daß die kirchliche Partei sich dabei manchmal
für den Zweikampf entschied, das lag nicht an der Gesetzgebung.
Seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, wo sich das
kirchliche und weltliche Prozeßrecht immer melir differenzierten,
wo die einseitigen Ordalien allmählich abkamen, wo der Zweikampf
schon in den Gerichten einzelner geistlicher Gerichtsherren ver-
boten wurde, da trat bei Prozessen zwischen einer geistlichen und
einer weltlichen Partei die Frage nach der Zuständigkeit des
Gerichts5) praktisch immer mehr in den Vordergrund; denn nach
dem Prozeßrecht dieses Gerichts bestimmten sich im einzelnen
Falle die Beweismittel *) und die kirchliche Partei war diesem
Rechte so gut wie jede andere unterworfen5); nahm sie z. B. ein
kämpfliches Beweisangebot nicht an, so wurde sie sachfiUlig und
die ordentlichen Ungehorsamsfolgen *) trafen sie. Aber immer dring-
licher wurden die Vorstellungen der kirchlichen Oberen gegen diese
generelle Unterwerfung kirchlicher Parteien unter das Kampfrec.ht,
ohne jedoch zunächst von irgend einem Erfolg begleitet zu sein.
Saint-Manr-sur-Loire (1125/35) in Marchegay, Anjou I, 394. — Saint-
Fleury (1136) in Hist. VI, 484 — Talmond (1092/1129, 1095), in Cart. de
Talinond no. 108 u. 59. — Saint- Pere-de-Chartres (1070), in Cart. de Saint- I’oro-
de-Chartrcs I. p. 120 no. 33 — Saint Denis-de-Nogent (1109, 1100/1 120) in Cart.
S. Ilionysi de Xogento no. 19 u. 53. — Lezar (1048) in Languedoc II, p. 215. —
ein Kampfstellvertretcr findet sich in Saint-Benoit-sur-Loire (833/40) in Prou,
Lorris p. 186/7 und in Saint-Benoit-sur-Loirc (964/8) in Jubainvillc I, 1431.
') z. B. Saint-Benoit-sur-Loire ./• Saint-Dcnis (833/40) bei Prou, Lorris
p. 186. — Saint-Fleury •/. Saint-Denis (834), in Hist. VI, 313 n. s. w., vgl.
o. p. 52 Note 4.
*) vgl. z. B. Saint-Aubin-d’Angcrs (1056) in Hist. VI, 429.
3) vgl. hierüber meinen Gerichtlichen Zweikampf § 15. IX u. XV p. 521.
4) vgl. meinen Zweikampf § 15. XII. p. 53.
*) vgl. s. B. Noyon (1181) in Layettes no. 307.
") vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf § 55 p. 164 f.
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54
Deutlich erhellt dies aus einer rheimser Urkunde aus dem Jahre
1235; in dieser Supplicatio facta domino regi per depntatos con-
cilii Remensis heißt es: „Item supplicat concilium quod dominus
Rex non compellat personas ecclesiastieas probare per duellum in
curia sua homines quos dicunt suos esse de corpore suos esse1).
Auch die Erlasse Innozenz IV. *) lassen erkennen, daß es noch
bis in die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts einer kirchlichen
Partei unmöglich war, ihre Ansprüche an homines de corpore
anders als durch Kampf zu beweisen. Mit der kämptlichen Prozeß-
fähigkeit hängt es auch zusammen, daß Kleriker noch als Rürgen
im Kampfprozeß angenommen wurden5).
HI. 1. Seit Beginn des zwölften Jahrhunderts wird die Kirche
im Kampfprozeß privilegiert.
a) Eines der ersten, wo nicht das erste Privileg, das die
Kirche im Kampfprozeß erlangte, war die Zulassung der servi
ecclesiae zum Kampfrecht. In den Privilegien für das Kapitel
von N'otre-Dame-de-Paris für die Abtei Saint-Denis, für Sainte-
Genevieve, für den Erzbischof von Paris, für Saint-Martin-des-
Champs, für Saint-Maur und für Notre-I)ame-de-Chartres werden
die kirchlichen Eigenleute zum gerichtlichen Kampf und zum
Zeugnis in kämptlichen Klagen gegen Freie in der Weise ver-
stattet, daß bei Weigerung eines Freien sich in einem derartigen
Prozeß mit denselbeu einzulassen, die ordentlichen Ungehorsams-
folgen, insbesondere Prozeßverlust und Verlust der Klagfähigkeit
eintraten. Die^Folge war eine Hebung des Ansehens der kirchlichen
Eigenleute; der eigentliche Grund der Verleihung des jus bellandi et
testiflcandi an diese servi ecclesiae scheint aber darin zu liegen,
daß man der Kirche eine größere Auswahl in der Wahl ihrer
Kämpfen ermöglichen wollte und ihr so Gelegenheit geben wollte
berufsmäßige campiones unter ihren Eigenleuten auszubilden4).
‘) in Reims administratif I5 p. 586 no 146; Brussel p. 968. XI ist
hiernach nicht zuzustirmnen, wenn er meint, dall Personen geistlichen Standes
überhaupt nicht zum Kampf gezwungen werden konnten.
*) rgl. oben p. 35 f.
*) z. B. Huon p. 43 — vgl. hierzu Prou, Lorris p. 192.
4) Notre-Dame-dc- Paris (1108) in Cart. de N.-D. de Paris I, 247 und
Tardif, Mon. no. 334. — Saint-Denis (1108) in Hist. XI, 591. — Sainte-
Genevieve (1109) in Tardif, Mon. no. 341. — Paris (1110) in cart. de N.-D.-
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55
b) Gegen Ende des zwölften Jahrhunderts finden sich zwei
Privilegien, die der Kirche gestatten, im Eigenschaftsprozeß unter
Ausschluß des gerichtlichen Zweikampfes durch Eidhelfer zu be-
weisen ; allerdings sind dies zwei ganz vereinzelte Privilegien ').
Noch um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts mußte ja
Innozenz IV. in diesen Prozessen mehrfach die Anwendung des
kämpfliehen Beweises verbieten*).
c) Noch bis ins dreizehnte Jahrhundert kämpften Kleriker
persönlich; nach dem canon 19 des normannischen Provinzial-
konzils von Lillebonne bedurften sie allerdings dazu der bischöf-
lichen Erlaubnis, widrigenfalls sie an den Bischof eine Geldstrafe
zu zahlen hatten; noch im Jahre 1252 mußte Innozenz IV. in
einem Erlaß an den Erzbischof von Sens und den Bischof von
Troyes den persönlichen Kampf der Kleriker verbieten; im Jahre
1386 kämpfte ein clericus non conjugatus et defensor und nach
dem Livre des Droiz konnte der derc mariö in Zivilsachen mit
Erlaubnis des Bischofs noch persönlich kämpfen’). Gegen Ende
des dreizehnten Jahrhunderts, wo einerseits eine große Anzahl
von Territorialgerichten die Kampfgerichtsbarkeit verloren4) und
immer größere Kreise der nichtritterlichen Bevölkerung vom Kampf-
zwang entbunden wurden s), wo andererseits die Kirche so mächtig
geworden war, daß sie ihre Ansprüche bezüglich der Eximierung
der Geistlichen von der weltlichen Gerichtsbarkeit großen Teils
durchsetzen konnte, und das Enqueteverfahren schon soviel Ein-
fluß im Norden erlangt hatte, daß der König und sein Parlament
dc-Paris I, 252 und Tardif, Mon. no. 345. — Saint-Martin-dcs-Champs (1111)
in Tardif, Mon. no. 34t>. — Saint-Maur (1118) in Tardif, Mon. no. 371
und Ord. I, p. 3 u. 4. — N.-D.-de-Chartres (1128) in Ord. I, p. 5. — Ob
eine Urkunde für Saint-Gcrmain-des-Pres (bei Boulliart p. 23 = Hist. X. p. 612)
hierher gehört, ist zweifelhaft.
■) Jusiers (1174) in Cart. de Saint-Pere-de-Chartrcs no. XI, III t II.
p. 61. vgl. dazu Prou, Lorris p. 189. — Saint-Quiriacc (1176) in Jubain
ville III, 160 no. 252.
’) vgl. oben pag. 235 f.
*) Zwei Beispiele iin Dictionairc p. 775. — Lillebonnc (1080) in La-
jctteB no. 22. — Reims administratif 1 3 p. 733 no. 241. — Gallus qu. 85.
p. 10. — Livre des Droiz 363.
4) vgl. meinen Gerichtl. Zweikampf § 15. IV. pag. 47,
’) vgl. oben pag. 2 bis 30.
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56
sich ihm nicht mehr verschließen zu können glaubten, Ha wurde
auch der Klerus und zwar, wie es den Anschein hat, gewohnheits-
rechtlich1) vom Kampfzwang befreit5).
i. Nach Keaumanoir ist die prozeßrechtliche Stellung der
Kleriker nunmehr folgende:
a) In Zivilsachen hat der Kleriker im Aktiv-, wie im Passiv-
prozeß seinen Gerichtsstand, einerlei, ob es sich um meubles,
chateus, actions personeus oder biens handelt, vor dem kirchlichen
Gericht. Eine Ausnahme besteht nur bezüglich der eritages, die
ein Kleriker von einem weltlichen Uerm en fief, a eens oder a
rentes hat5).
b) Strafsachen der Kleriker kann der Ordinarius in jedem
Stadium des Verfahrens an sich ziehen4), wenn er nachweist, daß
der Angeklagte ein Kleriker ist4).
c) Wer eine Tonsur trägt und geistliche Kleidung tragt, der
wird vom Geistlichen Gericht abgeurteilt, einerlei ob er Kleriker
oder Laie ist*). Wer weder Tonsur noch geistliche Kleidung
trägt und die Zuständigkeit der weltlichen Gerichte bestreitet,
muß beweisen, daß er Kleriker ist1).
d) Der clericus bigamus hat seinen Gerichtsstand in allen
Sachen vor dem weltlichen Gericht*).
e) Im Aktivprozeß kann sich der Kleriker nunmehr aber auch
im weltlichen Gericht nicht mehr verpflichten9), und im Passiv-
prozeß kann er sich vor demselben nicht mehr verantworten.
*) Ohne Kinilull blieb jedenfalls auch hier die Ordonnance von 1260:
vgl. i. B. Saint-Pere-de-Chartrcs (1267) in Olim I, 167. — Eine gesetzliche
Regelung dieser Privilegien findet sich nirgends : mit einem Male werden sie
von den Rcchtsbüchern als bestehendes Recht anerkannt.
*) In England ordnete Heinrich II. an: quod elerici duellum facerc
non cogantur vgl. Proust p. 42; nach Rofredus II, 5 waren in der Lom-
bardei stets Kämpfen zagelassen, si ecclesiastica persona, ut clericus, comes
vcl vidua, cansas habent intcr se vel cum aliis.
*) Beaum. 317. 345.
*) Beaum. 350. 351. 352. 356.
4) Beaum. 353.
*) Beaum. 353. 335; letzteres gilt jedoch nur für Strafsachen.
') Beaum. 354.
*) Beaum. 1800. — vgl. Fournier, Officialites, p. 69. Note 2.
9) Beaum. 1800.
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57
Bietet er ein Kampfespfand an oder nimmt er das Angebot eines
Kampfespfandes an, so muß es der Richter zurückweisen pour
honeur de sainte Eglise et pour ce que ses ordinaires l’osteroit
de la court laie en quel estat qu’il le trouveroit en cel plet1).
Ausgenommen ist hiervon nur der Prozeß um Erbe, das er von
einem weltlichen Herren en fiof, ä eens oder ä rentes hat2); in diesem
Falle hatte aber von Alters her jede Partei das Recht sich
durch Kämpfen oder Kampfstellvertreter vertreten zu lassen3).
f) Da sich der Kleriker nur wegen des Erbes, das er von
einem weltlichen Herrn zu Lehen, zu Zins oder zu einem ähn-
lichen Leiheverhältnis hatte, vor dem weltlichen Gericht verpflichten
konnte, so konnte er sich auch nur mit diesem Erbe vor dem
weltlichen Gericht verbürgen ; seiner Bürgschaft im Kampfprozeß
sind daher sehr enge Schranken gezogen4).
g) Vor dem weltlichen Gericht kann der Kleriker in allen
Fällen, wo eine Zeugenschelte zulässig ist, nicht mehr als Zeuge
erscheinen, car il ne pueent estre tret ne mis en gages5).
3. Am Ende des vierzehnten Jahrhunderts wird sowohl der
Laie der einen Bischof fordert, als der Kleriker, der eine Heraus-
forderung annimmt, mit Rücksicht darauf, daß ein Kampf mit
einem Kleriker unzulässig ist, mit Strafe bedroht. So ergeht am
2t>. April 1380 ein Verbot an Hutin d’Aequin, bei Strafe von
500 Mark Silbers und Gefängnis bei Wasser und Brot noch ein-
mal einen Bischof zu fordern1’), und Gallus berichtet, daß ein
Kleriker, der als Beklagter eine Forderung angenommen hatte,
die Sache vor das Parlament kommen ließ und sich dann auf
seinen geistlichen Stand berief, vom Parlament in die Kosten ver-
urteilt wurde, weil er als Kleriker nicht den Kampf annehmen
durfte ').
') Besinn. 1801.
J) Beauin. 1800.
3) Insofern ist dann allerdings die häutig auftretende Ansicht, daß sich
ein Kleriker im französischen Recht stets durch einen Kampfstellvertreter
vertreten lassen konnte, richtig. Anders war es ja im orientalischen Recht,
vgl. Jerusalem H. C. Jean d'Ibclin ch 160 p. 244.
4) Beaum. 1321. 1800.
y) Beaum. 1174.
*) ColL Sainte-Genevievo Kg. Ff. 13 t. I, f" 350 bei Ducnudrsy p. 403
7) Gallus qu. 76. p. 13.
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5S
4) Nach dem Livre de.« Droiz, in dessen Geltungsgebiet, so-
weit sich wenigstens zur Zeit die Quellen übersehen lassen, der
gerichtliche Zweikampf am längsten in allen Kreisen der Be-
völkerung in Übung blieb, konnte ein Kleriker, falls er einen
Dispens vom Ordinarius erhielt, persönlich am Kampf teilnehmen :
diesen Dispens erhielt aber nur der clerc marie und dieser auch
nur in Zivilsachen '). Kämpfte der Kleriker ohne Dispens, so
wurde er mit depesement de droit bestraft5).
5) Eine ähnliche Stellung wie die Kleriker haben die Kreuz-
fahrer im Kampfrecht3). Nach Beaumanoir unterstehen sie in
Strafsachen und im Prozeß um Grundeigentum dem weltlichen
Gericht, in allen andern Sachen haben sie die Wahl, ob sie sich
vor dem weltlichen oder dem geistlichen Gericht verantworten
wollen4). Dasselbe Recht genießen die Wittwen5). In beiden
Fällen darf aber die Kirche den Prozeß nicht an sich ziehen,
wenn er vor dem weltlichen Gericht anhängig ist4).
IV. Außer diesen soeben betrachteten Arten von Laien, die
einen privilegierten kirchlichen Gerichtsstand hatten, kennt das
Recht des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts eine Anzahl
von Fällen, die sich gewohnheitsrechtlich immer noch vermehrten,
in denen die Kirche einen Gerichtszwang gegen Laien ausübte.
1 ) Im allgemeinen gehörten Streitigkeiten unter zwei welt-
lichen Parteien zur Zuständigkeit der weltlichen Gerichte. Dies
Prinzip wurde aber mehrfach durchbrochen*):
a) in Klagen um Schuld (convenances et obligations par letres
prouvces ou par tesmoins) konnten die Parteien den kirchlichen
■) Diese Bestimmung ist in einem coutumicr aus der Mitte des vier-
zehnten Jahrhunderts immerhin auffillig, und es ist wohl nicht unrichtig,
wenn inan annimmt, daß der Cumpilator hier oine frühere Quelle — viel-
leicht ein Urteil — , die in diesem Punkte kein geltendes Recht mehr ent-
hielt, kritiklos aufnahm.
*) Livre des Droiz 363.
3) vgl. z. B. Echiquier (1218) in Etabl. norm. p. 133. — Canel p. 95
— BBB. 93. — T-A. 97. - Et. I, 89. — Ord. (1215) 1. 33. - Fournier,
Ufficialites p. 77.
4) ßeaum. 318. — vgl. Fournier, Oflicialites p. 79 u. 80.
4) Beaum. 319.
6) vgl. zum folgenden Fournier, Ofticialites p. 81.
Digitizod b^Gpogle
59
Gerichtsstand vereinbaren. Das weltliche Gericht kümmerte sich
allerdings dann auch nicht um die Vollstreckung des Urteils ').
b) Der Kläger konnte seinen Gegner vor das kirchliche Ge-
richt laden, falls er wegen der Unzuverlässigkeit des weltlichen
Richters nicht obsiegen zu können glaubte.
c) Gewohnheitsrechtlich war es dem Kläger in vielen (fegenden
Frankreichs erlaubt seinen weltlichen Gegner vor das kirchliche
Gericht zu laden3). Dieser Satz war einer der Hauptstreitpunkte
zwischen den weltlichen und geistlichen Gerichtsherrn des drei-
zehnten und vierzehnten Jahrhunderts.
2) Eine Reihe von Materien waren der Gerichtsbarkeit der
Kirche unterworfen, auch wenn die Subjekte der betreffenden
Rechtsverhältnisse Laien waren; hierhin gehörten die schon oben
erwähnten causae miserabilium personamm ,j, es gehörten aber
auch hierzu die causae mere spirituales, das sind Materien, die das
Dogma, die Verwaltung der Sakramente, Gelübde, kirchliche
Censuren und ihre Folgen, kirchliche Wahlen usw. betreffen;
ferner zählen hierzu die causae ecclesiasticae spiritualibus anncxae,
wie Verlöbnisse, Dotalklagen, Statusstreitigkeiten, Legitimation,
Patronat, Errichtung von Benefizien, Zehnten, Testamente u. ä.;
ferner Streitigkeiten, bei denen eine Sünde einer Partei vorliegt.
Da alle diese Verhältnisse bereits in Fourniers Officialites 4) eine
eingehende Darstellung gefunden haben, darf ich mich wohl mit
einem Hinweis auf dieses Werk an dieser Stelle bescheiden.
V. Während des ganzen dreizehnten und der ersten Hälfte
des vierzehnten Jahrhunderts war ganz Frankreich erfüllt von
einem Kampf über die Zuständigkeit der geistlichen und weltlichen
Gerichte. Häufig wurden die Gerichte der Kirche von Laien in
Prozessen angerufen, die nicht zur Zuständigkeit der Kirche ge-
hörten, der Beklagte unterwarf sich aber dem Urteil des geist-
lichen Gerichts. Hieraus bildete sich mit der Zeit ein Gewohn-
heitsrecht, das den Einkünften der weltlichen Gerichtsherm einen
gewaltigen Abbruch tat. Aber auch kraft gemeinen Rechts wußten
die Laien die weltliche Gerichtsbarkeit zu umgehen, indem sie
sich für Kleriker ausgaben und so der Privilegien des Klerus teil-
') Beaum. 342: das Zitat bei Fonrnier ist unrichtig.
*) vgl. die Urkunden bei Foumier, Officialites p. 81 Kote 3.
•) vgl. oben p. 58.
*) vgl. Fournier, Officialites p. 82 bis 94.
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fiO
h affig waren, und das war nicht einmal allzu schwierig in einer
Zeit, wo es clerici conjugati, clerici bigami, clerici negotiatores
usw. gab. Der Grund dieses Zustroms der Laien zur kirchlichen
Gerichtsbarkeit ist wohl darin zu suchen, da LI die kirchlichen
Gerichte den Vorzug eines genau geregelten Verfahrens, einer
großen Festigkeit des materiellen Rechts und einer verhältnis-
mäßigen Bestimmtheit und Promptheit der Vollstreckung vor dem
coutumiären Recht und der großen Willkür der weltlichen Ge-
richte voraushatten. Im Großen und Ganzen hatte nicht nur die
Kirche während dieser ganzen Zeit immer mehr an Boden gewonnen
und schließlich auch behalten1), sondern die Prozedur der welt-
lichen Gerichte paßte sich ihr auch immermehr an; ein Markstein
auf diesem Wege ist die berühmte Ordonnanz von T2H0, die nur ein
einziges der acht üblichen Beweismittel beseitigen wollte, nämlich
den gerichtlichen Zweikampf. Drang diese Neuerung auch nicht
durch, so zeigt sie doch deutlich, wie groß die Abneigung des
Klerus und der Bourgeoisie, denen man sich mit dieser Ordonnanz
gefällig erwiesen hatte, gegen den Zweikampf geworden war; im
.Jahre 1317 wurde, soweit mein Material reicht, zum letzten Male
in einem geistlichen Gericht ein Kampfprozeß verhandelt3); die
Kirche konnte von nun an dieses aus dem germanischen Prozeß
übernommene Beweismittel entbehren; sie hatte nunmehr die
römisch-kanonischen Beweismittel zu ihrer Verfügung und der Teil
des Volkes, der sich zu den kirchlichen Gerichten drängte und
der Zahl nach der größere Teil der französischen Bevölkerung
war, wünschte sich den gerichtlichen Zweikampf, wenn er über-
haupt darüber nachdachte, nicht zurück, sondern nahm gerne und
willig die Prozedur hin, die im wesentlichen nur den Eid und
die Urkunde als Beweismittel kennt, ohne sich zu sagen, daß
damit auch die nicht zu unterschätzende, sich im Kampf um
Leben und Tod realisierende persönliche Verantwortung des Beweis-
führers dahinfiel, und daß dafür ein Ersatz kaum geboten wurde.
Damit war der gerichtliche Zweikampf aus einem großen
Teil der französischen Gerichte und aus einem noch größeren
Teil der französischen Bevölkerung für immer verschwunden.
•) vgl. die Geschichte dieser Kämpfe bei Fournior, OflicisliU's
p. 94—127.
*) Agens (1317) in Boutaric, Actes du Pari. no. 5366.
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61
Dritter Abschnitt.
Das Königtum und der Zweikampf.
§ 7.
Oie französischen Könige und der gerichtliche Zweikampf von
Beginn des zwölften Jahrhunderts bis zur Mitte des
dreizehnten Jahrhunderts.
I. Zu Beginn dieses Zeitraums unterscheidet sich die königliche
Gerichtsgewalt in nichts von der der übrigen französischen Lehns-
herren; sie war im wesentlichen beschrankt auf das königliche Haus-
gut, das uns späterhin unter der Bezeichnung les pavs d’obeissance
le roi begegnet. Auch das Prozeßrecht, das in diesen Gebieten
zur Anwendung gelangte, war überall in den Grundzügen dasselbe,
wenn es auch örtliche Verschiedenheiten aufwies.
Ludwig VI. hat selbst in einem Streit um die Lehensherrlich-
keit zum kämpflichen Beweis gegriffen'). Kr hat die privilegia
bellandi et testificandi der servi ecclesiae1) erlassen und so den
Kreis der Kampffähigen erweitert; von einem Versuch der Ein-
schränkung des Zweikampfs ist in den Quellen über diesen König
nichts zu linden 3).
Ludwig VII. dreiundvierzigjälirige Bcgierungszeit zeichnet
sich in kampfrechtlicher Beziehung durch die Verleihung einer
großen Anzahl von kampfrechtlichen Städteprivilegien aus, die,
wie oben4) gezeigt, die Grundlage für die allmälige Entwöhnung
der städtischen Bevölkerung des Nordens vom gerichtlichen Zwei-
kampf geworden sind. Schon im Jahre ! 145 hat der fünfund-
zwanzigjährige König der Stadt Bourges nachstehende« Privileg
■) vgl. meinen (Jerichtl. Zweikampf pag 5 Note 9 u. pag. 27 Note 5.
*) vgl. obeu pag. 54 Note 4.
*) Prou, Lorris ist hier ein kleines Mißverständnis passiert, er sehreibt
nämlich die Beschränkung des Zweikampfs in der Handfeste vun Preibnrg
im Breisgan vom Jahre 1120 dem König Louis VI. zu, offenbar durch tliraud.
Hist, du droit fram.ais verleitet, und folgert hieraus auf Seite 189 Note 1.
„quc Louis VI. a tente quelques efforts pour restreindre l'emploi du duel
judiciaire*. Als zweites Beispiel führt er das Privileg für Bourges auf:
vgl. hiergegen oben pag. 62.
*) vgl. oben § 2. pag. 2 ff.
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62
verliehen, wie er sagt in Bestätigung eines bereits von seinem
Vater gegebenen: „Praepositus urbis praescriptae“, heißt es da :
„sive vigerius aliquem hominem ad se mandabat et dicebat: man-
davi te ad me et contempsisti venire; fac mihi rectum de despectu.
Hane autem consuetudinem sic pater noster jemendavit, praecipiens
ut si ille negare potuerit, per unum planum ') saeraraentum tran-
seat et pro despectu aliquo nullum duellum faciat, sicut antea
esse solebat8). Eine Neuerung scheint hierin nicht zu liegen,
sonst sagte der König hier nicht emendare; denn dieses Wort hat
in den Urkunden dieser Zeit nicht den Sinn einer Rechtsänderung,
sondern den einer Abschaffung mißbräuchlicher Gewohnheiten.
Auch in dem Privileg ffir die Stadt Orleans vom Jahre 1168 ist
eine das gemeine Kampfrecht abändernde Neuerung nicht zu er-
blicken8); es handelt sich vielmehr auch hier nur um die Ab-
schaffung von Mißbräuchen, die dem coutumiären und dem ge-
meinen Recht widersprechen4). Dagegen schaffen die oben er-
örterten Städteprivilegien für Lorris s) und Etampes*) neues Recht
für die damit bewidmeten Städte; sein Privileg für Jusiers vom
Jahre 1174, das oben schon gewürdigt ist7), greift am tiefsten in
das Kampfrecht ein unter allen Privilegien dieser Zeit.
Philipp-August hatte ebenfalls während seiner langen Regie-
rung mehrfach Gelegenheit sich gesetzgeberisch mit dem Kampf-
recht zu beschäftigen. Auf der einen Seite verlieh er zahlreiche
Städteprivilegien8) und auf der andern war er bestrebt den Kampf-
*) Das ist ein Volleid und nicht etwa „un simple serment“ wie Prou
p. 189 meint.
*) B. & L. p. 62.
s) vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf p. 8 Note 7.
4) Dies ergiebt eich daraus, (la Li in auch hiervon durchaus unabhängigen
Quellen eine Mmdestwertgreme für die Zulässigkeit des Zweikampfs bei
Klagen um Schuld bestimmt ist, vgl. die Quellen in meinem Gerichtlichen
Zweikampf § 1. VIII. p. 8. Note 7 bis 10., p. 9 Note 1 bis 5; a. A. Prou,
Lorris p. 189 und Adolphe - Helie 3. p. 493. § 1248, ohne Angabe von
Gründen.
s) vgl. oben p. 8 u. 9
*) vgl. oben p. 3.
7) vgl. oben p. 55. Note 1.
») vgl. Noyon (1181) oben p. 4, Roye (1188) oben p. 4, Crepy (1185)
oben p. 4. Tournay (1187) oben p. 2. Amiens (1190) oben p. 4 und 21,
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63
prozeß in seinem Gebiet möglichst einheitlich zu gestalten. In
letzterer Hinsicht ist hier auf die Einführung der Talion in der
Normandie1) und auf die an die Gräfin Blanche von Troyes im
Jahre 1215 gerichtete Ordonnanz*), in der die Länge der Kampf-
stöcke allgemein auf drei Fuß beschränkt wird, zu venveisen.
Von Ludwig dem Löwen liegt aus seiner kurzen, dreijährigen
Regierungszeit nur die Verleihung eines .Städteprivilegs für
Asnieres *) und die Bewidmung der Stadt Beaumont-sur-Oise mit
einem neuen Kampfrechtsprivileg vor. Diese beiden Privilegien
stimmen, wie schon hervorgehoben*), in den Gebührensätzen über-
ein ; aber das letztere Privileg weicht insofern von seinen Vor-
lagen*) ab, als die amendes in allen Sachen, die nicht zur hohen
Kampfgerichtsbarkeit gehören und einzeln Vorbehalten sind, wie
raptus, mulctrum, homicidium und proditio, der Stadt Beaumont-
sur-Oise gehören, sofern sie innerhalb der Bannmeile verfallen.
Diese Neuerung ist um so auffälliger, als im Jahre 1222 derselben
Stadt ein Privileg verliehen war, das nur in diesem Punkte ab-
wich und sämtliche amendes dem Gerichtsherrn vorbehielt, und
im Jahre 1223 von Ludwig VIII. dieses selbe ältere Privileg der
Stadt Asnieres gegeben wurde5). Es wird hier in dem Privileg
für die Stadt Beaumont vom Jahre 1223 zum ersten Male von
einem französischen König in einem Städteprivileg die Tendenz der
Rechtsentwicklung der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts,
die auf Schaffung zahlreicherer Inhaber der hohen Gerichtsbarkeit
und zahlreicherer Inhaber der hohen Kampfgerichtsbarkeit, zu der
ja das judicium de fundo terre gehört, gerichtet ist, in aller
Form legalisiert4).
Ludwig IX. hat in seiner langen Regierungszeit nur sehr
wenige kampfrechtliche Städteprivilegien verliehen oder bestätigt.
Tours (1190) oben p. 11 f. Saint-Quentin (1195) oben p. 5; für die Bewid-
mung weiterer Städte mit dem Recht von Lorris vgl. oben p. 7 Note 3. usw.
*) vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf § 50. V. p. 145.
*) Ord. I, p. 35 *= Kec. I, 211. vgl. Boutiot, Troyes I, 289; vgl.
meinen Gerichtlichen Zweikampf p. 108 Note 2. Die Urkunde bietet übrigens
auch einen interessanten Beitrag zur Lehre von der Gesetzespublikation im
XLLI. Jahrhundert.
s) vgl. oben p. 18. Note 3 u. 4.
*) vgl. ineinun Gerichtlichen Zweikampf p. 47 Note 2.
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84
Und doch bedeutet die Regierung dieses Königs, wenn auch nicht
die Vernichtung, wie manche meinten, so doch einen großen
Wendepunkt des Kampfrechtes. In seine Zeit fällt das allmalige
Erstarken des höchsten königlichen Gerichts, in seiner Zeit tobte
der Kampf zwischen kirchlichen und weltlichen Gerichtsherren und
in das letzte Drittel seiner Regierungszeit fällt die Ordonnanz
gegen den Zweikampf vom Jahre 1258, die gemeinhin schlecht-
weg als Ordonnanz von 1280 bezeichnet wird. Die Bedeutung
des zweiten Moments wurde schon oben l) hervorgehoben, von dem
Einfluß des Parlaments auf die Vernichtung des gerichtlichen
Zweikampfs wird unten *)noch ausführlich zu handeln sein; an
dieser Stelle handelt es sich nur um die Entstehung und Wirkung
der berühmten Ordonnanz von 1280.
„Nous deffendons ä tous les batailles par tout nostre demenge..
et en lieu des batailles nous meton prüeves de temoinz et ehar-
tres et si n’oston pas les autres bones prüeves et lovaux, qui ont
este en court lave sique ä ore“ 3). So lautet der erste Artikel
dieser Ordonnanz, der auch die einzige grundsätzliche Bestimmung
enthält, während die folgenden Artikel nur der näheren Aus-
führung dieses Grundsatzes dienen4). Die Entstehungszeit läßt
sich nicht genau fixieren; nach einer Untersuchung von J. Tardif*)
ist es wahrscheinlich geworden, daß diese Ordonnanz in der Zeit
zwischen dem elften November 1257 und dem dreizehnten Oktober
1258 erlassen wurde6). Für die reehtsgeschichtliche Würdigung
') vgl. oben p. 59 f.
*) vgl. unten p. 94 f.
3) Rec. I. p. 283. art. 1.
*) Das Enquetevertahren dieser Ordonnanz beruht in allen Prozessen
auf dem Parteibetrieb (vgl. art. 3 u. 4.): dabei wird das Talionsprinzip auf-
recht erhalten (vgl. art. 2); die Beweiserhebung bei den grollen Verbrechen
soll nunmehr vor dem Parlament erfolgen (vgl. art. 6). Zeugen- und Urteils-
schelte linden nicht mehr statt (vgl. art. 5. 8. 9). Besonders betont wird, dall
im Eigenschaftsprnzeü nur Zeugen- und Urkundenbeweis zulässig ist (vgl.
art. 7 u. 10). Die Zeugen werden in Abwesenheit der Partei gehört ; ihre
Aussage aber den Parteien publiziert (vgl. art. 3. 4. 5. 10). Der Zeugen-
beweis kann durch Zeugenbeweis widerlegt werden (vgl. art. 4 u. 5). Der
Meineid wird arbiträr bestraft (vgl. art. 11).
s) in Nouv. Rev. hist, du Droit (1887) p. 174.
6) Dieser Datierung tritt bei Langlois, Textes du Parlement p. 45
bei Ducoudruy p. 382.
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65
der Ordonnanz von 1260 ist es ziemlich belanglos, ob man ihr
genaues Datum kennt, zumal da es sich dabei doch nur um un-
gefähr zwei Jahre handeln kann. Wichtiger ist dabei ein anderer
Umstand, der leider bisher häufig übersehen wurde-, man kann
diese Ordonnanz, wie überhaupt alles Recht, nur als Glied der
Kette des geschichtlichen Werdegangs des gesamten Rechts richtig
erfassen und man darf insbesondere nicht in Voreingenommenheit
mit dem Gedanken an ihre Betrachtung herantreten, daß hier die
Rechtsentwicklung mit einem kühnen Sprung die altgewohnte Bahn
verlassen habe, daß hier einem Meteor vergleichbar ein Gesetz ftlr
eine kurze Spanne Zeit die Nacht des germanischen Beweisrechts
erhellt habe, um kurze Zeit später wieder den finsteren mittel-
alterlichen Beweisgedanken, die erst nach mehr als 100 Jahren
unter der Sonne des römisch-kanonisch umgestalteten Beweisrechts
verblaßten, zu weichen. So planlos war denn doch die geschicht-
liche Entwickelung nicht und so unüberlegt ging Ludwig der Neunte
nicht zu Werk. Über die Entstehung der Ordonnanz berichtet
ein zeitgenössischer Schriftsteller, Wilhelm von Chartres, in De
vita et miraculis Sancti Ludovici; er sagt da im zweiten Kapitel
des ersten Buches: „Sanctus Ludovicus monomachiam quae bellum
dicitur vel dnellum convocato discretorum et jurisperitorum eon-
cilio ex diversis regni partibus intellecto per eos quod sine pec-
cato mortnli exerceri non poterat, cum non videatur esse justitia,
sed potius tentatio sit in Deum, de dominio suo penitus extermi-
nari decrevit etc.“ '). Hier sind die Einflüsse, unter denen die
Ordonnanz von 1260 entstand, scharf und treffend charakterisiert ;
der Klerus und die „noblesse de rohe“ haben Ludwig zum Erlaß
dieses Gesetzes bestimmt: er war aber nicht übereilt und er war
nicht verfrüht; das Gesetz ging vielmehr aus einer wohl vorbe-
reiteten Beratung mit den hervorragendsten Vertretern dieser beiden
Gruppen, die aus dem ganzen Reiche zu diesem Zwecke berufen
worden waren, hervor. Die Ideen, die diese Versammlung be-
herrschten, waren durchaus keine gnindstflrzend neue, sie waren
vielmehr in einer langen Reihe von Jahren herangereift und aus
ihnen glaubte man nunmehr das Fazit ziehen zu dürfen. Wenn
der Bericht Wilhelms von Chartres uns nicht erhalten wäre, so
*) bei Viollet III. p. 238 f. zitiert nach Dn Gange zu Et. II, 11.
Coulin, Zweikampf ln Frankreich J
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würde uns die verhältnismäßig breite Behandlung des Eigenschafts-
prozesses, die in zwei Artikeln erörtert ist, ohne daß über diese
Prozeßart abweichende Vorschriften aufgestellt wären, doch mehr
als deutlich auf kirchliche Einflüsse hinweisen; denn gerade gegen
die Anwendung des kämpflichen Beweises im Eigenschaftsprozeß
richteten sich ja die sich während der Regierungszeit Ludwig IX:
stetig wiederholenden Beschwerden und Verbote kirchlicher Organe ').
Als die Kirche nun endlich in dieser Beziehung ihre Wünsche
verwirklichen zu können glaubte, mußte sie natürlich auf klare
und unzweideutige Formulierung der Abschaffung des kämpflichen
Beweises in dieser Materie großen Wert legen, zumal da der
Umschwung in der Ansicht des Königs über diesen Punkt noch
nicht lange eingetreten war, ja vielleicht erst im Laufe der Be-
ratungen erzielt worden war. Hatte doch der König noch im Jahre
1235 aufseiten der Barone gestanden, die gerade auch in diesem
Punkt ihre Ansprüche gegen die Kirche geltend gemacht hatten *),
hatte doch ein Beamter des Königs, der bailli von Orleans, noch
im Jahr 1245 dahingehende Ansprüche des Bischofs von Orleans
zurückgewiesen3). Dagegen hatte die Koalition der Barone vom
Jahre 1246 in ihrem Kampf gegen die gerichtsherrlichen Über-
griffe der Kirche ihren König nicht mehr an ihrer Spitze ge-
sehen4), und fünf Jahre später lobte der Papst die unverbrüch-
liche Treue des Königs gegen den heiligen Stuhl 5j; aber Ludwigs
Bruder, Alphons von Poitiers, hatte die Fahne der weltlichen
Barone in dem Kampf gegen die Kirche stets hochgehalten, und
während des Kreuzzuges, den Ludwig unternahm, tobte der Kampl
der Prälaten und Barone in der alten Stärke fort*). Da beauf-
tragte Alexander IV. im Jahre 1258 den Erzbischof von Rouen
eine Versammlung der streitenden Prälaten und Barone zu berufen,
ut serenentur pectora et voluntates unanimiter soeientur7). Der
Inhalt dieser Verhandlungen ist zur Zeit nicht bekannt; es ist
') vgl. üben p. 35 f., 54 u. 55.
*) vgl. Fouruier, Officialites p. 100 Note 1.
J) vgl. Fournier, Officialites p. 100 Note 2.
*) vgl. Fournier, Officialites p. 103 f.
s; vgl. Fournier, Officialites p. 104 Note 1.
6) vgl. Fouruier, Officialites p. 104 f.
7) vgl. Fouruier, Officialites p. 106 Note 3.
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«7
aber wohl nicht unwahrscheinlich, daß diese Versammlung nicht
ohne Einfluß auf die wohl im selben Jahre noch von Ludwig IX.
berufene geblieben ist; und es braucht wohl kaum hervorgehoben
zu werden, daß die Mehrzahl der kirchlichen Gerichtsherren auf
der von Ludwig berufenen Versammlung nach dem, was wir über
die Stellung der Kirche zum Zweikampf in dieser Zeit wissen und
oben1) festgestellt haben, sich wohl gegen die Anwendung des
Zweikampfs in allen Prozessen ausgesprochen haben dürfte. In
diesen Bestrebungen stand die Kirche auf dieser Versammlung
nicht allein; sondern der König und die jurisperiti, wie unser
Bericht sagt, standen .auf ihrer Seite, wenn auch aus andern
Gründen. Was waren das nun für „jurisperiti“, von denen Wil-
helm von Chartres hier spricht? In der Ordonnanz von 12G0
findet sich manches, was nicht gerade zu den dringendsten kirch-
lichen Wünschen und Refonngedanken gerechnet werden muß;
das Beweissystem, das an die Stelle der gages de bataille treten
sollte, ist unter diese Punkte zu rechnen. Alle bisher üblichen
Beweismittel sollten nach der Ordonnanz weiterhin angewandt
werden, nur die gages de bataille sollten durch Zeugen- und
Urkundenbeweis ersetzt werden; aber wie war es zu halten, wenn
die sieben alten Beweismittel versagten und weder Zeugen noch
Urkunden vorhanden waren? Für diesen Fall hatten die Juris-
periti“ eine Auskunft; dann sollte das in fast vierzigjähriger
Praxis“) von ihnen erprobte Enqueteverfahren Platz greifen. Die
Jurisperiti“ unseres Berichts können daher nur solche jurisperiti
sein, die an dem Durchdringen des Enquetegedankens ein Interesse
batten, und das waren nicht die kleinen weltlichen Gerichtsherren,
sondern die königlichen baillis und die Räte des Pariser Parla-
ments, denen die Rechtslehrer von Orleans vielleicht zur Seite
•) vgl. oben p. 3(! Note 1, p. 55 Note 2, p. 35 Note 7 u. 8, p. 3(5,
Note 1 bis 3.
*) Boutaric bat in seinen Actes du l’arlement die enqueles die den
Olim vorausgehen zusammongcstellt. Die früheste enquete ist votn Jahre
1223 (no. 12), aus der Zeit vor 1236 ist no. 15, vom Jahre 1238 ist no. 17,
aus dem Jahre 1239 ist no. 18, aus dem Jahre 1240 no. 20, aus dem Jahre
1246 no. 21 u. 22, aus dem Jahre 1247 no. 23, aus dem Jahre 1250 no. 25
bis 28 usw.
5*
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68
standen '). Gerade mit dem Erlaß der Ordonnanz von 1 260 führte
die noblesse de robe wo nicht ihren ersten, so doch einen ihrer
ersten Schläge gegen den alten grundgesessenen Adel; sie wollte
dadurch mehr Einfluß auf die Rechtsprechung in den großen Pro-
zessen, insbesondere den Kapitalprozessen gewinnen, in denen man
bisher ohne gages de bataille häufig nicht auskommen konnte, weil
es eben an andern Beweismitteln fehlte. Wenn man aber in diesen
Prozessen den kämpflichen Beweis verbot und die Sach- und
Rechtslage durch von Paris aus ernannte enqueteurs erforschen
ließ, so paralysierte man den Einfluß der territorialen Gerichts-
herren und der ganze Gang der Untersuchung und die Würdigung
ihrer Ergebnisse lag in der Hand der noblesse de robe, in deren
Taschen nunmehr auch die Gebühren flössen, während die terri-
torialen Gerichtsherren Einfluß, Macht und Einkünfte verloren.
Noch fehlte diesem stolzen Bau die Spitze, aber auch um sie war
man nicht verlegen: Urteilschelte und Klage wegen Rechtsver-
weigerung können nicht mehr kämpflich bewiesen werden, sondern
die Urteilschelte erfolgt ohne gages de bataille und les Claims et
les respons et les autres destrains de plet seront apportez en nostre
court und der deffaut de droit kann nur durch Zeugen bewiesen
werden, diese Zeugen durften aber nicht mehr gescholten werden s).
Eine derartige Reform kam auch den Wünschen des Königs ge-
legen. Mit der allmählichen Vergrößerung der königlichen Kron-
länder waren die gerichtsherrlichen Aufgaben des Königtums ge-
wachsen und um ihnen nachzukommen, erschien eine einheitliche,
im Pariser Parlament konzentrierte Justizverwaltung wünschenswert,
die nunmehr ihren Abschluß in der durch die Ordonnanz von 1260
vorgesehenen Weise finden sollte. Hierin lag aber gleichzeitig eine
gewaltige Hebung der königlichen Macht und eine Minderung des
Ansehens der kleineren territorialen Gerichtsherren. Mochte im
Zweikampf eine noch so große tentatio in Deum liegen, der kluge
Ludwig IX. hätte die Ordonnanz von 1260 niemals erlassen, wenn
') Viollet 1, p. 266 meint unter dem Einfluß der Rechtsschule von
Orleans sei die Ord. 1260 entstanden und stützt sich dafür auf Jost, et Plet
p. 126 u. 127. Damit läßt sich aber nicht der ganze Inhalt der Ord. 1260
erklären; insbesondere läßt sich damit die starke Hervorhebung der Ab-
schaffung des Zweikampfs im Eigenschaftsproieß nicht begründen.
*) vgl. hierzu Fournier, Droit d'appel, p. 203 bis 210.
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er dadurch an Ansehen verloren und seine Macht nicht vergrößert
hätte. In der Ordonnanz ist an zwei Stellen hervorgehoben,
daß sie nur Geltung für die königlichen Domänen haben solle;
diese Betonung hatte ihren guten Grund, sie war für den grund-
herrlichen Adel bestimmt: gleichzeitig eine kleine Dosis Balsam
für die Wunden, die man ihm schlug, und eine gute Hand voll
Sand, die man ihm in die Augen warf, im Großen und Ganzen
ein Hoftrost. Schon die Bestimmungen über die Urteilschelte und
die Klage wegen Rechtsverweigerung derselben Ordonnanz von
1*260 durchbrachen diesen Grundsatz und die Praxis verfuhr nicht
anders, wie wir von Beaumanoir wissen, zu dessen Zeit ' es ein
Satz unbestrittenen geltenden Rechtes war: „Si n’i a nul si grant
dessous li (seil, rois) qui ne puist estre trest en sa court pour
defaute de droit ou pour faus jugement et pour tous les cas qui
touchent le roi“ ‘). Und was ließ sich nicht alles unter diese
„cas royaux“ bringen ! Hier in diesem Punkte zeigt es sich wieder
recht deutlich, daß die Ordonnanz von 1260 nichts anderes ist
als ein Glied in der Rechtsentwickelung, die auf eine Stärkung
der königlichen Gewalt gerichtet ist.
§ 8.
Der gerichtliche Zweikampf und die französischen Könige in
der Zeit von 1260 bis 1306.
I. Montesquieu hat einmal von unserer Ordonnanz von 1260
gesagt: „Ce fut le destin des Etablissements, qu’ils naquirent,
vieillirent et moururent en trös-peu de temps“1). Das ist aber
nicht ganz richtig; es trifft nicht einmal ganz zu für den Fall,
daß man als einzigen oder Hauptzweck der Ordonnanz von 1260
die Abschaffung des kämptlichen Beweises betrachtet; und dies
war weder die Absicht des oder der Redaktoren der Ordonnanz
noch des Königs, wie uns der letzte Artikel dieser vielumstrittenen
Ordonnanz sagt; es heißt da ganz deutlich: „Et ees batailles
nous ostons en nostre demaigne ä toüjours et voulon que les
autres choses soient gardöes, tenues par tout nostre domaine si
comme il est devisö dessus, en teile maniöre que nous y
l) ßeaum. 1043 i. f.
3) Montesquieu, Esprit des Lois, lirre XXVIII, chap. XXXVJLI i. p.
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puisson mettre et oster et amender toutes les foys que il
nous plera et que nous voirron que bien soit“1). Diese
Klausel hat man bisher nie beachtet und iu ihr liegt doch der
Schlüssel für das richtige Verständnis der Ordonnanz und der
Rechtsentwickelung der folgenden vierzig Jahre. Ob der kämpf-
liche Beweis Anwendung fand oder nicht, das überließ man im
Großen und Ganzen der gerichtlichen Praxis, wenn sie nur der
enquete genügenden Spielraum ließ, mul dafür, daß die noblesse
de robe auf ihre Kosten kam, sorgte die von dieser entwickelte
legistische Beweistheorie, die in ihren Anfängen schon vor die
Zeit des Erlasses der Ordonnanz von 1260 zurückreichte, teilweise
an frühere Gesetze anknüpfte und der Anwendung des kämpflichen
Beweises Schritt für Schritt den Boden entzog, indem sie nach
und nach auch in die Gerichte der kleinen Territorialherren ein-
drang. Außerordentlich vorteilhaft für die legistische Theorie war
es hierbei, daß die Städteprivilegien und die kirchlichen Gerichte
den dritten Stand schon fast gänzlich des Zweikampfes entwöhnt
hatten, und der Süden schon vor der Ordonnanz sich dem Inqui-
sitionsprozeß zugewandt hatte. Aber es gab doch noch in ganz
Frankreich viele Anhänger des gerichtlichen Zweikampfs in allen
Schichten der Bevölkerung und zu diesen zählten nicht gerade
die schlechtesten Elemente. Die Ritterschaft hielt zäh am alten
Recht fest, und zwar aus Überzeugung, und mit ihr große Gebiete
des flachen Landes im Norden und Nordwesten. Die kirchlichen
Gerichtsherren nahmen eine recht eigenartige Stellung ein, trotz
der Ordonnanz von 1260, trotz der päpstlichen Bullen, trotz der
Kenntnis des römisch-kanonischen Prozesses ließen sie die An-
wendung des kämpflichen Beweises in ihren Gerichten zu *) ; aller-
dings im Eigenschaftsprozeß wandten sie ihn nicht mehr an3), in
diesem scheint ihnen die „tentatio in Deum“ doch zu groß gewesen
zu sein; in diesem Falle kam man ja auch mit „testibus et cartis“
sicherer und bequemer zum Ziel. So lassen sich etwa die Grund-
strömungen der Entwickelungsgeschichte des Zweikampfs während
des nächsten halben Jahrhunderts charakterisieren.
>) Bec. 1, p. 290. art. 12.
*) vgl. oben die Noten der Seiten 49 bis 51; ferner Saint-Pierre-le-
Moutier (1261) in Olim 1, p. 494. XII.
3) vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf p. 7. V. Abs. 3.
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IT. Die fortwährenden Übergriffe der königlichen und der
geistlichen Berichte, die Prorogation dieser Gerichte durch die
Geriehtseingesessen des grundherrlichen Adels ließen die kleinen
und die großen Territorialherren bald die wirkliche Tendenz der
Ordonnanz von 1 26 0 erkennen, ln einem noch unter Ludwig IX.
entstandenen chanson gibt ein anonymer Dichter der Stimmung
dieser Kreise mit beredten Worten Ausdruck:
„Gent de France, multes estes esbahie
Je di ä tous ceux qui sont nez des fiez.
Si ra’ait Dex! franc n’estes vous mes mie:
Mult vous a l’en de franchise esloignez,
Car vous estes par enqueste jugiez,
Quand deffense ne vos puet faire ale
Trop: estes canellement engingniez
A tous pri.
Douce France n’apiaut l’en plus ensi
Ainfois ait non le pais aus songiez
Une terre acuvertie
Le raigne as desconseilliez
Qui en maint cas sont forciez!“1)
Von einer ernsthafteren Reaktion des Adels hörte man aber
im dreizehnten Jahrhundert nichts und dies mag wohl damit Zu-
sammenhängen, daß man der Stimmung des Adels in der Um-
gebung des Königs Rechnung trug und auch in den königlichen
Domänen selbst die Ordonnanz von 1260, soweit sie auf die Ab-
schaffung des Zweikampfes gerichtet war, nicht allzu streng durch-
führte. Vor allen Dingen hatte man aber der Opposition der
großen llarone durch die scharfe Hervorhebung, daß der Kampf
nur in den Domänen abgeschafft sein solle, vorgebeugt. Und
doch verblaßt auch schon in diesen Gebieten allmählich der Kampf-
rechtsgedanke; so hat der Graf von Clermont-en-Beauvaisis in
seinem Gebiet die gages pour meubles ou pour eritages beseitigt,
allerdings kann er sie nach seinem Belieben jeder Zeit wieder
einführen’); denn wenn der König Ludwig sie auch in seinem
') bei Leroux de Lincy, Recueil de chauts hist, franc. I« partie 1841
p. 218, citiert nach Viollet I, p. 275.
*) Beaum. 1722.
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Gebiet beseitigte, so beseitigte er sie doch nicht im Gericht seiner
Barone, und wenn sie nun der Graf in seinem Gericht nicht wieder
einfflhren könnte, dann hätte er ja weniger seignourie in seinem
Gericht in diesem Fall als die hommes de la contee de Clermont
in ihrem Gericht haben. Die hommes der Grafschaft Clermont
können in Zivilsachen (muebles und eritages) das Gericht ent-
weder nach der ancienne coustume oder nach der Ordonnanz von
1260 abhalten; aber wenn die Verhandlung in der einen oder
anderen Weise begonnen hat, so kann der Gerichtsherr nicht mehr
ohne die Zustimmung beider Parteien die Prozedur wechseln;
car il convient querele de gages et toutes autres quereles demener
selonc ce que li ples est entames '). Gegen die in der Grafschaft
Clermont erlassenen Urteile ist nur die Urteilschelte zulässig;
denn „doivent estre fet, tuit li jugement par les hommes de tief“ *);
auch der apel de defaute de droit und die Zeugenschelte werden
in dieser Grafschaft kämptlich ausgetragen*). Nur in Zivilsachen
findet hier eine Einschränkung der kämpflichen Urteilschelte inso-
fern statt, als „quant li sires voit que li cas dont li jugemens
est fes est mout de fois avenus et que la coustume est toute tele
et bien aprouvee en la contec, par laquele coustume il est eiere
chose que li jugemens est bons, il ne doit pas les gages soufrir ....
Et se li sires suefre les gages et li horame s’i metent, si les puet
et doit li cuens fere oster par la reson de ce qu’il doit les cous-
tumes garder et fere tenir entre les sougiös. Car se aucuns apeloit
de jugement qui aparroit ä estre bons par clere coustume, perius
seroit, se li gage estoient soufert, que la coustume ne fust cor-
rompue, si comme se li apeleres vainquoit la bataille, et pour ce
') Beaum. 1723. — Dies« Steile hat Stein p. 529 mißverstanden : er
hat die Worte: „sc partie s'cn vent aidier", pluralisch aufgefaßt und ge-
langte so zu einer verschiedenen Behandlung des l'rozedurwechsels, je nach-
dem die Verhandlung nach dem alten Recht oder der Ordonnanz von 1260
begonnen hatte. Für boide Fälle ist aber dasselbe bestimmt. Die an diese
verschiedene Behandlung geknüpften Folgerungen entfallen damit. Wenn
Stein dann noch im Anschluß hieran meint, Beaum. 227, wonach in kleineren
Sachen ein kämpfliches Verfahren unzulässig ist, sei eine unter dem Einfluß
der Ordonnanz von 1260 entstandene Neuerung, so irrt er: ich verweise auf
meinen Gerichtlichen Zweikampf § 1. VIII. p. 8 f.
*) Beaum. 24 und 23. 1752 ff.
*> Beaum. 1761; 1762 ff.
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ne doit l’en pas teus gages soufrir“ '). Wenn nun die oben be-
kämpfte Ansicht, daß Ludwig IX. ein absoluter Gegner des kämpf-
lichen Beweises gewesen sei, richtig wäre, so wäre diese ganze
Regelung des Beweisrechts in der Grafschaft Clermont nicht nur
eine recht traurige Ironie auf die Ordonnanz von 1260, sondern
auch ein recht bitterer Hohn aut Ludwigs persönlichen Einfluß
innerhalb seiner Familie; denn der Inhaber der Grafschaft Clermont
war in der Zeit vom März 1269 bis zum 7. Februar 1318 Robert
der Sohn Ludwigs IX. und auf seinen Befehl wurden diese Prozeß-
regeln beobachtet3). Ähnlich wie in Clermont liegen die Ver-
hältnisse in der Grafschaft Artois. Die coutumes d’ Artois ließen
die enquete nur für die vilains zu; der gentilhommc hatte ein,
allerdings verzichtbares, Recht auf den kämpflichen Beweis3); der
vilain konnte sogar gegen seinen Willen nach dem Belieben des
Gerichts der enquete unterworfen werden*). Das einseitige Ordal
war bei Mord, Brandstiftung, Notzucht und Raub wegen der
eventuell daraus sich ergebenden Straflosigkeit des Täters unzu-
lässig4); dagegen war der Kampf in allen Zivilsachen und allen
vilains cas, wie Mord, Verrat, Diebstahl, Zeugenschelte usw. mit
der bereits hervorgehobenen Beschränkung der vilains zulässig*).
Die Abneigung der ritterlichen Kreise wird hier sehr zutreffend
mit dem Umstand begründet, daß man, „par deniers donnans“ 7)
mit Zeugen alles beweisen konnte; eine Anscliaunng, die auch in
dem Rechtssprichwort: „Fol est qui se met en enqueste, car qui
mieux abreuve, mieux preuve“, Ausdruck gefunden hat. Auf das
') Beaum. 1758.
'*) Beaum. 1. und 1. p. 2 Nute 1. — Zur Erklärung dieser Tatsachen
hat man sich bis in die neueste Zeit immer auf die „mocurs“ berufen ; das
ist ja ein sehr bequemes Auskunftamittel, aber mit diesen „mocurs“ lätit sich
wirklich nicht alles in der Rechtsgcschichtc begründen.
3) Artois 45,4.
*) Artois 46,1.
4) Artois 47,8 — Wie sich aus Artois 40,5 ergibt, faßt Tardif, Proce-
dure p. 93 Nute 1 „purgation“ hier falsch auf, durch ihn habe ich mich in
meinem Gerichtlichen Zweikampf p. 14, Note 5, p. 19, Note 3, p. 17, Note 1,
p. 18, Note 2 verleiten] lassen, für das artesische Hecht in diesen Fällen
den Ausschluß des kämpflichen Beweises zu Unrecht anzunehmen.
*) Artois 40,1; 40,5.
*) Artois 50,14.
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normannische Recht blieb die Ordonnanz von 1260 ganz ohne
Einfluß, das bretonische wurde von ihr nicht berührt, das poite-
vinische Recht wurde durch sie nicht verändert; in Anjou und
Maine kümmerte man sich nichts um die Ordonnanz von 1260,
für die Champagne und Burgund blieb sie ohne Bedeutung, in
Flandern und Lothringen ging die Entwickelung ihre eigenen
Wege; daß in der Auvergne der Kampfprozeß durch die Ordonnanz
von 1260 keine Einbuße erlitt, das beweisen die gerade im siebenten
Jahrzehnt des dreizehnten Jahrhunderts dort vielfach verliehenen
Städteprivilegien '). ln Vermandois und Ponthieu erfährt das
Kampfrecht in der ersten Instanz keine Einschränkung*), wohl
aber bricht sich dort das „fausser sans bataille“ nach der Ordon-
nanz von 1260 Bahn, allerdings wurde in dem einen Fall das
Urteil eines königlichen Gerichts angegriffen; aber in einem andern
Fall, den ebenfalls Pierre de Fontaines erzählt, wurde das Gericht
der Mannen des Grafen von Ponthieu vor dem königlichen Gericht
ohne Kampf gescholten, hier ist deutlich der Einfluß der Ordon-
nanz von 1260 zu erkennen’).
III. Von der Stellung, die Ludwig IX. nach dem Erlaß der
Ordonnanz von 1260 zum Zweikampf eingenommen hat, sind
direkte Zeugnisse nicht bekannt; man kann daher im Urteil über
diese Frage nicht vorsichtig genug sein. Wenn man die Stellung
seiner Söhne zum Zweikampf betrachtet, wenn man die Schriften
der Iiegisten Fontaines und Beaumanoir ins Auge faßt, wenn man
den Livre de Jostice et de Plet und die sogenannten Etablissements
de Saint-Louis liest, wenn man dann endlich mit diesen die Olim
vergleicht, so kann man unmöglich zu dem bisher allgemein ver-
teidigten Resultat kommen, daß die Frage der absoluten Ab-
schaffung des Zweikampfs im Vordergrund seiner rechtspolitischen
Maßnahmen während der letzten fünfzehn Jahre seiner Regierung
gestanden habe. Man hat nach alldem, was man von Ludwig IX.
vierundvierzigjähriger Regierung, die in seinem fünfundfünfzigsten
Lebensjahr durch den Tod beendigt wurde, weiß, weder Veran-
lassung ihn für einen energielosen Schattenkönig, noch auch für
•) vgl. oben p. 22, 23, 24, 27.
*) Fontaines XIII, 9; XV, 87.
’) Fontaines XXII, 23 u. 24.
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einen utnpisti sehen Schwärmer zu halten; er war sicher ein sehr
kirchlich gesinnter Herr, darum braucht man ihn aber nicht für
kirchlicher als den französischen Klerus zu halten; es mag sein,
daß er unter legistischem Einfluß stand, wer sagt uns aber, daß
die Legisten die Abschaffung des Zweikampfs als Selbstzweck be-
trieben, das gerade Gegenteil ergibt sich ja aus den Schriften und
und Urteilen dieser Herren; und selbst wenn er sich von der
legistischen Strömung tragen ließ, wo sind da historische Anhalts-
punkte dafür, daß die legistischen Ideen nicht seiner Überzeugung
entsprachen? Die legistischen Bestrebungen waren, betrachtet man
sie frei von allen Accidentalien, auf eine Ausdehnung der könig-
lichen Justizhoheitsrechte auf Kosten der Gerichtsgewalt der
Barone und kleineren Territorialherren gerichtet. Diesem Zweck
sollte auch die Ordonnanz von 1 2 GO dienen und dienstbar gemacht
werden; man griff dabei die von kirchlicher Seite immer und
immer wieder vorgebrachte Forderung der Abschaffung des kämpf-
lichen Beweises im Eigenschaftsprozeß, der von kirchlicher Seite
als tentatio in Deum bezeichnet wurde, auf und verallgemeinerte
diese Forderung in einem allgemeinen Verbot des Zweikampfs für
die Domänen, die hier als Versuchsobjekt dienen sollten; weil es
sich aber nur um einen legislatorischen Versuch handelte, deckte
man sich gleichzeitig den Rückzug mit der oben l) mitgeteilten
Klausel. Wie man auf legistischer Seite diesen Versuch der Ab-
schaffung des Zweikampfs auffaßte, das wird aus der scharfen
Gegenüberstellung von enquete und gages de bataille in der
Ordonnanz klar. Die beiden Beweisarten haben einen, wenn
auch nur äußerlichen Berührungspunkt und in diesem Umstand
hat man den Grund der Gegenüberstellung und des beabsichtigten
Ersatzes der einen durch die andere zu suchen: Ordal und inquisito
führen zu einer definitiven Sentenz. Die einseitigen Ordalien
sind um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts fast ganz ver-
schwunden; im coutumiären Volksrecht gab es daher, wenn man
die gages de bataille absolut verbot, kein notwendig zu einer
definitiven Sentenz führendes Beweismittel mehr; dafür mußte
Ersatz geschafft werden, dieser Ersatz fand sich im Königsrecht,
in der allerdings im Laufe der Jahrhunderte ein wenig veränderten,
*) rgL oben p. 69 f.
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im Grundprinzip aber unveränderten inquisitio oder enquöte.
Mochte nnn die Abschaffung des Zweikampfs auch Tehlsehlagen,
so hatte man doch diese modifizierte inquisitio, an deren Ein-
führung man schon ein Menschenalter arbeitete, aus einer wenig
bekannten, außerordentlichen Beweisart zn einer ordentlichen, dem
Kampfordal zum mindesten ebenbürtigen Beweisart gemacht und
dadurch den königlichen Einfluß oder wenigstens deii seiner Beamten,
— denn der König konnte jetzt ebensowenig wie in karolingischer
Zeit alle inquisitiones persönlich erledigen, — gegenüber den
weltlichen Gerichtsherren bedeutend erhöht und gestärkt, — man
denke nur an die Appelationen, — und dem dritten Stand ge-
zeigt, daß auch anderswo als in den kirchlichen Gerichten ein
definitives Verfahren ohne Zweikampf möglich war. Wenn man
die Ordonnanz von 1260 so auffaßt, und ich glaube, man kann
sie nicht anders auffassen1), dann kann man auch eine Inkonsequenz
in dem Verhalten der Legisten nicht mehr erblicken, dann kann
man Ludwigs Stellung zum Zweikampf mit der der Legisten
identifizieren, dann braucht man seine Söhne nicht mehr aus der
Art schlagen zu lassen, dann kann man die Ordonnanz von 1260
und die spätere Entwicklung der Zweikampffrage aus gesunden,
real politischen Gesichtspunkten ohne Künstelei und Spintisiererei
erklären und miteinander in Einklang bringen.
IV. Bardoux, der begeisterte Historiograph der Legisten, hat
diese Männer in treffenden Worten einmal folgendermaßen charak-
terisiert: „Ils n’etaient pas des reveurs et ne voyaient pas trop
dans l’avenir, don fatal pour la vie röclle. Ils n’eurent jamais
devant eux de larges horizons. Epris seulement du possible et
du pratiquable, ils se contenterent de demi conquetes et de trans-
actions. Hommes conccntrcs, intörieurs, faits pour la lutte, ils
n'öparpillaient jamais leurs forces. N’ayant qu’une id6e ä la fois,
‘) Die Auffassung der Grand chroniques de Saint-Denis in Gr. Chron.
IV. p. 427 ist doch zu kindlich, um ernsthaft genommen zu werden. Es
heißt da: „ il abati en sa terre lc champ de bataille pour ce qu’il avonoit.
souvent que quant un contens cstoit meu entre un poore homme et un riebe
ou il convenoit avoir gagc de bataille, le richc homme donnoit taut que
tous les ebampions cstuient de sa partie et le pooro homme ne troToit, qui
lui voulsist afdier; si perdoit son corps on son heritage“. Diese Erklärung
paßte übrigens nur für den Zivilprozeß!
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ils riiunissaient autour d’elle tous leurs d6sirs, et mettaient
au Service de la cause une de ces volonte pnissantes et tenaces
comme nous n'en trouvons plus Ils reconnurent imm&liatement
qu’ils avaient deux enuemis: la noblesse et le clerge. Ils leur
vouörent une haine irröconciliable, et jurerent que le droit ne
serait ni feodal, ni eeclesiastique. La lägislation romaine fut leur
second Evangile parcequ’elle etait un type d’unitö, la royaute fut
leur point d’appui, parce qu'elle avait les memes instincts. L'6-
poque 6tait favorable; persuader au roi qu'il valait mieux pour
son tresor compter plus de sujets que de vassaux fut la mission
des premiers chanceliers etc.“ *) Gleich tüchtig in der theore-
tischen Formulierung ihrer Ideen wie in der praktischen Durch-
führung derselben haben die Legisten in Wort und Schrift, in
der Rechtsprechung und Verwaltung wie auf der Lehrkanzel und
in Darstellungen des geltenden Rechts für ihre Ansichten und
Absichten gekämpft und gewirkt. Die in den Olim und den Ac-
tes du Parlament enthaltenen Urteile geben ein ungefähres Bild
von dem, was die Legisten bezüglich des Zweikampfes tatsächlich
erreichten. Im Jahre 1257 beschäftigte sich das Parlament mit
der Duellgerichtsbarkeit des Gerichts der Abtei Coulombs; auf
Grund einer enquete wurde festgestellt, daß die Gerichtsbarkeit
dem König und dem Abt in der Weise gemeinsam zusteht, daß
das Urteil im Gericht des Abts gesprochen wird, daß der Abt die
bona devicti inventa in terra ipsius abbatis bekommt, daß die Ver-
gleichsgebühren seiner hospites dem Abt zutließen, daß aber der
Kampftermin im königlichen Gericht abgehalten wird, daß insbe-
sondere die clamacio banni dem König zusteht*). Im Lichtmeß-
parlament 1258 wird festgestellt, daß der König die Duellgerichts-
barkeit über die hospites des Petrus de Lauduno allein hat :,j. [Im
Lichtmeßparlament 1260 wird festgestellt, daß der Abt von Saint-
Ricbier Duellgerichtsbarkeit nicht hat1). Im Himmelfahrtsparlament
1260 wird auf die Klage eines bailli entschieden, daß der König
die hohe Kampfgerichtsbarkeit in Temple-de-Feucherolles hat4).
0 Bardom p. 1 und 2.
*) Olim 1. p. 24 V. (1257) — vgl. Geriehtl. Zweikampf p. 49. Note 2.
J) Olim 1 p. 30. XI. (1258).
*) Olim I. p. 129. VII (1260).
4) Olim I. p. 468. IV. (1260).
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Im Lichtmeßparlament 1261 wird auf die Klage eines Matheus
li Voiers, miles, der u. a. auch mit der Bewachung des Kampf-
platzes im königlichen Gericht in Courbon belehnt war und dafür
in jedem einzelnen Fall 5 Schilling bezogen hatte, entschieden,
daß jetzt, nachdem der „Dominus Rex de domaniis suis amovisset
duella, cum idem Matheus non faciat modo servicium propter quod
quinque solidi dcbebantur, detenninatum fuit, quod non erat
super hoc audiendus, nec tenebatur dominus Rex propter hoc ei-
dem restitucionem facere“1). Anders wurde in demselben Parla-
ment entschieden, als es sich um königliche Einkünfte handelte.
In Saint-Pierre-le-Moutier hatte der König mit dem Prior gemein-
same Gerichtsbarkeit. Der Prior verlangte nun, „quod teneretur
ibi duellum, sicut fieri haclenus consuevit, quia sine assensu suo
amoveri non debuit.“ Es erging ein Urteil dahin, daß der Prior
daselbst „per servientem suum“ ein Duell abhalten könne, „quia
Rex non vnlt habere aliquid in duello; si tarnen ratione duelli
committatur terra vel aliud, voluit Dominus Rex porcionem suain
sibi reddi racione associacionis predicte“*). Im Jahre 1267 be-
schäftigte nochmals dieselbe Sache das Parlament, das nunmehr
ausdrücklich dem bailli von Bourges die Hälfte der Duelleinkünfte
zusprach s). Die Tendenz dieser arrets ist kaum zweifelhaft; wenn
auch nicht verkannt werden darf, daß sich diese Urteile mit den
Bestimmungen der Ordonnanz von 1260 in Einklang bringen
lassen, so darf man andererseits auch nicht übersehen, daß sie,
weit entfernt eine absolute Abschaffung des kämpflichen Beweises
zu erstreben, doch in erster Linie darauf gerichtet sind der
Förderung der königlichen Justizhoheitsrechte zu dienen. Das er-
gibt sich schon aus einer flüchtigen Vergleichung der Gebühren-
ansprüche jenes armen Kitters mit denen, die der königliche
bailli von Bourges in Übereinstimmung mit dem in derselben
Sache 6 Jahre früher ergangenen Urteil erhebt; hier kann man
sich kaum dem Gedanken verschließen, daß das Parlament in
erster Linie bei der Entscheidung von Fragen, die den Zweikampf
betrafen, sich fragte: „quid proficit regi?“ Kam inan hierbei zu
') Olim I. p. 491. VII. (1261).
*) Olim I, p. 494 XII (1261).
s) Olim I. p. 667. VIII. (12G7).
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79
dem Ergebnis, daß die Hoheitsrechte des Königs in dem konkreten
Fall nicht berührt wurden, so hatte man gegen die Anwendung
des kämpflichen Beweises auch nichts zu erinnern. Waren aber
königliche Interessen im Spiel, dann wurden diese zunächst ge-
wahrt, und dies entsprach auch dem Geiste der Ordonnanz von
1260. Die Gerichte der weltlichen und geistlichen Grundherren
hatten sehr bald die Tendenz der Ordonnanz von 1260 erkannt,
und so ist es denn auch zu verstehen, daß auch sie in der Zwei-
kampftrage sich von politischen Gesichtspunkten leiten ließen.
Diesen Gerichten konnte es nicht zweifelhaft sein, daß so, wie die
Dinge einmal lagen, Vorteil von der Abschaffung des Zweikampfes
nur das Königtum haben konnte. Kitmpflieke Urteile waren ihrer
Natur nach inappelabel; führte man die nach der Ordonnanz von
1260 vorgesehene Prozedur ein, so war damit auch die Möglich-
keit der Appelation gegeben; diese Appelation ging aber in letzter
Instanz an das Parlament. Mit der Appelabilität der Urteile
mußte sich das Ansehen des Gerichts und die Macht seines Ge-
richtsherrn vermindern; einer derartigen Eventualität ging man
aus dem Wege durch die Beibehaltung des kämpflichen Beweises,
und so erklärt es sich denn auch, daß die geistlichen Gerichts-
herren in ihren curiae saeculares den Zweikampf beibehielteu und
daß ihn insbesondere die geistlichen Gerichte von Paris, dem
Sitze des Parlaments, in den sechsziger Jahren des dreizehnten
Jahrhunderts unter den Augen Ludwigs IX. mehrfach anwandten ').
Der Einfluß der Legisten auf die französische Rechtsent-
wickelung wäre nicht so bedeutend geworden, wenn sich ilire
praktische Tätigkeit nur auf das Parlament erstreckt hätte; es
war vielmehr hierzu auch eine Betätigung außerhalb der Centrale
nötig; die territoriale Grundlage für dieselbe war durch die be-
deutenden Gebietserwerbungen der französischen Könige seit
Philipp-August gegeben; es galt nunmehr die bereits bestehende
Organisation, die sich im Norden um die baillis, im Süden um
die sönöchaux gruppierte, durch neue Verwaltungsgesetze auszu-
bauen und den legistischen Ideen dienstbar zu machen; auch dies
geschah unter Ludwigs IX. Regierung. Wie sehr diese Beamten
sich iu den Dienst der königlichen, legistischen und damit ihrer
') »gl. i. B. oben pag. 50 Note 9 u. pag. 51 Note 1.
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80
eigenen Sache stellten, geht schon deutlich ans den oben ange-
führten Parlamentsurteilen hervor. Zur Propagierung ihrer Ideen
genügt jedoch nicht allein die Anwendung derselben in den könig-
lichen Gerichten und das Beispiel, das durch die königliche Praxis
den andern Gerichten gegeben wurde; es war vielmehr einerseits
noch der Eintritt ihrer Anhänger in den Dienst der Barone nötig,
um die Praxis dieser Gerichte unter den Einfluß der Legisten
zu bringen, wie es u. a. Beauinanoir tat, und andererseits waren
legistische Bearbeitungen des geltenden Rechts notwendig, um
durch diese das couturaiäre Recht im Sinne der Iegistischen The-
orie umzuformen. Unter diesen Bearbeitungen ragen vier vor
allen andern hervor: der Conseil von Pierre de Fontaines, die
Livres de Jostice et de Plet, die Etablissements de Saint-Louis
und die Beanmanoirsche Bearbeitung der coutumes du Beauvoisis.
Allen vier ist gemeinsam die gleichzeitige Behandlung der gages
de bataille und der enquete, die beide als geltendes Recht darge-
stellt werden. Im System und der Verarbeitung des Stoffes je
nach dem Wissen und Können der Verfasser verschieden, ver-
lieren sie doch den Hauptzweck, der bald mehr, bald weniger
ungeschminkt hervortritt, niemals aus den Augen; fleißig stellen
sie die Vorzüge der enquete dar, mit peinlicher Genauigkeit
werden die den Kampf beschränkenden Voraussetzungen materieller
und formeller Natur verzeichnet, auch legislatorische Wünsche,
die die Ausdehnung der enquete und die Einschränkung des Zwei-
kampfes bezwecken, werden mehr oder weniger geschickt als
geltendes Recht dargestellt, so daß es im einzelnen Fall oft
schwer, ja manchmal unmöglich ist, zu entscheiden, ob es sich
um petitiones principii oder um damals schon geltendes Recht
handelt, da sich nur selten Widersprüche in der Darstellung
selbst finden und über kurz oder lange die Wünsche der Autoren
gesetzliche Geltung erlangten, ohne daß es möglich wäre genau
zu bestimmen, wann in dieser Zeit der Umgestaltung und des
Übergangs eine einzelne Vorschrift Gesetzeskraft erlangte. Von
einer genauen Analyse dieser vier grossen Werke in dieser Rich-
tung muß ich hier absehen, da sie wegen ihres Umfangs weit
über den Rahmen dieser Arbeit hinauswüchse; ein Beispiel aus
dem bedeutendsten und am sorgfältigsten gearbeiteten dieser
Werke, aus Beaumanoir, sei aber zur Illustration hier angeführt.
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«1
Beaumanoir sagt:1) „Et aussi en la court laie sont li apel de
degre en degre, dou sougiet as seigneurs, et de seigneur en seig-
neur dusques au roi, es cas qui ne sont demene par
gage de bataille, car en la court ou l’en va par la reson de l’apel
pour les gages maintenir, se la bataille est fete, la querele est
venue a fin, si qu’il n'i a inestier de plus d’apeaus. Mes ains
la bataille fete pourroit eie aler de degre en degre dusques au
roi, tout fust li ples demente par gages, c’est assavoir de l’une
des parties; si comrne se uns des sougite le conte fesoit fere au-
cun jugement en sa court et partie apeloit de faus jugement en
la court le conte, et li komme qui avroient fet le jugement vou-
loient fere leur jugement bon par gages de bataille et l’apeleres
proposoit resons pour oster les gages et pour fausser le jugemens
par les erremens du plet, et apres se metoient en droit se l’apeaus
seroit demenes par gages ou par les erremens du plet, et apres
li homme le conte jugeoient que l’apeaus se feroit par gages, et
l’apeleres apeloit les hommes le conte de faus jugement, .en tel
cas venroit l’apeaus de degre en degre dusques au roi.“ Dem
fügt allerdings Beaumanoir keine Klausel bei, die diese Aus-
führungen, ähnlich wie die in Artikel 387 vorgetragenen als seine
persönliche Ansicht erscheinen ließen, und doch sind diese Aus-
führungen nichts anderes als ein legislatorischer Wunsch der
Kreise, denen Beaumanoir angehörte; denn wir wissen von Beau-
manoir selbst, daß „en la contee de Clermont doivent estre fet
tuit li jugement par les hommes de lief und gegen diese li apeaus
est demente par gages de bataille.““) Und doch war dieser Satz
einige Jahre später zum Rechtssatz geworden. Solche Beispiele
ließen sich an der Hand dieser vier Rechtsbücher häufen, aber
für unsern Zweck, die Tendenz der legistischen Theorie in den
wissenschaftlichen Arbeiten dieser Zeit zu kennzeichnen, mag dies
eine Beispiel genügen; weiter unten3) wird dann noch zu zeigen
sein, wie die legistische Theorie in der Praxis, insbesondere in
den Urteilen, die prozessualen Voraussetzungen des kämpflichen
Beweises vennehrte und so die Anwendung desselben immer mehr
*) Beaum. 93.
*) Beaum. 24 vgl. 23.— vgl. Arras (9. II. 1264) in Boutaric, Actes du
Pari. no. 828.
*) vgl. unten p. 95 f.
Uonlln , Zweikampf io Frankreich 6
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einengte, es wird dies aber erst im Zusammenhang mit der Be-
sprechung der Ordonnanz von 1306 möglich sein. Aus dem vor-
stehenden geht aber schon hervor, daß die Gesetzgebung Louis IX.
einen Ruhepunkt in der Rechtsentwickelung nicht bedeutet, sondern
dass diese „lois de Saint-Louis,“ wie Montesquieu einmal sehr
treffend bemerkt hat, „changerent moins la jurisprudence franfoise
qu’elles ne donnfcrent des moyens pour la changer.“')
V. Im großen und ganzen war während der Regierungszeit
Ludwig IX. das Verbot des kämptlichen Beweises für die könig-
lichen Kronländer durchgeführt worden; nur ein einziger Fall ist
bekannt, wo vor einem königlichen Beamten ein Zweikampf statt-
fand; dies geschah in Toulouse vor dem viguier von Toulouse am
Dienstag den 24. Dezember 1269*). Wie schwankend aber auch
hier im Süden die Praxis war, das zeigt die im Auftrag des
Königs der nouvelle ville de Realmont-en-Albigeois vom Seneschall
von Carcassonne gegebene coutume, in der dem prevöt verboten
wird den Kampf oder andere durch die kanonischen oder bürger-
lichen Gesetze untersagte Beweismittel anzuordnen1 * 3). Und schon
im Jahre 1278 lädt der Seneschall von Carcassone alle Adeligen
zu einem Zweikampf nach Carcassonne ein4). Aber nicht bloß im
Süden, sondern auch in allen andern Landesteilen häufen sich die
Kampfprozesse in den 70er und 80er Jahren des dreizehnten
Jahrhunderts; weltliche und geistliche Gerichte, königliche und
Territerialgerichte wenden das kämptliche Verfahren wieder häufiger
an, wie uns eine große Zahl von Gerichtsurkunden aus dieser
Zeit beweisen. So standen vor dem Parlament Kampfgerichts-
termine an im Jahre 12775), 1279*), 1 280 T), 1282*); auch
Beaumanoir berichtet von zwei Zweikämpfen, die in Paris vor dem
1 ) Montesquieu, Esprit des Lois, livre XXV11I, ch. XXXIX. al. 2.
3) Boutaric, Ph.-le-B. p. 51.
3) Languedoc IV, p. 17.
*) Languedoc IV, p. 26.
s) Olim II, p. 85, XXXV (Lichtmeß 1277).
•) Olim II, p. 131 VI (Pfingsten 1279). — Olim II, p. 145 XIV und
XV (Allerheiligen 1279).
T) Boutaric, Actes du Pari. 2269 A. (1. I. 1280).
*) Olim II, p. 201 XVn. (Pfingsten 1282).
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königlichen Gericht stattfanden1); dem ersten Fall wohnte sogar
der König bei, auf dessen Befehl dann der Friede geschlossen
wurde. In den Gerichten der großen Territorialherren wandte
man den Kampfprozeß nach wie vor an*); auch in den kirchlichen
Gerichten stand er fernerhin in Übung3); in den königlichen
Domänen lebte der Kampfprozeß unter Philipp III. wieder auf4),
soweit er nicht überhaupt fortbestanden hatte. Diese häufigere
Anwendung des Kampfprozesses unter Philipp dem Kühnen hat
man sich bis in die neueste Zeit nicht recht erklären können, weil
man von einer irrigen Auffassung der Ordonnanz von 1260 aus-
ging und weil man Ludwig IX. eine absolute Abneigung gegen
dies Beweismittel imputierte. Zur Erklärung dieser Tatsache hat
man sich vergebens nach einer die Ordonnanz von 1260 auf-
hebenden Ordonnanz umgesehen, obwohl die Preambel der Ordon-
nanz von 1304, die weiter unten3) besprochen werden soll, klar
erkennen läßt, daß die Ordonnanz von 1260 niemals durch ein
Gesetz aufgehoben wurde. Man brauchte doch eigentlich nur von
der in der Schlußklausel zur Ordonnanz von 1260 gegebenen Er-
mächtigung6) Gebrauch zu machen, um den kümpflichen Beweis
wieder in den Domänen zuzulassen. Motive für die generelle
Anwendung dieser Klausel in den Prozessen innerhalb der könig-
lichen Domänen sind urkundlich nicht überliefert oder wenigstens
zur Zeit nicht bekannt; man ist daher auf Mutmaßungen aus dem
geschichtlichen Zusammenhängen angewiesen. Nach dem, was wir
über die Entstehungsgeschichte der Ordonnanz von 1260 wissen,
') Beaum. 1770/1 und 1845. — Die Zeit dieser Kampftermine läßt sich
mit Sicherheit nicht angeben. Da Bcaumanoir gegen 1250 geboren wurde,
war er Mitte der 60er Jahre volljährig: es bleibt also die Zeit zwischen 1265
und 1283 für seine Anwesenheit als Zuschauer bei diesen beiden Kampf-
terminen. Der eine dieser Termine kann möglicherweise während seiner
Anwesenheit in Paris in den Jahren zwischen 1279 u. 1282 (vgl. Beaum. 843)
stattgefunden haben.
*) vgl. oben p. 70 f., ferner Boutaric, Saint -Louis et Alphonse de
Poitiers p. 263 und Langlois, Le regne de Philippe III le Hardi p. 199
bei Glasson p. 528.
*) vgl. oben p. 49. Note 1; p. 50 Note 12 u. 13.
4) vgl. Langlois, Le regne de Philippe III. le Hardi p. 199.
s) vgl. unten p. 85.
*) vgl. oben p. 69 f.
6*
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muß die Anwendung des kämpfliehen Beweises in den kirchlichen
(Berichten nach Erlaß dieser Ordonnanz den legistischen Kreisen
eine Enttäuschung bereitet haben; auch auf die Beibehaltung des
Kampfprozesses in den Gerichten der mit dem König nahe ver-
wandten großen Barone dürfte man kaum gefaßt gewesen sein.
Andererseits blieb die Haltung dieser Kreise nicht ohne Einfluß
auf ihre Vasallen, deren ganzer Lebensanschauung ja der Karapf-
prozeß vielmehr entsprach als die enquete, und auf die Gerichts-
eingesessenen, die großenteils auf dem flachen Lande wohnten und
der konservativen Sinnesart, derartiger Bevölkerungsklassen ent-
sprechend lieber zäh am althergebrachten Beweissystem festhielten,
als sieh für neue Prozeßtheorien, deren Tragweite sie kaum er-
kennen konnten, begeisterten. Kurz, der Gedanke der Abschaffung
des gerichtlichen Zweikampfes war in dem größten Teil der Be-
völkerung nicht zu dem Maß von Popularität gelangt, das man
beim Erlaß der Ordonnanz von 1260 erwartet hatte, ja es machte
sich sogar in den Schichten der Bevölkerung, von denen man es
am wenigsten erwartet hatte, eine nicht zu unterschätzende Ab-
neigung gegen diese Reform geltend. Wenn man nicht die
weitere Verbreitung des Enquetegedankens, der ohne alle Frage
im Zivilprozeß ständig an Boden gewann, gefährden wollte, mußte
man von dem absoluten Verbot des kämpflichen Beweises Abstand
nehmen und der Theorie und Praxis die allmähliche Beschränkung
des Kampfes überlassen. Aus diesen Beweggründen läßt sich
unseres Erachtens am einfachsten und überzeugendsten die Be-
handlung, die die Zweikampffrage unter Philipp III. und in den
ersten Jahren der Regierung Philipps IV. erfahren hat, erklären.
VI. Philipp IV. befolgte zu Beginn seiner Regierung, die er
im Alter von siebzehn Jahren antrat, dieselben Grundsätze gegen-
über dem Zweikampf, die unter der Regierung seines Vorgängers
im Königtum maßgebend geworden waren. Nach den Olim kamen
in dieser Beziehung zwei Sachen, die kämpfliche Streitigkeiten
betrafen, zur Entscheidung im Parlament. Im Allerheiligenparla-
ment von 1285 wurde dem Seneschall der Touraine, obwohl der
König bei einem Vergleich auf seinen Gebührenanteil verzichtet
hatte, doch ein Drittel der Gebühren zugesprochen1). Im Aller-
') Olim II, pag. 251, XU. (1285).
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heiligenpariament von 1296 stand eine kämpfliche Klage wegen
Giftmords zur Verhandlung. In dieser Sache hatte man zunächst eine
„aprisia super modo mortis defuncti Girardi, et utrum tempore
quo deressit aliqua signa seu alique conjuncturae in eo apparuerint
quod impocionatus fuisset“, veranstaltet; das Ergebnis dieser en-
quöte war negativ, infolge dessen ließ das Urteil den kämpflichen
Beweis nicht zu1). Dieser Fall zeigt schon ganz deutlich, wie
man trotz prinzipieller Zulassung des kämpflichen Beweises dieses
Beweismittel durch die Konkurrenz der enquete zu paralysieren
verstand. Im Jahre 1286 hat im königlichen Gericht in Tours
ein Zweikampf stattgefunden a); im Jahre 1293 wohnte der König
einem Zweikampf in Gisors bei, der wegen Verrats zwischen den
Grafen Armagnac und Foix an beraumt war-, dieser Fall wurde durch
königlichen Befehl beendigt3). Auch ein kirchliches Gericht,
Saint-Benoit-de-Paris, wandte im Jahre 1292 in einer Diebstahls-
sache dieses Beweismittel an4). Im allgemeinen scheint aber im
letzten Jahrzehnt des dreizehnten Jahrhunderts der Kampfprozeß
schon an Bedeutung eingebüßt zu haben ; so konnte denn der König
im Jahre 1296 für die Dauer seines Krieges schon den Zweikampf
verbieten. In dieser Urkunde heißt es: „Dominus Rex pro com-
muni utilitate et necessitate regni sui statuit, quod durante guerrä
suä ... 2) inter aliquos gagia duelli nullatenus admittantur, sed
quilibet in curiis Regis et subditorum suorum jus suum via ordi-
nariä prosequatur . . ,“5). Diese Urkunde ist sowohl wegen der
Möglichkeit des in ihr ausgesprochenen absoluten Verbotes des
gerichtlichen Zweikampfes für das ganze Königreich, als wegen
der Bezeichnung des nicht kämpflichen Verfahrens als „via ordi-
naria“ bemerkenswert. Ein ähnliches Verbot erließ Philipp IV.
im Jahre 1304; die einschlägige Stelle dieser Urkunde hat fol-
genden Wortlaut: . . Provocationes etiam ad duellum et gagia
') Olim II, pag. 403 XIII (1296). — Der Grund liegt aber nicht da-
rin, daß es une lutte fratricide göneralemcnt interdite gewesen wäre, wie
Ducoudray p. 394 annimmt; vgl. meinen Gericht! Zweikampf p. 26 I.
*) vgl. Viullet I, pag. 267. Note 2.
*) vgl. Languedoc IV, 68 (1298). — Rec. II, p. 694.
4) vgl. Viollet m, p. 311.
*) Rec. II, p. 702 = Boutaric, Actes du Pari. I, pag. 291 no. 2983
u. Olim U, pag. 405, XV. (1296).
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duellorum recipi rel admitti ipsaque duella fieri vel iniri duran-
tibus guerris nostris expressius inhibemus. Quaestiones autem,
dissentiones et causas propter quas et seu quarum occasione huius-
modi guerrae et duella fieri solebant hactenus et iniri per semitas
aequitatis rationis et juris sortiri volumus debitum institui corople-
mentum . . Diese Bestimmungen bilden einen Teil einer
umfangreichen Ordonnanz ; diese Ordonnanz selbst wiederholt aber
nicht nur eine Vorschrift der Ordonnanz von 1296, sondern sie
enthält auch Ausführungen über die Stellung des Königs und
seiner Rate zur Zweikampffrage überhaupt. Dem Erlaß der
Ordonnanz ging wiederum eine Beratung vorauf; hiervon berichtet
die Ordonnanz selbst mit folgenden Worten-, „cum nonnnllis pro-
batis et baronibns nostris pleniori habita deliberatione consilii;“
demnach hat man es doch für zweckdienlich gehalten sich zuerst
mit den Baronen über den Inhalt der Ordonnanz zu verständigen.
In der Ordonnanz wird dann hervorgehoben: „Ad instar sancti
Ludovici eximii confessoris quondam regis Francorum . . . intendi-
mus.“ Welche speziellen Akte Ludwigs IX. dem Gesetzgeber
hierbei vorschwebten, läßt sich nicht genau feststellen. Gemeint
kann damit sowohl die Ordonnanz vom Jahre 1245 gegen die
Fehden, als die Ordonnanz vom Jahre 1260 gegen den Zweikampf
sein. Immerhin ist die Anknüpfung an Akte des nunmehr heilig-
gesprochenen Königs Ludwig IX. bemerkenswert. Eigentümlich
ist dieser Ordonnanz die Gleichstellung der gerichtlichen Zwei-
kämpfe mit den Fehden, die nunmehr als turbationes pacis non
obstante contraria consuetudine bestraft werden sollen*); ja es
scheint, als ob nicht ganz absichtslos in der Preambel schon
neben der Hervorhebung der guerrae auch das in jener Zeit ziem-
lich zweideutige Wort bella gebraucht ist und von diesen guerrae
und bella dann weiterhin gesagt wird, „ut nemo sibi jus dieere
aut vindictam assumere audeat, sed cuique sufficiat vigor justitiae,
quam regimus “ 3) Wie dem auch sein mag, soviel steht jedenfalls
fest, daß für das ganze Königreich de praelatorum et baronum con-
') Kcc. II. p. 807. (18. 1. 1304). Im Rccueil ist das Datum: „Tolnsae
sabbato post octavam Epiphanie a. D. MCCCIII “ falsch aufgelöst als
9. Januar 1303.
>) Kcc. II, p. 808.
s) Rec. II, p. 807.
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87
silio ’) während des .Kriegs des Königs der Zweikampf verboten
wurde und daß die Einbürgerung der enquete, speziell im Zivil-
prozeß, große Fortschritte gemacht hatte, ja schon nahezu den
Zweikampf aus dem Zivilprozeß verdrängt hatte.
§ 9-
Die Ordonnanz von 1306 und die weitere Entwickelung des
' gerichtlichen Zweikampfs.
I. Die im vorhergehenden Paragraphen besprochenen, zeitlich
begrenzten, allgemeinen und absoluten Verbote scheinen streng
durchgeführt worden zu sein; aber gerade dadurch kamen auch
die Mängel eines absoluten Verbotes des Zweikampfes in beweis-
technischer Hinsicht zum Vorschein; andererseits hatte aber auch
die Erfahrung gelehrt, daß dies Beweismittel im Zivilprozeß ent-
behrt werden konnte. Diese beiden Momente verwandte Philipp IV.
in seiner Ordonnanz vom I. Juni 1306 und schuf damit die ge-
setzliche Grundlage für die Anwendung dieses Beweismittels im
ordentlichen Verfahren, wie im außerordentlichen in den nächsten
drei Jahrhunderten.
II. Diese Ordonnanz beginnt mit einer Preambel, die wie
die meisten Urkunden dieser Zeit noch die Motive mit folgenden
Worten ausführt: „S^avoir faisons, que comme en^a en arriere
pour le eommun prouffit de nostre royaume nous eussions deffendu
göneraument ä tous nos subjects toutes maniöres de guerre et
tous gaiges de bataille dont plusieurs malfaiteurs se sont advancez
par la force de leur corps et faux engins ä faire homicides, tra-
hisons et tous autres malifices, griefs et exces, pour ce que, quand
ils les avoient faits eouvertement et en repost, ils ne pouvoient
estre convaincus par aucun tesmoins dont par ainsi le malöfice
demenroit impuni, et ce que nous avons fait est pour le eommun
prouffit et salut de nostre royaulme; mais pour oster aux mauvais
dessusdiz toute cause de mal faire nous avons nostre dessusdite
deflense attemperße par ainsi que lä oü il appera övidemment ho-
0 Ree. XI, p. 808. — Paaquier datiert die Aufhebung des gerichtlichen
Zweikampfes von dieser Ordonnanz von 1304 vgl. Pasquier p. 324 A und
322 C.
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micide, trahison ou autre griefs, violences ou maMces, exceptö
larrecin par coy peine de mort s’en deust ensuivir, secrtdement
ou en repost si que celuy qui l’auroit fait ne peust estre convain-
cus par t4moins ou autre maniöre suffissante.“ ’)
Die Ordonnanz fährt dann mit folgenden Bestimmungen
weiter: „Nous voulons que en deffaut d'autre poinct celuy ou
ceux qui par indices ou prösumptions semblables ä veritö pour
avoir ce fait soient de tels faits suspicionnez, appelez et citez ä
gaige de bataille, et souffrons quant ä ce cas les gaiges de bataille
avoir lieu, et pour ce que a celle justice tant seulement nous
atrempons nostre deffense dessudite 6s lieux et 6s termes aquels
les gaiges de bataille n’avoient lieu devant nostre dite deffense,
car ce n’estoit raie nostre intention que ceste deffense fust rappel6e
ne attempere ä nuls cas passez devant ne apres la date de nos
präsentes lettres desquelles les condemnations et absolutions ou
enquestes soient faites, afin que on les puisse jugier, absoudre ou
condamner ainsi que le cas le requiert et övidemment apparoistra.“
Hierauf folgt die Corroboratio etc.*)
Von einer Exegese der Bestimmungen dieser Ordonnanz kann
ich hier absehen, da ich alle Einzelheiten schon in anderem Zu-
sammenhang5) erörtert habe. Wohl aber ist hier die rechtsge-
schichtliche Bedeutung dieser Ordonnanz zu untersuchen.
Wie die Preambel dieser Ordonnanz zeigt, macht sich der
Gesetzgeber die bisher in der Zweikampfmaterie gesammelten
Erfahrungen zu Nutze; er sieht ab von einem absoluten Verbot,
wie es ihm beim Erlaß der Ordonnanz von 1304 vorgeschwebt
hatte und wie es ihm jetzt noch wünschenswert erscheint;
er verwertet dabei sorgfältig die Erfahrungen, die man bisher
in legistischen Kreisen mit den Bestrebungen der Einschränkung
des kämpflichen Beweises gemacht hatte ; er kommt der legistischen
■) Bec. n. p. 832.
*) Bec. II, 832 u. 833. — Einen im Prinzip ähnlichen Versuch h»tte
Simon do Montfort schon im Jahre 1212 gemacht, indem er in Palmiera
eine coutume gab, in der er allen Horrcn verbot in ihrem Gericht den Zwei-
kampf außer bei den crimcs de trahison, de vol et de rapine anznordnen.
vgl. Languedoc III, ’p. 234. . — ^Auch die consnetudo remensis (1248) art. 40
in Beims legislatif 1. p. 40 läßt den Kampf nur bei crimen zu.
*) Vgl. meinou UerichtL Zweikampf § 20. 111. p. 77 f.
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Theorie vielfach entgegen und sanktioniert ihre bisherige, teil-
weise abusive Praxis; er räumt der Enquete den Vorrang vor dem
kämp fliehen Beweis ein und läßt diesen nur nach vorhergegangener
resultatloser Enquete zu, wenn die in der Ordonnanz näher be-
zeichneten fünf, den kämpflichen Beweis einschränkenden Voraus-
setzungen') vorliegen. Dabei nimmt die Ordonnanz auf ein
früheres allgemeines und absolutes Verbot desselben Königs mehr-
fach Bezug; es kann kaum irgend welchem Zweifel unterliegen,
daß damit die Ordonnanz von 1304 gemeint ist; denn bei der
ersten Erwähnung dieses Verbots sagt die Ordonnanz wörtlich:
„nous eussions deffendu göneraument ä tous nos subjects
toutes maniferes de guerre et tous gaiges de bataille.“
Das Wort, „nous“ läßt ja deutlich erkennen, daß es sich nur um
eine Ordonnanz desselben Königs handeln kann und daß damit
nicht etwa, wie Ducoudray irrtümlich annimmt*), die Ordonnanz
von 1260 gemeint sein kann; die Worte: „toutes maniöres de
guerre et tous gaiges de bataille“, lassen erkennen, daß hier eine
Ordonnanz, die gleichzeitig die Fehden und den gerichtlichen
Zweikampf verbietet, in Frage steht, es sich also nur um die
Ordonnanz von 1296 oder die von 1304 handeln kann. Für die
Ordonnanz von 1304 spricht nun nicht nur, daß sie zeitlich der
Ordonnanz von 1306 am nächsten steht, sondern auch das Wort
göneraument; es heißt hier nicht: „während unseres Krieges“,
sondern „allgemein“ und dies läßt sich aus der Fassung der
Ordonnanz von 1304 rechtfertigen, die die guerrae und bella all-
gemein verbot3) und die gagia duellorum allerdings nur „duran-
tibus gnerris nostris“ untersagte; aber diese letztere Einschränkung
verschwindet fast im übrigen Text und wird durch den übrigen
Wortlaut so gut wie erdrückt. Umgekehrt beweist aber auch der
Wortlaut unserer Ordonnanz von 1306, daß die Klausel „durantibus
guerris nostris“ im Sinne des Gesetzgebers nicht allzu ernst ge-
meint war, sondern daß er persönlich ihr wenig Wert beilegte
und sie wohl nur unter dem Druck der „deliberatio consilii“ an
dieser Stelle aufhahm ; der Gesetzgeber selbst hatte sie schon ver-
') vgl. oben p. 87 f. and meinen Gorichtl. Zweikampf p. 77 f.
’) vgl. Ducoudray p, 394, damit fallen anch die Folgerungen, die er
an diese Auffassung knöpft.
3) vgl. hierzu oben p. 87. Note 1.
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gessen, ehe die Tinte jener Urkunde recht getrocknet war. So
sagt denn auch der König in der Ordonnanz von 1306: „ce
n’estoit mie nostre intention que ceste deffense fust rappelee ne
attemperte ä nuls cas etc.,“ und an einer anderen Stelle betont
er: „nous avons nostre dessusdite deffense attemperfe par ainsi
que etc.“ Hiernach soll das Verbot der gerichtlichen Zweikämpfe
in allen nicht besonders hervorgehobenen Fällen aufrecht erhalten
bleiben1). Viollet hat diese Ordonnanz für eine Art transaction
imaginee par un logiste de Philippe-le-Bel erklärt und meint von
da an sei der gerichtliche Zweikampf desuetudine abrogiert worden*).
Wie es sich mit der letzteren Behauptung verhält, wird später
zu untersuchen sein, unrichtig ist aber die erstere Meinung, die
sich mit der von Dncoudray3) aufgestellten Ansicht, die Ordonnanz
von 1306 sei ein recul de la justice presente comme une ameli-
oration, berührt. Beide Schriftsteller nehmen die narratio der
Urkunde nicht ganz ernst; wenn man aber bedenkt, daß im Jahre
1306 die question, von deren Anwendung im Süden wir schon
aus einer Ordonnanz Ludwigs IX. vom Jahre 1254 wissen, im
Norden noch nicht gebräuchlich war, so sind doch tatsächlich
Fälle strafrechtlicher Natur denkbar, in welchen man nur mit dem
Zweikampf einen Beweis führen kann ; soviel darf man der Ordon-
nanz wirklich glauben, daß sich in den ihrem Erlaß voraufge-
gangenen Jahren auch solche Fälle in der Praxis ereignet haben,
ohne daß gerade Urkunden über dieselben auf uns gekommen
sind. Beide Schriftsteller suchen aber demnächst auch das Schwer-
gewicht der Ordonnanz an einer falschen Stelle. Die Ordonnanz
von 1304 sagt: „corruptelafm] (seil, guerraruin) .... de pleni-
tudine regiac potestatis omnino tollimus annullamus cassamus irri-
tamus et penitus abolemus, nullam cassam et irritam pronuntia-
mus et decemimus“4); und noch war kein Jahr seit dem Erlaß
der Ordonnanz von 1306 verstrichen, da richtete der König die
Ordonnanz vom 1. Mai 1307 an den Seneschall von Toulouse.4)
') Wie sich der französische Adel zu dieser authentischen Interpreta-
tion stellte, das wird unten p. 102 zu erörtern sein.
*) Viollet I, p. 268.
s) Ducoudray p. 394.
4) Ree. II, p. 808.
s) Ord. XII, p. 367. (1307) vgl. unten p. 91 f.
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Der König war von ganz andern Gedanken beseelt, als von dem
einer „transaction“ oder amMioration“; im Gefühle der „plenitudo
regiae potestatis“ hat Philipp IV. auch die Ordonnanz von 130(1
erlassen. Zu einer „transaction“ lag kein Grund vor, weil sich
eine lebhaftere Opposition in der Zeit von 1304 bis 1306 nirgends
zeigt; für einen „recul de la justice“ war niemals in legistisehen
Kreisen Neigung vorhanden. Die Ordonnanz von 1306 sollte viel-
mehr nur eine neue Etappe auf dem Weg zur königlichen all-
mächtigen Justizhoheit sein, sie sollte auf der Grundlage der Or-
donnanz von 1304 weiterbauen und kraft der königlichen Macht-
vollkommenheit den kärapflichen Beweis, der dieser königlichen
Allmacht im Wege stand, für immer auf die unumgänglichsten
Anwendungsfälle beschränken.
III. Einen weiteren Schritt auf dem eben bezeichnten Wege
bedeutet eine Ordonnanz Philipps IV. an den Seneschall von Tou-
louse, bei der vielleicht das lothringische und holländische Vor-
bild mitwirkte, die sich aber auch sowohl aus der Tendenz der
Rechtsentwickelung um die Wende des vierzehnten Jahrhunderts,
die dahin ging, die Duellgerichtsbarkeit den Händen der kleineren
Territorialherren zu entwinden und sie wo möglich in die Hände
des obersten Gerichtsherrn zu legen1), als auch aus den Grundprin-
zipien der legistisehen Theorie erklären läßt. Diese Ordonnanz
vom 1. Mai 1307 hatte folgenden Wortlaut: „Cum non sit inten-
tionis nostrae, si inter Barones Senescalliae vestrae moveantur seu
moveri videantur causae in quibus debeat seu videatur vadium
duelli incidere, quod vos causas hujusmodi debeatis in assisiis
vestris aut coram vobis qualicunque modo audire seu qualiter-
cunque tractare. Nos subditorum nostrorum quietem et pacem
totis desideriis affectantes et in eorum tranquillitate laetantes,
mandamus vobis et ex causa, quatenus quandoque tales causae
movebantur seu moveri incipient coram vobis, in eis nullatenus
procedatis, nec aliquem coram vobis processum in causis hujus-
modi, etiam ab nuncio tieri permittatis; sed in hujusmodi ca-
sibus et similibus, nullo coram vobis habito super eis proces-
*) Tgl. hierüber meinen Gcrichtl. Zweikampf p. 48 und die dort ange-
gegebenen Quellen.
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su, partes et examen nostrae Curiae Parisiensis remittatis.“') Der
Inhalt dieser Ordonnanz ist leicht verständlich: Alle Karapfsachen
sollen zur Entscheidung an das Parlament verwiesen werden;
weder der Seneschall selbst, noch sein judex appelationum sollen
in Kampfsachen fürderhin urteilen. Wenn die Ordonnanz auch
am Anfang nur von den barones spricht und von den assisiis*),
so zeigt doch der Schlusssatz, daß auch andere Gerichte und alle
Zweikämpfe von der Ordonnanz getroffen werden sollen. Aber
auch hier bewährte sich wieder der Satz: „Les ordonnanees ne
suffisent pas“; denn der Seneschall verhandelte schon im Jahre
1308 wieder eine Kampfsache; auf die Appelation des Beklagten
erklärte das Parlament in der Weihnachtswoche des Jahres 1308:
„predictum senescallum, seu locum ejus tenentem male judicasse
. . . nec erit ibidem gagium duelli“, obwohl es sich in der Sache
um einen Mord handelte*). Am 20. März 1309 hob das Parlament
wiederum die Anordnung des kämpflichen Beweises in einer Mords-
klage durch den Seneschall von Toulouse auf.i) * * 4) Wie von da an
die Vorschriften der Ordonnanz von 1307 in Toulouse gehandhabt
wurden, können wir nicht urkundlich feststellen; jedenfalls hat
aber das Parlament an der Ordonnanz festgehalten; dies ergibt
sich aus einem Mandement desselben an den Seneschall von Tou-
louse vom 14. Juli 1317, den Förderer in einer kämpflichen Mords-
klage vor das Parlament zu laden 5). Die Bestimmungen der
Ordonnanz von 1307 wurden später, ob gewohnheitsrechtlich oder
gesetzesrechtlich, das läßt sich nach dem vorliegenden Material
nicht feststellen, auch auf andere Landesteile ausgedehnt; das
geht schon aus dem Zweikampfprivileg für Perrusses vom Jahre
1348 hervor, das seine Bestimmungen mit der Generalklausel:
„pourveu toutes voyes es choses dessus touchans gaige de bataille
que li Roy nostre Sire si consente,“ schließt.*) Die Ordonnanz
von 1307 scheint dann späterhin im ganzen Königreich Anwen-
i) Ord. XII, p. 867 (1307).
*) weil es sich eben meist um Zweikämpfe ritterlicher Parteien handelte.
*) Olim II, p. 496. VIII (1308).
*) Boutaric, Actes du Pari. no. 3570.
*) Boutaric, Actes du Pari. no. 5474.
6) in Ord. Vll. p. 33 art. 14. vgl. oben p. 11. Note 8.
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düng gefunden zu haben '), wenigstens sagt uns Pasquier mit
Bezugnahme auf die Ordonnanzen Philipps IV. und unter Ver-
wechselung der Ordonnanz von 1306 mit der von 1307: „les Ju-
ges ordinaires eurent les inains closes et n’y avait que le Boy
en son grand conseil ou la Cour du Parlcraent qui en peust cog-
noistre.“5) Jedenfalls erging im Jahre 1409 eine Ordonnanz, die
die Abhaltung von gages de lmtaille im ganzen Königreich nur
auf Grund eines Urteils des Königs oder des Parlaments zuließ.5)
IV. In Verbindung mit der Ordonnanz von 1306 wird in
allen Abschriften4) ein sehr umfangreiches Formular mitgeteilt,
das teils einen Kommentar zu dieser Ordonnanz enthält, teils Aus-
führungsregeln für diese Ordonnanz gibt. Dieses Reglement hat
jedenfalls ursprünglich in keinem Zusammenhang mit der Ordon-
nanz von 1306 gestanden; denn diese schließt in allen Abschriften
mit der corroboratio : „En tesmoing de ce, Nous avons ces lettres
fait sceller de nostre grand scel“, und dem Datum: „Donne ä Paris
le mercredi aprfes la Trinit£ l’an de gräce rail trois eens et six“.
Das Reglement wird mit der Überschrift eingeleitet: „Les quatre
choses apartenant ä gaige de bataille auparavant qu’il puisse estre
udjuge“. Eine inseriptio und promulgatio ist nicht vorhanden ; der
Kontext beginnt vielmehr im Anschluß an die Überschrift mit den
Worten: „Premiferement, nous voulons et ordonnons, qu’il soit
chose notoire etc“ ; auch ein für eine königliche Urkunde sprechendes
Eschatokoll findet sich nicht. Wahrscheinlich ist dieses Regle-
ment eine Privatarbeit, die der Ordonnanz von 1306 späterhin
angeschlossen wurde und so im Parlament gebraucht wurde. Die
Entstehungszeit dieses Reglements ist nicht bekannt; jedenfalls
liegt sie vor dem Jahre 1356, da seit diesem Jahre in den Parla-
') Tgl. Lisieux (1386) bei Canel p. 115 nach Kluquet. Hist, du Pari. I.
p. 160.
’) Pasquier p. 324 A.
3) vgl. Ureinus p. 200 und Rec. VII p. 199 no. 445 — Irrtümlich ist
die Ansicht Campigneulles’ I, p. 52, der annimmt, daß sich erst tu Anfang
des sechszehnten Jahrhunderts im Wege des Gewohnheitsrechts dieser Satz
gebildet habe.
*) Rec. 11, p. 833 f. gibt den Text nach Lauriere wieder: außerdem
findet es sich in einer von Crapclet veröffentlichten Bilderhandschrift aus
der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts.
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mentsurkunden ') ein weiteres Erfordernis für die Zulässigkeit des
kämpflichen Beweises erscheint. Die Bilderhandschrift schreibt es
in ihrem Titel, Ceremonies des Gages de Bataille selon les con-
stitutions du bon roi Phelippe de France, der Zeit um Philipp IV.
zu; die Coustumes et Stilles gardez ou duchiß de Bourgogne ver-
wenden es schon, dagegen findet es sich noch nicht bei Du Breuil.
Man wird daher wohl die Entstehung in die dreißiger oder vierziger
Jahre des vierzehnten Jahrhunderts verlegen dürfen. Daß das
Reglement, ganz abgesehen von dem ersten Artikel, der die Or-
donnanz von 130« kommentiert, nicht die alte Verfahrensart war,
die man nunmehr wieder zu Ehren brachte, das hätte auch Du-
coudray 5) erkennen müssen, wenn er die Stellung, die der Gerichts-
herr nach diesem Reglement einnimmt, die beginnende Schriftlich-
keit der Protestationen s), den Zuschnitt der ganzen Zeremonien
auf die ritterliche Bevölkerung beachtet hätte. Es ist vielmehr
wahrscheinlich, daß das Reglement die Kampfordnung schildert,
wie sie zur Zeit seiner Abfassung im Parlament gehandhabt wurde *).
Dieses Reglement erlangte bald Gesetzeskraft, die wohl aus dem
Gerichtsgebrauch, der es legis vice an wandte, sich erklärte.
V. Bis in die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ist der
Zweikampf das stärkste Beweismittel, das die Wirkung des Eides,
der Urkunden, abgesehen von den Königsurkunden, und sogar das
Urteil zu paralysieren vermag; er ist im eminentesten Sinne ein
Akt prozessualer Selbsthilfe; der Zweikampf kann aber nur be-
stehen in einem rein formalen Beweissystem oder doch nur in
einem überwiegend formalen Prozeß. In einem wesentlich inquisi-
torischen Prozeß, in dem notwendiger Weise an die Stelle der
ausschließlichen Parteitätigkeit mehr und mehr die richterliche
Tätigkeit, insbesondere im Prozeßbetrieb und der Beweiswürdigung
tritt, ist nur noch wenig Platz für formale Prozeßakte, die mehr
und mehr zur Rolle der Lückenbüßer herabsinken und deren An-
ordnung nicht mehr ohne vorangegangene richterliche Prüfung
des Prozeßstoffes stattfinden kann; es ist daher durchaus konse-
') vgl. meinen Gericht!. Zweikampf pag. 80 Note 1.
*) Ducoudraj p. 395 Note 4.
*) vgl. meinen Gorichtl. Zweikampf p. 65 Note 6, p. 58 Note 1.
4) Die einzelnen Sätze dieses Reglements habe ich an den entsprechenden
Stellen des Systems in meinem Gericht!. Zweikampf erörtert.
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quent, wenn die Ordonnanz von 1306 den kämpflichen Beweis nur
noch beim Versagen aller andern Beweismittel als außerordentliches
Beweismittel zuläßt, da sich nach und nach im Verlauf der voraufge-
gangenen fünfzig Jahre der inquisitorische Prozeß die Stelle des
ordentlichen Verfahrens erkämpft hatte. Die Ordonnanz von 1306
beweist aber im Gegensatz zur Ordonnanz von 1260 doch so viel
praktischen Sinn, daß sie nicht bloß zerstört, ohne einen voll-
wertigen Ersatz für das Zerstörte an die Stelle zu setzen, die
sonst eine nach dem damaligen Stande der Prozeßwissenschaft
und Prozeßpraxis unausfüllbare Lücke darstellte, darum ließ sie
den Zweikampf in den bekannten, eng umschriebenen Grenzen als
außerordentliches Beweismittel in gesetzlicher Geltung bestehen
und kein späteres Gesetz hat ihn dauernd beseitigt. In richtiger
Erkenntnis der Sachlage waren die Legisten bestrebt das
neue Prozeßsystem immer mehr auszubauen und zu vervoll-
kommnen; negativ mußten diese Bestrebungen auf eine immer
weitere Beschränkung der Zulässigkeit des kämpflichen Beweises
gerichtet sein.
Immer und immer wieder mußte die Beachtung der Ordonnanz
von 1306 den baillis und senechaux eingeschärft werden ‘). In
den kämpflichen Sachen gilt die alte Prozedur, die vor der Or-
donnanz von 1260 in Übung war; so zieht insbesondere ein defaut
Sachfälligkeit nach sich*). Im Chätelet de Paris ist für Zivil-
sachen die Ordonnanz von 1260 maßgebend, im ordentlichen
Strafverfahren gelangt der geheime Prozeß zur Anwendung1) Die
Gesetzgebung Philipps des Vierten gab dem Parlament die Mög-
lichkeit in allen Kampfsachen entscheidend mitzuwirken durch die
Anwendung der enquete, die ja in allen Sachen zur Aufklärung
der Sach- und Rechtslage zulässig war. So erging auch in einer
Kampfklage zwischen Guiohard de Combom und Bernard de Com-
born wegen Mords am 16. April 1319 ein mandement des Parla-
ments an Bertrand de Roque-Negade, Chevalier et conseillier, an
Gui de Montague, clerc du Roi, au sen^chal de Saintonge und an
') vgl. i. B. Boutaric, Actes du Pari. no. 53C7 (29. IV. 1318).
*) Boutaric, Actes du Pari. no. 5177 (4. II. 1318), no. 6391 (20. IV.
1320), no. 7756 (8. I. 1326).
*) vgl. Stilus p&rletn. edit. Molinaeus (1551) p. 80 u. 81.
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Bernanl de Gervais, jnge de la seneehaussee de Pörigord, de faire
une enquete ponr savoir s’il y a lieu d’accorder le duel propose
au Parlement par Guichard de Comborn contre Bernard de Com-
bom1). Ara 13. Januar 132t! erließ das Parlament ein mandement
an Gobert Sarrassis de Laön und an Jacques Le Monnier de Chauni,
de faire une enquete sur la demande de duel formte entre Robert
le Pfere appelant il’une part, et d'autre part les horaes jugeants
en la eour du Roi ä 8aint- Quentin et Jean Sohier, bourgeois de
cette ville, nach Anhörung der Parteien*). Auch als Appelations-
instanz hatte das Parlament Gelegenheit seinen Einfluß auf kärapf-
liche Sachen wahrznnehmen. So hebt es das Urteil des weltlichen
Gerichts des Bischofs von Saint-Brieuc, das gegen die Ordonnanz von
1 306 den Zweikampf zwischen zwei Knappen angeordnet hatte, nach
voraufgegangener enquöte in der Invokavitwoehe des Jahres 131 2 auf5).
Dieses Urteil bietet gleichzeitig ein lehrreiches Beispiel für die
praktische Behandlung der käinpflichen Injurienklage vor und nach
der Ordonnanz von 1306. Während vor dem Erlaß der Ordonnanz
von 1306 die Beleidigung gemeinrechtlich eine kämpfliche Ma-
terie war, fällt sie nun nicht mehr unter die käinpflichen Sachen ;
eine ablehnende Entscheidung brauchte sich daher jetzt nur auf
die Ordonnanz von 1306 zu stützen. Kurz vor dem Erlaß der
Ordonnanz von 1306, in der Osterwoche 1306, hat das Parlament
ebenfalls eine kämpfliche Injurienklage abgewiesen, dabei mußte
es sich mangels einer gesetzlichen Grundlage für das Urteil auf
einen königlichen Befehl stützen, den es folgendermaßen wieder-
gibt: „Tandem de facto hujusmodi dominus Rex fecit sciri, et
presentibus dictis partibus in curia, ipse dominus Rex causa cognita,
predictum gagiuin duelli totaliter annulavit et precepit dictis par-
tibus conscientibus et obedientibus, quod bona pax esset de cetero
super hoc inter ipsas; dictique pater et filius, ad mandatum do-
mini Regis, predicto domino cardinali super dictis verbis gagia-
') Boutaric, Actes du Pari. no. 5778.
*) Boutaric, Actes du Pari. no. 7755.
5) Nach Olim IIP, p. 679 XLV. wurde das Urteil in der octaTa
Brandonum 1311 gefallt; Boutaric, Actes du Pari. no. 3965 datiert cs
nach der Registratur: Veneris post quenden&m Penthecostes vom 2. Juni 1312;
als maßgebendes Datum ist aber die Zeit der Urtcilsf&llung also die Invo-
kavitwoche 1312 zu betrachten.
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verunt emendam etc. '). Ebenfalls in der Appelationsinstanz, wie
in dem Falle vom Jahre 1312, hatte sich das Parlament im Jahre
1313 mit einer kämptliehen Erbschaftsklage zu beschäftigen; auf
Grund der Ordonnanz von 1 306 wies es in Übereinstimmung
mit einer sentence des prövöt de Paris, die ein in zweiter Instanz
vom prövöt de Corbeil erlassenes Kampfurteil aufgehoben hatte, die
Klage ab s). Die Enqueten , die das Parlament in Kampfsachen
anordnete, nahmen manchmal, ob mit oder ohne Absicht, das mag
dahingestellt bleiben, sehr viele Zeit in Anspruch. So hatten in
der Sache Combom •/. Combom, aus der oben ’) schon ein mande-
ment mitgeteilt wurde, mehrere Enqueten stattgefunden. Zunächst
war eine Kommission, die aus Bertrand de Roque-Nögade, Cheva-
lier, und Jean d’Höpital, clerc du Roi, bestand, zur Untersuchung
der Sache bestimmt worden. Am 8. August 1317 erfolgte ein
mandement des Parlaments an den Seneschall der Saintonge, an
Stelle des Jean d’Höpital ein anderes Mitglied zu ernennen4).
Am 12. April 1319 wurde der Seneschall von Perigord beauftragt
Bemard de Combom und Guichard de Combom, diesen als Ver-
treter seines inzwischen verstorbenen Vaters, in der Kampfsache
vor das Parlament zu laden5). Am 16. April 1319 erging dann
das oben erwähnte mandement, das eine neue Enquetekommission
einsetzte“ *). Die Sache war also nach beinahe zwei Jahren noch
nicht abgeurteilt. In einer Mordssache gegen Forbenier de Cirac
erließ das Parlament unter dem 4. Dezember 1316 ein mandement
an den Seneschall von Toulouse, de faire prompte justice de F. de C.
qui etait convaincu d’avoir assassine Callard de Cirac, apres l’avoir
provoquc ä un duel judiciare7). Am 14. Juni 1317 war diese
„prompte justice“ noch nicht erledigt; denn an diesem Tage erließ
das Parlament ein mandement an den Seneschall von Toulouse,
d’ajouraer au Parlement Giraud de Tours, damoiseau, qui avait
demande le duel contre Fourbenier de Sirac, accuse de meurtre de
«) Olim II, pag. 485. VI (1306).
*) Boutaric, Actes du Pari. no. 4065 (19. IL 1318).
*) oben pag. 95.
4) Boutaric, Actes du Pari. no. 5506 (8. VIII. 1317).
4) Boutaric, Actes du Pari. no. 6046 (12. IV. 1319).
•) Boutaric, Actes du Pari. no. 5778 (16. IV. 1319). vgl. oben pag. 95.
7) Boutaric, Actes du Pari. no. 4491 (4. XII. 1316).
Co all a, Zweikampf in Frankreich 7
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Gaillard de Sirac Chevalier alleul et de Gaillard de Sirac
oncle du dit Giraud ') . In einer Sache , de Rochetail-
lade •/. Rostand de Rama, liegen Parlamentsurkunden aus
der Zeit vom 7. VIII. 1318 bis zum 1*2. V. 13*20 vor1). In
einer Sache „Suscepreda“ /. „Caillau“, die erstmals am *27. IX.
1317 in den Parlamentsurkunden erwähnt wird, ist am 12. IV. 1319
noch kein Urteil erlassen1). Wenn dann eine Sache spruchreif
war, wurden die Parteien durch Vermittelung der scnechaui bezw.
baillis zu dem Urteilsverkündigungstermine geladen4). Ließ sich
eine Partei einen defaut zu schulden kommen, so sprach das
Parlament den döfaut auss) und beauftragte den zuständigen bailli
bezw. senechal mit der Vollstreckung1). Der im Vorstehenden
geschilderte äußere Gang des Verfahrens erklärt aber für sich
allein betrachtet noch nicht das Verschwinden oder auch nur das
immer seltenere Vorkommen der Kampftermine im französischen
Recht; denn dieser Rahmen des Verfahrens hätte an sich sehr wohl
einen Kampftermin in sich aufnehmen können. Die Erweiterung
der richterlichen Befugnisse und die Hand in Hand damit gehende
Beschränkung des Parteibetriebs ermöglichten vielmehr erst im
Verlauf des konkreten Prozesses die Verhütung eines Kampftermins
oder doch des blutigen Ausgangs eines solchen. Hierhin gehören
die in der Ordonnanz von 130(5 aufgeführten Voraussetzungen der
Zulässigkeit des Zweikampfs, die vom Gericht zu prüfen sind7),
sowie die Vorschrift der Unzulässigkeit des Zweikampfs im Falle
der Notorietät, ein Satz der sich aus der Analogie der Unzulässig-
keit des Zweikampfes bei handhafter Tat wohl entwickelt hat, und
im Falle des mangelnden persönlichen Interesses des Klägers“);
') Boutaric, Actes du Pari. no. 5474 (14. VII. 1317).
*) Boutaric, Actes du Pari. no. 5500 (7. VIII. 1318), no. 6405 (12.
V. 1320).
*) Boutaric,' Actes du Pari. no. 5557 (27. IX. 1317), no. 6045 (12. IV.
1319).
*) Boutaric, Actes du Pari. no. 7269 (16. VI. 1323); no. 4773 (7. IV.
1317).
*) Boutaric, Actes du Pari. no. 5177 (4. II. 1318); no. 6391 (29. IV. 1320'.
*) Boutaric, Actes du Pari. no. 7756 (8. 1. 1326).
*) Tgl. oben pag. 88 f., und meinen Qerichtl. Zweikampf § 20 III. a.
b. c. e. pag. 77 bis 79.
*) vgl. meinen Qerichtl. Zweikampf $ 20 UL d. u. f. pag. 78 u. 79.
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ob diese Voraussetzungen im konkreten Falle Vorlagen, war eben-
falls vom Gericht zu prüfen. Bei der exzeptionellen Stellung,
die dem kämpflichen Beweis innerhalb des Prozesses nunmehr
eignete, hat man die den Zweikampf begünstigenden Vorschriften
dabei stets restriktiv, die ihn verbietenden aber in einer wissen-
schaftlich durchaus einwandsfreien Weise stets extensiv interpretiert.
Gegen kämpfliche Klagen wurde stets die ordentliche Appelation
zugelassen1) in Anwendung der Ordonnanz von 1260 und zwar
unter Ausdehnung dieser Vorschrift auf das ganze Königreich,
während man noch im Jahre 1264 vor dem Parlament eine Urteil-
schelte nach dem alten Verfahren zwischen den Schöffen von Arras
und Mannen des Grafen von Saint-Pol verhandelte, da hier die
coutume du pays, als in einem Gerichtsbezirk, der nicht königliche
Domäne war, angewendet werden mußte*). Ein Mittel, das vom
Parlament wohl häufiger, als es sich urkundlich belegen läßt, zur
Vermeidung eines Karapftermins angewendet wurde, ist die Ver-
tagung, die seit der Wende des vierzehnten Jahrhunderts ein aus-
schließliches Becht des Gerichts geworden war1); ihrer bediente
sich das Parlament in dem mandement an den Seneschall von
üarcassone vom 2. März 131 7‘) und in dem arret vom 18. April
1318 4), in dem letzteren Falle ausdrücklich zu dem Zweck um eine
außergerichtliche Einigung der Parteien herbeizuführen4). Wäh-
rend der ältere Kampfprozeß nur vier Möglichkeiten der Ver-
meidung der outrance nach Beginn des Kampfes kannte*), war
seit dem Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts noch eine fünfte,
die ebenfalls wieder mit dem Erstarken der königlichen Gewalt
und der Erweiterung der richterlichen Befugnisse im Zusammen-
hang steht, hinzugekommen, der königliche bezw. richterliche Be-
fehl’). Daneben wird von der Beendigung de» Kampfes durch
') Rec. II. p. 834 no. 5 vgl. meinen Gerichtl. Zweikampf p. 55 Note 1 u.2.
*) Bontaric, Actes du Pari. no. 823 (9. II. 1264),
*) vgl. meinen Gerichtl. Zweikampf p. 54.
*) Boutaric, Actes du Pari. no. 4665 (2. III. 1317).
*) Boutaric, Actes du Pari. no. 5340 (18. IV. 1318) - vgl. auch no. 7730
(5. XU. 1325).
*) vgl. meinen Gerichtl. Zweikampf § 45 p. 132 f. — § 46 pag. 137 f.
7) vgl. meinen Gerichtl. Zweikampf pag. 138. IV. — Gr. ehr. VI.
pag. 6. (1352).
7*
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Vergleich ausgiebigster Gebrauch gemacht*); die Beendigung durch
Eintritt der Nacht verliert aber infolge der Vertagungsbefugnisse
des Gerichts an Bedeutung. Die outrance kommt nur noch äußerst
selten vors). Hierzu kommen noch einige Vorschriften über Er-
schwerung und Erleichterung von Formalitäten, die auch wieder
beide den Zweck hatten, einen kämpflichen Ausgang oder einen
kämpflichen ' defaut zu verhüten. So berichtet z. B. Gallus, daß es
das Parlament fürderhin für unzulässig erklärte, daß das vadium
auch von einem andern als der pars principalis gegeben werde,
und daß es dem Geforderten keinen Nachteil bringe, wenn er nicht
formell den Förderer dementiert, insbesondere werde er deshalb
nicht mehr für überführt erklärt; nur der Sieg bzw. die Nieder-
lage im Feld und das Geständnis sollen zum Nachteil der Partei
ausgelegt werden5); so greift auch hier die Praxis wieder rechts-
ändemd in das Kampfrecht ein. Zu alledem kommt dann noch
hinzu, daß das Reglement zur Ordonnanz von 1306 den Kampf-
termin so prunkhaft und kostspielig ausgestaltete, daß nur den
Reichsten in späterer Zeit noch ein gerichtlicher Zweikampf
möglich war; dies ist neben der Privilegierung der städtischen
Bevölkerung ein Grund, aus dem es sich erklärt, weshalb im
vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert fast keine bürgerliche
Partei mehr im kämpflichen Verfahren ihre Ansprüche durchzu-
setzen versuchte. Anläßlich der Besprechung des Kampfprozesses
Carrouge '/■ Le Gris bemerkt Pasquier: „En telles affaires on eut
recours ä gens qui manioint la plume pour prendre langue et
conseil d’eux, aussi on y trouva des subtilitez ou pour mieux dire
des chicaneries *). Einen Einblick in dieses rabulistisehe Treiben
der berufsmäßigen Advokaten, die dem wachsenden Einfluß der
Legisten ihr Dasein verdankten, gewähren die „Coustumes et
Stilles gardez ou duchie de Bourgogne“ *), ferner die „Quaestiones
des Gallus“®), besonders aber die „Coustume, stille et usage
') vgl. Boutaric , Ph.-le-B. p. 52. — Chr. an. par. art. 16 (1317), art.
28 (1318), art. 55 (1320), art. 56 (1320). art. 83 (1322), art. 201 (1330).
*) Chron. an. par. art. 68 (1321). — vgl. meinen Oerichtl. Zweikampf
p. 138 Note 1 und 2.
5) Gallus qu. 89 u. qu. 90.
4) Pasquier p. 324 A.
®) Stilles Bourg. 266 f.
*) Gallus qu. 85. 89. 90.
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101
au temps des Echiquiers en Normandie“1), die in ihrem zweiund-
siebzigsten und dreiundsiebzigsten Kapitel alle von diesen le-
gistischen Advokaten im Kampfprozeß angewandten Subtilitäten
und Sophistereien in wunderbar plastischer Weise mit Anführung
der minutiösesten Einzelheiten darstellen. Von der Wirkung dieses
in einem formalen Verfahren ganz deplazierten Auswuchses des
Instituts der Vorsprecher sagt Canel sehr treffend: „Les subtilites
des sophistes grecs ne furent pas i'drangeres, dit-on, ä la ruine
de Constantinople; est-il 6tonnant que la monomachie ait fini par
ne pouvoir resister ä celles de la chicane ? “ *). So taten denn die
gelehrten Juristen überall ihr möglichstes um das ihnen verhaßte,
nur von dem ihnen feindlichen Rittertum gepflegte kämpfliche
Verfahren vollends zu vernichten.
VI. Noch in seinem letzten Lebensjahr hat Philipp IV. eine
neue Ordonnanz gegen den Zweikampf erlassen, die äußerlich
wieder, wie die Ordonnanzen von 1296 und 1304, an den flan-
drischen Krieg anknüpft und während desselben Fehden und
Waffentragen verbietet; diese Ordonnanz verbietet nun in unzwei-
deutiger Form den Zweikampf ohne königliche Genehmigung auf
die Dauer und zwar, da sie an alle justiciers des Königreiches
gerichtet ist, für das ganze Königreich. Sie hat folgenden Wort-
laut: „Pour la dite Guerre et pour autres justes causes deffendons
sous peine de corps et d’avoir que durant nostre dite Guerre nuls
facent Guerres, ne porteurent d’armes Fun contre l’autre en nostre
Royaume, et commandons, que tuit gages de bataille soient tenues
en souspens, tant comme il nous plaira“5). Nach dem, was wir
aus der Geschichte des Zweikampfs während der voraufgegangenen
sechzig Jahre wissen, ist auch diese Ordonnanz Philipps IV. nichts
anderes als ein neuer Angriff auf die Prärogative des Adels, auf
seine Justizhoheit und das althergebrachte Recht, an dem er mit
großer Treue hing und dessen letzter Rest nunmehr vernichtet
werden sollte. Dagegen erhob sich nun der gesamte französische
Adel; und diesmal blieb es nicht bei Spottgedichten, die sich
allerdings auch hier wiederfinden; so verherrlichte z. B. Geoffiroi
■) vgl. Canel p. 118 bis 126 nach Mem. d. 1. soc. d. Antiqu. norm,
t. XVIII 3« part. p. 55—57.
*) Canel p. 127.
3) ürd. I, p. 538 (29. VII. 1314).
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102
de Paris in seinem Dit des Alli6s die neue Rechtsprechung mit
folgenden Versen:
„N’ont-il la venue et l’aleö
Et l’issue aussinc et l’entreS
Et au roy et au parlement?
Et les orra l’en bonnement,
Et sans faire däportement
Sera leur raison escoute4“ ').
Mit welchen Mitteln der Verzweiflung der Kampf von seiten
des Adels geführt wurde, das zeigen die vielen tätlichen Angriffe
auf die legistischen Beamten, die man mit Recht als die Seele
der Bedrückung des Adels betrachtete ; einer der hervorragendsten
Legisten seiner Zeit, Marigny, fiel der Wut des Adels zum Opfer *).
Mit den Waffen in der Hand kämpfte die Ritterschaft gegen die
„chevaliers-ks-lois“ für ihr angestammtes Recht. Ludwig X. trug
diesen wenig erfreulichen Ereignissen Rechnung, indem er diese
„humbles et justes prifcres“ des Adels anerkannte und das Kampf-
recht in einer Reihe von Ordonnanzen in den einzelnen Landes-
teilen wieder herstellte und die Fehden wieder erlaubte. Am
I. April 1315 erließ er eine Ordonnanz sur les remontrances des
nobles de Bourgogne des Eveschez de Langres, d’Autun et du
Comt4 de For6s8); diese bestimmte in ihrem ersten Artikel: „on
ne pourra proc^der contre les nobles desdits pays par dfenonciation
ne par soupe^n ne eus juger ne condampner par enquestes, se il
ne s’y mettent .... Et quant au gage de bataille Nons voulons
qu’ils en usent, si comme l’en fesoit anciennement “
Am 15. Mai 1315 bestimmt eine Ordonnanz sur les plaintes
et en faveur des habitans du Baillage d’Amiens: Nous voullons
et octroions que en cas de murtre, de larrecin, de rapt, de tra-
hison et de roberie gage de bataille soit ouverte se les cas ne
pouvaient estre prouvez par tesmoings“ 4). Eine Ordonnanz vom
') Dufayard (54) p. 269.
*) vgl. Dufayard (55) p. 244.
*) Ord. I, p. 558 (1. IV. 1315).
*) Ord: I, p. 567, art. 25 (1315).
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103
22. Juli 1315 erkennt die Forderungen der normannischen Barone
an und beläßt ihnen den Echiquier als oberstes Gericht, keine
Sache soll vor das Parlament gezogen werden können; das letz-
tere Versprechen stand allerdings nur auf dem Pergament; denn
schon 1316 wurde wieder eine normannische Sache vor das Par-
lament gezogen '). Die pikardischen Adeligen erlangten die Er-
laubnis, in ihren Gerichten wieder den Zweikampf abzuhalten *).
In den Ordonnanzen für die Champagne verspricht der König, die
alten Aber die gages de bataille ergangenen Ordonnanzen, also
wohl die von 1306, zu beobachten5). Für die Languedoc werden
die alten Privilegien bestätigt*), ebenso für Pörigord und Cahors5).
Dem Herzog von Bretagne wird le droit de juridiction que lui
avait. reconnu son fröre von Philipp V. anerkannt*). Die Privi-
legien der Auvergne werden erneuert. ’). Über diese Ordonnanzen
hat Viollet sehr treffend gesagt: „Ces ordonnances ne pouvaient
qu’ attenuer le mal, en gener, en moditier la marche, non pas le
supprimer; la procödure continua ä se transformer“ *). Das Ergeb-
nis dieser Reaktion war jedenfalls, daß für den Zweikampf, von
einzelnen weilergehenden Privilegien abgesehen, im allgemeinen
die Ordonnai zen von 1306 und 1307 maßgebend blieben und die
Ordonnanz von 1314 außer Geltung gesetzt wurde. So erging
schon im Jahre 1318 ein „mandement“ an den Seneschall von
Pörigord, „de veiller ä ce qn’on ne transgresse pas les ordonnan-
ces de Philippe-le-Bel sur le duel dans une demande en duel
formce par Gautier Tort, Pierre de la Coste et Andrö Nögrier
contre Etienne Pelicier d’Agens devant la cour royale de Lauserte“ *).
Am 4. Oktober 1317 stand in Paris, au jardin du palaiz du roy
devant le roy de France et de Navarre, ein Kampftermin zwischen
•) vgl. Dufayard (55) p. 244.
*) vgl. Dufayard (55) p. 254.
*) vgl. Dufayard (55) p. 257.
«) Ord. XII, a. 415. (1816).
») Ord. I, p. 699 (1319) art. 21. 22.
•) Ord. I, p. 635, 637, 654.
») Ord. I, p. 613 (1315) p. 688 (1319).
•) Viollet I, p. 275.
*) Boutaric, Actes du Pari no. 5367 (29. 4. 1318).
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104
Jehan de Yarennes und Ferry de Piquegny, der des Verrats
gegen den König und das Königreich durch die Teilnahme an
der „aliance der barons aliez“ beschuldigt wurde, an *). Auf den
29. August 1318 war an demselben Ort ein Kampftermin vor dem König
zwischen zwei Rittern und zwei Knappen aus der Auvergne anbe-
raumt5). Zwei Tage später, am 31. August 1318 fand wiederum
ein Kampftermin am selben Ort zwischen zwei Rittern statt5).
Am 2. Oktober 1320 standen sich an derselben Stelle zwei Adelige
aus Languedoc zum Kampf gegenüber4). Am 18. Dezember 1320
fand wiederum am selben Ort in Gegenwart des Königs ein Kampf-
termin statt*). Am 14. Juli 1321 wurde am selben Ort in
Gegenwart des Königs ein Kampf ä outrance abgehalten*). Am
27. April 1322 trugen zwei bretonische Barone auf dem Kampf-
platz von Gisors vor dem König eine Verratsklage aus'). Am
24. Juni 1330 fand in denselben lices vor dem König eine Ver-
ratsklage zweier Ritter aus Languedoc ihre Erledigung •). So
unterwerfen sich die Adeligen aus allen Teilen des Reiches der
Kampfgesetzgebung Philipp IV., aber das Kampfrecht lassen sie
sich nicht rauben. Die Legisten mußten sich daher in der Zwei-
kampffrage auf die Erfolge, die sie durch die Ordonnanzen von 1306
und 1 307 erreicht hatten, beschränken ; ohne es zu einem offenen Kampf
gegen dieses Rechtsinstitut kommen zu lassen, boten sich ihnen
ja, wie oben gezeigt, andere Mittel zur allmählichen Beseitigung
des Zweikampfs. Ihr Einfluß auf das Königtum aber blieb trotz
der Reaktion des Adels ungeschwächt und stets waren sie in der Um-
gebung der Könige; so berichtet uns Jean deSaint-Victor von Karl IV.:
„Karolus novus rex contra bonum commune sequens vestigia patris
sui;“ er umgab sich wie seine beiden Brüder mit kleinen Leuten
und Legisten8); nach Görard Guette kam Pierre Remy, von dem
’) Chron, an. par. art. 16. (4. 10. 1317).
*) Chron. an. par. art. 28. (29. 8. 1318).
*) Chron. an. par. art. 29. (31. 8. 1318).
*) Chron. an. par. art. 55 (2. 10. 1320).
*) Chron. an. par. art. 56. (18. 12. 1320).
*) Chron. an. par. art. 68. (14. 7. 1321).
0 Chron. an. par. art 83. (27. 4. 1322).
*) Chron. an. par. art. 201. (24. 6. 1330).
») Hist. XXI. 674.
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105
die Chronique anonyme sagt : ,11 estoit venu de povre gent et non
pourquant il gouvernoit le Roy et le Royaume et en faisoit tont
son voloir“ '). Trotzdem mußte auch er sich mit den geschicht-
lichen Tatsachen abfinden; das zeigt deutlich der Stylus Parla-
menti von Du Breuil, der das Kampfrecht, wie es Ende der zwan-
ziger Jahre im Parlament gehandhabt wurde, darstellt. Er gibt
im Großen und Ganzen eine Darstellung auf Grundlage der Ordon-
nanzen von 1306 und 1307; als echter Legist unterläßt er es
aber nicht in seiner Schrift auch einige legislatorische Wünsche
zum Ausdruck zu bringen, so hält er es für eine allzu strenge
coutnme, daß der Ritter, der sich nicht standesmäßige Bewaffnung
Vorbehalten hat, zu Fuß in den Waffen eines vilain kämpfen
muß1); auf eine andere Stelle habe ich schon früher hingewiesen9).
In Strafsachen war einer der Gerichtsstände das Gericht des Ortes
der Ergreifung4); Du Breuil formuliert dies Prinzip so: man könne
stets seinen Gegner, wenn man ihn in Paris trifft, herausfordern
und zur Verantwortung ziehen. Die Formulierung allein ist hier-
an neu, sonst entspricht dieser Satz aber den Grundsätzen des
alten Rechts4).
VIII. Unter den ersten Valois wurde die legistische Theorie
in der Zweikampfmaterie weiter ausgebaut, von legislativen Ein-
griffen sah man, wohl in der Erinnerung an die jüngstvergangene
Zeit, ab. Die Legislative beschränkte sich auf die Verleihung
und Bestätigung von Privilegien gegen den Zweikampf;4) in kon-
kreten Fällen griff der König durch Befehle, die nunmehr auch
schriftlich in der Form von Inquisitions-7) und Remissionsprivi-
') Hist. XXI, 154.
*) vgl. Dueoudray p. 398.
9) vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf p. 103,
4) vgl. meinen Gerichtlichen Zweikampf p. 55 Note 6.
4) Do Brenil hat mehrere derartige Fälle im Jahre 1327 aburtcilen
sehen. Das beweist aber noch nichts für eine Neuerung, die Dueoudray
p. 398 hier annehmen möchte. Dueoudray beachtet überhaupt die histo-
rischen Zusammenhänge des vorludovizischcn Kampfrechts mit dein späteren
tu wenig.
4) vgl. oben p. 30. Note 3. p. 27. Note 2. p. 25. Note 1. usw.
7) Coli. Lamoignon. Reg. crim. vol. 325 p. 2471 (23. XII. 1372).
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lOfi
legien ') erteilt wurden, ein. Das Parlament, dem nunmehr, so-
weit nicht einzelne Privilegien des Adels aus der Reaktionszeit
noch in Geltung waren, die alleinige Kognition in Kampfsachen
zustand, wandte regelmäßig die enquete und die schon besprochenen
„kleinen Mittel3)“ an, so daß es nur selten noch zum kämpfliehen
Austrag einer Sache kam. Vereinzelte Fälle kommen noch vor,
sie werden aber dann in den Quellen mit einer solchen Ausführ-
lichkeit behandelt, daß man daraus schließen kann, daß sie nichts
alltägliches waren.3) Fehlt es auch an Gerichtsurkunden, so be-
weisen doch neben den Berichten der Chronisten, die Rechtsbücher4)
und die Bestätigungen der Städteprivilegien gegen den Zweikampf,1)
die bis gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts erteilt wurden,
sowie die oben erwähnte Bilderhandschrift6), die aus der Mitte
des fünfzehnten Jahrhunderts herrührt, daß der gerichtliche Zwei-
kampf zum mindesten im Prinzip, bis gegen den Ausgang des
fünfzehnten Jahrhunderts ein Beweismittel des geltenden Rechtes
blieb. Kein Gesetz hat den Zweikampf in Frankreich aufgehoben:
die Abneigung und Privilegierung der Stadtbevölkerung und der
außergerichtliche Zweikampf der ritterlichen Bevölkerung, dem
wir uns nunmehr zuwenden, hat ihn gegen Ende des Mittelalters
aus der Praxis verschwinden lassen.
■) vgl. Canel p. 115 (1386).
*) vgl. oben p. 95 ff. — Coli. Lamoignon. Reg. crim. vol. 324.
p. 500 (8. V. 1330); vol. 324 p. 582 und 583. (1341/2) — Arch. nat. X 2 a«
fol. 309 r® (1356). fol. 354 v« (1357): X 2 a1» fol. 189 (1356) fol. 5 v° (1375).
*) so z. B. Paris (1386) bei Canel p. 138 ff. dort auch die Quellen —
Valenciennes (1455) wird in allen Chroniken erzählt.
*) B. B. F. (1437) art. 1303. 1366.
*) vgl. oben p. 93. Note 4.
6) vgl. oben p. 105. Note 6.
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107
Zweites Kapitel.
Die Entstehung des modernen Privat-
Zweikampfs.
Erster Abschnitt.
Der Vorgänger des modernen Privat-Zwelkampfs.
§ 10.
Einleitung.
I. In dem kampfesfrohen Mittelalter bestanden neben dem
gerichtlichen Zweikampf noch eine ganze Reihe von kämpflichen
Instituten, wie Fehden, Turniere, Kampfspiele u. s. w.; daß aus
dem einen oder andern dieser Institute der moderne Zweikampf
hervorgegangen sei, darüber herrscht eine seltene Einmütigkeit
unter den Historikern. Sobald es sich aber darum handelt ein
bestimmtes Institut als Vorgänger des modernen Zweikampfs zu
bezeichnen, dann gehen die Ansichten weit auseinander.
Adolphe et H£lie sagt: „Le duel a pris son origine dans le
combat judiciaire.“1) Diese Ansicht ist zwar präzise gefaßt, aber
sie sagt nicht, in welcher Zeit sich der Privatzweikampf vom ge-
richtlichen abgezweigt hat, oder ob der Privatzweikampf sich erst
nach dem Verschwinden des gerichtlichen Zweikampfs entwickelt hat.
Oarraud sagt: „C’est au vieux droit du poing et non ä l’usage
du combat judiciaire qu’il faut rattacher l’origine du duel,“ und
weiter: „bien que, par son fondement, le duel soit une institution
germanique, dans sa forme actuelle, c’estbien un produit fran^ais“’).
Was diese Behauptung anlangt, so ist sie um der wissen-
schaftlichen Kritik einen Angriffspunkt zu bieten, zu unbestimmt;
denn was heißt denn „le vieux droit de poing,“ in welcher histor-
isch abgrenzbaren Zeit hat es geherrscht, wann hat es aufgehört,
kommt es erst in dem nicht von der öffentlichen Gewalt ange-
ordneten Zweikampf wieder zum Ausdruck oder herrscht es etwa
heute noch in einer gemilderten, französisierten Form im modernen
Zweikampf? Faustrecht ist überhaupt kein rechtshistorischer Be-
*) Adolphe et Helie p. 492 § 1247.
*) Garraud p. 617 § 1654.
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108
griff und es wäre endlich angebracht derartige Verlegenheitsphrasen
aus der Sprache der Wissenschaft zu entfernen.
Cauchy sagt: „la guerre privee a penötre sous le nom de
duel jusqu'au sein de la civilisation la plus avancöe qui fut ja-
mais“. . . . Si le duel moderne n’etait autre chose qHine trans-
fonnation du combat judiciaire, pourquoi les cartels n’auraient-ils
etc pendant longstemps en usage que parmi ceux qui faisaient
profession des annes.“ Der Zweck des cartel sei gewesen de fuir
l’intervention de la justice und die Fehde sei ein Vorrecht des
Adels gewesen; der moderne Zweikampf habe sich außergerichtlich
als Vorrecht des Adels ausgebildet; daher sei der moderne Zwei-
kampf aus der Fehde entstanden '). Richtig ist an dieser Ansicht,
daß der uns aus dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert
bekannte Zweikampf ein Vorrecht des Adels ist und daß der deffi
oder das cartel in ihm eine ganz andere und viel wichtigere Funk-
tion als der deffi im gerichtlichen Zweikampf hat. Damit ist aber
noch nicht gesagt, daß der deffi in der Fehde und der deffi in
dem außergerichtlichen Zweikampf wesensgleich sind ; allen Kampf-
verhältnissen des Mittelalters ist ein deffi wesentlich gewesen.
Wenn aber sonst keine andern inneren Berührungspunkte vorhanden
sind, so kann man aus der Ähnlichkeit der deffis doch wohl kaum
schließen, daß der außergerichtliche Zweikampf aus der Fehde
hervorgegangen ist. Ebenso liegt es mit Cauchy ’s anderem Ar-
gument, das sich darauf gründet, daß Fehde und außergericht-
licher Zweikampf Vorrechte des Adels gewesen seien; denn diese
Eigenschaften teilen beide mit dem Turnier und seit Beginn des
vierzehnten Jahrhunderts mit dem gerichtlichen Zweikampf, von
dem sich, wie wir im ersten Kapitel gesehen haben, die städtische
Bevölkerung abwandte und ihn so prinzipiell als gemeines Recht
zwar bestehen ließ, in Wirklichkeit aber zu einem Vorrecht des
Adels umwandelte. Was nun die weiteren Ausführungen Caucliy’s
über den mit der Schaffung des außergerichtlichen Zweikampfs
verfolgten Zweck nämlich de fuir l'intervention de la justice, den
der außergerichtliche Zweikampf mit der Fehde teile, anlangt, so
trifft dieser Zweck in beiden Fällen nicht zu; denn, wie der ge-
richtliche Zweikampf ein Akt des ordentlichen Prozesses war, so
war es auch die Fehde, bis sie zu außerordentlichen, aber immer-
*; Cauchy 1, p. 96 und 97.
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109
hin rechtlich erlaubten Akten im Laufe der Entwickelung wurden.
Mit dem außergerichtlichen Zweikampf liegt es etwas anders, aber
auch er konnte nie den Zweck haben, de fuir l'intervention de
la justice; denn in ihm handelte es sich ja niemals um Fragen
des Zivil- und Strafrechts. Jedenfalls ist aber auch dieses Argu-
ment nicht geeignet, die Entstehung des außergerichtlichen Zwei-
kampfes aus der Fehde (larzutun.
Campigneulles macht an einer Stelle seines Werkes die zu-
treffende Beobachtung, daß die alten Autoren, wie Alciat, d’Audi-
gier, Brantöme, in ihren Schriften alle Arten von Einzelkämpfen
durcheinanderwerfen '). Dies hindert ihn aber nicht einige Seiten
später in denselben Fehler zu verfallen, indem er sagt: „II n’y a
donc rien de plus clair et de moins contestable que l'affinite qui
existe eDtre le combat juridique (!) et le duel de nos temps mo-
dernes“3); von der Richtigkeit dieses Gedankens ist er so sehr
überzeugt, daß er ihn acht Seiten weiter unten noch einmal an
die Spitze eines neuen Kapitels stellt und ausffthrt: „Les duels
modernes ont hörite des regles comme des maximes des anciens
combats judiciaires“ 3). Eine Begründung dieser Behauptung findet
sich bei Campigneulles nicht; er erzählt wohl von den alten
Hebräern, Griechen und Römern und assoziiert Ideen dieser mit
den den außergerichtlichen Zweikampf beherrschenden; er entlehnt
dann Brantöme*) den Gedanken, que la courtoisie en a beaucoup
adonci la ferocite primitive: er behauptet dann, ohne Quellenan-
gabe und vielleicht im Anschluß an August Vischer5),: „la pro-
vocation en duel ä encore lieu de deux manieres, ou par lettre
missive ou par le jet d'un gant“*), und stellt so vadium duelli
und cartel in rein äußerlicher, historisch und begrifflich aber un-
zulässiger Weise nebeneinander; er behauptet dann: „le choix et
la mission des tömoins s'applique encore aux duels actuels“, als
ob der gerichtliche Zweikampf eine derartige Einrichtung gekannt
') Campigneulles p. 88.
3) Campigneulles p. 113.
3) Campigneulles p. 121.
*) vgl. Brantöme p. 251, 279, 341, 343, 345, 347, 348, 349.
5) vgl. August Vischer, Tractatus duo juris duellici unirersi. Jenae
1617 p. 273.
*) Campigneulles p. 121.
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110
hätte. Richtig ist an seiner Ausführung nur, daß im gericht-
lichen wie im außergerichtlichen Zweikampf eine prinzipielle Gleich-
heit der Waffen und der äußeren Bedingungen erforderlich war1).
Nur bei zwei Schriftstellern finden sich Andeutungen über
den Zusammenhang des außergerichtlichen Zweikampfs mit dem
Turnier. So sagt Cohen einmal: ,1a joüte, qui ötait proprement
le duel ou le combat singulier“3) und Medern erzählt von einem
Turnier, das im Jahre 1403 in Darmstadt stattfand und zur Ent-
scheidung über eine Verbalinjurie hessischer und fränkischer Ritter
benützt wurde*).
II. Der außergerichtliche Zweikampf tritt uns in den Quellen
der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts als in sich abgeschlossenes
Institut entgegen. Nach diesen ist er ein verabredeter, ernsthafter
Kampf zweier oder mehrerer unter Aufsicht Dritter, die jedoch
richterliche Funktionen dabei nicht ausüben, sofern sie ihnen nicht
durch die Parteien übertragen sind, und unter Beobachtung der
herkömmlichen Kampfregeln bei principieller Gleichheit der Waffen
und der äußeren Bedingungen zum Zwecke der Bewährung der
ritterlichen Standesehre4).
Dieser außergerichtliche Zweikampf kann nun entweder eine
Neubildung oder eine Fortbildung eines schon früher bestehenden
Instituts sein. Ist das letztere der Fall, so kann er sich nur in
Anlehnung an eines der bekannten Kampfinstitute: Fehde, gericht-
licher Zweikampf, Turnier, entwickelt haben. Mit diesen drei
Kampfinstituten hat der außergerichtliche Zweikampf eine Reihe
von Zügen gemeinsam: Alle vier sind ein Kampf zweier bewaffneter
gegnerischer Parteien, in allen spielt die Aufsage (deffi, cartel)
eine mehr oder minder wichtige Rolle, in allen soll der Kampf
') Campigneulles p. 121.
') Cohen, Sur les tournois et carrousels in Collection des meilleurs
dissertations etc. relatifs b l'histoire de France composee par Leber, Salgues
Coben. Bd, 13. Paris 1828. p. 5.
J) B. Medern. Die Duellfrage. 2 A. Qreifawald 1890, p. 28 no. 2.
4) Die einzelnen Elemente dieser Definition an dieser Stelle zu be-
legen, würde eine unzweckm&ßige Wiederholung der Zitate verursachen ; sie
sind daher an don entsprechenden Stellen der nachfolgenden Erörterungen
aufgefnhrt.
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111
ernsthaft sein1), d. h. er soll indirekt eine Entscheidung Aber eine
unter den Parteien streitige Frage herheiführen; in allen ist eine
Beendigung des Kampfverhältnisses durch Vergleich möglich.
a) Von der Fehde unterscheidet sich der außergerichtliche
Zweikampf in mehrfacher Hinsicht. Die Fehde ist prinzipieller
Massenkampf, in das Kampfverhältnis werden außer den Haupt-
parteien eine Reihe von Dritten mit einbezogen, die nur kraft ihrer
Haus- oder Familiengemeinschaft am Kampf interessiert sind; bei
der Fehde ist die Aufsage ein einseitiges Rechtsgeschäft; die
Fehde findet nicht im geschlossenen Feld und nicht unter Auf-
sicht eines Dritten statt: eine vertragsmäßige Beschränkung der
Kampfhandlung ist bei der Fehde ausgeschlossen. Die Beendigung
der Fehde ist nicht an irgend welche äußerlich bemerkbaren Sta-
dien der Kampftätigkeit ipso jure geknüpft,
b) Auch der gerichtliche Zweikampf weist eine Anzahl wich-
tiger, dem außergerichtlichen Zweikampf fremder Elemente auf.
Der gerichtliche Zweikampf ist Beweismittel, er wird durch Urteil
angeordnet und über sein Ergebnis wird durch Urteil entschieden.
Der Kampftermin steht nicht nur unter der Aufsicht eines Dritten,
sondern in ihn kann der Richter stets durch seine Befehle ein-
greifen, ja ihn sogar durch Befehl beendigen. Für den gericht-
lichen Zweikampf gibt es, da er Prozeß ist, einen ordentlichen
Gerichtsstand. Im gerichtlichen Zweikampf gibt es eine Kampf-
stellvertretung. Im gerichtlichen Zweikampf gibt es Kampfeide;
der gerichtliche Zweikampf ist Ordal. Zwischen dem Abschluß
des Kampf Vertrages und dem Kampftermin liegt notwendig eine
Frist. Im gerichtlichen Zweikampf handelt es sich stets um Fragen
des Zivil- und Strafrechts. Eine vertragsmäßige Beschränkung
der Kampfhandlung ist im gerichtlichen Zweikampf ausgeschlossen.
Im gerichtlichen Zweikampf spielt die Aufsage eine ganz unter-
geordnete Rolle.
Gemeinsam ist dem gerichtlichen und dem außergerichtlichen
Zweikampf die Aufsicht Dritter über die Kampftätigkeit, die Ver-
knüpfung der Beendigung mit äußerlich erkennbaren Stadien der
Kampftätigkeit, die grundsätzliche Abhaltung des Kampftermins
>) Vun der häufigeren Art der Turniere mit Kampfspielcharakter sehe
ich hier ab.
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112
im geschlossenen Feld, die prinzipielle Gleichheit der Waffen, die
Begrenzung des Kampfverhältnisses auf bestimmte Zeit, die Be-
schränkung des Kampfverhältnisses auf die Hauptpartei bezw. deren
Vertreter, eine der Litiskontestation vergleichbare Cäsur im Kampf-
verhältnis, die im gerichtlichen Zweikampf durch die vadiatio, im
außergerichtlichen durch gegenseitige Aufsagen herbeigeführt wird.
c) Diese letzteren Momente, die der außergerichtliche Zwei-
kampf mit dem gerichtlichen Zweikampf gemeinsam aufweist, hat
der außergerichtliche Zweikampf auch mit dem ernsthaften Turnier
gemein. Diese ernsthaften Turniere haben sich aus den Turnieren
mit Kampfspielcharakter entwickelt; Mathieu Paris nennt sie tor-
neamenta aculeata et hostilia, wenn sie unter ennemies d’Etat statte
finden, und tomeamenta quasi hostilia, wenn sie unter Personen
stattfinden, qui n’etaient pas ennemies d’Etat; in französischer
Sprache werden sie armes ä outrance, champs ä outrance, combats
ä outrance, joutes mortelles et k champ genannt '). Die erste zur
Zeit bekannte Nachricht von einem derartigen torneamentum hostile
ist in einem Brief des Erzbischofs Arnold von Narbonne vom
Jahre 1212 enthalten: dieser Brief wurde .anläßlich des Sieges der
Könige von Castilien, Aragon und Navarra über die Mauren verfaßt;
in ihm wird von Turnieren, die am Abend vor der Schlacht statt-
fanden, folgendermaßen gesprochen: „Arabibus etiam ex parte
ipsorum tomeantibus cum nostris, non more francico, sed secun-
dum aliam suam eonsuetudinem torneandi cum lancis sine can-
nis“ *). Es fanden aber nicht nur allgemeine, d. h. einer unbe-
stimmten Zahl von Kämpfern zugängliche, sondern auch parti-
kuläre, d. h. nur zwei bestimmten Personen zugängliche Turniere
dieser Art statt5). Du Gange kennt Fälle dieser Art erst aus
dem fünfzehnten Jahrhundert5). Für Frankreich lassen sie sich
aber schon für die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts nach-
weisen4). Zwischen torneamenta hostilia und quasi hostilia be-
') vgl. hierüber Du Cange, Des armes ä outrance in Collection des
meillcurs dissertations etc. rclatifs ä l’Histoire de France composee par Leber
Salgues, Cohen Bd. XIII.
ä) vgl. Du Cange, des armes i outrance 1. c. p. 73.
s) Ursprünglich wohl im Anschluß an tournois generanx, aber auch
selbständig an ad hoc anberaumten Terminen. Vgl. Du Cange 1. c. p. 76
und 77.
4) vgl. x. B. unten p. 137 ff.
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113
steht hierbei kein sachlicher Unterschied; wohl aber lassen sich
je nach der Art der deflis verschiedene Formen dieser tomeamenta
unterscheiden : so konnte sich der Förderer erbieten gegen jeden
beliebigen Dritten, der in die übrigen Kampfbedingungen ein-
willigt, zu kämpfen, diese Turniere werden als jonstes ä tous
venans, grandes et plenieres bezeichnet1). Der Förderer konnte
aber auch von vomeherein einen bestimmten Gegner zum Kampf
fordern. Die Forderung konnte ä outrance lauten, d. h. der
Kampf sollte erst mit der outrance, also prinzipiell mit der Tötung
der einen Partei, die aber auch vertraglich oder auch nach Be-
lieben des Siegers durch Geständnis des Besiegten, daß er der
Unterlegene sei, oder vertraglich vorbehaltenen Befehl des Turnier-
herrn surrogiert werden konnte.
Die Kampfbedingungen dieser partikulären tomeamenta hos-
tilia und quasi hostilia jeder Art werden durch die Parteien fest-
gesetzt; sie sind in dem deffi des Förderers und Geforderten ent-
halten und werden von der Gegenpartei ausdrücklich angenommen.
In diesem Punkte unterscheiden sie sich wieder von den allge-
meinen Turnieren, deren Kampfbedingungen von dem aus-
schreibenden Tumierherrn einseitig festgesetzt wurden. Während
nun zur Teilnahme an den allgemeinen Turnieren irgend welcher
Zwang nicht bestand, bestand ein Zwang zur Annahme einer
Herausforderung zum' partikulären Turnier; der deffi des Förderers
enthielt nämlich bei diesen ernsthaften Kämpfen stets eine mehr
oder minder schwere Beleidigung für den Geforderten; dieser
Vorwurf konnte~nur durch Bewährung in dem angebotenen Kampfe
entkräftet werden f^der Kampf war die einzig zulässige Form für
die Bewährung der allgemeinen ritterlichen Ehre, daher entschied
der Kampf implicite auch darüber, ob infolge dieses Vorwurfs die
ritterliche Ehre der Partei befleckt sei, ohne jedoch eine spezielle
Entscheidung über die Wahrheit oder Unwahrheit der im deffi
enthaltenen beleidigenden Tatsache herbeizuführen. Die Teilnahme
am Kampfe allein dokumentierte die Rehabilitierung der ver-
letzten Ehre*). Unterzog sich der in dieser Weise Geforderte
') vgl. Du Cange 1. c. p. 77.
3) Aus diesem Gesichtspunkt erklärt sich z. B. auch das im Sachsen-
spiegel I.andrechts I, 38 § 3 erwähnte Injostieren vor dem kaiserlichen Heere.
Coalin, Zweikampf ln Frankreich ®
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114
nicht dem Kampf, so blieb seine ritterliche Standesehre befleckt
und seine Standesgenossen konnten ihn nicht mehr als voll-
berechtigtes Mitglied des Standes ansehen, da er sich durch seine
Handlungsweise autlerhalb des Standesgewohnheitsrechts, das eine
andere Bewährung des Vollbesitzes der Ritterehre nicht kannte,
stellte1). In diesem Moment liegt der mittelbare Zwang zur
Annahme einer Herausforderung zum torneamentum quasi hostile
particulare. Ein weitergehender, allerdings von der Rechtsordnung
nicht gebilligter, wohl aber mit großer Milde geduldeter Zwrang
konnte oder mußte von der Partei ausgehen ; die Partei war dazu ver-
pflichtet, wenn, wie dies bei gegenseitigen Aufsagen häufig vorkam,
auch ihr ein ehrenrühriger Vorwurf gemacht worden war. Dieser
Zwang bestand nun darin, daß man den Gegner, der den kämpf-
lichen Austrag zu meiden suchte, wo man ihn traf, ohne Rück-
sicht darauf, ob er gerüstet war oder nicht, und ohne Aufsicht
Dritter zum Kampf an Ort und Stelle aufforderte und gleichzeitig
in die Kampftätigkeit eintrat*). Diese duella subita waren aber
durchaus nicht die Nonnalform der außergerichtlichen Zweikämpfe
und gegen sie bestand ein strafrechtlicher Schutz; daher wäre es
unrichtig, aus ihnen, da die normalen torneamenta quasi hostilia
particularia viel zahlreichere Anhaltspunkte bieten, den modernen
Zweikampf herleiten zu wollen.
Der indirekte, standesgewohnheitsrechtliche Zwang macht sich
in dieser Art von Kampfverhältnissen noch in anderer Weise
geltend. Während für den gerichtlichen Zweikampf prozeßrechtlich
bestimmte fora bestanden, waren derartige Einrichtungen dem
torneamentum quasi hostile particulare fremd; auch in diesem
*) vgl. i. B. unten p. 128 Nute 1 — ferner eine Ordonnant von 1547
in Sachen f'hastegneraie ./• Jamac : „ . . . . pennettons et octroyons, par cea
presentes, .... quils se trouvent en personne la part oü nous serons, pour
lä en nostre prosence uu de ceui lesquels ä ce faire nous commettrons, sc
combattre l’un contre I'autre, ä tonte nutrance, en champ clos, et faire
preuve de lears personnes l'une ä l’enconstre de I'autre, ponr la
justification do l'honneur de ccluy auquel la victuire en demeurera.
Kt ce, sur peine d’estrc repute non noble lui et sa posterite ä
jamais, et d'estre prive des droits, preeminencos, Privileges et prerogativea
dont jouisseut et ont accoustmne do jouir les nobles de nostre royaume, et
antres peine» en tels cas accoustumee»-. Vgl. Cauchy I. p. 1 10.
*) vgl. Brantöme 330 f. 336.
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115
Punkte herrschte Vertragsfreiheit der Parteien; aber im Regelfall
fand es vor einem Tumierherren auf einem in herkömmlicher
Weise hergerichteten Turnierplatz (lices), wie der gerichtliche
Zweikampf statt. Beim gerichtlichen Zweikampf war der Gerichts-
herr, falls die übrigen Voraussetzungen Vorlagen, verpflichtet zur
Herstellung der lices und zur Abhaltung des Kampfes, weil er
als ordentlicher Gerichtsherr verpflichtet war, die äußeren Be-
dingungen für die formale Durchführung des Verfahrens zu be-
schaffen; beim tomeamentum quasi hostile partieulare war kein
Besitzer von lices verpflichtet bei sich einen Tumiertermin abzu-
halten, weil eben das Turnier ein nicht gerichtlicher Akt war,
demgemäß weder gerichtsherrliche Rechte noch Pflichten bezüglich
des Turnierverhältnisses bestanden, sondern die Abhaltung der
Tumiertermine in das freie Ermessen des angerufenen Turnier-
herren gestellt war, und auch das Standesgewohnheitsrecht hieran
nichts abgeändert hatte. In der Ablehnung eines Turnierherren
in einem bestimmten Falle ein Turnier in seinen lices abzuhalten,
lag daher auch im Gegensatz zu dem Urteil, das im Kampfprozeß
den Kampf nicht gestattete, keinerlei Entscheidung in der Sache
selbst; daher waren die Parteien gezwungen sich an andere Turnier-
herren mit ihrer Bitte zu wenden, bis sie von einem die Erlaubnis
erhielten in seinen lices zu kämpfen, falls sie nicht ihrer Standes-
ehre verlustig gehen wollten1). Der Umstand, daß niemand ver-
pflichtet war einen Turnierplatz zu gewähren, führte nun dahin,
daß die Tumierherren sich durch Vertrag mit den beiden Parteien
manchmal über die kampfpolizeilichen Befugnisse hinausgehende
kampfrichterliche Funktionen, wie Möglichkeit der Beendigung
durch ihren Befehl, Versuch zum Vergleichsschluß während des
Kampfes usw. einräumen ließen*); dies Moment erinnert zwar an
die Befugnisse im gerichtlichen Zweikampf, ist aber grundver-
schieden von diesen; denn im gerichtlichen Zweikampf hatte der
Gerichtsherr derartige Befugnisse aus eigenem Rechte und nicht
nur in Ausnahmefällen. Die Befugnisse des Tumierherren gingen
aber auch in diesen Fällen niemals soweit, daß ihm ein Urteil
über die dem Kampf voraufgegangenen Vorwürfe und die Wahr-
') vgl. unten p. 136, Note 1. — Brantöme p. 235 ff. p. 374.
*) vgl. unten p. 135 ff.
8*
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116
heit der in denselben enthaltenen Behauptungen eingeräumt worden
wäre, weil eben eine derartige Entscheidung dem Zweck dieser
Kämpfe vollkommen fremd war.
§ 11.
Die Entstehung des aussergerichtlichen ernsthaften Zweikampfs.
I. Zwei Quellen aus dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts
unterscheiden den ernsthaften Zweikampf in duellum judicatum
sive necessarium und duellum voluntarium, also nach unserer
Nomenklatur gerichtlichen und außergerichtlichen Zweikampf.
Gallus spricht nämlich in seinen Decisiones von einem duellum
voluntarium inter Guidonem de la Trimolle et Petrum de Cour-
tenay1), und die Coustumes glossees d’Anjou et du Maine sagen
im Anschluß an eine Erörterung über die „tournoys“: „II est une
autre maniere d’assaut qui est appellee bataille, ä esprouver la
verit4 de la cause d’entre deux hommes, et celuy qui vaint l’autre
fait sa gaigne, et sont deffendues de droit escript. (0. de gladia-
toribus XI, 43). Ooustume n’efforce encontre, et de ce est loy
escripte au livre qui est appell^e Lombarde (Albertus Legjs Lango-
bardorum 1. 2. tit. 55. p. 178). Mais je demande, de cestes ba-
tailles qui sont faictes de cousturae general, pevent estre faictes
sanz pechie? Aucuns dient que il est ainsi (Decr. causa XXXII.
quaest. IV. c. 7 objicientem) ; car le prestre qui donne pinitence
ä ceulx qui se veulent combatre et qui en prent l'espurge peche.
II est distingue en ia maniere qui s’ensuist. Si aucun appelle
autre de cest cas de son bon gre et celuy qui est appelle receive
Pappel de sa voulente sanz ce que Pun ne l’autre y soit pour-
forcie ils peichent mortelment. Adonc est Dieu contre eulx. Et
celuy qui est appelle et pourforcie de juge n’i encourt pas telle-
ment; car il fait aussi comme contre sa voulente, et ne puet
autrement eschapper sanz peril de sov et de ses biens-, il fait
ce pour la defiense de soy et de ces biens; il a ä soy deffandre
sans pechie. (3 D. de just, et jur. I, 1. Ertr. de homi-
cidio lib. 5. tit. 12. cap. 2. 1. ut vim.)“s). Bedenkt man nun, daß
>) Gallus qu. 85.
*) BBC 62 gl. — Nach dieser Glosse wäre der gemeinsame Zweck des
duellum judicatum und roluutarium : „ä esprouver la verite de la cause
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der Fall, von dem Gallus spricht, im selben Jahre stattfand, in
welchem die Coustumes glossöes d’ Anjou et du Maine entstanden,
daß beide ausführlich von dem duellum voluntarium als von einer
bestehenden Einrichtung berichten, dann kann man nicht annehmen,
daß es sich hier um eine abusive Singularität handelt; es drängt
sich einem vielmehr die Überzeugung auf, daß diese Einrichtung
verbreitet war und schon längere Zeit bestanden hat, und aus
der zweiten Quelle geht hervor, daß das duellum voluntarium
nicht verboten war. Aber seit wann bestand dieses duellum
voluntarium ? Auf Jahr und Tag läßt sich die Entstehung dieses
Instituts nicht fixieren, denn Gewohnheiten und Gewohnheitsrechte
treten nicht mit einem Male in das Rechts- und Kulturleben ein.
Erschwert wird die Fixierung der Entstehungszeit noch dadurch,
daß die Quellen einen technischen Ausdruck für die Bezeichnung
des außergerichtlichen ernsthaften Zweikampfes nicht geprägt haben,
sondern ihn in bunter Reihe bald mit dem gerichtlichen Zwei-
kampf zusammenwerfen oder ihn mit farblosen Ausdrücken, die
auch für andere Kampfesarten in Übung sind, wie faict d’armes,
armes ä outrance, combat ä outrance, später anch als duel be-
zeichnen; eine präzise Bezeichnung wie die für den gerichtlichen
Zweikampf (gages de bataille) fehlt aber vollständig. Es ist nun
klar, daß der außergerichtliche Zweikampf vor dem Moment ent-
standen sein muß, in welchem er uns als eine selbstverständ-
liche, einer Rechtfertigung nicht bedürftige Einrichtung in den
Quellen entgegentritt. Welche Umstände können nun die Ent-
stehung oder doch die Ausbreitung des außergerichtlichen Zwei-
kampfes, den wir mit dem tomeamentum quasi hostile particu-
lare begrifflich identifizieren müssen, herbeigeführt haben?
d’entre dem hommes, et celuy qui mint l’autre fait sa gaigne“. Dieae
Idee ist dem französischen außergerichtlichen Zweikampf fremd; der Glossa-
tor hat sie aus italienischen Quellen fast wörtlich entnommen. Rajmundus
sagt nämlich in seiner Summa II. tit. 3 de duello: „singularia pugna inter
aliquos ad probationem veritatis, ita ridelicet ut qui vioerit probasse in-
telligatur*. Auch’ der weitere Gedankengang erinnert an Raymundus, der
nach dem Vorbildfdes Hostiensis hior ebenfalls die Frage erörtert: „Solet
quaeri an hujusmodi consuetudines generales excusent a peccato'mortali“. rgl.
die Stellen in Köhler, Studien tum Str..R. VI. p. 731. Immerhin beweist
aber die 8telle das Vorhandensein des außergerichtlichen Zweikampfs tur
Zeit ihrer Abfassung.
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n«
n. So paradox es klingen mag, so hat der außergerichtliche
ernsthafte Zweikampf doch seine Entstehung, zum mindesten aber
seine Ausbreitung, der späteren Gesetzgebung Philipps IV. zu
verdanken, wahrscheinlich hat ihn die Reaktion gegen die Ordon-
nanzen von 1306 und 1307 hervorgerufen; vielleicht erzeugte ihn
auch erst die Reaktion gegen die Ordonnanz von 1314. Im drei-
zehnten Jahrhundert und in den ersten Jahren des vierzehnten
Jahrhunderts erwähnt ihn noch keine Quelle des nördlichen Frank-
reich1); er konnte aber auch in dieser Zeit noch nicht vorhanden
sein, weil ihm die Berechtigung des Daseins noch fehlte; denn im
Prinzip konnten ja in dieser Zeit noch alle Streitigkeiten, abge-
sehen von Bagatellsachen, mangels Zeugenbeweises in kämpflichen
Verfahren entschieden werden. Erst die Ordonnanz von 1306
beschränkt ihn dauernd auf einige wenige Materien für das ganze
Königreich, die Ordonnanz von 1307 beschränkte die Gerichtsbar-
keit in Kampfsachen auf den König bezw. das Parlament und die
Ordonnanz von 1314 verbot die Anwendung des kämpflichen Ver-
fahrens, das durch die Ordonnanz von 1306 schon auf ein außer-
ordentliches Beweismittel reduziert war, für immer. Nun gab es
') Die Zusammenstellung der Fehde und des Kampfes, sowie die ge-
meinsame Bezeichnung der beiden als turbationes pacis, ferner die Form
des Verbotes: „ut nemo sibi jus dieere aut vindictam assumcre audeat, sed
cuique sufficiat rigor justitiae, quam regimus, endlich die Nebeneinander-
stellung von provocationes ad duellum und gagia duellorum in der Ordon-
nanz von 1304 (rgl. p. 86) könnten vielleicht einen in den Quellen
dieser Zeit wenig versierten Leser zu einer andern Ansicht bestimmen.
Aber provocatio ad duellum ist, wie eine Vergleichung mit der p. 1 ab-
gedruckten Urkunde für Tournay ergibt, nichts anderes als das k&mpfliche
Klagbegehren: gagia duelli bezeichnet stets nur den gerichtlichen Zwei-
kampf. Die beiden Ausdrücke werden hier nach dem Muster der Papst-
urkunden dieser Zeit, die der Redaktor auch an anderen Stellen der Urkunde,
sich zum Muster nimmt, gleichbedeutend gebraucht. Die Bezeichnung des
gerichtlichen Zweikampfs als perturbatio pacis kann in dom Munde eines
Legisten, der eine schwülstige Ausdrucksweise kultiviert, nicht Wunder
nehmen; denn nach der Ansicht der legistischen Kreise ist der einzige, der
aequitas, der ratio und dem jus entsprechende Weg, die „via ordinaria“,
wie die Ordonnanz von 1296 sagt (vgl. oben p. 85), die enquete: die
ihr verhaßten, aber gesetzlich erlaubten Verfahrensarten der Fehde und
des Zweikampfes wirft diese Urkunde daher nach dem Beispiel der Ordon-
nanz von 1296 unbedenklich zusammen.
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1 10
aber in Frankreich weite Kreise, die im neuen Enqueteverfahren
einen Eingriff in ihr angestammtes, althergebrachtes Recht sahen;
für diese Kreise gab cs nur zwei Wege, entweder mußten sie sich
dem neuen Gerichtsverfassungs- und Prozeßrecht unterwerfen oder
im Widerspruch zum geltenden Recht das alte Prozeßrecht auf-
rechterhalten. Sie zogen das letztere vor. Der Kampf, den sie
nach Philipps IV. Tode führten, galt denn auch nicht zum wenig-
sten der Aufrechterhaltung oder Wiedereinführung des kämpflichen
Verfahrens. Die Zugeständnisse, die sie in diesem Kampfe er-
langten, waren aber nicht ausreichend und standen zum großen
Teil auch nur auf dem Pergament; positiv erzielten sie nur, daß
die Ordonnanz von 1314 außer Geltung gesetzt wurde, während
ihr Bestreben dahin ging, das kämpfliche Verfahren in allen Ma-
terien wieder einzuführen. Aber nicht nur in den Materien, die
dem Kampf durch die Ordonnanz von 1306 verschlossen wurden,
sondern auch in denjenigen, die nach dieser Ordonnanz noch
kämpflich bewiesen werden konnten, überwucherte das Enquöte-
verfahren alle andern Verfahrensarten und insbesondere den kämpf-
lichen Beweis; daher befriedigte auch in diesen letzteren Fällen
die kampfrechtliche Praxis der Gerichte nicht mehr die Anhänger
des alten Kampfrechts; nur im Zivilprozeß scheinen diese Kreise
sich mit der Entwickelung des Prozeßrechts während der ver-
gangenen sechzig Jahre abgefunden zu haben; wenigstens ist zur
Zeit kein einziger Fall rein zivilrechtlicher Natur bekannt, in dem
eine Partei den kämpflichen Beweis angeboten hätte. Nur im
Strafprozeß hielten die Anhänger des Kampfrechts zäh am Zwei-
kampf fest, uml auch hier hat es den Anschein, als ob man nur
in einzelnen Materien besonderen Wert auf seine Anwendung ge-
legt hätte, wenigstens tritt er uns in den Quellen in einzelnen
Materien relativ häufig entgegen. Dieser Umstand hängt wohl
damit zusammen, daß, wie wir oben ausgeführt haben, die übrigen
Stände sich um die Wende des dreizehnten Jahrhunderts schon
fast vollständig des Kampfes entwöhnt hatten und nur dem gesetz-
lichen Zwange, von dem sie sich durch Privilegien, Vereinbarung
eines andern Gerichtsstandes usw. zu befreien suchten, folgend sich
dem Kampfrecht noch unterwarfen, während nur die ritterliche
Bevölkerung noch am Kampfrecht festhielt und ihren Bedürfnissen
und Wünschen nunmehr auch auf das von ihr allein gepflegte
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120
Institut Einfluß verschafft« nnd es ihnen mehr und mehr anpaßte.
Dieser Einfluß zeigt sich aber nicht nur im materiellen Kampf-
recht, sondern auch im formellen Kampfrecht; während an dem
Verfahren im Kampftermin so gut wie nichts geändert werden
brauchte, mußte der vor diesem Termin liegende Teil des Ver-
fahrens, schon mit Rücksicht darauf, daß die ordentlichen Gerichte
das kämpfliche Verfahren nicht mehr anwandten und man auch
in den Materien, die dem kämpflichen Beweis nach der Ordonnanz
von 1306 noch prinzipiell offen standen, auf einen kämpflichen
Austrag kaum rechnen konnte, von Grund aus umgestaltet werden.
Die Notwendigkeit einer derartigen Umgestaltung mögen einige
Beispiele beweisen.
III. Wenn man die Parlamentsurteile in kämpflichen Sachen
aus den letzten acht Regierungsjahren Philipp IV. betrachtet, so
kann man sich des Eindrucks nicht entwehren, daß sie eine mit
den Spitzfindigkeiten der Legisten nicht vertraute Bevölkerung,
wofern sie nicht gerade zufällig nach dem Wunsche einer der
Parteien ausfielen, nicht gerade befriedigen konnten. In einem
Falle, in dem es sich um eine Klage wegen Mords handelte, hatte
der Seneschall von Toulouse der Ordonnanz von 1307 zuwider,
aber unter Beachtung der Ordonnanz von 1306 den kämpflichen
Beweis zugelassen; das Weihnachtsparlament von 1308 hob auf
die Appellation des Beklagten dieses Kampfurteil auf, ohne dem
Kläger irgend einen Weg zu zeigen, auf dem er zu seinem Recht
gelangen konnte1). In einem Falle, in dem es sich um die Bei-
seiteschaffung und Vernichtung eines Testaments handelte, ordnete
das Parlament eine Enquöte an, bemerkte aber gleichzeitig in dem
arret vom 18. März 1313, daß bei der Ergebnislosigkeit der En-
quete vom Parlament der kämpfliche Beweis angeordnet werden
könne2). Wie sollte dieser arret mit den materiellen Bestimmungen
der Ordonnanz von 1306 in Einklang gebracht werden? Aber
ganz abgesehen von objektiv unrichtigen Urteilen und Beschlüssen
und von kleinlicher Buchstabenjurisprudenz, mußte der waffenfrohen,
ritterlichen Bevölkerung gerade die ungeheure Beschränkung der
Parteirechte, die der neue Prozeß mit sich brachte, und der Er-
') Olim II. p. 49G. III. (1308).
*) Buutaric, Actes du Pari. oo. 4085 (18. 111. 1813).
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121
Weiterung der richterlichen Prozeßleitungsbefugnisse, die zu einem
Gemisch von Allmacht und Willkür geworden waren, und deren
Träger, wie die Guette und Remy usw. nicht gerade aus den vor-
nehmsten Häusern Frankreichs stammten, besonders lästig werden.
Was mögen die Foix und Armagnac, deren Angehörige von Alters
her gewohnt waren gelegentlich mit einander zu fechten, über die
neue Rechtsprechung gedacht haben, als der Seneschall von Tou-
louse, der ihnen einen Kampftermin anberaumt hatte, ihnen er-
klärte, daß das Duell nicht stattfinden dürfe und daß sie sich in
der Angelegenheit nach Paris an das Parlament zu wenden hätten1)?
Das Parlament ordnete eine enquete an und in dem Urteil, das
den kämpflichen Beweis ablehnte, sagte es u. a. : „Specialiter quia
per inquestas factas . . . veritas est reperta ad finem faciendi
justiciam super his per judicium via juris, et sic, secundum ordi-
nacionem per nos factam super duellis, non debet duellum recipi
pro casibns plene probatis, et ideo per aliam viam quam gagia
super eis, ut inferius sequitur, duximus providendum etc.’)“.
Daß eine der Parteien von diesem Urteil besonders erbaut war,
ist wohl kaum anzunehmen; ja es muß für dieselben fast unmög-
lich gewesen sein, sich auch nur in den Gedankengang ihrer
Richter hineinzudenken. War durch diese Umstande schon eine
große Unzufriedenheit in den beteiligten Kreisen entstanden, so
scheint die unerhörte Verschleppung der Kampfprozesse, von der
die Prozeßgeschichte des vierten Lustrums des vierzehnten Jahr-
hunderts einige sehr krasse Beispiele bietet3), in Verbindung mit
den übrigen Beschwerden der neuen Kampfidee znm Durchbruch
verholfen zu haben. Aus der Not der Zeit entstanden bieten die
Anfänge des modernen Zweikampfs, in denen die neue Idee auch
nur sehr unfertig und unvollkommen zum Ausdruck kommt, nicht,
gerade ein erfreuliches Bild, da es sich in diesen Fällen, soweit
sie sich nach den uns zugänglichen Quellen beurteilen lassen,
regelmäßig um außerprozessuale Selbsthilfe handelt. In der oben
erwähnten4) Sache Suscepreda./.Caillou, die schon am 27. IX. 1317
') Buntaric, Ph.-l« Bel p. 52 (1809).
*) Olim III* p. 382. XXIII (1309).
*) vgl. oben p*g. 98. f.; rgl. Uucoudrar p. 400 (Not. 1341 bis 15.
Juni 1342)
*) vgl. oben pag. 98. Not« 3.
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122
in den Parlamentsakten erwähnt wird, erließ das Parlament am
12. IV. 1319 ein mandement an den Seneschall von Perigord:
de faire une enquete sur la plainte criminelle addressäe ä la Cour
par la veuve d’Helie Suscipreda, sergent du Roi, lequel avait etc
assassinö pendant qu’il ötait en proces avec un nomrne Araal
„Caillou“, bourgeois de Bordeaux, au sujet d’une demande de duel ').
Genau so gelagert ist der ebenfalls oben1) besprochene Fall Four-
benier de Cirac./.Callard, alias Gaillard de Cirac. In diesen Fällen,
die sich leicht noch vermehren ließen, bäumte sich das gesunde
Rechtsbewußtsein gegen die Feigheit der Gegenpartei, die sich
unter dem Schutz der enquete der Verantwortung zu entziehen
suchte, und griff mit den Mitteln, die ihm die neue Prozeß-
ordnung nicht mehr gewährte, die aber nach seiner Überzeugung
und nach dem alten Recht die allein zulässigen und angebrachten
waren, zur Selbsthilfe, die sich den Umständen des Falles nach natur-
gemäß nicht in einem geordneten Kampftermin vollzog oder vollziehen
konnte. Daß aber in diesen Fällen nicht von einem Mord die
Rede sein konnte, das mag ein ähnlicher Fall beweisen. Am 7.
IV. 1317 erging ein mandement des Parlaments an den bailli von
Cotentin, „de faire ajourner Jouain de Dol au jour de Norman-
die du prochain Parlement pour entendre juger le profit du duel
que Gui de Chäteaubriand, Chevalier, avait obtenu contre lui au
präsent Parlement’)“. In diesem Termin mußte offenbar Gui de
Chäteaubriand von seiner Forderung abstehen uud dem Beklagten
versprechen, „de ne pas lui faire ni faire faire de mal4)“. Von
diesen beiden Parteien hören wir dann schon wieder in einem
mandement vom 3. II. 1318; in diesem wird der bailli von Tours
beauftragt: „de faire conforraement a un arret rendu au Parlament
de Pan 1313(?) une enqete sur les faits articuläs par Jouin de
Dol, öcuyer, ä l’appuy de sa demande en duel contre Gui de
Chäteaubriand, Chevalier. Gui avait promis ä Jouin de ne pas
lui faire ni faire faire de mal, promesse qui suivant la coutume
de Bretagne*) öquivalait ä un asseurement. Non obstant, Gui
') Boutaric, Actes du Pari. no. 6045 (12. IV 1319).
*) vgl. oben pag. 97. Note 7 und pag. 98. Note 1.
*) Boutaric, Actes du Pari. no. 4773 (7. IV. 1317).
4) Boutaric, Actes du Pari. no. 5655 (3. IL 1318).
*) Wie Boutaric hier von bretonischem Recht spricht, ist nicht ver-
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123
avait fait attaquer Jouin, pendant qu’il 6tait ä cheval; on l’avait
laiss^ pour mort. Jouin offrait de prouver par le duel“ '). Ein
asseurement lag nach normanischem Recht hier nicht vor; wenn
Jouin zu Pferde war, wurde er wohl auch nicht wehrlos überfallen;
es handelt sich hier offenbar wieder um eine außerprozessuale,
allerdings über die ihr gesteckten Grenzen hinausgehende, aber
doch aus der Entrüstung über die Behandlung, die Gui’s Kampf-
klage vor Gericht erfahren hatte, erklärliche Selbsthilfe. Leider
läßt sich aus den kurzen Notizen bei Boutaric nicht feststellen,
in welcher Weise hier und in den vorher besprochenen Fällen die
Klagbeantwortung erfolgte. Sollte aber in derselben, was immer-
hin zu vermuten ist, eine Ablehnung des kämpflichen Beweises
enthalten gewesen sein, so hätte hierin auch nach neuem Rechte3)
ein d6faut gelegen3), der den Selbsthilfeakt der Gegenpartei noch
entschuldbarer, wo nicht gerechtfertigt erscheinen ließe. Wie dem
auch sein mag, jedenfalls entsprangen die Selbsthilfeakt« einem
gekränkten Rechtsgefühl, das am alten Recht festhielt und dieses
Recht noch zu verwirklichen suchte in einer Zeit, in der die Ge-
richte es nicht mehr anwenden durften; in diesen Vorkommnissen
haben wir die Vorläufer des modernen Zweikampfs zu suchen4).
Aber es sollte für diesmal im französischen Rechtsgebiet noch bei
den Anfängen sein Bewenden haben; denn die Gesetzgebung und
Praxis lenkten infolge der Reaktion des französischen Adels wieder
ein und gestatteten den gerichtlichen Zweikampf wiederum in
einer den Bedürfnissen der kampfesfrohen Bevölkerung vollauf ent-
sprechenden Weise1). Schon bald zeigten sich jedoch neue Un-
zulänglichkeiten der Gesetzgebung.
IV. Eine der Materien, deren Behandlung unter dem neuen
Recht wenig befriedigen konnte, war die Injurie. Wenn sie
stündlich, da die Sache doch offenbar unter normanischem Recht abgeurteilt
worden war. Vgl. p. 122. Note 3.
*) Boutaric, Actes dn Pari. no. 5655 (3. II. 1318).
*) vgl. p. 95. Note 2.
*) Ober Begriff und Folgen vergl. meinen Gerichtl. Zweikampf p. 166.
4) Man hat diese Fälle in der Wissenschaft als duella subita und in-
cursus bezeichnet: vgl. A. Costi, de ratione puniendi certamina singnlaria
quae vocantur duella. Dias. Inaug. Jur. Berol. 1860. p. 9.
s) Ygl. oben p. 102 f. und p. 123 Note 1.
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124
öffentlich, in Gegenwart von Zeugen, stattgefunden hatte, konnte
ja immerhin die enquöte zu einem Resultat führen. Wenn sie
aber nicht öffentlich begangen wurde, was wohl häufiger geschah,
dann konnte eine enquöte niemals die Beweise beschaffen ; anderer-
seits ließ aber auch die Ordonnanz von 1306 für diese Materie
den kämpflichen Beweis nicht mehr zu. Das ältere Recht hatte
hier ausnahmslos den Zweikampf zugelassen. So hatte in Rouen
am 20. Juli 1044 oder 1047, ein Zweikampf zwischen Thomas
de l’Espiney und Jakob du Plessis „ä l’occasion de quelques
paroles injurieuses que le premier avait dites contre l’honneur de
la comtesse de Tancarvillc, soeur dudit de l’Espiney, qu’il avait
accusee d’infidölitö avec un nomme Edmond“, stattgefunden, in
dem du Plessis getötet wurde1). Li Livres de Jostice et de Plet
hatten das escondire par bataille bei coicier gestattet *). Li Livre
des Constitutions demences el Chastelet de Paris bestimmte: „Lors
qu’est tort fet, mesdit, despit et injure, se je vueil, j’en puis
plaidier citoiennement, e’est assavoir par tesmoing, on par bataille,
c’est criminalement*)“. Wohl aber bestanden auch hier zu Gunsten
der städtischen Bevölkerung Privilegien, die den Zweikampf bei
Beleidigungen untersagten4); das Vorhandensein dieser Privilegien
spricht aber, ganz abgesehen von den bereits angeführten Quellen,
dafür, daß das gemeinfranzösische Recht bei Beleidigung den
kämpflichen Beweis zuließ. Interessant ist die Behandlung der
kämpflichen Injurienklage durch das Parlament. Im Pfingst-
parlaraent 1279 wurde eine kärapfliche Injurienklage abgewiesen,
„cum factum esset notorium“, und eine geeignete Sühne ange-
ordnet1): im Osterparlament 1306 wurde eine kämpfliche Injurien-
klage zwar auch noch nicht durch Urteil als unzulässig verworfen,
wohl aber durch königlichen Befehl erledigt, und den Beleidigern
eine ausreichende Sühne vorgeschrieben6). Im Invokavitparlament
1312 wird die vom weltlichen Gericht des Bischofs von Saint-
Brieuc angeordnete Zulassung des kämpflichen Beweises wegen
') vgl.' Canel p. 70.
*) vgl. Jojt. ot Plet p. 296, XXI.
•) Chätelet § 38.
*) z. B. MonUrgis (1170, 1320, 1537) in Ord. XI p. 472. art. 16.
*) Olim II. p. 131. VI (1279).
*) Olim U. p. 485. VI (1306). vgl. oben p. 96 Note 3.
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125
einer Injurie annulliert ohne materielle Entscheidung in der Sache
seihst'). Am 17. Dezember 1341 urteilte das Parlament in einer
kämpflicben Klagesache zwischen Olivier de Clisson und Johann
de Toumelle wegen einer Verbalinjurie, daß die Materie nicht
kämpflich bewiesen werden könne*).
V. Die Mittel zu einem kämpflichen Austrag im ordentlichen
Prozeß gelangen zu können, waren nach Maßgabe der geltenden
Gesetzgebung Philipps IV. und nach Maßgabe der herrschenden
Iudikatur nicht nur sehr beschrankt, sondern auch sehr unsicher.
Der Ausweg, den das orientalische Recht offen ließ, indem es bei
Einverständnis der Parteien und des Gerichtsherrn in den Fällen
des trahison non apparent den kämpflichen Beweis zuließ1), war
im französischen Recht dieser Zeit ungangbar, da einmal der
kämpfliche Beweis auf die schwersten Delikte beschränkt war und
der Begriff des Verrats sich immer mehr - einengte, und anderer-
seits die Parteien seit dem Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts
nicht mehr frei über die Art der Beweisführung verfügten. Wollte
man am Kampfrecht festhalten, so mußte man es auf eine andere
Basis stellen. Die geeignete Form dafür bestand längst im tor-
neamentum hostile, man brauchte es nur als quasi hostile anzu-
wenden; wie einst die Verratsklage alle möglichen Tatbestände in
sich aufnahm, so bot jetzt der deffi eine unbeschränkte Möglich-
keit allen Tatbeständen Raum zu geben. Aber die Verhältnisse,
unter denen die neue Kampfidee sich entwickelte, drückten ihr
ihren Stempel auf, und es ist kein Zufall, daß die Autoren, die
im fünfzehnten, sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert über den
außergerichtlichen Zweikampf schrieben, ihn als bedingte Fortführung
der alten Kampfidee betrachteten 4) ; denn wir werden sehen, wie sich
') Olim III», p. 679. XLV. (1812).
*) Collect. Lamoignon. Reg. crim. vol 324 p. 575 (17. XII. 1341) bei
Ducoudray p. 401.
3) Jerusalem H. C. Jean d’Ibelin de 95 u. 96 p. 155 f; aus derartigen
Ideen entwickelte sieb der deutsche und der italienische Austragszweikampf,
der dem französischen Recht fremd geblieben ist.
4) In späterer Zeit suchte man sich wohl Rechenschaft über die Ent-
stehung und den Zusammenhang mit dem gerichtlichen Zweikampf zu geben.
BrautOme kommt dabei zu eben so unkritischen, wie merkwürdigen Resultaten,
die im Anschluß an die Darstellung eines gerichtlichen Zweikampfes aus der Zeit
Louis lc Begue’s von ihm gegeben werden. Er meint die „usance antique* qu’il j
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im Laufe des fünfzehnten Jahrhunderts Elemente des alten Kampf-
rechts in das neue eindrängen, so daß es dem gerichtlichen Zwei-
kampf formell wenigstens sehr ähnlich wird; wie ja andererseits
auch der gerichtliche Zweikampf in seinen letzten Phasen dem
außergerichtlichen Zweikampf oder dem Turnier manche Elemente
entlehnt hat. Im Großen und Ganzen streifte aber der außer-
gerichtliche Zweikampf seine Ursprungsschlacken ab und die be-
sonderen Gründe, denen er seine Entstehung verdankte, traten
immer mehr zurück; aus diesem Grunde hat man ihm vielfach
die historische Berechtigung bestreiten wollen, ohne zu bedenken,
daß eben alles, was infolge der Zustimmung maßgebender Kreise
zur historischen Erscheinung geworden ist, ohne Rücksicht auf
seinen Inhalt, durch sein Dasein allein Lebensrecht hat.
§ 12.
Die Entwickelung des aussergerichtlichen Zweikampfs bis zur
Mitte des sechzehnten Jahrhunderts.
I. Die erste Nachricht von einem anßergerichtlichen Zwei-
kampf stammt aus dem Jahre 1352. Am 4. Dezember dieses
Jahres war ein Kampftermin zwischen den Herzögen von Braun-
schweig und von Lancaster in Paris auf dem Pre-aux-Clercs an-
avoit en France de cea combat» et jettemens de gages sei von König Artus de la
Grand-Bretagne eingeführt worden (p. 248); an einer anderen Stelle (p. 234)
meint er die combat» h outrance seien durch Karl den Großen von den
Lombarden übernommen worden; courtoisie habe eg überhaupt in diesen
gerichtlichen Kämpfen nicht gegeben, der Sieger habe über den Besiegten
verfügen können, wie er gewollt habe, er habe ihn schleifen, hingen, ver-
brennen, gefangen nehmen und verknechten können. Auf p. 251 meint er:
„ Selon les anciennes coutumes, leg condition» des vaincus eatoient fort viles,
sordides et fort miserables. Si y en a-il eu pourt&nt de nos temps ou de nos
percs de ces combattans ä outrance et vainqueurs, qui ont estez modestes, et qui
en leurs victoires les rigueurs de leurs loix et dispositions de droits ont
adoucy. Bei diesem Verständnis für den gerichtlichen Zeikampf kann er sich
nicht genug über einen gerichtlichen Zweikampf in Valenciennea (1455)
wundem, der sich ganz in den alten Formen bewegt (vgl. p. 241 — 243).
So erzählt er denn auch von der Bestellung des Kampfespfandes, das er in
zwei Formen (vgl. über dieselben meinen gerichtlichen Zweikampf p. 72. IX
erste und dritte Art) kennt, als von einer veralteten, merkwürdigen coustumc
(p. 246).
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127
beraumt; wie die Chronik berichtet, fand dieser Termin „pour
paroles que ledit duc de Lenclastre devoit avoir dites dudit duc
de Hresvic“ statt. Nach der Chronik soll die Sache vom Parlament
entschieden worden sein; das erscheint aber sehr unwahrscheinlich
und ist höchstwahrscheinlich nur eine Folgerung aus dem Umstand,
daß der König im Kampftermin anwesend war und durch seinen
Befehl den Kampf beendigte'). Weshalb hätte das Parlament in
diesem Falle auch von seiner konstanten Praxis, die sich auf der
durch die Ordonnanz von 1306 geschaffenen gesetzlichen Grund-
lage bewegte, abweichen sollen? Etwa weil die Parteien Aus-
länder waren? Das Prozeßrecht dieser Zeit wird vom reinen
Territorialitätsprinzip beherrscht, wie wir bereits aus der Be-
trachtung der Juden- und Lombardenprivilegien wissen*); wenn
aber das Parlament mit Rücksicht auf den hohen Rang der Par-
teien hier eine Ausnahme zugelassen hätte, was übrigens rechtlich
nicht zulässig gewesen wäre, so hätte die Chronik wohl kaum
diese Tatsache stillschweigend übergangen und nicht bloß mit
dürren Worten gesagt; „dont il appela en la Court de France.“
Da die Tatsache des Zweikampfes nicht geleugnet werden kann,
da aber auch andererseits ein ähnliches Parlamentsurteil nicht
bekannt ist, so liegt es nahe, diesen Bericht mit anderen Nach-
richten von außergerichtlichen Zweikämpfen in Verbindung zu
bringen und die auf das Parlamentsurteil bezügliche Bemerkung
der Chronik für eine ungenaue Berichterstattung zu halten.
Im Jahre 1359 wollte sich Wilhelm Troussel aus der Ge-
fangenschaft Bertrand du Guesclin’s loskaufen; letzterer nahm aber
das Lösegeld nicht an; darauf ließ ihm Troussel durch einen
Dritten aufsagen (l’envoya deffier) und zum Kampf auf trois coups
de lance et deux coups d’espte fordern; diese Forderung nahm
du Guesclin an; in dem Kampf selbst unterlag Troussel3). Im
selben Jahre fand zwischen Guesclin und Cantorbie ein Zweikampf
wegen Verbalinjurie statt; an diesem Falle läßt sich nun mit
aller Deutlichkeit die Struktur dieser Kampfverhältnisse erkennen.
Cantorbie. dem eine trahison eontre la foy promise von Guesclin vor-
') Gr. chron. VI. p. 6 f. (4. XU. 1852).
*) rgl. oben p. 29 f: vgl. hierzu auch A. Weins. Manuel de droit inter-
national privi 2e Ed. Paris 1899. p. 224 f.
*) D’Argentre p. 833 f.
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128
geworfen wird, erwidert diesen deffi Guesclins mit folgenden Worten :
„S’il y a homme qui Charge mon honneur, et qni die que j’ay faict autre
chose que d’homme de bien, je le combatrav, und mit diesen Worten
wirft er sein Pfand. Der Beleidiger Guesclins nimmt das Pfand
sofort auf und an und sagt: „Je re^oy votre gage et dv que
faussement et mal vous avez pris et detenez mon frfere, et le
prouveray par les annes ce iour et que lachement vous avez faict.
Darauf vereinbaren sie das Kampfgericht. Beim Kampf siegt
Guesclin; wie er Cantorbie den Todesstoß versetzen will, bittet,
der Turnierherr um das Leben des Cantorbie; Guesclin besteht
aber auf seinem Recht, da zwischen den beiden Parteien nichts
anderes vereinbart ist; erst als ihm der Herzog von Lancaster,
der Tumierherr, erklärt: „Vous avez faict votre devoir, et vous
en demeure l’honneur,“ steht er von seinem Vorhaben ab1). Hier
findet sich keine Spur von einem Urteil, keine Kampfgerichtsbar-
keit, keine Entscheidung über die dem deffi zu Grunde liegende
Tatsache, und doch läßt der Fall ganz klar erkennen, daß noch
Vorstellungen aus dem gerichtlichen Zweikampf mit herüberspielen,
so das Hinwerfen des Pfandes, die Form der Annahme desselben
durch Guesclin, aber die wesentlichen Momente des Kampfver-
hältnisses sind andere geworden*). Den Parteien ist es natürlich
unbenommen auch Strafbestimmungen für den Fall des Unter-
liegens in den Kampfvertrag aufzunehmen ; aber diese Strafen
haben keine Verwandtschaft mit den in dem Urteil, das auf
das Ergebnis des gerichtlichen Kampfes erging, enthaltenen. So
findet sich in dem eben erwähnten Kampfvertrag zwischen
Troussel und Guesclin die Bestimmung, daß der Unterliegende
100 6cus zu bezahlen habe zur Veranstaltung eines Banketts ftir
die Zuschauer beim Kampf5). Dieser Fall Troussel und Guesclin
') D’Argentre p. 336 (1359).
*) Daß diese Kämpfe keinen andern Zweck hatten als die Bewährung
der ritterlichen Ehre geht aus einer Stello des Brantöme mit noch größerer
Deutlichkeit hervor. Der defü des Soto-Maior hatte den Vorwurf der
schlechten Behandlung in der Gefangenschaft enthalten. Zu Beginn des
Kampfes fragt Soto-Maior den Bayard: „Sefior Bayardo. que me quereys?“
Bayard antwortet: „Je veux deffendre mon honneur.“ Vgl. Brantöme,
p. 265 f.
3) D’Argentre p. 333 (1359).
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129
zeigt uns auch die Möglichkeit vertragsmäßiger Beschränkung der
Kampfhandlung, hier auf drei Lanzenstöße und zwei Schwert-
schläge1); eine derartige Möglichkeit ist dem Turnier und dem
außergerichtlichen Zweikampf eigen, dem gerichtlichen Zweikampf
aber durchaus fremd.
Im Jahre 1375 fand zwischen zwei Bretonen und zwei Floren-
tinern wegen „paroles contumelienses et de döfaveur“ ein Zwei-
kampf zu Pferde statt5). • 1
Im Jahre 1497 hatte sich Simonetta gegen Losegeld aus der
Gefangenschaft des La Lande befreit; nach seiner Freilassung
warf er ihm schlechte Behandlung während der Gefangenschaft
vor; infolge des hierüber stattgehabten Wortwechsels schickte
La Lande dem Simonetta „un cartel de combat“ ; La Lande siegte
in dem vor Jean Jacques Trevoux, comte de Peyenas, hierüber ab-
gehaltenenen Kampf8). Der Fall deckt sich im Großen und
Ganzen mit dem Fall Troussel ./■ Guesclin4). Neu ist hier nur die
schriftliche Form des deffi, der hier als „cartel de combat“ be-
zeichnet wird; das „cartel“ hat formell und materiell dieselben
Funktionen wie der mündliche von Partei zu Partei oder durch
Boten erklärte deffi: die neue Form der schriftlichen Aufsage hatte
sich im fünfzehnten Jahrhunderts mit der immer weiteren Ver- ■
breitung der Kenntnis der Schrift und deren immer größeren
Verwendung in allen Lebensverhältnissen herausgebildet8). Neben
der neuen Form bestand aber die alte der mündlichen Aufsage
weiter und wurde vielfach wegen ihrer relativen Billigkeit von
Minderbemittelten bevorzugt.
Dieselbe Art von Kämpfen finden sich sowohl am französischen
als am burgundischen Hofe. So fand im Jahre 1431 vor dem
Herzog ein Kampf auf dem großen Markt in Arras zwischen
Maillotin de Bours und Hector de Flavy statt. Maillotin hatte
') Vgl. oben p. 127.
s) D’Argentre p. 445 (1375).
s) D’ Argen trö p. 802 f. (1497). — Ein ähnlicher Pell : Bav&rd ./• Soto-
Maior (Anf. XVI.) bei Brantöme p. 263 f.
*) Vgl. oben p. 127.
6) Berühmt sind die Cartels Franz 1. von Frankreich und Kaiser
Karle V.; ferner die des de la Castagneraie und des Jarnac (1547) vgl. die
letzteren bei Brantöme p. 205 f.
Cou.lin. Zweikampf lu Frankreich •*
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130
Hector beschuldigt, daß er „avoit voulent6 de soy rendre son
(nämlich des Herzogs) ennemy et de se tourner du party du Eoy
Charles“, und führte ihn auf Befehl des Herzogs gefangen nach
Arras; dort entschuldigt sich Hector de Flavy beim Herzog.
Maillotin fordert ihn und der Kampf wird anberaumt, sie fechten
zuerst mit Lanzen, dann mit Degen; darauf beendigt der Herzog
den Kampf durch seinen Befehl. Daß es sich hierbei nicht um
Verrat handelt, geht aus dem Umstand hervor, daß der Herzog
am nächsten Tag die beiden Oegner zu seiner Tafel zieht und
ihnen bei Kapitalstrafe alle weiteren Feindseligkeiten verbietet1).
Im Jahre 1435 fand wiederum ein Zweikampf auf dem Markt von
Arras vor dem Herzog von Burgund zwischen einem Spanier Jean
de Merle und einem Burgunder Pierre de Beauflremont und zwar
„sans querele diffamatoire pour acqu6rir honneur“ statt. Nach
der Verabredung sollten zunächst 3 Lanzen gebrochen werden,
hieran sollte sich der Fußkampf mit Äiten, Schwertern und
Dolchen bis zur Kampfunfähigkeit der einen Partei, „sauf en tont
la voulentö du juge“ anschließen *). Diese burgundischen Zwei-
kämpfe fanden ebenfalls unter großer Prachtentfaltung und in
Anwesenheit des ganzen Hofes und vieler anderer Zuschauer statt ;
wegen der dem Turnierherren hier von den Parteien eingeräumten
kampfrichterlichen Befugnisse stimmt das Reglement des Kampf-
termins der außergerichtlichen Zweikämpfe fast vollständig mit
dem der gerichtlichen Zweikämpfe überein, so daß es ohne Kenntnis
der Veranlassung des Kampfes fast unmöglich ist die beiden Arten
im Kampftermin auseinanderzuhalten. Derartige außergerichtliche
Zweikämpfe müssen aber gerade in Burgund sehr häufig gewesen
sein; denn Jacques de Lalain, der nur ein Alter von dreißig
Jahren erreichte, hat in seinem Leben achtzehn Mal in außer-
gerichtlichen Zweikämpfe gefochten, wie uns sein Epitaphium be-
richtet; die Kämpfe Lalains fallen in die vierziger und fünfziger
Jahre des fünfzehnten Jahrhunderts *). Dagegen scheinen auch in
Burgund die gerichtlichen Zweikämpfen immer seltener geworden
zu sein: Olivier de la Marche, der im Jahre 1501 starb, erzählt
nämlich: „Peu de gens vivans ont vu l'eiöcution de gages de
>) Monstrelet IL, p. 68» (1881).
*) Momtrelet IL, p. 105b (1485).
*) LaUin p. 890.
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131
bataille, et a plus de soixante ans, que sous eeste maison de
Bourgogne ne furent telles oeuvres exäcutes entre deux nobles
hommes1). Et moy qni ay demeur6 en ceste noble maison prfcs
de soixante ans, je ne vis de ma vie gage de bataille“ *). Olivier
de la Marche hat also keine gerichtlichen Zweikämpfe, die all-
gemein technisch als gages de bataille’) bezeichnet werden, unter
Adeligen in Burgund erlebt; wohl aber hat er andere, außer-
gerichtliche Zweikämpfe vielfach gesehen.
Mit diesen Fällen sind eine Reihe anderer Fälle, die sich
nur dadurch unterscheiden, daß die eine Partei mutwillig die
andere beleidigte, nahe verwandt. Ein Portugiese Diazo Oliveira
hatte sich in beleidigender Weise über die Prinzen geäußert; da-
rauf forderte ihn Guillaume de la Haie, ein bretonischer Knappe
des Herzogs von Berri. In Gegenwart- des Herzogs von Guienne
und des ganzen Hofes wurde der Kampf, bei dem der Bretone
Sieger blieb, ausgetragen und nur der Befehl des Herzogs von
Guienne hinderte den Bretonen de pousser Ie Portugais äbout“4).
Der Dictionaire historique des moeurs berichtet nun ohne Angabe
einer Quelle, daß im Jahre 1414 in Saint-Ouen drei Portugiesen
gegen drei Gaskogner „pour l'amour de leur raaitresse“ kämpften5).
Nach Lobineau kämpften sie „avec la permission du Roi par un
deffi d'honneur“*); nach Ursinus kämpften vier Gascons gegen vier
Portugais auf Grund einer Verabredung7). Diese drei Nachrichten
lassen sich sehr wohl vereinigen; die Portugiesen mögen immer-
hin „pour l'amour de leur maitresse“ gekämpft haben, aber im
konkreten Falle war wohl stets ein „deffi“ nötig, so daß doch der
Grund des Kampfes im einzelnen Fall eine Beleidigung war.
Auch in einem andern Fall, in dem die Quellen dieselben Ab-
weichungen aufweisen, hat den Grund des Kampfes ein deffi ge-
•) Dem Kampf zwischen zwei Bürgerlichen wegen Mords, der im Jahre
1455 in Valenciennes stattfand, (vgl. Le Glay in A. d. N. I, 85 in meinem
Gerichtl. Zweikampf p. 14 Note 5) scheidet er also aus.
*) Olivier de la Marche in seinem Livre des Duels bei Canchy I,
p. 116.
J) Vgl. meinen Goriehtl. Zweikampf p. 72, I.
*) Lobineau 1, pag. 526 f.
5) Dictionaire historique pag. 774.
•) Lobineau I. pag. 526.
Ursinus pag. 286.
9*
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132
bildet. Im Jahre 1409 forderte ein Engländer, der nach Frank-
reich gekommen war „pour faire armes pour l'amour de sa dame“,
einen Bretonen, der Seneschall von Hennegau war, ;i outrance.
Der Kampftermin fand am 18. Juni in Gegenwart des Königs
statt. Nach der übereinstimmenden Darstellung Lobineau's und
D’Argentr6’s hat der Bretone den Engländer beschuldigt „de lui
avoir manque de foy“ '). Ursinus berichtet hiervon nichts; nach
seiner Darstellung hatte der Bretone auf die allgemein gehaltene
Aufforderung des Engländers sich erboten: de lui accomplir le
faict d’armes, ainsi qu’il le requeroit“ ’). Dieser scheinbare Wider-
spruch der Quellen verschwindet aber, wenn man die Pasquier’sche
Darstellung dieser Zweikämpfe damit vergleicht. Pasquier sagt:
„II n’est plus question de crime, ains seulement de se garantir
d’un desmentir, quand il est baillA En quoy les affaires se sont
tournöes de teile fa\'on, qu’au lieu oü les anciens accusans quel-
qu’un, le d^fendeur estoit tenu de proposer les defenses par un
desmentir, ny pour cela il ne perdoit pas sa qualiti de dßfendeur.
Au contraire si j'impute aujourd’huy quelque cas ä un homme,
et qu'il me desmente, je demeure dfes lors l’offenc6, et faut que
pour purger ce desmentir, je demande le combat. Tellement que
mon ennemv n’est plus fonde que sur la defensive. Avant un
grand advantage sur moy. Parce que pour ioüer le personnage
de defendeur il a le choix des armes, et moy seulement du ehamp
de bataille, et se peut aguerrir sous main ä telles armes qu’il luy
plaist, dont il me salue ä l’impourveu le jour du combat“ *). So
kann man denn die beiden Arten der Berichte als richtig aner-
kennen. Dieser Kampf wurde durch einen königlichen Befehl be-
endigt. Im Anschluß an diesen Bericht erzählt Ursinus, daß der
König mit Rücksicht auf diesen Fall eine Ordonnanz erlassen
habe: „Que jamais nuls ne fussent receus au Royaume de France
ä faire gages de bataille ou faict d’armes, sinon qu’il eust gage
juge par le Roy ou la Cour de Parlement“ 4). Bezüglich des ge-
richtlichen Zweikampfs wiederholte die Ordonnanz nur die Be-
*) Lobineau I. pag. 515: D’Argentre pap. 563 P; ebenso Monstrelet I,
pap. 83 a.
*) Ursinus pag. 200.
s) Pasquier pag. 324 C.
4) Ursinus p. 200 und Rec. VH, p. 199 nn. 445.
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133
Stimmung der längst durch den usus fori auf das ganze König-
reich ausgedehnten Ordonnanz von 1307. Bezüglich des faict
d’armes, wie hier der außergerichtliche Zweikampf heißt, wird die
Zustimmung des Königs verlangt; ihrer hatten sich die Portugiesen
im Jahre 1414 versichert1); bald aber wurde diese Vorschrift nicht
mehr beachtet’), und nur wenn der Kampftermin vor dem König
abgehalten wurde, versicherte man sich notwendiger Weise vorher
seiner formellen Zustimmung, die auch meist gewährt wurde.
Einen mit diesen zuletzt behandelten Fällen durch die Art
der Herausforderung an einen Unbestimmten verwandten Fall er-
zählt Brantöme. Am Tage, an dem König Heinrich III. getötet
wurde, forderte ein Anhänger des Königs, Jean de l’Isle-Marivaut,
denjenigen der Ligisten zum Kampfe auf, der sich mit ihm
schlagen wolle; Claude de Marolles nahm die Forderung an und
tötete seinen Gegner im Kampf’); allerdings war die Form der
Überwachung der Kampftätigkeit eine andere, aber das Prinzip
des Kampfes war dasselbe, wie in den vorher besprochenen Fällen.
II. Kaum hatte der außergerichtliche Zweikampf einige Ver-
breitung gewonnen, da suchte auch schon das Königtum wieder
Einfluß auf ihn zu gewinnen. Wie man früher den gerichtlichen
Zweikampf und die Fehden in den Ordonnanzen neben einander
aufgeführt findet, so erscheinen jetzt außergerichtlicher Zweikampf
und Fehde zusammen. Die Ordonnanz vom Jahre 1356 hatte nur
Adeligen und Nichtadeligen in gleicher Weise die Fehde verboten4);
aber schon eine Ordonnanz vom Jahre 1361 bestimmte: „ . . Nous
avons entendu que aucuns nobles et autres de nostre royaume,
disanz estre privilögiez ou accoustumez de user de defiances et
de guerres les uns contre les autres, combien que ce ait est£
plusieurs fois par nous defendu pour cause de noz guerres, veu-
lent ä present, soubz umbre de la paii publice en nostre royaume
et s’efforcent de faire defiances et guerres entre eulx et de pro-
ceder par voie de fait ... Et pour ce . . . ordonnons par ces prä-
sentes que, nonobstant lesdiz Privileges ou usages de nobles, toutes
') vgl. oben p. 131. Note 6.
*) vgl. z. B. oben p. 129 Note 3, ferner Sable (1431) bei I)1 Argen tri
p. 609 E. o. a. in.
J) Brantöme p. 283, Paris 2. VIII. 1589..
4) Ord. ID, p. 138. art. XXXIV. (1356).
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134
tolles d^fiances et guerres et tont voies de fait contre toutes
personnes et en quelconques pals que ce soit en notre royanme
cessent dores-en-avant et pour toutes causes jusques ä notre
.especial octroy, et toutes assembl6es '), convocations, et chevau-
chifees de gens d’armes, ou d’archiers, si ce n’est par le congi6
ou ordennance de nous ou de nos officiers1). Diese Be-
stimmungen werden schon zwei Jahre später von Johann auf
Kriegszeiten beschränkt8).
Unter Karl VI. war kurze Zeit eine Ordonnanz in Geltung,
die bestimmte: „ . . . enjoignons ... ä nos baillifs, seneschaux,
prevosts et autres juges et officiers, que toutefois qu’ils s^auront
que aucuns feront guerre ou deffiance particulibre Tun con-
tre l’autre, ils les contraingnent ä cesser lesdicts guerres et
deffiances, et ä mettre jus toutes voyes de fait et venir ä obeys-
sance de justice, par emprisonnement de leurs personnes et d6-
tention de leurs biens et par mettre en leurs hostels mangeurs
et gasteurs, et les multipliant dejonr en jour et par descouvrir leurs
maisons, et se ils ne peuvent estre prins et emprisonnez qu'ils soient
appelez ä ban et de leurs plus prochains parens etamis emprisonnez et
detenus, en multipliant toujours lesdites peines, jusques ä ce que
realement et de fait la voye de fait soit mise jus, non obstan
quelconques Privileges, constumes, usaiges ou observance de lieux
ou de pays“ *). Dali diese döfiance und d6fiance particulibre Tun
contre l’autre, die hier in Gegensatz zur Fehde gestellt werden,
nichts anderes bedeuten, als das, was wir aus derselben Zeit als
„envoyer deffier“ s) und faict d’armes*) kennen, bedarf wohl keiner
näheren Ausführung. Interessant ist nur, wie das Königtum hier
wieder Einfluß zu gewinnen sucht und derartige Kämpfe in ganz
Frankreich nur „ä notre especial octroy“ oder „par le eongiö ou
’) Über den Begriff dieser assemblees vgl. das unten p. 135. mitge-
teilte Protokoll aus dem Jahre 1508. Koch im Jahre 1546 hat Franz I.
diese Bestimmung in einer declaration wiederholt, indem er verbot: „de
faire ancnne assemblce et de venir ä aucune voie de fait poor des querelles
particulieres“. vgl. Cauchy L p. 96. Note 1.
») Ord. III, 526. (1361).
3) Ord. III, p. 647 (1863).
*) Ord. X. p. 138 (Karl VI).
*) Pontorson c 1 359) oben p. 127 Note 3.
*) oben p. 132 Note 4.
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135
ordennance de nous ou de nos officiere“ ') oder nur wenn das
faict d’armes est jugö par le Roy*) oder „avec la permission du
Roy’) gestatten wollte. Die französischen Könige verstanden es
nun im Laufe des fünfzehnten Jahrhunderts ihre diesbezüglichen
Aspirationen, wenigstens bezüglich des Hofadels durchzusetzen.
Zwei von Cauchy aus dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts
mitgeteilte Fälle mögen dies beweisen. Zwischen zwei Angehörigen
der savoyischen Armee, Nicolas de Moüy und Just de Tournon
waren Differenzen entstanden. Tournon hatte eine Verbalinjurie
des Moüy mit einer Realinjurie in Gegenwart des Herzogs von
Longueville erwidert. Über die Sache wurde, ähnlich wie in der
oben gestreiften Angelegenheit Simonetta gegen La Lande4), nach
dem Brauche dieser Zeit ein Protokoll aufgenommen; eine Stelle
aus diesem besagt: „ils s’ötaient, par plusieurs fois, cherchös l’un
l’autre, avec intention d’eux outrager et offendre en leurs per-
sonnes, et avoient fait asserablöes de gens d’armes sans le congö
du roi et contre ses döfenses“. Ludwig XII. ernannte zur Ent-
scheidung dieser Angelegenheit eine Reihe von Kommissarien aus
seiner Umgebung. Diese verurteilten Just de Tournon zu nach-
folgender Revokation und Deprekation: „ä faire amende honorable,
tant au roy qu’au sieur de Moüy, en la maniöre qui en suit: c’est
ä savoir, ä crier mercy audit seigneur ä deux genoux, nüe töte,
en disant que follement et töraörairement, irrövörentement et mal
avise, et mal conseille, il a donne un soufflet ou coup de poing
audit sieur de Moüy, en la tente et p res e nee du duc de Longue-
ville, ayant charge pour ledit Seigneur ä l’armöe de Suisse; et,
cela fait, ä soy retourner devers ledit Moüy, et, ä un genouil,
lui crier mercy de ce que follement, temerairement, mal avisö et
mal conseillö, il lui ä donnö ledit soufflet“. Außerdem wurde
Tournon auf drei Jahre seiner Ämter enthoben unter Verlust seiner
Gehaltsbezüge und Verbannung auf zehn Meilen vom Hoflager
während dieser Zeit6). Zehn Jahre später warf Jaques Rosny sire
') oben p. 184 Bote 1.
’) oben p. 182 Note 4.
») p. 181 Note 6.
4) vgl. oben p. 129 Note 3. (1497).
6) Konen 14. X. 1508. bei Canehy L p. 104.
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136
de Menneton dem Francis de Cravant sire de Bauche vor de
„lui avoir fait un lasche et meschant tour, de l’estre venu cher-
cher par deux fois, en grosse compagnie et avec port d’armes
sans l’en avertir“; in einer mündlichen Aufsage ließ er ihm mit-
teilen, daß er, wenn Bauche sich allein mit ihm treffen wollte,
sich gerne wegen dieser Äußerung verantworten werde. Bauche
trug hierauf die Sache Franz I. vor, indem er anführte, „qu’il
lui etait defendu d'avoir aucun debat avec son ennemi fors devant
son seigneur“. Rosny. „se tenant pour averty qu’ils n’auroient
point cong6 de combatre en France, veu qu’il se donne peu de
combats“, wandte sich nach Sedan an den Grafen de la Marek
und erlangte von ihm die Erlaubnis, innerhalb der Domänen dieses
Grafen im geschlossenen Feld kämpfen zu dürfen. Die schrift-
liche Erlaubnis des Grafen de la Marek schickte er mit der Auf-
forderung zum bestimmten Kampftermin in Sedan zu erscheinen
an Bauche. Darauf erließ der connetable de Bourbon, den Franz I.
mit der Erledigung der Sache beauftragt hatte, einen defaut gegen
Rosny, weil er seiner Ladung keine Folge geleistet habe1). In-
teressant ist hierbei, daß der königliche Kommissar sich über die
allgemein anerkannte Regel, daß der Förderer die Wahl des
Kampfplatzes hat*), unbedenklich hinwegsetzt. Wenn nun die
königlichen Kommissarien zu einem accord der Parteien nicht
gelangen konnten, was jedoch sehr selten war, dann ergeht ein
congie de bataille des Königs, in welchem der Kampf erlaubt und
auferlegt (permis et octroye) wird. Der Kampf findet in Gegen-
wart des Königs statt, der König behielt sich dabei stets kampf-
richterliche Befugnisse vor, so insbesondere die Möglichkeit, das
Kampfverhältnis durch seinen Befehl zu beendigen5).
Im Jahre 1532 erließ Franz I. eine Ordonnanz, die aufs neue
andere Zweikämpfe als die mit Erlaubnis des Königs angeordneten
verbietet; diese Ordonnanz bietet in dieser Beziehung keine
Neuerungen, da sie im wesentlichen auf Grundlage der uns be-
reits bekannten Grundsätze erlassen ist, und es ist nicht unwahr-
scheinlich, daß sie nur eine Wiederholung einer bereits früher
*) vgl. Canchy I. p. 104 f.
s) vgl z. B. oben p. 132 Note 3.
3) vgl. die näheren Angaben bei Caucb; 1, p. 106 und 107.
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137
erlassenen Ordonnanz ist '). Da aber hier zum ersten Male, so-
weit uns zur Zeit bekannt ist, infamierende Strafen auf den mo-
dernen Zweikampf gesetzt werden, so ist es nicht ohne Interesse
diese Ordonnanz hier im Wortlaut kennen zu lernen; sie hatte
folgenden Inhalt: „Que nul, de quclqu’6tat et qualite qu’il soit,
soit si osk ne si liardy en nostre royaume, pays et seigneurie de
faire assembl^e et ports d’annes, ne porter ne faire porter par eux,
ne par leurs gens et seniteurs, hamois, haquebutes, n’autres
bastons que leurs epees et poignards, pour quelque cause que ce
soit, si ce n’est de nostre exprös vouloir et consentoment, ou pour
chose dependante de nostre service, dont nous ou nos juges et
ofliciers ayent cognoissance et donn6 cong6 de ce faire; et ne
courent sus ne mesfacent ou facent mesfaire les uns aux autres
pour quelque quereile ou differens qu’ils ayent, inais les remettent
et facent traiter et decider par justice, sur peine de confiscation de
corps et de biens et d'en estre punis corporellement comme sedi-
tieux et infracteurs de nos ordonnances et commandemens, et ne
tiennent avec eux ne par eux, gens ne serviteurs qu’ils ne veulent
advouer et en respondre, s'ils font cas et crimes qui requiferent
punition, et les livrer es mains de justice, pour les punir selon
qu'ils auront merite: et se lesdits subjects ont aucune querelle
d’honneur les uns contre les autres qui ne se puissent vuider
par justice, se retirent par devers nous pour nous en faire remon-
trance et en obtenir de nous teile permission qu’il nous plaira
leur octroyer“*). Die Vorschriften des zweiten Teiles dieser Or-
donnanz haben mehrfach Anwendung gefunden, am bekanntesten
und in der Literatur am ausführlichsten besprochen ist der Fall
Chasteigneraie gegen Jamac, in dem der König im Jahre lf>47
einen Kampf anordnete. Inwieweit der erste Teil der Ordonnanz
streng durchgefithrt wurde, entzieht sich unserer Kenntnis; anderer-
seits scheint dieses Verbot in Gemeinschaft mit ähnlichen gleich-
lautenden dahin gewirkt zu haben, daß eine Kampfesart ohne
Defensivwaffen, nur mit 6pee und poignard allmählich Eingang
') Daß eine ähnliche Ordonnanz bereits 1508 bestanden haben muß,
das beweist die oben p. 135 mitgeteilte Stelle aus dem Protokoll in Sachen
Mouy '/. Toumon.
Rec. Xll, p. 377 (Paris 31. X. 1532).
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13R
fand, so daß sich die Privatzweikämpfe wohl kaum verminderten,
wohl aber blutiger und tätlicher gestalteten1).
Die mit königlicher Erlaubnis abgehaltenen außergerichtlichen
Zweikämpfe gewinnen durch die eminente Beschränkung des
Parteiwillens einige Ähnlichkeit mit den gerichtlichen Zweikämpfen ;
sie können aber ihrer ganzen Struktur nach, ebensowenig wie die
oben*) erörterten burgundischen Kampfverhältnisse als gerichtliche
Zweikämpfe oder deren Abart angesprochen werden ; denn in ihnen
handelt es sich nicht um die Erfüllung eines Beweisversprechens
in einem Zivil- oder Strafprozeß; sie dienen vielmehr nur der
Bewährung der ritterlichen Standesehre, ohne daß in ihnen eine Ent-
scheidung über die dem deffi zugrunde liegende Tatsache herbei-
geführt wird. Dies zeigt, auch der Fall Chasteigneraie gegen Jarnac,
wenn hier ein gerichtlicher Zweikampf vorläge, so hätte die könig-
liche Ordonnanz, die ihn anordnete, ihn als Beweismittel über die
Frage, ob Jarnac mit seiner Stiefmutter sträflichen Verkehr hatte,
bezeichnen müssen, und es hätte in diesem Falle ein Urteil über
diese Frage auf Grund des Ergebnisses des Kampfes ergehen
müssen; dies ist nicht der Fall, der Kampf soll nach der Ordon-
nanz Heinrich II. nur der justification de l’honneur de celuy
auquel la victoire en demeurera dienen1). Gerade dieser Fall
zeigt aber, daß der mit dem congö des Königs und unter der
Kampfaufsicht des Königs stattfindende außergerichtliche Zwei-
kampf ä outranee eine Menge Elemente des alten Kampfrechts in
sich aufgenommen hat, ohne das sich jedoch hierdurch die wesent-
lichen Prinzipien des tomeamentum quasi hostile particulare ge-
ändert hätten. Der Einfluß, den das Königtum auf die außer-
gerichtlichen Zweikämpfe gewann, hatte deu Vorzug, daß der
König und seine Beamten begonnene Kämpfe jederzeit durch ihren
Befehl beendigen konnten oder den Beginn des Kampfes durch ihr
Verbot verhindern konnten; aber diese Befehle hatten nur Gültig-
keit für die Regierungszeit des Königs oder die Amtszeit des be-
treffenden Beamten *). Andererseits konnte der König auch jeder-
') Tgl. outen p. 140 f. — Beispiele bei Brantöme p. 327 (1588); p. 351
and passim.
*) vgl. oben p. 129.
5) Tgl. die Aktenstücke bei Cauchy I. p. 109 f. und bei Brantöme p. 505 f.
*) vgl. Brantöme p. 368. 372. 378.
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139
zeit einen accord der Parteien herbeiführen ’). Der accord konnte
aber durch einen neuen deffi beseitigt werden*) und an das Ver-
bot brauchte man sich nicht außerhalb des Landes oder des Amts-
kreises des Beamten zu halten5); ja es bildete sich sogar die
Ansicht aus: „qu’il faut p refft rer l’honneur au prince, ä son
mandement. ä la vie et ä tout“ *). Da man aber auch in den
seltensten Fällen zu einem kämpflichen Austrag der Angelegenheit
kommen konnte, falls man die Angelegenheit vor den König oder
seine Beamten brachte, so umging man die durch die königlichen
Ordonnanzen vorgeschriebenen Instanzen, und versuchte entweder
durch Anrufung eines auswärtigen Turnierherrn5) oder aber durch
andere Mittel, die wir im Folgenden kennen lernen zum kämpf-
lichen Austrag der Streitigkeiten zu gelangen.
Zweiter Abschnitt.
Der moderne Privatzweikampf.
§ 13.
Die Entwickelung des modernen Privatzweikampfs in Frankreich.
I. Ein Stand, der wie der Kitterstand, die einzige Möglich-
keit der Bewährung seiner befleckten Ehre im Zweikampf erblickt,
kann sich nicht durch Verbote und aufgedrungene Vergleiche
vom Zweikampf abhalten lassen. Wie einst die Benutzung des
torneamentum quasi hostile zum Austrag kämpflicher Streitig-
keiten durch die verfehlte Gesetzgebung eines Philipp IV. gegen
den gerichtlichen Zweikampf in die Wege geleitet wurde, so
zwang die Beschränkung des außergerichtlicheu Zweikampfs durch
königliche Ordonnanzen das Rittertum dazu, seine Ehrenhändel
in bereits bestehenden, aber abusiven Formen des außergerichtlichen
Zweikampfs zum Austrag zu bringen und diesen Formen dadurch
den Charakter der ordentlichen Form des Zweikampfs zu ver-
leihen.
*) vgl. Brantöme p. 368. 386.
*) vgl. Brantöme p. 358.
*) vgl. Brantöme p. 373 f. 372. 286.
4) vgl. Brantöme p. 374.
*) vgl. z. B. oben p. 135 Note 5 und 136 Note 1.
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HO
II. Auf den Feldzügen in Italien hatten die französischen
Truppen eine Reihe von Kampfarten beobachtet, die dem fran-
zösischen Kampfrecht fremde Elemente enthielten; so lernten sie
die Einrichtung der parrains, der seconds und tiers und das
combatere a la mazza dort kennen. Die parrains waren Geholfen der
Parteien: sie hatten kampfpolizeiliche Funktionen, so stand ihnen
z. B. die Durchsuchung der Gegenpartei auf soreeries1) und un-
erlaubte Waffen zu3); während des Kampfes hatten sie den
Weisungen des Turnierherrn oder des von diesem bestellten maistre
et garde du camp Folge zu leisten3); nach Beendigung des Kampfes
sorgten sie für ihre verwundete Partei oder für die Beerdigung des
Leichnams 4). Die Sitte der Verwendung von parrains beim Kampf
hatte sich in Frankreich schon in der ersten Hälfte des sech-
zehnten Jahrhunderts eingebürgert, so waren auch in dem Kampf
des de la Chastaigneraye gegen Jarnac parrains tätig5). Diese
Kämpfe fanden in breitester Öffentlichkeit statt, wie schon das
soeben erwähnte Beispiel beweist, und unterscheiden sich nur
durch die Teilnahme von parrains von dem im vorhergehenden
Kapitel besprochenen außergerichtlichen Zweikämpfen und auch
sie fanden stets im geschlossenen Feld statt.
Das combatere a la mazza sahen die französischen Heere im
südlichen Italien; Brantöme definiert es dahin: „une autre
maniere de combats qui se l'ont par appels et seconds hors des
villes, aux champs, aux forcts et entre les hayes et buissons, d’oü
estoit venu ce mot combatere ä la mazza.“ Diese Kämpfe fanden
ohne Defensivwaffen, ohne parrains, ohne Kampfaufsicht, wohl
aber auf einen voraufgehenden deffi und mit seconds eventuell
mit tiers im Geheimen statt. Die seconds beteiligten sich meist
aktiv am Kampfe8); bei dem Mangel der Kampfaufsicht und der
Öffentlichkeit arteten diese Kämpfe nur allzuhäufig in wüste
Metzeleien aus ’).
') Über diesen Begriff vgl. meinen Gerichtl. Zweikampf p. 117 f.
3) Vgl. i. B. Brantömo p. 259, 804.
*) Vgl. Brantöme, p. 259, 2G5.
*) Brantöme, p. 268, 283.
5) Brantöme, p. 304, (Paris, 1547).
8) Jedoch nicht regelmäßig, vgl. t. B. Brantöme p. 327.
') Vgl. Brantöme p. 308 ff. 355.
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141
Eine andere Form des privaten Zweikampfes, die wir schon
oben ') in der Zeit der Reaktion gegen die Gesetzgebung Philipps
des Vierten kennen lernten, die incursus, duella subita oder ren-
contres, taucht in dieser Zeit ebenfalls wieder auf*).
Diese drei Formen von Zweikämpfen beherrschen nunmehr
die Kampfpraxis seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts.
Die erste Form, der Kampf unter Zuziehung von parrains, ver-
läßt dabei das champ-clos und schließt wie die beiden andern
die Öffentlichkeit aus. Je nach den Verhältnissen und den Um-
ständen wählte man die eine oder andere Form des Kampfes. Seit
der Zeit Franz II. und Karls IX.3) geht die erste Form in der
zweiten vollkommenen auf; im Jahre 1511 hatten französiche
Ritter zum ersten Male in Neapel an einem derartigen Kampf
teilgenommen4); in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahr-
hunderts war der „combat dans beaux champs“, wie man ihn in
Frankreich nannte, in Frankreich eingebürgert und die An-
schauungen hatten sich ihm vollständig angepaßt; wie von einer
altgewohnten, selbstverständlichen Einrichtung berichtet Brantöme
über einen solchen Kampf, der im Jahre 1586 stattfand, mit
folgenden Worten: „IIs s’allerent bravement battre sans faire nul
bruit ä une lieue de Paris dans beaux champs pour n’irriter le
roy qui estoit (!) et ne vouloit point ces combats.“ s).
III. Jetzt, wo der Zweikampf an keine Formalitäten, an kein
geschlossenes Feld, an keine Kampfaufsicht mehr gebunden, wo
es dem Ermessen der Parteien überlassen war, wann, wo und wie
man fechten w'ollte, erlangte er infolge seiner leichten Zugänglich-
keit und fast vollständigen Regellosigkeit und infolge einer über-
triebenen, fast krankhaften Ausbildung des Ehrgefühls eine un-
geahnte Verbreitung. Was hier die Ursache und was hier die
Folgeerscheinung ist, das ist mit Sicherheit nicht zu entscheiden;
für die objektive, quellenmäßige und genetische Geschichts-
forschung gibt es hier nur ein non liquet.
') Vgl. oben p. 121 bis 123.
*) Brantöme, p. 330 ff.
5) Brantöme, p. 378, 386.
*) Brantöme, p. 310.
*) Brantöme, p. 316.
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142
§ 14.
Die Repressivgesetzgebung gegen den modernen Privatzweikampf
bis zum Tode Heinrich III.
I. Unter dem Eindniek des unglücklichen Ausganges, den der
autorisierte Zweikampf des de la Chastaigneraye gegen Jarnac
im Jahre 1 547 genommen hat, soll Heinrich der Zweite geschworen
haben, niemals wieder in seinem Königreich einen Zweikampf zu
erlauben1); auch seine Nachfolger an der Krone haben keinen
derartigen Kampf mehr gestattet; aber dadurch konnte der
Zweikampf nicht vernichtet werden. Ja es hat den Anschein, als
ob hierin ein neuer Grund zur stärkeren Verbreitung des Zwei-
kampfs zu sehen wäre; denn tatsächlich haben sich seit dieser Zeit
erst die geheimen Zweikämpfe ausgebreitet. Ob dies ein Zufall ist,
oder ob wirklich der Hauptgrund dieser Erscheinung in diesem
Umstand zu suchen ist, das kann dahin gestellt bleiben. Das Übel
war da und die Gesetzgebung mußte dagegen einschreiten. Es
ist nun ungemein charakteristisch für die Form, die damals die
die Kampfpraxis beherrschte, daß sich die Gesetzgebung zunächst
mit den incursus beschäftigen mußte. Eine Ordonnanz Heinrich II.
vom Monat Juli 1547 beschäftigt sich eingehend mit der Unter-
drückung der hier als meurtres et homicides de guet ä pens
charakterisierten incursus; sie beginnt mit folgenden Worten:
„Corame il soit venu ä nostre cognoissance, qu’auparavant et
depuis nostre nouvel advenement ä la couronne, il a este fait en
ce royaume plusieurs meurtres et homicides de guet ä pens, et
assassinement et entre autres y en a eu quelques uns faits et
commis äs personnes d’aucuns nos principaux juges, officiers et
personnages de qualitäs, sans ce que l’on aye viveraent, comme
l’on devoit, poursuivy les meurtriers, homicidaires et assasinateurs,
lesquels ayant pourveu et done ordre ä leurs cas, auparavant que
d’exäcuter leurs cruelles entreprises, se seroient ävadez et sauvez
en plain jour, ä la vüe du peuple, mesme de nos principales villes,
oü ils ont fait les delits, chose qui est de träs-mauvais exemple,
et de non moindre pärilleuse consequence, et laquelle si eile
estoit plus longuement toläräe et passäe soubs dissimulation, en-
’) Chatauvillard p. IM.
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143
gendreroit tels dangers et inconveniens en nostre royaume, que
nul ne pourroit demeurer en aucune seuretö de sa personne.“
„S^avoir faisons, que nous dösirans sur tout singulierement
pourvoir et donner ordre, ä ce qui concerne le bien et repos pu-
blic, et l'establissement d’icelny, apres avoir mis ceste matifere
en döliberation avec les princes et seigneurs de nostre sang, et
autres grands et notables personnages de nostre conseil prive,
avons par ces präsentes, dit, Statut, voulu et ordonne, disons, sta-
tuons, voulons, ordonnons et nous plaist de nos certaine Science,
plaine puissance et autoritä royale, par ces präsentes.
„1) Que doresnavant toutes personnes indifferemment, tantgen-
tils-hommes que roturiers, de quelque estat et qualitö qu’ils soient,
ayans fait et commis meurtres et homicides de guet a pens, et
assassinemens, seront effectuellement punis de la peine de mort
sur la rouö, sans autre com Imitation de peine, quelle qn’elle soit.
etc.“ •).
Sicherlich handelt es sich in den Fallen, die diese Ordonnanz
unterdrücken will nicht um gewöhnliche Morde; denn für die Be-
strafung der letzteren bestanden ausreichende gesetzliche Hand-
haben. Es können vielmehr hier nur solche Fälle in Frage
kommen, die gemeinhin nicht als Mord oder Totschlag betrachtet
wurden; das sind aber diese incursus, für die Brantöme noch aus
den siebziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts eine Beihe von
Beispielen aus dem Leben des baron de Millaud giebt1); für die
Verwerflichkeit dieser incursns ging nicht nur dem Adel jener
Zeit jede Empfindung ab, sondern er betrachtete sogar derartige
Taten als Zeichen „de grand’ resolution et assurance’); ja Bran-
töme bezeichnet diesen Herrn de Millaud sogar als „le parangon
de France“4).
In dieser Zeit findet sich wiederum in der Zahl der Ordon-
nanzen eine Präventivmallregel gegen den Zweikampf, ein Verbot
des Waffentragens; an einer früheren Stelle dieser Abhandlung
war schon auf die Zweischneidigkeit dieser Vorschrift hingewiesen
') Rec. XIII. p. 26 f. Saint-Uennain-en-La;«. Juli 1547.
5) Brantöme p. 33011.
*) vgl. Brantöme p. 336.
4) Brantöme p. 329.
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144
worden '). Die Ordonnanz vom 25. November 1548 wiederholt
im GroLSen und Ganzen die Bestimmungen früherer derartiger Ge-
setze*); als besonders gefährliche d. h. beim Zweikampf besonders
beliebte Waffen bezeichnet sie harquebutes et pistolets. ohne sich
jedoch auf das Verbot dieser Waffen zu beschränken; wie ihre
Vorgängerinnen bezeichnet sie als Grund des Verbotes: „les
fautes et ineonvcniens que Fon alleguoit auparavant lesdites
deffenses, provenir ä cause de porter lesdites harquebutes
et pistolets, pullulent et sont plus grandes que jamais: car
journellement se font une infinite de meurtres et insidiations
jiar ceux qui vont armes et garnis d’icelles harquebutes et pisto-
lets“. Als Strafe droht die Ordonnanz wie ihre Vorgängerin *)
Tod durch den Strang an4). Schon im Jahre 1549 wurde das
Verbot des Waffentragens mit derselben Begründung wiederholt5):
ein erneutes Verbot erging im Jahre 1558 bezüglich des Tragens
von „pistolets et armes ä feu*). Schon drei Tage nach dem Re-
gierungsantritt Franz II. wird ein neues Verbot des Tragens von
Schußwaffen mit der Begründung, „qu’il se voit journellement
advenir infinis ineonvcniens, meurtres et voleries“, publiziert ’).
Eine Ordonnanz vom 17. Dezember desselben Jahres schärft das
Verbot des Waffentragens aufs Neue ein unter Audrohung von
lebenslänglicher Galeerenstrafe bezw. Todesstrafe durch den Strang •).
Unterm 5. August 15110 wird das Verbot wiederholt*); im Juli
1561 wird es von Karl IX. erneuert10), und zwar unter erneuter
Ausdehnung auf alle Waffen; ähnliche Verbot ergehen am 21.
Oktober 1561, am 16. August 1563 und am 12. Februar 1566“).
l) vgl. oben p. 137 f.
*) z. B. Rec. X. p. 807. (12. III 1478); XI p. 170. 468 Note sub. 8
(25. XI. 1487); XII p. 377 (31. X. 1532): XII. p. 556 (9. V. 1539); XII
p. 910 (16. VII. 1546); os hat fast den Anschein, als ob die Mehrzahl dieser
Ordonnanzen als Präventivmaliregel gegen Privatzweikämpfe gedacht wäre.
>) vgl. Rec. XII. p. 911 sub. 2 (16. VII. 1546).
4) Rec. XIII. p. 66 f. (25. XI. 1548).
5) Rec. XIII. p. 139 (28. XI. 1549).
*) Rec. XIII. p. 514 (Dezember 1558).
7) Rec. XIV. p. 1. (23. VII. 1559).
*) Rec. XIV. p. 14 f. (17. XII. 1559).
») Rec. XIV. p. 46 (5. VIII. 1560).
*°) Rec. XIV. p. 111 sub. 9. f. (Juli 1561).
>') Rec. XIV. p. 123 (21. X. 1561), p. 145 sub. 4 und 5 (16. VIII. 1563)
p. 185 (12. II. 1566).
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145
In der Zeit der intensiven Präventivgesetzgebung gegen den
Privatzweikampf, lag es nahe auf einen gesetzgeberischen Gedanken
zurückzukommen, der zur Zeit der Ausbreitung des außergericht-
lichen Zweikampfes mehrfach Verwendung gefunden hatte1 * *), auf
das Verbot der „del'fiances“, wie man früher sagte, oder der injures,
wie man sie jetzt nannte; es ist eigentümlich, daß nicht etwa der
König in dieser Frage die Initiative ergriff, sondern daß es die
etats-göneraux und insbesondere der Adel waren, die hier erstmals
eine Repressivgesetzgebung verlangten; die Denkschrift des Adels
vom Jahre 1560 enthielt nämlich unter anderem auch folgende
Stelle: ,Plaise ä Votre Majeste considerer combien l’ire de Dieu
s’epend sur votre peuple pour les querelies et debats, meurtres et
infinis inconvöniens qui adviennent ä l’occasion de paroles injuri-
euses et d6mentis dont on use ordinairement les uns contre les
autres, chose indigne du nom chretien et de noblesse: et pour
donner ordre que votre noblesse ne soit plus travaillöe des dites
dissentions et difförens; vous supplie ordonner que toutes les in-
jures entre les gentilshommes seront döfendues, et n^antmoins que
l’injure de celui qui aura commence tournera ä son deshonneur
et non de celui qui l’aura reyue, lequel qui aura commencö soit
puni de telles peines qu’il vous plaira d’arbitrer“ *). Der tiers
6 tat hatte dieselbe Bitte in seine Denkschrift aufgenommen und
dabei auch um eine Repressivgesetzgebung gegen Duellisten jeden
Standes gebeten5). Schon im Jahre 1561 erging eine Ordonnanz,
die diese Anregung verwertete, die diesbezügliche Stelle hat fol-
genden Wortlaut: „Avons par ce prösent edict enjoint et enjoi-
gnons ä toutes personnes, de quelque qualite ou condition qu’ils
soyent, vivre en union et amiti6: et ne se provoquer par injures
ou convices, et n’esmouvoir, ni estre cause d’aucun trouble ou
sedition, ni aggresser Tun l'autre de fait ou de parole, ne faire
force ne violence les uns aux autres, dans les maisons, n’ailleurs,
soubs quelque pretexte ou couleur que ce soit de religion ou autre :
et ce sur peine de la hart“4). Eine ähnliche Bestimmung ent-
l) vgl. oben p. 133 f.
5) Abgedruckt bei Cauchy I, p. 126.
*) vgl. Cauchy I, p. 126 f.
4) Kcc. XIV. p. 109 sub. 1. (Juli 1561) — Die Strafbestimmung ist
der bei Cauchy I, p. 126 f. mitgeteilten Stelle der Denkschrift des tiers ctat
Coulln, Zweikampf in Frankreich 10
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146
hält das Edikt vom 19. März 1562 und das vom 16. August
1563 *)*).
Schon Franz I. hatte in den Jahren 1539 und 1546 eine
ebenfalls gegen die außergerichtlichen Zweikämpfe in früherer Zeit *)
in Übung gewesene Präventivmaßregel auch gegen die Privatzwei-
kämpfe wieder angeordnet, indem er die „assemblees, menees et
pratiques illicites, souz occasion de querelies entre gentils-hommes
et autres nos subjects“ verbot4). Diese Praventivmaßregeln ordnete
Karl IX. erneut wieder an in den Jahren 1561, 1562 und 15631).
Am 12. Februar 1566 erließ Karl IX. eine neue Ordonnanz
gegen den Privatzweikampf, die insofern von großer rechtsgeschicht-
licher Bedeutung ist, als in ihr zum ersten Male die zwei Haupt-
gedanken ausgesprochen wurden, die die ganze spätere Zweikampf-
gesetzgebung beherrschen; sie will gleichzeitig repressiv und prä-
ventiv wirken. In erster Linie verbietet sie allen Personen jeden
Standes jede Art von Zweikämpfen sur peine de la vie, und dann
fährt sie fort: „Et pour ce que la souree et fondement des querelles
procede ordinairement de demeritis qui se donnent; ledit Seigneur
inhibe et defend, sur les peines que dessus, que celui ä qui ladite
dementie aura 6te donnee ne se ressente par les armes; ains se
retire — si c’est ä la suite de la cour — devers messieurs les conne-
table et markhaui de France; et — si ce est hors de la suite de
la cour, et en lieu ou ne seront lesdits sieurs connetable et mare-
chaux de France — devers le gouvemeur de la province, lequel
cherchera les moyens d’apointer ladite dementie, et, s’il ne se
entnommen: es ist also ein Irrtum, wenn Cauchy I. p. 127 annimmt, daß
erst die Ordonnanz von 1566 den diesbezüglichen Wünschen der etats-gene-
raux von 1560 Rechnung getragen habe.
■) Rec. XIV. p. 139 sub. 14 (19. MSrz 1562): p. 144 sub. 1 (IG. VIII.
1563).
*) Heinrich III. hat ähnliche Bestimmungen in seinen Ordonnanzen vom
Mai 1576 und September 1577 (Rec. XIV. p. 281 sub. 2 u. p. 330) nur mit
dem Unterschied, daß er diese injures als infraction de paix et perturbation
du repos public bezeichnet«, erlassen. Heinrich IV. hat sie 1598 wiederholt
vgl. Rec. XV. p. 172. art. 2.
*) vgl. oben p. 134 Note 3.
4) Rec. XII. p. 557 (9. V. 1539); p. 912. (August 1546).
*) Rec. XIV. p. 127 sub. 5 (17. I. 1561). p. 140, sub. 15 (19. in. 1562).
pag. 144. sub. 1. 06. VIII. 1563).
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147
peut, le renvoyer devers lesdits sieurs conn^table et maröehaux
de France pour en döcider ainsi q’ils verront etre de raison: la-
quelle dömentie, si eile est donnöe sans juste occasion, demeurera
.nulle, et sera, en ce cas, celui qui l’aura donnöe tenu d’en faire
amende honorable ä celni qui 1'aara re£ue“ ').
Im Jahre 1569 bestimmte derselbe König, Karl EX., daß in
Zweikampfsachen eine Begnadigung nicht erfolgen solle1).
Im Jahre 1576 erließ Heinrich IU. eine umfangreiche Ordon-
nanz sur la jurisdiction et le jugement de voies de fait qui ont
lieu au logis du Roi et ä la suite de la cour. In ihr werden
alle denkbaren Handlungen, die anläßlich der Zweikämpfe Vor-
kommen können, unter Strafe gestellt, so Beleidigungen, des-
mentis; Tätlichkeiten im logis du Roy, incursus, Tötung im
rencontre, das Tragen verbotenener Offensiv- und Defensivwaffen;
die archers de la garde sollen den Eintritt in die Kampftätigkeit
verhindern; das Kartelltragen, die Teilnahme als second am
Kampfe und das Angebot hierzu, die „assemblöes“ von über
10 Personen anläßlich der Zweikämpfe werden unter Strafe ge-
stellt; allen Personen, die um Ehrenhändel wissen, wird unter
Strafe aufgegeben, den König sofort davon zu benachrichtigen;
die Gerichtsbarkeit über diese querelles und crimes wird dem
grand prövost übertragen, der in allen Fällen dem König Vortrag
zu halten hat. *).
Aber diese Ordonnanzen _ wurden nicht beachtet und nicht
einmal der König richtete sein Verhalten nach ihnen ein. Das
ersieht man mit voller Klarheit aus dem Umstand, daß er zwei
Angehörige seiner suite, die am 27. April 1578 „par envie de
mener les mains mit seconds und tiers gefochten hatten, nicht nur
auf ihrem Krankenlager persönlich besuchte, sondern auch mit
königlichen Ehren bestatten ließ4). Im wesentlichen beschränkte
sich Heinrich HI. auf eine schiedsrichterliche Tätigkeit beim Aus-
bruch von Streitigkeiten und hierin scheint er, soweit wir Brantöme
*) Abgedruckt bei Caucby 1, pag. 128. — vgl. Reo. XIV. p. 185 (12.
II. 1566).
*) Vgl. Caucby I, p. 129.
s) Paris 31. X. 1576 in Ree. XTV, p. 310 ff.
4) Vgl. Brantöme p. 313. — Pierre de l’Estoile bei Caucby I, p. 132
und 133.
10»
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14R
glanben dürfen große Erfolge erzielt zu haben; aber selten
oder nie scheint er Duellanten bestraft zu haben. Dies geht mit
aller Deutlichkeit aus einer Stelle bei Brantöme hervor, in der er
sich über Heinrich DI. Stellung zur Zweikampffrage folgender-,
maßen ausspricht: „Quant ä notre roy Henri HI., je syai bien
et plusieurs gens de foy comme moy, combien de fois il en a faict
d’ordonnances et deffences de n'en venir plus lä; car je l’ay veu
ä la cour publier plus de cent fois ; et bien souvent quand aucuns
y contrevenoient il estoit si bon qu’il ne les vouloit faire punir
ä la rigueur, car il aymoit sa noblesse, comme j’espfere en allfe-
guer des ezemples en sa vie, par lesquels il a faict dämonstration
combien il l’aymoit. Au reste jamais querelle n’est entrevenue
en sa cour, qu’estant venue en sa notice, qu’il ne la fist aussitost
accorder, fust ou par luy, ou par les officiers de la couronne.
Il est vray qu’on m’en pourroit al!6guer aucunes, qui sont trois
ou quatre, qui font en cela contre moy; je le croy bien, il le
falloit ainsi: je ne nommeray rien“ '). Daß unter diesen Um-
ständen der ganze Zweck der eingeleiteten Repressivgesetzgebung
in Frage gestellt wurde, ist klar. Aber wiederum drangen die
Stände auf schärfere Maßnahmen. Die im Mai 1579 „sur les
plaintes et doRances des 6tats-g6n6raux, assembl6es ä Blois en
novembre 1576 erlassene Ordonnanz beschäftigte sich wiederum
mit dem Zweikampf. In ihrem* Artikel 194 wendet sie sich gegen
die meurtres de guet-ä-pens, einen Tatbestand, den wir hier wie
bei der obenerwähnten Ordonnanz Heinrichs U. vom Jahre 1547*)
mit den incursus in Verbindung bringen müssen. Dieser Artikel
bestimmte: „Nous voulons que les cdits et ordonnances faites par
les rois nos pr^decessenrs pour les meurtres de guet-ä-pens, soient
entierement gard^es et observoes, tant contre les principaux auteurs
que ceux qui les aceompagneront, pour quelque occasion ou pre-
texte que lesdits meurtres puissent estre commis, soit pour
venger querelies, ou autrement: dont nous n’entendons estre ex-
p6di6 lettres de grace ou remission“ etc.3). Der Artikel 197 be-
stimmte: „Enjoignons ä tous habitans des villes, bourgs et villages,
faire tout, devoir de s Sparer ceux qu’ils verront s’entrebattre avec
‘) Brantöme, p. 385 n. 386.
*) Vgl. üben p. 142 f.
*) Kec. XIV. p. 427, art. 194 (1. V. 1579) vgl. auch art. 196 und 198.
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6p6es, dagues, ou autres bätons offensifs, et d’apprtihender et
arrester les dMinquans, pour les livrer fes mains de justice“ ').
Endlich bestimmte der Artikel 278 dieser Ordonuanz: „Defen-
dons ä tous gentilshommes et autres, de faire asserablöes de
gens, sous prätexte de querelles particuliäres, ou autre que
ce soit, sur peine d’estre punis comme criminels de Ihze-ma-
jestd, et perturbateurs du repos public de nostre royaume. En-
joignons ä nos gouverneurs, lieutenans, baillifs et senechaux, de
composer les querelles qui s’exciteront en leurs provinces, et de
nous avertir, du devoir qu’ils y auront fait, afin d’y pourvoir“ s).
Interessant ist an dieser Ordonnanz die Bestimmung des Ar-
tikels 197, die es jedermann zur Auflage macht die begonnene
Kampftätigkeit zu hindern und die Duellanten dem Gericht zu
übergeben. Von hervorragender geschichtlicher Bedeutung ist die
Charakterisierung der „assemblees“ als „crime de leze-majestti“,
insofern, als die spätere Gesetzgebung den Zweikampf fast ständig
als crimen laesae majestatis bezeichnet3). Diese Charakterisierung
ist aber in der Zeit, in der sie erstmals erscheint, leidlich harm-
loser Natur; hat doch derselbe Redaktor Cheveray in einer Or-
donnanz des Jahres 1584, die die Abschaffung verschiedener
Ämter verfügte, diejenigen „qui bailleront cy-aprfes mömoires et
feront poursuite pour le retablissement et nouvelle cr^ation d’offices
inutiles“, ebenfalls als „crimineux de Rze-majest6 et ennemis du
bien et repos de nostre peuple“ bezeichnet4).
II. Die ersten Phasen der Repressivgesetzgebung gegen den
modernen Privatzweikampf leiden trotz der strengen Strafandrohungen
an einer übertriebenen Milde der Strafvollstreckung; nicht nur
Heinrich III. hat, wie wir oben gesehen haben5), fast stets be-
gnadigt, wenn die Zweikampfgesetzgebung übertreten wurde, sondern
auch sein Nachfolger an der Krone hat. in derselben Weise die
Gesetzgebung illusorisch gemacht; nach Pierre de l’Estoile sollen in
den Jahren 1589 bis lfiOS siebentausend lettres de gräces in Duell-
') Rec. XIV, p. 428, art. 197 (1. V. 1579).
*) Rcc. XIV. p. 444, art. 278 (1. V. 15791.
s) So auch schon der arrüt du Parlemont (Paris, 26. Juni 1599) bei
ChatauTillard, p. 219 f.
*) Rec. XIV. p. 593, sub. 2 (NoTember 1584).
*) Vgl. oben p. 148.
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iso
Sachen ausgefertigt worden sein '). Ein derartige Handhabung der
Gesetze mußte naturgemäß einen neuen Ansporn zur Übertretung
derselben geben, während andererseits die übertrieben strengen
Strafandrohungen den Gerichten eine sachlich gerechte Würdigung
der zu ihrer Kognition gelangenden Fälle unmöglich machte.
In diesem Grundfehler bewegten sich die Gesetzgebung und die
Begnadigungspraxis während der nächsten zwei Jahrhunderte, ohne
daß ein anderer Erfolg erzielt worden wäre. Diese Gesetzgebung
in ihrem ungeheuer zahlreichen Material weiter zu verfolgen ist
nicht unsere' Aufgabe; wir hatten sie hier nur in ihren Anfängen
als Zeugen für die äußere Erscheinungsform in der die moderne
Kampfidee in die Geschichte des Strafrechts eintrat, zu betrachten
und zu würdigen.
*) Bei Caucky I, 142, Note 1.
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