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Full text of "Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte"

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Untersuchungen  zur  deutschen 
Staats-  und  Rechtsgeschichte 


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Ißxivucetvn  Unibrreitii. 


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Der  Reichsgedanke  des  staufischen  Kaiserhauses 

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Dr.  Mario  Klammer 


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Untersuchungen 


zur 

Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte 

herausgegeben 


Dr.  Otto  ßierke 

Professor  dor  Röchle  an  der  Universität  Berlin 

95.  Heft 


Der  Reichsgedanke 
des  staufischen  Kaiserhauses 


Dr.  Mario  Kraramer 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 


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Der  Reichsgedanke 
des  staufischen  Kaiserhauses 


Ein  Beitrag 

zur  Staats-  und  Geistesgeschichte  des  Mittelalters 


Dr.  Mario  Krammer 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
190s 


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Vorwort 

Im  allgemeinen  herrscht  die  Anschauung,  dass  in  Deutsch- 
land während  des  Mittelalters  zwischen  den  beiden  Grundbegriffen 
des  Staatslebens,  dem  Königtum  und  dem  Kaisertum,  ein  Unter- 
schied nicht  gemacht  worden  sei.  Die  vorliegende  Abhandlung 
sucht  dagegen  zu  zeigen,  dass  erst  in  der  Stauferzeit,  unter 
dem  Einfluss  ganz  besonderer  Umstände,  eine  Verschmelzung 
beider  Begriffe  erfolgt  ist,  dass  aber  in  bestimmten  Kreisen  an 
ihrer  Sonderung  auch  damals  festgehalten  wurde.  Die  Staufer 
suchten  das  Königtum  aus  einer  deutschen  zu  einer  dem 
Kaisertum  wesensgleichen  Institution,  zu  einem  im  wahren  Sinne 
römischen  Königtum  zu  machen.  Demgegenüber  wurde  aber 
von  den  Fürsten,  zumal  von  denen,  die  an  der  deutschen 
Königswahl  und  -krönung  besonders  beteiligt  waren,  die  boden- 
ständige Eigenart  ihres  Königtums  mit  Nachdruck  und  schliesslich 
auch  mit  Erfolg  vertreten.  Die  fürstliche  Anschauungsweise 
niederzuringen,  gelang  den  Staufern  nicht.  Auch  ein  neuer 
Ansturm,  den  Kaiser  Ludwig  IV.  und  die  Publizisten  seiner 
Umgebung  im  Jahre  1338  gegen  sie  unternahmen,  blieb  ohne 
dauernden  Erfolg. 

Der  Ursprung  und  die  Entwicklung  der  stanfischen  Be- 
strebungen, ihr  Widerspiel  und  ihre  Einwirkungen  auf  die  An- 
schauungen Deutschlands  und  der  Kurie  sollen  im  Folgenden 
dargelegt  werden.  Wie  sich  die  Ansichten  dann  weiterhin 
gebildet  haben,  das  hoffe  ich  bald  an  anderem  Orte  näher 
ausführen  zu  können.  Auch  auf  die  Ideen  der  vorstaufischen 
Zeit  komme  ich  noch  zurück. 

Berlin,  im  Mai  1U08. 


Mario  Krummer 


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Inhalt 


Scito 


Vorwort, 

Erstes  Kapitel.  Per  Imperialistische  Rclchwsedanke 

Friedrichs  I.  und  Heinrichs  YI. . . . . . * 1 ö '•* 

I.  Die  römische  und  die  deutsche  Staatsidee.  Seit  der 
Mitte  des  12.  Jhds.  gewinnt  jene  ein  starkes  Uebergcwicht 
Uber  diese.  Friedrichs  I.  und  Heinrichs  VI.  imperialistische 
Gesinnung  und  Politik  S.  1 — 8.  — II.  Heinrichs  Plan, 
seinen  Sohn  Friedrich  durch  Papst  Cölestin  III.  zum  erblichen, 
römischen  König  krönen  zu  lassen  (1196).  S.  8f.  — III. 
Glaubwürdigkeit  des  Berichts  der  Marbacber  Annalen.  Die 
Begriffe  Kaisertum  und  Königtum  in  dieser  Quelle  und  beim 
Reinhardsbrunner  Chronisten.  S.  9 — 20.  — IV.  Einordnung 
des  Plans  in  Heinrichs  Politik  im  Jahre  1 196.  Eine  italienische 
oder  sizilischc  Krönung  kann  er  nicht  erstrebt  haben. 

S.  20—32,  — V.  Erklärung  des  Plana  aus  der  erfolgten 
Wandlung  des  Begriffes  .Romanorum  rex*.  Der  „rei“  kein 
deutscher,  sondern  ein  römischer  König  oder  Caesar.  Hor- 
leitung  des  staufischen  Reiclisgedankens  Überhaupt  aus  den 
zusammenwirkenden  Einflüssen  Ottos  von  Freising  und  der 
Legisten  auf  Friedrich  I,  S.  32 — 39. 

Zweites  Kapitel.  Die  Fortführung  der  »tantlschcn 
Reformidee  dnreh  Philipp  von  Schwaben  und 
Friedrich  II. » . _ . . . . . . H i>  — t>H 

I.  Die  Kaiserwahl  Philipps  (1198).  Bein  Auftreten  als 
römischer  König,  Das  Speyerer  Schreiben  und  die  deutsche 
Staatsgesinnung  der  Fürsten  verglichen  mit  dor  Eikes  von 
Repgow.  Der  Bericht  der  Halberstädter  Chronik.  Otto  IV. 
zum  deutschen  Könige  erwählt  (1198).  Die  Kaiserwahlen 
Ottos  (1208)  und  Friedrichs  II.  (1211),  Friedrich  nennt 
sich  unter  päpstlichem  Einfluss  anfangB  »Erwählter  römischer 
Kaiser“.  Seine  zweite  Wahl  (1212)  und  die  Heinrichs  (VII.) 
von  1220  sind  deutsche  Königswahlen.  S.  39—66.  — II, 

Die  Kaiserwahl  Konrads  IV.  (1237),  Abschaffung  des 
deutschen  Königtums,  veranlasst  durch  Heinrichs  (Vll.) 
Stellungnahme  gegenüber  dem  Kaisertum  Friedrichs  11. 

Friedrichs  Wahlreform  und  Einsetzung  Konrads  zum  Erben 


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Seite 


im  Imperium.  Scheitern  des  ganzen  Unternehmens  Sieg 
der  deutschen  Königsidee  Das  Braunschweiger  Weistum 
von  1252  als  Protestkundgebung  des  imperialistisch  gesinnten 
Teilen  der  Fürsten. S.  56— fl». 

Drittes  Kapitel.  Plc  Einwirkung  des  stauttschen 
Relchsgedankens  auf  Doktrin  and  Politik  (1er 

römischen  Kurie * , , , . * . . . . * . fir,— 77 

Innocenz'  III.  und  Bonilaz'  VIII.  Lehren  über  das  Verhältnis 
des  Kaisertums  und  des  Königtums  zum  Papsttum.  Das 
Königtum  nach  Innocenz  deutsch,  nach  Bonifaz  römisch. 
Uebergang  zu  dieser  Lehre  unter  Innocenz  IV.  durch  Anualime 
der  im  Braunschweiger  Weistum  enthaltenen  stanfischen 
Lehre.  Gegenströmung  unter  den  deutschen  Fürsten,  Das 
Khenser  Weistum  gegen  die  päpstliche  Doktrin  (1338). 

Schluss  , , . . , . . . . . , . . . . 77  — 84 

Hauptergebnisse,  Vorbliek  auf  die  Zeit  Ludwigs  des  Baiem, 

Der  Erlass  des  Kaiserwalilgeactzes  Licet  iuris  (1338)  als  ein 
erneuter  Versuch  einer  imperialistischen  Gestaltung  des 
Reiches. 


Abkürzungen 

MO.  = Monumeuta  Uermaniae  historica.  Jlannov.  et  Berel.  1820  ff.  Mit  Sb. 
und  Const.  sind  die  Bände  der  Scriptores  und  Constitutioues  et  acta 
publica  bezeichnet. 

Reg.  imp.  V — J.  F.  Boehmer,  Regesta  imperii  V,  neubearbeitet  von 
J.  Ficker  uud  Ed.  Winkelmann,  Innsbruck  1877  ff. 


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Erstes  Kapitel 

Der  imperialistische  Reichsgedanke  Friedrichs  I. 
und  Heinrichs  VI. 

I. 

Als  man  im  vergangenen  Jahrhundert  daran  ging,  Deutschland 
zum  Einheitsstaate  zu  machen,  plante  und  schuf  man  ein  Kaiserreich. 
Nur  ein  Kaiser,  glaubte  man,  könne  über  das  geeinte  Reich  gebieten, 
da  auch  dessen  Vorbild,  das  mittelalterliche  Reich,  Kaiser  als 
Herren  über  sich  gehabt  hatte.  Aber,  wenn  auch  von  jeher  das 
Kaisertum  als  ein  höchst  kostbares  und  unveräusserliches  Gut 
der  deutschen  Nation  betrachtet  worden  ist  und  die  edelsten 
Naturen  des  Mittelalters  dieser  Idee  eine  leidenschaftliche  Ver- 
ehrung gewidmet  haben  — ich  erinnere  nur  an  Otto  III.  und 
Dante  — so  darf  dabei  doch  nicht  vergessen  werden,  dass 
das  alte  Reich  seinem  Ursprünge  und  seinem  Wesen  nach  wie 
alle  anderen  Länder  der  Christenheit  ein  königliches  war  und 
dass  auch  die  Menschen  jener  Tage  diese  Thatsache  niemals 
ganz  aus  den  Augen  verloren  haben. 

Chronisten  der  Salierzeit  wie  Lampert  von  Hersfeld  und 
Ekkehard  von  Aura,  die  von  starkem  Staatsbewusstsein  erfüllt 
sind,1)  sprechen  von  dem  Ruhm  und  der  Ehre  des  deutschen  König- 
reichs; der  letztere  weiss  zu  berichten,  dass  dessen  Gebieter 
ehedem  auch  noch  das  römische  Kaiserreich  hinzuerobert  haben, 
so  dass  nun  zwei  Reiche,  das  deutsche  und  das  römische,  in 
der  Hand  des  jeweiligen  Herrschers  vereinigt  sind.11)  Ent- 


')  Waitz,  Deutsche  V erfassungsgeschichte  Bd.  VI.  2.  Auflage  (bearb. 
von  G.  Seeliger),  S.  466. 

l)  Stellen  aus  Lampert  von  Hersfeld  (ed.  Holder  - Egger)  führt 
Waitz  a.  a.  O.  reichlich  an.  Bei  Ekkehard  ron  Aura  ist  zu  vergleichen  die 
Praefatio  ad  imp.  Heinricum  V.  (MG.  SS.  VI,  p.  9):  „cui  Dei  dispositione 
univerius  orbis  tarn  Komanus  quam  Teutonicus  gaudet  omni  nisu 
Krammer,  der  Reichsgedanke  des  stauiischen  Kaiserhauses.  1 


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sprechend  nennt  auch  Gottfried  von  Viterbo  Heinrich  VI.  König 
der  Römer  und  der  Deutschen;  er  sagt  ferner,  dass  Karl 
der  Grosse  durch  seinen  Vater  Erbe  des  deutschen  Königreichs, 
durch  seine  Mutter  Erbe  des  römischen  Kaiserreichs  ge- 
worden ist.1) 

Von  diesen  beiden,  hiernach  wohl  auseinandergehaltenen 
Ideen,  der  kaiserlichen  und  der  königlichen,  hat  im  Verlaufe  der 
mittelalterlichenStaatsentwicklung das  rechtliche  Uebergewicht 
in  der  Hauptsache  die  königliche  gehabt.  Denn  alles,  was 
ausserhalb  Deutschlands  gelegen  war,  hatten  die  Deutschen 
allein  durch  Eroberung  gewonnen,  nichts  war  ihnen  von  irgend- 
jemandem übertragen  worden.  Indem  sie  sich  einen  König 
setzten,  bestellten  sie  zugleich  den  Herrn  Uber  das  burgundische 
und  italienische  Reich.  Diese  Herrschaftsgebiete  und  Herrschafts- 
rechte fielen  ihm  durch  die  Wahl  und  Einsetzung  in  Deutsch- 
land ohne  weiteres  zu;  in  ihrem  thatsächlichen  Umfange 
beruhte  die  Reichsgewalt  lediglich  auf  der  Idee  des  fränkisch- 
deutschen Königtums.  Der  Anspruch  freilich  auf  das  dominium 
mundi  konnte  nur  auf  Grund  des  Kaisertums  erhoben  werden, 
doch  unlösbar  war  ja  auch  dies  mit  dem  Königtum  verbunden.2) 

Von  drei  verschiedenen  Seiten  aus  hat  man  diese  fränkisch- 
deutsche  Struktur  des  Reiches  durch  eine  andere  zu  ersetzen  . 
gesucht,  bei  der  die  Herrschaft  über  Teile  desselben  oder  über 
das  Ganze  auf  dem  Gedanken  des  Kaisertums  erbaut  werden 
sollte.  Ein  Versuch  ist  von  den  Inhabern  des  römischen 
Papsttums,  ein  zweiter  von  den  Bewohnein  der  Stadt  Rom,  ein 
dritter  von  den  Trägern  des  römischen  Kaisertitels  ausgegangen. 
Dieser  dritte  wird  uns  im  Folgenden  am  meisten  beschäftigen. 

Papst  Johann  VIII.  (872—882)  hat  die  Auffassung  be- 
gründet, dass  die  Herrschaft  in  Italien  auf  dem  Kaisertum 
beruhe  und  dass  sie  mit  diesem  von  der  Kurie  vergeben 


applaudere,  videlicet  Henricns  quintus  rex  et  quartus  imperator  . . . Cum 
igitur  tota  intentio  liuiua  libri  tarn  Romani  imperii,  quam  Teutonici 
regni  deserviat  honori,  quorum  regnorum  coniuuctio  cepit  a Karolo. 

')  Speculum  regum  in  MG.  SS.  XXII.  p.  21. 

’)  Daher  erklärt  aich  Friedrichs  I.  Aeusserung  über  regnum  und 
imperiuin;  «.  u.  S.  4,  Amu.  1. 


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werde.1)  Diese  Meinung  gewann  besonders  seit  dem  dreizehnten 
Jahrhundert  an  Ansehen;  auch  von  Burgund  wurde  das  gleiche 
behauptet  und  die  Konsequenz  gezogen,  dass  der  Papst  beide 
Lande  deu  Deutschen  entziehen  und  anderweitig  verleihen  könne. 
Dass  dieselbe  Lehre  endlich  auch  auf  Deutschland  ausgedehnt 
wurde,  werden  wir  weiter  unten  noch  sehen. 

Neben  dieser  Anschauung  erwuchs  im  12.  Jahrhundert 
eine  zweite.  Man  fing  damals  in  Italien  wieder  an,  das  alte 
römische  Recht  und  den  römischen  Staat  in  ihrer  Eigenart  zu 
bewundern  und  zu  begreifen.  Aber  dabei  blieb  es  nicht,  man 
suchte  was  gewesen  war  neu  zu  beleben,  dem  alten  Recht  eine 
Anwendung  auf  die  Verhältnisse  der  Gegenwart  zu  geben  und 
den  alten  Staat  wieder  herzustelien.  Mau  fand,  dass  der  von 
der  Kirche  geprägte  Begriff  des  Kaisertums,  wonach  es  von  ihr 
eingesetzt  war  und  ihr  zu  dienen  hatte,  falsch  war;  es 
ergab  sich  aus  den  Quellen  als  eine  Institution  rein  weltlichen 
Ursprungs  und  weltlicher  Art.  So  bedurfte  man,  um  einen 
Kaiser  zu  haben,  gar  keiner  päpstlichen  Krönung.  Er  hatte 
nach  der  bekannten  Institutionenstelle  I,  2,  § 6 seine  Gewalt 
vom  römischen  Volke,  also  war  dies  zu  Wahl  und  Ein- 
setzung der  Kaiser  allein  berechtigt.  In  der  That  sind 
die  Römer  schon  unter  Konrad  III.  und  Friedrich  I.  mit 
derartigen  Ansprüchen  hervorgetreten2);  sie  haben  dann  1211 
eine  Wahl  Friedrichs  II.  vollzogen  und  1328  Ludwig  den  Bayern 
dnrch  Abgeordnete  investiert.  Zu  Pisa  und  zu  Marseille  ist 
ferner  Alfons  von  Kastilien  zum  Kaiser  erwählt  und  eingesetzt 
worden.  Arnold  von  Brescia,  der  kühne  Haupt  Vertreter  dieser 
Ideen  im  zwölften  Jahrhundert  hatte  sogar  daran  gedacht,  den  Zu- 
sammenhang Roms  mit  Deutschland  völlig  zu  lösen  und  einen 
Volkskaiser  erwählen  zu  lassen. 


')  Kroeoer,  Wald  und  Kriiuung  der  deutschen  Kaiser  und  Könige  in 
Italieu  (Studium  aus  dem  Collegium  Sapientiae  VI.  1901),  S.  14  ff.  19.  Zum 
folgenden  vgl.  Ficker,  Forschgn.  i.  Reichs-  und  RechUgesch.  Italiens  II., 
S.  468  ff. 

> *)  Vgl.  Fomtow,  lieber  den  Einfluss  der  altrömischen  Vorstellung  vom 

Staate  auf  die  Politik  K.  Friedrich!  I.  (Dias.  Halle  1886),  S 12.  Die  Be- 
lege für  die  ganze  Periode  vom  12.  bis  zum  14.  Jahrhundert  sind  zusammen 
gestellt  bei  Werminghoff  (s.  die  folgende  Note)  S.  163,  Anm.  1. 

1* 


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So  wurde  von  Seiten  der  Kurie  und  des  Volkes  behauptet, 
dass  s i e in  Italien  die  Herrschaft  zu  vergeben  hätten,  dass  die 
deutschen  Könige  nicht  ohne  weiteres  auch  Herren  über  dieses 
Land  seien.  Ein  Herrscher  wie  Kaiser  Friedrich  I.  konnte 
all’  diesen  Strebungen  nur  ein  Feind  und  Verfolger  sein;  dem  einen 
wie  dem  anderen  Gegner  hat  er  die  deutsche  Staatsauffassung 
entgegengehalten.1) 

Andererseits  gewann  gerade  damals  die  Idee  des  Kaisertums 
auch  für  Deutschland  erhöhte  Bedeutung.  Nun,  wo  die  Würde 
und  Hoheit  dieses  Instituts  von  Fremden,  die  dasselbe  für 
ihr  Eigen  erklärten,  in  beredten  Worten  verkündet  wurde, 
galt  es  zu  zeigen,  dass  dies  so  hochgerühmte  Kaisertum 
allein  bei  den  Deutschen  sei,  dass  ihr  Reich  die  Fortsetzung 
des  alten  römischen,  ihr  Herrscher  der  Nachfolger  der  Cäsaren 
sei.2)  Die  Rechte  und  Embleme  der  heidnischen  Imperatoren 


*)  Bezüglich  seines  Konflikts  mit  dem  Papste  sind  die  in  MO.  Const. 
I.,  p.  229  ff.,  nr.  164 — 168  abgedruckten  Aktenstücke  zu  vergleichen  (s. 
auch  Wermingboff,  Geschichte  der  Kirchenverfassung  Deutschlands  I,  1906, 
8.  167);  besonders  kommt  liier  die  oft  zitierte  Stelle  in  Betracht  (nr. 
166,  p.  231,  Z.  29):  Cumque  per  electionem  principum  a solo  Deo 
reguum  et  imperium  nostrmu  sit  . . . Friedrichs  Gesinnung  gegen  die 
Körner  dürfte  Otto  von  Freising  iu  seiner  berühmten  Rede,  die  er  ihn  vor 
Rom  halten  lässt,  richtig  getroffen  haben.  Die  Stadt  Rom,  welche  damals 
das  Joch  der  Priesterscbaft  abgeworfen  hatte,  schickte  (1166)  ihm  Gesandte 
entgegen,  die  ihn  baten,  die  alte  Machtstellung  der  Stadt  — orbis  sub  hoc 
principe  recipiat  gnbernacnla  — wiederaufzurichten.  Die  Stadt  verleibt  die 
Krone  und  das  Reich,  sie  sagt  in  der  Rede  der  Gesandten  zum  Könige  u.  a.: 
orbis  imperium  affectas,  corouam  prebitura  gr&tanter  assurgo,  iocanter 
accurro;  ferner:  Hospes  eras.  civem  feci.  Advena  fuisti  ex  transalpinis 
partibux,  principem  constitni.  Quod  meum  iure  fuit,  tibi  dedi.  Darauf 
erwidert  aber  Friedrich:  Gloriaris  me  per  te  vocatum  esse,  me  per  te  primo 
civem,  post  principem  factum,  quod  tuum  erat  a te  suscepisse.  Quae  dicti 
novitas  quam  ratione  absona,  quam  veritate  vacua  sit,  estimationi  tuae 
prudentumque  relinquatur  arbitrio.  Revolvamus  modernorum  imperatorain 
gesta,  si  non  divi  nostri  principes  Karolus  et  Otto  nullius  beneficio 
traditam,  sed  virtute  expugnatam  Grecis  seu  Langobardis 
' Urbem  cum  Italia  eripuerint,  Francorumque  apposuerint 
terminis.  Ottonis  Gesta  Friderici  1.  II.,  c.  29.  30.  ed.  Waitz  p.  108  ff. 

s)  Dafür  sind  besonders  wieder  angebliche  Aeusserungen  Friedrichs  I. 
in  jener  Rede  bei  Otto  von  Freising  (S.  109;  vgl.  oben  Anm.  1)  anzn- 
füliren.  Der  König  sagt  zur  Stadt : Vio  cognoscere  antiquam  tuae  Romae 
gloriam?  Senatoriae  dignitatis  gravitatem?  Tabernaculorum  dispositionemV 


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haben  die  Staufer  auf  sich  übertragen,  immer  wieder  in  Briefen 
und  Urkunden  die  Erhabenheit  ihres  Kaisertums  betont,  es 
als  ihre  Pflicht  und  ihr  Recht  betrachtet,  das  alte  Reich  der 
Römer  in  vollem  Umfange  wiederaufzurichten.  Die  auswärtigen 
Könige  waren  für  sie  nur  reguli,  „arme  künege“,  Beherrscher 
von  Provinzen  des  Imperium,  eine  Lehre,  die  nicht  minder  auch 
von  der  romanistischen  Jurisprudenz  der  Zeit  verfochten  ist. 
Thatsächlich  gelang  es  den  Staufern,  sich  einige  fremde  Reiche 
zu  unterwerfen.  Die  Idee  des  deutschen  Königreichs  wurde  so 
verschlungen  von  der  des  römischen  Kaiserreichs.  Jenes  erschien 
nur  mehr  als  eines  der  dem  Imperium  untergebenen  Länder. 
An  Stelle  des  alten  trat  ein  neuer,  imperialistischer  „Reichs- 
begriff“.1) 

Bezeichnend  hierfür  ist,  dass  damals  die  Deutschen  anfingen, 
sich  Römer  zu  nennen.2) 

Ein  Zeuge  für  den  Wandel  der  Anschauungen  ist  ferner 
der  dem  Kaiserhof  so  nahestehende  Gottfried  von  Viterbo. 
Während  er  im  Speculum  regum  (entstanden  1183)  von  Heinrich 
als  dem  Könige  der  Römer  und  der  Deutschen  spricht  (s.  oben 
S.  2,  Anm.  1),  nennt  er  ihn  in  der  Memoria  seculorum  von  1185 
nur  noch  Kaiser  der  Römer  und  Divus.:l) 

Dabei  war  damals  Heinrich  nicht  einmal  zum  „Caesar“ 
ernannt,  was  erst  Anfang  1186  geschah.  In  jenen  Jahren 
aber  hat  sich  Friedrich  aufs  eifrigste  bemüht,  den  in  Deutsch- 
land bereits  erwählten  und  gekrönten  König  Heinrich  von  den 
Päpsten  zum  Kaiser  krönen  zu  lassen.4)  Wie  die  alten  heidnischen 
Imperatoren,  wie  Karl  der  Grosse,  Ludwig  der  Fromme  und 


Equeatris  ordinis  virtutem  et  disciplinam  . . . ? Nostram  intuere  rem  publicam. 
Penes  nos  cuncta  haec  sunt.  Ad  dos  simul  oinnia  haec  cum  imperio 
demanarunt.  Non  cessit  nobis  nndum  Imperium.  Virtnte  sua  amictum  venit. 
Ornament»  sua  secum  traxit.  Penes  nos  sunt  consules  tui.  Penes 
nos  est  senatns  tuus.  Penes  nos  est  miles  tuus.  Proceres  Francorum 
ipsi  te  consilio  regere,  equites  tuam  ferro  iniuriam  propellere  debebunt. 

')  Vgl.  Burdach,  Walther  von  der  Vogelweide  1 (1900),  S.  171  ff. 

s)  Vgl.  Pomtow  a.  a.  O.  S.  66  f. 

3)  MG.  SS.  XXII,  p.  106.  Vgl.  ferner  p.  103  die  Widmung  au  Heinrich  VL 
und  die  Einführung  p.  94.  Zwar  hat  Gottfried  die  Arbeit  an  der  Memoria 
lange  vor  1185  begonnen  (s.  Wattenbach.  Deutschlands  Geschichtsquellen 
II • 296),  doch  sind  gerade  diese  Stücke  offenbar  erst  zuletct  entstanden. 

*)  Toeche,  Kaiser  Heinrich  VL,  S.  514  f. 


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Otto  I.  wollte  auch  er  den  Sohn  als  Kaiser  neben  sich  sehen. 
Denn  nur  als  solcher  konnte  er  wahrhaft  Mitregent  des 
Vaters  sein.  Friedrich  betrachtete  das  Reich  eben  als  ein 
römisches  Imperium,  das  seiner  Natur  nach  nur  Kaiser,  nicht 
Könige  als  Herrscher  Uber  sich  haben  konnte.  Und  aus 
R&cksicht  auf  diese  Anschauung  des  Hofes  spricht  Gottfried, 
der  sein  Buch  gerade  zu  der  Zeit  schrieb,  wo  Friedrich  die 
Erhebung  Heinrichs  betrieb,  von  diesem  nur  noch  als  von  einem 
zweiten  römischen  Kaiser. 

Da  es  Friedrichs  fester  Entschluss  war,  auf  irgend  eine 
Weise  den  kaiserlichen  Charakter  der  Reichsgewalt  darzuthun, 
griff  er,  als  die  Päpste  sich  ihm  nicht  willfährig  erwiesen, 
zu  einem  Mittel,  das  dem  altrömischen  Staatsreclit  entlehnt 
war.  Er  ernannte,  wie  schon  gesagt  wurde,  Heinrich  zum 
Caesar,  das  heisst  zum  Unterkaiser.  Zugleich  wurde  Heinrich  zum 
Könige  von  Italien  gekrönt  und  ihm  die  Herrschaft  dieses 
Landes  völlig  überlassen , während  Friedrich  sich  ganz  den 
deutschen  Angelegenheiten  widmete.  So  erscheint  Italien  als 
eine  der  Provinzen  des  Kaiserreiches,  über  die  vom  Angustus 
ein  Caesar  gesetzt  wird.  Als  solcher  war  er  auch  der 
natürliche  Nachfolger  des  Augustus  und  nur  als  solcher  hatte 
er  ein  Recht  zur  Herrschaft,  als  fränkisch-deutschem  Könige 
hätte  ihm  Friedrich  keine  Regierungsgewalt  einräumen  können ; 
neben  der  einen,  allumfassenden  kaiserlichen  Gewalt  wollte  die 
imperialistische  Doctrin  im  deutschen  Reiche  ebensowenig  wie 
auswärts  ein  bodenständiges  Königtum  sehen.  Der  einzige 
Souverän  auf  Erden  war  der  römische  Princeps,  alles  Herrscher- 
tum  hatte  sich  von  ihm  herzuleiten. 

Es  ergab  sich  hieraus  die  Konsequenz,  die  deutsche  Königs- 
gewalt der  Einheit  des  Reiches  zu  Liebe  völlig  zu  beseitigen. 
Dies  ist  die  Aufgabe,  die  sich  Heinrich  VI.  gestellt  hat. 

Dabei  ist  aber  gewiss  nicht  anzunehmen,  dass  Heinrich  zu- 
gleich auch  die  Verbindung  zwischen  Sacerdotium  und  Imperium 
lösen  und  die  von  Friedrich  rezipierte  Uebertragungs weise  durch 
blosse  Ernennung  des  Nachfolgers  zur  allein  herrschenden  machen 
wollte,  wodurch  man  allerdings  dem  Vorbilde  des  antiken  Im- 
perium mehr  entsprochen  haben  würde.  Friedrich  selber  hat 
gewünscht,  dass  der  von  ihm  ernannte  Cäsar  auch  noch  gekrönt 
würde  und  demgemäss  weiter  mit  der  Kurie  unterhandelt.  Eine 


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Krönung  durch  den  Papst  bedeutete  nach  stauflscher  Anschauung 
ja  keine  Uebertragung  des  Reiches  durch  ihn,  sondern  durch  Gott 
oder  Christus,  wobei  der  Papst  nur  die  Mittelsperson  war. 
Eine  göttliche  Autorisation  glaubte  aber  kein  mittelalterlicher 
Herrscher  entbehren  zu  können.1) 

Nach  dieser  Seite  hin  lagen  also  keine  weiteren  Ent- 
wicklnngsmöglichkeiten  — hier  konnte  und  wollte  man  nicht 
ein  altes  Band  zerreissen  — wohl  aber  nach  einer  anderen. 
Durch  die  völlige  Ausschaltung  der  Idee  des  deutschen  Königtums 
und  die  Errichtung  des  Reichs  allein  auf  der  des  Kaisertums 
wäre  einer  unumschränkten  Herrschaft  Thür  und  Thor  geöffnet 
worden.  Ein  Erbkönig  hätte  doch  keine  anderen  Machtmittel 
als  ein  Wahlkönig  gehabt;  zu  jedem  Versuch,  hier  grundstürzend 
umzugestalten,  fehlte  auch  ihm  wenigstens  die  rechtliche 
Handhabe.  Das  deutsche  Königtum  ist,  wiewohl  einzelne  seiner 
Träger  zu  höchster  Macht  gediehen  waren,  institutionell  be- 
trachtet, immer  ein  unvollkommenes  Gebilde  geblieben,  das  nie 
die  Entwicklungshöhe  der  fränkischen,  merowingisch  - karo- 
lingischen Monarchie  erreicht  hat.  Eine  Regeneration  der 
höchsten  Gewalt  war  aber  wohl  im  Anschluss  an  eine  andere 
Institution,  an  das  römische  Kaisertum,  möglich.  War  das  Reich 
einmal  eine  allein  hierauf  gegründete  Herrschaft  geworden,  so 
konnte  kraft  kaiserlicher  plenitudo  potestatis  überall  in  Ver- 
fassung, Verwaltung  und  Rechtspflege  eingegriffen  und  so  das 
widerspenstige  Deutschland  und  Italien  nach  dem  Muster  des 
straff  zentralisierten  sizilisch-apulischen  Reiches  allmählich  um- 
gestaltet werden.  Die  Politik  Friedrichs  II.  hat  ja  später, 
wenigstens  für  Italien,  ein  derartiges  Ziel  fast  ganz  erreicht.2) 
Hier  war  man  eben  gewöhnt,  die  deutsche  Herrschaft  als  be- 
ruhend auf  der  Idee  des  Kaisertums  zu  betrachten.  In  Deutsch- 
land dagegen  regierte  der  Herrscher,  auch  wenn  er  Imperator 
hiess,  doch  nur  kraft  königlichen  Rechts;  wurde  aber  die  Grund- 

*)  Wir  können  für  das  Gesagte  wieder  Gottfried  von  Viterbo  als 
Zeugen  anrufen,  er  sagt  im  Pantheon,  MG.  SS.  XXII,  p.  221,  dass  nur 
allein  durch  des  Papstes  Salbung  das  Kaisertum  gewonnen  werdeu  kann 
(„Absque  manu  pape  quem  protulit  aurea  Roma  Non  decet  ut  capiat 
monocrator  io  Urbe  coronaui“),  doch  sei  nicht  er,  sondern  Christus  der 
Investitor  („Ungit  eum  [seil,  imperatorem]  presul,  set  Christus  inunctor 
habetur“).  S.  a.  Hauck,  Kirchengesch.  Deutschlands  IV.  216 '. 

a)  Ficker,  Forschungen  II,  53!»  ff.  III,  364. 


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läge  seines  Amtes  einmal  verändert,  so  musste  es  auch  selber 
eine  andere  Gestalt  annehmen. 

Wir  wenden  uns  jetzt  der  näheren  Untersuchung  des 
Refonnplans  Heinrichs  VI.  zu. 


II. 

Weitaus  am  wichtigsten  ist  für  uns  der  Bericht  der  Annales 
Marbacenses  überden  Reformversuch  Heinrichs  VI.  im  Jahre  1196. 
Sie  allein  bringen,  unmittelbar  nachdem  sie  von  dem  Würzburger 
Reichstage  des  Frühjahrs,  wo  der  Kaiser  die  Erblichkeit  seines 
Hauses  bei  den  anwesenden  Fürsten  durchsetzte,  erzählt  haben, 
die  weitere  Nachricht,  dass  er  dann  um  die  Zeit  des  Johannis- 
festes nach  Apulien  aufbrach,  sich  aber  unterwegs  in  Italien 
lange  aufhielt  und  mit  dem  Papste  über  eine  Einigung  ver- 
handelte. Dabei  forderte  er  von  diesem  — es  war  Cölestin  III. 
(1191 — 1198)  — , dass  er  seinen,  damals  erst  zweijährigen 
Sohn  Friedrich  taufen  und  zum  Könige  salben  solle.  Die 
Verhandlungen  führten  aber  zu  keinem  Ziele. 

Diese  zwei  Versuche,  der,  die  Fürsten  zum  Verzicht  auf 
ihr  Wahlrecht,  und  der,  die  Kurie  zur  Krönung  zu  bewegen, 
bilden  zusammen  den  grossen  Reformplan  Heinrichs  VI.  Nur 
wenn  man  sie  beide  im  Zusammenhänge  ansieht,  gelangt  man 
zum  rechten  Verständniss  dessen,  was  der  Kaiser  im  Grunde  gewollt 
hat.  Dabei  ist  aber  die  Vorbedingung,  dass  man  an  dem  klaren 
Wortlaut  des  Berichts  in  den  Annalen  nicht  rüttelt.  Es  kann,  so 
auffallend  das  auch  klingen  mag,  nur  die  Vollziehung  einer 
römischen  Königskrönung  durch  den  Papst  beabsichtigt  worden 
sein.  Diese  Ansicht  ist  aber,  obwohl  sie  von  Forschern  wie 
Toeche1)  und  Hauck2)  angenommen  wurde,  doch  kaum  als  die 
zur  Zeit  herrschende  zu  betrachten.  Zuerst  ist  Winkelmann8) 
gegen  sie  aufgetreton ; er  meint,  dass  „in  regem  ungere“  gleich 
wie  „in  imperatorem  ungere“  zu  verstehen  sei,  dass  Friedrich 
also  — wie  einst  Heinrich  VI.  selber  — zu  Lebzeiten  des 
Vaters  zum  Kaiser  gekrönt  werden  sollte,  und  dieser  Auf- 
fassung hat  sich  nicht  nur  Caro  in  seiner  Dissertation  „Die 

')  Kaiser  Heinrich  VI.,  8.  436. 

a)  Kirchengeschichte  Deutschlands  Bd.  IV,  8.  678. 

3 ) Philipp  von  Schwaben  S.  6. 


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Beziehungen  Heinrichs  VI.  zur  römischen  Kurie  1190 — 1197“ 
(Rostock  1902),  S.  42  angeschlossen,  sie  ist  auch  von  Bloch 
in  seiner  Ausgabe  der  Annales  Marbacenses  p.  68,  n.  5 als  die 
allein  richtige  bezeichnet  worden,  und  sie  hat  endlich  Hampe 
in  einem  eigens  dieser  Frage  gewidmetem  Aufsatz1)  näher  zu 
begründen  gesucht.  Während  Winkelmann  seinerzeit  noch  die 
Möglichkeit,  dass  man  Friedrich  zum  sizilischen  Könige  habe 
erheben  wollen,  offen  gelassen  und  also  selber  seine  These  nicht 
mit  so  völliger  Bestimmtheit  hingestellt  hatte,  hat  jetzt  Hampe 
auch  gegen  diese  Annahme  wie  gegen  die  des  Plans  einer 
italienischen  oder  römischen  Königskrönung  so  viel  vorgebracht, 
dass  die  Winkelmannscbe  Ansicht  nunmehr  völlig  gefestigt 
erscheint. 

Hier  soll  nun  der  so  angefeindete  Bericht  der  Annalen 
zunächst  in  Kürze  auf  seine  Zuverlässigkeit  geprüft,  dann  die 
gewonnene  Thatsache,  dass  im  Jahre  1196  wegen  einer  Krönung 
Friedrichs  zum  römischen  Könige  unterhandelt  wurde,  in  die 
sonstigen  Ereignisse  dieses  Jahres  und  weiter  in  das  System 
der  politischen  Ideen  Heinrichs  VI.  eingeordnet  werden. 


III. 

An  den  Anfang  unserer  Untersuchung  sei  der  vollständige 
Bericht  der  Marbacher  Annalen  über  das  Jahr  1196  gestellt2); 
er  lautet: 

Anno  Domini  MCXCVI.  Imperator  habuit  curiam  Herbipolis 
circa  mediam  quadragesimam,  in  qua  plurimi  signum  dominice 
crucis  acceperunt.  Ad  eandem  curiam  imperator  novum  et 
inauditum  decretum  Romano  regno  voluit  cum  principibus 
conürmare,  ut  in  Romanum  regnum,  sicut  in  Francie  vel  ceteris 
regnis,  iure  hereditario  reges  sibi  succederent;  in  quo  principes 
qui  aderant  assensum  ei  prebuerunt  et  sigillis  suis  confirmaverunt. 

')  Zum  Erbkaiserplan  Heinrichs  VI.  Mitt.  il.  Iust.  f.  österr.  Geschichts- 
forschung Bd.  XXVII  (1906),  S.  1 — 10.  Daher  hat  dann  auch  H.  Krnbbo 
in  seiner  Besprechung  des  IV.  Bandes  von  Hauck  (Hist.  Vierteljahrschr. 
Bd.  X,  S.  246)  die  Ansicht  des  Verfassers  korrigiert.  Ich  habe  den  Aus- 
führungen Uampes  bereits  im  Neuen  Archiv  d.  Gesellschaft  f.  ältere  deutsche 
Gesch.  Bd.  XXXII,  S.  765  widersprochen. 

J)  MG.  SS.  XVII,  p.  167.  In  der  von  Bloch  besorgten  Neuausgabe 
in  den  Script,  rerum  Germ.  p.  66. 


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in 

Ipso  anno  imperator  circa  festum  beati  Ioliannis  baptiste 
i cum  paucis  in  Apuliam  iter  arripuit,  unde  etiam  in  Ytalia 
magnuni  est  passus  contemptum.  Interim  missis  legatis  suis, 
imperator  cepit  cum  apostoiico  de  concordia  agere  volens,  quod 
filium  suum  baptizaret  — nondum  enim  baptizatus  erat  — et 
quod  in  regem  ungeret.  Quod  si  fecisset,  crucem  ab  eo  aperte, 
ut  putabatur,  accepisset.  Ipso  tempore  frater  imperatoris  Cun- 
radus,  dux  Suevie,  obiit;  et  Philippus  frater  eius  ducatum  accepit. 
Itaque  imperatore  apud  urbem  Tyburtinam  per  tres  ebdomadas 
expectante,  missis  ab  utraque  parte  sepius  nunciis  et  apostoiico 
ab  imperatore  preciosis  xeniis  transmissis,  et  cum  res,  ut  imperator 
voluit,  effectum  habere  non  potnit,  iter  cum  magna  indignatione 
versus  Syciliam  movit. 

Interea  in  Theutonieis  partibus,  mediantibus  Cunrado 
Maguntino  archiepiscopo  et  duce  Suevie  Philippo,  omnes  fere 
principes  prestito  iuramento  filium  imperatoris  in  regem  clegerunt. 

Der  Abschnitt  der  Annalen,  in  dem  sich  diese  Stelle  findet, 
ist  im  Zusammenhänge  wohl  erst  um  1199  zu  Strassburg  auf- 
gezeichnet worden.  Zwar  zeigen  diese  Strassburger  Annalen 
gerade  für  die  Jahre  1195  und  1196  einige  Verwirrung,  doch 
gehen  sie  offenbar  auf  gute,  gleichzeitige  Notizen  zurück.1) 

Der  Quellenwert  der  Nachricht  über  die  geplante  Königs- 
krönung würde  sehr  herabgemindert  werden,  wenn  der  Erweis 
erbracht  werden  könnte,  dass  wichtige  Ereignisse  des  Jahres 
1196  unklar  und  schief  in  den  Annalen  wiedergegeben  sind. 
Das  scheint  in  der  That  möglich  zu  sein.  Bloch  deutet  in 
seiner  Mitteilung  (s.  u.  Anm.)  darauf  hin;  er  hat  dabei  eine  dem 
zitierten  Bericht  über  das  Jahr  1196  fast  unmittelbar  vorauf- 
gehende Stelle  im  Auge,  die  sich  ihrerseits  wieder  der  aus- 
führlichen Erzählung  des  Annalisten  von  dem  Wormser  Reichstag 
(Dezember  1195)  und  von  einer  Gesandtschaft  des  Königs  von 
Cypern  an  Heinrich  VI.  anschliesst;  die  Stelle  lautet: 

Interim  imperator  laborabat,  quod  principes  filium  suum, 
qui  iam  erat  duorum  annorum,  eligerent  in  regem  et  hoc 

Dies  der  Inhalt  einer  Mitteilung  tilochs  an  Hanipe  (a.  a.  O.  S.  1, 
Anm.  1.).  Da  zur  Zeit  Blochs  Untersuchungen  über  die  Marbacber  Annalen 
noch  nicht  vorliegen,  kann  Uber  deren  Zusammensetzung  und  Entstehung 
nichts  Näheres  angegeben  werden.  Doch  ist  das  Obige  für  unsero  Zwecke 
hinreichend. 


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iuramento  firmarent;  quod  feie  omnes,  prcter  episcopum 
Coloniensem,  singillatim  se  facturos  promiserunt.  Quod  si  factum 
esset,  ipse  etiam  crucem  manifeste,  sicut  dicebatur,  accepisset. 
Unde  cum  ad  enriam  vocati  venissent,  quod  promiserant,  non 
fecerunt.  Unde  etiam  ipse  remissius  quam  prius  de  expeditione 
cepit  tractare. 

Darauf  folgen  noch  die  Worte:  Eodem  anno  Hamideus 
comes  de  Monte  Biligardis  occisus  est  ab  Ottone  fratre  imperatoris. 
Dann  kommt  der  zitierte  Bericht  über  das  Jahr  1196. 

Diese  Nachricht  über  ein  Versprechen  der  Fürsten,  des 
Kaisers  Sohn  zum  Könige  zu  erheben,  das  sie  hernach  auf 
einem  anderen  Reichstage  nicht  mehr  hielten,  bezieht  sieh  ohne 
Frage  auf  Heinrichs  VI.  erfolgreiche  Unterhandlungen  über  die 
Einführung  der  Erbnionarchie  auf  dem  Tage  zu  Wiirzburg 
(Frühjahr  1196)  und  auf  das  Scheitern  dieses  Planes  auf  dem 
folgenden  Tage  zu  Erfurt  im  Herbst  desselben  Jahres.1)  Der 
Gang  der  Handlung  ist  kurz,  aber  in  der  Hauptsache  getreu 
wiedergegeben,  nur  ist  das  Ganze  durch  den  groben  Fehler, 
dass  von  einer  Wahl  Friedrichs  gesprochen  wird,  entstellt. 
Und  ausserdem  ist  es  ja  falsch,  nämlich  zum  Jahre  1195  statt 
1196,  eingereiht. 

Wenn  nun  dor  Annalist  diese  Dinge  bei  der  um  1199  er- 
folgten Redaktion  so  schlecht  wiedergab,  so  kann  er  allerdings 
auch  manches  andere  falsch  berichten  und  auch  unter  anderem 
vielleicht  irrig  von  einer  Königs-,  statt  von  einer  Kaiserkrönung 
Friedrichs  reden.  Doch  wird  dies  Argument  hinfällig,  da  sich 
wahrscheinlich  machen  lässt,  dass  der  Verfasser  ungleich  unter- 
richtet gewesen  ist  und  ihm  offenbar  über  einiges  gute,  über 
anderes  ungenügende  Nachrichten  zu  Teil  geworden  sind. 

Wie  mir  scheint,  hat  er  von  der  Thatsache,  dass  Heinrich 
im  Jahre  1196  die  Einführung  der  Erbmonarchie  plante  — 
worüber  er  sich  ja  so  erregt  — erst  später  bestimmte  Kunde 
erhalten;  in  jenem  Jahre  selber  ist  ihm  über  die  genannten 
Versammlungen  zu  Würzburg  und  Erfurt  überhaupt  nur  ein 
unklares  Gerücht  zu  Ohren  gekommen.  Er  hörte  lediglich  von 
Reichstagen,  auf  denen  über  die  Nachfolge  im  Reich  ver- 


')  Auf  dem  Erfurter  Tage  wurde  in  der  That  auch  der  Krenzxugaplan 
erörtert;  a.  Cbron.  ReiiiliardsbrunnenaU,  MO.  SS.  XXX,  p.  657. 


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handelt  worden  sei,  und  bezog  das  — wie  ja  natürlich  — auf 
den  Plan  einer  Königswahl.  Bei  der  Redaktion  des  Ganzen 
wusste  er  mit  dieser  Thatsache,  deren  er  sich  entsann  oder  die 
er  aufgezeichnet  hatte,  nichts  rechtes  zu  beginnen;  sie  gehörte 
in  die  Jahre  1195/96,  passte  aber  nicht  zu  1196,  da  ja  Friedrich 
damals  gewählt  wurde.  So  stellte  er  sie  zu  1195;  und  da  er 
ferner  noch  von  einer  hartnäckigen  Opposition  des  Erzbischofs 
Adolf  von  Köln  gegen  eine  Wahl  des  jungen  Staufers  gehört 
zu  haben  sich  erinnerte,  brachte  er  diese  Nachricht  mit  an 
derselben  Stelle  unter.  Dagegen  schrieb  er  getrennt  davon,  am 
rechten  Orte,  das  auf,  was  er  mittlerweile  über  den  Erbkaiser- 
plan erfahren  hatte,  von  dem  er  aber  nur  die  Annahme  zu 
Würzburg,  nicht  die  Ablehnung  zu  Erfurt  wiedergiebt.  Von 
einem  im  Herbst  1196  in  Deutschland  abgehaltenen  Reichstage 
weiss  er  überhaupt  nichts. 

Will  man  dieser  Erklärung  gegenüber  annehmen,  dass  der 
Annalist  um  die  wahre  Bedeutung  des  Erfurter  Tages  vom 
Herbst  1196  einmal  doch  genau  gewusst  und  hernach  schlecht 
darüber  berichtet  habe,  so  muss  man  weiter  fragen:  Ging  sein 
guter  Bericht  über  die  einstweilige  Annahme  des  Erbkaiserplanes 
auf  dem  Tage  von  Würzburg  im  Frühjahr  1196  aus  gleichzeitig 
oder  aus  später  erworbener  Kenntniss  hervor?  Neigt  man 
der  ersteren  Alternative  zu,  so  ist  gar  nicht  zu  begreifen,  wie 
der  Verfasser,  dem  bei  der  Redaktion  von  1199  die  Thatsache 
der  einstweiligen  Annahme  noch  so  lebhaft  in  der  Erinnerung 
war  und  der  doch  — wie  wir  jetzt  ja  annehmen  wollen  — einst 
auch  von  dem  Ausgange  des  kaiserlichen  Pianos,  von  der  Ab- 
lehnung, die  er  auf  dem  Erfurter  Tage  erfuhr,  gewusst  hat, 
gerade  nur  von  dieser  Versammlung  eine  so  ganz  falsche 
Vorstellung  haben,  ihre  wahre  Bedeutung  so  völlig  vergessen 
konnte?  Warum  soll  ihm  das  Ende  des  „unerhörten“  Wagnisses 
so  ganz  entschwunden,  der  Anfang  aber  erinnerlich  geblieben 
sein?  Zumal  der  thatsächliche  Verlauf  der  Dinge  ihm  gar 
keinen  Anlass  bot,  auf  den  Gedanken  eines  allgemeinen  Wider- 
standes gegen  eine  Wahl  Friedrichs  zu  kommen. 

Räumt  man  aber  der  zweiten  Möglichkeit  den  Vorzug  ein, 
das  heisst,  giebt  man  zu,  dass  der  Verfasser  von  der  wahren 
Bedeutung  des  Tages  von  Würzburg  erst  später  erfuhr,  so  ist 
das  wahrscheinlichste,  dass  er  überhaupt  von  dem  ganzen  Erb- 


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kaiserplan  erst  später  gehört  hat,  womit  wir  zu  der  oben  gegebenen 
Erklärung  der  Stelle  „Interim  imperator“  zurückkämen.  Da 
der  Annalist  im  Jahre  1196  von  dem  Reformplan  noch  nichts 
wusste,  so  konnte  er  die  Verhandlungen  der  damaligen  Reichs- 
tage nur  auf  eine  Wahl  beziehen.  Dementsprechend  machte  er 
sich  davon  gleichzeitig  eine  Notiz  und  suchte  diese  dann  bei  der 
endgültigen  Redaktion  mit  dem,  was  er  mittlerweile  von  dem 
Erbkaiserplan  erfahren  hatte,  so  gut  es  ging  zu  vereinen. 

Warum  er  aber  gerade  über  den  Tag  von  Erfurt  und  den 
Ausgang  des  Reformplanes  so  schlecht  unterrichtet  ist,  lässt  sich 
vielleicht  noch  näher  darthun.  Er  hatte  wohl  Beziehungen  zu 
Leuten  in  der  Umgebung  Heinrichs,  zu  seinen  Ministerialen. 
Von  der  Unterwerfung  Siziliens,  von  den  in  Gegenwart  des 
Kaisers  abgehaltenen  Reichstagen  in  Deutschland  1195  und  96 
und  von  den  italienischen  Ereignissen  des  Jahres  1196  weiss 
er  gut  zu  erzählen.  Der  Erfurter  Tag  aber  fand  zu  einer  Zeit 
statt,  als  Heinrich  in  Italien  weilte  und  gerade  die  Verhandlungen 
mit  dem  Papste  führte;  von  dieser  Versammlung  konnte  ihm  sein 
Gewährsmann  natürlich  nichts,  dagegen  wohl  von  dem,  was  in 
Italien  zur  gleichen  Zeit  vor  sich  ging,  berichten.  Andererseits 
giebt  z.  B.  die  Reinhardsbrunner  Chronik,  deren  Verfasser  Be- 
ziehungen zu  dem  thüringischen  Landgrafenhause  gehabt  hat, 
über  diesen  Fürstentag,  auf  dem  der  Landgraf  die  erste  Stelle 
einnahm,  einen  sehr  guten  Bericht.  Der  Strassburger  Annalist 
dagegen  blieb  bezüglich  desselben  Tages  auch,  als  ihm  einige 
Zeit  nach  1196  sein  aus  Italien  zurückgekehrter  Gewährsmann 
Bericht  über  die  Ereignisse  dieses  Jahres  erstattet  hatte,  auf 
die  unbestimmten,  ihm  einst  zugegangenen  Gerüchte,  angewiesen. 

Die  Stelle  „Interim  imperator“  kann  also  keineswegs  den 
Wert  des  Berichts  über  Heinrichs  Unternehmungen  und  Unter- 
handlungen in  Italien  während  des  Jahres  1196  mindern,  im 
Gegenteil,  wir  können  annehmen,  hier  war  der  Verfasser  der 
Annalen  gut  unterrichtet. 

Wenn  man  nun  diesen  Bericht  unbefangen  betrachtet,  so 
kann  gar  kein  Zweifel  darüber  walten,  dass  der  Annalist  hier 
eine  römische  Königskrönung  Friedrichs  meint.  Er  spricht 
in  diesen  Abschnitten  häufig  von  „eligere  in  regem“,  einmal 
(ed.  Bloch  p.  72)  auch  von  „regem  inungere“;  immer  ist  der  „rex“ 
schlechthin  der  eigene,  römische  König.  Neben  ihm  kennt  er 


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noch  andere  Könige;  neben  dem  Romanum  regnum  --  das  man 
sich  als  auf  Deutschland,  Italien  und  Burgund  beschränkt  zu 
denken  hat  — noch  andere  regna  z.  B.  Sizilien,1)  Frankreich, 
Cypern.  Dem  Imperium  unterwirft  sich  der  König  von 
Cypern ; seine  Gesandten  bitten  den  Kaiser,  Bischöfe  zu  senden, 
„qui  regem  Cypri  nngerent  in  regnum,  quia  ipse  semper 
vellet  homo  esse  Romani  imperii“  (p.  67).  Ebenso  heisst 
es  vom  Könige  Leo  von  Armenien  (p.  64);  petebat  ab  eo  (seil. 
imperatore)  exaltari  in  regnum  in  terra  sua,  disponens  se 
semper  esse  subiectum  Romano  imperio. 

In  diesen  beiden  Fällen  ist  wohl  nicht  ganz  ohne  Absicht 
der  Ausdrnck  imperium  gewählt,  denn  diese  Fürsten  unter- 
warfen sich  und  ihre  regna  Heinrich  VI.  nicht  in  seiner  Eigenschaft 
als  deutschem  Könige,  sondern  als  Kaiser.  Damals  schien  ja 
überhaupt  das  regnum  weit  über  seinen  alten  Umfang  hinaus 
wachsen  und  ein  imperium,  wie  es  einst  bestanden  hatte,  werden 
zu  wollen.  Nicht  nur  jene  Fürsten,  auch  andere  auswärtige 
Herrscher,  wie  der  König  von  England  und  der  Fürst  von 
Antiochien  — von  dem  der  Annalist  gleichfalls  berichtet,  er 
habe  geschworen:  se  semper  veile  esse  imperio  Romano 
subiectum  per  omnia  (p.  61)  — ergeben  sich  dem  römischen 
Princeps.  Sagt  der  Verfasser  imperium,  so  hat  er  also  das 
Reich  mehr  nach  seinen  universalen,  sagt  er  regnum,  mehr 
nach  seinen  nationalen  Beziehungen  im  Auge.  Dementsprechend 
heisst  es  an  der  eingangs  zitierten  Stelle  der  Annalen:  Kaiser 
Heinrich  will,  dass  im  regnum  Romanorum  dasselbe  Thron- 
folgerecht gelten  solle:  „sicut  in  Francie  vel  ceteris  regnis“. 
Hier,  wo  es  sich  um  einen  Akt  der  inneren  Politik,2)  nicht  um  eine 
Erweiterung  des  Reiches  nach  aussen  hin  handelt,  erscheint  das 
regnum  der  Römer  als  ein  Reich  neben  anderen.  Nicht  wahllos 
verwendet  also  der  Autor  die  Begriffe  regnum  und  imperium;  dem- 
nach dürfte  er  auch  rex  und  imperator  auseinanderzuhalten  wissen, 
da  für  ihn  die  beiden  Ausdrücke  verschiedene  Bedeutung  haben 
mussten.  Warum  sollte  er  auch  gerade  an  der  fraglichen  Stelle 


')  Er  spricht  p.  6 5 von  Palermo  als  der  sedes  regui  Siciliae  und  p.  72 
von  Aachen  als  der  sedes  regni  ohne  Zusatz. 

*)  Vgl.  auch  die  konsequente  Verwendung  von  regnum  in  der  Er- 
zählung von  den  Throustreitigkeiten  nach  Heinrichs  Tode  (S.  72). 


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das  eine  für  das  andere  gesetzt  haben?1)  Etwa  weil  es  im 
Reiche  immer  nur  einen  Kaiser  zur  Zeit  geben  durfte?  Gerade 
dann  aber  hätte  der  Verfasser  wohl  das  Auffallende  einer  be- 
absichtigten Erhebung  eines  zweiten  Kaisers  eher  hervorgehoben 
als  verschleiert.  Er  bezeichnet  ja  auch  den  Erbkaiserplan  als 
etwas  Unerhörtes,  das  mit  dem  geltenden  Staatsrecht  in  Wider- 
spruch stehe. 

Der  Schwierigkeit,  welche  die  Ausdrucks  weise  der  Annalen 
dem  Winkelmannschen  Erklärungsversuche  bereitet,  sucht 
K.  Hampe  aber  noch  durch  den  Hinweis  auf  eine  Stelle  der 
zeitgenössischen,  sehr  gut  unterrichteten  Reinhardsbrunner 
Chronik  zu  begegnen,  wo,  wie  er  meint,  die  Kaiserkrönung  ganz 
deutlich  als  „unccio  regia“  bezeichnet  werde.  Dadurch  wäre 
allerdings  die  Möglichkeit  nahe  gerückt,  dass  unserem  Annalisten 
auch  von  einer  K ö n i g s krönung  berichtet  wurde  und  dass  er 
das  „königlich“  allzu  wörtlich  auffasste,  zumal  ja  der  Plan 
einer  Königskronung  mit  dem,  was  er  sonst  über  Heinrichs  Be- 
mühungen im  Jahre  1196  wusste,  wohl  zu  vereinen  war.  Er 
selber  meint  jedenfalls  nur  eine  solche. 

Aber  die  Auslegung,  welche  Hampe  der  fraglichen  Stelle 
in  der  Chronik  von  Reinhardsbrunn  gegeben  hat,  scheint  mir 
nicht  zutreffend  zu  sein.  Die  Stelle  (MG.  SS.  XXX,  p.  549) 
lautet: 

Post  insignem,  sed  miserandum  Jerosolimitane  profeccionis 
triumphum  Frederico  Romanorum  imperatore  mortuo,  Heinricus 
illustris,  rnaior  natu  filiorum  ipsius  Romani  monarchiam  apicis 
longe  ante  patris  mortem  quasi successione hereditaria,  eleccion  e 
tarnen  priucipum  Aquisgraui  optinuit,  sed  unccionem 
regiam  non  nisi  patie  Yconiensis  heremi  vastitate  circumdato 
et  famis  acrimonia  reliquo  exercitu  lacerato  consequi  promeruit, 

*)  Vgl.  auch  was  er  zum  Jahre  1191  sagt:  Eodem  anno  rex  Heinricus. . 
in  Italiam  profectua  est.  . . pro  imperiali  consecratione  (p.  62).  — Wenn 
er  den  griechischen  Kaiser  nur  rex  nennt,  so  erklärt  sich  das  wohl  aus  der 
Anschauung  von  dem  einen  imperinm  Romanum.  das  allein  den  Staufern 
zukomml.  S.  Hampe  S.  7.  Nur  wer  Rom  besitzt,  ist  ein  rechter  Kaiser, 
vgl.  Friedrich  I.  bei  Rahewin  IV.  e.  35.  Jene  Ausdrucksweise  begegnet 
übrigens  auch  bei  Otto  von  Freising,  s.  Chronicon  ed.  Wilmanns  p.  247. 
Zn  ihrer  Erklärung  sei  noch  verwiesen  auf  den  alten  Anspruch  der  Byzantiner, 
allein  den  Titel  eines  ßaaiXcw;  führen  zu  dürfen.  (Vgl.  darüber  A.  (iasquet  in 
der  Revue  historique  Bd.  26,  281  ff.) 


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Iß 


quippe  cum  Roma  altitonans  duos  imperatores  in  eodem  tempore 
et  circa  idem  imperium  habere  non  sweverit.  Confectis  itaque 
serenissimi  principis  supprema  morte  carnis  nianubiis,  prefatus 
lieres  eius,  imperator  augustns,  sicud  successionis  hereditarius, 
ita  etiam  felicitatis  paternarum  virtutum  querens  esse  proprietarius 
et  imperatorie  celebritatis  usufruetuarius,  festinos  transal- 
pinandi  procinctus  imperat. 

Dazu  hat  der  Herausgeber  der  Chronik,  0.  Holder-Egger, 
bemerkt  (p.  549,  n.  10),  dass  der  Chronist  hier  von  einer  im 
Mai  1190  — zur  Zeit  als  Friedrich  I.  in  Ikonium  weilte  — 
vollzogenen  Königskrünung  Heinrichs  spreche,  dass  diese  Angabe 
aber  ganz  irrig  sei  und  teilweis  in  Widerspruch  zu  den  sonstigen 
Berichten  der  Chronik  stehe.  Dagegen  meint  der  Chronist  nach 
Hampes  Ansicht  (S.  9):  „Heinrich  verdiente  nicht,  die  Kaiser- 
krönuug  vor  dem  Tode  seines  Vaters  zu  erlangen,  weil  Rom 
niemals  zwei  Kaiser  zu  derselben  Zeit  zu  haben  pflegte.“  Er 
sagte  dies  aber  in  seiner  schwülstigen  Weise  so:  „Heinrich  ver- 
diente nicht,  zum  Kaiser  gekrönt  zu  werden,  ehe  nicht  der 
Vater  eingebettet  war  in  die  Oede  der  Ikonischen  Wüste  und 
das  übrige  Heer  von  nagendem  Hunger  zerfleischt.“  Hampe  beruft 
sich  dabei  noch  auf  die  unmittelbar  folgende  Wendung:  „confectis 
itaque  serenissimi  principis  supprema  morte  carnis  manubiis“, 
d.  h.  nachdem  also  Friedrich  gestorben  war.  Gewiss  vermag 
sie  die  auch  mir  einleuchtende  Auslegung  Hampes  zu  stützen. 
Heinrich  erhielt  die  Krone  nicht,  wie  Holder-Egger  will,  als 
Friedrich  in  Ikonium  weilte,  sondern  erst  als  dieser  gestorben  war. 

Aber  insofern  möchte  ich  doch  Hampe  widersprechen, 
als  mir  mit  der  unccio  regia  keinenfalls  eine  K a i s e r krönung 
gemeint  zu  sein  scheint.  Die  unccio  ist  der  electio  principum 
entgegengestellt;  Heinrich  hatte  zu  Aachen  wohl  die  Wahl  der 
Fürsten  erlangt,  — nun  fragt  der  Leser  sofort,  warum  nicht 
ebenda  auch  gleich  die  Krönung?  Deshalb  fährt  der  Chronist 
fort:  „Die  Krönung  aber  wurde  ihm  erst  nach  des  Vaters  Tode 
zu  Teil.“  Und  weshalb  geschah  das  nicht  vorher?  Weil  zwei 
Kaiser  nicht  zugleich  im  Reich  sein  können.  Heinrich  wäre 
also  durch  die  Königskrönung  Kaiser  geworden.  Allerdings 
geht  die  Meinung  des  Chronisten  dahin.  Das  Kaisertum  wird 
nicht  erst  durch  die  römische  Krönung  erworben.  Heinrich, 
heisst  es,  hat  „die  römische  Monarchie“  wie  durch  Erbgang, 


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17 


doch  unter  Zustimmung  der  Fürsten  überkommen,  er  tritt  nach 
des  Vaters  Tode  sofort  in  dessen  Recht  ein  und  hat  die  volle 
kaiserliche  Gewalt;  er  wird  daher  auch  von  dem  Verfasser  der 
Chronik  vor  der  Kaiserkrönung  bereits  „imperator  augustus“ 
genannt.  Den  Inhalt  des  Kaisertums  bildet  hiernach  offenbar 
nicht  die  advocatia  ecclesiae,  sondern  die  Herrschaft  über  das 
Reich.  Der  Autor  steht  unter  dem  Einfluss  der  von  uns  oben 
behandelten  Idee  des  römischen  Imperium.  Das  Reich  ist  auch 
ihm  ein  römisches  Kaiserreich  und  seine  Herrscher  sind  von  Anfang 
an  römische  Kaiser.  Der  Gedanke  des  fränkisch -deutschen 
Königtums  tritt  daneben  auch  hier  stark  zurück.  Demgemäss 
konnte  die  Wahl  als  eine  electio  in  imperatorem  — als  solche 
hat  man  sie  hernach  ja  bezeichnet  — und  die  Handlung  zu 
Aachen  als  eine  Investitur  in  das  Kaiserreich  aufgefasst 
werden.  Wäre  Heinrich  vorher  in  Aachen  investiert  worden, 
so  wäre  ihm  damit  die  Befugniss  zu  augenblicklichem  Antritt  der 
kaiserlichen  Herrschaft  übertragen  worden,  es  hätte  dann  in 
der  That  zwei  Verweser  für  das  Imperium,  zwei  „imperatores“ 
gegeben.  Der  Verfasser  weiss  nicht,  dass  ein  derartiger  Zu- 
stand thatsächlich  früher  bestanden  hat,  er  hält  ihn  überhaupt 
für  unzulässig. 

Die  kaiserliche  Krönung  weiss  er,  worauf  schon  Holder- 
Egger  hinwies,  sehr  wohl  von  der  königlichen  zu  scheiden;  er 
erzählt  bald  hernach  von  Heinrich: 

Summum  pontificem  pro  regni1)  dyademate  et  exultacionis 
oleo  adire  decrevit.  Denique  Heinricus  rex  accepit  coronam 
imperialem  a domino  Celestino.  . . . Imperator  accedens  . . . 
coronam  imperialem  optinuit  et  benedictionem. 

Er  nennt  ihn  hier  rex,  meist  aber,  wie  gesagt,  schon  vor 
der  römischen  Krönung  imperator,  dies  war  er  der  Sache,  jenes 
dem  Titel  nach.  Ferner  kann  man  aber  noch  auf  eine  Stelle 
verweisen,  nämlich  auf  den  Schlusssatz  des  oben  angeführten 
Stückes  der  Reinhardsbrunner  Chronik. 

Heinrich,  wird  da  erzählt,  will  nach  Italien  ziehen,  um  sich 
Apulien  zu  unterwerfen  und  die  Kaiserkrönung  zu  erlangen. 
Das  sagt  der  Verfasser  in  dem  Satze  von  prefatus  heres  eius 

')  Die  Verwendung  des  Wortes  regnum  da,  wo  man  imperiom  erwarten 
sollte,  erklärt  sich  wohl  daraus,  dass  regnum  nicht  nur  .Königreich*, 
sondern  auch  allgemein  .Reich*  oder  .Herrschaft*  bedeutete. 

K ramm  er,  der  Ueicbsgedanke  des  staufischen  Kaiserhauses  2 


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18 


bis  procinctus  imperat,  dessen  Sinn  sich  etwa  dahin  wiedergeben 
lässt:  „Da  sein  Erbe,  der  erlauchte  Kaiser,  danach  trachtete, 
wie  auf  ihn  bereits  die  Thronfolge  übergegangen  war,  so  nun 
auch  der  Besitzer  des  Erfolges,  den  die  väterliche  Tüchtigkeit 
gehabt  hatte,  zu  werden  und  zu  dem  Genuss  der  kaiserlichen 
Feierlichkeit  zu  kommen,  befahl  er  rasche  Rüstung  zum  Zuge 
Uber  die  Alpen.“  Mit  dem  „Erfolg  der  väterlichen  Tüchtigkeit“ 
ist  dabei  offenbar  die  Gewinnung  des  staufischen  Anrechts  auf 
Sizilien  durch  Friedrich  I.  gemeint.  Die  Worte  „imperatoria 
celebritas“  sind  nicht  etwa  mit  „kaiserliches  Ansehen“,  „kaiser- 
liche Würde“  zu  übersetzen,  denn  dieser  war  Heinrich  ja  durch 
den  Tod  des  Vaters  schon  teilhaftig  geworden.  Als  Inhaber 
der  Kaisergewalt  giebt  er  den  Befehl  zu  jenen  Rüstungen, 
mittelst  deren  er  in  den  Ususfructus  der  imperatoria  celebritas 
zu  gelangen  hofft.  Dagegen  hat  er  schon  vor  dem  Aufbruch 
in  Deutschland  die  unccio  regia,  durch  die  er  zum  imperator 
wurde,  erhalten.  Die  Kaiserkrönung  und  die  Königskrönung 
stellt  der  Chronist  also  deutlich  einander  gegenüber. 

Man  wird  aber  einwenden:  Der  Grund,  den  der  Chronist 
dafür  vorbringt,  dass  Heinrich  bei  Lebzeiten  des  Vaters  nicht 
gekrönt  werden  konnte,  sei  der  nämliche,  der,  wie  andere 
Quellen1)  berichten,  von  der  Kurie  den  Bemühungen  Friedrichs 
um  eine  Kaiserkrönung  seines  Sohnes  entgegengehalten  worden 
ist.  Daher  wäre  doch  wohl  auch  hier  eine  Kaiserkrönung  ge- 
meint. Ich  gebe  zu,  dass  der  Chronist  in  der  That  von  diesem 
Plane  Friedrichs  gehört  haben  mag,  doch  hat  er  ihn  offenbar 
ganz  falsch  aufgefasst,  was  wieder  mit  seinen  Staatsanschauungen 
zusammenhängt.  Für  ihn  ist  ja  der  König  sofort  auch  „imperator 
augustus“;  also  wird  schon  durch  die  Aachener  Krönung  ein 
Kaiser  kröirt.  Demgemäss  konnte  er  leicht  zu  dem  Glauben 
gelangen,  dass  jener  Einwand,  der  gegen  Friedrichs  Unter- 
nehmen erhoben  worden  war,  sich  gegen  den  Plan  einer  Krönung 
zu  Aachen,  nicht  gegen  den  einer  Krönung  zu  Rom  gerichtet 
habe;  in  der  That  entsprach  ja  auch  der  erstere  Gedanke  weit 
mehr  der  Gewohnheit  als  der  letztere. 

')  Z.  ß.  Chrou.  reg.  Col.  ail  a.  1185:  Unde  cum  imperator  vellet,  ut 
imperiali  benedictione  sublimaretur,  fertur  papa  [Lucius  TII.]  reapondisae  . . .: 
uou  esse  conveniena,  duos  imperatore»  preesse  Romano  imperio. 
Ed.  Waitz  p.  184.  Vgl.  Toeche,  Kaiser  Heinrich  VI.,  S.  615. 


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19 


Jedenfalls  kann  kein  Zweifel  darüber  bestehen,  dass  die 
in  so  engem  Zusammenhänge  mit  Aachen  erwähnte  unccio  regia 
nur  als  die  dort  zu  vollziehende  Königskrönung  aufzufassen 
ist.  Damit  wäre  einer  Hauptstütze  des  Hampeschen  Beweises 
der  Boden  entzogen. 

Und  im  Allgemeinen  lässt  sich  hinsichtlich  der  Auslegung 
des  Marbacher  wie  des  Reinhardsbrunner  Chronisten  sagen: 
Die  Entwicklung  des  Staatsgedankens  ging  während  des  zwölften 
Jahrhunderts,  wie  wir  wissen,  dahin,  dass  anfangs  zwischen 
deutschem  Königtum  und  römischem  Kaisertum  sorgsam  unter- 
schieden wurde,  dann  aber,  seit  Friedrich  I.,  der  letztere  Begriff 
stark  das  Uebergewicht  gewann.  Das  deutsche  Reich  wurde  als 
römisches  Imperium,  die  Deutschen  als  Römer,  der  blosse  König 
schon  als  Imperator  angesehen.  Unter  diesen  Umständen  erscheint 
es  nicht  als  annehmbar,  dass  nun  wieder  dem  deutschen  Reich 
entlehnte  Ausdrücke,  wie  rex  und  unctio  regia,  angewandt  worden 
wären,  wenn  es  sich  an  den  fraglichen  Stellen  um  das  römische 
Kaisertum  gehandelt  hätte. 

Der  Marbacher  Annalist,  der  seine  Worte  sorgsam  wählt, 
der  nicht  schwülstig  schreibt  wie  der  Reinhardsbrunner  und 
regnum  und  rex  nur  für  Deutschland  anwendet,  erzählt  ein  paar 
Seiten  weiter,  dass  die  unctio  in  regem  dem  Trierer  und  dem 
Kölner  Erzbischof  zusteht  (p.  72  der  Neuausgabe).  Wäre  ihm 
nicht  — so  können  wir  sagen  — von  seinen  gut  unterrichteten 
Gewährsmännern  (s.  oben  S.  13)  auf  das  Bestimmteste  ver- 
sichert worden,  dass  Heinrich  thatsächlich  eine  Krönung  Friedrichs 
zum  römischen  Könige  erstrebt  habe,  so  hätte  er  gewiss  die 
Ausdrucksweise  nicht  gewählt,  die  wir  bei  ihm  finden.  Von 
selber  kann  er  auf  diesen  so  weit  ausserhalb  des  Bereichs 
aller  staatsrechtlichen  Gewohnheit  liegenden  Gedanken  nicht 
gekommen  sein.  Dass  er  sich  bei  ihm  nicht  länger  aufhält  und 
keine  Betrachtungen  darüber  anstellt,  dass  solches  deutschen 
Fürsten  zu  tun  gebühre,  erklärt  sich  sehr  wohl  daraus,  dass 
er  eben  erst  von  dem  „unerhörten  Wagniss“  Heinrichs,  der 
einstweilen  geglückten  Umwandlung  des  Reiches  in  eine  Erb- 
monarchie gesprochen  hatte.  Hierdurch  hatte  Heinrich  die 
Reichsverhältnisse  völlig  verändert,  und  wie  dadurch  für  ihn  die 
Notwendigkeit  die  Fürsten  zu  bitten,  sie  möchten  seinen  Sohn 
in  gewohnter  förmlicher  Weise  küren,  hinweggefallen  war,  so 

2* 


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20 


bedurfte  es  nun  auch  nicht  mehr  des  Vollzuges  der  altherge- 
brachten Krönung  in  Aachen.  Mit  all'  diesem  hatte  Heinrich 
nun  gebrochen.  Dennoch  musste  der  junge  Erbkönig  gekrönt 
werden.  Das  war  ja  auch  in  England  und  Frankreich  üblich. 
Wenn  Heinrich  jetzt  dies  Amt  keinem  deutschen  Fürsten, 
sondern  dem  Papste  übertragen  wollte,  so  konnte  das  dem  Autor 
nach  dem  bisherigen  Vorgehen  Heinrichs  schon  als  ein  be- 
greiflicher Schritt  erscheinen.  Es  handelte  sich  eben  damals 
überhaupt  um  einen  Ausnahmezustand. 

Dass  endlich  die  Ausdrucksweise  unserer  Quelle  es  ver- 
bietet, an  den  Plan  einer  sizilischen  oder  italienischen  Königs- 
krönung zu  denken,  wurde  oben  bereits  angedeutet  (S.  1 3 f). 
Man  müsste  denn  vermuten,  der  Autor  habe  einen  dieser  Pläne 
mit  den  sonstigen  Bemühungen  Heinrichs  um  Friedrichs  Nach- 
folge im  römischen  Reiche  vermengt.  Doch  wäre  man  dadurch 
wieder  zu  der  so  wenig  wahrscheinlichen  Annahme  genötigt, 
dass  der  Annalist  selbständig  auf  den  Gedanken  einer  römischen 
Königskrönung  durch  den  Papst  gekommen  sei.  Und  meint 
man  dennoch,  dass  Kaiser  Heinrich  VI.  eine  sizilische  Krönung 
seines  Sohnes  beabsichtigt  habe  — an  eine  italienische  ist  aus 
bestimmten  Erwägungen1)  fast  garnicht  zu  denken  — , so  frage 
ich,  warum  hat  denn  der  Annalist  gerade  diesen  Umstand  nicht 
klar  berichtet,  er,  der  sonst  über  die  Geschicke  Siziliens  und  die 
staatsrechtliche  Stellung  dieses  Landes  sehr  wohl  unterrichtet  ist? 

Nach  allem  wird  nicht  zu  bezweifeln  sein,  dass  in  der 
That,  so  auffallend  es  auch  klingen  mag,  im  Jahre  1196  Kaiser 
Heinrich  VI.  den  Papst  Cölestin  III.  um  eine  Krönung  des 
jungen  Friedrich  zum  römischen  Könige  ersucht  hat.  Es  ist 
jetzt  an  uns,  eine  Probe  des  Exempels  zu  geben  und  zu  zeigen, 
dass  sich  ein  derartiger  Plan  weit  eher  als  der  irgend  einer 
anderen  Krönung  in  die  damalige  Politik  des  Kaisers  den 
Fürsten  wie  dem  Papste  gegenüber  einreihen  lässt. 


IV. 

Auf  dem  Reichstage  zu  Worms,  im  Dezember  1195,  legte 
Heinrich  VI.  zuerst  den  deutschen  Fürsten  den  Plan  der  Um- 


')  Darüber  a.  unten  S.  30. 


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21 


gestaltung  des  Wahlreichs  in  eine  Erbmonarchie  vor.1)  Er 
begehrte  dazu  ihre  Einwilligung  in  herrischer  Weise  und  drohte, 
sie,  falls  sie  sich  weigern  sollten,  als  Reichsfeinde  in  den  Kerker 
werfen  zu  lassen.  Sie  erbaten  und  erhielten  Bedenkzeit.  Auf 
der  nächsten  Versammlung,  im  April  1196  zu  Würzburg,  gaben 
die  meisten,  zum  Teil  aus  Furcht  vor  des  Kaisers  Macht,  zum 
Teil  verlockt  durch  seine  Gegenanerbietungen  ihre  Zustimmung. 
Nur  der  Westen  verharrte  in  unerschütterlichem  Widerstande. 
Köln,  wo  damals  Adolf  von  Altena  den  Krummstab  führte,  war 
der  Mittelpunkt  der  welfischen,  dem  Kaiserhause  feindlichen 
Partei.  Vergebens  suchte  Heinrich,  der  sich  nach  dem  Würz- 
burger Tage  bis  in  den  Juni  hinein  am  Rhein  auf  hielt,  die 
dortigen  Fürsten  zu  gewinnen.  In  ihrem  Kern  blieb  die 
Gegnerschaft  uuerschüttert.  Es  galt  einen  anderen  Versuch 
zu  ihrer  Ueberwindung  zu  machen.2) 

Schon  vor  seinem  Abzüge  nach  Italien,  der  den  Marbacher 
Annalen  zufolge  um  Johanni  1196  stattfand,  hat  Heinrich 
von  Deutschland  aus  eine  Botschaft  an  die  Kurie  gesandt.3) 
Er  schrieb  im  Juni  an  den  Papst,4)  all’  sein  Sinnen  sei  darauf 
gerichtet,  zwischen  der  Kirche  und  dem  Reiche  jetzt  einen  alle 
Zeiten  überdauernden  Frieden  zustandezubringen.  Er  habe  den 
päpstlichen  Legaten  Petrus,  Kardinalpriester  von  S.  Cecilia, 
nur  deshalb  so  lange  zurückgehalten,  um  einen  so  wichtigen 
Vertrag  mit  ihm  in  Müsse  und  gründlich  dnrchberaten  zu  können. 
Aber  auch  damals  hat  er  den  Kardinal  noch  nicht  von  sich 
gehen  lassen.  Erst  am  4.  September  schrieb  Cölestin  III.  an 
den  Bischof  von  Fermo5):  Praeterea  scias,  quod  in  proximo 
expectamus  nuncios  imperatoris,  qui  cum  dilecto  filio  P.  tit.  S. 
Cecilie  presbitero  cardinali,  apostolicae  sedis  legato,  sunt  ad 
nos,  sicut  aecepimus,  accessuri  pro  paee  inter  ecclesiam  et 
imperium  reformanda.  Kurz  znvor  muss  also  Heinrich  wieder 
eine  Botschaft  und  mit  dieser  den  Kardinallegaten  an  die  Kurie 
gesandt  haben. 


i)  Zum  Folgenden  s.  Toeche  a.  a.  O.  S.  413  ff. 

а)  S.  auch  Toeche  8.  416. 

*)  Ebenda  8.  431  f. 

*)  MG.  Const.  I,  p.  629.  nr.  371. 

б)  Toeche  8.  435.  Jafle-Löweufeld,  Kegeata  pontificuiu  Korn.  17  426. 


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22 


Wir  treffen  Heinrich  bereits  im  Juli  in  Oberitalien  an;  er 
urkundet  am  28.  in  Turin.1)  Er  war  auf  dem  Wege  nach 
Apulien,  wo  er  aber  erst  im  Dezember  eintraf,  so  dass  die 
Aeusserung  der  Marbacher  Annalen,  er  habe  sich  auf  seinem 
Wege  dorthin  lange  in  Italien  aufgehalten,  vollkommen  zutrifft. 
In  jener  Zeit,  sagen  sie  dann,  habe  Heinrich  wegen  des  Friedens 
und  wegen  der  Krönung  seines  Sohnes  mit  der  Kurie  zu  unter- 
handeln begonnen;  weiter  heisst  es:  Ipso  tempore  frater 
imperatoris  Cunradus  dux  Suevie  obiit.  Von  diesem  wissen 
wir,  dass  er  am  15.  August  zu  Durlach  oder  zu  Oppenheim 
starb.2)  Vor  dem  23.  schon  hatte  den  Kaiser  die  Nachricht 
in  Mailand  erreicht.3)  Also  schon  im  August  muss  Heinrich 
seine  Verhandlungen  mit  der  Kurie  eingeleitet  haben;  dazu 
stimmt  das,  was  wir  aus  dem  Briefe  Cölestins  an  den  Bischof 
von  Fermo  wissen.  Die  hier  Anfang  September  erwartete 
Gesandtschaft  wird  es  also  mutmasslich  gewesen  sein,  welche 
dem  Papste  die  Bitte  des  Kaisers  unterbreitet  hat,  seinen  Sohn 
zu  taufen  und  zum  Könige  zu  krönen. 

Es  ist  durchaus  begreiflich,  dass  Heinrich  damals  und  zwar 
erst  damals  mit  einem  derartigen  Anschläge  hervortrat.  Er 
hatte  sich  kurz  zuvor  von  der  Hartnäckigkeit  des  Widerstandes 
der  westdeutschen  Fürsten  und  besonders  Adolfs  von  Köln 
überzeugt.  Hier  war  mit  Unterhandlungen  nichts  mehr 
auszuricbten.  Wenn  aber  jetzt  der  Papst  den  jungen  Friedrich 
zum  Könige  krönte,  so  wurde  damit  gegen  den  Mittelpunkt  der 
Gegnerschaft,  gegen  Adolf  von  Köln,  ein  vernichtender  Schlag 
geführt,  ihm  das  Krönungsrecht  entzogen  und  er  damit  seiner 
alle  anderen  Fürsten  überragenden  Stellung  beraubt.  Gerade 
sein  Widerstand  wird  begreiflich,  wenn  man  bedenkt,  dass  er 
durch  Heinrichs  Reformplan  wohl  am  allerschwersten  getroffen 
wurde.  Denn  er  hatte  es  ja  in  der  Hand,  dem  Erwählten  die 
Stadt  Aachen,  die  sedes  regni,  zu  eröffnen,  sein  alleiniges  Recht4) 


»)  Ebenda  S.  422. 

J)  Die  Quellen  geben  beide  Orte  an;  vgl.  Toeche  S.  440,  Anm.  1. 

’)  Das  ergiebt  sieb  ans  Reg.  imp.  V,  nr.  10  b.  c. 

*)  Nach  dem  Schreiben  der  deutschen  Bischöfe  an  den  Papst  Hadrian  IV. 
von  1157  hatte  Friedrich  L erklärt:  regalem  nnctionem  Coloniensi,  supremam 
vero,  qnae  imperialis  est,  summo  pontifici  (recognoscimus).  MG.  Const.  L, 
p.  233,  nr.  167.  Rahewin,  Gesta  Frid.  III,  c.  17;  ed.  Waitz  p.  149. 


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23 


war  es,  ihn  dort  zu  krönen  und  zu  salben.  Einem  ehr- 
geizigen Fürsten  wie  Adolf  war  damit  ein  Mittel  zu  gewaltiger 
Steigerung  der  Macht  und  des  Einflusses  der  Kölner  Kirche  in 
die  Hand  gegeben;  er  und  seine  Nachfolger  haben  es  in  diesem 
Sinne  zu  gebrauchen  gewusst.1) 

Aber  abgesehen  davon,  dass  der  Kölner  Heinrichs  Erzfeind 
war  und  rücksichtslos  gegen  ihn  vorgegangen  werden  musste, 
war  es  in  jedem  Falle  notwendig,  wie  die  deutsche  Wahl  so 
auch  die  deutsche  Krönung  zu  beseitigen.  Denn,  wenn  auch 
die  Fürsten  durch  ihren  Verzicht  auf  die  Wahl  zugleich  auch 
das  ihnen  in  ihrer  Eigenschaft  als  Wähler  zustehende  Recht, 
bei  einem  Teile  der  Aachener  Handlung,  der  Thronerhebung, 
mitzuwirken,  aufgegeben  hatten  und  sie  so  den  Charakter  einer 
Einsetzung  ins  Reich  durch  die  Wählerschaft  in  Zukunft 
nicht  mehr  haben,  sondern  nur  als  rein  geistliche  Feierlichkeit 
fortbestehen  konnte,  so  war  doch  gerade  damit  für  den  hohen 
Klerus  die  Möglichkeit  eröffnet,  wie  einst,  bevor  das  Laientum 
in  die  Handlung  eingedrungen  war,2)  das  Königtum  als  eine  von 
ihm  eingesetzte,  ihm  gegenüber  zu  gefügiger  Ergebenheit  ver- 
pflichtete Institution  hinzustellen.  Derartige  Folgerungen  haben 
die  Bischöfe  früher  aus  ihrem  Salbungs-  und  Krönungsrecht 
wohl  zu  ziehen  gewusst;  ich  erinnere  vor  allem  an  Hinkmar 
von  Reims.3)  Sogar  ein  Absetzungsrecht  glaubte  man  aus  dem 
Einsetzungsrecht  ableiten  zu  können.4)  Festgelegt  ist  die 
Grundanschauung  in  den  Worten,  mit  denen  bei  jeder  Krönung 
der  Kölner  Bischof  den  König  anzureden  pflegte:  Sta  et  retine 
amodo  locum,  quem  hucusque  paterna  successione  tenuisti 
hereditario  iure  . . . delegatum  tibi  per  auctoritatem  Dei  . . . 
et  per  presentem  traditionem  nostram,  omnium  scilicet 


')  Vgl.  M.  Krammer,  Wabl  und  Einsetzung  des  deutschen  Königs 
(Quellen  u.  Stadien  z.  Verfassungsgesch.  d.  deutschen  Reichs  berausgeg.  von 
K.  Zeumer  I,  2),  S.  13  ff.  43  ff.  101  ff. 

s)  Das  lässt  sich  erst  seit  dem  12.  Jahrh.  deutlich  beobachten;  s.  Krammer 
a.  a.  0.  8.  12  ff.  S.  26. 

s)  Lilienfein,  die  Anschauungen  von  Staat  und  Kirche  im  Reiche  der 
Karolinger  (Heidelberg  1902),  S.  100.  124.  148.  Krammer  a.  a.  O.  S.  26. 
*)  Waitz,  Deutsche  Verfassungsgeschichte  VI2,  8.  601  f. 


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24 


episcoporum  ceterorumque  Dei  servorum.1)  Später,  im 
13.  und  14.  Jahrhundert,  haben  die  Erzbischöfe  von  Köln  mit 
allen  Kräften  danach  gestrebt,  die  Wählerschaft  von  der 
Aachener  Handlung  fernzuhalten,  sie  an  der  Vollziehung  der 
Thronerhebung  zu  hindern  und  die  so  umgestaltete  Handlung 
unter  Hintansetzung  der  Wahl  zur  alleinigen  Rechtsbasis  des 
Königtums  zu  machen.2) 

Durch  die  blosse  Beseitigung  der  Wahl  wäre  also  die  Selbst- 
ständigkeit und  Unabhängigkeit  der  staufischen  Herrschaft  keinen- 
falls  schon  erreicht  worden.  Erst,  wenn  die  Aachener  Handlung 
beseitigt  wurde,  konnte  Heinrich  getrost  in  die  Zukunft  blicken, 
ohne  befürchten  zu  müssen,  dass  eine  Hierokratie  die  Macht 
seines  Hauses  wieder  stürzen  würde.  Bei  diesem  Unternehmen, 
das  seinem  Reformplane  also  den  notwendigen  Abschluss  ge- 
geben hätte,  sollte  ihm  der  Papst  helfen.  Wenn  dieser  jetzt 
den  jungen  Prinzen  zum  Könige  krönte,  hätte  er  seine  Befugnis 
zu  dieser  Krönung  verteidigen  müssen  und  wäre  dauernd  zum 
natürlichen  Gegner  Adolfs  und  seiner  Ambitionen  geworden. 
Von  den  übrigen  Fürsten  waren  die  Laien  ja  von  ihrem  Anteil 
an  der  Krönung  völlig  zurückgetreten,  von  den  Geistlichen  selbst 
Mainz  und  Trier  lange  nicht  so  stark  an  der  Handlung  inter- 
essiert wie  Köln;  sie  alle  hätten  keinen  Anlass  gehabt,  dem 
Kaiser,  weil  er  eineu  der  Ihren  eines  Sonderprivilegs  beraubte, 
zu  zürnen.  Vielleicht  wäre  es  manchem  von  ihnen  sogar  nicht 
unlieb  gewesen. 

Unter  diesen  Umständen  hätte  Adolf  von  Köln  sich  in  das 
Unvermeidliche  wohl  fügen  müssen.  Zu  solchem  Ziele  aber  war 
nur  durch  eine  päpstliche  Königs krönung  zu  gelangen.  Nur 
dadurch  wären,  wie  gesagt,  Papst  und  Erzbischof  unversöhnliche 
Gegner  geworden.  Auf  eine  Kaiserkrönung  hin  hätte  sich  Adolf 
wohl  auch  unterworfen,  doch  sicherlich  nur  unter  der  Bedingung, 
dass  nun  an  Friedrich  die  Aachener  Königskrönung  noch  nach- 
geholt werde.  Ein  Vollzug  dieser  Handlung  war  durch  den 
der  Kaiserkrönung  keineswegs  unmöglich  gemacht,  da  ja  ein 


')  So  in  allen  Ordines,  die  bei  W&itz,  Die  Formeln  der  deutschen 
Königs-  und  d.  röm.  Kaiserkrönung  vom  10.  bis  12.  Jhd.  (Abh,  der  KgL 
Oe»,  d.  Wisi.  zu  Göttingen  XVHL  1873)  gedruckt  sind. 
a)  Kr&mmer  a.  a.  O.  S.  101  ff. 


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25 


Kaiser  der  Römer  als  solcher  noch  durchaus  kein  Recht  hatte, 
auch  als  deutscher  König  auftreten  zu  können.  Heinrich  wäre 
also  nichts  übrig  geblieben,  als  das  Weiterbestehen  der  Aachener 
Handlung  förmlich  zu  sanktionieren. 

Aber  man  wird  nun  entgegnen:  In  gleichem  Masse  wie  der 
Kaiser  diese  Königskrönung  vermeidet,  erstrebt  er  doch  eine 
solche  durch  den  Papst?  Tauscht  er  aber  damit  nicht  lediglich 
einen  Herrn  gegen  den  anderen  ein?  Unterwirft  er  nicht  mehr 
als  alle  bisherigen  Herrscher  das  Reich  dem  Papste,  da  er 
diesem  ja  zu  dem  ihm  ohnehin  zustehenden  Rechte  der  Kaiser- 
krönung auch  noch  das  der  unccio  in  regem  überweisen  will, 
ihm  also  ausser  dem  römischen  Kaisertum  auch  das  deutsche 
Königtum  unterwirft?1)  Darauf  sei  hier  erwidert  (vgl.  unten 
S.  32  ff.),  dass  Heinrich  seiner  Dynastie  zunächst  eine  feste  und 
dauernde  Herrschaft  über  Deutschland  sichern  wollte,  um,  wenn 
ihm  dies  gelungen  war,  ungestört  seinen  Lieblingsplänen  nach- 
gehen und  das  Reich  weit  über  die  bisherigen  Grenzen  hinaus 
erweitern  zu  können.  So  dachte  er  sich  eine  Machtstellung 
zu  gewinnen,  von  der  aus  sich  auch  der  päpstliche  Einfluss 
jederzeit  leicht  zurückdämmen  lassen  würde. 

Eine  abschliessende  Erklärung,  weshalb  Heinrich  diese 
Königskrönung  durch  den  Papst  vornehmen  lassen  wollte  und 
welche  Anschauung  er  von  diesem  neuartigen  Königtum  hatte, 
kann  erst  gegeben  werden,  wenn  wir  die  weiteren  Schritte 
Heinrichs  im  Jahre  1196  und  auch  noch  die  Möglichkeit  einer 
sizilischen  Königskrönung  Friedrichs  erörtert  haben. 

Es  ist  überliefert,  welche  Stellung  Heinrich  ebendamals, 
als  er  mit  der  Kurie  jene  Verhandlungen  führte,  den  übrigen 
Grossen  des  Reichs  gegenüber  einnahm,  denen  also,  die  ihm  vor 
Kurzem  ihre  verbriefte  Zustimmung  zu  dem  Reformplan  gegeben 
hatten. 

Zu  Anfang  Oktober  forderte  der  kaiserliche  Legat  Graf 
Gerhart  von  Querfurt  die  namens  des  Kaisers  nach  Erfurt  ein- 
berufenen  Fürsten  auf,  nun  energisch  an  die  Vorbereitungen  zu 
dem  in  Aussicht  genommenen  Kreuzzuge  zu  gehen.  Er  erhielt 
aber  vom  Landgrafen  Hermann  von  Thüringen,  der  für  die 
Versammelten  sprach,  eine  sehr  kühle  Antwort.  Weiter  be- 

')  Vgl.  Uampe  a.  a.  O.  S.  5. 


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26 


richtet  der  Chronist  von  Reinhardsbrunn,  der  bei  den  nahen 
Beziehungen  seines  Klosters  zum  landgräflichen  Hause  über 
den  Verlauf  all  dieser  Verhandlungen  sehr  gut  unterrichtet  ist: 
Verum  de  hereditando  posteris  suis  regno  coram  principibus 
universis  verbum  imperator  insumptum  cum  suarum 
ostensione  litterarum  inrevocabiliter  in  eodem 
concilio  refricavit.  Atque  ita  ibi  nihil  aliud  diffinitum  esse 
dinoscitur,  nisi  quod  gravibus  principes  defatigati  expensis  minus 
benivolum  erga  imperatorem  animum  habuerunt.1) 

„Aber  hinsichtlich  der  Vererbung  des  Reiches  an  seine 
Nachkommen“,  sagt  die  Chronik,  „erinnerte  der  Kaiser  — unter 
Vorweisung  der  darüber  ausgestellten  Briefe2)  — au  das  ihm 
unwiderruflich  gegebene  Wort.“ 

Zu  derselben  Zeit  ungefähr,  im  Spätsommer  oder  Herbst 
1196,  als  Heinrich  an  die  Kurie  jenes  Ansinnen  einer  Königs- 
krönung stellte,  muss  er  also  auch  nach  Deutschland  eine 
Botschaft,  welche  die  Fürsten  energisch  an  ihre  Pflichten  er- 
innern und  sie  in  der  Treue  erhalten  sollte,  gesandt  haben.3) 


>}  MG.  SS.  XXX,  P.  557. 

s)  Die  Wendung  „cum  suarum  ostensione  litterarum*  kann  sieb  hier 
nnr  auf  die  Urkunden  beziehen,  in  denen  die  Fürsten  vor  Kurzem  dem 
Kaiser  ihre  Zustimmung  zu  dem  Erbkaiserplan  erteilt  hatten  und  die  er 
ihnen,  als  nicht  lange  nach  dem  Erfurter  Tage,  gegen  Ende  des  Jahres, 
der  Plan  fallen  gelassen  wurden  wieder  zurückstellen  liess. 

*)  Es  ist  durchaus  nicht  notwendig,  mit  Toeche  (S.  443,  Anm.  4)  anzu- 
nehmen, dass  der  Graf  von  Querfurt  von  Heinrich  bereits  damals  mit 
der  Anweisung  nach  Erfurt  geschickt  worden  sei,  im  Falle  eines  sich  jetzt 
erhebenden  Widerstandes  der  Fürsten  gegen  den  Reformplan  dieselben 
namens  des  Kaisers  von  ihrem  Versprechen  zu  entbiuden  und  die  Erlaubnis 
zu  einer  Wahl  Friedrichs  zu  erteilen.  T.  meint:  Da  die  Wahl  im  Dezember, 
der  Reichstag  aber  wohl  im  Oktober  stattfand,  so  habe  Heinrich  bei  der 
Kürze  der  zwischen  beiden  Ereignissen  liegenden  Zeit  nicht  erst  auf  Nach- 
richt von  dem  Erfurter  Tage  hin  jene  Anweisung  an  den  Gesandten  erteilen 
können.  Der  Reinhardsbrunner  Chronist  sagt  aber  mit  aller  Klarheit,  dass 
der  Kaiser  auf  dem  Erfurter  Tage  sein  Wort  nicht  zurUcknahtn  und  dass 
dort  überhaupt  nichts  rechtes  geschah,  nur  dass  sich  hier  zuerst  eine  un- 
günstigere Stimmung  uuter  den  Fürsten  geltend  machte.  Erst  später  berichtet 
er,  dass  Heinrich  „videus  principes  . . . difficiliter  sibi  annuere“,  das 
heisst,  nachdem  er  von  ihrem  Verhalten  in  Erfurt  gehört  hatte,  von  seinem 
Vorhaben  abliess.  Da  also  Heinrich  eine  Gesandtschaft  nach  Deutschland 
geschickt  haben  muss,  die  jeden  Abfall  vom  Reformplan  zu  verhindern  Ordre 
hatte,  so  ist  wohl  das  wahrscheinlichste,  dass  diese  schon  zu  einer  Zeit  aus 


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27 


Während  gegen  die  Widersacher  des  Kaisers,  gegen  Adolf  von 
Köln  und  die  Seinen,  ein  vernichtender  Streich  vorbereitet 
wurde,  galt  es  sich  zugleich  der  Anhängerschaft  zu  versichern, 
damit  sic  nicht  ins  Wanken  geriete.  So  passt  der  Plan  Heinrichs, 
den  wir  aus  den  Marbacher  Annalen  kennen,  sehr  gut  zu  dem, 
was  die  zeitgenössische  Heinhardsbrunner  Chronik  über  seine 
ebendamals  den  ihm  anhängenden  Fürsten  gegenüber  beobachtete 
Politik  meldet. 

Die  in  Erfurt  Versammelten  gingen  also  nicht  geradezu 
gegen  den  Erbkaiserplan  vor;  sie  zeigten  sich  nur  in  einer 
anderen,  dem  Kaiser  sehr  am  Herzen  liegenden  Angelegenheit, 
schwierig  und  gaben  ferner  zu  verstehen,  dass  ihnen  die 
Unkosten,  welche  der  Reichsdienst  damals  mit  sich  brachte,  zu 
viel  würden.  So  musste  Heinrich  erkennen,  dass  man  ihm 
unlustig  folge,  dass  er  sich  nur  durch  ein  grösseres  Entgegen- 
kommen die  Dienstbereitschaft  seiner  Untergebenen  zurück- 
erkaufen könne.  Dementsprechend  hat  er  auch  gehandelt.  Die 
genannte  Chronik  sagt,  nachdem  sie  ihrem  Berichte  über  den 
Erfurter  Tag  zunächst  einiges  andere  *)  angereiht  hat  (1.  c.p.  558): 


Italien  abgiug,  wo  der  Kaiser  eben  erst  in  die  Vei  handlangen  mit  der  Kurie 
eingetreten  war,  also  wohl  hoffen  konnte,  des  Nordens  mit  ihrer  Hilfe  Herr 
zu  werden.  Als  diese  erst  ihre  ablehnende  Haltung  deutlicher  kundgegeben 
hatte,  hat  Heinrich  nicht  mehr  seine  Anhänger  io  so  schroffer  Weise  an 
ihre  Pflicht  mahuen  zu  müssen  geglaubt ; er  ist  zu  Kompromissen  bereit  ge- 
wesen und  hat  den  Reforraplan  aufgegeben.  Demnach  dürfte  die  Botschaft 
nach  Deutschland  etwa  gleichzeitig  mit  der  an  die  Kurie,  im  August  1196, 
abgegangen  sein;  vielleicht  ging  damals  auch  Heinrichs  Bruder  Philipp,  der 
neuernannte  Herzog  von  Schwaben,  nach  dem  Norden.  Dann  aber  kann 
der  Erfurter  Tag  schon  vor  Mitte  Oktober  beendigt  worden  sein,  wofür 
vielleicht  auch  der  Umstand  anzuführen  ist,  dass  in  einer  aus  Erfurt  vom 
17.  dieses  Monats  datierten  Urkunde  Konrads  von  Mainz  als  Zeugen  ausser 
dem  Bischof  von  Havelberg  und  einigen  thüringischen  Grafen  keiner  von  den 
grossen  Herren,  die  am  Reichstage  teilnahmen,  mehr  genannt  ist  (Geschichts- 
quellen der  Provinz  Sachsen  XX1I1.  U.  - B.  d.  Stadt  Erfurt,  hrsg.  von 
C.  Beyer,  I (1889),  8.  27,  nr.  61).  Dann  kann  endlich  deu  Kaiser  in  Mittel- 
italien die  Nachricht  von  diesem  Tage  schon  Anfang  November  erreicht 
haben  und  da  die  Wahl  wohl  erst  Ende  des  Jahres  stattfand,  kann  sie  sehr 
gut  auf  eine  nun  erst  erteilte  Erlaubniss  hin  vollzogen  worden  sein. 

*)  Der  Verfasser  unterbricht  den  Gang  seiner  Erzählung  von  den 
deutschen  Angelegenheiten,  um  einige  Ereignisse  mitzuteilen,  die  gleichzeitig 
im  Orient  vor  sich  gegangen  sind.  Er  entschuldigt  diese  Unterbrechung 


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28 


Henricus  . . . videns  Theutonice  principes  de  regno  posteris 
suis  hereditando  diföciliter  sibi  annuere,  continuo  alia  usus 
via  revocavit  prius  habitam  . . . voluntatem. 

Während  er  also  vorher  an  seinem  Plane  mit  grösster 
Energie  festhielt,  liess  er  ihn,  nachdem  ihm  — etwa  Anfang 
November1)  — von  der  unter  den  Fürsten  herrschenden 
Stimmung  berichtet  worden  war,  sogleich  fallen.  Hierzu  hat 
ihn  aber  gewiss  nicht  nur  diese  Nachricht  bewogen.  Wir 
wissen  zwar  nicht,  welchen  Gang  die  Verhandlungen  mit  dem 
Papste  vom  September  bis  November  genommen  haben.  Wahr- 
scheinlich ist  nur,  dass  Cölestin  III.  keine  übereilten  Zu- 
geständnisse gemacht  hat  und  überhaupt  in  einen  Frieden, 
durch  den,  wie  Heinrich  wollte,  der  kuriale  Einfluss  in  Sizilien 
völlig  ausgeschaltet  w’erden  sollte,  nur  unter  dem  härtesten 
Druck  der  Umstände  eingewilligt  haben  würde.  Bei  den  weiteren 
Verhandlungen  gegen  Anfang  Dezember  hin,  wo,  wie  gleich 
ausgeführt  werden  soll,  nicht  mehr  die  Krönungs-,  sondern  nur 
noch  die  sizilische  Sache  zur  Diskussion  stand,  hat  der  Papst 
einen  Aufschub  bis  Epiphauias  1197  vermutlich  deshalb  ver- 
langt,2) weil  er,  über  die  Stimmungen  in  Sizilien  unterrichtet, 
einen  Aufstand  gegen  das  kaiserliche  Regiment  in  nächster 
Zeit3)  glaubte  erwarten  zu  können.  Ebenso  wird  er  auch  bei 
den  Verhandlungen  über  die  Krönung  Friedrichs  gewartet  haben, 
ob  sich  nicht  die  Anhängerschaft  des  Kaisers  etwas  erschüttern 
lassen  würde.  Jedenfalls  musste  Heinrich  damit  rechnen,  dass 
der  Papst,  dessen  Kardinallegaten  im  Herbst  1196  gerade  in 
Sachsen  weilten,4)  ebensogut  wie  er  selber  über  die  zu  Erfurt 

damit,  dass  er  Dinge,  die  zeitlich  zuaammeugehürteu,  nicht  von  einander 
trennen  dürfe  und  geht  dann  mit  den  oben  augeführten  Worten  zur  weiteren 
Schilderung  der  Politik  Heinrichs  VI.  über. 

')  Er  hielt  sieb  damals  in  Mittelitalien  auf.  (Vgl.  Reg.  iinp.  V, 
nr.  611  d). 

a)  Hauck,  Kirchengeschichte  Deutschlands  IV,  07H.  Vgl.  Auu.  Marb. 
p.  69:  Imperatore  in  [Sycilia  existente]  impernt  rix,  Bicut  dicebatur,  simultate 
inter  ipsos  exorta,  coniurationem  [ad versus  imperatorem  ab  omnibus] 
Apulie  et  Sycilie  civitatibu»  et  castellis  fieri  effecit,  consciU,  ut  fertur, 
Lonbardis  et  Romania,  ipso  etiarn,  si  fas  cst  credi,  apostolico 
Celestino.  S.  dazu  Bloch  in  Ann.  Marb.  p.  69,  X.  4. 

3)  Er  brach  erat  im  Mai  1107  aus;  >.  Bloch  1.  c.  p.  60,  X.  3. 

4)  S.  Hauck  a.  a.  Ü.  S.  675. 


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29 


laut  gewordenen  Gesinnungen  der  Fürsten  unterrichtet  wurde. 
Heinrich  musste  sich  sagen,  dass,  wenn  er  jetzt  auf  dem  bisher 
eingeschlagenen  Wege  weiter  ginge,  er  dadurch  die  Fürsten 
dem  Papste  geradezu  in  die  Arme  treiben  würde. 

Aus  diesen  Erwägungen  heraus  wird  es  vollkommen  be- 
greiflich, dass  Heinrich,  wie  gesagt,  etwa  im  November  1196, 
den  Fürsten  ihr  Wort  zurückgab  und  ihnen  eine  Wahl  Friedrichs 
gestattete,  die  dann  auch  am  Ende  des  Jahres  mit  grösster 
Bereitwilligkeit  zu  Frankfurt  vollzogen  wurde.  Die  Unter- 
handlungen mit  dem  Papste  hat  er  auch  unter  diesen  ver- 
änderten Aspekten  energisch  fortgeführt.  Wir  finden  ihn  am 
3.  November  in  Spoleto,  am  16.  in  Tivoli,  am  27.  in  Palestrina, 
am  2.  Dezember  in  Ferentino  dicht  bei  Rom,  erst  am  18.  ist 
er  wieder  in  Capua.1)  Entsprechend  berichten  ja  die  Marbaeher 
Annalen,  dass  er  drei  Wochen  bei  Tivoli  wartete,  dass  Boten 
hin  und  her  gesandt  wurden,  dass  der  Kaiser  dem  Papste  die 
kostbarsten  Geschenke  machte,  die  Angelegenheit  aber  dennoch 
nicht  den  erwünschten  Fortgang  nahm,  weshalb  der  Kaisei 
unmutig  nach  Sizilien  abzog. 

Damals,  in  der  Zeit  von  Mitte  November  bis  Anfang 
Dezember,  kann  die  Forderung  einer  Königskrönung  von  Seiten 
Heinrichs  nicht  mehr  erhoben  worden  sein;  durch  sie  hätte  er 
jetzt  alle  Fürsten  aufs  empfindlichste  verletzt,  weil  damit  allzu 
offen  kundgegeben  wäre,  wie  sehr  gering  er  die  Rechtskraft 
ihrer  Wahl  einschätzte.  Deun  wem  das  Wahlrecht  zustand, 
der  hatte  auch  das  Recht  der  Krönung  und  Investitur,  ohne 
welches  jenes  bedeutungslos  war.  Heinrich  hätte  sehr  ernstlich 
besorgen  müssen,  dass,  wenn  die  Kurie  von  seinem  Vorhaben 
etwas  ausplauderte,  die  Wahl  Friedrichs  überhaupt  nicht  Zu- 
standekommen würde. 

Es  wird  daher  um  jene  Zeit  vor  allem  nur  noch  die 
sizilische  Frage  erörtert  worden  sein.  Denn  ohne  dass  diese 
geregelt,  ohne  dass  über  die  zukünftige  staatsrechtliche  Stellung 
dieses  Landes  entschieden  worden  und  die  dort  höchst  strittige 
Grenze  zwischen  kirchlicher  und  staatlicher  Gewalt  gezogen 
wäre,  war  kein  Friede  zwischen  dem  Reich  und  der  Kurie 
möglich.  Gewiss  ist  diese  Frage  auch  schon  vorher,  im  Spät- 

’)  Stumpf,  die  Reichskanzler  etc.  Reg.  604S— 5052.  Bloch  1.  c.  p.  68,  N.  6. 


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sommer  und  Herbst,  zwischen  Kaiser  und  Papst  erörtert  worden, 
doch  ist  durch  diese  Annahme,  wie  ein  Blick  auf  Heinrichs 
sizilische  Politik  sogleich  lehren  wird,  die  Möglichkeit,  dass  er 
damals  eine  sizilische  Königskrönung  Friedrichs  geplant  habe, 
um  keinen  Schritt  näher  gerückt. 

Dass  an  eine  italienische  Krönung  am  allerwenigsten 
zu  denken  ist,  hat  schon  Hampe  (a.  a.  0.  S.  5)  mit  Recht  be- 
tont. Sie  zu  vollziehen,  war  Sache  des  Erzbischofs  von  Mailand ; 
um  ihretwillen  brauchte  man  sich  nicht  an  den  Papst  zu  wenden. 
Hier  haben  wir  uns  also  nicht  aufzuhalten. 

Gegen  die  erwähnte  Annahme  aber,  dass  eine  sizilische 
Krönung  geplant  sei,  wogegen  schon  Hampe  mancherlei  geltend 
gemacht  hat,  ist  m.  E.  vor  allem  einzuwenden,  dass  Heinrich 
damals  ernstlich  die  Einverleibung  Siziliens  ins  Reich  plante  *) 
Die  sehr  grossen  Zugeständnisse,  die  er  der  Kurie  nach  eigenem 
Zeugnisse  hat  machen  wollen,l 2)  waren  wohl  der  Preis,  den  er 
für  eine  Entlassung  des  Königreichs  aus  dem  Lehnsverhältniss 
zum  heiligen  Stuhl  zu  zahlen  bereit  war.  Als  ihm  dies  durch- 
zusetzen nicht  gelang,  gab  er  gleichwohl  seiner  Willensmeinung 
deutlichsten  Ausdruck.  Friedrich  wurde  durch  die  Frankfurter 
Wahl  Rex  Romanorum  et  Sicilie,  und  auf  die  Rückseite  seiner 
sizilischen  Münzen  Hess  Heinrich  das  Bild  des  Erwählten 
prägen  mit  der  Umschrift  „König  Friedrich“.3)  Erst  in  seinem 
Testament4)  hat  er  diese  Pläne  aufgegeben,  die  Abhängigkeit 
des  Königreichs  von  der  Kirche  und  damit  dessen  Trennung 
vom  Imperium  anerkannt.  Friedrich  II.  hat  dann  (Nov.  1220) 
versprechen  müssen5): 

imperium  nichil  prorsus  iuris  habere  in  regno  Sicilie  nec 
nos  racione  imperii  obtinere  aliquid  iuris  in  ipso,  cum  ad 
nos  non  racione  patris  aut  predecessorum  ipsius,  sed  ex  matrum 
tantum  successione  pervenerit,  que  a regum  Sicilie  stirpe 
descendit,  qui  regnum  ipsum  ab  ecclesia  Romana  tenebant  . . . 
Ad  tollendum  omnem  presumptionem  et  suspicionem  unionis 

l)  Vgl.  den  Bericht  der  Hist,  de  exped.  Frid.  imper&toris  Ansberts 
(Fontes  rerum  austriacarum.  Scriptores  V,  p.  89.),  s.  auch  Toeche  S.  586  f. 

J)  Toeche  S.  430.  Winkehnann,  Philipp  von  Schwaben  S.  5,  Anm.  5. 

’)  Toeche  S.  446. 

*)  MG.  Const.  I,  p.  530,  nr.  379,  § 1 — 3. 

s)  Ibid.  IL  p.  105,  nr.  84. 


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31 


eiusdem  regni  ad  imperinm  providimus  et  promittimus,  quod 
tarn  in  regno  quam  in  imperio  pro  regni  negotiis  officiales 
de  regno  ipso  habebimns  et  utentur  sigillo  ad  expedienda 
ipsius  regni  negotia  special i. 

Der  Wiederkehr  von  Zuständen,  wie  sie  unter  Heinrich  VI. 
bestanden  hatten,  sollte  vorgebeugt  werden.  Nach  dessen  Auf- 
fassung herrschten  die  Staufer  „racione  imperii“  in  Sizilien.1) 
Unter  ihm  waren  Deutsche  zugleich  über  Reichslande  und  über 
sizilische  Provinzen  gesetzt  worden.  Markwald  von  Anweiler 
hatte  in  Mittelitalien  ausser  kaiserlichem  Gebiet  noch  die 
sizilischen  Grafschaften  der  Abruzzen  und  von  Molise  unter  sich 
gehabt.  Die  Kaiserin  Konstanze  hat  dann  nach  Heinrichs  Tod 
die  Deutschen  aus  dem  Königreich  zu  entfernen  gewusst.  Ihr 
Sohn  behielt  einstweilen  die  bisherigen  Namen  bei,  nach  der 
Krönung  zu  Palermo2)  aber  nahm  er  den  alten  Titel  der 
Normannenkönige:  „Rex  Sicilie,  ducatus  Apulie  et  principatus 
G'apue“  wieder  an  und  gab  dadurch  — wohl  aus  Rücksicht  auf 
Papst  Innocenz  III.,  mit  dem  damals  wegen  der  Belehnung 
verhandelt  wurde3)  — zu  erkennen,  dass  er  lediglich  als  Sohn 
seiner  Mutter  ein  Recht  zur  Herrschaft  habe.  Die  Führung 
des  römischen  Königstitels  wurde  unterlassen. 

Heinrich  VI.  ging  also  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  damit 
um,  vom  Papste  Cölestin  III.  die  „unio  regni  ad  Imperium“ 
sanktionieren  zu  lassen.  Zu  welchem  Zweck  sollte  er  unter 
diesen  Umständen  eine  sizilische  Krönung  Friedrichs  erbeten 
haben?  Wäre  dadurch  nicht  gerade  wieder  zum  Ausdruck  ge- 
kommen, dass  Sizilien  ein  selbstständiges  Reich  neben  dem 
Imperium  sei?  War  Heinrichs  Wille,  dass  es  eine  Provinz  des 
Imperiums  bilden  sollte,  einmal  durcbgesetzt,  so  galt  dort  wie 
anderweit  das  Thronfolgerecht  des  römischen  Reiches.  Einer 
besonderen  Sicherung  der  Nachfolge  Friedrichs  in  diesem  Lande 
bedurfte  es  dann  keineswegs. 

')  Dafür  ist  besonders  auf  eine  von  v.  Kap-herr  (Deutsche  Zeitschrift 
f.  Geschichtswissenschaft  I,  106)  mitgeteilte  Stelle  zu  verweisen,  welche 
lautet:  Nos  pro  obtinendo  regno  Siciliae  et  Apuliae,  quod  tum  antiquo 
iure  imperii  tum  ex  haereditate  illustris  consortis  nostrae  ...  ad 
imperium  deveniatur  (Urkunde  Heinrichs  vom  21.  Mai  1191  bei  Gattula,  Ad 
hist.  Cassinensis  accessiones  I,  p.  270). 

a)  Reg.  imp.  V,  nr.  699  a. 

*)  Ibid.  nr.  531  a. 


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32 


Man  könnte  aber  vielleicht  einwenden:  Heinrich,  der  sich 
wohl  sagte,  dass  die  Kurie  Sizilien  sehr  ungern  aus  dem  Lehns- 
verbände  entlassen  würde,  wollte  damals  auch  gar  nicht  die 
„unio  regni  ad  imperium“  bei  der  Kurie  betreiben,  sondern  nur 
wie  in  Deutschland  so  auch  im  Süden  die  Thronfolge  seines 
Hauses  sichern  und  deshalb  sollte  der  Papst  den  jungen 
Friedrich  krönen. 

Dagegen  kann  aber  geltend  gemacht  werden:  Wenn  der 
Kaiser  von  der  Kurie  ein  so  zähes  Festhalten  an  ihrem  Rechte 
erwarten  und  daher  den  Gedanken  der  „unio“  einstweilen  zurück- 
stellen zu  müssen  glaubte , konnte  er  dann  wohl  über- 
haupt darauf  rechnen,  dass  sie  seinen  Sohn  krönen  würde,  ohne 
dass  dieser  vorher  den  Lehnseid  leistete,  ohne  dass  er  selber 
von  seiner  in  Rom  genugsam  bekannten  staatsrechtlichen  An- 
schauung zurücktrat?  Jedenfalls  hätte  man  an  der  Kurie  die 
Sache  so  gewendet,  dass  die  Krönung  geradezu  wie  eine 
Anerkennung  der  Lehnsabhängigkeit  Siziliens  erschienen  wäre. 
Heinrichs  Schritt  wäre  also  kein  glücklicher  gewesen;  die 
Freiheit  Siziliens  von  Rom,  die  er  so  konsequent  und  energisch 
verteidigt  hatte,  wäre  ernstlich  gefährdet  worden.  Und  endlich 
bedurfte  Friedrichs  Nachfolgerecht,  wie  schon  Hampe  hervorhob, 
in  Sizilien  am  allerwenigsten  besonderer  Sicherung. 

Demnach  dürfte  also  die  Stelle  der  Marbacher  Annalen 
schwerlich  auf  den  Plan  einer  sizilisehen  Krönung  Friedrichs 
zu  beziehen  sein. 


V. 

Nach  dem  Bisherigen  kann  es  als  das  wahrscheinlichste 
bezeichnet  werden,  dass  Heinrich  VI.  im  Jahre  1196  seinen 
Sohn  Friedrich  durch  den  Papst  zum  römischen  Könige  krönen 
lassen  wollte.  Aber  es  ist  verständlich,  wenn  man  sich  dennoch 
schwer  zu  dieser  Annahme  entschliesst,  eine  derartige  Königs- 
krönung durch  den  Papst  erscheint  als  etwas  zu  ungewöhnliches, 
zu  unglaubwürdiges.  Man  wird  immer  noch  — unter  Hinweis 
auf  die  gleichartigen  Bestrebungen  Friedrichs  I.1)  — geneigt 
bleiben,  der  Möglichkeit,  dass  eine  Kaiserkrönung  beabsichtigt 
worden  sei,  den  Vorzug  zu  geben. 

’)  Vgl.  Hampe  a.  a.  O.  S.  0. 


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33 


Wir  müssen,  um  diesen  letzten  Zweifel  zu  belieben,  vorerst 
der  eingangs  geschilderten  Verschiebung  in  den  Staats- 
anschauungen besonders  unter  Friedrich  I.  gedenken.  Der 
Staat  war  ein  römisches  Kaiserreich  geworden,  alle  Macht 
wurde  vom  Kaisertum  hergeleitet,  eine  Sondergewalt  kraft 
eigenen  Rechts,  ein  deutsches  Königtum,  konnte  es  neben  und 
unter  ihm  nicht  geben  und  daher  konnte  auch  der  als  rex  unter 
dem  kaiserlichen  Vater  stehende  Sohn  nicht  mehr  als  fränkisch- 
deutscher König,  sondern  nur  noch  als  Unterkaiser,  als  Caesar 
aufgefasst  werden.  So  allein  war  seine  Stellung  mit  dem  Staats- 
recht des  Imperium  vereinbar.  Diesen  Uebergang  erleichterte 
der  Umstand,  dass  die  Herrscher  den  Titel  eines  römischen 
und  nicht  den  eines  deutschen  Königs  führten.  Es  war  also 
damals  möglich,  dass  der  Papst  eine  römische  Königskrönung 
vollziehen  und  dadurch  das  Nachfolgerecht  eines  Kaisersohnes  im 
Imperium  anerkennen  konnte.  Der  Begriff  des  rex  Romanorum 
hatte  sich  gewandelt. 

Dabei  wählte  Heinrich  aus  verschiedenen  Gründen  eine 
Königs-  und  nicht  eine  Kaiserkrönung.  Erstens  mochte  er  sich 
daran  erinnern,  dass  einst  seinem  Vater,  als  er  um  Heinrichs 
K a i s e r krönung  bat,  erwidert  worden  war,  es  sei  nicht 
Rechtens,  dass  zwei  Kaiser  im  Reiche  seien.  Zwar  war  die  Kurie 
später  von  diesem  Grundsatz  abgekommen  und  hatte  versprochen, 
Friedrichs  Bitte  gewähren  zu  wollen  — ein  Versprechen,  von  dem 
sie  sein  Tod  entbunden  hatte.  Aber  ihm,  Heinrich,  war 
man  in  Rom  zur  Zeit  sehr  wenig  günstig  gesinnt,  man  wusste 
von  seinen  Reformplänen  und  es  war  zu  erwarten,  dass  die 
Kurie  unter  abermaliger  Betonung  jenes  Grundsatzes  den 
unbequemen  Bittsteller  abweisen  würde.  Dagegen  mochte  das 
Gesuch  um  eine  Königskrönung,  gegen  welches  sich  jener  Ein- 
wand nicht  erheben  liess,  ihr  aus  dem  Grunde  sympathisch 
sein,  weil  alsdann  der  bodenständige,  deutsche  Charakter,  den  das 
römische  Königtum  trotz  seines  Namens  bisher  besessen 
hatte,  verschwinden  würde.  Die  Idee  des  fränkisch  - deutschen 
Königtums  beseitigt  und  an  seiner  Stelle  die  des  römischen 
Kaisertums  allein  herrschend  zu  sehen,  musste  für  die 
Kurie  eine  sehr  verlockende  Aussicht  sein.  Denn  nur 
das  römische  Kaisertum  konnte  sie  als  eine  von  ihr  ab- 
hängige Institution  betrachten,  das  deutsche  Königtum  stand 

Krammor,  der  Itciehsgudanke  des  stuiißschcn  Kaiserhauses  3 


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•M 


ihr  ebenso  unabhängig  wie  das  von  Frankreich  oder  England 
gegenüber. 

Dem  Kaiser  empfahl  sich  der  Gedanke  der  Königskrönung 
ferner  aber  noch  deshalb,  weil  angesichts  einer  Weihe  zum 
Kaiser  die  Fürsten  sich  wohl  darauf  berufen  hätten,  dass  das 
deutsche  König-  und  das  römische  Kaiserreich  zwei  verschiedene 
Dinge  seien  und  der  römische  Kaiser  als  solcher  ohne  weiteres 
noch  nicht  deutscher  König  sei.1)  Einem  römischen  Könige 
gegenüber  Hess  sich  aber  nicht  so  argumentieren.  Denn  der  aus 
der  deutschen  Wahl  und  Einsetzung  hervorgegangene  Herrscher 
hiess  eben  schon  seit  etwa  einem  Jahrhundert  rex  Komanorum. 
Die  Möglichkeit,  diesen  Begriff  zwiefach  auslegen  zu  können, 
kam  der  kaiserlichen  Politik  sehr  zustatten. 

Das  Königtum  musste  aber  seines  bodenständigen  Charakters 
entkleidet  weiden,  den  es  sicher,  wenn  Friedrich  in  Deutschland 
gekrönt  worden  wäre,  behalten  hätte.  Es  wäre  nach  wie  vor 
neben  dem  Kaisertum  als  eine  Sondergewalt  kraft  eigenen  Rechts 
erschienen,  was  sich  mit  dem  Gedanken  der  Allgewalt  des 
Kaisertums  nicht  vertrug  und  auch  gefährlich  werden  konnte, 
falls  etwa  König  Friedrich  später  einmal,  während  sein  Vater 
noch  lebte,  in  Deutschland  regieren  sollte,  wo  dann  sicher  von 
hier  aus  versucht  werden  würde,  in  störender  Weise  die 
Selbständigkeit  des  Königtums  zu  betonen,  wie  das  hernach 
unter  Heinrich  (VII.)  in  der  That  geschehen  ist. 

Sonach  konnte  der  Kaiser  den  jungen  Friedrich  nicht  in 
alter  Weise  zum  Könige  krönen  lassen.  Dennoch  musste  damals 
den  Deutschen  gegenüber  sein  Anrecht  am  Reiche  auf  irgend 
eine  Weise  kundgethan  und  ebendies  ferner  auch  vom  Papste 
anerkannt  werden.  Dem  Plane  einer  Kaiserkrönung  näher  zu 
treten,  schien  nicht  ratsam.  So  ergab  sich  von  selber  der  Aus- 
weg, die  römische  Königskrönung  dem  Papste  zu  übertragen. 

Wie  sich  Heinrich  im  Einzelnen  den  Vollzug  derselben 
gedacht  hat,  wissen  wir  nicht.  Soviel  aber  kann  mit  Bestimmtheit 
gesagt  werden : durch  diese  Krönung  sollte  der  junge  Friedrich 


')  Vgl.  oben  S.  24.  Die  Kurie  hätte  sich  dieser  Anschauung  gewiss 
nicht  widersetzt,  ibr  kam  es  uur  auf  Italien  an,  das  sie  als  Dependenz  des 
Kaisertums  ausali  (vgl.  S.  2 dieser  Abhandlung  und  Picker,  Rainald  vou 
Dassel  [1850],  S.  21). 


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35 


nicht  als  deutscher  König,  sondern  als  der  Erbe  des  römischen 
Kaiserreiches  anerkannt  werden,  der  einstweilen,  bis  zum  Tode 
seines  Vaters,  rex  Romanorum  oder  Caesar  hiess.  Nicht  das 
Teutonicum  regnum,  das  Romanum  imperium  wäre  ihm  durch 
des  Papstes  Vermittlung  übertragen  worden.  Es  ist  daher  an- 
zunehmen, dass  man  sich  den  Formen  der  römischen  Kaiser-, 
nicht  denen  der  deutschen  Königskrönung  angeschlossen  haben 
würde  und  sich  die  Handlung  demnach  von  einer  Kaiserkrönung 
kaum  wesentlich  unterschieden  hätte. 

So  wäre  Friedrich  als  zukünftiger  Imperator  anerkannt 
worden,  er  hätte  als  solcher  dem  Vater  folgen  können,  ohne 
dadurch  die  Kurie  zu  verletzen.  Einer  besonderen  Kaiserkrönung 
hätte  es  dann  nicht  mehr  bedurft.  Die  Kontinuität  des  Kaiser- 
tums wäre  also  erreicht,  der  Staat  völlig  als  römisches  Imperium 
konstituiert  worden  und  die  Aufgabe  Heinrichs  nur  gewesen, 
dies  zu  so  hoher  Macht  und  Festigkeit  zu  bringen,  dass  neben 
ihm  das  Papsttum  stets  ein  ungefährlicher,  ja  gefügiger  Faktor 
bleiben  würde. 

In  der  That  ist  denn  ja  auch  Heinrich  VI.  bemüht  ge- 
wesen, das  altrömische  Kaisertum  seinem  Umfange  nach  wieder 
aufzurichten.  Wie  kaum  ein  zweiter  Herrscher  vor  und  nach 
ihm  hat  er  den  ganzen  Erdkreis  unter  seine  Gewalt  zu  bringen 
gesucht.1)  Richard  von  England  wurde  sein  Lehensmann  und 
musste  sich  in  der  auswärtigen  Politik  den  Winken  des  Kaisers 
fügen.  An  eine  Eroberung  Frankreichs,  Spaniens,  Nordafrikas 
wurde  gedacht,  zunächst  aber  an  eine  Wiedervereinigung  Ost- 
und  Westroms.  Dies  Ziel  zu  erreichen,2)  sollte  der  Kreuzzug 
dienen,  den  Heinrich  gleichzeitig  aufs  eifrigste  betrieb.  Auf 
dem  Erfurter  Tage  von  l V96  wurden  die  Fürsten  ernstlich  er- 
mahnt sich  bereitzuhalten.  Als  Schwager  der  Tochter  des 
1195  gestürzten  Kaisers  Isaak  glaubte  Heinrich  Erbansprüche 
auf  das  byzantinische  Reich  erheben  zu  können.  Schon  hatten 
die  Könige  von  Cyprus  und  von  Armenien  den  Staufer  als 
ihren  Kaiser  anerkannt.  Er  war  im  besten  Zuge,  den  Schwer- 
punkt des  Reiches  von  Deutschland  an  das  Mittelmeer,  ja  nach 

>)  Zum  Folgenden  vgl.  Toeche  a.  a.  0.  S.  S55  ff. 

2)  Bekanntlich  ist  die  Grobernng  von  Byzanz  wenige  Jahre  darauf 
einem  Kreuzheer  geglückt.  Der  Plan  Heinrichs  ist  daher  keinesfalls  als 
ein  nnerhilrtes  Wagniss  zu  betrachten. 

3* 


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36 


Byzanz,  der  Stadt  Konstantins,  zu  verlegen,  dessen  Namen  der 
junge  Sohn  des  Kaisers  sogar  hatte  führen  sollen. 

Wie  sehr  diese  Pläue  im  Einklang  stehen  mit  denen,  die 
uns  bislang  beschäftigt  haben,  braucht  nicht  näher  dargelegt 
zu  werden.  Auch  sie  bezweckten,  den  Schwerpunkt  des  Reiches 
von  Deutschland  hinweg  zu  verlegen. 

Damit  die  Idee  des  allbeherrschenden  und  allumfassenden 
römischen  Kaiserreichs,  welche  schon  Friedrichs  I.  Seele  erfüllt 
hatte,  in  voller  Reinheit  und  Kraft  neu  aufleben  könne,  be- 
schloss Heinrich  VI.  den  ihr  widerstrebenden  Begriff  eines 
deutschen  Königtums  für  immer  auszutilgen  und  die  seit  Jahr- 
hunderten getrennten  Hälften  des  römischen  Reiches  wieder  in 
eines  zu  zwingen.  Der  Plan  scheiterte;  und  bald  hernach 
sank  auch  sein  weitdenkender,  weitgreifender  Urheber  in  ein 
frühes  Grab. 

Ueberblicken  wir  zum  Schluss  die  Bestrebungen  Friedrichs  I. 
und  Heinrichs  VI.  im  Ganzen,  so  können  wir  uns  bei  aller 
Bewunderung  doch  eines  Missbehagens  nicht  entsehlagen.  Warum 
kam  soviel  geistige  Kraft  nicht  der  Festigung  eines  deutschen 
Gemeinwesens  zu  Gute?  Doch  ist  nicht  zu  vergessen,  dass 
Friedrich  in  einer  Zeit  aufwuchs,  wo,  nach  einem  Worte  von 
Karl  Wilhelm  Nitzsch,1)  die  Lokaltöne  des  Bodens  und  seiner 
Gewächse  verschwanden.  So  bodenständig  und  deutsch  uns 
Friedrichs  Erscheinung  auch  anmutet,  völlig  konnte  er  sich 
diesem  Geiste  der  Zeit  so  wenig  wie  andere  entziehen.  Von 
grosser  und  nachhaltiger  Wirkung  auf  ihn  ist,  glaube  ich,  be- 
sonders der  Eindruck  gewesen,  den  er  von  der  Chronik  Ottos 
von  Freising  empfing.  Hier  war  von  einem  kraftvollen  Geiste 
der  erste,  grosszügige  Versuch  gemacht  worden,  die  Welt- 
geschichte fest  in  den  Rahmen  eines  philosophisch-theologischen 
Systems  zu  spannen.  Sein  Werk  heisst  nicht  eine  Chronik, 
sondern  das  Buch  von  den  zwei  Staaten,  der  himmlischen  und 
der  irdischen  civitas.  Er  kennt  nur  eine  irdische  civitas;  in  ihr 
sind  vier  grosse  Weltmonarchien  auf  einander  gefolgt,  die 
assyrische,  die  medisch  - persische,  die  macedoniscbe  und  die 
römische,  von  der  man  annahm,  dass  sie  dauern  würde  bis  zum 
Ende  der  Tage.  Es  sind  Gedanken,  die  bekanntlich  vom 


')  Deutsche  Studien  (1879),  S.  17. 


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37 


Augustin,  Hieronymus  und  Orosius  herrühren.  In  diesem 
System  war  kein  Platz  für  eine  deutsche  Monarchie  als  fünfte. 
Das  deutsche  Keich  wurde  lediglich  als  Fortsetzung  des 
römischen  angesehen.  Nur  dadurch  hatte  es  eine  sittliche  Be- 
rechtigung, die  den  übrigen  Staaten  der  Zeit  abging,  da  sie  zu 
Unrecht  dem  Kaiser  den  Gehorsam  versagten.  Wenn  also 
Friedrich  das  damals  arg  daniederliegende  römische  Kaisertum 
als  Weltmonarchie  wiederherznstellen  bemüht  war,  so  fröhnte 
er  damit  nicht  nur  dynastischem  Ehrgeiz,  sondern  er  diente  auch 
einer  sittlich-religiösen  Idee. 

Doch  wäre  diese  Idee  an  sich  gewiss  noch  nicht  im  Staude 
gewesen,  bei  Friedrich  den  Gedanken  des  nationalen,  deutschen 
Königtums  in  den  Hintergrund  zu  drängen.  An  ihm  als 
an  einer  historischen  Thatsache  vorbeizukommen,  gelang  selbst 
Otto  nicht  und  es  kommt  dadurch  eine  gewisse  Unklarheit  in 
sein  System. 

Zwar  hält  er  streng  an  der  Kontinuität  der  vierten 
Monarchie  fest,  jeder  deutsche  König  ist  als  solcher  schon  ein 
Nachfolger  des  Augustus.  Dennoch  ist  er  über  den  historischen 
Ursprung  des  Reiches  keineswegs  im  Unklaren.  Er  schildert, 
wie  neben  dem  niedergehenden  römisch-byzantinischen  Reiche 
das  von  diesem  unabhängige  Frankenreich  — wie  eine  neue  fünfte 
Monarchie  — emporkam,1)  wie  Karl  der  Grosse  als  König  der 
Franken  Italien  und  andere  Lande  gewann  und  wie  erst 
danach  auch  das  Imperium  an  ihn  fiel,  wie  dann  der  deutsche 
König  Otto  durch  die  Eroberung  Italiens  das  deutsche  Reich, 
welches  ehedem  ein  Teil  des  fränkischen  gewesen  war,  ver- 
grösserte  und  wie  auch  er  erst  darauf  die  Kaiserwürde  über- 
nahm.2) Unter  Hinweis  auf  eben  diese  Tbatsachen  hat  zwei 
Jahrhunderte  später  der  Würzburger  Domherr  Lupoid  von 
Bebenburg  in  seiner  Schrift  „De  iuribus  regni  et  imperii“  die 
Ansprüche  der  deutschen  Könige  als  solcher  auf  die  Herrschaft 


')  Vgl.  Bernheim  iu  Milt.  d.  Inst.  f.  Österreich.  Geschichtsforschung 
Bd.  VI,  S.  32.  Cbron.  ed.  Wilmauns  1.  IV,  c.  31 — 33.  V,  2E>. 

*)  Vgl.  Chron.  VI,  19:  Verum  Otto  . . . Italiam  qnoqne,  quae  per 
plures  iam  annos  Francis  seu  Germania  alienata  fuerat,  regno  adicere 
parat.  VI,  24:  Vide  regnum  Teutonicorum  cum  regno  Francoruin  affine  et 
quodammodo  cognatum  principium  habere.  Ibi  primus  Karolus  sine  regiu 
nomine  regia  honorem  gerebat.  Hic  tuagnus  Otto  Saxouum  dux,  regibus 


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38 


in  Italien  gegenüber  der  Kurie  verteidigt,  die  das  Herrscher- 
recht über  den  Süden  vom  Kaisertum  herleiteto.  In  seinem 
thatsächlichen  Umfange  beruhte  auch  für  Otto  das  Reich  auf 
der  Idee  des  deutschen  Königtums.  Wir  kennen  die  Worte 
(s.  oben  S.  4,  Anm.  1),  die  er  Friedrich  gegenüber  den  Römern 
in  den  Mund  legt:  Dem  fränkischen  Reich  ist  diese  Stadt 
samt  Italien  von  unseren  Vorgängern  einverleibt  worden!  Durch 
die  päpstliche  Krönung  erwirbt  der  König  keinerlei  Herrsch- 
gewalt, sondern  nur  den  Namen  eines  Kaisers.1) 

Otto  leitet  also  durchaus  nicht  das  Herrscherrecht  seines 
Gebieters  vom  Kaisertum  her,  dies  erscheint  vielmehr  als  ein 
zum  Königtum  hinzutretendes  Amt,  durch  welches  es  in  eine 
höhere  Sphäre  gerückt  wird  und  erst  seine  volle,  sittliche  Be- 
rechtigung erhält.  Der  Inhalt  des  Kaisertums  kann  demnach 
nur  ein  ganz  allgemeiner  sein:  Schutz  und  Verteidigung  der 
Christenheit,  im  Besonderen  der  römischen  Kirche. 

Bei  einem  Könige  wie  Friedrich  I.  musste  die  boden- 
ständige, deutsche  Staatsauffassung  natürlich  in  noch  weit 
höherem  Masse  überwiegen.  Anders  wurde  dies  erst,  als  er 
mit  den  Legisten,  den  Lehrern  dies  römischen  Rechts,  in  nähere 
Berührung  kam.  Während  er  vorher  die  Idee  des  Imperium 
zwar  verehrt,  sie  aber  zugleich  als  einen  für  das  Staatsleben 
wenig  bedeutungsvollen  Begriff  angesehen  haben  mochte,  trat 
ihm  jetzt  das  Kaisertum  als  ein  realer  Faktor  des  politischen 
und  rechtlichen  Lebens  mit  aller  Schärfe  vor  Augen.  Mit  dem 
römischen  Rechte  im  Allgemeinen  gewann  auch  das  römische 
Kaisertum  praktische  Bedeutung.  Auf  derartige  Gedanken- 
gänge einzugehen,  war  aber  Friedrich  um  so  mehr  geneigt,  als 
Otto  von  Freisings  Werk  schon  seinerseits  dazu  beigetragen 
hatte,  ihn  für  die  Idee  des  Kaisertums  besonders  empfänglich 
zu  machen.  Dies  schwebte  jetzt  nicht  mehr  als  ein  unbe- 
stimmter Begriff  in  den  Lüften,  sondern  war  die  Krönung  eines 

adhnc  ox  Stirpe  Karoli  manentibus,  regni  summam  atiministrabat.  IUitis 
fllius  Pippious  non  sotum  re.  ged  et  nomine  rex  coepit  esse  et  dici,  buius 
simili  modo  filius  Ueiuricns  regio  nomine  meruit  honorari.  Ulius  filius 
Karolus  magnus  non  solum  regnnm,  sed  etimperium,  capto  Desiderio, 
primus  obtinnit  ex  Francis,  istins  filius  Otto  magnus  post  multos  triumphos 
primus  'ex  Teutonias  post  Karolos,  capto  Berengario,  Romanis  imperavit. 

' j Vgl.  Bernheim  a.  a.  0.  S.  33. 


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39 


tief  ins  Leben  hineingreifenden  staatlich -rechtlichen  Systems 
geworden;  es  hatte  seine  theologisch -philosophische  Färbung 
gegen  eine  juristisch- politische  eingetauscht.  Neben  dem  so 
gefassten  Herrscherideal  des  Kaisertums  musste  allerdings  das 
des  Königtums  verblassen. 

So  glaube  ich  psychologisch  die  Entstehung  des  staufischen 
Reichsgedankens  erklären  zu  können.  Er  beruht  im  letzten 
Grunde  auf  persönlichen  Erfahrungen  und  Eindrücken  Kaiser 
Friedrichs  I.;  ihn  in  all'  seinen  Konsequenzen  zu  verwirklichen, 
hat  sich  Heinrich  VI.  bemüht;  wie  die  Nachfolger  Philipp  und 
Friedrich  II.  die  Reformidee  weitergeführt  haben,  ist  nun  zu 
zeigen. 


Zweites  Kapitel. 

Die  Fortführung  der  staufischen  Reformidee 
durch  Philipp  von  Schwaben  und  Friedrich  II. 

I. 

Im  Zusammenhänge  mit  dem  Erbkaiserplan  Heinrichs  VI. 
sind  die  „electiones  in  imperatorem“  der  staufischen  Zeit  zu 
behandeln.  Von  mehreren  Herrschern  dieser  Periode  wird 
immer  wieder  berichtet,  dass  sie  zu  „Kaisern“,  nicht  zu  Königen 
erwählt  wurden.  Nicht  nur  gut  unterrichtete  chronikalische 
Quellen  erzählen  davon,  auch  in  Urkunden  und  Briefen  tritt 
diese  vorher  nicht  begegnende  Thatsache  so  deutlich  hervor, 
dass  man  angesichts  dieser  offenkundigen  Umformung  der  Wahl 
kaum  daran  zweifeln  kann,  dass  damals  thatsächlich  die  höchsten 
Gebieter  Deutschlands  als  Kaiser  und  nicht  als  Könige  ange- 
sehen worden  sind  und  sich  selber  als  solche  betrachtet  haben. 
Dennoch  hat  man  sich  bisher  nicht  recht  entschlossen  können, 
dies  allgemein  zuzugeben,  vor  allem  aus  der  Erwägung  heraus, 
dass  ein  erwählter  römischer  Kaiser  für  das  Mittelalter  staats- 
rechtlich ein  Unding  sei,  da  nur  der  römische  König  gewählt 
werde,  der  als  solcher  Anspruch  auf  die  Kaiserkrönung  habe.1) 


')  So  K.  Hainpe  in  der  Zeitschrift  für  Gesch.  d.  Oberrheins  N.  F. 
XX,  10  ff.  Vgl.  ferner  C.  Rodenberg  in  seiner  Abhandlung  „Ueber  wieder- 
holte deutsche  Königswahlen“  (Gierkes  Untersuchungen  z.  deutschen  Staats- 
und Rechtsgescb.  Heft  XXVIII),  S.  33. 


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40 


Diese  Anschauung  geht  von  der  Annahme  aus,  dass  die- 
jenige Staatsidee,  welche  wir  die  fränkisch -deutsche  nannten, 
stets  unangefochten  in  Geltung  gestanden  habe.  Wir  wissen 
aber,  dass  sie  seit  Friedrich  I.  mehr  und  mehr  von  dem  Ge- 
danken, dass  das  Reich  nichts  sei  als  ein  Imperium  und  die 
Reicbsgewalt  allein  auf  dem  römischen  Kaisertum  beruhe,  ver- 
drängt worden  ist.  Friedrich  und  Heinrich  waren  beide  bemüht, 
das  Nachfolgerecht  ihrer  Söhne  ins  Kaisertum  sicherzustellen, 
damit  das  Reich  keinen  Augenblick  ohne  Herrscher  bleibe. 
Dementsprechend  konnte  auch,  als  das  Reich  nach  Heinrichs 
Tode  (1197)  ledig  war  — die  kurz  zuvor  (1196)  vollzogene 
Wahl  Friedrichs  wurde  von  den  Fürsten  nicht  als  gültig  an- 
gesehen — nach  staufischer  Auffassung  nur  wieder  ein  neuer 
Kaiser,  nämlich  Philipp,  aufgestellt  werden.  Sehr  bald  darauf 
wurde  von  den  Gegnern  der  Staufer,  an  deren  Spitze  nach 
wie  vor  Erzbischof  Adolf  von  Köln  stand,  Otto  von  Braunschweig, 
zum  Könige  erwählt,  hier  also  der  imperialistische  Gedanke 
nicht  rezipiert,  dagegen  auf  der  anderen  Seite  ihm  zu  Liebe  — 
wie  wir  gleich  sehen  werden  — der  Charakter  der  Wahl  um- 
gedeutet. 

Wir  haben  über  diese  Doppel  wähl  eine  urkundliche  und 
eine  chronikalische  Quelle  heranzuziehen. 

In  dem  bekannten  Schreiben  der  deutschen  Reichsfürsten 
an  den  Papst  Innocenz  III.  vom  Mai  1199,  der  sogenannten 
Speyerer  Erklärung,1)  wird  der  Kurie  von  jenen  mitgeteilt: 

quod  mortuo  inclito  domino  nostro  (Henrico)  Romanorum 
imperatore  augusto  collecta  multitudine  principum  . . . illustrem 
dominum  nostrum  (Philippum)  in  imperatore m Romani 
solii  rite  et  sollempniter  elegimus. 

Es  sei  im  Voraus  gleich  bemerkt,  dass  der  Gedanke  der 
„electio  in  imperatorem“  nicht  hier  zuerst  auftaucht;  schon  bei 
der  Wahl  selber,  also  etwa  ein  Jahr  früher,  muss  man  ihn 
übernommen  haben.  Als  der  Vater  dieses  Gedankens  dürfte 
König  Philipp  gelten,  er  hat  gewiss  die  Staatsanschauung  des 
kaiserlichen  Bruders  geteilt  und  von  seinen  Bestrebungen  ge- 
wusst. Doch  ist  der  rechtliche  Charakter  der  Kaiserwahl  in 


')  MG.  Const.  II,  nr.  3,  p.  3 sq.  Zeurner,  Quellensammlung  z.  Gesell. 
<1.  deutschen  Reichsverfassung  (1904),  nr.  23,  S.  24  f. 


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voller  Klarheit  nur  von  ihm  und  seinen  Vertrauten,  nicht  auch 
von  den  Fürsten  seines  Anhangs  erfasst  worden. 

Wir  beobachten,  dass  er  im  Widerspruch  gegen  alles 
Reichsherkommen  *)  sich  gleich  nach  der  Wahl  (6.  März  1198) 
und  vor  der  förmlichen  Krönung  und  Einsetzung  durch  die 
Fürsten  (8.  September  d.  J.)  König  der  Römer  nannte  und 
auch  von  der  Wahl  die  Jahre  seines  Reiches  zählte.2)  Er  trug 
sogar  am  Osterfeste  1198  zu  Worms  die  kaiserliche  Krone  und 
die  anderen  Insignien,  ohne  doch  diese  aus  der  Hand  von 
Bischöfen  des  Reichs  empfangen  zu  haben.  Anscheinend  legte 
er  auf  die  deutsche  Krönung  gar  keinen  Wert.  Dazu  stimmt, 
dass  in  der  gedachten  Speyerer  Erklärung  ihrer  auch  nicht  mit 
einem  Worte  gedacht  wird.  Zwar  war  sie  nicht  wie  die 
Ottos  IV.  streng  nach  der  Regel  der  Gewohnheit  vollzogen 
worden,  doch  hätte  Philipp  sie  immerhin  erwähnen  und  sich, 
wie  er  später  gethan  hat,  damit  entschuldigen  können,  dass  er 
lediglich  durch  trügerische  Vorspiegelungen  Adolfs  und  der 
Seinen  verleitet,  den  schon  begonnenen  Zug  nach  Aachen  auf- 
gegeben habe.3)  Aber  unmöglich  konnte  von  jemanden,  der  zum 
Imperator  erwählt  worden  war,  dann  noch  gesagt  werden,  er 
sei  in  Aachen  zum  Könige  gekrönt  worden.  Denn  wohl  konnte 
die  Wahl  als  eine  Kaiserwahl,  nimmermehr  aber  die  deutsche 
Krönung  als  eine  kaiserliche  bezeichnet  werden.  Dagegen  heisst 
es  ausdrücklich,  dass  Philipp  binnen  Kurzem  mit  den  Fürsten 
nach  Rom  „pro  imperatorie  coronationis  dignitate  sublimiter 
obtinenda“  ziehen  würde. 

König  Philipp  betrachtete  ebenso  wie  sein  Bruder  und  wie 
sein  Vater  das  Reich  als  ein  römisches  Imperium,  wo  es  neben 


')  Dazu  Klammer,  Wahl  und  Einsetzung  S.  62  f. 

2 Die  Aunales  Colouienses  heben  diese  Thatsache  nnd  die  im  Folgenden 
berichtete  ausdrücklich  hervor,  sie  sagen:  Nomen  regium  sibi  ascribit  et 
apud  civitatem  Wangiouum  in  albis  (d.  b.  in  septimana  in  albis,  in  der 
Osterwoche)  coronatus  progreditur.  Ed.Waitz  p.  164. Vgl.  Reg.  imp.V,  nr.  15  a.c. 

s)  MO.  Const.  II.  p.  12,  nr.  10:  Scriptum  excusatorium  ad  pontificem 
a.  1206.:  Medio  quoque  tempore  cum  maxiino  et  gloriosissimo  exercitu  ad 
sedem  Aquensem  pro  recipienda  corona  ire  volentes,  astutia  et  dolis 
adversariorum  nostrorum  circumventi,  exercituin  nostruu  remisimus,  accepto 
tarnen  prius  ab  eis  sacramento,  quod  etiam  ipsi  in  nos  vota  sna  deberent 
transferre.  Sie  wählten  aber  — cumque  nos  ipsi  sic  decepissent  — durch 
englisches  Oeld  bestochen  den  Grafen  von  Poitou. 


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der  kaiserlichen  keine  andere,  selbständige,  königliche  Gewalt 
geben  konnte.  Die  deutsche  Königskrönung,  durch  welche  eine 
derartige  Gewalt  geschaffen  wurde,  war  daher  für  ihn  eine 
rechtlich  vollkommen  irrelevante  Handlung,  der  er  sich  nur  aus 
politischen  Gründen  unterzog.  Er  wollte  im  wahren  Sinne 
römischer,  nicht  fränkischer  König  sein;  gerade  so  wie  einst 
Heinrich  VI.  und  unter  ihm  dann  Friedrich  II.  durch  die  Wahl 
römische  Könige,  das  heisst  Cäsaren,  Unterkaiser  geworden 
waren,  die  nur  noch  der  Krönung  durch  den  Papst  bedurft 
hatten,  um  Augusti  zu  werden.  Dass  Friedrich  II.  als  ein 
kraft  Erbrechts  berufener  Nachfolger  Heinrichs  eine  derartige 
Stellung  hatte  einnehmen  sollen,  zeigten  wir  bereits ; das  gleiche 
war  ihm  aber  auch,  als  er  (Ende  1196)  erwählt  worden  war, 
zugedacht.  Denn  auch  er  führte  damals  sogleich  den  römischen 
Königstitel,  ohne  gekrönt  worden  zu  sein.  Da  Heinrich  Sizilien 
als  Reichsland  betrachtete,  Hess  er  Friedrichs  Bildnis  auf 
die  Rückseite  seiner  sizilischeu  Münzen  prägen  mit  der 
Umschrift:  König  Friedrich;  der  Sohn  hatte  neben  ihm  Anteil  am 
Kaisertume.1)  Im  Zusammenhänge  des  Reformplanes  hatte 
Heinrich  versucht,  der  Krönung  ihren  alten  Charakter  völlig 
zu  nehmen;  später  gaben  er  und  nach  ihm  in  deutlichster  Weise 
König  Philipp  wenigstens  zu  verstehen,  dass  sie  nach  den 
Anschauungen  der  Herrscher  ohne  staatsrechtliche  Bedeutung 
sei,  dass  man  zwar  das  fürstliche  Wahlrecht  wieder  anerkannt 
habe,  darum  aber  doch  nicht  gesonnen  sei,  sich  dem  in  der 
Krönung  am  lebendigsten  zum  Ausdruck  gelangenden  Gedanken 
des  fränkisch-deutschen  Königtums  zu  unterwerfen. 

Wir  können  demnach  wohl  den  Umstand,  dass  Philipp 
gegenüber  der  deutschen  Königskrönung  ein  geringschätziges 
Wesen  zur  Schau  trägt,  als  Bestätigung  für  unsere  obige  Be- 
hauptung, dass  Heinrich  VI.  sie  habe  beseitigen  wollen,  ver- 
wenden. Das  auffällige  Benehmen  Philipps  und  der  unglaubwürdig 
erscheinende  Plan  Heinrichs  erklären  sich  beide  als  entsprossen 
aus  einer  und  derselben  Idee,  dem  Reichsgedanken  des  staufischen 
Kaiserhauses. 

In  eine  Reihe  mit  den  sonstigen , oben  geschilderten 
Handlungen  Philipps  gehört  nun  auch  der  sicherlich  von  ihm 


Vgl.  oben  S.  31. 


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herrührende  Gedanke  der  „electio  in  imperatorem“.  Es  wurde 
dadurch  der  Rechtscharakter  der  Wahl  klarer  als  durch  den 
zweideutigen  Ausdruck  „electio  in  regem  Romanorum“  bezeichnet. 
Neben  einer  römischen  Kaiserwahl  konnte  es  als  zweiten, 
ergänzenden  Rechtsakt  nur  eine  römische  Kaiser-,  keine  deutsche 
Königskrönung  mehr  geben. 

Anscheinend  haben  die  Fürsten,  indem  sie  thatsächlich  eine 
Kaiserwahl  vollzogen  und  von  einer  solchen  nach  Rom  be- 
richteten, Philipps  Idee  gebilligt,  ja  gefördert.  Doch  kann  kein 
Zweifel  darüber  herrschen,  dass  sie  dem  Gedanken  des  Imperium 
nahegetreten  sind,  ohne  daraus  dieselben  Konsequenzen  zu 
ziehen  wie  die  Staufer.  Philipp  wird  ihnen  seines  Hauses 
geheime  Ideen  gewiss  nicht  offenbart  haben.  Gerade  in  der 
Königseinsetzung  kam  ja  der  Gedanke,  dass  die  Fürsten  dem 
von  ihnen  Erwählten  das  Reich  übertrugen,  in  rechtsförmlicher 
Weise  zum  Ausdruck.1)  Sie  war  eine  von  dem  germanischen 
Rechtsempfinden  des  hohen  Adels  notwendig  geforderte  Handlung, 
an  deren  Abschaffung  damals  nicht  gedacht  werden  konnte  und 
der  sich  Philipp  auch  hat  unterziehen  müssen. 

Andererseits  aber  sind  doch  ohne  Frage  auch  die  Fürsten 
von  der  im  zwölften  Jahrhundert  neuerstandenen  Idee  des 
römischen  Reiches  nicht  unberührt  geblieben. 

Wir  bemerkten  schon  früher  gelegentlich,  dass  diese  nicht 
nur  das  Stauferhaus  erfüllt  hat,  sondern  auch  in  weitere  Kreise 
eingedrungen  ist.  Zu  derselben  Zeit,  als  in  fremdem  Lande 
der  Ruhm  des  Imperium  von  beredten  Zungen  verkündet  wurde, 
als  die  Stadt  Rom  behauptete,  sie  allein  habe  die  höchste 
Würde  zu  vergeben,  kam  auch  den  Deutschen  die  Bedeutung  des 
Kaisertums  recht  zum  Bewusstsein.  Wie  zur  Entgegnung 
wurde  nun  betont,  dass  die  Deutschen  berechtigt  und  ver- 
pflichtet seien,  die  altrömischen  Traditionen  aufrechtzuerhalten 
und  weiterzuführen.  Als  den  Ausgangspunkt  dieser  Bewegung 
in  Deutschland  haben  wir  den  kaiserlichen  Hof  zu  betrachten. 
Denn,  wenn  auch  die  Staufer  ihre  Umgebung  gewiss_nur  zum 
kleineren  Teil  völlig  in  ihre  Reformgedanken  eingeweiht  haben, 
so  haben  sie  jedenfalls  aus  ihrer  starken  Vorliebe  für  das 
Kaisertum  kein  Hehl  gemacht,  diese  vielmehr  aufs  deutlichste 

*)  Vgl.  Krawiner,  Wahl  und  Einsetzung  S.  8 ff. 


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kundgetan.  Von  hier  aus  wurde  sie  nach  allen  Seiten  hin  weiter- 
getragen und  begierig  aufgenommen.  Ueberall,  wo  der  germanische 
Charakter  des  Reiches  dem  nicht  allzu  wirksam  widersprach, 
drangen  römische  Benennungen  ein;  die  Deutschen  worden  zu 
Romani,  das  Reich  ein  Imperium  Romanorum,  der  König  ein 
Imperator.  Indem  aber  dabei  an  einer  deutschrechtlichen 
Institution  wie  der  Königskrönung  doch  festgehalten  wurde, 
die  ihrem  Wesen  nach  nur  zur  alten  und  nicht  mehr  zur  neuen 
Staatsanschauung  passte,  ergab  sich  ein  Zwiespalt  im  Verfassungs- 
leben, der  allein  durch  die  völlige  Verwirklichung  des  staufischen 
Reformgedankens  behoben  worden  wäre. 

Dieser  Zwiespalt  begegnete  uns  bereits  beim  Reinhards- 
brunner Chronisten,  welcher  nur  vom  Kaiser  und  vom  Kaisertum 
spricht,  aber  die  Handlung,  durch  welche  ein  Kaiser  die  Gewalt 
im  Imperium  erhält,  doch  nicht  anders  als  königliche  Salbung 
bezeichnen  kann.  Im  Kreise  der  grossen  Reichsf&rsten  machte 
sich  dieser  Zwiespalt  aber  nicht  in  gleichem  Masse  geltend. 
Denn  hier  konnte  und  wollte  man  nicht  auf  hören,  in  der 
Aachener  Königseinsetzung  den  entscheidenden,  deu  konstitutiven 
Akt  bei  der  Bestellung  des  Herrschers  zu  sehen.  Freilich 
liebten  damals  auch  die  Fürsten  es,  mit  dem  Kamen  des 
Kaisertums  zu  prunken.  Doch  blieben  sie  im  Grunde  deutsch 
und  waren  nicht  von  dem  festen  Boden  ererbter  Gewohnheit 
zu  verdrängen.  Ihnen  ist  es  zu  danken,  dass  die  Idee  des 
deutschen  Königtums  erhalten  blieb.  In  anderen  Schichten 
des  Volkes  aber,  wo  kein  so  starker  Gegendruck  herrschte,  wo 
man  zwar  im  deutschen  Recht  sonst  ganz  zu  Hause,  nur  in 
den  Fragen  des  Staatsrecht  wenig  bewandert  war,  da  konnten 
die  imperialistischen  Ideen  ungehindert  eindringen  und  die 
zersetzendsten  Wirkungen  ausüben.  Das  zeigt  sich  besonders 
bei  näherer  Betrachtung  des  Sachsenspiegels;  und  da  wir  an 
den  Aussprüchen  Eikes  von  Repgow  über  Kaisertum  und 
Königtum  nicht  achtlos  vorübergehen  können,  so  sei  hier  eine 
kurze  exkursorische  Erörterung  seiner  Staatsanschauungen  ver- 
stauet. 

Man  kann  es  als  charakteristisch  für  die  Macht  des 
staufischen  Reichsgedankens  betrachten,  dass  der  Verfasser  einer 
grossen  Darstellung  deutschen  Rechts  eine  völlig  imperialistische, 
römische  Staatsauffassung  vertritt.  Keine  Spur  eines  boden- 


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ständigen,  deutschen  Staatsempfindens  treffen  wir  bei  ihm  an; 
nur  das  sächsische  Stammesgefühl  ist  entwickelt.  Nachdem  die 
Babylonier,  Perser  und  Macedonier  die  Weltherrschaft  inne- 
gehabt hatten,  fiel  sie  an  Rom  und  Julius  (Caesar)  wurde 
Kaiser:  Noch  hevet  rome  behalden  dar  von  dat  werltlike  sverd 
unde  von  sente  peteres  halven  dat  geistlike,  dar  umme  het  sie 
hovet  aller  werlde  (Landrecht  III,  44,  1).  Von  einem  deutschen 
Königreich  ist  nie  die  Rede,  nur  von  deutscher  Art  oder 
von  deutscher  Zunge,  dagegen  sagt  Eike  (III,  53,  1),  dass 
Sachsen,  Baiern,  Franken  und  Schwaben  früher  einmal  König- 
reiche gewesen  sind,  bis  sie  von  den  Römern  unterworfen  und 
zu  Herzogtümern  erniedrigt  wurden,  doch,  fährt  er  fort,  behilden 
sie  die  vorsten  to  manne  unde  de  van  lene  under  deme  namen. 
Seitdem  haben  ihnen  aber  die  Kaiser  auch  diese  beiden  Rechte 
entzogen.  Noch  näher  führt  das  kaiserliche  Landrechtsbuch, 
der  sogenannte  Schwabenspiegel,  die  Geschichte  der  Unter- 
werfung jener  Lande  durch  die  Römer  aus  (v.  Daniels  § 120): 
Daz  geschach,  do  Julius  ze  Rome  Kinnig  wart,  unde  er 
tiuschiu  lant  betwang.  Da  wolte  Julius  niut,  daz  über  elliu 
duschen  riche  iut  me  Kiunigriches  were  wan  sins,  unde  oucli 
iut  me  Kiuniges  wan  er. 

Der  historische  Verlauf  der  Dinge  ist  geradezu  auf  den 
Kopf  gestellt.  Noch  im  zwölften  Jahrhundert  hatte  man  das 
Herrscherrecht  der  Deutschen  über  Rom  sehr  mit  Recht  auf 
die  wiederholte  Einnahme  und  Unterwerfung  dieser  Stadt  zurück- 
geführt. Rom  galt  als  eine  Stadt,  Italien  als  eine  Provinz  des 
fränkisch  - deutschen  Reiches.  Nun  aber  sollen  die  Römer 
Deutschland  erobert  haben.  Deutschland  ist  eine  Provinz  des 
römischen  Reiches;  nicht  als  ein  deutscher,  sondern  als  ein 
römischer  König  oder  Kaiser  gebietet  der  von  den  Deutschen 
erwählte  Herrscher  in  Sachsen,  Baiern,  Franken  und  Schwaben. 

Zur  Erklärung  dieser  Staatsanschauung  Eikes  genügt  es 
nicht,  darauf  hinzuweisen,  dass  ihm  die  Lehre  von  den  vier 
Weltmonarchieen  geläufig  ist.  Denn,  obwohl  Otto  von  Freising 
sie  sicher  weit  mehr  in  sich  aufgenommen  hat,  so  hat  er  darum 
doch  der  Idee  des  deutschen  Königtums  alle  Gerechtigkeit 
widerfahren  lassen.  Wäre  in  Eikes  Zeit  der  Gedanke  des 
„regnum  Teutonicum“  in  kraftvoller  Weise  wie  einstmals  betont 
worden,  so  wäre  das  einem  so  aufmerksamen  Beobachter  des 


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Rechts  seiner  Zeit  gewiss  nicht  entgangen.  Irgendwie  hätte 
diese  Staatsidee  in  seinem  Rechtsbuche  sich  bemerkbar  gemacht. 
Sein  Zeitalter  war  von  nichts  anderem  mehr  erfüllt  als  von 
der  Idee  des  „Romanum  imperium“;  hinter  ihr  war  die  des 
„regnum“  zurückgetreten.  Auf  sächsischer  Erde  haben  im 
Jahre  1198  und  im  Jahre  1208  Kaiserwahlen  stattgefunden, 
wovon  Eike  sicher  gehört  haben  wird;  er  spricht  ja  auch  von 
„des  keiseres  köre“  (III,  57,  2).  Da  es  ihm  an  historischer 
Bildung  völlig  fehlte,  so  war  er  in  den  Fragen  des  Staatsrechts 
gänzlich  abhängig  von  der  herrschenden  Meinung,  von  den 
Schlagwörtern  des  Tages;  es  musste  ihm  daher  das  Reich 
lediglich  als  ein  römisches  erscheinen.  Und  da  Julius  Caesar 
das  römische  Reich  aufgerichtet  hatte,  so  konnte  Eike  die 
Zugehörigkeit  der  deutschen  Lande  zu  diesem  Reiche  nur  auf  eine 
Eroberung  derselben  durch  die  Römer,  durch  Caesar  zurückfuhren. 

Er  setzt  demnach  Kaiser  und  König  einander  vollkommen 
gleich;  der  Begriff  eines  deutschen  Königs,  der  dem  des  römischen 
Kaisers  gegenüberstünde,  existiert  ja  für  ihn  nicht.  Er  hebt 
vielmehr  hervor,  dass  von  Rechtswegen  die  Deutschen  den 
König  küren  sollen  (III,  52,  1);  man  kann  hinzufügen,  nur  sie 
und  kein  anderes  Volk.  Das,  d.  li.  dies  Vorrecht,  erwarb  ihnen 
der  König  Karl  (der  Grosse),  setzt  das  kaiserliche  Landrechts- 
buch hinzu  (v.  Daniels  § 118).  Es  ist  eben  kein  bodenständiger, 
deutscher  König,  den  sie  erwählen,  bei  dem  sich  das  von  selber 
verstünde,  sondern  aus  ihrer  Wahl  geht  der  Gebieter  Roms, 
des  Hauptes  aller  Welt,  hervor,  der  durch  die  Weihe  zu  Aachen 
den  Namen  eines  römischen  Königs,  durch  die  zu  Rom  den 
eines  Kaisers  empfängt  (III,  52,  l)1). 

So  ist  Eike  von  Repgow  ein  echter  Vertreter  des 
imperialistischen  Geistes  seiner  Zeit,  „einer  Zeit,  in  der  die 
Idee  des  deutschen  Reiches,  die  die  Vergangenheit  so  lebendig 
erfasst  hatte,  vor  der  des  Romanum  imperium  verblasste“2). 

')  Man  darf  an  dieser  Stelle  freilich  nicht  den  Homeyerschen  Text  zu 
Gründe  legen,  wo  königliche  und  kaiserliche  Gewalt  geschieden  werden, 
sondern  den  der  „von  späteren  Zusätzen  freien“  Quedliuburger  Hand- 
schrift, der  auch  Zeumer  in  seiner  Quellensammlung  z.  Gesell,  d.  deutschen 
Reichsverfassung  S.  OS  ff.  gefolgt  ist. 

ä)  So  F.  Vigener  am  Schlüsse  seines  Buches:  Die  Bezeichnungen  für 
Volk  nnd  Land  der  Deutschen  vom  10.  bis  zum  13.  Jahrhundert  (Heidelberg 
1901),  S.  259  Uber  die  Zeit  vom  Ausgange  des  12.  Jahrhunderts  ab. 


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In  der  Salierzeit  war  ein  solches  Verkennen  der  nationalen 
Struktur  des  Reiches  nicht  so  leicht  möglich  wie  damals,  wo  sich 
im  Gefolge  der  staufischen  Politik  die  Klarheit  des  politischen 
Blicks  vielfach  stark  getrUbt  hatte.  Heimisch  im  Land  der 
Ideale  wurde  der  Deutsche  ein  Fremder  im  Hause  seiner  Väter. 

Es  konnte  also  auch  für  die  Fürsten  in  dem  Gedanken  einer 
Kaiserwahl  — vorausgesetzt,  dass  neben  dieser  die  Königs- 
einsetzung bestehen  blieb  — damals  nichts  liegen,  was  sie  hätte 
argwöhnisch  machen  können. 

Wir  kehren  zur  Erörterung  der  Doppel  wähl  von  1198  zurück 
und  wenden  uns  nunmehr  jener  chronikalischen  Quelle  zu, 
auf  die  oben  verwiesen  wurde.  Es  handelt  sich  um  die  Chronik 
der  Bischöfe  von  Halberstadt,  eine  gute,  gleichzeitige  Quelle.1) 
In  ihr  wird  berichtet:2) 

Defuncto  siquidem  imperatore  Henrico  in  electione 
imperatoris  perniciosa  dissensio  inter  principes  est  exorta. 
Cum  enim  electores  Saxonie  principes  ad  eligendum  impera- 
torem  universos  imperii  principes  crebrius  invitarent,  quidam 
principes  avaricie  dediti  huic  sacre  electioni  exsecrabiles  inter- 
ponere  non  sunt  veriti  condiciones  . . . Verum  principes  Saxonie 
non  ferentes  Imperium  sine  rectore  sub  tante  more  periculo 
vacillare,  quibusdam  aliarum  provinciarum  principibus  convocatis 
...  in  villa  Arnestede  ....  dominum  Philippum  ducem  Swevie, 
filium  et  fratrem  divorum  imperatorum  Friderici  et  Henrici, 
imperatorem  unanimiter  elegerunt  . . . Hac  igitur  electione 
celebrata  Moguntiam  est  adductus  populoque  ostensus,  sicut  moris 
est  facere  de  electis,  et  pari  voto  omnium  et  consensu,  acclamatione 
quoque  et  applausu  in  regem  est  collaudatus  ....  et  Taran- 
tasiensis  archiepiscopus  ipsum  in  regem  consecravit  et  insigniis 
imperialibus,  que  penes  ipsum  erant,  pariter  insignivit. 
Adolfus  vero  Coloniensis  archiepiscopus  et  quidam  principes 
Reni  . . . Ottonem  ...  in  regem  eligunt  . . . Qui  capta 
Aquisgrani  civitate  eundem  electum  intronizatum  in  sede  regia 
collocantes,  diademate  regio  coronabant. 

Hier  wird  also  von  einer  Kaiserwahl  Philipps  in  Arnstadt, 
von  einer  Königswahl  und  -krönung  desselben  zu  Mainz  und 


*)  Vgl.  Wftttenbacli,  Deutschlands  Qeschicbtsqnellen  11°,  S.  356. 
*)  MG.  SS.  XXIII,  p.  113. 


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nur  von  einer  Königswahl  und  -einsetzung  Ottos  berichtet. 
Diese  Darstellung  ist  durchaus  zutreffend,  da  der  Gedanke  einer 
„electio  imperatoris“  wohl  bei  der  Arnst&dter,  doch,  wie  wir 
sogleich  sehen  werden,  nicht  bei  der  Mainzer  Wahl  Philipps 
und  nicht  bei  der  Erhebung  Ottos  hat  aufkommen  können.  Und 
da  wir  wissen,  dass  in  staufisch  gesinnten  Kreisen  jene  Idee, 
wie  das  Speyerer  Schreiben  beweist,  lebendig  war,  so  werden 
wir  nun  mit  aller  Bestimmtheit  sagen,  dass  die  Arnstädter 
Wahl  Philipps  von  Schwaben  (6.  März  1198)  als  die  Wahl 
eines  Kaisers  vollzogen  worden  ist.  Von  dieser  Thatsache  ist 
dem  Chronisten  Nachricht  zugekommen.  Er  hat  sie  über- 
nommen, obwohl  er  zu  meinen  scheint,  dass  die  Wahl  im 
Grunde  nur  eine  „electio  in  regem“  war.  An  Philipp  wird  nach 
seinen  Angaben  eine  Kaiserwahl  offenbar  deshalb  vollzogen, 
weil  jener,  als  Mitglied  des  bisherigen  Herrscherhauses  ohnehin 
der  Nächstberechtigte  zum  Throne,  Sohn  und  Bruder  von 
Herrschern  ist,  die  zum  Königtum  noch  das  Kaisertum  er- 
worben hatten,  und  er  nun  natürlich  in  alle  Rechte  jener,  in 
den  vollen  Umfang  ihrer  Macht  eintreten  und  wie  sein  Bruder 
Kaiser  sein  soll.  Dass  er  dessen  Stellung  einzunehmen  hat, 
folgt  ja  auch  daraus,  dass  er  im  Besitz  des  „Reichs“,  wie  man 
sagte,  das  heisst,  der  alten,  echten  Reichsinsignien1)  ist.  Und 
zwar  werden  die  seinen  im  Unterschiede  von  denen  Ottos  immer 
„kaiserliche“  genannt.2)  Denn  unter  ihrer  Zuhilfenahme  ist  ja 
Heinrich  nicht  nur  mit  dem  König-,  sondern  auch  mit  dem 
Kaiserreich  investiert  worden.  Dagegen  konnte  der  Welfe 
unmöglich  an  die  Traditionen  der  Staufer  anknüpfen;  er  musste 
wieder  von  vorn  an  fangen,  erst  König  werden,  dann  das 
staufische  Königtum  und  Kaisertum  bekämpfen  und  die  höchste 
Würde  für  sich  und  sein  Haus  zu  erlangen  suchen.  Als  Philipp 
1208  ermordet  worden  war  und  seine  Anhänger  zu  Otto  über- 
gingen, da  berichtet  dieselbe  Quelle,  dass  nun  dieser  von  ihnen 
zum  Kaiser  erwählt  wurde,  dass  man  ihm  die  kaiserlichen 
Insignien  übertrug,  ihm  Philipps  Tochter  Beatrix  zur  Gemahlin 

*)  Vgl.  MG.  Const.  II,  p.  12,  nr.  10,  § 5. 

*)  S.  oben:  insigniis  imperialibus;  ferner  Gesta  episcnpnrum 
Halberstad.  1.  c. : Rex  autem  festuin  »ativitatis  Domini  Magdeburch  . . . 
celebravit,  ipseque  die  sancto  regalibns  indumentis,  imperiali  djadetnate 
insignitus,  sollempniter  incedebat. 


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49 


gab,  wodurch  er  auch  das  staufische  Hausgut  erhielt.  So  wurde 
er  förmlich  und  in  allen  Stücken  als  Erbe  der  Staufer  anerkannt. 

Gewiss  giebt  der  Chronist  über  Philipps  Kaiserwahl  keine 
willkürlich  gebildete  Anschauung  wieder;  auch  der  Fürsten 
Meinung  war,  die  kaiserliche  Würde  bei  den  Deutschen  und 
ihrem  Königshause  erhalten  zu  müssen.  Um  aber  zu  erklären, 
wie  sie  sich  bereit  finden  iiessen,  dieser  ihrer  Meinung  durch 
den  Vollzug  einer  Kaiserwahl  Ausdruck  zu  geben,  muss  man 
tiefer  greifen  und  auf  die  imperialistische  Stimmung  des  zwölften 
Jahrhunderts  verweisen,  von  der  auch  sie,  freilich  nicht  so  stark 
wie  die  Staufer,  ergriffen  waren.  Dies  geistige  Milieu  ist 
die  letzte  Voraussetzung  ihres  Thuns. 

Ferner  soll  Philipp  gleich  im  Anschluss  an  die  Arnstädter 
Kur  zu  Mainz,  bevor  er  dort  gekrönt  wurde,  nach  alter  Sitte 
dem  Volke  gezeigt  und  von  allen  zum  Könige  erwählt  worden 
sein.  Wie  verträgt  sich  diese  Thatsache  damit,  dass  er  eben  erst 
znm  Kaiser  erhoben  war? 

Es  war  ein  alter  Brauch,  dass  der  von  den  Fürsten  Er- 
wählte unmittelbar  vor  der  Krönung  dem  versammelten  Volke 
gezeigt  wurde,  das  ihn  durch  allgemeinen  Zuruf  anerkannte. 
Widukind1)  berichtet  das  schon  von  der  Wahl  Ottos  I.  Auf 
eine  derartige  Handlung  beziehen  sich  wohl  die  Worte  des 
Chronisten;  sie  sind  nach  meinem  Dafürhalten  eher  so  als  dahin 
auszulegen,  dass  Philipp  dort  noch  von  einigen  Fürsten,  die  ihm 
bisher  nicht  zugefallen  waren,  erwählt  sei.'2)  Zwar  heisst  es: 

l)  Ed.  K.  A.  Kehr  p.  55. 

*)  Dies  ist  die  Ansicht  C.  Rodenberg's,  die  er  in  seiner  Abhandlung 
.Ueber  wiederholte  deutsche  Kuuigswshlen“  (Gierkes  Untersuchungen  z, 
deutsch.  Staats-  und  Rechtsgesch.  ßd.  XXVIII  18S9),  S.  13  f.  dargelegt  hat. 
Er  erinnert  auch  an  das  sogenannte  Entschuldigungsschreiben  K.  Philipps 
an  P.  Inuocenz  III.  (1206;  HG.  Const.  p.  10.  nr.  10).  aus  welchem  hervor- 
ginge, dass  nach  der  Arnstädter  Wahl  noch  eine  Nachwahl  in  Aussicht  ge- 
nommen sei.  Philipp  berichtet,  dass,  als  er  mit  Ueeresmacht  gen  Aachen 
zog,  seine  rheinischen  Gegner  aus  Furcht  vor  ihm  geschworen  hätten,  ihn 
auch  ihrerseits  wählen  zu  wollen,  dass  sie  dies  Versprechen  aber  nicht  ge- 
halten, sondern  Otto  erkoren  hätten  (cf.  1.  c.  p.  10,  § 6).  Mag  man  nun 
auch  staufischerseits  damals  die  Ansetzung  eines  besonderen  Wahltages  für 
diese  Wähler  geplant  haben  — was  sich  übrigens  keineswegs  mit  Sicherheit 
aus  dem  Angeführten  ergiebt  — , so  kam  es  doch  nicht  dazu,  da  ja  Otto  von 
ihnen  erwählt  wurde.  Davon  aber,  dass  er  daun  zu  Mainz  von  einer  Anzahl 
Fürsten  erkoren  sei,  sagt  Philipp  a.  a.  O.  kein  Wort. 

Krammer,  der  Keirhssednnke  des  statiflschen  Kaiserhauses  ' 4 


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50 


populoque  ostensus  ...  et  pari  voto  omnium  et  consensu, 
acclamatione  quoque  unanimi  et  applausu,  wobei  man  geneigt 
sein  könnte,  aus  den  Worten  pari  — consensu  auf  eine  Fürsten- 
wahl und  aus  dem  Uebrigen  auf  die  hernach  erteilte  Zustimmung 
des  Volkes  zu  scliliessen.  Doch  müsste  alsdann  auch  die  Fürsten- 
wahl im  Anschluss  an  die  Darstellung  Philipps  vor  dem  Volke 
stattgefunden  haben,  was  wenig  wahrscheinlich  ist.  Sollte  er 
nicht  erst,  nachdem  sich  die  Grossen  über  ihn  geeinigt  hatten, 
vor  das  Volk  getreten  sein?  Auch  wären  bei  einer  Nachwahl 
durch  Fürsten  und  Volk  jene  doch  gewiss  vor  allen  anderen 
Anwesenden  deutlich  hervorgetreten  und  diese  Thatsache  hätte 
der  Chronist  sicher  in  unzweideutiger  Weise  mitgeteilt.  Er 
will  durch  die  Worte  pari  — consensu,  so  scheint  mir,  nur  die 
völlige  Einstimmigkeit  bei  der  in  der  Form  allgemeinen  Zurufs 
(acclamatio)  vollzogenen  Anerkennung  charakterisieren. 

Diese  „acclamatio“  wurde  aber  stets  im  Rahmen  der 
Königskrönung  vollzogen.  Derselbe  Erzbischof,  der  gleich  darauf 
die  Salbung  und  Investitur  vornahm,  stellte  den  Erwählten  der 
Menge  vor.  Und  da  die  Krönung  nichts  anderes  als  eine 
„unecio  regia“  sein  konnte,  so  musste  auch  jene  Wahl  eine 
„collaudatio  in  regem“  sein.  Der  einzelne  Akt  durfte  dem 
Geiste  der  Gesamthandlung  nicht  widersprechen.  Zu  Mainz 
konnte  also  von  einer  „electio  imperatoris“  keine  Rede  sein. 

Auf  Seiten  der  Gegner,  der  Welfen,  konnte  endlich  der 
Gedanke  einer  Kaiserwahl  vollends  garnicht  aufkommen. 

Während  Philipp  gegenüber  der  Königseinsetzung  mit 
Absicht  eine  geringschätzige  Haltung  einnahm,  wurde  hier 
hervorgehoben, ')  dass  Otto  vor  allem  aus  dem  Grunde  dem 
Staufer  überlegen  sei,  weil  nur  er  von  dem  Erzbischof  von  Köln 
und  nur  er  am  rechten  Orte,  zu  Aachen,  gekrönt  und  gesalbt 
worden  sei.  Hatte  der  Staufer  auch  fast  alle  Macht  im  Reiche 
für  sich  und  war  auch  sein  Haus  seit  langem  im  Besitz  der 
Krone,  so  stand  demnach  doch  das  Recht  allein  auf  dieser,  der 
wölfischen  Seite.  So  konnte  man  aber  nur  argumentieren,  wenn 
man  an  der  Idee  des  fränkisch -deutschen  Königtums  festhielt. 
Diese  wollte  und  durfte  man  also  nicht  aufgeben.  Die  Wahl 
selber  konnte  unter  diesen  Umständeu,  wo  die  Einsetzung  so 


')  Zum  Folgenden  auch  K nimmer  a.  a.  O.  S.  41  ff. 


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61 


sehr  in  den  Vordergrund  trat,  natürlich  nur  eine  „electio  in 
regem“  sein.  Auch  auf  der  staufischen  Seite  wäre  der  Gedanke 
der  Kaiserwahl  gewiss  nicht  aufgetaucht,  hätte  nicht  Philipp 
in  seiner  dem  Königtum  und  der  Königswahl  und  -einsetzung 
feindlichen  Tendenz  ihn  aufgebracht. 

So  ist  die  Ausdrucksweise  unserer  Quelle,  der  Gesta 
episeoporum  Halberstadensium,  überall  durchaus  berechtigt.  Nur 
da,  wo  wirklich  die  Idee  des  Kaisertums  beherrschend  in  den 
Vordergrund  trat,  bei  der  Arnstädter  Wahl,  weiss  der  Verfasser 
von  einer  „electio  in  imperatorem“  zu  berichten. 

Diese  Quelle  ist  ferner  die  einzige,  welche,  wie  bereits 
erwähnt,  zum  Jahre  1208  berichtet,  dass  damals  König  Otto  IV., 
und  zwar  in  Halberstadt  selber,  zum  Kaiser  erwählt  wurde.1) 
Die  sächsischen  Fürsten,  welche  bisher  Philipp  angehangen 
hatten,  erhoben  hier  an  seiner  Stelle  den  Welfen;  sie  über- 
gaben ihm  die  kaiserlichen  Insignien  und  vermählten  ihn  mit 
der  Tochter  des  ermordeten  Herrschers.  So  wurde  Otto  auf 
alle  Weise  als  der  vollberechtigte  Nachfolger  Philipps,  als  der 
neue  Imperator,  anerkannt. 

Freilich  berichten  die  übrigen  Quellen,2)  von  denen  z.  Bsp. 
Arnold  von  Lübeck  sich  über  den  Hergang  bei  der  Wahl  gut 
unterrichtet  zeigt,  nur  von  einer  „electio  in  regem“.  Doch 
ist  das  sehr  erklärlich.  Man  war  zu  sehr  an  den  Gedanken 
gewöhnt,  dass  die  Wahl  eine  Königswahl  sei.  Wurde  nun 
einem  Chronisten  von  der  Kur  eines  „Kaisers“  berichtet,  so 
mochte  er  das  für  belanglos,  nur  für  einen  ungenauen  Ausdruck 
halten,  den  man  eher  zu  verbessern  als  anzunehmen  habe.  Nur 
wer,  wie  der  Halberstädter  Chronist,  schon  von  der  Wahl  von 
1198  her  wusste,  dass  man  in  staufischen  Kreisen  mit  Vorliebe 
und  Nachdruck  die  Idee  der  Kaiserwahl  betonte,  nahm  auch 
weiterhin  keinen  Anstand,  diese  Thatsache  ohne  Besserungs- 
versuche zu  verzeichnen,  wenn  ihm  abermals  von  einer  solchen 
berichtet  wurde. 

Als  dann  der  Welfe  nach  Italien  gezogen  war  und  die 
Kaiserkrone  gewonnen  hatte,  bald  darauf  aber  infolge  seiner 


*)  Principe«  . . . iam  dictum  regem  Ottonem  in  imperatorem 
nnanimiter  elegerunt.  MG.  SS.  XIII,  p.  122. 

*)  S.  Reg.  imp.  V,  nr.  240  c. 

4* 


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Eroberungspolitik  mit  der  Kurie  in  Konflikt  geraten  und  von 
ihr  in  den  Bann  gethan  war,  regte  Innocenz  III.  bei  den 
deutschen  Fürsten  die  Aufstellung  Friedrichs  von  Sizilien  als 
Gegenkönig  an.  ln  einer  Fürstenversammlung  zu  Nürnberg, 
im  August  1211,  wurde  Friedrich  dann  auch  und  zwar  zum 
Kaiser  erwählt.1)  Eine  Gesandtschaft  begab  sich  zu  ihm  nach 
Sizilien;  er  nahm  die  Wahl  und  demgemäss  den  Titel  eines  „er- 
wählten römischen  Kaisers“  an,2)  den  er  als  erster  aller  deutschen 
Könige  und  den  nach  ihm  erst  wieder  Maximilian  I.  geführt  hat. 
Er  wurde  ferner  aber  unter  Vermittlung  des  Papstes  auch 
von  Senat  und  Volk  der  Stadt  Rom  förmlich  als  Kaiser  aner- 
kannt (collaudatus)  ’)  und  endlich  von  Innocenz  bestätigt. 
Hierauf  zog  er  durch  Italien  nach  Deutschland,  wo  er  am 
5.  Dezember  1212  zu  Frankfurt  auf  einer  sehr  zahlreich  be- 
suchten Fürsten  Versammlung  zum  Könige  erwählt  und  gleich 
darauf  auch,  am  9.,  zu  Mainz  von  dem  dortigen  Erzbischöfe 
gekrönt  wurde.4) 

Dass  Friedrich  damals  zu  Nürnberg  zum  Kaiser  er- 
wählt wurde,  kann  kaum  einem  Zweifel  unterliegen.  Es  wird 
nicht  nur  von  der  Erfurter  St.  Peterschronik  und  der  Ursperger 
Chronik  berichtet, A)  sondern  Friedrich  sagt  auch  selber  in  einem 
Schreiben  vom  26.  September  1212,  der  König  von  Böhmen  habe 


')  Reg.  imp.  V,  ur.  10787  a. 

2)  Ibid.  nr.  650  a. 

J)  Chron.  Urspergeuse  ed.  Perl*  p.  92. 

•)  Reg.  imp.  V,  nr.  680  a.  b.  6s2. 

5)  Chron.  S.  Petri  Erphesfurt.  ed.  O.  Holdor-Egger  p.  209:  donec 
iidem  [principes]  in  oppido  Nurenbere  collecti  publice  . . Fridericum  Heinrici 
imperatoris  fllium  antea  ab  universitate  electum,  futurum  imperatorem 
declararent  Chron.  Ursperg.  ed.  6.  H.  Pertz  p.  92:  Tune  principes 
Alamanniae,  rex  videlicet  Boemiae,  dux  Austriae,  dux  Bawariae  et  langravins 
Turingiae  et  alii  quam  plures  convenientes  Fridericum  regem  Siciliae  elegerunt 
in  imperatorem  coronandum.  Vielleicht  ist  die  Ausdrucksweise  beider 
(Quellen  dahin  zu  erklären,  dass  jede  von  ihnen  von  einer  Erhebung  eines 
„imperator“  gehurt  hat,  keine  sich  aber  recht  entschlies9en  mag.  .in 
imperatorem  eligere“  zu  schreiben,  paher  sagt  die  eine:  .sie  erklärten 
ihn  zum  künftigen  Kaiser“,  die  andere:  .sie  wählten  ihn  zu  dem  (vom 
Papste)  zu  kriinenden  Kaiser“.  Auf  die  eine  wie  auf  die  andere 
Weise  wird  angedeutet,  dass  die  eigentliche  creatio  des  Kaisers  dem  Papste 
zusteht  — zum  Kaiser  wird  man  nicht  durch  eine  Wahl,  sondern  nur  durch 
eine  Krönung  — , die  Fürsten  bestimmen  hier  bloss,  wen  jener  zu  weihen  hat. 


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ihn  vor  allen  anderen  Fürsten  zum  Kaiser  erwählt.1)  Ausser- 
dem wissen  wir,  dass  bei  den  Wahlen  von  1198  und  1208 
die  Idee  des  Kaisertums  hervorgetreten  ist.  Warum  sollte  da 
nicht  auch  Friedrich,  der  doch  ein  Spross  des  staufischen  Kaiser- 
hauses war,  zum  Imperator  erhoben  worden  sein? 

Man  wollte  aber  auf  fürstlicher  Seite  bei  dieser  Wahl 
ebensowenig  wie  bei  den  von  1208  und  1198  dadurch,  dass 
man  von  einer  Kaiserwahl  sprach,  die  Grundlagen  des  Reichs- 
rechts verändern.2)  Man  gewöhnte  sich  daran,  den  König 
„imperator“  zu  nennen,  weil  dadurch  seine  vor  allen  anderen 
Monarchen  ausgezeichnete  Stellung  angedeutet  wurde.  Daher 
konnte  auch  der  Erzbischof  von  Mainz  von  dem  Frankfurter 
Tage  sagen,  hier  hätten  alle  Fürsten  einmütig  Friedrich  zum 
Kaiser  erwählt.3)  Der  Mainzer,  der  ihn  vor  Kurzem  erst  zum 
Könige  gekrönt  hatte  und  der  wohl  hoffen  mochte,  dass  das 
Krönungsrecht  von  den  Kölnern  wieder  auf  die  Mainzer  Erz- 
bischöfe übergehen  würde,  wäre  gewiss  nicht  geneigt  gewesen, 
sich  derartiger  Ausdrücke  zu  bedienen,  wenn  er  klar  erkannt 
hätte,  was  für  staatsrechtliche  Folgerungen  aus  dem  Begriff 
einer  „electio  in  imperatorem“  gezogen  werden  konnten. 

Auffällig  ist  dabei,  dass  Friedrich  II.  im  Gegensatz  zu 
Philipp,  der  doch  auch  zum  Kaiser  erwählt  worden  war,  sich  anfangs 
nicht  rex,  sondern  „in  imperatorem  electus“  nannte.  Erst  nach 
der  Frankfurter  Kur  nahm  er  den  herkömmlichen  Titel  an. 

Ohne  Frage  hat  er  bei  der  Wahl  des  kaiserlichen  Namens 
unter  päpstlichem  Einfluss  gehandelt.4)  Schon  Rodenberg  hat 

M MO.  Const.  II,  p.  54,  ur.  43.  Reg.  nr.  671. 

*)  Vgl.  oben,S.  43. 

*)  Rodenberg  a.  a.  O.  S.  32,  Anm.  6 setzt  freilich  diese  Urkunde 
(1214  März  26;  vgl.  Reg.  imp.  V,  nr.  726)  zwischen  der  Nürnberger  und 
der  Frankfurter  Wahl  an.  Doch  weisen  alle  Angaben  in  ihr  auf  das  Jahr 
1214;  auch  konnte  kaum  von  dein  erstgenannten  Tage  gesagt  werden,  dass 
dort  „universi  principes“  Friedrich  gewählt  hätten,  wohl  aber  von  dem 
letzteren  (Vgl.  Reg.  nr.  680a).  — Auch  Reiner  von  Lüttich  spricht  von 
dieser  Wahl  als  von  einer  .electio  in  imperatorem“,  die  Kölner  Königs- 
chronik dagegen  von  einer  Königswahl;  vgl.  Reg.  imp.  I.  c. 

*)  So  auch  Rodenberg  S.  32 ff.,  welcher  aber  leugnet,  dass  Friedrich 
in  Nürnberg  zum  Kaiser  erwählt  worden  sei.  Wenn  dieser  (s.  oben 
Anm.  1)  dem  König  von  Rühmen  dankt,  weil  er  ihn  vor  allen  zum  Kaiser 
erwählt  habe,  so  sei  das  daraus  erklärlich,  dass  Friedrich  damals  vor  der 
Frankfurter  Wahl  von  sich  nur  als  Kaiser  reden  konnte,  da  die  Kurie  ihn 


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54 


(a.  a.  0.  S.  36)  darauf  hingewiesen,  dass  Otto  IV.  und  nach 
ihm  Friedrich  II.  von  der  Kurie  stets  nur  so  genannt  worden 
sind.  Der  Grund  hierfür  liegt  klar  zu  Tage.  Dem  Papsttum 
kam  es  vor  allem  darauf  an,  Reichsitalien  unter  seine  Gewalt 
zu  bekommen.  Der  Kurie  war  die  Anschauung  geläufig,  dass 
die  Herrschaft  über  Italien  eine  Dependenz  des  Kaisertums 
sei  und  mit  diesem  vom  Papste  übertragen  werde.  Als  „rex“ 
hatte  der  in  Deutschland  Erwählte  hier  nichts  zu  sagen;  als 
solchen  durfte  ihn  also  die  Kurie  nicht  bezeichnen,  weil  da- 
durch anerkannt  worden  wäre,  dass  seine  Herrschaft  auch 
über  Italien  auf  dem  Königtume,  also  einem  von  der  Kurie 
gänzlich  unabhängigen  Institut,  beruhte,  und  sie  dann  nicht  befugt 
gewesen  wäre,  ihm  gegebenenfalls  das  Regiment  über  Italien 
zu  entziehen  und  bei  Vakanzen  dort  an  des  Kaisers  Stelle  zu 
gebieten.  Nannte  sie  ihn  aber  „erwählter  Kaiser“,  so  wurde 
damit  kundgethan,  dass  er  die  volle  Herrschergewalt  erst  mit 
der  Krönung  in  Rom  erlange.  In  der  That  hat  dann  auch 
Inuocenz  III.  vor  der  Weihe  Ottos  IV.,  aber  nach  seiner 
Approbation,  von  der  zur  Zeit  noch  herrschenden  Vakanz  des 
Kaiserreiches  gesprochen.1) 

nur  als  solchen  anerkannte  und  er  von  ihr  damals  immer  noch  völlig  ab- 
hängig war.  Doch  übersieht  K.,  dass  die  Kurie  ihn  nur  in  Italien  allein 
als  Kaiser  dulden  wollte;  in  allen  Beziehungen  zu  Deutschland  mochte 
er  als  König  auftreten,  das  konnte  sie  ihm  nicht  bestreiten.  Friedrich  hätte 
daher  wohl  von  einer  Königswahl  sprechen  können,  doch  er  wusste  offenbar, 
dass  die  Fürsten  es  liebten,  ihre  „electio*  als  eine  „electio  in  imperatorem“ 
zu  betrachten.  Ebenso  soll  Erzbischof  Siegfried  von  Mainz  in  soinem 
Schreiben  aus  Rücksicht  auf  den  Papst  die  Nürnberger  Wahl  als  Kaiserwahl 
bezeichnet  haben,  doch  ist  dasselbe  erst  nach  dem  Frankfurter  Tage 
verfasst  und  bezieht  sich  auf  diesen;  hier  kann  also  auch  nicht  das  von  R. 
angenommene  Motiv  wirksam  gewesen  sein,  da  ja  Friedrich  nunmehr  eine 
starke  Stellung  in  Deutschland  gewonnen  hatte.  — Als  eine  Kaiser  wähl 
hat  bereits  Scbeffer  Boichorst  (des.  Schriften  II,  336)  die  Nürnberger  Kur 
Friedrichs  erkannt. 

')  In  einem  Briefe  an  den  Bischof  von  Vercelli  aus  dem  Jahre  1206, 
der  als  normativ  ins  Corpus  iuris  (c.  10  X 2,  2 de  foro  competenti)  auf- 
genommen ist,  schreibt  der  Papst,  die  Bürger  hätten  sich  über  Bedrückung 
durch  ihre  Konsuln  beklagt  und  fährt  fort:  Liceat  tarnen  ipsis,  qui  sub 
eiusdem  consulibus  taliter  duxerint  contendendum,  si  se  in  aliquo  senserint 
praegravari,  ad  tuaw,  sicut  bactenus  servatum  est,  vel  ad  nostram,  si 
maluerint,  audientiam  appellare,  hoc  praesertim  tempore,  quo  vacante 
imperio  ad  iudicem  saecularem  recurrere  nequeont. 


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55 


Das  gleiche  Verfahren  wurde  naturgemäss  auch  Friedrich  II. 
gegenüber  befolgt.  Ihm  aber  musste  man  besondere  zu  ver- 
stehen geben,  dass  er  hinsichtlich  Italiens  von  der  Kurie  völlig 
abhängig  sei,  weil  er  König  von  Sizilien  war  und  die  Kurie 
eine  abermalige  Vereinigung  Siziliens  mit  dem  Reiche  um  keinen 
Preis  zugeben  konnte.1)  Vorläufig  mochte  Friedrich  auf  sein 
Königreich  nicht  verzichten:  wenn  er  später  sich  weigern  würde, 
nun,  dann  konnte  man  ihn  des  Kaisertums  und  seiner  Dependenzeu 
entsetzen. 

Indem  Friedrich  die  Herrschaft  als  „electus  in  imperatorem“ 
antrat,  erkannte  er  die  kurialistische  Rechtsauffassung  an. 
Zwar  war  er  von  deutschen  Fürsten  dem  Namen  nach  zum 
Kaiser,  der  Sache  nach  zum  Könige  erkoren  worden,  doch 
musste  er  sich  damals  der  Kurie  unbedingt  fügen.  Für  sie  kam 
es  zunächst  vor  allem  darauf  an,  dass  er  in  Italien,  wo  Otto  IV. 
mit  grosser  Macht  stand,  an  möglichst  vielen  Orten  als  Herrscher 
angenommen  würde.  Dabei  sollte  er  nun  überall  als  erwählter 
Kaiser  auftreten,  als  solcher,  nicht  als  König,  Gehorsam  fordern 
und  somit  die  Anschauung  festigen  und  weiterverbreiten,  dass 
über  Italien  nur  ein  von  der  Kurie  approbierter  Kaiser  zu  ge- 
bieten habe.  Ebendeshalb  Hess  ihn  auch  Innoccnz  von  den 
Römern  zum  Imperator  erwählen. 

Erst  als  Friedrich  in  Deutschland  angelangt,  hier  die 
Mehrzahl  der  deutschen  Fürsten  ihm  zugefallen  war  und  ihn 
erwählt  hatte,  konnte  er  wieder  nach  alter  Weise  als  römischer 
König  in  allen  Teilen  des  Reiches  Gehorsam  verlangen.  Bei 
dieser  zweiten  Wahl  scheint  man  denn  auch,  wie  um  gegen 
die  kuriale  Ansicht  zu  protestieren,  mit  einem  gewissen  Nach- 
druck betont  zu  haben,  dass  es  sich  um  eine  Königswahl 
handle.2)  Es  mag  dies  als  ein  weiteres  Symptom  dafür  ange- 
sehen werden,  dass  im  Kreise  der  Reichsfürsten  die  fränkisch- 

')  Uierzu  vgl.  Rodeuberg  a.  a.  0.  S.  34 ff. 

*)  Vgl.  wag  der  Hofkanzler  Konrad  von  Speyer  an  den  König  von 
Frankreich  (Keg.  imp.  V,  nr.  ß»2;  Huillard-lireliolle«,  Higtoria  diplomatica 
Friderici  II.,  T.  II,  p.  v.'iO  und  dazu  Rodenberga  Bemerkungen  a.  a.  O. 
S.  38)  gchreibt:  Nos  . . . F.  Romanorum  imperatorem  electum  ...  in 
dominum  et  regem  Romanorum  uniformiter  clegimus;  ...  ab  arcbiepiscopo 
Sloguntino  ...  in  Romauorum  regem  est  solempnisgime,  prout  deeuit  et 
oportuit,  coronatus. 


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56 


deutsche  Rechtsauffassung  — wie  wir  schon  so  oft  bemerkten 
— trotz  aller  Angriffe  im  Kerne  nicht  erschüttert  worden  war. 

Wir  wenden  uns  der  Wahl  Heinrichs  (VII.),  des  ältesten 
Sohnes  Friedrichs  II.,  zu  (1220).  Von  ihr  ist  sehr  wenig  zu 
berichten.  Zwar  erscheint  Heinrich  in  einer  bald  nach  der 
Wahl  ausgestellten  Urkunde  seines  Vaters  als  „erwählter 
römischer  Kaiser“.')  Doch  ist  dieser  Fall,  soviel  ich  sehe, 
durchaus  vereinzelt,  sonst  heisst  Heinrich  bis  in  den  Dezember 
des  genannten  Jahres,  wo  er  — wohl  durch  die  Nachricht  von 
der  Kaiserkrönung  Friedrichs  veranlasst*)  — sich  König  der 
Römer  und  „semper  augustus“  zu  nennen  begann,  stets  nur 
„in  Romanorum  regem  electus“.  Man  bezeichnetc  damals 
mitunter  den  König  als  imper&tor,  ohne  immer  damit  aus- 
di  ticken  zu  wollen,  dass  das  Kaisertum  etwas  vom  Königtum  im 
Weseu  verschiedenes  sei.  Den  thatsächlichen  Charakter  der 
Wahl  hat  Friedrich  nicht  verändern  können.  Bei  der  Kur  von 
1220  wurde  nämlich  das  bevorzugte  Wahlrecht,  das  sich  seit 
1198  einige  Fürsten  zuschrieben,  wie  es  scheint,  anerkannt.'1) 
Da  aber  diese  Gruppe  in  der  Hauptsache  von  don  rheinischen 
Erzbischöfen  gebildet  wurde,  die  am  allerwenigsten  Anlass 
hatten,  eine  Veränderung  des  Reichsrechts,  durch  welche  das 
Ansehen  der  Königseinsetzung  bedroht  wurde,  zu  wünschen, 
da  weiterhin  Friedrich  ganz  von  dem  guten  Willen  seiner  Fürsten 
abhängig  war,  so  ist  nicht  anzunehmen,  dass  damals  von  seiner 
Seite  irgend  ein  Reformversuch  gemacht  worden  ist.  Heinrich 
wurde  nach  alter  Weise  zum  Könige  erwählt. 

II. 

Dagegen  tritt  bei  der  folgenden  Wahl,  bei  der  Konrads  IV. 
im  Jahre  1237,  der  Gedanke  der  „electio  in  imperatorem“  aufs 
allerdeutlichste  hervor.  Hier  hat  Friedrich  II.  den  Versuch 
Heinrichs  VI.  insofern  erneuert,  als  auch  er  das  deutsche  König- 
tum beseitigen  und  durch  das  römische  ersetzen  wollte.  Die 
Wahl  konnte  er  allerdings  nicht  mehr  abschaffen,  doch  hat  er 
eine  Reform  derselben  angestrebt  und  dadurch  den  Uebergang 
zum  Erbkaisertum  wenigstens  vorbereitet. 

')  Reg.  imp.  V,  nr.  3849  f. 

2)  Ibid.  nr.  3853. 

3)  Vgl.  Krammer  ».  n.  O.  8.  41  ff.  53. 


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57 


In  dem  Wahldekret1)  von  1237  heisst  es,  dass  das  Recht, 
einen  römischen  Kaiser  zu  wählen,  früher  beim  Senat  der  Stadt 
Rom  gewesen,  nun  aber  auf  die  deutschen  Fürsten  übergegangen 
sei,  „ut  ab  illis  origo  prodiret  imperii,  per  quos  eiusdem  utilitas 
et  defeusio  procurantur“.  Diese  haben  beschlossen:  Da  Friedrich, 
der  regierende  Kaiser,  in  Nacheiferung  der  früheren  Cäsaren, 
sich  die  grössten  Verdienste  um  das  Imperium  erworben  habe, 
wollen  sie  ihn  durch  eine  Wahl  seines  Sohnes  zu  seinem  Nach- 
folger ehren,  ut,  dum  filium  eius  ex  nunc  in  futurum  irnpera- 
torem  nostrum  post  eius  mortem  assumimus,  iuste  pro 
imperio  pater  hactenus  laborasse  se  gaudeat.  Sie  haben  daher 
auf  Wunsch  und  Bitte  des  Vaters  den  Sohn  erwählt:  in 
Romanorum  regem  et  in  futurum  imperatorem  nostrum  post 
obitum  patris  habendum.  Sie  schwören  dem  Vater:  quod 
prefatum  Conradum  a uobis  in  regem  electum  post  mortem 
prenominati  patris  sui  dominum  et  imperatorem  nostrum 
habebimus,  eidem  in  omuibus,  que  ad  imperium  et  ius 
imperii  pertinent,  intendentes  sibique  iurabimus  fidelitatem, 
eidem,  prout  est  moris  et  iuris  imperii,  sacramenta  prestantes 
ac  ad  obtinendum  solemniter  imperii  diadema  sibi,  prout  de 
iure  tenemur,  consilium  et  auxilium  impendemus. 

Dass  es  sich  hier  um  eine  Kaiserwahl  handelt,  kann  wohl 
keinem  Zweifel  unterliegen.  Wird  doch  das  Recht  der  Fürsten 
zur  Wahl  des  Reichsoberhauptes,  obwohl  es  historisch  aus  ganz 
anderer  Wurzel  erwachsen  war,  auf  ein  angebliches  Wahlrecht 
des  römischen  Senats,  das  auf  jene  übergegangen  sei,  zurüek- 
gefuhrt.  Wie  wir  wissen,  schrieben  sich  damals  Senat  und 
Volk  der  Stadt  Rom  als  Nachfolger  des  alten  Senats,  der  alten 
Bürgerschaft  das  Recht  der  Kaiserwahl  zu.  Da  aber  nach 
deutscher  Auffassung,  wie  sie  in  der  schon  oben  berührten 
Stelle  des  Otto  von  Freising  hervortritt,  das  Imperium  mit  allen 
seinen  Institutionen  auf  die  Deutschen  überging,  so  sind  als 
Nachfolger  des  Senats  die  ersten  Ratgeber  des  deutschen 
Kaisers,  die  Fürsten,  zu  betrachten.2)  Sie  allein  können  daher 
auch  den  Imperator  erwählen. 


l)  MG.  Coiiät.  II,  p.  439,  nr.  329. 

*)  Otto  von  Freising  lässt  den  König  Friedrich  I.  zur  Stadt  Rom 
sprechen:  Non  cessit  nobia  nudum  imperium.  Virtute  sua  amictuin  venit. 


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öS 


Friedrichs  Sohn  Konrad  sollte  also  einstweilen  römischer 
König  sein,  mit  dem  Tode  des  Vaters  aber  sofort  an  dessen 
Stelle  als  römischer  Kaiser  treten.  Erst  dann  sollte  er  ein 
eigenes  Recht  auf  Herrschaft  haben  und  kraft  desselben  Ge- 
horsam fordern  dürfen;  entsprechend  erklären  die  Fürsten,  sie 
würden  ihn  dann  für  ihren  Herrn  halten  und  ihm  in  allen 
Reichsangelegenheiten  (in  omnibus,  que  ad  imperium  et  ius 
imperii  pertinent)  zu  Diensten  sein.  Von  Verpflichtungen  der 
Fürsten  gegen  ihn  als  König  ist  keine  Rede.  Hierzu  kommt, 
dass  Konrad  auch  nicht  zum  Könige  gekrönt  und  nicht  investiert 
worden  ist;  sein  Titel  war  und  blieb:  „Erwählter  römischer 
König“.  Er  hat  sonach  niemals  das  Königtum  rechtlich  in  Besitz  ge- 
nommen und  konnte  daher  auch  nicht  auf  Grund  seiner  Königs- 
würde irgendwelche  Rechte  beanspruchen;  seine  Befugnis  zur 
Regierung  als  König  stammte  vielmelir  allein  aus  der  Hand  des 
Kaisers  her,  dessen  Statthalter  in  Deutschland  er  war. 
Solange  Friedrich  lebte,  waren  die  Fürsten  ihm,  dem  Kaiser, 
verpflichtet,  damit  aber  ohne  weiteres  auch  jedem,  den  er 
für  sich  regieren  liess;  dem  Statthalter  des  Kaisers  konnten  sie 
nicht  ebenso  wie  diesem  selbst  Treue  schwören. 

Das  Königtum  Konrads  IV.  war  also  keine  bodenständige, 
sondern  nur  eine  vom  Kaisertum  abgeleitete  Gewalt,  gerade  so 
wie  es  einst  das  Königtum  Heinrichs  VI.,  Friedrichs  II.  und 
Philipps  gewesen  war.  Es  war  kein  deutsches.  Sondern  ein 
in  wahrem  Sinne  römisches  Königtum;  Heinrich  VI.  und  Philipp 
von  Schwaben  hatten  sich  nicht  als  deutsche  Könige,  sondern 
Unterkaiser,  als  Cäsaren  betrachtet.  Die  schon  bei  Friedrich  I. 
begegnende  Tendenz,1)  den  Charakter  des  Königtums  zu  ver- 
ändern, lebte  im  Jahre  1237  wieder  auf.  Ein  alter  Plan  des 
Stauferhauses  schien  seiner  Verwirklichung  nahe  zu  sein.  Im 
Einverständnis  mit  den  Fürsten  wurde  das  Reich  als  ein 
kaiserlicher  Staat  konstituiert,  in  dem  allein  ein  Imperator  zur 
Regierung  berechtigt  sein  sollte. 


Ornaments  sua  secam  traxit.  Penes  nos  sunt  consules  tui.  Penes  uns  est 
senatus  tuus.  Penes  nos  est  miles  tuus.  Proceres  Francorum  ipsi  te 
consilio  regere,  equites  Francorum  ipsi  tuam  ferro  iuiuriam  propellere 
debebunt.  Eil.  Q.  Waitz  p.  110.  3.  oben  3.  4,  Aum.  2 dieses  Buches. 

’)  Vgl.  oben  S.  ftf. 


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59 


Was  aber  ist  für  Friedrich  die  Veranlassung  gewesen, 
diese  Reform  in  die  Wege  zu  leiten?  Der  Hinweis  auf  seine 
Vorliebe  für  die  Hoheit  des  römischen  Kaisertums  kann  nicht 
genügen.  Es  gilt  ein  realeres  Motiv  zu  suchen. 

Zwischen  Friedrich  und  Konrad  sollte  ein  klares  Rechts- 
verhältnis geschaffen  werden,  wie  es  zwischen  Friedrich  und 
Heinrich  (VII.)  nicht  bestanden  hatte.  Daraus  hatten  sich 
mannigfache  Misshelligkeiten  zwischen  Vater  und  Sohn  ergeben, 
die  endlich  zu  einem  völligen  Bruch  und  zum  Kriege  zwischen 
beiden  geführt  hatten. 

Heinrich  war  gekrönt  und  investiert  worden  und  obwohl 
er  von  dem  so  erworbenen  Regierungsrecht  nur  kraft  der 
ihm  vom  Vater  erteilten  Erlaubnis  Gebrauch  machte,  so  war 
doch  unter  ihm  von  Anfang  an  das  selbständige  Herrscherrecht 
des  Königs,  das  diesem  eine  eigene  Gewalt  neben  der  des 
Kaisers  lieh,  aufs  deutlichste  betont  worden.  Schon  die 
Regentschaft,  welche  in  den  ersten  Jahren  des  jungen  Königs 
die  Herrschaft  führte,  hatte  das  gethan.  Obwohl  Heinrich  das 
Recht  zur  Erteilung  von  Belehnungen,  wie  er  selber  später 
(1234)  sagte,  nur  der  Gnade  des  Vaters  verdankte,1)  so  teilte 
doch  die  Reichsregierung  dem  Kaiser  unter  Heinrichs  Namen 
mit,  eine  Belehnung  sei  „tarn  nostra  quam  vestra  auctoritate“ 
erfolgt  (122I).2)  Ferner  bestätigte  Heinrich  (1232)  den  Bürgern 
von  Worms  aus  königlicher  Gewalt  und  nach  der  Er- 
mächtigung, die  er  von  seinem  Vater  neuerlich  dazu  erhalten 
habe,  alle  Privilegien  seiner  Vorfahren  am  Reiche.3)  Besonders 
klar  hat  einmal  der  Pfalzgraf  bei  Rhein  die  beiden  Grund- 
elemente der  Macht  Heinrichs  dargelegt.  Der  König  erklärt, 
jener  sei  auf  einem  Reichshofe  (1228)  vor  ihn  getreten: 

recognosccns  nos  coram  maioribus  regni  nostri  ex  mandato 
serenissimi  domini  imperatoris,  patris  nostri,  et  ex  nostra 
electione  regia  ius  habere  imperii  administrandi,  dignos  feodis 
infeodandi  etc.4) 


*)  Vgl.  MG.  Conat.  II,  p.  432,  nr.  322,  $ 7. 

s)  Reg.  imp.  V,  nr.  3869.  Vgl.  R.  Boerger,  die  Beiebnungen  der 
deuteeben  geistlichen  Fürsten  (Leipziger  Studien  a.  d.  Gebiet  d.  Gesch.  VIII, 
1),  S.  63. 

^ Reg.  nr.  4245. 

4)  Reg.  nr.  4110;  Bühmer,  Acta  imperii  S.  283. 


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60 


Unter  solchen  Umständen  war  für  Heinrich  die  Versuchung 
nahegerückt,  jeden  Eingriff  Friedrichs  als  eine  Verletzung  der 
Hoheit  seines  Königtums  zu  betrachten,  wiewohl  doch  anderer- 
seits der  Kaiser  unmöglich  auf  seine  oberste  Verfügungsgewalt 
über  Deutschland  verzichten  konnte.  Wie  Heinrich  selber  die 
Dinge  ansah,  ergiebt  sich  aus  seiuem  Rechtfertigungsschreiben 
an  den  Bischof  Konrgd  von  Hildesheim1),  in  dem  er  auseinander- 
setzt, wie  sehr  er  zum  Wohle  des  Reiches  lind  zur  Vermehrung 
des  Ruhmes  und  der  Ehre  seines  Vaters  beigetragen,  wie  dieser 
aber,  statt  ihm  zu  danken,  unaufhörlich  in  sein  Regiment  ein- 
gegriften  habe.  Berechtigte  und  nützliche  Verfügungen  von  ihm 
habe  Friedrich  aufgehoben  und  seinerseits  Bestimmungen  ge- 
troffen, denen  er,  Heinrich,  nur  gezwungen  zugestimmt  habe. 
Auch  habe  der  Kaiser  Verläumdem  sein  Ohr  geliehen  und 
ihnen  Widerrufsbriefe  über  königliche  Regicrungshandlungen  ge- 
geben. Heinrich  ersucht  endlich  den  Bischof,  gleich  anderen 
Fürsten  zwischen  ihm  und  dem  Vater  vermitteln  zu  wollen;  sie 
möchten  mit  ihm  den  Kaiser  bitten:  quod  honorem  nostrum, 
quem  de  gratia  Dei  omnipotentis  et  sua  habere  dinoscimur, 
in  nullo  diminuat  et  immutet. 

Hier  tritt  uns  ein  starkes  Verlangen  nach  möglichst 
selbständiger  Führung  der  Herrschaft  entgegen,  welches  ge- 
tragen wird  von  dem  Bewusstsein,  dass  diese  Herrschaft  ihrer 
Natur  nach  auf  eine  gewisse  Selbständigkeit  Anspruch  erheben 
kann.  In  diesem  Verhältnisse  des  Sohnes  zum  Vater,  dem  jener 
teils  abhängig,  teils  eigenmächtig  gegenüberstand,'-')  lag  von 
vornherein  der  Keim  eines  Zwistes. 

In  Heinrich  (VII.)  begegnet  uns  also  ein  Staufer,  der  für 
die  Unabhängigkeit  des  Königtums  vom  Kaisertum  eingetreteu 
ist.  Natürlich  ist  ihm  dieser  Gedanke  von  der  Regentschaft 
anerzogen  worden;  an  ihrer  Spitze  stand  Engelbert,  der  als 
Erzbischof  von  Köln  in  besonderem  Masse  derartigen  Ideen  zu- 
geneigt sein  mochte. 

I 

')  1234.  Sept.  2.  MG.  Const.  II,  p.  431,  nr.  322. 

*)  So  ist  das  Verhältnis  auch  von  Ficker,  Engelbert  der  Heilige 
(1853),  S.  106.  107  und  besonders  S.  109  dargelegt  worden.  Die  Ansicht 
Winkelmanns  (Forsch,  z.  deutschen  Gesch.  I,  8.  21  ff),  dass  Heinrich  ganz 
unselbständig  gewesen  sei,  steht  meines  Erachtens  nicht  im  Einklang  mit 
dem,  was  uns  die  Urkunden  über  das  Wesen  seines  Regiments  berichten. 


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61 


Der  alte  Zustand  sollte  im  Jahre  1237  nicht  wieder 
von  neuem  begründet,  vielmehr  der  Wiederkehr  störender  Miss- 
helligkeiten zwischen  Vater  und  Sohn  vorgebeugt  werden. 
Unmöglich  konnte  es  weiterhin  noch  unter  der  obersten,  kaiser- 
lichen Gewalt  eine  Sondergewalt  kraft  eigenen  Rechts,  ein 
deutsches  Königtum,  geben.  Daher  wurde  der  Charakter  des 
Königtums  umgedeutet,  aus  dem  freien  deutschen  ein  vom 
Kaisertum  abhängiges  römisches  Königtum  gemacht,  so  dass  in 
Zukunft  Friedrich  allein  als  Herrscher  kraft  eigenen,  Konrad 
dagegen  nur  als  solcher  kraft  abgeleiteten  Rechts  auftreten 
konnte.  Als  Statthalter  des  Augustus,  als  Cäsar  beherrschte 
er  Deutschland.  Er  hatte  kein  Recht,  in  höherem  Masse  als 
jener  für  gut  befand,  Selbständigkeit  zu  beanspruchen. 

Hand  in  Hand  mit  dieser  reichsrechtlichen  Reform  ging 
eine  zweite,  die  mit  ihr  aufs  engste  Zusammenhänge 

Bei  der  Wahl  von  1237  erscheinen  zum  ersten  Male  die 
Mitglieder  des  jüngeren  Reichsfürstenstandes  als  alleinberechtigt.1) 
Genannt  sind  in  dem  Wahldekret  eine  Anzahl  Erzbischöfe  und 
Bischöfe,  ferner  von  Laien  der  Pfalzgraf  bei  Rhein,  der  König 
von  Böhmen,  der  Landgraf  von  Thüringen  und  der  Herzog  von 
Kärnthen.  Von  den  späteren  Kurfürsten  stehen  die  Erzbischöfe 
von  Mainz  und  Trier  — Köln  war  gerade  ledig  — dabei  zwar 
an  erster  Stelle  und,  was  mehr  besagen  will,  unter  den  Laien 
ist  der  Pfalzgraf  als  vornehmster  sogar  dem  Könige  von  Böhmen 
vorangestellt,  doch  mehr  als  dieser  Rangvorzug  wird  ihnen  nicht 
eingeräumt.  Sie  treten  keineswegs  — wie  sich  das  bei  der 
Wahl  von  12202)  und  weit  deutlicher  bei  der  von  12473)  be- 
obachten lässt  — auch  hier  als  „electores“  den  gewöhnlichen 
„principes“,  die  nur  ein  Recht  der  Zustimmung  zu  der  Wahl 
jener  vier  haben,  gegenüber.  Vielmehr  heisst  es,  dass  alle  ein- 
mütig Konrad  gewählt  haben.  Dementsprechend  hat  Friedrich 
auch  späterhin  daran  festgehalten,  dass  allen  Fürsten  das  Wahl- 
recht gleichmässig  zustehe.4) 


*)  Vgl.  G.  Seeliger  in  den  Mitt.  d.  Inst.  f.  oesterr.  Gesell.  Bd.  16. 

S.  88  ff. 

*)  S.  oben  S.  56. 

3)  Krnmmer,  Wahl  und  Einsetzung  S.  93. 

*)  Vgl.  L.  Weiland  in  den  Forschungen  z.  deutschen  Geschichte  Bd.  90, 
S.  336  ff. 


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Ich  möchte  vermuten,  dass  es  dieser  Neuerung  bedurfte,  um  die 
Umwandlung  der  Königs-  zu  einer  Kaiserwahl  überhaupt  durch- 
führen zu  können.  Denn  wäre  Friedrich  unter  Anerkennung  der  be- 
vorzugten Stellung  der  drei  Erzbischöfe  mit  seinem  Ansinnen 
an  Mainz  und  Trier  herangetreten,  so  hätten  sie  es  ohne  Frage 
zurückgewiesen,  weil  dadurch  ja  das  Königtum  ausgeschaltet 
und  damit  der  durch  einen  von  ihnen  oder  besser  durch  den 
Kölner  unter  ihrer  Assistenz  zu  vollziehenden  Aachener  Krönung 
jede  Bedeutung  genommen  wurde.  Sie  hätten  sich  sagen  müssen, 
dass  in  Zukunft  — mochten  sie  auch  noch  so  stark  betonen, 
dass  ihnen  ein  besseres  Wahlrecht  zukomme  — seitens  der  Kaiser 
darauf  keine  Rücksicht  genommen  zu  werden  brauchte,  da 
nicht  mehr  wie  ehedem  eine  von  ihnen  zu  vollziehende  Krönung 
notwendig  zum  Antritt  des  Herrscheramts  gehörte,  da  man 
ihrer  Mitwirkung  nicht  mehr  bedurfte,  um  ein  Herrscherrecht 
zu  begründen.  Ihr  Krönungsrecht  und  ihre  Sonderstellung  bei 
der  Kur  bedingten  einander. 

Die  übrigen  Wähler,  geistliche  und  weltliche,  waren  am 
Fortbestände  der  Krönung  und  des  Königtums  viel  weniger 
interessiert.  Ihr  Wahlrecht  wurde  keineswegs  gefährdet,  viel- 
mehr im  Gegenteile  ausdrücklich  anerkannt,  dass  von  ihnen 
alle  Macht  des  Kaisers  ausginge,  und  es  mochte  ihrem  Ehrgeize 
schmeicheln,  Wähler  des  Kaisers  zu  sein.  Da  das  Wahlrecht 
jetzt  nur  noch  wenigen  zustand,  so  war  zu  erwarten,  dass  diese 
unter  sich  keine  bevorrechtete  Sondergruppe  wieder  aufkommen 
lassen  würden.  Der  Wert  einer  Wablstimme  war  gestiegen. 

Nach  allem  ist  zu  sagen:  Bei  der  Wahl  von  1237  wurden 
die  rheinischen  Erzbischöfe  offenbar  „majorisiert“.  Es  blieb 
ihnen  angesichts  der  Einigkeit,  die  zwischen  dem  mächtigen 
Kaiser  und  der  Mehrzahl  der  grösseren  Fürsten  bestand,  nichts 
übrig,  als  sich  einstweilen  zu  fügen. 

Friedrich  II.  hatte  von  der  Macht  des  Kaisertums  die 
denkbar  höchsten  Anschauungen.1)  Neben  ihr  konnte  eine 
Sondergewalt  kraft  eigenen  Rechts,  wie.es  das  deutsche  Königtum 
war,  nicht  bestehen.  Im  Laufe  der  Regierung  Heinrichs  (VII.) 
hatte  sich  ergeben,  dass  diese  theoretische  Forderung  auch 
praktisch  eine  richtige  war.  Das  haben  offenbar  auch  die 


')  Vgl.  auch  Hampe9  Ausführungen  in  der  Hist.  Zeitschrift  Bd.  8H,  S.  13. 


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63 

Fürsten  eingesehen;  freilich  musste  Friedrich  die  bevorzugte 
Stellung,  welche  die  rheinischen  Erzbischöfe  seit  1198  bei  der 
Wahl  hatten,  vorerst  beseitigen,  ehe  er  seinen  Reform  plan 
durchführen  konnte.  Dass  der  Erzbischof  von  Köln  — dem  in 
dieser  Politik  sich  anzuschliessen  der  Trierer  und  der  Mainzer 
geneigt,  ja  genötigt  waren  — der  gegebene  Gegner  der  Idee  des 
Kaisertums  war,  haben  wir  schon  oben  genugsam  erkannt. 

Für  Konrad  kam  daher  wie  für  Philipp  als  rechtlich 
relevant  nur  die  römische,  keine  deutsche  Krönung  in  Betracht. 
Während  aber  Philipp  sich  dieser  dennoch  hat  unterziehen 
müssen,  ist  Konrad  auch  nach  Friedrichs  Tode  in  Deutschland 
nicht  gekrönt  worden,  sondern  gleich  nach  Italien  gezogen. 
Dagegen  ist  er  von  seinem  Vater  in  aller  Form  zum  Erben  im 
Kaiserreich  eingesetzt  worden;  wir  finden  im  Testamente1) 
Friedrichs  II.  folgenden  Satz: 

Statuimus  itaque  Conradum  Romanorum  in  regem  electum 
et  regni  Hierosolomitani  heredem,  dilectum  filium  nostrum,  nobis 
heredem  in  imperio  et  in  omnibus  aliis  empticiis  et  quoquo- 
modo  acquisitis  et  specialiter  in  regno  nostro  Sicilie. 

Konrad  soll  also  das  Kaiserreich  samt  allem  Hinzugekanften 
oder  sonstwie  Hinzuerworbenen,  worunter  im  Besonderen  Sizilien 
verstanden  ist,  erben. 

Diese  Erbeneinsetzung  ist  kein  bedeutungsloser  Akt;  im 
Gegenteil,  wir  gelangen  von  hier  aus  erst  zum  völligen  Ver- 
ständnis der  politischen  Ideen  Friedrichs  II. 

In  dem  über  Konrads  Wahl  ausgestellten  Dekret  war  aufs 
rückhaltsloseste  anerkannt  worden,  dass  allein  die  Fürsten  über 
die  Nachfolge  im  Reiche  zu  bestimmen  hätten,  und  ihre  Macht 
und  Herrlichkeit  in  den  tönendsten  Worten  gepriesen  worden. 
Doch  es  waren  nur  Worte;  thatsächlich  suchte  Friedrich  in 
geschickter  Weise  ihren  Händen  das  Recht  zu  entwinden,  indem 
er  es  von  vornherein  unmöglich  machte,  dass  der  König 
investiert  wurde.  Der  Kaiser  allein  machte  ihn  zum  Herrscher. 
Konrad  sollte  in  ganz  anderer  Weise  als  Heinrich  vom  Vater 
abhängig  sein.  Daher  empfing  er  die  Herrschaft  über  Deutsch- 
land allein  von  diesem,  und  infolgedessen  übergab  ihm  Friedrich 
später  ganz  in  derselben  Weise  auch  das  Imperium  überhaupt. 


>)  MO.  Gönnt.  II,  p.  8S5.  nr.  274. 


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04 


Diese  Art  der  Uebertragung  entsprach  gewiss  allein  dem 
imperialistischen  Sinne  Friedrichs.  Der  Kaiser  sollte  kraft 
seiner  Allgewalt  den  Nachfolger  ernennen  und  der  Hochadel 
des  Reichs  sich  der  kaiserlichen  Entschliessung  bereitwilligst 
unterwerfen.  Nach  diesem  Ziele  lenkte  er  die  Entwicklung 
energisch  hin  und  er  hat  vielleicht  den  Zeitpunkt,  wo  dies  Ideal 
verwirklicht  sein  würde,  als  einen  nicht  allzu  fernen  betrachtet. 

So  sehen  wir,  hat  Friedrich  II.  nicht  minder  als  Heinrich  VI. 
und  Philipp  danach  getrachtet,  die  Königseinsetzung  zu  be- 
seitigen; mit  ihr  hätte  die  Wahl  Kraft  verloren. 

Der  Reformplan  Friedrichs  scheiterte  ebenso  wie  der 
seines  Vaters.  Die  führenden  Männer  der  Folgezeit  waren 
gerade  diejenigen,  gegen  welche  die  Staufer  am  eifrigsten  ge- 
kämpft hatten,  die  rheinischen  Erzbischöfe.  Sie  haben  Gegen- 
könige aufgestellt,  welche  die  Ueberhand  über  das  Stauferhaus 
in  Deutschland  gewannen.  Sie  schlossen  sich  bald  darauf  mit 
einigen  anderen  Grossen  zum  Kurfürstenkolleg  zusammen,  das 
dann  von  entscheidendem  Einfluss  auf  die  Reichsgeschicke 
wurde.  Damit  war  der  Sieg  der  fränkisch-deutschen  Königsidee 
entschieden;  das  Kaisertum  entschwand  in  den  Jahrzehnten  von 
der  Mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  ab  den  Fürsten  Deutsch- 
lands in  weitere  Fernen. 

Erst  unter  Kaiser  Ludwig  dem  Baiern  trat  es  wieder  in 
ihre  greifbare  Nähe.  Davon  ist  hernach  zu  handeln,  zuvor 
aber  muss  einer  sehr  merkwürdigen  Nachwirkung  der 
staufischen  Ideen  noch  eingehender  gedacht  werden. 

Es  handelt  sich  dabei  um  ein  von  dem  Kanonisten  Heinricus 
de  Segusio  und  von  Lupoid  von  Bebenburg  verwertetes  Weistum, 
das  K.  Zeumer  ermittelt  hat  und  das  nach  den  überzeugenden 
Ausführungen1)  des  Letzteren  im  Frühjahr  1252  zu  Braunschweig 
von  den  Fürsten  gefunden  worden  ist.  Es  lautet: 

Rex  autem  Romanorum  ex  quo  electus  est  in  concordia, 
eandem  potestatem  habet  quam  et  imperator  nec  dat  ei 
inunctio  imperialis  nisi  nomen. 

Die  Veranlassung  zur  Findung  dieses  Weistums  war  folgende: 
Dem  Könige  Wilhelm  von  Holland  hatten  sich  einige  Fürsten  nicht 


')  Neues  Archiv  der  Gesellschaft  für  ült.  deutsche  Gesell.  XXX, 
403—415. 


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05 


unterwerfen  wollen  und  ihren  Widerstand  offenbar  damit  be- 
gründet, dass  sie  nicht  verpflichtet  seien,  ihre  Lehen  von  einem 
Könige  zu  nehmen.  Erst  als  das  Weistum  ergangen  war, 
nahmen  sie,  wie  es  in  der  Erfurter  St.  Peterschronik1)  heisst, 
die  Lehen  von  ihm  „sicut  a Romanorum  imperatore“.  Ihre 
Weigerung  erklärt  Zeumer  daraus,  dass  sie,  seit  langem  daran 
gewöhnt,  von  dem  Kaiser  Friedrich  und  seinen  für  ihn  regierenden 
Söhnen  belehnt  zu  werden,  einen  blossen  Köni£  nicht  als  rechten 
Herrn  über  sich  betrachten  mochten.2}  Doch  kann  man  dem 
meines  Erachtens  entgegenhalten,  dass  der  Gedanke,  ein  König 
sei  als  solcher  berechtigt  Lehen  zu  erteilen,  doch  nicht  so  ohne 
weiteres  erlöschen  konnte.  Noch  Heinrich  (VII.)  hatte  kraft 
königlicher  Autorität  Lehen  erteilt,  König  Konrad  dann  freilich 
nur  als  Beauftragter  seines  Vaters  gewirkt,  aber  es  war  doch 
immer  so  gewesen,  dass  nach  dem  Tode  eines  Kaisers  zunächst 
ein  König  in  Deutschland  gebot.  Die  Behauptung  jener  Fürsten 
erscheint  demnach  als  reichlich  kühn. 

Wie  wir  früher  dargelegt  haben,  hatte  man  auf  fürstlicher 
Seite  ehedem,  zur  Zeit  des  Thronstreites  etwa,  den  von  den 
Staufern  aufgebrachten  Gedanken  der  „electio  in  imperatorem“ 
übernommen,  ohne  darum  an  dem  deutschen  Grundcharakter 
der  Verfassung  irre  zu  werden,  woraus  sich  natürlich  eine  unklare 
Staatsanschauung  ergab.  Unter  König  Wilhelm  aber  leugneten 
die  Fürsten  die  Zuständigkeit  des  deutschen  Königtums  überhaupt ; 
sie  verwarfen  vollkommen  diese  Institution  zu  Gunsten  des 
Kaisertums.  Dieser  Radikalismus  entsprach  durchaus  der  Ent- 
wicklung, welche  die  Idee  des  Kaisertums  mittlerweile  in 
Deutschland  durchgemacht  hatte.  Kaisertum  und  Königtum 
waren  unter  Heinrich  (VII.)  miteinander  in  Konflikt  geraten; 
neben  der  allumfassenden  und  allbeherrschenden  Gewalt  des 
Augustus  konnte  es  fürder  keine  zweite  Macht  kraft  eigenen, 
nicht  abgeleiteten  Rechts,  kein  deutsches  Königtum,  nur  noch 
ein  Unterkaisertum  geben.  Die  Art,  wie  die  Wahl  Konrads  IV. 
im  Jahre  1237  vorgenommen  wurde,  zeigt,  dass  damals  mit  dem 
Gedanken  des  deutschen  Königtums  völlig  gebrochen  wurde. 


')  Mou.  Erphesfurtensia  eil.  O.  Holder-Egger  p.  247. 
s)  A.  a.  O.  S.  409. 

K ramm  Pr,  <lor  Npirh^prlnnkf'  «W  «ttnnfi^-hon  KarcrJiau^ps 


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06 


Andererseits  aber  erheischte  das  Interesse  der  rheinischen  Erz- 
bischöfe gebieterisch  ein  Festhalten  an  der  Idee  des  bodenständigen 
Königtums.  Daher  stellten  sie  den  Staufeni  einen  König  wie 
Wilhelm  von  Holland  entgegen,  der  in  alter  Weise  investiert 
wurde  und  demnach  für  diejenigen,  welche  an  dem  staufischen 
Reformplan  festhielten,  der  Vertreter  einer  mit  der  Reichsgrund- 
gewalt, mit  dem  Kaisertum,  konkurrierenden,  daher  gefährlichen 
und  vor  Kurzem  erst  beseitigten  Staatsidee  war.  Nur  Konrad  IV., 
bezüglich  dessen  man  1237  ausdrücklich  übereingekommen  war, 
ihn  nach  Friedrichs  II.  Tode  (1250)  als  den  neuen  Kaiser 
betrachten  zu  wollen,  der  nicht  wie  Wilhelm  kraft  königlichen, 
sondern  allein  kraft  kaiserlichen  Rechts  im  Sinne  des  neuen 
Reichsgedankens  regierte,  konnte  für  die  Imperialisten  der 
gegebene  Herrscher  sein.  Doch  hielten  sie  es  für  ratsamer, 
statt  sich  zu  einem  fernen,  in  Deutschland  wenig  mächtigen  und 
vom  Papste  gebannten  Herrscher  zu  bekennen,  sich  hinter  ihrer 
Staatsauffassung,  der  Wilhelms  Auftreten  widersprach,  zu  ver- 
schanzen. 

Das  energische  Vorgehen  Friedrich  II.  hatte  den  Zwiespalt 
beseitigen  sollen,  der  unter  den  früheren  Staufern  dadurch  ent- 
standen war,  dass  zwar  die  Idee  des  Kaisertums  in  den  Vorder- 
grund geschoben,  jedoch  die  des  deutschen  Königtums  — wenn  man 
von  dem  Versuche  Heinrichs  VI.  absieht  — nicht  radikal  aus- 
gerottet worden  war.  Nur  Heinrich  VI.  und  Friedrich  II. 
haben,  jener  für  ganz  kurze,  dieser  für  etwas  längere  Zeit, 
einen  klaren  Rechtszustand  geschaffen.  So  reiht  sich  der 
Reformversuch  Friedrichs  würdig  dem  Heinrichs  an. 

Auf  die  weitere  Entwicklung  des  Reichsrechts  hat  das 
Braunschweiger  Weistum  keinen  Einfluss  ausgeübt;  dort  herrschten 
andere  Gedanken.  Ein  tragisches  Geschick  aber  hat  es  gefügt, 
dass  die  Idee,  die  Friedrichs  Tod  überlebte,  nun  als  eine  furcht- 
bare Waffe  überging  in  die  Hände  seiner  Feinde,  der  Päpste; 
und  hierbei  scheint  das  Braunschweiger  Weistum  der  Uebergang 
der  Idee  von  dem  einen  ins  andere  Lager  vermittelt  zu  haben. 


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67 


Drittes  Kapitel. 

Die  Einwirkung  des  stautischen  Reichsgedankens  auf  Doktrin 
und  Politik  der  römischen  Kurie. 

Nicht  nur  die  Staufer,  auch  die  Päpste  des  dreizehnten 
und  vierzehnten  Jahrhunderts  haben  eine  Reform  der  Reichs- 
verfassung angestrebt.  Wie  jene  haben  auch  diese  in  ihr  den 
Gedanken  des  Kaisertums  rein  durchzuführen,  die  ihm  zuwider- 
laufende Idee  eines  daneben  kraft  eigenen  Rechts  bestehenden 
deutschen  Königtums  zu  beseitigen  gesucht.  Erst  um  die  Mitte 
des  dreizehnten  Jahrhunderts  wagt  sich  aber  die  päpstliche 
Politik  so  weit  vor,  und  die  Anregung  hierzu  scheint  sie  durch 
Uebernahme  des  stanfischen  Reformgedankens  erhalten  zu  haben. 

Vergleichen  wir  das  Vorgehen  Innocenz’  III.  gegenüber  dem 
Reiche  mit  dem  Bonifaz’  VIII. 

Nur  insofern  als  der  deutsche  König  Kandidat  für  das 
Kaisertum  war,  konnte  Innocenz1)  beanspruchen,  seine  persön- 
lichen Eigenschaften  und  den  Verlauf  der  Wahl  zu  prüfen,  um 
jenen  zu  bestätigen  oder  zu  verwerfen.  Das  Kaisertum,  ein  halb 
geistliches,  halb  weltliches  Amt,  gehörte  in  den  Machtbereich 
der  Kirche;  hätte  diese  Brücke  zwischen  ihr  und  Deutschland 
nicht  bestanden,  so  wäre  sie  keinenfalls  befugt  gewesen,  sich 
in  die  deutschen  Wahlhändel  zu  mischen.  Dementsprechend 
erhielten  Otto  IV.  und  Friedrich  II.  von  der  Kurie  mit  der 
Bestätigung  den  Titel  eines  „erwählten  römischen  Kaisers“  zu- 
erkannt und  sind  von  ihr  auch  weiterhin  — bis  zur  Kaiser- 
krönung — stets  so  genannt  worden.2)  Dass  sie  ausserdem 
noch  Könige  waren,  ging  die  Kurie  nichts  an,  allein  ihr  Anrecht 
auf  das  Kaisertum  sollte  durch  die  Bestätigung  festgestellt 


>)  Hinsichtlich  der  Anschauungen  Innocenz'  III.  und  Bonifaz'  VIII. 
kann  ich  auch  auf  meine  Untersuchung  Uber  den  .Einfluss  des  Papsttums  auf 
die  deutsche  Königswahl“  (Rechtsgeschichte  des  Kurftirstenkollegs  I.  Phil. 
Diss.  Berlin  1903)  verweisen.  Die  im  folgenden  gegebene  Darlegung  der 
Art,  wie  sich  der  Uebergang  von  den  Ansichten  des  früheren  Papstes  zu 
denen  des  späteren  vollzogen  hat,  findet  sich  dort  aber  noch  nicht.  Sie 
konnte  ich  erst  im  Anschluss  an  die  Zeumersche  Entdeckung  des  Weistums 
von  1262  und  meine  Untersuchungen  Uber  die  staufische  Kaiseridee  geben. 

*)  Vgl.  Rodenberg,  Ueber  wiederholte  deutsche  Königswahlen  S.  36. 

6* 


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08 


werden.  Da  man  päpstlicherseits  Italien  als  Dependenz 
des  Kaisertums  betrachtete  und  hier  nur  einen  Kaiser  als  be- 
rechtigten Herrscher  ansah,  so  war  es  konsequent,  wenn 
Innocenz  noch  zur  Zeit,  als  Otto  IV.  schon  bestätigt  war,  von 
einer  Vakanz  des  Reiches  (s.  oben  S.  54)  sprach.  Er  war 
zwar  erwählter,  doch  noch  nicht  gekrönter  Kaiser.  Ebenso 
sollte  ja  auch  Friedrich  als  Kaiser,  nicht  als  König  in  Italien 
auftreten.  Wenngleich  das  Königtum  dem  Namen  nach  ein 
römisches  war  wie  das  Kaisertum,  so  herrschte  doch  im  Süden 
damals  durchaus  die  Vorstellung,  dass  jene  Würde  ihrem  Wesen 
nach  eine  deutsche  sei,  die  an  sich  mit  Rom,  Italien  und  dem 
Kaisertum  garnichts  zu  thnn  habe. 

Ganz  anders  ist  das  Vorgehen  Bonifaz’  VIII.  gegenüber 
König  Albrecht  I.  Jetzt  hängt  auch  die  königliche  Gewalt  in 
Deutschland  vom  Papste  ab;  er  bestreitet  ausdrücklich,  dass 
durch  die  Wahl  ein  Recht  zur  Führung  des  königlichen  Titels 
und  zum  Antritt  der  Regierung  in  jenem  Lande  gewonnen 
werde,  dies  verleihe  vielmehr  erst  der  Papst  durch  seine 
Approbation.1) 

Es  fragt  sich,  wie  und  wann  der  Uebergang  von  dem 
Standpunkt  Innocenz'  III.  zu  dem  Bonifaz’  VIII.  vollzogen 
worden  ist? 

Der  Charakter  des  Romanorum  rex  muss  sich  in  der 
Zwischenzeit  verändert  haben.  Wäre  dieser  auch  zur  Zeit 
Bonifaz’  nichts  als  der  deutsche  König  gewesen,  ein  rein  welt- 
licher Herrscher,  so  hätte  der  Papst  doch  wohl  nicht  so  nach- 
drücklich dessen  völlige  Abhängigkeit  vom  apostolischen  Stuhl 
verkündigt,  da  er  sie  juristisch  kaum  hätte  begründen  können. 
Vielmehr  hätte  ein  solches  Hinübergreifen  in  weltliche  Dinge  der 
kurialistischen  Doktrin  von  den  zwei  Gewalten  geradezu  wider- 
sprochen.2) Bonifaz’  Vorgänger  müssen  die  Lehre  Innocenz*  III. 
gew'andelt,  müssen  den  Boden  bereitet  haben,  von  dem  aus 
Bonifaz  VIII.  und  Johann  XXII.  ihre  kühnen  Angriffe  gegen 
Deutschland  unternehmen  konnten. 


■)  Vgl.  Krammer  a.  a.  0.  S.  31. 

s)  Vgl.  Hostiengig  lecturn  »uper  II.  1.  decretalium  c.  Novit.:  „Juris- 
dictionen] nostram*  per  hoc  qnod  dicitur  hie  patet,  qnod  papa  non  habet 
utrnmqne  gladium  et  qnod  iurisdictioneg  sint  diatincte.  Freilich 


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69 


Als  ein  Vorgänger  Bonifaz’  VIII.  kann  in  dieser  Beziehung 
Kaiser  Friedrich  II.  angesehen  worden.  Dank  seinen  Be- 
mühungen wurde  das  Königtum  für  kürzere  Zeit  ein  seines 
deutschen  Gehalts  beraubtes,  vom  Kaisertum  allein  hergeleitetos 
und  abhängiges  Institut.  Dem  Schützling  der  Kurie,  Wilhelm 
von  Holland,  gegenüber,  der  wieder  als  ein  König  der  älteren 
Art  auftrat,  beriefen  sich  einige  Fürsten  darauf,  dass  sie  nur 
dem  Kaisertume  unterworfen  seien.  Sie  erkannten  Wilhelm  erst 
an,  nachdem  sie  zuvor  in  Braunschweig  durch  ein  Weistum  fest- 
gestellt hatten,  dass  der  einhellig  erwählte  römische  König  die- 
selbe Macht  habe  wie  der  Kaiser  und  die  Salbung  ihm  nur 
einen  Namen  gebe.  Sie  unterwarfen  sich  nicht  den  Staats- 
anschauungen der  rheinländisch-kurialistischen  Partei  des  Königs, 
sondern  hielten  am  staufischen  Reichsgedanken  fest. 

Für  sie  beruhte  die  Gewalt  im  Reiche  auf  der  Idee  des 
Kaisertums;  es  musste  in  Braunschweig  also  von  ihrer  Seite 
ausdrücklich  erklärt  werden,  dass  ein  König  einem  Kaiser  gleich- 
zuachten sei.  So  wurde  die  Wesensgleichheit  von  römischem 
Königtum  und  Kaisertum  verkündet,  jenem  sein  historischer  Inhalt 
genommen  und  es,  ganz  in  staufischem  Sinne,  zu  einer  blossen 
Vorstufe  des  Kaisertums  gemacht.  Gegen  das  Weistum  haben 
auch  gleich  darauf  zu  Frankfurt  der  Kölner  Erzbischof  und 
andere  geistliche  Fürsten  protestiert,  indem  sie  erklärten, 
dass  Wilhelm  rein  als  erwählter  und  zu  Aachen  gekrönter 
König  sein  Regierungsrecht  habe.1}  Es  sollte  verhindert 
werden,  dass  sich  die  staufische  Staatsauffassung  von  neuem 
wieder  einschlich.  Die  ihr  entgegengesetzte,  in  der  Protest- 
kundgebung niedergelegte  Anschauung  ist  für  Deutschland  die 
herrschende  geblieben.  Sie  begegnet  auch  in  dem  Weistum, 
das  uns  in  der  Bulle  Qui  celum  Urbans  IV.  von  1263  erhalten 
ist,2)  in  dem  selber  wieder  die  Frankfurter  Erklärung  benutzt 


hatte  Innocenz  III.  der  Kurie  ein  ziemlich  weitgehendes  Recht  zum  Ein- 
greifen in  weltliche  Dinge  zugewiesen,  doch  musste  dasselbe  stets  durch  be- 
sondere Umstände  motiviert  sein,  auch  wurde  dadurch  die  prinzipielle  Unab- 
hängigkeit des  Staats  von  der  Kirche  nicht  angetastet.  Vgl.  Scholz, 

Publizistik  zur  Zeit  Philipps  des  Schönen  (Stuttgart  1903),  S.  84  ff. 

')  MG.  Con8t.  II,  p.  466,  nr.  359.  Zeumer,  Quellensammlung  S.  77,  nr.  66. 
a)  MG.  Const.  II,  p.  525  f.,  nr.  405,  Abs.  5 — 7.  Zeumer,  a.  a.  0. 

S.  88,  nr.  74,  Abs.  5—7. 


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70 


wurde  und  das  seinerseits  dann  den  Appellationen  König  Ludwigs 
des  Bayern  (1323/24)  gegen  die  päpstlichen  Uebergriffe  und  dom 
gleich  gerichteten  Rhenser  Weistum  von  1338  zu  Grunde  ge- 
legen hat.1) 

Wie  diese  Entwicklungslinie  nimmt  aber  auch  eine  zweite 
ihren  Ausgangspunkt  im  Jahre  1252.  Für  die  Kurie  wurde 
durch  das  Braunschweiger  Weistum  der  Ansporn  gegeben,  nun 
auch  die  Abhängigkeit  des  römischen  Königtums  vom  Papsttum 
zu  behaupten.  Dass  von  dem  Weistum  nach  Rom  Kunde  ge- 
drungen ist  und  Papst  Innocenz  IV.  es  gebilligt  hat,  ist  durch 
Zeurner  bereits  erwiesen  worden.2)  Als  Beweis  dafür  aber, 
dass  auch  die  in  dem  Weistum  enthaltene  Anschauungsweise 
dort  rezipiert  wurde,  kann  folgender,  schon  von  Ficker  als  merk- 
würdig bczeichneter  Fall  betrachtet  werden.  Im  Jahre  1256, 
während  der  nach  dem  Tode  König  Wilhelms  herrschenden 
Vakanz  des  Reiches,  verlieh  der  Nachfolger  Innocenz'  IV., 
Alexander  IV.,  dem  Bischof  von  Verdun  vice  regia  auctoritate 
die  Regalien.1)  Der  Papst  erscheint  hier  als  der  berufene 
Vertreter  des  Königs  im  deutschen  Reiche,  zu  dem  Verdun 
gehörte.  Sonst  begegnet  in  der  Regel  nur  der  Anspruch, 
den  Kaiser  in  Italien  oder  auch  in  Burgund  vertreten  zu 
können.  Er  ist,  wenn  auch  verhüllt,  schon  von  Innocenz  III. 
erhoben  worden4)  und  dann  in  der  zweiten  Hälfte  des  dreizehnten 
Jahrhunderts  klarer  hervorgetreten.  Dieser  Anspruch  ist  bald 
erklärt,  da  ja  nach  alter  päpstlicher  Anschauung  in  Italien  die 
Herrschaft  von  Rechtswegen  nur  dem  vom  Papste  einzusetzenden 
Kaiser  zustand,  dessen  Gewalt  mit  dem  Tode  des  jeweiligen 
Inhabers  an  ihren  Urheber,  die  römische  Kirche,  zurückfiel.’) 


‘)  Vgl.  Müller,  Kampf  Ludwigs  d.  Bayern  mit  der  römischen  Kurie 
(1879/80),  Bd.  H,  S.  68  und  300. 

2)  Neues  Archiv  XXX,  410f. 

3)  M6  Eplae.  s.  XIII.  3,  390:  Alexander  verleiht  die  Regalien,  cum 
imperium  vacat  ad  presens  vice  regia  auctoritate,  doch  unter  der  Bedingung, 
dass  der  Bischof  dem  künftigen  römischen  Könige,  nachdem  dessen  Wahl 
durch  den  apostolischen  Stuhl  bestätigt  worden,  alles  Herkömmliche  erwoise. 
Erst  mit  der  Bestätigung  hört  das  Interregnum  in  Deutschland  auf,  erst 
durch  sie  erhält  der  König  dort  die  Regierungsgewalt.  Vgl.  auch  J.  Ficker, 
Forsch,  z.  Reichs-  und  Rechtsgescb.  Italiens  II,  S.  469. 

4)  In  der  Decretale  c.  10  X 2,  2 de  foro  competenti. 

5)  Ficker  a.  a.  O.  II,  S.  468  ff. 


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71 


Deutschland  aber  und  sein  Königtum  ging  sie  garnichts  an. 
Dennoch  bildet  in  unserem  Falle  offenbar  der  Gedanke  die 
Voraussetzung,  dass  auch  Deutschland  von  der  Kurie  abhängig 
sei.  Zu  ihm  war  man  aber  gelangt,  weil  nach  1252  das  Königtum 
in  Rom  nicht  mehr  als  eine  bodenständige,  deutsche,  sondern 
als  eine  römische  und  demnach  der  Kurie  untergebene  Gewalt 
betrachtet  wurde.  So  glaube  ich,  lässt  sich  der  auffällige 
Anspruch  Papst  Alexanders  IV.  am  besten  erklären. 

Zu  dieser  Weiterbildung  ihrer  Doktrin  sah  sich  die  Kurie 
durch  das  Vorgehen  der  Fürsten  auf  dem  Braunschweiger  Tage 
gedrängt.  Sie  war  genötigt  gewesen,  ihrem  Schützlinge  Wilhelm 
von  üolland  ausser  den  rheinischen  Fürsten  auch  die  grossen 
Herren  Norddeutschlands  zu  gewinnen.  Ihre  staufische  Staats- 
autfassung,  die  derjenigen  der  Rheinländer  widersprach,  musste 
das  Papsttum  dabei,  wiewohl  ungern,  mit  in  den  Kauf  nehmen. 
Innocenz  IV.  wird  daher,  als  er  das  Weistum  billigte,  sofort  den 
Weg  gesucht  haben,  der  aus  diesem  Dilemma  hinausführte. 

An  sich  stand  natürlich  die  imperialistische  Staatsauffassung 
mit  ihrer  schroffen  Ablehnung  jedes  päpstlichen  Einflusses  auf 
das  Kaisertum  in  scharfem  Gegensatz  zur  päpstlichen  Lehre. 
Von  den  Kurialen  ist  das  Weistum  damals  gewiss  allgemein 
als  ein  aumasslicher  und  ungesetzlicher  Schritt  der  Deutschen 
betrachtet  worden.  So  haben  es  auch  die  beiden  Gesandten 
der  Kurie  beurteilt,  die  in  Braunschweig  zugegen  waren,  der 
Kardinallegat  Hugo  und  der  Erzbischof  von  Embrun  Hcinricus 
de  Segusio,  nachmals  Kardinalbischof  von  Ostia,  der  berühmte 
Kanonist.  Dieser  fügt  seiner  Mitteilung  des  Fttrstenspruchs  die 
Worte  bei1):  Sicut  vidi  in  Alemannia  per  principes  iudicari. 
Sed,  quiequid  illi  iudicaverint,  non  videtur,  quod  habeat 
potestatem  hanc  (sc.  imperialem),  quousque  per  sedem  apostolicam 
fuerit  approbatus.  Alioquin  in  potestate  ipsorum  principum  esset 
hereticum  vel  alium  minus  idoneum  promovere,  quod  esse  non 
debet,  ut  patet  in  eo  quod  legitur  et  notatur  supra  de  electione 
Venerabilem  (c.  34  X 1,  6). 

Er  meint  also:  „Aber,  was  jene  Fürsten  auch  als  Recht 
verkündet  haben  mögen,  fest  steht,  dass  erst  durch  die  Approbation 
die  kaiserliche  Gewalt  verliehen  wird.“  Für  den  Hostiensis  ist 


')  Vgl.  Zeumer,  Neues  Archiv  XXX,  412. 


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das  Weistum  eine  mit  dem  kanonischen  Recht  nicht  harmonierende 
und  daher  wirkungslose  Satzung,  auf  die  er  mit  einiger  Ver- 
achtung herabsieht.  Was  ferner  die  Meinung  des  Legaten  an- 
langt, so  hat  dieser  von  Braunschweig  aus  einen  Brief  an  die 
Bischöfe  von  Schwerin  und  Havelberg  (1252  März  25)  ge- 
schrieben,-) in  dem  er  mitteilt,  dass  Wilhelm,  den  gewisse 
Fürsten,  die  dazu  berechtigt  wären,  längst  „legitime  in  regem“ 
erwählt  haben  und  den  der  Papst  bestätigt  habe,  nun  auch 
noch  von  dem  Herzog  zu  Sachsen  und  dem  Markgrafen  von 
Brandenburg  zum  Könige  erwählt  sei;  man  möge  ihm  daher 
allenthalben  „tamquam  regi“  Gehorsam  leisten.  Der  Legat, 
der  von  dem  Weistum  doch  sicher  ebenso  wie  der  Hostiensis 
gewusst  haben  wird,  sagt  erstens  nichts  davon,  dass  Wilhelm 
nunmehr  erst  als  einhellig  Erwählter  zu  gelten  habe,  wohin 
doch  gewiss  die  Ansicht  der  Urheber  des  Weistums  giug,  im 
Gegenteil,  er  betrachtet  Wilhelms  erste  Wahl  als  die  ent- 
scheidende und  sieht  in  der  zweiten  eine  nur  notgedrungen 
geduldete  Anmassung.  Zweitens  sagt  er  auch  davon  nichts, 
dass  Wilhelm  als  einhellig  Erwählter  jetzt  auch  die  kaiserliche 
Gewalt  habe,  dass  man  ihn  hinfort  nicht  nur  als  König,  sondern 
auch  als  Kaiser  anzusehen  habe.  Das  Weistum  war  in  keiner 
Beziehung  nach  dem  Sinne  des  Legaten.1)  Von  ihm  wird  es 
ignoriert,  von  dem  Hostiensis  ausdrücklich  verw  orfen,  Innocenz  IV. 
dagegen  hat  es  gebilligt.  Er  wird  es  also  verstanden  haben, 
der  gegen  Rom  gerichteten  Aktion  der  deutschen  Fürsten  die 
Spitze  abzubrechen.  Der  Legat  und  der  Kanonist  blieben  beide 
in  herkömmlichen  Rechtsanschauungen  befangen,  er  hatte  die 
Kühnheit,  sic  zu  durchbrechen,  die  kuriale  Doktrin  veränderten 
Verhältnissen  anzupassen,  den  U ebergang  vom  Begriff  des 
deutschen  zu  dem  des  römischen  Königtums  zu  vollziehen. 

Innocenz  musste  diesen  Gegenzug  thun.  Die  mächtigsten, 
weltlichen  Fürsten  Deutschlands  schienen  der  imperialistischen 

s)  MH.  Const.  II,  nr.  459,  p.  63t.  Zeumer,  Quellensammlung  nr.  65,  p.  77. 

')  Zeumer,  Neues  Archiv  XXX,  410  nimmt  an,  dass  es  unter  seiner 
Zustimmung  gefunden  worden  sei.  Z.  siebt  in  dem  Weistum  nicht  einen 
gegen  die  Kurie  gerichteten  Schritt,  sondern  eine  in  Uebereinstimmung  mit 
ihren  offiziellen  Vertretern  vorgenommene  Handlung  der  Anhänger  Wilhelms, 
die  auf  diese  Weise  der  Einrede  anderer  Pürsten,  die  nur  von  einem  Kaiser 
ihre  Lehen  nehmen  wallten,  wirksam  begegneten. 


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73 


Lehre  zugetan  zu  sein.  Fuhren  die  Päpste  jetzt  fort,  das 
Königtum,  von  dem  die  Deutschen  behauptet  hatten,  es  enthalte 
in  sich  die  ganze  Fülle  der  kaiserlichen  Gewalt,  als  etwas 
Unantastbares  zu  betrachten,  so  musste  das  Kaisertum  bald 
den  Händen  des  Papsttums  entgleiten. 

In  die  Wirklichkeit  umgesetzt  hat  den  Gedanken  Innocenz'  IV. 
erst  sein  Nachfolger.  Es  kann  noch  an  anderen  Fällen  als 
dem  oben  erörterten  gezeigt  werden,  wie  gerade  unter  Alexander  IV., 
der  seit  1234  den  Pontifikat  innegehabt  hat,  die  Machtbefugnisse 
der  Kurie  über  das  Reich  erweitert  worden  sind. 

Innocenz  IV.  nahm  gegenüber  der  Königswahl  vor  1252 
noch  folgenden  Standpunkt  ein : Der  deutsche  König  ist  Kandidat 
für  das  römische  Kaisertum;  passt  dem  Papste  ein  Kandidat 
nicht,  so  kann  er  das  ruhig  sagen;  er  darf  sich  aber  Uber  die 
betreffende  Wahl  kein  Urteil  erlauben,  insofern  sie  eine  weltliche, 
deutsche  Staatsaktion  ist.  Innocenz  hat  seine  Anschauungen 
in  dem  bald  nach  1245  entstandenen  Kommentar3)  zu  den 
Dekretalen  Gregore  IX.  niedergelegt.  Um  zu  begründen,  wes- 
halb Innocenz  III.  in  seiner  Dekretale  über  die  Königswahl 
(c.  34  X de  elect.  I,  6 Venerabilem)  den  erwählten  und  ge- 
krönten Otto  von  Braunschweig  König  nennt,  schreibt  er; 

Regem:  quia  Aquisgraui  per  Colouiensem  archiepiscopum 
l‘uit  coronatus . . . . et  ideo,  cum  sit  in  possessione  coronam 
regni  habendo,  non  est  vis,  si  eum  regem  nominat. 

Durch  die  Aachener  Krönung  erwirbt  also  der  Erwählte 
ohne  Zutun  des  Papstes  die  Herrschaft  über  das  regnum. 
Ferner  bemerkt  der  Glossator  zu  einer  anderen  Stelle  der  ge- 
nannten Dekretale: 

Justo  cassavit  enim  papa  quiequid  factum  erat  de  Phyflippo] 
duce,  sed  non  confirmavit  electionem  regis  Ottonis  et  ideo 
reservavit  contradictoribus  potestatem  dicendi  in  formam  et 
pereonam,  etsi  interim  debent  eum  habere  pro  rege 
propter  coronam,  quam  accepit  a Coloniensi  archie- 
piscopo  apud  Aquisgrani. 

Insofern  als  die  Wahl  Philipps  eine  „electio  in  imperatorem“ 
ist,  hat  sie  der  Papst  cassiert;  über  die  Ottos  ist  noch  keine 


a)  Apparatur  in  V libros  decretalium.  In  der  von  mir  benutzten  Aus- 
gabe (Argentor  1478),  fol.  107. 


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endgültigo  Entscheidung  getroffen.  Insofern  aber  beide  Wahleu 
„elcctiones  in  regem“  sind,  berühren  sie  das  päpstliche  Rechts- 
gebiet nicht,  doch,  da  bei  der  Erhebung  eines  Königs  die 
Aachener  Krönung  der  entscheidende  Akt  ist  und  nur  Otto  sie 
erhalten  hat,  so  ist  er  jedenfalls  — also  vor  der  Konfirmation  — 
rex.  Die  Unabhängigkeit  des  deutschen  Königtums  von  der 
Kurie  kann  kaum  deutlicher  ausgesprochen  werden.  Endlich 
heisst  es  noch  in  derselben  Glosse: 

Credimus  tarnen,  quod  si  imperator  coronam  in  loco  debito 
rccipere  non  posset,  nihilominus  tarnen  auctoritatem  ad- 
ministrandi  ab  archiepiscopo  Coloniensi  possit  recipere 
vel  sua  auctoritate  habet  ex  electione. 

Also  auch  wenn  ein  erwählter  und  bestätigter  Kaiser  die 
Krone  in  Rom  nicht  erhalten  kann,  so  hat  er  doch  kraft  der 
königlichen  Wahl  und  Krönung  Befugnis  zur  Herrschaft. 

Von  diesem  Standpunkt  Innocenz’  IV.  ist  Alexander  IV. 
deutlich  abgewichen.  Als  im  Jahre  1255  noch  zu  Lebzeiten 
Wilhelms  von  Holland  eine  neue  Königswahl  in  Deutschland 
geplant  wurde,  verwarf  und  cassierte  er  diese  im  Voraus  und 
bedrohte  den,  der  sich  auf  Grund  derselben  König  nennen 
würde,  mit  dem  Bann.1)  Ebenso  verbot  er  nach  dem  Tode 
Wilhelms  in  Schreiben  an  die  Erzbischöfe  von  Köln,  Mainz  und 
Trier  C 1256  Juli  28)2)  eine  Königswahl  Konradins,  des  letzten 
Hohenstaufen,  da  dieser  „propter  infantiam  nimiumque  defectum 
etatis“  nicht  erwählt  werden  könne  und  belegte  jeden,  der  an 
seiner  Wahl  teilnehmen  würde,  mit  dem  Bann.  Alexander  IV. 
betrachtete  die  römische  Königswahl  als  eine  vom  Urteil  des 
Papstes  abhängige  Rechtshandlung.  Wäre  eine  Wahl  und 
Krönung  Konradins  zustandegekommen,  so  hätte  er  sie  gewiss 
verworfen  und  Konradin  nicht  als  rex  anerkannt. 

Kann  ein  Papst  einer  Königswahl  alle  Rechtskraft  nehmen,  so 
ist  er  es  aber  auch,  der  sie  ihr  giebt;  er  kann  die  römischen 


’)  Schreiboa  an  den  Erzbischof  von  Köln  und  an  alle  Fürsten  und 
Städte  Deutschlands  vom  28.  Ang.  1255.  Fontes  rerum  anstriacarum  II  25, 
186  und  189.  Reg.  imp.  V,  nr.  9008.  09:  clectionem,  nomiuacionein  vel 
assumpcionem  ex  nunc  cassam  et  reprobam  promulgamus.  Vgl.  auch 
Clemens'  IV.  Schreiben  an  den  Kg.  von  Böhmen  (1268;  MO.  Const.  II,  nr. 
408,  p.  538  {.,  Abs.  8).  Krammer  a.  a.  O.  S.  20  ff. 

2)  Reg.  nr.  9068.  MO.  Epistolae  s.  XIII.  3,  397  ff. 


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/o 


Könige  ein-  und  absetzen.  Hierbei  ist  auch  an  eine  Stelle  des 
kanonischen  Rechtes  zu  erinneru  (c.  16  in  VI  to  I,  6),  wo  es 
heisst:  Die  päpstliche  Bestätigung  oder  Verwerfung  der  Wahlen 
zu  Kathedral-  und  Regularkirchen  findet  statt,  weil  diese  dem 
apostolischen  Stuhl  unmittelbar  unterworfen  („immediata 
subiectio“)  sind.  Ebenso  ist  also  auch  das  römische  Königtum 
der  Kurie  unterworfen.  Wir  treffen  demnach  die  Anschauungen 
Bonifaz’  VIII.  schon  bei  Papst  Alexander  IV.  an.  Doch  bereits 
unter  seinem  Vorgänger  scheint  sich  der  Wandel  in  dem  System 
der  Kurie  vollzogen  zu  haben. 

Ausführlicher  soll  auf  diese  Dinge  hier  nicht  eingegaugcn 
werden.  Nur  ein  weiteres  Symptom  der  neuen  kurialistischen 
Anschauungsweise  sei  noch  erwähnt;  es  stammt  aus  dem 
Pontifikat  Urbans  IV.  (1261—1264).  Zwar  waren  die  Rechts- 
ansprüche des  Papsttums  aufs  gewaltigste  gesteigert  worden; 
von  ihrer  Verwirklichung  war  man  jedoch  noch  wTeit  entfernt. 
Als  die  Kurie  anlässlich  der  Doppelwahl  von  1257  verlangte, 
dass  diese  Angelegenheit  ihrem  Schiedsspruch  unterbreitet 
werde,  musste  sie  die  Erfahrung  machen,  dass  die  deutschen 
Kurfürsten  keineswegs  gewillt  waren,  dem  Papste  irgendwelchen 
bedeutsamen  Einfluss  auf  das  Reich  zuzugestehen,  vielmehr 
dessen  Freiheit  und  Unabhängigkeit  energisch  verteidigten. 
Man  erkannte  also  in  Rom,  dass  es  unmöglich  war,  Deutschland 
am  Qängelbande  zu  halten,  dass  man  vielmehr  befürchten  müsse, 
cs  könnten  eines  Tages  wieder  die  unbotmässigen  Deutschen 
nach  Italien  hinübergreifen  und,  wie  einst  die  Staufer,  die 
dortige  territoriale  Stellung  der  Kurie  aufs  ernstlichste  be- 
drohen. So  entschloss  sich  Urban,  Deutschland  aufzugeben,  um 
sich  Italien  zu  sichern;  das  Kaisertum  sollte  mit  der  daran  ge- 
bundenen Herrschaft  über  den  Süden  den  Deutschen  entzogen, 
Deutschland  als  ein  selbständiges  Reich,  nun  aber  — und  das 
ist  das  Wichtige  für  uns  — nicht  mehr  unter  einem  rex 
Romanorum,  sondern  unter  einem  rex  Thentoniae  konstituirt 
werden.1)  Die  Befugnis,  den  Titel  eines  Königs  der  Römer 
zu  verleihen,  sollte,  nicht  minder  als  das  Recht  zur  Kaiser- 
krönung, die  Kurie  behalten.  Dementsprechend  blieb  denn  auch, 

*)  Vgl.  Rodenberg,  Zur  Geschichte  der  Idee  eines  deutschen  Erbreiches 
im  13.  Jhd.  Milt.  d.  Inst.  f.  üsterr.  Gesch.  Bd.  16.,  S.  3 ff. 


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als  der  Reformplan  nicht  zur  Ausführung  kam,  Deutschland 
wie  zuvor  ein  von  der  Kurie  abhängiges  Reich. 

Von  den  Päpsten  der  Folgezeit  „nominierte“,  das  heisst  er- 
nannte Gregor  X.  Rudolf  von  Habsburg  zum  rex  Romanorum.1) 
Bonifaz  VIII.  bezeichnetc  den  erwählton  und  gekrönten  König 
Albrecht  als  blossen  dux  Austriae,  der  kein  Regierungsrecht 
habe.  Und  Johann  XXII.,  Benedikt  XII.  und  Clemens  VI. 
haben  Ludwig  den  Bayern  durch  sein  ganzes  Leben  mit  ihren 
Bannflüchen  verfolgt,  nur  weil  er  sich  nicht  der  kurialistischen 
Staatsanschauung  beugen  wollte,  sondern,  freilich  nicht  immer 
mit  gleicher  Festigkeit,  die  Unabhängigkeit  des  Reiches  zu 
wahren  suchte. 

Ueber  die  von  den  deutschen  Walilfürsten  ausgehende 
Reaktionsbewegung  gegen  die  päpstliche  Rechtsanschauung 
sprachen  wir  vorhin  schon;  sie  gipfelt  in  dem  berühmten 
Weistum,  das  die  Kurfürsten  am  16.  Juli  1338  zu  Rhense  am 
Rhein  gefunden  haben  und  das  man  den  Grundgesetzen  des 
alten  Reiches  zurechnct.-)  Hier  wird  als  geltendes  Recht  er- 
klärt, dass  der  von  den  Kurfürsten  zum  König  der  Römer  Er- 
wählte sich  den  Königstitel  beilegen  und  die  Verwaltung  der 
Güter  und  Rechte  des  Imperium  übernehmen  darf,  ohne  vorher 
eine  Bestätigung  oder  Erlaubnis  zum  Antritt  des  Königtums 
vom  apostolischen  Stuhl  erhalten  zu  haben. 

Der  unabhängige  Charakter  des  deutschen  Königtums  und 
zugleich  die  Befugnis  des  Trägers  dieser  Würde,  über  das  ganze 
Imperium  (nicht  nur  über  Deutschland)  gebieten  zu  können, 
werden  hier  in  klaren,  kurzen  Worten  festgelegt.  Die  eingangs 
dieser  Abhandlung  skizzierte  deutsche  Staatsauffassung  (s.  S.  2) 
kommt  in  dem  Weistum  zum  ungetrübtesten  Ausdruck.  Ihr 
Grundgedanke  sollte,  ohne  andere  Zutaten,  scharf  Umrissen,  in 
rechtlicher  Form  verküudet  werden. 

Unter  den  Staufern  hatten  sich  einst  die  drei  rheinischen 
Erzbischöfe,  die  auch  innerhalb  des  Kurfürstenkollegs  die 

■)  Rodenberg  a.  a.  0.  S.  36  ff. 

*)  Zeumer,  (juellensammlung  S.  155,  ur.  126  b.  und  Neues  Archiv 
Bd.  XXX,  S.  110.  In  der  Quellensammlung  ist  der  seiner  Zeit  von  Ficker 
(Zur  Uesch.  d.  Kurvereins  von  Rense.  Silz.  Ber.  d.  Wiener  Akademie. 
Phil.-hUt.  CI.  XI,  J03  f.)  gegebene  Text  abgedruckt,  im  N.  A.  auf  Grund  der 
llaudschriften  eine  neue,  kritische  Edition  gegeben. 


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t i 


beherrschende  Stellung  einnahmen,  der  kaiserlichen  Politik 
widersetzt,  die  ebenso  wie  dann  die  kuriale,  das  Königtum, 
an  dessen  Bestellung  sie  den  wesentlichsten  Anteil  hatten, 
seines  freien,  bodenständigen  Charakters  entkleiden  und  in 
dauernde,  rechtliche  Abhängigkeit  von  einem  Kaisertum  bringen 
wollte,  auf  das  sie  weit  geringeren  Einfluss  besassen.  Das 
Interesse,  flir  das  man  zn  Rhense  stritt,  war  das  Gleiche,  nur 
die  Front,  gegen  die  man  sich  wandte,  eine  andere. 

So  ging  im  Laufe  des  dreizehnten  Jahrhunderts  die  Ver- 
tretung der  Idee  des  Kaisertums  von  den  Staufern  über  an  die 
Päpste.  Ihrer  Politik  aber  haben  jene  die  Wege  gebahnt,  indem 
sie  sich  bemühten,  das  ursprüngliche  Wesen  des  Königtums  zu 
zerstören.  Hätte  dieses  fortbestanden,  so  wären  derartige  An- 
griffe der  Kurie  auf  das  Reich  nicht  möglich  gewesen.  Durch 
das  Vorgehen  der  Staufer  aber  wurde  die  Findung  jenes  Braun- 
schweiger Weistums  von  1252  veranlasst,  durch  welches  das 
Königtum  dem  Kaisertum  einfach  subsummiert  wurde  und  von 
wo  aus  die  Päpste  den  Antrieb  zu  ihrer  das  Reich  ein  Jahr- 
hundert aufwühlenden  und  erschöpfenden  Politik  empfangen  haben. 

Das  Braunschweiger  Weistum  nimmt  also  in  der  Geschichte 
der  Idee  des  Kaisertums  im  späteren  Mittelalter  eine  zentrale 
Stellung  ein. 


Schloss. 

Fassen  wir  endlich  die  Ergebnisse  der  vorliegenden  Ab- 
handlung kurz  zusammen. 

Im  Mittelalter  betrachtete  man  das  deutsche  Reich  als  die 
Fortsetzung  des  Imperium  Romanum,  den  deutschen  König  als 
den  Nachfolger  der  Imperatoren.  Das  Reich  wurde  damit  zu 
der  letzten  jener  vier  grossen  Weltmonarchieen,  die  nach  einander 
den  Gedanken  der  civitas  terrena  in  besonders  hervorragendem 
Masse  verwirklicht  hatten;  von  dem  römischen  Imperium  als 
dem  vierten  glaubte  man,  dass  es  dauern  würde  bis  zum  Ende 
der  Tage,  bis  zum  Hereinbruch  des  Reiches  Gottes  auf  Erden. 
Der  König  wurde  durch  diese  Charakterisierung  als  römischer 
Kaiser  über  alle  anderen  Herrscher  des  Abendlandes  erhöht,  er 
wurde  zum  Repräsentanten  der  Einheit  aller  Christenheit  im 
Weltlichen,  wie  es  der  römische  Bischof  im  Geistlichen  war. 


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Die  Idee  des  Kaisertums  ist  zu  allen  Zeiten  des  Mittel- 
alters in  Deutschland  gefeiert  worden,  dennoch  war,  wenigstens 
in  der  früheren  Zeit  bis  zu  den  Staufern,  das  Bewusstsein  dafür 
durchaus  lebendig,  dass  das  Reich  trotz  dieser  Einkleidung 
seinem  Ursprünge  nach  ein  deutsches  war  uud  die  thatsäcliliche 
Macht  des  Gebieters,  nicht  nur  in  Deutschland,  sondern  auch 
in  Italien  und  den  anderen  Nebenlanden,  keineswegs  auf  dem 
römischen  Kaisertum,  sondern  auf  dem  deutschen  Königtum, 
seinen  Rechtstiteln  und  Machtmitteln  beruhte.  Die  Vogtei  der 
Kirche  freilich  und  den  Anspruch  auf  das  dominium  mundi  hatte 
der  Herrscher  nur  als  Kaiser.  Demgemäss  fand  die  Ehre  des 
deutschen  Königtums  wie  die  des  Kaisertums  ihre  Vertreter. 
Aber  auch  ein  Mann  wie  Otto  von  Freising,  der  wiederum  mit 
ganzer  Seele  an  der  Idee  des  Imperium  hängt  und  dessen 
Kontinuität  energisch  betont,  weiss  doch  sehr  wohl,  dass  das 
Reich  nicht  aus  dem  römischen,  sondern  aus  dem  fränkischen 
Staate  hervorging  und  dann  als  deutsches  Reich  bestand,  bis 
sich  seine  Herrscher  auch  das  Kaisertum  hinzuerwarben. 

Solange  die  Idee  des  Imperiums  nicht  einen  realeren 
Charakter  erhielt,  konnte  sie  die  kräftig  entwickelte  des  deutschen 
Reiches  nicht  ernstlich  gefährden. 

Seit  der  Mitte  etwa  des  zwölften  Jahrhunderts  begannen 
aber  die  Könige  sich  von  dieser  Idee  abzuwenden  und  sich 
nur  noch  als  römische  Imperatoren  zu  fühlen.  Wirksam  wird 
dabei  auf  Friedrich  I.  der  Einfluss  Ottos  von  Freising,  weit 
mehr  noch  derjenige  der  geistigen  Bewegung  Italiens  gewesen 
sein,  wo  man  damals  mit  regem  Eifer  das  alte,  römische  Recht 
wiederzubeleben  suchte.  Die  Idee  des  Imperium  Romanum 
bekam  im  Zusammenhänge  damit  ein  neues  Leben,  sie  gewann 
an  greifbarer  Gestalt  und  Farbe  mehr  denn  je  zuvor;  sie  konnte 
jetzt  den  Kampf  mit  dem  Gedanken  des  Regnum  Teutonicum 
wagen. 

Das  Problem,  wie  die  beiden  Institutionen,  römisches 
Kaisertum  und  deutsches  Königtum,  unter  den  jetzt  veränderten 
Umständen,  zu  einander  in  Beziehung  zu  bringen  seien,  tauchte 
mit  aller  Schärfe  auf,  als  Friedrichs  Sohn  Heinrich  von  den 
deutschen  Fürsten  erwählt  und  gekrönt,  also  zum  deutschen 
König  erhoben  worden  war.  Konnte  er,  nun  das  Reich  als  ein 
völliges  Imperium  Romanum  galt,  als  solcher  Mitregent  des  Vaters 


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werden?  Wenigstens  äusserlich  musste  er  als  ein  römischer, 
nicht  deutscher  Herrscher  charakterisiert  werden.  Daher  be- 
mühte sich  Friedrich  um  seine  Kaiserkrönung,  daher  ernannte 
er  ihn  zum  Caesar. 

An  den  Wurzeln  hat  das  Problem  Heinrich  VI.  zu  fassen 
gesucht,  indem  er  den  Fürsten  ihr  Wahl-  und  Thronerhebungs- 
recht nahm  und  so  die  Möglichkeit  gewann,  statt  vom  Kölner 
Erzbischof  vom  Papste  eine  Königskrönnng  seines  Sohnes 
Friedrich  zu  erbitten.  Hierdurch  wäre  das  Königtum  seines 
bodenständigen  Charakters  gänzlich  beraubt  und  als  ein  im 
wahren  Sinne  römisches  Königtum,  das  heisst,  als  eine  dem 
Kaisertum  wesensgleiche,  nur  dem  Namen  nach  von  ihm  ver- 
schiedene Institution  gekennzeichnet  worden. 

Nach  dem  Scheitern  dieses  Reformplanes  suchte  Heinrichs 
Nachfolger  Philipp  der  Idee  des  Kaisertums  dadurch  gerecht 
zu  werden,  dass  er  sich  gleich  zum  Imperator  erwählen  liess 
(1 198)  und  bald  darauf  durch  Anlegung  der  kaiserlichen  Insignien, 
die  sein  Bruder  getragen  hatte,  das  Imperium  förmlich  in  Besitz 
nahm.  Die  Krönung  und  Einsetzung  durch  die  Fürsten  waren 
für  ihn  rechtlich  bedeutungslose  Akte,  da  sie  von  dem  Begriff 
des  deutschen  Königtums  untrennbar  waren,  er  aber  von  vorn- 
herein als  römischer  König  gelten  wollte. 

Wie  Philipp  wurden  dann  auch  Otto  IV.  (1208)  und 
Friedrich  von  Sizilien  (1211)  zu  Imperatoren  erwählt. 

Naturgemäss  sind  damals  nicht  nur  die  Staufer,  sondern 
auch  weitere  Kreise  von  der  neubelebten  Idee  des  Imperium 
Romanum  ergriffen  worden.  Daraus,  dass  die  Fürsten  auf 
Philipps  Wahlreform  eingingen  und  an  ihr  festhielten,  ergibt 
sich,  dass  auch  sie  von  jenem  Gedanken  lebhaft  berührt  waren. 
Doch  haben  sie  sich  ihm  gewiss  nur  äusserlich  angeschlossen; 
sie  wurzelten  zu  tief  im  Herkommen  und  waren  zu  sehr  an  der 
Königskrönung  beteiligt,  als  dass  sie  sich  ihn  mit  der  gleichen 
Konsequenz  wie  die  Staufer  hätten  zu  eigen  machen  können. 
Der  geschworene  Feind  jenes  Gedankens  war  natürlich  der 
Erzbischof  von  Köln ; die  von  ihm  angeregte  und  geleitete  erste 
Wahl  Ottos  IV.  (1198)  konnte  daher  nichts  als  eine  deutsche 
Königswahl  sein.  Aber  auch  andere  Kreise  der  Fürsten 
dachten  im  Wesentlichen  so  wie  er.  Denn  als  der  Papst 
Innocenz  III.  den  erwählten  Friedrich  von  Sizilien,  ehe  er  nach 


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Deutschland  kam,  in  Italien  als  Kaiser  hatte  auftreten  und 
regieren  lassen,  damit  die  Herrschaft  über  dieses  Land  als  eine 
Dependenz  des  Kaisertums  und  nicht  des  deutschen  Königtums 
erscheine,  wurde  Friedrich  darauf  in  Frankfurt  von  einer 
grossen  Fürsten  versammlung  mit  bewusster  Absicht  zum  deutschen 
Könige  gewählt  und  so  im  Gegensatz  zu  der  päpstlichen  An- 
schauung die  alte  Staatsauffassung,  dass  Italien  dem  Regnum 
Teutonicum  unterthan  sei,  wieder  zu  Ehren  gebracht.  Aller- 
dings wurde  auch  diese  Wahl  dann  von  einem  der  vornehmsten 
Fürsten  mit  dem  neuerdings  eingebürgerten  Ausdruck  der  „electio 
in  imperatorem“  bezeichnet. 

In  anderen  Schichten  des  Volkes  aber,  wo  man  mit  dem 
Staatsrecht  weniger  intime  Fühlung  besass  und  mehr  unter  dem 
Eindruck  der  Schlagwörter  des  Tages  stand,  fand  die  Idee  des 
Kaisertums  um  so  freieren  Eingang.  Der  Verfasser  des  grossen 
deutschen  Rechtebuches,  Eike  von  Repgow,  kennt  das  Reich 
überhaupt  nur  als  das  römische  Imperium.  Ihm  haben  nach 
seiner  Meinung  die  Römer  unter  Caesar  Deutschland  einverleibt. 
Lediglich  als  Nachfolger  Caesars,  als  römische  Kaiser  oder 
Könige,  führen  die  jetzigen  Herrscher  in  Deutschland  ihr 
Regiment.  Von  einem  deutschen  Reiche,  einem  deutschen 
Königtum  hat  Eike  gar  kein  Bewusstsein;  Kaisertum  und 
Königtum  sind  für  ihn  wesensgleiche,  nur  dem  Namen  nach 
von  einander  verschiedene  Begriffe. 

Hätte  der  Gedanke  des  deutschen  Reiches  in  Eikes  Tagen 
so  unangefochten  und  ungetrübt  geherrscht  wie  einst  in  vor- 
staufischer  Zeit,  so  wäre  auch  sein  Rechtsbnch  von  ihm  erfüllt, 
so  wäre  es  auch  hierin  deutsch. 

Die  Idee  des  deutschen  Königtums,  welche  also  in  den 
Kreisen  der  Fürsten  trotz  mannigfachen  Nachgebens  gegenüber 
der  imperialistischen  Strömung  der  Zeit  im  Wesentlichen  doch 
festgehalten  wurde,  kam  auch  bei  der  folgenden  Wahl,  der 
Heinrichs  (VII.)  im  Jahre  1220,  zum  Ausdruck.  Besonders 
deshalb,  weil  hier  der  Anspruch  einiger  Fürsten  auf  ein  bevor- 
zugtes Wahlrecht,  der  schon  bei  der  Wahl  Ottos  1198  aufgetaucht 
war,  anerkannt  worden  ist.  Da  zu  diesen  Fürsten  in  erster 
Linie  der  Kölner,  Mainzer  und  Trierer  Erzbischof  gerechnet 
wurden,  so  konnte  eine  Wahl,  wo  diese  als  bevorzugte  Wähler 
wirksam  waren,  immer  nur  eine  deutsche  Königswahl  sein.  In 


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der  Folgezeit  aber  ergab  es  sich  bald  als  dringende  Not- 
wendigkeit, die  Idee  des  deutschen  Königtums  völlig  fallen  zu 
lassen,  wenn  das  Reich  nicht  aus  den  Fugen  gehen  sollte. 

Als  der  junge  König  Heinrich  unter  einer  Regentschaft 
für  seinen  kaiserlichen  Vater  in  Deutschland  die  Regierung 
führte,  wurde  von  den  Vormündern,  an  deren  Spitze  Erzbischof 
Engelbert  von  Köln  stand,  der  Charakter  des  Königtums  als 
einer  vom  Kaisertum  geschiedenen,  frei  neben  ihm  stehenden, 
bodenständigen  Gewalt  mit  Nachdruck  betout.  Der  mündig  ge- 
wordene König,  dessen  Selbständigkeitsgefühl  aus  dieser  Lehre 
seiner  Erzieher  reiche  Nahrung  gezogen  hatte,  that  dann  in 
noch  erhöhtem  Masse  das  Gleiche.  Da  aber  Friedrich  sich 
seine  oberherrliche  Verfügungsgewalt  über  Deutschland  nicht 
beschneiden  lassen  konnte,  so  kam  es  endlich  zum  völligen  Zer- 
würfniss  und  zu  einem  Kriege  zwischen  Vater  und  Sohn,  der 
mit  der  Unterwerfung  und  Absetzung  Heinrichs  schloss. 

Der  bisherige  unnatürliche  Zustand  konnte  nun  unmöglich 
erneuert  werden.  Der  Gegensatz  zwischen  Kaisertum  und 
Königtum  musste  in  einer  für  die  höchste  Gewalt  vorteilhaften 
Weise  ausgeglichen  werden.  Jetzt  boten  auch  die  Fürsten  ihre 
Hand  zur  Reform. 

im  Jahre  1237  wurde  daher  der  zweite  Sohn  Friedrichs, 
Konrad  IV.,  zum  römischen,  nicht  zum  deutschen,  Könige  und 
zum  künftigen  Kaiser  erwählt.  Als  Kaiser  wollten  ihn  die 
Fürsten  nach  dem  Tode  seines  Vaters  betrachten,  als  solcher 
erst  sollte  er  ein  Herrscher  kraft  eigenen  Rechts  sein,  vorher 
eine  vom  Kaisertum  delegierte,  keine  bodenständige,  eine 
römische,  keine  deutsche  Königsgewalt  innehaben.  So  wurde 
das  Kaisertum  auch  von  den  Fürsten  als  die  alleinige  Reichs- 
grundgewalt anerkannt. 

Die  Stellung  Konrads  entsprach  mutatis  mutandis  der- 
jenigen, die  Heinrich  VI.  im  Erbreieh  seinem  Sohne  Friedrich 
zugedacht  hatte.  War  es  Heinrichs  Absicht  gewesen,  dem 
römischen  Könige  keine  deutsche  Krönung  zu  Teil  werden  zu 
lassen,  so  ist  sie  an  Konrad  tatsächlich  niemals  vollzogen 
worden. 

Ermöglicht  wurde  diese  Reform  aber  nur  dadurch,  dass 
das  Vorrecht  der  rheinischen  Erzbischöfe  zu  einem  blossen 
Vorrange  herabgemindert  wurde. 

Krammcr,  der  Keidisgcdankc  des  staufischen  Kaiserhauses  ti 


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Die  Reichsreform  hatte  keinen  Bestand.  Bald  darauf  er- 
hoben sich  die  Erzbischöfe  im  Bunde  mit  der  Kurie  gegen  das 
Stauferhaus  und  stellten  ihm  wieder  deutsche  Könige,  erst 
Heinrich  von  Thüringen,  dann  Wilhelm  von  Holland  entgegen. 
Dieser  Versuch,  die  Idee  des  deutschen  Königtums  neu  zu  be- 
leben, blieb  auf  Seiten  des  an  der  Reform  von  1237  festhaltenden, 
also  imperialistisch  gesinnten  Teiles  der  Fürsten  nicht  ohne 
Widerspruch.  Als  sich  im  Jahre  1252  einige  Grosse  Nord- 
deutschlands dem  Könige  Wilhelm  unterwarfen,  thaten  sie  dies 
nur,  indem  sie  gleichzeitig  durch  ein  Weistum  verkündeten,  ein 
König  sei  dasselbe  wie  ein  Kaiser;  jener  sei  von  diesem  nicht 
der  Sache,  sondern  nur  dem  Namen  nach  verschieden.  So 
deuteten  sie  das  Wesen  der  königlichen  Würde  Wilhelms  ihrer 
imperialistischen  Staatsauffassung  zu  Liebe  um;  aus  einem 
deutschen  machten  sie  ihn  zu  einem  römischen  Könige. 

Doch  blieb  dies  Weistum  auf  die  weitere  Entwicklung  des 
Reichsrechts  ohne  Einfluss.  Sie  wurde  bestimmt  durch  die 
rheinischen  Erzbischöfe,  die  sich  bald  nach  1252  mit  anderen 
Fürsten  zum  Kurfürstenkolleg  zusammenschlossen  und  von  da  an 
die  Reichsgeschicke  in  ihrer  Hand  hielten.  In  einem  Weistum 
der  Kurfürsten,  dem  Rhenser  Spruch  von  1338,  hat  endlich 
der  deutsche  Königsgedanke  seine  prägnanteste  und  berühmteste 
Ausprägung  erhalten. 

Dagegen  hat  das  Weistum  von  1252  die  Kurie  veranlasst, 
ihre  Lehre  vom  Verhältnis  der  Kirche  zum  Reich  in  folgen- 
schwerer Weise  umzugestalten.  Die  von  Papst  Innocenz  III. 
zuerst  eingehender  entwickelte  kuriale  Lehre,  welche  dann  als 
ein  Teil  des  kanonischen  Rechtes  von  Innocenz  IV.  auch 
glossiert  worden  ist,  beruhte  auf  dem  Gedanken  der  Scheidung 
des  deutschen  Königtums  vom  römischen  Kaisertum ; jenes  stand 
der  Kurie  unabhängig  gegenüber,  dies  war  ihr  untergeordnet, 
von  ihm  wurde  die  Herrschaft  über  Italien  und  das  Arelat  her- 
geleitet. Nur  quoad  imperium,  nicht  quoad  regnum  hatte  der 
Papst  ein  Recht  zur  Bestätigung  der  Wahl  der  Fürsten.  Nun 
aber  war  im  eigenen  Lager  der  Kurie,  in  das  ja  jene  nord- 
deutschen Herren  übergegangen  waren,  ein  Recht  verkündet 
worden,  welches,  die  Grundlage  der  päpstlichen  Doktrin  zer- 
störend, Wesensgleichheit  der  beiden  Institutionen  lehrte 
und  dabei  dem  Kaisertum  die  freie,  nnabhängige  Stellung  des 


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83 


Königtums  zuwies.  Dieser  Lehre  gegenüber,  die  das  Papsttum 
wohl  bei  seinen  Feinden,  doch  nicht  auch  bei  seinen  Freunden 
erwartet  hatte,  blieb  ihm  nichts  übrig,  als  sich  dieselbe,  so 
weit  sie  die  Wesensgleichheit  von  Kaisertum  und  Königtum 
betraf,  anzueignen,  dabei  aber  den  Anspruch  auf  die  Abhängigkeit 
des  Kaisertums  von  der  Kurie  keineswegs  aufzugeben.  So 
gewann  sie  das  Recht,  nunmehr  auch  das  aus  einem  deutschen 
zu  einem  römischen  gewordene  Königtum  als  ein  ihr  unter- 
geordnetes Gebilde,  Deutschland  als  ein  ihr  unterstelltes  Reich 
und  die  Königswahl  als  eine  ihrer  uneingeschränkten  Aufsicht 
unterworfene  Handlung  zu  betrachten. 

Dieser,  wohl  noch  von  Innocenz  IV.  gegebenen  Anregung 
sind  die  Päpste  des  dreizehnten  und  des  vierzehnten  Jahrhunderts 
eifrig  gefolgt,  besonders  seitdem  Bonifaz  VIII.  mit  der  ihm 
eigenen  schroffen  Konsequenz  diese  Lehre  vertreten  hatte. 

Wäre  der  Gedanke  des  deutschen  Königtums  niemals  ver- 
lassen worden,  so  hätte  Deutschland  gegenüber  der  Kurie  eine 
unangreifbare  Position  behalten.  Die  Staufer  aber  wagten  es, 
auf  das  Grenzgebiet  des  römischen  Kaisertums  überzugehen, 
auf  das  auch  die  Kurie  alte  Rechte  besass.  Sie  waren  eifrig 
bestrebt,  dem  Reiche  einen  imperialen  Charakter  zu  geben. 
Ihre  Bemühungen  kamen,  als  ihre  und  des  Reiches  Macht  ge- 
fallen war,  der  Kurie  zu  Gute.  Sie  wurde  der  glücklichere 
Erbe  ihrer  Politik. 

Einem  Nachspiel  zu  dieser,  auf  das  ich  anderen  Ortes  aus- 
führlicher einzugehen  gedenke,  seien  hier  noch  einige  Worte 
gewidmet. 

Gegen  die  soeben  dargelegte  Politik  des  Papsttums  war 
das  Rhenser  Kurfürstenweistum  vom  16.  Juli  1338  gerichtet, 
das  dem  frei  erwählten  deutschen  Könige  die  Befugniss  zu 
sofortigem  Antritt  der  Regierung  im  ganzen  Reiche  zuwies.  In 
diesem  Sinne  ist  der  Spruch  auch  von  dem  einzigen  publizistischen 
Vertreter  des  deutschen  Reichsgedankens  in  jener  Zeit,  von 
dem  Würzburger  Domherrn,  Lupoid  von  Bebenburg,  ausgelegt 
worden.  Lupolds  gute  Beziehungen  zu  Erzbischof  Balduin  von 
Trier,  dem  Leiter  der  kurfürstlichen  Reichspolitik,  bürgen  uns 
dafür,  dass  er  den  Sinn  des  Weistums  richtig  erkannt  hat. 
Die  hier  niedergelegte  Staatsanschauung,  die  das  Kaisertum 
als  für  die  Reichsregierung  rechtlich  vollkommen  belanglos 

6* 


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84 


ausser  Spiel  Hess,  blieb  aber  nicht  unwidersprochen.  Am  Hofe 
Kaiser  Ludwigs  IV.  weilten  damals  zahlreiche  papstfeindliche 
Schriftsteller,  die  das  Reich,  dessen  Wesen  sie  wie  Eike  von 
Repgow  verkannten,  nur  als  römisches  Imperium  betrachteten 
und,  erfüllt  von  dem  Gedanken  der  Freiheit  des  Kaisertums 
vom  Papsttum,  wünschten,  dass  Kaiser  und  Kurfürsten  sich 
offen  für  diese  ihre  Schulmeinung  erklärten.  Es  gelang  ihnen, 
den  leicht  bestimmbaren  Kaiser  dem  Einflüsse  Balduins  zu 
entziehen.  Ohnehin  war  Ludwig  begreiflicherweise  geneigt,  sein 
Kaisertum  weiter  zu  führen,  auf  das  er  nach  Balduins  Willen, 
weil  es  unrechtmässig,  ohne  Zutun  der  Kurie,  erworben  war, 
verzichten  sollte.  Den  Kurfürsten  bewiesen  die  Publizisten 
durch  eine  spitzfindige  Deduktion,  dass  Kaisertum  und  Königtum 
im  Wesen  dasselbe  sei.  Dadurch  hat  Balduin  sich  allerdings 
nicht  irre  machen  lassen,  die  übrigen  Kurfürsten  aber  gingen 
zur  imperialistischen  Partei  über.  So  kam  es  zu  dem  Reichs- 
gesetze Licet  iuris  vom  6.  August  1338,  durch  das  dem  Er- 
wählten das  Recht  zuerkannt  wurde,  sofort  als  Kaiser  aufzutreten 
und  wo  dementsprechend  sein  ganzes  Regiment  als  ein  kaiserliches 
bezeichnet  wurde. 

Hier  begegnet  uns  also  auch  ein  Versuch,  der  imperialistischen 
Idee  zu  Liebe  den  deutschen  Grundcharakter  des  Reiches  zu 
verfälschen.  Wir  finden  den  Kampf  der  zwei  Staatsanschauungen 
wieder,  dessen  Vorhandensein  und  dessen  Entwicklung  wir  in 
dieser  Abhandlung  für  eine  frühere  Zeit  festzustellen  gesucht  haben. 


Druck  von  Ollo  billiger,  Allwasser. 


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Die  heilige  Lanze 
ein  Abzeichen  des  alten  Reichs 

von 

Adolf  Hofmeister 


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Untersuchungen 

zur 

Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte 

heraasgegeben 

von 

Dr.  Otto  Gierke 

Professor  der  Rechte  an  der  Universität  Berlin 

96.  Heft 


Die  heilige  Lanze 
ein  Abzeichen  des  alten  Reichs 

Voll 

Adolf  Hofmeister 


Breslau 

Verlag  von  M.  «&  H.  Marcus 
ISO« 


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Die  heilige  Lanze 


ein  Abzeichen  des  allen  Reichs 


von 


Adolf  Hofmeister 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
190g 


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Dem  Andenken  meines  Vaters 


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Vorwort 


Diese  Untersuchung  ist  aus  der  Notwendigkeit  erwachsen, 
eine  Stelle  in  der  Chronik  des  Otto  von  Freising  zu  erklären. 
Dort  wird  wie  in  vielen  mittelalterlichen  Quellen  die  Erwerbung 
der  heiligen  Lanze  durch  Heinrich  I.  berichtet  und  hinzugefügt, 
daß  eben  diese  Lanze  die  deutschen  Könige  seitdem  führten.  Ich 
wußte  von  dem  Wiener  Lanzeneisen  und  ich  kannte  die  Be- 
schreibung Liudprands,  auf  den  auch  Otto  letztlich  zurückgeht. 
Eine  Vergleichung  beider  zeigte  alsbald,  daß  sie  nicht  zu  cin- 
einander  stimmen.  Damit  war  die  Notwendigkeit  einer  um- 
fassenderen Untersuchung  gegeben,  die  sich  um  so  weniger  auf 
die  eine  oder  andere  Einzelheit  beschränken  konnte,  als  auch  in 
andern  Hauptpunkten  die  Unrichtigkeit  oder  Unklarheit  der 
herrschenden  Vorstellungen  sich  erwies. 

Für  das  Verständnis  meiner  Ausführungen  bemerke  ich.  daß 
ich  einerseits  die  allgemeine  Geschichte  der  Reichsinsigriien  und 
ihre  Bedeutung  und  ebenso  andrerseits  die  Geschichte  der  ver- 
schiedenen heiligen  Lanzen  überhaupt  als  bekannt  voraussetze. 
Auf  den  allgemein -geschichtlichen  Zusammenhang  gehe  ich  nur 
da  ausführlicher  ein,  wo  derselbe  bisher  nocli  nicht  hinlänglich 
klar  gestellt  oder  seine  Bekanntschaft  nicht  ohne  weiteres  anzu- 
nehmen ist.  im  wesentlichen  also  da,  wo  es  sich  um  Italien 
und  Burgund  handelt,  zwei  Gebiete,  die  für  die  Vorgeschichte 
und  die  Anfänge  unsres  Symbols  von  der  größten  Wichtigkeit  sind. 

Ich  würde  meine  Aufgabe  kaum  in  dieser  Weise  und  nicht 
ohne  zeitraubende  Vorarbeiten  haben  durchführen  können,  wenn 
nicht  jetzt  für  Burgund  und  zum  Teil  auch  für  Italien  das  ge- 
samte historische  Material,  ähnlich  wie  für  Deutschland  in  den 
„Jahrbüchern“  der  Münchener  historischen  Kommission,  in  den 
Büchern  Poupardins  über  das  Königreich  Burgund  und  das 
Königreich  Provence  umfassend  und  gründlich  gesammelt  vorläge 
und  ich  nicht  durch  eigene  Arbeiten  mit  den  italischen  Ver- 
hältnissen der  in  Frage  kommenden  Zeit  vertraut  gewesen  wäre. 


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vrii 

Wenn  ich  jetzt  die  Frucht  meiner  Forschungen  vorlege,  so 
geschieht  das  nicht  nur,  weil  ich  in  diesem  hesondern  Falle  zu 
neuen  und  wichtigen  Ergebnissen  gekommen  zu  sein  denke,  sondern 
mehr  noch,  weil  ich  hoffe  und  wünsche,  daß  dadurch  ähnliche 
Untersuchungen  über  andere  Stücke  der  Reichs-Insignien  und 
-Symbole  angeregt  werden  mögen,  Untersuchungen,  wie  wir  sie 
für  das  später  wichtigste  und  der  Gegenwart  interessanteste  Stück, 
den  Reichsadler,  bereits  aus  Gritzners  Feder  besitzen  ’),  der  auch 
für  die  Fahnen  des  alten  Reichs  nur  wenig  zu  tun  gelassen  hat2), 
und  wie  sie  für  das  Kreuzsymbol  als  solches,  das  Schwert,  be- 
sonders aber  die  Krone  ein  dringendes  Bedürfnis  sind.  Daß  auch 
sie  sich  nicht  auf  einen  kleinen  Zeitausschnitt  beschränken  dürfen, 
sondern,  wenn  sie  mehr  sein  wollen  als  eine  Materialsammlung, 
die  ganze  Entwicklung  bis  zum  Ende  des  alten  Reichs  ins  Auge 
fassen  und  dabei  stets  die  noch  vorhandenen  Stücke  selber  heran- 
ziehen müssen,  liegt  auf  der  Hand.  Wenn  diese  Einzelarbeit 
einmal  getan  sein  wird,  so  wird  zugleich  für  die  Geschichte  und 
Bedeutung  der  Reichsinsignien  im  Ganzen  nicht  wenig  gewonnen 
sein  und  damit  auch  unser  Wissen  von  dem  Wesen  des  alten 
Reichs  und  seiner  Verfassung  manche  Vertiefung  erfahren. 

Ich  erfülle  noch  die  angenehme  Pflicht,  allen  denen  zu  danken, 
die  mich  bei  der  Vollendung  und  Drucklegung  dieser  Arbeit  aufs 
freundlichste  unterstützt  haben.  Zu  besonderm  Dank  bin  ich 
Herrn  Professor  Dr.  0.  Redlich  und  Herrn  Professor  Dr.  E.  von 
Ottenthal  in  Wien  verpflichtet.  Ihre  Güte  hat  es  mir  ermög- 
licht, nach  Abschluß  meiner  Untersuchung  noch  die  einschlägigen 
Teile  der  umfangreichen  Sammlungen  zur  Reliquiengeschichte  zu 
benutzen,  die  aus  dem  Nachlaß  des  Professors  Budinszky  auf 
dem  Institut  für  Österreichische  Geschichtsforschung  in  Wien  be- 
wahrt werden.  Sie  haben  mir  vielfach  eine  sehr  erwünschte  Kon- 
trolle meines  Materials  und  einzelne  interessante  Ergänzungen 
geboten.  Die  Hinweise,  die  ich  dieser  Quelle  verdanke,  sind  in 
jedem  Falle  durch  ein  beigesetztes  (B.)  kenntlich  gemacht. 

Steglitz,  im  April  1908  , fT 

A.  Hofmeister 

')  In  seinem  unten  S.  2 A.  4 genannten  Buche. 

*)  Vgl.  auch  K.  Weller,  Der  Vorstreit  der  Schwaben  und  die  Iteichs- 
sturmfahne  des  Hauses  Württemberg,  Württembcrgische  Viertoljahrshefte 
für  J.andesgeschichte.  Neue  Folge  XV  (1906)  S.  263 — 278. 


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Inhalt 


Einleitung 


Seite 


Die  heilige  Lanze  einst  und  jetzt.  Die  Bedeutung  der  Rcichs- 
insignien  im  allgemeinen,  der  heiligen  Lanze  im  bc9ondorn  . . 1 


Erstes  Kapitel 

IMe  Erwerbung  der  heiligen  Lanze  durch  Heinrich  1. 

Allmähliche  Vermehrung  der  Reichskleinodien.  Das  .Schwert 
.der  alten  Könige.“  Das  Kreuz.  Die  Lanze,  Investitur-Symbol  bei 
den  Langobarden  und  den  Franken.  Die  heilige  Lanze.  Der 
Bericht  Liudprands.  Die  jüngeren  Quellen.  Sigebert.  Alberich. 
Frutolf.  Ekkehard.  Otto  von  Freising.  Die  österreichischen,  im 
besondere  die  Aduiuntcr  und  die  Salzburger  Annalen.  Keine 
echte  Überlieferung  für  das  Jahr  922. 

Deutschland  und  Burgund  bis  auf  Heinrich  I.  Oberherrlichkeit 
Arnulfs  über  die  fränkischen  Teilreiche,  Rudolf  1.  Ton  Burgund 
und  das  deutsche  Reich.  Rudolf  II.  und  Burchard  von  Schwaben. 

Für  eine  Beteiligung  des  Reichs  an  dem  Abkommen  von  922  fehlt 
jeder  Anhalt.  Der  Tag  von  Worms  926.  Die  Beziehungen  Bur- 
gunds zu  Deutschland  geregelt.  Diuuals  wahrscheinlich  ist  die 
heilige  Lanze  an  den  deutschen  König  gekommen I 


/weites  Kapitel 

Die  staatsrechtliche  Bedeutung  der  heiligen  Lanze 

Ursprung  und  Bedeutung  der  heiligen  Lanze  in  Italien.  Die 
Pfalzgrafen  Giselbert  und  Samson.  Die  heilige  Lanze  als  Kon- 
stantin-Lanze und  die  Nagelreliquie.  Die  Eiserne  Krone  von 
Monza.  Der  Name  Konstantins  als  Inbegriff  des  Imperiums. 
Kaiser  Ludwig  III.  und  sein  Sohn  Karl  Konstantin.  Rudolf  II.  von 
Burgund  als  König  von  Italien.  Die  Konstantin- Lanze  kein  Ab- 
zeichen des  burgundischen  Königreichs. 

Die  Bedeutung  der  heiligen  Lanze  für  das  deutsche  König- 
tum. Die  Anfänge  bei  Liudprand  und  Widukind.  Die  Verwendung 
der  heiligen  Lanze  im  allgemeinen,  bis  ins  13.  Jahrhundert.  Die 


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X 


Seite 


heilige  Lanze  als  Investitursymbol  bei  der  Erhebung  Heinrichs  II. 

Sie  behält  diese  Funktion  nicht,  bleibt  aber  eins  der  hervor- 
ragendsten Abzeichen  der  Herrschaft  bis  ins  14.  Jahrhundert. 

Die  Rcichsinsiguien  als  „Heiligtümer.“  Die  heilige  Lanze  verliert 

ihre  Bedeutung  als  eigentliches  Insigne IS 

Exkurs  I.  Zur  Geschichte  Heinrichs  VI.  und  seines  Bruders 

Philipp  in  den  Jahren  1196  nnd  1197 38 

Exkurs  II.  Zu  den  Reichssprnchen  Rcinmars  von  Zwctor  . 42 


Drittes  Kapitel 

Die  Gestalt  der  heiligen  Lanze 

Die  heilige  Lanze  mit  und  ohne  Schaft.  Die  Form  des  Lanzen- 
eisens. Die  Wiener  Lanze.  Die  Beschreibung  Liudprands.  Die 
Wiener  Lanze  ist  nicht  das  von  Heinrich  I.  erworbene  Exemplar. 
Arnold  von  St.  Emmeram  und  das  Bambcrgcr  Missale  Heinrichs  II. 

Der  Wechsol  tritt  zwischen  1035  und  1099  ein.  Mögliche  Gründe. 
Verlust  der  Reichsinsignien  im  Kriege.  Die  Melker  Lanze  ist 
keine  deutsche  Königslanze 44 

Viertes  Kapitel 

Die  deutsche  Königslanze  als  Mauritiuslanze 

Die  Inschrift  an  der  Wiener  Lanze.  Karl  Martell  und  Karl 
der  Kahle  als  angebliche  Besitzer  der  Mauritius-Lanze.  Der 
hl.  Mauritius  und  das  Königreich  Burgund.  Die  Mauritius- 
Lanze  kein  Insigne  des  burgundischen  Königtums.  Sie  ist  nicht 
durch  den  Anfall  Burgunds  1032  an  Deutschland  gekommen.  Der 
Bericht  Hugos  von  Flavigny.  Spätere  Sagen,  Bonizo,  Gottfried 
von  Vitcrbo,  Thomas  von  Pavia.  Der  historische  Hintergrund 
der  Sage.  Otto  der  Große  nnd  Konrad  von  Burgund.  Die 
Könige  von  Burgund  als  Äbte  von  St.  Maurice  d’Agaune.  Der 
Rückgang  der  Abtei,  sie  kommt  an  das  Haus  Savoyen.  Boso  von 
Vienne  und  das  rcgnum  Arelatense.  Boso  und  der  hl.  Mauritius. 
Unkenntnis  der  wirklichen  Vorgänge  in  den  Zwicfalter  Annalen 
nnd  bei  Spätem.  Die  Bamberger  Legende  Heinrichs  II. 

Die  Ottonen  und  der  hl.  Mauritius.  Magdeburg.  Der  hl.  Mau- 
ritius als  Patron  des  Königs  und  des  Reichs.  Die  deutsche  Königs- 
lanze als  Mauritius-Lanze.  Kein  Zusammenhang  mit  dem  Ver- 
schwinden des  ursprünglichen  Eisens  und  seiner  Ersetzung  durch 
das  Wiener 54 

Exkurs  III.  Zu  Wilhelm  von  Mahnesbury,  Gcsta  regurn 
Anglorum  II  135  (Das  Schwert  Konstantins  und  die  Lanze  des 
hl.  Mauritius  in  England.  Das  Schwert  Karls  des  Großen  bei 
den  Normannen  in  Irland.  Die  Passionslanze  als  Lanze  Karls 
des  Großen) 67 


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XI 


Fünften  Kapitel 
Andere  Kiintgslanzen 

Die  Lanze  des  Degenkönigs  Rudolf  und  des  Böhmenherzogs. 

Die  Lanze  (?)  des  hl.  Olav  in  Norwegen.  Die  ungarische  Königs- 
lanze. 

Die  polnische  Königslanze.  Heute  in  Krakau.  Nicht  dauernd 
eigentliches  Insigne.  Beschreibung,  stimmt  genau  zu  der 
Liutprands.  Die  polnische  Überlieferung.  Dio  Krakauer  Lanze 
ciue  Nachbildung  der  ursprünglichen  deutschen.  Kein  Geschenk 
Ottos  III.,  sondern  eigenmächtig  angenommen  durch  Bolcslav 
Chabri  1025 70 

Sechstes  Kapitel 

Ule  deutsche  Klinigslanze  als  Longinns-Lanze 

Aufkommen  der  neuen  Benennung  und  Deutung.  Widerspruch 
dagegen.  Verstummen  des  Zweifels  seit  Karl  IV.  Das  festuui 
lancee  et  clavormn.  Die  deutsche  Lanze  als  reine  Reliquie.  Die 


Reformation  macht  sie  zur  bloßen  Rarität 78 

Schloss 

Ergebnisse.  Allgemeinere  Beziehungen . . 84 


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Abkürzungen 

Moiiumenla  Germaniuc  bistorica. 
Ilannov.  ct  Bcrol.  1826  ff. 
Scriptores 
Legcs 


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Einleitung 


Die  kaiserliche  Schatzkammer  iu  der  alten  Hofburg  zu  Wien 
bewahrt  mit  den  übrigen  Insignien  des  heiligen  römischen  Reichs 
deutscher  Nation  auch  die  heilige  Lanze,  die  einst  vor  andenn  als 
Sinnbild  seiner  Macht  und  seiner  erhabenen  Würde  geehrt  und 
gehütet  wurde.  Der  Lanze  und  dem  „merklich  Stück“  des  heiligen 
Kreuzes  verdankt  es  ja  in  der  Volksanschauung  nicht  zum  wenigsten 
den  Namen  des  „heiligen.“ 

Heute  ist  ihr  Ruhm  dahin.  Bocks  großes  Prachtwerk  über 
die  Reichskleinodien  gedenkt  ihrer  nur  flüchtig  im  Anhang  und 
nur  auf  Grund  von  Beschreibungen  des  18.  Jahrhunderts1).  Wenn 
der  Lanze  neuerdings  eine  Untersuchung  gewidmet  wurde’),  so 
galt  sie  der  Reliquie,  die  in  der  Hand  des  Longinus  die  Seite 
Christi  geöffnet  haben  sollte,  nicht  dem  Wahrzeichen  des  alten 
Reichs. 

Der  hohe  Wert,  den  das  Mittelalter  bestimmten  symbolischen 
Handlungen  beim  Übergang  der  Herrschaft  auf  einen  neuen  Re- 
genten beimaß,  die  geradezu  staatsrechtliche  Bedeutung,  die  den 
Reichsinsignien  für  Erwerbung  und  Behauptung  der  höchsten 

')  Franz  Bock,  Die  Kleinodien  des  heiligen  Römischen  Reichs  deutscher 
Nation.  Wien  und  Leipzig  1864. 

•)  F.  de  MdI 7,  Reliqnes  de  Constantinople.  La  Sainte  Lance,  in  der 
Revue  de  l’Art  chrdtien,  40  me  Annde,  4 e 8drie , Tome  VIII  (XLVI  e de 
la  collection),  Lille— Paris  1897,  8.  1—11.  120—127.  287 — 302.  Besonders 
wichtig  sind  die  Abschnitte  über  die  von  Jerusalem  nach  Konstantinopel 
und  von  da  nach  Paris  und  Rom  gekommene,  sowie  über  die  1098  von  den 
Kreuzfahrern  in  Antiochia  gefundene,  jetzt  in  Etschmiadzin,  westlich  von 
Eriwan  in  Russisch  Armenien,  befindliche  Lanze. 

Ho  tmelster,  Die  heilige  Leu«  1 


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2 


Gewalt,  zukam1),  sind  stets  in  ihrem  ganzen  Umfange  erkannt 
und  gewürdigt  worden.  Den  tiefem  Wurzeln  dieser  Erscheinung, 
die  in  dem  innersten  Gefühlsleben  der  Völker  zu  suchen  sind,  ist 
man  vor  längerem  von  .staatswissenschaftlicher  Seite  in  all- 
gemeinerem Zusammenhang  nachgegangen !).  Über  die  äußere 
Geschichte  der  Reichsinsignien  im  ganzen  sind  wir  im  wesentlichen 
auch  durch  neuere  Forschungen  unterrichtet’). 

Auf  die  Lanze  entfällt  dabei  nur  ein  kleiner  Teil  des 
Interesses,  und  gerade  über  sie  sind  mit  am  meisten  wider- 
sprechende und  unbestimmte  Vorstellungen  verbreitet4).  Und 
doch  verlohnt  es  sieh  wohl,  ihr  größere  Aufmerksamkeit  zuzu- 
wenden. Hat  sie  doch  lange  zu  den  vornehmsten  Abzeichen  des 
Königs  gehört,  und  führt  sie  uns  doch  unmittelbar  in  die  Zeit, 
wo  das  deutsche  Reich  sein  selbständiges  Dasein  beginnt,  wo  es 


*)  Mit  ihnen  wird  dein  Erwählten  „das  Ueich  überantwortet“,  M. 
Kramincr,  Wahl  und  Einsetzung  des  deutschen  Königs,  Weimar  1905,  S.  1 f. 
und  79  f.  in  Quellen  und  Studien  zur  Verfassungsgeselüchte  de?  deutschen 
Reiches  in  (Mittelalter  und  Neuzeit  hgb.  von  Karl  Zeumer  12.  Vgl. 
Frensdorff  in  der  gleich  zu  nennenden  Abhandlung  S.  61  ff. 

s)  W.  Roscher,  Politik,  Stuttgart  1892,  S.  41  f.  Frensdorff  hat 
darauf  hingewiesen. 

*)  F.  Frensdorff,  Zur  Geschichte  der  deutschen  Reichsinsignien,  in 
den  Nachrichten  von  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Göttingen, 
phil.-hist.  Klasse  1897,  S.  43—89.  Er  behandelt  besonders  die  Zeit  der 
Aufbewahrung  in  Nürnberg. 

4)  Man  sehe  etwa  die  dürftigen  Notizen  bei  E.  Gritzner,  Symbole 
und  Wappen  des  alten  deutschen  Reiches,  Leipzig  1902  (Leipziger  Studien 
aus  dem  Gebiet  der  Geschichte  VIII  3),  S.  18  und  28. 

Am  vollständigsten  handelt  über  die  einschlägigen  Fragen  Alexander 
Prze  zdziocki,  0 wldczni  zwanej  4.  Maurycego,  przecbowanej  w skarbcu 
katedry  Krakowskiej  (Über  die  Lanze  des  hl.  Mauritius  im  Domschatz  zu 
Krakau),  in  der  ßiblioteka  Warszawska  1861.  Tom  drugi.  Poezet  Nowy, 
Tom  II.  (2.  Band.  Neue  Reihe),  S.  505  —547,  dessen  Abhandlung  aber 
ihrer  Sprache  wegen  nicht  viel  Beachtung  hat  linden  können.  Auch  aus 
J.  P.  Roeders  Codex  historicus  testimonioruin  locupletissimorum  de  fatis 
klinodiorunt  augustalium  Norimbergae  adservatorum,  edidit  Chr.  Th.  de  Murr, 
Francofurti  et  Lipsiae  1789,  ist  noch  immer  einzelnes  zu  entnehmen;  darin 
vor  allem  eine  reichhaltige  Bibliographie  der  älteren  Litteratur  von  1467 
bis  1789  (von  Murr).  Das  Material  für  die  deutsche  Lanze  bis  zum  12.  Jahr- 
hundert bei  Waitz,  Deutsche  Verfassungsgeschichtc  VI,  2.  Auflage  besorgt 
von  G.  Seeligor  (1896),  S.  296  ff. 


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3 


aber  zugleich  als  Erbe  der  älteren  Linie  der  Karolinger  die  Nach- 
folge der  römischen  Imperatoren  und  mehr  noch  eine,  wenn  auch 
wenig  bestimmte  Oberherrlichkeit  über  die  übrigen  Teilstaaten  des 
einstigen  Gesamtreiches  der  Franken  in  Anspruch  nimmt,  in  die 
Zeit  also,  die  die  Anfänge  des  Systems  sah,  dessen  Entwickelung 
und  Verfall  den  wesentlichen  Inhalt  der  mittelalterlichen  Geschichte 
ansmacht. 


1 


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Erstes  Kapitel 

Die  Erwerbung  der  heiligen  Lanze 
durch  Heinrich  I. 

Erst  allmählich  ist  der  Bestand  der  Reichskleinodien  so  reich- 
haltig geworden,  wie  er  uns  heute  vorliegt.  Namentlich  was  man 
bei  der  später  geläufigen  Unterscheidung  von  „Reliquien“  und 
„Kleinodien“,  d.h.  eigentlichen  Insignien,  den  ersteren  zurechnete,  ist 
in  seiner  Masse  verhältnismäßig  jungen  Ursprungs').  Bis  ins 
13.  Jahrhundert  kennen  wir  davon  nur  das  Kreuz  und  die  Lanze. 

Auch  sie  hat  das  Reich  nicht  von  jeher  besessen.  Für  das 
fränkische  Königtum  der  Karolinger  sind  Schwert,  Scepter  und 
Krone  die  Zeichen  der  Herrschaft*).  Eine  Spur  davon  wird  man 
bei  Widukind  finden,  wo  er  neben  der  heiligen  Lanze  und  anderen 
Insignien  ausdrücklich  vom  „Schwert  der  alten  Könige“  spricht*). 

Das  Kreuz  treft'en  wir  zuerst  unter  Karl  III.,  dem  Arnulf 
von  Kärnten  auf  das  heilige  Holz,  ähnlich  wie  später  Heinrich  V. 
dem  Vater,  den  Eid  der  Treue  leistete,  freilich,  ohne  ihn  darum 
besser  zu  halten4). 

')  Vgl.  Frensdorff  a,  a.  0.  8.  45. 

*)  Vgl.  Waitx,  VG.  III*  8.  249  ff. 

*)  Widokind,  Ros  gestao  Saxonicae  125  od.  K.  A.  Kohr  (SS.  rorum 
Gennanicarum),  Hannover  1903,  S.  33:  (Konrad  I.  auf  dom  Totenbett  xu 
seinem  Bruder  Eberhard)  Somptia  igitur  his  insigniis,  lancea  sacra,  armillis 
aureiB  cum  clamide  et  veterum  gladio  regum  ac  diademate  . . . 

4)  Ann.  Koldenses  Pars  III.  auct.  Meginhardo  887  cd.  Kurze  (S8.  rcrum 
Germanicarum),  Hannover  1891,  S.  106:  Cui  (sc.  Arnolfo)  imperator  lignuni 
b.  crucis,  in  quo  prius  ei  fidem  se  servaturum  iuraverat,  per  Liutbertum 
archiepiscopum  destinavit,  ut  sacramentorum  suorum  non  immemor  tarn 
ferociter  et  barbare  contra  eum  non  faeeret.  Quo  viso  lacrimas  fudisse 
perbibetur;  tarnen  disposito  prout  voluit  regno  . . . Diese  von  A.  Winkler, 


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5 

Die  heilige  Lanze  hatte  nach  Widukind  I 25  bereits  Konrad  I. 
im  Sterben  mit  den  übrigen  Insignien  durch  seinen  Bruder  an 
Heinrich  von  Sachsen  geschickt.  Doch  das  beruht  zweifellos  auf 
einem  irrigen  Rückschluß  des  Autors  aus  den  Verhältnissen  seiner 
eigenen  Zeit1). 

An  sich  ist  allerdings  die  Lanze  als  Symbol  für  die  Über- 
tragung der  Herrschaft  wie  bei  den  Langobarden8),  so  auch  bei 
den  Franken  wohl  bekannt,  wie  die  oft  angeführte  Szene  zwischen 
Guntramn  und  Childebert  II.  585  lehrt*).  Als  Abzeichen  des 
Königs  finden  wir  sie  häufig,  häufiger  wohl  als  andere,  auf  bild- 
lichen Darstellungen,  insbesondere  auf  Münzen  schon  in  mero- 
vingischer  Zeit  und  auf  Siegeln  der  ostfränkischen  (deutschen) 
Herrscher  seit  832  4). 

Aber  die  Lanze,  die  nachher  als  das  siegverleihende  Abzeichen 
des  Reiches  galt,  die  heilige  Lanze  ist  das  nicht.  Sie  hat  erst 
Heinrich  I.  von  König  Rudolf  II.  von  Burgund  erworben. 

Wir  haben  darüber  den  ausführlichen  Bericht  Liudprands 
von  Cremona  in  seiner  Antapodosis  IV  25*).  Ich  setze  die  ganze 

Die  deutschen  Rcichskleinodien,  Berlin  1872  (Sammlung  gemeinverständlicher 
Vorträge  hgb.  von  Virchow  und  Holtzendorff  VII  154),  S.  25  vertretene 
Beziehung  de»  „lignum  s.  crucis“  ist  freilich  von  Waitz  VG.  VIS  300  A.  1 
abgelehnt  worden.  Sie  scheint  mir  aber  wegen  des  analogen  Falles  bei 
Heinrich  V.  unabweisbar.  Vgl.  Meyer  von  Knonau.  Jahrbücher  de»  deutschen 
Reichs  unter  Heinrich  IV.  und  Heinrich  V.,  Band  V S.  57,  und  unten  S.  50  A.  1. 

')  Ungangbar  ist  natürlich  der  Ausweg  Melys,  Revue  de  l’Art  chretien 
1897,  S.  292  f.,  Konrad  möge  ja  schon  die  spätere  heilige  Ranze  an  Heinrich 
geschickt  haben,  sie  sei  aber  vielleicht  nicht  in  dessen  Hände,  sondern  auf 
Umwegen  in  die  des  burgundischen  Königs  gelangt. 

*)  Bei  diesen  regelmälüg,  Paulus  diac.,  Hist.  Langob.  VI  55,  MG.  SS. 
rerum  Langobardicarum  S.  184:  Langobardi  . . . Hildeprandum  . . . regem 
levaverunt  (i.  J.  735).  Cui  dum  conturn,  sicut  moris  est,  traderent  . . . 

*)  Gregor  Turon.,  Hist.  Francorum  VII  33,  MG.  SS.  rerum  Mero- 
vingicarum  I 313:  Post  baec  rex  Gunthramnus  data  in  manu  regis  Childe- 
berthi  basta  ait:  ,Hoc  est  indicium.  quod  tibi  omne  regnum  meuin  tradedi  . . 
Vgl.  H.  Brunner,  Deutsche  Rechtsgeschichte  II  (1892)  S.  16. 

4)  Zuerst  bei  der  Urk.  Ludwigs  des  Deutschen  für  Salzburg,  Mühl- 
bacher, Regesten  des  Kaiserreichs  unter  den  Karolingern,  2.  Auflage, 
Nr.  1346  (1807);  Sybcl  und  Sickel,  Kaiserurkunden  in  Abbildungen  19. 
S.  im  übrigen  Waitz  VG.  II  l3  S.  174.  VI»  S.  297  A.  1. 

*)  ed.  E.  Dümmlcr  (SS.  rerum  Gcrmanicarum),  Hannover  1877,  S.  91  f. 
Die  Bibelstellen  sind  zum  Teil  bereits  in  der  Liudpraud-Übersetzung  vou 


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6 


Stelle  im  Wortlaut  hierher,  da  ihre  genaue  Auslegung  von  grund- 
legender Wichtigkeit  ist.  Liudprand  schreibt  : Burgundionum  rex 
Kodulfus,  qui  nonnullis  annis  Italicis  imperavit,  lanceam  illam  a 
Samson  comite  dono  accepit.  Erat  enim  exepta  ceterarum  specie 
lancearum,  novo  quodam  modo  novaque  elaborata  tigura,  habens 
iuxta  lumbum  medium  utrobique  fenestras.  Hec  pro  pollicibus 
perpulcrae  duae  acies  usque  ad  declivum  medium  lanceae  exten- 
duntur.  Hane  igitur  Constantini  Magni,  sanctae  fllii  Helenae, 
vivificae  crucis  inventricis,  fuisse  adfirmant,  quae  media  in  spina, 
quam  lumbum  superius  nominavi,  ex  clavis  manibus  pedibusque 
domini  et  redemptoris  nostri  Jesu  Christi  adfixis  cruces  habet. 
Heinricus  itaque  rex,  ut  erat  Dei  timens  totiusque  religionis 
amator,  audito  Rodulfum  tarn  inestimabile  donum  habere  caeleste, 
nuntiis  directis  temptavit,  si  premiis  aliquibus  id  posset  adquirere 
sibique  adversus  visibiles  atque  invisibiles  hostes  arma  invictissima 
triumphumque  perpetuum  preparare.  Quod  cum  rex  Rodulfus 
modis  omnibus  se  numquam  hoc  acturum  ediceret,  rex  Heinricus, 
quia  mollire  hunc  muneribus  non  potuit,  minis  terrere  magnopere 
curavit.  Omne  quippe  regnum  eius  cede  atque  incendiis  se  depo- 
pulaturum  esse  promisit.  Quia  vero  quod  petebatur  munus  erat, 
quo  caelestibus  terrea  Deus  coniuaxerat,  lapis  scilicet  angularis  *) 
faciens  utraque  unums),  Rodulfi  regis  cor  emollivit,  iustoque  regi 
iusta  iuste  petenti  cominus  tradidit.  Neque  enim  pace  presente 
simultatd  locus  erat.  Kam  et  eo,  qui  his  crucifixus  est,  a Pilato  ad 
Herodem  properante,  Jacti  sunt  amici  in  illa  die,  qui  priue 
inimici  erant  ad  invicem*).  Quanto  autem  amore  rex  Heinricus 
prefatum  inestimabile  donum  acceperit,  cum  in  nonnullis  rebus, 
tum  in  hoc  presertim  claruit,  quod  non  solum  eo  dantem  se 
auri  argentique  muneribus,  verum  etiam  Suevorum  provincie  parte 
non  minima  honoravit.  Deus  autem,  qui,  quo  quisque  quid 
animo  peragat,  intuetur4),  non  muneris  quantitatis  sed  bonae 
voluntatis  inspector  ac  retributor,  quanta  ob  prelibatam  rem 


t.  d.  Osten-Sacken,  2.  Aufl.  von  W.  Wattenbach,  Oescbicbtscbreiber 
der  deutschen  Vorzeit  29,  Leipzig  1890,  S.  65  naebgewiesen. 

‘)  Jes.  28,  16;  Eph.  2,  20. 

*)  Eph.  2.  14. 

*)  Luc.  23,  12. 

*)  1.  Keg.  16,  7. 


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mercede  aeterno  in  saeculo  pium  donaverit  regem,  indiciis  quibus- 
dam  hoc  etiam  in  tempore  prodidit,  dum  contra  se  insurgentes 
hoc  vietorifero  preeunte  signo  semper  hostes  terruit  atque  fugavit. 
Hac  igitur  occasione,  iinmo  Dei  voluntate,  sanetam  rer  Heinricus 
rompheara  adeptus  est;  quam  filio  suo.  de  quo  inpresentiarum 
nobis  sermo  est,  decedens  cum  regno  simul  hereditario  dereliquit. 
Qui  quanta  donum  inestimabile  veneratione  coluerit,  victoria  non 
8olum  indicat  presens ') , verum  divinorum,  ut  promturi  sumus, 
admiranda  largitio  munerum’). 

Alle  spätem  — es  sind  nicht  wenige  — die  das  Gleiche, 
wenn  auch  nie  so  ausführlich,  berichten,  schöpfen  unmittelbar 
oder  mittelbar  aus  dieser  Stelle.  Es  ist  nicht  unnötig,  das  nach- 
drücklich zu  betonen,  ehe  wir  uns  um  volle  Klarheit  über  die 
Zuverlässigkeit  und  die  Tragweite  unsres  Berichts  bemühen. 

Liudprands  Antapodosis  ist  der  einzige  Zeuge  für  die  Er- 
werbung der  heiligen  Lanze  durch  Heinrich  I.  Bei  dem  genug- 
sam bekannten  Charakter  dieses  Werkes,  das  zum  grollen  Teile 
mehr  einer  Anekdotensammlung  mit  historischem  Hintergründe, 
als  wirklicher  Geschichtserzählung  gleicht,  können  solche  allein- 
stehenden Nachrichten  nicht  ohne  weiteres  als  gut  beglaubigt 
gelten.  Doch  in  diesem  Falle  ist  ein  Zweifel  an  der  berichteten 
Tatsache  nicht  berechtigt.  Liudprands  Schwäche  ist  die  prag- 
matische Verknüpfung,  der  wirkliche  Zusammenhang  der  Ereig- 
nisse, seine  Stärke  liegt  in  der  Auffassung  des  Einzelnen  ohne 
Rücksicht  auf  den  Platz,  den  es,  bedingt  und  bedingend,  in  der 
Gesamtheit  des  Geschehens  einnimmt3).  Um  das  Letztere  handelt 

')  Bei  Birten  939. 

5)  Er  meint  die  Erfolge  Ottos  während  seiner  Regierung. 

3)  Antapodosis  III  46  z.  B.  läßt  er  den  König  Hugo  zusammen  mit 
der  Marozia  durch  Alberich  aus  Rom  vertrieben  werden,  während  diese 
vielmehr  von  ihrem  Sohn  in  Haft  gehalten  wnrde.  Den  mit  dor 
Marozia-Geschichto  zusammenhängenden  Sturz  Lamberts  von  Tuscien  erzählt 
er  c.  47  nach  diesem  932  erfolgten  Ereignis,  während  dessen  Nachfolger 
Boso  schon  vor  17.  Okt.  931  an  seine  Stelle  getreten  zu  sein  scheint,  und 
die  Erhebung  des  jungen  Lothar  zum  Mitkönig  (931  Mai  15.)  bringt  er 
gar  erst  IV  2 als  erstes  der  von  ihm  aus  eigner  Anschauung  zu  berichtenden 
Ereignisse,  nachdem  er  doch  bereits  III  49 — 52  den  Einfall  Arnulfs  von 
Baiern  in  Italien  von  934  —35  erzählt  hat.  Es  ist  so  auch  sehr  wohl 
möglich,  daß  er  III  43  die  Einsetzung  Papst  Johanns  XI.  (März  931)  fälsch- 


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ft 

es  sich  liier,  zudem  um  etwas,  worüber  Liudprand  bei  seinen 
engen  Beziehungen  zum  Ottonischen  Hofe  aufs  beste  unteirichtet 
sein  konnte. 

Liudprand  macht  seine  Angabe  gelegentlich1),  als  er 
Ottos  I.  Sieg  über  die  Aufständischen  unter  Giselbert  von  Loth- 
ringen und  Eberhard  von  Franken  bei  Birten  939  berichtet,  den 
er  dem  Gebet  des  Königs  und  der  Seinen  vor  den  Passionsnägeln 
an  der  Königslanze  zuschreibt2).  Er  gibt  eine  zwar  nicht  leicht 
verständliche,  aber  ganz  konkrete  Beschreibung  der  Lanze,  auf 
die  zurückzukommen  ist;  er  hat  nach  seiner  Art  keine  Zeit- 
bestimmungen, gibt  aber  kurze  und  bestimmte  Angaben  über  die 
äußere  Geschichte,  die  sich  gerade  dadurch  empfehlen,  daß  sie 
das  Sagenhafte  als  solches  kennzeichnen  und  mit  dem,  was  sie 
als  Tatsache  geben,  alsbald  und  sehr  überraschend  auf  einen 
toten  Strang  führen. 

Von  König  Rudolf  von  Burgund  hat  Heinrich  den  Schatz 
erworben,  vom  Grafen  Samson  jener,  der  zeitweilig  auch  König 
in  Italien  war.  Den  Grafen  Samson  kennt  die  Geschichte  ver- 
hältnismäßig gut  3).  Welches  Interesse  aber  verband  seine  Person 
mit  dem  Kleinod  des  deutschen  Königs?  Liudprand  schweigt, 

lieh  dem  Markgrafen  Wido  von  Tuscien  tuschreibt:  wahrscheinlicher  ist 
mir  jetzt  allerdings,  daß  Liudprand  vielmehr  darin  irrt,  daß  er  Johann  XI 
unmittelbar  auf  den  bald  nach  seiner  Qefangensetzung  im  Juni  928  ge- 
storbenen Johann  X.  folgen  läßt.  Der  Tod  Widos  ist  dann  nicht,  wie  ich 
Mitteilungen  usw.  S.  403  mit  den  Frühem  angenommen  habe,  auf  928—29, 
sondern  mit  Hauck  Kirchengeschichte  Deutschlands  III 3 (1906)  S.  212 
A.  5 auf  931  Frühjahr  anzusetzen. 

9 Antapodosis  IV  24  Ende:  Sed  quia  lanceae  ipsius  sanctae  memoriam 
fecimus,  hic,  qualiter  ad  eum  pervenerit,  inseramus.  Es  folgt  c.  25,  wie 
oben  angeführt. 

*)  Antapodosis  IV  24:  Rex  denique  . . .,  quoniam  fluvio  intercedente 
corporali  presentia  subvenire  suis  non  poterat,  recordatus  populi  Domini  . . . 
protinus  de  equo  descendit  seseque  cum  omni  populo  lacrimas  fundens 
ante  victoriferos  clavos  manibus  domini  et  salvatoris  nostri  Jesu  Christi 
adiixos  suacque  lanceae  inpositos  in  orationem  dedit,  usw. 

3)  Vgl.  über  ihn  meine  Bemerkungen  in  den  Mitteilungen  des  Instituts 
für  österreichische  Geschichtsforschung  VII.  Ergänzungsband  S.  379  A.  5 
und  R.  Poupardin,  Le  royaume  de  Bourgogno  (888  — 1038).  Etüde  sur  les 
origincs  du  royaume  d'Arlcs  (Bibliothequu  du  Fecolc  des  hautes  etudes  136), 
Paris  1907,  8.  377—379. 


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9 


und  im  Grunde  kann  man  nur  antworten:  gar  keines,  wenn  nicht 
ein  rein  äußerlich  antiquarisches. 

Nach  Liudprand  hat  der  Graf  die  Lanze  dem  König  Rudolf 
zum  Geschenk  gemacht;  sie  wäre  also  solange  sein  Eigentum 
gewesen.  Heinrich  I.  wiederum  wird  bei  ihm  lediglich  durch 
religiöse  Gründe  getrieben,  mit  Versprechungen,  Drohungen, 
schließlich  sogar  Gebietsabtretung  den  Erwerb  durchzusetzen: 
eine  Begründung,  wie  sie  wohl  unserem  Autor  passend  und  möglich 
erschien,  wie  sie  vielleicht  ancli  zu  seiner  Zeit,  etwa  ein  Mensehen- 
alter nach  dem  Ereignisse,  unter  den  Hofleuten  umging,  die 
aber  für  die  historische  Betrachtung  nicht  zulässig  ist,  zudem 
auch  mit  dem  bekannten  Charakter  des  deutschen  Königs1)  in 
Widerspruch  steht.  So  hat  man  seit  Alters  mit  Recht  versucht, 
die  Lanzengeschichtc  aus  den  burgundisch-deutschen  Beziehungen 
zu  erklären  und  in  diesem  Zusammenhänge  die  tiefem  Gründe 
aufzudecken,  die  den  Besitz  des  Kleinods  dem  deutschen  König 
so  überaus  wertvoll  machten.  Ein  sicheres  Ergebnis  freilich  ist 
auf  diesem  Wege  bisher  nicht  gewonnen  worden  und  bei  der 
Dürftigkeit  unsrer  Quellen  auch  nur  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  zu  erwarten*). 

Es  erhebt  sich  zunächst  die  Frage,  wann  hat  sich  der  Vor- 
gang abgespielt?  Liudprand  gibt  kein  Datum;  schon  aus  seinen 
Worten  entnehmen  zu  wollen,  daß  Rudolfs  italisches  Königtum 
(922 — 926)  damals  bereits  gewesen  war,  weist  Poupardin  mit  Recht 
als  zu  weitgehend  zurück  *).  Rudolfs  Vorbesitzer  war  ein  italischer 
Graf,  aber  auch  damit  gewinnen  wir  zunächst  nichts.  Denn  war 
Samson,  wie  Liudprand  das  nicht  anders  meinen  kann,  Privat- 
besitzer der  Lanze,  so  konnte  er,  auch  ehe  der  König  von  Burgund 
nach  Italien  kam,  auf  Grund  irgendwelcher  Beziehungen  ihm  mit 
ihr  ein  Geschenk  machen4). 

*)  Er  wies  die  Krönung  von  geistlicher  Hand  zurück. 

*)  Die  altern  Meinungen  sind  zusammengestellt  bei  Waitz,  Jahrbücher 
des  deutschen  Reichs  unter  König  Heinrich  I.,  3.  Auflage  (1335),  S.  66  A.  5, 
und  bei  Poupardin,  Le  rovauine  de  Bourgogne  8.  32  f.  Ich  brauche  darum 
auf  sie  nicht  ausdrücklich  einzugehen. 

*)  Le  rojaume  de  Bourgogne  S.  376  A.  4. 

*)  Daß  Rudolf  die  Lanze  in  Italien  empfing,  ist  erst  eine  — freilich 
sehr  nahe  liegende  — Combination  des  nur  aus  Liudprand  schöpfenden  Prutolfs 
MG.  SS.  VI.  182,30:  Ituodolfus.  qui  nonnullis  annis  Italicis  imperabat,  lan- 
ceam  quandam  ibi  a Samsone  quodaiu  cornite  dono  accoperat  . . . 


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10 


Spätere  annalistische  und  chronistische  Quellen  nennen  freilich 
vielfach  ein  bestimmtes,  aber  nicht  das  gleiche  Jahr,  und  obwohl 
ihre  Abhängigkeit  von  Liudprand  unzweifelhaft  und  kaum  bestritten 
ist,  fehlt  es  nicht  an  Bemühungen,  für  eines  dieser  Daten  historische 
Glaubwürdigkeit  zu  beanspruchen.  Das  hat  vor  allem  Waitz, 
wenn  auch  mit  aller  ihm  eigenen  Zurückhaltung,  getan,  dessen 
Ansatz  v.  Ottenthal1)  und  neuerdings  Poupardin  aufgenommen 
haben. 

An  sich  ist  die  Möglichkeit  eines  selbständig  überlieferten 
Datums  auch  in  einer  abgeleiteten  Darstellung  nicht  gänzlich  aus- 
geschlossen. Aber  wahrscheinlich  ist  diese  Annahme  von  vorn- 
herein nicht.  In  unserem  Falle  zumal  bestehen  gewichtige  Be- 
denken dagegen. 

Aus  Liudprand  schöpfen  Frutolf  von  Michelsberg  und  Sige- 
bert  von  Gembloux,  aus  Sigcbcrt  und  Liudprand  zusammen 
Alberich  von  Trois-Fontaines2).  Sigebert,  der  den  Bericht  seines 
Gewährsmannes  in  einen  kurzen  Auszug  bringt,  setzt  ihn  ganz 
willkürlich  zu  929.  Er  hat  auf  die  vorhergehenden  Jahre  eine 
Reihe  Notizen  aus  Liudprand  verteilt,  mit  unserer  hat  er  das  ihm 
sonst  leer  bleibende  Jahr  929  gefüllt5).  Aus  ihm  hat  dasselbe 
Jahr  Alberich,  der  an  Sigeberts  Worte  die  Beschreibung  der 
Lanze  aus  Liudprand  und  einen  Satz  aus  Otto  von  Freising 
anfügt4). 

Frutolf  (+  1103 5)  bringt  seine  Angabe  in  dem  längeren  Ab- 
schnitt zu  Anfang  Heinrichs  I.,  den  er  auf  920  ansetzt  *).  Sein 
Werk  hat  bald  darauf  Ekkehard  von  Aura  überarbeitet  und  durch 

')  Die  Regesten  des  Kaiserreichs  unter  den  Herrschern  aus  dem 
Sächsischen  Hause.  Erste  Lieferung.  Innsbruck  1893.  Nr.  7 a. 

*)  Auf  Liudprand  beruhen  auch  die  Vita  Gerhards  von  Brogne  c.  13, 
MG.  SS.  XV.  2 S.  GG4,  und  Andrea  Dandulo,  Chron.  VIII  c.  10  P.  XII, 
Muratori  SS.  rerum  Italicarum  XII  200,  die  aber  beide  kein  Jahr  nennen. 

3)  MG.  SS.  VI.  347.  Ans  ihm  abgeleitet  sind  die  Ann.  Dorenses 
MG.  SS.  XXVII.  518,  die  zur  Abwechslung  927  statt  929  ansetzen.  Zu 
928 — 932  haben  sie  nichts. 

4)  MG.  SS.  XXIII  759,  vollständig  bei  Leibniz,  Accessionum  histori- 
carum  Tom.  II,  Hannover  1698,  S.  266.  Über  seinen  abweichenden  Text 
der  Liudprandstelle  s.  unten  S.  48. 

5)  Bresslau  im  Neuen  Archiv  der  Gesellschaft  für  ältere  deutsche  Gc- 
schichtskunde  XXL  (1896)  S.  215. 

«)  MG.  SS.  VL  182. 


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11 


Auszüge  aus  Sigeberts  Clironik  erweitert1).  Zu  025  bringt  er 
nach  Sigebert  024  einen  Satz  über  Rudolfs  italisches  Königtum, 
an  den  er  in  der  Redaktion  K die  an  ihrem  früheren  Orte  fortge- 
lassene Lanzengeschiehte  mit  Frutolfs  Worten  anschließt8).  Aus 
Ekkehard  Fassung  E haben  das  Jahr  925  der  Annalista  Saxo*) 
und  der  Chronographus  Saxo  *) ; aus  der  gleichen  Quelle  schöpfen 
die  Pöhlder  Annalen,  die  ihre  Notiz  dem  6.  .Jahre  Heinrichs  I.  zu- 
weisen s). 

Aus  Frutolf  schöpft  auch  Otto  von  Freising  in  seiner  Chronik 
VI  18‘).  Er  stellt  die  Sache  ans  Ende  von  Heinrichs  Regierung 
unmittelbar  vor  seinen  Tod,  weshalb  dann  die  Reiehersperger 
Annalen  das  Jahr  935  annehmen7).  Auf  Otto  von  Freising  aber 
beruhen,  wie  schon  Wattenbach  bemerkt  hat,  auch  die  österreichischen 
Annalen  noch  aus  dem  12.  Jahrhundert,  die  Salzburger  •)  und  die 
Admunter 9)  Annalen  zu  922,  ebenso  in  wörtlicher  Übereinstimmung 
mit  letztem  die  Garstener  Zusätze 10)  der  Melker  Annalen  und 
aus  demselben  Born  gespeist  auch  deren  aus  dem  14.  Jahrhundert 

*)  Die  Recensionon  D und  E in  der  Ausgabe  von  Waitz,  MG.  SS.  VI. 

>)  MG.  SS.  VI.  S.  183  f.,  vgl.  S.  180  Anin.  **. 

s)  MG.  SS.  VI.  596. 

*)  Gedruckt  als  Annales  Magdeburgenses  MG.  SS.  XVI.  142.  Nach 
Waitz  MG.  SS.  VI.  552  hat  der  Chronographus  den  Annalista  ausgeschrieben. 
Ich  untersuche  hier  diese  Frage  natürlich  nicht. 

5)  MG.  SS.  XVI.  60.  Da  sie  Heinrichs  erstes  Jahr  = 919  setzen, 
so  entspricht  bei  ihnen  das  sechste  dem  Jahre  924.  Nach  ihnen  die  Sächsische 
Weltchronik  c.  148,  MG.  Deutsche  Chroniken  II,  158,  die  hinzusetzt:  Dit 
is  dat  sper,  darvan  gelieret  is  Komisch  rike  mit  deme  krucc  unde  mit  der 
cronen. 

6)  MG.  SS.  XX.  237,5.  Auf  Frutolf  gehen  weiter  zurück  die  Gesta 
episcoporum  Halbcrstadensium,  MG.  SS.  XXIII  83,10  ohne  Jahr,  UDd  Albert 
von  Stade,  MG.  SS.  XVI  311  zu  920.  Wenn  die  Gesta  ep.  Haiberst,  von 
der  Lanze  sagen:  cui  inclusa  sunt  de  spina,  de  cruce,  ex  clavis  manibus 
et  pedibus  Salvatoris  nostri  alixis,  so  ist  das  nur  ein  Mißverständnis  der 
von  Frutolf  übernommenen  'Worte  Liudprands. 

7)  MG.  SS.  XVII.  443.  Auf  Otto  beruht  auch  Gottfried  von  Viterbo 
Pantheon  XXIII.  c.  28,  MG.  SS.  XXII  233,  soweit  er  nicht  einer  zweiten 
unten  S.  57.61  behandelten  Version  folgt. 

Ann.  S.  Budberti  Salisburgcnses  922,  MG.  SS.  IX.  771. 

B)  Anu.  Aduiuntcnses  922.  MG.  SS.  IX.  573. 

Iu)  Auctarium  Garsteuse  922,  MG.  SS.  IX.  565. 


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12 


stammende  Melker  Erweiterungen  ').  Auf  verhältnismäßige  Selb- 
ständigkeit können  von  diesen  vier  am  ehesten  die  Salzburger 
und  die  Admunter  Annalen  Anspruch  machen,  aber  auch  sie  be- 
nutzen wieder  eine  gemeinsame  Quelle*),  sodaß  im  besten  Falle 
ein  einziges  Zeugnis  übrig  bleibt. 

Für  die  Admunter  Annalen  ist  es  sicher,  daß  ihre  Notiz  aus 
Otto  stammt,  den  sie  auch  sonst  benutzen  *),  und  auch  für  die  Salz- 
burger Jahrbücher  kann  meines  Erachtens  an  dieser  Herkunft  ein 
Zweifel  nicht  bestehen,  denn  auch  sie  haben  anderweitig  dieselbe 
Quelle  ausgeschrieben 4).  Die  nahe  Verwandschaft  ihrer  Fassung 
mit  der  Admunter  liegt  auf  der  Hand  4).  An  eine  selbständige 

’)  Auctariuui  Mellicensc  922,  MG.  SS.  IX.  536.  S.  auch  unten  S.  63 

A.  3. 

s)  Vgl.  0.  Redlich,  Die  österreichische  Annalistik  bis  rum  Ausgang 
des  13.  Jahrhunderts,  in  den  Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische 
Geschichtsforschung  III  (1882)  S.  527  ff. 

J)  i.  B.  1132  S.  578  aus  Ottos  Chronik  VII  18  und  20;  1137  S.  578 
aus  Otto  VII  20  und  21;  ebenso  an  vielen  andern  Stellen,  i.  B.  zu  535,  612, 
1002,  1009,  1037,  1040,  1042,  1044,  1047  und  öfter.  Vielleicht  auch  921, 
S.  573  aus  Otto  VI  16  (wo  aber  Heinrichs  I.  Thronbesteigung  mit  Frutolf 
zu  920  gesetzt  wird)  und  18. 

4)  Am  klarsten  wird  das  1137  S.  775,  wo  zu  den  aus  Otto  VII  (20  und) 
21  übernommenen  Todesfällen  (vgl.  Auct.  Garst.  S.  569)  nur  der  Tod  des 
Salzburger  Propstes  Hermann  hinzugefügt  ist.  Des  weiteren  kann  inan  z.  R. 
folgende  Notizen  auf  Ottos  Chronik  zurückführen.  1132  S.  775  Lotharius 
— substituit  (auch  im  Auct.  Garst.),  Otto  VII  18—20;  1105  S.  774  Hein- 
ricus  — cepit  (zum  Teil  auch  im  Auct.  Garst.  S.  568),  Otto  VII  10  und  1 1 ; 
1009  S.  772  Heinricus  — convertit  (noch  wörtlicher  zu  Otto  stimmt  Auct. 
Garst.  S.  567),  Otto  VI  27:  955  S.  771  über  die  Ungamschlacht  am  Lech, 
mit  Ausnahme  des  Tagesdatums  (d.  Name  „Otto*  für  den  verräterischen 
Grafen  von  Scheiern  ist  leicht  durch  ein  Mißverständnis  zu  erklären : Auct. 
Garst.  S.  566  stimmt  wieder  in  dem  unbestimmten  quodam  Schirense  comite 
genauer  zu  Otto;  da«  Tagesdatum  enthielten  schon  die  Anu.  Mellicenses), 
Otto  VI  20;  921  S.  771  Heinricus  rex  et  Arnoldus  dux  paciiicantur  (auch  im 
Auct  Garst.  S.  565),  Otto  VI  18;  918  S.  771  Exhinc  regnum  Teutonicorum 
supputatur  (auch  im  Auct.  Garst  919  S.  565),  Otto  VI  17;  914  S.  771  Ar- 
noldus dux  regi  rebellans  in  Ungariam  pellitur  (auch  im  Auct.  Garst  S.  565), 
Otto  VI  16.  Ist  diese  Ableitung  richtig,  so  wird  die  Annahme  einer  selb- 
ständigen baj  rischen  Überlieferung  für  die  beiden  zuletzt  genannten  Er- 
eignisse hinfällig.  Auch  sie  führt  dann  über  Otto  auf  Frutolf  und  damit 
auf  Liudprand  zurück;  ihre  Daten  verlieren  damit  jeden  Wert. 

4)  Ann.  S.  Itudb.  Salisb.  922,  MG.  SS.  IX.  771:  Heinricus  rex 
lanccam  sacram  a rige  Rudolf o Burgundiae  mims  extorsit. 


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13 


Benutzung  des  Otto  in  Salzburg  und  in  Admunt  läßt  sich  hier 
nicht  denken  und  so  das  Datum  922  sich  nicht  retten.  Denn  es 
wäre  zu  auffällig,  wenn  an  beiden  Orten  die  ursprüngliche  Über- 
lieferung durch  einen  ^uszug  aus  dem  gleichen  Schrittsteller  ver- 
drängt wordem  wäre,  ijuod *  *s  ist  durch  eine  andere  Stelle  gesichert, 
daß  ihre  gemeinsame  Quelle  selber  bereits  Ottos  Chronik  aus- 
schneb 1 ) . 

Nicht  vor  der  Mitt,  des  12,  Jahrhunderts *)  ist  somit  das 
Datum  922  mit  der  Lanzengesehichte  verbunden  worden,  in  einer 
Kompilation,  die  liier  ihwn^toty,  einetÄuelle  entnahm,  die  selber 
kein  bestimmtes  Jahr  nannte.;,,  hin:-'  echte Mjberlieferung  aus  der 
1.  Hälfte  des  1U.  Jahrhunderts  dfuTei.  wir  4*rin  nicht  mehr  er- 
blicken. „iji,  . |,v,. 

tJWßrib.  ' tvtfiü  -.it. 

Wir  haben  kein  direkt  beglaubigtes Daton^fv  können  »vir  etwa 
indirekt  zu  einem  bestimmten  Ansatz  gelangen  ? 

Zweimal  zwischen  919  und  936  gibt  es  in  den  hurguudiacli- 
deutschen  Beziehungen  einen  Punkt,  an  den  sich  aLknüpfen  läßt, 

922  und  926.  \ 

Als  mit  dem  Sturze  Karls  III.  zu  Ende  887  das  kaum  wieder 
vereinigte  Reich  Karls  des  Oroßen  endgültig  auseinander^,  be- 
hauptete sein  Erbe  auf  dem  ostfränkischen  Thron  nicht  ohne  Erfolg 
einen  Vorrang  gegenüber  den  andern  Königen,  die  mit  einziger  4 
Ausnahme  Widos  von  Spoleto  (und  des  Herzogs  von  Aquitanien) 

Ann.  Admunt.  922,  MG.  SS.  IX.  573:  Heinricus  rex  Luttum  sacram 

quam  reges  nostri  hatte nus  haben t a Kudol/o  rege  Burgundiac  minis  extorsU. 

Otto  Fris.  Chron.  VI  18,  MG.  SS.  XX.  237,  5.  Lanceam  quoque  sa- 
cram, quam  reges  nostri  hactenus  habent , a Kudolfo  Lugdunensis  Galliae 
seu  Burgundionum  rege  minis  extorsit. 

Mit  Frutolf  hat  diese  Fassung  im  einzelnen  nichts  gemein,  da  er 
Liudprands  Erzählung  ausführlich  mit  nur  geringen  Kürzungen  wiedergibt. 

Statt  des  für  Otto  charakteristischen  quam  — hactenus  habent  hat  er:  eam- 
que  credimus  esse,  quae  eitunc  hodieque  in  imperatorum  tutela  solet  manere. 

*)  Zu  1132  finden  sich  sowohl  in  den  Salzburger,  wie  ausführlicher  in 
den  Admunter  Annalen  irrig  Angaben  Ottos  über  den  ersten  und  den  zweiten 
Zug  Lothars  nach  Italien  vereinigt,  s.  oben  S.  12  A.  3 und  4. 

*)  Die  Entstehung  dieser  den  Admunter  und  den  Salzburger  Annalen 
zu  Grunde  liegenden  Kompilation  l&ßt  Wattenbach,  Deutschlands  Ge- 
schichtsquellen im  Mittelalter  TI*  S.  805  .in  Salzburg  etwa  um  das  Jahr 
1180“  erfolgen. 


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14 


seine  Zustimmung  zu  ihrer  neuen  Würde  für  notwendig  erachteten. 
Man  darf  seine  Stellung  darum  wohl  als  eine  oberherrliche  für 
den  gesamten  Umfang  des  alten  Reiches  ansfiechen.  Begründet 
war  sie  offenbar  in  dem  Anspruch,  den  ,dRJPk  Urbe  der  älteren 
Linie  der  Karolinger  auf  die  Kaisiwwfij^WWffiP**1 . 

Im  Herbst  888  war  König  nd  •)  nach 

anfänglichem  Widerstreben  in  Uafjfauburg  bei  Arnulf  erschienen, 
um,  dem  Beispiele  Odos  von  ^atfi^nrirojMpnd,  die  deutsche 
Oberhoheit  anzuerkennen  'jrfKur  in  der  Form  ge- 

schehen sein,  daß  Rudo^fl|Bffi^$bf4?P'nig  den  Treueid  leistete 
und  sein  Reich  aus  dtgjlfcN  mBmm,  wie  das  in  den  analogen 
Fällen  lnr  Odo  "^.■<-efi,'.\r  TOiWriaul4)  und  besonders  aus- 
drücklich  für  ]0fn  uen  FJnfiÜti^i6)  bezeugt  ist6). 

Aber  Jfr  -jfen.ehmeu  dauerte  nicht.  Bald  kam  es  wieder 
zu  Keiner  **«er  JIOüMBurgund  war  neben  Lothringen  in  der 
Herr^r  ■ Arnulf  8!lä  seinem  Bastard  Zwentibold 

em  von  Poupardin  näher  begründeten  Sprachgebrauch, 
id“  für  das,  was  man  früher  meist  als  „hochburgundisches“ 
nisches“  Reich  bezeichnet«,  „Provence“  für  die  von  Boso  von 
ündete  Herrschaft  verwende. 

lühlbacher,  Die  Regesten  des  Kaiserreichs  unter  den  Karolingern, 
_ _ — 0-“,  Nr.  1804  (1756)  b;  Poupardin,  Le  royatimc  de  Bourgognc  S.  16. 
| ” s)  Mühlbacher  a.  a.  0.  Nr.  1800  (1752)  a.  1908  (1857)  a. 

4)  Mühlbachcr  a.  a.  0.  Nr.  1806  (1758)  b.  1892  (1841)  d. 

*)  Mühlbachcr  a.  a.  0.  Nr.  1897  (1846)  f.  Als  die  Großen  890  Ludwig 

von  der  Provence,  den  Sohn  Bosos,  zum  König  wählten,  waren  2 Gesandte 

Arnulfs  zugegen,  die  dem  jungen  Herrscher,  wie  cs  scheint,  mit  dem  Sccpter 
die  Investitur  erteilten.  Mühlbachcr,  a.  a.  O.  Nr.  1846  (1797)  a und 
Poupardin,  Le  rojaume  de  Provence  sous  los  Carolingiens  (855--933?), 
Paris  1901  (Bibliotheque  de  l’ecole  des  hautes  etudes  131),  8.  155  ff. 

*)  Die  Regensburger  Fortsetzung  der  Ann.  Fuldenscs,  unsere  einzige 
Quelle  über  das,  was  zu  Regensburg  zwischen  Arnulf  und  Rudolf  verging, 
sagt  zu  888  freilich  nur,  ed.  Kurze,  S.  116:  Rodolfus  enim  inito  consilio 
cum  primoribus  Alamannorum  sponte  sua  ad  regem  urbein  Radasbonam  us- 
que  pervenit  multaque  inter  illos  convcnienter  adunata  ipso  a rege  cum 
pacc  permissus,  sicuti  venit,  ad  sua  remcavit.  Aber  sic  gebraucht  dieselben 
oder  ähnlich  unbestimmte  Wendungen  auch  bei  Berengar  und  Karl  dem 
Einfältigen,  wo  nach  anderen  Stellen  derselben  oder  anderer  Quellen  kein 
Zweifel  au  der  Bedeutung  sein  kann.  So  glaube  ich  mich  zu  der  oben  ge- 
gebenen Auslegung  berechtigt. 


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15 


übertrug1).  Zu  erneutem  offensiven  Vorgehen  scheint  dem  Bur- 
gunderkönig erst  der  Tod  Ludwigs  des  Kindes  Anlaß  gegeben  zu 
haben*),  ohne  daß  wir  über  die  näheren  Umstände  oder  den 
Erfolg  unterrichtet  wären. 

Erst  mit  der  Niederlage,  die  des  ersten  Königs  gleichnamiger 
Sohn  Rudolf  II.  bei  Winterthur  einige  Jahre  später  durch  den 
vor  kurzem  zur  Macht  gelangten  Herzog  Burchard  von  Schwaben 
erlitt1),  setzt  unsere  Kenntnis  wieder  ein.  Offenbar  suchte  Rudolf 
seine  Grenzen  auf  Kosten  des  Nachbars  zu  erweitern.  Ob  und 
wie  weit  er  damals  damit  Erfolg  hatte,  ist  nicht  zu  sagen.  Jeden- 
falls gelangten  beide  bald  zu  einer  Verständigung.  Der  König 
gewann  die  Tochter4)  und  die  Unterstützung  des  Herzogs  für 
sein  Unternehmen  gegen  Italien. 

Daß  das  deutsche  Reich  als  solches  in  irgend  einer  Weise 
dabei  beteiligt  war,  davon  findet  sich  keine  Spur.  Die  ganze 
Stellung  Burchards  gegenüber  König  Heinrich  I.  läßt  es  meines 
Erachtens  ausgeschlossen  erscheinen,  daß  dieser  gegen  seinen 
Herzog  mit  dem  burgundischen  König  in  Verbindung  zu  treten 
auch  nur  versucht  haben  sollte.  Er  mag  das  getroffene  Abkommen 
gebilligt  haben,  aber  schon  dafür  gibt  es  keinen  Anhalt;  an  ein 
aktives  Eingreifen  seinerseits  ist  nicht  zu  denken.  Damit  fehlt 
es  auch  an  jeder  Möglichkeit,  die  Erwerbung  der  heiligen  Lanze 
an  diese  spätestens  922  zum  Abschluß  gekommenen  Ereignisse 
anzuknüpfen. 

Anders  steht  es  um  das  Jahr  926.  Als  damals  zu  Ende 
April  Herzog  Burchard  vor  Novara  seinen  Tod  gefunden  hatte, 
griff  der  deutsche  König  in  Schwaben  durch,  indem  er  den  mehr 


*)  Mühlbacber,  a.  a.  0.  Nr.  1908  (1857)  a;  Poupardin,  Le  rojaume 
de  Bourgogne  S.  25  f. 

s)  Ann.  Alamannici,  Redaktion  der  Handschriften  von  Monza  und  Verona 
912,  MG.  SS.  I.  55:  Ruodolfus  rex  Bnrgundiae  ad  civitatem  Basileam.  et  inde 
ad  propria.  Basel  war  also  damals  noch  nicht  burgnndisch. 

3)  Ann.  Sangallenses  maiores  919,  MG.  SS.  I 78;  neu  berausgegeben 
von  Henking  in  den  Mitteilungen  zur  vaterlftndischen  Geschichte  hgb.  vom 
histor.  Verein  in  St.  Gallen  XIX  (1884)  S.  281.  Die  Zweifel  gegen  das 
Jahr  entbehren  der  Begründung,  wie  Poupardin,  Le  rojaume  de  Bourgogne 
S.  371  ff.  nachweist. 

4)  Ann.  Sangallenses  maiores  922.  ■ , - ' 


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von  ihm  abhängigen  Franken  Hermann  zum  Herzog  ernannte '). 
Das  war  zugleich  der  gegebene  Augenblick,  das  Verhältnis  zu 
Burgund  zu  regeln.  Wir  haben  keine  ausdrückliche  Überlieferung 
dafür,  daß  damals  etwas  derart  geschah.  Langer  aber  kann  man 
damit  nicht  gewartet  haben.  Auch  für  Rudolf  lag  die  Not- 
wendigkeit eines  Übereinkommens  nach  dem  Scheitern  seiner 
italischen  Unternehmung  auf  der  Hand,  umsomehr,  als  sein  glück- 
licher Nebenbuhler  in  Italien,  Hugo  von  Vienne  und  Arles,  sich 
des  Wohlwollens  des  deutschen  Nachbarn  zu  versichern  eilte  ’). 

Wir  wissen,  daß  im  November  926  ein  König  Rudolf  in 
Worms  am  deutschen  Hofe  wars),  und  es  ist  bei  dem  Schweigen 
Flodoards  und  zumal  bei  der  wenige  Monate  später  erfolgten  Ver- 
bindung Heinrichs  mit  dem  mit  seinem  Könige  zerfallenen  Grafen 
von  Vermandoi8  nicht  wahrscheinlich,  daß  dies  der  gleichnamige 
König  von  Frankreich  war4).  Waitz  hat  zudem  darauf  aufmerksam 
gemacht5),  daß  nach  Liudprand  Rudolf  an  Heinrich  die  Lanze 
cominus  übergab*),  ohne  freilich  Gewicht  darauf  zu  legen.  Aber 
cominus  kann  nur  von  einer  persönlichen  Überreichung  „von  Hand 
zu  Hand“  verstanden  werden,  und  gerade  in  diesem  Punkte  einen 
Irrtum  Liudprands  anzunehmen,  ist  methodisch  nicht  gerechtfertigt. 

Wir  kennen  noch  eine  Zusammenkunft  des  burgundischen 
und  des  deutschen  Königs  935,  an  der  als  Dritter  Rudolf  von 
Frankreich  teilnahm  *).  Aber  nach  Liudprand  trat  Heinrich  I.  bei 
Erwerbung  der  Lanze  einen  Teil  Schwabens  an  den  König  von 
Burgund  ab.  Ohne  hier  in  die  Erörterung  darüber  einzutreten, 
was  damit  im  einzelnen  gemeint  sei'),  so  ist  doch  soviel  klar, 

*)  Möglicherweise  erst  auf  dem  gleich  tu  besprechenden  Tage  zu  Worms, 
Ottenthal  Regesten  Nr.  13  a. 

>)  Liudprand  Antapodosis  III  21,  vgl.  48. 

*)  DH.  I.  11,  MG.  Diplomat»  I 48,  35  (926  Nov.  3.,  Worms). 

4)  S.  besonders  W.  Lippert,  König  Rudolf  von  Frankreich,  Leipzig 
1886,  S.  58  A.  2,  dem  sich  Poupardin,  Le  royaume  de  Bourgogne  S.  58 
anschließt. 

*)  Jahrbücher  des  deutschen  Reichs  unter  König  Heinrich  I.,  3.  Auf- 
lage, S.  67  A.  5 zu  S.  66. 

*)  8.  oben  8.  6. 

*)  Flodoard  Annales  935,  SS.  III  382,  40;  ed.  Lauer  (Collection  de 
textes,  Paris,  Picard,  1905)  8.  61.  Ottenthal  Regesten  Nr.  49a. 

*)  Sicher  gehörte  Basel  dazu,  das  911  noch  deutsch  (s.  oben  S.  15  A.  2), 
dann  aber  bis  1006  burgundisch  war  (Ann.  Eiusidlenses  1006,  MG. 


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17 


daß  es  sich  nur  um  bereits  strittiges  oder  wenigstens  von 
Rudolf  II.  begehrtes  Gebiet  handeln  kann.  Von  einem  Vorgehen 
des  Burgunders  gegen  die  deutsche  Grenze  oder  irgendwelchen 
dahin  zielenden  Bestrebungen  wird  nach  92(5  nichts  fiberliefert, 
und  es  ist  nicht  wahrscheinlich,  irgend  etwas  derart  anzunehmen. 
So  kommt  das  Jahr  935  für  uns  nicht  in  Frage. 

Wir  gelangen  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  zu  dem  Er- 
gebnis: Heinrich  I.  hat  die  heilige  Lanze  von  dem  burgundischen 
König  erhalten,  als  dieser  im  November  92(5  nach  der  Umwälzung 
in  Italien  und  bei  der  veränderten  Lage  in  Schwaben  in  Worms 
weilte,  um  seine  Beziehungen  zum  deutschen  Reiche  zu  regeln. 
Wir  haben  zugleich  für  die  Leistungen  beider  Teile  einen  an- 
gemesseneren Zusammenhang  gewonnen.  Es  ist  verständlich,  wenn 
der  König  von  Burgund  mit  dem  Geschenk  Stimmung  zu  machen 
suchte  für  die  Erreichung  seiner  politischen  Ziele,  und  es  ist  ver- 


ständlich, wenn  die  folgende  Generation  in  dem,  was  er  erreichte, 
fas  Äquivalent  für  seine  Gabe  sah. 

Hat  man  damals  die  Lanze  nur  als  Reliquie  betrachtet,  oder 
frar  ihre  Erwerbung  zugleich  und  vornehmlich  das  Symbol  eines 
jtaatsrechtlichen  Vorgangs? 

v.  III  144).  Ob  die  Abtretung  durch  Heinrich  im  Grunde  nur  eine  An- 
fjkennung  des  durch  den  Vertrag  zwischen  Kudolf  und  Burkhard  geschaffenen 
^•Standes  war,  ist  bei  dem  Schweigen  der  Quellen  nicht  zu  entscheiden. 


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Zweites  Kapitel 

Die  staatsrechtliche  Bedeutung  der  heiligen  Lanze 

Es  ist  sehr  möglich,  daß  in  Worms  der  König  von  Burgund 
die  Oberhoheit  des  deutschen  Königs  anerkannte  und  den  Treueid 
seines  Vaters  erneuerte.  Das  Eingreifen  Ottos  des  Großen  nach 
dem  Tode  Rudolfs  II.  legt  diese  Annahme  zum  mindesten  sehr 
nahe1).  Ob  die  heilige  Lanze  dabei  eine  Rolle  spielte,  wissen 
wir  jedenfalls  nicht*).  Aber  bedeutete  ihr  Besitz  für  Rudolf  II. 
wirklich  nicht  mehr  als  der  einer  Reliquie,  war  ihre  Erwerbung 
für  ihn  wirklich  nur  ein  privatrechtlicher  Schenkungsakt? 

M6)y  hat  angenommen,  daß  Graf  Samson  nicht  im  eigenen 
Namen,  sondern  als  Vertreter  der  Großen  Italiens  handelte,  di« 
mit  der  Übersendung  der  Lanze  als  eines  „signe  d’investiture  <Ua 
royaume  d’Italie“  den  Burgunder  aufforderten,  ihre  Krone  in  Bellte 
zu  nehmen5).  Poupardin  sucht  diese  Annahme  sehr  scharfsinnig 
besser  zu  stützen.  Er  hält  den  Grafen  Samson  für  identisch  mit 
dem  Grafen  Giselbert  von  Bergamo,  der  zu  Ende  921  oder  zn 
Anfang  922  nach  Burgund  ging  und  Rudolf  zum  schleunigen 
Einmarsch  in  die  Lombardei  veranlaßte4).  Den  Grafen  Giselbert 
kennt  man  seit  langem  als  Pfalzgrafen  König  Hugos  926  und  927  *). 


*)  Vgl.  unten  S.  59. 

*)  So  auch  Poupardin,  Lc  royaume  de  Bourgogne  S.  33. 

*)  Revue  de  l’Art  ehret  ion  1897  S.  293  f. 

*)  Liudprand,  Antapodosis  II  G4  50.  Vgl.  Poupardin,  I«e 
royaume  de  Bourgogne  S.  40. 

*)  Monunienta  historiae  patriae  ed.  iuaau  regis  Caroli  Alberti  Kill 
Nr.  521,  König  Hugo  für  S.  Sisto  in  Piacenia,  926  Sept.  3.,  uml  NT.  524, 
Placitum  des  Pfalzgrafen  Giselbert  in  Paria,  927  Mai  14.  Ra  ist  möglich, 
daß  G.  schon  durch  König  Rudolf  das  Amt  des  921  Tun  den  Ungarn  er- 

« .1  i e 


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19 


Samson  hat  929  die  gleiche  Wörde  bekleidet1)  und  war  schon 
935  durch  den  Burgunder  Sarilo  ersetzt*).  Nach  der  Chronik 
von  Novalese  ist  im  10.  Jahrhundert  in  Breme  bei  Turin  ein 
Pfalzgraf  Samson  „illusus  a propria  coniuge“  Mönch  geworden  *), 
und  Giselberts  Gattin  Rotrude  kennen  wir  als  Konkubine  König 
Hugos4). 

Trotzdem  ist  es  nicht  möglich,  beide  für  eine  und  dieselbe 
Person  zu  erklären.  Denn  Samson  lebte  nach  saliscbem4),  Gisel- 
bert von  Bergamo  aber  nach  langobardischem  Recht4),  und  Sam- 

scblagenen  Pfalzgrafen  Odelrich  erhielt  Vgl.  J.  Ficker,  Forschungen  lur 
Reichs-  und  Rechtsgeschichte  Italiens  I 313  § 170. 

')  Monumcnta  historiae  patriae  XIII  N.  534.  Ficker  a.  a.  0.  kennt 
ihn  nicht  als  Pfalzgrafen,  wohl  aber  Dümmler  zu  Liudprand  Antapodosis 
III  41.  930  in  der  Urkunde  über  einen  Libellarvertrag  mit  Abt  Jngelbert 
von  Nonantola  heißt  Samson  wieder  nur  comes,  Monum.  hist,  patriae  XIII 
N.  535,  und  ebenso  in  der  Urkunde  König  Hugos,  Muratori  Antiquitates 
Italicae  II  938  vom  gleichen  Jahr.  Die  Könige  Hugo  und  Lothar  nennen 
ihn  932  einfach  ihren  consiliarius,  Monum.  hist,  patriae  XIII  N.  543. 

*)  Rudolf  Hübner,  Oerichtsurkunden  der  fränkischen  Zeit,  Zeitschrift 
der  Savigny-Stiftung  für  Rechtsgeschichte,  Germanistische  Abteilung, 
Band  XIV,  N.  868,  Parma  935  Mai  SO.,  und  N.  869,  Pavia  935  Sept  18. 

*)  Chronicon  Novaliciense  V 23  und  Appendix  3,  MG.  SS.  VII  115  und 
123,  5;  Monumenta  Novaliciensia  vetustiora  hgb.  von  C.  Cipolla  (Fonti  per 
la  storia  d’Italia  pubblicate  dall’  Istituto  Storico  ltaliano,  Roma  1901)  II 
265  und  288. 

4)  Liudprand  Antapodosis  IV  14.  Monum.  hist,  patriae  XIII  N.  575 
(Urk.  der  Könige  Hugo  und  Lothar  von  945  März  29.).  Rotrude  lebte  als 
Witwe  noch  959,  als  ihr  Sohn  Lanfrank  schon  tot  war.  Monum.  hist,  patriae 
XIII  N.  634. 

4)  Monum.  hist,  patriae  XIII  N.  534,  Pavia  929  Nov.  19.:  Constat  nos 
Samson  comes  sacri  palacii,  qui  professo  sum  ex  nacione  mea  lege  vivere 
Saliham,  et  Liutkarda  filia  quondam  Wifredi,  qui  professa  sum  ex  nacione 
mea  lege  vivere  Gumbada,  set  nunc  modo  pro  ipso  viro  mco  lege  vivere 
videor  Saliham  . . . 

4)  Urk.  seines  (schon  962  als  Graf  von  Bergamo  vorkommenden, 
Lupus  II  S.  275)  Enkels  Giselbert  von  993  März,  Lupus  Codex  diplomaticus 
civitatis  et  ecclesiae  Bergomatis  II  (1799)  S.  395:  Manifestum  est  nobis 
domnis  Giselberti  comes  palatii  et  filius  b.  m.  Lanfranchi  item  comes  palatii 
de  vico  Vagilate  et  Alsinde  comitissc  filia  b.  m.  Ardoini  marchio  iugalibus, 
qui  profesri  «mm ns  legem  vivere  Langobardorum  . . . Zu  derselben 
Fam'li.  •<  ö Tcnbar  auch  die  Frau  dos  Markgrafen  Almorich,  die  sich 


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sons  uns  bekannte  Frau  Liutgarde,  die  Witwe  des  Pfalzgrafen 
Odelrich,  hat  auch  ihren  zweiten  Gemahl  überlebt l). 

Zudem  betrachtet  Liudprand  die  beiden  Grafen  nicht  nur  als 
verschieden  von  einander,  sondern  was  er  berichtet,  schließt  eine 
Identität  geradezu  aus.  Giselbert  ist  nach  ihm,  was  die  Urkunden 
bestätigen,  der  Schwiegersohn  des  Paveser  Richters  Walpert, 
dessen  großer  Einfluß  zum  Teil  eben  auf  dieser  Verbindung  be- 
ruht. Samson  aber  ist  der  geschworene  Feind  von  Walperts 
Verwandten  und  Genossen  Gezo;  er  zeigt  dem  Könige  Hugo  den 
Weg,  der  zum  Untergang  der  beiden  Verräter  führt,  zu  einer 
Zeit,  wo  nach  des  Autors  Worten  der  Pfalzgraf  Giselbert  bereits 
verstorben  war®). 

954  Dez.  6.,  Muratori  Antiquitates  Italicae  II  129  und  Gloria  Codice  diplo- 
raatico  Padovano  N.  44  S.  66,  nennt:  Francha  Lanfranchi  et  relicta 
supradicti  Almerici,  que  profcssa  sum  ex  natione  mea  lege  vivere  Lango- 
bardorum.  Ihren  Vater  Lanfrank  habe  ich,  Mitteil.  d.  Inst.  I.  Österreich. 
Geschichtsforschung  VII.  Erg.-lid.  S.  262,  mit  dem  945  und  wohl  noch  954 
vorkommenden,  959  bereits  verstorbenen  Pfalzgrafen  Lanfrank  identifiziert, 
sie  ist  dann  also  eine  Enkelin  Giselberts  I.  und  der  Kotrude  und  Schwester 
Giselberts  II.  Damit  ist,  wie  ich  jetzt  meine  früheren  Ausführungen  be- 
richtige, unvereinbar,  daß  Franks  schon  903  als  Frau  Almerichs  genannt 
wird.  Muratori  Antiquitates  Italicae  III  143.  I)a  aber  Almerich  meines 
Wissens  erst  938  wieder  vorkomuit,  so  ist  sehr  möglich,  daß  entweder  das 
Datum  dieser  Urkunde  falsch  überliefert  oder  das  Stück  überhaupt  zu  ver- 
werfen ist.  Solange  es  nicht  gelingt,  das  Dunkel  zu  beseitigen,  das  über 
der  Stellung  des  Markgrafen  Almerich  liegt,  wird  auch  hier  keine  Ent- 
scheidung zu  treffen  sein. 

')  S.  die  Urk.  von  953  bei  Affö,  Iatorie  dolla  citta  di  Parma  I 351. 
Im  Jahre  963  ist  sie  tot,  ebenda  353. 

*)  Liudprand  Antapodosis  III  39—41.  Giselbert,  und  mit  ihm  zu- 
sammen die  Königsrichter  Walpert  und  Heverardus  (=  Gezo),  kommt  zuletzt 
927  Mai  14.  vor,  s.  oben  S.  18  A.  5;  Samson  ist  Pfalzgraf  929  Nov.  19.,  s.  oben 
S.  19A.5.  Zwischen  927  und  929  wird  also  sein  Vorgänger  gestorben  seiu. 
Walpert  ist  wohl  noch  mit  dem  Walpertus  iudex  domni  regis  in  Turin  929 
Pebr.  28.,  Monum.  hist,  patriae  Charta«  I N.  79,  zu  identifizieren.  Zwischen 
929  und  935,  wo  auch  Samsons  Rolle  bereits  ausgcspielt  erscheint,  sind 
also  die  berührten  Vorgänge  anzusetzen,  und  zwar  wohl  recht  nahe  dem 
ersten  Termin,  wenn  auch  der  Köuigsrichter  Giselbertus  filius  quondaui 
Walpcrti  in  Mailand  929  Juni  10.,  Monuui.  hist,  patriae  XIII  N.  531,  kaum 
ein  Sohn  unseres  Walperts  sein  wird  und  Bischof  Leo  von  Pavia  erst  931 
nachweisbar  ist. 


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•21 


So  kann  die  — nicht  im  Original  überlieferte1)  — Urkunde 
König  Rudolfs  von  924,  die  als  Intervenienten  einen  Grafen  Gi- 
selbert „qui  et  Sanson“  nennt,  nichts  beweisen;  es  ist  eher  an- 
zunehmen, daß  in  ihr  neben  dem  Erzbischof  Lambert  von  Mailand 
nicht  zwei  Grafen,  Giselbert  - Samson  und  Wilhelm,  sondern  drei, 
Giselbert,  Samson  und  Wilhelm,  als  Fürsprecher  für  Bischof  und 
Kirche  von  Piacenza  auftreten  *).  In  Samson  mit  Mely  den  „Groß- 
wähler“, den  wahren  Königsmacher  dieser  Jahre,  einen  italischen 
Warwick  zu  sehen,  dazu  fehlt  es  an  jeder  Unterlage.  Wenn  wir 
Liudprand  folgen,  ist  es  sogar  sicher,  <laü  er  weder  an  der  Er- 
hebung Rudolfs  noch  an  der  Hugos  leitenden  Anteil  hatte’). 

Auf  diesem  Wege  ist  eine  staatsrechtliche  Bedeutung  der 
heiligen  Lanze,  bevor  sie  an  den  deutschen  König  kam,  nicht  zu 
erweisen.  Aber  dall  sie  damals  wirklich  nicht  mehr  als  eine 
Reliquie  war,  wird  man  nicht  so  sicher  behaupten  dürfen.  Ja, 
ich  gestehe,  es  wird  mir  schwer,  mich  mit  diesem  Gedanken 
zu  befreunden,  wenn  ich  erwäge,  welche  Wichtigkeit  man 
ihr  als  Rechtssymbol  im  deutschen  Reich  kaum  100  Jahre  später 
bcimall. 

Konstantin  der  Große,  sagt  Liudprand,  solle  die  Lanze  einst 
geführt  haben.  Damit  steht  offenbar  in  Zusammenhang,  daß 

man  ihre  Heiligkeit  auf  eine  Reliquie  von  den  Nägeln  der  Passion 
Christi  gründete.  Denn  seit  dem  Ende  des  4.  Jahrhunderts  er- 
freute sich  ja  die  Erzählung  der  weitesten  Verbreitung,  daß 
Konstantins  Mutter  Helena  in  Jerusalem  zugleich  mit  dem  Kreuz 
die  4 Nägel  gefunden  und  ihrem  Sohne  daraus  Helm  und  Zaum 


■)  Poupardin,  Le  royaume  de  Hoiirgogne  S.  878  A.  6. 

*)  Montun.  bist,  patriae  XIII  U.  513:  dilcctissimos  fidelca  nostros, 
Lauibertuin  videlicet  reverentissimum  arcbiepiscopum,  Giselbcrtum  qui  et 
Sanson  ct  Willclmum  illustres  comitos  . . . imploraasc,  wofür  etwa  zu  lesen 
sein  mag:  . . . Giselbcrtum  quoque  et  Sanson  et  Willelmum  . . . 

*)  Adalbert  ron  Ivrea,  Giselbert  von  Bergamo,  Pfalzgraf  Odclrich 
sind  021 — 22,  Liudprand  Antapodosis  II  61 — 64,  925  -‘26  vor  allem  Lampcrt 
von  Mailand,  ebenda  111  12,  die  Häupter  der  Bewegung,  nicht  zu  vergessen 
der  Rolle,  die  Hugos  tuscischc  Stiefverwandte,  Ennengard  von  Ivrca  und 
ihre  Brüder,  spiclteu,  ebenda  III  7 ff.  und  Flodoard  Annales  926,  MG.  SS. 
III  376,  35:  cd.  Lauer  S.  35. 


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oo 


habe  fertigen  lassen ').  Das  hat  M61y  den  Anlaß  gegeben,  die 
Lanze  mit  der  Eisernen  Krone  von  Monza  in  Verbindung  zu 
bringen*).  Der  Monzaer  Reif  entstammt  nun  freilich  der  Zeit 
um  900 3).  Name  und  Begriff  der  Eisernen  Krone  aber  findet  sich 
erst  über  350  Jahre  später4),  ihre  unzweifelhafte  Gleichsetzung 
mit  dem  erstem  nicht  vor  dem  15.  Jahrhundert8),  und  die  Auf- 
fassung des  Eisenrings  im  Innern  als  Nagelreliquie  ist  gar  erst 
in  der  2.  Hälfte  des  lfi.  Jahrhunderts  nachzuweisen*).  So  ist 
diese  Vermutung  unhaltbar. 

Daß  die  Untersuchung  hier  von  dem  Namen  Konstantins 
auszugehen  hat,  liegt  zudem  auf  der  Hand.  Die  Nagelreliquie  ist 
durch  ihn  ohne  weiteres  erklärt,  während  umgekehrt  vom  Nagel 
zur  Lanze  und  von  der  Lanze  zu  Konstantin  zu  kommen  un- 
möglich ist. 

Der  Name  Konstantins  als  Vertreter  und  Grand  der  höchsten 
weltlichen  Gewalt  ist  dem  Mittelalter  von  früh  an  durch  die 
Konstantinische  Schenkung  geläufig7).  Allzuviel  freilich  will  es 

*)  Vgl.  Acta  Sanctorum  Aug.  18.  Tom.  III  S.  561—568,  De  8.  Helena 
§§  VI— IX,  H.  J.  Floß,  Geschichtliche  Nachrichten  ober  die  Aachener 
Heiligtümer,  Bonn  1855,  S.  36  ff.  (B.),  und  die  gleich  zu  nennenden  Arbeiten 
von  Kroener  8.  1 19 ff.  und  Haase  S.  101  f.  Heilige  Nägel  zeigte  man  be- 
kanntlich im  Mittelalter  an  den  verschiedensten  Orten.  Einen  von  den 
4 Nägeln  sollte  auch  der  Griff  des  Konstantinschwerts  tragen,  von  dem 
Wilhelm  von  Malmcsbury,  Gesta  regum  Anglorum  II  135,  MG.  SS.  X 460, 
10  spricht. 

*)  Revue  de  l’Art  chretien  1897,  S.  295. 

*)  F.  Bock,  Die  Kleinodien  des  heiligen  römischen  Reichs  deutscher 
Nation  S.  157  ff.  (Griechische  Arbeit).  Eg  sind  gute  Gründe  dafür  geltend 
gemacht  worden,  daß  das  Stück  ursprünglich  nicht  als  Krone,  sondern  als 
Armreif  diente. 

4)  Rolandin  von  Padua  zu  1259,  MG.  SS.  XIX.  139,35,  nachgewiesen 
von  A.  Kroener,  Wahl  und  Krönung  der  deutschen  Kaiser  in  Italien 
(Lombardei)  Dissertation,  Freiburg  i.  B.  1901.  S.  114. 

s)  Doch  scheint  der  Monzaer  Reif  bereits  in  dem  Inventar  von  1275 
bei  K.  Haase,  Die  Königskrönungen  in  Oberitalien  und  die  eiserne  Krone, 
Dissertation,  Straßburg  1901,  S.  69  f.,  als  corona  parva  bezeichnet  zu 
werden. 

*)  Kroener  a.  a.  0.  S.  143ff. ; Haase  a.  a.  0.  S.  101  ff. 

*)  So  nennt  z.  B.  Ermoldus  Nigellus  die  Krone,  mit  der  816  Papst 
Stephan  IV.  Ludwig  den  Frommen  zu  krönen  kam,  die  Krone  Konstantins, 
MG.  Poetac  II  36,  v.  42öf.,  vgl.  Scheffer-ßoichorst  in  den  Mitteil.  d.  Inst. 


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23 


nicht  besagen,  wenn  wir  gerade  um  900  in  Italien  zwei  Kaiser 
mit  Konstantin  verglichen  finden  ').  Gewichtiger  ist  ein  anderer 
Umstand. 

Im  Herbst  900  hatte  der  Sohn  Bosos  von  der  Provence,  der 
Enkel  des  letzten  italischen  Karolingers,  der  in  vieler  Augen  als 
der  rechtmäßige  Erbe  des  Imperiums  galt*),  als  Ludwig  III.  das 
Königreich  Italien,  einige  Monate  später  die  Kaiserkrone  gewonnen. 
Sein  Sohn,  dessen  Geburt  allem  Anschein  nach  gerade  in  diese 
Zeit  und  vor  die  Blendung  des  jungen  Kaisers  903  zu  setzen  ist1), 
führt  die  Namen  Karl  Konstantin.  Daß  der  erste  dem  eben  be- 
rührten Gedankenkreise  entstammt  und  die  Anknüpfung  der  neuen 
Dynastie  an  die  Karolinger  versinnbildlichen  soll,  liegt  auf  der 
Hand.  Um  so  auffälliger  ist  der  zweite.  Ihn  zu  erklären  sind 
verschiedene  Wege  gewählt  worden  *),  von  denen  meines  Erachtens 

f.  Österreich.  Geschichtsforschung  X (1889)  307  ff.  Über  Konstantin  den 
Großen  im  Mittelalter  s.  im  allgemeinen  Art.  Graf,  Roma  nclla  memoria  e 
ncllc  imaginazioni  del  medio  evo  II  (Torino  1883)  S.  46-120.  446  (B.) 

')  Gedicht  anf  den  Tod  Kaiser  Lamberts  (898),  MG.  Poetae  IV.  1,402 
v.  3;  Gesta  Berengarii  IV,  v.  150  ff.,  ebenda  S.  400  (bei  der  KaiserkTönung 
Berengars  I.,  Dezember  915). 

’)  Poupardin,  Lc  royaume  de  Provence  sous  les  Carolingiens  S.  146  und 
324  ff.:  W.  Lcvison  im  Neuen  Archiv  der  Gesellschaft  für  ältere  deutsche 
ücsehichtskunde  XXVII.  399  ff.  und  493  ff. 

3)  Er  tritt  in  Urkunden  seines  Vaters  923  als  ambasciator,  927  als 
comcs  (von  Vienne)  auf,  Poupardin  Le  royaume  de  Provence  S.  209  und 
225.  Kicher  Histor.  II.  98  cd.  Waitz  (SS.  rerum  Germanicarum),  Hannover 
1877,  S.  85  nennt  ihn  grandevus  (im  Jahre  951). 

*)  Poupardin  Le  royaume  de  Provence  S.  210  sucht  ihn  durch  die 
mütterliche  Herkunft  Karl  Konstantins  zu  erklären  und  nimmt  darum,  da 
er  gleichzeitig,  vrie  schon  früher  Gingins-la-Sarra,  mit  großer  Wahrschein- 
lichkeit Ludwigs  III.  Gemahlin  Adelheid  als  Tochter  Rudolfs  I.  von  Burgund 
nachvreist  (S.  208),  die  Behauptung  Richers  a.  a.  O.  auf,  nach  der  Karl 
Konstantin  ex  regio  quidein  generc  natus  erat,  sed  concubinali  stemmatc 
usque  ad  tritavum  sordebat.  Aber  abgesehen  davon,  daß  König  Konrad  von 
Burgund,  der  Enkel  Rudolfs  I„  den  Grafen  von  Vienne  ausdrücklich  seinen 
consanguineus  nennt,  spricht  aufs  stärkste  dagegen  der  Umstand,  daß  man 
nicht  einen  der  hochangesehenen  Karolingemamen  und  gerade  den  Namen 
Karl  einem  Bastard  gegeben  haben  würde  — Hugo  von  Arles  z.  B.  nennt 
seinen  rechtmäßigen  Sohn  Lothar,  seine  Bastarde  aber  Hubert,  Boso,  Ted- 
bald,  Gottfried;  ähnlich  früher  Arnulf  von  Kärnten,  Karl  III.  usw.  Außer- 
dem wird  auf  diese  Weise  gar  nichts  gewonnen.  Denn  eine  Familie 


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54 


der  nach  Gingins-la-Sarra  von  Kampers  eingeschlagene  den)  Ziele 
nahe  kommen  dürfte ').  Freilich  seinen  Hinweis  auf  die  byzan- 
tinische und  die  aus  ihr  erwachsende  abendländische  Kaiserprophetie 
möchte  ich  mir  nicht  aneignen,  da  der  erwartete  Kaiser  der  End- 
zeit eben  nicht  Konstantin,  sondern  Konstans  heißt.  Ich  sehe 
vielmehr  in  dem  Namen  Karl  Konstantins  eine  direkte  Anknüpfung 
an  den  mächtigen  Imperator  des  4.  Jahrhunderts  ’)  und  einen  Be- 
leg dafür,  daß  dessen  Name  gerade  damals  als  Inbegriff  des 
Imperiums  galt. 

Nur  wenig  später  und  aut  demselben  Boden  tritt  uns  die 
heilige  Lanze  entgegen,  die  ebenfalls  an  den  Namen  Konstantins 
anknüpft.  Ich  lasse  es  dahingestellt  sein,  ob  etwa  Darstellungen 
wie  das  bekannte  Mosaik  Leos  III.  im  Lateran 3)  für  die  Wahl 
gerade  dieses  Abzeichens  mit  wirkten.  Sie  lag  ja  auch  ohne  das 
nahe  genug.  Die  Vermutung  aber  scheint  mir  gestattet,  daß  man 
sich  damals,  als  nach  dem  Ausgang  des  karolingischen  Kaisertums 
die  Bewerber  um  den  Thron  Italiens  ihre  Ansprüche  nicht  mehr 


mit  dem  Namen  Konstantin  ist  für  diese  Zeit  in  den  in  Betracht  kommen- 
den Gegenden  noch  nicht  nachgcwicscn.  Erst  nach  der  Mitte  des  10.  Jahr- 
hunderts wird  er  häutiger.  Nur  für  den  Namen  G'onstantius  gibt  es  Belege 
aus  dem  9.  Jahrhundert.  So  ist  die  Angabe  des  unzuverlässigen  Bicher, 
von  der  Fludoard  nichts  weiß,  zu  verwerfen.  Möglich,  daß  ihr  eine  dunkele 
Erinnerung  an  die  Vorgeschichte  der  Familie  unter  Lothar  II.  und  Karl 
dem  Kahlen  zu  Grunde  liegt. 

*)F.  Kampers,  Die  deutsche  Kaiseridee  in  Prophetie  und  Sage, 
München  1896,  S.  42.  F.  de  Gingins-la-Sarra  im  Archiv  für  Schweizerische 
Geschichte  VIU  (Zürich  1851),  S.  78. 

*)  Etwas  Ähnliches  bedeutet  im  7.  Jahrhundert  sicher,  daß  der  älteste 
Sohn  des  Kaisers  Heraklius  Heraklius  Konstantin  heißt.  Vielleicht  darf 
man  auch  daran  erinnern,  daß  später  Konstantin  Porphyrogcnnetos  (912—959) 
der  erste  byzantinische  Kaiser  dieses  Namens  nach  dem  Sohn  der  Irene  ist. 
— Daß  Friedrich  II.  ursprünglich  den  Namen  Konstantin  führte,  ist  be- 
kannt; man  beachte  aber,  daß  seine  Mutter  Konstanzc  hieß. 

s)  Mely,  Kcvuc  de  l’Art  chreticn  1897,  S.  297  f.  Was  der  hl.  Petrus 
hier  Karl  dem  Großen  reicht,  ist  eine  Fahnenlanze,  hat  also  unmittelbar 
sicher  nichts  mit  der  heiligen  Lanze  zu  tun.  l)ic  conta  atque  signa  der 
Konstantin isclicn  Schenkung,  hgb.  von  K.  Zcuinor  § 14,  in  d6r  Festgabe  für 
Rudolf  Gneist,  Berlin  1888.  S.  56,  gehören  meines  Erachtens  nicht  in  diesen 
Zusammenhang. 


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ohne  weitere?  auf  angestammte  Rechte  stützen  konnten,  auch  ilirer 
als  Mittel  bediente1). 

Es  ist  vielleicht  kein  Zufall,  daß  wir  der  Lanze  Konstantins 
zum  ersten  Mal  gerade  bei  Rudolf  von  Burgund  begegnen.  Denn 
von  Wido  und  Lambert  abgesehen,  für  die  von  vornherein  die 
entschiedene  Überlegenheit  im  Felde  und  bald  auch  die  päpstliche 
Krönung  in  die  Wagschale  fielen,  konnten  sich  die  Prätendenten 
in  Italien  ihrer  Abstammung  von  den  Karolingern  rühmen,  und 
sowohl  Berengar  I.  wie  Ludwig  III.  haben  das  reichlich  getan. 
Mit  Rudolf  stand  es  anders,  und  so  mag  jene  glückliche  Fügung, 
der  wir  im  Mittelalttu-  so  oft  begegnen,  unser  heiliges  Zeichen 
gerade  damals  in  die  Hand  eines  seiner  Anhänger  gelegt  haben, 
als  man  seiner  am  meisten  bedurfte. 

Aber  das  ist  nicht  mehr  als  eine  Möglichkeit.  Auf  keinen 
Fall  ist  es  berechtigt,  irgendwann  eine  ausdrückliche  Investitur  des 
italischen  Königs  durch  die  heilige  Lanze  anzunehnien,  und  noch 
weniger  kann  davon  in  Burgund  die  Rede  sein,  da  sie  ja  nur 
ganz  vorübergehend  im  Besitz  eines  einzigen  burgundischeu  Königs 
gewesen  ist.  Es  ist  darum  nicht  wahrscheinlich,  daß,  wenn 
Rudolf  II.  926  die  Abhängigkeit  Burgunds  vom  Deutschen  Reiche 
anerkannte,  die  Übergabe  der  heiligen  Lanze  an  Heinrich  I.  das 
Symbol  dafür  war  *).  Oh  etwa  der  deutsche  König  ihre  Auslieferung 
anf  Grund  seiner  Ansprüche  auf  das  Kaisertum  forderte  3),  darüber 
läßt  sich  nichts  ausmachen.  Zum  italischen  Königtum  jedenfalls 
steht  die  Lanze  fortan  in  keinerlei  Beziehung. 


Die  hohe  Bedeutung  der  Lanze  in  den  Händen  ihrer  neuen 
Besitzer,  der  deutschen  Könige,  ist  bekannt.  Sie  zählte  bald  zu 

')  Zu  welchen  Wucherungen  später  der  Name  Konstantins  Anlaß  gab, 
zeigt  die  noch  weiter  zu  besprechende  Krzählung  des  Thomas  von  Paria. 
MG.  SS.  XXII  495, 25,  der  unter  den  imperialia  insignia  auch  das  frenum 
factum  de  clavis  Christi  nennt.  Kincn  solchen  Zaum  zeigt  man  in  Mailand, 
M e ly,  Revue  de  l’Art  chretien  1897,  S.  294  f. 

*)  Der  Vorgang  bildet  also  keine  Analogie  zu  dem  zwischen  Heinrich  III. 
und  Peter  von  Ungarn,  vgl.  unten  S.  30.  I>ic  Belehnung  Berengars  II.  und 
Adalberts  von  Italien  952  geschah  mit  einem  goldenen  Scepter,  Liudprand 
Legatio  c.  5,  Opera  ed.  Dnmmlcr,  S.  139. 

*)  Vgl.  Mely,  Revue  de  l’Art  chretien  1897,  S.  293  f. 


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2fi 


den  vornehmsten  Symbolen  der  Herrschaft  und  diente  zeitweilig 
geradezu  zur  Investitur  des  neuen  Königs.  Der  deutsche  König 
ist  als  solcher  der  berufene  Kaiser;  sein  Abzeichen  gilt  darum 
ohne  weiteres  als  Abzeichen  des  Imperiums.  Ein  fester  Unter- 
schied besteht  in  dieser  Hinsicht  für  die  Lanze  so  wenig,  wie  für 
die  übrigen  Reichsinsignien  *),  für  die  auch  später  ein  solcher  sich 
nicht  durchgesetzt  hat  *). 

Schon  die  nächste  Generation  ist  erfüllt  von  der  hohen  He- 
deutung  der  heiligen  Lanze.  Für  Liudprand  ist  sie  ein  Unter- 
pfand des  Siegs  und  der  göttlichen  Gnade  für  den  Inhaber,  und 
auch  eine  engere  Verbindung  mit  dem  Königtum  als  solchem 
scheint  bei  ihm  schon  angebahnt 3).  Widukind  rechnet  sie  zu 
den  königlichen  Insignien4);  eine  besondere  Rolle  teilt  er  ihr 
freilich  nur  in  dem  Kampf  gegen  die  ungläubigen  Ungarn  zu5). 

*)  Waitz  VG.  VI*  288  ff.  A.  niemand.  Das  Ccremoniell  der  Kaiser- 
krönungen von  Otto  I.  bis  Friedrich  II.,  Historische  Abhandlungen  hgb.  von 
Th.  Heigcl  und  H.  Grauert  IV,  München  1894,  S.  79  f. 

*)  Legte  der  Umstand,  dali  sowohl  Otto  IV.  1198  wie  Friedrich  II. 
1212  und  1215  und  Wilhelm  von  Holland  1248  Gegenkönige  und  ihre  Gegner 
im  Besitz  der  echten  Insignien  waren  — ebenso  lag  es  1346  für  Karl  IV., 
ähnlich  1292  für  Adolf  und  vielleicht  1257  für  Richard  — , Otto  und 
Friedrich  sic  aber  für  die  Kaiserkrönung  benutzen  konnten,  den  Gedanken 
an  eine  Trennung  nahe,  so  ist  dieser  doch  nicht  zu  entwickelter  Durch- 
führung gelangt.  Ein  Ansatz  dazu  (in  dem  Entwurf  der  Bulle  Qui  celuiu 
von  1263),  Kranimer  Wahl  und  Einsetzung  des  deutschen  Königs  S.  80  A.  1, 
ist  ohne  Folge,  die  corona  argentea  wesentlich  nur  gelehrte  Konstruktion 
geblieben.  Rudolf  von  Habsburg  hat  1273  die  echten  Insignien  rasch  nach 
der  einmütigen  Wahl  erhalten,  doch  wohl  gerade  um  sie  bei  der  Krönung 
in  Aachen  zu  verwenden,  und  daB  Friedrich  der  Schöne  1314  mit  ihnen 
in  Bonn  sich  krönen  lassen  konnte,  ist  für  ihn  ins  Gewicht  gefallen,  J.  D. 
von  Oienschlager  Erläuterte  Staats-Geschichte  des  Römischen  Kaisertums 
in  der  Ersten  Holfte  des  14.  Jahrhunderts  (1755)  S.  89.  Es  wird  sich  ver- 
lohnen, diesen  Vorstellungen  einmal  genauer  nachzugehen.  Dann  wird  wohl 
auch  die  etwas  rätselhafte  Schenkung  königlicher  Insignien  an  die  Marien- 
kapelle zu  Aachen  durch  Richard  1262,  Böhmer-Ficker  Rcgesta  imperii 
V.  1,  Nr.  5400,  besser  verständlich  werden,  mit  der  die  Stadt  Aachen  be- 
kanntlich in  der  Endzeit  des  alten  Reichs  ihren  Protest  gegen  die  Aufbe- 
wahrung der  Reichskleinodien  in  Nürnberg  stützte. 

3)  Liudprand  Antapodosis  IV  24f.  S.  oben  S.  6 — 8. 

4)  Widukind  Res  gestac  Saionicae  125.  S.  oben  S.  4 A.  3. 

5)  Widukind  III 46  S.  108:  (Otto  I.  am  Lech  955)  Et  his  dictis 
arrepto  clipeo  ac  sacra  lancea  ipse  primus  equum  in  hostes  vortit, 


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27 


Vollentwirkelt  zeigen  uns  die  staatsrechtliche  Bedeutung  erst 
Thietmar  und  Thangmar  zu  Beginn  des  11.  Jahrhunderts. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  zunächst,  in  welcher  Weise  die 
heilige  Lanze  bis  zum  13.  Jahrhundert  in  Wirksamkeit  tritt. 

Wie  die  übrigen  Reichsinsignien  folgt  sie  regelmäßig  dem 
Herrscher  auf  seiner  Wanderung  durch  das  Reich.  Bei  feierlichen 
Gelegenheiten  wird  sie  zusammen  mit  dem  Kreuzesholz  dem  König 
voraufgetragen ').  Sie  begleitet  ihn  in  die  Schlacht1)  und  dient 
gewissermaßen  als  Feldzeichen s),  das  sicherste  Unterpfand  des 

fortissimi  militU  ac  optimi  imperatoris  officium  gerens.  Danach  Thietmar 
Chron.  II  10  (4),  ed.  Kurze  (SS.  rerum  Gerinanicarum),  Hannover  1889,  S.24.  Die 
lancea  sacra  ist  für  Widukind  offenbar  ein  ganz  gel&ufigcr  and  fester  Begriff. 

*)  Benzo  von  Alba,  Ad  Heinricum  IV.  1.  I.  9,  MG.  SS.  XI  602 : 
l’rocessio  vcro  Romani  imperatoris  cclebratnr  talibus  modis.  I’ortatur  ante 
cum  sancta  crux  gravida  ligni  dominici  et  lancea  s.  Mauricii.  Er  spricht 
von  der  Kaiserkrönung.  Dieser  Teil  ist  geschrieben  1085/86  nach  H.  Lehm- 
grübner,  Benzo  von  Alba,  Berlin  1887  (Historische  Untersuchungen  hgb. 
v.  Jastrow,  Heft  6),  S.  28.  Bonizo,  Ad  amicum  1.  IV.,  MG.  Libelli  de  litc 
1 581,  s.  unten  S.  28  A.3.  Gottfried  von  Viterbo,  Pantheon  XXIII  c.  28,  MG. 
SS.  XXII  233,5:  sacram  lanceam  imperii,  que  coram  imperatoribus  fertur. 
Gregor  IX.  an  Friedrich  II.,  1227  Juli  22.,  MG.  Epistolae  sacc.  XIII.  selectae 

I (1883)  N.  365  S.  279:  Cruz,  ubi  est  lignum  Domini,  ot  lancea,  ubi 
clavus  eius  consistit,  ante  tu  in  prnccssionibus  solcnmibus  deportantur. 

Waitz  VG.  VI 1 S.  297  meint,  daß  die  Lanze  dem  König  auch  auf  der 
Reise  vorangetragen  wurde.  Das  ist  aber  sehr  unwahrscheinlich  und  beruht 
wohl  nur  auf  einem  MißverstSndnis  der  Worte  Arnolds,  Do  S.  Emmerammo 

II  33,  MG.  SS.  IV.  567,25:  Augustus  (Otto  III.  im  J.  996)  ex  more  prece- 
dente  sancta  et  crucifera  imperiali  lancea  oiivit  de  civitate  ista  (Regensburg), 
pctitnrU8  Italiam.  Daraus  ist,  meine  ich,  nur  zu  entnehmen,  daß  der 
Auszug  aus  Regensburg  in  besonders  feierlicher  Weise  erfolgte,  wie  es  bei 
dem  Aufbruch  zum  Römerzug  ja  auch  sehr  angemessen  war. 

*)  So  bei  Birten  939,  Liudprand  Antapodosis  IV  24;  bei  Plelch- 
feld  1086,  Ann.  Augustani  MG.  SS.  III  132:  vor  Gleichen  1088,  Frutolf 
1089,  MG.  SS.  VI  207,  20:  Ibi  Burchardus  Losannae  episcopus,  qui  ea  die 
sacram  imperatoris  lanceam  ferebat.  occisus  est,  und  Ann.  S.  Disibodi  1089 
MG.  SS.  XVII  9:  B.  Losannae  episcopus  intcrfectus  est,  qui  lanceam  regalem 
ferebat.  1176  nach  der  Schlacht  von  Legnano  schreiben  die  Mail&nder  an 
Bologna:  Scutum  imperatoris,  vexillum,  crucern  et  lanceam  habemus, 

Radulf  de  Diceto  Ymag.  hist.  1 176,  MG.  SS.  XXVII  268,10.  Hierher  ist 
wohl  auch  der  lancifer  Richar  zu  ziohen,  der  982  in  der  Niederlage  Ottos  II. 
in  Kalabrien  seinen  Tod  findet,  Thietmar  III  20  (12). 

s)  So  unter  Otto  1.  955  am  Lech,  Widukind  III  46  (hier  neben  dem 
angelus,  dom  Bild  des  hl.  Michael,  Widukind  III  45,  der  auch  das  Feld- 


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2* 

Sieges.  Sie  wir/1  der  verkörperte  Inbegriff  der  Macht  und  der 
Stärke  dos  Reichs  *)  nnd  seines  göttlichen  Rechtes  *),  das  wahre 
„insigne  imperii“ 5),  mit  dem  vorübergehend  geradezu  die  Fülle 
der  Regierungsgewalt  von  den  Vertretern  des  Volkes  dem  neuen 
Herrscher  übertragen  wird. 

Als  zu  Anfang  1002  Otto  III.  in  jungen  Jahren  unvermählt 
verstarb,  nahm  Herzog  Heinrich  von  Baiern  als  nächster  Seiten- 
verwandter die  Krone  kraft  Erbrechts  in  Anspruch.  Er  stieß  aber 
auf  mannigfachen  und  ernsten  Widerstand  und  hat  sein  Ziel  nicht 
ohne  weitgehendes  Entgegenkommen  erreicht4).  Zu  den  Gegnern 
seiner  Ansprüche  gehörte  Erzbischof  Heribert  von  Köln,  einer 
der  Vertrauten  des  toten  Kaisers5).  Er  war  unter  denen,  die 
der  Leiche  Ottos  das  Geleit  in  die  Heimat  gaben : als  der  Baiern- 
herzog  von  ihnen  die  Reichsinsignien  übernahm,  hat  Heribert 
gerade  die  Lanze  zurückbehalten  und  erst  gezwungen  ausgeliefert ”*). 
Mit  der  Lanze  empfing  darauf  Heinrich  II.  in  der  Versammlung 

Zeichen  Heinrichs  I.  bei  Merseburg  933  ist,  ebenda  I 49).  Ähnlich  unter 
Otto  III.  im  aufständischen  Rom  1001,  Thangmar,  Vita  Bernwardi  c.  24, 
MG.  SS.  IV  770:  Bcruwardus  episcopus  dominicam  liastain  snbiit,  und 
signifer  ipse  cum  sancta  hast»  in  prima  fronte  aciei  egredi  parat. 

•)  Landulf  Hist.  Mediolan.  III  31.  MG.  SS.  VIII  98,40:  lancea,  in 
qua  Dei  clavus  erat  inclusus,  Iiomani  imperii  stabilimcntuin  ab  hostibus 
durissimis  (!). 

*)  Liudprand  Antapodosis  IV  24.25:  Gottfried  von  Viterbo, 
Pantheon  XXVI  c.  3 MG.  SS.  XXII  273:  Lancea  Mauricii  reliqui 
premazima  signis  Plurima  christicolis  peperit  miracula  dignis,  Clavus 
namqno  Dei  innctus  habetur  ei.  Subicit  imperio  bell»  gestata  potentes. 
Motibns  ipsius  nequount  obsi stere  gentes,  Hec  ubi  bclla  movet,  vincere 
cuncta  seiet.  Lancea  sancta  solct  regnorum  vincere  lites:  Ipsa  facit  pro- 
ceros  Romanos  esse  Quiritcs.  Ex  hac  cesar  habet,  quod  sibi  regna  favent. 

*)  Bonizo  Ad  amicum  1.  IV,,  MG.  Libelli  de  lite  1 581 : lancea,  insigne 
scilicct  imperii,  ante  nostras  usque  hodie  portatur  imperiales  potest-ates: 
Sigcbert  929,  MG.  SS.  VI  347:  et  haue  ad  insigne  et  tutamen  imperii 
postcris  reliquit  (Heinrich  I). 

*)  Vgl.  Waitx  VG.  VI*  181  ff.,  Usingcr  in  Excurs  III  bei  S.  Hirsch, 
Jahrbücher  des  deutschen  Reichs  unter  Heinrich  II.,  Bd.  I S.  429  ff. 

s)  Vgl.  Hauck,  Kircbcngeschichtc  Deutschlands  III1  (1906)  S.  398. 

6)  Thietmar  IV  50  (31):  (Hcinricus)  eorpus  iinperatoris  cum  apparatu 
impcriali,  lancea  dumtaxat  oxcepta,  quam  Heribertus  archipresul  clam  pre- 
mittens,  suam  sumpsit  in  potestatem.  Archiepiscopus  autem  custodia  parum- 
per  detentus  ....  sacrain  mox  lauceam  romisit. 


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•2‘J 

zu  Mainz  nach  der  Wahl  und  vor  der  Krönung  das  Reich1),  mit 
der  Lanze  übertrug  ihm  einige  Wochen  später  Herzog  Bernhard 
im  Namen  der  Sachsen  die  Herrschaft8). 

Es  ist  dies  das  einzige  Mal,  daß  der  heiligen  Lanze  aus- 
drücklich eine  bestimmte  Funktion  beim  Übergang  der  Herrschaft 
zugewiesen  wird.  Daß  man  sich  damals  ihrer  als  Investitursymbols 
bediente,  steht  gewiß  in  Zusammenhang  damit,  daß  mit  der  Fahnen- 
lanze Herzogtümer  und  Grafschaften  als  Lehen  übertragen  wurden, 
ein  Brauch,  der  gerade  in  dieser  Zeit  zuerst  nachweisbar  ist3). 

Wir  wissen  nicht,  ob  ein  gleicher  Gebrauch  der  heiligen 
Lanze  vorher  unter  den  drei  Ottonen  oder  bei  der  folgenden  Er- 
hebung Konrads  H.  (1024) 4)  statt  hatte.  Sicher  ist,  daß  damals 
die  Lanze,  und  zwar  die  heilige  Lanze,  ein  notwendiges  Attribut 
des  Königs  war,  das  nach  deutschem  Vorbilde  unter  Otto  III.  der 
Ungarnfürst5),  nach  dem  Tode  Heinrichs  II.  der  Polenherzog6)  zu- 
gleich mit  der  Königswürde  annahmen,  und  daß  eben  unter  diesem 
Zeichen  der  erstere  später  Heinrich  III.  sein  Reich  auftrug  7). 

*)  Thangmar  Vita  Bernwardi  c.  38,  SS.  IV.  775:  Omnibus  ergo  pari 
Toto  in  electione  illius  concordantibus  ....  Heinricum  Mogontiam  cum 
snmmo  honore  ducentes  ....  regimen  et  regiam  potestatem  cum  dominica 
basta  illi  tradiderunt,  ac  deinde  rite  omnibus  peractis  ....  solleinpnitcr 
illum  umerunt. 

r)  Thietmar  V 17  (9):  Bernhardus  igitur  dux  accepta  in  manibus  sacra 
lancea  ex  parte  omnium  regni  curam  illi  fideliter  eommittit.  Daß  das  gleiche 
Symbol  bei  der  Anerkennung  durch  die  Thüringer  vorher  und  die  Lothringer 
nachher  Verwendung  fand,  ist  möglich,  aber  nicht  überliefert.  Über  die 
Zeichnung  im  Bamberger  Missale  Heinrichs  II.  s.  unten  S.  49  A.  2. 

5)  Thietmar  V 21  (13):  als  dem  elsässischen  Grafen  Gerhard  Ton  den 
widerspenstigen  Einwohnern  seines  Gebiets  diese  lancoa  signifera  gestohlen 
wird,  tristis  abiit  tarn  vaeuus  a bonelicio  quam  a militari  signo;  VI  3. 
Vgl.  Waitz  VG.  VIJ  74;  neuerdings  auch  J.  Br uc kauf,  Fahnlehn  und 
Fahnenbelchnung  im  alten  Deutschen  Reiche,  Leipziger  Historische  Ab- 
handlungen hgb.  von  E.  Brandenburg,  G.  Sceliger,  U.  Wilcken  III,  Leipzig  1907, 

*)  Auch  in  der  Redaktion  C des  Ademar  von  Chabannes  III  G2,  SS. 
IV  144  f.,  J.  Lair,  Etudes  critiqucs  sur  divers  textes  des  Xe  et  Xle  sieclcs 
II  228  f.  (Paris  1899),  werden  ihm  nur  nach  der  Wahl  und  Weihe  zusammen 
Sccpter,  Krone  und  Lanze  übergeben.  Vgl.  unten  S.  G6  A.  1. 

*)  S.  unten  S.  71  f. 

*)  S.  unten  S.  76  f. 

*)  S.  unten  S.  72.  l)a  die  ungarische  Königslanze  im  Jahr  vorher  bei  MenfÖ 
in  die  Hände  der  Deutschen  gefallen  war,  muß  sie  zu  dem  genannten  Zweck 
zurückgegeben  worden  sein,  was  den  Hergang  noch  bemerkenswerter  macht. 


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30 


Für  die  (weltlichen)  Fürstenlehen  ist  die  Fahnenlanze  oder 
die  Fahne,  wie  es  nun  gewöhnlich  heißt,  das  eigentliche  Investi- 
tursymbol geblieben;  für  die  Königreiche  ist  in  der  Praxis  des 
deutschen  Hofes  das  Schwert  schon  im  12.  Jahrhundert,  wohl 
in  Anknüpfung  an  altere  Anschauungen '),  in  diese  Stelle  ein- 
gerückt *). 

Aber  eins  der  hervorragendsten  Abzeichen  der  Herrschaft  ist 
die  heilige  Lanze  seitdem  unbestritten J),  auch  wenn  sie  niemals 
in  der  eigentlichen  Krönungsfeierlichkeit  einen  Platz  gefunden 
hat1).  Ihrer  bemächtigt  sich  Anno  von  Köln  zugleich  mit  der 
Person  des  jungen  Königs  in  Kaiserswerth  1062 s),  sie  fordert 
Heinrich  V.  Ende  1105  dem  Vater  ab6),  sie  empfängt  Konrad  Iü. 

*)  Vgl.  Waitz,  VG.  in»  252,  bes.  A.  1.  2. 

*)  Otto  von  Freising,  Gesta  Friderici  I.  imperatoris  II  5,  ed.  Waiti 
(SS.  rerum  Germanicarum),  Hannover  1884,  S.  85,  der  Dänenkönig  Knud 
entsagt  (1152)  per  porrectun  gladium  dem  Königstitel:  Est  enim  consue- 
tudo  curiae,  ut  regna  per  gladium,  provinciae  per  voxillum  a principe 
tradantur  vel  recipiantur.  Dementsprechend  befindet  sich  unter  den  Sym- 
bolen, mit  denen  die  Bürger  von  Pisa  (MG.  LL.  Constitutione»  II.  N.  392 
S.  491,35)  Alfons  von  Kastilien  als  römischen  König  und  Kaiser  investieren, 
ein  Schwert.  Ganz  allein  steht  cs,  wenn  1349  Günther  von  Schwarzburg 
von  jedem  seiner  Wühler  durch  Überreichung  einer  Adlerfahne  förmlich 
investiert  wird,  s.  M.  Krummer  Wahl  und  Einsetzung  des  Deutschen  Königs, 
S.  28.  Bruckauf  übersieht  den  Zusammenhang,  in  den  diese  Vorgänge  ein- 
zuordnen sind,  und  spricht  darum  a.  a.  0.  S.  25  der  Angabe  Ottos  von  Frei- 
sing zu  Unrecht  die  positive  Grundlage  ab.  Natürlich  ist  Ottos  Aussage 
an  sich  nur  für  das  12.  Jahrhundert  beweiskräftig. 

3)  Vgl.  auch  Jacob  Grimm,  Deutsche  Rechtsaltertümer.  4.  Aufl.  (1899) 
II  225  f.,  und  oben  S.  27  f. 

4)  Di  emand  a.  a.  0.  S.  80  A.  5.  Hier  hat  das  Schwert  stets  seine  Stelle 
behauptet,  s.  das  Formular  bei  Waitz,  Die  Formeln  der  Deutschen 
Königs-  und  der  Römischen  Kaiserkrönung  usw.,  Abhandlungen  der  Kön. 
Ges.  der  Wissenschaften  zu  Göttingen  XVIII  (1873),  S.  40:  Pustea  ab  epis- 
copis  ensem  accipiat  et  cum  ense  totuin  sibi  regnum  fideliter  ad  regenduin 
. . . sciat  esse  commendatum. 

*)  Berthold  1062,  MG.  SS.  V,  272,5:  SS.  XIII, 732, 10:  Hanno  Agrippinae 
Coloniae  archiepiscopus  ....  Henricum  regem  cum  lancea  et  aliis  imperii 
insignibus  . . . vi  arripuit.  Ann,  Altahenses  maiores  1062,  ed.  Oefele 
(S8.  rerum  Germanicarum).  Hannover  1891,  8.  59:  curtein  adeunt,  crucem  et 
regiam  lanceam  ex  capella  auferunt,  regem  ipsum  navi  imponunt. 

*)  Brief  Heinrichs  IV.  an  Philipp  I.  von  Frankreich,  Jaffe  Biblio- 
theca  rerum  Gormanicarum  V X.  129  S.  244:  coronam,  sceptrum,  crucem. 


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31 

zu  Regensburg  1138  von  Heinrich  dem  Stolzen*).  Daß  sie  in  den 
Wirren  nach  dem  vorzeitigen  Tode  Heinrichs  VI.  sich  mit  den 
übrigen  Insignien  von  Anfang  an  in  den  Händen  des  staufischen 
Thronbewerbers  befindet,  scheint  für  diesen  ins  Gewicht  zu  fallen*). 
Ihren  Besitz  betont  Philipp  selber  dem  Papst  gegenüber  1206*), 
ihrer  Übergabe  wird  ausdrücklich  gedacht  1208  an  Otto  IV.4) 
und  1219  an  Friedrich  11.*),  und  wie  Otto  in  seinem  Testament 

lanceam  et  gladium  misi  Moguntiam.  Brief  Heinrichs  IV.  an  den  Sohn, 
MO.  LL.  Constitutione«  I.  N.  77  S.  129,10:  lanceam  et  crucem  et  omnia 
regalia  insignia.  Brief  Heinrichs  IV.  an  Hugo  von  Cluny,  Migne  Patrologia 
latina  159,935  f.:  crux  et  lancea  ceteraque  regalia  insignia.  Vita 
Heinrici  IV.  c.  10,  ed.  Eberhard  (SS.  rerum  German  icarum),  Hannover  1899, 
S.  34:  crucem,  coronam  et  lanceam  ceteraque  regalia  . . . Frutolfi 
Continuatio  1106,  MO.  SS.  VI  231:  regalia  vel  imperialia  insignia,  crucem 
scilicet  et  lanceam,  sccptrum,  globum  atque  coronam  ....  Contin.  I. 
Mariani  Scoti  1128,  MO.  SS.  V 562:  Crux,  lancea,  corona  et  cetera 
regni  insignia.  Oesta  Galcheri  episcopi  Cameracensis  c.  33,  MO.  SS.  XIV  206 : 
eni  coronam,  lanceam,  | sceptrum  regni  potentiam  | omnemque  tulit 
gloriam.  Suger  Vita  Ludovici  VI.  c.  9,  MO.  SS.  XXVI  49:  insignia  regalia, 
videlicet  coronam,  sceptrum  et  lanceam  s.  Mauricii. 

')  Kaiserchronik  v.  17  200  ff.,  MG.  Deutsche  Chroniken  I 391:  Ze 
Rt-gensburch  antwurt  er  ime  schöne  I daz  sper  joch  die  chröne  | durch  des 
riches  ere.  Gottfried  von  Viterbo,  Pantheon  XX111.  c.  48,  MG.  SS.  XXII, 
260,20:  Coactus  vero  tandcm  regalia,  id  est  crucem  et  lanceam  et  coro- 
nam  reddidit. 

*)  Continuatio  Admuntcnsis  der  Ann.  Mellicenses  1198,  MG.  SS.  IX, 
588,30,  s.  unten  S.  38:  vgl.  Chron.  regia  Colon.  Contin.  II.  1204,  ed.  Waitz, 
S.  173:  Philippus  . . . animadvertcns  causam  suaui  secundo  processu  in  pro- 
spcrum  agi  et  regalia  insignia,  crucem  scilicet,  lanceam,  sceptrum  cum 
corona,  potestati  sue  contradita  . . . 

3;  MG.  LL.  Constitutione«  II  N.  10  S.  12,15:  Habuimus  etiam  in  po- 
testate  nostra  sanctam  crucem.  lanceam,  coronam,  indumenta  imperialia  et 
omnia  insignia  imperii. 

4)  Chronica  regia  Coloniensis  Continuatio  III.  (=  S.  Pantaleonis  I.) 
1208,  ed.  Waitz  (SS.  rerum  Germanicarum),  Hannover  1880,  8.  227 : Otto 
. ...  ab  Omnibus  in  regem  eligitur,  diadema  cum  lancea  imperiali  ei 
assignatur. 

*)  Chronik  des  Stifts  S.  Simon  u.  Judas  in  Goslar  17,  MG.  Deutsche 
Chroniken  II  596:  Des  rikes  krönen  und  dat  sper  uam  he  to  Goslar.  Vgl. 
Winkclmann,  Jahrbücher  der  Deutschen  Geschichte.  Friedrich  II., 
Band  I S.  11  ff.’ 


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32 


sie  an  bevorzugter  Stelle  unter  den  Reiehsinsignien  aufgeführt 
hatte1),  so  tat  dies  auch  Friedrich,  als  er  beim  Papst  über  den 
Pfalzgrafen  Heinrich  klagte,  der  sie  ihm  auszuliefern  ungebührlich 
zögere  *). 

„Sper,  kriuz’  unde  kröne,“  oder  auch  bloü  „sper  unde  kröne“ 
gelten  dem  13.  Jahrhundert  als  der  Inbegriff  der  Reichsgewalt,  ja 
der  Herrschaft  schlechthin3).  Wer  sie  und  den  Trifels  besitzt, 

l)  Testament  Ottos  IV.  vom  18.  Mai  1218,  MG.  IX.  Cunstitutiones  II 
N.  42  S.  52:  te,  frater  Heinrice  palatine  comes  Rheni,  rogamus,  ut  . . . . 
sanctai»  crocem,  lanceam  et  coronam,  dcntern  s.  Johannis  baptiste  et  im- 
perialia  insignia,  preter  pallium  nostrum  quod  dandum  est  ad  s.  Egidimn, 
20  septimanas  post  decessum  nostrum  conscrves  et  nnlli  hominnin  reprcsen- 
tes,  nisi  ei  quem  principes  animiter  elegerint  et  iuste,  aut  ei  qui  nunc 
est  elcctus,  si  principes  in  eum  consenserint. 

J)  Friedrich  II.  an  Papst  Honorius  III.,  1219  Januar  12.,  Hagenau, 
Winkclmann  Acta  imperii  inedita  I N.  151  S.  128:  Supplicamus  iternm, 
nt  si  comes  Henricus  de  Brunsrich  coronam,  lanccam  et  alia  regalia  nobis 
non  assignaverit,  ut  tenetur  et  debet,  secundum  quod  ei  tarn  per  littcras 
quam  per  nuntios  principum  Universitas  iam  prccepit  . . . 

3)  Vgl.  im  allgemeinen  K.  Menge,  Kaisertum  und  Kaiser  bei  den  Minne- 
singern, Progr.  des  Kgl.  Kath.  Gyrnn.  an  Marzellen  zu  Köln  1880,  S.  25  ff. 

Walther  von  der  Vogel  weide,  hgb.  von  Lachmann  (6.  Ausgabe, 
Berlin  1891)  S.  25,  11  — 13;  hgb.  von  Wilmanns  (2.  Auflage,  Halle  1883, 
Germanistische  Handbibliothek  hgb.  v.  J.  Zacher  I.)  S.  161:  Knnc  Con- 
stantin  der  gap  sö  vil,  / als  ich  ez  iu  bescheiden  wil,  / dem  stuol  ze  Hörne : 
sper  kriuz’  unde  kröne.  In  der  Ausgabe  von  Pfeiffer  (3.  Auflage  von 
Bartsch,  Leipzig  1870)  Nr.  85  S.  188  (auch  in  Grimms  Deutschem 
Wörterbuch  V,  Leipzig  1873,  Sp.  2539,  und  von  Menge  S.  28)  werden  un- 
richtig alle  drei  Stücke  auf  die  Marterwerkzeuge  Christi  bezogen,  von  denen 
die  Dornenkrone  unter  den  Reiehsinsignien  nie  eine  Rolle  spielte,  wenn 
sich  auch  später  nntcr  deren  Reliquien  — wie  hätten  sie  fchlon  können 
— 5 Domen  davon  befanden.  Das  Gedicht  gehört,  nach  Koppmann,  ins 
Jahr  1213.  Nur  die  Bearbeitung  der  Sage  vom  Priester  Johannes  in  deut- 
schen Reimen  von  etwa  1350  — 1400,  Zarncke  in  den  Abhandl.  der  Kgl. 
Sächa.  Ges.  der  Wissensch.  VII,  Leipzig  1879,  S.  1004  ff.  (B.),  nennt  Vers 
1228  ff.  als  „die  cleinad  von  dem  rieh“,  die  sie  Friedrich  II.  beilegt,  „das 
kruocz,  die  naget  nnd  das  sper,  / und  unser  frauwen  hemd  her  / und  die 
krön  duornin,  / darzuo  den  rock  purpurin.“  Die  offiziellen  Quellen  wissen 
von  den  drei  letzten  Stücken  nichts. 

Reinmar  von  Zweter,  hgb.  von  G.  Roethe,  Leipzig  1887,  N.  147  S.  485, 
von  Friedrich  II.:  des  riches  rinc  vil  witer  wirt,  nimt  man  im  cröne  unt 
ouch  daz  sper. 

Her  Wahsmuot  von  Mülnhüsen  (um  1240 — 50),  F.  H.  t.  d.  Hagen 
Minnesinger  I S.  327  f.  (vgl.  IV  260  f.),  K.  Bartsch  Deutsche  Lieder- 


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33 

auf  dem  sie  gehütet  werden,  der  ist  der  echte  König  *).  Und 
umgekehrt,  wer  als  König  zu  wirklicher  Macht  nicht  kommt,  der 
hat  nach  der  Volksauffassung  den  Trifels  mit  seinem  Schatze  nicht. 
Wilhelm  von  Holland  und  Richard  von  Kornwall  haben  nach 
Konrad  IV.*)  die  Burg  und  den  Hort  mit  der  Lanze  besessen 
und  nicht  geringen  Wert  darauf  gelegt J).  Aber  als  die  Erhebung 

dichter  des  12. — 14.  Jahrhunderts  (3.  Auflage  von  W.  Golther,  Stuttgart 
1893)  S.  205  Nr.  52,  Vers  11  ff.:  Und  waore  ich  künic  in  Tschampenige  / 
(so  waere  ich  witenän  erkant),  / sü  lieze  ich  sper  und  al  die  kröne  / 
e min  lip  daz  ist  sö  schöne.  — Prensdorff,  Nachr.  v.  d.  Kgl.  Ges.  d.  Wiss. 
iu  Göttingen  1897  S.  61  führt  es  auf  die  Rivalität  Frankreichs  mit  Deutsch- 
land zurück,  daß  Ludwig  IX.  1239  die  Spitze  des  heiligen  Lanzeneisens  von 
Konstantinopel  erwarb. 

*)  Über  den  Trifels  vgl.  Prensdorff  a.  a.  0.  S.  49  f. 

*)  Ihm  hatte  1246  Sept.  17.  Isengard,  die  Gattin  seines  Truchseß 
Philipp  von  Palkenstein  „die  bürg  Trivcls  und  die  keiserlichon  Zeichen“ 
überantwortet,  Huillard-Breholles  Historia  diplomatica  Friderici  II.  Band 
VI  2 S.  878,  Böhmer-Ficker  Regesta  imperii  V 1 Nr.  4515.  Vgl.  unten 
8.  45  A.  5.  Daß  Friedrich  II.  den  seit  der  Ergebung  Heinrichs  (VII.)  1235,  s. 
Frensdorff  a.  a.  0.  S.  64  A.  4,  für  ihn  gehüteten  Trifels  mit  den  Insignien 
an  Konrad  übergeben  ließ,  steht  offenbar  mit  dem  Gegenkönigtum  Heinrich 
Raspes  in  Zusammenhang.  Daß  Konrad  sie  damals  von  dem  Trifels  ent- 
fernt habe,  ist  nicht  anzunehmen. 

*)  Wilhelm  von  Holland  hat  den  Trifels  erst  nach  dem  Tode  Kon- 
rads  IV.  gewonnen,  er  schreibt  (Fcbr.  od.  März  1255,  Böhmer-Ficker  Regesta 
imperii  V 1 Nr.  5239)  an  den  Abt  von  Egmont,  Böhmer  Fontes  rerum 
Germanicarum  II  447  (aus  Johann  de  Beka):  Insuper  accedat  tibi  ad 

cumulum  gaudiorum , quod  castrum  Dricsvelt  et  insignia  imperialia, 
diademo  (!)  videlicet  cum  multis  sanctuariis  et  ornatu  ineffabili,  lanceam 
et  coronain,  in  nostro  dominio  habemus  et  pacifico  possidemus. 

Bischof  Johann  von  Lübeck  an  die  Stadt  Lübeck,  Lübischcs  Urkunden- 
buch I 1 (Lübeck  1843)  Nr.  254  S.  234,  Böhmer-Ficker  Regesta  imperii 
V 1 Nr.  5349  zu  1258,  nach  den  „Verbesserungen  und  Zusätzen“  aber  „doch 
erst  ins  J.  1259“  gehörend,  von  König  Richard,  dem  er  gehuldigt  hat:  Preterea 
castrum Driuels cum  insigniis  imperialibus,  lancea  ot  corona  cum  dyadema(te) 
imperii  ac  aliis  ineffabilibus  pretiosissimis  sanctuariis  et  omamentis  videlicet, 
habet  et  tenet.  Vgl.  Nr.  5293  f.  Die  Annahme  Frensdorffs  a.  a.  0. 
S.  50  A.  5,  daß  Richard  erst  1269  die  Reichsinsignien  erlangt  habe,  ist 
unhaltbar.  Denn  Böhmer-Ficker  Nr.  5349  ist  zurZeit  Papst  Alexanders  IV. 
(1254 — 1261)  und  sicher  von  Bischof  Johann  II.  von  Lübeck  geschrieben, 
dem  1260  schon  Johann  III.  folgte.  Außerdem  hobt  der  Entwurf  der  Bulle 
Qui  celum  1263  den  Besitz  der  Insignien  durch  Richard  horvor,  MG.  LL. 
Constitutiones  II  N.  405  S.  527. 

Hofmeister.  Oie  heilige  l.anze  ° 


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34 


Rudolfs  von  Habsburg  das  „Interregnum“  beendet,  da  singt 
man  erst*): 

Nü  seht  daz  wunder  got  vermac: 

sper  unde  kröne  üf  Drivels  was  vil  manigen  tac 

behalten,  e sich  ieman  sin  vermaeze. 

Nach  kaiser  Vrideriches  zit 

wären  künige  vtinve J),  der  nie  keiner  sit 

ze  Ache  wenic  küniges  stuol  besaeze. 

Swie  vil  sie  truogen  arebeit, 

mit  kost,  mit  koufe  unde  oueh  mit  gäbe, 

daz  riche  was  in  unbereit: 

nfi  hab’  ez  im  von  Havekesburc  der  gräve, 

der  milte  Ruodolf  unverzaget; 

in  also  grözen  eren  wart  nie  kiinic  betaget: 

kum  heil  dem  Gotes  dzerwelten  Swäbe! 

Es  ist  nur  eine  Nachwirkung  der  durch  das  Interregnum  be- 
gründeten Meinung,  die  die  Jteichsinsignien  mit  dem  Tritels  ver- 
knüpft, wenn  uns  ein  steirischer  Chronist  das  Streben  Albreehts 
von  Österreich  nach  der  Nachfolge  seines  Vaters  im  Reich  mit  den 
Worten  erzählt*): 

der  herzog  Albreht 
boten  üf  saut, 

Trivels  er  sich  underwant  : 
kriuze,  sper  unde  nagel, 
unsers  ungeluckes  hagel, 

Karies  swert  und  kröne, 
des  hete  man  vil  schöne 
da  gephlegen  die  stunt, 
sit  dem  kunic  wart  kunt 
sines  libes  ämaht; 

')  Meister  Rümzlant,  F.  H.  v.  d.  Hagen  Minnesinger  III  61.  Rudolf 
erhielt  die  Insignien  alsbald  nach  der  Wahl  (29.  Sept.  1273)  ausgeliefert. 
Sächsische  Weltchronik,  Sächsische  Fortsetzung,  MG.  Deutsche  Chroniken 
II  286:  Darnach  obir  virzen  tage  wart  imc  gecntwert  daz  heilige  sper 
unde  die  e.ronc  zu  Bobardcn  (16.  Oktober,  Röhtner-Redlich  Regesta  im* 
perii  YI  1 S.  18  Nr.  4 b). 

*)  Damit  können  nur  Konrad  IV.,  Heinrich  Raspe,  Wilhelm  von  Holland, 
Richard  von  Kornwall  und  Alfons  von  Kastilien  gemeint  sein. 

*)  Ottokars  Reimchronik  Vers  39281  ff.,  MG.  Deutsche  Chroniken  VIS.äll. 


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denn  diese  befanden  sich  damals  auf  der  habsburgischen  Feste 
Kiburg  ').  Aber  es  ist  charakteristisch  für  die  Auffassung  der  Zeit. 

Wie  hier,  so  wird  auch  ferner  die  Lanze  allein  oder  an  be- 
vorzugter Stelle  unter  den  Insignien  genannt,  ohne  deren  Besitz 
dem  deutschen  König  an  der  Fülle  der  Herrschaft  noch  ein 
wesentliches  fehlt.  Das  ist  der  Fall  1292,  als  sie  nach  seiner 
Krönung  Adolf  von  Nassau  von  Albrecht  von  Österreich  empfängt s), 
and  ebenso  noch,  als  sie  1323  nach  der  Gefangennahme  Friedrichs 
des  Schönen  dessen  Bruder  Leopold  an  Ludwig  den  Baiern  s)  und 


')  Johann  von  Victring  111  I,  Böhmer  Fontes  rerum  Germanicarum 
1 331.  Vgl.  Frensdorff  a.  a.  0.  S.  55. 

’)  Ottokars  Reimchronik  Vers  60  200  ff.,  MG.  Deutsche  ChronikeD  V 2 

5.  800  f. : Ouch  wart  verriht  sider,  / swaz  zwischen  in  lac  uneben,  / so  dar 
dem  kunic'  wart  gegeben  1 das  rieh  und  alle  die  Teste,  / die  man  gehörende 
weste  / von  alter  dem  riche  zun,  / wand  man  späte  unde  fruo  / sagte  in 
sin  ör  / dem  herzogen  vor,  / für  daz  der  erstürbe,  / der  mit  rehtc  daz  er- 
würbe, / daz  er  des  hordes  solde  phiegen,  / der  üf  Trivels  ist  gelegen,  / 
sper,  nagel  unde  kröne  / vil  wirdiclich  und  schöne,  / ob  ez  iemen  ander 
het,  / daz  er  unrehte  tet,  / swer  sin  niht  zc  rehtc  wielte  / und  ez  darüber 
innc  hielte:  j der  biete  daz  rieh  gevangen:  / des  wacr  manigem  missegangen  / 
an  Übe  und  an  guote.  Usw. 

Merkwürdig  ist  der  Vertrag  Friedrichs  des  Schönen  mit  dem  Grafen 
Reinald  von  Geldern  von  1314  Noy.  16.,  Neues  Archiv  d.  Ges.  f.  ält.  deutsche 
Gcschichtsk.  XXIII  (1898)  N.  33  S.  303:  Et  si  commode  et  absquo  preiudicio 
iuris  nostri  fieri  poterit,  in  eodem  loco  Insula  Dei  volumus  coronari,  quodque 
ibidem  corona  et  lancea  cum  imperialibus  insignibus  reponantur.  Die  Sache 
scheint  so  zu  liegen.  Als  Friedrich  in  Aachen  keinen  Einlaß  gefunden  hatte, 
nahm  er  zunächst  das  geldrische  Wagcniugcn  als  Krönungsort  in  Aussicht 
und  wollte  dort  die  Insignien  bewahren  lassen,  wie  das  früher  auf  dem 
Trifels  und  auf  andern  Burgen  geschah.  Das  erste  kam  nicht  zur  Aus- 
führung: Friedrich  erhielt  die  Krone  bekanntlich  zu  Bonn  25.  Nov.  1314. 
Ebensowenig  ist  unseres  Wissens  das  zweite  auch  nur  zeitweilig  Wirklich- 
keit geworden ; vgl.  unten  S.  37. 

*)  Matthias  von  Ne n bürg  (Albertus  Argentincnsis),  Böhmer  Fontes 
rerum  Germanicarum  IV  201 : Tractabatur  autern  sepe  de  liberacione 
Friderici.  Et  impediente  liberacionem,  quod  duz  (sc.  LSpoldus)  insignia 
sanctuariorum  imperii,  lanceam  videlicet  et  alia,  noluit  rcsignare  usw. 

6.  Fortsetzung  der  Chronica  minor,  3.  Böhmischer  Teil,  Monumenta 
Erphesfurtensia  ed.  0.  Holder-Eggcr  (SS.  rerum  Germanicarum),  Hannover 
1899,  S.  700,  25,  nachdem  die  Schlacht  bei  Mühldorf  erzählt  ist:  Postca 
Fridericus  coronam  regni  lanceam que,  quas  diu  tenuerat,  Ludwico  resig- 
navit.  Albertinus  Mussatus  s.  unten  S.  36  A.  2.  Ludwig  erhielt  die 

3* 


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3fi 


1350  Ludwigs  ältester  Sohn  an  Karl  TV.  ausliefert ').  Der  Besitz 
der  Lanze  macht  nicht  zum  König,  aber  er  ist,  wie  es  unter 
Ludwig  dem  Baiem  heißt,  das  Unterpfand  des  wahren  König-  und 
Kaisertums  *). 

Aber  schon  seit  längerer  Zeit  geht  eine  andere  Auffassung 
nebenher,  die  seit  Karl  IV.  die  eben  erörterte  völlig  in  den  Hinter- 
grund gedrängt  hat.  Seit  dem  13.  Jahrhundert  tritt  uns  in  Ver- 
bindung mit  den  Insignien  der  Ausdruck  sanctuaria  häufiger  ent- 
gegen3), der  im  besondern  auf  die  Lanze  Anwendung  findet*),  wie 
er  auch  wohl  durch  sie  wesentlich  mit  hervorgerufen  ist.  Die 
Reichsinsignien  erhalten  dadurch  in  ihrer  Gesamtheit  den  Charakter 


Insignien  zu  Nürnberg,  wohl  zwischen  6.  Nov.  und  18.  Dez.  1323  nach  J.  E. 
Kopp  Geschichte  der  eidgenössischen  Bünde  V 1 (Berlin  1858)  S.  101  A.  1. 

')  Heinrich  von  Rebdorf,  Böhmer  Fontes  rcrum  Gcrmanicaruin  IV 
537  f. : Anno  Domini  MCCCL  ...  de  mensc  Aprili  Ludewicus  marchio 
Brandenburgensis  insignia  imperialia,  vidolicet  lanceam,  qua  perforatum 
fuit  latus  domini  nostri  Jesu  Christi,  et  claros  ac  gladium  Karoli  Magni 
necnon  alia,  quc  rcscrvata  fuerunt  in  oppido  Monacho  per  Ludewicmn 
patrem  suum,  tradidit  Karolo  regi  predicto  in  Nurcnbcrg,  qui  in  Bohemiam 
in  civitatem  Pragensem  ipsa  deducit.  Matthias  von  Neuburg,  Fortsetzung. 
Böhmer  Fontes  rerum  German.  IV  277:  Marchio  quoque  lanceam,  clavos, 
parteni  crucis  Christi  et  alia  insignia,  que  imperium  dicuntur,  per  I.udewicum 
patrem  suum  rolicta  regi  presentavit  recepta  caucione  de  reducendis  infra 
terminum  vel  in  Nürenberg  vel  in  Frankenfort  per  regem,  quod  non  fucrat 
impletum,  sed  ea  Pragam  perduxit.  de  quo  Bohemia  nimium  gratulabatur. 
Vgl.  unten  S.  37  A.  1. 

*)  Albertini  Mussati  Ludovicus  Bavarus  (geschrieben  1329),  Böhmer 
Fontes  rerum  Gcrmanicarum  1 187  f:  De  hoc  autem  Ludorico,  cur  nondum 
ipsum  cesarem  aut  imperatorem  vocaverimus,  depromere  non  incongruum 
putamus.  Vere  quidcm  elcctionem  primitivain  a veris  imperii  electoribus 
satis  idoneam  fateri  non  prohibemur.  Itemque  et  victum  prelio  campestri 
Fridericum  Austric  ducem,  cum  pro  causa  imperii  certaretur,  constare  satis 
novimus.  Reliquiasquc  domini  nostri  Jesu  Christi,  lanceam  scilicet  et 
clavos,  que  veluti  pignora  quedam  veri  iinperatoris  et  Romani 
regis  habentur,  ab  illo  oodcm  bello  quesita  potenter,  sicut  rcra  sunt, 
indubitanter  asserimus  . . . Uber  den  „verus  rex“  vgl.  K.  Zeumcr  im 
Neuen  Archiv  der  Ges.  für  ältere  deutsche  Geschichtskundc  XXX  105  und 
Krammer,  Wahl  und  Einsetzung  des  deutschen  Königs  S.  21  f. 

*)  Oben  8.  33  A.  3. 

*)  Oben  S.  35  A.  3. 


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37 


von  Reliquien,  sie  werden  zu  den  ,, Heiligtümern  des  Reiches“  '), 
dem  „heiligen  Reiche“5),  und  als  solche  werden  sie  bei  feierlichen  An- 
lässen, an  ihrer  Spitze  die  Lanze,  dem  gläubigen  Volke  gezeigt,  wie 
wir  das  zuerst  1315  in  Basel  bei  der  Doppelhochzeit  der  beiden 
habsburgischen  Brüder  Friedrichs  des  Schönen  und  Leopolds  sehen5). 

Vom  10.  bis  ins  14.  Jahrhundert  war  die  Lanze  ein  Zeichen 
der  Herrschaft,  dessen  Besitz  wenn  nicht  als  Bedingung,  so  doch 
als  Unterpfand  der  königlichen  Gewalt  galt  und  darum  für 
jeden  Kronbewerber  schwer  in  die  Wagschale  fiel.  Das  wird  jetzt 
anders.  Die  heilige  Lanze  verliert  ilire  staatsrechtliche  Bedeutung 
und  wird  zur  reinen  Reliquie4).  Die  Goldene  Bulle  (1356) 

*)  Nebeneinander  „das  heiligthumb  und  die  Cleinudien,  die  zue  dem 
Reich  gehörend,“  Urk.  Ludwigs  des  Altern  von  Baiem-Brandenburg  von 
1349  Mai  26.,  Ch.  G.  v.  Murr  Journal  zur  Kunstgeschichte  und  zur  allgemeinen 
Litteratur  XII  (1784)  S.  39:  reliquias  sacri  imperii  una  cum  aliis  adiunctis 
cimoliis  und  „das  heiligthuin  und  die  Kleinodien  des  h.  Hoiches“  in  den  Ur- 
kunden desselben  und  Karls  IV.  von  1350  März  12.,  s.  unten  S.  45  A.  3.  Aber 
einfach  insignia  sanctuariorum  imperii  schon  oben  S.  35  A.  3 und  unten 
S.  37  A.  3:  ebenso  übergibt  Kaiser  Sigmund  der  Stadt  Nürnberg  „unser 
und  des  heiligen  reichs  heiligtum,  mit  namen  sant  Karies  des  kuniges 
swertc,  sant  Mauricii  sworte,  die  crono  saut  Karies“  usw.,  Urk.  von  1423 
Sept-  29.  Ofen,  Murr  Journal  zur  Kunstgeschichte  XII  S.  77.  Im  J.  1246 
dagegen  wurden  beide  Teile  als  „die  keiscrlichen  Zeichen“  zusammengefaßt, 
in  der  oben  S.  33  A.  2 genannten  Urkunde. 

*)  „Das  heilige  Kciche,“  Urk.  Ludwigs  des  Alteren  1348  Dez.  9., 
Oienschlager  Erläuterte  Staatsgeschichte  UB,  Nr.  98  S.  273  und  ebenso 
ebd.  Nr.  99  S.  274.  Über  die  verschiedenen  für  die  Rcichsinsignien  ge- 
brauchten Ausdrücke  vgl.  Frensdorff  a.  a.  O.  S.  61  ff. 

3)  Matthias  von  Neuburg  (Albertus  Argentinensis),  Bjihmer,  Fon- 
tes rerum  Germanicarum  IV  189:  Monstrabantnr  autem  inibi  sanctuariorum  in- 
signia, que  regnurn  dicuntur,  scilicet  lancea,  clavus,  pars  crucis  Salvatoris, 
corona,  gladius  Karoli  (andre  Lesart : corona  Karoli,  gladii)  et  alia.  Nach  Basel 
gekommen  sind  sie  natürlich  im  Gepäck  Friedrichs  des  Schönen;  mit  dem 
Schatz  der  Basler  Kirche  haben  sic  nichts  zu  tun.  — Eine  ähnliche  „Heilig- 
tumsweisung“ hat  unter  Ludwig  dem  Baiem  Ende  1323  in  Nürnberg,  s.  o. 
S.  35  A.  3 Ende,  und  im  nächsten  August  in  Regensburg  stattgefunden, 
Aventinus  Annales  ducum  Boiariae  1.  VII  c.  16,  bgb.  von  Riezler  11,415. 

*)  Das  hat  Frensdorff  a.  a.  0-,  S.  63  richtig  erkannt  Mely,  Revue 
de  l'Art  chretien  1897,  S.  287  verkehrt  das  wirkliche  Verhältnis  in  sein 
Gegenteil,  wenn  er  die  Lanze  seit  1273  bei  der  Krönung  des  deutschen  Königs 
verwandt  werden  läßt. 


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38 


könnt  sie  nicht1),  und  ebenso  gedenken  z.  B.  weder  die  Glosse 
zum  Sachsenspiegel*)  noch  Peter  von  Audio3)  ihrer  unter  den 
Reichsinsignien.  Diese  Entwicklung  ist  aufs  engste  verbunden 
mit  einer  andern,  auf  die  erst  im  6.  Kapitel  eingegangen  werden 
kann. 


Exkurs  I. 

Zur  Geschichte  Heinrichs  VI.  und  seines  Bruders 
Philipp  in  den  Jahren  1196  und  1197. 

Die  Admunter  Fortsetzung  der  Melker  Annalen  *)  berichtet 
(MG.  SS.  IX  588,30)  zum  Jahre  1108:  Philippus  dux  Suevorum, 
qui  cnicem,  coronam  et  lanceam  ceteraque  insignia  imperalis  ca- 
pellae,  quae  regalia  dicuntur,  vivente  adliue  imperatore  de  Apulia 
adduxerat,  pro  eo,  quod  nepos  eius  Fridericus  infantulus  esset,  cui 
tarn  ipse  quam  alii  principes  etiam  cum  subscriptione  iuraverant, 
sub  nomine  quidem  tutoris  ad  regnum  aspirat.  Diese  Angabe, 
daß  Philipp  die  Reichsinsignien  aus  Italien  zurückgebracht  habe, 
hat  Toeche  bestritten,  denn  erstens  sei  Philipp  im  September 
1197  gar  nicht  bis  Apulien  gekommen,  und  zweitens  werde 
Heinrich  VI.  die  Insignien  schwerlich  vom  Trifels  mit  über  die 
Alpen  genommen  haben*). 

Meines  Erachtens  ist  diese  Stelle  unbedenklich  zu  verwerten. 
Denn  Toeches  erster  Einwand  beruht  auf  einem  einfachen  Irrtum. 

‘)  K.  Zeumer,  Quellensammlung  zur  Geschichte  der  deutschen  Reichs- 
verfassung in  Mittelalter  und  Neuzeit,  Leipzig  1904,  Nr.  130  S.  15911.,  bcs. 
c.  22  S.  174. 

*)  Landrecht  III  SO  § 1.  Sie  kennt  5 Kleinode,  dy  tu  deine  rike  hören, 
nämlich  Krone,  Banner,  Fahne,  Apfel  und  Scepter,  Frensdorff  a.  a.  0.,  S.  54. 

s)  Libellus  de  Cesarea  raonarchia  (geschrieben  1460)  II  8,  hgb.  von 
Harbin  in  der  Zeitschrift  der  Savigny-Stiftung  für  Rechtsgeschichte,  German. 
Abt.  XIII  (1892)  S.  185:  Tcrcio  principaliter  Romanorum  imperator  excellit 
omnes  alios  reges  in  insigniis  imperialem  gloriam  decorantibus,  et  sunt  qua- 
tuor:  imperiale  dyadema,  gladius,  sceptrum  et  pomum  aureuin  seu  globus. 

Dietrich  von  Niem  läßt  die  Lanze  bereits  im  11.  Jahrhundert  ver- 
loren gehen,  s.  unten  S.  70  A.  1. 

4)  Vgl.  oben  S.  31  A.  2. 

4)  Th.  Toeche,  Jahrbücher  der  Deutschen  Geschichte,  Heinrich  VI 
(1867)  S.  470  A.  6. 


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39 


Es  ist  freilich  sicher,  daß  Philipp  im  Herbst  1197,  im  Begriff 
seinen  Neffen  zur  Krönung  nach  Aachen  zu  holen,  noch  nicht 
einmal  bis  Rom  vorgerückt  war,  als  er  sich  auf  die  Kunde  von 
des  Bruders  Tode  (1197  Sept.  ’JH.)  zur  Umkehr  genötigt  sah. 
Das  hat  aber  mit  dem  Bericht  der  Admunter  Fortsetzung  nichts 
zu  tun.  Denn  hier  heißt  es  ausdrücklich,  Philipp  habe  die  Über- 
führung der  Insignien  noch  zu  Lebzeiten  des  Kaisers  besorgt. 

Toeches  zweiter  Grund  steht  und  füllt  mit  der  Voraussetzung, 
daß  damals  bereits  die  Insignien  für  gewöhnlich  an  einem  be- 
stimmten Orte  verwahrt  wurden.  Das  ist  indes  nicht  zu  er- 
weisen. Friedrich  I.  z.  B.  scheint  sie  noch  ganz  in  der  alten 
Weise  mit  sich  herumgeführt  zu  haben1);  daß  Heinrich  VI.  eine 
andere  Praxis  befolgte,  ist  natürlich  nicht  ausgeschlossen,  aber 
doch  durch  nichts  zu  belegen.  Aber  selbst  angenommen,  er  habe 
die  Insignien  in  der  Regel  auf  dem  Trifels  lagern  lassen,  so  hat 
er  sie  doch  ohne  jeden  Zweifel  gerade  im  Sommer  1196  mit 
nach  Süden  genommen.  Denn  damals  betrieb  er  den  Plan,  seinen 
Sohn  vom  Papste  zum  römischen  König  krönen  zu  lassen,  und 
dazu  bedurfte  er  notwendig  der  altehrwürdigen  Abzeichen,  die 
auch  jeder  neue  König  mit  sich  zur  Kaiserkrönung  nach  Rom  führte. 

So  sind  die  Insignien  im  Sommer  1196  sicher  nach 
Italien  gekommen.  Ende  1197  aber  sind  sie  ebenso  sicher 
in  Deutschland  und  zwar  in  den  Händen  Philipps  von 
Schwaben,  der  nach  der  Meinung  des  Ursperger  Chronisten  auf 
ihren  Besitz  gestützt  das  Reich  in  Anspruch  nahm5).  Sie  müssen 
also  in  der  Zwischenzeit  zurückgebracht  worden  sein.  Fraglich 
kann  nur  sein,  wann  und  durch  wen.  Daß  dies  erst  nach  dem 
Tode  des  Kaisers  geschehen  sein  sollte,  ist  in  jeder  Hinsicht  so 
unwahrscheinlich  wie  nur  möglich.  Die  Angabe  der  Admunter  Fort- 
setzung entspricht  also,  was  den  Zeitpunkt  der  Überführung  im 
allgemeinen  angeht,  durchaus  den  gegebenen  Verhältnissen.  Es  ist 
schon  darum  nicht  berechtigt,  ihre  weitere  Nachricht  abzulehnen, 

')  Vgl.  8.  27  A.  2. 

*)  Chron.  Ursperg.  MG.  SS.  XXIII  365,  20:  Volobat  (sc.  Philipp)  enim 
tenere  imperium,  cum  in  pntestate  sua  haberot  insignia  imperialia,  utpote 
coronain  et  crucem  et  alia  quae  attinebant.  V.  d.  Hagen  Minnesinger  IV 
673  hat  diese  Stelle  dahin  mißverstanden,  daß  der  im  Satz  vorher  genannte 
Bischof  Konrad  von  Straßburg  damals  die  Insignien  besessen  habe. 


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40 


daß  der  Herzog  von  Schwaben  der  heiter  diese.«  Transports  ge- 
wesen sei.  Ein  solche  Aufgabe  bedurfte  einer  durchaus  zuver- 
lässigen Persönlichkeit.  Philipp  genoß  das  vollste  Vertrauen  seines 
kaiserlichen  Bruders,  der,  wie  längst  bemerkt  ist,  in  diesem, 
ursprünglich  zum  Geistlichen  bestimmten,  jüngsten  der  Söhne 
Barbarossas  sich  einen  nahen  Gehilfen  für  die  Durchführung 
seiner  Pläne  heranzubilden  bemüht  hatte '). 

Damit  ist  die  Möglichkeit  gegeben,  den  Zeitpunkt  und  die 
näheren  Umstände  des  Vorgangs  noch  etwas  genauer  zu  bestimmen. 

Am  15.  August  1196  verschied  unerwartet  der  dritte  der 
staufischen  Brüder,  Konrad  Herzog  von  Schwaben3).  Bereits 
vorm  oder  am  23.  August  desselben  Jahres  war  Philipp,  damals 
Herzog  von  Tuscien 5),  vom  Kaiser  zur  Nachfolge  in  das  staufische 
Familienherzogtum  berufen  worden  *).  Er  kehrte  darauf  in  die 
deutsche  Heimat  zurück  und  feierte  zu  Pfingsten  1 197  an  der 
alten  Versammlungsstätte  in  Gunzenlech  bei  Augsburg  inmitten 
der  schwäbischen  Großen  gleichzeitig  seine  Umgürtung  mit  den 
ritterlichen  Abzeichen  und  seine  Vermählung  mit  der  griechischen 
Irene 5). 

Irene  war  ihm  bereits  mehrere  Jahre  früher  nach  der  Ein- 
nahme Palermos  (1194  Nov.  20.)  durch  den  kaiserlichen  Bruder 
verbunden  worden6).  Daß  die  junge  Frau  erst  jetzt  mit  Philipp 
zusammen  nach  Deutschland  kam,  läßt  sich  nicht  gut  bezweifeln '). 
Es  ist  kaum  anders  anzunehmen,  als  daß  sie  solange  ihre 
Tage  in  Unteritalien  verbrachte.  1196  kam  Heinrich  VI.  erst 

*)  Vgl.  E.  Winkelmann,  Jahrbücher  der  Deutschen  Geschichte, 
Philipp  von  Schwaben  und  Otto  IV.  von  Braunschweig,  I (1873)  8.  14  ff. 

*)  Böhmer-Ficker,  Regesta  imperii  V 1 N.  10b. 

5)  Bevor  ihm  im  April  1195  die  Verwaltung  Tuscicns  übertragen  wurde, 
hatte  er  nach  der  Eroberung  Untoritaliens  1194  das  Fürstentum  Capua  er- 
halten, Ann.  Aquenses  1193,  MG.  SS.  XXIV  39. 

*)  Böhmer-Ficker,  Reg.  imp.  V 1,  N.  10b  und  c. 

s)  Vgl.  Böhmer-Ficker,  Keg.  imp.  VI  N.  10  d.  — Pfingstver- 
sammlungen  der  Großen  Schwabens  und  Baiems  in  Gunzenlech  z.  B.  1127 
(Hochzeit  Heinrichs  des  Stolzen  mit  der  Königstochter  Gertrud),  1175  (Welf 
der  Ältere),  Hist.  Welf.  Weingart.  c.  IG  und  Contin.  Staingad.,  MG. 
SS.  XXI  463  und  471. 

«)  Toechc,  a.  a.  0.  8.  3G3  f. 

*)  Vgl.  Chron.  Ursperg.  1197,  MG.  SS.  XX1I1  364:  Otto  Sanblas. 
c.  44,  MG.  SS.  XX  328. 


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41 


im  Dezember  dorthin  ').  Daß  Philipp  noch  damals  den  Bruder 
begleitete,  ist  wenig  wahrscheinlich.  Denn  die  Ankunft  des 
jungen  Herzogs  in  Schwaben  und  die  Versammlung  in  Gunzen- 
lech werden  zum  Teil  ausdrücklich  in  zwei  verschiedene  Jahre 
gesetzt  *).  So  ist  der  Bericht  Ottos  von  St.  Blasien  wohl  darin 
ungenau,  daß  er  die  beiden  Brüder  zusammen  in  Sizilien  weilen 
läßt.  Er  irrt  ja  auch  sicher  darin,  daß  dort  die  Übertragung 
Schwabens  an  Philipp  erfolgt  sei  3).  Offen  bleibt  natürlich  die 
Frage,  ob  Philipp  vorher  allein  die  Verlobte  aus  Unteritalien 
geholt  habe.  Da  seit  Ende  August  sein  Aufenthalt  am  kaiser- 
lichen Hofe  nicht  mehr  belegt  ist,  ist  das  sehr  möglich. 

Damit  fällt  auch  die  Angabe  der  Admunter  Fortsetzung,  daß 
der  Herzog  die  Insignien  aus  Apulien  hergebracht  habe.  Aber 
die  Tatsache  der  Überführung  selber  wird  davon  nicht  berührt. 

Natürlich  konnte  der  Kaiser  die  Insignien  erst  dann  heim- 
senden, als  er  endgültig  die  Absicht  aufgegeben  hatte,  seinen 
Sohn  vom  Papst  krönen  zu  lassen.  Die  Verhandlungen  darüber 
waren  im  August  und  September  11DB  im  Gange,  und  jetzt  hat 
Krammer  es  höchst  wahrscheinlich  gemacht,  daß  sie  erst  etwa 
im  November  abgebrochen  wurden,  als  der  Kaiser  auf  die  wenig 
günstigen  Nachrichten  vom  Erfurter  Reichstage  den  ganzen  Erb- 
kaiserplan fallen  ließ4).  Ist  das  richtig,  so  kann  Philipp  erst 
damals  den  Weg  in  sein  neues  Herzogtum  angetreten,  erst  da- 
mals die  Insignien  nach  Deutschland  zurückgeführt  haben.  Gleich- 
zeitig hat  Heinrich  die  Wahl  des  jungen  Friedrich  durch  die 
Fürsten  zu  betreiben  begonnen,  und  man  wird  annehmen  dürfen, 
daß  Philipp  in  diesen  Verhandlungen  nicht  untätig  war,  die  Ende 
des  Jahres  zum  glücklichen  Abschluß  kamen. 

‘)  S.  S.  68  A.  6 zu  den  Annales  Marbacenses  qui  dienutur  cd.  Bloch 
(SS.  mrum  Germanicarum),  Hannover  1908. 

*)  Chron.  Urspcrg.,  MG.  SS.  XXIII  364:  vgl.  Hugonis  Chron.  Contin. 
Wein  gart.,  MG.  SS.  XXI  478. 

3)  Otto  San  blas.  e.  44,  MG.  SS.  XX  328:  Hcinricus  imperator  inortuo 
fratre  Cuonrado  Philippe  fratri  auo,  qui  in  Sicilia  interim  cum  co  manebat, 
data  sibi  sponsa  sua  filia  Constantinopolitani  imperatoris  ducatum  Alamannie 
concegBit  ipsumque  cum  eadem  sponsa  sua  in  Germaniam  deatinavit  usw. 
Vgl.  oben  S.  40  A.  4 und  S.  41  A.  1. 

4)  M.  Kr  amincr,  Der  Rciehsgedanke  des  stautischen  Kaiserhauses, 
Breslau  1908  (Gierkes  Untersuchungen  zur  Deutschen  Staats-  und  Kechts- 
gcschichte  Heft  95),  S.  25  ff.  Durch  die  Freundlichkeit  des  Verfassers  konnte 
ich  die  Druckbogen  einsehen. 


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Exkurs  IT. 

Zu  den  Reichssprüchen  Reinmars  von  Zweter. 

In  dem  oben  S.  32,  A.  :(  angeführten  Spruch  (Nr.  147) 
schildert  Reinmar,  der  damals  bekanntlich  am  böhmischen  Hofe 
lebte,  die  Unzufriedenheit  einer  Reibe  von  Fürsten  mit  Friedrich  II. 
und  mahnt  zu  Vorsicht  bei  einer  Neuwahl.  Roethe1)  setzt  diesen 
Spruch  wie  den  vorhergehenden  N.  146  in  die  zweite  Hälfte  des 
Jahres  1240,  in  die  Zeit,  wo  König  Wenzel  von  Böhmen  bereits 
wieder  von  der  päpstlichen  Partei,  der  er  seit  Ende  1237,  Anfang 
123S  angehörte,  zur  kaiserlichen  zurflckgetreten  war  (Ende  Juli 
oder  Anfang  August  1240).  In  dem  „reservierten  gedämpften  Ton 
der  Strophen“  findet  er  einen  Ausdruck  des  Widerspruchs  zwischen 
den  Ansichten  des  Dichters  und  seines  Königs. 

Nach  Roethes  einleuchtender  Annahme  sind  in  der  Heidel- 
berger Handschrift  1)  (Cod.  palat.  350)  die  politischen  Sprüche 
Reinmars*)  chronologisch  geordnet.  N.  143  ist,  wie  er  S.  61  ff. 
überzeugend  nachweist,  unter  dem  Eindruck  der  zweiten  Bannung 
Friedrichs  am  20.  März  1230 3)  und  des  Rundschreibens  Gregors  IX. 
vom  1.  Juli  des  gleichen  Jahres  mit  seinen  Anklagen  gegen  den 
Kaiser4)  entstanden.  N.  144  soll  den  Gesinnungswechsel  des 
Dichters,  bisher  eines  eifrigen  Anhängers  des  Staufers,  begründen*); 
die  folgenden  Sprüche  führen  uns  zu  den  Versuchen,  eine  Neu- 
wahl zu  stände  zu  bringen.  Ein  Kandidat  dafür  war  der  junge 
König  Erich  von  Dänemark,  Waldemars  Sohn.  Davon  spricht 
Albert  von  Passau  in  einem  Brief  an  den  Papst  Mitte  Juni  1239 6). 
Der  Plan  scheiterte  aber  nach  einem  andern  Briefe  desselben  vom 
5.  Sept.  1240  an  der  Weigerung  des  jungen  Fürsten7),  nachdem 
er  noch  im  April  1240  betrieben  worden  war*).  In  diese  Zeit 

*)  G.  Roethe,  Die  Gedichte  Keinmars  von  Zweter,  Leipzig  1887. 
S.  66  ff. 

*)  N.  125—147;  die  N.  148—157  trennt  er  von  ihnen,  vielleicht  ohne 
genügenden  Grand,  ab. 

*)  Böhmer-Ficker,  Regesta  imperii  V 1 N.  2428  b. 

4)  Böhmer-Ficker- Winkelmann,  Regesta  imperii  V 2 N.  7245. 

5)  Roethe  S.  63. 

*)  Böhmer-Ficker-Winkelmann,  Reg.  imp.  V 2 N.  11228. 

’)  Böhmer-Ficker-Winkelmann,  Reg.  imp.  V 2 N.  11297. 

*)  Böhmer-Ficker-Winkelmann,  Reg.  imp.  V 2 N.  10155  c. 


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43 


gehört  sicher  Reinmars  Spruch  N.  148.  Es  ist  nicht  ganz  kon- 
sequent, wenn  Roethe  ihn  aus  der  chronologischen  Reihe  aus- 
scheidet und  vor  N.  145 — 147  entstanden  sein  läßt. 

N.  145  geht  gegen  eine  Absicht  Venedigs,  das  Reich  an 
seinen  Herzog  zu  bringen.  Es  ist  schon  an  sich  recht  fraglich, 
ob  Albert  gerade  daran  dachte,  als  er  dem  Herzog  von  Baiern 
sagte,  die  Kirche  werde  gegebenenfalls  ohne  Rücksicht  auf  die 
Fürsten  „sibi  providere  . . de  persona  alius  Gallici  vel  Lom- 
bardi  aut  alterius  in  regem  vel  patricium  aut  etiam  advocatum“ 
(Brief  an  den  Papst,  August  1240 ').  .ledesfalls  können  darum 
solche  Bestrebungen  bereits  im  Jahre  vorher  wirksam  gewesen 
sein.  Es  besteht  also  kein  Grund,  N.  145  bis  in  den  Sommer 
oder  die  zweite  Hälfte  1240  herabzurücken. 

N.  146  und  147  zeigen  die  Stimmung,  die  von  den  Fürsten 
eine  Neuwahl  erwartet.  N.  146  spricht  noch  mehr  hypothetisch: 
ir  vürsten,  seht  ir  iht 

an  im2)  sö  schuldehaftes,  da  von  er  süle  des  riches  abe 
gestän, 

So  nemt  iu  einen  usw. 

N.  147  behandelt  den  Plan  als  feststehend: 

Sumlichen  vürsten  ist  ez  leit, 
daz  Roemisch  rieh  gevallen  ist  in  dise  unwerdikeit: 
si  dunket  unde  sprechent,  ein  ander  phlaege  des  riches 
baz  dan  er. 


Nü  seht  vür  iuch,  des  riches  welaere, 

den  ir  nü  weit,  daz  er  si  schänden  laere  usw. 

In  beiden  wird  gemahnt,  eine  gute  Wahl  zu  treffen.  N.  148 
endlich  nennt  nun  einen  Fürsten,  der  dem  Ideal  des  Königs  ent- 
spreche. L)a  liegt  es  doch  näher,  auch  eine  zeitliche  Aufeinander- 
folge dieser  drei  Sprüche  anzunehmen,  d.  h.  N.  146  und  147  ge- 
hören in  die  Mitte  oder  die  zweite  Hälfte  1239. 

')  Böhmer-Ficker- Winkelmann,  Reg.  imp.  V 2 N.  11294. 

*)  Friedrich  II. 


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Drittes  Kapitel 

Die  Gestalt  der  heiligen  Lanze 

Auch  die  äußere  Erscheinung  der  heiligen  Lanze  hat  im 
Laufe  der  Zeit  eine  durchgreifende  Veränderung  erfahren. 

Spricht  Liudprand  von  der  Lanze  des  Königs,  an  der  die 
Kreuzesnägel  befestigt  seien,  führte  sie  dieser  selber ')  oder  einer 
seiner  Großen*)  im  Kampfe,  so  wird  man  nicht  leicht  daran 
denken,  daß  sie  damals  nur  aus  dem  Eisen  bestehend  in  ein 
Keliquiar  eingeschlossen  war,  sondern  annehmen,  daß  sie,  weithin 
sichtbar,  wie  eine  richtige  Lanze  einen  langen  Schaft  gehabt  hat.  Für 
die  Zeit  Ottos  des  Großen  ist  daran  nach  den  Worten  Liudprands5) 
und  Widukinds4)  nicht  zu  zweifeln,  und  auch  weiterhin  ist  es 
durch  das,  was  wir  von  der  ungarischen  und  der  polnischen 
Königslanze  wissen5),  durch  eine  bildliche  Darstellung  aus  der 
Zeit  Heinrichs  II.  ®)  und  durch  die  Lanze  des  Gegenkönigs  Rudolfs 
von  1080’)  bis  zum  Ende  des  11,  Jahrhunderts  ganz  gesichert. 
Man  kann  sich  also  dagegen  nicht  auf  die  Ycon  des  Alexios 
Murzuphlos  berufen,  die  1204  vor  Konstantinopel  von  den  Kreuz- 


■)  Otto  der  Große  955,  s.  oben  S.  26  A.  5. 

*)  Ein  lancifer  Richer  982:  Bischof  Bernward  von  Hildesheim  1001 
Bischof  Burchard  von  Lausanne  1088.  S.  oben  S.  27  A.  2 und  3. 

*)  Liudprand  Antapodosis  IV  24,  S.  91:  ante  vietorileros  elavos 
manibus  domini  et  salvatoris  nostri  Jesu  Christi  adfiios  suaeque  lanceae 
inpositos  . . . 

4)  Oben  S.  26  A.  5. 

5)  Unten  S.  71  tf. 

®)  Unten  S.  49. 

»)  Unten  S.  70. 


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45 


fahrern  im  Fplde  erbeutet  wurde,  so  auffällig  die  Parallele  aucli 
scheint l). 

Heute  fehlt  freilich  der  Schaft,  und  das  war  schon  im  Jahre 
1350  der  Fall.  Damals  zuerst  hören  wir,  daß  das  Eisen  der 
Lanze  mit  anderen  Reliquien5)  zusammen  in  dem  großen  kreuz- 
förmigen Reliquiar  von  vergoldetem  Silber  auf  bewahrt  wurde5), 
dem  man  sie  später  nur  bei  der  öffentlichen  „Heiligtums-Weisung“ 
entnahm. 

Es  ist  sehr  möglich,  daß  dieser  Zustand  schon  länger  bestand. 
Doch  läßt  sich  nicht  genau  bestimmen,  wann  der  Wechsel  eintrat. 
Im  Jahre  1208  war  die  Lanze  vielleicht  noch  mit  einem  Schaft 
verbunden4).  Dagegen  1246  mag  sie  bereits  wie  heute  bloß 
aus  dem  Lanzeneisen  bestanden  haben,  doch  befand  sich  dieses 
damals  noch  nicht  in  dem  großen  Kreuz,  das  nur  zu  der  Kreuz- 
partikel in  nähere  Beziehung  gesetzt  wird5).  Der  letzteren  diente 

')  Die  Ycon  wird  beschrieben  bei  Alberich  votiTrois-Fontaines  1204.MG. 
SS.  XXI II  883  (vollständig  bei  Leibniz  Access,  hinter.  II  b,  S.  434  f.) : In 
hac  (sc.  ycona)  mirabiliter  fabrefacta  est  niaiestas  Domini  et  imago  b. 
Mariae  et  apostolorum  cum  reliquiis  in  eu  repositis.  Ibi  est  dens,  quem  in 
pueritia  mutavit  Jesus,  et  ibi  habetur  de  lancea,  qua  in  cruce  fuit  vulne- 
ratus,  de  sindone  et  de  30  inartiribus.  Hane  yconam  cum  in  praoliis 
ferre  essent  soliti,  nequaquam  antea  potuerunt  ab  hnstibus  superari  . , . 
Petrus  de  Brachvelis  Kampsonem  patriarcham  super  galee  nasale  sic  percussit, 

quod  ille  cadens  ad  torram  yconam  dimisit nobilcm  quam  sibi 

praeferri  faciebat  (der  Kaiser  Alexios  Murzuphlos)  iconarn  ordini  (’ister- 
siensi  nostri  dedicavere  victores. 

*)  Dem  „mcrcklich  Stück"  des  heiligen  Kreuzes,  dem  /.ahn  Johannis 
des  Täufers  und  dem  Artn  der  lü.  Anna. 

3)  Urkunde  Ludwigs  des  Altern  von  Baiem-Brandenburg  bei  dor  Über- 
gabe der  Keichskleinodien  Mönchen  1350  März  12.  (nicht  April  6.),  Murr 
Journal  zur  Kunstgeschichte  XII  8.  4G,  und  Gegenurkunde  Karls  IV.  vom 
gleichen  Tage,  ebenda  8.  49.  Das  Kreuz  ist  beschrieben  bei  Quirin  Leitner, 
Die  hervorragendsten  Kunstwerke  der  Schatzkammer  des  Österreichischen 
Kaiserhauses,  Wien  1870 — 73,  S.  28,  mit  Abbildung. 

*)  Das  darf  man  vielleicht  aus  dem  Ausdruck  lancea  imperialis,  oben 
S.  31  A.  4,  schließen.  Auch  die  Ausführungen  Gottfrieds  von  Viterbo,  Pan- 
theon XXVI,  MG.  SS.  XXII  273,  sind  so  am  besten  verständlich. 

s)  S.  das  Verzeichnis  in  der  oben  8.  33  A.  2 angeführten  Urk. 
Konrads  IV.  (überliefert  in  einem  Falkensteinischen  Kopialbuch  s.  XV.):  „die 
keiserlichen  Zeichen,  mit  namen  unsers  herren  holtz  mit  eirnc  gülden  cruce 
mit  edelen  steinen  gezieret,  sant  Johanns  des  Dofers  zaen  in  einem 


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es  schon  1227  '),  ja  sogar  schon  unter  Heinrich  IV.*)  als  Behält- 
nis; die  Entstehung  des  Reliquiars  ist  danach  unter  Konrad  II. 
zu  setzen  s). 

Nun  zur  Form  des  Lanzeneisens. 

Wir  haben  die  Beschreibung  Liudprands,  und  wir  haben  die 
Lanze  selber  im  Wiener  Schatz4).  Alle  sind  darin  einig,  daß  beide 
zueinander  aufs  genaueste  stimmen. 

Der  mittlere  Teil  des  Wiener  Lanzeneisens  ist  unter  Karl  IV. 
mit  einem  Goldblech  umkleidet  worden,  das  die  Aufschrift  trägt: 
„Lancea  et  clavus  Domini.“  Unter  diesem  Bande  befindet  sich 
ein  zweites  von  Silber6),  dessen  Aufschrift  später  zu  erörtern  ist. 
Nach  Beseitigung  der  störenden  Hüllen  ist  die  Gestalt  im  wesent- 
lichen folgende. 

Die  Dille1),  mit  kurzen  senkrecht  abstehenden  Ohren  am 
unteren  Ende,  geht  nicht  ganz  bis  zur  Mitte  des  Eisens.  In  sie 

cristallen,  sant  Kunegunden  arm,  saute  Mauricien  aper  me  unsere 
herr  e n na  bete  und  ein  »über  enfuder  darüber, dar  cruzemit  der kedene 
und  mit  deute  heilichdome,  die  güldene  crone  mit  gülden  cruce,  zwei  swert 
mit  zwein  seliciden  gezieret  mit  edulem  gcsteinc.  daz  gülden  vingerlin  mit 
deme  robine  linde  vier  gaphire,  den  gülden  appcl  mit  dem  cruce,  den  kaiser- 
lichen inantel*  usw.  Daß  das  .gülden  cruce  mit  edclen  steinen  gezieret“  das 
Reliquiar  ist.  wird  durch  den  Vergleich  mit  den  Urkunden  von  1350,  oben 
S.  45  A.  3,  gesichert. 

')  Gregor  IX.  an  Friedrich  IL:  Cruz  ubi  est  lignum  Domini,  oben 
S.  27  A.  1. 

*)  Benzo  von  Alba,  oben  S.  27  A.  1 (1085/86):  sancta  cruz  gravida 

ligni  dominici. 

*)  Wegen  der  Inschrift: 

t Ecce  crucem  Domini  fugiat  pars  hostis  iniqui, 

Hinc,  Chuonrade,  tibi  cedant  omnes  inimici, 
die  seit  des  Nürnberger  Kal  »Schreiber«  Johann  Müllners  .Relation“  von 
1630  (von  Murr  als  Anhang  zu  Koeders  l’odcz  historicus  tcstimonioruin 
de  fatis  klinodiorum  abgedruckt)  S.  421  f.  falsch  auf  Konrad  III.  bezogen  wird. 

4)  Genaue  Beschreibung  bei  Leittier,  Die  hervorragendsten  Kunstwerke 
der  Schatzkammer  des  Österreichischen  Kaiserhauses  S.  26  ff.  Gute  Ab- 
bildungen ebenda  und  mit  sorgfältiger  Angabe  der  Maßo  ßei  Mel;,  Revue 
de  l'Art  chretien  1897  S.  287  und  289.  Ich  hebe  im  folgenden  natürlich 
nur  das  für  meinen  Zweck  Wesentliche  hervor  und  verweise  für  alles 
Nähere  auf  Leitner. 

*)  Es  wird  erwähnt  in  dem  Inventar  von  1246,  s.  oben  A.  5 zu  S.  45. 

e)  Sie  müßte  Liudprands  „mittlerem  Grat“  entsprechen. 


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47 


sind  der  Länge  nach  zwei  flache  Seitenteile  eingefalzt,  die  sich 
nach  der  Klinge  zu  verjüngen  und  früher  mit  Lederriemen,  jetzt 
meist  mit  Silberdraht  an  die  Dille  gebunden  sind.  An  die  Dille 
setzt  sich  als  ein  längliches  Spitzoval  das  Spießblatt,  in  dessen  Mitte 
der  ganzen  Länge  nach  ein  leerer  Raum  ausgestemmt  ist,  um  einen 
merkwürdig  gestalteten  Nagel  aufzunehmen  *).  Als  Ganzes  gesehen, 
verjüngt  sich  das  Eisen  also  nicht  von  seiner  Wurzel  bis  zur 
Spitze  ununterbrochen,  hat  auch  nicht  etwa  in  der  Mitte  eine 
Ausbuchtung,  sondern  da,  wo  die  beiden  ungleichen  Hälften  Zu- 
sammenstößen, eine  sehr  merkliche  Einschnürung,  die  auch  durch 
die  beiden  Hüllen  für  den  Beschauer  nicht  ausgeglichen  wird. 

Nun  zu  der  Beschreibung  Liudprands.  Er  sagt*):  „Erat 
enim  exepta  ceterarum  specie  lancearum  novo  quodam  modo  novaque 
elaborata  flgura,  habens  iuxta  lumbum  medium  utrobique 
fenestras.  Hec  (!)  pro  pollicibus  perpulcrae  duae  acies 
usque  ad  declivum  medium  lanceae  extenduntur.  Hane 
igitur  Constantini  Magni,  sanctae  filii  Helenae,  vivifieae  crueis 
inventricis,  fuisse  adfinnant,  quae  media  in  spina,  quam  lum- 
bum superius  nominavi.  ex  clavis  manibus  pedibusque  domini  et 
redemptoris  nostri  Jesu  Christi  adfixis  cruces  habet/ 

Das  heißt:  „Die  Lanze,“  oder  richtiger  die  Lanzenspitze 
oder  das  Lanzeneisen,  „hat  neben  dem  mittlern  Grat  zu  beiden 
Seiten  fensterartige  Öffnungen.“  Was  dann  folgt,  ist  sehr  schwierig 
zu  verstehn.  Nehmen  wir  zuerst  die  Worte,  wie  sie  überliefert 
sind.  Dann  muß  „Hec“  gleich  „Hae“  gesetzt  und  mit  acies  ver- 
bunden werden,  das  in  jedem  Falle  Nominativ  Pluralis  ist.  „Acies“ 

’)  Der  Nagel  wird  heute  durch  4 parallele  Schnürungen  von  Silber- 
draht rund  um  'die  Schneide  festgehalten.  Er  hat  durch  Ausbrechen  des  nach 
unten  gerichteten  Stückes  eine  Stütze  verloren.  Dieses  fehlende  Stück 
glaubt  Leitncr  S.  57  f.  in  einer  von  Karl  IV.  dem  Prager  Domschatz 
(St  Veit)  verehrten  Reliquie  wiederzuerkennen.  — Übrigens  besteht  an  dem 
Wiener  Eisen  das,  was  allgemein  als  ein  Nagel  gilt,  vielleicht  doch  aus 
zweien,  die  mit  den  Köpfen  aneinander  gestellt  sind.  Entscheiden  läßt  sich 
das  natürlich  nur  durch  erneute  Untersuchung  des  Stückes  selber.  Ich 
kann  darauf  verzichten.  Denn  Liudprands  Beschreibung  paßt  dazu  in  keinem 
Falle.  Daß  eine  Anordnung,  die  möglicherweise  die  modernen  Fachleute 
täuschte,  auch  unsero  mittelalterlichen  Gewährsmänner  irre  führen  konnte, 
wird  niemand  leugnen. 

*)  Antapodosis  IV  25  S.  91. 


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48 


müßte  dann  dasselbe  wie  vorher  „fenestrae“  bedeuten.  Nun  wird 
aber  „Pollex“  im  Gegensatz  zu  „lumbus,“  dem  mittlem,  als  ein 
Seitengrat  erklärt1),  die  „pollices“  sind  hier  also  die  beiden 
durch  die  bezeichneten  Öffnungen  abgetrennten  Seitenkanten 
des  Eisens,  die  mit  dem  Mittelgrat  sich  in  der  Spitze  ver- 
einigen. „Acies“  kann  ich  dann  aber  nur  als  eine  zweite  Be- 
zeichnung für  diese  Seitenkanten  ansehen,  die  damit  jede  als 
Schneide  gedacht  erscheinen.  Dadurch  verliert  das  „Hec“  jede 
Beziehung  zum  Vorhergehenden  und  wird  völlig  unverständlich. 
Ich  halte  es  darum  für  notwendig  mit  Alberich1)  „ae“  statt  „Hec“ 
zu  lesen.  Was  heißt  nun  „ad  declivum  medium  lanceae“?  Darauf 
läßt  sich  erst  im  5.  Kapitel  bestimmter  antworten.  Hier  ist  nur 
zu  betonen,  daß  unter  „lancea“  auch  in  diesem  Falle  das  Lanzen- 
eisen unter  Ausschluß  des  Schafts  verstanden  werden  muß5).  Wir 
haben  also  folgenden  Satz  gewonnen:  „und  die  für  Seitenkanten 
sehr  schönen  beiden  Schneiden4)  ziehen  sich  bis  zur  abfallenden 
Mitte  (oder  zum  mittlem  Abfall)  des  Lanzeneisens  hin.“  Liud- 
prand  schließt : „An  dem  genannten  mittlern  Grat  hat  das  Lanzen- 
eisen Kreuze  aus  den  Nägeln,  die  durch  die  Hände  und  Füße 
Christi  geschlagen  waren4).“ 

Auch  diese  Beschreibung  gibt  ein  in  der  Hauptsache  völlig 
klares  Bild,  aber  ein  durchaus  anderes,  als  es  das  Wiener 
Lanzeueisen  bietet,  eine  Tatsache  unbestreitbar  und  offen  zu  Tage 
liegend,  aber  bisher,  so  viel  ich  sehe,  nicht  bemerkt e). 

')  Du  ( 'ange,  Glossarium  mediae  et  intimae  latiuitatis,  editio  nova 
aucta  a L.  Favre  (1885)  s.  v.  lumbus  („sumpta  a vitibus  nomcnclatura“). 

3)  S.  nächste  Anmerkung. 

J)  Darum  ist  die  Lesart  Alberichs  von  Trois  Fontaines  zu  929,  Leib- 
niz  Access,  histor.  11  266:  ac  pro  pullicibus  propulchrae  duae  ansae  usquc 
ad  declivum  medium  lanceac  extendebantur,  unmöglich.  Sie  verdankt  ihren 
Ursprung  offenbar  nur  einem  Mißverstehen  des  Ausdrucks  „pollices“,  wie  es 
ähnlich  auch  der  Übersetzung  in  den  .Geschichtschreibern  der  deutschen 
Vorzeit“  zugrunde  liegt. 

4)  Oder:  .und  als  Seitenkanten  ziehen  sich  zwei  sehr  schöne 

Schneiden“  usw. 

s)  Das  kann  man  nicht  von  solchen  Kreuzen  verstehen,  wie  sie,  mit 
Gold  auigelegt,  an  der  Wiener  Lanze  auf  jeder  Seite  der  Ohren  und  des 
Nagels,  in  diesen  dreimal,  eingehauen  sind. 

6)  Weder  von  Leitner,  noch  von  Frzezdziecki  oder  von  Mely,  die  beide 
die  Beschreibung  Liudprands  mit  der  Wiener  und  auch  mit  der  Krakauer 


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43 

Es  kann  kein  Zweifel  bestehen,  die  heute  in  Wien  bewahrte 
Lanze  ist  nicht  die  von  Liudprand  um  die  Mitte  des  10.  Jhs.  be- 
schriebene, ist  nicht  die  wahrscheinlich  326  von  Heinrich  I.  erworbene. 

Nach  Liudprand  hatte  die  deutsche  Königslanze  Kreuze  am 
Eisen.  Arnold  von  St.  Emmeram  nennt  unter  Konrad  H.  die 
heilige  Lanze  crucifera l).  Aber  es  bleibt  zunächst  zweifelhaft, 
worauf  sich  dieser  Ausdruck  bezieht.  Denn  ein  bekanntes  Bild 
in  dem  Bamberger  Missale  Heinrichs  II.  zeigt  den  König,  wie 
ihm  zwei  schwebende  Engel  von  rechts  und  links  Lanze  und 
Schwert  reichen*).  Die  Lanze  ist  gewiß  die  heilige  Lanze;  die 
Form  des  Eisens  läßt  sich  indes  nicht  bestimmen,  da  die  Spitze 
in  einem  edelsteinbesetzten  Futteral  steckt,  das  auf  der  Spitze 
ein  Kruzifix  trägt.  Daß  wir  ein  solches  Futteral  sonst  nicht 
kennen,  fällt  natürlich  nach  keiner  Seite  ins  Gewicht.  Trotzdem 
ist  nicht  daran  zu  zweifeln,  daß  noch  unter  Konrad  II.  das  erste 
Exemplar  existierte.  Denn,  wie  unten  zu  zeigen,  die  1025  von 
Boieslaw  Chabri  angenommene  polnische  Königslanze  ist  eine  Nach- 
bildung der  deutschen  und  stimmt  genau  zu  der  Beschreibung 
Liudprands  *).  Weiter  ist,  wenn  wir  in  Arnolds  Worten  an  sich 

Lanze  verglichen.  Prz.  kannte  die  Wiener  Lanze  allerdings  noch  nicht  ohne 
die  störenden  Höllen. 

•)  De  S.  Emmerammo  II  33,  MO.  38.  IV  567,23:  ex  more  precednnte 
sancta  et  crucifera  imperiali  lancea.  Dali  Arnold,  der  in  den  Jahren  1035 
bis  37  schrieb,  nicht  die  Kaiaerlanze  seiner  Zeit,  sondern  nur  die  von  Otto  III. 
996  geführte  meint,  ist  nicht  glaublich. 

9)  Jetzt  in  München,  Kgl.  Bibliothek  Cim.  60  (=  Cod.  lat.  Monac.  4456), 
f.  11a.  Farbige  Abbildung  bei  J.  H.  von  Hefncr-AItcneck,  Trachten 
Kunstwerke  und  Gerätschaften  vom  frühem  Mittelalter  bis  zum  Ende  des 
18.  Jahrhunderts  I*  (1879)  Tafel  47,  doch  fehlt  hier  der  musivische  Hinter- 
grund mit  den  Umschriften  (davon  auf  die  Lanze  bezüglich:  Propulsans 
coram  sibi  confert  angelus  hastam),  den  die  ebenfalls  farbige  Tafel  bei 
Ed.  Hcyck,  Deutsche  Geschichte  I (Bielefeld  und  Leipzig  1905)  zu  S.  328 
Abb.  205  bietet.  Bemerkenswert  ist  der  lange  knorrige  Schaft  der  Lanze. 

Auf  f.  11b  desselben  Codex  steht  rechts  von  dem  thronenden  König  mit 
Krone,  Scepter  und  Apfel,  ein  Mann  mit  dem  Schwert,  links  einer  mit  Schild 
und  Lanze,  Hefner-Alteneck  I9  Tafel  48;  ebenso,  aber  beide  links,  in  Cim. 
58  f.  24a  (Otto  III.)  Die  Lanze  ist  beide  Male  mit  anders  geformter  Spitze 
dargestellt,  aber  durch  nichts  von  einer  gewöhnlichen  unterschieden.  Vgl. 
Giesebrecht  Geschichte  der  deutschen  Kaiserzcit  II9  609  f. 

*)  Unten  S.  73  f. 

Hofmeister,  Die  heilige  Lanze  d 


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nicht  mit  Sicherheit  die  Lanze  Liudprands  wiederfinden,  zum 
mindesten  klar,  daß  die  bei  ihm  gemeinte  bereits  von  Heinrich  II. 
geführt  wurde,  und  so  ergibt  sich  doch,  daß  nicht  nur  zu  An- 
fang von  Konrads  II.  Regierung,  sondern  noch  1035 — 37  das 
alte  Eisen  existierte. 

Zu  Ende  des  11.  Jahrhunderts  war  dagegen  schon  das  heutige 
Wiener  Eisen  dafür  eingetreten1).  Zwischen  1035  und  1099  hat 
es  das  ursprüngliche  an  der  deutschen  Königslanze  ersetzt.  Ist 
dafür  eine  Erklärung  möglich? 

Die  Reichsinsignien  und  im  besonderen  die  Lanze  begleiteten 
gewöhnlich  den  Herrscher  auf  seinen  Zügen  im  Kriege  nicht  minder 
als  im  Frieden.  So  waren  sie  mannigfachen  Fährlichkeiten  aus- 
gesetzt, und  wir  wissen,  daß  sie  zu  wiederholten  Malen  in  feind- 
liche Hände  kamen*).  Es  ist  sehr  möglich,  daß  hin  und  wieder 

■)  Landulf  Hist.  Mediolan.  III  31,  MG.  SS.  VIII  98  (Heinrich  IV. 
im  Kampf  mit  den  Sachsen  und  Rudolf):  (Der  König)  suis  (die  in  Gefahr 
sind)  cum  Omnibus  militibus  praeter  illos,  quibus  lancea,  in  qua  Dei 
clavus  erat  inclusus,  Romani  imperii  stabilimentum  ab  hostibus  durissi- 
mis,  curabatur,  citissime  occuirit  et  occurrendi  multos  libcravit  virtute. 
Heinrich  IV.  an  Hugo  von  Cluny,  1106,  Mignc  Patrol.  lat.  159,  934:  super 
crucem  et  dominicum  darum  cum  lancea  . . . iuravit  (der  Sohn  dem 
Vater  1099).  Adalbert,  Vita  Heinrici  II.  c.  31,  MG.  SS.  IV.  810  Note  i 
Zusatz  des  Cod.  bibl.  unir.  Dips.  N.  844  (und  danach  Ann.  Reicherspcrg. 
1004,  MG.  SS.  XVII  445,5):  lanccam  claro  dominice  passionis 

insignitam.  Gottfried  ron  Viterbo,  Pantheon  XXVI  3,  MG.  SS. 
XXII  273:  Lancea  Mauricii  . . . Olavus  natrique  Dei  iunctus  habetur  ei. 
Gregor  IX.  an  Friedrich  II.  1227,  MG.  Epistolae  saec.  XIII.  selectae  I N.  365 
S.  279:  lancea  ubi  clavus  eius  consistil.  Usw. 

*)  Zuerst  978,  als  Otto  II.  vor  Lothar  von  Frankreich  in  eiliger  Flucht 
aus  Aachen  weichen  mußte,  Richer  Historiae  III  71  ed.  Waitz  S.  111: 
Regia  quoque  insignia  a penetralibus  erepta  asportantur.  Mit  Waitz  VG. 
VI*  S.  386  f.  wird  zwar  gewöhnlich  bestritten,  daß  hier  die  eigentlichen 
Reichsinsignien  gemeint  seien.  Meines  Erachtens  ist  ein  Zweifel  daran 
nicht  möglich.  Denn  mit  dem  kaiserlichen  Hofe  befanden  sich  zur  Zeit  des 
Überfalls  natürlich  auch  die  Reichskleinodien  in  Aachen.  Richer  sagt  aus- 
drücklich, daß  Otto  „relicto  palatio  atque  regio  apparatu“  geflohen  sei, 
und  „regius  apparatus“  heißt  eben  „die  königlichen  Insignien“,  wie  Thietmar 
IV  50(31):  corpus  imperatoris  cum  apparatu  imperiali,  lancea  duintaiat  ex- 
cepta,  beweist.  — 1176  bei  Legnano  erbeuteten  die  Mailänder  Schild,  Fahne, 
Kreuz  und  Lanze  des  Kaisers,  s.  oben  S.  27  A.  2.  Aber  auch  damals  wurden  sie, 
wie  das  erste  Mal,  wieder  zurückgegeben:  durch  den  Erzbischof  Konrad 
von  Salzburg  ließ  der  Kaiser  nach  dem  Frieden  „crucem  et  lanceam  Domini 


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ein  Stück  völlig  in  Verlust  geriet  und  dann  durch  ein  neues 
ersetzt  werden  mußte.  In  der  kritischen  Zeit  ging  in  den  Kämpfen 
um  Würzburg  die  Königslanze  bei  Pleichfeld  verloren,  wurde 
jedoch  alsbald  wiedergewonnen  ').  Aber  2 Jahre  später  fiel  sie 
vor  Gleichen  in  Thüringen  aufs  neue  den  Sachsen  unter  Markgraf 
Ekbert  von  Meißen  in  die  Hände  *).  Ist  sie  bei  dieser  Gelegenheit 
endgültig  in  Verlust  geraten,  und  hat  Heinrich  IV.  damals  zum 
Ersatz  das  heute  in  Wien  befindliche  Eisen  — etwa  aus  den  Stücken 
des  alten  — vielleicht  zerhauenen  — anfertigen  lassen?  Es  ist 
das  eine  Möglichkeit’),  aber  auch  nicht  mehr. 

Wir  wissen  nicht,  was  aus  der  ursprünglichen  Lanze  wurde. 
Sicher  ist  nur,  daß  das  Reich  stets  nur  eine,  nicht  mehrere  Lanzen 
neben  einander  besaß4). 

et  alia  imperii  insignia“  in  der  Stille  nach  Deutschland  bringen,  Continuatio 
Claustroneoburgenais  tertia  der  Melker  Annalen  1178,  MG.  SS.  IX  632,20. 
Was  die  Parmesen  1248  erbeuteten,  vgl.  Frensdorf! Nachr.  v.  d.  kgl.  Ges. 
d.  Wiss.  zu  Göttingen  ph.-hist.  Kl.  1897  S.  52  A.  6,  waren  nicht  die  eigent- 
lichen Reichsinsignien:  diese  ruhten  damals  auf  dem  Trifels,  s.  oben  S.  33 
A.  2. 

')  Ann.  Augustani  1086,  MG.  SS.  III  132:  hastam  etiam  regiam 
deauratain  ab  hoatibus  abroptam  recepit.  Schlacht  bei  Pleichfeld  1086 
Aug.  II. 

*)  Bernold  1088,  MG.  SS.  V.  448,15:  Iternm  Saxones  factione  Eggiberti 
marchionis  Heinrico  rebellarunt  eumque  ablatis  sibi  regalibus  insignibus 
de  obsidione  cuiusdam  munitionis  in  quendam  montem  turpiter  fugarunt, 
und  1089,  ebenda  Z.  25:  Ipse  autem  Heinricus  perditis  regalibus  insignibus 
rix  de  manibns  insequentium  eripitur:  sicque  usquc  ad  Babinberc  de  Thu- 
ringia  fugiendo  tandem  pervenit  ibique  inglorius  sollemnizare  compellitur. 
Der  Träger  der  Königslanze  fand  damals  seinen  Tod,  s.  oben  S.  27  A.  2; 
der  Unglückstag  war  der  24.  Dez.  1088. 

’)  Landulf  von  Mailand,  oben  S.  50  A.  1,  konnte  leicht  die  Lanze 
der  90er  in  die  70 er  Jahre  zurücktragen;  von  der  verschiedenen  Form 
wußte  er  schwerlich  etwas.  Nach  Leitner  Die  hervorragendsten  Kunstwerke 
der  Schatzkammer  S.  27  ist  bei  der  Wiener  Lanze  das  Spießblatt  in  der 
Mitte  zerbrochen  und  durch  aufgeschweißte  Eisenplättchen  und  ein  um  die 
Bruchstelle  geschmiedetes  eisernes  Band  wieder  zusammengefügt.  Er  meint 
der  Schaden  möge  bei  der  Herstellung  der  Öffnung  für  den  Nagel  entstanden 
sein.  Eher  möchte  ich  daran  denken,  daß  nach  ihm  Karl  IV.  ein  Stück 
des  Nagels  herausbrach,  wenn  nicht  ein  Unfall  in  einem  der  Kämpfe  des 
11.  oder  12.  Jahrhunderts  daran  Schuld  ist. 

*)  Das  geht  aus  den  Verzeichnissen  von  1246,  1350,  1423 — 24  hervor. 
Aventin  ist  meines  Wissens  der  erste,  der  zwei  Lanzen  nebeneinander  nennt, 

4' 


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Gerade  unter  Heinrich  ni.  oder  IV.  soll  Markgraf  Ernst  von 
Österreich  (1055 — 1075)  dem  Kloster  Melk  die  heilige  Lanze  ge- 
schenkt haben,  die  dort  noch  heute  bewahrt  wird.  Seit  wir  zuerst 
von  ihr  hören,  gilt  sie  als  Lanze  des  heiligen  Mauritius,  wie  das 
über  200  Jahre  auch  für  die  deutsche  Königslanze  der  Fall  war. 
Die  Melker  Überlieferung  beginnt  gerade  im  14.  Jahrhundert') 
zu  einer  Zeit,  wo  der  Mauritius-Name  für  diese  bereits  tot  war*). 
Aber  die  heutige  Wiener  Lanze  ist  durch  eine  Inschrift  als  die 
ehemalige  Mauritius-Lanze  gesichert.  Das  Melker  Eisen  ist  auch 
nicht  das  ursprüngliche,  von  Heinrich  I.  erworbene  Stück.  Denn 
seine  Form*)  stimmt  nicht  zu  der  Beschreibung  Liudprands.  So 
ist  die  Melker  Lanze  überhaupt  keine  deutsche  Königslanze;  eine 
positive  Erklärung  kann  ich  für  sie  allerdings  nicht  geben4). 

Annales  ducum  Boiariae  1.  VII.  c.  16,  hgb.  von  Riezler  II  415:  sacra  au- 
gustalia,  imperii  ingignia,  bastam,  clavog,  vivificae  crucis  magnam  partem, 
quae  Christus  servator  uoster  sangaine  suo  consecrarit,  divat;  Anna«  bracchium, 
dentem  divi  Joannis  baptistae,  ensem  atque  hastam  divi  Mauritii, 
diadema  aureum,  ensem  Caroli  Magni  et  alia  huiuscemodi  penetralia  numero 
centum  viginti. 

')  Im  Necrologium  Melliccnso  s.  XII.  fügt  eine  Hand  des  14.  Jbs.  zu 
der  Eintragung  „V.  Idus  Junii  Kraust  marchio  obiit“  hinzu:  „Lanceam  s. 
Mauricii  et  crateram  beati  Udalrici  Medlicam  attulit“,  MG.  SS.  IX.  499  A. 
17.  Dann  die  Historia  fnndatinnis  coenobii  Mellicensia  bei  Kollar  Analecta 
Monumentorum  omnis  aevi  Vindobonensia  I (1761)  S.  876:  contulit  loco 
nostro  Melicensi  lanceam  s.  Mauricii,  in  qua  impressa  videtur  portio  quae- 
dam  dominici  ligni  s.  crucig,  quam  angelus  Dei  impressit  usw.  (auch  bei 
Hueber,  s.  nächste  Anmerkung).  Vgl.  J.  E.  Keiblingcr,  Geschichte  des 
Benedictiner-Stiftes  Melk  in  Nieder- Österreich  1,  2.  Ausgabe  Wien  1868, 
S.  168—171. 

*)  S.  unten  S.  79. 

*)  Abbildung  und  Beschreibung  bei  Phil.  Hueber,  Austria  ex  arebivis 
Mellicensibus  illustrata,  Lipsiae  1722,  S.  297.  Es  ist  von  ganz  einfacher 
Gestalt,  nicht  durchbrochen:  in  der  Mitte  ist  das  Holz  vom  Kreuz  zu  sehen. 
Als  Länge  geben  Hueber  und  Keiblinger  2 Wiener  Put!  an;  die  Abbildung, 
die  in  natürlicher  Größe  sein  soll,  ist  34,4  cm  lang.  Das  Eisen  hat 
keinen  Schaft,  die  Fassung  (aus  der  Zeit  Herzog  Rudolfs  IV.  1358 — 1365) 
ist  in  den  Napoleonischen  Kriegen  in  die  Münze  gewandert. 

4)  Daß  die  Melker  Lanze  nicht  mit  der  ungarischen  Königslanze  iden- 
tisch sein  kann,  hat  Zeißberg,  Zeitschrift  für  die  österreichischen  Gym- 
nasien XVIII  (1867)  S.  334  A.  78  mit  Recht  gegen  Keiblinger  bemerkt. 
Aber  seine  eigene  Ableitung  aus  der  Heirat  Emsts  I.  (+  1015)  mit  der 
Gisela  von  Schwaben,  der  Nichte  Rudolfs  III.  von  Burgund  (S.  335),  ist 


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53 


Heilige  Lanzen  kennt  man  ja  an  vielen  Orten  '),  und  der  Name 
des  hl.  Mauritius  kann  auf  einer  vagen  Erinnerung  an  die  alte 
Bezeichnung  der  Reichslanze  beruhen. 

Die  Möglichkeit,  daß  wir  die  alte  Lanze  irgendwoanders 
wieder  vorfinden,  ist  immerhin  ins  Auge  zu  fassen;  sie  kann 
jedenfalls  nicht  von  vornherein  verneint  werden. 

kaum  weniger  phantastisch.  Auch  v.  d.  Hägens  Gleichsetxung  der  Melker 
Lanze  mit  der  des  Hugo  yon  Flavigny,  Minnesinger  IV.  673  A.  4,  wird 
durch  unsere  weiteren  Ausführungen  hinfällig. 

')  Vgl.  Mely,  Hevue  de  l’Art  chreticn  1897  S.  302:  Müllners  Relation 
bei  Roeder  Codex  historicus  testimoniorum  de  fatis  kiinodiorum  S.  436: 
Herold  in  der  unten  S.  83  A.  1 genannten  Abhandlung.  Eine  Lanze  des 
bl.  Udalrich  will  man  in  Ebenfurth  an  der  Leitha  besitzen,  Keiblinger 
a.  a.  0.  S.  171  A.  2. 


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Viertes  Kapitel 

Die  deutsche  Königslanze  als  Mauritius- Lanze 

Bei  Liudprand  ist  die  deutsche  Königslanze  die  Lanze  Kon- 
stantins, das  Wiener  Lanzeneisen  aber  zeigt  auf  seiner  silbernen 
Hülle  die  folgende  Inschrift'):  CLAVVS  DOMINICVS  + 

HEINRICVS  D[E]I  GRA  TERCIVS  ROMANO  IMPERATOR  AVG 
HOC  ARGENTUM  IVSSIT  — FABRICARI  AD  CONFIRMATIONE 
CLAVI  DNI  ET  LANCEE  SANCTI  MAVRICII.  SANCTVS 
MAVRICIVS.  Die  Wiener  Lanze  ist  also  eine  Mauritius-Lanze. 

Daß  bereits  Karl  Martell  die  Lanze  dieses  Heiligen  gegen 
die  Saracenen  geführt  habe,  beruht  auf  einem  Mißverständnis 
recht  jungen  Datums*),  und  kaum  über  das  Jahr  1100  geht  die 

')  Ich  gebe  sie  nach  der  Abbildung  bei  Leitncr  a.  a.  0.  S.  27. 

*)  Karl  Martell  bei  Poitiers  732  Moreri  Le  Grand  Dictionnairc  histori- 
que,  Nouvelle  edition  par  M.  Dronet  VII.  (Paris  1759)  s.  v.  Maurice  (Saint) 
S.  359  und  danach  Przezdziocki  in  der  Biblioteka  Warszawska  1831  S.  510 
und  523.  Offenbar  liegt  hier  ein  Mißverständnis  von  Wilhelms  von  Malmes- 
bury  Gesta  regum  Angloruni  II  135,  MG.  SS.  X.  460,15  (aus  den  Jahren 
1119—24)  zu  Grunde,  wonach  Hugo  von  Francien  im  10.  Jahrhundert  dem 
König  Aethelstan  von  England  zum  Geschenk  macht  „lanceatn  Karoli  Magni, 
quam  imperator  invictissimus  contra  Saracenos  eiercitum  ducens,  si  quando 
in  hostcm  vibrabat,  nunquam  nisi  victor  abibat“,  und  „vexillum  Mauricii 
beatissimi  martyris  et  Thebeae  legionis  principis,  quo  idem  rex  in  bello 
Hispano  quamlibct  infestos  et  confertos  inimicorum  cuneos  dirumpere  et  in 
fugam  solitus  erat  cogere."  Vgl.  Mely  Revue  de  l’Art  chretien  1897  S.  298  ff. 
und  oben  S.  22  A.  I.  Die  Historia  monasterii  Croylandensis  des  angeblichen 
Ingulf  ist  ein  Machwerk  des  14.  Jahrhunderts,  F.  Liebermann  im  Neuen 
Archiv  der  Gesellschaft  für  ältere  deutsche  Geschichtakunde  XVIII  (1893) 
S.  257  ff.  Die  genannten  Stücke  haben  in  England  unseres  Wissens  nie 
eine  Rolle  gespielt. 


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55 


trübe  Überlieferung  zurück,  die  sie  Karl  dem  Kahlen  beilegt  ’). 
Auch  sie  ist  offenbar  durch  die  Vorstellungen  von  der  deutschen 
Königslanze  beeinflußt. 

Der  hl.  Mauritius  ist  der  Hauptheilige  des  Königreichs 
Hurgund.  St.  Maurice  d'Agaune  im  Wallis,  der  Ort  seiner  Marter, 
kann  als  dessen  Wiege  bezeichnet  werden*). 

Aus  Burgund  kam  die  Lanze  Liudprands,  die  Konstantin-Lanze, 
nach  Burgund  weist  auch  die  Wiener  Lanze.  Und  doch  sind  es 
nicht  dieselben ! Hat  etwa  das  deutsche  Reich  zweimal  aus  der- 
selben Quelle  eine  heilige  Lanze  bezogen?  Das  ist  in  der  Tat 
die  gewöhnliche  Annahme. 

Auf  Grund  der  mit  ihm  und  seinem  Vorgänger  geschlossenen 
Verträge  war  Konrad  II.  der  rechtmäßige  Erbe  des  kinderlosen 
Königs  Rudolfs  III.  von  Burgund.  Als  1032  der  lange  erwartete 
Todesfall  eintrat,  wurden  dem  Kaiser  im  Auftrag  des  Sterbenden 
die  Insignien  seines  Reichs  überbracht.  Die  zuverlässigen  Quellen 
heben  dabei  nur  das  Diadem  hervor  *).  Erst  Hugo  von  Flavigny 
sagt  ausdrücklich,  daß  Rudolf  dem  Kaiser  seine  Herrschaft  mit 
der  Lanze  des  hl.  Mauritius,  dem  „insigne“  des  burgundischen 

■)  Karl  der  Kahle  für  die  Kirche  Vienne,  854  Juli  6.  Arles,  J.  a 
Bosco  Floriacensis  retus  bibliotheca,  I.ugduni  1605,  iin  laevum  ryston  8.  55  f., 
vgl.  U.  Chevalier  Dcscription  analytique  du  cartulaire  du  chapitre  de  Saint- 
Maurice  de  Vienne,  Valence  1891,  S.  16,  N.  16:  intercessione  et  meritis  b. 
Mauritii  praecipui  martyris,  cuius  corona  et  lancea  noa  tibique  victores  non 
dubitamus.  Das  Stock,  eine  notorische  Fälschung,  steht  zweifellos  in  Ver- 
bindung mit  der  von  W.  Gundlach  im  Neuen  Archiv  d.  Ges.  f.  alt.  deutsche 
Geschichtskunde  XV  (1890)  S.  102,  vgl.  XIV  S.  254  A.  2,  unter  Erzbischof 
Guido  1094 — 1121  gesetzten  Fabrikation  der  unechten  Vienner  Briefe  nnd 
Urkunden. 

*)  Über  die  Geschichte  des  Klosters  vgl.  A.  Jahn,  Die  Geschichte  der 
Burgundionen  und  ßtirgundiens  bis  zum  Ende  der  1.  Dynastie,  Halle  1874, 
II.  286  fl.  Noch  heute  nennt  es  sich  die  „königliche  Abtei“  (S.  324). 

s)  Hermann  von  Reichenau  1032,  MG.  SS.  V.  121:  Roudulfns  ignavus 
Burgundiae  rcgulus  obiit  et  diadema  eius  regnique  insignia  Counrado  im- 
peratori  per  Seligcrum  allata  sunt.  Chronicon  Suevicmn  universale  1032, 
MG.  SS.  XIII  71:  Roudolfus  rez  Burgundiae  moriens  diadema  suum  Choun- 
rado  imperatori  misit.  Verwirrt  am  Ende  des  12.  Jhs.  Reincri  vita  Reginardi 
ep.  I.eod.  c.  17,  MG.  SS.  XX  577,30.  Bei  Otto  von  Freising,  Chron.  VI 
30,  MG.  SS.  XX.  242,  liegt  keine  selbständige  Überlieferung  vor. 


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5fi 

Reichs  hinterlassen  habe ').  Auf  seine  Autorität  hin  ist,  wenn 
auch  nicht  ohne  leises  Bedenken,  im  allgemeinen  dies  als  Tatsache 
angenommen  worden2). 

Die  Lanze  Konstantins  ist,  wie  bemerkt,  niemals  das  Ab- 
zeichen des  burgundischen  Königtums  gewesen;  aber  auch  die 
Mauritiuslanze  darf  nicht  weiter  als  solches  gelten. 

Hugo  von  Flavigny  schrieb  freilich  in  unmittelbarer  Nach- 
barschaft Burgunds,  aber  erst  2 Generationen  nach  dem  Tode  des 
letzten  Königs 3).  Er  bringt  unsere  Stelle,  indem  er  beim  Tode 
Odos  von  der  Champagne  vor  Bar  1037  weit  zurückgreifend  die 
Ereignisse  seit  der  Heirat  Konrads  von  Burgund  mit  Mathilde 
von  Frankreich4)  in  einen  ganz  kurzen  Abriß  zusammendrängt. 
Es  springt  in  die  Augen,  wie  er  von  einem  einzelnen  bestimmten 
Vorgang  nicht  reden  kann  und  nicht  reden  will,  wie  seine  Worte 
lediglich  die  allgemeine  Tatsache  des  Übergangs  Burgunds  an 
das  deutsche  Reich  ausdrücken  sollen.  Er  weiß  offenbar  von  der 
Mauritiuslanze  als  deutscher  Königslanze,  er  weiß,  daß  sie  aus 
Burgund  kam,  und  er  kennt  den  hl.  Mauritius  als  Patron  dieses 
Reichs.  So  verknüpft  er  ihre  Erwerbung  mit  dem  Vorgang,  der 
den  augenfälligsten  Einschnitt  in  den  Beziehungen  beider  Staaten 
bildet,  mit  dem  Anfall  Burgunds  an  Deutschland. 

Daß  die  Erzählung  Hugos  in  der  Tat  auf  diese  Weise  ent- 
standen ist,  wird  die  Betrachtung  einiger  weiterer  Berichte  lehren. 

Die  Erwerbung  der  hl.  Lanze  und  die  Erwerbung  des  König- 
reichs Burgund  sind  zwei  Ereignisse,  die  auf  Mit-  und  Nachwelt 
den  größten  Eindruck  gemacht  haben.  Sie  haben  offenbar  die 
Phantasie  aufs  lebhafteste  beschäftigt,  und  es  ist  nicht  zu  ver- 

')  Hugo  v.  Flavigny,  Chron.  II.  29,  MG.  SS.  VIII.  401,40:  Rodulfns 
vero  rex  absque  liberis  existons  Conrado  imperatori  ßurgundiac  regnum 
reliquit,  dans  ei  lanceam  s.  Mauricii,  quod  erat  insigne  regni 
Burgundiae.  Eo  vero  defuncto  et  Conrado  regno  potito  Odo  usw.  Nach 
ihm  Hugo  von  Flcury,  Chron.  MG.  SS.  IX,  388,10. 

’)  So  von  Waitz,  VG.  VI2  S.  298:  Gieacbrecht,  Geschichte  der 
Deutschen  Kaiserzeit  IIS  S.  272;  Breßlau,  Jahrbücher  des  deutschen  Reichs 
unter  Konrad  II.,  Bd.  II,  S.  10;  Diemand,  Das  Ceremoniell  der  Kaiser- 
krönungen S.  99  A.  1 ; Poup  ardin , Le  royaumc  de  Bourgogne  S.  148  und  382. 

3)  Wattenbach,  Deutschlands  Geschichtsquellen  im  MA.  II6  S.  135. 

*)  Zwischen  963  u.  966,  Poupardin,  Le  royaume  de  Bourgogne  S.  386. 


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57 


wundern,  wenn  die  Sage  allmählich  die  geschichtlichen  Zusammen- 
hänge völlig  verschoben  hat. 

Ihre  ersten  Anfänge  finden  wir  bei  Bonizo  am  Ende  des 
11.  Jhs.  Otto  der  Große  hat  die  Lanze  nach  ihm  gewonnen,  als 
er,  von  König  Rudolf  von  Burgund  angegriffen,  diesem  Reich 
und  Krone  raubte1). 

Weiter  ausgebildet  und  ganz  anders  gestaltet  tritt  sie  uns 
100  Jahre  später  bei  Gottfried  von  Viterbo  entgegen.  Er  kennt 
aus  Otto  von  Freising  die  Erwerbung  der  Lanze  durch  Heinrich  I., 
hat  aber  daneben  noch  eine  andere,  von  ihm  bevorzugte  Version*). 
König  Boso  von  Arles  hat  sie  danach  besessen  und  ihre  sieg- 
bringende Kraft  genossen.  Einst  bei  der  Weihnachtsmesse  in 
Arles  vergreift  sich  der  König,  erzürnt,  daß  er  nicht  dazu 
eingeladen,  an  dem  Bischof.  Da  sammeln  die  Bischöfe  seines 
Landes  ein  Heer  und  treiben  ihn  aus  dem  Reiche.  Beschämt  und 
gebrochen  zieht  er  sich  in  ein  Kloster  zurück,  nachdem  er  seine 
Herrschaft  und  die  Lanze  dem  Kaiser  Otto  übertragen  hat1). 

')  Bonizo  Ad  Amicum  1.  IV,  MG.  Libelli  de  lite  I.  581 : Otto  vir 
magnifieus  et  totus  christianissimus.  Hic  primum,  ut  superius  dizimus, 
ITngaros  dcbellavit  ....  Ladoicum  cognatum  suum  per  Ugonis  tyrannidem 
patemn  solio  pnlsum  regno  restituit.  Nam  militari  manu  intravit  Pranciam 
. . . . Inde  Aquisgrani  voniens  aquilam,  Komanorum  signum,  quod  contra 
Gennano«  multis  temporibus  alis  eiten sis  stabat,  Francigcnis  usque  hodie 
prominere  precepit  (Er  überträgt  hier,  was  Lothar  von  Frankreich  976 
unter  Otto  II.  getan,  auf  Otto  I.!).  Hinc  Maguntiam  veniens  Ruodolfum  Bur- 
gundionuin  regem  bella  sibi  inferentem  vita  privavit  et  regno.  Cuius  lan- 
cea,  insigne  scilicet  imperii,  ante  nogtras  usque  hodie  portatur  imperiales 
potestates. 

»)  Gottfried  von  Viterbo,  Pantheon  XXIII,  c.  28,  MG.  SS.  XXII,  233,5: 
Iste  Ucnricus  rex  sacram  lanceam  imperii,  quae  coram  imperatoribus  fertur, 
a Rodulfo  rege  Burgundie  minis  citorsit.  Alii  dicunt  a Bosone  rege  Pro- 
vincie  fuisse  eam  ad  imperium  [tempore  primi  Ottonis  imperatoris,  dies 
fehlt  iu  den  beiden  ersten  Redaktionen  (B  und  C)]  translatam.  Nur  die 
zweite  Version  berücksichtigt  er  in  der  Erklärung  der  Reichsinsignien  (Kreuz, 
I.anze,  Schwert,  Seopter,  Krone  und  Apfel)  Pantheon  XXVI  3,  MG.  SS.  XXII 
273  f.:  hier  heißt  es  S.  274,1:  Rex  Arelatensis  illam  dum  Boso  teneret 
Et  sibi  pugnanti  semper  fortuna  faveret,  Extitit  indigenis  terror  amara 
ferens  usw. 

3)  Imperii  solium  cum  maximus  Otto  teneret 
Et  valitura  satis  mundi  fortuna  faveret, 

Huic  rex  Boso  loquens  verba  geincndo  refert: 


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58 


Wieder  etwas  anders  gewendet  und  mit  den  üppigsten  Wuche- 
rungen einer  bis  hart  an  und  über  die  Grenzen  des  derb  komischen 
streifenden  Phantasie  zeigt  sie  uns  endlich  abermals  100  Jahre  später 
Thomas  von  Pavia ').  Ihm  hat  der  Abt  von  St.  Maurice  d’Agaune  aus 
einer  Aufzeichnung  seines  Klosters  folgendes  erzählt.  Seitdem  einst 
König  Sigismund  von  Burgund  sich  und  seine  Herrschaft  der 
Abtei  St.  Maurice  übertragen  hatte,  bekleideten  ihre  Äbte  bis 
auf  Otto  I.  nacheinander  zugleich  die  königliche  Würde.  Auf 

„Trado  tibi  regnum,  cunctos  depono  decores, 

Amodo  nostra  tibi  sacra  laucea  prcstet  honores ; 

Sola  michi  monachi  vita  colenda  foret. 


Lancea  Mauricii,  mea  quam  tibi  dextera  tradit, 

Est  capud  illorum,  que  nunc  mca  regna  notari, 

Nunc  capud  iuipcrii  lancea  saricta  dabit.“ 

')  Gesta  imperatorum  et  pontiflcum  MG.  SS.  XXII,  495  f.  (De  Ottone 
primo):  Erat  co  tempore  regnum  Ilurgundie  abbatie  s.  Mauricii.  Nam  Sigs- 
mundus  rex  Burgundie  hoc  monastcrium  construxit  ....  et  ....  ae  et 
regnum  auum  predicto  tnonasteri»  contulit  (Nam-contulit  aus  Vincenz  von 
Beauvaia),  a quo  tempore  uaque  ad  teinpus  huius  Ottonia  plurea  abbates 
successive  abbatica  et  regia  dignitate  potiti  sunt  ....  In  hoc  monaatcrio 
imperialia  insignia,  acilicet  frenum  factum  de  clavis  Christi  et  lancea  et 
corona,  conscrvabantur  ex  mandato  summi  pontiiieis  nulli  tradenda  niai  ei, 
quem  summus  pontifex  in  imperatorein  aliquandn  designaret.  que  preaentaret 
pape,  cum  ab  ipso  esset  corona  imperii  decorandus.  Otto  igitur  mandat 
abbati,  ut  sibi  imperatori  hcc  sine  mora  transmittat.  Kcspondit  abbas 
dicens  nunciis,  se  illa  nulli  daturum  nisi  de  mandato  summi  pontiiieis  .... 
Liberi  igitur  facti  (sc.  nobiles)  imperatori  homagium  facinnt,  terras  suas 
in  porpetuum  feudum  suacipiunt,  aicque  a tempore  illo  regnum  Burgundie 
in  ins  imperii  translatum  est.  Ilabitis  ergo  insigniis  Otho  cum  potenti 
manu  Ytaliam  petiit  et  Romam  venit,  a summo  pontifice  coronam  potens 
imperii.  Negat  sibi  papa,  quod  petit,  nisi  ecclesiam  s.  Mauritii  in  pristinum 
statum  reducat.  Hoc  impossibile  fore  imperator  respondit,  cum  castra  for- 
tissima  nobilibus  infeudaverit  et  totum  regnum  Burgundie  in  ius  im- 
periale transtulerit:  satisfactionem  possibilcm  sibi  sc  facturuin  promittit 
. ...  In  recompensationem  vero  delicti  abbatiam  in  quo  prius  fuerat  loco 
rehedificari  fecit  eodem  nomine,  sed  non  cquali  magnitudine,  possessionum 
latitudine  vel  honore.  Reversus  ctiam  in  Alamaniam  in  alodio  proprio  apud 
Magdeburoch  ecclesiam  mire  pulcritudinis  ad  honorem  s.  Mauricii  fabricans 
divitiis  magnis  et  honoribus  ampliavit  (Reversus  — ampliavit  aus  Martin 
von  Troppau).  Hoc  in  monastcrio  s.  Mauritii  in  dyocesi  Sedunensi  a quo- 
dam  venerabili  abbate  eiusdem  monaaterii  audivi,  eo  affirmante,  quod  omnia 
hec  in  quodaui  libro  huius  monaaterii  scripta  erant. 


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Anordnung  des  Papstes  bewahrte  man  im  Kloster  die  kaiserlichen 
Insignien,  den  Zaum  aus  den  Kreuzesnägeln,  Lanze  und  Krone, 
um  sie  nur  zum  Zwecke  der  Krönung  an  den  auszuliefem,  den 
der  Papst  zum  Kaiser  bestimmte.  Otto  I.  verlangte  ihre  Aus- 
lieferung, der  Abt  verweigerte  sie  ihm,  da  keine  päpstliche 
Anordnung  dazu  vorliege.  Es  kam  zum  Kampf,  aber  erst  beim 
zweiten  Versuch  siegte  der  König  durch  Verrat  und  Bestechung 
und  zerstörte  „in  furore  Theotonico“  ')  die  Abtei  von  Grund  aus. 
Da  leistete  ihm  der  burgundische  Adel  den  Treueid  und  nahm 
seinen  Besitz  von  ihm  zu  Lehen.  So  kam  Burgund  an  das  Reich. 
Mit  den  Insignien  zog  Otto  nach  Rom  und  ward  vom  Papst  zum 
Kaiser  gekrönt,  nachdem  er  versprochen  hatte,  sein  Unrecht  an  dem 
Gotteshaus  nach  Möglichkeit  wieder  gut  zu  machen.  Er  haute 
auch  wirklich  die  Abtei  wieder  auf.  aber  ihren  alten  Glanz  er- 
reichte sie  nicht  wieder,  denn  das  Königtum  Burgund  hatte  er 
ans  Reich  genommen  und  ihre  festesten  Burgen  dem  Adel  zu 
Lehen  gegeben. 

Es  ist  kein  Zufall,  dak!  die  beiden  Ereignisse  in  der  Sage  an 
den  Namen  Ottos  des  Großen  geknüpft  sind.  Vor  Otto  I.  war 
die  Abhängigkeit  Burgunds  von  Deutschland  im  besten  Falle  eine 
leere  Form.  Er  war  es,  der  sie  als  erster  energisch  und  augen- 
fällig wirksam  machte.  Nach  dem  Tode  Rudolfs  II.  im  Juli  937 
hat  er  gegenüber  den  Aspirationen  Hugos  von  Italien  rücksichts- 
los durchgegriffen,  die  Person  des  jungen  Königs  Konrad  in  seine 
Gewalt  gebracht  und  während  mehrerer  Jahre  bis  zu  dessen 
Mündigkeit  selbst  die  Regierung  geführt*).  Konrad  erscheint 

auch  weiterhin  ganz  unter  dem  Einfluß  des  deutschen  Königs  und 
häufig  in  dessen  Umgebung:  Burgund  ist  ein  Nebenland  des  Reichs, 
ein  Verhältnis,  das,  durch  die  Ehe  Ottos  I.  mit  Konrads  Schwester 
noch  enger  geknüpft,  auch  unter  Adelheids  Sohn  und  Enkel 
erhalten  blieb3).  Das  Eingreifen  Ottos  hat  das  Schicksal  des 

')  Über  den  Furor  Teutonicus  vgl.  Dümmler,  Sitzungs-Berichte  der 
Kgl.  Preuß.  Akad.  der  Wissensch  zu  Berlin  1897  S.  112  ff.,  wo  ich  diese 
Stelle  nicht  angezogen  finde. 

*)  Widukind  II  35:  regem  cum  regno  in  suam  accepit  potestatem. 
Flodoard  Ann.  940,  MG.  SS.  III  387,  15:  cd.  Lauer  S.  78:  Conradum  . . . 
quem  iam  dudum  dolo  captum  sibiquc  adductum  retincbat. 

*)  Über  die  Form  der  Abhängigkeit  ist  nichts  überliefert,  doch  halte 
ich  es  (gegen  Hirsch,  Jahrbücher  des  deutschen  Reichs  unter  Heinrich  11., 


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burgundischen  Reichs  entschieden  und  damit  zum  guten  Teil  die 
Stellung  Deutschlands  und  Frankreichs  bis  über  das  Mittelalter 
hinaus  bestimmt. 

Deutlich  spiegeln  sich  in  der  Sage  die  inneren  Verhältnisse 
Burgunds  wieder,  vor  allem  der  übenagende  Einfluß  der  hohen 
Geistlichkeit.  Unmittelbar  in  die  Entstehungszeit  führt  uns  die 
Fassung  des  Thomas  von  Pavia.  Die  Behauptung,  daß  die  Abte 
von  St.  Maurice  Könige  von  Burgund  gewesen  seien,  entspricht 
durchaus  den  Tatsachen,  abgesehen  davon,  daß  das  13.  Jahr- 
hundert sich  dies  nur  als  eine  Herrschaft  der  Kirche,  ja,  aus- 
drücklich der  Mönche  über  das  Land  vorzustellen  vermochte. 
Laien-Abt  von  St.  Maurice  d’Agaune  war  Rudolf  I.,  als  er  nach 
dem  Zusammenbruch  von  887  die  Hand  nach  der  Krone  streckte, 
Äbte  von  St.  Maurice  sind  er  und  seine  Nachfolger  geblieben'1). 
Die  Entwickelung  der  Abtei  bewegte  sich  in  absteigender  Linie. 
Sie  mußte  leiden  unter  den  Vergabungen  an  die  Großen  aus  ihrem 
ausgedehnten  Besitz  *),  und  sie  litt  vor  allen  Dingen,  als  seit  dem 
Beginn  des  11.  Jahrhunderts  das  Haus  der  Grafen  von  Maurienne 
und  Savoyen  den  entscheidenden  Einfluß  auf  sie  gewann 3).  Gerade 


Bd.  I 388  A.  2 u.  a.)  für  wahrscheinlich,  daß  Konrad  dem  deutschen  König 
den  Lehnscid  leistete,  wie  das  952  Berengar  und  Adalbert  von  Italien  tun 
mufften.  Vgl.  oben  S.  14  und  18  und  l’oupardin,  Le  royaume  de  Bourgogne 
S.  70  ff. 

')  Vgl.  hierzu  Poupardin,  Le  royaume  de  Bourgogne  S.  197  und 
327  ff.  Erst  in  den  letzten  Jahren  Knnrads  treten  wieder  eigene  Äbte  auf, 
ohne  daß  aber  dadurch  die  freie  Verfügung  des  Königs  beschränkt  erscheint. 

*)  Vgl.  Poupardin  Le  royaume  de  Bourgogne  S.  215  A.  3. 

*)  Zuerst  1020  Burchard  von  Aosta  als  Propst;  vor  ihm  1002  sein 
Mntterbruder  Anselm,  gleichfalls  Bischof  von  Aosta,  als  Propst  von  St. 
Maurice  Nachfolger  seines  Halbbruders,  des  königlichen  Bastards  Burchard  II. 
von  Lyon,  der  seit  1001  die  Abtswnrde  inne  hatte,  Poupardin  Le  royaume 
de  Bourgogne  S.  329  f. 

Auf  einem  Irrtum  ziemlich  jungen  Datums  beruht  es,  wenn  bei  Moriri 
Le  Grand  Dictionnaire  historique,  Nouvelle  edition  par  M.  Drouet  VII  (Paris 
1759)  s.  v.  Saint-Maurice,  ordre  militaire,  S.  362  und  danach  von 
Przezdziecki  in  der  Biblioteka  Warszawska  1861  S.  522  f.  King  und  Lanze 
des  hl.  Mauritius  als  Besitz  des  Hauses  Savoyen  aufgeführt  wird.  Bei 
Mor£ri  geschieht  das  in  Verbindung  mit  der  von  ihm  selbst  als  fabelhaft 
bczeichnetcn  Gründung  des  Ritterordens  des  hl.  Mauritius  1434  durch 
Amadeus  VIII.,  die  in  Wahrheit  erst  1572  durch  Herzog  Philipp  Emanuel  er- 


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61 


in  den  Jahren,  wo  Otto  I.  die  Regierung  in  Burgund  führte,  traf 
die  alte  Abtei  ein  schwerer  Schlag.  Die  Saracenen  zerstörten  sie 
so  gründlich,  daß  Udalrich  von  Augsburg  bei  seinem  Besuch  die 
Brandstätte  von  ihren  Bewohnern  verlassen  fand1). 

An  eins  darf  hier  vielleicht  noch  erinnert  werden.  In  den 
30  er  Jahren  des  11.  Jahrhunderts,  als  Konrad  II.  seine  Herrschaft 
in  dem  ihm  angefallenen  Lande  zu  befestigen  suchte,  machte  ihm  der 
unruhige  Bischof  Burchard  von  Aosta  Schwierigkeiten,  der  sich  nach 
dem  Tode  seines  Oheims  Burchards  n.  1031  des  Erzstuhls  Lyon  be- 
mächtigt hatte;  1036  von  einem  Anhänger  Konrads  gefangen, 
wurde  er  eine  Zeit  lang  von  dem  Kaiser  in  Haft  gehalten*). 
Burchard  von  Aosta  war  Propst  von  St.  Maurice,  wie  Burchard  II. 
von  Lyon  dort  Abt  gewesen  war’). 

Aber  wie  kommt  es,  daß  Gottfried  seine  Erzählung  an  den 
Namen  Bosos  von  der  Provence  knüpft?  Es  ist  nicht  ohne  Be- 
deutung, daß  diese  Vermischung  uns  erst  am  Ende  des  12.  Jahr- 
hunderts entgegentritt.  Sie  hat  ihren  Ursprung  in  dem  Begriff 
das  „arelatischen  Reiches.“  Arles  als  „Sitz  des  Reiches  Burgund“, 
kennt  bereits  Rahewin4),  und  diese  Anschauung  war  damals 
schon  allgemein5).  Staatsrechtliche  Anerkennung  fand  sie,  als 
Friedrich  I.  sich  1178  in  Arles  krönen  ließ6),  und  so  sehen  wir 

folgte.  8.  359  s.  v.  Maurice  (Saint)  hat  Moreri  richtiger  nur  den  Ring  als 
Abzeichen  der  Savoyer,  und  ebenso  weiß  Herold  Noribergam  insignium  imperia- 
lium  tutelarein  (unten  S.  83  A.  1)  S.  158  A.  66  nur  Ton  ihrem  Anspruch 
auf  Schwert  und  Ring  des  Heiligen. 

')  Flodoard  Ann.  940  (Ende),  MU.  8S.  111  388,  ed.  Lauer  S.  79, 
gibt  an,  daß  die  Saracenen  „vicum  monasterii  s.  Maurioii“  besetzten;  damit 
ist  doch  wohl  die  Notiz  in  Gerharde  Vita  s.  Udalrici  c.  15,  MG.  SS.  IV  404, 
zu  verbinden.  Vgl.  im  übrigen  Ponpardin  Le  royaume  de  Bourgogne 
S.  91  f. 

*)  Poupardin  Le  royaume  de  Bourgogne  S.  156  f.  170.  264  A.  6. 

*)  Oben  S.  60  A.  3. 

4)  Gcsta  Priderici  I.  imperatoris  III  12,  ed.  Waitz  (SS.  rcrum  Ger- 
manicarutn),  Hannover  1884,  S.  143:  Arelatum  sedem  regni  Burgundiae. 
Vgl.  Otto  von  Preising  ebenda  II  48  S.  125. 

5)  Vgl.  Hirsch,  Jahrbücher  des  deutschen  Reichs  unter  Heinrich  II., 
Band  I S.  379  A.  5. 

*)  Giesebrecht,  Geschichte  der  deutschen  Kaiserzeit  V 2 S.  896. 
VI  S.  559;  P.  Fournier,  Le  royaume  d’Arles  et  de  Vienne,  Paris  1890 
S.  62  f. 


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62  _ ' 

bei  Gottfried  an  einer  anderen  Stelle  die  Theorie  völlig  aue- 
gebildet  *). 

Arles  war  seit  AJters  die  Metropole  der  Provence  und  damit 
neben  Vienne  des  südburgundischen  Reiches,  des  Reiches  Provence, 
wie  es  am  kürzesten  genannt  wird.  Das  Reich  Provence  ist  ge- 
stiftet durch  Boso  von  Vienne  879,  und  Boso  ist  der  einzige 
kraftvolle  König  desselben  geblieben*).  Seine  Persönlichkeit  war 
wohl  geeignet,  lange  im  Gedächtnis  zu  haften  und  der  Mittel- 
punkt mancher  Erzählung  zu  werden. 

Von  Beziehungen  Bosos  zu  St.  Maurice  wissen  wir  freilich 
nichts  — abgesehen  davon,  daß  sein  Schwager  Karl  der  Kahle 
einmal  vergebens  versuchte,  ihm  die  reiche  Abtei  zuzuwenden  *). 
Aber  Boso  war  Graf  von  Vienne;  hier  fand  er  sein  Grab  in  der 
Kathedrale,  die  die  Gebeine  des  hl.  Mauritius  zu  besitzen  sich 
rühmte  und  seit  dem  Beginn  des  8.  Jahrhunderts  dessen  Namen 
führte4).  Bis  ins  17.  Jahrhundert  bewahrte  sie  als  ihr  Palladium 
das  Haupt  des  Heiligen  in  einem  von  Boso  gestifteten  Reliquiar5). 

So  sehen  wir  deutlich  alle  die  Fäden  vor  uns,  aus  denen  die 
Sage  nach  und  nach  ihr  Gewebe  spann.  Fast  Zug  für  Zug  ihres 
Bildes  ist  in  der  Geschichte  aufzufinden;  aber  das  Ganze  hat 
nichts  mehr  mit  der  Geschichte  zu  tun.  Der  Zusammenhang,  in 
dem  jetzt  alles  erscheint,  ist  ein  völlig  anderer.  Bonizo  zeigt 
uns,  wie  schon  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  11.  Jahrhunderts 
von  dem  geschichtlichen  Hergang  nur  eine  ganz  trübe  Erinnerung 
vorhanden  war,  in  der  bloß  die  beiden  Tatsachen,  die  Erwerbung 

>)  Pantheon  XXm  c.  15,  MG.  SS.  XXII  221: 

Scribere  rera  volens,  quot  sint  loca  prima  corone, 

Qnatuor  imperii  sedes  video  ratione 


Primas  Aquisgrani  locus  est,  post  hec  Arelati, 
lade  Modoetie  regali  sede  iocari, 

Pott  solet  Ytalie  summa  corona  dari  (nämlich  in  Rom). 

Vgl.  Gesta  Friderici  Vers  11051.,  ebenda  S.  331: 

Nunc  videt  optatum  regem  gaudens  Arelatum, 

Rite  coronatum,  regali  sede  locatum. 

*)  Vgl.  R.  Poupardin,  Le  royaume  de  Provence  sous  les  Carolingiens, 
Paris  1901. 

*)  Poupardin  Le  royaume  de  Provence  S.  57  f. 

*)  Poupardin  Le  royaume  de  Provence  S.  1391.  und  359. 

5)  Poupardin  Le  royaume  de  Provence  S.  357 ff. 


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63 


der  Lanze  aus  Burgund  und  die  Erwerbung  des  Landes  selber 
einen  festen  Punkt  bilden.  Die  näheren  Umstände  sind  dem  Ge- 
dächtnis völlig  entschwunden,  und  fast  notwendig  hat  sich  damit 
eine  Verbindung  beider  Momente  vollzogen. 

Nicht  anders  ist  auch  die  Erzählung  Hugos  von  Flavigny 
zu  beurteilen.  Ihr  liegt  ebensowenig  eine  echte  Überlieferung  zu 
Grunde1)  wie  den  Zwiefalter  Annalen,  die,  unabhängig  von 
Hugo,  mit  einer  aus  Hermann  von  Reichenau  oder  dessen  Quelle 
geschöpften  Angabe  über  den  Anfall  Burgunds  an  Konrad  II.  die 
letztlich  auf  Liudprand  zurückgehende  Lanzengeschichte  verbinden*). 
Daß  sie  in  diesem  Zusammenhang  die  Konstantinlanze  nennen, 
gibt  besser  als  alles  andere  über  den  wahren  Charakter  dieser  Be- 
richte Aufschluß.  Mit  ähnlichem  Rechte  könnte  man  für  spätere 
Angaben  Glaubwürdigkeit  beanspruchen,  nach  denen  bereits 
Heinrich  I.  die  Mauritius-Lanze  erwarb*). 

Beigetragen  hat  sicher  zu  der  Verwirrung,  daß  bei  beiden 
Ereignissen  ein  burgundischer  König  Rudolf  die  eine  Hauptrolle 
spielte,  und  daß  auch  die  Vereinigung  Burgunds  mit  Deutschland 
von  einem  König  Heinrich  in  die  Wege  geleitet  wurde.  Wirklich 
schreibt  auch  ein  Zusatz  zu  der  um  1146  geschriebenen  Bamberger 
Legende  Heinrichs  II.  diesem  die  Erwerbung  der  heiligen  Lanze  zu4). 

')  Zu  demselben  Ergebnis  kommt  Zcißberg  in  der  Zeitschrift  für  die 
österreichischen  Gymnasien  XVIII  (1867)8.  331  und  Melv,  Revue  de  l’Art 
chretien  1897,  S.  293. 

*)  Ann.  Zwifaltenses  minores  1032,  MG.  SS.  X 54:  hgb.  von  E.  Schneider 
in  den  Württembergischcn  Geschichtsquellen  III  (1889)  S.  10:  Kodolfus 
rex  Durgundic,  frater  Gisile  regine,  moriens  diadema  suum  cum  regno 
et  lancea  a quodam  Samsone,  Italien  comite,  acquisita,  que  Gonstantini 
fertur  fuisse,  misit  Counrado  imperatori.  Dieser  Teil  stammt  aus  dem 
Ende  des  12.  Jahrhunderts. 

*)  Sifridi  presbyteri  de  Ralnhusin  Compcndium  histori&rum  (Anfang 
des  14.  Jahrhunderts),  von  Heinrich  I.,  l’istorius  Illustrium  veterum  scrip- 
torurn  Tomus  unus  (Francofurti  1613)  S.  688:  Ipse  lanceam  s.  Mauricii  a 
duce  Burgundiae  accepit.  Dies  beruht  wahrscheinlich  auf  Gottfried  von 
Viterbos  Angaben.  Auch  Auctarium  Mellicense  922,  s.  oben  S.  11  f. 

4)  Adalbert,  Vita  Heinrici  II.  c.  31,  MG.  SS.  IV  810:  Burgundiorum 
quoque  non  humana  sed  divina  fuit  victoria.  l)ui  cum  armis  et  omnibus 
belli  copiis  essent  instructi,  viri  ad  bella  doctissimi,  armis  positis  non 
hominis  metu  sed  Dci  nutu,  rogantes  ca  quae  pacis  sunt,  dextras  dedernnt, 
wo  der  Cod.  bibl.  univ.  Lips.  N.  844  hinzusctxt:  et  ad  insignia  regalia 


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tu 


Eine  Mauritius-Lanze  als  Abzeichen  der  Burgundisehen  Könige 
hat  es  also  nie  gegeben.  Deutschland  kann  sie  darum  nicht  von 
ihnen  geerbt  haben.  Es  hat  überhaupt  nur  einmal  aus  Burgund 
eine  Lanze  bezogen,  unter  Heinrich  I.,  die  Lanze  Konstantins, 
die  uns  Liudprand  beschreibt. 


Wie  die  deutsche  Königslanze  zu  dem  Namen  des  heiligen 
Mauritius  kam,  ist  trotzdem  nicht  unerklärlich. 

Schon  früh  ist  der  Kult  dieses  Heiligen  weit  verbreitet.  Ich 
erinnere  nur  an  das  741  gegründete  Niederaltaich  im  Passauer 
Sprengel  *).  Aber  zu  rechter  Entfaltung  gelangte,  seine  Verehrung 
gerade  in  Deutschland  erst  vom  10.  Jahrhundert  ab  und  zwar 
unter  burgundischem  Einfluß.  Daß  ein  solcher  Otto  I.  bestimmte, 
937  unter  die  Schutzheiligen  seiner  Stiftung  Magdeburg  den  hl. 
Moritz  aufzunehmen,  ist  zweifellos,  da  die  Beteiligung  Rudolfs  II. 
von  Burgund  urkundlich  feststeht3).  Zwei  Jahrzehnte  später  er- 
hielt der  deutsche  König  auch  den  Leib  des  hl.  Moritz  selber3), 
der,  nach  Magdeburg  übertragen,  nun  seine  Genossen  Petrus  und 
Innocenz  ganz  in  den  Hintergrund  drängte. 

lanceam  clavo  dominice  passionis  insignitarn  addiderant.  Das  ist  übernommen 
in  die  Ann.  Reicherspergenses  1004,  MO.  SS.  XVII  445,  5. 

Mille,  Abrege  chronologique  de  l'histoire  de  Kourgogne  LU  (1773) 
S.  117  l&ßt  Heinrich  U.  von  Rudolf  III.  in  aller  Form  adoptiert  werden 
und  vergleicht  den  Vorgang  iwischen  Guntramn  und  Childcbert,  bezieht  aber 
die  heilige  Lame  nicht  in  seine  Kombination  ein. 

■)  Hauet,  Kirchengeschichte  Deutschlands  I3  508  A.  1.  Außerdem 
der  hl.  Mauritius  Schutzheiliger  z.  B.  in  Prüm  762,  DK.  16,  MO.  Diplomata 
Karolina  I 22,  35:  Angers  770,  1)K.  SO,  ebenda  S.  88,  20;  Montereau-Faut- 
Vonne,  Dep.  Seine  ct  Marne,  786,  DK.  154,  ebenda  S.  209,  20;  Ebershciin- 
müuster  in  Elsaß  (Stiftung  des  7.  oder  8.  Jahrhunderts)  810,  DK.  210,  eben- 
da S.  281,  25,  vgl.  Chron.  Ebersheim.  c.  15,  MG.  SS.  XXHI  439,  5 
(Mauritiuskirche  in  Siegolsheim,  Ende  des  9.  Jahrhunderts). 

*)  DO.  I.  14  (937  Sept.  21.),  MO.  Diplomata  I S.  101:  ob  remedium 
patris  nostri  et  . . . neenon  et  Ruodolli  regis,  qui  sanctum  transmisit  Inno- 
centium,  vgl.  DO.  I.  15,  ebenda  S.  102  f. 

*)  Weihnachten  960,  Thietmar  II  17  (11),  natürlich  vom  König  von 
Burgund,  wenn  das  auch  nicht  ausdrücklich  gesagt  wird.  Vgl.  Poupardin 
Le  royaume  de  Bourgogne  S.  78. 


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«5 

Magdeburg  nahm  durch  die  Gunst  des  großen  Kaisers  und 
seines  Hauses  eine  bevorzugte  Stellung  ein.  So  kam  auch  sein 
Hauptheiliger  rasch  zu  hohem  Ansehen ').  Unter  Heinrich  II.  ist 
er  geradezu  zum  Patron  des  Reichs  geworden*),  dessen  Beistand 
der  König  nicht  minder  für  den  Zug  nach  Italien  als  gegen  die 
Polen  erfleht 3). 

Brun  von  Querfurt  nennt  den  hl.  Mauritius  unmittelbar  neben 
der  heiligen  Lanze.  Die  Vermutung  ist  nicht  abzuweisen,  daß 
für  ihn  beide  schon  in  Zusammenhang  stehen4).  Ausdrücklich 

*)  983  wurde  er  Schutzpatron  von  Repesholt  in  Ostfriesland,  Hauck, 
Kirchengeschichte  Deutschlands  III3  1038.  Sein  Vorkommen  in  Einsiedeln 
934,  Konstanz  934/7 G und  Bainville,  Diözese  Toul.  957,  Hauck  a.  a.  0.  S.  1020 
und  1033,  Mit  wegen  der  Zeit  und  der  Nachbarschaft  zu  Burgund  nicht 
ins  Gewicht.  Häufiger  werden  die  Moritz-Stiftungen  in  Deutschland  im 
11.  Jh.,  Hauck  a.  a.  0.  S.  1015,  1019.  1028,  1030  und  1039  kennt  folgende: 
Hildesheim  i.  J.  1025,  Augsburg  vor  1029,  Naumburg  um  1032,  Minden 
i.  J.  1043,  Siegburg  i.  J.  1064,  Münster  zw.  1064  u.  1084.  St.  Moritz 
in  Mainz  ist  erst  1148  nachweisbar,  Hauck  a.  a.  0.  IV  935.  Eine  capella 
s.  Mauricii  an  der  Kaiserpfalz  zu  Pavia  erwähnt  DO.  III.  411  (1001 
Okt.  14.),  MG.  Diplomat»  II  S.  844,30 ; eine  Mauritiuskirche  in  Cremona 
Ann.  Cremonenses  1113,  MG.  SS.  XXXI.  185,10. 

3)  Brun  von  Querfurt  an  König  Heinrich  IL,  mit  Bezug  auf  des  Königs 
Stellung  zu  Boleslaw  Chabri  von  Polen  uud  den  heidnischen  Liutizen,  Giese- 
brecht  Geschichte  der  deutschen  Kaiserzeit  ID  S.  704;  Bonuinne  estpersequi 
christianum  et  habere  in  amicitia  populuui  paganum  ? Quae  conventio  Christi 
ad  Belial  (2.  Cor.  6,  15),  quae  comparatio  luci  ad  tenebras  (2.  Cor.  6,  14)? 
Quomodo  conveniunt  Zuarasi  vel  diabolus  et  duz  sanctorum  vester  et 
noster  Mauritius?  Qua  fronte  coeunt  sacra  lancea  et,  qui  pascuntur 
huinano  sanguine,  diabolica  vexilla?  Zeißberg,  Zeitschrift  für  die  Österreich. 
Gymnasien  XVIII  (1867)  S.  332  A.  70  und  XIX  (1868)  S.  93  (B.)  zieht  auch 
das  „inparibus  ducibus"  bei  Thietmar  VI  25  (19)  hierher. 

*)  Thietmar  VI 3:  A Merscbnrg  tune  exiens  s.  Mauricii  apud  Dcum 
intcrcessionem  itincrisque  prosperitatem  Magadaburg  peciit  (1004  Anfang); 
VIII  (VII)  16  (11):  ad  Magathaburg  proficiscens  interventum  Cristi  militis 
Mauricii  ad  exsuperandam  hostis  Bolizlavi  contumatiam  suppliciter  rogavit 
(1015).  Bis  1004  führte  der  König  einen  Teil  der  Mauritius-Gebeine  mit 
sich,  DH.  II.  63,  MG.  Diplomata  III,  S.  78,10  (1004  Febr.  24.  oder  25., 
Magdeburg). 

4)  So  auch  Zeißberg  in  der  Zeitschrift  für  die  österreichischen  Gym- 
nasien XVIII  (1867)  S.  331.  Vgl.  auch  die  Münzen  mit  der  Umschrift 
SCS  MAVRICIVS  bei  H.  Dannenberg,  Die  deutschen  Münzen  der  sächsischen 
und  der  fränkischen  Kaiserzeit,  Berlin  1876,  S.  252  ff.  (von  ihm  Konrad  II. 
uud  Heinrich  III.  zugewiesen),  auf  denen  der  König  zum  Teil  Lanze  (so 

Uofuieitter,  Die  heilige  Lause  5 


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66 


tritt  uns  die  deutsche  Künigslanze  als  Mauritiuslanze  auf  der 
silbernen  Hülle  des  Wiener  Lanzeneisens  entgegen.  Hier  nennt 
sich  ein  „Heinricus  Dei  gratia  tercius  Romanorum  imperator 
augustus.“  Leitner  und  Mely  haben  darin  Heinrich  III.  (1039  bis 
1056,  Kaiser  seit  1046)  gesehn.  Fis  handelt  sich  hier  aber  um 
die  Kaiserwürde,  und  so  mag  nicht  dieser,  der  als  Kaiser  der  2., 
sondern  Heinrich  IV.,  der  als  Kaiser  (seit  1084)  der  3.  dieses 
Namens  war,  zu  verstehn  sein.  Das  führt  uns  bereits  in  die  letzte 
Zeit  des  11.  Jahrhunderts,  und  hier  setzt  auch  unsere  sonstige 
Überlieferung  ein.  Seit  Benzo  von  Alba1)  herrscht  für  ein  Jahr- 
hundert. allgemein  die  Anschauung,  die  in  der  deutschen  Königs- 
lanze die  Lanze  des  hl.  Mauritius  sieht*). 

Daß  diese  Namensänderung  in  Verbindung  damit  erfolgte, 
daß  an  die  Stelle  des  ursprünglichen  das  heutige  Wiener  Lanzen- 

Tafel  28,650;  mit  Troddeln  Tafel  28,649)  oder  Fahnenlanze  (so  Tafel 
28,646)  führt. 

‘)  Ad  Hcinricum  IV.  1.  I 9,  MG.  SS.  Xll  602,  s.  oben  S.  27  A.  1. 

Die  „lancea  s.  Mauricii“  nennt  freilich  schon  die  Fassung  C der 
Chronik  des  Ademar  von  Chabannes  (+  1034)  überall  da.  wo  die  im  all- 
gemeinen kürzere  Fassung  A nur  „lancea  sacra"  hat,  III  33  z.  J.  1002,  MG. 
SS.  IV.  131,  und  III  62  z.  J.  1024,  1.  e.  S.  144  f.,  (s.  auch  III  31,  1.  c. 
S.  129  Q,  J.  I.air  Ktudes  critiques  sur  divers  textes  des  Xe  et  X Io  siecles. 
II.  Historia  d'Ademar  de  Chabannes.  Paris  1899,  S.  162  f.  228  f.  158. 
Nach  Waitz  sollte  der  Text  C eine  erst  nach  1159  entstandene  interpolierte 
Fassung  darstellen.  Ilmi  hat  sich  Chavanon  in  seiner  Ausgabe  (Collection 
de  textes,  Paris  Picard  1897,  S.  XXI)  angeschlossen,  während  Lair  1.  c.  S.  283 
nach  sehr  eingehender  Untersuchnng  zu  dem  Ergebnis  kommt:  Der  Text 
C ist  eine  vollständigere  Fassung  als  der  Text  A,  aber  darum  ist  C noch 
nicht  eher  als  A eine  interpolierte  Fassung,  denn  wir  kennen  die  ursprüng- 
liche nicht.  Aber  eben  darum  müssen  diese  Stellen  für  unsere  Unter- 
suchung ausscheiden.  Über  Ademars  Unglaubwürdigkeit  in  deutschen 
Dingen  s.  Breßlau,  Konrad  II.  Band  1,  Excurs  1. 

*)  Hugo  von  Flavigny  II  29,  MG.  SS.  VIII  401,40:  Sugcr,  V.  budo- 
vici  VI.  c.  9,  MG.  SS.  XXVI  49;  Gottfried  v.  Vitcrbo,  Pantheon  XXVI  3, 
MG.  SS.  XXII  273  f.;  sie  findet  sich  noch  im  Inventar  vom  Trifels  1246, 
oben  S.  45  A.  5,  und  zuletzt,  aber  nur  aus  gelehrtem  Wissen,  nicht  aus 
lebendiger  Anschauung,  bei  Sifrid  de  Balnhusin,  oben  S.  63  A.  3,  und  im 
Auctarium  Mellicense,  oben  S.  11  A.  1 aber  nicht  mehr  bei  der  Übergabe 
an  Karl  IV.  1350,  s.  die  oben  S.  45  A.  3 angeführten  Urkunden,  wo  zum 
ersten  Male  ein  gladius  s.  Mauricii  erscheint  (die  damit  bezeichnete 
Walle  weist  Gritzner,  Symbole  und  Wappen  des  alten  Deutschen  Reiches 
S.  51  in  die  Zeit  Ottos  IV).  — Der  hl.  Mauritius  spielte  auch  bei  der  Kaiser- 


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«7 


eisen  trat,  darf  man  nicht  annehmen.  Denn  noch  unter  Konrad  II. 
haben  wir  die  Lanze  Liudprands  getroffen,  während  schon  unter 
Heinrich  II.  die  Beziehung  auf  den  hl.  Mauritius  festzustehen 
scheint.  So  muß  also  zunächst  nur  der  Name  Konstantins  durch 
den  des  Mauritius  verdrängt  sein,  ein  Vorgang,  dessen  Ergebnis 
die  wenig  später  erfolgte  Vereinigung  Burgunds  mit  Deutsch- 
land nur  befestigen  konnte. 


Exkurs  EH. 

Zu  Wilhelm  von  Malmesbury,  Gesta  regum 
Anglorum  II  135. 

Oben  S.  54  A.  2 habe  ich  die  Entstehung  der  Gesta  regum 
Anglorum  Wilhelms  von  Malmesbury  nach  Waitz  MG.  SS.  X 
450  in  die  Jahre  1119 — 1124  gesetzt.  Ich  trage  hier  nach,  daß 
nach  Stubbs  in  seiner  Ausgabe  des  Werks  die  erste  Recension 
der  Gesta  in  oder  um  1 1 25  vollendet  wurde '). 

Folgende  Geschenke  gibt  nacli  Wilhelm  Hugo  von  Francien 
an  König  Aethelstan,  um  dessen  Schwester  zur  Ehe  zu  erhalten: 
das  Schwert  Konstantins  des  Großen  mit  einem  der  vier  Nägel 
vom  Kreuz  Christi,  die  Lanze  Karls  des  Großen,  das  Banner  des 
hl.  Mauritius  aus  dem  Besitz  desselben  Königs,  ein  kostbares 

krönung  in  Uom  eine  gewisse  Rolle.  Seit  der  2.  Hälfte  des  12.  Jhs.  setzte 
sich  ja  eine  Tradition  durch,  nach  der  in  der  Peterskirche  nicht  mehr  vor 
der  Confessio  s.  Petri,  sondern  vor  dem  Mauritins-Altar  die  Salbung  des 
vor  dem  Petrus-Altar  zu  krönenden  Kaisers  stattzufinden  hatte.  Die  Kaiser- 
kröuung  selber  verlegt  vor  den  Mauritius-Altar  der  MG.  LL.  II  187 — 193 
(auch  Liber  Ceusuum  ed.  P.  Fahre  et  L.  Duchesne  p.  I* — 6*)  gedruckte  Ordo, 
der  jetzt  wieder  mit  beachtenswerten  Gründen  auf  Heinrich  III.  (1046;  statt 
auf  Heinrich  VI.  bezogen  wird,  vgl.  Schwarzer  in  den  Forschungen  zur 
Deutschen  Geschichte  XXII  172  ff.  und  Diemand  Ceremoniell  der  Kaiser- 
krönungen S.  16  ff.  Merkwürdig  sind  die  Sporen  des  hl.  Mauritius,  mit 
denen  hier  der  Kaiser  nach  der  Krönung  angetan  wird,  MG.  LL.  II  192  (B). 
Die  Anrufung  desselben  Heiligen  in  den  Laudes  ebd.  findet  sich  schon  in 
der  von  Duchesne  Liber  Pontificalis  II  37  N.  33  mitgeteilten  Litanei  aus 
der  Zeit  Karls  des  Großen,  während  sie  in  den  spätem  Ordines  nicht  mehr 
erscheint. 

*)  Wilhelm  von  Malmesbury,  De  gestis  regum  Anglorum,  ed.  W. 
Stubbs,  I,  London  1887  (Herum  Britannicarum  medii  aevi  scriptores),  S. 
XIX  f.  und  XXXI. 


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«8 


Diadem,  ein  Stück  des  heiligen  Kreuzes  in  einem  Kristall  und 
ebenso  ein  Stück  der  Dornenkrone.  Wie  Wilhelm  fortfährt,  ver- 
erbte Aethelstan  dies  auf  seine  Nachfolger  mit  Ausnahme  der 
beiden  letzten  Stücke,  die  er  an  Malmesbury  gab ').  Unter  den 
englischen  Kronschätzeu  werden  die  hier  genannten  Sachen  sonst 
nicht  aulgeführt 2);  von  einer  Ausnahme  wird  gleich  die  Rede  sein. 
Doch  ist  der  Bericht  Wilhelms  in  eine  Reihe  späterer  Quellen 
übergegangen.  Ich  erwähne  nur  den  Liber  monasterii  de  Hyda 
c.  15  (B.),  weil  hier  für  Hugo  von  Francien  Otto  der  Große 
eingetreten  ist5). 

Mit  dem  Schwert  Konstantins  und  der  Lanze  des  hl.  Mau- 
ritius watfnet  sich  in  der  Sage  Gydo  von  Warwick,  als  er  für 
König  Aethelstan  den  Riesen  Colibrand  bekämpft,  der  mit  den 
Königen  Olav  von  Dänemark  und  Golanus  von  Norwegen  in 
England  eingefallen  ist4).  Für  Konstantin  sei  hier  daran  erinnert, 
daß  Britannien  als  seine  Heimat  galt  und  so  in  mannigfache  Be- 
ziehungen zu  ihm  gesetzt  wurde5).  Dagegen  scheint  der  hl.  Mau- 
ritius hier  im  frühem  Mittelalter  keine  besondere  Bedeutung 
gehabt  zu  haben*). 

')  et  cctcris  quidcm  successores  reges  ditavit : partern  vero  crucis  et 
coronae  Malmesbiriae  delegavit,  qnorum  sustentaculo  adhuc  credo  vigore 
locum.  Vgl.  Wilhelm  von  Malmesbury,  Geste  pontilicum  Angloruin  V 
§ 246,  ed.  Hamilton,  1870  (Kerum  Britannic.  medii  aevi  scriptores). 

*)  Vgl.  A.  Taylor,  Glory  of  Kegality,  London  1820:  Th.  Silrer,  The 
coronation  Service,  Oxford  1831. 

s)  Liber  monasterii  de  Hyda  c.  15,  cd.  E.  Edwards  (Rrruin 
Britann.  medii  aevi  script.),  S.  117:  Copulavit  etiam  rex  istc  (sc.  Aethelstan; 

aliam  sororem  suam  nomine  Kginam  Othoni  imperatori,  a qno recepit . . . 

Item  partern  s.  crucis  et  partcm  coronae  spineae,  quarum  aliquas  partes  rex 
Atheistanus  monasterio  Malmesbyry  delegavit,  ut  scribit  Marianus  Scotus  in 
Historia  Angloruin. 

*)  Henr.  de  Knighton  De  eventibus  Angliae  I c.  V,  ed.  Lumby, 
1889  I 25  (Rerum  Brit.  medii  aevi  script.):  fecit  (sc.  Gydo)  se  armari  de 
mclioribus  armaturis  rcgis  et  cinxit  se  gladio  Constantini  lanceamque 
s.  Mauricii  in  manu  tulit  scandens  meliorem  dcxtrarium  regis  (B).  Mehr 
über  das  Schwert  Konstantins  s.  bei  Graf,  Koma  nclla  memoria  e nelle 
iinaginazioni  del  medio  evo  II  47  (B). 

6)  Vgl.  auch  Acta  Sanctorum  Uct.  XII  274  f.  (B). 

8)  Searle,  Onomastieon  Anglo-Saxonicum,  Cambridge  1897,  kennt  nur 
einen  Prior  von  Christ  Church  in  Canterbury  (9.  oder  10  Jh.)  und  einen 
Bischof  von  London  (1086 — 1107)  dieses  Xantens.  Ich  verdauke  den  Hin- 
weis hierauf  Herrn  Prof.  K.  Liebermann  in  Berlin. 


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ßn 


Die  Karls-Sage  ist,  wie  Gaston  Paris  auspeführt  hat,  erst 
durch  die  Normannen  nach  England  gebracht  worden1).  Es  ist 
in  diesem  Zusammenhang  nicht  ohne  Interesse,  daß  in  zwei  irischen 
Quellen  das  Schwert  Karls  in  Verbindung  mit  den  ^Fremden“, 
d.  h.  den  eingefallenen  Normannen  erscheint5).  Auch  der  Bericht 
Wilhelms  von  Malmesbury  ist  damit  in  diesem  Teil  wenigstens 
als  ziemlich  jungen  Ursprungs  anzusehen.  Man  wird  nicht  mit 
G.  Paris  aus  ihm  auf  vereinzelte  frühere  Beziehungen  der  Karls- 
Sage  zu  England  schließen  dürfen. 

Wilhelm  sagt,  man  habe  die  Lanze  Karls  des  Großen  für 
die  Lanze  der  Passion  Christi  gehalten : ferebatur  eadem  esse,  quae 
dominico  lateri  centurionis  manu  impacta  pretiosi  vulneris  hiatu 
paradisum  miseris  mortalibns  aperuit.  Die  Passionslanze  spielt  in 
den  französischen  Epen  und  besonders  in  der  Graals-Sage.  eine 
bedeutende  Rolle5):  Karl  der  Große  führt  ihre  Spitze  am  Knauf 
seines  Schwerts  .loyeuse  in  der  Chanson  de  Roland4).  Es  ist 
möglich,  daß  diese  Vorstellung  allmählich  auf  die  Anschauungen 
von  der  deutschen  Königslanze  eingewirkt  und  so  zu  deren  Be- 
deutungswandel beigetragen  hat. 

')  G.  Paris,  Histoire  poetiquc  de  Charleniagne,  Paris  1865.  S.  154  ff. 

a)  Chronicum  Sjcotorum  ( — 1135),  cd.  W.  M.  Hennessy,  1866 
(Kerum  llrit.  medii  aevi  scrijil.)  i.  J.  993,  S.  235:  The  ring  uf  Touiar  aud  the 
sword  of  Carlus  were  forcibly  taken  by  Maelsechlainn  (König  Tun  Irland), 
son  of  Dornhuall,  froni  the  Foreigners  of  Ath-cliath  (=Dublin);  ebd.  1027, 
S.  267:  Auihlaibh  (=  Olav),  son  of  Sitric,  was  captured  by  Mathghamhain 
TIa  Riagain.  king  of  the  South  of  Bregh,  and  detained,  until  he  delivered  . . . 
the  sworil  of  Carlus,  und  Annals  of  Loch  Ce  1029  ed.  W.  M.  Hennessy 
1871  (Kerum  Brit.  medii  aevi  script.  1 I S.  31:  Amhlaibh,  son  of  Sitric, 
king  of  the  Foreigners,  was  taken  prisoner  by  Mathghamhain  (Ja  Riagain. 
king  of  Bregha.  until  he  gave  . . . the  sword  of  Carlus  . . .:  Chron.  Scot. 
1056,  S.  285:  The  sword  of  Carlus  and  great  eonsiderations  besides  were 
taken  therefor  by  the  son  of  Mael-na-mbo  (sc.  Diarmaid  king  of  the 
Foreigners),  for  he  was  security  for  him.  Ich  entnehme  diese  Stellen  der 
Sammlung  Budinszky. 

*)  R.  Schröder,  Claube  und  Aberglaube  in  den  altfranzösischen  Dich- 
tungen, Erlangen  1886,  S.  43  f.  (B). 

*)  Hgb.  von  Th.  Müller  1878,  Vers  250311.  (B):  Das  altfranzösische 
Rolandslied,  kritische  Ausgabe  von  E.  Stengel,  I,  Leipzig  1900,  S.  263 
Nach  der  Karlamagnus-Saga  I 50  (hgb.  von  Unger,  Christiania  1860)  S.  44. 
hat  er  sie  vom  griechischen  König  erhalten.  Vgl.  G.  Paris,  Hist.  poet.  de 
Charleniagne  S.  372  (B).  Eine  Lanze  Karls  des  Groben  kennen  auch  L e s 
Grandes  Chrouiques  de  Frauce  publ.  par  Paulin  Paris  14  (1837)  S.  210  (B). 


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Fünftes  Kapitel 

Andere  Königslanzen 

Welches  Gewicht  man  auf  die  heilige  Lanze  als  Abzeichen 
der  königlichen  Gewalt  legte,  ist  am  besten  daraus  ersichtlich, 
daß  der  erste  deutsche  Gegenkönig  Rudolf  von  Rheinfelden  eine 
Nachbildung  von  ihr  führte,  bis  sie  der  Böhmen  her  zog  1080  bei 
Flarchheim  eroberte.  Sie  diente  von  nun  an  diesem  und  seinen 
Nachfolgern  nach  Art  der  deutschen '). 

Heilige  Lanzen  haben  auch  andere  Fürsten  geführt.  Kreuz 
„und  andere  Heiligtümer“  wurden  dem  norwegischen  König  bei 
der  Huldigung  voraufgetragen*),  und  wenn  es  richtig  ist,  daß 
zu  diesen  die  Lanze  des  hl.  Olav  gehörte3),  so  könnte  bei  dem  be- 

')  Frutolf  1079,  MO.  SS.  VI  203,25  (Schlacht  bei  Flarchheim  1080 
Jan.  27):  Ibi  dui  ßoemiae  Fratizlaus  regalem  lanceam  Ruodolli  adeptus 
est;  quac  exinde  permissione  rcgis  Heinrici  semper  quemvis  illius  gentis 
ducatu  insigncm  in  omni  festiva  proccssionc  precedit.  Diesen  Bericht  hat 
Dietrich  von  Niem  mißverstanden  und,  da  zu  seiner  Zeit  unter  Karl  IV. 
und  Wenzel  die  deutsche  Lanze  mit  den  übrigen  Kcichsinsignien  in  Prag 
aufbewahrt  wurde,  geschlossen,  daß  dies  seit  1080  der  Fall  gewesen  sei, 
die  deutschen  Könige  aber  sie  nur  vorher  per  ducentos  annos  et  ultra  ge- 
führt hätten,  Privilegia  aut  iura  imperii  circa  investituras  episcopatuum  et 
abbatiarum  bei  Schardius  Sylloge  historico-politico-ecclesiastica  (Argcntorati 
1618)  S.  163.  Bei  der  Krönung  Wratislaws  zum  König  1086  wird  eine 
Lanze  nicht  erwähnt. 

Die  hasta  s.  Wenceslai  martyris  im  böhmischen  Heer  gegen  König 
Lothar  1126,  Wissehrader  Fortsetzung  des  Cosmas  MG.  SS.  IX  133,5  und 
20,  gehört  wohl  nicht  hierher. 

*)  Die  Hirffskrä,  das  Rechtsbuch  für  das  königliche  Dienstgefolge,  auf- 
gezeichnet  1274—77,  sagt  in  Kap.  5,  Norges  Gamlo  Love  II  (1848):  „En 
aeftir  pat  skall  bera  fram  hin  (dem  gewählten  König)  haclgha  kross  oc 
affra  bclgha  doma.“ 

3)  Die  „Heiligtümer“  bestanden  nach  Jens  Dolmer,  Hird-Skraa,  udi  ded 
gamle  Norske  Sprok  rettcligen  ofversat  paa  Danskc,  Kopenhagen  1666,  S.  47  f., 


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71 


herrschenden  Einfluß  des  Deutschen  Reichs  auf  seine  östlichen 
und  nördlichen  Nachbarländer  auch  hier  dessen  Beispiel  einge- 
wirkt haben.  Allein  die  Existenz  einer  solchen  norwegischen 
Königslanze  scheint  mir  nicht  über  allen  Zweifel  erhaben.  Denn 
Olav  der  Heilige  wird  regelmäßig  mit  der  langen  Streitaxt  dar- 
gestellt ’),  die  jeder  aus  Norwegens  Wappen  kennt,  und  vor 
Sverrir  ist  1177  nur  nach  einem  Siege  über  die  Gegner  das 
erbeutete  Banner  oder  Abzeichen  des  Nationalheiligen  im  Triumph 
einhergetragen  worden J). 

Maßgebend  wurde  das  deutsche  Vorbild s)  sicher  für  Ungarn 
und  Polen,  teils  mit,  teils  ohne  Bewilligung  des  deutschen  Königs, 
die  freilich  auch  im  erstem  Falle  nicht  so  gut  wie  für  Böhmen 
bezeugt  ist. 

Die  ungarische  Königslanze  soll  als  eine  Nachbildung  der 
deutschen  Otto  III.  an  Stephan  I.  bei  seiner  Taufe  gegeben  haben. 
Trotz  ihrer  wenig  lautern  Quelle  möchte  ich  diese  Nachricht  nicht 
ganz  verwerfen 4).  Dem  Charakter  des  Kaisers  entspricht  eine 
solche  Handlung  sehr  gut.  Es  ist  sicher,  daß  die  Annahme  der 
Königswürde  durch  den  Ungarnfürsten  mit  der  Zustimmung  und 


vornehmlich  in  dem  Sarg  und  der  I.anze  Königs  Olavs  des  Heiligen  (f  1030). 
Das  Kreuz  wird  nach  ihm  auf  König  Sigurd  Jorsalfar  (+  1130)  zurückgeführt. 

')  Siche  die  Abbildungen  bei  0.  A.  Överland,  lllustreret  Norges 
Historie  I (Kristiania  1885)  S.  507,  509,  523,  53t  (=  616),  542,  578,  610. 

III  (1888)  S.  197. 

*)  P.  A.  Munch,  Det  norske  Folks  Historie  III,  (Christiania  1857) 
S.  72.  K.  Maurer,  Vorlesungen  über  altnordische  Rechtsgeschichte,  hgb. 
von  der  Ges.  der  Wiaaensch.  in  Kristiania,  Leipzig  1907,  I 1 S.  261  kennt 
koine  Lanze  unter  den  norwegischen  Königsinsignien. 

*)  So  auch  Waitz  VG.  VI*  S.  299. 

*)  Ademar  von  Chabanncs  Fassung  C (s.  oben  S.  66  A.  1),  III  31, 
MG.  SS.  IV  129f„  Lair  a.  a.  0.  S.  158:  Regem  Ungrie  baptizavit  (nämlich 
Hrun  von  Querfurt),  qui  vocabatur  Gouz,  et  mutato  nomine  in  baptismo 
Stephanum  vocavit,  quem  Oto  imperator  in  natali  protomartiris  Stephani  a 
baptismate  eiccpit  et  regnum  ei  liberrime  habere  permisit,  dans  ei  licenti&m 
ferre  lanccam  sacram  ubique,  sicut  ipsi  imperatori  mos  est,  et  reliquiaa 
ei  clavis  Domini  et  lancea  s.  Mauricii  ci  concessit  in  propria  lancea.  Hier 
ist  von  Otto  III.  die  Rede.  Adalberts  Vita  Heinrici  II.  c.  29,  MG.  SS. 

IV  810  überträgt  das  auf  Heinrich  II.,  gedenkt  aber  der  Laute  nicht. 


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72 

unter  den  Auspicien  des  deutschen  Herrschers  erfolgte  ’),  und  die 
ersten  ungarischen  Könige  haben  eine  solche  Lanze  geführt.  Es 
spricht  nichts  dafür,  daß  sie  nicht  gleichzeitig  mit  der  Königs- 
krone von  dem  ersten  König  angenommen  wurde,  und  in  diesem 
Falle  kann  das  natürlich  nicht  gegen  den  Willen  und  ohne  die 
Billigung  des  Kaisers  geschehen  sein. 

Lange  freilich  hat  das  .junge  Königreich  dieses  Wahrzeichens 
nicht  genossen.  Bei  Menfö  fiel  sie  1044  in  die  Hände  des 
deutschen  Königs  Heinrichs  III  *),  der  sie  dem  Papst  zum  Ge- 
schenk machte,  nachdem  ihm  noch  zuvor  der  neue  Ungarnkönig 
im  nächsten  Jahr  sein  Beicli  unter  diesem  Symbol  aufgetragen 
hatte 3).  In  der  Übersendung  der  Lanze  (und  der  Krone)  hat  später 
Gregor  VII.  einen  Beweis  für  die  Abhängigkeit  Ungarns  vom 
römischen  Stuhl  gesehen4). 

Dauernder  haben  die  polnischen  Könige  ihre  heilige  Lanze 
besessen.  Heute,  und  schon  vor  rund  000  Jahren  s),  wird  sie  im 

')  Thietmar  IV  59  (38).  Vgl.  M.  Bädingcr,  Österreichische  Ge- 
schichte I (1858)  8.  397  ff. 

*)  Ann.  AHahcnscs  maiores  1044  ed.  Oefele  (SS.  rerum  Germanicarum). 
Hannover  1891,  S.  37:  lancea  regia  deaurata  capitur.  Sigebcrt  1043,  MG. 
SS.  VI  358:  lanceam  insigne  regis  recepit. 

3)  Ann.  Altahenses  maiores  1043  S.  40:  Petrus  rez  regnum  Ungariae 
cum  lancea  deaurata  tradidit  cesari  domino  suo  corain  omni  populo  suo  et 
nostro.  Vgl.  Steindorff,  Jahrbücher  des  deutschen  Reichs  unter  Heinrich  III., 
Band  I S.  234  A.  2. 

4)  Gregorii  VII.  Rcgistrum  II  13,  Jaffe  Bibliotheca  rerum  Germani- 
carum II  128.  Die  Lanze  wurde  in  Rom  in  der  Peterskirche  (Arnulf  Gesta 
archiepiacoporum  Mediolanensium  III  6,  MG.  SS.  VIII  18)  „ante  confes- 
siunem  b.  Petri“  (Bonizu  Ad  amicum  1.  V.,  MG.  Libelli  de  lite  I 583 f.),  später 
über  der  Porta  Guidonea  (=  Porta  Sudarii)  gezeigt,  J.  Ciampini  De  sacris 
acdificiis  a Constantino  Magno  constructis,  Romac  1693,  cap.  4 scct.  10  X. 
126,  S.  79. 

s)  Vincentius  Vita  S.  Stanislai  rnaiur  I 2,  MG.  SS.  XXIX  508,  Monu- 
menta  Poloniae  historica  IV  (1884)  S.  365f. : Hec  autem  regalia  insignia. 
corona  videlicct,  sccptrum  et  lancea,  usque  in  hodiernum  diern  in  armario 
Cracoviensis  ecclesie  ad  memoriam  posterorum  iacent  rccondita.  Vinceuz 
schrieb  nach  1253  und  schöpfte  im  übrigen  aus  der  Vita  minor,  die  c.  20, 
MG.  SS.  XXIX  505,  Monum.  Pol.  hist.  IV  269,  diese  Stelle  noch  nicht  hat 
und  ihrerseits  wieder  auf  den  sog.  Martinus  Gallus  zurückgeht.  Krakau 
war  seit  1320  Krönungsort  statt  Gnesen. 


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Krakauer  Domsehatze  aufbewahrt  ’).  Wie  die  deutsche  ist  auch 
sie  später  nicht  mehr  zu  den  eigentlichen  Insignien  gezählt  worden. 
1030  hat  sie  Miesko  II.  geführt’),  und  bis  auf  Wladislaw  Lo- 
kietek  (f  1333)  erscheinen  polnische  Fürsten  auf  Siegeln  mit 
Lanze’)  oder  Fahnenlanze4);  seit  Kasimir  III.  (1333 — 1370)  ist 
mir  hier  nur  das  Seepter  bekannt5).  Der  Wechsel  mag  also 

etwa  zur  gleichen  Zeit  wie  in  Deutschland  erfolgt  sein. 

Nach  den  Abbildungen  Przezdzieckis  zu  urteilen  ist  die 
Spitze  auf  einem  Holzschaft  befestigt.  Das  Eisen  wächst  zunächst 
in  seiner  gröltcren  Hälfte  auf  beiden  Seiten  gleichmäßig  mit 
geradliniger  Kante  in  die  Breite,  um  dann  mit  merklich  stärkerer 
Neigung  ebenso  sich  wieder  verjüngend  in  die  Spitze  ausznlaufen  *). 
In  dieser  zweiten,  kleineren  Hälfte  sind  zu  beiden  Seiten  des 
stark  hervortretenden  Mittelgrats  schmale  längliche  Öffnungen 
ausgeschnitten,  die  langsam  breiter  werdend  sich  von  der  Spitze 
bis  zu  der  breitesten  Stelle  des  Eisens  erstrecken’).  Es  ergibt 

')  Abbildung  und  Beschreibung  bei  Przezdziecki  am  S.2A.4  genannten 
Orte,  sowie  in  Chromolithographie  in  den  Wzorv  Sztuki  Sredniowiocznej  i z. 
epoki  odrodzeuia  po  koniec  wieku  XVII.  w dawnoj  Polsce.  Wydawane  przcz 
Alexandra  l’rzezdzieckiogo  i Edward»  Itastawieckiego.  Serya  Trzecia  (Monu- 
ments du  moyen-äge  ct  de  la  renaissancc  dans  l'ancienne  Pologne  depnia  les 
temps  les  plus  rccules  jnsqu  ä la  tin  du  XVII  siede.  Publics  par  Alexander 
Przezdziecki  et  Edouard  Rastawiecki.  Troisieme  Serie)  Heft  III  und  IV,  War- 
schau 1861,  hier  auch  mit  kurzem  französischen  Begleittext.  Von  Przezdziecki 
hat  Me  ly  seine  Abbildung  übernommen,  Revue  de  Part  chretien  1897  S.  302 

’)  S.  unten  S.  76. 

*)  Miesko  III.  der  Alte  1175,  Boleslaw  der  Schamhafte  1255, 
Th.  Schiemann,  Rußland,  Polen  und  Livland  bis  ins  17.  Jahrhundert, 
Berlin  1886,  S.  -141  und  469. 

4)  Przcmislaw  I.  von  Großpolcn  1256  und  1257,  Przemislaw  II. 
(f  1296),  Wladislaw  Lokietek  1315,  Schiemann  a.  a.  0.  S.  473.  476.  481. 

5)  Schiemann  a.  a.  0.  S.  494  usw.:  Johannes  Crassinius,  Poloma  16, 
bei  M izler  Historiarum  Poloniae  srriptorum  Colleetio  magna  I (1761)  S.  399, 
nennt  anläßlich  der  Erhebung  Heinrichs  von  Valois  1574  als  die  regia 
insignia,  die  der  Erzbischof  von  Gncscn  nach  der  Krönung  dem  Könige 
überreicht  nur  Schwert,  Seepter  und  Apfel. 

*)  Seine  Länge  beträgt  50,  die  größte  Breite  7 cm.  Für  die  Wiener 
Lanze  sind  die  entsprechenden  Zahlen  50,8  und  7,9  cm  dies  init  den  Ohren 
am  untern  Ende).  Unter  diesem  Gesichtspunkt  besteht  also  kein  wesentlicher 
Unterschied. 

*)  Eine  Inschrift  scheint  sic  nicht  zu  tragen,  wenigstens  sagt 
Przezdziecki  nichts  davon.  Diu  Hülle  (unten  S.  76)  hindert,  auders  als  boi 


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das  ein  Rild,  das  der  Beschreibung  der  Konstantin-Lanze  bei 
Liudprand  genau  entspricht.  Wir  haben  vor  allem  die  beiden 
„Fenster“,  wir  haben  auch  das  „declivum  medium“,  das  heißt 
die  Stelle,  von  der  beiderseits,  nach  der  Spitze  und  nach  dem 
Schaft  zu,  die  Seitenkanten  sich  einander  nahem. 

Haben  wir  hier  in  Polen  die  im  1 1 . Jahrhundert  in  Deutsch- 
land verschwundene  alte  Lanze  wiedergefunden  ? 

Die  polnischen  Geschichtschreiber  geben  in  der  Tat  einen 
Bericht,  nach  dem  ihre  Fürsten  in  ihrem  Kleinod  die  echte  deutsche 
Kaiserlanze  besitzen  würden.  Otto  III.  soll  sie  im  Jahre  1000 
am  Grabe  des  hl.  Adalbert  seinem  neuen  Freunde  Boleslaw  Chabri 
gegen  einen  Arm  des  Heiligen  zugleich  mit  der  Königskrone 
verehrt  haben.  Aber  die  Quelle  ist  spät;  der  sog.  Martinus 
Gallus  im  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  am  Hofe  des  dritten 
Boleslaw  ist  der  erste,  der  davon  weiß'),  und  die  Überlieferung 
selber  ist  nicht  wesentlich  älter.  Nicht  die  Konstantin-Lanze  ist  nach 
ihr  die  polnische  Königslanze,  sondern  die  Mauritius-Lanze,  die  hier 
— vielleicht  gar  nicht  unrichtig  — ebenso  wie  in  der  Fassung  C 


der  Wiener,  nicht,  die  Form  des  Kisens  mit  voller  Sicherheit  zu  erkennen. 
So  erscheint  es  nebensächlich,  daß  der  von  ihr  verdeckte  Teil  meines 
Wissens  noch  nicht  untersucht  ist. 

Keine  getreue  Nachbildung  der  Krakauer,  doch  aber  anscheinend  durch- 
brochen gedacht  ist  die  Lanze  Boleslaws  des  Schamhaften  und  die  Fahnen- 
lanze  Przemislaws  1 und  II.,  oben  S.  73  A.  3 und  4. 

')  Chronicae  Polouorum  I 6,  MG,  SS.  IX  429,  Monuinciita  Poloniae 
historica  I (1864;  S.  401 : ,Non  cst  dignuin  lantuni  ac  virum  talcm,  sicut 
unum  de  principibus,  duccm  aut  comitem  noininari,  sed  in  regale  solium 
glorianter  redimitum  dvadcuiatc  sublimari'.  Kt  arcipiens  imperiale  dradema 
capitis  sui  capiti  Bolezlavi  in  amicitiae  foedus  imposuit  et  pro  vcxillo 
triumphali  clavum  ei  de  cruce  Domini  cum  lancea  s.  Mauricii 
dono  dedit,  pro  quibus  illi  Bolezlavus  s.  Adalberti  brachium  redonavit.  F.t 
tanta  sunt  illa  die  dilectione  couniti,  quod  iniperator  eutn  fratrem  et 
cooperatorcm  iinperii  constituit  et  populi  Romani  amictim  et  socium 
appellavit.  Otto  III.  wird  hier  als  „Otto  Rufus“  bezeichnet,  also  mit  Otto  II. 
verwechselt.  Von  den  spätem  haben  „Otto  tercius“  die  Miracula  s.  Adalberti 
mart.  9,  MG.  SS.  IV  615,  „Otto  iniperator  tertius  dictus  Rufus“  Bogu- 
phali  II.  Chron.  Poloniae,  Monum.  Poloniae  hist.  II  (1872)  S.  483.  In  der 
neuesten  Ausgabe  der  Chronik  des  Gallus  vun  L.  Finkei  und  St.  Kqtrzjriski, 
Fontes  reruin  Polonicaruui  in  ustun  scholaruin  I,  Leopoli  1899,  steht  unsre 
Stelle  S.  11  f. 


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der  Ademar-Clironik  bereits  Otto  TIT.  beigelegt  wird ').  Dieser 
Zug  kann  an  sich  alter  sein  als  die  Gallus-Chronik.  Aber  diese 
beschreibt  ihre  Lanze  gar  nicht  so  wie  Liudprand  die  ältere  deutsche, 
sondern,  und  das  also  in  krassem  Widerspruch  zu  dem  noch  heute 
in  Krakau  befindlichen  Objekt,  deutlich  nach  dem  Bilde  der 
heutigen  Wiener*),  die  wir  in  den  Händen  des  deutschen  Königs 
mit  Sicherheit  erst  am  Ende  des  1 1 . Jhds.  nachzuweisen  ver- 
mochten. Die  völlige  Unglaubwürdigkeit  des  Chronisten  liegt  jetzt 
zu  Tage.  Nicht  einmal  in  der  Beschreibung  des  Abzeichens  seines 
Fürsten  hat  er  sich  die  Mühe  genommen  dieses  selber  auch  nur 
eines  flüchtigen  Blickes  zu  würdigen,  sondern  es  blindlings 
hach  dem  Vorbilde  bei  dem  gewaltigen  westlichen  Nachbar  ge- 
schildert, um  ja  nicht  sein  Land  hinter  diesem  zurückstehen  zu 
lassen. 

Auf  den  sog.  Martinus  Gallus  geht  in  unserem  Falle  die 
gesamte  spätere  polnische  Überlieferung  zurück,  auch  der  Passus 
in  den  Wundem  des  hl.  Adalbert*). 

Der  ganze  Zusammenhang,  in  den  der  Vorgang  von  Anfang 
an  gestellt  wird,  ist  unmöglich.  Daß  ein  Kaiser  sich  eines  Haupt- 
abzeichens seines  Reiches  zu  gunsten  eines  fremden  Fürsten  ent- 

*)  Oben  S.  71  A.  4.  Von  einer  Verleihung  der  Mauritiuslanze  an 
Boleslaw  weiß  Adcmar  nichts.  Nach  der  Fassung  C,  III  31.  MG.  SS.  IV 
130,40,  I.air  a.  a.  0.  S.  159,  erhielt  Otto  III.  den  Arm  des  hl.  Adalbert, 
nachdem  er  dom  Folenfürsten  den  Thron  Karls  des  Großen  geschenkt  hatte. 

T)  pro  vexillo  triumphali  darum  . , de  cruce  Domini  cum  lancea  s. 
Mauricii.  Das  hat  man  freilich  später  so  umgedentet,  als  ob  ltoleslaw  Lanze 
und  Nagel  als  zwei  verschiedene  Stöcke  bekommen  habe,  (so  wohl  schon  in 
den  Mirac.  s.  Adalberti),  und  man  zeigte  dann  den  Nagel  in  Krakau  in 
einer  eignen  Monstranz,  s.  Cronica  Petri  coinitis  Poloniae  (Anfang  des 
16.  Jahrhundert«),  Monnm.  Poloniae  hist.  III  (1878)  S.  762  f.,  und  des 
Johannes  Crassinius  Polonia  von  1574,  I 4 bei  Miller  Hist.  Poloniae  Script. 
I 394. 

*)  Miracula  s.  Adalberti  rnart.  9,  MG.  SS.  IV  616,  Monum.  Poloniae 
hist.  IV  (1884)  8.  237.  Der  sog.  Martinus  Gallus  nennt  als  seine  Quelle 
für  Ottos  Besuch  in  Gnescn  einen  »über  de  passione  martiris  (sc.  Adalberti).“ 
Aber  in  der  ihm  davon  vorliegenden  Fassung  war  die  Lanzengeschichte 
noch  nicht  enthalten.  Denn  unser  Text  der  Miracula  erzählt,  wio  Otto  III. 
zum  Grabe  Adalberts  kommt,  wie  er  dem  Boleslaw  die  Krone  aufsetzt,  be- 
richtet dann  kurz  über  die  folgenden  Polcnfürsten  bis  auf  Boleslaw  II.  und 
bringt  erst  nachträglich  die  Lanzcngeschicbte  mit  den  Morten:  Dedit  igitur 
in  prefata  coronacione  Otto  imperator  regi  Boleslao  pro  insigniis  regalibus 


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7fi 


äußert  hätte,  ist  selbst  bei  einem  Otto  III.  undenkbar.  Daß  andrer- 
seits der  Polenkönig  gewaltsam  in  den  Besitz  des  Kleinods  gelangt 
wäre,  ist  ebenso  ausgeschlossen.  Denn  schon  die  Lanze  Mieskos  II. 
von  1030  ist  gewiß  mit  der  heutigen  Krakauer  zu  identifizieren; 
jene  wird  als  deaurata  bezeichnet'),  und  eine  breite  Binde  von 
vergoldetem  Kupfer  deckt  den  mittleren  Teil  der  letzteren.  Wäre 
das  aber  die  echte  deutsche  Königslanze  gewesen,  so  hätte  sie 
sicher  bei  Mieskos  Unterwerfung  zu  Merseburg  1033  zurück- 
gegeben werden  müssen.  Die  Krakauer  Lanze  kann  also  nur  eine 
Nachbildung  der  ursprünglichen  deutschen  sein,  und  dazu  stimmt 
auch,  daß  sie  der  Kreuze  aus  den  Passionsnägeln*)  und  überhaupt 
einer  Nagelreliquie  zu  entbehren  scheint5). 

Boleslaw  Chabri  hat  erst  lange  nach  den  Gnesener  Festtagen, 
erst  nach  dem  Tode  Kaiser  Heinrichs  II.  eigenmächtig  sich  zum 
König  gemacht4).  Die  politischen  Verhältnisse  der  nächsten  Zeit 
schließen  es  aus,  daß  er  oder  einer  seiner  Nachfolger  vom  deutschen 
König  eine  Lanze  als  Angebinde  erhielt.  Unter  diesen  Umständen 
ist  es  nicht  berechtigt,  überhaupt  an  der  Schenkung  einer  Lanze 
durch  Otto  III.  an  Boleslaw  festzuhalten.  Der  Polenfürst  ist  nicht 

ianceam  b.  Mauricii  et  unuui  ex  clavis  Domini.  Man  sieht,  wie  dieses 
Stock  nachträglich  in  eine  fertige  Krzfihlung  cingefiigt  ist. 

Die  spätem  Berichte  hat  Przezdziecki  in  der  Biblioteka  Warsiawska 
1 86 1 S.  506  ff.  zu8ammengestcllt. 

')  Chronographus  Saxo  (Ann.  Magdeburgenscs)  1030,  MG.  SS.  XVI  170, 
es  ist  von  Miesko  von  Polen  die  Kede,  der  nach  dem  Tode  des  Markgrafen 
Thictmar  in  die  Ostmark  eingefallen  ist:  Quid  tibi,  cruenta  belua,  regale 
ornamentum  in  corona  et  lancea  deanrata?  Quae  conventio  Christi  ad 
Belial  (2.  Cor.  6,15)?  Usw.  Die  Worte  sind  unter  dem  frischen  Eindruck 
der  Ereignisse  niedergesebrieben.  wie  Pertz  und  Breßlau,  Jahrbücher  des 
Deutschen  Reichs  unter  Konrad  II.,  Bd.  I S.  291,  bemerken.  Zeißbcrg, 
Zeitschrift  für  die  Österreich.  Gjmn.  XIX  (1868)  S.  97  (B.)  sieht  darin  eine 
beabsichtigte  Entgegnung  auf  den  Brief  Bruns  (oben  S.  65  A.  2). 

*)  Die  beiden  liegenden  Kreuze  aus  Eisendraht  über  dem  untern  Teil 
des  Mittelgrats  sind  offenbar  nicht  dafür  anzusprechen.  Freilich  ist  mir  ihr 
Zweck  ebenso  unklar  wie  der  der  3 Binden  gleicher  Art  um  den  durchbrochenen 
Teil  der  Spitze.  Über  Ähnliches  an  der  Wiener  Lanze  s.  oben  S.  47  A.  1. 

5)  Derartiges  könnte  allenfalls  noch  unter  der  Goldbinde  verborgen  sein. 

*)  Rocpcll,  Geschichte  Polens  I (1840)  8.  113  Anm.  und  S.  162f.; 
Hirsch,  Jahrbücher  des  Deutschen  Reichs  unter  Heinrich  II.,  Bd.  I.  S.  502 ff. 
Hierauf  geht  auch  wohl  die  merkwürdige  Stelle  bei  Bonizo  Ad  amicum  1. 
V,  MG.  Libelli  de  lite  1 583:  Cui  (Heinrich  II.)  succcssit  in  regnum  Cuon- 


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( < 

unter  diesem  Symbol  vom  Kaiser  aus  einem  Volksherzog  zu  einem 
Reichsherzog  gemacht  worden  ‘).  Wir  müssen  vielmehr  annehmen, 
daL!  die  polnische  Königslanze  1025  von  Boleslaw  Ohabri  aus 
eignem  Antriebe  zugleich  mit  der  Krone  als  königliches  Abzeichen 
angenommen  wurde2),  offenbar  unter  dem  Einfluß  des  deutschen 
Brauchs.  Daß  man  in  den  folgenden  Zeiten  polnischer  Ohnmacht 
sich  dieses  Ursprungs  von  Titel  und  Abzeichen  nicht  gern  erinnerte, 
daß  man  beides  vielmehr  aus  einer  Verleihung  des  Kaisers  her- 
leitete und  daß  man  dabei  an  den  Aufsehen  erregenden  Besuch 
Ottos  III.  in  Gnesen  mit  seiner  Wirkung  für  die  kirchliche 
Selbständigkeit  des  werdenden  Kulturstaats  anknüpfte,  ist  um  so 
verständlicher,  als  ziemlich  derselbe  Vorgang  unter  demselben 
Kaiser  sich  Ungarn  gegenüber  tatsächlich  abgespielt  zu  haben 
scheint. 

Die  Untersuchung  der  Krakauer  Lanze  bestätigt  die  Beschrei- 
bung der  alten  deutschen  Reichslanze  bei  Liudprand;  sie  beweist 
zugleich,  daß  diese  noch  in  dieser  Form  von  Konrad  II.  geführt 
wurde3).  Das  ursprüngliche  Eisen  selber  aber  haben  wir  auch 
hier  nicht  wiedergefunden. 

radus,  Francus  gencrc  vir  bellicosissimus,  qui  et  post  mortem  imperatoris 
Heinrici  Boemios  signa  regalia  fereutes  bello  prostravit  et  signa 
red  uiit. 

*)  Wie  J.  Stasinski,  De  rationibus  quae  inter  t’oloniam  et  imperinm 
Romano-German  icum  Ottonum  imperatormn  aetate  intercedebant,  Dissert. 
Berlin  1862,  S.  öTf.  annahm.  Vgl.  dazu  H.  Zeillbe  rg.  Über  die  Zusammen- 
kunft Kaiser  Ottos  111.  mit  Herzog  Boleslaw  1.  von  Polen  zu  Gnesen, 
Zeitschrift  für  die  österreichischen  Gymnasien  XVIII  (1867)  S.  313 — 348.  Bis 
1792  hatte  man  in  Krakau  auch  ein  Schwert,  das  nach  einer  Inschrift 
Boleslaw  von  Otto  III.  erhalten  haben  sollte.  Przezdziecki  erklärt  die 
Krakauer  Lanze  richtig  für  eine  Nachbildung  der  deutschen,  hält  aber  im 
übrigen  an  der  Fabel  des  sog.  Gallus  fest.  C.  Wersche,  Das  staats- 
rechtliche Verhältnis  Polens  zum  Deutschen  Reich  während  des  HAs.,  Zeit- 
schrift der  histor.  Ges.  f.  d.  Prov.  Posen  III  (1888)  S.  247  ff.  375  ff.,  bietet 
für  unsre  Zwecke  nichts. 

*)  Vgl.  Wipo  Gesta  Ouonradi  II.  irnp.  c.  9,  ed.  Hreßlau  (SS.  reruro 
Germanicarum),  Hannover  1878,  S.  24:  Bolizlaus  . . . insignia  regalia  et 
regiurn  nouieu  in  iniuriam  regis  Chuonradi  sibi  aptavit. 

*)  Oben  S.  49  f. 


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Sechstes  Kapitel 

Die  deutsche  Königslanze  als  Longinus-Lanze 

Das  Eisen  der  deutschen  Lanze  ist  seit  dem  Ende  des  11.  Jahr- 
hunderts nicht  mehr  gewechselt  worden,  und  ihre  Gestalt  hat 
seitdem  keine  wesentlichen  Änderungen  erfahren,  wenn  man  von 
dem  Verschwinden  des  Schafts  absieht.  Aber  ihr  Name  ist  nicht 
derselbe  geblieben. 

Als  1492  Sultan  Bajazeth  II.  dem  Papst  das  Eisen  der 
Longinusianze1)  zum  Geschenk  anbot,  das  mit  Konstantinopel  an 
die  Türken  gekommen  war,  zeigten  manche  Kardinale  Bedenken, 
ob  man  sich  durch  die  Annahme  der  Gabe  nicht  lächerlich  machen 
werde.  Denn,  sagten  sie,  die  wahre  Lanze  der  Passion  soll  schon 
in  Nürnberg  sein  oder  in  Paris  oder  auch  in  Venedig*).  Also 
nicht  mehr  Mauritius-Lanze,  sondern  Longinus-Lanze  ist  damals 
das  Eisen  unter  den  deutschen  Reichskleinodien,  die  sich  seit  1424 
in  Nürnberg  befanden. 

Im  Inventar  von  1246  sind  wir  ihr  noch  als  Mauritius-Lanze 
begegnet.  Aber  schon  1227  war  sie  für  Gregor  IX.  die  Lanze, 
die  die  Seite  Christi  geöffnet  habe,  also  die  Longinus-Lanze*),  und 

')  Longinus  heißt  in  der  Legendo  der  römische  Sold&t,  der  mit  seiner 
Lanze  die  Seite  Christi  öffnete. 

*)  Johannis  Burchardi  Argcntinensig  Diarium  1483—1506,  ed.  Thuasne 
Baris  1883,  1 473f.  Über  die  Lanzen- Reliquien  von  Konstantinopel-Rom 
und  Venedig-Baris  s.  die  überzeugenden  Ausführungen  von  Mely  in  der 
Revue  de  l'Art  chretien  1897  S.  4 ff.  Daß  das  kleine  Pariser  Stück  die  der 
Konstantinopolitanischcn  abgeschlagene  äußerste  Spitze  sei,  hat  übrigens 
bei  dieser  Gelegenheit  der  Sultan  selber  dem  Papst  mitgeteilt,  s.  Diario 
della  cittä  di  Roma  di  Stefano  Infessura  hgb.  von  0.  Tommasini,  Fonti  per 
la  storia  d'Italia  1890,  S.  274. 

*)  Schreiben  an  Friedrich  II.,  MG.  Epistolae  saec.  XIII.  selectae 
1 N.  365  S.  279:Lanceam  considera  diligenter,  cuius  acumen  latus  eius 


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wenig  später  finden  wir  diese  Anschauung  auch  in  die  Ver- 
gangenheit zurflckgetragen  *).  Sifrid  von  Balnhusin  kennt  aus 
einer  älteren  Quelle  noch  die  Mauritiuslanze,  ebenso  die  Melker 
Zusätze  der  Melker  Annalen,  und  Lupoid  von  Bebenburg  weist 
ausdrücklich  die  Gleichsetzung  der  deutschen  Lanze  mit  der 
Passionslanze  ab,  da  diese,  erst  1098  in  Antiochia  getunden,  jetzt 
in  Paris  sei*). 

aperuit,  de  quo  Christus  largitcr  sacramenta  tue  salutis  effudit.  Die 
Worte  sind  durchaus  eindeutig.  — Als  Passionslanze  bezeichnet  schon 
Wilhelm  von  Malmesbury  seine  oben  S.  54  A.  2 erwähnte  I.anze  Karls  des 
Großen:  vgl.  Mcly  in  der  Revue  de  l’Art  chreticn  1897  S.  297.  Daß  aber 
auch  die  deutsche  Lanze  al*  solche  galt,  davon  weiß  z.  B.  Thiofrid  von 
Epternach  (f  1110),  Flores  cpitapbii  sanctorum  IV  3,  Migne  Patrologia 
latina  157,  394  f.,  augenscheinlich  noch  nichts. 

■)  So  in  der  etwa  um  1240  zusammengeschriebenen  3.  Klosterneuburger 
Fortsetzung  der  Melker  Aunalen  zu  1178,  MG.  SS.  IX  632,20:  Cuonradus 
archiepiscopus  a domino  imperatore  in  Lombardiam  vocatus  apud  Thau- 
rinum  ad  ipsum  venit;  dimiasus  ab  eo  crucem  et  lanceam  Domini  et 
alia  imperii  insignia  ad  partes  Tcuthonie  occulte  secum  transportavit.  — Das 
älteste  Zeugnis  für  die  deutsche  Lanze  als  Passionslanze  würde  sich  im 
Cod.  Lat.  Monae.  1003  (aus  Schcftlarn)  saec.  XII.  der  Chronik  Ottos  von 
Freising  linden,  wenn  die  Schrift  einer  Handglosse  f.  94v  zu  VI  18  Ende: 
.De  lancea  Domini“  richtig  auf  Anfang  des  13.  Jhs.  zu  bestimmen  wäre. 
Sie  ist  aber  offenbar  jünger. 

r)  Libellus  de  zelo  catholicae  tidei  veterum  principum  Gernianorum 
c.  12,  bei  Schardius  Sylloge  historieo-politico-ccclesiastica  (Argentorati  1618) 
S.  226.  Von  einer  Mauritiuslanze  weiß  er  nichts,  obwohl  er  die  Über- 
tragung der  Mauritius-Reliquien  nach  Magdeburg  durch  Otto  I.  erwähnt, 
S.  227.  Der  Traktat  de  zelo  usw.  ist  jünger  alB  der  bald  nach  den  Tagen 
von  Eense  und  Frankfurt  (1338)  verfaßte  De  iuribus  regni  et  imperii, 
Kiezlcr  Die  Literarischen  Widersacher  der  Päpste  zur  Zeit  Ludwig  des 
Bayers  S.  190  A.  2.  — Zufällig  hatte  ich  Gelegenheit  die  Handschrift  b.  35 
der  Bremer  Stadtbibliothek  einzusehen,  die  u.  a.  auch  Lupolds  Libellus  de 
zelo  catholicae  iidei  etc.  enthält.  Hier  fehlt  in  c.  12  die  entscheidende 
Stelle  von  .Nec  est  putandum,  quod  ferrum  huius  lanceae  sit  illud,  quo 
unus  militum  tempore  passionis  domini  nostri  Jesu  Christi  sacrosanctum 
latus  eins  aperuit“  bis  zum  Schluß,  die  in  allen  mir  zugänglichen  Aus- 
gaben von  der  Baseler  von  1497  au  steht.  An  eine  Interpolation  etwa  des  ersten 
Herausgebers  (Jakob  Wimpheling.  nach  einer  Speirer  Handschrift)  ist  nicht 
zu  denken.  Denn  es  werden  hier  Lupolds  gewöhnliche  Quellen  in  der  üb- 
lichen Weise  citiert:  .Haec  ex  historia  Francorum  ac  Gotfridi  et  Martini 
cronicis  sunt  collecta.“  Es  wird  also  eine  mehrfache  Bearbeitung  durch  den 


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Aber  seit  Karl  IV.  sind  diese  Zweifel  verstummt ').  Schon 
1350  hatte  Clemens  VI.  einen  Ablaß  für  die  einmal-  im  Jahre 
vorzunehmende  Weisung  der  Lanze  und  der  anderen  „Reichs- 
heiligtümer“ gewährt2),  und  1354  stiftete  Innocenz  VI.  auf  Bitte 
des  Königs  das  Fest  zu  Ehren  der  Lanze  und  der  Nägel  (auch 
festurn  armorum  Christi  genannt),  das  am  2.  Freitag  nach  Ostern 
in  Deutschland  und  Böhmen  begangen  wurde’).  Damit  ist  ihr 
Platz  in  der  allgemeinen  Anschauung  angewiesen.  Als  Longinus- 
lanze  hat  sie  unbestritten  gegolten,  bis  nach  der  Reformation  der 
kritische  und  kriegerische  (Jeist  der  neuen  Zeit  auch  dieses 
Heiligtum  angriff. 

Diese  Entwicklung  ist  bedingt  dyrch  die  Entwicklung  des 
mittelalterlichen  Denkens  und  Empfindens  im  allgemeinen.  Die 
Frömmigkeit  des  13.  und  14.  Jahrhunderts  ist  eine  andere  als 
die  des  10.  und  11.,  die  des  ottonisehen  eine  andere  als  die  des 

Verfasser  selbst  anzunebmen  sein,  wie  sie  nach  den  Mitteilungen  J.  Sch  walin  s 
im  Neuen  Archiv  der  Ges.  für  ält.  deutsche  Geschichtskunde  XXXII  237  fT. 
auch  bei  dessen  großer  Schrift  Ile  iuribus  regni  et  iuiperii  vorzuliegen  scheint. 

')  Die  Longinus-Lanze  vorher  z.  B.  bei  Albertinus  Mussatus,  oben 
S.  36  A.  2:  dann  bei  Heinrich  von  Kebdorf  1350,  oben  S.  36  A.  1,  und 
1361,  BShmer  Fontes  rerum  Gcrmanicaruui  IV  547:  Clemens  VI.  1350,  s. 
nächste  Anui.,  usw.  Tbeodorich  Engelhus  (f  1434)  läßt  demgemäß 
Heinrich  1 lancoain  Domini  erwerben,  Leibniz  SS.  rerum  Brunsvicensium  II 
1073,  und  ebenso  ein  Zusatz  zur  Chronica  minor  iu  einer  Handschrift  des 
15.  Jahrhunderts  Boso  von  Arles  nicht  wie  bei  dem  zu  Grunde  liegenden 
Gottfried  (oben  S.  57)  die  Mauritius-Lanze,  sondern  lanceam  Domini  an  Otto 
übergeben,  Monuments  Erphesfurtcnsia  ed.  0.  Holder-Egger  S.  620. 

Jchan  de  Mandeville  schreibt  dem  deutschen  Kaiser  den  Schaft  der 
Passionslanze  zu,  während  das  Eisen  in  Paris  oder  Konstantinopel  sei,  s. 
The  buke  of  John  Maundevill  being  the  travels  of  Sir  John  Mauduville, 
Knight  1322 — 1356,  ed.  by  G.  F.  Warner,  Westminster  1S89,  c.  2 S.  7, 
und  Mely  a.  a.  0.  S.  289. 

Im  übrigen  fasse  ich  mich  hier  und  im  folgenden  kurz  und  verweise 
auf  Frensdorff  und  Mely,  da  ein  eigentliches  vcrfassungsgeschichtliches 
Interesse  nicht  mehr  besteht. 

*)  „que  sanctuaria  sacri  Romani  imperii  nuncupantur,“  1350  Aug.  17. 
Avignon,  Murr  Journal  zur  Kunstgeschichte  XII  N.  10  S.  51. 

9)  petitin  continebat,  quod  ipso  inter  sacras  reliquias,  quae  imperiales 
vulgariter  nuncupantur  quaeque  tanquam  pretiosissimus  imperii  Iiomaui 
thesaurus  consueverunt  per  Romanum  regem  seu  imperatorem,  qui  est  pro 
tempore,  conservari  et  reverentissime  ctiain  honorari,  habet  in  sua  custodia 


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81 


karolingischen  Zeitalters;  ihr  Verhältnis  zu  der  Gesamtheit  der 
^ Lebensbetätigungen  des  einzelnen  und  des  Volkes  hat  sich  ver- 
ändert. Die  alten  Symbole  und  Heiligtümer  verlieren  allgemein 
ihre  zündende  Kraft;  neue,  gröber  auf  die  Sinne  vrirkende  treten 
an  ihre  Stelle  oder  die  alten  verändern  ihre  Bedeutung  in  dieser 
Bichtung. 

So  ist  es  auch  der  heiligen  Lanze  im  Deutschen  Keich  er- 
gangen, und  im  Verlauf  dieser  Entwicklung  ist  ihre  staatsrecht- 
liche Bedeutung  geschwunden1).  Um  die  Mitte  des  14.  Jahr- 
hunderts ist  das  entschieden.  Das  äußere  Ansehen  der  heiligen 
Lanze  ist  dadurch  nicht  erschüttert*),  nur  die  Art  ihrer  Wert- 
schätzung verändert  worden.  Je  mehr  ihre  Bedeutung  für  Kaiser 
und  Reich  zurücktritt,  um  so  größer  wird  ihre  Verehrung  in  den 
Kreisen  des  wundergläubigen  Volkes.  Sie  führte  alljährlich  große 
Scharen  nach  Nürnberg,  „der  Hauptstadt  des  Reiches  in  den 
letzten  Jahrhunderten  des  Mittelalters“*),  wo  sich  seit  Kaiser 
Sigmund  „daz  wirdig  Heiligtum“  befand. 

Den  Umschwung  brachte  die  Reformation,  der  Nürnberg  früh 
zufiel.  Seit  der  letzten  Heiligtumsweisung  von  1523*)  waren 


predictam  sacratissimam  lanccam  necnon  unum  ex  clavis  prcdictis,  prout 
predccessores  sui  clare  memorie  catbolici  Komanoruin  reges  seu  imperatores 
utiam  habuerunt  nsw.,  1354  Febr.  13.  Avignon,  Murr  a.  a.  0.  N.  11  S.  54. 
Die  Supplik  Karls  ist  gedruckt  Monumenta  Vaticana  Kes  gestas  Bohemicas 
illustrantia  II,  opera  J.  F.  Noväk,  l’rag  1907.  N.  209  S.  89  (cum  ipse  habcat 
sub  sua  custodia,  prout  sui  prcdeccssores  Komanoruin  reges  scu  imperatores 
habere  consueverunt,  sacratissimam  lanceam,  qua  salvatoris  uostri  latus 
sanctissimum  extitit  perforatum,  et  unum  clavum,  cum  quo  prcciosissimum 
corpus  eiusdem  salvatoris  nostri  cruci  fuit  aflixum,  qui  clavus  et  lancea 
tanquum  prestantissime  reliquic  ac  preciosissimus  tbesaurus 
Itomani  imperii  reliquic  imperiales  vulgariter  appcllantur  et 
consueverunt  et  debent  per  imperatorem  seu  regem  Komanoruin,  qni  est  pro 
tempore,  conservari  et  roverentissime  custodiri),  vgl.  N.  210  und  211  S.  90; 
andre  hierher  gehörige  Stücke  sind  N.  19  und  20  S.  9f.  und  X.  217  S.  92. 

*)  Oben  S.  36  11.  Über  ein  besondres  hier  vielleicht  wirksames  Moment 
s.  S.  69. 

*)  Vgl.  Frensdorff  in  den  Nachrichten  v.  d.  Kgl.  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  in  Göttingon  phil.-hist.  Kl.  1897  S.  45. 

*)  Frensdorff  a.  a.  0.  S.  67. 

4)  Mnllners  Relation  von  1630,  bei  Roedcr  Codex  historicus  testimo- 
niorum  de  fatis  klinodiorum  augustalium  S.  464. 

Hulmelster,  Ult*  heilige  I.nnze 


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82 


seinen  Hütern  von  ilen  ß Gruppen,  in  die  man  die  Reichsklein- 
odien zu  teilen  pflegte,  niimlieh  Reliquien  verschiedener  Art,  das 
kaiserliche  Gerät  Karls  des  Großen1)  und  Reliquien  des  Leidens 
Christi,  die  erste  und  die  letzte  nur  mehr  Raritäten,  die  man 
ihres  Alters  und  ihrer  Geschichte  wegen  bewahrte,  denen  eine 
lebendige  Bedeutung  nicht  mehr  zukam. 

So  vollständig  hatte,  was  die  Lanze  betrifft,  früher  die 
Reliquie  gesiegt,  daß  auch  jetzt  ihr  ursprünglicher  Charakter 
nicht  wieder  in  seine  Rechte  eintrat.  Nur  im  18.  Jahrhundert 
hat  eine  Altdorfer  Dissertation  sich  um  den  Nachweis  bemüht,  daß 
die  Lanze  nicht  zu  den  Reliquien,  sondern  zu  den  eigentlichen 
Kleinodien  gehöre,  und  einen  Platz  in  den  Krönungsfeierlichkeiten 
für  sie  in  Anspruch  genommen,  wobei  sie  freilich  den  Gegensatz 
von  „Reliquien“  und  „Kleinodien“*)  in  eine  Zeit  zurücktrug,  die 
von  ihm  noch  nichts  wußte,  und  übersah,  daß  seit  seinem  Be- 
stehen die  Lanze  stets  zu  den  enteren  zählte  '). 

Vergessen  hat  man  die  Lanze,  so  lange  das  alte  Reich  stand, 
nicht.  Nach  wie  vor  feierte  die  katholische  Welt  das  festum  lancee 
et  clavorum 4).  In  den  zahlreichen  Abhandlungen  über  die  Reichs- 
kleinodien ist  ihr  ein  breiter  Raum  gewidmet.  Gegen  sie  richten  sich 
vor  allem  die  Angriffe  der  Protestanten,  sie  als  eine  echte  Reliquie 

')  d.  h.  die  für  die  Krönung  des  neuen  Königs  gebrauchten  Stücke.  Wie 
und  wann  sie  zu  dem  Namen  Karls  des  Großen  kamen,  hat  Frcnsdorff 
a,  a.  0.  S.  58ff.  dargelegt, 

*)  Die  Scheidung  hängt  mit  dem  Anwachsen  des  Reliquienschatzes  zu- 
sammen, das  ja  überhaupt  für  das  spätere  Mittelalter  charakteristisch  ist. 
Den  ersten  derartigen  Zuwachs,  den  Zahn  Johannes  des  Täufers,  nennt  das 
Testament  Ottos  IV.  1218  noch  ohne  weiteres  mit  Kreuz,  I.anze  und  Krone  und 
den  übrigen  Insignien  zusammen,  MG.  LL.  Uonatitutioncs  II  X.  42  S.  62. 
Auch  das  Inventar  von  124fi,  wo  „sant  Kunigunden  arm“  hinzugekommen 
ist.  und  die  Urkunden  von  1350,  wo  der  Arm  der  hl.  Anna  den  der  hl. 
Kunigunde  verdrängt  hat,  machen  noch  keinen  ausdrücklichen  Unterschied. 

s)  Wolfgangus  Albertus  Spioa.  Ilissertatio  historico-critica  de  imperiali 
sacra  lancea  non  inter  reliquias  imperii  sed  clinodia  referenda  cum  problc- 
mate  du  novo  S.  R.  I.  oflicio  archilanciferatu  . . . sub  moderainine  . . . 
doinini  Johannis  Davidis  Koeleri  . . . Altorfii  1731.  Sie  will  damit  zugleich 
die  Berechtigung  und  Notwendigkeit  eines  neuen  Erzürntes  des  „ Erz-Speer  - 
Trägers  des  Heil.  Hörn.  Reichs"  nachwoisen. 

4)  zum  Teil  noch  houte,  s.  Wetzor  und  Welte,  Kirchenlexikon  VII3 
(1891)  Sp.  1421  (s.  v.  Lanze). 


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83 


des  Leidens  Christi  zu  erweisen,  ist  die  vornehmlich«  Sorge  der 
Altgläubigen.  Es  ist  nicht  unsere  Aufgabe,  hier  die  Gründe  zu 
schildern,  mit  denen  für  und  wider  gestritten  wurde.  Des 
Jesuiten  Gretser  Syntagma  de  insignibus  imperii1)  beschäftigt  sich 
fast  ausschließlich  mit  ihr,  und  als  „das  Hauptstück“  betrachtet  sie 
auch  des  Nürnberger  Ratsschreibers  Johann  Müllners  Relation“ 
von  1 <>30,  die  den  Standpunkt  der  protestantischen  Stadt  gegen  die 
Flugschriften  des  Bamberger  Weihbischofs  Friedrich  Foerner  S.  J. 
verteidigen  sollte. 

')  Erschien  Ingolstadt  1618  und  ist  dann  wieder  abgedruckt  auf  S. 
59  — 112  des  Anhangs  zu  der  Hallenser  juristischen  Dissertation  „Noribcrgam 
insignium  impcrialium  tutclarem“  von  1713,  deren  Verfasser  nicht,  wie  immer 
angegeben  wird,  J.  P.  Ludewig,  unter  dessen  Vorsitz  die  Disputation  statt- 
fand, sondern  Wolfgang  Hieronymus  Herold,  Noribcrgensis  ist. 


6* 


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Schluß 

Wir  sind  am  Ende.  Vergegenwärtigen  wir  uns  kurz  die  ge- 
gewonnenen  Ergebnisse. 

Die  heilige  Lanze  tritt  uns  zuerst  als  Konstantin-Lanze  in 
Italien  zu  Anfang  des  10.  Jahrhunderts  entgegen.  Es  ist  anzu- 
nehmen, daß  ihr  von  vornherein  eine  politische,  wenn  auch  noch 
keine  bestimmte  staatsrechtliche  Bedeutung  zukam.  02H  hat  sie 
König  Rudolf,  inzwischen  auf  seine  Heimat  Burgund  beschränkt, 
dem  deutschen  König  Heinrich  I.  überlassen,  unter  dessen  Nach- 
folger Otto  dem  Großen  sie  bereits  als  hervorragendes  Abzeichen, 
als  Unterpfand  des  Siegs  über  die  Feinde  des  Herrschers  und 
des  Reichs  gilt.  Den  Höhepunkt  erreicht  ihre  Bedeutung,  als  die 
Ottonische  Hauptlinie  ausstirbt.  Heinrich  II.  empfängt  mit  ihr 
die  Fülle  der  Reichsgewalt  von  einzelnen  Stämmen  durch  die 
Hand  ihrer  Vertreter.  Diese  bestimmte  staatsrechtliche  Funktion 
ist  der  Lanze  nicht  geblieben.  Wohl  aber  ist  sie  seitdem  neben 
der  Krone  das  Abzeichen  des  Königtums  schlechthin,  das  dem 
deutschen  Vorbilde  die  Könige  von  Ungarn  und  Polen  entlehnen. 

Unter  den  Ottonen  wird  der  aus  Burgund  übertragene 
hl.  Mauritius  zum  bevorzugten  Reichspatron,  und  wohl  schon  zu 
Anfang  des  11.  Jahrhunderts  wird  die  Lanze  auf  ihn  bezogen, 
ein  Prozeß,  dessen  Fortgang  durch  die  1032  erfolgte  Vereinigung 
Burgunds,  des  Mauritius-Staates,  mit  dem  Reich  unterstützt  sein 
mag.  Aber  ebensowenig  wie  die  Konstantin-Lanze  ist  die  Mauri- 
tius-Lanze jemals  das  Abzeichen  des  burgundischen  Königtums 
gewesen;  sie  ist  nicht  erst  damals  erworben  worden.  Die  deutschen 
Könige  und  Kaiser  haben  nie  zwei  heilige  Lanzen  nebeneinander 
besessen,  Mauritius-Lanze  und  Konstantin-Lanze  sind  ein  und 
dasselbe;  der  eine  Name  hat  den  andern  abgelöst. 


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85 


Aber  etwas  später,  zwischen  1035  und  1099,  ist  das  ursprüng- 
liche Eisen  verschwunden  und  das  heutige  Wiener  an  seine  Stelle 
getreten,  wohl  weil  das  erstere  bei  irgend  einer  Gelegenheit  in 
Verlust  geraten  war.  Das  Wiener  Eisen  ist  nicht  das  der  ur- 
sprünglichen deutschen  Königslanze,  das  wir  nicht  mehr  besitzen. 
Wir  besitzen  aber  eine  getreue  Nachbildung  davon,  ohne  die 
Nagelreliquie,  in  der  Krakauer  Lanze,  die  Boleslaw  Chabri  nach 
dem  Muster  der  deutschen  als  Abzeichen  seines  neuen  Königtums 
1025  hat  anfertigen  lassen. 

Bis  ins  14.  Jahrhundert  zählt  in  Deutschland  die  heilige 
Lanze  zu  den  vornehmsten  Abzeichen  der  Reichsgewalt.  Doch 
schon  bald  nach  1200  tritt  die  Mauritius-Lanze  hinter  derLonginus- 
Lanze  zurück,  und  dieser  Name  siegt  mit  Karl  iy.  endgültig  über 
den  alten. 

Damit  mag  eine  Veränderung  äußerer  Art  in  Zusammenhang 
stehen.  Während  die  deutsche  Königslanze  früher  einen  Holz- 
schaft besaß,  treffen  wir  spätestens  1350  das  bloße  Lanzeneisen 
in  einem  Reliquiar  bewahrt. 

Damals  geht  es  mit  ihrer  Bedeutung  unter  den  eigentlichen 
Reichsinsignien  zu  Ende.  Sie  wird  reine  Reliquie  und  genießt 
als  solche  die  höchsten  Ehren,  bis  die  Reformation  auch  dem  ein 
Ziel  setzt. 

Frensdorlf  hat  mit  Waitz  im  Hinblick  auf  andere  Stücke  der 
Reichskleinodien  hervorgehoben,  „daß  auf  das  einzelne  Exemplar 
der  Insignien  kein  unbedingter  Wert  gelegt  werde“  *).  Für  die 
heilige  Lanze  trifft  das  nicht  zu,  trotzdem  gerade  hier  ein  Wechsel 
des  Objektes  sicher  stattgefunden  hat.  Auf  Schritt  und  Tritt 
sehen  wir  vielmehr,  wie  es  von  Anfang  an  gerade  die  Lanze, 
die  heilige  Lanze,  ist,  mag  sie  nun  nach  Konstantin,  Mauritius 
oder  Longinus  sich  nennen,  die  der  König  bewahrt  oder  erstrebt, 
die  das  Volk  verehrt.  Das  hängt  offenbar  mit  ihrem  Doppel- 
charakter als  Insigne  und  als  Reliquie  zusammen.  Sie  ist  auch 
das  zweite  von  jeher  gewesen,  und  diese  Eigenschaft  war  natürlich 
nicht  ohne  weiteres  übertragbar. 


l)  Nachrichten  v.  d.  Kgl.  Ges.  d.  Wiss.  in  Güttingen  phil.-hist.  Kl.  1897 
S.  53  und  64  f.  Vgl.  Waiti  VG.  VI»  293  f. 


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8fi 

In  diesen  beiden  Reiten  ihres  Wesens  ist  sie  ein  vollendeter 
Ausdruck  der  mittelalterlichen  Welt-  und  Rechtsanschanung. 

Versuchen  wir  die  zu  Grunde  liegenden  Vorstellungen  kurz 
zusammenzufassen.  Mit  dem  allgemeinen  Bedürfnis,  einen  recht- 
lichen Hergang  durch  ein  sichtbares  Zeichen  kenntlich  zu  machen, 
verbindet  sich  der  germanische  Gebrauch  der  Lanze  als  Abzeichen 
des  Königs.  An  die  imperiale  Überlieferung  des  Altertums  knüpft 
der  Name  Konstantins,  an  die  religiös -kirchliche  Wesensrichtung 
der  ausgehenden  Antike  und  der  mittelalterlichen  Welt  die  Nagel- 
reliquie an.  Man  mag  eine  Art  innerer  Notwendigkeit  darin  er- 
kennen, daß  das  so  geschaffene  Symbol  zum  Abzeichen  des  römisch- 
deutschen Imperiums  wurde. 

In  seinen  Wandlungen  spiegelt  sich  die  Entwicklung  der 
mittelalterlichen  Welt,  deren  Weg  vom  Allgemeinen  zum  Besondem, 
von  den  Institutionen  zu  den  Personen  und  von  den  Personen 
wieder  zu  den  Institutionen  führt.  Der  Patron  des  Imperiums, 
Konstantin,  weicht  dem  Patron  des  sächsischen  Kaiserhauses,  dem 
hl.  Mauritius,  der  zugleich  als  Glaubenszeuge  und  Kriegsmann  das 
Ideal  der  besten  Zeit  des  Mittelalters  verkörpert.  Wie  dann 

allmählich  das  Band  zwischen  Herrscherhaus  und  Reich  sich 
löst,  als  die  Staufer  nicht  in  dem  Sinne,  wie  die  Salier 
das  Erbe  der  Ottonen,  die  Nachfolge  ihrer  Vorgänger  anzutreten 
vermögen,  wie  die  Kirche  den  Staat  in  ihr  System  zwingt, 
so  gewinnt  in  der  Würdigung  der  Lanze,  des  Abzeichens  der 
Staatsgewalt,  der  religiös-kirchliche  Einschlag  die  Oberhand,  sie 
wird  zur  Longinus-Lanze.  Und  wie  der  Staat  wiederum  von  der 
kirchlichen  Bevormundung  sich  befreit  und  die  moderne  Theorie 
seines  Wesens  sich  begründet,  da  verliert  die  Reliquie  für  ihn 
ihren  unmittelbaren  Wert.  Wohl  bleibt  das  Reich  ein  heiliges, 
seine  Fahne  die  Kreuzfahne;  seine  königlichen  Abzeichen  aber 
sind  neben  dem  Schwert  Scepter,  Krone  und  Apfel,  und  sein 
bevorzugtes  Sinnbild  ist  der  römische  Adler. 


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Die  Bauerschaften  der  Stadt  Geseke 


von 

I)r.  plii).  et  rer.  pol.  Josef  Lappe 


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Untersuchungen 


zur 

Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte 

herausgegeben 


Dr.  Otto  Gierke 

Professor  der  Hechte  un  der  Universität  Berlin 

97.  Heft 


Die  Bauerschaften  der  Stadt  Geseke 


Josef  Lappe 

l»r.  phit  ot  rer.  pol. 


Breslau 

Verlag  vou  M.  & H.  Marcus 

1SH>S 


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Die  Barschaften  der  Stadt  Geseke 


Ein  Beitrag 

zur  Geschichte  der  deutschen  Stadtverfassung 

von 

Josef  Lappe 

Dr.  phil.  et  rer.  pol. 

Oberlehrer  nm  Realprogymnasium  zu  Lunen  a.  d.  Lippe 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 

190* 


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Dem  Andenken 
des 

Sanitätsrates  Dr.  med.  Xaver  Schupmann 
gewidmet 


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Inhaltsverzeichnis 

Seite 

(Quellen  untl  Literatur VIII — XVI 

Einleitung 1 — 3 

Die  Besiedelung  des  Landes 3 — 10 

Die  Entwicklung  der  Stadt  Geseke 20  — 33 

Die  Huden  und  Bauerschaften 34 — 48 

Die  Mitglieder  der  Bauerschafteu 48—  65 

Die  Beamton  der  Bauerschafteu 65—  78 

Die  Versammlungen  der  Hauerscliaftou 78 — 85 

Die  bauerscliaftliclien  Flurgericbto 85 — 95 

lus  tinium  rcguudoruiu 96 — 111 

Die  Allmende 112 — 127 

Sitten  und  Bräuche 127 — 139 

Das  Finanzwesen.  Ausschluss  aus  der  Bauerschaft 139  . 144 

Stadt  und  Bauerschafteu 144 — 158 

Die  Aufhebung  dor  Bauerschafteu 158—160 

Anlagen 161 — 169 

Karten 170 — 171 


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Ungedruekte  Quellen 

A.  KauerschHn«bflfher 

1 1.  Vül  nieder  Bauerscliat'tsbuch  vum  Jahre  1654—1722. 

(Geseker  Stadtarchiv.) 

2.  Völmeder  Hauerschaftsbuch  vom  Jahre  1722 — 1825. 

(Geseker  Stadtarchiv.) 

3.  l'rotokolle  die  Völmeder  Mast  betreffend  vum  Jahre  1684  bis  zur 

Aufhebung  der  Hauerschaft.  (Geseker  Stadtarchiv.) 

4.  Völmeder  Uauerschaftsblich  vom  Jahre  1825— 1H50. 

(Geseker  Stadtarchiv.) 

5.  Acta  der  Völmeder  Hauerscbaft  zu  Geseke  über  Verkauf  von 
Immobilien.  (Aus  der  Zeit  der  Aufhebung.  Geseker  Stadtarchiv.) 

6.  Acta  betr.  die  Rechnungen  über  Einnahme  und  Ausgabe  bei  der 
Völmeder  Hauerscbaft  von  1829-  1842.  (Geseker  Stadtarchiv.) 

7.  Helege  dazu  für  die  gleiche  Zeit.  (Geseker  Stadtarchiv.) 

8.  Rechnung  der  Völmeder  Hauerscbaft  von  1844—1850. 

(Geseker  Stadtarchiv.) 

U.  Rechnung  über  die  Verwendung  des  Erlöses  aus  den  Waldungen  der 
Völmeder  Hauerschaft  von  1846—  1848.  (Geseker  Stadtarchiv.) 

II.  1.  Stalper  Bauerschaf  tsbncli  vom  Jahre  1696— 171».  (Geseker  Stadtarchiv.) 

2.  Stalper  Hauerschaftsbuch  vom  Jahre  1714—1731.  (Geseker  Stadtarchiv.) 

3.  Stalper  Hauerschaftsbuch  vom  Jahre  1736 — 1795.  (Geseker  Stadtarchiv.) 

4.  Stalper  Hauerschaftgbuch  vom  Jahre  17U5  1810.  (GesekerStadtarchiv.) 

5.  Stalper  Hauerschaftsbuch  voin.lahre  1808—1842.  (GesekerStadtarchiv. ) 

III.  1.  Protoeollnm  Hurscapiae  Hucstedeusis,  Vom  Jahre  1702—1769. 

(Geseker  Stadtarchiv.) 

IV.  1.  Slockheiuier  Hauerschaftsprotokolle  vum  Jahre  1677—1688.  2 Hefte. 

(Mein  Hesitz.) 

2.  Slockheiuier  Bauerschaftsbuch  vom  Jahre  1692—173*. 

(Archiv  des  Altertumsvereius  zu  Paderborn. 
Geschenkt  von  Sanitätsrat  L)r.  Schnpmann.) 

3.  Protokolle  der  Stockheimer  Hauerschaft  über  Flurbesichtigungen 

wegen  Feldfrevel  vom  Jahre  1775 — 1807.  (Mein  Besitz.) 

4.  Protokolle  Uber  Vorpachtung  der  der  Stockheimer  Hauerscbaft  ge- 
hörenden Grundstücke  vom  Jahre  1786—  1806.  (Mein  Besitz.) 

5.  Acta,  Obligationen  und  den  Verkauf  resp.  Ankauf  der  zur  Stockheimer 
Hauerschaft  gehörenden  Grundstücke  betreffend,  vom  Jahre  1805  — 1838. 

(Mein  Besitz.) 


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IX 


6.  Acta  diveraa,  die  Stocktaeimer  ßauerschaft  zu  Geseke  betreffend. 

Vom  Jahre  1667—1835.  (Mein  Besitz.) 

7.  Acta,  das  Rechnungswesen  Uber  Einnahme  und  Ausgabe  der  Stock- 
heimer  Bauerschaft  betreffend,  vom  Jahre  1804 — 1827.  (Mein  Besitz.) 

8.  Stockheimer  Bauerschafts-  Manual  - Akten  in  Bachen  Stockheimer 
Bauerschaft  contra  Ueringer  Hude  zu  Geseke.  (Mein  Besitz.) 

9.  Acta,  betreffend  die  Rechnungen  Uber  Einnahmo  und  Ausgabe  bei 

der  Stockheimer  Bauerschaft  zu  Geseke  fUr  die  Jahre  1828  — 1841 
nebst  beigehefteten  Belegen.  (Mein  Besitz.) 

10.  Acta  Uber  die  Reinstellung  der  iiu  Bauerschaftsbuche  nufgefUhrten 
Stockheimer  Bauerschaftsbereelitigungen.  Jahr  1836.  (Mein  Besitz.) 

11.  Stockheimer  Bauerschafts  - Auseinandersetzuugs -Akten  aus  den 

Jahren  1839  und  1840.  (Mein  Besitz.) 

12.  Acta  der  Stockheimer  Bauerschaft,  Verkauf  der  Eichenstämme 

im  Leimenbusche  betreffend.  Jahr  1838.  (Mein  Besitz.) 

13.  Acta  verschiedenen  Inhalts  zu  den  Angelegenheiten  der  Stockheimer 

Bauerscliaft  und  Acta  der  letzten  Jahre.  (Mein  Besitz.) 

14.  Acta  manualia  Uber  die  vorhandenen  Rückstände  bei  der  Stock- 
heimer Bauerschaft  und  dergleichen  betreffend.  (Mein  Besitz.) 

15.  Mehrere  lose  Blätter,  die  Stockheimer  BRuerschaft  in  der  letzten 

Zeit  betreffend.  (Mein  Besitz.) 

16.  Mehrere  Rechnungen  Uber  die  einzelnen  Jahre.  (Mein  Besitz.) 

17.  Verschiedene  Papiere  der  Stockheimer  Bauerschaft  bis  zur  Auf- 
lösung im  Jahre  1887.  (Mein  Besitz.) 

V.  1.  Holthauser  Bauerschaftsbnch  vom  Jahre  1780—1845. 

(lleseker  Stadtarchiv.) 

2.  Papiere  der  Holthauser  Bauerscbaft  aus  der  Zeit  der  Auflösung. 

(Geseker  Stadtarchiv.) 

VI.  Verzeichnisse  der  die  einzelnen  Bauerschaften  bildenden  Güter  nnd  der 

Besitzungen  der  Bauerschaften  aus  dem  Jahre  1811. 

(Geseker  Stadtarchiv.) 

B.  Hudebttcher 

I.  1.  Hellweger  Hudebuch  vom  Jahre  1659—1734. 

2.  Hellweger  Hudebuch  vom  Jahre  1736  — 1823. 

3.  Hellweger  Hudebuch  vom  Jahre  1824 — 1872. 

II.  1.  Stockheimer  Hudebnch  vom  Jahre  1841  — 1873. 

III.  I.  Hiisteder  Hudebuch  vom  Jahre  1822—1872. 

Sämtliche  HudebUcher  sind  mein  Eigentum. 

€.  Einzelne  Urkunden 
aus  dem 

Geseker  Stadt-  und  Gerichts-Archiv 


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Literaturverzeichnis 

Arnold,  \V.  Zur  Geschichte  des  Eigentums  in  den  deutschen  .Städten. 
Hasel.  1861. 

Arnold,  W.  Die  Ortsnamen  als  Geschicbtsquelle.  Stuttgart.  1882. 
Arnold,  W.  Deutsche  Geschichte.  II.  Bd.  Fränkische  Zeit.  Gotha.  1881 — 1883. 
Ifaer,  M.  Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtgemeiude.  (Koblenz.)  Zeit- 
schrift fiir  Rechtsgeschichte.  Germanistische  Abteilung.  Bd.  XII. 
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4 Bde.  Erlangen.  1869—1871. 

Meese,  F.  A.  Politisch-statistische  Schilderung  der  Verfassung  und  Ver- 
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Vereins  für  Niedersachsen.  Jahrgang  1861. 

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XIV 

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vaterländische  Geschichte  und  Altertumskunde.  Bd.  5. 

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Westfalen.  Arnsberg.  1839. 

Selbertz,  J.  8.  Urkundenbuch  zur  Landes-  und  Rechtsgeschichte  des 

Herzogtums  Westfalen.  3 Bde.  Arnsberg.  1839  — 1864. 

Selbertz,  4.  8.  Diplomatische  Familiengeschichte  der  alten  Grafeu  von 
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Selbertz,  J.  8.  Diplomatische  Familiengeschichte  der  Dynasten  und  Herren 
im  Herzogtum  Westfalen.  Arnsberg.  1865. 

Selbertz,  J.  8.  Quollen  der  westfälischen  Geschichte.  Bd.  I — III.  Arns- 
berg. 1857 — 1869. 

Selbertz,  J.  8.  Die  Freigrafschaft  Stalpe.  Zeitschrift  für  vaterländische 
Geschichte  und  Altertumskunde.  Bd.  23. 

Selbertz,  J.  8.  Landes-  und  Rechtsgeschichte  des  Herzogtums  Westfalen. 
4 Bde.  Arnsberg.  1860 — 1876. 

Selim,  R.  Die  Entstehung  des  deutschen  Städtewesens.  Leipzig.  1890. 

Sommer,  J.  F.  4.  Von  deutscher  Verfassung  im  germanischen  Breusseu 
und  im  Herzogtum  Westfalen.  Münster,  1819. 

Sommer.  4.  F.  J.  Darstellung  der  Rechtsverhältnisse  der  Bauerngüter  im 
Herzogtum  Westfalen.  Hamm  und  Münster.  1823. 

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für  vaterländische  Geschichte  und  Altertumskunde.  Bd.  31.  Abt.  2. 

Spruncr-Meuke.  Handatlas  für  die  Geschichte  des  Mittelalters  und  der 
neueren  Zeit.  3.  Auflage.  Gotha.  1880. 

Sleluen,  4.  1).  von.  Westfälische  Geschichte.  4 Bde.  Lemgo.  1749—1760. 

8tHre,  K.  Wesen  und  Verfassung  der  Landgemeinden  und  des  ländlichen 
Grundbesitzes  in  Niedersachsen  und  Westfalen.  Jena.  1851. 

Stllve,  K.  Topographische  Bemerkungen  über  die  Feldmark  der  Stadt 
Osnabriiok  und  die  Entwickelung  der  Laischaftsverfassung.  Mitteilungen 
des  historischen  Vereins  zu  Osnabrück.  V.  Bd.  1868. 

Tliudielium,  F.  Die  Gau- und  Markverfassung  in  Deutschland.  Giessen.  1860. 

Thudielium,  F.  Ueber  Dorfeinfriediguugen  und  Grenzwerke  von  Marken. 
Gauen  und  Idindein.  Anzeige  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit.  7.  Bd. 
1860.  Heft  1—6. 

V arges,  W.  Die  Entstehung  der  Stadt  Braunschweig.  Jahrbuch  des  Harz- 
vereins  für  Geschichte  und  Altertumskunde.  23.  Jahrgang.  1891. 

Varges,  W.  Zur  Entstehungsgeschichte  Bremens.  Zeitschrift  des  historischen 
Vereins  für  Niedersachsen.  1893. 

Varges,  W.  Zur  Entstehung  der  deutschen  Städteverfassung.  Jahrbücher 
für  Nationalökonomie  und  Statistik.  3.  Folge.  Bd.  VI.  (1893)  ffl. 

Varges.  W.  Zur  Verfassungsgeschichte  der  Stadt  Werningerode  im  Mittel- 
alter.  Zeitschrift  für  Kulturgeschichte.  Bd.  III 

Vledenz,  A.  Neue  Beiträge  zur  Geschichte  der  Stadt  Geseke.  Eberswalde. 
1894. 

Vollhnuin,  4.  Die  Spezialgemeinden  der  Stadt  Erfurt.  Erfurt.  1881, 

Wallz,  G.  Ueber  die  altdeutsche  Hilfe.  Güttingen.  1854. 


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XV 


WcstnUixelies  rrkundenbueh.  Bd.  III  von  B.  Wilmans.  Münster.  187 1 . 

Bd.  IV  von  B.  Wilmans  und  H.  Finke.  Münster.  1874 — 1894. 

Witte,  H.  Neuere  Beiträge  des  Reichslandes  zur  Ortmiamenforschung. 
Korrespondenzblatt  der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine. 
47.  Jahrgang. 

Wittleh,  W.  Die  Orundherrschaft  in  Nordwestdeutschland.  Leipzig.  1 89t». 
Wrede,  A.  4.  Die  Kölner  Bauerbänke.  KBIn-Ehrenfeld.  1905. 

Zangen,  K.  V.  von.  Abhandlung  Ober  Märkerrecht  und  Märkergedinge. 
Giessen.  1800. 


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Abkürzungen 

1.  V.  B.  B.  = Völmeder  Bauerschaf  tsbuch 

2.  St.  B.  B.  = Stälper  Bauerschaftabuch 

3.  H.  B.  B.  = Hüsteder  Bauerschaftsbuch 

4.  Holth.  B.  B.  = Holthauser  Bauerschaftsbuch 

5.  Stöckli.  B.  B.  = Stockheimer  Banerschaftshuch 

6.  H.  H.  B.  = Hellweger  Hudebuch 

7.  St.  H.  B.  ==  Stockheimer  Hudebuch 

8.  Hiist.  H.  B.  = HUsteder  Hudebuch 

Zu  diesen  Abkürzungen  wird  jedesmal  das  Datum  des  betreffenden 
Zitates  hiuzugefügt,  so  dass  es  sich  in  den  betreffenden  Büchern  leicht 
finden  lässt. 


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Einleitung 

Diese  Arbeit  ist  die  Ergänzung  und  Fortsetzung  der 
Dissertation  über  die  Geseker  Huden1);  was  dort  nur  allgemein  an- 
gedeutet wurde,  soll  hier  ausführlich  dargelegt  und  begründet  werden. 
Bauerschaft  und  Hude  bildeten  ursprünglich  eine  einheitliche 
Markgenossenschaft,  die  sich  erst  dann  in  die  beiden  Genossen- 
schaften spaltete,  als  sie  das  platte  Land  verlassen  und  sich 
hinter  den  Mauern  der  Stadt  neu  angesiedelt  hatte.  Es  werden 
daher  im  folgenden  zunächst  die  Dörfer,  die  sich  ursprünglich 
in  der  heutigen  Geseker  Feldmark  angebaut  hatten,  aufgezählt 
und  ihre  markgenossenschaftlichen  Beziehungen  dargelegt.  So- 
dann folgt  die  Angabe  der  Gründe,  weshalb  die  Dörfer  gezwungen 
waren,  ihren  bisherigen  Standort  zu  verlassen  und  sich  in  der 
mittlerweile  gegründeten  Stadt  Geseke  neu  anzubauen.  Darauf 
soll  dargelegt  werden,  wie  es  kam,  dass  die  bis  jetzt  noch  ein- 
heitliche Markgenossenschaft  in  die  beiden  erwähnten  Genossen- 
schaften zerfiel.  Nach  eingehender  Schilderung  der  Bauerschaften 
soll  das  Verhältnis  dieser  Sondergemeinden  zur  Stadt,  beziehungs- 
weise deren  Vertretern,  Bürgermeister  und  Rat  klar,  gestellt 
werden.  Zum  Schluss  folgt  ein  kurzer  Ueberblick  über  den 
Zerfall  und  die  Aufhebung  der  Bauerschaften. 

Die  wichtigste  Quelle  für  die  folgende  Untersuchung  bilden 
die  sog.  Bauerschaftsbücher,  d.  h.  die  Protokolle  über  die 
Bauergerichte  und  Notizen  über  wichtige  Vorgänge  in  den 
Bauerschaften.  Zum  Glück  fliesst  diese  Quelle  reichlicher,  als 
es  bei  den  Huden  der  Fall  war.2)  Freilich  geht  auch  hier 
keine  Nachricht  über  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  hinaus, 
weil  die  Bauerschaftsbücher  zum  grossen  Teil  in  den  vorher- 


')  Lappe,  Josef,  Die  Qeseker  Hudeu.  Dissert.  Münster,  1907. 
*)  Siebe  das  Literatur- Verzeichnis. 

Lappe,  Die  Geseker  Bauerscbalten  1 


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2 


gehenden  stürmischen  Kriegsjahren  vernichtet  worden  sind.1) 
Die  vorhandenen  Bücher  wurden  in  besonderen  Kisten  auf- 
bewahrt'-) und  dem  Vorsteher  der  Bauerschaft,  dem  Holzgrafen 
anvertraut.3)  Diese  wurden  von  dem  scheidenden  Holzgrafen 
in  einem  besonderen  Verzeichnis  aufgez&hlt  seinem  Nachfolger 
übergeben,  der  über  den  Empfang  zu  quittieren  hatte.4)  Aber 
trotzdem  ist  der  grösste  Teil  verloren  gegangen.  Als  die 
Bauerschaften  noch  blühten,  sind  manche  Urkunden  im  Besitze 
der  früheren  Vorsteher  geblieben,  teils  infolge  der  Gleichgiltigkeit 
der  Bauerschaften,  die  von  deren  Vorhandensein  gar  nicht 
wussten/’)  teils  aber  auch  von  den  Inhabern  absichtlich  und 
widerrechtlich  behalten.6)  Einige  Bücher  sind  nach  der  Auf- 
hebung der  Bauerschaften  verloren  gegangen.  Was  nicht  in 
Archiven  aufbewahrt  ist,  habe  ich  nach  eifrigem  Suchen  in  den 
Familien  der  letzten  Holzgrafen  aufgefunden  und  an  mich 
gebracht.  Neben  den  Bauerschaftsbüchern  liefern  auch  die 
Hudebücher  für  diese  Darstellung  manches  Material,  besonders 
hinsichtlich  der  Beziehungen  zwischen  Huden  und  Bauerschaften 
und  der  markgenossenschaftlichen  Verhältnisse  der  ältesten 
Zeit.  Die  über  diese  Frage  vorhandene  Literatur  ist  möglichst 

■)  V.  B.  B.  Einleitung  zu  B.  1 vom  Jahre  1664:  .aber  ein  überfall 
von  den  hessischen  Völkern  (im  Jahre  1633)  da«  schrei»  aufgeschlagen,  die 
briefschaften  weggeraubt  unt  ruiniert  also  das  man  deren  weinig  wieder 
bekommen.“ 

s)  H.  B.  B.  26.  Jnni  1717:  .Es  ist  auch  beliebt,  dass  ein  Kistgcn 
gemacht  werde,  wohrin  der  bauerschaft  briefe  aufbehalten  werden.“ 

s)  a.  a.  O.  und  sonst  oft. 

«)  z.  B.  St.  B.  B.  17.  April  1833. 

3)  So  werden  einem  Mitglied  der  Vülmeder  Bauerschaft  die  Schulden 
zum  Teil  erlassen,  weil  der  Schuldner  verspricht  (V.  B.  B.  4.  Juli  1719), 
dass  er  .die  der  Bauerschaft  dienlige  oder  zuständige  Urkunden  und  nach- 
richteu  ad  protocollum  getreulich  einliefern  würde.“ 

■)  So  soll  ein  wegen  schlechter  Amtsführung  abgesetzter  Holzgraf  die 
Bauerschaftsbücber  herausgeben.  Es  gehen  im  Aufträge  der  Hüsteder 
Bauerschaft  2 Mitglieder  zu  ihm  (H.  B.  B.  25.  Juni  1717),  welche  „referiren, 
dass  sie  den  Herrn  W.  Thoholte  gewesenen  Holzgrafen  in  seinen  Kleidern 
ein  pfeiff  Tuback  rauchendt  angetroffen  undt  ihnen  committirter  Massen 
gesagt  betten,  der  aber  resolvirt  hette,  dass  dasjenige,  was  gegen  ihn  ge- 
schehen wehre,  er  für  eine  injurie  aufnehmen  thäte  undt  obschon  seine 
Hüter  sich  hette  müssen  abnehmen  lassen,  so  liesse  er  doch  seine  Ehre  sich 
nicht  abnehmen,  er  hette  noch  einige  Cbartequen  undt  ein  klein  Buch  der 
Baurschaft  zugehörig,  so  er  noch  zur  zeith  nicht  wollte  herausgeben.* 


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3 


vollständig  zu  Rate  gezogen,  es  werden  aber  nur  dann  Hinweise 
gegeben  und  Stellen  zitiert,  wenn  die  betr.  Erörterung  dadurch 
Aufklärung  und  Begründung  erhält.  Ich  halte  es  für  unnütz, 
jedesmal  darauf  zu  verweisen,  wo  sich  ähnliches  findet,  mit  der 
„lieben  Notennot“1)  möchte  ich  die  Leser  und  mich  selbst  ver- 
schonen. Die  angeführten  Werke  werden  der  Kürze  halber 
nicht  jedesmal  mit  vollständigem  Titel,  Druckort  und  Druckjahr 
zitiert,  da  das  Literaturverzeichnis  in  dieser  Hinsicht  die  nötige 
Auskunft  gibt. 


Die  Besiedelung  des  Landes 

Die  Stadt  Geseke,  am  Nordostrande  des  Hellwegs  gelegen, 
gehört  geographisch  dem  grossen  münsterländischen  Busen  an, 
der  im  Süden  vom  Haarstrang,  im  Osten  vom  Eggegebirge  und 
im  Norden  vom  Teutoburger  Walde  umschlossen  wird,  während 
im  Westen  die  Basis  von  isolierten,  flachgeröllten  Hügelmassen 
gebildet  wird.  Geseke  liegt  ungefähr  in  der  abgestumpften, 
runden  Spitze,  in  die  der  münsterländische  Busen  im  Osten 
endigt,  am  Fusse  des  hier  allmählich  ansteigenden  Haarstranges. 
Die  Feldmark  ist  zum  grössten  Teil  sehr  fruchtbar,  besonders 
soweit  sie  vom  Ausläufer  der  Soester  Börde  gebildet  wird,  jedoch 
im  südlichen  Teile  sind  die  Verwitterungsprodukte  des  Pläner- 
kalks derart  fortgewaschen,  dass  nur  eine  dünne  Ackerkrume 
übrig  geblieben  ist.2)  Die  Flächengrösse  der  Geseker  Feldflur 
beträgt  mit  Ausschluss  des  Stadtbezirkes  18  800  Morgen,  nimmt 
also  einen  Raum  ein,  wie  ihn  nicht  viele  Gemeinden  aufzu- 
weisen haben.  Die  Länge  vom  Norden  nach  dem  Süden  beträgt 
ungefähr  12  km,  während  der  Weg  vom  Westen  nach  dem 
Osten  etwa  8 km  ausmacht.  Schon  diese  Ausdehnung  lässt 
vermuten,  dass  die  heutige  Feldflur  nicht  das  ursprüngliche  Bild 
der  Besiedelung  bietet,  und  die  folgenden  Ausführungen  werden 
zeigen,  wann  und  wie  Geseke  mit  seiner  Umgebung  den  jetzigen 
Charakter  erhalten  hat. 

Die  ältesten  Bewohner  des  Landes  waren  die  Kelten,  die 
nach  Müllenhoff  vor  den  Germanen  auf  der  rechten  Rheinseite 

*)  Dahlmann  in  <lem  Vorwort  zu  seiner  Geschichte  von  Dänemark. 

*)  L Shers,  Geschichte  von  Geseke.  S.  22*. 


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4 


bis  an  den  Harz  und  die  Thüringer  Gebirge  wohnten1)  und 
nach  Meitzen  gerade  den  Hellweg,  auf  dessen  Nordrande  Geseke 
liegt,  am  längsten  gehalten  haben.2)  Keltische  Namen  haben 
sich  in  Stal-pe  und  Apel-bach,  zwei  Flurbezeichnungen  bei 
Geseke,  erhalten.3)  Als  dann  die  letzten  menapischen  Kelten 
zu  Cäsars  Zeit  die  Landstriche  rechts  des  Rheins  räumten, 
scheint  der  Hellweg  zunächst  in  die  Hände  der  Sigambren  und 
Chamaven  gefallen  zu  sein,  bis  diese  um  die  Zeit  des  Varus 
von  den  chattischen  Marsen  vertrieben  wurden,4)  die  hier  nach 
der  geistvollen  Hypothese  Meitzens  unter  Beseitigung  der 
keltischen  Einzelhöfe  ihre  heimatlichen  Dörfer  angelegt  haben, 
wie  sie  bis  auf  die  Gegenwart  bestehen  geblieben  sind.5)  Nach- 
dem die  Marsen  durch  die  Feldzüge  der  Römer,  besonders 
unter  Germanikus  1 4 und  1 6 n.  Chr.  aufgerieben  waren,  haben 
die  Brukterer  um  die  Wende  des  1.  Jahrhunderts  dieses  Gebiet 
in  Besitz  genommen6)  und  sind  die  Herren  desselben  geblieben, 
bis  sie  mit  dem  auf  715  angesetzten  Einfalle  der  Altsachsen 
unter  deren  Oberhoheit  kamen.7)  Geseke  lag  auf  der  Ostgrenze 
der  Brukterer  gegen  die  Angrivaren,  später  der  Westfalen 
gegen  die  Engern8)  und  bildete  seit  dem  13.  Jahrhundert  die 
nordöstliche  Spitze  des  Herzogtums  Westfalen  gegen  das 
Fürstentum  Paderborn,  heute  des  Regierungsbezirks  Arnsberg 
gegen  den  Regierungsbezirk  Minden. 

■)  Hüllen  hoff,  Deutsche  Altertumskunde.  2.  Bd.  S.  236.  .Der  Harz, 
die  Thüringer  und  die  weiter  ostwärts  streichenden  Hüben  bildeten  einst 
deu  Urwald-Gürtel,  der  die  Germanen  von  den  Kelten  schied.“ 

Meitzen,  Siedelung  und  Agrarwesen  der  Westgermanen  und  Ost- 
gertnanen.  I.  Bd.  8.  622  fä. 

*)  MUllenhoff,  a.  a.  O.  8.  227.  „ndd.  apa  . . . steht  nur  zu  ir.  ab  floss 
in  richtigem  Verhältnis.“ 

4)  Meitzen,  a.  a.  0.  I,  623. 

Ä)  a.  a.  0.  8.  524. 

•)  a.  a.  O.  II,  23  ff. 

*)  a.  a.  O.  II,  25. 

8)  a.  a.  O.  Vergl.  auch  Büttger,  Diüzesan-  und  Gaugrenzen  Nord- 
deutscblands.  3.  Abt.  8 10.  24.  32.  Ledebur,  Die  Gränzen  zwischen 
Engern  und  Westphalen.  Wigands  Archiv  für  Geschichte  und  Altertums- 
kunde Westphalens  I,  1,  4tiff.  Ebenda  III,  3,  94.  Sproner-Menke,  Hand- 
atlas für  die  Geschichte  des  Mittelalters  uud  der  neueren  Zeit.  3.  Auflage. 
Gotha  1880.  Karte  33. 


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6 


Die  Feldmark  der  Stadt  Geseke  war  ursprünglich  dorf- 
weise, nicht  hof weise  besiedelt,  wie  aus  der  Gemengelage 
der  Ackerparzellen  hervorgeht.1)  Aber  nicht  eine  Ansiedlung 
beherrschte  die  ganze  Flur,  wie  heute  die  Stadt  Geseke,  sondern 
eine  Anzahl  grösserer  und  kleinerer  Siedelungeu  bedeckte  das 
Land,  wo  sich  jetzt  ununterbrochen  die  von  der  Stadt  aus  be- 
stellte Ackerflur  erstreckt.  Wir  schliessen  das  zunächst  aus 
den  bis  ins  13.  Jahrhundert  zurückgehenden  Urkunden,  in  denen 
von  Gutsübertragungen  die  Rede  ist.  Darin  wird  der  Name 
der  Ansiedlung  oder  des  Dorfes  angegeben,  in  dessen  Bereich 
das  übertragene  Gut  fällt.2)  Vor  allem  aber  geben  die  bis  in 
die  unmittelbare  Gegenwart  reichenden  Huden  und  Bauerschaften 
ein  deutliches  Bild  der  ursprünglichen  Besiedelung.  Beide 
bildeten  ja,  wie  schon  erwähnt  wurde,  eine  Markgenossenschaft, 
und  aus  deren  Kenntnis  dürfen  wir  einen  sicheren  Rückschluss  auf 
die  Zeit  machen,  als  die  Dörfer  noch  im  offenen  Felde  lagen. 
Da  Hude  und  Bauerschaft  bis  zu  ihrem  Untergange  alle  Rechte 
über  die  Dorfmark  besassen,  die  jeder  Dorfgenossenschaft  zu- 
standen,3) können  wir  aus  beider  Herrschaftsbereiche  die  Aus- 
dehnung der  betreffenden  Dorfmark  bestimmen.  Den  gleichen 
Schluss  dürfen  wir  aus  dem  Umfange  des  über  je  eine  Dorfmark 
sich  erstreckenden  Zehntgebietes  ziehen.4)  Von  einer  Feldflur 
hat  sich  sogar  durch  den  Bericht  Uber  einen  Schnadzug  aus 
dem  Jahre  1706  eine  genaue  Angabe  der  Grenzen  erhalten.5) 
Weiteren  Anhalt  geben  die  Landwehren.  Diese  hatten  den 
Zweck,  eine  Grenze  der  betr.  Mark  zu  bilden,  fremde  Vieh- 
herden abzuhalten,  eigenen  Herden  den  Ausgang  zu  verwehren. 


')  Besonders  beweisen  das  die  Kaufbriefe  der  alteren  Zeit,  in  denen 
die  zu  einem  Oute  Land  gehörenden  Parzellen  aufgezählt  werden.  Sie  sind 
ober  die  ganze  Flur  verstreut.  (Nach  mehreren  in  meinem  Besitze  be- 
findlichen Kaufbriefen  aus  dem  18.  Jahrhundert.) 

5)  Diese  Urkunden  finden  sich  bei  Seibertz,  Urkuudenbucb  zur  Landes- 
und Rechtsgeschicbte  des  Herzogtums  Westfalen.  3 Bde.  und  Wilmans- 
Fiuke,  Westfälisches  Urkundenbuch  III.  und  IV.  Bd. 

*)  Für  die  Huden  beweist  das  die  Arbeit  über  „die  Geseker  Huden", 
für  die  Bauerschaften  die  folgende  Untersuchung. 

4)  Der  Zehnte  der  Geseker  Feldmark  war  unter  verschiedene  Besitzer 
verteilt  und  genau  auf  ein  Zehnt-Gebiet  beschränkt,  das  seinen  Namen  nach 
dem  betreffenden  Dorfe  führte. 

5)  Von  dem  Dorfe  Uüstede. 


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6 


Schutz  und  Sicherheit  von  Person  und  Eigentum  zu  gewähren  usw.1) 
Diese  die  Dörfer  umschliessenden  Landwehren  sind  heute  noch 
zum  Teil  erhalten,  wo  sie  abgetragen  sind,  lässt  sich  ihr  Lauf 
trotzdem  deutlich  bestimmen,  weil  „der  verarbeiteten  Dammerde 
leicht  üppigere  Gewächse  entspriessen  wie  einem  dürren,  müden 
Umlande“.'2)  So  lässt  sich  auch  daraus  die  Lage  einzelner 
Dörfer  finden.3)  Eine  nicht  unwichtige  Quelle  zur  Entscheidung 
der  hier  besprochenen  Frage  sind  ferner  die  Flurnamen.  Wenn 
in  den  soebeu  erwähnten  Urkunden  der  Name  eines  Dorfes 
genannt  wird  und  in  den  Flur  bezeichn  ungen  eines  bestimmten 
Gebietes  die  gleichen  Namen  öfter  wiederkehren,  so  ist  gewiss 
der  Schluss  berechtigt,  hier  die  ursprüngliche  Lage  des  Dorfes 
zu  suchen.4)  Aber  nicht  nur  die  Dorfmark  im  allgemeinen, 
sondern  auch  den  eigentlichen  Dorfbezirk,  den  Platz,  wo  die 
Wohnhäuser  standen,  können  wir  angeben.  Zunächst  kommt 
hier  in  Betracht,  dass  im  Mittelalter  die  Gerichtsstätte  im 
Dorfe  mit  einer  Linde  geschmückt  war.  ’)  Wo  wir  also  Linden 
finden,  die  noch  heute  den  Namen  eines  Dorfes  tragen,  dürfen 
wir  den  Dorfplatz  vermuten.  Ferner  ist  man  wiederholt  beim 
Pflügen,  Drainieren,  Planieren  usw.  an  einzelnen  Stellen  der 
Feldmark  auf  Grundmauern  usw.  gestossen,  Funde,  die  sich 
für  die  genauere  Lokalisierung  ebenfalls  verwerten  lassen.6) 
Dazu  kommt,  dass  bis  zur  Verkoppelung  in  den  siebziger  Jahren 
des  verflossenen  Jahrhunderts  an  mehreren  Stellen  der  weiten 
Flur  Gärten  lagen.  Diese  umgaben  ursprünglich  die  Dörfer 
und  blieben  auch  nach  deren  Abbruch  als  Gärten  in  Gebrauch, 

')  Ueber  Landwehren  im  allgemeinen  s.  Thudichum.  Ueber  Dorf- 
einfriedigungen usw.  Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit  7.  Bd. 
1.  bis  5.  Heft 

s)  Nordhoff-Westhoff.  Römische  Landwehren,  Strassen  usw.  Bonner 
Jahrbücher.  1895.  Heft  96  und  97. 

s)  Es  finden  sich  also  hier  Landwehren  um  Dorfgemarkungen,  die 
Thudichum  Überhaupt  nicht  gefunden  haben  will.  a.  a.  O.  col.  9t:  .Land- 
wehren um  Dorfgemarkungen,  die  noch  zu  einem  und  demselben  Landgericht 
gebürten,  also  nicht  selbständige  Territorien  bildeten,  habe  ich  bis  jetzt 
nirgends  angetroffen.“ 

*)  In  diesem  Punkte  mnss  ich  mich  auf  meine  Ortskenntnis  berufen, 
für  die  ich  absolute  Zuverlässigkeit  in  Anspruch  nehmen  darf. 

6)  Bluntschli,  Die  wirtschaftliche  Rechtsordnung  der  deutschen  Dörfer. 
Kritische  Ueberschau  der  deutschen  Gesetzgebung  usw.  2.  Bd.  S.  316. 

“)  Mach  mündlichen  Berichten. 


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7 


weil  sie  besonders  eingefriedigt  waren  und  dem  Weidezwange 
nicht  unterlagen.1)  Wenn  wir  daher  die  erwähnten  Gärten 
bestimmt  lokalisieren  können,  haben  wir  den  Dorfplatz  gefunden. 
Sichern  Aufschluss  über  die  Lage  der  Dörfer  gibt  uns  schliesslich 
die  Flurkarte  der  Geseker  Feldmark  aus  der  Zeit  vor  der  Ver- 
koppelung. Es  ist  ja  bekannt,  dass  das  Bild  der  Dorffluren 
von  der  ältesten  Zeit  her  sich  garnicht  oder  doch  nur  wenig 
geändert  hat.2)  Nun  besitzen  wir  eine  Karte  von  der  Geseker 
Feldmark,  die  der  Geometer  Schmitz  im  Jahre  1821  entworfen 
hat.3)  Ein  Blick  darauf  zeigt,  dass  sich  an  einzelnen  Stellen 
der  an  Wegen  nicht  gerade  reichen  Feldflur  die  Wege  derart 
häufen  und  kreuzen,  dass  man  berechtigt  ist,  hier  den  ur- 
sprünglichen Dorfplatz  zu  suchen.  Denn  die  Wege  unterstanden 
dem  besonderen  Schutze  des  Dorfgerichtes4)  und  blieben  daher 
selbst  da  noch  unverrückt  erhalten,  als  sich  die  Dörfer  an 
einem  andern  Orte  angebaut  hatten.  Wenn  also  an  gewissen 
Punkten  die  Wege  fast  sinnlos  durcheinander  laufen,  ungefähr 
wie  in  einem  deutschen  Haufendorfe,  so  dürfen  wir  hier  einen 
ursprünglichen  Dorfplatz  suchen.  Nach  diesen  Vorbemerkungen 
können  wir  daran  gehen,  die  Lage  der  Dörfer  genauer  zu  be- 
stimmen. 

Ganz  im  Osten  lag  Stalpe,5)  das  zuerst  im  Jahre  1258 
urkundlich  erwähnt  wird.*)  Ministerialen  von  Stalpe  werden 
bald  darauf  als  Zeugen  wiederholt  genannt.7)  Die  Dorfmark 
lässt  sich  durch  die  Flurnamen  bestimmen.  Im  südlichen  Teile 
erstreckte  sich  die  Ackerflur,  das  „Stälper  Feld“,  bis  an  eine 
von  drei  Markgenossenschaften  benutzte  Allmende,  die  Hölter 
Heide,  im  Norden  schloss  das  „Stälper  Holz“  die  Dorfmark  ab, 

')  Hagemann,  Handbuch  des  Landwirtschaftsrechtg.  Unter  dem 
Kapitel.  Gärten. 

a)  Darauf  wird  besondere  von  Aug.  Meitzen  in  seinem  Werke  über 
Siedelung  und  Agrarwesen  uew.  wiederholt  hingewieeen. 

3)  S.  Karte  I.  Das  Original  befindet  eich  im  Ueeeker  Stadtarchiv. 
Diese  Karte  ist  durch  den  um  die  Lokalgeschichte  gehr  verdienten  Sanitätg- 
rat Dr.  Schnpmann  (f)  nach  dem  Original  entworfen. 

*)  8.  den  Abschnitt  über  lug  finium  regundorum. 

’>)  Vergl.  für  dag  folgende  die  Karte  I. 

*)  Seibertz,  Urkunden -Buch,  L n.  SH.  8.  3S8.  in  rubo  apnd  Stalpe. 

7)  Wilmang-Finke,  Wegtf.  Urk.  Buch.  IV.  n.  1034.  anno  1265: 
Conradua  de  Stalpe.  1.  c.  IV.  n.  2532.  anno  1298:  Thidericug  de  Stalpe. 


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8 


im  Osten,  wo  später  die  neue  Landwehr  lief,  begann  das  Gebiet 
der  Engem.  Die  Lage  des  Dorfes  verrät  uns  die  „Stälper 
Linde“,  wo  auch  ausserge wohnlich  viele  Wege  erhalten  sind. 
Die  Stelle,  wo  die  von  der  Stadt  nach  dem  Osten  laufende  sog. 
„Ostern  Landwehr“  die  Hölter  Landwehr  kreuzte,  heisst  noch 
heute  der  „Winkel  zu  Stalpe“  und  der  Dorfbrunnen  der  „Stälper 
Saut“. 

Nach  Westen  schloss  sich  an  Stalpe  das  Dorf  Volmede 
an,  das  im  Jahre  1265  zum  ersten  Male,1)  später  wiederholt 
erwähnt  wird.2)  Auch  ein  Ministerial  von  Volmede  ist  bekannt.3) 
Die  Grenze  nach  Osten  bildete  Stalpe,  im  Norden  schloss  die 
„Volmer  Mark“  die  Dorfmark  ab,  im  Westen  lief  der  „Völmer 
Bach“,  dessen  Quelle  das  „Völmer  Spring“  heisst,  über  die 
Grenze  hin.  Die  gesamte  Ackerflur  heisst  das  „Völmer  Feld“. 
Gälten  zu  Volmede  werden  noch  im  18.  Jahrhundert  genannt.4) 
Die  Lage  des  Dorfes  gibt  uns  die  „Völmer  Linde“3)  an,  die 
auch  durch  das  Kartenbild  mit  den  daselbst  zahlreich  laufenden 
Wegen  bestätigt  wird.  Gerade  in  der  Nähe  dieser  Linde  sollen 
Pflüger  auf  Grundmauern  gestossen  sein. 

Im  Westen  schloss  sich  Krewete  an,  das  vom  Völmer 
Bach  und  Geseker  Bach  umgrenzt  wurde.  In  Urkunden  aus 
älterer  Zeit  wird  diese  Siedelung  nicht  erwähnt,  wir  wissen 
von  ihr  nur  aus  den  Hüsteder  Bauerschaftsbüchern,  in  denen 
wiederholt  Güter  zu  Krewete  erwähnt  werden.6)  Die  Lokalisierung 


')  Wilmans-Finke,  Westf.  Urk.  Buch.  IV.  n.  1034:  curtim  quandam 
Velmede  apud  Gesike  sitam. 

*)  Seibertz,  Urk.  Buch.  I.  n 484.  p.  629  Amn.  anno  1371.  decima  . . . 
in  Velmede  juxta  (iejseke. 

3)  s.  Note  1.  Andrea*  de  Velmede. 

*)  z.  B.  um  1380  bei  Seibertz,  Quellen  der  Westfälischen  Geschichte. 
1,  281  und  im  Jahre  1734  (28.  Juli)  im  Völmeder  Hauerschaftsbuche. 

6)  Weil  in  der  Nähe  dieser  Linde  drei  Dornenbdache  standen,  heisst 
sie  die  „Vulineder  Linde  zu  den  drei  Dören.“  (So  noch  in  der  Allodifikations- 
urkunde  eines  stiftiseben  Kunkellehens  vom  28.  Februar  1832.  Mein  Besitz.) 
Jetzt  heisst  Bie  kurz  .die  drei  Dören  Linde*. 

*)  Hilst.  B.  B.  24.  Juni  1708.  „weilen  durch  Absterben  Heinrich 
Röggener  vom  Krewete  guth  eine  Bawrschaft  ledig  gefallen,  er  aber 
selbigen  Krewete  Guths  gegentheill  kentlich  besitzet.“  Ebenso  24.  Juni  1710. 
Zuletzt  3.  Juli  1768:  „dass  dieser  baursekaft  unter  4 Krewete  Metern  der 
Uebrauch  wero.“ 


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9 


im  allgemeinen  ermöglicht  uns  die  Flurbezeichnung  „Kreweter 
Wiesen“. 

Nordwestlich  von  Volmedo  und  Krewete  folgt  H ii  s t e d e. 
Dieses  Dorf  wird  schon  1218')  und  12262)  erwähnt.')  Im 
Norden  schliesst  das  „Hüster  Bruch“  als  Gemeinweide  und  die 
„Hüsteder  Mark“4)  als  Gemeinwald  die  Dorfmark  ab.  Auf 
dem  linken  Ufer  des  Geseker  Baches  dehnt  sich  die  Ackerflur, 
das  „Hüster  Feld“  aus,  das  von  der  „Hüster  Trift“  durch- 
schnitten wird.  An  diesem  Wege  liegt  die  „Hüsteder  Linde“, 
so  dass  wir  hierher  das  Dorf  zu  verlegen  haben,  genauer  auf 
den  östlich  von  der  Linde  liegenden  fruchtbaren  Rücken,  weil 
man  hier  noch  vor  kurzem  beim  Planieren  und  Drainieren  auf 
Grundmauern  gestossen  ist  und  selbst  Gräber  blossgelegt  hat. 
In  diese  Gegend  werden  auch  wiederholt  Gärten  von  Hüstede 
verlegt.5) 

Im  Süden  dieser  4 Siedelungen  lag  Isloh,  das  unmittelbar 
an  Volmede  grenzte.  Es  wird  um  1300  wiederholt  erwähnt.®) 
Die  Lokalisierung  wird  ermöglicht  durch  das  „Isloher  Feld“, 
das  der  „Isloher  Weg“  durchschneidet,  der  dann  weiter  durch 
die  „Isloher  Grund“  zur  „Isloher  Breite“  führt.  Eine  genauere 
Angabe  über  die  Lage  des  Dorfes  müssen  wir  uns  versagen, 
da  alle  oben  erwähnten  Momente  fehlen. 

In  diesen  Siedelungeu  dürfen  wir  uralte  Anlagen  der 
Germanen  vermuten.7)  Auf  die  keltische  Herkunft  des  Wortes 
Stalpe  wurde  schon  hingewiesen,  und  gerade  „die  Namen  auf-apa, 
Wasser,  ein  Wort,  das  in  älterer  Zeit  in  altsächsischen  Ge- 


')  Seihertx.  Urk.  Buch.  1.  n.  151.  S.  194.  „nobiles  fratres  de  hustede 
. . . . agros  prope  huseke  male“  (die  noch  heute  sog.  .Hüsteder  Mühle“.) 

*)  Wilmans-Finke,  Westf.  Urk.  Buch.  IV.  n.  149.  Abt  Albert  vom 
Abdinghof  in  Paderborn  kauft  „inansum  ununi  in  Hustide.“ 

3)  Sonst  noch  1313  (Seih.  1.  c.  11.  n.  556.  S.  124.  Ziff.  109;  und  1338 
(I.  c.  IL  n.  666.  S.  281.  Ziff.  172  und  174). 

*)  Dieser  Name  ist  heute  geschwunden.  Noch  erhalten  in  den  Hüst.. 
B.  B.  18.  Januar  1686  und  6.  Juli  1714. 

5)  Hüst,  B.  B.  25.  Juni  1704.  25.  Juni  1705.  6.  Dexember  1707. 

‘1  Seibertx,  Urk.  Buch.  II.  n 551.  S.  107.  Ziff.  6.  „curiam  in  Yslo“. 
1.  c.  S.  110.  Ziff.  67.  68.  „curtim  in  Yslon“.  Am  10.  Juni  1313  1.  c.  II. 
n.  556.  S.  126,  Ziff.  165.  „cur.  in  Isselo.“ 

7)  Für  die  folgenden  Erörterungen  s.  Arnold,  Die  Ortsnamen  als 
Geschichtsquelle.  Stuttgart.  1882. 


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10 


bieten  vorzugsweise  üblich  gewesen  und  schon  früh  erloschen 
ist,  sind  die  ältesten.“1)  Zur  selben  Zeit  wie  Stalpe  muss 
auch  Isloh  angelegt  sein.  Denn  der  gleichen  Periode  gehören 
„die  Namen  an,  in  denen  Wald  oder  Bäume  gleich  als  Grund- 
worte Vorkommen.  Hier  fallen  vor  allem  die  Worte  auf-loh 
auf.“2)  Einer  etwas  jüngeren  Schicht,  dem  5.-8.  Jahrhundert, 
gehören  die  übrigen  Dörfer  an.1)  In  eine  noch  spätere  Zeit 
fällt  die  Anlage  der  nunmehr  folgenden  weiteren  Siedelungen 
in  der  Geseker  Feldmark. 

Die  nordwestliche  Spitze  der  Geseker  Feldmark  bildet 
Ebbinghausen,  begrenzt  im  Osten  von  Hüstede,  im  Norden 
und  Westen  von  dem  Geseker  beziehungsweise  Bönninghäuser 
Bach  umschlossen.  Es  wird  zum  ersten  Male  am  29.  Juli  1284 
und  seitdem  öfter  erwähnt.4)  Die  „Ebbinger  Hecke“5)  und 
der  „Ebbinger  Weg“,6)  der  von  Geseke  aus  nach  Ebbinghausen 
führt,  geben  ungefähr  die  Lage  des  Dorfes  an.  Eine  am  Ende 
des  Weges  sich  findende  fruchtbare  Erhöhung  in  einer  sonst 
feuchten  Umgebung  kann  wohl  als  der  Platz  der  Siedelung  in 
Anspruch  genommen  werden. 

Im  Süden  schliesst  sich  Heringhausen  an,  das  schon 
im  Jahre  9527)  erwähnt  wird,  dann  wieder  öfter  im  13.  Jahr- 


')  Arnold,  a.  a.  0.  S.  64. 

»)  a.  a.  O.  S.  66. 

*)  &.  a.  0.  8.  73.  „Ebenso  sind  die  Namen  auf  -ithi  zum  Teil  sehr 
alt.“  Ebenda  die  Angabe  der  Zeit  der  Entstehung  dieser  Namen  auf  -ithi. 
-ide,  -ede. 

4)  Wilmang-Finke,  West!.  Urk.  Buch,  IV.  n.  997.  8.  504,  Am 
11.  Dezember  1999  ebenda  n.  2586.  S.  1164.  Ferner  um  1300  bei  Seibertz, 
Urk.  Buch.  I.  n.  484.  8.  614  note.  „1  dom.  in  Ebinchuys*.  Ebenda  II. 
n.  551.  8.  110.  Ziff.  77.  „inans.  I in  Ebbincbusen“.  Ebenso  Ziff.  121. 

s)  In  den  Bauerschaftsbilchem  heisst  sie  die  „Ebbinger  hegge“  (Stockh 
B.  B.  6.  Aug.  1697)  oder  „Ebinger  Inge“  (ebenda  15.  Mai  1810).  Auch 
„Ebbiger  biege“  genannt.  (Nach  einem  Anschreibehucho  meines  Urgroas- 
vaters.) 

')  So  noch  Stockh.  B.  B.  24.  August  1694.  Im  Laufe  der  Zeit  wurde 
daraus  ein  „Ebbeger  Weg“,  dann  „Egger  Weg“  und  daraus  von  dem  deg 
Plattdeutschen  unkundigen  Kataeterbeamten  ein  „Eier  Weg“  gemacht.  Han 
zieht  auch  hier,  wie  man  in  Fragen  der  Worterklärung  auf  die  ursprüngliche 
Form  zurückgehen  muss. 

')  Am  26.  Oktober  952  bei  Seibertz,  Urk  Buch.  I.  n.  8.  8.  9. 


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11 


hundert.1)  Ministerialen  von  Heringhausen  werden  12892)  und 
12923)  genannt.  Die  Dorfmark  lässt  sich  ziemlich  genau  durch 
das  „Heringer  Feld“  und  „Heringer  Bruch“  bestimmen.  Im 
Norden  lag  die  „Heringer  Hude  Landwehr“  mit  der  „Heringer 
Warte“.4)  Die  Lage  des  Dorfes  gibt  die  „Heringer  Linde“  an, 
wo  auch  die  Wege  sich  zahlreicher  finden. 

Dann  folgt  weiter  nach  Süden  W i e t h e i m , das  im 
Westen  bis  an  die  Western  Schledde  reichte.  Güter  zu  Wietheim 
werden  im  Jahre  1284  erwähnt.5)  Von  dem  Zehnten  zu  Wietheim 
bezog  um  1300  das  Stift  zu  Meschede8)  einen  Teil.  Der  Flur- 
name „in  Wietheim“  und  die  an  dieser  Stelle  auffallend  zahlreich  sich 
kreuzenden  Wege  ermöglichen  es  uns,  die  eben  erwähnte  Lage 
anzugeben.  Eine  noch  1667  sich  findende  Bezeichnung  „bey 
dem  Wiethmer  Holzwege“7)  ist  heute  geschwunden. 

Weiter  südlich  liegt  Stockheim,  ebenfalls  durch  die 
Western  Schledde  begrenzt.  Es  wird  12188)  und  1290°)  und 
später  wiederholt  erwähnt.10)  Auch  vom  Stuckheimer  Zehnten 
bezog  das  Stift  zu  Meschede  um  1300  einen  Teil.11)  Nach 
Westen  war  Stockheim  durch  die  „Stockheimer  Landwehr“ 
geschützt,  die  im  Süden  durch  den  Weg  nach  Rüthen  durch- 
brochen wurde  („Rüther  Schling“).  Die  Flurnamen  „Stockheimer 
Bruch“,  Stockmar  Weg“,  „in  den  Stoekmar  Oehrden“,12)  „beim 


*)  z.  B.  a.  a.  O.  I.  n.  311.  S.  388. 

*)  „Detbardus  de  Herdinchus*  bei  Wilmans-Finke,  W.  Urk.  B.  IV.  3. 
n.  2040.  Al»  Zeuge  einer  daB  Stift  zu  Geseke  betreffenden  Urkunde. 

3)  a.  a.  O.  IV.  3.  n.  *221. 

4)  Erwähnt  Stockb.  B.  B.  1677  und  24.  Aug.  1679.  Heute  als  Flur- 
name geschwunden.  Im  Jahre  1806  auf  Abbruch  rerkauft.  Stockb.  B.  B. 
9.  Nov.  1806. 

s)  Wilmans-Finke,  Westf.  Urk.  B.  IV.  n.  1783.  „bona sita  in  Withem“. 

*)  Seibertz,  Quellen  der  westf.  Gescb.  I.  S.  418.  anno  1314.  „de 
decima  in  Wythem  XII  solid“. 

7)  In  einer  Urkunde  über  Schnadweisung  der  Stockheimer  Bauerscbaft 
aus  dem  Jabre  1667. 

8)  Seibertz,  Urk.  Buch.  I.  n.  151.  S.  194.  „mansum  unum  Stochern“. 

•)  Wilmans-Finke,  Westf.  Urk.  B.  IV.  3.  n.  211 1.  „bona  sita  Stochern“. 

,0)  31.  Oktober  1372.  Seibertz,  a.  a.  O.  H.  n.  832.  S.  606:  „bonum 
nostrum  Stochern  in  campis  Ghesike  situm“. 

")  Seibertz,  Quellen  der  westf.  Gesch.  I.  S.  418:  „de  decima  in 
Stochern  XXII  sol*. 

ia)  In  der  Schnadweisung  der  Stockheimer  Bauerscbaft  vom  Jahre  1667. 


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12 


Stockmar  Holl“1)  geben  die  Ausdehnung  der  Dorfmark  an.  Die 
Lage  des  Dorfes  bezeichnet  die  „Stockheimer  Linde“,2)  in  deren 
Nähe  wiederholt  Gärten  erwähnt  werden.3)  Es  lag  auf  einer 
nach  Westen  schroff  sich  senkenden  Anhöhe,  die  der  „Stock- 
heimer Berg“  heisst.4) 

Der  jetzt  folgende  südliche  Teil  der  Geseker  Feldmark 
war  wegen  seiner  Unfruchtbarkeit  besonders  im  Westen  nicht 
besiedelt.  In  dem  Schleddetale  jedoch  an  einer  Stelle,  wo  sich 
fruchtbares  Schwemmland  in  nicht  unbeträchtlicher  Ausdehnung 
fand,  lag  „Passinghausen“,  auch  „Persinghausen“  ge- 
nannt. Es  wird  1298  erwähnt.5)  Den  Passinghauser  Zehnten 
bezog  das  Stift  zu  Geseke.6)  Ein  Renfrid  von  Persinghausen 
war  1289  Ratsherr  zu  Geseke.7)  Wegen  seiner  Lage  hiess  es 
„Grundpassinghausen“.6)  Oberhalb  Passinghauseu  lag  eine 
Warte,9)  die  sog.  „Warte  Lugethal“10)  oder  „Luedahl“,  später 
die  „Störmeder  Warte“  genannt. 

Nun  folgt  nach  Süden  und  Osten  eine  weite  Strecke 
unfruchtbaren  Landes,  wo  die  Erde  zum  Teil  derart  fortgewaschen 
ist,  dass  für  eine  Besiedelung  die  wirtschaftliche  Möglichkeit 

')  Stöckli.  K.  B.  24.  August  1695. 

3)  Am  Wege  nach  Störmede,  daher  heute  die  Störmeder  Linde  genannt. 
In  den  ßanerschaftsbnchern  von  Stockheim  heisst  sie  bis  ins  19.  Jahrhundert 
hinein  die  „Stockheimer  Linde“.  24.  August  1695.  19.  April  1722:  „beyr 

Stockmar  Linde“.  29.  April  1817. 

*)  24.  August  1695.  29.  April  1817:  „der  Weeg  bei  der  Stockheimer 
Linde  an  den  Gartens“. 

*)  Schnadweisung  von  1667  (8.  S.  11  Anm.  7.):  „Der  Weg  unter  dem 
Stöckmer  Berge  zwischen  der  Landwehr  und  der  Schlee.“ 

s)  Wiluians-Kinke,  Westf.  Urk.  B.  IV.  n.  2484.  S.  1 1 19.  „aliis  dnobus 
mansis  in  villis  Persinchosen  et  Störmede  sitis.“ 

®)  Seibertz,  Quellen  der  westf.  Gesch.  I.  S.  301:  „Agnes  de  Cuninges- 
berch  legavit  . . . partem  suatn  decime  I’ersinchusen  sita.“  Stockh.  B.  B. 
19.  September  1827. 

7)  Wilmans -Finke,  a.  a.  O.  IV.  3.  n.  2040. 

®)  Stockh.  B.  B.  22.  August  1717. 

’)  a.  a.  O.  24.  August  1695.  „vom  Wege  so  oben  der  warde  in  der 
grundt  zu  Passinghauseu  durch  ihr  Land  gehet.“  24.  August  1712.  „der 
Weg,  so  aus  der  gruudt  zu  Passingbans  auf  den  Berg  und  so  forthan  durch 
die  lender  bis  auf  den  warde  weg  lauft." 

,0)  a.  a.  O.  4.  Juli  1816  „Bey  der  Wahrde  Lugethal.“  Das  Excerpt 
für  den  folg.  Namen  ist  verloren  gegangen.  Die  Trümmer  dieser  Warte 
sind  heute  noch  zu  sehen. 


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13 


fehlte.  Erst  wo  im  Südosten  wieder  tiefgründiges,  fruchtbares 
Erdreich  beginnt,  findet  sich  das  Dorf  Eising  hausen.  Um 
1300  bezieht  das  Stift  zu  Meschede  einen  Teil  vom  Elsinghauser 
Zehnten.1)  Das  Stift  zu  Geseke  war  hier  begütert.2)  Nach 
Westen  war  es  durch  die  „Eisinger  Landwehr“  geschützt,  in 
der  die  „Eisinger  Warte“  lag.  Nach  Süden  dehnte  sich  die 
Feldflur  bis  zum  „Eisinger  Haken“  aus.  Das  Dorf  lag  nördlich 
vom  Abel-Bach  oder  der  Ostern-Schledde,  östlich  von  der 
Eisinger  Landwehr,  wie  sich  aus  dem  Vorhandensein  mehrerer 
auf  engem  Raume  sich  findender  Wege  ergibt.  Die  Eisinger 
Landwehr  ist  zum  grössten  Teile  abgetragen,  nur  im  Süden 
findet  sich  noch  ein  Rest.  Die  Eisinger  Warte  ist  ab- 
gebrochen. 

Nach  Osten  folgt  als  letztes  das  Dorf  Holthausen.  Es 
wird  schon  vor  1160  erwähnt,3)  dann  im  13.  Jahrhundert  und 
später  oft4)  Es  gab  ein  doppeltes  Holthausen,  ein  Holthausen 
auf  dem  Ostern-Berge5)  und  auf  dem  Western-Berge,6)  die 
durch  eine  bedeutende  Talsenkung,  das  Bett  der  Ostern-Schledde, 
die  sog.  „Hölter  Grund“  getrennt  waren.  Die  Feldmark  können 
wir  genau  durch  die  Flurnamen  „Hölter  Klei,  — Mark,  = Heide“ 
bestimmen.  Nach  Osten  wurde  Holthausen  durch  die  „Hölter 
Landwehr“  mit  der  „Hölter  Warte“7)  abgeschlossen.  Die 
„Hölter  Linde“  lag  auf  dem  Western-Berge,  in  deren  Nähe 
man  auch  auf  Grundmauern  gestossen  sein  soll.  Es  lag  hier 
der  kleinere  Teil  von  Holthausen,  weshalb  es  auch  „Lüttke 
Holthausen“  genannt  wird.  Das  grössere  Holthausen  lag  auf 
dem  Ostern -Berge,  einer  fruchtbaren  Erhöhung,  wo  ausser- 


*)  Seibertz,  Quellen  der  westf.  Gesell.  1.  8.  418.  „de  decima  in 
Elzincbusen  solid.“ 

*)  a.  a.  O.  S.  280  and  295:  „enria  in  Elzinchusen.“  Aua  dem  Jahre  1380. 
’)  Seibertz,  Drk.  Buch.  III.  n.  1060.  S.  417. 

4)  a.  a.  O.  L n.  484.  S.  607.  n.  „mana.  in  Holthna  in  paroch.  Geseke.*) ** 
6)  a.  a.  O.  II.  n.  796.  anno  1371.  „curtem  sitam  in  Holthusen  opp 
dem  Oysterberge  in  der  Geseker  Marke.“ 

e)  a.  a.  O.  II.  n.  796.  8.  629.  anno  1363.  „1  mans,  in  Holtbnysen 
ppe.  oppid.  Geseke  opp  deme  Westenberge.“  Ebenso  8.  631.  Beide  zu- 
sammen erwähnt  um  1300  a.  a.  O.  „2  mans.  in  Oystenberg,  1 in  Westen- 
berg to  Holthusen  ap.  Geseke.“ 

Die  Reste  dieser  Warte  sind  noch  heute  im  sog.  „Warte-Busche" 
zu  sehen. 


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14 


gewöhnlich  viele,  sich  zwecklos  schneidende  Wege  die  Lage 
dieses  Dorfes  erkennen  lassen. 

Die  zuletzt  genannten  sieben  Dörfer  gehören,  wie  schon 
angedeutet  wurde,  der  spätesten  Periode  der  Besiedelung  des 
Landes  an.  „Die  Endungen  -heim  und  -hausen  sind  vorzugs- 
weise für  die  Franken  zur  Bezeichnung  nengegründeter  Orte 
häufig  geworden“.1)  „Die  vielen  Ortsnamen  auf  -heim  und 
-hausen  aber  in  unzweifelhaft  sächsischen  Gebieten,  besonders 
in  Westfalen  sind  fränkische  Kolonien,  die  darin  angelegt 
wurden,  um  nach  der  Eroberung  durch  Karl  den  Grossen  das 
Land  dauernd  an  die  fränkische  Herrschaft  zu  fesseln“.2)  „Denn 
überall  wurden  fränkische  Kolonien  angelegt  und  in  fränkischer 
Weise  benannt“.3)  Charakteristisch  für  diese  Zeit  ist  die  An- 
lage neuer  Orte  im  Walde,4)  die  sich  in  den  Grund  Worten  wie 
Holthausen,  Stockheim  und  Wietheim  noch  verrät.  Dass  auch 
in  der  Geseker  Feldmark  Franken  angesiedelt  sind,  ist  zweifellos. 
Lag  Geseke  doch  am  Hellweg,  an  dom  „königliche  villae  mit 
Königshofen  angelegt  sind,  in  die  Franken  bineingeführt  sind“.5) 
Wir  müssen  diese  sieben  Dörfer  also  der  jüngsten  historischen 
Schicht,  der  Karolingerzeit  zuweisen.  Es  war  bis  jetzt  von 
diesen  Ansiedlungen  unterschiedslos  als  von  Dörfern  die  Rede; 
es  ist  nunmehr  unsere  Aufgabe,  ihre  Grösse,  beziehungsweise 
die  Anzahl  der  zu  jeder  Ansiedlung  gehörenden  Hufen  zu  be- 
stimmen. Ein  Rückschluss  aus  späteren  Jahrhunderten  auf  die 
älteste  Zeit  ist  gestattet,  da  „die  ursprüngliche  Zahl  der  Hufen 
jeden  Dorfes  bis  zur  Aufhebung  der  Feldgemeinschaft  dieselbe 
geblieben  ist“.6)  Die  Bauerschaften  haben,  soweit  wir  das  be- 

')  Arnold,  die  Ortsnamen  als  Geschichtsquelle.  S.  40. 

s)  a.  a.  0.  S.  82. 

s)  a.  a.  O.  S.  42.  Dieselben  Theorien  entwickelt  in  seiner  deutschen  Ge- 
schichte. II,  1.  S.  278  nnd  II,  2.  8.  81.  Vergl.  jedoch  auch  die  Kritik  von  Witte 
im  Korrespondensblatt  deutscher  Geschicbtsvereine.  47.  Jahrgang.  S.  139. 

4)  Arnold,  Ortsnamen.  S.  81. 

6)  Kübel,  Reichshöfe  am  Hellweg  usw.  S.  43.  Ferner  S.  94.  98.  Vor 
allem  kommt  hier  desselben  Verfassers  Werk:  Die  Franken,  ihr  Eroberungs- 
und  Siedelungssystem  im  deutschen  Volkslande  in  Betracht. 

®)  Maurer,  Geschichte  der  Dorfverfassung.  I.  S.  89.  Wir  gebrauchen 
hier  den  Ausdruck  „Hufen“,  weil  er  in  der  Wissenschaft  allgemein  einge- 
bürgert ist;  in  den  Bauerschaftsböcbern  ist  statt  dessen  immer  von  „Gütern“ 
die  Rede.  Es  sei  jedoch  gleich  darauf  hiugewicsen.  dass  wir  im  folgenden 
meist  den  hier  üblichen  Terminus  anwenden  werden. 


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15 


obachten  können  — und  das  sind  doch  fast  zwei  Jahrhunderte  — , 
stets  peinlich  darauf  gesellen,  dass  in  dieser  Frage  keine  Ver- 
wirrung eintrat,  und  unberechtigte  Ansprüche  zurückgewiesen.1) 


Danach  gehörten  zu 
Stalpe 

42 

Güter2) 

Volmede 

46 

* 

3) 

Hüstede  und  Krewete 

20 

* 

4) 

Heringhausen 

18 

>1 

•'■) 

Stockheim 

29 

ft 

6) 

Wietheim 

6 

rt 

8) 

Ebbinghausen 

2 

rt 

6) 

Passinghausen 

2 

y> 

7) 

Holthausen  und  Isloh 

28 

n 

8) 

Wie  aus  den  vorstehenden  Zahlen  hervorgeht,  waren  die 
Ansiedlungen  zum  Teil  winzig  klein9.)  Wenn  also  auch  in 
andern  Gegenden  von  untergegangenen  Ortschaften  die  Rede 
ist,  so  müssen  die  Vorstellungen,  die  bisher  über  deren  Grösse 
geherrscht  haben,  vielleicht  in  gleicher  Weise  revidiert  und  An- 
siedlungen, die  bisher  für  Dörfer  nach  unserer  jetzt  herrschenden 
Anschauung  gegolten  haben,  mehr  als  Einzelhöfe  betrachtet 
werden. 

In  dei  Mitte  dieser  Ansiedlungen  lag  ausserdem  eine  Grund- 
herrschaft. Wir  erfahren  davon  zum  ersten  Male  durch  eine 


')  Stöckli,  fi.  B.  24.  August  1707.  „Die  baurschaft  kann  von  einem 
guht  keine  2 baurachaften  gestehen.“  Es  sei  hier  schon  kure  bemerkt,  dass 
mit  jedem  Oute  das  Genossenschaftsrecht  verbanden  war,  so  dass  wir  aus 
der  Zahl  der  Genossenscbafts-,  beziehungsweise  Bauerschaftsrechte  auf  die 
Zahl  der  Güter  schliessen  können. 

*)  Protokolle  die  Völmeder  Rast  betreffend.  Einleitung  aus  dem 
Jahre  16S4. 

3)  a.  a.  O nach  Angaben  aus  dem  Jahre  1603. 

4)  Nach  einem  Verzeichnis  vom  26.  Pebr.  1811. 

6)  Stockb.  B.  B.  24.  August  1723. 

6)  Stockh.  B.  B.  23.  September  1723. 

t)  a.  a.  O.  Dasselbe  beweist  noch  eine  andere  Stelle  aus  dem  gleichen 
B.  B.  Leider  habe  ich  auf  dem  Excerpte  das  Datum  zu  notieren  vergessen. 

*)  Nach  einem  Verzeichnis  vom  17.  Febr.  1811. 

*)  Auffallend  gross  ist  die  Hufenzabl  bei  Stalpe  und  Volmede,  da  doch 
nach  Heitzen,  Siedelung  und  Agrarwesen  usw.  I,  169  „das  Kulturland  der 
Dörfer  300 — 400  ha,  die  Besitzungen  etwa  10 — 30  Hufen  umfassen“ 
sollen. 


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16 


Urkunde  aus  dem  Jahre  952, ')  in  der  König  Otto  I.  ein  zu 
Geseke  von  den  Geschwistern  üahold  gegründetes  Frauen- 
kloster2) in  seinen  Schutz  nimmt.  Diese  Familie  Hahold  war 
nicht,  wie  oft  behauptet  wird,  ein  Grafengeschlecht,  sondern 
„eine  begüterte  freie  Familie“.3)  Zur  Gründung  des  Klosters 
gibt  sie  ihren  Gutshof  („in  illorum  praedio“)  her,  aus  dessen 
näherer  Beschreibung  wir  das  Bild  eines  mittelalterlichen  Fron- 
hofes gewinnen.4)  Es  werden  erwähnt  das  Herrenhaus  mit  den 
Nebengebäuden  („cum  monasterio  edificiisque  preparatis“),  etwa 
Speicher,  Scheunen,  Ställen  usw.,  ausserdem  Land  („omne  solum“), 
also  Obstgärten  usw.,  auch  eine  Kirche,5)  und  vor  allem  die 
Mauer,  die  das  Ganze  umschliesst  („muri  ambitu  continetur“). 
Von  dieser  Umwallung  sind  die  Spuren  zum  Teil  noch  deutlich 
zu  sehen.8) 

Daran  schlossen  sich  ausserhalb  des  Herrenhofes  die 
Wohnungen  der  Hörigen,7)  der  sog.  Kötter,  und  zwar  an  der 

l)  Seibertz,  Urk.  B.  I.  n.  8.  8.  9 vom  26.  Oktober  952.  „Noverit 
omuium  fidelium  noatrorum  ....  industria,  qualiter  noB  ob  amorem  I)ei 
omniumque  Sanctorura  interventumque  fidelium  noatrorum  Hoholti  acilicet 
fratriaque  eiua  Prunonis  uecoon  et  Friderici  aororiaqoe  eorum  Wicpurgae 
quoddam  monaateriuiu  in  loco  Gesiki,  in  illorum  praedio  ab  illia  in  honore 
Dei  eiuaque  genitricis  aemper  Mariae  Virginia  sanctique  Ciriaci  martiria 
noviter  vonatructum,  quia  predictua  Uobolt  dedit  eiuadem  monaaterii 
edificiorumque  aanctarum  puellarum  locum  aimu)  cum  monasterio  edificiisque 
preparatis  et  omne,  quod  eiuadem  civitatis  interioris  muri  ambitu  continetur 
solum  et  omnem  terram  quam  antea  prespiter  illius  in  beneficium  poBsedit 
et  insuper  bobaa  X possessaa  in  noatrum  mundiburdium  accepimua*.  Vgl. 
auch  Wilmans-Philippi,  Die  Kaiser- Urkunden  der  Provinz  Westfalen. 
Bd.  II.  Abt.  1.  Münster  1881,  ferner  Monum.  German.  Kaiser-Urkunden.  I,  239. 

*)  Seibertz,  Landes-  und  Rechtsgeschichte  des  Herzogtums  Westfalen. 
II,  129  sagt,  es  sei  im  Jahre  946  gegründet  worden,  belegt  das  aber  nicht 
urkundlich.  In  der  Urkunde  heisst  es  nur,  es  sei  .kürzlich  gegründet* 
(noviter  constructum)  worden. 

9)  Spancken,  Zur  Geschichte  der  Vogte  des  Stifts  Geseke.  S.  170. 

*)  Maurer,  Geschichte  der  Fronhöfe  usw.  I.  S.  126.  132.  136. 

*)  Weil  der  Priester  (prespiter  illius  sc.  Hoholti)  genannt  wird. 

*)  Viedenz.  Neue  Beitrüge  zur  Geschichte  der  Stadt  Geseke.  S.  7. 
Der  Verfasser  vermutet  hier  eine  römische  Befestigung,  was  von  Nordhoff 
(Westf&l.  Zeitschrift.  Bd.  53.  Abt.  1.  S.  261.  n.  2)  mit  der  kurzen  Be- 
merkung: „Gar  seltsame  Kundgebungen  Uber  römische  Anlagen*  abgewiesen 
wird.  Vergleiche  auch  die  Huden.  S.  13. 

7)  Maurer,  a.  a.  0.  I.  S.  333  ff. 


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Ostseite  der  Umwallung,  die  noch  jetzt  der  „Katt-Hagen“  d.  h. 
Kötter-Hagen  genannt  wird.  Von  hier  aus  wurden  die  zum 
Gutshof  gehörenden  Salländereien')  bebaut,  deren  Lage  durch 
die  Flurbezeichnung  „Auf  dem  Fronhofe“  bekannt  ist.2)  Ob 
diese  Länder  an  Kolonen  gegen  Zins  und  Dienst  hingegeben 
waren  oder  sich  im  Besitze  des  Grundherrn  befanden  und  vom 
Fronhofe  aus  bebaut  wurden  oder  beide  Wirtschaftsweisen  liier 
vereinigt  waren,3)  lässt  sich  bei  dem  Mangel  an  Nachrichten 
nicht  entscheiden.  Im  14.  Jahrhundert  ist  das  Land  an  Meier 
ausgetan.4) 

Nachdem  so  gezeigt  ist,  dass  dieGeseker  Feldmark  ursprünglich 
von  1 2 Ortschaften  und  einer  Grundherrschaft  bedeckt  war,  ist 
es  unsere  weitere  Aufgabe,  die  markgenossenschaftlichen  Be- 
ziehungen dieser  Ansiedlungen  festzustellen.  Dieses  Gebiet 
gehörte  ursprünglich  zur  Störmeder  Mark,5)  die  ungefähr  die 
späteren  Gerichte  Geseke  und  Erwitte  umfasste.8)  Im  Laufe 
der  Zeit  ist  diese  Mark  in  mehrere  kleinere  Marken  zerfallen. 
Im  Jahre  1015  werden  schon  die  Störmeder,  Geseker  und 
Stockheimer  Mark  erwähnt,7)  1328  die  Holthauser,  Geseker  und 
Stockheimer  Mark.8)  Von  da  ab  fehlen  weitere  Nachrichten 
über  die  Markverhältnisse  dieser  Gegend,  und  wir  sind  deshalb 
gezwungen,  aus  den  Verhältnissen  der  späteren  Zeit  Rück- 
schlüsse auf  die  ältere  zu  ziehen.  Zunächst  kommen  hier  die 
verschiedenen  historischen  Schichten  der  Besiedelung9)  in 
Betracht,  sodass  es  nicht  zu  gewagt  ist,  in  der  1015  erwähnten 
Mark  Geseke  eine  die  Ortschaften  Stalpe,  Volmede,  Hüstede, 


*)  Maurer,  a.  a.  O.  I,  264.  II,  422. 

ä)  S.  Karte  I. 

s)  Maurer,  a.  a.  O.  II,  422.  I,  264. 

*)  Seibertz,  Quellen  der  weatf.  Geacb.  I.  S.  281:  „curia  Vrouhof  in 
Ghesike  dabit  I1II  molta  ailiginia  et  IIII  molta  ordei  et  IlII  molta  avene“ 
und  aonst  oft. 

5)  Seibertz,  Karls  des  Grossen  Gaurerfassung.  Wigands  Archiv. 
VI.  S.  127.  147. 

e)  Seibertz,  Landes-  und  Rechtagescbicbte.  I.  8.  167. 

7)  Monom.  Germ.  Histor.  XIII.  Script.  XI.  p.  119.  41.  „omne  praedium, 
quod  in  marcha  Stunnethi,  Geaike  et  Stockheim  habuit.*  (Aua  der  Vita 
Meinwerci.) 

aj  Seibertz,  Landes-  und  Rechtsgeschichte.  I.  S.  167.  Anm.  17. 

")  S.  oben  S.  9.  14. 

Lappe.  Die  Geseker  Banerschaflen  2 


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Krewete  und  die  Grundherrschaft  umfassende  Mark  zu  sehen, 
während  zur  Stockheimer  Mark  die  Ansiedlungen  der  Karolinger- 
zeit gehören.  Den  ursprünglichen  Umfang  der  Geseker  Mark 
erschliessen  wir  aus  der  Tatsache,  dass  diese  einzelnen  Dorf- 
marken in  Weidegemeinschaft  standen,  woraus  hervorgeht,  dass 
„das  Gebiet  ursprünglich  eine  einzige  grosse  Genossenschaft 
bildete“.1)  Zunächst  kommen  hier  die  „Koppelweiden“2)  in 
Betracht,  an  denen  mehrere  Gemeinden  teil  hatten.3)  So 
standen  Volmede  und  Hüstede  in  Koppelhude  im  Grauwinkel, 
ebenso  Stalpe  und  Volmede  auf  der  Hölter  Heide  und  auf  einem 
Grenzstück.  Ferner  haben  Stalpe  und  Volmede  die  Vor-  und 
Nachhude  auf  den  Wiesen  an  der  Flachsstrasse  und  am 
Völmeder  Spring,  ebenso  beide  die  Stoppelhude  im  Völmeder 
und  Stälper  Felde,  Stalpe  die  Nachhude  auf  den  Wiesen 
in  der  Ringeljucht  und  den  Kreweter  Wiesen,  Volmede  die 
Stoppelhude  auf  dem  Huchte,  einem  Teile  der  Hüsteder 
Feldmark:  also  alles  Momente,  die  auf  eine  ursprüngliche  Mark- 
gemeinschaft schliessen  lassen.  Im  Laufe  der  Zeit  ist  auch 
diese  Mark  in  mehrere  kleine  zerfallen.4)  Zunächst  schied 
Hüstede  mit  Krewete  aus,  die  später  die  Hü^ter  Hude  und 
Bauerschaft  gebildet  haben,  dagegen  blieben  Stalpe,  Volmede 
und  die  Grundherrschaft  Geseke  noch  zusammen.  Wir  schliessen 
das  aus  der  gemeinsamen  Benutzung  des  Waldes  zur  Mast,'1) 
für  Stalpe  und  Volmede  besonders  daraus,  dass  noch  im 
19.  Jahrhundert  der  Vorstand  der  Völmeder  Bauerschaft  „zu- 
folge alten  Herbringens“  interimistischer  Holzgraf  zu  Stalpe 
war.8)  Denn  eine  Markgenossenschaft,  die  aus  mehreren  Ort- 

')  Maurer,  Einleitung  zur  Geschichte  der  MarkverfasBUng  usw.  S.  198. 
Ebenso  Markverfassung  8.  10.  16.  17.  20.  84. 

'*)  Tliudichuin,  die  Gau-  und  Mark  Verfassung  in  Deutschland.  S.  261. 

s)  Für  die  nächsten  Ausführungen  sei  auf  die  Geseker  Huden,  S.  29ff. 
verwiesen. 

*)  Ueber  diesen  Vorgang  im  allgemeinen  s Maurer,  Einleitung  zur 
Geschieht«  usw  S.  193.  Auf  die  Frage  nach  Mutter-  und  Tochterdörfern 
in  diesem  Gebiete  soll  hier  nicht  eingegangen  werden  Darüber  s.  Maurer, 
Geschichte  der  Dorfverfassung,  1.  S.  22.  Einleitung  zur  Geschichte  usw. 
8.  179.  Haussen,  Agrarhistorische  Abhandlungen,  I.  8.  46.  Landau,  Die 
Territorien.  8.  116.  119. 

5)  Siehe  den  Abschnitt  über  die  Allmende. 

*)  St.  B.  B.  8.  September  1822. 


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schaden  bestand,  hatte  nur  einen  Vorsteher,1)  und  aus  der  er- 
wähnten Tatsache  dürfen  wir  schliessen,  dass  beide  zuvor  nur 
einen  Vorstand  hatten  und  also  auch  eine  Markgenossenschaft 
bildeten.  Schliesslich  zerfiel  auch  diese,  und  an  deren  Stelle 
traten  Stalpe  und  Volmede,  die  in  den  betr.  Huden  und 
Bauerschaften  weiterlebten,  während  die  Grundherrschaft  sich 
auf  löste.2)  Von  den  übrigen  Ortschaften  bildete  Heringhausen 
eine  Mark  für  sich,  Holthausen  und  Isloh  die  Holthauser  Mark 
und  Stockheini,  Wietlieim,  Ebbinghausen  und  Passinghausen 
die  Stockhcimer  Mark.3)  Das  ersehen  wir  aus  den  betr.  Huden 
und  Bauerschaften.  Es  findet  sich  der  Ausdruck  „Mark“  nur 
mehr  als  Flurname,  die  zu  einer  Genossenschaft  vereinigten 
Ortschaften  heissen  „Bauerschaften“.4)  Es  wird  daher  im 
folgenden  nicht  mehr  der  Terminus  „Mark“  oder  „Mark- 
genossenschaft“ Anwendung  finden,  sondern  statt  dessen  der 
hier  übliche  „Bauerschaft“  gebraucht  werden.  Es  gab  also 
zuletzt  in  der  Geseker  Feldmark  sechs  Bauerschaften,  und 
zwar  1.  die  Hüsteder,  2.  Stälper,  3.  Völmedcr,  4.  Holthauser, 
5.  Stockheimer  und  6.  Heringhauser  Bauerschaft.  Bei  der  Art 
ihres  Entstehens  waren  die  zugehörigen  Marken  nicht  genau 
gegeneinander  abgegrenzt,  und  bis  in  die.  jüngste  Zeit  hinein 
herrschten  unter  den  Bauerschaften  Streitigkeiten  über  die 
Grenze/’)  wie  zwischen  Volmede  und  Stalpe  noch  im  Jahre  1827,“) 
wählend  zwischen  beiden  auf  einer  andern  Seite  die  Grenze 
genau  bestimmt  war.7)  Bei  andern  dagegen  wurden  die  strittigen 
Grenzstücke  gemeinsam  benutzt  oder  verkauft.8) 


')  Thudichum.  die  Hau-  und  Markverfassung.  8.  .18. 

*)  S.  o.  S.  17. 

s)  Ueber  Eininghausen  besonders  in  einer  demnächst  folgenden  Schrift 
Uber  „die  Herren  Erben  au  Oeseke.“ 

4)  Derselbe  Ausdruck  mit  der  gleichen  Bedeutung  findet  sich  auch  bei 
Maurer,  Einleitung  sur  Oeschicbte  usw.  8.  63  Maurer,  Geschichte  der 
Dorfverfassung.  I.  8.  um.  „Die  Gesamtheit  der  in  Markgemeinschaft 
lebenden  Bauern  nannte  man  sehr  häufig  Bauerschaft.“  Heise,  Geschichtliches 
aus  dem  Amte  Diepenau.  S.  03.  „Die  Gemeinden  bestanden  aus  Bauerschaften, 
die  in  verschiedene  Dorfschaften  zerfielen.“ 

5)  Bluntschli,  Rechtsordnung  der  deutschen  Dörfer.  8.  299. 

•)  Geseker  Huden.  8.  29. 

,)  Volm.  B.  B.  2.  September  1684 

“J  Geseker  Hudeu.  8.  29. 

2* 


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Die  Entwicklung  der  Stadt  Geseke 

In  der  oben  angeführten  Urkunde  vom  Jahre  952  (S.  16) 
bedarf  eine  Stelle  noch  der  näheren  Erörterung.  Otto  I.  erklärt, 
er  habe  unter  anderm  in  seinen  Schutz  genommen  „omne  quod 
eiusdem  civitatis  interioris  muri  ambitu  continetur  solum“.  Der 
Sinn  dieser  Stelle  leuchtet  unmittelbar  ein  bis  auf  die  Worte 
„eiusdem  civitatis.“  Diese  bilden  entweder  den  partitiven 
Genitiv  zu  „quod“,  und  dann  würde  zu  übersetzen  sein:  „allen 
Grund  und  Boden,  der  (als  Teil)  von  der  genannten  civitas 
(sc.  Geseke)  von  dem  Umfang  der  innern  Mauer  umschlossen 
wird“,  oder  aber  sie  sind  der  subjektive  Genitiv  zu  „interioris 
muri“,  und  dann  hiesse  die  Stelle:  „allen  Grund  und  Boden,  der 
von  dem  Umfang  der  inneren  Mauer  der  genannten  civitas  um- 
schlossen wird“.  In  beiden  Fällen  ergäbe  sich  aus  diesen 
Worten,  dass  in  der  civitas  Geseke  ein  von  einer  besonderen 
(inneren)  Mauer  umschlossener  Bezirk  liegt,  der  von  dom 
übrigen  Bereiche  der  civitas  durch  die  genannte  Mauer  abge- 
schlossen ist.  Dieser  übrige  Bereich  ist  aber  ebenfalls  befestigt, 
denn  dem  „murus  interior“  muss  ein  „murus  exterior“  entsprechen. 
Geseke  ist  also  eine  Befestigung,  in  der  ein  dnrch  eine  besondere 
Mauer  befestigter  Fronhof  liegt.1)  Das  ergibt  sich  auch  aus 
der  Bedeutung  des  Wortes  „civitas",  die  „unter  den  Ottonen 


•)  Dieselbe  Auffassung  bei  Seibertz,  Landes-  und  Kechtsgescbicbte.  II. 
S.  151.  Kampschulte,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Stadt  Geseke.  S.  35. 
Besäen,  Geschichte  des  Bistums  Paderborn.  I.  S.  101  übersetzt  oberflächlich : 
„alle  GrundslUcke,  die  er  innerhalb  der  Stadtmauer  besaas".  Gleich  flüchtig 
Hegel,  Entstehung  des  deutschen  Städtewesens.  S.  31:  .Das  Frauenkloster 
heisst  in  der  Urkunde,  wodurch  es  Otto  I.  in  seinen  Schutz  nahm,  sogar 
eine  mit  Mauern  umgebene  cmtas.1. 

Eine  befremdende  Interpretation  dieser  Stelle  gibt  Viedenz,  Neue  Bei- 
träge zur  Geschichte  der  Stadt  Geseke.  S.  0.  Die  erwähnte  Stelle  „kann 
wohl  nur  auf  eine  zweifache  Befestigung,  aber  nicht  auf  eine  doppelte 
Mauer  bezogen  werdeu.  Die  östliche  wird  als  die  innere,  die  westliche  als 
die  äussere  bezeichnet  sein."  H.  Schäfer  (Geseker  Zeitung.  1906.  n.  89. 
7.  Nov.)  denkt  „an  das  Vorhandensein  vou  Suburbien  an  der  äusseren  Stadt- 
mauer der  damaligen  civitates.“  Geseke  ist  ihm  „eine  stadtäbnliclie 
Ortschaft“. 


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und  Saliern  den  befestigten  Ort,  die  „Burg“  bedeutet“.1)  Diese 
Burg  Geseke  soll  für  die  umwohnende  ländliche  Bevölkerung  in 
Zeiten  der  Not  eine  Zufluchtsstätte  sein,2)  die  umliegenden 
Dörfer  haben  deshalb  die  Schanzarbeiten  zu  verrichten  und  jedes 
für  sein  Teil  die  Befestigung  zu  unterhalten.3)  Auch  diese 
äussere  Mauer  ist  heute  noch  in  dem  sog.  „Damm“  bezw.  „Wall“ 
erhalten.  Als  später  eine  steinerne  Mauer  gebaut  wurde, 
wurden  die  Grundsteine  direkt  auf  diesen  Wall  gelegt,  wie  bei 
Abtragungen  und  Durchstechungen  der  letzten  Zeit  deutlich  zu 
sehen  war.  Unter  den  beiden  im  Jahre  952  erwähnten  Mauern 
haben  wir  uns  freilich  noch  keine  Steinwerke  zu  denken, 
sondern  „einen  einfachen  Erdwall  mit  Pallisadenkrönung  und 
allenfalls  Torfortifikationen“.'1) 

Hier  wird  sich  auch  bald  neben  der  agrarischen  Bevölkerung 
der  Umgegend  ein  anderes  Element  angesiedelt  haben,  nämlich 
Handwerker  und  Kaufleute,  die  mit  Vorliebe  als  Standort  für 
ihre  Tätigkeit  befestigte  Orte  aufsuchten.3)  Dazu  kommt,  dass 
Geseke  an  einer  der  berühmtesten  Handelsstrassen  des  frühen 
Mittelalters  lag,  am  Hcllwog,  der  von  Köln  über  Dortmund, 
Soest,  Lippstadt,  Paderborn,  über  die  Egge  nach  Korvey  an  die 
Weser  und  von  da  nach  Herford  und  Minden  führte,6)  so  dass 
auch  dieser  Umstand  Gewerbetreibende  zur-  Niederlassung  be- 
wegen mochte.  Ferner  lag  in  Geseke  die  Haupt  kirche  dieser 
Gegend.  Wenn  sie  freilich  auch  erst  in  der  zweiten  Hälfte 

')  Rietschel,  Markt  und  Stadt.  S.  217.  Derselbe,  Die  civitas  auf 
deutschem  Hoden  bis  zum  Ausgange  der  Karolingerzeit.  Hellwig,  Deutsches 
Städtewesen  zur  Zeit  der  Ottonen.  S.  6.  civitas  bedeutet  „eine  äusserlich 
besonders  qualificierte  Stätte,  einen  auf  bestimmte  Weise  befestigteu  Ort." 
Ebenso  Schröder,  Lehrbuch  der  deutschen  Rechtsgeschichte.  4.  Aull.  S.  620. 

3)  Keutgen,  Untersuchungen  über  den  Ursprung  der  deutschem  Stadt- 
verfassung.  S.  45.  Maurer.  Geschichte  der  Städteverfassung.  I.  S.  125.  491. 

3)  S.  die  vorhergehende  Note.  Ferner  Hellwig,  Deutsches  Städtewesen 
zur  Zeit  der  Ottonen.  S.  18.  Die  gleichen  Verhältnisse  in  Worms  nnd 
Mainz  bei  Schaube,  Zur  Kntstebuug  der  Stadtverfassung  von  Worms,  Speier 
und  Mainz.  S.  56.  Allgemein  über  diese  Pflicht  Maurer,  Geschichte  der 
Fronhüfe.  II.  S.  524. 

*J  Lamprecht,  Deutsches  Städteleben  am  Schluss  des  Mittelalters. 
S.  92  [6],  V arges,  Zur  Entstehungsgeschichte  Bremens.  S.  360  und  die 
Noten. 

5)  Hegel,  Die  Entstehung  des  deutschen  Städtewesens.  S.  27 ff. 

")  Kretzschmer,  Historische  Geographie  von  Mitteleuropa.  S.  402. 


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22 

des  11.  Jahrhunderts1)  erwähnt  wird,  so  dürfen  wir  doch  aus 
allgemeinen  Anhaltspunkten  schliessen,  dass  sie  schon  zur 
Karolingerzeit  bestanden  hat.2)  Nun  hat  gerade  der  Besuch 
der  Kirchen  zum  Marktverkehr  Anlass  gegeben,  und  in  der 
Nähe  der  Kirchen  sind  vor  allem  Märkte  entstanden,’1)  so  dass 
wir  auch  hieraus  auf  die  Existenz  einer  gewerbetreibenden 
Bevölkerung  in  Geseke  schliessen  dürfen.  Weiter  kommen  hier 
die  Marktprivilegien  der  Ottoncn  für  die  Klöster4)  in  Betracht, 
um  ihnen  durch  die  daraus  fliessenden  Einkünfte  ein  sicheres 
Einkommen  zuzuwenden.5)  Dieses  Herrscherhaus  hat  sich  auch 
besonders  des  Klosters  zu  Geseke  angenommen,6)  und  wenn 
auch  keine  Urkunde  über  die  Verleihung  des  Marktprivilegs 
an  Geseke  existiert,  so  ist  gleichwohl  die  Annahme  eines 
solchen  nicht  willkürlich.  Dio  wirtschaftliche  Basis  war  für 
eine  Handel  und  Gewerbe  treibende  Bevölkerung  in  Geseke 
gegeben.  Schon  oben  (S.  15)  wurde  berechnet,  dass  etwa 
200  Hüfner  in  der  Gcseker  Feldmark  wohnten.  Dazu  kam  das 
Stift,  die  „Einläufigen“,  die  keine  ganze  Hufe  und  zum  Teil 
überhaupt  keinen  Grund  und  Boden  besassen,  und  jedenfalls  noch 
Ortschaften  der  weiteren  Umgebung.  Freilich  blieb  diese  Markt- 
ansiedlung  klein,  da  der  Umkreis,  in  dem  sie  ihre  Waren  ab- 
setzte,  verhältnismässig  beschränkt  war.7)  Mit  den  übrigen 
Ansiedlungen  stand  sie  in  keiner  markgenossenschaftlichen  Be- 
ziehung, da  „der  Kaufmann  und  Handwerker  keinen  Ackerbesitz 

])  Seibertz,  Urk.  Buch.  I.  n.  28.  p.  31  zwischen  1056  — 1075.  „Baptis- 
inalem  ecclcsiain  eiusilem  villo"  (sc.  Geseke).  1.  c.  n.  32.  p.  36.  17.  Mai  1077. 
„mntricem  ecclesiain  que  sita  est  in  Gcsocho.“ 

")  Ueseker  Zeitung.  1905.  n.  10 — 12. 

3)  Kietsckel,  Markt  und  Stadt.  S.  39.  Maurer,  Geschichte  der 
Städteverfassung  in  Deutschland.  I.  S.  283.  Helnw,  Zur  Entstehung  der 
deutschen  Stadtverfassung.  Historische  Zeitschrift.  Bd.  58.  S.  224.  Bd.  59. 
S.  199. 

*)  llellwig,  Deutsches  Städtewesen  zur  Zeit  der  Ottonen.  S.  36. 
Uathgen,  Die  Entstehung  der  Märkte  in  Deutschland.  S.  23.  58.  Keutgen, 
Untersuchungen  über  den  Ursprung  der  deutschen  Stadtverfassung.  S.  84. 
„Die  zahlreichsten  Marktgründungeu  fallen  in  die  Zeit  von  940—1070.“ 

*)  Hegel,  Die  Entstehung  des  deutschen  Städtewesens.  S.  54. 

*)  Seibertz,  Urk.  Buch.  I.  n.  8.  S.  9.  1.  c.  n.  9.  S.  11.  1.  c.  n.  16.  S.  19- 

7)  Ueber  diese  Abhängigkeit  s.  Below,  Die  Entstehung  des  modernen 
Kapitalismus,  llistor.  Zeitscbr.  Bd.  91.  S.  439.  Ebenso  a.  a.  O.  Bd.  86. 
S.  1 ff. 


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•23 


braucht“  *)  und  ebensowenig  eine  Allmende,  uud  weil  vor  allem 
in  den  spätem  Huden  und  Bauerschallen  zu  Geseke  sich  Spuren 
dieser  Beziehungen  hätten  erhalten  müssen.2)  Von  einer  recht- 
lichen Privilegierung  dieses  Ortes  und  einem  spezifisch  städtischen 
Gemeindeleben  kann  bis  zum  13.  Jahrhundert  noch  keine  Bede 
sein,  ln  den  Urkunden  bis  zu  dieser  Zeit  heisst  Geseke  ent- 
weder „locus“,1 ')  was  „ungefähr  dasselbe  wie  unser  „Ort“  be- 
deutet“,4) oder  „civitas“,  worunter  durchaus  keine  „juridisch 
besonders  qualificierto  Eiuheit,  ein  Bechtssubjekt  irgend  welcher 
Art  zu  verstehen“  ist,5)  oder  „villa“,  die  den  Fronhof  mit  den 
Kolonen  bezeichnet.8)  Eine  Stadt  ist  Geseke  erst  zu  Beginu 
des  13.  Jahrhunderts  geworden.  Am  13.  April  1180  hatte 
Friedrich  I.  den  Erzbischof  Philipp  von  Cölu  mit  dem  Herzogtum 
des  in  die  Acht  erklärten  Heinrich  des  Löwen  über  Westfalen 
und  Engem  belehnt,7)  soweit  es  sich  Uber  die  Bistümer  Cöln 
und  Paderborn  erstreckte.8)  Zu  den  Vorrechten  des  Herzogs 
gehörte  der  Burgenbau  und  die  Verleihung  des  Stadtrechts, B) 
und  von  diesem  Beeilte  haben  die  Cölner  Erzbischöfe  reichlich 
Gebrauch  gemacht.  Durch  ihre  Tätigkeit  sind  im  Herzogtum 
Westfalen  zu  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  die  Städte  wie  Pilze 
aus  der  Erde  geschossen.  Im  Jahre  1222  wurde  Attendorn 
befestigt  und  mit  Stadtrecht  be widmet,11')  1200  Büthen,")  1220 


')  Schulte,  lieber  Reichenauer  Städtegriindungen.  8.  143.  Rietschel. 
Markt  und  Stadt.  8.  53.  6t.  125.  142.  Anm.  2.  Lamprecht,  Ursprung  des 
Bürgertums.  8.  411. 

s)  Geseker  Huden.  8.  15. 

3)  Seibertz,  Urk.  B.  I.  n.  8.  S.  9.  anno  952. 1.  c.  n.  9.  S.  11.  anno  958. 
*)  Hellwig,  Deutsches  Städtewesen  zur  Zeit  der  Üttonen.  S.  11. 

5)  Hellwig,  1.  c.  S.  6. 

6)  Maurer.  Geschichte  der  Fronhöfe.  11.447.  Rietschel,  Die  civitas. 
S.  85.  Hellwig,  1.  c.  S.  10. 

7)  Urkunde  bei  Wilni ans- Pbilippi,  Die  Kaiserurkunden  der  Provinz 
Westfalen.  Bd.  II.  Abt.  I.  n.  240.  8.  335. 

8)  Ueber  die  Grenzen  des  Dukates  der  Cölner  Erzbischöfe  s.  Grauert. 
Die  Herzugsgewalt  in  Westfalen  seit  dem  Sturze  Heinrichs  des  Löwen. 
Jansen,  Die  Herzogsgewait  der  Erzbischöfe  von  Cöln  in  Westfalen.  S.  8. 

°)  Janseu,  a.  a 0.  S.  12.  71.  Seibertz,  Landes-  uud  Rechtsgesch. 
III.  8.  94. 

10)  Seibertz,  a.  a.  O.  II.  8.  338. 

“)  a.  a.  O.  III.  8.  23. 


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24 


Brilon,1)  1243  Schmallenberg:,2)  1272  Werl,3)  um  diese  Zeit 
auch  Obermarsberg,4)  um  1250  Winterberg  und  Padberg,3)  in 
der  2.  Hälfte  dieses  Jahrhunderts  noch  Warstein,  Belecke  und 
Kallenhart.fi)  In  diese  Periode  der  Städtegründungen  fällt  auch 
die  Verleihung  des  Stadtrechts  an  Geseke.  Eine  darüber  direkt 
handelnde  Urkunde  ist  freilich  nicht  auf  uns  gekommen,  wie 
wir  überhaupt  über  die  Vorgänge  der  Städtegründungen  im 
einzelnen  sehr  wenig  unterrichtet  sind;7)  dass  aber  Geseke  zu 
Anfang  des  13.  Jahrhunderts  Stadtrecht  erhalten  hat,  beweist 
eine  Urkunde  aus  dem  Jahre  1218.8)  Darin  schenken  die 
Edlen  Brüder  Walther  und  Iwan  von  Hüstede  dem  Stifte  zu 
Geseke  unter  anderm  „areae  prope  ecclesiam  sancti  petri  . . . . 
excepta  area  godefridi,  que  dimissa  est  ei  coram  pretorio  in 
iure  civili.“  Das  hier  erwähnte  „pretorium“  ist  allgemein 
„das  Ding-  oder  Gerichtshaus,  ständiges  Versammlungs-  und 
Rechtfindungslokal  des  städtischen  Schöffenkollegs,“9)  wo  die 
Uebertragungcn  von  Eigentum  zu  geschehen  pflegten.10)  „Ius 
civile“  ist  das  Stadtrecht.11)  Geseke  hat  also  1218  ein  Stadt- 
recht und  Gerichtshaus.  Das  geht  noch  ferner  aus  einer  andern 
Stelle  derselben  Urkunde  hervor.  Unter  den  Zeugen  wird  eiu 
„Bernhardos  plebanus  forensis  ecclcsie“  genannt.  Ecclesia 
forensisist„die  Pfarrkirche  eines  forum,  einer  Marktansiedlung,“12) 
und  da  nun  „Marktrecht  und  Stadtrecht,  ius  fori,  ius  forense 
mit  ius  civitatis,  ius  civile  identisch  gebraucht  werden,“11)  so 


')  a.  a.  O.  III.  8.  23. 

*)  a.  a.  O.  III.  S.  82. 

3)  a.  a.  O.  III.  S.  155. 

*)  a.  a.  O.  III.  8.  163. 

»)  a.  a.  Ü.  III.  8.  176.  177. 

•)  a.  a.  0.  IV.  S.  8 ff. 

7)  Jansen,  a.  a.  O.  8.  83. 

8)  Seibertz,  Urk.  B.  1.  n.  151.  8.  194. 

*)  Geugler,  8tadtreebtsaltertUmer.  8.  124.  Ebenso  Seibertz,  Landes- 
und Kechtsgeschichte.  III.  S.  663.  „Das  Gerichtsgebäude  biess  pretorium 
zu  Soest  im  Jahre  1159:  in  pretorio  i.  e.  coram  sede  iudiciaria."  Aehnlich 
Varges,  Entstehungsgeschichte  Bremens.  8.  363. 

,0)  Gengier,  a.  a.  O.  8.  397. 

ll)  Below,  Ursprung  der  deutschen  Stadtverfassung.  S.  17. 

>2j  Rietscbel,  Markt  und  Stadt.  S.  149.  171. 


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25 


dürfen  wir  auch  aus  dieser  Stelle  auf  das  Stadtrecht  schlicssen.1) 
Geseke  erhielt  dieses  Recht  von  Rüthen,  war  also  eine  Tochter- 
stadt von  Rüthen.2)  Obwohl  auch  über  diese  Vergabung  keine 
Urkunde  vorhanden  ist,3)  so  geht  es  doch  aus  dem  Rechtszug 
von  dem  Stadtgericht  zu  Geseke  an  das  zu  Rüthen  als  Oberhof 
unzweifelhaft  hervor.4)  Bald  darauf  werden  Stadtgericht  und 
Richter  wiederholt  erwähnt,5)  Bürgermeister  und  Räte  genannt6) 
und  Urkunden  des  Rates  mit  dem  Stadtsiegel  versehen,7)  das 
„den  Patron  der  Pfarrkirche  (nämlich  den  hl.  Petrus)  als 
geistigen  Repräsentanten  auch  der  bürgerlichen  Gemeinde  dar- 
stellt.“8) Geseke  hat  sein  eigenes  Münzsystem,9)  vier  Jahr- 
märkte10) und  eigene  Flächen-11)  und  Hohlmasse.12)  Wer  von 

’)  Eine  sonderbare  Auffassung  dieserStellegibtKainpscbulte,  Beiträge 
zur  Geschieht)]  der  Stadt  Geseke.  S.  43:  „Im  Jahre  1218  fUhrt  die  Petri- 
kirche auch  noch  den  NameD:  foressis  ecclesia,  Kirche  der  Mark  oder 
Forensen,  woraus  sich  schliessen  lässt,  dass  damals  die  Auswärtigen  noch 
einen  sehr  bedeutenden  Teil  der  Parochianen  ad  S.  Petrum  bildeten.“  Schon 
Soibertz  hat  aus  der  ersten  Stelle  auf  ein  Stadtrecht  in  Geseke  geschlossen. 
Landes-  und  Rechtsgeschichte.  III  S.  171.  302. 

s)  Gaupp,  Deutsche  Stadtrechte.  I.  S.  XXI.  Kamptz,  Die  Provinzial- 
nnd  statutarischen  Rechte  in  der  preussischen  Monarchie.  II.  S.  689. 

3)  Wigands  Archiv.  Bd.  II.  Heft  3.  S.  256. 

4)  Seibertz,  Landes-  und  Rechtsgescbichte.  III.  S.  302.  Gaupp, 
Deutsche  Stadtrechte.  I.  S.  XVIII. 

5)  Wilmans-Finke,  Westf.  Urk.  B.  IV.  n.  997.  S.  504.  25.  Juli  1264. 
1.  c.  n.  1034.  S.  521.  22.  Hai  1265.  1.  c.  u.  2565.  S.  1146.  6.  Februar  1299. 

*)  a.  a.  O.  n.  997.  S.  504.  29.  Juli  1264.  „astantibus  etiam  consulibus“. . . 
„Elyas  tune  magister  consulum“.  1.  c.  u.  1034.  S.  521.  22.  Mai  1265.  1.  c. 
n.  2040.  S.  941,  4.  Novembor  1289  nnd  später  oft. 

7)  a.  a.  O.  u.  997.  S.  604.  29.  Juli  1264:  „sigillo  burgensium  in  Gyseke 
fecimus  commnniri.“  n.  2 1 1 1 . S.  972. 30.  November  1290 : „sigilli  nostri  muuimi  ne.“ 
n.  2268.  S.  1030.  12.  November  1293:  „sigillo  universitatis  uostre.“ 

8)  Below,  Das  ältere  deutsche  Städtewesen.  S.  86. 

9)  Um  1400  werden  bei  Seibertz,  Urk.  B.  III.  n.  908.  S.  5 erwähnt: 
.Jerlikes  erve  tynses  achtcyn  Schillinge  geldes  als  to  Ghesike  ginge  is.“ 
Volrn.  B.  B.  24.  Aug.  1685:  „9  Pfenige  Geseker  geworde  (?).“  Steinen, 
Westfälische  Geschichte.  St.  30.  S.  1116.  „Die  Stadt  (Geseke)  hat  die 
MUuzgerechtigkeit  gehabt.  Hiervon  dienet  dieses  zum  Beweis,  dass  1657 
die  Gesicker  Schillinge  abgesetzet  worden.“ 

I0)  Steinen,  a.  a.  O.:  1.  Judica.  2.  Exaudi.  3.  Matthäus.  4.  Nicolaus. 

u)  Stockh.  B.  B.  9.  Juni  1827:  „4  Morgen  Geseker  Maas.“ 

Iä)  Allodifikations  - Urkunde  eines  stiftiseben  Kunkel  - Lehens  vom 
28.  Februar  1832.  Scheffel  und  Spint  Gerste  „Geseker  Maass“.  Stockh. 
B.  B.  19.  März  1836:  „2  Becher  Hafer  Gesecker  Maas.* 


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26 


den  Erzbischöfen,  ob  Engelbert  I.  (1214  — 1225)' ) oder  schon 
einer  seiner  Vorgänger  Geseke  das  Stadtrecht  verliehen  hat, 
muss  bei  dem  Mangel  urkundlichen  Materials  unentschieden 
bleiben. 

Mit  dieser  Anlage  von  Burgen  und  Städten  verbanden  die 
Erzbischöfe  von  Cöln  die  Absicht,  ihren  Plan,  ein  territoriales 
Herzogtum  in  dem  ihnen  verliehenen  Gebiete  zu  begründen,2) 
zur  Durchführung  zu  bringen  und  den  Widerstand  der  Grossen, 
die  nach  Territorialhoheit  strebten,  dadurch  zu  brochen.  „Gelang 
es  ihnen,  in  ihrem  Herzogtum  an  vielen  Punkten  Burgen  zu 
bauen,  die  Errichtung  von  Befestigungen  seitens  der  Grossen 
aber  zu  verhindern,  so  konnten  sie  jederzeit  leicht  einen  starken 
Druck  auf  das  wehrlose  Gebiet  der  Territorialherren  ausüben.“3) 
Der  gefährlichste  Gegner  war  der  Bischof  von  Paderborn,  und 
gerade  das  Gebiet,  das  im  Westen  an  das  Fürstentum  Paderborn 
grenzte,  also  sich  über  Geseke,  Rüthen,  Brilon  und  Marsberg 
hinzog,  wurde  von  Cöln  stark  befestigt.4)  Nun  hatten  diese 
testen  Punkte  nur  Wert,  wenn  sie  eine  zahlreiche  Bevölkerung 
hatten,  die  gegebenenfalls  zu  Angriff  und  Abwehr  zu  verwenden 
war.  Die  eigentlich  städtische  Bevölkerung,  d.  h.  Handwerker 
und  Kaufleute,  hätte  wegen  ihrer  verhältnismässig  geringen 
Zahl  diesem  Zwecke  nicht  genügen  können.  Deshalb  Hessen 
die  Erzbischöfe  von  Cöln  die  in  der  Nähe  der  festen  Punkte 
liegenden  Dörfer  abbrechen  und  ihre  Bewohner  sich  hinter  den 
Mauern  der  benachbarten  Stadt  anbauen.  Hier  kommen  nur 
die  Städte  in  Betracht,  die  auf  dem  Grenzgebiet  gegen  Pader- 
born lagen.5)  So  zogen  mehrere  Dörfer  aus  der  Umgebung 

')  So  Seibertz,  Landes-  und  Recbtsgeschicbte.  III.  S.  302. 

2)  Seibertz,  a.  a.  O.  III.  S.  184. 

3)  Jansen.  Herzogsgewalt  der  Kölner  Erzbischöfe.  S.  72. 

4)  Seibertz,  Diplomatische  Familiengeschichte  der  Dynasten  und  Herren 
im  Herzogtum  Westfalen.  S.  112.  175.  Von  Rüthen  heisst  es  (Seibertz, 
Urk.  B I.  n.  113):  „oppidi,  quod  apud  Roden  pro  paco  terrae  de  novo 
construximus.“  Ueber  die  Anlage  von  Burgen  nnd  Städten  in  dieser  Gegend 
8.  oben  S.  23.  24. 

5)  Ueber  die  hier  erwähnten  Vorgänge  im  allgemeinen  s.  Arnold,  Orts- 
namen als  Geschichtsquelle.  S.  63.  Landau,  Historisch- topographische  Be- 
schreibung der  wüsten  Ortschaften.  S.  384ff.  Varges,  Zur  Entstellung  der 
deutschen  .Stadtverfassung.  Jahrbücher  für  Nationalökonomie  Bd.  63.  S.  809. 


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27 

von  Brilon  in  die  Stadt,1)  ebenso  gingen  in  Rüthen  vier  Dörfer 
auf,2)  ferner  erhielt  Marsberg  Verstärkung  durch  Zuzug  mehrerer 
benachbarter  Ortschaften,3)  so  dass  die  Stadt  im  Anfang  des 
13.  Jahrhunderts  auf  500  Häuser  angewachsen  war,4)  Medebach 
nahm  11  kleine  Dörfer  in  sich  auf,5)  ja  selbst  Dörfer  wurden 
durch  benachbarte  kleinere  vergrössert.5)  In  gleicher  Weise 
legten  auch  die  Paderborner  Bischöfe  auf  der  Grenze  gegen 
die  Cölner  Diözese  Befestigungen  an  und  suchten  sie  in  der 
angegebenen  Weise  zu  verstärken.  Die  Stadt  Paderborn  selbst 
wurde  durch  die  Aufnahme  benachbarter  Dörfer  derart  ver- 
grössert, dass  schon  1231  die  Gokirchpfarre  „propter  multitudinem 
populi“  geteilt  werden  musste.8)  Salzkotten  wurde  mit  Mattem 
und  Gräben  umgeben  uud  „durch  die  Hinzuziehung  mehrerer 
nächstgelegener  Dörfer“  verstärkt,7)  ebenso  Büren  aus  einer 
Burg  zur  Stadt  gemacht  und  befestigt,8)  auch  Wünnenberg  hat 
benachbarte  Dörfer  in  sich  aufgenommon,8)  und  in  Warburg  sind 
acht  Dörfer  aufgegangen.10)  Wenn  so  auf  Cölner  und  Pader- 
borner Gebiete  Dörfer  abgebrochen  und  in  den  benachbarten 
Städten  wieder  aufgebaut  wurden,  müssen  wir  dasselbe  von 
Geseke  und  den  Nachbardörfern  annehmen.  Gerade  diese 
Stadt  lag  unmittelbar  auf  der  Grenze,  den  Städten  Paderborn 
und  Salzkotten  gegenüber,  und  eignete  sich  so  besonders  zu 
einer  Opcrationsbasis  gegen  das  benachbarte  Feindesland.  Wir 
konstatieren  also,  dass  mit  dem  Anfang  des  13.  Jahrhunderts 


*)  Seibertz,  Landes-  und  Kecbtsgeschichte.  XII.  8.  543.  Die  An- 
führung dieser  Ortschaften  a.  a.  O.  III.  8.  440.  Becker,  Geschichtliche 
Nachrichten  über  die  in  dem  Briloner  Stadtgebiete  untergegangeneu  Dorf- 
schaften. 

2)  Bender,  Geschichte  der  Stadt  Huden.  S.  134. 

3j  Westfäl.  Zeitschrift  für  Geschichte  uud  Altertumskunde.  Bd.  4t. 
Abt.  2.  S.  23.  n.  37. 

*)  Steinen,  Weitlll.  Geschichte.  St.  30.  S.  1125.  § 5. 

5)  Seibertz,  Landes-  und  Kechtsgoschichte.  III.  S.  543,  wo  auch  die 
Dörfer  aufgezählt  Sind. 

•)  ÜUbinger,  Die  Verfassung  der  Stadt  Paderborn  im  Mittelalter. 
S.  168.  8.  auch  S.  31. 

7)  Soibertz,  a.  a.  O.  III.  S.  94  Die  untergegaugenen  Dörfer  anf- 
gezählt  in  der  Geseker  Zeitung.  1907.  n.  34 — 43. 

8)  Hessen,  Geschichte  des  Bistums  Paderborn.  I.  S.  167. 

®)  Grün,  Zur  Geschichte  dos  Sintfeides.  S.  15. 

,0)  Giofers,  Dio  Anfänge  der  Stadt  Warburg.  S.  196. 


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28 


die  aufgezählten  12  Ortschaften,  beziehungsweise  sechs  Bauer- 
schaften  ihre  bisherigen  Wohnsitze  verliesseu  und  in  die  benach- 
barte Stadt  Geseke  verpflanzt  wurden.  Ueber  die  Einzelheiten 
dieses  Vorganges  sind  wir  freilich  nicht  unterrichtet,  wie  über- 
haupt fast  alle  Ereignisse  aus  diesem  Gebiete  und  dieser  Zeit 
in  Dunkel  gehüllt  sind. 

Noch  ein  ernsterer  Grund  bewog  die  Bauerschaften,1)  das 
wehrlose  platte  Land  zu  verlassen  und  hinter  den  Mauern  der 
benachbarten  Stadt  dauernd  Schutz  zu  suchen.  Es  ist  schon 
an  andern  Orten  darauf  hingewiesen  worden,  dass  z.  B.  am 
Ostharz  die  „ausserordentlich  umfangreichen  Feldfluren  der 
Städte,  welche  weit  über  das  Hass  der  Zweckmässigkeit  hinaus- 
gehen, sieh  nur  aus  dem  jede  andere  Rücksicht  zurückdrängenden 
Bedürfnis  des  Schutzes  und  der  leichteren  Abhülfe  augenblicklicher 
Not  erklären  lassen.“2)  „Die  Ursachen,  welche  veranlassteu, 
dass  die  Bewohner  eines  verwüsteten  Dorfes  ihre  Gehöfte  nicht 
wieder  herstellten,  sind  vorzugsweise  in  der  allgemeinen  Un- 
sicherheit begründet,  welche  durch  das  ganze  Mittelalter  vor- 
züglich auf  dem  platten  Lande  in  meist  schneidender  Weise 
hervortritt.  Eben  diese  Unsicherheit  war  es,  welche  seit  dem 
Ende  des  zwölften  und  durch  das  dreizehnte  und  hin  und 
wieder  auch  noch  im  vierzehnten  Jahrhundert  die  Anlage  einer 
Menge  von  Städten  in  Gegenden  hervorrief,  wo  bis  dahin  noch 
keine  anderen  Befestigungen  als  nur  erst  Burgen  vorhanden 
gewesen  waren.“  „Indem  die  neuen  städtischen  Festen  n&tur- 
gemäss  zu  Brennpunkten  des  Krieges  wurden,  kamen  die  noch 
bestehenden  benachbarten  Dörfer  in  eine  um  so  mehr  gefährdete 
Lage.  Wurde  ein  solches  Dorf  nun  zerstört,  so  bot  sich  für 
die  Bewohner  vorerst  keine  andere  Zufluchtsstätte  dar  als  die 
nahe  Stadt,  und  häutig  war  es  der  Fall,  dass  die  Flüchtlinge 
in  derselben  blieben,  und  statt  ihr  verbranntes  Haus  im  Dorfe 
wieder  aufzubauen,  ein  solches  lieber  in  der  mehr  gesicherten 
Stadt  aufrichteten. “:i)  Diese  Ursachen  gelten  auch  für  die  in 

')  £9  sei  hier  noch  einmal  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  unter 
„Bauerschaften“  die  „Markgenossenschaften“  verstanden  sind,  ohne  Rücksicht 
darauf,  ob  sie  von  einem  Dorfe  oder  mehreren  gebildet  werden. 

*)  Mcitzon,  Siedelung  und  Agrarwesen.  I.  8.  114. 

5)  Landau,  Historisch • topographische  Beschreibung  der  wüsten  Ort- 
schaften. S.  3S4  ff.  Eiue  nicht  recht  verständliche  Ursache  dieser  Er- 


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der  Geseker  Feldflur  gemachten  Beobachtungen.  In  dem  Kampfe 
zwischen  den  Erzbischöfen  von  Cöln  als  den  Herzogen  und  den 
weltlichen  und  geistlichen  Territorialherren  „suchte  der  Gegner 
den  Gegner  zu  überbieten,  man  sengte  und  plünderte  das  flache 
Land,  vernichtete  die  Saaten  und  verbrannte  die  offenen  Dörfer.“ l) 
Besonders  arg  trieb  es  der  Paderborner  Bischof  Simon.  Er 
drang  im  Jahre  1254  mit  einem  grossen  Heere  in  das  Gebiet 
des  Erzbischofs  von  Cöln  und  seiner  Verbündeten  ein  und  ver- 
wüstete es  ringsum  durch  Brand  und  Raub.2)  Die  Städte 

Kallenhard,  Warstein  und  Werl  wurden  zerstört.3)  Dabei  musste 
Geseke,  das  das  Bollwerk  Cölns  gegen  Paderborn  bildete  und 
vor  allem  der  Zankapfel  zwischen  den  streitenden  Parteien 
war,4)  am  härtesten  mitgenommen  werden.  So  war  denn  in 

diesen  argen  Zeiten  für  die  Dörfer  die  ultima  ratio:  Wie  sie 

bisher  in  Zeiten  der  Not  hinter  den  schützenden  Mauern  vor- 
übergehend Rettung  gefunden,  so  mussten  sie  hier  bei  den 

Jahrzehnte  langen  Kämpfen  dauernden  Schutz  suchen,  das  platte 
Land  endgültig  verlassen  und  ihre  Häuser  in  der  Stadt  wieder 
aufbauen.  Spätestens  bei  dem  furchtbaren  Einfall  Simons  im 
Jahre  1254  sind  sie  vom  Erdboden  verschwunden.  Einzelne 
geschichtliche  Daten  dieser  Zeit  lassen  mit  Sicherheit  darauf 


Scheidungen  gibt  Hahn,  Die  Städte  der  norddeutschen  Tiefebene.  S.  144  [52]: 
„Die  grosse  Zahl  der  wüsten  Dorfstellen  in  der  (Magdeburger)  Börde 
erklärt  sich  nicht  ausschliesslich  durch  die  Verwüstungen  des  30jährigen 
Krieges,  sondern  ist  vielfach  darauf  zurückzufUhren,  dass  die  Bewohner 
kleinerer  Dörfer  diese  verliessen  und  sich  in  den  grösseren  mit  ansiedelten, 
um  ihre  Ackerflächen  zu  erweitern.“ 

’)  Jansen,  Die  Herzogsgewalt  der  Erzbischöfe  von  Köln.  S.  66.  Ueber 
diese  Kriege  s.  Mendthai,  Die  Städtebünde  und  Landfrieden  in  Westpbalen 
bis  zum  Jahre  1371.  8.  4 ff. 

Bericht  der  Westfälischen  Grossen,  die  auf  Seiten  Cölns  standen, 
an  den  Papst  Alexander  IV.  vom  12.  Februar  1255.  (Seibertz,  Urk.  Buch. 
I.  n.  281.  S.  349):  .magno  exercitu  congregato  iutravit  hostiliter  in  estate 
preterita  terrarn  nostram  quam  circnmienB  circumquaque  vastavit  incendiis 
et  rapinis.“  S.  auch  Graunert,  Die  Herzogsgewalt  in  Westfalen.  S.  92ff. 

3)  Seibertz,  Landes-  und  ltecht8geschichte.  UI.  S.  114. 

4)  Im  Frieden  zwischen  Siegfried  von  Cöln  und  Otto  von  Paderborn 
vom  12.  Dezember  1294  heisst  es  (Seibertz,  Urk.  Buch.  I.  n.  450.  S.  551): 
„propter  Opida  Geseke  et  Saltzkotten  , . . quasi  frequentius  contigit  inter 
ipsos  discordiam  exoriri.“  Vergl.  über  diese  Kämpfe  Seibertz,  Landes-  und 
Recbtsgeschichte.  111.  S.  118  ff. 


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30 


schliessen,  dass  um  die  Wende  des  13.  Jahrhunderts  die  liier 
in  Frage  stehenden  Vorgänge  abgeschlossen  waren. 

Im  Jahre  1265  überweist  Vogt  Rudolf  von  Geseke  dem 
Kloster  Bredelar  „ein  Gut  zu  Volmede  bei  Geseke  mit  allem 
Zubehör,  auch  Haus  und  Hof,  in  Geseke  gelegen.“1)  Volmede 
hat  also  schon  seine  frühere  Wohnstätte  verlassen  und  sich  in 
der  Stadt  neu  aufgebaut.  Ebenso  überträgt  derselbe  Vogt  im 
Jahre  1280  dem  Stifte  zu  Geseke  „seine  Curtis,  in  der  Stadt 
Geseke  gelegen.“11)  Auch  hier  liegt  der  Hof  in  der  Stadt, 
während  ursprünglich  ausser  den  Hörigen  des  Klosters  keine 
Ackerbau  treibende  Bevölkerung  in  der  Stadt  wohnte.  Im 
Jahre  1289  werden  Stockheimer  Güter  an  „oppidani  in  Ghesike“ 
verkauft.3)  Nach  dem  Zuge  der  Dörfer  in  die  Stadt  gehören 
die  bisherigen  Landbewohner  zu  den  Geseker  Bürgern.  Es 
werden  daher  die  verkauften  Güter  gelegentlich  nicht  mehr  nach 
ihrem  Dorfe  genannt,  sondern  einfach  als  „im  Geseker  Felde 
gelegen“4)  angeführt.  Jetzt  hat  sich,  nachdem  sämtliche  Dörfer 
ihre  Wohnstätte  verlassen,  für  das  ganze  Gebiet  der  Flurname 
„Geseker  Feld“  gebildet.  Im  Jahre  1266  vermittelt  Bischof 
Simon  von  Paderborn  zwischen  dem  Stifte  und  den  Bürgern  zu 
Geseke  wegen  eines  Streites  über  Pflugpfennige.3)  Der  Pflug 
diente  vielfach  als  Mass  und  bedeutete  das  durchschnittliche 
bäuerliche  Besitztum,  also  die  Hufe,  in  Geseke  das  „Gut 
Land“,3)  auf  das  die  Steuern  und  Lasten  gelegt  wurden.7)  In 

’)  Wilmans-Finke,  Westfälisches  Urk.  Buch.  IV.  n.  1034:  „curtim 
quandaui  Velmede  apud  Gesike  sitam.“  . . . „eandem  enrtem  cum  omuibus 
pertinentiis  suis,  domum  quoque  et  aream  in  Gesike  sitaio.* 

s)  Seibertz,  Ork.  Buch.  I.  n.  391.  S.  478:  .curtim  nostram  sitam  in 
oppido  Gesike.” 

s)  Wilmans-Finke,  Westf.  Urk.  Buch.  IV.  n.  2111.  S.  972. 

4)  1.  c.  IV.  n.  2643.  S.  1145.  6.  Februar  1299:  „agri  ...  in  campo 
Gesekensi  siti.“  Ebenso  1.  c.  IV.  n.  2565.  S.  1154.  19.  Juni  1299. 

6)  Seibertz.  Urk.  Buch.  I.  n.  337.  S.  420.  27.  April  1266:  .questio 
discordie  super  obulis  de  aratris  in  opido  Ghesike  annis  singulis  persolvendis." 

•)  Seibertz.  Bandes-  und  Kechtsgeschichte.  I.  S.  271.  Maurer, 
Einleitung  zur  Geschichte  nsw.  S.  133.  Waitz,  Hufe.  8.  22. 

7)  Maurer,  a.  a.  O.  S.  134.  Wigands  Archiv.  I.  2.  S.  24.  Seibertz, 
Urk.  B.  I.  n.  23.  S.  25:  „quinqnaginta  aratra  de  deciniatione  ibi  circum- 
quaque  ei  concessiraus.”  Dahl  mann,  Geschichte  von  Dänemark.  Bd.  I.  König 
Erich,  gen.  Pflugpfennig,  erregt  durch  eine  Steuer  von  jedem  Pfluge  Er- 
bitterung und  Empörung  unter  den  Bauern. 


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31 


diesem  Jahre  gehört  also  die  Ackerbau  treibende  Bevölkerung, 
die  aus  den  umliegenden  Dörfern  eingezogen  ist,  zu  den  Bürgern 
der  Stadt  („burgenses  predicti  opidi“). 

Im  Jahre  1256  ist  eine  Mühle  ausserhalb  Geseke  zerstört1) 
und  um  1300  innerhalb  der  Stadtmauern  wieder  anfgebant,  nach- 
dem sie  wiederholt  zerstört  worden  war.2)  In  gleicher  Weise, 
so  schliessen  wir,  sind  die  Dörfer  zerstört  und  schliesslich  end- 
gültig in  die  Stadt  verlegt. 

Jetzt  untersteht  die  frühere  Landbevölkerung  dem  Rate 
der  Stadt,  und  es  ist  daher  die  Pflicht  des  Rates,  bei  Streitig- 
keiten zwischen  der  Grundherrscliaft  in  der  Stadt  und  den 
Bauern,  die  Geseker  Bürger  sind,  seine  Untertanen  zu  schützen. 
So  bringt  er  1326  einen  Vergleich  zwischen  dem  Stifte  einerseits 
und  den  Erben  der  Stockheimer  Mark  andererseits  über  die 
Teilung  dieses  Waldes  zustande.3) 

In  einem  Verzeichnis  der  Wohnhäuser  der  Stadt  ans  dem 
Jahre  1360  sind  497  Häuser  aufgezählt.4)  Hätten  die  Dörfer 
noch  im  offenen  Felde  gestanden,  so  würden  sie  später  keinen 
Raum  zum  Aufbau  in  der  Stadt  gefunden  haben. 

Alle  Güter,  die  früher  von  den  Dörfern  aus  bestellt  wurden, 
werden  nach  Uebersiedelung  der  Dörfer  in  die  Stadt  von  der 
Stadt  aus  bebaut.  So  heisst  es  in  einem  Güterverzeichnis  des 
Stiftes  aus  dem  Jahre  1380,5)  dass  die  Güter  zu  Stockheim, 
Heringhausen  und  Ebbinghausen  von  der  Stadt  Geseke  aus 
bestellt  werden. 

Aus  den  angeführten  Daten  ist  der  Schluss  zu  ziehen,  dass 
um  1260,  spätestens  um  die  Wende  des  13.  Jahrhunderts  die 
sechs  Bauerschaften  das  Land  verlassen  und  sich  in  der  Stadt 
angesiedelt  haben.  Nun  ist  freilich  noch  nach  diesem  Termin 
oft  von  den  Dörfern  die  Rede,  so  dass  es  den  Anschein  gewinnt, 

’)  äeibertz,  Urk.  Buch.  I.  n.  297.  S.  369:  ,si  molendinum  extra 
vicum  Saltcoten  et  Uiaeke  de  novo  couatructimi  fuerit.* 

’)  I c.  I.  n.  484.  S.  618:  „molendinum  qnoudam  fuit  situm  extra 
oppidum  et  qnia  aepe  deatruebatur  per  inimicoa,  fuit  tranapoaitum  infra 
opidum* 

s)  1.  c.  II.  n.  616.  S.  218. 

4)  1.  c.  II.  n.  765.  S.  473.  Amu. 

5)  Seibertz,  Quellen  der  weatf.  Ueachichte.  I.  S.  295:  „hec  curie 
coluutur  ex  opido  Oheaike.“ 


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32 


als  ständen  sie  noch  auf  dem  alten  Platze.1)  Aber  dagegen  ist 
zu  erwidern,  dass  „noch  im  späten  Mittelalter  der  Begriff  des 
Dorfes  nicht  auf  den  Raum  beschränkt  ist,  welchen  die  Wohn- 
stätten einnahmen,  sondern  es  war  die  gesamte  Feldflur,  welche 
das  Dorf  darstellte,  so  dass  auch  schon  längst  ihrer  Wohnungen 
beraubte  Dorffluren  dennoch  nach  wie  vor  immer  noch  Dörfer 
genannt  wurden.“2)  Daher  ist  auch  noch  in  der  Zeit,  in  der 
nachweislich  die  Dörfer  schon  in  der  Stadt  aufgegangen  waren 
und  als  Huden  bezw.  Bauerschaften  fortlebten,  von  den  unter- 
gegangenen Dörfern  die  Rede,  als  existierten  sie  noch  wie  früher 
auf  dem  jetzt  verlassenen  Dorfplatze.  ') 

Die  Stellen,  an  denen  sich  die  einzelnen  Bauerschaften  in 
der  Stadt  niederliessen,  sind  erkennbar  durch  den  Bezirk,  den  die 
aus  den  Bauerschaften  hervorgegangenen  Weidegenossenschaften, 
die  Huden  in  späterer  Zeit  einnahmen.4)  Naturgemäss  Hess  sich 
jede  an  dem  Tore  nieder,  das  zu  ihrer  Feldmark  führte.  Mussten 
sie  doch  jetzt  von  der  Stadt  aus  ihre  Aecker  bestellen  und  vor 
allem  das  Vieh  auf  die  Gemeinweide  treiben,  so  dass  sie  die 
ihren  Marken  zunächst  gelegenen  Stadtteile  einnahmen.5) 
Hüstede  und  Krewete  Hessen  sich  am  Mühlentor  nieder  und 
besetzten  die  Mühlenstrasse  und  Bachstrasse,  Stalpe  iiess  sich 
am  Osttor  nieder  und  besetzte  einen  Teil  des  Hellwegs,  den 
Rennenkamp,  Teich  und  die  Ostmauer,  Volmede  nahm  dasselbe 
Tor  ein  und  besetzte  den  grossen  Hellweg  mit  den  Seitengassen, 
Holthausen  und  Isloh  besetzten  das  Stein-  und  Westtor  und 
nahmen  den  kleinen  Hellweg  mit  den  Nebengassen,  sowie  die 
Bachstrasse  bis  zu  Hustede  hin  in  Besitz,  Passinghausen, 
Stockheim,  Wietheim  und  Ebbinghausen  nahmen  das 
lüdische  Tor  (luiske  Porte  = Schilftor)  ein  und  Hessen  sich  an  der 
lüdischen  Strasse,  der  Markt-  und  Kuhstrasse  mit  ihren  Seiten- 
gassen nieder,  Heringhausen  endlich  besetzte  das  Viehtor  und 

')  Hierfür  Belege  anzuführen  ist  überflüssig,  da  in  den  oft  genannten 
UrkundenbUcbern  von  Seibertz  und  Wilmans-Fiuke  fast  alle  im  Index 
angegebenen  Stellen  den  Beweis  liefern. 

*)  Landau,  Die  Territorien.  S.  115. 

3)  Stöckli.  B.  B.  24.  Aug.  1660:  „baurgliodt  von  einem  in  heringer 
baurscbaft  belegenen  Krbgntb  landt“.  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1714:  „als 
ein  uhralter  Iiauwrglied  zu  hüstede  binnen  Ueseke"  u.  a.  m. 

*)  Ueber  diesen  Punkt  zum  näheren  Verständnis  s.  u.  S.  36. 

6)  Für  die  folg.  Ausführungen  s.  Karte  II. 


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33 


liess  sich  an  der  Viehstrasse  und  Bäckstrasse  mit  den  zuge- 
hörigen Gassen  nieder. 

Ueberblicken  wir  den  Stadtplan,  so  ergibt  sich  daraus,  dass 
die  Stadt  planmässig  angelegt  ist,1)  dass  aber  „von  einer  ursprüng- 
lichen Mehrheit  von  Ansiedlungen  keine  Spuren  zurückgeblieben 
sind“.2)  Ferner  ziehen  wir  aus  den  vorstehenden  Erörterungen 
den  auch  für  die  allgemeine  Städtegeschichte  wichtigen  Schluss: 
Die  Stadt  ist  nicht  erst  durch  den  Zusammentritt  der  Dörfer 
entstanden,  sondern  schon  vor  dem  Zuge  der  Dörfer  in  die  Stadt 
existierte  eine  Markt-  und  Stadtgemeinde.  Diese  bildete  den 
Krystallisationspunkt,  an  den  sich  die  erwähnten  Bauerschaften 
bezw.  Dörfer  ansetzten. ■i) 

In  dieser  Zeit  ist  wahrscheinlich  auch  die  Stadtmauer  ge- 
baut, deren  Fundamente  unmittelbar  auf  den  schon  bestehenden 
Wall  gelegt  wurden.  Zugleich  wurde  das  ganze  Geseker  Gebiet 
mit  einer  Landwehr  umschlossen,  deren  Spuren  neben  den 
älteren  Dorflandwehren  zum  Teil  noch  deutlich  zu  sehen  sind. 

Um  1300  wurde  also  die  städtische  Bevölkerung  von 
folgenden  Elementen  gebildet:4) 

1.  Den  Mitgliedern  des  Stiftes  und  des  zugehörigen  Fronhofes; 

2 Der  kriegerischen  Dienstmannschaft  des  Stiftes5)  und  des 
Erzbischofs  von  Cöln;6) 

3.  Der  eigentlich  städtischen  Bevölkerung,  den  Kaufleuten 
und  Handwerkern; 

4.  Der  agrarischen  Bevölkerung; 

5.  Der  dienenden  Bevölkerung  der  erwähnten  Klassen; 

0.  Den  wenigen  Vertretern  der  später  sog.  liberalen  Berufe 
wie  Richter,  Priester  usw. 

')  Rietschel,  Markt  und  Stadt.  S.  129. 

2)  Fritz,  Stadtanlagen,  S.  10  behauptet  das  Gegenteil  nach  andern 
Stadtplänen. 

3)  So  Bchon  Rietschel,  Markt  und  Stadt.  S.  169. 

*)  Vergl.  im  allgemeinen  Juama-Sternegg,  Ueber  die  Anfänge  des 
deutschen  Städtewesens.  S.  6.H6ff. 

6)  Seibertz,  Urk.  Buch.  I.  n.  151  S.  195:  .Preterea  ministeriaies 
ecclesie“  (sc.  Sti.  Cyriaci). 

*)  I.  C.  IT.  n.  765  S.  482.  Ziff.  47. 

Lappe,  Oie  Geseker  Bauer  -chatten  9 


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34 


Die  Huden  und  Bauerschaften 

Durch  den  Aufbau  der  Bauerschaften  in  der  Stadt  trat 
zunächst  keine  Veränderung  ein.  „Es  waren  eigentlich  nur  die 
Wohnstätten  derselben  versetzt  worden,  die  Gemeinden  aber 
bestanden  fort.“1)  „Bei  dem  in  die  Stadt  übersiedelteu  und 
zum  Bürger  gewordenen  Bauer  änderte  sich  weiter  nichts,  als 
dass  derselbe  wie  seither  von  seinem  Dorfe,  nunmehr  von  der 
Stadt  aus  sein  Land  bestellte.“2)  Vor  allem  blieb  die  Hufen- 
verfassung3)  auch  jetzt  noch  dieselbe  wie  vor  dem  Zuge  in  die 
Stadt.  „Zur  einer  Hufe  gehörte  ein  dreifaches,  der  Hof  mit 
dem  Wohnhaus,  das  Ackerland  und  das  Nutzungsrecht  an  einem 
ungeteilt  belassenen  Teil  des  Grundes  und  Bodens."4)  Die 
gleichen  Bestandteile  werden  auch  nach  dem  Zuge  der  Dörfer 
in  die  Stadt  bei  Güterübertragungen  angegeben.  Zunächst  bildet 
der  Hof  mit  dem  Wohnhaus  noch  lange  einen  Teil  des  „Gutes“ 
bezw.  der  „Hufe“.5)  Es  wird  in  den  Urkunden  ausdrücklich 
erwähnt,  dass  zu  dem  übertragenen  Gute  ein  in  der  Stadt  ge- 
legenes Wohnhaus  mit  der  Sohlstätte  gehört,'*)  einmal  wird  sogar 

’)  Land  an,  Historisch  • topographische  Beschreibung  der  wüsten  Ort- 
schaften. S.  39 1. 

s)  a.  a.  0.  S.  390.  Leber  den  Abbruch  von  Dörfern  und  deren 
Wiederaufbau  in  den  Städten  s.  Maurer,  Uescbichte  der  Städteverfassung 
in  Deutschland.  II.  S.  131. 

3)  Ueber  die  Hufe  t.  Waitz,  Die  altdeutsche  Hufe.  Bluntschli, 
Die  wirtschaftliche  Rechtsordnung  der  deutschen  Dörfer.  S.  298 — 300. 

4)  Waitz,  a.  a.  O.  S.  12. 

6)  Es  sei  noch  einmal  betont,  dass  sich  das  Wort  „Hufe“  in  den 
Bauerschaftsbüchern  nicht  findet,  statt  dessen  heisst  es  immer:  „ein  Out 
Land“.  Wo  im  folgenden  dieser  Terminus  gebraucht  wird,  ist  darunter  die 
sonst  sog.  „Hufe"  zu  verstehen. 

*)  Wilmans-Finke.  Westfälisches  Urkunden  - Buch.  IV.  n.  1034. 
22.  Mai  1265:  „curtim  quandam  Velmede  apud  Gesike  sitam  ....  eandem 
curtem  cum  omnibus  pertinentiis  suis,  domum  quoque  et  aream  in  Gesike 
sitainu.  Seihertz,  Urk.  Buch.  I.  n.  391.  S.  478.  anno  1280.  Vogt 
Rudolf  von  Erwitte  überträgt  dem  Stifte:  .curtim  nustram  sitam  in  oppido 
Gesike  ...  in  agris  et  pascuis  et  cum  omnibus  proventibus.“  In  dem 
GUterverzeichnis  des  Stiftes  zu  Geseke  aus  dem  Jahre  1380  bei  Seihertz, 
Quellen  der  westf.  Gesell.,  I.  S.  294  heisst  es:  .De  domo  pertinente  ad 
dictum  bonum  recipiet  prepositura  etc.“  1.  c.  .De  hono  dicto  >dat  gut  by 
me  heleweyghe-,  quod  colit  Conrad  scultetinc  . . . clenodia  dabuntur  de 
domo  pertinente  ad  dictum  bouum.“ 


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31% 


die  Lage  des  zugehörigen  Wohnhauses  in  dem  Stadtteile  an- 
gegeben, wo  sich  das  Dorf,  in  dessen  Feldmark  das  Gut  lag, 
niedergelassen  hatte.1)  Ebenso  werden  auch  noch  die  übrigen 
Bestandteile  der  Hufe  zusammen  aufgeführt  wie  in  den  Urkunden 
der  Karolinger  Zeit.2)  Die  Sohlstätte  mit  dem  Wohnhaus,  das 
Ackerland  und  die  gesamte  zugehörige  Allmende  bilden  also 
noch  ein  zusammengehöriges,  einheitliches  Ganzes. 

Die  Gesamtheit  dieser  Hufen  macht  die  betreffende  Bauerschaft 
aus,  sie  sind  die  eigentlichen  Rechtssubjekte,  und  ihre  Inhaber 
sind  die  Bauerschaftsgenossen,  dio  in  ihrer  Gesamtheit  die 
Bauerschaft  repräsentieren,  mag  sie  sich  nun  aus  wenigen  oder 
vielen  Hufen,  aus  einer  oder  mehreren  Siedelungen  zusammen- 
setzen/1) Auch  diese  Bauerschaftsverfassung  blieb  nach  dem 
Aufbau  derselben  in  der  Stadt  bestehen,  nur  mit  dem  Unter- 
schiede, dass  jetzt  alle  Banerschaften  in  einem  Bezirke  lagen 
und  nicht  mehr  in  verschiedene  Ortschaften  zerfielen,  und  dass 
ferner  die  Sohlstätten  mit  den  Wohnhäusern  ausserhalb  der 
zugehörigen  Bauerschaftsmark  in  dem  Stadtbezirke  lagen.  Nach 
wie  vor  gab  es  auf  dem  früheren  Raume  6 Banerschaften,  die 
ganz  so  wie  zu  der  Zeit,  da  die  Wohnhäuser  noch  im  Mark- 
gebiete lagen,  die  den  Banerschaften  zukommenden  Rechte 
ausübten,  also  „die  gewöhnliche  Banerweisung  hielten,  und  die 
Mängel,  so  sich  zwischen  den  Bauern  daselbst  mit  zu  nahe 
pflügen,  graben,  zünen,  potten,  beschädigen  mit  dem  Viehe,  und 

'l  Iu  dem  Güterverzeichnis  de»  Kloster»  Bredelar  au»  dem  Jahre  1416 
bei  Seibertz,  Quelle»  der  westfälischen  Geschichte.  I.  S.  14S:  „Primo  ein 
hu8  und  eynen  hoff  vor  der  Oaterporteu  (es  ist  von  Geseke  die  Rede)  dar 
unse  gud  tu  horit  to  velmede  dar  nu  tor  tid  inne  wonot  (Name  fehlt)  unde 
dat  gud  nndir  hovet  und  dat  gildet  ver  malder  hardis  korns.“  Es  ist  dies 
das  S.  34.  n.  6 erwähnte  Volineder  Gut. 

*)  Wilmans-Finke,  Westf.  Urk.  B.,  IV.  n.  17S3  aus  dem  Jahre  1284: 
„bona  sita  in  Withem  ....  cum  agris,  silvis,  aqnis,  pascuis.  piscationibus 
et  cum  omuibus  ipsorum  iurihus  et  pertinenciis.“  1.  c.  n.  2040  aus  dem 
Jahre  1289:  „mansura  cum  omnibus  suis  attinentiis  videlicet  in  silvis, 
pratis,  pascuis  et  aquis.“  Ebenso  im  Jahre  1299:  „bona  . . . cum  omnibus 
eorum  attinentiis  et  appendiciis  scilicet  agris,  silvis  aquis  pascuis  et  aliis 
quibuscumque.“ 

*)  Maurer,  Einleitung  zur  Geschichte  usw.  S.  147.  Gierke,  Ge- 
nossenschaftsrecht. II.  8.  276.  b.  Laraprecht,  Deutsches  Wirtschafts- 
leben. 8.  290.  Sommer,  Von  deutscher  Verfassung  im  germanischen 
Preussen.  S.  44. 

3* 


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36 


gemeinen  oder  schlechten  Schmähworten  zutrugen,  schlichteten, 
entschieden.“1 

N eben  diesen  Hufeninhabern  als  den  eigentlichen  Bauerschafts- 
genossen sowie  ihren  Familicngliedern  und  zugehörigem  Gesinde 
gab  es  noch  andere  in  der  Mark  ansässige  Leute,  die  eigene 
Wirtschaft  und  eigenen  Rauch  und  meist  auch  mehr  oder  weniger 
Ackerland  hatten.  Weil  sie  keine  volle  Hufe  hatten,  waren 
sie  keine  Mark-  bezw.  Bauerschaftsgenossen  im  eigentlichen 
Sinne2)  und  daher  von  den  den  vollberechtigten  Mitgliedern  zu- 
stehenden Rechten  ausgeschlossen.  Da  aber  bei  der  Agrar- 
verfassung des  Mittelalters  eine  selbständige  bäuerliche  Wirtschaft 
ohne  Allmendegenuss  unmöglich  war,  so  wurde  die  eben  erwähnte 
Klasse  der  Markangehörigen  zur  Benutzung  der  Allmende  in 
mehr  oder  minder  beschränktem  Masse  zugelassen.3)  Besonders 
war  es  ihnen  erlaubt,  ihr  Melkevieh  mit  auf  die  Gemeinweide 
zu  treiben,  aber  zu  Holz  und  Mast  waren  sie  nicht  berechtigt.4) 
Diese  Verhältnisse  wurden  ebensowenig  wie  die  übrigen  schon 
erwähnten  nach  der  Niederlassung  der  Bauerschaften  in  der 
Stadt  verändert,  auch  jetzt  wurden  ausser  den  Hufeninhabern 
als  den  wahren  Bauerschaftsgenossen  noch  andere  nicht  voll- 
berechtigte zur  Mitbenutzung  der  Allmende  zngelassen.  Alle 
übrigen  in  der  Stadt  schon  vorhandenen  oder  später  noch  ent- 
stehenden Wirtschaften  waren  jedoch  vom  Mitgenuss  der  Weide 
ausgeschlossen.  So  war  das  Weiderecht  von  Anfang  an  in  der 


M Bestimmung  der  Dorfgericbtsbarkeit  im  Jurisdiktionsrezess  zwischen 
Churfürst  Sälen  tin  von  Cöln  und  dem  Herrn  von  Hürde  vom  20.  Febrnar  X577 
bei  Seibertz,  Urk.  Buch.  III.  n.  1029.  S.  262. 

s)  Wittich,  Die  Grundherrschaft  in  Nord  Westdeutschland.  8.  260. 

3)  Th  u die  hum.  Die  Gau-  und  Mark  Verfassung  in  Deutschland. 
8.  212.  243.  256.  Wittich,  Grundherracbaft.  8.  250.  Keinhold,  Ver- 
fassungsgeschichte Wesels.  8.  16. 

4)  Rübe),  Die  Dortmunder  Keichsleut«.  8.  161.  Dass  es  auch  in 
Geseke  solche  minderberechtigte  Markangehörige  gab,  ist  zweifellos,  obgleich 
der  Natur  der  Sache  nach  von  ihnen  nicht  die  Rede  ist.  Nur  an  einer 
Stelle  findet  sich  eine  hierauf  gehende  Notiz  bei  Seibertz,  Urk.  Buch. 
III.  n.  1060.  S.  417  zwischen  793 — 1160:  „Ein  loepe  juxta  Gesike  heribreht 
et  frater  snus  cum  multis  aliis."  Thudichum,  Gau-  und  Markverfassung. 
8-  212:  „Welche  keinen  Ackerbau  trieben,  kein  Geschirr  hielten,  hiessen 
einläufige,  einleuftige,  einläufer.  Sie  führen  eigenen  Haushalt  und  sind 
verheiratet.“  Schröder,  Recbtsgeschichte.  4 Aufl.  8.  426.  Anm.  6. 


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37 


Stadt  auf  die  Zahl  der  ursprünglich  berechtigten  beschränkt 
und  projizierte  sich  auf  eine  bestimmte  Zahl  von  Sohlstätten, 
es  „klebte  den  Wohnstätten  an“.1)  Die  Gesamtheit  dieser  weide- 
berechtigten Sohlstätten  bildete  die  „Hude“,  die  in  jeder 
Bauerschaft  das  Weiderecht  ausiibte.  Es  gab  also  ebenso  viele 
Huden  wie  Bauerschaften:2)  1.  Die  Stälper  Hude.  2.  V Ölmeder 
Hude.  3.  Hüsteder  Hude.  4.  Stockheimer  Hude.  5.  Hering- 
hauser Hude.  6.  Holthauser  Hude.  Die  Zahl  der  Huderechte 
war  weit  grösser  als  die  der  Bauerschaftsrechte,  wie  die  Zu- 
sammenstellung beider  ergibt. 

Huderechte.3)  Banerscbaftsrechte.4) 


Stalpe 

85 

42 

Volmede 

04 

46 

Hustede 

57 

20 

Stockheim 

90 

39 

Heringhausen 

82 

18 

Holthausen 

65 

28 

Diese  Huden  sonderten  sich  mit  der  Zeit  als  selbständige 
Genossenschaften  von  den  Bauerschaften  ab.  Ueber  die  Einzel- 
heiten dieses  Vorganges  sind  wir  nicht  genauer  unterrichtet; 
im  allgemeinen  scheint  er  sich  in  folgender  Weise  vollzogen 
zu  haben: 

Von  der  Hufe  bildeten  die  Sohlstätte  und  das  Ackerland 
das  aus  dem  Gemeineigentum  ausgeschiedene  Privateigentum, 
mit  dem  unterschiedslos  die  Allmende  verbunden  war.  ’)  Nun 
sahen  wir  soeben,  wie  sich  das  Recht,  die  Gemeinweide  zu 
benutzen,  auf  die  Sohlstätte  radicierte  und  die  Gesamtheit  dieser 
weideberechtigten  Sohlstätten  eine  eigene  Genossenschaft,  die 
Hude  neben  der  Bauerschaft  bildete.  Von  den  Inhabern  dieser 
Sohlstätten  waren  aber  die  meisten  nicht  Mitglieder  der  eigent- 
lichen Markgenossenschaft,  der  Bauerschaft;  an  ihrem  Besitz, 
der  Sohlstätte,  klebte  nur  das  Weiderecht.  Beides,  Sohlstätte 
und  Weiderecht,  bildete  als  Besitz  der  Nichtvollgenossen  eine 
Einheit  und  wurde  zusammen  übertragen.  Diese  Verhältnisse 

')  Geseker  Huden.  S.  34  ff.  Ad  dieser  Stelle  näheres  Uber  diesen  Punkt. 
s)  a.  a.  0.  S.  26. 

»)  a.  a.  O.  S.  36. 

‘)  s.  o.  S.  15. 

6)  Waits,  Die  altdeutsche  Hufe.  S.  21. 


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38 


konnten  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  übrigen  weideberechtigten 
Sohlstätten  bleiben,  die  einen  Teil  einer  Hufe  bildeten  und  zu 
einer  Bauerschaft  gehörten.  Auch  diese  Sohlstätten  verbanden 
sich  enger  mit  dem  Weiderecht,  traten  mehr  insofern  hervor, 
als  sie  Mitglieder  der  Hudegenossenschaft  waren,  und  lösten 
sich  so  allmählich  von  dem  Hufenverbande  und  damit  von  der 
Bauerschaft  los.  Auf  diese  Weise  gingen  aus  je  einer  Ge- 
nossenschaft durch  Spaltung  zwei  neue  hervor:  1.  Die  Hude,1) 
die  sich  aus  den  weideberechtigteu  Wohnhäusern  zusammen- 
setzte,  und  2.  die  Bauersehaft,  die  von  der  Gesamtheit  der  zu 
den  Hufen  gehörigen  Ackerländern,  den  sog.  „Gütern  Land“2) 
gebildet  wurde.  Wie  an  den  Wohnstätten  ein  Huderecht,  so 
„klebte  an  einem  Gut  Land  ein  Bauerschaftsrecht“.')  Streng 
genommen  ist  die  Bauerschaft  die  alte  Markgenossenschaft,  die 
durch  die  Absonderung  der  Huden  einen  Teil  ihres  Herrschafts- 
bereiches verloren  hat.  An  die  Stelle  der  bis  jetzt  bestehenden 
sechs  Markgenossenschaften  sind  also  zwölf,  je  sechs  Huden 
und  Bauerschaften  getreten.  Bei  der  Teilung  der  Allmende 
fiel  der  Hude  naturgemäss  das  ausgesprochene  Weidegebiet  zu 

')  Hude,  auch  wohl  Hode  genannt,  kommt  von  hüten.  Eine  andere 
Art  von  Genossenschaften  mit  gleichem  Namen  findet  sich  bei  Maurer, 
Fronhöfe.  IV.  S.  3:  „M an  nannte  die  hörigen  Genossenschaften  aucli 
Hoden.  Das  Wort  Hode  kommt  von  hüten,  bewahren,  schützen.  Die  Hodun 
sind  demnach  wahre  , Schutzgenossenschaften  gewesen.*  Sollte  hier  ein 
Irrtum  vorliegen  ? 

*)  Dieser  Name  findet  sich  in  den  Bauerschaftsbüchern  für  das  Acker- 
land und  soll  im  folgenden  beibehalten  werden.  Gleiche  Erscheinungen, 
dass  die  Berechtigung  mit  dem  Ackerlande  verknüpft  ist,  finden  sich  bei 
Stüve,  Wesen  und  Veifassung  der  Landgemeinden.  8.  30.  31.  43.  Dass 
Ländereien  ohne  die  Wohnung  veräussert  werden,  darüber  vergl.  Maurer, 
Fronhöfe.  I.  8.  336. 

3)  Stockh.  B.  B.  14.  Januar  1836:  .ein  Holthäuser  Gut  Land,  woran 
ein  ständiges  volles  bauerschaftsrecht  klebt.*  Stockh.  B.  B.  18.  Januar  1836: 
ein  Stockheimer  Stiftsgut  .mit  allen  daran  klebenden  Rechton.*  1.  c. 
11.  Januar  1836:  Ein  Stockh.  Abdiughöfer  Gut:  .daran  klebt  eine  Erb- 
bauerschaft.* Volin.  B.  B.  36.  August  1731:  Ein  Hördisch  Lehngut  .mit 
der  anklebenden  4tcu  Teil  Bauergerechtigkeit“.  1.  c.  26.  August  1764: 
.weilen  dieser  fall  an  des  N.  teihl  vor  dies  mahl  anklebig.“  Ebenso 
31.  August  1766.  Andere  Ausdrücke:  Hüst.  B.  B.  29.  Juni  1706:  .eiu 
halb  hüster  westphälisch  freyen  Stuhls  guht,  davon  die  Bauerschaft  depen- 
diert.“  Hüst.  B.  B.  26.  Juni  1729:  „Zu  diesem  seinen  antbeill  gehörte 
eine  halbe  baurschaft.“ 


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39 


und  zwar  der  Heringhauser  Hude  des  Heringhauser  Bruch 
(ungef.  200  Morgen  gross),  der  Hlisteder  Hude  das  Hiisteder 
Bruch  (115  M),  der  Stälper  oder  Rennenkämper1)  Hude  das 
Rennenkämper  Bruch  (100  M.),  der  Stockheimer  Hude  das 
Stockheimer  Bruch  (225  M.)  und  der  Völineder  oder  Hellweger 
Hude  das  Mittel-Bruch  (43  M.),  Krückenbruch  (20  M.)  und 
sonst  noch  etwa  30  M.  Weidegrund.2)  Bei  dieser  Aufteilung 
wurden  von  Anfang  an  keine  scharfen  Grenzen  gezogen,  so  dass 
die  Grenzstreitigkeiten  zwischen  den  Huden  und  Bauerschaften 
bis  ins  19.  Jahrhundert  hinein  dauerten  und  z.  B.  erst  1838 
zwischen  der  Bauerschaft  und  Hude  zu  Volmede  durch  einen 
Graben  eine  „ewige  Grenze“  festgelegt  wurde.3)  Die  übrige 
Allmende,  besonders  der  Wald,  fiel  der  Bauerschaft  anheim. 
Auch  in  diesen  Wäldern  hatte  die  Hude  das  Weiderecht,  wie 
die  Hüsteder  Hude  im  Erlholze  (80  Morgen  gross),  das  der 
Hüsteder  Bauerschaft  gehörte,  die  Stälper  und  Völmeder  Hude 
im  Stälper  Holze  (274  M.),  die  Hölter  Hude  im  Geseker  Holz 
(2800  M.)  und  im  Schlagholz  (120  M.).3)  Da  das  eigentliche 
Weidegebiet,  die  sog.  Brüche,  mit  Bäumen  teilweise  bewachsen 
war,  so  machten  die  Bauerschaften  auch  hierauf  Anspruch. 
Dieser  Streit  wurde  schliesslich  dahin  geschlichtet,  dass  den 
Huden  der  Grund  und  Boden,  den  Bauerschaften  jedoch  die 
aufstehenden  Bäume  und  das  Bepflanzuugsrecht  gehörten.4) 
Ausserdem  hatten  die  Huden  das  Weiderecht  auf  der  gesamten 
übrigen  Allmende,  z.  B.  der  Hölterheide,  die  Vor-  und  Nach- 
hude auf  den  privaten  Wiesen  und  die  Stoppelhude  im  ganzen 
Bauerschaftsgebiete  nach  der  Ernte.5)  Den  Huden  fiel  also 

')  Nach  ihrer  Lage  am  Hellweg  hiess  die  Völmeder  Hude  die  Hell- 
weger und  die  Stälper  nach  ihrer  Lage  am  Kemicnkaiup  die  Kemieukämper  Hude. 

s)  Geseker  Huden.  S.  29  fä. 
a.  a.  O.  S.  30. 

*)  So  die  Geringer  und  Stockheimer  Bauerschaft  auf  dem  Heringer 
Bruche  (Ges.  Huden.  S 73),  dio  Völmeder  und  Stälper  Bauerschaft  auf 
dem  Renuenkämper  (1.  c.  S.  75)  und  Mittel-Bruch  (1.  c.  S.  76).  Das 
Gegenteil  behauptet  allgemein  Hagemann.  Landwirtschaftsrecht.  S.  243: 
„Wem  die  Bäume  xugebören  und  wer  mithin  das  Recht  hat,  sie  au  fällen, 
der  ist  für  den  Eigentümer  des  Grund  uud  Bodens  zu  halten,  worauf  sie 
stehen.“ 

6)  Geseker  Huden.  S.  29  ff. 


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40 

nur  ein  kleiner  Teil  der  Mark  zu,  der  grösste  blieb  den  Bauer- 
schaften  erhalten.  Auf  diesem  jeder  Genossenschaft  zustehenden 
Gebiete  übte  jede  die  ihr  zustehenden  Rechte  aus,  so  dass  die 
heutige  Feldmark  der  Stadt  Geseke  in  12  Genossenschafts- 
gebiete zerfiel.  Bei  der  überragenden  Bedeutung  der  Bauerschaften 
konnte  es  jedoch  nicht  ausbleiben,  dass  sie  sich  gelegentlich 
Uebergriffe  in  das  Hudegebiet  erlaubten  und  hier  Angelegenheiten 
zu  ordnen  suchten,  deren  Regelung  den  Huden  zustand.  So 
bestrafte  die  Völmeder  Bauerschaft  jemand,  weil  er  einen  neuen 
Graben  „von  der  gemein  heide  und  wallemey  gans  frisch  ab- 
gestochen“ hatte,  obwohl  dieser  Frevel  auf  Hudegebiet  be- 
gangen war  und  der  Schuldige  „auf  seine  kosten  die  hode 
zusamen  kommen  lassen“  wollte.1)  Auch  die  Schnadziige  um 
die  ganze  Mark-)  mit  Einschluss  des  Hudegebietes  hielt  nach 
dem  Zerfall  der  einheitlichen  Markgenossenschaft  die  Bauerschaft.3) 

So  haben  wir  in  diesen  Sondergemeinden  der  Stadt  Geseke, 
den  Huden  sowohl  wie  Bauerschaften,  wahre  Markgenossenschaften 
zu  sehen,  die  beide  auf  ihrem  gegen  früher  freilich  eingeschränkten 
Gebiete  alle  den  niederen  Verwaltungs-  und  Gerichtsorganisationen 
des  Mittelalters  zustehenden  Rechte  ausübten.  Für  die  Huden 
ist  der  Machweis  an  anderer  Stelle  schon  erbracht,  den  Bauer- 
schafton dient  diese  Untersuchung.  Von  vornherein  ist  die 
Ansicht  abzuweisen,  als  seien  in  den  beiden  Genossenschaften 

')  Volm.  B.  B.  28.  Juli  1734. 

2)  Maurer,  Einleitung  zur  Geschichte  usw.  S.  226.  Dorfverfassung. 
II.  S.  6 über  Schnadziige  und  Markumziige. 

3)  Hilst.  B.  B.  30.  Juni  1706.  Mehrere  Bauerglieder  haken  .sich  zu 
felde  begeben,  und  auf  dem  Huchte  unten  von  dem  grünen  Wege,  so  aul 
Krivete  Wieselten  schiesset  den  Weg  hinan,  biss  au  den  Küster  Mühlenweg, 
von  dannen  über  den  Bach,  bis  auf  Bürgermeister  Lips  Thohulte  abnewandt, 
strack  aus  über  das  Krückebrock,  nach  dem  düstern  Wege  bis  auf  .Stuken- 
berges Eiche  und  dem  Fluss  so  von  den  Recken  kouipt,  und  zwischen 
Faderborn  und  Ciillcn  die  Schnade  ist,  den  Graben  und  Eiche  hinab  bis  in 
die  Seltenaw,  die  Seltenaw  hinab  bis  an  die  Kuhebrücke,  von  danuen  ins 
süden  auf  die  KUttike  Kuhebrücke,  von  dannen  die  Esbecke  hinaun  bis  auf 
die  newe  Wiese,  dann  umb  die  kurze  Wende  bis  an  den  richte  padt,  von 
dannen  auf  den  grünen  Weg,  welchen  die  Herren  Erben  ziehen,  den  Weg 
hinaus  bis  an  den  grünen  Weg  bey  der  nonnen  Walckemiihlen  die  Wende 
hinann  bis  an  den  Weg  so  nach  der  HUster  Mühlen  gehet,  Uber  den  Wog 
bis  wieder  an  den  griineu  Weg  so  aus  der  Krewete  Wiese  lauft.*  S.  auch 
Maurer,  Städte  Verfassung.  II.  S.  171. 


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41 


städtische  Verwaltungsbezirke  zu  sehen.  Für  die  Bauerschaften 
ist  das  schon  deshalb  ausgeschlossen,  weil  die  Inhaber  der 
Güter  Land,  an  denen  die  Bauerschaftsrechte  klebten,  nicht  nur 
über  die  ganze  Stadt  zerstreut  waren,  sondern  auch  in  benach- 
barten Ortschaften  wohnten,1)  also  gar  keinen  geschlossenen 
Stadtbezirk  bildeten.  Für  die  Huden  geht  es  daraus  hervor, 
dass  es  in  der  Stadt  sechs  Huden  gab,  während  zu  Verwaltuugs- 
zwecken  Geseke  in  vier  Bezirke  geteilt  war.'2)  Die  oft  aufgestellte 
These,  die  Huden  und  Bauerschaften  seien  Verwaltungsbezirke 
der  Städte,  muss  demnach  aufgegeben  werden. 

Von  diesen  Bauerschaften  bedürfen  die  Stockheimer  und 
Heringhauser  noch  einer  besonderen  Besprechung.  Beide  ge- 
hörten ursprünglich  derselben  Markgenossenschaft  an.3)  Bei  der 
Teilung  der  Allmende  fiel  Heringhausen,  abgesehen  von  dem 
der  Hude  später  gehörenden  Gebiete,  nur  das  Erlholz  zu,  so 
dass  die  Mitglieder  nur  wenig  Brennholz  und  gar  kein  Bauholz 
erhielten.'4)  Auch  hatten  sie  sonst  keine  Einkünfte,  woraus  sie 
die  laufenden  Ausgaben,  besonders  für  die  jährliche  „Bauerzehr“ 
hätten  bestreiten  können.  Sie  schlossen  sich  deshalb  wieder 
an  Stockheim  an  und  bildeten  so  die  „uniirten  Bauerschaften“5) 
Stockheim  und  Heringhausen,  die  in  jeder  Beziehung  wie  eine 
einzige  Bauerschaft  handelten.  Als  aber  um  1680  die  Hering- 
häuser für  sich  je  zwei  Fuder  Holz  aus  dem  Erlholze  gehauen 
hatten,  ohne  die  Mitglieder  der  Stockheimer  Bauerschaft 
partizipieren  zu  lassen,  während  sie  an  den  Einkünften  der 
Stockheimer  in  gleichem  Masse  Anteil  hatten,  da  brach  Streit 
zwischen  den  beiden  Bauerschaften  aus.  Als  nun  die  Stockheimer 

')  So  sind  Hüsteder  Guter  unter  Bauern  aus  Verne,  Enkhausen,  Verlar, 
Holsen.  Winkhauseu,  Mönninghausen,  Bönninghausen,  Störmede,  Garfeln, 
Schwelle  verteilt.  Hiist.  B.  B.  an  verschiedenen  Stellen.  Ebenso  Stockh. 
B.  B.  16.  März  1825:  „Wenigstens  1 /3  der  Bauerglieder  «vobnen  nicht  nur 
ausser  der  Stadt,  sondern  auch  im  andern  Gerichtsbezirke.“ 

'-)  Seibertz,  Urk.  Buch.  II.  u.  765.  S.  473.  note  320.  anno  1350 
circa.  Hier  werden  4 Bezirke  genannt:  1.  Osthofen.  2.  Westhofen.  3.  Nort- 
hofen.  4.  Middelhofen.  Diese  Einteilung  bestand  noch  1828  in  Kraft. 
Stockh.  B.  B.  15.  März  1828. 

»)  S.  o.  S.  17. 

4)  Hierüber  ein  ausführliches  Protokoll  Stockh.  B.  B.  8.  Juni  1681. 
Die  folg.  Erörterungen  sind  demselben  Protokoll  entnommen. 

5)  Stockh.  B.  B.  24.  August  1723. 


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42 


„zwey  aus  ihren  consorten  zu  den  heringhausern  abgeordnet, 
selbige  zu  befragen,  ob  gedachten,  ihnen  und  einem  jeden  erben 
so  vill  holtz  anzuweisen,  sonsten  konten  sie  absonderlich  einen 
Holzgrafen  und  Knecht  erwehlen,  . . . und  als  ihre  abgcordneten 
zu  zwey  mahl  abgeschickten  referirt,  dass  solches  nicht  thun 
wollten  undt  also  von  einander  gangen,“  da  trennten  sich  beide 
Bauerschaften  und  lebten  eine  Zeit  lang  geschieden.  Nach  wenigen 
Jahren  einigten  sie  sich  jedoch  wieder.  Am  24.  August  1685 
sind  die  Heringhäuser  zwecks  Einigung  mit  Stockheini  „sämbtlich 
comparirt  undt  den  zu  aufhebung  dieses  Streits  aufgerichteten 
Rezess  approbirt  undt  denselben  zu  unterschreiben  angelobt, 
womit  dau  diselben  widerumb  acceptirt,  undt  nach  aufgenohmenen 
Gericht  sämbtlich  mit  übrigen  baurglidern  bei  zeitlichen  Vor- 
mündern eingekehrct  undt  lustig  gemachet.“1 *)  Seitdem  sind  sie 
vereinigt  geblieben,  so  dass  es  den  Anschein  hat,  als  wären  sie 
von  Anfang  an  eine  Bauerschaft  gewesen-) 

Zum  Schlüsse  dieses  Kapitels  Uber  die  Entstehung  der 
Huden  und  Bauerschaften  sollen  die  iu  andern  Städten  sich 
findenden  Sondergenieinden  aufgezählt  und  die  Ansichten  über 
ihren  Ursprung  und  Zweck  besprochen  werden.  Ganz  allgemein 
werden  Sondergemeinden  in  Gent,3)  Worms3)  und  Strassburg3) 
erwähnt,  ferner  in  Schlettstadt4)  und  Colmar.4)  Hie  Stadt 
Aachen  ist  in  mehrere  Bezirke,  Grafschaften  genannt,  geteilt, 
die  nach  den  Toren  benannt  werden:  Cölnerportze,  Sent  Aylbretz- 
portze,  Portschierportze,  Scharportze,  Sent  Jakobsportze,  Künynx- 
portze,  Puntportze,  Nuweportze.5)  In  Minden  gibt  es  drei 
Huden,  die  Fischerstädter,  Simeonstorsche  und  Kuhtorsche, 
später  Konigstorsche  Hude,6)  in  Hameln  fünf  Huden,  die  Neu- 
torsche,  Westtorsche,  Osttorsche,  Mühlentorsehe  und  Brücken- 


l)  a.  a.  O.  24.  August  1685. 

з)  Dass  auch  in  den  Bauerschaften  dieselbe  Anschauung  über  ihren 
Ursprung  herrschte,  geht  aus  zwei  Bemerkungen  im  Stälper  Bauerschafts- 
buche hervor.  Vcrgl.  Anlage  I. 

*)  Hiillmatin,  Städtewesen  des  Mittelalters.  II.  S.  419. 

*)  Fritz,  Deutsche  Stadtanlagen.  S.  10. 

5)  Lörsch,  Achener  Hechtsdenktnäier.  S.  188. 

и)  Schröder,  Die  älteste  Verfassung  der  Stadt  Minden.  S.  8. 
Philippi,  Zur  Vcrfassuugsgeschichte  der  westfälischen  Bischofssiädte  S.  52. 


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43 


torscbe  Hude,1)  in  Paderborn  fünf  Bauersehaften,  die  Kämper, 
Westersträsser,  Königssträsser,  Maspern  und  Gierssträsser  Bauer- 
scliaft,2)  in  Dortmund  drei  Bauersehaften,  die  Westerbauerschaft, 
Osterbauerschaft  und  Burgbauerschaft,3)  ebenso  in  Brackei  bei 
Dortmund,4)  in  Brilou  vier  Bauersehaften,  deren  Vorsteher 
„Burskopshereu“  genannt  wurden,3)  in  Rüthen  ebenfalls  vier,8) 
in  Werl  drei  Bauersehaften.7)  Sondergemeinden  ähnlicher  Art 
begegnen  in  Mühlhausen,  in  dem  ein  Dorf  der  Umgegend  auf- 
gegangen ist  und  wo  noch  später  unter  oiner  Linde  das 
Flurgericht  abgehalten  wird,8)  ebenso  halten  in  der  Nähe  von 
Buttstädt  die  Nachkommen  von  drei  untergegangenen  Dörfern 
jährlich  ein  Feldgericht;®)  ähnliches  findet  sich  in  Wesel10)  und 
Wernigerode.11)  In  Zierenberg  „bilden  die  Grundbesitzer  der 
an  die  Stadt  tibergegangenen  Fluren  der  verwüsteten  Dörfer 
Norbach  und  Leutwardessen  noch  bis  heute  besondere  Genossen- 
schaften, welche  sich  auch  jetzt  noch  in  dem  Sondergenusse 
der  Gemeindegüter  ihrer  ehemaligen  Dörfer  finden.“12) 

>)  Meinardus,  Einleitung  zum  Urkundeubuch  des  .Stifte«  und  der 
Stadt  Hauitdu.  S XXXXI  Varges,  Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadt- 
vertässung.  Jahrbücher  Tür  Nationalökonomie.  Bd.  63.  S.  SOS.  Hegel, 
Vergrüsserung  und  Sondergeineinden  der  deutschen  .Stadt®,  S.  10. 

,J)  HUbiuger,  Die  Verfassung  der  Stadt  Paderborn  im  Mittelalter. 
S.  31.  Pbilippi.  a.  a.  O.  S.  52.  Hegel,  a.  a.  0.  8.  10. 

3)  Fransdorff,  Dortmunder  Statuten  und  Urteile.  Einleitung  S.  II. 
Riibel,  Die  Dortmunder  Keicbsleute.  S.  77.  Soft.  Hegul,  a.  a.  O.  12. 
Hegel,  Die  Entstehung  des  deutschen  Städtewesens.  S.  143.  Varges, 
a.  a.  O.  S.  810. 

4)  Kübel,  a.  a.  O.  S.  79. 

6)  Seibertz,  Landes-  und  Reclitsguscbiclite.  I.  8.  166.  n.  14.  Die 
Bemerkung  an  derselben  .Stelle,  in  Geseke  hätten  sieb  drei  Bauersehaften 
befunden,  muss  nach  den  vorhergehenden  Erörterungen  berichtigt  werden, 
a.  a.  O.  III.  S.  425.  n.  77. 

®)  Seibertz,  a.  a.  O.  III.  S.  426.  n.  77. 

7)  a.  a.  0.  Seibertz  behauptet  a.  a.  O.  I.  S.  166,  dass  „die  Bauer- 
schaften  fast  in  allen  westfälischen  Städten  von  einiger  Bedeutung  bis  in 
die  neuesten  Zeiten  sich  erhalten  haben“,  ohne  freilich  Belege  anzuführen. 

*)  Rietschel,  Markt  und  Stadt.  S.  94. 

°)  Maurer,  Einleitung  zur  Geschichte  usw.  S.  174. 

I0)  Reinbold,  Verfassungs-Geschichte  Wesels.  S.  9. 

n)  Varges,  Zur  Verfassungsgeschichte  der  Stadt  Wernigerode.  Zeit- 
schrift für  Kulturgeschichte.  III  S.  174.  In  diesen  beiden  Städten  findet 
sich  nur  eine  Soudergemeinde. 

12)  Landau,  Wüste  Ortschaften.  S.  384. 


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44 


Bauerschaften  werden  wieder  in  Braunschweig  erwähnt,') 
in  Soest  sechs  als  Hoven  bezeichnete  Sondergemeinden,2)  in 
Osnabrück  heissen  sie  Laischaften,  und  zwar  die  Hegerlaischaft, 
Martinianer  Laischaft,  Haselaischaft , Natrupper  Laischaft, 
Herrenteichslaischaft,1)  ebenso  in  Münster  sechs  Laischaften.4) 
Bauerschaften  finden  sich  in  Cöln,:>)  Hildesheim  ;8)  in  Halbenstadt 
heissen  sie  „neyberschaft“*)  und  in  Coesfeld  „Kluchten“.6)  Auch 
in  Lünen  habe  ich  diese  Sondergemeinden  durch  mündliche  Er- 
kundigungen festgestellt,  ohne  indessen  näheren  Aufschluss  über 
sie  erhalten  zu  können.  Diese  Aufzählung  kann  durchaus 
keinen  Anspruch  auf  Vollständigkeit  machen,  denn  nur  von 
wenigen  Städten  sind  die  Sondergemeinden  bekannt  geworden, 
und  selbst  von  den  in  der  Literatur  erwähnten  sind  manche 
nicht  zu  meiner  Kenntnis  gelangt,  so  dass  wir  uns  die  Ver- 
breitung dieser  Sondorgemeinden  viel  weiter  zu  denken  haben. 

lieber  den  Ursprung  und  die  Bedeutung  dieser  Sonder- 
gemeinden finden  sich  meist  nur  kurze,  oft  nicht  ganz  klare  und 
auch  falsche  Bemerkungen.  Maurer  sagt  von  den  Bauerschaften 
nur,  dass  sie  „in  das  Bürgerrecht  aufgenommen  wurden,  ihnen 
jedoch  die  Besorgung  ihrer  Markangelegenheiten  überlassen 
wurde.“7)  Schröder  sieht  in  diesen  „Sondergenieinden  innerhalb 


■)  Varges.  Die  Entstehung  der  Stadt  Braunschweig.  Zeitschrift  des 
Harzvereins.  Jahrg.  26.  8.  ISO.  Die  Entwicklung  der  Autonomie  der  Stadt 
Braunschweig.  a.  a.  O.  S.  303.  IKSgel,  Sondergemeinden.  S.  14. 

а)  Varges,  Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung,  a.  a.  O. 
Diese  Sondergemeiuden  heissen  auch  „Thjr“  und  „Tjgge“.  In  Geseke  liudet 
sich  dieser  Ausdruck  nicht,  wie  Sei  her  tu,  Landes-  und  Hechtsgeschichte. 
I.  S.  SIS  behauptet.  Hegel.  Soudergetneinden.  S.  II.  Entstehung  des 
deutschen  Städtewesens.  S.  143. 

3)  Stiive,  Topographische  Bemerkungen  Uber  die  Feldmark  der  Stadt 
OsnabrUck  und  die  Entwicklung  der  Laischaftsverfassung.  S.  63.  Diese 
laischaften  sind  Weidegenossenschaften,  deren  Weiderecht  ebenfalls  an  den 
Wohnstätten  klebt,  a.  a.  0.  S.  60.  l’hilippi,  Verfassungsgeschichte  der 
westfälischen  Bischnfsstädte.  S.  62  Hegel,  Sondergemeiuden.  S.  9. 
Varges,  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung,  a.  a.  O. 

4)  Varges,  a.  a.  0.  1’ hilippi,  a.  a.  0.  S.  53.  Hegel,  Sonder- 

gemeinden. S.  8.  Entstehung  des  deutschen  Städtewesens.  S.  143. 

б)  Hüllmann,  Deutsches  Städtewesen.  II.  S.  419.  Varges,  a.  a.  O. 
Liesegang,  Die  Soudergemeiuden  Cölns.  Wrede,  Die  Collier  Bauerbänke. 

6)  V arges,  a.  a.  O. 

7)  Maurer,  Städteverfassung.  11.  S.  142. 


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der  Städte  einzelne  nach  und  nach  in  das  Weichbild  der  Stadt 
aufgenommene  Landgemeinden,  die  zum  Teil  noch  lange  nach 
der  Ausbildung  der  städtischen  Gesamtgemeinde  in  einer  gewissen 
Selbständigkeit  fortgedauert  haben.“1)  Gengier  spricht  davon, 
dass  „die  mit  ihrer  Feldmark  das  städtische  Gebiet  berührenden 
Dörfer  sich  allmählich  in  Vorstädte  verwandelten.“2)  Von  den 
Bauerschaften  hat  er  keine  klare  Vorstellung.3)  „Die  Höfer- 
schaften  dagegen,  in  der  Sprache  der  Rechtsdenkmäler  „hoven“ 
geheissen,  waren  bäuerliche  Genossenschaften,  welche  sich  aus 
den  Insassen  eines  oder  einer  Mehrheit  herrschaftlich  oder 
örtlich  zusammengehöriger  Höfe,  curtes,  gebildet  haben.  In- 
sofern nun  solche  Höfe  oder  Hofverbände  bei  der  ersten  Anlage 
einer  Stadt  in  Mitleidenschaft  gezogen  wurden,  sei  es  dass  sie 
die  Grundfläche  für  den  neueu  Häuseranbau  gewährten,  sei  es 
dass  sie  als  äussere  Erweiterung  zu  der  bereits  gegründeten 
städtischen  Niederlassung  hinzukamen,  vermochte  sich  das  Ge- 
dächtnis jener  originären  Vereinigung  in  der  Bezeichnung  der 
einzelnen  betreffenden  Stadtteile  als  hoven  lebendig  zu  erhalten.“4) 
Nach  Seibertz  waren  die  Städte  des  Herzogtums  Westfalen  Je 
nach  ihrem  Umfange  in  mehrere  Bauerschaften  geteilt,  die  unter 
dem  Vorsitze  eines  Bauerrichters  an  den  dazu  bestimmten 
Gerichtsplätzen  teils  ihre  gemeinschaftlichen  Angelegenheiten 
ordneten,  teils  kleinere  Sachen  entscheiden  Hessen.“5)  Die  Ent- 
stehung der  Bauerschaften  denkt  er  sich  folgendermassen : 
„Sollte  der  Grundsatz  gewahrt  werden,  dass  alle  Hausstellen 
gleichberechtigt  seien,  so  mussten  die  gemeinschaftlich  auszu- 
Ubenden  Berechtigungen  in  Hude  und  Holz  in  eine  gemeinsame 

*)  Schröder,  Deutsche  Hechtsgeschichte.  4.  Aufl.  S.  ß41.  S.  auch 
die  Note  85  und  die  dort  genannte  Literatur.  lieber  Sondergemeinden  im 
hesondern  vergl.  iiegel,  Vergrösserung  und  Sondergemeinden  der  deutschen 
Städte  im  Mittelalter.  Liebe,  Die  kommunale  Bedeutung  der  Kirchspiele 
in  den  deutschen  Städten.  Lamprecht,  Der  Ursprung  des  Bürgertums. 
S.  411. 

*)  Öen  gier,  Deutsche  Stadtrechtsaltertümer.  S.  74. 

3)  a.  a.  O.  S.  55  ff. 

4)  a.  a.  O.  S 60.  Als  Beispiel  führt  er  anch  Geseke  an.  Wie  falsch 
diese  Auffassung  der  Hofen  wenigstens  bei  Geseke  ist,  ist  schon  gezeigt. 
S.  o.  S.  40. 

6)  Seibertz,  Landes-  und  Recbtsgescbichte.  III.  S.  888.  Aehulich 
a.  a.  O.  S.  425.  Anm.  76. 


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40 


Masse  geworfen  und  die  Stadtbewohner  nach  Strassen  in  besondere 
Nachbarschaften,  Bur-  oder  Bauerscliaften  geteilt  werden,  um 
nach  diesen  Abteilungen  an  den  gemeinschaftlichen  Nutzungen 
teilnehmen  zu  können.“1)  Der  Ursprung  der  Huden  in  Hameln, 
die  durchaus  den  Geseker  Huden  ähneln,2)  ist  nach  Meinardus 
folgender:  „Die  Interessenten  (der  Huden)  sind  die  sog.  Erben 

der  Stadt  und  jener  Ortschaften.  Diese  Erben  waren  nun  in 
der  Tat  die  alten  Markgenossen,  die  Erefexen,  wie  sie  heissen, 
weil  sie  das  erbliche  Recht  hatten,  in  ihrer  Allmende  das  Holz 

mit  der  Axt  zu  fällen  und  ihr  Vieh  grasen  zu  lassen 

Dio  Dörfer,  deren  Erben  mit  den  Stadterben  im  14.  Jahr- 
hundert gemeine  Mast  und  Weide  hatten,  sind  mit  der  Zeit 
verschwunden,  ihre  Bewohner  zogen  in  die  Stadt  und  bildeten 
dann  die  Huden.“3)  Die  Laischaften  zu  Osnabrück  sind  nach 
Stüve4)  auf  folgende  Weise  entstanden:  Die  Osnabrücker  Feld- 
mark war  ursprünglich  Eigentum  der  ganzen  Stadt,  so  dass  alle 
Bürger  die  gesamte  Allmende  benutzten.  Der  Natur  der  Sache 
nach  benutzte  jedoch  jeder  den  Teil  der  Gemeinweide,  der  dem 
von  ihm  bewohnten  Stadtbezirk  bezw.  dem  betreffenden  Tore 
zunächst  lag.  Gleichwohl  trat  zunächst  keine  Teilung  der 
Allmende  unter  die  einzelnen  Stadtviertel  ein.  Wann  und  wie 
diese  erfolgte,  d.  h.  die  einzelnen  Laischaften  entstanden, 
entzieht  sich  unserer  Kenntnis.  Die  Laischaften  sind  also 
Weidegenossenschaften,  die  je  einen  Teil  der  Stadt  einnehmen 
und  ebenso  einen  ihnen  aus  der  gesamten  Feldmark  aus- 
geschiedenen Allmendeteil  gemeinsam  zur  Weide  benutzen. 
Aehnlich  denkt  sich  Hübinger  die  Entstehung  der  Bauerscliaften 
in  Paderborn.3)  Auch  hier  war  ursprünglich  die  gesamte 

■)  a.  a.  O.  S.  427. 

4)  Meinardus,  l'rkundenbucli  de«  Stiftes  und  der  Stadt  Hameln. 
S.  XXXXI.  Varges,  Zur  Entstehung  der  deutschen  .Stadtverfassung. 
Jahrbücher  für  Nationalökonomie.  Bd.  03.  S.  808.  Die  B «Unten  Dürfor, 
aus  dunen  diese  Huden  hervorgegangen  sind,  Messen:  Wedele  Vorste  vor 
dem  Neuen  Tore,  Honrodern  vor  dem  Westtore,  Harthom  vor  dem  Mühleu- 
tore,  Klcin-Afferde  vor  dem  Ostertore,  Wenge  vor  dem  Brückentore. 

*)  Meinardus,  a.  a.  ().  S.  XXXXU1. 

*)  Stiive,  Topographische  Bemerkungen  über  die  Feldmark  der  Stadt 
Osnabrück  und  dio  Entwicklung  der  IjaiHchaftsverfnssung.  S.  08  ff. 

5)  Hübinger,  Die  Verfassung  der  Stadt  Paderborn  im  Mittelalter. 
S 37.  43. 


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47 


Allmende  Eigentum  der  Stadt.  Nach  Anwachsen  der  Be- 
völkerung triebon  die  Bürger  das  Vieh  aus  dem  Tore  und  auf 
die  Weideplätze,  die  ihnen  zunächst  lagen.  Diese  Verhältnisse 
consolidierten  sich  mit  der  Zeit,  so  dass  die  Bauerschaften  „die 
allmähliche  Bildung  als  Stadtviertel“  sind.  Nach  Hübinger  sind 
die  Bauerschaften  und  Hudogenossenschaften  in  Paderborn 
identisch  und  ebenso  „sind  die  politischen  Verbände  auch  die 
wirtschaftlichen.“  Anders  erklärt  Philippi  den  Ursprung  der 
Sondergemeinden  in  diesen  beiden  Städten  und  in  Münster.1) 
Er  sucht  die  Entstehung  von  Paderborn,  Osnabrück  und  Münster 
aus  mehreren  aus  Bauerschaften  erwachsenen  Sondergemeinden 
darzutun,  die  in  Paderborn  auch  den  Namen  Bauerschaften,  in 
Münster  und  Osnabrück  den  gleichbedeutenden  „Laischaften“ 
führen.  Schaube  dagegen  behauptet,  es  „habe  zuerst  eine  von 
diesen  Sondergemeinden  die  mit  dem  Markte  ausgestattete, 
städtische  Organisation  erlangt  und  dann  die  andern  in  sich 
aufgenommen.“2)  Die  Aachener  Grafschaften  sind  nach  Hegel 
städtische  Verwaltungsbezirke,  keine  Sondergemeinden, :|)  und  der 
Zweck  der  Sondergemoinden  in  Gent,  Köln,  Worms  und  Strass- 
burg war  nach  HOllmann  die  Erleichterung  der  Verwaltung  der 
Städte.4)  Der  Charakter  der  Kölner  Bauerschaften  ist  noch 
nicht  festgestellt.  „Die  Forscher  sind  im  Zweifel,  ob  wir  es 
mit  Sondergemeinden,  also  früheren  Landgemeinden,  oder  Re- 
gierungskörpern zu  tun  haben.“5)  Allgemeine  Erörterungen 
über  Sondergemeinden  finden  sich  am  ausführlichsten  bei  Varges 
in  seinen  Aufsätzen  über  die  Entstehung  der  deutschen  Stadt- 
verfassung. „Oft  ist  die  Stadtgemeinde  durch  Synoikismus  d.  h. 
durch  V ereinigung  mehrerer  Ortsgemeinden  oder  durch  Zusammen- 
legen von  Teilen  verschiedener  Dorfgemeinden  entstanden. 
Ursprünglich  bildete  jede  dieser  Ortsgemeinden  auch  innerhalb 
des  Mauerringes  eine  selbständige  Gemeinde  mit  eigener  dörflicher 

« 

')  Philippi,  Zur  Verfassungsgeschichte  der  westfälischen  Bischofs- 
städte. Vergl.  dazu  die  Rezension  von  Schaube  in  den  Göttinger  Ge- 
lehrten Anzeigen.  Jalirg.  1894.  Bd  LT.  8.  5 66. 

*)  a.  a.  0.  8.  655.  Ueber  die  gleichen  Verhältnisse  in  Geseke,  wo 
jedoch  schon  eine  Harktgemeinde  existierte,  s.  o.  S.  33. 

s)  Hegel,  Sondergemoinden.  8.  8. 

•)  Hiillmann,  Städtewesen  des  Mittelalters.  II.  8.  4i9. 

6)  Varges,  a.  a.  0.  S.  810.  8.  auch  die  Literatur  o.  8.  44.  n.  6. 


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48 


Verwaltung  und  eigener  Allmende.“  „Diese  Sondergemeinden 
blieben  zuweilen  lange  mit  den  Dorfgemeinden,  aus  denen  sie 
gekommen  waren,  in  Zusammenhang,  weil  sie  und  die  Dorf- 
gemeinde Anrecht  auf  das  Gemeindeland  hatten.“  Diese  Sonder- 
gemeinden  heissen  in  manchen  Städten  Bauerschaften.  „Doch 
wird  das  Wort  burskap  auch  vielfach  in  verschiedenen  Städten 
zur  Bezeichnung  künstlich  geschaffener  Verwaltungsdistrikte 
gebraucht.  Man  entlehnte  einfach  den  Namen  von  den  eigent- 
lichen Sondergemeinden.“  „Die  Sondergemeinden  sind  auf  ver- 
schiedene Weise  entstanden.  In  den  meisten  Fällen,  und  zwar 
handelt  es  sich  meist  um  sehr  alte  Städte,  scheint  es  vorgekommen 
zu  sein,  dass  schon  bei  Entstehung  einer  Stadt,  d.  h.  bei  Um- 
mauerung eines  Ortes  und  Errichtung  einer  Festung,  mehrere 
Gemeinden  zusammengelegt  wurden,  wahrscheinlich  um  der 
Festung  eine  grössere  Zahl  Verteidiger  zu  schaffen.  Wir  wissen, 
dass  man  in  ähnlicher  Weise  in  Ungarn  mehrere  Dörfer  ver- 
einigte, um  so  widerstandsfähige  Dörfer  gegen  die  Türken  zu 
schaffen.“  „Weit  häufiger  handelt  es  sich  bei  den  Sondergemeinden 
um  eine  nachträgliche  Einverleibung  in  eine  schon  fertige  Stadt.“ 
Viele  Dörfer,  die  um  eine  Festung  lagen  und  sich  in  Kriegsnot 
hinter  die  Mauern  zu  flüchten  pflegten,  haben  „ihre  alten  Wohn- 
sitze ganz  aufgegeben  und  sich  unter  Beibehaltung  ihrer  Sonder- 
gemeindeverfassung innerhalb  der  Mauern  niedergelassen.“1) 
Einer  Kritik  der  hier  angeführten  Theorien  enthalten  wir 
uns,  weil  dazu  eine  genaue  Kenntnis  aller  Einzelfälle  erforderlich 
wäre  und  sie  für  viele  schon  durch  die  Darlegung  des  Ursprungs 
der  Geseker  Huden  und  Bauerschaften  gegeben  ist.  Besonders 
die  Sondergemeinden  in  den  westniederdeutschen  Städten  werden 
sich  wohl  anf  gleiche  Weise  wie  die  der  Stadt  Geseke  erklären 
lassen. 


Die  Mitglieder  der  Bauerschaften 

Nachdem  so  gezeigt  wurde,  wie  die  ursprünglich  einheitliche 
Markgenossenschaft  sich  in  Hude  und  Bauerschaft  spaltete,  und 
die  Huden  schon  an  anderer  Stelle  behandelt  sind,  ist  es  nun- 
mehr unsere  Aufgabe,  das  Wesen  der  Bauerschaften  klar  zu 

*)  Varges,  s.  a.  0.  Bd.  63  8.  808 ff. 


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49 


legen.  Die  Bauerschaften  wurden  von  einer  verschieden  grossen 
Anzahl  „Güter  Land"  gebildet,  die  durch  den  Zerfall  der 
Hufenverfassung  nach  Ausscheiden  des  Wohnhauses  entstanden 
waren.1)  Diese  Güter  wurden  von  vielen  in  der  ganzen  Dorf- 
mark zerstreut  liegenden  Parzellen  gebildet.2)  Die  Grösse 
eines  solchen  Gutes  wird  einmal  auf  40  Morgen,3)  ein  andermal 
auf  32  Morgen  3 l/a  Ruthen  augegeben,  wobei  jedoch  zu  bemerken 
ist,  dass  der  Besitzer  des  letzten  Gutes  selbst  erklärt,  er  „habe 
aus  diesem  Gute  mehrere  Stücke  mit  Ausschluss  des  Bauerrechts 
verkauft,“4)  so  dass  sich  hier  etwa  40  Morgen  ergeben  würden. 

Die  Siedelungen  der  Geseker  Feldmark  gehörten  zu  den 
sog.  „gemischten  Dorfsehaften“,  die  von  freien  Erbherren  und 
hörigen  Bauern  gebildet  wurden.5)  Von  den  18  Heringhäuser 
Gütern  war  1 ein  Erbgut,6)  von  den  29  Stockheimer  Gütern 
6 Erbgüter,  von  den  6 Wietheimer  Gütern  3 Erbgüter,7)  von 
den  46  Volmeder  Gütern  7 Erbgüter,6)  von  den  28  Hölter 
Gütern  9 Erbgüter,9)  von  den  42  Stälper  Gütern  9 Erbgüter.9) 
Die  Inhaber  dieser  Güter  hiessen  die  „Herren  Erben“,10)  auch 
die  „privilegyrten  Herren  Erben“,11)  und  die  daran  klebende 
Bauerschaft  war  eine  „Erbbauerschaft“.12)  Der  grösste  Teil 


>)  s.  o.  8.  37  ff. 

а)  S.  o.  S.  5.  Anm.  1. 

s)  Volm.  B.  B.  25.  August  1714. 

4)  Stöckli.  B.  B.  14.  Januar  1836.  Nach  einer  Notiz  im  Volm.  Mast- 
bucbe.  S.  33:  .N.  1 halt  das  halbe  Out  ad  12  Morgen.  N.  2 hatt  von 
der  andern  halbscheidt  ad  6 Morgen  gekauft“  betrüge  dieses  Out  nur 
24  Morgen,  ln  der  Literatur  wird  die  Hufengrösse  gewöhnlich  auf 
30  Morgen  geschützt,  z.  B.  Waitz,  Die  altdeutsche  Hufe.  8.  31.  Landau, 
Die  Territorien  in  Bezug  auf  ihre  Bildung  und  Entwicklung.  S.  36. 

б ) Maurer,  Dorfrerfassung.  I.  S.  95.  Fronhilfe.  III.  8.  97.  Haussen, 
Agrarhistorische  Abhandlungen.  II.  8.  87. 

*)  Stöckli.  B.  B.  24.  August  1723. 

7)  Nach  einem  Verzeichnis  der  Stockh.,  Wietb.  usw.  Güter. 

8)  Volm.  Maat-Buch  aus  dem  Jahre  1684. 

9)  Nach  Verzeichnissen  aus  dem  Jahre  1811. 

10)  So  unzühlich  in  allen  BauerachaftsbUihern.  Ueber  das  Wort  vergl. 
Grimms  Wörterbuch.  III.  8.  711  s.  v.  Erbe.  Löw,  Markgenossenschaften. 
8.  71.  Bremisches  Wörterbuch.  I.  8.  327.  (Nach  Löw,  a.  a.  O.  S.  72. 
Anm.)  Philippi,  Westfäl.  Bischofsstüdte.  8.  43. 

»)  Höst.  B.  B.  25.  Juni  1746, 

'*)  Stockh.  B.  B.  24.  August  1712. 

Lappe,  Die  Geseker  Bauerscbaften  4 


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60 


der  Bauerschaftsgütor  war  jedoch  von  einem  Grundherrn  ab- 
hängig. Zur  Erläuterung  seien  die  Volmeder  Güter  angeführt.1) 
Davon  waren  ausser  den  erwähnten  7 Erbgütern  1 Lehngut 
der  Abdissin  zu  Geseke,  1 Lehngut  der  Herren  von  Hörde, 
1 „Westphelinger“  Lehngut,  6 „Westphelinger  Stuhlgüter“, 
10  Meiergüter  des  Stiftes  zu  Geseke,  2 „Heilige  Drey  Königs 
Güter  ad  S.  Petrum“,  1 „Gnth  zu  St.  Annen  Altar  ad 
St.  Cyriacum“,  2 „8.  Michaelis  Guither  ad  S.  Petrum“,  3 Güter 
des  Klosters  Böddeken,  4 Güter  des  Klosters  zu  Holthausen 
bei  Büren,2)  6 Güter  der  Herren  von  Thülen,  1 „Vicarienguith 
im  Thumb  zu  Paderborn“,  1 Gut  des  Klosters  Bredelar,  das 
später  durch  Auswechselung  dem  Dechanten  zu  Soest  gehörte. 
Einen  gleichen  Charakter  tragen  die  Güter  der  übrigen  Bauer- 
schaften,  soweit  sie  in  den  Bauerschaftsbüchern  genannt  werden. 
Die  Inhaber  dieser  Güter  heissen  „Bauern“  oder  „Heuerlinge“,3) 
die  Besitzer  dagegen  waren  die  „Erbherren“,4)  „gnädigen  Erb- 
herren“,5) „Domini  Directi“.6)  Von  diesen  abhängigen  Gütern 
waren  wieder  die  einen  erblich,  die  andern  auf  Lebenszeit  und 
wieder  andere  auf  eine  bestimmte  Pachtzeit  ausgetan.  Für  die 
Bauerschaftsverfassung  war  jedoch  der  Charakter  der  Güter  von 
keinem  Belang,  alle  hatten  die  gleichen  Rechte  und  Pflichten.7) 
Der  Besitz  eines  solchen  Gutes,  gleichviel  welcher  Art  es  war, 
verlieh  die  Mitgliedschaft.  So  folgte  der  Erbe  eines  Bauerschafts- 
gutes unmittelbar  seinem  Erblasser.  Andere  erwarben  die 


»)  8.  49  Anm.  8. 

i)  Ein  Ciaterzienser-Kloater  für  Frauen.  Vergl.  Steinen,  Westfälische 
Geschichte.  St.  12.  S.  516.  Abs.  3. 

*)  B.  B.  passim.  Vergl.  auch  Manrer,  Frouhöfe.  IV.  8.  18. 

4)  Volm.  Mast -Buch.  Einl  „ob  sie  gewin  guiter  seindt  unt  wer 
Erbberr  darzu  ist.* 

s)  Stöckli.  B.  B.  26.  Mai  1706.  Jemand  .provocirte  an  die  Gnädigen 
Erbherren  als  ein  hochw.  Thumb  Capitel  za  Paderborn“. 

*)  Volm.  Mast -Buch.  8.  28:  „nnnc  N.  Bawer  worden,  weilen  der 
Dominns  Directns  diese  Länder  dem  N.  auf  einige  brackzeitb  bat  nnter- 
gethan.“ 

T)  In  den  BauerscbaftsbHchern  ist  von  einem  Unterschiede  der  zuge- 
hörigen Güter  hinsichtlich  der  Rechte  und  Pflichten  nichts  zu  bemerken. 
Ueber  einen  Fall  s.  den  Abschnitt:  Die  Beamten  der  Bauerschaften.  Vergl. 
Löw,  Markgenossenschaften.  8.  28.  89.  90.  Maurer,  Dorfverfassung.  I. 
8.  126.  Haussen,  Agrarhistorische  Abhandlungen.  II.  8.  87. 


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61 


Mitgliedschaft  durch  den  Kauf  eines  Gutes.1)  Der  Ehemann, 
dem  die  Frau  ein  Bauerschaftsgut  mitbrachte,  wurde  durch  die 
Heirat  Mitglied,2)  ebenso  der  „nachfolger  in  matermonio“3)  oder 
der  „successor  in  thoro“.4)  Von  den  abhängigen,  besonders 
den  Zeitpachtgütern  wurde  der  Mitglied,  der  durch  „einen 
Meyer  brieff“5)  damit  „investiert“  war.6) 

Wenn  eine  Bauerschaftsstelle  durch  den  Tod  des  bisherigen 
Inhabers  oder  sonstwie  frei  geworden  ist,  so  wird  der  zur  Nach- 
folge Berechtigte  durch  den  Vorstand  aufgefordert,  sich  zur 
Aufnahme  in  die  Bauerschaft  zu  melden.7)  Der  Bewerber 
muss  zunächst  beweisen,  dass  ihm  das  betreffende  Gut  gehört. 
So  tritt  ein  Vater  vor  versammelter  Bauerschaft  ein  Gut  Land 
mit  zugehöriger  Bauerschaft  seinem  Sohne  ab.8)  Der  Käufer 
muss  den  Kaufbrief  vorzeigen, ^ andere  legen  die  Originalrolle 
eines  Gutes  vor,10)  wodurch  sie  sich  als  Inhaber  legitimieren; 
statt  beider  genügt  eine  gerichtliche  Beglaubigung,  dass  der 
Bewerber  Inhaber  des  Gutes  ist,  auf  Grund  dessen  er  die 
Bauerschaft  prätendiert.11)  Die  Inhaber  von  Meiergütern 


>)  Stockb.  B.  B.  84.  Aug.  1693.  24.  Aug.  1710.  Uüst.  B.  B.  6.  Dez.  1717. 
Volm.  Mast-Buch.  S.  44. 

а)  St.  B.  B.  3.  Juli  1828.  Volm.  Mast-Buch.  S.  47. 

3)  Volm.  Mast-Buch.  S.  33.  B.  30.  August  1744. 

4)  a.  a.  O.  S.  52. 

б)  Stöckli.  B.  B.  26.  Aug.  1696. 

6)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1684.  Ebenso  24.  Aug.  1692. 

i)  Volm.  B.  B.  21.  September  1776:  „weilen  einige  Bauerglieder  in 
vorherigen  jahren  verstorben  undt  dadurch  die  folgende  bauerschaftsstellen 
seyn  erörtert  worden,  so  seyn  die  Negeste  in  der  Ordnung  hierüber  durch 
den  Bauerknecht  avisirt  worden,  worüber  auch  erschienen  und  ihre  berechtigkeit 
vorgestellet.“  Ebenso  a.  a.  0.  25.  Aug.  1743.  29.  Aug.  1756. 

8)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1729. 

*)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1710:  „prodncirt  N.  N.  einen  Kaufbrief 
vermög  dessen  Joh.  Beske  ihrne  ein  holthauser  guht  landts  verkauft.* 

le)  Stockh. B.B.  24.  Aug.  1692:  „producirteoriginalrullamübereinUeringer 
guht  Landes  von  einem  hochw.  Kapitel  Stifts  Geseke  et  snb  eius  Capitulari  sigillo 
de  anno  1604“.  a.  a.  0.  5.  Febr.  1703:  „original  rulle  auf  pargament  beschrieben*. 
Darunter  ist  eine  Urkunde  zu  verstehen,  in  der  die  zu  dem  Gute  gehörenden 
Aecker  aufgezäblt  werden  und  die  von  einem  Besitzer  auf  den  andern  übergeht. 

u)  Stockh.  B.  B.  19.  Januar  1836:  „zeigte  eine  gerichtliche  Urkunde 
vor,  wornach  er  Ankäufer  des  Wietheimer  Erbguts  wäre“.  In  älterer  Zeit 
wird  die  Beglaubigung  von  dem  Magistrat  der  Stadt  ausgestellt  oder  ein 
„Extractus  protocolli  Magistratus  Gesocensis*  vorgelegt 

4* 


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52 


legitimieren  sich  „per  productionem  eines  Meyer  brieffs“1)  oder 
nur  durch  die  Quittung,  dass  der  Weinkauf  an  den  Gutsherrn 
gezahlt  ist.2)  Dann  erfolgt  die  Aufnahme  in  die  Bauerschaft 
„salvo  jure  tertii“  oder  „mitt  Vorbehalt  eines  dritten  seines 
rechts“.3)  Kann  der  Bewerber  keine  genügenden  Beweise  Vor- 
bringen, wird  er  „angewisen  seine  intention  besser  darzutun. 
bis  dahin  die  baurschaft  suspendirt  wirdt,“4)  oder  es  wird  die 
Aufnahme  „aus  ermangeln  der  requirirenden  dokumenten  bis 
zur  nächsten  konvokation  verschoben.“5)  Wenn  ein  Bauerschafts- 
recht nicht  ausgeübt  wurde,  fielen  die  Nutzungen  der  Bauerscbaft 
zu.  Bei  Abgang  eines  Mitgliedes  war  festgesetzt,  dass  „die 
Erben  des  abgehenden  bauren  die  nuzungen  der  baurschaft 
geniesen  solln,  wenn  selbiger  vor  Jakobi  abgegangen  oder  ver- 
storben, sollte  aber  dieser  fall  nach  Jacobi  sich  erreichen,  so 
fällt  der  baurschaft  für  das  jahr  die  nuzung  anheim,  und  hat 
der  neue  angenommene  baur  nicht  ehender  als  das  nechstfolgende 
jahr  zu  partizipiren.“6) 

Zur  Mitgliedschaft  ist  Grossjährigkeit  erfordert.  Als  einmal 
der  Sohn  eines  verstorbenen  Bauern  im  Alter  von  12  Jahren 
aufgenommen  werden  sollte,  protestierten  die  Mitglieder,  weil 
„es  anjetzo  das  ansehn  hette,  das  gegen  alte  hergebrachte 
löbliche  Gewohnheit  lauter  Kinder  zu  Bauern  und  Erben  gemacht 
werden  konten.“7)  Meist  wird  nur  erwähnt,  dass  der  Bewerber 
„majorenn“  sei,8)  zweimal  auch  das  Alter,  19a)  und  2010)  Jahre, 
angegeben. 

Hat  jemand  bei  der  Bauerschaft  Pächte  und  Brächten  nicht 

*)  Stockt.  B.  B.  26.  Aug.  1626:  „qualiticirte  sieb  per  productionem 
eines  Meyer  brieffs  Unter  handt  Ihro  liochw.  Fraw  Abdissin  wegen  eines 
Stockmar  Stiftsguht“. 

а)  Hiist.  B.  B.  15.  Juni  1719:  .vermiige  biebey  producirter  quitung 
de  21.  M&rty  1719  Br.  Hochwürden  Prior  den  weiukauff  gezahlt  bette* *•). 

3)  Volrn,  B.  B.  27.  Aug.  1780. 

«)  Btockb.  B.  B.  26.  Aug.  1705. 

б)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1687. 

St.  B.  B.  21.  Mai  1798. 

7)  HUst.  B.  B.  25.  Juni  1702. 

“)  Btockb.  B.  B.  26.  Aug.  1713:  .weilen  dieser  nnbn  majorennis  uudt 
die  baurschaft  selbst  vertretten  wolte“.  Ebenso  Hilst.  B.  B.  29.  Jnni  1706. 

*1  Btockb.  B.  B.  19.  Aug.  1720. 

*•)  Volm.  B.  B.  28.  Aug.  1740. 


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53 


gezahlt,  so  muss  er  sie  vor  der  Aufnahme  erlegen.1)  Ebenso 
muss  der  Käufer  die  Rückstände  seines  Vorgängers  decken.2) 
Wer  es  versäumt  hat,  sich  pünktlich  um  die  Bauerschaft  zu 
bewerben,  und  dadurch  sich  manchen  Lasten  der  Zwischenzeit 
entzogen  hat,  wird  nicht  eher  aufgenommen,  als  „bis  er  erstlich 
alle  onera  als  geldt  kollekten  arbeit  und  sonsten  das  kontingent 
so  seinem  guthe  obliegen  thuet  beim  geringsten  bezahlt  hat“.3) 

Der  Bewerber  muss  Bürger  der  Stadt  Geseke  sein.4)  Ist 
er  es  nicht,  so  muss  er  „stipuliren  gegen  Martini  bttrger  zu 
werden,“5)  oder  „anloben,  sich  binnen  2 Monaten  zum  bürger 
zu  qualiviciren,“6)  oder  er  wird  „mit  der  kondition  admittirt, 
dass  binnen  jahres  wegen  villeicht  restirenden  bürgergeldes 
völlige  richtigkeit  ad  protocollum  referiren  solle.“7)  Ferner 
wird  verlangt,  dass  der  Bewerber  ein  ehrbares  Gewerbe  treibt. 
So  ist  es  Gesetz,  dass  „bey  der  baurschaft  keiner  admittiret 
würde,  der  selbsten  ein  schäfer  abgeben  thäte“,  und  er  kann 
nur  dann  „admittiret  werden,  wan  er  beständig  einen  schäfer 
halten  undt  somit  niehmahlen  die  schafe  selbst  hüthen,  viel- 
weiniger die  crepirte  abdecken  würde.“8) 

Bei  der  Aufnahme  muss  das  Bauerglied  „stipulato“  oder 
„durch  Handtastung  angeloben, R)  mitt  bauerrecht  last  und  dracht 
sich  begnügen  zu  lassen,“ 10)  oder  sich  „crpiethen  mit  bauerrecht 
jedesmahl  vergnügt  zu  sein“,11)  ferner  „praestanda  zu  prästiren, 


’)  Stockh.  B.  B.  24.  Äug.  1723. 

»)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1731.  24.  Juni  1736. 

*)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1684. 

*)  Knieke,  Einwanderung  in  den  wegtf.  Städten.  S.  132:  .Jeder 
Inhaber  von  Stadtrechtsgut  muss  auch  seinen  Wohnsitz  uud  Bürgerrecht  in 
der  Stadt  haben“.  Die  gleiche  Erscheinung  bei  den  Kölner  Bauerbänken. 
Wrede,  Kölner  Bauerbänke.  S.  20. 

»)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1726. 

•)  Volm.  B.  B.  28.  Aug.  1740. 

*)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1721. 

»)  St.  B.  B.  15.  Dez.  1778. 

•)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1736.  a.  a.  O.  20.  Juni  1750:  .durch  ge- 
wöhnlichen Handttast“.  ürimms  Wörterbuch.  Bd.  IV.  7.  2.  col.  419: 
.Handtastung.  Ergreifung  der  Hand,  gelobend“. 

>°)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1686. 

>*)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1711.  Darunter  ist  zu  verstehen,  dass  sich  der 
Bewerber  dem  Bauerschaftsgerichte  unterwerfen  wolle. 


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auf  Citation  zu  erscheinen,  gebott  und  verbott  zu  parieren",1) 
und  „dass  er  sich  einem  ehrbaren  bawer  gemäss  auffUhren 
wollte“.2)  Dafür  hat  er  2 Bürgen  oder  „wahrbürgen  zu  stellen“,3) 
auch  wohl  einen  Bürgen  und  einen  „Vorsprecher“,4)  welche 
„dan  adstipulirt,  dass  Sie  dahin  caviren  theten,  gestalt  der  N. 
sich  mit  baurrecht  vergnügen  lassen  solle“,5)  oder  „sich  zu  jeder 
vorfallenden  Beschwer  da  der  jetz  angenommener  Bauer  sich 
der  gebühr  und  nach  baurrecht  nicht  verhalten  sollte,  dajegen 
zu  ? sich  offeriren“.®)  Wenn  diese  „praosentes  et  acceptantes 
vor  denselben  einzutretten  sich  schuldig  offeriren,  bitten  sie,  den- 
selben anzunehmen“,7)  dagegen  muss  der  Bewerber  „den  bürgen 
schadeloesshaltung  versprechen“.8) 

Wer  also  „die  baurschaft  gewinnen  und  deren  midtgliedt 
zu  sein  begehrt,  muss  erstlich  uhraltem  herkommen  nach  be- 
weisen, von  welchem  Guhte  er  die  baurschaft  haben  will,  obs 
Erbe,  Lehen,  Stuhl  oder  pachtgut  sey,  wer  sein  antecessor  gewesen, 
und  mus  de  facto  bürger  sein,  sonsten  wird  er  nicht  zugelassen, 
ob  er  auch  mit  baurrecht  will  zufrieden  sein,  unt  muss  zwey 
bürgen  stellen  und  folgenden  aydt  abschweren,  und  legen  seine 
zweye  finger  auf  dieses  beygesetztes  Creutz: 

Ich  N.  gelobe  und  verspreche,  dass  ich  dieser  baurschaft 
uhraltes  recht  unt  gerechtigkeit  wie  dass  von  Churfürsten  zu 
ChurfÜrsten  confirmirt  will  helfen  bewahren,  auf  gebott  und 
verbott  erscheinen  und  mit  baurrecht  zufrieden  sein,  nichts 
ungebührliches  so  gegen  ihr  alt  herkomenen  recht  und  gerechtigkeit 
strebet  üben,  auch  nichts  jegen  den  zeitlichen  holtzgrafen  unt 
gantzen  baurschaft  in  billigen  Sachen  vornemmen  oder  rath- 
schlagen, sondern  ihren  nutzon  forderen  unt  schaden  wandelen 
wo  schade  geschehen  dem  holtzgrafen  denuncyren,  dem  zeitlichen 
vorgestelleten  holtzgrafen  in  baurschaftssachen  gehorsahmen,  bey 
versamblung  der  baurschaft  mich  ehrlich  halten  alle  unnütze 

>)  Stockh.  B.  B.  *4.  Aug.  1725.  Hiist.  B.  B.  16.  Juni  1715. 

*)  Hilst.  B.  B.  20.  Juni  1760. 

*)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1687.  Httst  20.  Juni  1756. 

*)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1666.  Latinisiert  „caventes“.  Stock.  B.  B. 
24.  Aug.  1725. 

6)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1700.  26.  Aug.  1701. 

*)  a.  a.  0.  25.  Aug.  1721.  Aebnlich  Hüst.  B.  B.  16.  Juni  1716. 

')  a.  a.  0.  24.  Aug.  1712. 

*)  a.  a.  0.  24.  Aug.  1666. 


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geschwätze,  fluchen,  schweere,  Scheltwort,  hader,  zanck,  und 
sonsten  >alle  unerbarkeit  meiden  bey  Verlust  der  baurschaft.  So 
helf  mir  Gott  undt  die  heiligen  Evangelia. 

Wan  er  den  aydt  abschworen,  muss  er  den  holtzgrafen  undt 
gantzer  baurschaft  stipuliren.“1) 

Bei  der  Aufnahme  sind  an  Gebühren,  die  „Einkrönungsjura“ 
genannt  werden,  zu  zahlen: 

1.  für  die  Bauerschaft  1 rth.  9 gr., 

2.  für  den  Bauerknecht  4 gr.  und 

3.  für  Jahrkuchen  oder  Honigkuchen  4 gr.2) 

Das  Geld  muss  sofort  gezahlt  werden,  höchstens  wird  dem 
Bewerber  „dilatio  bis  künftigen  Sontagh  verstattet.“3) 

Sind  einige  der  vorstehenden  Bedingungen  nicht  erfüllt,  so 
muss  der  Inhaber  des  Gutes  Land,  an  dem  die  Bauerschaft 
klebt,  einen  Vertreter  stellen.  Dieser  heisst  „Gangenoss“.4) 
Wer  kein  Bürger  der  Stadt  Geseke  ist,  muss  einen  „gangenos 
präsentiren,“5)  ein  anderer  muss  „den  gangenoten  platz  für  ihn 
vertretten“.*)  Ebenso  tritt  für  die  unmündigen  Inhaber  von 

')  Einl.  zum  ersten  Volm.  B.  B.  Vergl.  auch  Maurer,  Geschichte 
der  Markverfassung.  S.  114. 

J)  St.  B.  B.  16.  März  1818.  Stockb.  B.  B.  25.  Aug.  1715.  Hüst. 
B.  B.  16.  Juni  1715.  Voim.  B.  B.  Einl.  „dem  baurkuecbt  vier  grosgen  vor  den 
Willkomm“,  und  a.  a.  0.  27.  Sept,  1761.  Vergl.  auch  Maurer,  Dorf- 
verfa8suug.  I.  S.  177. 

s)  Volm.  B.  B.  24.  Ang.  1694. 

*)  So  fast  in  jedem  Gerichtsprotokolle  sämtlicher  Bauerschaften. 
Kluge,  Etymologisches  Wörterbuch  der  deutschen  Sprache,  s.  v.  ganerbe. 
„Das  Präfix  ga-  als  Vertreter  von  lat.  con  = „zugleich  mit“  war  dem 
Altgerm,  geläufig.“  Der  Gangenoss  ist  also  der  Mitgenoss,  der  den  Inhaber 
eines  Bauerscbaftsgutes  in  allen  die  Bauerschaft  betreffenden  Angelegenheiten 
vertritt.  Jak.  Grimm  schreibt  (Wiener  Jahrbücher  der  Literatur.  1829. 
Bd.  45.  S.  128):  „Die  Gankgenoten  haben  die  Mark  za  umgehen,  ihre 
Grenzen  zu  wahren.“  Seibertz,  Die  Freigrafscbaft  Stalpe,  S.  116  schreibt: 
.Jeder  Inhaber  (eines  Freigutes),  wenn  er  nicht  Bürger  oder  Einwohner 
von  Geseke  war,  musste  einen  Mandatar  oder  Gangenossen  bei  Hegung  des 
Freigerichts  stellen." 

6)  Stockb.  B.  B.  24.  Aug.  1712.  Maurer,  Dorfverfassung.  I.  S.  124. 
Haussen,  Agrarhistor.  Abhandl.  II.  S.  117. 

«)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1709.  Aehnlich  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1679 
a.  a.  0.  24.  Aug.  1693.  St.  B.  B.  11.  April  1842.  a.  a.  0.  12.  Mai  1812. 
Ein  Bauer  aus  dem  eine  Stunde  von  Geseke  entfernten  Dorfe  Verne,  das 


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Bauerschaftsgütern  ein  Gangenoss  ein,1)  bei  Waisen  gewöhnlich 
der  Vormund.2)  Auch  Frauen  müssen  sich  bei  der  Bauerschaft 
vertreten  lassen.3)  Witwen  stellen  meist  ihren  schon  erwachsenen 
Sohn,4)  Schwiegermütter  ihren  Schwiegersohn.5)  Ist  ein  Mitglied 
durch  Krankheit  oder  Altersschwäche  verhindert,  persönlich  sich 
den  Pflichten  der  Bauerschaft  zu  unterziehen,  so  muss  ein 
Gangenoss  für  ihn  eintreten.8)  Der  Vater  „stell  seinen  . Sohn, 
bittend  denselben  zu  admittiren“,7)  desgleichen  wenn  der 
„schweger  vatter  nicht  woll  auf  das  persönlich  erscheinen  kann, 
kommittirt  er  (dem  Schwiegersohn),  die  bauerscbaft  in  seinem 
nahmen  zu  gewinnen“.8)  Wenn  Korporationen  Bauerschafts- 
güter besitzen,  müssen  sie  ebenfalls  die  „bauerschaftsgerechtigkeit 
bekleiden  lassen“8)  durch  einen  Gangenossen.  Für  die  Schulen 
der  Stadt  tritt  ein  städtischer  Beamter  ein,10)  das  Stift  stellt 
einen  seiner  Beamten,11)  ebenso  werden  die  Jesuiten  zu  Paderborn,12) 
das  Kloster  Böddeken13)  und  das  Kloster  Nazareth  zu  Störmede14) 
vertreten.  Auch  ein  Mitglied,  das  längere  Zeit  von  Geseke 
fern  bleibt,  muss  „der  Ordnung  nach  in  seiner  Abwesenheit  zu 
Ergentzung  des  collcgii  einen  gangenossen  stellen“.15)  Der 

früher  zu  Paderborn,  damals  zum  Königreich  Westfalen  gehörte,  hat  ein 
Out  Land  gekauft.  „Da  es  der  Bauerschaft  bekannt,  dass  der  N.  ein  Aus- 
länder (!)  und  einen  gangenoss  stellen  muss“. 

>)  Stöckli.  B.  B.  26.  August  1713.  Uüst.  B.  B.  24.  Juni  1723. 

»)  Stockh.  B.  B.  24.  August  1710.  Uüst.  B.  B.  24.  Juni  1733. 

s)  Volm.  Hast-Buch.  S.  44  C.  St.  B.  B.  3.  Juli  1828.  Uüst.  B.  B. 
24.  Juni  1723  u.  b.  o. 

«)  Volm.  B.  B.  28.  Aug.  1740. 

»)  Stockh.  B.  B.  29.  Ang.  1728.  a.  a.  O.  29.  Aug.  1729.  Uüst.  B.  B. 
29.  Jnui  1721. 

*)  HUst.  B.  B.  24.  Juni  1743. 

7)  Stockh.  24.  Aug.  1721.  Uüst.  B.  B.  24.  Juni  1743:  Bauerschafts- 
mitglied kann  der  Sohn  erst  dann  werden,  wenn  er  Besitzer  des  Gutes  ist, 
also  nach  dem  Tode  des  Vaters. 

®)  Stockh.  B.  B.  25.  Aug.  1715.  Ebenso  Uüst.  B.  B.  24.  Juni  1709. 
Stockh.  B.  B.  25.  Aug.  1715. 

0)  Volm.  B.  B.  21.  Sept.  1775. 

,0)  Volm.  Hast- Buch.  S.  19. 

")  a.  a.  0.  S.  33  A. 

>»)  a.  a.  O.  S.  35. 

>5)  Volm.  B.  B.  21.  Sept.  1776. 

»)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  J729. 

Uüst.  B.  B.  24.  Juni  1731. 


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Bruder  „giebt  sich  an  gangenoss  zu  werden  vor  seinen  in 
frembden  landen  seyenden  Bruder“,1)  jemand,  der  in  Oesterreich 
weilt,  hat  Vertreter  „qua  mandatarios  solchen  Guts  constituirt 
und  für  den  sie  daher  gangenothen  werden“,2)  ein  anderer, 
dessen  „bruder  einige  zeit  verreiset  gewesen  und  ihme  nicht 
wisigh  ob  selbiger  thott  oder  lebendig  sey,  hat  sich  resolvirt, 
auch  obligirt,  vor  seinen  bruder  eiozutretten“.3)  Ist  jedoch 
ein  Mitglied  nur  vorübergehend  abwesend,  braucht  ein  Gangenoss 
nicht  gestellt  zu  werden,4)  die  auf  das  betr.  Gut  fallenden 
Lasten  muss  dann  für  die  kurze  Zeit  ein  anderer  übernehmen.5) 

Auch  der  Gangenoss  muss  sich  vor  der  Aufnahme  legitimieren. 
Entweder  muss  der  Inhaber  vor  versammelter  Bauerschaft  er- 
klären, dass  er  den  N.  zu  seinem  Gangenossen  bestelle,6)  oder 
der  Bauerknecht  bezeugt  es  im  Aufträge  des  Besitzers,7)  oder 
der  Gangenoss  überreicht  „Memorial  und  Bitt“  seines  Auftrag- 
gebers,8) eine  schriftliche  Urkunde8)  oder  „seine  schriftliche 
Volmacht  von  seinem  Principalen“.9)  Ist  der  Gangenoss  noch 
nicht  Bürger,  so  wird  er  nur  unter  der  Bedingung  aufgenommen, 
dass  er  „sich  zwischen  hier  und  necbsten  S.  Martini  zum  Bürger 
qualificire“.10) 

Der  Sohn  einer  Witwe  wird  als  Gangenoss  aufgenommen, 
obwohl  er  „zu  besserer  Erlernung  seiner  provession  weinigstens 
noch  2 Jahr  reissen  muss'1.11)  Bei  Aufnahme  des  Vertreters 


’)  Stöckli.  B.  B.  24.  Ang.  1710. 

»)  Htist.  B.  B.  26.  Juni  1729. 

*)  Stockb.  B.  B.  24.  Aug.  1681. 

*)  Volm.  B.  B.  29.  Aug.  1756. 

6)  Yolm.  B.  B.  24.  Aug.  1692.  24.  Ang.  1703. 

•)  Stockh.  B.  B.  25.  Aug.  1715.  Hüst.  B.  B.  30.  Juui  1720. 

’)  Stockb.  B.  B.  29.  Aug.  1729. 

*)  Hüst  B.  B.  24.  Juui  1709. 

*)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1679.  Eine  solche  Vollmacht  aus  dem 
Jahre  1731  lautet  t.  B. : „Ich  endts  unterschriebene  ertheile  hietuit  dem  H. 
Amtmann  Heinrich  Fttrstenberg  macht  undt  gewaldt,  die  mir  zuständige 
bauerschaft  nicht  allein  zu  bekleiden,  sondern  auch  alles  dabey  uSthiges  zu 
beobachten;  gestalt  ich  dan  alles,  was  Er  in  Kraft  dieser  Vollmacht  in 
meinem  nahmen  thuen  wirdt,  ratificiert  haben  will  bey  Verpfandung  aller 
meiner  baab  undt  gütheren.  so  geschehen  Paderborn  d.  14  ton  Augusti  1731. 

Wittib  Vogelius  geb.  Palmers.“ 

10)  Hüst.  B.  B.  26.  Juni  1729. 

“)  Volm.  B.  B.  1740. 


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sind  die  gleichen  „Einkrönungsgebühren“1)  oder  „Aufnahme- 
gebühren“,2) auch  Jura“3)  genannt,  zu  zahlen,  die  von  dem 
Auftraggeber  zu  erlegen  sind.3)  Wenn  der  Gangenoss  bald 
nach  der  Aufnahme  stirbt,  wird  gelegentlich  die  Hälfte 
für  den  Nachfolger  erlassen.3)  Eine  Witwe  „sistirt  zwar 
einen  gangenos  ista  conditione  das  wan  sie  binnen  jalirs 
sich  wider  verheyraten  wolte,  derselbe  alsdan  die  baurschaft 
vertretten  solte  absque  novis  juribus.“4)  Auch  der  Gan- 
genoss muss  den  Eid  schwören5)  und  „desphals  handttastung 
thun“8)  und  ebenso  2 Bürgen  stellen.8)  Das  Verhältnis  zwischen 
Gangenoss  und  Auftraggeber  ist  aus  den  Bauerschaftsbüchern 
nicht  klar  ersichtlich.  Der  Gangenoss  „lobt  durch  Handschlag 
an,  alle  prästanda  nahmeus  seines  prinzipalen  zu  entrichten“,7) 
wogegen  der  Auftraggeber  „sich  verpflichtet,  alles  dasjenige, 
was  (der  Gangenoss)  in  seinem  Namen  beschliessen,  genehmigen 
und  verhandeln  wird,  so  anzusehen,  als  wenn  er  es  selbst  ver- 
handelt und  vollzogen  habe“.8)  Danach  geniesst  der  Inhaber 
des  Bauerschaftsgutes  alle  damit  verbundenen  Einkünfte,9)  wo- 
gegen er  auch  wieder  alle  Lasten  zu  tragen  hat.  Der  Gangenoss 
hat  nur  dafür  zu  sorgen,  dass  sein  Auftraggeber  allen  Pflichten 
nachkommt.  Daher  dankt  ein  Gangenoss  auf,  weil  sein  Prinzipal 
die  Gogräfenhafer  nicht  abliefert  und  er  „diserthalb  verdrisslichkeit 
hette“.10) 

Die  Gangenossenschaft  erlischt,  wenn  die  Bedingungen  für 
die  Aufnahme  des  Besitzers  erfüllt  sind.  Gebt  ein  Gut  in 
andere  Hände  über  und  ist  der  neue  Inhaber  zur  Aufnahme 
qualificiert,  so  ist  damit  der  Gangenoss  „abgesetzt“,11)  ebenso 
wenn  der  Auftraggeber  „maiorennis“  geworden  ist  und  „die 


*)  Hiiat.  H.  B.  24.  Juni  1744. 

>)  St.  B.  B.  12.  Mai  1812. 

*)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1670. 

«)  Stockh.  B.  B.  25.  Aug.  1716. 

5)  HÜst.  B.  B.  29.  Juni  1721. 

*)  a.  a.  O.  24.  Juni  1709. 

7)  St.  B.  B.  12.  Mai  1812. 

®)  a.  a.  0.  11.  April  1842. 

•)  Stockh.  B.  B.  11.  Januar  1836. 

“)  St.  B.  B.  24.  Aug.  1739. 

»)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1693.  24.  Aug.  1723. 


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baurschaft  selbst  vertretten  will“.1)  Wenn  eine  Frau  sich 
verheiratet,  so  wird  ihr  Mann  Mitglied  und  der  Gangenoss  ab- 
gesetzt.2) Die  Baugenossenschaft  während  der  Abwesenheit 
des  Inhabers  hört  bei  dessen  Rückkehr  auf.3)  Ein  Sohn,  der 
für  den  Vater  Gangenoss  war,  muss  bei  Aufnahme  nach  dessen 
Tode  wieder  die  Einkrönungsgebühren  erlegen.4) 

Von  den  die  Bauerschaften  bildenden  Gütern  sind  nur 
wenige  geschlossen,5)  die  meisten  sind  in  mehrere  Teile  zer- 
fallen. Trotz  der  Landespolizei  - Ordnung  von  1723,  dass  „in 
dem  Herzogtum  Westfalen  keine  schatzbare,  so  bürgerlich  als 
Bauerngüter  vermittels  Alieuation,  Permutation,  Distraktion, 
noch  sonsten  einigerley  Weise  . . . von  denen  Bauernhöfen  nicht 
verschlissen  werden“,6)  setzt  sich  dieser  Prozess  der  Teilung 
bis  zur  Aufhebung  der  Bauerschaften  fort.  Schon  frühzeitig 
gibt  es  nicht  blos  halbe,  sondern  auch  viertel  Güter;7)  „der 
Soestisch  vicarii  Meyer  sind  ad  5 bis  6“  von  einem  Gute,8)  ein 
anderes  Gut  zerfällt  in  8 Teile,9)  und  von  einem  Völmeder 
Gute  wird  gar  der  zwölfte  Teil  erwähnt.10)  Gegen  Ende,  be- 
sonders seit  der  Aufhebung  der  Unteilbarkeit  der  Bauerngüter 
und  des  Reconsolidationsrechtes  im  Jahre  1809 ")  werden  die 
Verhältnisse  immer  ärger,  so  dass  keine  Ordnung  mehr  zu  halten 
ist.  Alle  Teilhaber  dieser  zersplissenen  Güter  können  aber 
nicht  Mitglieder  der  Bauerschaften  sein,  sondern  jedes  Gut  hat 
nur  ein  Bauerscbaftsreeht.  Zerfällt  das  bisher  einheitliche  Gut  . 
unter  mehrere  Besitzer,  so  haben  diese  sich  entweder  in  Güte 
darüber  zu  einigen,  wie  „die  bauerschaft  zwischen  ihnen  alterniren 

*)  ».  a.  O.  24.  Aug.  1713.  Hüst.  B.  B.  29.  Juni  1706. 

s)  St.  B.  B.  3.  Juli  1828. 

*)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1681.  24.  Aug.  1710. 

Höst.  B.  B.  24.  Juni  1744. 

5)  Ungeteilt  waren  um  1800  von  den  28  Hölter  Gätern  11. 

„ .,  „ 1800  „ „ 20  Httsteder  Gätern  7. 

,.  „ „ 1800  „ „ 46  Völmeder  Gätern  15. 

„ „ ,.  1800  „ .,  42  St&lper  Gütern  14. 

6)  Sommer,  Darstellung  der  Rechtsverhältnisse  der  BauergUter.  S.  62. 

1)  z.  B.  HUst.  B.  B.  24.  Juni  1736.  a.  a.  0.  24.  Juni  1751.  Volm. 

B.  B.  26.  Aug.  1731  u.  8.  0. 

«)  Stockh.  B.  B.  27.  Aug.  1702. 

•)  a.  a.  0.  24.  Aug.  1696. 

,0)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1720. 

, u)  Sommer,  a.  a.  O.  S.  9.  Beilage  XI.  , 


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60 


soll“,’)  oder  „es  müssen  die  Competetentes  darüber  sortiren“,2) 
und  die  Bauerschaft  hat  „einen  nach  getrockenem  Lose  zn  ad- 
mittiren“.3)  Bleibt  jedoch  ein  Gut  unverteilt,  obwohl  es  mehreren 
Besitzern  gehört,  so  haben  diese  einen  Gangenossen  zu  stellen.4) 
Von  den  geschlossenen  Gütern  wird  eine  „Erbbauerschaft  ohne 
Interessenten  bekleidet“5)  oder  „eine  stehende  Bauerschaft, 
d.  h.  eine  Bauerschaft,  die  ohne  Interessenten  ist“,6)  mit  einem 
geteilten  Gute  dagegen  ist  „eine  Wechselbauerschaft“  verbunden.7) 
Bei  diesen  Gütern  wechselt  also  das  Bauerschaftsrecht  unter 
den  Interessenten,  bald  ist  dieser,  bald  jener  Inhaber  eines 
Teiles  des  betreffenden  Gutes  Mitglied  der  Bauerschaft,  und 
zwar  „derogestalt,  dass  einer  nach  dehme  andern  alternatim 
davon  Bauer  sein  müsse“.8)  In  dieser  Beziehung  ist  Grundsatz, 
dass  auf  den  „die  baurgerechtigkeit  devolvirt“,9)  dem  „unerfüllt“,10) 
dessen  „vorsass  mit  thott  abgangen“11)  oder  „sehlig  verstorben“10) 
ist.  Es  soll  also  der  festgesetzten  Reihenfolge  nach  jeder  Teil- 
haber eines  Gutes  die  daran  klebende  Bauerschaft  nach  dem 
Tode  des  Vorgängers  an  treten  und  bis  zu  seinem  Tode  bekleiden. 
Verkauft  der  gegenwärtige  Vertreter  einer  Bauerschaft  seinen 
zu  dem  Gute  Land  gehörenden  Anteil,  so  geht  die  Bauerschaft 
auf  den  Ankäufer  „ad  dies  vitae“  des  Verkäufers  über,12)  der 
Ankäufer  „gewinnt  diese  Bauerschaft  bis  auf  den  Todt  seines 
Verkäufers“,13)  er  wird  „so  lange  zum  baur  acceptirt,  als  (der 


')  Stöckli.  B.  B.  24.  Aug.  172J.  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1726. 
4.  Aug.  1714. 

J)  Höst.  B.  B.  24.  Juni  1751. 

5)  Stockh.  B.  B.  29.  Aug.  1728. 

a.  a.  O.  26.  Aug.  1709. 

5)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1721. 

•)  Volm.  B.  B.  24.  Okt.  1834. 
i)  St.  B.  B.  31.  Dezember  1817. 

8)  Hüst.  B.  B.  29.  Juni  1706. 

9)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1660. 

IB)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1723. 

n)  Stockh.  B.  B.  20.  Aug.  1713.  Ebenso  Hüst.  B.  B.  29.  Juni  1706. 
Jemand  erklärt,  weil  „nach  Absterben  seines  Vatters  der  N.  von  jenerseith 
baur  gewesen“,  so  sei  nach  dessen  Tode  „also  juxta  alternationis  modum 
die  baurschaft  auf  ihnen  gefallen,  als  bathe,  ne  in  futurum  inde  resultetur 
Confusio  zur  Banrschaft  admittiert  zu  werden“. 

“)  Volm.  Mast-Buch.  S.  27.  44.  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1736. 

13)  Volm.  B.  B.  26.  Aug.  1731. 


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Verkäufer)  lebet,  nach  dessen  Thodt  die  baurschaft  auf  den 
Gegenteil  fallen  thut“.1)  Und  wenn  der  Käufer  stirbt,  so  geht 
die  Bauerschaft  auf  seine  Erben  bis  zum  Tode  des  Verkäufers 
über.2)  Wenn  der  Inhaber  der  Bauerscbaft  schon  lange  Zeit 
von  Geseke  fort  ist,  ohne  etwas  von  sich  hören  zu  lassen,  so 
wird  er  unter  der  Annahme,  er  „wäre  gewiss  schon  längst  todt,3) 
pro  civiliter  mortuo  gehalten“,4)  und  das  Bauerschaftsrecht  geht 
auf  den  Gegenteil  über.  Der  Ehemann,  der  durch  Heirat  ein 
Bauerschaftsgut  erhalten  hat,  ist  Mitglied  bis  zum  Tode  seiner 
Frau.5)  Wenn  jemand  von  seinem  Gutsherrn  entsetzt,  ab- 
gemeiert wird,  so  geht  die  Bauerschaft  nicht  auf  den  Nach- 
folger, sondern  auf  den  nächstfolgenden  Interessenten  des 
betreffenden  Gutes  über.6)  Der  Gangenoss  muss  bei  dem  Tode 
seines  Prinzipals  die  Bauerschaft  einem  andern  abtreten.7) 
Ebenso  geht  die  Bauerschaft  weiter,  wenn  der  Gangenoss  stirbt") 
oder  aus  der  Stadt  zieht  und  dadurch  das  Bürgerrecht  verliert.*) 
Treten  bei  Erledigung  einer  Bauerschaftsstelle  mehrere  Bewerber 
auf,  die  zugleich  die  Bauerschaft  prätendieren,  so  „sollen  die 
alten  bauerprotokolle  nachgesehen  werden,  wehr  undt  welche 
vormahls  die  bauerscbaft  quaestionis  betretten“,10)  um  so  den 
Berechtigten  festzustellen.  Ist  dadurch  keine  Entscheidung  zu 
gewinnen,  so  wird  einer  aus  den  Prätendenten  „durch  die 
mehrsten  Stimmen“11)  der  Bauerschaftsmitglieder  bestimmt.  In 
einem  solchen  Falle  wird  die  Reihenfolge  auch  dadurch  fest- 
gesetzt, dass  alle  Interessenten  ein  Los  ziehen,  wodurch  für  die 

>)  Stöckli.  B.  B.  24.  Aug.  1700. 

*)  St.  B.  B.  28.  April  1832.  Es  sei  jedoch  bemerkt,  dass  in  zwei 
Fälleu  (HUst.  B.  B.  6.  Dez.  1717.  24.  Juni  1727)  die  B&uerschaft  beim 
Verkaufe  nicht  auf  den  Käufer,  sondern  auf  den  folgenden  Interessenten 
Übergebt. 

9)  Stockh.  B.  B.  18.  Januar  1836. 

«)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1731. 

6)  Volm.  Mast-Buch.  S.  52. 

•)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1718. 

7)  Höst.  B.  B.  24.  Juni  1717. 

»)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1696.  24  Aug.  1666.  HUst.  B.  B.  24.  Juni  1734. 
St.  B.  B.  24.  Aug.  1720. 

*)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1684. 

10)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1704.  Hilst.  B.  B.  29.  Juni  1706.  Ebenso 
a.  a.  O.  26.  Aug.  1703. 

u)  Volm.  B.  B.  30.  Aug.  1749. 


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62 


Zukunft  eine  feste  Ordnung  eingeführt  wird.1)  Wenn  jemand 
„auf  vielmaliger  Erinnern  nicht  zu  gewinnung  der  baurschaft 
sich  qualificiren  will“,2)  so  wird  er  übergangen,  und  ein  anderer 
Interessent  wird  Mitglied.  Es  darf  keine  Zögerung  in  der 
Uebernahme  der  Bauerschaft  eintreten,  nicht  einmal  wenn  jemand 
seinen  Sohn  aus  der  Fremde  erwartet,3)  sonst  fällt  sie  an  den 
Gegenteil. 

Hinsichtlich  des  Nutzens  und  der  Last,  die  mit  der 
Bauerschaft  verbunden  sind,  wird  als  Recht  gewiesen:  „wan  die 
mitinteressenten  der  baurschaft  genutz  alle  Jahr  mitt  geniessen 
wollen,  dass  auch  alle  und  jedesmalig  die  last  und  Arbeit  mitt 
tragen  oder  mitt  geniessen  sollen“.4)  So  bitten  2 Brüder,  die 
eine  Bauerschaft  zusammen  besitzen,  einen  von  ihnen  zu  „ad- 
mittiren,  sich  erbiethend  gleiche  onera  und  commoda  zu  tragen, 
auch  die  jura,  hierzu  nötig,  in  sambt  zu  erlegen“,5)  andere 
„vergleichen  sich  dahin,  dass  (der  eine)  die  baurschaft  gewinnen 
möge,  die  commoda  aber  in  gleiche  Theile  partiren  wollen, 
welches  dann  nach  (des  einen)  Thott  (der  andere)  seinen  (des 
Toten)  Erben  gleichfalls  prästiren  solle.“6)  Will  einer  von 
mehreren  Interessenten  die  Bauerschaft  gewinnen,  so  muss  er 
sich  zuvor  mit  ihnen  „vergleichen  und  darüber  einen  Schein 
beibringen“.7)  Zuweilen  einigen  sich  die  Interessenten  jedoch 


1)  8t.  B.  B.  24.  Aug.  1724. 

*)  a.  a.  O.  29.  Aug.  1756.  Es  ist  dies  jedoch  nicht  dahin  zu  verstehen, 
als  wären  alle  Teilbesitzer  eines  Gutes  gleichberechtigt.  Der  Orad  der 
Berechtigung  ist  abhängig  von  der  Grösse  des  Anteils.  Zerfällt  z.  B.  ein 
Out  in  2 gleiche  Teile,  so  sind  beide  Interessenten  gleich  berechtigt.  Ebenso 
wenn  es  in  3,  4 oder  mehr  gleiche  Teile  zerfällt.  Besitzt  jedoch  der  eine 
Interessent  die  Hälfte,  zwei  weitere  die  andere  Hälfte,  so  ist  der  erste 
ebenso  oft  zum  Qenusse  der  Bauerschaft  im  Turnus  zuzulassen  wie  die 
beiden  andern.  Es  würde  also  folgende  Beihenfolge  eintreten: 

1.  Der  Besitzer  der  einen  Hälfte. 

2.  Der  Besitzer  des  einen  Viertels. 

3.  Der  Besitzer  der  einen  Hälfte. 

4.  Der  Besitzer  des  andern  Viertels. 

Dasselbe  gilt  mutatis  mutandis  von  allen  andern  Teilgütern. 

»)  a.  a.  0.  29.  Aug.  1717. 

*)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1666. 

R)  Stockh.  B.  B.  29.  Aug.  1728. 

«)  a.  a.  O.  26.  Aug.  1715. 

’)  a.  a.  0.  24.  Aug.  1679.  Aehnlicb  St.  B.  B.  16.  März  1818. 


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63 


dahin,  dass  jeder  während  der  Zeit  seiner  Mitgliedschaft  alle 
mit  der  Bauerscbaft  verbundenen  Rechte  geniessen,  dafür  aber 
auch  allein  alle  Lasten  tragen  soll.1)  Sind  mit  einem  geteilten 
Gute  unaufgeteilte  Länder  und  Wiesen  verbunden,  so  ist  es 
„unter  den  Meyern  der  Gebrauch,  mit  diesen  ländern  und  Wiesen 
brackzeitlich  des  Nutzens  halber  zu  alterniren“.2)  In  der 
letzten  Zeit  der  Bauerschaften  ist  es  durchweg  Brauch,  dass 
die  Interessenten  „alles  gemeinschaftlich  in  gleiche  Teile  ohne 
allen  Abzug  teilen,  einerlei  wer  als  Bauerglied  fungirt“.3) 

Die  Güter  der  Bauerschaften  bestanden  nicht  nur  aus  Acker- 
parzellen, sondern  mit  ihnen  waren  auch  Stücke  Wald  verbunden, 
die  aus  dem  Gemeinwald  ausgeschieden  waren.'*)  Diese  zu  den 
Bauerschaftsgütern  gehörenden  Waldparzellen  hiessen  „Acht- 
wercke“5)  und  wurden  nach  den  betreffenden  Gütern  benannt, 
z.  B.  „ein  Heilig  Drey  König  achtwerck“.8)  Diese  Achtwercke 
konnten  unter  die  Interessenten  nicht  gut  aufgeteilt  werden 
und  waren  daher  meist  „sämptlichen  interessenten  zuständig“,7) 
von  denen  sie  gemeinschaftlich  benutzt  wurden.  Doch  wurde 
der  zu  einem  Gute  gehörende  Wald  auch  unter  die  Interessenten 
aufgeteilt  und  verlost,  weil  „Uneinigkeit  entstehen  dorffe,  der 
saeh  ein  End  zu  machen“.8) 

Mit  jedem  Gute  war  nur  eine  Bauerschaft  verbunden,  denn 
„die  baurschaft  konnte  von  einem  guht  keine  2 baurschaften 
gestehen“.0)  Es  konnte  jedoch  ein  Mitglied  mehrfach  berechtigt 
sein,  wenn  es  mehrere  Güter  besass.  So  war  bei  der  Hüsteder 
Bauerschaft  jemand  zweimal  berechtigt,  von  einem  Gute  ganz 
und  von  einem  andern  zu  einem  Drittel,10)  ebenso  bei  Stockheim 

‘)  St.  B.  B.  24.  Januar  1702. 

*)  3.  Juli  1768:  brackzeitlich  d.  h.  jede  Brachzeit,  die  6 Jahre  dauert, 
geniesst  ein  anderer  diese  Länder. 

5)  Stockh.  B.  B.  19.  Februar  1836.  16.  Januar  1856.  Ebenso  St.  B.  B. 

9.  Harz  1842.  11.  April  1842. 

*)  Bluntscbli,  Wirtschaftliche  Rechtsordnung  der  deutschen  Dörfer. 
8.  312.  Hüst.  B.  B.  81.  Jan.  1706.  St.  B.  B.  18.  Juni  1817. 

6)  Volm.  B.  B.  27.  September  1684.  Ueber  Achtwerke  s.  Landau, 
Territorien.  S.  171. 

®)  Volm.  B.  B.  27.  Jannar  1723. 

7)  a.  a.  O.  20.  März  1721. 

8)  St.  B.  B.  30.  Juni  1716.  Weiteres  s.  den  Abschnitt  über  die  Allmende. 

•)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1707. 

10)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1723. 


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64 


von  zwei  ganzen  Gütern,1)  gelegentlich  war  einer  sogar  dreimal 
berechtigtes  Mitglied.2)  Natürlich  konnte  jeder  die  Mitgliedschaft 
von  mehreren  Bauerschaften  ausüben,  wenn  er  in  verschiedenen 
Bauerscliaften  Güter  besass.3)  Für  die  mehrfach  berechtigten 
Mitglieder  war  das  Weistum  gegeben:  „Derjenige  so  2 oder 
drey  oder  mehr  baurgerechtigkeit  haben  undt  geniessen,  dieselben 
sollen  wie  billig  von  einem  jeden  Guthe  die  onera  tragen“.4) 
Doch  kam  es  einmal  vor,  dass  der  Erbe  von  zwei  Bauerschaften 
bei  der  Aufnahme  nicht  doppelte,  sondern  einfache  Einkrönungs- 
gebühren zahlte.5) 

Es  war  bei  den  Bauerschaften  Vorschrift,  dass  „ein  jeder 
seine  bawrschaft  so  vaciren  wieder  gewinnen  soll  bei  Verlust 
der  bauergerechtigkeit,  damit  die  Arbeit  unt  andere  onera  ab- 
gestattet werden“.6)  Wenn  die  Erben  eines  verstorbenen  Mit- 
gliedes beim  Bauergerichte  „als  termino  semel  pro  semper 
ordinato  sich  nicht  wieder  accomodiren,  sollten  sie  des  Jahr 
fellige  baurgefelle  nicht  zu  geniessen  haben“.7)  Wurde  bei 

Teilgütern  von  dem  Interessenten,  auf  den  die  Bauerschaft  im 
Turnus  gefallen  war,  kein  Gangenoss  gestellt,  so  ging  das 

Bauerrecht  auf  den  folgenden  Interessenten  über;8)  bei  den 
geschlossenen  Gütern  dagegen  ruhte  dann  die  Bauerschaft  und 
die  damit  verbundenen  Einkünfte  fielen  der  ganzen  Bauerschaft 
zu.9)  Ebenso  ging  die  Bauerschaft  im  Turnus  weiter,  wenn 
berechtigte  Interessenten  „vor  das  mahl“1“)  verzichteten  oder 
„die  baurschaft  nicht  wider  gewinnen  wollten“11)  oder  freiwillig 
„abtraten“.12)  Von  einem  in  Concurs  geratenen  Gute  ruhte  die 

l)  Stockb.  B.  B.  26.  Aug.  1696.  25.  Aug.  1706. 

»)  8t.  B.  B.  31.  Okt.  1816.  Stockb.  B.  B.  8.  Juni  1681. 

*)  Stockb.  B.  B.  24.  Aug.  1679.  Gleiche  Erscheinungen  bei  den 

RSlner  Bauerbänken.  Wrede,  Bauerbänke.  S.  58. 

4)  Vota).  B.  B.  24.  Aug.  1684. 

6)  Stockh.  B.  B.  26.  Aug.  1696. 

*)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1684. 

7)  Stockh.  B.  B.  10.  Januar  1688. 

8)  Volm.  Mast-Buch.  S.  Sl  vom  Jahre  1782.  Volm.  B.  B.  22.  No- 
vember 1779. 

•)  a.  a.  0.  12.  Juli  1780. 

“)  a.  a.  O.  25.  Aug.  1743.  25.  Aug.  1701. 

,l)  Volm.  Mast-Buch.  S.  33  B vom  Jahre  1744. 

n)  Stockh.  B.  B.  26.  Aug.  1696. 


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Bauerschaft,  „bis  dahin  sich  ein  Käufer  beim  Magistrat  melden 
wird,  der  alsdan  sich  de  novo  wird  einkrönen  lassen“,1)  ebenso 
war  die  Bauerschaft  eines  Gutes  vakant,  wenn  sich  kein  Be- 
sitzer meldete.2)  Von  einem  Zeitpachtgute  war  der  Pächter 
während  der  Pachtzeit  Bauerschaftsmitglied;  war  das  Gut  nicht 
verpachtet,  so  ruhte  auch  die  Bauerschaft.1)  Wenn  mehrere 
Interessenten  eines  Teilgutes  sich  vor  dem  Bauergericht  zur 
Aufnahme  meldeten  und  die  Entscheidung  nicht  sogleich  ge- 
troffen werden  konnte,  wurde  die  Aufnahme  bis  zum  nächst- 
jährigen Gerichte  verschoben,  und  die  Bauerschaft  blieb  bis 
dahin  vakant.4)  Bei  der  zum  Teil  grossen  Zersplitterung  der 
Güter  konnte  es  nicht  ausbleiben,  dass  bei  der  Aufnahme  in 
der  Wahl  des  berechtigten  Interessenten  ein  Irrtum  vorkam. 
Wenn  z.  B.  ein  Gut  in  acht  Teile  zersplittert  war,  kam  der 
letzte  Interessent  erst  dann  an  die  Reihe,  wenn  alle  Vorgänger 
bis  zu  ihrem  Tode  die  Bauerschaft  vertreten  hatten.  Da  konnten 
bei  der  Wahl  des  Berechtigten  Irrungen  nicht  ausbleiben. 
Stellte  sich  dann  später  heraus,  dass  ein  Irrtum  vorgekommen 
war,  so  wurde  der  zu  Unrecht  Aufgenommene  ausgeschlossen 
und  statt  seiner  der  im  Turnus  folgende  aufgenommen.5)  „Um 
den  Nutzen  verglichen  sich  beide  Teile“.6)  Wenn  einer  ohne 
Berechtigung  „in  die  baurschaft  hineingetrungen  ist“,  so  wird 
der  Berechtigte  „vor  gehöriger  Obrigkeit  mandatum  restituendi 
fructus  auszubringen  nicht  unterlassen“.7) 

Die  Beamten  der  Bauerschaft 

An  der  Spitze  der  Bauerschaft  steht  der  Holzgraf.8) 
Wenn  ein  Holzgraf  gestorben  ist  und  „das  zeitliche  mit  dem 

’)  Volm.  Mast-Buch.  fol.  60  v. 

J)  Stockh.  B.  B.  26.  Januar  1836. 

*)  Volm.  B.  B.  28.  Aug.  1768. 

4)  HQst.  B.  B.  26.  Juni  1708.  Stockh.  B.  B.  26.  Aug.  1708.  24.  Aug.  1724. 

6)  Volm.  B.  B.  24.  August  1720.  St.  B.  B.  3.  Juli  1828.  HUst. 
B.  B.  30.  Juni  1726. 

•)  Volm.  B.  B.  19.  Mai  1821. 

7)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug  1692. 

8)  Er  trägt  diesen  Namen  a potiori,  weil  von  der  Allmende  der  Wald 
allein  der  Bauerschaft  verblieben  ist.  Vergl.  Maurer,  Einleitung  zur 
Qeschichte  usw.  S.  44.  Langwerth,  Darstellung  der  im  Herzogtum 
Bremen  bestehenden  Jurisdiktionen.  S.  87. 

I.appc,  Die  Geacker  Uauorsehaftcn  5 


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B6 


ewigen  verwechselt“  hat,1)  so  muss  „nach  verflossener  sechs- 
wöchiger Zeit“  ein  neuer  gewählt  werden.2)  Der  Vormund  der 
Bauerschaft3)  lässt  die  Mitglieder  zur  Neuwahl  gewöhnlich  in 
seiner  Wohnung  zusammenkommon.4)  Hier  werden  dann  zu- 
nächst entweder  „die  beiden  eitesten  der  baursekaft  erwehlet, 
die  vota  des  künftigen  holzgreven  hinc  inde  anfzunehmen,  denen 
auch  dan  ein  annotator  beygegeben  wird“,5)  oder  „nachdem  (der 
Vormund  und  ein  anderes  Mitglied)  zu  ausrechnung  deren 
Stimmen  ausersehen  worden,  begeben  sie  sich  auf  ein  apartes 
Zimmer,  und  vernehmen  von  einem  jeiden  bawerglidt  in  separato 
sein  Votum,  und  annotiren  dasselbe  getrewlich“.*)  Es  wird  auch 
wohl  ein  „Kayserlicher  Notarius  requirirt,  der  Wahl  eiues 
newen  Holtzgräfen  beizuwohnen,  deren  (Bauerglieder)  sämbtliche 
vota  getreulich  ins  besondere  aufzunehmen“.  Ihm  werden  zwei 
Mitglieder  „zur  Einnehmung  deren  votis  adjungirt,  welchem 
nach  sämbtliche  gliedere  abtretten  und  jede  in  separato  sein 
votum  abgeben“.7)  „Hierauf  werden  die  vota  von  man  zu  man 
colligiert“.8)  Wer  durch  Stimmenmehrheit8)  gewählt  ist,  wird 
„dan  von  anwesenden  zum  newen  Holtzgrefon  angenohmen  undt 
ihme  darzu  in  optima  forma  congratuliert  undt  haben  Herren 
Erben  und  bawren  dass  Vertrawen  zu  New  Erwehlten  Herrn 
Holtzgrefe,  dass  er  jederzeit  der  baurschaft  jura  observiren 
weder“.10)  Der  Holzgraf  wird  abwechselnd  aus  den  Besitzern 
der  Erbgüter,  den  sog.  Erben,  und  den  Bauern  oder  Heuerlingeu 

')  Stockh.  B.  B.  23.  Juli  1730. 

а)  Voim.  B.  B.  15.  Oktober  1684. 

3 ) S.  u.  S.  73. 

*)  Stock.  B.  B.  15.  April  1721.  Volm  B.  B.  10.  Aug.  1710.  Hüst. 
B.  B.  28.  Okt.  1750. 

б)  Volm.  B.  B.  10.  Aug.  1710. 

•)  Hüst.  B.  B.  28.  Okt.  1760. 

*)  Volm.  B.  B.  29.  Aug.  1751.  St.  B.  B.  15.  Oe*.  1772:  „wie  sie 
viritim  herein  gekommen  und  ihre  vota  abgegeben“. 

«)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1705. 

9)  Volm.  B.  B.  29.  Ang.  1761:  „per  plurimorum  vota“.  Stockb.  B.  B. 
23.  Juli  1730:  „per  vota  m&iora“.  a.  a.  0.  23.  Juli  1730:  „per  plurima 
vota“.  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1684:  „per  pluralitatem  votorum“.  Hält. 
B.  B.  28.  Okt.  1750:  „durch  die  mebriste  stimmen*. 

Hüst  B.  B.  24.  Juni  1717. 


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67 


erwählt,1)  indem  entweder  die  Erben  oder  die  Bauern  „einen 
Abstand  thun“2)  oder  „einen  Abtritt  thuen“,3)  also  sich  von  der 
andern  Partei  trennen  und  aus  ihrer  Mitte  den  Holzgrafeu 
wählen  lassen.  Weil  aber  infolge  dieser  streng  durchgeführten 
Abwechselung  „die  bauerschaft  offtermahls  in  schaden  gerathen, 
ist  also  beliebt,  Yon  solcher  alternation  abzustehen  und  allemahls 
einen  so  qualificirt  zu  erwehlen“.4)  Bei  der  Hüsteder  Bauerschaft 
dagegen  ist  es  „bräuchlich,  dass  aus  den  Erben  ein  neuer 
Holtzgrefe  erwehlet  werden  müste“5)  und  „die  Herren  Heuerlinge 
aus  den  Erben  eins  der  Baurschaft  dienliches  subjectum  zum 
Holtzgräfen  erwehlen“.5)  Im  Jahre  1706  wollen  auch  hier  die 
Heuerlinge  zur  Holzgrafschaft  zugelassen  w’erden.  Bei  der 
Versammlung  „gewärtigen  die  Erben,  dass  die  Herreu  Heuerlinge 
aus  ihrem  der  Erben  gremio  einen  newen  Holtzgräfen  erwehlen 
wollten,  wiedrigenphals  sie  gesinnet  währen,  ihnen  einen  Holtz- 
gräfen vorzusotzen“.  Die  Heuerlinge  protestieren  dagegen,  dass 
die  Erben  „das  jus  Holtzgravii  prätendiren,  und  würden  solches 
niehmals  zugeben,  absonderlich  dahe  doch  bey  andern  Bauern- 
schaften notoria  praejudicia  obhande»,  dass  aus  dehnen  Heuer- 
lingen Holtzgräfen  erwehlet  und  de  facto  tales  gefunden  würden. 
Daher  die  Heuerlinge  ad  simultaneum  jus  Holtzgravii  bestünden, 
weill  aequalia  onera  abtragen  und  also  aequale  jus  haben  müssen, 
sich  vor  wie  nach  ad  notoria  praejudicia  beziehende  und  zu  ihrer 
Notthurft  communicationemprotocollorum  verlangende,  in  Eventum 
aber  wollten  ad  superiorem  Holtzgravium  scilicet  zu  Herrn 
Bürgermeister  und  Rath  provoziren“.  Die  beiden  Parteien 
können  sich  nicht  einigen,  und  so  wählen  die  Erben  einen  Holz- 
grafen aus  ihrer  Mitte.6) 

Der  Holzgraf  einer  Bauerschaft  soll  nicht  auch  zugleich 
dasselbe  Amt  bei  einer  andern  bekleiden;  wird  er  gleichwohl 

*)  Hüst.  B.  B.  6.  Juni  1706.  Volm.  B.  B.  15.  Okt.  1684:  .ob  dass 
zwaren  vor  dies  mahl  die  Wahl  an  den  U.  Erben  gestanden  aus  den 
heuerlingen  einen  (sc.  Uolzgrafen)  zu  eligireu*. 

a)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1680. 

*)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1705.  24.  Juni  1717:  .einen  abdritt  ge- 
nommen'4. 

4)  Volm.  B.  B.  20.  Dezember  1696. 

*)  HÜBt.  B.  B.  24.  Juni  1705. 

«)  a.  a.  O.  6.  Juni  1706. 

6» 


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von  einer  zweiten  gewählt,  so  „muss  er  die  Holdergrebeschaft 
abtretten“;1)  einmal  wird  ihm  die  Annahme  des  Amtes  freilich 
gestattet,  „jedoch  citra  consequentiam“.2)  Wenn  der  Holzgraf 
nicht  im  stände  ist,  den  Amtspflichten  nachzukommen,  so  wird 
zu  seiner  Unterstützung  ein  Vizeholzgraf  ernannt.3)  Dieser  hat 
keinen  Anspruch  darauf,  einmal  Holzgraf  zu  werden,  mit  Abgang 
des  Holzgrafen  ist  er  seines  Amtes  entsetzt,4)  mag  er  sich  auch 
„bey  hoher  Obrigkeit  bei  seinem  angeworbenen  Recht  fürderlichst 
zu  manuteniren  suchen,  absonderlich  es  ungereimt  sein  wollte, 
einen  reputierten  Menschen  ohne  Ursach  zu  entsetzen“.5)  Wenn 
jedoch  die  Erben  und  Bauern  „erfahren  müssen,  dass  zeitiger 
Herr  Holtzgrefe  wegen  allemahl  angebender  entschuldigung 
seiner  Schwachheit  der  bawrschaft  Nutzen  und  aufkommen 
schlecht  in  acht  nehme,  befinden  sie  für  nötig,  salvo  tarnen  per 
omnia  honore  (des  Holzgrafen)  einen  newen  Herrn  Holtzgrefen 
zu  erwehlen“,0)  und  setzen  damit  den  alten  ab.  Zuweilen  dankt 
der  Holzgraf,  wenn  er  alt  und  schwach  geworden,  selbst  ab;7) 
sonst  bekleidet  er  sein  Amt  auf  Lebenszeit.  Ist  er  jedoch  nur 
vorübergehend  „wegen  vorhabender  reise“3)  oder  „wegen  Un- 
pässlichkeit“9) oder  „schwächheit  halber“10)  verhindert,  pflegt 
er  einen  andern  „begehren  zu  lassen,  seine  stelle  in  soweit  zu 
vertreten“,8)  oder  er  „substituirt  einen  andern,  nöthiges  zu  ob- 
serviren“.8)  Bei  einer  Angelegenheit,  die  den  Holzgraf  selbst 
betrifft,  wird  „der  eiteste  von  der  Bauerschaft“11)  zu  seiner 
Vertretung  bestimmt. 

Der  Holzgraf  muss  „der  Bauerschaft  in  ihrem  Gerichte 
vorstehen“12)  und  dabei  „das  protocollum  führen“.13)  Er  hat 

>)  Volm.  B.  B.  1654. 

s)  Volm.  B.  B.  26.  Aug.  1736. 

*)  Hilst.  B.  B.  24.  Juni  1702.  24.  Juni  1706.  Urkunde  Uber  Scbnad- 
Weisung  der  Stockh.  B.  vom  Jahre  1667. 

4)  Hüst.  B.  B.  6.  Juni  1706. 

5)  a.  a.  0.  24.  Juni  1705. 

•)  a.  a.  O.  24.  Juni  1717. 

7)  a.  a.  O.  24.  Juni  1706. 

*)  Httst.  B.  B.  24.  Juni  1724. 

')  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1719. 

>•)  a.  a.  0.  24.  Aug.  1666. 

")  Stockb.  B.  B.  21.  Juli  1682. 
n)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1705. 

**)  a.  a.  O.  24.  Juni  1724.  Siehe  den  Abschnitt  über  die  Versammlungen. 


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09 


über  Einnahme  und  Ausgabe  bauerschaftlicher  Gelder  jedes  Jahr 
Rechenschaft  abzulegen,1)  bei  Verpachtung  von  Ländern  und 
Wiesen,  die  der  Bauerscbaft  gehören,  stellt  er  im  Namen  der 
Bauerschaft  den  Meierbrief  aus’)  und  bewahrt  die  Bücher  und 
Briefschaften  der  Bauerschaft.3)  Bei  Ausgängen  zwecks  Be- 
sichtigung von  Feldfreveln  geht  er  gewöhnlich  mit  ins  Feld.4) 
Vor  allem  hat  er  die  Genossenschaft  nach  aussen  z.  B.  bei 
Prozessen  zu  vertreten.3)  Zur  Fühlung  von  Prozessen  muss 
er  von  der  Bauerschaft  beauftragt  sein,8)  er  „hat  keine  macht, 
für  sein  haupt  ohne  vorwissen  der  banrschaft  processus  anzu- 
fangen“,7)  geschieht  es  gleichwohl,  so  muss  er  die  Kosten  selbst 
zahlen.8)  Auch  für  alle  anderen  Schäden,  die  der  Bauerschaft 
durch  eigenmächtiges  Vorgehen  des  Holzgrafen  entstehen,  muss 
er  aufkommen.®) 

Für  die  mit  dem  Amte  verbundenen  Pflichten  wird  der 
Holzgraf  nnr  sehr  gering  gelohnt.  Das  „Holzgrafensalarium“ 
beträgt  bei  Hüstede10)  und  Volmede11)  1 Th.  9 gr.,  bei  Stockheim 
und  Heringhausen  zusammen  2 Th.  18  gr.,IS)  bei  Stalpe  5 Th.'3) 
Ausserdem  erhält  er  jährlich  sein  Deputatholz ,4)  und  bekommt 
bei  allgemeiner  Holzverteilung  ein  Fuder  „vorab“.18)  Wenn 
Mast  ist,  darf  er  drei  Schweine  extra  treiben18)  und  erhält  von 
jedem  in  Mast  gehenden  Schweine  1 gr.  Schreibgeld.17)  Bei  ausser- 
gewöhnlichen  Bemühungen  erhält  er  eine  besondere  Vergütung.18) 

')  Siehe  den  Abschnitt  Qber  das  Finanzwesen. 

*)  Hüst.  24.  Juni  1762. 

s)  a.  a.  O.  24.  Juni  1717. 

*)  St.  B.  B.  passim. 

6)  Stockh.  B.  B.  7.  März  1709. 

")  Volm.  B.  B.  25.  Aug.  1738. 

7)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1707. 

»J  St.  B.  B.  10.  April  1829. 

•)  Volm.  B.  B.  24.  Febr.  1834. 

10)  Hüst.  B.  B.  30.  Juni  1748. 

>*)  Volm.  B.  B.  30.  Aug.  1749. 

IS)  Stockh.  B.  B.  16.  Juli  1725. 

M)  St.  B.  B.  12.  Mai  1812. 

14)  a.  a.  O.  3.  Juli  1828. 

•5)  Hüst.  B.  B.  26.  Januar  1706.  17.  Januar  1723. 

'*)  St.  B.  B.  28.  September  1811. 

”)  St.  B.  B.  16.  Okt.  1696. 

>*)  Stockh.  B.  B.  27.  Aug.  1702.  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1705. 


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70 


Zur  Regelung  der  wirtschaftlichen  Angelegenheiten  der 
Bauerschaften  waren  die  Brachstecher  bestimmt.  Ihre  Auf- 
gabe war  es,  wie  schon  der  Name  sagt,  das  Brachfeld  abzu- 
stechen.1) Ausserdem  mussten  sie  das  sog.  Friedefeld,  das 
von  Schäfern  und  Hirten  nicht  betrieben  werden  durfte,  in  der 
Weise  festsetzen,2)  dass  sie  rund  herum  Büsche,  die  sog.  Friede- 
büsche, in  die  Erde  steckten.'1)  Die  Beschlüsse  der  Bauerscbaft 
über  Ausbesserung  der  Wege  waren  von  den  Brachstechern 
anszuführen.4)  Ihre  feldpolizeilichen  Aufgaben  bestanden  darin, 
der  „baurschaft  interesse  fleissig  in  obacht  zu  nehmen,  auch 
Acht  zu  haben,  dass  sonst  denen  privatis  mit  abpflügen  und 
sonst  kein  schade  zugefüget,  und  schaden  thuende  zeitig  denuntiirt 
und  gebührend  bestraft  werden“.5)  Bei  Anzeige  von  Flur- 
schäden sollten  sie  „auf  jede  Citation  compariren,  augenschein 
einnehmen  und  darob  ad  protocollum  referieren“,6)  und  bei  der 
jährlichen  Versammlung  der  Bauerschaft  wurden  sie  gelegentlich 
gefragt,  ob  „ihrem  wissen  und  gewissen  nach  nichts  vorgefallen, 
weil  dies  jahr  gahr  kein  excess  vorgebracht  worden“.7)  Es 
sollte  darauf  „gesehen  werden,  dass  zu  den  brachstechem 
Ehrliche,  aufrichtige,  verstendige  unt  des  orths  kundige  Leuthe 
seyen  undt  genommen  werden“.8)  Bei  Antritt  ihres  Amtes 
hatten  sie  vor  versammelter  Bauerschaft  den  Eid9)  zu  schwören: 
„Ich  N.  schwere,  dass  so  oft  Ich  vom  zeitlichen  holtzgrefen 
unt  dieser  bawrschaft  begehret  werde  eine  landt-  oder  holtz- 
weisung  zu  tliuen  dass  Ich  selbige  Weisung  laut  vorgebrachten 
rollen  oder  guten  beweisstumben  von  beyden  partheyen,  aufrichtig]) 
ohne  einige  partialiteit,  gunst,  gäbe,  freundtschafll,  hass  oder 


>)  Volm.  34.  Aug.  1684. 

>)  ft.  a.  O.  3.  September  1684.  Stockb.  H.  B.  36.  Aug.  1707. 
13.  September  1780. 

>)  a.  a.  0.  7.  Oktober  L705. 

«)  a.  a.  O.  19.  April  1783. 

»)  HUat  B.  B.  34.  Juni  1734. 

*)  a.  ft.  O.  86.  Juni  1709. 

7)  Volm.  B.  B.  29.  Aug.  1717. 

")  ft.  a.  0.  24.  Aug.  1684.  Ebenda  findet  aicb  die  folgende  .forma 
juramenti*  der  Bracbgtecher. 

9)  Daher  auch  .aidtschwerer*  (a.  a.  O.)  und  „aydtsckwera“  (Stockb. 
B.  B.  24.  Aug.  1692)  genannt. 


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71 


niedt  verrichten  will,  und  ad  protoeollum  bringen,  auch  nichts 
in  solchen  begebenheiten  ohne  vorwissen  des  holtzgrefen  in 
dieser  bawrschaft  district  üben  oder  verrichten,  unt  will  auch 
auf  gebott  erscheinen,  undt  wan  Ich  aussgeschicket  werde  vom 
holtzgrefen  unt  bawrschaft  einen  augenschein  einzunemmen  oder 
darzu  helfen,  denselben  fleissig  einnemmen  undt  die  streitenden 
partheyen  meinem  besten  verstandnuss  nach  bawrrecht  ent- 
scheiden helfen  ohne  einige  partialiteit,  und  alles  was  sich  be- 
funden dem  holtzgrefen  ad  protoeollum  fleissig  referiren;1)  Auch 
so  will  Ich  dieser  bawrschaft  Länderey,  garten,  wiesche,  geholtz 
unt  waldemeinen  so  vill  mir  bewusst  laut  vorgebrachten 
beweissthumben  aufrichtig!»  weisen  und  beschützen  helfen  so 
vill  möglich  ist,  fort!»  dieser  bawrschaft  renthen  wie  die  auch 
nahmon  haben  mögen  will  helfen  bewahren  unt  wass  dessen  in 
abgangh  kommen  behülflich  sein  dass  selbige  wieder  beygebracht 
werden  Es  sey  mitt  gutem  rahtt  briefschaften  oder  beweissthumben, 
auch  allen  schaden  so  woll  zu  holtz  als  zu  felde  an  wegen 
undt  Stegen  so  geschehen,  dem  holtzgrefen  und  gantzer  bawrschaft 
denuncyren,  undt  also  dieser  bawrschaft  als  ein  aidtschwerer 
auch  Ehrlicher  aufrichtiger  undt  frommer  mann  getrewlich  bey- 
stehen  will,  allen  schaden  wandelen  und  Nutzen  beförderen. 
Also  helf  mir  Gott  undt  die  Heiligen  Evangelia.“2) 


')  Ueber  diese  Tätigkeit  siebe  den  Abschnitt  über  jus  finium  regundornm. 

J)  Eine  andere  Formel  findet  sich  bei  Stalpe.  St.  B.  B.  24.  Aug.  169«: 
„Ich,  N.  N.,  gelobe  und  schwere  zu  Gott  und  allen  seinen  beyligen,  dass 
iclr  auf  erfordern  hiesigen  stalper  Bauergericbts  so  oft  einige  landes-  oder 
holtzweisung  solte  vorgenohmen  und  von  jemanden  gesuchet  werden,  nach 
meinem  besten  wissen  und  gewissen  so  viel  und  weit  die  von  denen  Partheyen 
producirende  briefliche  urkunden,  rollen  oder  glaubhafte  designationes  nacli- 
weisen  werden,  einem  jeden  ohnpartheysch  recht  wiederfabren  lassen, 
niemanden  aus  lieb,  gunst,  gift  oder  hass  uud  neid  etwass  ab-  oder  zu- 
weisen. sondern  vermög  absebwerenden  ayds  getreuwlicb  und  aufrichtig 
handelen,  auch  da  einige  verlorne  stück  an  holtz  und  lande,  sie  geboren 
der  baurschaft  zu  oder  wehine  sie  wollen,  mir  Uber  kurtz  oder  lang  Vor- 
kommen und  darüber  kundschaft  erhalten  oder  wUrcklich  haben  mögte,  solche 
einem  zeitigen  boltzgreven  und  der  gantzen  baurschaft  offenbahren,  wie  dau 
der  baurschaft  schnallen,  geholtz  und  dero  selben  zuständige  oder  ohne  herre 
lieggende  Plätze  ohne  unterscheid  und  unterschleif  weisen,  danebst  allen  im 
geholtz  sowoll  als  felde  befindenden  schaden  angeben  solle  und  wolle,  so 
wahr  mir  (iott  hilft  uud  seine  beyligen  Evangelien.“ 


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72 


Der  Braehstecher  sind  bei  Httstede,1)  Volmede2)  und 
Stalpe1)  je  vier,  bei  Stockheim4)  für  Höringhausen  zwei,  Stock* 
heim  zwei,  Wietheim  einer  und  für  Passinghausen  und  Ebbing- 
hausen zusammen  einer,  also  im  ganzen  sechs.  Bei  Hüstede 
werden  je  zwei  aus  den  Erben  und  den  Heuerlingen  erwählt.5) 
Ueber  die  Wahl  der  Brachstecher  heisst  es  in  den  Protokollen: 
„Dan  seyn  die  alten  brackstecher  aufgestanden“6)  und  „haben 
sich  ex  sessione  begeben  und  einen  abtritt  genohmen,  umb  die 
Wahl  anderer  vorzunehmen,“7)  es  sind  „die  vorigen  Jahrs  er- 
wehlten  Brachstecher  zusahmen  getretten  und  haben  ahn  ihren 
platz  erwehlet“,8)  es  haben  „die  alte  aydtschwerers  an  ihren 
platz  erwehlet“  .'O  Während  danach  die  alten  Brachsteeber 
jedes  Jahr  ihre  Nachfolger  zu  bestimmen  haben,  heisst  es  bei 
Volmede  einmal,  „es  seyndt  von  der  gantzen  baurschaft  zu  aydt- 
schweren  erwehlet  und  deputirt“.10)  Doch  scheint  die  Wahl 
mehr  eine  Formsache  gewesen  zu  sein,  weil  bei  eingetretener 
Verwirrung  „die  Ordnung  der  Brachstecher,  um  alle  miss- 
verständnis  zu  beseitigen,  vorn  im  Buehe  angefangen  wurde“,1') 
also  jeder  der  Reihe  nach  dieses  Amt  antreten  musste.  Gegen 
die  Wahl  der  neuen  Brachstecher  darf  die  Bauerschaft 
protestieren,  wenn  einer  von  ihnen  „jegen  bawerschaftliche 
interesse  gehandelt  und  mit  anfanger  eines  Prozesses  ist“.1*) 
Die  alten  und  neuen  Brachstecher  bilden  eine  besondere 
Kommission  zur  Prüfung  der  Rechnung  des  Holzgrafen,  die  sie 
zu  unterschreiben  haben.13)  Ueber  das  Resultat  müssen  sie  der 
gesamten  Bauerschaft  Bericht  erstatten.14)  Für  die  Mühen 


Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1707. 

*)  Volm.  B.  B.  29.  Aug.  1761. 
s)  St.  B.  B.  18.  Juni  1810. 

4)  Stöckli.  B.  B.  24.  Aug.  1660. 
6)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1707. 

4)  a.  a.  O.  24.  Juni  1730. 

’)  a.  a.  O.  24.  Juni  1744. 

e)  a.  a.  0.  24.  Juni  1726. 

*)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1692. 
1#)  Volm.  B.  B.  24  Aug.  1694. 
")  a.  a.  O.  17.  Okt.  1808. 

'*)  a.  a.  O.  29.  Aug.  1761. 

,3)  a.  a.  O.  31.  Aug.  1727. 

14)  Stockb.  B.  B.  24.  Aug.  1722. 


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73 


und  Arbeiten,  die  mit  dem  Amte  verbunden  sind,  erhalten  die 
Brachstecher  .keine  Vergütung.  Jedoch  „für  extraordinäre 
Mühe“1)  und  „wegen  dieses  Jahr  vorgefallener  arbeidt“2)  wird 
ihneu  eine  Entschädigung  gewährt.  Nach  den  im  Aufträge 
der  Bauerschaft  unternommenen  Ausgängen  ins  Feld  haben 
sie  jedesmal  freie  Zeche3)  oder  erhalten  für  den  Tag  z.  B. 
8 gr.<) 

Jode  Bauerschaft  hatte  einen  Vormund.  Dieser  hatte 
eine  Kasse  zu  führen  und  jedes  Jahr  der  gesamten  Bauerschaft 
Rechnung  über  Einnahmen  und  Ausgaben  zu  legen.5)  Ferner 
war  er  verpflichtet,  den  Bauerschaftsmitgliedern  jährlich  „das 
traktament  zu  geben“.6)  Er  bekleidete  dieses  Amt  ein  Jahr; 
nur  gelegentlich  findet  sich,  dass  er  3 oder  4 Jahre  Vormund 
ist.7)  Auch  dieses  Amt  wird  abwechselnd  von  einem  Erben 
und  einem  Heuerling  bekleidet.8)  Zu  Hüstede  haben  „sowohl 
Erben  als  heuerlinge  concludiert,  das  hinführo  umb  alle  Streitig- 
keiten ferner  zu  verhüten,  alter  gewohnheit  nach  (die  Vor- 
mundschaft) alternierte  und  die  Erben  und  Heuerlinge  einjahr 
umbs  andere  die  Zehrung  halten  sollten“.9)  Die  Erben  wählen 
den  Vormund  aus  den  Heuerlingen  und  die  Heuerlinge  hin- 
wiederum aus  den  Erben.10)  Doch  ist  auch  hier  die  Wahl  Form- 
sache. Der  Vormund  wird  bestimmt  „nach  der  einmahl  gemachten 
in  principio  innotirter  Ordnung“.11)  Als  bei  Stockheim  „durch 
Absonderung  der  Heringer  bauren  man  in  confusion  geiahten 

>)  Stockh.  B.  B,  1778. 

*)  a.  a.  O.  20.  Aug.  1731. 

3)  Siehe  den  Abschnitt  über  jus  hui  um  regundorum. 

<)  St.  B.  B.  10.  Aug.  1784. 

s)  Stockh.  B.  B.  19.  Aug.  1720.  Hiist.  B.  B.  1.  De*.  1707. 

*)  Hüst.  B.  B.  30.  Juni  1720. 

,)  s.  B.  Volm.  B.  B.  26.  Aug.  1684. 

8)  Volm.  B.  B.  1659.  ,to  einem  nigeu  vormuneren  erküren  von  den 
Erfen“.  1663.  item  „von  den  hiirlingen*.  a.  a.  O.  24.  August  1684. 
„da  unter  den  Erben  diesmahl  die  wähl  gewesen  undt  als  von  einem  Erb- 
gudt  die  Last  der  Vormundschaft  auf  selbes  guth  gefallen*. 

»)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1702. 

10)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1694:  „worauf  die  heuerlinge  alle  auf- 
gestanden und  auf  den  Erben  N.  X.  angeordnet,  welcher  dan  dieses  officium 
schuldigst  occupirt".  1695:  „als  haben  sich  die  Erben  zusahmengetahn  undt 
aus  den  heuerlingen  erwehlt". 

u)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1721.  a.  a.  O.  19.  Aug.  1720. 


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74 


und  eben  nicht  gewusst,  wohran  die  vormundtsch&ft  devolvirt, 
als  ist  placidirt,  derhalb  Zettel  per  numeros  gezogen  und  ein 
jeder  nach  seinem  numer  undt  gezogenen  Los  die  vormundtschaft 
administriren  solle“.1)  Ebenso  ist  von  der  Volmeder  Bauerschaft 
„concludirt,  dass  wegen  der  Vormundschaft  zu  Verhütung 
künftiger  Differenz  zwischen  den  Erben  und  Hewrlingen  eins 
vor  all  lottirt  werden  solle“.’)  Der  Vormund  wird  bestimmt 
„der  alten  Observans  nach  durch  umbhaltung  eins  blumeu- 
krantzs“,*)  des  sog.  „Vormundskranzes“,4)  den  der  Holzgraf 
dem  dazu  Erwählten  „altem  Gebrauch  nach  präsentirt“.8)  Der 
Kranz  wird  von  dem  neuen  Vormund  „wie  brauchlich  aufs 
blosse  Haupt  gesetzt“.®)  Nachdem  er  „sich  bedaneken  gethan“,7) 
wird  „demselben  darzu  Glück  gewünscht  und  durch  den  Baur- 
knecht  solcher  (Kranz)  zu  dessen  Behausung  geschickt“.“)  Wenn 
er  zufällig  in  der  Versammlung  nicht  anwesend  ist,  so  wird 
der  Kranz  entweder  seinem  Stellvertreter  überreicht*)  oder  „mit 
dem  behörigen  bier  durch  den  Knegt  zugesandt“, ,0)  worauf  der 
neue  Vormund  „dan  dafür  danck  per  famulum  Burschapiae 
sagen  lässt“.11)  Die  Neuwahl  findet  bei  dem  üblichen  Jabres- 
festo,  dem  „Traktamente“  statt.1’)  Als  Lohn  erhält  er  jährlich 
ein  Fuder  Holz,18)  das  sog.  „Vormünderfuder“,14)  ferner  treibt 
er  ein  Schwein  in  die  Mast,18)  geniesst  während  des  Amtsjahres 
bauerscliaftliches  Land1*)  und  bekommt  gelegentlich  etwas  Geld 


>)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1682. 

*)  Volm.  Hast-Buch.  S.  60. 

3)  Volm.  B.  B.  28.  Aug.  1768. 

«)  a a.  O.  28.  Aug.  1735. 

»)  Stockb.  B.  B.  19.  Aug.  1720. 

a)  HUst.  B.  B.  26.  Juni  1705:  „Weilen  der  N.  N.  solchen  Kranz  wie 
brauchlich  nicht  aufs  blosse  haupt  sondern  auf  den  hudt  gesetzt“,  wird  er 
bestraft. 

’)  Volm.  B.  B.  28.  Aug.  1735. 

“)  Stockh.  B.  B.  19.  Aug.  1720. 

»)  Höst.  B.  B.  26.  Juni  1718.  24.  Juni  1724. 

“)  Volm.  B.  B.  25.  Aug.  1770. 

<>)  Höst.  B.  B.  29.  Juni  1721. 

ia)  a.  a.  O.  24.  Juni  1702.  24.  Juni  1762. 

“)  Stockh  B.  B.  1722.  Höst.  B.  B.  26.  Januar  1706. 

>•)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1698. 

,s)  a.  a.  O.  28.  Septembej  1714. 

l*)  a.  a.  O 24.  Aug.  1722.  St.  B.  B.  12.  Hai  1812. 


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75 


überwiesen.1)  Von  dem  einkommenden  Getreide  erhält  er  „das 
10.  scheffel  Krimpe  in  hartkorn  undt  das  9.  schl  in  haber“.2) 

Die  meisten  der  Bauerschaft  obliegenden  Angelegenheiten 
hat  der  Bauerknecht3)  zu  besorgen.  Er  muss  ebenso  wie 
die  schon  genannten  Beamten  Mitglied  der  Bauerschaft  sein,4) 
erst  wenn  sich  aus  der  Bauerschaft  keiner  bereit  findet,  wird 
ein  Fremder  gewählt/’)  Ist  die  Stelle  frei  geworden,  so  haben 
sich  aus  dem  Kreise  der  Mitglieder  die  Bewerber  zu  melden. 
Die  versammelte  Bauerschaft  wählt  durch  Stimmenmehrheit 
einen  von  ihnen,  während  des  die  Bewerber  die  Versammlung 
verlassen.  Bei  seiner  Einführung  hat  er  folgenden  Eid  „mitt 
aufgerichteten  Fingern“  zu  schwören:6)  „Ich  N.  schwere  dass 
Ich  eine  aufrichtige  undt  nach  hiesiger  Stadts  Ellen  abgemesseue 
ruhten  ad  — 16  fuess  oder  — 8 — Ellen  langh  gebrauchen 
will,  unt  die  acker,  garten  oder  wiessen,  geholtz,  driften  undt 
wege  so  mir  zu  messen  vom  zeitlichen  holtzgreffen  Erben  und 
bawren  anbefohlen  worden  getrewlich  undt  aufrichtigh  messen, 
die  Zahl  der  ruhten  Ellen  undt  fuess  fleissigh  beobachten  undt 
dem  zeitlichen  holtzgrefen  oder  einem  anderen  von  demselbigen 
bevollmechtiget  die  zahl  derselben  überbringen  undt  das  messen 
also  trewlichst  verrichten.  Auch  so  will  ich  keinen  menschen 
in  dem  bezirck  velmeder7)  gerechtigkeit  ohne  vorwissen  dess 
holtzgrefen  kein  landt,  wiese,  garten,  geholtz  oder  wass  mit 
der  ruhten  kan  gemessen  werden,  Messen,  sondern  alles  mit  vor- 
wissen undt  willen  dess  zeitigen  holtzgrefen  verrichten,  undt  will 
fleissige  aufsicht  haben  auf  dass  geholtz  so  woll  der  meyer  als 
bawrschaft  geholtz  es  sey  auf  waldemeinen  oder  sonsten  dass 
der  bawrschaft  zugehörigh  ist  damitt  nichts  davon  entrücket 
oder  verwüstet  werde  undt  in  specie  an  fruchtbahren  bäumen 
nndt  jungen  heisteren  sondeni  dieselbe  jungen  heister  hegen 
damitt  dass  geholtz  nit  zum  Verderb  gerahten  möge,  wan  aber 

>)  Hiiat.  B.  B.  16.  Jnli  1713. 

а)  Holtb.  B.  B.  10.  Okt.  1784. 

3J  Aach  Banerschaftsdiener,  Bauerdiener,  Famulus,  Holzwärter,  Holl- 
knecht.  Förster,  Knecht  und  geschworener  Messer  genannt. 

«)  Volm.  B.  B.  3.  Oktober  1779. 

б)  St.  B.  B.  24.  Aug.  1766. 

«)  a.  a.  O.  24.  Ang.  1684. 

7)  Bei  den  andern  Banerschaften  der  entsprechende  andere  Name. 


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76 


schade  geschehen  solle,  den  thäter  darüber  ertappete  oder  er- 
fahren kan  wer  den  schaden  getlian  denselben  gleich  pfänden 
undt  dem  holzgrefen  dennncyren.  So  will  ich  auch  allen  Feldt- 
schaden  den  schaden  an  wegen  und  Stegen  dem  holzgräfen 
ofenbahren.  Darneben  will  Ich  der  bawrschaft  einkompften  unt 
gefalle  trewlich  undt  fleissig  beytreiben,  undt  die  gebott  und 
verbott  so  mir  vom  holzgräfen  anbefohlen  werden  fleissigh  ver- 
richten, auch  allen  nutzen  der  bawrschaft  befördern  unt  allen 
schaden  so  vill  möglich  verhüten,  unt  was  geheimb  ist  keinem 
menschen  ofenbahren,  und  nichts  nach  gunst,  gäbe,  freundschaft, 
hass  oder  niedt  sondern  alles  fleissigh  getrewlich  undt  aufrichtigh 
verrichten.  Also  helf  mir  Gott  undt  die  Heiligen  Evangelia.“ 
Darauf  muss  „der  angenommener  Bauerknecht  einen  Driling 
gutes  biers  der  Bauerschaft  geben.“1)  Wenn  der  Bauerknecht 
gestorben  und  noch  kein  neuer  gewählt  ist,  muss  der  jüngste 
aus  der  Bauerschaft  bis  zur  Neuwahl  diese  Stelle  bekleiden.'-2) 
Bei  Unfähigkeit,  den  Pflichten  des  Amtes  nachzukommen,  wird 
entweder  ein  „interimistischer“  Bauerknecht  gewählt,3)  oder  der 
alte  dankt  auf.4)  Wenn  er  dagegen  „seine  Dienste  schlecht 
observiret/’)  seinen  Knechtsdienst  einige  Jahr  hero  schlecht 
verdritt,  also  dass  dadurch  der  Bauerschaft  ein  ziemlicher 
schaden  zugekehret  wird,“6)  wird  er  abgesetzt.  Bei  „unhöflicher 
Aufführung“7)  wird  er  bestraft  oder  wogen  „des  schlechten 
Betragens“  abgesetzt.8) 

Die  mit  diesem  Amte  verbundenen  Pflichten  sind  zum 
grössten  Teil  schon  in  dem  Eidschwur  enthalten.  Er  hat  die 
Aufsicht  in  Wald  und  Feld  zu  führen,  den  Holzgrafen  und  die 
Brachstecher  bei  Besichtigung  der  Feldfrevel  zu  begleiten,9)  die 
Länder  abzumessen ,0)  und  die  gefundenen  Vergehen  dem  Holz- 
grafen anzuzeigen.  Ferner  muss  er  die  Mitglieder  der  Bauerschaft 

>)  Httst.  B.  B.  4.  April  1707. 

2)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1666. 

3)  St.  B.  B.  19.  Ang.  1725. 

4)  Hiist.  B.  B.  4.  April  1707. 

s)  Volm.  B.  B.  3.  Oktober  1779. 

»)  Hiist.  B.  B.  26.  Juni  1729. 

?)  Stockh.  B.  B.  1779. 

»)  St.  B.  B.  28.  De*.  1786. 

*)  Siebe  den  Abschnitt  Uber  die  Feldpolizei. 

IU)  Siehe  den  Abschnitt  Uber  jus  flnium  regundornm. 


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77 


zu  Versammlungen  citieren,1)  ebenso  zum  Begräbnis  eines  ver- 
storbenen Mitgliedes  einladen,2)  kleinere  Arbeiten  an  Wegen, 
Gräben,  Bächen  usw.  für  die  Bauerschaft  verrichten,3)  dem 
neuen  Vormund  den  Kranz  überbringen,  den  Holzgraf  zum  Rat- 
haus begleiten  und  das  „Bauerbuch“  tragen4)  und  ähnliche 
Kleinigkeiten. 

Als  Lohn  für  diese  Arbeiten  empfängt  er  jährlich  2 Thaler,5) 
später  5 Thaler  „zur  Aufmunterung  zu  seiner  ferneren  Tätigkeit.“6) 
Ausserdem  ist  ihm  bauerschaftliches  Land  überwiesen,  das  sog. 
„Knechtsland“7)  oder  „Deputatland“,8)  eine  „Trift  und  einige 
morgen  Kley“,9)  eine  Wiese10)  usw.  Diese  Länder  muss  er  selbst 
bestellen,  ohne  Erlaubnis  der  Bauerschaft  darf  er  sie  nicht  ver- 
pachten.11) Ferner  erhält  er  jährlich  ein  Paar  Schuhe,12)  zu  deren 
Beschaffung  ihm  gelegentlich  ein  Stück  Land  angewiesen  wird.13) 
Wenn  Holz  gehauen  ist,  bekommt  er  mit  Holzgraf  und  Vor- 
mund ein  oder  mehrere  Fuder  vorab.14)  Bei  Ausgängen  erhält 
er  einen  Teil  der  Strafgelder,15)  bei  Holzverkäufen  von  jedem 
Baume  ein  Stammgeld,16)  für  Citirung  zur  Versammlung  und 
Einladung  zum  Begräbnis  jedesmal  4 gr.17)  und  für  ausser- 
gewöhnliche  Arbeiten  eine  entsprechende  Vergütung.18) 

Neben  diesen  stehenden  Beamten  werden  zu  vorübergehenden 
Zwecken  besondere  Kommissionen  eingesetzt.  So  haben  die 
alten  und  neuen  Brachstecher  die  Rechnung  des  Vormunds  zu 

>)  Stockh.  B.  B.  1818. 

2)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1734. 

»)  Volm.  B.  B.  3.  Mai  1730.  30.  August  1733. 

«)  a.  a.  0.  19.  Mai  1781. 

5)  a.  a.  O.  10.  Januar  1793. 

«)  St.  B.  B.  11.  Mari  1842. 

’)  Stockh.  B.  B.  1810. 

»)  Hüst.  B.  B.  29.  Juni  1717. 

»)  Stockh.  B.  B.  8.  Juni  1681. 

'•)  a.  a.  0.  24.  Aug.  1680. 

,l)  Hüst  B.  B.  29.  Juni  1717. 

i»)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1698.  Stockh.  B.  B.  1805. 

1S)  Scbnadweisung  der  Stockh.  B.  1667. 

■4)  Hüst.  B.  B.  26.  Januar  1706.  17.  Januar  1723. 

i>)  Siehe  den  Abschnitt  über  die  Feldpolizei. 

'•)  St.  B.  B.  3.  Februar  1826. 

'*)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1734.  Stockh.  B.  B.  1818. 

18)  Volm.  B.  B.  3.  Mai  1730.  30.  August  1733. 


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prüfen  und  bei  geringeren  Anlässen  Beschlüsse  zu  fassen.1)  Zn 
dem  gleichen  Zweck  der  Rechnungsprüfung  wird  einmal  eine 
Kommission  von  drei  Mitgliedern  eingesetzt,2)  ebenso  zu  Führung 
von  Prozessen.3)  In  den  letzten  Jahren  der  Bauerschaftcn,  wo 
infolge  der  sich  häufenden  Geschäfte  alle  Mitglieder  nicht  jedes* 
mal  citiert  werden  konnten,  wurden  sechs  Deputierte  gewählt,4) 
mit  denen  „in  minder  wichtigen  Angelegenheiten  beraten  und 
auch  die  Beschlüsse  definitiv  abgeschlossen  werden  konnten; 
jedoch  durfte  dieses  nicht  andere  geschehen  als  wenn  der  Wert 
noch  unter  12  Th  betrug.  Diese  gelobten  den  versammelten 
Bauereehaftsmitgliedern,  nach  Vorschrift  und  Gewissen  das 
Interesse  der  Bauerschaft  wahrzunehmen  und  dem  Holzgrafen 
nach  Kräften  mit  Rat  und  Tat  au  die  Hand  zu  gehen.“ 


Die  Versammlungen  der  Bauerschaften 

Die  im  vorhergehenden  Abschnitt  genannten  Beamten 
waren  die  ausführenden  Organe  der  Bauerschaften;  in  ihren 
Handlungen  waren  sie  an  die  Weisungen  der  Bauerschafts- 
genossen gebunden.  Diese  gaben  ihren  Willen  kund  iu  den 
jährlichen  Versammlungen,  den  Bauergerichten, 5)  das  von 
Hüstede  „altem  Herkommen  gemäss  in  festo  Sti.  Joannis 
(24.  Juni)  gehalten“  wurde,8)  von  Volmede,  Stalpe  und  Stockheim- 
Heringhauseu  „auf  Bartholomaei“  (24.  August)7)  und  von 
Holthausen  „in  festo  S.  Laurentii“  (10.  August).8)  Weil  der 
24.  August  in  die  Zeit  der  Ernte  fällt  und  somit  mancher  Ge- 
nosse verhindert  war,  pflegte  man,  wenn  „das  festum  Bartholomai 
auf  einen  Freytag9)  oder  Sauibstag111)  eingefallen“  war,  das 
Gericht  auf  den  folgenden  Sonntag  zu  verschieben.  Später 

')  a.  a.  O.  2.  Dezember  1722. 

J)  Hilst.  B.  B.  26.  Jnoi  1709. 

3)  St.  B.  B.  30.  März  1827. 

*)  a.  a.  O.  17.  April  1833. 

6)  Lateinisch  „ordinaria  juridica".  Stockh.  B.  B.  25.  Aug.  1706. 

»)  Hüst.  B.  B.  29.  Juni  1706. 

T)  In  den  B.  B.  passim. 

«)  z.  B.  Holtli.  B.  B.  10.  Aug.  1780. 

»)  Stockh.  B.  B.  26.  Aug.  1696. 

>°)  a.  a.  0.  25.  Aug.  1697. 


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wurde  ein-  für  allemal  der  Sonntag  als  Gerichtstag  bestimmt,1) 
bis  infolge  eines  Churfiirstlichen  Befehles,  dass  „keine  Zusammen- 
künfte oder  Gelage  aufm  Sontag  gehalten“’)  werden  sollen,  wieder 
der  24.  August  gewählt  wurde.  „So  balt  der  Gottesdienst  ge- 
schehen“,3) erschienen  die  Genossen  an  den  Sonntagen,  sonst 
genau  „zwischen  12  und  1 Uhr  nachmittag“4)  „auf  schlag 
zwölf“®)  oder  „umb  klock  zwölf“.®)  Konnten  in  einer  Sitzung 
sämtliche  Angelegenheiten  nicht  erledigt  werden,  so  wurde  am 
Nachmittag  eine  zweite  etwa  „in  des  Vormünders  behausung 
beym  trunck  bier“  abgehalten, ’)  manche  Sachen  auch  auf  den 
folgenden  Tag  verschoben  und  dann  erledigt.8)  Zu  diesen 
Jahresgerichten  mussten  die  Mitglieder  „ohncitirt  erscheinen“.“) 
Aus  zwingenden  Gründen  wurde  manchmal  ein  anderer  Tag 
gewählt.  In  Kriegszoiten  „wegen  der  andauernden  Durch- 
märsche“,10) auch  „wegen  ankommende  Herren  Commissäre  des 
kopschatz  halber“  ")|  oder  „wegen  anderer  geschehen  wird 
heutige  Convention  anticipirt“,1*)  „anticipandogehalten“.'*)  Ebenso 
wenn  „zeitiger  Vormundt  Herr  Bürgermeister  wegen  eingefallenen 
Landtags  zu  Arnsberg  nicht  erscheinen“'4)  oder  sonst  „wegen 
ehehaffter  Behinderung“  '®)und  „wegen  sonderbahrer  Verhinderung 
in  festo  S.  Joannis  Baptistae  das  Gericht  nicht  geheget  werden"1*) 
konnte,  wurde  es  auf  einen  späteren  Tag  verschoben.  In  diesen 
Fällen  mussten  die  Mitglieder  zu  der  Versammlung  cingeladeu 


■)  a.  a.  O.  19.  Aug.  1731. 
a)  Volm.  B.  B.  25.  Aug.  1770. 

*)  Stockh.  B.  B.  26.  Aug.  1703. 

*)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1684. 

®)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1687. 

*)  Stockh.  B.  B.  30.  Aug.  1716. 

7)  z.  B.  Hüst..  B.  B.  24.  Juni  1704  u.  s.  o.  „ante“  und  „poat 
prandium“. 

8)  St.  B.  B.  22.  Aug.  1717. 

*)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1683.  24.  Aug.  1724. 

10)  Hüst.  B.  B.  4.  Juni  1758. 
u)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1717. 
ia)  Hüst.  B.  B.  16.  Juni  1715. 

13)  a.  a.  O.  20.  Juni  1765. 

'*)  Stockh.  B.  B.  29.  Aug.  1728. 

“)  Hüst.  B.  B.  30.  Juni  1720. 

I6)  a.  a.  O.  26.  Juni  1718. 


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80 


werden,  sie  erschienen  „praevia  citatione“1)  oder  „praevia 
avisatione“.*)  Aus  besonderen  Anlässen  fielen  die  Jahres- 
versammlungen zuweilen  aus.  So  im  siebenjährigen  Kriege 
„wegen  der  Viellen  Durchmersche  und  einquartirungen  der 
Französchen  Militz  hat  1757  das  bawerschaftliche  gericht  nicht 
gehalten  werden  können“,®)  auch  1761  nicht,  als  Herzog 
Ferdinand  von  Braunschweig  in  der  Geseker  Feldmark  lag  und 
zu  Volmede,  Stalpe,  Hüstede  und  Holthausen  Wiesen  und 
Aecker  „abfuragirte“.*)  Auch  in  den  andern  Jahren  dieses 
Krieges  mussten  die  Versammlungen  der  Bauerschaften  teils 
wegen  der  Gefahren,  teils  wegen  der  Bedrängnisse  und  der 
Armut,  auch  wegen  Verbotes  seitens  der  Behörden  unterbleiben. 
Erst  1764  konnte  „nach  hergestelleten  lieben  frieden“  wieder 
Gericht  gehalten  werden.*) 

Die  Versammlungen  wurden  vor  den  Toren  des  Stadtbezirkes 
abgehalten,  in  dem  sich  die  Bauerschaften  neu  angebaut  hatten.®) 
Die  Erben  und  Bauern  von  Stockheim,  Wietheim,  Ebbinghausen, 
Passinghausen  und  mit  ihnen  die  von  Heringhausen  „erschienen 
an  gewöhnlichem  Gerichtsplatz  vor  der  luischen  pfordte“T) 
„unter  den  zwey  linnen“,8)  die  von  Hüstede  „in  loco  consueto 
vor  der  Mühlenpforten“*)  und  die  von  Volniede  „auf  ihrem 
ordentlichen  Gerichtsplatz  vorder  oistpforten  zur  rechten  seithe“10) 
„auf  dem  Schützenhagen“.11)  Ebendort  hielten  auch  Stalpe1®) 
und  Holthausen ia)  ihr  Gericht.  Aus  zwingenden  Gründen  wurde 
das  Gericht  manchmal  an  einen  andern  Platz  verlegt,  so  „wegen 
starcken  Regewetters  in  des  zeitigen  vormünders  haus“,14)  „wegen 

')  Stockh.  B.  B.  29.  Aug.  1728. 

*)  Volm.  B.  B.  29.  Aug.  1717. 

*)  Höst.  B.  B.  1767. 

‘)  a.  a.  0.  1761. 

6)  St.  B.  B.  1757—1764. 

*)  S.  Karte  H. 

7)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1681  u.  s.  o. 

e)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1685.  24.  Aug.  1704:  „unter  den  liudeus*. 

9)  Hilst.  B.  B.  24.  Juui  1708. 

10)  Volm.  B.  B.  29.  Okt.  1675. 

u)  a.  a.  0.  28.  August  1735,  24.  Aug.  1696:  „vor  der  oistpforten 

Suidseits  als  in  loco  consueto“. 

»)  z.  B.  St.  B.  B.  24.  Aug.  1748. 

>3)  z.  B.  Holth.  B.  B.  10.  Aug.  1780. 

“)  Höst.  B.  B.  29.  Juni  1721.  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1714. 


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81 


eingefallenen  regenwetters  in  dieWachtstubevorderoistpfoiten“.1) 
In  Kriegszeiten  wählte  man  das  Haus  des  Vormunds,  „weilen 
an  gewöhnlichen  Ort  Bedenken  getragen“,2)  desgleichen  pflegte 
die  Versammlung  während  der  Verhandlungen  „ex  loco  zu 
weichen,  weilen  es  unstättig  und  regnerisch  Wetter  gewesen, 
und  sich  nach  des  Herrn  Vormunders  Hause  zu  begeben,  all- 
wolie  man  das  Gericht  gehalten“,3)  ebenso  „weilen  Holtzgrewe 
unvermögend,  als  seint  (die  Mitglieder)  in  dessen  Behausung 
erschienen“.4)  Wenn  ein  anderer  Platz  gewählt  wurde,  musste 
es  den  Mitgliedern  bekannt  gemacht  werden,  weil  sie  sonst, 
wenn  „gewöhnlicher  Ort  nicht  bestimmt  wird,  nicht  völlig  Zu- 
sammentreffen“.5) Zu  diesen  Versammlungen  wurden  von  den 
Kanzeln  der  beiden  Kirchen  alle  eingeladen,  die  eine  Klage 
vorzubringen  hatten.8) 

•)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1793. 

2)  Hüst.  B.  B.  4.  Juni  1758. 
s)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1702. 

4)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1701. 

6)  Hüst.  B.  B.  25.  Juni  1717. 

®)  Diese  Bekanntmachungen  lauteten:  .Anstehenden  Dingstag  so  dar 
seyn  wird  der  30.  oder  letzter  Tag  dieses  zu  endt  nahenden  Monaths  Jtmy 

soll  das Baurgericbt  geheget  und  gehalteu  werden,  da  dan  .lemandt 

einige  in  solchem  districtu  verübte  Bxcessen  und  Klag  vorzubringeu,  Kan 
sich  auf  vorbesagten  Tag  dess  Morgens  mub  Sieben  Uhr  am  (Goriehtsplatz ) 
angeben  und  dem  befinden  nach  bescheidts  gewertigen. 

Datum  Gesick. 

27  Juny  1682. 

Holzgrebe  Erben  und  Bauern  zu * 

.Zu  wissen  sey  biemit  Jedermenniglichen,  dass  auf  Diugstag  liegst 
folgender  Wochen  so  dar  «ein  wird  der  22  dieses  laufenden  Monaths  Juny 

das Baurgericbt  geheget  werden  solle,  So  dan  Jemandt  einige  dahin 

gehörige  gebreche  vorzubringen,  Hatt  sich  an  vorgemeltem  Dingstag  am 
(Oerichtsplatz)  morgens  umb  Sieben  Uhr  anzugeben,  und  dem  befinden  nach 
bescheidts  zu  gewertigen. 

Datum  17  Juny  1683 

Holsgrebe  Erben  und  Bauern  zu “ 

.Auf  anstehendem  Mittwoch,  so  dar  seyn  wirdt  der  4te  dess  bevor- 
stehenden Monaths  Novembris  soll  das Baurgericbt  Morgens  umb 

8.  Uhr  gehalten  werden,  da  dan  Jemandt  dess  orths  gehörige  Klagen  vor- 
zubringen, Kan  sich  umb  besagte  Zeit  und  Tagh  am  (Gerichtsplatz)  angeben 
und  bescheidts  gewertigen. 

Signatum  Gesick  31.  Oktobris  1687 
Holzgrebe  Erben  und  Bauern  zu “ 

Lappe,  Die  Geseker  Bauersiballi'n  8 


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Die  Mitglieder  erschienen  sehr  oft  nicht  vollzählig,  wie  sich 
aus  vielen  Präsenzlisten  ergibt,  es  genügte,  wenn  sie  „in  ziemblicher 
Anzahl“1)  anwesend  waren.  Wer  fern- blieb,  musste  sich  vorher 
entschuldigen,’)  sonst  wurde  er  bestraft.*)  Ebenso  mussten  die, 
die  „zu  spät  ans  gericht  kamen“,  je  einen  Jahrkuchen  schenken.4) 

Die  gesamte  Bauerschaft  kam  zusammen,  „umb  sothanes 
Gericht  zu  bekleiden“,5)  „erschien  zu  dessen  Bekleidung““)  und 
„hegte  das  gewöhnliche  Baurgericht“ 7)  unter  den  üblichen 
Formalitäten,  „wobei  auch  observanda  observht“.8)  Der  Holz- 
graf führte  den  Vorsitz  im  Gericht,  es  wurde  „praeside  Holtz- 
gravio“  gehalten,*)  der  ancb  „das  protocollum  zu  führen“  hatte.1*) 
Doch  wurde  hierzu  auch  gelegentlich  ein  besonderer  Schreiber 
genommen.’1)  Wenn  der  Holzgraf  „wegen  Krankheit,'*)  leibs 
Schwachheit”)  oder  vorhabender  reise“14)  an  dem  Gericht  nicht 
teilnehmen  konnte,  musste  er  einen  Stellvertreter  ernennen  und 
„durch  ihn  diesen  Actum  protokolliren  lassen“.”)  Zu  Beginn 
der  Sitzung  wurde  „fürerst  numerus  der  Herren  Erben  und 
Bauren  examinirt“,'*)  der  Holzgraf  pflegte  zu  „befragen,  ob  alle 
bawrglieder  gegenwertig,  darauf  der  baurknecht  refortirte“.'7) 
Die  Teilnehmer  sassen  während  des  Gerichtes.1“)  Gewöhnlich 

')  Stöckli.  B.  B.  24.  Aug.  1727. 

>)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1066. 

*)  Stöckli.  B.  B.  24.  Aug.  1712  *.  B.  mit  2 gr. 

4)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1711.  Ueber  Jahrkuclien  g.  den  Abschnitt  über 
Sitten  und  Bräuche. 

*)  HÜ8t.  B.  B.  24.  Juni  1726. 

c)  a.  a.  O.  24.  Juni  1730. 

')  a.  a.  O.  24.  Juni  173G. 

8)  Volm.  B.  B.  31.  Aug.  1732. 

•)  Stockh.  B.  B.  26.  Aug.  1716. 

'»)  Hüat.  B.  B.  24.  Juni  1724. 

")  Volm.  B.  B.  4.  Juli  1676. 

'*)  Hiist.  B.  B.  29.  Juli  1748. 

ls)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1722. 

M)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1724. 

16)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1722. 

16J  St.  B.  B.  24.  Aug.  1690. 

H)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1687. 

'*)  Das  geht  aus  der  Bemerkung  (Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1696)  hervor: 
.worauf  die  heuerlinge  alle  aufgestanden*.  St.  B.  B.  24.  Aug.  1712: 
„Dieweil  wegen  eingefallenen  regenwetters  die  bauren  in  loco  consuoto  nicht 
sitzen  künnen*. 


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wurden  zuerst  die  Brachstecher  gewählt.  Darauf  wurde  vom 
Holzgrafen  „anwesenden  Herren  Erben  und  bawren  nach  altem 
herkommen  vorgetragen,  weil  auf  heutigen  tagh  die  beysahmen- 
kunft  gehalten  würde,  ob  jemand  sich  zum  newen  baurschafts- 
genossen  angeben  wolle.  Hierauf  gab  (der  Bauerknecht)  an, 
dass  N.  die  Bauerschaft  gewinnen  wolle“.1)  Die  das  Gericht 
beschäftigenden  Fragen  wurden  dadurch  entschieden,  dass  der 
Holzgraf  „votierte“’)  und  „die  Herren  Erben  und  Bauern  einer 
nach  dem  andern  befraget  wurden,  ob  ihnen  bewusst,  dass“  usw., 
worauf  sie  „überlegten  und  dan  aussagten“®)  oder  „der  sembt- 
lichen  anwesenden  Herren  Erben  und  Bauern  Bescheid“  gegeben 
wurde4)  oder  worauf  „Erben  und  Bauern  referirten“.6)  Gelegent- 
lich wurden  auch  die  Aeltesten  der  Bauerschaft  besonders  befragt,6) 
worauf  vom  Holzgraf  der  gegebene  „bescheidt  ertheilet“  wurde.7) 
Klagen  konnten  schriftlich  eingereicht  werden.")  * Es  war  „bei 
allen  baurschaften  hieselbst  rechtens  und  uhralt  herpracht  auch 
noch  in  viridi  observantia,  dass  keine  procuratores  beim  baur- 
gericht  admittirt,  sundern  die  citati  selbst  in  processu  sistiren 
mussten“.*)  Wurde  über  Vergehen  abgeurteilt,  so  mussten  die 
Schuldigen  die  Sitzung  verlassen.10)  Der  Beschluss  der  Bauer- 
schaft wurde  dem  Anwesenden  „in  faciem  publicirt“11)  und  auf 
Wunsch  im  Auszug  aus  dem  Protokoll  überreicht.1’)  War  zu 
einem  Beschlüsse  Einstimmigkeit  erforderlich,  so  pflegten  die 
anwesenden  Mitglieder,  wenn  auch  „zwar  in  Exigua  copia  bey 
einander,  für  ihre  persona  (etwas)  zu  bewilligen,  übrige  Meinung 
den  andern  hiuterlassendt“.1®)  Die  Verhandlungen  betrafen 
gewöhnlich  die  Neuwahl  der  Brachstecher,  Aufnahme  neuer 

>)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1666. 

а)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1685. 

»)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1699. 

*)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1666. 

*)  a.  a.  0.  24.  Aug.  1712. 

б)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1689. 

7)  a.  a.  0.  24.  Aug.  1685. 

8)  a.  a.  O.  29.  Okt.  1675. 

s)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1684. 

*°)  Stockh.  B.  B.  6.  März  1693. 

u)  Hilst.  B.  B.  24.  Juni  1730. 

ls)  a.  a.  O.  28.  Januar  1714. 

ls)  a.  a.  0.  28.  Juni  1707. 

ß* 


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Mitglieder,*)  Strafsachen*)  und  Geldangelegenheiten.3)  Wenn 
einmal  nur  wenige  Mitglieder  erschienen  waren,  wurden  wichtige 
Sachen  bis  zur  nächsten  Zusammenkunft  verschoben.4) 

Neben  diesen  jährlichen  Bauergerichten  fanden  in  dringenden 
Fällen  ausserordentliche  Versammlungen  statt.  Bei  Neu- 
wahl des  Holzgrafen,3)  bei  Verpachtung  von  bauerschaftlichen 
Ländereien,*)  zur  Beratung  Uber  dringende  Ausbesserung  der 
Wege,7)  in  Prozesssachen  der  Bauerschaft,8)  bei  schweren 
Holzfreveln  *)  und  bei  Gesuchen  um  Bewilligung  von  Bauholz10) 
wurden  sämtliche  Mitglieder  besonders  citiert,*1)  indem  gelegentlich 
„die  gehörige Citation  ex  ambone  in  beyden  Pfarrkirchen  erging“.15) 
Diese  Versammlungen  fanden  meist  nicht  auf  dem  Gericbtsplatze 
statt,  sondern  im  Hause  des  Holzgrafen,1*)  „in  dem  heiligen 
geist“,14)  „auf  dem  Stadts-  oder  Rahthaus“,15)  gewöhnlich  am 
Rathaus  **)  oder  „unter  den  rhathaus  im  Keller“,17)  auch  einfach 
„am  Weinkeller“.18)  Da  die  Gefahr  bestand,  dass  viele  Mit- 
glieder fern  blieben,  wurden  alle  eingeladen  „bey  Straf  ihres 
voti“.1*)  Wenn  aber  in  einer  Versammlung  „anwesende  gahr 
wenig  undt  sich  nicht  resolviren  konten,  blieb  (die  vorliegende 
Sache)  ausgestellet  bis  zu  anderweiter  Zusammenkunft“  *",)  oder 


’)  Nur  bei  den  Jahre» Versammlungen  konnten  neue  Mitglieder  aufge- 
nommen  werden.  Stockh.  B.  B.  26.  Aug.  1701. 

8.  den  Abschnitt  Uber  Jus  finium  regundorum. 

3)  S.  den  Abschnitt  Uber  das  Finanzwesen. 

«)  St,  B.  B.  24.  Aug.  1719. 

6)  S.  o.  S.  65. 

•)  Hüst.  B.  B.  6.  De*.  1744. 

7)  Volm.  B.  B.  30.  November  1721. 

8)  Stockh.  B.  B.  24.  Februar  1684. 

»)  a.  a.  O.  6.  März  1693. 

>»)  Volm.  B.  B.  26.  Juni  1722. 
n)  Stockh.  B.  B.  7.  Februar  1706. 

>*)  Volm.  B.  B.  4.  Mai  1719. 

>»)  Stockh.  B.  B.  14.  Okt.  1827. 

■*)  Volm.  B.  B.  20.  Januar  1692:  ein  Armen-  und  Krankenhaus. 
l6)  a.  a.  O.  21.  Nov.  1722. 

"*)  Stockh.  B.  B.  13.  Februar  1729. 

»»)  a.  a.  O.  19.  April  1722. 

,e)  a.  a.  0.  8.  Juni  1761.  Volm.  B.  B.  20.  De*.  1695. 

'*)  Volm  B.  B.  21.  November  1722. 

*>.i  HUst.  B.  B.  26.  Juni  1717. 


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es  wurde  bei  den  abwesenden  Mitgliedern  „besondere  Umfrage 
gehalten“.')  Bei  Angelegenheiten,  die  eine  schnelle  Entscheidung 
verlangten,  sollten  vom  Holzgrafen  „die  Brackstecher  undt 
einige  negst  beym  rathaus  wohnende  baurglieder  auf  (den  andern 
Tag)  frühe  umb  6 uhr  im  alten  Keller  zu  erscheinen  citirt  und 
dieselben  vernohmen  werden,  wie  es  am  besten  anzufangen“.*) 
Geheime  Zusammenkünfte  der  Bauerglieder  ohne  Wissen  des 
Holzgrafen  waren  streng  verboten.  So  waren  einmal  „derer 
ad  15  beysahmen  gewesen  (im  Hause  des  Vormunds)  und  hatten 
ihn  gefragt,  ob  er  eins  rnahls  zapfen  wolle“.  Zwei  Mitgliedern, 
von  denen  der  eine,  „ad  eiusmodi  conventicula  als  citans  sich 
gebrauchen  laesen“,  der  andere  „in  specie  gesagt,  die  baursehaft 
bette  den  holtzgraef  eingesetzt,  konte  auch  woll  wider  absetzen, 
wurde  der  baursehaft  sich  zu  endteusern  auferlegt“,  ebenso 
allen  übrigen  „deswegen  das  sie  in  privato  conventicula  über 
das  Gehöltz  gehabt“.®) 


Die  bauerschaftliehcn  Flurgerichte 

Die  Bauerschaften  übten  über  das  gesamte  Bauerschafts- 
gebiet mit  Ausschluss  des  Weidebezirkes  die  Feldpolizei  aus,*) 
sie  waren  die  „berechtigte  der  feldpolizey“.®)  Jedes  Bauerglied 
war  verpflichtet,  der  „Stipulation  nach  alle  delicte  ad  protocollum 
anzugeben,  wer  solches  schuldiger  massen  nicht  angab,  wurde 
altem  Gebrauch  nach  in  Strafe  condemnirt“.*)  Zur  Verhütung 
von  Forstfreveln  war  als  Aufseher  der  Holzknecht  bestimmt, 
der  zuweilen  „mit  2 Gehilfen  den  forstfrevlern  nachstellte“ 7) 
und  „die  Holzdiebe  in  der  Nacht  aufpasste“. H)  Besonders  im 
Winter  waren  Holzdiebstähle  an  der  Tagesordnung.  Daher 
wurde  bestimmt,  dass  der  Reihe  nach  alle  Mitglieder  den  Dieben 

')  St.  B.  B.  18.  Juni  1810. 

*)  Stöckli.  B.  B.  6.  April  1724. 

s)  a.  a.  O.  13.  Januar  1686. 

4)  Vergl.  darüber  Maurer,  Einleitung  zur  Geschichte  usw.  § 66. 
Dorfverfassung.  II.  § 157  ff.  Schröder,  Deutsche  Rechtsgeschichte. 
Index  s.  v.  Dorfgericht. 

6)  Stockh.  B.  B.  15.  Mai  1810. 

*)  a.  a.  O.  25.  Aug.  1706. 

7)  a.  a.  O.  24.  Dez.  1816. 

•)  a.  a.  O.  24.  Dez.  1808. 


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im  Walde  aufpassen  sollten  ')  Diese  sollten  „mit  Gewehr  sich 
zum  Holtz  begeben,  so  sie  in  der  that  ertappen  thäten,  herein- 
bringen, gegen  die  flüchtigen  oder  wiederspenstigen  ihr  gewehr 
jedoch  ohne  lebensgefahr  gebrauchen  undt  denenselben  mit  einem 
Schreckschuss  nachschiessen“.3)  Um  die  Forstfrevel  möglichst 
einzuschränken,  durfte  „vor  Sonnenauf-  und  nach  Sonnenunter- 
gang weder  Hieb  noch  Abfuhr  statthaben ; wer  sich  ausser  der 
bestimmten  Zeit  mit  einem  Haugeschirr  oder  Wagen  in  dem 
Bezirke  betreten  Hess,  wurde  als  Holzdieb  angesehen  und  be- 
straft“.3) Die  Bauerschaften  hatten  von  Holzdieben  um  so  mehr 
zu  leiden,  weil  Geseke  mit  seiner  Feldmark  zum  grössten  Teil 
an  das  Fürstentum  Paderborn  grenzte  und  Untersuchung  und 
Bestrafung  mit  vielen  Umständlichkeiten  verbunden  waren.4) 
Zudem  pflegten  die  Frevler  die  Zeugen  einzuschüchtern,  so  dass 
jemand  „sagte,  er  forchte  die  Wahrheit  zu  sagen,  weil  er  allein 
wohnte“.*) 

Die  Forstfrevel  bestanden  zunächst  darin,  dass  von  dem 
auf  bauerschaftlichem  Grunde  gehauenen  Holze,  das  unter 
sämtliche  Mitglieder  verteilt  war,  dom  einen  und  andern  „das 
mehrste  holtz  weggestohlen“  wurde.")  Starke  Bäume  wurden 
wegen  der  damit  verbundenen  Gefahr,  leicht  entdeckt  zu  werden, 
gewöhnlich  nicht  gestohlen.  Meist  wurde  Brennholz  gehauen 
wie  Dörneiy)  junge  Eichen8)  und  das  an  Gräben  und  Wegen 
wachsende  Krüppelholz.*)  Besondere  waren  die  in  dem  Felde 
allein  Wohnenden  leicht  zu  Holzdiebstählen  geneigt.  So  wurde 
„die  Meiste  Zeit  (in  der  Oelmühle)  der  Kachelofen  mit  widen- 
holtz  angestochen,  so  dass  an  den  Wiedenbäumen  grossen  Schaden 
von  Jahr  zu  Jahr  geschah“.  Es  war  nämlich  Sitte,  dass  „bcy 
Winterszeit  die  Junge  so  olie  schlagen  Hessen  Nächtlicher  weilen 
widen  undt  ander  holtz  in  die  Mühle  brachten  und  damit  die 

’)  St.  B.  B.  20.  Januar  1720. 

*)  a.  a.  O.  4.  März  1718. 

5)  Stockh.  B.  B.  6.  Sept.  1814. 

*)  a.  a.  O.  7.  März  1709.  Der  Holzgraf  musste  dio  Bauerschaft  iu 
dieser  Augelegeuheit  in  Boke  vor  Gericht  vertreten. 

s)  a.  a.  O.  1808.  Ohne  Datum. 

«)  a.  a.  O.  15.  März  1703. 

7)  Hiist.  B.  B.  10.  Okt.  1707. 

8)  Stockh.  B.  B.  1.  Juni  1694. 

»)  Hüst.  B.  B.  30.  Okt.  1706. 


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stube  anhitzten“.1)  Ferner  wurden  besonders  im  Frühjahr  junge, 
aufgeschossene  Bäume  zu  „Feizbohnenstangen“2)  oder  „Hopfen- 
stangen“3) aus  dem  Holze  gestohlen.  Wo  sich  solche  „Vitz- 
stöcke“  und  „Vitsbohnenstangen“  in  einem  Hause  oder  Garten 
fanden,  musste  der  Besitzer  über  ihre  Herkunft  Rechenschaft 
geben.4)  Wenn  ein  Baum  gehauen  war  und  im  Fallen  einen 
oder  mehrere  andere  ruiniert  hatte,  so  musste  der  Hauer  diese 
Bäume  gegen  eine  von  der  Bauerschaft  festgesetzte  Taxe  über- 
nehmen, falls  keine  Böswilligkeit  vorlag.5)  War  jedoch  der 
Schaden  durch  Fahrlässigkeit  entstanden,  so  wurde  verlangt, 
dass  an  die  Stelle  der  beschädigten  Bäume  neue  gepflanzt  wurden, 
und  obendrein  wegen  der  Frevels  eine  Strafe  festgesetzt.5)  Die 
gleichen  Grundsätze  kamen  in  Anwendung,  wenn  jemand  auf 
fremdem  Grunde  einen  Baum  gehauen  hatte.  War  es  aus 
Unkenntnis  der  Schnad  geschehen,  so  musste  er  für  die  Taxe 
und  gegen  Erlegung  der  entstandenen  Kosten  übernommen 
werden,7)  lag  böse  Absicht  zu  Grunde,  so  trat  noch  eine  scharfe 
Bestrafung  ein.8)  Als  ein  besonders  schweres  Vergehen  wurde 
es  angesehen,  wenn  „aus  einer  Hecke,  die  um  einen  Garten 
ging,  mehrere  Stämme  ausgehanen  wurden,  so  dass  das  Vieh 
eindringen“  konnte,9)  ebenso  wenn  der  Hagen,  der  ein  Gehölz 
nach  aussen  abschloss,  weggehauen  wurde,  so  dass  „solches 
geholtz,  weilen  selbiges  auf  dass  feldt  schiesset,  dem  Kuhehirten 
sowoll  als  den  schefern  gantz  geöfnet  war,  also  dass  die  Kühe 
ohne  einige  hinderung  dareinfallen  und  verderben  konnten“.10) 
Ein  solcher  Frevler  musste  „den  schaden  nicht  allein  ersetzen, 
sondern  auch  den  ausgehauwenen  hagen  dergestalt  zumachen, 
damit  durch  das  Viehe  kein  weiterer  schade  zugefügt  werden 
könne“,11)  oder  „einen  beständigen  grafen  in  platz  des  abge- 


*)  Hüst.  B.  B.  10.  Februar  1700. 

*)  a.  a.  0.  4.  Mär*  1707. 

*)  a.  a.  O.  31.  Mai  1706. 

«)  a.  a.  O.  29.  Juni  1717.  25.  Juni  1725. 
s)  Stockh.  B.  B.  27.  April  1S06. 

*)  a.  a.  0.  22.  April  1697. 

7)  St.  B.  B.  11.  Januar  1811. 

•)  a.  a.  O.  17.  März  1812. 

•)  Hilst.  B.  B.  25.  Juni  1708. 

I0)  Stöckli.  B.  B.  5.  Februar  1703. 

»)  Stockh  B.  B.  24.  Aug.  1711. 


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hauweneu  bagens  aussehmeissen  oder  aber  mit  einem  lebendigen 
hagen  den  ohrt  dergestalten  versehen,  damit  das  Gehölz  vor 
allem  schaden  des  Viehes  versichert  und  behütet  werden  könne“.') 
Auch  die  Benutzung  der  zu  den  geteilten  Gütern  gehörigen,  im 
gemeinsamen  Niessbraueh  verbliebenen  Aehtwercke  unterlag 
der  Regelung  durch  die  Bauerschaft.2)  Es  war  nämlich  „von 
sambtlichen  Erben  und  bauren  unanimiter  concludiret,  dass  kein 
baurglicd,  welcher  Interessenten  hatt,  erlaubt  seye,  ohne  deren 
eonseus  einen  bäum  zu  verkaufen  oder  zu  verschenken“.  Die 
Einfahrt  ins  Gehölz  war  deshalb  nur  bei  „Vorzeigung  deren 
interesseutcn  Scheins“  gestattet.'1)  Wer  ohne  Erlaubnis  seiner 
Interessenten  in  dem  zugehörigen  Achtwerck  gehauen  hatte, 
wurde  wegen  „geschehenen  einseitigen  hauwens“  bestraft.4) 
Wenn  die  Besitzer  sich  geeinigt  hatten,  „für  Conservierung  des 
gehöltz  kein  holtz  noch  bäum  zu  hawen“,  so  wurde  jedes  Ver- 
gehen durch  „das  ohne  Vorwissen  der  interessenten  gchawene 
holtz“  von  der  Bauerschaft  bestraft.5)  Besonders  streng  war 
es  verboten,  im  Walde  ein  Feuer  anzuzünden,  was  häufig  von 
den  Pferdehütern  geschah.8)  Auch  die  Schäfer  pflegten  „beim 
Legern  von  den  im  Schweinestall  gesetzten  Kluftern“  ein  Feuer 
zu  machen,7)  besonders  im  Winter  „Teigen  von  den  bäumen  zu 
howen,8)  am  Schweinestall  das  Stroh  aus  dem  Tag  zu  ziehen“9) 
und  zu  verbrennen.  War  jemand  dabei  gesehen  worden,  wie 
er  „mit  einer  tragt  Dornenstemme  (durch  das  Feld)  kam,  so 

*)  a.  a.  ()  6.  Februar  1703. 

*)  S.  o.  S.  63. 

3)  St.  B.  B.  24.  Aug.  1736. 

*)  a.  a.  O.  26.  Januar  1722. 

6)  Volm.  B.  B.  11.  März  1712. 

*)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1664.  4.  Aug.  1702:  Mehrere  Delinquenten 
haben  .ihre  pferde  gehütet,  alwo  der  H.  Rohrinann  feur  angeschlagen  utub 
eine  pfeife  toback  zu  schmugen,  alwo  der  Job.  berg  ein  stückagen  drückenes 
boltz  an  rohrmannes  tubackapfeife  angezündet  undt  damit  ein  feuer,  ungefehr 
ein  achritt  von  dem  verbrannten  bäum,  gemacht,  ihr  naaae  kidelen  davon  zu 
drückenen,  gestünde  aber  nicht  dass  er  den  bäum  angezüudet  sondern  es 
müste  der  bäum  von  dem  inumelichen  holtz,  so  Job.  Iiump  ex  poat  auf  das 
feur  geschmissen,  angegangen  seyn". 

7)  Stockh.  B.  B.  26.  April  1682.  Legern  = pirchen.  Ueber  den 
Schweinestall  s.  den  Abschnitt  über  die  Allmende. 

8)  Volm.  B.  B.  19.  Februar  1725. 

')  Stockh.  B.  B.  25.  Aug.  1697. 


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wurde  er  befraget,  wo  er  solche  stemme  geholet  undt  mit  wessen 
Bewilligung  solches  undt  woh  gehauen“.')  Den  bei  der  Tat 
ertappten  Frevlern  wurde  das  gehauene  Holz  uud  das  Beil  ge- 
nommen,1 2)  einmal  wurden  die  Diebe  „im  wegtragen  ertapfet 
und  zur  urkundt  ihnen  die  Schuh  abgenommen“.')  Wenn  der 
Bauerschaft  ein  Diebstahl  angezeigt  wurde,  erhielt  der  Bauer- 
knecht den  Befehl,  dem  Dieb  etwa  vor  dem  Osttore  aufzupassen 
und  „anzudeuten,  die  Wagen  aufs  Markt  zu  führen  und  daselbst 
das  holtz  bis  zu  fernerer  Verordnung  niederzulegen“.4)  Doch 
nicht  nur  der  Holzdieb  wurde  bestraft,  sondern  jeder,  der  zugab, 
dass  „frembdes  und  gestohlenes  holtz  (in  seinem  Hause)  zum 
schaden  und  nachteil  seines  negstens  verbrandt  würde“/’) 

In  gleicher  Weise  hatten  die  Bauerschaften  die  in  der 
Ackerflur  begangenen  Frevel  zu  bestrafen.  Wer  „mit  dem 
diingel  wagen  durch  den  schon  grünen  roggen“")  oder  durch  die 
Gerste  fuhr,7)  wurde  von  der  Bauerschaft  bestraft,  war  jedoch 
„excusirt“,  wenn  er  „docirte,  dass  darzu  vom  (Besitzer)  Urlaub 
gehabt“.8)  Ebenso  war  es  verboten,  das  Heu  über  die 
Wiesen  anderer  zu  fahren.9)  Wer  bei  solchen  Delikten  ertappt 
wurde,  dem  wurde  der  Wagen  gepfändet,  bis  er  „zu  redimirung 
des  abgepfendeten  Holtzes“  Schadenersatz  geleistet  hatte,10)  oder 
ein  Pferd  genommen,  das  erst  „relaxirt  wurde  data  laesis 
satisfactione  et  solutis  expensis“.")  Wurde  der  Frevel  erst 
später  angezeigt,  so  wurde  ebenfalls  zur  Pfändung  geschritten, 
wenn  der  Schuldige  die  Strafe  und  den  Schadenersatz  nicht 
leisten  wollte.  So  wurde  in  einer  Mühle  der  dort  liegende  Oel- 
samen eines  Delinquenten  mit  Beschlag  gelegt,12)  gegen  Untertanen 
des  Fürstentums  Paderborn  wurde  „der  Knecht  angewiesen,  wenn 

')  littst.  B.  B.  10.  Fcbr.  1706. 

‘)  Stöckli.  B.  B.  10.  Januar  168S. 

’)  Httst.  B.  B.  24.  Juni  1708. 

4)  Volm.  B.  B.  14.  Januar  16112. 
s)  HUst.  B.  B.  10.  Februar  1706. 

*)  Volm.  B.  B.  27.  Aug.  1742. 

7)  Httst.  B.  B.  80.  Okt.  1706. 
e)  a.  a.  O.  25.  Juui  1724. 

*)  a.  a.  O.  26.  Aug.  1740.  8.  November  1705. 

10)  Stockb.  B.  B.  5.  Januar  1693. 

")  Httst.  B.  B.  4.  Aug.  1732. 

,s)  a.  a.  O.  8.  Nov.  1705. 


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sie  sich  mit  ihren  Pferden  wieder  im  Cölluischen  sehen  Hessen, 
die  Pferde  zu  arrestiren“,1)  oder  das  noch  nicht  vollständig 
eingefahrene  Grummet  wurde  gepfändet.1)  Kam  es  zu  einer 
Lokalbesichtigung,  so  musste  der  Schuldige  die  Ausgaugskosten 
zahlen.2) 

Ein  fast  in  jeder  Saatzeit  zu  rügender  Frevel  war  es,  dass 
der  Pflüger  das  schon  bestellte  Stück  seines  Nachbars  als  An- 
wand benutzte  und  in  der  darauf  stehenden  Frucht  wie  Wurzeln,3) 
Bohnen4)  und  „auf  grünen  roggen“5)  wiederkehrte,  wodurch 
die  Frucht  „schädlich  verdorben“  wurde.6)  Es  wurde  in  dieser 
Hinsicht  zuweilen  so  rücksichtslos  gefrevelt,  dass  jemand  „auf 
(einem  andern)  zuständigem  grünen  und  haudtlangen  säet  mit 
flug  und  pferden  witter  umbkehrto,  den  flug  aufm  säet  ein  und 
aussetzte  undt  somit  totaliter  verdarb“7)  oder  „auf  fremden 
land  mit  3 pferden  umbkehrte,  der  roggen  verschleifte  undt 
damit  solches  nicht  gemerket  werden  solle,  solchen  verschleiften 
roggen  abschnitt  und  den  grund  ad  5 fues  umbgrub,  wessenthall) 
zu  recht  erkaudt  wurde,  dass  Beklagter  darahn  zu  tili  gethan, 
(dem  Beschädigten)  vor  solchen  schaden  satisfaktion  zu  thuen 
schuldig,  der  baurschall  aber  einen  goldgulden  vor  straf  undt 
ausgangskösten  zu  erlegen  angewiesen  wurde“.8)  Andere  Flur- 
beschädigungen bestanden  darin,  dass  junge  Füllen,  die  ins  Feld 
mitgenommen  wurden,  nicht  angebunden  wurden  und  so  „im 
roggen  auf-  und  abliefen“,9)  dass  in  der  Nähe  der  Mühlen  „die 
Esels  und  Hunde  Schaden  im  Roggen  thaten“10)  und  vor  allem 
„dass  anfstehender  haber  undt  Waitzcn  zu  unterscheidtlichen 
mahlen  nach  ausweis  der  alten  und  niwen  foessporren  undt 
koets  durch  die  kuhe  verdorben  wurde“.11)  Besonders  mussten 
die  Schäfer  beobachtet  werden,  damit  sie  nicht  im  Felde  ab- 

1)  a.  a.  O.  21.  Juli  1705. 

2)  a.  a.  O.  25.  Aug.  1740. 

*)  Volm.  B.  B.  28.  Aug.  1740. 

4)  Hiist.  B.  B.  29.  Juni  1721. 

6)  Volm.  B.  B.  12.  April  1730.  28.  .Juni  1723.  1.  Sept.  1685. 

•)  Hiist.  B.  B.  29.  Juni  1721. 

7)  Stockb.  B.  B.  7.  Okt.  1705, 

®)  a.  a.  0.  20.  Nov.  1700. 

®)  a.  a.  O.  15.  Mai  1708. 

>°)  Volm.  B.  B.  28.  Juni  1723. 

**)  Stockb.  B.  B.  7.  Aug.  1702. 


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hüteten.  So  wurde  einer  bestraft,  weil  er  „mit  Kühe  undt 
füllen  im  Raufutter  auf  der  baurdrifft  gehütet“,1)  oder  „wegen 
abheutungh  des  theichs  wie  dan  auch  das  in  dem  Inunenbusch 
gebeutet“.2)  Ein  anderer  wurde  in  der  Gerste  „ertapfet  und 
dessen  Schafe  davor,  behalten“,3)  ebenso  wurden  die  Müller 
wegen  des  durch  ihre  Hühner,  Gänse  uud  Enten  angerichteten 
Schadens  bestraft.4)  Pferde,  die  auf  fremden  Ländern  weideten, 
wurden  in  den  Pfändestall  getrieben  und  erst  gegen  Erlegung 
der  Strafe  und  Kosten  freigegebeu.5)  Besondere  schwer  wurde 
es  geahndet,  wenn  der  „Kuhehirte  friedebüsche  des  jüngst  ab- 
gestochenen Fridefeldts  ausgezogen  theils  zerbrochen  undt  das- 
selbe durehgangs  gebeutet“  hatte.6)  Zur  Verhütung  dieser 
Frevel  gingen  zuweilen  der  Holzgraf,  die  Brachstecher  und  der 
Bauerknecht  ins  Feld,  und  wo  sie  einen  Delinquenten  ertappten, 
schritten  sie  sofort  zur  Execution.7) 

Neben  dieser  negativen  Aufgabe,  Diebstähle  in  Wald  und 
Feld  zu  verhindern  und  Flurbeschädigungen  zu  bestrafen,  hatten 
die  Bauerschaften  auch  manche  Aufgaben  zur  Ermöglichung 
und  Hebung  der  landwirtschaftlichen  Kultur  zu  lösen.  In  dieses 
Gebiet  gehörte  zunächst  der  Wegebau.  Nur  die  Bauerechaft 
hatte  das  Recht,  im  Felde  neue  Wege  anzulegen  und  das  dazu 
erforderliche  Land  zu  enteignen.6)  Wenn  dagegen  ein  Privat- 
mann für  seinen  Gebrauch  einen  Weg  zum  Teil  über  fremden 
Grund  und  Boden  machte,  so  wurde  ihm  die  Benutzung  unter- 
sagt und  er  „des  Verbrechens  halber  in  strafe  coudemnirt“.9) 
Die  Wege  in  der  Geseker  Feldmark  hatten  dasselbe  Aussehen, 
wie  es  uns  die  Schriftsteller  von  den  Wegen  im  allgemeinen  in 
deutschen  Landen  erzählen,  sie  waren  „in  einen  so  schlechten 
Stande,  dass  dieselben  nicht  einmal  mit  einem  ledigen  Wagen 

>)  a.  a.  0.  24.  Aug.  1698. 

ä)  a.  a.  0.  24.  Aug.  1681. 

3)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1686. 

4)  Volm.  B.  B.  2.  Juli  1686. 

6)  Hüät.  B.  B.  22.  Sept.  1706. 

«)  Stockh.  B.  B.  7.  Okt.  1705. 

7)  Volm.  B.  B.  8.  Okt.  1685. 

*)  Stockh.  B.  B.  1778.  Unter  Ausgaben:  .dem  N.  N.  für  das  Land, 
worüber  jetz  der  Weg  gehet  23  Th.* 

9)  Hüst.  B.  B.  10.  Februar  1706. 


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durchzukommen  war“5)  und  „dass  die  bereits  abgemehete  rogen 
früchten  aus  hiesiger  Gemarkung  nicht  darüber  gebracht  werden 
konnten“.6)  Die  Landespolizey  kümmerte  sich  nur  wenig  um 
diese  Angelegenheiten.  Höchstens  wenn  „Ihre  Churfürstliche 
Durchlaucht  Clemens  August  unser  gnädigster  Herr  die  Stadt 
durchzupassircn  willens“  war,  wurden  von  der  ChurfUrstlichen 
Regierung  zu  Arnsberg  Beamte  „abgeschicket  wegen  der  Visitation 
zu  kalten  undt  Anweisung  zu  thun,  welchen  weg  am  füglichsten 
Iliro  Durchlaucht  Jassiren  konnte“,  und  da  der  „ausgesehene 
Weg  ohnmöglich  passabel  war“,  musste  er  von  der  Bauerschaft 
in  guten  Stand  gesetzt  werden.1)  Eine  solche  Reise  hatte  doch 
schliesslich  auch  den  Erfolg,  dass  „von  Ihrer  Ckurfürstlichen 
Durchlaucht  eine  abormahlige  Erinnerung  die  besserung  der 
Wege  anlangend  ins  landt  ausging“.'-)  Die  schlechten  Wege 
wurden  in  primitiver  Weise  dadurch  passierbar  gemacht,  dass 
die  weiche  Erde  ausgeworfen  wurde,  so  dass  die  Wagen  über 
den  härteren  Untergrund  fahren  konnten.3)  Infolgedessen  waren 
die  Wege  bis  zu  einem  Meter  tiefer  als  das  umliegende  Land, 
und  auch  heute  noch  lässt  sich  der  Lauf  der  alten  Wege  deutlich 
verfolgen,  obwohl  seit  der  Separation  vor  mehr  als  30  Jahren 
diese  Wege  verlassen  und  zum  Ackerland  gezogen  sind.  Nur 
selten  und  dann  auch  nur  auf  die  schlechtesten  Stellen  wurden 
Steine4)  und  Grand  ')  gefahren.  Gewöhnlich  begnügte  man  sich 
damit,  dass  man  Dörner  ausrodete,6)  Weidenbäunie  „stübte“7) 
und  das  Unterholz  der  Wälder  haute,6)  auch  ganze  Bäume 
„kloffte“  (spaltete)”)  und  das  Holz  in  die  gefährlichsten  Stellen 
warf  und  „mit  erden  deckte“.1'1)  Die  Arbeiten  wurden  entweder 
von  sämtlichen  Mitgliedern  bezw.  deren  Stellvertretern  ver- 

>)  Stockh.  B.  B.  29.  April  1817. 

»)  a.  a.  O.  7.  Aug.  1813. 

»)  Stockh.  B.  B.  30.  Juli  1724. 

•)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1725. 

6)  a.  ft.  O.  24.  Aug.  167». 

«)  z.  B.  a.  a.  0.  24.  Aug.  1721.  iliist.  B.  B.  25.  Juui  1736. 

7)  Volm.  20.  März  1721.  29.  März  1798. 

e)  Stöckli.  B.  B.  19.  April  1722. 

’)  Volm.  B.  B.  1764. 

">)  Stockh.  B.  B.  SO.  Aug.  1730. 

ll)  Volm.  Mast-Buch.  Einl. 

«*)  Volm.  B.  B.  30.  Juli  1764. 


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richtet1)  oder  mir  „die  fahren  für  geldt,  jedoch  dass  sämbtliche 
baurglieder  dazu  handtdienste  thun  sollen“.2)  Manchmal  wurden 
die  Fuhren  und  Arbeiten  auch  Delinquenten  als  Strafe  auferlegt.  "1) 
Nur  selten  sollte  „die  nöhtige  besserung  der  wegen  aus  gemeiner 
der  baurschaft  mittelen  geschehen  und  fürgenommen  werden“,4) 
besonders  pflegten  schwierigere  Arbeiten  verdungen  zu  werden.5) 
Bauerknecht8)  und  Holzgraf7)  hatten  dabei  die  Aufsicht  zu 
führen. 

In  gleicher  Weise  hatten  die  Bauerschaften  darauf  zu  sehen, 
dass  die  Wege  nicht  beschädigt  wurden.  Yor  allem  musste  eine 
Verengerung  der  Wege  durch  die  Anlieger  verhindert  werden. 
Die  Landbesitzer,  deren  Aecker  auf  einen  Weg  schossen  und 
die  auf  dem  Wege  wiederzukehren  pflegten,  die  sog.  „anwandts- 
genossen“,8)  setzten  beim  Pflügen  den  Pflug  zu  spät  aus  und 
zu  früh  ein,  so  dass  sie  dadurch  einen  Teil  des  Weges  zu  ihrem 
Lande  zogen.8)  Ebenso  pflegten  die  Anlieger  die  Erde  von  den 
Wegen  auf  ihr  Land  zu  werfen9)  und  besonders  die  weniger 
benutzten  „mit  Gras  bewachsenen  Wege  auszustechen“, ,0)  so  dass 
dadurch  die  Wege  unbrauchbar  gemacht  wurden.11)  Alle  diese 
Vergehen  wurden  von  der  Bauerschaft  bestraft.  Die  zuletzt 
genannten  Wege  waren  meist  „etwas  hoch,  dass  (der  Anlieger) 
ohne  ungemach  sein  landt  nicht  pflügen  konte“,  und  es  wurde 
ihm  deshalb  „gegen  erleggung  von  (z.  B.  4 gr.)  vergönnt,  dass 
der  Weg  seinem  lande  gleich  machen  möge“.12)  Anlieger,  deren 
Aecker  den  Wegen  parallel  liefen,  schränkten  diese  dadurch 
ein,  dass  sie  z.  B.  „3  foer  vom  Wege  zu  ihrem  landt  pflügten“.13) 
Besonders  schwer  wurde  es  geahndet,  wenn  die  durch  das  Land 


*)  Stockh.  B.  B.  20.  Aug.  1730.  Vota.  B.  B.  24.  Aug.  1722, 

а)  Stockh.  B.  B.  24.  Aog.  1726.  24.  Aug.  1721. 

3)  Hüst.  B.  B.  25.  Juni  1736.  Vota.  B.  B.  20.  März  1721. 

‘)  Stockh.  B.  B.  23.  Juli  1730. 

б)  Vota.  B.  B.  1764. 

•)  Vota.  Mast-Buch.  Einl.  1721. 

7)  Stockh.  B.  B.  1.  Mai  1730. 

8)  Stockh.  B.  B.  30.  Juli  1726. 

»)  a.  a.  0.  22.  Okt.  1723.  Vota.  B.  B.  24.  Aug.  169H. 

I0)  Vota.  B.  B.  24.  Aug.  1690. 

»)  Hüst.  1.  B.  B.  21.  Okt.  1717. 

'*)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1710. 

IS)  Stockh.  B.  B.  7.  Febr.  1700. 


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laufenden  Wege  „absque  licontia  mnbgepflüget“1)  und  besät 
wurden.2)  Die  Delinquenten  hatten  entweder  eine  Strafe  zu 
zahlen,  oder  es  wurde  ihnen  das  auf  dem  Wege  stehende  Korn 
abgemäht.3) 

Neben  der  Unterhaltung  der  Wege  fiel  den  Bauerschaften 
auch  der  Brückenbau  als  Aufgabe  zu.  Sie  hatten  beschädigte 
Brücken  zu  reparieren4)  und  eingefallene  neu  zu  bauen.5)  Den 
Privaten  war  es  streng  verboten,  ohne  Erlaubnis  der  Bauerschaft 
über  fliessende  Bäche  Brücken  zu  legen,  weil  sie  zuweilen  da- 
durch das  Flussbett  versperrten,  so  dass  „dadurch  ville  lender 
verwüstet  wurden  und  grosser  Schaden  geschah“.  Ein  solcher 
Frevler  wurde  „andern  zum  abschew  in  (z.  B.  2 Th.)  straf 
deklarirt“.6)  Auch  die  nur  für  Fussgänger  bestimmten  schmalen 
Uebergänge  über  Bäche,  die  sog.  „Schemms“,  z.  B.  über  den 
Völmeder  Bach  bei  der  Völmeder  Mühle  und  der  „Flaxroth“,7) 
über  die  Schledde  „beim  Gerichte“8)  und  den  Benninghauser 
Bach  „beim  brannten  bäum“8)  mussten  von  den  Bauerschaften 
erhalten,  und  wenn  sie  „ruinös“8)  waren,  ersetzt  werden.  Auch 
die  Regulierung  des  Flussbettes  der  durch  Bauerschaftsgebiet 
fliessenden  Bäche  lag  den  Bauerschaften  ob.  Besonders  die  bei 
starken  Regenfällen  gefährlich  anschwellenden  Schiedden  im 
Osten  und  Westen  der  Geseker  Feldmark  machten  ihnen  viel 
zu  schaffen.  Die  Ufer  mussten  fortwährend  durch  Einrammen 
von  Pfählen  in  Ordnung  gehalten  werden.9)  Wenn  die  Bäche 
„gantz  und  zumahlen  bewachsen  und  voller  Schlamms“  waren, 
mussten  die  Bauerschaften  sie  „als  ihnen  zuständig  ausreumen 
und  werfen  lassen“.10)  Ebenso  mussten  die  Bauerschaften  die 

>)  a.  a.  O.  26.  Aug.  1706.  5.  Juli  1681. 

“)  a.  a.  0.  24.  Aug.  1660. 

3)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1682. 

4)  Hüst.  B.  B.  6.  De*.  1736.  Volm.  Mast-B.  Einl.  1716. 

6)  Hüst.  B.  B.  30.  Juni  1748. 

6)  a.  a.  0.  28.  Juli  1706.  Hinsichtlich  der  Brücken,  die  von  den  Bauer- 
schaften und  den  Huden  gemeinsam  benutzt  wurden,  war  es  Regel  (Volm. 
B.  B.  19.  Mai  1827),  dass  die  Bauerschaft  „die  nilthigen  Materialien  unent- 
geldlig  beitrug,  die  Hude  hingegen  die  Kosten  und  nilthigen  Handarbeiten 
leistete“. 

7)  Volm.  B.  B.  16.  Mai  1749. 

B)  Stockh.  B.  B.  6.  Mai  1724. 

*)  a.  a.  O.  1787.  1812.  1815. 

••)  Volm.  B.  B.  17.  Juni  1700. 


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in  ihren  Bezirken  liegenden  Gräben  in  stand  halten  und  zu 
Zeiten  ausstechen1)  und  auswerfen2 *)  lassen.  Wenn  ein  Anlieger 
einen  Graben  reinigte,  um  die  Erde  auf  sein  Land  als  Dünger 
zu  werfen,  wurde  er  bestraft'1)  und  verurteilt,  die  Erde  wieder 
in  den  Graben  zu  werfen.4)  Doch  wurde  es  zuweilen  gegen 
eine  Entschädigung  an  die  Bauerschaft  gestattet.5)  Da  die 
Wege  vielfach  bedeutend  tiefer  lagen  als  das  angrenzende  Land, 
so  sammelte  sich  in  ihnen  nach  Regenzeiten  das  Wasser  an 
und  verdarb  die  anliegenden  Aecker.  Wer  nun  „gesinnet  war, 
in  seinem  Lande  am  Wege  her  einen  Graben  zu  machen,  damit 
der  Weg  trucken  bliebe  und  seinen  Nachbahrn  kein  schade 
zugefüget  würde“,  musste  von  der  Bauerschaft  die  Erlaubnis 
haben,  die  ihm  „nach  abgeernteten  Roggen  den  platz  zum  graben 
abzeichnete“.6)  Wer  einen  zu  seinem  Lande  gehörigen  Graben 
breiter  machte  und  dadurch  den  Weg  einengte,  wurde  bestraft 
und  musste  den  Graben  in  den  alten  Zustand  bringen.7)  Schliesslich 
mussten  die  Bauerschaften  auch  die  in  ihren  Distrikten  gelegenen 
Brunnen,  die  alten  Dorfbrunnen,  in  stand  halten  und  die  dazu 
erforderlichen  Eimer  liefern.8) 

Diese  Arbeiten  wurden  entweder  von  allen  Mitgliedern  zu- 
sammen1*) oder  durch  Delinquenten  als  Strafe1")  oder  durch 
Tagelöhner  im  Aufträge  der  Bauerschaften11)  verrichtet.  Wegen 
dieser  Pflicht  zu  „Unterhaltung  der  brücken  und  Wegebesserungen“ 
genossen  die  Bauerschaften  „Steuer-  und  schatzungsfreyheit“.12) 


1)  HUst.  B.  B.  6.  Dez.  1735. 

s)  Stockh.  B.  B.  1.  Mai  1730.  St.  B.  B.  30.  April  1712. 

3)  Volm.  B.  B.  28.  Sept.  1684. 

«)  Hüst.  B.  B.  26.  Mai  1713. 

6)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1699. 

')  HUst.  B.  B.  8.  Nov.  1709. 

7}  a.  a.  0.  26.  Juni  1749. 

8)  St.  B.  B.  29.  Juli  1720. 

»)  Stockh.  B.  B.  9.  März  1805. 

>•)  Hüst.  B.  B.  6.  Dez.  1735. 

n)  Stockh.  B.  B.  6.  Mai  1724. 

'*)  Volm.  B.  B.  16.  März  1811:  „Da  zufolge  gnädigster  Verordnung 
die  Bauerschaften  nach  aufgehobener  Steuer-  und  »ebatzungsfreyheit  von 
Unterhaltung  der  briieken  und  Wegebesserungen  befreyet  sind.“ 


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Ins  fintum  regundorum  *) 

Die  wichtigste  Aufgabe  der  Baucrschaftcn  war  es,  in  ihren 
Gebieten  die  Grenzen  in  Wald  und  B’eld  in  Ordnung  zu  halten 
und  in  strittigen  Fällen  zwischen  den  Parteien  eine  Entscheidung 
durch  Urteilsspruch  herbeizuführen.  Zunächst  mussten  sie  die 
Grenzen  zwischen  Gemeinbesitz  und  Privateigentum  aufrecht 
erhalten  und  besonders  bei  Abpflügen  von  den  breiten  Wegen, 
den  sog.  Triften,  „die  angräntzenden,  welche  zu  nae  eingedrungen 
hatten,  wieder  ab-  und  zu  den  Triften  stechen“.2)  Sodann 
waren  sie  verpflichtet,  jedem  Besitzer  auf  seinen  Wunsch  die 
Aecker  zu  messen  und  abzugrenzen. ')  Wenn  ein  bisher  ge- 
schlossenes Gut  Land  geteilt  wurde,  musste  die  Bauerschaft 
alle  zu  dem  Gute  gehörenden  Parzellen  in  entsprechende  Stücke 
aufteilen,4)  vor  allem  auch  bei  Meiergütern  die  in  der  „Meyer- 
rottulle“  genannten  Parzellen  in  der  Feldflur  aufweisen,  gegen 
die  Nachbarn  abgrenzen  und  etwa  verloren  gegangene  wieder 
aufsuchen.5)  So  war  der  frühere  Besitzer  eines  Meiergutes  „von 
Kindt  auf  im  Krieg6)  herumgeloffen,  also  dieses  guth  in  vorigem 
Kriege  sambt  anderen  Aeckern  öde  und  wüst  gelegen,  nach 
dem  friedensschluss  ein  jeder  das  seinige  angegriffen,  dieses 
guth  aber  liggen  geblieben,  (der  Besitzer)  auch  als  sich  endtlich 
allhier  niedergelassen,  seine  ländereien  dem  einen  hier  dem 
andern  dort  brackzeitlich  verkauft,  woraus  dan  erfolget,  dass 
kaum  ein  Stück  landes  juxta  rullam  seine  Mahse  hatte“.  Sein 
Nachfolger,  dem  das  Gut  „ex  nova  gratia  von  Ihro  hochw\ 
H.  Prälaten  zum  Abdinghof  meyerstättisch  untergethan,  wusste 
nun  nicht  anders  als  durch  Messung  sein  undt  seiner  benach- 
barten lander,  sofern  dieselbe  etwas  übrig  hetten,  zu  seiner 
Mahs  zu  gelangen.  (Er  bat  daher),  seine  wie  auch  der  benach- 
bahrten  Länder  zu  messen  unt  jedes  rulle  zu  conferiren  undt 

»)  Volm.  B.  B.  16.  März  1692.  1763.  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1699. 
23.  Juli  1727  u.  8.  o. 

*)  Volm.  B.  B.  17.  Mai  1810. 

Stockh.  B.  B.  1.  Februar  1702. 

4)  a.  a.  O.  31.  März  1700. 

6)  Hiitt.  B.  B.  1.  Okt.  1704. 

*)  Es  ist  der  30jährige  Krieg  gemeint.  Die  Stelle  findet  sich  Stockh. 
B.  B.  31.  März  1700. 


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97 


sofern  sicli  an  ein  oder  andern  Stück  Abgang  oder  lieber 
schuss  finden  solte,  Ihme  hiesigen  bauiTecht  gemäss  zu  attri- 
buiren“. 

In  der  älteren  Zeit  mussten  häufig  Grenzstreitigkeiten  ein- 
treten,  weil  das  Grundbuchwesen  noch  nicht  geregelt  war  und 
sichere  Schnadzeichen  fehlten.  Oft  bildete  ein  Graben  die 
Grenze,1)  und  „alle  Triften  und  Gemeinweiden  waren  von  den 
daran  grenszenden  Grundstücken  durch  alte  Grabens  abge- 
schnadet“.2)  Statt  der  Gräben  wurden  auch  wohl  hintereinander 
Kuhlen  ')  gegraben,  so  dass  die  Verbindungslinie  die  Grenze 
war,  oder  die  Grenze  wurde  „durch  Ausgraben  eines  Klumps 
Erde  punktiert“.4)  Statt  dessen  wurden  auch  Pfähle  in  die 
Erde  gerammt.5)  Ferner  zeigten  „steine  in  die  ausgegrabenen 
Gruben  gesetzt“  die  Grenze  an,6)  oder  es  wurde  „ein  kiessel- 
stein  vor  die  rechte  schnath  erkandt“.7)  Auch  Hecken  bildeten 
die  Grenze,  hinter  denen  „den  bekanten  heerbringen  nach  (dem 
Eigentümer  der  Hecke)  l'/9  fuss  gehörten“.6)  In  den  Wäldern 
dienten  gewöhnlich  Bäume  als  Grenzzeichen.  Erwähnt  werden 
„eine  schnadteiche,  derhalben  auch  so  dick  erwachsen“,9)  und 
„zur  Schnadbezeichnung  bestimmt  gewesene  Kopfeichen“, '") 
eine  Pappel  und  ein  Dornbusch,11)  „am  Westende  eine  alte 
Eiche,  in  der  mitte  ein  Erlenstamm,  ins  osten  eine  wiede“12) 
oder  „am  ostende  eine  heister,  im  mitten  eine  Kopfwiede,  am 
westende  ist  ein  hegedorn  geknicket“  ’2)  usw.  Ein  Schnadbaum, 
der  drei  Besitzungen  trennte:  ein  Achtwerck  der  Vicarie  zu 
den  heiligen  drei  Königen  an  der  Stadtkirche  zu  Geseke,  ein 
Achtwerck  des  Stiftes,  dessen  Schutzpatron  der  hl.  (Jyriacus 
war,  und  die  Besitzung  der  Völmeder  Bauerschaft,  war  nach 


>)  St.  B.  B.  1.  April  1815.  2.  Juli  1826.  Stöckli.  26.  Juui  1806. 
s)  Volm,  B.  B.  17.  Mai  181G. 

3)  Stockh.  B.  B.  27.  Juli  1712. 

St.  B.  B.  2.  Juli  1825. 

6)  Hilst.  B.  B.  1.  Juli  1738.  Stöckli.  B.  B.  25.  Juni  1805. 

0)  Volm.  B.  B.  30.  Juni  1706.  Hilst.  B.  B.  22.  Aug.  1712. 

7)  Volm.  B.  B.  5.  Juli  1714. 

*)  Stockh.  B.  B.  13.  April  1808. 

9)  a.  a.  0.  16.  Mai  1703. 

•»)  St.  B.  B.  8.  Juli  1820. 

”)  Stockh.  B.  B.  19.  Aug.  1710. 

IS)  Volm.  B.  R 27.  Sept.  1684. 

I.  appe,  I>ie  Gesekor  Baiierschatteii  7 


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den  entsprechenden  Richtungen  hin  mit  folgenden  Zeichen  ver- 
sehen: H = hl.  drei  Könige,  SC  = St.  Cyriacus,  V = Volmede,1) 
ein  anderer  Baum  war  mit  + und  G gezeichnet’)  und  „eine 
buche  verzeichnet  mit  einem  Kreyenfuss  als  eine  Schnad  be- 
funden“.3) In  ähnlicher  Weise  bildete  zwischen  Ackerparzellen 
ein  Weidenbaum4)  oder  „alte  Schnadbüsche“*)  oder  „ausge- 
schlagene Weisdornen  und  einige  kleine  Eichen“*)  die  Grenzen. 
Solche  Grenzbäume  abzuhauen  war  „hochstrafbarlich“,7)  und  der 
Schuldige  wurde  „zu  anpflantzung  einer  newen  schnaeteiche  an- 
gewiesen“.8) Allgemeine  Grenzzeichen,  besonders  als  Feld- 
zeichen und  Ausgangspunkt  für  Messungen  waren  Hecken  und 
breite  Büsche,  die  „vor  allem  conservirt  werden  mussten“,*)  so 
dass  sie  sich  Jahrhunderte  laug  gehalten  haben  trotz  ihrer 
scheinbaren  Zwecklosigkeit. 

Zwischen  den  einzelnen  Ackerbeeten  hatte  sich  im  Laufe 
der  Zeit  eine  natürliche,  zuverlässige  Grenze  gebildet.  Das 
Land  „wurde  in  hoch  gewölbten  Beeten  gepflügt,  um  dem 
Wasser  den  erforderlichen  Abzug  von  dem  bebauten  Lande 
nach  den  Furchen  zu  sichern“.10)  So  kam  es  denn  manchmal 
vor,  dass  ein  „Stück  lands  blanck  stand,  wie  es  gesät“  werden 
sollte,  so  dass  der  Landmann  „beyderseits  2 fuer  (Furchen) 
liggen  lassen“  musste.11)  Indem  so  das  Wasser  von  den  hohen 
Rücken  in  die  Furchen  nach  beiden  Rändern  hin  abfloss,  wurde 
allmälich  der  in  dem  Boden  noch  zum  Teil  reichlich  vorhandene 
Diluvialsand12)  weggewaschen  und  in  den  Grenzfurchen  zusammen- 
getragen. Noch  heute  kann  man  diese  Beobachtung  an  Ländern 
machen,  die  im  Herbst  gepflügt  und  den  Winter  Uber  liegen 

*)  Volm.  B.  B.  27.  Sept  Sopt.  1084. 

s)  St.  B.  B.  1.  April  1815. 

3)  a.  a.  O.  10.  Märe  1717. 

*)  HUst.  B.  B.  30.  Okt.  1706. 

5)  a.  a.  0.  2.  Aug.  1706. 

“)  St.  B.  B.  8.  Juli  1820. 

~l  St.  B.  B.  26.  Januar  1706. 

»)  Stockb.  B.  B.  15.  Mai  1703.  St.  B.  B.  10.  Februar  1787. 

9)  Volm.  B.  B.  25.  Aug.  1737. 

10)  v.  d.  Goltz,  Geacbichte  der  deutschen  Landwirtschaft  II.  S.  267. 
Hanssen.  Agrarhistorische  Abhandlungen.  II.  S.  260.  Amu. 

11 ) Stockh.  B.  B.  26.  Aug.  1703. 

“)  8.  o.  S.  3. 


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99 


geblieben  sind.  Schon  in  dieser  kurzen  Zeit  hat  sich  in  den 
Furchen  au  den  Ackerrändern  eine  beträchtliche  Menge  Sand 
angesammelt.  So  bildete  denn  dieser  in  Jahrhunderten  in  die 
Rinnen  gespülte  Sand,  die  sog.  „Sand-  oder  Mehlfurche“, ') 
zwischen  den  Ackerbeeten  eine  sichere,  nicht  leicht  zu  ver- 
rückende Schnad,  die  bei  Grenzstreitigkeiten  aufgedeckt  wurde, 
wenn  sie  zugepflügt  war,  und  meist  die  Entscheidung  gab.2) 

Doch  gaben  alle  diese  Sehnadzeichen  keine  durchaus  feste 
Grenze  an,  und  die  Bauerschaftsbüeher  sind  deshalb  mit  Grenz- 
streitigkeiten Jahr  für  Jahr  angefüllt.  Besonders  gab  das  sog. 
„Teilland“,  d.  h.  das  Land,  das  unter  zwei  Besitzer  noch  nicht 
genau  aufgeteilt  war,  zu  solchen  Zwistigkeiten  oft  Anlass,3) 
und  die  einzelnen  Ackerparzellen  waren  manchmal  derart  ver- 
schoben, dass  keiner  das  ihm  gehörige  Stück  genau  angeben 
konnte  und  Irrungen  über  die  Grenze  eintreten  mussten.4)  Nur 
selten  kam  es  vor,  dass  jemand  seinem  Nachbar  zu  nahe  mähte, 
weil  die  zwischen  den  beiden  Ländern  laufende  Furche  dem 
Mäher  einen  sichern  Anhaltspunkt  gab,  wie  weit  er  gehen 
durfte.  Wenn  Roggen6)  oder  Gerste“)  einmal  „über  die  vor 
abgeschnitten“6)  war,  durfte  das  Getreide  nicht  abgefahren 
werden  „bis  zu  erörterung  der  Sache“,*)  und  der  Delinquent 
wurde  „zur  erstattung  des  Roggens  ad  J/4  Scheffel  zu  erlegen 
angewiesen“.6)  Wer  in  den  Wiesen  dem  Nachbar  „eine  Gehe 
Gras  abgemehet“,  musste  „sich  wegen  zu  nahe  gemegeten 
Grases  abfinden  und  ein  Bund  Heu  (dem  Beschädigten)  er- 
statten“.’) Wenn  ein  Graben  zwischen  zwei  Aeckern  lief  und 
einem  der  Nachbarn  gehörte,  so  durfte  der  andere  die  darin 
enthaltene  Erde  nicht  auf  sein  Land  werfen,9)  tat  er  es  dennoch, 
so  wurde  „selbigen  boy  willkürlicher  Strafe  anbefohlen,  die  aus 
dem  Graben  auf  sein  landt  geworfene  Erde  wider  einzuwerfen“.'’) 

l)  St.  B.  B.  30.  Äug.  1806. 

s)  Näheres  hierüber  s.  u.  S.  105. 

3)  Stockh.  B.  B.  24.  Äug.  1711.  20.  April  1722. 

*)  Hüst.  B.  B.  28.  Okt,  1705. 

6)  Stockh.  B.  B.  27.  Äug.  1678.  6.  Äug.  1697.  vor=  Furche;  sonst: 
foer,  fuer,  fuhr  genannt. 

*)  Volm.  B.  B.  3.  Äug.  1714. 

’)  Hüst.  B.  B.  22.  Ang.  1702.  Stockh.  B.  B.  15.  Aug.  1728. 

")  Hüst.  B.  B.  3.  Ang.  1705. 

»)  Stockh  B.  B.  30.  Jnli  1682. 

7* 


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100 


Die  meisten  Grenzfrevel  geschahen  durch  Abpflügen,  ge- 
wöhnlich bei  parallel  laufenden  Stücken  dadurch,  dass  der  eine 
Nachbar  von  dem  Stücke  des  andern  einen  Teil  zu  seinem 
Acker  pflügte.  Dieser  abgepflügte  Teil  konnte  sich  über  das 
ganze  Stück  erstrecken  oder  etwa  „ahm  westende  1 fuhr,  in 
der  mitte  und  am  Oistende  2 fuhr“  ’)  oder  nur  an  einem  Ende, 
dagegen  in  der  Mitte  und  am  andern  Ende  überhaupt  nicht4) 
oder  nur  in  der  Mitte,  so  dass  „ein  Bauch  in  das  Land  ging“.8) 
Bei  „2  wendigen“  Stücken  konnte  das  ganze  Stück  oder  nur 
die  Hälfte  beschädigt  sein.4)  Meist  war  nur  eine  und  andere 
Furche  abgepflügt,  gelegentlich  auch  „4  fues  oder  einen  schuthen 
still  lang  in  die  längde  undt  machten  solche  vier  fues  wenigst 
6 fuer“,8)  einmal  klagte  sogar  jemand,  dass  ein  Nachbar  „Ihme 
von  Jahren  zu  Jahren  abgepflüget,  also  das  Ihme  an  seiner 
Morgenzahl  ein  mcrkliges  manquiren  th&te“.*)  Zwischen  einzelnen 
Aeckern  gab  es  auch  eine  sog.  „Wandelfuhr“,  d.  h-  eine  Furche, 
die  weder  dem  einen  noch  dem  andern  Nachbar  gehörte  und 
daher  bald  zu  dem  einen,  bald  zu  dem  andern  Lande  unbestraft 
hinzugepflügt  werden  durfte.')  Auch  von  den  sog.  Anwanden, 
auf  denen  mehrere  darauf  schiessende  Nachbarn  wiederkehren 
durften,;  wurde  abgepflügt,  indem  der  Pflug  zu  spät  ahs-  und  zu 
früh  eingesetzt  wurde.8)  Umgekehrt  pflügte  der  Besitzer  der 
Anwand  von  den  Köpfen  der  darauf  schiessenden  Stücke  ab.8) 
Hie  und  da  gab  es  auch  zwischen  zwei  Parzellen  eine  „grüne 
Schnadefohr“,6)  die  nicht  nmgepflügt  werden  durfte,  sonst  wurde 
der  Frevler  „ad  restitntionem  der  schnadefoer  verweisiget“.10) 


')  Hiist.  B.  B.  26.  Juni  1717. 

*)  a.  a.  0.  2.  Nov.  1726. 

s)  a.  a.  O.  28.  Okt.  1706. 

4)  Stöckli.  B.  B.  27.  Juni  1781. 

6)  Stockb.  B.  B.  18.  Mai  1707.  Schute  = Spaten. 

•)  Volm.  B.  B.  6.  Juni  1722. 

7)  a.  a.  O.  4.  Juli  1708.  So  gab  es  auch  bei  den  Brachfeldern 
„Wandelitücke“,  die  „au  beyden  bracbfeldem  gezogen  werden*  konnten,  so 
dass  Schäfer  und  Schweinehirten  „keine  ursach  hatten,  eygenrichterlich  zu 
verfahren  undt  den  schönen  brachroggen  inutliwilliger  und  hochstrafbarer 
Weise  abzuhüten“.  Stockh.  B.  B.  11.  Mai  1697. 

8)  HOst.  B.  B.  19.  Okt.  1705. 

*)  a.  a.  0.  30.  Okt.  1706. 

,#)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1696. 


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101 


Wenn  ein  Stück  bestellt  war,  durfte  der  Pflug  nicht  mehr  um 
den  Acker  gehen,  weil  zu  befürchten  war,  dass  jemand  diese 
Gelegenheit  benutzte,  um  von  dem  Nachbarstück  eine  Furche 
zu  seinem  Lande  zu  ziehen.  Gleichwohl  kam  es  vor,  dass 
jemand  „einige  Tage  sein  stück  landes  ohne  zuzupflügen  liggen 
gelassen  undt  hernacher  erst  zugepflüget  hatte,  damit  desto 
besser  abpflügen  können“,1)  oder  „dass  er  sein  Land  nicht  gleich, 
sondern  eine  Zeitlang  hernach  zupflügte“ ®)  oder  dass  er,  „nach- 
demahlen  er  der  erste  im  seggen  gewesen,  undt  nachdem  dessen 
Nachbahrs  auch  gesegget  undt  ihr  landt  beführet,  nachfuhrte“.8) 
Solches  Tun  war  „nicht  breuchlich,  sondern  hochstraf  bahr“,8) 
„wieder  akermans  brauch  und  manier“,4)  und  „dieser  in  hiesiger 
Fcltmarck  ungewöhnliche  Excess  des  nachfuhrens  wurde,  damit 
sich  ein  anderer  daran  spiegeln  solle,  jedes  Stück  so  nachgefort 
auf  eine  Tonne  biers  oder  1 Th.  9 gr.  gesetzt“.8)  Wer  bei  der 
Bestellung  seines  Landes  den  „roggen  (seines  Nachbars)  mit 
der  Egde  verschleifet“  hatte,  wurde  „exemplariter  bestraft“.*) 

Diese  Frevel  musste  jedes  Mitglied  der  Bauerschaft  an- 
zeigen,  sobald  es  davon  erfuhr.7)  Ferner  war  der  Bauerknecht 
verpflichtet,  alle  zu  seiner  Kenntnis  gekommenen  Grenz- 
verschiebungen dem  Holzgrafen  zu  melden.8)  Gewöhnlich  zeigten 
die  Beschädigten  selbst  den  Delinquenten  an.®)  Wer  es  unter- 
liess  etwa  „wegen  naher  Freundschaft“,10)  oder  weil  der  Abpflüger 
„ihm  3 Pf.  Fleisch  versprochen,  das  dieses  abpflügen  nicht  entdeckte, 
sondern  dahevon  Stillschweigen  sollte“,11)  wurde  „wegen  solcher 
Verschweigung“  bestraft.11)  Noch  schwerer  wurde  es  geahndet, 
wenn  jemand  ohne  Wissen  der  Bauerschaft  das  ihm  genommene 

»)  a.  a.  O.  23.  Aug.  1725. 

»)  Hiist.  B.  B.  29.  Juni  1721. 

3)  Stöckli.  B.  B.  8.  Okt.  1684. 

•)  St.  B.  B.  22.  Januar  1696. 

s)  Stockb.  B.  B.  22.  April  1697. 

«)  a.  a.  O.  12.  Juni  1708. 

7)  S.  o.  S.  54. 

8)  S.  o S.  75.  Er  hiess  deshalb  auch  der  „promotor  officii  bur- 
gehapiae“.  Volm.  B.  B,  24.  Aug.  1721. 

»)  Höst.  B.  B.  24.  Juni  1705.  26.  Okt.  1717.  Stockh.  B.  B. 

16.  Nov.  1706. 

•»)  Stockh.  B.  B.  18.  Sept.  1701. 

“)  Höst.  B.  B.  1.  Okt.  1704. 

1J)  Volm.  B.  B.  4.  Aug.  1714. 


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102 


Land  wieder  zu  seinem  Stück  pflügte.  Ein  solcher  war  „scharf 
zu  bestrafen,  weil  er  gehörendt  nicht  geklaget  und  sein  eigen- 
richter  gewesen“.’)  Die  Anzeigen  konnten  zu  jeder  Zeit  dem 
Holzgrafen  erstattet  werden,  nur  bei  Gelegenheit  erfolgten  sie 
während  des  Gerichts  vor  versammelter  Bauerschaft,  mit  der 
Bitte:  „ihn  zu  seiner  maas  zu  verhelfen“.’)  Ausserdem  wurden 
jedes  Jahr  zwei  Besichtigungen  „im  (Bauerschafts)  felde  und 
sonst  in  ihrer  Jurisdiktion“3)  abgehalten,  sog.  „Ausgänge  ex 
officio“4)  oder  „fohr  Visitationen“,*)  im  Sommer  Ende  Juni 
oder  Anfang  Juli,  im  Winter  Ende  Oktober  oder  Anfang  No- 
vember.*) Entweder  hielt  „der  Holtzgrafe  mit  fi  Mitgliedern 
als  newen  und  alten  Brackstecheren  gewöhnlicher  Massen  den 
Ausgang“,7)  oder  „6  Brachstecher,  Vormund  und  Knecht 
hielten  den  ordinären  Ausgang“,8)  oder  vom  Holzgrafen  „wurde 
dem  Vormund  und  2 Bauergliedern  eommittirt,  im  felde  ge- 
schehenen schaden  nachzusuchen  und  zu  referiren“.“)  Einige 
Tage  darauf  „referirten  sie,  als  sie  mit  dem  Bauerknecht  aus 
Commission  des  zeitigen  Holtzgräfen  am  24.  Nov.,  umb  den  in 
hiesiger  Bawrschaft  distrikt  geschehenen  Excessen  und  Schaden 
zu  besichtigen,  sicli  zum  Felde  begeben,  hätten  alles  fleissig 
observirt  und  befunden,  dass  usw.“10)  Wenn  sie  einen  Frevel 
entdeckten  und  den  Besitzer  des  Landes  nicht  kannten,  wurde 
dem  Bauerknecht  „anbefohlen,  sich  zu  erkundigen,  weme  dieses 
stück  zugehöre“. ")  Diese  Ausgänge  unterblieben  etwa  wegen 
der  Gefahr  in  Kriegszeiten”)  oder  „wegen  beständiges  regen 
wetter,  da  die  Furchen  voller  Waser  gestanden,  so  dass  kein 
Ausgang  gehalten  werden  können“. ,s) 

■)  Stockh.  B.  B.  10.  Mai  1711.  2.  Juni  1786. 

-)  Hiist.  B.  B.  24.  Juni  1705. 

3)  St.  B.  B.  1.  Juli  1722. 

’)  Stockh.  B.  B.  Nov.  1731. 

5)  St.  B.  B.  17.  Juni  1796. 

Nach  einem  Verzeichnis  im  Stockb.  B.  B.  von  1777  bis  isos. 

7)  Hüst.  B.  B.  26.  Juni  1711. 

»)  Stockh.  B.  B.  29.  Okt.  1808. 

9)  Hüst.  B.  B.  24.  Nov.  1735. 

’°)  a.  a.  O.  6.  Dez.  1736. 

»»)  Stockh.  B.  B.  Nov.  1731. 

'*)  Volm.  B.  B.  1760. 

’*)  Stockh.  B.  B.  21.  Okt.  1789,  ähnlich  Herbst  1804. 


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103 


War  nun  von  einem  Stück  abgepflügt,  so  hatte  sich  der 
Beschädigte  zunächst  an  den  Nachbar  zu  wenden,  um  sich  in 
Güte  mit  ihm  über  den  angerichteten  Schaden  auseinander- 
zusetzen.1) Kam  zwischen  beiden  eine  Einigung  zu  stände,  so 
musste  „solches  ad  protocollum  bursckapiae  denuntyrt  werden“.’) 
Wenn  jedoch  der  Beschädigte  den  Delinquenten  „deshalb  oftmals 
besprochen,  aber  keine  Satisfaktion  erhalten“3)  hatte  oder  ihn 
„dieserhalb  beschicket,  er  jedoch  zu  solcher  restitution  nicht 
anschicken  wollte“,4)  musste  die  Sache  dem  Holzgraf  angezeigt 
weiden.  Dieser  schickte  dann  den  Bauerknecht  zu  dem  Ange- 
klagten und  Hess  ihn  auf  die  Folgen  aufmerksam  machen,  wenn 
er  sich  nicht  in  Güte  mit  dem  Kläger  auseinandersetzte,  worauf 
sich  dann  „Beklagter  mit  dem  baurknecht  coram  protocollo 
angab“  und  sein  Vergehen  eingestand.5)  Wenn  er  aber  „auf 
vorgehaltene  Klagte  antwortete“,“)  er  sei  sich  des  Abpflügens 
nicht  bewusst,  so  musste  an  Ort  und  Stelle  der  „augenschein 
eingenohmen“  werden.7)  Zu  diesem  „extraordinären  Ausgang“ 
mussten  alle  Personen  durch  den  Bauerknecht  geladen  werden,") 
der  dann  dem  Holzgrafen  berichten  musste,  dass  er  deu  Ange- 
klagten „in  faciem  verabladet“  oder  „dessen  fraw  die  citation 
angekündiget“  hätte.9)  Bei  der  Citation  kam  es  einmal  vor, 
dass  des  Beklagten  „fraw  gegen  ihn  schändete  und  mit  der 
forcken  ihn  ausm  Haus  jagte“.10)  Zu  der  Ortsbesichtigung 
wurden  eingeladen  zunächst  die  streitenden  Parteien,  dann  ein") 
oder  mehrere  Brachstecher,1’)  ferner  der  Vormund,18)  auch  wohl 
„ein  alter  in  dasiger  gegend  bekanter  Manu“14)  und  „einige  in 


>)  a.  a.  0.  16.  Dez.  1711. 

’)  Volm.  B.  B.  28.  Sept.  1714. 
s)  Stöckli.  B.  B.  2.  Juni  1685. 

•)  a.  a.  O.  10.  Sept.  1787. 

5)  a.  a.  O.  17.  Okt.  1723. 

•)  Volm.  B.  B.  31.  März  1746. 

7)  Höst.  B.  B.  30.  Juni  1720. 

8)  Stockh.  B.  B.  27.  Juni  1781. 

*)  Stockh.  B.  B.  22.  April  1697. 

10)  Hilst.  B.  B.  24.  Jnni  1708. 
n)  a.  a.  0.  3.  Juni  1744. 

1J)  Stockh.  B.  B.  7.  Nov.  1725  u.  s.  o. 
“)  Höst.  B.  B.  12.  Jnti  1712. 

>«)  Volm.  B.  B.  26.  Juli  1780. 


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104 


loco  qust  benachbahrte  baurglieder“,1)  ausserdem  der  Herr  des 
Knechtes,  der  abgepflügt  hatte,’)  und  der  Grundherr  des  schuldigen 
Meiers.’)  Ihnen  schloss  sich  jedesmal  der  Bauerknecht  und  zu- 
weilen auch  der  Holzgraf4)  an,  die  also  „auff  geschehene  Klagte 
einen  Ausgang  hielten“.*)  Der  Termin  wurde  verschieden  an- 
gesetzt; meist  sollte  der  Ausgang  nach  vorgebrachter  Klage 
gleich  am  folgenden  Tage  stattfinden,5)  zuweilen  jedoch  „der 
augenschein  gelegentlich  eingenohmen  werden“.*)  Auch  die  Zeit 
des  Ausgangs  war  verschieden,  einmal  „frühe  umb  5 Uhr“,7) 
um  7 Uhr,8)  8 Uhr’)  und  später  am  Nachmittag  2 Uhr.  °) 
Die  Geladenen  kamen  vor  den  Toren  zusammen,  an  denen  sich 
die  Bauerschaften  niedergelassen  hatten,  also  bei  Volmede  vor 
dem  Osttor, u)  bei  Hüstede  vor  dem  Mühlentor1’)  und  bei 
Stockheim-Heringhausen  vor  dem  Viehtor13)  oder  dem  lüdischeu 
Tor,14)  und  „erschien  alsdan  einer  oder  andere  nicht,  sollte 
nicht  destoweniger  mit  abmessung  aller  interessirten  stücke  be- 
gonnen undt  jedem  das  seiuige  zugestochen  werden“.’3)  Es 
wurde  „daselbst  denen  Partheyen  zu  vordrist  die  güte  vorge- 
halten“.15) Wenn  „dieselbe  nicht  haften  wollte“15)  und  die 
Parteien  „sich  in  der  güte  nicht  comportiren  konnten“,1*)  „sondern 
oculoruni  inspectionem  gebotten“,17)  dann  wurden  sie  „dem  baur- 
recht  gemess  zur  stipulation  angewiesen“,18)  „sich  mitt  baurrecht 
vergnügen  zu  lassen“.'")  Dann  musste  jede  Partei  einen  Bürgen 

*)  Stockh.  B.  B.  2.  Juni  1685. 

’)  Vota.  B.  B.  7.  Okt.  1702. 

3)  ».  a.  0.  4.  Juli  1676. 

<)  Höst.  B.  B.  12.  Juli  1712. 

s)  Stockh,  B.  B.  12.  Juli  1726.  Hiist.  B.  B.  30.  Juni  1720. 

“)  Stockh.  B.  B.  28.  Okt.  1723.  17.  Aug.  1727. 

7.1  a.  a.  0.  12.  Juli  1726. 

Hüst.  B.  B.  30.  Juni  1720. 

9J  a.  a.  O.  24.  Juni  1705. 

*•)  St.  B.  B.  4.  März  1813. 

")  Vota.  B.  B.  14.  Nov.  1684.  2.  Nov.  1695.  6.  Juli  1722. 

'»)  Hiist.  B.  B.  30.  Juni  1720. 

lä)  Stockh.  B.  B.  12.  Juli  1726. 

M)  a.  a.  0.  7.  Sept.  1685. 

IS)  Vota.  B.  B.  18.  März  1710. 

'•)  a.  a.  O.  2.  Nov.  1695. 

>7;  stockh.  B.  B.  7.  Okt.  1684. 

18)  Vota.  B.  B.  14.  Dez.  1690. 

,a)  Vota.  B.  B.  27.  Sept.  1684. 


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105 


stellen  und  „angeloben,  denselben  schadlos  zu  halten“.1)  Darauf 
„erhoben  sich  die  erschienenen  ad  locnni  quaestionis“,*)  um 
„das  factum  in  praesentia  partum  in  augenschein  zu  nehmen“.11) 
„Wer  dan  im  Unrecht  befunden,  sollte  die  Strafe  und  aufgehende 
Kosten  gestehen“.4) 

Ein  etwas  abweichendes  Verfahren  wurde  eingeschlagen, 
wenn  der  Bauerknecht  oder  die  Brachstecher  solche  Frevel 
berichteten.  Entweder  Hess  der  Holzgraf  diese  Fälle  „bis  zur 
negsten  bauerschaftlichen  Convention“  ruhen,11)  oder  die  Ange- 
klagten „wurden  zum  sichern  Tag  citiert“")  „bei  straf  (etwa) 
eines  goldtgulden“.’)  Zu  derselben  Zeit  Hess  der  Holzgraf  die 
Brachstecher  in  die  Wohnung  des  Vormunds  kommen,  „wo  bey 
nebts  auch  alle  excessisten  des  abpflügens  citirt  waren“.8)  Hier 
wurden  die  Angeklagten  „vorgefordert“,*)  und  wenn  sie  die  All- 
klage bestritten,  wurde  gegen  sie  in  derselben  Weise  wie  bei 
Privatklagen  vorgegangen. 

Zu  diesen  Lokalbesichtigungen  hatten  die  streitenden 
Parteien  und  die  geladenen  Nachbarn  „ihre  beweisthumb  vor- 
zubringen“,10) sei  cs  „eine  alte  auf  Pergament  geschriebene 
Urkunde“11)  oder  ein  Kaufbrief,1*)  auch  „rulle“  genannt,13)  oder 
ein  Auszug  aus  dem  Kataster  der  Stadt  Geseke.1*)  An  Ort 
und  Stelle  wurde  „dem  baurknecht  anbefohlen,  in  beyden  Ländern 
zu  graben  und  die  sandfohr  nachzusuchen“,111)  und  wenn  „eine 


')  Volm.  B.  B.  27.  Sept.  1684. 

3)  a.  a.  0.  18.  März  1710. 

*)  a.  a.  0.  6.  Juui  1722. 

*)  a.  a.  0.  18.  Januar  1685.  4.  Juli  1676:  Kin  Kläger  bittet,  seiu 

Land  „sumptibus  succumbentis  in  Augenschein  zu  nehmen“. 

*)  Höst.  B.  B.  10.  Okt.  1707.  25.  Okt.  1707. 

*)  a.  a.  O.  24.  Juni  1741. 

’)  St.  B.  B.  22.  Januar  1606. 
b)  Volm.  B.  B.  16.  April  1769. 

»)  Hiist.  B.  B.  30.  Okt.  1706. 
i*>>  Volm.  B.  B.  27.  Sept.  16h4. 

”)  St.  B.  B.  11.  Juli  1817.  4.  März  1813.  Volm.  B.  B.  4.  Juli  1676 
>’)  Stockh.  B.  B.  16.  Nov.  1706. 

IS)  a.  a.  O.  18.  Mai  1705.  26.  April  1723. 

,4j  Hilst.  B.  B.  6.  Juni  1744.  23.  Juni  1745:  „Extractus  Catastri 

Civitatis  Oesicensis.“ 

15)  Höst.  B.  B.  7.  Aug.  1741  u.  a.  o. 


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106 


alte  beständige  fohr  befunden“')  wurde,  war  der  Streit  meist 
entschieden.  So  war  die  Sandfurche  das  gewöhnliche  Beweis- 
mittel, und  wenn  daher  ein  Abpflüger  „zu  bedeckung  seines 
Verbrechens  die  in  der  schnath  befindliche  sant-  und  schcidefohr 
aus  dem  gründe  ausgepflüget“,  so  wurde  er  „wegen  dabey  er- 
zeigten frevell  und  arglist“  scharf  bestraft.*)  Wenn  jedoch 
Korn  auf  dem  Felde  stand,  unterblieb  die  Untersuchung,  weil 
„im  grossen  roggen  sich  nicht  graben  lasset“.3)  Wenn  aber 
ohne  Wissen  der  Bauerschaft  „partes  vorher  wieder  baurrecht 
in  der  erde  nachgesuchet“  batten,4)  wurden  sie  wegen  „eigen- 
richterlich nachgesuchter  und  nachgegrabener  sandtfuer“ bestraft.3) 
Konnte  auf  diese  Weise  eine  sichere  Grenze  nicht  gefunden 
werden  oder  wollten  sich  die  Parteien  dabei  nicht  beruhigen, 
so  wurde  zur  Abmessung  geschritten.  Dabei  ging  man  von 
einer  in  der  Nähe  gelegenen  feststehenden  Schnad  aus.“)  Eben- 
deshalb „musten,  wan  der  augenschein  genaw  genohmen  werden 
sölte,  alle  nachbahren  und  Interessenten  benennet  und  darzu 
citirt  werden“.’)  Von  hier  aus  wurde  dann  „durch  den  ge- 
schworenen Landmesser“8)  „in  twers  (=  quer)  unt  langk  mitt 
der  Massruhten  ab-  und  zugemessen“9)  und  das,  was  „nach 
überschlagh  der  ruthe  befunden“  war,10)  mit  der  in  den  Urkunden 
angegebenen  Grösse  verglichen.  Ausserdem  wurde  gelegentlich 
die  Grenze  bestimmt  „nach  ausweis  des  Mistes,  sintemahlen  des 
Klägers  Stück  mit  Mist  bestrewet,  des  Beklagten  landt  aber 
nicht  gedünget  war“,")  oder  wenn  der  Angeklagte  „zuvordrist 
den  roggen  mit  der  sichell  abgeschnitten,  wie  solches  die  umge- 
wendeten fohren  nachwieseu“.1*)  Darauf  war  „nach  alter  ob- 


')  Volm.  B.  B.  21.  Mai  1712. 

8)  a.  a.  O.  20.  Märt  1721. 
s)  a.  a.  O.  28.  Juli  1734. 

4)  Volm.  B.  B.  30.  Juni  1706. 

5)  Stöckli.  B.  B.  28.  Februar  1706. 

<>)  St.  B.  B.  4.  März  1813. 

7)  Volm.  B.  B.  23.  Januar  1703. 

Stöckli.  B.  B.  4.  Juni  1707. 

9)  Volm.  B.  B.  4.  Juli  1676.  Stöckli.  B.  B.  S.  Febr.  1703:  „mit 
der  rutben  abgeschlagen.“ 

*°J  Stöckli.  B.  B.  4.  Juni  1707. 
n)  a.  a.  0.  23.  Aug.  1701. 

"j  Volm.  B.  B.  16.  Mai  1700. 


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107 


servantz  die  iibermass  abzustechen“,')  die  „mitt  büschen,7) 
rutten  oder  stocken  zugestochen3)  undt  Klägeren  beyznpflügen 
befohlen“4)  wurde.  Auf  Wunsch  wurde  zwischen  den  Parteien 
„zu  verhütuug  weiteren  Streits  eine  schnadefoer  gelegt“5)  oder 
die  Grenze  „mitt  pfählen  abgezeichnet“  und  die  Parteien  „in 
erbliche  immerwehrende  richtige  possession  und  besitz  gesetzet.“®) 
Wenn  von  dem  Angeklagten  diese  Grenzzeichen  „wieder  zuge- 
worfen und  die  Stöcke  ausgezogen“  wurden,  dann  musste  der 
Holzgraf  „mit  dem  Knecht  wieder  dahin  gehen,  nochmahl 
graben  und  zustechen“.7)  Der  Delinquent  wurde  „wegen  aus- 
ziehung  der  rutlieu  in  1 goltgld  deklarirt“.8)  Um  das  Verfahren 
abzukürzen,  pflegte  der  Bauerknecht  das  abgepflügte  Land  am 
Tage  vor  der  Besichtigung  schon  abzustechen.")  Stellte  sich 
bei  der  Besichtigung  heraus,  dass  „Kläger  ohngebührlich  ge- 
klaget“10)  und  „nicht  belügt  zu  klagen“,’1)  so  musste  er  die 
Kosten  zahlen  und  wurde  „in  (etwa  12  gr.)  brüchte  fellig  er- 
klehrt“,10)  „weilen  er  seine  Klachte  nicht  justificirt“.1*)  Ueber 
die  Grenzregulieruug  wurde  „dem  befinden  nach  ad  protocollum 
referirt“.18)  Von  diesem  Protokoll  stand  den  Interessenten  eine 
Kopie  zu.14) 

Auf  Grund  dieses  Referates  wurde  das  Urteil  gesprochen. 
Gewöhnlich  „sollte  bey  nechster  Zusammenkunft  der  baurschaft 
hierüber  statuirt  werden,  was  billig  und  rechtens“,15)  und  bei 
den  jährlichen  Bauergerichten  wurden  die  Delinquenten  „wegen 
begangenen  Excessus  vorgefordert  und  angewiesen,  bis  (zur 


a.  a.  ü.  io.  Juli  1712. 

а)  a.  a.  0.  26.  Juni  1731. 

3)  Stöckli.  B.  B.  7.  Sept.  1685. 

4)  a.  a.  0.  30.  Okt.  1723. 

б)  a.  a.  O.  26.  Okt.  1702. 

«)  Volm.  B.  B.  4.  Juli  1676. 

’’)  Stockk.  B.  B.  25.  Juni  1785. 

8J  Hilst.  B.  B.  23.  Aug.  1706. 

9)  Stockb.  B.  B.  12.  Juli  1686. 

*°)  a.  a.  O.  9.  Juli  1726. 

»)  Volm.  B.  B.  9.  Aug.  1713. 

“)  a.  a.  O.  2.  Juli  1728. 

13)  a.  a.  0.  6.  Juni  1722.  HUst.  B.  B.  3.  Juni  1744. 
w)  Volm.  B.  B.  11.  Februar  1714. 

Stockh.  B.  B.  14.  Mai  1704. 


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108 


Entscheidung)  einen  abstand  zu  nehmen".*)  Sonst  wurde  das 
Urteil  von  dem  Holzgrafen  und  den  Brachstechern,’)  auch  wohl 
von  „versandeten  alten  und  neyen  Brachstechern  in  des  Holz- 
gräfcu  Behausung“3)  gefällt.  Waren  die  Verurteilten  anwesend, 
so  wurde  ihnen  das  Urteil  „in  faciem  publiciert",4)  sonst  war 
es  ihnen  „per  famulum  zu  hinterbringen"1*)  und  „sogleich  an- 
zukündigen".*) Bei  Anwesenheit  der  streitenden  Parteien 
mussten  beide  nach  Verkündigung  des  Urteils  „vor  der  bäurschaft 
stipulato  sich  freuudnachbarlich  zu  halten  angeloben".7)  Es 
scheint  auch,  als  hätte  der  Holzgraf  allein  das  Urteil  sprechen 
können.  Denn  die  Strafen,  die  auf  Abpflügen  gelegt  wurden, 
waren  durch  das  Herkommen  fest  bestimmt,  und  der  Holzgraf 
brauchte  also  nach  dem  Referate  der  Brachstecher  nur  die 
allgemeine  Norm  auf  den  angezeigten  Fall  anzuwenden.  Auf 
jede  abgepflügte  Furche  war  als  Strafe  eine  Tonne  Bier  oder 
ein  Goldgd  festgesetzt,  also  z.  B.  auf  4 Furchen  „altem  Gebrauch 
nach  vier  Tonne  bier  oder  4 goltgd“.8)  Ausserdem  mussten 
für  jeden  Fall  4 gr.  an  den  Holzknecht  gezahlt  werden,*)  so 
dass  jemand,  der  bei  derselben  Gelegenheit  in  2 Fällen  ver- 
urteilt war,  8 gr.  geben  musste.*0)  Daneben  musste  der  Ver- 
urteilte die  in  den  einzelnen  Fällen  verschieden  bemessenen 
„Augenscheinskosten“  bezahlen,*')  die  entweder  unter  die  Brach- 
stecher verteilt*')  oder  von  der  gesamten  Kommission  bei  dem 
Vormund  verzehrt  wurden.'*)  War  durch  das  Abpflügen  dem 
Kläger  Schaden  zugefügt,  so  wurde  das  Urteil  gesprochen  „salvo 
damno  illato",'3)  und  der  Verurteilte  musste  die  auf  dem  abge- 

>)  a.  a.  O.  2*.  Attg.  1723.  Hüst.  B.  B.  28.  Juni  1707. 

»)  Volm.  B.  B.  26.  Juni  1731. 

3)  Stockb.  B.  B.  19.  De*.  1805. 

*)  HilBt.  B.  B.  10.  Februar  1706. 

»)  Stockh.  B.  B.  9.  Juli  1726. 

•)  Volm.  B.  B.  3.  Nov.  1695. 

7)  a.  a.  0.  27.  Sept.  1681. 

8)  Stockb.  B.  B.  23.  März  1699  u.  g.  o. 

*)  Hilst.  B.  B.  3.  Nov.  1745  u.  s.  o. 

I0)  Stockh.  B.  B.  7.  Februar  1706. 

*t)  a.  a.  0.  Frühjahr  1777.  Stockb.  B.  B.  17.  Nov.  1706:  „Aus- 
gangskosten*. 

1!)  Volm.  B.  B.  27.  Sept.  1684. 

,5j  Hüst.  B.  B.  16.  Februar  1729. 


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109 


pflügten  Lande  „aufsteliende  früchten  unabgethan  unt  einerndtendt 
almstehen  lassen“.1)  Bei  der  Verurteilung  kam  nicht  in  betracht, 
ob  das  Abpflügen  „nur  in  den  stopfein  und  nicht  zur  saeth  ge- 
schehen“,*) oder  ob  die  abgepflügten  Furchen  von  dem  Delinquenten 
unbenutzt  geblieben  waren.*)  Wenn  dagegen  das  Land  „nur 
etwas  angepflüget“4)  war  oder  „befunden  wurde,  dass  das  ab- 
pflügen von  alters  her  geschehen,  wurde  beklagter  nicht  straf- 
fällig befunden“.5) 

Diese  Strafe  von  1 Th.  für  die  Furche  konnte  ermässigt, 
„mitigiert“*)  werden.  Der  Angeklagte  wurde  regelmässig  „wie 
gebräuchlich  in  (etwa  5 goltgl.)  straf  deklarirt  undt  darauf  zu 
accordiren  angewiesen“,7)  d.  h.  er  hatte  das  Recht,  um  Er- 
mässigung  der  Strafe  zu  bitten.  Meist  wurde  von  dem  Verurteilten 
selbst  accordiert  und  „die  ihme  diktirte  straf  auf  (eine  niedrigere) 
gethetiget“.8)  Doch  war  es  auch  Sitte,  dass  er  ein  Mitglied 
„zum  Vorsprechen  begehrte“*)  und  ihn  zum  Holzgraf  schickte, 
um  für  ihn  zu  accordieren.10)  Dieser  oder  auch  mehrere  „bürgen 
erschienen  ad  protocollum,  boten  (eine  gewisse  Summe)  und 
bathen,  ihren  pupillum  dafür  diesmal  passiren  zu  lassen“.11) 
War  die  gebotene  Summe  annehmbar,  so  wurde  die  Strafe  „auf 
vieles  anhalten  dafür  belassen“,11)  hatte  aber  der  Verurteilte 
„zu  geringe  sich  erbotten,  wurde  er  deshalber  wieder  abge- 
wiesen“.14)  Dann  wurde  ihm  „die  straf  ex  officio  angesetzt“ ,s) 
und  er  „ohnabdinglich  gebrüchtet“.14)  Der  Verurteilte  erschien, 


')  Volm.  B.  B.  4.  Juli  1676. 

J)  a.  a.  O.  25.  Aug.  1712. 

3)  Stockb.  B.  B.  io.  Sept.  1787. 

4)  Mist.  B.  B.  30.  Okt.  1706. 

‘)  Stöckli.  B.  B.  16.  Juli  1726. 

«)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1704. 

’’)  Volm.  B.  B.  3.  Februar  1691. 

8)  Stockb.  B.  B.  26.  Aug.  1683. 

•)  Volm.  B.  B.  18.  Januar  1685. 

10)  Hilst.  B.  B.  29.  Juni  1721. 

>')  Stockb.  B.  B.  24.  Aug.  1723. 

’2)  Volm.  B.  B.  18.  Januar  1685.  St.  B.  B.  29.  Okt,  1781:  „Da  ein 
solches  anbieten  gantz  minechtig  (=  geringschätzig),  ex  officio  die  Briicbten 
ansusetxen“. 

1S)  Volm.  B.  B.  29.  Aug.  1720. 

>4)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1697.  Hilst.  B.  B.  10.  Not.  1706. 


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110 


um  zu  accordieren,  manchmal  recht  spät  nach  dem  Urteil,  sogar 
2 — 3 Jahre  später.')  Die  Strafe  wurde  „auf  inständiges  an- 
halten“ !)  oft  ganz  erlassen  oder  doch  bedeutend  gemildert, 
wenn  besondere  Gründe  diese  Milde  angezeigt  erscheinen  Hessen. 
Eine  Frau  kam  mit  einer  geringen  Strafe  davon  „in  Ansehung 
der  mit  ihrem  Man  ausgestandener  schwerer  Krankheit  und 
dieserhalb  verwendeter  vieler  Kosten“,3)  ein  Mann  „wegen 
seines  miserabelen  zustandes“4)  und  „in  ansehung  seines  Alters“,3) 
oder  „weilen  es  schlechte  Zeiten  seien“,8)  auch  „in  ansehung, 
dass  er  das  land  zum  erstenmahl  gesahmet,  er  auch  gebrechlich“,7) 
oder  „in  ansehen  das  landt  schiegt  scie“,8)  einem  andern  „nach 
anlobung  der  besserung  ex  causis  moventibus  in  ansehung  seines 
Unglücks  mit  den  Kindern“®)  oder  „da  er  seine  schuldt  frey- 
willig  bekandt“10)  oder  „ob  simplicitatem“11)  und  einer  Frau 
gar,  damit  „sie  mit  dem  Mane  in  ruhe  bliebe“.11) 

Für  den  Frevel  und  die  dadurch  verwirkte  Strafe  haftete 
der  Täter,  bei  Abmähen  also  der  Mäher,13)  bei  Abflügen  der 
Pflüger,14)  ganz  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  er  auf  eigenem  oder 
fremdem  Lande  gearbeitet  hatte.  Es  wurde  allerdings  gelegentlich 
der  Besitzer  des  Landes,  für  den  ein  anderer  gepflüget  hatte, 
wegen  des  Abpflügens  bestraft,  aber  dann  nur  „salvo  regressu 
gegen  sein  pflüger“,13)  der  ihm  die  Strafe  ersetzen  musste.  Wenn 
jedoch  der  Pflüger  „auf  befehl  des  (Besitzers)  das  Umbpflügen 
tun  müssen“,  wurde  der  Besitzer  bestraft.18)  Wenn  ein  des  Orts 
nicht  kundiger  Pflüger  sich  über  die  Grenze  bei  einem  andern 

')  Nach  einer  Zusammenstellung  von  1778 — 1785  im  Stöckli.  B.  B. 

-J  St.  B.  B.  22.  Januar  169(1. 

s)  Hüst.  B.  B.  6.  Nov.  1717. 

4)  Volm.  B.  B.  19.  Februar  1725. 

»)  St.  B.  B.  16.  Okt.  1690. 
a.  a.  0.  17.  Aug.  1685. 

7)  a a.  0.  10.  Juli  1712. 

»)  a.  a.  0.  24.  Aug.  1718. 

»J  Stockh.  B.  B.  25.  Aug.  1683. 

>«)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1712. 

«)  Hüst.  B.  B.  1.  Okt  1704. 

>»)  a.  a.  O.  24.  Juni  1704. 

13)  Volm.  B.  B.  16.  Sept.  1685. 

Hüst.  B.  B.  29.  Juni  1721. 

»)  a.  a.  O.  10.  Nov.  1706. 

■*)  Stockh.  B.  B.  12.  Juui  1707. 


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111 


erkundigt  hatte  und  falsch  unterrichtet  worden  war,  so  „sollte 
er,  so  ferne  er  den  Mann,  so  ilime  das  gesagt  und  abpflügens 
befohlen,  nambhaft  machen  konte,  der  straf  erlasen  sein“.1) 
Die  gleichen  Grundsätze  fanden  Anwendung,  wenn  der  Knecht 
eines  Besitzers  abgepflügt  hatte.  Der  Herr  erklärte,  dass  „sein 
Knecht  solches  gepflüget  hätte,  undt  wen  selbiger  abgepflüget, 
mögte  davor  stehen“,2)  und  der  Knecht  wurde  auch  bestraft.3) 
Um  sich  die  Strafe  zu  sichern,  pflegte  die  bauerschaft  dem 
Herrn  zu  „befehlen,  seinen  Knecht  kein  lohn  zu  geben,  bis  er 
accordiert“  hätte,2)  oder  sie  liess  sich  den  Rest  des  Lohnes, 
z.  B.  ein  Paar  Schuhe  und  30  gr.  zur  Sicherheit  übergeben.4) 
Weil  aber  der  Herr  „doch  vor  seinen  Knecht  stehen  musste“,3) 
wurde  er  „salvo  regressu  gegen  seinen  Knecht  zum  accordiren 
angewiesen“.8)  Wenn  „der  Knecht  schon  abgegangen  gewesen“, 
wurde  der  Herr  milde  bestraft,7)  oder  ging  straflos  aus,  wenn 
„sein  voriger  Knecht  ihm  ohnlangst  aus  dem  Dienst  und  in 
hollandt  gangen  war  und  er  von  selbigem  nichts  in  handen 
hatte“.8)  Andererseits  war  der  Knecht  nicht  strafbar,  wenn 
„sein  Herr  dabey  gewesen  und  solches  (Abpflügen)  wohl  gesein“,*) 
oder  wenn  er  es  gar  befohlen  hatte,  „sintemahl  einom  Bauer- 
gliedt  nicht  gebühret,  eigenrichterlich  seines  Nachbarn  Landt  zu 
begehren  undt  das  Abpflügen  seinem  Knecht  zu  befehlen“.10) 
Für  die  Kinder  haftete  der  Vater,  wenn  auch  eine  gelinde  Be- 
strafung des  Vaters  eintrat,  weil  „seine  Kinder  bey  seiner 
Bettlägerigkeit  das  pflügen  gethan“,11)  oder  weil  er  während 
dieser  Zeit  beim  Grundherrn  „in  Herrendienste  war“.12) 

>)  a.  a.  0.  25.  Sept.  lose. 

»)  Hilst.  B.  B.  20.  Sept.  1706. 

»)  Stöckli.  B.  B.  29.  Okt.  1095. 

4)  a.  a.  0.  25.  Aug,  1097. 

6)  Volm.  B.  B.  26.  Aug.  1731. 

e)  Stöckli.  B.  B.  24.  Aug.  1701.  Volm,  B.  B.  3.  Februar  1711. 

7)  Volm.  B.  B.  12.  Febr.  1725. 

s)  Hüst.  B.  B.  7.  Juli  1722. 

»)  Volm.  B.  B.  29.  Aug.  1728. 

I0)  Hüst.  B.  B.  28.  Okt.  1705. 

'»)  a.  a.  O.  29.  Juui  1721. 

»)  a.  a.  0.  26.  Okt.  1717. 


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112 


Di«  Allmend« 

Bei  der  Ausscheidung  der  Huden  aus  den  bisher  einheit- 
lichen Markgenossenschaften  fiel  ihnen  die  Gemeinweide  zu,  die 
gesamte  übrige  Allmende  behielten  die  Bauerschaften.  Zu- 
nächst gehörten  ihnen  alle  Wege,  die  sog.  Triften,  wie  die 
Krumme  Trift,1)  Stockmar  Trift,1)  Hüster  Trift2;  usw.,  uud 
ebenso  die  kleineren  Wege,3)  ausserdem  alle  öffentlichen  Plätze 
wie  „der  freye  Stuhl“4)  und  die  früheren  Dorfgericbtsplätze/’) 
die  Linden,9)  das  Land,  auf  dem  früher  die  Warten  oder  Heiligen- 
häuschen standen,7)  Steinbrüchc,8)  Landwehren9)  usw.  Vor 
allem  blieben  Allmende  die  weniger  fruchtbaren  Stellen  der 
Mark,  die  sog.  Kleyländer,1'1)  der  Dreisel»,10)  die  Heiden,11)  die 
überhaupt  nicht  in  Kulter  genommen  wurden,  so  dass  Volmede 
noch  1804  „einen  grossen  plaz  Ackerland  öde  liegen“  hatte12) 
und  Stalpe  1817  etwa  CO  Morgen  Heideland  nicht  unterbringen 
konnte.13)  Dann  gehörte  den  Bauerschaften  auch  das  sog.  Oed- 
und  Unland,  z.  B.  Teiche,14)  ferner  die  winzigen  Stücke,  die 
bei  der  Aufteilung  des  Landes  zwischen  den  Gewannen  und 
sonst  übrig  geblieben  waren,  die  kleinen  „Ekksken“,1'1)  Streifen 
Landes,  die  an  den  Parzellen  entlang  liefen,  sog.  „Uebermasse“,16) 
die  Anwenden,  z.  B.  „anwands  halbe  morgen“,17)  usw.  Die 
meisten  in  den  Gewannen  liegenden  Besitzungen  haben  die 

>)  Stockta.  B.  B.  1792. 

s)  Stöckli.  B.  B.  9.  Juni  1809. 

3)  n.  a.  O.  24.  Aug.  1695. 

•)  Hüst.  B.  B.  24.  Jnni  1714. 

6)  St,  B.  B.  24.  Aug.  1702. 
z.  B.  Stockh.  B.  B.  1822. 

7)  a.  a.  0.  23.  Juli  1817. 

»)  St.  B.  B.  29.  Aug.  1790. 

»)  a.  a.  O.  21.  Not.  1786. 

>•)  Stockh.  B.  B.  28.  Dez.  1806. 

ii)  St.  B.  B.  10.  Juni  1820. 

»)  Volm.  B.  B.  30.  Sept.  1804. 

’3)  St.  B.  B.  17.  März  1817.  Ueber  einen  ChnrfUrstl.  Befehl,  diese 
Länder  in  Cnltur  zu  nehmen,  siebe  Anlage  IV. 

i*)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1695. 

“)  Hiizt.  B.  B.  24.  Juni  1705. 

'»)  HUst.  B.  B.  29.  Juni  1717. 

>7)  Volm.  B.  B.  30.  Okt,  1811. 


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11« 


Banerschaften  jedoch  dadurch  erhalten,  dass  herrenloses  Gut 
ihnen  als  Eigentum  zufiel.  Es  war  allgemeiner  Grundsatz,  dass 
Land,  für  das  sich  kein  Herr  nachweisen  Hess,  der  Bauerschaft 
gehörte.1)  Daher  verlangte  sie  z.  B.  von  den  gegenwärtigen 
Inhabern  eines  Gartens,  „ihr  beweistumb  zu  produciren  oder 
der  baurschaft  denselben  abzutretten“,2)  und  wenn  einer  schon 
12  Jahre  ein  Stück  Land  genutzt  hatte,  aber  keinen  Besitzer 
nennen  konnte,  so  musste  er  der  Bauerschaft  davon  Pacht 
zahlen.3)  Wenn  sich  dann  nachträglich  von  solchem  verpachteten 
Lande  ein  Eigentümer  fand,  musste  es  ihm  wiedergegeben 
werden,4)  und  wenn  ein  Käufer  eines  Gutes  dartun  konnte, 
dass  aus  dem  Kaufbrief  „zu  ersehen  war,  dass  zu  diesen  Gutli  ein 
fünfgarth  gehören  thäte,  welches  die  Bauerschaft  (einem  Pächter) 
untergethan,  so  begehrte  er,  ihme  solches  zu  seiner  disposition 
frey  liggen  zu  lassen“.5)  Auf  diese  Weise  waren  die  Bauer- 
schaften,  besonders  Stockheim  zu  recht  erheblichen  Besitzungen 
gekommen,  die  sowohl  Ackerland  wie  Wiese  umfassten  und 
entsprechend  dem  Ursprung  in  der  ganzen  Bauerschaftsmark 
zerstreut  lagen.6)  Dieser  Besitz  gehörte  den  Bauerschaften 
.jure  dominii  directi“.7)  Sie  benutzten  ihn  nur  zu  einem  ge- 
ringen Teile  selbst.  Sie  Hessen  gelegentlich  einzelne  Wege  be- 
säen und  das  „Korn  auf  den  zugesecheten  Wegen“8)  entweder 
auf  dem  Halme  „plus  offerenti  verkaufen“8)  oder  zunächst  durch 
die  Brachstecher  mähen  und  dann  versteigern.10)  Einzelne  Stücke 
hatten  die  Beamten  der  Bauerschaft  in  Besitz,  z.  B.  der  Bauer- 
knecht mehrere  Parzellen.11)  Das  meiste  Land  wurde  von  der 
Bauerschaft  verpachtet.  Die  Wege  wurden  in  der  Weise  aus- 
getan, dass  sie  „alle  6 Jahr  zweimal  besamet,  die  übrigen 


')  a.  a.  O.  7.  Januar.  1685. 
s)  Stockb.  B.  B.  24.  Aug.  1685. 
s)  a.  a.  0.  25.  Aug.  1683. 

*)  Stöckli.  B.  B.  24.  Aug.  1704. 

6)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1746, 

«)  Stockh.  B.  B.  1692. 

7)  a.  a.  O.  30.  Juli  1726. 

*)  a.  a.  O.  19.  Aug.  1731. 

•)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1622. 

>»)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1711. 

>')  Volm.  B.  B.  30.  April  1809. 
Lapp*?,  Hio  G*Hdi r D.iii<*r.'clte»l«*n 


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It4 


4 Jahr  zum  allgemeinen  Trift-  nnd  Fahrweg  gebraucht“  werden 
sollten.1)  Gewöhnlich  wurde  Land  „brockzeitlich“  d.  h.  auf 
sechs  Jahre  verpachtet.2)  Der  Pächter  hatte  nur  in  den  fünf 
Jahren,  da  das  Land  bestellt  wurde,  die  Pacht  zu  zahlen,3) 
nicht  in  dem  Bracbjahr.4)  In  diesem  sechsten  Jahre  war  „ehr 
verbunden,  aufs  neue  sich  anzugeben  undt  recognitionem  zu 
prästiren“,4)  d.  h.  für  das  Brachjahr  musste  er  den  sog.  Wein- 
kauf zahlen,  der  grösser-')  und  kleiner6)  als  die  jährliche 
Pachtsumme  sein  konnte.  Das  Jahr,  wo  der  Pächter  „primam 
pachtam  solvit  oder  zahlt“,  wurde  bei  der  Verpachtung  be- 
sonders angegeben.  Bei  der  Uebernahme  pflegte  der  Pächter 
„sich  vorzubehalten,  dass  er  nach  verflossenen  5 Jahr  die 
Denuntiatio  oder  das  jus  prothemysios  vor  andern  her  behalten 
wolle“.7)  Die  Wiesen  wurden  meist  auf  1 Jahr  verpachtet.8) 
Daneben  wurden  Aecker  grösseren  und  geringeren  Umfangs  auf 
Lebenszeit  eines  Pächters,  „auf  sein  lebtag“9)  oder  „ad  dies 
vitae“10)  ausgetan,  meist  auch  auf  Lebenszeit  seiner  Frau.11) 
Wer  so  „auf  sein  und  seiner  Gattin  Lebzeiten  bemeyert“  war,12) 
musste  „davon  jährlich  undt  alle  Jahr  unerachtet  der  Brache“ 
Pacht  zahlen12)  und  ein  „vergnüglich  laudemium  als  ein  (ge- 
wisses Maas)  wein“  geben.13)  Gewöhnlich  wurde  nach  dem  Tode 
des  Pächters  mit  dem  betr.  Stück  „sein  unmündiger  Sohn  ex 
nova  gratia  auf  seine  lebtagh  gleich  seinem  Vatter  bemeyert“.14) 
Das  gepachtete  Land  konnte  von  dem  augenblicklichen  Besitzer 
mit  Genehmigung  der  Bauerschaft  an  einen  andern  verkauft 


’)  Stockb.  B.  B.  9.  Juni  1809. 

J)  Hüst.  B.  B.  9.  Nov.  1704. 

»)  St.  B.  B.  6.  März  1819. 

*)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1712. 

6)  a.  a.  0.  26.  Juni  1704. 

*)  a.  a.  O.  25.  Juni  1706. 

’)  Hiist.  B.  B.  25.  Juni  1704. 

»)  St  B.  B.  30.  März  1827. 

*)  Stockb.  B.  B.  25.  August  1705. 
l°)  a.  a.  0.  19.  Aug.  1708. 
u)  Volm.  B.  B.  18.  Juni  1700. 

**)  Stockb.  B.  B.  25.  Aug.  1695. 

>»)  Hüst.  B.  B.  23.  Juli  1703. 

M)  Stockb.  B.  B.  8.  Juni  1681.  26.  Januar  1706. 


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115 


werden.1)  Wenn  die  Pacht  zwei2)  oder  drei3)  Jahre  nicht  gezahlt 
wurde,  war  der  Meier  entsetzt.  Ausserdem  wurde  Land  „erb- 
meyerstättisch“4)  oder  „in  Erb  Meyer  statt  verliehen“,5)  wofür 
der  Meier  Jährlich,  es  seye  bracke  oder  nicht,  (die  Pacht) 
liefern“  sollte,6)  und  zwar  „dergestalten,  dass  wan  er  den  jähr- 
lichen Canonem  davon  ins  dritte  jahr  anschwellen  lassen  würde, 
(das  Land)  der  Bauerschaft  wieder  heimbgefallen  sein  sollte“.7) 
Weiter  wurde  bedingt,  dass  „die  Erben  nach  seinem  Thott  der 
Bauerschaft  mit  einem  newen  Weinkauf  verfallen,  und  solche 
zu  thetigen  schuldig  sein  sollen“,8)  und  es  musste  das  Ver- 
sprechen gegeben  werden,  das  Land  „ohne  Vorwissen  der 
Bauerschaft  nicht  zu  ?,  zu  versetzen  oder  zu  verkaufen“.8) 
Die  verpachteten  Aecker  durften  nicht  geteilt  werden,  und  wenn 
ein  Meier  ohne  Testament  starb,  entschied  das  Los  unter  den 
Erben.9)  Starb  der  Meier  ohne  direkte  Nachkommen,  so  fiel 
das  Land  der  Bauerschaft  wieder  anheim.10)  Ueber  die  Be- 
meierung  wurde  ein  Meierbrief  ausgestellt,  der  vom  Holzgraf 
allein  oder  mit  den  Brachstechern  unterschrieben  wurde.11)  Statt 
des  Meierbriefs  genügte  auch  ein  Auszug  des  betr.  Protokolles 
im  Bauerschaftsbuche. 12)  Schliesslich  wurde  auch  bei  grösseren 
Komplexen  jedem  Bauerschaftsmitgliede  ein  Teil,  etwa  ein 
Morgen  überlassen,  wovon  jährlich  eine  geringe  Entschädigung 
an  die  Bauerschaft  gezahlt  werden  musste.13) 

Bei  den  Verpachtungen  hatten  die  Mitglieder  den  Vorzug, 
„zumahlen  ein  Bauemgeliet  der  neigste“  war.14)  Es  wurde  so- 


>)  a.  a.  O.  21.  Aug.  1763. 

*)  Hilst.  B.  B.  23.  Juli  1705. 

>)  Stockb.  B.  B.  8.  Juni  1681.  St.  B.  B.  24.  Aug.  1741. 

«)  a.  a.  0.  17.  Okt  1818. 
s)  a.  a.  O.  23.  Juli  1817. 

•)  Hüst.  B.  B.  21.  De*.  1731. 

7)  Stockb.  B.  B.  21.  Aug.  1763. 

*)  Httst.  B.  B.  20.  Februar  1706. 

•)  Stockb.  B.  B.  24.  April  1723. 

>°)  Volm.  B.  B.  5.  Mai  1835. 

“)  a.  a.  0.  4.  Aug.  1827. 

>•)  a.  a.  O.  21.  August  1763:  .ist  loco  eines  Meyerbriefes  demselben 
Extractus  hujus  protocolli  mitzuteilen  verstauet  worden.* 

“)  Stockb.  B.  B.  24.  Aug.  1682. 

Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1726. 

8* 


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116 


wohl  das  schon  in  Kultur  genommene  als  auch  das  noch  öde 
Land,  das  noch  „umgebrochen“  werden  musste,  verpachtet.1) 
Die  Pächter  waren  gehalten,  dass  „keiner  sein  unterhabendes 
Lande  öhde  liggen  lassen  sollte“,2)  wenn  es  geschah,  wurde  der 
Meier  bestraft.3)  Wenn  die  Pacht  mehrere  Jahre  lang  nicht 
gezahlt  war,  sollte  „auf  das  genawste  alle  Satisfaktion  nach- 
gesuchet  und  dahrzu  durch  rechtliche  mittel  vermögt  werden“.'1) 
Es  wurden  die  aufstehenden  Früchte  mit  Beschlag  belegt,5) 
oder  wenn  das  Land  abgeerntet  werden  sollte,  wurde  ein  Fuder 
Getreide  weggenommen,  in  ein  Haus  gefahren  und  gedroschen.8) 
Doch  wnrde  häutig  ein  Teil  der  Pachtsumme  erlassen,  weil  dem 
Pächter  sein  Haus  abgebrannt,7)  weil  „er  wegen  Dürre  das 
Land  nicht  hatte  nutzen  können“,8)  weil  „er  von  dem  Lande 
wegen  Mausefrass  nichts  bezogen  hatte“,8)  „wegen  der  schlechten 
und  geldlosen  Zeiten  und  da  Comparent  viele  Arbeit  an  dem 
Grundstück  gethan  habe“,8)  weil  „kränkliche  Umstände,  die  er  seit 
6 Jahren  gehabt,  ihn  in  seinem  Haushalt  zurückgesetzt  hatten“,8) 
„wegen  seiner  bekanntlichen  Unglücksfälle  und  weil  es  der 
Mühe  nicht  lohnte,  in  den  betreffenden  Ländern  zu  ärnten“,8) 
oder  weil  das  gepachtete  Land  „in  gebührenden  Zuschlag  nicht 
konnte  gehalten  werden,  und  ihm  nicht  konnte  zu  nutz 
kommen“.8) 

Der  wichtigste  Teil  der  Allmende  war  der  Wald,  der  zu- 
nächst Brenn-  und  Bauholz  lieferte  und  vor  allem  zur  Schweine- 
mast benutzt  wurde. 

Von  den  Bauerschafton  besassen  an  Wald:  Stalpe  das 
Stälperhölz,  etwa  270—280  Morgen  gross,10)  Stockheim  ein 
Schlagholz  am  Rosengarten,  an  hohem  Gehölz  den  Leimenbusch, 

■)  Hiist.  B.  B.  24.  Juni  1702.  Stockh.  B.  B.  29.  April  1787. 

s)  Volin.  B.  B.  24.  Juni  1721. 

s)  Hiist.  B.  B.  9.  No?.  1704, 

4)  a.  a.  O.  25.  Juni  1704. 

s)  a.  a,  O.  24.  Juni  1740. 

Volui,  B.  B.  2.  Dez.  1722. 

7)  Stockh.  B.  B.  20.  April  1825. 

8J  a.  a.  0.  SO.  April  1825. 

®)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1000.  Nach  dem  siebenjährigen  Kriege  (St. 
B.  B.  2.  Dez.  1773)  konnten  die  Bauerscbaftsländer  „wegen  Abgang  deren 
pl'erden  nicht  elocirt  werden*. 

*)  Geseker  Huden.  S.  74. 


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117 


Immenbnsch  und  Brackenbusch,1)  Yolmede  42  Morgen  hohes 
Eichengehölz,2)  Hüstede  80  Morgen  Erlenholz,5)  aber  keinen 
Hochwald,  so  dass  kräftiges  Holz  bei  Bedarf  von  andern  Bauer* 
schäften  erbettelt  werden  musste.4)  In  diesen  Wäldern  waren 
die  Huden  weidoberechtigt.’)  Ausserdem  hatten  die  Bauer* 
schäften  auf  den  Brüchen  der  Huden  das  Bepflanzungsrecht/’) 
ebenso  gehörten  ihnen  die  auf  den  Triften  stehenden  Bäume.6) 
Einen  unbedeutenden  Besitz  bildeten  die  auf  den  Wegen 
wuchernden  Dornen,7)  Hecken  in  dem  Felde8)  und  auf  feuchte 
Stellen  gepflanzte  Weiden.9) 

Das  Schlagholz  wurde  gehauen,  wenn  es  „hauwisch“  ge- 
worden war,10)  gewöhnlich  alle  10  Jahre.11)  Zuwoilen  wurde  das 
aufstehende  Holz  verkauft,12)  und  zwar  entweder  öffentlich13) 
oder  nur  an  die  Mitglieder  versteigert.14)  Bei  öffentlicher  Ver- 
steigerung wurde  der  Verkauf  in  beiden  Pfarrkirchen  bekannt 
gemacht15)  oder  an  die  Kirchtüren  geheftet.16)  Gewöhnlich 
wurde  „von  sambtlicher  citirter  auch  erschienener  baurschaft 
conclndirt,  (das  Holz)  gesambter  Hand  zu  hauwen  undt  zu 
partiren“.17)  Deshalb  sollte  „ein  jeder  einen  tauglichen  Holtz- 
hauer  schicken  und  vor  der  (betreffenden)  pforten  glock  6 uhr 
erscheinen  lassen“18)  oder  „einen  capabelen  Mann  stellen  und 
in  des  Vormunds  Behausung  mit  einer  scharfen  Barte  er- 


')  Nach  verschiedenen  Notizen  aus  Stockb.  B.  B. 
s)  Stockh.  B.  B.  9.  Juni  1809. 

3)  Oeseker  Huden.  S.  73. 

*)  Volm.  B.  B.  18.  Januar  1686. 

6)  Oeseker  Huden.  S.  73  ff. 

')  Stockh.  B.  B.  1677.  St.  B.  B.  18.  Februar  1822. 
■)  Hüst.  B.  B.  10.  Febr.  1707. 

*)  a.  a.  O.  26.  Juni  1710. 

»)  Stockh.  B.  B.  8.  Mai  1830.  6.  April  1836. 

10)  a.  a.  0.  6.  Januar  1694. 

»)  a.  a.  O.  16.  März  1828. 

>7)  a.  a.  0.  14.  Nov.  1703.  20.  Aug.  1713. 

IS)  a.  a.  O.  28.  Dez.  1812. 

St.  B.  B.  20.  Nov.  1828.  10.  April  1829. 

**)  Volm.  B.  B.  18.  März  1811. 

>•)  Holth.  B.  B.  27.  Aug.  1820. 

17)  Stockh.  B.  B.  6.  Januar  1694. 

••)  Höst.  B.  B.  15.  Nov.  1717. 


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118 


scheinen“.1)  Wenn  das  Holz  „abgestemmet  gewesen,  wurde 
es  in  gleiche  Teile  oder  häufen  gesetzet  und  folgendts  ver- 
loset“.2) Zum  Abholzen  musste  jeder  antreten  oder  einen  Ver- 
treter schicken;  nur  sie  erhielten  Holz:  „die  übrige  haben 
keine  Hawers  geschickt,  also  haben  solche  auch  keine  Nummeren 
bekommen“.3) 

Von  dem  Hochwald  wurden  die  nutzlosen  Bäume  ver- 
steigert, z.  B.  „eine  hohle  Eiche,  worin  ein  Bienenstock  war“,4) 
oder  ein  Baum,  „welchen  der  Umsturz  drohte  und  durch  und 
durch  verbrannt  war“.5)  Gewöhnlich  wurden  darin  Bäume 
zu  Bauholz  gehauen.  Die  Regelung  des  Holzbaues  im  Hoch- 
wald unterlag  den  Bestimmungen  der  gesamten  Bauerschaft, 
die  bei  dem  jährlichen  Gerichte  entschied,  ob  und  wie  viele 
Bäume  gehauen  werden  sollten.  Es  durfte  „ausser  der  Bauer- 
konvention und  allerseiths  bewilligung  kein  Holz  verschenkt 
werden“,6)  und  daher  wurde  von  Stockheim  „juxta  conclusum 
burschapiae  in  der  ßauerschaft  extra  festum  Barthol.  vor  der 
ltidischen  Pfordte  einen  Baum  zu  verehren  supplicant  abge- 
wiesen“.7) Daher  sollte  bei  Gesuchen  der  Holzgraf  „nie  dar- 
auf decretieren,  dass  solche  jedem  baurgliede  zur  genehmigung 
präsentirt  werde,  sondern  derselbe  sollte  die  Sache  zur  völligen 
Zusammenkunft  aufschieben“.8)  In  dringenden  Fällen  sollte 
der  Holzgraf  mit  den  alten  und  neuen  Braehstechem  selb- 
ständig in  dieser  Angelegenheit  Vorgehen  können.8)  Wenn  der 
Holzgraf  allein  einen  Baum  verschenkt  hatte,  musste  er  vor 
versammelter  Bauerschaft  um  Amnestie  bitten:  „weilen  dieses 
eine  nothsache  gewesen,  so  würden  sämbtliche  baurglieder  da- 
gegen nichts  einzuwenden  haben“.8)  Also  nur  von  gesamter 
Bauerschaft  bei  dem  jährlichen  Bauergericht  durften  Gesuche 
um  Holz  genehmigt  werden.  Der  Bittsteller  musste  „ein  unter- 


, ')  Holtb.  B.  B.  12.  Nov.  1808. 

’)  a.  a.  O.  20.  Nov.  1747.  13.  Dez.  1717. 
*)  Volm.  B.  B.  9.  Februar  1780. 

*)  Stockh.  B.  B.  1832. 

»)  St  B.  B.  12.  Juni  1813. 

«)  Volm.  B.  B.  29.  Mürz  1711. 

7)  Stockb.  B.  B.  25.  Aug.  1727. 

*)  Volm.  B.  B.  30.  Mai  1808. 

•)  a.  a.  O.  12.  August  1780. 


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119 


dienstliches  Memorial  mit  bitte  um  Erlangung  eines  Baumes 
übergeben“,1)  das  er  gelegentlich  schon  vorher  „durch  einige 
der  vornembsten  H.  Erbten  hiesiger  baurschaft  kraft  unter- 
schriebener Handt  salvo  praejudicio  conclusi  consentiren“2) 
liess.  Die  Gesuche  wurden  besonders  bewilligt  bei  „grund- 
oder  haubtbau“,3)  „in  ansehen  (der  Bittsteller)  sein  nieder- 
gelegtes Haus  zum  ziehratb  der  Stadt  aus  dem  Grunde  new 
erbauen  Hesse.“4)  Gewöhnlich  wurden  Bitten  um  Ueberlassung 
eines  oder  mehrerer  Bäume  nach  einer  Feuersbrunst  vorgebracht. 
„Nachdemahlen  den  30.  Sept.  (1699)  abents  umb  8 Uhr  in 
der  Kuhestrasse  in  Stoffel  Magnus  Haus  ein  feur  aufgangen 
undt  bis  zur  Mülenpfordten  zu  52  heuser  eingeäschert,  so  wurde 
auf  anhalten  der  verbranten  leuhte  von  der  baurschaft  placidirt 
und  concludirt  den  armen  leuthen  mit  etwas  bawholtz  zu  ver- 
helfen undt  denjenigen  so  grosse  heuser  wider  bauwen  würden 
proportionaliter  bawholtz  anzuweisen.“5)  Dabei  „sollten  dan 
die  baurglieder  den  Vorzug  haben“.6)  Wenn  „das  Gehöltz 
gahr  verhauen“ 7)  war,  wurden  die  Bittsteller  „vor  diesjahr  zur 
gedult  verwiesen“.8)  Wenn  das  Gesuch  von  der  Bauerschaft 
genehmigt  war,  ging  ein  Beauftragter  mit  dem  Holzknecht  in 
den  Wald  und  suchte  einen  passenden  Baum  aus,8)  der  „an- 
geplackt“ wurde,  so  dass  „die  merckmahle  der  bauerschaft- 
lichen  plackackse“  zu  sehen  waren.10)  Dafür  musste  das  sog. 
„Stammgeld“  gezahlt  werden.11)  Die  Bäume  wurden  meist  ver- 
schenkt, höchstens  „ein  billiges  Taxat“  erhoben.12)  Wenn  aber 


*)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1700.  22.  Aug.  1717:  „übergab  dienst- 

geliorsamlistea  Memorial  undt  bitte.* 

»)  Volm.  B.  B.  26.  Jnni  1722. 

’)  a.  a.  0.  31.  Aug.  1732. 

*)  a.  a.  O.  20.  März  1721. 

»)  Stockh.  B.  B.  30.  Sept.  1699. 

*)  a.  a.  U.  Ferner  Stockh.  B.  B.  20.  Aug.  1713. 

7)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1721. 

•)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1726. 

»)  St.  B.  B.  12.  Januar  1811. 

10)  Stockh.  B.  B.  4.  Mär*  1810.  Ebenda:  „merckmahle  der  Plackung“. 
Volm.  B.  B.  18.  April  1826:  „mit  einem  Placken  bezeichnen.“  3.  Nov. 
1826:  „mit  dem  Waldhammer  bezeichnen.“ 
u)  St.  B.  B.  17.  Februar  1819. 
u)  Stockh.  B.  B.  24.  April  1824. 


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120 


ein  geschenkter  Baum  der  Angabe  zuwider  nicht  zum  Haus- 
bau verwendet  wurde,  musste  er  bezahlt  werden,1)  und  war  er 
einem  Bittenden  „zu  dachlatten  verehret  und  hatte  selbiger  das 
haus  mit  stroh  bedecket,  so  wurde  ihm  Zeit  gegeben,  intra 
annum  et  diem  pfannen  auf  den  tag  zu  schafen,  widrigenpfahls 
den  Baum  vor  6 Th.  bezahlen  sollte“.2)  Ebenso  durften  die 
an  die  Bauerglieder  verkauften  Bäume  „nicht  ausser  denen 
baurgliederen  hinwieder  verkaufet  werden“.  Wer  dagegen  fehlte, 
wurde  bestraft  und  bei  späteren  Verkäufen  ausgeschlossen.1) 
Wenn  ein  Baum  ohne  Erlaubnis  der  Bauerschaft  gehauen  war, 
wurde  er  dem  Delinquenten  genommen  und  entweder  vor  einem 
Tore4)  oder  auf  dem  Markte  ’)  niedergelegt,  wo  er  versteigert 
wurde.*) 

Bei  der  grossen  Bedeutung  der  Wälder  waren  die  Bauer- 
schaften  darauf  bedacht,  sie  möglichst  zu  schützen.  Deshalb 
waren  einzelne  Wälder  mit  Gräben  umzogen,  um  das  Vieh 
fern  zu  halten,  und  durch  einen  Schlingbaum  abgeschlossen. 
Der  Schlüssel  dazu  wurde  von  der  Bauerschaft  bewahrt  und 
nur  auf  Bitten  jedesmal  herausgegeben.7)  Das  gehauene 
Schlagholz  wurde  mit  einem  Zaun  umgeben,  damit  die  neu 
ausschlagenden  Stämmchen  nicht  von  dem  Vieh  vernichtet 
würden.8)  Wenn  ein  Gehölz  „durch  Windtsturm  undt  den  ver- 
brannten leuthen  geteilten  bäumen  gantz  verhauwen  und  ver- 
dorben“ war,9)  so  wurde  von  der  Bauerschaft  „zu  anwacksung 
junger  Eigen  concludirt  gemelten  busch  ad  2 brachzeiten  zu 
verschonen  und  allen  und  jeden  kuhe  hirten,  scheferen,  Schweine- 
hirten, kuhe-  und  pferdehüteren,  auch  sonst  jeder  manniglichen 
bey  20  goltgl.  straf  anbefohlen,  sich  nicht  allein  des  hütens 
und  weidens,  sondern  auch  grasschneidens  oder  meyens  auf 
2 brackzeiten  in  gedachten  busch  zu  enthalten“.10)  Der  Kuh- 

‘)  St.  B.  B.  10.  April  1829. 

*)  Stockh.  B.  B.  26.  Aug.  1703. 

*)  St.  B.  B.  11.  Mai  1791. 

«)  a.  a.  O.  16.  Juli  1818. 

•■)  Stockh.  B.  B.  30.  De*.  1780. 

«)  a.  a.  O.  28.  De*.  1816. 

’)  Volm.  B.  B.  11.  Mär*  1711. 

*>}  Hüst.  B.  B.  20.  Nov.  1717. 

>)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1705. 

10)  a.  a.  0.  4.  Aug.  1702. 


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121 


liirt,  der  zeitweilig  in  den  Wäldern  hütete,  durfte  deshalb  auch 
keinen  „siegen  Bock“  mitnehmen.1)  Waren  junge  Bäume  auf 
die  gehauenen  Stellen  zu  pflanzen,  so  „gingen  sambtliche  baur- 
schaften  auf  geschehene  Citation  zum  busch  und  rotteten  daraus 
ettliche  eichen  und  pflanzten  selbige  sofort  auf  die  bauerölirde, 
drift  und  im  holz  herum.  Gott  gebe  ihnen  Wachstumb“.2)  Zu 
diesem  Zwecke  waren  „Eichelnkämpe“  angelegt,3)  oder  die 
jungen  Eichen  wurden  aus  den  Nachbardörfern  gekauft.4) 
Diese  wurden  zum  Schutze  mit  Dornen  umbunden.5)  Wer 
straffällig  und  auch  mit  Erlaubnis  der  Bauerschaften  Bäume 
gehauen  hatte,  musste  an  deren  Stelle  neue  pflanzen.®)  Waren 
die  jungen  Eichen  herangewachsen,  dann  „sollten  sie  gestüft 
werden,  damit  selbige  besseres  wacksthumb  haben  mögten“.7) 
Zum  Schutze  der  auf  die  Triften  gepflanzten  Eichen  war  es 
streng  verboten,  mit  Pfluggeschirr  und  Wagen  darüber  zu 
fahren.  Zur  Aufsicht  wnrde  deshalb  ausser  dem  Bauerknecht 
noch  ein  besonderes  Mitglied  bestimmt.8) 

Neben  der  Gewinnung  von  Brenn-  und  Bauholz  wurde  der 
Wald  vor  allem  zur  Schweinemast  benutzt.  Deshalb  sollte  bei 
Gewährung  von  Bauholz  möglichst  darauf  gesehen  werden,  dass 
„unfruchtbare  Bäume“  angowiesen  wurden.8)  Die  Bauer- 
schaften hatten  in  sämtlichen  in  ihren  Bezirken  liegenden 
Wäldern  die  Mastgerechtigkeit,  sowohl  in  den  privaten  wie  in 
deu  Gemeindewäldern.  Daher  hatten  die  Bauerschaften  das 
Recht,  eine  vollständige  Rodung  von  Waldparzellen  zu  ver- 
bieten.10) Wenn  Bauerschaftsmitglieder  in  ihren  Achtwercken 
zu  stark  gehauen  und  so  „gegen  das  interesse  der  baurschaft 
was  die  Mastgerechtigkeit  belanget  zu  viel  gethan,  hatten  sie 


])  a.  a.  O.  10.  April  1723. 
a)  St  13.  B.  9.  Mai  1799. 
s)  a.  a.  O.  23.  März  1823. 

*)  Stockb.  B.  B.  1781. 
s)  a.  a.  0.  12.  April  1729. 

•)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1685. 

i)  a.  a.  0.  7.  Februar  1706.  stufen  = die  überflüssigen  Zweige  ab 
hauen. 

*)  a.  a.  O.  6.  April  1805. 

•)  a.  a.  O.  24,  Aug.  1725. 

,0)  Volm.  B.  B.  25.  Aug.  1721.  St.  B.  B.  24.  Aug.  1742. 


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122 


sich  dadurch  der  Mastgerechfigkeit  verlustig  gemacht“.1)  Hoch- 
wald war  nur  im  Bezirk  von  Stockheim,  Stalpe  und  Volmede. 
Die  beiden  letzten  Bauerschaften  und  das  Stift  zu  Geseke  be- 
trieben gemeinsam  die  Mast.  Bei  Stockheim  gingen  der  Holz- 
graf, die  alten  und  neuen  Brachstecher  und  der  Bauerknecht,2) 
bei  Stalpe-Volmede  die  Holzgrafen  von  Volmede  und  Stalpe 
und  der  Rentmeister  des  Stiftes3)  zur  Zeit  der  Eichelnreife 
aus,  um  „altem  herkommen  nach  die  mast  wege  und  eicheu  zu 
besehen“.4)  „Nach  eingenohmenen  augenschein  und  beschehenen 
Bericht  der  brachsteckerV)  nachdem  sie  „fleissig  das  holtz 
theils  durchritten,  theils  umb-  uud  durchgangen“,*)  wurde  be- 
schlossen, wie  viel  Schweine  getrieben  werden  sollten.  Man 
unterschied  „volle  Mast“,7)  „ziemblich  gute  Mast“,8)  auch  „au- 
sehentliche  Mast“,8)  „einige  Mast“10)  und„Springmast“,n)je  nach- 
dem viele  oder  wenige  Eicheln  auf  den  Bäumen  waren  und 
dementsprechend  viele  oder  wenige  Schweine  getrieben  werden 
konnten.  Es  lag  die  Gefahr  nahe,  dass  mehr  Schweine  ge- 
trieben wurden,  als  Nahrung  in  den  Wäldern  zu  finden  war, 
und  so  kam  es  denn  zuweilen,  dass  „bey  etwa  weinigh  von 

')  a.  a.  0.  20.  März  1721. 

»)  Stockh.  B.  B.  23.  Sept.  1723. 

*)  St.  B.  B.  28.  Sept.  1811. 

4)  Stöckli.  B.  B.  26.  Sept.  1681. 

6)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1660. 

•)  St.  B.  B.  27.  Sept.  1723. 

7)  Stockh.  B.  B.  6.  Ukt,  1701:  „Weilen  Gott  dies  jabr  volle  Maat 
beschert*. 

*)  Volm.  B.  B.  17.  Sept.  1701:  „Nachdem  der  liebe  Gott  dies  jabr 
eine  ziemblich  gute  Maat  gnädig  verlieben.*  Stöckli.  B.  B.  23.  Sept. 
1723:  „Da  Gott  der  Allmächtige  — dem  dafür  höchatens  zu  dalicken  — 
den  Eichbaum  dis  jabr  ziemblich  gesegnet.* 

*)  Volm.  B.  B.  1761  (während  des  siebenjährigen  Krieges):  „Weilen 
der  liebe  Gott  bey  dieser  betrübten  und  armsekligen  Zeit  noch  dieson  Trost 
denen  bawergliederen  zu  Stalpe  und  Volmede  hat  beygelegt,  dass  das  Ge- 
höltz  mit  einer  ansehentlichen  Mast  ist  gesegnet  worden“.  St.  B.  B. 
21.  Sept.  1776:  „Nachdemahlen  der  grundgüthige  Gott  uns  dieses  Jabr  mit 
einer  etwaigen  Eichelmast  erfreuet.* 

,0)  Stockh.  B.  B.  24.  Sept.  1712:  „Als  Gott  einige  Mast  beschert.* 
Volm.  B.  B.  1746:  „Als  Gott  der  allmächtige  den  Eichbaum  im  Stalper 
holtz  in  etwa  gesegnet.“ 

»)  St.  B.  B.  30.  Okt.  1821. 


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123 


Gott  bescherender  mast  gemeinlich  übertrieben  wurde,  dahero 
die  aufgetriebene  schweine  in  ihrer  Menge  ohngefeistet  wieder 
zu  haus  kamen“.1)  Es  wurde  berechnet,  wie  viel  Schweine 
in  die  Mast  gehen  konnten,  und  diese  Zahl  durch  die  Zahl  der 
Mitglieder  geteilt,  woraus  sich  ergab,  wie  viel  jedes  Bauer- 
schaftsrecht treiben  konnte.  „Wan  eine  volle  Mast  war,  sollten 
die  interessenteu  von  der  mastung  provitiren,  wan  aber  keine 
volle  mast  wäre,  so  künten  die  Interessenten,  weilen  selbe  keine 
onera  prästiren  täthen,  keine  mastung  prätendiren.“ 2)  Bei 
Vollmast  kamen  gewöhnlich  runde  Zahlen  heraus.  Schwieriger 
jedoch  war  es,  bei  Halb-  oder  gar  Springmast  die  Verteilung 
vorzunehmen.  Denn  hier  kam  aut  ein  Bauerrecht  nicht  ein 
ganzes  Schwein,  sondern  nur  ein  halbes  Schwein  und  noch 
weniger.  Dann  mussten  die  Mitglieder,  auf  die  zusammen  ein 
Schwein  fiel,  jedesmal  „sich  d&rumb  vergleichen“, :i)  indem  sie 
„sich  deklarirten,  durch  die  Würfels  ihre  manquirende  tusse  zu 
gewinnen“.4)  Gewöhnlich  wurde  in  diesem  Falle  nicht  gemein- 
schaftlich getrieben,  sondern  die  Mast  wurde  verpachtet. 
„Weilen  Gott  gahr  wenig  mast  beschert,  das  solche  nicht 
verteilen  werden  konnto,  als  wurde  sämbtlicher  baurschaft 
kund  gethan,  das  solche  plus  offerenti  verkauft  werden  sollte“.5) 
Meist  wurde  nur  an  die  Bauerschaftsmitglieder  verpachtet.®) 
War  die  Mast  aussergewölmlich  günstig,  wurden  auch  Nicht- 
mitglieder zum  Genüsse  gegen  eine  Gebühr  zugelassen.  So 
trieben  bei  Stockheim  Bauern  aus  dem  benachbarten  Dorfe 
Verlar  im  Fürstentum  Paderborn  mit,  die  dafür  „jährliche  vom 
Schwein  eine  gantz  geben“7)  mussten.  An  Stelle  eines  grossen 
Schweines  durften  „zwey  kleine  Schotter“  (Schösslinge)  ge- 
trieben werden.8) 

Die  Zeit  des  Auftriebs  und  des  Abgangs  war  verschieden 
nach  der  Zeit  der  Reife  und  vor  allen  nach  der  Art  der  Mast. 

')  Stockb.  B.  B.  24.  Aug.  1660. 

»)  St.  B.  B.  4.  Okt.  1789. 

3)  Stockh.  B.  B.  30.  Sept.  1722. 

«)  St.  B.  B.  8.  Okt.  1774. 

6)  Stockb.  B.  B.  1715.  22.  Sept.  1720. 

*)  a.  a.  O.  25.  Sept.  1724.  Volm.  B.  B.  28.  Aug.  1735. 

7)  Stockb.  B.  B.  25.  Aug.  1697.  gantz  = Uans. 

■)  St.  B.  B.  I.  Dez.  1705. 


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124 


Entsprechend  gab  es  auch  für  die  Dauer  der  Mast  keine  Regel.1) 
Wenn  die  Mast  ausserge wohnlich  günstig  war  und  „sich  be- 
fand, dass  von  denen  auf  das  holtz  getriebenen  Schweinen  die 
Eicheln  nicht  alle  consumiret  werden  konnten“,  wurde  nach 
der  Hauptmast  noch  eine  „Nachmast“  gehalten,  in  die  je  nach 
Möglichkeit  eine  grössere  oder  geringere  Zahl  von  Schweinen 
getrieben  wurde.2)  Wenn  plötzlich  „Mausefrass  auf  dem  Holtz 
einfiel“,  wurde  die  Mast  abgebrochen,3)  ebenso  wenn  sie  „wegen 
häufig  fallenden  wilden  tauben“  verdorben  wurde.4)  Es  wurden 
nur  mehr  zwei  Herden  ausgetrieben,  da  die  fruchtbaren  Wälder 
sonst  verschwunden  waren.  Stockheim-Heringhausen  trieben 
in  ihren  Wäldern  und  ebenso  Stalpe-Volmede  in  dem  Stälper 
Holze  und  der  Volmeder  Mark.'1)  Zu  den  beiden  letzten  ge- 
sellte sich  noch  das  Stift  und  die  Stadt  Geseke,  da  beide  in 
dem  Weidebezirke  von  Stalpe-Volmede  Waldparzellen  hatten, 
so  dass  diese  vier  Interessenten  zusammen  eine  Mastgenossen- 
schaft bildeten.  Der  Anteil  jedes  Interessenten  richtete  sich 
nach  der  Grösse  des  ihm  gehörenden  Waldkomplexes.  Während 
Volmede  und  das  Stift  ,je  pro  quinta  interessirt“  waren,  hatte 
Stalpe  drei  Fünftel  von  der  Mastgerechtigkeit.6)  Die  Stadt 
hatte  nur  einen  geringen  Anteil,  der  den  Beamten  der  Stadt: 
dem  Bürgermeister,  Stadtsecretär,  Kemmer,  Unterkemmer  und 


')  Es  sollen  hier  einige  Termine  des  Auftriebs  und  des  Abgangs  an 
gegeben  werden.  Auftrieb.  Abgang. 


Stockh.  B. 

B. 

24.  Sept.  1712: 

24. 

Sept, 

15. 

Nov. 

St.  B.  B. 

24. 

Sept.  1822: 

24. 

11 

17. 

Dez. 

Stockb.  B. 

B. 

6.  Okt.  1701: 

1. 

Okt. 

7. 

11 

»»  11 

9.  Dez.  1687: 

4. 

»» 

9. 

11 

11 

* 

29.  Sept.  1723: 

5. 

11 

7. 

11 

Volm.  Mast-Bueh.  Einl.  1700: 

12. 

•t 

13. 

Nov. 

** 

,, 

„ 1701: 

11. 

1» 

19. 

1t 

St.  B.  B. 

5. 

Okt.  1812: 

23. 

1» 

27. 

11 

»1  11 

7. 

Okt,  1814: 

25. 

• » 

15. 

Dez. 

Stockb.  B. 

B. 

30.  Sept.  1722: 

s. 

»1 

16. 

Nov. 

St.  B.  B. 

30 

Okt.  1821: 

6. 

Not. 

7. 

Jan.  1822. 

*) 

St.  B.  B. 

27 

Nov.  1783. 

*) 

Volm.  B. 

B. 

1.  Okt.  1756. 

*) 

St.  B.  B. 

25 

Sept.  1799. 

s.  S.  116. 

*) 

Volm.  B. 

B. 

25.  Aug.  1738. 

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125 


den  beiden  Stadtdienern  zufiel.1)  Ausserdem  wurde  es  dem 
Cliurfiirstlichen  Richter  gestattet,  ein  Schwein  mitzutreiben, 
jedoch  nur  gegen  ein  „reversale  gratis  et  citra  consequentiam“.2) 
Um  diese  freiwillige  Gunst  nicht  zu  einem  Rechte  werden  zu 
lassen,  wurde  zuweilen  sein  Schwein  beim  Austrieb  „zurtick 
und  nach  haus  getrieben“,2)  damit  „man  sich  vorsehe  und  keine 
läuse  in  den  Peltz  setzen  lasse“.3)  Weil  auch  den  Pfarrern 
der  Mittrieb  eines  Schweines  gestattet  war,  stand  zu  befürchten, 
dass  auch  sie  sich  ein  Recht  anmassen  und  „ihre  Schuhe  nach 
diesem  Leisten  schneiden  mögten“.2)  Ferner  wurden  die 
Franziskaner4)  und  die  Kuhhirten  der  entsprechenden  Huden 
zugelassen,  damit  „sie  bey  Zeiten  aus  dem  holtz  bleiben  solten“.3) 
Auch  die  Beamten  der  Bauerschaften  waren  noch  besonders 
berechtigt,8)  und  schliesslich  wurden  zur  Deckung  der  ent- 
stehenden Unkosten  sog.  „Unkostenschweine“  mitgetrieben.7) 

Zur  Bewachung  der  in  die  Mast  getriebenen  Schweine 
wurde  ein  Hirt  gemietet,  der  sog.  „Schwähn“,  der  zu  seiner 
Unterstützung  einen  Jungen  halten  musste“.8)  Aus  besonderen 
Gründen,  z.  B.  in  Kriegszeiten,  wo  wegen  der  „vielen  Durch- 
märschen und  streifenden  partheien  die  Mastschweine  leicht  ge- 
fahr  leiden“  konnten,  wurden  zwei  Hirten  und  zwei  Jungen 
gewählt.9)  Er  musste  versprechen,  dass  er  „kein  holtz  noch 
eckern  nach  haus  tragen“  wolle.19)  Des  Nachts  wurden  die 
Schweine  entweder  in  einen  Zaun  getrieben11)  oder  in  einen  im 
Walde  stehenden  Schweinestall,  den  sog.  Maststall,  der  aus 


')  St.  B.  B.  11.  Dez.  1822. 

*)  a.  a.  O.  31.  Januar  1700. 

3)  a.  a.  O.  10.  Okt.  1690. 

*)  Stöckli.  B.  B.  1789. 

“)  St.  B.  B.  19.  Sept.  1707. 

0)  Stöckli.  B.  B.  30.  Sept.  1722.  8t.  B.  B.  12.  Sept.  1700:  Auch 

da9  Stift  trieb  gleich  viele  Beamtenschweine  wie  Stulpe,  „wer  diese  prae- 
judiciutn  gemacht,  das  ein  hochadeliches  Stift  den  Stalpern  als  maioribus 
sive  primariis  gleicbgelie,  dor  andtwordt  dafür  zu  seiner  Zeit,  es  muss  woll 
ein  rechter  fuchsscliwäntzer  gewesen  sein,  hae  per  parenthesin.“ 

7)  Stöckli.  B.  B.  1688. 

B)  Volm.  Mast-Buch.  Eint.  1701, 

*)  St.  B.  B.  23.  Sept.  1767. 

“)  a.  a.  O.  28.  Sept.  1778. 

M)  Stoekh.  B.  B.  22.  Sept.  1686. 


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120 


Brettern  gebaut,1)  mit  Stroh  bedeckt2)  und  von  einem  Graben 
umgeben  war.3)  Daneben  stand  ein  Hirtenhaus,  das  sog. 
„Schlafhaus“,  in  dem  der  Hirt  während  der  Zeit  des  Austriebs 
wohnte.4)  Nach  Abgang  der  Schweine  wurden  Stall  und 
Hirtenhaus  oft  widerrechtlich  von  Schäfern  benutzt5)  und  die 
Bretter  und  Balken  weggestohlen.8)  Alle  Schweine  mussten 
zusammen  gehütet  werden,  und  „dass  alleine  hüthen  war  gantz 
und  gahr  nicht  erlaubet  und  stritt  solches  gegen  die  polizey“.7) 
Bei  der  Mietung  erhielt  der  Hirt  einen  Weinkauf,8)  ferner  von 
jedem  Schwein  eine  kleine  Summe  als  sog.  „Wehnegeld“.9) 
Beim  Auftrieb  und  Abgang  der  Schweine  erhielt  er  mit  dem 
Jungen  eine  Mahlzeit  und  Branntwein10)  und  durfte  während  der 
Mast  ein  Schwein  mittreiben.11)  Ausserdem  bekam  er  einen 
nach  Wochen  berechneten  Lohn.12)  Dieses  Geld  wurde  durch 
Repartition  von  jedem  getriebenen  Schweine  erhoben.13)  Zu 
diesem  Zwecke  wurden  die  Schweine  beim  Auftrieb  notiert, 
wofür  ein  „Schreibgeld“  zu  zahlen  war.14)  Die  übrigen  Kosten 
wurden  durch  die  „Unkostenschweine“  gedeckt.15)  Aussergewöhn- 
liche  Ausgaben  wurden  aus  der  Bauorschaftskasse  beglichen.16) 
Bei  schlechter  Aufführung  wurde  der  Schweinehirt  abgesetzt.17) 
Alle  durch  seine  Fahrlässigkeit  entstandenen  Schäden,  bc- 


')  Volm.  B.  B.  17.  Sept.  1701. 

*)  a.  a.  O.  7.  Sept  1789. 
s)  a.  a.  O.  12.  April  1789. 

*)  St.  B.  B.  21.  De*.  1820. 

&)  Volm.  B.  B.  19.  Februar  1725.  Stöckli.  B.  B.  26.  April  1682. 

6)  Volm.  B.  B.  17.  Sept.  1701. 

*)  St.  B.  B.  21.  De*.  1793. 

8)  Stockb.  B.  B.  29.  Sept.  1723. 

*)  a.  a.  O.  1688.  Wehnegeld  = Gewöhnungsgeld. 

10)  St.  B.  B.  18.  Februar  1823. 

»)  Stockb.  B.  B.  24.  Sept.  1712. 

>»)  *.  B.  Stockb.  B.  B.  9.  De*.  1687.  29.  Sept.  1723:  für  die  Woche 
27  gr.  St  B.  B.  5.  Okt.  1812.  7.  Okt.  1814:  2 Th.  Wocbealobn. 

1S)  Stockh.  B.  B.  30.  Sept.  1722:  „hodegeld".  St  B.  B.  9.  Okt.  1820. 
Volm.  Hast-Buch.  Einl.  1713. 

’*)  Stockh.  B.  B.  24.  Sept.  1686. 

“)  St  B.  B.  9.  Okt  1820.  28.  Sept.  1811. 

,c)  a.  a.  O.  18.  Februar  1823. 

I7J  St  B B.  18.  De*  1789. 


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127 


sonders  wenn  Schweine  verloren  gingen  oder  umkamen,  musste 
er  ersetzen.1) 

Diesen  Besitz  in  Feld,  Wiese  und  Wald  suchten  die 
Bauersch&ften  möglichst  zu  erhalten.  Zu  diesem  Zwecke 
wurden  ab  und  zu  Ausgänge  ins  Feld  gehalten,  um  die  „Bauer- 
schaftsländer, Wiesen,  Gehöltz,  Driften  und  Wüsten“  festzu- 
stellen, wozu  vorher  wiederholt  „die  Nachbarn  und  Inhaber 
solcher  bauerstücke  von  den  Cantzein  zu  Geseke  und  (den 
Nachbardörfern)  citirt“  wurden.  Ueber  das  Resultat  wurde 
eine  Pergamenturkunde  ausgestellt,  die  von  dem  öffentlichen 
Notar  beglaubigt  wurde.2)  Bei  andern  Ausgängen  wurden  die 
Zehntknechte  des  Bauerschaftsgebietes,  die  besondere  ortskundig 
waren,  mitgenommen.3)  Aus  dem  gleichen  Grunde  wurde  von 
dem  Besitz  der  Bauerschaften  nichts  veräussert.  Nur  „aus 
besonderen  bewegenden  Ursachen“  wurde  gelegentlich  ein  kleines 
Stück  verkauft,  weil  die  Bauerschaften  sonst  „etwas  aus  ihren 
Gründen  zu  veräussern  und  ihre  jährliche  Revenuen  zu  schmälern 
nicht  gemeint“  waren,  und  dann  wurde  noch  bestimmt,  dass 
das  gezahlte  „Capital  auf  jährliche  pension  angelegt“  würde.4) 


Sitten  and  Bräuche 

Die  Bauerschaften  waren  nicht  nur  wirtschaftliche  Ge- 
nossenschaften, sondern  sie  umfassten  das  ganze  Leben  ihrer 
Mitglieder  und  gedachten  ihrer  noch  nach  dem  Tode.  Wie 

alle  Genossenschaften  des  Mittelalters  beseelte  auch  sie  ein 
religiöser  Geist.  In  ihren  Bezirken  standen  Cruzifixe5)  und 
„heiligenstämmchen“,6)  die  von  ihnen  errichtet  und  erhalten 
wurden.  Vor  allem  waren  die  Gerichtsstätten  vor  den  Toren 
mit  „Heiligenhäuschen“  geschmückt.7)  Als  der  Holzgraf 
„denen  versambleten  baurgliedem  proponirt,  ob  nicht  geiällig, 

*)  a.  a.  O.  29.  Dez.  1712. 

*)  Stockh.  B.  B.  1667. 

s)  a.  a.  O.  8.  Mai  1806.  26.  Bept.  1827. 

*)  Htist.  B.  B.  25.  Juni  1743. 

6)  Stockh.  B.  B.  1.  Mai  1781. 

•)  a.  a.  0.  13.  Juni  1696. 

i)  a.  a.  O.  30.  Okt.  1804.  Vota.  B.  B.  8.  April  1830.  Hiiat.  B,  B. 
16.  Nov.  1732. 


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128 


ahn  den  banrgerichtsplatz  zu  Gottes  Ehren  aus  mittel  der  baur- 
schaft  ein  heiligen  Häusgen  errichten  zu  lassen,  so  ist  resolutio 
dahin  unaniiniter  ausgefallen,  ein  aus  steinen  gehawenes  häusgen 
alda  errichten  und  die  bildnis  (je  eines  Heiligen)  darein  setzen 
zu  lassen“.1)  Diese  Heiligenhäuschen  wurden  von  dem  Bild- 
hauer „nach  dein  ihm  gegebenen  Formular“2)  gemacht  und 
nach  der  Errichtung  „in-  und  auswendig  illuminirt“  (ange- 
strichen).3) Bei  der  Verfolgung  des  eigenen  Interesses  vergass 
inan  der  Armen  nicht  und  Hess  sie  an  den  zum  Teil  reichlich 
itiessenden  Einkünften  teilnehmen.  So  wurde  ihnen  gelegentlich 
der  Ueberschuss  der  Rechnung  geschenkt4)  und  „zur  Bekleidung 
derjenigen  armen  Kinder,  welche  zur  Kommunion  gingen“,  eine 
bestimmte  Summe  ansgeworfen.3)  Ferner  wurden  in  die  Mast 
zwei  sogen.  „Spendeschweine“  getrieben.  Von  dem  hierfür 
einkommenden  Gelde  „muste  den  ai-men  eine  Spende  gebacken 
und  ausgeteilt  werden“.6)  Von  dem  Vormund  wurde  den  bei 
Gericht  versammelten  Bauerschaftsgenossen  „das  spftnde  broidt, 
wovon  er  hiebey  eines  zu  besichtigen  presentirte,  anhero  ge- 
schickt. Wie  nun  das  broidt  besichtiget,  auch  woll  gebacken 
und  gutli  zu  seyn  anerkannt,  so  wurde  solches  unter  die  armen 
auszutheilen  befohlen“.7)  Ebenso  wurden  bei  voller  Mast  an 
die  studierende  Jugend  5 Thaler,  sonst  3 Thaler  geschenkt.6) 
Der  Geist  genossenschaftlicher  Zusammengehörigkeit  offenbarte 
sich  besonders  beim  Tode  eines  Mitglieds.  Von  den  Bauer- 
schaften  war  „vereinbahret,  dass  woferne  einer  von  dieser 
Communität  und  Gesellschaft  ableibig  würde,  die  sambtlichen 
Herren  Erben  und  Bauern  obligirt  sein  sollten,  mit  selbigem 
baurglidt  zur  Kirchen  zu  gehen  und  dessen  leichnamb  zur 
Erden  zu  begleiten  undt  nicht  auszubleiben,  er  habe  dan  eine 
ehrbahre  Ursache  undt  sich  deshalb  bei  citirenden  baurknecht, 
der  seiner  Citation  halber  vor  seine  Mühe  2 Kannen  bier  bei 

>)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1730. 

*)  a.  a.  0.  10.  Not.  1732. 

3)  a.  a.  O.  20.  Januar  1733. 

«)  St.  B.  B.  21  Januar  1S22. 

6)  Volm.  B.  B.  30.  April  1S41. 

«)  St.  B.  B.  16.  Okt.  1696. 

’)  Hilst,  B.  B.  29.  Juni  1748. 

“)  St.  B.  B.  16.  Okt.  1726. 


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129 


zeitlichen  Vormünder  trincken  sollte,  entschuldigen  lasen,  die 
ohne  ursach  ausplibende  aber  der  baurschaft  mit  3 gr.  straf 
verfallen  sein  sollten".1)  Bei  derselben  Bauerschaftsversamm- 
lnng  hatte  ein  Genosse  „versprochen,  dass  nach  seinem  Thott 
und  bey  seinem  Hinscheiden  seine  Erben  der  baurschaft  ein 
trauerlaken  zu  bedeckung  des  Sarchs  zu  ewigen  Gedächtnis 
hergeben  sollten“.1)  Aber  auch  über  das  Grab  hinaus  gedachte 
man  der  Genossen.  Einem  Holzgraf  schien  es  ungehörig,  dass 
die  Genossen  „zweymahl  jedes  Jahrs  Zusammenkommen  thäten 
und  sich  dasjenige,  was  aus  der  Bauerschaft  Einkombsten  nach 
bestrittener  Nothturft  vorräthig  bliebe,  zu  guth  machten  undt 
sicli  divertirten,  dabey  aber  der  aus  dem  collegio  vorhin  ver- 
storbenen gahr  nicht  gedacht  würde.  Weilen  er  aber  nichts 
billigeres  zu  sein  erachtete  als  deren  auch  eingedenk  zu  sein, 
und  selbigen  zu  helft  zu  kommen,  so  wolte  er  vernehmen,  ob 
nicht  gefällig  wäre,  jährlich  für  die  verstorbenen  aus  dem  baur- 
schafltscollegio  wenigstens  eine  Seelenmesse  lesen  zu  lassen  und 
solcher  beizuwohnen,  worauf  alle  Erben  und  Bauern  einstimmig 
resolvirten,  dass  jährlich  in  St.  Petri  Kirchen  dahier  pro  de- 
functis  ex  gremio  eine  messe  gelesen  werden  und  dieser  alle 
membra  Burschapiae  beywolinen  sollten".2) 

Dieser  religiöse  Geist  bestimmte  die  Bauerschaften  auch, 
den  Segen  Gottes  für  ein  gutes  Wachstum  in  Wald  und  Feld 
herabzuflehen.  Dem  Pfarrer  der  Stadtkirche  wurde  eine  ge- 
wisse Summe  Geldes  überwiesen,  um  „füi  die  gemeinheit  pro 
avertendo  omni  malo  in  sacrificiis  missa  memento  zu  machen“,3) 
und  „damit  der  allmächtige  die  mast  wieder  besegnen  mögte, 
wurde  Herr  Stadts  Pastor  ersuchet,  pro  hac  intentione  ein  all- 
gemeines gebett  des  sontags  wiederhohlen  zu  lassen“.4)  Ferner 
wurde  eine  Summe  bestimmt,  „vor  3 messen  zu  lesen,  dass  Gott  der 
Herr  den  Eichbaum  segnen  und  dass  Ungeziefer  abwehren  wolte“,5) 
und  den  Mönchen  eines  Klosters  wurde  gestattet,  ein  Schwein 
für  „Benediktion  des  holtzes"  in  die  Mast  frei  mitzutreiben.6) 


>)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1682.  St.  B.  B 22.  Ang.  1728. 

а)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1784. 

>)  St.  B.  B.  1.  Okt.  1740. 

a.  a.  0.  1.  Okt.  1766. 

б)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1736.  7.  Okt.  1768. 

a.  a.  0.  26.  Sept.  174B. 

I.app*.  Di*  OosPkor  Ranfrarhatlfn  •* 


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130 


Aber  mehr  als  von  der  Sorge  für  die  Toten  wurden  die 
Bauerschaften  von  den  Bedürfnissen  der  lebenden  Generation 
in  Anspruch  genommen.  Fast  alle  Einkünfte  dienten  dazu,  den 
Bauerschaftsgenossen  das  Leben  angenehmer  zu  machen,  und 
wo  sich  nur  eine  Gelegenheit  bot,  ass  und  trank  man  auf 
Kosten  der  Bauerschaften.  War  von  den  Mitgliedern  im  Inter- 
esse der  Genossenschaft  eine  Arbeit  zu  verrichten1)  oder  das 
Holz  zu  hauen,2)  war  die  Mast  zu  besichtigen3)  oder  im  Walde 
wegen  Holzdiebstahls  der  Augenschein  zu  nehmen,4)  wurde  ein 
Banm  angeplackt5)  oder  Holz  verlost,5)  Land  verpachtet6)  oder 
Korn  verkauft7)  — jedesmal  wurde  gegessen  „Salzkuchen  und 
Weissbrot  und  Krengel“  und  getrunken  „Wein  und  Bier  und 
Branntwein“.  Wenn  ein  Angeklagter  vor  dem  Holzgraf  und 
den  Brachstechern  erscheinen  musste  und  verurteilt  wurde, 
wurde  ein  Teil  der  Strafe  „der  compagnie  zum  wein  zum  besten 
offerirt“8)  und  „sogleich  vertrunken“.9)  Die  Brachstecher  er- 
hielten nach  den  Ausgängen  in  dem  Hause  des  Vormunds 
„Caffee  und  Zucker  und  Z weyback  sowie  Wein  und  Bier  und 
Branntwein“.10)  Der  Vormund  erhielt  für  dies  „kleine  trakta- 
ment  dem  herbringen  gemäs“  ohne  die  Getränke  jedesmal  3 gr., 
und  „weilen  nun  die  Vormünder  sich  beschwerten,  dass  sie  für 
3 groschen  denen  ausgehenden  wenig  geben  könnten,  und  ver- 
meinten, dass  ihnen  ein  mehreres  dafür  zugelegt  werden  müste, 
wurde  resolvirt,  dass  vors  künftige  für  jede  person  zu  speisen 
bey  denen  Ausgängen  sechs  gr.  guth  gethan  werden  solten“.11) 
Wenn  in  einem  Jahre  „viele  ausgänge  gehalten  und  nur  ein- 
mahls  dabey  eine  geringe  Zehrung  der  baurschaft  angerechnet 
wurde“,  wurde  beschlossen,  bei  einer  besonderen  Gelegenheit 
mehr  als  gewöhnlich  zu  verzehren.12)  Und  ebenso  heisst  es  in 

•j  Stockh.  B.  B.  24.  Juni  1734. 

2)  a.  a.  0.  8.  Januar  1686. 

3)  a.  a.  O.  25.  Sept.  1681. 

<)  Hüst.  B.  B.  7.  Sept  1762. 

*)  Stockh.  B.  B.  1780. 

Hüst.  B.  B.  28.  Dez.  1719. 

7)  St.  B.  B.  18.  Februar  1822. 

■)  Volm.  B.  B.  2.  Aug.  1713 

»)  a.  a.  0.  24.  Aug.  1723. 

10)  a.  a.  0.  2.  Juli  1763. 

")  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1744. 

>»)  Volm.  B.  B.  31.  Aug.  1727. 


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131 


den  Berichten  über  Rechnungslage,  die  von  den  alten  und 
neuen  Brachstechern  gehalten  wurde,  jedesmal:  „Bey  abgelegten 
Holtzgräfen  undt  Vormundts  Rechnung  seyn  von  anwesenden 
Herren  Erben  und  Bauern  vertruncken“ ’)  „an  wein  und 
bier“,2)  verzehrt  „an  fleisch  und  brodt“,3)  „an  schincken“,4) 
„Hering  undt  Butter“,5)  und  ferner  ausgegeben  „vor  pfeifen 
und  Tuback“.8)  Wenn  einmal  eine  Versammlung  sämtlicher 
Mitglieder  in  der  Wohnung  des  Vormunds  abgehalten  wurde, 
wurde  „auf  begehren  der  anwesenden  Herren  wein  gehöhlt“7) 
und  „bier  sambt  dabey  gehörigen  confectüren  präsentirt“.8) 
Ebenso  wurden  für  die  durch  Mastangelegenheiten  hervor- 
gerufene Mühewaltung  von  den  beteiligten  Mitgliedern  der 
Banerschaften  „die  Unkostenschweine  beym  guten  glas  brant- 
wein  nebst  einer  guten  mahlzeit  und  trunek  bier  verzehrt“. 
Bei  guter  Mast  gab  es  gutes  Essen  und  Trinken,  und  „sonsten 
muste  man  sich  strecken  nach  der  decken“.")  Ein  allgemeines 
Fest,  der  sog.  „Bauerzehr“,  wurde  jährlich  am  Tage  des  Ge- 
richtes gehalten.  Hierfür  wurden  die  meisten  Einkünfte  auf- 
gewandt, vom  „baurlandt  und  Kley  sambt  wiesen,  theichen  undt 
driften  wurde  jährlicher  Zehr  gehalten“.10)  „Sambtliche  Herren 
Erben  und  bauren  mit  den  frauwen“  nahmen  daran  teil.11) 
Die  nicht  aufnahmefähigen  Besitzer  eines  Gutes  Land  wurden 
durch  die  Gangenossen  vertreten,  durften  aber  selbst  nicht  er- 
scheinen, weil  es  „überall  Manier  war,  das  wohe  unter  Bauer- 
schaft einer  ein  Ganggenosse  constituiert,  derselbe  in  con- 
vivio  nicht,  sondern  der  constituierter  Ganggenosse  dahebey 
compariere,  und  wohe  einer  einen  ganggenossen  hät,  der- 
selbe des  constituentis  persone  vertretten  müsse,  mit  nichten 
aber  ein  solcher  constituens  beim  convivio  sich  eindrängen 

>)  Stockh.  B.  B.  19.  Aug.  1731. 

»)  HBit.  B.  B.  1.  Juli  1737. 

s)  Volm.  B.  B.  4.  Okt.  1795. 

*)  Stockh.  B.  B.  1.  Mai  1730. 

5)  &.  a.  O.  1.  Juni  1810. 

«)  Volm.  B.  B.  30.  Aug.  1783. 

1)  Htiat.  B.  B.  24.  Juni  1744. 

«)  Volm.  B.  B.  18.  Aug.  1715. 

»)  St.  B.  B.  11.  Okt.  1711. 

,0)  Stockh.  B.  B.  8.  Juni  1G8I. 

'<)  a.  a.  O.  25.  Aug.  1721. 

9* 


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13-2 


könne“.1)  Die  Genossen  und  ihre  Frauen  erschienen  nach  be- 
endigtem Bauergericht  in  dem  Hause  des  Vormunds,  um  „dabey 
ihren  gewöhnlichen  Zehr  zu  halten“.2)  Der  Vormund  musste  sieh 
bei  Antritt  seines  Amtes  verpflichten,  sämtlicho  Genossen  in 
der  gleichen  Weise  zu  bewirten  wie  seine  Vorgänger.  Ge- 
legentlich wurde  vom  Vormund  ein  Stellvertreter  „zu  haltung 
des  tractaments  erkohren“.8)  Für  diese  mit  dem  Amte  ver- 
bundene Bast  wurde  keine  Vergütung  gewährt,  denn  es  war 
„uhr  alters  gebreuglig  gewesen,  dass  bey  dem  zehr  nichtes  vor 
des  kochers  lohn  noch  ein  paar  tuffeles  vor  die  Vormundersgen 
auch  vor  dass  gewürtz  nicht  mehr  als  9 gr.  geregnet“  würde,4) 
und  wenn  einige  Mitglieder  darin  eine  Aenderung  einführen 
wollten,  wurde  beschlossen,  „es  bey  den  alten  stilo  lasen 
undt  ins  künftig  ebener  masen  diesem  nackommen  zu  wollen“.4) 
Bei  diesem  Feste  wurde  Bier  und  Wein  getrunken  und  der 
Preis  dieser  Getränke  dem  Vormnnd  von  der  Bauerschaft  fest- 
gesetzt/’) Der  Vormund  musste  das  Bier  selbst  brauen8)  und 
„im  fall  solches  nicht  passabele,  solte  dasselbe  verworfen  und 
ein  anderes  gutes  bier  angeschaffet  werden“.*)  So  kam  es 
denn  gelegentlich,  dass  der  Bauerzehr  erst  einige  Wochen 
später  als  gewöhnlich  gehalten  wurde,  weil  „dem  Herrn  Vor- 
mund zweymahl  die  Bier  verunglückt“  war.6)  Zu  den  Ge- 
tränken wurden  Honigkuchen  und  Salzkuchen,  gewöhnlich  Jahr- 
kuchenK)  genannt,  gereicht.  Ausserdem  wurde  ein  grosses  Essen 
gegeben.  Bei  Hustede  hatte  ein  Mitglied  für  alle  Zeiten  „ein 
unsträfllich  Kalb,  eine  Kloth  butter  undt  ein  Kähs  zu  geben“.9) 

')  Hüst.  B.  B.  25.  Juni  1702. 

'■')  Stöckli.  B.  B.  24.  Aug.  1723.  Hiist.  B.  B.  24.  Jnni  1702. 

3)  Hilst.  B.  B.  24.  Juni  1730. 

*)  a.  a.  O.  24.  Juni  1712. 

!‘)  Hiist.  B.  B.  24.  Juni  1704.  29.  Jnni  1717. 

“)  Volm.  B.  B.  3.  Okt.  1779. 

7J  Hilst.  B.  B.  29.  Juni  1717. 

8J  a.  a.  O.  24.  Jnni  1754.  Stöckli.  B.  B.  25.  Aug.  1721. 

9J  Hiist.  B.  B.  24.  Juni  1702.  25.  Juni  1705.  In  einem  Beriet;* 

über  das  (Jelago  der  Stälper  Banerscliaft  vom  24.  August  1709  werden  er- 
wähnt: Scliin ken,  Mettwurst,  Rindfleisch,  Hübner,  Kalbfleisch,  Schrutbennen. 
Butter,  fiewiirze,  Corintheii,  Rosinen,  Baumül,  Zucker,  Weissbrot  und  andere 
„Notbwendigkeiten“  wie  Lichter,  (lonfektüren  und  Nüsse.  Die  Niisse  kamen 
von  einer  von  der  Bauerschaft  verpachteten  Waldparzelle,  der  sog.  „holte- 
gäbe"  oder  „Nussgabe“  ein.  St.  B.  B.  20.  Dez.  1774.'  11.  Juli  1730. 


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1 33 


Dieser  Last  suchte  sicli  das  verpflichtete  Mitglied  zu  entziehen 
und  liess  deshalb  „gegen  die  alte  Berechtigkeit  undt  der  baur- 
schaft  höchstens  präjudicirlich  ein  projekt  zu  papier  setzen, 
dass  er  ins  künftig  nicht  wie  uhr  alters  von  seiten  zu  seiten 
gebräuchlich  gewesen,  praestanda  als  ein  Kalb  zu  prästiren 
orler  liefern  gesinnet  wäre,  sondern  auf  eine  andere  nianir  oder 
Weise“.1)  Doch  wurde  dieser  Antrag  abgelehnt,  und  bis  zur 
Aufhebung  der  Bauerschaft  musste  jährlich  das  Kalb  an  den 
Vormund  abgeliefert  werden,2)  obgleich  die  Bauerschaft  Gefahr 
lief,  schlechtes  Fleisch  zu  erhalten.  So  hat  einmal  „zeithiger 
Vormünder  der  samptlichen  Gesellschaft  das  gebrachte  Kalb 
präsentiret,  dahebey  sich  beschwehret,  das  selbiges  zware  ohn- 
strafflich  sein  müsste,  dieses  Fleisch  aber  augenscheinlich  so 
beschaffen,  das  es  fast  einer  ehrsamben  Bauerschaft  nicht  zur 
taffel  vorgebracht  werden  dorffe;  weilen  nuhn  nach  Aussage  des 
Herrn  Holtzgräffe  und  der  altisten  Bawrglieder  niehmahls  ein 
solches  schlechtes  Kalb  beigebracht,  das  solches  ihme  so  wohl 
als  der  samptlichen  bawrschaft  zu  nicht  geringer  Prostitution 
gereichte,  so  bathe  hierüber  zu  votiren  und  zu  resolviren, 
wohrauff  das  präsentirtes  Fleisch  besichtiget  und  per  unanimia 
dahin  concludiret,  das  (das  schuldige  Mitglied)  ins  künftig  sich 
dieserhalb  besser  vorzusehen,  vor  diesmahl  mit  dem  Herrn  Vor- 
münder, welcher  am  platz  des  Kalbs  einen  Hammel  anschaffen 
müsse,  abzufinden  habe“.3)  Die  zu  den  Gelagen  erforderlichen 
Biergläser  besass  die  Bauerschaft  selbst4),  und  der  „Korb, 
worin  der  Bauerschaffts  Gläser  stehen“,  wurde  dem  Vormund 
jedesmal  von  seinem  Vorgänger  übergeben.5)  Bei  dem  Feste 
pflegten  „Spilleuthe“6)  zu  musiciren,  und  weil  Stockheim  und 
Volmede  an  demselben  Tage  den  Bauerzehr  hielten,  so  dass 
„eine  baurschaft  deren  Stadtsmusikanten  entbehren  musste, 
solches  aber  durch  Versetzung  des  sonst  gewöhnlichen  Tages 

l)  Hüst.  B.  B.  24.  Joni  1714. 

*)  z.  B.  noch  1810.  a.  a.  0.  24.  Juni  1810. 

*)  a.  a.  O.  24.  Juni  1704. 

Stockh.  B.  B.  31.  Marz  1727.  Hüst.  B.  B.  29.  Juni  1746. 

»)  Hüst.  B.  B.  1.  Juli  1737. 

Stockh.  B.  B.  25.  Aug.  1681 : „Den  Spilleuthen  vor  2 Tagen  auf- 
Wartung!)  — 12  gr.“  Danach  scheint  das  Fest  2 Tage  gedauert  zu 
haben. 


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134 


remedyrt  werden  konte“,  wurde  von  Volmede  das  Fest  auf  den 
nächsten  Sonntag  verlegt.1) 

Zuweilen  wurde  der  Bauerzehr  verschoben,  z.  B.  „aus 
Mangel  des  Biers“,2)  oder  wenn  der  Vormund  zum  Landtag 
nach  Anisberg  berufen  war,  wurde  „bis  dessen  widerkunft  die 
recreationsversamblung  verschoben“.3)  Aus  besonderen  Ur- 
sachen wurde  das  Fest  auch  aufgehoben.  So  wurde  bei  Stock- 
heini „von  sämbtlichen  resolvirt,  wegen  besseruug  der  woge  den 
gewönlichen  völligen  Zehr  einige  Jahre  einzustellen“ 4)  und 
statt  dessen  „mit  einem  fass  bier,  saltkuchen  und  Krengel 
friedig  zu  scyn“.5)  Wenn  jedoch  mit  dem  überschüssigen 
Gelde  die  Wege  ausgebessert  waren,  wurde  „der  sonst  gewöhn- 
liche zehr  oder  völlige  traktament  der  baurschaft  wieder  be- 
willigt und  angestellt“.6)  In  Kriegszeiten  wurde  „wegen  der 
Kriegstrubelen“7)  und  „viellen  Durchmärsche  und  einquar- 
tierungen  der  Militz  kein  Zehcr  gehalten“.8)  Während  des 
siebenjährigen  Krieges  fielen  alle  Jahresfeste  aus,  weil  Jahr 
für  Jahr  die  Stadt  in  Mitleidenschaft  gezogen  war;  so  1759, 
„weil  flandrische  Husaren  die  Kautonierungs  Quartier  in 


')  Volui.  B.  B.  24.  Aug.  1725.  lieber  den  Zweck  dieser  Keier  lässt 
sieb  eine  Notiz  im  Nt.  B.  B.  12.  April  1767  folgendennasseu  aus:  „Das  bier 
tractament  ist  nicht  als  ein  Überflüssiges  verzehr,  sondern  vielmehr  als  eine 
geringe  Vergeltung  eben  darum  anzusehen,  weilen  kantlich  die  baurschaften 
in  ihren  feld  district  die  grabens  auszuwerfen  und  die  verdorbene  feldwege 
wie  hergebracht  auszubessern  schuldig,  welche  Arbeit  die  interessanten 
entweder  selbst  oder  durch  ihre  dienstbotteu  verrichten  lassen  müssen, 
für  welche  mühe  und  arbeit  an  statt  taglohn,  welches  gewiss  ein  viel- 
inehreres  kosten  würde,  selbigen  geineltes  bier  tractament  praesentirt  wird 
und  diessen  uhralten  herbringen  gomäss  damit  vorlieb  nehmen;  folglich 
wan  solches  bier  tractament  eingezogen  würde,  sothane  abschaffung  mehr 
eine  Verschlimmerung  als  eine  Verbesserung  des  pupliquen  gemeinen  wessens 
nach  sich  ziehen  würde,  mithin  solches  geringes  bier  tractament  nicht  ab- 
geschaffet  werden  mag  noch  darf.“ 
a)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1762. 

»)  Volm.  B.  B.  24.  Ang.  1694. 

*)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1723. 

61  a.  a.  O.  19.  Juli  1729. 

«)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1726. 

’)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1760. 
e)  a.  a.  O.  1757. 


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135 


hiesiger  Stadt  bezogen“,1)  1761,  weil  „die  beyde  Hauptarmeien 
zu  unterschiedlichen  mahlen  in  hiesiger  Feldmark  gelagert  und 
felder,  Wisens  und  garthens  merenteils  ansfouragirt“,  1762, 
weil  „die  Kriegsunruhen  dieses  Jahr  noch  täglich  hiesigen 
Orthen  mit  marschcn  und  remarschen  occupiren“,  und  „wegen 
der  einquartirung  der  hessischen  Cavalleristen,  so  mitt  mundt- 
portionen  und  completen  rationen  jeder  bürger  hatt  5 Wochen 
lang  erhalten  müssen,  wodurch  das  liebe  brodt  und  hier  unter 
den  leuthen  so  bedürftig  geworden,  dass  die  mehrste  leutlie  in 
hiesiger  Stadt  sich  kümmerlich  des  brodts  und  des  Wasser  am 
platz  des  biers  sich  haben  bedienen  müssen.“  Auch  infolge 
drängender  A erntearbeiten  wurde  der  Zehr  nicht  gehalten; 
wenn  z.  B.  „die  ärnete  des  Roggens  so  späht  eingefallen,  dass 
auch  kein  Werktag  darinnen  zu  verabsäumen  war,  wurde  einem 
jeiden  Bauergliede  zu  einer  etwaigen  Recreation  drey  maas 
bier  bei  Herrn  Vormundt  nach  ihrer  Behausung  abzuhohlen 
beliebt“,'2)  oder  wegen  einer  Teuerung  wie  im  Jahre  1772,  da 
„eine  so  grosse  Theurung  der  flüchten  geweson,  dass  kein 
brodt  und  backorn  vor  kein  Geld  zu  haben  gewesen,  und  das 
scheffel  rokken  im  lezts  des  july  ad  2 Th.  8 gr.  und  gerste 
1 Th.  32  gr.  und  die  Haber  allerletz  ad  1 Th.  gegolten,  so 
dass  die  hiesigen  Einwohner  den  gantzen  Sommer  hindurch 
das  brodt  von  Lippstadt  haben  holen  müssen“.3) 

Den  Vorsitz  bei  diesen  Festen  führte  der  Holzgraf,  der 
Ruhe  und  Ordnung  halten  sollte.4)  Gleichwohl  konnten  arge 
Ausschreitungen  nicht  ausbleiben,  und  wioderholt  berichten  die 
Bauerschaftsbücher  von  „Tumult“  während  der  Versammlung5) 
und  von  „trunckcnheit“  der  Genossen, fi)  dass  sie  „trunken  ge- 
wesen“7) und  „sich  vollgcdrunckcn  und  gespeyen“  hätten.8) 
Dabei  haben  dann  die  Betrunkenen  „gar  grob  excedirt,  sich 

'J  Volm.  B.  B.  17&7.  Auch  die  folgenden  Angaben  finden  sich  an 
derselben  Stelle. 

!)  a.  a.  O.  25.  Aug.  1770. 

»)  a.  a.  O.  1772. 

*)  Httst.  B.  B.  25.  Juni  1702. 

6)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1704. 

*)  a.  a.  O.  24.  Ang.  1684. 

')  Httst.  B.  B.  6.  Dez.  1707. 

®)  Volm.  B.  B.  25.  Aug.  1714. 


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136 


widerwillig  und  gegen  bauerrecht  bezeiget“,1]  „gröblich  auf  den 
Tisch  mit  Händen  geschlagen“,2)  dass  das  Bier  umgestossen  3) 
und  die  Gläser  zerbrochen  wurden.4)  Daun  fingen  sie  an,  „sich 
ohuhoflich  anzustellen“,5)  „Injurien  auszugiessen“6)  und  „ärger- 
lich und  ungebiirlich  zu  reden“,7)  selbst  Brüder  „gerieten  in 
zaukerey,  scheltworthe  und  schlagerey“.8)  In  dieser  Stimmung 
sagte  man  sich  dann  allerlei  Liebenswürdigkeiten.  Da  wurde 
einem  Müller  „fürgehalton,  dass  er  in  der  Mühle  zu  viell  ge- 
multert  und  das  Korn  abgestohlen  liette  als  ein  schelm  und 
dieb“,9)  ein  anderer  „in  öffentlicher  Compagnie  unterschiedliche 
mahle  vor  einen  Fuchs  ausgescholten“10)  und  ihm  von  einem 
Genossen  „gesagt,  er  solle  ihm  in  Mars  lecken“,  worauf  der 
Beleidigte  „replicirte:  das  wan  so  in  der  baurschaft  sollte  zu 
gast  geladen  werden,  wollte  er  lieber  die  Baurschaft  quit- 
tieren“.11) Ein  Mitglied  musste  bestraft  werden,  weil  es  „sich 
in  seiner  drunckenheit  gegen  sämtliche  Bauerglieder  mit  in- 
juriösen  Wörtern  heraussgelassen  hatte“.12)  Wenn  dann  der 
Holzgraf  Ordnung  schaffen  wollte,  wurde  er  „ungebührlich  vor 
die  Brust  gestossen  und  hisce  formalibus : Du,  ich  habe  dir  die 
erste  Stimme  gegeben,  angeredet“.13)  Einmal  kam  es  sogar 
dahin,  dass  ein  Genosse,  der  zuvor  „bei  Versamblung  der 
baurglieder  sich  unhöflich  gehalten  und  geschlagen“  hatte  und 
deshalb  an  die  Luft  gesetzt  war,  nachher  „sogahr  mit  ge- 
ladenem Gewehre  auf  des  Vormunders  Hausthür  und  daraus 
gehende  Leuhte  feuer  gab“.14)  Andere  suchten  von  dem 
Mahl  sich  etwas  für  die  folgenden  Tage  zu  reservieren  und 


')  a a.  O.  24.  Aug.  1684. 

2)  Hüst.  B.  B.  6.  Dez.  1707. 

■’J  Volui.  B.  B.  24.  Aug.  1684. 

•)  Stockb.  B.  B.  24.  Aug.  1682.  24.  Aug.  1711 

6)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1723. 

«)  a.  a.  0.  23.  Aug.  1686. 

7)  Hüst.  B.  B.  6.  Duz.  1707. 

8)  Volin.  B.  B.  24.  Aug.  1711. 

“)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1710. 

>")  a.  a.  0.  25.  Juni  1702. 

")  a.  a.  O.  24.  Juni  1702. 

I2J  St.  B.  B.  24.  Oktober  1716. 

13 ) Hüst.  B.  B.  6.  Dez.  1707. 

Stockb.  B.  B.  21.  Sept.  1701. 


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137 

wurden  dabei  ertappt,  wie  sie  „wieder  erbahr-  und  Höflichkeit 
ein  Stück  Käs  in  Schnupftuch  in  den  Sack  gestochen“  hatten.') 
Manchmal  wollten  auch  Fremde  an  dem  Feste  teilnehmen,  so 
dass  der  Vormund,  in  dessen  Hause  alle  versammelt  waren, 
sich  beschweren  musste,  dass  ein  unverschämter  Eindringling 
„ihme  molestieret  und  in  convivio  beiwohnen  und  sich  ein- 
dringen,  ja  gahr  nicht  habe  weichen  wollen,  bis  er  ihm  Essen 
und  Trinken  vor  der  Stube  gegeben“.'')  Diese  Delinquenten 
wurden  als  „höchst  straffällige“1 * 3)  angesehen  und  „wegen  dieser 
Excessen  und  bei  versambleter  bawrschaft  ärgerlich  verübten 
ungebührlichkeiten“  scharf  bestraft.4 5) 

In  gleicher  Weise  wurde  gegen  die  vorgegangen,  die  sich 
Beleidigungen  gegen  die  Beamten  der  Bauerschaft  hatton  zu 
schulden  kommen  lassen.  Wer  beim  Jahresfeste  „ober  den 
Holtzgrewen  zu  sitzen  sich  erkühnet“,  wurde  zu  einem  Jahr- 
kuchen verurteilt.3)  Wer  das  vom  Vormund  Vorgesetzte  Essen 
tadelte6)  und  sein  „hier  verachtete,  obzwarn  solches  nicht  zu 
verachten“,7)  oder  gar  Zweifel  an  seiner  Ehrlickheit  hegte, 
dass  „nicht  alles  ehrlich  zuginge“,8)  und  deshalb  von  einem 
Genossen  „aus  nachbarlicher  Liebe“  angezeigt  wurde,9)  hatte 
sich  dieserhalb  vor  der  Bauerschaft  zu  verantworten.  Als  ein 
Bauerglied  bei  einer  Grenzfestsetzung  durch  die  Brachstecher 
geglaubt  hatte,  diese  darauf  aufmerksam  machen  zu  müssen, 
dass  „man  also  messen  solte,  dass  nach  ihrem  Todt  die  Brach- 
stecher auch  messen  mogten“,  wurde  er  bestraft  wegen  dieser 
„groben,  unverschemeten,  ausgestürzten  Injurien“.10)  Besonders 
wurde  der  Bauerknecht  geschützt,  weil  er  im  Aufträge  der 
Bauerschaft  polizeiliche  Funktionen  auszuüben  hatte  und  des- 
halb leicht  den  Beleidigungen  ausgesetzt  war.  So  musste  er 
cs  sich  zuweilen  gefallen  lassen,  dass  ein  Holzdieb,  der  von 

1 ) Hüst.  ü.  B.  25.  Juui  1704. 

*)  a.  a.  O.  25.  Juni  1702. 

3j  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1684. 

4)  Hüst.  B.  B.  6.  Der.  1707. 

5)  a.  a.  0.  26.  Juni  1702. 

®)  Stockh.  B.  B.  25.  Aug.  1721. 

7)  a.  a.  0.  26.  Aug.  1704. 

")  St.  B.  B.  15.  Januar  1783. 

»)  Hüst.  B.  B.  26.  Juni  1706. 

K)  Stockh.  B.  B.  22.  Stürz  1678. 


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138 


ihm  vor  das  Bauergericht  geladen  wurde,  ihm  „mit  höhnischen 
und  gahr  spöttlichen  Worten  begegnete“1)  und  die  Frau  eines 
audern  Delinquenten  „gegen  ihn  schändete  und  mit  der  forcken 
ihn  ausm  haus  jagte“.2)  Auch  alle  andern  Versammlungen  der 
Bauerschaften,  sei  es  aller  Mitglieder  oder  auch  nur  der  Be- 
amten, wurden  gegen  Ungebührlichkeiten  durch  das  Bauer- 
gericht geschützt.  So  war  es  strafbar,  wenn  „auf  dem  gerichts 
Platz  wehrenden  Gerichts  Tuback  gcrauchet“  wurde,3)  wenn 
bei  derselben  Gelegenheit  der  neue  Vormund  „bei  umbge- 
haltenen  Krantz  solchen  Kranz  wie  branchlich  nicht  aufs  blosse 
haupt,  sondern  auf  den  liudt  gesetzt“  hatte,4)  und  wer  gar  „in 
präsentz  sambtlicher  brachstechcrs  des  Vormunds  Tochter  beim 
tisch  sitzendt  geküsset,  wurde,  weilen  solches  gegen  die  Erbar- 
keit  ist,  in  zwey  firtell  wein  strafe  declarirt“.5)  Ebenso  wurden 
auch  alle  andern  Beleidigungen  der  Genossen  gegen  einander  vor 
dem  Bauergericht  gerügt,  selbst  wenn  sie  nicht  bei  bauer- 
schaftlichen  Versammlungen  gefallen  waren.  So  trat  „ge- 
bührende Bestrafung“  ein,  wenn  jemand  einen  andern  „wider 
angelobte  Pflicht  und  Ehrbarkeit  vor  eine  Wetterkatze  ausge- 
scholten“6) oder  „ihn  öffentlich  aufm  Marckt  angefallen,  andert- 
halb Scheffel  rübesamen  von  ihme  gefordert  und  ihm  seine 
Saat  vom  Lande  genohmen“  hatte.7)  Wenn  zwei  Bauerschafts- 
genossen wegen  Beleidigungen  Streit  hatten,  durfte  „keiner  aus 
der  Bauerschaft  so  weinig  mit  einem  als  anderen  in  bawr- 
schaftlichen  Sachen  Gemeinschaft  halten  noch  zutrincken,  bis 
vor  ordentlicher  Obrigkeit  die  Sache  unter  ihnen  ausgemacht 
und  dann  darauf  erklärung  vor  der  Bauerschaft  erfolget“  wäre.6) 
Doch  war  dies  Verbot  aufgehoben,  wenn  der  Beleidiger  sich 
mit  dem  Beleidigten  „der  vorgebrachten  injurien  halber  mit 
darreichung  der  handt  abgefunden“  hatte.9)  Wer  gegen  einen 
Genossen  eine  ehrenrührige  Aussage  gemacht  hatte,  wurde  so- 

')  Volm.  B.  B.  1715. 

2)  Httst.  B.  B.  24.  Juni  1708. 

s)  Volm.  B.  B.  1696. 

<)  Höst  B.  B.  26.  Juni  1705. 

*)  Stöckli.  B.  B.  26.  Aug.  1704. 

«)  HUst..  B.  B.  24.  Juni  1702. 

7)  a.  a.  0.  9.  Nov.  1704. 

81  a.  a.  O.  24.  Juni  1710. 

•)  Stockb.  B.  B.  20.  April  1722. 


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lange  aus  der  Bauerschaft  ausgeschlossen,  bis  er  den  Beweis 
für  seine  Behauptung  geliefert  hatte.  Gelang  ihm  dies  nicht, 
wurdo  er  wogen  Verleumdung  von  der  Bauerschaft  bestraft.1) 


Das  Finanzwesen.  Ausschluss  aus  der  Bauerschaft 

Das  Finanzwesen  der  Baucrschaften  hatte  einen  durchaus 
natural  wirtschaftlichen  Charakter.  Wir  können  uns  damit  be- 
gnügen, die  einzelnen  Erscheinungen,  soweit  sie  in  den  vor- 
stehenden Erörterungen  gegeben  sind,  hier  zusammenzufassen. 
Der  Holzgraf  erhielt  ein  Fuder  Holz  und  durfte  ein  oder 
mehrere  Schweine  in  die  Mast  schicken,2)  die  Brachstecher 
hatten  für  ihre  Tätigkeit  nach  den  Ausgäugen  freies  Essen 
und  Trinken,3)  der  Vormund  erhielt  als  Entschädigung  für 
seine  nicht  geringe  Mühe  ein  Fuder  Holz,  Land  und  freie 
Mast,4)  der  Holzknccht  hatte  von  der  Bauerschaft  Land,  Holz 
und  freie  Mast/')  und  der  Schweinehirt  durfte  ebenfalls  ein 
Schwein  in  die  Mast  treiben.6)  Das  bare  Geld,  das  der  Holz- 
knecht erhielt,  musste  gezahlt  werden  von  jedem  neu  ein- 
tretenden Mitgliede,7)  von  den  Verurteilten8)  und  als  Stamm- 
geld von  denen,  die  von  der  Bauerschaft  einen  Baum  erhielten.9) 
Der  Schweinehirt  erhielt  seinen  Geldlohn  im  sog.  „Webnegeld“ 
von  jedem  aufgetriebenen  Schweine  und  am  Schluss  durch  eine 
Repartition,  sodass  die  Bauerschaftskasse  gar  nicht  in  Mit- 
leidenschaft gezogen  wurde.  Die  Ausgaben  für  Wege-  und 
Brückenbau  waren  gering,  weil  diese  Arbeiten  entweder  von 
allen  Genossen  oder  von  Verurteilten  verrichtet  wurden.  In 
der  gleichen  Weise  wurden  die  Arbeiten  zur  Hebung  der 
Waldkultur  erledigt.  Die  von  den  Brachstechern  nach  den 
Ausgängen  gehaltene  Zeche  wurde  von  den  Strafgeldern,  die 


>)  St.  B.  B.  6.  Der  1717. 
*)  S.  o.  S.  69. 

5)  S.  o.  S.  73. 

<)  S o.  S.  74. 

5)  S.  o.  S.  77. 

«)  8.  o.  S.  126. 

7)  8.  o.  S.  55. 

«J  8.  o.  S.  108. 

»)  S.  o.  8.  119. 


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140 


die  Delinquenten  zu  zahlen  hatten,  beglichen.  Die  Kuchen 
zu  den  Jahresfesten  wurden  von  den  neu  eintretenden  Mit- 
gliedern und  von  Verurteilten  geschenkt,  das  Fleisch  ebenfalls 
von  Bauergliedern  geliefert  und  die  damit  verbundene  Arbeit 
vom  Vormund  unentgeltlich  verrichtet.  Die  mit  der  Mastwirt- 
schall sonst  verbundenen  Ausgaben  wurden  durch  die  sog.  „Un- 
kostenschweine“ gedeckt.  Die  übrigen  Geldausgaben,  z.  B. 
Vergütung  für  die  Tätigkeit  des  Holzgrafen,  ebenso  der  Brach- 
stecher, des  Vormunds  und  des  Holzkuechts,  ferner  bei  Ver- 
dingung von  Wegearbeiten,  Brückenbau  usw.  wurden  beglichen 
durch  die  Einkrönungsgebühren,  die  jedes  Mitglied  bei  seiner 
Aufnahme  zu  zahlen  hatte,  die  Strafgelder,  die  von  Ver- 
urteilten zu  entrichten  waren,  und  vor  allem  durch  die  Ein- 
künfte, die  der  bauerschaftlichc  Grundbesitz  gewährte.  Wenn 
einmal  aussergewöhnliche  Geldaufwendungen  zu  machen  waren, 
wurden  entweder  Bäume  gehauen  und  der  Erlös  zur  Be* 
gleichung  der  Ausgaben  verwandt,1)  oder  es  mussten  alle 
Bauerglieder  dazu  beisteuern.2) 

Bei  den  Bauerschaften  gab  es  eine  doppelte  Kassen- 
führung, eine  des  Vormunds  und  eine  des  Holzgrafen.  Der 

Vormund  hatte  die  grössten  Ausgaben  zu  machen  für  die 
Speisen  beim  Jahresfeste  und  nach  Ausgang  der  Brachstecher, 
um  Frevel  im  Felde  zu  besichtigen,  und  vor  allem  für  die  Ge- 
tränke, wie  Bier,  Wein  und  Branntwein,  die  bei  jeder  Ge- 
legenheit den  Beamten  und  den  übrigen  Mitgliedern  gereicht 

wurden.  Ebenso  musste  er  das  Gehalt  an  die  Beamten,  be- 

sonders an  den  Holzknecht  zahlen.3)  Die  Einnahmen  bestanden 
zunächst  ans  den  Einkrönungsgebühren  bei  Aufnahme  neuer 
Mitglieder,4)  dann  in  einem  Teile  der  Strafgelder5)  und  vor 
allem  in  den  Einkünften  aus  den  verpachteten  Ländern.6) 
Jeder  Vormund  musste  am  Ende  seiner  Amtsführung  „in  pre- 
sentz  der  eitesten  der  Erben  und  Bauern  wie  auch  der  Brach- 
stecher“ am  Tage  nach  dem  Gericht  Rechnung  über  „bis  dato 

')  Volra.  B.  B.  IS.  Nov.  1706.  St.  B.  B.  17.  Jan.  ISIS. 

»)  Stöckli  B.  B.  19.  Aug.  1720. 

’)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1734. 

*)  a.  a.  0.  24.  Juui  1744. 

5)  a.  a.  0.  6.  Juni  1725.  Stockh.  B.  B.  25.  Scpt.  1686  n.  8.  o. 

“l  Hlist.  B.  B.  1.  llai  1723.  Stöckli.  B.  B.  24.  Aug.  1678  u.  s.  o. 


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141 


geschehenen  Vorschuss  und  Ausgabe“  legen,1)  wozu  „alte  und 
newe  brachstechern  und  wer  sonst  dazu  invitirt  wurde,  undt 
keine  sonst  erscheinen  solten“.2)  Wenn  nichts  zu  beanstanden 
war,  wurde  „das  Absolutorium  erteilt“,2)  wenn  aber  die  Rech- 
nung nicht  in  Ordnung  war  oder  der  Vormund  sie  noch  nicht 
aufgestellt  hatte,  wurde  die  Kassenführung  getadelt4)  und 
„dan  zu  deren  aufnahme  ein  bequemer  terminus  ausgesehen“.5) 
Den  Ueberschuss  sollte  „der  Herr  Holzgrafe  zu  berechnen 
haben“,9)  wenn  jedoch  die  Ausgaben  die  Einnahmen  über- 
stiegen, musste  das  Deficit  aus  der  Kasse  des  Holzgrafen  ge- 
deckt werden.7)  Weil  das  Amt  des  Vormunds  von  jedem  Mit- 
gliede  bekleidet  werden  musste  und  darunter  zweifellos  manche 
zu  einer  Kassen führung  nicht  geeignet  waren,  konnten  häufige 
Tadel  nicht  ausbleiben.  Dazu  kam,  dass  die  Strafgelder  und 
Pächte  schlecht  bezahlt  wurden,  so  dass  fast  Jahr  für  Jahr 
der  Vormund  ermahnt  werden  musste,  „die  solvende  fleissiger 
beyzutreiben“  und  „den  rest  einzumahuen“.8)  Wenn  die 
Schuldner  nicht  willig  zahlen  wollten,  wurde  Befehl  gegeben, 
das  aufstehende  Getreide  „verarrestiren“9)  zu  lassen.  Wenn 
die  Pächte  einkamen,  die  gewöhnlich  in  Getreide  bestanden, 
sollte  darauf  gesehen  werden,  dass  „gut  markgiebig  Korn“ 
geliefert  würde.10)  Das  den  Bauerschaften  gehörende  Getreide, 
sowohl  das  selbstgewonnene  wie  das  eingelieferte,  wurde  meist- 
bietend verkauft. 

Neben  der  Vormundskasse  gab  es  eine  sog.  Bauerschafts- 
kasse, die  der  Holzgraf  zu  verwalten  hatte.  Das  Gebiet  beider 
Kassen  ist  nicht  genau  geschieden.  Die  Ausgaben,  die  der 
Vormund  zu  machen  hatte,  standen  freilich  fest,  so  dass  der 
Holzgraf  meist  die  ausserordentlichen  Auslagen  decken  musste.11) 

')  Stockk.  B.  B.  23.  Aug.  1G86. 

*)  a.  a.  0.  24.  Aug.  1727. 

3J  St.  B.  B.  18.  Juni  1810. 

*)  HUst.  B.  B.  1.  Dez.  1717. 

•r’J  a.  a.  O.  29.  Juni  1722. 

«)  a.  a.  O.  24.  Juni  1744. 

')  a.  a.  O.  25.  Juni  17.34. 

*>)  Stöckli.  B.  B.  24.  Aug.  1078. 

»)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1082. 

•“)  Volm.  B.  B.  8.  Okt.  1084. 

")  a.  a.  O.  20.  Ang.  1724. 


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142 


An  Einnahmen  werden  verzeichnet  die  Einkronungsgebiihren 
und  Brächte,  auch  Pachtgelder  und  Einkünfte  von  verkauften 
Bäumen,1)  ferner  der  Ueberschuss  von  der  Vormundsrechnung 
und  der  Mastnutzung.2)  Auch  der  Holzgraf  sollte  jährlich  an 
demselben  Tage  wie  der  Vormund  vor  der  gleichen  Kommission 
Rechnung  legen.-1)  Da  aber  der  Holzgraf  im  Gegensatz  zum 
Vormund  auf  Lebenszeit  gewählt  war,  unterblieb  oft  die  Rech- 
nungsablage, so  dass  sie  sich  gelegentlich  ein  halbes  Menschen- 
alter und  länger  hinzog.4) 

Neben  diesen  beiden  Kassen  gab  es  noch  eine  besondere 
für  die  „Mastbetreibung“,5)  die  die  durch  die  Benutzung  der 
Mast  sich  ergebenden  Einnahmen  und  Ausgaben  zu  regeln 
hatte. 

Den  aus  diesen  drei  Kassen  sich  ergebenden  Ueberschuss 
sollte  „zeitiger  holtzgräfe  gegen  ein  sicheres  Unterpfand  mit 
vorwissen  der  baurschaft  bis  zur  denunciation  ausleihen“.6) 

In  den  vorhergehenden  Kapiteln  wurde  wiederholt  gezeigt, 
wie  die  Bauerschaften  Frevel  und  Ungehörigkeiten  vor  ihr 
Forum  zogen  und  gewöhnlich  mit  Geld  bestraften.  Diese 
Strafgewalt  erstreckte  sich  auf  alle  Delinquenten,  mochten  sie 
Mitglieder  sein  oder  nicht.  Wie  suchten  sich  nun  die  Bauer- 
schaften zu  helfen,  wenn  die  Verurteilten  sich  widersetzten 
und  die  auferlegte  Strafe  nicht  zahlen  wollten?  Gegen  die 
Mitglieder  wurde  in  diesem  Falle  mit  Ausschluss  aus  der 
Bauerschaft  vorgegangen.  Wer  sich  weigerte,  das  Strafgeld 
zu  erlegen,  hatte  „sich  der  baurschaft  so  lang  zu  enthalten, 
bis  er  solche  erlegt“,7)  und  wurde  bis  „zu  deren  Erlegung  vor 
kein  baurglidt  erkant“8)  oder  sollte  „bis  daran  der  baurschaft 
entsetzet  sein“.9)  In  der  gleichen  Weise  ging  man  gegen  die 

')  Stockh.  B.  B.  1783.  Hüat.  B.  B.  26.  Juni  1736. 

“)  Volm.  B.  B.  26.  Aug.  1724. 

3)  Stöckli.  B.  B.  24.  Aug.  1722.  Hilst,  B.  B.  25.  Juni  1736. 

*)  t.  B.  Stockh.  B.  B.  18.  Dez.  1706:  von  1690 — 1706.  Hüst.  B.  B. 
1.  Juli  1737:  von  1720—1737. 

ß)  Stockh.  B.  B.  1778. 

»)  a.  a.  O.  25.  Aug.  1726. 

7)  Hüst.  B.  B.  6.  Doz.  1707.  27.  Juni  1704. 

“)  Stockh.  B.  B.  25.  Aug.  1706. 

•)  a.  a.  O.  25.  Aug.  1683. 


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143 


vor,  die  die  Pacht  noch  nicht  gezahlt1)  oder  den  der  Bauer- 
schaft zugefügten  Schaden  noch  nicht  ersetzt  hatten.2)  Bei 
aussergewöhnlichen  Ausgaben  musste  der  auf  jedes  Mitglied 
fallende  Beitrag  „sub  poena  remotionis  a Burscapia“  bezahlt 
werden,  und  wer  damit  im  Rückstand  blieb,  wurde  ausge- 
schlossen, „bis  dahin  uhraltem  gebrauch  gemees  praestanda 
prästirt“.5)  Ein  Holzdieb  sollte  „der  baurschaftsgercchtigkeit 
privirt  und  davon  verwiesen  weiden,  bis  er  dieserhalb  ein  satt- 
sames  gnüge  geleistet  haben  wird“.4)  Wenn  jemand  seinen 
Genossen  „gröblich  injuriert  und  derentwegen  sich  zu  vergleichen 
ihme  auferleget  worden,  welches  aber  nicht  thun  wollen“,5) 
wurde  er  „so  lang  der  baurschaft  verwiesen,  bis  dahin  sich  mit 
ihm  wegen  ausgegossener  injurien  abgefunden“.6)  Wer  bei 
Gericht  sich  „ungebührlich  gehalten  undt  den  Holzgrewen  dis- 
putirt“,')  wurde  ebenfalls  wegen  der  „dem  zeitlichen  Holz- 
grewen angethanen  undt  ausgegossenen  Injurien  abgewiesen“.8) 
Ein  Angeklagter,  der  sich  vor  dem  Bauergericht  verantworten 
sollte,  wurde  vom  Holzknecht  zitiert  „bey  Verlust  seiner  baur- 
schaft“,9) und  wenn  „er  seinem  Versprechen  nach  sich  mitt 
baurrecht  begnügen  zu  lassen  wiedersetzet  und  nicht  pariren 
oder  die  Herren  Erben  und  Bauern  ad  locum  quaestionis  zu 
begleiten  nicht  würdigen  wollen  und  trutzigen  Gemüthes 
herausgesagt,  dass  er  mitt  der  baurschaft  nicht  zu  tun  hatte“,10) 
wurde  er  ausgeschlossen.  Auch  wer  fortgesetzt  den  Versamm- 
lungen der  Bauerschaften  fernblieb,  ging  des  Bauerschafts- 
rechtes verlustig.11)  Ferner  war  „sowohl  in  eiteren  als  jüngeren 
Zeiten  einliällig  resolvieret  worden,  dass  diejenige,  so  ihr  hohes 
Gehöltz  schädlich  verhaueten,  ja  gahr  die  tragbahrtesten 
Bäume  auswerths  verkauften,  ihr  Bauer-  und  mastgerechtigkeit 

>)  a.  a.  0.  24.  Aug.  1684. 

2)  Hüst.  B.  B.  24.  Juni  1705. 
s)  Volnj.  B.  B.  24.  Aug.  1684. 

HUst.  B.  B.  20.  Nov.  1717. 

*)  Stockh.  B.  B.  27.  Aug.  1678. 

•)  a.  a.  O.  20.  April  1722.  Hüst.  24.  Juni  1710. 

’)  Stöckli.  B.  B.  24.  Aug.  1706. 

“)  a.  a.  0.  24.  Aug.  1683. 

•j  a.  a.  0.  24.  Aug.  1711. 

,0)  Vohn.  B.  B.  4.  Juli  1676. 

"1  St.  B B.  27.  Febr.  17B3. 


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144 


verlustig  seyn  sollten“.1)  Wem  so  „der  baurschaft  sich  zu 
emlteusern  auferlegt  war“,  wurde  dann  „angewiesen,  von 
niwen  zu  gewinnen“.2)  Ueber  den  Ausschluss,  der  von 
sämtlichen  Genossen  beim  Bauergericht  beschlossen  wurde, 
wurde  ein  Protokoll  ausgestellt,-1)  das  „dem  beklagten  per  fa- 
mulum  hinterbracht  wurde“.4) 

Das  Vorgehen  gegen  solche  widerspänstige  Verurteilte, 
die  nicht  Mitglieder  der  Bauerschaften  waren,  soll  bei  Gelegen- 
heit im  folgenden  Abschnitt  behandelt  werden. 


Stadt  und  Bauerschaften 

Das  Stadrecht  war  auf  den  Raum  innerhalb  der  Mauer 
beschränkt,'’)  die  Befestigung  zog  die  Grenze,  wie  weit  sich 
städtische  Rechte  und  Pflichten  erstreckten.6)  In  dem  Ver- 
trage zwischen  Erzbischof  Konrad  von  Köln  und  Simon  von 
Paderborn  vom  20.  August  12’56  einigten  sich  die  beiden 
streitenden  Parteien  dahin,  Salzkotten  und  Geseke  gemeinsam 
zu  besitzen,  soweit  das  „Weichbild“  beider  Städte  reichte,7) 
und  in  dem  Vertrage  zwischen  Erzbischof  Siegfried  von  Cöln 
und  Otto  von  Paderboni  vom  7.  Februar  1287  wurde  dieser 
Weichbildbezirk  bestimmt  durch  die  Mauern,  Wälle  und  Gräben 
beider  Städte.8)  Da  nun  Weichbild  den  Bezirk  bezeichnet,  in 
dem  das  Stadtrecht  gilt,8)  so  erstreckte  sich  das  Stadtrecht 
von  Geseke  nur  über  den  Raum,  der  innerhalb  der  Befestigungs- 

> ) a.  a.  0.  21.  Sept.  1776. 

2)  Stöckli.  B.  B.  13.  Januar  16H0. 

:1)  Hüst.  B.  B.  2G.  Juni  1709. 

4J  Stockb.  B.  B.  24.  Aug.  1711. 

6)  Kuutgen,  Untersuchungen  Uber  den  Ursprung  der  deutschen  Stadt- 
verfassung.  S.  21. 

•)  Below,  Der  Ursprung  der  deutschen  Stadtvarfassung.  S.  20. 
Aehnlich  in  der  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  Histor.  Zoitse.hr. 
Bd.  59  S.  200. 

7)  Wilmans-Finke,  Westf.  Urk.  Buch  IV  No.  GGO.  S.  370:  „oppidutn 
Saltcoten  . . . cum  termino,  quod  dicitur  wicbilide  . . . Simile  erit  de 
oppido  in  Gysike.“ 

8)  a.  a.  O.  No.  1977.  S.  914.  „oppida  tum  Gysike  quam  Saltcoten 
infra  muros  septa  et  fossata  eorumdem.“ 

9)  Kietscbel,  Markt  undt  Stadt.  S.  18G.  Keutgen,  Untersuchungen 
über  den  Ursprung  usw.  S.  79. 


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H r. 


werke  lag.  Daher  unterstanden  die  Bauerschaften,  bevor  sie 
in  die  Stadt  gezogen  waren,  nicht  dem  Stadtrechte,  sondern 
dem  Landrechte,  sie  bildeten  einen  Teil  der  Gografschaft  Ge- 
seke') und  unterstanden  mithin  dem  Gogericht,  nicht  dem 
Stadtgericht.  Als  dann  die  Dörfer  zerstört  wurden  und  die 
Bewohner  sich  in  der  Stadt  anbauten,  fielen  die  eigentlichen 
Rechtssubjekte,  die  Güter  Land,  nicht  in  das  Weichbild, 
sondern  gehörten  ganz  wie  früher  zum  Gogericht.  Denn  das 
Stadtrecht  blieb  auch  jetzt  noch  auf  den  früheren  Bezirk  be- 
schränkt, und  „der  Stadt  Geseke  Feldt-Marck“  unterstand  auch 
fernerhin  dem  Gogericht  Geseke.  Wie  die  Dörfer  Störmede, 
Mönninghausen,  Bönninghausen,  Ehringhausen,  Langeneike, 
Ermsinghausen,  Esbeck,  Dedinghausen  und  Rixbeck  zum  Hoch- 
und  Gogericht  Geseke  gehörten  und  in  diesem  Bezirk  „die 
Brachten  an  dem  Gogericht  Geseke  erthätiget“  wurden,  ebenso 
dehnte  sich  das  Gogericht  auch  über  die  Feldmark  der  Stadt 
Geseke  aus  und  „die  Brüchten,  so  in  der  Stadt  Geseke  Feldt- 
marck  an  dem  Gogericht  fielen,  sollten  dem  Churfürsten  als 
dem  Landt- Fürsten  Vorbehalten  sein  und  bleiben“.'2)  Daher 
sei  noch  einmal  mit  Nachdruck  betont,  dass  das  Gebiet,  auf 
dem  früher  die  Bauerschaften  standen,  auch  weiterhin  in  den 
Bezirk  des  Gogerichts  fiel,3)  dass  dagegen  das  Stadtrecht  auf 
den  von  der  Befestigung  eingeschlossenen  Raum  beschränkt 
blieb.  Nun  waren  die  eigentlichen  Rechtssubjekte  der  Bauer- 
schaften die  Hufen  und  nach  dem  Ausscheiden  der  Huden  aus 
den  Bauerschaften  die  „Güter  Land“,  die  auch  ferner  in  den 
Bezirk  des  Gogerichts  fielen.  Daher  unterstand  die  Gesamt- 
heit dieser  Güter  d.  h.  eine  Bauerschaft  nicht  dem  Stadt- 
gerichte, sondern  dem  Hoch-  und  Gogerichte  Geseke.  Manche 
Tatsachen  aus  der  Geschichte  der  Bauerschaften  beweisen 
diese  Behauptung.  Bis  zu  ihrer  Auflösung  mussten  die  Bauer- 


')  Seibertz,  Urkundeti-Bucb.  I.  No.  484.  S.  BIS  (um  1300):  Item  ju- 
diciutn  Uograviat.ua  in  Geseke  extendit  se  auper  V parochias. 

*)  Nach  dem  Jurisdiktionsrezess  zwischen  Churfürst  Salentin  und  der 
Familie  von  Hürde  zu  Stürmede  vom  20.  Februar  1577.  Seibertz,  l’rk.- 
Buch.  III.  No.  1029.  S.  261  ff. 

3)  Ebenso  „wurde  das  Gohgericht  den  mitten  durch  den  Bezirk 
gehenden  Landwehren  der  Stadt  Lüneburg  gegenüber  von  den  Herzogen 
ausdrücklich  geschützt".  Hammerstein-Loxten,  Der  Bardcugan.  S.  321. 

I.npp»*.  Oie  t llanitoHtsfliit  10 


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146 


schäften  die  „Cburfürstliche  Gogreben  haber“1)  an  das  Go- 
gericht  abliefern,  ursprünglich  „zur  Fütterung  der  Pferde  des 
das  Gericht  abhaltenden  Herzogs  oder  seines  Vertreters“,-) 
„das  einer  fri  sie  in  sinem  hus  und  hof,  das  in  nieman  darin 
schmähe,  Überlauf  noch  benotte“.3)  Hüstede,4)  Heringhausen,4) 
Stalpe,ß)  Holthausen')  und  Stockheini8)  mussten  je  12  Scheffel 
liefern,  „so  churfürstl.  H.  Richtern  jährlich  zahlet  werden 
mussten“.’)  Dieses  Quantum  musste  von  den  einzelnen  zu 
einer  Bauerschaft  gehörenden  Gütern  in  gleich  grossen  Teilen 
aufgebracht  werden,  so  dass  z.  B.  bei  Stalpe  jedes  Gut  7 '/* 
Becher  Hafer  lieferte.10)  Die  Bauerglieder  mussten  den  zu 
entrichtenden  Teil  an  einem  bestimmten  Tage  in  der  Wohnung 
des  Vormunds  Zusammentragen,  wobei  ihnen  „ein  driling  bier 
presentirt  wurde“.11)  Der  Vormund  musste  diese  Gografen- 
hafer  an  die  Zahlstelle  abliefem,  und  „die  Quittung  der  chur- 
fürstlichen  Herren  Richter  sollte  den  baurprotokoll  eingelegt 
werden“.12)  Selbst  nachdem  das  Herzogtum  Westfalen  an 
Hessen-Darmstadt  und  dann  an  Preussen  gefallen  war,  wurde 
die  Gogrebenhafer  noch  weiter  entrichtet.11)  Da  „sich  die  Zu- 
ständigkeit des  Landgerichts  auf  alles  in  der  Grafschaft  be- 
legene  Eigen  erstreckte“,14)  und  die  Gogerichte  an  die  Stelle 
der  Landgerichte  getreten  waren,14)  so  wandten  sich  streitende 
Parteien  bei  Prozessen  um  ein  Stück  Land  an  das  Churfürst- 
liche Gericht  zu  Geseke,  und  nach  gefallener  Entscheidung 
meldete  sich  die  eine  Partei  bei  der  Bauerschaft,  dass  ihr 

*)  Stöckli.  B.  B.  5.  Juli  1708. 

*)  Hammerstein-Loxten,  a.  a.  O.  S.  338. 

3)  (trimm,  Weistiimer,  I,  8.  150  bei  Tliudichum,  Gau-  und  Markver- 
faasung.  8.  150. 

•)  HUst.  B.  B.  6.  Dez.  1736. 

*)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1723. 

«)  8t.  B.  B.  14.  Dez.  1718. 

7)  Stöckli.  B.  B.  25.  Aug.  1721. 

8)  Holtli.  B.  B.  10.  Okt.  1784. 

>)  t.  t.  O.  23  Juli  1730. 

“)  St.  B.  B.  24.  Aug.  1746. 

»)  a.  a.  O.  14.  Dez.  1718. 

l3)  Stöckli.  B.  B.  24.  Aug.  1723. 

ls)  a.  a.  O.  18.  Juni  1819. 

u)  Schröder,  Deutsche  Rechtageschichte.  8.  559 

“)  a.  a.  O.  S.  603. 


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147 


„solches  streitige  Stücke  vom  Churfürstlichen  Gericht  zuer- 
kandt“1)  sei.  Von  den  Dorfgerichten  gingen  Appellationen  an 
das  Gogericht.2)  Wenn  daher  ein  von  den  Bauerschaften  Ver- 
urteilter ohne  Grund  bestraft  zu  sein  glaubte,  appellierte  er 
an  das  Gogericht  zu  Geseke,  das  dann  von  den  Bauerschaften 
Bericht  einforderte.  „Worauff  dem  Herrn  Gografen  das  pro- 
tokollum  sowohl  alt  als  new  vorgelegt  und  dargethan  wurde, 
dass  die  Bauerschaft  in  Uhralter  observantz  und  possession 
«lie  in  Ihrem  Distrikt  geschehenen  Excesse  zu  bestrafen  habe“, 
so  dass  das  Gogericht  es  bei  der  verhängten  Strafe  liess.3) 
In  einem  Streite  zweier  Interessenten  um  die  Mastnutzung 
„schickte  churfürstlicher  Richter  per  pedellum  pönal  befehl, 
bey  10  ggd  straf  (den  einen)  nicht  zuzuiassen,  sondern  dafür 
einkommende  Gelder  einzuhalten“.4)  Ebenso  wandten  sich  die 
Bauerschaften  an  das  Gogericht,  wenn  Verurteilte  sich  dem 
Bauergericht  widersetzten  und  die  verhängte  Strafe  nicht 
zahlen  wollten,  und  die  „Execution  erfolgte  durch  churfürst. 
H.  Richter“.'*)  Wenn  ein  Angeklagter  vor  der  Bauerschaft 
nicht  erscheinen  wollte,  w*urde  „auf  dessen  Kosten  H.  Gograf 
ersucht“.8)  Wollten  die  Erben  eines  verstorbenen  Holzgrafen 
die  bauerschaftlichen  Urkunden  und  Bücher  nicht  herausgeben, 
wurde  derselbe  Weg  von  den  Bauerschaften  eingeschlagen,  und 
„auf  andeutuugh  der  Execution  von  Churfürstl.  H.  Richter 
wurden  die  Briefschaften  und  Rullen  extradirt“.7)  Die  Bauer- 
schaften hatten  nicht  das  Recht  der  Execution,  und  eintretenden 
Falls  musste  daher  von  ihnen  ,jede  Obrigkeit  dieses  Ohrts 
vermöge  Churfürstl.  privilegio  baurschaft  dato  ad  Exequendum 
ersuchet“ 8)  werden.  Also  jede  Obrigkeit  in  der  Stadt  Geseke 
sollte  den  Bauerschaften  gegen  Widerspänstige  beistehen.  Die 
eine  Obrigkeit  haben  wir  schon  kennen  gelernt,  es  war  das 


’)  Volm.  B.  B.  7.  Januar  1685. 

2)  Tkudichum.  Gau-  und  Harkrerfassuug.  S.  78.  I/iw,  Markgenossen- 
schaften. S.  230. 

s)  Höst.  B.  B.  21.  Juli  1705. 

<)  St.  B.  B.  28.  Sept.  1723. 
s)  Höst.  B.  B.  7.  Sept.  1752. 

•)  St.  B.  B.  2.  Märe  1723. 

1)  Stöckli.  B.  B.  8.  Juni  1681. 

*)  a.  a.  O.  21.  Juli  1682. 

in* 


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148 


Gogericht,  die  andere  war  die  Stadt  selbst  bez.  deren  Ver- 
treter, Bürgermeister  und  Rat,  und  durch  diese  wurde  die  erste 
allmählich  ganz  bei  Seite  gedrängt. 

Nach  dem  Aufbau  der  Bauerschaften  in  der  Stadt  waren 
die  Besitzer  der  Bauerschaftsgüter  bezw.  deren  Vertreter 
Bürger  geworden,  sie  unterstanden  also  dem  Stadtgericht. 
Wie  sich  daher  die  Bauerschaften  gegen  Holzdiebe,  die  in 
fremden  Gerichtsbezirken  wohnten,  an  das  betreffende  Gericht, 
z.  B.  das  Boker  Friedensgericht  gegen  Holzdiebe  aus  Verlar 
wandten,1)  so  pflegten  sie  gegen  Delinquenten  aus  Geseke,  die 
sich  wegen  Holzdiebstahls  „noch  nicht  abgefunden  hatten,  die 
Manutenentz  beim  Magistratgerichte  nachzusuchen“.2)  Wenn 
jemand  von  seinem  Nachbar  in  den  Wiesen  durch  Abmähen 
beschädigt  war,  wurde  er  von  der  Bauerschaft  „befugt,  weil 
beklagter  das  hew  bereitz  fertig,  selbigem  durch  Bürgermeister 
und  Rath  verbietlien  zu  lassen  bis  austragh  der  Sachen“.3) 
Gerade  wie  sich  die  Bauerschaften  bei  Widerspänstigkeit  Ver- 
urteilter an  das  Gogericht  wandten,  ebenso  „sollte  regierender 
H.  biirgermeister  pro  executione  demanda  ersuchet  werden“4) 
oder  „pro  facienda  executione  requiriret  werden“5)  oder  „pro 
venundanda  executione  ersuchet  werden“.6)  Wenn  ein  in 
fremdem  Gerichtsbezirk  wohnender  Verurteilter  sich  in  Geseke 
sehen  liess,  wurde  der  Bürgermeister  beauftragt,  ein  Pferd  bis 
zur  Zahlung  der  Strafe  zu  arrestieren,7)  oder  gar  der  Frevler 
selbst  wurde  ausgeliefert  und  Bürgermeister  und  Rat  „ersucht, 
der  baurschaft  zu  ihrem  schaden,  Kosten  und  brüchten  zu  ver- 
helffen“.6)  Mit  dem  gleichen  Rechte  wie  an  das  Gogericht 
konnte  von  den  Bauergerichten  an  das  Stadtgericht  appelliert 
werden.9)  Als  bei  Hüstede  die  Erben  und  Heuerlinge  wegen 

>)  Stockh.  B.  B.  7.  März  1709.  14.  Mai  1828. 

2)  Volm.  B.  B.  21.  April  1807. 

3)  a.  a.  O.  21.  Mai  1716. 

‘)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1711. 

6)  Volm.  B.  B.  24.  Aug.  1771. 

*)  Hüst.  B.  B.  10.  Februar  1796. 

J)  a.  a.  0.  21.  Juli  1705. 

8)  St.  B.  B.  2.  Januar  1706. 

9)  Gleiche  Erscheinungen  in  Herford  bei  Ilgen,  Herforder  Stadt-  und 
Gerichtsverfassung,  S.  60,  in  Rüthen  bei  Bender,  Gesohichte  der  Stadt 
Rüden,  S.  139  und  Köln  bei  Wrede,  Bauernbänke,  S.  45.  So  wurde  zu 


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149 


der  Wahl  des  Vormunds  in  8treit  geraten  waren  und  die 
Erben  eigenmächtig  einen  Holzgrafen  aus  ihrer  Mitte  wählten, 
erklärten  die  Heuerlinge,  sie  „wollten  ad  superiorem  Holtz- 
gravium  scilicet  zn  Herrn  Bürgermeister  und  Rath  provo- 
ziren“.1)  Ein  Verurteilter,  der  bei  Grenzstreitigkeiten  Un- 
recht erlitten  zu  haben  glaubte,  „protestirte  von  allem,  konnte 
sich  darzu  nicht  einlassen,  wollte  diese  Sache  coram  magistratu 
ausmachen“,2)  ein  anderer  „protestirte  und  wollte  sich  in 
omnem  eventum  den  recurs  ad  magistratuni  Vorbehalten“.3) 
Ebenso  gingen  die  Bauerschaften  gegen  solche  Delinquenten, 
die  „die  Klage  negirten“,  beim  Stadtgericht  vor,  damit  „die 
Sache  beym  H.  brgstr.  und  Rath  ausgemacht  würde“.4)  Wenn 
eine  Bauerschaft  mit  jemand  um  ein  Stück  Land  in  Streit  ge- 
riet, wurde  die  Sache  „bei  Bürgermeister  und  Rat  in  einem 
gerichtlichen  Streit“  entschieden,5)  und  erst  wenn  der  Ma- 
gistrat der  einen  von  zwei  streitenden  Parteien  ein  Stück 
Land  zuerkannt  hatte,  durfte  die  Bauerschaft  der  siegenden 
Partei  „zu  dem  ihrigen  verhelfen“.6) 

Somit  stand  bei  Appellationen  ein  doppelter  Weg  offen, 
ans  Gogericht  und  Stadtgericht.  Daher  erklärten  Appellanten 
häufig  vor  dem  Bauergericht,  sie  „wollten  und  müssten  sich 
bey  hoher  Obrigkeit  beschwehren“,7)  ohne  die  höhere  Instanz 
zn  nennen.  Ebenso  wollten  die  Bauerschaften  „zu  effektuierung 
(der  Strafe)  executionem  a superioribns  imploriren“8)  oder  „an 
höhere  obrigkeit  klagen“6)  u.  a.  m.,  ohne  Angabe  der  höheren 
Instanz. 


Stalpe  ala  Recht  gewiesen  (St.  B.  B.  ‘23.  Aug.  1722),  dasa  „anwesenden 
H.  Erben  und  Bauren  nicht  anders  bewusst,  als  dass  H.  Bürgermeister 
nnd  Rhat  als  oberholtzgraf  jederzeit  erkannt  derrgestalteu,  fahls  einer  am 
baurgericht  beschwehrt,  au  U.  Bürgermeister  und  Uliat  sein  recursnm  zu 
nehmen  frey  stehe.“ 

>)  Hüst.  B.  B.  6.  Juni  1706. 

a)  Vota.  B.  B.  4.  Aug.  1714. 

3)  St.  B.  B.  18.  Febr.  1796. 

*)  Volm.  B.  B.  20.  März  1783. 

5)  Httst.  B.  B.  27.  Juni  1718. 

*)  Stockh.  B.  B.  16.  Sept.  1692. 

■)  HUst.  B.  B.  24.  Juni  1704.  24.  Juni  1705. 

8)  a.  a.  0.  24.  Juni  1713. 

»)  Stockh.  B.  B.  6.  März  1693. 


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150 


Wer  mit  dem  Urteil  dieser  Instanzen  noch  nicht  zufrieden 
war,  appellierte  entweder  an  das  Offizialgericht  zu  Werl  oder 
an  die  Regierung  zu  Arnsberg.1)  Dagegen  finden  sich  keine 
Appellationen  an  das  Rüdener  Gericht  als  den  Oberhof  von 
Geseke,'2)  wie  solche  sonst  allgemein  üblich  waren.3)  Ein 
wegen  Holzfrevels  bestrafter  Delinquent  appellierte  nach  Werl,4) 
ein  anderer,  der  wegen  einer  Strafe  executiert  war,  nach 
Arnsberg,5)  ebenso  ging  in  einer  Streitsache  um  einen  Graben, 
wem  nämlich  die  ausgeworfene  Erde  gehören  sollte,  Appellation 
nach  Arnsberg.®)  Wenn  bei  Teilgütern  Verwirrung  in  der 
Reihenfolge  eintrat  und  sich  eine  Partei  bei  der  Entscheidung 
der  Bauerschaft  nicht  beruhigen  wollte,  zog  sich  der  Streit 
zuweilen  jahrelang  hin  und  kam  „ad  curiam  Archiepiscopalem 
Werlensem“.7) 

Diese  Gerichte,  das  Gogericht  und  Stadtgericht  zu  Geseke, 
das  Offizialat  zu  Werl  und  die  Regierung  zu  Arnsberg,  kamen 
nur  als  Appellationsinstanzen  in  bauerschaftlichen  Sachen  in 
Betracht,  sie  durften  sich  jedoch  keinen  Eingriff  in  die  Rechte 
der  Bauerschaften  erlauben  und  vor  allem  keine  Klagen  an- 
nehmen, die  nicht  zuvor  bei  der  Bauerschaft  verhandelt  worden 
waren.  Die  Bauerschaften  mussten  sich  besonders  forgesetzt 
der  Eingriffe  seitens  des  Bürgermeisters  erwehren.  Wenn  die 
Stadt  ohne  Erlaubnis  auf  bauerschaftlichem  Grunde  einen 
Baum  gehauen  hatte  und  deshalb  bei  höherer  Instanz  von  der 
Bauerschaft  belangt  worden  war,  musste  sie  sich  wie  jeder 
andere  Delinquent  zu  einem  Vergleiche  herbeilassen  und  ver- 
sprechen, künftig  ähnliches  nicht  wieder  zu  tun.8)  Am  schärfsten 
gingen  die  Bauerschaften  gegen  Eingriffe  in  das  jus  finium  re- 
gundorum  vor.  Kam  dem  Holzgraf  etwas  derartiges  zu  Ohren, 
so  liess  er  sofort  die  Bauerschaft  Zusammenkommen,  und  „weilen 

*)  Steinen,  Weatf.  Geschichte.  St.  30.  S.  1083.  cap.  VI. 

*)  Seibertz,  Urk.-Buch,  II,  No.  851  S.  625.  31.  Juli  1377.  „Qnod  a 
aententiia  judicia,  proconsulum  et  congulum  opidi  in  Geaecke  appeliari 
poasit  et  debeat  ad  judiciuin  opidi  in  Huden.“ 

*)  Schröder,  Rechtageacbichte.  S.  631. 

4>  Voltn.  B.  B.  29.  Sept.  1783. 

*)  Stöckli.  B.  B.  24.  Uärz  1684. 

•)  a.  a.  O.  24.  März  1684. 

’)Hügt.  B.  B.  24.  Juni  1719.  24.  Juni  1747. 

8)  Stockh.  B.  B.  24.  Aug.  1710.  16.  Dez.  1780. 


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151 


inan  befunden,  dass  die  baurschaft  in  ihrem  hergebrachten  jure 
finium  regundorum  mercklich  lädirt  und  aucli  sonsten  wegen 
der  brächten  högst  gravirt,  als  wurde  einhellig  concludirt,  dass 
von  solches  Urteil  a die  notitiae  appellirt“1)  und  in  dieser 
Sache  „processus  appellatorius  ausgebracht  und  H.  Offlciali 
Werlensi  als  judici  a quo  insinuirt“2)  werde.  Einen  ähnlichen 
Vorgang  meldet  dasselbe  Bauerschaftsbuch  aus  dem  Jahre 
17633):  „Weilen  in  praejudicium  Burschapiae  im  Herbts  1763 
der  (N  l)  contra  (N  2)  in  puncto  des  Abpflügens  bey  bürger- 
meyster  und  Rhath  Klage  geführt,  dan  auch  der  Augenschein 
ohne  Vorwissen  der  bawrschaft  durch  zweyen  Rhathsgliedern 
eingenommen  worden,  der  (N  2)  auch  darüber  ad  curiam  citirt 
worden,  so  hat  zeitiger  H.  Holzgräve  — da  er  diesen  actum  er- 
fahren — dajejen  solemnissime  protestiren  lassen,  dem  (N  2) 
auch  durch  den  bawrknecht  bedeuten  lassen,  ad  curiam  dies- 
falls nicht  zu  erscheinen  bis  auf  weiterer  Verordnung,  welchem 
(N  2)  auch  comparirt.  Wie  nun  das  jus  finium  regundorum  denen 
bawrschaften  absolute  competirt,  so  habe  (sc.  der  Holzgraf) 
diesfahls  nahmens  der  baurschaft  diesen  recessum  übergeben“.4) 
In  gleicher  Weise  wehrten  sich  die  Bauerschaften,  wenn  die 
Stadt  im  Bauerschaftsgebiet  eigenmächtig  einen  Weg  angelegt 
hatte.  Als  einmal  Bürgermeister  und  Rat  am  Prövenholz 
eine  Trift  abgestochen  hatten,  wurden  beim  Bauergericht  „die 
Herren  Erben  und  Bauern  einer  nach  dem  andern  befraget, 
ob  ihnen  bewusst,  dass  bei  ihrem  lebtag  eine  drift  vom  Rosen- 
garten bis  Prövenholz  umb  dis  holtz  gekannt  oder  gesehen 
hatten,  überlegt,  dan  ausgesagt,  das  sie  fill  undt  oftmahl  ge- 
pflüget,  gangen  und  gewandelt,  nimahls  aber  eine  Drift  ge- 


*)  Volm.  B.  B.  16.  März  1692. 

3)  a.  a.  0.  19.  Januar  1698. 

3)  a.  a.  O.  1763.  Gleiche  Protestationen  der  Stalper  Bauerschaft 
gegen  solche  Eingriffe  am  30.  Juni  1767  und  26.  März  1791,  auf  die  hin 
der  Magistrat  die  Besichtigung  nuterliess.  Wenn  trotzdem  eine  Besichtigung 
vorgenommen  wurde,  dann  „vesolvirton  die  Bauerglieder,  dass  diese  Sache 
gehörigen  orths  angezeiget  und  prosequirct  werden  solle".  (St.  B.  B. 
20.  Mai  1777.)  Bei  solchen  Eingriffen  „fand  die  Bauerschaft  sich  genötigt, 
Kurfürstliches  gericht  zu  Geseke  geziemend  zu  requiriren“.  (St.  B.  B. 
23.  Okt.  1801.)  Gewöhnlich  gingen  die  Beschwerden  nach  Werl. 

4)  lieber  den  Verlauf  eines  solchen  Prozesses  einer  Bauerschaft  gegen 
den  Kat  der  Stadt  Geseke  vergl.  Anlage  II. 


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152 


sehen,  weniger  davon  vestigia  vorhanden,  sondern  es  wehren 
die  länder  bis  ans  holtz  allzeit  gesät,  undt  weilen  die  Baur- 
schaft  das  jus  finiuni  regundorum  von  undcrschiedlichen  Jahren 
hergebracht,  wollen  pro  conservatione  juris  sic  von  solchen  usu 
protestirt  haben“.1)  Dagegen  durften  Bürgermeister  und  Rat 
bei  Appellationen,  die  wegen  Grenzstreitigkeiten  vom  Bauer- 
gericht an  sie  ergangen  waren,  eine  Ortsbesichtigung  im  bauer- 
schaftliclien  Distrikt  vornehmen,  aber  nur  in  Begleitung  des 
Vorstandes  der  betreffenden  Bauerschaft.-)  Ebensowenig 
duldeten  die  Bauerschaften  einen  Eingriff  in  ihre  inneren  An- 
gelegenheiten wie  die  Wahl  eines  Holzgrafen.  Als  ein  Holz- 
graf gestorben  war,  hatten  Bürgermeister  und  Rat  von  den 
Erben  „Bauerbücher  und  Protokolle  per  Deputatos  ex  ma- 
gistratu  abforderen  lassen  undt  so  stündtlich  sich  extradiren 
wollen  lassen.“  Auf  eine  Anzeige  kamen  sofort  einige  Bauer- 
schaftsglieder zusammen  und  protestierten  gegen  diese  Gewalt- 
tätigkeit. Als  dann  aber  „solche  Protestation  ohnaugesehen 
Bürgermeister  und  ratli  wiircklich  mit  Zuziehung  der  Schützen 
die  bauerbücher  und  Protokolle  abholen  lassen  wollen,  undt 
dan  wiircklich  durch  einen  Kleinschmidt  die  Schäppe  eröffnet 
werden  wollen,  hatte  (die  Witwe)  für  sich  undt  nahmens  der 
baurschaft  dagegen  noehmahlen  protestirt  und  solche  gewaldt 
nicht  zugeben  wollen“.  Daraufhin  war  der  Bürgermeister  ab- 
gezogen, hatte  aber  gedroht,  wenn  die  Bücher  nicht  bis  Mittag 
abgeliefert  wären,  dass  dann  die  Erben  „den  nachmittag  darzu 
durch  schärfere  Execution  vermögt  werden  sölten“.  Als  dann 
die  Bauerschaft  noch  einmal  zusammengekommon  war,  gab  sie 
den  Erben  den  Befehl,  die  Bücher  ihr  auszuliefern,  und  er- 
klärte feierlich,  es  solle  „die  wähle  eines  ueuwen  Holzgrafen 
nicht  vor  bürgermeister  und  rath,  sondern  auf  ihrem  gewöhn- 
lichen platz  zur  Zeit,  wan  es  den  Herren  Erben  und  bauer- 
gliedern beliebig,  vorgenohmeu  werden,  undt  könnten  sie  sich 
von  Seiten  H Bürgermeister  und  Rath  kein  gesätz  geben  oder 
einen  modum  eligendi  präscribiren  lassen“.  Darauf  wurde  be- 
schlossen, wegen  dieses  Vorgehens  gegen  die  Bauerschaft  Be- 
schwerde beim  Offizialat  zu  Werl  einzureichen.3)  Auf  eine 


')  Stöckli.  B.  B.  24.  Aug.  1699. 
a)  St.  B.  B.  24.  Dez.  1756. 

3J  Stockh.  B.  B.  17.  Mai  1751. 


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153 


gleiche  Beschwerde  der  Stälper  Bauersehaft  hin  entschied 
Werl,  dass  Bürgermeister  und  Rat  sich  in  die  Wahl  des  neuen 
Holzgrafen  nicht  einmischen,  auch  von  den  Erben  verstorbener 
Holzgrafen  die  Bauerschaftsbücher  nicht  einfordern  dürften.1) 
In  derselben  Weise  wehrten  sich  die  Bauerschaften  gegen 
Eingriffe  seitens  der  Grundherrschaft,  des  Stiftes  zu  Geseke. 
Als  einmal  die  Aebtissin  bei  einem  Grenzstreit,  der  ihre  Meier 
anging,  die  Parteien  zitieren  Hess,  verbot  die  Bauerschaft  bei 
Verlust  des  Bauerschaftsrechtes,  der  Vorladung  Folge  zu 
leisten.2) 

So  sahen  sich  denn  Bürgermeister  und  Rat  gezwungen, 
die  Unabhängigkeit  und  Selbständigkeit  der  Bauerschaften  an- 
zuerkennen und  dem  entsprechend  mit  ihnen  als  zum  Teil  eben- 
bürtigen Gewalten  zu  verkehren.  Wenn  die  Stadt  zum  Bau- 
holz einen  Eichbaum  nötig  hatte,  waudte  sie  sich  wie  jeder 
Bittsteller  mit  einem  Gesuche  an  die  Bauerschaft, :i)  und  wenn 
jemand  bei  Bürgermeister  und  Rat  um  junge  Eichen  auhielt, 
wurde  er  au  eine  Bauerschaft  verwiesen,  wobei  die  Stadt- 
vertretung das  Gesuch  nur  befürworten  konnte.4)  Als  sich  einmal 
ein  Auswärtiger  wegen  eines  in  seinem  Achtwerk  geschehenen 
Holzdiebstahls  mit  einer  Anzeige  an  den  Bürgermeister  wandte, 
Hess  dieser  die  Sache  der  betreffenden  Bauerschaft  zur  Unter- 
suchung und  Bestrafung  zugehen, •’’)  und  eine  andere  ähnliche 
Angelegenheit  wurde  „dan  auch  von  damahligen  regierenden 
Bürgermeister  zu  untersuchen  hiesigem  H.  Holzgraf  und  baur- 
schaft  nach  hergebrachten  privilegiis  committirt“.6)  Es  war 
ein  feststehender  Grundsatz:  „dass  jeder  Zeit  Bürgermeister 
und  Rat  dahier  in  den  Fall  man  zu  fordeist  Klage  wegen 
baurschaftlichen  Sachen  vor  der  baurschaft  introducirt,  daselbst 
die  Sache  warten  lassen  müsse,  were  dan  ein  oder  ander  theil 
dabey  beschwert,  so  könnten  gravati  ihre  media  appellationis 
an  Herrn  Bürgermeister  und  Rath  vornehmen“.7)  In  gleicher 


')  St.  B.  B.  19.  Mai  1752. 
s)  a.  a.  O.  30.  März  1705. 
s)  Stöckli.  B.  B.  8.  Juli  1683. 

*)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1692. 

5)  Hiist.  B.  B.  23.  Januar  1714. 
“)  Volrn.  B.  B.  21.  Mai  1716. 

7)  a.  a.  O.  24.  Aug.  1722. 


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154 


Weise  wurden  von  der  Regierung  zu  Arnsberg  Kläger  „zu 
dem  uhralten  privilegirten  Gericht  remittirt“  >)  und  die  „Streit- 
sache an  hiesiges  baurgericht  ut  forum  competens  remittirt“.1) 
Das  Offizialatgericht  zu  Werl  hatte  auf  eine  Beschwerde  der 
Stälper  Bauerschaft  gegen  Bürgermeister  und  Rat  zu  Geseke 
folgenden  Bescheid  gegeben:  „In  Sachen  der  Stälper  baurschaft 
zu  Geseke  Impetraten  eins,  gegen  uud  wieder  bürgermeister 
und  Rath  zu  Geseke  Inipetranten  anderentheils,  wird  aus  reprä- 
sentirten  acten  zu  recht  erkant,  das  impetrante  bey  den  her- 
beygebrachten  jure  in  causis  finium  privative  zu  cognosciren, 
zu  schützen  undt  zu  manuteniren,  forth  impetraten  sich  dar- 
unter all  ferner  turbation  undt  beeinträchtigung  /:  wie  durch 
den  in  Sachen  des  Camerarii  Stolman  ctra  Beiner  erkant-  und 
abgehaltenen  augenschein  geschehen  :/  zu  enthalten  schuldig“.2) 
Nur  wenn  ein  Delinquent  wiederholt  gefrevelt  und  trotz  der 
Strafen  sich  nicht  gebessert  hatte,  so  dass  „anzunehmen  war, 
dass  er  incorrigibel  undt  sich  ahn  der  ihm  ahn  diktirter  Straf 
nicht  abschrecken  und  in  der  Bösheit  vertiertet“  wäre,  bat  der 
Bürgermeister  die  Bauerschaft,  „diesen  frevelmut  dem  fisco 
civitatis  zu  recommandiren,  damitt  künftighin,  dah  der  Be- 
klagter sich  ahn  der  jetzo  gesetzter  und  künftig  setzender 
newen  Schnatt  wieder  vergreifen  würde,  am  Leibe  abgestrafet 
werden  möge“.3) 

Im  Laufe  der  Zeit  hatte  es  jedoch  die  Stadt  auch  zu 
einer  gewissen  Herrschaft  über  die  ganze  Feldmark  gebracht. 
Die  Schafweide  ging  die  Stadt  an.  Die  Flur  war  in  mehrere 
Bezirke  geteilt,  die  von  dem  Bürgermeister  an  Schäfer  ver- 
pachtet wurden.4)  Ebenso  wurden  die  Schweine  der  Stadt, 
die  zu  diesem  Zwecke  in  zwei  Bezirke  geteilt  war,  auf  die 
ganze  Feldmark  von  zwei  Schweinehirten  getrieben.  Auch  die 
Jagd  war  an  die  gesamte  Stadt  übergegangen,  und  daher 
„hatte  die  gantze  Stadt  ein  wolfes  jagt  durchs  gantze  Stälper- 
holtz  gehalten  und  hinter  dem  Schweinestall  westseits  ein 
wildtschwein  aufgejagt,  geschossen  und  gefangeu,  dessen  langede 
6 fuss  — höhe  3'/9  fus.  Ist  unter  Bürgermeister  und  Raht 

')  Stockh.  U.  B.  24.  März  1684. 

2)  a.  a.  0.  15.  Dez.  1769. 

3)  Hüst.  B.  B.  28.  Januar  1714. 

*}  Dies  uuil  das  folgende  nach  Mitteilungen  alter  Leute. 


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155 


verteilt  worden“.’)  Die  auf  der  Grenze  der  Feldmark  fliessenden 
Bäche  gehörten  der  Stadt,  die  davon  die  Fischpacht  bezog. 
Dafür  musste  sie  auch  die  Brücken  und  Schemme,  die  darüber 
führten,  unterhalten.'2) 

Auch  die  Tatsache,  dass  die  Besitzer  der  Bauerschafts- 
güter Bürger  der  Stadt  waren  und  dem  Stadtgericht  unter- 
standen, musste  im  Laufe  der  Zeit  zu  einer  gewissen  Ober- 
gewalt der  Stadt  über  die  Bauerschaften  führen.  Wir  sahen 
schon,  dass  vom  Bauergericht  an  das  Stadtgericht  appelliert 
werden  konnte.3)  Bürgermeister  und  Rat  waren  der  Ober- 
holzgraf,4) und  wenn  ein  Holzgraf  zu  Volmede  starb,  sollte 
der  regierende  Bürgermeister  „als  Oberholzgrafe“  bis  zur  Neu- 
wahl dieses  Amt  bekleiden.3)  Bürgermeister  und  Rat  hatten 
das  Interesse  der  ganzen  Stadt  gegen  den  kurzsichtigen  Egois- 
mus der  Bauerschaften  zu  vertreten.  Besonders  bestand  die 
Gefahr,  dass  man,  wie  überhaupt  im  17.  und  18.  Jahrhundert8), 
schonungslos  mit  den  Wäldern  umging,  ohne  an  die  nach- 
folgenden Generationen  zu  denken,  so  dass  „dieses  den  Abgang 
des  Bauholtzes  verursachte,  wan  wider  Verhoffen  ein  Brand 
in  der  Stadt  entstünde“.  Daher  wandte  sich  der  Bürgermeister 
gegen  ein  rücksichtsloses  Abholzen  der  Wälder  an  die  Regierung 
zu  Arnsberg.7)  Aus  dem  gleichen  Grunde  wurden  Verbote  der 
Bauerschaften,  die  in  Zuschlag  gelegten  Wälder  zu  betreiben, 
von  Bürgermeister  und  Rat  bekräftigt.8)  Ebenso  gab  die  Stadt- 
behörde auf  Grund  höherer  Weisuug  den  Bauerschaften  Befehl, 
die  Wege  auszubessern9)  und  „die  sembliche  in  ihren  Districkten 
befindlichen  Driftwegen  ohn  betzüchlich  alten  gebrauche 
nach  mit  Pfählen  oder  steyne  abzuschnaden“.10)  Wollten  die 
Bauerschaften  diesen  Befehlen  nicht  nachkommen,  wurden  sie 

*)  Volm.  B.  B.  22.  Dez.  1684. 

*)  Stockh.  B.  B.  10.  Mai  1810.  19.  April  1722.  30.  Mai  1806. 

3)  S.  o.  S.  148. 

«)  Hüst.  B.  B.  21.  Okt.  1706.  Volm.  B.  B.  28.  Juli  1754. 

4)  Volm.  B.  B.  4.  Juli  1676. 

*)  y.  d.  Goltz,  Geschichte  der  deutschen  Landwirtschaft,  II.  S.  271. 

7)  Stockh.  B.  B.  12.  Februar  1780. 

*)  Stockh.  B.  B.  4.  Aug.  1702.  Volm.  B.  B.  26.  Aug.  1731. 

•)  Volm.  B.  B.  29.  Nov.  1721. 

I0)  Stockh.  B.  B.  11.  Mai  1810. 


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156 


bei  der  Regierung  zu  Arnsberg  angezeigt.’)  Auch  bei  Ver- 
käufen bauerscbaftlichen  Grundes  widersetzte  sich  der  Magistrat 
und  verbot  den  Verkauf.2)  Einen  gewissen  Einfluss  auf  die 
Feldmark  erlangte  die  Stadt  auch  dadurch,  dass  der  auf  die 
Länder  gelegte  Schatz  an  die  Stadt  gezahlt  werden  musste. 
Dadurch  war  die  Stadt  zur  Anlage  eines  Grundbuches  ge- 
zwungen, und  bis  zum  19.  Jahrhundert  hat  sie  die  Grundbuch- 
sachen in  der  Hand  gehabt.  Daher  mussten  Auflassungen 
selbst  in  der  Feldmark  vor  dem  Stadtgerichte,  nicht  aber  vor 
dem  Bauergerichte  erfolgen.-'’)  Wenn  bei  einem  Streit  nicht 
gewiss  war,  ob  das  Land  „vormahls  dlvidirt  oder  noch  indivisus 
seye,  wurden  partes  wider  ad  magistratum  verwiesen,  ihre 
sache  da  ferner  rechtlich  auszumaehen“.4)  Da  die  Mitglieder 
der  Bauerschaften  zugleich  Bürger  der  Stadt  waren,  konnte  es 
nicht  ausbleiben,  dass  das  Interesse  der  Stadt  auf  ihre  Hand- 
lungen bestimmend  einwirkte.  Die  städtischen  Beamten  wurden 
zum  Teil  unentgeltlich  zur  Mast  zugelassen,5)  wenn  die  Stadt 
ein  Stück  Land  mit  Eichen  bepflanzen  wollte,  wurden  ihr  die 
jungen  Bäume  von  den  Bauerschaften  „verehret“,®)  und  wenn 
einmal  die  Stadt  durch  lange  Kriogsjahre  tief  in  Schulden  ge- 
raten war,  sollten  laut  Churfürstl.  Befehls  „deren  baurschaften 
Einkünfte  und  sonstige  Gerechtigkeiten  untersucht  werden  und 
denen  selben  die  offenkundige  ohnvermögenheit  der  in  Schulden 
vertieften  Stadt  Geseke  vorgestellt,  auch  diese  zu  einem  er- 
klecklichen beytrag  beredet  werden“.7)  Es  wurde  in  diesem 
Falle  jedoch  noch  ausdrücklich  betont,  dass  die  Unterstützung 
freiwillig  geschehe,  und  wenn  „die  Bauerschaftsrevenüen  zu  ge- 
meinen besten  der  Stadt  emploirt  werden,  dass  die  revenüen 
denen  gütheren  allein  annex  wären“,8)  die  Stadt  also  keinen  ge- 
setzlichen Anspruch  darauf  machen  könnte.  Ebenso  schenkten 

>)  Volm.  B.  B.  30.  Aug.  1750. 

»)  Holt  li.  B.  B.  3.  Febr.  1811. 

3)  Geseker  Stadtarchiv.  Gewöhnlich  erfolgten  Auflassungen  vor  dem 
Dorfgerielite.  Schröder,  Deutsche  Rechtsgcscbickte,  S.  606. 

*)  St.  B.  B.  20.  April  1748. 

6)  S.  o.  S.  124. 

6)  Stockh.  B.  B.  19.  Aug.  1731. 

’)  Volm.  B.  B.  18.  Mai  1781. 

*)  St.  B.  B.  19.  Nov.  1766. 


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sie  mit  Rücksicht  auf  die  Allgemeinheit  dem  Schützenverein 
eine  Vogelstange,1)  und  als  „ein  liebhaber  des  scheibenschiessens 
umb  ein  Stück  holtz  in  behuf  erbawung  eines  newen  schützen 
keuschen  bath“,  wurde  es  ihm  bewilligt,  weil  „sein  petitum  pro 
bono  publico  gereichen  thäte“.2)  Gleichfalls  wurde  der  Stadt 
von  allen  Banerschaften  eine  Feuerspritze  geschenkt,3)  alle 
Mitglieder  der  Bauerschaften  erhielten  von  der  betr.  Bauer- 
schaft einen  Feuereimer,4)  und  eine  bestimmte  Summe  Geldes 
wurde  „jährlich  behufs  Zahlung  der  studirenden  jugendt“  aus 
der  Bauerschaftskasse  verwendet.5)  Daher  trugen  sie  auch 
zur  Reparatur  der  Stadtkirche,  der  ecclesia  forensis,  nicht  aber 
der  Stiftskirche  bei,  und  schenkten  Geld  für  die  Kanzel6)  und 
Heiligenstatuen.7)  Umgekehrt  trat  auch  die  Stadt  gelegentlich 
den  Bauerschaften  helfend  zur  Seite,  und  wenn  sie  einmal 
grössere  Anlagen  machten,  die  der  Allgemeinheit  zu  gute 
kamen,  z.  B eine  Brücke  bauten,  erhielten  sie  von  der  Stadt 
einen  Beitrag.8) 

Doch  wurde  durch  diese  Beziehungen  zwischen  Stadt  und 
Bauerschaften  der  Charakter  der  Bauerschaften  nicht  verwischt. 
Sie  blieben  selbständige  Genossenschaften,  die  in  ihrem  Gebiete 
alle  Rechte  und  Pflichten  hatten,  die  den  niederen  Gerichts- 
und Verwaltungsbezirken  zukamen.  Besonders  wahrten  sie 
ihre  Unabhängigkeit  gegen  Eingriffe  der  Stadt,  so  dass  ein 
Bürgermeister  sie  in  einer  Beschwerdeschrift  einmal  „eine 
separate  Republique“  nannte.9) 

So  gab  6s  in  der  heutigen  Geseker  Feldmark  12  Ver- 
waltungs-  und  Gerichtsbezirke,  die  Gebiete  der  sechs  Huden 
und  der  sechs  Bauerschaften.  In  der  Stadt  lag  ein  unab- 
hängiger Gerichtsbezirk,  die  Immunität  des  Stiftes,  die  eben- 
falls ihre  Selbständigkeit  gegen  Bürgermeister  und  Rat  zu  ver- 


’)  Stockt.  B.  B.  31.  Mai  1S30. 
s)  Volm.  B.  B.  34.  Aug.  1714. 

>)  a.  a.  0.  19.  Okt.  1786. 

*)  St.  B.  B.  24.  Aug.  1702. 

6)  Stockb.  B.  B.  24.  Aug.  1726. 

*)  HUst.  B.  B.  25.  Juni  1740.  Volm.  B.  B.  30.  Aug.  1739. 

7)  Stockb.  B.  B.  1810. 

®)  Volm  B.  B.  26.  Aug.  1724. 

•)  Stockb.  B.  B.  12.  Februar  1780. 


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158 


teidigen  wusste.1)  Dazu  kam  noch  das  Gebiet  der  sog.  „Herren 
Erben“,  einer  besonderen  Genossenschaft,  die  die  gleichen 
Rechte  und  Pflichten  wie  die  Bauerschaften  nnd  Huden  hatte.2) 
Es  zerfiel  also  der  heutige  einheitliche  Stadtbezirk  Geseke  bis 
zum  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  in  folgende  15  von  einander 
unabhängige  Verwaltungs-  und  Gerichtsbezirke: 

1.  Die  Stadt  Geseke. 

2.  Die  Immunität  des  Stiftes. 

3.  Das  Gebiet  der  Herren  Erben. 

4 — 9.  Die  Huden. 

lü— 15.  Die  Bauerschaften. 


Die  Aufhebung  der  Bauerschaften 

Als  durch  den  Reichsdeputations-Hauptschluss  im  Jahre  1803 
das  Herzogtum  Westfalen  an  Hessen-Darmstadt  und  später  (181*5) 
an  Preussen  gefallen  war  und  durch  beide  Staaten  eine  neue 
Aemterorganisation  eingeführt  wurde,  war  den  Bauerschaften 
das  Todesurteil  gesprochen.  Während  bisher  die  abhängigen 
Güter  nicht  beliebig  getrennt  werden  durften,  wurde  1811 
durch  die  Hessen-Darmstädtische  Regierung  die  Zerstückelung 
und  Verteilung  der  Güter  erlaubt.-’)  Schon  darin  lag  der  Keim 
des  Zerfalls.  Denn  jetzt  gab  es  so  viele  Interessenten  der 
Bauerschaften,  dass  es  im  Laufe  der  Zeit  ganz  unmöglich  war, 
Ordnung  in  der  Reihenfolge  der  Mitgliedschaft  zu  halten.4) 
Dazu  kam,  dass  die  an  den  Gütern  klebende  Bauerschafts- 
berechtigung sich  von  dem  Boden  löste  und  zu  einer  Aktie 
verflüchtigte,  die  einen  bestimmten  Anteil  an  der  Allmende 
gewährte,5)  so  dass  wohl  die  Güter,  nicht  aber  das  Bauer- 
schaftsrecht  verkauft  wurde,-')  und  von  Teilgütern  die  einen 
berechtigt  und  die  andern  nicht  berechtigt  waren.6)  Ferner 
wurden  von  den  Teilgütern  einige  Stücke  ohne  Bauerrecht  ver- 
kauft, so  dass  auf  einem  verhältnismässig  kleinen  Teile  die 

')  Seibertz,  Urk.-Buch,  III.  No.  903.  S.  6 Amn.  3. 

*)  Hierüber  demnächst  in  einer  besonderen  Untersuchung. 

*)  (jeseker  Stadtarchiv. 

‘)  S.  o.  S.  48  ff. 

*)  Stockh.  B.  B.  3.  Okt.  1836.  10.  Dez.  1825. 

«)  a.  a.  0.  2.  März  1836. 


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Berechtigung  haften  blieb.1)  Auch  die  „Steuer-  und  Schatzungs- 
freyheit  der  Bauerschaften“  wurde  aufgehoben2),  und  „nach 
aufgehobener  fryheit  und  der  neuen  Aemter  Organisation 
konnte  das  vorher  bestandene  herbringen,  dass  die  Unterhaltung 
eines  wegs  oder  brücke  dem  Guhtsbesitzer,  in  dessen  bezirk 
solcher  weg  oder  brücke  gelegen,  ausschliesslich  obgelegen 
habe,  fernerhin  nicht  weiter  bestehen“,3)  so  dass  auch  die 
Pflicht  der  Unterhaltung  von  Wegen,  Brücken  usw.  für  die 
Bauerschaften  wegfiel.  In  der  Waldwirtschaft  wurden  die 
Bauorschaften  den  Forstbehörden  unterstellt  und  bei  eigen- 
mächtigem Vorgehen  bestraft.4)  Die  Polizeigewalt  der  Bauer- 
scbaften  wurde  ebenfalls  aufgehoben,  so  dass  sie  sich  jetzt  bei 
Holzfrevel  an  die  städtische  Behörde  wenden  mussten.3)  Die 
jährlichen  Bauergerichte  durften  nicht  mehr  gehalten  werden,*) 
und  in  der  Beamtenorganisation  der  Bauerschaften  trat  eine 
totale  Umwandlung  ein.7)  Die  Wälder  wurden  entweder  in  na- 
tura unter  die  Berechtigten  verteilt,8)  oder  die  Bäume  wurden 
verkauft  und  der  Erlös  unter  die  Mitglieder  verteilt.8)  Dabei 
wurde  die  Bedingung  gestellt,  dass  „die  Bäume  nicht  gehauen, 
sondern  gerötet  werden“  sollten,10)  damit  der  Grund  und  Boden 
leichter  und  höher  verkauft  werden  konnte.  Denn  der  ganze 
Grundbesitz  der  Bauerschaften  wurde  ebenfalls  versteigert.11)  Da 
die  kleinen  Ecken  usw.  nicht  verkauft  werden  konnten,  wurden 
diese  bei  der  Separation  dor  Geseker  Feldmark  zusammen- 
gelegt, und  das  dadurch  gebildete  Grundstück  wurde  verkauft.12) 

So  sind  Huden  und  Bauerschaften  vor  der  neuen  Zeit  ge- 
schwunden und  die  letzten  Spuren  der  ältesten  Besiedelung 
und  Verfassung  des  Landes  verwischt.  Doch  ein  dunkles  Be- 

')  Volra.  B.  B.  3.  Okt.  1826. 

<J)  a.  a.  0.  16.  März  1811. 

s)  Verfügung  vom  30.  Sept.  1809  auf  einem  loseu  Blatte  iu  einem  B.  B. 

4)  Stockb.  B.  B.  28.  Dez.  1816. 

s)  a.  a.  0.  1826. 

*)  Stockb.  B.  B.  20.  Januar  1823. 

7)  St.  B.  B.  29.  Januar  1816. 

8)  a.  a.  0.  31.  Dez.  1817. 

*)  Stockb.  B.  B.  14.  Januar  1836. 

>°)  a.  a.  0.  23.  Nov.  1835. 

“)  a.  a.  0.  7.  April  1840.  14.  Okt.  1827  u.  s.  o. 

**)  Stockb.  B.  B.  31.  Dez.  1887. 


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100 


wusstsein  der  alten  Zustände  hat  sich  erhalten.  Noch  heute 
wird  vor  den  Toren,  an  denen  sich  die  Bauerschaften  nieder- 
gelassen hatten,  das  Osterfeuer  angezündet,  und  diese  Stadt- 
teile, die  sich,  abgesehen  von  kleinen  Verschiebungen,  mit  den 
Hudebezirken  decken,  umschlingt  ein  Band  der  Zusammen- 
gehörigkeit, so  dass  sich  ihre  Jugend  gegenseitig  so  ehrlich  hasst 
wie  feindliche  lndianerstärame.  Und  als  altersgraue  Zeugen  einer 
längst  vergangenen  Zeit  ragen  die  von  den  Bauerschaften  er- 
richteten Heiligenhäuschen1)  in  die  Gegenwart  und  lassen  vor 
den  Blickon  des  Wissenden  eine  versunkene  Welt  erstehen. 
Es  sind  bescheidene  Steinbauten,  in  einer  Nische  mit  dem 
Bilde  eines  Heiligen  in  Flachrelief  geschmückt  und  aussen  mit 
einer  Inschrift  versehen.  Es  sind  folgende: 

I.  Hüstede:  a)  Vor  dem  Mühlentor.  Madonna  mit  dem 
Kind,  verehrt  von  Johannes  von  Nepomuk. 

In  honorem  S.  Joannis  Nepomuceni  Mart3Tris 
Burscapia  Huestedensis  • Anno  1736. 

b)  Unter  der  Hüsteder  Linde.  Johannes  der  Täufer. 

In  honorem  S.  Joannis  Baptistae  Burscapia 
Huestede  me  posuit.  Anno  1736. 

II.  Stockheim  - Heringhausen.  Vor  dem  Viohtor. 
Die  heilige  Familie  mit  dem  jugendlichen  Johannes. 

HONORl  ET -CVLtVI  SACRJ3  PROSAPLE • BVRSCA- 
PlA  • STOCKHElMENSlS  • LoCARl  - FEClT.  Anno  1723. 

III.  St  alpe.  Vor  dem  Osttor.  Hl.  Dreifaltigkeit. 

Laudetur  santissima2)  Trinitas. 

Ex  dono  Burschapiac  Stalpensis. 

IV.  Volmede.  Unter  der  Drei-Dornlinde.  Christus  am 
Kreuze. 

In  honorem  Jesu  Christi  B.  M.  V.  Sti.  Joannis 

et  Maria2)  Magdalene  Burscapia  Volmedensis. 

Anno  1730. 

V.  Holthausen.  Vor  dem  Steintor.  Maria  auf  dem 
Halbmond,  der  Schlange  den  Kopf  zertretend. 

In  honorem  Bmae  V.  Mariae  Immaculate  conceptae 
Baurscapia  Holthusana  posuit.  Anno  1733. 

')  S.  o.  S.  127. 

a)  So  in  der  lnechrif». 


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Anlage  I. 

Ursprung  der  Bauerschaften  nach  dem 
Stälper  Bauerschaftsbuche 

(Zu  S.  42.  Anm.  2.) 

St.  B.  B.  9.  Dezember  1766. 

„Als  in  denen  uhralteu  Zeiten  die  benachbarte  Dorfschaften 
dieselbe  verlassen  und  in  stadt  Geseke  sich  begeben,  hat  jede 
Dorfschaft  ihre  grfinde  sowohl  in  concreto  als  abstracto  mitt 
allen  ihren  rechten  und  gewohnheiten  und  in  specie  das  jns 
finium  regundorum  in  ihren  feld  distriet  an  sich  behalten,  gleich- 
wie solches  jns  auch  von  ihre  Churfürstl.  Durchl.  Maximilian 
Henrich  höchstsei.  andenkens  im  jahr  1663  durch  einen  solenen 
recess  zwischen  Stadt  und  Gogericht  Geseke  ist  bestätiget 
worden,  diesse  baurschaften  halten  zu  dessen  ewigen  andenken 
jährlich  zur  renovation  eine  Zusammenkunft  und  zu  exercirung 
ihres  juris  finium  regundorum  nach  jeder  sommer  und  winter- 
saath  durch  4 aus  ihren  gliedern  bestellete  brachstechern  oder 
agrimessores  ihre  besonderen  ausgänge  und  Visitation.  Dieselbe 
müssen  mit  ihren  Vorsteher  und  knecht  im  holtz  und  ihrer  feld- 
mark  fleissig  acht  geben,  dass  keiner  dem  anderen  zu  nahe 
haue,  pflüge,  egge,  und  schade,  dieselbe  müssen  besorgen,  dass 
die  in  ihren  feld  distriet  belegene  wege  verbessert  und  im 
stand  gehalten,  dieselben  müssen  bewerkstelligen,  dass  jährlich 
an  Se.  Churfürstl.  Durchl.  oberkellerey  zu  Arnsberg  schuldige 
15  sch  haber  eingesamblet  und  Churf.  richter  eingeliefert 
werden,  zur  zeit  der  etwa  vorfallenden  Eichelmast,  so  denen 
gütern  dieser  Dorfschaft  anklebig,  müssen  dieselbe  die  nöthige 
obsorg  und  eintheilung  machen,  und  weilen  alles  dieses  ohne 
kosten  nicht  verrichtet  werden  mag,  werden  aus  den  wenigen 
jährlichen  vom  Vormund  berechnenden  einküuften  den  brack- 
stecheren  für  ihre  besondere  mühewaltuug  etwas  zu  mittagessen 
und  auch  sambtlichen  mitgliedern  eine  kleine  recreation  an 
hier  etwas  weisbrod,  pfeifen  und  tuback  gegeben,  vom  zeithigen 
holtzgral'en  dabey  die  rechnung  abgehalten,  der  Überschuss  ein- 

Lappe,  Die  Qesplcer  R&uerechaften  1 1 


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162 


genohmen,  asserviret  und  nach  möglichkeit  zum  nutzen  und 
erkaltung  der  sambtlicher  baurschaft  zu  kleinen  Capitalien  an- 
gelegt, also  dass  diesse  gründe  und  wenige  einkünfte,  welche 
nicht  der  gemeinen  Stadt  Geseke,  sondern  denen  mitgliederen 
jeder  baurschaft  gehören  und  derselben  gütheren  anklebig,  auch 
diese  ihre  besondere  lasten  abtragen,  jeder  baurschaft  ver- 
bleiben, mithin  zu  der  gemeinen  Stadtsschulden  nicht  mögen 
verwendet  und  applicirt  werden.“ 

St.  B.  B.  12.  April  1767. 

„Die  Vorfahren  hätten  in  den  älteren  zeithen  mitt  dem 
ordinairen  banrschaftlichen  Empfang  dass  geringes  Bier  tracta- 
ment  nicht  bestreiten  können,  wan  nicht  dieselbe  durch  per- 
sönliche auflagen  in  Specie  mit  denen  einkrönungsjurium,  auch 
durch  versammlete  jährliche  wenige  Überschüsse  die  Einnahmen 
verbessert  hätten.  Die  Beschaffenheit  der  einkrönungsgelder 
bestehet  darin,  dass  als  die  Dorfschaften  in  alten  zeithen  ver- 
wüstet und  dieselbe  sich  bey  Geseke  zusammengezogen,  die 
landgüther  vor  und  nach  unter  ihre  Erben  verteilet  worden, 
nahmens  eins  jeden  vormahlen  ohnverteilte  hübe  landts  wrird 
bey  der  jährlich  beybehaltener  Zusammenkunft  einer  zum  baur- 
glied  angenohmen  und  nach  dessen  absterben  muss  dessen  guths 
Interessent  zum  baurglied  angenohmen  zu  werden  sich  melden, 
wan  darunter  kein  contradictio  vorfallet,  wird  derselbe  als 
qualificatus  mit  Zahlung  eins  sogenannten  einkrönungsgelderen 
gegen  Versprechung  stipulata  manu  im  felde,  im  abpflügen 
auch  im  holtz  in  verderblichen  holtzhauen  achtung  zu  haben, 
auch  sonst  dehnen  zeithiichen  holtzgräfen  befehlen  zu  pariren 
und  in  denen  banrschaftlichen  Zusammenkunft  als  ein  Ehrbares 
baurglied  bey  straf  der  exmission  sich  aufzuführen  angenohmen.“ 


Anlage  II. 

(Zu  S.  151.  Anm.  4.) 

Prozess  der  Stälper  Bauerschaft  gegen  den  Rat 
der  Stadt  Geseke 

St.  B.  B.  30.  Juni  1767. 

„Als  Vorkommen,  dass  der  Magistrat  dahier  in  causa  Stoll- 
mann  contra  Beiner  wegen  einer  Strittigkeit  im  Stälper  holtäs 
ein  augenschein  erkandt  und  solche  mit  Zuziehung  einiger  De- 


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103 


putirten  der  Stalper  baurschaft  einzunehmen  auf  heutigen  tag 
festgesetzet  worden;  kündig  aber  ist,  wan  in  denen  baurschafts 
districten  in  holtz  und  feld  wegen  deren  limiten  einige  irrungen 
vorfallen,  der  baurschaft  privative  competire,  darüber  den 
augenschein  einzunehmen,  zu  protocolliren  und  zu  cognosciren, 
ist  für  dienlich  befunden,  dagegen  sofort  per  notarium  Weber 
eine  schriftliche  protestation  dem  Magistrat  zu  insinuiren,  so  dan 
auch  sofort  entworfen  und  laut  heutigen  dato  dem  praesidirenden 
bgstr  Becker  per  notarium  Weber  insinuirt  worden,  darauf 
auch  der  Magistrat  den  augenschein  aynseitig  nicht  eingc- 
nohmen.“ 

5.  Dezember  1767. 

„Nachdemahlen  zwaren  in  causa  Stollmau  contra  Beiner 
von  seithen  der  Stalper  baurschaft  unterm  30.  Juni  a.  c.  gegen 
den  von  dem  Magistrath  vornehmen  wollenden  augenschein  pro- 
testirt,  hingegen  aber  der  Magistrath  inattenta  hat;  protestatione 
ihren  vorherigen  decreto  inhaerirt,  so  ist  der  Herr  holtzgräf 
benöthiget  worden,  dieserthalb  zu  Werll  zu  klagen,  worauf 
derselbe  folgendes  decretum  erhalten; 

Extractus  Protocolli  in  causa  Burschapiae  Stalpensis 
in  Geseke  contra  D.  D.  Consules  et  Magistratum  ibidem 
hic  Werlis  in  Archicpiseopali  Curia  habitus. 

Anno  Dni  1767  die  Sabbathi  5ta  mensis  X bris  pror  Iskenius 
exhibet  ob  morae  periculum  humillimam  supplicam  cum  petito 
tenoris  scquentis. 

Hochwürdiger! 

Es  sindt  von  ihro  Churf.  Drchl.  Maximilian  Henrich 
höchtstsel.  andenkens  die  baurschaften  zu  Geseke  bey  ihren  ge- 
rechtsamen  nicht  allein  belassen  und  gehandhabt  worden, 
sondern  es  hatt  auch  nebst  anderen  die  Stalper  baurschaft  das 
jus  finium  regundorum  privative  et  absque  omni  contradictione 
immerhin  ruhig  excercirt;  es  hatt  aber  der  Magistrat  zu  Geseke 
vorigen  Sommer  decretirt,  in  dem  Stälper  geholtz  ad  instantiam 
des  Stollmanns  wegen  strittiger  limiten  einen  augenschein 
gleichwohl  mitt  Zuziehung  einiger  deputirten  ans  bem.  baur- 
schaft einnehmen  zu  wollen,  und  also  die  baurschaft  in  ihren 
gerechtsahmen  zu  kränken  und  zu  turbiren  getrachtet;  ob  nulin 
wohl  die  Stalper  baurschaft  dagegen  feyerlicbst  protestirt  und 
darauf  magistratus  acquiescirt,  so  hatt  man  doch  in  die  gewisse 

n* 


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184 

erfahrung  gebracht,  dass  anjetzo  in  curia  decretirt  seye,  dass 
der  augenschein  in  mehr  gern,  geholtz  inattenta  protestatione 
auf  einen  commodum  tag  eingenohmen  werden  solle,  obgleich 
biss  auf  heutige  stund  der  baurschaft  weder  eine  gegen- 
protestation  insinuirt,  weder  von  sonstigen  Vorhaben  etwas 
kundt  gemacht  worden;  wan  aber  die  Stalper  baurschaft  in 
ruhiger  excercirung  ihrer  gerecktsahmen  nicht  turbiren  lassen 
— mithin  nicht  zugeben  kann,  dass  mit  einnehmung  sothanen 
augenscheins  von  seithen  des  Magistrats  fortgefahren  und  alsso 
der  ged.  baurschaft  ein  Eingriff  geschehe;  alss  ergeht  an 
Ew.  hochw.  die  gehorsahmbste  bitte,  die  Stalper  baurschaft  bey 
ihrem  höchst  confirmirten  et  absque  omni  contradictioue  biss 
liiehin  privative  exercirten  jure  finium  regundorum  oberlich  zu 
manuteniren;  fort  brgstr  und  rath  alle  fernere  turbation  bey 
nahmhafter  brüchten  straf  zu  inhibiren  oder  sonsten  zu  er- 
kennen, wie  am  dienlichsten  hatte  gebetten  werden  sollen, 
können  oder  mögen.  Desuper  j y Xskenius. 

Ex  tum  Adm.  Qdus  et  amplissimus  Dnus  Offlis  decrevit  in 
mdm.  Sequentem: 

Es  wird  H.  brgstr  und  Rath  zu  Geseke  auf  den  inhalt 
gegenwärtiger  Supplication  binnen  zehen  tagen  ab  intimatione 
hujus  sich  in  ihrer  orklährung  mit  bestandt  vernehmen  zu  lassen 
anbefohlen  und  soll  diesem  neclist  hierunter  rechtlich  erkandt 
werden.  Sic  actum  ut  supra.  Casp.  Anton. 

insinuatuni  per  notarium  Weber  ll1*"  xbris  1767. 

Folget  die  victoriense  urthell  so  Veneris  15  xbris  1769 
in  causa  Burschapiae  Stalpensis  contra  Bgstr  und  rath  zu 
Geseke  beym  Offizialat  gerieht  zu  Werll  publicirt  in  puncto 
jurisdictionis  privativae  juris  finium  regundorum  und  lauthet 
wie  folget: 

In  Sachen  der  Stälper  Baurschaft  zu  Geseke  impetranten 
Eins  gegen  und  wieder  H.  brgstr.  und  Rath  zu  Geseke  impetraten 
anderen  theils  wird  aus  repraesentirten  acten  zu  recht  erkandt, 
dass  impetrante  bey  den  herbeygebrachten  Jure  in  causis  finium 
regundorum  privative  zu  cognosciren  zu  schützen  und  zu  manu- 
teniren, fort  impetraten  sich  darunter  all  fernerer  turbation 
und  beeinträchtigung  /:  wie  durch  den  in  Sachen  des  Camerarii 
Stollmann  contra  Beiner  erkandt  und  abgehaltenen  augenschein 


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165 

geschehen:/  zu  enthalten  schuldig,  anbey  in  die  aufgegangen 
gerichtskösten  fällig  zu  ertheilen  seyn,  wie  wir  hiemit  erkennen, 
schätzen,  manuteniren,  sich  zu  enthalten  anbefehlen  und  fällig  cr- 
theilen  von  rechts  wegen. 

Iskenius  egit  gratias.  G.  C.  Bigeleben  oftlis. 

Von  dieser  urthel  ist  nach  Cölln  appelliret  und  dorth  die- 
selbe confirmiret,  worauf  abermahlen  ad  revisorium  a Bonn 
appelliret,  welche  revisions  urthel  sich  in  hiesigen  Buch  im 
Jahr  1784  notiret  befinden  wird.“ 

„Sabbatbi  11  augusti  1770. 

H.  Brgstr  schickte  durch  den  Stadtsdiener  folgenden  Ex- 
tractum  protocolli  ein  in  causa  Stollmann  contra  Beiner. 
bescheidt. 

Es  wird  termino  des  abermabligen  erkandten  augenscheins 
terminus  auf  den  künftigen  montag  den  1 3 tco  dieses  anberahmet 
und  von  seithen  Magistrats  darzu  H.  bgstr  Bertram  und  Lude 
wig  Richters  deputirt,  den  Stalper  baurschafts  holtzgräfen  soll 
dieses  per  extractum  communicirt  werden,  gestalten  gleichfals 
darzu  beliebige  zu  deputiren  und  den  Stalper  holtzknecht  der 
messung  halber  adhibiren  zu  lassen,  und  um  7 uhr  sich  in  loco 
questionis  eiuzutinden,  jeder  parthey  aber  freygestellet  die  con- 
fines  darzu  zu  requiriren  und  in  loco  zu  sistiren. 

Hierauf  ist  den  insinuirenden  Stadtsdiener  anton  utzel  so- 
fort folgende  schriftliche  resolution  dem  Herrn  brgstren  zu 
überlieferen  mitgegebeu  worden: 

Da  die  Stalper  baurschaft  bey  der  uhralten  observantz 
und  gerechtigkeit  in  causis  finium  regundorum  privative  zu 
cognosciren  von  hochw,  officialat  gericht  am  15lcnxbris  176'J 
kräftigst  manutenirt  und  löblichen  magistratui  in  causa  Stoll- 
mann contra  Beiner  alle  fernem  turbation  inhibirt  worden,  als 
könte  er  Dr.  Rump  als  Holzgraf  der  Stalper  baurschaft  das 
ihm  zugestellete  Dccretum  nicht  anders  als  ein  in  jure  ge- 
hassigtes  attentatum  ansehen  und  müsste  dagegen  kraft  seines 
ambts  und  habender  Vollmacht  protestiren,  wie  er  hiemit  in 
optima  forma  juris  protestiren  thäte.  Geseke  den  11  aug.  1770.“ 
„Sententia  revisionis  Bonnensis  in  causa  Burschapiae  contra 
Brgstr  und  rath  in  pto  jurisdictionis  finium  regundorum. 
folget  die  victoriense  revisions  urthel  so  den  8 ten  Junii  publiciret 
folgenden  Inhalt. 


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166 


Sententia. 

In  revisions  Sachen  Bürgermeister  und  rath  zu  Geseke 
impctranten  eins  wieder  die  Stalper  Baurschafl  Opponenten 
anderentheils  ist  auf  Verlesung  aller  instantien  aeten  und  dar- 
aus erstatteten  rclation  zu  recht  erkandt,  dass  von  vorigen 
istans  richteren  wohl  geurtheilet,  übe)  aber  appelliret  und 
revisio  gebetten  worden;  dahero  die  urthel  a qua  zu  confirmiren 
und  zu  bestättigen  seyn:  wie  dan  hiemit  zu  recht  erkandt, 
confirmiret  und  bestättiget  wird,  inipetranten  zugleich  in  die 
bey  hiesigen  revisorio  aufgegangene  kosten  moderamine  salvo 
fällig  ertheilen. 

Publicatuni  Bonn  18 lon  Junii  1784. 

In  abgeuhrteilter  revisionssachen  der  Stälper  Baurschafl 
triuinphanten  eins  wieder  bgstr  und  rath  zu  Geseke  succum- 
benten  anderen  theils  werden  die  bey  hiesigen  revisorio  auf- 
gegangene kosten  zu  viertzig  sechs  rht  und  viertzig  albus 
hiemit  ermäsiget. 

Signatum  Bonn.  9.  Juni  1784. 

Ad.  Mdtm 
H.  Weber.“ 

„Actum  Geseke  den  25,cn  Febr.  1785. 

Der  Herre  Notarius  Nolten  qua  magistraiis  erschien  coram 
Protocollo  Burschapiae  Stalpensis  und  stellete  convocirten  Brack- 
stecheren  vor,  dass  ihn  von  Bgstern  und  Rath  der  auftrag  ge- 
geben wäre,  mit  der  Stälper  Baurschaft  wegen  deren  in  Sachen 
Stälper  Baurschaft  contra  Brgstr  und  Rath  zu  Werll,  Cölln 
und  Bonn  verwendeten  Kosten,  worüber  gedachte  baurschaft 
bereiths  Executoriales  ausgebracht  und  insinuiren  lassen,  ter- 
minen  zu  accordiren,  proponirte  mithin,  dass  Brgstr  und  Rath 
erkläret  hätten,  triumphirende  Baurschaft  die  kosten  zu  re- 
stituiren,  da  aber  die  Stadt  jetzo  wegen  vieler  abgaben  die 
gelder  nicht  aufbringen  könten,  so  hätten  sie  resolviret,  die 
ganse  Summa,  deren  kosten  in  drey  terminon  uud  zwaren  den 
ersten  termin  auf  Jacobi,  den  zweiten  auf  aller  Heiligen  a.  c., 
den  dritten  im  Januario  1786  olmfehlbar  zu  entrichten,  bathe 
dahero  nahmens  der  Stadt,  ihnen  die  begehrte  terminen  zu  be- 
willigen und  den  Execut ionslauf  zu  hemmen,  zu  seiner  Justi 


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167 


fication  erbothe  sieb  Extractum  Protocolli  Magistratus  in 
forma  boyzubringen.“ 

Die  Bauerschaft  ist  mit  diesem  Vorschläge  einverstanden, 
und  die  Stadt  zahlt  in  drei  Raten  die  Prozesskosten. 


Anlage  III. 

Zu  Seite  42  ff.  ist  noch  nachzutragen,  dass  sich  auch  in 
dem  etwa  eine  halbe  Stunde  westlich  von  Geseke  gelegenen 
Dorfe  Störmede  bis  ins  19.  Jahrhundert  hinein  eine  Bauerschaft 
erhalten  hat,  die  aus  einer  südlich  von  Störmede  gelegenen 
Dorfschaft  namens  Volxmer  entstanden  ist.  Die  Lokalisierung 
wird  durch  die  „Volxmer  Linde“  und  den  „Volxmer  Paut“ 
(=  Teich)  ermöglicht.  Aus  einigen  im  Geseker  Stadtarchiv 
befindlichen  Blättern,  die  diese  Bauerschaft  betreffen,  ergibt 
sich  in  allgemeinen  Zügen  dasselbe  Bild,  das  wir  von  den 
Geseker  Bauerschaften  gewonnen  haben.  Sie  wurde  von  etwa 
30  Gütern  gebildet,  deren  Besitzer  zum  grössten  Teil  in  Stör- 
mede wohnten.  Auch  sie  übte  die  Feldpolizei  usw.  aus  und 
zog  von  den  „Excessisten“  die  Strafen  ein.  Ebenso  musste 
sie  jährlich  12  Scheffel  „Churf.  Gogrevenhaber“  abliefern,  die 
auf  die  einzelnen  Güter  repartiert  waren.  Die  Allmende,  be- 
stehend aus  den  „Driften“  und  dem  sog.  „Bauerkley“,  war 
unter  die  Mitglieder  gegen  eine  gewisse  jährliche  Abgabe  auf- 
geteilt. Ebeuso  wurde  jährlich  bei  dem  Vormund  „der  Erben 
und  Bauren  gewöhnlicher  Zech  gehalten“.  Wie  die  Geseker 
Bauerschaften  sich  gegen  Eingriffe  vou  Bürgermeister  und  Rat 
zu  wehren  hatten,  so  protestierte  auch  die  Volxmer  Bauer- 
schaft gegen  ungesetzliche  Eingriffe  seitens  des  Geseker  Go- 
gerichtes,  dem  ihr  Gebiet  unterstand.  Als  einmal  der  Richter 
eigenmächtig  einen  Augenschein  im  Bauerschaftsgebiete  ge- 
nommen hatte,  sandte  sie  einem  Notar  folgenden  Protest: 

„Domine  Notarie. 

Euch  Herren  Notario  giebt  die  Bauerschaft  zu  Völxmar 
zu  vernehmen,  welcher  gestalt  Herr  Probst  zu  Eiklo  jüngster 
zeith  wegen  einigen  von  denen  schäferen  an  dessen  in  Völxmar 
Distrikt  und  gerechtigkeit  besameten  rübesamen  verübten 
Schadens  am  Chrfl.  gericht  zu  Geske  Klage  eingeführt,  auch 


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Iß« 


sothanen  eingeklagten  schaden  dass  Chrfl.  gericht  gemelt  facta  in 
contrarium  remonstratione  inattenta  in  augcnschein  zu  nehmen 
undt  darob  den  befinden  nach  zu  verfahren  intentionirt  die 
Baurschaft  hingegen  zum  prajuditz  ihrer  seithero  gebragter 
gerechtsamkeit  nicht  zu  geben  kan,  dass  dieser  schade,  wovon 
der  augcnschein  dem  Völxmar  Gericht  undt  Baurschaft ' von 
alters  hero  indubitate  competirt,  vom  Chrfl.  Gericht  eingenolimen, 
taxirt  und  abgestrafet  werde,  so  hatt  dieselbe  in  eventum  ermeltes 
Chrfl.  Gericht  diesen  punkt  zu  der  Bauerschaft  nicht  remittiren 
würde,  darwieder  in  optima  juris  forma  protestiren  wollen, 
bittendt  diese  protestation  dem  Chrfl.  zeitligen  Herrn  Gerichts- 
verwalteren  der  gebühr  zu  intimiren  undt  darob  nötigen  schein 
pro  condigno  zu  communiciren. 

Geseke  den  13.  September  1701. 

Gerardt  Rump,  pro  tpre 
Holtzgrewe  zu  Volxmer.“ 

Das  Bauergericht  wurde  jährlich  an  einem  nicht  fest  be- 
stimmten Tage  unter  der  Volxmer  Linde  am  Volxmer  Paut 
abgehalten,  wozu  alle,  die  Klagen  vorzubringen  hatten,  von 
den  Kanzeln  der  benachbarten  Kirchen  eingeladen  wurden. 


Anlage  IV. 

(Zu  Seit»  112.  Audi.  IS.) 

Verfügung  der  Churfürstl.  Regierung  zu  Arnsberg  an 
Bürgermeister  und  Rat  zu  Geseke  vom  23.  Oktober  1786. 

„Wohl  Ehrenfeste  auch  hochachtbahre  günstige 
gute  Freunde. 

Iliro  Churfürstl.  Durchlaucht  unser  ggstr  Herr  haben  . . . 
sich  unterthänigst  referieren  lassen,  das  von  sehr  geraumen 
jahren  viele  hunderten  der  stadt  Geseker  bauerschaften  zuge- 
hörigen morgen  äcker  undt  anderen  gründen  öde  und  wüst 
legen. 

Die  uhrbahrmachuug  dieser  grundstücker  wirdt.  vielen 
wünschen,  die  aus  mangel  auszuwanderen  genötiget  sind,  ge- 
legenheiten  zum  unterhalt  darbiethen. 

Höchst  iliro  Churfürstl.  Durchlaucht  haben  dahero  gnädigst 
befohlen,  mit  täthigkeit,  ernst,  patratischen  eiffer  aufl  anlegung 


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169 


verschiedener  Colonien  den  bedacht  zu  nehmen.  Um  dieser  den 
sta&th  so  ersprissliche  landes fürstliche  absiclit  nach  thunlichkeit 
zu  erreichen,  gescbiehet  eucli  hiemit  sonderlich  der  aufftrag, 
ilie  holtz  graeffen  einer  jeden  bauerschaft  vor  euch  zu  be- 
scheiden und  ihnen,  das  sie  die  öde  und  wüst  liegende  ihnen 
zugehörige  grundtstücke  binuen  jahrsfrist  uhrbahr  machen, 
selbe  cultiviren  undt  zu  fruchttragenden  äcker  oder  wiesen 
bringen  sollen,  zu  bedeuten,  als  wiedrigens  Ihro  Churfürstl. 
Durchlaucht  kraft  landesherliche  macht  undt  gewaldt  zum 
wohl  des  staaths  darüber  disponiren  undt  auff  eine  den  besten 
des  landes  undt  unterthanen  angemessener  arth  verordnen  werden 
undt  derfals  der  ohnzielsetzliche  unterthänigste  Vorschlag  ge- 
schehen soll. 

Wir  erwarten  von  euch,  über  die  erfolgung  vermitz  bey- 
schlusses  des  protocolls  den  bericht  und  seiner  Zeit  die  um- 
stendliche  an  Weisung,  ob  und  was  für  gründe  nach  publication 
des  gegenwärtigen  jede  bauerschaft  ulnbahr  gemacht  habe  und 
wie  viele  morgen  hingegen  diejenige  ertragen,  welche  nach  ab- 
lauff  des  bestimmten  Termini  noch  wüst  undt  öde  hinliegen 
mit  Empfehlung  Gottes. 

Arensberg,  d.  23ten  Oktober  1786.“ 


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■yHn.r,' 


iSpn! 


171 


Lageplan  der  Stadt  Geseke 


Karte  Nu.  11. 


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Druck  von  Otto  Hilliper.  Altwasser 


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Die  deutsche  Königswahl 
im  corpus  iuris  canonici 

von 

Dr.  Karl  Gottfried  Hugelmann 


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Untersuchungen 

. zur 

Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte 

herausgegeben 

von 

Dr.  Otto  Gierke 

Professor  der  Rechte  an  der  Universität  Berlin 

98.  Heft 


Die  deutsche  Königswahl 
im  corpus  iuris  canonici 

von 

Dr.  Karl  Gottfried  Hugelmann 


ßreslau 

Verlag  von  M.  &.  H.  Marcus 
iyo9 


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Die  deutsche  Königswahl 


im  corpus  iuris  canonici 


Dr.  Karl  Gottfried  Hugelmann 


Hreslan 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1909 


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Herrn  Dr.  Siegfried  Rietschel 

o.  Ö.  Professor  an  der  Universität  Tübingen 
und 

Herrn  theol.  et  iur.  Dr.  Rudolf  R.  v.  Scherer 

k.  k.  Holr.it  und  o.  ö.  Professor  an  der  Universität  Wien 


in  dankbarer  Verehrung 
gewidmet 


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Vorwort 

Das  Widmungsblatt,  mit  welchem  dieses  Buch  vor  die 
Öffentlichkeit  tritt,  deutet  auch  seine  Entstehungsgeschichte  an. 
Nachdem  unter  dem  Einflul.i  verehrter  Lehrer  das  Interesse  für 
rechtsgeschichtliche  Forschung  in  mir  geweckt  worden  war,  empfing 
ich  wälirend  eines  mir  unvergeßlichen  Semesters  in  der  „Musen- 
stadt Tübingen“  durch  Herrn  Professor  Rietschel  die  An- 
regung zur  Beschäftigung  mit  der  deutschen  Königswahl.  Er 
hat  mich  zuerst  in  die  Methoden  streng  wissenschaftlicher  Forschung 
eingeführt,  unter  seiner  unmittelbaren  Leitung  habe  ich  mit  der 
Sammlung  des  Materials  begonnen;  in  meinem  Aufsatz  „Der  Ein- 
fluß Papst  Viktors  II.  auf  die  Wahl  Heinrichs  IV.  Ein  Beitrag 
zur  Geschichte  des  päpstlichen  Approbationsrechts  bei  der  deutschen 
Königswahl“  (Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Geschf.  XXVII  209  ff.)  und 
in  einer  Besprechung  der  Krammer’schen  Arbeiten  (in  derselben 
Zeitschr.  XXVI II  684  ff.)  sind  die  ersten  Ergebnisse  meiner  in 
Tübingen  begonnenen  Untersuchungen  niedergelegt.  Bei  diesen 
Untersuchungen  fiel  mir  nun  auf,  daß  das  Verhalten  des  corpus 
iuris  canonici  und  speziell  der  Glosse  zur  deutschen  Königswahl 
bisher  nicht  systematisch  erforscht  wurde,  obwohl  doch  seit  über 
einem  Dezennium  der  Einfluß  des  kanonischen  Rechts  im  Mittel- 
punkt der  Erörterungen  über  die  Königswahlen  steht;  durch  eine 
Konzentration  meiner  Forschungen  nach  dieser  Richtung,  hoffte 
ich,  nicht  nur  einen  neuen  Anhaltspunkt  für  die  Lösung  der 
angedeuteten  strittigen  Frage  zu  gewinnen,  sondern  vielleicht 
auch  einen  kleinen  Baustein  liefern  zu  können  für  das  m.  E. 
wichtigste  Gebiet  der  deutschen  Rechtsgeschichte,  das  Verhältnis 
zwischen  kanonischem  Recht  und  deutschem  Recht,  für  dessen 


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VTTI 

Behandlung  Gierkes  unsterbliches  Werk  (ich  verweise  insbesondere 
auf  § 11  des  III.  Bandes)  den  Grund  gelegt  hat.  Es  wurde 
mir  nun  das  Glück  zuteil,  mich  auch  auf  diesem,  ins  kanonische 
Recht  einschlagenden  Gebiete  meiner  Arbeit  der  Führung  eines 
hochverehrten  Mannes  zu  erfreuen,  Herrn  Hofrats  v.  Scherer, 
der  in  diesem  Stadium  meine  Arbeit  in  nie  ermüdender,  geradezu 
väterlicher  Güte  durch  Rat  und  Tat  gefördert  hat. 

Was  das  Quellenmaterial  dieses  Buches  anlangt,  so  bin  ich 
bei  der  Sammlung,  ohne  mich  daraufzu  beschränken,  ausgegangen 
von  dem  Buche  Estevan  Daoyz,  iuris  pontißcii  tomus  IV.  in  duas 
partes  divisus  continens  conclusiones,  indicem  ac  summain  omnium 
materiarum,  i/uae  ex/ m nuntu  r in  textu  et  glossis  iuris  atnonici , 
Burdegal  1624  (aus  der  Grazer  Universitäts-Bibliothek).  Soweit 
nichts  anderes  ausdrücklich  bemerkt  ist,  ist  den  Zitaten  aus  dem 
corpus  iuris  canonici  selbst  die  Ausgabe  von  Friedberg,  denen 
aus  der  Glosse  das  in  der  Seminar-Bibliothek  der  Wiener  theo- 
logischen Fakultät  befindliche  Exemplar  der  Ausgabe  Lugduni, 
Sumptibus  Joannis  Antonii  Huguetan  et  GuiUielmi  Barbier, 
MDCLXXI  zugrunde  gelegt.  Soweit  ich  bei  der  Zuweisung 
einzelner  Glossenstellen  Schulte  gefolgt  bin,  habe  ich  mich  an 
sein  großes  zusammenfassendes  Werk  Geschichte  der  Quellen  und 
Literatur  des  kanonischen  Rechts  gehalten  und  Verweise  auf 
die  durch  dasselbe  überholten,  von  mir  durchgesehenen  Einzel- 
Untersuchungen  desselben  Verfassers  unterlassen.  Schließlich 
möchte  ich  bezüglich  der  literarischen  Verweise  ausdrücklich 
hervorheben,  daß  Schröders  Lehrbuch  der  deutschen  Rechts- 
geschichte noch  nach  der  4.  Auflage  zitiert  wird. 

Es  erübrigt  mir  noch,  allen  jenen  herzlichen  Dank  zu  sagen, 
die  dieses  Buch  gefördert  haben  und  die  alle  einzeln  zu  nennen 
nicht  möglich  ist:  so  allen  meinen  verehrten  Lehrern,  die  historisches 
und  juristisches  Interesse  in  mir  erweckt,  meinen  Freunden,  die 
mich  bei  den  mit  der  Drucklegung  verbundenen  Arbeiten  unter- 
stützt haben,  und  den  verehrlichen  Bibliotheks-Verwaltungen.  In 
letzterer  Hinsicht  fühle  ich  mich  verpflichtet,  das  außerordentliche 
Entgegenkommen  der  n.  ö.  Landes-Bibliothek,  des  hochwürdigen 
Stiftes  Melk  und  des  hochwürdigen  Schottenstiftes  in  Wien  be- 
sonders hervorzuheben.  Vor  allem  aber  will  ich  Zeugnis  geben 
der  warmen  Dankbarkeit  gegenüber  jenen  beiden  eingangs  genannten 


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rx 

Männern,  welchen  ich  meine  wissenschaftliche  Bildung  zum 
großen  Teil  verdanke  und  welche  ich  als  Vorbilder  echter  deutscher 
Wissenschaft  verehre,  deren  unverrückbarer  Wahlspruch  auch 
mein  Leitstern  war  bei  der  Darstellung  einer  von  der  Parteien 
Haß  und  Gunst  nur  zu  oft  verwirrten  Seite  unserer  nationalen 
Rechtsentwicklung:  Veritati! 

Wien,  im  Dezember  1908 

Dr.  Karl  Gottfried  Hugclmann 


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Inhaltsverzeichnis 


Seit« 

Vorwort VII 

Inhaltsverzeichnis X 

Einleitung:  Das  „Verhältnis  von  Staat  und  Kirche“  im  Mittel- 
alter  l 

Di«  l«io«  dos  einen  eliristliulion  Weltreich«,  ihre  Wurzeln 
und  der  Versuch  ihrer  Verwirklichung  im  fränkischen  und  im 
römisch-deutschen  Kaisertum.  S.  1.  Als  Felge  der  Idee  des 
Univcrsalismus  der  „Synergismus“  des  kirchlichen  und  staat- 
lichen Lebens:  Papst  und  Kaiser,  die  zwei  höchsten  Organe 
des  Weltreichs.  S.  4.  — Das  Verhältnis  zwischen  beiden  „Ue- 
walten“  in  soiner  historischen  Kntwicklung:  die  Stellung  des 
römischen  Imperators,  des  germanischen  Königs  (insbesondere 
des  fränkischen),  Karls  des  Großen.  In  der  überragenden  Macht- 
stellung Karls  des  Großen  doch  ■schon  Keime  des  Umschwungs: 
die  Entstehung  des  Kirchenstaats  und  die  Krönung  durch  den 
Papst  als  Grundlage  der  Translationstheorie.  S.  8.  — Die  zwei 
Etappen  im  Kampfe  der  Päpste  gegen  die  kaiserliche  Übermacht 
und  für  die  Durchsetzung  des  „hiernkratischen“  Systems:  der 
Inrestiturstreit  und  der  Kampf  um  Sizilien.  S.  11.  Das  Er- 
gebnis des  Kampfes:  die  extreme  Durchführung  des  „hiern- 
kratischen“ Systems  in  der  Bulle  „Unam  Sanctam",  der  Fall  des 
Kaisertums  und  damit  auch  der  Grundlage  des  „hierokratischen- 
Systcms,  als  Konsequenz  der  Kurverein  von  Itense.  S.  15.  — Die 
Bedeutung  der  Besetzung  des  Thrones  in  diesem  Kampf  und  das 
Maß  ihrer  Beeinflussung  durch  das  kirrhliche  Amterrecht,  das 
päpstliche  Dovolutionsrecht,  das  Wahlverfahren.  S.  17.  — Plan 
der  folgenden  Darstellung.  S.  21. 

Erstes  Kapitel:  Die  Bestimmungen  des  corpus  iuris  canonici 
und  die  Lehre  der  Glosse  über  die  Besetzung  des 
deutschen  Thrones 23 

Die  eminente  Bedeutung  des  corpus  iuris  canonici  als  Recht- 
fertigung für  die  Beschränkung  der  Untersuchung  auf  dasselbe. 


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XI 


Saite 

I.  Dm  Gratlanlsche  Dekret 24 

Die  Darlegung  der  „hierokratischen“  Doktrin  Gregors  VII., 
speziell  gegenüber  dem  deutschen  Königtum:  Depositionsrecht, 
Schiedsrichteramt  und  Approbationsrecht  (persona  idonea  und 
Wahlverfahren).  Relativ  geringer  Niederschlag  im  Gratianischen 
Dekret  S.  24.  — Scharfe  Unterscheidung  zwischen  regnum  und 
imperium.  S.  27.  — Fehlen  einer  Behandlung  der  Königswahl  ex 
professo ; Streit  der  Glossatoren  über  die  Frage,  ob  die  conlirmatio 
papae  (nicht  schon  die  Wahl)  das  ius  imperii  verleiht  oder  ob 
sie  zu  dem  schon  mit  der  Wahl  erworbenen  ins  imperii 
nur  das  excrcitium  imperii  hinzufügt.  S.  28.  Das  päpstliche 
„Substitutionsrecht“  als  Vorläufer  des  Devolutionsrechts.  S.  30. 

Der  Streit  der  Glossatoren  über  das  Erbrecht,  speziell  die 
Anerkennung  eines  dom  römischen  König  (?)  zustchenden  De- 
signationsrechts. S.  31.  — Die  Gregorianische  Depositiops- 
theorie  im  Gratianischen  Dekret.  S.  34.  — Anführung 
von  Gegenargumenten.  S.  35.  — Versuche  einer  abschwächenden 
Interpretation  in  der  Glosse,  insbesondere  die  infolge  der  Ex- 
kommunikation ipso  iure  eintretende  Suspension  vom  königlichen 
Amt  und  ein  vorläufiges  .Substitutionsrecht  des  Papstes.  S.  37.  — 
Unvereinbarkeit  der  dargestellten  Theorie  mit  dem  staats- 
kirchlichem  System  des  Dekrets  nach  der  modernen  Auffassung, 
Vereinbarkeit  nach  der  mittelalterlichen  Auffassung,  deren  histo- 
rische Wurzeln.  S.  40. 

II.  Die  Gregorianischen  Dekretaten 

Rückblick  und  kurze  Kkizzicrung  der  weiteren  Entwicklung. 

1.  Die  Bulle  „Venerabilem“ 

Die  Vorgeschichte : die  Doppelwahl  S.  43.,  die  Ver- 

handlungen mit  dem  Papst  S.  44.  — Kurze  Analyse  der 
Bulle.  S.  46.  — Dio  Grundzüge  der  Thronbesetzung  als 
Rechtfertigung  für  die  reprobatio  Philipps:  das  Wahlrecht  der 
Fürsten;  das  ius  examinandi  personal»  (Approbationsrccht) 
des  Papstes.  8.  47.  Die  Ausrufung  Ottos  zum  König: 
Unklarheit  der  Bulle  bezüglich  des  ius  altcri  partium  favere, 
Grund  hiefür  in  dem  wirklichen  Ausgangspunkt  des  Papstes, 
Ansätze  zu  einem  päpstlichen  Kontirinations-  und  Devolutions- 
recht. S.  49.  — Weitere  Argumente  für  Ottos  Königtum: 
die  Krönung,  Konstruktion  des  Wahlakts  in  Anlehnung  an 
einzelne  Bestimmungen  des  kanonischen  Walilverfahrens  (unitas 
actus  und  Majoritätsprinzip).  S.  55.  — Eigentümliche  Aus- 
gestaltung des  Prinzips  der  persona  idonea.  8.  58. 

2.  Die  Glosse  zur  Bulle  „Venerabilem“  im  Zusammen- 

hänge mit  den  Parallelstellen  der  Dekretalon  und 
der  Glossen 


42 

43 


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XTT 


Sette 

I.  Die  Glosse  zur  Bulle  „Voncrabilem“  in  ihrer  historischen 

Entwicklung 60 

II.  Systematische  Darstellung  ihrer  einschlägigen  Lehren  (im 
Zusammenhang  mit  den  Parallelstellen  der  Dekretalcn).  . 63 

A)  Das  Wahlrecht  der  Fürsten.  S.  63. 

1.  Ablehnung  des  Erbrechts.  S.  63. 

2.  Beschränkung  des  primären  Wahlrechts  der  Pursten 
durch  die  liechte  des  Papstes.  S.  66. 

3.  Einschränkung  des  Wählerkreises.  S.  67. 

B)  Die  Rechte  des  Papstes.  S.  70. 

1.  Das  Approbationsrecht  im  weiteren  Sinn  als  Korrelat 
des  fürstlichen  Wahlrechts.  S.  70. 

2.  Die  Rechte  des  Papstes  bei  zwiespältigen  Wahlen.  S.  72. 

a)  Das  (prozessual  ausgestaltete,  jedoch  nicht  rein 
hiorokratisch  begründete)  Rieht  er  amt.  S.  72. 

— Die  Dekretale  „Novit“.  S.  74. 

b)  Das  ius  alteri  partium  favere.  S.  76.  — Die 
einzelnen  Fälle:  das  angebliche  freie  Ermessen  des 
Richters  in  dubio,  die  Nuanzierung  des  Approbations- 
rechts bei  merita  paria,  das  Devolutionsrecht;  ins- 
besondere (als  wirkliche  historische  Wurzel)  das 
partes  cogere  in  concordiam.  S.  77. 

3.  Die  Krönung  (behebt  zwar  das  Entscheidungsrecht 
bei  zwiespältigen  Wahlen,  nicht  aber  das  Approbations- 
recht). S.  83. 

C.  Das  Wahlverfahren.  S.  84. 

1.  Das  Majoritätsprinzip  (allmähliche  Durchsetzung,  im 
Unterschied  von  Kirchonämtern  keine  Qualifikation). 

S.  84. 

2.  Der  Wahlakt  im  engeren  Sinn.  S.  85.  — Ähnlich- 
keiten (vor  allem  unitas  actus)  und  Unterschiede 
gegenüber  den  Kirchenämtern  (kein  Hinweis  auf  die 
Canones  „Quia  propter“  und  „Oumana“).  S.  85.  — 
Reflexwirkung  der  teilweisen  Subsumtion  unter  das 
Ämterrccht:  Deduktion  allgemeiner  Rechtssätze.  S.  87. 

3.  Die  das  passive  Wahlrecht  (die  „Idoneität“)  behan- 
delnden Glossen  und  ihre  Bedeutung  für  den  Wahlakt. 

S.  87.  — Der  abweichende  formelle  Vorgang  gegenüber 
der  Behandlung  von  Bischofswahlen.  S.  88.  — Die 
einzelnen  Indignitätsfälle  (vielfach,  aber  nicht  schlecht- 
hin identisch).  S.  89.  — Die  Wahl  ein  actus  legi- 
timus ? 8.  91. 


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XIII 


Seit« 


UI.  Das  Verhältnis  der  dargelegten  Theorie  ium  staatskireben- 
rechtlichen System  dor  Dekretalen.  92 

Die  Ausdehnung  der  potestas  in  temporalibus  durch 
das  kanonische  Recht  im  Gegensatz  zur  Kntwicklung  des 
deutschen  Geisteslebens:  darein  fügt  sich  vollständig  die 
dargelegte  Theorie.  8.  92.  — Das  Depositionsrecht.  S.  95. 

3.  Das  Summarium  zur  Bulle  „Venerabilem“  ....  96 

(bestätigt  die  gewonnenen  Ergebnisse). 

III.  Der  Abschluss  der  kanonischen  Theorie:  Der  I.lber  Sextus, 

die  Clementinen  und  dlo  Extravaganten  98 

Rückblick  und  kurze  Skizzierung  der  weiteren  Entwicklung. 

1.  Der  Liber  Seitus,  insbesondere  die  Deposition 

Friedrichs  II.  100 

Inhaltsangabe  der  Depositions  - Bulle.  S.  100.  Unter- 
scheidung zwischen  der  Stellung  Friedrichs  als  Kaiser  und  als 
König  von  Sizilien.  S.  101.  — Die  Depositions-Sentenz:  theo- 
retische Annäherung  an  den  Standpunkt  Gregors  VII.  bei  An- 
klingen der  Kompetenz-Begründung  ratione  peccati  nnd  prak- 
tischem Entgegenkommen;  streng  hiorokratischer  Standpunkt 
bezüglich  der  (definitiven)  Wirkung  der  Deposition;  oppor- 
tunistischer bezüglich  der  Voraussetzungen  (gravissimacrimina). 

8.  102.  — Die  Glosse  privamus.  Darlegung  ihrer  auf  dem 
principium  unitatis  anfgebauten,  bereits  sehr  hierokratisebon 
staatskirchen rechtlichen  Theorie.  S.  105.  — Einfluss  diuser 
Anschauungen  auf  die  Königswahl:  das  Devolutionsrecht. 

S.  109.  Das  Kurfürstenkollegium.  S.  111.  Schweigen  be- 
züglich des  Wahlverfahrens.  S.  112. 

2.  Die  Theorie  vom  Fidelitätseid  und  die  Bestim- 

mungen über  die  Königswahl  in  den  Clementinen 
und  ihrer  Glosse  112 

Die  Berührungen  zwischen  dem  Papsttum  und  dem 
deutschen  Thron  nach  der  Deposition  Friedrichs  II.  S.  112. 

— Die  historische  Veranlassung  der  Clementinen  „Romani 
principes“  und  „Pastoralis*  nach  der  Wahl  Heinrichs  VII. 

S.  113.  — Die  Auffassung  des  Kaisertums  als  einer  der  Welt- 
herrschaft entkleideten,  unter  der  Lehenshoheit  des  Papstes 
stehenden  staatlichen  Organisation  in  den  Clementinen  „Romani 
principes“  und  „Pastoralis“.  S.  115.  — Die  Erlangung  der 
Kaiserwürdc  nach  der  Clomentine  „Romani  principes“;  die 
Unterscheidung  zwischen  Kaisertum  und  Königtum  und  dio 
eventuelle  Einschränkung  der  Translationstheorie  auf  ersteres. 

Die  Annäherung  der  Königswahl  an  die  Bestimmungen  des 
kanonischen  Wahlverfahrens  ohne  volle  Subsumierung,  die 
unbestrittene  Stellung  des  Kurfürstenkollegiums.  S.  118.  — 


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Seit»* 


xrvr 

Die  Stellungnahme  der  Glosse  hiezu  im  allgemeinen.  S.  120. 
Insbesondere  ihre  Unklarheit  bezüglich  der  Unterscheidung 
zwischen  Kaisertum  und  Königtum.  S.  122.  — Abschließende 
Zusammenfassung.  S.  124. 

3.  Die  Extravaganten.  Der  extreme  Hierokratismus 
der  Bulle  „Unam  Sanctam“  125 

Allgemeine  Bedeutung  der  Bulle  „Unam  Sanctam“.  S.  125. 

Die  Grundzüge  ihrer  hierokratischen  Theorie.  S.  125. 

Deren  Rückwirkung  auf  das  Kaisertum.  S.  126.  — Speziell 
die  vacatio  imperii,  das  Vikariat  in  Italien:  die  advocatia 
sedis  apostolicae  (und  das  lombardische  Königreich)  als 
wesentlicher  Inhalt  des  Kaisertums;  die  päpstlichen  Rechte 
gegenüber  demselben  als  einem  geistlichen  Amt,  unklares 
Verhältnis  bezüglich  des  Königtums.  S.  128.  — Vollständiger 
Umsturz  des  hierokratischen  Systems,  Emanzipation  des 
deutschen  Staatsrechts  vom  kanonischen  Recht  und  infolge- 
dessen Aufhören  der  kanonischen  Gesetzgebung  über  die 
Besetzung  des  deutschen  Thrones.  S.  130. 

Zweites  Kapitel.  Die  rechtshistorische  Bedeutung  der 
kanonischen  Doktrin  über  die  Besetzung  des  deutschen 
Thrones  132 

Feststehendes  Ergebnis:  Die  Befestigung  des  Wahlprinzips; 
Weitergehen  der  herrschenden  Theorie:  Umschwung  des  Kfinigs- 
wahlenrechts  im  13.  Jahrhundert  durch  Rezeption  kanonischen 
Ämterrechts;  Plan  der  folgenden  Untersuchung. 

1.  Systematische  Zusammenfassung  der  Lehre  von  der  deutschen 
KSnigswahl  nach  dem  ausgebildeten  kanonischen  Recht  . 133 

Wesen  und  Verknüpfung  der  Kaiser-  und  der  Königswürde, 
grundlegende  Bestimmungen  bezüglich  der  letzteren,  ihre  Be- 
setzung, die  Rechte  des  Papstes,  der  Regierungsantritt;  alles 
in  allem:  keine  volle  Gleichsetzung  (Deposition  und  Bestellung 
eines  Koadiutors). 

II.  Bas  Verhältnis  zwischen  kanonischem  Recht  und  deutschem 

Reichsrecht  im  allgemeinen 138 

Die  Fragestellung.  S.  138.  Das  Recht  als  Produkt  des 
Gemeinschaftslebens  an  sich  (der  Staat  bereits  das  Produkt 
einer  weit  vorgeschrittenen  Rechtsentwicklung).  S.  139.  Die 
Vielheit  der  Rechtsordnungen.  Ihre  Durchkreuzung.  S.  140. 
Insbesondere  die  Rechtskollisionen  zwischen  Staat  und  Kirche, 
auch  im  Mittelalter.  8.  143.  — Resultat:  Die  Notwendigkeit 
empirischer  Untersuchung  im  einzelnen.  S.  144. 


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XV 

Seit» 

III.  Oer  tatsächliche  Einfluss  dos  kanonischen  Rechtes  auf  die 


Uestaltung  der  dentscheu  Kiinlgswahl  145 

Disposition. 

1.  Die  eiectio  communis  145 

Die  herrschende  Rezeptions-Theorie.  S.  145.  — Die 


Widerlegung  der  Bresslausehen  Theorie  (von  der  bewußten 
Rezeption  des  Papstwahlenrechtcs)  durch  Lindner.  S.  147. 

— Ergänzung  der  Lindnerschen  Argumentation  gegen  die 
Rezeptions-Theorie  im  allgemeinen:  das  Schweigen  des  Cor- 
pus iuris  canonici.  S-  147.  Die  eiectio  per  unutn  als 
altes  Erbstück  deutschen  Rechtes.  S.  148.  — Der  wirkliche 
Einlluss  des  kanonischen  Rechtes  : infolge  der  Umgestaltung 
der  nominatio  durch  das  Majoritätsprinzip  wird  die  eiectio 
communis  zu  einem  ständigen  Formalakt,  der  in  der  goldenen 
Rulle  wegfällt:  eine  Anlehnung  an  kanonisches  Recht  in 
Einzelheiten  ist  wohl  vorhanden,  jedoch  nicht  in  der  juristisch 
bedeutsamen  Frage  der  Stimmenfibertragung.  S.  150.  — Die 
Schwierigkeiten  des  Protestes  von  Speyer  und  der  Bulle 
„Yenerabilem“  (die  arbitri).  S.  154.  — Zusammenfassung 
und  Übergang  zum  folgenden.  S.  156. 

2.  Die  Entstehung  des  Kurfürstenkollegiums  . . . 157 

Die  Jlayersche  Hypothese:  die  Rezeption  dos  Skrutatoren- 
kollegiums.  S.  157.  — Widerlegung,  insbesondere  durch  das 
Schweigen  des  corpus  iuris  canonici  S.  159:  die  innere 

Unwahrscheinlichkeit  der  Hypothese.  S.  160.  — Als  positive 
Seite  des  Problems  die  deutsclirechtliche  Wurzel  des  Kur- 
fürstenkullegiuuis:  die  Kurfürsten  im  Sachsenspiegel  — ein 
Elektorenkollegiuui.  S.  161.  — 1.  Die  Entstehung  des 
kurfürstlichen  Vorrechts:  die  ältesten  „Wahlvorrechte“ 
(Mainz,  Köln,  Trier,  Pfalz).  S.  163.  — Die  entscheidende 
Bedeutung  der  Doppelwahl  von  1198:  das  ius  principale 
eines  nicht  ganz  fest  umgrenzten  Wählerkreises  (Einfluss  des 
Stauimesherzogtums),  welches  der  Papst  bereits  als  ein  ius 
exclusivnm  auffaßt;  andere  unterstützende  Momente:  der 

jüngere  Reichsfnrstenstand,  die  parallele  Entwicklung  in  den 
Domkapiteln;  die  Konsolidierung  des  ius  principale  bei 
den  folgenden  Wahlen:  die  Designation  1220  beobachtete 
die  Formen  des  alten  (ein  elector)  und  des  neueu  Rechts 
(das  ius  principale  der  principes  electores).  S.  164.  — Der 
Abschluss  der  Entwicklung  durch  den  Sachsenspiegel  (der 
die  verschiedenen  Theorion  kombiniert):  der  Kreis  der 
Wühler  überhaupt  (die  Reichsffirsten  im  engeren  Sinn,  die 
Friderizianischen  Privilegien),  der  Kurfürsten  (Brandenburgs 
Erzamt  und  Beziehungen  zu  Eike,  Vereinigung  von  Bayern 
und  Pfalz),  das  Vorrecht  als  ius  eligendi  (im  technischen  Sinn) 


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XVT 


S.  170:  die  Wahl  von  1237  ala  erste  auf  Grund  des  Sachsen- 
spiegels vorgenommene.  8.  178.  — 2.  Das  Vorrecht  wird 
zu  einem  ins  exclusivuni:  Verknüpfung  des  ius  eligendi 
mit  dem  ius  principale  bei  den  folgenden  Wahlen ; das  Braun- 
Schweiger  Weistum  1252:  das  Zurücktreten  des  Konsensrechtes 
der  Nicht-Kurfürsten  bei  der  Wahl:  die  Einschränkung  des 
Fnrstenkreiscs : das  ausschließliche  Wahlrecht  der  Kurfürsten 
(entsprechend  ihrem  ausschließlichen  Konsensrecht  zu  Re- 
gierungshandlungen) bei  der  Doppelwahl  1257  (Böhmen) 
und  in  der  Bulle  „Qui  celum“  12G3.  S.  174.  — Abschließende 
Zusammenfassung.  S.  177. 

3.  Das  Majorit&tsprinzip  und  die  unitas  actus  . . . 178 

Allgemeine  Bemerkungen,  Anknüpfung  an  die  bisherigen 
Ausführungen.  S.  178.  Eingliederung  in  die  allgemeine 
Hechtsentwicklung:  das  Werden  der  Korporation.  S.  179.  — 

Der  Wahlort,  die  Teilnahme  bestimmter  Fürsten  als  essentiale, 
damit  bereits  das  Erfordernis  der  unitas  actus;  bewußte 
Forderung  der  Förmlichkeiten  (und  der  unitas  actus)  durch 
Gregor  VII.  und  Innozenz  III.  in  der  Bulle  „Venerabilem“, 
Durchsetzung  bereits  bei  den  folgenden  Wahlen  (die  Rechts- 
bücher). S.  180.  — Die  großen  Widerstände  gegen  das  in 
der  Bulle  „Venerabilem"'  ohne  organische  Verbindung  mit  der 
unitas  actus  aufgestellte  Majoritätsprinzip,  größer  sogar  als 
auf  anderen  dem  kanonischen  Einfluss  entrückten  Gebieten  des 
Rechtslcbcns:  die  Wahlen  bis  1257.  8.  182.  — Das  stärkere 
Durchdringen  des  Prinzips  bis  zu  Rudolf  von  Habsburg. 

8.  184.  — Der  Abschluss  der  Entwicklung:  die  bewußte  An- 
wendung des  Majoritätsprinzips  und  der  unitas  actus  durch 
Balduin  von  Trier  als  Gegengewicht  gegen  die  päpstlichen 
Rechte  (das  wiederholt  ohne  Widerspruch  geübte  Approba- 
tionsrecht und  das  1314  ncuerdiugs  beanspruchte  Schieds- 
richteramt): die  Anwendung  der  Korpora tions  - Theorie 
auf  das  Kurfürstenkollegium  durch  Lupoid  von  Bebenburg; 
der  Kurvcrcin  von  Rense  und  die  goldene  Bullo.  S.  185.  — 
Ergebnis:  hier  allerdings  starker  kanonischer  Einfluß,  aber 
doch  Selbständigkeit  des  deutschen  Rechts  (keine  qualifizierte 
Majorität).  S.  187. 

Anhang  I:  Verzeichnis  der  zitierten  Stellen  aus  dem  corpus 


iuris  canonici 189 

Anhang  II:  Bibliographie  der  deutschen  Königswahl  . . 194 

Alphabetisches  Register 204 


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Einleitung 

Das  „Verhältnis  von  Staat  und  Kirche“  im 
Mittelalter. 

Der  Umstand,  daß  der  erste  Staat,  innerhalb  dessen  die 
christliche  Kirche  nach  dreihundertjähriger  Kampfeszeit  rechtliche 
Anerkennung  erlangte,  zu  dem  sie  in  rechtliche  Beziehungen  trat, 
das  römische  „Weltreich“,  das  imperium  Roraanum,  war,  ist  so- 
wohl für  die  katholische  Auffassung  des  Verhältnisses  zwischen 
Kirche  und  Staat  überhaupt  als  auch  in  weiterer  Folge  für  die  tat- 
sächliche Gestaltung  dieses  Verhältnisses,  teilweise  bis  auf  die 
Gegenwart,  bestimmend  geworden.  Der  gewaltige  Gedanke  des 
einen  christlichen  Weltreichs,  welcher  durch  Jahrhunderte 
Gemeingut  des  abendländischen  Kulturkreises,  bis  gegen  das  Ende 
des  Mittelalters  der  unverrückbare  Mittelpunkt  aller1)  und  noch 

■)  Krst  im  14.  Jahrhundert  wurde  der  Bestand  des  Weltreichs  theo- 
retisch in  Zweifel  gezogen,  wohl  vor  allem  infolge  des  Kampfes  zwischen 
Philipp  dem  Schönen  von  Frankreich  und  Bonifaz  VIII.:  indem  der  König 
seine  Souveränität  behauptete,  also  den  Bestand  des  Weltreichs  negierte, 
stritt  er  am  wirksamsten  gegen  die  politischen  Ansprüche  des  Papstes. 
Siehe  unten  S.  IG.  Vgl.  Kehm,  I losch,  der  Staatsrechtswissenschaft 
(Marqiiardsens  Handbuch  d.  öffentl.  Hechts.  Rinleitungsband  I.  Abteilung), 
Freiburg  i.  B.  und  Leipzig  189G,  S.  19G  (daselbst  Anm.  2 weitere  literarische 
Belege).  Doch  hat  jene  Ansicht,  welche  theoretisch  am  Kaisertum  festhielt, 
bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters  die  Oberhand  behalten.  Noch  zu  Beginn 
des  14.  Jahrhunderts  fand  der  Reichsgedanke  seine  literarische  Vertretung 
von  monumentaler  Größe  in  Dantes  „göttlicher  Komödie.*  Die  Beschränkung 
Rudolfs  und  Albrechts  von  Habsburg  auf  Deutschland  erscheint  dem  Dichter 
als  schwerste  Ptlichtversäumuis ; Fegefeuer,  VI  97  bis  105: 

O deutscher  Albert,  der  das  wildgewordno 
Unbändge  [seil.  Italien]  du  sich  selber  überlässest, 

Hugelmanu,  Die  deutsche  Küuigswibl  1 


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2 


weit  darüber  hinaus  eine  Forderung  mancher  (auf  katholisch- 
theologischer Grundlage  aufgebauter) ')  staatswissenschaftlicher 
Systeme  geblieben  ist,  stellt  sich  als  eine  Verknüpfung  des 
römischen  Staatsgedankens  *)  und  jener  erhabenen  religiösen 
Lehre  dar,  die  sich  „an  alle  Völker“  wendet,  der  Lehre  vom 
„Gottesreiche“,  das  schon  der  heilige  Augustinus  als  civitas 
Dei  gedacht  hat3).  Zweimal  hat  dieser  Gedanke  seine  gestaltende 

Und  sollt’st  doch  seines  Sattels  Bug  umspannen. 

Ein  recht  Gericht  fall’  aus  den  Sterneu  nieder 
Auf  dein  Geschlecht,  und  unerhört  und  klar  sei's, 

Dali  dein  Nachfolger  Furcht  darob  empfinde: 

Denn  du  nebst  dem  Erzeuger  hast  geduldet, 

Von  Halbbegicrde  jenseits  festgehalten. 

Daß  wüst  gelegt  des  Reiches  Garten  würde. 

iPhilalethcs’  Übersetzung) 

Vgl.  auch  Liber  I in  Dantes  Monarehia,  bes.  das  signifikante  cap.  2.  Siebe 
unten  S.  C Anm.  1. 

■)  Wie  stark  die  alten  Anschauungen  nachwirkten,  erhellt  wohl  am 
deutlichsten  aus  der  Tatsache,  daß  noch  Art.  I § 1 der  letzten  Wahl- 
kapitulation vom  5.  Juli  1792  lautete:  Zum  ersten,  daß  wir  in  Zeit  solcher 
Unserer  königlichen  tVürde,  Amt  und  Regierung  die  Christenheit , den  Stuhl  zu  Korn, 
pdbstliche  Heiligkeit  und  christliche  Kirche  als  derselben  Aavokeit  in  gutem  treulichem 
Schutz  und  Schirme  halten  sollen  und  wollen.  Gärtner,  Corp.  Jur.  eccl.,  II 
Salisb.  1799.  p.  3. 

Als  Uuriosum  mag  angeführt  worden,  daß  noch  im  20.  Jahrhundert  (!) 
gelegentlich  eine  derartige  Staatsauffassung  vertreten  werden  konnte.  Z.  B. 
erklärtes  P.  Augustin  lioesler,  C.  SS.  R.,  Der  Katholizismus,  seine  Aufgabe 
und  seine  Aussichten  nach  Prof.  Dr.  Albert  Ehrhard,  Hamm  i.  W.  1902, 
S.  11,  als  möglich,  die  .Verbindung  (von  Papsttum  nml  Kaisertum)  als 
wünschenswerten  Höhepunkt  des  Reiches  Gottes  auf  Erden  . . . anzustreben." 

a)  Vgl.  über  den  Einfluß  des  römischen  Staatsgedankens  auf  die  kirch- 
lichen Anschauungen  (und  auf  die  kirchliche  Verfassung,  welche  jedoch 
außerhalb  des  Rahmens  dieser  Untersuchung  liegt)  Sägmüller,  Die  Idee 
von  der  Kirche  als  imperinm  Romanum  im  kanonischen  Recht,  Tübinger 
Theologische  Quartalschrift,  LXXX  (1898)  50  ff. 

3)  Viele  haben  die  Schrift  des  hl.  Augustinus  De  civitate  Dei  als  ein 
frühes  Bekenntnis  zum  .hierokratischen“  System  gedeutet:  vgl.  Rehui  a.  a. 
0.  (vgl.  oben  S.  1 Anm.  1)  8.  156  Anm.  5.  In  neuerer  Zeit  scheint  man  von 
dieser  Ansicht  mehr  abzukommen  und  faßt  die  civitas  Dei  als  symbolische 
oder  mystische  Bezeichnung  der  communio  sanctorum  auf  (arg.  B.  De 
civitate  Dei  XV  1:  quas  ctiam  my  stice  appcltamus  duas  dvitates  hoc  est  duas  socie - 
tatet  hominum  quarum  est  una  quae  praedestinata  est  in  aeternum  regnare  cum  Deo , 
altera  aeternum  supplicium  subire  cum  Diabolo);  so  vor  allem  Reuter, 


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3 


und  siegende  Kraft  bewährt1):  das  erstemal  sammelte  die  Tatkraft 
der  Karolinger,  des  größten  Herrschergeschlechtes  aller  Zeiten,  das 
ganze  Abendland  zum  Selbsterhaltungskampfe  für  seine  Kultur  gegen 
den  Islam  und  dann  gegen  die  Avaren  im  fränkischen  Reiche,  das 
sich  zum  weltbeherrschendeu  Kaisertum  erweiterte;*)  das  zweite- 

Augustinische  Studien,  Gotha  1887,  Studie  III,  Freih.  v.  Hcrtling 
in  Bruders  Staatslexikon  der  Görres-Gesellschaft  2.  Aull.,  Band  I 
Art.  Augustinus,  und  neuerlich  in  der  Weltgosch,  in  Karakterbildern, 
I.  Augustinus,  Mainz  1902,  SS.  100  bis  105,  Reh  in  a.  n.  0.  SS.  155,  15(i. 
Scjrich,  Die  Geschichtsphilosophie  Augustins  nach  seiner  Schrift  I »o  civitate 
Dei,  l.eipz.  — Giss.  1891,  und  Bieglcr,  Die  civitas  Dei  des  hl.  Augustinus, 
Paderborn  1894,  haben  zu  der  wichtigen  Frage  nur  ungenügend  Stellung 
genommen. 

*)  Die  hier  vertretene  Auffassung  des  fränkischen  und  des  römischen 
Reiches  deutscher  Nation  beruht  im  wesentlichen  auf  den  von  Julius 
Fic  ker  vor  nahezu  einem  halben  Jahrhundert  veröffentlichten  Untersuchungen, 
welche  in.  E.  bis  heute  in  Bezug  auf  ausgebreitote  Quellenkenntnis,  souveräne 
Beherrschung  des  Tatsachen-Materials  und  tiefen  historischen  Blick  un- 
übertroffen sind.  Die  beiden  hierher  gehörigen  Werke  sind:  .Das  deutsche 
Kaiserreich  in  seinen  universalen  und  nationalen  Beziehungen.  Vorlesungen 
gehalten  im  Ferdinandeum  in  Innsbruck.*  Innsbruck  1861 : .Deutsches 
Königstum  und  Kaisertum.  Eine  Entgegnung  auf  die  Abhandlung  Heinrichs 
v.  Sybel  Die  deutsche  Nation  und  das  Kaisertum.*  Innsbruck  1862.  In 
dein  erstgenannten  Werk  hatte  Ficker  gelegentlich  auf  Heinrich  v.  Sybels 
am  28.  Nov.  1859  in  der  Münchener  Akademie  der  Wissenschaften  zur  Ge- 
burtstagsfeier König  Maximilians  II.  gehaltene  Rede  (über  die  neueren  Dar- 
stellungen der  deutschen  Kaiserzeit)  Bezug  genommen;  v.  Sybel  hatte 
hierauf  in  der  Schrift  .Die  deutsche  Nation  und  das  Kaisertum“,  Düssel- 
dorf 1862,  ausführlich  geantwortet,  v.  Sybel  sieht  im  fränkischen  und, 
allerdings  in  abgeschwäcbtetn  Maße,  auch  im  römisch-deutschen  Kaisertum 
anationale,  ja  sogar  antinationalc  und  nur  in  geringem  Maß  kulturfördernde 
Bildungen : Ficker  erblickt  in  beiden  die  ihrer  Zeit  voll  genügenden,  kultur- 
tragenden Organisationen,  speziell  im  römisch  deutschen  Kaisertum  ein  in 
seiner  Art  vollendetes  Produkt  deutschen  Geistes  und  deutscher  Tatkraft 
.die  größte  geschichtliche  Tat  der  Nation“.  Daß  die  von  Ficker  aus  seiner 
Auffassung  für  die  zukünftige  Gestaltung  der  deutschen  Verhältnisse  ge- 
zogenen Schlüsse  durch  den  Verlauf  der  Geschichte  widerlegt  wurden,  be- 
weist m.  E.  nicht,  daß  seine  Auffassung  der  Vergangenheit  falsch  ist, 
sondern  nur,  daß  er  die  Anpassungsfähigkeit  der  alten  Formen  an  die  neuen 
Bedürfnisse  der  Nation  überschätzte. 

l)  Vgl.  Ficker,  Das  deutsche  Kaiserreich  (vgl.  die  vorige  Antn.),  SS. 
17  bis  25;  Ficker,  Deutsches  Königtum  und  Kaisertum  (vgl.  die  vorige  Anui.), 
S.  35  Anm.  1.  Eine  ähnliche  Anschauung  findet  sich  in  neuester  Zeit  bei 

1* 


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4 


mal  erwuchs  um  den  Kern  des  deutschen  Königreichs,  in  dem  sich 
zur  Abwehr  der  Magyaren  die  deutschen  Stämme  zusammen- 
geschlossen hatten,  unter  deutscher  Führung  das  „ heilige  römische 
Reich  deutscher  Nation“, ')  das  nicht  nur  die  Behauptung  und 
Sicherung  des  Errungenen  ermöglichte,  sondern  die  abendländisch- 
arische Kultur  zu  einer  Blüte  von  niemals  übertroffener  Harmonie 
gedeihen  ließ,  ja  das  noch,  als  seine  beste  Kraft  bereits  gebrochen 
war,  wie  einst  das  sterbende  imperium  Romanum  den  Hunnen, 
dem  Mongolensturm  standbielt. *)  Faktisch  war  allerdings  im 
römisch-deutschen  Kaisertum,  dessen  „Einheit ...  in  germanischer 
Weise  von  unten  auf  erbaut“5)  war,  alles  andere,  als  der  römische 
Staatsgedanke  verwirklicht;  faktisch  haben  der  Verwirklichung 
auch  der  universalen  Tendenz,  wie  Julius  Ficker4)  überzeugend 
dargetan  hat,  sehr  reale  Verhältnisse  die  den  politischen  und 


Schücking  in  seinem  hoch  verdienstlichen  Werke  l>er  Kegicrungsan tritt: 
eine  rechtsgeschichtliche  und  staatsrechtliche  Untersuchung.  Buch  I:  l>ie 
Urzeit  und  /.eit  der  Ost-  und  Westgermanischen  Stammesreiche,  Leipzig 
1899,  S.  1 75.  Vgl.  auch  unten  S.  9 Anm.  2. 

l)  Vgl.  Kicker,  Das  deutsche  Kaiserreich  (vgl.  S.  3 Anm.  1),  SS.  42  bis 
99;  Ficker,  Deutsches  Königtum  und  Kaisertum  (vgl.  ebenda),  SS.  3(!  bis  39. 

*)  Vgl.  Haumer,  Geschichte  der  Hohenstaufen,  4.  Band,  4.  Aull.  1872, 
SS.  12  und  13.  Mag  Haumer  immerhin  zu  weit  gehen,  wenn  er  in  den 
energischen  Rüstungen  Deutschlands  und  in  den  schweren  Verlusten  bei 
Liegnitz  den  einzigen  Grund  für  den  Rückzug  der  Mongolen  sieht, 
so  scheint  mir  seine  Darstellung  doch  weit  richtiger  zu  sein  als  die  Lamp 
rechts  (Deutsche  Geschichte,  III.  Band,  Berlin  1893,  SS.  281  und  282), 
welche  mit  unbegreiflicher  Flüchtigkeit  über  die  Mongolengefahr  hinweg- 
geht, die  sich  angeblich  „alsbald  nach  der  Schlacht  von  Wahlstatt  (bei 
Liegnitz)  als  völlig  eingebildet  erwies.“  Vgl.  auch  Stralcoach-Grassiuann, 
Der  K, infall  der  Mongolen  in  Mitteleuropa,  Innsbruck  1893,  wo  m.  E.  die 
Mongolen-Gefahr  allerdings  ebenfalls  unterschätzt  (S.  148).  aber  doch  der 
Erfolg  der  deutschen  ltüstungen  ausdrücklich  hervorgehoben  wird  (S.  14C). 

3)  Ficker,  Das  deutsche  Kaiserreich,  S.  53. 

*)  Das  deutsche  Kaiserreich,  SS.  61  bis  63;  Deutsches  Königtum  und 
Kaisertum,  SS.  37  bis  52.  — Wie  wenig  selbst  das  Kaisertum  Karls  d.  Gr. 
seine  universale  Tendenz  verwirklicht  hat,  dafür  geben  seine  Beziehungen 
zum  byzantinischen  Kaiserreich  einen  drastischen  Beweis.  Vgl.  hierüber 
Ilarnack,  Das  karolingische  und  das  byzantinische  Reich  in  ihren  wechsel- 
seitigen politischen  Beziehungen,  Göttingen  1880;  der  Abstand  zwisebeu  der 
Idee  und  deren  praktischer  Verwirklichung  ist  scharf  gezeichnet  SS.  41  ff. 


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kulturellen  Bedürfnissen  der  in  ihm  vereinigten  Völker  genau  ent- 
sprechenden Grenzen  gezogen,  bei  deren  Überschreiten  durch  die 
Erwerbung  Siziliens1)  es  sofort  ins  Wanken  geriet.  Aber  der 
bei  seiner  Bildung  ideell  wirksame  Gedanke  des  Universalismus 
hat  genügt,  dem  Verhältnis  des  Staates  zur  Kirche  sein  charakte- 
ristisches Gepräge  zu  geben:  nur  aus  ihm  erklärt  sich  jener 
„Synergismus“,2)  jene  innige  Durchdringung  des  staatlichen  und 
kirchlichen  Lebens,  welche  in  ihrer  konsequentesten  Durchführung 
in  Kirche  und  Staat  überhaupt  nicht  zwei  verschiedene 
Lebensordnuugen,  sondern  im  Kaisertum  eben  nur  das  eine 
Gottesreich  (gewissermaßen  den  iituoxoffpot) 3)  und  folgegemäß 

*)  Vgl.  Picker,  Pas  deutsche  Kaiserreich,  SS.  101  bis  115;  Picker, 
Deutsches  Königtum  und  Kaisertum,  SS.  57  bis  61.  Wie  der  Prwerb 
Burgunds  1033  den  Reichsbau  zum  Abschluß  brachte  (Picker,  Pas 
deutsche  Kaiserreich,  SS.  62  und  63;  Picker,  Pcntscbes  Königtum 
und  Kaisertum,  bes.  S.  47),  su  bedeutet  die  Erwerbung  Siziliens  1194 
den  Keim  der  Zersetzung.  Pie  sizilische  Pulitik  der  letzten  Hohen- 
staufen setzte  sich  mit  allen  Traditionen  des  Kaisertums  und  mit  allen 
nationalen  Interessen  in  Widerspruch.  Wäre  sie  nicht  am  Widerstande  des 
Papsttums  gescheitert,  so  wäre  zwar  ein  mächtiges  Kaiserreich  erhalten  ge- 
blieben, alleiu  es  wäre  „der  Charakter  des  Kaiserreichs  ein  ganz  anderer 
geworden.“  .Nicht  Deutschland  würde  dem  neuen  Weltreich  sein  Gepräge 
gegeben  haben:  Sizilien  wäre  das  Hauptland  geworden,  das  Lund,  wo  der 
romanische  Staatsgedanke  durch  den  EinlluU  niuliammedanischer  Anschau- 
ungen unterstützt  in  voller  königlicher  l'numschränktheit,  in  einer  bis  auf 
das  Geringste  eingreifenden  Beamtenregierung,  in  einer  die  Ausbeutung  aller 
Kräfte  für  Willkürzwecke  gestattenden  Zentralisation  unter  der  Herrschaft 
Priedrichs  seinen  frühesten  Ausdruck  wiedergefunden  hat;  es  wäre  das  die 
Ordnung  gewesen,  welche  die  staatliche  Regel  für  das  Gesamtreich  be- 
stimmt hätte.“  (Ficker,  Pas  deutsche  Kaiserreich,  S.  108).  Alle  diese 
von  Picker  in  hellstes  Eicht  gerückten  Zusammenhänge  werden  immer  wieder 
verkannt  oder  doch  viel  zu  wenig  gewürdigt.  Vgl.  übrigens  auch  unten 
SS.  14  und  15. 

5)  ln  diesem  „Synergismus“  erblickt  Ehrhard  in  seinem  mit  Recht  so 
berühmt  gewordenen  Buch  (Per  Katholizismus  und  das  20.  Jahrhundert, 
9.  bis  12.  Aull.,  Stuttgart  und  Wien  1902,  SS.  24  und  25)  neben  Univcrsalis- 
mus  und  „Klerikalismus“  (natürlich  nicht  in  des  Wortes  landläufiger  Be- 
deutung) ein  Charakteristiken  des  Mittelalters. 

3)  Die  Lehro  von  einer  dreifachen  Ordnung  (x'.mo«)  dos  Seins  im 
Weltganzen,  im  Staat  (in  der  wO.ts)  und  im  Individuum  gehört  der 
griechischen  Philosophie  an.  Wie  in  das  Individuum,  so  ist  auch  in  die 
M clt  eine  Seele  eingeschaffen  (Platos  Schilderung  im  Timaeus,  pag.  30  A ss.); 


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6 


in  Papst  und  Kaiser  eigentlich  überhaupt  nicht  die  Träger 
zweier  Gewalten  in  unserem  Sinn,  sondern  zwei  Organe  des 
einen  Weltreichs  erblicken  ließ1).  Für  die  Stellung  dieser 

anderseits  bestellt  ein  i’arallclisuius  zwischen  dem  beseelten  Individuum  und 
dem  Staate  (l’latos  Republik,  namentlich  36!),  43!),  440).  ln  das  mittel- 
alterliche Denken  läßt  sich  die  Vorstellung  von  einer  dreifachen  Ordnung 
des  Seins  allerdings  nicht  ohne  weiteres  einfügon:  ihm  erscheint  das  Welt- 
ganze als  ein  unendlich  reicher  tiliederbau  kosmischer  Ordnungen,  ihm 
„stellt  sich  jedes  besondere  Wesen,  sofern  es  ein  tianzes  ist,  als  ver- 
kleinertes Abbild  des  „macrocosmus“  der  Welt,  als  „mierocnsiuus*  oder 
minor  mundus  dar"  (Oierke,  Das  deutsche  Gcnosscnschaftsrecht,  111.  Hand, 
Berlin  1881,  SS.  5 14  uml  5 1 5 [das  Wort  „jedes“  ist  von  mir  gesperrt]:  von 
den  Belegen  hebe  ich  hervor  Thomas  v.  Aquino,  Summa  contra  gentiles  111  q. 
76  bis  83  und  de  regim.  princ.  1 c.  12).  Immerhin  kommt  dem  Imperium 
in  dieser  Stufenreihe  von  Ordnungen  eine  besondere  Bedeutung  zu:  und  cs 
darf  dieser  Unterschied  wohl  nicht  übersehen  werden,  wenn  man  vielfach 
zwischen  dem  staatlichen  Leben  des  Deutschen  und  des  Griechen,  dessen 
staatenbildende  Kraft  sich  in  der  mit;  nahezu  erschöpfte,  Parallelen  zieht: 
denn  soweit  immer  die  Dezentralisation  im  deutschen  Staatsleben  gehen 
mag,  auch  „das  politische  Denken  des  eigentlichen  Mittelalters  geht 
vom  Ganzen  aus,  legt  aber  jedem  Teil  ganzen  bis  herab  zum  Individuum 
selbständigen  Wert  bei“  (Oierke,  a.  a.  0.  8.514)  [Ihr  die  Mitteilungen  über 
die  griechische  Philosophie  bin  ich  meinem  Freunde  Dr.  phil.  Hans  Eibl 
in  Wien  zu  Danke  verpflichtet.] 

')  Vgl.  Kelim,  a.  a.  O.  (vgl.  oben  S.  I Anm.  1)  8.  161,  wo  Anm.  4 weitere 
literarische  Belege  angegeben  sind.  Diesen  Punkt  hat  übrigens  v.  Sy  bei  in 
der  oben  (S.  3 Anm.  I)  genannten  Festrede,  so  wenig  wir  mit  ihren  historischen 
Ausführungen  im  allgemeinen  nbcreinstiminen  können,  scharf  hervorgehoben : 

„Der  Krieg war  nicht  eigentlich  ein  Streit  zwischen  Staat  und 

Kirche,  sondern  ein  Kampf  zwischen  den  beiden  Oberhäuptern  der  geistlich- 
politischen Weltherrschaft  um  die  vorwiegende  Machtstellung“  (a.  a.  0. 
S.  21).  Nur  eine  andere  Terminologie,  aber  im  wesentlichen  dieselbe  Auf- 
fassung findet  sich  auch  bei  Sägmüller,  a.  a.  0.  (vgl.  S.  2 Anm.  2)  S.  72: 
„nach  mittelalterlicher  Anschauung  ...  ist  die  ganze  Menschheit  eine 
Universitas,  zugleich  mit  der  Christenheit  identisch.  Dieser  universelle 
Menschheitsverband  zerfällt  nun,  entsprechend  der  leiblichen  und  geistigen 
Seite  des  Menschen,  selber  wieder  in  zwei  Lebensordnungen,  Kirche  und  Staat, 
saccrdutium  und  imperium“.  Speziell  für  die  fränkische  Zeit  vgl.  Lilien- 
fein,  Die  Anschauungen  von  Staat  und  Kirche  im  lteich  der  Karolinger, 
Heidelberg  1902  (Heidelberger  Abhandlungen  zur  mittleren  und  neueren  Ge- 
schichte, herausgegebcu  inn  Marek  s und  Schäfer,  l.Heft):  ob  die  hier  ver- 
fochtene Ansicht,  daß  der  zweimal  (im  fränkischen  und  im  deutschen  Reich) 
gemachte  Versuch,  das  Ideal  der  Einheit  von  Kirche  und  Staat  zu  ver- 
wirklichen, an  einem  innern  Widerspruch  scheitern  rnußto,  richtig  ist,  möge 


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beiden  Organe  zueinander  in  ihrer  historischen  Entwicklung 
aber  ist  wieder  die  Auffassung  der  Zeitgenossen,1)  derzutolge 
sich  das  römisch-deutsche  Kaisertum  als  Fortsetzung  des  fränkischen 

dahingestellt  bleiben.  Für  diu  Zeiten  politischen  Gleichgewichts  ist  der 
gelegentlich  (x.  B.  W olfsg ruber,  Lehrbuch  der  Kirchengesch.  f.  Mittelschulen 
Wien  1887)  zur  Veranschaulichung  des  Verhältnisses  zwischen  den  beiden 
„Oberhäuptern“  herangezogene  Vergleich  mit  den  beiden  Brennpunkten  einer 
Kllipsc  ganz  zutreffend.  ln  der  „göttlichen  Komödie“  (vgl.  S.  1 Anm.  1) 
hat  auch  dieses  Verhältnis  von  l’apst  und  Kaiser  folgenden  dichterischen 
Ausdruck  gefunden  (Fegefeuer,  XVI  I0G  bis  112): 

Kinst  pflegte  Koni,  der  guten  Ordnung  Gründrin, 

Zwei  Sonnen  zu  besitzen,  welche  diesen 
Und  jenen  Weg,  der  Welt  und  Gottes,  zeigten. 

Verlöscht  hat  eine  jetzt  die  andr’;  cs  eint  sich 
Das  Schwert  dem  Hirtenstab,  und  so  verbunden, 

Mull  sich  notwendig  Beides  schlecht  behaben, 

Uicweil  vereint  Kins  nicht  das  Andre  fürchtet. 

(Philalethes’  Übersetzung.) 

Eine  andere,  eigentlich  moderne  Anschauung  bildet  sich  im  letzten  Kapitel 
der  Monarchie  (Liber  III  cap.  18),  wo  die  Souveränität  der  Kirche  und  des 
Staates  behauptet  wird  — ein  unlösbarer  Widerspruch  zu  der  ganzen  Be- 
weisführung des  1.  Buches.  Auf  diesen  Widerspruch  hat  richtig  aufmerksam 
gemacht  Kelsen,  Die  Staatslehre  des  Dante  Alighieri,  Wien  und  Leipzig 
1905  (Wiener  Staatswissenschaftliche  Studien,  herausgegeben  von  Bernatzik 
und  v.  l’h  il  ippov  ich,  VI3),  SS.  117  f.  Indem  wir  auf  dieses  Buch  auch 
behufs  Orientierung  über  die  einschlägige  Literatur  verweisen,  müssen  wir 
ausdrücklich  bemerken,  dab  wir  den  meritorischen  Bemerkungen  des  Verf. 
über  „das  Verhältnis  Dantes  zum  katholischen  Dogma“,  welche  auf  gröblicher 
Unkenntnis  des  letzteren  beruhen,  nicht  beistimmen. 

')  Vgl.  diesbezüglich  Sägmüller,  a.  a.  0.  (vgl.  S.  2 Anm.  2),  SS.  51 
bis  53.  Über  die  Bedeutung,  welche  diese  Auffassung  in  der  Politik  der  Päpste 
hatte,  vgl.  unten  S.  II  Anm.  2:  ferner  meine  Abhandlung  Iler  Einfluß  Papst 
Viktors  II.  auf  die  Wahl  Heinrichs  IV.  (Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Gcschf.,  XXVII 
209  bis  238),  SS.  209  und  210:  diu  daselbst  S.  210  Anm.  I ausgesprochene 
Ansicht  möchte  ich  dahin  rektifizieren,  daß  die  Beweisführung  Gregors  VII. 
zunächst  als  eine  konsequente  Folgerung  aus  seiner  hierokratischen  Auf- 
fassung des  allgemeinen  kirchlichen  Leitungsrechtes  erscheint,  sich  im  ge- 
gebenen Fall  aber  überdies  aus  der  Fiktion  der  Kontinuität  des  Kaisertums 
völlig  erklärt  Daß  an  der  erwähnten  Fiktion  auch  die  Kaiser,  gerade 
der  späteren  Zeit,  festhielten,  ist  eine  allbekannte  Tatsache,  welche  für  die 
Rezeption  des  römischen  Rechts  von  großer  Bedeutung  war:  vgl.  z.  B.  von 
Romanisten  v.  Ozjhlarz,  Lehrbuch  der  Institutionen  des  römischen  Rechtes, 
4.  Aull.,  SS.  I und  2,  von  Germanisten  Schröder,  Lehrbuch  der  deutschen 
Rcchtsgescbichte,  4.  Aul).,  SS.  783  und  784. 


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R 

und  in  zweiter  Linie  des  römischen  darstellte,  in  mehr  als  einer 
Hinsicht  bedeutsam  geworden. 

Im  alten  römischen  Reich  hatte  der  in  Byzanz  residierende 
Kaiser,  welcher  der  Kirche  staatliche  Macht-  (vielfach  sogar 
Zwangs)mittel ')  zur  Verfügung  stellte,  anderseits  gegenüber  der 
Kirche  oder  besser  gesagt  innerhalb  derselben  eine  Stellung  er- 
langt, in  welcher  sich  deutlich  ein  dem  kirchlichen  Ideenkreis 
und  ein  den  gegebenen  staatlichen  Verhältnissen  entnommenes 
Element  erkennen  läßt:  die  Stellung  des  altjüdischen  Königs 
nnd  des  römischen  pontifex  maximus 2).  Und  wenn  auch  zur 
richtigen  Erfassung  des  Verhältnisses  nicht,  wie  es  vielfach  ge- 
schieht, außer  acht  gelassen  werden  darf,  daß  ratione  peccati  der 
Kaiser  der  Kirche  (nicht  nur  dem  Papste)  unterworfen  blieb3),  so 
läßt  sich  doch  nicht  leugnen,  daß  sich,  zum  mindesten  was  das 
äußere  Kirchenregiment  anlangt,  allmählich  eine  ganz  außer- 
ordentliche Machtfülle  in  seiner  Hand  vereinigte*).  Und  es  kann 
wohl  kaum  überraschen,  daß  eine  ähnliche  Stellung  des  Monarchen, 
nachdem  sie  einmal  dem  kirchlichen  Leben  vertraut  geworden, 

')  Vgl.  Maasson,  Neun  Capitol  über  Freie  Kirche  und  Gewissensfreiheit, 
Graz  1876,  SS.  69  bis  88. 

*)  Vgl.  Schulte,  Die  Macht  der  römischen  Päpste  über  Fürsten,  I.änder, 
Völker,  Individuen,  2.  Aull.  Frag  1871,  S.  137. 

*)  Einigermaßen  hervorgehoben  bei  Horgenröther-K irsch,  Hand- 
buch der  allgem.  Kirchengcsch.,  I.  Band  4.  Aull.,  S.  428  oben  (Belegstellen 
Amn.  2)  und  S.  430  unten  (Belegstellen  Anm.  3 und  Anin.  1 auf  S.  431). 
Was  den  eklatantesten  Fall,  die  öffentliche  Kirchenbußc  des  Thcodosius, 
anlangt  (vgl.  z.  B.  auch  Hertzberg,  Gesell,  des  röm.  Kaiserreichs,  Berlin 
1880,  S.  830),  ist  die  herkömmliche  Darstellung,  derzufolgc  Ambrosius  den 
Kaiser  von  der  Kirchcntnr  weggewiesen  hat,  durch  die  Untersuchung  von 
F.  van  Ortroy  S.  I.  (Les  vics  grecqOes  de  s.  Ambroise  et  leurs  sources, 
Ambrosiana  Milano  1897,  Nr.  IV)  allerdings  als  unhistorisch  erwiesen.  Daß 
die  Sache  an  sich  hiedurch  nichts  an  ihrer  Bedeutung  einbnßt,  ist  treffend 
ausgefnhrt  von  Koch  im  28.  Bande  des  Historischen  Jahrbuchs  der  Görrcs- 
Gesellschaft  SS.  257  ff.,  Die  Kirchenbuße  des  Kaisers  Theodosins  d.  Gr.  in 
Geschichte  und  Legende.  Die  Ergebnisse  der  Untersuchung  van  Ortroys  sind, 
ohne  daß  dabei  auf  dieselbe  Bezug  genommen  würde,  zusammengfaßt  in  einem 
Artikel  des  Osservatorc  cattolico  1905  Nr.  284,  der  in  Übersetzung  im 
86.  Bande  des  Archivs  f.  kath.  Kirchcnr.  (SS.  168  ff.)  wiedergegeben  ist  (ich 
habe  nur  diese  Übersetzung  oingesehen). 

*)  Vgl.  v.  Scherer,  Handbuch  des  Kirchenrcchtos,  I.  Band,  Graz  1885, 
SS.  30  und  31,  bes.  Anm.  4. 


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mochte  sie  immerhin  aus  den  angcdeutcten  spezifischen  Verhält- 
nissen erwachsen  sein,  auch  in  den  germanischen  Stammesreichen 
seitens  der  Kirche  um  so  bereitwilliger  eingeräumt  wurde,  je 
mehr  die  Könige  die  kirchlichen  Interessen  förderten,  und  seitens 
der  Könige  um  so  voller  durchgesetzt  wurde,  da  die  kirchliche 
Organisation  der  Stammesreiche  mit  der  kirchlichen  Zentralgewalt 
— schon  mit  Rücksicht  auf  den  geringen  Verkehr  — nur  lose 
zusammenhing  ’).  Geradezu  selbstverständlich  erscheint  es,  daß 
sich  bei  den  fränkischen  Herrschern,  welche  vom  Ruhme  des 
abendländischen  Sieges  über  die  Mauren  umstrahlt  waren  und  sich 
um  die  Päpste  ein  ganz  besonderes  Verdienst  durch  die  Verteidi- 
gung des  römischen  Territoriums  gegen  die  Langobarden  erworben 
hatten,  eine  Machtstellung  der  angedeuteten  Art  in  gesteigertem 
Maße  entwickelte;  ebenso  auch,  daß  sie  einen  bisher  noch  nicht 
dagewesenen  Höhepunkt  erreichte,  nachdem  die  Kaiserkrönung 
Karls  des  Großen  durch  den  Papst  dem  tatsächlich  bereits 
erfolgten  Obergang  des  Weltreichs  symbolischen  Ausdruck  und 
religiöse  Weihe  verliehen  und  mit  der  faktischen  Machtstellung  des 
germanischen  Königs  die  Würde  der  alten  Imperatoren  vereinigt 
hatte s).  Und  doch  lagen  gerade  in  den  hier  berührten  Ereignissen 

■)  Vgl.  Hauck,  Kircliengeschichte  Deutschlands,  I.  Teil  2.  Aull., 
II.  Ruch  2.  Kap.,  insbes.  SS.  142  bis  151.  S.  149  ist  speziell  darauf  hin- 
gewiesen, daß  sich  auch  in  der  Rechtsstellung  der  germanischen  Könige  die 
beiden  im  Text  bezüglich  der  römischen  Imperatoren  hervorgohubenen 
Elemente  nachweiscn  lassen. 

’)  Ks  soll  nicht  unerwähnt  bleiben,  daß  im  Gegensatz  zu  unserer  Auf- 
fassung Ohr,  Die  Kaiserkrönung  Karls  des  Großen,  Tübingen  und  Leipzig 
1904,  nachzuweisen  versucht,  „nicht  in  historischer  Notwendigkeit1'  sei  „das 
folgenschwerste  Ereignis  deutscher  Vergangenheit  (seil,  die  Kaiserkrönung 
Karls  d.  Gr.)  in  die  Erscheinung“  getreten,  vielmehr  danke  „das 
Mittelalter  sein  Entstehen  dem  Zufall.“  Einseitig  sieht  Sackur,  Ein 
römischer  Majestätsprozeß  und  die  Kaiserkrönung  Karls  d.  Gr.,  Hist.  Zeitschr. 
87.  Rand,  SS.  385  II.  (daselbst  auch  weitere  Literaturnachweise)  den  Grund 
für  die  Kaiserkrönung  lediglich  in  der  Notwendigkeit,  ein  für  das  an  l’apst 
Leo  begangene  Kapitalverbrechen  kompetentes  Forum  zu  schaffen.  — Ex 
professo  behandeln  das  „Verhältnis  von  Staat  und  Kirche“  zur  fränkischeu  Zeit 
Döllinger,  Das  Kaisertum  Karls  d.  Gr.  und  seiner  Nachfolger,  Münchener 
historisches  Jahrbuch  für  18G5,  SS.  29911.:  ferner  Weyl,  Das  fränkische 
Staatskirchcnrecht  zur  Zeit  der  Mcrovinger,  Hreslau  1888  (Gierkes  Unter- 
suchungen 27),  und  Weyl,  Die  Beziehungen  des  Papsttums  zum  fränkischen 


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auch  bereits  die  Keime  jener  Entwicklung,  die  im  Lauf  der 
nächsten  Jahrhunderte  eine  so  vollständige  Verschiebung  im  Vcr- 
hfillnis  der  beiden  höchsten  Gewalten  herbeiführen  sollten:  die 
Errichtung  des  Kirchenstaats  und  die  Tatsache,  daß  die  Krönung 
Karls  des  Großen  durch  den  Papst  erfolgte.  Fanden  die 
Päpste  im  Kirchenstaat')  die  genügenden  Machtmittel,  um  für 
alle  Zukunft  die  Entartung  der  kaiserlichen  Macht  zu  einer 
schrankenlosen  Despotie  zu  verhindern,  wodurch  allein  im  Gegen- 
satz zum  asiatischen  Orient  die  abendländische  Kulturblüte  des 
Mittelalters  ermöglicht  wurde,  so  bot  ihnen  dio  zweite  oben  er- 
wähnte Tatsache  die  Handhabe,  geradezu  die  Abhängigkeit  der 
kaiserlichen  Gewalt  als  der  übertragenen  von  der  primären  päpst- 
lichen zu  behaupten.  Und  so  wenig  wir  geneigt  sein  mögen,  die 
Folgerungen,  welche  die  Päpste  aus  diesem  Standpunkt  abgeleitet 
haben,  als  für  die  deutsche  und  überhaupt  für  die  abendländische 
Entwicklung  segensreich  anzuerkennen,  so  darf  doch  am  aller- 
wenigsten der  Rechtshistoriker  die  tatsächlichen  Grundlagen  der 
päpstlichen  Ansprüche  übersehen:  wie  das  Streben  der  Könige, 
speziell  der  deutschen  seit  Otto  I.,  nach  der  Kröuung  durch  den 

Staats-  und  Kircbenrcclit  unter  dun  Karolingern,  Breslau  1892  (tiierkca 
Untersuchungen  40),  wo  die  Machtstellung  des  fränkischen  Königs  in  kirch- 
lichen Fragen  vielleicht  sogar  überschätzt,  die  ltedeutung,  welche  der  An- 
erkennung der  päpstlichen  Autorität  in  Glaubonssachen  ziikoniuit,  in.  E. 
unterschätzt  wird;  schliolllich  Uli  r,  Dur  Karolingische  Gottesstaat  in  Theorie 
und  Praxis,  Lcipz.-Diss.  1902,  und  Lilienfein  in  dein  oben  (S.  6 Anni.  1) 
angeführten  Werke. 

')  Die  Bedeutung  des  Kirchenstaats  für  die  Stärkung  der  kirchlichen 
Zentralgewalt  und  damit  für  die  Steigerung  der  kirchlichen  Autorität  in 
weltlichen  Dingen  ist  in  helles  Licht  gesetzt  von  Maasscn,  a.  a.  0.  (vgl. 
S.  8 Anin.  1)  SS.  102  bis  105  und  118  bis  122.  Bezüglich  der  Bedeutung 
des  Kirchenstaats  für  die  abendländische  Kultureiitwicklung  vgl.  Ficker, 
Das  deutsche  Kaiserreich  (vgl.  S.  3 Anin.  1),  SS.  93  bis  97,  bes.  S.  96.  — 
Ob  das  römische  ticbiet  schon  unter  den  Karolingern  ein  Staat  im  Kechts- 
■inno  war  oder  ob  das  Verhältnis  der  Päpste  zu  den  Karolingern  noch  unter 
die  Institution  des  Königsschutzes  und  der  Immunität  fiel  und  nur  die 
Grundlage  für  die  spätere  Entwicklung  des  Kirchenstaates  bildete,  kann  für 
unsere  Frage  uncrörtort  bleiben.  Die  letztere  Ansicht  vertritt  Guudlach, 
Die  Entstehung  des  Kirchenstaates  und  der  kuriale  Begriff  der  Bes  publica 
Romanorum,  Breslau  1899  (Gicrkes  Untersuchungen  50),  die  erstere,  wie 
es  scheint,  Schnürer,  Die  Entstehung  des  Kirchenstaates,  Köln  1894. 


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1 1 


Papst  und  insbesondere  der  Umstand,  daß  in  aller  Regel  ein  nicht 
vom  Papst  gekrönter  König  den  Kaisertitel  nicht  beanspruchte, ') 
beweist,  hatte  die  Anschauung  der  Päpste  eine  starke  Unterlage 
im  allgemeinen  Bewußtsein;  auch  die  immer  wiederholte  Be- 
hauptung der  Papste,  sie  hatten  die  Weltherrschaft  „in  Gcrraanos“ 
übertragen,  fand,  auch  abgesehen  von  dem  abschließenden  for- 
malen Akt  der  Kaiserkrönune  Karls  des  Großen  durch  den  Papst, 
in  den  Umstanden,  unter  denen  das  später  mit  der  Kaiserwürde 
bekleidete  Geschlecht  der  Karolinger  überhaupt  auf  den  Thron  ge- 
langt war,  eine  nicht  zu  unterschätzende  materielle  Stütze’).  I)a 
das  heilige  römische  Reich  deutscher  Nation,  wie  bereits  an- 
gedeutet, als  Fortsetzung  des  römischen  und  fränkischen  Kaiser- 
tums gedacht  wurde,3)  mußten  diese  Tatsachen  während  des 
ganzen  Mittelalters  ihre  entscheidende  Wirksamkeit  behalten. 

In  zwei  Etappen,  die  durch  die  Knlossalgestalten  Gregors  VII. 
und  Innozenz’  III.  gekennzeichnet  sind,  hat  die  päpstliche  Politik 
gegenüber  dem  deutschen  König-  und  Kaisertum  die  Konsequenzen 
aus  den  skizzierten  Tatsachen  zu  ziehen  gesucht:  im  Investitur- 

')  l>ie  einzigen  Ausnahmen  sind  Ludwig  der  Fromme  und  dessen  8ohn 
Lothar;  erstcrem  setzte  am  11.  Sept.  813  Karl  der  Große  die  Kaiserkrone 
aufs  Haupt,  letzterem  im  Jahre  817  Ludwig  der  Fromme:  doch  in  beiden 
Fällen  wurde  die  Salbung  durch  den  Papst  nachgeholt.  Vgl.  NI  aurcnbrocher, 
Geschichte  der  deutschen  Königswahlen  vom  IO.  bis  13.  Jahrhundert,  Leipzig 
1889,  SS.  17.  bis  19.  — Ganz  unbekannt  war  übrigens  die  Ansicht,  daß 
der  deutsche  König  bereits  mit  der  Wahl  auch  diu  Kaiser*  ürde  erlange, 
bereits  im  13.  Jahrhundert  nicht.  Vgl.  unten  die  Ausführungen  am  Ende 
des  Abschnitts  III  2 des  II.  Kapitels. 

3)  Diese  .Translationstheorie"  wird  gewöhnlich  zurfickgeführt  auf 
Innozenz' III.  Hülle  „Venerabilem'*  (vgl.  unten  SS.  43 ff.):  doch  weist  sie  als 
älter  nach  der  interessante  Aufsatz  von  Dnllingcr,  Das  Kaisertum  Karls 
des  Großen  und  seiner  Nachfolger  (vgl.  oben  S.  9 Anm.  2),  SS.  391  ff. 
Wenn  sic  auch  vielleicht  von  Innozenz  III.  ihre  prägnante  Formulierung 
erfahren  hat,  so  ist  die  Theorie  dem  Wesen  nach  doch  auch  vom  Papsttum 
bereits  früher  vertreten  worden:  schon  Gregor  VII.  war  sie  geläutig  (vgl. 
unten  S.  25).  Mit  Gregor  VII.  beginnt  die  Zusammenstellung  bei  Gicrke, 
Das  deutsche  Genossenschaftsrecht,  III.  Hand,  Berlin  1881,  S.  531  Anm.  28 
und  29.  Die  Theorie  wird  uns  im  Laufe  unserer  Untersuchungen  wiederholt 
begegnen:  hier  sei  nur  erwähnt,  daß  sic  einmal  auch  von  Seite  des  Kaisurs 
(nämlich  von  Albrecht  I.)  offiziell  anerkannt  wurde  (vgl.  unten  die  Aus- 
führungen am  Beginne  des  Abschnittes  1112  des  I.  Kapitels). 

3J  Vgl.  oben  8.  7 Anm.  1 und  die  vorige  Anm. 


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12 


streit  und  im  Kampf  um  Sizilien.  Es  ist  liier  nicht  der  Ort,  die 
Faktoren  im  einzelnen  zu  untersuchen,  welche  den  unvermittelten, 
geradezu  plötzlichen  Umschwung  in  der  Auffassung  des  Ver- 
hältnisses von  Staat  und  Kirche  unter  Gregor  VII.  herbeigeführt 
haben,  kaum  ein  Menschenalter  nach  der  außerordentlichen,  der 
Karls  des  Großen  ebenbürtigen  Machtstellung  Heinrichs  III.1). 
Nur  in  Kurze  sei  hervorgehoben,  daß  der  Kampf,  in  welchem  das 
erwachende  Selbständigkeitsgefühl  der  sich  im  Geiste  der  großen 
cluniazensi8chen  Reform  verjüngenden  Kirche2)  und  das  mit 
1000  Fäden  an  die  realen,  historisch  gewordenen  Verhältnisse 
geknüpft«  Interesse  des  Staates 3)  aneinanderprallten,  sich  an  einer 
Einzelfrage  entzündete,  und  zwar  an  einer  solchen,  welche  ein 
königliches,  nicht  ein  kaiserliches  Recht  betraf,  an  der  allerdings 
mit  Rücksicht  auf  die  überragende  kulturelle  und  politische  Be- 
deutung der  Bischöfe4)  hochwichtigen  Besetzung  der  Bischofs- 
stühle. Erst  im  Verlauf  dieses  Kampfes,  als  Waffe  in  ihm,  hat 
der  Riesongeist  Gregors  VII. 5),  unterstützt  durch  innerdeutsche 

‘)  Vgl.  meine  oben  S.  7 Anm.  I zitierte  Abhandlung,  S.  236. 

’)  Vgl.  bezüglich  dieses  Momentes  besunders  Phillips,  Kirchenrecht 
§ 124;  ferner  Brück,  Lehrbuch  der  Kirchengesehichte,  7.  Auf!.  Mainz  1898, 
§§  96  und  114.  Poch  ist.  durchaus  nicht  ausschließlich  von  katholisch-kirch- 
licher Seite  die  l'nhaltbarkeit  der  im  11.  Jahrhundert  bestehenden  Verhält- 
nisse vom  kirchlichen  Standpunkt  aus  hervorgehoben  worden:  nur  beispiels- 
weise soi  angeführt,  was  Schröder,  a.  a.  O.  (vgl.  oben  8.  7 Anm.  1) 
S.  499,  darüber  sagt:  „Pall  die  Kirche,  sobald  sie  zum  Bewußtsein  ihrer 
selbst  gekommen  war,  sich  gegen  diese  Zustände  auflehnen  inuBtc,  war 
selbstverständlich“. 

s)  Per  flrund  lag  im  wesentlichen  in  der  sofort  zu  erwähnenden 
politischen  Stellung  und  Bedeutung,  welche  das  Bistum  erlangt  hatte.  Vgl. 
die  folgende  Anm. 

4)  Über  die  Bedeutung  des  Bistums  in  roligiöscr  Beziehung  vgl. 
Phillips,  Kirchenrecht,  I.  Band  3.  Aufl.,  SS.  167  bis  220  (katholischer 
Standpunkt)  und  Sobm,  Kirchenrecht,  Leipzig  1892,  SS.  205  bis  227  (pro- 
testantischer Standpunkt):  in  politischer  Beziehung  Hauck,  a.  a.  0. 
(vgl.  oben  S.  9 Anm.  1),  111.  Teil,  Leipzig  1896,  SS.  6 ff.,  SS.  782/783, 
ferner  Ficker,  Pas  deutsche  Kaiserreich  (vgl.  S.  3 Anm.  I),  SS.  51  und  52, 
Deutsches  Königtum  und  Kaisertum  (vgl.  S.  3 Anm.  1),  SS.  84  und  85: 
die  Bedeutung  des  deutschen  Bistums  in  kultureller  Beziehung,  welche 
eine  zusammenfassende  Würdigung  in  hohem  Maß  verdienen  würde,  hat  eine 
solche  meines  Wissens  bisher  nicht  gefunden. 

*)  Per  Kindiiß  der  Persönlichkeit  Gregors  ist  scharf  hervnrgehoben  in 
Martens’  Gregor  VII.,  bes.  II.  Band,  Leipzig  1894,  SS.  3 und  4.  Mag  dies 


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13 


Strömungen  und  Parteigeist  der  deutschen  Fürsten'),  aus  den 
oben  angedenteten  Elementen  das  „hierokratische“  System  erbaut, 
das  die  volle  Abhängigkeit  der  weltlichen  von  der  geistlichen 
Gewalt,  die  Auffassung  auch  der  ersteren  als  eines  kirchlichen 
Amtes  und  folgerichtig  das  Einsetzungs-  und  Absetzungsrecht  des 
Papstes  gegenüber  den  Königen  behauptete,  insbesondere  gegen- 
über dem  deutschen,  dessen  kaiserliche  und  königliche  Würde 

auch  vielleicht  in  zu  abschließender  Weise  geschehen  (allerdings  sehr  ab- 
schwächend  a.  a.  0.  S.  217:  „Gregor  war  ein  Kind  seiner  Zeit“),  mag  man 
auf  die  im  Text  berührten  Verhältnisse  und  auf  gelegentliche  Vorläufer  der 
„hiorokratischen“  Theorie  (vgl.  z.  B.  oben  S.  2 Anm.  3 und  S.  11  Amn.  2)  noch 
soviel  Gewicht  legen : so  wird  sich  doch  auf  keinen  Fall  leugnen  lassen,  daß 
diese  Theorie  erst  im  Kopfe  Gregors  VII.  feste  Gestalt  gewann  und  daß  hier  ein 
Fall  vorliegt,  in  dein  sich  die  Persönlichkeit  in  besonderem  Maß  als  historisch 
wirksamer  Faktor  gezeigt  hat.  Wie  tiefgreifend  der  Einfluß  Gregors  VII. 
auch  auf  anderen  Gebieten  gewesen  ist,  darüber  belehrt  anschaulich  die 
ausgezeichnete  Arbeit  von  Sägmüller,  Die  Idee  Gregors  VII.  vom  Primat 
in  der  päpstlichen  Kanzlei,  Tübinger  Theologische  Quartalschrift,  LXXVIII 
577(1.  Seine  hohe  Bedeutung  für  unsere  Frage  hebt  auch  Hauck  her- 
vor (Der  Gedanke  der  päpstlichen  Weltherrschaft  bis  auf  Bonifaz  VIII., 
Leipzig  Univ.-Progr.  1904),  der,  soweit  ich  sehe,  die  Vorläufer  der  „hiero- 
kratiseben“  Theorie  verhältnismäßig  am  ausführlichsten  behandelt.  Weuu 
sonach  die  in  letzterer  Zeit  behauptete  jüdische  Abstammung  des  Papstes 
(P.  Fedele,  le  famiglie  di  Anacleto  II.  e di  Gelasio  II.  im  XXVII.  Bande 
des  Archivio  della  societä  romana  di  storia  patria,  SS.  399  flf.)  erweisbar 
wäre,  so  fände  die  moderne  Kassentheorie,  sofern  man  in  den  extrem  hiero- 
kratiseben  Ansprüchen  Gregors  eine  der  jüdischen  Theokratie  verwandte 
F.rscheinung  erblickt  (gerade  bei  dem  populärsten  Vertreter  der  Kassen- 
tbeorie  Houston  Stewart  Cham  berlain  scheint  dies  allerdings  nicht 
der  Fall  zu  sein:  Die  Grundlagen  des  19.  Jahrhunderts,  3.  Aufl.,  S.  (141 
Anm.  1 und  S.  G4G),  eine  überraschende  Bestätigung.  Zwar  erhebt  Tan  gl 
(Neues  Archiv  der  Gesellschaft  für  ältere  deutsche  Geschichte,  31.  Hand, 
SS.  1 59 fl“. , Gregor  VII.  jüdischer  Herkunft?)  kaum  zu  entkräftende  Ein- 
wände gegen  die  Annahme  Fedeles;  immerhin  muß  in  diesem  Zusammen- 
hang der  von  dem  genauen  Kenner  Gregors,  Martens,  a.  a.  0.  S.  217  (vor 
Fedeles  Untersuchung)  in  seinem  „Gesamturteil  über  Gregor“  aufgestellte 
Satz  „Von  Herzen  ein  gläubiger  Christ,  ließ  er  sich  bei  seinen  kirchlichen 
Handlungen  und  Unternehmungen  mehrfach  von  alttcstauieutliclieu  Vor- 
stellungen leiten*  erhöhtes  Interesse  gewinnen.  Eine  kurze  Übersicht  über 
den  Stand  der  Kontroverse  gibt  der  Artikel  von  Landau,  Jüdische  Päpste, 
Beil,  zur  (Münchner)  Allg.  Zeitung,  1906,  Nr.  269. 

')  Richtig  hervorgehoben  bei  Maurenbrecher,  a.  a.  O.  (vgl.  oben 
S.  11  Anm.  1)  bes.  SS.  112  und  1 18/119.  Vgl.  auch  unten  SS.  14  und  15.  Wenn 


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14 


dabei  nicht  scharf  auseinandergehalten  wurden  ’).  Weder  das 
Papsttum  noch  das  Königtum  konnte  bekanntlich  im  ersteu  Kampfe 
seinen  Standpunkt  vollständig  durchsetzen;  vielmehr  stellte  sich 
nach  dem  Abschluß  des  Investiturstreits  durch  ein  klassisches 
Kompromiß*),  das  Wormser  Konkordat,  auch  im  Verhältnis  von 
Papsttum  und  Kaisertum  (nach  der  überzeugenden  Darstellung 
Julius  Fickers)*),  allmählich  eine  Gleichgewichtslage  her,  die  erst 
um  die  Wende  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  unheilbar  gestört 
wurde.  In  der  nun  anhebenden  zweiten  Etappe  des  Kampfes  haben 
dieselben  innerdeutschen  Strömungen,  wie  in  der  ersten,  der  neu 
erwachte  Gedanke  des  Wahlreichs  und  der  Partikularismus4),  als 

also  jemand  vom  nationalen  Standpunkt  aus  für  das  übermäßige  An- 
wachsen der  päpstlichen  Macht  im  späteren  Mittelalter  verantwortlich  ge- 
macht werden  soll,  so  sind  es  gewiß  nicht  die  l’äpste,  welche,  von  der 
pflichtgemäßen  Wahrung  der  ihnen  anvertrauten  Interessen  ausgehend,  im 
Laufe  des  Kampfes  in  das  entgegengesetzte  Extrem  verfielen,  sondern  die 
deutschen  Fürsten,  welche  (vielfach  aus  kleinlichem  I’arteigeist)  verabsäumten, 
ein  entsprechendes  (iegengewicht  zu  bilden. 

')  Vgl.  die  genaue  Darlegung  von  „Gregors  hiorokratischer  Doktrin" 
bei  Martens  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  12  Anm.  5),  II.  Band,  3.  Buch,  bes. 
SS.  13  bis  22,  28  bis  30,  37  bis  43,  G7  bis  G9.  Vgl.  auch  unten  S.  24  IT. 

a ) Uber  die  juristische  Natur  des  Wormser  Konkordats  besieht  eine 
umfassende  Literatur,  auf  welche  hier  natürlich  nicht  eingegangen  werden 
kann.  Zur  Orientierung  sei  auf  folgende  Schriften  verwiesen:  Schäfer, 
Zur  Beurteilung  des  Wormser  Konkordats,  Phil.  u.  hist.  Abh.  der  Berliner 
Ak.  d.  Wissensch.  1903,  SS.  1 IT. ; Bernheim,  Das  Wormser  Konkordat  und 
seine  Vorurkunden,  Breslau  1906  (tiierke’s  Untersuchungen  81):  Kudorff, 
Zur  Erklärung  des  Wormser  Konkordats,  Weimar  19U4I  (Zeumers  (Quellen 
und  Studien  1 4). 

*)  Das  deutsche  Kaiserreich  (vgl.  S.  3 Anm.  I),  SS.  93  bis  99;  Deutsches 
Königtum  und  Kaisertum,  SS.  G2  bis  83,  bes.  SS.  72  bis  74:  „Waren  die 
maßlosesten  Ziele  der  päpstlichen  Politik  durch  Gregor  bereits  bestimmt 
ausgesprochen,  »ährend  doch  die  folgenden  Päpste  von  einer  weltbeherrschen- 
den Stellung  in  weltlichen  Dingen  tatsächlich  weit  entfernt  waren,  so  werden 
wir  umso  sicherer  schließen  dürfen,  daß  auch  hier  wieder  die  Natur  der 
Verhältnisse  einem  Erfolge  jenes  Slrebens  im  Wege  stand,  daß  ein  ge- 
nügender Gegendruck  vorhanden  war.  Und  umso  gewisser  werden  wir  diesen 
in  dem  deutschen  Kaiserreich  zu  suchen  haben,  als  erst  mit  seiner  Zer- 
rüttung durch  die  sizilischen  Angelegenheiten  der  Plan  päpstlicher  Welt- 
herrschaft wieder  aufgenommen  werden  konnte,  und  zwar  nun  mit  ent- 
schiedenem Erfolg“. 

4;  Vgl.  Maureubrecher  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  11  Anm.  1)  SS.  182ff. 


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entscheidender  Faktor  mitgewirkt;  anderseits  hat  der  Kampf  die 
stärksten  Rückwirkungen  auf  die  deutsche  Verfassung  geübt, 
speziell  gerade  auf  die  Besetzung  des  deutschen  Thrones,  worauf 
wir  sofort  zurückkommen  werden1);  aber  das  treibende  Moment, 
der  psychologische  Angelpunkt,  lag  für  die  Päpste  in  der  Welt- 
stellung des  Kaisers,  konkret  gesprochen  in  dem  Versuch,  durch 
die  Erwerbung  Siziliens  das  Weltreich  zur  Wirklichkeit  zu  machen, 
gleichzeitig  aber  innerhalb  desselben  die  volle  Suprematie  des 
Kaisertums  über  das  Papsttum  herzustellen2).  Dem  Papsttum  ist 
es  gelungen,  nicht  nur  diesen  Versuch  zurückzuweisen,  sondern 
im  Gegenteil  uuter  kluger  Benützung  aller  Verhältnisse,  insbe- 
sondere auch  des  unterdessen  ausgebildeten  Lehenswesens3),  die 
Gedanken  des  bürokratischen  Systems  in  alle  Konsequenzen 
zu  verfolgen:  in  den  Gregorianischen  Dckretalen  gegenüber  den 
Dist.  10  und  96  des  Dekrets  hat  diese  Wandlung  ihren  kano- 
nischen4), in  der  Zweischwerter-Theorie  des  Schwabenspiegels 
gegenüber  der  des  Sachsenspiegels5)  ihren  reichsrechtlichen, 

*)  Vgl.  unten  SS.  17  ff. 

*)  Vgl.  Ficker,  Das  deutsche  Kaiserreich  (vgl.  oben  S.  3 Anm.  1), 
SS.  104  bis  108,  bes.  S.  107;  Deutsches  Königtum  und  Kaisertum  (vgl.  ebenda), 
SS.  i> 8 und  59. 

3)  Ks  genügt  wohl  ein  kurzer  Hinweis  auf  die  liedeutung,  welche  die 
Stellung  der  Päpste  als  I.ebenshcrren  der  sizilischen  Könige  gewann.  Nur 
vermöge  dieser  Stellung  konnten  sie  ui.  F..  die  dauernde  Vereinigung  von 
Sizilien  und  Deutschland  in  der  Hand  der  Staufer  verhindern.  Vgl.  oben 
SS.  4 und  5,  bes.  Anm.  1.  Dagegen  ist  es  unrichtig,  wenn  behauptet 
wird,  daß  die  potestas  in  temporalibus  überhaupt  vom  Papsttum  als  Uber- 
lehensherrlichkeit anfgefaßt  wurde:  vgl.  Martens,  Das  Vaticanum  und 
Bonifaz  VIII.,  München  1888,  SS.  20  und  21.  Über  den  Versuch  des  Papst- 
tums, seiu  Verhältnis  zum  Kaisertum  als  ein  lehensherrliches  zu  konstruieren, 
vgl.  unten  den  Abschnitt  1112  des  1.  Kapitels. 

4)  Vgl.  diesbezüglich  unten  S.  35  bes  Anm.  3. 

5)  Sachsenspiegel,  I.andrecht,  1 Art.  I:  Zwei  ttaert  Hz  gut  in  ertrlche 
zu  beschirmene  du  Christenheit.  Derne  bähte  ist  gesetzt  daz  geistliche  ■ 

deme  keisere  daz  weltliche Sc h waben Spiegel,  Landrecht,  Vorw. 

d:  Sit  nu  got  des  vrides  fürste  haizet , so  liez  er  zwai  sioert  hie  uf  trtricht.  do  er 
ze  himet  für  zeschirmt  der  christenhait . diu  leeh  unser  herre  sante  peter 
beidiu  eins  von  geistlichem  gerihte.  duz  ander  von  weltlichem  gerihte.  das  welt- 
lieh swert  des  gerihtes.  daz  lihet  der  habest  dem  ehaeiser.  daz  geistlich 
ist  dem  pabest  ges.tzet  daz  er  da  mite  rihte.  Den  tlegeusatz  abzuschwächen  ver- 
sucht Höfler,  Kaisertum  und  Papsttum,  Ein  Beitrag  zur  Philosophie  der 


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16 

in  der  Stellung  der  „Pfaffenkönige“  gegenüber  der  Friedrichs  I. 
ihren  realpolitischen  Ausdruck  gefunden.  Aber  in  diesem  Kampfe 
war  nicht  nur  die  Weltmachtstellung  des  Kaisers,  sondern 
das  Kaisertum  selbst  gebrochen  worden  und  damit  in  dem 
Augenblick,  in  dem  das  hierokratische  System  in  seine  Konse- 
quenzen durchgeführt  wurde,  eine  der  wichtigsten  Grundlagen 
dos  ganzen  Systems  gefallen;  nichts  ist  charakteristischer,  als 
daß  die  schließliche  Formulierung  und  feierliche  (jedoch  nicht 
dogmatische)  Verkündigung  der  hierokratischen  Staatsauffassung 
seitens  des  Papsttums  nicht  im  Kampfe  mit  dem  deutschen 
Kaiser,  sondern  mit  dem  französischen  König  erfolgte;  aber 
auch  nichts  begreiflicher,  als  daß  in  dem  Augenblick,  in  dem 
der  aufrechte  Bestand  des  Kaisertums  endgiltig  dahin  war,  in 
dem  ein  anderes  Volk  im  Kampfe  zwischen  weltlicher  und 
geistlicher  Gewalt  in  den  Vordergrund  trat,  die  hierokratische 
Staatsauffassung  sofort  aufhörte,  in  Deutschland  ein  bestimmender 
Faktor  zu  sein.  Die  Bulle  „Unam  sanctam“  (1302)  und  der  Kur- 
verein von  Rense  (1338)  stehen  in  einem  nahen  Zusammenhang*). 

Geschichte,  frag  1862,  SS.  110  uml  111,  m.  E.  ohne  Erfolg:  das  genannte  Werk 
bringt  überhaupt  bezüglich  des  hier  behandelten  Gegenstandes  eine  Fülle 
interessanter  Einzelheiten,  lallt  jedoch  eine  klare  Gesamt-Auffassung  ver- 
missen. 

')  Vgl.  über  die  hierher  gehörigen  historischen  Vorgänge  Drumann, 
Geschichte  Bonifacius  VIII.,  Königsberg  1852,  VI.  Abschnitt  (§§  1 bis  7). 
Eine  Übersicht  über  die  speziell  die  Bulle  „Dnam  Sanctam“  betreffende 
Literatur  gibt  Berchtold,  Die  Bulle  ITnam  Sanctam,  München  1887, 
SS.  48—88.  Berchtold  selbst  vertritt  hier  die  Ansicht,  dal!  durch  die 
Bulle  „Tn ui n Sanctam“  die  hierokratische  Doktrin  dogmatisch  festgelegt 
wurden  sei.  Seine  Beweisführung  wurde  schlagend  widerlegt  durch  Martens 
in  der  bereits  S.  15  Amu.  3 genannten  Schrift,  SS.  20  bis  36:  nur  die  Definition 
am  Ende  der  Bulle  ist  dogmatisch,  diese  aber  enthält  keine  Billigung  des 
hierokratischen  Systems.  Dagegen  sind  alle  Versuche,  auch  den  übrigen, 
nicht  dogmatischen  Teil  der  Bulle  abschwächend  zu  interpretieren  (so  be- 
sonders Hergenröther,  Katholische  Kirche  und  christl.  Staat,  Freibnrg  i.  B. 
1873,  SS.  332  bis  334)  an  dem  klaren  Wortlaut  der  Bulle  gescheitert. 
Die  bereits  im  bejahenden  Sinn  erledigte  Kontroverse  über  die  Echtheit 
der  Bulle  l'nam  Sanctam  kann  hier  nicht  erörtert  werden.  Vgl.  auch  unten 
die  Ausführungen  im  Abschnitt  1113  des  I.  Kapitels. 

s)  Dali  theoretisch  der  Gedanke  des  Kaisertums  weit  länger  aufrecht  er- 
halten wurde,  ist  oben  SS.  1 und  2,  beg.  in  den  Amn.,  näher  ausgeführt  worden. 
Damit  steht  keineswegs  im  Widerspruch  die  Tatsache,  daß  das  Kaisertum 


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17 


Hiemit  haben  wir  bereits  den  Punkt  berührt,  welcher  zum 
eigentlichen  Thema  dieser  Untersuchung  führt:  die  deutsche 
Königswahl  *).  Es  ist  von  vorneherein  klar,  daß  bei  dem  Versuche, 


faktisch  bereits  iin  13.  Jahrhundert  seine  politische  Bedeutung  verlor  und 
in  weiterer  Konsequenz  mit  dem  Beschlüsse  des  Kurvereins  von  Rense 
das  hierokratische  System  in  Deutschland  endgiltig  überwunden  wurde. 
Durch  diesen  Beschluß  ist  die  Selbständigkeit  des  deutschen  Königtums 
gegenüber  dem  Papsttum  sichergestellt  worden.  Der  darüber  hinausgehende 
Satz,  demgemäß  auch  die  Kais  er  würde  von  der  Krönung  durch  den  Papst 
unabhängig  sein  und  dem  deutschen  König  ipso  iure  gebüren  solle,  ist 
bekanntlich  erst  seit  Maximilian  I.  (1508)  praktisch  durchgeführt  worden; 
und  erst  damit  hat  der  alte  Kaisergedanke  jede  praktische  Bedeutung 
verloren. 

•)  Zum  Verständnis  des  Folgenden  halte  ich  es  für  nötig,  den  von  mir 
bezüglich  der  älteren  deutschen  Königswahl  eingenommenen  Standpunkt  fest- 
zulegen, indem  ich  mich  bezüglich  der  quellenmäßigen  Belege  und  Literatur- 
nachweise auf  meine  oben  S.  7 Anm.  1 erwähnte  Abhandlung  beziehe.  Be- 
züglich der  Königswahlenliteratur  im  allgemeinen  vgl.  daselbst  S.  226 
Anm.  2 und  Anhang  II  dieser  Untersuchung.  Zur  Sache  habe  ich  mich  in 
der  genannten  Abhandlung  S.  226  folgendermaßen  geäußert: 

„Ich  stehe  in  dieser  vielumstritteneu  Frage  auf  dem  neuerdings  von 
Ernst  Mayer  in  der  Zeitschrift  der  Savigny-Stiftung  für  Rechtsgeschichte 
(XXIII  Germ.  Abt.  SS.  1 II.,  Zu  den  germanischen  Königswahlen)  vertretenen 
Standpunkt , daß  das  deutsche  Königswahlenrecht  aus  einer  gemein- 
germanischen  Wurzel  „herausge wachsen“  ist  (a.  a.  0.  S.  48).  Mau  vergegen- 
wärtige sich  nur  die  berühmte  Schilderung,  welche  Tacitus  (Germania  cap.  11) 
von  den  germanischen  Dingen,  in  denen  nach  seiner  ausdrücklichen  Be- 
merkung (cap.  12)  auch  die  Volkswahlen  vorgenommen  wurden,  entwirft. 
Die  Teilnehmer  kommen  allmählich  zusammen;  die  principes  besprechen 
die  Angelegenheiten,  bevor  sie  vor  die  Vollversammlung  gebracht  werden. 
In  dieser  selbst  erstatten  mox  rex  vel  princeps,  prout  aetas  cuique,  prout 
nobilitas,  prout  decus  bellorum,  prout  facundia  est,  die  Vorschläge;  die 
übrigen  bilden  nur  den  „Umstand“,  sie  beschränken  sich  darauf,  den  Vor- 
schlag fremitu  aspernari  oder  armis  laudare,  sie  verweigern  oder  erteilen 
das  „Vollwort“.  Hier  haben  wir  m.  E.  die  Grundform  germanischer  Be- 
schlußfassung vor  uns;  von  hier  aus  hat  sich  ebensowohl  die  spätere  Form 
der  Urteilsfindung,  wie  der  deutschen  Königswahl  entwickelt.  Daß  bei  jener 
die  Ausbildung  fester  juristischer  Formen  früher  und  stetiger  erfolgte,  als 
bei  dieser,  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  da  hier  der  Bildung  eines  Ge- 
wohnheitsrechts die  langen  Zwischenräume  zwischen  den  Königswahlen  und 
die  Verknüpfung  mit  den  politischen  Interessen  der  Wähler  in  gleichem 
Maß  im  Wege  steheu.  Insbesondere  hat  sich  das  Prinzip  der  Einstimmig- 
keit, demzufolge  nach  altgermanischem  Recht  eine  Pflicht  der  Minorität, 

Hngetminn.  Die  deutsche  Königswahl  2 


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18 


das  hierokratische  System  durclizuführen , die  Besetzung  des 
Thrones  eine  Hauptrolle  im  Kampfe  zwischen  geistlicher  und  welt- 
licher Gewalt  spielen  mußte,  und  zwar  in  erhöhtem  Maß  in 

sich  der  Majorität  zu  unterwerfen,  nicht  bestand,  bei  der  deutschen  Königs- 
Wahl  durch  Jahrhunderte  erhalten.  Jeder  einzelne  mußte  den  Kandidaten  zu 
seinem  König  küren,  ihn  als  solchen  anerkennen;  aber  diese  Anerkennung 
mußte  nicht  von  allen  uno  actu  ausgesprochen  werden,  was  bei  der  großen 
Zahl  der  Wäliler  wohl  ein  Ding  der  Unmöglichkeit  gewesen  wäre. 

Kür  uns  ist  hier  am  wichtigsten  die  Form,  in  welcher  die  eigentliche 
Wahlhandlung  vorgenommen  wurde,  — natürlich  nach  dem  soeben  An- 
geführten ohne  der  Anerkennung  durch  die  etwa  abwesenden  Wahlberech- 
tigten zu  präjudizieren.  Und  diesbezüglich  erkennen  wir  mit  einer  einzigen 
Ausnahme  in  allen  uns  vorliegenden  genaueren  Berichten  über  Königswahlen 
bis  zur  Doppolwahl  des  Jahres  1198  eine  Gliederung  des  Wahlakts,  welche 
mit  der  Schilderung  des  Tacitns  übereinstimmt:  ein  engerer  Kreis  besonders 
einflußreicher  Wähler,  vielleicht  mitunter  nur  die  in  Betracht  kommenden 
Kandidaten,  einigen  sich  auf  eine  Person;  einer  oder  einige  aus  diesem 
Kreise  sprechen  nun  in  der  eigentlichen  Wahlversammlung  den  Kurspruch; 
die  übrigen  Wähler  erteilen  in  formloser  Weise,  sei  cs  durch  Zuruf,  sei  es 
durch  Handerheben,  das  „Vollwort.“  Keine  einzige  glaubwürdige  Quellen- 
stello,  abgesehen  von  der  schon  erwähnten  Ausnahme,  steht  einer  solchen 
Gestaltung  der  deutschen  Königswahl  entgegen;  sie  wird  in  überraschender 
Weise  bestätigt  durch  den  gleichen  Vorgang  bei  den  ebenfalls  auf  ger- 
smanischc  Wurzeln  zurückgehenden  französischen  Königswahlen,  wie  er  he" 
sonders  schön  im  Wahlprotokoll  von  1059  bezeugt  ist. 

Es  ist  und  bleibt  das  große  Verdienst  Lindncrs,  diese  Zwei- 
bezw.  Dreiteilung  des  Wahlaktes  in  seinem  Buche  Die  deutschen  Künigs- 
wahlcn  und  die  Entstehung  des  Kurfürstentums  (Leipzig  1893)  klar  durch- 
geführt zu  haben.  Ich  trage  auch  kein  Bedenken,  für  die  Phasen  des 
Wahlakts  die  von  Lindner  vorgeschlagcnen  Namen  „Wahl“  und  „Kur“, 
bezw.  „clectio“  und  „laudatio“  beizubehalten,  wenngleich  sic  in  den  Quellen 
m.  E.  nicht  als  termini  tcchnici  gebraucht  werden.  Für  unrichtig  halte  ich 
Lindners  Ansicht  allerdings  in  zwei  wesentlichen  Punkten:  1.  Die  „Kur" 
scheidet  sich  nicht  in  die  von  einem  Wähler  an  erster  Stelle  aus- 
gesprochene clectio  und  die  in  verschiedener  Form  hinzutretende 
(audatio,  maßgebend  ist  vielmehr  der  Unterschied  zwischen  der  von 
einem  oder  mehreren  gesprochenen  Kurformel  (electio)  einerseits 
und  dem  „Vollwort“  (laudatio)  des  „Umstands“  anderseits;  damit  ist 
auch  schon  gesagt,  daß  2.  die  laudatio  gewiß  nicht  nach  Lindncrs  An- 
sicht lediglich  die  Bedeutung  cinos  „Treugelöbnisses“  oder,  wie  er  jetzt 
sagt,  einer  „Huldigung,“  einer  „Gelobung“  gegenüber  dem  bereits  gewählten 
König  hatte,  sondern  eine  Phase  eines  konstitutiven  Aktes  war. 
Damit  steht  keineswegs  im  Widerspruch,  daß  unmittelbar  im  Anschluß  an 
die  Wahl  dem  neuen  König  der  Eid  geleistet  wurde,  ja  daß  manchmal, 


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19 


Deutschland,  wo  beim  Auftauchen  dieses  Systems  keine  erbliche 
Königswürde  bestand.  Auf  das  Zusammenwirken  der  päpstlichen 
Ansprüche  und  der  an  ihrem  Wahlrecht  festhaltenden  deutschen 
Fürsten  hatten  wir  bereits  oben  ’)  hinzuweisen  Gelegenheit. 
Bedenkt  man,  daß  der  erste  große  Zusammenstoß  zwischen  Papst- 
und  Königtum,  bei  welchem  es  sich  ja  gerade  um  die  Besetzung 
der  Bistümer  handelte,  mit  der  Durchsetzung  der  kanonischen 
Wahl  im  kirchlichen  Ämterwesen  zusammenfiel  *),  so  leuchtet 
wohl  sofort  ein,  daß  das  Wahlrecht  der  deutschen  Fürsten  dem 
Papsttum  die  Handhabe  bot,  ohne  schrotfen  Bruch  mit  dem  be- 
stehenden Recht  durch  -Anwendung  kanonistischer  Grundsätze, 
besonders  durch  die  Betonung  eines  Approbationsrechts5),  hiero- 
kratischen  Gedanken  zum  Durchbruch  zu  verhelfen.  Ein  weiterer, 
diese  Entwicklung  fördernder  Umstand  von  kaum  zu  überschätzender 
Bedeutung  liegt  darin,  daß  die  deutsche  Königswürde  die  Voraus- 
setzung für  die  vom  Papste  zu  verleihende  römische  Kaiserwürde 
war,  und  wir  haben  auch  diesbezüglich  bereits  darauf  hingewiesen4), 
daß  die  Behauptung  der  Päpste,  sie  hätten  das  imperium  „in  Ger- 
manos“  übertragen,  einer  tatsächlichen  Unterlage  nicht  entbehrte 
und  daß  ihr  Anspruch,  die  Kaiserwürde  zu  verleihen,  eigentlich 
unbestritten  war.  Moderne,  und  zwar  nicht  ausschließlich  katho- 
lische, Historiker5)  haben  auf  Grund  dieser  Sachlage  ein  Recht 

wenn  einzelne  beim  eigentlichen  Wahlakt  nicht  anwesende  Fürsten  nach- 
tr Sgl  ich  einen  König  anerkannten,  der  Eid  vielleicht  die  einzige  Form 
dieser  Anerkennung  war.  Denn  auch  in  diesem  letzteren  Fall  wurde  erst 
durch  den  Eid,  welcher  die  Anerkennung  in  sich  schloß,  ein  öffentlich- 
rechtliches  Verhältnis,  welches  den  Gewählten  zum  König  des  Anerkennen- 
den machte,  geschaffen.“ 

')  Vgl.  oben  SS.  13  und  14. 

*)  Vgl.  meine  oben  S.  7 Anm.  1 und  S.  17  Anm.  1 zitierte  Abhandlung, 
S.  221  Anm.  3. 

*)  Vgl.  meine  Abhandlung,  ebenda  (vgl.  die  vorige  Anm.):  Krimmer, 
Der  Einfluß  des  Papststums  auf  die  deutsche  Königswahl,  Berl.  Iliss.  1903, 
bes.  SS.  42  ff.,  woselbst  allerdings  von  der  ersten  nachhaltigen  Behauptuug 
des  Approbationsrechts  durch  Gregor  VII.  nicht  die  Rede  ist;  ferner  auch 
unten  bes.  SS.  24  f.,  48  ff. 

•)  Vgl.  oben  SS.  10  und  11. 

s)  So  Phillips,  Was  ist  das  Kaisertum?  Vermischte  Schriften,  II.Band, 
Wien  1856,  8.  471  (mit  gewissen  Einschränkungen) : Hefele,  Wie  dachte 

2* 


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20 


der  Päpste  anerkannt,  die  Rechtsgiltigkeit  der  Königswahl  als 
Voraussetzung  für  die  Obertragung  der  Kaiserwiirde  zu  prüfen 
und,  falls  eine  gütige  Königswahl  nicht  zu  erzielen  war,  das 
Kaisertum  auf  ein  anderes  Volk  zu  übertragen.  Da  jedoch  eine 
solche  Übertragung  an  der  politischen  Unmöglichkeit  scheitern 
mußte  und  die  abstrakte  Unterscheidung,  welche  der  erwähnten 
Auflassung  zugrundeliegt,  dem  mittelalterlichen  Rechtsempfinden 
gerade  des  deutschen  Volkes  schlechterdings  unverständlich  war  *), 
so  ist  es  nicht  auffallend,  daß  die  Päpste,  als  die  Gleichgewichts- 
lage zwischen  den  beiden  höchsten  Gewalten  neuerlich  gestört  war, 
im  Kampfe  um  die  Suprematie  einen  andern  Weg  einschlugen  *) 

sich  Innozenz  III.  das  Verhältnis  de»  Papstes  zur  Kaiserwahl  ? Tübinger 
Theologische  Quartalschrift  XLIV  617  (wörtlich  gleich  in)  V.  Bande  der 
Konziliengesch.,  2.  Aufl.  Freiburg  1886,  S.  789);  Krammcr  a.  a.  0.  (vgl. 
oben  S.  19  Anm.  3)  S.  15  Anm.  4.  Nicht  ganz  klar  Janssen,  Geschichte 
des  deutschen  Volkes  seit  dem  Ausgang  des  Mittelalters,  I.  Band,  17.  und 
18.  Aull.,  SS.  502  und  503. 

')  Ist  eine  scharfe  juristische  Konstruktion  und  begriffliche  Scheidung 
überhaupt  erst  späteren  Stadien  der  Kechtsentwicklung  eigen,  so  fehlte  sie 
insbesondere  dem  mittelalterlichen  deutschen  Recht.  Erst  gegen  Ende  des 
Mittelalters  hat  man  ja  z.  B.  dun  Staat  als  Rechtspersönlichkeit  kon- 
struieren und  öffentliches  und  Privatrecht  unterscheiden  gelernt;  vgl. 
Brunner  in  Holtzendorffs  Enzyklopädie,  5.  Aull.,  S.  270,  Rietschel, 
Milt.  d.  Inst.  f.  österr.  (jeschf.  XXVII  408  und  9 (in  dein  Aufsatz  Landleihen, 
llofrecht  und  Immunität).  Und  bis  zum  heutigen  Tag  fehlt,  um  auch  aus 
dem  Privatrecht  ein  Beispiel  anzuführen,  im  österreichischen  Recht  (und 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  auch  nach  dem  neuen  bürgerlichen  Gesetzbuch 
für  das  deutsche  Reich)  die  scharfe  Unterscheidung  zwischen  dem  Recht  an 
der  Sache  und  dem  Anspruch  auf  eine  Sache,  zwischen  rei  vindicatio  und 
condictio:  vgl.  Strohal,  Die  Giltigkeit  des  Titels  u.  s.  w.,  Vortrag,  Graz 

1891,  SS.  32  ff.,  ferner  v.  Mayr,  Der  Bercichcrungsnnsprnch,  Leipzig  191X3, 
§ 38  bes.  SS.  383  ff.  Gerade  darin  liegt  die  charakteristische  Schönheit  des 
deutschen  Rechts,  daß  es  die  Erscheinungen  des  Lebens  nicht  logisch  zer- 
gliederte, sondern  in  der  Fülle  der  Wirklichkeit  zu  erfassen  strebte,  daß  es, 
um  „dem  Stofflichen  gerecht  zu  werden,  die  Denkformen  offen,  flüssig,  er- 
weiterungsfähig hielt" ; daß  es  zwar  „nicht  unlogisch"  war,  aber  „von  der 
Logik  einen  sparsameren  Gebrauch"  machte.  Vgl.  Gierke,  Das  deutsche 
Genossenschaftsrecht,  II.  Band,  Berlin  1873,  SS.  6 ff. 

*)  Gelegentlich  hat  die  päpstliche  Partei  übrigens  die  Zulässigkeit, 
das  Kaisertum  unabhängig  vom  deutschen  Königtum  zu  verleihen,  behauptet. 
Über  den  diesbezüglichen  Versuch  Gregors  IX.  vgl.  Krammcr,  a.  a.  0.  (vgl. 
oben  S.  19  Anm.  3)  SS.  19  f.,  und  unteu  S.  53  Anm.  2.  Besonders  als  sich  die 


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21 


und,  abermals  durch  die  Anwendung  kanonischer  Grundsätze  (so- 
gar durch  die  Behauptung  einer  Art  von  Devolutionsrecht)1),  die 
Besetzung  des  deutschen  Königsthrons  zu  beeinflussen  suchten. 
Schließlich  liegt  es  in  der  Natur  der  Sache,  daß  die  Päpste  bei 
der  Beurteilung  der  von  ihnen  zu  prüfenden  Königswahlen  nicht 
nur,  was  die  Person  des  Gewählten,  sondern  auch  was  den  Wahl- 
akt anlangt,  gelegentlich  kanonische  Wahlgrundsätze  an  wendeten2), 
zumal  ja  überhaupt  die  Auffassung  des  weltlichen  Herrschertums 
als  eines  kirchlichen  Amtes,  wie  bereits  erwähnt1),  dem  Gedanken- 
kreis des  hierokratischen  Systems  entsprach.  In  jüngster  Zeit  ist 
allerdings  nacbgewiesen  worden,  wie  gerade  eine  geschickte  Aus- 
nützung der  auf  die  geschilderte  Art  von  den  Päpsten  selbst  ge- 
förderten Formenstrenge  im  Wahlverfahren  während  der  Kämpfe  vor 
1338  dazu  diente,  die  Unabhängigkeit  des  deutschen  Königsthrones 
wiederherzustellen4). 

Im  Folgenden  sollen  zunächst  die  hier  kurz  skizzierten  Be- 
rührungen zwischen  dem  deutschen  Königswahlenrecht  nnd  dein 
kanonischen  Recht  in  ihren  einzelnen  Phasen  geschildert  werden, 
insoweit  sie  einen  Niederschlag  im  großen  kanonischen  Hechtsbuch 
gefunden  haben5).  Daß  diese  Berührungen  den  gewöhnlich  ange- 

deutsche  Königswahl  vom  päpstlichen  Einfluß  emanzipierte,  scheint  sich  die 
kurialistische  Publizistik  dieser  Theorie  bemächtigt  zu  haben;  wenigstens  ver- 
tritt sie  Augustinus  Triumphus  (+  1328),  Summa  de  potestate  ecclesiae 
Venet.  1484,  Q.  37  a.  5 (dieses  Werk  war  mir  nicht  zugänglich;  ich  zitiere 
nach  v.  Scherer,  a.  a.  0.  — vgl.  oben  S.  8.  Amu.  4 — S.  40  Anm.  39). 
Über  die  Tätigkeit  der  französischen  Politik  in  dieser  Richtung  vgl.  unten 
die  Ausführungen  zu  Beginn  des  Abschnitt  III  2 des  I.  Kapitols.  — Inno- 
zenz III.  war  diese  Theorie  m.  E.  noch  fremd ; vgl.  unten  SS.  48  ff. : bes. 
Anm.  I auf  S.  32  und  Anm.  2 auf  S.  54. 

')  Vgl.  Krammcr,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  19  Anm.  3),  SS.  27  ff.  und 
45  f.;  v.  Scherer,  a.  a.  0.  (vgl.  S.  8 Anm.  4),  S.  40  Amu.  43;  ferner  auch 
unten  SS.  51  ff. 

*)  Vgl.  Krummer,  a.  a.  0.  SS.  41  f.:  Derselbe,  Wahl  und  Einsetzung 
des  deutschen  Königs  im  Verhältnis  zu  einander,  Weimar  1905  (Zeumcrs  Quellen 
und  Studien  12),  SS.  60ff  und  10411:  ferner  auch  unten  SS.  57  f. 

*)  Vgl.  oben  S.  13. 

*)  Krummer,  Wahl  und  Einsetzung,  SS.  66  bis  71,  104  und  105:  vgl. 
auch  meine  Besprechung  dieses  Werkes,  Mitt.  d.  Inst.  f.  öslerr.  Geschf., 
XXVIII.  684  ff. 

*)  Über  die  innere  Berechtigung  dieser  Umgrenzung  des  Theuias  vgl. 
unten  SS.  23  f. 


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nommenen  durchgreifenden  Einfluß  auf  das  VVahlverfahren 
bei  der  deutschen  Königswahl  tatsächlich  nicht  geübt  haben,  glaube 
ich  an  anderem  Orte  (Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Geschf.,  XXVIII. 
689 ff.)1)  nacbgewiesen  zu  haben;  ihre  rechtshistorische  Bedeutung 
ausführlich  zu  würdigen,  soll  dem  zweiten  Teil  dieser  Untersuchung 
Vorbehalten  bleiben. 

•)  Vgl.  obeD  S.  21  Anm.  4:  rgl.  ferner  die  oben  S.  7 Anm.  1 genannte 
Abhandlung,  S.  232  Anm.  1. 


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Erstes  Kapitel 

Die  Bestimmungen  des  corpus  iuris  canonici 
und  die  Lehre  der  Glosse 
über  die  Besetzung  des  deutschen  Thrones. 

Von  einem  corpus  iuris  canoDici ')  kann  bekanntlich  nicht  in 
dem  Sinne  gesprochen  werden,  „als  ob  nur  Bestimmungen,  welche 
in  demselben  aufgenommen  sind,  gesetzliche  Kraft  hatten“;  viel- 
mehr ist  die  formelle  Rechtsgiltigkeit  aller  seit  dem  3.  März  1'298, 
an  welchem  Tage  die  letzte  authentische  Dekretalensammlung  exklu- 
siven Charakters,  der  Liber  Sextus,  publiziert  wurde,  ergangenen 
kanonischen  Rechtssatzungen  von  deren  Aufnahme  in  das  corpus 
iuris  canonici  unabhängig.  Trotzdem  kann  auch  für  die  spätere 
Zeit  den  in  das  corpus  iuris  canonici  aufgenommenen  Rechts- 
satzungen eine  gewisse  eminente  Bedeutung  nicht  abgesprochen 
werden:  da  die  kirchliche  „Spruchpraxis  an  die  gemeine  Sentenz 
der  Schule  wie  an  eine  Autorität  sich  hielt“,  die  „Aufnahme 
und  Bearbeitung“  der  Rechtssatzungen  „durch  die  Schule  gleich- 
bedeutend mit  der  Rezeption  und  Verbreitung  derselben  in  der 
Praxis“  war,  so  mußte  dem  „Komplex  der  von  der  Glossatorcn- 
schule  rezipierten  Rechtebücher“,  dem  corpus  iuris  canonici, 
das  Gewicht  der  Tatsachen  erhöhte  Wirksamkeit  verleihen,  be- 
sonders seit  der  durch  das  Breve  Gregors  XIII.  vom  2.  Juni  1582 
„eraendationem“  einbegleiteten  römischen  Ausgabe.  Diese  Er- 
wägungen lassen  es  gerechtfertigt  erscheinen,  unsere  Unter- 

■)  Vgl.  zu  dun  folgundcn  Bemerkungen  über  das  Corpus  iuris  canonici 
v.  Scherer,  a.  a.  (>.  (vgl.  oben  S.  8 Anm.  4)  §§  54,  55  und  56,  ferner 
Groß,  Lehrbuch  des  katholischen  Kirchenrechts,  3.  Aull.  Wien  1899,  §§  19 
und  20. 


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24 


Buchung  auf  das  corpus  iuris  canonici  zu  beschränken:  nicht  in 
dem  Sinne,  als  ob  wir  damit  jede  einzelne  Phase  und 
Episode  in  der  Entwicklung  erfassen  könnten;  sondern  in  der 
Erkenntnis,  daß  wir  hier  dasjenige  finden,  was  dauernder  Be- 
sitz des  kirchlichen  liechtsbewußtseins  geworden  ist  und  in 
dieser  Eigenschaft  durch  die  päpstlichen  Publikationsbullen,  bezw. 
durch  die  Autorität  der  Schule  beglaubigt  wurde.  Soweit  es 
übrigens  zum  Verständnis  unerläßlich  scheint,  wird  im  folgenden 
auch  auf  die  Zwischenglieder  der  Entwicklung  eingegangen  werdeu. 

I.  Das  Gratianische  Dekret 

Es  ist  bereits  oben  darauf  hingewieseu  worden,  daß  im  Laufe 
des  Investiturstreits  Gregor  VII.  das  Recht  in  Anspruch  nahm, 
die  Besetzung  des  deutschen  Thrones  entscheidend  zu  beeinflussen. 
Und  zwar  bewegte  sich  dieser  Anspruch  in  einer  dreifachen 
Richtung:  der  Papst  behauptete  das  Recht  der  Absetzung  des 
Königs,  der  schiedsrichterlichen  Entscheidung  in  Thronstreitigkeiten 
und  der  Approbation  der  Königswahl  *).  In  allen  diesen  Beziehungen 
hat  Gregor  VII.  das  behauptete  Recht  auch  tatsächlich  ausgeübt: 
er  hat  auf  der  Synode  vom  14.  bis  22.  Febr.  10765)  und  zum 
zweitenmal  am  7.  März  1 080 3)  Heinrich  IV.  nicht  nur  exkommuni- 
ziert, sondern  gleichzeitig  in  feierlicher  und  formeller  Weise  des 
Thrones  für  verlustig  erklärt4);  er  hat,  als  nach  der  ersten  Ab- 
setzung Heinrichs  trotz  der  in  Canossa  erfolgten  Lösung 
vom  Kirchenbanne  zu  Forchheim  (15.  März  1077)  Rudolf  von 
Schwaben  zum  König  gewählt,  der  Streit  in  Deutschland  somit 
zu  einem  rein  politischen  geworden  war,  nachdrücklich  das 
Schiedsrichteramt  beansprucht 5),  welches  auf  der  Synode  vom 
11.  Febr.  1079  von  den  Gesandten  Rudolfs  (im  Gegensatz  zu 

')  Vgl.  oben  SS.  13  und  14,  insbes.  Anm.  1 auf  S.  14. 

*)  Jaffe,  Reg.  Pont.  (ed.  II),  post  4978. 

•)  Ibidem,  poBt  5154. 

4)  Der  VerluBt  des  Thrones  war  keineswegs  nur  eine  Folge  des  Kirchen- 
bannes, sondern  eine  selbständige  Kirchenstrafe.  Im  Jahre  1076  trug  die- 
selbe den  Charakter  einer  tempor&ren  Maßregel  (Suspension),  im  Jahre 
1080  einer  definitiven  (Doposition).  Siehe  diesbezüglich  Martens,  a.  a.  O. 
(vgl.  oben  S.  12  Anm.  5)  SS.  25  bis  30.  Vgl.  auch  unten  SS.  38  ff. 

4)  Jaffe,  1.  c.  (cf.  oben  Anm.  2):  5034,  5035,5036. 


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25 


denen  Heinrichs)  ausdrücklich  anerkannt  wurde  *) ; er  hat  schließ- 
lich das  schon  vor  der  Wahl  Rudolfs  in  dem  Briefe  v.  3.  Sept. 
1076’)  beanspruchte  Approbationsrecht  bei  der  zweiten  Absetzung 
Heinrichs  wenigstens  insofern  ausgeübt,  als  er  den  bereits  1077 
gewählten  Rudolf  als  König  anerkannte’).  Diese  weitgehenden 
Ansprüche  leitete  der  große  Papst,  mochte  er  sich  immerhin  ge- 
legentlich auch  auf  wirkliche  oder  vermeintliche  Präzedenzfälle 
aus  der  deutschen  (bezw.  fränkischen)  Vergangenheit  berufen4), 
in  erster  Linie  aus  dem  allgemeinen  kirchlichen  Leitungsrechte 
des  Papstes  ab:  er  behauptet  die  Unterordnung  aller  Staaten 
unter  die  Kirche,  aller  Fürsten  unter  den  Papst,  und  zwar  unter 
ausdrücklichem  Ausschluß  einer  Oberherrschaft  des 
deutschen  Reiches’);  er  vindiziert  sich  in  der  unzweideutigsten 
Weise  das  Absetzungsrecht,  welches  den  eigentlichen  Angelpunkt 
seiner  staatskirchlichen  Politik  bildet,  ebensowohl  gegenüber  dem 
französischen4)  wie  dem  deutschen  König,  das  Schiedsrichteramt 
gerade  so  in  Ungarn7)  wie  in  Deutschland.  Er  hat  mit  eineta 
Wort  das  hierokratische  System  beim  ersten  Entwurf  bis  in  die 
äußersten  Konsequenzen  durchdacht  und  die  auf  dem  Höhepunkt  kirch- 
licher Macht  nach  anderthalb  Jahrhunderten  praktisch  gewordenen 
Ansprüche  der  Kirche  iu  Gedanken  noch  überflügelt8) : auch  er 

‘j  Ibidem,  post  5102. 

s)  Ibidem,  5002.  Vgl.  auch  meine  oben  S.  7 Anm.  1 zitierte  Ab- 
handlung, S.  209. 

’)  Ibidem,  post  5154.  (Die  formelle  Anerkennung  liegt  in  den  Worten 
öt  autem  Rodulfus  regnum  Teutonieorum  regat  et  de/endat). 

*)  Jaffe,  Bibi.  rer.  Germ.,  II  SS.  242  und  458.  Vgl.  auch  oben 
S.  7 Anm.  1,  ferner  meine  daselbst  zitierte  Abh.  S.  210  Anm.  1. 

*)  Jaffe,  Reg.  Pont.  (cd.  II.),  4944. 

*)  Ibidem,  4891. 

7)  Ibidem,  4952. 

8)  Hauck  will  a.  a.  0.  (vgl.  SS.  12  13  Anm.  5)  SS.  33  f.  allerdings 
eine  Fortbildung  der  von  Gregor  VII.  gelehrten  „Herrschaft  über  das  Reich“ 
zn  einer  .Herrschaft  im  Reiche“  bei  Folgen  III.  erkennen.  Jedoch  ganz 
abgesehen  davon,  daß  die  von  Hauck  angezogene  Urkunde  in  ihrer  Verein- 
zelung beinahe  Zweifel  an  ihrer  Echtheit  wachzurufen  geeignet  ist,  beinhaltet 
m.  E.  das  nach  Hauck  von  Gregor  VII.  beanspruchte  rcgiuien  universale 
wenigstens  bedingt  auch  eine  „Herrschaft  im  Reiche.“  Darüber,  daß 
Innozenz  III.  weniger  weit  ging  als  Gregor  VII.,  siehe  unten  SS.  48  ff., 
bes.  Anm.  2 auf  S.  54. 


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26 


huldigt  dem  Gedanken  des  einen  christlichen  Weltreichs,  aber 
dessen  absoluter  Monarch,  in  geistlichen  und  in  weltlichen  Dingen, 
ist  der  Papst,  alle  weltlichen  Fürsten  bekleiden  eigentlich  nur 
ein  kirchliches  Amt ').  Hei  dieser  Auffassung  der  Dinge  ist  es 
begreiflich,  daß  der  Anspruch  der  deutschen  Könige  auf  die 
Kaiserkrone  nicht  in  den  Vordergrund  trat  und  jedes  klare  Ver- 
ständnis für  die  Bedeutung  der  Kaiserwürde  fehlte,  wenngleich 
anderseits  gerade  die  frühere  enge  Verknüpfung  von  kirchlicher 
und  weltlicher  Gewalt,  von  Kaisertum  und  Papsttum  in  Deutsch- 
land den  Streit  hier  besonders  heftig  entbrennen  ließ.  Ferner 
bot  das  in  Deutschland  bestehende  Wahlrecht  der  Fürsten,  wie 
ebenfalls  bereits  oben  angedeutet 3),  dem  Papst  eine  sehr  bequeme 
Handhabe,  um  im  Hunde  mit  den  partikularistischen  Strömungen 
auf  die  Bestimmung  der  Person  des  Königs  Einfluß  zu  gewinnen; 
dies  ist  der  Punkt,  an  dem  das  hierokratische  System  Gregors 
durch  die  Hurührung  mit  dem  deutschen  Staatsrecht  eine  charak- 
teristische Nuance  annahm:  durch  die  Behauptung  eines  Ap- 
probationsrechts und  speziell  durch  die  Aufstellung  des  kanonischen 
Grundsatzes  der  persona  idonea.  Was  den  Wahlakt  selbst  an- 
laugt, dessen  Giltigkeit  ebenfalls  der  Prüfung  des  Papstes  unter- 
liegt, so  wurde  das  Hecht  des  Papstes,  sich  bei  demselben  durch 
Legaten  vertreten  zu  lassen,  in  Forchheim  als  selbstverständlich 
hingenommen3);  von  einem  Verlangen,  die  speziellen  Formen  des 
kanonischen  Hechtes  zu  beobachten,  ist  jedoch  nicht  im  mindesten 
die  Hede;  nur  gegen  eine  „simonistische“  Wahl  haben  die  Legaten 
Einsprache  erhoben,  was  wohl  in  moralischen  Erwägungen  eine 
hinlängliche  Erklärung  findet. 

Wir  wollen  an  dieser  Stelle  nicht  im  einzelnen  untersuchen, 
inwieweit  die  dargelegten  päpstlichen  Ansprüche  das  deutsche 


')  Besondere  scharf  und  rücksichtslos  gegenüber  Irland  und  Spanien 
betont:  Jaffe,  1.  c.  5059  und  5041.  Auch  anderen  Königen  gegenüber 
machte  Gregor  VII.  seine  angeblichen  Hechte  in  tumporalibus  geltend,  jedoch 
nicht  in  so  schroffer  Weise;  Jaffe,  1.  c.  5096  (Norwegen),  4955  (Rußland), 
Jaffe,  Bibi.  rer.  denn.,  II  S.  199  (Dänemark). 

*)  S.  19. 

*)  Dies  ergibt  sich  aus  dem  Berichte  Brunos,  De  bollo  Saionieo  cap. 
91  (MG.  SS.  V 365).  Allerdings  darf  nicht  außer  acht  gelassen  werden,  daß 
cs  eine  Wahlversammlung  der  päpstlichen  Partei  war. 


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27 

Königswahlenrecht  tatsächlich  modifiziert  haben. ')  Nur  kurz  mag 
erwähnt  werden,  daß  durch  die  geschilderten  Vorgänge  das  Wahl- 
recht der  Fürsten  dauernd  gestärkt  wurde;  daß  für  die  spätere  Ent- 
wicklung des  hierokratischen  Systems  gerade  die  Behauptung  des 
päpstlichen  Approbationsrechts  (nicht  des  Absetzungsrechts)  be- 
sondere Bedeutung  gewann,  wird  uns  weiter  unten,  bei  Be- 
sprechung der  Dekretalen  Gregors  IX.,  noch  näher  beschäftigen.  *) 
Worauf  hier  mit  allem  Nachdruck  verwiesen  werden  soll,  ist  die 
Tatsache,  daß  im  Gratianischen  Dekret  die  Ansprüche 
Gregors  VII.  bezüglich  der  Besetzung  des  deutschen 
Thrones  relativ  geringe  Spuren  hinterlassen  haben.1)  Also 
nicht  einmal  innerhalb  des  kanonischen  Rechtes  fanden  um  die 
Mitte  des  12.  Jahrhunderts  die  Ansprüche  Gregors  VII.  ent- 
schiedene Anerkennung;  eben  der  Gleichgewichtszustand,  welcher 
sich  nach  dem  Wormser  Konkordat  nach  unseren  Ausführungen 
in  der  Einleitung4)  herausgebildet  hatte,  kommt  in  dieser  Zurück- 
haltung des  Gratianischen  Dekrets  zum  Ausdruck. 

Bevor  wir  auf  Einzelheiten  eingehen,  sei  bemerkt,  daß  im 
Gratianischen  Dekret  und  in  den  dazu  gehörigen  Glossen  an  vielen 
Stellen,  wenn  auch  nicht  durchgehends,  zwischen  regnum  und 
imperium  scharf  unterschieden  ist.  So  ist  vor  allem  das  berühmte 
Papstwahldekret  Nikolaus  II.  vom  Jahre  1059  aufgenommen  (c.  1 
Dist.  23),  in  welchem  die  begriffliche  Scheidung  geradezu 
klassischen  Ausdruck  gefunden  hat:  ....  Henrici,  qui  in  pr eben- 
darum rex  habetur,  et  futurus  imperator  Deo  concedente  spe- 
ratur  . . . Voll  Glossen,  welche  die  Würde  des  imperator  im 
Gegensätze  zu  den  reges  hervorheben,  sei  nur  beispielsweise  die 


')  Über  die  Bedeutung  des  Anspruchs  auf  Prüfung  des  Wahlakts  vgl. 
die  Ausführungen  iui  Abschnitt  III  3 des  II.  Kapitels. 

*)  Vgl.  unten  SS.  48  ff.  Siehe  ferner  meine  üben  S.  7 Amn.  1 zitierte 
Abh.  S.  225,  schließlich  Mirbt,  Die  Publizistik  im  Zeitalter  Gregors  VII., 
Leipzig  1894,  SS.  549  und  550. 

5)  Entgegengesetzter  Ansicht  Hauck  a.a.  0.  (vgl.  oben  SS.  12/13  Anm.  5) 
S.  33.  Im  allgemeinen  bezeichnet  auch  S&gmüller,  Die  Bischofswahl 
bei  Gratian  (Görres  - Gesellschaft,  Sektion  f.  Rechts-  u.  Sozialwissensch., 
1.  Heft),  Köln  1908,  S.  19,  Gratian  „als  ausgesprochenen  Graporianor.“  Vgl. 
unten  S.  35,  bes.  Anm.  3. 

*)  Vgl.  oben  S.  14. 


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28 


signifikante  Glosse  zu  c.  22  Dist.  63  (zu  den  Worten  per  singulos) 
erwähnt '). 

Von  der  Besetzung  des  deutschen  Thrones  durch  Wahl 
ist  ex  professo  im  Gratianischen  Dekret  meines  Wissens  nirgends 
die  Rede2).  Es  sind  nur  einzelne  gelegentliche  Bemerkungen 
der  canones  zu  erwähnen,  welche  den  Glossatoren  einen  An- 
knüpfungspunkt zu  Ausführungen  über  diesen  Gegenstand  boten. 
Die  wichtigste  hierher  gehörige  Stelle  findet  sich  im  c.  24  Dist.  93, 
welcher  einem  Briefe  des  hl.  Hieronymus’)  entnommen  ist.  Es  ist 
hier  von  der  kirchlichen  Hierarchie  die  Rede,  speziell  von  der 
Wahl  des  Bischofs  und  des  Archidiakons.  Im  § 1 heißt  es  nun: 
Nam  et.  Alexandriae  a Marco  euangelista  utque  ad  Eraclam  et 
Dionisium  episcopos,  presbiteri  es  se  semper  unum  eligebant  et  in 
escelttori  grndu  collocabant,  quem  episcopnm  nominabant , quo- 
modo  si  exercitus  imperatorem  faciat.  Es  ist  offensichtlich, 
daß  mit  dieser  gelegentlichen  Anspielung  auf  wiederholte  Vor- 
kommnisse in  der  römischen  Kaiserzeit  eine  juristische  Äußerung 
über  diese  „Kaiserwahlen“  in  keiner  Weise  beabsichtigt  sein 
konnte.  Und  es  ist  sehr  charakteristisch  für  die  juristische 
Methode  des  Mittelalters,  daß  die  Glosse  zum  Worte  imperatorem 
bemerkt:  Es  sola  enim  eleclione  Principum  dico  eum  verum 

Imperatorem,  antequam  a Papa  confirmetur.  Arg.  hic  licet  non 
ita  appelletur , ut  dixi  63.  dist.  c.  quanto.  contrarium  est  verum 
extra  de  elect.  c.  venerabilem , 23.  dist.  c.  in  nomine.  Der  Hin- 
weis auf  c.  10  (quanto)  dist.  63  gilt  offenbar  der  Glosse  zum 
Worte  relatio:  diese  referiert  über  die  verschiedenen  Ansichten 
bezüglich  des  Zeitpunktes,  bis  zu  welchem  eine  variatio  electionis 
zulässig  ist  (subscriptio,  publicatio  scrutinii,  confirmatio)  und 
behandelt  ira  Zusammenhang  damit  die  Frage,  welches  Recht  die 

')  Hier  heißt  es  u.  a. : Ergo  in  Francia , et  in  Hispania  unus  est  enim 
Imperator  ....  fateamur  ergo  Imperatorem  esse  dominum  mundi  ....  Diese 
Glosse  dürfte  auf  Johannes  Teutonicus  zurückgeheu  (vgl.  über  ihn  unten 
S.  29  bes.  Anm.  1),  sofern  man  die  Sigle  loan.  in  den  Glossen  imperator 
und  unus  zu  c.  41  C.  7 q.  1 auf  ihn  beziehon  will  : der  Wortlaut  der  letzteren 
zeigt,  daß  sie  auf  denselben  Glossator  zurnckgehen,  wie  die  in  Bede  stehende 
Glosse. 

*)  Ober  das  Recht  des  Königs,  seinen  Nachfolger  in  Italien  zu  ernennen, 
vgl.  unten  S.  33. 

J)  Migne,  Patrol.  Lat.,  Tom.  XXII  1194  (epist.  146). 


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29 


Wahl  dem  Gewählten  verleiht.  Darauf  wird  geantwortet:  ...ius 
praelaturae , et  ius  administrandi : sed  non  exercitium  praelaturae, 
eel  admmutrationü ; dieses  exercitium  im  Gegensatz  zum  ius  wird 
eben  erst  durch  die  Konfirmation  erworben.  Zur  Begründung 
wird  u.  a.  angeführt:  electio  enim  facit  imperatorem,  ut  93  d.  c. 
legimus  (eben  der  oben  besprochene  c.  24  Dist.  93). 

Aus  dem  Zusammenhang  der  beiden  angeführten  Stellen  geht 
wohl  mit  Sicherheit  hervor,  daß  in  der  Glosse  imperatorem  zn 
c.  24  Dist.  93  der  Schlußsatz  „contrarinm  ....  in  nomine“  ein 
Zusatz  von  anderer  Hand  ist.  Denn  in  der  Glosse  relatio  zu  c.  10 
Dist  63,  die  ausdrücklich  als  von  demselben  Glossator  stammend 
bezogen  wird,  ist  so  zweifellos  die  im  ersten  Satz  der  Glosse  impera- 
torein vertretene  Ansicht  als  die  richtige  bezeichnet,  daß  in  ihr  die 
wahre  Meinung  des  Glossators  und  keineswegs  eine  nach  scho- 
lastischer Methode  aufgestellte,  im  nächsten  Satz  widerlegte  These 
zu  erblicken  ist.  Der  Glossator,  welcher  an  beiden  Stellen  die 
Ansicht  vertritt,  daß  die  „electio  principum“  und  nicht  die  con- 
firmatio  papae  „verum  imperatorem  facit“,  dürfte  nach  der  Sigle 
Jo.  in  der  Glosse  relatio  Johannes  Teutonicus1)  sein.  Die  hier  er- 
örterte Streitfrage  ist  offenbar  gar  nicht  durch  die  glossierten  Stellen, 

')  Johannes  Teutonicus  ist  der  eigentliche  Schöpfer  der  glossa  or- 
dinaria  zum  Dekret.  Daß  er  eine  mehr  kaiserliche  Richtung  vertreten  hat, 
ist  nach  den  spärlichen  Nachrichten,  welche  wir  über  sein  Leben  haben, 
durchaus  wahrscheinlich  (einen  Beleg  hiefür  könnte,  außer  den  oben  SS.  27/28 
Anm.  5 genannten  Olossen,  z.  B.  die  Ulusse  zu  c.  5 Dist.  10  bieten,  falls  man 
die  Sigle  Joan.  daselbst  auf  Johannes  Teutonicus  beziehen  will).  Vgl.  über 
ihn  Schulte,  Geschichte  derQuellen  und  Literatur  des  kanonischen  Rechts 
von  Gratian  bis  auf  I’apst  Gregor  IX.,  Stuttgart  1875,  SS.  172  ff.  u.  222  f.'; 
ferner  v.  Scherer,  a.  a.  O.  (vgl.  S.  8 Anm.  4)  S.  256.  (Nicht  von 
unmittelbarer  Bedeutung  für  unsere  Krage  ist  der  Aufsatz  von  Reich,  Uber 
die  Zeit  der  Veröffentlichung  der  Johanneisehen  Glosse  zum  Dekret,  Zeit- 
schrift f.  Kirchenrecht  XIX.  (1884),  426  ff.)  Außer  Johannes  Teutonicus 
(welcher  jedenfalls  um  1215  in  Bologna  nachweisbar  ist)  könnten  über- 
haupt nur  Johannes  Kaventinus  (1160  Bischof  v°n  Faonza)  und  Johannes 
Hispanus  (vollendete  1 186  eine  lcctura  super  decretum)  in  Betracht  kommen  : 
vgl.  Schulte,  a.  a.  0.  SS.  137  ff.  u.  149  ff.  Gegen  ersteren  spricht  die 
Art  der  Zitation  (Jo.  ohne  jeden  Zusatz),  Schulte  a.  a.  0.  S.  140  und 
S.  149  Amn.  3.  Beider  Tätigkeit  fällt  übrigens  vor  den  Thronstreit  von  1 198, 
welcher  höchst  wahrscheinlich  die  in  unserer  Glosse  behandelte  Streitfrage 
veranlaßt  hat. 


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30 


sondern  durch  die  Ereignisse  nach  1 198  und  speziell  durch  die  Rulle 
„ Vencrabilem“,  welche  ja  in  derCompilatio  III.  publiziert  und  somit 
dem  Glossator  zugänglich  war,  angeregt  worden.  Wir  sehen  hier  das 
Wahlrecht  der  deutschen  Fürsten  anerkannt.  Streit  scheint  nur  da- 
rüber zu  herrschen,  ob  der  gewählte  König  mit  der  Wahl  bereits  das 
ius  imperii  erlangt  und  lediglich  für  das  exercitium  der  päpstlichen 
Confirmation  bedarf  oder  ob  die  letztere  erst  das  ius  imperii  ver- 
leiht. Dabei  dürfte  aber  die  Scheidung  zwischen  regnura  und 
imperium  dem  Glossator  nicht  so  deutlich  zum  Bewußtsein  ge- 
kommen sein,  wie  an  den  oben  (S.  27)  angeführten  Stellen. 

Sehr  interessant  ist  ferner  die  Glosse  zu  c.  10  Dist.  96,  der 
angeblich  einem  Briefe  des  Papstes  Gelasius  I.  an  den  Kaiser 
Anastasius,  in  Wirklichkeit  einem  Schreiben  Gregors  VII.  an  den 
Bischof  Hermann  von  Metz  entnommen  ist. ').  Soweit  sie  hier 
mitgeteilt  wird  — ein  andrer  Teil  des  Briefes  ist  als  c.  3 C.  15 
q.  6 ins  Dekret  übergegangen  und  wird  uns  weiter  unten*)  von 
eiuer  anderen  Seite  her  beschäftigen  — , klingt  die  Äußerung  des 
Papstes  ziemlich  harmlos.  Denn  so  entschieden  auch  ein  Vor- 
rang an  Würde  für  das  sacerdotium  (der  bekannte  Vergleich  mit 
Gold  und  Blei!)  und  die  volle  geistliche  Gewalt  gegenüber  dem 
Königtum  beansprucht  wird,  so  findet  sich  doch  kein  einziger 
Satz  darin,  welcher  auf  eine  potestas  in  temporalibus  gedeutet 
werden  müßte.  Dies  wird  auch  von  der  Glosse  an  zwei  Stellen 
(zu  den  Worten  auctoritas  und  te  pendere)  mit  aller  juristischen 
Schärfe  betont.  In  schroffem  Gegensatz  hiezu  bemerkt  die  Glosse 
unmittelbar  darauf  zum  Worte  iudicio:  Zacharias  quoqtu  Papa 
regem  Francorum  deposuit  et  in  locum  eius  Pipinum  substitvit,  ut 
infr.  V).  q.  6.  c.  aliis  (3).  An  dieser  mit  dem  bezogenen  c.  3 
G.  1 5 q.  6 gleichlautenden  Stelle  der  Glosse,  die  also,  wie  ersichtlich, 
demselben  Briefe  Gregors  VII.  entnommen  ist,  wird  mit  aller 
Entschiedenheit  ein  Absetzungsrecht  und,  über  ein  Approbations- 
recht hinausgehend,  eine  Art  Einsetzungsrecht  gegenüber  dem 
Königtum  behauptet.  Daß  die  dafür  angeführte  historische  Be- 
gründung nicht  aus  der  Luft  gegriffen  ist,  wurde  bereits  oben 
(S.  11)  betont.  Es  erscheint  nicht  ausgeschlossen,  aber  mit  Rücksicht 
auf  den  noch  zu  erörternden3)  Gedankengang  der  Glossatoren  keines- 

')  Jaffe,  Bibi.  rer.  Gern.,  II  S.  457. 

*)  SS.  34  ff.  >)  Vgl.  unten  SS.  40  ff. 


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wegs  sicher,  daß  auch  hier  die  Glosse  zum  Worte  iudicio  nicht 
auf  denselben  Glossator  zurrtckgeht,  wie  die  Glossen  zu  den  Worten 
auetoritas  und  te  pendere.  Die  letzteren  dürften  mit  einer  gewissen 
Wahrscheinlichkeit  dem  Johannes  Toutonicus,  die  erste  möglicher- 
weise dem  Bartholomäus  von  Brescia  zuzuweisen  sein,  auf  den  ich 
auch  den  oben  (SS.  28  u.  29)  genannten  Zusatz  „contrarium  . . . in 
der  Glosse  zu  c.  24  Dist.  93  zurückführen  möchte Die  — wie 
erwähnt,  auf  Gregor  VII.  zurückgehende  — Behauptung  eines 
BSubtitutions“rechts  ist  ein  Vorbote  jenes  Gedankenkreises,  der 
für  gewisse  Fälle,  iure  devolutionis,  dem  Papst  die  Besetzung  des 
Thrones  vindizierte,  eine  Auffassung,  die  uns  noch  eingehend  be- 
schäftigen wird’).  Hier  sei  nur  nebenbei  erwähnt,  daß  sich  in 
der  glossa  ordinaria  zum  Gratianischen  Dekret  (c.  8 Dist.  10  gl. 
discrevit)  auch  schon  ein  anderer,  demselben  Gedankenkreis  ange- 
höriger  Satz  findet : A ’am  etiam  varante  Imperio  supplet  dejertum 
Imperii,  ut  X de  fo-ro  competentiae  c.  licet  (c.  10  X [[  2). 

Das  äußerste  Extrem  gegenüber  der  zuletzt  erörterten  Auf- 
fassung, welche  dem  Papst  ein  Besetzungsrecht  bezüglich  des 
Thrones  einräumt,  bildet  die  Anerkennung  des  Erbrechts,  welches 
bekanntlich  unter  Konrad  III.  und  Friedrich  I.  (und  später  unter 
Heinrich  VI.)  in  der  deutschen  Politik  diskutiert  wurde5). 
Auch  dieser  Standpunkt  findet  in  der  Glosse  zum  Gratianischen 
Dekret  seine  Vertretung.  Wir  wollen  ganz  absehen  von  jenen 
Stellen,  wo,  den  tatsächlichen  Verhältnissen  auch  bei  Anerkennung 
des  Wahlrechts  entsprechend , dem  Königssohn  eine  gewisse  < 
Anwartschaft  auf  den  Thron  zuerkannt  wird,  wie  dies  z.  B.  in 
der  Glosse  zu  c.  2 Dist.  63  (zum  Worte  Augustos)  der  Fall  ist4). 
Allein  an  einer  Stelle  wird  geradezu  ein  Erbrecht  behauptet. 
Sie  findet  sich  in  der  Glosse  zu  c.  9 C.  7 q.  1.  In  dem  glossierten 

‘)  Über  Bartholomäus  Brixiensis  vgl.  Schulte,  Die  Geschichte  der 
Quellen  und  Literatur  des  kanonischen  Buchte  von  Papst  Gregor  IX.  bis  zum 
Konzil  von  Trient,  Stuttgart  1877,  SS.  83  IT.  Die  Art  der  Anfügung  paßt 
durchaus  in  den  Itahmen  der  Bearbeitung  der  Glosse  durch  Bartholoinacus : 
Schulte,  a.  a.  0.  S.  87. 

*)  Vgl.  unten  SS.  51  ff. 

3)  Vgl.  Mauronbrecher,  a.  a.  0.  (vgl.  S.  11  Antn.  1)  SS.  155 ff, 
172  ff,  17711. 

4)  Die  für  uns  entscheidenden  Worte  lauten : Not.  quod filii  Imperatorum 
dicunlur  etiam  Augusti,  qum  sperabatur , quod  essen!  futuri  Imperaiores  . . . 


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32 


Canon  (einem  Briefe  des  hl.  Cyprian’)  wird  als  warnendes 
Beispiel  vor  einem  Schisma  in  der  Kirche  auf  das  Volk  Israel 
hingewiesen,  welches  die  Strafe  Gottes  traf,  weil  es  vom  Sohne 
Salomons  abfiel  ( relieto  rege  nun)  und  einen  anderen  König  wählte. 
Die  Glosse  bemerkt  nun  zu  den  Worten  rege  suo:  Scüicet  ßio 
Salomonis.  Hierauf  fährt  sie  — eine  höchst  charakteristische 
Beweisführung  — fort:  Et  est  hie  argumentum,  i/uod  jilii  Regum 
de  iure  debent,  esse  reges.  Als  Gegenargumente  werden  in 

scholastischer  Weise  der  bereits  oben  (SS.  28  ff.)  besprochene 
c.  24  Dist.  93  und  der  c.  6 C.  8 q.  1 angeführt.  Letzterer  Canon 
ist  dem  Commentar  des  hl.  Hieronymus  zum  Titusbrief’)  ent- 
nommen und  spricht  davon,  daß  nicht  einmal  die  Söhne  des 
Moses,  cui  facie  ad  fadem  Deus  locutus  est,  ihrem  Vater  in  seiner 
Würde  (dignitas)  folgten,  sed  e.rtrancus  de  alia  tribu  eligitur  Jesus , 
ut  scriremus,  principatum  in  populos  non  sanguini  deferendum  esse, 
sed  vitae.  Obwohl  aus  dem  Zusammenhang,  in  den  der  Canon 
gestellt  ist,  trotz  der  Ausdrucksweise  (principatus  in  populos)  klar 
hervorgeht,  daß  es  sich  um  geistliche  Ämter  (speziell  um  das 
bischöfliche)  handelt,  argumentiert  dennoch  die  Glosse  — wir 
finden  hier  dieselbe  Methode,  wie  oben  — zu  den  Worten 
non  sanguini:  Arg.  quod  reges  debent  fieri  per  electionem  und 

zieht  als  weitere  Belege  den  oben  (SS.  28  ff.)  besprochenen 
c.  24  Dist.  93  sowie  c.  16  C.  8 q.  1 an,  der,  einer  Homilie  des 
Origines s)  entnommen,  dieselbe  Angelegenheit,  die  Nachfolge 
des  Moses,  behandelt  und  dabei  besonders  die  göttliche  In- 
spiration als  Erfordernis  der  Bischofswahl  betont.  Vom  Wahl- 
prinzip läßt  allerdings  unsere  in  Bede  stehende  Glosse  (zu  c.  6 
C.  8.  q.  1)  zwei  Ausnahmen  gelten.  Die  eine  bedarf  nach  dem 
eben  Bemerkten  keiner  weiteren  Erläuterung:  quod  autem  David 
in  vita  sua  Salomonem  sibi  successorem  instituit,  instinctu  Spiritus 
sancti  est  factum  Wichtiger  ist  die  unter  Berufung  auf  c.  23 
Dist.  63  angeführte  zweite  Ausnahme:  nisi  habeant  ex  privilegio 
constituere  successorem  sibi.  Bevor  wir  auf  diese  näher  eingehen, 
sei  nur  zweierlei  kurz  erwähnt.  Erstens  die  charakteristische  Be- 
gründung, mit  welcher  die  Glosse  die  Grundsätze,  die  sie  für 

')  Corpus  Script.  Eccl.  Lat.,  III.  Cypriani  Opera,  Tom.  II.  pag.  754. 

3)  Mignc,  Patrol.  Lat.,  Tom.  XXVI  596. 

s)  Migne,  Pratrol.  Graeca,  Tom.  XII  744/5. 


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33 


das  Königtum  aufstellt,  auf  „omnes  saeculares  potestates“  ausdehnt: 
eine  einfache  Berufung  auf  eine  Bestimmung  des  coder  Justini- 
aneus])(!).  Zweitens  möchte  ich  noch  hervorheben,  daß  sich  in  den 
besprochenen  Stellen  die  bürokratische  Tendenz  einer  Gleich- 
setzung von  Königtum  und  Kirchenamt  bemerkbar  macht. 

Der  früher  berührte  c.  23  Dist.  63,  auf  den  die  Glosse  zu 
c.  6 C.  8 q.  1 Bezug  nimmt,  ist  das  bekanntlich  gefälschte') 
Privileg  Papst  Leos  VIII.  für  Kaiser  Otto  I.,  welches  in  den 
Worten  gipfelt:  largimur  Domino  Ottoni  primo,  regi  Teutonicorum, 
eiueque  »uccessoribue  huius  regni  Italiae , in  perpetuum  faeultatem 
eligendi  svccessorem  atque  summae  »edi*  apoetolicae  Pontificem 
ordinandi  . . . Mir  scheint  es  näher  zu  liegen,  im  successor  den 
Nachfolger  des  Papstes  zu  sehen  (dafür  spricht  auch  die  Rubrik 
zu  diesem  Canon)').  Offenbar  aber  hat  man  in  dem  zitierten 
Satz  eine  Einräumung  nicht  nur  eines  „Wahlrechtes  bezüglich 
des  Papsttums,  sondern  auch  eines  weitgehenden  Designations- 
rechtes bezüglich  des  Königtums  erblickt.  Letzteres  sucht  die 
Glosse  zum  Worte  successorem  einschränkend  dahin  zu  inter- 
pretieren, quod  tantum  in  Italia  permittit  (teil,  papa)  ei  (i.  e. 
regi)  facere  succeseorem.  In  diesem  Zusammenhang  gewinnt  die 
Bezugnahme  auf  c.  23  Dist  63  in  der  Glosse  zu  c.  6 C.  8 q.  1 
besondere  Bedeutung.  Es  scheint  daraus  hervorzugehen,  daß 
auch  die  hierokratische  Partei  unter  den  Dekretisten 
dem  römischen  König  ein  Designationsrecht  in  engerem 
oder  weiterem  Umfang  zuerkannte4). 

')  Vgl.  unten  SS.  64,  65,  77,  80. 

')  Vgl.  Hinschius,  System  des  katholischen  Kirchenrechts,  I.  Band 
Berlin  1869,  SS.  240  ff. 

')  In  der  Friedbergischen  Edition  ist  zwischen  perpetuum  und  facul- 
tatem  das  Wort  sibi  eingeschoben,  womit  natürlich  die  im  Text  aus- 
gesprochene Annahme  unvereinbar  wäre.  In  der  Editio  Komana  fehlt  dieses 
Wort;  ebenso  bei  Ivo,  Panorm.  VIII  136  (nach  Migne,  Patrol.  Lat.,  Tom. 
CLXI  1338). 

4)  Nach  dem  Wortlaut  sprächen  dieStellen,  wenn  man  die  glossierte 
Stelle  überhaupt  auf  die  Designation  bezieht,  für  die  Ansicht  Meisters, 
Deutsche  Verfassungsgesch.  von  den  Anfängen  bis  ins  15.  Jahrhundert, 
(Grundriß  der  Geschichtswissensch.  II  3)  S.  79  Anm.  2,  der  im  Gegensatz  zu 
Schröder,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  7 Anm.  1)  S.  485,  dem  König  (nicht 
nur  dem  Kaiser)  das  Designationsrecht  zuspricht.  Doch  ist  der  Charakter 
des  Canons  als  Fälschung,  der  Umstand,  daß  Otto  I.  tatsächlich  Kaiser 
Hngelmann.  Die  deutsche  König, wähl  3 


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34 


Wir  haben  bereits  früher  (SS.  30  f.)  bei  Besprechung  des 
päpstlichen  Substitutionsrechts  auch  die  Frage  der  Deposition 
berührt.  Während  die  Ansprüche  Gregors  VII.  bezüglich  der 
Königswahl ')  und  des  Schiedsrichteramtes*)  ira  Gratianischen 
Dekret  keine  Aufnahme  gefunden  haben  und  jene  Glossatorcn, 
welche  nach  1198  zur  Frage  des  Approbationsrechts  Stellung 
nehmen  mußten,  gewaltsam  an  canones  anknüpften,  die  ex  pro- 
fesso  von  anderen  Materien  handelten,  ist  die  Depositionstheorie5) 
Gregors  VII.,  wenn  auch  mit  gewissen  Abschwächungen,  im 
Gratianischen  Dekret  rezipiert,  und  zw.  in  den  c.  3 bis  5 C.  15 
q.  6.  Da  auch  diese  Frage  mit  der  Besetzung  des  deutschen 
Thrones  zusammenhängt,  soll  der  Inhalt  dieser  Stellen  kurz 
skizziert  werden.  Die  zitierte  Quaestio  geht  davon  aus,  daß  die 
confessio  non  sit  e.rtorta,  sed  spontanen  (c.  1 );  daran  schließt  sich  eine 
Erörterung  darüber,  daß  die  Apostolica  auctoritas  penitus  illiciUt 
in  irritum  deducit  i u rammt a (c.  2),  wobei  unter  illicita  iuramenta 
eben  vor  allem  die  iuramenta  extorta  verstanden  werden.  Und 
nun  fährt  Gratian  fort:  A ßdelitatis  etiam  iuramenta  Romanus 
jionti/e.c  nonnnllos  absolvit,  cum  aliquot  a suis  dignitatibus  deponü. 
Zum  Beweise  werden  angeführt  eine  Stelle  aus  dem  früher  (SS.  30  f.) 
bereits  besprochenen  Briefe  Gregors  VII.  an  den  Bischof  Hermann 
von  Metz  (c.  3),  ein  Teil  eines  Dekrets  Gregors  VII.  von  der 


war  uml  als  solcher  in  der  Rubrik  bezeichnet  wird,  schließlich  die  nicht 
durchgehend»  sichere  Terminologie  der  Glosse  (oben  SS.  27  und  30)  zu  be- 
rücksichtigen. 

')  Die  Literatur  über  das  päpstliche  Approbationsrecht  bei  der  deutschen 
Königswahl  habe  ich  kurz  zusammengnstellt  in  meiner  wiederholt  zitierten 
Abhandlung  (vgl.  oben  S.  7 Amu.  1),  S.  200  Amn.  2. 

*)  Die  Literatur  über  das  päpstliche  Schicdsrichterarnt  fällt  großenteils 
mit  der  über  das  Approbationsrecht  zusammen.  Vgl.  Schröder,  a.  a.  O. 
(vgl.  S.  7 Anm.  1)  S.  480  An:n.  50. 

3)  bezüglich  der  Literatur  über  die  Absetzbarkeit  des  deutschen 
Königs  — außer  der  Absetzung  durch  den  Papst  stand  bekanntlich  auch 
die  durch  die  Fürsten,  bzw.  die  Kurfürsten,  und  durch  den  l’falzgrafen  in 
Frage  — verweise  ich  auf  Meister,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  33  Anm.  4)  S.  80 
Anm.  3,  Schröder,  a.  a.  0.  S.  482  Anm.  59,  ßO  und  02.  Unter  den  da- 
selbst genannten  Schriften  möchte  ich  hervorheben  Redlich,  Diu  Absetzung 
deutscher  Könige  durch  den  Papst,  Münst.-Diss.  1892  (hinzufügen  möchte 
ich  Freih.  v.  Horch,  zur  Absetzung  des  Königs  der  Deutschen,  Innsbruck 
1S80  — eine  Gegenschrift  gegen  Harnack). 


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35 


römischen  Synode  im  März  1078 ')  (c.  4)  und  ein  Schreiben 
Urbans  II.*)  (c.  5).  C.  3,  dem  die  (SS.  30  f.  besprochene)  Glosse 
zu  c.  10  Dist.  96  entnommen  ist,  erzählt  den  Thronwechsel  im 
fräukischen  Reich  mit  dem  Zusatz,  daß  der  merovingische  König 
non  tarn  pro  suis  iniquitatibus , quam  pro  eo,  quod  tantae  potestati 
erat  inutilii,  abgesetzt  wurde  und  daß  der  Papst  omnex  Francigenas 
a iuramenlo  fidelitatie  absolvü;  beigefügt  wird  noch,  daß  auch  die 
milites  jener  Bischöfe,  qui  a pontificali  gradu  deponuntur,  a vinculo 
iuramenti  gelöst  werden.  C.  4 löst  a xacramento  alle  diejenigen, 
qui  excommunicatis  fidelitate  aut  sacramento  constricti  sunt,  und 
verbietet  ihnen,  ne  eis  (scü.  excommunicatis)  fidelüatem  observent. 
C.  5 schließlich  enthält  ein  ganz  analoges  Verbot  an  die  iurati 
milites  eines  im  Rann  befindlichen  Hugo  comes  mit  folgender 
charakteristischen  Begründung:  Qui  si  sacramenta  praetenderint, 
moneantur,  oportere  Deo  magis  servire  quam  hominibus.  Fideli- 
tatem  enim,  quam  < 'hristiano  principi  iurarunt,  Deo  eiusque 
sanctis  adversanti,  et  eorum  precepta  calcanti,  nulla  cohibentur 
auctoritate  persolvere. 

Es  muß  hervorgehoben  werden,  daß  diese  Depositionstheorie 
wie  ein  erratischer  Block  im  Gratianischen  Dekret  steht;  sie  paßt 
absolut  nicht  zu  den  prinzipiellen  Darlegungen  über  das  Verhält- 
nis von  geistlicher  und  weltlicher  Gewalt  in  der  Dist.  10  und  in  der 
Dist.  96,  wo  zwar  nicht  in  strenger  Folgerichtigkeit,  aber  doch  im 
Prinzip  die  juristische  Gleichordnung  der  geistlichen  und  welt- 
lichen Gewalt  anerkannt  wird3).  Es  kann  daher  auch  keineswegs 


')  Jaffi,  Bibi.  rer.  Germ.,  II  S.  308. 

»)  .Taffe,  Reg.  Pont.  (ed.  II.),  5724.  Urban  II.  regierte  1088  bis  1099. 

3)  Selbstverständlich  erschöpfen  die  genannten  beiden  Distinktionen 
nicht  im  entferntesten  die  einschlägigen  Bestimmungen  des  Gratianischen 
Dekrets;  solchen  sind  vielmehr  auch  Dist.  93  und  97,  ferner  Quaestio  2 der 
Causa  11,  schließlich  die  Quaestiones  5 und  23  ss.  der  Causa  21  in  weitem 
Umfang  gewidmet,  ganz  abgesehen  von  unzähligen  verstreuten,  mehr  oder 
minder  in  Betracht  kommenden  Canones.  Dabei  muß  wiederholt  betont 
werden,  daß  das  im  Text  gekennzeichnete  Grundprinzip  im  Gratianischen 
Dekret  keineswegs  reiu  durchgeführt  ist:  wird  im  allgemeinen  der  prinzi- 
pielle Unterschied  zwischen  Priestertum  und  Königtum  festgehalten  (scharf 
z.  B.  in  c.  4 C.  2 q.  7),  so  werden  sie  bisweilen  auch  wieder  ganz  naiv 
unter  dieselben  Bestimmungen  subsumiert  (so  z.  B.  c.  2 Dist.  36,  c.  14 
Dist.  50,  der  unten  SS.  38  f.  besprochene  c.  22  C.  23  q.  4).  Die  für  die 

3* 


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36 


überraschen,  daß  die  Glosse  zum  Dekret  ein  außerordentliches 
Schwanken  zeigt.  — Beim  c.  3 wird  zum  Worte  deposuit  bemerkt 
Ergo  Papa  deponit  Fmperatorem  und  zum  Belege  auf  c.  10  u.  11 
der  Dist.  96  verwiesen,  ferner  unter  Hinweis  auf  die  Bulle 
„Venerabilera“  die  stereotype  Begründung  beigefügt  nam  et  tränt- 
Jtrre  potent  Imperium.  Daß  der  bezogene  c.  10  Dist.  96  über 
die  Deposition  nichts  enthält,  sondern  nur  an  einer  Stelle  der 
Glosse  das  Depositionsrecht  behauptet  wird,  haben  wir  bereits 
(oben  SS.  30  f.)  gesehen.  Der  c.  1 1 stellt  ebenfalls  nur  im  all- 
gemeinen die  höhere  Würde  der  geistlichen  Gewalt  fest,  von 
einem  Depositionsrecht  ist  weder  in  ihm  noch  in  der  dazu  ge- 
hörigen Glosse  die  Rede.  Als  Argumente  gegen  das  Depositions- 
recht führt  die  in  Rede  stehende  Glosse  zum  c.  3 C.  15  q.  6 
(zum  Worte  deposuit)  den  c.  24  Dist  93  und  den  c.  6 Dist  96 
an.  Von  ersterem  wurde  bereits  oben  (SS.  28  ff.)  ausführlich 
gehandelt  In  letzterem  erklärt  Papst  Nikolaus  I.  im  Anschlüsse 
an  Papst  Gelasius  I.1)  (man  denkt  unwillkürlich  an  die  Bulle 

„Immortale  Dei“  Leos  XIII.),  daß  Chrittut officia 

potettatie  utriusque  (teil,  pontificaiut  et  imperii)  ditcrevit , und 
spricht  das  geflügelte  Wort,  wonach  militant  Deo  minime  se  nego- 
liis  taecularibut  implicaret J).  Höchst  merkwürdig  ist  es  nun,  daß 
die  Glosse  zu  diesem  gewiß  nichts  weniger  als  bierokratisch  an- 
mutenden  Canon  das  Bestehen  eines  Depositionsrechts  zugibt,  und 
zwar  vor  allem  unter  Berufung  auf  den  eben  besprochenen  c.  3 
C.  15  q.  6.  — Wie  zu  c.  3 Argumente  gegen  das  Depositions- 
recht, führt  die  Glosse  auch  zu  c.  4 C.  15  q.  6 (zum  Worte  fideli- 
tatis)  Argumente  gegen  die  Auffassung  an,  daß  dem  exkommuni- 
zierten Fürsten  gegenüber  der  Eid  weder  gehalten  werden  müsse 
noch  dürfe.  Sie  verweist  diesbezüglich  auf  c.  94  C.  11  q.  3, 
eine  Stelle  aus  den  Enarrationes  ad  psalmos  des  hl.  Augustinus  *), 

Steigerung  der  kirchlichen  Hechte  so  bedeutsame  Konstantinischc  Schen- 
kung (rgl.  oben  S.  10,  bes.  Anm.  1)  jedoch  (c.  14  Dist.  96)  wurde,  wie  ich 
hervorheben  möchte,  nicht  von  Gratian  ins  Dekret  aufgenuminen,  ist  viel- 
mehr eine  Palea. 

')  Gelasius  I.  starb  496,  Nikolaus  1.  regierte  858  bis  867.  — Migne, 
l’atrol.  Lat.,  Tom.  CXIX  960  et  Tom.  LLX  109. 

*)  Zurück  geht  das  geflügelte  Wort  auf  den  II.  Brief  des  hl.  Paulus  an 
Timotheus. 

3)  Migne,  l’atrul.  Lat.,  Tom.  XXXVII  1654. 


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37 


wo  betont  wird,  daß  die  Christen  selbst  dem  Apostaten  Julian 
gegenüber  nur  insoweit  den  Gehorsam  verweigerten,  als  seine 
Befehle  gegen  das  Gewissen  verstießen;  die  Glosse  zu  diesem 
Canon  klärt  dies  dabin  auf,  daß  eben  Julian  nicht  nominatim  ex- 
communicatiu g war,  daß  er  adhuc  tolerabatur  ab  ecclesia,  erkennt 
also  die  Möglichkeit  einer  sozusagen  indirekten  Deposition  an.  — 
Unter  den  Gegenargumenten  fehlt  c.  24  De  poen.  Dist.  3,  eine 
von  der  Sünde  und  Reue  des  Königs  David  handelnde  Stelle  aus 
einem  Brief  des  hl.  Hieronymus  '),  auf  welche  sich  die  Glosse  an 
einem  ganz  anderen  Orte  (c.  45  De  poen.  Dist.  1 gl.  soli)  in 
allerdings  gezwungener  Interpretation  beruft,  indem  sie  bemerkt: 
Regum.  . delicta  golum  Deum  habent  ultorem.  Nam  alium  non  ti- 
ment.  Denselben  Standpunkt  nimmt  auch  die  Glosse  zum  er- 
wähnten c.  24  De  poen.  Dist.  3 selbst  (zu  den  Worten  alium 
non  timebant)  ein.  Diese  Stellen  sind  um  so  bemerkenswerter,  als 
hier  über  die  Leugnung  eines  Depositionsrechtes  hinaus- 
gehend, auch  die  geistliche  Strafgewalt  gegenüber  dem 
König  in  Frage  gestellt  erscheint. 

Ebenso  interessant  wie  die  starke  Betonung  von  Gegenargu- 
menten sind  in  den  Glossen  zu  c.  3 u.  4 C.  15  q.  <>  die  Versuche 
einer  abschwächenden  Interpretation.  Als  solche  muß  zunächst 
aufgefaßt  werden  die  Bemerkung  zum  Worte  inutilis  (c.  3),  daß 
dies  Wort  nicht  im  Sinne  von  insufficiens  zu  verstehen  sei,  viel- 
mehr sei  der  deponierte  König  diggnlulug  ....  cum  mu/ieribue, 
et  effoeminntug  gewesen;  die  weitere  Bemerkung,  daß  dem  rex 
insufficiens  nur  ein  Koadiutor  beizugeben  wäre,  beweist  aller- 
dings, wie  hierokratisch  trotzdem  der  Glossator  denkt,  indem 
er  ohne  weiteres  Bestimmungen  über  die  Besetzung  kirchlicher 
Ämter  auf  das  Königtum  überträgt3).  Was  die  Tendenz  anlangt, 
die  Fälle  des  Depositionsrechts  einzuschränken,  so  kehrt  sie  noch 
in  viel  späterer  Zeit  wieder,  in  der  in  den  Liber  Sextus  überge- 
gangenen (c.  2 in  VI10  II  14)  von  Innozenz  IV.  auf  dem  Konzil 
von  Lyon  (1245)  gegen  Friedrich  II.  erlassenen  Depositionsbulle 
und  ganz  besonders  in  der  dazu  gehörigen  Glosse  (zum  Worte 
gravissima) 3).  Auch  diesbezüglich  findet  sich  übrigens  in  der 

*)  Ibidem,  Tom.  XXII  1042. 

3)  Vgl.  oben  RS.  32,  33,  35  Anni.  3:  unten  S.  48. 

3)  Vgl.  unten  die  Ausführungen  im  Abschnitt  111  1 des  1.  Kapitels. 


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38 


Qlosse  zum  Dekret  auch  die  gegenteilige  Ansicht  vertreten,  c.  6 
Dist.  40  gl.  a fide  devius : hier  wird  die  Bestimmung,  daß  der 
Papst  nur,  falls  er  „a  fide  devius“  ist,  angeklagt  werden  kann, 
eingehend  erörtert  und  die  im  Anschluß  daran  aufgeworfene  Frage 
Sed  pro  quo  peccato  polest  deponi  Imperator  t beantwortet  pro 
quolibet : si  est  incoxrigibtlis , unde  deponitur,  si  est  minus  utilis,  ut 
(C)  15  q.  6 c.  alius  (3).  — Viel  einschneidender  ist  ein  anderer 
Versuch,  welcher  eigentlich  das  Depositionsrecht  im  juristischen 
Sinn  leugnet.  Zum  Worte  deposuit  c.  3 C.  15  q.  6 folgt  auf  die 
Gegenüberstellung  der  Argumente  und  Gegenargumente  folgende 
solutio:  dicitur  deposuisse.  qui  deponentibus  consensü.  Der  Glossa- 
tor,  von  dem  diese  WTorte  stammen  (vielleicht  Johannes  Teutoni- 
cus)1),  war  sich  offenbar  bewußt,  wie  wenig  das  Depositionsrecht 
in  das  staatskirchenrechtliche  System  des  Dekrets  passe.  Er  er- 
klärte den  Canon  in  einer  zwar  dem  wirklichen  historischen  Ver- 
lauf der  Thronbesteigung  Pippins,  aber  gewiß  nicht  dem  Wortlaut 
entsprechenden  Weise  dahin,  daß  nicht  von  einer  Deposition  durch 
den  Papst,  sondern  von  dessen  Zustimmung  zn  der  durch  politische 
Faktoren  herbeigeführten  Absetzung  des  Königs  die  Hede  sei s)  — 
Eine  dritte  Art  einschränkender  Interpretation  findet  sich  in  der  schon 
(SS.  36 f)  besprochenen  Glosse  zu  c.  94  C.  11  q.  3.  Im  Anschluß  an 
die  Darlegung,  wonach  die  ausdrückliche  Exkommunikation  durch 
Aufhebung  der  Treue- Pflicht  indirekt  einer  Deposition  gleichkäme, 
wird  diese  Wirkung  näher  dahin  präzisiert,  daß  sie  non  tollit  obli - 
gationem , qua  est  vasallus  obligatus  domino,  sed  tantum  eßeetum 
obligationis,  unde  domino  absoluta  statim  tenetur  ei  obedire.  Es 
würde  also  die  Exkommunikation  die  Rechte  des  dominus  nur 
suspendieren.  Einen  ähnlichen  Effekt,  wenn  auch  in  anderer 
juristischer  Konstruktion,  strebt  wohl  auch  die  Glosse  zu  c.  22 
C.  23  q.  4 an : in  der  gewiß  nicht  juristisch  gemeinten  Bemer- 
kung im  (fälschlich  dem  hl.  Augustinus  zugeschriebenen)  über  de 
praedestinatione  et  gratia*),  daß  Nabuchodonosor  infolge  seiner 
Reue  regnum,  quod  perdiderat,  rursus  accepit,  erblickt  die  Glosse 

■)  Vgl.  oben  S.  29  bes.  Anm.  1. 

*)  Uber  die  Bedeutung  dieser  Auffassung  für  die  Theorie  Ton  der 
Volkssouveränität  gegen  Ende  des  Mittelalters  vgl.  Gierke,  I'as  deutsche 
Genossenschaftsrecht.  III.  Band  Berlin  1881,  S.  579  Anm.  188. 

s)  Migne,  Patrol.  Lat.,  Tom.  XLV  1675. 


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39 


ein  Argument  nicht  nur  dafür,  tptod  depositns  potent  retlitui,  son- 
dern auch  dafür,  i/uod  deponitus  rentitutu«  praeferendus  sU  substituto. 
Das  oben  wiederholt  erwähnte  „ Substitutionsrecht“  des  Papstes 
(SS.  30  f.,  34  f.)  wäre  so  in  sehr  einschränkender  Weise  erklärt1). 

Die  zuletzt  erwähnte  einschränkende  Interpretation  wird  m.  E. 
dem  Gedankengang  des  Dekrets  am  meisten  gerecht.  Die  ganze 
Frage  der  Deposition  wird,  wie  wir  gesehen  haben,  im  Zusammen- 
hang mit  der  Frage  nach  der  Lösbarkeit  des  Eides  behandelt. 
Im  dictum  Gratiani,  welches  vom  c.  2 zu  c.  3 hinüberleitet  (vgl. 
oben  S.  34),  findet  sich  allerdings  der  Ausdruck  „deponit“;  in  den 
Rubriken  aller  3 canones  (3  bis  5 C 15  q.  6)  wird  jedoch  durch- 
wegs die  Frage  der  Eideslösung  betont;  von  der  Deposition  selbst 
ist  auch  in  der  zum  c.  3,  welcher  doch  ausdrücklich  das  Wort 
„deponere“  gebraucht,  nicht  die  Iiede.  Für  die  Auffassung,  daß 
mit  der  Lösung  vom  Bann  auch  die  Treue-Pflicht  wieder  in 
Kraft  trete,  beruft  sich  die  Glosse  zu  c.  94  C.  11  q.  3 mit  vollem 
Recht  auf  die  deutliche  Bestimmung  der  c.  4 und  5 C.  15  q.  6. 
ln  diesen  Zusammenhang  läßt  sich  allerdings  der  vorangehende 
c.  3 ohne  gewaltsame  Interpretation  nicht  einfügen.  Daß  übrigeus 
auch  die  abgeschwächte  Form  der  Deposition:  eine  infolge  der 
Exkommunikation  ipso  iure  eintretende  Suspension  vom 
königlichen  Amt  und  ein  vorläufiges  Substitutionsrecht 
des  Papstes  mit  dem  Prinzip  der  juristischen  Gleichordnuug 
der  geistlichen  und  weltlichen  Gewalt  absolut  unvereinbar  ist,  be- 
darf keines  Beweises  Fragen  wir  uns,  wie  dennoch  dieser  Gegen- 
satz im  Denken  der  Kanonisten  um  die  Wende  des  12.  und 
13.  Jahrhunderts  überbrückt  werden  konnte,  so  finden  wir  die 
Antwort  m.  E.  im  c.  5 (C.  15  q.  6)s):  weil  eine  nach  der  Natur 
des  Fidelitatseides  essentielle  Bedingung  der  Treue-Pflicht  die 
Zugehörigkeit  zur  Kirche  Christi  ist,  zessiert  mit  der  Exkommuni- 
kation die  Treue-Pflicht  ipso  iure;  ja  der  Eid  darf  nicht  einmal 
gehalten  werden,  weil  er  die  volle  Hingabe  an  die  Person  des 
dominus  zum  Inhalt  hat,  seine  Erfüllung  also  durch  eine  eut- 
gegenstehende  höhere  Pflicht,  die  Treue  gegen  Christus,  unmöglich 

')  Darüber,  daß  Gregor  Vif.  nicht  nur  eine  Suspension,  sondern  auch 
eine  eigentliche  Deposition  des  Königs,  und  zwar  unabhängig  von  der  Kt- 
koinniunikalion.  ausgesprochen  hat,  siche  oben  S.  24  bes.  Anm.  4. 

3 ) Vgl.  oben  S.  35. 


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40 


geworden  ist.  Mit  diesem  Treu  Verhältnis  des  Vasallen  wurde 
das  üntertanenverhältnis  schlechthin  identifiziert,  wenn  auch  im 
Widerspruch  mit  dem  Reichsrecht,  welches  das  Bewußtsein  von 
der  von  jedem  Lehensverhältnis  unabhängigen  Pflicht  des  Ge- 
horsams gegenüber  der  Reichsgewalt  keineswegs  verloren  hatte '). 
Die  Gleichsetzung  des  Treu-Eides  im  allgemeinen  mit  dem  spe- 
ziellen Vasalleneid  des  Lehensmannes  (dem  Fidelitätseid  im 
engeren  Sinne),  welche  im  letzten  Stadium  der  Kämpfe  zwischen 
Papst-  und  Kaisertum  bezüglich  des  vom  Kaiser  dem  Papst  ge- 
leisteten Eides  ein  so  große  Rolle  spielen  sollte2),  hat  schon  für 
Gratian  die  Brücke  gebildet  zwischen  der  prinzipiellen  Anerkennung 
der  juristischen  Gleichordnung  von  geistlicher  und  weltlicher  Ge- 
walt einerseits  und  der  Gregorianischen  Depositionstheorie  ander- 
seits. — Allerdings  darf  nicht  unerwähnt  bleiben,  daß  die  Glossa- 
toren  nicht  ausnahmslos  diesen  Gedankengang  sich  angeeignet 
haben.  Johannes  Faventinus3)  betont  ira  Gegenteil,  daß  die  Eides- 
lösung eine  Folge  der  Deposition  sei,  indem  er  zum  Worte 
sacramento  (c.  3 C.  15  q.  6)  bemerkt:  Supple,  ratione  dignitatis 
praestito,  non  ratione  personae.  Das  Schwanken  der  Glosse  ist 
eben  eine  Folge  des  Schwankens  im  Dekret,  wo  ja  an  einer  Stelle 
(vgl.  oben  S.  39)  mehr  die  Deposition  betont  wird.  An  diese 
Stelle  schließt  sich  Johannes  Faventinus  auch  an,  indem  er  als 
Inhalt  der  ganzen  pars  II.  (c.  3 bis  5)  der  Quaestio  angibt,  quod 
Laicus  ineorrigibilia  per  Eccleeiam  poeeit  deponi  a sua  dignitate. 

Es  ist  übrigens  kein  Wort  darüber  zu  verlieren,  daß  obige 
Argumentation  für  unser  modernes  Empfinden,  das  in  Staat  und 
Kirche  zwei  „Gewalten“  im  Sinne  zweier  verschiedener,  von  einander 
juristisch  prinzipiell  unabhängiger  Lebensordnungen  erblickt,  den 
Widerspruch  nicht  zu  überbrücken  vermag.  Aber  unbillig  und 
unhistorisch  wäre  es,  zujverkennen,  daß  der  angedeutete  Gedanken- 
gang der  Kanonisten  in‘_den  realen  Tatsachen  ihrer  Zeit  wurzelte. 
Es  war  eben  eine  nach  rechtlichem  Ausdruck  strebende  und  das 
juristische  Denken  bestimmende  Tatsache,  daß  Kaisertum  und 

')  Vgl.  besonders  Lindner,  Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Gcschf.,  XVII 

561  ff. 

’)  Vgl.  unten  Abschnitt  IQ  2 des  I.  Kapitels. 

*)  Johannes  Favantinns  starb  1190  anf  dem  Krenzzug.  Vgl.  über;  ihn 
Schulte,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  29  Anm.  1)  SS.  137 ff 


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41 


Papsttum  als  die  Häupter,  als  die  zwei  höchsten  „officia“  inner- 
halb der  einen  kirchlichstaatlichen  Lebensordnung  empfunden 
wurden;  es  war  Tatsache,  daß  dieser  Synergismus  des  Geist- 
lichen und  Weltlichen  im  Rittertum  zur  vollsten  Geltung  kam 
und  dem  Rittertum  neben  dem  weltlichen  einen  geistlichen 
Charakter  mit  spezifischen  kirchlichen  Pflichten  verlieh;  und  es 
war  schließlich  Tatsache,  daß  das  mit  dem  Rittertum  eng  zu- 
sammenhängende Verhältnis  der  Vasallität  und  des  Lehensbandes 
im  Verhältnis  zwischen  Kaiser  und  Reichsfursten  das  allgemeine 
Ontertanenverhältnis  bereits  im  12.  Jahrhundert  stark  in  den 
Hintergrund  drängte1)-  So  mögen  wir  es  als  elementaren  Aus- 
druck historischer  Tatsachen  begreifen,  wenn  das,  was  unserem 
Empfinden  als  unbehebbarer  Gegensatz  erscheint,  im  Kopfe  eines 
mittelalterlichen  Juristen,  wenngleich  ihm  das  Bewußtsein  des 
Gegensatzes  nicht  völlig  fehlte,  als  vereinbar  erschien.  Als  Bei- 
spiel hiefür  möge  die  nach  ihrem  ganzen  Gedankengang  wohl  von 
einem  Glossator  stammende  Glosse  zum  Worte  discrevit  c.  8 Dist.  10 
(es  handelt  sich  um  den  auch  an  anderer  Stelle  im  Dekret  ein- 
gereihten und  daher  schon  in  anderem  Zusammenhang 3)  besprochenen 
Ausspruch  Nikolaus  I.,  bzw.  Gelasius  I.)  den  Abschluß  dieses 
Abschnittes  unserer  Untersuchung  bilden.  Sie  beginnt  mit  den 
Worten:  Cum  ergo  potestates  istae  (seil,  pontificatus  et  Imperium) 
eint  distinctae,  es t hie  arg.  quod  Imperium  non  habetur  a Papa,  et 
quod  Papa  non  habet  utrumque  gladium s).  Als  weiteren  Beweis 
führt  der  Glossator  u.  a.  unter  Hinweis  auf  c.  24  Dist.  93,  mit 
dem  wir  unsere  Untersuchung  des  Gratianischen  Dekrets  begonnen 
haben,  an  nam  exercitus  facit  Imperator em;  als  Gegenbeweis  u.  a. 
unter  Hinweis  auf  c.  3 C.  15  q.  6 das  — somit  anerkannte  — 
päpstliche  Depositionsrecht.  Dieses  Übergreifen  ins  weltliche 
Gebiet  scheint  ihm  jedoch  die  prinzipielle  „distinctio“  beider 
„potestates“  (vel  officia)  nicht  aufzuheben;  ausdrücklich  erklärt 

*)  Vgl.  Schröder,  a.  a.  0.  (vgl.  S.  7 Anin.  1)  SS.  398  und  412 
(Erblichkeit  der  Lehen  seit  Beginn  d.  12.  Jahrh.);  ferner  (die  „Feudalisierung“ 
besonders  stark  betonend)  Amira,  Grundriß  des  germanischen  Rechts, 
2.  Aufl.  S.  97. 

>)  Vgl.  oben  S.  36. 

*)  Im  Gegensatz  hiezu  gl.  coelestis  zu  c.  1 Dist.  22:  Argum.  quod 

Papa  habet  utrumque  gladium , scilicet  spiritualem,  et  temporalem. 


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42 


er:  ego  credo  pntestates  esse  distinctas:  licet  Papa  quandoipie  utramque 
postestatem  sibi  asxumat.  Und  nach  Erläuterung  weiterer  derartiger 
Beispiele  spricht  dieser  Olossator,  der  die  „distinctio“  beider 
Gewalten  vertritt,  den  Satz  aus,  der  uns  schon  früher  (S.  31)  be- 
gegnete: . . . oacante  Imperio  supplet  (Papa)  dejectum  Imperii')*)1). 

II.  Die  Gregorianischen  Dekretalen 

Wir  haben  im  Gratianischen  Dekret  als  Nachwirkung  des 
ersten  großen  Kampfes  zwischen  Papsttum  und  Kaisertum  eine 
— allerdings  abgeschwächte  — Depositionstheorie  gefunden.  Wir 
haben  ferner  gesehen,  wie  die  Glosse,  in  etwas  gewaltsamer  An- 
knüpfung an  einzelne  Canones-Stellen,  die  durch  die  politischen 
Ereignisse  einer  späteren  Zeit  in  den  Vordergrund  getretene  Streitfrage 
des  päpstlichen  Approbationsrechts  behandelt.  Wir  konnten  annehmen, 
daß  Johannes  Teutonicus,  der  Schöpfer  der  glossa  ordinaria,  der  Wahl, 
nicht  der  Approbation  konstitutive  Wirkung  zuschreibt,  immerhin 
aber  die  Approbation  für  die  Vorbedingung  des  exercitium  imperii 
hält,  wahrend  andere  Glossatoren  mit  der  Anerkennung  des  Erbrechts 
das  päpstliche  Approbationsrecht  gänzlich  bedeutungslos  machen 
und  wieder  andere  gerade  in  der  confirmatio  papae  den  Rechts- 
grund wenigstens  der  kaiserlichen  Würde  erblicken.  In  den 
Gregorianischen  Dekretalen  und  der  dazu  gehörigen  Glosse  hat 
sich  aus  diesen  Elementen  als  herrschende  Lehre  herausgebildet: 
Anerkennung  des  fürstlichen  Wahlrechts  und  des  päpstlichen 
Approbationsrechts  (in  weiterem  oder  engerem  Umfang),  Ober- 
tragung einzelner  Grundsätze  des  kanonischen  Wahlverfahrens 
auf  die  deutsche  Köuigswahl,  Ansätze  zu  einem  wenigstens  sub- 
sidiären päpstlichen  Devolutionsrecht,  und  zwar  dies  alles  mit 
Rücksicht  auf  die  unlösliche  Verknüpfung  der  römischen 

')  Derselbe  Ucdanko  kehrt  auch  wieder  in  der  Dlesse  zu  c.  3 C.  2 q.  6 
izuui  Worte  sacerdotium). 

*)  Ks  mag  kurz  erwähnt  werden,  (lall  die  (llnssc  zum  Dekret  anüer  der 
Absetzung  noch 'eine  andere  Art  de»  Verlustes  der  Königswnrde  kennt, 
welche  dem  kanonischen  Amtorrecht  entnommen  ist:  nämlich  den  Eintritt 
in  einen  Orden.  Vgl.  c.  26  0.  27  q.  2 gl.  dignitate. 

3)  Der  berühmte  c.  33  Dist.  63  (tibi  domino)  wurde  bei  obigen  Dar- 
legungen außer  Hetracht  gelassen,  da  eine  ltehandlung  des  kaiserlichen 
Eides  nicht  im  I’lane  dieser  Arbeit  liegt;  vgl.  unten  die  Ausführungen  am 
Hcginne  des  Abschnitts  1112  dieses  Kapitels. 


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43 


Kaiser-  mit  der  deutschen  Königswürde.  Die  eigentliche 
sedes  materiae  ist  die  berühmte  Bulle  „Venerabilem“  (c.  34  X de 
elections  I 6);  sie  führt  gleichzeitig  in  jene  historischen  Ereignisse') 
ein,  welche  den  Anstoß  zur  Wiederaufnahme  der  kirchlichen  An- 
sprüche geboten  haben. 

1.  Die  Bulle  „Venerabilem“ 

Heinrich  VI.  hatte  bei  seinem  Tode  (1 197)  bekanntlich  einen 
unmündigen  Sohn  Friedrich  hinterlassen  als  Erben  der  sizilischen 
Krone  und  als  bereits  (1196)  gewählten  deutschen  König,  der 
auch  schon  den  Eid  der  deutschen  Fürsten  empfangen  hatte. 
Trotzdem  regte  sich  sofort  die  Opposition  gegen  das  staufische 
Haus;  um  ihr  zu  begegnen,  wählte  die  staufische  Partei,  in 
deren  Lager  die  erdrückende  Mehrheit  der  deutschen  Fürsten 
stand,  mit  Außerachtlassung  der  Hechte  des  unmündigen  Königs 
dessen  Oheim  Philipp  von  Schwaben  am  9.  März  1098  in  Mühl- 
hausen zum  deutschen  König.  Am  9.  Juni  kam  zu  Köln  die 
Gegenwahl  Ottos  IV.  zustande,  wie  es  scheint  unter  maßgeben- 
dem Einfluß  der  päpstlichen  Politik,  die  ja  ein  vitales  Interesse 
daran  hatte,  der  Vereinigung  der  sizilischen  und  der  römisch- 
deutschen Krone  in  einer  Hand  ein-  für  allemal  einen  Riegel  vorzu- 
schieben.  Für  den  Einfluß  der  Kurie  spricht  wenigstens,  ab- 
gesehen von  den  großen  Zugeständnissen  Ottos  IV.  an  die  Kirche, 
sein  Schreiben  an  den  Papst,  in  welchem  er  unter  geradezu  auf- 
dringlichem Hinweis  auf  seine  kirchliche  Gesinnung,  derentwegen 
der  dominus  sechste  selbst  sua  ineffabili  clementia  seine  Wahl  be- 

')  Vgl.  zur  folgenden  historischen  Darstellung  von  Älteren:  Hnrter, 
Geschichte  Papst  Innucenz’  III.  und  seiner  Zeitgenossen,  I.  Band,  Hamburg 
1834,  Raumer,  Geschichte  der  Hohenstaufen  und  ihrer  Zeit,  II.  Band, 
4.  Aull.  1871,  SS.  4 1 0 fl". . Winkelmann,  König  Philipp  Ton  Schwaben  (in 
den  Jahrbüchern  der  Deutschen  Geschichte),  Leipzig  1873,  SS.  131  bis  271  ; 
von  Neueren:  Maurenbrecher,  a.  a.  0.  (vgl.  S.  11  Anm.  1)  SS.  181  ff., 
J as  tro  w- W i n tcr,  Deutsche  Geschichte  im  Zeitalter  der  Hohenstaufen  (in 
Bibi.  Deutscher  Geschichte),  II.  Band,  Stuttgart  1901,  SS.  83  bis  141, 
Loserth,  Geschichte  des  späteren  Mittelalters  (in  der  II.  Abt.  des  Hand- 
buchs der  mittelalterlichen  und  neueren  Geschichte  von  Beluw  und 
Meinecke),  München  und  Berlin  1903,  SS.  27 ff.  Auf  die  Streitfragen 
bezüglich  der  Datierung  einzelner  Urkunden  wird  selbstverständlich  im 
folgenden  nicht  eingegangen. 


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44 


wirkt«  (etfecit),  um  die  Berufung  zur  Kaiserkrönung  ansucht1),  so- 
wie das  damit  in  Einklang  stehende  Wahldekret  der  Wähler,  in 
welchem  sogar  direkt  um  „Konfirmation“  der  Wahl  gebeten 
wird8).  Während  Philipp  unbegreiflicher  Weise  die  Krönung 
unterlassen  hatte,  wurde  Otto  bald  nach  der  Wahl  vom  Kölner 
Erzbischof  allerdings  nicht  mit  den  echten  Insignien  gekrönt  (12.  Juli 
1198).  Erst  am  8.  September  folgte  die  Krönung  Philipps  mit  den 
echten  Insignien  und  in  Gegenwart  eines  gegen  seine  Instruktion 
handelnden  päpstlichen  Legaten,  jedoch  in  Mainz  durch  den 
Erzbischof  von  Tarantaise,  und  hierauf  auch  die  Wahlanzeige  an 
den  Papst3). 

Innozenz  III.  beanspruchte  nun  im  Throustreit  ähnlich,  wie 
einst  Gregor  VII.,  das  Entscheidungsrecht4).  Die  staufische 
Partei,  welche  Uber  den  zu  gewärtigenden  Schiedsspruch  kaum 
im  Zweifel  sein  konnte,  lehnte  ab;  in  der  Erklärung  von  Speyer 
(28.  Mai  U99)5)  brachte  sie  ihren  Rechtsstandpunkt  zum  klaren 
Ausdruck,  welcher  durch  eine  Gesandtschaft  Philipps  dem  Papst 
zur  Kenntnis  gebracht  wurde;  das  Beglaubigungsschreiben  der  Ge- 
sandten4) und  die  ihnen  erteilte  Antwort  des  Papstes’)  sind  uns 
erhalten.  Noch  durch  anderthalb  Jahre  zögerte  der  Papst  mit  einer 
endgiltigen  Entscheidung;  wohl  hatte  er  im  Juli  oder  August  1200 
das  (in  der  Erklärung  von  Speyer  gestellte)  Ansinnen,  Philipp 
zum  Kaiser  zu  krönen,  abgewiesen*);  aber  erst  im  Jahre  1201 
erfolgte  die  formelle  Anerkennung  Ottos  IV.  als  König,  und  zwar 
in  feierlicher  Form,  indem  er  nach  vorheriger  Mitteilung  der 

B öhmer-Fi  eker,  Reg.  Iinp.,  202.  MG.,  Const.  (Leg.  Sectio  FV) 
1L,  No.  18. 

*)  Böhmer-Ficker,  Reg.  Imp.,  203.  MG.,  1.  c.  No.  19. 

3)  Böh mer- Ficker , Reg.  Imp.,  21.  MG.,  1.  c.  No.  2. 

4)  Potthast,  Reg.  Pont.,  685  et  fi86.  Schon  hier  klingt  das  ius  alttri 
farti  favert  an,  welches  sich  mit  einem  Schicdsrichturamt  nicht  deckt:  vgl. 
darüber  unten  SS.  76  ff. 

*)  Böh mer-Fi  cker,  Reg.  Imp.,  27.  MG.  1.  c.  (cf.  oben  Anm.  1;  No.  3 

*)  Böhmer-Ficker,  Reg.  Imp.,  28.  MG.,  1.  c.  No.  4. 

’)  Potthast,  Reg.  Pont,  1055.  Böhmer-Fickor-Wink el mann. 
Reg.  Imp.,  5679.  Baluze,  Registrum  Domini  lnnocentii  III.  super  negotio 
Romani  Imperii,  Parisiis  1682,  No.  18. 

*)  Potthast,  Reg.  Pont.,  1103.  Böhmer- Ficker- Winkelmann, 
Reg.  Imp.,  5684. 


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45 


päpstlichen  Entscheidung  an  die  deutschen  Fürsten  am  3.  Juli 
in  der  Kölner  Domkirche  durch  den  Kardinallcgaten  Guido  von 
Präneste  zum  König  ausgerufen  wurde.  Über  die  Gründe  für 
die  päpstliche  Entscheidung  sind  wir  in  allen  Details  unterrichtet 
durch  die  „Deliberatio“  (vermutlich  eine  Ansprache  des  Papstes 
im  Kousistorium),  eine  der  merkwürdigsten  und  denkwürdigsten 
Äußerungen  der  päpstlichen  Politik,  welche  offenbar  zeitlich  un- 
mittelbar vor  die  entscheidenden  Schritte  in  Deutschland  zu  setzen 
ist'J.  Gegen  das  Vorgehen  des  Kardinallegaten  protestierten  die 
deutschen  Fürsten,  welche  auf  Seite  Philipps  standen,  in  einem 
Schreiben,  das  in  den  Januar  1202  fallen  dürfte“).  Als  Antwort 
auf  diesen  Protest  erging  im  März  1202  die  Bulle  „Venerabilem“, 
deren  juristische  Analyse  uns  nunmehr  beschäftigten  soll3). 


')  Etwa  Ende  des  Jahres  1200.  Vgl.  Krammer,  Wahl  und  Ein- 
setzung (vgl.  S.  21  Anm.  2),  SS.  47  und  48,  bes.  Anm.  2 auf  S.  47. 
Potthast,  Reg.  Pont.,  1183.  Böhmer-Kicker- Winkelmann,  Reg.  Imp., 
5724a.  Baluze,  1.  c.  (cf.  S.  44  Anm.  7)  No.  29. 

’)  Böhmer-Picker,  Reg.  Imp.,  65.  MG.,  1.  c.  (cf.  S.  44  Anm.  I) 

No.  6. 

s)  Potthast,  Reg.  Pont,  1653.  Böhmer-Ficker- Winkelmann, 
Reg.  Imp.,  5783.  Den  Zitaten  im  folgenden  wird  der  Text  nach  MG,  1.  c. 
No.  398,  zugrundegelegt.  In  die  Gregorianischen  Dekretalen  ist  die  Bulle 
mit  einigen  Auslassungen  aufgenommen  worden ; auf  die  wesentlichen 
kommen  wir  im  Verlauf  unserer  Darstellung  (SS.  49,  57  f.)  zurück. 

Die  Bulle  „Vencrabilem“  hat  sowohl  vom  päpstlichen  als  auch  vom 
kaiserlichen  Standpunkt  aus  einseitige  Interpreten  und  Beurteiler  gefunden. 
Von  ersteren  nenne  ich  Phillips,  a.  a.  0.  (vgl.  8.12  Anm.  4)  § 127, 
Hergenröther,  a.  a.  0.  (vgl.  S.  16  Anm.  1)  SS.  267f;  auch  die  im 
übrigen  treffliche  Untersuchung  von  Hefele,  Wie  dachte  sich  Innocenz  III. 
das  Verhältnis  des  Papstes  zur  Kaiserwahl  7 (vgl.  S.  19  Anm.  5)  scheint  mir 
von  Einseitigkeit  nicht  ganz  frei  zu  sein;  vgl.  darüber  unten  S.  54  Anm.  1. 
Anderseits  geht  Lu  chaire,  Innocenz  III,  La  papaute  et  l’empire,  Paris  1906, 
SS.  95  bis  99,  auf  den  springenden  Punkt  in  der  Beweisführung  des 
Papstes,  die  Verknüpfung  dos  deutschen  Königtums  mit  dem  römischen 
Kaisertum,  nicht  ein:  bei  Hauck,  Kirchougeschichte  Deutschlands,  IV.  Teil 
Leipzig  1903,  S.  705,  findet  sich  nur  eine  abfällige  Bemerkung  und  eine 
sehr  summarische  (unvollständige)  Inhaltsangabe:  noch  weniger  nimmt  in 
den  Arbeiten  von  Schwemer  (Innocenz  III.  und  die  deutsche  Kirche 
während  des  Thronatreits  1198 — 1208,  Straßburg  1882)  und  Engelmann 
(Philipp  von  Schwaben  und  Papst  Innocenz  III.  während  des  deutschen 
Thronstreits  1198—1208,  Berl.-Progr.  1896)  die  Bulle  „Vencrabilem“  den  ihrer 
Bedeutung  entsprechenden  Platz  ein. 


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4 f 


Die  Bulle  nimmt  zunächst  in  der  Einleitung  auf  das  Protest- 
schreiben der  deutschen  Fürsten  Bezug,  welche  gegen  das  Vor- 
gehen des  Kardinallegaten  angeblich  folgende  Einwände  erhoben 
hätten ').  Derselbe  habe  entweder  als  elector  oder  als  cognitor 
fungiert;  im  ersteren  Falle  habe  er  sich  ein  ihm  nicht  zustehendes 
Beeilt  angemaßt,  im  zweiten  sei  der  Schiedsspruch  ungiltig,  da 
Philipp  von  Schwaben  nicht  geladen  war.  Hierauf  legt  nun  die 
Bulle  in  drei  Abschnitten  den  Reehtsstandpunkt  der  Kurie  dar.  Im 
ersten  (Verum  nos  ...  absit  omnino!)  werden  die  Grundprinzipien 


')  Der  Papst  hat  offenbar  die  Fürsten,  welche  gegen  jede  Einmischung 
seinerseits  protestiert  hatten,  absichtlich  nicht  verstanden.  Dies  ergibt  eine 


Gegenüberstellung  des  Protestes  (vgl. 
gäbe  in  der  Bulle. 

Der  Protest. 

No  bis  ergo  suprascriptorum  principum 
cum  dolore  aperit  Universitas,  quod 
Prenestinus  ep  iseopus  in  Roma- 
norum  regis  electione  contra  om- 
nem  iuris  ordinem  se  ingessit,  nec 
videre  possumus,  cuius  personam  incul- 
pabiliter  gerat.  Gerit  enim  vel  personam 
electoris  vel  personam  cognitoris.  Si  elec- 
toris,  quomodo  quesivit  opportunitatem , 
qualiter  arbitris  absentibus  mendacio  veri- 
tatem  et  crimine  zur  tute  m mutaret ? Quo- 
modo  enim  ea  pars  principum,  quam 
numerus  ampliat . quam  dignitas  eßert , 
iniuste  nimium  est  contempta?  Et  si 
cognitoris,  hanc  gestare  non  po/ui  t. 
Romanorum  enim  regis  electio  si 
in  se  scissa  fuerit,  non  est  superior 
iudex,  cuius  ipsa  sententia  inte- 
granda,  sed  elig entium  voluntate 

spontanen  consuenda 

Sed  si  vos  iudicem  confiteamur , 


oben  S.  44  Anm.  5)  und  seiner  Wieder* 
Die  Bulle. 

Inter  cetera  vero , que  dicti  principe s 
per  easdem  nobis  litteras  intimarunt , Mac 
1 precipue  obiectione  sunt  usi  dicentes,  quod 
venerabilis  f rat  er  noster  Prenestinus  epis- 
copus , apostolice  sedis  legatus,  aut  electo- 
\ ris  gessii  aut  cognitoris  personam : si 
electoris , in  alienam  messen t mise- 
! rat  falcem  et  electioni  se  inger/ns 
principum  derogaverat  digni tati; 
si  cognitoris,  absente  altera  partium  vide- 
tur  perperam  processisse , cum  citata  non 
fuerit  et  ideo  non  debuerit  contumax 
iudicari. 


factum  hoc  excusationem  habere 
non  po/es t.  Vestrum  enim  in  vos 
possumus  exercere  gladium,  quia 
absente  alia  parte  sententia  a ittdice  dicta 
nulbun  haben t firmitatem . 

Vgl.  darüber  auch  die  Ausführungen  unten  in  den  Abschnitten  111  1 
und  III  2 des  II.  Kapitels. 


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47 


der  Thronbesetzung  aufgestellt:  einerseits  erkennt  der  Papst  jenen 
Fürsten,  ad  quos  de  iure  ar  antiqua  conmetudine  noscitur  pertinere, 
ius  et  potestatem  rügend i regem  in  imperatorem  pottmodum  promo- 
rendum  zu;  anderseits  wird  für  das  Papsttum  ohne  jede  Ein- 
schränkung beansprucht  ius  et  auctoritas  exaniinandi  personam 
rlectam  in  regem  et  promovendam  ad  Imperium.  Im  zweiten  Teil 
(obiectioni ostensum)  wird  das  Vorgehen  des  Kardinal- 

legaten eingehend  gerechtfertigt;  er  habe  weder  als  elector  noch 
als  cognitor  fungiert  (als  elector  nicht,  da  er  nec  fecit  aliquem 
eligi  nec  elegit,  als  cognitor  nicht,  da  er  neutrius  electionem  quo- 
ad  /actum  eligentium  con/irmandam  duxerit  aut  etiam  infirmandam ), 
sondern  als  denuntiator,  welcher  personam  ducie  eiusdem  denuntiamt 
indignam  et  personam  regis  ipsius  denuntiavit  idoneam  quoad  Im- 
perium obtinendum.  Nebenbei  wird  erwähnt,  daß  auch,  was  den 
Wahlakt  anlangt,  die  Wahl  Ottos  IV.  einwandfrei  sei:  plures  ex 
illi«,  qui  eligendi  regem  in  imperatorem  de  iure  ac  consueludine 
obtinent  potestatem,  hätten  ihr  zugestimmt  (consensisse) ; die  Wähler 
Philipps  seien,  weil  sie  die  Wahl  absentibus  aliis  et  contemptis 
vorgenommen,  ihres  Wahlrechts  überhaupt  verlustig  gegangen. 
Weiter  wird  geltend  gemacht,  daß  Philipp  nec  ubi  debuit  nec  a 
quo  debuit  coronam  et  unctionem  accepit.  Zur  reprobatio  Philipps  be- 
durfte es  keines  Verfahrens  propter  mani/esta  impedimenta  per- 
sone,  es  genügte  die  conderapnatio  (welche  eben  der  Kardinallegat 
verkündet  hatte).  Quod  autem , fährt  die  Bulle  fort,  cum  in  elec- 
tione  vota  principum  dioiduntur,  post  ammonitionem  et  expectationem 

alleri  partium  favere  postimus, ex  iure  patet  pariter  et 

e.remplo,  was  hierauf  nach  beiden  Richtungen  (ius  und  exemplum) 

noch  näher  dargelegt  wird.  Im  dritten  Teil  (Sunt  enim 

assumendus)  werden  nun  die  notoria  impedimenta,  welche  Philipp 
entgegen  stehen,  im  Detail  aufgezählt.  Philipp  ist  exeommuni- 
catus,  periurus,  de  genere  perseculorvm  und  — dem  Wahlrecht  der 
Fürsten  als  Verwandter  der  letzten  Könige  (!)  gefährlich.  Schließ- 
lich wird  der  Adressat  (dux  Zaringie)  ermahnt,  von  Philipp  sich 
loszusagen,  non  obstante  iuramento , cum  eo  ipiantum  ad  obtinendum 
imperium  reprobato  iuramentum  huiusmodi  non  debeat  observari. 

Schälen  wir  aus  den  skizzierten  Darlegungen  die  Grundge- 
danken heraus,  so  steht  an  der  Spitze  die  Betonung  des  Wahl- 
rechts der  Fürsten.  Dieser  Gedanke  wird  so  stark  betont,  daß 


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die  Verwandtschaft  des  einen  Wahlwerbers  mit  dem  bisher  re- 
gierenden Hause  geradezu  als  ein  Mangel  erscheint.  So  falsch 
es  nun  wäre,  nach  dem  Vorgang  von  Maurenbrecher’)  in  der  Be- 
tonung des  Wahlrechts  an  sich  eine  Neuerung  zu  erblicken,  ebenso 
sicher  ist  die  Ausschließung  eines  Kandidaten  wegen  seiner  Ver- 
wandtschaft mit  dem  früheren  Herrscherhaus  ein  revolutionärer 
Akt.  Dafür  daß  eine  derartige  Verwandtschaft  nach  dem  deutschen 
Rechtsbewußtsein  eine  gewisse  Anwartschaft  auf  die  Wahl  gab, 
ist  ein  schlagender  Beweis  das  Wahldekret  Ottos  IV.1),  welches  es 
für  nötig  hält,  den  König  als  de  longa  et  antiqua  regum  prosa- 
pia  ex  utraque  linea  s^ctabilüer  editum  zu  bezeichnen.  Der 
mit  der  ganzen  deutschen  Geschichte  brechende  Standpunkt  des 
Papstes  ist  eine  Folge  des  Bestrebens,  die  partikularistischen 
Strömungen  im  Reich  an  die  kirchlichen  Interessen  zu  binden3), 
teilweise  wohl  auch  eine  Konsequenz  jener  Anschauung,  welche 
im  Königtum  ein  kirchliches  Amt  erblickt  und  daher  kanonische 
Vorschriften  auf  dasselbe  anwendet4).  Daß  die  Bulle  überdies 
wiederholt  einschränkend  von  jenen  Fürsten  spricht,  welche  de 
iure  ac  antiqua  consuetudine  ein  Wahlrecht  besitzen,  wird  uns 
weiter  unten  noch  eingehend  beschäftigen. 

Das  Wahlrecht  der  Fürsten  ist  nach  der  Theorie  der  Bulle 
„Venerabilem“  beschränkt  durch  sehr  weitgehende  Rechte  des 
Papstes.  Es  ist  der  Grundsatz  der  persona  idonea,  dessen  Über- 
tragung auf  die  Königswahl  uns  schon  bei  Gregor  VII.  begegnete6), 
mit  aller  Schärfe  betont.  Und  zwar  argumentiert  die  Bulle 
folgendermaßen:  der  deutsche  König  ist  zur  Würde  des  römischen 
Kaisers  berufen,  dessen  Aufgabe  es  ist,  advocatus  et  defensor  se- 
dis  apostolicae  zu  sein;  also  darf  zum  König  nur  derjenige  gewählt 
werden,  der  zur  Erlangung  der  kaiserlichen  Würde  geeignet  ist. 
Ferner:  die  kaiserliche  Würde  wird  durch  inunctio,  comecratio  et 
coronatio  seitens  des  Papstes  übertragen;  also  ist  es  dessen  Auf- 
gabe, die  „Idoneität“  der  persona  electa  in  regem  et  promovenda 
in  Imperium  zu  prüfen.  Sed  et  principe»  recognoscere  debent  et 

*)  A.  a.  0.  (vgl.  S.  11  Amn.  1)  S.  181  und  182. 

*)  Vgl.  oben  S.  44  Amn.  2. 

*)  Vgl.  oben  SS.  13,  bes.  Amn.  1,  und  14,  bes.  Amn.  4. 

‘)  Vgl.  oben  SS.  32,  33,  37  und  S.  35  Anm.  3. 

6)  Vgl.  oben  SS.  25  und  26. 


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utü/ue  recognoscunt , quod  iue  et  auctorita e examinandi  pereonam 
eleclam  in  regem  et  promovendam  in  Imperium  ad  non  spectat , qui 
tarn  inungimue,  coneecramus  et  coronamus.  Eist  enim  regulariter 
ac  generaliter  observatum,  ut  ad  eum  examinatio  persone  perlineat, 
ad  quem  impositio  manus  spectat.  Numquid  enim  ei  principes  non 
solum  in  discordia,  eed  etiam  in  concordia  sacrilegum  quemcumque 
vel  excommunicatum  in  regem , tirampnuin  vel  fatuum,  hereticum  eli- 
g er  ent  aut  paganum , nos  inungere,  consecrare  ac  coronare  hominem 
huiusmodi  deberemusf  Abeit  omnino! 

Es  ist  nicht  zu  leugnen,  daß  von  diesem  Standpunkt  aus  die 
„reprobatio“  Philipps  als  innerhalb  der  päpstlichen  Kompetenz 
liegend  erscheint.  Viel  komplizierter  verhält  es  sich  mit  der 
Ausrufung  Ottos  IV.  zum  König.  Die  Bulle  sagt  im  zweiten  Teil 
ihrer  meritorischen  Auseinandersetzungen,  in  direkter  Anlehnung 
an  kirchlichen  Sprachgebrauch,  daß  der  Legat  pereonam  ducis  . 

denuntiavit  indignam  et  pereonam  regis  . . idoneam non 

tarn  propter  studia  eligenti um,  quam  propter  merita 
electorum  ’);  an  diese  Äußerung  über  die  Würdigkeit  der  Person 
knüpft  die  Bulle  im  weiteren  Verlaufe  (In  reprobatione  vero . . . ) 
an,  nachdem  sie  nur  nebenbei,  sichtlich  ohne  Anspruch  auf  auto- 
ritative Geltung  (qnamvis ),  die  Rechtsgiltigkeit  der 

Gegen  wähl  Ottos  IV.  erwähnt  und  — die  darauf  bezügliche  Stelle 
fehlt  in  der  Gregorianischen  Sammlung  — als  ein  weiteres  Argu- 
ment für  Otto  IV.  den  korrekten  Vorgang  bei  seiner  Krönung  in 
Köln  hervorgehoben  hat.  Und  nun  kommt  die  entscheidende  Stelle: 
Quod  autem  cum  in  electione  vota  prinripum  dividvntur,  poet  ammo- 
nitionem  et  expeetalionem  alteri  partium  favere  possimue,  maxime 
poetquam  a nobie  und  io,  consecratio  et  coronatio  postulantur,  sicut 
utruque  pars  a nobie  multoties  postulamt,  ex  iure  palet  pariter  et 
exemplo.  Numquid  enim,  ei  principes  ammoniti  et  expectati  vel  non 
poterint  vel  noluerint  convenire,  apostolica  sedes  advocato  et  de/ensore 
carebit  eorumque  culpa  ipsi  redundabit  in  penamf  Sciunt  autem  prin- 

')  Vgl.  Krammer,  Der  Einfluß  des  Papsttums  (vgl.  S.  19  Anm.  8), 
S.  18;  v.  Simsen,  Analekten  zur  Geschichte  der  deutschen  Königswahlen 
(Progr.  Freiburg  i.  B.  1895)  II,  bezeichnet  gradezu  c.  36  Dist.  63  als  ka- 
nonistische  Grundlage  für  das  Vorgeben  des  Papstes,  welches  allerdings  in 
der  Bulle  „Venerabilem“  nur  mehr  abgeschwäcbt  zum  Ausdruck  kommt  (vgl. 
unten  S.  78). 

Hagelmana.  Die  deutsche  Kuuigtrwehl  4 


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cipes  . . . tjuod  cum  Lotliarius  et  Corradus  in  dtscordia  ) uissent 
electi,  H omanus  pontifex  Lothar  in  m coronaint  et  imperium  oiilinuit 
coronalus,  eodem  (’orrado  tune  demum  ad  eins  gratiam  redeunte. 
Nos  ergo  per  nunlios  principuin  m emoratos  eos  duximus  commonen- 
<tos,  ut  sind  nos  a iuris  ipsorum  cessantus  iniuria,  sic  ipsi  contra 
ius  nostrum  sc  nequaquam  iniuriosos  ostendant,  sed  a prefato  ducc 
iiisto  quidem  a nobis  iudicio  reprobato  recedant  et  prefato  regi  non 
ahrmant  adherere,  nisi  tune  demum  contra  personatn  vel  factum 
legitimum  quid  ab  eis  obiectum  fuerit  et  ostensum.  Hier  läßt  die 
Halle  entschieden  die  bisherige  Klarheit  vermissen.  Im  ersten 
Teil  ist,  wie  wir  uns  erinnern,  als  Grundsatz  der  Thronbesetzung 
aufgestellt  worden:  Wahlrecht  der  Fürsten,  welchem  die  Pflicht, 
eine  persona  idonea  zu  wählen,  gegenüborsteht;  das  dem  Papst 
zustehende  ius  examinandi  personam,  wodurch  das  fürstliche  Wahl- 
recht eingeschränkt  wird.  Im  letzten  Satz  des  zweiten  Teiles  erkennt 
der  Papst  ebenfalls  ausdrücklich  das  Wahlrecht  der  Fürsten  an,  er 
macht  die  Rechte  Ottos  IV.  davon  abhängig,  daß  weder  gegen 
seine  Person  noch  gegen  den  Wahlakt  Einwendungen  erhoben 
werden  können.  Wie  erklärt  sich  aber  von  diesem  Standpunkt 
aus  die  feierliche  Ausrufung  zum  König  durch  den  Kardinal- 
legaten, der  doch  angeblich  neutrius  electionem  quoad  factum 
eligentium  eonfirmandam  duxerit  aut  etium  injirmandam  t 
Wenn  der  päpstliche  Legat  den  Wahlakt  nicht  geprüft  hat,  wie 
konnte  er,  das  Wahlrecht  der  Fürsten  vorausgesetzt,  Otto  IV. 
zum  König  ausrufen?  Und  wenn  man  über  diesen  Widerspruch 
damit  hinwegkäme,  daß  man  in  der  päpstlichen  Bulle  ein  Einge- 
ständnis des  vom  Legaten  in  dieser  Hinsicht  begangenen  Ver- 
säumnisses erblicken  wollte,  welches  eben  durch  die  den  Oppo- 
nenten noch  nachher  gewährte  Möglichkeit,  ihre  Einwendungen  zu 
erheben,  saniert  würde,  so  sind  damit  die  Schwierigkeiten  nicht 
gelost.  Der  Papst  begründet  sein  Vorgehen,  insoweit  es  sich  um 
Otto  handelt,  mit  dem  ihm  zustehenden  Recht,  bei  zwiespältigen 
Wahlen  „alteri  partium  favere“.  Daß  dieser  vage  Ausdruck  im 
Sinne  einer  autoritativen,  die  Katholiken  verbindenden  Stellung- 
nahme gedacht  ist,  wozu  allerdings  der  angeführte  Präzedenzfall 
wenig  paßt1),  ergibt  sich  zur  Evidenz  aus  dem  Schluß  des  päpst- 

•)  Bei  diesem  „Präzedenzfall“  hatte  es  sich  um  die  Aufstellung  eines 
üegenkönigs  (eben  Kunrads)  gegen  den  bereits  im  ruhigen  Besitz  der  Re- 


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liehen  Schreibens.  Als  was  ist  aber  diese  Stellungnahme  aufzu- 
fassen?  Als  ein  Schiedsspruch,  worauf  die  Hervorhebung  der 
zwiespältigen  Wahl  hindeutet,  gewiß  nicht;  denn  die  Bulle  hat, 
obwohl  sie  überall  die  Zulässigkeit  eines  päpstlichen  Schiedsspruchs 
(die  auch  von  den  opponierenden  Fürsten  angeblich  nicht  ge- 
leugnet worden  war)  voraussetzt,  doch  ausdrücklich  für  den  kon- 
kreten Fall  die  Ausübung  des  Schiedsrichteramts  durch  den  Le- 
gaten a priori  in  Abrede  gestellt  (nec  copnitoi't ■»  pertonam  exhibuit). 
Oder  soll  dem  Papst  das  Recht  zustehen,  bei  zwiespältigen  Wahlen 
ohne  Prüfung  des  Wahlakts  die  persona  dignior  zum  Kaiser  zu 
krönen,  womit  im  Sinne  des  Papstes  infolge  der  unlöslichen  Ver- 
knüpfung beider  Ämter  auch  über  die  königliche  Würde  ent- 
schieden ist?  Auch  diese  Auffassung  ist  nicht  klar  zu  Ende  ge- 
führt, weil  sonst  der  Papst  den  Fürsten  nicht  das  Recht  zuge- 
stehen könnte,  ihre  Einwendungen  gegen  den  Wahlakt  vor- 
zubringen. 

Diese  Unklarheit  der  Bulle  findet  ihre  sehr  natürliche  Er- 
klärung darin,  daß  der  Papst  bei  der  Entsendung  des  Kardinal- 
legaten in  Wirklichkeit  von  einem  anderen  Grundgedanken  aus- 
gegangen war,  als  in  der  Bulle  angegeben  wird.  In  der  Bulle 
bildet  den  Ausgangspunkt  das  Wahlrecht  der  Fürsten,  welches 
allerdings  durch  die  Rechte  des  Papstes  in  weitem  Umfang  be- 
schränkt ist;  in  der  Antwort  an  die  Gesandten  Philipps,  welche 
den  Beschluß  von  Speyer  überbracht  hatten1),  und  in  der  Deli- 
beratio3)  hatte  der  Papst  anders  gesprochen:  hier  hatte  er  „princi- 
paliter  et  finaliter“  das  Recht  der  Thronbesetzung  für  das  Papst- 
tum in  Anspruch  genommen,  welches  — das  ist  offenbar  der 
eigentliche  Gedanke  des  Papstes  — freiwillig  und  gewissermaßen 
auf  Widerruf  den  deutschen  Fürsten  ein  Wahlrecht  ein- 
geräumt hat.  Von  diesem  Standpunkt  aus  ergeben  sich  mit 
Leichtigkeit  die  im  Interesse  der  päpstlichen  Politik  liegenden 
Konsequenzen:  das  ins  eiaminandi  personam  (ein  Approbations- 

gicrung  befindlichen  Lothar  gehandelt.  Vgl.  Maurenbrecher,  a.  a.  0. 
(vgl.  S.  11  Anrn.  1)  SS.  151  u.  152,  Bernhardi,  Lothar  v.  Sopplinburg  (in 
den  Jahrbüchern  der  Deutschen  Geschichte),  Leipzig  1879,  SS.  47  bis  49 
und  139  ff. 

•)  Vgl.  oben  S.  44  Anui.  7. 

’)  Vgl.  oben  S.  45  Anm.  1. 

4* 


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recht  im  engeren  Sinne)  und  als  Kehrseite  das  Reprobationsrecht 
gegenüber  einer  persona  indigna';  das  Entscheidungsrecht  bei 
zwiespältigen  Königswahlen;  schließlich  das  freie  Besetzungsrecht 
des  Papstes,  wenn  die  Fürsten  überhaupt  keine  Wahl  vornehmen 
oder  eine  persona  indigna  wählen,  also  ein  Devolutionsrecht.  Und 
von  diesem  letzteren  Recht  hat  der  Papst  Gebrauch  gemacht;  da 
die  Kirche  eines  Schirmherrn  in  der  Person  des  Kaisers,  die  not- 
wendig mit  der  des  deutschen  Königs  verbunden  war,  bedurfte, 
wurde  vom  Papst  eine  dazu  geeignete  Person,  Otto  IV.,  zum 
König  ausgerufen,  ohne  daß  dabei  seine  Wahl  entscheidend  ins 
Gewicht  fiel.  Es  kann  kaum  ein  Zweifel  sein:  am  3.  Juli  1201 
hat  ein  Papst  den  Versuch  gemacht,  unter  dem  Schein  einer 
Approbation  einen  deutschen  König  zu  ernennen1).  Daß  auch 
dieser  Versuch  aus  den  historischen  Voraussetzungen  durch- 
aus erklärlich  ist,  haben  wir  im  Verlauf  unserer  Untersuchung 

*)  Die  Antwort  des  Papstes  an  die  Gesandten  Philipps  im  Konsistorium 
(vgl.  oben  S.  44  Anm.  7)  behandelt  in  einer  an  Gregor  VII.  gemahnenden, 
geradezu  brüsken  Art  ein  allgemeines  Leitungsrecht  des  sacerdotium  gegenüber 
den  reges,  wobei  der  Papst  im  Unterschiede  zu  seinen  sonstigen  Äußerungen 
von  der  kaiserlichen  Würde  beinahe  ganz  absieht.  Erst  gegen  Ende  heißt 
es  unter  Abbrechen  des  bisherigen  Gedankenganges:  Verum  ad  apostolicam 
sedem  iampridem  fuerat  recurrendum , ad  quam  negotium  istud  pr in cipa liier 
et  finaliter  dinoscitur  pertinere ; principaliter , quia  ipsa  transtulit 
imperium  ab  Oriente  in  occidtntem ; finaliter , quia  ipsa  concedit  coro - 
na m imperii.  Die  Dclibcratio  (vgl.  oben  S.  45  Anm.  1)  beginnt  vielsagend  mit 
den  Worten:  In  nomine  ....  Interest  apostolicae  sedis  diligenter  et  pru- 
dentcr  de  imperii  Romani  p rovistone  tractare t cum  i mperium  noscatur 
ad  eam  principaliter  et  finaliter  pertinere ; principaliter  t cum  per 
ipsam  et  propter  ipsam  de  Graecia  sit  tra nslatum , per  ipsam  tramlationis 
actriccm,  propter  ipsam  melius  defendendam\  finaliter , quoniam  Imperator  a 
summa  Pontifice  finalem  sive  ult  im  am  manus  impositionem  promotionis 
proprie  arcipit , dum  ab  eo  benedicitur , coronatur  et  de  imperio  investitur. 
Gegen  Ende  der  Deliberatio  aber  führt  der  Papst  aus:  Quod  si  neutrum 
elegerint , cum  diu  expectaverimus  . . . .,  cum  negotium  istud  dilationem 
non  capiat , cum  Otto  et  per  se  devotus  existat  Ecclesiae,  et  ex  utraque  parte  trahat 
originem  ex  genere  ilevotorum,  , ei  mamfeste  favendum,  et  ipsum  recipiendum 
in  Regem,  et  . ad  coronam  Imperii  evocandum.  Obwohl  der  Papst  in  den 
meisten  Schreiben,  in  denen  er  seine  cndgiltige  Entscheidung  den  deutschen 
Fürsten  initteilte,  seinen  Gedanken  bereits  mehr  oder  weniger  verschleierte, 
haben  ihn  die  gegen  das  Vorgehen  des  Kardinallegaten  protestierenden 
Pürsten  doch  richtig  herausgcfnhlt.  Dafür  spricht  wenigstens  der  Satz,  der 


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dargelegt1);  ebenso  selbstverständlich  aber  ist  es,  daß  die  deutschen 
Fürsten  der  Fortentwicklung  des  Rechtes  in  dieser  Richtung  den 
entschiedensten  Widerstand  entgegensetzen  mußten,  und  ihr 
mannhaftes  Auftreten  wenigstens  in  diesem  Augenblick  bleibt  für 
alle  Zeit  eine  stolze  Erinnerung  der  deutschen  Geschichte*).  Der 
Protest  der  Fürsten  hatte  Erfolg;  in  der  Bulle  „Venorabilem“ 
konnte  der  Papst  seinen  konsequenten  Standpunkt  uicht  vertreten. 
Wohl  vergißt  er  auch  hier  nicht,  darauf  hinznweisen,  daß  das 
Wahlrecht  ad  cos  (principe*)  ....  ab  apostolica  tede  pervenerit , 
que  Romanum  imperium  in  persona  magnißci  Karoli  a Graecit 
tramtidit  in  Germanos ; aber  hatte  er  hieraus  früher  die  Konsequenz 
gezogen,  daß  die  Thronbesetzung  „principaliter“  dem  Papst  zustehe, 
so  geht  er  nunmehr  aus  von  dem  Wahlrecht  der  Fürsten. 
Wohl  beschränkt  er  dieses  mit  Rücksicht  auf  die  an  das  Königtum 
geknüpfte  Kaiserwürde  auch  jetzt  durch  weitreichende  Rechte  des 
Papstes,  wobei  er  nicht  versäumt,  auf  die  ihm  zustehende  inunclio, 
consecratio  et  coronatin  hinzuweisen  (damit  hatte  er  früher  den 
Ausdruck  „finaliter“  begründet);  allein  er  kann  die  letzte  Kon- 

sich  an  die  oben  S.  46  Amu.  t mitgetcilto  Stelle  unmittelbar  «»schließt:  Quid 
ergo  predieti  Prenestini  sententUe  in  Ottone  firmiere  potuit,  cum  nichil  ante  in 
ea  f etc  tum  fit  ? 

Ich  will  hier  besonders  horrorhuben,  daß  das  Vorgehen  des  Papstes  vielfach 
ganz  anders  aufgefaßt  wird,  als  von  mir:  so,  abgesehen  von  Phill  ips  und  Uefele 
(vgl.  oben  S.  4b  Am».  3,  unten  S.  54  Anm.  2),  von  Sccliger  und  Kram  in  er; 
vgl.  darüber  des  letzteren  Wahl  und  Einsetzung  (vgl.  S.  21  Anm.  2)  S.  49. 

■)  Vgl.  oben  SS.  11  und  19  f. 

*)  Tatsächlich  wurde  eine  Besetzung  des  deutschen  Thrones  durch  den 
Papst  nie  mehr  versucht.  Boi  dom  Plane  Gregors  IX.  (1227—1241),  den 
Bruder  des  französischen  Königs,  Robert,  auf  den  Thron  zu  erhoben,  scheint 
es  sich  nach  der  Begründung  Alberts  von  Passau  ausschließlich  um  eine 
provisio  imperii  gehandelt  zu  haben;  vgl.  Kramuier,  Iler  Einlluß  des 
Papsttums  (vgl.  S.  1!)  Anm.  3)  SS.  19  und  20  (daselbst  weitere  Vcrweiso), 
ferner  oben  S.  20  Anm.  2.  Dagegen  scheinen  Gregor  X.  ( 1273)  und 
Klemens  VI.  (vor  der  Wahl  Karls  IV.  1347)  tatsächlich  eine  Besetzung  des 
deutschen  Thrones  angedruht  zu  haben,  allerdings  ohne  es  auf  einen  Versuch 
ankomnien  zu  lassen;  Kramtncr  a.  a.  O.  SS.  19  und  20  bzw.  40,  Redlich, 
Rudolf  von  Habsburg,  Innsbruck  1903,  S.  153.  Über  den  von  Innozenz  IV. 
(vor  dor  Wahl  Heinrich  Raspes  1246)  gemachten  Wahlvorschlag,  der  sich 
als  eine  Abschwächung  des  päpstlichen  Besetzungsrechtes  auffassen  läßt, 
vgl  unten  Abschnitt  III  1 des  ersten  Kapitcts  (gegen  Ende),  ferner  über 
diu  Behandlung  des  Devolutionsrechts  in  der  Glosse  unten  SS.  79  f. 


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54 


Sequenz  seines  Standpunktes,  das  Devolutionsrecht,  nicht  aufrecht- 
halten. Er  stellt  den  Grundsatz  der  persona  idonea  in  den 
Mittelpunkt,  für  den  Fall,  daß  die  Fürsten  die  ihrem  Wahlrecht 
correlate  Pflicht,  eine  persona  idonea  zu  wählen,  verletzen,  nimmt 
er,  und  zwar  auch  bei  einer  concors  electio,  das  Reprobationsrecht 
in  Anspruch.  Im  übrigen  spricht  die  Bulle  nur  von  zwiespältigen 
Wahlen:  sie  setzt  das  Recht  des  Papstes,  als  Scbiedrichter  zu 
fungieren  und  als  solcher  den  Wahlakt  zu  prüfen,  voraus;  sie 
räumt  ihm  aber  auch  das  Recht  ein,  ohne  Prüfung  des  Wahlakts 
die  persona  dignior  als  König  anzuerkennen  und  zur  Krönung  zu 
berufen,  wobei  allerdings  — inkonsequenter  Weise  — den  Fürsten 
zugestanden  wird,  die  Mangelhaftigkeit  des  Wahlaktes  einzuwenden. 
Alles  in  allem:  der  Papst  beansprucht  bei  allen  Wahlen 
das  ius  examinandi  personam,  ein  Approbationsrecht  im 
engeren  Sinne  (nach  der  Terminologie  Engelmanns);  bei 
zwiespältigen  Wahlen  das  Schiedsrichteramt  oder  die 
Berufung  der  persona  dignior  unter  Vorbehalt  eventueller 
Einwendungen  gegen  den  Wahlakt;  mit  dieser  Möglich- 
keit, den  Wahlakt  zu  prüfen,  ist  bereits  ein  Übergangs- 
stadium zum  Approbationsrecht  im  weiteren  Sinne 
(einem  Konfirmationsrecht  nach  der  Terminologie  Engel- 
manns)1)  gegeben.  Ein  Devolutionsrecht  behauptet  die 
Bulle  „ Venerabilem“  ausdrücklich  nicht;  was  zu  ge- 
schehen hat,  wenn  dio  Fürsten  gar  keine  Wahl  vornehmen 
oder  nach  der  reprobatio  eines  in  concordia  electus  eine 
neue  Wahl  verweigern,  bleibt  offen,  wobei  allerdings 
zu  beachten  ist,  daß  mit  der  für  die  päpstlichen  Rechte 
bei  zwiespältigen  Wahlen  angeführten  Begründung 
(Numquid  . . . penara?),  welche  ebenso  auf  den  ni  cht  ent- 
schiedenen Fall  paßt,  der  Behauptung  eines  Devolutions- 
rechtes durch  Anwendung  der  Analogie  die  Wege  ge- 
ebnet sind8). 

*)  Engel  mann,  Der  Anspruch  der  Päpste  auf  Konfirmation  und 
Approbation  bei  den  deutschen  Königswahlen,  Breslau  1886.  S.  5,  unter- 
scheidet confirmatio  electionis  und  approbatio  pcrsonae:  beides  umfaßt  die 
Approbation  im  weiteren  Sinne,  in  dem  das  Wort  gebräuchlich  ist.  Über 
die  Fortentwicklung  des  päpstlichen  Approbationsrechts  vgl.  unten  SS.  70  tf. 

8)  Am  nächsten  kommt  meiner  Auffassung  Hefele;  er  unterscheidet 
sich  Ton  mir  nur  dadurch,  daß  er  Innoceni  111.  eine  scharfe  Scheidung 


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55 


Wie  erwähnt,  schiebt  die  Bulle  in  den  Gedankengang,  der 
das  Recht  Ottos  IV.  aus  der  päpstlichen  Entscheidung  ableitet, 
in  ihrem  Bestreben,  durch  Häufung  der  Gründe  das  Recht  Ottos 

zwischen  den  Rechten  des  Papstes  gegenüber  dem  Königtum  und  dem 
Kaisertum  zuschrcibt,  womit  die  Behauptung  einer  Einmischung  des  Papstes 
in  innerdeutsche  Verhältnisse  gänzlich  gefallen  wäre.  In  dieser  Kichtung 
ist  die  Auffassung  Hefolo’s  m.  E.  unrichtig:  der  Papst  hat  vielmehr  die 
Verknüpfung  von  deutschem  Königtum  und  römischem  Kaisertum  für  eine 
notwendige  gehalten  und  eben  daraus  (im  Gegensatzo  zu  Gregor  Yll., 
der  von  seinem  allgemeinen  kirchlichen  Leitungsrecht  ausgeht)  die  Rechte 
des  Papsttums  gegenüber  dem  deutschen  Königtum  abgeleitet.  Ich  will 
hier  die  interessante  und  übersichtliche  Zusammenfassung  Hofele’s  (a.  a.  U. 
— vgl.  oben  S.  19  Anm.  5 und  S.  45  Antn.  3 — SS.  616  und  617),  welche  in 
die  Konziliengeschichte  (V.  Band,  2.  Aull.  Freiburg  1886)  übergegangen  ist, 
im  Wortlaut  anführen: 

„Die  Anschauungen  Innozenzens  konzentrierten  sich  sonach  in  folgendem: 

a)  An  sich  steht  den  deutschen  Fürsten  das  ganz  ungosclmiälert  freie 
Wahlrecht  ihres  Königs  zu. 

b)  Auch  seitdem  die  Päpsto  die  früher  von  den  Byzantinern  be- 
anspruchte Kaiserwürde  des  Abendlandes  auf  einen  germanischen  König 
(Karl  den  Großen  und  Otto  I.)  übertragen  haben,  wählen  die  deutschen 
Fürsten  diesen  König,  welcher  Kaiser  werden  soll,  ganz  frei  und  und  un- 
abhängig vom  Papst. 

c)  Nun  aber  tritt  das  Recht  des  Papstes  oin.  Da  der  Gewählte  nur 
durch  päpstliche  Salbung  u.  s.  w.  Kaiser  wird,  so  steht  dem  Papste  das 
Recht  der  Prüfung  zu,  ob  er  solcher  Sendung  u.  s.  w.  würdig  sei.  Dies 
schließt  weiter  in  sich,  daß  falls  diese  Prüfung  zu  ungunsten  des  Ge- 
wählten ausfällt,  die  Deutschen  entweder  einen  Andern  zum  König  wählen 
müssen,  oder  wenn  sie  dies  verweigern,  der  Papst  die  Kaiserwürdc  einem 
andern  König  zuwendet,  da  die  Kirche  eines  Advokatus  und  Defensors  bedarf. 

d)  Im  Falle  einer  strittigen  deutschen  Königswahl  aber  ist  cs  Auf- 
gabe deB  Papstes 

«0  die  deutschen  Fürsten  vor  allem  zur  Wiederherstellung  der  Kinheit 
zu  ermahnen,  damit  sie  sich  auf  einen  Kandidaten,  etwa  einen  dritten, 
vereinigen. 

ß)  Sind  diu  diesfallsigen  päpstlichen  Ermahnungen  fruchtlos,  so  ent- 
scheidet der  Papst  entweder  als  freigewählter  Schiedsrichter  oder  iure 
proprio  kraft  seines  Amtes  für  den  Einen  oder  Andern  der  Prätendenten, 
und  er  muß  dies  tun,  ist  völlig  dazu  berechtigt,  weil  die  Kirche,  wie  be- 
merkt, nicht  auf  lange  eines  Defensor  u.  s.  w.  entbehren  kann. 

y)  Aber  der  Papst  trifft  seine  Entscheidung  nicht  infolge  eines  von  ihm 
gefällten  Urteils  über  das  Faktum  der  Wahl  (d.  h.  er  hat  nicht  zu  unter- 
suchen, ob  die  Wahl  des  Einen  mehr  berechtigt  sei,  als  die  des  Andern, 
nach  Priorität,  Majorität  der  Stimmen  u.  dgl.),  sondern  er  entscheidet 


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56 


von  jedem  Standpunkt  aus  unanfechtbar  zu  machen,  zwei 
weitere  Argumente  ein:  1.  die  Ungiltigkeit  der  Wahl  Philipps 
und  die  Giltigkeit  deijenigen  Ottos,  2.  die  formgerechte  Krönung 
des  letzteren.  — Was  das  zweite  Argument  anlangt,  so  springt 
zunächst  in  die  Augen,  daß  auch  die  Krönung  Ottos  IV.  an  einem 
sehr  wesentlichen  Mangel  litt,  da  er  ja  nicht  mit  den  echten 
Insignien  gekrönt  worden  war.  Auch  wird  durch  dieses  Argument 
eine  weitere  Unklarheit  in  die  Bulle  hineingetragen;  konnten  wir 
für  die  Beurteilung  des  Verhältnisses  zwischen  fürstlichem  Wahl- 
recht und  päpstlichem  Einfluß  noch  einigermaßen  einen  sichern 
Standpunkt  gewinnen,  so  entsteht  durch  die  Ilereinzerrung  der 
Königskrönung  eine  unentwirrbare  Konfusion.  Bestehen  die 
Rechte  des  Papstes  (examinatio  personae  und  Entscheidungsrecht 
bei  zwiespältigen  Wahlen)  auch  gegenüber  dem  Gekrönten?  Aus 
dem  Satze  Et  quoniam  dux  predictue  nee  ubi  debuit  nee  a quo 
debuit  coronam  et  unctionem  accepit,  memoratus  vero  re. e et  ubi  debuit , 
mdelicet  Aquügrani,  et  a quo  debuit,  scilicet  venerabili  fratre  nostro 
Coloniensi  archiejnscopo  recepit  utrumque,  nos  uliipie  non  Pkilippum 
sed  Ottonem  reputamue  et  nominamus  regem  iustitia  exigente 
scheint  hervorzugehen,  daß  das  Entscheidungsrecht  des  Papstes  bei 
zwiespältigen  Wahlen  nach  der  Königskrönung  zessieren  soll,  daß 
er  den  gekrönten  König,  falls  er  eine  persona  idonea  ist,  zum 
Kaiser  krönen  muß.  Allerdings  paßt  dazu  nicht  der  bald  darauf 
wieder  aufgenommene  Gedankengang,  der  das  Vorgehen  des 
Papstes  bezüglich  Ottos  IV.  durch  Hinweis  auf  das  Recht,  bei 
zwiespältigen  Wahlen  alteri  partium  farere,  begründet.  Und 
vollends  fehlt  jede  Andeutung  darüber,  ob  die  Königskrönung, 
auch  wenn  sie  einem  überhaupt  nicht  Gewählten  in  Köln  durch 
den  Kölner  Erzbischof  zuteil  geworden  sein  sollte,  ein  Recht  auf 
die  Kaiserkrönung  verleiht,  ein  allerdings  in  der  Praxis  kaum  denk- 
barer Fall.  Dagegen  scheint  es  mir  zweifellos,  daß  im  Sinne 
der  Bulle  das  ius  examinandi  personam,  das  Approbationsrecht, 
und  als  dessen  Kehrseite  das  Reprobationsrecht  gegenüber  einer 
persona  indigna  auch  nach  der  formgerechten  Königskrönung  fort- 

lediglich  nach  der  Qualität  der  Personen,  und  gibt  demjenigen  Präten- 
denten den  Vorzug,  der  für  die  Kirche  ein  besserer  Defensor  u.  s.  w.  zu 
werden  verspricht.“ 


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57 


besteht1)-  Jedenfalls  ist  die  Hereinziehung  der  Königskrönung 
nicht  geeignet,  die  Stellung  des  Papstes  zu  stärken,  und  es  kann 
kaum  als  Zufall  angesehen  werden,  daß  der  darauf  bezögliche 
(S.  56  mitgeteilte)  Satz  in  den  Gregorianischen  Dekretalen  weg- 
gelassen wurde.  — Was  nun  die  Wahl  selbst  anlangt,  so  ist  zunächst 
zu  betonen,  daß  die  diesbezüglichen  im  zweiten  Teil  der  Bulle  ein- 
geschalteten Bemerkungen  nach  dem  ganzen  Zusammenhang  keinen 
rechtsverbindlichen  Charakter  haben  können*).  Es  hat  sich  also 
mit  der  Bulle  „Venerabilem“  das  kanonische  Recht,  auf  den  Zu- 
sammenhang der  Königs-  und  der  Kaiserwürde  gestützt  und  von 
den  aus  diesem  Zusammenhang  fließenden  Rechten  des  Papstes 
ausgehend,  der  deutschen  Königswahl  wohl  insoferne  bemächtigt, 
als  durch  Ausgestaltung  der  Lehre  von  der  persona  idonea  eine 
Einschränkung  des  passiven  Wahlrechts  gegeben  ist.  Die  Bulle 
hat  ferner  in  autoritativer  Weise  eine  Einschränkung  des  aktiven 
Wahlrechts  auf  einzelne  Fürsten  behauptet,  und  zwar  bei  Auf- 
stellung der  Grundprinzipien  für  die  Besetzung  des  deutschen 
Thrones.  Diese  Aufstellungen  der  Bulle  sind  zweifellos  voll- 
giltiges  kanonisches  Recht.  Nicht  dasselbe  gilt,  wie  gesagt,  von 
den  im  zweiten  Teil  der  Bulle  enthaltenen  Bemerkungen  über  den 
Wahlakt  selbst.  Trotzdem  bleibt  es  interessant,  daß  der  Papst 
hier  dem  kanonischen  Wahlverfahren  entnommene  oder  wenigstens 
verwandte  Bestimmungen  auf  die  deutsche  Königs  wähl  an  wendet: 
nämlich  a)  die  Bestimmung,  daß  die  Unterlassung  der  Einladung 
eines  Wahlberechtigten  die  Wahl  ungiltig  mache  und  diejenigen, 
welche  eine  solche  Wahl  vornehmen,  ihres  Wahlrechts  verlustig 
werden,  womit  das  Erfordernis  der  unitas  actus  aufgestellt  ist, 
b)  das  Majoritätsprinzip,  allerdings  in  einer  vom  kanonischen  Recht 
etwas  abweichenden  Form3).  Es  muß  hervorgehoben  werden,  daß 
von  diesen  beiden  Bestimmungen  die  erste  nur  in  abgeschwächter 
Form  in  die  Gregorianischen  Dekretalen  übergegangen  ist:  die 
Konsequenz,  daß  die  Teilnehmer  an  einer  mangels  gehörigen 


')  Vgl.  bezüglich  der  Königskrönung  unten  SS.  83  f. 

*)  Vgl.  oben  S.  49. 

*)  Über  die  tatsächliche  Durchsetzung  der  unitas  actus  und  des 
Majorit&tsprinzips  bei  der  deutschen  Königswahl  vgl.  die  ausführlichen 
Darlegungen  im  Abschnitt  III  3 des  II.  Kapitels. 


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58 


Ladung  ungiltigen  Wahl  ihres  Wahlrechts  verlustig  gehen,  ist 
wenigstens  nicht  ausdrücklich  gezogen;  der  darauf  bezügliche 
Satz  ist  vveggelas8en.  Nichts  wäre  verfehlter,  als  aus  solchen 
incidenter  eingeschalteten  Bemerkungen,  welche  gelegentlich  ein- 
zelne Bestimmungen  des  kanonischen  Hechts  auf  die  deutsche 
Königswahl  übertragen,  schließen  zu  wollen,  daß  im  Sinne  des 
kanonischen  Rechts  die  Bestimmungen  über  kanonische  Wahlen 
überhaupt  auf  die  Königswahl  anzuwenden  seien.  Dies  ergibt 
sich  zur  Evidenz  daraus,  daß  der  von  Innocenz  III.  hier  gegen- 
über der  Königswahl  des  Jahres  115)8  eingenommene  Standpunkt 
von  demjenigen  erheblich  abweicht,  den  er  wiederholt  zwiespältigen 
Bischofswahlen  gegenüber  eingenommen  hat.  Dem  letzteren  zu- 
lolge  wäre  auch  die  Wahl  Ottos  IV.  ungiltig,  weil  trotz  der 
Ungiltigkeit  der  ersten  Wahl  vor  der  zweiten  ein  Ausspruch  des 
Papstes  hätte  abgewartet  werden  müssen1).  Die  Bulle  „Venera- 
bilem“  hat  eben  alles  dasjenige  aus  dem  kanonischen  Recht,  aus  dem 
Reichsrecht  und  aus  politischen  Erwägungen  zusammengetragen, 
was  fü  r den  päpstlichen  Kandidaten,  und  alles  beiseite  gelassen, 
was  gegen  ihn  sprach.  Die  Frage  war  zu  einer  Machtfrage  ge- 
worden, wobei  ich  allerdings  nicht  übersehe,  daß  die  kulturellen 
und  auch  die  national-deutschen  Interessen  keineswegs,  wie  viel- 
fach behauptet  wird,  einseitig  mit  der  Macht  des  staufischen 
Hauses  verknüpft  waren*). 

Über  die  Notwendigkeit  der  Ladung  ist  in  diesem  Zusammen- 
hänge nichts  Näheres  zu  bemerken;  von  der  Einschränkung  des 
Wählerkreises  und  vom  Majoritätspriuzip,  im  Zusammenhang  mit 
dem  auch  auf  die  Bedeutung  der  Königskrönung  zurückzukommen 
sein  wird,  kann  erst  bei  Besprechung  der  Glosse  eingehender  ge- 
bandelt werden  *).  Dagegen  soll  hier,  als  Abschluß  unserer 
Erörterung  über  die  Bulle  „Venerabilem“,  unsere  früheren  Aus- 
führungen ergänzend,  die  den  dritten  Teil  der  Bulle  bildende 
Darlegung  über  die  persona  idonea  Platz  finden4).  Es  werden  hier, 

')  Näheres  unten  SS.  88  f. 

*)  Vgl.  oben  S.  5 Anm.  1. 

3)  Unten  SS.  67  ff.,  83  ff. 

*)  Das  passive  Wahlrecht  nach  deutschem  Iieichsrecht  behandelt  Frh. 
v.  Borch,  die  gesetzlichen  Eigenschaften  eines  deutsch-römischen  Königs 
und  seiner  Wähler,  Innsbruck  1884.  Vgl.  auch  Schröder,  a.  a.  0.  (vgl. 
S.  7 Anm.  1)  S.  481. 


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59 


wie  bereits  (S.  47)  erwähnt,  folgende  Gründe  gegen  die  „Idoneität“ 
Philipps  angeführt:  er  ist  excommunicatu«,  periurus,  de  genere persecu- 
torum  und  mit  dem  bisherigen  Königshause  verwandt;  hiemitistzu- 
8ammenzuhalteu,  dal!  im  ersten  Teile  der  Bulle,  wo  zuerst  der  Grund- 
satz der  persona  idonea  betont  wird,  als  Beispiele  von  personae 
indignae  angeführt  werden  :paganus,  heretictu,  excommunicatu s,  sacri- 
legus,  tirampniu,  jatuus.  Überblicken  wir  diese  Fälle,  welche  natür- 
lich nur  eine  exemplifikative  Aufzählung  bilden  sollen,  so  begegnet 
uns  allerdings  eine  große  Reihe  von  solchen,  die  nach  allgemeinen 
Grundsätzen  bei  kanonischen  Wahlen  das  passive  Wahlrecht  aus- 
schließen; hierher  gehört  der  excommunicatus,  wozu  der  sacrilegus 
und  der  periurus  zu  zählen  sind,  sowie  der  paganus  und  hereticus, 
auch  der  fatuus1).  Es  muß  aber  hervorgehoben  werden,  daß  die 
Bulle  diese  Fälle  nicht  schlechtweg  aus  den  allgemeinen  Bestim- 
mungen des  kanonischen  Rechts  auf  die  Königswahl  überträgt, 
sondern  aus  der  Natur  des  mit  dem  königlichen  verbundenen 
kaiserlichen  Amtes  ableitet.  Direkt  auf  die  weltliche  Herrscher- 
gewalt deutet  der  tirampnus,  und  mehr  als  zweifelhaft  ist  es,  ob 
die  Abstammung  de  genere  persecutorum  bei  einer  Bischofswahl  die 
Indignität  begründen  würde*).  Eine  ganz  eigenartige  Stellung 
nimmt  schließlich  die  ebenfalls  als  Mangel  ins  Treffen  geführte 
Verwandtschaft  mit  dem  Königshause  ein,  welche  wir  bereits  bei 
Beginn  unserer  Analyse  (SS.  47  f.)  als  eine  Steigerung  des 
fürstlichen  Wahlrechts  besprochen  haben.  Hier  liegt  derselbe 
Gedanke  vor,  der  das  ganze  kanonische  Ämterrecht  beherrscht; 
aber  seine  Anwendung  auf  den  konkreten  Fall  erfolgt  viel  weniger 
aus  allgemeinen  Erwägungen,  als  aus  politischen  Motiven3).  So 
sehen  wir,  daß  das  kanonische  Recht  auch  dem  dem  kanonischen 
Wahlverfahren  entnommenen  Grundsatz  der  persona  idonea  in 
seiner  Anwendung  auf  die  deutsche  Königswahl  eine  eigenartige 
Ausgestaltung  gegeben  hat,  in  der  die  verschiedensten 


')  Hinschius,  System  des  katholischen  Kirchenrechts,  II.  Band  Ber- 
lin 1878,  S.  488,  V.  Band  Berlin  1895,  S.  271  bes.  Anm.  16,  I.  Band  Berlin 
1869,  S.  7 (im  Zusammenhang  mit  II.  Band  S.  4761,  II.  Band  S.  487, 
II.  Band  S.  487  Z.  7 (im  Zusammenhang  mit  I.  Band  S.  16), 

a)  Eine  derartige  Vorschrift  bei  KirchenXmtern  ist  erst  seit  Bonifaz  VIII. 
(1294 — 1303)  bekannt;  vgl.  Uinschius,  II.  Band  S.  488  bes.  Anm.  10. 

3)  Vgl.  oben  SS.  12/13  bes.  Anm.  1 auf  8.  13,  S.  14  bes.  Anm.  4,  48. 


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60 


Strömungen  sich  kreuzen,  die  verschiedensten  Elemente 
sich  mischen,  beherrscht  und  vereinigt  durch  das 
Interesse  der  päpstlichen  Politik. 

2.  Die  Glosse  zur  Bulle  „Vencrabilem“  im  Zusammen- 
hänge mit  den  Parallelstellen  der  Dekretalen  und  der 

Glossen. 

I.  Indem  wir  an  die  Untersuchung  der  Glosse  schreiten, 
müssen  wir  zunächst  bemerken,  dati  sie  die  brennenden  in  der 
Bulle  behandelten  Fragen  nicht  so  eingehend  erörtert,  als  man 
vermuten  sollte.  Eine  ganze  Anzahl  von  Stellen  (zu  den  Worten 
cognitori,  in  messem,  eligentium,  commonendos,  innodatus,  postulavit, 
iuramentum)  enthält  lediglich  Worterklärungen,  bzw.  Sachverhalts- 
Ergänzungen  und  Zitate,  die  für  die  meritorische  Entscheidung  der 
staatskirchenrechtlichen  Fragen  ohne  erhebliche  Bedeutung  sind. 
Es  ist  selbstverständlich,  daß  diese  Teile  der  Glosse  in  den  wei- 
teren Darlegungen  nicht  berücksichtigt  werden.  Dasselbe  gilt 
von  der  Glosse  zu  dem  Worte  carebit  und  zu  den  Worten  venire 
und  Gaboanitas.  An  ersterer  Stelle  wird  die  Natur  der  dem 
Kaiser  zugeschriebonen  advoeatia  sedis  apostolicae  erörtert,  was 
mit  unserem  Thema  in  keinem  unmittelbaren  Zusammenhang  steht; 
zu  den  Worten  venire  und  Gaboanitas  wird  der  für  die  Beur- 
teilung der  Indignität  Philipps  lediglich  als  Vorfrage  in  Betracht 
kommende  Umstand  des  angeblichen  Eidbruches  behandelt,  wobei 
auf  die  Lösbarkeit  des  Eides  naher  eingegangen  wird '). 

')  In  der  Bulle  nimmt  Innozenz  111.  den  Standpunkt  ein,  daß  der 
Treueid,  wolchen  Philipp,  wie  die  andern  Fürsten,  dem  Kinde  Friedrich  be- 
reits 1136  geleistet  hatte,  oin  illicituni  iuramentum  war  (offenbar,  wie  wir 
aus  der  Delibcratio  — vgl.  oben  S.  45  Aum.  1 — wissen,  weil  Friedrich  eine 
persona  indigna  war:  vgl.  auch  weiter  unten  die  Ausführungen  über  die 
Glosse  zum  Worte  illicituui  SS.  63  f.):  trotzdem  hätte  Philipp,  bevor  er 
dem  Eide  entgegcnhandelte,  die  Entscheidung  des  Papstes  einholcn  müssen. 
Von  diesem  Standpunkt  aus  hätten  auch  alle  Wähler  Ottos  sich  an  ihrem 
Eide  versündigt,  sofern  sic  nicht  vor  der  Wahl  bereits  die  Zu- 
stimmung des  Papstes  erlangt  hatten.  Die  Glosse  zum  Worte  venire 
sucht  über  den  Widerspruch  dadurch  hinwegzukommen,  daß  sie  das  Schwer- 
gewicht darauf  legt,  Philipp  hätte  nicht  im  eigenen  Inturesse  gegen  den 
Eid  handeln  dürfen;  an  sich  sei  durch  einen  zweifellos  unerlaubten  und 
datier  ungiltigon  Eid  natürlich  niemand  gebunden:  nur  in  zweifelhaften 


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61 


Für  das  Verständnis  der  Glosse  zur  Bulle  „Veuerabilem“  ist 
grundlegend  die  Tatsache,  daß  sie  Teile  sehr  verschiedenen  Alters 
enthält,  ln  den  gedruckten  Ausgaben  beginnt  sie  mit  der  auf 
Johannes  Andreae  (geb.  ca.  1270,  gest.  1348)')  zurückgehenden 
Formulierung  des  „Rechtssatzes“ , welcher  der  Abbas  Siculus 
(lehrte  seit  1421,  gest.  1453)  *)  eine  Disposition  beifügte.  Dies 
sind  wohl  die  jüngsten  Teile  der  Glosse.  Es  folgt  in  den  ge- 
druckten Ausgaben  eine  kurze  Erzählung  des  Sachverhalts  (Casus), 
an  welche  sich  mit  dem  Übergang  hunc  catum  protequitur  Bernar- 
dus  in  modum  seqi /entern  eine  etwas  breitspurige  paraphrasierende 
Wiedergabe  der  Bulle  anschließt.  Zu  den  erwähnten  den  Übergang 
bildenden  Worten  sagt  eine  Randbemerkung:  hie  tarnen  casu»  non 
est  Bemardi , nee  habetur  in  velustis  exemplaribus.  Im  Gegensätze  zu 
dieser  Randbemerkung  rührt  die  Paraphrase  doch  von  demselben 
Bernardus  her,  wie  der  ganze  Casus  (einschließlich  der  gleich  zu 
erwähnenden  Notabilia),  nämlich  von  dem  berühmten  Schöpfer  der 
glossa  ordinaria  zu  den  Dekretalen,  Bernardus  Parmensis  de  Bo- 
tone  (geb.  zu  Beginn  des  13.  Jahrli.,  gest.  1263)*).  Die  an  und 
für  sich  naheliegende  Vermutung,  daß  es  sich  um  eine  Stelle  aus 
den  „Casus  decretalium“  des  Bernardus  Compostellanus  junior 
(wirkte  zwischen  1245  und  1260) 4)  handelt  und  eine  Verwechslung 
vorliegt,  wird  durch  den  Handschriften-Befund  widerlegt.  Sonst 
findet  sich  noch  die  Sigle  Bern.,  welche  offenbar  auf  Bernardus 
Parmensis  hinweist,  in  den  Glossen  zu  den  Worten  in  messem, 
illicitum  und  venire6). 


Fällen  sei  eine  Entscheidung  des  superior  einzuholen,  andernfalls  servandum 
nt  iuramtntum,  dummodo  sine  interitu  salutis  aeternae  strvari  possit.  Über  eine 

andere  Auffassung  der  Frage,  dio  in  der  Glosse  ebenfalls  vertreten  wird, 

vgl.  unten  S.  96  Amn.  2. 

')  Vgl.  über  ihn  Schulte,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  31  Anm.  1)  SS.  205  ff., 
v.  Scherer,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  8 Anm.  4 ) SS.  263  und  264. 

*)  Vgl.  über  ihn  Schulte,  a.  a.  0.  SS.  312  f. 

3)  Vgl.  über  ihn  Schulte,  n.  n.  0.  SS.  114  ff.,  v.  Scherer,  a.  a.  0. 

S.  260. 

4)  Vgl.  über  ihn  Schulte,  a.  a.  O.  SS.  118  ff.,  bes.  SS.  118  und  119. 
*)  Die  Prager  Handschrift  des  Hornardus  Parmensis  (Prag  Museum  XVII A 9, 

von  Schulte  a.  a.  0.  S.  115  Anm.  6 unter  der  Signatur  I B2  verzeichnet,  fol., 
von  verschiedenen  Händen  des  ausgehenden  13.oderdes  beginnenden 
14.  J ahrhunderts  geschrieben,  äußerlich  sehr  schön,  aber  reich  au  Schreib- 


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62 


Am  Schlüsse  der  besprochenen  Paraphrase  sind  die  in  der 
Bulle  enthaltenen  kanonischen  Bestimmungen  in  einer  ganz  guten 
Inhaltsangabe  (Not.)  zusammengestellt.  Sie  lautet:  Not.  quod  hic 
multa  notabilia  eliciuntur : [1]  primuni  e/it,  quod  ins  eligendi  He- 
gern in  Imperatorem  promovendum  de  iure  communi  pertinet  ad 
Prineipes.  [2]  Item,  ud  eum  pertinet  examinatio , ad  quem  petti- 
net  ronfirmatio.  Item  ad  officium  illius , qui  confirmat  electum 
etiamei  nihil  ei  obiieiatur,  peitinet  inquirere,  an  eit  idoneus.  Item 
quandoque  reprobaiur  elertio  gut  ins  propter  gereonam  eiert i indignam 
quam  propter  eligentes.  [ ■'! ] Item,  in  electvmibue  glue  nur  et  contemp- 
tus  uniue,  quam  ei  multi  praesentee  contradicunt.  [4]  Item  iude.r 
potest  ulteri  jmiti  farere.  [5]  Item  /mblice  excommunicatue  repelli- 
tur  ab  elertione.  Item  periurium  manifestum  repellit  aliquem  a 
dignitate.  Item,  persecutores  Ecclesiarum  ab  Eccleeiastico  honore 
debent  repelli,  ut  puniantur,  in  quo  peccacerunt.  [6]  Item , cum 
dubitatur  an  iuramentum  eit  Micitum , recurrendum  eet  ad  Sedem 
Apostolicam.  [7]  ln  honoribus  non  debet  eemper  eucceeeio  attendi. 

oder  Lesefehlern)  enthält  den  Caans  samt  Paraphrase  nnd  Notabilia,  und  zwar 
schließt  sich  in  der  Handschrift  unmittelbar  an  personam  an  sic  (!)  eketoris 
falcem  wisit  bis  reprobari  (sic!  I,  observari)  non  debet,  daran  die  Notabilia  mit 
der  Einleitung  ex  hac  decretali  multa  notabilia  eliciuntur  priuntm  est  il/uil  quod 
u.  s.  w.  mit  geringen  Abweichungen  wie  in  der  l>ruckausgabe  bis  zum  Schluß 
(.  . . non  ienet).  Fast  das  ganz  gleiche  Bild  zeigt  die  Wiener  Handschrift 
(Hofbiblothek  2214,  157  X 229  mm,  von  verschiedenen  Händen  um  die  Wende 
des  13.  und  14.  Jahrhunderts  sehr  schön  geschrieben,  vgl.  Schulte,  a.  a.  O. 
S.  115  Anin.  6):  auch  sic  enthält,  was  das  wesentliche  ist.  den  ganzen  Casus 
samt  Paraphrase  undNotabilia.  In  der  aus  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts 
stammenden  Bamberger  Handschrift  der  Casus  decretalium  des  Bcrnardus 
Coinpostcllanus  junior  (Kgl.  Bibliothek  in  Bamberg  Cod.  Ms.  Can.  55,  von 
Schulte  a.  a.  O.  S.  119  Anm.  4 unter  der  Signatur  P II  3 verzeichnet)  finde 
ich  dagegen  keinerlei  Berührungspunkte  mit  der  erwähnten  Paraphrase. 
Aus  alledem  ergibt  sich  wohl  mit  Bestimmtheit,  daß  die  Bemerkung  der 
Corrcctorcs  Uornani,  wonach  die  Paraphrase  nicht  von  Bernhard  ist,  unrichtig 
ist.  — Was  die  (flössen  anlangt,  in  denen  sich  sonst  die  Sigle  Bern,  findet, 
so  sind  die  in  der  Itrnckausgabe  dem  betreffenden  Glossator  zugeschriebenen 
Ulnssenstellen  sowohl  in  der  Wiener-  als  in  der  Melker  Handschrift  des 
Apparates  des  Bcrnardus  Parincnsis  (Hofbibliothek  2199,  Stiftsbibliothek 
L.  31,  Schulte,  a.  a.  0.  S.  115  Anm.  3)  mit  geringen  Abweichungen  ent- 
halten. Einen  Casus  enthalten  diese  beiden  Handschrilleti  überhaupt  nicht 
(dagegen  ist  die  Angabe  Schuttes,  daß  die  Melker  Handschrift  nur 
den  Apparat  „ohne  den  Text*-  enthalte,  unrichtig). 


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63 


[Hj  Item , in  fine  not.  quod  mbhtto  principali , accestorium 
mm  tenet. 

Wir  wollen  nun  im  Folgenden  zunächst  vom  Wahlrecht  der 
Fürsten  (oben  1 und  7),  dann  von  den  Rechten  des  Papstes  (oben 
2 und  4),  hierauf  vom  Wahlverfahreu  (oben  3)  und  schließlich  von 
den  näheren  Bestimmungen  über  die  „Idoneität“  (durch  welche  das 
passive  Wahlrecht  eingeschränkt  wird,  oben  (S)  handeln. 

II.  A)  Das  Wahlrecht  der  Fürsten.  1.)  Wir  erinnern 
uns,  in  der  Glosse  zum  Dekret  einer  Stelle  begegnet 
zu  sein , welche  das  Wahlrecht  der  Fürsten  negiert  und 
die  Erblichkeit  der  Krone  behauptet,  womit  der  päpstliche 
Einfluß  natürlich  paralysiert  wäre').  Eben  der  Umstand, 
daß  eine  derartige  Anschauung  vor  nicht  langer  Zeit  in 
Diskussion  gestanden,  mag  für  Innocenz  III.  mitbestimmend  ge- 
wesen sein,  als  er  das  Wahlprinzip  an  die  Spitze  der  Bulle 
„Venerabilem“  stellte.  Es  kann  nicht  wundernehmen,  daß  die  Glosse 
diesen  Standpunkt  ganz  und  voll  rezipiert  hat,  daß  er  insbesondere 
in  dem  jüngeren  Teil  derselben,  in  dem  Rechtssatz  des  Johannes 
Andreae,  aber  auch  in  der  von  uns  (oben  S.  61)  besprochenen 
Paraphrase  sowie  in  der  auf  dieselbe  folgenden  Inhaltsangabe  der 
Bulle  als  etwas  ganz  Selbstverständliches  erscheint,  speziell  in 
der  letztgenannten  Stelle  als  iure  comtnuni  feststehend  erklärt 
wird.  War  ja  doch  der  entschiedenste  und  weitreichendste  Ver- 
such einer  rechtlichen  Einschränkung  des  Wahlprinzips  unter 
Heinrich  VI.  endgiltig  gescheitert  und  infolge  des  Thronstreites 
sowie  nicht  minder  gerade  des  päpstlichen  Einflusses  im  13.  Jahr- 
hundert auch  die  faktische  Kontinuität  des  Königshauses  außer 
Übung  gekommen. 

Ex  professo  wird  das  Erbrecht  erörtert  und  abgelehnt  in  den 
Glossen  zu  den  Worten  illicitum,  ex  successione  und  de  domo. 
Die  erstgenannte  Stelle  (vermutlich  von  Bernardus  Parmensis)’) 
befaßt  sich  mit  jenen  Ausführungen  der  Bulle,  welche  begründen, 
warum  Philipp  als  periurus  anzusehen  sei;  es  wird  daselbst  aus- 
geführt, daß  sein  dem  minderjährigen  Friedrich  geleistetes  inraraentum 
zwar  illicitum  gewesen  sei,  daß  er  aber  trotzdem  vor  dem  Abgehen 


')  Vgl.  oben  SS.  31  ff. 

*)  Vgl.  oben  S.  61  Anui.  3 und  5. 


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«4 


tod  demselben  die  päpstliche  Entscheidung  hätte  einholen  müssen. 
Zum  Worte  illicitum  bemerkt  die  Glosse:  Quoniam  fuit  de 

suceessione  vieentis  C.  de  pactis  1.  pactum,  tarnen  hie  voluntas  ar- 
cessit  vieentis  unde  videtur  fettere  C.  e<>d.  I.  ult.  Sed  illa  lot/uitur 
in  haereditaria  suceessione , tfuae  in  imperio  locum  habere  non 
potest,  nec  etiam  in  beneficiis  Ecclesiasticis  locum  habet , wofür  als 
Belegstellen  angeführt  werden  c.  2 X 111  8 de  concess.  praebendae, 
c.  15  X III  30  de  dec.  u.  c.  15  X III  38  de  iure  patronatus. 
Diese  Glosse  ist  zunächst  ein  interessantes  Beispiel  für  die  so 
vielfach  beliebte  Argumentation  aus  Analogien  des  römischen 
Rechts,  hier  aus  dem  Codex,  wobei  man  sich  einer  prinzipiellen 
Scheidung  zwischen  öffentlichem  und  Privatrecht  nicht  bewuBt 
wird').  Was  die  für  uns  entscheidende  Frage  des  Wahlrechts 
bei  der  Thronbesetzung  anlangt,  so  liegt  in  dieser  Glosse  die 
denkbar  schärfste  Ausschließung  jeder  Möglichkeit, 
nach  der  bisherigen  deutschen  Sitte  auch  nur  faktisch 
eine  Nachfolge  zu  sichern.  Die  dafür  angeführte  Begründung 
zeigt  aufs  deutlichste  die  Tendenz,  die  Bestimmungen  des  kirch- 
lichen Ämterrechts  auf  die  Besetzung  des  deutschen  Thrones  aus- 
zudehneu*);  ein  Vergleich  der  zitierten  Belegstellen  ergibt,  wie 
unter  den  Begriff  des  sanctuarium  sowohl  eigentliche  Kirchenämter 
als  weltliche  mit  der  Kirche  in  Beziehung  stehende  Rechte  in 
geradezu  naiver  Weise  subsumiert  werden3).  Es  kann  daher  auch 


')  Vgl.  oben  8.  33,  unten  SS.  65,  77,  80. 

*)  Vgl.  oben  SS.  32,  33,  35  Anm.  3,  37. 

3)  c.  2 X 111  8 de  concess.  praebendae  ist  eine  bereits  in  die  Comp.  I. 
aufgenommene  Bestimmung  des  III.  Laterancnsischen  Konzils  (1179),  dem- 
zufolge (so  das  Summarium)  beneßeia  mm  cacantia  concedi  vel  promittt  non  debent 
. . . . c.  15  X III  30  de  dec.  geht  auf  Alexander  III.  (1159 — 1181)  zurück 
und  war  gleichfalls  in  die  Comp.  I.  aufgenommen  worden;  es  schließt  dag  Erb- 
recht bezüglich  der  decimae  aus  (dteima  laico  iure  hereditär  io  concedi  non  po- 
test nach  den  Worten  des  Summarium)  und  enthält  hiefür  u.  a.  die  Begrün- 
dung: qnoniam  sanctuisrium  Dei  iure  hereditario  possideri  non  debet . c.  15  X III 
38  de  iure  patronatus,  ebenfalls  auf  Alexander  III.  zurückgehend  und  in  die 
Comp.  I.  aufgenommen,  bestimmt,  daß  non  potest  patronus  ecclesiam  sibi  reti- 
nere,  vel  etiam  alteri  concedere  propria  auctoritatc  (dies  die  Worte  des  Summarium), 
und  zwar  quum  sanefisariuw  Dei  iure  hereditario)  teneri  non  possit.  Die  näheren 
kritischen  Nachweise  vgl.  in  der  Ausgabe  von  Friedberg. 


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65 


Dicht  mehr  wunder  nehmen,  wenn  die  Glosse  auf  der  Suche  nach 
weiteren  Gründen  zu  den  Worten  de  domo  unter  Berufung  auf 
den  von  uns  oben  (S.  32)  erörterten  c.  16  C.  8 q.  1,  der  von 
dem  geistlichen  Oberen  handelt,  bemerkt,  nicht  nur  aus 
einem  andern  Haus,  immo  de  alia  tribu  (sie!)  eligi  debet  (seil, 
iwperator).  Die  Erzählung,  wie  Moses  auf  göttliche  Inspiration 
den  Josua  als  Nachfolger  bestellte,  paßt  zwar  zur  Ablehnung  des 
Erbrechts,  aber  nicht  im  mindesten  zur  Begründung  eines  Wahl- 
rechts. Anderseits  nimmt  die  Glosse  zur  Bulle  „Venerabilem“  von 
jenen  Canones  des  Gratianischen  Dekrets,  welche  nach  unseren 
obigen  Ausführungen  von  den  älteren  Kanonisten  zur  Begründung 
des  Erbrechts  herangezogen  worden  waren,  überhaupt  keine  Notiz, 
auch  nicht  durch  die  der  scholastischen  Methode  doch  so  geläufige 
Anführung  als  Gegenargument. 

Mit  der  Frage  des  Erbrechts  befaßt  sich  schließlich  auch  die 
interessante  Bemerkung  zu  den  Worten  ex  successione.  Auch  sie 
knüpft,  wie  die  bisher  erörterten  Stellen,  an  den  dritten  Teil  der 
Bulle  an,  wo  Philipps  Indignität  begründet  wird.  Der  Passus  in 
der  Bulle,  der  zum  Verständnis  der  Glosse  nötig  ist,  lautet: 
Insuper  si  supradiiius  du.r  . . Imperium  obtineret,  libeitas  principum 
in  eleiiione  peiiret  et  imperii  obtinendi  de  cetera  ceteris  fiducia  tolle- 
retur : Nitm  si,  prout  oliin  Fredericus  Corrado  et  Henricus  gost?nodum 
Frederieo,  sic  nunc  vel  Fredericus  Philip/)o  vel  Philippus  Frederieo 
suecederet,  cideretur  imperium  non  ex  electione,  sed  ex  successione  deberi. 
Pruetereu  cum  mul/i  grimigum  ex  imperio  ctpie  sin/  nobiles  et  potentes, 
in  enrum  praeiudicium  redundaret,  si  nannisi  de  domo  durum  Suevie 
cideretur  uluptis  ad  imfvrium  ussumendus.  Zu  den  Worten  ex 
successione  bemerkt  die  Glosse : treu  successiones  rontinuae  videntur 
ius  successirmis  inducere,  immo  dune : quia  binus  actus  inducit  c<m- 
suetudinem,  arg  (t  )2!>  q.  2 c.  da  nos(2fi )et  (t  ’od.)  de  episcogali  audient.  I. 
nemo.  Die  Glosse  treibt  hier  entschieden  Konsequenzmacherei,  aus 
deu  beiläufigen  Ausführungen  der  Bulle,  die  in  der  Verwandtschaft 
des  Thronwerbers  unter  den  gegebenen  Umständen  einen  von 
mehreren  Indignitätsgründen  erblickt,  schmiedet  sie  einen  förm- 
lichen Rechtssatz:  drei  oder,  wie  sich  der  Glossator  verbessert, 
zwei  „Successionen“  ohne  Unterbrechung  sind  unzulässig,  nämlich 
drei  Regierungen  Verwandter  nacheinander,  bei  denen  zwei 
„Successionen“  stattfinden.  Die  Begründung  ist  allerdings  eine 

UuKclm»an.  Die  deuteebe  Küuigswehl  ö 


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66 


unglaubliche  Rabulistik:  daß  zwei  faktische  Snccessionen  Ge- 
wohnheitsrecht schaffen,  soll  aus  c.  25  C.  25  q.  2')  hervorgehen; 
hier  ist  nämlich  von  den  Sillani  (recte : Scyllaceni)  die  Rede,  welche 
zweimal  nacheinander  ihren  Bischof  ermordet  haben,  was  Papst 
Gelasius  als  tarn  velut  usum  consuetudinernque  sacrilegum  be- 
zeichnet. Was  die  Sache  selbst  anlangt,  so  wird,  um  das  Wahl- 
recht der  Fürsten  zu  schützen,  eben  dieses  Wahlrecht  ein- 
geschränkt: sie  dürfen  den  König  nicht  dreimal  nacheinander 
demselben  Hause  entnehmen. 

2.)  Wie  verhält  sich  nun  dieses  im  Prinzip  ganz  unbestrittene, 
gegen  ein  Eindringen  erbrechtlicher  Gedanken  mit  gewissen 
Garantien  umgebene  Wahlrecht  zu  den  Rechten  des  Papstes? 
Wir  haben  gesehen,  daß  in  der  Bulle  selbst  der  ursprüngliche 
Gedanke  des  Papstes,  dem  das  Besetzungsrecht  des  Papstes  als 
das  Primäre  erscheint,  zwar  Spuren  hinterlassen  hat,  trotzdem  aber 
die  Bulle  von  dem  Wahlrecht  der  Fürsten  ausgeht;  sie  beschränkt 
es  durch  das  Princip  der  persona  idonea  und  das  dem  Papst 
diesbezüglich  zustehende  Approbationsrecht  und  stellt  außerdem 
für  die  Fälle  zwiespältiger  Wahlen  ein  nicht  ganz  klar  gefaßtes 
päpstliches  Entscheidungsrecht  auf.  Diese  beiden  Rechte  des 
Papstes  sind  von  den  Glossatoren  ausgestaltet  worden  und  werden 
uns  weiter  unten  ausführlich  beschäftigen.  Hier  sei  nur  soviel 
bemerkt,  daß  das  schon  in  der  Bulle  stark  betonte  Approbations- 
recht umsomehr  in  den  Vordergrund  treten  mußte,  nachdem  mit 
der  fortschreitenden  Ausgestaltung  des  Wahl  Verfahrens  die  Möglich- 
keit zwiespältiger  Wahlen  sich  verminderte;  so  ist  begreiflich,  daß 
in  dem  an  die  Spitze  der  Glosse  gestellten  Rechtssatz  des  Johannes 
Andreae  das  Wahlrecht  der  Fürsten  lediglich  eingeschränkt  er- 
scheint durch  die  korrespondierende  Pflicht,  nur  eine  persona 
idonea  zu  wählen,  und  das  dem  Papst  diesbezüglich  zustehende 
Approbationsrecht:  der  Papst  muß  denjenigen,  der  in  korrekter 
Weise  gewählt  wurde,  approbieren  (und  zum  Kaiser  krönen),  so- 
ferne  er  eine  persona  idonea  ist.  Von  dem  ursprünglichen 
Standpunkt  Innocenz’  III.  finden  wir,  wie  besonders  deutlich  der 
angeführte  Rechtssatz  zeigt,  in  der  Glosse  im  allgemeinen  keine 
Nachwirkung;  nur  der  Abbas  Siculus,  welcher  in  seiner  Disposition 

')  Vgl.  die  kritischen  Nachweise  in  der  Ausgabe  von  Friedberg  und 
bei  Jaffe,  Keg.  l‘out.  (ed.  II.),  725. 


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67 


den  Inhalt  des  mit  „Verum  nos“  beginnenden  Teiles  der  Bulle 
durch  den  Satz  umschreibt  caplando  beneooleniiam  Prinei- 
puvi,  ipsorum  iu»  et  potestalem  declarat,  mag  den  ursprünglichen 
Gedanken  des  Papstes,  der  allerdings  für  seine  Zeit  keinerlei  Be- 
deutung mehr  hatte,  durchschaut  haben.  Auch  von  der,  wie  wir 
gesehen  haben,  durch  den  Wortlaut  der  Bulle  nahegelegten 
Möglichkeit,  das  aus  dem  ursprünglichen  Gedanken  des  Papstes 
sich  unmittelbar  ergebende  Devolutionsrecht  auf  dem  Umwege 
eines  Analogieschlusses  festzuhalten,  hat  die  Glosse  zur  Bulle 
„Venerabilem“  keinen  Gebrauch  gemacht1).  Wenn  dieses  Recht 
gelegentlich  von  Päpsten  behauptet  und  von  Kanonisten  vertreten 
worden  ist,  so  hat  das  eben  selbst  innerhalb  des  kanonischen 
Rechts  nur  einen  episodenhaften  Charakter  gehabt8).  Auch  dem 
Papst  gegenüber  ist  das  Wahlrocht  der  Fürsten  das 
Primäre  und  dergestalt  gesichert,  daß  die  Besetzung 
des  deutschen  Thrones  ohne  Mitwirkung  der  deutschen 
Fürsten  auch  vom  kanonistischen  Standpunkt  aus  als  un- 
möglich erscheint;  dieser  Zustand  findet  in  der  Glosse 
zur  Bulle  „Venerabilem“,  die  für  das  ganze  kanonische 
Recht  eigentliche  sedes  materiae  bezüglich  der 
deutschen  Königswahl  geblieben  ist,  getreuen  Ausdruck. 

3.)  Können  wir  so  das  Wahlprinzip  bei  jenen  Glossatoren, 
die  sich  mit  der  Bulle  „Venerabilem“  befaßten,  als  feststehend  be- 
trachten, so  ergeben  sich  bereits  bezüglich  des  Wählerkreises 
tiefgreifende  Abweichungen.  Die  Bulle  hat  an  zwei  Stellen,  das 
einemal  autoritativ,  das  anderemal  incidenter,  einschränkend  von 
Wahlfürsten  gesprochen:  illi  principe s,  denen  das  Wahlrecht 
de  iure  ac  de  comuetudine  zusteht8).  Es  ist  nun  äußerst  interessant, 
daß  die  Glosse  an  zwei  Stellen  den  diesbezüglichen  Inhalt  der 
Bulle  falsch  wiedergibt.  In  dor  von  uns  (oben  S.  61)  besprochenen 
Paraphrase  heißt  es  : S<ribit  Papa  super  hoc  negotio  Duci  Zarin- 

giae,  direns rerognosnt  ins  eligendi  in  Imperatorein  postea 

promovendum  ad  Principe s pertinere,  et  de  iure  et  untiqua 
ronsuetudine.  Und  die  darauf  folgende  knappe  Inhaltsangabe, 

')  Nur  eine  Spur  findet  sich  in  der  Glosse  zum  Worte  favere;  vgl. 
darüber  unten  SS.  79  und  80. 

8)  Vgl.  oben  S.  53  Anm.  2,  unten  SS.  llOf. 

3)  Vgl.  oben  SS.  47,  48  und  57. 


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68 


deren  Wortlaut  wir  bereits  oben  (SS.  62  f.)  wiedergegeben  haben, 
bemerkt  kurz:  primtim  est,  quod  iwt  rügend  i Regem  in  Imperato- 
rem  promovendum  de  iure  communi  perlinet  <td  Priwipe a.  Erst 
bei  Johannes  Andreae  kehrt  der  wahre  Gedanke  der  Bulle  wieder; 
sein  Rechtssatz  lautet : Eiert  us  in  Imperatoren < a maiori  / Hirte 
Worum,  ad  qua»  »pectat  electio,  ei  j'uerit  idoneu e,  per  Papam 
ranßrmabitur , vel  jiotiue  appmbabitur. 

Wie  erklärt  sich  diese  auffällige  Tatsache?  M.  E.  zunächst 
dadurch,  daß  die  Beschränkung  des  Wählerkreises  zu  jener  Zeit, 
in  welcher  die  zuerst  genannten  Stellen  geschrieben  wurden, 
praktisch  noch  nicht  durchgedrungen  war,  während  Johannes 
Andreae  es  bereits  mit  dem  nahezu  abgeschlossenen  Kurfürsten- 
kulleg  zu  tun  hatte Es  scheint  mir  aber  aus  dem  ganzen 
Sachverhalte,  wie  schon  hier  kurz  bemerkt  sei,  auch  hervorzugehen, 
daß  bei  der  Bildung  des  KurfOrstenkollegs  ein  direkter  kauonistischer 
Einfluß  mindestens  nicht  so  stark  wirksam  war,  als  vielfach  an- 
genommen wird.  Ist  es  doch  schon  beachtenswert,  daß  die 
Bulle  selbst  jeden  Hinweis  darauf  unterläßt,  welche  Fürsten 
eigentlich  das  Wahlrecht  besitzen.  Und  noch  in  der  Delibe- 
ratio*)  hatte  der  Papst  selbst  als  gegen  Otto  sprechend  hervor- 
gehoben, daß  puurioree  prinripee  auf  seiner  Seite  stünden,  während 
er  nunmehr  behauptet,  daß  Otto  von  der  Majorität  der 
Wahlfürsten  gewählt  wurde.  Von  einem  ganz  andern  Gesichts- 
punkte aus  hatte  Innouzenz  III.,  wie  wir  gesehen  haben1),  die 
Ausrufung  Ottos  IV.  zum  König  augeordnet,  von  einem  Ge- 
sichtspunkt aus,  den  seine  getreuesten  Anhänger  in  Deutschland 
zu  vertreten  nicht  wagen  durften,  den  er  selbst  in  der  Bulle 
„Venerabilem“  nicht  durchfuhren  konnte.  Indem  er  nun  einer- 
seits sein  Vorgehen  als  Ausübung  des  ihm  bei  zwiespältigen 
Wahlen  zustehenden  Rechtes,  alten'  partium  farere,  zu  rechtfertigen 
versuchte,  sah  er  sich  anderseits,  um  Ottos  Stellung  unanfechtbar 
zu  machen,  nach  Gründen  für  die  Giltigkeit  seiner  Wahl  um. 
Da  kam  ihm  nun  die  Auflassung  zu  statten,  welche  die  deutschen 
Anhänger  Ottos,  deren  Mittelpunkt  der  streitbare  Erzbischof  von 


')  Vgl.  oben  S.  61. 

3)  Vgl.  oben  S.  45  Amu.  1. 
s)  Vgl.  oben  SS.  51  fl. 


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fi9 


Köln  war,  sich  zurecht  gelegt  hatten.  Diese  pochten  darauf,  daß 
nach  altem  deutschen  Brauch  bei  den  Königswahlen  niemals  das 
Prinzip  der  mechanischen  Gleichheit  gegolten '),  daß  faktisch  viel- 
mehr seit  jeher  je  nach  der  politischen  Machtstellung  einer  oder 
einige  unter  den  Wählern  den  Ausschlag  gaben.  Es  ist  ferner 
kein  Zweifel,  daß  sich  bereits  im  12.  Jahrhundert  diese  Verhält- 
nisse zu  konsolidieren  begannen  und  unter  diesen  ausschlag- 
gebenden Wählern,  welche  allein  die  Kurformel  gesprochen  haben 
dürften,  regelmäßig  die  drei  rheinischen  Erzbischöfe  und  der 
Pfalzgraf  zu  finden  waren,  ohne  daß  aber  der  Kreis  dieser  quali- 
fizierten Wähler  geschlossen  oder  ihr  Vorrang  rechtlich  geregelt 
war.  Daran  scheinen  die  deutschen  Anhänger  Ottos  angeknüpft 
zu  haben,  indem  sie  ein  formelles  Vorrecht  einzelner  Fürsten  be- 
haupteten. Aus  dem  Kreise  des  Kölner  Erzbischofs  dürfte  nun 
dieses  Argument  in  die  Umgebung  des  Papstes  gelangt  sein  und 
hat  zunächst  in  der  Deliberatio  eine  vorsichtige  und  den  Tatsachen 
angepaßte  Verwertung  gefunden:  auf  den  oben  erwähnten  Ein- 
waud  (daß  pauciores  principes  auf  Ottos  Seite  stünden)  erwidert 
der  Papst,  es  hätten  immerhin  tot  oel  pluret  ex  hi»,  ad  quo» 
prineipalit er  »pectat  elertio,  Otto  ihre  Stimmen  zugewendet, 
übrigens  komme  es  mehr  auf  die  „Idoneität“  als  auf  die  Wähler- 
zahl an.  Hier  hatte  der  Papst  nur  in  der  deutschen  Rechtsent- 
wicklung tatsächlich  vorhandene  Strömungen  verwertet,  allerdings 
gleichzeitig  durch  übergroße  Ausdehnung  der  päpstlichen  Rechte, 
wie  oben  gezeigt,  das  Wahlrecht  der  Fürsten  an  sich  nahezu 
illusorisch  gemacht;  in  der  Bulle  mußte  er  bezüglich  der  päpst- 
lichen Rechte  einen  Schritt  zurückmachen,  umsomehr  suchte  er 
die  Stellung  Ottos  durch  den  Hinweis  auf  die  Giltigkeit  seiner  Wahl 
zu  festigen.  Dazu  war  es  nötig,  die  Einschränkung  des  Wähler- 
kreises schärfer  zu  betonen;  daß  es  aber  nicht  rätlich  war,  die 
einzelnen  Wahlberechtigten  unzweideutig  zu  bezeichnen,  springt 
in  die  Augen. 

Wir  können  also  folgendermaßen  rekapitulieren.  Das  Argu- 
ment der  Deliberatio  war  dem  Gedankenkreis  der  kölnischen  Par- 
tei in  Deutschland  entlehnt  und  stand  mit  den  tatsächlichen  Vcr- 


■)  Vgl.  bezüglich  des  Folgenden  die  näheren  Ausführungen  im  Ab- 
schnitt III  2 des  II.  Kapitels. 


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70 


hältnissen  wenigstens  nicht  a priori  in  Widerspruch.  Der  mit  der 
Bulle  „Venerabilem“  ins  kanonische  Recht  aufgenommene  Satz,  daß 
einzelne  Fürsten  ein  ausschließliches  (nicht  bevorrechtetes) 
Wahlrecht  haben,  war  nicht  nur  dem  deutschen  Rechtszustand, 
sondern  auch  den  tatsächlichen  Verhältnissen  gegenüber  ein  Novum. 
Daß  später  die  deutsche  Rechtsentwicklung  in  dieser  Richtung 
ging,  ist  bekannt.  Ob  und' inwieweit  dabei  der  durch  Innozenz  III., 
beziehungsweise  Gregor  IX.  ins  kanonische  Recht  aufgenommene 
Satz  von  Bedeutung  war,  wird  im  zweiten  Kapitel  dieser  Unter- 
suchungen erörtert  werden1).  Hier  sei  nur  soviel  nochmals 
betont,  daß  er  bei  den  Kanonisten  selbst,  wie  die  Glosso 
zeigt,  erst  in  viel  späterer  Zeit  Verständnis  fand. 

B.  Die  Rechte  des  Papstes.  Da  von  einem  Devolutions- 
recht, wie  bereits  erwähnt,  in  der  Glosse  ex  professo  nicht  die 
Rede  ist,  haben  wir  hier  nur  von  dem  Prüfungsrechte  des  Papstes 
bei  einhelligen  und  von  seinem  Entscheidungsrechte  bei  zwie- 
spältigen Wahlen  zu  handeln. 

1.)  Das  Approbationsrecht  des  Papstes  ist  iu  der  Glosse  an 
keiner  einzigen  Stelle  in  Diskussion  gestellt,  es  erscheint  überall 
als  ebenso  selbstverständlich,  wie  das  Wahlrecht  der  Fürsten. 
Steht  es  in  der  wiederholt  (vor  allem  SS.  G2  und  63)  angeführten 
Inhaltsaugabe  noch  neben  dem  Entscheidungsrechte  des  Papstes  bei 
zwiespältigen  Wahlen,  so  tritt  es  bei  Johannes  Andreae  bereits 
als  das  einzige  Correlat,  welches  auf  päpstlicher  Seite  dem  Wahl- 
recht der  Fürsten  gegenübersteht,  auf.  Es  ist  oben  (S.  66)  bereits 
darauf  hingewiesen  worden,  daß  dies  mit  der  fortschreitenden 
Abschließung  des  Wählerkreises  und  mit  der  Ausbildung  des 
Wahlverfahrcus  zusammenhängt,  wodurch  zwiespältige  Wahlen  im 
alten  Sinne  begrifflich  unmöglich  werden. 

Mit  dieser  Verdrängung  des  Entscheidungsrechts  bei  zwie- 
spältigen Wahlen  durch  ein  einheitlich  gefaßtes  Approbationsrecht 
geht  aber  Hand  in  Hand  eine  Änderung  in  der  Auffassung  des 
letzteren.  In  der  Bulle  ist  das  Approbationsrecht  identisch  mit 
dem  ius  examinandi  personam,  es  umfaßt  nicht  die  Prüfung  des 
Wahlakts,  zu  welcher  nur  bei  zwiespältigen  Wahlen  Ansätze  vor- 
handen sind,  ln  dem  Maße  nun,  in  welchem  die  Ausbildung  des 

*)  Im  Abschnitt  III  2. 


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71 


Wahlverfahrens,  von  dem  wir  noch  weiter  unten1)  zu  handeln 
haben,  Fortschritte  machte,  indem  die  Einhaltung  bestimmter 
Normen  in  dieser  Hinsicht  als  essentielles  Erfordernis  erschien, 
mußte  die  Prüfung  des  Papstes  sich  auch  auf  den  Wahlakt  be- 
ziehen ; denn  nur  dem  ordnungsgemäß  Gewählten  mußte  er, 
natürlich  unter  der  Voraussetzung  seiner  „Idoneität“,  die  kaiserliche 
Würde  übertragen.  In  dieser  Beziehung  ist  es  nun  von  Bedeu- 
tung, daß  die  Glosse  auch  die  nicht  autoritativen  Ausführungen 
der  Bulle  über  das  Wahlverfahren  als  schlechthin  verbindliches 
kanonisches  Recht  betrachtet,  wie  sich  insbesondere  aus  der  ge- 
waltsamen Interpretation  des  Wortes  „quamvis“ s)  ergibt.  Die  inci- 
denter  gemachte  Äußerung  der  Bulle,  daß  die  contemptio  eines 
Wählers  die  Wahl  nichtig  macht3),  wird  — allerdings  in  abge- 
schwächter Form  — in  der  wiederholt  (SS.  62  f.,  70)  berührten 
Inhaltsangabe  zum  Rechtssatz  erhoben:  Item , in  electionibu»  plus 
nocet  amtemptus  uniiu,  quam  »i  mtiUi  praesentes  contradicaiU.  Und 
dasselbe  Ergebnis  hat  eine  Untersuchung  des  von  Johannes  An- 
dreae  formulierten  Rechtssatzes:  der  Papst  muß  den  Gewählten 
krönen,  aber  nur  unter  der  Bedingung,  daß  er  eine  persona  idonea 
und  daß  er  von  der  Mehrheit  der  Wahlberechtigten  ge- 
wählt ist.  Damit  ist  die  Prüfung  des  Wahlakts  wenigstens  in 
der  Richtung  des  aktiven  Wahlrechts  und  der  Majorität  vollstän- 
dig in  eine  Reihe  gerückt  mit  der  Prüfung  der  Person,  während 
in  der  Inhaltsangabe  die  letztere  noch  ganz  im  Vordergründe  steht 
und  expressis  verbis  von  der  Prüfung  des  Wahlakts  bei  einstim- 
migen Wahlen  überhaupt  nicht  die  Rede  ist. 

Mit  dem  Durchdringen  eines  bestimmten  Wahlver- 
fahrens ist  die  Zwiekur  im  alten  Sinn  unmöglich  ge- 

')  SS.  84  ir. 

*)  Id  est,  quia.  vel  proprie  Unetur.  et  quod  Jtcit  supra  non  tam  proptcr 
stlld’a  eligentium,  ete.  L non  proptcr  studia  eligentium,  sed  propter  merita  eUcto- 
rum , persona  m ducis  denuntiavit  indignam,  et  persona  nt  rcgis  idonea  nt.  sie  supra 

(hier  wird  eine  andere  Stelle  aus  der  Dekretalensammlung  bezogen). 

unde  bene  sequitur.  quamvis  plures,  ete.  et  sie  non  gessit  cognitoris  personam: 
quia  retulit  se  tan  tum  ad  merita  eleetorum,  non  ad  studia  eligentium,  quamvis  potue- 
runt  se  referrex  ut  in/ra  sequitur.  vel  possunt  verba  teneri  proprie;  et  quamvis 
ponitur  pro  quia,  ut  praedixi.  sed superior  littera,  seil,  cum  neutrius  clectio- 
nem,  ete.  videtur  contrario. 

3 ) VgL  oben  S.  57. 


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72 


worden.  Hand  in  Hand  damit  hat  sich  der  Umfang  des 
Approbationsrechts  erweitert,  es  amfaßt  nicht  nur  die 
Prüfung  der  Idoneität  (das  Approbationsrecht  im  e.  S.), 
sondern  auch  die  Prüfung  des  Wahlakts  (das  Konfir- 
mationsrecht). Klectus  in  imperatorem  a maiort  parle 
illorunt , ad  quoe  spertat  elertio,  si  fuerit  idoneus , per  l‘a- 
pam  confirmabitur,  rel  potius  app robabitur. 

2.)  Was  nun  zwiespältige  Wahlen  anlangt,  so  müssen  wir 
uns  vor  Augen  halten,  daß  die  Bulle  zunächst  für  den  Papst 
a)  das  Recht,  einen  Schiedsspruch  zu  fällen,  voraussetzt. 
Die  Darstellung  der  Bulle,  daß  die  Pürsten  selbst  ein  derartiges 
Recht  des  Papstes  nicht  bestritten,  sondern  lediglich  wegen 
mangelhaften  Verfahrens  den  Spruch  des  Kardinallegaten  anfoch- 
ten, erweist  sich  allerdings  bei  näherer  Untersuchung  als  ein  ab- 
sichtliches Mißverstehen,  indem  die  Fürsten  jede  Einmischung  des 
Papstes  abgelehnt  und  das  mangelhafte  Verfahren  nur  als  argu- 
mentum ad  hominem  gebraucht  hatten1).  Trotzdem  scheint  es 
jedoch  naheliegend,  daß  das  Schiedsrichteramt  des  Papstes  im 
öffentlichen  Rechtsbewußtsein  stärkere  Anhaltspunkte  hatte,  als 
die  übrigen  päpstlichen  Ansprüche.  Es  war  ja  bei  dem  Umstande, 
daß  mangels  detaillierter  Wahl  Vorschriften  und  unter  der  Nach- 
wirkung des  Prinzips  der  Einstimmigkeit  jede  Doppelwahl  das 
Reich  in  zwei  feindliche  Lager  zerroißen  mußte,  tatsächlich  ein 
Bedürfnis  nach  einer  entscheidenden  Instanz  vorhanden  und  als 
solche  mußte  sich,  ganz  abgesehen  von  seiner  überragenden  geist- 
lichen Stellung,  gewiß  der  Papst  umsomehr  empfehlen,  da  tat- 
sächlich jeder  der  Streitteile  von  ihm  die  Krönung  zum  Kaiser 
verlangte.  Überdies  war  ein  derartiges  Schiedsrichterarat  der 
Päpste  in  weitestem  Umfange  nichts  Neues,  wie  wir  vor  allem 
bei  Gregor  VII.  gesehen  haben’),  und  so  kann  es  wohl  nicht 
überraschen,  wenn  die  Glosse  (wie  die  Bulle),  vor  allem  in  der 
Inhaltsangabe,  auf  die  wir  immer  wieder  (vgl.  oben  SS.  70  und  71) 
zurückkommen  (Ilern,  iudej-  potest  alleri  parti  favere),  eine 
richterliche  Entscheidung  des  Papstes  als  etwas  ganz 
Selbstverständliches  ansieht. 

*)  Vgl.  oben  S.  46  Anm.  1. 

*)  Vgl.  oben  S.  24. 


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73 


Was  nun  die  juristische  Natur  dieses  Entscheidungsrechtes 
anlangt,  scheint  mir  allerdings  ein  Unterschied  gegenüber  der 
Aulfassung  Gregors  VII.  und  eigentlich  auch  gegenüber  der  Inno- 
zenz’ III.  vorzuliegen.  Wenn  die  Bulle  den  Ausdruck  cognitor, 
die  Glosse  den  Ausdruck  iudex  gebraucht,  so  ist  dies  ganz 
charakteristisch.  Nicht  mehr  als  Schiedsrichter  erscheint  der 
Papst,  sondern  als  iudex  Ordinarius,  vor  dem  über  die  Frage  der 
Königswahl  ein  kanonischer  Prozeß  abgefübrt  wird.  Darauf  werfen 
auch  die  von  der  Glosse  absente  altera  zitierten  Stellen  (c.  2 X 
II  20  de  test.  et  attest.  und  c.  2 C.  3 q.  9)')  helles  Licht; 
beide  sind  einfach  dem  kanonischen  Prozeßrecht  entnommen;  daß 
die  erstere,  welche  lediglich  die  Zeugenvernehmung  absente 
altera  parte  als  nichtig  erklärt,  auf  den  vorliegenden  Fall,  wo 
eine  Zeugenvernehmung  überhaupt  nicht  stattfand,  nicht  paßt,  sei 
nur  nebenbei  erwähnt.  — Anderseits  finden  wir  in  der  Be- 
gründung des  päpstlichen  Rechtes  m.  E.  eine  weniger  strenge 
Durchführung  des  hierokratischen  Systems  als  bei  Gregor  VII. 
Schon  die  Bulle  „Veuerabilem“  beruft  sich  ausdrücklich  nicht  auf 
jenes  allgemeine  päpstliche  Leitungsrecht  in  temporalibus,  welches 
Gregor  VII.  ohne  Bedenken  behauptet  hatte  und  welches  erst 
in  der  Bulle  „Unam  Sanctam“  wiederkehrt s);  sie  begründet,  wie 
wir  (SS.  47  und  50)  gesehen  haben,  das  päpstliche  Entscheidungs- 
recht „iure“,  durch  Hinweis  auf  die  Verknüpfung  der  königlichen 
und  kaiserlichen  Würde,  und  „exemplo“  *),  durch  Anführung  eines 
angeblichen  Präzedenzfalles,  des  Streites  zwischen  Lothar  und 
Konrad.  Auch  die  Glosse  zeigt  keine  Spur  der  Begründung  in 
der  Art  Gregors  VII.,  sie  beschäftigt  sich  mit  der  Begründung 


*)  Die  erstgenannte  Stelle  geht  auf  Gregor  I.  (590  — 604)  zurück  und 
war  bereits  in  die  Comp.  I.  aufgenommen  worden;  über  ihren  Inhalt  wird 
im  Text  gehandelt,  die  kritischen  Nachweise  siehe  in  der  Ausgabe  von 
Friedborg  und  bei  Jaffe,  Reg.  Pont.,  1912.  Die  zweitgenannte  Stelle  ist 
pseudo-isidorisch,  angeblich  von  Papst  Eleutherus  (174?— 189)  und  findet 
sich  bereits  in  vielen  älteren  Sammlungen;  die  kritischen  Xachwoise  siehe 
in  der  Ausgabe  von  Friedberg  und  bei  Jaffe,  Reg.  Pont,  + 68;  im  Gra- 
tianischen Dekret  lautet  die  Rubrik:  Aisinte  aJvetsario  sententiam  ferri  non  lieet. 

’)  Vgl.  oben  SS.  25  und  54  Anm.  2,  unten  SS.  125  ff. 

•)  In  dieser  Weise  wird  dio  Unterscheidung  der  Bullo  iure  palet paritet 
et  exemplo  (vgl.  oben  SS.  47,  49  und  50)  bereits  in  dor  (S.  61  genannten) 
Paraphrase  aufgefailt. 


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74 


überhaupt  nur  oberflächlich.  Zum  Worte  Lotharius  führt  sie  als 
Gegenargument  gegen  die  Beweiskraft  des  Präzedenzfalles  c.  7 X 
1 6 de  electione')  an,  womit  offenbar  auf  die  Worte  angespielt 
werden  soll:  ne  rpwd  de  quibutdam  pro  necessitate  temporis  /cuium 
est,  trahatur  u potsteris  in  ej-eiapUitn-  darüber,  daß  der  Präzedenz- 
fall überhaupt  nicht  stringent  ist9)  und  daß  die  Anführung  nur 
eines  Beispiels  überhaupt  mit  der  oben  (SS.  65  ff.)  besprochenen 
Theorie  vom  binus  actus  nicht  im  Einklang  steht,  schweigt  der 
Glossator. 

Die  Glosse  unterläßt  auch  jede  Anspielung  auf  einen  anderen 
in  den  Dekretalen  vorkommenden  Fall,  welchen  wir  in  diesem 
Zusammenhang  nicht  übergehen  wollen,  auf  c.  13  X II  1 de  iu- 
diciis5).  In  dem  daselbst  mitgeteilten  Schreiben  nimmt  Inno- 
zenz III.  in  einem  Streit  zwischen  Philipp  August  von  Frankreich 
und  Johann  von  England  über  ein  feudum  das  Schiedsrichteramt 
in  Anspruch,  also  in  einem  Falle,  in  welchem  die  Beziehung  zur 
kaiserlichen  Würde  völlig  fehlt.  Aber  auch  hier  steht  der  Papst, 
theoretisch  wenigstens,  nicht  auf  dem  extremen  Standpunkt  Gre- 
gors VII.  Auf  einem  Umwege  sucht  er  sein  Recht  zu  begründen: 
die  beiden  Könige  haben  in  der  fraglichen  Sache  einen  Vertrag 
geschlossen  und  beschworen;  über  den  Eidbruch  zu  urteilen,  ist  aber 
Sache  des  Papstes,  und  auf  diese  Weise  steht  es  ihm  indirekt 
auch  zu,  den  Streitfall  zu  entscheiden.  So  wird  theoretisch  die 
juristische  Unabhängigkeit  des  Königtums  aufrecht  erhalten;  ra- 
ttone peccati  jedoch  et  inducendo  ad  poenitentünn , wie  die  Glosse  zu 
den  Worten  iudicare  de  feudo  bemerkt,  wird  die  potestas  tempo- 


')  Es  ist  dies  eine  von  Alexander  III.  auf  dem  dritten  Lateranensischcn 
Konzil  (1179)  getroffene,  in  die  Comp.  I.  aufgenummene  Entscheidung  über 
die  Besetzung  von  Kirchenämtern.  Siehe  die  kritischen  Nachweise  in  der 
Ausgabe  von  Friedberg. 

*)  Vgl.  oben  S.  50,  bes.  Anm.  1. 

s)  Es  ist  dies  ein  aus  dem  Jahre  1204  stammendes,  bereits  in  die 
Comp.  III.  aufgenommenes  Schreiben  Innozenz’  III.  an  die  französischen 
l’r&laten.  Kaymund  von  Pennafortc  bat  das  Schreiben  in  die  offizielle 
Sammlung  anfgenommen.  (Das  Summarium  lautet:  Judex  eceksiastkus  potest 
per  viam  denunciationis  evangelicae  seu  iudiciatis  procedere  contra  quemlibet  peaatorem, 
etiam  takum , maxime  rationc  perturii  vtl  paeis  fractae).  Die  kritischen  Nachweise 
siehe  in  der  Ausgabe  von  Friedberg.  Eine  eingehende  Würdigung  hat 
die  Dokretale  gefunden  in  Phillips’  Kirchenrecht,  § 129. 


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75 


rali t dem  Papste  unterstellt,  dessen  Sache  es  ist,  corrigere  quem- 
libtt  de  peecato  (Abbas ')  in  der  dem  Casus  folgenden  Inhalts- 
angabe der  in  Rede  stehenden  Dekretale  c.  13  X II  1).  Dieser 
Umweg,  die  päpstliche  Gewalt  auch  in  weltlichen  Angelegenheiten 
zu  begründen,  kehrt  unter  Gebrauch  fast  derselben  Worte  in  der 
Bulle  „Venerabilem“  an  der  Stelle  wieder,  wo  der  Papst  die  In- 
dignität Philipps  auf  seinen  angeblichen  Eidbruch  zurückführt*), 
und  enthält  in  nnce  die  Doktrin  von  der  potestas  indirecta  in 
temporalibus1).  Daß  praktisch  auch  auf  diesem  Wege  die  Unab- 
hängigkeit der  weltlichen  Gewalt  negiert  wird,  ist  klar,  da  dem 
Ausspruch  des  geistlichen  Richters  über  das  peccatum  eine  juri- 
stische Wirkung  zugeschrieben  wird.  Ober  den  hierin  nach  unserer 
modernen  Anschauung  unleugbar  gelegenen  Widerspruch  und  seine 
Erklärung  aus  der  mittelalterlichen  Denkweise  verweisen  wir  auf 
unsere  Ausführungen  über  die  Depositionstheorie  im  Gratianischen 
Dekret4);  an  die  dort  mitgeteilte  Glosse  erinnert  aufs  lebhafteste 
die  zu  unserer  Dekretale  (c.  13  X II  1),  besonders  zu  den  Worten 
iurisdictionem  nostram:  auch  hier  heißt  es  nach  prinzipieller  An- 
erkennung der  „distinctio“  der  geistlichen  und  weltlichen  Gewalt: 
non  ergo  de  temporali  iurUdictione  debel  intromütere  se  Papa,  nisi 
in  subsidium,  ncilicef  cum  iudex  sueculnris  negligens  est,  vel  cum 
vacat  imperium.  Also  eine  subsidiäre  Gerichtsbarkeit  des 
Papstes  ohne  Rücksicht  auf  die  Natur  des  streitigen  Rechts! 
Damit  geht  die  Glosse  über  den  Gedanken  Innozenz’  III.  hinaus, 
welcher  an  der  Begründung  seiner  Kompetenz  ratione  peccati 


')  Der  sog.  Abbas  antiquus,  zu  unterscheiden  von  dem  oben  S.  61  Anui.  2 
behandelten  Abbas  Siculus,  schrieb  in  den  60 'r  Jahren  des  13.  Jahrhunderts: 
vgl.  über  ihn  Schulte,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  31  Anm.  1)  SS.  130  ff. 

*)  Die  Dekretale  „Novit“  (c.  13  X II  1 de  iud.)  sagt  : ....  numjuid 
non  poterimus  de  turamenii  reliqione  cognoscere,  quod  ad  iudidum  ccclestae  non  eit 
dubium  perlinere , ui  rupta  pacis  foedera  reformentur  ? An  der  im  Teit  bezogenen 
Stelle  der  Bulle  .Venerabilem-  heißt  es : Utrum  . . inramentwn  lüitum  fucrii 
an  illidtum  et  id(o  servandum  an  non  servandum  txstUerii , nemo  sant  mentis  ignarat 
ad  nostrum  iudidum  pertinere. 

3)  Über  diese  Theorie  von  der  potestas  indirecta  in  temporalibus, 
deren  klassischer  Vertreter  der  Jesuit  Bellamiin  (f  1621)  ist,  vgl.  v.  Scherer, 
a.  a.  0.  (vgl.  S.  8 Anm.  4)  S.  53,  bes.  Anm.  13. 

4)  Oben  SS.  40  ff. 


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7fi 


festbält').  Praktisch  ist  allerdings  der  Unterschied  dann  von  ge- 
ringer Bedeutung,  wenn  man  den  Begriff  des  peccatum  im 
weitesten  Sinne  faßt,  wie  die  Glosse  peccat  in  ijisum  erklärt: 
id  ent,  ojfendit , cel  luedit  eum.  Die  Dekretale  selbst  subsumiert  da- 
runter jede  Friedensstörung:  pracip ue  quum  contra  pacem  perca- 
tur,  ijuae  egt  vinndum  ruritatis.  Und  dieser  Gedanke  kehrt  in  der 
Glosse  zweimal  wieder : <td  Ecrlesiam  * pertat  purem  eereare,  sagt 
der  Abbas ; ud  Ecclesiam  spectat  purem  gern t re,  et  obsercari  facere 
heißt  es  in  der  Glosse  zum  Worte  pacem  unter  nicht  unpassendem 
Hinweis  auf  die  große  kulturhistorische  Übung  dieses  Rechtes  durch 
die  Kirche,  auf  die  trenga  Dei*). 

Wenden  wir  uns  nach  dieser  Abschweifung  wieder  der  Glosse 
zur  Bulle  „Vcnerabilem“  zu,  so  haben  wir  nunmehr  zu  untersuchen, 
wie  sie 

b)  das  in  der  Bulle,  abgesehen  von  einer  schiedsrichterlichen 
Entscheidung,  für  den  Papst  beanspruchte  Recht,  altert  partium 
facere,  behandelt.  Die  Glosse  knüpft  diesbezüglich  an  das  Wort 
favere  an  und  bemerkt  wörtlich:  Si  facet,  ergo  nun  debet  eene  iu- 
dex. (( ')  II  </.  3 r.  tpta/uor  (78)  et  r.  get/ucns  (79).  Sed  dir  quod 
in  dubio  potegt  facere,  cui  vulL  ff.  de  leg.  2 l.  si  i/ttii  servum  § ei 
inter  duos.  ff.  de  bo.  auct.  iud.  pass.  L in  venditione  § ult.  ff.  <ul 
Syl.  I.  gi  ipiis  in  gruci  § si  rum  omnes.  Vel  potesl  rngere  partes 
ad  mnrnrdiam.  Istit . de  satisd.  tu.  § sin  autem  et  infra  de  offic. 
deleg.  r.  suspirionis  § ab  ipso  (r.  .7,9  X I 29  de  officio  iud.  del.) 
et  supra  eod.  rum  inter  R.  (c.  18  X f 6 de  clertinne).  tune  demum 
debet  facere , cum  merita  elertorum  et  eligentium  paria  sunt.  arg. 
infra  de  iure  patron.  cap.  ipinniam  in  iptibusdam  (r.  <7  X III  38  de 
iure  patron.')  et.  63  dist.  rap.  (sic!)  si  forte  (36)  rel  rum  potestas 
eligendi  devoluta  est  ad  ijtsum.  supra  eod.  cap.  banne  circa  fin  (ein, 


*)  Damit  steht  nicht  in  Widerspruch  der  in  der  Dekretale  „Novit“  ent- 
haltene Hinweis  auf  verschiedene  Gesetze  der  Kaiser,  durch  welche  dio 
Kompetenz  des  geistlichen  Gerichts  über  den  ihm  iure  proprio  zustehon- 
den  Umfang  ausgedehnt  wurde  (Non  igitur  iniuriosum  ....).  Denn  der  Papst 
sagt  im  weiteren  Verlauf  ausdrücklich:  Quum  enim  non  Aumanat  consHtutiom, 
sed  drvinae  legi  potius  innitamur  . . , . . 

*)  Die  Literatur  über  die  treuga  Dei  verzeichnet  Schröder  a.  a.  O. 
(vgl.  S.  7 Anm.  1)  S.  652  Anm.  2. 


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77 


c.  23  X 16  de  eiert i me.  Der  Glossator  trägt  mit  Recht  Bedenken,  eine 
Entscheidung,  von  welcher  der  Ausdruck  favere  gebraucht  wird,  als 
Richterspruch  gelten  zu  lassen,  und  begründet  diese  ziemlich  ein- 
leuchtende Ansicht  durch  weit  hergeholte,  wenig  passende  Beleg- 
stellen aus  dem  kanonischen  Prozeßrecht1),  ohne  daraufhinzuweisen, 
daß  die  Bulle  der  Entscheidung  den  Charakter  eines  Schiedsspruches 
ausdrücklich  abspricht.  Er  zieht  aus  diesem  Sachverhalt  auch  nicht 
die  klare  und  bestimmte  Konsequenz,  daß  kein  Schiedsspruch  vorliegt, 
sondern  führt  eine  Reihe  von  Fällen  an,  welche  eben  von  der  für 
den  Richter  geltenden  Regel  angeblich  eine  Ausnahme  bilden.  Bei 
Anführung  dieser  vier  Fälle  verläßt  er  allerdings  unversehens  das 
Gebiet  des  Richterspruchs : läßt  sich  der  zweite  Fall  noch  darunter 
subsumieren,  so  sind  der  dritte  und  vierte  einfach  dem  kanonischen 
Wahlverfahren  entnommen.  Allein  dieser  Sachverhalt  ist  dem  Glossa- 
tor nicht  zum  Bewußtsein  gekommen,  er  ist  sich  darüber  nicht 
klar  geworden,  daß  das  in  Rede  stehende  Recht  von  der  Ausübung 
eines  Richteramtes  seiner  juristischen  Natur  nach  verschieden  ist.  So 
zögert  auch  der  Glossator,  von  dem  die  Inhaltsangabe  herrührt, 
nicht,  aus  der  Bulle  schlechterdings  den  bereits  (oben  S.  72) 
zitierten  Bechtssatz  zu  formulieren:  Iudex  polest  (seil,  unter  be- 
stimmten Voraussetzungen)  alter i purti  favere. 

Werfen  wir  nun  einen  Blick  auf  die  einzelnen  von  der  Glosse 
angeführten  Ausnahmsfälle,  so  ist  zunächst  bezüglich  des  ersten, 
der  wirklich  unter  die  Ausübung  des  Richteramts  zu  subsumieren 
ist,  zu  bemerken,  daß  er  weder  durch  die  angeführten  Belege  aus 
dem  römischen  Recht  auch  nur  für  den  Bereich  des  letzteren 
hinlänglich  gestützt  ist*)  noch  dem  kanonischen  Prozeßrecht  voll- 

')  c.  78  C.  11  q.  3 (pseudo-isidorisch)  geht  angeblich  auf  Gregor  I. 
(590—604)  zurück,  c.  79  ist  den  Comment.  in  Amos  des  hl.  Hierony- 
mus entnommen;  vgl.  bezüglich  des  ersteren  die  kritischen  Nachweise  bei 
Jaffe,  Keg.  Pont.  (ed.  II),  f 1949,  bezüglich  des  letzteren  siehe  Migne, 
Patrol.  Lat.  Tom.  XXV  1067.  Die  angeführten  Stellen  wenden  sich 
ganz  allgemein  gegen  eine  „perversio  iudicii“  dnreh  timor,  amicitia  u.  dgl. 

’)  Die  angeführten  Stollen  aus  dem  römischen  Recht  (vgl.  oben 
S.  76)  lauten  folgendermaßen.  L.  8 § 3 D.  de  legatis  2 (XXXI):  Si  inter 
duos  dubitetier  dt  todtm  legato , cui  potius  dari  oportet,  ut  puta  si  Titio  retictum 
est  tt  duo  ehtsdem  nominis  amici  testatoris  veniant  ei  legatum  petant  et  heres  solvere 
paralos  sie,  deinde  ambu  defendere  keredem  parati  sint , tligere  debere  her edem , 


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78 


ständig  entspricht').  Mit  diesem  ersten  Fall  (in  dubio  potegt 
favere)  wäre  nahe  verwandt  der  dritte  (rum  merita  electorvm  et 
eligentium  paria  sunt),  wenn  man  hier  eben  überhaupt  an  einen 
Richterspruch  denken  wollte.  In  Wirklichkeit  handelt  es  sich  um 
eine  Nuancierung  des  Approbationsrechts,  welche  dann  eintritt, 
wenn  bei  einer  Zwiekur  für  beide  Kandidaten  gleich  gute  Gründe 
sprechen:  in  diesem  Fall  soll  der  Approbierende  ein  freies  Ent- 
scheidungsrecht haben.  Die  hiefür  angeführten  Belegstellen  han- 
deln, wie  nebenbei  bemerkt  sei,  von  allerdings  verwandten,  aber 
nicht  durchwegs  von  derselben  Materie:  c.  3 X III  38  de  iure 
patron.*)  von  dem  Falle,  wenn  mehrere  in  Gemeinschaft  Präsen- 
tationsberechtigte sich  nicht  auf  eine  Person  einigen ; c.  36  Hist.  63 
handelt  zwar  von  zwiespältigen  Bischofswahlen,  doch  weist  hier 


cm  sohrnt \ ut  ab  to  defendatur.  L.  8 § 4 L).  425  (de  robus  auctoritate  iudicis 
possidendis):  Si  untts  sit,  qui  possideat  bona,  expeditum  erit  de  locatione : quod  si 
non  unus,  sed  plurcs  sin/,  quis  eorum  debeat  locare  et  vendcrc,  quaeritur.  et  liqui- 
dem eonvenii  inter  eos,  expeditissimum  est:  natu  et  omnes  possunt  locare  et  uni  hoc 
negotium  dort:  si  vero  non  conrvemt,  tune  diccndum  est  praetorem  causa  cognita 
e tigere  debere , qui  lotet  vel  vendat.  L.  3 § 4 D.  295;  Si,  cum  omnes  domini  agressu- 
ram  pa/eren/ur , uni  servus  opem  tulit,  an  sit  excusandus,  an  vero  quia  omnibus  non 
fu/it,  plectendus?  et  tnagis  est,  ut,  si  quidem  omnibus  ferre  potuit , quamvis  quibus- 
dam  tulit,  supplicio  adßciendum:  si  vero  simul  omnibus  non  potuit,  excusaruium,  quia 
quibusdam  tulerit.  natu  illud  durum  est  dicere,  si  cum  duobus  auxilium  ferre  non 
possit , elegit  altert  esse  au  xi/io,  electione  crimen  cum  contraxisse . Bezüglich 
der  Argumentation  aus  dem  römischen  Kocht  vgl.  oben  SS.  33,  64,  65, 
unten  SS.  80,  89,  96  Anm.  2,  S.  109  Anm.  2 und  S.  112  Amn.  2. 

')  c.  32  X II  20  de  test.  et  attest.  (eine  in  das  Jahr  1205  fallende, 
bereits  in  die  Comp.  III.  übergegangene  Dekretale  Innozenz*  III.  — vgl.  die 
Ausgabe  von  Friedberg;  Potthast,  Keg.  Pont.,  2622;  Migne,  Patrol. 
Lat.,  Tom.  CCXV  743). 

*)  Dieses  Caput  geht  auf  das  dritte  Lateranensische  Konzil  (1179)  zurück 
und  findet  sich  bereits  in  der  Comp.  I.;  vgl.  die  kritischen  Nachweise  in  der 
Ausgabe  von  Fried  borg.  — Nicht  uninteressant  ist  die  Glosse  zu  diesem 
Caput,  welche  den  Vorschlag  der  Patrone  ebenfalls  als  Wahl  behandelt. 
So  heißt  es  schon  in  den  auf  den  Casus  folgenden  Not. ; Item  electio  maioris 
partis  tenet , dum  modo  eiet  tu  $ sit  idoneus.  Und  zu  den  Worten  qui  maioribus 
wird  unter  Heranziehung  von  Stellen,  die  das  kanonische  Wahlrecht  be- 
treffen, die  Frage  abgehandelt,  ob  bei  der  zwiespältigen  Präsentation  die 
einfache  oder  die  durch  sanioritas  qualiiiziertc  Majorität  erforderlich  sei 
( me m quid  requiritur , quod  maioris  sit  meriti , et  quod  plures  eum  praesentent), 
und  im  Sinne  der  einfachen  Majorität  entschieden  (videtur  sufficere , si  sit 
idoneus , dum  tarnen  haben t tnaiorem  parle m , licet  alius  sit  melior). 


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79 


Leo  I. ')  den  Metropoliten  an,  die  persona  dignior  zu  konsekrieren 
(praeferre  = bevorzugen).  Dieser  Standpunkt  entspricht  dem, 
welchen  wir  in  der  Bulle  „Venerabilem“  bezüglich  der  Königs- 
wahl zu  finden  glaubten;  die  Glosse  jedoch  biegt  gewissermaßen 
die  Spitze  um,  wenn  sie  nur  von  den  Fällen  gleich  guter 
Gründe  bei  beiden  Kandidaten  spricht  und  dann  das  Wort  favere 
als  ein  freies  Entscheidungsrecht  deutet  Auch  der  letztange- 
führte Fall  (der  Devolution)  wird,  abgesehen  davon,  daß  hier  von 
einer  richterlichen  Entscheidung  schon  gar  nicht  die  Rede  sein 
kann,  dem  Gedankengang  der  Bulle  nicht  gerecht  Die  dazu  an- 
geführte Belegstelle  enthält  die  Entscheidung  des  Papstes  über  die 
mit  dem  deutschen  Thronstreit  so  eng  zusammenhängende  Mainzer 
Bischofswahl,  die  allerdings  weitgehende  Analogien  zur  Bulle 
„Venerabilem“  aufweist;  der  Unterschied  .liegt  eben  darin,  daß 
der  Papst  als  schließliches  durchschlagendes  Argument  für  seinen 
Kandidaten  anführt:  wenn  selbst  alle  gegen  seine  Wahl  vorge- 
brachten Einwände  zutreffend  wären,  hätte  er  (der  Papst)  doch 
freie  Hand,  ihm  die  bischöfliche  Würde  zu  verleihen,  nämlich  iure 
devolutionis,  weil  dann  nicht  nur  die  Wähler  des  Gegenkandidaten, 
sondern  auch  die  Wähler  des  päpstlichen  Kandidaten  (eben  infolge 
der  fehlerhaften  Wahl)  ihres  Wahlrechts  verlustig  gegangen 
wären1).  Daß  Innozenz  III.  auch  bei  der  Entscheidung  des 
deutschen  Thronstreits  von  derartigen  Gedankengängen  beeinflußt 
war,  haben  wir  bereits  dargelegt;  und  die  Anführung  dieses  Falles 
(der  Devolution)  in  der  Glosse  zum  Worte  favere  ist  eben  des- 

')  Migne,  Patrol.  I.at.,  Tom.  LIV  666.  Weitere  kritische  Nachweise 
bei  Jaffü,  Keg.  l’ont.,  411.  Vgl.  oben  S.  49  Amn.  1. 

’)  Die  Entscheidung  Innozenz’  III,,  welche  sich  bereits  in  der  Comp. 
III.  lindet,  stammt  aus  dem  Jahre  1202  (vgl.  die  Ausgabe  von  Friedberg 
und  Pütthast,  Reg.  Pont.,  1647).  Die  Wahl  selbst  hatte  Ende  des  Jahres 
1200  stattgefunden  (vgl.  Krammer,  Wahl  und  Einsetzung  . — vgl.  S.  21 
Anm.  2 — S.  47  Amn.  2);  die  staufiache  Partei  hatte  den  Bischof  von 
Worms  postuliert,  eine  kleine  päpstliche  Minorität  Sigfrid  von  Eppcnstein  ge- 
wählt. In  der  Entscheidung  des  Papstes,  welche  über  Beschwerde  gegen 
die  vom  Kardinallegaten  Guido  von  Präneste  gefällte  Entscheidung  erging, 
spielt  folgendes  Argument  eine  große  Rolle:  da  die  Partei  des  Wormsers 
letzterem  die  Administration  übergab,  ohne  die  Entscheidung  des  Papstes 
über  die  Postulation  abzuwarten,  wurde  sie  ihres  Wahlrechtes  verlustig ; 
also  erscheint  die  Wahl  der  Minorität,  wie  klein  sic  auch  gewesen  sein  mag, 
als  einhellig.  Das  durchschlagende  Argument  aber  ist  das  im  Text  angeführte. 


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80 


halb  interessant,  weil  hier  eine  Spur  von  dem  ursprünglichen 
Gedanken  des  Papstes,  den  er  in  der  Bulle  „Venerabilem“  fallen 
gelassen  hat,  zum  Vorschein  kommt1). 

Von  besonderer  Bedeutung  ist  m.  E.  der  an  zweiter  Stelle 
angeführte  Fall : vel  potest  cogere  partes  in  conrordiam.  Zwar  ist 
mit  den  angeführten  Belegstellen  aus  dem  römischen  und  kano- 
nischen Recht  auch  hier  nicht  viel  anzufangen.  Die  römisch- 
rechtliche und  die  eine  kanonische  (c.  39  X I 29  de  officio  iud. 
del.)  sind  der  Qualifikation  des  in  Rede  stehenden  Rechtes  als 
Ausübung  eines  Richteramtes  insofern  angemessen,  als  sie  dem 
Prozeßrecht  im  weitesten  Sinn  entnommen  sind,  behandeln  aber  so 
spezielle  und  ungewöhnliche  Fälle,  daß  von  ihnen  aus  von  vorn- 
herein ein  verallgemeinernder  Schluß  unzulässig  erscheint*).  Die 
zweite  dem  kanonischen  Recht  entnommene  Stelle  (c.  1 f>  X 1 G de 
electione)  erzählt,  daß  Papst  Cölestin  III.  (1191  — 1198),  um  den 
Frieden  in  einem  Kloster  wiederherzustellen,  den  Abt  zur  Re- 
nunziation  zwang  (ad  componendum  coegit  invitum)  und  ihm  da- 
für custodiam  et  etiam  prioratum  verlieh,  ein  Vorgang,  dessen 
juristische  Qualifikation  allerdings  ebenso  erheblichen  Schwierig- 
keiten begegnet,  wie  sie  der  Glossator  bei  dem  von  der  Bulle 
„Venerabilem“  behaupteten  iu«  alteri  partium  favere  empfunden  zu 


')  Vgl.  oben  SS.  51  ff. 

*)  Die  dem  römischen  Recht  (§  1 Inst.  I 24  de  satisdatione  tutorum  et 
curatorum  — vgl.  bezüglich  des  römischen  Rechts  S.  77  Anm.  2)  ent- 
nommene Stelle  bezieht  sich  auf  die  Bestimmung  des  gesch&fls  führenden 
Vormunds  unter  mehreren  Mitvormnndern  (also  einen  Zweig  der  auBer- 
streitigen  Gerichtsbarkeit)  und  lautet : ...  sin  autem  ipsi  tutores  dissersserint 
circa  tligendum  tum  vtl  tos  qui  gerere  debent,  praetor  partes  suas  interpo - 
nere  debet.  (idem  ei  in  pturibus  ex  inquisitione  datss  probandum  es/,  id  est  ut 
rnaior  pars  eligert  possit,  per  quem  administratio  /irret).  — ■ c.  39  X I 29,  eine 
Entscheidung  Gregors  IX.  (1227 — 1241,  vgl.  Potthast,  Kog.  Pont.,  9554) 
lautet : Suspicionis  causa  contra  iudicem  assignala,  non  ipse  qui  fortan  provocatus 
obesset , sed  arbitri  potius,  eoratn  quibus  probatio  est  facienda,  et  ad  quos  omnia,  quae 
aa  httne  arttculum  faciunt,  pertinere  noscun/ur , possunt  ad  hoc  terminum  assignare. 
Ab  ipso  quoque  iudice,  ati  sicut  iurisdietio.  sic  et  cetera,  sine  quibus  explicari  causa 
non  potest,  mtelliguntur  esse  commissa,  iidem  ut  conveniant , si  discordes 
fuersnt , in  unatn  senteniiarn , vel  tertium  eoncorditer  advocent,  cum  quo 
duo  vel  alter  eorum  id  faciat,  sunt  cogendi,  ne  huiusmodi  occasssone  prinetpale 
negotium  plus  debito  prorogetur. 


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81 


haben  scheint').  Was  aber  dieser  Konstruktion  des  ius  alteri 
partium  favere  als  ein  „partes  in  concordiam  cogere“  m.  E.  be- 
sondere Bedeutung  verleiht,  ist  der  Umstand,  daß  hier  die  Wurzel 
bezeichnet  ist,  aus  der  tatsächlich  dieses  nicht  zu  voller  Klarheit 
entwickelte  Recht  hervorwuchs.  Das  altgermanische  Wahlprinzip 
war  das  der  Einstimmigkeit  in  dem  Sinne,  daß  die  Minorität 
durch  die  Wahl  nicht  gebunden  war1);  os  fehlte  an  einer  korpo- 
rativen Organisation  des  Reichs,  der  Voraussetzung  einheitlicher 
Willensbildung,  und  jede  Zwiekur  bedeutete  einfach  die  Zusammen- 
schließung der  Reichsgenossen  in  zwei  nicht  nur  von  einander  ge- 
trennte, sondern  geradezu  feindliche  Genossenschaften;  nur  ein 
gütlicher  Vergleich  oder  ein  Waffengang  der  beiden  Könige  konnte 
die  Einheit  wieder  herstellen.  Und  als  nun  allmählich  der  Korpo- 
rationsgedanke sich  durchsetzte,  da  suchte  man  immer  noch,  eine 
tatsächliche  concordia,  eine  ausdrückliche  Zustimmung  der  Minorität 
herbeizuführen,  beziehungsweise  formell  die  Wahl  als  eine  einstimmige 
erscheinen  zu  lassen;  das  ist  ja  der  Sinn  der  electio  communis9), 
und  bis  auf  den  heutigen  Tag  hat  die  altgermanische  Auffassung 
deutliche  Spuren  in  unserem  öffentlichen  Recht,  und  zwar  im 
Strafprozeßrecht  (besonders  im  englischen)  *)  und  in  noch  höherem 

')  Die  Stelle  ist  eine  aus  dem  Jahr  1199  stammende,  bereits  in  die 
Comp.  III.  aufgenommene  Entscheidung  Innozenz’  III.;  vgl.  die  kritischen 
Nachweise  in  der  Ausgabe  von  Friedberg  und  bei  Potthast,  Keg.  Pont., 
667.  Zum  besseren  Verständnis  sei  hier  nur  folgendes  bemerkt:  nach  der 
Renunziation  des  H.  wurde  R.  senior  zum  Abt  gewählt;  ihn  zwang  später 
Cölestin  III.  zur  Renunziation,  nachdem  ernste  Zweifel  an  der  liechtsgiltig- 
keit  der  ersten  Renunziation  (des  H.)  aufgetaucht  waren.  Der  weitere  Inhalt 
der  Entscheidung,  bei  der  es  sich  eigentlich  um  die  Wahl  eines  R.  junior 
nach  dem  Tode  des  H.  handelt  (sie  wird  als  von  Suspendierten  vorgenommen 
kassiert,  vgl.  unten  S.  88),  ist  hier  ohne  Interesse. 

*)  Vgl.  die  näheren  Ausführungen  im  Abschnitt  III  3 des  II.  Kapitels. 

3)  Vgl.  Abschnitt  III  1 des  II.  Kapitels. 

4)  Im  englischen  Schwurgerichtsprozell  kann  das  Urteil  nur  auf  Grund 
eines  einstimmigen  Verdikts  der  Geschworenen  gefällt  werden.  Nach  anderen 
Prozeßordnungen  genügt  eine  (eventuell  qualifizierte)  Majorität;  doch  wird 
bekanntlieh  iui  deutschen  Reich  (anders  in  Österreich)  das  Verdikt  durch 
den  Geschworenen-Obmanu  ohne  Angabe  des  Stimmenverhältnisses  mitgeteilt, 
erscheint  also  als  ein  einhelliges.  Vgl.  Geyer,  Lehrbuch  des  gemeinen 
deutschen  Strafprozeßrechts,  Leipzig  1880,  S.  762. 

HugelLuauu,  Die  deutsche  Küulgswshl  b 


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82 


Maße  auf  dem  Gebiete  des  Staatsrechts  im  Pariameutsrecht,  aller- 
dings vor  allem  im  ungeschriebenen,  hinterlassen1).  Daß  es  nun 
nahe  lag,  die  notwendige  Einstimmigkeit  durch  einen  Aus- 
spruch des  Papstes  herbeizuführen,  wurde  bereits  (oben  S.  72) 
betont.  Und  vergegenwärtigen  wir  uns  die  Lage  eines  Papstes, 
der  dem  deutschen  König  die  Kaiserkrone  verleihen  sollte  und 
sich  nun  deren  zwei  gegenübersah,  so  blieb  ihm  allerdings 
nichts  anderes  übrig,  als  alteri  parti  favere.  Als  eine 
aus  kanonistischer  Auffassung  fließende  Einschränkung 
erscheint  es  bereits,  wenn  er  sich  an  eine  persona  idonea 
oder,  wie  wir  annahmen,  sogar  an  die  persona  dignior 
gebunden  hielt.  Daß  mit  der  Entscheidung  über  die 
Kaiserwürde  auch  über  die  Königswürde  im  Sinne  der 
päpstlichen  Auffassung  entschieden  war,  läßt  sich  aller- 
dings nicht  logisch  deduzieren,  ergab  sic'h  aber  sehr 
natürlich  aus  der  mittelalterlichen  Auffassung  des 
römisch-deutschen  Kaisertums9).  Als  sich  nun  für  die 
Wahl  ein  bestimmtes  Verfahren  auszubilden  begann,  dif- 
ferenzierte sich  das  ius  alteri  parti  favere  zu  einem  dem 
staatsrechtlichen  Verhältnisse  der  Zeit  durchaus  nahe- 
liegenden Recht  auf  schiedsrichterliche  Entscheidung, 
welche  auch  den  Wahlakt  berücksichtigen  mußte,  wobei 
sich  die  Theorie  der  Differenzierung  nicht  völlig  be- 
wußt wurde.  Als  schließlich  mit  dem  vollen  Durch- 
dringen der  korporativen  Organisation  des  Reiches,  die 
sich  in  einer  festen  Wahlform  (vor  allem  im  Majoritäts- 
prinzip) manifestierte,  die  Zwiekuren  begrifflich  un- 
möglich waren,  wurde  das  Entscheidungsrecht  des 


*)  Hierher  gehört  der  im  deutschen  Reichstag  und  im  österreichischen 
Abgeordnetenhaus  übliche  Gebrauch,  die  Tagesordnung  durch  einheitlichen 
Beschluß  der  Partei-Obmänner  (Senioren  - Konvent,  Obmänner  - Konferenz.) 
festzustellen,  ferner  diu  von  den  Minoritäten  häufig  beobachtete  Übung, 
bei  gewissen  Abstimmungen  (dofinitive  Präsidentenwahl  u.  dgl.)  leere  Stimm- 
zettel abzugeben,  in  besonderem  Mall  aber  die  im  österreichischen  Abge- 
ordnetenhaus eingebürgerte  Gewohnheit,  von  einzelnen  Bestimmungen  der 
Geschäftsordnung  (erste  Lesung  der  Vorlagen  vor  ihrer  Zuweisung  an  den 
Ausschuß)  Umgang  zu  nehmen,  wenn  von  keiner  Seite  ein  Widerspruch  erfolgt. 

9)  Vgl.  oben  SS.  IM  f.,  48  f. 


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83 


Papstes  von  dem  einheitlich  gestalteten  und  gedachten, 
Approbationsrecht  aufgesaugt. 

Bevor  wir  zur  Besprechung  dieses  Wahl  Verfahrens  übergehen, 
wollen  wir  noch  auf  ein  anderes  Institut  einen  Blick  werfen, 
welches  ebenfalls  der  Übergangsperiode  von  der  Einstimmigkeit 
zum  Majoritätsprinzip  seine  Bedeutung  verdankt  und  die  päpst- 
lichen Rechte  zu  modifizieren  geeignet  war,  auf  die  Königskrönung 
durch  den  Kölner  Erzbischof. 

3.  Wir  erinnern  uns  '),  daß  die  Bulle  „Venerabilem“  unter  den 
Gründen,  welche  für  Otto  IV.  sprechen,  die  Krönung  desselben 
„ubi  debuit  et  a quo  debnit“  ins  Treffen  führte.  Wir  haben  darauf 
hingewiesen,  daß  dieser  Passus  eine  unheilbare  Verwirrung  er- 
zeugen muß,  indem  jeder  Anhaltspunkt  dafür  fehlt,  inwieweit  dem 
Gekrönten  gegenüber  die  päpstlichen  Rechte  zessieren  sollen,  die 
KaiserkTÖnung  also  gewissermaßen  eine  notwendige  Folge  zwar 
nicht  der  Königs  wähl,  aber  doch  der  Königskrönung  sein  soll. 
Eine  richtige  Erkenntnis  dieser  Sachlage,  bei  der  gewiß  eine  Ein- 
schränkung der  päpstlichen  Rechte  durch  die  juristische  Durch- 
führung des  von  Innozenz  III.  ausgesprochenen  Argumentes  mög- 
lich war,  veranlaßt«  wohl  die  Weglassung  dieses  Passus  in  der 
Dekretalen-Sammlung.  Nichtsdestoweniger  finden  wir  in  der  Glosse 
eine  Stelle,  welche  auf  unsere  Frage  Bezug  nimmt.  Zum  Worte 
observari  wird  bezüglich  der  Ungiltigkeit  des  Philipp  geleisteten 
Eides  (vgl.  oben  S.  47)  bemerkt:  etiamsi  ei  tarn  coronato  iurasset, 
post  reprobatümem  legitimain  ei  (Philippo)  non  teneretur  (seil  Ju.r 
y.aringie)  in  alit/uo  ratione  iura  men/ i.  Wenn  hiefür  der  von  uns 
(oben  SS.  34  ff.)  ausführlich  behandelte  c.  3 C.  15  q.  6 als  Beleg- 
stelle herangezogen  wird,  so  liegt  offenbar  der  Gedankengang  zu- 
grunde, daß  dasjenige,  was  nach  der  Deposition  eines  schon  im 
ruhigen  Besitz  der  Herrschaft  befindlichen  Königs  gilt,  gewiß 
auch  nach  der  beim  Regierungsantritt  erfolgten  Reprobation  gelten 
müsse.  Daß  der  Beweis  sehr  wenig  scharf  ist,  weil  der  Mero- 
winger Childerich  111.,  von  dem  die  bezogene  Stelle  handelt,  über- 
haupt nie  gekrönt  wurde,  sei  nur  nebenbei  erwähnt,  ebenso  daß 
die  zweite  Belegstelle  (c.  3 X I 7 de  translatione)  ’)  überhaupt 
keinen  Zusammenhang  mit  unserer  Frage  erkennen  läßt. 

*)  Vgl.  oben  SS.  49,  55  ff. 

’)  Den  Inhalt  dieser  von  Innozenz  III.  im  Jahre  1198  erlassenen 

6* 


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Was  uns  hier  vor  allem  interessiert,  ist  das  Verhältnis  der 
KönigskTönung  zu  den  päpstlichen  Rechten.  Was  das  Appro- 
bationsrecbt,  das  ius  examinandi  personam,  anlangt,  ergibt  sich,  wie 
wir  bereits  aus  dem  Gedankengang  der  Bulle  (oben  SS.  56  und  57) 
geschlossen  haben,  daß  es  nach  der  kanonistischen  Doktrin  in 
voller  Kraft  auch  gegenüber  dem  Gekrönten  fortbesteht  Dagegen 
läßt  die  Glosse  bezüglich  des  Entscheidungsrechtes  bei  zwiespäl- 
tigen Wahlen  ebensowenig,  wie  die  Bulle,  einen  sicheren  Schluß 
zu.  Aus  der  Natur  der  Sache  scheint  sich  jedoch  zu  ergeben, 
daß  der  Papst  den  ordnungsgemäß  zum  König  Gekrönten,  falls  er 
eine  persona  idonea  ist,  allerdings  zum  Kaiser  krönen  muß.  Ich 
habe  andernorts ')  nachzuweisen  gesucht,  daß  diese  Betonung  der 
Krönung,  also  der  Einsetzung  (Investitur)  des  Königs,  eben  durch 
das  Bedürfnis  hervorgerufen  war,  bei  zwiespältigen  Wahlen  eine 
sichere  Rechtsgrundlage  zu  schaffen.  Dieser  Bedeutung  der  Krö- 
nung wird  man  nur  gerecht,  wenn  man  sie  an  Stelle  des 
päpstlichen  Entscheidungsrechtes  treten  läßt.  Die  Instanz,  bei 
der  die  Entscheidung  lag,  war  dann  eben  nicht  der  Papst,  sondern 
der  Erzbischof  von  Köln,  worauf  Mario  Krammer  richtig  hinge- 
wiesen hat*).  Dieser  war  nun  allerdings  der  prädestinierte  Ver- 
treter der  päpstlichen  Politik  in  Deutschland ; immerhin  bleibt  es 
aber  eine  nur  zu  begreifliche  Vorsicht,  wenn  die  kanonische 
Legislation  und  Doktrin  diesem  Rechte  des  Kölners  gegenüber 
eine  große  Reserve  beobachtete. 

C.  Das  Wahlverfahren.  Im  Mittelpunkte  steht  hier,  wie 
schon  unsere  bisherigen  Untersuchungen  gezeigt  haben, 

1.  das  Majoritätsprinzip.  Ich  verweise  bezüglich  des  Durch- 
dringens dieses  Prinzips  im  deutschen  Königswahlen  recht  auf  die 
obigen  Ausführungen,  SS.  81  ff.  Inwieweit  dieses  Durchdringen 
eben  durch  die  Bestimmungen  des  kanonischen  Rechtes  beein- 


(PotthaBt,  Reg.  Pont.,  352),  in  die  Coniji.  III  übergegangenen  Dekretale 
(nähere  kritische  Nachweise  auch  in  der  Ausgabe  von  Friedberg)  gibt 
das  Sununariuni  richtig  wieder:  Episcopus , gut  pnpria  auctoritate  de  ma  ectlesia 
se  trans/ert  ad  aliam,  careint  utraque . 

')  Vgl.  oben  S.  21  Anm.  4. 

*)  Wahl  und  Einsetnung  (vgl.  oben  S.  21  Anin.  4)  SS.  22  und  103. 


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flußt  war,  wird  uns  noch  in  anderem  Zusammenhänge  beschäftigen  ’). 
Hier  haben  wir  nur  auf  die  Theorie  des  kanonischen  Rechts  selbst 
einen  Blick  zu  werfen. 

Die  Bulle  „Venerabilem“  hatte  klar  und  deutlich  das  Majoritäts- 
prinzip aufgestellt  im  Gegensatz  zu  den  vorsichtigen  Äußerungen 
in  der  Deliberatio,  allerdings  nicht  in  autoritativer  Form,  sondern 
incidenter  in  dem  mit  quamvis  eingeleiteten  Satze*).  Es  ist  nun 
interessant,  daß  die  Glosse,  welche  durchaus  geneigt  ist , aus 
diesen  incidenter  gemachten  Äußerungen  der  Bulle  Rechtssätze 
zu  formulieren3),  dies  bezüglich  des  Majoritätsprinzips  nicht  tut. 
Sie  verhält  sich  ihm  gegenüber  ganz  ähnlich,  wie  wir  dies  oben 
(SS.  67  f.)  bei  Besprechung  de3  Wählerkreises  gesehen  haben. 
Die  von  uns  (8.  61)  besprochene  Paraphrase  gibt  den  Inhalt  der 
Bulle  fast  wörtlich  wieder,  aber  in  der  darauf  folgenden  Inhalts- 
angabe fehlt  jeder  Hinweis  auf  das  Majoritätsprinzip.  Erst  in 
dem  an  die  Spitze  der  Bulle  gestellten  Rechtssatz  des  Johannes 
Andreae  ist  es  mit  aller  Klarheit  und  Schärfe  formuliert ; sehr  be- 
greiflich, da  es  sich  zu  seinerzeit  in  der  Praxis  des  deutschen  Reichs- 
rechts bereits  durchgesetzt  hatte4).  Übrigens  darf  hier  nicht  un- 
erwähnt bleiben,  daß  zu  dieser  Zeit  im  kanonischen  Wahlverfahren 
bei  der  Papstwahl  bereits  die  Zweidrittel- Majorität  gesetzlich 
festgelegt  war,  während  bei  den  übrigen  kanonischen  Wahlen  eine 
andere  Qualifikation,  die  sanioritas,  verlangt  wurde,  zu  deren  Er- 
setzung durch  die  Zweidrittel-Majorität  wenigstens  Ansätze  vor- 
handen sind i).  Bezüglich  der  deutschen  Königswahl  findet  sich 
in  der  Glosse  zur  Bulle  „Venerabilem“  nicht  die  geringste  Spur 
von  der  Zweidrittel-Majorität  und  auch  die  Theorie  der  sanior 
pars  spielt  keine  Rolle,  wenn  auch  immerhin  in  letzterer  Hinsicht 
das  dem  Papst  eingeräumte  Recht,  alteri  (beziehungsweise  digniori) 
parti  favere,  praktisch  denselben  Effekt  hatte. 

2.  Bezüglich  des  Wahlakts  im  engeren  Sinne  macht  sich 
die  fortschreitende  Tendenz,  auf  das  Königtum  schlechthin  Bestim- 
mungen des  kirchlichen  Ämterrechtes  anzuwenden,  welche  uns  in 

')  Unten  im  Abschnitt  111  3 des  11.  Kapitels. 

*)  Vgl.  oben  SS.  49,  57  f.,  71. 

*)  Vgl.  unten  S.  87,  oben  SS.  71  und  77. 

4)  Vgl.  uuten  Abschnitt  Hl  3 des  11.  Kapitels  am  Ende. 

*)  Vgl.  diesbezüglich  die  c.  9 et  43  in  VI  to  1 6 de  electione. 


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86 


der  Glosse  schon  wiederholt  begegnete '),  in  besonderem  Maße 
bemerkbar.  Schon  die  Einreihung  der  ganzen  Bulle  „Venerabilem“ 
in  den  Titel  de  electione,  welcher  zur  Gänze  dem  kirchlichen  Ämter- 
recht gewidmet  ist,  ist  für  diese  Tendenz  charakteristisch.  Bei 
der  Zurückweisung  der  erbrechtlichen  Gestaltung  des  deutschen 
Königtums  (vgl.  unsere  obigen  Ausführungen  SS.  63  bis  66,  bes. 
zur  Glosse  illicitum  SS.  63  f.),  nicht  minder  bei  Besprechung  der 
päpstlichen  Rechte  (vgl.  unsere  obigen  Ausführungen  über  das 
päpstliche  Approbationsrecht  S.  7 1 , über  das  päpstliche  Ent- 
scheidungsrecht bei  zwiespältigen  Wahlen  SS.  73  und  77  ff.),  ist  sie 
uns  deutlich  entgegengetreten.  Es  ist  dafür  ebenso  charakteristisch 
die  Berufung  auf  Belegstellen,  welche  ausschließlich  von  Kirchen- 
ämtern handeln  (vgl.  oben  SS.  64  und  76  fl'.),  wie  dies  besonders 
deutlich  in  der  Glosse  zum  Worte  eiaminatio  *)  hervortritt,  wie  die 
Formulierung  von  Rechtssätzen  aus  den  Ausführungen  der  Bulle. 
Daß  in  dieser  Beziehung  die  incidenter  gemachte  Bemerkung  der 
Bulle  bezüglich  der  contemptio  von  Wählern  in  der  Glosse  (und 
zwar  in  der  Inhaltsangabe)  als  rechtsverbindlicher  Satz  des  ka- 
nonischen Rechtes  erscheint,  wurde  bereits  in  anderem  Zusammen- 
hang (S.  71)  erwähnt,  ebenso  (S.  57),  daß  damit  die  kanonistische 
Theorie  für  die  Königswahl  das  wichtige  Erfordernis  der 
unitas  actus  aufgestellt  hat.  Weit  hinaus  geht  über  diese  An- 
wendung einzelner  kanonischer  Rechtssätze  auf  die  Königswahl 
der  Casus,  welcher  in  voller  Verkennung  der  historischen  Er- 
eignisse und  des  Gedankens  der  Bulle  erzählt:  Papa  mitit  quen- 
dam  legatum  in  Alemaniam , ut  alteram  electionum  praedictaruin, 
quam  canonicam  inveniret , confir märet  ’).  Der  Schöpfer  der 

*)  Vgl.  oben  SS.  33,  35  An  in.  3,  37,  48  und  64:  unten  SS.  88,  90,  95, 
98,  105,  108,  109  Anm.  1 und  110. 

*)  Zum  Worte  examinati»  bemerkt  nämlich  die  Glosse  nur  lakonisch: 
77  d.  c.  qui  est.  Gemeint  ist  offenbar  c.  3 Dist.  78,  welcher  mit  den  Worten  quid 
est  beginnt,  eine  Stelle  aus  einem  Briefe  Leos  I.  (440—461 : vgl.  die  kritischen 
.Nachweise  in  der  Ausgabe  vou  Friedberg  und  bei  .Taffe,  Keg.  Pont.  [od.  II.), 
410:  Migne,  Patrol.  Lat.,  Tom.  LIV  647  et  658).  Die  Stelle  lautet:  Quid  est; 
man us  cito  imponerc , mm  ante  ctatem  maturitatis,  ante  tempus  rxamims.  . . . , 
handelt  also  von  der  Ordination. 

*)  Lindncr,  Der  Hergang  bei  den  deutschen  Köuigswahlen,  Weimar 
1899,  SS.  8 und  9,  legt  unter  sehr  beachtenswerter  Begründung  dar,  .canoni- 
cus“  bedeute  an  sich  nur  „regelm&tSig"1,  ,rechtmäUig'‘  schlechthin:  es  könne 
daher  aus  dem  Gebrauch  des  Wortes  in  den  deutschen  Wahlberichten 


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87 


glossa  ordinaria  hat  damit  aus  der  Anwendung  einzelner  kano- 
nischer Rechtssätze  generalisierend  geschlossen,  daß  das  ganze 
kanonische  Wahlverfahren  auch  für  die  Königswahl  maßgebend 
sei.  Demgegenüber  ist  jedoch  sehr  zu  beachten,  daß  von  der 
Glosse  zwar,  wie  wir  gesehen  haben,  viele  Bestimmungen  des 
kanonischen  Ämterrechtes  auch  im  einzelnen  als  für  das  Königtum 
verbindlich  angeführt  werden,  so  insbesondere  für  das  Wahlver- 
fahren  das  Prinzip  der  unitas  actus,  daß  aber  doch  auch  äußerst 
wichtige  Bestimmungen  weder  in  der  Bulle  noch  in  der  Glosse 
eiwähnt  werden.  Es  sind  dies  die  grundlegenden  Bestimmungen 
der  Canones  „Quia  propter“  (c.  42  X I 6 de  electione)  und  „Cumana“ 
(c.  50  X I 6 hoc  tit.)  über  die  Wahlformen  (per  » crutinium , per 
compromürum  und  per  irupirationem)  und  über  die  essentialia 
electionis  ( requisitio , publicatin  und  collatio,  electio)  *). 

Die  Reflexwirkung  der  Behandlung  des  Königtums  als  kirch- 
liches Amt,  auf  welches  das  kanonische  Ämterrecht  in  weitem 
Umfang  angewendet  wird,  ist  es,  wenn  anderseits  die  Glosse  aus 
Bestimmungen  der  Bulle,  die  spezifisch  der  Königswahl  gelten, 
Rechtssätze  von  ganz  allgemeiner  Geltung  ableitet.  Wir 
haben  bereits  (S.  238)  ein  Beispiel  besprochen : aus  dem  Recht  des 
Papstes,  alteri  partium  favere,  das  die  Bulle  für  den  Fall  der 
Zwiekur  behauptet,  macht  die  Glosse  den  allgemeinen  Rechtssatz 
Iudex  potest  alteri  parti  favere.  Im  übrigen  genüge  der  Hinweis 
auf  die  oben  (SS.  62  f.)  mitgeteilte  Inhaltsangabe. 

3.  Abschließend  mögen  hier  eine  Reihe  von  Glossenstellen 
Erörterung  finden,  welche  sich  ex  professo  mit  der  Frage  des 
passiven  Wahlrechtes  — das  aktive  wurde  bereits  oben  unter  A 3 


nicht  auf  die  Einhaltung  gerade  der  kanonischen  Rechtsformen  ge- 
schlossen werden.  So  beachtenswert,  wie  gesagt,  die  Ausführungen  Lindners 
sind,  so  kann  doch  m.  E.  darüber  kein  Zweifel  sein,  dali  an  der  im  Text 
besprochenen  Stelle  der  Glosse  nach  dem  ganzen  Zusammenhang  die  liech  ts- 
fürmlichkeit  nach  kanonischen  Grundsätzen  gemoint  ist. 

')  c.  42  X I 6 ist  der  berühmte  Beschluli  des  4.  I,aterancnsischcn  Konzils 
(1215),  welcher  bereits  in  die  Comp.  IV.  aufgenommen  worden  war  (näliorc 
Nachweise  in  der  Ausgabe  von  Friedberg);  vgl.  über  ihn  vor  allein 
v.  Wretschko,  Deutsche  Zcitschr.  f.  Kirchenr.,  XI  327  ff. 

c.  50  X I G enthält  eine  Entscheidung  Gregors  IX.  aus  dem  Jahre 
1228  (vgl.  Potthast,  Reg.  Pont.,  8152;  daselbst  und  iu  der  Ausgabe  von 
Friedberg  nähere  kritischo  Nachweise). 


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8« 


untersucht  — befassen,  dabei  aber  auch  auf  die  rechtliche  Natur 
des  Wahlakts  manches  Licht  fallen  lassen.  Die  Frage  des  passiven 
Wahlrechts  ist  vom  Standpunkt  des  kanonischen  Rechts  gleichbe- 
deutend mit  der  Frage  der  „Idoneität“.  Auch  in  dieser  Beziehung 
finden  wir  in  der  Glosse  wie  in  der  Bulle ')  keinen  Anhaltspunkt 
dafür,  daß  die  Indignitätsfälle  bei  der  Königswahl  und  bei  ka- 
nonischen Wahlen  schlechthin  dieselben  wären.  Wohl  aber 
zeigt  sich  die  fortschreitende  Tendenz  in  dieser  Richtung  darin, 
daß  in  einer  großen  Zahl  einzelner  Fälle  Belegstellen  aus  dem 
kanonischen  Ämterrecht  herangezogen  werden.  Dies  gilt  vor  allem 
von  der  Glosse  zum  Worte  electus,  wo  die  von  der  Glosse  aufge- 
stellte Behauptung,  daß  die  Wahl  Philipps  als  eines  publice  excom- 
municatus  ipso  iure  nichtig  (nulla)  war,  durch  Hinweis  auf  c.  8 
X I 4 de  cousuet. , c.  16  X I 6 de  olectione  und  c.  23  X II  28 
de  appellat. a)  begründet  wird.  An  den  beiden  erstgenannten 
Stellen  wird  eine  von  Suspendierten  vorgenommene  Wahl  „kassiert“, 
und  zwar  nach  c.  8 X I 4,  wo  überdies  ein  Suspendierter  gewählt 
war,  „iustitia  exigente“.  Beide  Stellen  sind  also  nicht  ganz  be- 
weiskräftig, da  — von  allem  andern  abgesehen  — die  in  der  Bulle 
„Venerabilem“  verteidigte  Wahl  Ottos  IV.  ohne  vorangegangene 
„Kassation“  der  Wahl  Philipps  erfolgte.  Es  ist  schon  oben 
(S.  58)  darauf  verwiesen  worden,  daß  Innozenz  III.  wiederholte 
Entscheidungen,  welche  auch  in  die  Dekretalen  - Sammlung  über- 
gingen, gefällt  hat,  denen  zufolge,  abweichend  von  dem  Vorgang 
im  Thronstreit,  vor  der  Vornahme  einer  zweiten  Wahl  der  Aus- 
spruch des  Papstes  über  die  Ungiltigkeit  der  ersten  abgewartet 
werden  muß.  Daß  die  Praxis  in  diesem  Punkt  keine  einheitliche 
war,  ergibt  sich  allerdings  z.  B.  aus  der  dritten  (oben  an- 
geführten) Stelle  c.  23  X II  28  de  appellat.,  wo  eine  Wahl  kon- 
firmiert wird,  obwohl  eine  früher  vorgeuommene  Wahl  eines  pu- 

‘)  Vgl.  oben  SS.  58  ff. 

*)  Die  erste  Stelle  (c.  8 X I 4)  ist  eine  aus  dem  Jahre  1209  stammende,  die 
zweite  Stelle  (c.  16  X I 6)  eine  aus  dem  Jahre  1199  stammendo  Kutscheidung 
Innocenz’  III.,  beide  bereits  in  der  Comp.  III.  enthalten:  die  dritte  Stelle 
geht  auf  Alexander  III.  (1159 — 1181)  zurfick  und  war  schon  in  die  Comp.  I. 
aufgenommen  worden.  I>ic  kritischen  Nachweise  siehe  in  der  Ausgabe  von 
Friedberg,  außerdem  bezüglich  der  orsten  Stelle. bei  Potthast,  Keg.  Pont., 
3590,  bezüglich  der  zweiten  ibidem  657,  bezüglich  der  dritten  Jaffe,  Keg. 
Pont.  (cd.  II.),  12668:  bezüglich  der  zweiten  vgl.  auch  oben  S.  81  bes.  Anm.  1. 


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89 


blice  excommunicatus  nicht  der  päpstlichen  Entscheidung  unter- 
breitet worden  war.  Jedenfalls  scheint  der  in  der  letztgenannten 
auf  Alexander  111.  zurückgehenden  Dekretale  befolgte  Vorgang 
nicht  der  normale  zu  sein  *). 

Von  den  einzelnen  Indignitätsfällen  der  Bulle  behandelt  die 
Glosse  nur  die  excommunicatio  (unter  dem  Stichwort  publica), 
den  Meineid  (periurium),  die  Abstammung  de  genere  persecutorum 
(progenitores)  und  das  Sacrileg  (sacrilegus).  Darunter  befindet 
sich  einer,  für  den  die  Glosse  selbst  keine  Belegstelle  aus  dem 
kanonischen  Ämterrecht  anzuführen  vermag;  zum  Worte  progeni- 
tores bemerkt  sie  in  ßliis  enim  paterni  criminis  exempla  metn- 
untur  und  verweist  auf  c.  (21  und)  22  C.  6 q.  1,  wo  eine  aus 
dem  römischen  Recht*)  entnommene  Stelle  die  Söhne  begnadigter 
Verschwörer  gegen  den  Kaiser  als  infam  und  erbunfähig  erklärt. 
— Dagegen  finden  sich  Verweise  aus  dem  kanonischen  Ämterrecht 
bezüglich  des  excommunicatus  und  periurus.  Bezüglich  des  ersteren 
verweist  die  Glosse  zum  Worte  publica  auf  c.  12  X II  25  de  ex- 
ceptionibus,  auf  c.  9 X V 27  de  clerico  exc.,  auf  c.  24  X II  27 
de  sent.  et  re  iud.  und  schließlich  auf  c.  1 in  VIto  II  12  de 
exceptionibus s),  um  die  Notwendigkeit  der  publica  excommuni- 


')  Die  Begründung  macht  einen  gezwungenen  Eindruck : die  Appellation 
der  Partei  des  Exkommunizierten  wird  deshalb  zurfickgowiescn,  weil  sie 
selbst  nach  eingelegter  Appellation  gegen  ihren  Kandidaten  die  Wahl 
Torgenommen  hatte  und  somit  oinc  Einrede  aus  einem  gl  eichen  Ver- 
halten der  Gegenpartei  nicht  mehr  Vorbringen  konnte  (nnr  diesen  Ge- 
danken hebt  das  Summarium  hervor).  Als  Norm  gilt  also  auch  hier,  daß  die 
Kassation  der  ersten  Wahl  abzuwarten  ist,  bevor  zu  einer  zweiten  geschritten 
wird.  Ganz  besonders  scharf  kommt  diese  Norm  zum  Ausdruck  in  c.  29  X I 6 
de  electione  und  c.  11  X V 31  de  cxcessibus  pracl.,  zwei  Entscheidungen  In  n o- 
ccnz'  III.  aus  den  Jahren  1205  und  1209,  beide  bereits  in  die  Comp.  III. 
aufgenommen  (vgl.  dio  kritischen  Nachweise  in  der  Ausgabe  von  Friod- 
berg  und  bei  Potthast,  Keg.  Pont-.,  2472  und  3662).  Dies  erkennt  klar 
die  Glosse  zum  letzteren  caput,  indem  sic  zum  Worte  irritam  bemerkt: 

Erqo  fuit  haec  securuia  flectio  irrita  ipso  iurey quüi  prima  non  cassaia 

secunda  non potuit  nee  debuit  attentari,  etiamsi  prima  ipso  iure  nulla  fuisset. 

*)  L.  5 Cod.  IX  8. 

*)  Die  erste  und  zweite  Stelle  (c.  12  X II  25  und  c.  9 X V 27)  gchon 
auf  Gregor  IX.  (1227 — 1241)  zurück,  dio  dritte  (c.  24  X II  27),  welche  sich 
bereits  in  der  Comp.  IV.  tindet,  ist  eine  Dekretale  Innocenz' III.  (1198—1216), 
die  vierte  (c.  1 in  VI«1  11  12)  geht  auf  das  Konzil  von  Lyon  (1245)  zurück. 


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90 


catio  zu  beweisen.  Alle  diese  Bestimmungen,  mit  Ausnahme 
der  an  zweiter  Stelle  genannten,  sind  dem  Prozeßrecht  ent- 
nommen: c.  24  X II  27  enthält  die  Weisung,  ein  Urteil  zu 
kassieren  (infirmare),  falls  einer  der  Richter  im  Moment  der 
ürteilsfällung  „publice  excommunicatus“  war;  c.  12  X II  25  und 
c.  1 in  VI*°  II  12  regeln  die  dem  Beklagten  zustehende  prozeß- 
hindernde Einrede  der  excommunicatio  (maior)  des  Klägers  und 
bestimmen,  daß  die  publica  excommunicatio  sogar  von  Amts- 
wegen und  in  jedem  Stadium  des  Prozesses  zu  berücksichtigen  ist. 
Die  an  zweiter  Stelle  genannte  Bestimmung,  c.  9 X V 27,  befaßt 
sich  mit  der  suspensio  a divinis  und  stellt  fest,  daß  die  cele- 
bratio  divinorum  nur  dann  Irregularität  zur  Folge  hat,  wenn  sie 
in  Kenntnis  (oder  verschuldeter  Unkenntnis)  der  Suspension  er- 
folgte, was  das  Summarium  extensiv  auch  auf  die  Nichtbeachtung 
der  Exkommunikation  ausdehnt.  Hier  haben  wir  also  wieder  ein 
Beispiel  für  das  wahllose  Subsumieren  weltlicher  Angelegenheiten 
nnter  Nonnen  rein  kirchlicher  Natur.  Die  scharfe  Forderung  der 
publica  excommunicatio  ist  eine  Fortbildung  des  Gedankens, 
welcher  uns  schon  im  Gratianischen  Dekret  begegnete,  daß  nur 
dem  nominatim  excommunicatus  gegenüber  die  Treuepflicht 
ze8siert').  Den  Ausführungen  der  Bulle  gegenüber  erscheint  diese 
scharfe  Betonung  allerdings  beinahe  wie  ein  Gegenargument; 
denn  wenn  die  Bulle  auch  von  der  publica  excommunicatio  spricht, 
so  unterläßt  sie  es  doch  aus  guten  Gründen,  die  Frage  der  Pu- 
blizität der  Exkommunikation  Philipps  näher  zu  prüfen*).  — 


Die  kritischen  Nachweise  siehe  außer  in  der  Ausgabe  von  Friedberg  be- 
züglich der  ersten  Stelle  bei  Potthast,  Reg.  Pont,  9614,  bezüglich  der 
zweiten  ibidem  7882  ct  post  9611,  bezüglich  der  dritten  ibidem  5023,  be- 
züglich der  vierten  ibidem,  Vol.  II.,  pag.  996,  X aliae  Constitutioncs  (in 
Concilio  Lugdunensi)  no.  3. 

')  Vgl.  obon  S.  37. 

J)  Vgl.  darüber  Winkel  m a ii  n , a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  43  Anui.  1)  SS.  31  f., 
80  ff.,  137  ff.  Die  Exkommunikation  war  zwar  von  Coelestin  111.  öffentlich  ver- 
hängt worden,  scheint  aber  in  Deutschland  nicht  bekannt  gewesen  zu  sein. 
Zur  Zeit  der  Bulle  „Venerabilem“  hatte  übrigens  Philipp  längst  vom  Bischof 
von  Sutri  die  Lossprechung  erhalten,  und  zwar  vor  der  mit  einer  Erneuerung 
der  Wahl  verbundenen  Krönung.  Innocenz  III.  hat  die  Giltigkeit  der  Los- 
sprechung geleugnet,  weil  der  Bischof  gegen  seine  Instruktion  gehandelt 
hatte:  dies  ist  jedoch  gloicbgiltig  für  die  Frage  der  Publizität.  Was  den 


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91 


Ganz  ähnlich  wie  zum  Worte  publica  argumentiert  die  Glosse 
auch  zum  Worte  periurium,  wo  ebenfalls  von  den  für  geistliche 
Ämter  geltenden  Bestimmungen  auf  das  Königtum  geschlossen 
wird.  Als  Beweis  dafür,  daß  periuri . . non  tolnm  non  debeni  pro- 
moeeri  ad  honort s,  iwo  st  promnti  tunt , debent  repelli,  wird  c.  10 
X II  24  de  iureiurando  *)  angeführt,  welches  die  Weisung  enthält, 
einen  oidbrüchigen  Priester  seines  Amtes  zu  entsetzen  (ab  ecclena 
removere).  In  voller  Übereinstimmung  damit  steht  das  von  unserer 
Glosse  als  Belegstelle  für  die  Infamie  des  Eidbrüchigen,  den  an- 
geblichen Grund  der  Amtsentsetzung  (Infame*  enim  sunt),  ange- 
führte c.  2 X III  22  de  fideiussoribus  *) : von  der  Infamie  ist 
darin  nicht  die  Rede,  wohl  aber  wird  über  eidbrüchige  Kleriker 
die  suspensio  ab  officio  et  beneficio  verhängt.  Als  Gegenargument 
(Qwindoijue  periurium  rvm  repelli/')  bezieht  sich  die  Glosse  auf 
c.  27  X II  24  de  iureiurando5},  wo  lediglich  (nach  der  richtigen 
Inhaltsangabe  des  Summarium)  erklärt  wird,  daß  das  (von  einem 
Bischof)  contra  utilitatem  ecdesiaxtiram  geleistete  iuramentum 
(als  illicüvm ) non  tenet ; dementsprechend  bemerkt  auch  unsere 
Glosse  nach  Anführung  des  Gegenarguments  Sed  intellige  ibi 
periurium,  i.  temernrium  iuramentum. 

Sehr  interessant  ist  schließlich,  was  die  Glosse  zum  Worte 
sacrilegum  bemerkt.  Sie  verweist  darauf,  daß  angeblich  selbst 
die  familia  sacrilegi  nach  c.  8 C.  17  q.  4 *)  re/>ellitur  a sacramentis 

Indignitätsfall  der  Exkommunikation  an  sich  anlangt,  so  bemerkt  Winkol- 
m an n unter  Berufung  auf  Hurter  (vgl.  oben  S.43  Anm.  1):  .Der  Beschützer 
der  Kirche  und  dennoch  aus  derselben  ausgeschlossen  sein,  war  ein  Wider- 
spruch, der  selbst  Philipps  treueste  Anhänger  irre  zu  machen  geoignet  war“. 

*)  Eine  Dckrctalc  Alexanders  III.  (1159—1181),  welcho  bereits  in  die 
Comp.  I.  aufgenommen  worden  war:  vgl.  die  kritischen  Nachweise  in  der 
Ausgabe  von  Friedberg  und  boi  Jaffe,  Reg.  Pont.  (ed.  II.),  14001. 

’)  Eine  ebenfalls  bereits  in  die  Comp.  1.  aufgenommene  Dekretale 
Lucius' III.  aus  dem  Jahre  1181:  vgl.  die  kritischen  Nachweise  in  der  Aus- 
gabe von  Friedberg  und  bei  Jaffe,  Reg.  Pont.  (cd.  II.),  14532. 

s)  Eine  schon  in  der  Comp.  III.  enthaltene  Dekretale  Innocenz’  III. 
aus  dem  Jahre  1201:  vgl.  die  kritischen  Nachweise  in  der  Ausgabe  von 
Friedberg  und  bei  Potthast,  Reg.  Pont.,  1310. 

4)  Dieser  Canon  ist  einem  fälschlich  dem  hl.  Augustinus  zugosebriebenon 
Brief  entnommen  (vgl.  Migne,  Patrol.  Lat.,  Tom.  XXXIII  1096):  daLi  auch 
die  famitia  sacrilegi  repe/litur  a sacramentis , scheint  mir  daraus  nicht 
hervorzugehen. 


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92 


Ecchtiae  und  nach  c.  11  C.  3 q.  41)  ab  aliü  artibu*  Ugitimit. 
Wenn  man  daraus  die  Konsequenz  ziehen  will,  daß  die  Königs- 
wahl ein  actus  legitimus  ist,  so  ergeben  sich  weittragende 
Folgerungen  für  den  Wahlakt,  welcher,  um  das  praktisch  Wichtigste 
hervorzuheben,  nicht  an  eine  Bedingung  geknüpft  werden  kann’). 
Dadurch  würde  aber  die  Rechtsgiltigkeit  von  Wahlkapitulationen 
und  dergleichen  in  Frage  gestellt,  und  es  ist  kaum  anzunehmen, 
daß  der  Olossator  diese  Folgerungen  hat  ziehen  wollen1).  Der  Hin- 
weis auf  die  actus  legitimi,  zu  denen  auch  die  sacramenta  gezählt 
werden,  dürfte  bloß  als  Analogieschluß  aufzufassen  sein. 

III.  Fragen  wir  nun  zum  Schluß,  wie  die  Ausgestaltung, 
welche  die  in  der  Bulle  „Venerabilem“  enthaltene  Theorie  über 
die  deutsche  Königswahl  durch  die  Glosse  gefunden  hat,  in  das 
staatskircheurechtliche  System  der  Dekretalen  paßt,  so  bieten  sich 
der  Beantwortung  größere  Schwierigkeiten,  als  bei  Beantwortung 
derselben  Frage  bezüglich  der  Depositionstheoric  und  des 
Gratianischen  Dekrets4).  Während  nämlich  in  letzterem  mehrere 
Titel  ex  professo  das  Verhältnis  der  geistlichen  und  weltlichen 
Gewalt  behandeln,  ist  dies  bei  den  Dekretalen  nicht  der  Fall. 
Aus  den  Bestimmungen  über  verschiedene  Einzelgebiete  kirchlichen 
Lebens,  welche  auch  den  staatlichen  Bereich  berühren,  müssen  die 
Prinzipien  der  kanonischen  Legislation  und  Doktrin  mehr  er- 

■)  Dieser  Canon  geht  angeblich  auf  Felix  II.  (Gegen papst  355—365) 
zurück,  und  zwar  auf  das  Jahr  362,  ist  aber  pscudoisidorisch  (vgl.  Mignu, 
l’atrol.  I.at.,  Tom.  XIII  21,  Jaffe,  Keg.  Pont.  [cd.  II.],  t 230).  Kr  schränkt  das 
Klagerecht  gewisser  Personen  ein,  ohne  aber  darunter  (wenigstens  aus- 
drücklich) den  sacrilegus  zu  nennen. 

*)  Die  Literatur  über  die  actus  legitimi  vgl.  bei  Windscheid  - Kipp, 
Lehrbuch  des  Pandektenrechts,  9.  And.  (Noubcarbeit.:  2.  Aull.),  I.  Hand, 
Frankfurt  a.  M.  1906,  § 95  Note  2. 

*)  Doch  sprachen  manche  Momente  für  eine  solche  Annahme,  vor  allem 
der  bekannte  Einspruch  des  Legaten  gegen  eine  Wahlkapitulation  bei  der 
Wahl  Rudolfs  von  Schwaben  1077,  da  darin  ein  sinionistisches  Vorgehen 
liego  (liruno,  De  bello  Saxonico  cap.  91,  MG.  SS.V  365  — vgl. auch  oben  S.26). 
F erner  das  charakteristische  dccrotum  de  electione  pontificum  ln  noccnz’  IV. 
vom  Jahre  1245  (Potthast,  Reg.  Pont.,  11732):  Cum  actus  UgUimt  düs  tt 
conditiones  abhorrcant  sanctione  legaü,  tt  inter  ltgitimos  actus  c/tctio  ponti- 

ficutn  ctltbtrrimus  habeatur, in  cUctionibus  seu  postulatienibus  vet 

scrutinus , ex  quibus  ius  aritur  eligendt , vota  condiiionalia , alternativa  tt  incerta  re- 
probamus  et  inhibemus  .... 

*)  Vgl.  oben  S.  35. 


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93 


schlossen  werden,  als  sie  ausdrücklich  dargelegt  wären.  In  dieser 
Beziehung  haben  wir  uns  bereits  oben  (SS.  74  ff.)  bei  Besprechung 
des  dem  Papst  zustehenden  Richteramtes  überzeugt,  wie  ratione 
peccati  die  weitesten  Gebiete  staatlichen  Lebens,  ja  die  Friedens- 
wahrung, in  welcher  sich  doch  die  Aufgabe  des  mittelalterlichen 
Staates  nahezu  erschöpfte,  schlechthin  dem  geistlichen  Richter- 
spruch unterstellt  wurden.  Und  zur  vollen  Deutlichkeit  wird  diese 
Lage  der  Dinge  bei  einer  Untersuchung  der  Titel  de  maioritate 
et  obedientia,  de  treuga  et  pace,  de  iudiciis,  de  constitutionibus, 
ne  clerici  vel  monachi  saecularibus  negutiis  se  immisceant,  qui 
filii  sint  legitimi,  de  haereticis ').  Daß  dabei  prinzipiell  an  der 
distinctio  der  Gewalten  noch  immer  festgehalten  wurde,  war  nur 
möglich,  weil  es  nicht  als  logischer  Sprung  empfunden  wurde,  die 
ratione  peccati  gefällten  Entscheidungen  mit  Rechts  Wirkungen 
auszustatten.  In  dem  Maße,  als  die  Gebiete,  auf  welche  sich 
diese  indirekte  potestas  in  temporatibus  erstreckte,  größer  wurden, 
mußte  auch  die  Spannung  zwischen  Prinzip  und  Praxis  wachsen, 
da  viele  Fälle  nicht,  wie  dies  bezüglich  des  Eides  und  der  De- 
position allerdings  nach  unseren  Darlegungen  (oben  SS.  40  ff.)  an- 
erkannt werden  muß , kraft  der  Tatsachen , der  lebendigen 

')  Es  sind  dies  die  Titel  I 2,  I 33,  I 34,  II  1,  III  50,  IV  17,  V 7.  Von  be- 
sonderer Bedeutung  sind  außer  den  im  Text  ausführlich  erörterten  Dekretalen 
„Venerabilem“  (c.  34  X 1 C de  electione)  und  „Novit“  (c.  13  X II  1 de 
iudiciis)  die  Dckretale  „Solitau“  (c.  fi  X I 33  de  maior.  et  obed.)  und  die 
Dckretale  „I’er  Vencrabilem“  (c.  13  X IV  17  ijui  filii  sint  legitimi).  Über 
die  erster«,  welche  Innozenz  III.  im  Jahre  1201  an  den  Kaiser  von  Byzauz 
gerichtet  hat  und  welche  sich  bereits  in  der  Comp.  III.  findet  (vgl.  die 
kritischen  Nachweise  in  der  Ausgabe  von  Friedberg  und  bei  Potthast, 
Reg.  Pont.,  1278)  handelt  Phillips  in  seinem  Kirchenrecht, § 128;  der  Papst 
betont  hier  lediglich  den  allgemeinen  Vorrang  des  sacerdotium,  ohne  sich 
über  die  Frage  der  juristischen  Abhängigkeit  klar  zu  Kullern.  Oie  Dekretale 
„Per  Venerabilcm“  hat  eine  geistvolle  und  originelle  Behandlung  vom  streng 
hiorokratischen  Standpunkt  aus  gefunden  durch  Molitor,  Die  Dckretale  Per 
Venerabilem  und  ihre  Stellung  im  öffentlichen  Hechte  der  Kirche,  Münster 
1870  (in.  F,.  ungenügend  orientiert  über  den  Standpunkt  des  Verf.  Martens, 
Ein  deutscher  Vertreter  des  Hiernkratismus,  Zeitschr.  f.  Kircbenr.  XVII 
57  ff.);  sie  ist  eine,  ebenfalls  bereits  in  die  Comp.  III.  aufgenommene, 
Entscheidung  Innozenz'  III.  aus  dem  Jahre  1202  (vgl.  die  kritischen  Nach- 
weise in  der  Ausgabe  von  Friedberg  und  boi  Potthast,  Keg.  Pont,  1794). 
Besonders  hervorguhoben  sei  noch,  daß  der  Ausdruck  tu  se  immisceant 
saecularibus  ncgotüs  (III  50)  eine  rein  asketische  Bedeutung  angenommen  hat 


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Wirklichkeit,  sondern  durch  künstliche  theoretische  Konstruktion 
unter  die  ratione  peccati  zu  behandelnden  subsumiert  wurden. 
Und  diese  Entwicklung  des  kanonischen  Rechts  war  begleitet  von 
der  gerade  entgegengesetzten  des  deutschen  Geisteslebens,  in  dem 
sich  die  begriffliche  Scheidung  von  Staat  und  Kirche  allmählich 
zu  vertiefen  begann1). 

In  der  Glosse  hat  sich  diese  Spannung,  die  ja  außerhalb  der 
kanonischen  Bechtsentwicklung  auftrat,  nicht  bemerkbar  gemacht, 
wir  haben  vielmehr  oben  (S.  75)  bereits  ein  signifikantes  Beispiel 
dafür  kennen  gelernt,  wie  selbst  die  Ausübung  einer  ihrem  Um- 
fang nach  unbeschränkten  subsidiären  Jurisdiktion  des  Papstes 
mit  der  prinzipiellen  distinctio  der  Gewalten  für  vereinbar  ge- 
halten wurde s).  Damit  ist  allerdings  bereits  ein  anderer  Gedanken- 
kreis berührt,  der  „principaliter“  die  Regierung  des  Weltreichs  dem 
Papst  zuwies;  so  hatte  Gregor  VII.  im  ersten  Anlauf  das  biero- 
kratische System  gedacht,  wir  haben  bei  Innozenz  III.  wenigstens 
Spuren  davon  erkannt  und  wir  werden  es  in  vollem  Umfang  bei 
Bonifaz  VIII.  wiederfinden5).  Die  ganze  Translationstheorie,  wie 
sie  auch  die  Glosse  zur  Bulle  „Venerabilem“  zu  den  Worten  Caroli 
und  transtulit  entwickelt4),  geht  im  Kerne  darauf  zurück,  wenn- 

')  Kino,  allerdings  in.  E.  ungenügende,  Andeutung  dieser  mit  dem 
Sinken  der  kaiserlichen  Machtstellung  zusammenhängenden  Erscheinung  linde 
ich  bei  Kehm,  a.  a.  ().  (vgl.  oben  S.  1 Amu.  1)  SS.  176  und  177.  Es  ist  hier 
zwar  vom  Beginn  des  14.  Jahrhunderts  die  Rede,  die  daselbst  angeführten 
Tatsachen  machten  sich  jedoch  schon  in  den  letzten  zwei  Dritteln  des  13. 
mit  aller  Macht  geltend. 

*)  Besonders  deutlich  zeigt  sich  das  prinzipielle  Festhalten  an  der 
„distinctio“  in  der  Glosse  (Casus,  gegen  Ende)  zu  c.  13  X IV  17:  Item  in 
certis  casibus  iurisdictionem  temporalem  potest  exeereere  in  aliena  temporali  iurtsaictione. 

*)  Vgl.  unten  SS.  125  IT.  — . Mit  aller  Schärfe  vertritt  diesen  Gedanken 
Z.B.  die  Glosse  zu  c.3  X I 41  (zu  den  Worten  iure  minoris):  item  ( eec/esia ■)  fungitur 
iure  imperü,  imo  maior  est  imperio, 

*)  Die  entscheidende  Stelle  in  der  Glosse  zum  Worte  transtulit  lautet: 
et  cum  nollent  [seil.  Imperatores  Constantinopolitaru)  patrocinari  Ecc/esiae  Romanae. 
Stephanus  Papa  II.  etatione  Ron  Linus  transtulit  imperium  ad  Carolutn  Magnum, 
qui  fuit  ftltus  Pipini,  quem  Zacharias  praedeeessor  eins  substituerat  Ludovico  Regi 
Francorutn , quem  deposuerat , de  quo  legitur  rj.  q.  6 e.  alius  (vgl.  oben  S.  35). 
Die  Glosse  zu  den  Worten  in  Gennanos  beginnt:  Sic  ergo  regnum  mundi  Irans- 
latum  est  ad  Theutonicos.  nam  ipsi  habent  regnum  Romanae  ecdesiae.  Vgl.  bezüg- 
lich dieser  Glosse  die  folgende  Anui.  und  unten  S.  96,  bezüglich  der  Trans- 
latiunstheorie  im  allgemeinen  obeu  S.  1 1 Amu.  2. 


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gleich  dieses  Argument  häufig  ohne  Bewußtsein  des  Zusammen- 
hangs angewendet  wurde.  Mit  der  distinctio  der  Gewalten  ließe 
sich  die  subsidiäre  Jurisdiktion  des  Papstes  höchstens  ver- 
einen, wenn  ein  analoges  Recht  negligeute  oder  vacante  sede 
apostolica  auch  dem  Kaiser  eingeräumt  wäre,  wovon  jedoch  keine 
Rede  ist. 

So  wenig  als  dieser  grundlegenden  Widersprüche  ist  sich  die 
Glosse  der  praktischen  Schwierigkeit  bewußt  geworden,  die  zentrale 
Gewalt  des  Kaisertums  gegenüber  dem  unmittelbaren  Eingreifen  der 
päpstlichen  Jurisdiktion  aufrecht  zu  halten.  Man  denke  nur  an 
den  päpstlichen  Schiedsspruch  zwischen  Frankreich  und  England! 
Die  Glosse  in  Germanos  (zur  Bulle  „Venerabilem“)  aber  vertritt  mit 
der  größten  Unbefangenheit  und  detailliert  die  zentrale  Stellung 
des  Kaisertums '). 

Jedenfalls  müssen  wir  alles  in  allem  sagen,  daß  die 
Tendenz,  die  päpstlichen  Rechte  bei  der  Königswahl 
auszudehnen  und  die  letztere  den  Bestimmungen  des 
kanonischen  Ämterechtes  in  weitem  Umfang  zu  unter- 
werfen, das  Kaisertum  und  mit  ihm  das  deutsche  König- 
tum als  kirchliches  Amt  zu  fassen,  sehr  wohl  in  die 
geschilderte  staatskirchenrechtliche  Entwicklung  sich 
einfügt.  Und  es  würde  fast  wundernehmen,  wenn  in  dem  Ge- 
bäude als  Schlußstein  die  bereits  im  Gratianischen  Dekret  ent- 
haltene Depositionstheorie  fehlen  sollte.  Tatsächlich  findet  sie 
sich  auch  — zwar  nicht  in  den  Dekretalen,  da  es  an  einem 
historischen  Anstoß  gefehlt  hatte J)  — wohl  aber  in  der  Glosse. 


')  Die  Glosse  fährt  nach  dein  in  der  vorigen  Anm.  mitgeteilten  Satz 
(unter  Anführung  von  Belegstellen  zu  jedem  einzelnen  Satz)  fort:  Et  sic 
polet,  <]uoJ  imperium  non  es t apud  Gnueos , lieet  largo  nomine  appelletur  Imperator, 
sicut  ct  rex  Schacorum  (sic!)  dicitur  rex,  quoniam  extra  ecelesiam  non  rst  Imperium, 
esi  autem  imperator  HU  super  omnes  reges,  et  omnes  nationes  sunt  sub  eo.  Ipse 
enim  est  prirueps  ntundi  et  dominus,  et  ttiam  Juda  ei  sub  eo  sunt,  et  omnes  pro - 
vineiae.  et  omnia  sunt  in  potestate  imperatoris. 

2)  He  dl  ich  behauptet  a.a.O.(vgl.  oben  S.34  Aru».  3),  Papst  Alexander  III. 
habe  ii»  Jahre  1167  Kaiser  Friedrich  I.  und  Papst  Innozenz  III.  im  Jahre 
1211  Otto  IV.  abgesetzt.  Allein  die  erstere  Mattregel  durchzuführen  (wenn 
man  sie  überhaupt  als  erwiesen  annehmen  will),  wurde  seitens  der  Kurie 
uicht  einmal  versucht;  und  im  zweiten  Fall  fielen  die  poli tischen  Verh&lt- 


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Schon  der  Casus  weist  bei  Nennung  Friedrichs  II.  auf  dessen 
spätere  Deposition  durch  Innozenz  IV.  *)  hin;  und  zum  Worte 
transtulit  wird  die  Deposition  des  Merowingers  Ludwig  (sic !)  und 
die  Substitution  Pipins  an  seine  Stelle  unter  Hinweis  auf  c.  3 
C.  15  q.  6 erwähnt*). 

3.  Das  Summarium  zur  Bulle  „Venerabilem“ 
DasSummarium  zur  Bulle  „Venerabilem“  bestätigt  im  großen 
und  ganzen  dasjenige,  was  wir  aus  der  historischen  Betrachtung 
der  Bulle  selbst,  aus  der  Untersuchung  der  dazu  gehörigen  Glosse 
und  aus  dem  inneren  Zusammenhänge  der  in  den  Dekretalen  ent- 
haltenen Bestimmungen  staatskirchenrechtlicher  Natur  als  den 
Entwicklungsgang  des  kanonischen  Rechtes  zu  erkennen  glaubten. 
Dem  als  das  Primäre  anerkannten  Wahlrecht  der  Wahlfürsten 
steht  ein  sowohl  die  Person  des  Gewählten  als  auch  den  Wahlakt, 
für  den  Majorität  und  unitas  actus  gefordert  werden,  betreffendes 
Approbationsrecht  des  Papstes  gegenüber.  Allerdings  ist  zu  be- 
achten, daß  das  Summarium  gewissermaßen  den  Schlußpunkt  der 


nisse  so  stark  ins  Gewicht,  daß  man  daneben  die  p&pstliche  Sentenz  fast 
übersehen  konnte  und  sich  an  die  oben  (S.  38)  erörterte  Auffassung  der 
Glosse  zum  Gratianischen  Dekret  erinnert  fühlt.  — Übrigens  ist  in  die 
Dekretalen  selbst  als  c.  6 X III  34  de  Toto  die  Ton  Innozenz  III.  im  Jahre 
1198  an  den  Sohn  des  Königs  von  Ungarn  (wegen  Nicht-Erfüllung  des 
Kreuzzugs- Gelübdes)  gerichtete  Drohung  mit  der  privatio  regni  übergegangen. 
Das  p&pstliche  Schreiben  war  bereits  in  der  Comp.  III.  enthalten;  vgl.  die 
kritischen  Nachweise  in  der  Ausgabe  von  Friedberg  und  bei  Potthast, 
Reg.  Pont.,  4. 

')  Vgl.  unten  SS.  100  fT. 

9)  Das  außerdem  bezogene  c.  3 X I 7 de  translatione  steht  in  keinem 
Zusammenhang  mit  der  Absetzung  (oder  Krönung)  des  Königs.  Wenn  die 
Glosse  (im  Anschluß  an  den  erstem,  bereits  oben  S.  83  besprochenen,  durch 
die  dort  angeführten  Verweise  belegten  Satz)  weiter  bemerkt  Item  arg.  quod 
destructo  prindpati,  et  accessorium,  so  scheint  daraus  jene  Auffassung  zu  sprechen, 
die  wir  (oben  S.  40)  bei  Johannes  Faventinus  kennen  lernten.  Belegt  wird 
der  zweite  Satz  (abgesehen  von  einigen  römischrechtlichcn  Stellen)  durch 
c.  17  X I G de  clectione  (eine  bereits  in  der  Comp.  III  enthaltene  Dekretale 
Innozenz’  III.  aus  dem  Jahre  1199  — die  kritischen  Nachweise  in  der  Aus- 
gabe von  Friedberg  und  bei  Potthast,  Reg.  Pont.,  83G);  hier  heißt  es 
am  Ende:  . . . eleetionem  duximus  trritandam,  quiequid  ex  ca  et  ob  eam 
factum  est  den  uncia  nte  j penitus  non  teuere. 


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Entwicklung  bezeichnet1)  und  dasjenige,  wozu  wir  bisher  nur 
Ansätze  gefunden  haben,  zu  voller  Klarheit  entwickelt.  Dies  gilt 
ebensowohl  von  dem  unzweideutigen  Hinweis  auf  das  ausgebildete 
Kurfttrstenkolleg  wie  von  der  vorbehaltlosen  Anerkennung  des 
päpstlichen  Devolutionsrechts. 

Das  Summarium  lautet:  Eleetio  imperatori s.  spectat  a<l  Prin- 
cipes Gennanos,  tres  praelatos,  et  quatuor  laicos,  et  eleetio  } acta 
per  eorum  maiorem  partem,  ceteids  non  contemptis,  tonet.  Et  ad 
Papam  pertinet  electuiiP)  e.raminare,  approbare,  et  inunyere,  consecrare, 
et  eoronare,  si  est  dignus;  vel  reicere , si  est  intlignus  ut  quia  sacri- 
legus,  e.rcommunicatus,  tyrannus,  fatuus  vel  haereticus,  paganus , 
periurus,  vel  ecclesiae  persecutor.  Et  electoribus  nolentibus  eligere , 
1‘apa  supplet.  Et  data  paritate  vocum  eligentium,  nee  accedente 
maiori  concordia,  Papa  p otest  gratificari  cui  vult.. 

Was  zunächst  das  Devolutionsrecht  des  Papstes  anlangt,  so 
ist  es  in  merkwürdiger  Weise  mit  dem  Reste  des  alten  ius  alteri 
partium  favere  (besonders  in  der  oben  S.  78  [dritter  Fall]  besprochenen 
Konstruktion)  verknüpft.  Das  letztere  stellt  sich  gewissermaßen  als 
eine  Abschwächung  des  Devolutionsrechts  dar,  welche  bei  dem 
einzigen  noch  möglichen  Fall  der  Z wiekur  eintritt:  obwohl  hier 
eine  gütige  Wahl  überhaupt  nicht  vorliegt,  soll  doch  der  Papst 
einem  der  beiden  Kandidaten  die  kaiserliche  Würde  verleihen. 
Mit  der  kaiserlichen  Würde  ist  auch  über  die  königliche  ent- 
schieden, die  als  unlösbar  miteinander  verknüpft  erscheinen;  von 
der  mitunter  auftauchenden  begrifflichen  Scheidung  beider’)  findet 
sich  hier  nicht  die  leiseste  Spur,  wie  schon  der  Ausdruck  eleetio 
imperatoris  beweist.  Über  das  Kurfürstenkollegium  wird  weiter 
unten  nochmals  gehandelt  werden4). 


’)  Im  allgemeinen  gelten  allerdings  die  Suinmarien  als  älter  als  die 
(Jlo8se,  ohne  daß  aber  in  jedem  einzelnen  Falle  darüber  Sicherheit  bestände. 
Eben  der  fortgeschrittene  Standpunkt  unseres  Summariuins,  besonders  in  Bezug 
auf  das  Kurfürstenkollegium,  spricht  für  eine  jüngere  Entstehungszeit. 

*)  I>a  im  ersten  Satze  festgestellt  ist,  unter  welchen  den  Wahlakt 
betreffenden  Bedingungen  allein  die  „eleetio  teilet“,  so  kann  nur  die 
unter  Einhaltung  dieser  Bedingungen  festgestellte  Person  als  electus  be- 
zeichnet werden.  Wenn  der  Papst  also  nur  dem  electus  (im  technischen 
Sinne)  die  Kaiserwürde  verleihen  soll,  muß  er  den  Wahlakt  prüfen. 

*)  Vgl.  S.  20  Anm.  2 und  S.  53  Anm.  2. 

4)  Vgl.  unten  SS.  Ulf. 

Hugeluauo.  Die  deutsche  König^wabl  ~ 


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III.  Der  Abschluss  der  kanonischen  Theorie: 

Der  Liber  Sextus,  die  Clementinen  und  die  Extravaganten. 

Durch  Innocenz  III.  war  die  mittelalterliche  Kirche  zum  fak- 
tischen Höhepunkt  ihrer  weltlichen  Macht  emporgeführt  worden, 
auf  dem  sie  sich  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  als  ent- 
scheidender Faktor  der  europäischen,  besonders  der  deutschen 
Politik  bewahrte.  Das  kauonische  Recht  führte  allerdings  die 
hierokratische  Staatslehre  im  folgenden  Jahrhundert  noch  weit 
über  jene  Entwicklungsstufe  hinaus,  die  in  den  Dekretalen  ihren 
Ausdruck  gefunden  hat;  allein  praktisch  wirksam  wurden  diese 
Ausgestaltungen  des  hierokratischen  Systems  nicht,  wie  wir  schon 
in  der  Einleitung  (oben  S.  16)  dargelegt  und  begründet  haben. 

Machen  wir  an  diesem  Wendepunkt,  wo  die  Entwicklung  der 
tatsächlichen  politischen  Verhältnisse  und  die  Fortbildung  des 
kanonischen  Rechtes  sich  scheiden,  einen  Querschnitt  durch  das 
letztere,  wie  wir  es  aus  der  kanonischen  Gesetzgebung  und  der 
daran  anschließenden  Literatur  kennen  gelernt  haben,  so  bietet  sich 
folgendes  Bild.  Nach  wie  vor  steht  im  Mittelpunkt  der  Theorie 
das  eine  christliche  Weltreich.  Noch  anerkennt  sie,  wie  im 
Gratianischen  Dekret,  im  Gegensatz  zu  Gregor  VII.  den  Bestand 
zweier  Gewalten,  der  päpstlichen  und  der  kaiserlichen,  und  deren 
prinzipielle  Scheidung;  aber  schon  hat  sie  durch  konsequente 
Durchführung  jener  Auffassung,  welche  an  die  ratione  peccati 
gefällten  Entscheidungen  juristische  Wirkungen  knüpft,  indirekt 
die  päpstliche  Jurisdiktion  in  weitestem  Umfang  über  weltliche 
Angelegenheiten  ausgedehnt,  welche  in  den  Formen  des  aus- 
gebildeten kanonischen  Prozesses  vor  ihrem  Forum  behandelt 
werden.  Ergibt  sich  aus  dem  letzteren  Umstand  praktisch  eine 
strikte  Einschränkung  der  kaiserlichen  Gewalt,  der  von  der  ideellen 
Weltherrschaft  nur  die  Aufgabe  geblieben  ist,  advocatus  sedis 
apostolicae  zu  sein,  auf  das  Territorium  Deutschlands  und  seiner 
„Nebenländer“,  so  bot  anderseits  eben  jene  kirchliche  Aufgabe, 
welche  mit  dem  deutschen  Königtum  verknüpft  war,  den  Anlaß, 
gerade  bei  der  Besetzung  des  deutschen  Thrones  kanonische 
Rechtsnormen  anzuwenden.  Unter  Zurückweisung  jeder  Tendenz 
zum  Erbkünigtum  wurde  das  Wahlrecht,  welches  jedoch  nicht 
mehr  allen  Fürsten  zuerkannt  wurde,  scharf  betont;  dem  gegenüber 


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war  ein  einheitliches  Approbationsrecht  des  Papstes  in  voller  Aus- 
bildung begriffen,  welches  sich  in  gleicher  Weise  auf  die  „Idoneität“ 
der  Person  wie  auf  den  Wahlakt  bezog,  bei  dem  das  Majoritäts- 
princip  und  einzelne  kanonische  Wahlvorschriften  sich  durchsetzten. 

Daß  in  diesem  System  das  Depositionsrecht  des  Papstes  latent 
vorhanden  war,  wäre  selbstverständlich,  wenn  auch  nicht  der  erste 
politische  Anlaß  zu  seiner  neuerlichen  Betätigung,  zur  Absetzung 
Friedrichs  II.  durch  Innocenz  IV.  (1245),  geführt  hätte.  Ja,  ein- 
zelne Kanonisten  zogen  auch  bereits  unumwunden  die  Konsequenz 
des  päpstlichen  Devolutionsrechts  und  des  Überganges  der  vollen 
kaiserlichen  Gewalt  auf  den  Papst  vacante  imperio,  womit  eigent- 
lich die  Selbständigkeit  der  weltlichen  Gewalt  bereits  auch  theoretisch 
negiert  war.  Diese  letzte  Konsequenz  hat  dann  schließlich  klar 
und  unzweideutig  die  Bulle  „Unam  Sanctam“  gezogen,  worauf  je- 
doch der  gänzliche  Umschwung  in  der  deutschen  Rechtsentwicklung 
auf  dem  Fuße  folgen  mußte,  wie  an  anderer  Stelle  (oben  S.  16) 
bereits  ausgeführt  wurde.  Die  Versuche  des  Papstes,  seine 
Machtstellung  dem  deutschen  Kaiser-  und  Königtum  gegenüber 
nicht  nur  zu  behaupten,  sondern  noch  zu  stärken,  indem  er  aus 
dem  Eide  des  Kaisers  ein  Lehensverhältnis  zum  Papsttum  ableiten 
wollte,  hatten  höchstens  den  einen  Erfolg,  den  vollen  Umschwung 
der  Dinge  zu  beschleunigen. 

Die  angedeuteten  Ereignisse  haben  ihren  Niederschlag  im 
kanonischen  Rechtsbuch  gefunden.  Zunächst  ist  die  von  Innocenz  IV. 
auf  dem  Konzil  von  Lyon  (1245)  ausgesprochene  Deposition 
Friedrichs  II.  als  c.  2 II  14  de  sent.  et  re  iud.  in  den  über 
Sextus  übergegangen  und  hat  der  Glosse  Anlaß  zu  juristischer 
Durchbildung  der  Depositionstheorie  gegeben.  Außer  mit  dieser 
werden  wir  uns  auch  mit  der  den  angeblichen  Fidelitätseid  des 
Kaisers  behandelnden  Bulle  Klemens’ V.  vom  Jahre  1311  (Konzil 
von  Vienne),  cap.  un.  in  Clem.  II  9 de  iureiurando,  und  mit  der 
zeitlich  vorausgehenden,  jedoch  erst  in  die  Extravagantes  communes 
als  c.  2 I 8 de  maiorit  et  obedient  aufgenommenen  Bulle  „Unam 
Sanctam“  zu  befassen  haben.  Besonders  die  erstere  steht  mit 
unserem  Thema,  der  Besetzung  des  deutschen  Thrones,  in  Zu- 
sammenhang, und  die  dazu  gehörige  Glosse  wirft  manches  Streif- 
licht auf  das  päpstliche  Approbationsrecht  und  auf  die  deutsche 
Königswahl.  Um  diese  wichtigen,  grundlegenden  werden  sich 

7* 


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100 


auch  leicht  die  übrigen,  minder  wichtigen,  zerstreuten  Bestimmungen 
der  letzten  kanonischen  Kompilationen  gruppieren  lassen.  Die 
berühmte  Bulle  über  die  deutsche  Königswahl  „Qui  celum“  (1263), 
mit  welcher  sich  Drban  IV.  ein  großes  Verdienst  um  die  Kon- 
solidierung der  zerrütteten  deutschen  Verhältnisse  erworben  hat, 
ist  ins  corpus  iuris  canonici  nicht  übergegangen  und  bildet  daher 
hier  nicht  den  Gegenstand  unserer  Erörterung1). 

1.  Der  Liber  Sextus,  insbesondere  die  Deposition 
Friedrichs  II. 

In  derNarratio  der  Depositionsbulle  gegen  Friedrich  II , welche, 
wie  gesagt,  in  den  über  Sextus  aufgenommen  wurde  (und  zwar 
mit  dem  Summarium  Papa  imperatorein  deponiere  polest  e.r  eauei* 
legitimis) !),  wird  der  Hergang  der  Ereignisse  folgendermaßen  er- 
zählt3). Der  Papst  habe,  um  den  Streit  zwischen  dem  Kaiser 
und  der  Kirche  zu  beseitigen,  dem  ersteren  durch  eine  Gesandt- 
schaft vorgeschlagen,  die  Streitfrage  durch  ein  Schiedsgericht  der 
Reges  y praelati  et  principes  tarn  ecclesiastici  tjuam  saeculares 
schlichten  zu  lassen.  Friedrich  habe  nicht  nur  Genugtuung  für 
seine  früheren  Verfehlungen  verweigert,  sondern  auch  den  Vor- 
schlag des  Papstes  abgelehnt.  Als  der  Papst  nun  das  Konzil  ein- 
berief, habe  Friedrich  die  dahin  reisenden  Kardinäle  gefangen 
genommen.  Der  Papst  zählt  nun  die  „gravissima  scelera“  des 
Kaisers  auf:  periurium  pacem  quoncLim  inter  eeclesiam  et  impe- 
rium  reformaUim  lewere  vtolamio , sacrileginm  durch  Gefangen- 
nahme der  Kardinäle,  haeresis  und  Außerachtlassung  der  ihm  als 

')  Vgl.  iin  II.  Kapital  die  Ausführungen  am  Rnde  der  Abschnitte  1 1 1 2 
und  III 3. 

*)  Vgl.  oben  S.  99 ; kritische  Nachweise  bei  Pntthast,  Reg.  Pont, 
11733. 

*)  Bezüglich  der  wirklichen  historischen  Vorgänge,  welche  in  der  Dopo- 
sitionsbulle  nicht  gerade  unrichtig,  aber  doch  in  einseitiger  Beleuchtung 
geschildert  werden  (insbesondere  wird  der  Kernpunkt  des  Konflikts,  die  lombar- 
dische Frage,  übergangen),  vgl.  Raumer,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  43  Anm.  1), 

III.  Band,  4.  Aull.  1872,  SS.  427  bis  441,  nnd  IV.  Band,  SS.  19  bis  28  und 
Gl  bis  80:  Jastrow-Winter,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  43  Anm.  1)  SS.  4K8  bis 
472,  48G  bis  489  und  499  bis  525;  Loaerth,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  43  Anm.  1) 
SS.  103  bis  107  und  112  bis  I1G:  llanck,  Kirchengeschichta  Deutschlands, 

IV.  Teil,  Leipzig  1903,  SS.  798  (1.:  Redlich,  a.  a.  O.  (vgl.  oben  S.  34 
Anui.  3),  SS.  15  II.  und  31  II. 


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101 


König  von  Sizilien  der  Kirche  gegenüber  obliegenden  Vasallen- 
und  Lehenspflichten.  Hierauf  folgt  als  Dispositio  die  Dopositions- 

Sentenz : Ab«  itaque cum  fratribus  nostris  et  sancto  concilio 

deliberatione  praehabita  diligentia  quum  Jesu  Christi  vices , licet 
immer  iti , teneamus  in  terris , nobisque  in  11.  Petri  persona  eit  dictum: 
„ (^nodcvnque  ligacrris  supei'  terram,  ligatum  seit  et  in  coelis memo- 
ralum  principem , qui  se  imperio  et  regnis,  omnupie  honore  et  digni- 
tate  reddidit  tarn  indignum,  tpiique  proptev  suas  iniquitates  a Deo, 
ne  regnet  v el  imperet,  est  abiectus,  suis  ligatum  peccatis  et  abiectum, 
omniipie  honore  ac  dignitate  privatum  a Domino  ostendimus,  denun- 

ciamus  et  nihilominus  sententiando  privamus,  omnes  qui , a 

iuramento  huiusmodi  peipeluo  absoleentes,  auctoritate  npostolica  fir- 
mier inhibendo,  ne  ipusipiam  de  cetera  sibi  tanupiam  iviperatori  vel 
regi  pareat  et  intendat  ....  Nach  der  Androhung  der  excom- 
municatio  latae  sententiae  heißt  es  wörtlich : Illi  autem,  ad  quos  in 
eodem  imperio  imperatoris  spectat  eleclio,  eligant  Obere  successorem , 
während  der  Papst  sich  und  den  Kardinalen  die  freie  Verfügung 
bezüglich  Siziliens  vorbehält. 

Um  die  Bulle  richtig  zu  würdigen,  muß  vor  allem  die  mit 
voller  juristischer  Schärfe  durchgeführte  Scheidung  zwischen  der 
Stellung  Friedrichs  als  Kaiser  und  als  König  von  Sizilien  beachtet 
werden.  Letzteres  hatte  er  tatsächlich  als  kirchliches  Lehen,  und 
es  kann  im  Prinzipe  das  AbsetzungRrecht  des  Papstes  unter  ge- 
wissen Voraussetzungen  kaum  bezweifelt  werden ').  Was  die  Bulle 
bezüglich  Siziliens  sagt,  kommt  für  unser  Thema  höchstens  inso- 
fern in  Betracht,  als  das  tatsächlich  einmal  bezüglich  Siziliens 
bestandene  Lehensverhältnis  zwischem  dem  Kaiser  und  dem  Papst- 
tum den  späteren  Versuch  Klemens’  V.  weniger  ungeheuerlich  er- 
scheinen ließ s).  Daß  die  Eingehung  eines  Leheusbandes  mit  der  dem 
Kaiser  theoretisch  eingeräumten  universalen  Stellung  unvereinbar 
war,  springt  in  die  Augen;  daß  aber  der  tatsächliche  Besitz 
Siziliens  den  Kaiser  in  kürzester  Zeit  zum  faktischen  und  ab- 
soluten Weltherrscher  hätte  machen  müssen,  wurde  andernorts 
(oben  SS.  14  f.)  dargelegt. 

*)  Die  Literatur  über  die  Lehcnsentzichung,  welche  bei  gewöhnlichen 
Lehen  allerdings  im  Wege  der  Privatiunsklago  erfolgte,  sieho  bei  Schröder, 
a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  7 Anm.  1)  S.  421  Anm.  109. 

*)  Vgl.  unten  SS.  113  ff. 


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102 


Untersuchen  wir  nunmehr  die  Depositions-Sentenz,  so  erinnert 
sie  sehr  deutlich  an  die  Sentenzen  Gregors  VII1):  der  Kaiser  wird 
abgesetzt,  die  Untertanen  des  Treueids  entbunden  und  ihnen  der 
weitere  Gehorsam  untersagt  Die  Deposition  ist,  wie  hier  zur  vollen 
Deutlichkeit  erhellt,  ein  ganz  selbständiger  Akt,  nicht  eine  ein- 
fache Folge  des  Bannes,  der  ja  schon  lange  vorher  über  Friedrich 
verhängt  war  *).  Es  wird  gegen  den  weltlichen  Herrscher  ein 
bekanntes  kanonisches  Strafmittel  in  Anwendung  gebracht,  ohne 
daß  auf  die  Besonderheit  seiner  Stellung  als  Kaiser  besonders 
Bezug  genommen  wird,  obwohl  anderseits  die  unlösliche  Ver- 
knüpfung seiner  kaiserlichen  und  königlichen  Würde  — in  der 
Bulle  selbst  und  in  der  Glosse  — als  ganz  selbstverständlich 
erscheint5).  Das  Becht  des  Papstes  wird  aus  ganz  allgemeinen, 
ihm  von  Christus  übertragenen  geistlichen  Befugnissen  abgeleitet. 
Trotzdem  unterscheidet  sich  die  Sentenz  in  etwas  von  denen 
Gregors  VII.  und  bringt  den  Gedankengang  Innocenz’  III.,  der 
seine  Jurisdiktion  in  weltlichen  Dingen  ratione  peccati  begründet 
hatte,  einigermaßen  zum  Ausdruck.  Der  Papst  stellt  zunächst 
deklarativ  fest,  daß  der  König  wegen  seiner  Unwürdigkeit  durch 
Gott  abgesetzt  ist,  und  spricht  erst  auf  Grund  dieser  Tatsache  — 
eigentlich  ein  Widerspruch!  — die  „Privation“  aus.  Die  Gründe 
für  diese  direkt  auf  Gottes  Autorität  zurückgefuhrte  De- 
position sind  „crimina  ecclesiastica“  des  Kaisers,  wie  die 
Glosse  aufs  schärfste  zu  den  Worten  deieravit4),  sacrile- 

')  Vgl.  oben  S.  24  (besonders  dio  in  den  Anm.  enthaltenen  Belege). 

*)  Und  zwar  handelte  es  sich  dabei  um  eine  ciconimunicatio  publica 
und  solennis.  Dies  hebt  auch  dio  tilosse  ausdrücklich  hervor,  indem  sic 
zum  Worte  anatheuiatis  bemerkt:  Id  est,  cxrommunicationis  cum  solemnitate 
factac.  Vgl.  im  Gegensatz  hiezu  oben  SS.  36  f.,  90;  vgl.  auch  bezüglich 
der  Tatsache  oben  S.  100  Anm.  3. 

3)  Die  Glosse  knüpft  an  jene  Stelle  der  Bulle  an,  welche  die  Bereit- 

willigkeit des  I’apstes  zum  Frieden  mit  dem  Kaiser,  wio  mit  allen  Menschen 
ac  mundo  rtiam  unberso  ausspricht.  Zu  den  letzterwähnten  Worten  bemerkt 
die  Glosse:  Cutus  dominus  es!  (seil,  imfirator).  Dio  zitierten  ßolegstellcn, 

c.  17  et  18.  C.  9 q.  3 und  „prooe(mium)  huius  libri“  (offenbar  die  Publikations- 
bullc  Bonifaz’  VIII.),  nehmen  auf  die  kaiserliche  Würde  keinen  Bezug  und 
sind  offenbar  lediglich  als  Beweis  für  die  Allgemeinheit  der  kirchlichen 
Gcsctzgebungs-  und  Gerichtsgewalt  gedacht. 

4)  Die  Glosse  zum  Worte  deieravit  besagt  (unter  Anführung  von  Beleg- 
stellen zu  jedem  einzelnen  Satz):  Ptriuriu  m crimen  Ecclcsiasticum  tst. 


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103 


gium  *)  und  haorcsi  ’)  betont.  So  können  wir  im  allgemeinen  sagen, 
daLi  der  prinzipielle  Standpunkt  der  Bulle  sich  bereits  sehr  stark 
dem  Gregors  VII.  nähert,  daß  aber  die  Begründung  der  päpst- 
lichen Rechte  ratione  peccati  immer  noch  eine  Rolle  spielt  und  in 
der  Glosse,  die  übrigens  zum  Worte  pacem  auch  die  Aufgabe  der 
Friedens  Währung  in  der  oben  (S.  76)  dargelegten  Weise  der  Kirche 
vindiziert  ’),  sogar  stärker  betont  wird.  Praktisch  ist  allerdings  gerade 
die  in  Rede  stehende  Bulle  zum  weitestgehenden  Entgegenkommen 
bereit,  indem  der  Papst  seinen  Streit  mit  dem  Kaiser  einem 
Schiedsgericht  unterbreiten  will,  ein  ganz  neuer  und  vereinzelter 
Gedanke4),  der  mit  der  Ableitung  der  päpstlichen  Rechte  gegen  den 
Kaiser  ans  den  allgemeinen,  dem  Papst  von  Christus  übertragenen 
Befugnissen  kaum  vereinbart  werden  kann;  mit  Recht  bemerkt 


/■/  gravissimum  crimen  in  quoiibet:  pracscriitn  in  praclato , vc l principe:  cum  eo- 
rum  facta  trahantur  ab  aUis  in  cxcmptum.  ct  itko  gravius  punitur.  Daran  schließt 
sich  folgende  Additio:  DUit  Innoc.  quod  praelati , et  principis  verbtim  debct 
esse  ßrmissimum , etiatn  sine  iuramcnto  (was  wieder  belegt  wird)  mit  der  auf 
Johannes  Andreac  (vgl.  oben  S.  61  Anm.  1)  deutenden  Sigle  Joan.  Andr. 

')  Die  Glosse  zum  Worte  sacrilegium  beginnt  quod  cst  etiam  crimen 
Euksiasticum  und  behandelt  dann  dessen  Bestrafung  unter  Anführung  zahl- 
reicher Bolcgstellen. 

*)  Zum  Worte  hacresi  macht  die  Glosse  die  interessante  Bemerkung 
Propter  quod  crimen  non  solum  Imperator , sed  etiam  Papa  deponi  debet,  wobei  auf 
c.  6 Dist.  40  (sehr  zweifelhafter  Herkunft,  siehe  die  kritischon  Nachweise  in 
der  Ausgabe  von  Friedberg)  verwiesen  wird,  dessen  Glosse  uns  oben  (SS.  37  f.) 
bereits  beschäftigt  hat.  Im  weiteren  Verlauf  wird  von  der  Glosse  zum  Worte 
haercsi  und  zwei  Additiuncs  diu  Bestrafung  der  Häresie  eingehend  behandelt. 

3)  Die  markanteste  Stelle  lautet:  Iluiusmodi  iudicium  (».  e.  ad  pacem  attin- 
gens)  ad  Eccksiam  spectat.  sup,  de  iud,  c.  novit  (das  SS.  74  ff.  besprochene 
c.  13  X II  11  de  iudiciis). 

4)  I)cr  Vorschlag  zu  dem  als  Schiedsgericht  fungierendon  Generalkon- 
zil,  auf  dem  auch  die  weltlichen  Fürsten  vertreten  sein  sollten,  war  zuerst 
von  Friedrich  II.  selbst  gemacht,  dann  schon  vun  Gregor  IX.  aufgegriffen 
worden.  Es  wäre  dies  gewiß  nicht  geschehen,  wenn  der  Papst  nicht  damals 
der  Entscheidung  gewiß  gewesen  wäre.  In  viel  späterer  Zeit,  im  Kampfe 
zwischen  Karl  V.  und  Klemens  VII.,  wurde  der  gleiche  Vorschlag  von  kaiser- 
licher Seite  gemacht,  und  es  scheint  mir  sehr  wahrscheinlich,  daß  den  Ver- 
fassern der  Staatsschrift  vom  17.  September  1526  das  Vorgehen  Gregors  IX. 
und  Innozenz’  IV.  vorschwebte.  Vgl.  Pastor,  Geschichte  der  Päpste  seit 
dem  Ausgang  des  Mittelalters,  IV.  Band  II.  Abt.,  Freiburg  1907,  SS.  242  ff. 
(bes.  244  oben). 


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die  Glosse  zum  Worte  vocare,  daß  der  Vorschlag  des  Papstes  „de 
gratia“  erfolgte. 

Indem  wir  die  in  der  Glosse  ad  Apostolicae  (am  Ende)  ab- 
gehandelte Frage,  ob  der  Papst  bei  Ausübung  des  der  Kirche 
zustehendon  Depositionsrechts  an  die  Mitwirkung  des  Konzils  ge- 
bunden sei,  als  eine  rein  innerkirchliche  übergehen,  wollen  wir 
nunmehr  die  Wirkung  der  Deposition  untersuchen.  Diese  ist  zu- 
nächst im  Gegensatz  zu  der  in  der  Glosse  zum  Gratianischen 
Dekret  bevorzugten  Ansicht  eine  dauernde  ‘),  es  soll  ein  successor 
gewühlt  werden.  Ihre  Konsequenz  ist  die  Lösung  vom  Treueid 
(nicht  umgekehrt),  was  uns  als  eine  vereinzelte  Ansicht  schon  in 
der  Glosse  zum  Dekret,  später  in  der  Glosse  zur  Bulle  „Venera- 
bilem“  begegnet  ist7),  und  zwar  erfolgt  die  Lösung  entsprechend 
dem  definitiven  Charakter  der  Sentenz  „perpetuo“.  Da  die  Ab- 
setzung in  Ausübung  geistlicher  Jurisdiktionsrechte  erfolgte,  so 
ist  eine  weitere  selbstverständliche  Folge  das  Verbot,  dem  Abge- 
setzteu  weiterhin  Gehorsam  zu  leisten.  Eben  weil  die  Gehorsams- 
leistung mit  einer  höheren  Pflicht  im  Widerspruch  steht,  erfolgt 
die  Lösung  von  dem  diesbezüglichen  iuramentum,  welches  ge- 
wissermaßen ex  post  zu  einem  illicitum  geworden  ist. 

Finden  wir  so  bezüglich  der  theoretischen  Begründung  des 
Depositionsrechts  eine  Annäherung,  bezüglich  seiner  praktischen 
Wirkung  bereits  eine  volle  Rückkehr  zum  Standpunkt  Gregors  VII., 
so  äußert  sich  bezüglich  der  Voraussetzungen  derselbe  Opportu- 
nismus, welcher  dem  Papst  sogar  ein  Schiedsgericht  akzeptabel 
erscheinen  ließ.  Mit  auffallender  Beflissenheit  werden  die  crimina 
des  Kaisers  als  gravissima  bezeichnet.  Und  zu  diesem  Worte 
bemerkt  die  Glosse  im  Gegensatz  zu  dem  sie  sonst  beherrschenden 
Bestreben,  die  Konzessionen  des  Papstes  abzuschwächen,  — es 
scheint,  daß  diese  Stelle  auf  einen  imperialistisch  gesinnten  Ka- 
nonisten  zurückgeht3) — : Hone  dirit:  quia  marima  causa  subesse 
debuü  Imperatoris  dc/iosüioni.  Nec  est  similis  depositioni  cleri- 
corum , qui  pro  quolibet  magno  peccato  dej>oni  possunt.  Der  als 

')  Vgl.  oben  8S.  38  f. 

*)  Vgl.  oben  S8.  40  und  96  Anm.  2. 

3)  Man  könnte  an  des  Abbas  Siculus  (vgl.  oben  8.  61  Antn.  2)  Lectura 
in  Scxtum  denken ; mir  stand  wedor  eine  Handschrift  noch  eine  Ausgabe 
zur  Verfügung. 


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105 


Belegstelle  hiefür  angeführte  c.  1 Dist.  81  bestimmt,  daß  das 
Freisein  von  einem  peccatnm  grave  Voraussetzung  für  die  Ordi- 
nation zum  Bischof  ist ').  Die  nähere  Begründung  der  Unter- 
scheidung geht  allerdings  nur  auf  ganz  allgemeine  theologische 
Erwägungen  ein.  Die  an  zweiter  Stelle  genannte  ist  der  Natur 
des  geistlichen  Amtes  entsprangen:  Item  clerici  ministrant  s acru - 
menta  (was  eine  höhere  sittliche  Integrität  erfordert):  sed  mm 
/trincl/m.  Die  hiefür  herangezogene  Belegstelle,  c.  4 Dist.  31,  ver- 
bietet den  sacerdotes  mit  Rücksicht  auf  die  necessilate * ministerii 
cotidiani  — dies  ist  offenbar  das  tertium  comparationis  — , ne 
misceantur  uxoribus*).  Die  andere  Erwägung  der  Glosse  ist  rein 
opportunistisch:  </uia,  ubi  maius  scandalum,  et  periculum  timetur , 
agendum  est  brnignius.  hoc  autem  insurgit  in  (le/iositione  Im/wa- 
toris,  tpti  guaei  praeest  omni/ms  Christianis.  Der  den  opportuni- 
stischen Grundsatz  angeblich  enthaltende  c.  25  Dist.  50  sagt  ganz 
allgemein:  Verum  in  huiusmodi  causis,  ubi  ....  non  huius  aut  illius 
hominis  periculum,  sed  populo rum  strnges  iacent,  det  rahendum  est  aliipiid 
seuerilati , ui,  maioribus  malis  mnandis  karilas  sincera  subueniat*). 
Interessant  ist  die  Erwägung  der  Glosse  vor  allem  deshalb,  weil 
sie  ausdrücklich  nur  auf  die  kaiserliche  Würde  Rücksicht  nimmt; 
das  Wort  quasi  erscheint  gegenüber  dem  von  der  Glosse  zitierten 
c.  41  G.  7 q.  I4)  (allerdings)  bereits  als  eine  Abschwächung. 

Im  Widerspruch  mit  der  Bemerkung  der  letztbesprochenen 
Stelle  der  Glosse  steht  besonders  die  die  ganze  Depositionstheorie 
rekapitulierende  Stelle  zum  Worte  privamus,  welche  uns  umsomehr 
beschäftigen  muß,  da  sie  den  Zusammenhang  mit  der  ganzen 
staatskirchlichen  Theorie  des  Liber  Sextus  herstellt.  Sie  lautet: 
Propter  crimina:  ergo  degemit  Papa  Imperatorem : ul  hic.  Idem 
cum  est  inutilis,  bi.  ipiaest.  6.  c.  alias  (3).  et  dat  coadiutores  igsis 


')  Der  Canon  ist  zum  größten  Teil  dein  41.  Tractatus  in  Joannis  Evan- 
gelium des  hl.  Augustinus  entnommen.  Mignc,  l’atrol.  Lat.,  Tom.  XXXV  1697. 

*)  Der  Canon  geht  auf  Innozenz  1.(401  ? — 417)  zurück.  Mignc,  l’atrol. 
Lat.,  Tom.  LVI  523  et  524:  Jaffü,  ltcg.  Pont.  (cd.  II.),  286. 

5)  Der  Canon  ist  einem  Hriofe  des  hl.  Augustinus  entnommen.  Migne, 
I’atrol.  Lat.,  Tom.  XXXI11  812  et  813. 

*)  Dieser  Canon  ist  einem  Briefe  des  hl.  Hieronjmtis  entnommen. 
Mignc,  Patrol.  Lat.,  Tom.  XXII  1080. 


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in« 


male  administranlibus.  svp.  eod.  lib.  de  svp.  negl.  prael.  c.  grandi. 
( c.  2 in  Vit«  I 8 de  supplcnda  neglig.  prael.).  per  negligetitiam 
ipso  nun  iurisdictionem  assumit.  eup.  de  for.  comp.  c.  licet,  (offenbar 
c.  1 0 X II  2 de  foro  compet.).  < 'ompellil  ipsos  iuxtitiam  facece. 
21).  tptaest  5.  c.  udministratores  (2ti).  et  ius  canonicum  etiam  de- 
bitie  caeibus  obeercnre , sup.  eod.  Ubr.  de  for.  comp.  c.  2 (c.  2 in 
Vit«  II  2 de  foro  cotnpet).  de  iureiur.  c.  licet  (c.  2 in  Vit«  II 
11  de  iureiur.)  in/ra  de  »ent.  exc.  c.  decernimue  (c.  8 in  Vit«  V 
1 1 de  sentent.  excomm.).  Unum  enim  oportet  esse  prici/iatum , ad 
i/uem  omnes  recurrant.  7 q.  /.  c.  in  apilms  (41).  qui  fil.  eint  leg. 
c.  per  cenerabilem  [circa  f.  rer«,  is  ceroj  etc.  (c.  13  X IV  17  qui 
filii  sint  legitimi)  et  de  hoc  cide,  quod  dicit  Innoc.  et  Hott,  de 
for.  comp,  licet  ex  suscejito  (c  10  X II  2 de  foro  compet.)’). 

')  Das  erst«  der  beiden  letztgenannten  Zitate  bezieht  sich  auf  das 
Werk  Commcntaria  Innocentii  IV.  super  libros  V decrct.,  welches  ich  nach 
dem  in  der  Wiener  Univ.-Bibl.  befindlichen  Exemplar  der  Ausgabe  Frankfurt 
1.170  (bei  Schulte,  a.  a.  0.  — vgl.  oben  S.  31  Anm.  1 — S.  92  Anin.  1 ist  diese 
Ausgabe  nicht  verzeichnet)  benützt  habe.  Hier  wird  (Bl.  197  verso),  ui.  E. 
über  das  kommentierte  (unten  S.  107  besprochene)  c.  10  X II  2 hinaus- 
gehend, für  den  Papst  schlechthin  eine  subsidiäre  Jurisdiktion  im  Falle  der 
Vakanz  und  Negligenz  in  Anspruch  genommen,  und  zwar  sowohl  gegenüber 
dem  Kaiser  als  auch  jedem  alius  Princeps  qui  super  iorem  neu  habet  (während 
in  andern  Fällen  die  subsidiäre  Jurisdiktion  des  Kaisers  cintritt).  Die 
Begründung  ist  in  beiden  Fällen  verschieden:  bezüglich  des  Kaisers 

heißt  cs  (nach  einer  die  consccratio,  die  czaminatio,  die  advocatia  sedis 
apostolicac  und  den  Eid  des  Kaisers  berührenden  Darlegung,  die  mit  den 
Worten  schließt  et  ab  so  [seit,  papa]  Imperium  tenet  [seil,  imperatar]):  inde 
esi , quod  m iure  (recte:  iura)  sueetdit  Papa,  imperio  vacantt ; bezüglich  des 
zwoiten  Falles  hingegen  (wo  übrigens  auch  einer  grundsätzlich  abweichenden 
Ansicht  Ausdruck  gegeben  wird)  wird  ausdrücklich  erklärt:  sed  heenon  facit  quod 
ab  eo  (sei/,  papa ) teneat  regrsum  (seil,  princeps'),  sed  de  plcnitudinc  potestatis  quam  habet, 
quia  vicarius  est  Christi.  Auf  eine  detaillierte  Aufzählung  von  elf  Fällen,  in 
die  sich  die  Voraussetzungen  für  die  subsidiäre  Jurisdiktion  auflosen 
lassen,  folgt  eine  prinzipielle  staatskirchcnrechtlichc  Auseinandersetzung. 
Hegen  Ende  derselben  finden  sich  folgende  charakteristische  Sätze : . . licet 
in  multo  distincta  sint  officia  et  regimina  mundi  tarnen  quandocunque  neeesse  est  ad 
Papam  re.urrendum , swe  sit  necessitas  iuris,  quia  iudex  dubius  esi , quam 
sententiam  de  iure  proftrre  debeat,  vel  necessitas  facti,  quia  ahus  non 
sit  iudex  superior , swe  facti,  puta  quia  de  facto  iudices  minores  non  possuni 

suas  sententias  exequi , vel  esolunt Daß  eine  derartige  „distinctio“  der 

Gewalten  jeder  praktischen  Bedeutung  entbehrt,  bedarf  keines  Beweises.  — 
Das  zweite  Zitat  bezieht  sich  offenbar  auf  die  Lectura  in  Decretales  des 


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107 


Hier  haben  wir  eine  geradezu  systematische  Darlegung  des 
extrem-hierokratischen  Systems.  Den  metaphysischen  Ausgangs- 
punkt bildet  das  principium  unitatis,  welches  später  Dante  gerade 
zur  Begründung  der  kaiserlichen  Souveränität  und  Suprematie 
heranzog1);  der  von  der  Glosse  zitierte  c.  41  C.  7 q,  1 paßt 
besser  zu  diesem  Gedanken’);  dagegen  enthält  c.  13  X IV  17 
allerdings  die  allgemeine  Weisung,  in  zweifelhaften  Fällen  sich  an 
den  apostolischen  Stuhl  zu  wenden  (recurrere) 3).  Der  unus  prin- 
ceps  ist  der  Papst,  der  zum  Papst-Kaiser  geworden  ist  und,  um 
mit  Hauck  zu  sprechen,  die  Herrschaft  über  das  Reich  und  die 
Herrschaft  im  Reiche  übt4).  Die  Herrschaft  über  das  Reich  übt 
er,  indem  er  die  Fürsten  zur  Gerechtigkeit  zwingt,  die  Herrschaft 
im  Reich,  indem  er  im  Falle  ihrer  negligentia  selbst  die  weltliche 
Jurisdiktion  ausübt;  ein  Bindeglied  zwischen  beiden  Gedanken 
stellt  es  dar,  daß  er  in  gewissen  Fällen  die  Beobachtung  des  ka- 
nonischen Rechts  erzwingt  Der  Zwang  zur  Gerechtigkeit  erfolgt 
laut  des  zitierten  c.  26  C.  23  q.  5,  indem  weltliche  Würdenträger 
wegen  ungerechter  Amtsführung  (besonders  gegenüber  der  Kirche) 
exkommuniziert  werden4);  zum  Nachweise  des  Übergangs  der  welt- 

Henricus  de  Sogusia  (1244  Gesandter  des  französischen  Königs  Heinrich  111. 
bei  Papst  Innozenz  IV.,  1261  Kardinalbischof  von  Ostia  und  Velletri,  daher 
Hostiensis,  gestorben  zu  Lyon  1271);  leider  ist  mir  weder  eine  Hand- 
schrift noch  eine  Druckausgabe  des  Werkes  zugänglich  (vgl.  Schulte 
a.  a.  0.,  S.  125  Anin.  17). 

')  Vgl.  oben  S.  1 Anm.  1 und  S.  6 Anui.  1. 

*)  Vgl.  oben  S.  105  Anm.  4. 

3)  Es  ist  dies  die  oben  S.  93  Anm.  1 erwähnte  Dekretale  „Per  Venera- 
bilolll ■*.  Die  offenbar  bezogene  Stelle  lautet:  ’fria  quippt  distinguit  iudicia:  primum 
inter  sanguinem  et  sanguinem,  per  quod  criminelle  intelligitur  et  ereile ; ultimum  inter 
lepram  et  lepram , per  quod  ecclcsiastieum  et  criminale  notatur : medium  inter  causam  et 
causam , quod  ad  utrumque  refertur,  tarn  eeclesiasticum  quam  civile,  in  quibus  quum 
illiquid  fuerit  difficile,  vel  ambiguum,  ad  iudicium  est  sedis  apostolicae  recurrendum 

Im  Zusammenhang  scheint  mir  die  Dekretale  übrigens  an  der  iuris- 

dictio  ratione  pcccati  festzuhaltcn,  jedenfalls  abor,  wie  die  Rücksicht  auf 
die  liechte  des  Königs  beweist,  keine  unmittelbare  „Herrschaft  im  Reich“ 
zu  beanspruchen. 

4)  Vgl.  oben  S.  25  Anm.  8. 

5)  Die  ziterte  Stelle  ist  ein  Canon  des  im  Jahre  877  gehaltenen  Konzils 
von  Ravenna;  die  kritischen  Nachweise  siehe  in  der  Ausgabe  von  Fried- 
berg. Im  Siunc  unserer  Glosse  knüpfen  sich  zweifellos  an  die  kirchliche 
Zensur  juristische  Folgen. 


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108 


liehen  Jurisdiktion  auf  den  Papst  wird  c.  10  X II  2 zitiert,  wo 
Innozenz  111.  in  sehr  vorsichtiger  Weise  die  Austragung  bürger- 
licher Rechtssachen  vor  dem  geistlichen  Richter  bei  negligentia 
des  iudex  saecularis  (vor  allem  vacante  imperio)  für  zulässig  er- 
klärt ‘).  Besonders  charakteristisch  für  den  Standpunkt  des  Liber 
Sextus  sind  die  für  die  Beachtung  des  kanonischen  Rechtes  ange- 
führten Belegstellen:  da  wird  der  ecclesiasticus  iudex  Ordinarius 
angewiesen,  gegen  den  iudex  saecularis  kirchliche  Zensuren  in 
Anwendung  zu  bringen,  wenn  dieser  gegen  die  Bestimmungen  des 
kanonischen  Rechts  Exkommunizierten  das  Klagerecht,  die  Zeugnis- 
föhigkeit  u.  s.  w.  zuerkennt  (c.  8 in  VIto  V 11)*),  wenn  er  die 
Beschwerde  der  Ehegattin  wegen  Veräußerung  der  dos  trotz  nach- 
gewiesener Zustimmung  der  Ehegattin  und  trotz  des  von  ihr  eid- 
lich bekräftigten  Verzichtes  auf  das  Beschwerderecht  entgegen- 
nimmt (c.  2 in  VItu  II  ll)3),  schließlich  wenn  er  sich  in  Zivilklagen 
gegen  Geistliche  als  kompetent  erklärt  (c.  2 in  Vit«  n 2)4).  Von 
diesem  extrem-hierokratischen  Standpunkt  aus  ist  es  nur  kon- 
sequent, wenn  die  oben  (SS.  105  f.)  mitgeteilte  Glossenstelle  das 
Depositionsrecht  im  schärfsten  Sinne  faßt  und  dessen  Ausübung 
auch  dem  inutilis  gegenüber  für  zulässig  erklärt,  und  zwar  unter 
Berufung  auf  den  von  uns  (SS.  34  ff.)  ausführlich  erörterten  c.  3 
C.  15  q.  6S).  Es  kann  auch  nicht  überraschen,  wenn  in  weiterer 

')  Die  Entscheidung  Innozenz’  III.,  welche  im  Jahre  1206  eriloß  und 
bereits  in  die  Comp.  III.  aufgenommen  wurde  (die  kritischen  Nachweise  in 
der  Ausgabe  von  Friedberg  und  bei  Potthast,  Iteg.  Pont,  2785)  bezieht 
sich  ausschließlich  auf  die  Commune  Yercelli  und  beruft  sich  ausdrücklich 
auf  alten  Brauch,  der  nicht  ausgedehnt,  sondern  im  Gegenteil  einge- 
schränkt wird.  Vgl.  oben  8.  75. 

3)  Nach  der  Ausgabe  von  Friodbcrg  aus  der  unten  Anm.  4 genannten 
Dekretalo  Alexanders  IV.  (in  den  Nachweisen  soll  es  offenbar  statt  „cf.  c.  1 
supra  (8,  22)“  heißen  .cf.  c.  1 supra  (3,  28)“:  auch  die  Verweisung  auf  Pott- 
hast, Reg.  Pont.  — angeblich  18188  — ist  offenbar  irrtümlich). 

*)  Aus  der  in  der  folgenden  Anm.  genannten  Dekretalo  (nach  der  Aus- 
gabe von  Friedberg). 

*)  Einer  Dckretale  Alexanders  IV.  aus  dem  Jahre  1256  entnommen:  die 
kritischen  Nachweise  in  der  Ausgabe  von  Friedberg  und  bei  Potthast, 
Reg.  Pont,  16308. 

s)  Bezüglich  der  abschwächenden  Interpretation  des  Wortes  inutilis  in 
der  Glosse  zum  Dekret  vgl.  oben  S.  37.  — Kurz  erwähnt  sei,  daß  in  der  Glosse 
zur  Depositionsbulle  (nämlich  zum  Worte  absolventes)  auch  der  oben  S.  35 
besprochene  c.  5 G.  15  q.  6 zitiert  wird. 


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109 


Analogie  zum  kirchlichen  Ämterrecht  die  Bestellung  eines  coadiutor 
für'  den  König  als  zulässig  erklärt  wird,  ein  Recht,  von  dem 
Innocenz  IV.  tatsächlich  laut  c.  2 in  VI  to  I 8 in  Portugal  Ge- 
brauch gemacht  hat1)’). 

Fragen  wir  nun,  wie  sich  diese  Theorien  für  die  deutsche 
Königswahl  wirksam  erweisen,  so  kommt  zunächst  der  in  der 
Bulle  auf  die  Depositions-Sentenz  folgende  Satz  in  Betracht:  llli 
autem , ad  quos  in  eodem  imperio  spectat.  Imperator  is  electio,  eliganl 
libere  succeesorem.  Dieser  Satz  scheint  mir  lediglich  das  freie 
Wahlrecht  der  Fürsten  betonen  zu  wollen  und,  wenn  man  darin 
auch  keinen  formellen  Verzicht  auf  das  Approbationsrecht  erblicken 

')  Uber  einen  ähnlichen  Gedanken  in  der  Glosse  zum  Dekret  vgl.  oben 
S.  37.  — Was  die  hier  mitgeteilte  Dekretale  Innozenz.’  IV.  anlangt,  so  wurde 
sie  im  .lahre  1245  und  zwar  unmittelbar  nach  der  Deposition  Friedrichs  II. 
erlassen;  vgl.  die  kritischen  Nachweise  in  der  Ausgabe  von  Friedberg 
und  bei  I’otthast,  Heg.  Pont.,  1 1751.  Als  Coadiutor  wurde  in  Ermangelung 
von  Söhnen  der  Bruder  als  nächster  Agnat  bestellt.  — Sehr  interessant  ist 
die  Glosse  Bcgcs,  welche  in  weitem  Umfang  das  kanonische  Amtcrrecht  (und 
auch  zivilrechtliche  Bestimmungen)  per  analogiam  auf  das  Königtum  an- 
wendet, aber  das  Erbrecht  in  Portugal  anerkonnt.  Sic  lautot  (mit  Weg- 
lassung der  äußerst  zahlreichen  Verweise):  Kex  iste  dissipator,  et  negiglens  erat, 
ut  patet  per  inferiora,  et  per  utrumque  videtur , quod  poterit  removeri  (folgen  Be- 
lege), et  sic  non  debuit  ei  curator  dari:  sed  potius  debuil  regno  prrvari.  et  sie  ad 
fratrem  ordine  geniturae  converti,  cum  filios  non  haberct  (folgt  ein  Beleg).  Die , 
quod  rex,  eui  per  successionem  regnum  defertur,  propter  supradicta 
privari  non  debuit , sed  curator  dari:  ut  hic  factum  fuit , ad  instar  furiosi 
(folgt  ein  Beleg  aus  dem  römischen  Hecht),  et  custodiet  regnum,  et  regem: 
sicut  ipse  curator  furiosum , et  patrocinium  (Beleg  uns  dem  römischen  Recht). 
satisdat  talis  rem  eius,  cui  datier,  sahmm  fore  (Belege  aus  dem  römischen  Hecht). 
Papa  autem  hic  non  curat  cautionem  requirere.  Propter  de/ictum  autem  bene  prrvatur 
rex  regno  per  superiorem  suum,  vel  per  Ecdesianr.  cum  superiorem  non  habet 
(hier  wird  u.  a.  die  im  Tezt  behandelte  Depositionsbulle  gegen  Friedrich  II., 
ferner  der  oben  SS.  34  ff.  besprochene  c.  3 C.  15  q.  (I  und  das  oben  S.  95 
Anm.  2 erwähnte  c.  6 X III  84  de  voto  zitiert),  et  tune  vel  succedet  proximus, 
sci/icet,  cum  per  successionem  defertur:  vel  eligent  Uli,  ad  quos  pertinet.  a/ium  (hier 
wird  die  Bulle  „Vonerabilem*  zitiert). 

*)  Zur  Vervollständigung  der  staatskirchenrechtlichcn  Theorie  des  Liber 
Sextus  sei  u.  a.  auf  c.  I et  3 in  VI  10  111  23  de  immunitate  verwiesen,  wo 
die  Steuer- Immunität  der  Kirche  verfochten  wird.  Die  Immunität  (von 
Steuer  und  Gericht)  war  ja  der  wichtigste  Streitpunkt  zwischen  der  Kirche 
und  «lern  werdenden  Territorialstaat : an  der  Frage  der  Steuer-Immunität 

entzündete  sich  der  große  Kampf  zwischen  Bouifaz  VIII.  und  Frankreich. 


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. 110 


wird,  dem  auch  sonst  (trotz  aller  prinzipiellen  Betonung 
der  weitgehendsten  kirchlichen  Rechte)  bemerkbaren  Streben  nach 
praktischer  Anpassung  entsprechend  die  Geneigtheit  des  Papstes 
auszusprechen,  jeden  von  den  Fürsten  Gewählten  zum  Kaiser  zu 
krönen.  Anders  allerdings  hat  die  Glosse  diesen  Satz  aufgefaßt, 
sie  sieht  in  dem  „eligant“  einen  päpstlichen  Befehl.  Schon  zu  den 
Worten  illi  autem  wird  nach  Erörterung  des  aktiven  Wahlrechts, 
worauf  wir  noch  zurückkommen  werden,  die  Frage  aufgeworfen: 
Sed  numquid  Papa  po-stet  Principe»  electione  /rrirare,  et  per  xe 
eligere  imperio  vacantel  Es  wird  nun  die  Antwort  eines  mit  der 
Sigle  Ber.  bezeichneten  Glossators  (offenbar  Petrus  Bertrandus, 
1320  Bischof  von  Nevers,  1349  gestorben)1)  mitgeteilt,  derzufolge 
dies  nicht  zulässig  ist,  dummodo  ipsi  (teil,  principe»)  velint  eligere, 
wohl  aber,  »i  nollent  eligere , vel  concordare  non  possent.  Damit 
ist,  über  das  Approbationsrecht  des  Papstes  hinausgreifend,  auts 
klarste  ein  Devolutionsrecht  behauptet.  Begründet  wird  es  unter 
Hinweis  auf  die  Bulle  „Venerabilem“,  welche  allerdings  einen  der- 
artigen Analogieschluß  offen  läßt,  und  aus  den  allgemeinen  Er- 
wägungen des  kirchlichen  Ämterrechts:  et  hoc  maxime  in  lairis 
locum  habet , wozu  ohne  ersichtlichen  Grund  auf  c.  28  X III  38 
de  iure  patronatus  *)  und  die  dazu  gehörige  Glosse  verwiesen 
wird1).  In  der  näheren  Ausgestaltung  des  Devolutionsrechts  hat 
allerdings  auch  hier  das  kanonische  Ämterrecht  nicht  schlechthin 
Anwendung  gefunden.  Gleich  in  der  folgenden  Glosse  (zum  Worte 
eligant)  wird  nämlich  unter  ausdrücklichem  Hinweis  auf  die  ab- 
weichenden Bestimmungen  bei  anderen  Kircbenämtern  bemerkt, 
daß  die  Wahl  nicht  innerhalb  einer  bestimmten  Frist  erfolgen 

')  Vgl.  Schulte,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  31  Anm.  1)  SS.  235  und  23G  im 
Zusammenhang  mit  S.  505. 

*)  In  der  von  Innocenz  III.  im  Jahre  1206  erlassenen,  schon  in  die 
Comp.  III.  aufgenomtnenen  Dekretale  (vgl.  die  kritischen  Nachweise  in  der 
Ausgabe  yon  Friedberg  und  bei  l’otthast,  Keg.  Pont.,  2725)  wird  die 
Frage  untersucht,  ob  und  in  welchem  Maße  sieb  der  päpstliche  Legat  die 
Kesetzung  ron  Pfründen  reservieren  kann,  an  denen  ein  klerikales  oder  lai- 
kales Patronatsrecht  besteht. 

3)  (iemeint  ist  offenbar  die  Glosse  zu  den  Worten  quempiam  praesentare, 
wo  es  U.  a.  heißt : Sei/  numquid  Ugatus  passet  dare  Ecc/rsiam  irwito  patrona  laico  f 
Quod  videtur ; quia  plus  iuris  halft  in  eoncessiont  prüf  latus,  quam  in  praesentatiant 
patronus . 


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111 


müsse;  daher  komme  es,  quod  Papa  non  potest  eligere,  niti  prius 
illos  admoneat.  Die  Berufung  auf  die  Bulle  „Venerabilem“  erfolgt  in 
analoger  Anwendung  der  dort  bezüglich  des  Entscheidungsrechtes  bei 
Zwiekuren  gegebenen  Bestimmungen  auf  das  Devolutionsrecht ').  Ob 
mit  der  Notwendigkeit  einer  wohl  mit  einer  Fristsetzung  ver- 
bundenen admonitio  bei  Fehlen  einer  generellen  Bestimmung  die 
Rechte  des  Papstes  eingeschränkt  oder  erweitert  sind,  ist  Ansichts- 
sache a). 

Wie  schon  angedeutet,  gibt  die  Glosse  zn  den  Worten  illi 
antem  eine  Aufzählung  der  sieben  Kurfürsten,  welche  in  einer 
Additio  zur  Glosse,  in  Verse  gekleidet,  wiederholt  wird*).  Wo- 
rauf ich  nnn  besonders  aufmerksam  machen  möchte,  ist  der  Um- 
stand, daß  in  diesem  späteren  Zusatz  und  n u r in  diesem  bei  jedem 
der  weltlichen  Kurfürsten  seines  Erzamtes  Erwähnung  geschieht 
Einer  näheren  Erörterung  bedarf  der  auf  die  erste  Aufzählung 
folgende  Satz:  El  dicunt  quidam,  quod  Rex  liohemiae  de  necessittttc 
vocandus  turn  est,  nisi  cum  alii  discordant : nec  istud  ins  habui/ 
ab  anliquo:  sed  hodie  de  facto  tenet  et  hoc  per  Hont,  de  elect.  c. 
venerabilem*).  Diese  Stelle  ist  deshalb  von  besonderem  Interesse, 
weil  sie  uns  zeigt,  daß  auch  unter  den  Kanonisten  die  Stellung 
des  Königs  von  Böhmen  nicht  unbestritten  war.  Die  referierte 


')  Siche  die  entscheidenden  Worte  der  Bulle  .Venerabilem“  oben 
SS.  49  f. 

*)  Am  21.  April  1246  hat  Innocenz  IV.  bekanntlich  den  deutschen 
Fürsten  trotz  des  in  der  Depositionsbulle  eingenommenen  Standpunktes 
einen  so  entschiedenen  Wahlvorschlag  (der  Vorgeschlagene  war  Heinrich 
Haspe)  gemacht,  daß  diu  Wahl  nahezu  als  Zeremonie  erscheinen  mußte,  das 
Vorgehen  des  Papstes  aber  einer  provisio  iure  devolutionis  nahekam.  Vgl.  oben 
S.  53  Anin.  2:  die  Briefe  des  Papstes  siehe  MG.,  Ep.  saec.  XUI.,  II  No.  159. 

s)  Die  erste  Aufzählung,  mit  welcher  die  Glosse  zu  den  Worten  illi 
autem  beginnt,  lautet:  Sei/ieef  Archiepiscopus  Maguntin.  Colon.  Treueren,  et 
qoatoor  laiei,  scilicet.  Palatinos  Comes  Rheni , i/ux  Saxoniae,  Marekio  Rrandenborgen. 
et  Rex  Rohemiae  o/irn  ciux.  Die  Additio  sagt:  Prae/ati  eltetores  Imperatoris  his 
versibus  continentur : 

Magna  Maguntia , crassa  Colonia , Treveris  altna. 

Atqoe  Palatinos  dapifer,  dux  portitor  ensis: 

Marehio  praepositns  eamerae.  pineerna  Rohemus. 

Romanom  regem  statuendi  dant  sibi  legem. 

•)  Vgl.  obeu  S.  106  Anui.  1 am  Ende. 


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112 


Ansicht  des  Hostiensis  dürfte  ihren  Grund  in  den  Vorgängen  bei 
der  Wahl  des  Jahres  1257  haben,  auf  die  wir  im  zweiten  Kapitel 
zurflckkommen  werden1).  Im  weiteren  Verlauf  der  Glosse  wird 
die  abweichende  Ansicht  des  c.  legimus  dist.  93  (c.  24  Dist.  93), 
welchen  wir  oben  (S.  28)  ausführlich  besprochen  haben,  unter  An- 
führung einer  ganzen  Reihe  von  Stellen  aus  dem  corpus  iuris 
civilis  mitgeteilt  *),  und  daran  die  von  uns  soeben  erörterte  Frage, 
ob  der  Papst  eligere  /xwit,  geknüpft. 

Bezüglich  des  Wahlverfahrens  gibt  uns  die  Depositionsbulle 
und  die  dazu  gehörige  Glosse,  wie  die  kurze  hier  gebotene  Obersicht 
dartut,  keinen  Anlaß,  das  Bild  zu  modifizieren,  das  wir  aus  der  Be- 
trachtung der  Glosse  zur  Bulle  „Venerabilem“  gewonnen  haben, 
welche  ja  in  ihren  jüngeren  Teilen  zum  mindesten  nicht  älter  ist 
als  die  hier  behandelte  Glosse  zur  Depositionsbulle  gegen 
Friedrich  II.*) 

2.)  Die  Theorie  vom  Fidelitätseid 
und  die  Bestimmungen  über  die  Königswahl  in  den 
Clementinen  und  ihrer  Glosse. 

Auch  nach  der  Absetzung  Friedrichs  II.,  mit  welcher  die 
Kurie  allerdings  nicht  dnrchzudringen  vermochte,  fehlte  es  nicht 

')  Vgl.  unten  die  Ausführungen  am  Ende  der  Abschnitt«  III2  und  III 3 
des  II.  Kapitels.  Die  Lehre  des  Hostiensis  wurde  unter  Angabe  des 
Gewährsmannes  von  Johannes  von  Huch  in  die  Glosse  tum  Sachsen- 
spiegel aufgenommen,  und  twar  offenbar  aus  der  glossa  ordinaria,  wobei 
auch  die  Zitierung  des  c.  24  Dist.  'J3  mit  übernommen  wurde.  Vgl.  darüber 
Schuster,  Mitt.  d.  Inst.  f.  öst.  Geschf.  III  406  und  407  (in  dem  Aufsatz 
Beiträge  zur  Auslegung  des  Sachsenspiegels,  a.  a.  0.  392  ff.). 

a)  Es  sind  folgende  Stellen  zitiert:  1.  2 §§  2,  8,  9,  11  D.  I 2 de 
origine  iuris  (bei  der  ein  Zusammenhang  mit  dem  Satz,  daß  exercitus  facit 
imperatorem , wenig  deutlich  ist);  § 6 Inst.  II  de  iure  naturali  et  gentium 
et  civili  (Std  et  quod  principi  placuit,  legis  habet  vigorem,  cum  lege  regia,  quae 
de  imperio  eius  lata  est,  populus  ei  et  in  eum  omne  suurn  imperium  et 
potestatem  concessit );  1,  1 Cod.  I 17  de  veteri  iure  enucleando  (gemeiut 
offenbar  folgende  Stelle  im  § 7:  cum  enim  lege  antiqua , quae  regia  nuncu- 
pabatur , omne  ius  omnisque  potestas  popu/i  A’omani  in  imperatoriam 
tr  am  lata  sunt  potestatem  . . .).  Bezüglich  der  Argumentation  aus  dem 
römischen  Itecht  vgl.  oben  S.  77  Anm.  1. 

3)  Eine  Stelle  aus  der  Novella  super  Sexte  Decretalium  des  Johannes 
Andrea«,  in  welcher  das  hier  erörterte  c.  2 in  VI  to  II  14  kommentiert  wird, 
erörtert  Grauert  in  seinem  Aufsatz  Zur  deutschen  Kaisersage,  Hist.  Jahrb. 


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113 


an  interessanten  Berührungen  zwischen  dem  Papsttum  und  dem 
deutschen  Thron:  bei  den  Wahlen  der  sogenannten  „Pfaffenkönige“  ') 
kamen  sie  zunächst  zum  Vorschein,  in  der  Bulle  „Qui  celum“8) 
nnd  bei  der  unter  dem  Einfluß  Gregors  X.  zustandegekommenen 
Wahl  Rudolfs  von  Habsburg5)  haben  sie  sogar  einen  maßgebenden 
und  für  die  Konsolidierung  der  deutschen  Verhältnisse  günstigen 
Einfluß  geübt.  Allein  diese  Ereignisse  haben  im  corpus  iuris 
canonici  keine  unmittelbar  erkennbaren  Spuren  zurückgelassen ; auch 
die  theoretische  Anerkennung  der  Translationstheorie  von  deutscher 
Seite  unter  Albrecht  I.4)  und  die  Versuche  Frankreichs,  Klemens  V. 
zu  einer  neuerlichen  Translation  des  Imperiums  zu  veranlassen6), 
haben  zu  keiner  kanonischen  Legislation  Gelegenheit  geboten. 
Erst  die  unter  Abweisung  der  französischen  Versuche  im  Jahre 
1308  erfolgte  Wahl  Heinrichs  VII.  führte  im  Laufe  der  Begeben- 
heiten zu  Weiterungen,  welche  den  Gegenstand  wichtiger  in  die 
Clementinen  aufgenommener  Entscheidungen  bilden:  c.  un.  (Ro- 
mani principes)  in  Clem.  II 9 de  iureiurando  und  c.  2 (Pastoralis) 
in  Clem.  II 11  de  sent.  et  re  iud. 

Der  diesen  Entscheidungen  zugrunde  liegende  Sachverhalt  ist 
* in  Kürze  der  folgende8).  Die  Wahl  Heinrichs  VII.  erhielt,  ohne 
daß  im  Wahldekret  ausdrücklich  darum  angesucht  worden 

<1.  Uörres-Gesellsch.,  XIII  1 15  ff.  Die  Stelle  ist  nicht  in  die  glossa  ordinaria 
übergegangen,  ich  linde  sie  nicht  in  den  gedruckten  Ausgaben;  es  genüge 
daher  trotz  des  grollen  juristischen  Interesses  der  Stelle  dieser  kurze  Hin- 
weis auf  Grauerts  Aufsatz.  Ob  die  von  ihm  gezogenen  historischen 
Folgerungen  richtig  sind,  ist  dabei  für  unsere  Zwecke  irrelevant. 

')  Vgl.  oben  S.  16,  ferner  die  Ausführungen  gegen  Ende  der  Ab- 
schnitte III  2 und  111  3 des  11.  Kapitels. 

*)  Vgl.  oben  8.  99,  unten  S.  176  Anm.  5. 

*)  Vgl.  Redlich,  a.  a.  0.  SS.  152  ff.:  vgl.  auch  oben  S.  53  Anm.  2. 

4)  Vgl.  Krammer,  Der  EinfluB  des  Papsttums  (vgl.  oben  S.  19  Anm.  3) 
S.  27  bes.  Anm.  4;  ferner  Phillips,  Kirchenrecht,  III.  Hand  Kegensburg 
1848,  8.  197  bes.  Anm.  10. 

s)  Vgl.  Phillips,  a.  a.  0.  SS.  272  ff.,  Krammer,  Wahl  und  Einsetzung 
(vgl.  oben  S.  21  Anm.  2)  8.  68.  Der  Versuch  von  französischer  Seite  war 
nicht  neu,  er  war  bereits  vor  der  Wahl  Rudolfs  von  Habsburg  gemacht 
worden  (vgl.  Redlich,  a.  a.  0.  SS.  152  f.):  wührend  des  deutschen  Thronstreites 
nach  1314  wurde  er  nachdrücklich  erneuert  (vgl.  Krammer,  Der  Einfluß 
des  Papsttums  SS.  35  und  36). 

*)  Eine  kurze,  übersichtliche  Darstellung  findet  sich  bei  Phillips, 
Kirchenrecht,  $ 132.  Im  allgemeinen  kommen  für  die  einschlSgigcn  historischen 
Hugelmauu,  Die  deutsche  Köuigswabl  3 


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114 


war '),  die  päpstliche  Approbation,  nachdem  eine  hiezu  bevoll- 
mächtigte Gesandtschaft  im  Kamen  des  Gewählten  in  Avignon  den 
sogenannten  Sicherheitseid  geleistet  hatte9).  Der  Luxemburger, 
in  dem  das  alte  Kaiserideal  lebendig  war,  unternahm  im  Jahre 
1312  nach  Ablegung  eines  Eides,  in  dem  er  vor  allem  die  Un- 
antastbarkeit des  Kirchenstaates  zusagte3),  seine  Romfahrt,  auf 
welcher  er  zuerst  die  lombardische  Krone  und  schließlich  in  Rom 
nach  Ablegung  eines  dritten  Eides4)  die  Kaiserkrone  aus  der  Hand 
eines  Vertreters  des  in  Avignon  weilenden  Papstes  empfing5). 
Bereits  in  Rom  kam  es  aber  zu  einem  heftigen  Konflikt,  indem 
die  zu  König  Robert  von  Neapel  stehende  guelfische  Partei 
Heinrich  den  Eintritt  in  die  Peterskirche  verwehrte,  sodaß  die 

Ereignisse  besonders  in  Betracht:  Lindner,  Deutsche  Geschichte  unter  den 
Htibsburgern  und  Luxemburgern  (in  der  Bibi.  Deutscher  Geschichte), 
I.  Band,  Stuttgart  18!tt),  SS.  18t) — 277:  Losertb,  a.  a.  O.  (vgl.  üben  S.  43 
Aun.  I)  SS.  246 — 255. 

')  Vgl.  Krainnicr,  Wahl  und  Einsetzung  (vgl.  oben  S.  21  Anm.  2) 
SS.  68  und  69. 

*)  Vgl.  Otto,  Die  Eide  und  Privilegien  Heinrichs  VII.  und  Karls  IV. 
(Quellen  und  Forschungen  aus  italienischen  Archiven  und  Bibliotheken, 
herausgegeben  vom  kgl.  preuü.  hist.  Inst,  in  Koni,  IX.  Band  SS.  316  ff.), 
S.  317. 

3)  Otto,  a.  a.  0.  S.  318. 

*)  Otto,  a.  a.  0.  SS.  320  f. 

s)  Nicht  uninteressant  (allerdings  teilweise  unrichtig)  ist,  was  die 
Glosse  zum  Worte  vestigiis  über  die  dreimalige  Krönung  bemerkt:  Scire  Jebes 
fprout  habetur  etiam  in  Pontificali),  quod  rex  Romanorum  eoronatur  triplici  Corona. 
Prima  est  ferrca  {siel),  quam  recipit  ab  archiepiscopo  Cobnien.  in  Aquisgrano 
ehtsdem  dioecesis:  ferrum  autem  fortitiuiinem  designat , qua  vineere  Jebet  rebelles,  et 
infideles  conculeare.  Seconda  est  argen tea  ( sic! ),  quam  ingressus  Italiam  recipit  a 
Mcdblanensi  Archiepiscopo  in  vi/hs  A/edioeen.  eins  dem  dioeeesis:  tarnen  ipsc  Jlenrieus 
recepit  ilbm  A/edioiani  in  Fxclesia  S.  Ambrosis,  argentum  autem  designans  muss- 
ditiam,  et  ebritatem , signißeat  ipsum  principem  taiern  esse  debere.  Tertia  est  de  puro 
nitro,  qua  eoronatur  per  Papam  in  Ecclesia  S.  Petri , a*t  altare  S.  Alauricii  et 
designat  aurttm,  quod  omnibus  metatlis  est  excellentius,  ipsum  imperatorem  aliis 
regibus , et  principibus  in  poientatu,  et  iustitia  excellentiorem  esse  de- 
bere.  Sic  o/im  in  his  tribus  metaltis  Jabatur  tributum  Romanis , ui  scripsi  (hier 
folgt  ein  Verweis  auf  eine  andere  Glossenstelle).  Additb.  Ham  tripHcem 
coronam  trip/ici  carntine  adnotatam  videas? 

Eerrea  Romani  gestaut  diademab  reges. 

Est  argentea  post  haec  his  obbta  corona. 

Hinc  aurum  eapiti  saivum  datur  Jmpenali. 


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115 


Krönung  im  Lateran  vorgenommen  werden  mußte.  Nun  schien 
der  Krieg  mit  dem  König  unvermeidlich;  da  trat  der  Papst  da- 
zwischen, indem  er  sowohl  den  Kaiser  als  den  König  unter  Berufung 
auf  das  von  ihnen  geleistete  „iuramentum  fidelitatis“  zum  Frieden 
mahnte.  Hierauf  erhob  der  Kaiser  feierlichen  Protest,  welchen 
er  notariell  beglaubigen  ließ:  er  habe  niemals  und  niemandem 
gegenüber  ein  iuramentum  fidelitatis  (worunter  er  einen  Lehens- 
eid verstand)  geleistet.  Er  zitierte  Robert  von  Neapel,  den 
Sprossen  des  französischen  Königshauses  und  den  Vasallen  des 
Papstes,  dreimal  vor  seine  Kurie  und  verurteilte  ihn  schließlich 
in  contumaciam  am  26.  April  1313  zum  Tode  durch  das  Schwert. 
Seine  Kompetenz  begründete  er  mit  seiner  Eigenschaft  als  Lehens- 
herr in  bezug  auf  einige  piemontesische  Besitzungen  des  Königs, 
hauptsächlich  aber  mit  der  oberstrichterlichen  Gewalt  des  Kaisers. 
Zu  diesen  Streitfragen  nehmen  die  am  14.  März  1314  (also  nach 
dem  Tode  des  Kaisers)  publizierten  Dekretalen  „Romani  principes“  *) 
und  „Pastoralis“  *)  Stellung:  jene  erklärt  den  Eid  des  Kaisers  in 
bestimmtester  Weise  als  einen  Fidelitätseid,  diese  verneint  die 
Kompetenz  des  Kaisers  und  erklärt  seinen  Urteilsspruch  für 
nichtig. 

Es  ist  selbstverständlich  für  die  Auffassung  des  Verhältnisses 
zwischen  Papsttum  und  Kaisertum  von  grundlegender  Bedeutung, 
wenn  der  vom  Kaiser  geleistete  Eid  als  ein  Fidelitätseid  im  engeren 
Sinne,  als  ein  Homagium,  betrachtet  wird.  Auf  die  Eide  der  deut- 
schen Könige  seit  Otto  1.,  für  welche  os  noch  an  ausreichenden 
Vorarbeiten  fehlt“),  kann  hier  nicht  näher  eingegangen  werden;  es 


•)  c.  un.  in  Clem.  II  9 de  iureiurando.  I)aa  von  Johannes  Andreae 
(vgl.  über  ihn  oben  S.  61  Anm.  1)  stammende  Summarium  lautet:  luramenta, 
quae  Komanat  ccdesiat  praestant  Romani  principes,  fidelitatis  existunt.  Die  kritischen 
Nachweise  siehe  in  der  Ausgabe  von  Friedberg. 

a)  c.  2 in  Clem.  II  11  de  sent.  et  re  iud.  Das  Summarium  des 
Johannes  Andreae  besagt:  Sententia  lala  contra  eitatum,  extra  citantis  lerri- 
torium  existentem,  nul/a  est  ipso  iure.  Die  kritischen  Nachweise  siche  in  der 
Ausgabe  von  Friedberg. 

*)  Eine  umfangreiche  Literatur  besteht  nur  über  die  (teilweise  ange- 
zweifelten)  „Privilegien“  Ottos  I.  (Dahlmann-  Waitz,  Quellenkunde  7.  Aull., 
Nr.  3577):  die  Eide  Ottos  IV.  spielen  in  der  Literatur  über  den  Thronstreit 
natürlich  eine  Rolle;  ziemlich  viel  erörtert  wurde  auch  der  Eid  Albrechts  I., 

8* 


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116 


würde  dies  eine  selbständige  Abhandlung  erfordern.  Auch  auf 

die  Lehenshoheit  der  Kirche  einzelnen  Staaten,  besonders  Sizilien 
und  Neapel,  gegenüber1),  anf  die  angebliche  Behauptung  der- 
selben Frankreich  gegenüber  unter  Bonifaz  VIII.*)  und  auf  den 
Streit  zwischen  Kaiser  Friedrich  I.  und  Hadrian  IV.  (1154 — 1159) 
über  dieselbe  Frage3)  mag  nur  andeutungsweise  hingewiesen 
werden.  Sicher  ist,  daß  die  Behauptung  einer  päpstlichen 
Lehenshoheit  gegenüber  dem  Kaisertum  durch  die  Aufnahme 
der  Dekretalo  „Romani  principes“  in  die  Sammlung  Klemens'  V. 
Bestandteil  des  kanonischen  Rechtes  geworden  ist.  Es  ist 
dabei  unerheblich,  daß  die  Fassung  der  vom  Kaiser  geleisteten 
Eide  die  päpstliche  Ansicht  hinfällig  erscheinen  ließ;  daß 
die  Dekretale  „Romani  principes“  ein  Lehensverhältnis  tatsächlich 
behaupten  wollte,  ist  zweifellos,  da  sie  die  Gehorsamspflicht  des 
Kaisers  nnd  sein  iuramentum  in  bestimmtester  Weise  auf  die- 
selbe Stufe  stellt,  wie  die  Verpflichtungen  des  Vasallen  der 
Kirche,  Roberts  von  Neapel4).  Gerade  durch  diese  Gleich- 

den  n.  a.  K ramm  er  (Der  Einfluß  des  Papsttums  SS.  27  und  28,  woselbst  auch 
die  Literatur  verzeichnet  ist)  für  einen  Lehenseid  hält.  Vgl.  auch  oben  S.  114 
Anui.  2.  Für  eine  zusammenfassende  Darstellung,  die  meines  Wissens  nicht 
existiert,  kämen  außerdem  besonders  in  Betracht  die  Krönungs-Ordines. 

*)  Hier  dauerte  das  Vasallen-  und  Lehensvorhältnis  formell  bis  znui 
Jahre  1800.  Vgl.  die  gute  Übersicht  in  Wetzers  und  Weltes  Kirchen- 
lexikon, 2.  Auf].,  IX.  Baud  1895,  Sp.  81  ff. 

*)  Vgl.  die  oben  8.  16  Anrn.  1 angeführte  Literatur  über  die  Bulle  „Unam 
Sanctam“. 

*)  Vgl.  darüber  Maurenbrecher,  a.  a.  0.  (vgl.  obon  S.  11  Anm.  1) 
SS.  170  nnd  171  (daselbst  auch  weitere  Literatur-Angaben). 

*)  In  der  Bulle  lautet  die  betreffende  Stelle:  . . . inter  alia  inserentes 
in  eis  {i.  e.  Utens),  quod,  quum  ipsi  reges  eiusdem  eectesiae  specialissimi 
fi/ii  sibi  iuramento  fidelitatis  et  alias  multiplieiter  essent  adstricti , 
ipsius  eeclesiae  debeant  esse  promptissimi  defensores.  An  und  für  sich  begründet 
nicht  jedes  iuramentum  tidclitatis  ein  vasallitisches  Verhältnis.  Dies  kommt 
in  der  Glosse  zum  Worte  fidelitatis  zum  Ausdruck,  welche  den  dritten,  von 
Heinrich  VII.  vor  seiner  Krönung  geleisteten  Eid  als  Pidelitätseid  im  Sinne 
des  c.  18  C.  22  q.  5 anspricht  und  dann  fortfährt:  et  videre  potes,  quod 
not.  l/ost.,  in  summa , de  feu.  $ quid  si  fidelitas.  ubi  etiam  ponis  ptenam,  et  p/eniorem 
fidelitatis  formam.  In  quo,  et  quid  differat  ab  homag io , dieam  in f.  de  re  iud. 
e.  pastoralis.  § rursus  [de  hot  Inn.  de  reg.  iur.  cap.  ult.].  Tatsächlich  linden 
sich  in  der  Glosse  zur  Bulle  Pastoralis,  und  zwar  sowohl  zum  Initium  als 
auch  in  der  Glosse  zu  den  Worten  homoqnc  ligius  (auf  diese  wird  oben 


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117 


Stellung1)  hatte  hier  der  Papst  den  Vorrang  der  kaiserlichen 
Würde  im  alten  Sinn  auf  das  schärfste  negiert.  Die  Negie- 
rung der  Weltherrschaft  des  Kaisers  bildet  auch  den  eigentlichen 
luhalt  der  zweiten  hier  zu  besprechenden  Clementine  „Pastoralis“. 
Denn  die  Nichtigkeit  des  kaiserlichen  Urteils  wird  hauptsächlich 
damit  begründet,  daß  der  Kaiser  vor  sein  Gericht  niemanden 
laden  kann,  dessen  Domizil  außerhalb  des  „districtum  imperii“ 
liegt,  wobei  zum  districtum  imperii  offenbar  außer  Deutschland 
nur  das  lombardische  und  das  burgundische  Königreich  gerechnet 
werden  ’).  Die  Weltherrschaft  des  Kaisertums  war  hiemit  vom 
kanonischen  Hecht  auch  theoretisch  aufgegeben,  das  Kaisertum 
war  eine  staatliche  Organisation  unter  anderen,  und  zwar  eine 
unter  der  Lehenshoheit  des  Papstes  stehende. 

angespiclt)  umständliche,  aber  wenig  klare  Auseinandersetzungen  über  bonc- 
ticiuui,  feudnni,  lidelitas  und  hoinagium:  übrigens  ist  auch  die  oben  zitierte 
Stelle  aus  dem  Gratianischen  Dekret  auf  ein  Yasallitisches  Verhältnis 
durchaus  passend.  Es  wurde  hier  zu  weit  führen,  auf  diese  komplizierten, 
lehensrechtlichen  Fragen  näher  einzugehen ; es  genügt  die  Feststellung, 
daß  der  Kaiser  tatsächlich  mit  dem  im  vas|allitischcn  Lehens- 
bande stehenden  König  von  Neapel  auf  eine  Stufe  gestellt  wird; 
es  erscheint  daher  auch  eine  nähere  Untersuchung  der  zitierten  Stellen  aus 
der  Summa  des  Hostiensis  und  aus  den  Commentaria  Innozenz’  IV.  als  über- 
llfissig  (vgl.  bezüglich  des  letzteren  Werkes  oben  S.  106  Amn.  1,  bezüg- 
lich des  ersteren  Schulte,  a.  a.  O.  — vgl.  oben  S.  31  Anm.  1 — SS.  125 ff.) 

l)  Die  Glosse  scheint  sich  allerdings  eines  Unterschiedes  bewußt  zu 
sein,  indem  sie  zum  Worte  Sicilia  bemerkt,  daß  es  speciale  patrimonium  Eccte- 
siae  sei. 

J)  Sehr  charakteristisch  ist  die  Glosse  zur  Hülle  „Pastoralis“.  Zu  den 
Wurten  districtum  imperii  bemerkt  sie:  !'er  hanc  litteram,  et  sequentes  pattl , 
tjuot/  Imperator  non  distrin^it  totum  orbem , licet  dkatur  dominus  mundi 
(letzteres  wird  u.  a.  durch  den  bekannten,  oben  S.  107,  bes.  Anm.  2,  be- 
sprochenen c.  41  C.  7 q.  1 belegt).  Ihre  praktische  Spitze  erhält  diese 
Einschränkung  insbesondere  im  weiteren  Verlauf  der  Glosse,  wo  zum  Worte 
districtum  bemerkt  wird ; außerhalb  des  districtum  imperii  sei  das  angebliche 
Delikt  des  Königs  Robert  begangen  worden,  cum  Koma  (der  Tatort,  vgl.  oben 
S.  114)  st'/  de  tempora/i  dominio  Ecclesia;  (was  wieder  durch  Zitate  belegt  wird). 
.Daß  aber  der  alte  Kaisergcdanke  nicht  tot  war,  zeigt  gerade  die  Glosse  zu 
den  Worten  districtum  imperii;  denn  im  Anschluß  an  die  oben  zitierte  Stelle 
führt  sie  als  Gegenargument  das  ius  commune  an : facit  tarnen  pro  ipso  ius 

commune , quo  fundat  intentionem  suam  in  orbe,  sicui — An  dieser  Stello 

möge  noch  folgendes  Work  erwähnt  werden;  Eitel,  Der  Kirchenstaat  unter 
Klemens  V.,  Berlin  und  Leipzig  1907  (Abhandlungen  zur  mittleren  und  neueren 
Geschichte,  herausgegeben  von  v.  Below,  Finke  und  Meinecke,  Heft  1). 


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118 


Ausführlich  verbreitet  sich  die  Clementine  „Romani  principes“ 
über  die  Erlangung  der  kaiserlichen  Würde,  welche  in  inkonse- 
quenter Weise  doch  als  eine  ganz  eigenartige,  einzige  aufgefaßt 
wurde,  wie  sich  aus  der  Betonung  der  Translationstheorie  ergibt. 
Der  erste  Satz  der  Clementine  lautet:  Romani,  principes . . . Romano 
pontifici , a qno  a/qirobationempersonae  ad  imperialis  celsitudinis  apicem 
assumendae,  nec  non  vnctionem,  consecrationem  et  imperii  coronam 
accipiunt,  ma  submittere  capita  non  reputarunt  indignum,  seque 
illi  et.  eidem  erclesiae,  qvae  a Graecis  Imperium  transtulit 
in  Germanos,  et  a qua  ad  certos  coram  principes  ius  et  potestas 
eligendi  regem,  in  imperatorem  poetmodum  promooendum  peroenil, 
adstringere  oinculo  iuramenti  ...  In  diesem  Satz  ist  aus- 
gesprochen: 1.)  daß  das  Papsttum  die  kaiserliche  Würde  mit 
der  des  deutschen  Königtums  verknüpft  hatte,  was  um  so  be- 
deutungsvoller ist,  als  vor  kurzem  Frankreich  auf  eine  neuerliche 
Translation  hingearbeitet  hatte;  2.)  daß  die  Wahl  des  deutschen 
Königs  und  damit  indirekt  des  Kaisers  kraft  päpstlicher 
Übertragung  den  Kurfürsten  zusteht;  3.)  daß  dieser  Wahl  jedoch 
nur  die  Bedeutung  einer  Designation  zukommt,  daß  es  dem  Papst 
zusteht,  die  „Idoneität“  der  Person  zu  prüfen  und  durch  die  unctio, 
consecratio  und  coronatio  die  Kaiserwürde  selbst  (das  ius  in  re)  zu 
übertragen.  Was  hier  zunächst  auffällt,  ist  die  scheinbare  Ein- 
schränkung des  Approbationsrechts  auf  dio  Prüfung  der  „Idoneität“. 
Daß  eine  solche  Einschränkung  nicht  beabsichtigt  war,  ergibt  sich 
aus  den  weiteren  Darlegungen  der  Bulle.  Der  Papst  erklärt  aus- 
drücklich: nos , eodem  mandato  et  decreto  elertionis  eiusdem  Henrici 
ex  parte  prinriptim  tarn  ecclesiasticorum  qua  m saecularium,  qui 
eundem  elegerant,  nobis  per  dictos  nuncios  ]>raesentatis,  plena  cum 
eisdem  frat.ribus  deliberatione  disetwns,  Jactaque  nobis  de  electione 
huiusmodi  coneordi  et  legitivia  plena  fide,  examinata  quoque  persona 
ipsius  Henrici,  prout  absentia  patiebatur  eiusdem , et  de  ipsius  fide, 
probitate  et  aliis,  ipiae  in  persona  imperatoris  sunt  merito  requi- 
renda,  cum  pluribus  praelatis  et  aliis  magnae  auctoritatis  ciris, 
qui  eiusdem  Henrici  mores,  conditionem  et  statum  plenius  noverant, 
inquirfto,  eiusque  persona,  cuius  etiain  nos  et  fratres  nostri  aliquotem 
prius  notüiam  habebamus,  propter  quod  facilius  transivimus  in 
examinatione  huius  modi,  idonea  re/nUata,  ipsum  nominacimus, 
denunciuoinuts,  et  declaravimus  regem  Romanoruin,  iqieius  approbantes 


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119 


jwrsnnam,  eumque  tufficierUem  et-  habilem  deelarantes  ad  mscipimdam 
imperial i»  celsitudims  digmtatem,  ac  decementes  unctionem , con- 
»errationem,  imperiique  Romani  coronam  tibi  per  manus  nostrat 
debere  concede  . , . Hier  ist  mit  der  größten  Schärfe  ausgesprochen, 
daß  der  Papst  den  Wahlakt  geprüft  hat;  es  ist  dies  auch  ein 
Erfordernis  der  Logik,  da  ja  eben  die  giltige  Wahl  zum  deutschen 
König  Voraussetzung  der  Erlangung  der  Kaiserwürde  sein  soll. 
Der  Papst  hätte  demnach  zunächst  zu  prüfen,  ob  die  Königswahl 
nach  deutschem  Reichsrecht  giltig  ist,  wenn  dies  der  Fall 
ist,  in  zweiter  Linie,  ob  der  gewählte  König  die  Eignung  zur  Kaiser- 
würde besitzt,  wobei  kanonistische  Grundsätze  in  Betracht  kommen. 
Fällt  eine  dieser  beiden  Prüfungen  zu  ungunsten  des  Kandidaten 
aus,  so  kann  er  zweifellos  nicht  Kaiser  werden.  Soweit  ist  alles 
klar.  Welche  weiteren  Folgen  treten  jedoch  ein  bezüglich  des 
Kaisertums  und  des  Königtums?  Was  das  erstere  anlangt,  so 
kann  wohl  der  Papst  in  diesem  Falle  von  seinem  Translations- 
recht Gebrauch  machen;  allerdings  auch  nur  dann,  wie  aus  dem 
Worte  „debere“  am  Ende  der  zitierten  Stelle  hervorgeht.  Sehr 
zweifelhaft  aber  erscheint  es,  ob  der  Papst  nur  die  Translation 
vornehmen  oder  ob  er  die  deutschen  Fürsten  auch  zu  einer  neuen 
Wahl  zwingen  kann.  Die  zweite  Auffassung  entspricht  mehr  dem 
früheren  Standpunkt  der  Kirche.  Der  Bulle  „Romani  principes“ 
scheint  sie  mir  allerdings  eigentlich  nicht  mehr  angemessen  zu 
sein,  indem  hier  zwar  einerseits  die  Weltstellung  des  Kaisertums 
negiert  wird,  anderseits  aber  seine  Scheidung  vom  deutschen 
Königtum  mit  bisher  unbekannter  Schärfe  zum  Durchbruch  kommt. 
Die  auf  Grund  dieser  Scheidung  logische  Antwort  auf  unsere 
Frage  wäre  die,  daß  der  Ausspruch  des  Papstes  tatsächlich  nur 
in  Bezug  auf  die  kaiserliche  Würde  Wirksamkeit  hat  und  die 
königliche  ganz  unberührt  läßt.  Es  scheint  mir  jedoch  trotzdem 
nicht,  daß  die  Bulle  diese  Auffassung  hat:  ganz  unwahrscheinlich 
ist  dies  bezüglich  des  päpstlichen  Ausspruches  über  die  Giltigkeit 
der  Königswahl,  der  im  Sinne  des  Papstes  gewiß,  wenn  er  einmal 
überhaupt  erflossen  war,  schlechthin  respektiert  werden  mußte; 
zweifelhaft  bleibt  dagegen,  ob  auch  bei  Anerkennung  der  Wahl 
und  Reprobation  des  Kandidaten  lediglich  wegen  Untauglichkeit 
für  das  Imperium  die  deutschen  Fürsten  zur  Wahl  eines  anderen 
Königs  verpflichtet  sein  sollen  oder  ob  in  diesem  Falle  allerdings 


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120 


die  Wahl  intakt  bleibt  und  der  Papst  nur  zur  Translation  des 
Imperiums  schreiten  kann. 

Bevor  wir  untersuchen,  wie  sich  die  Glosse  zu  diesen  Fragen 
verhält,  seien  noch  einige  Punkte  erwähnt,  zu  deren  Erörterung 
die  zuletzt  besprochene  Stelle  Gelegenheit  bietet.  Zunächst  muß 
hervorgehoben  werden,  daß  die  Prüfung  in  einer  Art  und  Weise 
geschieht,  die  sie  dem  bei  Kirchenämtern  gebräuchlichen  Infor- 
mativprozeß annähert1).  Anderseits  werden  bei  der  Prüfung  des 
Wahlakts  offenbar  nicht  schlechthin  die  Grundsätze  des  kanonischen 
Wahlverfahrens  zur  Anwendung  gebracht;  nicht  die  canonica, 
sondern  die  legitima  electio  wird  verlangt’).  Ja,  in  der  Betonung 
der  concors  electio  liegt  eine  starke  Abweichung  von  dem  damals 
bereits  allgemein  gütigen  kanonischen  Becht;  sie  scheint  auch  ein 
Abgehen  von  jenen  Forderungen  zu  sein,  die  bereite  Innocenz  III. 
aufgestellt  hatte’),  und  ließe  sich  der  Widerspruch  nur  dadurch 
lösen,  daß  Heinrich  VII.  von  der  Mehrheit  aller  Kurfürsten  und 
mit  den  Stimmen  aller  anwesenden  gewählt  worden  war4).  Das 
Kurfürstentum  selbst  erscheint  in  der  Dekretale  als  eine  ganz 
gefestigte  Einrichtung. 

Die  Glosse  nun  steht  bezüglich  des  Kurfürstenkollegiums  auf 
demselben  Standpunkt,  wie  die  Bulle;  kurz  und  bündig  erklärt 
sie  zu  den  Worten  ad  certos:  </ui  mint  Uli , not.  de  re  iud.  c.  ad 
Ajmtolirae  in  fin.  lib.  6 (die  oben  SS.  111  f.  besprochene  Stelle). 
Was  den  Wahlakt  anlangt,  so  wird  nur  das  Wahldekret  erwähnt; 
die  Schlußworte  der  Glosse  zu  den  Worten  nos  itaque  und  die 
kurze  Glose  zum  Worte  decreto  scheinen  dafür  zu  sprechen,  daß 


*)  Das  Verfahren  ist  jedoch  nicht  ganz  so  streng,  wio  im  eigentlichen 
Informativprozeß,  über  den  zu  vergleichen  ist  llinschius,  a.  a.  0.  (vgl.  oben 
8.  59  Anm.  1),  II.  Band  SS.  672ff.  In  den  Glossen  zu  den  Worten  noverant  und 
aliqualem  wird  es  allerdings  ganz  auf  eine  Stufe  gestullt,  auch  die 
Abweichungen  von  der  normalen  Strenge  werden  durch  Bestimmungen 
des  kirchlichen  Ämterrechtes  begründet.  Wie  sich  dor  Papst  atiqua- 
lern  notitiam  des  Kandidaten,  derentwegen  er  facilius  transk'U,  erworben  hat, 
erfahren  wir  aus  der  Glosse  zum  Worte  notitiam : Fuerat  mim  pro  promotione 
fratris  sui  Treverensis  Archiepiscopi  (der  berühmte  Balduin)  atiquo  tempore  in 
curia  (stii.  Henriati) 

*)  Vgl.  oben  S.  118. 

*)  Vgl.  oben  S.  57. 

4)  Vgl.  unten  S.  153  Anm.  2. 


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121 


es  als  essentielles  Erfordernis  betrachtet  wurde1).  Klar  und 
deutlich  ist  auch  die  Translationstheorie  und  das  Approbatinns- 
recht  des  Papstes,  dieses  jedoch  ohne  Eingehen  auf  die  einzelnen 
Verzweigungen,  betont.  Das  Translatinnsrecht  begründet  die 
Glosse  zum  Worte  pervenit  durch  kurzen  Hinweis  auf  die  Hülle 
„Venerabilem“.  In  der  Glosse  zum  Initiura  heißt  es:  ...  spute 
Ecclesia  transtulit  Imperium  a Graecis  in  Germanos,  id  est,  Ale- 
manos.  Nam  Graeci  solebant  habere  Imperium.  Et  a qua  Ecclesia 
ins , et  /wtest-as  eligendi  regem  aliquem,  suppleo,  />ostmodum  promo- 
cendum  in  I nqseratorem,  pervenit  ad  certos  principes  eorum , quia 
sunt  certi  principes  in  Germania  qui  habent  / lotestatein , et  ius  eli- 
gendi aliquem  regem  in  Imperatorem  quod  ius  ecclesia  eis  ron- 
cessit  . . . Und  noch  früher  findet  sich  in  derselben  Glosse 
folgende  Stelle:  Nam  Romanus  Pontifex  approlmt  eos,  scilicet  in- 
spiciendo  an  sint  lales,  quod  posaunt  tempore  necessitatis  fidem 
Christianam , id  est,  fidem  Christi  defendere.  Et  a quo  Romano 
Pontifice  ipsi  pritwipes  assumunt,  id  est,  habent,  oel  capiunt  coronam 
im/ierii : nee  non,  id  est,  etiam  ipsi  principes  accipiunt  unctionem 
...  et  conseerationem,  quia  Papa  eos  consecrat.  Das  klingt  fast 
so,  als  ob  die  Prüfung  des  Papstes  sich  nur  auf  die  Tauglichkeit 
der  Person  bezöge  und  die  Reprobation  das  Königtum  unberührt 
ließe. 


*)  Die  Glosse  7. um  Worte  dccrcto  beschränkt  sich  darauf,  c.  11  Dist.  Gl 
(eine  Entscheidung  Gregors  I.  aus  dem  Jahre  592;  die  kritischen  Nachweise 
in  der  Ausgabe  von  Friedberg,  bei  Jaff£,  Reg.  Pont.  [ed.  II.]  1178,  Migne, 
Patrol.  Lat.,  Tom.  LXXVII  561)  und  c.  20  X I 6 de  electione  (oine  bereits 
in  der  Comp.  III.  enthaltene  Entscheidung  Innozenz'  III.  aus  dem  Jahre  1200; 
die  kritischen  Nachweise  in  der  Ausgabe  von  Friedberg  und  bei  Potthast, 
Reg.  Pont.,  953)  zu  zitieren.  Die  letztere  Stelle,  welche  von  etwas  ganz 
anderem  handelt,  erwähnt  nur  gelegentlich,  daß  dem  Papst  das  Wahldekrot 
Torgelegt  wurde;  die  erstgenannte  jedoch  verlangt  für  die  Postulation  die 
„solempnitas  docreti“,  was  die  Rubrik  auf  die  electio  ausdehnt.  In  der 
Glosse  nos  itaque  wird  gegen  Ende  die  mehrfache  Redoutnng  des  Wortes 
dccretum  dargelegt  und  u.  a.  gesagt:  Quandoque  dicitur  Consensus  eligentium 
in  scriptis  redactus;  als  Beweis  wird  wieder  das  erwähnte  c.  20  X 1 6 und  c.  9 
C.  2 q.  1 (eine  Palea,  und  zwar  ein  schon  in  älteren  Sammlungen  erhaltener 
Beschluß  des  dritten  Konzils  von  Soissons  aus  dem  Jahre  852,  die  kritischen 
Nachweise  in  der  Ausgabe  von  Priedberg)  zitiert;  hier  wird  in  causis 
gestorum  schlechthin  scriptura  gefordert  und  unter  den  einzelnen  Fällen  erwähnt: 
Qui  ad  sutnmum  sacerdotiutn  prouehstur,  decreto  manibus  omstium  roborato  etigitur. 


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122 


Übrigens  wird  an  mehreren  Stellen  von  der  Glosse  das  Ver- 
hältnis zwischen  königlicher  und  kaiserlicher  Wurde  ex  professo 
erörtert.  Dabei  tritt  uns  zunächst  die  scharfe  Scheidung  entgegen, 
die  wir  in  der  Balle  gefunden  haben.  Nur  nebenbei  sei  erwähnt, 
daß  zu  der  Stelle,  die  Heinrich  Imperatoren! , tune  Romanorum 
regem  nennt,  Johannes  Andreae1)  bemerkt:  </«»'  nondum  coronatue 
erat.  Mit  aller  Schärfe  aber  polemisiert  die  Glosse  zum  Worte  futu- 
rus*)  gegen  die  Vermengung  beider  Würden  und  stellt  fest,  daß 
nicht  die  Wahl,  auch  nicht  die  Approbation,  sondern  erst  die 
Kaiserkrönung  die  kaiserliche  Würde  verleiht:  Illud  est  contra 
Joan.  qni  not.  93  dtit.  legimue.  quod  eola  prinri/mm  elrctio  facit 
verum  Imperutorem:  vides  enim , ipiod  etiam  approbatus  ab  Ecclesia 
hn/ierator  n<m  est,  donec  enronatiemem,  et  coneecrationem  recc/ierit  ab 
Ecclesia,  facit  quod  dicam  in  § porro  [super  cerb.  reges  in  gloxs.] 
Die  hiemit  berührte,  offenbar  von  demselben  Glossator  herrührende 
Glosse  zum  Worte  Reges  bietet  die  größten  Schwierigkeiten.  Der 
Anfaug  ist  einigermaßen  klar,  aber  nur  schwer  mit  demjenigen  zu 
vereinbaren,  was  wir  bisher  gehört  haben:  Romanos,  nt  sequitur. 

Et  per  hanc  litteram  oidetur , eptod  rex  Romanoruin,  qui  nondum 
est  Imperator,  vel  coroniitus,  pririlegia  dare  possit,  de,  quo  satis  no. 
in  Spe.  de  rescr.  firaesentata.  § /in.  rer.  item  quod  est  obtentum. 
Hier  wird  also  behauptet,  daß  der  römische  König  bereits  Privi- 
legien erteilen  könne,  und  zwar  nach  dem  ganzen  Zusammenhang 
solche,  die  zur  Kompetenz  des  Kaisers  gehören5).  Die  Glosse 
setzt  allerdings  sofort  bei,  daß  diese  Auffassung  bestritten  ist 
(et  hoc  disputant),  und  stützt  sie  durch  eine  weitere  Autorität 
(et  tenuit  Jaco.  de  Are.  niius  quaestionem  ad  litteram  posuit  Cgn. 


')  Vgl.  über  ihn  obon  S.  Gl  Amn.  I. 

s)  Die  Glosse  knüpft  an  die  Eingangsworte  des  dritten  unmittelbar 
vor  der  Kaiserkrönung  geleisteten  Eides  an,  welche  nach  der  Bulle  lauten: 

Eqo  Htnruus  Romanorum  rex , annuente  Domino  futurus  imperator  promitto 

3)  Es  handelt  sich  nach  dem  Text  der  Bulle  um  die  seitens  der  reges 
und  imperatores  der  Kirche  verliehenen  privilegia,  deren  Wahrung  Heinrich 
in  seinem  zweiten  Eide  beschworen  hatte.  Unter  diesen  Privilegien  sind  vor 
allem  die  verschiedenen  den  Kirchenstaat  betreffenden  Schenkungen  gemeint. 
DaO  aber  die  Herrschaft  über  Italien  im  Sinne  des  Papstes  ein  Ausfluß  der 
kaiserlichen  Würde  ist,  werden  wir  bei  Besprechung  der  Extravaganten 
(unten  S.  129)  deutlich  erkennen. 


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123 


in  lege,  bene  a Zennne.  Cod.  de  quadr.  praescript. ) Die 
Streitfrage  scheint  sich  also  hier  dämm  zu  drehen,  ob  der  römische 
König  bereits  vor  der  Kaiserkrönung  das  exercitium  imperii 
hat;  denn  daß  er  die  königlichen  Rechte  schon  vorher  ausftben 
konnte,  ja  sogar  vor  der  Approbation,  konnte  wohl  kaum  bestritten 
werden.  Im  nächsten  Satze  nun  verschiebt  die  Glosse  die  ganze 
Streitfrage:  Inn<*\  in  decret.  venerabilem:  dicit  quod  «i  Imperator 
non  poesit  recifiere  coronain  in  loco  debito,  nihilominus  auctoritatem 
administrandi  reripere  potent  a (,'oloniensi  archie/risco/w,  ad  quem 
s pectat , o el  ex  ipxa  eledione  habet  iUam  semndum  eiim.  Hier 
ist  auf  einmal  von  der  Königskrönung  in  Köln  die  Rede, 
von  welcher  das  ius  administrationis  abhängen  soll ; es  ist  schwer, 
hier  an  das  exercitium  imperii  und  nicht  an  die  administratio  regni 
zu  denken.  Und  doch  scheint  das  erstere  gemeint  zu  sein.  Denn 
nachdem  der  Glossator  die  beiden  möglichen  Interpretationen  der 
(falsch  wiedergegebenen)5)  Bulle  „Venerabilem“  dargelegt  hat, 
stützt  er  die  zweite  (daß  der  Erwählte  bereits  mit  der  Wahl  auctori- 
tatem  administrandi  erlangt)  durch  folgenden  Hinweis : refert  Hont, 
de  eerbor.  signif. ')  super  qnibvsdam  quod  vidit  in  Alemania  per 
principe s iudirari , et  teneri , quod  rex  Romanornm  jiost  electionem 
roncorde in  habeut  omnem  potextutem,  quam  Imperator , et  quod 
unctio  nihil  addit  et  facit  quod  not.  Joan.  .93.  distimt.  cap.  legimus. 
ut.  xcripsi  super  ver.  posUptam  [et  supei'  cersi.  fvtunu.  in  gloss.] 
Wir  lernen  also  hier  bereits  die  dritte  Ansicht  kennen:  das  exer- 
citium imperii  wird  nicht  durch  die  Kaiserkrönung  (dies  die  erste, 
vom  Glossator  zum  Worte  futurus  vertretene  Ansicht),  auch  nicht 
durch  die  Königskrönung  (dies  die  zweite,  von  einzelnen  Auslegern 


')  Die  Abkürzung  Dyn.  bezeichnet  den  Romanisten  Cinns  (oder  Cynns), 
der  Verweis  gilt  zweifellos  seiner  Lcctura  über  den  Codex  (verfaßt  in  den 
Jahren  1312  bis  1314)  und  zwar  zu  1.3  Cod.  VII  37.  Derselbe  war  (ihibel- 
line  und  verteidigte  die  kaiserlichen  Ansprüche.  Vgl.  über  ihn  v.  Savigny, 
Geschichte  des  römischen  Rechts  im  Mittelalter,  VI.  Hand,  Heidelberg  1850, 
SS.  71  ff.  — Wer  mit  der  Abkürzung  Jaco.  de  Aro.  gemeint  ist,  vermochte 
ich  bisher  nicht  mit  Sicherheit  festzustellcn.  Ich  vermute  darunter  Jacobus 
de  Ardizone  vgl.  über  ihn  v.  Savigny,  a.  a.  0.  V.  Hand  SS.  85 ff..  Schulte, 
a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  31  Anm.  1)  S.  82  Anm.  7. 

*)  Vgl.  oben  SS  55  und  56. 

*)  Vgl.  oben  S.  106  Anm.  1 am  Ende. 


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124 


der  Bulle  „Venerabilem“  gelehrte  Ansicht),  sondern  bereits  durch 
die  Königswahl  erworben.  Damit  ist  die  scharfe  begriffliche 
Scheidung,  zu  der  wir  in  der  Bulle  und  in  der  Glosse  so  starke 
Ansätze  gefunden  haben,  wieder  aufgegeben,  da  sonst  der  Glossa- 
tor  die  zweite  und  vor  allem  die  dritte  Ansicht  a priori  zurfick- 
weisen  müßte.  Er  hält  aber  gerade  die  dritte  für  sehr  diskutabel; 
allerdings  wird  eine  concors  electio  gefordert,  was  mit  unsern 
obigen  Darlegungen  über  die  Bedeutung  der  Königskrönung  über- 
einstimmt. Aber  selbst  an  diesem  Erfordernis  wird  nicht  strenge 
festgehalten;  überraschender  Weise  fährt  der  Glossator  fort:  Sed 
</uod  plus  est,  vidi , ei  haben  forma » ipianindatn  liierarum , quae  de 
regigtrig  Innoe.  HI.  dirun/ur  extrartae,  quae  nwnarvnt  xuper  negotin 
disrordiae  elertionig,  de  qtta  Inquitur  decret.  venerabilem.  quarum 
altera  dirigebatur  Archiepigctqm , Kpixcopis,  et  praelati« , et  principi- 
bux  Aletnanuie , et.  Sclaviae  (p el  Sclavoniae , et  altera  xperialiter 
Mnguntino,  inter  alia  referenteg , quod  inconcusea  conxuetudo  im/>erii 
facta , certa,  rationi  comuma  iuri  gubni.ra,  per  patientiam  xedix 
Apogtnlieae  tolerata,  et  jyer  tolerantiam  a/probata,  hoc  habet,  quod 
dunbu*  electix  in  discnrdia,  uterque.  adniinixtrat  ut  rex,  et  omnem 
imperii  iurixdu'tinnem  exercet : quod  declarat  ibi  Pa/ut  locum  ha- 

bere, donee  per  Papam  alteriux  electio  fnerit  apprnbata,  aut  repro- 
bata ').  Daraus  geht  hervor,  daß  sich  der  Glossator  über  die 
Frage  absolut  nicht  klar  werden  konnte. 

Abschließend  müssen  wir  konstatieren,  daß  die  Glosse  in 
keiner  Weise  geeignet  ist,  die  oben  (SS.  119f.)  bei  Besprechung 
der  Bulle  offen  gelassene  Frage  zu  klären.  Überhaupt  hat  sie 
den  Unterschied  zwischen  regnum  und  imperium  eher  verwischt 
und  verwirrt,  als  verdeutlicht.  Worin  Papst  Klemens  V.  ihn  trotz 
Negierung  der  Weltstellung  des  Kaisers  suchte,  werden  wir  unten 

')  Jedenfalls  scheint  mir  auch  diese  Glosse  dafür  zu  sprechen,  daä  die 
Krage  nach  der  staatsrechtlichen  Bedeutung  der  Krönung  erst  durch  die 
Zwiekurcn  aktuelles  Interesse  gewann:  in  diesem  Sinn  habe  ich  sie  in 
meiner  oben  (S.  21  Anm.  4)  erwähnten  Besprechung  der  Krammer’schen 
Arbeiten  (S.  687)  verwertet. 

Mir  sind  Briefe  Innozenz’  III.  mit  dem  vom  Glossator  angegebenen 
Inhalt  nicht  bekannt.  Allenfalls  könnte  unter  dem  an  den  Erzbischof 
adressierten  Brief  der  bei  Baluze,  1.  c.  (cf.  oben  S.  44  Anm.  7)  sub  1, 
abgedruckte  gemeint  sein,  aus  dem  sich  der  vom  Glossator  zum  Ausdruck 
gebrachte  Gedanke  wenigstens  folgern  lfiUt. 


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bei  Besprechung  der  Extravagante  „Si  fratrum“  (c.  un.  in  Extrav. 
Joan.  XXII.  tit.  5 ne  sede  vacante  aliquid  innovetur)  *)  erfahren*). 

3.  Die  Extravagantei).  Der  oxtreme  Hierokratismus 
der  Bulle  „Unam  Sanctam“. 

Als  Klemens  V.  seine  angebliche  Lehenshoheit  über  den  Kaiser 
verfocht,  war  bereits  jene  Bulle  erschienen,  die  den  Gipfelpunkt 
des  hierokratischen  Systems  bedeutet,  die  Bulle  „Unam  Sanctam“. 
Mit  ihrer  Aufnahme  ins  kanonische  Rechtsbuch s)  hat  sich  inner- 
halb des  kanonischen  Rechts  die  von  Gregor  VII.  vertretene 
extrem  hierokratische  Doktrin  durchgesetzt.  Anderseits  ist  gerade 
dies  für  die  Staaten  und  speziell  für  Deutschland  der  Anlaß  ge- 
worden, ihre  staatsrechtliche  Gestaltung  entschieden  vom  kano- 
nischen Recht  zu  emanzipieren,  mit  dem  Hierokratismus  zu  brechen 4). 

Es  ist  nicht  notwendig,  hier  auf  die  Vorgeschichte  der  Bulle 
„Unam  Sanctam“  und  auf  ihre  juristische  Analyse  näher  einzugehen, 
da  in  dieser  Hinsicht  eine  ausgezeichnete  und  voll  ausreichende 
Literatur5)  besteht  Insbesondere  verweise  ich  auf  die  eindrin- 
genden Forschungen  von  Martens,  dessen  Interpretation  der  Bulle 
ich  mir  in  vollem  Umfang  zu  eigen  mache.  Ich  hebe  nur  be- 
sonders hervor,  daß  die  Bulle  aufs  schärfste  die  unmittelbare  Ab- 
hängigkeit aller  Staaten  vom  Papsttum  vertritt,  daß  also  von  einer 
Weltherrschaft  des  Kaisertums,  das  ja  in  den  Kämpfen  mit  den 
Päpsten  faktisch  seine  Lebenskraft  eingebüßt  hatte,  nicht  mehr  die 
Rede  ist;  ferner,  daß  die  Herrschaft  des  Papsttums  über  alle  Staaten 
eine  auf  göttlicher  Anordnung  beruhende,  absolut  unbeschränkte 

')  Vgl.  unten  SS.  128ff. 

*)  Der  Vollständigkeit  halber  sei  erwähnt,  daß  in  der  Glosse  zum 
Worte  pace  die  Friedenswahrung  in  dem  oben  (S.  76)  dargelegten  Sinn 
ganz  allgemein  für  die  päpstliche  Kompetenz  reklamiert  wird. 

*)  Die  Bulle  wurde  unter  dem  18.  November  1302  erlassen  und  später  in 
die  Sammlung  der  Extravagantes  cominuncs  als  c.  1 I 8 de  inaiorit.  et 
obedient,  aufgenommen : vgl.  die  kritischen  Nachweise  in  der  Ausgabe  von 
Friedberg  und  bei  Potthast,  Keg.  Pont.,  25189.  Mit  dem  Streite 
zwischen  der  Kurie  und  Frankreich  beschäftigen  sich  übrigens  auch  c.  8 in 
VI  to  III  23  de  immunitate,  c.  un.  in  Clem.  III.  17  de  immunitate,  c.  un. 
Extrav.  cotnm.  III  13  de  immunitate,  c.  2 Extrav.  comm.  V 7 de  privilegiis. 

«)  Vgl.  obben  S.  IG. 

*)  Vgl.  oben  S.  IC  Anm.  1. 


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126 


ist.  Uterque  ergo  (gladius)  ent.  in  poteetate  ecclesiae , »pirituali»  icilicet 
yladiu » et  muteriali»  sagt  ausdrücklich  die  Bulle  „Unam  Sanctam“. 
Lediglich  die  Ausübung  der  der  Kirche  iure  proprio  zustehenden 
weltlichen  Gewalt  hat  diese  den  Staaten  überlassen:  Hie  (»eil.  ma- 
terial in  gladiu»)  quidem  pro  ecclenia  (ille  vero  ab  ecclesia)  exercendu », 
zwar  manu  regum  et  militum , ned  ad  nutum  et  patientiam  sacer- 
doti x,  wie  die  Bulle  sagt;  in  /lotestale  errlexiae  non  ad  wmm , ned 
ad  fiatientiam  et  ad  nutum  nach  den  Worten  der  Glosse  (zu  den 
Worten  uterque  ergo  est).  Es  ist  nur  eine  konsequente  Durch- 
führung des  Gedankens,  wenn  die  Bulle  das  Einsetzungsrecht  und 
volle  Jurisdiktion,  welche  offenbar  auch  die  Absetzung  in  sich 
begreift1),  gegenüber  den  weltlichen  Herrschern  der  kirchlichen 
Obrigkeit  zuspricht:  » pirituali » (»eil.  / mtenta »)  terrenam  potentatem 
inntituere  habet,  et  iudicare , »i  bona  non  fuerit ; denn,  wie  die  Glosse 
(zu  den  Worten  nam  veritate  testante)  richtig  bemerkt,  »i  habet 
eam  inntituere,  habet  eam  iudicare , »i  bona  non  fuerit ; quia  euiu» 
e»l  rändere , eia»  e»t  deeiruere:  et  quia  etiam  quantum  ad  terrenam 
poteutateni  habeat  eam  in»tituere:  et  »i  non  bona  fuerit  habet  eam 
iudicare,  et  destituere;  und  zusammenfassend  (in  derselben  Glosse 
schon  früher):  » pirituali » potesta s /xiteet  terrenam  /loteetatem  inxti- 
tuere,  iudicare,  tram/erre  et  plantare. 

Wir  wollen  hier  nicht  naher  auf  die  Begründung  Bonifaz’  VIII., 
welche  übertreibend  als  eine  „an  Aberwitz  grenzende“  bezeichnet 
wurde9),  eingehen,  auch  nicht  auf  die  nähere  Ausgestaltung  der 
Theorie  in  der  Glosse,  welche  die  geistliche  und  weltliche  Gewalt 


*)  So  haben,  wie  die  im  Text  zitierten  Glossenstcllcn  beweisen,  auch 
die  auf  Seite  des  Papstes  stehenden  Glossatoren  die  Bulle  aufgefaßt.  Be- 
züglich anderer  Auffassungen  vgl.  oben  S.  16  Anm.  1,  ferner  Phillips, 
Kirchenrecht,  § 130. 

*)  SoDrumann,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  IG  Anm.  I)  II.  Teil  S.  57.  Man 
muß  sich  vor  Augen  halten,  daß  die  von  Bonifaz  VIII.  vorgebrachte  alle- 
gorische Schriftauslegung,  so  wenig  beweisend  sie  auch  ist,  dem  Mittelalter 
ganz  gel&ufig  war.  Der  Vergleich  der  einen  Kirche  mit  dem  unteilbaren 
Kock  findet  sich  schon  bei  Gregor  IV.  (827—844),  der  Vergleich  mit  der 
einen  Taube  (des  hohen  Liedes)  bald  darauf  bei  Hincmar  von  Rheims: 
vgl.  Lilienfein,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  6 Anm.  1)  S.  73,  bzw.  106.  Befremd- 
lich wirkt  die  mit  der  Prätention  eines  logisch  geschlossenen  Be- 
weises auftretende  systematische  Zusammenfassung  solcher  Argumente 
allerdings. 


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127 


als  ein  duplex  dominium,  gewissermaßen  als  Ober-  und  Unter- 
eigentum konstruiert  hat,  und  nur  kurz  erwähnen,  daß  nns  in  der 
Glosse  auch  eine  sehr  interessante  Polemik  gegen  die  Auflassung 
der  Bulle  „Unam  Sanctam“  erhalten  ist*).  Was  uns  interessiert, 
sind  vor  allem  die  Rückwirkungen  der  dargelegten  Ansichten  auf 
das  deutsche  Kaisertum.  Daß  einerseits  seine  Weltstellung  mit 
der  prinzipiellen  Behauptung  eines  unmittelbaren  päpstlichen 
Rechtes  über  alle  Staaten  auch  theoretisch  negiert  war,  wurde 
schon  bemerkt.  Anderseits  wurde  dementsprechend  in  der  Glosse, 
und  zwar  in  der  Auseinandersetzung  über  da3  duplex  dominium, 
die  Translationstheorie  eigentümlich  ausgestaltet,  sodaß  nicht  nur 
das  Kaisertum,  welches  ja  trotz  der  Beschränkung  auf  den  distric- 
tum  imperii  infolge  der  advocatia  sedis  apostolicae  für  die  Kirche 
von  besonderer  Bedeutung  war,  sondern  schlechthin  jede  welt- 
liche Gewalt  als  auf  unmittelbarer  päpstlicher  Übertragung 
beruhend  erschien.  Die  betreffende  Stelle  findet  sich  in  der  auf 
die  oben  (S.  126)  erwähnte  Polemik  folgenden  Widerlegung  und 
lautet:  sic  videtur  mihi , quod  in  adcmtu  Christi  omnis  honor , et 
omnis  jsrincipatus,  et  omne  dominium , et  iurisdictio  de  iure , et  ex 
iusla  causa  per  illum,  qui  supremam  manum  habet,  nee  errare  po- 

test,  omni  infideli  subtracta  fuerint,  et  ad  fideles  translata et 

hoc  in  persona  Christi  filii  I)ei  citri , qui  non  solum  sacerdos  fuit, 
sed  et  rex  ....  Ifuius  autem  regni,  et  sacerdotii  principa- 
tum  perpetuum  commisit  filius  Dei  Petro,  et  successori- 

*)  Die  Additio  zur  Glosse  porro  subesse  Romano  Pontifici  lautet  (unter 
Weglassung  der  zahlreichen  Belegstellen):  Quaero,  utrum  potestas  spirilualis 
debeat  denominari  (siet)  temporalii  Et  viiietur , quod  non,  quia  iurisdictiones  sunt 
distinctae.  Non  ergo  Papa  debet  se  intromittere  de  potestate  tempora/i;  sed  debet 
ttmporalia  dimittere  Imperatori.  Regibus,  et  a/iis  dominis  temporahbus.  alias  poneret 
fakem  suam  in  messem  alienam.  quod  non  est  faciendum.  praeterea  secundum  /lug. 
(i.  e.  Hugucionem').  Imperator  a solo  Deo  habet  potestatem  in  temporalibus  Papa 
in  spiritualibus  et  sie  mrisdietiones  sunt  distinetae , ut  dicunt  primae  eoncordantiae, 
et  lieet  coronatu  recipiat  a Papa'.  gladium  tarnen  ab  altari . etiam  ante 
fuit  Imperium  quam  Apostolatus.  Praeterea  potestas  spirilualis  indigeret  tempora/i 
mu/toties.  ergo  tton  dominatur  ei.  Praeterea  si  potestas  spiritua/is  dominaretur 
tempora/i,  haberet  dominium  temporalhtm,  Sed  dominium  earundem  rerum  non  po- 
lest esse  simul , et  semel  in  solidum  eodem  tempore  apud  phtres.  ergo  nul/us  alter 
haberet  dominium;  quod  est  falsunr.  ergo,  etc.  (ein  grotesker  Trugschluß).  Auf 
diese  Einwendungen  folgt  dann  eine  eingehende  Widerlegung,  offenbar  von 
demselben  Glusaatur. 


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1-28 


bus  eiut  (folgen  Zitate).  Et  de  tu li  dominio  divinc  dico,  ipjod 
omni*  temporalie  potextae  egt  evbiecta  xpirituali,  et  debet  potestas 
spirituali»  fioteglati  temporuli  dominari.  Die  weltliche  Gewalt  er- 
scheint sonach  als  eine  vom  Papste  quoad  usum  verliehene. 

Von  diesem  Standpunkt  aus  war  es  nicht  mehr  inkonsequent, 
bei  Vakanz  der  weltlichen  Gewalt  eine  unmittelbare  päpstliche 
Jurisdiktion  eintreten  zu  lassen,  und  zwar  prinzipiell  nicht  nur 
beim  Kaisertum,  wo  allerdings  allein  der  Fall  praktische  Bedeutung 
hatte,  dain  Erbmonarchien  eine  vacatio  etwas  ganz  Ungewöhnliches 
ist.  Fis  sind  uns  derartige  Gedankengänge  wiederholt  bei  Kanonisten 
und  auch  auf  päpstlicher  Seite  begegnet) ').  Aber  erst  die  Extra- 
vagante Johannes’  XXII.  vom  Jahre  1317  „Si  Iratrum“  (c.  un.  Extrav. 
Joann.  XXII.  tit.  5 ne  sede  vacante  aliquid  innovetur2)  hat  die 
Frage  ex  professo  nnd  prinzipiell  geregelt.  Sie  stellt  den  Grund- 
satz auf,  quotl  vacante  imperio , xicut  et  nunc  per  obituin  quondam 
llenrici  Romanorum  Imperatoris  varagge  dignoxcitur,  quum  in  tllo 
ad  gaecularem  iudicem  nequeat  habrri  rerurtus,  ad  xummum  Ponti- 
Jicem , rui  in  /‘rrgona  beati  Petri  terreni  ximut  et  roelestis  imperxi 
iura  I)eux  ipge  commisit , iniperii  prardicti  iuritdictio,  reyimen  et 
dixpoeitio  devolvuntur,  et  ea  ipxa  durante  ipsiue  vacatione  im- 
perii  per  xe,  r el  all  um  xeu  aliox  txercuixxe  noxcitur  memorato. 
Hier  haben  wir  dieselbe  Begründung,  wie  in  der  eben  zitierten 
Glossenstelle;  dagegen  scheint  hier  die  Weltstellung  des  Kaiser- 
tums festgehalten  zu  sein.  Allein  man  braucht  sich  nur  an  die 
Veranlassung3)  dieser  Extravagante  zu  erinnern,  um  zu  erkennen, 


')  Vgl.  oben  SS.  31,  42,  75,  107.  Es  ist  hier  vielleicht  am  Platze,  an 
die  in  Deutschland  geübte  Keichverweserscbaft  Papst  Victors  11.  (1055 
bis  1057),  der  auch  als  Papst  Bischof  von  Eichstädt  geblieben  war,  zu  er- 
innern. Ich  habe  darüber  unter  Anführung  der  Literatur  in  meiner  oben 
S.  7 Anm.  1 genannten  Untersuchung  SS.  215  und  216,  217  und  218,  223 
und  224,  234  und  235  gehandelt.  Herr  I>t.  Tomek,  Studicnprifekt  aui  f.  e. 
Klcrikal-Seminar  in  Wien,  hat  mich  nun  auf  folgende  büchst  interessante 
Stelle  bei  Petrus  Damiani  (Epistolae  15:  Migne,  Patrol.  Lat.,  Tom. 
OLIV,  210)  aufmerksam  gemacht:  Ohristus  sagt  zu  Papst  Viktor  II.: 
• etiam  monarchias  addidiz  immo  subiato  rege  dt  medio,  iotms  Romani  imperii  vaton- 
tis  tibi  iura  ptrmisi.t 

*)  Vgl.  die  kritischen  Nachweise  in  der  Ausgabe  von  Friedberg. 

3)  Eine  gute  Übersicht  dieser  Ereignisse  bei  Phillips,  Kirchenrecht, 
§ 132. 


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129 


daß  dieser  Auffassung  lediglich  theoretische  Bedeutung  zukommt, 
daß  sie  ein  der  großen  historischen  Vergangenheit  des  Kaiser- 
tums, welche  noch  nachwirkte,  gezollter  Tribut  ist.  Bereits 
Klemens  IV.  (1265-1268)  hatte  seinerzeit  Karl  von  Neapel,  Kle- 
mens V.  nach  dem  Tode  Heinrichs  VII.  Robert  von  Neapel  zum 
Vikar  des  Reiches  in  Italien  ernannt;  gegen  diejenigen,  welche 
sich  einen  solchen  Titel  in  Italien  anmaßten  — und  deren  gab 
es  nicht  wenige  — richtete  sich  die  Extravagante  „Si  fratrum“. 
Niemals  hat  einer  der  päpstlichen  Vikare  die  Ausübung  von 
Jurisdiktionsrechten  über  andere  Staaten  nnter  dem  Titel  der 
Weltherrschaft  beansprucht;  seine  Aufgabe  beschränkte  sich  auf 
die  Friedenswahrung  im  lombardischen  Königreich,  welche  tat- 
sächlich nur  auf  diese  Weise  gesichert  werden  konnte,  und  auf 
die  advocatia  sedis  apostolicae,  während  schon  in  Deutschland 
der  Pfalzgraf  und  der  Herzog  von  Sachsen  ihres  Amtes  walteten; 
auch  die  Extravagante  „Si  fratrum“  spricht  nur  von  Italien, 
mit  keinem  Worte  von  Deutschland.  Wir  sehen  daraus,  was  als 
der  eigentliche  Kern  des  imperium  erschien:  eben  die  advocatia 
sedis  apostolicae  und  die  damit  notwendig  verbundene  Friedens- 
wahrung in  Italien,  das  lombardische  Königreich.  Auf  die  Be- 
kleidung dieser  kaiserlichen  Würde  hatte  der  ordnungsmäßig  ge- 
wählte deutsche  König  ein  Recht,  falls  er  die  vom  kanonischen 
Recht  geforderten  Eigenschaften  besaß  (vgl.  oben  SS.  1 1 8 f . ) ; tat- 
sächlich übertragen  wurde  sie  ihm  jedoch  erst  durch  die  Kaiser- 
krönung seitens  des  Papstes,  und  solange  diese  nicht  erfolgt  war 
( vacanie  imperio),  war  es  Sache  des  Papstes,  für  die  Ordnung  in 
Italien  zu  sorgen,  einen  defensor  ecclesiae,  einen  vicarius  imperii 
zu  bestellen.  Daß  auf  dem  Boden  dieser  Auffassung  das  Kaisertum 
fast  völlig  zu  einem  kirchlichen  Amt  geworden  ist,  daß  sich  nicht 
nur  Approbationsrecht  und  Depositionsrecht,  sondern  auch  das  Devo- 
lutionsrecht von  selbst  verstehen,  braucht  nicht  gesagt  zu  werden 
und  bedurfte  auch  keiner  Hervorhebung  mehr  in  den  päpstlichen 
Entscheidungen.  Wie  tief  aber  das  Kaisertum  in  der  Auffassung 
des  kanonischen  Rechtes  von  seiner  alten  Höhe  herabgesunken 
war,  dafür  bietet  einen  drastischen  Beweis  die  Glosse  zu  c.  un. 
Extrav.  Joann.  XXII.  tit.  21),  zu  den  Worten  debitam  confir- 


')  Die  Eitravagante  stammt  aus  dem  Jahre  1318. 
Hngelmaoo.  Die  deutsche  Kfmlgswabl 


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130 

raationem.  In  der  betreffenden  Extravagante  wird  erklärt,  daß  die 
capitanei,  Lokalbehörden  im  Kirchenstaat,  der  päpstlichen  Konfir- 
mation bedürfen;  und  dazu  bemerkt  die  Glosse:  debitum  dicii, 
ijuiti  examituitio  in  confimuindis  habet  praecedere , wofür  als  Beleg- 
stellen — die  Dekretalen  „Venerabilem“  und  „Romani  Principes“ 
angeführt  werden.  Fürwahr  diese  unbefangene  Gleichsetzung  des 
Kaisertums  mit  einer  Lokalbehörde  im  Kirchenstaat  wirkt  wie  eine 
Satire  anf  die  damalige  Lage  des  von  seiner  stolzen  Höhe  herab- 
gestürzten Kaisertums.  Anderseits  scheint  mir  gerade  die  bei  der 
Bestellung  des  Vikars  für  Italien  zutage  tretende  Einschrän- 
kung und  Konkretisierung  der  kaiserlichen  Rechte  für  die  oben 
(S.  119)  nahegelegte  Auflassung  zu  sprechen,  welche  wenigstens 
bis  zu  gewissem  Grade  eine  Loslösung  des  deutschen  Königtums 
vom  Kaisertum  bedeutet:  dem  ersteren  gegenüber  ergäbe  sich 
aus  den  Beziehungen  zum  Kaisertum  lediglich  ein  einge- 
schränktes Approbationsrecht  des  Papstes,  während  Depositions-, 
Devolutions-  und  Translationsrecht  nur  bezüglich  des  Kaisertums  zu- 
lässig wären.  Vorn  strengen  Standpunkt  der  Bulle  „Unain  Sanctara“ 
aus  wären  allerdings  alle  diese  Rechte  gegenüber  jeder  weltlichen 
Gewalt,  also  auch  gegenüber  dem  deutschen  Königtum  unzweifel- 
haft. Das  Vorgehen  Klemens’  V.,  seine  Argumentation  aus  der 
speziellen  kaiserlichen  Würde  ist  eigentlich  ein  Abfall  von  den 
Grundsätzen  der  Bulle  „Dnarn  Sanctam“,  die  eben  selbst  innerhalb 
des  kanonischen  Rechtes  uur  schwer  sich  durchzusetzen  vermochten. 

Im  13.  Jahrhundert  war  die  Kirche  zum  Staat  geworden,  wie 
Maassen ')  bemerkt.  Oder  noch  genauer  gesagt:  innerhalb  der 
großen  staatskirchlichen  Organisation  des  Mittelalters  hatte  die 
eine  der  beiden  Gewalten  die  volle  Suprematie  erlangt.  Wie  die 
Kirche  in  sich  selbst  die  geistigen  Kräfte  fand,  um  ihrer  eigent- 
lichen Aufgabe  sich  wiedergeben  zu  können,  dieses  größte  und 
unerklärliche  Ereignis  in  der  Geschichte  des  Christentums  ge- 
hört nicht  zum  Gegenstände  der  Rechtsgeschichte.  WTas  aber 
die  Entwicklung  der  realen  staatskirchlichen  Verhältnisse  anlangt, 
so  betone  ich  wiederholt,  daß  die  letzte  Stufe  der  hierokratischeu 
Pintwicklung  nur  mehr  innerhalb  der  kanonischen  Rechtstheorie, 
nicht  in  der  Wirklichkeit  der  politischen  Verhältnisse  erreicht 
wurde.  Als  Bonifaz  VIII.  das  Recht  in  Anspruch  nahm,  Mo- 

■)  A,  a.  0.  (vgl.  oben  S.  8 Amu.  1)  S.  228. 


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131 


narchen  ein-  und  abzusetzen,  als  Klemens  V.  den  deutschen 
Kaiser  an  seine  Lehenspflicht  erinnern  zu  dfirfen  glaubte,  brachen 
bereits  die  Stützen  des  ganzen  bürokratischen  Gebäudes  krachend 
zusammen  und  durchbrauste  der  Sturm  einer  neuen  Entwicklung 
Europa.  Mit  dem  Falle  des  imperium,  welcher,  abgesehen  von 
dem  Bewußtwerden  der  Nationen,  gerade  durch  die  Kämpfe  mit 
den  Päpsten  herbeigeführt  worden  war,  war  auch  die  wichtigste 
Voraussetzung  des  ganzen  Systems  gefallen.  Außerhalb  der 
kirchenrechtlichen  Entwicklung,  aus  der  Urkraft  ihres  Volkstums 
hatten  die  Nationen  sich  za  Staaten  gebildet,  die  den  Rahmen 
der  einen  staatskirchlichen  Organisation  sprengen  mußten  , Speziell 
das  deutsche  Volk  verlor  mit  dieser  Entwicklung  die  Möglichkeit 
einer  auch  nur  ideellen  politischen  Weltherrschaft;  aber  zugleich 
hatte  für  das  deutsche  Volk  die  hierokratische  Regelung  des  Ver- 
hältnisses von  weltlicher  und  geistlicher  Gewalt  Sinn  und  Be- 
deutung verloren.  Wir  werden  im  zweiten  Kapitel  sehen,  daß  das 
deutsche  Staatsrecht  wertvolle  Elemente  seiner  Entwicklung,  zu- 
nächst für  die  Ausgestaltung  der  Königswahl,  dem  kanonischen 
Recht  verdankte,  wenngleich  die  Entwicklung  aus  germanischen 
Keimen  niemals  unterbrochen  wurde.  Aber  eben  indem  es  sich 
zu  einer  höheren  Stufe  vervollkommt  hatte,  hatte  es  die  Fähigkeit 
gewonnen,  die  Konsequenzen  aus  dem  dauernden  Verluste  der 
Weltherrschaft  zu  ziehen,  sich  vom  kanonischen  Recht  zu  eman- 
zipieren, die  Bulle  „Unam  Sanctam“  bei  dem  nächsten  Versuch 
päpstlicher  Einmischung  in  die  deutsche  Königswahl  mit  dem 
Beschluß  von  Rense  zn  beantworten1).  Damit  war  das  deutsche 
Staatsrecht  zu  einem  rein  nationalen  geworden,  die  deutsche 
Königswahl  war  von  diesem  Tage  an  kein  Gegenstand  der  ka- 
nonischen Gesetzgebung. 

')  Über  die  Doppclwahl  von  1314,  die  darauf  felgenden  Ereignisse  und 
den  Knrverein  von  Iicnse  besteht  eine  fast  unübersehbare  Literatur  (in 
Dahlma  nn  - Waitz’  Quellenkunde  No.  4499  bis  4522  und  5069  bis  5071). 
Zur  allgemeinen  Orientierung  über  die  historischen  Ereignisse  nenne  ich 
I.induer,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  8.  1 13  Amu.  6)  8S.2811T.,  und  I.o  serth,  a.  a.  0. 
(vgl.  oben  8.  43  Anm.  1)  SS.  256  IT.  Als  das  Stoffgebiet  dieser  Arbeit  nahe  be- 
rührend hebe  ich  hervor  Felten,  Die  Hülle  Ne  practereat  und  die  Rccon- 
ciliationsverhandlungen  Ludwig  des  Bayern  mit  dem  Papst  Johann  XXII. , 
1.  Teil  Trier  1885,  II.  Teil  Trier  1887.  (Die  dem  Kaiser  die  Herrschaft  in 
Italien  absprecheudo  Bulle  ist  danach  eine  Fälschung).  Auf  den  Kurverein 
von  Reuse  kommen  wir  im  zweiten  Kapitel  zurück.  ( 


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II.  Kapitel 


Die  rechtshistorische  Bedeutung 
der  kanonischen  Doktrin  über  die  Besetzung 
des  deutschen  Thrones. 

Daß  die  päpstliche  Politik  und  das  kanonische 
Recht  das  deutsche  Staatsrecht  beeinflußt,  daß  sie  die 
Befestigung  des  Wahlprinzips  gefördert  und  den  An- 
sätzen zum  Durchdringen  des  Erbrechts  mächtig  ent- 
gegengewirkt haben,  bedarf  nach  unseren  bisherigen 
Ausführungen  keines  Beweises.  Die  heute  herrschende 
Lehre  aber  geht  weiter,  sie  behauptet,  daß  in  der  Entwicklung 
des  deutschen  Königswahlenrechtes  im  13.  Jahrhundert  ein  plötz- 
licher Umschwung  durch  Rezeption  kanonischen  Ämterrechtes 
stattgefunden  habe.  Nachdem  bereits  Harnack  (Das  Kurfürsten- 
kollegium bis  zur  Mitte  des  vierzehnten  Jahrhunderts,  Gießen 
1883)  auf  diesen  Einfluß  hingewiesen  und  tatsächlich  eine  weit- 
reichende Ähnlichkeit  in  der  Fassung  der  Wahldekrete  dargetan 
hatte,  wurde  die  Theorie  von  einer  förmlichen  Rezeption  — ab- 
gesehen von  einer  Anregung  Seeligers  (Deutsche  Zeitschr.  f. 
Geschichtsw.,  Mbl.  N.  F.,  II  24)  — durch  Bresslau  (Deutsche 
Zeitschr.  f.  Geschichtsw.,  Vierteljahresh.  N.  F.,  II  122  ff.,  Zur 

Geschichte  der  deutschen  Königswahlen  von  der  Mitte  des  13. 

bis  zur  Mitte  des  14.  Jahrhunderts),  Ernst  Mayer  (im  II.  Bande 
seiner  Deutschen  und  französischen  Verfassungsgeschichte,  Leipzig 
1899)  und  v.  Wretschko  (Zeitschr.  d.  Sav. -Stift,  f.  Rechtsg. 

XX  Germ.  Abt.  1(54  ff.,  Der  Einfluß  der  fremden  Rechte  auf 
die  deutschen  Königswahlen  bis  zur  goldenen  Bulle)  begründet, 
v.  Wretschko  hat  hiebei  das  in  der  goldenen  Bulle  zum  ersten- 
mal streng  formulierte  Prinzip  der  unitas  actus  und  das  seit 


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133 


dem  Kurverein  von  Rense  durchgesetzte,  in  die  goldene  Bulle 
aufgenommene  Majoritätsprinzip  in  den  Kreis  seiner  Betrach- 
tungen gezogen,  während  sich  Bresslau  auf  die  Wahlform  im 
engeren  Sinne,  auf  die  im  KnrfÜrstenkollegium  zweifellos  übliche, 
jedoch  durch  die  goldene  Bulle  abgeschaffte  electio  communis  be- 
schränkte. Ernst  Mayer  behauptete  im  Gegensatz  zu  v.  W retschko 
auch  für  die  Entstehung  des  Kurfürstenkollegiums  Rezeption  ka- 
nonischen Ämterrechts.  Da  wir  glauben,  durch  die  Untersuchung 
der  wichtigsten  kanonischen  Rechtsquelle  einige  neue  Anhaltspunkte 
gewonnen  zu  haben,  soll  die  vielerörterte  Frage  im  Folgenden  noch- 
mals kurz  geprüft  werden.  Es  soll  zu  diesem  Zwecke  zunächst 
anf  Grund  der  bisherigen  genetischen  Untersuchungen  in  syste- 
matischer Zusammenfassung  dargelegt  werden,  inwieweit  das  aus- 
gebildete kanonische  Recht  selbst  die  für  Kirchenämter 
geltenden  Bestimmungen,  insbesondere  das  kanonische  Wahl- 
verfahren, auf  die  Besetzung  des  deutschen  Thrones  angewendet  hat. 

i.  Systematische  Zusammenfassung 
der  Lehre  von  der  deutschen  Königswahl  nach  dem 
ausgebildeten  kanonischen  Recht1). 

Auch  als  das  kanonische  Recht  die  Weltstellung  des  Kaiser- 
tums bereits  negierte,  in  ihm  nicht  mehr  den  Träger  einer  der 
beiden  Gewalten  im  einheitlichen  christlichen  Weltreich  sah, 
schrieb  es  ihm  noch  immer  die  Aufgabe  der  advocatia  sedis 
apostolicae  zu3).  Von  diesem  Standpunkt  aus  konnte  es  auch 
ohne  Heranziehung  der  extrem-hierokratischen  Theorie  der  Bulle 
„Unam  Sanctam“3)  als  kirchliches  Amt  gefaßt  werden.  Auf  die 

*)  Eine  ähnliche  Zusammenstellung  bietet  Krammer,  Der  Einlluß  des 
Papsttums  (vgl.  üben  S.  19  Anm.  3),  SS.  41  ff.  Ein  Vergleich  wird  am  besten 
zeigen,  in  welchen  Punkten  ich  mich  von  ihm  untorscheide;  ich  halte  es 
für  überflüssig,  in  jedem  einzelnen  Fall  darauf  zu  verweisen.  Bereits  in 
meiner  oben  S.  21  Anm.  4 erwähnten  Besprechung  habe  ich  bedauert,  daß 
Krammer  die  Glosse  nicht  herangezogen  hat:  zur  Begründung,  weshalb  im 
Folgenden  ausschließlich  auf  das  Corpus  iuris  canonici  entscheidendes  Ge- 
wicht gelegt  wird,  verweise  ich  auf  die  obigen  Ausführungen,  SS.  23  f. 
Zu  beachten  ist,  daß  es  sich  in  manchen  Beziehungen  noch  immer  um  Rechts- 
znstände  handelt,  die  sich  im  Flusse  befinden. 

»)  Vgl.  oben  SS.  98,  116  f.,  128  f. 

3)  Vgl.  oben  S.  130. 


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134 


Bekleidung  dieses  Amtes,  welches  durch  die  Kaiserkrönung  über- 
tragen wird,  hat  nach  der  Anschauuug  des  ausgebildeten  kanonischen 
Rechtes  infolge  päpstlichen  Privilegiums  der  rechtmäßige  deutsche 
König  einen  Anspruch1).  Infolge  dieser  Verknüpfung  wird  auch 
das  deutsche  Königtum  von  den  Bestimmungen  des  kirchlichen 
Ämterrechts  erfaßt;  außerdem  tritt  der  deutsche  König,  indem 
er  nach  der  kanonischen  Interpretation  des  von  ihm  vor  der 
Kaiserkrönung  geleisteten  Fidelitätseides  das  Kaisertum  zu  Lehen 
empfängt,  in  ein  vasallitisches  Verhältnis  zum  Papst1),  was  bei 
den  Trägern  anderer  Kirchenämter  nicht  der  Fall  ist. 

Nur  der  rechtmäßige  deutsche  König  hat  Anspruch  auf 
die  Erlangung  der  Kaiserwürde:  die  Einhaltung  der  deutsch- 
rechtlichen Bestimmungen  über  die  Besetzung  des  Thrones,  so- 
weit sie  dem  kanonischen  Recht  nicht  widersprechen,  erscheint 
damit  als  ein  vom  kanonischen  Recht  selbst  gefordertes,  allen 
anderen  Kirchenämtern  fremdes  Moment5).  In  Anwendung  der 
für  kirchliche  Ämter  geltenden  Bestimmungen  wird  die  Besetzung 
durch  Wahl  gefordert,  die  durch  Erbgang  schroff  abgelehnt '). 
Der  König  muß,  um  die  Kaiserwürde  zu  erlangen,  alle  Eigen- 
schaften besitzen,  die  ihn  zur  advocatia  sedis  apostolicae  be- 
fähigen5); weigern  sich  die  Deutschen,  einen  solchen  König  zu 
wählen,  so  zieht  dies  mindestens  das  Recht  des  Papstes  zur  Trans- 
lation des  imperium  auf  ein  anderes  Volk  nach  sich11).  Das  aktive 
Wahlrecht  steht  ausdrücklich  den  sieben  Kurfürsten  zu,  und  zwar 
nach  der  Auffassung  des  kanonischen  Rechts  kraft  päpstlicher 
Verleihung7). 

Im  Falle  der  Vakanz  tritt  die  Scheidung  von  Königtum 
und  Kaisertum')  deutlich  zutage;  die  Reichs verweserschaft  in 
Deutschland  steht  unter  räumlicher  Abgrenzung  der  beiden  Ge- 
biete dem  Pfalzgrafen  und  dem  Herzog  von  Sachsen  zu,  für  Italien 

')  Vgl.  oben  SS.  llSf. 

*)  Vgl.  oben  SS.  1 16  f.  (bes.  Anm.  4). 

5)  Vgl.  oben  SS.  97  (bos.  Anm.  2),  119. 

*)  Vgl.  oben  SS.  118,  63  bis  66,  96,  109. 

»)  Vgl.  oben  SS.  119  f.,  59,  89. 

•)  Vgl.  oben  SS.  1 19  f. 

*)  Vgl.  oben  S.  118. 

•)  Vgl.  oben  SS.  119,  121  ff. 


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185 


bestellt  der  Papst  einen  Vikar,  dem  bis  zur  Besetzung  der  kaiser- 
lichen Würde  die  advocatia  sedis  apostolicae  obliegt1);  dem 
kirchlichen  Ämterrecht  würde  die  Ausübung  der  königlichen  und 
kaiserlichen  Jurisdiktion  durch  das  Kurfürstenkollegium,  beziehungs- 
weise durch  einen  oder  mehrere  von  den  Kurfürsten  gewählte  Vikare 
entsprechen®).  Die  Ausschreibung  und  Vorbereitung  der  Neuwahl 
richten  sich  im  allgemeinen  nach  deutschem  Recht,  insbesondere 
gelten  nicht  die  Fristen  des  kirchlichen  Ämterrechts,  nach  deren 
Ablauf  ipso  iure  Devolution  eintritt;  vielmehr  steht  es  dem  Papst 
zu,  nach  Verlauf  eines  entsprechenden  Zeitraumes  die  Kurfürsten 
(wohl  unter  einer  Fristsetzung)  zur  Vornahme  der  Wahl  aufzu- 
fordern, und  erst,  wenn  dieso  Ermahnung  ergebnislos  bleibt, 
kommt  die  Devolution  in  Frage 3).  Was  den  Wahlakt  selbst  an- 
langt, so  ist  unitas  actus  ein  unbedingtes  Erfordernis,  wie  im 
kanonischen  Ämterrecht:  alle  Wahlberechtigten  müssen  geladen 
werden,  die  Ausbleibenden  gehen  ihres  Wahlrechtes  verlustig  *). 
Für  die  Ausschließung  der  Wahlkapitulationen,  welche  allerdings 
auch  bei  den  geistlichen  Wahlen  erst  später  allgemein  und  strenge 
durchgeführt  wurde5),  finden  sich  nur  einzelne  Ansätze6).  Zur 
Giltigkeit  der  Vfohl  fordert  noch  Klemens  V.  im  Gegensatz  zu 
früheren  Anläufen  des  kanonischen  Rechts  die  concordia  der  An- 
wesenden 7) ; von  der  dem  kanonischen  Ämterrecht  eigentümlichen, 
qualifizierten  Majorität  ist  überhaupt  keine  Spur  zu  finden8). 
Auf  die  bei  der  kanonischen  Wahl  als  essentielles  Erfordernis 
immer  wiederkehrende  electio  per  unum  scheint  das  kanonische 
Recht  bei  der  deutschen  Königswahl  wenigstens  kein  Gewicht  zu 
legen,  da  sie  nirgends  besonders  erörtert  wird9),  von  der  Zu- 


•)  Vgl.  üben  SS.  128  ff. 

J)  Vgl.  Hinschius,  a.  a.  0.  (vgl.  S.  59  Anm.  I),  II.  Band,  SS.  232 
und  233. 

*)  Vgl.  oben  SS.  1101. 

*)  Vgl.  oben  SS.  57,  86,  120  (nur  so  erklärt  es  sieb,  dal!  Kleuiens  V. 
von  einer  concors  electio  sprechen  kann). 

5)  Vgl.  Ilinscbius,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  Anm.  2)  S.  608  Amu.  10. 
Immerhin  datiert  schon  von  Innozenz  III.  ein  Verbot. 

«)  Vgl.  oben  SS.  91  f. 

7)  Vgl.  oben  S.  120. 

8)  Vgl.  oben  S.  85. 

<J)  Vgl.  oben  S.  87. 


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lässigkeit  der  verschiedenen  kanonischen  Wahlformen  ist  nirgends 
die  Rede  ').  Dagegen  wird,  wie  bei  den  kirchlichen  Wahlen,  die 
Notwendigkeit  des  Wabldekrets  hervorgehoben  ’). 

Die  vollzogene  Wahl  wird  der  päpstlichen  Approbation  unter- 
breitet, welche  nach  einer  dem  kanonischen  Informativprozeß 
nacbgebildeten  Untersuchung1)  gewährt  wird.  Der  Papst  prüft, 
wie  bei  kanonischen  Wahlen,  den  Wahlakt  und  die  „Idoneität“ 
der  Person 4),  er  hat  insbesondere  auch  die  als  Voraussetzung  ge- 
forderte Giltigkeit  nach  deutschem  Recht  (vgl.  oben  S.  134)  zu 
untersuchen.  Verweigert  er  die  Approbation  mangels  dieser  Vor- 
aussetzung, wobei  besonders  der  Wahlakt  in  Betracht  kommt,  so 
hat  dies  anch  bezüglich  der  Ungiltigkeit  der  Königswahl  deklarative 
Bedeutung,  sodaß  die  Fürsten  zu  einer  Neuwahl  schreiten  müssen 5) ; 
verweigert  er  dagegen  die  Approbation  lediglich  wegen  Untaug- 
lichkeit für  das  kaiserliche  Amt,  so  mag  der  Gewählte  König 
bleiben,  dem  Papst  steht  jedoch  auch  in  diesem  Fall  die  Trans- 
lation des  imperium  zu6).  Eine  selbstverständliche  Folge  dieses 
weitgehenden  Rechtes  aber  ist  es,  daß  der  Papst,  ohne  eine 
dauernde  Translation  vorzunehmen,  auch  zu  einer  einmaligen  Be- 
setzung der  kaiserlichen  Würde  iure  devolutionis,  wie  bei  andern 
Kirchenämtern,  schreiten  kann,  daß  es  ihm  insbesondere  freisteht, 
trotz  einzelner  Mängel  der  Person  die  Approbation  de  gratia 
(nicht  iustitia  exigente)  zu  erteilen,  ähnlich  wie  bei  Kirchen- 
ämtern im  Falle  der  Postulation7).  Inwieweit  diese  Rechte  des 
Papstes  auch  das  deutsche  Königtum  ergreifen,  bleibt  auch  oder 
vielmehr  gerade  im  ausgebildeten  kanonischen  Recht  offen*). 

Der  erwählte  deutsche  König  empfängt  die  deutsche  Königs- 
krone aus  der  Hand  des  Kölner  Erzbischofs  in  Köln,  wobei  die 

’)  Vgl.  oben  S.  87. 

>)  Vgl.  oben  SS.  120  f. 

*)  Vgl.  oben  S.  120. 

*)  Vgl.  oben  SS.  118  f. 

»)  Vgl.  oben  SS.  119  und  121. 

*)  Vgl.  oben  SS.  119  f.,  130. 

*)  Man  kann  nicht  sagen,  daß  in  dem  von  Krammer,  a.  a.  0.  (vgl. 
oben  S.  133  Anm.  1)  S.  44,  angeführten  Fall  eine  Postulation  vorliegt.  Viel- 
mehr erteilt  der  Papst  de  gratia  die  Approbation,  obwohl  die  W&hler  eine 
electio  vorgenommen  hatten. 

»)  Vgl.  oben  SS.  119f.,  121,  130. 


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Vornahme  noch  anderer  Einsetzungsformen  (Inthronisation  u.  dgl.) 
natürlich  nicht  ausgeschlossen  erscheint;  man  kann  nicht  behaupten, 
daß  dieser  Krönung  nach  kanonischem  Recht  (normalerweise) 
konstitutive  Wirkung  beigelegt  wird  '),  es  wird  anderseits  nirgends 
die  Forderung  aufgestellt,  mit  dieser  Krönung  bis  zur  Erlangung 
der  Approbation  zu  warten.  Erst  nach  der  Approbation,  vor 
welcher  der  Gewählte  bereits  einen  Eid  ablegt ’),  erfolgt  die  Rom- 
fahrt, auf  welcher  er  nach  Ablegung  eines  zweiten  Eides  die 
lombardische  und  nach  Ablegung  eines  dritten  Eides  die  Kaiser- 
krone, letztere  durch  den  Papst  oder  dessen  Vertreter,  empfängt*); 
das  dabei  nach  kanonischer  Auffassung  geknüpfte  vasallitische 
Verhältnis  wurde  bereits  (S.  134)  berührt.  Erst  durch  die  Kaiser- 
krönung wird  der  Gewählte  Kaiser,  erhält  er  das  ius  in  re,  erst 
mit  ihr  erlischt  wohl  das  Amt  des  für  Italien  bestellten  Vikars; 
trotzdem  übt  er  schon  vorher  insoferne  kaiserliche  Rechte,  als  er 
in  seinem  zweiten  Eide  kaiserliche  Privilegien  erneuert  und  be- 
stätigt4). Wie  es  sich  im  allgemeinen  mit  dem  ius  administrandi 
verhält,  in  welchem  Zeitpunkt  es  eintritt,  ist,  wie  ersichtlich,  « 
nicht  einmal  bezüglich  des  Kaisertums  völlig  klar,  bezüglich  des 
Königtums  aber  ganz  und  gar  unklar*),  wobei  bemerkt  werden 
mag,  daß  diese  Frage  im  kanonischen  Recht  auch  bezüglich  der 
bischöflichen  Würde  keine  einheitliche  Lösung  gefunden  hat8). 

Diese  kurze  Übersicht  bringt  wohl  deutlich  zum  Bewußtsein, 
daß  das  kanonische  Recht  zwar  in  weitem  Umfang  das 
kanonische  Ämterrecht  auf  das  Kaisertum  und  auch  auf 
das  deutsche  Königtum  anwendet,  aber  doch  mit  tief- 
greifenden Einschränkungen.  Ist  in  manchen  Belangen  die 
Gleichsetzung  mit  einem  kirchlichen  Amte  nicht  zur  Reife  und 
Klarheit  gediehen,  so  ist  in  anderen  geradezu  eine  abweichende 
Regel  nng  eingetreten.  Es  entspricht  dieser  Stellungnahme  zur 
Besetzung  des  Thrones,  wenn  das  ausgebildete  kanonische  Recht 


>)  Vgl.  oben  SS.  55  ff.,  83  f.,  1 23  f.,  114  Anm.  5. 

*)  Vgl.  oben  S.  114. 

*)  Vgl.  oben  S.  114f. 

‘)  Vgl.  oben  SS.  118,  122. 

*)  Vgl.  oben  SS.  123  f. 

6)  Vgl.  Hinschius,  a.  a.  0.  (vgl.  S.  135  Anm.  2)  SS.  671  und  672. 


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auch  die  Absetzung,  welche  allerdings  Aber  die  Träger  jeder 
weltlichen  Gewalt  (nicht  nur  des  Kaisertums)  verhängt  werden 
kann,  auf  die  Fälle  der  gravissima  crimina  einzuschränken  ge- 
neigt ist *).  In  einem  speziellen  Fall  (in  Portugal)  wurde  für 
mildere  Fälle  die  Bestellung  eines  Coadiutors  nach  dem  Muster 
der  Kirchenämter  für  zulässig  erklärt2);  cs  steht  nicht  viel  im 
Wege,  diese  Bestimmung  auch  auf  den  deutschen  Thron  anzu- 
wenden, doch  fehlt  es  bezüglich  der  Voraussetzungen  im  einzelnen 
und  bezüglich  der  Bestellungsform  an  jeder  gesetzlichen  Regelung. 


II.  Das  Verhältnis  zwischen  kanonischem  Recht  und  deutschem 
Reichsrecht  im  allgemeinen3). 

Nachdem  wir  nunmehr  die  Grenze  abgesteckt  haben,  innerhalb 
welcher  das  kanonische  Recht  die  Bestimmungen  des  kirchlichen 
Ämterrechtes  auf  die  Besetzung  des  deutschen  Thrones  anwendet, 
erhebt  sich  die  prinzipielle  Frage,  ob  die  innerhalb  dieser  Grenzen 
nach  kanonischem  Recht  bestehende  Gleichsetzung  des  König-,  be- 
ziehungsweise Kaisertums  mit  einem  kirchlichen  Amte  auch  nach 
deutschem  Recht  besteht. 

Diese  Formulierung  der  Frage  widerspricht  allerdings  voll- 
ständig der  herkömmlichen  Betrachtungsart,  mit  der  an  die  Be- 
urteilung der  Kämpfe  zwischen  geistlicher  und  weltlicher  Gewalt 
im  Mittelalter  herangetreten  wird.  Hier  finden  wir  die  Frage  in 


')  Vgl.  oben  SS.  104  f. 
s)  Vgl.  obon  SS.  108  f. 

3)  Als  jüngste  zusammenfassende  Darstellung  der  rocbtsphilosophischen 
Theorien  nenne  ich  Stammler,  Wesen  des  Hechtes  und  der  Rechtswissen- 
schaft in:  Systematische  Rechtswissenschaft  (Teil  II  Abt.  VIII  von  Hinne- 
bergs  Kultur  der  Gegenwart),  Berlin  und  Leipzig  1906.  Von  noch  jüngeren, 
diesem  Thema  gewidmeten  Abhandlungen  hebe  ich  hervor  Gareis,  Vom 
Begriff  der  Gerechtigkeit,  Gießen  1907  (aus  der  der  juristischen  Fakultät 
in  Gießen  zur  3.  Jahrhundertfeier  der  Universität  gewidmeten  Festschrift), 
Jellincks  Prorektoratsrede:  Der  Kampf  des  alten  mit  dem  neuen  Recht, 
Heidelberg  1907,  und  Loenings:  Wurzel  und  Wesen  des  Rechts,  Jena 
1907.  Das  Verhältnis  zwischen  kanonischem  und  deutschem  Rcichsrecht  be- 
handelt Bernheim  in  der  oben  S.  14  Anm.  2 genannten  Untersuchung.  Im 
Folgenden  ist  jedoch  auf  diese  Literatur  nirgends  Bezug  genommen. 


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aller  Regel  so  gestellt:  wer  hat  Recht,  der  Papst  oder  der  Kaiser? 
Und  mit  einer  souveränen  Sicherheit  wird  häufig  je  nach  dem 
persönlichen  Standpunkt  einem  von  beiden  zugebilligt,  daß  er 
„im  Recht“  war,  womit  im  Sinne  der  ganzen  Fragestellung  auch 
über  die  Gegenseite  das  Urteil  gesprochen  ist,  daß  sie  „unrecht“ 
gehabt  hat.  Es  soll  auch  keineswegs  geleugnet  werden,  daß  es 
ein  rechtsphilosophisches  System  gibt,  und  zwar  ein  wohldurch- 
dachtes, achtunggebietendes  System,  von  dem  aus  die  obige  Frage- 
stellung durchaus  logisch  und  berechtigt  erscheint.  Wer  im 
Recht  das  die  äußeren  Lebensbeziehungen  erfassende 
göttliche  Gebot  erblickt,  den  sich  in  einer  äußeren  Lebens- 
ordnung durchsetzenden  göttlichen  Willen,  wer  also  — 
sofern  er  den  Gedanken  konsequeut  durchführt  — den  Unterschied 
zwischen  Recht  und  Moral  lediglich  darin  findet,  daß  jenes  nur 
die  äußeren  Lebensbeziehungen  (nicht  auch  die  inneren,  seelischen 
Vorgänge)  erfaßt,  der  wird  die  Frage  gar  nicht  anders  stellen 
können.  Es  ist  daher  ganz  selbstverständlich  und  nur  konsequent, 
daß  viele  (durchaus  nicht  alle) ')  Kanonisten  von  einem  bestimmten 
theologischen  Standpunkt  aus  (der  jedoch  keineswegs,  wie  vielfach 
angenommen  wird,  von  der  katholischen  Kirche  dogmatisch  fest- 
gelegt ist)  den  Kampf  zwischen  geistlicher  und  weltlicher  Gewalt 
im  Mittelalter  in  der  angedeuteten  Weise  behandeln;  ebenso  aber 
im  höchsten  Grade  widersinnig  und  inkonsequent,  wenn  eine  der- 
artige Betrachtungsart  vielfach  auch  trotz  prinzipieller  Negierung 
der  rechtsphilosophischen  Voraussetzung  angewendet  wird. 

Das  Recht  ist  ein  Produkt  des  Gemeinschaftslebens,  ein  so- 
ziales Phänomen,  ein  Erzeugnis  der  menschlichen  Natur, 
der  nicht  die  Isoliertheit  des  Individuums  entspricht,  die  vielmehr 
Vergesellschaftung  geradezu  erfordert.  Wir  kennen  kein  Volk 
und  keine  Stufe  der  Kulturentwicklung,  wo  wir  nicht  über  den 
Individuen,  wenn  auch  vielleicht  nicht  voll  entwickelt,  soziale 
Verbände  sich  erheben  sähen,  nicht  bloß  durch  den  Zufall  und 
die  Interessen  des  Augenblicks  zusammengeführte  Gemeinschaften, 
sondern  die  Tendenz  zur  Dauer  in  sich  tragende,  über  das 
individuelle  Interesse  hinaus  zwecksetzende,  die  Individuen  be- 

')  Als  selbständige  soziale  Erscheinung  .behandelt  das  Recht  vor  allein 
v.  Scherer  in  seinem  berühmten  Werk  ^vgl.  oben  S.  8 Aum.  4.) 


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herrschende  Verbände.  Mit  dem  Bestände  eines  jeden  sulchen 
Verbandes  sind  aber  auch  alle  Elemente  des  Rechts  gegeben, 
welches  als  nichts  anderes  sich  darstellt,  denn  als  die  vom  Ge- 
samtwillen geforderte,  weil  vom  Gesamtbewußtsein  für 
den  Verbandszweck  als  notwendig  erkannte,  eventuell 
mit  der  Gesamtmacht  des  Verbandes  durchgesetzte  Ordnung 
der  äußeren  Lebensbeziehungeil  im  Rahmen  des  Verbandes.  Und 
in  dem  Maße,  in  dem  Gesamtwille  und  Gesamtbewußtsein  stärker 
zum  Ausdruck  kommen,  in  dem  die  Herrschermacht  des  Verbandes 
über  die  Individuen  steigt,  also  sein  Recht  wächst,  entwickelt 
er  sich  selbst  zu  immer  vollkommeneren  Formen,  vor  allem  zum 
Staat,  der,  weit  entfernt,  alles  Rechtes  Quelle  zu  seiu, 
selbst  als  Produkt  einer  weit  vorgeschrittenen  Rechts- 
entwicklung sich  darstellt. 

Es  würde  hier  viel  zu  weit  führen,  die  Willensbildung  im 
Verbände,  d.  h.  das  verschiedene  Verhältnis,  welches  zwischen  dem 
Individual-Wiilen  der  Verband-Genossen  und  dem  Gesamtwillen 
des  Verbandes  besteht,  und  den  damit  zusammenhängenden  Unter- 
schied zwischen  Genossenschaft  und  Körperschaft  darzulegen  oder 
auf  die  Verknüpfung  sozialer  Verbände  mit  Grund  und  Boden, 
das  wichtigste  Ereignis  der  Kulturgeschichte,  näher  einzugehen  und 
den  damit  gegebenen  Begriff  der  Gebietskörperschaft,  deren  höchste 
bisher  erreichte  Form  eben  der  Staat  ist,  zu  erörtern.  Für  unseren 
Zweck  genügt  die  Feststellung  der  nach  unseren  kurzen  Dar- 
legungen in  die  Augen  springenden,  unumstößlichen  und  ele- 
mentaren Tatsache,  daß  es  nicht  ein  immer  und  überall  gleiches, 
sogenanntes  Naturrecht  gibt,  daß  vielmehr  ebenso,  wie  die 
Menschen  kraft  ihrer  Naturanlage  in  zahlreichen  und  ver- 
schiedenartigen sozialen  Verbänden  leben,  so  auch  das  Recht 
differenziert,  verschiedenartig  und  vielgestaltig  ist. 
Dieser  Erkenntnis  kann  sich  auch  derjenige  unmöglich  verschließen, 
der  wie  der  Verfasser  auf  Grund  seiner  Weltanschauung  in  der 
Menschheit  bei  voller  Anerkennung  der  Differenzierung  und  Viel- 
gestaltigkeit doch  eine  höhere  Einheit  erblickt  und  folgerichtig 
annehmen  zu  dürfen  glaubt,  daß  einem  Geiste,  vor  dem  der  ganze 
Ablauf  der  vielverschlungenen  Menschheitsgeschichte  klar  und  oflen 
liegt,  auch  in  den  differenzierten  Rechtsordnungen  irgend  etwas 
Gemeinsames,  über  ihrer  Vielheit  irgend  eine  zusammenfassende 


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Einheit  erkennbar  sein  muß.  Aber  Vermessenheit  wäre  es  m.  E., 
wenn  ein  wahrheitsuchender  Forscher,  dem  nur  ein  verschwindend 
kleiner  Teil  im  unabsehbaren  Ablauf  der  Menschheits-Entwicklung 
als  Gegenstand  seiner  Forschung  vorliegt,  jenes  Gemeinsame  und 
jene  Einheit  erkennen  und  darstellen  zu  können  glaubte1). 

Wir  müssen  aber  über  die  Erkenntnis,  daß  es  verschiedene 
Rechtsordnungen  gibt,  hinaus  noch  einen  Schritt  weiter  machen. 
Die  vorurteilslose  Betrachtung  der  sozialen  Tatsachen,  der  histo- 
rischen Ereignisse  zeigt  in  einer  jeden  Zweifel  überwindenden  Weise, 
daß  diese  verschieden  gearteten  Rechtsordnungen  nicht  immer 
und  notwendig  neben  einander  bestehen,  so  daß  sie  durchwegs 
entweder  innerhalb  verschiedener  räumlicher  Grenzen  gelten  oder 
verschiedene  Individuen  umfassen  oder  verschiedene  Lebensbe- 
ziehungen regeln,  sondern  daß  sie  im  Gegenteil  sich  vielfach 
und  mannigfaltig  durchkreuzen.  Wir  müssen  darauf  verzichten, 
den  im  Verlauf  der  Geschichte,  vor  Ausbildung  des  modernen  (Terri- 

■)  Es  bedarf  wohl  keiner  Hervorhebung,  daß  die  im  Text  vorgetragene 
Auffassung,  derzufolgc  die  Entwicklung  des  Rechts  nach  ihm  immanenten 
Kräften  erfolgt,  mit  einer  theistischen  Weltanschauung  ebenso  verträglich  ist, 
wie  die  analoge  Anschauung  auf  naturwissenschaftlichem  Gebiet.  Ja,  Jh  e r ing, 
Geist  des  römischen  Rechts,  Erster  Teil,  2.  Aull.,  SS.  61  f.,  sagt  sogar:  „Man 
lehrt  uns  Gott  zu  erkennen  in  der  Rlunic  und  dem  Baume,  man  weist  uns 
auf  die  Gestirne,  um  in  der  Uncrmeßlichkeit  ihrer  Zahl  und  in  den  Gesetzen 
ihrer  Bewegung  das  erhabenste  Beispiel  göttlicher  Allmacht  zu  finden.  Aber 
so  hoch  der  Geist  über  der  Materie,  so  hoch  steht  auch  die  Ordnung  und 
Majestät  der  geistigen  Welt  über  der  der  substantiellen.  Wunderbarer  als  die 
Bewegung  der  W oltkörper  im  Raum  ist  die  Bewegung  der  sittlichen  Gedanken 
in  der  Zeit,  denn  sie  gehen  nicht  unangefochten  einher  wie  die  Gestirne, 
sondern  sie  stoßen  bei  jedem  Schritt  auf  den  Widerstand,  den  menschlicher 
Eigensinn  und  Unverstand  und  alle  bösen  Gewalten  des  menschlichen  Herzens 
ihnen  entgegensetzen.  Wenn  sic  dennoch  sich  verwirklichen  im  bunten 
Gewirr  widerstrebender  Kräfte,  wenn  das  sittliche  Planetensystem  mit 
derselben  Ordnung  und  Harmonie  sich  bewegt  wie  das  Planetensystem  des 
Himmels,  so  liegt  darin  oin  glänzenderer  Bewois  der  göttlichen  Wcltlcitung, 

als  in  allem,  was  man  der  äußeren  Natur  entnehmen  kann Diese 

Poesie  der  Ordnung  und  Gedankenmäßigkeit  der  Rechtsentwicklung  uns  vor 
Augen  zu  führen,  ist  eben  das  römische  Recht  wie  kein  anderes  geeignet: 
in  meinen  Augen  ist  die  Geschichte  dieses  Rechts  ein  unübertroffenes  Kunst- 
werk, in  dem  die  höchste  Einfachheit  und  Einheit  mit  der  reichsten  Fülle 
der  Entwicklung  sich  paart.“  Indem  ich  diese  schönen  Worto  zitiere,  will 
ich  allerdings  nicht  sagen,  daß  ich  sie  mir  inhaltlich  in  allen  Punkten  zu 
eigen  mache. 


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142 


torial-)  Staats  natürlich  in  gesteigertem  Maße,  aufgetretenen  Erschei- 
nungen dieser  Art  im  einzelnen  nachzugehen.  Ihre  Möglichkeit  wird 
am  schlagendsten  durch  die  Tatsache  bewiesen,  daß  sie  auch  heute 
noch  auf  dem  doch  einigermaßen  konsolidierten  staatsrechtlichen 
Gebiet  Vorkommen.  Wir  wollen  nicht  zu  großes  Gewicht  auf  die 
Verhältnisse  legen,  welche  bei  Anerkennung  einer  revolutionären 
Partei  als  kriegführende  Macht  entstehen,  in  welchem  Fall  ganz 
zweifellos  bezüglich  ein  und  desselben  Gebietes  zwei  einander 
zur  Gänze  widersprechende  und  sich  ausschließende,  vollwirksame 
Hechtsordnungen  bestehen.  Aber  ein  geradezu  klassisches  Beispiel 
bietet  das  österreichische  und  das  ungarische  Staatsrecht:  so  gewiß 
es  ist,  daß  das  Königreich  Dalmatien  nach  österreichischem 
Staatsrecht  eines  der  „im  Reichsrat  vertreteuen  Königreiche  und 
Länder“  ist,  ebenso  zweifellos  gehört  es  nach  ungarischem  Staats- 
recht zu  den  Ländern  „der  heiligen  Stephanskrone“;  und  derselbe 
Monarch,  der  als  König  von  Ungarn  und  Kroatien  in  Erfüllung 
beschworener,  verfassungsmäßiger  Pflichten  den  Landtag  der 
„vereinigten“  Königreiche  Kroatien,  Slavonien  und  Dalmatien 
einberuft,  derselbe  Monarch  beruft  in  Gemäßheit  der  zu  Hecht 
bestehenden  österreichischen  Verfassung  den  österreichischen 
Keichsrat  ein  unter  Einschluß  der  Vertreter  Dalmatiens1). 
Dieses  Beispiel  zeigt  auch  aufs  deutlichste,  daß  ein  und  dasselbe 
Individuum  von  der  Herrschaftsmacht  zweier  einander  wider- 
sprechender Rechtsordnungen  ergriffen  werden  kann. 

')  Die  österreichische  Verfassung  bestimmt:  „Zur  gemeinsamen 

Vertretung  der  Königreiche  Böhmen,  Dalmatien,....  und  der  Stadt  Triest  mit 
ihrem  Gebiete  ist  der  Keichsrat  berufen“  (§  1 des  [Staatsgrund-jUeseUes 
v.  21.  Dez.  1867,  No.  141  ItGß.);  „für  alle  Angehörigen  der  im  Keichsrate 
vertretenen  Königreiche  und  Lander  besteht  ein  allgemeines  öster- 
reichisches Staatsbnrgerrecht“  (Art.  1 des  Staatsgrundgesetzes  vom 
21.  Dez.  1867,  No.  142  KGK.).  Im  krassen  Widerspruch  dazu  stehen  die 
Bestimmungen  des  ungarischen  Hechts:  Es  „werden  als  zum  Gebiete 

Kroatiens,  Slavoniens  und  Dalmatiens  gehörig  anerkannt: ; 

endlich  das  gegenwärtige  Dalmatien“  (§  66  des  Gesetzartikels  XXX  vom 
Jahre  1868):  „der  Landtag  der  Königreiche  Kroatien,  .Slavonien  und  Dal- 
matien wählt  in  das  ungarische  Abgeordnetenhaus  40  Abgeordnete“  (der 
bis  heute  nicht  aufgehobene  § 5 des  Gesetzartikels  V vom  Jahre  1848):  „den 
Landtag  der  Königreiche  Kroatien,  Slavonien  und  Dalmatien  beruft 
Se.  Majestät  der  König  in  die  Landeshauptstadt  Agram“  (§  1 des  kroatischen 
Gesetzartikels  II  vom  Jahre  1870). 


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143 


Wenn  eine  derartige  Kollision  selbst  zwischen  den  Rechts- 
ordnungen zweier  Gebietskörperschaften  möglich  ist,  wofür 
sich  noch  weitere  Beispiele  anführen  ließen,  so  leuchtet  wohl  vou 
selbst  ein,  daß  sie  noch  viel  leichter  sich  ergeben  muß,  wenn  sich 
eine  Gebiutskörperschaft  und  ein  anderer  nicht  an  ein  be- 
stimmtes Gebiet  gebundener  Verband  begegnen.  Wie  aber 
der  Staat  die  vollkommenste  Form  der  Gebietskörperschaft,  so  ist 
der  ausgebildetste  reine  Persoual- Verband  die  katholische  Kirche, 
welche  ihrem  Wesen  nach  jede  räumliche  Begrenzung  ihrer 
Rechtssphäre  perhorreszieren  muß.  Es  ist  daher  eine  in  der 
Macht  der  Tatsachen  begründete  Erscheinung,  daß  zwischen 
Staat  und  Kirche  die  schwersten  und  tiefgreifendsten 
Rechtskollisionen  sich  ergeben  haben,  welche  die  Rechts- 
geschichte kennt.  Denn  wenn  es  auch  durchaus  möglich  ist, 
theoretisch  die  Rechtskollision  auszuschließen , indem  man  die 
Kirche  im  Gegensätze  zum  Staat  auf  die  Verwirklichung  eines 
geistigen  Zwecks  oder,  was  mir  richtiger  erscheint,  auf  die  Ver- 
wirklichung ihres  Verbandszweckes  mit  geistigen  Mitteln  (unter 
Ausschluß  physischen  Zwangs)  beschränkt,  so  stellen  sich  doch 
praktisch  infolge  der  geistig-körperlichen  Natur  aller  jener  Menschen, 
die  zugleich  Mitglieder  des  staatlichen  und  kirchlichen  Verbandes 
sind,  der  Verwirklichung  dieser  Scheidung  die  größten  Schwierig- 
keiten entgegen.  Und  ob  man  diese  Scheidung  als  wünschenswert 
ansieht  oder  nicht,  der  Rechtshistöriker  steht  vor  der  unabänder- 
lichen Tatsache,  daß  sie  eben  in  Wirklichkeit  nicht  durchgerührt 
wurde,  daß  der  Gesamtwille  und  das  Gesamtbewußtsein  der  Kirche 
häufig  stark  genug  waren,  ein  dieser  oder  jener  vom  Gesamtwillen 
und  Gesamtbewußtsein  eines  staatlichen  Verbandes  getragenen 
Rechtsordnung  widersprechendes  Recht  festzuhalten,  und  um- 
gekehrt. 

Es  mögen  sich  nun  allerdings  Bedenken  erheben,  ob  eine 
derartige  Betrachtungsart  dem  Mittelalter  gegenüber  zulässig  ist, 
nachdem  in  unseren  Ausführungen  selbst  der  Gedanke  des 
einen  christlichen  Weltreichs  so  scharf  betont  worden  ist. 
Mit  Rücksicht  darauf  kann  gewiß  nicht  geleugnet  werden,  daß 
dem  Mittelalter  im  Gegensatz  zur  modernen  Zeit  als 
wünschenswertes  Ziel  ein  Zustand  vorschwebte,  in  dem  es 
begrifflich  nur  ein  Recht  gibt,  in  dem  auch  zwischen  staatlichem 


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144 


und  kirchlichem  Recht  schlechtweg  jeder  Widerspruch  aus- 
geschlossen erscheint.  Dnd  es  scheint  mir  allerdings,  daß  es  — 
man  denke  nur  an  Pipin  und  Karl  den  Großen  — Zeiten  gegeben 
hat,  in  denen  die  Verwirklichung  des  letzteren  Zieles  nahezu  er- 
reicht war.  Was  aber  das  für  uns  in  Betracht  kommende  heilige 
römische  Reich  deutscher  Nation  anlangt,  so  wurde  bereits  in  der 
Einleitung  darauf  hingewiesen,  daß  bei  ihm  der  Gedanke  des 
Universalreichs  nur  mehr  ideell  wirksam  war1),  und  es  kann  daher 
auch  nicht  überraschen,  wenn  der  in  ihm  grundgelegte  Synergis- 
mus des  Geistlichen  und  Weltlichen  sich  auf  die  Dauer  nicht 
stark  genug  erwies,  das  Heranswachsen  von  Staat  und  Kirche 
nach  eigenen  Lebensgesetzen  als  zwei  von  einander  unabhängigen, 
ja  einander  bekämpfenden  Verbänden  zu  verhindern.  Es  wurde 
schon  in  anderem  Zusammenhang  angedeutet,  wie  dieser  Prozeß 
bereits  im  13.  Jahrhundert  im  vollen  Flusse  war,  wie  ihn  gerade 
die  innerhalb  des  werdenden  kanonischen  Rechts  rapid  fort- 
schreitende Zurfickdrängung  des  bei  der  Gründung  des  Reichs  als 
gleichberechtigtes  Organ  gedachten  Kaisertums  gefördert  hat*). 
Es  kann  daher  m.  E.  kein  Zweifel  darüber  bestehen,  daß 
empirisch  untersucht  werden  muß,  inwieweit  das  im  13. 
und  14.  Jahrhundert  feste  Formen  annehmende  deutsche 
Staatsrecht  im  einzelnen  die  Bestimmungen  des  damals 
geltenden  kanonischen  Rechts  rezipiert  hat,  daß  die  bloße 
Erkenntnis,  inwieweit  das  kanonische  Recht  selbst  das  deutsche  König- 
tum, beziehungsweise  das  Kaisertum,  einem  kirchlichen  Amte  gleich- 
setzt, die  rechtshistorische  Bedeutung  dieser  kanonischen 
Doktrin  nicht  erschöpft.  Wenn  das  kanonische  Recht  selbst 
einen  Unterschied  zwischen  der  Besetzung  des  deutschen 
Thrones  und  eines  kirchlichen  Amtes  macht,  wird  dies 
gewiß  ein  sehr  beachtenswertes  Argument  dafür  sein, 
daß  ein  solcher  Unterschied  umsomehr  nach  deutschem 
Recht  bestanden  hat;  insoweit  aber  das  kanonische  Recht 
beide  gleichsetzt,  wird  sorgfältig  zu  prüfen  sein,  ob  da- 
durch das  tatsächlich  geltende  deutsche  Recht  in  jedem 
einzelnen  Fall  beeinflußt  wurde. 


*)  Vgl.  oben  SS.  4 ff. 
»)  Vgl.  üben  SS.  93  ff. 


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145 


III.  Der  tatsächliche  Einfluß  des  kanonischen  Rechtes 
auf  die  Gestaltung  der  deutschen  Königswahl. 

Indem  wir  von  dem  nunmehr  gewonnenen  Standpunkt  aus 
an  den  letzten  Teil  unserer  Untersuchung  herantreten,  müssen 
wir  von  der  electio  communis  ausgehen,  da  diese  den  Schlüssel 
bildet  für  die  Entstehung  des  Kurfürstenkollegiums,  welche  an 
zweiter  Stelle  erörtert  werden  soll.  Abschließend  wollen  wir  uns 
mit  der  unitas  actus  und  dem  Majoritätsprinzip  beschäftigen,  wobei 
auch  auf  das  Approbationsrecht  einiges  Licht  fallen  wird. 

1.  Die  electio  communis 

Bresslau ')  hat  die  von  ihm  aufgestellte  Theorie  folgendermaßen 
formuliert:  „In  der  Zeit  von  1257  bis  1314  vollziehen  sich  die 
deutschen  Königswahlen  in  einer  Form,  die  vorher  nicht  nach- 
weisbar ist.  Die  auf  der  Wahlversammlung  erschienenen  Kur- 
fürsten übertragen,  nachdem  in  mehr  oder  minder  langwierigen 
Verhandlungen  eine  materielle  Einigung  zwischen  ihnen  erfolgt 
ist,  durch  einen  rechtsförmlichen  Akt  ihr  Wahlrecht  auf  einen 
aus  ihrer  Zahl  und  dieser  eine  Bevollmächtigte  vollzieht  die  Wahl 
in  rechtsgiltiger  Weise,  indem  er  die  feierliche  Wahiformel  aus- 
spricht. Durch  diesen  Ausspruch  des  einen  Wählers,  und  durch  ihn 
allein,  wird  derjenige,  über  dessen  Person  man  sich  zuvor  geeinigt 
hat,  erwählter  römischer  König  (in  Romanorum  regem  electus); 
was  dem  Aussprucli  der  Wahlformel  vorangeht,  schafft  noch  keine 
rechtsgiltige  Wahl;  die  übrigen  Kurfürsten  wählen  nicht,  sondern 
approbieren  höchstens  die  vollzogene  Wahl“  (a.  a.  0.  S.  122). 
„Unsere  Untersuchung  hat  zu  dem  Ergebnis  geführt,  daß  das  Ver- 
fahren bei  den  deutschen  Königswahlen  von  der  Mitte  des  13.  bis 
zur  Mitte  des  14.  Jahrhunderts,  welches  wir  klarzulegen  beabsich- 
tigten — rechtsförmliche  Übertragung  des  Wahlrechts  auf  einen 
einzelnen  Wähler  durch  die  Gesamtheit  derselben  und  Vollziehung 
der  Wahl  durch  jenen  — , genau  und  bis  in  alle  Einzelheiten 
übereinstimmend  auch  bei  den  Papstwahlen  und  Bischofswahlen 
derselben  Epoche  beobachtet  wurde.  Daß  der  Brauch  sich  sowohl 
in  Deutschland  wie  bei  der  römischen  Kurie  selbständig  und  un- 

')  Bezüglich  der  folgenden  Zitate  au»  Bresslaud  Abhandlung,  vgl.  oben 
S.  132. 

Hugelmauu.  Ott  deutsche  Königs  wähl  1" 


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146 

abhängig  entwickelt  habe,  wird  niemand  annehmen,  der  aus  unseren 
vorangehenden  Darlegungen  erkannt  hat,  wie  weit  die  Überein- 
stimmung geht;  daß  man  im  Kardinalskollegium  ein  Verfahren 
nachgeahmt  habe,  welches  bei  den  deutschen  Königswahlen  zuerst 
aufgekommen  wäre,  wird  niemand  glauben,  der  das  Verhältnis  er- 
wägt, in  welchem  Papsttum  und  Königtum  um  die  Mitte  des 
13.  Jahrhnnderts  zu  einander  standen.  Es  kann  daher  mit  voller 
Bestimmtheit  angenommen  werden,  daß  die  deutschen  Kurfürsten, 
nachdem  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  das  ausschließliche 
Recht  der  Königswahl  auf  sie  übergegangen  war,  und  als  sie  sich 
nun  über  die  Art  zu  verständigen  hatten,  in  der  sie  ihr  neues 
Recht  ausüben  wollten,  mit  bewußter  Absicht  beschlossen,  die 
Wahl  des  Königs  in  derselben  Form  zu  vollziehen,  die  bei  der 
Papstwahl  und  — wohl  in  Nachahmung  dieser  — bei  den 
ßischof8wahlen  üblich  war“  (a.  a.  0.  S.  139).  — Etwas  ab- 
weichend sind  die  Anschauungen  v.  Wretschko’s1).  Zwar  kommt 
auch  er  zu  dem  „Ergebnis“,  „daß  die  Einrichtung  der  electio  in 
der  Gestalt,  wie  sie  uns  1257  zum  erstenmal  bei  den  deutschen 
Königswahlen  begegnet,  der  Form  und  dem  Wesen  nach  den 
kirchlichen  Wahlen,  wo  wir  dieselbe  in  viel  frühere  Zeit  zurück- 
verfolgen können,  nachgebildet  wurde“  (a.  a.  0.  S.  173),  und  auch 
er  glaubt,  daß  „der  Anschluß  an  das  kirchliche  Wahlwesen  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  ein  beabsichtigter“  war  (a.  a.  0.  S.  174). 
Jedoch  stellt  er  im  Unterschied  zu  Bresslau,  der  eine  direkte 
Beeinflussung  durch  die  Papstwahlen  behauptet  (a.  a.  0.  SS.  29  ff.), 
die  Bischofswahlen  in  den  Vordergrund  (a.  a.  0.  SS.  171  f.  bes. 
Anm.  2 am  Ende,  wozu  insbesondere  auch  v.  Wretschko’s  Abhandlung 
über  die  electio  communis  bei  den  kirchlichen  Wahlen  im  Mittelalter, 
Deutsche  Zeitschr.  f.  Kirchenr.  XI 321  ff.,  zu  vergleichen  ist) 
und  erkennt,  daß  „der  Anschluß  an  kirchliche  Einrichtungen 
— und  das  hat  Bresslau  nicht  in  Betracht  gezogen  — auch  ein 
unbewußter“  war,  nämlich  „das  Ergebnis  jenes  tiefgehenden  Ein- 
flusses, den  die  Kirche  und  ihr  Recht  in  jenen  Tagen  auf  alle 
weltlichen  Verhältnisse  ausübte“  (a.  a.  0.  S.  175).  — Die  Theorie 
von  der  Rezeption  der  electio  communis  aus  dem  kanonischen 


')  Kezüglich  der  folgenden  Zitate  ans  v.  Wretschko’s  Abhandlung 
Tgl.  oben  S.  132. 


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147 


Recht  hat  auch  Mario  Kraramer  in  seinen  beiden  Schriften 
(Rechtsgeschichte  des  Kurfürstenkollegs  bis  zum  Ausgange  Karls  IV., 
I.  Kap.  Berliner  Diss.  1903;  Wahl  und  Einsetzung  des  deutschen 
Königs  im  Verhältnis  zu  einander,  Weimar  1905  [Quellen  und 
Studien  zur  Verfassungsgeschichte  des  deutschen  Reiches  in  Mittel- 
alter  und  Neuzeit,  herausgegeben  von  Zeumer,  Band  I Heft  2]  ‘) 
angenommen s). 

Die  bisher  kurz  skizzierte  Theorie  wurde  ausführlich  bekämpft 
von  Lindner3)  im  ersten  Abschnitt  seiner  Streitschrift  „Der  Hergang 
bei  den  deutschen  Königswahlen“  (Weimar  1899).  Seine  Argumente, 
denen  ich  im  wesentlichen  zustimme,  lassen  sich  in  zwei  Gruppen 
teilen.  Die  eine  richtet  sich  lediglich  gegen  die  Ausgestaltung 
der  Theorie  durch  Bresslau,  welche  schlagend  widerlegt  wird : und 
zwar  wird  gegen  die  Zurückführung  der  Rezeption  auf  einen  Be- 
schluß der  Kurfürsten  das  gänzliche  Fehlen  eines  diesbezüglichen 
Berichtes  und  die  innere  Unwahrscheinlichkeit,  gegen  die  Annahme 
der  Papstwahlen  als  Muster  der  Königswahl  der  Umstand  an- 
geführt, daß  den  geistlichen  Wählern,  insbesondere  den  rheinischen 
Erzbischöfen,  die  Bischofswahlen  doch  viel  näher  liegen  mußten. 
Die  spezifischen  Besonderheiten  der  Bresslau’schen  Theorie  scheinen 
mir  damit  erledigt  zu  sein;  dagegen  bedürfen  die  von  Lindner 
vorgebrachten  Beweise  gegen  eine  Rezeption  überhaupt  einer 
mehrfachen  Ergänzung. 

Lindner  widerlegt  diesbezüglich  (8.  6)  den  von  Bresslau  für 
die  Rezeption  geltend  gemachten  Grund,  daß  durch  die  Anwendung 
der  kanonischen  Wahlform  die  Wahl  (wenigstens  quoad  factum)  gegen 
päpstliche  Bedenken  gesichert  wurde,  vor  allem  durch  den  Hin- 
weis auf  die  Tatsache,  daß  manchen  Wahlen  trotz  zweifelloser 

')  Vgl.  hiezu  oben  S.  19  Anm.  3 und  S.  21  Anm.  4. 

*)  Auch  Harnack  mulä  in  diesem  Zusammenhänge  genannt  werden. 
Er  bezeichnete  bereits  in  den  Historischen  Aufsätzen,  dem  Andenken  an 
Georg  Waitz  gewidmet,  Hannover  1886,  SS.  373  f.  (in  dem  Aafsatze  Über 
das  Alter  einiger  bei  der  deutschen  Königswahl  beobachteten  Normen)  die 
Hülle  „yui  celum“  von  1263  (vgl.  unten  SS.  176,  bes.  Anm.  5,  und  184  f) 
als  Keimpunkt  der  electio  per  unurn. 

*)  Über  die  Lindner’ sehe  Theorie  habe  ich  ausführlicher  gebandelt 
in  meinem  oben  S.  7 Anm.  1.  genannten  Aufsatz  SS.  229 ff.  Die  mit  Lind- 
ners  Auftreten  einsetzende  Literatur  ist  daselbst  in  Anm.  2 zu  S.  226  ver- 
zeichnet. 

10* 


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148 


Vornahme  einer  electio  communis  die  päpstliche  Anerkennung  versagt 
blieb.  Wir  können  in  dieser  Richtung  den  Beweis  noch  weiter- 
fiihren  durch  den  Hinweis,  daß  im  kanonischen  Recht 
selbst,  wo  es  sich,  sei  es  autoritativ,  sei  es  literarisch,  mit 
der  deutschen  Königswahl  beschäftigt,  gerade  von  dem 
Erfordernis  der  electio  communis  nirgends  mit  einem 
Worte  die  Rede  ist1).  Es  wäre  also  gewiß  in  dieser  Richtung 
keinerlei  Ursache  für  eine  Rezeption  zu  finden.  Im  Gegenteil 
kann  das  Schweigen  der  kanonischen  Quellen  nnr  dahin  gedeutet 
werden,  entweder  daß  das  kanonische  Recht  selbst  das  Erfordernis 
der  electio  communis  lur  die  deutsche  Königswahl  nicht  aufstellte 
oder  daß  dieses  Erfordernis  tatsächlich  bei  der  den  diesbezüglichen 
Erörterungen  hauptsächlich  zugrunde  liegenden  Wahl  Philipps  von 
Schwaben  (also  lange  vor  1257)  bereits  beobachtet  worden  war. 

Damit  sind  wir  bei  dem  m.  E.  springenden  Punkt  angelangt. 
Wenn  selbst  die  von  Bresslau  behauptete,  von  Lindner  bestrittene 
Übereinstimmung  zwischen  den  kirchlichen  Wahlen  und  den 
Königswahlen  in  der  fraglichen  Periode  bestehen  sollte  — wir 
werden  darauf  noch  zurückkommen  — , so  könnte  daraus  auf  eine 
Rezeption  der  electio  communis  doch  nur  dann  geschlossen  werden, 
wenn  diese  Einrichtung  früher  bei  deutschen  Königswahlen  nicht 
nachweisbar  wäre.  Läßt  sich  aber  die  electio  communis  im  deutschen 
Königswahlenrecht  früher  nachweisen  als  im  kanonischen  Wahlrecht 
— Bresslau  selbst  behauptet  ihr  Auftreten  (a.  a.  0.  S.  136)  für 
Papstwahlen  erst  seit  Urban  IV.,  und  zwar  auch  da  ohne  durch- 
schlagenden Beweis*)  — , dann  ist  die  ganze  Theorie  gefallen. 
Selbst  die  minutiöseste  Übereinstimmung  in  den  Details  könnte 


')  Vgl.  oben  S.  87. 

*)  A.  a.  0.  S.  136  beruft  sich  Bresslau  lediglich  auf  den  Ausdruck 
„cnimnuniter  eligentes“.  Dali  dieser  Ausdruck  nicht  im  technischen  Sinne 
einer  communis  electio  gedeutet  werden  m u U,  ergibt  sich  daraus,  dali  sich  seit 
dom  9.  Jahrhundert  die  Ausdrücke  „communi  voto“  oder  „communi  consilio“ 
eligere  zur  Bezeichnung  einstimmiger  Wahlen  schlechthin  iindon:  vgl. 
v.  Wretschko,  Deutsche  Zeitschr.  f.  Kirchenr.  XI  329  Anm.  2 (in  dem  oben 
8.  14G  erw&hnten  Aufsatz).  Der  Plural  „eligentes“  scheint  die  technische  Be- 
deutung im  Sinne  Bresslaus  aber  geradezu  auszuschlielien.  Auf  den  von 
I.indncr,  Der  Hergang  bei  den  Deutschen  Königswahlen  (vgl.  oben  S.  147) 
S.  9,  hervorgehobenen  Umstand.  daU  die  Wahl  Lothars  (1123)  als  „communi 
decreto“  vorgenouimeu  bezeichnet  wird,  möchte  ich  weniger  Gewicht  legen. 


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149 


dann  nor  beweisen,  daß  die  formelle  Ausgestaltung  der  boreits 
vorhandenen  Einrichtung  im  Anschluß  an  kanonisches  Recht  er- 
folgte, keineswegs  aber,  daß  die  Einrichtung  selbst  rezipiert 
wurde.  Die  unabhängige  Entstehung  der  gleichen  Einrichtung 
in  beiden  Fällen  könnte  auch  durchaus  nicht  wundemehmen,  da 
eben  ähnliche  Verhältnisse  zu  ähnlichen  Rechtsgestaltungen  fuhren; 
dafür  bringt  gerade  ßresslau  selbst  (a.  a.  0.  S.  138)  durch  Hin- 
weis auf  die  Präsidentenwahl  in  den  Vereinigten  Staaten  von 
Nord-Amerika  einen  drastischen  Beleg. 

Lindner  hat  tatsächlich  eine  Widerlegung  Bresslaus  auch 
nach  der  angedeuteten  Richtung  versucht  und  m.  E.  das  Vor- 
kommen der  electio  durch  einen  elector  bei  der  deutschen  Königs- 
wabl  vor  1257  überzeugend  dargetan.  Wenn  dies  vielfach  ver- 
kannt werden  konnte,  so  liegt  die  Schuld  wohl  in  den  an  anderer 
Stelle  (Der  Einfluß  Papst  Viktors  II.  auf  die  Wahl  Heinrichs  IV., 
Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Geschichtsf.,  XXVII.  229 ff.)  hervorgehobenen 
Mängeln  der  Lindner’schen  Theorie'),  vor  allem  darin,  daß  er, 
über  das  Ziel  hinausschießend,  für  alle  Königswahlen  einen 
elector  annahm.  Gerade  von  diesem  Standpunkt  aus  konnte  die 
von  ihm  (a.  a.  0.  S.  19)  gegen  Bresslau  angeführte  Stelle  aus  den 
Annales  Marbac.  ad  a.  1 220 s)  nicht  ihre  volle  Beweiskraft  gewinnen. 
Die  Stolle  erzählt  die  Designation  Heinrichs  folgendermaßen: 
lleinricus  ßlius  imperatoris , admodum  jmer  quasi  decennü , per 
Otlonem  Wirziburgewem  episcopum,  cuim  tu/ele  deptitatus  fuerat  a 
patre,  de  eonsensu  principuni  in  regem  electux.  Daß  iiiemit  tat- 


')  Es  sei  hier  neuerlich  das  große  Verdienst  Lindnerg  hervorgohoben, 
die  bezüglich  des  Kurfürstenkollegiums  bereits  früher  erfaßte  Struktur  der 
Königswahl  (vgl.  z.  li.  W eizsäckor,  Kcnso  als  Wahlort,  l’hilos.  u.  hist. 
Abh.  d.  Berl.  Ak.  d.  Wissensch.  1890,  SS.  31  lf.)  im  älteren  deutschen  liecht 
nachgewiesen  zu  haben.  Was  die  Literatur  vor  Lindner  anlangt,  borufe  ich 
uiich  auf  die  Verweise  in  Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Geschf.  XXVII  226 
Anm.  2;  ich  füge  nur  noch  bei  Seeligcrs  zusammenfassende  Darlegung  in 
derselben  Zeitschrift,  XVI  47  f.  (in  seinem  ersten  Artikel  gegen  Lindner, 
Neue  Forschungen  über  die  Entstehung  des  Kurkollegs).  Soweit  die  Theorien 
vor  Lindnerg  Auftreten  noch  in  der  heutigen  wissenschaftlichen  Diskussion 
eine  Bolle  spielen , wird  gelegentlich  im  nächsten  Abschnitt  (II 2)  dieses 
Kapitels  darauf  zurückgekommen  werdon;  vgl.  auch  unten  S.  156  Anm.  3 
und  schließlich  Anhang  II. 

»)  MG.  SS.  XVII  174. 


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150 


sächlich  die  Funktion  eines  elector  gemeint  ist,  ergibt  sich  mit 
voller  Klarheit,  wenn  man  — und  dies  hat  Lindner  unterlassen 
— damit  dasjenige  vergleicht,  was  dieselben  Annales  Marbac.  ad 
a.  1237*)  von  der  in  Wien  vorgenommenen  Designation  des 
jüngeren  Kaisersohnes,  Konrad,  erzählen:  Ubi(Wiene)  etiam  (i»i- 
perator)  Chuonradum  . . . eligi  fecil  in  regem.  Quem  elegerunt 
archiepiscopi  Moguntinus  et  Treeereneit,  et  rex  Boemie 
et  dux  Bavarie  qui  et  palatinu»  comes  Rheni,  coneen- 
tientibus  ceterie  principibnt,  qui  aderant,  tarnen  paucie. 
Ich  glaube  kaum,  daß  man  beim  Zusammenhalt  beider  Stellen 
au  ihrer  Zuverlässigkeit1)  zweifeln  kann:  das  einemal  fungierte 
ein  einziger  elector,  das  anderemal  eine  Mehrheit  von  electores; 
jedenfalls  ist  hiemit  ein  Menschenalter  vor  1257  eine  electio  per 
unum  nachgewiesen. 

Ich  habe  auf  diese  Ungleichmäßigkeit  bei  den  deutschen 
Königswahlen  bereits  zu  wiederhoitenmalen  (Mitt  d.  Inst.  f.  österr. 
Geschf.  XXVII  230,  Anm.  2 und  3,  und  XXVIII  690  f.,  bes. 
Anm.  1 zu  S.  691)  hingewiesen  und  kann  mich  auch  auf  meine 
damaligen  Darlegungen  und  Quellennachweise  berufen.  Für 
unseren  Zweck  genügt  es  hier,  hervorzuheben,  daß  eine  electio 
per  unum  bei  deutschen  Königswahlen  vom  10.  bis  ins  13.  Jahr- 
hundert, wenn  auch  keineswegs  als  ausnahmslose  Erscheinung, 
nachweisbar  ist9).  Hiemit  ist  aber  die  Annahme,  daß  die 
Einrichtung  als  solche  aus  dem  kanonischen  Recht  rezi- 
piert wurde,  gefallen. 

Es  kann  nunmehr  nur  noch  die  Frage  aufgeworfen  werden, 
ob  die  nähere  Ausgestaltung  der  im  deutschen  Königswahlenrecht 

l)  Ibidem  178. 

*)  Wattenbach,  Deutschlands  Geschichtsquellen  im  Mittelalter,  II. 
Band,  6.  Aull.,  S.  452. 

5)  Die  Wahlen,  bei  denen  das  Fungieren  eines  elector  nachweisbar 
oder  wenigstens  wahrscheinlich  ist,  sind  die  Wahlen  Heinrichs  1.,  Ottos  I., 
Heinrichs  IV.  (1056)  und  Konrads  IV.,  abgesehen  von  den  Designationen, 
bei  denen  der  Vater  des  zu  Wählenden  die  electio  vorn  ahm.  Unter  Um- 
ständen trat  aber  an  seine  Stelle  ein  anderer  elector,  bo  bei  der  im  Text 
besprochenen  Designation  Heinrichs  VII.  (1220)  der  Bischof  von  Wnrzburg 
(auch  die  Wahl  von  1056  kann  man  so  auifassen).  Ich  füge  hier  eine  be- 
sonders signifikante  Stelle  über  die  Designation  Heinrichs  VI.  (1169)  bei, 
Annal.  Pegav.  ad  a.  1169  (MG.  SS.  XVI  260):  ....  Christiano  epucopo  (Mo- 
guntino)  viel  eiut  («.  e.  imperatoris)  prolofuente,  Heinricus  . ...  in  regem  ehgintr  . . . 


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151 


bereits  vorhandenen  Einrichtung  der  electio  per  unum  im  An- 
schluß an  kanonische  Wahlformen  erfolgt  ist.  Zur  Beantwortung 
dieser  Frage  ist  ein  Vergleich  zwischen  den  kanonischen  und  den 
Königswahlen  von  der  Mitte  des  13.  bis  zur  Mitte  des  14.  Jahr- 
hunderts erforderlich,  wie  er  von  Bresslau  für  die  Papstwahlen,  von 
v.  Wretschko  für  die  Bischofswahlen  durchgeführt  wurde  ‘).  Lindner 
hat  hier  nicht  nur  den  Behauptungen  der  Rezeptionstheorie  wider- 
sprochen, sondern  überhaupt  eine  tiefergreifende  Ähnlichkeit  der 
Wahlen  geleugnet.  Auf  diesem  Gebiet  wird  man  ihm  allerdings  nur 
teilweise  folgen  können:  die  electio  per  unum  scheint  mir  tatsächlich 
in  der  fraglichen  Periode  in  beiden  Fällen  dieselbe  Funktion  gehabt 
zu  haben,  nämlich  die  Wahl  als  eine  Äußerung  des  Gesamtwillens 
der  Wähler  erscheinen  zu  lassen,  deren  Kollegium  zur  Korporation 
wurde  Diese  Entwicklung  war  im  Kirchenrecht  früher  beendet 
als  im  deutschen,  dieses  mag  auch  von  jenem  bei  der  Durch- 
setzung des  Korporations-Begriffs  gefördert  worden  sein,  und  nur 
in  diesem  Sinne  kann  m.  E.  von  einer  Rezeption  kanonischen 
Rechts  bei  der  deutschen  Königswahl  die  Rede  sein.  Allein 
hi  er  wurde  lediglich  eine  in  der  Natur  der  Sache  liegende 
Entwicklung  gefördert.  In  ihrem  Mittelpunkte  stand  die  all- 
mäliche  Durchsetzung  des  Majoritätsprinzips  und  der  unitas  actus, 
und  damit  veränderte  ebenso  allmählich  die  alte  electio  per  unum 
ihre  juristische  Funktion.  War  früher  die  eigentliche  Einigung 
in  formloser  Weise  erfolgt,  worauf  der  angesehenste  Wähler  die 
electio  vornahm,  der  vom  „Umstand“  das  „Vollwort“  erteilt  wurde, 
so  nahm  nunmehr  (wie  Lindner  a.  a.  0.  SS.  28  ff.  im  Anschluß  an 


')  Vgl.  oben  SS.  13*2  f.  und  146. 

3)  Diese  Funktion  der  electio  communis  im  kanonischen  Wahlverfabrou 
ist  bereits  klar  erkannt  von  Gierke  in  seinem  monumentalen,  unerschöpf- 
lichen tienosscnschaftsrecht,  III.  Hand,  Berlin  1881,  SS.  315  und  316.  Uber 
die  Anwendung  der  Korporations-Theorie  auf  das  Kurfürstcnkollcginm,  ins- 
besondere seit  Lupoid  von  Bebenburg  (gest.  1354),  vgl.  ebenda  SS.  603  und  604: 
über  den  Zusammenhang  des  Durchdringens  der  Korporations-Theorie  mit  der 
Politik  des  Erzbischofs  Balduin  von  Trier  handeln  neuerlich  Höhlbaum, 
Der  Kurverein  von  Kense  im  Jahre  1338  (Abh.  der  Ges.  d.  Wissensch.  zu 
Güttingen,  Philol.-hist.  Klasse,  N.  F.  VII  3),  SS.  22  ff.,  undKrammer,  Wahl 
und  Einsetzung  (vgl.  oben  S.  21  Amn.  4)  SS.  60  und  69;  letzterer  stellt  den 
weiteren  Nachweis  in  Aussicht,  daU  direkt  die  Theorie  Lupolds  durch  Balduin 
beeinilulSt  wurde  (ebenda  S.  60  Anm.  2). 


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152 


Ernst  Mayer  richtig  ausführt)  die  Einigung,  die  Wahl  oder 
nominatio,  feste  Formen  an,  sie  wurde  zur  materiellen  Abstimmung, 
der  gegenüber  nun  die  electio  per  unum  als  ein  reiner  Formalakt 
erschien,  der  gewissermaßen  das  Resultat  der  nominatio  als  korpo- 
rativen Gesamtwillen  zusammenfaßte.  Wie  wenig  dabei  von  einer 
bewußten  Rezeption  kanonischen  Rechtes  die  Rede  war,  ergibt 
sich  zur  Evidenz  daraus,  daß  bei  keiner  einzigen  deutschen 
Königswahl  von  jenem  Akt,  der  im  kanonischen  Wahlverfahren 
von  der  nominatio  zur  electio  hinüberleitet,  von  der  collatio 
votorum  durch  scrutatores,  auch  nur  eine  Spur  zu  finden  ist1). 
Weit  entfernt,  daß  die  electio  per  unum  im  13.  Jahrhundert  aus 
dem  kanonischen  Recht  rezipiert  worden  wäre,  war  das  alte 
deutsche  Rechtsinstitut,  nachdem  mit  dem  Durchdringen  der  unitas 
actus  und  des  Majoritätsprinzips  der  Schwerpunkt  der  Wahl- 
handlung sich  in  die  zur  formellen  Abstimmung  werdende  nomi- 
natio verlegte,  zu  einem  Formalakt  eingeschrumpft,  der  in  der 
Übergangszeit  vom  Prinzip  der  Einstimmigkeit  zu  dem  der 
Majorität  die  Funktion  hatte,  die  Wahl  formell  als  eine  einstimmige 
erscheinen  zu  lassen*).  So  ist  es  allein  begreiflich,  daß  dieser 
angeblich  erst  im  13.  Jahrhundert  rezipierte  Akt  in  der  goldenen 
Bulle  (1356)  nicht  mehr  zu  finden  ist,  worauf  merkwürdiger  Weise 
in  diesem  Zusammenhänge  meines  Wissens  bisher  nicht  hin- 
gewiesen worden  ist.  Die  Form  war  mit  dem  vollen  Durch- 
dringen des  Korporations-Begriffs  und  der  ihm  entsprechenden 
Ausgestaltung  der  nominatio  bedeutungslos  geworden  und  wurde 
im  deutschen  Recht  beseitigt,  während  sie  das  konservativere  ka- 
nonische Recht  noch  weiter  fortschleppte. 

')  Vgl.  oben  8.  87. 

*)  v.  Wrctschko,  Deutsche  Zeitschr.  f.  Kirchenr.  XI  37011.  (in  dem 
oben  S.  14G  erwähnten  Aufsatz)  führt  allerdings  scharfsinnig  aus,  nicht 
die  Einstimmigkeit,  sondern  die  Einheitlichkeit  des  Wahlwillens  der  von 
den  Wählern  zu  unterscheidenden  Korporation  komme  durch  die  electio 
communis  zum  Ausdruck.  Trotzdem  glaube  ich  diu  Fassung  des  Textes  ver- 
treten zu  können : bevor  der  Korporationsgedanko  vollständig  durchdrang, 
konnte  man  sich  die  Einheitlichkeit  des  Wahlwillens  nur  durch  die  Ein- 
stimmigkeit herbeigeführt  denken;  und  eben  in  der  Weise  vollzog  sich  der 
Übergang  von  der  genossenschaftlichen  zur  korporativen  Auffassung,  daß 
man  unter  bestimmten  Voraussetzungen  die  Wahlen  wie  einstimmige  be- 
handelte, die  Einstimmigkeit  gewissermaßen  fingierte. 


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153 


Nachdem  die  electio  per  ynum  zu  einem  Formalakt  sich 
krystallisiert  hatte,  war  es  naheliegend,  daß  sie  nunmehr  als 
ständige  Einrichtung  bei  deutschen  Königswahlcn  erschien.  Daß 
das  den  geistlichen  Wählern  von  den  kanonischen  Wahlen  her 
geläufige  Vorbild  auch  zu  dieser  Stabilisierung  beitrug,  soll  durch- 
aus nicht  geleugnet  werden,  berechtigt  aber  ebensowenig  zur  An- 
nahme einer  Rezeption  wie  die  m.  E.  wenig  belangvolle  Anlehnuug 
in  der  Fassung  des  Wortlauts1).  Daß  man  übrigens  in  dem 
kleinen  Kurfürstenkollegium  die  electio  nicht  gut  von  mehreren 
sprechen  lassen  konnte,  was  früher  allerdings  im  größeren  Wähler- 
kreis häufig,  vielleicht  sogar  die  Regel  gewesen  war,  liegt  auf 
der  Hand.  Auch  der  Funktion  der  electio,  die  Einheitlichkeit 
des  Wahl  willens  zum  Ausdruck  zu  bringen,  entsprach  nur  die 
electio  per  unum.  Mit  voller  juristischer  Schärfe  kommt  diese 
Funktion  im  kanonischen  Recht  zum  Ausdruck,  wo  häufig  auch 
nach  der  zwiespältigen  nominatio  oder  examinatio,  wenn  nur 
die  entsprechende  Majorität  vorhanden  ist,  alle  Wähler  ihr  Wahl- 
recht auf  den  olector  übertragen,  der  nunmehr  in  ihrer  aller 
Namen  die  electio  vornimmt2).  Diese  rechtsförmliche  Übertragung 
glaubte  nun  Bresslau  auch  bei  den  deutschen  Königswahlen  der 
fraglichen  Periode  als  ständigen  Brauch  nachweisen  zu  können, 
womit  allerdings  in  einem  entscheidenden  Punkte  eine  Rezeption 


*)  Sogar  darauf  scheinen  die  unbedingten  Anhänger  der  Rezeptions- 
Theorie  Gewicht  zu  legen,  daß  der  Kürspruch  bei  der  Königswahl  mit  den 
Worten  begann  Innomint  sanctat  et  tndn-iduac  tiinitatis  (z.  B.  Bresslau  a.  a.  0. 
S.  124:  .Man  beachte,  daß  auch  hier  der  Kürspruch,  wie  der  von  Johann 

von  Victring  initgetcilte,  mit  einer  Invokation  der  Gottheit  begann").  M.  E. 
kann  diese  Eingangsforuiel,  die  iin  Mittelalter  bei  jedem  wichtigeren  Goschäft 
ganz  selbstverständlich  war,  nach  keiner  Richtung  auch  nur  im  min- 
desten als  rechtshistorisches  Argument  verwertet  werden. 

•)  Vgl.  darnbor  v.  Wrctschko,  Deutsche  Zcitschr.  f.  Kirchenr.  XI 
368  Amn.  2 (vgl.  ober.  S.  146).  Zu  dieser  vollen  juristischen  Durch- 
bildung ist  es  im  Königswahlcnrecht  nicht  gekommen:  wenigstens 
ergibt  sich  aus  keiner  der  von  Bresslau  a.  a.  0.  mitgeteilten  Quellenstelleu, 
daß  anwesende  in  der  Minorität  gebliebene  Wähler  dem  elector  ein 
Mandat  gaben,  im  Gegenteil  scheinen  alle  Wahlen  im  letzten  Jahrhundert 
vor  der  goldenen  Bulle  auf  Grund  einer  tatsächlichen  Übereinstimmung 
aller  Anwesenden  erfolgt  zu  sein,  vgl.  unten  S.  154.  Anderseits  finden 
sich  Ansätze  zu  einer  derartigen  Stimmenübertragung  bei  der  Königswahl 
schuu  beträchtlich  früher,  vgl.  unten  S.  154. 


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154 


kanonischen  Rechts  einigermaßen  wahrscheinlich  gemacht  wäre. 
Doch  ist  der  Nachweis  nicht  erbracht  worden.  In  dem  frag- 
lichen Zeitraum  sind  im  ganzen  10  Königs  wählen  vorgenommen 
worden.  Bei  vieren  darunter  (den  beiden  Wahlen  Albrechts  I., 
Juni  und  Juli  1298,  Karls  IV.  1346  und  Günthers  1349)  fehlen 
nach  Bresslaus  eigenen  Angaben  nähere  Nachrichten,  und  können 
wir  nur  auf  eine  electio  per  unum  schließen.  Was  die  Wahl 
Richards  (1257)  anlangt,  so  kann  ich  in  der  von  Bresslau  (a.  a.  0. 
S.  124)  angeführten  Belegstelle  nicht  die  geringste  Spur  von  einer 
formellen  Stimmenübertragung  durch  einen  anwesenden  Wähler 
finden1).  Bei  der  Wahl  Adolfs  von  Nassau  (1292)  ist  der  Sach- 
verhalt sehr  zweifelhaft,  da  von  der  Stimmenübertragung  zwar  in 
anderen  Quellen,  nicht  aber  im  Wahldekret  die  Rede  ist.  Sicher 
bezeugt  ist  die  Stimmenübertragung  nur  bei  den  Wahlen  Rudolfs 
von  Habsburg  (1273),  Heinrichs  VII.  (1308),  Friedrichs  des 
Schönen  und  Ludwigs  des  Bayern  (1314).  Es  kann  also  wohl 
nicht  von  einem  ständigen  Gebrauch  gesprochen  werden,  sondern 
nur  von  dem  Ansatz  zu  einer  Entwicklung,  welche  durch  die 
goldene  Bulle,  die  die  electio  per  unum  überhaupt  abschaftle, 
unterbrochen  wurde.  Dies  scheint  aber  zum  mindesten  eine  be- 
wußte Rezeption  auch  dieses  Details  auszuschließen.  Erwägt  man 
ferner,  daß  die  im  kanonischen  Recht,  wenn  auch  nicht  regel- 
mäßig, vorkommende  Übertragung  des  Stimmrechts  auch  seitens 
der  bei  der  Nomination  in  der  Minorität  Gebliebenen  im  deutschen 
Königswahlenrecht  überhaupt  nicht  bezeugt  ist3),  daß  anderseits 
Ansätze  zu  einer  Stimmenübertragung  als  Grundlage  der  electio 
schon  lange  vor  dem  13.  Jahrhundert,  schon  bei  Lambert  von 
Hersfeld,  nachweisbar  sind5),  so  muß  die  Rezeptions-Theorie 
wohl  auch  in  dieser  Richtung  als  widerlegt  gelten. 

In  diesem  Zusammenhang  ist  nur  noch  auf  eine  Urkunde  ein- 
zugehen, welche  von  einem  elector  spricht,  nämlich  auf  die  von 

')  Nur  daß  der  abwesende  Mainzer  Erzbischof  dein  Kölner  seino  Stimme 
übertragen  hat,  wenigstens  nach  der  Behauptung  dos  letzteren,  welcher  als 
elector  fnngierto,  geht  aus  der  Stelle  hervor.  Der  allein  anwesende  Pfalz- 
graf beschrankte  sich  gegenüber  der  electio  des  Kölners  auf  einen  einfachen 
Konsens. 

*)  Vgl.  oben  S.  153  Anm.  2. 

s)  Vgl.  die  von  mir  in  Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  lieschf.  XXYII1 691 
Anm.  3 mitgeteilten  Stellen. 


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155 


den  Wählern  Philipps  im  Jahre  1202  an  den  Papst  gerichtete 
Beschwerdeschrift.  Hier  erheben  die  Fürsten,  wie  wir  schon  bei 
der  Untersuchung  der  als  Antwort  ergangenen  Bulle  gesehen 
haben'),  Protest  gegen  das  Vorgehen  des  Kardinallegaten  Guido 
von  Präneste.  Die  Inhaltsangabe  dieses  Protestes  in  der  Bulle 
„Venerabilem“  ist  allerdings  eine  ungenaue.  Der  Gedankengang 
der  Fürsten  ist  vielmehr  folgender:  der  Papst  hab  keinerlei  Beeilt, 
sich  in  eine  deutsche  Königswahl  einzumischen,  infolgedessen  sei 
das  Auftreten  des  Legaten,  das  man  nur  als  das  eines  elector 
oder  als  das  eines  cognitor  auflassen  könnte,  auf  jeden  Fall  un- 
gehörig. Aber  selbst  wenn  man  diesen  prinzipiellen  Standpunkt 
nicht  einnehme,  habe  der  Legat  ungehörig  gehandelt:  wenn  als 
elector,  quonwdo  (piesioit  opportunitatem,  qualiter  arbitris  absentibus 
mendacio  ceritatem  et  crimine  miiutem  mufartt.  Quonwdo  enim  en 
pars  prtneipum,  quam  numents  nmpliat,  tpiam  dignitns  effni,,  iniuste 
nimium  est  rontemptaf ; handelte  der  Legat  jedoch  als  cognitor,  so 
hätte  er  ebenfalls  gefehlt,  weil  die  Gegenpartei  nicht  geladen  war. 
Vergleichen  wir  damit  die  Antwort  des  Papstes,  so  ergibt  sich,  daß 
er  die  Bestreitung  seines  Rechtes,  als  cognitor  überhaupt  zu  fungieren, 
nicht  verstehen  wollte ; anderseits  hatten  für  ihn  die  näheren  Aus- 
führungen über  den  elector  kein  Interesse,  da  er  ein  derartiges 
Recht  nicht  behaupten  wollte.  In  seiner  Antwort  verschiebt  sich  der 
Inhalt  des  Protestes  dahin : fungierte  der  Legat  als  elector,  so  hat 
er  sich  widerrechtlich  eines  Amtes  angemaßt;  fungierte  er  als 
cognitor,  so  hat  er  es  au  der  gehörigen  Ladung  fehlen  lassen. 

In  diesem  Zusammenhänge  wird  sofort  klar,  daß  aus  der  oben 
angeführten  Stelle  keine  so  weittragenden  Schlüsse  auf  den  Vor- 
gang bei  den  deutschen  Königswahlen  gezogen  werden  dürfen, 
wie  dies  Ernst  Mayer  (a.  a.  0.  S.  387) a)  tut,  wenn  er  aus  der 
gelegentlichen  Bezeichnung  der  scrutatores  als  arbitri  im  kano- 
nischen Recht  schließt,  es  müsse  auch  bei  den  deutschen  Königs- 
wahlen scrutatores  gegeben  haben.  Die  Fürsten  argumentieren 
nur  ad  hominem  aus  dem  kanonischen  Recht  und  sagen,  wenn 
selbst  dieses  Recht  auf  deutsche  Königswahlen  anzuwenden  wäre, 
sei  das  Vorgehen  des  Legaten  inkorrekt  gewesen.  Und  noch 


')  Vgl.  oben  S.  46  Anm.  1. 
*)  Vgl.  oben  S.  132. 


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156 


weniger  kann  die  Antwort  des  Papstes,  der  Legat  habe  nicht 
als  elector  fungiert,  da  er  nec  Jecit  aliquem  eligi  nec  clegit  et 
sic  electinni  se  net/uaipinm  ingessit , für  den  Vorgang  bei  deutschen 
Königswahlen  ein  Material  bieten.  Vergegenwärtigen  wir  uns  den 
im  ersten  Kapitel  ’)  ausführlich  dargelegten  Gedankengang  der  Bulle 
„Venerabilem“,  derzufolge  der  Wahlakt  Ottos  bereits  früher  rechts- 
gültig vorgenommen  war,  so  kann  den  angezogenen  Worten  wohl 
nur  der  ganz  allgemeine  Sinn  beigelegt  werden,  daß  der  Legat 
überhaupt  eine  Wahl  weder  veranlaßt  noch  an  einer  solchen  als 
Wähler  teilgenommen,  daher  sich  in  die  Wahl  überhaupt  in  keiner 
Weise  eingemischt  habe. 

Die  viel  erörterten  Stellen  aus  dem  Jahre  1202  bieten 
uns  also  keinen  Anlaß,  das  bereits  früher  gewonnene  Bild 
der  Entwicklung  zu  modifizieren  oder  auch  nur  zu  ergänzen. 
Dieses  Bild  aber  war  folgendes:  in  alter  Zeit  ein  nicht  ab- 
gegrenzter Wählerkreis,  das  Prinzip  der  Einstimmig- 
keit, die  formlose  Wahl,  die  electio  durch  einen  oder 
mehrere  und  das  Vollwort  des  Drastands;  seit  der  Mitte 
des  13.  Jahrhunderts  das  korporativ  gestaltete  Kur- 
fürstenkollegium, in  dem  das  Prinzip  der  unitas  actus 
und  der  auch  die  Widersprechenden  bindenden  Majoritäts- 
wahl sich  durchsetzte,  die  formelle  Ausgestaltung  der 
Wahl  als  Abstimmung,  die  Einschrumpfung  der  immer 
per  unum  vorgenommenen  electio  zu  einem  in  einzelnen 
Details  an  verwandte  kanonische  Formen  sich  anlehnen- 
den Formalakt,  der  in  der  goldenen  Bulle  wegfiel. 
Gelingt  es  uns,  aus  diesen  Elementen  auch  die  Entstehung  des  Kur- 
fürstenkollegiums zu  erklären,  so  ist  das  einzige  noch  fehlende 
Glied  in  der  organischen  Entwicklung  der  Königswahlen  gefunden9). 


')  Vgl.  oben  SS.  47,  48  ff. 

*)  Nicht  7.u  verwechseln  mit  der  iin  Text  vertretenen  Auffassung 
welche  in  .Wahl“  und  .Kur“  die  beiden  Phasen  des  Wahlakts  erblickt  und  in 
letzterer  wieder  die  .electio“  und  .laudatio“  scheidet,  ist  die  vor  Lindners 
Auftreten  (vgl.  oben  S.  149  Anm.  1)  geläufige  Unterscheidung  von  .Vorwahl“ 
und  .Wahl“  (gelegentlich  auch  schon  .Kur“  genannt),  bei  welch  letzterer 
sich  ein  .Vorstimmrccht“  einzelner  Pürsten,  der  späteren  Kurfürsten,  heraus- 
gebildet habe.  Der  wesentliche  Unterschied  dieser  in  Vielen  Ausgestaltungen 
auftretendeu  Anschauung  gegenüber  der  Elektor-Theorie  liegt  darin,  daß  sic 


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157 


2.  Die  Entstehung  des  Kurfürstenkollegiums 

Wie  schon  oben  (SS.  132  f.,  155)  angedeutet,  hat  Ernst  Mayer 
im  II.  Bande  seiner  Deutschen  und  französischen  Verfassungsge- 
schichte ')  auch  die  Entstehung  des  Kurfürstentums  auf  Rezeption 
einer  kanonischen  Wahleinrichtung  zurückgeführt,  nämlich  der 
Skrutatoren,  deren  Amt  durch  das  IV.  Lateranensische  Konzil  (1215) 
endgiltig  geregelt  wurde,  aber  schon  früher  vorhanden  war*).  „Die 
Schilderung“,  die  im  Sachsenspiegel  von  der  Königswahl  gegeben 
wird,  entspricht  nach  Mayers  Darlegungen  „fast  bis  auf  das  Wort 
der  Schilderung  des  Skrutinium  bei  Bernardus  Papiensis,  wie  der 
letztere  den  Skrutatoren  auferlegt,  ui  oidelicet  illum  eligant  quem 

lediglich  oder  doch  hauptsächlich  in  der  Reihung  der  Kurfürsten  bei 
der  Abstimmung,  im  Rechte,  zu  erst  (nicht:  in  qualifizierter  Weise)  zu  küren, 
den  Keim  des  Wahlvorrechts  erblickt.  Als  Vertreter  dieser  Auffassung  seien 
genannt  Phillips  (vgl.  unten  S.  163  Anm.  4):  Weiland,  Über  die  Geschichte 
der  deutschen  KSnigswahlen  im  12.  und  13.  Jahrhundort,  Forschungen  zur 
Deutschen  Geschichte  XX  305  ff.:  Tannert,  Die  Entwickelung  des  Vorstimm- 
reebtes  unter  den  Staufen  und  dio  Wahlthcorie  des  Sachsenspiegels,  Bonn  1882; 
Guidde,  Die  Entstehung  des  Kurfürstenkollegiums,  Frankfurt  a.  M.  1884. 
In  der  im  Test  gegebenen  Ausgestaltung  der  Elektor-Thcorie,  boi  welcher 
scharf  zum  Ausdrucke  kommt,  daß  die  sogenannte  laudatio  begrifflich  ein 
Teil  des  konstitutiven  Wahlakts  ist,  ist  der  Gegensatz  bedeutend  ge- 
ringer als  bei  Lindner:  ja,  in  jener  Ausgestaltung,  welche  die  Theorie  der 
Vorwähler  durch  Tannort  a.  a.  0.  erfahren  hat,  berührt  sie  sich  nahe  mit 
unserer  int  Text  vertretenen  Auffassung.  Nach  dieser  Auffassung  erscheint 
der  Wahlvorgang  einfach  als  die  allgemeine  Form  der  germanischen  Beschluß- 
fassung, die  sich  bei  der  Urteilsfindung  bereits  früher  scharf  herauskrystal- 
lisiert  hat:  doch  muß  im  Gegensatz  zu  denjenigen,  die  in  der  „Kur*  nur  ein 
„Wahlurteil“  sehen  (Ernst  Mayer,  Wcrunsky;  vgl.  die  näheren  Nachweise 
in  Mitt.  d.  Inst  f.  österr.  Geschf.  XXVII  228  Anm.  I),  der  konstitutive 
('harakter  der  „Kur“  betont  werden,  welche  nur  in  der  Form  dor  Beschluß- 
fassung mit  der  Urteilsschöpfung  übereinstimmt.  Schließlich  sei  hier  noch 
bemerkt,  daß  Maurenbrecher  in  dem  wicderhult  zitierten  Werk  (vgl. 
S.  1 1 Anm.  1)  die  Herleitung  des  Kurfürstenkollegiums  aus  einem  Kreise 
irgendwie  bevorrechteter  Wahl  fürsten  überhaupt  verwirft  und  diese 
letzte  Einschränkung  des  Wählerkreises  einseitig  auf  den  Sachsenspiegel 
zurückführt  (vgl.  unten  S.  170  Anm.  8). 

‘)  Vgl.  auch  unten  S.  159. 

*)  Vgl.  darüber  z.  B.  v.  Wretschko,  Deutsche  Zeitschr.  f.  Kirchenr. 
XI  (vgl.  oben  S.  146)  327  Anm.  3.  Es  kann  als  sicher  gelten,  daß  kirch- 
liche Skrutinialwablcn  mindestens  seit  der  Mitte  des  12.  Jahrhunderts 
Vorkommen. 


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158 


omnium  vel  maioris  partin  arbitrio  viderint  fwaelertum,  so  sollen 
nach  dem  Sachsenspiegel  die  sechs  ersten  an  der  Kore  nicht  kiesen 
na  iren  Mutwillen,  nenne  tven  die  t forsten  alle  to  koninge  erwelt, 
<len  sollen  si  nllererxt  bi  natne  kiesen Nachdem  Mayer  in 
der  bereits  behandelten  Wahlbeschwerde  an  den  Papst  aus  dem 
Jahre  1202  ein  entscheidendes  Argument  für  das  Skrutinium  bei 
der  deutschen  Königswahl  gefunden  zu  haben  glaubt,  fährt  er  fort: 
„Nach  der  Schilderung  des  Sachsenspiegels  sind  die  Skrutatoren 
sechs,  nach  der  vorangehenden  Wahlreform  Innozenz’  III.  sind  es 
drei.  Wenn  man  nun  bedenkt,  daß  der  deutsche  König  von  zwei 
Kollegien  gewählt  wird,  den  geistlichen  und  den  weltlichen  Parsten, 
so  wird  man  in  den  drei  geistlichen  und  drei  weltlichen  „Kur- 
fürsten“ eben  nur  die  Skrutatoren  ihres  Kollegs  zu  sehen  haben. 
Wie  die  kirchlichen  Skrutatoren  durch  einen  aus  ihrer  Mitte  die 
Wahl  erklären  lassen,  so  verkündet  jedenfalls  seit  der  zweiten 
Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  immerein  Kurfürst  das  Wahlresultat. 
Das  ist  nach  der  Angabe  des  Sachsenspiegels  sicher,  daß  zu  seiner 

Zeit  das  Skrutatorenarat  bereits  in  festen  Händen  war “ 

Und  zwar  bestand  das  geistliche  Skrutatorenkollegium  nach  Mayer 
aus  den  „drei  mächtigsten  Erzbischöfen“,  das  weltliche  aus  „Erz- 
beamten", wobei  „freilich  nur  drei  von  den  vier“  genommen 
werden  konnten  (a.  a.  0.  SS.  388  und  389).  Bezüglich  der  Ent- 
wicklung dieses  Amtes  zu  einem  ausschließlichen  Wahlrecht 
kommt  Mayer  zu  keinem  sicheren  Resultat.  Er  begnügt  sich 
mit  der  „Annahme“,  „daß  die  Fürsten“  (deren  Zahl  nach  seinen 
Darlegungen  eine  äußerst  geringe  geworden  war)  „stillschweigend 
unter  den  Konsentierenden  aufgingen  und  der  zeremoniöse  Vor- 
rang der  Kurfürsten  sich  von  selbst  in  ein  ausschließliches  Recht 
verwandelte“;  „es  stimmt  zu  dieser  allmäligen  Veränderung,  wenn 
in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  zu  Verfügungen  über 
Reichsgut  ohne  weiteres  die  Willebriefe  der  Kurfürsten  an  Stelle 
der  fürstlichen  Willebriefe  aufkommen;  die  Kurfürsten  sind  eben 
jetzt  in  diejenigen  fürstlichen  Kompetenzen  eingetreten,  die  durch 
die  bisherige  Übung  scharf  Umrissen  waren“  (a.  a.  0.  S.  398).  — 
Mayers  Theorie  war  von  Krammer  in  seiner  Dissertation  (vgl.  oben 
S.  147)  akzeptiert  worden.  In  seiner  zweiten  Abhandlung  hat  er 
eine  eigene  Theorie  aufgestellt,  bezüglich  deren  ich  auf  meine 
bereits  wiederholt  erwähnte  Besprechung  in  den  Mitt.  d.  Inst.  f.  österr. 


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159 


Geschf.  XXVIII  684 ff.  verweise1).  — Mayer  selbst  hat  seine  Ansicht 
bezüglich  der  Entstehung  des  Kurfurstenkollegs  auch  in  seiner 
spateren  Abhandlung  Zu  den  germanischen  Königswahlen  (Zeitschr. 
d.  Sav.-Stift.  f.  Kechtsg.  Germ.  Abt.  XXIII  1902  lff.),  wo  er 
für  die  ältere  deutsche  Königswahl  lebhaft  das  Anknüpfen  an  ge- 
meingermanische Wurzeln  verficht,  im  wesentlichen  festgehalten. 

Lindner3)  hat,  m.  E.  mit  vollstem  Recht,  der  Theorie  Mayers 
widersprochen,  indem  er  gegen  sie  dasjenige  ins  Treffen  führt, 
was  überhaupt  gegen  eine  Rezeption  kanonischen  Rechtes  spricht 
und  bereits  bei  Besprechung  der  electio  communis  (vgl.  oben 
S.  147)  angedeutet  wurde.  Wir  wollen  auch  in  dieser  Hin- 
sicht als  Ergebnis  unserer  Untersuchungen  ganz  be- 
sonders betonen,  daß  das  kanonische  Rechtsbuch  selbst 
keinerlei  Anhaltspunkt  für  Mayers  Anschauungen  bietet3). 
Es  ist  zwar  richtig,  daß  die  Tendenz  zur  Einschränkung  des  Wähler- 
kreises von  kirchlicher  Seite  gefördert  wurde,  indem  man  zu  einer 
Zeit,  in  welcher  zweifellos  noch  alle  Fürsten  wahlberechtigt  waren, 
von  „Wahlfürsten“  sprach.  Aber  gerade  in  diesem  Zusammenhang 
gewinnt  es  eine  besondere  Bedeutung,  daß  die  kanonischen  Quellen 
von  einem  Skrutatorenamt  bei  der  deutschen  Königswahl  nichts 
wissen.  Wenn  Mayer  aus  der  Wahlbeschwerde  von  1202  das  Vor- 
handensein der  Skrutatoren  konstatieren  will,  so  muß  dem  ent- 
gegengehalten werden,  daß  gerade  die  darauf  ergangene  Antwort, 
die  Bulle  „Venerabilem“,  nicht  von  Skrutatoren,  sondern  von  aus- 
schließlich berechtigten  Wahlfürsten  spricht4).  Wie  die  arbitri 
in  die  Wahlbeschwerde  hineingekommen  sind,  haben  wir  oben 
(SS.  155  f.)  dargelegt;  der  Papst  fand  es  gar  nicht  für  nötig,  auf 
den  Gedankengang  der  Fürsten  einzugehen,  er  behauptet  schon 
1202  das  Vorhandensein  ausschließlich  berechtigter  Wahlfürsten, 
womit  er  allerdings  der  deutschen  Entwicklung,  wie  wir  wissen, 
weit  vorauseilte;  allein  sein  Vorgang  wäre  ganz  und  gar  undenk- 
bar, wenn  der  engere  Fürstenkreis  ein  Skrutatorenkollegium,  also 
eine  dem  Papst  wohlvertraute  und  gewiß  erst  vor  kurzem  ins 
deutsche  Recht  übernommene  Einrichtung  gewesen  wäre.  Mit  der 

')  Vgl.  daselbst  itisbos.  SS.  689  f. 

*)  A.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  147)  8.  28. 

*)  Vgl.  oben  8.  148. 

‘)  Vgl.  oben  SS.  47,  48,  57,  67  ff. 


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160 


Wahlbeschwerde  von  1202  fällt  aber  die  einzige  Belegstelle,  aus 
der  Mayer  auf  ein  tatsächliches  Vorkommen  von  Skrutatoren  vor 
der  Zeit  des  Sachsenspiegels  schließt.  ’). 

Die  in  Rede  stehende  Theorie  leidet  überdies  noch  an  besonderer, 
innerer  Unwahrscheinlichkeit.  Es  ist  zunächst  hervorzuheben,  daß 
der  Sachsenspiegel,  wenn  er  das  Vorbild  der  Skrutatoren  im  Auge 
gehabt  hätte,  die  Kurwürde  Böhmens  gewiß  in  anderer  Form 
zurückgewiesen  und  die  Dreizahl  der  Skrutatoren  irgendwie  her- 
vorgehoben hätte.  Daß  auch  die  Aufgabe  der  Kurfürsten  nach 
dem  Sachsenspiegel  eine  andere  ist,  als  die  der  Skrutatoren  bei 
Bernhard  von  Pavia,  auf  welchen  sich  Mayer  mit  Außerachtlassung 
der  Worte  „vel  maioris  partis“  bei  letzterem  und  „bi  name“  bei 
ersterem  beruft,  habe  ich  andernorts  (Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Geschf. 
XXVIII  689  Anm.  2)  bereits  hervorgehoben;  daß  sich  im  Sachsen- 
spiegel keine  Spur  von  der  collatio  votorum  findet,  sei  noch  be- 
sonders betont.  Weiters  aber  widerspricht  die  Mayer'sche  Hypothese 
zweier  Skrutatoren-Kollegien  allem,  was  wir  von  den  Königswahlen 
des  12.  Jahrhunderts  wissen*).  Von  einer  scharfen  Sonderung 

l)  Merkwürdigerweise  findet  Mayer  das  Schweigen  der  Quellen  ganz,  be- 
greiflich, da  das  Skrutatoren -Amt  etwas  wenig  Bedeutsames  sei  (Deutsche 
und  französische  Verfassungsgeschichte  11.  Hand  S.  394,  Zcitsehr.  d.  Sav.- 
Stift.  f.  Kechtsg.  XXIII  öl  und  53).  Ja,  er  geht  soweit  (Deutsche  und 
französische  Verfassungsgeschichte  II.  Hand  S.  339),  zu  behaupten:  „ . . . An 
sich  ist  die  Skrutatoren tatigkeit  etwas  Unwesentliches:  so  wenig  man 
heutzutage  in  l’arlamentsberichten  von  der  Stimmzählung  durch  das  Hureau 
spricht  und  so  sehr  man  nur  die  Abstimmung  erwähnt,  geradeso  hatten 
auch  die  alten  dürftigen  Quellen  nur  Anlaß,  von  der  materiellen  Wahl  zu 
reden“.  Vom  kanonistischen  Standpunkt  aus  muü  man  diese  Hchauptung 
geradezu  als  ungeheuerlich  bezeichnen,  wenn  man  erwägt,  daß  den 
Skrutatoren  nach  älterem  Recht  eine  collatio  nutueri  ad  numentm,  zeli  ad 
zelum,  meriti  ad  meritum  oblag  (c.  35,  42,  55,  57  X IC  de  electione). 

’)  Vgl.  Maurenbrecher,  a.  a.  0.  (vgl.  S.  11  Anm.  1)  VI.  und  VII. 
Abschnitt,  woselbst  überall  weitere  Belege  angeführt  sind.  Über  die  Doppel- 
wahl von  1198  wird  im  Text  noch  näher  gehandelt  werden.  Einzig  und 
allein  die  Wahl  Lothars  (1125)  könnte  im  12.  Jahrhundert  zu  der  Annahme 
zweier  Wahlkollcgien  Veranlassung  geben,  wenn  man  ausschließlich  cap.  7 
der  vielerörterten  Narratio  de  electione  Lotharii  (MO.  SS.  XII  510  ss.)  be- 
achtet. Allein  hier  wird  die  Huldigung  am  Tage  nach  der  Wahl  erzählt. 
Dafür,  daß  bei  der  Wahl  selbst  keine  Teilung  in  ein  geistliches  und 
weltliches  Kollegium  bestand  und  überhaupt  kein  Skrutinium  staltfand,  bietet 
gerade  die  anschauliche  Schilderung  der  rorausgehendeu  cap.  4 bis  C einen 
kaum  widerlegbaren  Beweis. 


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161 


in  ein  geistliches  und  ein  weltliches  Wahlkollegium  wissen  wir 
Sicheres  uur  bezüglich  der  Wahl  Konrads  II.  (1024);  möglicherweise 
war  sie  auch  (1077)  bei  der  Wahl  Rudolfs  von  Schwaben  vorhanden  *). 
Jedenfalls  kann  im  12.  Jahrhundert  davon  keine  Rede  sein;  und 
vollends  in  der  ersten  Hälfte  des  1 3.,  der  eigentlichen  Entstehungs- 
zeit des  Kurfürstentums,  waren  die  Wählerversammlungen  so 
schwach  besucht,  daß  das  Fungieren  zweier  Skrutatorenkollegien 
innerhalb  gesonderter  Wählerkurien  geradezu  widersinnig  erscheint  *). 
Wie  übrigens  die  zwei  Skrutatorenkollegien  zu  einem  einheit- 
lichen Wahlkolleginm  zusammengewachsen  sein  sollen,  ist  un- 
unerfindlich. 

Was  nun  die  positive  Seite  des  Problems  anlangt,  so  ist  es 
gänzlich  unrichtig,  wenn  Mayer  (Zeitschr.  d.  Sav.-Stift.  f.  Rechtsg. 
XXIII  57)  behauptet,  daß  sich  im  alten  deutschen  Wahlrecht 
kein  Anknüpfungspunkt  für  die  Entstehung  des  Kurfürstenkollegiums 
findet.  Eine  kurze  Untersuchung  der  Königswahlen  ergibt  das  Gegen- 
teil und  vervollständigt  dadurch  die  Widerlegung  der  Mayer’schen 
Hypothese.  Indem  wir  an  diese  Untersuchung  herantreten,  ist  zu- 
nächst als  sicheres  Resultat  aller  bisherigen  Untersuchungen  über 
die  Königswahlen  die  fortschreitende  Einengung  des  Wählerkreises 
festzustellen:  die  Wahl  Konrads  II.  (1024)  war  die  letzte,  an  der 
zweifellos  noch  das  Volk  teilnahm,  die  Wahl  Konrads  IV.  (1237) 
die  erste,  an  der  bestimmt  nur  Mitglieder  des  jüngeren  Reichs- 
fürstenstandes, die  Wahl  Richards  von  Kornwall  (1257)  die  erste, 
an  der  bestimmt  nur  Kurfürsten  teilnahmen J).  Weiter  verweise 

')  Vgl.  bezüglich  der  Wahl  von  1024  die  Belege  bei  Maurenbrecher 
a.  a.  0.  (vgl.  oben  8.  11  Antn.  1)  SS.  89  ff.:  die  Hauptquelle  ist  Wiponia 
Vita  Chnonradi,  cap.  2 (MG.  SS.  XI  25  7 88.).  Was  die  Wahl  von  1077  anlangt, 
so  wird  die  Trennung  in  zwei  Wahlkollegien(wcnigstena  bei  den  Vorberatungen) 
ausdrücklich  bezeugt  in  Bertholdi  Annales  ad  a.  1077  (MG.  SS.  V 292), 
w&hrend  Brunn,  l)e  bello  Saionicn,  cap.  91  (ibidem  V 365),  dagegen  zu 
sprechen  scheint:  im  allgemeinen  vgl.  über  diese  Wahl  Maurenbrecher, 
a.  a.  0.  SS.  115  ff. 

’)  Vgl.  die  Nachweise  für  die  einzelnen  Wahlen  bei  Maurenbrecher 
a.  a.  0.  im  VIII.  und  IX.  Abschnitt  (SS.  209  ff.). 

*)  Vgl.  bezüglich  der  Wahl  von  1024  oben  Anm.  1,  von  1287  unten 
SS.  173  f.,  von  1257  unten  SS.  176  f.  Gelegentlich  wird  übrigens  auch  nach 
1024  von  einer  Teilnahme  des  Volkes  gesprochen;  so  in  Bertholdi  Anuales  ad 
a.  1077  (vgl.  oben  Anm.  1)  und  bezüglich  der  Deaignation  Heinrichs  111.  (1028) 
in  Wiponis  Vita  Chuonradi  (MG.  SS.  XI  267  et  268) 

HugelmsDn,  Die  deutsche  Küuigswihl  11 


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162 


ich  auf  das  schon  oben  (S.  150)1)  rekapitulierte  Resultat  be- 
züglich der  Königswahlen  bis  1198,  bei  denen  sehr  häutig  zu 
bemerken  ist,  daß  nach  Erzielung  einer  materiellen  Einigung  ein 
engerer  Wfthlerkreis  (oder  auch  ein  einziger  Wähler)  die  solenne 
electio  vornimmt,  während  die  übrigen  auf  eine  Art  Vollwort  be- 
schränkt sind.  Der  Eigenschaft  eines  solchen  Elektorenkollegiums 
entspricht  nun  bis  ins  Detail  die  Rolle,  welche  noch  der  Sachsen- 
spiegel den  späteren  Kurfürsten  zuweist2).  Die  Frage  nach  der 
Entstehung  des  Kurfürstenkollegiums  löst  sich  also  in  die  doppelte 
Untersuchung  auf,  1 .)  wie  gerade  die  späteren  Kurfürsten  zu  einem 
Recht  auf  die  Funktion  als  elector  gekommen  sind,  2.)  wie  sich 
dieses  Recht  in  ein  ausschließliches  Wahlrecht  verwandelte. 

')  Vgl.  auch  oben  S.  17  Anm.  1. 

*)  Ssp.  Landr.  III  57  § 2:  In  des  keiters  köre  sal  der  erste  sin  der 
bisehof  von  Megense , der  andere  der  von  Triere,  der  dirte  der  von  Keine . Under 
den  leien  ist  der  erste  an  me  küre  der  phalans-greve  von  me  Rine,  des  richet  truelst- 
seze ; der  andere  der  herzoge  von  Saehsen , der  marsehalk ; der  dirte  der  tttarggrdve 
von  Brandenburg,  des  rlehes  kemerer.  Der  sehenke  des  riehes , der  küng  von  Bohemen 
en  hat  nieheine  kure , nmbe  das,  das  her  nieh  düseh  en  ist,  Sint  kiesen  des  riehes 
vürsten  alte,  pfafftn  und  leien.  Die  zu  me  ersten  anme  kure  gemtanl  sint,  die 
en  suln  nieht  kiesen  nah  irme  suiitzriUen  : zoen  Stoen  die  vürsten  alle  su  kunge  er 
Wien,  den  suln  sie  aller  erst  bie  nässten  kiesen.  Eine  unbefangene  Interpretation 
der  Stelle  führt  zu  folgenden  Ergebnissen:  1.)  Die  Wahl  im  weitern  Sinne 
zerfällt  in  zwei  Phasen,  die  Wahl  im  engeren  Sinne  (ersoeten)  und  die  Knr 
(kiesen)-,  beide  werden  von  der  ganzen  Fürsten  Versandung,  nicht  in  zwei 
gesonderten  Kollegien  (die  vürsten  a/te,  pfa/fen  ttmi  leien)  vorgenonunen. 
2.)  Die  Wahl  ist  auf  dem  Prinzip  der  Einstimmigkeit  aufgebaut : erst 
wenn  eine  faktische  Einigung  erzielt  ist  (steten  die  vürsten  alle  ztt  kunge  er- 
Wien),  wird  zur  Kur  geschritten.  3.)  Hei  der  Kur  fällt  eine  besondere 
Aufgabe  den  Kurfürsten  zu:  sie  kiesen  aller  erst  bie  namen-,  nach  ihnen 
kiesen  des  riehes  vürsten  alU.  Nur  die  Kurfürsten,  welche  zuerst  kiesen, 
müssen  namentlich  kiesen:  ihre  Aufgabe  ist  es,  die  formelle  Kurfonnel 
zu  sprechen,  der  sich  dann  die.  anderen  Fürsten  als  Umstand  mit  ihrem 
Vollwort  anschließen.  — Die  Aufgabe,  als  Wahlzeugen  gegenüber  dem  Papste 
zu  fungieren,  welche  der  Auctnr  vetus  de  beneliciis  und  das  Eehenrccht 
des  Sachsenspiegels  den  Kurfürsten  zuweisen,  mag  als  ein  Zeichen  dafür 
von  Bedeutung  sein,  daß  der  mittelalterlichen  Auffassung  die  Behandlung 
der  Kflnigswahl  als  eines  Wahlurteils  nicht  fremd  war.  Bei  der  wirk- 
lichen Enstchuug  des  Kurfürstenkollegiums  spielte  diese  Funktion  keine 
Holle,  da  ihre  tatsächtliche  Übung  durch  die  Kurfürsten  (wie  Meister, 
Deutsche  Verfassungsgeschichte  von  den  Anfängen  bis  ins  15.  Jahrhundert 
[Meisters  Grundriss  der  Geschichtswissenschaft  TI  3]  S.  120,  richtig  bemerkt) 
nicht  nachweisbar  ist.  Vgl.  auch  oben  S.  156  Anm.  2. 


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163 


Was  zunächst  die  erste  Frage  anlangt,  so  lassen  9ich  für  eine 
Reihe  von  späteren  Kurfürsten  bis  in  die  älteste  Zeit  besondere 
Vorrechte  bei  der  Wahl  nachweisen.  Bezüglich  der  Erzbischöfe 
von  Mainz  und  Köln,  glaube  ich,  dies  bereits  an  andern  Orte 
getan  zu  habend-  Fassen  wir  den  Usus,  soweit  sich  ein  solcher 
bereits  um  die  Mitte  des  11.  Jahrhunderts  herausgebildet  hatte, 
zusammen:  „Der  Mainzer  Erzbischof  genoß  gewisse,  allerdings 
noch  nicht  fest  umschriebene  Vorrechte;  er  sprach,  soferne  nicht 
der  Vater  des  zu  wählenden  Königs  noch  lebte,  allein  oder 
wenigstens  an  erster  Stelle  den  Kurspruch;  in  dem  Recht,  den 
König  zu  krönen,  wurde  er  eben  damals  durch  den  Erzbischof 
von  Köln  verdrängt“.  Daß  die  Reichsverweserschaft  dem  Mainzer 
zustand,  berichtet  uns  bereits  Lambert  von  Hersfeld2);  daraus  er- 
klärt sich  wohl  auch  das  wiederholt  von  ihm  in  Anspruch  genommene 
Recht  der  Wahlausschreibung.  Vom  Erzbischof  von  Trier,  welcher 
in  früherer  Zeit  bei  der  Inthronisation  hervorgetreten  war,  hören 
wir  1138,  daß  er  bei  der  Wahl  das  entscheidende  Wort  sprach 
und  ein  Mitwirkungsrecht  bei  der  Krönung  durchsetzte 3).  Es 
entsprach  eine  derartige  hervorragende  Bedeutung  wohl  auch 
der  allgemeinen  politischen  Stellung  der  drei  mächtigen  Erz- 
bischöfe, von  denen  zwei  damals  schon  Erzkanzler  des  Reiches 
waren.  Bezüglich  der  weltlichen  Kurfürsten  wissen  wir  wenigstens, 
was  den  Pfalzgrafen  anlangt,  daß  1077  der  Franken-Herzog,  an 
dessen  Stelle  ja  später  der  Pfalzgraf  trat,  als  erster  der  weltlichen 
Elektoren  die  Wahlformel  gesprochen  hat4);  auch  batte  der  Pfalz- 

*)  Mitt.  d.  Inst.  f.  Oaterr.  Geschf.  XXVII  322  ff.,  woher  auch  das  fol- 
gende Zitat  genommen  ist. 

*)  I.aniperti  Hersf.  Annales  ad  a.  1054  (SS.  rer.  Germ.,  Lamperti  Mo- 
nachi  Hersf.  opera,  pag.  6G). 

3)  Die  Teilnahme  an  der  Krönung  iat  um  so  bedeutsamer,  da  sich  der 
energische  Albere  in  diese  Funktion  mit  dem  päpstlichen  Legaten  teilte.  Ob  der 
formelle  Wahlvorschlag  von  Albero  oder  vom  Legaten  ausgegangen  war,  bleibt 
zweifelhaft:  Ottonis  episc.  Fris.  Obrem.  1.  VII  cap.  22  (MG.  SS.  XX  2G0)  und 
Annalca  Magdeb.  ad  a.  1138  (MG.  SS.  XVI  186)  apreeben  für  letzteren,  Geata 
Alberonia  archiep.  (auctore  Balderico)  cap.  15  (MG.  SS.  VIII  252)  und  Anualea 
Col.  Max.  I.  ad  a 1138  (MG.  SS.  XVII  758)  für  erateren.  Vgl.  im  allge- 
meinen Bernhardi,  Jahrbücher  der  Deutschen  Geachichte  unter  Konrad  III. 
(1883)  SS.  9 bis  20,  38  bia  45  und  49  bia  53. 

4)  Vgl.  oben  S.  1G1  Anm.  1.  Auf  daa  hier  berührte  Moment  hat  hereita  hin- 
gewiesen Phillips,  Vermischte  Schriften,  III.  Band  Wien  1860,  SS.  232  f. 

11* 


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lß^ 

graf  als  Stellvertreter  des  Königs  im  Hofgericht  eine  hervorragende 
politische  Position. 

Trotz  alledem  konnte  im  Jahre  1198  auch  nur  von  einem 
Rechte  dieser  Fürsten  auf  die  Funktion  von  electores  nicht  die 
Rede  sein;  die  Übung  dieses  Amtes  richtete  sich  offenbar  bis 
dahin  nach  den  aus  der  augenblicklichen  politischen  Lage  ent- 
springenden Machtverhältnissen.  Daß  man  nach  einem  Recht  in 
dieser  Hinsicht  überhaupt  fragte,  wurde  eben  durch  die  Doppel- 
wahl des  Jahres  1198’)  veranlaßt.  Diese  Wahl  wurde  unter  ganz 
exzeptionellen  Umständen  vorgenommen.  Die  politischen  Verhält- 
nisse waren  äußerst  kompliziert:  der  bereits  gekrönte,  im  zartesten 
Kindesalter  stehende  Friedrich  II.  hätte  in  sturmbewegter  Zeit 
die  Regierung  antreten  sollen;  gegen  ihn  hatte  die  Opposition  der 
welfisch-kurialistischen  Partei  leichten  Stand,  was  die  Staufen  ver- 
anlaßte,  die  Kandidatur  Philipps  aufzustcllen  und  damit  selbst 
den  Rechtsboden  zu  verlassen.  In  diesem  Moment  waren  die 
beiden  angesehenen  Fürsten,  deren  hervorragende  Rolle  bei  der 
Wahl  wir  soeben  besprochen  haben,  der  Erzbischof  Konrad  von 
Mainz  und  der  Pfalzgraf  Heinrich,  von  Deutschland  abwesend. 
Es  kann  nach  allem  bisher  Ausgeführten  nicht  wundernehmen, 
daß  der  Kölner  Erzbischof  Adolf  im  Verein  mit  seinem  Trierer 
Kollegen  die  Vorbereitung  der  Wahl  als  seine  Sache  ansah;  er 
war  aber  der  haßerfüllte  Gegner  der  Staufen.  Bereits  zu  Beginn 
des  Jahres  1198  traten  die  beiden  rheinischen  Erzbischöfe  mit 
einer  ziemlich  großen  Anzahl  geistlicher  Fürsten  in  Andernach 
zur  Vorberatung  der  Wahl  zusammen;  von  bedeutenderen  welt- 
lichen Fürsten  war  allein  Bernhard  von  Sachsen  zugegen.  Es 
kann  auf  dem  Tage  von  Andernach  kaum  unbekannt  geblieben 
sein,  daß  die  staufische  Partei,  in  deren  Lager  die  überwiegende 
Zahl  der  Fürsten  stand,  ebenfalls  zu  einem  entscheidenden  Schritt 

und  292  f.  (in  dein  auch  sonst  heute  noch  sehr  beachtenswerten,  aber  wenig 
gewürdigten  Aufsatz  Die  deutsche  Kfmigswahl  bis  zur  goldenen  Bulle.) 

')  Vgl.  bezüglich  der  Doppel  wähl  von  1198  oben  SS.  43IT.,  in  Anm.  1 
zu  S.  43  ist  diu  einschlägige  Literatur  verzeichnet  (wo  auch  die  Quellen- 
nachweise zu  finden  sind).  Ich  verweise  hier  noch  auf  Krammers  wieder- 
holt bezogene  Schrift  Wahl  und  Einsetzung  (vgl.  oben  S.  147)  SS.  43  bis  53 
und  97  bis  99,  mit  der  ich  in  der  hohen  Bewertung  der  Dnppelwahl  für 
die  Entstehung  des  Kurfürstenkollegs  übereinstimuie  und  der  ich  mich  hier 
in  vielen  Einzelheiten  anschließe. 


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165 


rüstete.  Unter  diesen  Umständen  gewinnt  die  Annahme  an  Wahr- 
scheinlichkeit, daß  die  rheinischen  Erzbischöfe  ihre  Teilnahme  an 
der  Wahl  schon  damals  als  ein  essentielles  Erfordernis  anfstellten; 
sie  mochten  es  auch  als  genügend  ansehen,  nachdem  die  beiden 
einzigen  anderen  Fürsten,  welchen  nach  ständigem  Herkommen  ein 
Vorrang  bei  der  Wahl  zustand,  von  Deutschland  abwesend  waren. 
Doch  scheint  es  allerdings  wahrscheinlich,  daß  man  darüber  ver- 
handelte, ob  nicht  dem  Herzog  von  Sachsen,  an  dessen  mächtiger 
Unterstützung  viel  gelegen  war,  ein  gleicher  Vorrang  einzuräumen 
sei l). 

Früher,  als  die  welfische  (rheinische),  machte  die  staufische 
Partei  („die  Fürsten  des  Ostens“)  den  entscheidenden  Schritt. 
Die  Gründe  für  das  Zögern  der  ersteren  lassen  sich  nur  erraten: 
Kandidaten-Sorgen  scheinen  die  Hauptrolle  gespielt  zu  haben; 
nicht  unwahrscheinlich  scheint  es,  daß  sie  auch  ihrer  Sache  nicht 
sicher  war,  so  lange  die  Stellung  des  Mainzers  und  des  Pfalz- 
grafen ungewiß  blieb.  Sei  dem  wie  immer,  jedenfalls  wurde  auf 
einer  gut  besuchten  Fürstenversammlung  der  staufischen  Partei 
zu  Mühlhausen,  an  welcher  von  mächtigen  Fürsten  der  oben  er- 
wähnte Herzog  von  Sachsen  und  der  Herzog  Ludwig  von  Bayern, 
als  Abgesandter  der  wölfischen  Partei  der  Bischof  von  Münster 
teilnabm,  Philipp  von  Hohenstaufen  zum  König  gewählt.  Leider 
sind  wir  über  den  formellen  Vorgang  bei  der  Wahl  schlecht 
unterrichtet*).  Sicher  wissen  wir  nur,  daß  der  Erzbischof  von 
Magdeburg  der  erste  an  der  Kur  war;  ihn  ließ  man  offenbar  als 
den  angesehensten  Kirchenfürsten  des  Ostens  in  die  Stelle  des 
abwesenden  Mainzers  einrücken.  Darüber  jedoch,  ob  alle  an- 
wesenden Fürsten  die  Kurformel  aussprachen  oder  nur  einige 
oder  nur  der  Magdeburger  Erzbischof,  dafür  bieten  weder  das 
Wahldekret  noch  die  anderen  Quellenstellen  einen  irgendwie 
sicheren  Anhaltspunkt;  es  kann  also  diese  Wahl  nur  mit  großer 

')  Vgl.  Krauimcr,  a.  a.  0.,  SS.  97  und  98. 

*)  Die  wichtigsten  Quellen  unserer  Kenntnis  sind  abgesehen  vom  Wahl- 
dekret (vgl.  oben  S.  44  Amn.  3)  Chron.  Montis  Sereni  ad  a.  1198  (MG. 
SS.  XX11I  167),  die  Magdeburger  Chronik  (Deutsche  StSdtechroniken  VII, 
123),  Gesta  episc.  Haiberst.  (MG.  SS.  XXIII  113)  und  Gest.  Trever.  Cont.  IV. 
(ibidem  XXIV  390).  Daß  Erzbischof  Ludolf  von  Magdeburg  der  erste  an  der 
Kur  war,  sagt  ausdrücklich  die  Magdeburger  Chronik,  auch  Chron.  Montis 
Sereni  spricht  für  sein  bedeutsames  Uervortreten. 


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166 


Vorsicht  verwertet  werden.  Nicht  unwahrscheinlich  dünkt  es  mich, 
dali  es  in  Ermangelung  der  sozusagen  sachverständigen  Wahlleiter 
recht  formlos  herging,  weshalb  diese  Wahl  auf  die  Weiterent- 
wicklung des  Rechtes  keinen  unmittelbaren  Einfluß  nahm. 

Umso  bedeutsamer  wurde  das  Verhalten  der  rheinischen 
Partei.  Es  ist  uns  mit  Sicherheit  überliefert,  daß  der  Kölner 
Erzbischof  sofort  beim  Erhalt  der  Nachricht  nicht  nur  den  Wahl- 
ort, was  uns  hier  nicht  interessiert '),  sondern  auch  das  Recht  der 
Wähler  bemängelte.  Mag  die  weitere  Mitteilung,  daß  er  speziell 
die  Abwesenheit  des  Mainzers  und  des  Pfalzgrafen  hervorhob, 
immerhin  zweifelhaft  sein,  so  ist  sie  doch  nicht  von  vornherein 
unwahrscheinlich;  er  wollte  damit  eben  sagen,  daß  ihre  Abwesen- 
heit nur  durch  seine  Anwesenheit  saniert  werden  könne.  Jeden- 
falls kann  der  Erzbischof  von  Köln  seine  Worte,  wenn  er  sie 
wirklich  gesprochen  hat,  nur  in  diesem  Sinne  gemeint  haben; 
denn  noch  im  selben  Jahre  1198  schritt  er  zur  Wahl  Ottos  IV., 
ohne  die  Rückkehr  des  Mainzers  und  des  Pfalzgrafen  (des  Bruders 
Ottos  IV.)  abzuwarten2).  Bei  dieser  Wahl  fehlte  der  Erzbischof 
von  Trier,  doch  behauptete  der  Kölner,  sich  seiner  Zustimmung 
versichert  zu  haben  und  auch  von  anderen  Fürsten,  was  offenbar 
nichts  Ungewöhnliches  war,  zur  Abstimmung  ermächtigt  worden 
zu  sein2).  Oie  Unterzeichnung  des  Wahldekrets  sondert  scharf 
jene  Wähler,  welche  elegerun/,  von  dem  Grafen  von  Kuke,  welcher 
coTuiemit,  was  mit  den  bereits  früher  gewonnenen  Anschauungen  über 
den  Vorgang  bei  den  Königswahlen  übereinstimmt4).  Wichtiger 

‘)  Vgl.  unten  SS.  180  f. 

*)  AU  Quellen  kommen  außer  dem  Wahldekret  (vgl.  oben  S.  44  Amn.  2 
und  unten  Anm.  4}  hauptsächlich  in  Betracht  Chron.  Montis  Sereni  ad  a.  1 198, 
tiesta  cpisc.  Haiberst,  und  Gest.  Trcver.  Cont.  IV.,  welche  bereits  in  Anm.  2 zu 
S.  165  zitiert  wurden,  ferner  Anna).  Col.  Mai.  ad  a.  1198  (MG.  SS.  XVII  806). 

3)  Schon  in  Mitt.  d.  Inst.  f.  öster.  Geschf.  XXVIII  691  habe  ich,  auf- 
merksam gemacht  durch  meinen  verehrten  Lehrer  Herrn  Professor  Rictscliel, 
die  Stimmonnbertragung  als  Faktor  bei  der  Entstehung  des  Kurfnrsten- 
kollegiums  angeführt.  Außer  bei  der  Wahl  Ottos  IV.  1198  (Gest.  Trevcr. 
Oont.  IV.  — vgl.  die  vorige  Anm.)  ist  Stimmennbertragung  auf  das  be- 
stimmteste bezeugt  bei  der  Doppelwahl  von  1257,  vgl.  oben  8.  154, 
unten  SS.  176  f.  und  184  f.  (daselbst  Belege  und  Literatur). 

4)  Über  die  Unterschriften  der  Wähler  und  deren  Kcihcnfolge  handelt 
ausführlich  Harnack,  Das  Kurfürstenkollegium  bis  zur  Mitte  des  14.  Jahr- 
hunderts, Gießen  1883,  SS.  19  Q'.  Aus  dem  Text  ergibt  sich,  daß  ich  mit 
ihm  nicht  ganz  nbereinstimme. 


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167 


aber  wurde  es,  daß  die  Partei  Ottos  nach  der  Wahl  sich  zu 
wiederholtenmalen  auf  die  bessere  Qualität  ihrer  Wähler  berief, 
inl  i/ung  de  iure  spednt  electin , i/uorum  inlerest  regem  eligere , </ui 
de  iure  eligere  deben) ').  Er  wurde  im  ersten  Kapitel’)  eingehend 
dargelegt,  wie  sich  die  Kurie  dieser  Anschauung  bemächtigte: 
schon  in  der  Deliberatio 3)  spricht  Innozenz  III.  von  „principaliter“, 
in  der  Bulle  „Venerabilem“3)  bereits  von  ausschließlich  berechtigten 
Wahlfürsten.  Dabei  war  es  otfenbar  niemandem  ganz  klar,  wer 
diese  bevorrechteten  Fürsten  seien;  die  Dinge  waren  eben  im  Fluß. 
Sicher  ist  nur  soviel,  daß  die  drei  Erzbischöfe  und  der  Pfalzgraf 
dazu  gehörten;  wenn  man  nur  ihnen  ein  Vorrecht  zuerkennt,  so 
ist  die  Ausdrucksweise  des  Papstes,  daß  „tot  vel  plures“  von  ihnen 
Ottos  Wahl  zugestimmt  haben6),  durchaus  erklärlich,  da  zur  Zeit 
dieser  Äußerung  Köln  und  Pfalz  auf  Ottos,  Trier  auf  Philipps 
Seite  stand,  Mainz  eine  schwankende  Haltung  einnahm.  Obrigens 
mahnte  den  Papst  wohl  der  Umstand  zu  vorsichtigem  Ausdruck, 
daß  gewiß  noch  andere  mächtige  Fürsten,  die  nicht  vor  den  Kopf 
gestoßen  werden  durften,  ein  gleiches  Vorrecht,  wenn  es  einmal 
znr  Diskussion  gestellt  war,  beanspruchten.  Es  wurde  schon 
oben  (S.  165)  in  diesem  Sinn  auf  Sachsen  verwiesen,  und  es  ist 
mehr  als  wahrscheinlich,  daß  durch  Bernhard  von  Sachsen, 
der  in  Andernach  mit  der  Theorie  der  rheinischen  Erzbischöfe 
vertraut  geworden  war,  gelegentlich  der  Wahl  in  Mühlhausen 
auch  Ludwig  von  Bayern  davon  erfahren  hatte.  Erwägt  man, 
daß  das  Sonderbewußtsein  der  Stämme  keineswegs  erloschen 
war"),  so  wird  man  begreifen,  daß  besonders  der  Sachse 
nachdrücklich  auf  seinem  Rehte  bestand.  Wollte  man  wenigstens 
dieses  Recht,  über  welches  schon  in  Andernach  verhandelt  worden 
sein  dürfte,  zugestehen,  so  lag  die  Sache  für  die  rheinische  Partei 

*)  Cf.  ßaluzc,  1.  c.  (cf.  oben  S.  44  Anm.  7)  No.  3,  5,  7,  9.  Vgl.  auch 
I.indner,  Die  Deutschen  Königswahlen  und  die  Entstehung  des  Kur- 
fürstentums, Leipzig  1893,  SS.  98  f. 

*)  Vgl.  oben  SS.  68  f. 

3)  Vgl.  oben  S.  69  und  S.  45  Anm.  1. 

‘)  Vgl.  oben  SS.  47,  48,  57,  69. 

s)  Vgl.  oben  S.  69. 

6)  Einseitig  wird  die  Bedeutung  dieses  Momentes  (der  Stämme}  betont 
von  l’billips,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  163  Anui.  4)  und  (allerdings  abgeschwäehtj 
von  Weiland,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  156  Anm.  2). 


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168 


minder  günstig,  und  sie  mag  dann  wohl  auf  den  Herzog  von 
Lothringen-Brabant,  den  Vater  der  Braut  Ottos  IV.,  einiges  Gewicht 
gelegt  haben.  Der  Papst  konnte  in  diesem  Fall  auf  Seite  Ottos 
Köln  und  Pfalz,  immerhin  auch  Mainz  und  eventuell  Lothringen, 
auf  Seite  Philipps  Trier  und  Sachsen,  allenfalls  noch  Bayern 
zählen,  womit  seine  Ausdrucksweise  ebenfalls  völlig  übereinstimmt1). 
Wie  immer  dem  aber  sei,  auf  keinen  Fall  wurden  alle,  welche 
laut  Wahldekrets  „elegerunt“,  zu  diesem  besonders,  „principaliter“ 
berechtigten  Kreise  gezählt 

Vergegenwärtigen  wir  uns  nunmehr,  bevor  wir  weiterschreiten, 
knrz,  was  zur  Behauptung  eines  bevorrechteten  Wählerkreises 
geführt  hat,  so  erinnern  wir  uns  zunächst  des  durch  alten  Brauch 
gegebenen  Vorranges  von  vier  Fürsten,  von  denen  wenigstens 
zwei,  Mainz  und  in  gewissem  Sinn  auch  Pfalz,  eine  hervorragende 
Rolle  als  electores  spielten.  Die  exzeptionellen  Verhältnisse  bei 
der  Doppel  wähl  von  1198  führten  einerseits  dahin,  daß  dieses 
Recht  juristisch  konstruiert  wurde,  ohne  daß  man  aber  zu  völliger 
Klarheit  dnrehdrang  *),  anderseits  dahin,  daß,  eben  infolge  der 
erhöhten  Bedeutung  des  Vorranges,  auch  andere  Fürsten  mächtiger 
Stämme  ihn  beanspruchten.  Dadurch  wurde  die  rheinische  Partei, 
die  zunächst  nur  behauptet  hatte,  daß  keine  Wahl  ohne  An- 
wesenheit wenigstens  einiger  bevorrechteter  Wähler  gütig  sei, 
dazu  gedrängt,  für  eine  gütige  Wahl  die  Zustimmung  der  Majorität 
dieser  „principaliter“  berechtigten  Wähler  zu  fordern.  Nach  diesen 
halben  Schritten  war  es  ganz  natürlich,  wenn  der  Papst  schließlich 
den  Unklarheiten  ein  Ende  zu  machen  suchte  und  einfach  einen 
engeren  Kreis  von  Wahlfürsten  annahm.  Dabei  muß  man  sich 
gegenwärtig  halten,  daß  tatsächlich  damals  die  Tendenz  zur  Ein- 
schränkung des  Wählerkreises  vorhanden  war,  indem  eben  das 
ganze  Reichsregiment  von  dem  älteren  auf  den  jüngeren  Reichs- 
fürstenstand übergegangen  war  und  bereits  an  den  Wahlen  von 
1 198  nur  wenige  dem  letzteren  nicht  angehörige  Wähler  teil- 
genommen batten*).  Auch  die  eben  damals  sich  vollziehende 

')  Vgl.  bereits  die  Darlegungen  Harnacks,  a.  a.  0.  (rgl.  oben  S.  132), 
S.  26  ff. 

*)  Vgl.  oben  8S.  68  ff. 

*)  Laut  der  Wabldekrete  (vgl.  oben  S.  163  Anm.  2 und  S.  166  Anm.  2) 
an  der  Wahl  Philipps  warthia  Moravit,  marthio  dt  Kumtiptrc  alttqut  totius 


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lfift 

parallele  Entwicklung  in  den  Domkapiteln,  deren  Wahl-  und  Kon- 
sensrecht ein  ausschließliches  wurde,  mag  fördernd  gewirkt  haben '). 

Es  ist  dem  Papste  nicht  gelungen,  das  ausschließliche  Wahl- 
recht eines  engeren  Fürstenkreises  sofort  durchzusetzen,  so  wenig, 
daß  die  kanonistische  Theorie  selbst,  wie  wir  im  ersten  Kapitel3) 
gesehen  haben,  den  Standpunkt  nicht  festhalten  konnte.  Immer- 
hin ist  das  Vorgehen  des  Papstes  keineswegs  ohne  Einfluß 
geblieben,  es  hat  die  Herausbildung  eines  enteren  Fürsten- 
kreises  zweifellos  befördert  Die  Stellung  des  Erzbischofs  von 
Köln  als  eines  „principaliter“  Berechtigten  wurde  scharf  zur  Geltung 
gebracht,  als  er  1205  anf  Philipps  Seite  trat;  dieser  mußte  sich 
vor  der  Krönung  einer  Neuwahl  unter  der  Leitung  des  Kölners 
unterziehen,  dessen  Zustimmung  somit  leicht  als  essentielles  Er- 
fordernis erscheinen  konnte’)  (auch  Lothringen  tritt  bei  dieser  Wahl 
noch  einmal  hervor).  Ebeuso  verlangte  und  erreichte  1208,  als 
Otto  IV.  nach  Philipps  Tod  allgemein  anerkannt  wurde,  Bernhard 
von  Sachsen  eine  Neuwahl,  bei  der  er  die  führende  Rolle  gespielt 
haben  muß4)  (der  erste  an  der  Kur  war  allerdings  wieder  der 
Erzbischof  von  Magdeburg,  außerdem  treten  der  Markgraf  von  Meißen 
und  der  Landgraf  von  Thüringen  hervor).  Doch  haben  in  beiden 
Fällen  auch  nicht  bevorrechtete  Wähler,  vielleicht  sogar  solche, 
die  nicht  zum  jüngeren  Reichsfürstenstand  gehörten,  an  der  Wahl 
teilgenommen.  Ob  einzelne  darunter  als  electores  (im  technischen 
Sinn)  fungierten,  können  wir  auf  Grund  der  erhaltenen  Nachrichten 
nicht  mit  Bestimmtheit  entscheiden.  Ober  die  Wahl  Friedrichs  II. 
(1212) ’)  wissen  wir  leider  fast  gar  nichts.  Bei  der  Designation 

AUnmtmit  nobiUs  (wenigstens  durch  nachträgliche  Anerkennung  auf  dem 
Kuichstag  von  Nürnberg),  an  der  Wahl  Ottos  IV.  ffem-icus  comts  de  A'uke. 

')  Diesen  Prozeß  in  dun  Domkapiteln  behandelt  ausführlich  v.  Bo  low, 
Die  Entstehung  des  ausschließlichen  Wahlrechts  der  Domkapitel,  Leipzig  1883, 
Rist.  Studien  1 1.  Heft. 

3)  Vgl.  oben  SS.  69  IT. 

J)  Vgl.  bezüglich  der  Quellen  Rodenberg,  Über  wiederholte  deutsche 
Königswahlcn  im  12.  und  13.  Jahrhundert  (Gierkes  Untersuchungen,  28), 
SS.  6 ff. 

4)  Diese  Wahl  behandelt  ziemlich  ansführlich  Lindner,  a.  a.  0.  (vgl. 
oben  S.  167  Anm.  1)  SS.  110  ff.,  auf  welche  Darstellung,  ohne  sie  mir  zu 
eigen  zu  machen,  ich  bezüglich  der  Belege  verweise. 

5)  Vgl.  Lindner,  &.  a.  O.  SS.  113  f.  Ich  stimme  Lindner  bei  in 
der  Auslegung  des  Briefes  Friedrichs  11.,  aus  welchem  Quidde,  a.  a.  0. 


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170 


Heinrichs  (1220)  fungierte,  wie  wir  oben  (S  149)  bereits  gesehen 
haben,  nur  ein  elector  (im  technischen  Sinne),  und  zwar  gewisser- 
maßen als  Stellvertreter  des  kaiserlichen  Vaters,  was  bei  einer  De- 
signation dem  alten  Brauch  entsprach;  daß  nicht  nur  Mitglieder  des 
jüngeren  Reichsfürstenstandes  beteiligt  waren,  scheint  (nach  einer 
sofort  zu  nennenden  Quelle)  wahrscheinlich,  jedenfalls  wählten 
nicht  ausschließlich  die  1198  in  den  Vordergrund  gerückten 
Fürsten.  Wenn  diese  Designation  ganz  in  den  Formen  des  alten 
Herkommens  vorgenommen  wurde,  so  kommt  doch  der  1198  durch- 
gedrungene Standpunkt  „principaliter“  berechtigter  Wähler  darin 
zum  Ausdruck,  daß  sich  der  Hofkanzler  in  einem  Schreiben  nach 
Rom  auf  die  eota  tarn  electarum , quam  etiam  omnium  prineijmm 
et  nnbilum  beruft1). 

In  diese  gärende  Zeit  nun  fällt  die  Abfassung  des  Sachsen- 
spiegels2). Seine  Theorie  stellt  aus  den  sich  kreuzenden  Ansichten 
und  Interessen  sozusagen  die  mittlere  Linie  dar*);  sie  ist  eine 

(vgl.  oben  S.  156  Anm.  2)  S.  45,  und  l'annert,  a.  a.  0.  (vgl.  oben 
8.  156  Anm.  2)  S.  31,  darauf  geschlossen  hatten,  daß  1212  der  Böbmenkönig 
ein  Vors  tim  in  recht  ausgeübt  habe.  Nur  soviel  läßt  sich  also  aus  dem  Briefe 
schließen,  daß  der  Bühuicnkünig  1212  Wähler  war;  die  tatsächliche  Aus- 
übung eines  bevorzugten  Wahlrechtes  durch  Böhmen  ist  vor  1237  (vgl.  unten 
88.  173  f.)  nicht  nachweisbar. 

')  Per  Brief  ist  gedruckt  in  MG..  Ep.  saec.  XIII,  I No.  127.  Ausführlich 
handelt  darüber  Lindner,  a.  a.  O.  (vgl.  oben  8.  167  Anm.  1)  S8.  115  ff.  Ich 
kann  I.indncrs  Ausführungen,  so  scharfsinnig  sie  sind,  nicht  beiptlichten.  Mir 
scheint  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  inan  die  Giltigkeit  der  Wahl  sowohl  nach 
altem  als  nach  neuem  (von  Innozenz  III.  behauptetem)  liecht  betonen  wollte: 
das  letztere  forderte  aber  speziell  die  Zustimmung  bestimmter  Wahlfürsten 
als  essentiale  negotii.  Leider  können  wir  nicht  feststellen,  welche  von  den 
nach  der  Poppelwahl  von  1138  hervorgetretenen  Wählern  tatsächlich  mit- 
wähltcn ; als  electores  im  technischen  Sinn  fungierten  sie,  wie  gesagt,  nicht. 
Die  Wahl  von  1220  ist  ein  typisches  Beispiel  dafür,  wie  in  Übergangszeiten 
von  altem  zu  neuem  liecht  wichtige  Rechtsakte,  um  sio  gegen  jede  An- 
fechtung zu  schützen,  unter  beide  Rechte  subsumiert  werden. 

*)  Über  Ausgaben  des  Sachsenspiegels  und  einschlägige  Literatur  vgl. 
Schröder,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  8.  7 Anm.  1)  § 53,  SS.  680  ff.  (bes.  die  ein- 
leitende Literatur-Übersicht  und  Anm.  4 ff.  auf  8.  680).  Ich  füge  noch  bei  Gut- 
jahr: Zur  Schriftsprache  Eykes  von  Rcpgowe,  Progr.  Leipzig- Lindenau  1905. 

*)  Die  größte  Bedeutung  legt  dem  Sachsenspiegel  für  die  Entstehung 
des  Kurfürstenkollegiums  bei  Maurcnbrecbcr,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  11 
Anm.  1)  88.  227  ff.  Wie  unsere  Darstellung  gezeigt  haben  dürfte,  bat  sich 


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171 


Kombination  der  verschiedenen  Theorien,  die  in  dieser  Zeit  des  Auf- 
schwungs der  juristischen  Literatur  begreiflicher  Weise  wie  Pilze  in 
die  Höhe  geschossen  waren1).  Er  erkennt  ein  Wahlrecht  nur  mehr 
den  Reichsfürsten  im  engeren  Sinne  zu,  deren  Stellung  unterdessen 
ja  tatsächlich  durch  die  Friderizianischen  Privilegien  (1220,  1232) 
eine  gefestigte  und  abgeschlossene  geworden  war1).  Unter  ihnen 
räumt  er  nun  einzelnen  Fürsten  ein  besonderes  Wahlrecht  ein, 
welches  er  aber  im  Anschlnß  an  alten  deutschen  Brauch  konstruiert; 

seine  Theorie  viel  mehr,  als  Maurenbrechcr  meint,  an  die  gegebenen  Ver- 
hältnisse angeschlosscn.  Näber  kommt  unserer  [ Darstellung  Krainmer, 
Wahl  und  Einsetzung  (vgl.  oben  S.  147)  SS.  54  und  99:  nur  legt  or  auf  die 
Erzürnter  viel  zu  viel  Gewicht  (vgl.  unten  S.  172  bea.  Anm.  1)  und  betont 
zu  wenig  die  Funktion  der  Kurfürsten  als  electores.  — Von  Schriftstellern, 
welche  sich  mit  dem  Verhältnis  des  Sachenspiegcls  zur  Königswahl  früher 
befaßten,  seien  genannt:  llomeyer,  l»as  Verhältnis  des  Schwabenspiegels 
zum  Sachsenspiegel,  SS.  35  ff.:  Ficker,  liber  die  Kntstchungszeit  des 
Sachsenspiegels,  Innsbruck  1859,  SS.  99  ff.:  Schuster,  Beiträge  zur  Aus- 
legung des  Sachsenspiegels,  Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Gcschf.  III  392  ff. 
Weitere  Literaturangaben  bringt  Maurenbrecher,  a.  a.  O.  S.  228  Anm.  1. 

*)  Über  die  Wahltheorien  handelt  ausführlich  Lindnor,  a.  a.  O.  (vgl. 
oben  S.  1 67  Anm.  1)  SS.  183  ff.  Erhalten  sind  uns  allerdings  nur  zwei,  die  älter 
sind  als  der  Sachsenspiegel : der  Engländer  Hoger  von  Hovedcn,  welcher  um 
1198  den  Erzbischöfen  von  Köln  und  Mainz,  dem  Herzog  von  Sachsen  und 
dem  Pfalzgrafen  ein  sehr  bevorzugtes  Wahlrecht  zuschreibt;  ferner  das 
Baseler  Fürstenverzeichnis  aus  dein  Beginne  des  13.  Jahrhunderts,  welches 
den  Pfaizgrafen  als  summus  in  thetiont  imperatoris  bezeichnet.  Daß  dies 
aber  nicht  dio  einzigen  tatsächlich  im  Umlauf  befindlichen  Theorien  waren, 
zeigt  wohl  schon  die  bunte,  widerspruchsvolle  Fülle  aus  der  späteren  Zeit. 
Unter  diesen  spätoren  Theorien  seien  nur  einige  erwähnt:  Aegidius  von  Orval 
(vor  1251),  welcher  die  Einsetzung  der  Kurfürsten  auf  Karl  den  Großen  und 
Papst  Leo  III.  zurückführt,  nennt  als  erster  die  späteren  Kurfürsten  ohne 
jeden  Zusatz  oder  Vorbehalt  (Treverensis,  Moguntinus , Colcnunsis  arrhitpucopus, 
tnarchio  Brandenburgtnsit , dux  Saxonit , comti  Palatums  Reni,  dux  Boemit) 
als  ausschließliche  Wähler:  der  Kardinal  Heinrich  von  8egusia  gibt  dem 
Böhmenkönig  nur  für  den  Fall  der  Stimmengleichheit  das  Entscheidungs- 
recht (vgl.  oben  S.  111);  dreimal  begegnen  wir  auch  dem  dux  Austriae  in 
Wählerlisten,  und  zwar  zweimal  bei  dem  Engländer  Mathacus  von  Paris 
(um  1257)  und  dann  bei  dem  noch  späteren,  ebenfalls  englischen  Schrift- 
steller Thomas  Wikes,  in  dessen  Aufzählung  der  Böhmenkönig  und  der 
Pfalzgraf  fehlen  und  außer  dem  Herzog  von  Österreich  auch  der  von  Bayern 
genannt  ist.  Bezüglich  aller  näheren  Belege  verweise  ich  auf  Lindner;  die 
Theorie  der  jüngeren  Recbtsbficher  siehe  unten  S.  182  Anm.  2. 

*)  Vgl.  Schröder,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  7 Anm.  1)  S.  590. 


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172 


sie  sollen  den  König  „aller  erst  bie  namen“  kiesen,  d.  h.  die 
feierliche  Kurformel  sprechen,  wahrend  die  anderen  bei  der  Kur 
auf  das  Vollwort,  die  laudatio,  den  Konsens  beschränkt  sind. 
Unter  den  bevorrechteten  Fürsten  finden  wir  zunächst  jene  vier, 
deren  Vorrecht  schon  1198  am  sichersten  fundiert  war:  die  drei 
rheinischen  Erzbischöfe  und  den  Pfalzgrafen.  Was  die  übrigen 
anlangt,  begegnen  wir  nur  dem  Herzog  von  Sachsen  wieder.  Das 
Fehlen  des  Herzogs  von  Lothringen,  dessen  Anspruch,  sofern  er 
überhaupt  geltend  gemacht  worden  war,  in  den  politischen  Ver- 
hältnissen am  wenigsten  begründet  war,  kann  nicht  auffallen.  Die 
einzige  Neuerung  im  eigentlichen  Sinn  ist  das  Erscheinen  des 
Markgrafen  von  Brandenburg,  während  das  scheinbar  viel  näher 
liegende  Bayern  fehlt  Die  Erklärung  ist  wohl  in  erster  Linie  in 
der  Person  des  Verfassers  zu  suchen:  Eike  lag  eben,  welcher  An- 
sicht bezüglich  seiner  Lebensstellung  man  sich  auch  anschließen 
mag,  der  Brandenburger,  dessen  Ansehen  überdies  vor  kurzem 
durch  Übertragung  eines  Erzamts  bedeutend  gestiegen  war1), 
gewiß  näher  als  der  Bayernherzog.  Außerdem  scheint  eine 
der  herrschenden  Theorien  das  Kuramt  mit  dem  Erzamt  ver- 
knüpft zu  haben;  Eike  allerdings  lehnt  diese  Theorie  mit  der 
Begründung  ab,  daß  einer  der  Erzbeamten,  der  König  von 
Böhmen,  als  Nichtdeutscher  überhaupt  kein  Wahlrecht  habe.  Als 
äußerst  wichtiges  Moment  kommt  auch  in  Betracht,  daß  seit 

■)  Nur  »Is  untergeordnetes  Moment  wird  m.  E.  die  Bedeutung  des 
Krzamts  zu  verwerten  sein.  Die  meisten  Forscher  gehen  allerdings  viel 
weiter  und  sehen  das  Erzamt  als  die  wesentliche  Grundlage  des  bevor- 
zugten Wahlrechts  (beziehungsweise  Vorstimmrechts)  au:  so  Waitz, 

u.  a.  in  der  Abhandlung  Die  Reichstage  zu  Frankfurt  und  Würzburg  1208 
und  1209  und  die  Kurfürsten,  Forschungen  zur  Deutschen  Geschichte, 
XIII  199  fl.:  Schröder,  a.  a.  0.  S.  476:  Brunner,  Grundzüge  der  deutschen 
Bechtsgoschichte,  2.  Aull.  § 33:  Redlich,  Rudolf  von  Habsburg,  Innsbruck 
1903,  SS.  137  ff.:  Krimmer,  Wahl  und  Einsetzung  (vgl.  oben  S.  147,  ferner 
S.  164  Anm.  1).  Seeliger  in  der  2.  Aufl.  von  Waitz,  Verfassungsgeschichto, 
VI.  Band,  SS.  332  ff.,  bringt  die  Erzürnter  in  enge  Beziehung  zu  den  Stammes- 
horzogtümern,  womit  ein  Übergang  zu  der  oben  S.  167  Anm.  6 berührten 
Theorie  gegeben  wäre.  Der  entschiedenste  Bekämpfcr  der  Erzämter-Theorie 
ist  Haedicke,  Kurrecht  und  Erzamt  der  Laienfürsten,  Programm  von  Schul- 
l’forta  1872  (worauf  Waitz  in  obiger  Abhandlung  antwortete).  Eine  Mittel- 
stellung nimmt  ein  Meister,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  162  Anm.  2)  SS.  118  f. 
ErBt  Albert  von  Stade  gründet  das  Kurrecht  auf  das  Erzamt  (Annales 
Sud.  ad.  a.  1240,  MG.  SS.  XVI  367).  Vgl.  auch  obon  S.  111. 


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173 


1215  die  Pfalz  und  Bayern  in  einer  Hand  vereinigt  waren,  des 
letzteren  Kurrecht  also  nicht  sinnenfällig  zum  Ausdruck  kam1). 

Von  dem  nunmehr  gewonnenen  Standpunkt  aus,  glaube  ich, 
läßt  sich  die  bisher  verkannte  *),  ganz  außerordentliche  Bedeutung 
ermessen,  welche  der  Wahl  Konrads  IV.,  die  im  Jahre  1237  in 
Wien  vorgenommen  wurde,  zukomramt.  Wir  haben  über  diese 
Wahl  fast  gar  keine  Nachrichten  in  den  gleichzeitigen  Quellen3), 
doch  kaun  über  Art  und  Zeit  sowie  über  die  Wähler  kein  Zweifel 
obwalten,  da  uns  das  Wahldekret4)  erhalten  ist.  Es  sind,  wie 
wir  daraus  entnehmen,  an  der  Wahl  ausschließlich  Mitglieder  des 
jüngeren  Keichsfürstenstandes  beteiligt  gewesen,  womit  für  die 
Aussonderung  eines  engeren  Fürstenkreises  eine  feste  Voraus- 
setzung gegeben  war.  Es  dürfte  überdies  die  erste  Wahl  ge- 
wesen sein,  bei  welcher  den  Wühlern  bereits  die  Bestimmungen 
des  Sachsenspiegels  Vorlagen.  Daß  es  sich  eigentlich  um  eine 
Designation  handelte,  mochte  einerseits  deshalb  weniger  ins  Gewicht 
fallen,  da  die  Macht  des  Kaisers  keine  überragende  war5),  ander- 
seits dürften  eben  die  Bestimmungen  des  Sachsenspiegels  nicht 
ohne  Wirkung  geblieben  sein.  Wenigstens  berichtet  uns  unsere 
einzige  ausführlichere  Quelle,  die  sehr  verläßlichen  Annales  Marbac. 
ad  a.  1237 6),  über  die  Wahl  in  einer  Art,  die  uns  aufs  deutlichste  den 
Vorgang  des  Sachsenspiegels  wiedererkennen  läßt.  Die  Stelle,  auf 
deren  besondere  Glaubwürdigkeit  übrigens  schon  oben  (SS.  1 49 f.) 
verwiesen  wurde,  lautet:  Quem  elegerunt  archiepitcopi  Moguntinu » 

>)  Vgl.  Itiezlcr,  Geschichte  Bayerns,  II.  Baml  Gutlia  1880,  S.  45; 
ferner  Phillips,  a.  a.  0.  (vgl.  eben  S.  1C3  Amn.  4)  8.  323. 

*)  EinigcrmaUcn  gerecht  werden  der  Wahl,  soweit  ich  sehe,  nur 
Ficker,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  170  Amn.  3)  S.  IOC  f.,  W eilend,  n.  a.  0.  (vgl. 
oben  S.  15C  Amn.  2)  S.  330,  und  yuidde,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  8.  15C  Amn.  2) 
SS.  33  IT.,  sowie  Hist.  Zeitschr.  LI  II  131. 

z)  Speziell  in  den  österreichischen  (Quellen  finden  wir  über  den  Her- 
gang der  Wahl  gar  nichts.  Dies  ist  leicht  erklärlich,  da  die  Wahl  nach 
Niederwerfung  Friedrichs  des  Streitbaren  sozusagen  in  Feindesland,  in  Wien, 
vorgenomnien  wurde,  wo  das  Heer  des  Kaisers  mit  dessen  Sohne  Konrad  zu- 
sammeugetroffen  war.  Vgl.  Vancsa,  Geschichte  Nieder-  und  Ober-Österreichs, 
I.  Band  Gotha  1905,  SS.  440  f.,  404  f.  (wo  allerdings  von  der  Walil  selbst 
nicht  die  Kede  ist). 

«)  MG.  Lege»  II  322. 

*)  Vgl.  Loserth,  a.  n.  0.  (vgl.  oben  S.  43  Amn.  1)  SS.  HM  f. 

*)  Vgl.  oben  S.  150  Anm.  2. 


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174 


et  Treverensis  et  re.r  Roemie  et  duz  Ravarie  qui  et  palatinu* 
eornes  Rheni , corwentientibus  ceteris  principibu «,  qui  aderant,  tarnen 
pauris.  Der  Erzbischof  von  Köln,  der  Herzog  von  Sachsen  und 
der  Markgraf  von  Brandenburg  waren  in  Wien  nicht  anwesend; 
soweit  sie  aber  in  Wien  anwesend  waren,  fungierten  die  vom 
Sachsenspiegel  bezeichneten  Fürsten  tatsächlich  als  electores. 
Ein  Unterschied  gegenüber  dem  Sachsenspiegel  liegt  nur  darin, 
daß  dem  König  von  Böhmen,  dem  treuen  Freunde  des  Kaisers,  ein 
gleicher  Vorrang  eingeräumt  wurde;  ob  Bayern  ebenfalls  unter 
die  bevorrechteten  Wähler  gehört,  blieb  bei  der  Sachlage  un- 
entschieden. Das  Wahldekret  steht  mit  der  Nachricht  der  Annales 
Marbac.  durchaus  nicht,  wie  Harnack1)  meint,  im  Widerspruch; 
wenigstens  finden  sich  in  kirchlichen  Wahldekreten  die  Ausdrücke 
„vota  conferre“  und  „eligere“  häufig  zur  Bezeichnung  der  beiden 
Stadien  der  Wahlhandlung1).  Wir  können  also  annehmen,  daß 
im  Jahre  1237  das  spätere  Kurfürstenkollegium  inklusive  den 
König  von  Böhmen , der  ja  ein  besonders  eifriger  Anhänger 
Friedrichs  II.  war,  tatsächlich  jene  Funktion  übte,  die  ihm  der 
Sachsenspiegel  zuwies,  insofern  dies  eben  alle  jene  Kurfürsten 
taten,  die  überhaupt  anwesend  waren.  Nebenbei  sei  bemerkt, 
daß  die  W'ahl  auch  den  weitergehenden  Ansprüchen  der  Bulle 
„Venerabilem“  genügt  hätte,  da  bei  Mitzählung  des  Böhmenkönigs 
die  Majorität  der  Kurfürsten  ihr  zugestimmt  hatte. 

Was  wir  nun  von  den  weiteren  Wahlen  wissen,  zeigt  uns, 
daß  sich  zunächst  der  Vorrang  der  Kurfürsten  dahin  konsolidierte, 
daß  ihnen  einerseits  die  Funktion  von  electores  zukam  und  daß 
anderseits  ihre  Zustimmung  nötig  war,  um  die  Wahl  unanfechtbar 
zu  machen.  Die  Wahl  Heinrich  Raspes,  des  Landgrafen  von 
Thüringen  (1246),  ist  allerdings  in  vollstes  Dunkel  gehüllt,  wir 
wissen  über  den  Hergang  bei  derselben  gar  nichts’).  Auffallend 
ist  nur  der  Umstand,  daß  bei  dieser  Wahl  von  päpstlicher  Seite 

’)  A.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  132)  S.  39,  bes.  Anm.  1. 

*)  Vgl.  v.  Wretscliko,  Deutsche  Zeitschr.  f.  Kirchcnr.  XI  345  Anm.  1 
(vgl.  oben  S.  146). 

*)  Vgl.  über  diese  Wahl  Lindner,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  167  Anm.  1), 
XIX.  Abschnitt  (SS.  123  ff.),  fernerReuß,  Die  Wahl  Heinrich  Raspes,  Progr. 
Lüdenscheid  1878.  Über  die  der  Wahl  vorausgegangene  Absetzung  Fried- 
richs II.  und  den  Wahlvorschlag  des  Papstes  wurde  im  I.  Kapitel  (SS.  53  und 
109  ff.,  bes.  S.  53  Anm.  2 und  S.  111  Anm.  2)  gehandelt. 


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175 

kein  Gewicht  auf  das  ausschließliche  oder  auch  nur  bevorzugte 
Wahlrecht  einzelner  Fürsten  gelegt  wurde1);  man  sah  offenbar 
voraus,  daß  bei  der  damaligen  politischen  Lage  dies  nicht  den 
kirchlichen  Interessen  entsprochen  hätte,  fanden  sich  doch  von  den 
Kurfürsten  nur  die  Erzbischöfe  von  Mainz  und  Köln  zur  Wahl 
ein.  Die  Wahl  konnte  aber  auch  für  die  Fortentwicklung  des 
Rechts  nicht  von  Bedeutung  sein,  weil  der  „Gewählte“  nicht  im 
geringsten  sich  durchzusetzen  vermochte  und  — infolge  seines 
frühen  Todes  — der  politische  Kampf  gar  nicht  zur  vollen  Ent- 
faltung kam.  Vom  nächsten  Gegenkönig,  Wilhelm  von  Holland, 
aber  erfahren  wir,  daß  er  (1247)  von  Fürsten,  die  an  der  Königs- 
wahl ein  Recht  haben,  unter  Zustimmung  anderer  gewählt  wurde*); 
die  Wähler  sind  offenbar  die  drei  rheinischen  Erzbischöfe.  Als 
nun  einige  Städte  ihre  Unterwerfung  verweigerten,  quod  nobiles 
jrrincipes  dux  Saxonie  et  marchio  Hrandenlmrgensis , qui  vocem 
habe  nt  in  electione  predicta , electioni  non  comemerant3),  unterzog 
sich  Wilhelm  auf  dem  Braunschweiger  Reichstag  (1252)  einer 
Nachwahl  durch  die  genannten  beiden  Fürsten,  der  auch  der 
König  von  Böhmen  zustimmte  *).  Hierauf  wurde  das  Weistum  ge- 
funden, daß  der  rex  Romanorum  ex  t/uo  electu#  in  concordiu  eandem 
poteetutem  Ziabet  quam  Imperator  . . . i).  Wir  können  hier  auf 

')  MO.,  Ep.  saec.  XIII.,  II  No.  1 20  et  121  159  s.  Ich  stimme  bezüglich 
dieser  Schreiben  im  wesentlichen  den  Ausführungen  I.indncrs  bei. 

*)  Potthast,  Hog.  Pont.,  12734:  MO.,  Const.  (Log.  Sectio  IV.)  II, 
No.  352.  Vgl.  zum  folgenden  Krimmer,  Wahl  und  Einsetzung  (Tgl.  oben 
S.  147),  SS.  54  ff. 

s)  MO.,  Const.  (Leg.  Sectio  IV.)  II,  No.  459. 

*)  Lindner,  a.  a.  0.  (XX.  Abschnitt  SS.  127  IT.),  verhält  sich  diesen 
Nachrichten  gegenüber  (Hauptquelle  sind  die  Erfurter  Annalen,  MO.  SS.  XVI 
38  et)  sehr  skeptisch.  Nun  ist  ja  gewiß  richtig,  daß  an  der  Sache  vieles 
dunkel  bleibt,  insbesondere  das  gänzliche  Zurücktreten  des  Pfalzgrafen  (auch 
die  Zustimmung  des  Hnhmcnkonigs  bleibt  zweifelhaft).  Trotzdem  glaube 
ich  aus  der  Haltung  der  Städte,  der  Nachwahl  und  dein  Hraunschweiger 
Weistum  im  Zusammenhang  mit  Krimmer  u.  a.  (vgl.  oben  Anm.  2,  bei 
Krammer  die  weitere  Literatur)  schließen  zu  dürfen,  dall  sich  die  Reehts- 
anschnuung  vom  ius  principalc  einzelner  Wähler,  wie  es  im  Text  gefaßt  ist, 
durchgesetzt  hatte.  Daß  auch  andere  Wähler  mitwählten,  wird  durch 
obige  Darstellung  nicht  geleugnet;  nur  daß  die  Zustimmung  bestimmter 
Wahlfürstcn  als  essentiale  erschien,  wird  behauptet. 

5)  Zeurncr,  Ein  Reichsweistum  über  die  Wirkungen  der  Königswahl 
aus  dem  Jahre  1252,  Neues  Archiv  d.  Oeselisch,  f.  ältere  deutsche  Gescb., 


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176 


den  auch  im  übrigen  höchst  interessanten  Rechtssatz  des  näheren 
nicht  eingchen;  aber  es  scheint,  daß  man  die  Wahl,  nachdem  ihr 
die  Kurfürsten  zugestimmt  hatten,  als  concors  und  daher  allgemein 
verbindlich  betrachtete,  was  auch  1255  Papst  Alexander  IV.  ent- 
schieden zum  Ausdruck  bringt1)-  Damit  war  das  Konsensrecht 
der  übrigen  Fürsten  praktisch  fast  belanglos  geworden;  von  dem 
unter  Zwang  politischer  Kämpfe  ans  altem  Brauch  geborenen  ins 
principale  zn  einem  ius  exclusivum  war  nur  mehr  ein  Schritt 
Er  vollzog  sich  umso  leichter  bei  dem  raschen  Zusammenschmelzen 
des  jüngeren  Reichsfürstenstandes  *),  dessen  Befugnisse,  Königswahl 
und  Konsensrecht  zu  den  Regierungshandlungen,  analog  der  Ent- 
wicklung in  den  Domkapiteln3)  auf  das  Kurfürstenkollegium  über- 
gingen4). Bereits  im  Jahre  1257  wurde  Richard  von  Kornwall 
von  Kurfürsten  gewählt,  welche  überdies  behaupteten,  daß  die 
ausgebliebenen  Kurfürsten  ihr  Wahlrecht  verwirkt  hätten8);  auch 
die  Wähler  Alfons’  leugneten  nicht  mehr  das  ausschließliche  Wahl- 
recht der  Kurfürsten,  sondern  betonten  nur,  daß  sie  die  Majorität 
der  Kurfürsten  darstellen4).  Hiemit  war  der  Streit  auf  ein 

XXX  (1904)  40')  IV.  Dieser  Aufsatz  ist  für  uns  nueh  deshalb  von  Interesse, 
weil  er  bei  der  Erschließung  dieses  Weistums  von  der  oben  S.  128  mit- 
geteilten Stelle  aus  der  Lectura  sive  apparatus  super  quinque  libris  decre- 
taliuui  des  Hustiensis  nusgeht. 

*)  Böhmer  — Kicker  — Winkelmann,  Heg.  Imp.,  9008  et  9009. 

*)  Vgl.  oben  SS.  158  f.  Schon  lange  vor  Ernst  Mayer  hat  Kicker  auf 
dieses  Moment  hingewiesen  in  dem  glänzenden  Aufsatz  Fürstliche  Wille- 
briefe und  Mitbesicgelungen,  Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Geschf.  III  1 ff. 

5)  Vgl.  oben  SS.  168  und  169,  bos.  Anm.  1 zu  S.  169. 

*)  Diese  zweite  Seite  der  Entwicklung  des  Kurfnrstenkollegiums  hat 
kräftig  betont  Kicker  in  dem  (Anm.  2)  genannten  Aufsatz,  auf  welchen 
Redlich,  Rudolf  von  Habsburg,  Innsbruck  1903,  S.  139  Anm.  1,  neuerlich 
hingewiesen  hat.  Vgl.  auch  die  Aufsätze  von  I.amp recht.  Die  Entstehung 
der  Willebriefe  und  die  Revindikation  des  Reichsguts  unter  Rudolf  v.  Habs- 
burg und  Zur  Vorgeschichte  des  Konsensrechts  der  Kurfürsten , Forschungen 
zur  Deutschen  Geschichte  XXI  1 ff.  u.  XXIII  63  ff. 

s)  Vgl. über  die  Doppelwahl  von  1257  Lindncr,  a.  a.  0.(vgl.  oben  S.  167 
Anm.  I)  XXII.  Abschnitt  (SS.  147  ff.),  wo  ihr  allerdings  eine  nicht  nur  die 
Entwicklung  abschließende,  sondern  bahnbrechende  Bedeutung  zugeschrieben 
wird.  Die  m.  E.  maßgebende  Quelle  ist  die  Bulle  „Qui  celum“  vom  27.  August 
1263  (MG.,  Ep.  saec.  XIII.,  III  No.  560),  welche  dun  Rechtsstandpunkt 
beider  Parteien  darlegt  (vgl.  unten  S.  177).  Der  Standpunkt  der  Partei 
Richards  daselbst  cap.  4. 

*)  L.  c.  (Qui  celum,  cf.  vorige  Anm.)  cap.  5. 


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177 


ein  anderes  Terrain  gerückt,  welches  wir  im  Folgenden  kurz  über- 
blicken wollen;  die  eine  Ursache  der  Doppelwahlen,  die  Unsicherheit 
des  aktiven  Wahlrechts,  war  beseitigt,  es  handelte  sich  nunmehr 
noch  um  die  Durchsetzung  der  unitas  actus  und  des  Majoritätsprinzips. 
Wir  werden  uns  bei  dessen  Besprechung  mit  der  Bulle  „Qui  celum“ 
vom  Jahre  1263  zu  befassen  haben;  hier  sei  nur  erwähnt, 
daß  dieselbe,  die  Entwicklung  abschließend,  auch  das 
ausschließliche  Wahlrecht  der  sieben  Kurfürsten,  das  — 
wenn  auch  zunächst  ohne  Bezeichnung  bestimmter  Fürsten  — 
zuerst  von  päpstlicher  Seite  behauptet,  allerdings  im 
weiteren  Verlauf  nicht  konsequent  festgehalten  worden 
war,  als  unanfechtbaren  Rechtssatz  feststellt1).  Das 
Papsttum  hat  sich  mit  ihr  ein  unleugbares,  großes  Verdienst  um 
die  Entwicklung  des  deutschen  Staatsrechts  erworben’).  Daß 
aber  das  Kur  fürsten  kol  legium3)  ohne  Anknüpfung  an  altes 


')  Vgl.  oben  SS.  167  ff.,  ferner  176  Amn.  5. 

a)  In  der  Bulle  „Qui  celum"  hat  ein  so  namhafter  Forscher,  wie  Lorenz, 
Deutsche  Geschichte  im  13.  und  14.  Jahrhundert,  I.  Band  Wien  1863,  SS.  219  ff., 
geradezu  die  Einsetzung  des  Kurfürstenkollegiums  erblickt,  die  er  als  ein 
schweres  Verhängnis  für  die  deutsche  Geschichte  auffaßt:  in  den  Sitzungs- 
berichten d.  Wiener  Ak.  der  Wisscnsch.  XVII  175  ff.  hat  er  diese  Ansicht 
allerdings  abgeschwächt.  Direkt  verteidigt  wurde  päpstliche  Einsetzung  (und 
zwar  durch  Gregor  V.  im  Verein  mit  Otto  III.)  von  Wilmanns,  Die  Reorgani- 
sation des  Kurfürstenkollegiums  durch  Otto  IV.  und  Innozenz  III.,  Berlin  1872, 
und  zwar  soll  die  Reorganisation  auf  dem  Reichstage  von  Würzburg  1209 
erfolgt  sein.  Gegen  Wilmanns  richtet  sich  Langhaus,  Die  Fabel  von  der  Ein- 
setzung des  Kurfürstenkollegiums  durch  Gregor  V.  und  Otto  III.,  Berlin  1875 
(zuerst  erschienen  im  Iglaner  Programm  1874).  Vgl.  auch  oben  S.  147  Anm.  2. 

3)  Als  letzte  Theorie  über  die  Entstehung  des  Kurfürstenkollegiums  sei 
noch  erwähnt  die  bereits  in  der  vorigen  Anm.  (Wilmanns)  gestreifte  Theorio  von 
der  Einsetzung  durch  Reichstagsbescbluß.  Rein  vertreten  wird  die  Theorie 
von  Schirrmachor,  Die  Entstehung  des  Kurfürstenkollegiums,  Berlin  1874; 
er  führt  die  Einsetzung  auf  oinen  angeblichen  Frankfurter  Reichstag  1209 
zurück.  Vornehmlich  gegen  diese  Theorie  richtet  sich  der  oben  S.  172  Anm.  1. 
erwähnte  Aufsatz  von  Wait  z.  Seither  galt  sie,  wie  die  in  der  vorigen  Anm. 
besprochene  Theorie,  im  allgemeinen  als  gänzlich  abgetan.  Doch  faßt  in 
neuester  Zeit  Ernst  Mayer  (zuletzt  Zeitschr.  d.  Sav.-Stift.  f.  Rechtsg.,  Germ. 
Abt.  XXIII  51)  sein  Urteil  (vor  allem  bezüglich  der  letzteren  Theorie)  in  ein 
non  liquet  zusammen.  Ein  solches  non  liquet  muß  wohl  auch  bezüglich 
der  von  Zeumer,  Hist.  Zeitschr.  XCIV  211  f.,  behaupteten  „Möglichkeit" 
gelten,  „daß  gegen  Ende  1256  durch  ein  nicht  erhaltenes  Weistum  der  Kreis 
Ho  Keimten,  Die  deutsche  Köolgswahl  12 


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178 


Recht  aus  dem  kanonischen  Recht  rezipiert  worden  wäre, 
entspricht  nicht  der  tatsächlichen  Entwicklung1). 


3.  Das  Majoritätsprinzip  und  die  unitas  actus 

Schon  die  bisherigen  Darlegungen  haben  wiederholt  das 
Majoritätsprinzip  und  die  unitas  actus  berührt.  Er  wurde  (oben 
SS.  81  f.)  angedeutet,  daß  nach  altgermanischer,  ins  deutsche 
Recht  übergegangener  Auffassung  die  Wahl  nur  ein  persönliches 
Verhältnis  zwischen  dem  Wähler  und  dem  Gewählten  herstellt, 
nur  den  Zustimmenden  bindet.  Nur  der  einhellig  Gewählte  ist 
König  aller  Reichsgenossen,  nur  auf  Grund  einer  einhelligen  Wahl 
kann  überhaupt  das  Reich  als  einheitlicher  Organismus  erscheinen, 
während  es  mit  jeder  Doppelwahl  in  zwei  Genossenschaften 
auseinanderfällt ’).  Aus  dieser  rein  genossenschaftlichen  Organi- 
sation erwuchs  ganz  allmählich  die  körperschaftliche,  über  die 
Genossen  erhob  sich  die  Korporation.  Die  Feststellung  bestimmter 
Wälder  bis  zur  schließlichen  Ausbildung  des  Kurfürstenkollegiums 
ist  die  eine  Seite  dieses  Prozesses,  auf  den  bereits  Otto  Gierke  in 
seinem  monumentalen  Werk  hingewiesen  hat3).  Dabei  ist  zu  be- 
merken, daß  erst  das  Kurfürstenkollegium  als  ein  korporatives 
Organ  im  eigentlichen  Sinn  erscheint:  sein  Wille  gilt  kraft 
Reichsverfassung  als  der  des  Reiches,  auch  die  Nicht-Kurfursten 
bindend.  Aber  erst  mit  der  Durchsetzung  des  Majoritätsprinzips 
und  der  unitas  actus  in  diesem  ein  Organ  des  Reiches  darstellenden 
Kollegium,  welche  viel  rascher  als  die  bisherige  Entwicklung  vor 
sich  ging,  ist  die  körperschaftliche  Organisation  vollendet : es  sind 


der  Kurfürsten  als  der  ausschließlichen  Wähler  des  Königs  ....  festge- 
stellt“ wurde. 

l)  Die  weitere  Entwicklung  des  bereits  ausgebildeten  Kurfürsten- 
kullegiuins,  besonders  die  Streitigkeiten  urn  einzelne  Wahlstinuncu,  sind  für 
unser  Thema  nicht  von  unmittelbarem  Interesse.  — Abschließend  sei  noch 
die  durch  das  gleichzeitige  Erscheinen  der  Lindner'schen  Arbeit  ungebühr- 
lich in  den  Hintergrund  gedrängte  Schrift  von  Kirchhöfer,  Zur  Ent- 
stehung des  Kurkollegiums,  Halle  a.  S.  1893,  erwähnt,  mit  der  sich  unsere 
Ergebnisse  an  manchen  Punkten  berühren. 

*)  Vgl.  oben  SS.  72,  81  f. 

3)  A.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  151  Anrn.  2)  SS.  5G8  ff.,  bes.  573  f.  und  603. 


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1 73 


die  Voraussetzungen  festgestellt,  unter  denen  allein,  aber  auch 
notwendigerweise  das  Reich  durch  sein  Organ  handelt,  der  Wille 
des  Kurfürstenkollegiums  der  Wille  des  Reiches  ist,  der  jeden 
entgegenstehenden  Willen  eines  einzelnen  unter  den  einheitlichen 
Gesamtwillen  beugt.  Wir  haben  bereits  (oben  SS.  151  f.)  ge- 
sehen: wie  unter  dieser  Umwandlung  die  alten  deutschen  Rechts- 
formen ihre  juristische  Natur  verändern;  wie  der  Schwerpunkt 
der  Wahl  in  die  materielle  Einigung  durch  Majoritätsbeschluß,  in 
die  nominatio,  fällt;  wie  ihr  gegenüber  die  electio  per  unum  ein 
Formalakt  wird,  der  in  der  Übergangszeit  die  Funktion  erfüllt 
die  Majoritätswahl  als  eine  einhellige  erscheinen  zu  lassen. 

Es  soll  noch  einmal  aufs  schärfste  betont  werden, 
daß  diese  Entwicklung  im  Zuge  de r allgemeinen  Rechts- 
entwicklung erfolgte,  daß  sie  soweit  reicht,  als  es  ger- 
manischer Anschauung  entsprossene  Verbände  gibt,  seien 
sie  weltlicher  oder  kirchlicher  Natur.  Es  ist  hier  nicht  der 
Ort,  darauf  einzugehen,  inwieweit  den  Korporationen  des  germa- 
nischen Rechtes  genossenschaftliche  Eigentümlichkeiten  verblieben 
sind  und  welche  Mischformen  unser  Rechtsleben  hervorgebracht 
hat.  Aber  das  scheint  mir  für  das  Verständnis  unerläßlich,  daß 
es  sich  um  eine  große  einheitliche  Entwicklung  handelt, 
bei  der  auch  innerhalb  des  kanonischen  Rechtes  die 
germanischen  Elemente  eine  starke  Rolle  gespielt  haben. 
Es  läßt  sich  allerdings  nicht  leugnen,  daß  das  kanonische 
Recht,  welches  in  den  für  die  kirchliche  Verfassung  so 
wichtigen  romanischen  Gebieten  von  Anfang  an  die 
mächtigsten  Impulse  vom  römischen  Recht  empfangen 
hatte,  schneller  und  klarerden  Korp orationsbegriff ent- 
wickelte, als  das  deutsche.  Die  im  Wesen  jeder  Asso- 
ziation liegende  Tendenz  zur  Stärkung  der  Organisation, 
welche  auch  in  der  deutschen  Rechtsentwicklung,  wenn  auch 
schwächer  als  anderswo,  sich  geltend  machte,  empfing  nun 
wieder  aus  dem  kanonischen,  mit  dem  es  sich  so  vielfach 
berührte,  j a du  rchdran  g '),  lebhafte  Förderung.  Es  wurde 
bei  der  Geschichte  des  Kurfürstentums  darauf  hingewiesen,  daß 
das  Papsttum  auch  direkt  fördernd  und  beschleunigend  eingegriffen 

')  Vgl.  oben  SS.  5 L,  17  ff.,  143  ff. 

12* 


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180 


hat,  und  dargetan,  wie  die  unter  dieser  Entwicklung  sich  um- 
gestaltenden Formen  in  Details  an  kanonische  Vorbilder  an- 
gepaßt wurden.  Wir  konnten  aber  in  der  Annahme  be- 
wußter Rezeption  kanonischen  Ämterrechtes  speziell 
für  die  Königswahl  der  herrschenden  Theorie  nicht 
folgen,  indem  sie  uns  nur  zu  geringem  Teil  nachweis- 
bar erschien.  Stärker  und  unmittelbarer  wird  sich  der 
kanonische  Einfluß  bezüglich  des  Majoritätsprinzips 
und  der  unitas  actus  erweisen.  Dabei  bemerke  ich  von  vorn- 
herein, daß  ich  mich  bezüglich  dieser  abschließenden  Entwicklung 
in  weitem  Umfang  den  dankenswerten  Untersuchungen  v.  Wretschkos 
(vgl.  oben  S.  132),  Höhlbaums  (Der  Kurverein  von  Rense  im 
Jahre  1338,  Abh.  d.  Kön.  Gesellsch.  der  Wissensch.  zu  Göttingen, 
Philo8.-hist.  Klasse,  N.  F.  VII  3,  Berlin  1903)  und  Krammers 
(Wahl  und  Einsetzung,  vgl.  oben  S.  147)  anschließe1). 

Die  germanische  Wahl  erschöpfte  sich,  wie  gesagt,  begrifflich 
nicht  in  einem  einheitlichen  Akt;  sie  mußte  nicht,  aber  sie  konnte 
in  eine  Fülle  verschiedener  Willenserklärungen,  partielle  Wahlen 
oder  auch  Einzel-Anerkennungen,  sich  auflösen’).  Germanischen 
Rechtsanschauungen  entsprach  es,  der  Wahl  auch  symbolischen 
Ausdruck,  z.  B.  durch  Erhebung  auf  den  Schild  oder  die  Schultern, 
zu  geben.  Unter  diesen  Symbolen  hatte  seit  Karolinger  Zeiten 
die  Thronerhebung  (und  später  die  Krönung)  in  Aachen  besondere 
Bedeutung,  und  dies  ließ  jene  Wahl,  an  die  sie  sich  anschloß, 
hervorragende  Wichtigkeit  erlangen.  Keineswegs  war  diese  sym- 
bolische Königs-Einsetzung  der  eigentliche  konstitutive  Akt,  sie 
konnte  im  Gegenteil  auch  ganz  unterlassen  werden’);  aber  wenn 
sie  stattfand,  war  es  naheliegend,  vorher  alle  Einzel-Anerkennungen, 
soweit  sie  schon  Vorlagen,  in  einer  universalis  electio  zusammen- 
zufassen, die  dann  naturgemäß  auf  fränkischer  Erde  vorgenommen 
wurde.  So  eingewurzelt  war  dieser  Brauch,  daß  man  es  versuchen 
konnte,  als  das  erstemal  durch  die  Partei  Philipps  von  ihm  ab- 
gewichen wurde,  u.  a.  daraus  die  Ungiltigkeit  der  Wahl  zu 

')  Ich  wcrilc  datier  davon  abseben  können,  bezüglich  jeder  Einzelheit 
auf  die  im  Text  genannten  Untersuchungen  zu  verweisen. 

*)  Es  sei  auf  die  näheren  Darlegungen  Mitt.  d.  Inst.  f.  Osterr.  Geschf. 
XXVII  22G  ff.  und  XXVIII  G86  ff.  verwiesen. 

J)  Vgl.  Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Geschf.  XXVIII  G87. 


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181 


folgern ').  Die  Einhaltung  des  Wahlortes  ist  die  erste  essentielle 
Förmlichkeit,  die  wir  im  deutschen  Königswahlenrecht  finden. 
Faßte  man  als  solche  auch  die  Ausübung  der  (oben  SS.  164  ff.) 
besprochenen  Prärogativen  des  Mainzers  und  eventuell  des 
Pfalzgrafen,  wie  es  die  Partei  Ottos  IV.  tat,  so  war  man  in 
naiver  Weise  ohne  begriffliche  Konstruktion  eigentlich  bei  dem 
Erfordernis  der  unitas  actus  angelangt. 

In  aller  Schärfe  war  die  Einhaltung  bestimmter 
Förmlichkeiten  als  Erfordernis  für  die  Giltigkeit  der 
Wahl  schon  lange  vorher  von  päpstlicher  Seite  ge- 
fordert worden,  und  zwar  durch  Gregor  VII.,  indem  er  1076 
vor  der  Wahl  Rudolfs  die  Fürsten  ermahnte,  ihm  behufs 
Approbation  der  Wahl  mit  tunlichster  Beschleunigung  über  ne- 
gorium  personam  et.  more«  eius  zu  berichten  *).  Auch  nach  der 
Doppelwahl  des  Jahres  1198  bemächtigte  sich  Innozenz  III.  mit 
Lebhaftigkeit  der  von  Ottos  Partei  ausgehenden  Anregung,  die 
er  in  der  Bulle  „Venerabilem“  zu  der  streng  kanonistischen  Formu- 
lierung verdichtete:  quod  Jautores  Philippi,  abtentibus  aliit  et, 
rontemptis,  ipeum  eligei'e  /»reumpserunt pateat  eot  perperam 
procesdsxe ; cum  ej-plorati  eit  iuris , quod  electioni  plus  contemptus 
unius  quam  contradictio  multorum  obsistal 3).  Wir  haben  uns 
im  ersten  Kapitel  (SS.  71,  86)  überzeugt,  wie  die  Glosse 
an  diesem  Rechtssatz  festhielt  und  ihn  unterschieds- 
los als  Requisit  kirchlicher  Wahlen  wie  der  Königswahl 
ansah.  Für  seine  Rezeption  in  Deutschland  bot  die  rasch 
fortschreitende  Verengerung  des  Wählerkreises4)  eine  günstige 
Voraussetzung.  Tatsächlich  bemerken  wir  bei  den  folgenden 
Wahlen  eine  größere  Einheitlichkeit,  als  dies  früher  häufig  der 
Fall  war;  auch  als  man  1205  die  Zustimmung  der  noch 
fehlenden  „principaliter“  Berechtigten  für  Philipp  und  1208  nach 
Philipps  Tode  für  Otto  einholte,  ließ  man  es  nicht  bei  nach- 
träglichen Einzel-Anerkennungen  (den  collaudationes  des  älteren 
Rechts)  bewenden,  sondern  schritt  (wenigstens  im  erstgenannten 

*)  Vgl.  oben  88.  16G  f.  (daselbst  Belege). 

*)  Vgl.  Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Geschf.  XXVII  209.  Der  betreffende  Brief 
Gregors  VII.  findet  sich  bei  Jaffe,  Bibi.  rer.  Germ.,  II  245. 

*)  Vgl.  oben  SS.  57  f. 

4)  Vgl.  oben  8.  176. 


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1R2 


Falle  bestimmt)  zu  einer  förmlichen  Neuwahl1).  Als  Rechtssatz 
kennen  allerdings  auch  die  Rechtsbücher8)  die  Notwendigkeit  der 
unitas  actus  nicht;  allein  indem  sie  den  Hergang  normieren, 
setzen  sie  dieselbe  überall  als  das  Normale  voraus. 

Größere  Widerstände,  als  die  Durchsetzung  der 
unitas  actus,  hatte  die  Aufnahme  des  zweiten  von  der 
Bulle  „Venerabilem“  geforderten  Prinzips,  des  Majoritäts- 
prinzips, zu  überwinden.  Der  Grundsatz  der  Einhelligkeit 
bat  sich  als  altes  deutsches  Erbgut  gerade  bei  der  Königswahl 
trotz  alles  kanonischen  Einflusses  zäher  behauptet  als  auf  anderen, 
dem  unmittelbaren  kanonischen  Einfluß  entrückten  Gebieten  des 
deutschen  Rechtslebens,  wofür  Ssp.  Landr.  II 55  einen  deut- 
lichen Beleg  bietet5).  Es  mag  dio  Bulle  „Venerabilem“  selbst 


*)  Vgl.  oben  S.  169,  bos.  Auui.  3 und  4.  Die  Wahl  1205  erfolgte  in 
Aachen,  nachdem  Köln  und  Lothringen  schon  vorher  kidlaudiert  hatten. 
Ob  nach  der  collaudatio  der  sächsischen  Großen  im  Jahre  1208  noch  eine 
förmliche  Wahl  auf  dem  Frankfurter  Reichstag  erfolgte,  darüber  sind  die 
Ansichten  sehr  geteilt 

*)  Mit  der  bereits  oben  S.  162  Anm.  2 mitgetcilten  Stelle  aus  dem  Sachsen- 
spiegel stimmt  der  Deutschenspiegel,  303  (Ausgabe  von  Kicker,  Innsbruck 
1859,  SS.  138  f.)  fast  wörtlich  überein.  Der  Schwabenspiegel,  Landr.  129 
und  130,  unterscheidet  sich  von  den  beiden  älteren  Uechtsbüchem  in  mehr- 
facher Richtung:  1.)  er  normiert  umständlich  und  detailliert  den  Hergang, 
womit  dio  unitas  actus  schärfer  betont  ist:  2.)  er  normiert  ausdrücklich  das 
Majoritätsprinzip  in  der  Form  der  Folgepflicht  für  die  Minorität:  3.)  er  er- 
kennt das  Kurrecht  sieben  Fürsten  zu,  wobei  er  aber  den  siebenten  ohne 
näheren  Hinweis  als  des  des  rieht s schenke  bezeichnet,  sodaß  es  otfen  bleibt, 
ob  Bayern  oder  Böhmen  gemeint  ist. 

*)  Die  Stelle  lautet:  Swaz  sS  der  bürmeister  schaffet  des  dorfes  vröuten 
mit  willekore  der  meisten  menie  der  gebäre  des  cn  mac  der  minnere  teil  nicht 
Widerreden.  Vgl.  v.  Wrctschko,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  132)  S.  187  Anm.  4,  wo 
die  Stelle  allerdings  ebenso  wie  eine  Reihe  anderer  (insbesondere  auch  die  in 
der  vorigen  Anm.  zitierten)  eine  etwas  andere  Wertung  erfährt.  Wohl  gibt 
auch  v.  Wrctschko  zu.  daß  die  Statuierung  der  Folgepflicht  (vgl.  unten 
SS.  185  und  187)  für  die  Minorität  bereits  ein  vorgerückteres  Stadium  der 
germanischen  Hechtsentwicklung  darstcllt,  allein  er  stellt  sie  immerhin  noch 
in  scharfen  Gegensatz  zum  Majoritätsprinzip.  Er  nimmt  ferner  auch  bei 
der  zitierten  Sachsenspiegelstelle  eine  solche  Folgepflicht  an,  was  m.  E.  dem 
Wortlaut  widerspricht:  sie  enthält  in.  E.  das  Majoritätsprinzip  pure  et  simple. 
Nicht  ganz  klar  sind  die  Darlegungen  Ernst  Mayers  über  die  Folgepflicht 
in  dem  Aufsatz  Zu  den  germanischen  Königswahlen  (tgl.  oben  S.  159). 


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183 

an  dom  langsamen  Durchdringen  des  Majoritätsprinzips  nicht  ohne 
Schuld  gewesen  sein.  Sie  hat  das  Prinzip  der  unitas  actus  neben 
dem  der  Majoritätswahl  aufgestellt,  es  aber  unterlassen,  beide  in 
organische  Verbindung  zu  setzen.  Man  konnte  sie  zum  mindesten 
dahin  deuten,  daß  einerseits  kein  Wähler  bei  der  Wahlhandlung 
„kontemniert“  werden  durfte,  daß  aber  anderseits  die  Majorität 
derselben  tatsächlich  anwesend  sein  und  einhellig  zustimmen 
mußte,  wenn  die  Wahl  unanfechtbar  sein  sollte.  Daß  die 
Majorität  der  Anwesenden  nach  ordnungsgemäßer  Ein- 
berufung entscheide,  war  in  der  Bulle  nicht  ausdrücklich  gesagt. 
Die  kanonistische  Doktrin  selbst  hat  übrigens,  wie  uns  die  Be- 
trachtung der  Glosse  gezeigt  hat,  das  Majoritätsprinzip  zunächst 
fallen  lassen1).  In  den  Jahren  1205  und  1208  hat  man,  wie  wir 
sahen,  Gewicht  darauf  gelegt,  die  Einstimmigkeit  der  Wähler  her- 
zustellenvon  der  Wahl  1212  wissen  wir  leider  fast  gar  nichts s) ; 
1220  und  1237  vollzogen  sich  die  Wahlen  glatt,  die  Frage  wurde 
überhaupt  nicht  akut4).  Sehr  bedenklich  dagegen  stand  es  um 
die  Wahl  Heinrich  Baspes  (124t>)4),  da  von  den  bevorrechteten 
Wählern  nur  die  drei  Erzbischöfe  anwesend  waren.  Wollte  man 
also  ein  ius  principale  der  Kurfürsten  in  dem  Sinne  zugestehen, 
daß  die  Majorität  von  ihnen  zur  Giltigkeit  der  Wahl  erforderlich 
sei,  so  konnte  man  die  Wahl  nur  durch  scharfe  Betonung  der 
unitas  actus  aufrecht  halten,  indem  man  die  Ausgebliebenen  als 
ihres  Wahlrechts  verlustig  gegangen  ansah.  Ob  derartige  Er- 
wägungen tatsächlich  angestellt  wurden,  wissen  wir  nicht;  ob  aber 
unter  den  Anwesenden  ein  Majoritätsvotum  genüge  oder  Ein- 
helligkeit erforderlich  sei,  konnte  schlechterdings  auch  damals 
gar  nicht  zur  Diskussion  gelangen.  Wie  sehr  übrigens  das  alte 
deutsche  Recht  im  Volksbewußtsein  fortlebte,  zeigt  der  Beschluß 
der  Städte  gelegentlich  der  Wahlen  von  1247,  1257  und  1273, 
nur  einem  in  concordia  Gewählten  sich  zu  unterwerfen6).  Und 

l)  Vgl.  oben  S.  85. 

*)  Vgl.  oben  S.  169. 

*)  Vgl.  oben  S.  169. 

*)  Vgl.  oben  SS.  170,  beziehungsweise  173  f. 

s)  Vgl.  oben  SS.  174  f. 

6)  Vgl.  nber  die  Wahl  Wilhelms  von  Holland  oben  j,S.J175,  bes. 
Anm.  3 und  4;  Aber  den  Beschluß  der  Städte  vor  der  Wahl  von  1257  Lindner, 
a.  a.  U.  (vgl.  S.  167  Anm.  1)  S.  134,  über  die  Wahl  Rudolfs  von  Habsburg 


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184 


wir  haben  gesehen,  daß  Wilhelm  von  Holland  tatsächlich  erst 
anerkannt  wurde,  nachdem  die  concordia,  allerdings  nur  der  Kur- 
fürsten, hergestellt  worden  war,  und  zwar  in  einer  Weise,  welche 
wieder  die  unitas  actus  nicht  völlig  wahrte. 

Einen  bedeutsamen  Markstein  bildet  dann  die  Doppelwahl 
des  Jahres  1257  l).  Richard  war  vor  Frankfurt,  welches  nebenbei 
bemerkt  seit  damals  ständige  Wahlstadt  blieb,  von  Köln,  Mainz 
und  Pfalz  gewählt  worden.  Die  Behauptung  des  Mainzers,  daß 
er  auch  Trier  vertrete,  erwies  sich  als  unwahr,  da  eben  unter 
dessen  Führung  mit  den  Stimmen  von  Sachsen,  Brandenburg  und 
Böhmen  in  Frankfurt  Alfons  zum  Könige  gewählt  wurde.  Die 
Partei  Richards  legte  alles  Gewicht  auf  die  Einhaltung  des  ordnungs- 
mäßigen Herganges  bei  der  Wahl,  die  über  Einberufung  von  Mainz 
und  Pfalz  loco  et  tempore  debito  erfolgt  sei;  die  ausgebliebenen 
Wähler  seien  ihres  Wahlrechtes  verlustig  gegangen,  die  Wahl 
daher  sogar  eine  einstimmige.  Wir  finden  also  hier  die  denkbar 
schärfste  Bedeutung  der  unitas  actus.  Die  Wähler  Alfons’  stehen 
zwar  ihrerseits  auch  auf  dem  Standpunkt,  daß  sie  den  vollständig 
korrekten  Wahlvorgang  eingehalten  hätten,  allein  sie  betonen 
anderseits  mit  Entschiedenheit,  daß  die  Mehrheit  der  Kurfürsten 
auf  ihrer  Seite  stehe;  sie  scheinen  dies  für  vorteilhafter  gehalten 
zu  haben,  als  den  Hinweis  auf  die  auch  bei  ihnen  unter  konse- 
quenter Folgerung  aus  der  unitas  actus  bestehende  Einhelligkeit. 
Dabei  ergab  sich  noch  die  Komplikation,  daß  infolge  eines  nie- 
mals aufgeklärten  Mißverständnisses  beide  Parteien  die  Stimme 
des  Böhmenkönigs  für  sich  als  ausschlaggebend  in  Anspruch 
nehmen  konnten,  was  zu  der  oben  (S.  111)  erwähnten  Theorie 
Veranlassung  geboten  haben  mag*).  Jedenfalls  war  mit  der  Doppel- 
wahl von  1257  unitas  actus  und  Majoritätsprinzip  in  den  Mittel- 
punkt der  Erörterung  gerückt  worden.  Die  über  die  Wahl  ergangene 
Bulle  „Qui  celum“  (vgl.  oben  S.  176)  nahm  die  Darlegungen  beider 
Parteien  ausführlich  auf,  ohne  aber  eine  dezidierte  Entscheidung 


unten  S.  185,  bes.  Anm.  2;  über  die  Betonung  der  concordia  seitens  des 
Papstes  (Klemens’  V.)  in  viel  späterer  Zeit  noch  oben  S.  120. 

')  Vgl.  oben  SS.  176  f.,  bes.  Anm.  5 und  6 in  S.  176. 

*)  Einen  Erklärungsversuch,  der  innere  Wahrscheinlichkeit  für  sich 
bat,  bringt  Lindner,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  167  Anm.  I)  SS.  156  f. 


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185 


zu  treffen ').  Es  ist  ferner  auch  richtig,  daß  man  bei  der  Wahl 
Rudolfs  von  Habsburg  alles  daransetzte,  um  der  Forderung  weiter 
Volkskreise  entsprechend  eine  einhellige  Wahl  zustande  zu  bringen, 
was  auch  gelang  *).  Doch  schon  der  Schwabenspiegel  fordert  nur 
mehr  die  Majorität  der  Kurfürsten  und  statuiert  für  die  Minorität 
die  Folgepflicht5).  Und  gerade  unter  der  Regierung  Rudolfs  er- 
folgten zwei  wichtige  Kundgebungen,  welche  für  das  Eindringen 
des  Korporations-Gedankens  in  das  Kurfürstenkollegium  charakte- 
ristisch sind*):  1276  spricht  Rudolf  ausdrücklich  davon,  daß  die 
Kurfürsten  einstimmig  oder  mit  Majoritätsbeschluß  einen  König 
wählen  können;  1281  aber  wird  erklärt  — es  ist  interessant,  wie  bei 
der  Entstehung  des  Kollegiums  auch  hier  neben  dem  Wahlrecht  dem 
Konsensrecht  zu  begegnen  — , daß  zu  Vergabungen  von  Reichs- 
gut die  Zustimmung  der  Majorität  des  Kollegiums  erforderlich 
sei.  Nöch  immer  war  die  innere  Beziehung  zwischen  den  beiden 
Prinzipien  nicht  ausdrücklich  ausgesprochen.  Aber  sie  waren 
wenigstens  jedes  einzeln  aufs  schärfste  betont  worden;  und  da  bei 
konsequentem  Festhalten  der  unitas  actus  die  Ausgebliebenen  ihres 
Wahlrechts  verlustig  geben  mußten,  so  wurde  man  mit  logischer 
Notwendigkeit  dazu  gedrängt,  die  Majorität  der  Anwesenden 
ais  entscheidend  anzusehen. 

Die  Entwicklung  ist  schließlich  in  der  ersten  Hälfte  des 
14.  Jahrhunderts  unter  dem  Einfluß  einer  bedeutenden  Persönlich- 
keit, des  Erzbischofs  Balduin  von  Trier,  in  bewußter  Weise  zum 
Abschluß  gebracht  worden,  was  Höhlbaum  (a.  a.  0.  — vgl. 
oben  S.  180  — SS.  22  ff.)  und  Kraramer  (a.  a.  0.  SS.  69  ff.) 
in  dankenswerter  Weise  nachgewiesen  haben.  Nach  einer  kurzen 
Zeit  verhältnismäßiger  Ruhe  drohten  neue  Verwicklungen  infolge 
der  päpstlichen  Ansprüche  auf  das  Approbationsrecht  und  das 
Schiedsrichteramt11).  Das  letztere  war  im  Thronstreit  zwischen 


')  Von  Interesse  ist  es  auch,  daß  Alfons  gelegentlich  seine  Wahl  aus- 
drücklich als  canonice  vorgenominen  erklärt  (MG.,  Const.  [Leg.  Sectio  IV] 
II,  No.  397);  vgl.  oben  S.  80  Anm.  2, 

5)  Redlich,  a.  a.  0.  SS.  154  ff.  (bezüglich  des  oben  S.  183  erwähn teD 
SUdte-Beschlusses  SS.  157  f.). 

5)  Vgl.  oben  S.  182  Anm.  2. 

*)  Redlich,  a.  a.  0.  S.  348  Anm.  3,  beziehungsweise  SS.  464  f. 
l)  Über  die  einschlägige  Literatur  vgl.  oben  S.  131  Anm.  1. 


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ISfi 


Richard  und  Alfons,  das  erstere  bei  der  Wahl  Rudolfs  von  Habs- 
burg unbestritten  geübt  worden').  Es  wurde  im  ersten  Kapitel 
(SS.  80  ff.)  umständlich  dargelegt,  wie  die  päpstlichen  Ansprüche 
in  der  Möglichkeit  von  Doppelwahlen  ihren  wichtigsten  Stützpunkt 
hatten.  Kam  es  nun  1308  darauf  an,  einer  Einflußnahme  der 
Kurie  zugunsten  eines  französischen  Wahlwerbers,  1314  darauf, 
einem  eventuellen  Schiedsspruch  der  Kurie  vorzubeugen,  so  mußte 
vor  allem  die  Formgerochtheit  des  Wahlaktes  betont 
werden  (wobei  man  nicht  unterließ,  in  einer  Reihe  von 
Einzelheiten  sich  an  das  kanonische  Recht  anzulehnen). 
Dazu  aber  war  Voraussetzung  die  begriffliche  Einheitlich- 
keit des  Wahlaktes.  Von  diesem  Zusammenhang  geben  auch  die 
Wahldekrete  Heinrichs  VII.  und  Ludwigs  des  Bayern  Zeug- 
nis"), die  einerseits  den  Wahlakt  ganz  kanonistisch  al s ein- 
heitlichen Formalakt  fassen,  anderseits  von  einer  Appro- 
bation keine  Erwähnung  tun.  Dnd  als  nach  1314  der  Papst 
tatsächlich  das  Schiedsrichteramt  beanspruchte,  wurde  zuerst  in 
den  Appellationen  von  Nürnberg  (1323)  und  Sachsenhausen  (1324)*) 
das  Majoritätsprinzip  und  noch  schärfer  die  unitas  actus  unter  Ab- 
lehnung päpstlichen  Einflusses  betont,  1338  auf  Grund  des  Kur- 
vereins von  Reuse4)  das  Majoritätsprinzip  reichsgesetzlich  festge- 
legt. Auch  hier  war  noch  nicht  ausdrücklich  gesagt,  daß  die 

')  Vgl.  Krammer,  Oer  Einfluß  des  Papsttums  (vgl.  oben  S.  147), 
SS.  23  f. 

")  Pas  Wahldekret  Heinrichs  VII.  ist  ahgedruckt  MG.  Luges  II. 
490  bis  492,  ferner  bei  Zeumer,  Quellen-Sammlung,  No.  118;  das  Wahl- 
di'kret  Ludwigs  des  Bayern  bei  Oleuschlager,  Staats-Geschichte  (Frank- 
furt 1755),  (’rkundenbuch  No.  26. 

3)  Oienschlager,  a.  a.  0.  No.  37  und  43.  In  der  Appellation  von 
Sachsenhausen  (Abs.  6)  kommt  übrigens  auch  die  alte  deutschrochtliche 
Auffassung  (vgl.  oben  SS.  81,  178)  zum  Durchbruch,  derzufolge  im  Falle  der 
Z wiekur  die.  Schlacht  die  Einheit  herstelle,  welcher  rein  deutschrechtliche 
Gedanke  sogar  in  die  Bulle  _Qui  ecluni“  Eingang  gefunden  hatte. 

4)  Die  Literatur  über  den  Kurverein  von  Itcnse  und  den  darauf  fol- 
genden, das  Weistum  zum  Keichsgesetz  erhebenden  ReichstagBbeschluß  von 
Frankfurt  siehe  bei  Schröder,  a.  a.  0„  (vgl.  oben  S.  7 Anm.  1)  S.  656 
Anin.  22.  Außerdem  wären  zu  nennen  Zeumer,  Ludwigs  des  Bayern 
Königswahlgesetz  .Licet  iuris“  vom  6.  August  1338,  Neues  Archiv  XXX 
84  ff.  (mit  Abdruck  des  Weistums)  und  die  im  Text  wiederholt  angezogenc 
Arbeit  von  Höhlbaum  (vgl.  oben  S.  180). 


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187 


Majorität  der  Anwesenden  entscheide;  klipp  und  klar  hat 
diese  organische  Verbindung  der  unitas  actus  und  der  Majoritäts- 
wahl erst  die  goldene  Bulle1)  1356  ausgesprochen.  Wenn  aber 
die  Annahme  richtig  ist,  daß  Balduin  von  Trier  die  Anwendung  der 
Korporations-Theorie  auf  das  Kurfürstenkollegium  bei 
Lupoid  von  Bebenburg  inspiriert  hat,  dann  wäre  wohl  sicher  an- 
zunehmen, daß  die  Bestimmungen  der  goldenen  Bulle  bereits  irn 
Smne  der  ebenfalls  unter  Balduins  Einfluß  zustande  gekommenen 
Appellationen  und  der  Constitution  „Licet  iuris“  gelegen  waren ’j- 
Mit  der  letzteren  war,  wenigstens  juristisch,  auch  die 
zweite  Voraussetzung  des  päpstlichen  Einflusses  auf 
die  Wahl,  die  Notwendigkeit  der  Kaiserkrönung  be- 
seitigt worden;  es  wurde  bereits  in  der  Einleitung  (SS.  19  ff), 
auf  die  tieferen  Zusammenhänge  verwiesen,  welche  dies  ermög- 
lichten. 

Aus  dem  Gesagten  geht  mit  aller  Deutlichkeit  hervor, 
daß  auf  die  Durchsetzung  der  unitas  actus  und  der  Majori- 
tätswahl das  kanonische  Recht  einen  größeren  Einfluß 
übte,  als  auf  die  Entstehung  des  KurfUrstenkollegiums, 
und  einen  unmittelbareren,  als  auf  den  Hauptbestandteil 
des  Zeremoniells,  die  electio  per  unum.  Wie  die  letztere 
ihre  juristische  Natur  unter  der  eben  geschilderten  Entwicklung 
veränderte,  soll  hier  nicht  wiederholt  werden.  Es  sei  nur  erwähnt, 
daß  schon  vor  der  juristischen  Formulierung  des  Majoritätsprinzips 
der  die  Geister  beherrschende  Gedanke  der  tatsächlichen  Feststellung 
der  Majorität  eine  erhöhte  Bedeutung  und  damit  dem  ganzen  Nomi- 
nationsakt einen  veränderten  Charakter  verleihen  mußte;  denn 
es  mußte  nun  in  der  Entscheidung  der  Majorität  für  die  Minori- 
tät zum  mindesten  ein  starkes  moralisches  Kompelle  liegen,  den 
Widerspruch  fallen  zu  lassen  und  dadurch  die  Wahl  formell  zu 
einer  einhelligen  zu  machen,  welche  fiktive  Einhelligkeit  eben  in 

*)  Die  Ausgaben  der  goldenen  Bulle  und  die  Literatur  über  dieselbe 
siche  bei  Schröder,  a.  a.  0.,  S.  656  Anm.  23.  Beizulugen  wäre  Zeumer, 
Die  goldene  Bulle  Kaiser  Karls  IV.  (Quellen  und  Studien  zur  Verfassungs- 
geschichtc  des  deutschen  Reiches  in  Mittelalter  und  Neuzeit,  herausgegeben 
von  Zeumer,  Band  II  Heft  1),  Weimar  1308.  Die  entscheidende  Stelle  siud 
die  §§  3 und  4 des  2.  Kapitels. 

a)  Vgl.  insbesondere  Höhl  bäum.  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  180)  S.  23.  und 
Kram  wer,  a.  a.  0.  (vgl.  oben  S.  180)  SS.  70  II. 


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iss 


der  electio  per  unum  ihren  Ausdruck  fand1).  Wenn  wir  aber 
den  starken  kanonischen  Einfluß  im  letzten  Stadium  unserer 
Untersuchung  noch  so  entschieden  betonten,  so  darf  doch  nicht 
unerwähnt  bleiben,  daß  sich  auch  hier  die  (bereits  oben 
S.  85  hervorgehobene)  Selbständigkeit  der  deutschen 
Rechtsentwicklung  im  schließlichen  Resultat  mani- 
festiert: die  kanonische  Entwicklung  führte  zur  quali- 
fizierten, die  deutsche  zur  einfachen  Majorität.  Daß 
gerade  die  Rezeption  kanonischen  Rechtes,  soweit 
sie  wirklich  stattfand,  die  wirksamste  Waffe  wurde 
im  Kampf  für  die  Unabhängigkeit  des  deutschen 
Thrones  vom  päpstlichen  Einfluß,  ist  eine  der  interessan- 
testen Erscheinungen  der  Rechtsgeschichte.  Der  Deutsche  hat 
hier,  wie  anderwärts,  indem  er  fremde  Einflüsse  in  sich  aufnahm 
und  inuerlich  assimilierte,  seine  Selbständigkeit  nicht  aufgegeben 
sondern  behauptet2)3). 

')  Vgl.  oben  S.  152. 

*)  Das  päpstliche  Devolutionsrecht  und  Depositionsrecht  hatten  sich 
im  deutschen  Recht  niemals  eingelcbt:  cs  genügt  daher  ein  kurzer  Hinweis 
auf  unsere  Darlegungen  im  I.  Kapitel,  bcs.  S.  53  Anin.  4,  und  auf  die  wieder- 
holt zitierte  gründliche  Arbeit  von  Redlich,  Die  Absetzung  deutscher 
Könige  durch  den  Papst,  Diss.  Münster  1892. 

3)  Erst  während  der  Korrektur  konnte  ich  in  folgende  zwei  Arbeiten 
Einsicht  nehmen,  welche  das  Thema  dieses  Werkes  berühren:  Werming- 
hoff,  Neuere  Arbeiten  über  das  Verhältnis  von  Staat  und  Kirche  in  Deutsch- 
land während  des  späteren  Mittelalters,  Histor.  Vierteljahrsschrift  XI  153  ff. : 
Krummer,  Der  Reichsgedanke  des  staulischen  Kaiserhauses,  Rreslau  1908 
(Gierkes  Untersuchungen,  95).  Es  genüge  hier  die  Bemerkung,  daß  sie 
m.  E.  keinen  Anlaß  geben,  die  in  diesem  Werk  vertretenen  Anschauungen 
in  wesentlichen  Punkten  zu  modifizieren. 


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189 


Anhang  I. 

Verzeichnis 

der  zitierten  Stellen  des  corpus  iuris  canonici  *> 


Breve  „emendatlonem“. 

23 

gl.  imperatorem 

28*,  29*, 

Decretum  (Iratlant. 

31* 

Pars  I. 

Dist.  96. 

15,  35 

Dist.  10. 

15,  35 

c.  6.  gl. 

SB* 

c.  5.  gl. 

29i 

c.  10. 

30*,  36** 

c.  8. 

gl- 

36” 

gl.  disorevit 

31,  41,  42 

gl.  auctoritas 

80*,  31* 

l)ist.  22.  c.  1. 

gl.  te  pendere 

30*,  31* 

gl.  coelcstis 

41a 

gl.  indicio 

30*,  31*, 

Dist.  23.  c.  1 

27 

35* 

Dist.  31.  c.  4. 

105”,  105z 

c.  11. 

36” 

Dist.  36.  c.  2. 

35» 

c.  14. 

353 

Dist.  40.  c.  6. 

103-z 

Dist.  97. 

35s 

gl.  a fide  devius 

38" 

Dist.  30. 

Pars  11. 

c.  14. 

35s 

C.  2. 

c.  25. 

105”,  105s 

q.  1.  c.  9. 

12H* 

Dist.  61. c.  11  (u.Rubrik) 

I21i* 

q.  6.  c.  3.  gl.  sacer- 

Dist.  63. 

dotiutn 

42i 

c.  2.  gl.  Augustos 

31*,  81«* 

q.  7.  c.  4. 

35a 

c.  10.  gl.  relatio 

28*,  29* 

| C.  3. 

c.  22.  gl.  per  sin- 

q.  4.  c.  11. 

92*,  92i 

gulos. 

28,  28 i 

q.  9.  e.  2 (u.  Rubrik) 

73*,  73i 

c.  23. 

32,  83*, 

C.  6. 

88s* 

q.  1. 

gl.  successorem 

33* 

c.  21. 

89*,  89-2 

Rubrik  zu  c.  23 

33, 

c.  22. 

89*,  89z 

c.  33. 

42s 

C.  7. 

c.  36. 

49t\  76*, 

q.  1. 

78*,  79i 

c.  9.  gl.  rege  suo 

32* 

Dist.  81.  c.  1. 

105” 

c.  41 

105,  105], 

Dist.  93. 

85j 

106,  107, 

c.  24. 

28*,  29*, 

1172 

31*,  32*, 

gl.  Imperator 

28i 

36”,  41, 

gl.  unus 

28t 

112",  122 

C.  8. 

*)  Die  linke  Kolumne  enthält  die  zitierten  Stellen  des  corpus  iuris  canonici,  die 
rechte  die  Seitenzahlen  dieses  Buches  (die  Anmerkungen  sind  in  kleineren  Ziffern 
. beigesetzt).  Fettdruck  bedeutet,  dali  auf  der  betreffenden  Seite  von  der  Qucllen- 
stelle  ei  professo  gehandelt,  gewöhnlicher  Druck,  dal!  sie  nur  vergleichsweise 
zitiert  wird;  ein  Stern  (*)  bedeutet,  daß  auf  der  betreffenden  Seite  unmittelbar 
von  der  Besetzung  des  deutschen  Thrones,  zwei  Sterne  (**),  daß  vom  Verlust  des 
Thrones  die  Kode  ist. 


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190 


q-  !• 

C.  25.  q.  2.  c.  25.  | 

65*,  06* 

c.  6. 

32*,  33* 

C.  27.  q.  2.  c.  26.  gl. 

gl.  non  sangnini 

82*,  33* 

dignitato 

42s“ 

c.  16. 

32*.  65* 

C.  33.  q.  3.  (l)e  Poeni- 

C.  9.  q.  3. 

tentiaj 

c.  17. 

102s 

Diät.  1.  c.  45.  gl.  soli 

87“ 

c.  18. 

102;i 

Dist.  3. 

C.  11. 

c.  24. 

37“ 

q.  2. 

35s 

gl.  alium  non  ti- 

q.  3. 

inebant 

37" 

c.  78. 

76*,  77i* 

c.  79. 

76*,  77i* 

Decretales  («regoril  IX. 

15 

c.  94. 

86“, 87“, 

Liber  I. 

89" 

tit.  2. 

93,  93i 

gl- 

87“,  88“, 

tit.  4.  c.  8. 

88*.  882 

C.  15. 

8!*** 

tit.  6. 

c.  7. 

74*,  74i 

q.  6. 

40 

c.  16. 

76*,  80*. 

c.  2 — 3.  (l)ictnm 

81 1,  88* 

Oratiani) 

39“ 

c.  17. 

962” 

c.  3. 

30,  30“, 

c.  20. 

121 1* 

38",  41, 

e.  23. 

77*,  79*, 

83*.  944, 

79s* 

96",  105" 

c.  29. 

89i* 

108,  109i 

c.  34  („  V enerabilen“) 

112,  28*, 

gl.  dcposuit 

36“ 

30*,  36", 

Snlutin  zur  gl.  de- 

48*, 45 IT.*, 

posuit 

88“ 

60t,  63*, 

gl.  inutilis 

37“ 

66*.  67*, 

gl.  sacramcnto 

40" 

68*,  69*, 

c.  4.  gl.  lidelitatis 

80" 

70*,  71*, 

c.  5. 

80",  1085 

72*.  73*, 

c.  3-5. 

84t“, 

75  t,  79*, 

39“,  40“ 

80*,  83*, 

C.  17.  q.  4.  c.  8. 

91  f.*,  9U 

84*,  85*, 

C.  21. 

86*,  88*, 

q.  5. 

35s 

| 

90*,  92, 

q.  23  ss. 

35s 

1 

93 1,  109i, 

C.  22.  q.  5.  c.  18. 

II64 

110*,  111*, 

(1.  23. 

112,  121*, 

q.  4. 

123*.  124*, 

c.  22. 

353, 88  f“ 

130*,  155, 

gl- 

88**,  89“ 

156,  159*, 

q.  5.  c.  26. 

106,  107,  | 

j 

167*,  174*, 

107j  , 

181*  182* 

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191 


gl.  Rechtssatz 

til*,  «8*,  | 

«6*,  es*, 

70*,  72*, 

85* 

Disposition 

«l*,  «e\ 

07* 

Casus 

01*,  86*, 
96** 

Paraphrase 

er,  es-, 

87*,  78s*, 
85* 

Notabilin 

61*,  62*, 
63*,  88*, 
70*,  71*, 
72*,  77*,  ■ 
85*,  86*, 
87* 

gl.  absente  albern 

73* 

gl.  carebit 

60 

gl.  Caroli 

1*4,  94* 

gl.  cognitori 

60 

gl.  comuionendos 

60 

gl.  de  domo 

63*,  65* 

gl.  electus 

88* 

gl.  eligentiuin 

60 

gl.  eiaininatio 

86,  86: 

gl.  ex  snccessione 

63*,  65* 

gl.  favere 

76  IT.* 

gl.  (iaboanitas 

60 

gl.  illicitnm 

61*.  61, 

68  ff.* 

gl.  in  (iermanoa 

1*5,  !*5t 

gl.  in  uiesscm 

60,  61 

gl.  innodatus 

60 

gl.  iuramentum 

60 

gl.  I.otharius 

74* 

gl.  periuriuin 

89*,  »1* 

gl.  postulavit 

60 

gl.  progenitores 

80* 

gl.  publica 

89* 

gl.  quainvis 

71*,  71t* 

gl.  sacrilegus 

89%  91* 

gl.  transtulit 

1*4,  944, 
96** 

gl.  venire 

60, 60i,  6 1 

Sununariuui 

97* 

c.  35. 

160,* 

c.  49. 

87*,  87,, 
160,* 

c.  50. 

87*,  87, 

c.  55. 

160,* 

c.  57. 

160,* 

tit.  7.  c.  3. 

83*.  882, 
96  g** 

Suimnarium  zttc.3 

. 83g 

tit.  29.  c.  39. 

j 76,80*, 80g 

tit.  33. 

98,  93, 

c.  6 („Solitac“) 

98i 

tit.  34. 

93,  93, 

tit.  41.  c.  3.  gl.  iure 

minoris 

1 l*4s 

.iber  II. 

tit.  1. 

93,  93i 

c.  13.  („Novit*) 

74  IT.,  93i, 

103* 

gl.  Not.  (Abbas) 

75,  76 

gl.  imlicare  de 

feudo 

74,  75 

gl.  iurisdirtionem 

nostram 

75 

gl.  paceni 

76 

g).  peccatin  ipsum 

76 

Suniinariuin 

74s 

tit.  2.  c.  10. 

31,  106, 

108,  108i 

tit.  20. 

c.  2. 

73*,  73, , 

c.  32. 

78i 

tit.  24.  , 

c.  10. 

91*,  91i 

c.  27. 

91*,  913 

äununariuni  zu 

c.  27 

91 

tit.  25.  c.  12. 

89».  89s 
90* 

tit.  27.  c.  24. 

89*,  89s, 
90* 

tit.  28.  c.  23 

88*,  882 

Hmnmarium  /.u 

c.  23  j 

89i 

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192 


Liber  III. 

gl.  Reges 

tit.  8.  c 2. 

64*.  64  8 

Summarium  zu 

Liber  II. 

c.  2 

64s 

tit  2.  c.  2. 

tit.  22.  c.  2. 

91*,  91s 

tit  30.  c.  15. 

64*,  64s 

tit  11.  c.  2. 

Summarium  zu 

c.  15 

64s 

tit.  12.  c.  1. 

tit.  34.  c.  6. 

05»",  109] 

tit.  38. 

tit  14.  c.  2.  („Ad 

c.  3. 

1 76*,  78*. 
78 2 

Apostolicae“) 

g>- 

782 

c.  15. 

64*,  64s 

gl.  absolreutes 

Summarium  zu 

gl.  ac  mundo  eti- 

c.  15 

64s 

am  universo 

c.  28. 

110«,  1102  i 

gl.  ad  Apostolicae 

gl- 

1 110* 

gl.  anatbematis 

gl.  quempiam 

gl.  deieravit 

praesentare 

110s* 

tit.  50. 

03,  93i 

gl.  grarissima 

Liber  IV. 

gl.  haeresi 

tit.  17. 

03,  93i 

c.  13.  („Per  Voncra- 

gl.  illi  autem 

bilem“) 

93i,  106, 

107,  107s 

Additio  zur  gl. 

gl.  Casus 

i 04» 

illi  autem 
gl.  pacem 

Liber  V. 

gl.  privamus 

tit.  7. 

03,  93 1 

gl.  sacrilegium 

tit  27.  c.  9. 

89*,  89s, 

90* 

gl.  vocare. 

Summarium  zu 

Summarium 

c.  9 

90* 

tit  31.  c.  11. 

89i* 

Liber  III. 
tit  23. 

Liber  Sextua  Oec  re  tallum. 

c.  1. 

Fublications-Bulle. 

102s 

c.  3. 

Liber  I. 

tit.  6. 

Liber  V.  tit.  11.  c.  8. 

c.  3 
c.  43. 

tit.  8.  c.  2. 


85s 

805 

i 106,  100,  Clementlnae. 
10i>i  I Liber  II. 


10»i 


106,  108, 
108< 

106,  108, 
1083,4 
89’,  89», 
90* 

37*  ,90-, 
lOOff.-, 
100  ff.*, 

1091,  120* 
IO85" 

102,  102» 

104 
1022 
102“, 

102«“ 
37“ ,104“ , 
104s 
103-, 
103»" 

iio*,ur, 

111»* 

111»* 

103,  103] 

105  f.“, 
108“, 

IO81- 

104 

100 


109« 

100»,  125s 

106,  108, 
IO82 


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193 


9.  c.  un.  („Romani 

i 

1 

gl.  homoque  ligius 

116* 

principes“) 

99,  118, 

Summarium 

115a 

115,  115i, 

116,  116«, 

Liber  III.  tit.  17,  c.  un. 

125s 

gl.  zum  Initium 

118  ff.*, 
130* 

121* 

Extravagantes 

Johannis  XXII. 

gl.  ad  eortoB 

120* 

tit.  2.  c.  un.  gl.  debi- 

gl.  aliqualem 

120]' 

tam  conlirmationem 

129  f.* 

gl.-  decreto 

120M21»* 

1 tit.  5.  c.  un.  („Si  fra- 

gl.  fidelitatis 

1164 

trum“) 

125, 128  ff. 

gl.  futurua 
gl.  nos  itaque 

122,  122t 
120*,  12h* 

Extravagantes  communes. 

gl.  notitiam 
gl.  noverant 

120i* 

120t* 

Liber  I.  tit.  8. 

gl.  pacc 

125z 

c.  2.  („Unam  sanc- 

16,  16, ,73, 

gl.  ponrcnit 

121* 

tam“) 

99, 125  ff., 

gl.  Roges 

122*  ff., 

130,  181, 

gl.  Sicilia 

124i* 

117i 

Additio  zur  gl. 

188 

gl.  tune  Roma- 
norurn  regem 

122 

porro  subesse  Ro- 
mano Pontifici 

127,  127, 

gl.  vestigiis 

114s* 

gl.  nam  veritate 

Summarium 

115i 

testante 

126 

11.  c.  2.  („Pasto- 

113,  115, 

gl.  uterque  ergo 

ralis“) 

117 

est. 

126 

gl.  zum  Initium 

1164 

Liber  III.  tit.  13.  c.  un. 

gl.  districtum  iin- 

1253 

perii 

117* 

Liber  V.  tit.  7.  c.  2. 

125s 

Hügel maun.  Die  deutsche  KOuigswahl 


13 


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104 


Anhang  II. 

Bibliographie  der  deutschen  Königswahl. 

I.  Oie  wichtigsten  der  bisherigen  Bibliographien. 

1.  Bezüglich  der  älteren  Literatur: 

a)  Olenschlagcr,  Neue  Erläuterungen  der  Güldenen  Bulle,  Frankfurt 
und  Leipzig  1766,  § 26  Anm.  8. 

b)  Gemeiner,  Berichtigungen  im  teutschen  Staatsrecht  und  in  der 
Reichsgeschichte,  Bayreuth  1793,  I.  Auflösung  der  bisherigen  Zweifel 
über  die  Entstehung  der  kurfürstlichen  Würde,  SS.  3—10. 

c)  Costa,  Bibliographie  der  deutschen  Rechtsgeschichte,  Braun- 
schweig 1858,  No.  169  und  1973  ff. 

Bezüglich  der  neueren  Literatur: 

2.  In  Werken  allgemeiner  Natur: 

a)  Schröder,  Lehrbuch  der  deutschen  Rechtsgeschichte; 
4.  Aufl.,  Leipzig  1902,  S.  471  Anm.  9;  5.  Aufl.,  Leipzig 
1907,  S.  481  Anm.  9. 

b)  Brunner,  Grundzüge  der  deutschen  Rechtsgeschichte, 
3.  Aufl.,  Leipzig  1908,  § 33. 

c)  .Meister,  Deutsche  Verfassungsgeschichte  von  den  An- 
fängen bis  ins  15.  Jahrhundert  (Grundriss  der  Geschichts- 
wissenschaft, herausgegeben  von  Meister,  II  3)  Leipzig 
1907,  SS.  71,  75,  117  ff.  (daselbst  auch  eine  ziemlich 
vollständige  Übersicht  der  herrschenden  Theorien),  125. 

3.  In  der  Königswahlen-Literatur: 

a)  Hugelmann,  Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Geschf.  XXVII 
(1906)  226  Anm.  2 (in  dem  Aufsatz  „Der  Einfluss  Papst 
Viktors  II.  auf  die  Wahl  Heinrichs  IV.  Ein  Beitrag  zur 
Geschichte  des  päpstlichen  Approbationsrechts  bei  der 
deutschen  Königswahl“). 

b)  Lindner,  Die  deutschen  Königswahlen  und  die  Ent- 
stehung des  Kurfürstentums,  Leipzig  1893,  Vorwort. 


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195 


c)  Edmund  Meyer,  Mitt  aus  der  hist.  Lit.,  III  (1875) 
1291)'.  (Die  neuesten  Forschungen  über  die  Entstehung 
des  Kurfürstenkollegiums). 

d)  Seeliger,  Deutsche  Zeitschr.  f.  Geschichtsw.  Monatsbl., 
N.  F.  II  (1898)  1 ff.  (in  der  Einleitung  des  Aufsatzes 
„ Forschungen  über  die  Entstehung  des  Kurkollegs“). 

4.  Ja9trow,  Jahresbor.  d.  Geschichtsw.,  VI  (1883)  II  400  ff. 
(bespricht  alle  die  deutsche  Königswahl  betreffenden  Er- 
scheinungen der  Jahre  1883  bis  1886). 

II.  Die  Literatur  über  die  deutsche  Königswahl  im  allgemeinen. 

A.  In  Werken  allgemeiner  Natur. 

1.  a)  Eichhorn,  Deutsche  Staats-  und  Rechtsgeschichte  (zuerst 

erschienen  Göttingen  1808  — 1823),  II.  Teil,  5.  Aufl. 
Göttingen  1843,  § 287,  SS.  346  ff. 

b)  v.  Daniels,  Handbuch  der  deutschen  Reichs-  und  Staaten- 
Rechtsgescbichte,  IV.  Band  Tübingen  1863,  SS.  431  ff. 

c)  Zöpfl,  Deutsche  Rechtsgeschichte,  3.  Aufl.  Stuttgart 
1858,  §§  44  und  45,  SS  454  ff 

2.  a)  Waitz,  Deutsche  Verfassungsgeschichte,  VI.  Band,  2.  Aufl. 

(besorgt  von  Seeliger)  Berlin  1896,  SS.  161  ff.  und  189  ff. 

b)  Schröder,  wie  oben  I 2 a,  4.  Aufl.  SS.  471  ff,  5.  Aufl. 
SS.  481  ff 

c)  Brunner,  wie  oben  I 2 b. 

Derselbe,  Deutsche  Rechtsgeschichte;  I.  Band,  2.  Aufl. 
Leipzig  1906,  SS.  16611’.;  II.  Band,  1.  Aufl.  Leipzig 

1892,  SS.  23  ff. 

d)  Amira,  Grundriss  des  germanischen  Rechts  (Sonder- 
abdruck aus  Pauls  Grundriss  der  germanischen  Philo- 
logie) 2.  Aufl.  Straßburg  1901,  SS.  97  f. 

e)  Heusler,  Deutsche  Verfassungsgeschichte,  Leipzig  1905, 
SS.  188  ff. 

f)  Meister,  vgl.  oben  I 2 c. 

3.  a)  Gierke,  Das  deutsche  Genossenschaftsrecht,  III.  Band 

Berlin  1881,  SS.  568  ff.  (vgl.  oben  S.  178  Anm.  2)  und 
315  f.  (vgl.  oben  S.  151  Anm.  2). 
b)  Lorenz,  Deutsche  Geschichte  im  13.  und  14.  Jahrhundert, 
I.  Band  Wien  1863,  SS.  219  ff 

13* 


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19« 


c)  Ernst  Mayer,  Deutsche  und  französische  Verfassungs- 
gescbicbte,  II.  Band  Leipzig  1899,  SS.  386  ff. 

d)  Werminghoff,  Verfassungsgeschichte  der  deutschen 
Kirche  im  Mittelalter  (Grundriss  der  Geschichtswissen- 
schaft, herausgegeben  von  Meister,  II  6)  Leipzig  1907, 
SS.  29  ff. 

4.  a)  Ficker,  Vom  Reichsfurstenstande,  I.  Band  Innsbruck 
1861,  SS.  167  f. 

b)  Redlich,  Rudolf  von  Habsburg,  Innsbruck  1903,  SS.  137  ff. 

c)  Blondei,  Etüde  sur  la  politique  de  l’empereur  Fr^deric  LI. 
en  Allemagne  et  sur  les  transformations  de  la  Constitution 
Allemande  dans  la  premifere  moitie  du  13«  sifecle,  Paris 
1892,  SS.  28  ff. 

d)  Puntschart,  Schuldvertrag  und  Treugelöbnis,  Leipzig 
1896,  88.  329  ff. 

B.  Spezialliteratur:  Die  deutsche  Königswahl  in 
rechts vergleichender  Beleuchtung. 

1.  Schttcking,  Der  Regierungsantritt,  Eine  rechtsgeschichtliche 
und  staatsrechtliche  Untersuchung,  I.  Buch,  Die  Urzeit  und 
die  Zeit  der  Ost-  und  Westgermanischen  Stammesreiche, 
Leipzig  1899. 

Vgl.  dazu  folgende  Besprechungen:  Julius  Oierke,  Zeitschr. 
d.  Sav.-Stift.  f.  Rechtsg.,  XXI  (1900)  Germ.  Abt.  309 ff. ; Geffckcn, 
Deutsche  Literatur-Zeitung,  1900  Sp.  498  ff. 

2.  Phillips,  Ober  Erb-  und  Wahlrecht  mit  besonderer  Be- 
ziehung auf  das  Königtum  der  germanischen  Völker,  München 
1836  (Vermischte  Schriften,  I.  Band  Wien  1856,  SS.  104  ff.) 

3.  Ernst  Mayer,  Zu  den  germanischen  Königswahlen,  Zeitschr. 
d.  Sav.-Stift.  f.  Rechtsg.,  XXIII  (1902)  Germ.  Abt.  1 ff. 

Vgl.  auch  oben  II  A 3 c. 

4.  Lindner,  Der  Elector  und  die  Laudatio  bei  den  Köuigs- 
wahlen  in  Frankreich  im  Vergleich  mit  den  deutschen  Ver- 
hältnissen, Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Geschf.,  XIX  ( 1 898)  40 1 ff. 
(vgl.  unten  II  C 17). 

5.  v.  Wretschko,  Der  Einfluss  der  fremden  Rechte  auf  die 
deutschen  Königs  wählen  bis  zur  goldenen  Bulle,  Zeitschr.  d. 
Sav.-Stift.  f.  Rechtsg.,  XX  (1899)  Germ.  Abt.  164  ff. 


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197 


Vgl.  auch  v.  Wretschko,  Die  electio  communis  bei  den  kirchlichen 
Wahlen  im  Mittelalter,  Deutsche  Zeitschr.  f.  Kirchenr.,  XI  (1900) 
321  ff. 

G.  K ramme r,  Rechtsgeschichte  des  KurfÜrstenkollegs  bis  zam 
Ausgange  Karls  IV.  Erstes  Kapitel:  Der  Einfluss  des  Papst- 
tums auf  die  deutsche  Königswahl.  Breslau  Diss.  1903. 

Vgl.  zu  5 und  6 auch  unten  II  C 19  und  20. 


C.  Spezialliteratur;  Fortsetzung:  Die  Geschichte  der 
deutschen  Königswahl  und  des  Kurfürstenkollegiums 
im  allgemeinen. 

1.  Gemeiner,  vgl.  oben  I 1 b. 

2.  Rospatt,  Die  deutsche  Königswahl  bis  zur  goldenen  Bulle, 
Bonn  1819. 

3.  Phillips,  Die  deutsche  Königswahl  bis  zur  goldenen  Bulle; 
Vermischte  Schriften,  III.  Band  Wien  1860,  SS.  199 ff. 
(zuerst  erschienen  in  den  Sitzungsberichten  d.  Wiener  Ak. 
der  Wissensch.,  Band  XXIV  (1857)  SS.  365  fl’,  und  Band 
XXVI  (1858)  SS.  41  ff.) 

Vgl.  dazu  die  Besprechung  ronWaitz:  Gesammelte  Abhandlungen, 
I.  Band  (Abhandlungen  zur  deutschen  Verfassung«'  und  Bechts- 
geschichte,  herausgegeben  von  Zcumcr)  Göttingen  1896,  SS.  485  ff 
(zuerst  erschienen  im  Jahrgang  1859  der  Göttinger  Gelehrten 
Anzeigen,  SS.  641  ff;  bezieht  sich  auch  auf  Fickers  unten  sub  III 
Ala  genannte  Abhandlung). 

4.  Ficker,  Artikel  „Kurfürstentümer“  in:  Bluntschli  und  Brater, 
Staats  Wörterbuch,  VI.  Band  Stuttgart  und  Leipzig  1871, 
SS.  171  ff. 

5.  Hädicke,  Kurrecht  und  Erzamt  der  Laienfursten,  Programm 
von  Schul-Pforta  1872. 

Dagegen:  Waitz,  Die  Reichstage  zu  Frankfurt  und  Würz- 
burg 1208  und  1209  und  die  Kurfürsten,  Forschungen  zur 
Deutschen  Geschichte,  XIII  (1873)  199  ff.  (vgl.  oben  S.  172 
Anm.  1). 

6.  a)  Wilmanns,  Die  Reorganisation  des  Kurfürstenkollegiums 

durch  Otto  IV.  und  Innozenz  III.,  Berlin  1872. 
b)  Schirrmacher,  Die  Entstehung  des  Kurftirstenkollegiums, 
Berlin  1874. 


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198 


c)  Langhaus,  Die  Fabel  von  der  Einsetzung  des  Kurfürsten- 
kollegiums durch  Gregor  V.  und  Otto  III.,  Berlin  1875 
(zuerst  erschienen  im  Iglauer  Programm  1874). 

Vgl.  die  Besprechung  der  sub  5,  G a und  G b genannten  Ar- 
beiten von  Edmund  Meyer,  vgl.  oben  I 3 c,  ferner  den  iu  II  C 5 
angeführten  Aufsatz  von  Waitz,  schließlich  die  Besprechung  der 
sub  6a  und  Gb  genannten  Arbeiten  von  Winkelmann,  Hist. 
Zcitschr.,  XXXII  (1874)  76  ff.  (Zur  Geschichte  des  Kurfürsten- 
kollegiums); vgl.  auch  oben  8.  177  Anm.  2 und  3. 

7.  Harttung,  Die  Thronfolge  im  deutschen  Reiche  bis  zur 
Mitte  des  11.  Jahrhunderts,  Forschungen  zur  Deutschen  Ge- 
schichte, XVIII  (1878)  129  ff. 

8.  Weiland,  Ober  die  deutschen  Königs  wählen  im  12.  und 

13.  Jahrhundert,  Forschungen  zur  Deutschen  Geschichte,  XX 
(1880)  303  ff. 

9.  Schröder,  Zur  Geschichte  der  deutschen  Königswahl,  Zcitschr.  d. 
Sav.-Stift  f.  Rechtsg.  II  (1881)  Germ.  Abt.  200  f. 

10.  Ficker,  Fürstliche  Willebriefe  und  Mitbesiegelungen,  Mitt. 
d.  Inst.  f.  österr.  Geschf.,  III  (1882)  1 ff. 

11.  Harnack,  Das  Kurfürstenkollegium  bis  zur  Mitte  des  14.  Jahr- 
hunderts, Gießen  1883. 

Vgl.  folgende  Besprechungen:  Tannert,  Mitt.  d.  Inst.  f.  österr. 
Geschf.,  V (1884)  629  ff.;  Quiddc,  Hist.  Zeitschr.,  LIII  (1885) 
127  ff.:  Jastrow,  Mitt.  aus  der  hist.  Lit.,  XIII  (1885)  331  ff.: 
Bresslau,  Deutsche  Literatur-Zeitung,  1883  Sp.  1657  ff. 

12.  Tannert,  Die  Entwickelung  des  Vorstimmrechtes  unter  den 
Staufen  und  die  Wahltheorie  des  Sachsenspiegels,  Köln  1884 
(Erweiterung  einer  Bonner  Dissertation,  Die  Entwickelung 
des  Vorstimmrechts  unter  den  Staufen,  Straßburg  1882). 

13.  Quidde,  Die  Entstehung  des  Kurfürstenkoliegiums,  Frankfurt 
a.  M.  1884. 

14.  Harnack,  Oberdas  Alter  einiger  bei  der  deutschen  Königs- 
wahlbeobachteten Normen,  in:  Historische  Aufsätze  dem  An- 
denken an  Georg  Waitz  gewidmet,  Hannover  1886,  SS.  367 ff. 

15.  Maurenbrecher,  Geschichte  der  deutschen  Königswahlen 
vom  10.  bis  zur  Mitte  des  13.  Jahrhunderts,  Leipzig  1889. 

16.  Kirchhöfer,  Zur  Entstehung  des  Kurkollegiums,  Halle  a.  S. 
1893. 

Vgl.  dazu  und  zu  dem  sub  17  a genannten  Buch  die  Besprechung 
von  Chroust,  Hist.  Zeitschr.,  LXX1II  (1894)  318  ff. 


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199 


17.  Die  Lindner’sche  Theorie. 

a)  Lindner,  Die  deutschen  Königswahlen  und  die  Ent- 
stehung des  Kurfürstentums,  Leipzig  1893. 

Ygl.  dazu  folgende  Besprechungen:  Schröder,  Zeitschr.  d.  Sav.- 
Stift.  f.  Rcchtsg.,  XV  (1894)  Gcrui.  Abt.  192  f. : — ng.,  Literarisches 
Zentralblatt,  1893  SS.  1302 f.:  Bodenberg,  Juristisches  Literatur- 
blatt, 1894  S.  136:  Beckmann,  Zeitschr.  f.  Kulturg.,  I (1894) 
251  IT.  (betrifft  auch  das  sub  II  G 15  genannte  Buch.) 

b)  Seeliger,  Neue  Forschungen  über  die  Entstehung  der 
Kurkollegs,  Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Geschf.,  XVI  (1895) 
44  ff. 

c)  Lindner,  Über  die  Entstehung  des  Kurfürstentums, 
Eine  Entgegnung,  ebenda  XVII  (1896)  537  ff 

d)  Seeliger,  vgl.  oben  I 3 d. 

e)  Lindner,  vgl.  oben  II  B 4. 

f)  Seeliger,  Königswahl  und  Huldigung,  Hist.  Vierteljahrs- 
schrift,  I (1898)  511  ff 

18.  Graucrt,  Göttinger  Gelehrte  Anzeigen,  1894  SS.  625  ff.  (in  einor  Be- 
sprechung vun  Kcnipf,  Dio  Geschichte  des  grollen  deutschen  Inter- 
regnums, Würzburg  1893). 

19.  a)  Bresslau,  Zur  Geschichte  der  deutschen  Königswahlen 

von  der  Mitte  des  13.  bis  zur  Mitte  des  14.  Jahrhunderts, 
Deutsche  Zeitschr.  f.  Geschichtsw.  Vierteljahresh.,  N.  F. 
II  (1898)  122  ff 

b)  Vgl.  oben  II  B 3 und  5. 

c)  Lindner,  Der  Hergang  bei  den  deutschen  Königswahlen, 
Weimar  1899. 

Vgl.  dazu  die  Besprechung  von  v.  Wretschko,  Zeitschr.  d. 
Sav.-Stift  f.  Rechtsg.,  XX  (1899)  Germ.  Abt.  268  ff. 

20.  a)  Krammer,  vgl.  oben  II  B 6. 

b)  Derselbe,  Wahl  und  Einsetzung  des  deutschen  Königs 
im  Verhältnis  zueinander,  Weimar  1905. 

Vgl.  dazu  folgende  Besprechungen:  Hügel  mann.  Mitt.  d.  Inst, 
f.  österr.  Geschf.,  XXVIII  (1907)  684  ff.  (betrifft  auch  die  sub  II 
B 6 genannte  Abhandlung):  Held,  Hist.  Zeitschr.,  I C (1907)  564  ff. 

21.  Hugelmann,  in  dem  oben  sub  I 3 a genannten  Aufsatz  SS. 
226  ff 

22.  Zeumer,  Ein  Reichsweistum  über  die  Wirkungen  der 
Königswahl  aus  dem  Jahre  1252,  Neues  Archiv  d.  Gesellsch. 
1.  ältere  deutsche  Geschk.,  XXX  (1904)  403  ff 


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•200 


III.  Oie  Literatur  über  einzelne  Spezialgebiete  aus  der 
Rechtsgeschichte  der  deutschen  Königswahl. 

A.  Die  Behandlung  sachlicher  Spezialgebiete. 

1.  Die  deutsche  Königswahl  und  der  Sachsenspiegel  (vgl.  oben 
S.  170  Anm.  3). 

a)  Homeyer,  Das  Verhältnis  des  Schwabenspiegels  zum 
Sachsenspiegel,  1852  (aus  den  Sitzungsberichten  d.  Ber- 
liner Ak.  der  Wissensch.),  SS.  35  ff.;  Derselbe,  Die  Stellung 
des  Sachsenspiegels  zum  Schwabenspiegel,  Berlin  1853, 
SS.  93  ff. 

Ficker,  Ober  die  Entstehungszeit  des  Sachsenspiegels, 
Innsbruck  1859,  SS.  99  ff. 

b)  Schuster,  Beiträge  zur  Auslegung  des  Sachsenspiegels, 
Mitt.  d.  Inst-  f.  österr.  Qeschf.,  III  (1882)  392  ff. 

c)  Vgl.  oben  II  C 12. 

d)  Becker,  Der  Sachsenspiegel  und  die  weltlichen  Kurfürsten, 
Deutsche  Zeitschr.  f.  Geschichtsw.,  XII  (1896)  279  ff. 

2.  Die  Beziehungen  des  Herzogs  von  Österreich  zur  Königswahl 
berührt  Chmel,  Sitzungsberichte  d.  Wiener  Ak.  der  Wissensch., 
Band  XXIII  (1857)  SS.  531  ff.  (in  dem  Aufsatze  „Die  öster- 
reichischen Freiheitsbriefe“). 

3.  a)  Roden berg,  Ober  wiederholte  deutsche  Königswahlen  im 

13.  Jahrhundert,  Gierkes  Untersuchungen  28,  Breslau 
1889. 

b)  Kröne r,  Wahl,  Krönung  der  deutschen  Kaiser  und 
Könige  in  Italien,  Freiburg  i.  B.  1901. 

4.  Frh.  v.  Borch,  Die  gesetzlichen  Eigenschaften  eines  deutsch- 
römischen Königs  und  seiner  Wähler  bis  zur  goldenen 
Bulle,  Innsbruck  1884. 

5.  Muth,  Die  Beurkundung  und  Publikation  der  deutschen 
Königswahlen  bis  zum  Ende  des  15.  Jahrhunderts,  Gött. 
Diss.,  Duderstadt  1881. 

6.  a)  Schellhass,  Das  Königslager  vor  Aachen  und  vor 

Frankfurt  in  seiner  rechtgeschiclitlichen  Bedeutung, 
4.  Heft  der  Historischen  Untersuchungen,  herausgegeben 
von  Jastrow,  Berlin  1887. 


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201 


b)  Beckmann,  Das  mittelalterliche  Frankfurt  a.  M.  als 
Schauplatz  von  Reichs-  und  Wahltagen,  Frankfurt 
a.  M.  1888. 

c)  Weizsäcker,  Rense  als  Wahlort,  Philos.  u.  hist.  Abh. 
d.  Berliner  Ak.  der  Wissensch.,  1890  SS.  31  ff. 

7.  Der  die  Entwicklung  abschließende  Kurverein  von  Rense 
(Die  wichtigsten  Werke). 

a)  Ficker,  Zur  Geschichte  des  Kurvereins  zu  Rense, 
Sitzungsberichte  d.  Wiener  Ak.  der  Wissensch.,  Band  XI 
(1854)  SS.  673  ff. 

b)  Weiland,  Über  die  Sprache  und  die  Texte  des  Kur- 
vereins und  des  Weistums  von  Rense,  Neues  Archiv  der 
Gesellsch.  f.  ältere  deutsche  Geschk.,  XVIII  (1893)  329  ff. 

c)  Höhlbaum,  Der  Kurverein  zu  Rense  1338,  Abh.  d. 
Gesellsch.  der  Wissensch.  zu  Göttingen,  Phil.-hist.  Klasse, 
N.  F.  VII  (1903)  3. 

d)  Zeumer,  Ludwigs  des  Bayern  Königswahlgesetz  „Licet 
iuris“  vom  6.  August  1338  (mit  einer  Beilage:  Das  Renser 
Weistum  vom  16.  Juli  1338),  Neues  Archiv  d.  Gesellsch. 
f.  ältere  deutsche  Geschk.,  XXX  (1904)  85  ff. 

8.  Hier  könnte  auch  die  autsschlieUlich  die  päpstlichen  Hechte  boi  der 
Königswahl  behandelnde  Literatur  angeführt  worden:  vgl.  über  dieselbe 
oben  S.  84  Amn.  2 und  3:  ferner  Hugelmann,  vgl.  oben  I 3 a.1) 

B.  Die  Behandlung  einzelner  Königswahlen. 

1.  Waitz,  Jahrbücher  des  Deutschen  Reiches  unter  König 
Heinrich  I.,  3.  Aufl.  Leipzig  1885;  Exkurs  II:  „Über  die 
Erhebung  Konrads  I.“ 

2.  Besonders  die  „universalis  electio“  Ottos  I.  behandelt  Held 
in  der  oben  sub  II  C 20  b genannten  Besprechung. 

3.  Dsinger,  Die  Erhebung  Heinrichs  II.  zum  deutschen  König; 
Exkurs  zu  Hirsch,  Jahrbücher  des  Deutschen  Reiches  unter 
Heinrich  H.,  II.  Band  Leipzig  1862. 

4.  Hugelmann,  vgl.  oben  I 3 a. 

5.  a)  Niemann,  Die  Wahl  Lothars  von  Sachsen  zum  deutscheu 

König,  Gött.  Diss.  1871. 

■)  Ausdrücklich  sei  bemerkt,  daß  die  Literatur  über  die  goldene  Hülle 
in  diese  Bibliographie  nicht  aufgenommen  wurde. 


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202 


b)  Schneiderreit,  Die  Wahl  Lothars  TTI.,  Halle  Diss.  1892. 

c)  v.  Simson,  Analekfcen  'zur  Geschichte  der  deutschen 
Königswahlen,  Programm  Freiburg  i.  B.  1895,  I. 

d)  Voges,  Das  Pactum  in  der  Narratio  de  electione 
Lotharii,  Halle  Diss.  1885. 

e)  Wiehert,  Die  Wahl  Lothars  III.  zum  deutschen  König, 
Forschungen  zur  Deutschen  Geschichte,  XII  (1872)  55  fl. 

6.  a)  Hasse,  Erhebung  König  Friedrich  I.,  Historische  Unter- 

suchungen, Arnold  Schäfer  gewidmet,  Bonn  1882, 
SS.  319  ff. 

b)  Holtzmann,  Die  Wahl  Friedrichs  I.  zum  deutschen  König, 
Historische  Vierteljahrsschrift,  1 (1898)  181  ff. 

c)  Peters,  Die  Wahl  Kaiser  Friedrichs  I.,  Forschungen  zur 
Deutschen  Geschichte,  XX  (1880)  451  ff. 

d)  Prutz,  Kaiser  Friedrich  I.,  I.  Band  Danzig  1891,  SS.  399  fl. 

e)  Simonsfeld,  Die  Wahl  Friedrichs  I.  Rotbart,  Sitzungs- 
berichte d.  hist.  Klasse  d.  Münchner  Ak.  der  Wissensch., 
1894  SS.  239  ff 

f)  Wetzold,  Wahl  Friedrichs  I.,  Gött.  Diss.  1872. 

7.  Die  Literatur  über  die  Doppelwahl  von  1198  fällt  im  wesent- 
lichen mit  der  über  den  Thronstreit  im  allgemeinen  und  über 
die  Bulle  „Venerabilem“  zusammen;  vgl.  darüber  oben  S.  43 
Anm.  1 und  S.  45  Anm.  1.  Beizufugen  wäre: 

a)  Lindemann,  Kritische  Darstellung  der  Verhandlungen 
Papst  Innocenz’  III.  mit  den  deutschen  Gegenkönigen, 
Magdeburger  Programm  1885. 

b)  v.  Simson,  vgl.  oben  HI  B 5 c,  U (vgl.  oben  S.  49 
Anm.  1). 

8.  Reuß,  Die  Wahl  Heinrich  Raspes  am  22.  Mai  1246, 
Programm  Lüdenscheid  1878. 

9.  Die  Doppelwahl  von  1257. 

a)  Busson,  Die  Doppelwahl  des  Jahres  1257  und  das 
römische  Königtum  Alfons’  X.  von  Castilien,  Münster  1866. 

b)  Fanta,  Ein  Bericht  über  die  Ansprüche  des  Königs 
Alphons  auf  den  deutschen  Thron,  Mitt.  d.  Inst.  f.  österr. 
Geschf.,  VI  (1885)  94  ff. 

c)  Hampe,  Ungedruckte  Briefe  zur  Geschichte  König  Richards 
von  Cornwall  ans  der  Sammlung  Richards  von  Pofi, 


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203 


Neues  Archiv  d.  Gesellsch.  f.  ältere  deutsche  Geschk., 
XXX  (1904)  673  ff. 

d)  Otto,  Alexander  IV.  und  der  deutsche  Thronstreit,  Mitt 
d.  Inst  f.  österr.  Geschf.,  XIX  (1898)  75  ff 

e)  Redlich,  Zur  Wahl  des  Königs  Alfons  von  Castilien, 
ebenda  XVI  (1895)  659  ff 

f)  Rodenberg,  Der  Brief  Urbans  IV.  vom  27.  August  1263 
und  die  deutsche  Königswahl  1257,  Neues  Archiv  d. 
Gesellsch.  f.  ältere  deutsche  Geschk.,  X (1885)  172  ff 

g)  Tannert,  Die  Beteiligung  Herzogs  Heinrich  von  Baiern 
an  der  Wahl  des  Jahres  1257,  Historische  Untersuchungen, 
Arnold  Schäfer  gewidmet,  Bonn  1882,  SS.  336  ff 

10.  Bärwald,  De  electione  Rudolfi  I.  regis,  Diss.  Berol.  1855. 

11.  Über  den  Thronstreit  nach  1314  vgl.  oben  III  A 7,  ferner 
S.  131  Anm.  1. 

C.  Die  Behandlung  einzelner  Kurstimmen. 

1.  Lorenz,  Die  siebente  Kurstirame  bei  Rudolfs  I.  Königswahl, 
Sitzungsberichte  d.  Wiener  Ak.  der  Wissensch.,  Band  XVII 
(1855)  SS.  175  ff. 

2.  Bär wald,  Über  die  Echtheit  und  Bedeutung  der  Urkunde 
Rudolfs  I.  betreffend  die  baierische  Kur,  Ein  Beitrag 
zur  Entstehungsgeschichte  des  kurfürstlichen  Collegiums, 
Wien  1856. 

Vgl.  dazu  die  Besprechung  von  Waitz,  Gesammelte  Abhandlungen 
I.  Band  (vgl.  oben  sub.  II  C 3)  SS.  476  ff.  (zuerst  erschienen  im 
Jahrgang  1857  der  Göttinger  Gelehrten  Anzeigen,  SS.  609  ff.). 

3.  Muffat,  Geschichte  der  bayrischen  und  pfälzischen  Kur 
seit  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts,  Abh.  d.  hist.  Klasse  d. 
Münchner  Ak.  der  Wissensch.,  1869  SS.  239  ff. 

4.  Scheffer-Boichorst,  Zur  Geschichte  der  bayrischen  und 
pfälzischen  Kur,  Sitzungsberichte  der  philos.-philol.  u.  hist. 
Klasse  d.  Münchner  Ak.  der  Wissensch.,  1884  SS.  462  ff. 
(Gesammelte  Schriften,  II.  Band  Berlin  1905,  SS.  165  ff.) 

5.  Müller,  Geschichte  der  böhmischen  Kur  von  der  Wahl 
Rudolfs  L bis  zur  Wahl  Karls  V.  1273-1519.  T.I(-1356). 
Diss.  Würzburg  1891. 

6.  Zeumer,  Die  böhmische  und  die  bayrische  Kur  im  13.  Jahr- 
huudeit,  Hirt  Zeilschr.,  XCIV  (1902)  209  II. 


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•204 


Alphabetisches  Register 

Das  Register  enthält  alle  auf  den  SS.  1 — 188  verkommenden  Personen  — , 
insbesondere  auch  Autorennamen  (ausgenommen  die  Autoren  der  gebräuch- 
lichen Nachschlage-  und  Qucllenwerkc,  wie  Waitz-Dahluiann , Friedbergs 
Ausgabe  des  corpnB  iuris  canonici  u.  dgl.),  Ortsnamen,  die  Anfangsworte 
der  nicht  im  corpus  iuris  canonici  enthaltenen  Bullen  und  Reichsgesetze, 
schließlich  wichtige  Sachbezeichnungen. 


A 

Aachen  56  114*  180  182‘. 

Abbas  antiquus  751  76. 

Abbas  Siculus  61  66  75  751  1043. 
Abendland,  10,  10»  52‘  543. 
Absetzbarkeit  des  (deutschen)  Königs 
343  423  963  1743:  vgl.  auch  Depo* 
sitionsrecht. 

Abstimmung  82'  152  156  1 56*  160* 
166. 

Actus  binus,  Theorie  vom  65  74. 
Actus  legitimi  92  92*. 

Administratio  79*  80*  124  137. 
Admonitio  543  60  111  135. 

Adolf  von  Nassau  154. 

Adolf,  Erzbischof  von  Köln  164. 
Advocatia  sedis  apostolicae  2'  48  49 
54»  60  98  106'  127  129  133  134 
185. 

Aegidius  von  Orval  171*. 

Albero  archicp.  Trev.  163*. 

Albert  von  Passau  533. 

Albert  von  Stade  1721. 

Albrecht  I.  von  Habsburg  1*  ll3  113 
115»  154. 

Alemannia:  vgl.  Deutschland. 
Alexander  III.  643  74>  883  89  91'  953. 
Alexander  IV.  1083  4 176. 


Alexandria  28. 

Alfons  (von  Kastilien)  176  1 84  185* 
186. 

Allegorische  Schriftauslegung  1 26*. 
Ambrosius,  hl.  83  114*. 

Amira  41*. 

Amt,  kaiserliches;  vgl.  Kaiserwürde. 
Amt,  kirchliches:  vgl.  Kirchcnaint. 
Analogie  54  64  67  92  95  109  109' 
110  149'. 

Anastasius,  Kaiser  30. 

Anathema;  vgl.  Kirchenbann. 
Andernach  164  167. 

Annalen,  Erfurter  175*. 

Annalcs  Rertholdi  161'  *, 

Annalcs  Col.  Max.  I.  1633  166». 
Annalcs  Magd.  1633. 

Annalcs  Marbacenses  149  150  173 
174. 

Ansprüche,  päpstliche  1*  27'  72  185 
186. 

Anwartschaft  31  48. 

Apostolatus  127'. 

Apostolischer  Stuhl:  vgl.  sedes  apo- 
stolica. 

Apparatus  des  Bernardus  Parmcnsis 
61*. 

Appellation  89'. 


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205 


Appellationen  (von  Nürnberg  und 
Sachsenhausen)  186  187. 

Approbation  (Approbationsrecht)  183 
19  24  25  26  27  30  34  34'  3 42 
51  52  54  54'  56  66  68  70  72  78 
83  84  86  96  97  99  109  110  114 
118  121  122  123  124  129  130  136 
1367  137  145  181  185  186. 

Aquino;  vgl.  Thomas. 

Arbitri  80*  155  158. 

Archidiakon  28. 

Arier  4. 

Askese  93'.  • 

Assoziation;  vgl.  Verband. 

Auctnr  vetus  de  beneßeiis  162*. 

Augustinus,  hl.  2 23  36  38  91*  105* 3; 
vgl.  auch  Gottesreich. 

Augustinus  Triumphus  20*. 

Avaren  3. 

Avignon  114. 

B 

Balduin,  Erzbischof  von  Trier  120* 
151*  185  187  187'. 

Baluze  44»  45'  124'  167'. 

Bann;  vgl.  Kirchenbann. 

Bartholnmacus  Briziensis  31  31'. 

Baseler  Fürstenverzeichnis  171'. 

Bayern  1.50  168  171"  172  173  174 
182». 

Beamtenregierung  5'. 

Bellarmin  753. 

Below  v.  43*  169*. 

Below-Finke-Meinecke  1 17’. 

Beneficiuin  64  MC*- 

ßerchtold  16'. 

Beruardus  Compostellanus  junior  61 
61». 

Beruardus  Parmcnsis  de  Botono  61 
61»  63. 

Bernhard  von  Pavia  (Papiensis)  157 
160. 

Bernhard  von  Sachsen  164  167  169. 

Beruliardi  50'  163». 

Bernheim  14'J  138». 


Bertholdus : vgl.  Annales. 
Beschlußfassung,  germanische  156*. 
Besetzungsrecht  31  52  53*  132  134 
136  137  144. 

Biegler,  2». 

Binus  actus;  vgl.  Actus. 

Bischöfe  91  105  137. 

Bistum  12  12»*  19. 

Böhmen  111*  142'  150  160  169»  172 

174  175  182*  184, 

Bologna  291. 

Bonifaz  VIII.  1'  59*  94  10234109> 
116  126*  130. 

Borch,  Frh.  v.  343  58*  344. 

Brabant,  Herzog  von  Lothringen  168 
169  172. 

Brandenburg  lll3  162»  171'  172  174 

175  184. 

Brauch  (deutscher)  64  69  108'  145  153 
154  163  165  168  170  171  176  180. 
Braunschweig,  Reichstag  von  175*. 
Braunschweiger  Weistum  175*. 
Bresslau  132  133  143>  145  146  147 
148  148a  149  151  153»  153*  154. 
Brück  12*. 

Brunner  20'  172. 

Bruno  26»  923  161'. 

Bürgerliches  Gesetzbuch  für  das 
deutsche  Reich  20'. 

Bürgermeister  182». 

Burgund  51. 

Byzanz  4*  8 54«  93'  94*. 

C 

Canonicus  (—  regelmäßig)  863  185'. 
Canossa  24. 

Capitanei  (im  Kirchenstaat)  130. 
Casus  dccrctalium  61  61»  75  86  96. 
Causa  iegitima  100. 

Causae  cognitio  77». 

Cclebratio  divinorum  90. 
Chamberlain,  Houston  Steward  12». 
Childerich  III.  83  96. 

Christentum  (Christenheit)  2'  15»  37 
105  130. 


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20« 


Christianus  (princeps)  35. 

Christianus  episc.  Mog.  1503. 

Christus  als  Quelle  der  päpstlichen 
Rechte  102  f:  insbesondere  der 
päpstlichen  Weltherrschaft  127: 
Treuepflicht  gegen  Christus  39: 
vgl.  auch  Gott  und  vicarius  Christi. 

Chronicon  Montis  Sereni  165’  166*. 

Chronicon  Ottonis  ep.  Fris.  1631. 

Chronik,  Magdeburger  165’. 

Chuonradi  Vita  161 1 *. 

Cinus  (Cynus)  1231. 

Civitas  dei:  vgl.  Gottesreich. 

Clementinen  98  112  fl. 

Clerici  91  93  104  105  108  147  153. 

Olugny  12. 

Codex  (Justiniancus)  33  64  123'. 

Cülestin  III.  80  81'  90». 

Cogerc  partes  in  concordiam  80  ff. 

Cognitor  46  47  51  60  71*  73  155. 

Collatio(votorum)87  152  160  1 60'  174. 

Collaudatio  181  182'. 

Conunentar  des  hl.  Hieronymus  32. 

Commentaria  in  Ainos  77*. 

Commentaria  Innoc.  IV.  super  libros 
V decret.  106'  116'. 

Common  itio:  vgl.  Admonitio. 

Communio  sanctornm  23. 

Compilatio  I.  73'  74'  78*  88*  91 1 3 

Compilatio  III.  30  743  78'  79*  81' 
83*  88»  89*  91"  93'  95*  96'  108' 
1103  121». 

Compilatio  IV.  893. 

Compromissum  87. 

Concordia  (discordia)  49  50  54  54" 
76  80  80»  81  101  110  118  120  121 
123  124  135  135»  175  176  183  184 
184':  vgl.  auch  F.instiinmigkcit. 
Stimmengleichheit. 

Condempnatio  (eines  Wahlwerbers)  47 

Condictio  20' 

Confessio  (=  Versprechen)  34 

Conflrmatiu  29  30  42  44  50  54'  62 
68  72  86  88  129  130 


Consecratio  48  49  53  97  106'  118 

i 119  121  122. 

| Consensus  47  121'  154'  166  169 
170'  172  175  176  185. 

Consilium  commune  148». 

Constitutio  humana  76 '. 

Constitutiones  93  187. 

Consuetudo  17»  66  67  82'  124;  vgl. 
auch  Actus  binus  und  Brauch. 

Contemptio  (von  Wählern)  71  86  97 
183. 

Contumacia  »(Verurteilung  in  contu- 
maciam) 115. 

I Coronatio  47  48  49  52'  53  56  97 
114"  118  119  121  122  123;  vgl. 
auch  Krone. 

Corpus  iuris  canonici  23  23'  24  100 
113  1333. 

Corpus  script.  Eccl.  Lat.  31 s. 

Corroctores  Romani  61 s. 

Crimen  ecclesiasticum  102  102» 

103'  3 104  105  138  155. 

Cyprian  31. 

Czyhlarz  v.  7 '. 

D. 

Dänemark  26 '. 

Dalmatien  138  142  142». 

' Dante  Alighieri  1 ' 6 1 107. 

David,  Kflnig  32  37. 

Decima  64  3 

Docretum  commune  1483. 

Defensor  (ecclesiac)  48  49  54 3 116* 
129. 

Dekret:  vgl.  Gratianisches  und  Wahl- 
dekret. 

Dekretalen,  Gregorianische  15  42  ff. 
92  ff. 

Dekretisten  33, 

Deliberatio  45  51  52»  60'  68  69  85 
167. 

Delikt  117». 

Denuntiatio  (Denuntiator)  47  49  74 3. 


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207 


Deposition  (Depositionsrecht)  13  24 
24*  25  27  30  38  39  39  ‘ 83  92  93 
95  96  99  100  101  102  104  105 
108  109  112  126  129  130  138  188». 
Depositionstheorie,  Gratians  34  ff.  75. 
„ Gregorianische  24  f.  40. 

„ Innozenz  I',  IV.  37  lOOff. 

Designationsrecht  33  33*  118  149 
150  150»  161 3 169  170  173. 
Deutschenapiegel  182*. 

Deutsches  Geistesleben  94. 

Deutsches  Staatsleben  5». 
Deutschland  41  51  16  16*  26  45  68 
81*  86  90*  98  117  121  123  124 
125  128*  145  164  165  168*. 
Devolutionsrecht  21  31  42  52  53* 
54  67  70  76  79  97  99  110  111 
111»  129  130  135  136  188». 
Dionysius  28. 

Discordia;  vgl.Concordia,Doppelwahl. 
Districtus  imperii  117  117*  127. 
Döllinger  9*  11*. 

Dogma  6 1 16 1 139. 

Dominium  (duplex)  127  127*. 
Dominium  temporale  occlcsiae  117 -. 
Domkapitel  169  169 1 176. 

Domas  63  65. 

Doppelwahl  17 1 54*^66  68  70  71  72. ff. 

84  86  87  97  111  124  124« 
178  186  186*. 

— von  1198  17 1 29  * 4»ff.  1640. 

181. 

— von  1257  166*  176  f.  184  f. 

— von  1314  113*115*131131». 

— von  Bischöfen  58  78  79  79*. 
Dorf  182*. 

Dos  108. 

Drumann  16*  126*. 

E. 

Ecclesia  40  52 1 75*  95'  100  103» 
110»  121  122. 

Ecclesia  episcopalis  83». 

Ecclesia  Komana  94*  115'. 


Editio  Romana  33*. 

Ehrhard  5». 

Eibl  5». 

Eichstädt,  Bischof  von  128  '. 

Eid  17 1 36  39  40  42»  43  47  59  60 
60 1 62  63  74  74  75»  75*  83  91 
93  97  99  100  102  102*  104  106' 
108  114  115  115»  116  116*  122» 
134  137 

Eigentum ; vgl.  dominium. 

Eike  172. 

Einrede,  prozeßhindernde  89 1 90. 

Einsetzungsrecht  13  30  84  126  137 
177»  180. 

Einstimmigkeit  17'  70  71  72  81  81* 
82  82'  83  148»  152  152*  156  162» 
178  179  182  183  184  185  187; 
vgl.  auch  Concordia. 

! Eitel  117*. 

| Electio  17'  29  52'  54'  60  62  65  68 
69  71  71*  72  76  77*  78*  87  97 
97»  109  110  121  121*  122  136* 
146  150  150»  153  154  154'  156 
156*  157  162  166  167  171'  173 
174  175  181. 

Electio  canonica:  vgl.  Wahlen,  kirch- 
liche. 

Electio  communis  81  133  145  146 
148  148»  151*  159. 

Electio  irrita  89'  96*. 

Electio  legitima  120. 

Electio  per  unum  17'  135  147*  149 
150  151  152  153  154  156  179  187 
188. 

Electio  pontificum ; vgl.  Papstwahl. 

Electio  universalis  180. 

j Electus  68  71*  88  97*  145  149  175. 

Elektor  46  47  71»  76  97  111»  149 
150  150»  153  153»  154  154*  155 
156  156»  162  163  164  168  169  170 
170' 3 174. 

Eicktorenkollegium  162. 

Elektor- Theorie  156*. 

Eleutherus,  Papst  73 '. 

Ellipse  6 '. 


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208 


Eoarrationes  ad  paalmoi  36  37. 

Engelmann  45 8 54  54'. 

England  95;  vgl.  auch  Strafprozeß- 
recht. 

Entscheidung,  richterliche  72  ff. 

Entscheidungsrecht,  (freies)  päpst- 
liches 52 1 60 1 66  70  73  79  79» 
80«  81»  82  84  86  87»  88»  89  >93» 
108»  111  121 1 129. 

Entscheidungsrechtdes  Böhmenkönigs 
171». 

Eraclas  28. 

Erblichkeit  (Erbinonarchie)  19  31  63 
64*  65  f.  86  89  98  109»  128  132  134. 

Erbunf&higkeit  89. 

Erfurt;  vgl.  Annalen. 

Ermahnung:  vgl.  admonitio. 

Erzamt  111  158  170»  172  172». 

Erzürnter- Theorie  172*. 

Erzbischöfe,  rheinische  41 3 97  147 
162»  164  165  167  172  175  183: 
vgl.  auch  Köln,  Mainz,  Trier. 

Erzkanzler  163. 

Essentialia  electionis  87  170»  175*. 

Eugen  III.  25 6. 

Examinatio  49  50  51  54  56  62  70 
84  86  86»  97  106»  118  130  153. 

Eiercitium  imperii  29  30  42  123  124 
128  137. 

Exkommunikation;  vgl.  Kirchenbann. 

Extravaganten  98  99  125  ff. 

F. 

Fatuus  49  59  97. 

Favere,  ius  alteri  parti  48*  50  52»  62 
67»  68  72  76  ff.  85  87  97. 

Fedelc  12». 

Felix  II.  92». 

Felten  131 '. 

Feudalisierung  41  '. 

Feudunr.  vgl.  Lehenswesen. 

Ficker  3»  » 4 4'»«  5»  10»  12«  14 
15»  170»  173»  176»*  182». 

Fidelitas;  vgl.  iuramentum. 

Finke  117  2. 


Forchheim  24  26. 

Formalakt  152  153  156  179  181  186. 
Franken  3 7 9 25  30  35  163  180. 
Frankfurt  177*  182»  184  186*. 
Frankreich  16  28»  95  109»  113  113* 
115  118  125»  157. 

Französischer  Wahlwerber  188. 
Freisingen,  Bischof  von  163». 
Friedenswahrung  93  103  115  125» 
129. 

Friedrich  L 16  31  65  95*  116. 
Friedrich  II.  5»  37  42  60»  63  96  99 
100  101  102  103*  109»  112  164 
169  169*  170»  171  174  174». 
Friedrich  der  Schöne  154. 

Friedrich  der  Streitbare  173*. 

Frist  135. 

Fürst,  christlicher  35  105  107. 
Fürsten  (deutsche);  vgl.  Reichs- 
fürs teil  stand. 

— geistliche  und  weltliche  100 

103«  118  162»  164. 

— rheinische  165,  166. 

— s&chsische  182». 

— des  Ostens  165. 
Fürstenverzeichnis;  vgl.  Baseler. 

G. 

Girtner  2». 

Gareis  138*. 

Gebietskörperschaft  140,  143. 
Gegenkönig  50 ' 175. 

Gegenpapst  92*. 

Gehorsam  37  38  93  102  104  116. 
Geistliche;  vgl.  Clerici. 

Gelasius  I.  30  36  36  » 41  66. 
Gelobung  17». 

Goneralkonzil  als  Schiedsgericht  104*. 
Genossenschaft  81  140  152*  178  179. 
Gerichtsbarkeit,  ausserstreitige  80*. 

— kirchliche ; vgl.  Jurisdiction, 
Kompetenz. 

Germanen  4 9 11  17*  19  53  54*  81 
94*  95  118  121  131  156*  159  178 
179  180. 


Folgepflicht  182*  182*  185.  .Gesamtwille,  einheitlicher  179. 


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209 


Gesandt«;  vgl.  Legaten. 
Gesandtschaft  zur  Leistung  des  Sicher- 
heitseides 114. 

Geschichte,  deutsche  48  52  177*. 
Gesetzbuch,  vgl.  Bürgerliches  und 
Kanonisches. 

Gesetzgebung,  vgl.  Kanonische. 
Gesta  Alb.  archiep.  163*. 

Gesta  episc.  Haiborst.  165“  166“. 
Gesta  Trever.  Cont.  IV.  165“  166““. 
Gewalt,  kirchliche  (geistliche  = päpst- 
liche)  13  16  18  20  21  26  30  35  36 

37  39  40  41  42  73  75  92  93  94  95 

98  102  104  126  127'  128  131  133 
138  139  144. 

Gewalt,  weltliche  (kais.)  13,  16  18  20 
21  26  30  33  35  39  40  41  42  59 

75  92  94  95  98  99  126  127  127' 

128  130  131  133  138  139  144. 
Gewohnheitsrecht;  vgl.Brauch.Consuc- 
tudo. 

Geyer  81*. 

Gierke  5*  9“  10'  11“  14“  20‘  38*  151“ 
178. 

Giltigkeit  der  Wahl  136  170'  180 
181  183;  vgl.  auch  Kassation. 
Gladins:  vgl.  Schwert. 

Gleichgewicht,  politisches  6*. 
Gleichheit,  mechanische  69. 

Goldene  Bulle  132  133  152  153“  154 
156  187  187'. 

Gott,  als  die  den  König  absetzende 
Autorität  102; 

als  Quelle  der  päpstlichen  Rechte 
128; 

als  Quelle , bzw.  Urgrund  des 
Rechts  139  141»; 

Anrufung  Gottes  bei  der  Wahl 
153'; 

vgl.  auch  Christus,  Heiliger  Geist. 
Gottosreich  2 2*  3 5. 

Gratia  104  136  1 36*. 

Gratian  27*  34  85*  40. 

Gratianisches  Dekret  24  ff.  65  75  90 
92  95  95*  98  104  116*. 

Hugolmaan,  Die  deutsche  Königawahl 


I Granert  112*. 

, Gregor  X.  73'  77'  105*  121. 

Gregor  IV.  126*. 

Gregor  V.  177*. 

Gregor  VII.  7‘  11  11*  12  12*  14'* 
18’  19»  24  25*  26  26'  27  30  31 
34  39  ' 44  48  52  ' 54*  72  73  74  94 
98  102  103  104  125  181. 

Gregor  IX.  20“  27  29'  31'  53»  70 
80“  87'  89*  103*. 

Gregor  X.  53“  113. 

Gregor  XIII.  23. 

Gregorianer  27*. 

Griechen  5*  52'  53  95'  118  121. 
Gross  23'. 

Guelfen;  vgl.  Partei. 

Guido  von  Praeneste  44  45  46  47  49 
50  51  52  52'  72  79“  86  155. 
Günther  154. 

Gundlach  10“. 

Gutjahr  170*. 


Hadrian  IV.  116. 

Haedicke  172'. 

Händeauflegung  49  52'  86“. 
Haercticus  (haeresis)  49  59  93  97 
100  103  103*. 

Handschrift,  ßamberger  61*. 

— Melker  61*. 

— Prager  61*. 

— Wiener  61*. 

Handschriften  61. 

Harnack  4*  34*  132  147“  166*  168' 
174. 

Hauck  9*  12*  12*  25*  27»  45*  100* 
107. 

Hefele  19*  45’  52'  54“. 

Heiliger  Geist  32. 

Heinrich  I.  150*. 

Heinrich  III.  12  106  161». 

Heinrich  IV.  24  25  27  63  149  150' 
150»  170. 

Heinrich  VI.  31  43  63  65  150*. 
Heinrich  VII.  lli.  114  114*116*  118 
14 


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210 


120  120‘  122  122*  3 128  129  150» 
154  186*  186». 

Heinrich  1H.  von  Frankreich  106'. 
Heinrich  Raspe  53'  IIP  174  183. 
Heinrich,  Pfalzgraf  1C4. 

Heinrich  von  Segusia;  vgl.  Hostieneis. 
Heinrich,  Graf  von  Kuke  168’. 
Hergcnröther  161  45*. 

Hergenröth  er- Kirsch  8’  45* 
Herkommen;  vgl.  Brauch. 

Hermann,  Bischof  von  Metz  30  34. 
Herrschaft ; vgl.  Päpstliche  Herrschaft 
Herrscher;  vgl.  Weltlicher  Herrscher 
Herrscherhaus  (Königshaus)  48  59 
63  65  66. 

Hersfeld;  vgl.  Lambert. 

Hertling,  Frh.  v.  25. 

Hertzberg  83. 

Hierarchie,  kirchliche  28. 

Hierokratie  (bürokratische  Doktrin, 
hierokratisches  System)  23  71  12» 
13  14>  15  16  16'  16*  18  19  21  25 
26  27  33  36  37  64  73  931  94  98 
99  107  108  125  130  131  133. 
Hieronymus,  hl.  28  32  37  77 1 1054. 
Hincmar  von  Rheims  126*. 

Hinneberg  138*. 

Hinschius  33*  59'*  120'  135»»  137« 
HSfler  15*. 

Höhlbaum  151*  180  185  186*  187*. 
Hofgericht  164. 

Hofkanzler  170. 

Hohenstaufen  5*  15*  43  44  58  164*  | 
165. 

Homagium  115,  116*. 

Homeyer  170*. 

Homo  ligius  116*. 

Hostiensis  106'  112  112'  116*  123 
171“  175*. 

Hugelmami  7*  u.  a.  a.  0. 

Hugo,  comc8  35. 

Hugucio  127'. 

Huldigung  17*  160*. 

Hunnen  4. 

Hurter  48'  90*. 


1. 

IdoneiUt  26  48  49  50  52  54  54*  56 

57  58  59  62  63  66  68  69  71  71* 
72  78*  79  82  84  85  88  89  ff.  98 
99  118  119  121  136;  vgl.  auch 
Indignität. 

lhering  v.  141'. 

„Immortale  Dei“,  Bulle  36. 

Immunität  10'  109*. 

Imperium  (Reich,  h.  römisches  deut- 
scher Nation)  5 5*  6'  14*  25  27 
28  29  30  31  36  38  41  42  47  48 
49  50  52'  53  53*  62  64  65  67  68 
72  75  81  82  94*  95  ' 97  99  100 
101  103*  105  106'  108  109  110 
111*  113  114»  117*  118  119  120 
121  122  122**  123  124  125  128 
128'  129  131  134  136  149  150  150* 
163  171  175  178  179. 

Imperium  Romanum  1 4 9 9'  19  112* 

12T. 

Indignität  60  60'  62  65  70»  75  88 
89  90*  97  101  102  136. 

Individuum  5*. 

Infamie  89  91. 

Informativprozess  120  120'  136. 

Innoeenz  1.  105*. 

Innocenz  III.  11  1 1»  20*  25*  44  54» 

58  60'  63  66  68  70  73  74  74*  75 
78'  79  79»  81*  83  83*  88  88*  89‘ 
89*  90»  91*  93'  94  95«  96»  98  102 
102*  108  108'  110»  120  121'  123 
124  124'  135»  158  167  170'  181. 

Innocenz  IV.  37  53*  92»  96  99  108* 
106'  109  109'  IIP  116*. 

Insignien ; vgl.  Krone,  deutsche. 

Inspiration  32  65  87. 

Interessen,  kirchliche  (päpstliche)  1 3 
48;  kulturelle  58. 

Interpretation  108»  123  125  134  162' 
169». 

Inthronisation  137  163. 

Innnctio : vgl.  unctio. 

Inutilis  37  108. 

luvestitio  imperii  52'. 


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211 


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Investiturstreit  11  14  24  84. 

Irland  261. 

Irregularität  90. 

Islam  3 

Israel  12s  32  95'. 

Italien  28a  33  1145  1223  128  129  130 
131 1 134  1 37. 

Ivo  33». 

J. 

Jacobus  de  Ardizone  (Jaco  de  Are) 
123'. 

Janssen  193. 

Jaatrow-Winter  43'  1003. 

Jcllinek  188*. 

Jesus;  vgl.  Christus. 

Joanuis  Evangelium;  vgl.  Traetatus. 
Johann  XXII.  128  131». 

Johann  von  England  74. 

Johann  von  Viktring  133'. 

Johannes  Andreac  61  63  66  68  70 
71  83  108*  1123  115*  * 122. 
Johannes  Faventinus  291  40  403  962. 
Johannes  Hispanus  29'. 

Johannes  Teutonicus  28'  29  291  31 
38  42. 

Johannes  von  Buch  I121. 

Josua  63. 

Jndaei;  vgl.  Israel. 

Judex  62  72  73  75  76  77  IV  80»  87 
106'  108  128. 

Judex  ccclesiasticus  743  753. 
Judicium  30  31  74  77  * 93  1033  1073. 
Julian  Apostata  37. 

Juramcntum:  vgl.  Eid. 

Juramcntum  fidelitatis  34  35  36  39  40 
83  91  101  104  112  115  ff. 

— illicitum  60'  61  63  64 
753  86  104. 

Jurisdiction  (Gerichtsbarkeit,  Gewalt) 
päpstliche,  absolute  126  ff. 

— ratione  peccati : vgl.  dieses. 

— subsidiäre  75  94  94>  95 

106*. 


— Ausdehnung  über  weltliche  An- 
gelegenheiten 98  104  106  ff 
Jus  ad  rem  und  ius  in  re  20*  118 
137. 

Jus  commune  117  *. 

— exclusivum  176. 

— principale  175*  176  183. 

— proprium  543  76‘. 

K 

Kaiser  (Kaiserreich);  vgl.  Byzanz,  Im- 
perium. 

Kaisergedanke  163  1 1 7*. 

Kaiserideal  114. 

Kaiserkrönung  9 93  10  11  II*  16* 
26  44  49  51  54  56  66  71  72  82  83 
84  110  114  1143  115  122  122»  123 
129  134  137  187;  vgl.  auch  Krone. 
Kaisersohn  150;  vgl.  auch  Königs- 
sohn  und  Vater. 

Kaisertitel  11. 

Kaisertum  1 3 4 4‘  5 51  7 V 8 11 
12  14  15  IS*  16  16»  20  203  26  40 
42  453  545  59  82  95  99  115  116 
117  119  125  127  128  129  130  133 
134  136  137  138  144:  vgl.  auch 
Kaiserwürde. 

Kaiserwahl  28. 

Kaisorwürdo  11  ll1  13  16»  19  20  26 
42  43  48  52 1 53  54»  57  71  73  74 
82  97  97a  102  105  117  118  119 
122  1223;  vgl.  auch  Kaisertum. 
Kaiserzcit,  römische  28. 

Kanonische  Gesetzgebung  84  92  98 
1023  113  132;  vgl.  auch  Recht, 
kanonisches. 

Kanonisches  Rcchtsbuch  21  99  125 
159:  vgl.  anch  Corpus  iuris. 
Kanonisten  40  65  67  70  104  111  128 
139. 

Kardinäle,  Gefangennahme  derselben 
durch  Friedrich  II.  100  f. 
Kardinallegat:  vgl.  Guido,  Legaten. 
14* 


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212 


Karl  der  Große  4*  9 9*  10  1 1 1 1 1 
13  53  54»  94*  144  171». 

Karl  IV.  53»  154. 

Karl  von  Neapel  128  129. 

Karolinger  81  101  11  180. 

Kassation  (der  Wahl)  88  89'  90. 
Katholizismus  2 12»  19  50  139  143. 
Kelsen  6». 

Kirchenamt  13  19  21  26  32  33  37 
42»  48  48  54»  59  59»  64  74*  85  86 
87  88  89  91  95  109*  120*  133  134 
135  136  137  138  144  180. 
Kirchenbann  24  24»  35  36  37  38  39 
39»  47  59  62  88  89  89»  90  90»  97 
101  102  102»  107  108. 
Kirchenbuße,  öffentliche  83. 
Kirchenrccht:  vgl.  liecht,  kanonisches. 
Kirchenstaat  10  10»  114  122»  130. 
Kirchenstrafc;  vgl.  Strafgewalt,  geist- 
liche. 

Kirchhöfcr  178». 

Klagerecht  92*  101 1 108. 

Klemens  IV.  128  129. 

Klemens  V.  99  101  113  116  124  125 
128  129  130  131  135  135*. 
Klemens  VI.  53». 

Klemens  VII.  103*. 

Klerikalismus  5». 

Kloster  80. 

Koadjutor  37  109  138. 

Koch  8». 

Köln  43  45  49  56  123  154»  1821  184; 
vgl.  auch  Annalen. 

— Domkirche  von  Köln  45. 

— Erzbischof  von  Köln  41»  44  56 
68  69  83  84  114»  122  136 
154»  162»  163  164  166  167 
168  169  171 1 174  175. 
König,  fränkischer  9». 

— französischer  1625  53»  106 1 115. 

— germanischer  9». 

— kroatischer  142 ». 

— merowingischcr  35. 

— römischer  122  123  145  175. 


König  von  Böhmen  111  150  162’ 
169*  171*  172  174  175  175*  184. 

— von  Neapel  114  115  116*. 

— von  Portugal  109  1091. 

— von  Sizilien  15»  101. 

— von  Ungarn  (und  Kroatien)  95» 

142  142». 

Königreich,  burgundisches  117. 

— deutsches  3»  4 12;  vgl.  auch 

Königtum,  deutsches. 

— lombardisches  117  129. 
Königshaus:  vgl.  Herrscherhaus. 
Königskrönung  57»  83  84  90»  96» 

114»  124  124»  137  163  163»  164 
169  180. 

Königsschutz  10». 

Königssohn  31  31*  47;  vgl.  auch 
Kaisersohn  und  Vater. 
Königswahlen,  französische  17*. 
Königtum  26»  74. 

Königtum  (Königswürde, Königsthron), 
deutsches  14  16»  19  20»  21  24  ff. 
27  35»  43  45»  82  95  98  101  102 
118  f.  122ff.  130  133  f.  137  144 
175  f. ; vgl.  auch  Eegnum,  Rex. 
Kollegium  151  158  160»  161  162* 
174  178  185. 

Kompetenz,  fürstliche  158. 

— kaiserliche  115  122. 

— päpstliche  (geistliche)  49  54* 

75  76»  84  86  95  103  110  111 
125»  127. 

Kompilationen,  kanonische  100. 
Konkordat,  Wormser  14  14»  27. 
Konrad  II.  161. 

Konrad  IH.  31  50  50»  65  73. 

Konrad  »V.  150  150»  161  178  180». 
Konrad,  Erzbischof  von  Mainz  164. 
Konsensrecht ; vgl.  Consensus. 
Konsequenzmacherei  (in  der  Glosse) 
65  131. 

Konsistorium  45  52». 

Konstantinische  Schenkung  35». 
Konstitutiver  Charakter  der  Wahl 
bzw.  Krönung  17»  187  156»  180. 


i 


I 


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213 


Konxil  100  104:  vgl.  auch  Gencral- 
konzil. 

— Lateranensisches  III.  64»  74* 
78» 

— Lateranensisches  IV.  SU  157. 

— von  Lyon  32  893  22  106! 

— von  Ravenna  107». 

— von  Soissons  12 11. 

— von  Vienne  22. 

Kore:  vgl.  Kur. 

Korporation  81  82  140  151  151»  152 
152»  156  128  122  185  182, 

Köapo;  53. 

Krummer  18?  18!  122  20»  21!  21? 
211  451  421  521  53»  79»  84  1131» 
1 14»  1153  1241  133'.1 138!  142  151» 
158  164'  1851  170»  1221  175»,*  1SU 
185  1 86'  187»  188». 
Kreuzzugs-Gelfibde  95». 

Krieg  142. 

Kroatien  und  Slavonien  142  142! 
Krone,  deutsche  43  58  63  1 14»  136. 

— lombardische  114  114»  132. 
sizilische  43. 

— des  hl.  Stephan  142. 

— des  Kaisers  1141  127 1 131 
Krönungs-Ordines  115». 

Knke,  Graf  von  1683. 

Knr  121 156»  158  162»  185  165»  169 172. 
Kuraint  (Kurrecht)  122  1 72 1 123  182  ! 
Kurformel  (Kurspruch)  121  62  145 
153'  162»  183  185  122. 

Kurfürsten  LU  f-  Hl3  LLS  120  134 
156»  183  184  185. 
Kurffirstenkollegium  8S  22  97' 
133  135  L52  ff.  128  f.  1S5  187 

Wahlverfahren  innerhalb  des- 
selben 145  ff.  1421  153  158. 
Wahlfürsten  als  Vorläufer  der 
Kurfürsten  88  156»  188  ff  120 
170'  175*. 

Absetzuu  gsrucht  der  Kurfürsten, 
343. 

Kurie  43  48  95»  112  115  1253  145 
161  167  188. 


Kurverein  von  Rcnsc  18  16»  131  1 33» 
188  186*. 

I. 

Ladung  155. 

I.aicus  4Q  643  743  22  im 

Lambert  von  Hersfeld  154  183  163» 

Lamprecht  4»  176*. 

Landau  12». 

Landgraf  von  Thüringen  182  174. 

Langhaus  177». 

Langobarden  2. 

Lateran  1 15:  vgl.  auch  Konzil. 

Laudatio  121  156»  172. 

Leclnra  in  Decretales  des  Henricus 
von  Segusia  106! 

Lectura  in  Seztum  1043. 

Lectura  sive  apparatus  des  Hostiensis 
123  175» 

Lectnra  super  decretum  29! 

Legaten,  päpstliche  1 10». 

— bei  der  Königswahl  28  923 
163':  vgl.  auch  Kardinallegat. 

Legatum  77». 

Lehenswesen  15  15?  40  41  411  24 
22  100'  101  1011  115  1153  116 
116“  117  125  131  134  182! 

Lcitungsrecht,  kirchliches  2!  52!  54». 

Leo  L 22  86». 

: Leo  III.  9»  171! 

Leo  VIII.  33. 

Leo  XIII.  36. 

Lez  divina  76! 

Lez  regia  112». 

Liber  de  praedestinatione  et  gratis 

38. 

Liber  Seztus,  100  ff.,  105  ff-,  109». 

„Licet  juris“,  Constitutio,  187. 

Licgnitz,  Schlacht  bei  4». 

Lilienfein  6‘  9»  126». 

Lindner  12!  40  40!  863  113"  131!  142 
1 1473  148  148»  149  142!  150  151 

156»  159  167'  169*»  170*  121  1743 
175'  »*  128!  128!  1836  184». 

Literatur,  jnristische  (im  13,  Jahr 
hundert)  171. 


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214 


Loening  1 38*. 

Logik  2Ü!  126*. 

Lokalbehörden  (im  Kirchenstaat);  vgl. 
Capitanei. 

Lombardei  100»  114  112  129. 

Loren?.  177*. 

Loserth  431  1003  113«  18L1  173*. 
Lothar  von  Supplinburg  11 1 511  23  24 
148’  160». 

Lothringen-Brabant  (Herzog  von)  1£8 
169  122  182'. 

Lucbaire  453. 

Lucius  III  91». 

Ludolf,  Erzbischof  von  Magdeburg 
1£5  1 05» 

Ludwig,  der  Bayer  131 1 154  180 
Ludwig  der  Fromme  11'. 

Ludwig  von  Bayern  165,  167 
Lupoid  von  Bebenburg  151*  187. 
Luxemburg  114. 

Lyon;  vgl.  Konzil. 

M 

Maassen  81  1Ü1  1 30. 

Macht,  kriegführende  142. 

Macrocosmus  5*. 

Mähren  1683. 

Magdeburg;  vgl.  Annalcs. 

Magdeburg,  Erzbischof  von  1 65. 
Magdeburger  Chronik  165’. 

Magyaren,  4. 

Mailand,  Erzbischof  von  114*. 

Mainz  44  13. 

— Erzbischof  von  Mainz,  41s  441 
1‘24  150  1503  1541  162»  163164  163  i 
lfifi  l£2  1£S  171 1 na  135  181  L84, 
Majorität  (M.-Prinzip)  11*  54»  52  f.  68 
II  22  783  80»  81*  83  84  f.  32  33 
133  135  143  131  f.  153  136  138 
160  168  174  176  177  178  ff.  182  ff. 
182  f. 

Mandat  153*. 

Marchio  do  Rumesperc  1683. 

Marcus,  Evangelist  28. 


Markgraf  von  Brandenburg  162*  171 1 
172  174  175. 

Markgraf  von  Mähren  1683. 

Markgraf  von  Meissen  169. 
Marquardsen  4L 

Martens  12«  14'  133  16'  24«  93'  125. 
Mathaeus  Paris  17I1. 

Mauren  9. 

Maurenbrechcr  11!  13!  141  3t*  43! 
48  5ü!  1163  158*  lfiü  160»  161'* 
170*. 

Maximilian  L 16»  12. 

Mayer  Emst  12!  132  133  152  155 
156»  152  158  153  16Q  lfili!  lfil  176* 
I773  182*. 

Mayr  v.  201 
Meinecko  43!  117*. 

Meissen  169. 

Meister  33‘  34*  162»  172‘. 
Merowinger  35  83  9fi- 
Mesokosmos  5. 

Metropolit  23. 

Microcosmus  51 
Militcs  35  126. 

Minorität  II!  79»  81  82!  153»  154 
182»  3 185  182. 

Mirbt  27». 

Mittelalter  1!  5*  5!  13!  21P  28  126» 
130  138  143 
Molitor  331 

Monarch  2fi  128!  13Q  142. 

Mongolen  4 4*. 

Monza  114*. 

Moses  32  65. 

Mühlhausen  43  1£5  167. 

Münster,  Bischof  von  165. 

N 

Nabuchodonosor  38. 

Nachfolger;  vgl.  Succession. 
Nachwahl  125  175*. 

Narratio  de  elect.  Lotharii  160*. 
Nation:  Nationale  Bedeutung  des 
Kaisertums  3',  der  päpstlichen 
Macht  13'. 


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215 


Nation : Nationaler  Charakter  des 
deutschen  Staatsrechts  131. 

— Nationales  Interesse  gegenüber 
der  Politik  der  staufischen  Kaiser 

51  58, 

Naturrecht  140. 

.Ne  praetereat“,  Bulle  131'. 

Neapel  114  115  116  116*. 

Necessitas  teinporis  14. 

Negligentia  106*  1Ü1  1QSL 
Neuwahl  135  136  182, 

Ncvers  116. 

Nikolaus  L 41  22  3fi  361. 

Nikolaus  II.  21. 

Nobiles  1683  llß, 

Nominatio  152  153  154  113  181. 
Nord-Auierika  149. 

Norwegen  26 '■ 

Notar  115. 

Novella  super  Scxto  Decr.  1 12*. 
Nürnberg  186. 

ü 

Oberhäupter  (des  Weltreichs)  61. 
Obrigkeit  (Obere)  kirchliche  65  126. 
Occident:  vgl.  Abendland. 

Oesterreich  311  821  142  142!  * 1211. 
Ohr  9*. 

Oiensehlager  186  186? L 
Opportunismus  1114  1115  155. 

Orden  42a. 

Ordination  86*  105. 

Organisation  131,  1773  112. 

— korporative  81  82  178. 

Orient  Iß  52 ‘. 

Origines  32. 

Ortroj,  von  8L 
Osservatore  cattolico  82. 

Ostia  1061. 

Otto  1 14a  3 *. 

Otto  L Iß  33  33*  542  115  1153  15ßl 
1502 

Otto  III.  171a. 

Otto  IV.  43  44  41  48  49  5Q  52  52? 
55  56  58  6ß?  68  62  83  88  95a  1 153 


156  166  1663  162  168  1683  162 
181. 

Otto,  ep.  Fris.  1633. 

Otto,  ep.  Wirziburgcnsis  149. 

P 

Pactum;  vgl.  Vertrag. 

Paganus  42  52  92. 

Palca  353  121'. 

Papst  — Kaiser  102. 

Papsttum  5?  11*  14  15  16  162  4fi  41 
424151101113115118125146 
177  122. 

Papstwahl  85  145  146  141  151. 
Päpstlicho  Herrschaft  „im  Reich“ 
und  „über  das  Reich“  25?  lßl. 
Päpstliche  Lehenshoheit  116  117. 
Parallelismus  51 

Parlamentsrecht  82  82  1 142  1421 
Partei,  kriegführende;  vgl.  Macht. 

„ revolutionäre  142. 

Parteigeist  der  deutschen  Fürsten  13?. 
Partikularismns  14  26  48. 

Passau:  vgl.  Albert. 

Pastor  103*. 

Patrimonium  ecclesiae  1 17  *■ 

Patronat  64  64 3 78a  1 10  1 10a  3. 
Paulus,  hl.  36 a. 

Pax;  vgl.  Friedenswahrung. 

Peccatum  24  743  15  16  93  94  98  lßl 
102  103  104  105  107 3. 

Perjurium;  vgl.  Eid. 

Persecutor  ecclesiae  62  23. 

Personal -Verband  143. 

Perversio  judicii  11  *• 

Peterskirche  114  1145. 

Petrus,  hl.  101  121  128. 

Petrus  Bertrandus  Llfi. 

Petrus  Damiani  128 '. 

PfafTenkönigc  16  113. 

Pfalzgraf  343  62  Ul5  129  134  150 
154 1 162 a 163  164  165  166  161 
168  131?  122  123  134  175*  181  184. 
Pfründe  110*. 

Philalethes  1 *. 


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216 


Philipp  von  Schwaben  12?  13  A4  45 

4£4iia&i52'sfi5aGo»eaeä 
13  83!  88  20  90»  148  133  164 
165  162  168  1G83  169  180  181. 
Philipp  August  Ton  Frankreich  74. 
Philipp  der  Schöne  von  Frankreich  JLi. 
Phillips  12»  12*  IM  45»  32?  743  93» 
113«  S-6  1261  128 3 136»  163*  167* 
173 

Philosophie,  griechische  5». 

Piemont  115. 

Pippin  30  38  94  « 96  144 
Plato  31 

Poenitentia  38  74 
rofkiC  31 

Politik,  deutsche  31  28. 

— europäische  98. 

— französische  20». 

— päpstliche  71  LI  141  23  43  43 

51  58  60  84  134. 

— sizilische  5! 

Populus  Romanus:  vgl.  Rom. 
Portugal  102  1021  138 
Postulatio  60  793  923  121'  136  1367. 
Potvstas  tcmporalis  (in  temporalibus) 

13?  26>  25  753  93  1221 
Praelati  1021  HO3. 

Praeneste:  vgl.  Ouid». 

Prärogative ; vgl.  Vorrecht. 
Präsentation  28  78». 

Präsident  von  Nord- Amerika  82'  142. 
Praetor  80». 

Präzedenzfall  30  50‘  23  24. 
Priestertum;  vgl.  Sacerdotium. 
Princops  (in  verschiedener  Bedeutung) 
12 1 1021  1061  112»  L13L 

— in  der  Bedeutung  „Rcichs- 

fürst“:  vgl.  Fürsten. 
Principatus  (in  populos,  unus  princi- 
patus)  32  106  102  127. 

Principium  nnitatis  107. 

Priorität  (der  Wahl)  54». 

Privation  95»  101 1 102  103  109*  IIP. 
Privationsklage  101 ! 


Privileg,  gefälschtes,  Leos  111.  für 
Otto  L 33. 

Privilegien  Ottos  L 115». 

— Friedrichs  II.  171. 

— päpstliche,  als  Rechtsgrund 

des  kurfürstlichen  Wahl- 
rechts 134. 

Privilegienhoheit  des  electus  122  1223 
137. 

Protest  Heinrichs  VII.  113. 

— von  Speyer  43  45*  46  46] 
52*  133  132  f. 

Provisio  imperii  33?  112*. 
Prozeßrecht,  englisches  81  81«. 

— kanonisches  13  22  80  20  28 

120  136. 

— römisches  81*. 

Prüfungsrecht,  päpstliches  54»  20  LI 

112  120  121  136. 

Psaluti;  vgl.  Knarrationes. 
Pseudo-Isidor  73'  221  92'. 

Publicatio;  vgl.  Scrutininm. 
Publizistik,  kurialistische  201 
Publizität  (der  Exkommunikation)  90*. 

Quelle  des  Rechts  140 
„Qui  celum“,  Bulle  100  113  147» 
176*  122  177»  184. 

Quidde  156»  169»  173». 

K 

Rabulistik  (in  der  Glosse)  66. 

Raspe:  vgl.  Heinrich. 

Ratione  peccati : vgl.  Peccatum. 
Rassentheorie  12». 

Raumer  4?  431  1003. 

Ravenna,  Konzil  von  107». 

Kaymund  von  Pennaforte  743. 

Recht,  altes  und  neues  170'. 

— deutsches  201  134  133  144  149» 

IM  132  122  128  181  182 
IM  186»  188». 

— kanonisches  26  22  38  42  32 

38  52  60  62  62  20  21  23 
II  80  84  83  86  863  88  20 


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217 


94  96  98  107  IO«  11 fi  117 
12Q  125  129  130  131  132 
132  IM  133  IM  133  138 

1383  144  145  146  148  149 

L3Q  131  132  133  134  133 

139  IGO  169  178  178  179 

186  187  188. 

— öffentliches  2£Li  23  SO  64  82 

1242.  123  142  143. 

— österreichisches  20 ! 

— privates  (Zivilrecht)  2Q2  64  92' 

108  109'. 

— römisches  64  11  21  77»  8Q  80» 

81«  89  96*  1Q22  112*  1412 
179. 

— Wesen  des  Hechts  138  ff. 
vgl.  auch  Jus,  Prozeßrecht, 
Staatsrecht. 

Hechtsbewußtsein,  öffentliches  72. 
Hechtsbuch:  vgl.  Kanonisches. 
Kecbtsbüchcr,  deutsche  1715182  182s 
Rechtsentwicklung,  deutsche  (germ.) 
62  IQ  22  132  115  02  1823  133. 

— kanonische  94  116  188. 
Rcclitsformen,  alte  deutsche  179 

— kanonische  863. 

Hechtskollision  143. 

Rechtsordnung  14Q  141  142  143  149. 
Rechtspersönlichkeit  20 ! 
Rechtsphilosophie  1383  139 
Rechtssachen,  bürgerliche;  vgl.  Recht, 

privates. 

Reconciliations-Verhandlungen  131  1 
Recursus  128. 

Redlich,  Oswald  53»  1 1 33,*  U2I  176« 
185*.» 

Redlich,  Otto  343,«  95»  1003  188*. 
Reform,  cluniazensischc  12. 
Regicrungshandlungen  176. 

Rcgnum,  rex  (Romanoruui)  33  33« 
122*  * 

Rehm  12  22  3»  4‘  fii  24i 
Rei  vindicatio  201. 

Reich,  fränkisches  3 31  62  2 1 1 35. 

— hl.  römisches,  deutscher  Nation 


12  32  4 11  4343  107  122  144: 
vgl.  auch  Imperium,  Kaiser- 
tum, Kaiserwürde. 

Reichsfürstenstand  161  163  162  170 
171  173  176. 

Reichsgewalt:  vgl.  Zentralgewalt. 
Reichsgut  138  185. 

Reichsrecht  13  4Q  33  332  83  112 
138  1383. 

Reichsregiment  168. 

Reichstag,  deutscher  821 

— von  Braunschweig  175. 

— von  Frankfurt  177«  1821  1 86«. 

— von  Nürnberg  1683. 

— von  Würzburg  177*. 
Reichsverfassung  178. 

Reichsverweser  1 28*  134  1 63 : vgl. 

auch  Vikar  des  Reiches. 

Religion  1 122  75». 

Rense;  vgl.  Kurverein. 

Renunziation  (eines  Abtes)  8Q  81  ‘. 
Reorganisation  177»;  vgl.  auch  Organi- 
sation. 

Reprobatio  (eines  Walilwcrbers)  42  32 
34  56  61 5 83  112  121  124. 
Requisitio  (votorum)  82. 

Reue:  vgl.  Poenitentia. 

Reuß  1743. 

Reuter  2i 

Rezeption  12  23  132  133  146  147  148 
142  13Q  131  132  133  153*  154  131 
159  180  181  188. 

Rheims;  vgl.  Hincmar. 

Richard  von  Kornwall  154  161  126 
1 76s  184  186. 

Richteramt  13  II  IS  12  81  2ü  23 
108  115:  vgl.  auch  Schiedsrichter. 
Rictschel  202  1 66». 

Riezler  173! 

Rittertum  4L 

Robert  von  Neapel  53»  114  113  116 
117'  128  122. 

Rock,  unteilbarer  126». 

Rodenberg  1693. 

Roeßler  21 


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218 


Roger  von  Hovcden  171  *. 

Rom  1 2 22!  4 5!  8 2 11  1228  35 
1122  LU  1171  US  122  121L 
— römisches  Gebiet  10'. 
Komfahrt  LLi  IM. 

Rudolf  von  Habsburg  L!  113  1 1 3& 
IM  183«  185  186. 

Rudolf  von  Schwaben  24  25  923  3 
181  184 
Kudorff  14». 

Kuinesperc  I683. 

Rußland  26! 


S 

Sacordotium  fii  30  33*  421  521  231 
105  121*  126  121 

Sachsen  1 1 13  122  134  162!  163  168 
171 ■ 172  174  173  184. 
Sachsenbausen  186. 

Sachsenspiegel  15  151  1 12*  156*  153 
138  ISO  162  162!  130  170* 1 131! 
133  114  182!  * 184. 

Sackur  22. 

Sacramentum  21  91*  10.5. 

Sacrilegus  (sacrilegium)  42  52  66  82 
21  21!  221  21  100  102  103'. 
Sägmnller  2!  fil  11  12«. 

Salbung  111  54*. 

Salomon,  König  32. 

Salus  aeterna  60'. 

Sanctuarium  64  643. 

Sanioritas  181  85. 

Savigny,  v.  1231. 

Scelcra  (als  Indignit&tsgründe)  1(X). 
Sch&fer  14! 

Scherer,  v.  8*  20!  21!  23!  221  64! 
£1!  35*  139'. 

Schiedsrichter  24  25  34  44  46  51  M 
12  13  34  26  13  82  25  100103104 
185  186. 

Schiedsrichterauit,  päpstliches  34!  44! 
54!  103*. 

Schild,  Erhebung  auf  Schultern  oder 

Sch  ISO. 


Schirrmacher  1773. 

Schlacht  186! 

Schnürer  101. 

Scholastik  22  32  65, 

Schröder  2!  12!  33«  34Ü  41!  54!  58! 

26!  101!  1 703  111*  132!  1 186*  187 
Scbücking  3L 

Schulte  v.  8*  22!  31!  403  fil ' 3 *-*  3 
25!  106!  110  116*  123! 

Schuster  1 121  1703. 

Schwaben ; vgl.  Sucvia. 
Schwabenspiegel  15  15«  1823  185. 
Schwcmer  453. 

Schwert  15  145  126  127‘  1413. 
Sclavia  (Sclavonia)  124. 

Scrutinium  81  92*  155  152  157,J  158 
152  160  16Q1 3 164 
Sedcs  Apostolica  48  42  52>  53  60  62 
25  28  10£!  101  107»  124  121  122 
133  134  135. 

Seeliger  52 1 132  142!  1724 
Scgusia:  vgl.  Hosticnsis  und  Heinrich. 
Seyrich  2i 
Sicherheitseid  114. 

Sigfrid  von  Kppenstein  79! 

Sillani  (Scyllanei)  66, 

Simonie  26,  923. 

Simson,  v.  49! 

Sitte,  deutsche  64  'gl.  auch  Brauch. 
Sizilien  5 5!  12  14!  15  15s  42  100 
101  146  117! 

Slavonien  142  142! 

Söhne  von  Verschwörern  82, 

Sohm  12! 

Sohn:  vgl.  Kaisersohn,  Königssohn, 
Vater. 

SoisBons,  Konzil  von  121! 

Solemnitas  121 ! 

Sonderbewußtsein  (der  Stömrne)  167. 
Sou*erSnit&t  4!  fi!  38!  103. 

Spanien  261  28! 

Speyer  44,  54 
Spruchpraiis  23. 

Staatsgedanko,  römischer;  vgl.  Rom. 


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219 


Staatskirchenrcckt  2?  28  22  25  26 
10.5  106'  109»  133  13L 
Staatskirchlichc  Organisation  131. 
Staatsrecht,  deutsches  15  215  131  132 
144  177. 

osterreiches  und  ungarisches 
132. 

Stade;  vgl.  Albert. 

Städte  125  1251  133  183«. 

Stämme  (Stameshcrzogtümer)  4 2 
162  167«  133  172'. 

Stammler  1 38  3 
Stephan  11.  24  h 
Steuer  (-Immunität)  1093. 
Stimmengleichheit  (-Verhältnis)  13 
81*  171». 

Stimmennbertragung  133  i 60  3 1 Gt» 3. 
Stimmenzählung;  vgl.  Scrutinium. 
Strafgewalt,  geistliche  23i  31  132 
107»  133. 

Strakosch-Grassmann  4 3. 

Strohal  20'. 

Substitutionsrecht  31  33  32  26, 
Succcssion  (successor)  283  32  33  62 
63  £3  65  131  133  132  132J  121 
Suevia  65. 

Summa  contra  gentiles  des  hl.  Tho- 
mas von  Aquino  51 
Summa  des  Hostiensis  1 16*. 
Summarien  97'. 

Superior  60 

Suprematie  23  131  130. 

Suspension  23i  32  321  8JLJ  88  23  8L 
Sutri,  Bischof  von  903. 

Sybol  v.  31  5?  6*. 

Symbole  der  Thronerhebung  180. 
Synergismus  5 51  31  144. 

Synode  23  35, 

Systom,  staatskirchenrechtliches  38 
22;  vgl.  auch  Hierokratie 
und  Staatskirchenrecht. 
— staatswissenschaltliches  2. 

r. 

Tacitus  Ul 
Tangl  121 


Tannert  156»  169». 

Tarantaisc,  Erzbischof  von  33. 

Taube  des  hohen  Liedes  126 
Territorialstaat  1093  142. 

Testament,  altes  12». 

Testator  773. 

Theismus  1411. 

Theodosius  81 
Theokratie,  jüdische  12h 
Theologie  2 135  139. 

Theorien  ; vgl.  Binus  Actus,  Bresslau, 
Deposition,  Elektoren,  Erzürnter, 
Hierokratie,  Korporation,  Lindncr, 
Mayer  Ernst,  Potestas  in  tempora- 
libus.  Kassen,  Rezeption,  Sachsen- 
spiegel, Translation,  Wahl,  Zwei 
Schwerter. 

Thomas  von  Aqnino  51 
Thomas  Wikes  111 
Thronstreit;  vgl.  Doppelwahl. 
Thüringen,  Landgraf  von  162  174. 
Timotheus-Brief  36*. 

Titus-Brief  32. 

Tomck  128 '. 

Tractatus  in  Ioannis  Evangelium  105'. 
Translationsthoorie  11*  521  833  231 
96 3 113  118  119  120  121  121  130 

134  136. 

Treue  — Gelöbnis  (—  Pflicht)  17'  38 
32  33  601  23  132  133. 

Trcuga  Dei  16  76!  23. 

Trevcr.  Gest.  Cont.  1653  166J. 

Trier,  L63  173. 

— Erzbischof  von  Trier  413  120* 
150  162 3 163  165 3 166  166* 3 
162  168  171'  183  185, 
Tyrannus  32  52  22, 

U. 

Umstand  Ul  151  156  162*. 

Cnctio  47  38*12  53  56  92118112 

121  123, 

Ungarn  25  142  1421 ; vgl.  auch  König. 
Unitas  actus  52  57 3 86  81  26  132 

135  135151152  156  172  128  183 
181  L82  1823  183  184  IM  186  182. 

Universalismus  31  5 51 


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•220 


Univorsalreich : vgl.  Weltherrschaft. 
Universitas  6 ». 

Unterschriften  der  Wähler  166*. 
Untcrtanon,  Eid  der  18  41  102. 
Urban  II.  33  35». 

Urban  IV.  1UQ  148. 

Urteil  Ui  54»  81«  113  LII  156». 
Usus : vgl.  Brauch. 

Utilitas  ecclesiae  2L 


V. 

Vakanz  UMl  128  1 _?8'  129  1.54. 
Vancsa  123L 

Vasallität  33  41  101  115  11t;  116»  t 

IM  131 

Vater:  vgl.  Söhne. 

Vater  (kaiserlicher,  königlicher)  150* 
183  170:  vgl.  auch  Kaisersohn, 
Königssohn. 

Vclletri  106'. 

Verband  132  140  143  U2. 

Vercelli,  Commune  1081. 

Verfassung, deutsche:  vgl. Staatsrecht, 
deutsches. 

— kirchliche  2*  17!). 

— österreichisch-ungarische:  vgl. 
.Staatsrecht,  österreichisches 
und  ungarisches. 

Vergabungen  (von  Reichsgut)  135. 
Vergleich  81 . 

Verhältnis  von  Staat  und  Kirche: 
vgl.  Staatskirchenrecht. 
Verschwörer  82. 

Vertrag  M 74, 

Verwandschaft  (als  Indignitätsfall) 

48  85. 

Vicarius  Christi  106». 

Vienne,  Konzil  von  22, 

Vikar  des  Reiches  122  IS)  137:  vgl. 

auch  Kcicbsverweser. 

Vikar,  päpstlicher  129  135, 

Viktor  II.  128»  142, 

Viktring;  vgl.  Johann. 

Vincu[um  caritatis  HL 


| Volk,  deutsches  51  2Q  54»  131  134 
188 

Volk,  Teilnahme  desselben  an  der 
Königswahl  161». 

Volkssouveränität:  vgl.  Souveränität. 
Vollwort  U!  131  136  182  1G2»  U2. 
Vormund  80». 

Vorrecht  (Vorrang  bei  der  Wahl)  82 
70  93'  15G*  158  1G3  1G5  1G7  ]68 
1695  172  1721  174  18| 

Vorschlag  (Wahlvorschlag)  78»  111* 
163»  174». 

Vorstimm  (wähl)  recht  15G»  169*  172'. 

| Vota:  vgl.  Collatio,  Stimmen. 

W 

Wähler  82  88  1361  1U  152»  133  153» 
134  136  I6üi  162!  170*  Uli  175* 
177». 

Wählerkreis  156»  1G1  1G8  181. 
Wählerkurie  147  153  1G1  1G2. 
WatTengang  8L 

Wahl,  kanonische  (kirchliche)  12  21 
42  48  32  13  78»  12  21i  83  86  82 
88  82!  22  120  148  148  148!  131 
151»  132  IM  138  157»  182  1SL 

— des  Präsidenten  der  Ver- 
einigten Staaten  von  Nord- 
Amerika  149. 

— des  Präsidenten  des  Parlaments 
82»:  vgl.  auch  Doppelwahl, 
Nachwahl,  Neuwahl. 

Wahlausschroibung  163. 
Wahlbeschwerde  von  1202  : vgl.  Pro- 
test von  Speyer: 

— wegen  der  Mainzer 

Doppelwahl  79». 

Wahldekret  120  120»  132  138  134 
183  1G5»  168  1G6»  168»  173  114 
188  186». 

Walilformol ; vgl.  Kurformel. 

| Wahlfürstcn : vgl.  Kurfürsten, 
j Wahlkapitulation  2!  92*  135. 
Wahlkollegien  160»  181  161». 


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Wahlleiter  166. 

Wablort  133  ÜÜ  184. 

Wahlprotokoll  17‘. 

Wahlreich  UL 
Wahlstatt,  Schlacht  von  4*. 
Wahltheorieen  171*. 

Wahlurtcil  1563  I <i2a. 
Wahlversammlung  263  145  Itil. 
Wahlvorrecht;  vgl.  Vorrecht. 

Wahl  zeugen  162*. 

Waitz  1221  1773. 

Wattenbach  1303. 

Weiland  1532  167*  123  1 7.1* 

Weistum  125  1773  1 8ti‘. 

Weistum,  Braunschweiger  17.7  175s. 
Weizsäcker  1491. 

Welfen;  vgl.  Partei. 

Weltganzes  73. 

Weltgeschichte  in  Charakterbildern 
3». 

Weltherrschaft  51 3!  143  101  117»  144 
Weltliche  Angelegenheiten  77  90  93 
93 1 98  102. 

Weltlicher  Herrscher  1112  126. 
Weltreich,  christliches  1 l1  6 9 11 
15  23  94  93  Ml  L12  112  124  125 
121  123  129  151  L33  143  144. 
Weltreich,  riimisches  1_. 

Werminghoff  ISS 3 
Weruusky  15(1 3 
Wetzor- Welte  1161. 

Weyl  9». 


Wien  IM  U2  1733  114. 

Wilhelm  von  Holland  115  183®  134 

186*. 

Willebriefe  178. 

Willkür  182 3. 

Wilmann  111?  1773  177‘. 
Windscheid-Kipp  92». 

Winkeltnann  431  903. 

Wipo,  Vita  Chuotiradi  61 1 L 
Wolfsgruber  (1‘. 

Worms,  Bischof  von  79 
Wormser  Konkordat  14  142  97 
Wretschko,  von  81*  1253  132  133 
1451  143  143*  151  1523  1533  1573 
1142  18Q  182 3. 

Würzburg,  Bischof  von  149  1503. 

/. 

Zacharias  3(1  94  4. 

Zaringin  41  31  83. 

Zeno  123. 

Zensuren,  kirchliche:  vgl.  Strafgewalt, 
geistliche. 

Zentralgewalt  Ml  413  97. 
Zentralisation  5 1 3. 

Zeremonie  111*  153  187. 

Zeuge  13  108 : vgl.  auch  Wahlzeuge. 
Zeumer  1252  1773  133  18B34  IS7». 
Zweidrittel-Majorität  85. 
Zweischwerter- Theorie  15  152  41  126 
Zwiekur  (zwiespältige  Wahl);  vgl. 
Doppel  wähl. 


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Verlag  von  M.  & H.  Marcus  in  Breslau,  Kaiser-Wilhelmstr.  8 


Festgabe  Für  Felix  Bahn 

zu  seinem  50  jährigen  Doktorjubiläum 

gewidmet  von  gegenwärtigen  und  früheren  Angehörigen  der 
Breslauer  juristischen  Fakultät 

I.  Deutsche  Rechtsgeschichte 

10  Mark  

Beycrle,  Konrad:  Ergebnisse  einer  alainannischen  Urbarforschung  2, — M. 

Brie,  Siegfried:  Die  Stellung  der  deutschen  Rechtsgelehrten  der  Rezeptions- 
zeit  zum  Gewohnheitsrecht  . . . • 1,20  M. 

Hedemann,  Justus  Wilhelm:  Die  Fürsorge  des  Gutsherrn  für  sein  Gesinde 
(Brandenburgisch-Preussische  Geschichte)  1,60  M. 

Naendrup,  Hubert:  Dogmengoschichto  der  Arten  mittelalterlicher  Ehren- 
minderungen   5, — M. 

Schnitze,  Alfred:  Gerüfte  uud  Marktkauf  in  Beziehung  zur  Fahrnis- 
verfolgung   2, — M. 

II.  Römische  Rechtsgeschichte 

3 Mark  

Kleineidam,  Feodor:  Beitrüge  zur  Kenntnis  der  lei  Poetelia  1, — M. 

Klingmüller,  Fritz:  Über  Klagenverj&hrung  und  deren  Wirkung  1, — M. 

Leonhard,  Rudolf:  Die  Replik  des  Prozessgewinns  (replica  rei  secundum 
me  judicatac),  ein  Beitrag  zur  Lehre  von  den  beiden  Funktionen  der 
exceptio  rei  judicatac 1,20  M. 

III.  Recht  der  Gegenwart 

9 Mark  

Beling,  Emst:  Die  Beschimpfung  von  Religionsgesellschaften,  religiösen 
Einrichtungen  und  Gebräuchen,  und  die  Reformbedürftigkeit  des  § 166 
StGB 1,20  M. 

Fischer,  Otto:  Vollstreckbarkeit 1,80  M. 

Gretencr,  Xaver:  Die  Religionsverbrechen  im  Strafgesetzbuch  für  Russ- 
land vom  Jahre  1903  1, — M. 

Hey  mann,  Emst:  Die  dingliche  Wirkung  der  handelsrechtlichen  Traditions- 
papiere  (Konnossement,  Ladeschein,  Lagerschein) 3,20  M. 

Jacobi,  Ernst:  Die  Pflicht  zur  Berufung  der  Generalversammlung  einer 
Aktiengesellschaft 0,80  M. 

Meyer,  Herbert:  Die  rechtliche  Natur  der  nur  scheinbaren  Bestandteile 
eines  Grundstücks  (§  95  BGB.) 1, — M. 

Schott,  Richard:  Über  Vcrüusserungsverboto  und  Resolutivbedingungen  im 

bürgerlichen  Recht 1,20  M. 


Druck  von  A.  Favorke,  Breslau 


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Verfall  des  offiziellen  und  Entstehung 
des  privaten  Zweikampfes  in  Frankreich 

von 

Alexander  Coulin 

Dr.  jur.  und  Dr.  pliil. 


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Untersuchungen 

xur 

Deutschen  Staats*  und  Rechtsgeschichte 

herausgegeben 

von 

Dr.  Otto  Gierke 

Professor  der  Rechte  an  der  Universität  Berlin 

99.  Heft 


Verfall  des  offiziellen  und  Entstehung 
des  privaten  Zweikampfes  in  Frankreich 

von 

Alexander  Coulin 

Dr.  jur.  und  Dr.  phil. 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1909 


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Verfall  des  offiziellen 

und 

Entstehung  des  privaten  Zweikampfes 
in  Frankreich 


Alexander  Coulin 

Dr.  jur.  and  Dr.  pbll. 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1909 


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Alle  Rechte  Vorbehalten 


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Josef  Köhler 

in  steter  Dankbarkeit  und  Verehrung 


gewidmet 


vom  Verfasser 


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Inhalt. 

Seil« 

Inhalt VH 

Verzeichnis  der  Abkürzungen IX 

Vorwort XV 

Erste«  Kapitel: 

Oer  Niedergang  des  gerichtlichen  Zweikampfs  im  französischen 

Recht. 

Erster  Abschnitt: 

Die  städtische  Bevölkerung  und  der  Zweikampf. 

§ 1.  Die  flandrischen  Privilegien 1 

§ 2.  Die  übrigen  Privilegien  der  städtischen  Bevölkerung  des  zwölften, 

dreizehnten,  vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhunderts  ...  2 

§ 3.  Die  Jnden-  und  Lombardenprivilcgion 29 

Zweiter  Abschnitt: 

Die  Kirche  und  der  Zweikampf. 

§ 4.  Die  Stellung  der  Konzilien,  P&pste  und  kirchlichen  Schriftsteller 

zum  gerichtlichen  Zweikampf  30 

§ 5.  Der  Einfluß  der  Kirche  auf  die  Formalien  des  gerichtlichen 

Zweikampfs 40 

§ 6.  Kampfgerichtsbarkeit  kirchlicher  Gerichte,  Teilnahme  dos  Klerus 

am  Kampf  und  privilegium  fori 48 

Dritter  Abschnitt: 

Das  Königtum  und  der  Zweikampf. 

§ 7.  Die  französischen  Könige  und  der  gerichtliche  Zweikampf  vom  61 
Beginn  des  zwölften  bis  zur  Mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts 
§ 8.  Der  gerichtliche  Zweikampf  und  die  französischen  Könige  in  der 

Zeit  von  1260  bis  1306  69 

§ 9.  Die  Ordonnanz  von  1306  und  die  weitere  Entwickelung  des  ge- 

gerichtlichen  Zweikampfs 87 


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vm 


Zweites  Kapitel : 

Oie  Entstehung  des  modernen  Privatzweikampfs. 

Erster  Abschnitt: 

• Der  Vorgänger  des  modernen  Privatzweikampfs. 

§ 10.  Einleitung  107 

$ 11.  Die  Entstehung  des  außergerichtlichen  ernsthaften  Zweikampfs  116 

§ 12.  Die  Entwickelung  des  außergerichtlichen  Zweikampfs  bis  zur 

Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts 126 

Zweiter  Abschnitt: 

Der  moderne  Privatzweikampf. 

§13.  Die  Entwickelung  des  modernen  Privatzweikampfs  in  Frankreich  139 
§'  14.  Die  EepressiTgesetzgcbung  gegen  den  modernen  Privatzweikampf 

bis  zum  Tode  Heinrich  111 142 


i 


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Verzeichnis  der  Abkürzungen, 


Adolphe-Hdie  = Chauvean  Adolphe  et  Faustin  Hdlie,  Theorie  da  code  penal 
6»«  Ed.  Tome  3.  Paris  1887. 

Artois  = Coutoumier  d’ Artois,  ed.  Ad.  Tardif.  Paris  1883. 

Audigier,  Auvergne  = Histoirc  d’Auvergne  par  Pierre  Audigier,  Tom.  I.  ’ ■ 
Clermont-Perrand  1894. 

Bardoux  = Les  legistes,  leur  influence  sur  la  socieU1  francaise  par  A.  Bar- 
doux.  Paris  1877. 

BBB  = Ce  sunt  les  cuustumcs  d’Anyou  et  d»u  Maigue.  in  Coutumes  et  In- 

BBC  =•  Les  coustuuies  glossees  d’Anjou  et  du  Maine,  stitutions  de  1 Anjou 

BBF  = Cy  sont  les  coustuuies  d’Anjou  et  du  Maine  • BeaUtmps=BeaPupre 
intitulees  seien  les  rubriches  du  Code  dont  jrB  partie  T.  1 et  2. 
les  aucunes  sont  concordees  de  droit  escript.  Paris  1877-1879. 

Beaurn.  = Philippe  de  Beaumanoir,  Coutumes  de  Beauvaisis,  cd  Salmon. 

T.  1 et  2.  Paris  1899.  1900. 

Beaumont  (1182)  — Bonvalot. 

Benolt  ~ Histoire  ecclesiastique  et  politique  de  la  ville  et  du  diocese  de 
Toni.  Toni  1707. 

Bessin  = Concilia  Rotomagensis  provineiae  etc.  ed.  0.  Bessin  T.  1 et  2. 
Kotomagi  1717. 

B.  & L.  = Coutumes  locales  de  Berry  et  celles  de  Lorris  commentees  par 
G.  Thaumas  de  la  Thaumassiere.  Bourges  1679. 

Bonvalot  =■  E.  Bonvalot,  Le  tiers  etat  d’apres  la  charte  de  Beaumont  et 
ses  filiales.  Paris  1884. 

Bouillart  — Histoire  de  l’Abbaye  royal  de  S.-Germain-des-Prez.  Paris  1724- 

Boutaric,  Actes  du  Pari.  = Actes  du  Parlament,  ed.  E.  Boutaric.  Paris 
1863.  1867. 

Boutaric,  Ph-le-B.  = La  France  sous  Philippe- le-Bel  par  E.  Boutaric.  Paris  1861. 

Boutiot,  Troyes  = Histoire  de  la  ville  de  Troyes  et  de  la  Champagne  meri- 
dionale  par  T.  Boutiot.  T.  1.  Troyes  et  Paris  1870. 

Brantöme  = Discours  sur  les  duels  par  P.  de  Bourdeillc,  seigneur  de  Bran- 
töme,  ed.  Lalannc.  Paris  1873. 

Brussel  = Nouvel  examen  de  l’usage  general  de  fiefs  en  France  pondant 
le  XI«,  XII«,  XIII«  et  XIV«  siede  par  Brussel  T.  2 Paris  1727. 

Calmet  = Histoire  ecclesiastique  et  civile  de  Lorraine  par  A.  Calmet. 

Nancy  1728. 


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X 


Campigneulles  = Fougeroux  de  Campigneulles,  Histoire  des  duols  anciens 
et  modernes.  Paris  1835. 

Canel  = Le  combat  jodiciaire  en  Normandie  par  A.  Cancl.  Cacn  1858. 
Cart.  de  Beaulien  — Cartulaire  de  PAbbayo  de  Beanlien  (en-Limousin),  ed. 
M.  Deloche.  Paris  1859. 

Cart.  de  Grenoble  = Cartulaire  de  Feglisc  cathedrale  de  Grenoble,  dd. 
J.  Marion.  Paris  1869. 

Cart.  de  Marmoutier  = Cartulaire  de  Mannoutier  ponr  le  Dunois,  dd.  Ma- 
bille.  Chataaudun  1874. 

Cart.  de  N.-D.  de  Paris  = Cartulaire  de  l’dglise  Notre-Dame  de  Paris,  cd. 
Gudrard.  Paris  1850.  T.  1.  2.  3. 

Cart.  de  Nonnains  de  Troyes  = Documenta  sur  l’abbaye  de  Notre  - Dame- 
aui-Nonnains  de  Troyes,  ed.  Lalorc.  Troyes  1874. 

Cart.  de  Saintes  = Cartulaire  de  l’abbaye  royale  de  Saintes.  Niort  1871. 
Cart.  de  Savigny  = Cartulaire  de  l’Abbaye  de  Savigny  (Rböne),  ed.  Ber- 
nard.  Paris  1853. 

Cart,  de  S.  Pere  de  Chartres  = Cartulaire  de  l’Abbaye  de  Saint-Pere  de 
Chartres,  ed.  Gudrard.  T.  1.  Paris  1840. 

Cart.  de  S.  Victor  de  Marseille  = Cartulaire  de  l’Abbaye  de  Saint -Victor 
de  Marseille,  ed.  Guerard.  T.  1 u.  2.  Paris  1857. 

Cart.  de  Talmond  = Cartulaire  de  l’Abbaye  de  Talmond,  ed.  de  la  Boute- 
tiere.  Poitiers  1873. 

Cart.  S.  Dionysii  de  Nogento  = Cartularium  Sancti  Dionysii  de  Nogento- 
Rotrudi-Pertici.  Vanncs  1895. 

Cauchy  <=  E.  Cauchy,  Du  duel.  Paris  1843. 

Chatauvillard  --  Comtc  de  Chatauvillard,  Essai  sur  1c  duel.  Paris  1836. 
Chätelet  — Le  Livre  dos  Constitncions  demendes  el  chastelet  de  Paris,  cd. 

Mortot.  in  Mem.  d.  1.  societe  de  PHistoire  de  Paris  et  de  l'tle- 
de-Prancc.  T.  10.  Paris  1883. 

Chron.  an.  par.  = Chronique  Parisienne  anonyme  de  1316  ä 1339  io  Mem. 

d.  1.  societe  de  PHistoire  de  Paris  et  de  l'lle-de-France.  T.  11. 
Paris  1884. 

Crapelet  = Ceremonies  des  Gages  do  Bataille  selon  les  constitutions  du 
bon  roi  Phelippe  de  France,  representeos  en  ome  tigures,  ed. 
G.  A.  Crapelet.  Paris  1830. 

D’Argentre  = Histoire  do  la  Bretagne  par  B.  D’Argentrd.  Paris  1588. 
Declareuil  — • J.  Declareuil,  Les  preuves  judiciaires  dans  le  droit  träne  du 
V*  au  VIII'  siede.  VI.  in  Nouv.  Rev.  hist,  de  Droit  23«  annee. 
Paris  1899. 

Delisle  = Ceremonial  d’unc  dpreuve  judiciaire  par  Dolisle  in  Bibi,  de 
l’Ecolo  des  Chartes  XVIII.  Paris  1856/7. 

Dictionaire  historiquo  = Dictionaire  historiquo  des  moeurs,  usages  et  cou- 
tumes  des  Franqois  (Verfasser:  de  la  Chesnaye- des -Bois)  T.  1. 
Paris  1767. 

Dum  Ganncron  = Les  annales  de  Dom  Ganncron,  chartreux  de  Mont-Dieu 


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XI 


(Ardennes),  IV.  centnrioa  dn  Pays  de»  Essuens,  ed.  P.  Laurent, 
Paris  1894. 

Du  Cange  = Glossarium  mediae  et  infimae  latinitatis  etc. 

Ducoudray  = Los  origines  du  parlement  de  Paris  et  la  Justico  au  XIII * 
et  XIV«  siecles.  Paris  1902. 

Dufayard  — La  reaction  feodale  sous  les  fils  de  Philippe-le-Bel  par  Cb.  Du- 
fayard in  Revue  historique  (54)  Paris  1894  (55)  Paris  1895. 

Durand  = Durand  de  Maillane,  Dictionaire  de  Droit  canoniquo  et  de  pra- 
tique  beneticial  3«  Ed.  Lyon  1776. 

Esmein  Pr.  C.  «=  Histoire  de  la  procedure  criminelle  en  Franco  par  A.  Es- 
mein.  Paris  1882. 

fit.  <=  Les  Etablissements  de  Saint-Louis  par  J.  Viollet  T.  1 — 4 Paris  1881/6. 

Etabl.  norm.  = Etablissements  et  coutumes.  assisses  et  arrets  de  l’Ecbiquior 
de  Normandie  au  XIII*  siede,  ed.  A.  J.  Mamier.  Paris  1839. 

Fontaines  = Le  conseil  de  Pierre  de  Fontaines  ou  Traite  de  l'ancienne 
jurisprudence  fran<,'aise,  ed.  A.  J.  Mamier.  Paris  1846. 

Fournier,  Droit  d’Appel  = P.  J.  M.  Fournior,  Essai  sur  l’histoire  du  droit 
d’appel.  Paris  1881. 

Fournier,  Officialites  = P.  Fournier,  Les  ofticialites  au  moyen-äge.  Paris  1880. 

Franc  aleu  = Du  franc  aleu  et  origines  des  droits  seigneuriaui  (Ver- 
fasser: Aug.  Galland)  Paris  1537. 

FToissart  = Les  Chroniqucs  de  J.  Froissart,  ed.  Buchon.  T.  2.  Paris  1840. 

Gallus  = Ilecisiones  Parlamenti  Parisicnsis  etc.  Initio  collectae  per  Jo- 
hanneni  Galli.  ac  nuper  per  D.  Carolnm  Molinaeum  J.  C.  etc. 
Francofurti  ad  Moenum  1570. 

Garnier  = Chartas  de  communes  et  d’affranchissements  en  Bourgogne,  ed. 
J.  Garnior,  Tomes  1 — 3.  Dijon  1867/77. 

Garraud  = Traite  theorique  et  pratique  du  droit  penal  franrais.  Tome  4. 
Deuxiemc  Ed.  Paris  1900. 

Gerichtl.  Zweikampf  = A.  Coulin,  Der  gerichtliche  Zweikampf  im  altfran- 
rösischen  Prozeß.  Berlin  1906. 

Giraud  = Essai  sur  l’histoire  du  droit  francais  au  moyen-äge.  T.  1 u.  2. 
Paris  und  Leipzig  1846. 

Gironde  = Archives  historiqnes  du  departement  de  la  Gironde.  T.  2.  7. 
Paris  1860/65. 

Giry,  S.  Omer  Histoire  de  la  ville  de  Saint-Omer  et  de  ses  institutions 
par  A.  Giry.  Paris  1877.1 

Glaason  = Histoire  du  droit  et  des  institutions  de  la  France.  T.  6.  Paris 
1895. 

Gontaud  Coutume  de  Gontaud  in  Gironde,  t.  7. 

Gr.  chron.  *=  Les  grandes  chroniques  de  France,  ed.  Paulin,  Paris  T.  4.  6. 
Paris  1838. 

Hildenbrand  — Purgatio  canonica  et  vulgaris  von  Karl  Hildenbrand. 
München  1841. 

Hist.  - Rccueil  des  Historiens  des  Gaules  et  da  la  France. 


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xn 


Histoires  dos  Papes  = Histoire  dos  Papes  T.  IV.  La  Hajo  1704. 

Hofmann  = Die  Stellung  der  katholischen  Kirche  sum  Zweikampf  bis  tum 
Konzil  ron  Trient  in  Ztachrift  für  katholische  Theologie  22.  Jahrg. 
(1898)  Innsbruck. 

Huon  = Huon  de  Bordeaux,  ed.  Grandmaison.  Paris  1860. 

Jerusalem  = Assisses  de  Jerusalem  ou  recueil  de  ouTrages  de  jurisprudenee 
composes  pendant  le  XIII « siede  dans  los  royaumes  de  Jerusalem 
et  de  Chypre.  T.  I u.  2.  ed.  Comte  de  Beugnot.  Paris  1841, 1848. 

Jost,  et  Plet  — Li  Livres  do  Josticc  et  de  Plet,  ed.  Kapetti.  Paris  1850. 

Jubainville  =*  Histoire  des  ducs  et  comtes  de  Champagne  par  D’Arbois  de 
Jubainvillc.  Paris  1861. 

Köhler,  Studien  IV.  = Studien  aus  dem  Strafrecht  Bd.  IV.  Mannheim  1896. 

Lalain  = Chronique  de  J.  de  Lalain  par  G.  Chaatcllain.  ed.  Bouchon. 
Paris  1825. 

Languedoc  = Histoire  generale  de  Languodoc  par  deui  religieux  Benedietins 
de  la  Congregation  de  Saint-Maur.  Paris  1733/42. 

Layettes  — • Layettes  du  tresor  des  Chartes,  ed.  Teulet,  Laborde,  Berger. 
T.  1—4.  Paris  1863—1902. 

Le  Glay  A.  d.  N.  = Le  Glay  in  Arehives  historiques  et  litteraires  du  Hord 
de  la  France  et  du  Midi  de  la  Belgique.  T.  1.  Valenciennes  1829. 

Livre  des  Droiz  — Le  Livre  des  Droit  et  des  Commandemens  d’office  de 
Justice,  ed.  Reautemps-Beaupre.  T.  1.  2.  Paris  1865. 

Lobineau  — Histoire  de  Bretagne  par  G.  A.  Lobineau.  T.  1.  2.  Paris  1707. 

Magn.  Bull.  B.  — Magnum  Bullarium  Romanum.  Luxemburgi  1742. 

Mansi  = Becueil  des  Conciles. 

Marchegay,  Anjou  — Arehives  d’Anjou.  Angers  1843  bis  1900. 

Marchegay,  Duell  — Duel  judiciaire  entre  des  communautes  religieuses  par 
P.  Marchogay  in  Bibi,  de  l’Eeole  des  Chartes.  T.  I. 

Marlene  = Marione,  De  Antiquis  ecclesiae  ritibus  Über  III  cap.  VII  ord.  IV 
et  XIII.  Rotomagi  MDCCII. 

MG.  — Monumenta  Germaniae. 

Migne  = Patrologiae  cursus  completus  series  latina. 

Monstrelet  = Chroniques  d’Enguerran  de  Monstrelet.  Paris  1572. 

Montesquieu  = Montesquieu,  De  l’Esprit  des  Lois. 

M.  B.  — Missale  Romanum  ex  decreto  Sacrosancti  Concilii  Tridentini  con- 
stitutum. Pii  V.  Pont.  Max.  jussu  editum  et  Clementis  VIII. 
primum,  nunc  denuo  Urbani  Papae  VIII.  auctoritate  recognitum. 
Antvorpiae  MDCXLV. 

Nouv.  Rev.  hist,  de  Droit  = Nouvelle  Revue  historique  de  Droit  franqais  et 
etranger.  Paris. 

Olim  — Les  Olim  ou  registres  des  arrets  rendus  par  la  Cour  du  Roy,  ed. 
Comte  de  Beugnot  T.  1 — 3.  Paris  1839/48. 

Ord.  = Les  Ordonnances  des  Roys  de  France  de  la  troisiemo  race.  Paris 
1723  ff. 

Pasquier  — Les  recherches  de  la  France  par  E.  Pasquier.  Paris  1665. 


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xm 


Patetta  = Le  Ordalie,  Studio  di  storia  del  diritto  et  sciema  del  diritto 
comparato.  Torino  1890. 

Pecheur  = Annales  du  diocese  de  Soissons  T.  2 u.  8.  Soissons  1868.  1875. 

Petit,  Bourgogne  — Hiatoire  des  duca  de  Bourgogne  par  E.  Petit  de  Vauaae. 
Paria  1885-1901. 

Proost  — Recherche«  sur  la  legislation  des  Jugementa  de  Dieu  etc.  par 
J.  J.  E.  Proost.  Bruxelles  1868. 

Prou,  Lorria  — Lea  coutumes  de  Lorria  etc.  par  M.  Prou  in  Nout.  Rer.  hist, 
de  Droit.  Paris  1884. 

Rec.  - Recueil  general  dea  anciennea  loia  fram.-aiaes  par  Jourdan,  Decrusy, 
Iaambert.  Paris  1828  ff. 

ReimB  adm.  — Archive«  administativcs  de  la  rille  de  Reims,  par  P.  Varin. 
Paria  1889. 

Reims  legislatif.  = Archives  legislatives  de  la  Tille  de  Reims,  par  P.  Varin. 
Paris  1840. 

Rethel  =»  Tresor  des  chartes  du  comte  de  Rethel,  ed.  Saige  et  Lacaille. 
T.  1.  Monaco  1902. 

Riviere  = Hiatoire  des  Institutions  de  l’Anvergne  par  H.  F.  Riviere.  Paris 
1874. 

Rofredus  — Rofredi  Beneventani  Summula  de  pugna,  curante  Priderico 
Patetta  in  Bibi.  jur.  med.  aevi  ed.  Aug.  Qaudentius. 

Saplayrollea  = Recherchea  sur  le  Duel  judicaire  et  la  doctrine  eccleaiastique 
par  A.  Saplayroiles,  Paria  1902. 

Schaeffner  = Rechtsverfassung  Frankreichs  von  W.  Schaeffner.  Frankfurt 
1845- 1850. 

Seeberg,  Grundriß  = Grundriß  der  Dogmengeschichte  von  R.  Seeberg  2.  Auf). 
Leipzig  1905. 

de  Smedt  (95)  ■=  Le  duel  judiciaire  et  l’eglise  in  Etudea  religieusea  etc. 
XXXII«  annee  T.  LXIV.  Paria  1895. 

Stilles  Bourg.  = Coutumes  et  Stilles  gardez  au  duchie  de  Bourgogne.  bei 
Giraud  T.  2. 

T.— A.  = Coutume  de  Touraine-Anjou,  bei  Viollet  T.  8. 

Tanon,  Eglises  = Histoircs  dea  juatices  des  anciennea  dgliaea  et  communautes 
monastiques  de  Paria,  par  L.  Tanon.  Paria  1883. 

Tardif.  Mon.  = Monuments  historiques  par  J.  Tardif.  Paris  1866. 

Tardif.  proc.  — La  procedure  civilo  et  criminolle  au  XIII  • et  XIV « siecles 
par  A.  Tardif.  Paris  1885. 

Thomas  — Thomas  Aquinas,  Summa  totiua  theologiae. 

Thierrv  = Recueil  des  monumenta  inedits  de  l’histoire  du  tiers  etat.  Pre- 
miere Serie.  Region  du  Nord.  Paris  1850  f. 

Ürsinus  = Hiatoire  de  Charles  VI.  par  Jean  Juvenal  des  Ursins,  ed.  Gode- 
froy.  Paria  1653. 

Viollet  — Lea  Etablissements  de  Saint-Louis  publies  par  P.  Viollet  Paris 
1881/6. 

WarukSnig,  Flandrische  Staats-  und  Rechtsgesohichtc.  Bd.  21.  Tübingen 
1836. 


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Vorwort. 


Untersuchungen  über  die  Geschichte  und  Dogmatik  des  Zwei- 
kampfes sind  in  den  letzten  Jahrzehnten  wieder  modern  geworden ; 
auch  an  populär-wissenschaftlichen  Schriften,  die  in  mehr  oder 
minder  tendenziöser  und  dilettantischer  Weise  diesen  Gegenstand 
behandelt  haben,  ist  zur  Zeit  kein  Mangel.  Soweit  sich  die  vor- 
handenen Arbeiten  mit  der  Rechtsgeschichte  des  modernen  Zwei- 
kampfes beschäftigt  haben,  haben  sie  großenteils  auf  einem  histo- 
risch unzureichenden  Material  ihre  Leitsätze  aufgebaut.  Die  Lücken 
der  Überreste  haben  sie  dabei  weniger  aus  den  Quellen  der  be- 
handelten Zeit,  die  doch  wirklich  nicht  so  spärlich  fließen,  als  aus  der 
Tiefe  ihrer  eigenen  Spekulation  ergänzt.  War  schon  durch  diese 
wenig  kritische  Methode  ein  leidlich  getrübtes  Bild  entstanden, 
so  trug  man  zum  Überfluß  noch  moderne  Anschauungen  in  die 
Darstellung  rein  geschichtlicher  Vorgänge  hinein.  Aber  auch  von 
einem  andern  Fehler,  der  in  der  mehr  spekulativen  und  bequemeren 
Art  des  Arbeitens  seine  Wurzel  findet,  hielten  sich  die  Arbeiten 
noch  bis  in  die  neueste  Zeit  nicht  immer  fern.  Ausgehend  von 
dem  schiefen  Gedanken,  daß  Rechts-  und  Kulturinstitute  innerhalb 
des  westeuropäischen  Kulturkreises  gleichmäßig  und  nach  gleichen 
Gesetzen  entstehen,  sich  ändern  und  vergehen,  hat  man  nicht  be- 
dacht, daß  wie  die  Ursachen,  so  auch  die  Art  und  Weise  der  ge- 
schichtlichen Veränderung  sehr  mannigfaltig  sind;  ja  man  hat 
sogar  in  der  irrigen,  von  der  historischen  Wissenschaft,  längst  über- 
wundenen Auffassung,  als  ob  die  nordgermanische  Rechtsgeschichte 
das  Urbild  und  der  Repräsentant  der  gemeingermanischen  sei, 
Quellen  dieses  Kreises  mit  westgermanischen  Quellen  kombiniert 
und  daraus  historische  Kontinuitäten  konstruiert,  und  hat  es  dem- 
gemäß nicht  für  nötig  erachtet,  ehe  man  au  die  Darstellung  der  Ge- 
schichte des  westeuropäischen  modernen  Privatzweikampfes  heran- 


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XVI 

trat,  die  Entwickelung  des  gerichtlichen  Zweikampfes,  des  Turniers 
und  der  Fehde  und  die  Entstehung  des  Privatzweikampfes  inner- 
halb der  schon  früh  abgeschlossenen  kleineren  Kultur-  und  Eechts- 
gebiete  Westeuropas  mit  Mitteln,  die  dem  heutigen  Stand  der 
historischen  Wissenschaft  entsprechen,  zu  untersuchen.  Man  zog 
vielmehr  unter  Überspannung  der  komparativen  Methode  in  buntem 
Durcheinander  Quellen  des  einen  Rechtsgebietes  zur  Darstellung 
der  Geschichte  des  Zweikampfes  in  einem  anderen  Rechtsgebiete 
heran  und  gab  das  so  gewonnene,  in  den  verschiedensten  Farben 
schillernde  Mosaik  für  eine  Geschichte  des  westeuropäischen  Zwei- 
kampfes aus. 

Unter  Benutzung  der  in  meiner  Darstellung  des  gerichtlichen 
Zweikampfes  im  altfranzösischen  Prozeß  gewonnenen  Resultate 
sollen  in  dieser  Schrift  die  genetischen  Zusammenhänge  des  ge- 
richtlichen Zweikampfs,  des  Turniers  und  des  modernen  Prirat- 
zweikampfs  in  Frankreich  untersucht  werden.  An  der  Hand  der 
Ergebnisse  dieser  Spezialuntersuchung  und  der  Untersuchung  der 
Zweikampfinstitute  in  anderen,  auch  sonst  in  der  Entwickelung 
des  Straf-  und  Prozeßrechts  ihrer  Zeit  verhältnißmäßig  abge- 
schlossenen Gebieten  wird  sich  dann  erst  rechtsvergleichend  unter 
Beiseitelassung  einzelner  Sonderbildungen  ein  Bild  der  Ent- 
wickelungsgeschichte des  westeuropäischen  modernen  Zweikampfs 
zeichnen  lassen.  Freilich  ist  dies  ein  mühsamer  und  langwieriger 
Weg;  dafür  werden  aber  die  Ergebnisse  einer  derartigen  Unter- 
tersuchung  auch  größeren  Anspruch  auf  Richtigkeit  erheben  dürfen, 
wenn  auch  exakte  Resultate  hier  so  wenig  wie  auf  anderen  Ge- 
bieten der  wissenschaftlichen  Forschung  zu  erzielen  sein  werden. 

In  der  Geschichte  der  französischen  Kampfinstitute  tritt  ein 
Zug  scharf  hervor:  Mit  dem  allmählichen  Verschwinden  des 

kämpflichen  Beweises  aus  dem  Zivil-  und  Strafprozeß  kommen 
außergerichtliche  ernsthafte  Zweikämpfe  bei  den  Angehörigen  des 
Ritterstandes  mehr  und  mehr  in  Übung.  Der  Erforschung  dieser 
Erscheinung,  die  sich  als  eine  historische  Entwickelungsreihe  sehr 
komplizierter  Natur  darstellt,  der  Herleitung  und  Darstellung  der 
den  modernen  privaten  Zweikampf  beherrschenden  Idee,  die  sich 
in  unveränderter  Starrheit  trotz  des  Wechsels  der  äußeren  Formen, 
in  die  sie  sich  kleidete,  Jahrhunderte  lang  gleich  geblieben  ist, 
und  der  Entwickelnngsgeschichte  dieser  äußeren  Formen  bis  zu 


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XVTI 


dem  Moment,  wo  diese  sich  so  konsolidieren,  daß  die  Formen  des 
modernen  Privatzweikampfs  unschwer  als  deren  Spielart  ange- 
sprochen werden  dürfen,  und  als  Delikt  gebrandmarkt.  werden,  ist 
diese  Arbeit  gewidmet. 

Das  erste  Kapitel  behandelt  den  Niedergang  des  gerichtlichen 
Zweikampfs.'  Von  den  ersten  Symptomen  einer  allmählichen  Ver- 
drängung des  kämpflichen  Beweises,  die  als  Ausfluß  der  Giiden- 
politik  der  flandrischen  Städte  zu  Beginn  des  zwölften  Jahrhunderts 
in  Erscheinung  treten,  ausgehend  werden  die  französischen  Städte- 
privilegien, soweit  sie  sich  mit  dem  Zweikampf  beschäftigen,  ana- 
lysiert und  gruppiert;  dabei  läßt  sich  eine  immer  schärfer  hervor- 
tretende, anfangs  auf  Einschränkung  des  kämpflichen  Beweises, 
später  auf  Abschaffung  des  kämpflichen  Grußes  gerichtete  Tendenz 
erkennen.  Sodann  wird  die  Stellung  der  Kirche  zum  Zweikampf 
kurz  skizziert;  es  zeigt  sich  dabei,  daß  die  maßgebenden  kirch- 
lichen Faktoren  in  dieser  Frage  eine  gesunde  Realpolitik  ver- 
folgen, sich  im  großen  und  ganzen  von  einer  übertriebenen  Be- 
kämpfung dieses  Beweismittels  mit  Rücksicht  auf  die  geschichtlichen 
und  kulturellen  Grundlagen  des  Gebietes  femhalten  und  erst  mit 
dem  allmählichen  Vordringen  des  Enqueteverfahrens  nach  dem  Norden 
und  seinem  Eindringen  in  die  königlichen  Gerichte  die  Anwendung 
des  Zweikampfs  absolut  verbieten.  Weiterhin  wird  die  Stellung- 
nahme der  französischen  Könige  zum  Kampfordal  erörtert;  das  auf  den 
ersten  Blick  planlos  und  schwankend  erscheinende  Verhalten  der 
Kapetinger  erscheint  bei  tiefer  dringender  Betrachtung  als  das 
Ergebnis  einer  klugen  Rechtspolitik,  die  keineswegs  von  der  mehr 
abstrakten  Frage,  ob  der  gerichtliche  Zweikampf  ein  sicheres  und 
sittlich  erlaubtes  Beweismittel  sei,  Richtung  gebend  bestimmt 
wurde.  Im  großen  und  ganzen  richtete  sich  die  königliche  Ge- 
setzgebung in  der  Zeit  vom  Beginn  des  zwölften  bis  zur  Mitte 
des  dreizehnten  Jahrhunderts  nach  den  Wünschen  der  drei  Stände; 
die  Kirche  wurde  in  der  'Ausdehnung  der  Kampffähigkeit  auf  ihre 
Eigenleute  begünstigt,  die  Städte  wurden  durch  immer  weitere 
Beschränkung  des  Kampfzwanges  in  ihren  Interessen  geschützt  und 
der  Adel  wurde  seinen  Wünschen  entsprechend  mit  gesetz- 
geberischen Maßregeln  auf  dem  Gebiete  des  Kampfrechts  verschont. 
Der  wachsende  Einfluß  der  legistischen  Theorie  führt  eine  grund- 
sätzliche Änderung  in  der  Gesetzgebungspolitik  herbei;  auch  die 

U 


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Zweikampfsgesetzgebung  wird  auf  alle  Stande  ausgedehnt,  gleich- 
zeitig wird  im  Interesse  der  Schaffung  und  Stärkung  der  könig- 
lichen Justizhoheit  der  Zweikampf  beschränkt  und  die  Enquete 
kraftvoll  gefordert  und  dadurch  der  Adel  nicht  unerheblich  in 
seinen  Interessen  geschädigt;  diese  Maßnahmen  sind  das  Werk 
der  zweiten  Hälfte  des  dreizehnten  und  des  ersten  Drittels  des 
vierzehnten  Jahrhunderts;  im  Mittelpunkt  der  Betrachtung  stehen 
dabei  die  Ordonnanzen  von  1260  und  1306.  In  dieser  Zeit  hatte 
sich  die  nichtritterliche  Bevölkerung  des  Kampfes  entwöhnt;  der 
Zweikampf  selbst  war  feierlicher,  prunkhafter  nnd  exklusiver  ge- 
worden; gegen  die  Ordonnanz  von  1306  und  die  mit  ihr  im  Zu- 
sammenhang stehenden  Anordnungen  reagierte  nur  noch  der  Land- 
adel. Trotz  des  äußeren  Erfolges  den  die  „humides  priöres“  der 
Ritterschaft  hatten,  war  das  Schicksal  des  gerichtlichen  Zwei- 
kampfes, als  der  erste  Valois  den  Thron  Ludwigs  des  Heiligen  be- 
stieg, endgültig  entschieden.  Vereinzelt  kommen  allerdings  noch 
Kampfprozesse  im  fünfzehnten  und  zu  Beginn  des 'sechszehnten 
Jahrhunderts  vor;  aber  schon  die  Schriftsteller  der  zweiten  Hälfte 
des  sechszehnten  Jahrhunderts  kennen  den  Kampf  als  prozessuales 
Beweismittel  nicht  mehr  aus  eigener  Anschauung  und  geben  da- 
her nur  ein  getrübtes,  vielfach  verworreneres  Bild  dieses  Instituts. 

In  einer  Zeit,  in  der  der  gerichtliche  Zweikampf  innerhalb 
der  durch  die  Gesetzgebung  Philipps  des  Schönen  gezogenen  Grenzen 
noch  in  lebendiger  Rechtsübung  stand,  setzte  eine  neue  Entwicke- 
lungsreihe ein,  die  vom  tomeamentum  quasi  hostile  particulare  ihren 
Ausgangspunkt  nimmt  und  als  Kontrastbewegung  zur  Verdrängung 
des  gerichtlichen  Zweikampfs  aus  der  Praxis  den  Kampfgedanken 
auf  eine  neue  Basis  stellt:  Der  Zweikampf  wird  das  einzig  zu- 
lässige Mittel  der  Bewährung  der  ritterlichen  Ehre;  mit  dieser 
Entwickelungsreihe  beschäftigt  sich  das  zweite  Kapitel.  Wenig 
gefährlich  von  äusserster  Courtoisie  beherrscht,  Mannesmut,  Ehr- 
gefühl und  persönliche  Verantwortlichkeit  stärkend,  hat  dieses  In- 
stitut während  zweier  Jahrhunderte  ein  glanzvolles  und  nützliches 
Dasein  geführt,  bis  auch  ihm  das  Königtum,  das  eine  exklusive 
Zuständigkeit  für  die  Gestattung  dieser  Kämpfe  im  fünfzehnten 
Jahrhundert  beanspruchte  und  im  sechzehnten  Jahrhundert  durch- 
setzte, den  Todesstoß  gab.  Anknüpfend  an  einzelne  Elemente  des 
gerichtlichen  Zweikampfs,  hatte  die  vom  Königtum  beliebte  Be- 


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XIX 


Schränkung  <}es  außergerichtlichen  autorisierten  Zweikampfs  einer- 
seits zu  einer  begrifflichen  Annäherung  desselben  an  den  gericht- 
lichen Zweikampf  geführt  und  andererseits  zu  einer  stetig  wach- 
senden Abneigung  der  ritterlichen  Kreise,  vor  dem  König  oder 
seinen  Kommissaren  zu  kämpfen,  Anlaß  gegeben.  In  Anlehnung 
an  die  prinzipiellen  Gedanken  des  außergerichtlichen  Zweikampfes, 
aber  in  anderen  äußeren  Formen,  die  man  auf  den  Kriegszügen 
in  Italien  kennen  lernte,  hält  nunmehr  der  Privatzweikampf  seinen 
Einzug  in  die  französische  Rechtsgeschichte;  seine  Blütezeit  ist 
nur  von  kurzer  Dauer,  umso  länger  aber  die  durch  die  Zeitver- 
hältnisse und  die  Haltung  des  französischen  Königtums  bedingte 
blutige  Erntezeit,  in  der  die  Blüte  des  französischen  Adels  ver- 
nichtet wurde. 

Um  die  Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  setzte  eine 
strenge  Repressivgesetzgebung  ein , die  bis  zur  Revolution  in 
Geltung  blieb,  und  drückte  dem  ritterlichen  Institut  das  Brand- 
mal des  Verbrechens  auf;  an  dem  ehrliebenden,  waffenfrohen, 
trotzigen  Sinne  des  französischen  Adels  prallte  die  Hochflut  dieser 
Gesetzgebung  machtlos  ab;  keine  Todesstrafe,  keine  Konfiskation 
hat  es  vermocht,  den  Privatzweikampf  zu  beseitigen;  ja  gerade 
unter  der  strengsten  Repressivgesetzgebung  war  der  Kampf  ä ou- 
trance  am  häufigsten;  die  Verdrängung  des  Privatzweikampfs  aus 
der  breiten  Öffentlichkeit,  die  Nötigung  der  Duellanten  „ä  la 
mazza“  oder,  wie  man  in  Frankreich  sagte,  „dans  beaux  champs“ 
zu  fechten,  ist  vielleicht  ilie  einzige  dauernde  Wirkung  dieser  Ge- 
setzgebung gewesen;  in  der  Praxis  aber  sah  man  sich  bald  ge- 
nötigt, die  Strenge  der  Gesetze  durch  nicht  immer  angebrachte 
Begnadigungen  zu  paralysieren.  Seit  dem  Beginn  des  siebzehnten 
Jahrhunderts  weist  die  französische  Antiduellgesetzgebung,  trotz- 
dem sie  zahllose  Edicte  produzierte,  so  gut  wie  keine  neuen  le- 
gislatorischen Gedanken  auf,  auch  die  äusseren*Formen  des  Privat- 
zweikampfs, die  wir  nunmehr  als  Erscheinungsformen  des  Zwei- 
kampfdelikts anzusprechen  haben,  ändern  sich  wenig  und  unwesent- 
lich, so  daß  man  berechtigt  ist  um  die  Wende  des  sechzehnten 
und  siebzehnten  Jahrhunderts  in  der  Entwickelung  des  Zweikampf- 
problems in  Frankreich  wenn  auch  keinen  Abschluß  so  doch  einen 
hervorragenden  Ruhepunkt  zu  konstatieren;  dieser  Umstand  recht- 
fertigt den  formellen  Abschluß  dieser  Arbeit  an  diesem  Punkte 
der  Entwickelung  des  Problems. 


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XX 


Bei  dieser  Arbeit  ging  mein  Bestreben  darauf,  nicht  nur  eine 
referierende  oder  eine  pragmatische,  sondern  vielmehr  eine  gene- 
tische Geschichte  des  Zweikampfes  zu  geben  und  ihn  systematisch 
und  konstruktiv  zu  erfassen.  Hoffentlich  ist  es  mir  dabei  gelungen 
das  ungeheuere  Quellenmaterial  so  auszuwählen  und  so  zu  ver- 
dichten, daß  der  Zusammenhang  der  einzelnen  Entwickelungsreihen 
stets  klar  erkennbar  geworden  ist,  damit  diese  Arbeit  auch  der 
Erkenntnis  des  so  verschieden  beurteilten  modernen  Privatzwei- 
kampfs dienstbar  gemacht  werden  kann;  denn  nur  dann  wird  sie 
den  mit  der  Darstellung  rechts-  und  verfassungsgeschichtlicher 
Probleme  zu  verbindenden  weiteren  Zwecken  vollauf  entsprechen. 

Ich  freue  mich,  daß  ich  auch  diese  mannigfach  umgestaltete 
und  erweiterte  Arbeit  gleich  meiner  philosophischen  Doktor- 
dissertation, die  in  ihrem  Teildruck  sich  mit  dem  Thema  der 
ersten  beiden  Paragraphen  dieser  Arbeit  befaßte,  meinem  hoch- 
verehrten Lehrer,  dem  Herrn  Geheimen  Justizrat  Professor  Dr.  Josef 
Köhler,  als  Widmung  darreichen  darf. 

Berlin,  im  Januar  1909 

Couiin 


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Erstes  Kapitel 

Der  Niedergang  des  gerichtlichen  Zweikampfs 
im  französischen  Recht. 

Erster  Abschnitt 

Die  städtische  Bevölkerung  und  der  Zweikampf. 

§ i 

Die  flandrischen  Privilegien. 

Die  französischen  Stadtverfassungen  sind  wie  die  deutschen 
erst  im  Mittelalter  entstanden.  Die  fränkische  Periode  hat  noch 
keine  Städte  im  Sinne  des  Mittelalters  gekannt.  Marktrecht, 
Immunität,  Gerichtsbarkeit  und  politische  Selbstverwaltung  zeichnen 
die  Städte  des  Mittelalters  in  rechtlicher  Beziehung  aus.  Die 
Rechte  der  Städte  beruhen  auf  Privilegien,  die  teils  bei  der  Grün- 
dung, teils  bei  der  Erhebung  eines  Ortes  zur  Stadt  verliehen  und 
späterhin  hauptsächlich  anläßlich  der  Bestätigung  und  Erneuerung 
dieser  Privilegien  oder  auch  bei  anderen  Gelegenheiten  vielfach 
erweitert  wurden.  Unter  diesen  Privilegien  befinden  sich  nun  seit 
Anfang  des  zwölften  Jahrhunderts  Rechtssätze,  die  die  Stellung 
der  städtischen  Bevölkerung  oder  eines  Teils  derselben  hinsichtlich 
des  gerichtlichen  Zweikampfes  regeln. 

Die  frühesten  zur  Zeit  bekanntet!  Privilegien  dieser  Art  finden 
sich  in  den  flandrischen  Küren. 

In  Ypern  war  man  bis  zum  Jahre  1116  gewohnt,  bei  Klagen 
durch  duellum,  judicium  igniti  ferri  aut  aque  den  Gegenbeweis 
zu  führen.  In  diesem  Jahre  gab  nun  Balduin  der  sechste,  Graf 
von  Flandern,  omnibus  burgensibus  Ypre  libertatem  quinta  manu 
per  quatuor  electos  parentos  suos  juramento  se  purgare.  Konnte 
der  Beklagte  den  Eid  nicht  leisten  oder  mißlang  der  Eid,  so 
zahlte  er  Wette  und  Buße.  Damit  war  jede  Möglichkeit  eines 
gerichtlichen  Zweikampfs  unter  den  burgenses  beseitigt1). 

*)  vgl.  Warnkönig,  Flandrische  Staats-  und  Rechtsgeschichte  Bd.  2l 
c'ottliu,  Zweikampf  In  Frankreich  1 


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2 


Nach  der  der  Stadt  Saint-Omer  im  Jahre  1127  vom  Grafen  Wil- 
helm von  Flandern  bewilligten  Küre  werden  alle  Angehörigen  der 
Gilde  auf  allen  flandrischen  Harkten  in  allen  Sachen  unter  Aus- 
schluß des  kämpflichen  Beweises  dem  Urteile  der  Schöffen  unter- 
stellt1). 

Dieser  Art  von  Privilegien  reiht  sich  im  Jahre  1187  ein 
solches  für  die  Stadt  Tuurnay  an.  In  ihm  bestimmte  Philipp- 
August:  nemo  civium  alium  civem  ad  duellum  provocare  poterit; 
die  Bürger  sollen  sich  vielmehr  in  ihren  Prozessen  unter  einander 
der  aqua  frigida  oder  des  Eidhelferbeweises,  selbdritt  oder  selb- 
siebent,  bedienen’). 

Wie  Thierry  ausführt3;,  verdanken  die  nordfranzösischen 
Städteprivilegien  dieser  Zeit  wesentlich  den  Gilden  ihre  Entstehung. 
Dieser  Ansicht  darf  man  aber  auch,  soweit  sie  die  städtischen 
Kampfprivilegien  anlangt,  ohne  weiteres  beipflichten,  da  diese 
Privilegien  den  großen  Zielen  der  Gildenpolitik  gerecht,  werden, 
indem  sie  den  Kampf  zwischen  Angehörigen  der  Gilde  bezw.  der 
Gemeinde  aus  dem  Prozeß  ausschalten  und  durch  Beweismittel 
ersetzen,  die  rascher  eine  Entscheidung  herbeizuführen  geeignet 
waren,  keine  besonderen,  nur  mit  Zeitverlust  und  bei  körperlicher 
Gewandheit  erlernbaren  Fertigkeiten  voraussetzten  und  so  der  Ge- 
werbe- und  Handelstätigkeit  der  Städtebewohner  mehr  entgegen- 
kamen. 

§ 2 

Oie  übrigen  Privilegien  der  städtischen  Bevölkerung  des 
zwölften,  dreizehnten,  vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhunderts. 

I.  Wenn  die  Privilegien  in  anderen  Teilen  Frankreichs  auch  den 
Zweikampf  nicht  ohne  weiteres  ausschlossen,  so  ist  ihnen  doch 
fast  ausnahmslos  eine  denselben  mehr  oder  minder  beschränkende 

Tübingen  183G.  p.  58  no.  75.  — Warnkoenig,  Histoire  de  la  Plandre  (_  V. 
p.  321  bei  Proost,  Kecherches  p.  96. 

')  vgl.  Giry,  S.  Omer  p.  372  f.  — Girj  bezieht  dieses  Privileg  auf 
sämtliche  Einwohner;  demgegenüber  habe  ick  aber  schon  in  meinem  alt- 
französisckcn  Zweikampf  p.  31,  Note  8 dargetan,  dall  es  sich  nur  auf  die 
Gilde  erstreckt. 

*)  Tournay  (1187)  Ord.  XI  p.  250.  art.  21.  — vgl.  hierzu  Le  Glay  A. 
d.  N.  L p.  76.  " 

s)  Thierry  I.  p.  25  f. 


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8 


Bestimmung  eigen.  Wie  in  Deutschland,  so  lassen  sich  auch  in 
Frankreich  eine  Reihe  von  Stadtrechtsfamilien,  die  das  gemeine 
Recht  der  einzelnen  Landschaften  durchbrechen,  unterscheiden. 
Wo  eine  Gemeinde  ein  wünschenswertes,  ihren  Rechts-,  Verfassungs- 
und Wirtschaftsverhältnissen  entsprechendes  Privileg  in  Übung  sah, 
trachtete  sie  darnach  bei  Verleihung  oder  Bestätigung  ihrer  eigenen 
coutume  die  Aufnahme  dieses  Privilegs  von  ihrem  Stadtherrn  in  ihre 
coutume  zu  erlangen.  Wo  ein  Stadtherr  mehreren  Gemeinden 
Privilegien  erteilte,  verlieh  er  den  einzelnen  Gemeinden  dieselben 
oder  ähnlich  lautende  coutumes.  So  kommt  es  denn,  daß  die 
einzelnen  Stadtrechte  oft  wörtlich  übereinstimmende  oder  doch 
ähnlich  lautende  coutumes  besitzen  und  sich  in  dieser  Hinsicht 
den  deutschen  Stadtrechtsfamilien  vergleichen  lassen.  Trotz  der 
Verschiedenheit,  die  die  einzelnen  Stadtrechtsfamilien  aufweisen, 
lassen  sie  sich  doch  auf  Grund  ihrer  kampfrechtlichen  Bestim- 
mungen in  größere  Gruppen  einordnen.  Dem  Inhalt  nach  lassen 
sich  die  kampfrechtlichen  Bestimmungen  der  französischen  Städte- 
Privilegien  unterscheiden  in  solche,  die  den  Personenkreis  der 
Kampffähigen  beschränken,  in  solche,  die  die  Rechtsverhältnisse, 
über  welche  im  Kampfprozeß  entschieden  werden  kann,  beschränken, 
in  solche,  die  den  Rücktritt  vom  Kampfrechtsverhältnis  erleichtern, 
in  solche,  die  die  prozessualen  Voraussetzungen  des  kämpflichen 
Grußes  vermindern,  und  in  solche,  die  die  Ausschließung  des 
kämpflichen  Beweises  in  das  Belieben  der  Parteien  stellen. 

II.  Über  die  gemeinfranzösischen  persönlichen  Voraussetzungen 
und  Beschränkungen  der  Kampffähigkeit  habe  ich  bereits  in  meinem 
gerichtlichen  Zweikampf1)  gehandelt.  An  dieser  Stelle  handelt  es 
sich  darum,  über  das  gemeine  Recht  hinausgehende,  in  Städte- 
privilegien enthaltene,  den  Personenkreis  der  zum  Kampfrecht  un- 
tereinander Fähigen  einschränkende  Bestimmungen  hervorzuheben. 
In  dieser  Hinsicht  lassen  sich  zwei  Beschränkungen  feststellen. 

a)  Im  Jahre  1179  verlieh  Ludwig  VII.  der  Stadt  Etampes  ein 
Privileg  das  die  Verwendung  von  Mietskämpfen  *)  in  den  Prozessen 
der  Stadtbevölkerung  ausschloß,  er  bestimmte  nämlich:  „Campio 
conducticius  non  recipiatur5).“  Ähnlich,  aber  im  Ausdruck  präziser 

*)  Gerichtlicher  Zweikampf  p.  21  ff. 

*)  Über  den  Begriff  vgl.  Gerichtlicher  Zweikampf  p.  88  f. 

*)  Etampes  (1179)  in  Ord.  XI,  p.  212  art.  8. 

1* 


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4 


ist  eine  Bestimmung  des  im  Jahre  1190  von  Philipp -August  der 
Stadt  Amiens  bestätigten  Stadtrechts,  die  folgendermaßen  lantet: 
„Infra  tines  communie  non  recipietur  campio  conducticius  contra 
hominem  de  communia ').  Noch  weiter  ging  das  im  übrigen  dem- 
selben Ideenkreis  entstammende  Privileg  Philipp-Augusts  für 
Crepy-en-Valois  vom  Jahre  II So;  dieses  ordnete  an:  „Si  homo 
de  communia  hominem  de  communia  per  vadia  appelaverit  per  se 
ipsum  aut  per  advocatum s)  qui  sit  de  communia  appelabit;  nul- 
lusque  ab  utralibet  parte  erit  advocatus  qui  non  sit  de  communia“*). 

b)  I legen  Ende  des  zwölften  Jahrhunderts  scheint  zwar  der 
Begriff  des  crimen  publicum  im  gemeinfranzösischen  Recht  noch 
nicht  ausgebildet  zu  sein,  während  ihn  das  kanonische  Recht  in 
dieser  Zeit  schon  nach  römischem  Vorbild  aufnahm;  trotzdem 
kommen  Fälle  von  Oftizialverfolgung  in  dieser  Zeit  im  weltlichen 
Recht  vor,  die  aber  als  schwere  Mißbräuche  empfunden  werden, 
wie  uns  gegen  sie  gegebene  Privilegien  bezeugen.  Diese  Privi- 
legien richten  sich  in  gleicher  Weise  gegen  weltliche,  wie  gegen 
geistliche  Gerichtsherrn.  So  hat  Philipp- August  im  Jahre  1181 
der  Stadt  Novon  folgendes  Recht  verliehen:  „Si  episcopus  implaci- 
taverit  aliquem  de  communia  pro  aliqua  foris  factura  vel 
pro  banno,  non  poterit  convinci  vel  appelari  per  aliquem 
servientem  ejus , nisi  alium  approbatorem  adduxerit , qui 
si  defuerit  sacramento  se  purgabit“  *).  Ein  ähnliches  Privileg  gab 
derselbe  König  der  Stadt  Roye  im  Jahre  1183;  dieses  Privileg 
bestimmte:  „Si  super  Burgensera  de  forisfacto  clainorem  fecerimus, 
nequaquam  ei  per  duellum  faciemus  comprobari;  sed  ßurgensis 
super  hoc  forisfacto,  recto  stabit  judicio  Scabinorurn  eoque  se  de- 
fendet,  nisi  aliquis  clamator  forisfactum  recto  judicio  eorumdem 
difracionare  possit  et  talis  sit  clamator  qui  difraeionare  sufficiat. 


')  Amiens  (1190,  1209,  1225)  in  Ord.  XI,  p.  26G  art.  17. 

*)  d.  h.  Kampf  stell  Vertreter  i.  c.  S.;  vgl.  darüber  Gericbtl.  Zweikampf 

p.  88. 

*)  Crepy-en-Valois  (1185,  1215)  in  Ord.  XI.  p.  306  art.  25.  Es  ist 
übrigens  nicht  ganz  unwahrscheinlich,  daß  diese  Privilegien  auf  das  Stadt- 
recht von  liouen  zurfickgchen,  das  allerdings  einen  ziemlich  schwierigen 
Ifeweis  für  die  Mictskimpfenqaalit&t  des  zurückzuweisenden  Kampfstcllver- 
trcterB  verlangt.  Vgl.  hierüber  Gerichtl.  Zweikampf  p.  91,  Not«  5. 

4)  Noyon  (1181)  in  Layettes  no  307. 


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5 


Serviens  enim  n oster  hominpm  de  communia  per  vadia  non  potent 
appellare,  si  super  Burgensein  forisfactum  nostrum  assequi  pote- 
rimus1).  Fast  gleichlautend  damit  ist  ein  Privileg  desselben 
Königs  für  Cr6py-en-Valois,  in  dem  es  heißt:  „Nos  etiam  non 
possumus,  nec  aliquis  de  servientientibus  nostris  appellare  per 
vadia  duelli  hominera  de  Communia5).  Dieses  Privileg  scheint 
wieder  einem  im  Jahre  1195  der  Stadt  Saint-Quentin  verliehenen 
als  Vorlage  gedient  zu  haben;  in  diesem  bestimmt  Philipp-August: 
„Nos  vero  nec  aliquis  serviens  quem  habemus  hominem  de  com- 
munia per  vadia  appelare  possumus5). 

Wie  ich  schon  in  meinem  gerichtlichen  Zweikampf  hervor- 
gehoben habe4),  spielt  bei  diesen  Privilegien  auch  das  Moment 
der  geminderten  Freiheit  mit,  der  Hauptgrund  dieser  Privilegien 
ist  aber  in  dem  Umstand  zu  suchen,  daß  dieser  Art  von  servien- 
tes,  die  nebeneinander  mit  den  vavassores  genannt  werden,  von 
vornherein  infolge  ihrer  ständigen  Übung  im  Kampf  eine  nicht 
zu  unterschätzende  Überlegenheit  über  die  städtische  Bevölkerung 
in  dem  Prozeß  zur  Seite  stand  und  daß  diese  Ungleichheit  der 
Bedingungen  dem  Wesen  des  Ordals  widersprach.  Dieser  Gedanke 
der  mangelnden  Gleichheit  der  Bedingungen,  liegt  wohl  auch  einer 
weiteren  Bestimmung  der  contume  von  Saint-Quentin  zu  Grunde. 
Dort  heißt  es:  „Si  vavassor  aut  serviens  burgensi  catallum  debeat 
et  iustitiae  nostrae  iudicio  scabinornm  stare  nolit  maior  ei  iubere 
debet,  ut  infra  dies  15  talem  habeat  dominum,  qui  pro  catallo 
burgensis  eum  iudicio  stare  faciat;  quem  si  infra  terminum  non 
adduxerit,  per  iustitam  nostram  et  scabinos  de  eo  catallo  proseque- 
tur  iustitiam.  Si  vero  adduxerit  dominus  ille,  aliquem  ex  parte 
sua  statuere  poterit,  qui  in  die  sibi  statuto  de  eo  catallo  intra 
villam  iustitiam  teneat  usque  ad  vadia  et  insuper  hoc  catallo  data 
fuerint  vadia  dominus  debet  utrumque  ad  duellum  infra  duas  leucas 
salvo  conducto  ducere  et  reducere“ s). 


')  Roye  (1183)  in  Ord.  XI.  p.  229  art.  13. 

•)  Crilpy-en-Yalois  (1185,  1215)  in  Ord.  XI,  p.  30G  art.  19. 

5)  Saint-Quentin  (1195)  in  Ord.  XI,  p.  272,  art.  15. 

4)  Gerichtl.  Zweikampf  p.  21  II  und  III. 

l)  Saint-Quentin  (1195)  in  Ord.  XI,  p.  273  art.  34-  Vgl.  auch  Le  Glay 
in  A.  d.  N.  I.  p.  77  zu  art.  41,  wo  allerdings  der  Zweck  des  Privilegs  nicht 
erkannt  ist. 


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Das  Schwergewicht  liegt  in  diesem  Privileg  auf  der  Ermög- 
lichung eines  unbeeinflußten,  gerechten  Urteils;  ist  eine  Bürgschaft 
hierfür  in  der  vorgesehenen  Weise  nicht  zu  erlangen,  so  findet 
ein  kämpfliehes  Verfahren  nicht  statt.  Hierher  ist  auch  ein  Pri- 
vileg für  La  Boche-Pot  vom  Jalire  1233  zu  rechnen,  das  wieder 
stärker  die  von  vornherein  bestehende  Ungleichheit  der  Personen 
hervorhebt  und  in  Streitigkeiten  um  Schuld,  falls  Gläubiger  oder 
Schuldner  ein  prepositus  oder  sertiens  des  Gerichtsherrn  ist,  den 
kämpflichen  Beweis  ausschließt.  Hugo  von  La  Röehe-Pot  bestimmte 
nämlich  hier:  „Et  si  prepositus  vel  serviens  noster  factam  nobis 
creanciam  negaret  creditor  cum  duobus  legitimi  testimonii  viris 
iuratis  contra  ipsum  probaret.  Similiter  prepositus  vel  serviens 
noster  pagamentum  factum  creditoribus  probaret  sine  bello,  sine 
duello“ '). 

III.  Über  gemeinfranzösischen  oder  in  dem  Rechte  einzelner 
Landschaften  vorkommenden  Ausschluß  des  kämpflichen  Beweises 
beim  Streit  um  bestimmte  Rechtsverhältnisse  habe  ich  in  meinem 
Gerichtlichen  Zweikämpf  schon  die  entsprechenden  Angaben  ge- 
macht“). Hier  sollen  nun  die  Beschränkungen,  die  sich  in  Städte- 
privilegien linden,  soweit  sie  den  Kampf  zum  Beweis  irgend  welcher 
Rechtsverhältnisse  der  Stadtbevölkerung  betreffen,  erörtert  werden. 
In  Betracht  kommen  hier  nur  einige  den  Eigenschaftsprozeß  be- 
treffende champagner  Urkunden,  die,  wie  sie  auch  ursprünglich 
gedacht  gewesen  sein  mögen,  ob  als  Privilegium  favorabile,  für  die 
einen  Bürger  als  Eigenmann  beanspruchenden  Herren  oder  als 
privilegium  onerosum  dieser  Herren,  wogegen  allerdings  der  Text 
der  Urkunden  spricht,  doch  in  ihrem  Geltungsbereich  eine  neue 
Bresche  in  die  allgemeine  Zulässigkeit  des  kämpflichen  Beweises 
legten.  So  wurde  der  Kampf  durch  den  Zeugenbeweis  ersetzt  für 
Kigenenschaftsklagen  gegen  Einwohner  von  Chaource,  und  die 
Kanoniker  von  Saint-Quiriace  mußten  ihre  serfs  durch  Zeugen- 
beweis der  Eigenschaft  überführen 3).  Ein  Privileg  für  Eimes  vom 
Jahre  1227  ließ  nur  bei  der  Unmögliclikeit  des  Eidhelferbeweises 


■)  La  Hcchc-I’ot  (1233)  bei  Garnier  II  no.  328. 
a)  Gerichtlicher  Zweikampf  p.  4.  7.  8.  10  11  fl'.  17.  18. 

*)  Chauurce  (1165)  und  Saint-Quiriace  (1176)  bei  D’Arbois  de  Jubain- 
rillc  111,  p.  160  n».  135  und  ii».  252. 


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den  kämpfliehen  Beweis  in  dieser  Art  von  Prozessen  zu  '),  während 
gemeinrechtlich  fast  tiberall  der  Zweikampf  gebräuchlich  war*). 

IV.  Eine  weitere  Gruppe  von  Privilegien  war  zwar  nicht  auf 
eine  Beschränkung  des  Zweikampfs  von  vornherein  gerichtet,  aber 
dadurch,  daß  diese  Privilegien  feste  Gebührensätze  für  den  Ver- 
gleichsabschluß enthielten  und  diese  je  nach  dem  Stadium,  in  dem 
sich  der  Prozeß  befand,  abstuften,  so  daß  zu  Beginn  des  Kampf- 
rechtsverhältnisses  kleinere  und  dann  fortlaufend  immer  höhere 
Gebühren  erhoben  wurden,  bestimmten  sie  die  Parteien  zur  Ein- 
gehung von  Vergleichen  und  hielten  sie  indirekt  vom  kämpflichen 
Austrag  des  Prozesses  ab,  der  ja  besonders  in  Strafsachen,  wo  die 
talio  supplieii  drohte,  für  die  Parteien  viel  unangenehmere  Folgen 
haben  konnte,  als  sie  die  Zahlung  einer  unverhältnismäßig  ge- 
ringen Gebühr  mit  sich  brachte.  Von  diesem  Standpunkt  aus 
betrachtet,  erscheinen  auch  die  nunmehr  zu  erörternden  Privi- 
legien als  Momente,  die  gleichzeitig  als  Ursachen  des  beginnenden 
und  als  Begleiterscheinungen  des  sich  vollziehenden  Niederganges 
des  gerichtlichen  Zweikampfs  angesprochen  werden  dürfen.  In  der 
großen  Reihe  dieser  Privilegien  lassen  sich  unschwer  zwei  Klas- 
sen unterscheiden,  je  nachdem  eine  Mitwirkung  des  Richters 
beim  Vergleichsabschluß  ausdrücklich  erfordert  wird  oder  der 
Vergleichsabschluß  unter  den  Parteien  ohne  richterliche  Mit- 
wirkung gültig  abgeschlossen  werden  kann.  Eine  ganze  Anzahl 
von  Privilegien  aus  dem  zwölften  und  dreizehnten  Jahrhundert 
lassen  sich  weder  der  einen  noch  der  anderen  Abteilung  zuzählen, 
da  die  Ausdrücke,  die  die  Form  des  Vergleichsabschlusses  be- 
treffen, zu  farblos  gewählt  sind,  um  in  dieser  Richtung  einen 
Schluß  zu  gestatten. 

a)  Der  ersteren  Kategorie  gehört  die  coutume  von  Lorris  vom 
Jahre  1155  an;  mit  den  übrigen  Privilegien  dieses  Stadtrechts 
hat  auch  der  hier  in  Frage  stehende  Artikel  14  eine  sehr  große 
Verbreitung  gefunden3),  die  höchstens  noch  an  Zahl  der  Tochter- 

')  Firne»  (1227)  in  Layettes  no  1913;  vergl.  Escneil  (1229)  in  Layettei 
no.  2017. 

*)  vgl.  Gerichtl.  Zweikampf  p.  6 f. 

*)  vgl.  i.  B.  Montargis  (1170,  1320,  1537)  in  Ord.  XI,  p.  472  art.  17 — 
14  Gemeinden  (1175,  1412)  in  Ord.  X,  p.  51  art.  13.  — Voisines  (1187,  1391) 
in  Ord.  VII,  p.  450  art.  14  — Ervy  (1199,  1376)  in  Ord.  VI  p.  201  art,  11  = 


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Privilegien  durch  die  loi  de  Beanmont-en-Argonne  übertroffen 
wird.  Dieses  durch  Ludwig  VII.  der  Stadt  Lorris-en-Gätinois 
verliehene  Privileg  lautet:  „Etsi  homines  de ...  . vadia  duelli  temere 
dederint  et  Prepositi  assensu  antequam  ohsides  tribuantur  concorda- 
verint  duos  solidos  et  sex  denarios  persolvat  uterque  et  si  obsides 
dati  fnerint  septem  solidos  et  sei  denarios  persolvat  uterque. 
Et  si  de  legitimis  hominibus  duellura  factum  fuerit,  obsides  devicti 
centum  duodecim  solidos  persolvent ').  Dieses  Privileg  bringt  der 
Bevölkerung  der  damit  bewidmeten  Städte  eine  große  Er- 
leichterung gegenüber  dem  gemeinen  Recht.  Mit  der  Reichung 
des  Kampfespfandes  wurde  ja  einerseits  das  Klagrecht  konsumiert, 
andererseits  das  Bcweiserfüllungs-  und  Beweisannahmegelöbnis 
bekräftigt  und  abgeschlossen8),  und  die  Parteien  waren  nunmehr 
bei  Vermeidung  der  Sachfalligkeit  gezwungen  den  Prozeß  weiter 
zu  betreiben3).  Demgegenüber  begründet  dieses  Privileg  einmal 
einen  Anspruch  auf  die  Erledigung  des  Rechtsstreits  durch  Ver- 
gleich, und  dann  gibt  es,  im  Gegensatz  zum  gemeinen  Recht,  das 
mangels  einer  gesetzlichen  Vorschrift  die  Festsetzung  der  Ver- 
gleichsgebühr dem  freien  Ermessen  der  Gerichtsherrn  überließ, 
wie  schon  hervorgehoben,  feste  Sätze  für  die  Gebühren.  Gleich- 
zeitig normiert  dieses  Privileg  die  im  Falle  des  Unterliegens  von 
den  Bürgen  zu  entrichtende  Gebühr4),  die  wohl  der  amende  der 
im  Zivilprozeß  unterliegenden  Partei  entspricht*),  im  Verhältnis 


Buutiot,  Troyes  I,  p.  279 — Clairy-en-Orleanois  (1201,  1383,  1434,  1461)  in 
Ord.  XV,  p.  168  art.  13.  — Mailly-le-Chäteau  (1229,  1371)  in  Ord.  V,  p.  716 
art.  12. — Vermanton  (1235,  1410)  in  Ord.  IX,  p.  578,  art.  16.  n.  a.  m. 

')  Lorris  (1155  1187  u.  öfter)  Ord.  XL  p.  201  art.  14. 

*)  vergl.  Gcrichtl.  Zweikampf  § 18.  V.  p.  74  f. 

*)  vgl  Gerichtl.  Zweikampf  § 55  p.  166  f. 

4)  Die  Bürgenstrafe  im  Zivilprozeß,  und  wie  wir  wohl  annehmen  dürfen 
auch  im  Strafprozeß,  erscheint  hier  schon  in  einer  verhältnismäßig  frühen 
Zeit  gemildert,  in  Geld  ausgedrückt  und  gesetzlich  festgelegt:  vgl.  dagegen 
für  das  gemeine  Recht  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  § 54.  V.  p.  163  und 
l’rou,  Lorris  p.  191  ff. 

*)  Zu  dieser  Folgerung  bestimmen  mich  einerseits  Urkunden  derselben 
Zeit,  die  einen  ähnlichen  Betrag  für  diese  »inende  festsetzten,  wie  Yille- 
neuTC-prea-Pont  (1175)  in  Ord.  VI  p.  320  art,  4,  andererseits  aber  auch  die 
Erwägung,  daß  die  Haftung  des  Bürgen  wohl  kaum  auf  einen  höheren  Betrag 
als  die  anieude  der  Partei  gehen  kann. 


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zu  der  in  den  ersten  Stadien  des  Prozesses  zu  entrichtenden  amende 
leidlich  hoch  genug,  um  auch  im  Zivilprozeß  oder  im  Prozeß 
wegen  kleinerer  Straftaten  den  Parteien  den  Abschluß  eines  Ver- 
gleichs als  wünschenswert  erscheinen  zu  lassen,  ganz  abgesehen 
davon,  daß  auch  in  der  Normierung  einer  festen  amende  für  den 
Prozeßverlust  eine  nicht  zu  unterschätzende  Milderung  gegenüber 
dem  gemeinen  Hecht  liegt,  das  in  diesem  Falle  arbiträre  Strafe'), 
wo  nicht  peinliche  Strafe*)  verhängte.  Waren  nicht  die  gering- 
fügigen amendes  für  den  Vergleich  in  Zivil-  und  Strafsachen  zu 
Beginn  und  noch  vor  der  Entscheidung,  so  könnte  man  in  dem 
Privileg  wegen  der  eben  erörterten  Milderungen  gegenüber  dem 
gemeinen  Recht  sogar  einen  Ansporn  zum  leichtfertigen  Abschluß 
eines  Kampfrechtsverhältnisses,  zum  mindesten  in  Zivilsachen,  er- 
blicken. Dem  widersprechen  aber  eine  Unzahl  von  Urkunden,  die 
uns  auf  Schritt  und  Tritt  begegnen  und  zeigen,  daß  dieses  Pri- 
vileg nicht  gegen'  die  ihm  zugrunde  liegende  ratio  von  den  Par- 
teien ausgebeutet  worden  ist. 

b)  Die  andere  Kategorie  dieser  Privilegien  tritt,  nach  dem 
uns  vorliegenden  Material  zu  urteilen,  zum  ersten  Male  mit  dem 
Stadtrecht  von  Villeneuve-prös-Pont,  das  im  Jahre  1175  von  dem 
Pfalzgrafen  Heinrich  von  Troyes  erlassen  wurde,  in  Erscheinung. 
Die  einschlägige,  im  Artikel  4 enthaltene  Bestimmung  lautet:  „Si 
vadia  duelli  data  fuerint  preposito  homines  sine  preposito  compo- 
sicionem  facere  poterunt  inter  se  sed  facta  composicione  uterque 
preposito  offeret  duos  solidos  et  sei  denarios  quos  prepositus  si 
voluerit  accipiat  et  si  eciam  obsides  dati  sint  componere  poterunt 
sine  preposito  et  uterque  reddet  preposito  septein  solidos  et  sex 
denarios  si  eos  voluerit  accipere.  Si  duellum  victum  fuerit,  victus 
reddet  C solidos“ J). 

Demselben  Ideenkreis  entstammt  ein  der  Stadt  Andelot  im 
Jahre  1269  vom  Grafen  Thiebaut  V.  von  Champagne  verliehenes 
Privileg,  das  allerdings  ausdrücklich  betont,  daß  die  amende  von 
100  Schillung  nur  für  den  Besiegten  in  Zivil-  und  kleineren  Straf- 
sachen normiert  ist,  während  für  die  namentlich  aufgezählten  fünf 


*)  su  diu  artesische  cuutumc  (1800)  bei  Le  (May,  A.  d.  X.  I.  p.  79. 

Dies  nimmt  Lo  (ilay  1.  c.  wohl  mit  Recht  für  Cambray  an. 

3)  Villenenvo-pres-Punt  (1175,  1377)  in  Ord.  VI,  p.  320,  art.  4. 


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großen  Verbrechen  den  Besiegten  eine  arbiträre  Strafe  trifft.  Der 
Wortlaut  des  Privilegs  ist  folgender:  „Si  qui  vadia  duelli  dederint 
et  postea  inter  se  eoinposuerint  uterque  solvet  duos  solidos  et  di- 
midium  pro  emenda.  Si  maugra  sacramenta  facta  fuerint  et  postea 
composuerint  uterque  reddet  quindecim  solidos.  Si  duellum  factum 
fuerit  victus  persolvet  centum  solidos  nisi  duellum  fuerit  de  furto 
multro  omicidio  incendio  vel  prodicione  quia  tune  esset  victus 
in  voluntate  nostra“  *). 

In  diese  Reihe  dürfen  auch  zwei  weitere  Privilegien,  die  die 
Cäsur  im  Gebührentarif  bei  den  ictus J)  eintreten  lassen  und  be- 
sondere Strafbestimmungen  für  den  Mietskämpfen  enthalten,  sonst 
aber  denselben  Gedankengang,  wie  die  beiden  soeben  angeführten 
Privilegien,  denen  sie  auch  lokal  nahestehen,  erkennen  lassen, 
füglich  gerechnet  werden.  Das  eine  dieser  Privilegien  ist  noch 
in  lateinischer  Sprache  abgefaßt  und  im  Jahre  1372  der  Stadt 
Clermont-en-Bassigny  von  Karl  V.  als  coutume  von  1348  bestätigt; 
man  darf  aber  wohl  aus  einer  Vergleichung  mit  dem  an  zweiter 
Stelle  aufzuführenden  im  Jahre  1348  der  Stadt  Perrusses  von 
Guy  de  Clermont  verliehenen  Privileg,  das  nur  eine  freie  fran- 
zösische Übersetzung  des  Privilegs  von  Clermont  ist  und  ent- 
sprechend den  königlichen  Ordonnanzen  des  ersten  Drittels  des 
vierzehnten  Jahrhunderts  den  Kampf  nur  mit  königlicher  Ge- 
nehmigung zuläßt,  schließen,  daß  das  Privileg  für  Clermont  vor 
1348  entstanden  ist.  Diese  beiden  Privilegien  setzen  für  den 
Besiegten  eine  amende  von  100  Schilling  und  einer  obole  bezw. 
maille  fest;  diese  amende  kann  aber,  wie  schon  erörtert,  nur  zur 
Anwendung  kommen  in  leichteren  Strafsachen  und  in  Zivilsachen. 
Da  sich  nun  aus  dem  Privileg  von  Perusses,  wie  wir  auch  sonst 
feststellen  können,  eine  strikte  Anwendung  der  königlichen  Ordon- 
nanzen in  diesem  Gebiete  von  Frankreich  ergibt  und  da  die  Ordon- 
nanz vom  Jahre  1306  den  Kampf  als  Beweismittel  nur  noch  in 
den  Fällen,  wo  es  sich  um  die  großen  Verbrechen  handelt,  zu- 
läßt >),  so  kann  das  Privileg  von  Clermont  bezw.  seine  Vorlage, 


>)  Andolot  (1269,  1396)  in  Ord.  VIII,  p.  126  art.  7. 

’)  Über  diesen  Begriff  vgl.  meinen  Gericht!,  Zweikampf  § 44,  V. 
p.  130  f. 

3)  vgl.  dieselbe  in  ltec.  II.  pag.  832. 


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ganz  abgesehen  von  dem  Satz : Pugil  etc. '),  spätestens  in  den 
ersten  Jahren  des  vierzehnten  Jahrhunderts  entstanden  sein. 
T)as  Privileg  für  Clermont-en-Bassigny  hat  folgendermaßen  ge- 
lautet: „Si  vero  duellum  fuerit  iudicatum  coram  domino  vel  coram 
preposito  suo  deducetur  et  si  armati  fuerint  in  duello  et  sine  icti- 
bus  concordes  eos  esse  contigerit,  unus  quisque  septem  solidos  et 
sei  denarios  persolvet.  Si  autem  post  datos  ictus  concordiam 
fecerit,  unusquisque  quindecim  solidos  et  sei  denarios  persolvet. 
Vietus  autem  in  duello  centum  solidos  et  obole  persolvet.  Pugil 
vero  condueticius  si  vietus  fuerit  pede  vel  pugno  privabitur*). 
Das  Privileg  von  Perrusses  ist  folgendermaßen  gefaßt:  „Pour 

gaige  de  bataille  li  dit  bourgeois  plaideront  pardevant  moy 
ou  mes  hoirs.  Si  eil  qui  auront  gitie  ledit  gaige  acordent  sanz 
cop  ferir  combien  qu’il  veignent  en  champ  chascun  paiera  ä moy 
ou  ä mes  hoirs  sept  souz  et  seys  deniers  Tournois  et  se  il  accor- 
dent  depuis  le  coups  donnez  chaseun  paiera  quinze  soulz  Tournois. 
Qui  sera  vaincuz  en  champ  de  bataille  il  paiera  ä moy  ou  ä mes 
hoirs  cent  solz  Tournois  et  une  maille  et  li  Champion  qui  se  com- 
batra  pour  autrui  se  il  est  vaincuz  aura  cop6  le  pied  ou  le  poing 
pourveu  toutes  voyes  ös  choses  dessus  touchans  gaige  de  bataille 
que  li  Roy  nostre  Sire  si  eonsente“ s). 

Ein  ebenfalls  hier  aufzuführendes,  in  den  Gebührensätzen 
aber  etwas  abweichendes  Privileg  verliehen  im  Jahre  1256  König 
Thiöbaut  von  Navarra  und  mehrere  lothringische  Herzöge  der  Stadt 
Neuf-Chäteau-en-Lorraine,  und  bestimmten:  „Se  aucuns  faisoient 
bataille  ä aucun  et  il  en  sont  aecorde  chacun  doit  six  solz  et 
trois  deniers  d’amende  et  se  aueuns  ferme  la  bataille  et  li  uns 
est  vaincus  ...  eil  qui  Champions  est  qui  vaincus  sera  paient 
cent  solz  d’amende  et  li  Champions  est  en  la  merey  ä Seigneur“ 4). 

Eine  geringere  amende,  nämlich  60  Schilling,  wurde  dem 
Rechte  von  Anjou  entsprechend*)  nach  der  im  Jahre  1190  von 
Philipp-August  und  Richard  I.  von  England  der  Stadt  Tours  be- 
stätigten coutume  von  der  im  Zivilprozeß  und  Prozeß  wegen 

■)  Die  Vertretung  durch  Kämpfen  war  bekanntlich  in  Strafsachen  un- 
zulässig. Vgl.  ücrichtl.  Zweikampf  p.  90,  Not«  9 und  p.  89,  Note  4. 

*)  Clerniont-en-Bassigny  (1348,  1372)  in  Ord.  V,  p.  600,  art.  6. 

*)  l’errusscs  (1348,  1383)  in  Ord.  VII.  p.  33  art.  14. 

4)  Neuf-Chäteau-en-Lorraine  (1256.  1390)  in  Ord.  VII.  p.  365.  art.  19. 

b)  vgl.  ücrichtl.  Zweikampf  p.  153,  Note  4 und  5. 


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kleinerer  Straftaten  unterliegenden  Partei  erhoben;  dagegen  wurden 
nur  7'/j  Schilling  für  den  Vergleich  und  zwar  ohne  Rücksicht 
auf  das  Stadium  der  Prozedur  erhoben  l).  Dieser  Vergleich  konnte 
von  den  Parteien  inter  se,  d.  h.  außergerichtlich  abgeschlossen 
werden4),  wenigstens  so  lange  das  Obergericht  noch  nicht  mit 
dem  Prozeß  befaßt  war.  Dabei  betont  das  Privileg  ausdrücklich, 
daß  für  die  Niederlage  die  amende  von  fiO  Schilling  nur  erhoben 
wird,  „nisi  forte  penam  corporis  sui  meruerit“3). 

Dieser  Gruppe  gehört  endlich  noch  ein  Privileg  für  die  Stadt 
Dreux  an,  das  ihr  im  Jahre  1269  vom  Grafen  von  Dreux  bewilligt 
wurde  und  in  Einzelheiten  Eigentümlichkeiten  aufweist,  im  Großen 
und  Ganzen  aber  denselben  Gedankengang  wie  die  bisher  betrachteten 
coutumes  widerspiegelt.  Dies  Privileg  lautet:  „Derechief.  qui- 
conques  de  la  commune  se  plaint  a joustice  de  chastel  ou  de  heri- 
tage  ou  de  meffet  s’il  n’est  tel  que  l’amende  doie  monter  plus  de 
soixante  solz  il  puet  lessier  la  plainte  se  il  li  plest,  se  gages  ne 
sont  doun6  et  se  gages  sont  doun6,  Tarnende  est  pour  les  dens 
parties  de  sept  solz  et  demi  et  se  gages  sont  ranforci^4)  Tarnende 
est  pour  les  deux  parties  de  vint  et  eine  solz  et  se  bataille  est 
jugiöe  Tarnende  est  de  soixante  solz  pour  les  deux  parties“4). 

Der  durch  die  Ordonnanz  vom  Jahre  1306  geschaffenen 
Ordnung  tragen  zwei  Privilegien  des  vierzehnten  Jahrhunderts 
Rechnung,  indem  sie  nur  den  Zweikampf  im  Strafprozeß  berück- 
sichtigen. Diese  beiden  Privilegien  lassen  ansdrücklich  einen 
außergerichtlichen  Vergleich  zu  und  beide  kennen  einen  Vergleich 
noch  nach  dem  Ausgang  des  Kampfes;  mit  dieser  letzteren  Be- 
stimmung stehen  sie,  wie  ich  in  meinem  Gerichtlichen  Zweikampf 
nachgewiesen  habe,  übrigens  nicht  vereinzelt  da*).  Das  eine 
dieser  Privilegien  findet  sich  im  achten  Artikel  der  im  Jahre  1373 

')  ebenso  Auxerre  (1194,  1379)  in  Ord.  VI.  p.  421,  art.  7. 

ä)  Ob  dies,  nachdem  das  Obergericht  zuständig  geworden  war,  noch 
znl&ssig  war,  läßt  sich  bei  der  Unbestimmtheit  der  Stelle  nicht  mit  Gewiß- 
heit sagen. 

*)  Tours,  S.  Martin  (1190)  in  Layettes  no.  371.  — vgl.  Gerichtl.  Zwei- 
kampf p.  49. 

*)  d.  h.  nach  der  Bfirgenbestellung. 

s)  Dreux  (1269)  in  Layettes  No.  5575. 

*)  vgl.  Gerichtl.  Zweikampf  § 45.  V.  p.  134. 


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18 


von  Karl  V.  der  Stadt  Tannay  bestätigten  coutume  und  hat  fol- 
genden Wortlaut:  „Se  aucunes  personnes  de  quelque  estat  que 
eiles  soient  entrent  en  gaiges  de  bataille  contre  quelconques  per- 
sonnes que  ce  soit  en  la  dicte  ville  pooste  justice  et  lieux  dessuz 
diz  et  quelque  eas  que  ce  soit  il  pourront  aecorder  entre  eulx 
en  paiant  es  diz  Seigneurs  ou  Dam  es  qui  a present  sont  et  apres 
seront  ä leurs  lioirs  leurs  bailli  prevost  ou  prevosts  ou  lieutenants 
ou  deputez  soixante  solz  tournois  d'amende  tant  seulement  et  se  il 
sont  arm6  ou  entrent  en  champ  ja  soit  ce  qu’il  soient  combatu  et  il  se 
puissent  aecorder  entre  eulx  il  s’en  pourront  yssir  et  departir  en  pay- 
ant  cent  solz  tournois  d’amende  fes  dessus  nommez  ou  ä Tun  d’eulx  sanz 
autre  punicion  et  entre  porteront  leurs  armes  quittes  et  delivreesen  Tun 
eas  et  en  l’aultre  et  se  li  gaiges  est  oultrez  Tarnende  sera  sur  le  vaincu 
selon  la  coutume  du  pays“  ’).  Wohl  derselben  Vorlage  entstammt 
die  in  den  Gebührensätzen  gleiche,  aber  in  der  Formulierung  ab- 
weichende coutume  von  Rouvray  und  la  Cumoigne  in  ihrem  zehnten 
Artikel,  die  diesen  Städten  im  Jahre  1367  vom  Abt  von  Saint- 
Germain-d’Auxerre  verliehen  wurde.  Die  einschlägige  Stelle  be- 
stimmt: „Derechief  nous  avons  octrojA  et  aecordons  ä noz  diz 
Bourgeois  Bourgeoises  habitans  et  ceulx  que  dit  est  que  se  aucun.s 
d’eulx  baillent  ou  offrent  gaige  de  bataille  li  uns  contre  l’autre 
en  Iugement  ou  autrement  que  doresnavant  dudit  gaige  de  leur 
auctorite  et  volente  soit  receuz  jugiez  ou  non  il  pourront  aecorder 
et  faire  paix  ensemble  senz  dangier  de  Justice  et  senz  amende 
et  se  ainsi  estoit  que  le  dit  gaige  feust  jugie  ou  oultrez  et  les 
parties  presentes  en  champ  et  eulx  combatues  ou  non  dudit  gaige 
les  dictes  parties  pourront  aecorder  et  faire  paix  ensemble  pour 
paiant  soixante  solz  tournois  et  se  ledit  champ  de  bataille  estoit 
du  tout  accompliz  et  li  uns  vaincuz  que  cilz  qui  vaincuz  sera  et  si 
plfcge  se  aucuns  en  y a 2)  seront  quitte  d’  amende  envers  Justice  pour 
payant  par  une  fois  pour  principal  et  plbge  cent  solz  tournois  senz 
empörter  ne  avoir  autre  penitence  ou  peine  corporele  ou  civile“  *). 

Im  Zusammenhang  hiermit  verdienen  zwei  weitere  Privilegien 

')  Tannay  (confirm.  1373)  Ord.  YJL  pag.  GO  art.  8. 

3)  Diese  fakultative  ßürgenbestcllung  im  Strafprozeß  ist  eine  Singu- 
larität dieses  Privilegs  und  ein  Anzeichen  für  die  allm&lige  Änderung  und 
den  eintretenden  Verfall  dieser  Prozedur. 

3)  Rouvray  et  la  Cumoigne  (1367,  1390)  in  Ord.  VII,  p.  345,  art.  10. 


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14 


eine  Erörterung;  auch  sie  kennen  nur  noch  im  Strafprozeß  den 
Zweikampf  und  auch  sie  kennen  als  kleinste  Vergleichsgebühr  60 
bezw.  65  solz,  eine  amende,  die  im  Vergleich  zu  den  früher 
betrachteten  unverhältnismäßig  hoch  erscheint,  uns  aber  bei  den 
soeben  erörterten  coutoumes  von  Tannay  und  Bo  uv  rav  et  la  Cu- 
moigne  schon  begegnet  ist.  Schon  das  Privileg  von  Drein  ’)  würde 
uns  aber  den  Grund  dieser  Normierung  erklären,  wenn  wir  nicht 
anderweitig  schon  wüßten,  daß  man  petits  mefaits  und  grands 
crimes  in  manchen  Gegenden  Frankreichs  nach  der  dafür  zu  er- 
hebenden amendes  unterschieden  hat,  so  daß  alle  Straftaten,  die 
mit  mehr  als  60  bezw.  65  Schilling  bestraft  wurden,  den  grands 
crimes  zugezählt  wurden.  Diese  niederste  Vergleichsgebühr  von 
60  bezw.  65  Schilling  hat  man  demnach  in  den  vorliegenden  Privi- 
legien deshalb  so  normiert,  um  auch  die  ganze  Kampfprozednr 
als  zur  grans  joutise  gehörig  zu  charakterisieren.  Beide  Privi- 
legien erweisen  sich  auch  insofern  als  innerlich  verwandt,  und 
vielleicht  nach  derselben  Vorlage  redigiert,  als  sie  die  Cäsur  im 
Gebürentarif  bei  den  ictus  eintreten  lassen.  In  dem  Privileg  für 
Grancey  bestimmte  Wilhelm  v.  Poitiers,  Bischof  von  Langres, 
folgendes:  „Toutes  amendes  qui  seront  faites  en  nostre  dicte  ville 
de  Grancey  et  ou  finaige  se  gouverneront  par  la  maniöre  accous- 
tumez  cuy  en  arriere  exccptez  que  se  nostre  hommes  habitans  de 
la  ville  de  Grancey  appeloient  li  uns  Pautre  de  gaige  de  champ 
de  bataille  il  pourroient  estourder  li  uns  ä l'autre  se  il  leur  plai- 
soit  parmi  paiunt  h nous  soixante  et  sine  solz  de  celui  qui  seroit 
trovez  en  tort2):  et  s'il  avoient  ( ! ) en  champ  sanz  cop  donner  ou  se  li 
Premiers  cop  estoient  donnez  il  pourroient  acoorder  parmi  ladicte 
amende  en  paiantä  nous  ou  ä noz  hoirs  ou  ä ceulx  qui  de  nous  auroient 
cause  les  faiz  et  missions  que  mises  y aurichiens  pour  ceste  cause 
depuis  que  li  diz  charaps  seroit  fourniez  fut  par  le  fait  de  conseil  ou 
autrement  et  se  li  champ  estoit  outrez  li  vaincu  seroit  ä nostre 
voulente  de  corps  et  des  biens“3).  Das  Privileg,  mit  dem  im 
Jahre  1354  Johann  I.  die  Stadt  Joinville  begnadigte,  hatte  folgenden 

’)  »gl-  oben  pag.  12. 

*)  Vielleicht  dürfen  wir  hier  an  einen  Scheinkampf  denken,  wie  ihn 
das  Recht  von  Amiens  kennt  und  wie  ihn  Dom  Morin  für  das  Gätinois  an- 
nimmt. Ygl.  Gericht!.  Zweikampf  p.  137,  Note  2. 

3)  Grancey  (1348,  1406)  in  Ord.  IX,  p.  161,  art.  9. 


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15 


Wortlaut:  „So  aucuns  des  diz  habitants  estoient  en  gaige  de  ha- 
taille,  avant  qui’il  en  soient  armez  il  en  peut  faire  paix  et  accord 
et  oster  de  peril  panni  soixante  solz  d'amende  et  se  il  en  estient. 
armez  et  deans  les  licez  avant  que  coux  en  fust  donnez  il  s’en 
puent  departir  et  oster  de  peril  parmi  cent  solz  d’amende.  Et 
en  cas  que  li  premier  coup  en  seroient  donnei  que  l’en  dit  les 
coups  le  Roy  encore  en  puent  departir  et  oster  de  peril  parmi 
dix  livres  d’amende  reservez  les  depenz  de  nous  de  notre  eonseil 
et  de  partie  leaux  taxation  preeedant.  Et  si  il  advient  que  li 
ehamps  seroit  parfaiz  et  fenis  li  convainou  seroit  en  corps  et  en 
biens  a notre  volentez“  ■).  Dali  dem  Sieger  eine  Entschädigung 
bezahlt  wurde,  ist  dem  Kampfprozeß  der  Spützeit  beinahe  überall 
nicht  fremd*),  daß  aber  beim  Vergleich  dem  Gericht  außer  der 
amende  depenz  bezahlt  werden,  ist  eine  'Eigentümlichkeit  dieser 
coutume.  Ebenso  lassen  sich  auch  sonst  keine  Belegstellen  dafür 
finden,  daß  beim  Vergleich  (accord,  paix)  die  eine  Partei  der 
andern  eine  Entschädigung  bezahlte  oder  die  Kosten  ersetzte, 
während  im  Zivilprozeß  wohl  eine  Abstandssumme  in  den  Vergleich 
aufgenommen  wurde  oder  im  Strafprozeß  wohl  bei  Mord  auch  eine 
Geldsumme  bezahlt  wurde5).  Wo  sich  aber  eine  Entschädigung 
der  einen  Partei  beim  Vergleich  findet,  ist  sie  Gegenstand  des 
Vergleichsvertrags  und  wird  nicht  etwa  vom  Gericht  festgesetzt 
und  hat  nicht  den  Charakter  des  Kostenersatzes.  Die  Erklärung 
dieser  Bestimmung  ist  vielmehr  anderswo  zu  suchen.  Weiter 
unten4)  werden  Privilegien  zu  erörtern  sein,  die  einen  Rücktritt 
der  Parteien  ohne  Vertrag  gestatten;  bei  diesem  einseitigen  Rück- 
tritt findet  sich  nun  eine  Entschädigungspflicht  des  penitens,  so 
z.  B.  in  einem  Privileg  für  Vienne1).  Es  wäre  nun  immerhin 
möglich,  daß  das  Privileg  für  Joinville  noch  eine  zweite  Vorlage, 
die  einen  einseitigen  Rücktritt  vom  Kampfvertrag  zuläßt,  benutzt 
hat  und  diese  am  Schluß  verwendet  hat,  während  sie  den  Anfang 
einer  andern  Vorlage,  die  den  Vergleich  als  einzige  Möglichkeit 
der  Lösung  des  Kampfrechtsverhältnisses  kennt,  entnommen  hat. 

■)  Joinville  (1354)  in  Ord.  IV,  p.  297  art.  18. 

*)  Vgl.  Gerichtl.  Zweikampf  § 48,  p.  141. 

J)  Vgl.  Gerichtl.  Zweikampf  p.  135. 

4)  pag.  22  ff. 

*)  Vienne  (1364,  1391)  in  Ord.  VII,  p.  432,  art.  31. 


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lfi 


Wahrscheinlicher  und  weniger  gezwungen  ist  aber  eine  andere  Er- 
klärungsmöglichkeit. Vielleicht  hat  hier,  wie  wir  dies  schon  für 
das  Privileg  für  Grancey  angenommen  haben,  ein  Scheinkampf 
stattgel'unden,  aus  dessen  Ergebnis  eine  Kostenersatzpflicht  geltend 
gemacht  wurde. 

c)  Wie  schon  oben  hervorgehoben '),  sind  uns  außer  den  bis- 
her erörterten  Privilegien  noch  eine  ganze  Keilte  anderer  Privi- 
legien erhalten,  die  dieselben  Grundgedanken  wie  die  bisher  be- 
sprochenen Privilegien  erkennen  lassen,  bestimmtere  Angaben  da- 
rüber, ob  der  Vergleich  im  Gericht  oder  außergerichtlich  abzu- 
schließen war,  aber  nicht  enthalten.  Es  ist  aber  für  unsere  Zwecke 
notwendig,  auch  sie  hier,  wenn  auch  nur  summarisch,  aufzuführen, 
um  zu  zeigen,  wie  sehr  das  gemeine  Recht  durch  derartige  Privi- 
legien durchbrochen  wurde.  Diesen  Privilegien  ist  es,  entsprechend 
ihrer  oder  ihrer  Vorlagen  Entstehungszeit,  eigentümlich,  daß  sie 
in  erster  Linie  den  Vergleich  in  Zivil-  und  leichteren  Strafsachen 
berücksichtigen. 

Im  Jahre  1179  begnadigte  Heinrich  1.,  Pfalzgraf  von  Troyes, 
derselbe,  von  dem  wir  schon  oben*)  ein  Privileg  für  Villeneuve- 
prfes-Pont  kennen  lernten,  die  Stadt  Melun  mit  einer  Carta  eom- 
muniae,  die  unter  anderem  auch  folgendes  Kampfprivileg  enthielt: 
„Si  de  duello  compositio  sine  ictu  facta  fuerit  quinque  solidis 
emendabitur  si  post  ictum  compositio  facta  fuerit  uterque  dabit 
triginta  solides  si  duellum  vietum  fuerit  vietus  sexaginta  solidos 
persolvet“ 3). 

Im  Jahre  11X7  gab  Herzog  Hugo  III.  von  Rurgund  der  Stadt 
Dijon  ein  Privileg  folgenden  Inhalts:  „Si  compositio  de  duello 
ante  ictum  vel  post  ictum  fiat  XXXII  sol.  et  VI  den.  habebo;  si 
duellum  vietum  fuerit  vietus  LXV  sol.  persolvet“4).  Dieses  Privi- 
leg hat  dann  in  der  Kourgogne  eine  ziemlich  große  Verbreitung 
gefunden,  so  wurde  es  im  Jahre  1257  der  Stadt  Pontaillier  ver- 
liehen 6).  In  den  einzelnen  Gebührensätzen  abweichend  und  mit 
arbiträrer  Strafe  des  Besiegten,  aber  doch  wohl  nach  dem  Vorbild 

■1  oben  pag.  7. 

J)  Vgl.  oben  p.  9. 

3)  Melun  (1179)  in  Layettes  no.  299. 

*)  Dijon  (1187)  bei  Garnier  1,  pag.  9 no.  5 art.  22. 

5)  Pontailler  (1257)  bei  Garnier  11,  pag.  299  no.  374  art.  11. 


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17 


des  Stadtrechts  von  Dijon,  wie  Garnier1)  annimmt,  wurde  dann 
durch  Udo  von  Burgund  der  Stadt  Beaune  folgendes  Privileg  ver- 
liehen: „Si  compositio  de  duello  ante  ictum  vel  post  ictum  fiat, 
LXV  sol.  et  VI  den.  habebo;  si  duellum  victum  fuerit,  in  dispo- 
sitione  mea  erit“8).  Dasselbe  Privileg  wurde  im  Jahre  1231  durch 
HerzogHugoIV.  von  Burgund  derStadtMontbard  gegeben  und  im  Jahre 
1 276wurde  die StadtSemurmit  ihm  durch  Herzog  Robertn.von  Burgund 
bewidmet8).  ln  den  Stralbestimmnngen  diesen  Privilegien  ähnlich, 
ist  das  Privileg  Philipps  von  Vienne  für  Seurre  vom  Jahre  1278, 
das  folgenden  Wortlaut  hatte:  „Se  champ  de  bataille  est  abramis 
et  pais  ou  accord«  en  soit  faicte  devant  le  copt.  ou  aprfes  le  col 
le  sire  de  Sehure  en  aura  d’amende  65  sols  et  se  bataille  est 
oultree  le  vaincu  sera  en  volunt«  et  en  la  disposition  du  seigneur 
de  Sehure4).  Eine  arbiträre  Strafe  des  Besiegten  kennt  ebenfalls 
ein  Privileg  für  Moleme,  das  der  Bischof  Guy  von  Langres  im 
Jahre  1 260  dem  Abt  von  Moleme  bestätigte,  es  heißt  da : „senotre  home 
de  Moloimes  qui  sunt  avoue  forment  bataille  champel  par  devant 
nos  s’il  font  paiz  ehascuns  doit  V sols  d’amende  li  vaincu  est  en 
nostre  volante“ 5). 

Eine  coutume,  die  in  den  Gebührensätzen  an  das  Recht  von 
Lorris  erinnert6),  nämlich  die  von  Letfond  vom  Jahre  1285,  be- 
stimmte: „En  cas  de  champ  de  bataille  et  de  gages  jetes  si  les 
Champions  s’accordaient  devant  qu’ils  fussent  ploiges  ils  devront 
2 sols  6 deniers  et  1 denier  au  maieur  fors  le  meurtre  et  le  lar- 
ein s’ils  sont  ploiges  et  qu’ils  s’accordent  avant  d’etre  venus  au 
champ  ils  devront  7 sols  6 deniers  et  2 deniers  au  maieur  et  si 
la  bataille  est  ferree  et  outree  et  sauf  meurtre  ou  larcin  le  vaincu 
doit  110  sols  toumois  et  12  deniers  au  maieur“'). 


•)  Garnier  meint  irrtümlich  in  Bd.  I,  p.  210.  Note  8 die  coutume  von 
Beaune  sei  in  ihrem  Artikel  22  wörtlich  übernommen,  das  ist  aber  nicht 
richtig,  wie  eine  Vergleichung  der  amendcs  zeigt. 

J)  Beaune  (1203)  bei  Garnier  I,  p.  210,  no.  124,  art.  22. 

*1  Montbard  (1231)  und  Semur  (1276)  bei  Garnier  II,  p.  99  und  360, 
no.  311,  art.  22  und  no.  388,  art.  26. 

4)  Sourre  (1278)  bei  Garnier  II,  pag.  214  no.  352,  art.  8. 

*)  Moleme  (1260)  bei  Garnier  II,  pag.  312  no.  377,  art.  11. 

*)  Vgl.  oben  pag.  8. 

7)  Leffond  (1285)  boi  Garnier  II,  pag.  397. 

Conltn,  Zweikampf  In  Frankreich  2 


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18 


Ein  der  Stadt  Villefranche  im  Jahre  1217  von  Archibald  VIII. 
von  Dampierre  genannt  von  Bourbon  gegebenes  Privileg  stufte  die 
Gebühren  nach  der  Zahl  der  Termine,  für  deren  Einhaltung  von 
den  Parteien  immer  wieder  ein  neues  plegium  veniendi  ad  jus  be- 
stellt wurde1),  ab  und  hatte  folgenden  Inhalt:  „Si  bellum  firmum 
fuerit,  de  primo  fidejussore  habebit  dominus  XV  sol.  si  pacem 
fecerint,  de  secundo  XV  sol.  de  aliis  duobus  sexaginta  solidos 
et  de  bello  victo  nichil  habebit  dominus,  nisi  alios  solidos  snpra 
dictos  et  perdet  querelam.  Si  bellum  firmum  fuerit  de  furto  vel 
adulterio  vel  homicidio  de  perditione  (!),  victus  erit  in  voluntate 
domini;  in  omnibns  aliis  querelis  victus  nichil  debet  domino  nisi 
sexaginta  solidos  et  perdit  querelam’). 

Die  der  Stadt  Beaumont-sur-Oise  *)  im  Jahre  1223  von  König 
Ludwig  VTII.  verliehene  contume  bestimmte  über  die  beim  Ver- 
gleich zu  entrichtenden  amendes:  „De  vadiis  duelli  datis  infra 
banleugam  habebit  communia  quindecim  solidos  tantum  de  hosta- 
giis  triginta  solidos  de  duello  victo  sexaginta  septem  solidos  et 
dimidium  si  duellum  fuerit  de  fundo  terre  vel  pecunia“4).  Die 
amende  beim  Vergleich  und  die  Strafe  des  Besiegten  in  den  grollen 
Strafprozessen  sind  hier  arbiträr,  außerdem  tritt  Konfiskation  ein. 

Die  charte  von  Rethel  vom  Jahre  1253  hatte  ein  Kampf- 
privileg folgenden  Wortlautes:  „Et  se  par  aventure  avenoit  que 
bataillie  fust  loice  devant  le  prevost  par  tesmoignage  de  echevins 
pour  meuble  ou  j>ar  heritage  ou  pour  autre  ehose  et  paiz  en  venoit 
entre  les  parties  chascune  partie  me  paieroit  quatre  livres  et 
demi  de  parisis  et  qui  vaincus  seroit  il  perdroit  toute  la  querelle 
et  si  me  paieroit  tonte  Tarnende  devant  dite  et  encore  avec  les 
counstanges  de  la  bataille  raisonnablement  ä l’eswart  des  esche- 
vins“  *). 


')  Vgl.  Gericht!  Zweikampf  § 21.  V a.  pag.  82. 

Villefranche  (1217)  in  B & L. 

*)  Die  älteste  Vorlage  hierfür  ist  die  coutumc  von  Chambli  (1173.  1222) 
in  Ord.  XII,  p.  304,  art.  11  = Beaumunt-sur-Oise  (1222)  in  Ord.  XII,  p.  298. 
art.  8 — Aanierea  (1223)  in  Ord.  XU,  p.  313,  art.  8;  in  diesen  drei  cuutuuiea 
erhebt  aber  der  tierichtsherr  die  amende  und  nicht  die  commune.  Vgl.  unten 
p.  68,  Note  8. 

4)  Beaumont-sur-Oise  (1223)  in  Layettea  no.  1621. 

s)  Kethel  (1253)  in  Kethel  I,  pag.  225,  no.  141. 


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19 


Endlich  mag  hier  noch  ein  Privileg  Wilhelms  von  Tilchätel 
für  Veronnes  vom  Jahre  1294  erwähnt  werden:  „Qui  fermerai 
champ“,  war  darin  bestimmt,  „se  il  font  pais  chascnns  doit  eine 
solz,  se  il  sont  armes  et  fait  li  grand  sairement  cliacuns  doit 
quinze  solz  li  vaincuz  en  bataillö  chasques  paie  sexante  sols  se  ce 
n’est  meurtres  ou  homicides  ou  raz  ou  incendiaires  ou  larrecins 
ou  traisons  que  lors  seroit  il  h nostre  volenti  “ l). 

V.  In  meinem  Gerichtlichen  Zweikampf’)  habe  ich  die  gemein- 
rechtlichen prozessualen  Beschränkungen,  wie  sie  sich  in  der 
Spatzeit  des  gerichtlichen  Zweikampfes  herausgebildet  haben,  er- 
örtert. Hier  sind  nun  prozessuale  Beschränkungen  des  kämpflichen 
Grußes  in  den  Privilegien  darzustellen.  Daß  das  Gerichts zeugnis *), 
daß  der  Beweis  durch  zwei  Schöffen4)  nach  einigen  Stadtrechten 
nicht  gescholten  werden  konnte,  habe  ich  früher  schon  ausgeführt; 
einzelne  Privilegien  und  zwar  gerade  solche,  die  eine  sehr  große 
Verbreitung  gefunden  haben,  wie  die  Privilegien  der  coutume  de 
Ijorris  und  der  loi  de  Beaumont,  sind  aber  in  der  Beschränkung 
des  kämpflichen  Grußes  durch  prozessuale  Beweisvorschriften 
noch  viel  weiter  gegangen  und  zwar  in  dreifacher  Hinsicht: 

a)  Einzelne  Privilegien  bestimmen,  daß  der  Kläger  den  Be- 
weis durch  einen  oder  zwei  Zeugen  zu  erbringen  hat;  ist  dieser 
Beweis  nicht  möglich,  so  gestatten  sie  dem  Beklagten  bezw.  An- 
geklagten, sich  durch  einen  Eineid  zu  reinigen;  so  sagt  z.  B.  die 
coutume  von  Lorris  in  ihrem  zweiunddreißigsten  Artikel:  „Et  si 
aliquis  hominum  de  Lorriaco  accusatus  de  aliquo  facto  fuerit  et 
teste  comprobari  non  poterit  contra  probationem  impetentis  per 
solam  manum  suam  se  deculpabit 4).  Das  Stadtrecht  von  Amiens4) 
bestimmt  in  seinem  dreißigsten  Artikel:  „Quod  si  accusator  testem 
non  habuerit,  ille  qui  accusabitur  per  sacramentum  se  defendet.“ 
Das  Stadtrecht  von  Laon  vom  Jahre  1189  bestimmte:  „ . . . Quod 
si  eum  aut  verberaverit  aut  vulneraverit  extra  terminos  paeis,  nisi 
per  homines  pacis  legitimo  testimonio  de  prosecutione  vel  insidiis 


')  Veronnes  (1294)  bei  Garnier  11,  pag.  417.  ne.  411,  art.  7. 

’)  vgl.  Gericht!.  Zweikampf  § 20.  HI,  pag.  77  ff. 

*)  vgl.  Gericht!.  Zweikampf  § 1.  X.  i.  p.  12  f;  vgl.  Beaumont  art.  30. 
*)  eod.  loc.  p.  13  Note  7 und  p.  79,  Note  8. 

6)  Lorris  (1155)  in  Ord.  XI.  p.  201  art.  32. 

•)  Amiens  (1190)  in  Thierry  I,  p.  180,  art.  30. 

2* 


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20 


potuerit  oonprobari,  saeramento  se  purgare  licebit“ ').  Ferner 
sind  hierhin  zu  rechnen  die  Artikel  XII  bis  XIV  und  XLII  der 
loi  de  Beaumont,  die  in  einer  Reihe  von  kleineren  Zivil-  und 
Strafsachen  dem  Kläger,  durch  zwei  Zeugen  zu  beweisen,  anfgeben, 
widrigenfalls  sie  dem  Beklagten  gestatten,  sich  solus  juramento 
zu  reinigen8).  Auch  die  loi  de  Vervins  bestimmte  für  die  kleineren 
Prozesse  in  ihrem  dreizehnten  Artikel:  „Quod  si  neque  Scabinos 
neque  juratos  testes  habuerit  par  Leve  Roy  eum  vocabit  id  est  sola 
manu  faciet  jusjurandum“ ').  Dieses  letztere  Privileg  wurde  dann 
im  Jahre  1235  durch  Enguerrand  III.  von  Coucy  den  Städten 
Solers  und  Saint-Aubin-prös-Coucy*)  und  im  Jahre  1233  der 
Villefranche-ä-Corny  verliehen '). 

Noch  weiter  gehen  zwei  andere  Privilegien.  In  Issoudun  be- 
stimmte ein  Privileg  vom  Jahre  1190:  „Si  quis  accusatus  fuerit 
de  hiis  injuriis  que  satisläctionis  sexaginta  solidos  exigunt,  si  duo- 
bus  legitimis  testibus  et  cognitis  devinci  poterit,  satisfacionem 
persolvet,  aliter  non“ *).  Die  consuetudo  remensis  que  pro  jure 
servatur  ordnete  an:  „Si  reus  negaverit  (|Uod  actor  petit  et  si  actor 
quia  testes  non  habet  ad  probandum  dicat  se  probaturum  contra 
eum  per  vadium  belli  non  auditur  nisi  reus  appelatus  sit  de  cri- 
mine“ '). 

b)  Esmein  hat  einmal  gesagt:  „le  serment  purgatoire  de 
l’accusfe  assiste  des  „cojurantes“,  si  usite  ä l’epoque  franque,  disparait 
prösque  completement,  on  n’en  trouve  plus  que  quelques  traces 
(nämlich  in  unserer  Periode')“ ).  Ausgenommen  hat  er  davon  nur 
das  normannische  Recht').  Diese  Behauptung  ist  richtig,  soweit 
sie  sich  auf  das  gemeinfranzösische  Recht  stützt;  sie  ist  aber  falsch, 
soweit  sie  sich  auf  das  gemeinfranzösische  Recht  allein  gründet 
und  die  Durchlöcherung  dieses  Prinzips  durch  zahllose  Privilegien 


•)  Laon  (1189)  in  Layettes  no.  358. 

*)  Beaumont-en-Argonne  (1182)  art,  12.  13.  14  42.  pag.  101  und  106. 
*)  Yervins  (1233)  art.  13  in  B.  & L.  p.  236. 

')  Solers  und  Saint-Aubin-pres-Concy  in  B.  & L.  p.  236. 

*)  Corny  (1233)  in  Bethel  I,  p.  109,  no.  72. 

')  Issoudun  (1190)  in  Layettes  no.  380. 

7)  Keims  legislatif  1.  p.  40  (circa  1248)  art.  40. 

8)  Esmein,  Pr.  C.  p.  46. 

')  1.  c.  p.  46,  Note  1. 


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21 


nicht  berücksichtigt.  Tm  Recht  von  Amiens  kann  der  percussor 
selbdritt  beweisen,  daß  er  in  Notwehr  gehandelt  hat1);  mit  der 
Modifikation,  daß  der  Kläger  bello  resistere  poterit,  kennt  auch 
die  loi  de  Beaumont  diesen  Satz*),  wie  diese  letztere  überhaupt 
vielfach  unter  Ausschluß  des  Zweikampfs  von  dem  Eidhelferbeweis 
Gebrauch  macht;  so  verwendet  sie  ihn  zur  Reinigung  des  Ange- 
klagten in  mittleren  Strafsachen,  wo  er,  falls  der  Kläger  keine 
Zeugen  beibringen  kann,  bald  selbdritt3),  bald  selbsiebent4)  schwört. 
Endlich  verwendet  die  loi  de  Vervins  diesen  Beweis  bei  den  großen 
Verbrechen,  sie  bestimmt  nämlich : „Si  quis  inculpatus  de  quo 
magno  crimine  fuerit  et  ille  se  defendere  voluerit,  septem  sacra- 
mentis  se  purgabit,  ille  vero  uno  probabit;  si  autein  reus  se  de- 
fendere non  poterit,  convictor  eum  excaeeabit  vel  suspendet  vel 
secundum  judieium  damnabit“4).  So  lebt  hier  in  den  Privilegien 
dieses  Beweismittel  der  fränkischen  Zeit  fort  oder  es  wird  aufs 
Neue  wieder  zu  Ehren  gebracht  anstelle  des  gerichtlichen  Zwei- 
kampfes. 

c)  Noch  ein  anderes  Beweismittel  der  fränkischen  Zeit  gelangt 
in  den  Privilegien  wieder  zu  Ansehen,  das  judieium  aquae;  auch 
von  ihn  ihm  meint  Esmein8),  daß  es  nur  sporadisch  in  unserer 
Periode  noch  vorkomme;  wenn  man  aber  bedenkt,  daß  die  loi  de 
Beaumont  es  als  alleiniges  Beweismittel  für  die  großen  Verbrechen, 
wie  Brandstiftung,  Diebstahl,  Tötung  jeder  Art,  und  raptus  ver- 
wendet1), und  daß  dieses  „Bömer-Recht“  in  mehr  als  fünfhundert 
Gemeinden  des  Nordostens  nach  und  nach  Verbreitung  gefunden 
hat8),  so  kann  man  schon  um  deswillen  nicht  mehr  von  einem 
nur  vereinzelten  Vorkommen  reden.  Aber  auch  nach  anderen 
Stadtrechten  wurde  das  judieium  dei  angewendet,  so  nach  dem 
Recht  von  Laon  bei  mähaing*). 


')  Amiens  (1190)  in  Thicrry  I,  p.  180  art.  6. 

*)  Beaumont  (1182)  art.  19,  p.  102. 

*)  Beaumont  (1182)  art.  15  und  16,  p.  102. 

4)  Beaumont  (1182)  art  17,  p.  102. 

4)  Vervins  (1233)  art.  28.  B & L,  p.  236. 

6)  Esmein  Pr.  C,  p.  46. 

*)  Beaumont  (1182)  art  29,  p.  104. 

8)  vgl.  die  Aufzählung  bei  Bonvalot  p.  156  bis  247. 
*)  Laon  (1189)  in  Layettes  no.  358. 


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22 


d)  Im  Anschluß  hieran  mögen  noch  einige  Restimmungen  der 
loi  de  Beaumont  Erwähnung  finden.  Im  Prozeß  um  Grund- 
eigentum kann  der  Beweis  nur  per  testimonium  majoris  et  ju- 
ratorum  erbracht  werden ').  Im  Prozeß  um  Schuld  kennt 
auch  dieses  Recht  eine  „ Mindestwertgrenze“  *),  die  es  auf  10  Schilling 
festsetzt;  Schuld  von  mehr  als  10  Schilling  hat  der  Gläubiger 
cum  testimonio  burgensium  zu  beweisen,  aber  alter  bello  contra- 
dicere  potent5).  Beim  Anefang  gilt  dasselbe  Prinzip4).  Dies 
sind  aber  auch  neben  dem  oben 6)  erwähnten  Falle  des  per- 
cussor  die  einzigen  Fälle,  in  denen  der  Beweis  durch  Kampf  ge- 
führt werden  kann. 

VI.  Einschneidender  in  ihrer  die  Abschaffung  des  gericht- 
lichen Zweikampfs  fördernden  Wirkung  sind  eine  Reihe  von  Privi- 
legien, die  dem  Recht  des  Südens,  des  Südostens  und  Südwestens 
entspringen  und  bald  die  Auflösung  des  Kampfrechtsverhältnisses, 
bald  die  Entstehung  des  Kampfreohtsverhältnisses  vom  einseitigen 
Willen  einer  Partei  abhängig  machen  oder  gar  das  Kampfrechts- 
verhältnis  mit  dem  übereinstimmenden  Willen  beider  Parteien  zu- 
stande kommen  lassen. 

a)  Ein  Kampfprivileg,  das  in  der  Auvergne  einige  Verbreitung4) 
gefunden  hat  und  im  Jahre  1 249 7)  vom  Grafen  Alphons  von  Poitiers, 
dem  Bruder  Ludwigs  des  Heiligen  der  Stadt  Riom  verliehen 
wurde,  traf  folgende  Bestimmungen:  „Si  eontigerit  firmari  dnellum 
apud  Riomum  in  nostra  curia  ex  quo  illi  qui  firmant  dederunt 
gagia  duelli,  nos  habemus  ibi  LX  sol.  ad  voluntatem  et  miseratio- 
nem  nostram  in  illo  qui  se  retraheret  a duello.  Item  homines 
ville  Riomi  non  tenentur  firmarc  duellum;  et  si  firmaverint  vel 
juraverint,  etiam  in  ipso  campo  duelli  potest  se  retrahere  qnicun- 
que  voluerit,  et  ille  qui  se  retraxerit  debet  nobis  sexaginta  solidos“*). 

')  Beaumont  (1182)  art.  25,  p.  103. 

’)  Boaumont  (1182)  art.  33,  p.  105. 

*)  vgl.  Gerichtl.  Zweikampf  p.  8,  Note  10. 

4)  Bcaumont  (1182)  art.  34,  p.  105. 

4)  vgl.  oben  p.  21,  Note  2. 

*)  Nach  den  Laycttes  wurde  auch  die  Stadt  Pont-du-Chäteau  damit 
bewidmet. 

7)  Riviere  datiert  falsch.  März  1248  ist  nach  unserer  Rechnung  1249; 
vgl.  Riviere,  Auvergne  p.  253. 

s)  Riom  (1249)  in  Layettes  no.  3755. 


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23 


Ob  dies  nun  ursprünglich  nicht  zwei  Privilegien  waren  und  das 
zweite,  mit  „Item“  beginnende,  dann  erst  auch  die  Eingehung, 
nicht  bloß  den  Rücktritt,  wie  das  erste,  in  das  Belieben  einer 
Partei  setzte,  geht  aus  den  Layettes  nicht  mit  Sicherheit  hervor; 
wenn  Rivifcre  den  mit  „Item“  beginnenden  Satz  nur  als  Variante 
anführt '),  so  wird  er  der  Rechtsentwicklung  dieser  Landschaft 
nicht  gerecht;  denn  zweifelsohne  tendiert  diese  auf  eine  immer 
größere  Einschränkung  des  kämpflichen  Beweises  und  zweifellos 
bedeutet  dieser  zweite  Satz  einen  gewaltigen  Fortschritt  in  dieser 
Beziehung,  ganz  abgesehen  von  grammatischen  und  stilistischen 
Bedenken,  die  in  dieser  Zeit  allerdings  nicht  zu  hoch  eingeschätzt 
werden  dürfen. 

Demselben  Ideenkreis  wie  der  erste  Satz  des  Privilegs  für 
Riom  entstammt  eine  Bestimmung  der  coutume  von  Perouse;  dort 
heißt  es:  „Et  si  bataille  est  formte  ä la  Paerose  en  la  eort  au 
Segnor  puisque  aurant  jur6  li  Sires  ha  sessante  solz  ä sa  merci 
de  celui  qui  se  retreroit“.*) 

Auch  den  einunddreißigsten  Artikel  der  im  Jahre  1364  be- 
stätigten coutume  von  Vienne  darf  man  dieser  Gruppe  zuzählen. 
Dabei  läßt  die  lateinische  Sprache  dieses  Privilegs  vielleicht  auf 
eine  ältere  Vorlage  schließen;  die  einschlägige  Stelle  hat  folgenden 
Wortlaut:  „Si  duellum  firmatum  fuerit  et  juratum  in  manibus 
dominorum  et  altera  pars  postmodum  penitere  voluerit,  solvat  do- 
minis  decem  libras  vel  alias  gratificet  cum  eis  et  emendam  faciat 
alteri  non  penitenti“.3) 

b)  Eine  zweite  Gruppe  von  Privilegien  stellt  den  Abschluß 
und  den  Rücktritt  in  das  Belieben  der  Partei,  ohne  eine  amende 
in  letzterem  Falle  zu  erheben,  und  verweist  wegen  der  Entscheidung 
des  Prozesses  in  diesen  Fällen  den  Kläger  auf  andere  Beweismittel, 
falls  er  überhaupt  noch  eine  Entscheidung  herbeiführen  will. 

In  erster  Linie  ist  hier  ein  Privileg  für  Clermnnt-Ferrand,  das 
etwa  1262  entstanden  und  ziemlich  schlecht  überliefert  ist,  zu 
nennen.  Der  dritte  Artikel  dieses  Privilegs  lautet  folgendermaßen 
„Cum  duellum  sic  . . . dicta  villa  nostra  et  inter  homines  nostros 


')  Riviero,  Auvergne  pag.  258. 

*)  Perouse  (1260,  1275)  in  B & L pag.  86. 

3)  Vienne  (1364,  1391)  in  Ord.  VII,  p.  432.  art.  81. 


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24 


praedictos  fieri  proberaus  ac  etiam  volentibus  et  licet  petentibus 
partibus  sed  de  gagio  appelatis  si  gagium  seu  duellum  refutavit 
seu  subire  recusavit  tacite  vel  expresse  etiamsi  non  sit  usus 
deffensionibus  sive  competentibus  seu  jactu  gagii  non  habeatur 
propter  hoc  pro  comraota  nec  aliquam  poenam  propter  hoc  pa- 
tiatur  sed  appelans  si  velit  crimen  quod  objicit  appelatum  per 
viam  juris  scripti  legitime  prosequeretur  nec  etiam  appelans 
gagium  a se  oblatum  contra  quemcunque  prosequi  seu  subire 
nullatenus  compellere  nec  etiam  volens  admittatur  nec  poenam  seu 
molestiam  aliquam  propter  hoc  patiatur“  ‘).  Der  Oedankengang 
dieses  sehr  unklaren  Privilegs  wird  uns  erst  deutlicher,  wenn  wir 
es  zwei  offenbar  aus  demselben  Provinzialrecht  entsprungenen 
Privilegien  gegenüber  stellen. 

Im  Jahre  1281  erhielt  die  Stadt  Billom  ein  Privileg  folgenden 
Inhalts;  „Volumus  et  concedimus  hominibus  dictae  villae  tarn  nunc 
viventibus  quam  futuris  quod  nullus  eornndem  de  quocunque  crimine 
appelatur  vel  aecusatus  fuerit  teneatur  se  purgare  vel  deffendere  per 
gagium  seu  duellum  nec  cogatur  ad  duellum  seu  bellum  faciendum : 
et  si  gagium  seu  bellum  refutaverit  seu  duellum  subire  recusaverit 
non  habeatur  propter  haec  pro  convicto  nec  poenam  aliquam  propter 
hoc  patiatur  sed  appelans  si  velit  crimen  quod  objicit  appelato 
per  viam  juris  scripti  legitime  prosequatur  nec  etiam  appelans 
gagium  seu  duellum  a se  oblatum  seu  proeuratum  contra  quem- 
cunque prosequi  seu  subire  nullatenus  compellatur  si  prosequi 
nolit  nec  poenam  seu  molestiam  propter  hoc  patiatur“ *).  Zwischen 
diesem  und  dem  vorhergehenden  Privileg  besteht,  besonders  im 
letzten  Teil  ein  sehr  intimer  Zusammenhang;  fast  wörtlich  ist 
die  Übereinstimmung  in  der  zweiten  Hälfte.  Aber  ein  Blick  aui 
den  ersten  Teil  der  Privilegien  von  Clermont  und  Billom  zeigt, 
daß  trotz  des  verschiedenen  Wortlauts  sachliche  Differenzen 
zwischen  den  beiden  Privilegien  nicht  bestehen.  Damit  ist  aber 
auch  für  unsere  Zwecke  eine  eingehende  textkritische  Betrachtung 
des  Privilegs  von  Clermont  überflüssig. 

Schärfer  in  der  Form  und  knapper  im  Ausdruck  ist  ein 
Privileg,  das  wahrscheinlich  erstmals  im  Jahre  1270  der  Stadt 


*)  Clermont  (circa  1262)  bei  Riviere,  Auvergne  pag.  298  art.  3. 
J)  Billom  (1281)  bei  Riviere,  Auvergne  p.  332. 


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25 


Riom  gegeben  wurde,  seitdem  eine  große  Verbreitung  im  Süden 
gefunden  hat  und  schließlich  auch  nach  dem  Norden  durch- 
gedrungen ist1).  Trotzdem  das  Privileg  nicht  ausdrücklich  den 
Rücktritt  von  dem  einmal  abgeschlossenen  Kampfrechtsverhältnis 
gestattet,  dürfen  wir,  insbesondere  wenn  wir  bedenken,  daß  es  in 
Riom  an  die  Stelle  der  beiden  schon  besprochenen *)  Privilegien 
getreten  ist,  annehmen,  daß  es  auch  nach  Abschluß  des  Kampf- 
rechtsverhältnisses Anwendung  fand,  wie  das  ja  eigentlich  schon 
in  den  Worten:  ' „nee  cogatur  ad  duellum  faciendum“  liegt. 
Dieses  Privileg  bestimmte:  „Quod  nullus  habitans  in  dicta  Villa 
de  quocunque  crimine  appelatus  vel  aceusatus  fuerit  nisi  velit 
teneatnr  se  purgare  vel  defendere  duello  nec  cogatur  ad  duellum 
faciendum;  et  si  refutavit,  non  habeatur  propter  hoc  pro  convicto 
sed  appelans  si  velit  probet  crimen  quod  obicit  per  testes  vel  per 
alias  probaciones  juxta  formam  juris.“  Das  Privilegium  für 
Asnieres  vom  Jahre  1312  fügt  hier  noch  hinzu:  „vel  Curia  ad 
inquisitionem  procedat,  si  videtur  Curiae  secundum  qualitatem 
criminis  expedire“.  Hier  wird  also  auch  im  Norden,  was  wir  in 
den  vorhergehenden  Privilegien  nur  fiir  den  Südosten  und  Süden 
konstatieren  konnten,  ein  mit  dem  alten  Anklageprozeß  untrennbar 
verbundenes  Prinzip  durchbrochen,  an  dem  der  Norden  bisher 
festgehalten  hatte:  sagt  doch  die  „Consuetudo  remensis  que  pro 
jure  servatur“  in  ihrem  Artikel  16:  „Si  quis  ab  inicio  specifi- 
caverit  qualiter  probare  velit  quod  intendit  sive  per  testes  sive 
per  juramentum  ad  aliam  probationem  reverti  non  proterit5).“ 
Schon  bei  Beaumanoir  findet  sich  aber  zu  Gunsten  der  Ordonnanz 
Ludwig  des  Heiligen  über  die  Abschaffung  des  Zweikampfs  eine 
kleine  Einschränkung  dieses  Prinzips,  obwohl  es  im  Großen  und 
Ganzen  aufrecht  erhalten  ist;  er  sagt  nämlich:  „Se  li  ples  est 


*)  Riom  (1270,  1325  in  Ord.  XI,  pag.  495  art  6.  — Beaumont-on-Perigord 
(1277,  1471)  in  Ord.  XV.  pag.  447  art.  8 — Salmcranges-en-Auvorgne  (1280, 
1331)  in  Ord.  XII.  pag.  517  art.  C.  — Bastidc-dc-Mont-Chabrin  (1297,  1307) 
in  Ord.  XII,  pag.  363  art.  7.  — Fleurence  (1299,  1396)  in  Ord.  VIII,  pag. 
97  art.  47.  — Nouvelle  Bastide  ä Gardemont  (1310)  in  Ord.  XII,  pag.  383 
art.  7.  — Asnieres  (1312)  in  Ord.  XII,  p.  399  art.  9.  — Villefranche  (1357) 
in  Ord.  EU,  pag.  205  art.  8. 

*)  Vgl.  oben  pag.  22  f. 

3)  Reims  legislatif  1.  pag  37  art.  16. 


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2fi 


entam^s  seur  los  gages  par  l’ancienno  coustume,  li  siros  ne  le 
puet  pas  ramener  a Pestablissement  le  roi,  se  ee  n’est  par  l’acort 
des  deus  parties,  car  il  convient  querele  de  gages  et  toutes  autres 
quereles  demener  selonc  ee  que  li  ples  est  entam^s In  den 
Privilegien  dieser  Gruppe  ist  aber  schon  das  Prinzip  ganz  und 
gar  verlassen,  sowohl  eine  einzelnen  Partei,  als  der  Gerichtsherr, 
dem  die  Aufnahme  des  Begriffs  des  crimen  publicum  hier  zu 
statten  kommt,  können  die  Prozedur  wechseln. 

c)  Das  zuletzt  angeführte  Privileg  bildet  den  Übergang  zu 
einer  weiteren  Gruppe  von  Privilegien,  ja  man  könnte  dieses 
Privileg,  wenn  man  es  außerhalb  des  Zusammenhanges  der  ge- 
schichtlichen Entwicklung  betrachtete,  seinem  Wortlaut  nach  schon 
dieser  neuen  Gruppe  zuzählen.  Den  nunmehr  zu  betrachtenden 
Privilegien,  die  dem  Süden  angehören,  liegt  der  Gedanke  zu 
Grunde,  daß  der  Zweikampf,  der  nach  ihnen  noch  geltenden  Rechtes 
ist,  nur  noch  mit  Übereinstimmung  beider  Parteien  als  Beweis- 
mittel angeordnet  werden  kann  und  daß  dieser  Vertrag  der 
Parteien  wiederum  durch  contrarius  consensus  gelöst  werden  kann; 
daneben  bleibt  aber  die  alte  Prozedur  in  Kraft  und  es  kann  ins- 
besondere hier  nicht  von  einem  konventionellen  Prozeß  die  Rede 
sein:  nur  finden  auch  hier  die  bisherigen  Privilegien  sinngemäße 
Anwendung11).  Zum  ersten  Male  erscheint  ein  derartiges  Privileg, 
wenigstens  soweit  das  uns  bekannte  Material  reicht,  in  der  coutoume 
von  Montpellier-,  hier  heißt  es:  „Duellum  vel  judicium  eandentis 
ferri  vel  aquae  ferventis  vel  alia  canonibus  vel  legibus  improbata 
nullo  modo  in  curia  Montespessulani  rata  sunt,  nisi  utraque  pars 
convenerit“,  oder  wie  die  coutume  von  Carcassonne,  die  das  Privileg 
übernommen  hat,  sagt:  „nisi  partes  consenserint“ ’).  Etwas  aus- 
führlicher behandelt  dieselben  Gedanken  die  coutume  von  Gontaud 
sie  bestimmt  nämlich  in  ihrem  einhunderteinundfünfzigsten  Artikel: 
„E  establi  e aenstumet  et  donet  en  franquessa  que  ja  nulhs  horgues 
ni  borgueza  de  la  bila  de  Guontald  ni  de  la  honor  ne  sia  tengut 
ni  costrent  ä eombatre  ab  alcun  en  negun  cas  si  no  era  la  volun- 

')  Hcawnanoir  ch.  1723  in  fine. 

J)  Montpollier  (1204),  Carcassonne  (circa  1204)  in  Layettes  no.  721 
art.  62  und  no.  745  art.  48. 

5)  Dies  zeigen  sehr  anschaulich  die  art.  152,  153  u.  156  der  coutume 
von  Gontaud  ;X1V.)  in  Gironde  VII,  p.  113. 


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27 


tat  d’ambe  doas  las  partidas  si  es  assaber  d’aquel  qui  apelara  c 
d’aquel  qui  sera  apelat  e aquel  qui  refuzara  la  batalha  per  aequo 
ne  sia  tengut  per  atents  d’aequo  per  que  sera  apelat1)“.  Auch 
die  coutume  von  Montferrand  vom  Jahre  1291  zeigt,  in  ihrer 
Redaktion  vom  Jahre  1486  dieselben  Grnndsätze;  ihr  Artikel  20 
lautet  nämlich:  „Le  seigneur  dudict  Montferrand  et  son  dit  baile 
et  sergent  dudict  lieu  item  ne  aulcun  d'eulx  ne  autre  quelconque 
ne  peuvent  jecter  gaige  de  batailie  en  la  cort  dudict  Montferrand 
ne  ailleurs  contre  lesdiz  consulz  ne  aulcun  d’eulx  item  ne  aussi 
contre  ladicte  communite  ne  contre  aucune  d’icelle  et  si  de  faict 
il  advient  que  ledict  gaige  de  batailie  soit  gecte  ne  vault  et  ne 
doit  tenir  ains  est  nul  de  soymesmes  sans  autre  declaracion  et 
peut  estre  refuzö  d’estre  pris  par  celluy  contre  qui  ledict  gaige 
de  batailie  aura  este  gect6  sans  pour  raison  dudict  refuz  payer 
aucune  esmende  ne  souffrir  aucun  dommaige  et  encore  s'il  a este 
pris  ou  aeeepte  il  peut  loisiblement  estre  reeuze."  Dali  aber  dieser 
Artikel  im  Sinne  der  übrigen  Privilegien  dieser  Gruppe,  auch  in 
seiner  überarbeiteten  Gestalt,  angesprochen  werden  darf,  beweist 
der  folgende  Artikel  dieser  coutume:  „Les  forains  requerrans 
ledict  gaige  de  batailie  esdictz  habitans  de  Montferrand  pour  le 
vuydange  ou  <U>cision  d’aucun  diflerant  ne  doivent  point  estre  oys 
ne  receuz.  Toutefois  s'ilz  sont  appelez  ou  requis  audict  gaige 
de  batailie  par  ceulx  dudict  Montferrand  ils  scront  tenus  y res- 
pondre  comme  de  raison“2).  Darnach  darf  man  die  Worte  „il 
peut  loisiblement  estre  recuzt's“  des  Artikel  20  doch  nur  so  auf- 
fassen, daß  in  Montferrand  der  Kampf  nur,  wenn  beide  Parteien, 
sofern  es  Bürger  waren,  übereinstimmten,  statthaben  konnte,  daß 
aber  die  Weigerung  eines  Teils  gpnügte,  um  dies  Beweismittel 
auszuschließen.  Wenn  die  eine  Partei  dagegen  ein  Auswärtiger 
war,  so  entschied  der  Wille  des  Bürgers,  der  hier  den  Kampf 
in  Anspruch  nehmen  konnte,  über  die  Wahl  des  Beweismittels. 

VII.  Ein  schlimmerer  Feind  als  alle  bisher  betrachteten 
Privilegien  erwuchs  aber  dem  gerichtlichen  Zweikampf  aus  der 
Einführung  des  Inquisitionsprozesses  im  Süden.  Haben  die 
coutumes  von  Montpellier  und  Carcassonne  dem  gerichtlichen 


*)  Gontaud  (XIV)  art.  151  in  Gironde  VII,  p.  113. 

*)  Montferrand  (1291,  I486)  art.  20  und  21  boi  Ririere,  Auvergne. 


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Zweikampf  noch  ein  bescheidenes  Plätzchen  gewährt,  so  finden 
es  die  coutumes  von  La  Reole '),  Limoges  (1212),  Aigues-Mortes 
(124(1),  Avignon  (1251)  nicht  einmal  mehr  der  Mühe  wert  den 
Zweikampf  auch  nur  zu  erwähnen*),  und  schon  in  dieser  Zeit 
finden  sich  auch  in  den  mehr  nördlich  gelegenen  Landschaften 
coutumes,  wie  die  von  Fumel  vom  Jahre  12(15,  die  unter  ab- 
sichtlicher Übergehung  des  Zweikampfes  bestimmte:  „Vulguo  e 
acostumero  que  negus  hom  no  pusca  proar  home  d’esta  vila  des 
fach  que  sera  fag  en  esta  vila  sino  fascia  per  homes  d’esta  vila 
o de  la  honor  o ab  carta  publica  o ab  letras  sageladas  de 
sagel  autentic“ 3). 

VIII.  Fast  niemals  aber  findet  sich  in  den  Städteprivilegien 
ein  ausdrückliches  Verbot  des  Zweikampfes,  abgesehen  von  den 
flandrischen  Städteprivilegien,  zu  welchen  wir  oben*)  auch  das 
für  Tournay  vpm  Jahre  1187  zählen  dürfen.  Dieses  Privileg  hat 
nun  im  Jahre  1340  eine  kleine  Erweiterung  erfahren,  so  daß  es 
nunmehr  als  absolutes  Zweikampfverbot  erscheint:  in  dieser  Fassung 
lautet  es:  „Que  bourgeois,  citoyen,  habitans  de  Tournay  ne  puisse 
appeler  ne  estre  appele  de  champs  de  bataille  l’un  eontre  l’autre 
dedans  la  ville  ne  dehors  ne  autres  forains  ne  les  puissent  appeler 
de  gaige  de  bataille  mes  prendre  la  loy  de  la  ville  de  Tournay 
etc.“  s). 

Außer  diesem  Privileg  findet  sich  nur  noch  eines,  das  den 
gerichtlichen  Zweikampf  absolut  verbietet,  nämlich  das  für  Aigue- 
perse  in  der  Auvergne  im  Jahre  1374  erlassene;  es  lautet: 
„Dedans  la  ville  et  franchise  dessusdite  ne  peut  avoir  gage  de 
bataille  ne  doit  estre  juge  par  nous  ou  par  nos  gens  ne  par  les 
eonsuls  sur  home  ne  sur  ferne  de  ladicte  franchise  par  appelement 
de  meurtre  de  trahison  de  roberie  ne  pour  nul  autre  cas  qu’on 
demande  ä autre  ains  doit  estre  atteint  et  prouvö  par  loyaux 
garens  devant  nous  ou  devant  nostre  bailly  ou  chaistellain  appellös 


')  La  Röole  (1201,  1395)  in  Gironde  II,  p.  230  ff. 

*)  vgl.  z.  B.  Aigues-Mortes  (1246)  in  Layettes  no.  3522,  Avignon  (1251) 
in  Layettes  no.  3937. 

*)  Fumel  (1265,  12971  in  Gironde  VII,  p.  17  art,  8. 

*)  vgl.  oben  pag.  2. 

s)  Tournay  (1187,  1340,  1370)  in  Ord.  XI,  p.  250  art.  21,  XII.  p.  57, 
art.  21,  V,  p.  378,  art.  30. 


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2f> 


les  consuls  et  presens  ou  lenr  eertains  procureurs  et  doit  on  jnger 
selon  les  paroles“  *). 

Daß  aber  der  gerichtliche  Zweikampf  noch  gemeinrechtlich 
bis  ins  sechszehnte  Jahrhundert  bestanden  hat,  das  beweisen  nicht 
zum  wenigsten  die  Bestätigungen  der  bisher  betrachteten  Privi- 
legien, die  daher  auch  jeweils  in  den  Noten  von  uns  aufgeführt 
worden  sind.  Jedes  dieser  Privilegien  hat  aber  an  seinem  Teil 
zum  allmählichen  Niedergang  und  Verschwinden  des  gerichtlichen 
Zweikampfs  beigetragen. 


§ 3- 

Oie  Juden-  und  Lombardenprivilegien. 

I.  Von  einem  anderen  Gesichtspunkte  aus  habe  ich  in  meinem 
Gerichtlichen  Zweikampf  die  Privilegien  der  Juden  und  der  Lom- 
barden im  Kampfrecht  behandelt,  nämlich  mit  Rücksicht  auf  die 
denselben  mangelnde  Volksgemeinschaft ’).  Hier  sind  sie  darzu- 
stellen als  Anzeichen  und  Ursachen  des  Niedergangs  des  gericht- 
lichen Zweikampfs  im  französischen  Recht.  Wie  schon  früher  ge- 
zeigt, war  sowohl  in  den  Streitigkeiten  der  Juden  bezw.  Lombarden 
mit  ihren  Volksgenossen  der  kämpfliehe  Beweis  zulässig,  als  sie 
auch  von  der  einheimischen  Bevölkerung  gefordert  werden  konnten  *). 
Dies  ändert  sich  durch  die  Juden-  und  Lombardenprivilegien  des 
vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhunderts. 

II  Nach  einer  Ordonnanz  Philipps  V.  sollen  die  Juden  nur 
noch  wegen  Mords  gefordert  werden  können;  es  heißt  da:  „Nous 
ordonnons  et  octroyons  ä tous  nos  Juifs  et  ä ceux  qui  istront 
d'iceui  que  nuls  soient  Chrestiens  ou  autres  les  puissent  ou  aucun 
d’eux  mettre  en  gages  de  bataille  pour  nul  cas  se  n’est  pour 
meurtre  apparant“ 5).  Aber  schon  die  Ordonnanz  Johann  l.  vom 
Jahre  1360  und  die  mit  ihr  gleichlautende  Karls  V.  vom  Jahre 
1372  verbieten  den  Zweikampf  der  Juden  absolut4). 

III.  Noch  im  Jahre  1320  stand  vor  dem  Parlament  ein 
Kampfprozeß  zweier  Lombarden  an,  der  mit  einem  döfaut  des 

*)  Aigueperse  (J374)  bei  Riviere,  Auvergne  p.  467. 

ä)  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  § 4,  II,  p.  23  f. 

*)  Phil.  V (1317)  in  Ord.  I,  p.  646.  art.  1. 

*)  Ord.  III,  p.  479  u.  V.  p.  495,  art.  22. 


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Angeklagten  schloß ').  Aber  seit  dem  Jahre  1380  werden,  wie 
ich  in  meinem  Gerichtlichen  Zweikampf  schon  hervorgehoben  habe a), 
fflr  einzelne  bestimmte  Lombarden  dem  Judenprivileg  von  13G0 
entsprechende  Privilegien  erlassen,  die  die  Herausforderung  der 
Lombarden  zum  Zweikampf  absolut  verbieten;  sie  haben  stets 
denselben  Wortlaut  und  bestimmen:  „ . . . voulons  que  en  nostre 
dit  Royaume  aucun  ne  les  puisse  appeler  de  gaige  de  bataille 
pour  quelconque  occasion  que  ce  soit“ s). 

IV.  Diese  Privilegien  sind  alle  erst  in  der  Zeit  nach  der 
Ordonnanz  von  130t)  erlassen,  also  in  einer  Zeit,  wo  der  Zwei- 
kampf durch  die  königliche  Gesetzgebung  auf  den  Beweis  der 
großen  Verbrechen  eingeschränkt  war;  aber  auch  hier  schließen 
sie  noch  den  Zweikampf  als  Beweismittel  gegen  Juden  und  Lom- 
barden aus  und  engen  so  den  Personenkreis  der  kampffähigen 
Bevölkerung  ein.  Eine  derartige  Privilegierung  der  Fremden 
konnte  nicht  ohne  Rückwirkung  auf  die  Beweisangebote  der 
städtischen  Bevölkerung,  um  diese  wird  es  sich  ja  wesentlich 
handeln,  in  ihren  Prozessen  unter  sich  bleiben,  und  hat  sicherlich 
ihrerseits  wiederum  den  auf  Abschaffung  des  gerichtlichen  Zwei- 
kampfs gerichteten  Bestrebungen  Vorschub  geleistet. 


Zweiter  Abschnitt. 

Die  Kirche  und  der  Zweikampf. 

§ 4. 

Die  Stellung  der  Konzilien,  Päpste  und  kirchlichen  Schriftsteller 
zum  gerichtlichen  Zweikampf. 

I.  Bei  der  Bedeutung,  die  den  Konzilien,  den  Päpsten  und 
den  kirchlichen  Schriftstellern  in  der  kirchlichen  Rechtsgeschichte 
zukommt,  und  bei  dem  Einfluß,  den  die  drei  Faktoren  auf  die 
Entwickelung  des  kirchlichen  Rechts  Frankreichs  gehabt  haben, 
kann  diese  Darstellung  nicht  davon  absehen,  wenn  auch  nur  in 

')  Buutaric,  Actes  du  Pari.  II,  p.  364,  no.  6391  (1320). 
a)  Gerichtl.  Zweikampf  p.  24. 

3)  Ord.  VI,  p.  481  (1380)  art.  22;  Ord.  XV,  p.  253  (1429,  1442,  1461). 


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den  Grundlinien  und  summarisch,  die  Stellung  dieser  Faktoren 
zum  Zweikampf  zu  skizzieren. 

II.  Die  Konzilien: 

a)  Ausdrücklich  gebilligt  hat  kein  Konzil  den  gerichtlichen 
Zweikampf;  wohl  aber  haben  sich  frühe  schon  die  Konzilien  mit 
dem  Zweikampf  beschäftigt.  Das  Konzil  von  Dingolfingen  vom 
Jahre  770  schreibt  einen  Vergleichsversuch  beim  Kampfprozell  in 
seinem  canon  2 vor1).  Das  Konzil  von  Lillebonne  (1080)  setzt 
in  seinem  canon  19  strenge  Strafen  für  Kleriker,  die  ohne  bischöf- 
liche Erlaubnis  einen  Kampf  unternehmen,  fest*).  Die  Konzilien 
von  Paris  (1212)  und  Rouen  (1214)  verbieten  den  Kampf  auf 
Friedhöfen  und  in  Gegenwart  eines  Bischofs3).  Im  Großen  und 
Ganzen  tasten  aber  diese  Konzilien  den  Kampfprozeß  nicht  an, 
sondern  erschweren  ihn  nur  in  unbedeutenden  Einzelheiten. 

b)  Mit  dem  Konzil  von  Valence  (X55)  erscheint  das  erste 
allgemeine  kirchliche  Kampfverbot;  der  canon  12,  der  offenbar 
auf  Agoberts  Schriften  sich  gründet,  bestimmt  nämlich,  daß  der 
Sieger  als  homieida  nequissimus  et  latro  cmentus  ab  ecclesiae  et 
omnium  fidelium  coetu  separatus  ad  agendam  legitiinam  poeniten- 
tiam  modis  omnibus  compellatur,  und  daß  der  Besiegte  als  tam- 
quam  sui  homieida  et  propriae  mortis  spontaneus  appetitor  domi- 
uicae  oblationis  e.ommemoratione  habeatur  alienus  nec  cadaver 
juxta  sacrorum  canonum  decretum  cum  psalmis  et  orationibus  ad 
sepulturaiu  deducatur4).  Diese  Repressivmaßregel  hat  die  erbetene 
königliche  Sanktion  nicht  erlangt  und  zur  Anwendung  ist 
sie  wohl  ebensowenig  gelangt,  wie  dieselbe  Bestimmung  des  Kon- 
zils von  Limoges  (994)*).  Erst  das  Laterankonzil  (1215)  nimmt 
in  seinem  canon  18  wieder  eine  Bestimmung  gegen  den  Zwei- 
kampf auf.  Dieser  canon  geht  aus  von  dem  Verbot  an  die  Geist- 
lichen bei  einem  Blutgericht  mitzuwirken,  es  verbietet  sodann  den 
Geistlichen  bei  drei  einseitigen  Ordalien  jede  Art  von  benedietio 

*)  M.  <1.  I,.  fol.  III,  p.  4G8. 

*)  Lillebonno  (1080;  in  I.ayettci  no.  22,  canon  19. 

3)  vgl.  Saplavrulles  p.  78  — Hessin  I,  p.  124  can.  15  — de  Smcdt  (95) 
pag.  72. 

*)  Mansi  XV.  p.  9 and  10  — vgl.  Saplayrollcs  p.  40  und  77,  und  Hof- 
mann p.  611. 

*)  Cainpignculles  I,  p.  39. 


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n? 


und  consecratio  und  hält  im  Anschluß  daran  die  früher  gegen 
den  Zweikampf  erlassenen  Verbote  aufrecht1).  Es  liegt  hier  die 
Vermutung  nahe,  daß  man  damit  auf  frühere  Bestimmungen,  die 
sich  auf  das  Verhalten  der  Geistlichen  beim  Kampfordal  beziehen, 
abstellen  wollte,  da  derartige  Bestimmungen  in  Konzilienschlüssen 
und  päpstlichen  Erlassen  schon  seit  dem  XL  Jahrhundert  wieder- 
kehren. Einen  Hinweis  auf  den  eanon  20  des  dritten  Lateran- 
konzils (1179)  kann  man  aber  wohl  nicht  darin  sehen;  dieser  traf 
nämlich  nur  Anordnungen  bezüglich  der  Turniere*).  Diese  Be- 
stimmung scheint  dann  auch  in  den  canon  9 des  Konzils  von 
Trier  (1227)  aufgenommen  worden  zu  sein,  wo  den  Geistlichen 
neben  dem  Wallentragen  und  der  Einsegnung  des  heißen  Eisens 
nur  die  passive  Teilnahme  an  einem  Zweikampf,  'Turnier  oder 
einer  Hinrichtung  verboten  wird5);  denn  bei  einer  «anderen  Auf- 
fassung des  canon  IS  des  vierten  Laterankonzils  hätte  man  sicher- 
lich schärfere  Worte  gegen  den  Zweikampf  gebraucht.  Nach  einer 
Notiz  bei  Peeheur  hat  das  Konzil  von  Saint-Quentin  (1234)  den 
Zweikampf  verdammt5).  Das  Konzil  von  Penafiel  ( 1 302)  verbietet 
Bischöfe  und  Kanoniker  herauszufordern 5).  Das  Konzil  von 
Aranda  (1473)  bedroht  den  Zweikampf  mit  Strafe*)  und  das  Tri- 
dentinum  bestraft  die  Teilnahme  am  gerichtlichen  Zweikampf  in 
seiner  sessio  25  de  ref.  c.  19  mit  Exkommunikation  und  Ver- 
weigerung des  kirchlichen  Begräbnisses7). 

UI.  Die  Päpste: 

a)  In  früherer  Zeit  haben  die  Päpste  mehrfach  den  Zweikampf 
gebilligt.  Johann  XIII.  ließ  ihn  im  Jahre  967  für  kirchliche 
Angelegenheiten  zu8);  Alexander  II.  wies  den  Vogt  der  Kirche 
von  Lucca  an:  „per  bellum  et  omnibus  modis“  das  Kirchengut 
zu  verteidigen’).  Paschalis  II.  bestätigt  im  Jahre  1 114  ein  könig- 

’)  Mansi  XXII,  col.  1006. 

’)  Ebenso  Mansi  XXII.  col.  229  und  Saplayrolles  p.  79—  a.  A.  Hilden- 
brand p.  171,  de  Smedt  (95)  p.  73,  Ducoudray  p.  379,  Tardif,  Proc.  p.  9t. 

3)  Saplajrolles  p.  79. 

4)  vgl.  Peeheur,  Soissons  III,  p.  337. 

4)  ßatnpigneullcs  II,  p.  98. 

*)  Aranda  (1473)  can.  20.  bei  Hofmann  p.  635. 

’)  vgl.  Saplayrolles  p.  79  f. 

*)  Patetta  p.  288. 

’)  vgl.  de  Smedt  (95)  p.  58  Note  2,  der  allerdings  bellnm  nicht  auf 
Kampf  bexiehen  möchte. 


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liches  Privileg,  das  den  serfs  des  Kapitels  von  Notre-Dame-de- 
Paris  das  Recht  gab,  gegen  jedermann  zum  Zweikampf  zugelassen 
zu  werden1).  Eugen  III.  hat  auf  eine  Anfrage  wegen  der  von 
dem  Erzbischof  von  Paris  ausgeübten  Kampfgerichtsbarkeit  erklärt: 
„Utimini  consuetudine  vestra“*).  Innozenz  III.  hat  die  Statuten 
von  Benevent,  die  den  Zweikampf  zuließen,  in  forma  communi 
bestätigt 3). 

b)  Seit  der  Mitte  des  zwölften  Jahrhunderts  mehren  sich  die 
päpstlichen  Erlasse,  die  den  Zweikampf  einschränken  oder  ver- 
dammen. Mit  Vorliebe  weist  man  schon  auf  Nikololaus  I.  hin, 
der  im  Jahre  MtJ7  an  Karl  dem  Kahlen  wegen  der  Ehescheidung 
Lothars  und  Teutbergas  einen  Brief  schrieb4).  Hier  liegt  aber 
weder  eine  allgemeingültige  Äußerung  des  Papstes  in  seiner  Eigen- 
schaft als  pastor  et  magister  omnium  Christianorum  vor,  noch  ist 
es  die  Antwort  auf  eine  Anfrage.  Andererseits  liegt  hier  ein 
eigentümlicher  Fall  vor;  voraufgegangen  war  die  Reinigung  durch 
Kesselfang,  wegen  derselben  Sache  sollte  nun  noch  ein  Zweikampf 
stattlinden,  das  war  aber  wider  alles  Recht;  denn  die  durch  ein 
Ordal  gegebene  Entscheidung  wurde  stete  als  unantastbar  angesehen; 
ferner  war  Teutberga  ihrer  persönlichen  Freiheit  und  der  Beratung 
mit  ihren  Verwandten  beraubt,  auch  dies  widersprach  dem  geltenden 
Recht.  Es  waren  also  im  wesentlichen  prozessuale  Mängel,  die 
den  Papst  zu  seinem  Einschreiten  bestimmten;  aber  nirgends  findet 
sich  in  dem  Brief  eine  allgemeine  Verdammung  des  gerichtlichen 
Zweikampfs  als  solchen4). 

Gregor  V.  soll  nach  Patetta*)  im  Jahre  998  zwischen  zwei 
geistlichen  Parteien  einen  Zweikampf  zugelassen  haben;  hierfür 

’)  cart.  de  N.-D.  de  Paris  t.  II.  p.  394;  — ygl.  Tanon,  Eglises  p.  17. 

*)  vgl.  hierüber  Petras  Oantor  bei  Tanon,  Eglises  p.  18. 

s)  bei  Hofmann  p.  626  f.  — de  Smedt  (95)  p.  63  meint  als  souverain 
temporel  habe  er  den  Kampf  dulden  müssen;  dies  Moment  scheint  mir  aber 
nicht  durchschlagend  zu  sein;  sicher  ist  ja,  daß  er  den  Kampf  für  ein 
prava  consnetudo  hält  ; er  muß  aber  auf  die  Landessitte  Rücksicht  nehmen, 
die  damals  noch  viel  zu  fest  am  Zweikampf  hielt,  als  daß  man  an  die  Ab- 
schaffung desselben  hätte  denken  können,  sonst  hätte  dieser  pontifei  in  jure 
canonico  apprime  versatus  sicherlich  die  Statuten  nicht  bestätigt. 

4)  bei  Migne  CXIX,  col.  1144  ep.  148. 

s)  a.  A.  Saplajrolles  p.  42. 

*)  Patteta  p.  288  — a.  A.  Hofmann  p.  621. 

Coalia,  Zweikampf  in  Frankreich  3 


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liegt  jedoch  nicht  nur  kein  Beweis  vor,  sondern  es  ergibt  sich 
vielmehr  aus  einer  ürkunde,  daß  in  diesem  Fall  aus  prozessualen 
Gründen  ein  Beweis  und  damit  auch  der  kämptliche  Gruß  über- 
flüssig war. ')  Im  Jahre  999  hat  derselbe  Papst  sicherlich  einen 
Zweikampf  verhindert*);  im  weiteren  Verlaufe  des  Prozesses  er- 
schien die  Gegenpartei  nicht  mehr  und  wurde  unter  Sylvesters 
Hegierung  im  Königsgericht  kontumaziert  *).  Eine  bestimmte 
Stellungnahme  Gregor  V.  ergibt  sich  allerdings  aus  diesem  Material 
nicht,  historisch  wahrscheinlicher  ist  aber,  daß  er  ein  Gegner 
dieses  Beweismittels  war.  Nach  Le  Glay  soll  durch  eine  Bulle 
vom  Jahre  1 1 '24  der  Zweikampf  verboten  worden  sein,  ob  von 
Thebaldus  Buecapecus  oder  von  Honorius  II.,  das  sagt  er  nicht4); 
das  Original  oder  ein  Abdruck  desselben  war  nirgends  zu  finden. 

Seit  Innocenz  II.  nimmt  die  Kurie  den  Kampf  gegen  den 
gerichtlichen  Zweikampf  ernhafter  auf.  Im  Jahre  1140  verfügt 
dieser  Papst  die  Absetzung  von  Geistlichen,  die  in  Person  oder 
durch  Kämpfen  von  diesem  Beweismittel  Gebrauch  machten5)  und 
verbietet  einem  Frauenkloster  einen  Besitzstreit  durch  Kämpfen 
zum  Austrag  zu  bringen*).  Hadrian  IV.  verbietet  im  Jahre  1156 
dem  Abt  Arduin  von  Saint-Qermain-d’Auxerre  den  Zweikampf  beim 
Streit  um  Grundstücke  seiner  Abtei  und  erklärt  die  Ansprüche 
derer,  die  ihre  Rechte  gegen  das  Kloster  nicht  anders  beweisen 
können  für  null  und  nichtig*).  Alexander  III.  erklärte  auf  eine 
Anfrage  des  Bischofs  von  Auxerre  in  einem  Streit,  um  das  Eigentum 
den  serfs,  daß  der  Beweis  nicht  durch  Kampf  erbracht  werden 
dürfe*)  quia  monomachia  sit  sacris  eanonibus  interdicta.  Im 
Jahr  1171  schreibt  er  dem  Erzbischof  von  Upsala,  daß  die  katholische 
Kirche  den  kämpfliehen  Beweis  gegen  niemanden,  am  allerwenigsten 
aber  gegen  einen  Bischof  zulasse,  und  bedroht  diejenigen,  die 

')  M.  G.  Diplom.  II.1  no.  278.  p.  703. 

*)  wie  die  Gegenpartei  behauptete,  sei  er  dazu  bestochen  worden,  vgl. 
M.  G.  Dipl.  II1  no.  339  p.  768  — Saplayrollcs  p.  82. 

3)  M.  G.  Dipl.  II1  no.  339.  p.  768. 

*)  Le  Glaj  in  A.  d.  N.  I.  p.  76. 

s)  Du  Cange  s.  v.  duellum. 

*)  Migne  CLXXIX,  col.  118  — Uofinann  p.  622. 

7)  vgl.  Prou,  Lorria  p.  187,  Note  3. 

°)  bei  (Jampigueulles  I.  p.  39. 


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einen  Kleriker  fordern  mit  der  Exkommunikation'),  Außerdem 
sind  uns  zwei  Dekretalen  dieses  Papstes  erhalten,  in  welchen  er 
fordernde  und  geforderte  Kleriker  mit  Absetzung  bestraft,  den 
Bischöfen  aber  für  den  Fall,  daß  eine  Tötung  oder  Verstümmelung 
in  dem  Kampf  nicht  stattgefunden  hat,  dieselben  zu  begnadigen 
gestattet*).  Clemens  III.  bestätigte  im  Jahre  1187  totum  dominium 
des  Klosters  Saint-Denis  de  Nogen t-le-Rotrou  praeter  duellum  in 
burgo  Sancti  Dionysii5).  Coelestin  ID.  verbietet  den  Klerikern 
in  Person  oder  durch  Kämpfen  am  Kampfe  teilzunehmen;  er  ver- 
wirft den  Zweikampf  als  Beweismittel  beim  Streit  um  Kirchengut 
und  betont,  daß  er  eine  Versuchung  Gottes  sei  und  manchmal 
auch  Unschuldige  in  ihm  unterliegen4).  Innocenz  III.  entscheidet 
den  Einspruch  gegen  die  Wahl  eines  Kanonikers  von  Saint-Ursin 
de  Bourges,  der  einmal  an  einem  Kampfurteil  mit  gewirkt  hatte, 
zum  Prior  dahin,  daß  zwar  eine  Irregularität  hierdurch  eingetreten 
sei  und  entsetzt  ihn  seiner  Dignität,  er  dispensiert  ihn  aber  gleich- 
zeitig von  den  Folgen  der  Irregularität  für  die  Zukunft,  da  er 
mit  Bücksieht  auf  die  Landessitte  bona  fide  gewesen  sei  und  auch 
eine  Tötung  oder  Verstümmelung  bei  dem  Kampfe  nicht  vor- 
gekommen sei s).  Honorius  III.  verbietet  der  Stadt  Florenz  eine 
Streitigkeit  mit  dem  Kapitel  Sanctorum  Apostolorum  in  Florenz 
im  Kampfe  auszutragen®).  Gregor  IX.  hat  in  seiner  Dekretalen- 
sammlung  an  verschiedenen  Stellen  die  den  Zweikampf  verwerfenden 
Erlasse  seiner  Vorgänger  aufhehmen  lassen-,  bei  dem  nach  der 
Publikationsbulle  ausschließlichem  Charakter  dieser  Dekretalen- 
sammlung  bedeutet  sie  eine  unbedingte  Verwerfung  dieses  Ordals 
durch  Gregor  IX7).  Innocenz  IV.  hat  im  Jahre  1245  in  Über- 
einstimmung hiermit  dem  Kapitel  von  Notre-Dame-de-Paris  die 
Anwendung  des  kämpflichen  Beweises  im  Freiheitsprozeß  gegen 
seine  Leute  verboten  ®)  und  die  Verwendung  von  testes,  instrumenta 

')  Migne  CC,  col.  855-859. 

*)  c 1.  X.  l,so  u.  c.  1.  X.  5,14. 

*)  cart.  S.  Dionysii  de  Nogento  no.  CXIII  (1187)  p.  227. 

4)  c 2.  X.  5,14  u.  c 1.  X.  5,36. 

*)  Migne  CCXV,  col.  1381 ; vgl.  Hofmann  p.  625. 

•)  de  Smedt  (95)  p.  63.  Note  1. 

7)  Daß  damit  endgültig  die  Stellung  der  Kirche  festgelegt  sei,  kann 
man  allerdings  nicht  sagen;  a.  A.  de  Smedt  (95)  p.  64. 

•)  Gart,  de  N.-D.  de  Paris  11  p.  394.  Der  Dictionaire  historiquc  des 

3* 


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und  anderen  legitimae  probaciones  in  diesen  Prozessen  oontraria 
consuetudine  non  obstante  angeordnet.  Im  Jahre  1250  richtete 
er  einen  Erlaß  nacli  Saint-Denis,  indem  es  heißt:  „Cum  igitur 
duella  maxime  super  bonis  ecclesiasticis  sustineri  non  debebunt, 
cum  8acris  sint  canonibus  interdicta,  ne  de  coetero  hujusmodi 
reproba  probatio  exigatur  a vobis.  auctoritate  presentium  districtius 
inhibemus,  statuentes,  ut  in  judiciis  ad  declarationem  justitae 
vestrae  sufficiant  alia  vobis  legitima  documenta Im  Jahre  1252 
schrieb  er  an  den  Erzbischof  von  Sens  und  den  Bischof  von  Troyes 
und  ordnete  an,  daß  die  Kirche  fortan  das  Eigentum  an  homines 
de  corpore  nicht  mehr  durch  Kampf,  sondern  durch  festes  et  alia 
documenta  legitime  beweisen  solle;  er  verbietet  darin  den  Klerikern 
in  Person  oder  per  alios  in  duello  pugnare,  weil  sie  dadurch  der 
executio  sacrorum  ordinum  entfremdet  werden;  er  untersagt  die 
Zweikämpfe,  praesertim  cum  de  rebus  ecclesiasticis  agitur,  weil 
Gott  dadurch  versucht  werde  und  sepius  judicia  pervertantur,  und 
ordnet  an,  daß  wer  den  Kampf  verweigert,  einen  rechtlichen 
Nachteil  nicht  erleiden  solle’).  Alexander  lYr.  verbot  im  Jahre  1255 
abermals  den  kämpfliehen  Beweis  im  Streit  um  das  Eigentum  an 
Leibeigenen  der  Kirche1);  im  Jahre  1258  richtete  er  einen  Erlaß 
an  den  Bischof  von  Auxerre,  in  dem  er  den  Kampf  verbot*).  Pietro 
Angeleri  dal  Murrone,  der  spätere  Papst  Coelestin  V,  hat  den 
Zweikampf  mit  folgenden  Worten  verdammt:  „Duelluni  est  sin- 
gularis  pugna  inter  duos  ad  probationem  veritatis:  non  debet  fieri 
neque  inter  laicos,  quia  hoc  est  tentare  deum.  Quidam  dicunt 
quod  qui  se  offert  peccat,  qui  vero  coactus  non  peceat,  sed  contra- 
rium  tene  probabilius 6).“  Clemens  V.  und  Johann  XXII.  waren 
bestrebt  einzelne  Zweikämpfe  zu  verhüten6).  Urban  V.  hat  im 

moourg  p.  770.  verlegt  diese  Urkunde  vom  4.  9.  1245  in  das  Jahr  1246  und 
ließt  daraus  eine  Erlaubnis  des  Papstes  in  schwierigen  Sachen  auf  den  Zwei- 
kampf zurfickzugreifen. 

*)  bei  Ducoudray  p.  380. 

*)  Keims  administratif  I’  p.  733  no.  241. 

*)  Durand,  v°  duel. 

*)  vgl.  J.  Tardif  in  Nouv.  Kevue  hist,  de  Droit  (1887)  p.  170. 
s)  S.  Petri  Coelestini  P.P.V.  Opus  c.  IX.  part.  VII.  cap.  VIII  in  Max. 
Bibliotheca.  Patr.  Lugd.  JXXV.  p.  851.  bei  de  Smedt  (95)  p.  71. 

°)  Languedoc  IV.  p.  144  (1308)  u.  Boutaric,  Actes  II.  p.  604  no.  7730 
(1325). 


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Jahre  1370  ein  strenges  Verbot  an  die  Stadt  Rom  erlassen,  wo 
es  sich  um  die  öffentliche  Anordnung  eines  Zweikampfs  handelte1). 
Auch  Martin  V.  war  bestrebt  einen  Zweikampf  zu  verhüten5). 
Ein  energisches  Verbot  des  Zweikampfs  haben  dann  im  sechzehnten 
Jahrhundert  Julius  II.  in  seiner  Bulle  „Regis  pacifici.“  (1509), 
Leo  X.  (1519)  in  der  Bulle  „Quam  Deo  et  hominibus“,  Clemens  VH. 
in  der  Bulle  „Consuevit  Romanus  pontifex“  erlassen’’),  das  in 
seinen  Strafbestimmungen  im  Jahre  1500  von  Pius  IV.  in  der 
Bulle  „ La  quae  a praecessoribus“  noch  erweitert  wurde4).  Aufs 
neue  hat  dann  Gregor  XIII.  zwei  Bullen  gegen  den  Kampf  ver- 
lassen, „Firmum“  und  „Ad  tollendum“,  welch  letztere  sich  aller- 
dings auf  den  Privatzweikampf  bezieht4).  Zehn  Jahre  später 
wiederholte  Clemens  VIII.  in  der  Bulle  „Illius  vices“  von  Jahre  1592 
das  Verbot*)  und  im  Jahre  1752  hat  Benedikt  XIV.  in  seiner 
Bulle  „Detestabilem“  die  alten  Verbote  wieder  eingeschärft’). 

IV.  Die  kirchlichen  Schriftsteller. 

a)  Einzelne  kirchliche  Schriftsteller  billigen  den  Zweikampf. 
Regino  stellt  den  Zweikampf  als  geltendes  Recht-dar  bei  der  Zengen- 
schelte und  lätit  ihn  hier  zu,  sofern  die  eine  Partei  oder  beide  Parteien 
Laien  sind e);  auch  beim  Ehebruch  billigt  er  den  kämpflichen  Beweis*), 
ohne  in  einem  dieser  Fälle  für  die  Teilnehmer  eine  Kirchenbuße  zu 
erwähnen ,0).  Yvo  von  Chartres  billigt  den  Kampf  beim  Streit  um 
das  Eigentum  an  Grundstücken,  „quia  haec  causa  sine  monomachia 
terminari  non  poterat.“  Im  allgemeinen  soll  aber  nach  seiner 


')  Tgl.  Köhler,  Studien  IV.  p.  338.  (1370) 

*)  Histoires  des  papes  IV,  p.  302. 

3)  Magn.  Bull.  R.  I,  498,  596,  II,  93  und  Wagner  v°.  dnel. 

*)  vgl.  hierzu  auch  Köhler,  Studien  p.  338  f. 

4)  Magn,  Bull.  R.  II,  493  und  Wagner  v°.  duel. 

«)  Magn.  Bull.  R.  III,  14. 

*)  Magn.  Bull.  R.  XIX.  18‘ 

8)  Regino,  libri  duo  de  synodalibus  causis  et  disciplinis  eccleaiastieis 
II.  cap.  334,  bei  Migne  CXXVIV,  col.  347. 

*)  Regino,  1.  c.  II.  cap.  77  u.  78  bei  Migne  CXXXIV.  col.  300. 

,0)  An  dieser  Stelle  bespricht  Regino  auch  den  oben  p.  33  erörterten 
Brief  Nikolaus  I.  an  Karl  I. ; in  seiner  Billigung  des  Kampfes  im  Falle  des 
Ehebruchs  scheint  mir  der  beste  Beweis  für  die  oben  vertretene  Auffassung 
dieses  Briefes  zu  liegen. 


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Ansicht  erst  nach  Erschöpfung  aller  übrigen  Beweismittel  zum 
Ordal  geschritten  werden'). 

Eine  Reihe  von  kirchlichen  Schriftstellern  duldet  den  Kampf, 
ohne  ihn  jedoch  ausdrücklich  zu  billigen.  So  verwirft  Atto  von 
Verceil  zwar  den  Kampf  unter  Laien  nicht,  meint  aber:  „saepe 
innocentes  victi,  nocentes  vero  victores  in  tali  judicio  esse9).“ 
Burchard  von  Worms  erwähnt  den  Kampf5),  ohne  ihn  zu  miß- 
billigen, woraus  man  wohl  zum  mindesten  auf  eine  Duldung  des- 
selben schließen  kann.  Yvo  von  Chartres  schreibt  in  einem  Brief 
an  Lisiard  von  Soissons  bezüglich  des  Kampfes:  „leges  eccle- 
siasticae  potius  hoc  prohibent  quam  jubent ')“ ; in  einem  andern 
Brief  an  den  Erzbischof  Radulf  von  Reims  sagt  er,  man  müsse 
nach  Erschöpfung  aller  übrigen  Beweismittel  zum  divinum  testi- 
monium  schreiten,  „non  quod  lex  hoc  instituerit  divina,  sed  quod 
exigat  incredulitas  humana5):“ 

b)  Schon  verhältnismäßig  früh  finden  sich  aber  kirchliche 
Schriftsteller,  die  den  Kampf  verwerfen.  Der  Erzbischof  Agobert 
von  Lyon  hat  mit  großem  Scharfsinn  in  seinem  über  adversus 
legem  Gundobadi  et  impia  certamina  quae  per  eam  geruntur6), 
sowie  in  seinem  über  de  divinis  sententiis  digestus  cum  brevissi- 
mis  adnotationibus  contra  damnabilem  opinionem  putantium  divini 
judicii  veritatem  igne  vel  aquis  vel  conflictu  armorum  patefieri ') 
vom  rechtlichem,  religiösen  und  sittlichen  Standpunkt  den  Zwei- 
kampf bekämpft;  den  Erfolg  seiner  Arbeit  durfte  er  nicht  einmal 
in  seiner  Provinz  erleben,  wohl  aber  holten  spätere  Jahrhunderte 
aus  seinen  Werken  das  Rüstzeug  zum  Kampf  gegen  dieses  Ordal*). 

')  ep.  168  bei  Migne  CLXII,  col.  184. 

*)  Atto,  De  pressuris  ecclesiasticis  bei  Migne  CXXIV.  col.  58  vgl.  de 
Smedt  (95)  p.  65,  der  in  dieser  Äußerung  schon  oine  Verwerfung  des  Zwei- 
kampfs erblicken  will. 

s)  Collectarinm  IX,  51  bei  Migne  CXL. 

*)  ep.  280  bei  Migne  CLXII,  col.  281. 

*)  ep.  252  bei  Migne  CLXII,  col.  258. 

®)  bei  Migne  C1V,  col.  114—126;  vgl.  Patetta  p.  373  ff. 

>)  Migne  CIV,  col.  249-268:  vgl.  Hofmann  p.  609  ff. 

*)  Über  die  Ausführungen  Agoberts  vgl.  die  treffliche  Darstellung  bei 
Saplayrolles  p.  28 — 39.  — Ob  der  von  Agobert  in  cap.  13  seines  über  ad- 
veraus  legem  Gundobadam  zitierte  Avitus  von  Vienne  wirklich  schon  im 
Anfang  des  sechsten  Jahrhunderts  (!)  den  Zweikampf  verworfen  hat,  kann 


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Regino  vom  Prüm  steht  nicht  auf  diesem  schroff  negierenden 
Standpunkt,  wie  schon  oben  gezeigt;  wohl  aber  verwirft  er  den 
Kampf  zwischen  zwei  geistlichen  Parteien ').  Atto  wiederum  ver- 
dammt den  Zweikampf  auch  schon  in  dem  Fall,  wo  nur  eine 
Partei  ein  Kleriker  ist*).  Yvo  von  Chartres  schließt  den  Kampf 
zum  Beweise  des  Bruches  von  Sponsalien  aus,  „quia  secundum 
beatum  Augustinum  quamdiu  habet  homo  quid  faciat  non  debet 
tentare  Deum  suum5).“  Wegen  des  blutigen  Charakters  des 
Zweikampfs  verwirft  er  die  Anordnung  desselben  durch  ein  geist- 
liches Gericht,  hat  aber  gegen  die  Anordnung  durch  den  welt- 
lichen Richter  nichts  einzuwenden4).  Gratian  verwirft  in  seinem 
Dekret  den  Zweikampf,  jedoch  führt  er  auch  hier  widersprechende 
Stellen  an,  um  damit  die  Richtigkeit  seiner  Theorie  in  ein  um  so 
helleres  Licht  zu  setzen5).  Bernhard  von  Clairvaux  verwirft  den 
Zweikampf:  „Quae  miseros  tarn  dira  libido  exeitat“,  schreibt  er, 
quod  proximi  corpus  gladio,  cujus  fortasse  et  anima  perit,  trans- 
verberent6).“  Petrus  Cantor  verurteilt  scharf  und  treffend  das 
Karapfordal : er  meint,  der  pugil  vertraue  entweder  auf  seine  Kraft 
und  Tapferkeit  oder  auf  seine  Kunst  oder  auf  seine  Unschuld  oder 
auf  ein  göttliches  Wunder.  In  den  beiden  ersten  Fällen  mißbilligt 
er  es,  weil  damit  die  Voraussetzungen  auf  der  einen  Seite  andere 
sind  als  auf  der  andern.  Im  dritten  Fall  erscheint  es  ihm  ver- 
werflich als  eine  praesiunptio  et  anticipatio  divini  judicii  und  im 
letzten  Fall  verdammt  er  es  als  eine  diabolica  tentatio  Dei7). 
Petrus  Pictaviensis  bekämpft  dies  Beweismittel  zum  Teil  mit  Argu- 
menten, die  er  Agoberts  Schriften  entnimmt;  nach  seiner  Ansicht 
ist  der  Tod,  der  etwa  auf  einem  Verbrechen  als  Strafe  steht,  dem 
Mord,  der  durch  eine  Tötung  der  Gegenpartei  begangen  wird,  vor- 


dahin  gestellt  bleiben;  jedenfalls  hat  die  Ansicht  Patcttas  (1.  c.  p.  329), 
daß  wir  cs  hier  mit  einer  Erfindung  Agoberts  zu  tun  haben  etwas  für  sich; 
a.  A.  Hofmann  p.  617. 

')  Beginn  1.  c.  II.  cap.  334  bei  Migne  CXXXIV,  col.  347. 

*)  Atto  1.  c.  bei  Migne  CXXIV.  col.  58. 

*)  ep.  183  bei  Migne  CLXII,  col,  184.; 

*)  ep.  247  bei  Migne  CLXU,  col.  254. 
s)  e.  2 qu.  5. 

6)  ep.  363.  bei  Migne  CLXXXII,  col.  566. 

7)  Verbum  abbreviatum  cap.  78  f.  bei  Migne  CCV,  col.  233. 


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zuziehen  *).  Thomas  Aquinas  endlich  verwirft  den  Zweikampf, 
weil  er  einmal  in  die  Geheimnisse,  die  Gott  Vorbehalten  sind, 
einzudringen  versucht  und  andererseits  nicht  durch  die  lex  Dei 
geboten  ist*). 

§ 5. 

Der  Einfluss  der  Kirche  auf  die  Formaiien  des  gerichtlichen 

Zweikampfs. 

I.  Neben  den  soeben  betrachteten  Konzilienschüssen,  päpst- 
lichen Erlassen  und  der  Stellungnahme  hervorragender  Kirchen- 
sehriftsteller,  die  einen  maßgebenden  Einfluß  auf  die  Praxis  der 
kirchlichen  Gerichte  im  Süden  schon  zu  Beginn  des  dreizehnten, 
im  Norden  aber  erst  um  die  Wende  des  vierzehnten  Jahrhunderts 
erlangten,  ging  eine  andere  Tätigkeit  der  kirchlichen  Organe 
innerhalb  Frankreichs  einher,  die  ihre  Berechtigung  aus  der  alt- 
hergebrachten Auffassung  des  gerichtlichen  Zweikampfs  als  Ordal 3) 
und  der  daraus  sich  ergebenden  Mitwirkung  des  Klerus  bei  den 
Formalien  nahm,  die  aber  bei  der  Ohnmacht  der  Kirche,  bei  dem 
konservativen  Zug  der  ßechtsentwiekelung  und  mit  Rücksicht  auf 
die  herrschende  Landessitte  nur  auf  eine  Erschwerung  der  Formalien 
gerichtet  sein  konnte.  Dieser  Einfluß  der  Kirche  auf  die  Ge- 
staltung der  Formalien  geht  teils  darauf  aus  bestehende  Formen 
zu  verändern,  teils  neue  Formalien  in  das  bestehende  Recht  ein- 
zugliedern. Wahrend  sich  aber  der  Zweck  der  von  der  weltlichen 
Gewalt  ausgehenden  Änderungen  in  der  ersten  Zeit  in  der  Er- 
möglichung der  Klarstellung  der  objektiven  Wahrheit  erschöpfte 
und  seit  dem  ausgehenden  dreizehnten  Jahrhundert  auf  prunk- 
vollere  und  prächtigere  Ausgestaltung  des  Kampftermins  richtete, 
waren  die  unter  kirchlichem  Einfluß  eingeführten  Neuerungen  neben 

')  Sententiae  IV.  bei  Migne  CCXI,  eol.  1151. 

7)  Summa  totiug  theologiac  2.  2.  qu.  95.  a.  8 ad  3. 

3)  Schon  die  Volksrechto  zählen,  wie  Dcclarcuil  nachgewiesen  hat 
(p.  330),  von  Anfang  an  den  Kampf  unter  die  Ordalien,  und  diese  Auffassung 
blieb  bis  zum  Verschwinden  des  gerichtlichen  Zweikampfes  aus  der  Praxis 
die  mallgebende  (vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  § 26.  pag.  99.  Note  1). 
Dieser  Ansicht  schloß  sich  auch  die  kirchliche  Theorie  an  (vgl.  Patetta  p. 
327,  no.  3,  Saplayrolles  p.  25,  Note  1),  wie  auch  Petrus  Cantor  1.  c.  und 
Thomas  Aquinas  1.  c.  dies  durch  nebeneinander  Stellung  des  Kampfes  und 
der  einseitigen  Ordalien  bezeugen. 


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der  Erleichterung  der  Erforschung  der  materiellen  Wahrheit  in 
erster  Linie  dazu  bestimmt,  den  kämptlichen  Austrag  zu  verhindern 
oder  doch  wenigstens  zu  erschweren,  um  so  ein  Blutvergießen  zu 
vermeiden;  allerdings  dienten  diesem  Zweck  indirekt  auch  teil- 
weise die  von  der  weltlichen  Gewalt  ausgehenden  Vorschriften 
über  den  Eintritt  der  Sachfälligkeit  der  pflichtigen  Partei. 

II.  Zunächst  macht  sich  der  Einfluß  der  Kirche  in  der  Be- 
schränkung der  Zeit,  zu  welcher  ein  Kampftermin  abgehalten 
werden  durfte,  geltend.  Ein  solcher  Termin  durfte  nicht  statt- 
finden in  der  geschlossenen  Zeit,  in  der  octava  eines  hohen  Festes, 
an  einem  der  vier  Quatember  und  an  dem  Tag  de  la  dedication 
de  l'Eglisc  oü  la  bataille  doibt  estre  faicte;  in  der  Normandie 
war  der  Kampf  auch  in  der  Zeit  von  Judy  nonne  jusques  au 
Lundy  ensuivant  soleil  levant  verboten1). 

III.  Am  deutlichsten  zeigt  sich  aber  der  kirchliche  Einfluß 
im  Präsentationstermin  und  den  ihn  vorbereitenden  Akten: 

a)  Vor  dem  Kampftermin  unternahmen  die  Parteien  zur  Vor- 
bereitung auf  den  Waft'engang  Pilgerfahrten;  besonders  bevorzugt 
wurde  hierbei  eine  Wallfahrt  zu  einem  wundertätigen  schwarzen 
Kreuz  in  der  Kirche  des  heiligen  Drausius  zu  Soissons’). 

b)  Die  Nacht  vor  dem  Kampfe  wurde  in  der  veillee  d’armes 
verbracht;  sie  war,  nach  der  Zahl  der  Quellen,  die  von  ihr  be- 
richten, zu  schließen,  sehr  verbreitet  und  bestand  in  einer  Nacht- 
wacne  in  der  Kirche,  die  im  Gebet  zugebracht  wurde’). 

c)  Zur  Vorbereitung  zum  Kampfe  gehörte  die  Buße,  wobei 
die  Absolution  jeder  Partei  erteilt  wurde4),  und  das  Abendmahl; 
für  die  hierbei  stattfindenden  Messen  hatten  sich  bestimmte 
Formularien  herausgebildet.  Ein  derartiges  Formular6)  wurde 

*)  vgl.  die  Gelege  in  meinem  Gerichtlichen  Zweikampf  § 25  p.  96  u.  97. 

*)  vgl.  meinen  gerichtlichen  Zweikampf  § 26.  II.  1 p.  100  Note  2. 

*)  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  § 26,  II.  2 p.  100  f. 

*)  vgl.  meinen  gerichtlichen  Zweikampf  §26,  II.  3 p.  101. 

5)  mitgeteilt  von  Delisle  in  Ecole  des  Chartes  XVIII  (1856/7)  p.  253  ff. 
Nach  diesem  Formular  wurden  zwei  Messen  gelesen.  Die  eine  fand,  wie 
das  auch  sonst  äblich  war  (vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  § 26,  II, 
p.  101)  vor  der  Präsentation  statt,  vielleicht  noch  vor  dem  Urteil.  Als 
Vorbereitung  zu  ihr  schreibt  das  Formular  vor:  „Chi  certc  cose  deit  en- 
querre,  ses  junies  deit  faire,  e ses  elemosinas,  et  deit  estre  e missa,  et 
matinas  deit  orer,  e ses  VHtum  psalmes“  (die  althergebrachten  7 Buß- 


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von  einem  Mönch  von  Fecamp  zu  Beginn  des  zwölften  Jahr- 
hunderts aufgezeichnet.  Ein  anderes  bei  Gottesurteilen  übliches 

psalmeu),  „e  sa  letaoia.  eg  ses  oratiuns  et  aqua  bencdicta.“  Die  Messe  ent- 
spricht im  wesentlichen  der  für  das  festnm  inventionis  sanctae  Crucis 
(3.  Mai)  üblichen  (vgl.  M.  R.  p.  581),  so  der  introitus  Gal.  6.,  der  Psalm  66, 
die  Oratio,  nicht  aber  die  Epistel,  wohl  aber  nach  dem  zweiten  Alleluja  das 
„Dulce  lignum“,  das  Evangelium  Joh.  3,1  nicht  das  Offertorium,  wohl  aber 
die  Secreta  „Sacrificium  Domine“  und  die  Postcommunio  „Repleti  alimonia“. 
Einzelne  Teile  stimmen  mit  der  für  das  festum  cxaltationis  Crucis  (14.  Sep- 
tember) vorgeschriebenen  überein  (vgl.  M.  R.  p.  694),  so  die  für  beide 
Feste  gleichen  Introitus,  Psalm,  Dulce  lignum,  ebenso  das  dieser  Messe  ent- 
nommene Offertorium:  „Protege  domine.“  In  kleineren  Einzelheiten  weist 
das  Formular  Eigentümlichkeiten  auf,  die  Anknüpfungspunkte  an  das  Missale 
Romanum  nicht  bieten,  so  in  der  Epistola:  „Fratres  confido  in  vobis“ 
(vielleicht  Gal.  5,10),  nach  dem  ersten  Alleluja:  „Nos  autem“.  in  der  Com- 
munio:  „Redemptor  mundi“,  und  in  dem  Psalm  nach  der  Postcommunio: 
„Profitiat.“  An  die  Secreta  schließt  sich  zunächst  ein  „Agnus  dei“  an, 
darauf  folgt  die  oratio:  „Ore  preiuns  devino  misericordie,  o ma  damne 
sancta  Maria  e ma  damc  sainte  Cruiz  e ina  damne  sancta  Elena  e toz  sainz 
et  totes  saintes  et  toz  les  fedelz  domine  Deu,  qui  trinus  est  in  umero  et  unus 
est  in  hominc,  que  il  tot  preient  domine  Deu,  que  il  declarast  et  il  demonstrast 
ceste  cose  que  nuls  uem  ne  puscet  estre  encolpet  si  eil  non  chi  dreit  i ad.“ 
Darauf  führt  das  Formular  mit  folgendem  Ceremoniell  fort:  „Ore  deit  l’on 
prendre  une  rotcle  et  ensan  sunt  en  un  fust  et  metre  lo  mance  ensz  cl  liva, 
et  lier  bien  que  n’cn  chidet,  et  puis  prendre  lever  par  la  rotele  ad  vos  dunz 
et  jus  prendre.“  Dem  folgt  die  Oratio:  „Domino  Jhesu  Christ«,  fili  Dei  vivi, 
quia  tu  mundas  manus  posuisti  in  cruce  et  nos  omnes  tuo  praetioso  san- 
guinc  redemisti,  appareat  veritas  tua  super  librum  istum,  qui  in  deiteram 
formasti  et  benedizisti  in  substantia  hominum  et  ad  continondum,  si  veritas 
est,  qui  culpabilis  sit,  ille  homo  aliquid  qui  fest  nommet  ille,  si  ille  furtum 
fecerit  aut  consenscrit,  tornet  librum  istum,  et  si  ille  furtum  non  fecerit 
nec  consenserit,  non  tornet,  Domine  Deus  Abraham,  Domine  Deus  Isaac, 
Domine  Deus  Jacob,  Dominc  Deus  Michael,  Domine  Deus  Gabriel,  Domine 
Deus  Raphael,  Domine  Deus  angclorum.  Domine  Deus  archangelomm,  Do- 
mine Deus  prophetarum,  Domine  Deus  virginum.  Domine  Deus  sanctorum, 
Domine  Deus  qui  liberasti  tres  pueros  de  camino  ignis  ardentis,  Sidrac, 
Misac,  Abdnego,  Domino  Deus,  qui  liberasti  Danielem  de  lacu  leonum, 
libera  innocentcm  et  trade  malefactorcm  in  culpam.“  Daran  schließt  sich 
der  vollständige  Psalm:  „Miserere  mei,  Deus“,  an:  es  folgt  ein  „Gloria“, 
hierauf  ein:  „Enquor,  enquirere“,  endlich  ein  „Agnus  Dei“,  dem  sich  die 
Communio:  „Redemptor  mundi  etc.“,  sowie  die  Postcommunio:  „Repleti 
alimonia“  anreiht. 

Das  Formular  führt  dann  fort:  „Missa  de  natali  Domini  deit  o dire 
chi  camp  ist.“  Ob  sich  dies  auf  eine  zweite  Messe  bezieht,  oder,  ob  statt 


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Formular  teilt  neuerdings  Proost  ’)  mit;  diese  Messe  war  ur- 
sprünglich nur  für  das  judicium  aquae  bestimmt,  hat.  aber  später- 
hin auch  beim  zweiseitigen  Ordal  Verwendung  gefunden.  Diese 


der  eben  besprochenen  beim  Kampf  diese  Weihnachtsmesse  gelesen  wurde, 
läßt  sich  mit  Bestimmtheit  aus  dieser  kurzen  Bemerkung  nicht  entnehmen. 
Diese  zweite  Messe  stimmt  genau  überein  mit  der  im  Missale  Romanum 
unter  der  Überschrift:  „In  nativitate  Domini  ad  secundam  missam  in 
aurora“  Torgeschriebenen : nur  diu  oratio  pro  commcmoratione  sanctae  Ana- 
stasiae  (vgl.  M.  R.  p.  27  f.)  fehlt  im  Formular  von  Fecatnp. 

Eine  zweite  oder  dritte  Messe,  je  nach  der  Bedeutung,  die  der  eben 
besprochenen  Anweisung  des  Formulars  beizulegcn  ist,  „deit  l'un  dire  por 
lc  campion  quant  il  entret  el  camp.“  Das  Formular  faßt  sich  kurz  und 
besagt  nur:  „Missam  de  la  ressurection,  missam  de  sancta  trinitatc,  missam 
de  sancto  Stephano“  etc.  Diese  letztere  Anweisung  ist  wohl  alternativ  zu 
verstehen:  der  Psalm  kann  dabei  freigewählt  werden. 

■)  Proost,  Recherches  p.  97  — 99:  als  Quelle  gibt  er  Spelmanns 
Glossarinm  archeologicuui  an:  in  der  Londoner  Ausgabe  vom  Jahre  1G87 
war  es  jedoch  nicht  aufzufinden.  Berührungspunkte  mit  den  Formularien 
des  Missale  Romanum  sind  fast  nicht  vorhanden:  mit  diesem  verglichen, 
wäre  ihm  ein  eklektischer  Charakter  bei  zulegen.  Es  ist  im  wesentlichen 
aus  zwei  von  Martene  mitgeteilten,  ursprünglich  beim  judicium  aquae  an- 
gewandten Formularicn  zusammengcstellt.  Der  Kompilator  hat  sein  Werk 
nicht  mit  besonderem  Geschick  ausgeführt,  er  benützt  bald  das  nHch  Martonc 
aus  einem  Codex  Uticensis  monasterii  stammende,  bald  das  aus  einem 
Ritual  für  die  Kirche  von  Soissons  herrühronde  Formular,  ist  dabei  aber 
darauf  bedacht,  die  Abweichungen  des  ersten  Formulars  im  Numerus,  das 
nur  für  eine  Person  bestimmt  war,  in  Klammern  neben  den  Plurales  des 
Ms.  von  Soissons  aufzuführen. 

Das  Formular  beginnt  mit  dem  Introitus:  „Justus  es  Domine  et  rectum 
judicium  tuum,  fac  cum  servo  tun  sccundum  misericordiam  luam.“  Darauf 
folgt  der  Psalm:  „Beati  immaculati  in  via.“  (übereinstimmend  mit  Utica, 
Soissons,  sowie  M.  R.  für  Dominica  XVII.  p.  P.  (Psalm  118)  p.  472),  daran 
schließt  sich  die  Oratio:  „Absolve,  quaesumus  etc.“  (Übereinstimmend  mit 
Utica  und  Soissons,  wobei  beide  numeri  vermerkt  werden.  — Das  M.  R. 
p.  493  bat  in  seiner  Oratio  für  Dominica  XXIII  p.  P.  einen  kürzeren  Text 
unter  Weglassung  der  auf  das  Gottesurteil  bezüglichen  Stellen).  Es  folgen 
die  beiden  lectioncs;  die  eine  „libri  levitici“  stimmt  überein  mit  Utica  und 
M.  R.  für  feria  IV.  p.  Dominicam  Passionis  p.  174,  nur  ist  der  Text  im 
letzteren  Formular  länger:  die  andere:  „Ad  Ephosios“  stimmt  überein  mit 
Soissons  und  M.  R.  p.  486  für  Dominica  XIX.  p.  P.  Hieran  reiht  sich  das 
Graduale:  „Rs.  Propitius  csto,  Domine,  peccatis  nostris,  ne  quando  dicant 
gentes,  ubi  est  Dous  eorum.  Vs  Adjuva  nos,  Deus  salutaris  noster,  et 
propter  honorem  nomiuis  tui,  Domino,  libera  nos.  Alleluja.  Deus  judex 


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Formularien  zeigen  trotz  großer  Verschiedenheit  in  den  Einzel- 
heiten doch  manche  innere  Berührungspunkte.  In  beiden  finden 
sich  Akte,  durch  die  der,  welcher  sich  dem  Gottesurteil  unter- 

justus,  fortis  et  paticns,  num  quid  irascctur  per  singulos  dies?“  (Überein- 
stiuimend  Utica  und  Soissons:  ein  ähnliches  Graduate  findet  sich  nicht  im 
M.  K.)  Das  Evangelium  accundnm  Marrum  schließt  sich  an:  „Cum  egressus 
esset  Jhcsus  in  via,  percurrcns  quidam  genu  fleio  ante  eum  rogabat  eum 
dicens:  Magister  bone,  quid  faciam,  ut  vitam  aetemam  percipiam  ? 
Jhcsus  autem  dixit  illi:  Quid  me  dicis  bonum?  nemo  bonus  nisi  solus  Deus 
Praecepta  nosti?  Ille  diiit:  qnae?  Dixit  ei  Jhesus,  non  occidas,  non 
fureris,  non  adultereris.  non  falsum  testimonium  dicas,  non  fraudem  feceris. 
Honora  patrem  tuum  et  matrem.  At  ille  respondens  ait:  Magister  haec 
omnia  custodivi  a juventute  mca.  Jhesus  autem  intuitus  eum,  dilexit  eum 
et  dixit  ei,  unum  tibi  deest:  vade,  vende,  quaecumque  habes  et  da  pau- 
peribus  et  babebis  thesaurum  in  coelo  et  veni  sequere  me.“  (Übereinstimmend 
Utica  und  Soissons:  während  sich  das  Evangelium  in  keinem  Formular  des 
M.  R.  findet).  Hierauf  folgt  das  Offertorium:  „Immittet  Angelum  Dominus 
in  circuitti  timentium  et  eripict  eos;  gustate  et  videte  quam  suavis  est 
Dominus.“  (Übereinstimmend  Utica  und  Soissons).  Nunmehr  gibt  das 
Formular  die  .Anweisung:  „Hic  offerant.“  Dieser  folgt  die  Secreta: 

„Intercessio  sanctorum  tuorum  misericordiac  tnae.  Domine  munera  nostra 
conciliet,  et  quam  merita  nostra  non  valent,  eorum  deprecatio  indulgentiam 
valeat  obtincre  per  Dominum.  (Mehrfache  kleinere  Abweichungen  im  Text 
dieser  Secreta  lassen  darauf  schließen,  daß  die  beiden  von  Martene  mit- 
geteiltcn  Formulare  vom  Kompilator  nicht  direkt  benutxt  wurden:  vielleicht 
ist  auch  der  Text  den  Proost  mitteilt  nicht  der  ursprüngliche  Text  der 
Kompilation.  Von  hier  an  folgt  das  Formular  dem  von  Utica,  während  der 
Text  von  Soissons  ein  ganz  anderer  ist:  in  der  Praefatio  und  den  nach- 
folgenden Henedictiones  erscheint  aber  der  Pluralis  stets  an  erster  Stelle 
und  in  Klammer  der  Singularis,  während  doch  nur  das  Formular  von 
Soissons  den  Pluralis  hat.)  Hieran  schließt  sich  die  Praefatio  an  mit  den 
Worten:  0 aeterno  Deus,  qui  non  solum  peccata  dimittis,  sed  ipsos  etiam 
justificas  peccatores,  et  reis  non  tantum  poenas  rclaxas.  sed  dona  largiris 
et  praemia.  Cujus  nos  pictatem  supplices  exoramns,  ut  famulos  (lum)  tuos 
(um)  N.  non  de  praeteritis  judices  reatibus,  sed  hujus  culpae  veritatem 
spectantibus  insinuas.  quatenus  et  in  hoc  populus  tnus  pracconia  nominis 
tui  efferat,  et  te  vitae  praesentis  et  perpetuae  auetorom  agnoscat  per  Christum.“ 
ln  dem  von  Proost  mitgeteilten  Formular  folgt  nunmehr  die  Überschrift:  „Bene- 
dictiones  ad  judicium“,  deren  Inhalt  folgendermaßen  lautet:  „Deus,  de  quo 
scriptum  est,  quia  justus  es  et  rectum  judicium  tuum,  fac  cum  his  (hoc)  servis 
(tu)  tuis  (o)  secundum  misericordiam  tuam,  utnon  de  pristinisjudicetnr  reatibus“, 
(Nach  der  Anschauung  jener  Zeit  nahm  man  an,  daß  das  Ordal  auch  ein  Urteil 
Gottes  über  frühere  Vergehen  zum  Ausdruck  bringen  konnte,  selbst  wenn 
die  Partei  in  dem  zur  Verhandlung  stehenden  Fall  unschuldig  war:  damit 


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ziehen  will,  (1er  göttlichen  Gerechtigkeit  näher  gestellt  wird, 
nämlich  die  Invocationes : im  Formular  von  Feramp  geschehen 
sie  in  der  Form  des  Eides,  in  dem  von  Proost  mitgeteilten  Formu- 
lar in  der  Form  des  Abendmahls.  Der  Zweck  ist  in  beiden  der- 
selbe: wer  die  Invooatio  unwürdig,  im  Bewußtsein  seiner  Schuld 
vomimmt,  der  soll  von  Gott  durch  den  unglücklichen  Ausgang 
des  Ordals  gestraft  werden.  In  beiden  Formularien  erfolgt  eine 
Benedictio  derer,  die  sich  dem  Gottesurteil  unterziehen  wollen; 
sie  geschieht  in  beiden  in  der  Form  des  Gebets  und  in  ihr  wird 
Gott  angerufen,  er  möge  durch  sein  Urteil  die  Walirheit  erkennen 

erklärte  man  sich  die  der  objektiven  Wahrheit  widersprechenden  Ent- 
scheidungen durch  Ordalien,  vgl.  z.  B.  Saint-Benoit-sur-Loire  (964/968)  in 
Miracula  S.  Benedicti  VI<”«  cd.  par  Certain  bei  D'Arbois  de  Jubainville  I, 
pag.  143  IT.)  sed  in  hoc  prout  meruerint  (it).  tna  benedictione  praeveniente, 
veritatem  subseciuantur  (atur)  judicium.  Amen.“  — .Et  qui  justns  et  amator 
jnstitiae,  et  a cujus  vnltu  videtur  aequitas,  fac  in  conspectu  populi  tui,  ut 
nuliis  malorum  praestigiis  veritatis  tuae  fuscentnr  examina.  Amen.“  — 
„Petitiones  nostras,  Domine,  placatus  intende  et  culparum  omnium  praeteri- 
tarum  eis  (ei)  veniam  dementer  attribuc : et  si  culpabiles  (is)  snnt  (est), 
tua  larga  benedictio  non  eis  (ei)  ad  suffragium,  sed  hujus  culpae  ad  insinu- 
andam  veritatem  proiicicat.  Amen.“  (Mit  kleinen  Abweichungen  überein- 
stimmend mit  Utica).  Das  Formular  von  Utica  läßt  hier  zunächst  eine 
Adjnratio  ante  perceptionem  Corporis  Domini  folgen : in  derselben  beschwört 
der  Priester  den  Beschuldigten:  .ut  nullo  modo  praesumas  hoc  sacrosanctum 
Corpus  Domini  accipere,  neque  ausus  sis  ad  hoc  sanctum  altare  accedere 
si  hoc  furtum  fecisti,  aut  consensisti,  aut  scis  qui  hoc  egerit.“  Darauf 
folgt  die  Anweisung:  .Si  autem  tacuerit  et  nulli  hoc  dixerit,  vertat  se 
sacerdog  ad  altare  et  Burnat  sacrificium  in  semet  ipso.  Postea  vero  communicet 
cum,  qui  aquae  judicio  probandus  est,  ita  dicens:  Corpus  Domini  nostri  et 
hoc  sanguis  etc.“  Unser  Formular  bei  Proost  kürzt  hier  nur  ab,  wie  ja  die 
Formulare  überhaupt  nicht  den  ganzen  Inhalt  der  Messe  mitteilen;  auch 
bei  seiner  späteren  Verwendung  für  den  Kampf  hat  sicher  vor  der  communio 
ein  ähnlicher  Akt  stattgefunden.  Das  von  Proost  mitgeteilte  Formular  fährt 
nunmehr  mit  der  Anweisung  fort : .Hic  commnnicent  (et)  post  Sacerdotem 
et  dicat  Sacerdos:  Corpus  hoc  et  sanguis  Domini  nostri  Jhesu  Christi  sit 
vobis  (tibi)  ad  probationem  hodie.“  (Übereinstimmend  mit  Utica;  nur  ist 
hier  unser  Formular  wieder  an  erster  Stelle  pluralisch  gefaßt).  Es  folgt 
die  Communio:  .Justus  Dominus  et  justitiam  dilexit,  aequitatem  videt  vultus 
ejus.“  Daran  schließt  sich  die  Postcommunio:  .Perceptis,  Domine  Deus, 
muneribus  suppliciter  deprecamur,  ut  hujus  participatio  Sacramenti  et  a 
propriis  nos  rcatibus  indesinonter  expediat  et  in  famulis  (o)  tuis  (o)  veri- 
tatis sententiam  dcclaret  per  Dominum  nustrum.“  (Übereinstimmend  mit 
Utica). 


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lassen.  Nach  beiden  Formularien  findet  der  Akt  in  der  Kirche 
unter  aktiver  Teilnahme  eines  Priesters  in  Gegenwart  des  Volkes 
statt. 

d)  Vor  oder  nach  der  Messe  Hellen  die  Parteien  Almosen  an 
die  Armen  verteilen;  nach  der  Messe  opferten  sie,  teils  neben 
der  Spende  von  Almosen,  teils  anstatt  derselben1).  Hierin  ist 
unschwer  eine  satisfactio  operum  zu  erkennen,  die  aber  mit  Rück- 
sicht auf  die  kurze  dem  Büller  zur  Verfügung  stehende  Zeit  in 
Geld  umgewandelt  ist*). 

e)  Hei  der  Leistung  der  Kampfeide  war  in  der  Regel  ein 
Priester  zngegen,  der  die  Parteien  auf  den  Eid  vorbereitete 3). 

f)  Der  Kid  selbst  wurde  auf  Reliquien,  Evangelien.  Missalien. 
oder  auf  den  mit  den  Worten:  Te  igitur  beginnenden  canon 
missae  oder  auf  das  Kruzifix  geleistet4). 

g)  Tn  der  Eidesformel  findet  sich  regelmäßig  eine  Anrufung 
Gottes,  er  möge  helfen,  die  Wahrheit  zu  erforschen4). 

h)  Zum  wenigsten  unter  christlichem  Einfluß  umgestaltet, 
höchst  wahrscheinlich  aber  erst  durch  die  Kirche  in  den  Prozeß 
eingeführt  sind  die  „sorceries“.  Dieser  Eid  beruhte  auf  dem 
mittelalterlichen  Aberglauben,  daß  man  durch  Zaubermittel  oder 
auch  durch  das  Beisichtragen  geweihter  Dinge  den  Erfolg  des 
Ordals  verkehren  könne4);  so  führte  man  einen  weiteren  Eid  in 
das  Verfahren  ein,  in  dem  Glauben,  daß  Gott  denjenigen,  der 
trotz  Leistung  desselben  „sorceries“  beim  Kampfe  gebrauche, 
unterliegen  lassen  werde’). 

i)  Vor  Beginn  des  Kampfes  forderten  die  Parteien  die  Zu- 
schauer gelegentlich  auf,  für  sie  zu  beten,  oder  sie  ließen  während 
des  Kampfes  in  der  Kirche  für  sich  beten  oder  eine  Messe  lesen'). 

’)  vgl.  meinen  Gerichtl.  Zweikampf  § 26,  II.  ä.  pag.  101,  Note  10  u.  11. 

*)  vgl.  Seeberg,  Grundriß  § 86,4  p.  72. 

*)  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  § 26,  II,  7,  p.  102,  § 35.  II. 
p.  117. 

4)  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  § 30, VI,  p.  111,  Note  10 — 15. 

')  Beispiele  in  meinem  Gerichtlichen  Zweikampf  § 30,  IX,  5,  p.  112 
Note  9. 

*)  vgl.  Hildenbrand  § 28,  o.  109,  Note  1. 

’)  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  $ 35  p.  117  f. 

')  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  § 26  II.  6.  p.  101  f.  — vgl. 
auch  das  oben  pag.  41  f.  besprochene  Formular  von  Fccauip. 


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k)  In  der  Nähe  des  Kampfplatzes  blieb  ein  Priester,  um  dem 
Besiegten  und  seinem  Bürgen,  die  ja  in  älterer  Zeit  von  der  talio 
8upplicii  betroffen  wurden '),  bei  unglücklichem  Ausgang  des  Kampfes 
den  Trost  der  Kirche  zu  spenden1). 

l)  Der  Sieger  pflegte  in  einem  Dankgottesdienst  nach  dem 
Kampf  Gott  für  den  Sieg  zu  danken5). 

IV.  Partikularrechtlich  wurden  in  Laon  Kleriker  als  Bürgen 
zugelassen,  aber  dieses  plegium  christianitatis  hatte  dann  zur  Folge, 
daß  der  Kampfvertrag  aufgehoben  wurde;  man  hat  geglaubt  hierin 
ein  Moment  der  Erschwerung  oder  Verhinderung  des  Zweikampfs 
an  sich  sehen  zu  dürfen.  Ich  möchte  darin  lieber  mit  Rücksicht 
auf  die  gemeinfranzösische  Rech tsentwick hing  ein  privilegium  des 
Klerus  erblicken,  das  den  Zweck  hatte,  den  Klerus  vor  der  Bürgen- 
strafe zu  schützen4). 

V.  Diese  ganze  aktive  Teilnahme  des  Klerus  an  wichtigen 
Akten  des  Prozesses  mit  ihrem  wundervollen  Zeremoniell  erscheint 
in  den  Quellen  nicht  etwa  nur  vereinzelt  oder  als  Anhängsel  an 
die  Hauptprozedur,  sondern  es  hat  sich,  wie  die  Epen  und  die 
unzähligen  Urkunden  beweisen,  organisch  und  untrennbar  mit  dem 
althergebrachten  Verfahren  verbunden  und  wird  dem  tiefreligiösen 
Charakter  des  frommen  fränkischen  Volkes  entsprechend  in  gleicher 
Weise  in  den  Gerichten  weltlicher,  wie  geistlicher  Gerichtsherren 
angewandt.  Und  doch  lag  auch  in  dieser  Mitwirkung  der  Kirche 
beim  Zweikampf  ein  neuer  Keim  des  Verfalls  dieser  Prozeßart; 
denn  sobald  die  Kirche  in  Frankreich  mächtig  genug  war,  um 
sich  von  diesem  Beweismittel  in  ihren  Gerichten  und  in  ihren 
Prozessen  zu  emanzipieren,  war  es  nur  noch  eine  Frage  der  Zeit, 
wann  sie  ihren  Dienern  die  Mitwirkung  bei  dieser  Prozeßart  in 
den  Gerichten  weltlicher  Gerichtsherrn  verbieten  und  so  diesen 
Prozeß  eines  wesentlichen  Elements  berauben  wollte. 


*)  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  §.  54  p.  162  f. 

*)  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  § 26.  II.  7 p.  102. 

8)  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  § 47  p.  140. 

4)  vgl.  meinen  Gerichtl.  Zweikampf  § 21.  VII.  al  2.  pag.  84  — anders- 
wo schätzte  man  sich  in  späterer  Zeit  vor  einer  derartigen  Eventualität, 
indem  man  Kleriker  überhaupt  nicht  mehr  als  pleges  zulieil,  da  sie  sich  ja 
in  jedem  Stadium  des  Verfahrens  auf  ihr  Privileg  berufen  konnten.  Vgl. 
z.  B.  Beaum.  1800  und  1321. 


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§ 6. 

Kampfgerichtsbarkeit  kirchlicher  Gerichte,  Teilnahme  des  Klerus 
am  Kampf  und  privilegium  fori. 

I.  In  unserer  altfranzösischen  Periode  haben  wir  zwei  Arten 
von  kirchlichen  Gerichten  zu  unterscheiden,  die  curia  ehristiani- 
tatis  und  die  curia  saecularis ').  Die  weltliche  Gerichtsbarkeit  der 
Kirche  resortierte  in  letzter  Linie  von  König*),  während  die  justi- 
cia  de  Christianitate  vom  König  unabhängig  war.  In  den  geist- 
lichen Gerichten  i.  e.  S.  bevorzugt«1  man  unter  den  Ordalien 
mehr  die  einseitigen,  wie  die  Probe  des  heißen  Eisens’),  seltener 
die  Wasserprobe4),  die  aber  in  karolingischer  Zeit  noch  überwog’). 
So  wird  denn  auch  in  unserer  Periode  das  judicium  calidi  ferri 
gelegentlich  als  die  probatio  secundum  legem  monachorum  schlecht- 
hin bezeichnet*).  In  der  curia  saecularis  war,  vorausgesetzt  daß 
sieh  eine  andere  Beweisraöglichkeit,  wie  ja  das  Ordal  überhaupt 
erst  dann  zulässig  war,  nicht  ergab,  der  Kampf  das  bevorzugte 
Ordal,  das  denn  gelegentlich  auch  als  die  probatio  secundum 
legem  saeculariam  schlechthin  aufgeführt  wird*).  Die  Grenzen 
sind  jedoch  fließend;  dies  erklärt  sich  unter  anderem  wohl  auch 
aus  dem  Umstand,  daß  der  eine  Gerichtsherr,  der  ja  beide  Arten 
von  Gerichtsbarkeit  hatte,  bald  dieses,  der  andere  bald  jenes  Ordal 
bevorzugte  oder  im  einzelnen  Falle  für  zweckmäßiger  hielt7)  und 
demgemäß  die  Rechtsbildung  beeinflußte.  Im  einzelnen  werden 
zahlreiche  Fälle  des  Gebrauchs  dieses  Beweismittels  in  den  Ge- 
richten geistlicher  Gerichtsherren  berichtet.  Der  Abt  von  Saint- 

')  vgl.  über  diese  Paul  Fuumier,  Officialites  p.  1 f. 

*)  vgl.  z.  B.  Beaum.  322. 

’)  z.  B.  Saint-Omer  (1150)  in  Giry,  Saint-Omer  p.  126  — Saint-Aubin- 
d’Angcrs  (1056)  in  Hist.  VI.  p.  429.  — vgl.  Schaeffner  II,  p.  214  und 
Tardif,  Proeedure  p.  91,  Note  1. 

4)  vgl.  Schaeffner  II.  p.  214. 

5)  Dies  folgt  aus  dem  Umstand,  daß  die  aus  dieser  Periode  stammenden 
Meßformuluricn  sieb  fast  durchweg  auf  die  Wasserprobe  beziehen. 

*)  vgl.  Saint-Aubin-d’ Angers  ■/.  vicomte  de  Thouarce  (1056)  in  Hist. 
VI,  p.  429. 

*)  so  war  z.  B.  Yvo  v.  Chartres  der  Ansicht,  daß  Streitigkeiten  über  das 
Eigentum  von  Grundstücken  nur  durch  Kampf  entschieden  werden  konnte. 
Vgl.  oben  p.  37  u.  38,  Note  1. 


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49 


Maur  - snr  - Loire , der  Bischof  von  Toul,  der  Abt  von  Saint- 
Pierre  - de  - Bourgeuil , der  Abt  von  Saint  - Pfcre  - de  - Chartres, 
der  Bischof  von  Chartres , der  Bischof  von  Dol , der  Bischof 
von  Quimper,  der  Abt  von  Saint -Diez,  der  Abt  von  Longe- 
ville,  der  Abt  von  Luxembourg,  der  Abt  von  Saint-Michel,  der 
Abt  von  Saint-Nicolas-d’Angers,  der  Bischof  von  Sens,  der  Bischof 
von  Langres,  der  Abt  von  Saint- Mart in-de-Tours,  das  Kapitel  von 
Notre-Damc-de-Paris,  die  Äbtissin  von  Sainte-Marie-de-Troyes, 
der  Erzbischof  von  Paris,  der  Abt  von  Saint-Cr£pin- de-Soissons, 
der  Abt  von  Saint-Pierre-de-Beanx-sur-Meuse,  der  Erzbischof  von 
Reims,  der  Abt  von  Bonneval,  der  Bischof  von  Saint-Brieuc,  das 
Kapitel  von  Sainte-Merry,  der  Bischof  von  Agens,  der  Abt  von 
Saint- Victor-de-Marseille,  der  Erzbischof  von  Embrun,  der  Abt 
von  Saint-Maurioe-de-Savigny,  der  Erzbischof  von  Grenoble  u.  a. 
m. ')  haben  es  in  ihren  Gerichten  zugelassen. 

•)  S»int-Maur-s.-L.  (1066)  in  Marchegay,  Anjou  1,  p.  331  no.  63  — 
Toul  (1069)  bei  Benolt,  Toul  p.  LXXXI11  — Chartres  (1086)  in  Cart.  de 
Saint-Pere-de-Chartrea  p.  248  no.  114,  (1267)  in  Olim  I,  p.  167  — Chartrea 
(1090—1100)  in  Cart.  de  Saint-Pere-de-Chartrea  II,  p.  313  cap.  LXIII.  — 
Saint-Pierre-de-Bourgeuil  (1082,  1202,  1214)  in  Hiat.  XIV,  p.  118  u.  Viollet 
III.  p.  311.  — Dol  (1196)  in  Lobineau  I,  p.  204  pr.  II,  345  — Quimper 
(Ende  XII)  in  Lobineau  I,  p.  204  = Morice  I,  p.  376  — Saint-Diez  (1115  bis 
1123),  Longeville  (1121),  Luxembourg  (1123,  1124),  Saint-Michel  (1135)  bei 
Calmct  CCLXI,  CCLXVII,  CCLXXI,  CCLXXIII,  CCCIII.  — Saint-Nicolaa- 
d Angers  (1136)  in  Layettea  no.  65.  — Sens  (1176)  bei  Prou,  Lorria  p.  188, 
Note  2.  — Langres  (1213)  bei  Garnier  no.  CCXLV.  — Saint-Martin-dc-Tours 
(1190)  in  Layottes  no.  371.  — N.-D.-de-Paris  (1139,  1193,  1203)  in  Cart.  de 
N.-D.-de-Paris  I,  233,  II,  259,  325.  Vgl.  auch  Brussel  p.  978,  XXII  — 
Sainte-Maric-dc-Troyes  (1197)  in  Cart.  de  Nonnaina-de-Troyes  p.  12  no. 
15.  — Paris  (1199,  1222;  1228)  in  Cart.  de  N.-D.-de  Paris  1,80,  123  und 
Layettos  no.  1554;  Cart  de  N.-D.-dc  Paria  I,  128.  — Saint-Crepin  (1233) 
bei  Peeheur  III.  p.  337.  — Orleans  (1244)  in  Layettea  no.  3338.  — 
Soisaona  (1259)  in  Olim  I,  425.  — Saint-Pierre-do-Beaux-s.-M.  (1262)  bei 
Dom  Ganneron  p.  361.  — Beima  (1265)  bei  Brussel  p.  983.  — Bonneval 
(1265)  in  Layettea  no.  5068.  — Saint-  Brieuc  (1311)  in  Olim  III s.  679.  XLV. 
Sainte-Merry  bei  Tanon,  Eglises  p.  27.  — Agens  (1317)  in  Boutaric,  Actes 
du  Pari.  no.  5366  vgl.  5367.  — Saint-Victor-de-Maraeille  (1173,  XI,  1193, 
1235)  in  Cart.  de  Saint-Victor-de-Maraeille  uoa.  557,  156,  992,  993,  994, 
pag.  895,  183,  444,  446,  448.  — Embrun  (1146)  in  Cart.  de  Saint-Victor-de- 
Maraeille  no.  990,  j).  442.  — Saint-Maurice-de-Savigny  (1090,  1121)  in  Cart.  de 
Saint-Maurice-de-Savigny  noa.  835,  906.  p.  444,  482  f.  — Grenoble  (circa 
1040)  in  Cart.  de  l'egliae  cathedrale  de  Grenoble  no.  XL  VI,  p.  119. 

Coulln , Zweikampf  In  Frankreich  4 


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50 


Während  in  Spanien  die  Frage,  ob  die  römische  oder  moz- 
arabische  Liturgie  Anwendung  finden  solle,  im  elften  Jahrhundert 
im  gerichtlichen  Zweikampf  entschieden  wurde,  finden  sich  in 
unseren  französischen  Quellen  nur  Beispiele  für  die  Anwendung 
des  Kampfes  zur  Entscheidung  von  Zivil-  und  Strafsachen.  Hier- 
bei überwiegen  die  Zivilsachen;  in  den  uns  vorliegenden  Urkunden 
handelt  es  sich  um  das  Eigentum  an  Feldgrundstücken '),  um  das 
Eigentum  oder  einen  Anteil  an  einer  Kirche5),  um  das  Eigentum 
•an  Unfreien5),  um  den  Nießbrauch  an  einem  Grundstück4),  um 
die  Erhebung  von  Abgaben8),  um  den  Anspruch  auf  eine  prevöte4), 
um  Schenkungen 7)  und  um  Freiheitsprozesse4).  Von  Strafsachen 
finden  sich  Mord 9),  Todschlag 10),  Diebstahl 1 '),  Verrat  '*),  Notzucht lä), 

’)  Fleury  Saint-Denis  (834)  (in  Hist.  VI,  p.  313.  — Saint-Aubin- 
d'Angcrs  (1056)  in  Hist.  VI,  p.  429.  — Saint-Pierrc-de-Bourgeuil  (1082)  in 
Hist.  XIV,  p.  118.  — Sainte-Croix-de-Talmond  •/.  Saint-Martin-de-Tours 
(1098)  in  Marchegay,  Duell  p.  557.  — Saint-Serge-d-Augers  •/.  Saint-Aubin- 
d’Angers  (1064)  bei  Prou,  Lorris  p.  187.  — Yvo  von  Chartres  ep.  168  bei 
Migne  LX1I  col.  171.  — Saint-Denis-de-Nogcnt-le-ltotron  (1100,  1120)  in 
Cart.  S.  Diouysii  de  Nogento  no.  XIX,  p.  62.  — Saint-Maur-s. -Loire  (1125, 
1135)  in  Marchegay,  Anjou  I,  394.  — Saint-Crepin  (1135)  in  Pecheur  II, 
p.  397. 

*)  Saint-Medard  (968)  in  Hist.  VIII,  p.  67.  — Verrieres  (circa  1100) 
in  Cart.  S.  Dionysii  de  Nogento  p.  125  no.  53.  — Saintcs  (1134,  1151) 
no.  53.  — Beziors  (1053)  in  Languedoc  II,  222  no.  205. 

3)  Til-Chätel  (1090  5)  in  Petit,  Bourgogne  I,  253.  — Pleury  (1136) 
in  Hist.  VI,  p.  484.  — Saint-Germain-des-Pres  (1154)  bei  Boulliart  no.  52. 
über  das  Datum  vgl.  meinen  Gerichtl.  Zweikampf  § 1.  IV.  p.  6,  Note  7. 

*)  Cart.  de  Saint-Pere-de-Chartres  I,  pag.  160  no.  33  (1070). 

4)  Marmontier  (1044)  in  Cart.  de  Marmoutier  p.  XXYI1,  Note  I.  — 
Saint- Wandrillc  '/.  den  Grafen  von  Evroux  (1034)  in  Neustria  pia  bei  Canel 
p.  73,  74.  — Bonneval  (1265)  in  Layettes  no.  5068.  — Saint-Germain-des- 
Pres  (1027)  in  Hist.  X,  612.  — Talmond  (1092,  1124  und  circa  1094)  in 
Cart.  de  Talmond  nos  108  u.  58. 

•)  Saintes  (1134)  in  Cart.'  inedits  d.  1.  Saintonge  II,  no.  218,  — Ju- 
mieges  (1240)  in  Hist.  XXIII,  339. 

*)  Beaulieu  (960)  in  Cart.  de  Beaulieu  p.  85  no.  47.  — Talmond  (1095) 
in  Cart.  de  Talrnond  no,  59. 

•)  Saint-Benoit-sur-Loirc  (964/  8)  bei  Jubainville  I,  143  f.  — Cart.  de 
Saint-Aubin-d'Angers  (sine  dato)  in  Franc  aleu  p.  263. 

*)  Bessin  I,  p.  81  (1137)  p.  99  (1190).  — Sainte-Genevieve  (1266)  in 
Tanon,  Eglises  p.  27. 

10)  Saint-Maur-sur-Loire  (1066)  in  Marchegay,  Anjou  I,  p.  331,  no.  63. 


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51 

schwere  Körperverletzung')  und  Beleidigung1).  In  Zivilsachen 
wurden  die  Parteien  im  Kampf termin  meist  durch  Kämpfen  oder 
Kampfstellvertreter  vertreten,  während  in  Strafsachen  ja  nach  ge- 
meinfranzösischem Recht  eine  Vertretung  durch  Kämpfen  unzu- 
lässig war5).  Bei  den  von  den  kirchlichen  Gerichten  angeordneten 
Zweikämpfen  finden  sich  häufig  Kleriker  jeden  ordinis  als  Zu- 
schauer ein4),  und  zwar  auch  noch,  nachdem  die  Konzilien  von 
Paris  und  Rouen  die  Anwesenheit  der  Bischöfe  beim  Zweikampf 
verboten  hatten5),  sind  Kleriker  als  Zuschauer  in  den  Urkunden 
erwähnt4).  Die  Kämpfe  scheinen  häufig  an  geweihten  Orten  statt- 
gefunden zu  haben;  es  hängt  dies  offenbar  damit  zusammen,  daß 
man  zwischen  den  gebräuchlichen  einseitigen  Ordalien,  der  Probe 
des  heißen  Eisens  und  dem  Kesselfang,  die  in  der  Kirche  ab- 
gehalten wurden,  und  dem  zweiseitigen  Ordal  in  der  Praxis  keinerlei 
sachlichen  Unterschied  machte.  Auch  gegen  diese  Unsitte  wendeten 
sich  die  beiden  Konzilien  von  Paris  und  Rouen5),  wie  ja  auch 
das  vierte  Laterankonzil  mit  dem  Verbot  der  Mitwirkung  eines 
Priesters  beim  Kesselfang  und  bei  der  Probe  des  heißen  Eisens 
implicite  die  einseitigen  Ordalien  aus  dem  Bereich  der  geweihten 
Orte  verbannen  wollte*). 

II.  Schon  im  frühen  Mittelalter  wird  auch  in  Frankreich 
der  Grundsatz  betont,  daß  die  Kirche  nach  der  lex  romana  lebt7). 
Der  praktischen  Verwirklichung  dieses  Prinzips  stand  aber  die 
Unkenntnis  des  römischen  Rechtes  im  Wege,  die  manchmal  nicht 

")  Saint-Maur-sur-Loire  (1066)  in  Marchegay,  Aujou  X,  p.  331,  no.  63. 
— SoiBsons  (Anf.  XII)  bei  Pucheur  II,  p.  196  (Kirchenraub)  — Saint-Ger- 
main-des-PreB  (1273)  bei  Tanon,  Kgliaee  p.  26.  — Saint-Benoit-de-Paris 
(1292)  bei  Viollet  III,  p.  311. 

1J)  Saint-Geruiain-des-Pres  (1273)  bei  Tanon,  EgliseB  p.  27. 

•*)  Saint-Germain-des-Pres  (1230)  bei  Tanon,  Eglises  p.  27. 

')  N.-D.-de-Paris  (1269)  in  Gart,  de  N.-D.-de-Paris  III,  p.  433. 

*)  Saint-Brieuc  (1311)  in  Olim  III J p.  679. 

*)  vgl.  meinen  Gerichtl.  Zweikampf  § 28.  p.  88  f. 

4)  z.  B.  Saint-Benoit-sur-Loire  •/•  Saint-Denis  (833/40)  bei  Prou,  Lorris 
p.  186  f.  — Saint-Germain-des-Pree  (1280)  bei  Tanon  Eglisea  p.  27. 

*)  vgl.  oben  § 4,  II  a p.  31,  Note  3. 

*)  vgl.  oben  § 4 II  b p.  32,  Note  1. 

')  so  die  Konzilien  von  Orleans  (51 1)  can.  1 und  Tours  (567)  can.  20 
bei  Audigier,  Auvergne  p.  287. 

4* 


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52 


einmal  durch  eine  Anfrage  bei  den  Rechtsgelehrten  behoben  werden 
konnte  *).  Dann  mag  es  aber  auch  hier,  ähnlich  wie  das  Rofredus 
vom  langobardischen  Rechtsgebiet  berichtet*),  manchmal  zweifel- 
haft gewesen  sein,  ob  in  allen  Fällen  das  römische  Recht  An- 
wendung finden  sollte,  insbesondere  ob  auch  in  dem  Fall,  wo  die 
Kirche  Rechtsnachfolgerin  eines  Nichtklerikers  war.  Die  Kleriker 
selbst  waren  der  Bevölkerung  ihrer  Heimat  zum  größten  Teil 
entnommen  und  demgemäß  auch  in  der  Kultur  und  im  Recht 
ihrer  Heimat  befangen.  Aus  allen  diesen  Gründen  erklärt  es  sich, 
daß  in  den  Prozessen  der  Kirche  das  einheimische  Beweisrecht 
und  mit  ihm  der  Zweikampf  noch  bis  ins  dreizehnte  Jahrhundert 
zur  Anwendung  gelangte  und  von  einer  Verwendung  des  „römischen“ 
Prozeßrechts  Abstand  genommen  wurde. 

Das  Kampfprozeßrecht  selbst  aber  ermöglichte  den  Klerikern 
vielfach  die  Umgehung  einer  persönlichen  Mitwirkung  oder  Teil- 
nahme am  käinpflichen  Beweis. 

1.  Der  geistliche  Gerichtsherr  konnte  sich  in  seiner  curia 
saecularis  durch  seinen  Vogt,  und  seit  dem  dreizehnten  Jahr- 
hundert durch  seine  Beamten  (camerarius,  bailli,  prevöt)  in  seinen 
gerichtsherrlichen  Funktionen  vertreten  lassen ä). 

2.  Im  Zivilprozeß  konnte  sich  die  kirchliche  Partei,  wie  jede 
andere,  jederzeit  durch  einen  Kämpfen  oder  einen  Kampfstell Ver- 
treter vertreten  lassen;  die  kirchlichen  Parteien  haben  auch 
häufig  von  diesem  Recht  Gebrauch  gemacht*). 

')  Saint-Renoit-sur- Loire  •/.  Saint-Denis  (833/40)  io  Mir.  S.  Ren.  lib. 
I,  cap.  25,  p.  56,  bei  Pron,  Lorris  p.  186,  187. 

*)  Kofredus  I. 

*)  Über  den  Inhalt  dieser  Funktionen  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zwei- 
kampf § 15.  XIII.  p.  53  f.  — vgl.  ferner  die  in  meinem  Gerichtlichen  Zwei- 
kampf pag.  51.  Note  7,  pag.  52  Note  1 u.  2 angegebenen  Quellen;  außerdem 
Cartulaire  de  Rourgeuil  fol.  101  (1214)  und  Du  Cango  (1202)  bei  Viollet 
III.  p.  311. 

*)  Saint-Fleury  Saint  Denis  (834)  in  Hist.  VI,  313  — Saint-Medard 
(968)  in  Hist.  VIII,  67  — Mannoutier  (1044)  in  Gart,  de  Marmoutier  p.  XXVII 
Note  1.  — Saint-Aubin-d’Angers  (1056)  in  Hist.  VI,  429.  — Saint-Sergc- 
d’Angers  Saint-Aubin-d’Angers  (1064)  bei  Prou,  Lorris  p.  187.  — Saint- 
Pierre-de-Rourgeuil  (1082)  in  Hist.  XIV,  p.  118.  — Til-Chitel  (1090/5)  bei 
Petit,  Rourgogne  L,  223.  — Sainte-Croix-de-Talmoud  •/.  Saint- Martiu-de- 
Tours  et  Saint-Jean-de-Fontaines  (1098)  in  Marchegay,  Duell  p.  557  f.  — 


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53 


3.  Nun  sollte  man  denken,  daß  hei  Prozessen  zweier  kirch- 
licher Parteien  untereinander  der  kämpfliche  Beweis  unterblieben 
wäre;  unsere  Urkunden  belehren  uns  jedoch  nicht  selten  eines 
andern '). 

4.  Bei  Prozessen  einer  kirchlichen  und  einer  weltlichen 
Partei  lag  es  in  der  Hand  der  kirchlichen  Partei,  falls  sie  näher 
zum  Beweise  war,  das  Beweismittel  z.  B.  ein  einseitiges  Ordal  *) 
zu  bestimmen;  daß  die  kirchliche  Partei  sich  dabei  manchmal 
für  den  Zweikampf  entschied,  das  lag  nicht  an  der  Gesetzgebung. 

Seit  der  Mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts,  wo  sich  das 
kirchliche  und  weltliche  Prozeßrecht  immer  melir  differenzierten, 
wo  die  einseitigen  Ordalien  allmählich  abkamen,  wo  der  Zweikampf 
schon  in  den  Gerichten  einzelner  geistlicher  Gerichtsherren  ver- 
boten wurde,  da  trat  bei  Prozessen  zwischen  einer  geistlichen  und 
einer  weltlichen  Partei  die  Frage  nach  der  Zuständigkeit  des 
Gerichts5)  praktisch  immer  mehr  in  den  Vordergrund;  denn  nach 
dem  Prozeßrecht  dieses  Gerichts  bestimmten  sich  im  einzelnen 
Falle  die  Beweismittel  *)  und  die  kirchliche  Partei  war  diesem 
Rechte  so  gut  wie  jede  andere  unterworfen5);  nahm  sie  z.  B.  ein 
kämpfliches  Beweisangebot  nicht  an,  so  wurde  sie  sachfiUlig  und 
die  ordentlichen  Ungehorsamsfolgen  *)  trafen  sie.  Aber  immer  dring- 
licher wurden  die  Vorstellungen  der  kirchlichen  Oberen  gegen  diese 
generelle  Unterwerfung  kirchlicher  Parteien  unter  das  Kampfrec.ht, 
ohne  jedoch  zunächst  von  irgend  einem  Erfolg  begleitet  zu  sein. 

Saint-Manr-sur-Loire  (1125/35)  in  Marchegay,  Anjou  I,  394.  — Saint- 
Fleury  (1136)  in  Hist.  VI,  484  — Talmond  (1092/1129,  1095),  in  Cart.  de 
Talinond  no.  108  u.  59.  — Saint- Pere-de-Chartres  (1070),  in  Cart.  de  Saint- I’oro- 
de-Chartrcs  I.  p.  120  no.  33  — Saint  Denis-de-Nogent  (1109, 1100/1 120)  in  Cart. 
S.  Ilionysi  de  Xogento  no.  19  u.  53. — Lezar  (1048)  in  Languedoc  II,  p.  215. — 
ein  Kampfstellvertretcr  findet  sich  in  Saint-Benoit-sur-Loire  (833/40)  in  Prou, 
Lorris  p.  186/7  und  in  Saint-Benoit-sur-Loirc  (964/8)  in  Jubainvillc  I,  1431. 

')  z.  B.  Saint-Benoit-sur-Loire  ./•  Saint-Dcnis  (833/40)  bei  Prou,  Lorris 
p.  186.  — Saint-Fleury  •/.  Saint-Denis  (834),  in  Hist.  VI,  313  n.  s.  w.,  vgl. 
o.  p.  52  Note  4. 

*)  vgl.  z.  B.  Saint-Aubin-d’Angcrs  (1056)  in  Hist.  VI,  429. 

3)  vgl.  hierüber  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  § 15.  IX  u.  XV  p.  521. 

4)  vgl.  meinen  Zweikampf  § 15.  XII.  p.  53. 

*)  vgl.  s.  B.  Noyon  (1181)  in  Layettes  no.  307. 

")  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  § 55  p.  164  f. 


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54 


Deutlich  erhellt  dies  aus  einer  rheimser  Urkunde  aus  dem  Jahre 
1235;  in  dieser  Supplicatio  facta  domino  regi  per  depntatos  con- 
cilii  Remensis  heißt  es:  „Item  supplicat  concilium  quod  dominus 
Rex  non  compellat  personas  ecclesiastieas  probare  per  duellum  in 
curia  sua  homines  quos  dicunt  suos  esse  de  corpore  suos  esse1). 
Auch  die  Erlasse  Innozenz  IV.  *)  lassen  erkennen,  daß  es  noch 
bis  in  die  Mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  einer  kirchlichen 
Partei  unmöglich  war,  ihre  Ansprüche  an  homines  de  corpore 
anders  als  durch  Kampf  zu  beweisen.  Mit  der  kämptlichen  Prozeß- 
fähigkeit hängt  es  auch  zusammen,  daß  Kleriker  noch  als  Rürgen 
im  Kampfprozeß  angenommen  wurden5). 

HI.  1.  Seit  Beginn  des  zwölften  Jahrhunderts  wird  die  Kirche 
im  Kampfprozeß  privilegiert. 

a)  Eines  der  ersten,  wo  nicht  das  erste  Privileg,  das  die 
Kirche  im  Kampfprozeß  erlangte,  war  die  Zulassung  der  servi 
ecclesiae  zum  Kampfrecht.  In  den  Privilegien  für  das  Kapitel 
von  N'otre-Dame-de-Paris  für  die  Abtei  Saint-Denis,  für  Sainte- 
Genevieve,  für  den  Erzbischof  von  Paris,  für  Saint-Martin-des- 
Champs,  für  Saint-Maur  und  für  Notre-I)ame-de-Chartres  werden 
die  kirchlichen  Eigenleute  zum  gerichtlichen  Kampf  und  zum 
Zeugnis  in  kämptlichen  Klagen  gegen  Freie  in  der  Weise  ver- 
stattet,  daß  bei  Weigerung  eines  Freien  sich  in  einem  derartigen 
Prozeß  mit  denselbeu  einzulassen,  die  ordentlichen  Ungehorsams- 
folgen, insbesondere  Prozeßverlust  und  Verlust  der  Klagfähigkeit 
eintraten.  Die^Folge  war  eine  Hebung  des  Ansehens  der  kirchlichen 
Eigenleute;  der  eigentliche  Grund  der  Verleihung  des  jus  bellandi  et 
testiflcandi  an  diese  servi  ecclesiae  scheint  aber  darin  zu  liegen, 
daß  man  der  Kirche  eine  größere  Auswahl  in  der  Wahl  ihrer 
Kämpfen  ermöglichen  wollte  und  ihr  so  Gelegenheit  geben  wollte 
berufsmäßige  campiones  unter  ihren  Eigenleuten  auszubilden4). 

‘)  in  Reims  administratif  I5  p.  586  no  146;  Brussel  p.  968.  XI  ist 
hiernach  nicht  zuzustirmnen,  wenn  er  meint,  dall  Personen  geistlichen  Standes 
überhaupt  nicht  zum  Kampf  gezwungen  werden  konnten. 

*)  rgl.  oben  p.  35  f. 

*)  z.  B.  Huon  p.  43  — vgl.  hierzu  Prou,  Lorris  p.  192. 

4)  Notre-Dame-dc- Paris  (1108)  in  Cart.  de  N.-D.  de  Paris  I,  247  und 
Tardif,  Mon.  no.  334.  — Saint-Denis  (1108)  in  Hist.  XI,  591.  — Sainte- 
Genevieve  (1109)  in  Tardif,  Mon.  no.  341.  — Paris  (1110)  in  cart.  de  N.-D.- 


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55 


b)  Gegen  Ende  des  zwölften  Jahrhunderts  finden  sich  zwei 
Privilegien,  die  der  Kirche  gestatten,  im  Eigenschaftsprozeß  unter 
Ausschluß  des  gerichtlichen  Zweikampfes  durch  Eidhelfer  zu  be- 
weisen ; allerdings  sind  dies  zwei  ganz  vereinzelte  Privilegien '). 
Noch  um  die  Mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  mußte  ja 
Innozenz  IV.  in  diesen  Prozessen  mehrfach  die  Anwendung  des 
kämpfliehen  Beweises  verbieten*). 

c)  Noch  bis  ins  dreizehnte  Jahrhundert  kämpften  Kleriker 
persönlich;  nach  dem  canon  19  des  normannischen  Provinzial- 
konzils von  Lillebonne  bedurften  sie  allerdings  dazu  der  bischöf- 
lichen Erlaubnis,  widrigenfalls  sie  an  den  Bischof  eine  Geldstrafe 
zu  zahlen  hatten;  noch  im  Jahre  1252  mußte  Innozenz  IV.  in 
einem  Erlaß  an  den  Erzbischof  von  Sens  und  den  Bischof  von 
Troyes  den  persönlichen  Kampf  der  Kleriker  verbieten;  im  Jahre 
1386  kämpfte  ein  clericus  non  conjugatus  et  defensor  und  nach 
dem  Livre  des  Droiz  konnte  der  derc  mariö  in  Zivilsachen  mit 
Erlaubnis  des  Bischofs  noch  persönlich  kämpfen’).  Gegen  Ende 
des  dreizehnten  Jahrhunderts,  wo  einerseits  eine  große  Anzahl 
von  Territorialgerichten  die  Kampfgerichtsbarkeit  verloren4)  und 
immer  größere  Kreise  der  nichtritterlichen  Bevölkerung  vom  Kampf- 
zwang entbunden  wurden s),  wo  andererseits  die  Kirche  so  mächtig 
geworden  war,  daß  sie  ihre  Ansprüche  bezüglich  der  Eximierung 
der  Geistlichen  von  der  weltlichen  Gerichtsbarkeit  großen  Teils 
durchsetzen  konnte,  und  das  Enqueteverfahren  schon  soviel  Ein- 
fluß im  Norden  erlangt  hatte,  daß  der  König  und  sein  Parlament 


dc-Paris  I,  252  und  Tardif,  Mon.  no.  345.  — Saint-Martin-dcs-Champs  (1111) 
in  Tardif,  Mon.  no.  34t>.  — Saint-Maur  (1118)  in  Tardif,  Mon.  no.  371 
und  Ord.  I,  p.  3 u.  4.  — N.-D.-de-Chartres  (1128)  in  Ord.  I,  p.  5.  — Ob 
eine  Urkunde  für  Saint-Gcrmain-des-Pres  (bei  Boulliart  p.  23  = Hist.  X.  p.  612) 
hierher  gehört,  ist  zweifelhaft. 

■)  Jusiers  (1174)  in  Cart.  de  Saint-Pere-de-Chartrcs  no.  XI, III  t II. 
p.  61.  vgl.  dazu  Prou,  Lorris  p.  189.  — Saint-Quiriacc  (1176)  in  Jubain 
ville  III,  160  no.  252. 

’)  vgl.  oben  pag.  235  f. 

*)  Zwei  Beispiele  iin  Dictionairc  p.  775.  — Lillebonnc  (1080)  in  La- 
jctteB  no.  22.  — Reims  administratif  1 3 p.  733  no.  241.  — Gallus  qu.  85. 
p.  10.  — Livre  des  Droiz  363. 

4)  vgl.  meinen  Gerichtl.  Zweikampf  § 15.  IV.  pag.  47, 

’)  vgl.  oben  pag.  2 bis  30. 


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56 


sich  ihm  nicht  mehr  verschließen  zu  können  glaubten,  Ha  wurde 
auch  der  Klerus  und  zwar,  wie  es  den  Anschein  hat,  gewohnheits- 
rechtlich1)  vom  Kampfzwang  befreit5). 

i.  Nach  Keaumanoir  ist  die  prozeßrechtliche  Stellung  der 
Kleriker  nunmehr  folgende: 

a)  In  Zivilsachen  hat  der  Kleriker  im  Aktiv-,  wie  im  Passiv- 
prozeß seinen  Gerichtsstand,  einerlei,  ob  es  sich  um  meubles, 
chateus,  actions  personeus  oder  biens  handelt,  vor  dem  kirchlichen 
Gericht.  Eine  Ausnahme  besteht  nur  bezüglich  der  eritages,  die 
ein  Kleriker  von  einem  weltlichen  Uerm  en  fief,  a eens  oder  a 
rentes  hat5). 

b)  Strafsachen  der  Kleriker  kann  der  Ordinarius  in  jedem 
Stadium  des  Verfahrens  an  sich  ziehen4),  wenn  er  nachweist,  daß 
der  Angeklagte  ein  Kleriker  ist4). 

c)  Wer  eine  Tonsur  trägt  und  geistliche  Kleidung  tragt,  der 
wird  vom  Geistlichen  Gericht  abgeurteilt,  einerlei  ob  er  Kleriker 
oder  Laie  ist*).  Wer  weder  Tonsur  noch  geistliche  Kleidung 
trägt  und  die  Zuständigkeit  der  weltlichen  Gerichte  bestreitet, 
muß  beweisen,  daß  er  Kleriker  ist1). 

d)  Der  clericus  bigamus  hat  seinen  Gerichtsstand  in  allen 
Sachen  vor  dem  weltlichen  Gericht*). 

e)  Im  Aktivprozeß  kann  sich  der  Kleriker  nunmehr  aber  auch 
im  weltlichen  Gericht  nicht  mehr  verpflichten9),  und  im  Passiv- 
prozeß kann  er  sich  vor  demselben  nicht  mehr  verantworten. 


*)  Ohne  Kinilull  blieb  jedenfalls  auch  hier  die  Ordonnance  von  1260: 
vgl.  i.  B.  Saint-Pere-de-Chartrcs  (1267)  in  Olim  I,  167.  — Eine  gesetzliche 
Regelung  dieser  Privilegien  findet  sich  nirgends : mit  einem  Male  werden  sie 
von  den  Rcchtsbüchern  als  bestehendes  Recht  anerkannt. 

*)  In  England  ordnete  Heinrich  II.  an:  quod  elerici  duellum  facerc 
non  cogantur  vgl.  Proust  p.  42;  nach  Rofredus  II,  5 waren  in  der  Lom- 
bardei stets  Kämpfen  zagelassen,  si  ecclesiastica  persona,  ut  clericus,  comes 
vcl  vidua,  cansas  habent  intcr  se  vel  cum  aliis. 

*)  Beaum.  317.  345. 

*)  Beaum.  350.  351.  352.  356. 

4)  Beaum.  353. 

*)  Beaum.  353.  335;  letzteres  gilt  jedoch  nur  für  Strafsachen. 

')  Beaum.  354. 

*)  Beaum.  1800.  — vgl.  Fournier,  Officialites,  p.  69.  Note  2. 

9)  Beaum.  1800. 


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57 


Bietet  er  ein  Kampfespfand  an  oder  nimmt  er  das  Angebot  eines 
Kampfespfandes  an,  so  muß  es  der  Richter  zurückweisen  pour 
honeur  de  sainte  Eglise  et  pour  ce  que  ses  ordinaires  l’osteroit 
de  la  court  laie  en  quel  estat  qu’il  le  trouveroit  en  cel  plet1). 
Ausgenommen  ist  hiervon  nur  der  Prozeß  um  Erbe,  das  er  von 
einem  weltlichen  Herren  en  fiof,  ä eens  oder  ä rentes  hat2);  in  diesem 
Falle  hatte  aber  von  Alters  her  jede  Partei  das  Recht  sich 
durch  Kämpfen  oder  Kampfstellvertreter  vertreten  zu  lassen3). 

f)  Da  sich  der  Kleriker  nur  wegen  des  Erbes,  das  er  von 
einem  weltlichen  Herrn  zu  Lehen,  zu  Zins  oder  zu  einem  ähn- 
lichen Leiheverhältnis  hatte,  vor  dem  weltlichen  Gericht  verpflichten 
konnte,  so  konnte  er  sich  auch  nur  mit  diesem  Erbe  vor  dem 
weltlichen  Gericht  verbürgen ; seiner  Bürgschaft  im  Kampfprozeß 
sind  daher  sehr  enge  Schranken  gezogen4). 

g)  Vor  dem  weltlichen  Gericht  kann  der  Kleriker  in  allen 
Fällen,  wo  eine  Zeugenschelte  zulässig  ist,  nicht  mehr  als  Zeuge 
erscheinen,  car  il  ne  pueent  estre  tret  ne  mis  en  gages5). 

3.  Am  Ende  des  vierzehnten  Jahrhunderts  wird  sowohl  der 
Laie  der  einen  Bischof  fordert,  als  der  Kleriker,  der  eine  Heraus- 
forderung annimmt,  mit  Rücksicht  darauf,  daß  ein  Kampf  mit 
einem  Kleriker  unzulässig  ist,  mit  Strafe  bedroht.  So  ergeht  am 
2t>.  April  1380  ein  Verbot  an  Hutin  d’Aequin,  bei  Strafe  von 
500  Mark  Silbers  und  Gefängnis  bei  Wasser  und  Brot  noch  ein- 
mal einen  Bischof  zu  fordern1’),  und  Gallus  berichtet,  daß  ein 
Kleriker,  der  als  Beklagter  eine  Forderung  angenommen  hatte, 
die  Sache  vor  das  Parlament  kommen  ließ  und  sich  dann  auf 
seinen  geistlichen  Stand  berief,  vom  Parlament  in  die  Kosten  ver- 
urteilt wurde,  weil  er  als  Kleriker  nicht  den  Kampf  annehmen 
durfte '). 

')  Besinn.  1801. 

J)  Beauin.  1800. 

3)  Insofern  ist  dann  allerdings  die  häutig  auftretende  Ansicht,  daß  sich 
ein  Kleriker  im  französischen  Recht  stets  durch  einen  Kampfstellvertreter 
vertreten  lassen  konnte,  richtig.  Anders  war  es  ja  im  orientalischen  Recht, 
vgl.  Jerusalem  H.  C.  Jean  d'Ibclin  ch  160  p.  244. 

4)  Beaum.  1321.  1800. 

y)  Beaum.  1174. 

*)  ColL  Sainte-Genevievo  Kg.  Ff.  13  t.  I,  f"  350  bei  Ducnudrsy  p.  403 

7)  Gallus  qu.  76.  p.  13. 


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5S 


4)  Nach  dem  Livre  de.«  Droiz,  in  dessen  Geltungsgebiet,  so- 
weit sich  wenigstens  zur  Zeit  die  Quellen  übersehen  lassen,  der 
gerichtliche  Zweikampf  am  längsten  in  allen  Kreisen  der  Be- 
völkerung in  Übung  blieb,  konnte  ein  Kleriker,  falls  er  einen 
Dispens  vom  Ordinarius  erhielt,  persönlich  am  Kampf  teilnehmen : 
diesen  Dispens  erhielt  aber  nur  der  clerc  marie  und  dieser  auch 
nur  in  Zivilsachen ').  Kämpfte  der  Kleriker  ohne  Dispens,  so 
wurde  er  mit  depesement  de  droit  bestraft5). 

5)  Eine  ähnliche  Stellung  wie  die  Kleriker  haben  die  Kreuz- 
fahrer im  Kampfrecht3).  Nach  Beaumanoir  unterstehen  sie  in 
Strafsachen  und  im  Prozeß  um  Grundeigentum  dem  weltlichen 
Gericht,  in  allen  andern  Sachen  haben  sie  die  Wahl,  ob  sie  sich 
vor  dem  weltlichen  oder  dem  geistlichen  Gericht  verantworten 
wollen4).  Dasselbe  Recht  genießen  die  Wittwen5).  In  beiden 
Fällen  darf  aber  die  Kirche  den  Prozeß  nicht  an  sich  ziehen, 
wenn  er  vor  dem  weltlichen  Gericht  anhängig  ist4). 

IV.  Außer  diesen  soeben  betrachteten  Arten  von  Laien,  die 
einen  privilegierten  kirchlichen  Gerichtsstand  hatten,  kennt  das 
Recht  des  dreizehnten  und  vierzehnten  Jahrhunderts  eine  Anzahl 
von  Fällen,  die  sich  gewohnheitsrechtlich  immer  noch  vermehrten, 
in  denen  die  Kirche  einen  Gerichtszwang  gegen  Laien  ausübte. 

1 ) Im  allgemeinen  gehörten  Streitigkeiten  unter  zwei  welt- 
lichen Parteien  zur  Zuständigkeit  der  weltlichen  Gerichte.  Dies 
Prinzip  wurde  aber  mehrfach  durchbrochen*): 

a)  in  Klagen  um  Schuld  (convenances  et  obligations  par  letres 
prouvces  ou  par  tesmoins)  konnten  die  Parteien  den  kirchlichen 

■)  Diese  Bestimmung  ist  in  einem  coutumicr  aus  der  Mitte  des  vier- 
zehnten Jahrhunderts  immerhin  auffillig,  und  es  ist  wohl  nicht  unrichtig, 
wenn  inan  annimmt,  daß  der  Cumpilator  hier  oine  frühere  Quelle  — viel- 
leicht ein  Urteil  — , die  in  diesem  Punkte  kein  geltendes  Recht  mehr  ent- 
hielt, kritiklos  aufnahm. 

*)  Livre  des  Droiz  363. 

3)  vgl.  z.  B.  Echiquier  (1218)  in  Etabl.  norm.  p.  133.  — Canel  p.  95 
— BBB.  93.  — T-A.  97.  - Et.  I,  89.  — Ord.  (1215)  1.  33.  - Fournier, 
Ufficialites  p.  77. 

4)  ßeaum.  318.  — vgl.  Fournier,  Oflicialites  p.  79  u.  80. 

4)  Beaum.  319. 

6)  vgl.  zum  folgenden  Fournier,  Ofticialites  p.  81. 


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59 

Gerichtsstand  vereinbaren.  Das  weltliche  Gericht  kümmerte  sich 
allerdings  dann  auch  nicht  um  die  Vollstreckung  des  Urteils '). 

b)  Der  Kläger  konnte  seinen  Gegner  vor  das  kirchliche  Ge- 
richt laden,  falls  er  wegen  der  Unzuverlässigkeit  des  weltlichen 
Richters  nicht  obsiegen  zu  können  glaubte. 

c)  Gewohnheitsrechtlich  war  es  dem  Kläger  in  vielen  (fegenden 
Frankreichs  erlaubt  seinen  weltlichen  Gegner  vor  das  kirchliche 
Gericht  zu  laden3).  Dieser  Satz  war  einer  der  Hauptstreitpunkte 
zwischen  den  weltlichen  und  geistlichen  Gerichtsherrn  des  drei- 
zehnten und  vierzehnten  Jahrhunderts. 

2)  Eine  Reihe  von  Materien  waren  der  Gerichtsbarkeit  der 
Kirche  unterworfen,  auch  wenn  die  Subjekte  der  betreffenden 
Rechtsverhältnisse  Laien  waren;  hierhin  gehörten  die  schon  oben 
erwähnten  causae  miserabilium  personamm  ,j,  es  gehörten  aber 
auch  hierzu  die  causae  mere  spirituales,  das  sind  Materien,  die  das 
Dogma,  die  Verwaltung  der  Sakramente,  Gelübde,  kirchliche 
Censuren  und  ihre  Folgen,  kirchliche  Wahlen  usw.  betreffen; 
ferner  zählen  hierzu  die  causae  ecclesiasticae  spiritualibus  anncxae, 
wie  Verlöbnisse,  Dotalklagen,  Statusstreitigkeiten,  Legitimation, 
Patronat,  Errichtung  von  Benefizien,  Zehnten,  Testamente  u.  ä.; 
ferner  Streitigkeiten,  bei  denen  eine  Sünde  einer  Partei  vorliegt. 
Da  alle  diese  Verhältnisse  bereits  in  Fourniers  Officialites 4)  eine 
eingehende  Darstellung  gefunden  haben,  darf  ich  mich  wohl  mit 
einem  Hinweis  auf  dieses  Werk  an  dieser  Stelle  bescheiden. 

V.  Während  des  ganzen  dreizehnten  und  der  ersten  Hälfte 
des  vierzehnten  Jahrhunderts  war  ganz  Frankreich  erfüllt  von 
einem  Kampf  über  die  Zuständigkeit  der  geistlichen  und  weltlichen 
Gerichte.  Häufig  wurden  die  Gerichte  der  Kirche  von  Laien  in 
Prozessen  angerufen,  die  nicht  zur  Zuständigkeit  der  Kirche  ge- 
hörten, der  Beklagte  unterwarf  sich  aber  dem  Urteil  des  geist- 
lichen Gerichts.  Hieraus  bildete  sich  mit  der  Zeit  ein  Gewohn- 
heitsrecht, das  den  Einkünften  der  weltlichen  Gerichtsherm  einen 
gewaltigen  Abbruch  tat.  Aber  auch  kraft  gemeinen  Rechts  wußten 
die  Laien  die  weltliche  Gerichtsbarkeit  zu  umgehen,  indem  sie 
sich  für  Kleriker  ausgaben  und  so  der  Privilegien  des  Klerus  teil- 

')  Beaum.  342:  das  Zitat  bei  Fonrnier  ist  unrichtig. 

*)  vgl.  die  Urkunden  bei  Foumier,  Officialites  p.  81  Kote  3. 

•)  vgl.  oben  p.  58. 

*)  vgl.  Fournier,  Officialites  p.  82  bis  94. 


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fiO 


h affig  waren,  und  das  war  nicht  einmal  allzu  schwierig  in  einer 
Zeit,  wo  es  clerici  conjugati,  clerici  bigami,  clerici  negotiatores 
usw.  gab.  Der  Grund  dieses  Zustroms  der  Laien  zur  kirchlichen 
Gerichtsbarkeit  ist  wohl  darin  zu  suchen,  da  LI  die  kirchlichen 
Gerichte  den  Vorzug  eines  genau  geregelten  Verfahrens,  einer 
großen  Festigkeit  des  materiellen  Rechts  und  einer  verhältnis- 
mäßigen Bestimmtheit  und  Promptheit  der  Vollstreckung  vor  dem 
coutumiären  Recht  und  der  großen  Willkür  der  weltlichen  Ge- 
richte voraushatten.  Im  Großen  und  Ganzen  hatte  nicht  nur  die 
Kirche  während  dieser  ganzen  Zeit  immer  mehr  an  Boden  gewonnen 
und  schließlich  auch  behalten1),  sondern  die  Prozedur  der  welt- 
lichen Gerichte  paßte  sich  ihr  auch  immermehr  an;  ein  Markstein 
auf  diesem  Wege  ist  die  berühmte  Ordonnanz  von  T2H0,  die  nur  ein 
einziges  der  acht  üblichen  Beweismittel  beseitigen  wollte,  nämlich 
den  gerichtlichen  Zweikampf.  Drang  diese  Neuerung  auch  nicht 
durch,  so  zeigt  sie  doch  deutlich,  wie  groß  die  Abneigung  des 
Klerus  und  der  Bourgeoisie,  denen  man  sich  mit  dieser  Ordonnanz 
gefällig  erwiesen  hatte,  gegen  den  Zweikampf  geworden  war;  im 
.Jahre  1317  wurde,  soweit  mein  Material  reicht,  zum  letzten  Male 
in  einem  geistlichen  Gericht  ein  Kampfprozeß  verhandelt3);  die 
Kirche  konnte  von  nun  an  dieses  aus  dem  germanischen  Prozeß 
übernommene  Beweismittel  entbehren;  sie  hatte  nunmehr  die 
römisch-kanonischen  Beweismittel  zu  ihrer  Verfügung  und  der  Teil 
des  Volkes,  der  sich  zu  den  kirchlichen  Gerichten  drängte  und 
der  Zahl  nach  der  größere  Teil  der  französischen  Bevölkerung 
war,  wünschte  sich  den  gerichtlichen  Zweikampf,  wenn  er  über- 
haupt darüber  nachdachte,  nicht  zurück,  sondern  nahm  gerne  und 
willig  die  Prozedur  hin,  die  im  wesentlichen  nur  den  Eid  und 
die  Urkunde  als  Beweismittel  kennt,  ohne  sich  zu  sagen,  daß 
damit  auch  die  nicht  zu  unterschätzende,  sich  im  Kampf  um 
Leben  und  Tod  realisierende  persönliche  Verantwortung  des  Beweis- 
führers  dahinfiel,  und  daß  dafür  ein  Ersatz  kaum  geboten  wurde. 

Damit  war  der  gerichtliche  Zweikampf  aus  einem  großen 
Teil  der  französischen  Gerichte  und  aus  einem  noch  größeren 
Teil  der  französischen  Bevölkerung  für  immer  verschwunden. 

•)  vgl.  die  Geschichte  dieser  Kämpfe  bei  Fournior,  OflicisliU's 
p.  94—127. 

*)  Agens  (1317)  in  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  5366. 


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61 


Dritter  Abschnitt. 

Das  Königtum  und  der  Zweikampf. 

§ 7. 

Oie  französischen  Könige  und  der  gerichtliche  Zweikampf  von 
Beginn  des  zwölften  Jahrhunderts  bis  zur  Mitte  des 
dreizehnten  Jahrhunderts. 

I.  Zu  Beginn  dieses  Zeitraums  unterscheidet  sich  die  königliche 
Gerichtsgewalt  in  nichts  von  der  der  übrigen  französischen  Lehns- 
herren; sie  war  im  wesentlichen  beschrankt  auf  das  königliche  Haus- 
gut, das  uns  späterhin  unter  der  Bezeichnung  les  pavs  d’obeissance 
le  roi  begegnet.  Auch  das  Prozeßrecht,  das  in  diesen  Gebieten 
zur  Anwendung  gelangte,  war  überall  in  den  Grundzügen  dasselbe, 
wenn  es  auch  örtliche  Verschiedenheiten  aufwies. 

Ludwig  VI.  hat  selbst  in  einem  Streit  um  die  Lehensherrlich- 
keit zum  kämpflichen  Beweis  gegriffen').  Kr  hat  die  privilegia 
bellandi  et  testificandi  der  servi  ecclesiae1)  erlassen  und  so  den 
Kreis  der  Kampffähigen  erweitert;  von  einem  Versuch  der  Ein- 
schränkung des  Zweikampfs  ist  in  den  Quellen  über  diesen  König 
nichts  zu  linden  3). 

Ludwig  VII.  dreiundvierzigjälirige  Bcgierungszeit  zeichnet 
sich  in  kampfrechtlicher  Beziehung  durch  die  Verleihung  einer 
großen  Anzahl  von  kampfrechtlichen  Städteprivilegien  aus,  die, 
wie  oben4)  gezeigt,  die  Grundlage  für  die  allmälige  Entwöhnung 
der  städtischen  Bevölkerung  des  Nordens  vom  gerichtlichen  Zwei- 
kampf geworden  sind.  Schon  im  Jahre  ! 145  hat  der  fünfund- 
zwanzigjährige König  der  Stadt  Bourges  nachstehende«  Privileg 

■)  vgl.  meinen  (Jerichtl.  Zweikampf  pag  5 Note  9 u.  pag.  27  Note  5. 

*)  vgl.  obeu  pag.  54  Note  4. 

*)  Prou,  Lorris  ist  hier  ein  kleines  Mißverständnis  passiert,  er  sehreibt 
nämlich  die  Beschränkung  des  Zweikampfs  in  der  Handfeste  vun  Preibnrg 
im  Breisgan  vom  Jahre  1120  dem  König  Louis  VI.  zu,  offenbar  durch  tliraud. 
Hist,  du  droit  fram.ais  verleitet,  und  folgert  hieraus  auf  Seite  189  Note  1. 
„quc  Louis  VI.  a tente  quelques  efforts  pour  restreindre  l'emploi  du  duel 
judiciaire*.  Als  zweites  Beispiel  führt  er  das  Privileg  für  Bourges  auf: 
vgl.  hiergegen  oben  pag.  62. 

*)  vgl.  oben  § 2.  pag.  2 ff. 


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62 


verliehen,  wie  er  sagt  in  Bestätigung  eines  bereits  von  seinem 
Vater  gegebenen:  „Praepositus  urbis  praescriptae“,  heißt  es  da : 
„sive  vigerius  aliquem  hominem  ad  se  mandabat  et  dicebat:  man- 
davi  te  ad  me  et  contempsisti  venire;  fac  mihi  rectum  de  despectu. 
Hane  autem  consuetudinem  sic  pater  noster  jemendavit,  praecipiens 
ut  si  ille  negare  potuerit,  per  unum  planum ')  saeraraentum  tran- 
seat  et  pro  despectu  aliquo  nullum  duellum  faciat,  sicut  antea 
esse  solebat8).  Eine  Neuerung  scheint  hierin  nicht  zu  liegen, 
sonst  sagte  der  König  hier  nicht  emendare;  denn  dieses  Wort  hat 
in  den  Urkunden  dieser  Zeit  nicht  den  Sinn  einer  Rechtsänderung, 
sondern  den  einer  Abschaffung  mißbräuchlicher  Gewohnheiten. 
Auch  in  dem  Privileg  ffir  die  Stadt  Orleans  vom  Jahre  1168  ist 
eine  das  gemeine  Kampfrecht  abändernde  Neuerung  nicht  zu  er- 
blicken8); es  handelt  sich  vielmehr  auch  hier  nur  um  die  Ab- 
schaffung von  Mißbräuchen,  die  dem  coutumiären  und  dem  ge- 
meinen Recht  widersprechen4).  Dagegen  schaffen  die  oben  er- 
örterten Städteprivilegien  für  Lorris s)  und  Etampes*)  neues  Recht 
für  die  damit  bewidmeten  Städte;  sein  Privileg  für  Jusiers  vom 
Jahre  1174,  das  oben  schon  gewürdigt  ist7),  greift  am  tiefsten  in 
das  Kampfrecht  ein  unter  allen  Privilegien  dieser  Zeit. 

Philipp-August  hatte  ebenfalls  während  seiner  langen  Regie- 
rung mehrfach  Gelegenheit  sich  gesetzgeberisch  mit  dem  Kampf- 
recht zu  beschäftigen.  Auf  der  einen  Seite  verlieh  er  zahlreiche 
Städteprivilegien8)  und  auf  der  andern  war  er  bestrebt  den  Kampf- 


*)  Das  ist  ein  Volleid  und  nicht  etwa  „un  simple  serment“  wie  Prou 
p.  189  meint. 

*)  B.  & L.  p.  62. 

s)  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  p.  8 Note  7. 

4)  Dies  ergiebt  eich  daraus,  (la Li  in  auch  hiervon  durchaus  unabhängigen 
Quellen  eine  Mmdestwertgreme  für  die  Zulässigkeit  des  Zweikampfs  bei 
Klagen  um  Schuld  bestimmt  ist,  vgl.  die  Quellen  in  meinem  Gerichtlichen 
Zweikampf  § 1.  VIII.  p.  8.  Note  7 bis  10.,  p.  9 Note  1 bis  5;  a.  A.  Prou, 
Lorris  p.  189  und  Adolphe  - Helie  3.  p.  493.  § 1248,  ohne  Angabe  von 
Gründen. 

s)  vgl.  oben  p.  8 u.  9 

*)  vgl.  oben  p.  3. 

7)  vgl.  oben  p.  55.  Note  1. 

»)  vgl.  Noyon  (1181)  oben  p.  4,  Roye  (1188)  oben  p.  4,  Crepy  (1185) 
oben  p.  4.  Tournay  (1187)  oben  p.  2.  Amiens  (1190)  oben  p.  4 und  21, 


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63 


prozeß  in  seinem  Gebiet  möglichst  einheitlich  zu  gestalten.  In 
letzterer  Hinsicht  ist  hier  auf  die  Einführung  der  Talion  in  der 
Normandie1)  und  auf  die  an  die  Gräfin  Blanche  von  Troyes  im 
Jahre  1215  gerichtete  Ordonnanz*),  in  der  die  Länge  der  Kampf- 
stöcke  allgemein  auf  drei  Fuß  beschränkt  wird,  zu  venveisen. 

Von  Ludwig  dem  Löwen  liegt  aus  seiner  kurzen,  dreijährigen 
Regierungszeit  nur  die  Verleihung  eines  .Städteprivilegs  für 
Asnieres  *)  und  die  Bewidmung  der  Stadt  Beaumont-sur-Oise  mit 
einem  neuen  Kampfrechtsprivileg  vor.  Diese  beiden  Privilegien 
stimmen,  wie  schon  hervorgehoben*),  in  den  Gebührensätzen  über- 
ein ; aber  das  letztere  Privileg  weicht  insofern  von  seinen  Vor- 
lagen*) ab,  als  die  amendes  in  allen  Sachen,  die  nicht  zur  hohen 
Kampfgerichtsbarkeit  gehören  und  einzeln  Vorbehalten  sind,  wie 
raptus,  mulctrum,  homicidium  und  proditio,  der  Stadt  Beaumont- 
sur-Oise  gehören,  sofern  sie  innerhalb  der  Bannmeile  verfallen. 
Diese  Neuerung  ist  um  so  auffälliger,  als  im  Jahre  1222  derselben 
Stadt  ein  Privileg  verliehen  war,  das  nur  in  diesem  Punkte  ab- 
wich und  sämtliche  amendes  dem  Gerichtsherrn  vorbehielt,  und 
im  Jahre  1223  von  Ludwig  VIII.  dieses  selbe  ältere  Privileg  der 
Stadt  Asnieres  gegeben  wurde5).  Es  wird  hier  in  dem  Privileg 
für  die  Stadt  Beaumont  vom  Jahre  1223  zum  ersten  Male  von 
einem  französischen  König  in  einem  Städteprivileg  die  Tendenz  der 
Rechtsentwicklung  der  ersten  Hälfte  des  dreizehnten  Jahrhunderts, 
die  auf  Schaffung  zahlreicherer  Inhaber  der  hohen  Gerichtsbarkeit 
und  zahlreicherer  Inhaber  der  hohen  Kampfgerichtsbarkeit,  zu  der 
ja  das  judicium  de  fundo  terre  gehört,  gerichtet  ist,  in  aller 
Form  legalisiert4). 

Ludwig  IX.  hat  in  seiner  langen  Regierungszeit  nur  sehr 
wenige  kampfrechtliche  Städteprivilegien  verliehen  oder  bestätigt. 

Tours  (1190)  oben  p.  11  f.  Saint-Quentin  (1195)  oben  p.  5;  für  die  Bewid- 
mung weiterer  Städte  mit  dem  Recht  von  Lorris  vgl.  oben  p.  7 Note  3.  usw. 

*)  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  § 50.  V.  p.  145. 

*)  Ord.  I,  p.  35  *=  Kec.  I,  211.  vgl.  Boutiot,  Troyes  I,  289;  vgl. 
meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  p.  108  Note  2.  Die  Urkunde  bietet  übrigens 
auch  einen  interessanten  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Gesetzespublikation  im 
XLLI.  Jahrhundert. 

s)  vgl.  oben  p.  18.  Note  3 u.  4. 

*)  vgl.  ineinun  Gerichtlichen  Zweikampf  p.  47  Note  2. 


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84 


Und  doch  bedeutet  die  Regierung  dieses  Königs,  wenn  auch  nicht 
die  Vernichtung,  wie  manche  meinten,  so  doch  einen  großen 
Wendepunkt  des  Kampfrechtes.  In  seine  Zeit  fällt  das  allmalige 
Erstarken  des  höchsten  königlichen  Gerichts,  in  seiner  Zeit  tobte 
der  Kampf  zwischen  kirchlichen  und  weltlichen  Gerichtsherren  und 
in  das  letzte  Drittel  seiner  Regierungszeit  fällt  die  Ordonnanz 
gegen  den  Zweikampf  vom  Jahre  1258,  die  gemeinhin  schlecht- 
weg als  Ordonnanz  von  1280  bezeichnet  wird.  Die  Bedeutung 
des  zweiten  Moments  wurde  schon  oben l)  hervorgehoben,  von  dem 
Einfluß  des  Parlaments  auf  die  Vernichtung  des  gerichtlichen 
Zweikampfs  wird  unten *)noch  ausführlich  zu  handeln  sein;  an 
dieser  Stelle  handelt  es  sich  nur  um  die  Entstehung  und  Wirkung 
der  berühmten  Ordonnanz  von  1280. 

„Nous  deffendons  ä tous  les  batailles  par  tout  nostre  demenge.. 
et  en  lieu  des  batailles  nous  meton  prüeves  de  temoinz  et  ehar- 
tres  et  si  n’oston  pas  les  autres  bones  prüeves  et  lovaux,  qui  ont 
este  en  court  lave  sique  ä ore“ 3).  So  lautet  der  erste  Artikel 
dieser  Ordonnanz,  der  auch  die  einzige  grundsätzliche  Bestimmung 
enthält,  während  die  folgenden  Artikel  nur  der  näheren  Aus- 
führung dieses  Grundsatzes  dienen4).  Die  Entstehungszeit  läßt 
sich  nicht  genau  fixieren;  nach  einer  Untersuchung  von  J.  Tardif*) 
ist  es  wahrscheinlich  geworden,  daß  diese  Ordonnanz  in  der  Zeit 
zwischen  dem  elften  November  1257  und  dem  dreizehnten  Oktober 
1258  erlassen  wurde6).  Für  die  reehtsgeschichtliche  Würdigung 

')  vgl.  oben  p.  59  f. 

*)  vgl.  unten  p.  94  f. 

3)  Rec.  I.  p.  283.  art.  1. 

*)  Das  Enquetevertahren  dieser  Ordonnanz  beruht  in  allen  Prozessen 
auf  dem  Parteibetrieb  (vgl.  art.  3 u.  4.):  dabei  wird  das  Talionsprinzip  auf- 
recht erhalten  (vgl.  art.  2);  die  Beweiserhebung  bei  den  grollen  Verbrechen 
soll  nunmehr  vor  dem  Parlament  erfolgen  (vgl.  art.  6).  Zeugen-  und  Urteils- 
schelte linden  nicht  mehr  statt  (vgl.  art.  5.  8.  9).  Besonders  betont  wird,  dall 
im  Eigenschaftsprnzeü  nur  Zeugen-  und  Urkundenbeweis  zulässig  ist  (vgl. 
art.  7 u.  10).  Die  Zeugen  werden  in  Abwesenheit  der  Partei  gehört ; ihre 
Aussage  aber  den  Parteien  publiziert  (vgl.  art.  3.  4.  5.  10).  Der  Zeugen- 
beweis kann  durch  Zeugenbeweis  widerlegt  werden  (vgl.  art.  4 u.  5).  Der 
Meineid  wird  arbiträr  bestraft  (vgl.  art.  11). 

s)  in  Nouv.  Rev.  hist,  du  Droit  (1887)  p.  174. 

6)  Dieser  Datierung  tritt  bei  Langlois,  Textes  du  Parlement  p.  45 
bei  Ducoudruy  p.  382. 


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65 


der  Ordonnanz  von  1260  ist  es  ziemlich  belanglos,  ob  man  ihr 
genaues  Datum  kennt,  zumal  da  es  sich  dabei  doch  nur  um  un- 
gefähr zwei  Jahre  handeln  kann.  Wichtiger  ist  dabei  ein  anderer 
Umstand,  der  leider  bisher  häufig  übersehen  wurde-,  man  kann 
diese  Ordonnanz,  wie  überhaupt  alles  Recht,  nur  als  Glied  der 
Kette  des  geschichtlichen  Werdegangs  des  gesamten  Rechts  richtig 
erfassen  und  man  darf  insbesondere  nicht  in  Voreingenommenheit 
mit  dem  Gedanken  an  ihre  Betrachtung  herantreten,  daß  hier  die 
Rechtsentwicklung  mit  einem  kühnen  Sprung  die  altgewohnte  Bahn 
verlassen  habe,  daß  hier  einem  Meteor  vergleichbar  ein  Gesetz  ftlr 
eine  kurze  Spanne  Zeit  die  Nacht  des  germanischen  Beweisrechts 
erhellt  habe,  um  kurze  Zeit  später  wieder  den  finsteren  mittel- 
alterlichen Beweisgedanken,  die  erst  nach  mehr  als  100  Jahren 
unter  der  Sonne  des  römisch-kanonisch  umgestalteten  Beweisrechts 
verblaßten,  zu  weichen.  So  planlos  war  denn  doch  die  geschicht- 
liche Entwickelung  nicht  und  so  unüberlegt  ging  Ludwig  der  Neunte 
nicht  zu  Werk.  Über  die  Entstehung  der  Ordonnanz  berichtet 
ein  zeitgenössischer  Schriftsteller,  Wilhelm  von  Chartres,  in  De 
vita  et  miraculis  Sancti  Ludovici;  er  sagt  da  im  zweiten  Kapitel 
des  ersten  Buches:  „Sanctus  Ludovicus  monomachiam  quae  bellum 
dicitur  vel  dnellum  convocato  discretorum  et  jurisperitorum  eon- 
cilio  ex  diversis  regni  partibus  intellecto  per  eos  quod  sine  pec- 
cato  mortnli  exerceri  non  poterat,  cum  non  videatur  esse  justitia, 
sed  potius  tentatio  sit  in  Deum,  de  dominio  suo  penitus  extermi- 
nari  decrevit  etc.“ ').  Hier  sind  die  Einflüsse,  unter  denen  die 
Ordonnanz  von  1260  entstand,  scharf  und  treffend  charakterisiert  ; 
der  Klerus  und  die  „noblesse  de  rohe“  haben  Ludwig  zum  Erlaß 
dieses  Gesetzes  bestimmt:  er  war  aber  nicht  übereilt  und  er  war 
nicht  verfrüht;  das  Gesetz  ging  vielmehr  aus  einer  wohl  vorbe- 
reiteten Beratung  mit  den  hervorragendsten  Vertretern  dieser  beiden 
Gruppen,  die  aus  dem  ganzen  Reiche  zu  diesem  Zwecke  berufen 
worden  waren,  hervor.  Die  Ideen,  die  diese  Versammlung  be- 
herrschten, waren  durchaus  keine  gnindstflrzend  neue,  sie  waren 
vielmehr  in  einer  langen  Reihe  von  Jahren  herangereift  und  aus 
ihnen  glaubte  man  nunmehr  das  Fazit  ziehen  zu  dürfen.  Wenn 
der  Bericht  Wilhelms  von  Chartres  uns  nicht  erhalten  wäre,  so 


*)  bei  Viollet  III.  p.  238  f.  zitiert  nach  Dn  Gange  zu  Et.  II,  11. 

Coulin,  Zweikampf  ln  Frankreich  J 


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60 


würde  uns  die  verhältnismäßig  breite  Behandlung  des  Eigenschafts- 
prozesses, die  in  zwei  Artikeln  erörtert  ist,  ohne  daß  über  diese 
Prozeßart  abweichende  Vorschriften  aufgestellt  wären,  doch  mehr 
als  deutlich  auf  kirchliche  Einflüsse  hinweisen;  denn  gerade  gegen 
die  Anwendung  des  kämpflichen  Beweises  im  Eigenschaftsprozeß 
richteten  sich  ja  die  sich  während  der  Regierungszeit  Ludwig  IX: 
stetig  wiederholenden  Beschwerden  und  Verbote  kirchlicher  Organe '). 
Als  die  Kirche  nun  endlich  in  dieser  Beziehung  ihre  Wünsche 
verwirklichen  zu  können  glaubte,  mußte  sie  natürlich  auf  klare 
und  unzweideutige  Formulierung  der  Abschaffung  des  kämpflichen 
Beweises  in  dieser  Materie  großen  Wert  legen,  zumal  da  der 
Umschwung  in  der  Ansicht  des  Königs  über  diesen  Punkt  noch 
nicht  lange  eingetreten  war,  ja  vielleicht  erst  im  Laufe  der  Be- 
ratungen erzielt  worden  war.  Hatte  doch  der  König  noch  im  Jahre 
1235  aufseiten  der  Barone  gestanden,  die  gerade  auch  in  diesem 
Punkt  ihre  Ansprüche  gegen  die  Kirche  geltend  gemacht  hatten  *), 
hatte  doch  ein  Beamter  des  Königs,  der  bailli  von  Orleans,  noch 
im  Jahr  1245  dahingehende  Ansprüche  des  Bischofs  von  Orleans 
zurückgewiesen3).  Dagegen  hatte  die  Koalition  der  Barone  vom 
Jahre  1246  in  ihrem  Kampf  gegen  die  gerichtsherrlichen  Über- 
griffe der  Kirche  ihren  König  nicht  mehr  an  ihrer  Spitze  ge- 
sehen4), und  fünf  Jahre  später  lobte  der  Papst  die  unverbrüch- 
liche Treue  des  Königs  gegen  den  heiligen  Stuhl  5j;  aber  Ludwigs 
Bruder,  Alphons  von  Poitiers,  hatte  die  Fahne  der  weltlichen 
Barone  in  dem  Kampf  gegen  die  Kirche  stets  hochgehalten,  und 
während  des  Kreuzzuges,  den  Ludwig  unternahm,  tobte  der  Kampl 
der  Prälaten  und  Barone  in  der  alten  Stärke  fort*).  Da  beauf- 
tragte Alexander  IV.  im  Jahre  1258  den  Erzbischof  von  Rouen 
eine  Versammlung  der  streitenden  Prälaten  und  Barone  zu  berufen, 
ut  serenentur  pectora  et  voluntates  unanimiter  soeientur7).  Der 
Inhalt  dieser  Verhandlungen  ist  zur  Zeit  nicht  bekannt;  es  ist 

')  vgl.  üben  p.  35  f.,  54  u.  55. 

*)  vgl.  Fouruier,  Officialites  p.  100  Note  1. 

J)  vgl.  Fournier,  Officialites  p.  100  Note  2. 

*)  vgl.  Fournier,  Officialites  p.  103  f. 

s;  vgl.  Fournier,  Officialites  p.  104  Note  1. 

6)  vgl.  Fouruier,  Officialites  p.  104  f. 

7)  vgl.  Fouruier,  Officialites  p.  106  Note  3. 


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«7 

aber  wohl  nicht  unwahrscheinlich,  daß  diese  Versammlung  nicht 
ohne  Einfluß  auf  die  wohl  im  selben  Jahre  noch  von  Ludwig  IX. 
berufene  geblieben  ist;  und  es  braucht  wohl  kaum  hervorgehoben 
zu  werden,  daß  die  Mehrzahl  der  kirchlichen  Gerichtsherren  auf 
der  von  Ludwig  berufenen  Versammlung  nach  dem,  was  wir  über 
die  Stellung  der  Kirche  zum  Zweikampf  in  dieser  Zeit  wissen  und 
oben1)  festgestellt  haben,  sich  wohl  gegen  die  Anwendung  des 
Zweikampfs  in  allen  Prozessen  ausgesprochen  haben  dürfte.  In 
diesen  Bestrebungen  stand  die  Kirche  auf  dieser  Versammlung 
nicht  allein;  sondern  der  König  und  die  jurisperiti,  wie  unser 
Bericht  sagt,  standen  .auf  ihrer  Seite,  wenn  auch  aus  andern 
Gründen.  Was  waren  das  nun  für  „jurisperiti“,  von  denen  Wil- 
helm von  Chartres  hier  spricht?  In  der  Ordonnanz  von  12G0 
findet  sich  manches,  was  nicht  gerade  zu  den  dringendsten  kirch- 
lichen Wünschen  und  Refonngedanken  gerechnet  werden  muß; 
das  Beweissystem,  das  an  die  Stelle  der  gages  de  bataille  treten 
sollte,  ist  unter  diese  Punkte  zu  rechnen.  Alle  bisher  üblichen 
Beweismittel  sollten  nach  der  Ordonnanz  weiterhin  angewandt 
werden,  nur  die  gages  de  bataille  sollten  durch  Zeugen-  und 
Urkundenbeweis  ersetzt  werden;  aber  wie  war  es  zu  halten,  wenn 
die  sieben  alten  Beweismittel  versagten  und  weder  Zeugen  noch 
Urkunden  vorhanden  waren?  Für  diesen  Fall  hatten  die  Juris- 
periti“ eine  Auskunft;  dann  sollte  das  in  fast  vierzigjähriger 
Praxis“)  von  ihnen  erprobte  Enqueteverfahren  Platz  greifen.  Die 
Jurisperiti“  unseres  Berichts  können  daher  nur  solche  jurisperiti 
sein,  die  an  dem  Durchdringen  des  Enquetegedankens  ein  Interesse 
batten,  und  das  waren  nicht  die  kleinen  weltlichen  Gerichtsherren, 
sondern  die  königlichen  baillis  und  die  Räte  des  Pariser  Parla- 
ments, denen  die  Rechtslehrer  von  Orleans  vielleicht  zur  Seite 


•)  vgl.  oben  p.  3(!  Note  1,  p.  55  Note  2,  p.  35  Note  7 u.  8,  p.  3(5, 
Note  1 bis  3. 

*)  Boutaric  bat  in  seinen  Actes  du  l’arlement  die  enqueles  die  den 
Olim  vorausgehen  zusammongcstellt.  Die  früheste  enquete  ist  votn  Jahre 
1223  (no.  12),  aus  der  Zeit  vor  1236  ist  no.  15,  vom  Jahre  1238  ist  no.  17, 
aus  dem  Jahre  1239  ist  no.  18,  aus  dem  Jahre  1240  no.  20,  aus  dem  Jahre 
1246  no.  21  u.  22,  aus  dem  Jahre  1247  no.  23,  aus  dem  Jahre  1250  no.  25 
bis  28  usw. 

5* 


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68 


standen ').  Gerade  mit  dem  Erlaß  der  Ordonnanz  von  1 260  führte 
die  noblesse  de  robe  wo  nicht  ihren  ersten,  so  doch  einen  ihrer 
ersten  Schläge  gegen  den  alten  grundgesessenen  Adel;  sie  wollte 
dadurch  mehr  Einfluß  auf  die  Rechtsprechung  in  den  großen  Pro- 
zessen, insbesondere  den  Kapitalprozessen  gewinnen,  in  denen  man 
bisher  ohne  gages  de  bataille  häufig  nicht  auskommen  konnte,  weil 
es  eben  an  andern  Beweismitteln  fehlte.  Wenn  man  aber  in  diesen 
Prozessen  den  kämpflichen  Beweis  verbot  und  die  Sach-  und 
Rechtslage  durch  von  Paris  aus  ernannte  enqueteurs  erforschen 
ließ,  so  paralysierte  man  den  Einfluß  der  territorialen  Gerichts- 
herren und  der  ganze  Gang  der  Untersuchung  und  die  Würdigung 
ihrer  Ergebnisse  lag  in  der  Hand  der  noblesse  de  robe,  in  deren 
Taschen  nunmehr  auch  die  Gebühren  flössen,  während  die  terri- 
torialen Gerichtsherren  Einfluß,  Macht  und  Einkünfte  verloren. 
Noch  fehlte  diesem  stolzen  Bau  die  Spitze,  aber  auch  um  sie  war 
man  nicht  verlegen:  Urteilschelte  und  Klage  wegen  Rechtsver- 
weigerung können  nicht  mehr  kämpflich  bewiesen  werden,  sondern 
die  Urteilschelte  erfolgt  ohne  gages  de  bataille  und  les  Claims  et 
les  respons  et  les  autres  destrains  de  plet  seront  apportez  en  nostre 
court  und  der  deffaut  de  droit  kann  nur  durch  Zeugen  bewiesen 
werden,  diese  Zeugen  durften  aber  nicht  mehr  gescholten  werden  s). 
Eine  derartige  Reform  kam  auch  den  Wünschen  des  Königs  ge- 
legen. Mit  der  allmählichen  Vergrößerung  der  königlichen  Kron- 
länder  waren  die  gerichtsherrlichen  Aufgaben  des  Königtums  ge- 
wachsen und  um  ihnen  nachzukommen,  erschien  eine  einheitliche, 
im  Pariser  Parlament  konzentrierte  Justizverwaltung  wünschenswert, 
die  nunmehr  ihren  Abschluß  in  der  durch  die  Ordonnanz  von  1260 
vorgesehenen  Weise  finden  sollte.  Hierin  lag  aber  gleichzeitig  eine 
gewaltige  Hebung  der  königlichen  Macht  und  eine  Minderung  des 
Ansehens  der  kleineren  territorialen  Gerichtsherren.  Mochte  im 
Zweikampf  eine  noch  so  große  tentatio  in  Deum  liegen,  der  kluge 
Ludwig  IX.  hätte  die  Ordonnanz  von  1260  niemals  erlassen,  wenn 


')  Viollet  1,  p.  266  meint  unter  dem  Einfluß  der  Rechtsschule  von 
Orleans  sei  die  Ord.  1260  entstanden  und  stützt  sich  dafür  auf  Jost,  et  Plet 
p.  126  u.  127.  Damit  läßt  sich  aber  nicht  der  ganze  Inhalt  der  Ord.  1260 
erklären;  insbesondere  läßt  sich  damit  die  starke  Hervorhebung  der  Ab- 
schaffung des  Zweikampfs  im  Eigenschaftsproieß  nicht  begründen. 

*)  vgl.  hierzu  Fournier,  Droit  d'appel,  p.  203  bis  210. 


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69 


er  dadurch  an  Ansehen  verloren  und  seine  Macht  nicht  vergrößert 
hätte.  In  der  Ordonnanz  ist  an  zwei  Stellen  hervorgehoben, 
daß  sie  nur  Geltung  für  die  königlichen  Domänen  haben  solle; 
diese  Betonung  hatte  ihren  guten  Grund,  sie  war  für  den  grund- 
herrlichen Adel  bestimmt:  gleichzeitig  eine  kleine  Dosis  Balsam 
für  die  Wunden,  die  man  ihm  schlug,  und  eine  gute  Hand  voll 
Sand,  die  man  ihm  in  die  Augen  warf,  im  Großen  und  Ganzen 
ein  Hoftrost.  Schon  die  Bestimmungen  über  die  Urteilschelte  und 
die  Klage  wegen  Rechtsverweigerung  derselben  Ordonnanz  von 
1*260  durchbrachen  diesen  Grundsatz  und  die  Praxis  verfuhr  nicht 
anders,  wie  wir  von  Beaumanoir  wissen,  zu  dessen  Zeit ' es  ein 
Satz  unbestrittenen  geltenden  Rechtes  war:  „Si  n’i  a nul  si  grant 
dessous  li  (seil,  rois)  qui  ne  puist  estre  trest  en  sa  court  pour 
defaute  de  droit  ou  pour  faus  jugement  et  pour  tous  les  cas  qui 
touchent  le  roi“  ‘).  Und  was  ließ  sich  nicht  alles  unter  diese 
„cas  royaux“  bringen ! Hier  in  diesem  Punkte  zeigt  es  sich  wieder 
recht  deutlich,  daß  die  Ordonnanz  von  1260  nichts  anderes  ist 
als  ein  Glied  in  der  Rechtsentwickelung,  die  auf  eine  Stärkung 
der  königlichen  Gewalt  gerichtet  ist. 

§ 8. 

Der  gerichtliche  Zweikampf  und  die  französischen  Könige  in 
der  Zeit  von  1260  bis  1306. 

I.  Montesquieu  hat  einmal  von  unserer  Ordonnanz  von  1260 
gesagt:  „Ce  fut  le  destin  des  Etablissements,  qu’ils  naquirent, 
vieillirent  et  moururent  en  trös-peu  de  temps“1).  Das  ist  aber 
nicht  ganz  richtig;  es  trifft  nicht  einmal  ganz  zu  für  den  Fall, 
daß  man  als  einzigen  oder  Hauptzweck  der  Ordonnanz  von  1260 
die  Abschaffung  des  kämptlichen  Beweises  betrachtet;  und  dies 
war  weder  die  Absicht  des  oder  der  Redaktoren  der  Ordonnanz 
noch  des  Königs,  wie  uns  der  letzte  Artikel  dieser  vielumstrittenen 
Ordonnanz  sagt;  es  heißt  da  ganz  deutlich:  „Et  ees  batailles 
nous  ostons  en  nostre  demaigne  ä toüjours  et  voulon  que  les 
autres  choses  soient  gardöes,  tenues  par  tout  nostre  domaine  si 
comme  il  est  devisö  dessus,  en  teile  maniöre  que  nous  y 

l)  ßeaum.  1043  i.  f. 

3)  Montesquieu,  Esprit  des  Lois,  lirre  XXVIII,  chap.  XXXVJLI  i.  p. 


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70 


puisson  mettre  et  oster  et  amender  toutes  les  foys  que  il 
nous  plera  et  que  nous  voirron  que  bien  soit“1).  Diese 
Klausel  hat  man  bisher  nie  beachtet  und  iu  ihr  liegt  doch  der 
Schlüssel  für  das  richtige  Verständnis  der  Ordonnanz  und  der 
Rechtsentwickelung  der  folgenden  vierzig  Jahre.  Ob  der  kämpf- 
liche  Beweis  Anwendung  fand  oder  nicht,  das  überließ  man  im 
Großen  und  Ganzen  der  gerichtlichen  Praxis,  wenn  sie  nur  der 
enquete  genügenden  Spielraum  ließ,  mul  dafür,  daß  die  noblesse 
de  robe  auf  ihre  Kosten  kam,  sorgte  die  von  dieser  entwickelte 
legistische  Beweistheorie,  die  in  ihren  Anfängen  schon  vor  die 
Zeit  des  Erlasses  der  Ordonnanz  von  1260  zurückreichte,  teilweise 
an  frühere  Gesetze  anknüpfte  und  der  Anwendung  des  kämpflichen 
Beweises  Schritt  für  Schritt  den  Boden  entzog,  indem  sie  nach 
und  nach  auch  in  die  Gerichte  der  kleinen  Territorialherren  ein- 
drang. Außerordentlich  vorteilhaft  für  die  legistische  Theorie  war 
es  hierbei,  daß  die  Städteprivilegien  und  die  kirchlichen  Gerichte 
den  dritten  Stand  schon  fast  gänzlich  des  Zweikampfes  entwöhnt 
hatten,  und  der  Süden  schon  vor  der  Ordonnanz  sich  dem  Inqui- 
sitionsprozeß zugewandt  hatte.  Aber  es  gab  doch  noch  in  ganz 
Frankreich  viele  Anhänger  des  gerichtlichen  Zweikampfs  in  allen 
Schichten  der  Bevölkerung  und  zu  diesen  zählten  nicht  gerade 
die  schlechtesten  Elemente.  Die  Ritterschaft  hielt  zäh  am  alten 
Recht  fest,  und  zwar  aus  Überzeugung,  und  mit  ihr  große  Gebiete 
des  flachen  Landes  im  Norden  und  Nordwesten.  Die  kirchlichen 
Gerichtsherren  nahmen  eine  recht  eigenartige  Stellung  ein,  trotz 
der  Ordonnanz  von  1260,  trotz  der  päpstlichen  Bullen,  trotz  der 
Kenntnis  des  römisch-kanonischen  Prozesses  ließen  sie  die  An- 
wendung des  kämpflichen  Beweises  in  ihren  Gerichten  zu  *) ; aller- 
dings im  Eigenschaftsprozeß  wandten  sie  ihn  nicht  mehr  an3),  in 
diesem  scheint  ihnen  die  „tentatio  in  Deum“  doch  zu  groß  gewesen 
zu  sein;  in  diesem  Falle  kam  man  ja  auch  mit  „testibus  et  cartis“ 
sicherer  und  bequemer  zum  Ziel.  So  lassen  sich  etwa  die  Grund- 
strömungen der  Entwickelungsgeschichte  des  Zweikampfs  während 
des  nächsten  halben  Jahrhunderts  charakterisieren. 

>)  Bec.  1,  p.  290.  art.  12. 

*)  vgl.  oben  die  Noten  der  Seiten  49  bis  51;  ferner  Saint-Pierre-le- 
Moutier  (1261)  in  Olim  1,  p.  494.  XII. 

3)  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  p.  7.  V.  Abs.  3. 


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71 


IT.  Die  fortwährenden  Übergriffe  der  königlichen  und  der 
geistlichen  Berichte,  die  Prorogation  dieser  Gerichte  durch  die 
Geriehtseingesessen  des  grundherrlichen  Adels  ließen  die  kleinen 
und  die  großen  Territorialherren  bald  die  wirkliche  Tendenz  der 
Ordonnanz  von  1 26 0 erkennen,  ln  einem  noch  unter  Ludwig  IX. 
entstandenen  chanson  gibt  ein  anonymer  Dichter  der  Stimmung 
dieser  Kreise  mit  beredten  Worten  Ausdruck: 

„Gent  de  France,  multes  estes  esbahie 
Je  di  ä tous  ceux  qui  sont  nez  des  fiez. 

Si  ra’ait  Dex!  franc  n’estes  vous  mes  mie: 

Mult  vous  a l’en  de  franchise  esloignez, 

Car  vous  estes  par  enqueste  jugiez, 

Quand  deffense  ne  vos  puet  faire  ale 
Trop:  estes  canellement  engingniez 
A tous  pri. 

Douce  France  n’apiaut  l’en  plus  ensi 
Ainfois  ait  non  le  pais  aus  songiez 
Une  terre  acuvertie 
Le  raigne  as  desconseilliez 
Qui  en  maint  cas  sont  forciez!“1) 

Von  einer  ernsthafteren  Reaktion  des  Adels  hörte  man  aber 
im  dreizehnten  Jahrhundert  nichts  und  dies  mag  wohl  damit  Zu- 
sammenhängen, daß  man  der  Stimmung  des  Adels  in  der  Um- 
gebung des  Königs  Rechnung  trug  und  auch  in  den  königlichen 
Domänen  selbst  die  Ordonnanz  von  1260,  soweit  sie  auf  die  Ab- 
schaffung des  Zweikampfes  gerichtet  war,  nicht  allzu  streng  durch- 
führte.  Vor  allen  Dingen  hatte  man  aber  der  Opposition  der 
großen  llarone  durch  die  scharfe  Hervorhebung,  daß  der  Kampf 
nur  in  den  Domänen  abgeschafft  sein  solle,  vorgebeugt.  Und 
doch  verblaßt  auch  schon  in  diesen  Gebieten  allmählich  der  Kampf- 
rechtsgedanke; so  hat  der  Graf  von  Clermont-en-Beauvaisis  in 
seinem  Gebiet  die  gages  pour  meubles  ou  pour  eritages  beseitigt, 
allerdings  kann  er  sie  nach  seinem  Belieben  jeder  Zeit  wieder 
einführen’);  denn  wenn  der  König  Ludwig  sie  auch  in  seinem 

')  bei  Leroux  de  Lincy,  Recueil  de  chauts  hist,  franc.  I«  partie  1841 
p.  218,  citiert  nach  Viollet  I,  p.  275. 

*)  Beaum.  1722. 


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Gebiet  beseitigte,  so  beseitigte  er  sie  doch  nicht  im  Gericht  seiner 
Barone,  und  wenn  sie  nun  der  Graf  in  seinem  Gericht  nicht  wieder 
einfflhren  könnte,  dann  hätte  er  ja  weniger  seignourie  in  seinem 
Gericht  in  diesem  Fall  als  die  hommes  de  la  contee  de  Clermont 
in  ihrem  Gericht  haben.  Die  hommes  der  Grafschaft  Clermont 
können  in  Zivilsachen  (muebles  und  eritages)  das  Gericht  ent- 
weder nach  der  ancienne  coustume  oder  nach  der  Ordonnanz  von 
1260  abhalten;  aber  wenn  die  Verhandlung  in  der  einen  oder 
anderen  Weise  begonnen  hat,  so  kann  der  Gerichtsherr  nicht  mehr 
ohne  die  Zustimmung  beider  Parteien  die  Prozedur  wechseln; 
car  il  convient  querele  de  gages  et  toutes  autres  quereles  demener 
selonc  ce  que  li  ples  est  entames ').  Gegen  die  in  der  Grafschaft 
Clermont  erlassenen  Urteile  ist  nur  die  Urteilschelte  zulässig; 
denn  „doivent  estre  fet,  tuit  li  jugement  par  les  hommes  de  tief“  *); 
auch  der  apel  de  defaute  de  droit  und  die  Zeugenschelte  werden 
in  dieser  Grafschaft  kämptlich  ausgetragen*).  Nur  in  Zivilsachen 
findet  hier  eine  Einschränkung  der  kämpflichen  Urteilschelte  inso- 
fern statt,  als  „quant  li  sires  voit  que  li  cas  dont  li  jugemens 
est  fes  est  mout  de  fois  avenus  et  que  la  coustume  est  toute  tele 
et  bien  aprouvee  en  la  contec,  par  laquele  coustume  il  est  eiere 
chose  que  li  jugemens  est  bons,  il  ne  doit  pas  les  gages  soufrir  .... 
Et  se  li  sires  suefre  les  gages  et  li  horame  s’i  metent,  si  les  puet 
et  doit  li  cuens  fere  oster  par  la  reson  de  ce  qu’il  doit  les  cous- 
tumes  garder  et  fere  tenir  entre  les  sougiös.  Car  se  aucuns  apeloit 
de  jugement  qui  aparroit  ä estre  bons  par  clere  coustume,  perius 
seroit,  se  li  gage  estoient  soufert,  que  la  coustume  ne  fust  cor- 
rompue,  si  comme  se  li  apeleres  vainquoit  la  bataille,  et  pour  ce 


')  Beaum.  1723.  — Dies«  Steile  hat  Stein  p.  529  mißverstanden : er 
hat  die  Worte:  „sc  partie  s'cn  vent  aidier",  pluralisch  aufgefaßt  und  ge- 
langte so  zu  einer  verschiedenen  Behandlung  des  l'rozedurwechsels,  je  nach- 
dem die  Verhandlung  nach  dem  alten  Recht  oder  der  Ordonnanz  von  1260 
begonnen  hatte.  Für  boide  Fälle  ist  aber  dasselbe  bestimmt.  Die  an  diese 
verschiedene  Behandlung  geknüpften  Folgerungen  entfallen  damit.  Wenn 
Stein  dann  noch  im  Anschluß  hieran  meint,  Beaum.  227,  wonach  in  kleineren 
Sachen  ein  kämpfliches  Verfahren  unzulässig  ist,  sei  eine  unter  dem  Einfluß 
der  Ordonnanz  von  1260  entstandene  Neuerung,  so  irrt  er:  ich  verweise  auf 
meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  § 1.  VIII.  p.  8 f. 

*)  Beaum.  24  und  23.  1752  ff. 

*>  Beaum.  1761;  1762  ff. 


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ne  doit  l’en  pas  teus  gages  soufrir“ ').  Wenn  nun  die  oben  be- 
kämpfte Ansicht,  daß  Ludwig  IX.  ein  absoluter  Gegner  des  kämpf- 
lichen  Beweises  gewesen  sei,  richtig  wäre,  so  wäre  diese  ganze 
Regelung  des  Beweisrechts  in  der  Grafschaft  Clermont  nicht  nur 
eine  recht  traurige  Ironie  auf  die  Ordonnanz  von  1260,  sondern 
auch  ein  recht  bitterer  Hohn  aut  Ludwigs  persönlichen  Einfluß 
innerhalb  seiner  Familie;  denn  der  Inhaber  der  Grafschaft  Clermont 
war  in  der  Zeit  vom  März  1269  bis  zum  7.  Februar  1318  Robert 
der  Sohn  Ludwigs  IX.  und  auf  seinen  Befehl  wurden  diese  Prozeß- 
regeln beobachtet3).  Ähnlich  wie  in  Clermont  liegen  die  Ver- 
hältnisse in  der  Grafschaft  Artois.  Die  coutumes  d’ Artois  ließen 
die  enquete  nur  für  die  vilains  zu;  der  gentilhommc  hatte  ein, 
allerdings  verzichtbares,  Recht  auf  den  kämpflichen  Beweis3);  der 
vilain  konnte  sogar  gegen  seinen  Willen  nach  dem  Belieben  des 
Gerichts  der  enquete  unterworfen  werden*).  Das  einseitige  Ordal 
war  bei  Mord,  Brandstiftung,  Notzucht  und  Raub  wegen  der 
eventuell  daraus  sich  ergebenden  Straflosigkeit  des  Täters  unzu- 
lässig4); dagegen  war  der  Kampf  in  allen  Zivilsachen  und  allen 
vilains  cas,  wie  Mord,  Verrat,  Diebstahl,  Zeugenschelte  usw.  mit 
der  bereits  hervorgehobenen  Beschränkung  der  vilains  zulässig*). 
Die  Abneigung  der  ritterlichen  Kreise  wird  hier  sehr  zutreffend 
mit  dem  Umstand  begründet,  daß  man,  „par  deniers  donnans“ 7) 
mit  Zeugen  alles  beweisen  konnte;  eine  Anscliaunng,  die  auch  in 
dem  Rechtssprichwort:  „Fol  est  qui  se  met  en  enqueste,  car  qui 
mieux  abreuve,  mieux  preuve“,  Ausdruck  gefunden  hat.  Auf  das 


')  Beaum.  1758. 

'*)  Beaum.  1.  und  1.  p.  2 Nute  1.  — Zur  Erklärung  dieser  Tatsachen 
hat  man  sich  bis  in  die  neueste  Zeit  immer  auf  die  „mocurs“  berufen ; das 
ist  ja  ein  sehr  bequemes  Auskunftamittel,  aber  mit  diesen  „mocurs“  lätit  sich 
wirklich  nicht  alles  in  der  Rechtsgcschichtc  begründen. 

3)  Artois  45,4. 

*)  Artois  46,1. 

4)  Artois  47,8  — Wie  sich  aus  Artois  40,5  ergibt,  faßt  Tardif,  Proce- 
dure  p.  93  Nute  1 „purgation“  hier  falsch  auf,  durch  ihn  habe  ich  mich  in 
meinem  Gerichtlichen  Zweikampf  p.  14,  Note  5,  p.  19,  Note  3,  p.  17,  Note  1, 
p.  18,  Note  2 verleiten]  lassen,  für  das  artesische  Hecht  in  diesen  Fällen 
den  Ausschluß  des  kämpflichen  Beweises  zu  Unrecht  anzunehmen. 

*)  Artois  40,1;  40,5. 

*)  Artois  50,14. 


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normannische  Recht  blieb  die  Ordonnanz  von  1260  ganz  ohne 
Einfluß,  das  bretonische  wurde  von  ihr  nicht  berührt,  das  poite- 
vinische  Recht  wurde  durch  sie  nicht  verändert;  in  Anjou  und 
Maine  kümmerte  man  sich  nichts  um  die  Ordonnanz  von  1260, 
für  die  Champagne  und  Burgund  blieb  sie  ohne  Bedeutung,  in 
Flandern  und  Lothringen  ging  die  Entwickelung  ihre  eigenen 
Wege;  daß  in  der  Auvergne  der  Kampfprozeß  durch  die  Ordonnanz 
von  1260  keine  Einbuße  erlitt,  das  beweisen  die  gerade  im  siebenten 
Jahrzehnt  des  dreizehnten  Jahrhunderts  dort  vielfach  verliehenen 
Städteprivilegien ').  ln  Vermandois  und  Ponthieu  erfährt  das 
Kampfrecht  in  der  ersten  Instanz  keine  Einschränkung*),  wohl 
aber  bricht  sich  dort  das  „fausser  sans  bataille“  nach  der  Ordon- 
nanz von  1260  Bahn,  allerdings  wurde  in  dem  einen  Fall  das 
Urteil  eines  königlichen  Gerichts  angegriffen;  aber  in  einem  andern 
Fall,  den  ebenfalls  Pierre  de  Fontaines  erzählt,  wurde  das  Gericht 
der  Mannen  des  Grafen  von  Ponthieu  vor  dem  königlichen  Gericht 
ohne  Kampf  gescholten,  hier  ist  deutlich  der  Einfluß  der  Ordon- 
nanz von  1260  zu  erkennen’). 

III.  Von  der  Stellung,  die  Ludwig  IX.  nach  dem  Erlaß  der 
Ordonnanz  von  1260  zum  Zweikampf  eingenommen  hat,  sind 
direkte  Zeugnisse  nicht  bekannt;  man  kann  daher  im  Urteil  über 
diese  Frage  nicht  vorsichtig  genug  sein.  Wenn  man  die  Stellung 
seiner  Söhne  zum  Zweikampf  betrachtet,  wenn  man  die  Schriften 
der  Iiegisten  Fontaines  und  Beaumanoir  ins  Auge  faßt,  wenn  man 
den  Livre  de  Jostice  et  de  Plet  und  die  sogenannten  Etablissements 
de  Saint-Louis  liest,  wenn  man  dann  endlich  mit  diesen  die  Olim 
vergleicht,  so  kann  man  unmöglich  zu  dem  bisher  allgemein  ver- 
teidigten Resultat  kommen,  daß  die  Frage  der  absoluten  Ab- 
schaffung des  Zweikampfs  im  Vordergrund  seiner  rechtspolitischen 
Maßnahmen  während  der  letzten  fünfzehn  Jahre  seiner  Regierung 
gestanden  habe.  Man  hat  nach  alldem,  was  man  von  Ludwig  IX. 
vierundvierzigjähriger  Regierung,  die  in  seinem  fünfundfünfzigsten 
Lebensjahr  durch  den  Tod  beendigt  wurde,  weiß,  weder  Veran- 
lassung ihn  für  einen  energielosen  Schattenkönig,  noch  auch  für 


•)  vgl.  oben  p.  22,  23,  24,  27. 
*)  Fontaines  XIII,  9;  XV,  87. 
’)  Fontaines  XXII,  23  u.  24. 


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einen  utnpisti sehen  Schwärmer  zu  halten;  er  war  sicher  ein  sehr 
kirchlich  gesinnter  Herr,  darum  braucht  man  ihn  aber  nicht  für 
kirchlicher  als  den  französischen  Klerus  zu  halten;  es  mag  sein, 
daß  er  unter  legistischem  Einfluß  stand,  wer  sagt  uns  aber,  daß 
die  Legisten  die  Abschaffung  des  Zweikampfs  als  Selbstzweck  be- 
trieben, das  gerade  Gegenteil  ergibt  sich  ja  aus  den  Schriften  und 
und  Urteilen  dieser  Herren;  und  selbst  wenn  er  sich  von  der 
legistischen  Strömung  tragen  ließ,  wo  sind  da  historische  Anhalts- 
punkte dafür,  daß  die  legistischen  Ideen  nicht  seiner  Überzeugung 
entsprachen?  Die  legistischen  Bestrebungen  waren,  betrachtet  man 
sie  frei  von  allen  Accidentalien,  auf  eine  Ausdehnung  der  könig- 
lichen Justizhoheitsrechte  auf  Kosten  der  Gerichtsgewalt  der 
Barone  und  kleineren  Territorialherren  gerichtet.  Diesem  Zweck 
sollte  auch  die  Ordonnanz  von  1 2 GO  dienen  und  dienstbar  gemacht 
werden;  man  griff  dabei  die  von  kirchlicher  Seite  immer  und 
immer  wieder  vorgebrachte  Forderung  der  Abschaffung  des  kämpf- 
lichen  Beweises  im  Eigenschaftsprozeß,  der  von  kirchlicher  Seite 
als  tentatio  in  Deum  bezeichnet  wurde,  auf  und  verallgemeinerte 
diese  Forderung  in  einem  allgemeinen  Verbot  des  Zweikampfs  für 
die  Domänen,  die  hier  als  Versuchsobjekt  dienen  sollten;  weil  es 
sich  aber  nur  um  einen  legislatorischen  Versuch  handelte,  deckte 
man  sich  gleichzeitig  den  Rückzug  mit  der  oben l)  mitgeteilten 
Klausel.  Wie  man  auf  legistischer  Seite  diesen  Versuch  der  Ab- 
schaffung des  Zweikampfs  auffaßte,  das  wird  aus  der  scharfen 
Gegenüberstellung  von  enquete  und  gages  de  bataille  in  der 
Ordonnanz  klar.  Die  beiden  Beweisarten  haben  einen,  wenn 

auch  nur  äußerlichen  Berührungspunkt  und  in  diesem  Umstand 
hat  man  den  Grund  der  Gegenüberstellung  und  des  beabsichtigten 
Ersatzes  der  einen  durch  die  andere  zu  suchen:  Ordal  und  inquisito 
führen  zu  einer  definitiven  Sentenz.  Die  einseitigen  Ordalien 
sind  um  die  Mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  fast  ganz  ver- 
schwunden; im  coutumiären  Volksrecht  gab  es  daher,  wenn  man 
die  gages  de  bataille  absolut  verbot,  kein  notwendig  zu  einer 
definitiven  Sentenz  führendes  Beweismittel  mehr;  dafür  mußte 
Ersatz  geschafft  werden,  dieser  Ersatz  fand  sich  im  Königsrecht, 
in  der  allerdings  im  Laufe  der  Jahrhunderte  ein  wenig  veränderten, 

*)  rgL  oben  p.  69  f. 


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im  Grundprinzip  aber  unveränderten  inquisitio  oder  enquöte. 
Mochte  nnn  die  Abschaffung  des  Zweikampfs  auch  Tehlsehlagen, 
so  hatte  man  doch  diese  modifizierte  inquisitio,  an  deren  Ein- 
führung man  schon  ein  Menschenalter  arbeitete,  aus  einer  wenig 
bekannten,  außerordentlichen  Beweisart  zn  einer  ordentlichen,  dem 
Kampfordal  zum  mindesten  ebenbürtigen  Beweisart  gemacht  und 
dadurch  den  königlichen  Einfluß  oder  wenigstens  deii  seiner  Beamten, 
— denn  der  König  konnte  jetzt  ebensowenig  wie  in  karolingischer 
Zeit  alle  inquisitiones  persönlich  erledigen,  — gegenüber  den 
weltlichen  Gerichtsherren  bedeutend  erhöht  und  gestärkt,  — man 
denke  nur  an  die  Appelationen,  — und  dem  dritten  Stand  ge- 
zeigt, daß  auch  anderswo  als  in  den  kirchlichen  Gerichten  ein 
definitives  Verfahren  ohne  Zweikampf  möglich  war.  Wenn  man 
die  Ordonnanz  von  1260  so  auffaßt,  und  ich  glaube,  man  kann 
sie  nicht  anders  auffassen1),  dann  kann  man  auch  eine  Inkonsequenz 
in  dem  Verhalten  der  Legisten  nicht  mehr  erblicken,  dann  kann 
man  Ludwigs  Stellung  zum  Zweikampf  mit  der  der  Legisten 
identifizieren,  dann  braucht  man  seine  Söhne  nicht  mehr  aus  der 
Art  schlagen  zu  lassen,  dann  kann  man  die  Ordonnanz  von  1260 
und  die  spätere  Entwicklung  der  Zweikampffrage  aus  gesunden, 
real  politischen  Gesichtspunkten  ohne  Künstelei  und  Spintisiererei 
erklären  und  miteinander  in  Einklang  bringen. 

IV.  Bardoux,  der  begeisterte  Historiograph  der  Legisten,  hat 
diese  Männer  in  treffenden  Worten  einmal  folgendermaßen  charak- 
terisiert: „Ils  n’etaient  pas  des  reveurs  et  ne  voyaient  pas  trop 
dans  l’avenir,  don  fatal  pour  la  vie  röclle.  Ils  n’eurent  jamais 
devant  eux  de  larges  horizons.  Epris  seulement  du  possible  et 
du  pratiquable,  ils  se  contenterent  de  demi  conquetes  et  de  trans- 
actions.  Hommes  conccntrcs,  intörieurs,  faits  pour  la  lutte,  ils 
n'öparpillaient  jamais  leurs  forces.  N’ayant  qu’une  id6e  ä la  fois, 


‘)  Die  Auffassung  der  Grand  chroniques  de  Saint-Denis  in  Gr.  Chron. 
IV.  p.  427  ist  doch  zu  kindlich,  um  ernsthaft  genommen  zu  werden.  Es 
heißt  da:  „ il  abati  en  sa  terre  lc  champ  de  bataille  pour  ce  qu’il  avonoit. 
souvent  que  quant  un  contens  cstoit  meu  entre  un  poore  homme  et  un  riebe 
ou  il  convenoit  avoir  gagc  de  bataille,  le  richc  homme  donnoit  taut  que 
tous  les  ebampions  cstuient  de  sa  partie  et  le  pooro  homme  ne  troToit,  qui 
lui  voulsist  afdier;  si  perdoit  son  corps  on  son  heritage“.  Diese  Erklärung 
paßte  übrigens  nur  für  den  Zivilprozeß! 


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ils  riiunissaient  autour  d’elle  tous  leurs  d6sirs,  et  mettaient 
au  Service  de  la  cause  une  de  ces  volonte  pnissantes  et  tenaces 

comme  nous  n'en  trouvons  plus Ils  reconnurent  imm&liatement 

qu’ils  avaient  deux  enuemis:  la  noblesse  et  le  clerge.  Ils  leur 
vouörent  une  haine  irröconciliable,  et  jurerent  que  le  droit  ne 
serait  ni  feodal,  ni  eeclesiastique.  La  lägislation  romaine  fut  leur 
second  Evangile  parcequ’elle  etait  un  type  d’unitö,  la  royaute  fut 
leur  point  d’appui,  parce  qu'elle  avait  les  memes  instincts.  L'6- 
poque  6tait  favorable;  persuader  au  roi  qu'il  valait  mieux  pour 
son  tresor  compter  plus  de  sujets  que  de  vassaux  fut  la  mission 
des  premiers  chanceliers  etc.“  *)  Gleich  tüchtig  in  der  theore- 
tischen Formulierung  ihrer  Ideen  wie  in  der  praktischen  Durch- 
führung derselben  haben  die  Legisten  in  Wort  und  Schrift,  in 
der  Rechtsprechung  und  Verwaltung  wie  auf  der  Lehrkanzel  und 
in  Darstellungen  des  geltenden  Rechts  für  ihre  Ansichten  und 
Absichten  gekämpft  und  gewirkt.  Die  in  den  Olim  und  den  Ac- 
tes du  Parlament  enthaltenen  Urteile  geben  ein  ungefähres  Bild 
von  dem,  was  die  Legisten  bezüglich  des  Zweikampfes  tatsächlich 
erreichten.  Im  Jahre  1257  beschäftigte  sich  das  Parlament  mit 
der  Duellgerichtsbarkeit  des  Gerichts  der  Abtei  Coulombs;  auf 
Grund  einer  enquete  wurde  festgestellt,  daß  die  Gerichtsbarkeit 
dem  König  und  dem  Abt  in  der  Weise  gemeinsam  zusteht,  daß 
das  Urteil  im  Gericht  des  Abts  gesprochen  wird,  daß  der  Abt  die 
bona  devicti  inventa  in  terra  ipsius  abbatis  bekommt,  daß  die  Ver- 
gleichsgebühren seiner  hospites  dem  Abt  zutließen,  daß  aber  der 
Kampftermin  im  königlichen  Gericht  abgehalten  wird,  daß  insbe- 
sondere die  clamacio  banni  dem  König  zusteht*).  Im  Lichtmeß- 
parlament 1258  wird  festgestellt,  daß  der  König  die  Duellgerichts- 
barkeit über  die  hospites  des  Petrus  de  Lauduno  allein  hat  :,j.  [Im 
Lichtmeßparlament  1260  wird  festgestellt,  daß  der  Abt  von  Saint- 
Ricbier  Duellgerichtsbarkeit  nicht  hat1).  Im  Himmelfahrtsparlament 
1260  wird  auf  die  Klage  eines  bailli  entschieden,  daß  der  König 
die  hohe  Kampfgerichtsbarkeit  in  Temple-de-Feucherolles  hat4). 

0 Bardom  p.  1 und  2. 

*)  Olim  1.  p.  24  V.  (1257)  — vgl.  Geriehtl.  Zweikampf  p.  49.  Note  2. 

J)  Olim  1 p.  30.  XI.  (1258). 

*)  Olim  I.  p.  129.  VII  (1260). 

4)  Olim  I.  p.  468.  IV.  (1260). 


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Im  Lichtmeßparlament  1261  wird  auf  die  Klage  eines  Matheus 
li  Voiers,  miles,  der  u.  a.  auch  mit  der  Bewachung  des  Kampf- 
platzes im  königlichen  Gericht  in  Courbon  belehnt  war  und  dafür 
in  jedem  einzelnen  Fall  5 Schilling  bezogen  hatte,  entschieden, 
daß  jetzt,  nachdem  der  „Dominus  Rex  de  domaniis  suis  amovisset 
duella,  cum  idem  Matheus  non  faciat  modo  servicium  propter  quod 
quinque  solidi  dcbebantur,  detenninatum  fuit,  quod  non  erat 
super  hoc  audiendus,  nec  tenebatur  dominus  Rex  propter  hoc  ei- 
dem  restitucionem  facere“1).  Anders  wurde  in  demselben  Parla- 
ment entschieden,  als  es  sich  um  königliche  Einkünfte  handelte. 
In  Saint-Pierre-le-Moutier  hatte  der  König  mit  dem  Prior  gemein- 
same Gerichtsbarkeit.  Der  Prior  verlangte  nun,  „quod  teneretur 
ibi  duellum,  sicut  fieri  haclenus  consuevit,  quia  sine  assensu  suo 
amoveri  non  debuit.“  Es  erging  ein  Urteil  dahin,  daß  der  Prior 
daselbst  „per  servientem  suum“  ein  Duell  abhalten  könne,  „quia 
Rex  non  vnlt  habere  aliquid  in  duello;  si  tarnen  ratione  duelli 
committatur  terra  vel  aliud,  voluit  Dominus  Rex  porcionem  suain 
sibi  reddi  racione  associacionis  predicte“*).  Im  Jahre  1267  be- 
schäftigte nochmals  dieselbe  Sache  das  Parlament,  das  nunmehr 
ausdrücklich  dem  bailli  von  Bourges  die  Hälfte  der  Duelleinkünfte 
zusprach s).  Die  Tendenz  dieser  arrets  ist  kaum  zweifelhaft;  wenn 
auch  nicht  verkannt  werden  darf,  daß  sich  diese  Urteile  mit  den 
Bestimmungen  der  Ordonnanz  von  1260  in  Einklang  bringen 
lassen,  so  darf  man  andererseits  auch  nicht  übersehen,  daß  sie, 
weit  entfernt  eine  absolute  Abschaffung  des  kämpflichen  Beweises 
zu  erstreben,  doch  in  erster  Linie  darauf  gerichtet  sind  der 
Förderung  der  königlichen  Justizhoheitsrechte  zu  dienen.  Das  er- 
gibt sich  schon  aus  einer  flüchtigen  Vergleichung  der  Gebühren- 
ansprüche jenes  armen  Kitters  mit  denen,  die  der  königliche 
bailli  von  Bourges  in  Übereinstimmung  mit  dem  in  derselben 
Sache  6 Jahre  früher  ergangenen  Urteil  erhebt;  hier  kann  man 
sich  kaum  dem  Gedanken  verschließen,  daß  das  Parlament  in 
erster  Linie  bei  der  Entscheidung  von  Fragen,  die  den  Zweikampf 
betrafen,  sich  fragte:  „quid  proficit  regi?“  Kam  inan  hierbei  zu 

')  Olim  I.  p.  491.  VII.  (1261). 

*)  Olim  I,  p.  494  XII  (1261). 

s)  Olim  I.  p.  667.  VIII.  (12G7). 


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dem  Ergebnis,  daß  die  Hoheitsrechte  des  Königs  in  dem  konkreten 
Fall  nicht  berührt  wurden,  so  hatte  man  gegen  die  Anwendung 
des  kämpflichen  Beweises  auch  nichts  zu  erinnern.  Waren  aber 
königliche  Interessen  im  Spiel,  dann  wurden  diese  zunächst  ge- 
wahrt, und  dies  entsprach  auch  dem  Geiste  der  Ordonnanz  von 
1260.  Die  Gerichte  der  weltlichen  und  geistlichen  Grundherren 
hatten  sehr  bald  die  Tendenz  der  Ordonnanz  von  1260  erkannt, 
und  so  ist  es  denn  auch  zu  verstehen,  daß  auch  sie  in  der  Zwei- 
kampftrage sich  von  politischen  Gesichtspunkten  leiten  ließen. 
Diesen  Gerichten  konnte  es  nicht  zweifelhaft  sein,  daß  so,  wie  die 
Dinge  einmal  lagen,  Vorteil  von  der  Abschaffung  des  Zweikampfes 
nur  das  Königtum  haben  konnte.  Kitmpflieke  Urteile  waren  ihrer 
Natur  nach  inappelabel;  führte  man  die  nach  der  Ordonnanz  von 
1260  vorgesehene  Prozedur  ein,  so  war  damit  auch  die  Möglich- 
keit der  Appelation  gegeben;  diese  Appelation  ging  aber  in  letzter 
Instanz  an  das  Parlament.  Mit  der  Appelabilität  der  Urteile 
mußte  sich  das  Ansehen  des  Gerichts  und  die  Macht  seines  Ge- 
richtsherrn vermindern;  einer  derartigen  Eventualität  ging  man 
aus  dem  Wege  durch  die  Beibehaltung  des  kämpflichen  Beweises, 
und  so  erklärt  es  sich  denn  auch,  daß  die  geistlichen  Gerichts- 
herren in  ihren  curiae  saeculares  den  Zweikampf  beibehielteu  und 
daß  ihn  insbesondere  die  geistlichen  Gerichte  von  Paris,  dem 
Sitze  des  Parlaments,  in  den  sechsziger  Jahren  des  dreizehnten 
Jahrhunderts  unter  den  Augen  Ludwigs  IX.  mehrfach  anwandten  '). 

Der  Einfluß  der  Legisten  auf  die  französische  Rechtsent- 
wickelung  wäre  nicht  so  bedeutend  geworden,  wenn  sich  ilire 
praktische  Tätigkeit  nur  auf  das  Parlament  erstreckt  hätte;  es 
war  vielmehr  hierzu  auch  eine  Betätigung  außerhalb  der  Centrale 
nötig;  die  territoriale  Grundlage  für  dieselbe  war  durch  die  be- 
deutenden Gebietserwerbungen  der  französischen  Könige  seit 
Philipp-August  gegeben;  es  galt  nunmehr  die  bereits  bestehende 
Organisation,  die  sich  im  Norden  um  die  baillis,  im  Süden  um 
die  sönöchaux  gruppierte,  durch  neue  Verwaltungsgesetze  auszu- 
bauen und  den  legistischen  Ideen  dienstbar  zu  machen;  auch  dies 
geschah  unter  Ludwigs  IX.  Regierung.  Wie  sehr  diese  Beamten 
sich  iu  den  Dienst  der  königlichen,  legistischen  und  damit  ihrer 

')  »gl.  i.  B.  oben  pag.  50  Note  9 u.  pag.  51  Note  1. 


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80 


eigenen  Sache  stellten,  geht  schon  deutlich  ans  den  oben  ange- 
führten Parlamentsurteilen  hervor.  Zur  Propagierung  ihrer  Ideen 
genügt  jedoch  nicht  allein  die  Anwendung  derselben  in  den  könig- 
lichen Gerichten  und  das  Beispiel,  das  durch  die  königliche  Praxis 
den  andern  Gerichten  gegeben  wurde;  es  war  vielmehr  einerseits 
noch  der  Eintritt  ihrer  Anhänger  in  den  Dienst  der  Barone  nötig, 
um  die  Praxis  dieser  Gerichte  unter  den  Einfluß  der  Legisten 
zu  bringen,  wie  es  u.  a.  Beauinanoir  tat,  und  andererseits  waren 
legistische  Bearbeitungen  des  geltenden  Rechts  notwendig,  um 
durch  diese  das  couturaiäre  Recht  im  Sinne  der  Iegistischen  The- 
orie umzuformen.  Unter  diesen  Bearbeitungen  ragen  vier  vor 
allen  andern  hervor:  der  Conseil  von  Pierre  de  Fontaines,  die 
Livres  de  Jostice  et  de  Plet,  die  Etablissements  de  Saint-Louis 
und  die  Beanmanoirsche  Bearbeitung  der  coutumes  du  Beauvoisis. 
Allen  vier  ist  gemeinsam  die  gleichzeitige  Behandlung  der  gages 
de  bataille  und  der  enquete,  die  beide  als  geltendes  Recht  darge- 
stellt werden.  Im  System  und  der  Verarbeitung  des  Stoffes  je 
nach  dem  Wissen  und  Können  der  Verfasser  verschieden,  ver- 
lieren sie  doch  den  Hauptzweck,  der  bald  mehr,  bald  weniger 
ungeschminkt  hervortritt,  niemals  aus  den  Augen;  fleißig  stellen 
sie  die  Vorzüge  der  enquete  dar,  mit  peinlicher  Genauigkeit 
werden  die  den  Kampf  beschränkenden  Voraussetzungen  materieller 
und  formeller  Natur  verzeichnet,  auch  legislatorische  Wünsche, 
die  die  Ausdehnung  der  enquete  und  die  Einschränkung  des  Zwei- 
kampfes bezwecken,  werden  mehr  oder  weniger  geschickt  als 
geltendes  Recht  dargestellt,  so  daß  es  im  einzelnen  Fall  oft 
schwer,  ja  manchmal  unmöglich  ist,  zu  entscheiden,  ob  es  sich 
um  petitiones  principii  oder  um  damals  schon  geltendes  Recht 
handelt,  da  sich  nur  selten  Widersprüche  in  der  Darstellung 
selbst  finden  und  über  kurz  oder  lange  die  Wünsche  der  Autoren 
gesetzliche  Geltung  erlangten,  ohne  daß  es  möglich  wäre  genau 
zu  bestimmen,  wann  in  dieser  Zeit  der  Umgestaltung  und  des 
Übergangs  eine  einzelne  Vorschrift  Gesetzeskraft  erlangte.  Von 
einer  genauen  Analyse  dieser  vier  grossen  Werke  in  dieser  Rich- 
tung muß  ich  hier  absehen,  da  sie  wegen  ihres  Umfangs  weit 
über  den  Rahmen  dieser  Arbeit  hinauswüchse;  ein  Beispiel  aus 
dem  bedeutendsten  und  am  sorgfältigsten  gearbeiteten  dieser 
Werke,  aus  Beaumanoir,  sei  aber  zur  Illustration  hier  angeführt. 


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«1 


Beaumanoir  sagt:1)  „Et  aussi  en  la  court  laie  sont  li  apel  de 
degre  en  degre,  dou  sougiet  as  seigneurs,  et  de  seigneur  en  seig- 
neur  dusques  au  roi,  es  cas  qui  ne  sont  demene  par 
gage  de  bataille,  car  en  la  court  ou  l’en  va  par  la  reson  de  l’apel 
pour  les  gages  maintenir,  se  la  bataille  est  fete,  la  querele  est 
venue  a fin,  si  qu’il  n'i  a inestier  de  plus  d’apeaus.  Mes  ains 
la  bataille  fete  pourroit  eie  aler  de  degre  en  degre  dusques  au 
roi,  tout  fust  li  ples  demente  par  gages,  c’est  assavoir  de  l’une 
des  parties;  si  comrne  se  uns  des  sougite  le  conte  fesoit  fere  au- 
cun  jugement  en  sa  court  et  partie  apeloit  de  faus  jugement  en 
la  court  le  conte,  et  li  komme  qui  avroient  fet  le  jugement  vou- 
loient  fere  leur  jugement  bon  par  gages  de  bataille  et  l’apeleres 
proposoit  resons  pour  oster  les  gages  et  pour  fausser  le  jugemens 
par  les  erremens  du  plet,  et  apres  se  metoient  en  droit  se  l’apeaus 
seroit  demenes  par  gages  ou  par  les  erremens  du  plet,  et  apres 
li  homme  le  conte  jugeoient  que  l’apeaus  se  feroit  par  gages,  et 
l’apeleres  apeloit  les  hommes  le  conte  de  faus  jugement,  .en  tel 
cas  venroit  l’apeaus  de  degre  en  degre  dusques  au  roi.“  Dem 
fügt  allerdings  Beaumanoir  keine  Klausel  bei,  die  diese  Aus- 
führungen, ähnlich  wie  die  in  Artikel  387  vorgetragenen  als  seine 
persönliche  Ansicht  erscheinen  ließen,  und  doch  sind  diese  Aus- 
führungen nichts  anderes  als  ein  legislatorischer  Wunsch  der 
Kreise,  denen  Beaumanoir  angehörte;  denn  wir  wissen  von  Beau- 
manoir selbst,  daß  „en  la  contee  de  Clermont  doivent  estre  fet 
tuit  li  jugement  par  les  hommes  de  lief  und  gegen  diese  li  apeaus 
est  demente  par  gages  de  bataille.““)  Und  doch  war  dieser  Satz 
einige  Jahre  später  zum  Rechtssatz  geworden.  Solche  Beispiele 
ließen  sich  an  der  Hand  dieser  vier  Rechtsbücher  häufen,  aber 
für  unsern  Zweck,  die  Tendenz  der  legistischen  Theorie  in  den 
wissenschaftlichen  Arbeiten  dieser  Zeit  zu  kennzeichnen,  mag  dies 
eine  Beispiel  genügen;  weiter  unten3)  wird  dann  noch  zu  zeigen 
sein,  wie  die  legistische  Theorie  in  der  Praxis,  insbesondere  in 
den  Urteilen,  die  prozessualen  Voraussetzungen  des  kämpflichen 
Beweises  vennehrte  und  so  die  Anwendung  desselben  immer  mehr 

*)  Beaum.  93. 

*)  Beaum.  24  vgl.  23.—  vgl.  Arras  (9.  II.  1264)  in  Boutaric,  Actes  du 
Pari.  no.  828. 

*)  vgl.  unten  p.  95  f. 

Uonlln , Zweikampf  io  Frankreich  6 


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82 


einengte,  es  wird  dies  aber  erst  im  Zusammenhang  mit  der  Be- 
sprechung der  Ordonnanz  von  1306  möglich  sein.  Aus  dem  vor- 
stehenden geht  aber  schon  hervor,  daß  die  Gesetzgebung  Louis  IX. 
einen  Ruhepunkt  in  der  Rechtsentwickelung  nicht  bedeutet,  sondern 
dass  diese  „lois  de  Saint-Louis,“  wie  Montesquieu  einmal  sehr 
treffend  bemerkt  hat,  „changerent  moins  la  jurisprudence  franfoise 
qu’elles  ne  donnfcrent  des  moyens  pour  la  changer.“') 

V.  Im  großen  und  ganzen  war  während  der  Regierungszeit 
Ludwig  IX.  das  Verbot  des  kämptlichen  Beweises  für  die  könig- 
lichen Kronländer  durchgeführt  worden;  nur  ein  einziger  Fall  ist 
bekannt,  wo  vor  einem  königlichen  Beamten  ein  Zweikampf  statt- 
fand; dies  geschah  in  Toulouse  vor  dem  viguier  von  Toulouse  am 
Dienstag  den  24.  Dezember  1269*).  Wie  schwankend  aber  auch 
hier  im  Süden  die  Praxis  war,  das  zeigt  die  im  Auftrag  des 
Königs  der  nouvelle  ville  de  Realmont-en-Albigeois  vom  Seneschall 
von  Carcassonne  gegebene  coutume,  in  der  dem  prevöt  verboten 
wird  den  Kampf  oder  andere  durch  die  kanonischen  oder  bürger- 
lichen Gesetze  untersagte  Beweismittel  anzuordnen1 * 3).  Und  schon 
im  Jahre  1278  lädt  der  Seneschall  von  Carcassone  alle  Adeligen 
zu  einem  Zweikampf  nach  Carcassonne  ein4).  Aber  nicht  bloß  im 
Süden,  sondern  auch  in  allen  andern  Landesteilen  häufen  sich  die 
Kampfprozesse  in  den  70er  und  80er  Jahren  des  dreizehnten 
Jahrhunderts;  weltliche  und  geistliche  Gerichte,  königliche  und 
Territerialgerichte  wenden  das  kämptliche  Verfahren  wieder  häufiger 
an,  wie  uns  eine  große  Zahl  von  Gerichtsurkunden  aus  dieser 
Zeit  beweisen.  So  standen  vor  dem  Parlament  Kampfgerichts- 
termine  an  im  Jahre  12775),  1279*),  1 280 T),  1282*);  auch 
Beaumanoir  berichtet  von  zwei  Zweikämpfen,  die  in  Paris  vor  dem 


1 ) Montesquieu,  Esprit  des  Lois,  livre  XXV11I,  ch.  XXXIX.  al.  2. 

3)  Boutaric,  Ph.-le-B.  p.  51. 

3)  Languedoc  IV,  p.  17. 

*)  Languedoc  IV,  p.  26. 

s)  Olim  II,  p.  85,  XXXV  (Lichtmeß  1277). 

•)  Olim  II,  p.  131  VI  (Pfingsten  1279).  — Olim  II,  p.  145  XIV  und 
XV  (Allerheiligen  1279). 

T)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  2269  A.  (1.  I.  1280). 

*)  Olim  II,  p.  201  XVn.  (Pfingsten  1282). 


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83 


königlichen  Gericht  stattfanden1);  dem  ersten  Fall  wohnte  sogar 
der  König  bei,  auf  dessen  Befehl  dann  der  Friede  geschlossen 
wurde.  In  den  Gerichten  der  großen  Territorialherren  wandte 
man  den  Kampfprozeß  nach  wie  vor  an*);  auch  in  den  kirchlichen 
Gerichten  stand  er  fernerhin  in  Übung3);  in  den  königlichen 
Domänen  lebte  der  Kampfprozeß  unter  Philipp  III.  wieder  auf4), 
soweit  er  nicht  überhaupt  fortbestanden  hatte.  Diese  häufigere 
Anwendung  des  Kampfprozesses  unter  Philipp  dem  Kühnen  hat 
man  sich  bis  in  die  neueste  Zeit  nicht  recht  erklären  können,  weil 
man  von  einer  irrigen  Auffassung  der  Ordonnanz  von  1260  aus- 
ging und  weil  man  Ludwig  IX.  eine  absolute  Abneigung  gegen 
dies  Beweismittel  imputierte.  Zur  Erklärung  dieser  Tatsache  hat 
man  sich  vergebens  nach  einer  die  Ordonnanz  von  1260  auf- 
hebenden Ordonnanz  umgesehen,  obwohl  die  Preambel  der  Ordon- 
nanz von  1304,  die  weiter  unten3)  besprochen  werden  soll,  klar 
erkennen  läßt,  daß  die  Ordonnanz  von  1260  niemals  durch  ein 
Gesetz  aufgehoben  wurde.  Man  brauchte  doch  eigentlich  nur  von 
der  in  der  Schlußklausel  zur  Ordonnanz  von  1260  gegebenen  Er- 
mächtigung6) Gebrauch  zu  machen,  um  den  kümpflichen  Beweis 
wieder  in  den  Domänen  zuzulassen.  Motive  für  die  generelle 
Anwendung  dieser  Klausel  in  den  Prozessen  innerhalb  der  könig- 
lichen Domänen  sind  urkundlich  nicht  überliefert  oder  wenigstens 
zur  Zeit  nicht  bekannt;  man  ist  daher  auf  Mutmaßungen  aus  dem 
geschichtlichen  Zusammenhängen  angewiesen.  Nach  dem,  was  wir 
über  die  Entstehungsgeschichte  der  Ordonnanz  von  1260  wissen, 

')  Beaum.  1770/1  und  1845.  — Die  Zeit  dieser  Kampftermine  läßt  sich 
mit  Sicherheit  nicht  angeben.  Da  Bcaumanoir  gegen  1250  geboren  wurde, 
war  er  Mitte  der  60er  Jahre  volljährig:  es  bleibt  also  die  Zeit  zwischen  1265 
und  1283  für  seine  Anwesenheit  als  Zuschauer  bei  diesen  beiden  Kampf- 
terminen. Der  eine  dieser  Termine  kann  möglicherweise  während  seiner 
Anwesenheit  in  Paris  in  den  Jahren  zwischen  1279  u.  1282  (vgl.  Beaum.  843) 
stattgefunden  haben. 

*)  vgl.  oben  p.  70  f.,  ferner  Boutaric,  Saint -Louis  et  Alphonse  de 
Poitiers  p.  263  und  Langlois,  Le  regne  de  Philippe  III  le  Hardi  p.  199 
bei  Glasson  p.  528. 

*)  vgl.  oben  p.  49.  Note  1;  p.  50  Note  12  u.  13. 

4)  vgl.  Langlois,  Le  regne  de  Philippe  III.  le  Hardi  p.  199. 

s)  vgl.  unten  p.  85. 

*)  vgl.  oben  p.  69  f. 

6* 


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84 


muß  die  Anwendung  des  kämpfliehen  Beweises  in  den  kirchlichen 
(Berichten  nach  Erlaß  dieser  Ordonnanz  den  legistischen  Kreisen 
eine  Enttäuschung  bereitet  haben;  auch  auf  die  Beibehaltung  des 
Kampfprozesses  in  den  Gerichten  der  mit  dem  König  nahe  ver- 
wandten großen  Barone  dürfte  man  kaum  gefaßt  gewesen  sein. 
Andererseits  blieb  die  Haltung  dieser  Kreise  nicht  ohne  Einfluß 
auf  ihre  Vasallen,  deren  ganzer  Lebensanschauung  ja  der  Karapf- 
prozeß  vielmehr  entsprach  als  die  enquete,  und  auf  die  Gerichts- 
eingesessenen, die  großenteils  auf  dem  flachen  Lande  wohnten  und 
der  konservativen  Sinnesart,  derartiger  Bevölkerungsklassen  ent- 
sprechend lieber  zäh  am  althergebrachten  Beweissystem  festhielten, 
als  sieh  für  neue  Prozeßtheorien,  deren  Tragweite  sie  kaum  er- 
kennen konnten,  begeisterten.  Kurz,  der  Gedanke  der  Abschaffung 
des  gerichtlichen  Zweikampfes  war  in  dem  größten  Teil  der  Be- 
völkerung nicht  zu  dem  Maß  von  Popularität  gelangt,  das  man 
beim  Erlaß  der  Ordonnanz  von  1260  erwartet  hatte,  ja  es  machte 
sich  sogar  in  den  Schichten  der  Bevölkerung,  von  denen  man  es 
am  wenigsten  erwartet  hatte,  eine  nicht  zu  unterschätzende  Ab- 
neigung gegen  diese  Reform  geltend.  Wenn  man  nicht  die 
weitere  Verbreitung  des  Enquetegedankens,  der  ohne  alle  Frage 
im  Zivilprozeß  ständig  an  Boden  gewann,  gefährden  wollte,  mußte 
man  von  dem  absoluten  Verbot  des  kämpflichen  Beweises  Abstand 
nehmen  und  der  Theorie  und  Praxis  die  allmähliche  Beschränkung 
des  Kampfes  überlassen.  Aus  diesen  Beweggründen  läßt  sich 
unseres  Erachtens  am  einfachsten  und  überzeugendsten  die  Be- 
handlung, die  die  Zweikampffrage  unter  Philipp  III.  und  in  den 
ersten  Jahren  der  Regierung  Philipps  IV.  erfahren  hat,  erklären. 

VI.  Philipp  IV.  befolgte  zu  Beginn  seiner  Regierung,  die  er 
im  Alter  von  siebzehn  Jahren  antrat,  dieselben  Grundsätze  gegen- 
über dem  Zweikampf,  die  unter  der  Regierung  seines  Vorgängers 
im  Königtum  maßgebend  geworden  waren.  Nach  den  Olim  kamen 
in  dieser  Beziehung  zwei  Sachen,  die  kämpfliche  Streitigkeiten 
betrafen,  zur  Entscheidung  im  Parlament.  Im  Allerheiligenparla- 
ment von  1285  wurde  dem  Seneschall  der  Touraine,  obwohl  der 
König  bei  einem  Vergleich  auf  seinen  Gebührenanteil  verzichtet 
hatte,  doch  ein  Drittel  der  Gebühren  zugesprochen1).  Im  Aller- 

')  Olim  II,  pag.  251,  XU.  (1285). 


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85 


heiligenpariament  von  1296  stand  eine  kämpfliche  Klage  wegen 
Giftmords  zur  Verhandlung.  In  dieser  Sache  hatte  man  zunächst  eine 
„aprisia  super  modo  mortis  defuncti  Girardi,  et  utrum  tempore 
quo  deressit  aliqua  signa  seu  alique  conjuncturae  in  eo  apparuerint 
quod  impocionatus  fuisset“,  veranstaltet;  das  Ergebnis  dieser  en- 
quöte  war  negativ,  infolge  dessen  ließ  das  Urteil  den  kämpflichen 
Beweis  nicht  zu1).  Dieser  Fall  zeigt  schon  ganz  deutlich,  wie 
man  trotz  prinzipieller  Zulassung  des  kämpflichen  Beweises  dieses 
Beweismittel  durch  die  Konkurrenz  der  enquete  zu  paralysieren 
verstand.  Im  Jahre  1286  hat  im  königlichen  Gericht  in  Tours 
ein  Zweikampf  stattgefunden a);  im  Jahre  1293  wohnte  der  König 
einem  Zweikampf  in  Gisors  bei,  der  wegen  Verrats  zwischen  den 
Grafen  Armagnac  und  Foix  an  beraumt  war-,  dieser  Fall  wurde  durch 
königlichen  Befehl  beendigt3).  Auch  ein  kirchliches  Gericht, 
Saint-Benoit-de-Paris,  wandte  im  Jahre  1292  in  einer  Diebstahls- 
sache dieses  Beweismittel  an4).  Im  allgemeinen  scheint  aber  im 
letzten  Jahrzehnt  des  dreizehnten  Jahrhunderts  der  Kampfprozeß 
schon  an  Bedeutung  eingebüßt  zu  haben ; so  konnte  denn  der  König 
im  Jahre  1296  für  die  Dauer  seines  Krieges  schon  den  Zweikampf 
verbieten.  In  dieser  Urkunde  heißt  es:  „Dominus  Rex  pro  com- 
muni  utilitate  et  necessitate  regni  sui  statuit,  quod  durante  guerrä 
suä  ...  2)  inter  aliquos  gagia  duelli  nullatenus  admittantur,  sed 
quilibet  in  curiis  Regis  et  subditorum  suorum  jus  suum  via  ordi- 
nariä  prosequatur  . . ,“5).  Diese  Urkunde  ist  sowohl  wegen  der 
Möglichkeit  des  in  ihr  ausgesprochenen  absoluten  Verbotes  des 
gerichtlichen  Zweikampfes  für  das  ganze  Königreich,  als  wegen 
der  Bezeichnung  des  nicht  kämpflichen  Verfahrens  als  „via  ordi- 
naria“  bemerkenswert.  Ein  ähnliches  Verbot  erließ  Philipp  IV. 
im  Jahre  1304;  die  einschlägige  Stelle  dieser  Urkunde  hat  fol- 
genden Wortlaut:  . . Provocationes  etiam  ad  duellum  et  gagia 

')  Olim  II,  pag.  403  XIII  (1296).  — Der  Grund  liegt  aber  nicht  da- 
rin, daß  es  une  lutte  fratricide  göneralemcnt  interdite  gewesen  wäre,  wie 
Ducoudray  p.  394  annimmt;  vgl.  meinen  Gericht!  Zweikampf  p.  26  I. 

*)  vgl.  Viullet  I,  pag.  267.  Note  2. 

*)  vgl.  Languedoc  IV,  68  (1298).  — Rec.  II,  p.  694. 

4)  vgl.  Viollet  m,  p.  311. 

*)  Rec.  II,  p.  702  = Boutaric,  Actes  du  Pari.  I,  pag.  291  no.  2983 
u.  Olim  U,  pag.  405,  XV.  (1296). 


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86 


duellorum  recipi  rel  admitti  ipsaque  duella  fieri  vel  iniri  duran- 
tibus  guerris  nostris  expressius  inhibemus.  Quaestiones  autem, 
dissentiones  et  causas  propter  quas  et  seu  quarum  occasione  huius- 
modi  guerrae  et  duella  fieri  solebant  hactenus  et  iniri  per  semitas 
aequitatis  rationis  et  juris  sortiri  volumus  debitum  institui  corople- 
mentum  . . Diese  Bestimmungen  bilden  einen  Teil  einer 

umfangreichen  Ordonnanz ; diese  Ordonnanz  selbst  wiederholt  aber 
nicht  nur  eine  Vorschrift  der  Ordonnanz  von  1296,  sondern  sie 
enthält  auch  Ausführungen  über  die  Stellung  des  Königs  und 
seiner  Rate  zur  Zweikampffrage  überhaupt.  Dem  Erlaß  der 
Ordonnanz  ging  wiederum  eine  Beratung  vorauf;  hiervon  berichtet 
die  Ordonnanz  selbst  mit  folgenden  Worten-,  „cum  nonnnllis  pro- 
batis  et  baronibns  nostris  pleniori  habita  deliberatione  consilii;“ 
demnach  hat  man  es  doch  für  zweckdienlich  gehalten  sich  zuerst 
mit  den  Baronen  über  den  Inhalt  der  Ordonnanz  zu  verständigen. 
In  der  Ordonnanz  wird  dann  hervorgehoben:  „Ad  instar  sancti 
Ludovici  eximii  confessoris  quondam  regis  Francorum  . . . intendi- 
mus.“  Welche  speziellen  Akte  Ludwigs  IX.  dem  Gesetzgeber 
hierbei  vorschwebten,  läßt  sich  nicht  genau  feststellen.  Gemeint 
kann  damit  sowohl  die  Ordonnanz  vom  Jahre  1245  gegen  die 
Fehden,  als  die  Ordonnanz  vom  Jahre  1260  gegen  den  Zweikampf 
sein.  Immerhin  ist  die  Anknüpfung  an  Akte  des  nunmehr  heilig- 
gesprochenen Königs  Ludwig  IX.  bemerkenswert.  Eigentümlich 
ist  dieser  Ordonnanz  die  Gleichstellung  der  gerichtlichen  Zwei- 
kämpfe mit  den  Fehden,  die  nunmehr  als  turbationes  pacis  non 
obstante  contraria  consuetudine  bestraft  werden  sollen*);  ja  es 
scheint,  als  ob  nicht  ganz  absichtslos  in  der  Preambel  schon 
neben  der  Hervorhebung  der  guerrae  auch  das  in  jener  Zeit  ziem- 
lich zweideutige  Wort  bella  gebraucht  ist  und  von  diesen  guerrae 
und  bella  dann  weiterhin  gesagt  wird,  „ut  nemo  sibi  jus  dieere 
aut  vindictam  assumere  audeat,  sed  cuique  sufficiat  vigor  justitiae, 
quam  regimus  “ 3)  Wie  dem  auch  sein  mag,  soviel  steht  jedenfalls 
fest,  daß  für  das  ganze  Königreich  de  praelatorum  et  baronum  con- 

')  Kcc.  II.  p.  807.  (18.  1.  1304).  Im  Rccueil  ist  das  Datum:  „Tolnsae 
sabbato  post  octavam  Epiphanie  a.  D.  MCCCIII  “ falsch  aufgelöst  als 
9.  Januar  1303. 

>)  Kcc.  II,  p.  808. 

s)  Rec.  II,  p.  807. 


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87 


silio  ’)  während  des  .Kriegs  des  Königs  der  Zweikampf  verboten 
wurde  und  daß  die  Einbürgerung  der  enquete,  speziell  im  Zivil- 
prozeß, große  Fortschritte  gemacht  hatte,  ja  schon  nahezu  den 
Zweikampf  aus  dem  Zivilprozeß  verdrängt  hatte. 


§ 9- 

Die  Ordonnanz  von  1306  und  die  weitere  Entwickelung  des 
' gerichtlichen  Zweikampfs. 

I.  Die  im  vorhergehenden  Paragraphen  besprochenen,  zeitlich 
begrenzten,  allgemeinen  und  absoluten  Verbote  scheinen  streng 
durchgeführt  worden  zu  sein;  aber  gerade  dadurch  kamen  auch 
die  Mängel  eines  absoluten  Verbotes  des  Zweikampfes  in  beweis- 
technischer Hinsicht  zum  Vorschein;  andererseits  hatte  aber  auch 
die  Erfahrung  gelehrt,  daß  dies  Beweismittel  im  Zivilprozeß  ent- 
behrt werden  konnte.  Diese  beiden  Momente  verwandte  Philipp  IV. 
in  seiner  Ordonnanz  vom  I.  Juni  1306  und  schuf  damit  die  ge- 
setzliche Grundlage  für  die  Anwendung  dieses  Beweismittels  im 
ordentlichen  Verfahren,  wie  im  außerordentlichen  in  den  nächsten 
drei  Jahrhunderten. 

II.  Diese  Ordonnanz  beginnt  mit  einer  Preambel,  die  wie 
die  meisten  Urkunden  dieser  Zeit  noch  die  Motive  mit  folgenden 
Worten  ausführt:  „S^avoir  faisons,  que  comme  en^a  en  arriere 
pour  le  eommun  prouffit  de  nostre  royaume  nous  eussions  deffendu 
göneraument  ä tous  nos  subjects  toutes  maniöres  de  guerre  et 
tous  gaiges  de  bataille  dont  plusieurs  malfaiteurs  se  sont  advancez 
par  la  force  de  leur  corps  et  faux  engins  ä faire  homicides,  tra- 
hisons  et  tous  autres  malifices,  griefs  et  exces,  pour  ce  que,  quand 
ils  les  avoient  faits  eouvertement  et  en  repost,  ils  ne  pouvoient 
estre  convaincus  par  aucun  tesmoins  dont  par  ainsi  le  malöfice 
demenroit  impuni,  et  ce  que  nous  avons  fait  est  pour  le  eommun 
prouffit  et  salut  de  nostre  royaulme;  mais  pour  oster  aux  mauvais 
dessusdiz  toute  cause  de  mal  faire  nous  avons  nostre  dessusdite 
deflense  attemperße  par  ainsi  que  lä  oü  il  appera  övidemment  ho- 

0 Ree.  XI,  p.  808.  — Paaquier  datiert  die  Aufhebung  des  gerichtlichen 
Zweikampfes  von  dieser  Ordonnanz  von  1304  vgl.  Pasquier  p.  324  A und 
322  C. 


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micide,  trahison  ou  autre  griefs,  violences  ou  maMces,  exceptö 
larrecin  par  coy  peine  de  mort  s’en  deust  ensuivir,  secrtdement 
ou  en  repost  si  que  celuy  qui  l’auroit  fait  ne  peust  estre  convain- 
cus  par  t4moins  ou  autre  maniöre  suffissante.“  ’) 

Die  Ordonnanz  fährt  dann  mit  folgenden  Bestimmungen 
weiter:  „Nous  voulons  que  en  deffaut  d'autre  poinct  celuy  ou 
ceux  qui  par  indices  ou  prösumptions  semblables  ä veritö  pour 
avoir  ce  fait  soient  de  tels  faits  suspicionnez,  appelez  et  citez  ä 
gaige  de  bataille,  et  souffrons  quant  ä ce  cas  les  gaiges  de  bataille 
avoir  lieu,  et  pour  ce  que  a celle  justice  tant  seulement  nous 
atrempons  nostre  deffense  dessudite  6s  lieux  et  6s  termes  aquels 
les  gaiges  de  bataille  n’avoient  lieu  devant  nostre  dite  deffense, 
car  ce  n’estoit  raie  nostre  intention  que  ceste  deffense  fust  rappel6e 
ne  attempere  ä nuls  cas  passez  devant  ne  apres  la  date  de  nos 
präsentes  lettres  desquelles  les  condemnations  et  absolutions  ou 
enquestes  soient  faites,  afin  que  on  les  puisse  jugier,  absoudre  ou 
condamner  ainsi  que  le  cas  le  requiert  et  övidemment  apparoistra.“ 
Hierauf  folgt  die  Corroboratio  etc.*) 

Von  einer  Exegese  der  Bestimmungen  dieser  Ordonnanz  kann 
ich  hier  absehen,  da  ich  alle  Einzelheiten  schon  in  anderem  Zu- 
sammenhang5) erörtert  habe.  Wohl  aber  ist  hier  die  rechtsge- 
schichtliche Bedeutung  dieser  Ordonnanz  zu  untersuchen. 
Wie  die  Preambel  dieser  Ordonnanz  zeigt,  macht  sich  der 
Gesetzgeber  die  bisher  in  der  Zweikampfmaterie  gesammelten 
Erfahrungen  zu  Nutze;  er  sieht  ab  von  einem  absoluten  Verbot, 
wie  es  ihm  beim  Erlaß  der  Ordonnanz  von  1304  vorgeschwebt 
hatte  und  wie  es  ihm  jetzt  noch  wünschenswert  erscheint; 
er  verwertet  dabei  sorgfältig  die  Erfahrungen,  die  man  bisher 
in  legistischen  Kreisen  mit  den  Bestrebungen  der  Einschränkung 
des  kämpflichen  Beweises  gemacht  hatte ; er  kommt  der  legistischen 


■)  Bec.  n.  p.  832. 

*)  Bec.  II,  832  u.  833.  — Einen  im  Prinzip  ähnlichen  Versuch  h»tte 
Simon  do  Montfort  schon  im  Jahre  1212  gemacht,  indem  er  in  Palmiera 
eine  coutume  gab,  in  der  er  allen  Horrcn  verbot  in  ihrem  Gericht  den  Zwei- 
kampf außer  bei  den  crimcs  de  trahison,  de  vol  et  de  rapine  anznordnen. 
vgl.  Languedoc  III, ’p.  234.  . — ^Auch  die  consnetudo  remensis  (1248)  art.  40 
in  Beims  legislatif  1.  p.  40  läßt  den  Kampf  nur  bei  crimen  zu. 

*)  Vgl.  meinou  UerichtL  Zweikampf  § 20.  111.  p.  77  f. 


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Theorie  vielfach  entgegen  und  sanktioniert  ihre  bisherige,  teil- 
weise abusive  Praxis;  er  räumt  der  Enquete  den  Vorrang  vor  dem 
kämp fliehen  Beweis  ein  und  läßt  diesen  nur  nach  vorhergegangener 
resultatloser  Enquete  zu,  wenn  die  in  der  Ordonnanz  näher  be- 
zeichneten  fünf,  den  kämpflichen  Beweis  einschränkenden  Voraus- 
setzungen') vorliegen.  Dabei  nimmt  die  Ordonnanz  auf  ein 
früheres  allgemeines  und  absolutes  Verbot  desselben  Königs  mehr- 
fach Bezug;  es  kann  kaum  irgend  welchem  Zweifel  unterliegen, 
daß  damit  die  Ordonnanz  von  1304  gemeint  ist;  denn  bei  der 
ersten  Erwähnung  dieses  Verbots  sagt  die  Ordonnanz  wörtlich: 
„nous  eussions  deffendu  göneraument  ä tous  nos  subjects 
toutes  maniferes  de  guerre  et  tous  gaiges  de  bataille.“ 
Das  Wort,  „nous“  läßt  ja  deutlich  erkennen,  daß  es  sich  nur  um 
eine  Ordonnanz  desselben  Königs  handeln  kann  und  daß  damit 
nicht  etwa,  wie  Ducoudray  irrtümlich  annimmt*),  die  Ordonnanz 
von  1260  gemeint  sein  kann;  die  Worte:  „toutes  maniöres  de 
guerre  et  tous  gaiges  de  bataille“,  lassen  erkennen,  daß  hier  eine 
Ordonnanz,  die  gleichzeitig  die  Fehden  und  den  gerichtlichen 
Zweikampf  verbietet,  in  Frage  steht,  es  sich  also  nur  um  die 
Ordonnanz  von  1296  oder  die  von  1304  handeln  kann.  Für  die 
Ordonnanz  von  1304  spricht  nun  nicht  nur,  daß  sie  zeitlich  der 
Ordonnanz  von  1306  am  nächsten  steht,  sondern  auch  das  Wort 
göneraument;  es  heißt  hier  nicht:  „während  unseres  Krieges“, 
sondern  „allgemein“  und  dies  läßt  sich  aus  der  Fassung  der 
Ordonnanz  von  1304  rechtfertigen,  die  die  guerrae  und  bella  all- 
gemein verbot3)  und  die  gagia  duellorum  allerdings  nur  „duran- 
tibus  gnerris  nostris“  untersagte;  aber  diese  letztere  Einschränkung 
verschwindet  fast  im  übrigen  Text  und  wird  durch  den  übrigen 
Wortlaut  so  gut  wie  erdrückt.  Umgekehrt  beweist  aber  auch  der 
Wortlaut  unserer  Ordonnanz  von  1306,  daß  die  Klausel  „durantibus 
guerris  nostris“  im  Sinne  des  Gesetzgebers  nicht  allzu  ernst  ge- 
meint war,  sondern  daß  er  persönlich  ihr  wenig  Wert  beilegte 
und  sie  wohl  nur  unter  dem  Druck  der  „deliberatio  consilii“  an 
dieser  Stelle  aufhahm ; der  Gesetzgeber  selbst  hatte  sie  schon  ver- 

')  vgl.  oben  p.  87  f.  and  meinen  Gorichtl.  Zweikampf  p.  77  f. 

’)  vgl.  Ducoudray  p,  394,  damit  fallen  anch  die  Folgerungen,  die  er 
an  diese  Auffassung  knöpft. 

3)  vgl.  hierzu  oben  p.  87.  Note  1. 


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gessen,  ehe  die  Tinte  jener  Urkunde  recht  getrocknet  war.  So 
sagt  denn  auch  der  König  in  der  Ordonnanz  von  1306:  „ce 
n’estoit  mie  nostre  intention  que  ceste  deffense  fust  rappelee  ne 
attemperte  ä nuls  cas  etc.,“  und  an  einer  anderen  Stelle  betont 
er:  „nous  avons  nostre  dessusdite  deffense  attemperfe  par  ainsi 
que  etc.“  Hiernach  soll  das  Verbot  der  gerichtlichen  Zweikämpfe 
in  allen  nicht  besonders  hervorgehobenen  Fällen  aufrecht  erhalten 
bleiben1).  Viollet  hat  diese  Ordonnanz  für  eine  Art  transaction 
imaginee  par  un  logiste  de  Philippe-le-Bel  erklärt  und  meint  von 
da  an  sei  der  gerichtliche  Zweikampf  desuetudine  abrogiert  worden*). 
Wie  es  sich  mit  der  letzteren  Behauptung  verhält,  wird  später 
zu  untersuchen  sein,  unrichtig  ist  aber  die  erstere  Meinung,  die 
sich  mit  der  von  Dncoudray3)  aufgestellten  Ansicht,  die  Ordonnanz 
von  1306  sei  ein  recul  de  la  justice  presente  comme  une  ameli- 
oration,  berührt.  Beide  Schriftsteller  nehmen  die  narratio  der 
Urkunde  nicht  ganz  ernst;  wenn  man  aber  bedenkt,  daß  im  Jahre 
1306  die  question,  von  deren  Anwendung  im  Süden  wir  schon 
aus  einer  Ordonnanz  Ludwigs  IX.  vom  Jahre  1254  wissen,  im 
Norden  noch  nicht  gebräuchlich  war,  so  sind  doch  tatsächlich 
Fälle  strafrechtlicher  Natur  denkbar,  in  welchen  man  nur  mit  dem 
Zweikampf  einen  Beweis  führen  kann ; soviel  darf  man  der  Ordon- 
nanz wirklich  glauben,  daß  sich  in  den  ihrem  Erlaß  voraufge- 
gangenen Jahren  auch  solche  Fälle  in  der  Praxis  ereignet  haben, 
ohne  daß  gerade  Urkunden  über  dieselben  auf  uns  gekommen 
sind.  Beide  Schriftsteller  suchen  aber  demnächst  auch  das  Schwer- 
gewicht der  Ordonnanz  an  einer  falschen  Stelle.  Die  Ordonnanz 
von  1304  sagt:  „corruptelafm]  (seil,  guerraruin)  ....  de  pleni- 
tudine  regiac  potestatis  omnino  tollimus  annullamus  cassamus  irri- 
tamus  et  penitus  abolemus,  nullam  cassam  et  irritam  pronuntia- 
mus  et  decemimus“4);  und  noch  war  kein  Jahr  seit  dem  Erlaß 
der  Ordonnanz  von  1306  verstrichen,  da  richtete  der  König  die 
Ordonnanz  vom  1.  Mai  1307  an  den  Seneschall  von  Toulouse.4) 

')  Wie  sich  der  französische  Adel  zu  dieser  authentischen  Interpreta- 
tion stellte,  das  wird  unten  p.  102  zu  erörtern  sein. 

*)  Viollet  I,  p.  268. 

s)  Ducoudray  p.  394. 

4)  Ree.  II,  p.  808. 

s)  Ord.  XII,  p.  367.  (1307)  vgl.  unten  p.  91  f. 


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91 


Der  König  war  von  ganz  andern  Gedanken  beseelt,  als  von  dem 
einer  „transaction“  oder  amMioration“;  im  Gefühle  der  „plenitudo 
regiae  potestatis“  hat  Philipp  IV.  auch  die  Ordonnanz  von  130(1 
erlassen.  Zu  einer  „transaction“  lag  kein  Grund  vor,  weil  sich 
eine  lebhaftere  Opposition  in  der  Zeit  von  1304  bis  1306  nirgends 
zeigt;  für  einen  „recul  de  la  justice“  war  niemals  in  legistisehen 
Kreisen  Neigung  vorhanden.  Die  Ordonnanz  von  1306  sollte  viel- 
mehr nur  eine  neue  Etappe  auf  dem  Weg  zur  königlichen  all- 
mächtigen Justizhoheit  sein,  sie  sollte  auf  der  Grundlage  der  Or- 
donnanz von  1304  weiterbauen  und  kraft  der  königlichen  Macht- 
vollkommenheit den  kärapflichen  Beweis,  der  dieser  königlichen 
Allmacht  im  Wege  stand,  für  immer  auf  die  unumgänglichsten 
Anwendungsfälle  beschränken. 

III.  Einen  weiteren  Schritt  auf  dem  eben  bezeichnten  Wege 
bedeutet  eine  Ordonnanz  Philipps  IV.  an  den  Seneschall  von  Tou- 
louse, bei  der  vielleicht  das  lothringische  und  holländische  Vor- 
bild mitwirkte,  die  sich  aber  auch  sowohl  aus  der  Tendenz  der 
Rechtsentwickelung  um  die  Wende  des  vierzehnten  Jahrhunderts, 
die  dahin  ging,  die  Duellgerichtsbarkeit  den  Händen  der  kleineren 
Territorialherren  zu  entwinden  und  sie  wo  möglich  in  die  Hände 
des  obersten  Gerichtsherrn  zu  legen1),  als  auch  aus  den  Grundprin- 
zipien der  legistisehen  Theorie  erklären  läßt.  Diese  Ordonnanz 
vom  1.  Mai  1307  hatte  folgenden  Wortlaut:  „Cum  non  sit  inten- 
tionis  nostrae,  si  inter  Barones  Senescalliae  vestrae  moveantur  seu 
moveri  videantur  causae  in  quibus  debeat  seu  videatur  vadium 
duelli  incidere,  quod  vos  causas  hujusmodi  debeatis  in  assisiis 
vestris  aut  coram  vobis  qualicunque  modo  audire  seu  qualiter- 
cunque  tractare.  Nos  subditorum  nostrorum  quietem  et  pacem 
totis  desideriis  affectantes  et  in  eorum  tranquillitate  laetantes, 
mandamus  vobis  et  ex  causa,  quatenus  quandoque  tales  causae 
movebantur  seu  moveri  incipient  coram  vobis,  in  eis  nullatenus 
procedatis,  nec  aliquem  coram  vobis  processum  in  causis  hujus- 
modi, etiam  ab  nuncio  tieri  permittatis;  sed  in  hujusmodi  ca- 
sibus  et  similibus,  nullo  coram  vobis  habito  super  eis  proces- 


*)  Tgl.  hierüber  meinen  Gcrichtl.  Zweikampf  p.  48  und  die  dort  ange- 
gegebenen  Quellen. 


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92 


su,  partes  et  examen  nostrae  Curiae  Parisiensis  remittatis.“')  Der 
Inhalt  dieser  Ordonnanz  ist  leicht  verständlich:  Alle  Karapfsachen 
sollen  zur  Entscheidung  an  das  Parlament  verwiesen  werden; 
weder  der  Seneschall  selbst,  noch  sein  judex  appelationum  sollen 
in  Kampfsachen  fürderhin  urteilen.  Wenn  die  Ordonnanz  auch 
am  Anfang  nur  von  den  barones  spricht  und  von  den  assisiis*), 
so  zeigt  doch  der  Schlusssatz,  daß  auch  andere  Gerichte  und  alle 
Zweikämpfe  von  der  Ordonnanz  getroffen  werden  sollen.  Aber 
auch  hier  bewährte  sich  wieder  der  Satz:  „Les  ordonnanees  ne 
suffisent  pas“;  denn  der  Seneschall  verhandelte  schon  im  Jahre 
1308  wieder  eine  Kampfsache;  auf  die  Appelation  des  Beklagten 
erklärte  das  Parlament  in  der  Weihnachtswoche  des  Jahres  1308: 
„predictum  senescallum,  seu  locum  ejus  tenentem  male  judicasse 
. . . nec  erit  ibidem  gagium  duelli“,  obwohl  es  sich  in  der  Sache 
um  einen  Mord  handelte*).  Am  20.  März  1309  hob  das  Parlament 
wiederum  die  Anordnung  des  kämpflichen  Beweises  in  einer  Mords- 
klage durch  den  Seneschall  von  Toulouse  auf.i) * * 4)  Wie  von  da  an 
die  Vorschriften  der  Ordonnanz  von  1307  in  Toulouse  gehandhabt 
wurden,  können  wir  nicht  urkundlich  feststellen;  jedenfalls  hat 
aber  das  Parlament  an  der  Ordonnanz  festgehalten;  dies  ergibt 
sich  aus  einem  Mandement  desselben  an  den  Seneschall  von  Tou- 
louse vom  14.  Juli  1317,  den  Förderer  in  einer  kämpflichen  Mords- 
klage vor  das  Parlament  zu  laden 5).  Die  Bestimmungen  der 
Ordonnanz  von  1307  wurden  später,  ob  gewohnheitsrechtlich  oder 
gesetzesrechtlich,  das  läßt  sich  nach  dem  vorliegenden  Material 
nicht  feststellen,  auch  auf  andere  Landesteile  ausgedehnt;  das 
geht  schon  aus  dem  Zweikampfprivileg  für  Perrusses  vom  Jahre 
1348  hervor,  das  seine  Bestimmungen  mit  der  Generalklausel: 
„pourveu  toutes  voyes  es  choses  dessus  touchans  gaige  de  bataille 
que  li  Roy  nostre  Sire  si  consente,“  schließt.*)  Die  Ordonnanz 
von  1307  scheint  dann  späterhin  im  ganzen  Königreich  Anwen- 

i)  Ord.  XII,  p.  867  (1307). 

*)  weil  es  sich  eben  meist  um  Zweikämpfe  ritterlicher  Parteien  handelte. 

*)  Olim  II,  p.  496.  VIII  (1308). 

*)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  3570. 

*)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  5474. 

6)  in  Ord.  Vll.  p.  33  art.  14.  vgl.  oben  p.  11.  Note  8. 


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düng  gefunden  zu  haben '),  wenigstens  sagt  uns  Pasquier  mit 
Bezugnahme  auf  die  Ordonnanzen  Philipps  IV.  und  unter  Ver- 
wechselung der  Ordonnanz  von  1306  mit  der  von  1307:  „les  Ju- 
ges  ordinaires  eurent  les  inains  closes  et  n’y  avait  que  le  Boy 
en  son  grand  conseil  ou  la  Cour  du  Parlcraent  qui  en  peust  cog- 
noistre.“5)  Jedenfalls  erging  im  Jahre  1409  eine  Ordonnanz,  die 
die  Abhaltung  von  gages  de  lmtaille  im  ganzen  Königreich  nur 
auf  Grund  eines  Urteils  des  Königs  oder  des  Parlaments  zuließ.5) 

IV.  In  Verbindung  mit  der  Ordonnanz  von  1306  wird  in 
allen  Abschriften4)  ein  sehr  umfangreiches  Formular  mitgeteilt, 
das  teils  einen  Kommentar  zu  dieser  Ordonnanz  enthält,  teils  Aus- 
führungsregeln für  diese  Ordonnanz  gibt.  Dieses  Reglement  hat 
jedenfalls  ursprünglich  in  keinem  Zusammenhang  mit  der  Ordon- 
nanz von  1306  gestanden;  denn  diese  schließt  in  allen  Abschriften 
mit  der  corroboratio : „En  tesmoing  de  ce,  Nous  avons  ces  lettres 
fait  sceller  de  nostre  grand  scel“,  und  dem  Datum:  „Donne  ä Paris 
le  mercredi  aprfes  la  Trinit£  l’an  de  gräce  rail  trois  eens  et  six“. 
Das  Reglement  wird  mit  der  Überschrift  eingeleitet:  „Les  quatre 
choses  apartenant  ä gaige  de  bataille  auparavant  qu’il  puisse  estre 
udjuge“.  Eine  inseriptio  und  promulgatio  ist  nicht  vorhanden ; der 
Kontext  beginnt  vielmehr  im  Anschluß  an  die  Überschrift  mit  den 
Worten:  „Premiferement,  nous  voulons  et  ordonnons,  qu’il  soit 
chose  notoire  etc“ ; auch  ein  für  eine  königliche  Urkunde  sprechendes 
Eschatokoll  findet  sich  nicht.  Wahrscheinlich  ist  dieses  Regle- 
ment eine  Privatarbeit,  die  der  Ordonnanz  von  1306  späterhin 
angeschlossen  wurde  und  so  im  Parlament  gebraucht  wurde.  Die 
Entstehungszeit  dieses  Reglements  ist  nicht  bekannt;  jedenfalls 
liegt  sie  vor  dem  Jahre  1356,  da  seit  diesem  Jahre  in  den  Parla- 

')  Tgl.  Lisieux  (1386)  bei  Canel  p.  115  nach  Kluquet.  Hist,  du  Pari.  I. 

p.  160. 

’)  Pasquier  p.  324  A. 

3)  vgl.  Ureinus  p.  200  und  Rec.  VII  p.  199  no.  445  — Irrtümlich  ist 
die  Ansicht  Campigneulles’  I,  p.  52,  der  annimmt,  daß  sich  erst  tu  Anfang 
des  sechszehnten  Jahrhunderts  im  Wege  des  Gewohnheitsrechts  dieser  Satz 
gebildet  habe. 

*)  Rec.  11,  p.  833  f.  gibt  den  Text  nach  Lauriere  wieder:  außerdem 
findet  es  sich  in  einer  von  Crapclet  veröffentlichten  Bilderhandschrift  aus 
der  Mitte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts. 


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mentsurkunden ')  ein  weiteres  Erfordernis  für  die  Zulässigkeit  des 
kämpflichen  Beweises  erscheint.  Die  Bilderhandschrift  schreibt  es 
in  ihrem  Titel,  Ceremonies  des  Gages  de  Bataille  selon  les  con- 
stitutions  du  bon  roi  Phelippe  de  France,  der  Zeit  um  Philipp  IV. 
zu;  die  Coustumes  et  Stilles  gardez  ou  duchiß  de  Bourgogne  ver- 
wenden es  schon,  dagegen  findet  es  sich  noch  nicht  bei  Du  Breuil. 
Man  wird  daher  wohl  die  Entstehung  in  die  dreißiger  oder  vierziger 
Jahre  des  vierzehnten  Jahrhunderts  verlegen  dürfen.  Daß  das 
Reglement,  ganz  abgesehen  von  dem  ersten  Artikel,  der  die  Or- 
donnanz von  130«  kommentiert,  nicht  die  alte  Verfahrensart  war, 
die  man  nunmehr  wieder  zu  Ehren  brachte,  das  hätte  auch  Du- 
coudray 5)  erkennen  müssen,  wenn  er  die  Stellung,  die  der  Gerichts- 
herr nach  diesem  Reglement  einnimmt,  die  beginnende  Schriftlich- 
keit der  Protestationen s),  den  Zuschnitt  der  ganzen  Zeremonien 
auf  die  ritterliche  Bevölkerung  beachtet  hätte.  Es  ist  vielmehr 
wahrscheinlich,  daß  das  Reglement  die  Kampfordnung  schildert, 
wie  sie  zur  Zeit  seiner  Abfassung  im  Parlament  gehandhabt  wurde  *). 
Dieses  Reglement  erlangte  bald  Gesetzeskraft,  die  wohl  aus  dem 
Gerichtsgebrauch,  der  es  legis  vice  an  wandte,  sich  erklärte. 

V.  Bis  in  die  Mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  ist  der 
Zweikampf  das  stärkste  Beweismittel,  das  die  Wirkung  des  Eides, 
der  Urkunden,  abgesehen  von  den  Königsurkunden,  und  sogar  das 
Urteil  zu  paralysieren  vermag;  er  ist  im  eminentesten  Sinne  ein 
Akt  prozessualer  Selbsthilfe;  der  Zweikampf  kann  aber  nur  be- 
stehen in  einem  rein  formalen  Beweissystem  oder  doch  nur  in 
einem  überwiegend  formalen  Prozeß.  In  einem  wesentlich  inquisi- 
torischen Prozeß,  in  dem  notwendiger  Weise  an  die  Stelle  der 
ausschließlichen  Parteitätigkeit  mehr  und  mehr  die  richterliche 
Tätigkeit,  insbesondere  im  Prozeßbetrieb  und  der  Beweiswürdigung 
tritt,  ist  nur  noch  wenig  Platz  für  formale  Prozeßakte,  die  mehr 
und  mehr  zur  Rolle  der  Lückenbüßer  herabsinken  und  deren  An- 
ordnung nicht  mehr  ohne  vorangegangene  richterliche  Prüfung 
des  Prozeßstoffes  stattfinden  kann;  es  ist  daher  durchaus  konse- 

')  vgl.  meinen  Gericht!.  Zweikampf  pag.  80  Note  1. 

*)  Ducoudraj  p.  395  Note  4. 

*)  vgl.  meinen  Gorichtl.  Zweikampf  p.  65  Note  6,  p.  58  Note  1. 

4)  Die  einzelnen  Sätze  dieses  Reglements  habe  ich  an  den  entsprechenden 
Stellen  des  Systems  in  meinem  Gericht!.  Zweikampf  erörtert. 


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9f> 


quent,  wenn  die  Ordonnanz  von  1306  den  kämpflichen  Beweis  nur 
noch  beim  Versagen  aller  andern  Beweismittel  als  außerordentliches 
Beweismittel  zuläßt,  da  sich  nach  und  nach  im  Verlauf  der  voraufge- 
gangenen fünfzig  Jahre  der  inquisitorische  Prozeß  die  Stelle  des 
ordentlichen  Verfahrens  erkämpft  hatte.  Die  Ordonnanz  von  1306 
beweist  aber  im  Gegensatz  zur  Ordonnanz  von  1260  doch  so  viel 
praktischen  Sinn,  daß  sie  nicht  bloß  zerstört,  ohne  einen  voll- 
wertigen Ersatz  für  das  Zerstörte  an  die  Stelle  zu  setzen,  die 
sonst  eine  nach  dem  damaligen  Stande  der  Prozeßwissenschaft 
und  Prozeßpraxis  unausfüllbare  Lücke  darstellte,  darum  ließ  sie 
den  Zweikampf  in  den  bekannten,  eng  umschriebenen  Grenzen  als 
außerordentliches  Beweismittel  in  gesetzlicher  Geltung  bestehen 
und  kein  späteres  Gesetz  hat  ihn  dauernd  beseitigt.  In  richtiger 
Erkenntnis  der  Sachlage  waren  die  Legisten  bestrebt  das 
neue  Prozeßsystem  immer  mehr  auszubauen  und  zu  vervoll- 
kommnen; negativ  mußten  diese  Bestrebungen  auf  eine  immer 
weitere  Beschränkung  der  Zulässigkeit  des  kämpflichen  Beweises 
gerichtet  sein. 

Immer  und  immer  wieder  mußte  die  Beachtung  der  Ordonnanz 
von  1306  den  baillis  und  senechaux  eingeschärft  werden  ‘).  In 
den  kämpflichen  Sachen  gilt  die  alte  Prozedur,  die  vor  der  Or- 
donnanz von  1260  in  Übung  war;  so  zieht  insbesondere  ein  defaut 
Sachfälligkeit  nach  sich*).  Im  Chätelet  de  Paris  ist  für  Zivil- 
sachen die  Ordonnanz  von  1260  maßgebend,  im  ordentlichen 
Strafverfahren  gelangt  der  geheime  Prozeß  zur  Anwendung1)  Die 
Gesetzgebung  Philipps  des  Vierten  gab  dem  Parlament  die  Mög- 
lichkeit in  allen  Kampfsachen  entscheidend  mitzuwirken  durch  die 
Anwendung  der  enquete,  die  ja  in  allen  Sachen  zur  Aufklärung 
der  Sach-  und  Rechtslage  zulässig  war.  So  erging  auch  in  einer 
Kampfklage  zwischen  Guiohard  de  Combom  und  Bernard  de  Com- 
born  wegen  Mords  am  16.  April  1319  ein  mandement  des  Parla- 
ments an  Bertrand  de  Roque-Negade,  Chevalier  et  conseillier,  an 
Gui  de  Montague,  clerc  du  Roi,  au  sen^chal  de  Saintonge  und  an 


')  vgl.  i.  B.  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  53C7  (29.  IV.  1318). 

*)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  5177  (4.  II.  1318),  no.  6391  (20.  IV. 
1320),  no.  7756  (8.  I.  1326). 

*)  vgl.  Stilus  p&rletn.  edit.  Molinaeus  (1551)  p.  80  u.  81. 


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96 

Bernanl  de  Gervais,  jnge  de  la  seneehaussee  de  Pörigord,  de  faire 
une  enquete  ponr  savoir  s’il  y a lieu  d’accorder  le  duel  propose 
au  Parlement  par  Guichard  de  Comborn  contre  Bernard  de  Com- 
bom1).  Ara  13.  Januar  132t!  erließ  das  Parlament  ein  mandement 
an  Gobert  Sarrassis  de  Laön  und  an  Jacques  Le  Monnier  de  Chauni, 
de  faire  une  enquete  sur  la  demande  de  duel  formte  entre  Robert 
le  Pfere  appelant  il’une  part,  et  d'autre  part  les  horaes  jugeants 
en  la  eour  du  Roi  ä 8aint- Quentin  et  Jean  Sohier,  bourgeois  de 
cette  ville,  nach  Anhörung  der  Parteien*).  Auch  als  Appelations- 
instanz  hatte  das  Parlament  Gelegenheit  seinen  Einfluß  auf  kärapf- 
liche  Sachen  wahrznnehmen.  So  hebt  es  das  Urteil  des  weltlichen 
Gerichts  des  Bischofs  von  Saint-Brieuc,  das  gegen  die  Ordonnanz  von 
1 306  den  Zweikampf  zwischen  zwei  Knappen  angeordnet  hatte,  nach 
voraufgegangener  enquöte  in  der  Invokavitwoehe  des  Jahres  131 2 auf5). 
Dieses  Urteil  bietet  gleichzeitig  ein  lehrreiches  Beispiel  für  die 
praktische  Behandlung  der  käinpflichen  Injurienklage  vor  und  nach 
der  Ordonnanz  von  1306.  Während  vor  dem  Erlaß  der  Ordonnanz 
von  1306  die  Beleidigung  gemeinrechtlich  eine  kämpfliche  Ma- 
terie war,  fällt  sie  nun  nicht  mehr  unter  die  käinpflichen  Sachen ; 
eine  ablehnende  Entscheidung  brauchte  sich  daher  jetzt  nur  auf 
die  Ordonnanz  von  1306  zu  stützen.  Kurz  vor  dem  Erlaß  der 
Ordonnanz  von  1306,  in  der  Osterwoche  1306,  hat  das  Parlament 
ebenfalls  eine  kämpfliche  Injurienklage  abgewiesen,  dabei  mußte 
es  sich  mangels  einer  gesetzlichen  Grundlage  für  das  Urteil  auf 
einen  königlichen  Befehl  stützen,  den  es  folgendermaßen  wieder- 
gibt: „Tandem  de  facto  hujusmodi  dominus  Rex  fecit  sciri,  et 
presentibus  dictis  partibus  in  curia,  ipse  dominus  Rex  causa  cognita, 
predictum  gagiuin  duelli  totaliter  annulavit  et  precepit  dictis  par- 
tibus conscientibus  et  obedientibus,  quod  bona  pax  esset  de  cetero 
super  hoc  inter  ipsas;  dictique  pater  et  filius,  ad  mandatum  do- 
mini  Regis,  predicto  domino  cardinali  super  dictis  verbis  gagia- 


')  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  5778. 

*)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  7755. 

5)  Nach  Olim  IIP,  p.  679  XLV.  wurde  das  Urteil  in  der  octaTa 
Brandonum  1311  gefallt;  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  3965  datiert  cs 
nach  der  Registratur:  Veneris  post  quenden&m  Penthecostes  vom  2.  Juni  1312; 
als  maßgebendes  Datum  ist  aber  die  Zeit  der  Urtcilsf&llung  also  die  Invo- 
kavitwoche  1312  zu  betrachten. 


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97 


verunt  emendam  etc. ').  Ebenfalls  in  der  Appelationsinstanz,  wie 
in  dem  Falle  vom  Jahre  1312,  hatte  sich  das  Parlament  im  Jahre 
1313  mit  einer  kämptliehen  Erbschaftsklage  zu  beschäftigen;  auf 
Grund  der  Ordonnanz  von  1 306  wies  es  in  Übereinstimmung 
mit  einer  sentence  des  prövöt  de  Paris,  die  ein  in  zweiter  Instanz 
vom  prövöt  de  Corbeil  erlassenes  Kampfurteil  aufgehoben  hatte,  die 
Klage  ab s).  Die  Enqueten , die  das  Parlament  in  Kampfsachen 
anordnete,  nahmen  manchmal,  ob  mit  oder  ohne  Absicht,  das  mag 
dahingestellt  bleiben,  sehr  viele  Zeit  in  Anspruch.  So  hatten  in 
der  Sache  Combom  •/.  Combom,  aus  der  oben  ’)  schon  ein  mande- 
ment  mitgeteilt  wurde,  mehrere  Enqueten  stattgefunden.  Zunächst 
war  eine  Kommission,  die  aus  Bertrand  de  Roque-Nögade,  Cheva- 
lier, und  Jean  d’Höpital,  clerc  du  Roi,  bestand,  zur  Untersuchung 
der  Sache  bestimmt  worden.  Am  8.  August  1317  erfolgte  ein 
mandement  des  Parlaments  an  den  Seneschall  der  Saintonge,  an 
Stelle  des  Jean  d’Höpital  ein  anderes  Mitglied  zu  ernennen4). 
Am  12.  April  1319  wurde  der  Seneschall  von  Perigord  beauftragt 
Bemard  de  Combom  und  Guichard  de  Combom,  diesen  als  Ver- 
treter seines  inzwischen  verstorbenen  Vaters,  in  der  Kampfsache 
vor  das  Parlament  zu  laden5).  Am  16.  April  1319  erging  dann 
das  oben  erwähnte  mandement,  das  eine  neue  Enquetekommission 
einsetzte“  *).  Die  Sache  war  also  nach  beinahe  zwei  Jahren  noch 
nicht  abgeurteilt.  In  einer  Mordssache  gegen  Forbenier  de  Cirac 
erließ  das  Parlament  unter  dem  4.  Dezember  1316  ein  mandement 
an  den  Seneschall  von  Toulouse,  de  faire  prompte  justice  de  F.  de  C. 
qui  etait  convaincu  d’avoir  assassine  Callard  de  Cirac,  apres  l’avoir 
provoquc  ä un  duel  judiciare7).  Am  14.  Juni  1317  war  diese 
„prompte  justice“  noch  nicht  erledigt;  denn  an  diesem  Tage  erließ 
das  Parlament  ein  mandement  an  den  Seneschall  von  Toulouse, 
d’ajouraer  au  Parlement  Giraud  de  Tours,  damoiseau,  qui  avait 
demande  le  duel  contre  Fourbenier  de  Sirac,  accuse  de  meurtre  de 

«)  Olim  II,  pag.  485.  VI  (1306). 

*)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  4065  (19.  IL  1318). 

*)  oben  pag.  95. 

4)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  5506  (8.  VIII.  1317). 

4)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  6046  (12.  IV.  1319). 

•)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  5778  (16.  IV.  1319).  vgl.  oben  pag.  95. 

7)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  4491  (4.  XII.  1316). 

Co  all  a,  Zweikampf  in  Frankreich  7 


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98 


Gaillard  de  Sirac  Chevalier  alleul  et  de  Gaillard  de  Sirac 
oncle  du  dit  Giraud ') . In  einer  Sache , de  Rochetail- 

lade  •/.  Rostand  de  Rama,  liegen  Parlamentsurkunden  aus 
der  Zeit  vom  7.  VIII.  1318  bis  zum  1*2.  V.  13*20  vor1).  In 
einer  Sache  „Suscepreda“  /.  „Caillau“,  die  erstmals  am  *27.  IX. 
1317  in  den  Parlamentsurkunden  erwähnt  wird,  ist  am  12.  IV.  1319 
noch  kein  Urteil  erlassen1).  Wenn  dann  eine  Sache  spruchreif 
war,  wurden  die  Parteien  durch  Vermittelung  der  scnechaui  bezw. 
baillis  zu  dem  Urteilsverkündigungstermine  geladen4).  Ließ  sich 
eine  Partei  einen  defaut  zu  schulden  kommen,  so  sprach  das 
Parlament  den  döfaut  auss)  und  beauftragte  den  zuständigen  bailli 
bezw.  senechal  mit  der  Vollstreckung1).  Der  im  Vorstehenden 
geschilderte  äußere  Gang  des  Verfahrens  erklärt  aber  für  sich 
allein  betrachtet  noch  nicht  das  Verschwinden  oder  auch  nur  das 
immer  seltenere  Vorkommen  der  Kampftermine  im  französischen 
Recht;  denn  dieser  Rahmen  des  Verfahrens  hätte  an  sich  sehr  wohl 
einen  Kampftermin  in  sich  aufnehmen  können.  Die  Erweiterung 
der  richterlichen  Befugnisse  und  die  Hand  in  Hand  damit  gehende 
Beschränkung  des  Parteibetriebs  ermöglichten  vielmehr  erst  im 
Verlauf  des  konkreten  Prozesses  die  Verhütung  eines  Kampftermins 
oder  doch  des  blutigen  Ausgangs  eines  solchen.  Hierhin  gehören 
die  in  der  Ordonnanz  von  130(5  aufgeführten  Voraussetzungen  der 
Zulässigkeit  des  Zweikampfs,  die  vom  Gericht  zu  prüfen  sind7), 
sowie  die  Vorschrift  der  Unzulässigkeit  des  Zweikampfs  im  Falle 
der  Notorietät,  ein  Satz  der  sich  aus  der  Analogie  der  Unzulässig- 
keit des  Zweikampfes  bei  handhafter  Tat  wohl  entwickelt  hat,  und 
im  Falle  des  mangelnden  persönlichen  Interesses  des  Klägers“); 


')  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  5474  (14.  VII.  1317). 

*)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  5500  (7.  VIII.  1318),  no.  6405  (12. 
V.  1320). 

*)  Boutaric,'  Actes  du  Pari.  no.  5557  (27.  IX.  1317),  no.  6045  (12.  IV. 
1319). 

*)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  7269  (16.  VI.  1323);  no.  4773  (7.  IV. 
1317). 

*)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  5177  (4. II.  1318);  no.  6391  (29. IV.  1320'. 

*)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  7756  (8.  1.  1326). 

*)  Tgl.  oben  pag.  88  f.,  und  meinen  Qerichtl.  Zweikampf  § 20  III.  a. 
b.  c.  e.  pag.  77  bis  79. 

*)  vgl.  meinen  Qerichtl.  Zweikampf  $ 20  UL  d.  u.  f.  pag.  78  u.  79. 


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99 


ob  diese  Voraussetzungen  im  konkreten  Falle  Vorlagen,  war  eben- 
falls vom  Gericht  zu  prüfen.  Bei  der  exzeptionellen  Stellung, 
die  dem  kämpflichen  Beweis  innerhalb  des  Prozesses  nunmehr 
eignete,  hat  man  die  den  Zweikampf  begünstigenden  Vorschriften 
dabei  stets  restriktiv,  die  ihn  verbietenden  aber  in  einer  wissen- 
schaftlich durchaus  einwandsfreien  Weise  stets  extensiv  interpretiert. 
Gegen  kämpfliche  Klagen  wurde  stets  die  ordentliche  Appelation 
zugelassen1)  in  Anwendung  der  Ordonnanz  von  1260  und  zwar 
unter  Ausdehnung  dieser  Vorschrift  auf  das  ganze  Königreich, 
während  man  noch  im  Jahre  1264  vor  dem  Parlament  eine  Urteil- 
schelte nach  dem  alten  Verfahren  zwischen  den  Schöffen  von  Arras 
und  Mannen  des  Grafen  von  Saint-Pol  verhandelte,  da  hier  die 
coutume  du  pays,  als  in  einem  Gerichtsbezirk,  der  nicht  königliche 
Domäne  war,  angewendet  werden  mußte*).  Ein  Mittel,  das  vom 
Parlament  wohl  häufiger,  als  es  sich  urkundlich  belegen  läßt,  zur 
Vermeidung  eines  Karapftermins  angewendet  wurde,  ist  die  Ver- 
tagung, die  seit  der  Wende  des  vierzehnten  Jahrhunderts  ein  aus- 
schließliches Becht  des  Gerichts  geworden  war1);  ihrer  bediente 
sich  das  Parlament  in  dem  mandement  an  den  Seneschall  von 
üarcassone  vom  2.  März  131 7‘)  und  in  dem  arret  vom  18.  April 
1318 4),  in  dem  letzteren  Falle  ausdrücklich  zu  dem  Zweck  um  eine 
außergerichtliche  Einigung  der  Parteien  herbeizuführen4).  Wäh- 
rend der  ältere  Kampfprozeß  nur  vier  Möglichkeiten  der  Ver- 
meidung der  outrance  nach  Beginn  des  Kampfes  kannte*),  war 
seit  dem  Ausgang  des  dreizehnten  Jahrhunderts  noch  eine  fünfte, 
die  ebenfalls  wieder  mit  dem  Erstarken  der  königlichen  Gewalt 
und  der  Erweiterung  der  richterlichen  Befugnisse  im  Zusammen- 
hang steht,  hinzugekommen,  der  königliche  bezw.  richterliche  Be- 
fehl’). Daneben  wird  von  der  Beendigung  de»  Kampfes  durch 


')  Rec.  II.  p.  834  no.  5 vgl.  meinen  Gerichtl.  Zweikampf  p.  55  Note  1 u.2. 
*)  Bontaric,  Actes  du  Pari.  no.  823  (9.  II.  1264), 

*)  vgl.  meinen  Gerichtl.  Zweikampf  p.  54. 

*)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  4665  (2.  III.  1317). 

*)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  5340  (18.  IV.  1318)  - vgl.  auch  no. 7730 
(5.  XU.  1325). 

*)  vgl.  meinen  Gerichtl.  Zweikampf  § 45  p.  132  f.  — § 46  pag.  137  f. 
7)  vgl.  meinen  Gerichtl.  Zweikampf  pag.  138.  IV.  — Gr.  ehr.  VI. 
pag.  6.  (1352). 

7* 


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100 


Vergleich  ausgiebigster  Gebrauch  gemacht*);  die  Beendigung  durch 
Eintritt  der  Nacht  verliert  aber  infolge  der  Vertagungsbefugnisse 
des  Gerichts  an  Bedeutung.  Die  outrance  kommt  nur  noch  äußerst 
selten  vors).  Hierzu  kommen  noch  einige  Vorschriften  über  Er- 
schwerung und  Erleichterung  von  Formalitäten,  die  auch  wieder 
beide  den  Zweck  hatten,  einen  kämpflichen  Ausgang  oder  einen 
kämpflichen ' defaut  zu  verhüten.  So  berichtet  z.  B.  Gallus,  daß  es 
das  Parlament  fürderhin  für  unzulässig  erklärte,  daß  das  vadium 
auch  von  einem  andern  als  der  pars  principalis  gegeben  werde, 
und  daß  es  dem  Geforderten  keinen  Nachteil  bringe,  wenn  er  nicht 
formell  den  Förderer  dementiert,  insbesondere  werde  er  deshalb 
nicht  mehr  für  überführt  erklärt;  nur  der  Sieg  bzw.  die  Nieder- 
lage im  Feld  und  das  Geständnis  sollen  zum  Nachteil  der  Partei 
ausgelegt  werden5);  so  greift  auch  hier  die  Praxis  wieder  rechts- 
ändemd  in  das  Kampfrecht  ein.  Zu  alledem  kommt  dann  noch 
hinzu,  daß  das  Reglement  zur  Ordonnanz  von  1306  den  Kampf- 
termin so  prunkhaft  und  kostspielig  ausgestaltete,  daß  nur  den 
Reichsten  in  späterer  Zeit  noch  ein  gerichtlicher  Zweikampf 
möglich  war;  dies  ist  neben  der  Privilegierung  der  städtischen 
Bevölkerung  ein  Grund,  aus  dem  es  sich  erklärt,  weshalb  im 
vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhundert  fast  keine  bürgerliche 
Partei  mehr  im  kämpflichen  Verfahren  ihre  Ansprüche  durchzu- 
setzen versuchte.  Anläßlich  der  Besprechung  des  Kampfprozesses 
Carrouge  '/■  Le  Gris  bemerkt  Pasquier:  „En  telles  affaires  on  eut 
recours  ä gens  qui  manioint  la  plume  pour  prendre  langue  et 
conseil  d’eux,  aussi  on  y trouva  des  subtilitez  ou  pour  mieux  dire 
des  chicaneries  *).  Einen  Einblick  in  dieses  rabulistisehe  Treiben 
der  berufsmäßigen  Advokaten,  die  dem  wachsenden  Einfluß  der 
Legisten  ihr  Dasein  verdankten,  gewähren  die  „Coustumes  et 
Stilles  gardez  ou  duchie  de  Bourgogne“  *),  ferner  die  „Quaestiones 
des  Gallus“®),  besonders  aber  die  „Coustume,  stille  et  usage 

')  vgl.  Boutaric , Ph.-le-B.  p.  52.  — Chr.  an.  par.  art.  16  (1317),  art. 
28  (1318),  art.  55  (1320),  art.  56  (1320).  art.  83  (1322),  art.  201  (1330). 

*)  Chron.  an.  par.  art.  68  (1321).  — vgl.  meinen  Oerichtl.  Zweikampf 
p.  138  Note  1 und  2. 

5)  Gallus  qu.  89  u.  qu.  90. 

4)  Pasquier  p.  324  A. 

®)  Stilles  Bourg.  266  f. 

*)  Gallus  qu.  85.  89.  90. 


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101 


au  temps  des  Echiquiers  en  Normandie“1),  die  in  ihrem  zweiund- 
siebzigsten und  dreiundsiebzigsten  Kapitel  alle  von  diesen  le- 
gistischen  Advokaten  im  Kampfprozeß  angewandten  Subtilitäten 
und  Sophistereien  in  wunderbar  plastischer  Weise  mit  Anführung 
der  minutiösesten  Einzelheiten  darstellen.  Von  der  Wirkung  dieses 
in  einem  formalen  Verfahren  ganz  deplazierten  Auswuchses  des 
Instituts  der  Vorsprecher  sagt  Canel  sehr  treffend:  „Les  subtilites 
des  sophistes  grecs  ne  furent  pas  i'drangeres,  dit-on,  ä la  ruine 
de  Constantinople;  est-il  6tonnant  que  la  monomachie  ait  fini  par 
ne  pouvoir  resister  ä celles  de  la  chicane  ? “ *).  So  taten  denn  die 
gelehrten  Juristen  überall  ihr  möglichstes  um  das  ihnen  verhaßte, 
nur  von  dem  ihnen  feindlichen  Rittertum  gepflegte  kämpfliche 
Verfahren  vollends  zu  vernichten. 

VI.  Noch  in  seinem  letzten  Lebensjahr  hat  Philipp  IV.  eine 
neue  Ordonnanz  gegen  den  Zweikampf  erlassen,  die  äußerlich 
wieder,  wie  die  Ordonnanzen  von  1296  und  1304,  an  den  flan- 
drischen Krieg  anknüpft  und  während  desselben  Fehden  und 
Waffentragen  verbietet;  diese  Ordonnanz  verbietet  nun  in  unzwei- 
deutiger Form  den  Zweikampf  ohne  königliche  Genehmigung  auf 
die  Dauer  und  zwar,  da  sie  an  alle  justiciers  des  Königreiches 
gerichtet  ist,  für  das  ganze  Königreich.  Sie  hat  folgenden  Wort- 
laut: „Pour  la  dite  Guerre  et  pour  autres  justes  causes  deffendons 
sous  peine  de  corps  et  d’avoir  que  durant  nostre  dite  Guerre  nuls 
facent  Guerres,  ne  porteurent  d’armes  Fun  contre  l’autre  en  nostre 
Royaume,  et  commandons,  que  tuit  gages  de  bataille  soient  tenues 
en  souspens,  tant  comme  il  nous  plaira“5).  Nach  dem,  was  wir 
aus  der  Geschichte  des  Zweikampfs  während  der  voraufgegangenen 
sechzig  Jahre  wissen,  ist  auch  diese  Ordonnanz  Philipps  IV.  nichts 
anderes  als  ein  neuer  Angriff  auf  die  Prärogative  des  Adels,  auf 
seine  Justizhoheit  und  das  althergebrachte  Recht,  an  dem  er  mit 
großer  Treue  hing  und  dessen  letzter  Rest  nunmehr  vernichtet 
werden  sollte.  Dagegen  erhob  sich  nun  der  gesamte  französische 
Adel;  und  diesmal  blieb  es  nicht  bei  Spottgedichten,  die  sich 
allerdings  auch  hier  wiederfinden;  so  verherrlichte  z.  B.  Geoffiroi 

■)  vgl.  Canel  p.  118  bis  126  nach  Mem.  d.  1.  soc.  d.  Antiqu.  norm, 
t.  XVIII  3«  part.  p.  55—57. 

*)  Canel  p.  127. 

3)  ürd.  I,  p.  538  (29.  VII.  1314). 


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102 


de  Paris  in  seinem  Dit  des  Alli6s  die  neue  Rechtsprechung  mit 
folgenden  Versen: 


„N’ont-il  la  venue  et  l’aleö 
Et  l’issue  aussinc  et  l’entreS 
Et  au  roy  et  au  parlement? 

Et  les  orra  l’en  bonnement, 

Et  sans  faire  däportement 
Sera  leur  raison  escoute4“  '). 

Mit  welchen  Mitteln  der  Verzweiflung  der  Kampf  von  seiten 
des  Adels  geführt  wurde,  das  zeigen  die  vielen  tätlichen  Angriffe 
auf  die  legistischen  Beamten,  die  man  mit  Recht  als  die  Seele 
der  Bedrückung  des  Adels  betrachtete ; einer  der  hervorragendsten 
Legisten  seiner  Zeit,  Marigny,  fiel  der  Wut  des  Adels  zum  Opfer  *). 
Mit  den  Waffen  in  der  Hand  kämpfte  die  Ritterschaft  gegen  die 
„chevaliers-ks-lois“  für  ihr  angestammtes  Recht.  Ludwig  X.  trug 
diesen  wenig  erfreulichen  Ereignissen  Rechnung,  indem  er  diese 
„humbles  et  justes  prifcres“  des  Adels  anerkannte  und  das  Kampf- 
recht in  einer  Reihe  von  Ordonnanzen  in  den  einzelnen  Landes- 
teilen wieder  herstellte  und  die  Fehden  wieder  erlaubte.  Am 
I.  April  1315  erließ  er  eine  Ordonnanz  sur  les  remontrances  des 
nobles  de  Bourgogne  des  Eveschez  de  Langres,  d’Autun  et  du 
Comt4  de  For6s8);  diese  bestimmte  in  ihrem  ersten  Artikel:  „on 
ne  pourra  proc^der  contre  les  nobles  desdits  pays  par  dfenonciation 
ne  par  soupe^n  ne  eus  juger  ne  condampner  par  enquestes,  se  il 
ne  s’y  mettent ....  Et  quant  au  gage  de  bataille  Nons  voulons 
qu’ils  en  usent,  si  comme  l’en  fesoit  anciennement  “ 

Am  15.  Mai  1315  bestimmt  eine  Ordonnanz  sur  les  plaintes 
et  en  faveur  des  habitans  du  Baillage  d’Amiens:  Nous  voullons 
et  octroions  que  en  cas  de  murtre,  de  larrecin,  de  rapt,  de  tra- 
hison  et  de  roberie  gage  de  bataille  soit  ouverte  se  les  cas  ne 
pouvaient  estre  prouvez  par  tesmoings“ 4).  Eine  Ordonnanz  vom 


')  Dufayard  (54)  p.  269. 

*)  vgl.  Dufayard  (55)  p.  244. 

*)  Ord.  I,  p.  558  (1.  IV.  1315). 
*)  Ord:  I,  p.  567,  art.  25  (1315). 


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103 


22.  Juli  1315  erkennt  die  Forderungen  der  normannischen  Barone 
an  und  beläßt  ihnen  den  Echiquier  als  oberstes  Gericht,  keine 
Sache  soll  vor  das  Parlament  gezogen  werden  können;  das  letz- 
tere Versprechen  stand  allerdings  nur  auf  dem  Pergament;  denn 
schon  1316  wurde  wieder  eine  normannische  Sache  vor  das  Par- 
lament gezogen ').  Die  pikardischen  Adeligen  erlangten  die  Er- 
laubnis, in  ihren  Gerichten  wieder  den  Zweikampf  abzuhalten  *). 
In  den  Ordonnanzen  für  die  Champagne  verspricht  der  König,  die 
alten  Aber  die  gages  de  bataille  ergangenen  Ordonnanzen,  also 
wohl  die  von  1306,  zu  beobachten5).  Für  die  Languedoc  werden 
die  alten  Privilegien  bestätigt*),  ebenso  für  Pörigord  und  Cahors5). 
Dem  Herzog  von  Bretagne  wird  le  droit  de  juridiction  que  lui 
avait.  reconnu  son  fröre  von  Philipp  V.  anerkannt*).  Die  Privi- 
legien der  Auvergne  werden  erneuert. ’).  Über  diese  Ordonnanzen 
hat  Viollet  sehr  treffend  gesagt:  „Ces  ordonnances  ne  pouvaient 
qu’  attenuer  le  mal,  en  gener,  en  moditier  la  marche,  non  pas  le 
supprimer;  la  procödure  continua  ä se  transformer“  *).  Das  Ergeb- 
nis dieser  Reaktion  war  jedenfalls,  daß  für  den  Zweikampf,  von 
einzelnen  weilergehenden  Privilegien  abgesehen,  im  allgemeinen 
die  Ordonnai  zen  von  1306  und  1307  maßgebend  blieben  und  die 
Ordonnanz  von  1314  außer  Geltung  gesetzt  wurde.  So  erging 
schon  im  Jahre  1318  ein  „mandement“  an  den  Seneschall  von 
Pörigord,  „de  veiller  ä ce  qn’on  ne  transgresse  pas  les  ordonnan- 
ces de  Philippe-le-Bel  sur  le  duel  dans  une  demande  en  duel 
formce  par  Gautier  Tort,  Pierre  de  la  Coste  et  Andrö  Nögrier 
contre  Etienne  Pelicier  d’Agens  devant  la  cour  royale  de  Lauserte“  *). 
Am  4.  Oktober  1317  stand  in  Paris,  au  jardin  du  palaiz  du  roy 
devant  le  roy  de  France  et  de  Navarre,  ein  Kampftermin  zwischen 


•)  vgl.  Dufayard  (55)  p.  244. 

*)  vgl.  Dufayard  (55)  p.  254. 

*)  vgl.  Dufayard  (55)  p.  257. 

«)  Ord.  XII,  a.  415.  (1816). 

»)  Ord.  I,  p.  699  (1319)  art.  21.  22. 

•)  Ord.  I,  p.  635,  637,  654. 

»)  Ord.  I,  p.  613  (1315)  p.  688  (1319). 

•)  Viollet  I,  p.  275. 

*)  Boutaric,  Actes  du  Pari  no.  5367  (29.  4.  1318). 


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104 


Jehan  de  Yarennes  und  Ferry  de  Piquegny,  der  des  Verrats 
gegen  den  König  und  das  Königreich  durch  die  Teilnahme  an 
der  „aliance  der  barons  aliez“  beschuldigt  wurde,  an  *).  Auf  den 
29.  August  1318  war  an  demselben  Ort  ein  Kampftermin  vor  dem  König 
zwischen  zwei  Rittern  und  zwei  Knappen  aus  der  Auvergne  anbe- 
raumt5).  Zwei  Tage  später,  am  31.  August  1318  fand  wiederum 
ein  Kampftermin  am  selben  Ort  zwischen  zwei  Rittern  statt5). 
Am  2.  Oktober  1320  standen  sich  an  derselben  Stelle  zwei  Adelige 
aus  Languedoc  zum  Kampf  gegenüber4).  Am  18.  Dezember  1320 
fand  wiederum  am  selben  Ort  in  Gegenwart  des  Königs  ein  Kampf- 
termin statt*).  Am  14.  Juli  1321  wurde  am  selben  Ort  in 
Gegenwart  des  Königs  ein  Kampf  ä outrance  abgehalten*).  Am 
27.  April  1322  trugen  zwei  bretonische  Barone  auf  dem  Kampf- 
platz von  Gisors  vor  dem  König  eine  Verratsklage  aus').  Am 
24.  Juni  1330  fand  in  denselben  lices  vor  dem  König  eine  Ver- 
ratsklage zweier  Ritter  aus  Languedoc  ihre  Erledigung  •).  So 
unterwerfen  sich  die  Adeligen  aus  allen  Teilen  des  Reiches  der 
Kampfgesetzgebung  Philipp  IV.,  aber  das  Kampfrecht  lassen  sie 
sich  nicht  rauben.  Die  Legisten  mußten  sich  daher  in  der  Zwei- 
kampffrage auf  die  Erfolge,  die  sie  durch  die  Ordonnanzen  von  1306 
und  1 307  erreicht  hatten,  beschränken ; ohne  es  zu  einem  offenen  Kampf 
gegen  dieses  Rechtsinstitut  kommen  zu  lassen,  boten  sich  ihnen 
ja,  wie  oben  gezeigt,  andere  Mittel  zur  allmählichen  Beseitigung 
des  Zweikampfs.  Ihr  Einfluß  auf  das  Königtum  aber  blieb  trotz 
der  Reaktion  des  Adels  ungeschwächt  und  stets  waren  sie  in  der  Um- 
gebung der  Könige;  so  berichtet  uns  Jean  deSaint-Victor  von  Karl  IV.: 
„Karolus  novus  rex  contra  bonum  commune  sequens  vestigia  patris 
sui;“  er  umgab  sich  wie  seine  beiden  Brüder  mit  kleinen  Leuten 
und  Legisten8);  nach  Görard  Guette  kam  Pierre  Remy,  von  dem 


’)  Chron,  an.  par.  art.  16.  (4.  10.  1317). 

*)  Chron.  an.  par.  art.  28.  (29.  8.  1318). 

*)  Chron.  an.  par.  art.  29.  (31.  8.  1318). 

*)  Chron.  an.  par.  art.  55  (2.  10.  1320). 

*)  Chron.  an.  par.  art.  56.  (18.  12.  1320). 
*)  Chron.  an.  par.  art.  68.  (14.  7.  1321). 

0 Chron.  an.  par.  art  83.  (27.  4.  1322). 

*)  Chron.  an.  par.  art.  201.  (24.  6.  1330). 
»)  Hist.  XXI.  674. 


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105 


die  Chronique  anonyme  sagt  : ,11  estoit  venu  de  povre  gent  et  non 
pourquant  il  gouvernoit  le  Roy  et  le  Royaume  et  en  faisoit  tont 
son  voloir“ ').  Trotzdem  mußte  auch  er  sich  mit  den  geschicht- 
lichen Tatsachen  abfinden;  das  zeigt  deutlich  der  Stylus  Parla- 
menti  von  Du  Breuil,  der  das  Kampfrecht,  wie  es  Ende  der  zwan- 
ziger Jahre  im  Parlament  gehandhabt  wurde,  darstellt.  Er  gibt 
im  Großen  und  Ganzen  eine  Darstellung  auf  Grundlage  der  Ordon- 
nanzen von  1306  und  1307;  als  echter  Legist  unterläßt  er  es 
aber  nicht  in  seiner  Schrift  auch  einige  legislatorische  Wünsche 
zum  Ausdruck  zu  bringen,  so  hält  er  es  für  eine  allzu  strenge 
coutnme,  daß  der  Ritter,  der  sich  nicht  standesmäßige  Bewaffnung 
Vorbehalten  hat,  zu  Fuß  in  den  Waffen  eines  vilain  kämpfen 
muß1);  auf  eine  andere  Stelle  habe  ich  schon  früher  hingewiesen9). 
In  Strafsachen  war  einer  der  Gerichtsstände  das  Gericht  des  Ortes 
der  Ergreifung4);  Du  Breuil  formuliert  dies  Prinzip  so:  man  könne 
stets  seinen  Gegner,  wenn  man  ihn  in  Paris  trifft,  herausfordern 
und  zur  Verantwortung  ziehen.  Die  Formulierung  allein  ist  hier- 
an neu,  sonst  entspricht  dieser  Satz  aber  den  Grundsätzen  des 
alten  Rechts4). 

VIII.  Unter  den  ersten  Valois  wurde  die  legistische  Theorie 
in  der  Zweikampfmaterie  weiter  ausgebaut,  von  legislativen  Ein- 
griffen sah  man,  wohl  in  der  Erinnerung  an  die  jüngstvergangene 
Zeit,  ab.  Die  Legislative  beschränkte  sich  auf  die  Verleihung 
und  Bestätigung  von  Privilegien  gegen  den  Zweikampf;4)  in  kon- 
kreten Fällen  griff  der  König  durch  Befehle,  die  nunmehr  auch 
schriftlich  in  der  Form  von  Inquisitions-7)  und  Remissionsprivi- 


')  Hist.  XXI,  154. 

*)  vgl.  Dueoudray  p.  398. 

9)  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  p.  103, 

4)  vgl.  meinen  Gerichtlichen  Zweikampf  p.  55  Note  6. 

4)  Do  Brenil  hat  mehrere  derartige  Fälle  im  Jahre  1327  aburtcilen 
sehen.  Das  beweist  aber  noch  nichts  für  eine  Neuerung,  die  Dueoudray 
p.  398  hier  annehmen  möchte.  Dueoudray  beachtet  überhaupt  die  histo- 
rischen Zusammenhänge  des  vorludovizischcn  Kampfrechts  mit  dein  späteren 
tu  wenig. 

4)  vgl.  oben  p.  30.  Note  3.  p.  27.  Note  2.  p.  25.  Note  1.  usw. 

7)  Coli.  Lamoignon.  Reg.  crim.  vol.  325  p.  2471  (23.  XII.  1372). 


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lOfi 


legien ')  erteilt  wurden,  ein.  Das  Parlament,  dem  nunmehr,  so- 
weit nicht  einzelne  Privilegien  des  Adels  aus  der  Reaktionszeit 
noch  in  Geltung  waren,  die  alleinige  Kognition  in  Kampfsachen 
zustand,  wandte  regelmäßig  die  enquete  und  die  schon  besprochenen 
„kleinen  Mittel3)“  an,  so  daß  es  nur  selten  noch  zum  kämpfliehen 
Austrag  einer  Sache  kam.  Vereinzelte  Fälle  kommen  noch  vor, 
sie  werden  aber  dann  in  den  Quellen  mit  einer  solchen  Ausführ- 
lichkeit behandelt,  daß  man  daraus  schließen  kann,  daß  sie  nichts 
alltägliches  waren.3)  Fehlt  es  auch  an  Gerichtsurkunden,  so  be- 
weisen doch  neben  den  Berichten  der  Chronisten,  die  Rechtsbücher4) 
und  die  Bestätigungen  der  Städteprivilegien  gegen  den  Zweikampf,1) 
die  bis  gegen  Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  erteilt  wurden, 
sowie  die  oben  erwähnte  Bilderhandschrift6),  die  aus  der  Mitte 
des  fünfzehnten  Jahrhunderts  herrührt,  daß  der  gerichtliche  Zwei- 
kampf zum  mindesten  im  Prinzip,  bis  gegen  den  Ausgang  des 
fünfzehnten  Jahrhunderts  ein  Beweismittel  des  geltenden  Rechtes 
blieb.  Kein  Gesetz  hat  den  Zweikampf  in  Frankreich  aufgehoben: 
die  Abneigung  und  Privilegierung  der  Stadtbevölkerung  und  der 
außergerichtliche  Zweikampf  der  ritterlichen  Bevölkerung,  dem 
wir  uns  nunmehr  zuwenden,  hat  ihn  gegen  Ende  des  Mittelalters 
aus  der  Praxis  verschwinden  lassen. 


■)  vgl.  Canel  p.  115  (1386). 

*)  vgl.  oben  p.  95  ff.  — Coli.  Lamoignon.  Reg.  crim.  vol.  324. 
p.  500  (8.  V.  1330);  vol.  324  p.  582  und  583.  (1341/2)  — Arch.  nat.  X 2 a« 
fol.  309  r®  (1356).  fol.  354  v«  (1357):  X 2 a1»  fol.  189  (1356)  fol.  5 v°  (1375). 

*)  so  z.  B.  Paris  (1386)  bei  Canel  p.  138  ff.  dort  auch  die  Quellen  — 
Valenciennes  (1455)  wird  in  allen  Chroniken  erzählt. 

*)  B.  B.  F.  (1437)  art.  1303.  1366. 

*)  vgl.  oben  p.  93.  Note  4. 

6)  vgl.  oben  p.  105.  Note  6. 


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Zweites  Kapitel. 

Die  Entstehung  des  modernen  Privat- 
Zweikampfs. 

Erster  Abschnitt. 

Der  Vorgänger  des  modernen  Privat-Zwelkampfs. 

§ 10. 

Einleitung. 

I.  In  dem  kampfesfrohen  Mittelalter  bestanden  neben  dem 
gerichtlichen  Zweikampf  noch  eine  ganze  Reihe  von  kämpflichen 
Instituten,  wie  Fehden,  Turniere,  Kampfspiele  u.  s.  w.;  daß  aus 
dem  einen  oder  andern  dieser  Institute  der  moderne  Zweikampf 
hervorgegangen  sei,  darüber  herrscht  eine  seltene  Einmütigkeit 
unter  den  Historikern.  Sobald  es  sich  aber  darum  handelt  ein 
bestimmtes  Institut  als  Vorgänger  des  modernen  Zweikampfs  zu 
bezeichnen,  dann  gehen  die  Ansichten  weit  auseinander. 

Adolphe  et  H£lie  sagt:  „Le  duel  a pris  son  origine  dans  le 
combat  judiciaire.“1)  Diese  Ansicht  ist  zwar  präzise  gefaßt,  aber 
sie  sagt  nicht,  in  welcher  Zeit  sich  der  Privatzweikampf  vom  ge- 
richtlichen abgezweigt  hat,  oder  ob  der  Privatzweikampf  sich  erst 
nach  dem  Verschwinden  des  gerichtlichen  Zweikampfs  entwickelt  hat. 

Oarraud  sagt:  „C’est  au  vieux  droit  du  poing  et  non  ä l’usage 
du  combat  judiciaire  qu’il  faut  rattacher  l’origine  du  duel,“  und 
weiter:  „bien  que,  par  son  fondement,  le  duel  soit  une  institution 
germanique,  dans  sa  forme  actuelle,  c’estbien  un  produit  fran^ais“’). 
Was  diese  Behauptung  anlangt,  so  ist  sie  um  der  wissen- 
schaftlichen Kritik  einen  Angriffspunkt  zu  bieten,  zu  unbestimmt; 
denn  was  heißt  denn  „le  vieux  droit  de  poing,“  in  welcher  histor- 
isch abgrenzbaren  Zeit  hat  es  geherrscht,  wann  hat  es  aufgehört, 
kommt  es  erst  in  dem  nicht  von  der  öffentlichen  Gewalt  ange- 
ordneten Zweikampf  wieder  zum  Ausdruck  oder  herrscht  es  etwa 
heute  noch  in  einer  gemilderten,  französisierten  Form  im  modernen 
Zweikampf?  Faustrecht  ist  überhaupt  kein  rechtshistorischer  Be- 

*)  Adolphe  et  Helie  p.  492  § 1247. 

*)  Garraud  p.  617  § 1654. 


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108 


griff  und  es  wäre  endlich  angebracht  derartige  Verlegenheitsphrasen 
aus  der  Sprache  der  Wissenschaft  zu  entfernen. 

Cauchy  sagt:  „la  guerre  privee  a penötre  sous  le  nom  de 
duel  jusqu'au  sein  de  la  civilisation  la  plus  avancöe  qui  fut  ja- 
mais“.  . . . Si  le  duel  moderne  n’etait  autre  chose  qHine  trans- 
fonnation  du  combat  judiciaire,  pourquoi  les  cartels  n’auraient-ils 
etc  pendant  longstemps  en  usage  que  parmi  ceux  qui  faisaient 
profession  des  annes.“  Der  Zweck  des  cartel  sei  gewesen  de  fuir 
l’intervention  de  la  justice  und  die  Fehde  sei  ein  Vorrecht  des 
Adels  gewesen;  der  moderne  Zweikampf  habe  sich  außergerichtlich 
als  Vorrecht  des  Adels  ausgebildet;  daher  sei  der  moderne  Zwei- 
kampf aus  der  Fehde  entstanden ').  Richtig  ist  an  dieser  Ansicht, 
daß  der  uns  aus  dem  sechzehnten  und  siebzehnten  Jahrhundert 
bekannte  Zweikampf  ein  Vorrecht  des  Adels  ist  und  daß  der  deffi 
oder  das  cartel  in  ihm  eine  ganz  andere  und  viel  wichtigere  Funk- 
tion als  der  deffi  im  gerichtlichen  Zweikampf  hat.  Damit  ist  aber 
noch  nicht  gesagt,  daß  der  deffi  in  der  Fehde  und  der  deffi  in 
dem  außergerichtlichen  Zweikampf  wesensgleich  sind ; allen  Kampf- 
verhältnissen des  Mittelalters  ist  ein  deffi  wesentlich  gewesen. 
Wenn  aber  sonst  keine  andern  inneren  Berührungspunkte  vorhanden 
sind,  so  kann  man  aus  der  Ähnlichkeit  der  deffis  doch  wohl  kaum 
schließen,  daß  der  außergerichtliche  Zweikampf  aus  der  Fehde 
hervorgegangen  ist.  Ebenso  liegt  es  mit  Cauchy ’s  anderem  Ar- 
gument, das  sich  darauf  gründet,  daß  Fehde  und  außergericht- 
licher Zweikampf  Vorrechte  des  Adels  gewesen  seien;  denn  diese 
Eigenschaften  teilen  beide  mit  dem  Turnier  und  seit  Beginn  des 
vierzehnten  Jahrhunderts  mit  dem  gerichtlichen  Zweikampf,  von 
dem  sich,  wie  wir  im  ersten  Kapitel  gesehen  haben,  die  städtische 
Bevölkerung  abwandte  und  ihn  so  prinzipiell  als  gemeines  Recht 
zwar  bestehen  ließ,  in  Wirklichkeit  aber  zu  einem  Vorrecht  des 
Adels  umwandelte.  Was  nun  die  weiteren  Ausführungen  Caucliy’s 
über  den  mit  der  Schaffung  des  außergerichtlichen  Zweikampfs 
verfolgten  Zweck  nämlich  de  fuir  l'intervention  de  la  justice,  den 
der  außergerichtliche  Zweikampf  mit  der  Fehde  teile,  anlangt,  so 
trifft  dieser  Zweck  in  beiden  Fällen  nicht  zu;  denn,  wie  der  ge- 
richtliche Zweikampf  ein  Akt  des  ordentlichen  Prozesses  war,  so 
war  es  auch  die  Fehde,  bis  sie  zu  außerordentlichen,  aber  immer- 

*;  Cauchy  1,  p.  96  und  97. 


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109 


hin  rechtlich  erlaubten  Akten  im  Laufe  der  Entwickelung  wurden. 
Mit  dem  außergerichtlichen  Zweikampf  liegt  es  etwas  anders,  aber 
auch  er  konnte  nie  den  Zweck  haben,  de  fuir  l'intervention  de 
la  justice;  denn  in  ihm  handelte  es  sich  ja  niemals  um  Fragen 
des  Zivil-  und  Strafrechts.  Jedenfalls  ist  aber  auch  dieses  Argu- 
ment nicht  geeignet,  die  Entstehung  des  außergerichtlichen  Zwei- 
kampfes aus  der  Fehde  (larzutun. 

Campigneulles  macht  an  einer  Stelle  seines  Werkes  die  zu- 
treffende Beobachtung,  daß  die  alten  Autoren,  wie  Alciat,  d’Audi- 
gier,  Brantöme,  in  ihren  Schriften  alle  Arten  von  Einzelkämpfen 
durcheinanderwerfen ').  Dies  hindert  ihn  aber  nicht  einige  Seiten 
später  in  denselben  Fehler  zu  verfallen,  indem  er  sagt:  „II  n’y  a 
donc  rien  de  plus  clair  et  de  moins  contestable  que  l'affinite  qui 
existe  eDtre  le  combat  juridique  (!)  et  le  duel  de  nos  temps  mo- 
dernes“3); von  der  Richtigkeit  dieses  Gedankens  ist  er  so  sehr 
überzeugt,  daß  er  ihn  acht  Seiten  weiter  unten  noch  einmal  an 
die  Spitze  eines  neuen  Kapitels  stellt  und  ausffthrt:  „Les  duels 
modernes  ont  hörite  des  regles  comme  des  maximes  des  anciens 
combats  judiciaires“ 3).  Eine  Begründung  dieser  Behauptung  findet 
sich  bei  Campigneulles  nicht;  er  erzählt  wohl  von  den  alten 
Hebräern,  Griechen  und  Römern  und  assoziiert  Ideen  dieser  mit 
den  den  außergerichtlichen  Zweikampf  beherrschenden;  er  entlehnt 
dann  Brantöme*)  den  Gedanken,  que  la  courtoisie  en  a beaucoup 
adonci  la  ferocite  primitive:  er  behauptet  dann,  ohne  Quellenan- 
gabe und  vielleicht  im  Anschluß  an  August  Vischer5),:  „la  pro- 
vocation  en  duel  ä encore  lieu  de  deux  manieres,  ou  par  lettre 
missive  ou  par  le  jet  d'un  gant“*),  und  stellt  so  vadium  duelli 
und  cartel  in  rein  äußerlicher,  historisch  und  begrifflich  aber  un- 
zulässiger Weise  nebeneinander;  er  behauptet  dann:  „le  choix  et 
la  mission  des  tömoins  s'applique  encore  aux  duels  actuels“,  als 
ob  der  gerichtliche  Zweikampf  eine  derartige  Einrichtung  gekannt 


')  Campigneulles  p.  88. 

3)  Campigneulles  p.  113. 

3)  Campigneulles  p.  121. 

*)  vgl.  Brantöme  p.  251,  279,  341,  343,  345,  347,  348,  349. 

5)  vgl.  August  Vischer,  Tractatus  duo  juris  duellici  unirersi.  Jenae 
1617  p.  273. 

*)  Campigneulles  p.  121. 


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110 


hätte.  Richtig  ist  an  seiner  Ausführung  nur,  daß  im  gericht- 
lichen wie  im  außergerichtlichen  Zweikampf  eine  prinzipielle  Gleich- 
heit der  Waffen  und  der  äußeren  Bedingungen  erforderlich  war1). 

Nur  bei  zwei  Schriftstellern  finden  sich  Andeutungen  über 
den  Zusammenhang  des  außergerichtlichen  Zweikampfs  mit  dem 
Turnier.  So  sagt  Cohen  einmal:  ,1a  joüte,  qui  ötait  proprement 
le  duel  ou  le  combat  singulier“3)  und  Medern  erzählt  von  einem 
Turnier,  das  im  Jahre  1403  in  Darmstadt  stattfand  und  zur  Ent- 
scheidung über  eine  Verbalinjurie  hessischer  und  fränkischer  Ritter 
benützt  wurde*). 

II.  Der  außergerichtliche  Zweikampf  tritt  uns  in  den  Quellen 
der  Mitte  des  vierzehnten  Jahrhunderts  als  in  sich  abgeschlossenes 
Institut  entgegen.  Nach  diesen  ist  er  ein  verabredeter,  ernsthafter 
Kampf  zweier  oder  mehrerer  unter  Aufsicht  Dritter,  die  jedoch 
richterliche  Funktionen  dabei  nicht  ausüben,  sofern  sie  ihnen  nicht 
durch  die  Parteien  übertragen  sind,  und  unter  Beobachtung  der 
herkömmlichen  Kampfregeln  bei  principieller  Gleichheit  der  Waffen 
und  der  äußeren  Bedingungen  zum  Zwecke  der  Bewährung  der 
ritterlichen  Standesehre4). 

Dieser  außergerichtliche  Zweikampf  kann  nun  entweder  eine 
Neubildung  oder  eine  Fortbildung  eines  schon  früher  bestehenden 
Instituts  sein.  Ist  das  letztere  der  Fall,  so  kann  er  sich  nur  in 
Anlehnung  an  eines  der  bekannten  Kampfinstitute:  Fehde,  gericht- 
licher Zweikampf,  Turnier,  entwickelt  haben.  Mit  diesen  drei 
Kampfinstituten  hat  der  außergerichtliche  Zweikampf  eine  Reihe 
von  Zügen  gemeinsam:  Alle  vier  sind  ein  Kampf  zweier  bewaffneter 
gegnerischer  Parteien,  in  allen  spielt  die  Aufsage  (deffi,  cartel) 
eine  mehr  oder  minder  wichtige  Rolle,  in  allen  soll  der  Kampf 

')  Campigneulles  p.  121. 

')  Cohen,  Sur  les  tournois  et  carrousels  in  Collection  des  meilleurs 
dissertations  etc.  relatifs  b l'histoire  de  France  composee  par  Leber,  Salgues 
Coben.  Bd,  13.  Paris  1828.  p.  5. 

J)  B.  Medern.  Die  Duellfrage.  2 A.  Qreifawald  1890,  p.  28  no.  2. 

4)  Die  einzelnen  Elemente  dieser  Definition  an  dieser  Stelle  zu  be- 
legen, würde  eine  unzweckm&ßige  Wiederholung  der  Zitate  verursachen ; sie 
sind  daher  an  don  entsprechenden  Stellen  der  nachfolgenden  Erörterungen 
aufgefnhrt. 


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111 


ernsthaft  sein1),  d.  h.  er  soll  indirekt  eine  Entscheidung  Aber  eine 
unter  den  Parteien  streitige  Frage  herheiführen;  in  allen  ist  eine 
Beendigung  des  Kampfverhältnisses  durch  Vergleich  möglich. 

a)  Von  der  Fehde  unterscheidet  sich  der  außergerichtliche 
Zweikampf  in  mehrfacher  Hinsicht.  Die  Fehde  ist  prinzipieller 
Massenkampf,  in  das  Kampfverhältnis  werden  außer  den  Haupt- 
parteien eine  Reihe  von  Dritten  mit  einbezogen,  die  nur  kraft  ihrer 
Haus-  oder  Familiengemeinschaft  am  Kampf  interessiert  sind;  bei 
der  Fehde  ist  die  Aufsage  ein  einseitiges  Rechtsgeschäft;  die 
Fehde  findet  nicht  im  geschlossenen  Feld  und  nicht  unter  Auf- 
sicht eines  Dritten  statt:  eine  vertragsmäßige  Beschränkung  der 
Kampfhandlung  ist  bei  der  Fehde  ausgeschlossen.  Die  Beendigung 
der  Fehde  ist  nicht  an  irgend  welche  äußerlich  bemerkbaren  Sta- 
dien der  Kampftätigkeit  ipso  jure  geknüpft, 

b)  Auch  der  gerichtliche  Zweikampf  weist  eine  Anzahl  wich- 
tiger, dem  außergerichtlichen  Zweikampf  fremder  Elemente  auf. 
Der  gerichtliche  Zweikampf  ist  Beweismittel,  er  wird  durch  Urteil 
angeordnet  und  über  sein  Ergebnis  wird  durch  Urteil  entschieden. 
Der  Kampftermin  steht  nicht  nur  unter  der  Aufsicht  eines  Dritten, 
sondern  in  ihn  kann  der  Richter  stets  durch  seine  Befehle  ein- 
greifen,  ja  ihn  sogar  durch  Befehl  beendigen.  Für  den  gericht- 
lichen Zweikampf  gibt  es,  da  er  Prozeß  ist,  einen  ordentlichen 
Gerichtsstand.  Im  gerichtlichen  Zweikampf  gibt  es  eine  Kampf- 
stellvertretung. Im  gerichtlichen  Zweikampf  gibt  es  Kampfeide; 
der  gerichtliche  Zweikampf  ist  Ordal.  Zwischen  dem  Abschluß 
des  Kampf  Vertrages  und  dem  Kampftermin  liegt  notwendig  eine 
Frist.  Im  gerichtlichen  Zweikampf  handelt  es  sich  stets  um  Fragen 
des  Zivil-  und  Strafrechts.  Eine  vertragsmäßige  Beschränkung 
der  Kampfhandlung  ist  im  gerichtlichen  Zweikampf  ausgeschlossen. 
Im  gerichtlichen  Zweikampf  spielt  die  Aufsage  eine  ganz  unter- 
geordnete Rolle. 

Gemeinsam  ist  dem  gerichtlichen  und  dem  außergerichtlichen 
Zweikampf  die  Aufsicht  Dritter  über  die  Kampftätigkeit,  die  Ver- 
knüpfung der  Beendigung  mit  äußerlich  erkennbaren  Stadien  der 
Kampftätigkeit,  die  grundsätzliche  Abhaltung  des  Kampftermins 

>)  Vun  der  häufigeren  Art  der  Turniere  mit  Kampfspielcharakter  sehe 
ich  hier  ab. 


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112 


im  geschlossenen  Feld,  die  prinzipielle  Gleichheit  der  Waffen,  die 
Begrenzung  des  Kampfverhältnisses  auf  bestimmte  Zeit,  die  Be- 
schränkung des  Kampfverhältnisses  auf  die  Hauptpartei  bezw.  deren 
Vertreter,  eine  der  Litiskontestation  vergleichbare  Cäsur  im  Kampf- 
verhältnis, die  im  gerichtlichen  Zweikampf  durch  die  vadiatio,  im 
außergerichtlichen  durch  gegenseitige  Aufsagen  herbeigeführt  wird. 

c)  Diese  letzteren  Momente,  die  der  außergerichtliche  Zwei- 
kampf mit  dem  gerichtlichen  Zweikampf  gemeinsam  aufweist,  hat 
der  außergerichtliche  Zweikampf  auch  mit  dem  ernsthaften  Turnier 
gemein.  Diese  ernsthaften  Turniere  haben  sich  aus  den  Turnieren 
mit  Kampfspielcharakter  entwickelt;  Mathieu  Paris  nennt  sie  tor- 
neamenta  aculeata  et  hostilia,  wenn  sie  unter  ennemies  d’Etat  statte 
finden,  und  tomeamenta  quasi  hostilia,  wenn  sie  unter  Personen 
stattfinden,  qui  n’etaient  pas  ennemies  d’Etat;  in  französischer 
Sprache  werden  sie  armes  ä outrance,  champs  ä outrance,  combats 
ä outrance,  joutes  mortelles  et  k champ  genannt ').  Die  erste  zur 
Zeit  bekannte  Nachricht  von  einem  derartigen  torneamentum  hostile 
ist  in  einem  Brief  des  Erzbischofs  Arnold  von  Narbonne  vom 
Jahre  1212  enthalten:  dieser  Brief  wurde  .anläßlich  des  Sieges  der 
Könige  von  Castilien,  Aragon  und  Navarra  über  die  Mauren  verfaßt; 
in  ihm  wird  von  Turnieren,  die  am  Abend  vor  der  Schlacht  statt- 
fanden, folgendermaßen  gesprochen:  „Arabibus  etiam  ex  parte 
ipsorum  tomeantibus  cum  nostris,  non  more  francico,  sed  secun- 
dum  aliam  suam  eonsuetudinem  torneandi  cum  lancis  sine  can- 
nis“  *).  Es  fanden  aber  nicht  nur  allgemeine,  d.  h.  einer  unbe- 
stimmten Zahl  von  Kämpfern  zugängliche,  sondern  auch  parti- 
kuläre, d.  h.  nur  zwei  bestimmten  Personen  zugängliche  Turniere 
dieser  Art  statt5).  Du  Gange  kennt  Fälle  dieser  Art  erst  aus 
dem  fünfzehnten  Jahrhundert5).  Für  Frankreich  lassen  sie  sich 
aber  schon  für  die  Mitte  des  vierzehnten  Jahrhunderts  nach- 
weisen4).  Zwischen  torneamenta  hostilia  und  quasi  hostilia  be- 

')  vgl.  hierüber  Du  Cange,  Des  armes  ä outrance  in  Collection  des 
meillcurs  dissertations  etc.  rclatifs  ä l’Histoire  de  France  composee  par  Leber 
Salgues,  Cohen  Bd.  XIII. 

ä)  vgl.  Du  Cange,  des  armes  i outrance  1.  c.  p.  73. 

s)  Ursprünglich  wohl  im  Anschluß  an  tournois  generanx,  aber  auch 
selbständig  an  ad  hoc  anberaumten  Terminen.  Vgl.  Du  Cange  1.  c.  p.  76 
und  77. 

4)  vgl.  x.  B.  unten  p.  137  ff. 


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113 


steht  hierbei  kein  sachlicher  Unterschied;  wohl  aber  lassen  sich 
je  nach  der  Art  der  deflis  verschiedene  Formen  dieser  tomeamenta 
unterscheiden : so  konnte  sich  der  Förderer  erbieten  gegen  jeden 
beliebigen  Dritten,  der  in  die  übrigen  Kampfbedingungen  ein- 
willigt, zu  kämpfen,  diese  Turniere  werden  als  jonstes  ä tous 
venans,  grandes  et  plenieres  bezeichnet1).  Der  Förderer  konnte 
aber  auch  von  vomeherein  einen  bestimmten  Gegner  zum  Kampf 
fordern.  Die  Forderung  konnte  ä outrance  lauten,  d.  h.  der 
Kampf  sollte  erst  mit  der  outrance,  also  prinzipiell  mit  der  Tötung 
der  einen  Partei,  die  aber  auch  vertraglich  oder  auch  nach  Be- 
lieben des  Siegers  durch  Geständnis  des  Besiegten,  daß  er  der 
Unterlegene  sei,  oder  vertraglich  vorbehaltenen  Befehl  des  Turnier- 
herrn surrogiert  werden  konnte. 

Die  Kampfbedingungen  dieser  partikulären  tomeamenta  hos- 
tilia  und  quasi  hostilia  jeder  Art  werden  durch  die  Parteien  fest- 
gesetzt; sie  sind  in  dem  deffi  des  Förderers  und  Geforderten  ent- 
halten und  werden  von  der  Gegenpartei  ausdrücklich  angenommen. 
In  diesem  Punkte  unterscheiden  sie  sich  wieder  von  den  allge- 
meinen Turnieren, deren  Kampfbedingungen  von  dem  aus- 
schreibenden Tumierherrn  einseitig  festgesetzt  wurden.  Während 
nun  zur  Teilnahme  an  den  allgemeinen  Turnieren  irgend  welcher 
Zwang  nicht  bestand,  bestand  ein  Zwang  zur  Annahme  einer 
Herausforderung  zum' partikulären  Turnier;  der  deffi  des  Förderers 
enthielt  nämlich  bei  diesen  ernsthaften  Kämpfen  stets  eine  mehr 
oder  minder  schwere  Beleidigung  für  den  Geforderten;  dieser 
Vorwurf  konnte~nur  durch  Bewährung  in  dem  angebotenen  Kampfe 
entkräftet  werden  f^der  Kampf  war  die  einzig  zulässige  Form  für 
die  Bewährung  der  allgemeinen  ritterlichen  Ehre,  daher  entschied 
der  Kampf  implicite  auch  darüber,  ob  infolge  dieses  Vorwurfs  die 
ritterliche  Ehre  der  Partei  befleckt  sei,  ohne  jedoch  eine  spezielle 
Entscheidung  über  die  Wahrheit  oder  Unwahrheit  der  im  deffi 
enthaltenen  beleidigenden  Tatsache  herbeizuführen.  Die  Teilnahme 
am  Kampfe  allein  dokumentierte  die  Rehabilitierung  der  ver- 
letzten Ehre*).  Unterzog  sich  der  in  dieser  Weise  Geforderte 


')  vgl.  Du  Cange  1.  c.  p.  77. 

3)  Aus  diesem  Gesichtspunkt  erklärt  sich  z.  B.  auch  das  im  Sachsen- 
spiegel I.andrechts  I,  38  § 3 erwähnte  Injostieren  vor  dem  kaiserlichen  Heere. 
Coalin,  Zweikampf  ln  Frankreich  ® 


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114 


nicht  dem  Kampf,  so  blieb  seine  ritterliche  Standesehre  befleckt 
und  seine  Standesgenossen  konnten  ihn  nicht  mehr  als  voll- 
berechtigtes Mitglied  des  Standes  ansehen,  da  er  sich  durch  seine 
Handlungsweise  autlerhalb  des  Standesgewohnheitsrechts,  das  eine 
andere  Bewährung  des  Vollbesitzes  der  Ritterehre  nicht  kannte, 
stellte1).  In  diesem  Moment  liegt  der  mittelbare  Zwang  zur 
Annahme  einer  Herausforderung  zum  torneamentum  quasi  hostile 
particulare.  Ein  weitergehender,  allerdings  von  der  Rechtsordnung 
nicht  gebilligter,  wohl  aber  mit  großer  Milde  geduldeter  Zwrang 
konnte  oder  mußte  von  der  Partei  ausgehen ; die  Partei  war  dazu  ver- 
pflichtet, wenn,  wie  dies  bei  gegenseitigen  Aufsagen  häufig  vorkam, 
auch  ihr  ein  ehrenrühriger  Vorwurf  gemacht  worden  war.  Dieser 
Zwang  bestand  nun  darin,  daß  man  den  Gegner,  der  den  kämpf- 
lichen  Austrag  zu  meiden  suchte,  wo  man  ihn  traf,  ohne  Rück- 
sicht darauf,  ob  er  gerüstet  war  oder  nicht,  und  ohne  Aufsicht 
Dritter  zum  Kampf  an  Ort  und  Stelle  aufforderte  und  gleichzeitig 
in  die  Kampftätigkeit  eintrat*).  Diese  duella  subita  waren  aber 
durchaus  nicht  die  Nonnalform  der  außergerichtlichen  Zweikämpfe 
und  gegen  sie  bestand  ein  strafrechtlicher  Schutz;  daher  wäre  es 
unrichtig,  aus  ihnen,  da  die  normalen  torneamenta  quasi  hostilia 
particularia  viel  zahlreichere  Anhaltspunkte  bieten,  den  modernen 
Zweikampf  herleiten  zu  wollen. 

Der  indirekte,  standesgewohnheitsrechtliche  Zwang  macht  sich 
in  dieser  Art  von  Kampfverhältnissen  noch  in  anderer  Weise 
geltend.  Während  für  den  gerichtlichen  Zweikampf  prozeßrechtlich 
bestimmte  fora  bestanden,  waren  derartige  Einrichtungen  dem 
torneamentum  quasi  hostile  particulare  fremd;  auch  in  diesem 

*)  vgl.  i.  B.  unten  p.  128  Nute  1 — ferner  eine  Ordonnant  von  1547 
in  Sachen  f'hastegneraie  ./•  Jamac : „ . . . . pennettons  et  octroyons,  par  cea 
presentes,  ....  quils  se  trouvent  en  personne  la  part  oü  nous  serons,  pour 
lä  en  nostre  prosence  uu  de  ceui  lesquels  ä ce  faire  nous  commettrons,  sc 
combattre  l’un  contre  I'autre,  ä tonte  nutrance,  en  champ  clos,  et  faire 
preuve  de  lears  personnes  l'une  ä l’enconstre  de  I'autre,  ponr  la 
justification  do  l'honneur  de  ccluy  auquel  la  victuire  en  demeurera. 
Kt  ce,  sur  peine  d’estrc  repute  non  noble  lui  et  sa  posterite  ä 
jamais,  et  d'estre  prive  des  droits,  preeminencos,  Privileges  et  prerogativea 
dont  jouisseut  et  ont  accoustmne  do  jouir  les  nobles  de  nostre  royaume,  et 
antres  peine»  en  tels  cas  accoustumee»-.  Vgl.  Cauchy  I.  p.  1 10. 

*)  vgl.  Brantöme  330  f.  336. 


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115 


Punkte  herrschte  Vertragsfreiheit  der  Parteien;  aber  im  Regelfall 
fand  es  vor  einem  Tumierherren  auf  einem  in  herkömmlicher 
Weise  hergerichteten  Turnierplatz  (lices),  wie  der  gerichtliche 
Zweikampf  statt.  Beim  gerichtlichen  Zweikampf  war  der  Gerichts- 
herr, falls  die  übrigen  Voraussetzungen  Vorlagen,  verpflichtet  zur 
Herstellung  der  lices  und  zur  Abhaltung  des  Kampfes,  weil  er 
als  ordentlicher  Gerichtsherr  verpflichtet  war,  die  äußeren  Be- 
dingungen für  die  formale  Durchführung  des  Verfahrens  zu  be- 
schaffen; beim  tomeamentum  quasi  hostile  partieulare  war  kein 
Besitzer  von  lices  verpflichtet  bei  sich  einen  Tumiertermin  abzu- 
halten, weil  eben  das  Turnier  ein  nicht  gerichtlicher  Akt  war, 
demgemäß  weder  gerichtsherrliche  Rechte  noch  Pflichten  bezüglich 
des  Turnierverhältnisses  bestanden,  sondern  die  Abhaltung  der 
Tumiertermine  in  das  freie  Ermessen  des  angerufenen  Turnier- 
herren gestellt  war,  und  auch  das  Standesgewohnheitsrecht  hieran 
nichts  abgeändert  hatte.  In  der  Ablehnung  eines  Turnierherren 
in  einem  bestimmten  Falle  ein  Turnier  in  seinen  lices  abzuhalten, 
lag  daher  auch  im  Gegensatz  zu  dem  Urteil,  das  im  Kampfprozeß 
den  Kampf  nicht  gestattete,  keinerlei  Entscheidung  in  der  Sache 
selbst;  daher  waren  die  Parteien  gezwungen  sich  an  andere  Turnier- 
herren mit  ihrer  Bitte  zu  wenden,  bis  sie  von  einem  die  Erlaubnis 
erhielten  in  seinen  lices  zu  kämpfen,  falls  sie  nicht  ihrer  Standes- 
ehre verlustig  gehen  wollten1).  Der  Umstand,  daß  niemand  ver- 
pflichtet war  einen  Turnierplatz  zu  gewähren,  führte  nun  dahin, 
daß  die  Tumierherren  sich  durch  Vertrag  mit  den  beiden  Parteien 
manchmal  über  die  kampfpolizeilichen  Befugnisse  hinausgehende 
kampfrichterliche  Funktionen,  wie  Möglichkeit  der  Beendigung 
durch  ihren  Befehl,  Versuch  zum  Vergleichsschluß  während  des 
Kampfes  usw.  einräumen  ließen*);  dies  Moment  erinnert  zwar  an 
die  Befugnisse  im  gerichtlichen  Zweikampf,  ist  aber  grundver- 
schieden von  diesen;  denn  im  gerichtlichen  Zweikampf  hatte  der 
Gerichtsherr  derartige  Befugnisse  aus  eigenem  Rechte  und  nicht 
nur  in  Ausnahmefällen.  Die  Befugnisse  des  Tumierherren  gingen 
aber  auch  in  diesen  Fällen  niemals  soweit,  daß  ihm  ein  Urteil 
über  die  dem  Kampf  voraufgegangenen  Vorwürfe  und  die  Wahr- 


')  vgl.  unten  p.  136,  Note  1.  — Brantöme  p.  235  ff.  p.  374. 
*)  vgl.  unten  p.  135  ff. 

8* 


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116 


heit  der  in  denselben  enthaltenen  Behauptungen  eingeräumt  worden 
wäre,  weil  eben  eine  derartige  Entscheidung  dem  Zweck  dieser 
Kämpfe  vollkommen  fremd  war. 

§ 11. 

Die  Entstehung  des  aussergerichtlichen  ernsthaften  Zweikampfs. 

I.  Zwei  Quellen  aus  dem  Ende  des  vierzehnten  Jahrhunderts 
unterscheiden  den  ernsthaften  Zweikampf  in  duellum  judicatum 
sive  necessarium  und  duellum  voluntarium,  also  nach  unserer 
Nomenklatur  gerichtlichen  und  außergerichtlichen  Zweikampf. 
Gallus  spricht  nämlich  in  seinen  Decisiones  von  einem  duellum 
voluntarium  inter  Guidonem  de  la  Trimolle  et  Petrum  de  Cour- 
tenay1),  und  die  Coustumes  glossees  d’Anjou  et  du  Maine  sagen 
im  Anschluß  an  eine  Erörterung  über  die  „tournoys“:  „II  est  une 
autre  maniere  d’assaut  qui  est  appellee  bataille,  ä esprouver  la 
verit4  de  la  cause  d’entre  deux  hommes,  et  celuy  qui  vaint  l’autre 
fait  sa  gaigne,  et  sont  deffendues  de  droit  escript.  (0.  de  gladia- 

toribus  XI,  43).  Ooustume  n’efforce  encontre,  et  de  ce  est  loy 

escripte  au  livre  qui  est  appell^e  Lombarde  (Albertus  Legjs  Lango- 
bardorum  1.  2.  tit.  55.  p.  178).  Mais  je  demande,  de  cestes  ba- 
tailles  qui  sont  faictes  de  cousturae  general,  pevent  estre  faictes 
sanz  pechie?  Aucuns  dient  que  il  est  ainsi  (Decr.  causa  XXXII. 
quaest.  IV.  c.  7 objicientem) ; car  le  prestre  qui  donne  pinitence 
ä ceulx  qui  se  veulent  combatre  et  qui  en  prent  l'espurge  peche. 
II  est  distingue  en  ia  maniere  qui  s’ensuist.  Si  aucun  appelle 

autre  de  cest  cas  de  son  bon  gre  et  celuy  qui  est  appelle  receive 

Pappel  de  sa  voulente  sanz  ce  que  Pun  ne  l’autre  y soit  pour- 
forcie  ils  peichent  mortelment.  Adonc  est  Dieu  contre  eulx.  Et 
celuy  qui  est  appelle  et  pourforcie  de  juge  n’i  encourt  pas  telle- 
ment; car  il  fait  aussi  comme  contre  sa  voulente,  et  ne  puet 
autrement  eschapper  sanz  peril  de  sov  et  de  ses  biens-,  il  fait 
ce  pour  la  defiense  de  soy  et  de  ces  biens;  il  a ä soy  deffandre 
sans  pechie.  (3  D.  de  just,  et  jur.  I,  1.  Ertr.  de  homi- 
cidio  lib.  5.  tit.  12.  cap.  2.  1.  ut  vim.)“s).  Bedenkt  man  nun,  daß 

>)  Gallus  qu.  85. 

*)  BBC  62  gl.  — Nach  dieser  Glosse  wäre  der  gemeinsame  Zweck  des 
duellum  judicatum  und  roluutarium : „ä  esprouver  la  verite  de  la  cause 


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117 


der  Fall,  von  dem  Gallus  spricht,  im  selben  Jahre  stattfand,  in 
welchem  die  Coustumes  glossöes  d’ Anjou  et  du  Maine  entstanden, 
daß  beide  ausführlich  von  dem  duellum  voluntarium  als  von  einer 
bestehenden  Einrichtung  berichten,  dann  kann  man  nicht  annehmen, 
daß  es  sich  hier  um  eine  abusive  Singularität  handelt;  es  drängt 
sich  einem  vielmehr  die  Überzeugung  auf,  daß  diese  Einrichtung 
verbreitet  war  und  schon  längere  Zeit  bestanden  hat,  und  aus 
der  zweiten  Quelle  geht  hervor,  daß  das  duellum  voluntarium 
nicht  verboten  war.  Aber  seit  wann  bestand  dieses  duellum 
voluntarium  ? Auf  Jahr  und  Tag  läßt  sich  die  Entstehung  dieses 
Instituts  nicht  fixieren,  denn  Gewohnheiten  und  Gewohnheitsrechte 
treten  nicht  mit  einem  Male  in  das  Rechts-  und  Kulturleben  ein. 
Erschwert  wird  die  Fixierung  der  Entstehungszeit  noch  dadurch, 
daß  die  Quellen  einen  technischen  Ausdruck  für  die  Bezeichnung 
des  außergerichtlichen  ernsthaften  Zweikampfes  nicht  geprägt  haben, 
sondern  ihn  in  bunter  Reihe  bald  mit  dem  gerichtlichen  Zwei- 
kampf zusammenwerfen  oder  ihn  mit  farblosen  Ausdrücken,  die 
auch  für  andere  Kampfesarten  in  Übung  sind,  wie  faict  d’armes, 
armes  ä outrance,  combat  ä outrance,  später  anch  als  duel  be- 
zeichnen; eine  präzise  Bezeichnung  wie  die  für  den  gerichtlichen 
Zweikampf  (gages  de  bataille)  fehlt  aber  vollständig.  Es  ist  nun 
klar,  daß  der  außergerichtliche  Zweikampf  vor  dem  Moment  ent- 
standen sein  muß,  in  welchem  er  uns  als  eine  selbstverständ- 
liche, einer  Rechtfertigung  nicht  bedürftige  Einrichtung  in  den 
Quellen  entgegentritt.  Welche  Umstände  können  nun  die  Ent- 
stehung oder  doch  die  Ausbreitung  des  außergerichtlichen  Zwei- 
kampfes, den  wir  mit  dem  tomeamentum  quasi  hostile  particu- 
lare  begrifflich  identifizieren  müssen,  herbeigeführt  haben? 

d’entre  dem  hommes,  et  celuy  qui  mint  l’autre  fait  sa  gaigne“.  Dieae 
Idee  ist  dem  französischen  außergerichtlichen  Zweikampf  fremd;  der  Glossa- 
tor  hat  sie  aus  italienischen  Quellen  fast  wörtlich  entnommen.  Rajmundus 
sagt  nämlich  in  seiner  Summa  II.  tit.  3 de  duello:  „singularia  pugna  inter 
aliquos  ad  probationem  veritatis,  ita  ridelicet  ut  qui  vioerit  probasse  in- 
telligatur*.  Auch’  der  weitere  Gedankengang  erinnert  an  Raymundus,  der 
nach  dem  Vorbildfdes  Hostiensis  hior  ebenfalls  die  Frage  erörtert:  „Solet 
quaeri  an  hujusmodi  consuetudines  generales  excusent  a peccato'mortali“.  rgl. 
die  Stellen  in  Köhler,  Studien  tum  Str..R.  VI.  p.  731.  Immerhin  beweist 
aber  die  8telle  das  Vorhandensein  des  außergerichtlichen  Zweikampfs  tur 
Zeit  ihrer  Abfassung. 


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n« 


n.  So  paradox  es  klingen  mag,  so  hat  der  außergerichtliche 
ernsthafte  Zweikampf  doch  seine  Entstehung,  zum  mindesten  aber 
seine  Ausbreitung,  der  späteren  Gesetzgebung  Philipps  IV.  zu 
verdanken,  wahrscheinlich  hat  ihn  die  Reaktion  gegen  die  Ordon- 
nanzen von  1306  und  1307  hervorgerufen;  vielleicht  erzeugte  ihn 
auch  erst  die  Reaktion  gegen  die  Ordonnanz  von  1314.  Im  drei- 
zehnten Jahrhundert  und  in  den  ersten  Jahren  des  vierzehnten 
Jahrhunderts  erwähnt  ihn  noch  keine  Quelle  des  nördlichen  Frank- 
reich1); er  konnte  aber  auch  in  dieser  Zeit  noch  nicht  vorhanden 
sein,  weil  ihm  die  Berechtigung  des  Daseins  noch  fehlte;  denn  im 
Prinzip  konnten  ja  in  dieser  Zeit  noch  alle  Streitigkeiten,  abge- 
sehen von  Bagatellsachen,  mangels  Zeugenbeweises  in  kämpflichen 
Verfahren  entschieden  werden.  Erst  die  Ordonnanz  von  1306 
beschränkt  ihn  dauernd  auf  einige  wenige  Materien  für  das  ganze 
Königreich,  die  Ordonnanz  von  1307  beschränkte  die  Gerichtsbar- 
keit in  Kampfsachen  auf  den  König  bezw.  das  Parlament  und  die 
Ordonnanz  von  1314  verbot  die  Anwendung  des  kämpflichen  Ver- 
fahrens, das  durch  die  Ordonnanz  von  1306  schon  auf  ein  außer- 
ordentliches Beweismittel  reduziert  war,  für  immer.  Nun  gab  es 


')  Die  Zusammenstellung  der  Fehde  und  des  Kampfes,  sowie  die  ge- 
meinsame Bezeichnung  der  beiden  als  turbationes  pacis,  ferner  die  Form 
des  Verbotes:  „ut  nemo  sibi  jus  dieere  aut  vindictam  assumcre  audeat,  sed 
cuique  sufficiat  rigor  justitiae,  quam  regimus,  endlich  die  Nebeneinander- 
stellung von  provocationes  ad  duellum  und  gagia  duellorum  in  der  Ordon- 
nanz von  1304  (rgl.  p.  86)  könnten  vielleicht  einen  in  den  Quellen 
dieser  Zeit  wenig  versierten  Leser  zu  einer  andern  Ansicht  bestimmen. 
Aber  provocatio  ad  duellum  ist,  wie  eine  Vergleichung  mit  der  p.  1 ab- 
gedruckten Urkunde  für  Tournay  ergibt,  nichts  anderes  als  das  k&mpfliche 
Klagbegehren:  gagia  duelli  bezeichnet  stets  nur  den  gerichtlichen  Zwei- 
kampf. Die  beiden  Ausdrücke  werden  hier  nach  dem  Muster  der  Papst- 
urkunden  dieser  Zeit,  die  der  Redaktor  auch  an  anderen  Stellen  der  Urkunde, 
sich  zum  Muster  nimmt,  gleichbedeutend  gebraucht.  Die  Bezeichnung  des 
gerichtlichen  Zweikampfs  als  perturbatio  pacis  kann  in  dom  Munde  eines 
Legisten,  der  eine  schwülstige  Ausdrucksweise  kultiviert,  nicht  Wunder 
nehmen;  denn  nach  der  Ansicht  der  legistischen  Kreise  ist  der  einzige,  der 
aequitas,  der  ratio  und  dem  jus  entsprechende  Weg,  die  „via  ordinaria“, 
wie  die  Ordonnanz  von  1296  sagt  (vgl.  oben  p.  85),  die  enquete:  die 
ihr  verhaßten,  aber  gesetzlich  erlaubten  Verfahrensarten  der  Fehde  und 
des  Zweikampfes  wirft  diese  Urkunde  daher  nach  dem  Beispiel  der  Ordon- 
nanz von  1296  unbedenklich  zusammen. 


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1 10 

aber  in  Frankreich  weite  Kreise,  die  im  neuen  Enqueteverfahren 
einen  Eingriff  in  ihr  angestammtes,  althergebrachtes  Recht  sahen; 
für  diese  Kreise  gab  cs  nur  zwei  Wege,  entweder  mußten  sie  sich 
dem  neuen  Gerichtsverfassungs-  und  Prozeßrecht  unterwerfen  oder 
im  Widerspruch  zum  geltenden  Recht  das  alte  Prozeßrecht  auf- 
rechterhalten. Sie  zogen  das  letztere  vor.  Der  Kampf,  den  sie 
nach  Philipps  IV.  Tode  führten,  galt  denn  auch  nicht  zum  wenig- 
sten der  Aufrechterhaltung  oder  Wiedereinführung  des  kämpflichen 
Verfahrens.  Die  Zugeständnisse,  die  sie  in  diesem  Kampfe  er- 
langten, waren  aber  nicht  ausreichend  und  standen  zum  großen 
Teil  auch  nur  auf  dem  Pergament;  positiv  erzielten  sie  nur,  daß 
die  Ordonnanz  von  1314  außer  Geltung  gesetzt  wurde,  während 
ihr  Bestreben  dahin  ging,  das  kämpfliche  Verfahren  in  allen  Ma- 
terien wieder  einzuführen.  Aber  nicht  nur  in  den  Materien,  die 
dem  Kampf  durch  die  Ordonnanz  von  1306  verschlossen  wurden, 
sondern  auch  in  denjenigen,  die  nach  dieser  Ordonnanz  noch 
kämpflich  bewiesen  werden  konnten,  überwucherte  das  Enquöte- 
verfahren  alle  andern  Verfahrensarten  und  insbesondere  den  kämpf- 
lichen Beweis;  daher  befriedigte  auch  in  diesen  letzteren  Fällen 
die  kampfrechtliche  Praxis  der  Gerichte  nicht  mehr  die  Anhänger 
des  alten  Kampfrechts;  nur  im  Zivilprozeß  scheinen  diese  Kreise 
sich  mit  der  Entwickelung  des  Prozeßrechts  während  der  ver- 
gangenen sechzig  Jahre  abgefunden  zu  haben;  wenigstens  ist  zur 
Zeit  kein  einziger  Fall  rein  zivilrechtlicher  Natur  bekannt,  in  dem 
eine  Partei  den  kämpflichen  Beweis  angeboten  hätte.  Nur  im 
Strafprozeß  hielten  die  Anhänger  des  Kampfrechts  zäh  am  Zwei- 
kampf fest,  uml  auch  hier  hat  es  den  Anschein,  als  ob  man  nur 
in  einzelnen  Materien  besonderen  Wert  auf  seine  Anwendung  ge- 
legt hätte,  wenigstens  tritt  er  uns  in  den  Quellen  in  einzelnen 
Materien  relativ  häufig  entgegen.  Dieser  Umstand  hängt  wohl 
damit  zusammen,  daß,  wie  wir  oben  ausgeführt  haben,  die  übrigen 
Stände  sich  um  die  Wende  des  dreizehnten  Jahrhunderts  schon 
fast  vollständig  des  Kampfes  entwöhnt  hatten  und  nur  dem  gesetz- 
lichen Zwange,  von  dem  sie  sich  durch  Privilegien,  Vereinbarung 
eines  andern  Gerichtsstandes  usw.  zu  befreien  suchten,  folgend  sich 
dem  Kampfrecht  noch  unterwarfen,  während  nur  die  ritterliche 
Bevölkerung  noch  am  Kampfrecht  festhielt  und  ihren  Bedürfnissen 
und  Wünschen  nunmehr  auch  auf  das  von  ihr  allein  gepflegte 


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120 


Institut  Einfluß  verschafft«  nnd  es  ihnen  mehr  und  mehr  anpaßte. 
Dieser  Einfluß  zeigt  sich  aber  nicht  nur  im  materiellen  Kampf- 
recht,  sondern  auch  im  formellen  Kampfrecht;  während  an  dem 
Verfahren  im  Kampftermin  so  gut  wie  nichts  geändert  werden 
brauchte,  mußte  der  vor  diesem  Termin  liegende  Teil  des  Ver- 
fahrens, schon  mit  Rücksicht  darauf,  daß  die  ordentlichen  Gerichte 
das  kämpfliche  Verfahren  nicht  mehr  anwandten  und  man  auch 
in  den  Materien,  die  dem  kämpflichen  Beweis  nach  der  Ordonnanz 
von  1306  noch  prinzipiell  offen  standen,  auf  einen  kämpflichen 
Austrag  kaum  rechnen  konnte,  von  Grund  aus  umgestaltet  werden. 
Die  Notwendigkeit  einer  derartigen  Umgestaltung  mögen  einige 
Beispiele  beweisen. 

III.  Wenn  man  die  Parlamentsurteile  in  kämpflichen  Sachen 
aus  den  letzten  acht  Regierungsjahren  Philipp  IV.  betrachtet,  so 
kann  man  sich  des  Eindrucks  nicht  entwehren,  daß  sie  eine  mit 
den  Spitzfindigkeiten  der  Legisten  nicht  vertraute  Bevölkerung, 
wofern  sie  nicht  gerade  zufällig  nach  dem  Wunsche  einer  der 
Parteien  ausfielen,  nicht  gerade  befriedigen  konnten.  In  einem 
Falle,  in  dem  es  sich  um  eine  Klage  wegen  Mords  handelte,  hatte 
der  Seneschall  von  Toulouse  der  Ordonnanz  von  1307  zuwider, 
aber  unter  Beachtung  der  Ordonnanz  von  1306  den  kämpflichen 
Beweis  zugelassen;  das  Weihnachtsparlament  von  1308  hob  auf 
die  Appellation  des  Beklagten  dieses  Kampfurteil  auf,  ohne  dem 
Kläger  irgend  einen  Weg  zu  zeigen,  auf  dem  er  zu  seinem  Recht 
gelangen  konnte1).  In  einem  Falle,  in  dem  es  sich  um  die  Bei- 
seiteschaffung  und  Vernichtung  eines  Testaments  handelte,  ordnete 
das  Parlament  eine  Enquöte  an,  bemerkte  aber  gleichzeitig  in  dem 
arret  vom  18.  März  1313,  daß  bei  der  Ergebnislosigkeit  der  En- 
quete vom  Parlament  der  kämpfliche  Beweis  angeordnet  werden 
könne2).  Wie  sollte  dieser  arret  mit  den  materiellen  Bestimmungen 
der  Ordonnanz  von  1306  in  Einklang  gebracht  werden?  Aber 
ganz  abgesehen  von  objektiv  unrichtigen  Urteilen  und  Beschlüssen 
und  von  kleinlicher  Buchstabenjurisprudenz,  mußte  der  waffenfrohen, 
ritterlichen  Bevölkerung  gerade  die  ungeheure  Beschränkung  der 
Parteirechte,  die  der  neue  Prozeß  mit  sich  brachte,  und  der  Er- 

')  Olim  II.  p.  49G.  III.  (1308). 

*)  Buutaric,  Actes  du  Pari.  oo.  4085  (18.  111.  1813). 


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Weiterung  der  richterlichen  Prozeßleitungsbefugnisse,  die  zu  einem 
Gemisch  von  Allmacht  und  Willkür  geworden  waren,  und  deren 
Träger,  wie  die  Guette  und  Remy  usw.  nicht  gerade  aus  den  vor- 
nehmsten Häusern  Frankreichs  stammten,  besonders  lästig  werden. 
Was  mögen  die  Foix  und  Armagnac,  deren  Angehörige  von  Alters 
her  gewohnt  waren  gelegentlich  mit  einander  zu  fechten,  über  die 
neue  Rechtsprechung  gedacht  haben,  als  der  Seneschall  von  Tou- 
louse, der  ihnen  einen  Kampftermin  anberaumt  hatte,  ihnen  er- 
klärte, daß  das  Duell  nicht  stattfinden  dürfe  und  daß  sie  sich  in 
der  Angelegenheit  nach  Paris  an  das  Parlament  zu  wenden  hätten1)? 
Das  Parlament  ordnete  eine  enquete  an  und  in  dem  Urteil,  das 
den  kämpflichen  Beweis  ablehnte,  sagte  es  u.  a. : „Specialiter  quia 
per  inquestas  factas  . . . veritas  est  reperta  ad  finem  faciendi 
justiciam  super  his  per  judicium  via  juris,  et  sic,  secundum  ordi- 
nacionem  per  nos  factam  super  duellis,  non  debet  duellum  recipi 
pro  casibns  plene  probatis,  et  ideo  per  aliam  viam  quam  gagia 
super  eis,  ut  inferius  sequitur,  duximus  providendum  etc.’)“. 
Daß  eine  der  Parteien  von  diesem  Urteil  besonders  erbaut  war, 
ist  wohl  kaum  anzunehmen;  ja  es  muß  für  dieselben  fast  unmög- 
lich gewesen  sein,  sich  auch  nur  in  den  Gedankengang  ihrer 
Richter  hineinzudenken.  War  durch  diese  Umstande  schon  eine 
große  Unzufriedenheit  in  den  beteiligten  Kreisen  entstanden,  so 
scheint  die  unerhörte  Verschleppung  der  Kampfprozesse,  von  der 
die  Prozeßgeschichte  des  vierten  Lustrums  des  vierzehnten  Jahr- 
hunderts einige  sehr  krasse  Beispiele  bietet3),  in  Verbindung  mit 
den  übrigen  Beschwerden  der  neuen  Kampfidee  znm  Durchbruch 
verholfen  zu  haben.  Aus  der  Not  der  Zeit  entstanden  bieten  die 
Anfänge  des  modernen  Zweikampfs,  in  denen  die  neue  Idee  auch 
nur  sehr  unfertig  und  unvollkommen  zum  Ausdruck  kommt,  nicht, 
gerade  ein  erfreuliches  Bild,  da  es  sich  in  diesen  Fällen,  soweit 
sie  sich  nach  den  uns  zugänglichen  Quellen  beurteilen  lassen, 
regelmäßig  um  außerprozessuale  Selbsthilfe  handelt.  In  der  oben 
erwähnten4)  Sache  Suscepreda./.Caillou,  die  schon  am  27.  IX.  1317 

')  Buntaric,  Ph.-l«  Bel  p.  52  (1809). 

*)  Olim  III*  p.  382.  XXIII  (1309). 

*)  vgl.  oben  p*g.  98.  f.;  rgl.  Uucoudrar  p.  400  (Not.  1341  bis  15. 
Juni  1342) 

*)  vgl.  oben  pag.  98.  Not«  3. 


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in  den  Parlamentsakten  erwähnt  wird,  erließ  das  Parlament  am 
12.  IV.  1319  ein  mandement  an  den  Seneschall  von  Perigord: 
de  faire  une  enquete  sur  la  plainte  criminelle  addressäe  ä la  Cour 
par  la  veuve  d’Helie  Suscipreda,  sergent  du  Roi,  lequel  avait  etc 
assassinö  pendant  qu’il  ötait  en  proces  avec  un  nomrne  Araal 
„Caillou“,  bourgeois  de  Bordeaux,  au  sujet  d’une  demande  de  duel '). 
Genau  so  gelagert  ist  der  ebenfalls  oben1)  besprochene  Fall  Four- 
benier  de  Cirac./.Callard,  alias  Gaillard  de  Cirac.  In  diesen  Fällen, 
die  sich  leicht  noch  vermehren  ließen,  bäumte  sich  das  gesunde 
Rechtsbewußtsein  gegen  die  Feigheit  der  Gegenpartei,  die  sich 
unter  dem  Schutz  der  enquete  der  Verantwortung  zu  entziehen 
suchte,  und  griff  mit  den  Mitteln,  die  ihm  die  neue  Prozeß- 
ordnung nicht  mehr  gewährte,  die  aber  nach  seiner  Überzeugung 
und  nach  dem  alten  Recht  die  allein  zulässigen  und  angebrachten 
waren,  zur  Selbsthilfe,  die  sich  den  Umständen  des  Falles  nach  natur- 
gemäß nicht  in  einem  geordneten  Kampftermin  vollzog  oder  vollziehen 
konnte.  Daß  aber  in  diesen  Fällen  nicht  von  einem  Mord  die 
Rede  sein  konnte,  das  mag  ein  ähnlicher  Fall  beweisen.  Am  7. 
IV.  1317  erging  ein  mandement  des  Parlaments  an  den  bailli  von 
Cotentin,  „de  faire  ajourner  Jouain  de  Dol  au  jour  de  Norman- 
die du  prochain  Parlement  pour  entendre  juger  le  profit  du  duel 
que  Gui  de  Chäteaubriand,  Chevalier,  avait  obtenu  contre  lui  au 
präsent  Parlement’)“.  In  diesem  Termin  mußte  offenbar  Gui  de 
Chäteaubriand  von  seiner  Forderung  abstehen  uud  dem  Beklagten 
versprechen,  „de  ne  pas  lui  faire  ni  faire  faire  de  mal4)“.  Von 
diesen  beiden  Parteien  hören  wir  dann  schon  wieder  in  einem 
mandement  vom  3.  II.  1318;  in  diesem  wird  der  bailli  von  Tours 
beauftragt:  „de  faire  conforraement  a un  arret  rendu  au  Parlament 
de  Pan  1313(?)  une  enqete  sur  les  faits  articuläs  par  Jouin  de 
Dol,  öcuyer,  ä l’appuy  de  sa  demande  en  duel  contre  Gui  de 
Chäteaubriand,  Chevalier.  Gui  avait  promis  ä Jouin  de  ne  pas 
lui  faire  ni  faire  faire  de  mal,  promesse  qui  suivant  la  coutume 
de  Bretagne*)  öquivalait  ä un  asseurement.  Non  obstant,  Gui 

')  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  6045  (12.  IV  1319). 

*)  vgl.  oben  pag.  97.  Note  7 und  pag.  98.  Note  1. 

*)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  4773  (7.  IV.  1317). 

4)  Boutaric,  Actes  du  Pari.  no.  5655  (3.  IL  1318). 

*)  Wie  Boutaric  hier  von  bretonischem  Recht  spricht,  ist  nicht  ver- 


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avait  fait  attaquer  Jouin,  pendant  qu’il  6tait  ä cheval;  on  l’avait 
laiss^  pour  mort.  Jouin  offrait  de  prouver  par  le  duel“  ').  Ein 
asseurement  lag  nach  normanischem  Recht  hier  nicht  vor;  wenn 
Jouin  zu  Pferde  war,  wurde  er  wohl  auch  nicht  wehrlos  überfallen; 
es  handelt  sich  hier  offenbar  wieder  um  eine  außerprozessuale, 
allerdings  über  die  ihr  gesteckten  Grenzen  hinausgehende,  aber 
doch  aus  der  Entrüstung  über  die  Behandlung,  die  Gui’s  Kampf- 
klage vor  Gericht  erfahren  hatte,  erklärliche  Selbsthilfe.  Leider 
läßt  sich  aus  den  kurzen  Notizen  bei  Boutaric  nicht  feststellen, 
in  welcher  Weise  hier  und  in  den  vorher  besprochenen  Fällen  die 
Klagbeantwortung  erfolgte.  Sollte  aber  in  derselben,  was  immer- 
hin zu  vermuten  ist,  eine  Ablehnung  des  kämpflichen  Beweises 
enthalten  gewesen  sein,  so  hätte  hierin  auch  nach  neuem  Rechte3) 
ein  d6faut  gelegen3),  der  den  Selbsthilfeakt  der  Gegenpartei  noch 
entschuldbarer,  wo  nicht  gerechtfertigt  erscheinen  ließe.  Wie  dem 
auch  sein  mag,  jedenfalls  entsprangen  die  Selbsthilfeakt«  einem 
gekränkten  Rechtsgefühl,  das  am  alten  Recht  festhielt  und  dieses 
Recht  noch  zu  verwirklichen  suchte  in  einer  Zeit,  in  der  die  Ge- 
richte es  nicht  mehr  anwenden  durften;  in  diesen  Vorkommnissen 
haben  wir  die  Vorläufer  des  modernen  Zweikampfs  zu  suchen4). 
Aber  es  sollte  für  diesmal  im  französischen  Rechtsgebiet  noch  bei 
den  Anfängen  sein  Bewenden  haben;  denn  die  Gesetzgebung  und 
Praxis  lenkten  infolge  der  Reaktion  des  französischen  Adels  wieder 
ein  und  gestatteten  den  gerichtlichen  Zweikampf  wiederum  in 
einer  den  Bedürfnissen  der  kampfesfrohen  Bevölkerung  vollauf  ent- 
sprechenden Weise1).  Schon  bald  zeigten  sich  jedoch  neue  Un- 
zulänglichkeiten der  Gesetzgebung. 

IV.  Eine  der  Materien,  deren  Behandlung  unter  dem  neuen 
Recht  wenig  befriedigen  konnte,  war  die  Injurie.  Wenn  sie 


stündlich,  da  die  Sache  doch  offenbar  unter  normanischem  Recht  abgeurteilt 
worden  war.  Vgl.  p.  122.  Note  3. 

*)  Boutaric,  Actes  dn  Pari.  no.  5655  (3.  II.  1318). 

*)  vgl.  p.  95.  Note  2. 

*)  Ober  Begriff  und  Folgen  vergl.  meinen  Gerichtl.  Zweikampf  p.  166. 

4)  Man  hat  diese  Fälle  in  der  Wissenschaft  als  duella  subita  und  in- 
cursus  bezeichnet:  vgl.  A.  Costi,  de  ratione  puniendi  certamina  singnlaria 
quae  vocantur  duella.  Dias.  Inaug.  Jur.  Berol.  1860.  p.  9. 

s)  Ygl.  oben  p.  102  f.  und  p.  123  Note  1. 


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124 


öffentlich,  in  Gegenwart  von  Zeugen,  stattgefunden  hatte,  konnte 
ja  immerhin  die  enquöte  zu  einem  Resultat  führen.  Wenn  sie 
aber  nicht  öffentlich  begangen  wurde,  was  wohl  häufiger  geschah, 
dann  konnte  eine  enquöte  niemals  die  Beweise  beschaffen ; anderer- 
seits ließ  aber  auch  die  Ordonnanz  von  1306  für  diese  Materie 
den  kämpflichen  Beweis  nicht  mehr  zu.  Das  ältere  Recht  hatte 
hier  ausnahmslos  den  Zweikampf  zugelassen.  So  hatte  in  Rouen 
am  20.  Juli  1044  oder  1047,  ein  Zweikampf  zwischen  Thomas 
de  l’Espiney  und  Jakob  du  Plessis  „ä  l’occasion  de  quelques 
paroles  injurieuses  que  le  premier  avait  dites  contre  l’honneur  de 
la  comtesse  de  Tancarvillc,  soeur  dudit  de  l’Espiney,  qu’il  avait 
accusee  d’infidölitö  avec  un  nomme  Edmond“,  stattgefunden,  in 
dem  du  Plessis  getötet  wurde1).  Li  Livres  de  Jostice  et  de  Plet 
hatten  das  escondire  par  bataille  bei  coicier  gestattet  *).  Li  Livre 
des  Constitutions  demences  el  Chastelet  de  Paris  bestimmte:  „Lors 
qu’est  tort  fet,  mesdit,  despit  et  injure,  se  je  vueil,  j’en  puis 
plaidier  citoiennement,  e’est  assavoir  par  tesmoing,  on  par  bataille, 
c’est  criminalement*)“.  Wohl  aber  bestanden  auch  hier  zu  Gunsten 
der  städtischen  Bevölkerung  Privilegien,  die  den  Zweikampf  bei 
Beleidigungen  untersagten4);  das  Vorhandensein  dieser  Privilegien 
spricht  aber,  ganz  abgesehen  von  den  bereits  angeführten  Quellen, 
dafür,  daß  das  gemeinfranzösische  Recht  bei  Beleidigung  den 
kämpflichen  Beweis  zuließ.  Interessant  ist  die  Behandlung  der 
kämpflichen  Injurienklage  durch  das  Parlament.  Im  Pfingst- 
parlaraent  1279  wurde  eine  kärapfliche  Injurienklage  abgewiesen, 
„cum  factum  esset  notorium“,  und  eine  geeignete  Sühne  ange- 
ordnet1): im  Osterparlament  1306  wurde  eine  kämpfliche  Injurien- 
klage zwar  auch  noch  nicht  durch  Urteil  als  unzulässig  verworfen, 
wohl  aber  durch  königlichen  Befehl  erledigt,  und  den  Beleidigern 
eine  ausreichende  Sühne  vorgeschrieben6).  Im  Invokavitparlament 
1312  wird  die  vom  weltlichen  Gericht  des  Bischofs  von  Saint- 
Brieuc  angeordnete  Zulassung  des  kämpflichen  Beweises  wegen 


')  vgl.' Canel  p.  70. 

*)  vgl.  Jojt.  ot  Plet  p.  296,  XXI. 

•)  Chätelet  § 38. 

*)  z.  B.  MonUrgis  (1170,  1320,  1537)  in  Ord.  XI  p.  472.  art.  16. 
*)  Olim  II.  p.  131.  VI  (1279). 

*)  Olim  U.  p.  485.  VI  (1306).  vgl.  oben  p.  96  Note  3. 


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125 


einer  Injurie  annulliert  ohne  materielle  Entscheidung  in  der  Sache 
seihst').  Am  17.  Dezember  1341  urteilte  das  Parlament  in  einer 
kämpflicben  Klagesache  zwischen  Olivier  de  Clisson  und  Johann 
de  Toumelle  wegen  einer  Verbalinjurie,  daß  die  Materie  nicht 
kämpflich  bewiesen  werden  könne*). 

V.  Die  Mittel  zu  einem  kämpflichen  Austrag  im  ordentlichen 
Prozeß  gelangen  zu  können,  waren  nach  Maßgabe  der  geltenden 
Gesetzgebung  Philipps  IV.  und  nach  Maßgabe  der  herrschenden 
Iudikatur  nicht  nur  sehr  beschrankt,  sondern  auch  sehr  unsicher. 
Der  Ausweg,  den  das  orientalische  Recht  offen  ließ,  indem  es  bei 
Einverständnis  der  Parteien  und  des  Gerichtsherrn  in  den  Fällen 
des  trahison  non  apparent  den  kämpflichen  Beweis  zuließ1),  war 
im  französischen  Recht  dieser  Zeit  ungangbar,  da  einmal  der 
kämpfliche  Beweis  auf  die  schwersten  Delikte  beschränkt  war  und 
der  Begriff  des  Verrats  sich  immer  mehr  - einengte,  und  anderer- 
seits die  Parteien  seit  dem  Ausgang  des  dreizehnten  Jahrhunderts 
nicht  mehr  frei  über  die  Art  der  Beweisführung  verfügten.  Wollte 
man  am  Kampfrecht  festhalten,  so  mußte  man  es  auf  eine  andere 
Basis  stellen.  Die  geeignete  Form  dafür  bestand  längst  im  tor- 
neamentum  hostile,  man  brauchte  es  nur  als  quasi  hostile  anzu- 
wenden; wie  einst  die  Verratsklage  alle  möglichen  Tatbestände  in 
sich  aufnahm,  so  bot  jetzt  der  deffi  eine  unbeschränkte  Möglich- 
keit allen  Tatbeständen  Raum  zu  geben.  Aber  die  Verhältnisse, 
unter  denen  die  neue  Kampfidee  sich  entwickelte,  drückten  ihr 
ihren  Stempel  auf,  und  es  ist  kein  Zufall,  daß  die  Autoren,  die 
im  fünfzehnten,  sechzehnten  und  siebzehnten  Jahrhundert  über  den 
außergerichtlichen  Zweikampf  schrieben,  ihn  als  bedingte  Fortführung 
der  alten  Kampfidee  betrachteten 4) ; denn  wir  werden  sehen,  wie  sich 

')  Olim  III»,  p.  679.  XLV.  (1812). 

*)  Collect.  Lamoignon.  Reg.  crim.  vol  324  p.  575  (17.  XII.  1341)  bei 
Ducoudray  p.  401. 

3)  Jerusalem  H.  C.  Jean  d’Ibelin  de  95  u.  96  p.  155  f;  aus  derartigen 
Ideen  entwickelte  sieb  der  deutsche  und  der  italienische  Austragszweikampf, 
der  dem  französischen  Recht  fremd  geblieben  ist. 

4)  In  späterer  Zeit  suchte  man  sich  wohl  Rechenschaft  über  die  Ent- 
stehung und  den  Zusammenhang  mit  dem  gerichtlichen  Zweikampf  zu  geben. 
BrautOme  kommt  dabei  zu  eben  so  unkritischen,  wie  merkwürdigen  Resultaten, 
die  im  Anschluß  an  die  Darstellung  eines  gerichtlichen  Zweikampfes  aus  der  Zeit 
Louis  lc  Begue’s  von  ihm  gegeben  werden.  Er  meint  die  „usance  antique*  qu’il  j 


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126 


im  Laufe  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  Elemente  des  alten  Kampf- 
rechts in  das  neue  eindrängen,  so  daß  es  dem  gerichtlichen  Zwei- 
kampf formell  wenigstens  sehr  ähnlich  wird;  wie  ja  andererseits 
auch  der  gerichtliche  Zweikampf  in  seinen  letzten  Phasen  dem 
außergerichtlichen  Zweikampf  oder  dem  Turnier  manche  Elemente 
entlehnt  hat.  Im  Großen  und  Ganzen  streifte  aber  der  außer- 
gerichtliche Zweikampf  seine  Ursprungsschlacken  ab  und  die  be- 
sonderen Gründe,  denen  er  seine  Entstehung  verdankte,  traten 
immer  mehr  zurück;  aus  diesem  Grunde  hat  man  ihm  vielfach 
die  historische  Berechtigung  bestreiten  wollen,  ohne  zu  bedenken, 
daß  eben  alles,  was  infolge  der  Zustimmung  maßgebender  Kreise 
zur  historischen  Erscheinung  geworden  ist,  ohne  Rücksicht  auf 
seinen  Inhalt,  durch  sein  Dasein  allein  Lebensrecht  hat. 


§ 12. 

Die  Entwickelung  des  aussergerichtlichen  Zweikampfs  bis  zur 
Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts. 

I.  Die  erste  Nachricht  von  einem  anßergerichtlichen  Zwei- 
kampf stammt  aus  dem  Jahre  1352.  Am  4.  Dezember  dieses 
Jahres  war  ein  Kampftermin  zwischen  den  Herzögen  von  Braun- 
schweig und  von  Lancaster  in  Paris  auf  dem  Pre-aux-Clercs  an- 

avoit  en  France  de  cea  combat»  et  jettemens  de  gages  sei  von  König  Artus  de  la 
Grand-Bretagne  eingeführt  worden  (p.  248);  an  einer  anderen  Stelle  (p.  234) 
meint  er  die  combat»  h outrance  seien  durch  Karl  den  Großen  von  den 
Lombarden  übernommen  worden;  courtoisie  habe  eg  überhaupt  in  diesen 
gerichtlichen  Kämpfen  nicht  gegeben,  der  Sieger  habe  über  den  Besiegten 
verfügen  können,  wie  er  gewollt  habe,  er  habe  ihn  schleifen,  hingen,  ver- 
brennen, gefangen  nehmen  und  verknechten  können.  Auf  p.  251  meint  er: 
„ Selon  les  anciennes  coutumes,  leg  condition»  des  vaincus  eatoient  fort  viles, 
sordides  et  fort  miserables.  Si  y en  a-il  eu  pourt&nt  de  nos  temps  ou  de  nos 
percs  de  ces  combattans  ä outrance  et  vainqueurs,  qui  ont  estez  modestes,  et  qui 
en  leurs  victoires  les  rigueurs  de  leurs  loix  et  dispositions  de  droits  ont 
adoucy.  Bei  diesem  Verständnis  für  den  gerichtlichen  Zeikampf  kann  er  sich 
nicht  genug  über  einen  gerichtlichen  Zweikampf  in  Valenciennea  (1455) 
wundem,  der  sich  ganz  in  den  alten  Formen  bewegt  (vgl.  p.  241 — 243). 
So  erzählt  er  denn  auch  von  der  Bestellung  des  Kampfespfandes,  das  er  in 
zwei  Formen  (vgl.  über  dieselben  meinen  gerichtlichen  Zweikampf  p.  72.  IX 
erste  und  dritte  Art)  kennt,  als  von  einer  veralteten,  merkwürdigen  coustumc 
(p.  246). 


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127 


beraumt;  wie  die  Chronik  berichtet,  fand  dieser  Termin  „pour 
paroles  que  ledit  duc  de  Lenclastre  devoit  avoir  dites  dudit  duc 
de  Hresvic“  statt.  Nach  der  Chronik  soll  die  Sache  vom  Parlament 
entschieden  worden  sein;  das  erscheint  aber  sehr  unwahrscheinlich 
und  ist  höchstwahrscheinlich  nur  eine  Folgerung  aus  dem  Umstand, 
daß  der  König  im  Kampftermin  anwesend  war  und  durch  seinen 
Befehl  den  Kampf  beendigte').  Weshalb  hätte  das  Parlament  in 
diesem  Falle  auch  von  seiner  konstanten  Praxis,  die  sich  auf  der 
durch  die  Ordonnanz  von  1306  geschaffenen  gesetzlichen  Grund- 
lage bewegte,  abweichen  sollen?  Etwa  weil  die  Parteien  Aus- 
länder waren?  Das  Prozeßrecht  dieser  Zeit  wird  vom  reinen 
Territorialitätsprinzip  beherrscht,  wie  wir  bereits  aus  der  Be- 
trachtung der  Juden-  und  Lombardenprivilegien  wissen*);  wenn 
aber  das  Parlament  mit  Rücksicht  auf  den  hohen  Rang  der  Par- 
teien hier  eine  Ausnahme  zugelassen  hätte,  was  übrigens  rechtlich 
nicht  zulässig  gewesen  wäre,  so  hätte  die  Chronik  wohl  kaum 
diese  Tatsache  stillschweigend  übergangen  und  nicht  bloß  mit 
dürren  Worten  gesagt;  „dont  il  appela  en  la  Court  de  France.“ 
Da  die  Tatsache  des  Zweikampfes  nicht  geleugnet  werden  kann, 
da  aber  auch  andererseits  ein  ähnliches  Parlamentsurteil  nicht 
bekannt  ist,  so  liegt  es  nahe,  diesen  Bericht  mit  anderen  Nach- 
richten von  außergerichtlichen  Zweikämpfen  in  Verbindung  zu 
bringen  und  die  auf  das  Parlamentsurteil  bezügliche  Bemerkung 
der  Chronik  für  eine  ungenaue  Berichterstattung  zu  halten. 

Im  Jahre  1359  wollte  sich  Wilhelm  Troussel  aus  der  Ge- 
fangenschaft Bertrand  du  Guesclin’s  loskaufen;  letzterer  nahm  aber 
das  Lösegeld  nicht  an;  darauf  ließ  ihm  Troussel  durch  einen 
Dritten  aufsagen  (l’envoya  deffier)  und  zum  Kampf  auf  trois  coups 
de  lance  et  deux  coups  d’espte  fordern;  diese  Forderung  nahm 
du  Guesclin  an;  in  dem  Kampf  selbst  unterlag  Troussel3).  Im 
selben  Jahre  fand  zwischen  Guesclin  und  Cantorbie  ein  Zweikampf 
wegen  Verbalinjurie  statt;  an  diesem  Falle  läßt  sich  nun  mit 
aller  Deutlichkeit  die  Struktur  dieser  Kampfverhältnisse  erkennen. 
Cantorbie.  dem  eine  trahison  eontre  la  foy  promise  von  Guesclin  vor- 

')  Gr.  chron.  VI.  p.  6 f.  (4.  XU.  1852). 

*)  rgl.  oben  p.  29  f:  vgl.  hierzu  auch  A.  Weins.  Manuel  de  droit  inter- 
national privi  2e  Ed.  Paris  1899.  p.  224  f. 

*)  D’Argentre  p.  833  f. 


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128 


geworfen  wird,  erwidert  diesen  deffi  Guesclins  mit  folgenden  Worten : 
„S’il  y a homme  qui  Charge  mon  honneur,  et  qni  die  que  j’ay  faict  autre 
chose  que  d’homme  de  bien,  je  le  combatrav,  und  mit  diesen  Worten 
wirft  er  sein  Pfand.  Der  Beleidiger  Guesclins  nimmt  das  Pfand 
sofort  auf  und  an  und  sagt:  „Je  re^oy  votre  gage  et  dv  que 
faussement  et  mal  vous  avez  pris  et  detenez  mon  frfere,  et  le 
prouveray  par  les  annes  ce  iour  et  que  lachement  vous  avez  faict. 
Darauf  vereinbaren  sie  das  Kampfgericht.  Beim  Kampf  siegt 
Guesclin;  wie  er  Cantorbie  den  Todesstoß  versetzen  will,  bittet, 
der  Turnierherr  um  das  Leben  des  Cantorbie;  Guesclin  besteht 
aber  auf  seinem  Recht,  da  zwischen  den  beiden  Parteien  nichts 
anderes  vereinbart  ist;  erst  als  ihm  der  Herzog  von  Lancaster, 
der  Tumierherr,  erklärt:  „Vous  avez  faict  votre  devoir,  et  vous 
en  demeure  l’honneur,“  steht  er  von  seinem  Vorhaben  ab1).  Hier 
findet  sich  keine  Spur  von  einem  Urteil,  keine  Kampfgerichtsbar- 
keit, keine  Entscheidung  über  die  dem  deffi  zu  Grunde  liegende 
Tatsache,  und  doch  läßt  der  Fall  ganz  klar  erkennen,  daß  noch 
Vorstellungen  aus  dem  gerichtlichen  Zweikampf  mit  herüberspielen, 
so  das  Hinwerfen  des  Pfandes,  die  Form  der  Annahme  desselben 
durch  Guesclin,  aber  die  wesentlichen  Momente  des  Kampfver- 
hältnisses sind  andere  geworden*).  Den  Parteien  ist  es  natürlich 
unbenommen  auch  Strafbestimmungen  für  den  Fall  des  Unter- 
liegens  in  den  Kampfvertrag  aufzunehmen ; aber  diese  Strafen 
haben  keine  Verwandtschaft  mit  den  in  dem  Urteil,  das  auf 
das  Ergebnis  des  gerichtlichen  Kampfes  erging,  enthaltenen.  So 
findet  sich  in  dem  eben  erwähnten  Kampfvertrag  zwischen 
Troussel  und  Guesclin  die  Bestimmung,  daß  der  Unterliegende 
100  6cus  zu  bezahlen  habe  zur  Veranstaltung  eines  Banketts  ftir 
die  Zuschauer  beim  Kampf5).  Dieser  Fall  Troussel  und  Guesclin 


')  D’Argentre  p.  336  (1359). 

*)  Daß  diese  Kämpfe  keinen  andern  Zweck  hatten  als  die  Bewährung 
der  ritterlichen  Ehre  geht  aus  einer  Stello  des  Brantöme  mit  noch  größerer 
Deutlichkeit  hervor.  Der  defü  des  Soto-Maior  hatte  den  Vorwurf  der 
schlechten  Behandlung  in  der  Gefangenschaft  enthalten.  Zu  Beginn  des 
Kampfes  fragt  Soto-Maior  den  Bayard:  „Sefior  Bayardo.  que  me  quereys?“ 
Bayard  antwortet:  „Je  veux  deffendre  mon  honneur.“  Vgl.  Brantöme, 
p.  265  f. 

3)  D’Argentre  p.  333  (1359). 


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129 

zeigt  uns  auch  die  Möglichkeit  vertragsmäßiger  Beschränkung  der 
Kampfhandlung,  hier  auf  drei  Lanzenstöße  und  zwei  Schwert- 
schläge1); eine  derartige  Möglichkeit  ist  dem  Turnier  und  dem 
außergerichtlichen  Zweikampf  eigen,  dem  gerichtlichen  Zweikampf 
aber  durchaus  fremd. 

Im  Jahre  1375  fand  zwischen  zwei  Bretonen  und  zwei  Floren- 
tinern wegen  „paroles  contumelienses  et  de  döfaveur“  ein  Zwei- 
kampf zu  Pferde  statt5).  • 1 

Im  Jahre  1497  hatte  sich  Simonetta  gegen  Losegeld  aus  der 
Gefangenschaft  des  La  Lande  befreit;  nach  seiner  Freilassung 
warf  er  ihm  schlechte  Behandlung  während  der  Gefangenschaft 
vor;  infolge  des  hierüber  stattgehabten  Wortwechsels  schickte 
La  Lande  dem  Simonetta  „un  cartel  de  combat“ ; La  Lande  siegte 
in  dem  vor  Jean  Jacques  Trevoux,  comte  de  Peyenas,  hierüber  ab- 
gehaltenenen  Kampf8).  Der  Fall  deckt  sich  im  Großen  und 
Ganzen  mit  dem  Fall  Troussel  ./■  Guesclin4).  Neu  ist  hier  nur  die 
schriftliche  Form  des  deffi,  der  hier  als  „cartel  de  combat“  be- 
zeichnet wird;  das  „cartel“  hat  formell  und  materiell  dieselben 
Funktionen  wie  der  mündliche  von  Partei  zu  Partei  oder  durch 
Boten  erklärte  deffi:  die  neue  Form  der  schriftlichen  Aufsage  hatte 
sich  im  fünfzehnten  Jahrhunderts  mit  der  immer  weiteren  Ver-  ■ 
breitung  der  Kenntnis  der  Schrift  und  deren  immer  größeren 
Verwendung  in  allen  Lebensverhältnissen  herausgebildet8).  Neben 
der  neuen  Form  bestand  aber  die  alte  der  mündlichen  Aufsage 
weiter  und  wurde  vielfach  wegen  ihrer  relativen  Billigkeit  von 
Minderbemittelten  bevorzugt. 

Dieselbe  Art  von  Kämpfen  finden  sich  sowohl  am  französischen 
als  am  burgundischen  Hofe.  So  fand  im  Jahre  1431  vor  dem 
Herzog  ein  Kampf  auf  dem  großen  Markt  in  Arras  zwischen 
Maillotin  de  Bours  und  Hector  de  Flavy  statt.  Maillotin  hatte 


')  Vgl.  oben  p.  127. 
s)  D’Argentre  p.  445  (1375). 

s)  D’ Argen  trö  p.  802  f.  (1497).  — Ein  ähnlicher  Pell : Bav&rd  ./•  Soto- 
Maior  (Anf.  XVI.)  bei  Brantöme  p.  263  f. 

*)  Vgl.  oben  p.  127. 

6)  Berühmt  sind  die  Cartels  Franz  1.  von  Frankreich  und  Kaiser 
Karle  V.;  ferner  die  des  de  la  Castagneraie  und  des  Jarnac  (1547)  vgl.  die 
letzteren  bei  Brantöme  p.  205  f. 

Cou.lin.  Zweikampf  lu  Frankreich  •* 


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130 


Hector  beschuldigt,  daß  er  „avoit  voulent6  de  soy  rendre  son 
(nämlich  des  Herzogs)  ennemy  et  de  se  tourner  du  party  du  Eoy 
Charles“,  und  führte  ihn  auf  Befehl  des  Herzogs  gefangen  nach 
Arras;  dort  entschuldigt  sich  Hector  de  Flavy  beim  Herzog. 
Maillotin  fordert  ihn  und  der  Kampf  wird  anberaumt,  sie  fechten 
zuerst  mit  Lanzen,  dann  mit  Degen;  darauf  beendigt  der  Herzog 
den  Kampf  durch  seinen  Befehl.  Daß  es  sich  hierbei  nicht  um 
Verrat  handelt,  geht  aus  dem  Umstand  hervor,  daß  der  Herzog 
am  nächsten  Tag  die  beiden  Oegner  zu  seiner  Tafel  zieht  und 
ihnen  bei  Kapitalstrafe  alle  weiteren  Feindseligkeiten  verbietet1). 
Im  Jahre  1435  fand  wiederum  ein  Zweikampf  auf  dem  Markt  von 
Arras  vor  dem  Herzog  von  Burgund  zwischen  einem  Spanier  Jean 
de  Merle  und  einem  Burgunder  Pierre  de  Beauflremont  und  zwar 
„sans  querele  diffamatoire  pour  acqu6rir  honneur“  statt.  Nach 
der  Verabredung  sollten  zunächst  3 Lanzen  gebrochen  werden, 
hieran  sollte  sich  der  Fußkampf  mit  Äiten,  Schwertern  und 
Dolchen  bis  zur  Kampfunfähigkeit  der  einen  Partei,  „sauf  en  tont 
la  voulentö  du  juge“  anschließen  *).  Diese  burgundischen  Zwei- 
kämpfe fanden  ebenfalls  unter  großer  Prachtentfaltung  und  in 
Anwesenheit  des  ganzen  Hofes  und  vieler  anderer  Zuschauer  statt ; 
wegen  der  dem  Turnierherren  hier  von  den  Parteien  eingeräumten 
kampfrichterlichen  Befugnisse  stimmt  das  Reglement  des  Kampf- 
termins der  außergerichtlichen  Zweikämpfe  fast  vollständig  mit 
dem  der  gerichtlichen  Zweikämpfe  überein,  so  daß  es  ohne  Kenntnis 
der  Veranlassung  des  Kampfes  fast  unmöglich  ist  die  beiden  Arten 
im  Kampftermin  auseinanderzuhalten.  Derartige  außergerichtliche 
Zweikämpfe  müssen  aber  gerade  in  Burgund  sehr  häufig  gewesen 
sein;  denn  Jacques  de  Lalain,  der  nur  ein  Alter  von  dreißig 
Jahren  erreichte,  hat  in  seinem  Leben  achtzehn  Mal  in  außer- 
gerichtlichen Zweikämpfe  gefochten,  wie  uns  sein  Epitaphium  be- 
richtet; die  Kämpfe  Lalains  fallen  in  die  vierziger  und  fünfziger 
Jahre  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  *).  Dagegen  scheinen  auch  in 
Burgund  die  gerichtlichen  Zweikämpfen  immer  seltener  geworden 
zu  sein:  Olivier  de  la  Marche,  der  im  Jahre  1501  starb,  erzählt 
nämlich:  „Peu  de  gens  vivans  ont  vu  l'eiöcution  de  gages  de 

>)  Monstrelet  IL,  p.  68»  (1881). 

*)  Momtrelet  IL,  p.  105b  (1485). 

*)  LaUin  p.  890. 


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131 


bataille,  et  a plus  de  soixante  ans,  que  sous  eeste  maison  de 
Bourgogne  ne  furent  telles  oeuvres  exäcutes  entre  deux  nobles 
hommes1).  Et  moy  qni  ay  demeur6  en  ceste  noble  maison  prfcs 
de  soixante  ans,  je  ne  vis  de  ma  vie  gage  de  bataille“  *).  Olivier 
de  la  Marche  hat  also  keine  gerichtlichen  Zweikämpfe,  die  all- 
gemein technisch  als  gages  de  bataille’)  bezeichnet  werden,  unter 
Adeligen  in  Burgund  erlebt;  wohl  aber  hat  er  andere,  außer- 
gerichtliche Zweikämpfe  vielfach  gesehen. 

Mit  diesen  Fällen  sind  eine  Reihe  anderer  Fälle,  die  sich 
nur  dadurch  unterscheiden,  daß  die  eine  Partei  mutwillig  die 
andere  beleidigte,  nahe  verwandt.  Ein  Portugiese  Diazo  Oliveira 
hatte  sich  in  beleidigender  Weise  über  die  Prinzen  geäußert;  da- 
rauf forderte  ihn  Guillaume  de  la  Haie,  ein  bretonischer  Knappe 
des  Herzogs  von  Berri.  In  Gegenwart-  des  Herzogs  von  Guienne 
und  des  ganzen  Hofes  wurde  der  Kampf,  bei  dem  der  Bretone 
Sieger  blieb,  ausgetragen  und  nur  der  Befehl  des  Herzogs  von 
Guienne  hinderte  den  Bretonen  de  pousser  Ie  Portugais  äbout“4). 
Der  Dictionaire  historique  des  moeurs  berichtet  nun  ohne  Angabe 
einer  Quelle,  daß  im  Jahre  1414  in  Saint-Ouen  drei  Portugiesen 
gegen  drei  Gaskogner  „pour  l'amour  de  leur  raaitresse“  kämpften5). 
Nach  Lobineau  kämpften  sie  „avec  la  permission  du  Roi  par  un 
deffi  d'honneur“*);  nach  Ursinus  kämpften  vier  Gascons  gegen  vier 
Portugais  auf  Grund  einer  Verabredung7).  Diese  drei  Nachrichten 
lassen  sich  sehr  wohl  vereinigen;  die  Portugiesen  mögen  immer- 
hin „pour  l'amour  de  leur  maitresse“  gekämpft  haben,  aber  im 
konkreten  Falle  war  wohl  stets  ein  „deffi“  nötig,  so  daß  doch  der 
Grund  des  Kampfes  im  einzelnen  Fall  eine  Beleidigung  war. 
Auch  in  einem  andern  Fall,  in  dem  die  Quellen  dieselben  Ab- 
weichungen aufweisen,  hat  den  Grund  des  Kampfes  ein  deffi  ge- 

•)  Dem  Kampf  zwischen  zwei  Bürgerlichen  wegen  Mords,  der  im  Jahre 
1455  in  Valenciennes  stattfand,  (vgl.  Le  Glay  in  A.  d.  N.  I,  85  in  meinem 
Gerichtl.  Zweikampf  p.  14  Note  5)  scheidet  er  also  aus. 

*)  Olivier  de  la  Marche  in  seinem  Livre  des  Duels  bei  Canchy  I, 

p.  116. 

J)  Vgl.  meinen  Goriehtl.  Zweikampf  p.  72,  I. 

*)  Lobineau  1,  pag.  526  f. 

5)  Dictionaire  historique  pag.  774. 

•)  Lobineau  I.  pag.  526. 

Ursinus  pag.  286. 

9* 


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132 


bildet.  Im  Jahre  1409  forderte  ein  Engländer,  der  nach  Frank- 
reich gekommen  war  „pour  faire  armes  pour  l'amour  de  sa  dame“, 
einen  Bretonen,  der  Seneschall  von  Hennegau  war,  ;i  outrance. 
Der  Kampftermin  fand  am  18.  Juni  in  Gegenwart  des  Königs 
statt.  Nach  der  übereinstimmenden  Darstellung  Lobineau's  und 
D’Argentr6’s  hat  der  Bretone  den  Engländer  beschuldigt  „de  lui 
avoir  manque  de  foy“ ').  Ursinus  berichtet  hiervon  nichts;  nach 
seiner  Darstellung  hatte  der  Bretone  auf  die  allgemein  gehaltene 
Aufforderung  des  Engländers  sich  erboten:  de  lui  accomplir  le 
faict  d’armes,  ainsi  qu’il  le  requeroit“  ’).  Dieser  scheinbare  Wider- 
spruch der  Quellen  verschwindet  aber,  wenn  man  die  Pasquier’sche 
Darstellung  dieser  Zweikämpfe  damit  vergleicht.  Pasquier  sagt: 
„II  n’est  plus  question  de  crime,  ains  seulement  de  se  garantir 
d’un  desmentir,  quand  il  est  baillA  En  quoy  les  affaires  se  sont 
tournöes  de  teile  fa\'on,  qu’au  lieu  oü  les  anciens  accusans  quel- 
qu’un,  le  d^fendeur  estoit  tenu  de  proposer  les  defenses  par  un 
desmentir,  ny  pour  cela  il  ne  perdoit  pas  sa  qualiti  de  dßfendeur. 
Au  contraire  si  j'impute  aujourd’huy  quelque  cas  ä un  homme, 
et  qu'il  me  desmente,  je  demeure  dfes  lors  l’offenc6,  et  faut  que 
pour  purger  ce  desmentir,  je  demande  le  combat.  Tellement  que 
mon  ennemv  n’est  plus  fonde  que  sur  la  defensive.  Avant  un 
grand  advantage  sur  moy.  Parce  que  pour  ioüer  le  personnage 
de  defendeur  il  a le  choix  des  armes,  et  moy  seulement  du  ehamp 
de  bataille,  et  se  peut  aguerrir  sous  main  ä telles  armes  qu’il  luy 
plaist,  dont  il  me  salue  ä l’impourveu  le  jour  du  combat“  *).  So 
kann  man  denn  die  beiden  Arten  der  Berichte  als  richtig  aner- 
kennen. Dieser  Kampf  wurde  durch  einen  königlichen  Befehl  be- 
endigt. Im  Anschluß  an  diesen  Bericht  erzählt  Ursinus,  daß  der 
König  mit  Rücksicht  auf  diesen  Fall  eine  Ordonnanz  erlassen 
habe:  „Que  jamais  nuls  ne  fussent  receus  au  Royaume  de  France 
ä faire  gages  de  bataille  ou  faict  d’armes,  sinon  qu’il  eust  gage 
juge  par  le  Roy  ou  la  Cour  de  Parlement“ 4).  Bezüglich  des  ge- 
richtlichen Zweikampfs  wiederholte  die  Ordonnanz  nur  die  Be- 

*)  Lobineau  I.  pag.  515:  D’Argentre  pap.  563  P;  ebenso  Monstrelet  I, 
pap.  83  a. 

*)  Ursinus  pag.  200. 

s)  Pasquier  pag.  324  C. 

4)  Ursinus  p.  200  und  Rec.  VH,  p.  199  nn.  445. 


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133 


Stimmung  der  längst  durch  den  usus  fori  auf  das  ganze  König- 
reich ausgedehnten  Ordonnanz  von  1307.  Bezüglich  des  faict 
d’armes,  wie  hier  der  außergerichtliche  Zweikampf  heißt,  wird  die 
Zustimmung  des  Königs  verlangt;  ihrer  hatten  sich  die  Portugiesen 
im  Jahre  1414  versichert1);  bald  aber  wurde  diese  Vorschrift  nicht 
mehr  beachtet’),  und  nur  wenn  der  Kampftermin  vor  dem  König 
abgehalten  wurde,  versicherte  man  sich  notwendiger  Weise  vorher 
seiner  formellen  Zustimmung,  die  auch  meist  gewährt  wurde. 

Einen  mit  diesen  zuletzt  behandelten  Fällen  durch  die  Art 
der  Herausforderung  an  einen  Unbestimmten  verwandten  Fall  er- 
zählt Brantöme.  Am  Tage,  an  dem  König  Heinrich  III.  getötet 
wurde,  forderte  ein  Anhänger  des  Königs,  Jean  de  l’Isle-Marivaut, 
denjenigen  der  Ligisten  zum  Kampfe  auf,  der  sich  mit  ihm 
schlagen  wolle;  Claude  de  Marolles  nahm  die  Forderung  an  und 
tötete  seinen  Gegner  im  Kampf’);  allerdings  war  die  Form  der 
Überwachung  der  Kampftätigkeit  eine  andere,  aber  das  Prinzip 
des  Kampfes  war  dasselbe,  wie  in  den  vorher  besprochenen  Fällen. 

II.  Kaum  hatte  der  außergerichtliche  Zweikampf  einige  Ver- 
breitung gewonnen,  da  suchte  auch  schon  das  Königtum  wieder 
Einfluß  auf  ihn  zu  gewinnen.  Wie  man  früher  den  gerichtlichen 
Zweikampf  und  die  Fehden  in  den  Ordonnanzen  neben  einander 
aufgeführt  findet,  so  erscheinen  jetzt  außergerichtlicher  Zweikampf 
und  Fehde  zusammen.  Die  Ordonnanz  vom  Jahre  1356  hatte  nur 
Adeligen  und  Nichtadeligen  in  gleicher  Weise  die  Fehde  verboten4); 
aber  schon  eine  Ordonnanz  vom  Jahre  1361  bestimmte:  „ . . Nous 
avons  entendu  que  aucuns  nobles  et  autres  de  nostre  royaume, 
disanz  estre  privilögiez  ou  accoustumez  de  user  de  defiances  et 
de  guerres  les  uns  contre  les  autres,  combien  que  ce  ait  est£ 
plusieurs  fois  par  nous  defendu  pour  cause  de  noz  guerres,  veu- 
lent  ä present,  soubz  umbre  de  la  paii  publice  en  nostre  royaume 
et  s’efforcent  de  faire  defiances  et  guerres  entre  eulx  et  de  pro- 
ceder  par  voie  de  fait ...  Et  pour  ce  . . . ordonnons  par  ces  prä- 
sentes que,  nonobstant  lesdiz  Privileges  ou  usages  de  nobles,  toutes 

')  vgl.  oben  p.  131.  Note  6. 

*)  vgl.  z.  B.  oben  p.  129  Note  3,  ferner  Sable  (1431)  bei  I)1  Argen  tri 
p.  609  E.  o.  a.  in. 

J)  Brantöme  p.  283,  Paris  2.  VIII.  1589.. 

4)  Ord.  ID,  p.  138.  art.  XXXIV.  (1356). 


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134 


tolles  d^fiances  et  guerres  et  tont  voies  de  fait  contre  toutes 
personnes  et  en  quelconques  pals  que  ce  soit  en  notre  royanme 
cessent  dores-en-avant  et  pour  toutes  causes  jusques  ä notre 
.especial  octroy,  et  toutes  assembl6es '),  convocations,  et  chevau- 
chifees  de  gens  d’armes,  ou  d’archiers,  si  ce  n’est  par  le  congi6 
ou  ordennance  de  nous  ou  de  nos  officiers1).  Diese  Be- 
stimmungen werden  schon  zwei  Jahre  später  von  Johann  auf 
Kriegszeiten  beschränkt8). 

Unter  Karl  VI.  war  kurze  Zeit  eine  Ordonnanz  in  Geltung, 
die  bestimmte:  „ . . . enjoignons  ...  ä nos  baillifs,  seneschaux, 
prevosts  et  autres  juges  et  officiers,  que  toutefois  qu’ils  s^auront 
que  aucuns  feront  guerre  ou  deffiance  particulibre  Tun  con- 
tre l’autre,  ils  les  contraingnent  ä cesser  lesdicts  guerres  et 
deffiances,  et  ä mettre  jus  toutes  voyes  de  fait  et  venir  ä obeys- 
sance  de  justice,  par  emprisonnement  de  leurs  personnes  et  d6- 
tention  de  leurs  biens  et  par  mettre  en  leurs  hostels  mangeurs 
et  gasteurs,  et  les  multipliant  dejonr  en  jour  et  par  descouvrir  leurs 
maisons,  et  se  ils  ne  peuvent  estre  prins  et  emprisonnez  qu'ils  soient 
appelez  ä ban  et  de  leurs  plus  prochains  parens  etamis  emprisonnez  et 
detenus,  en  multipliant  toujours  lesdites  peines,  jusques  ä ce  que 
realement  et  de  fait  la  voye  de  fait  soit  mise  jus,  non  obstan 
quelconques  Privileges,  constumes,  usaiges  ou  observance  de  lieux 
ou  de  pays“  *).  Dali  diese  döfiance  und  d6fiance  particulibre  Tun 
contre  l’autre,  die  hier  in  Gegensatz  zur  Fehde  gestellt  werden, 
nichts  anderes  bedeuten,  als  das,  was  wir  aus  derselben  Zeit  als 
„envoyer  deffier“  s)  und  faict  d’armes*)  kennen,  bedarf  wohl  keiner 
näheren  Ausführung.  Interessant  ist  nur,  wie  das  Königtum  hier 
wieder  Einfluß  zu  gewinnen  sucht  und  derartige  Kämpfe  in  ganz 
Frankreich  nur  „ä  notre  especial  octroy“  oder  „par  le  eongiö  ou 

’)  Über  den  Begriff  dieser  assemblees  vgl.  das  unten  p.  135.  mitge- 
teilte Protokoll  aus  dem  Jahre  1508.  Koch  im  Jahre  1546  hat  Franz  I. 
diese  Bestimmung  in  einer  declaration  wiederholt,  indem  er  verbot:  „de 
faire  ancnne  assemblce  et  de  venir  ä aucune  voie  de  fait  poor  des  querelles 
particulieres“.  vgl.  Cauchy  L p.  96.  Note  1. 

»)  Ord.  III,  526.  (1361). 

3)  Ord.  III,  p.  647  (1863). 

*)  Ord.  X.  p.  138  (Karl  VI). 

*)  Pontorson  c 1 359)  oben  p.  127  Note  3. 

*)  oben  p.  132  Note  4. 


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135 


ordennance  de  nous  ou  de  nos  officiere“ ')  oder  nur  wenn  das 
faict  d’armes  est  jugö  par  le  Roy*)  oder  „avec  la  permission  du 
Roy’)  gestatten  wollte.  Die  französischen  Könige  verstanden  es 
nun  im  Laufe  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  ihre  diesbezüglichen 
Aspirationen,  wenigstens  bezüglich  des  Hofadels  durchzusetzen. 
Zwei  von  Cauchy  aus  dem  Anfang  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
mitgeteilte  Fälle  mögen  dies  beweisen.  Zwischen  zwei  Angehörigen 
der  savoyischen  Armee,  Nicolas  de  Moüy  und  Just  de  Tournon 
waren  Differenzen  entstanden.  Tournon  hatte  eine  Verbalinjurie 
des  Moüy  mit  einer  Realinjurie  in  Gegenwart  des  Herzogs  von 
Longueville  erwidert.  Über  die  Sache  wurde,  ähnlich  wie  in  der 
oben  gestreiften  Angelegenheit  Simonetta  gegen  La  Lande4),  nach 
dem  Brauche  dieser  Zeit  ein  Protokoll  aufgenommen;  eine  Stelle 
aus  diesem  besagt:  „ils  s’ötaient,  par  plusieurs  fois,  cherchös  l’un 
l’autre,  avec  intention  d’eux  outrager  et  offendre  en  leurs  per- 
sonnes,  et  avoient  fait  asserablöes  de  gens  d’armes  sans  le  congö 
du  roi  et  contre  ses  döfenses“.  Ludwig  XII.  ernannte  zur  Ent- 
scheidung dieser  Angelegenheit  eine  Reihe  von  Kommissarien  aus 
seiner  Umgebung.  Diese  verurteilten  Just  de  Tournon  zu  nach- 
folgender Revokation  und  Deprekation:  „ä  faire  amende  honorable, 
tant  au  roy  qu’au  sieur  de  Moüy,  en  la  maniöre  qui  en  suit:  c’est 
ä savoir,  ä crier  mercy  audit  seigneur  ä deux  genoux,  nüe  töte, 
en  disant  que  follement  et  töraörairement,  irrövörentement  et  mal 
avise,  et  mal  conseille,  il  a donne  un  soufflet  ou  coup  de  poing 
audit  sieur  de  Moüy,  en  la  tente  et  p res e nee  du  duc  de  Longue- 
ville, ayant  charge  pour  ledit  Seigneur  ä l’armöe  de  Suisse;  et, 
cela  fait,  ä soy  retourner  devers  ledit  Moüy,  et,  ä un  genouil, 
lui  crier  mercy  de  ce  que  follement,  temerairement,  mal  avisö  et 
mal  conseillö,  il  lui  ä donnö  ledit  soufflet“.  Außerdem  wurde 
Tournon  auf  drei  Jahre  seiner  Ämter  enthoben  unter  Verlust  seiner 
Gehaltsbezüge  und  Verbannung  auf  zehn  Meilen  vom  Hoflager 
während  dieser  Zeit6).  Zehn  Jahre  später  warf  Jaques  Rosny  sire 


')  oben  p.  184  Bote  1. 

’)  oben  p.  182  Note  4. 

»)  p.  181  Note  6. 

4)  vgl.  oben  p.  129  Note  3.  (1497). 

6)  Konen  14.  X.  1508.  bei  Canehy  L p.  104. 


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136 


de  Menneton  dem  Francis  de  Cravant  sire  de  Bauche  vor  de 
„lui  avoir  fait  un  lasche  et  meschant  tour,  de  l’estre  venu  cher- 
cher  par  deux  fois,  en  grosse  compagnie  et  avec  port  d’armes 
sans  l’en  avertir“;  in  einer  mündlichen  Aufsage  ließ  er  ihm  mit- 
teilen,  daß  er,  wenn  Bauche  sich  allein  mit  ihm  treffen  wollte, 
sich  gerne  wegen  dieser  Äußerung  verantworten  werde.  Bauche 
trug  hierauf  die  Sache  Franz  I.  vor,  indem  er  anführte,  „qu’il 
lui  etait  defendu  d'avoir  aucun  debat  avec  son  ennemi  fors  devant 
son  seigneur“.  Rosny.  „se  tenant  pour  averty  qu’ils  n’auroient 
point  cong6  de  combatre  en  France,  veu  qu’il  se  donne  peu  de 
combats“,  wandte  sich  nach  Sedan  an  den  Grafen  de  la  Marek 
und  erlangte  von  ihm  die  Erlaubnis,  innerhalb  der  Domänen  dieses 
Grafen  im  geschlossenen  Feld  kämpfen  zu  dürfen.  Die  schrift- 
liche Erlaubnis  des  Grafen  de  la  Marek  schickte  er  mit  der  Auf- 
forderung zum  bestimmten  Kampftermin  in  Sedan  zu  erscheinen 
an  Bauche.  Darauf  erließ  der  connetable  de  Bourbon,  den  Franz  I. 
mit  der  Erledigung  der  Sache  beauftragt  hatte,  einen  defaut  gegen 
Rosny,  weil  er  seiner  Ladung  keine  Folge  geleistet  habe1).  In- 
teressant ist  hierbei,  daß  der  königliche  Kommissar  sich  über  die 
allgemein  anerkannte  Regel,  daß  der  Förderer  die  Wahl  des 
Kampfplatzes  hat*),  unbedenklich  hinwegsetzt.  Wenn  nun  die 
königlichen  Kommissarien  zu  einem  accord  der  Parteien  nicht 
gelangen  konnten,  was  jedoch  sehr  selten  war,  dann  ergeht  ein 
congie  de  bataille  des  Königs,  in  welchem  der  Kampf  erlaubt  und 
auferlegt  (permis  et  octroye)  wird.  Der  Kampf  findet  in  Gegen- 
wart des  Königs  statt,  der  König  behielt  sich  dabei  stets  kampf- 
richterliche Befugnisse  vor,  so  insbesondere  die  Möglichkeit,  das 
Kampfverhältnis  durch  seinen  Befehl  zu  beendigen5). 

Im  Jahre  1532  erließ  Franz  I.  eine  Ordonnanz,  die  aufs  neue 
andere  Zweikämpfe  als  die  mit  Erlaubnis  des  Königs  angeordneten 
verbietet;  diese  Ordonnanz  bietet  in  dieser  Beziehung  keine 
Neuerungen,  da  sie  im  wesentlichen  auf  Grundlage  der  uns  be- 
reits bekannten  Grundsätze  erlassen  ist,  und  es  ist  nicht  unwahr- 
scheinlich, daß  sie  nur  eine  Wiederholung  einer  bereits  früher 


*)  vgl.  Canchy  I.  p.  104  f. 
s)  vgl  z.  B.  oben  p.  132  Note  3. 

3)  vgl.  die  näheren  Angaben  bei  Caucb;  1,  p.  106  und  107. 


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137 


erlassenen  Ordonnanz  ist  ').  Da  aber  hier  zum  ersten  Male,  so- 
weit uns  zur  Zeit  bekannt  ist,  infamierende  Strafen  auf  den  mo- 
dernen Zweikampf  gesetzt  werden,  so  ist  es  nicht  ohne  Interesse 
diese  Ordonnanz  hier  im  Wortlaut  kennen  zu  lernen;  sie  hatte 
folgenden  Inhalt:  „Que  nul,  de  quclqu’6tat  et  qualite  qu’il  soit, 
soit  si  osk  ne  si  liardy  en  nostre  royaume,  pays  et  seigneurie  de 
faire  assembl^e  et  ports  d’annes,  ne  porter  ne  faire  porter  par  eux, 
ne  par  leurs  gens  et  seniteurs,  hamois,  haquebutes,  n’autres 
bastons  que  leurs  epees  et  poignards,  pour  quelque  cause  que  ce 
soit,  si  ce  n’est  de  nostre  exprös  vouloir  et  consentoment,  ou  pour 
chose  dependante  de  nostre  service,  dont  nous  ou  nos  juges  et 
ofliciers  ayent  cognoissance  et  donn6  cong6  de  ce  faire;  et  ne 
courent  sus  ne  mesfacent  ou  facent  mesfaire  les  uns  aux  autres 
pour  quelque  quereile  ou  differens  qu’ils  ayent,  inais  les  remettent 
et  facent  traiter  et  decider  par  justice,  sur  peine  de  confiscation  de 
corps  et  de  biens  et  d'en  estre  punis  corporellement  comme  sedi- 
tieux  et  infracteurs  de  nos  ordonnances  et  commandemens,  et  ne 
tiennent  avec  eux  ne  par  eux,  gens  ne  serviteurs  qu’ils  ne  veulent 
advouer  et  en  respondre,  s'ils  font  cas  et  crimes  qui  requiferent 
punition,  et  les  livrer  es  mains  de  justice,  pour  les  punir  selon 
qu'ils  auront  merite:  et  se  lesdits  subjects  ont  aucune  querelle 
d’honneur  les  uns  contre  les  autres  qui  ne  se  puissent  vuider 
par  justice,  se  retirent  par  devers  nous  pour  nous  en  faire  remon- 
trance  et  en  obtenir  de  nous  teile  permission  qu’il  nous  plaira 
leur  octroyer“*).  Die  Vorschriften  des  zweiten  Teiles  dieser  Or- 
donnanz haben  mehrfach  Anwendung  gefunden,  am  bekanntesten 
und  in  der  Literatur  am  ausführlichsten  besprochen  ist  der  Fall 
Chasteigneraie  gegen  Jamac,  in  dem  der  König  im  Jahre  lf>47 
einen  Kampf  anordnete.  Inwieweit  der  erste  Teil  der  Ordonnanz 
streng  durchgefithrt  wurde,  entzieht  sich  unserer  Kenntnis;  anderer- 
seits scheint  dieses  Verbot  in  Gemeinschaft  mit  ähnlichen  gleich- 
lautenden dahin  gewirkt  zu  haben,  daß  eine  Kampfesart  ohne 
Defensivwaffen,  nur  mit  6pee  und  poignard  allmählich  Eingang 


')  Daß  eine  ähnliche  Ordonnanz  bereits  1508  bestanden  haben  muß, 
das  beweist  die  oben  p.  135  mitgeteilte  Stelle  aus  dem  Protokoll  in  Sachen 
Mouy  '/.  Toumon. 

Rec.  Xll,  p.  377  (Paris  31.  X.  1532). 


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13R 


fand,  so  daß  sich  die  Privatzweikämpfe  wohl  kaum  verminderten, 
wohl  aber  blutiger  und  tätlicher  gestalteten1). 

Die  mit  königlicher  Erlaubnis  abgehaltenen  außergerichtlichen 
Zweikämpfe  gewinnen  durch  die  eminente  Beschränkung  des 
Parteiwillens  einige  Ähnlichkeit  mit  den  gerichtlichen  Zweikämpfen ; 
sie  können  aber  ihrer  ganzen  Struktur  nach,  ebensowenig  wie  die 
oben*)  erörterten  burgundischen  Kampfverhältnisse  als  gerichtliche 
Zweikämpfe  oder  deren  Abart  angesprochen  werden ; denn  in  ihnen 
handelt  es  sich  nicht  um  die  Erfüllung  eines  Beweisversprechens 
in  einem  Zivil-  oder  Strafprozeß;  sie  dienen  vielmehr  nur  der 
Bewährung  der  ritterlichen  Standesehre,  ohne  daß  in  ihnen  eine  Ent- 
scheidung über  die  dem  deffi  zugrunde  liegende  Tatsache  herbei- 
geführt wird.  Dies  zeigt,  auch  der  Fall  Chasteigneraie  gegen  Jarnac, 
wenn  hier  ein  gerichtlicher  Zweikampf  vorläge,  so  hätte  die  könig- 
liche Ordonnanz,  die  ihn  anordnete,  ihn  als  Beweismittel  über  die 
Frage,  ob  Jarnac  mit  seiner  Stiefmutter  sträflichen  Verkehr  hatte, 
bezeichnen  müssen,  und  es  hätte  in  diesem  Falle  ein  Urteil  über 
diese  Frage  auf  Grund  des  Ergebnisses  des  Kampfes  ergehen 
müssen;  dies  ist  nicht  der  Fall,  der  Kampf  soll  nach  der  Ordon- 
nanz Heinrich  II.  nur  der  justification  de  l’honneur  de  celuy 
auquel  la  victoire  en  demeurera  dienen1).  Gerade  dieser  Fall 
zeigt  aber,  daß  der  mit  dem  congö  des  Königs  und  unter  der 
Kampfaufsicht  des  Königs  stattfindende  außergerichtliche  Zwei- 
kampf ä outranee  eine  Menge  Elemente  des  alten  Kampfrechts  in 
sich  aufgenommen  hat,  ohne  das  sich  jedoch  hierdurch  die  wesent- 
lichen Prinzipien  des  tomeamentum  quasi  hostile  particulare  ge- 
ändert hätten.  Der  Einfluß,  den  das  Königtum  auf  die  außer- 
gerichtlichen Zweikämpfe  gewann,  hatte  deu  Vorzug,  daß  der 
König  und  seine  Beamten  begonnene  Kämpfe  jederzeit  durch  ihren 
Befehl  beendigen  konnten  oder  den  Beginn  des  Kampfes  durch  ihr 
Verbot  verhindern  konnten;  aber  diese  Befehle  hatten  nur  Gültig- 
keit für  die  Regierungszeit  des  Königs  oder  die  Amtszeit  des  be- 
treffenden Beamten  *).  Andererseits  konnte  der  König  auch  jeder- 

')  Tgl.  outen  p.  140  f.  — Beispiele  bei  Brantöme  p.  327  (1588);  p.  351 
and  passim. 

*)  vgl.  oben  p.  129. 

5)  Tgl.  die  Aktenstücke  bei  Cauchy  I.  p.  109  f.  und  bei  Brantöme  p.  505  f. 

*)  vgl.  Brantöme  p.  368.  372.  378. 


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139 


zeit  einen  accord  der  Parteien  herbeiführen  ’).  Der  accord  konnte 
aber  durch  einen  neuen  deffi  beseitigt  werden*)  und  an  das  Ver- 
bot brauchte  man  sich  nicht  außerhalb  des  Landes  oder  des  Amts- 
kreises des  Beamten  zu  halten5);  ja  es  bildete  sich  sogar  die 
Ansicht  aus:  „qu’il  faut  p refft  rer  l’honneur  au  prince,  ä son 
mandement.  ä la  vie  et  ä tout“  *).  Da  man  aber  auch  in  den 
seltensten  Fällen  zu  einem  kämpflichen  Austrag  der  Angelegenheit 
kommen  konnte,  falls  man  die  Angelegenheit  vor  den  König  oder 
seine  Beamten  brachte,  so  umging  man  die  durch  die  königlichen 
Ordonnanzen  vorgeschriebenen  Instanzen,  und  versuchte  entweder 
durch  Anrufung  eines  auswärtigen  Turnierherrn5)  oder  aber  durch 
andere  Mittel,  die  wir  im  Folgenden  kennen  lernen  zum  kämpf- 
lichen Austrag  der  Streitigkeiten  zu  gelangen. 


Zweiter  Abschnitt. 

Der  moderne  Privatzweikampf. 

§ 13. 

Die  Entwickelung  des  modernen  Privatzweikampfs  in  Frankreich. 

I.  Ein  Stand,  der  wie  der  Kitterstand,  die  einzige  Möglich- 
keit der  Bewährung  seiner  befleckten  Ehre  im  Zweikampf  erblickt, 
kann  sich  nicht  durch  Verbote  und  aufgedrungene  Vergleiche 
vom  Zweikampf  abhalten  lassen.  Wie  einst  die  Benutzung  des 
torneamentum  quasi  hostile  zum  Austrag  kämpflicher  Streitig- 
keiten durch  die  verfehlte  Gesetzgebung  eines  Philipp  IV.  gegen 
den  gerichtlichen  Zweikampf  in  die  Wege  geleitet  wurde,  so 
zwang  die  Beschränkung  des  außergerichtlicheu  Zweikampfs  durch 
königliche  Ordonnanzen  das  Rittertum  dazu,  seine  Ehrenhändel 
in  bereits  bestehenden,  aber  abusiven  Formen  des  außergerichtlichen 
Zweikampfs  zum  Austrag  zu  bringen  und  diesen  Formen  dadurch 
den  Charakter  der  ordentlichen  Form  des  Zweikampfs  zu  ver- 
leihen. 

*)  vgl.  Brantöme  p.  368.  386. 

*)  vgl.  Brantöme  p.  358. 

*)  vgl.  Brantöme  p.  373  f.  372.  286. 

4)  vgl.  Brantöme  p.  374. 

*)  vgl.  z.  B.  oben  p.  135  Note  5 und  136  Note  1. 


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HO 


II.  Auf  den  Feldzügen  in  Italien  hatten  die  französischen 
Truppen  eine  Reihe  von  Kampfarten  beobachtet,  die  dem  fran- 
zösischen Kampfrecht  fremde  Elemente  enthielten;  so  lernten  sie 
die  Einrichtung  der  parrains,  der  seconds  und  tiers  und  das 
combatere  a la  mazza  dort  kennen.  Die  parrains  waren  Geholfen  der 
Parteien:  sie  hatten  kampfpolizeiliche  Funktionen,  so  stand  ihnen 
z.  B.  die  Durchsuchung  der  Gegenpartei  auf  soreeries1)  und  un- 
erlaubte Waffen  zu3);  während  des  Kampfes  hatten  sie  den 
Weisungen  des  Turnierherrn  oder  des  von  diesem  bestellten  maistre 
et  garde  du  camp  Folge  zu  leisten3);  nach  Beendigung  des  Kampfes 
sorgten  sie  für  ihre  verwundete  Partei  oder  für  die  Beerdigung  des 
Leichnams 4).  Die  Sitte  der  Verwendung  von  parrains  beim  Kampf 
hatte  sich  in  Frankreich  schon  in  der  ersten  Hälfte  des  sech- 
zehnten Jahrhunderts  eingebürgert,  so  waren  auch  in  dem  Kampf 
des  de  la  Chastaigneraye  gegen  Jarnac  parrains  tätig5).  Diese 
Kämpfe  fanden  in  breitester  Öffentlichkeit  statt,  wie  schon  das 
soeben  erwähnte  Beispiel  beweist,  und  unterscheiden  sich  nur 
durch  die  Teilnahme  von  parrains  von  dem  im  vorhergehenden 
Kapitel  besprochenen  außergerichtlichen  Zweikämpfen  und  auch 
sie  fanden  stets  im  geschlossenen  Feld  statt. 

Das  combatere  a la  mazza  sahen  die  französischen  Heere  im 
südlichen  Italien;  Brantöme  definiert  es  dahin:  „une  autre 

maniere  de  combats  qui  se  l'ont  par  appels  et  seconds  hors  des 
villes,  aux  champs,  aux  forcts  et  entre  les  hayes  et  buissons,  d’oü 
estoit  venu  ce  mot  combatere  ä la  mazza.“  Diese  Kämpfe  fanden 
ohne  Defensivwaffen,  ohne  parrains,  ohne  Kampfaufsicht,  wohl 
aber  auf  einen  voraufgehenden  deffi  und  mit  seconds  eventuell 
mit  tiers  im  Geheimen  statt.  Die  seconds  beteiligten  sich  meist 
aktiv  am  Kampfe8);  bei  dem  Mangel  der  Kampfaufsicht  und  der 
Öffentlichkeit  arteten  diese  Kämpfe  nur  allzuhäufig  in  wüste 
Metzeleien  aus  ’). 

')  Über  diesen  Begriff  vgl.  meinen  Gerichtl.  Zweikampf  p.  117  f. 

3)  Vgl.  i.  B.  Brantömo  p.  259,  804. 

*)  Vgl.  Brantöme,  p.  259,  2G5. 

*)  Brantöme,  p.  268,  283. 

5)  Brantöme,  p.  304,  (Paris,  1547). 

8)  Jedoch  nicht  regelmäßig,  vgl.  t.  B.  Brantöme  p.  327. 

')  Vgl.  Brantöme  p.  308  ff.  355. 


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141 


Eine  andere  Form  des  privaten  Zweikampfes,  die  wir  schon 
oben ')  in  der  Zeit  der  Reaktion  gegen  die  Gesetzgebung  Philipps 
des  Vierten  kennen  lernten,  die  incursus,  duella  subita  oder  ren- 
contres,  taucht  in  dieser  Zeit  ebenfalls  wieder  auf*). 

Diese  drei  Formen  von  Zweikämpfen  beherrschen  nunmehr 
die  Kampfpraxis  seit  der  Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts. 
Die  erste  Form,  der  Kampf  unter  Zuziehung  von  parrains,  ver- 
läßt dabei  das  champ-clos  und  schließt  wie  die  beiden  andern 
die  Öffentlichkeit  aus.  Je  nach  den  Verhältnissen  und  den  Um- 
ständen wählte  man  die  eine  oder  andere  Form  des  Kampfes.  Seit 
der  Zeit  Franz  II.  und  Karls  IX.3)  geht  die  erste  Form  in  der 
zweiten  vollkommenen  auf;  im  Jahre  1511  hatten  französiche 
Ritter  zum  ersten  Male  in  Neapel  an  einem  derartigen  Kampf 
teilgenommen4);  in  der  zweiten  Hälfte  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts war  der  „combat  dans  beaux  champs“,  wie  man  ihn  in 
Frankreich  nannte,  in  Frankreich  eingebürgert  und  die  An- 
schauungen hatten  sich  ihm  vollständig  angepaßt;  wie  von  einer 
altgewohnten,  selbstverständlichen  Einrichtung  berichtet  Brantöme 
über  einen  solchen  Kampf,  der  im  Jahre  1586  stattfand,  mit 
folgenden  Worten:  „IIs  s’allerent  bravement  battre  sans  faire  nul 
bruit  ä une  lieue  de  Paris  dans  beaux  champs  pour  n’irriter  le 
roy  qui  estoit  (!)  et  ne  vouloit  point  ces  combats.“ s). 

III.  Jetzt,  wo  der  Zweikampf  an  keine  Formalitäten,  an  kein 
geschlossenes  Feld,  an  keine  Kampfaufsicht  mehr  gebunden,  wo 
es  dem  Ermessen  der  Parteien  überlassen  war,  wann,  wo  und  wie 
man  fechten  w'ollte,  erlangte  er  infolge  seiner  leichten  Zugänglich- 
keit und  fast  vollständigen  Regellosigkeit  und  infolge  einer  über- 
triebenen, fast  krankhaften  Ausbildung  des  Ehrgefühls  eine  un- 
geahnte Verbreitung.  Was  hier  die  Ursache  und  was  hier  die 
Folgeerscheinung  ist,  das  ist  mit  Sicherheit  nicht  zu  entscheiden; 
für  die  objektive,  quellenmäßige  und  genetische  Geschichts- 
forschung gibt  es  hier  nur  ein  non  liquet. 


')  Vgl.  oben  p.  121  bis  123. 
*)  Brantöme,  p.  330  ff. 

5)  Brantöme,  p.  378,  386. 

*)  Brantöme,  p.  310. 

*)  Brantöme,  p.  316. 


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142 


§ 14. 

Die  Repressivgesetzgebung  gegen  den  modernen  Privatzweikampf 
bis  zum  Tode  Heinrich  III. 

I.  Unter  dem  Eindniek  des  unglücklichen  Ausganges,  den  der 
autorisierte  Zweikampf  des  de  la  Chastaigneraye  gegen  Jarnac 
im  Jahre  1 547  genommen  hat,  soll  Heinrich  der  Zweite  geschworen 
haben,  niemals  wieder  in  seinem  Königreich  einen  Zweikampf  zu 
erlauben1);  auch  seine  Nachfolger  an  der  Krone  haben  keinen 
derartigen  Kampf  mehr  gestattet;  aber  dadurch  konnte  der 
Zweikampf  nicht  vernichtet  werden.  Ja  es  hat  den  Anschein,  als 
ob  hierin  ein  neuer  Grund  zur  stärkeren  Verbreitung  des  Zwei- 
kampfs zu  sehen  wäre;  denn  tatsächlich  haben  sich  seit  dieser  Zeit 
erst  die  geheimen  Zweikämpfe  ausgebreitet.  Ob  dies  ein  Zufall  ist, 
oder  ob  wirklich  der  Hauptgrund  dieser  Erscheinung  in  diesem 
Umstand  zu  suchen  ist,  das  kann  dahin  gestellt  bleiben.  Das  Übel 
war  da  und  die  Gesetzgebung  mußte  dagegen  einschreiten.  Es 
ist  nun  ungemein  charakteristisch  für  die  Form,  die  damals  die 
die  Kampfpraxis  beherrschte,  daß  sich  die  Gesetzgebung  zunächst 
mit  den  incursus  beschäftigen  mußte.  Eine  Ordonnanz  Heinrich  II. 
vom  Monat  Juli  1547  beschäftigt  sich  eingehend  mit  der  Unter- 
drückung der  hier  als  meurtres  et  homicides  de  guet  ä pens 
charakterisierten  incursus;  sie  beginnt  mit  folgenden  Worten: 
„Corame  il  soit  venu  ä nostre  cognoissance,  qu’auparavant  et 
depuis  nostre  nouvel  advenement  ä la  couronne,  il  a este  fait  en 
ce  royaume  plusieurs  meurtres  et  homicides  de  guet  ä pens,  et 
assassinement  et  entre  autres  y en  a eu  quelques  uns  faits  et 
commis  äs  personnes  d’aucuns  nos  principaux  juges,  officiers  et 
personnages  de  qualitäs,  sans  ce  que  l’on  aye  viveraent,  comme 
l’on  devoit,  poursuivy  les  meurtriers,  homicidaires  et  assasinateurs, 
lesquels  ayant  pourveu  et  done  ordre  ä leurs  cas,  auparavant  que 
d’exäcuter  leurs  cruelles  entreprises,  se  seroient  ävadez  et  sauvez 
en  plain  jour,  ä la  vüe  du  peuple,  mesme  de  nos  principales  villes, 
oü  ils  ont  fait  les  delits,  chose  qui  est  de  träs-mauvais  exemple, 
et  de  non  moindre  pärilleuse  consequence,  et  laquelle  si  eile 
estoit  plus  longuement  toläräe  et  passäe  soubs  dissimulation,  en- 

’)  Chatauvillard  p.  IM. 


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143 


gendreroit  tels  dangers  et  inconveniens  en  nostre  royaume,  que 
nul  ne  pourroit  demeurer  en  aucune  seuretö  de  sa  personne.“ 

„S^avoir  faisons,  que  nous  dösirans  sur  tout  singulierement 
pourvoir  et  donner  ordre,  ä ce  qui  concerne  le  bien  et  repos  pu- 
blic, et  l'establissement  d’icelny,  apres  avoir  mis  ceste  matifere 
en  döliberation  avec  les  princes  et  seigneurs  de  nostre  sang,  et 
autres  grands  et  notables  personnages  de  nostre  conseil  prive, 
avons  par  ces  präsentes,  dit,  Statut,  voulu  et  ordonne,  disons,  sta- 
tuons,  voulons,  ordonnons  et  nous  plaist  de  nos  certaine  Science, 
plaine  puissance  et  autoritä  royale,  par  ces  präsentes. 

„1)  Que  doresnavant  toutes  personnes  indifferemment,  tantgen- 
tils-hommes  que  roturiers,  de  quelque  estat  et  qualitö  qu’ils  soient, 
ayans  fait  et  commis  meurtres  et  homicides  de  guet  a pens,  et 
assassinemens,  seront  effectuellement  punis  de  la  peine  de  mort 
sur  la  rouö,  sans  autre  com  Imitation  de  peine,  quelle  qn’elle  soit. 
etc.“  •). 

Sicherlich  handelt  es  sich  in  den  Fallen,  die  diese  Ordonnanz 
unterdrücken  will  nicht  um  gewöhnliche  Morde;  denn  für  die  Be- 
strafung der  letzteren  bestanden  ausreichende  gesetzliche  Hand- 
haben. Es  können  vielmehr  hier  nur  solche  Fälle  in  Frage 
kommen,  die  gemeinhin  nicht  als  Mord  oder  Totschlag  betrachtet 
wurden;  das  sind  aber  diese  incursus,  für  die  Brantöme  noch  aus 
den  siebziger  Jahren  des  sechzehnten  Jahrhunderts  eine  Beihe  von 
Beispielen  aus  dem  Leben  des  baron  de  Millaud  giebt1);  für  die 
Verwerflichkeit  dieser  incursns  ging  nicht  nur  dem  Adel  jener 
Zeit  jede  Empfindung  ab,  sondern  er  betrachtete  sogar  derartige 
Taten  als  Zeichen  „de  grand’  resolution  et  assurance’);  ja  Bran- 
töme bezeichnet  diesen  Herrn  de  Millaud  sogar  als  „le  parangon 
de  France“4). 

In  dieser  Zeit  findet  sich  wiederum  in  der  Zahl  der  Ordon- 
nanzen eine  Präventivmallregel  gegen  den  Zweikampf,  ein  Verbot 
des  Waffentragens;  an  einer  früheren  Stelle  dieser  Abhandlung 
war  schon  auf  die  Zweischneidigkeit  dieser  Vorschrift  hingewiesen 


')  Rec.  XIII.  p.  26  f.  Saint-Uennain-en-La;«.  Juli  1547. 
5)  Brantöme  p.  33011. 

*)  vgl.  Brantöme  p.  336. 

4)  Brantöme  p.  329. 


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144 


worden ').  Die  Ordonnanz  vom  25.  November  1548  wiederholt 
im  GroLSen  und  Ganzen  die  Bestimmungen  früherer  derartiger  Ge- 
setze*); als  besonders  gefährliche  d.  h.  beim  Zweikampf  besonders 
beliebte  Waffen  bezeichnet  sie  harquebutes  et  pistolets.  ohne  sich 
jedoch  auf  das  Verbot  dieser  Waffen  zu  beschränken;  wie  ihre 
Vorgängerinnen  bezeichnet  sie  als  Grund  des  Verbotes:  „les 

fautes  et  ineonvcniens  que  Fon  alleguoit  auparavant  lesdites 
deffenses,  provenir  ä cause  de  porter  lesdites  harquebutes 
et  pistolets,  pullulent  et  sont  plus  grandes  que  jamais:  car 
journellement  se  font  une  infinite  de  meurtres  et  insidiations 
jiar  ceux  qui  vont  armes  et  garnis  d’icelles  harquebutes  et  pisto- 
lets“. Als  Strafe  droht  die  Ordonnanz  wie  ihre  Vorgängerin  *) 
Tod  durch  den  Strang  an4).  Schon  im  Jahre  1549  wurde  das 
Verbot  des  Waffentragens  mit  derselben  Begründung  wiederholt5): 
ein  erneutes  Verbot  erging  im  Jahre  1558  bezüglich  des  Tragens 
von  „pistolets  et  armes  ä feu*).  Schon  drei  Tage  nach  dem  Re- 
gierungsantritt Franz  II.  wird  ein  neues  Verbot  des  Tragens  von 
Schußwaffen  mit  der  Begründung,  „qu’il  se  voit  journellement 
advenir  infinis  ineonvcniens,  meurtres  et  voleries“,  publiziert  ’). 
Eine  Ordonnanz  vom  17.  Dezember  desselben  Jahres  schärft  das 
Verbot  des  Waffentragens  aufs  Neue  ein  unter  Audrohung  von 
lebenslänglicher  Galeerenstrafe  bezw.  Todesstrafe  durch  den  Strang  •). 
Unterm  5.  August  15110  wird  das  Verbot  wiederholt*);  im  Juli 
1561  wird  es  von  Karl  IX.  erneuert10),  und  zwar  unter  erneuter 
Ausdehnung  auf  alle  Waffen;  ähnliche  Verbot  ergehen  am  21. 
Oktober  1561,  am  16.  August  1563  und  am  12.  Februar  1566“). 

l)  vgl.  oben  p.  137  f. 

*)  z.  B.  Rec.  X.  p.  807.  (12.  III  1478);  XI  p.  170.  468  Note  sub.  8 
(25.  XI.  1487);  XII  p.  377  (31.  X.  1532):  XII.  p.  556  (9.  V.  1539);  XII 
p.  910  (16.  VII.  1546);  os  hat  fast  den  Anschein,  als  ob  die  Mehrzahl  dieser 
Ordonnanzen  als  Präventivmaliregel  gegen  Privatzweikämpfe  gedacht  wäre. 

>)  vgl.  Rec.  XII.  p.  911  sub.  2 (16.  VII.  1546). 

4)  Rec.  XIII.  p.  66  f.  (25.  XI.  1548). 

5)  Rec.  XIII.  p.  139  (28.  XI.  1549). 

*)  Rec.  XIII.  p.  514  (Dezember  1558). 

7)  Rec.  XIV.  p.  1.  (23.  VII.  1559). 

*)  Rec.  XIV.  p.  14  f.  (17.  XII.  1559). 

»)  Rec.  XIV.  p.  46  (5.  VIII.  1560). 

*°)  Rec.  XIV.  p.  111  sub.  9.  f.  (Juli  1561). 

>')  Rec.  XIV.  p.  123  (21.  X.  1561),  p.  145  sub.  4 und  5 (16.  VIII.  1563) 
p.  185  (12.  II.  1566). 


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145 


In  der  Zeit  der  intensiven  Präventivgesetzgebung  gegen  den 
Privatzweikampf,  lag  es  nahe  auf  einen  gesetzgeberischen  Gedanken 
zurückzukommen,  der  zur  Zeit  der  Ausbreitung  des  außergericht- 
lichen Zweikampfes  mehrfach  Verwendung  gefunden  hatte1 * *),  auf 
das  Verbot  der  „del'fiances“,  wie  man  früher  sagte,  oder  der  injures, 
wie  man  sie  jetzt  nannte;  es  ist  eigentümlich,  daß  nicht  etwa  der 
König  in  dieser  Frage  die  Initiative  ergriff,  sondern  daß  es  die 
etats-göneraux  und  insbesondere  der  Adel  waren,  die  hier  erstmals 
eine  Repressivgesetzgebung  verlangten;  die  Denkschrift  des  Adels 
vom  Jahre  1560  enthielt  nämlich  unter  anderem  auch  folgende 
Stelle:  ,Plaise  ä Votre  Majeste  considerer  combien  l’ire  de  Dieu 
s’epend  sur  votre  peuple  pour  les  querelies  et  debats,  meurtres  et 
infinis  inconvöniens  qui  adviennent  ä l’occasion  de  paroles  injuri- 
euses  et  d6mentis  dont  on  use  ordinairement  les  uns  contre  les 
autres,  chose  indigne  du  nom  chretien  et  de  noblesse:  et  pour 
donner  ordre  que  votre  noblesse  ne  soit  plus  travaillöe  des  dites 
dissentions  et  difförens;  vous  supplie  ordonner  que  toutes  les  in- 
jures entre  les  gentilshommes  seront  döfendues,  et  n^antmoins  que 
l’injure  de  celui  qui  aura  commence  tournera  ä son  deshonneur 
et  non  de  celui  qui  l’aura  reyue,  lequel  qui  aura  commencö  soit 
puni  de  telles  peines  qu’il  vous  plaira  d’arbitrer“  *).  Der  tiers 
6 tat  hatte  dieselbe  Bitte  in  seine  Denkschrift  aufgenommen  und 
dabei  auch  um  eine  Repressivgesetzgebung  gegen  Duellisten  jeden 
Standes  gebeten5).  Schon  im  Jahre  1561  erging  eine  Ordonnanz, 
die  diese  Anregung  verwertete,  die  diesbezügliche  Stelle  hat  fol- 
genden Wortlaut:  „Avons  par  ce  prösent  edict  enjoint  et  enjoi- 
gnons  ä toutes  personnes,  de  quelque  qualite  ou  condition  qu’ils 
soyent,  vivre  en  union  et  amiti6:  et  ne  se  provoquer  par  injures 
ou  convices,  et  n’esmouvoir,  ni  estre  cause  d’aucun  trouble  ou 
sedition,  ni  aggresser  Tun  l'autre  de  fait  ou  de  parole,  ne  faire 
force  ne  violence  les  uns  aux  autres,  dans  les  maisons,  n’ailleurs, 
soubs  quelque  pretexte  ou  couleur  que  ce  soit  de  religion  ou  autre : 
et  ce  sur  peine  de  la  hart“4).  Eine  ähnliche  Bestimmung  ent- 

l)  vgl.  oben  p.  133  f. 

5)  Abgedruckt  bei  Cauchy  I,  p.  126. 

*)  vgl.  Cauchy  I,  p.  126  f. 

4)  Kcc.  XIV.  p.  109  sub.  1.  (Juli  1561)  — Die  Strafbestimmung  ist 
der  bei  Cauchy  I,  p.  126  f.  mitgeteilten  Stelle  der  Denkschrift  des  tiers  ctat 

Coulln,  Zweikampf  in  Frankreich  10 


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146 


hält  das  Edikt  vom  19.  März  1562  und  das  vom  16.  August 
1563  *)*). 

Schon  Franz  I.  hatte  in  den  Jahren  1539  und  1546  eine 
ebenfalls  gegen  die  außergerichtlichen  Zweikämpfe  in  früherer  Zeit  *) 
in  Übung  gewesene  Präventivmaßregel  auch  gegen  die  Privatzwei- 
kämpfe wieder  angeordnet,  indem  er  die  „assemblees,  menees  et 
pratiques  illicites,  souz  occasion  de  querelies  entre  gentils-hommes 
et  autres  nos  subjects“  verbot4).  Diese  Praventivmaßregeln  ordnete 
Karl  IX.  erneut  wieder  an  in  den  Jahren  1561,  1562  und  15631). 

Am  12.  Februar  1566  erließ  Karl  IX.  eine  neue  Ordonnanz 
gegen  den  Privatzweikampf,  die  insofern  von  großer  rechtsgeschicht- 
licher Bedeutung  ist,  als  in  ihr  zum  ersten  Male  die  zwei  Haupt- 
gedanken ausgesprochen  wurden,  die  die  ganze  spätere  Zweikampf- 
gesetzgebung beherrschen;  sie  will  gleichzeitig  repressiv  und  prä- 
ventiv wirken.  In  erster  Linie  verbietet  sie  allen  Personen  jeden 
Standes  jede  Art  von  Zweikämpfen  sur  peine  de  la  vie,  und  dann 
fährt  sie  fort:  „Et  pour  ce  que  la  souree  et  fondement  des  querelles 
procede  ordinairement  de  demeritis  qui  se  donnent;  ledit  Seigneur 
inhibe  et  defend,  sur  les  peines  que  dessus,  que  celui  ä qui  ladite 
dementie  aura  6te  donnee  ne  se  ressente  par  les  armes;  ains  se 
retire  — si  c’est  ä la  suite  de  la  cour  — devers  messieurs  les  conne- 
table  et  markhaui  de  France;  et  — si  ce  est  hors  de  la  suite  de 
la  cour,  et  en  lieu  ou  ne  seront  lesdits  sieurs  connetable  et  mare- 
chaux  de  France  — devers  le  gouvemeur  de  la  province,  lequel 
cherchera  les  moyens  d’apointer  ladite  dementie,  et,  s’il  ne  se 


entnommen:  es  ist  also  ein  Irrtum,  wenn  Cauchy  I.  p.  127  annimmt,  daß 
erst  die  Ordonnanz  von  1566  den  diesbezüglichen  Wünschen  der  etats-gene- 
raux  von  1560  Rechnung  getragen  habe. 

■)  Rec.  XIV.  p.  139  sub.  14  (19.  MSrz  1562):  p.  144  sub.  1 (IG.  VIII. 

1563). 

*)  Heinrich  III.  hat  ähnliche  Bestimmungen  in  seinen  Ordonnanzen  vom 
Mai  1576  und  September  1577  (Rec.  XIV.  p.  281  sub.  2 u.  p.  330)  nur  mit 
dem  Unterschied,  daß  er  diese  injures  als  infraction  de  paix  et  perturbation 
du  repos  public  bezeichnet«,  erlassen.  Heinrich  IV.  hat  sie  1598  wiederholt 
vgl.  Rec.  XV.  p.  172.  art.  2. 

*)  vgl.  oben  p.  134  Note  3. 

4)  Rec.  XII.  p.  557  (9.  V.  1539);  p.  912.  (August  1546). 

*)  Rec.  XIV.  p.  127  sub.  5 (17.  I.  1561).  p.  140,  sub.  15  (19.  in.  1562). 
pag.  144.  sub.  1.  06.  VIII.  1563). 


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147 

peut,  le  renvoyer  devers  lesdits  sieurs  conn^table  et  maröehaux 
de  France  pour  en  döcider  ainsi  q’ils  verront  etre  de  raison:  la- 
quelle  dömentie,  si  eile  est  donnöe  sans  juste  occasion,  demeurera 
.nulle,  et  sera,  en  ce  cas,  celui  qui  l’aura  donnöe  tenu  d’en  faire 
amende  honorable  ä celni  qui  1'aara  re£ue“ '). 

Im  Jahre  1569  bestimmte  derselbe  König,  Karl  EX.,  daß  in 
Zweikampfsachen  eine  Begnadigung  nicht  erfolgen  solle1). 

Im  Jahre  1576  erließ  Heinrich  IU.  eine  umfangreiche  Ordon- 
nanz sur  la  jurisdiction  et  le  jugement  de  voies  de  fait  qui  ont 
lieu  au  logis  du  Roi  et  ä la  suite  de  la  cour.  In  ihr  werden 
alle  denkbaren  Handlungen,  die  anläßlich  der  Zweikämpfe  Vor- 
kommen können,  unter  Strafe  gestellt,  so  Beleidigungen,  des- 
mentis;  Tätlichkeiten  im  logis  du  Roy,  incursus,  Tötung  im 
rencontre,  das  Tragen  verbotenener  Offensiv-  und  Defensivwaffen; 
die  archers  de  la  garde  sollen  den  Eintritt  in  die  Kampftätigkeit 
verhindern;  das  Kartelltragen,  die  Teilnahme  als  second  am 
Kampfe  und  das  Angebot  hierzu,  die  „assemblöes“  von  über 
10  Personen  anläßlich  der  Zweikämpfe  werden  unter  Strafe  ge- 
stellt; allen  Personen,  die  um  Ehrenhändel  wissen,  wird  unter 
Strafe  aufgegeben,  den  König  sofort  davon  zu  benachrichtigen; 
die  Gerichtsbarkeit  über  diese  querelles  und  crimes  wird  dem 
grand  prövost  übertragen,  der  in  allen  Fällen  dem  König  Vortrag 
zu  halten  hat.  *). 

Aber  diese  Ordonnanzen  _ wurden  nicht  beachtet  und  nicht 
einmal  der  König  richtete  sein  Verhalten  nach  ihnen  ein.  Das 
ersieht  man  mit  voller  Klarheit  aus  dem  Umstand,  daß  er  zwei 
Angehörige  seiner  suite,  die  am  27.  April  1578  „par  envie  de 
mener  les  mains  mit  seconds  und  tiers  gefochten  hatten,  nicht  nur 
auf  ihrem  Krankenlager  persönlich  besuchte,  sondern  auch  mit 
königlichen  Ehren  bestatten  ließ4).  Im  wesentlichen  beschränkte 
sich  Heinrich  HI.  auf  eine  schiedsrichterliche  Tätigkeit  beim  Aus- 
bruch von  Streitigkeiten  und  hierin  scheint  er,  soweit  wir  Brantöme 

*)  Abgedruckt  bei  Caucby  1,  pag.  128.  — vgl.  Reo.  XIV.  p.  185  (12. 
II.  1566). 

*)  Vgl.  Caucby  I,  p.  129. 

s)  Paris  31.  X.  1576  in  Ree.  XTV,  p.  310  ff. 

4)  Vgl.  Brantöme  p.  313.  — Pierre  de  l’Estoile  bei  Caucby  I,  p.  132 
und  133. 

10» 


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14R 


glanben  dürfen  große  Erfolge  erzielt  zu  haben;  aber  selten 
oder  nie  scheint  er  Duellanten  bestraft  zu  haben.  Dies  geht  mit 
aller  Deutlichkeit  aus  einer  Stelle  bei  Brantöme  hervor,  in  der  er 
sich  über  Heinrich  DI.  Stellung  zur  Zweikampffrage  folgender-, 
maßen  ausspricht:  „Quant  ä notre  roy  Henri  HI.,  je  syai  bien 
et  plusieurs  gens  de  foy  comme  moy,  combien  de  fois  il  en  a faict 
d’ordonnances  et  deffences  de  n'en  venir  plus  lä;  car  je  l’ay  veu 
ä la  cour  publier  plus  de  cent  fois ; et  bien  souvent  quand  aucuns 
y contrevenoient  il  estoit  si  bon  qu’il  ne  les  vouloit  faire  punir 
ä la  rigueur,  car  il  aymoit  sa  noblesse,  comme  j’espfere  en  allfe- 
guer  des  ezemples  en  sa  vie,  par  lesquels  il  a faict  dämonstration 
combien  il  l’aymoit.  Au  reste  jamais  querelle  n’est  entrevenue 
en  sa  cour,  qu’estant  venue  en  sa  notice,  qu’il  ne  la  fist  aussitost 
accorder,  fust  ou  par  luy,  ou  par  les  officiers  de  la  couronne. 
Il  est  vray  qu’on  m’en  pourroit  al!6guer  aucunes,  qui  sont  trois 
ou  quatre,  qui  font  en  cela  contre  moy;  je  le  croy  bien,  il  le 
falloit  ainsi:  je  ne  nommeray  rien“ ').  Daß  unter  diesen  Um- 
ständen der  ganze  Zweck  der  eingeleiteten  Repressivgesetzgebung 
in  Frage  gestellt  wurde,  ist  klar.  Aber  wiederum  drangen  die 
Stände  auf  schärfere  Maßnahmen.  Die  im  Mai  1579  „sur  les 
plaintes  et  doRances  des  6tats-g6n6raux,  assembl6es  ä Blois  en 
novembre  1576  erlassene  Ordonnanz  beschäftigte  sich  wiederum 
mit  dem  Zweikampf.  In  ihrem* Artikel  194  wendet  sie  sich  gegen 
die  meurtres  de  guet-ä-pens,  einen  Tatbestand,  den  wir  hier  wie 
bei  der  obenerwähnten  Ordonnanz  Heinrichs  U.  vom  Jahre  1547*) 
mit  den  incursus  in  Verbindung  bringen  müssen.  Dieser  Artikel 
bestimmte:  „Nous  voulons  que  les  cdits  et  ordonnances  faites  par 
les  rois  nos  pr^decessenrs  pour  les  meurtres  de  guet-ä-pens,  soient 
entierement  gard^es  et  observoes,  tant  contre  les  principaux  auteurs 
que  ceux  qui  les  aceompagneront,  pour  quelque  occasion  ou  pre- 
texte  que  lesdits  meurtres  puissent  estre  commis,  soit  pour 
venger  querelies,  ou  autrement:  dont  nous  n’entendons  estre  ex- 
p6di6  lettres  de  grace  ou  remission“  etc.3).  Der  Artikel  197  be- 
stimmte: „Enjoignons  ä tous  habitans  des  villes,  bourgs  et  villages, 
faire  tout,  devoir  de  s Sparer  ceux  qu’ils  verront  s’entrebattre  avec 

‘)  Brantöme,  p.  385  n.  386. 

*)  Vgl.  üben  p.  142  f. 

*)  Kec.  XIV.  p.  427,  art.  194  (1.  V.  1579)  vgl.  auch  art.  196  und  198. 


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149 


6p6es,  dagues,  ou  autres  bätons  offensifs,  et  d’apprtihender  et 
arrester  les  dMinquans,  pour  les  livrer  fes  mains  de  justice“ '). 
Endlich  bestimmte  der  Artikel  278  dieser  Ordonuanz:  „Defen- 
dons  ä tous  gentilshommes  et  autres,  de  faire  asserablöes  de 
gens,  sous  prätexte  de  querelles  particuliäres,  ou  autre  que 
ce  soit,  sur  peine  d’estre  punis  comme  criminels  de  Ihze-ma- 
jestd,  et  perturbateurs  du  repos  public  de  nostre  royaume.  En- 
joignons  ä nos  gouverneurs,  lieutenans,  baillifs  et  senechaux,  de 
composer  les  querelles  qui  s’exciteront  en  leurs  provinces,  et  de 
nous  avertir,  du  devoir  qu’ils  y auront  fait,  afin  d’y  pourvoir“ s). 
Interessant  ist  an  dieser  Ordonnanz  die  Bestimmung  des  Ar- 
tikels 197,  die  es  jedermann  zur  Auflage  macht  die  begonnene 
Kampftätigkeit  zu  hindern  und  die  Duellanten  dem  Gericht  zu 
übergeben.  Von  hervorragender  geschichtlicher  Bedeutung  ist  die 
Charakterisierung  der  „assemblees“  als  „crime  de  leze-majestti“, 
insofern,  als  die  spätere  Gesetzgebung  den  Zweikampf  fast  ständig 
als  crimen  laesae  majestatis  bezeichnet3).  Diese  Charakterisierung 
ist  aber  in  der  Zeit,  in  der  sie  erstmals  erscheint,  leidlich  harm- 
loser Natur;  hat  doch  derselbe  Redaktor  Cheveray  in  einer  Or- 
donnanz des  Jahres  1584,  die  die  Abschaffung  verschiedener 
Ämter  verfügte,  diejenigen  „qui  bailleront  cy-aprfes  mömoires  et 
feront  poursuite  pour  le  retablissement  et  nouvelle  cr^ation  d’offices 
inutiles“,  ebenfalls  als  „crimineux  de  Rze-majest6  et  ennemis  du 
bien  et  repos  de  nostre  peuple“  bezeichnet4). 

II.  Die  ersten  Phasen  der  Repressivgesetzgebung  gegen  den 
modernen  Privatzweikampf  leiden  trotz  der  strengen  Strafandrohungen 
an  einer  übertriebenen  Milde  der  Strafvollstreckung;  nicht  nur 
Heinrich  III.  hat,  wie  wir  oben  gesehen  haben5),  fast  stets  be- 
gnadigt, wenn  die  Zweikampfgesetzgebung  übertreten  wurde,  sondern 
auch  sein  Nachfolger  an  der  Krone  hat.  in  derselben  Weise  die 
Gesetzgebung  illusorisch  gemacht;  nach  Pierre  de  l’Estoile  sollen  in 
den  Jahren  1589  bis  lfiOS  siebentausend  lettres  de  gräces  in  Duell- 

')  Rec.  XIV,  p.  428,  art.  197  (1.  V.  1579). 

*)  Rcc.  XIV.  p.  444,  art.  278  (1.  V.  15791. 

s)  So  auch  schon  der  arrüt  du  Parlemont  (Paris,  26.  Juni  1599)  bei 
ChatauTillard,  p.  219  f. 

*)  Rec.  XIV.  p.  593,  sub.  2 (NoTember  1584). 

*)  Vgl.  oben  p.  148. 


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Sachen  ausgefertigt  worden  sein ').  Ein  derartige  Handhabung  der 
Gesetze  mußte  naturgemäß  einen  neuen  Ansporn  zur  Übertretung 
derselben  geben,  während  andererseits  die  übertrieben  strengen 
Strafandrohungen  den  Gerichten  eine  sachlich  gerechte  Würdigung 
der  zu  ihrer  Kognition  gelangenden  Fälle  unmöglich  machte. 

In  diesem  Grundfehler  bewegten  sich  die  Gesetzgebung  und  die 
Begnadigungspraxis  während  der  nächsten  zwei  Jahrhunderte,  ohne 
daß  ein  anderer  Erfolg  erzielt  worden  wäre.  Diese  Gesetzgebung 
in  ihrem  ungeheuer  zahlreichen  Material  weiter  zu  verfolgen  ist 
nicht  unsere'  Aufgabe;  wir  hatten  sie  hier  nur  in  ihren  Anfängen 
als  Zeugen  für  die  äußere  Erscheinungsform  in  der  die  moderne 
Kampfidee  in  die  Geschichte  des  Strafrechts  eintrat,  zu  betrachten 
und  zu  würdigen. 

*)  Bei  Caucky  I,  142,  Note  1. 


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