HARVARD COLLEGE
LIBRARY
From the Library of
SIDNEY B. FAY, 96
The Gift of his children
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König Friedrich der Große
Smweiter Band
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König FSriedrich der Große
Von
Reinhold Kofer
Zweiter Band
Erſte und zweite Auflage
Stuttgart und Berlin 1903
3. 6. Cotta'ſche Buchhandlung Nachfolger
G. m. b. G.
Gr HAIS.AIN.S (2)
—
HARVARD
UN!VYERSITY
L!S"ARY
MAR > 1972
Alle Rechte vorbehalten
Druc der Union Deutiche Berlagsgefellhaft in Stuttgart
Snbaltsverzeidnis.
Sechſtes Bud.
Drei Dffenfivfeldzüge, 1756— 1758.
Vorbereitungen, Beſetzung von Sachſen 11—26. Loboſitz und Pirna 26—37.
Ausbau der Koalition gegen Preußen 37—53.
weiter Abfchnitt. rag und Kolin ö ’ as
Borbemerkung 54—55. Verhandlungen mit En — = Yannover 56—62.
eldzugsplan 62— 76. rag 76—86. Kolin 86—98.
Dritter Abſchnitt. Bon Kolin na as i ee a ———
Feldzug gegen die Defterreiher in Böhmen und v- Zaufi 99—114. Feld:
zug gegen bie Franzoſen, Schladht bei Roßbach 114—136. Breslau und
Leuthen 136—148.
Vierter Abſchnitt. Das Jahr 1758. . . . i R z na
Die Gegner nad; Leuthen 149—158. Bis zum Abzug von Dimük 159 bis
175. Rüchzug durch Böhmen, Schlaht bei Zorndorf 175—186. Schlacht bei
Hochlirch, Ausgang des Feldzugs 186—196.
99—148
149—1%
Siebentes Bud.
Dier Defenfinfeldzüge, 1759-1762.
Vorbereitungen und Stimmungen 199— 213. Der Feldzug sis Aunerborf
213—225. Defenfive nad Kunersdorf, Kapitulation von Maren 225— 238.
239—279
Friedenäverhandlungen und neue riegsvorbereitungen 239— 251. Bis zur
Schlacht bei Liegniß 251—265. Torgau 265—279.
Dritter Ab mitt. Das Jahr 1761
280—300
bis 300.
Bierter Abſchnitt. Siebenter —
Umſchwung der politiſchen Lage, Friede mit Rußland und mit —
301 313. Verlauf des Feldzugs 313—323. Friede von Hubertusburg
323—331. Schlußbemerlungen 331—336.
301—336
Inhaltöverzeichnis,
Antes Bud.
Wiederaufnahme der Firiedensarbeit und neue Gebiefsermweiterung. z
eite
er Abſchnitt. Das Retabliſſemennnnnnn..
Borbemerfung 339—340. Heimkehr aus bem Felde 340—344. Netabliffement
bes eigenen Hauſes 344—352. NRetabliffement des Staates 352—382.
Zweiter Abſchnitt. Berwaltungsreformen und Schutz ber nationalen Erwerbs-
thätigkeit. . . . ; r ; j ee 2 2 22 383428
Verwaltungsreformen — Gewerbepolitif 395406. Handelspolitif
406—416. Agrarifhes Schutzſyſtem 416-423.
Dritter Abſchnitt. Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens . . . .„ 424—474
Bündnis mit Rußland und polniihe Königswahl von 1764 424—439. Be:
inn des polnischen Bürgerfrieges und des ruffish:türfifchen Krieges 439 — 451.
Preußens Mittelftelung zwiihen Rußland und Defterreih 452— 463. Die
erfte Teilung Polens 463—474.
Bierter Abſchnitt EEE
Befigergreifung 475—477. Abtretung durch ben polnishen Reichätan 477
bis 481. Einrichtung der neuen Verwaltung 481—496.
ünfter Abſchnitt. Staatshaus
475—4%6
Staatähaushalt 497 — 501. Heereäftärfe 501—502. Auftand des Heeres 502
bis 512, Strategie 512—514.
Meuntes Bud,
ebter Arieg und lebter Ziriede.
517—539
Meberficht der auswärtigen Bolitif ei 1772 517522. org eſchichte des
Krieges 522—530. Militärifher Verlauf 530—535. Friede von Te
535 — 539.
Zweiter Abjchnitt. Juſtizpflege und Kirchenpolitif. Landrecht und Staatsform 540—561
Juſtizpflege 540—547. Kirchenpolitil 547—556. Landrecht und Staatöform
556—561,
Dritter Abſchnitt. Der alte König und die nene Bildung . ne
Verhältnis zu ber älteren und ber jüngeren franzöfiichen Bildun 562 —580.
Abwendung von der fpefulativen zur Moralphilofophie 580—587. Päda—
ifche Beftrebungen 587597. Berhältnis zu der deutichen Litteratur 597
bis _ 601.
Bierter Abſchnitt. Der dentfche ; enbund von 1785 . . er ne
Abwandlungen der europäifchen Politik feit 1779 602—612. Entftehung
des Fürftenbundes 612—618. Seine Bedeutung 618—621.
Ünfter Abſchnitt. Ausgang und Ergebnifle - > > 220
Hiftorifcher Rechenſchaftsbericht 622—630. Jahreseinteilung, Berührungen
mit der Außenwelt 630—639. Stillleben in Potsdam 639—652. Lebte
Krankheit und Tob 652—656. Nachklänge und Nachwirlungen 656—666.
nmerkungenn.. 661604
562—601
602—621
622—666
Sechſtes Buch.
Drei Offenfivfeldzüge, 1756—1758.
Rofer, König Friedrich ber Große, TI.
Ihaffen, aber wider alle Anfechtungen und Zmeifel erhärtet und zur
Anerkennung gebradt. Noch nad dem zweiten ſchleſiſchen Kriege nannte
ein franzöfifher Staatsmann den König von Preußen einen Filigrankönig,
defien Macht nicht ernfthaft zu nehmen jei. Nach dem dritten Krieg fchrieb
1773 der Graf von Broglie in einer für Ludwig XV. beftimmten Denkſchrift
über die Gejamtlage der europäiihen Politik, König Friedrid dürfe heute als
der Fürft betrachtet werden, der des höchſten Grades von Macht fich erfreute.
Für die neuere Geſchichte Deutjchlands bedeutet der fiebenjährige Krieg
die Ablegung einer eriten nationalen Kraftprobe. In dem zähen Ringen ber
norddeutihen Stämme, Preußen und Hannoveraner, Braunfchweiger und Hefjen,
offenbarte jih, welde Fülle autodhthoner Widerjtandsfraft in dem jeit Jahr:
Hunderten zerriſſenen Yande jich wieder angefammelt hatte. Trotz der ſchmach—
vollen Flucht der Neichsarmee blieb der Tag von Roßbach ein deuticher Ehren:
tag: von dem preußifhen Ruhm fiel nad dem Worte des Freiherrn von Stein
ein Abglanz jogar auf die Beliegten. Auf die Dauer fonnte die Nation mit
diejem Abglanz fih nicht begnügen wollen; in dem Augenblid, da Deutichland
fih entſchloß, der preußifhen Führung zu folgen, find die alten deutjchen
Ehren wieder allen Deutichen nad gleihem Maß zu teil geworden.
Das europäifhe Staateniyitem hat mit dem fiebenjährigen Kriege die
Grundlagen gewonnen, die ihm jeither, nur für kurze Zeit dur den Wogen—
prall der napoleoniſchen Sturmflut erfchüttert, geblieben find. Der Kreis einer
Anzahl großer Mächte, derjelben, die in jenem Weltfriege um die Mitte des
vorigen Jahrhunderts ihre Kräfte gemeſſen hatten, hat fih in der jüngften
großen Kriegsperiode zwar erweitert durch den Eintritt einer ſechſten Macht,
aber nicht gelöit oder verwandelt, und das neue Deutihe Neich ift in der alten
Staatengemeinihaft nur der Erbe der bereits anerkannten europäiſchen Bor:
rehte und Aniprücde Preußens geworden.
Uns wird bei aller Bedeutung für die Gejchichte Preußens, Deutichlands,
Europas diejer Krieg vor allem ein perjönliches Intereſſe haben.
Der König von Preußen war ohne Frage jhon vor dem Jahre 1756
derjenige Mann in Europa, mit dem die Welt fih am meilten beichäftigte, in
5) fiebenjährige Krieg bat die Großmadtitellung Preußens nicht ge:
4 Sechſtes Buch. Borbemerfungen.
Beifall und Mißgunſt, in Hab und Liebe. Der Mann des Jahrhunderts wurde
er doch erft, al& Europa ſich zuſammenthat, um, wie d’Alembert jagte, ihn zu
befämpfen und ihn zu bewundern, und als in den Straßen einer deutſchen
Reichsſtadt Verwandte fich nicht begegnen konnten, ohne daß es Händel Jette,
wie in Romeo und Julia, für oder wider Friedrih und Maria Therefia. Den
Namen des Großen, den die helle Begeifterung feiner danfbaren Unterthanen
ihon nad den eriten Siegen freigebig ibm erteilte, wirde das Ausland, die
Nachwelt ohne den fiebenjährigen Krieg jchwerlich anerfannt haben: „grand
homme manqué“ bieß der König von Preußen 1746 den Franzojen.
Bis zum fiebenjährigen Kriege ift Friedrich ein Werdender gewejen. Jept
ward er fertig; zugleih aber, wie er felbit geflagt bat, zum Greiſe.
Wenn er jett die Nechnung feines bisherigen Lebens 309 und auf feine
eriten Anfänge zurüdblidte, jo fonnte er das bittere Wort nicht unterbrüden,
daf er feine Jugend dem Vater habe opfern müſſen. Eindrüde — fo hat er
ein andermal gejagt —, die man in foldem Alter empfängt, verwiſchen ſich
nicht jo leicht; fie haben nachgewirkt, diefe eriten Jugendeindrücke, mehr als auf
einen flüchtigen Blid fcheinen möchte. Zu früh hatte fich fein Herz zugeſchloſſen,
zufammengeframpft, als dat Miftrauen und Bitterfeit jich je ganz wieder hätten
bannen lafien.
Die idylliihen Rheinsberger Tage waren gefolgt, die glüdlichite Zeit feines
Lebens, als die fie in ber Erinnerung ftets ihm erjchien; mit dem frifchen und
vielfältigen Reiz erniter, anhaltender Studien, beiteren Lebensgenuffes, bes
haglicher Häuslichkeit und geiftig angeregten Verkehrs; aber auch mit dem
nagenden Unmut über die gedrüdte Lage des Staates, deſſen Erbe der Ein:
fiedler vom NRemusberge zu werden bejtimmt war, und mit der geheimen Un:
geduld, einen großen Namen „in den Zeitungen und dereinft in der Gefchichte”
zu erlangen.
Schnell genug hatte dann ihm und feinem Staate Fortuna Ehren und
Nuhm die Fülle in den Schoß geworfen. Volles Genüge aber und innerfte
Befriedigung hatte er auch jegt nicht gefunden. Und wenn es ihm gelungen
war, die Natur des „Zwitterweiens zwiſchen Kurfürftentum und Königreich” zu
enticheiden, jo war doch in feiner Bruft der Zwiefvalt noch nicht gefchlichtet,
jein eigenes Weſen noch immer nicht völlig aeklärt. Wollte der Philoſoph von
Sansjouci in jeinen poetiichen Epifteln, wie wir es hörten, die Tugenden des
Herzens hoch über allen Glanz des Geiftes und Witzes ſtellen, jo meinte ein
Valory, daran erkenne er feinen König von Preußen, der fi jelbit etwas ein-
zureden juche. Friedrich entwarf in diefen Selbitbetrahtungen das Bild, dem
er ähnlich zu jein wünſchte, das Bild des in fich ausgeglichenen, über Leiden:
Ichaften und Schwädhen und Vorurteilen erhabenen Weltweifen. Aber weit ent:
fernt von olympilcher Ruhe blieb er doch der echte und rechte Sterbliche, ein
Stimmungsmenich, bald im Zorn auffahrend, bald „wie ein zerftreuter Gelehrter”
in Träumerei verjunfen, und bei aller Selbjtbeherrihung, die er zu üben meinte,
geihah es doch immer von neuem, daß er wie dem Wite und der Zunge, jo
der Empfindung und den Thränen freien Lauf ließ: „Itete im Widerſpruch
mit ſich ſelbſt“, jagten die Mißgünftigen. Bis zu welchem Grade unbewußt
Sedhftes Bud. Borbemerkungen. 5
und unfrei er unter der Herrichaft jeiner Stimmungen jtand, beobachten wir,
wenn ihm bei anderen ein allzu heftig auftretender ſeeliſcher Schmerz als unecht
ericheinen will, während gerade er jelbit bei Verluften derer, die ihm teuer
waren, fi) dem erſten Eindrud des Schmerzes jedesmal fait widerjtandslos
überläßt.
Auch der Staatsmann ift von dieſem Gemwoge der Stimmungen nicht ums
berührt geblieben. In überrafchender Weile zeigt Friedrichs Politif bisweilen
eine Mifhung von zurüdhaltender Berehnung und vorbrechender Lebhaftigfeit,
von ausgeprägtem Argwohn und jener fait eigenfinnigen Zuverfichtlichfeit, die
ihn zu dem Verſuch verleitet, Unvereinbares zufammenzufaflen und bei einem
Abſchluß mit England die Beziehungen zu Englands Todfeind feitzuhalten. Wie
oft bat er nicht feinen Offizieren und feinen Diplomaten und vor allem fich
felbft die Weisheit des normanniſchen Spridwortes „Defie-toi! De qui? de
tout le monde“ eingeprägt. Er erklärt, daß das erfte Gelübde, welches dem Poli:
tifer abgefordert wird, dem Gott des Geheimniffes gebührt; er will fein Hemd
jerreißen, wenn es jeine Gedanken erraten könnte, und jagt gern, wer in jeine
Geheimniffe eindringen wolle, der müſſe ihn jelber beftehen. Und doc weiß
er, daß fein Geheimnis nicht völlig bei ihm ficher iſt, daß feine Lebhaftigkeit im
Geſpräch ihn hinreißt, daß der erſte Eindrud ihn überwältigt, daß er ſich vor
dem eriten NAugenblid, der ftürmifch bei ihm ift, in acht nehmen muß. Er madıt
es ſich deshalb zur Regel, die er freilich oft übertritt, die fremden Diplomaten
möglichſt von jih fern zu halten; einer von ihnen, der Franzoje Tyrconnell,
der ji die Ergründung diejes Charakters in nicht eben wohlwollender Weife
angelegen jein läßt, findet, daß es nicht ſchwer fei, ihm fein Geheimnis zu ent:
loden; daß er überaus mißtrauiſch fei, aber doch leichtfinnig und unüberlegt
und feiner angeborenen Art nah vorlaut. Derjelbe Geſandte hat geglaubt,
ihn den furchtſamſten und unentſchloſſenſten Menjchen nennen und den inner:
lichen Mut ihm abſprechen zu ſollen; Friedrich ift ihm ein Schwarzjeher, der
fih vor eingebildeten Gefahren erfchredlich fürchtet. So ſpricht der ähnlich vor:
eingenommene Engländer Hyndford in den Anfängen der Regierung von bes
jungen Königs Ueberhebung im Glüd und feiner Berzagtheit beim geringften Unfall,
und nicht minder abjprechend haben jpäter des Königs eigene Brüber jamt dem
Anhang ihrer Nachbeter geurteilt. Aber auch der treu ergebene Kabinetsrat ift
bie und da geneigt gewejen, aus dem Wechſel der Eindrüde und aus der Un:
geduld den Wechjel der Entihlüffe und der politifhen Aufitelung berzuleiten.
Der ftebenjährige Krieg hat dann feinen Zweifel darüber gelaſſen, was
in einer zunächſt verwirrenden Mifchung der Charakterzüge, in diefer Zus
jammenjegung aus allen Gegenfägen, wie Tyrconnell den König von Preußen
nannte, die ftarfen, beherrichenden Elemente waren. est erit offenbarte
fih Friedrichs eigentümlichſte Stärke, feine unvergleihlide Größe. Der den
meilten als unbeftändig und manden als unentichlojien galt, bewies jett, daß
Entichloffenheit und Standhaftigfeit gerade die hervorragenditen jeiner Eigen:
Ihaften waren, Nicht daß Friedrich jedesmal den richtigen Entſchluß gefaßt
hätte; mehr als einmal bat er in enticheidenden Augenbliden durchaus fehl:
gegriffen. Nie aber hat ihm verjagt die Fähigkeit und Kraft zum Entſchluß,
6 Sechſtes Buch. Borbemerkungen.
und, was mehr ift, nie die von einem Moltfe an ihm bemwunderte Fähigkeit,
den Entſchluß bei fich jelbit zu finden, „alles von fich jelbit zu nehmen“. Nicht
daß er feinen Entihluß nun jedesmal auch feitgehalten hätte, was ihm den Auf
der Unbeftändigfeit eingetragen hatte, war eben jener raiche Wechſel jeiner Politif
geweien; aber in geringeren Dingen oft an ihm vermißt, hat jeine Beharrlich—
keit jenfeits einer gemwifjen Grenze, auf die härtefte Probe geitelt, jih um jo
unerjchütterlicher erwielen. Beide, Entichloffenheit und Standhaftigeit, wuchſen
ihm mit den Gefahren. Die höchſte Probe des Feldherrn, das Heer nad der
Niederlage zum Siege zu führen, Friedrich hat fie jechs „jahre hindurch immer
von neuem abgelegt. „Er ift vornehmlidh groß geweien in den enticheidendften
Augenbliden, und das ift die jchönfte Yobrede, die man auf feinen Charakter
halten kann“ — jo, bei jcharfer Kritif der einzelnen Schritte, das Gejamturteil
Napoleons über Friedrich.
An ſolchem Lob aus foldem Munde wird der größte Held ſich genügen
lafjien dürfen, ob immer Friedrich dem Großen der Uebereifer der Moderniten
Eigenſchaften und Entwürfe leihen zu müſſen geglaubt bat, durch die er nod
größer, gewaltiger, dämonischer daſtehen fol. Dämoniſche Naturen in feinem
Sinne des Begriffes, als Gefäße ungeheurer, den Lauf der gefchichtlichen Ent:
widelung durchkreuzender Thatkraft und raftlofen Schaffensdranges, hat Goethe
jowohl Friedrich den Großen wie Napoleon genannt; aber ein geiltvoller Be:
urteiler hat den Unterſchied zwiſchen beiden gerade darin ſehen wollen, daß
sriebrich fih von feinem Dämon, anders ald Napoleon, nicht wie von einem
Sturmmwind regieren ließ. Allerdings, gar mander war während des langen
Krieges geneigt, ihm eine Steigerung der Willensitärfe in das Eigenfinnige vor:
zuwerfen und einen neuen Karl in ihm zu ſehen, der nur noch den Eingebungen
feiner Laune folge. Der Gedanke an Karl XII. Tag nahe. Aber deshalb und
weil er eine verwandte Ader in fich fühlte, hat Friedrich jelber um fo ent:
ihiedener das Tafeltuch zwiſchen ihnen beiden entzweigeichnitten und den
Schwedenkönig ſich allezeit als warnendes Beiipiel vorgehalten, „den außer:
ordentlihen Menichen, den König, welcher der Aventiuren des alten Nittertums
würdig war, den landitreichenden Helden, bei dem alle Tugenden durch Ueber:
treibung in Laſter ausarteten”. An diefes Königs Uebermut in Glüd und Sieg
erinnert er fih und andere 1745 in der eroberten ſächſiſchen Hauptitadt, ent:
Ihlofien, der Welt viel Mäßigung zu zeigen, um fie von der mit ibm, dem
preußiichen Heeresfönig, verfnüpften Vorftellung ausichweifenden Ehrgeizes zurück—
zubringen. Ueber Karls Talente und Charakter verfaßt er jett, während des
fiebenjährigen Krieges, „zu feiner eigenen Belehrung“ eine Abhandlung: Friedrich
verurteilt Karls brennenden Durſt nad Race, feine unermeßliche Begierde nad
Ruhm, die beide ihm den Sinn unverföhnlih gemacht haben, jo daf er, da
ber Friede nicht bloß mit Ehren, fondern aud vorteilhaft geſchloſſen werden
fonnte, den Frieden verwarf, weil Krieg führen und den Gegner enttbronen
ihm als eines und dasjelbe erichien.
Ohne dunkle Kebrfeite aber blieb auch Friedrichs Heldentum nit. Wir
waren jo daran gewöhnt, beitändig die Kanonen zu hören, daß wir zulegt die
jehspfündigen Kugeln kaum beachteten — jo durfte König Friedrich nachmals
Sechſtes Bud. Vorbemerkungen. 2
vom fiebenjährigen Kriege erzählen. Wer gegen die Eindrüde der unmittelbaren
Gefahr jo ganz fih abftumpfte, und wen jahraus jahrein und Tag für Tag in
immer neuer Geftalt die Sorge fi ums Lager ftellte, wie hätte dem nicht auch
der Sinn ſich verhärten, ftarre Rinde und dreifach Erz um die Bruft fich legen follen.
Noch jchneidender und abftoßender wirkten jegt die Schroffheiten feines Wefens,
fonder Hülle brab die Gewaltſamkeit hervor, die in der Tiefe diefer ftarfen
Seele lag. Schon verglihd man ihn dem Manne, von dem gejchrieben fteht:
„Er wird ein wilder Menich fein, feine Hand wider jedermann, und jedermanns
Hand gegen ihn.” Wider jedermann, nicht bloß wider die Feinde. Immer
mehr bemädhtigte fich feiner die ſtolze Menſchenverachtung, das tragijche Erbteil
der großen Staatsmänner. Syn friiher, die höchſten Kränze vorweg fordernder
Anmaßlichfeit hatte einit der junge Fürft fih ganz auf fich jelber geftellt; wie
viel weniger ließ der in fteter Uebung jelbftändigen Entſchluſſes und jelbitän-
digen Handelns Ergraute, jeines Könnens jet ganz Sichere, noch Rat oder
Einrede gelten! Er jei deſpotiſch in allem, auch als Dichter, Redner, Geſchichts—
jchreiber, Philoſoph, urteilte in den fpäteren Jahren ganz zutreffend des Königs
Tiſchgenoſſe Luchelini; gerade aber der große Dichter wußte in der Wahl:
verwandtichaft des Genies Weſen und Recht diefer deſpotiſchen Ader zu würdigen
und gab auf die Frage: „Warum ich Royalifte bin?” die Auskunft:
Das ift ſehr fimpel:
Als Poet fand ih Ruhms Gewinn,
Frei Segel, freie Wimpel.
Muft aber alles felber thun,
Konnt' niemand fragen;
Der alte Fritz wußt' aud zu thun,
Durft’ ihm niemand was jagen.
Wer es mit dem Könige nicht verderben wollte, der mußte, fo meinte man, durch—
bliden laſſen, daß er des Gebieter& Meberlegenheit fühle. Da knirſchten nun
gerade die fräftigiten Naturen in feiner Umgebung, und die, weldhe dem Thron
am nädjiten jtanden, wie die Brüder, und fchalten auf ihn in feinem eigenen Lager
faum minder erbittert, als die offenen Feinde in den gegnerifchen Hauptquartieren
und Kabineten, und mwagten doch nicht, wider den Stachel zu löfen. Und
wie wäre das eine Entjicheidende, darin Preußen der Menge jeiner Wider:
jacher überlegen blieb, wie wäre die äußerfte Anfpannung aller Kräfte und die
Zuſammenfaſſung aller Einzelwillen in dem Willen des Einen, zu erreihen ge:
weſen, ohne dieje „Furcht vor dem gebieteriichen Willen des Königs”, von der
Claujewig einmal jpridt. Denfen wir diefe Furcht hinweg — möchte dann
nah den Niederlagen von Kolin und Breslau die Auflöjung des Heeres und
des Staates hinter den beillojen Erjcheinungen der Tage von Jena und Auer:
jtäbt zurüdgeblieben fein?
So gewandelt geht der Held aus diejer furdtbaren Prüfung hervor, nicht
mehr heil und freudig, nicht warm und mild, fondern trüb, falt und hart wie
ein fonnenlojer Wintertag. Das glüdlichfte aller Glüdsfinder, wie der junge
König lahenden Mundes ſich ſelbſt genannt hatte, ift der alte Frig geworden,
8 Schftes Bud. Vorbemerkungen.
grämlich, verhärmt, verhärtet, jo wie in dem Antlit die weiche Nundung ber
Züge den allbefannten ftrengen und jpigen Linien gewichen iſt.
Aber wie die Stimme ihren alten einfhmeihelnden Klang, „weich ſelbſt
beim Fluchen“, behalten hat, jo glimmt doch noch im Grunde des Herzens ein
Funke warmer, weicher Empfindung. Noch immer wird das Auge leicht ihm
‚feucht. Er ſelbſt ſchilt auf diefe Empfindfamkeit, auf diefe Nachgiebigkeit gegen
äußere Eindrüde, da fie ibm die Schwere des Daſeins, die Aufregungen des
Augenblids nur um jo peinvoller madt. Er gibt feiner Seele „Stockſchläge“,
er denkt, daß Philofophie und Erfahrung jeine natürliche Lebhaftigfeit gebändigt
haben jollen, und muß ſich endli doch ſagen, daß ein mit jo heißen Leiden:
ſchaften Geborener die erjehnte „Unempfindlichkeit des Stoifers“ nicht erreichen
fann. Und wäre er noch eine Natur gewejen, die an der That und am Einſatz
aler Kräfte, am Wetten und Wagen, am beldenhaften Ringen mit dem feind:
-feligen Geſchick innerlide und ausſchließliche Freude, leidenſchaftliches Genügen,
Seligkeit empfunden hätte. Aber immer wieder fommt die Sehnjucht nah bem
Stillleben, nah der Einjamkeit des Studierzgimmers zum Durchbruch, die jenti-
mentale Sehnſucht des achtzehnten Jahrhunderts, die das befte Teil in beſchau—
licher Beltellung des Gärtleins fieht. Der Mann, an dem bie anderen die „mehr
als menschliche” Feitigkeit bewundern, ſeufzt: „Der Geift der großen Männer ift
nicht der meine”, und bezeichnet fich als den, dem Wagniffe und Glüdsfpiel
verhaßt find. Als Martyrium, als Fegefeuer beklagt er jein Heldentum; „ein
Zeichen mehr des Leidens als des Glücks“ ift der Lorbeerkranz auch ihm geweien.
Er ift allmähli der Kataſtrophen jo gewohnt, daß er die fommenden Ereignifle
„nur noch fürchtet”; er bebt, wenn er einen Brief erbricht, und erfchridt, wenn
die Thüre ſich öffnet.
Vordem hatte er in Karl XII. den einzigen pathetiichen Typus bes Jahr:
bunderts gejehen; jet jagt er von ſich felbit, daß er allen Erforderniffen eines
tragiihen Bühnencharakters genüge. Alles fommt zufammen: jener Verzicht auf -
die Kleinen Bequemlichkeiten und Genüſſe feines anfprudslojen Haushaltes und
auf die Anregungen und ben heiteren Zauber der Tafelrunde von Sansſouci;
der Gram, des Landes Wohlfahrt zeritört, die Saaten des Friedens zertreten
zu ſehen; bald ſchon die Unfähigkeit zur rechten Freude an den Erfolgen, wenn
fie einmal nicht ausbleiben, an dem Ruhm und an dem Werkzeug des Ruhms,
dem Heere, das da verwildert und jich zerrüttet; die Vorausſicht endlich, troß
allen Ringens endlich unterliegen zu müſſen, dieſe „peinlichen Grübeleien des
Wafferfüchtigen”, „der Tag für Tag die Fortichritte jeiner Krankheit feititellt,
die Kälte ald Todesboten ſchon in den Gliedern jpürt, und den Augenblid vor:
aus berechnet, da auch das Herz abfterben wird“. Und indem ihm fo „das Ende
des Stüdes” allezeit vor Augen fteht, gelobt er fih, daß mit dem „Schlufie
des fünften Aktes“, mit dem legten Widerftand gegen das unabmwendbare Ver:
hängnis aud für ihn jelbit die Zeit vorbei jein ſoll. Dieſe Todesgedanfen be:
gleiten ihn den ganzen Krieg hindurch: Schon 1757 geiteht einer der Tabler im
eigenen Lager, daß es nicht leicht einen Unglüclicheren geben fann, als ben,
deſſen Einbildungstraft immer mit Todesgedanfen beichäftigt ift und der mit
einem Fuß bereits im Grabe fteht.
Sechſtes Bud. Vorbemerlungen. 9
Hat Friedrich, wenn er ſich einen tragiſchen Charakter nannte, auch das
‚Moment der eigenen Verſchuldung damit anerkennen wollen? Gewiß hat er
den Eturm, der fein Leben erfüllt hat, jelbit entfacht. Er hat einen Gegner
auf Tod und Leben herausgefordert, und dann, da er es noch gefonnt hätte,
ihn nicht zu Boden geitredt; denn wohl dürfte e& in jeinem eriten Kriege bei
ihm geftanden haben, die Hand, die nahmals ihm fo jchwere Wunden ge:
ſchlagen hat, ganz und für immer zu entwaffnen. Es hat nicht an Stimmen
gefehlt, weder bei jeinen Lebzeiten noch im der Folgezeit, die all jein Thun jeit
der Eroberung von Schleiien aus der Unruhe eines böjen Gewiſſens haben
herleiten wollen. Friedrich hat als großer Nealpolititer die Grenzen des politiſch
Erlaubten weit gejtedt und Hat dem einjt öffentlih von ihm verurteilten Mac:
hiavell jpäter eine fürmlihe Chrenerflärung gegeben ; aber es unterjcheiden
fih ihm doch beim Rückblick auf feine eigenen Handlungen ſolche, die ihm durch:
aus unbedenklich und gleichſam jelbitverftändlich ericheinen, und andere, die er
entichuldigen zu müjlen glaubt. Schon der alte Garve hat treffend bemerft,
daß Friedrich, jo oft und jo angelegentlid er feinen eriten Frieden, den Sonder:
vertrag von Breslau, den Abfall von dem Bündnis mit Franfreih, zu recht—
fertigen gejucht hat, doch nie ein Wort der Entjehuldigung für feinen erften
Krieg, für die Eroberung. von Schlefien übrig gehabt habe, und daß ihm voll-
ends im fiebenjährigen Kriege nie, jelbit in den größten Bedrängniſſen nicht,
der geringfte Zweifel an der Gerechtigkeit feines Thuns aufgeftiegen fei. Es
ift nicht anders: in dem Beſitz von Schlefien, dem noli me tangere feines
politiihen Dajeins, hat er fih durch Gewiſſensbedenken ebenjowenig beirren
daffen, wie dur das Dräuen und Anftürmen des verbündeten Europas, und
mehr noch als fchon jein zweiter Krieg hat ihm diejer dritte immer als ein ihm
aufgezwungener Verteidigungsfampf gegolten. Es wäre denn, dab man aus all
den unvergleihlichen Briefen, die vielmehr als Selbitgeiprädhe denn als Mit:
teilungen anzufehen find, entweder bewußte Heuchelei, oder den Verſuch das
Gewiſſen zu betäuben, oder vollendeten Selbitbetrug herauslefen wollte — da
wo wir den todbmüden Kämpfer bewundern, der. in. Trübjal und Bangen
und den ſchwerſten Anfechtungen fich immer wieder aufrichtet an dem Bewußt—
fein, feine Pflicht gethan zu haben, und an dem Vorſatz, ſeine Pflicht weiter
zu thun, oder, wie Garlyle einfah und jchön gejagt hat, „an der Hoffnung
auf fein eigenes bejtes Bemühen bis zum Tode“.
Diejer Glaube an ſich jelbit und an jeine Sache war ihm um so leben:
diger, je mehr er ſich der entſcheidenden Bedeutung dDiejes Krieges als eines
großen Wendepunftes in den Geſchicken Preußens, Deutichlands, Europas be:
wußt war. „Das Größte, was dem Menjchen begegnen kann,“ jagt Ranke
von der britiichen Elifabeth, „it es wohl, in der eigenen Sache die allgemeine
zu verteidigen: dann ermeitert fih das perjönlihe Dafein zu einem welt:
biftorifchen Moment.” Wohl philofophierte Friedrih, daß in der Unermeßlich—
feit des Weltalls und in der Flucht der Zeiten diefer Kampf nur ein Frojch:
mäuſekrieg jei; aber für dieje fleine Erde fieht er von ber Webermältigung
Preußens Folgen genug voraus: wilden Hader zwiſchen den Siegern, Um:
wälzung auf Umwälzung im europäifchen Staateniyitem, dazu ſchwere Gefahren
10 Sehftes Bud. Vorbemerkungen.
für die Zukunft der deutichen Geifteskultur, da der Sieg feiner Feinde ber Un:
duldfamkeit freie Bahn Schaffen wird zur Verfolgung aller derer, welche die
Leuchten ihrer Vernunft nicht auslöfchen wollen. Wohl bleiben die Bilder der
nationalen Zufunft und der einftigen SKaiferberrlichkeit jeines Haufes jeinem
Blick verihloffen; aber den großen Geftalten der deutfchen Vergangenheit reicht
er über die Jahrhunderte hin die Hand und fieht in jeinem Kampfe die Fort:
jegung des ſchmalkaldiſchen und des dreißigjährigen Krieges wider den „Deſpo—
tismus der Ferdinande”. Wohl meint er in einer Stunde dumpfer Entjagung,
der Staat habe vor ihm beitanden und werde nad ihm beitehen — wie denn
der Begriff Brandenburg nicht durch die wendiſche oder germaniiche Bevölke—
rung, nicht durch die asfanische oder zollerifche Yandesherrichaft beitimmt wird.
Uber das Brandenburg, das Preußen, das er aufgerichtet hat, zu dejien Größe
er „mehr als irgend ein anderer feines Haufes” beigetragen zu haben früh fi
rühmen durfte, das fteht und fällt mit dem guten oder böjen Ausgang diejes
Krieges, das fteht und fällt mit feinem Schöpfer. Von diefem Preußen gilt
ibm: es jei wie es ift oder e& höre auf zu fein; weil für diefen Staat das Leben
ebenjowenig der Güter höchftes iſt, wie für dieſen König, der die Schande
nicht überleben will, und der allen Mahnungen, fi den feindlichen Gefchofien nicht
auszufegen, das Wort entgegenhält: „Es iſt nicht nötig, daß ich lebe; wohl aber,
daß ich meine Pflicht thue und für das Vaterland kämpfe, um es zu retten,
wenn es noch zu retten iſt.“
Wenn irgend jemand, jo hätte Friedrih das Necht gehabt, von der Not:
wendigfeit jeiner Erhaltung, von feiner Unentbehrlichkeit zu reden. Daß er
unter den Lebenden blieb, war notwendig für feinen Staat, notwendig aud für
feinen Nachruhm. Hätte eine Kugel ihn dabingerafft, wie den Helden des nordi—
ſchen Krieges, er würde in der Gejchichte, trog alles von ihm erhobenen Einfpruches,
eben nur als der preußifche Karl XII. fortleben. Friedrich bat ein andermal ge-
fagt: „An der Stelle, wo ich ftehe, muß man handeln, als jollte man niemals
fterben.“ Ein Widerfpruch liegt zwifchen den beiden Worten nicht; fie enthalten
die beiden Seiten feiner Auffafiung von dem perfönlichen Verhältnis des Fürften
zum Staate. Hier fpricht der Herrſcher, der gleichſam unperjönlih ganz aus
dem Ich des Staates heraus denkt und handelt und dem uniterblichen Staat fi
jelbjt gleichfegen darf; dort ift es der erfte Diener des Staates, der da in Demut
befennt, daß vor der Majeität des Staates jedes Menjchenleben gleich wenig
gilt, ob nun der König oder der geringfte Kriegsfnecht fält. Für den ganzen
Krieg jener fieben Jahre ift diefes „Es ift nicht nötig, dab ich lebe” gleichſam
das Motto, eine ſchlichte und treue Spiegelung des Helden in feinem föniglichen
Pflichtgefühl, feiner philofophiihen Ergebung, feiner foldatiihen Tapferkeit.
Erjter Abjchnitt.
Derlauf und Wirkungen des Jeldzugs don 1756.
des jiebenjährigen Krieges als unbezwingbar gegolten; nicht jo das
bisher immer fiegreihe beim Beginn des großen Kampfes.
Noch hatte fich die öfterreihiihe Macht mit der preußifchen nie gemeſſen,
ohne daß fie zugleih andere Gegner zu beitehen gehabt hätte: Baiern und
Sachſen, Neapolitaner und Spanier, und vor allem die Franzojen. Jetzt, da
Franfreih feine Hand von Preußen abgezogen hatte, gab ein franzöfifcher
Minifter der allgemeinen Anficht feiner Landsleute dahin Ausdrud, daß der König
von Preußen fich jelbit jagen müſſe, die Kaiferin:Königin werde an Macht ihm
immer überlegen und allemal bejier im ftande fein, den Krieg auf die Dauer
auszuhalten, als er, deſſen Macht doch noch lange nicht fo befeftigt fei, wie die
des Hauſes Deiterreih. So meinte auh Graf Kaunig zuverfichtli, habe Oeſter—
reih von anderer Seite nichts zu beforgen, dann würden bie eigenen Streit:
fräfte wohl noch zureihend fein, Preußen über den Haufen zu werfen: von
diefem Sat ging im Juni 1755 fein eriter Ratichlag zum Angriffsfriege aus —
wenn Raunig auch von Stund an raftlos darauf hinarbeitete, zu defto jäherem
Verderben des Gegners Bündnis an Bündnis und Heer an Heer zu hängen.
König Friedrich felbit hat feinen Hauptgegner jo wenig unterfhäßt, daß
er Zeit feines Lebens die öſterreichiſche Kriegsmacht als der preußifchen eben:
bürtig betrachtet hat. „Wenn wir ebenfoviel Verbündete als Feinde haben” —
hörten wir ihn einige Jahre vor dem neuen Zufammenftoß über die Nusfichten
eines Krieges mit Defterreih jagen, !) „werden wir uns mit Ehren herausziehen,
dank der Vortrefflichfeit unferer Disziplin und danf dem Porteil, den die
Schnelligkeit vor der Langſamkeit voraus hat.” Und wenn er e& an fi als ein
Gebot der gefunden Vernunft bezeichnet, bei einem Krieg Eroberungen ins Auge
zu faſſen, fo jest er doch jofort hinzu: „Aber da in allen unſeren Kriegen Europa
D in mehr als einer Schlacht beſiegte preußiſche Heer hat am Ausgang
) Bd. I, 558.
12 Sehftes Bud. Erfter Abichnitt.
jich in zwei große Gruppen teilt, jo ergibt ſich ein gewiſſes Gleichgewicht der
Kräfte und bewirkt, daß man nah allen Erfolgen beim allgemeinen Frieden
um nichts vorwärts gefommen ift.” In dem politifchen Teftament von 1752
dient ihm der Hinweis auf diejes Gleihgewidht der großen europäiichen Parteien
als eine Warnung gegen den Eintritt in einen Angriffäfrieg.
Er hatte die Erfahrung von 1744 nit umsonst gemadt. Um das von
der einen Partei gewonnene Uebergewicht wieder aufzuheben, hatte er damals
fein Schweres Schwert in die Schale der anderen geworfen: in der Hoffnung, von
Frankreich unterftügt und von Nußland, wo nicht unterftügt, jo doc) nicht ge:
hindert zu werden, hatte er die öjterreichiiche Macht niederzufämpfen und in
Böhmen dem Wittelsbacher einen großen Siegespreis und fich felbit einen Heinen
zu erringen gedacht. Es war ihm nicht geglüdt, und feine Nuganmendung war
in jenem Tejtament, daß er jeinem Staate das Wagnis eines neuen Eroberungs:
frieges gegen Defterreih nur unter einer europäilhen Konjunktur geraten haben
wollte, die den Gegner möglichſt ijolieren würde.
Statt vereinfamt zu fein, nahm Defterreich mit dem 1. Mai 1756 eine
Föberativitellung in Europa ein, die ihren Schöpfer, den Grafen Kaunig, mit
berechtigtem Stolz und freudigiten Hoffnungen erfüllte. Zu den beiden Mächten,
auf die bei Beginn des vorigen Krieges Preußen mittelbar oder unmittelbar
feine Rechnung geitellt hatte, unterhielt jetzt vielmehr Deiterreih Beziehungen,
die ihm verbürgten, in den Kampf für die Wiedereroberung Schlefiens von der
einen wie von der anderen unterftügt zu werben.
Nicht von allen dreien, zunächſt und unmittelbar nur von den beiden
Kaiferhöfen, glaubte der König von Preußen fich bedroht. Nicht daß er die
Nuffen im offenen Feld gefürchtet hätte; da verachtete er fie über Gebühr. Aber
troßdem hatte er vor zehn Jahren das ruffiiche Neich als den gefährliditen unter
allen Nahbarn bezeichnet und feinen Nachfolgern empfohlen, die Freundſchaft
„diejer Barbaren“ zu pflegen, die da im ftande feien, mit der unermeßlichen Zahl
ihrer leichten Truppen Preußen von oben bis unten zu Grunde zu richten und
denen man doch nicht Gleiches mit Gleichem vergelten könne. Rußlands ficher,
hatte er 1744 bei Beginn des Krieges feine von den Kernlanden abgetrennte
Oftproving ruhig von Verteidigern entblößen und alles, was er an Truppen
bejaß, zufammenziehen fönnen. Bon Rußland und Defterreich gleichzeitig bedroht,
mußte er jeine Macht zerteilen und fonnte dann doch das Grenzland nur uns
zureichend gegen einen ruffifchen Einbruch deden; ja er mußte noch dazu von
vornherein in Ausficht nehmen, die Provinz zu räumen, wenn etwa die Ruffen
durch Polen nach der Neumark zogen, da man ihm jonit, wie er fih ausdrüdte,
„bier die Kehle abjchneiden würde”. Und weiter: ſehr bald mußte ſich der
König von Preußen mit dem Gedanken vertraut machen, bei der beichränften Zahl
feiner Truppen auch Oberſchleſien von BVerteidigern zu entblößen, „es fei denn,
daß der wilde Bär ftile fißet.“ Im Mißverhältnis zu dem wirkliden Maß
feiner damaligen Stärfe war Rufland bei dem unverföhnlihen Gegenjag ber
beiden deutihen Höfe die ausjchlaggebende Macht geworden, ſchon vor dem
Kriege politifh, weil von jeiner Haltung die Entihließung der Kaiſerin-Königin
und damit die Entſcheidung über Krieg und Frieden abhing, und jegt aud)
Berlauf und Wirkungen bes Feldzugs von 1756. 13
militärifch, weil durch die Dazwiſchenkunft der ruffiihen Truppen das annähernde
Gleihgewiht, das nad Friedrichs Auffaſſung zwiſchen der preußifchen und der
öſterreichiſchen Streitmacht beitand, zu Preußens Ungunften bejeitigt wurde.
Und wo waren die Bundesgenofjen, deren Friedrich in dem Striege gegen
eine Koalition, um fi mit Ehren berauszuziehen, nicht entbehren zu können
glaubte? Er hatte 1756 nur einen Verbündeten, England. Einen Verbündeten,
von dem ein franzöfiicher Minifter mit Recht jagte, daß dieſer neue Alliierte gar
nit in der Lage fei, den König von Preußen mit gemwaffneter Hand zu
unterjtügen.
Denn in der That, traurig genug war damals die Lage diejes folgen
Englands, das im Mai nah langem Zaudern endlich den Krieg an frankreich
erklärt hatte und nun in den nächſten Mochen Verluft auf Verluſt erlitt, im
Mittelmeer Minorka fih entreißen ließ und die Franzojen auf Korſika landen
lab, in Amerifa die Waffenplätze am Ontariojee und in Indien Kalkutta ein:
büßte, vor dem Erbfeind ſchon hinter dem Kanal fih nicht mehr fiher glaubte
und angfterfüllt die beutihen Dlietstruppen, Hannoveraner und Heilen, zur Ver:
teidiaung feiner Küften berbeirief. Aber jelbft wenn England aus dem augen=
blidlihen Bedrängnis fi herauswand, das eine wußte der König von Preußen
genau, daß unmittelbare Hülfe in einem Kampfe gegen Defterreih von diejer
Seite nie zu erwarten war. So veriteht es ſich, wenn das politifche Teftament
den Satz aufftellt: gewinnen und Eroberungen maden könne Preußen in einem
Kriege mit Defterreih nur an der Seite Frankreich, nicht im Bunde mit Eng:
land. Unterftügung mit den Waffen war von England doch nur in dem einen
Falle zu erwarten, deſſen Eintritt Friedrich noch feineswegs ale wahrſcheinlich
betrachtete, daß Frankreich mit einem jelbitändigen Heere in den beutichen Krieg
eingriff. Und felbit in diefem Falle ftand es dabin, ob bie heſſiſchen und
bannoverihen Truppen aus England zurüdfehrten; es war Gefahr vorhanden,
dat dann FFranfreih, indem es die Neutralität Hannovers anerfannte, den
Engländern das unmittelbare Intereſſe an einer Interftügung Preußens
fortnahm.
So ganz fehlten die föderativen Vorausfekungen, von deren Erfüllung das
politifche Teftament wenige Jahre zuvor einen Angriffsfrieg, einen Eroberungs:
frieg abhängig gemacht hatte.
Der preußiſche Staat jab fih dem Bunde der beiden Kaijerhöfe gegenüber
allein auf die eigenen Hülfsmittel angewieſen. „Die bewaffnete Macht,” befennt
der König 1752 in eben jenem politiihen Teitament, „it reipeftabel, aber nicht
zahlreich genug, um allen Feinden, die uns umringen, zu widerſtehen.“ Indes
meinte er damals nod, die weitere Verftärfung des Heeres, das er von 77000
Mann auf 135600 (die Troßknechte und Landſoldaten beivemal nicht eingerechnet)
gebracht hatte, der Nachwelt überlafjen zu dürfen. 1755 befchloß er für fünf
Garnifonregimenter die Errichtung dritter und vierter Bataillone, gedachte aber
dieſe Vermehrung um zehn Bataillone auf ganze drei Jahre, von Trinitatis 1755
bis 1758, gemächlich zu verteilen und beſchränkte fih in dem eriten Rechnungs:
jahre ſogar auf nur zwei Bataillone, 1390 Mann. Bis dann Mitte Juni 1756
der Umſchwung der politiichen Lage es geraten erjcheinen ließ, die noch fehlenden
14 Sechſtes Bud. Erfter Abfchnitt.
acht Bataillone auf einmal und ſchon bis zum nächiten 1. Auguft aufzuftellen
und dazu, über den Voranſchlag hinaus, für den 1. September die Errichtung
noch von vieren in Aussicht zu nehmen, ') Das Wejeler Garnijonbataillon wurde
zu Beginn des Etatsjahrs 175657 unter Hinzulegung eines zweiten Bataillons
in ein Feldregiment verwandelt, die Artillerie hat von 1752 bis 1756 eine Ber:
ftärfung um 200 Mann erhalten.
Eine Vermehrung innerhalb der beitehenden Gadres war für den größten
Teil der Infanterie ſchon am 25. Februar 1755 angeordnet worden, indem die
Zahl der jogenannten Ueberkompletten durch ftärfere Heranziehung der wehr:
pflichtigen Landeskinder verdoppelt, von 10 auf 20 bei der Compagnie gebradjt
werden follte. Entiprehende Weifungen ergingen gleichzeitig für die Dragoner:
und Küraffierregimenter. Auf die Hufaren und die neu errichteten Garnifon:
bataillone war die Maßregel nicht ausgedehnt worden. Zu Beginn des Krieges
betrug die Geſamtſumme der Ueberfompletten rund 17 000 Mann, gegen 8ÿ9000
nad dem Fuße von 1752 und gegen die 13570 Ueberfompletten, die bei Er:
Öffnung des Feldzuges von 1744 in den Lilten geführt wurden. Aber die jegt
zu der Truppe ftoßenden neuen Weberfompletten hatten zunächſt weder Uniform
noch Gewehr noch Patronen; die von der Kavallerie rüdten zum größten Teil
unberitten ins Feld; für die Dragoner der oftpreußiichen Regimenter fanden ſich
nicht einmal die abgelegten Degen vor, mit denen der König fie in der Eile aus:
zurüften gedachte, denn das Militärdepartement hatte alle alten Degen, Riftolen
und Karabiner nad Berlin abgefordert. Sollen gleihwohl diefe unfertigen neuen
oder doppelten Weberfompletten als Streiter mitgezählt werden, jo würde die
Geſamthöhe der feit 1752 eingetretenen Vermehrung fih bis Anfang September
1756 auf 18000 und einige Hundert Mann belaufen. Mit etwa 154000 Mann
war das Heer immer nur um rund 10000 ftärfer als beim Beginn des legten
Krieges.
Wie die neuen Truppenkörper erit im legten Augenblide gebildet wurden
und wie die neu ausgehobenen Mannſchaften nicht einmal ſämtlich bewaffnet
werden fonnten, jo zeigte fih an der diesmaligen Rüftung überall, daß ber
Krieg nicht wie 1744 ſeit geraumer Zeit vorbedadht und vorbereitet, fondern
einem plöglichen und ipäten Entſchluß entiprungen war. Die Uebungen ber
Negimenter waren 1744 ſämtlich in den Juli gelegt worden, das heißt jo, daß
der vorherbeitimmte Zeitpunkt des Losbruchs ale Beurlaubten bei der Fahne
fand. Dagegen hatten in diefem Jahre die Regimenter der einzelnen Provinzen
wie gewöhnlich zu verfchiedenen Zeitpunkten, in den gleichen Tagen wie im
Vorjahre, ihre Uebungen begonnen, und die pommerichen und märfiichen (von
fünf Neiterregimentern abgejehen), die magdeburgiihen und weitfälifchen hatten
im Juni nad der Uebung ihre Beurlaubten wie gewöhnlich wieder entlaffen;
nur die oftpreußiichen Truppen behielten die Beurlaubten bei der Fahne und
die elf ihnen zum Rüdhalt nad) Hinterpommern verlegten Bataillone zogen fie
von neuem ein, auf jene beunrubigenden Nachrichten, die gerade im Juni aus
Rußland famen. Für die ſchleſiſchen Negimenter, die herfömmlich erft im Juli
) Val. Bd. 1, 596, wo 3.2 ftatt vier zu lejen ift: zwei.
Verlauf und Wirkungen bes Feldzuges von 1756. 15
ihre Beurlaubten zur Uebung einzogen, fiel das Ende der Uebungszeit wie 1744
mit dem Anfang des Krieges zuſammen.
Der Ankauf der Pferde und die Zurüftung des Troffes war 1744 für alle
Regimenter jhon Anfang März, fünf Monate vor dem Ausmarſch, angeordnet
worden; 1756 erit Ende uni und nur zum Eleineren Teil; die Hauptſache, der
Pferdeankauf in Lande, erit im Auguft; auf dem ausländiihen Markt in
Hannover, Medlenburg, Holitein hatten die öfterreihiichen Händler das Beite
vorweg gelauft.
Noch andere Maßnahmen waren allzulange hinausgezjögert. Den Ausbau
der jchlefiihen Feitungen fand der Beginn des Krieges unvollendet; nur Glogau
war im wejentlihen fertig. Für Kofel, Neijje, Brieg waren die noch erforder:
lihen Summen in den Etat des Nechnungsjahres 1756,57 eingeftellt und im
Frühjahr 1756 in der Weiſe angemwiejen worden, daß die Palliſaden bis Ende
bes Kalenderjahres beſchafft, die Kajernenbauten bis Ende bes Etatsjahres, aljo
bis Ende Mai 1757, ausgeführt fein jollten. lat hatte überhaupt erjt im
Redhnungsjahr 175758 an die Reihe zu fommen, und als der Kommandant
drängte, den Bau der Kajematten fofort in Angriff zu nehmen, hatte ihm der
König am 11. März 1756 fait unmwillig erwidert, es bleibe dabei, daß in diejem
„jahre in Glatz nichts zu geichehen habe. Eo ganz hatte ihn der Vertrag mit
England in Ariedensjicherheit gewiegt. Als nun im Juni die Kriegswolken auf:
fliegen und den unfertigen Grenzplägen wenigitens ihr Pallifadengürtel ſchnell
angelegt werden jollte, ergab jih, daß in Glatz an der erforderlichen Zahl von
20000 nicht weniger als 18000, daß in Neiffe 43000 Palliſaden fehlten, daß
fie aud in Breslau und Brieg nur unvollitändig, in Kojel nur für zwei Außen-
werfe vorhanden waren. Die Kommandanten wehllagten; aus Neiſſe fam ein
endlojes Verzeichnis der noch fehlenden Verteidigungsgegenftände: Flinten- und
Kanonenkugeln, Bomben und Granaten, Pulver und Pechkränze und an die
fieben Millionen Patronenhülſen.
Erhebliche Schwierigkeiten endlich bot die Füllung der Magazine. Der lepte
Eommer hatte eine Mifernte gebracht, Getreide war fnapp und noch fnapper Raub:
futter. Zwar befahl der König am 19, Juni dem Oberpräfidenten der ſchleſiſchen
Kammern, daß die Magazine der Provinz bis zum Herbit ergänzt fein jollten
und daß für das jchleiifche Heer Fourage auf dritthalb Monate beichafft werden
müſſe; aber als Marſchall Schwerin im September ins Feld rüdte, ſchuf ihm
der allgemeine Mangel an Heu und Stroh die größte Verlegenbeit.
Wenn der König im juli dem engliihen Gefandten erklärte, daß er troß
der DVerftärfung des Heeres doch nicht über 120000 Mann ins Feld jtellen
fönne, jo ilt diefe Zahl beim Beginn des Krieges in der That nur unerheblich
überjchritten worden; doch blieben von den Feldbataillonen eines in Schlefien
und jehs am Rhein zurüd.
Das Hauptheer, das am 29. August in drei Kolonnen, unter Führung des
Königs und zweier braunshweigiicher Prinzen, Auguft Wilhelm von Bevern und
Ferdinand, die ſächſiſchen Grenzen überfchritt, 70 Bataillone und 101 Schwadronen
fark, nahm der König auf rund 65000 Mann an, das jchlefiihe Heer,
unter dem Feldmarſchall Schwerin, auf fait 30000; eine fpätere Berechnung
16 Sechſtes Bud. Erfter Abichnitt.
der einzelnen Truppenteile bat, ohne Einfluß auf die Hauptiumme, für das
erite Heer 67050, für das zweite 27100 Mann ergeben. Ein drittes Heer,
dem Oberbefehl des Feldmarichalls Lehwaldt anvertraut und wieder auf rund
30000 Mann angefchlagen, follte fih zufammenjegen aus 14 Feldbataillonen
und 4 auf FFeldetat gebradhten Garnifonbataillonen, ſowie 50 Schwadronen, in
Preußen und jenem bereits Ende Juni nah Pommern entjandten Rejervecorps
von 11 Bataillonen und 10 Schwadronen unter dem Erbpringen von Heilen:
Darmitadt.
Da die rufliihen Nüftungen feit dem Juni unterbroden waren, ein Angriff
von dieſer Seite aljo für das laufende Jahr faum noch zu erwarten war, jo
blieben Lehmwaldts Truppen auf die beiden Provinzen verteilt; ja König Friedrich
bat dem englijhen Gejandten am 19. Auguft die Zuſage gegeben, bei unmittel-
barer Gefahr eines franzöftichen Angriffs auf Hannover die etwa 10000 Mann
aus Pommern dem König von England, allerdings nur bis Ende Februar, zur
Verfügung ftellen zu wollen.
Die Offenfive war dem Hauptheer vorbehalten. Als Ziel jeines Vor—
dringens für den diesjährigen Feldzug bat Friedrich jowohl dem engliichen Ge:
jandten wie dem Prinzen von Preußen, dem er durch den Generallieutenant
Winterfeldt feinen Feldzugsplan darlegen ließ, Melnik bezeichnet, wo die Elbe
die Moldau aufnimmt und jchifibar wird. Someit wollte er die Vorpoiten aus-
fenden, die Hauptitellung aber und jpäter die Winterquartiere hinter der Eger
nehmen; für die Zufuhr follte die Elbe Gewähr leiten. Bon den Gegnern
nahm er an, daß fie, zum Angriff noch nicht fertig, fich begnügen würden, eine
ſtarke Beſatzung nad) Prag zu werfen, auch ihr Hauptheer dorthin zu ziehen.
Segte man doch überhaupt eine ſtrategiſche Methode bei ihnen voraus, wonach
fie die Schlachten vermeiden und es vielmehr darauf anlegen würden, wie
Winterfeldt es ausdrüdte, „uns durch Detours und den langiamen Krieg abzu:
matten“. Traf diefe Annahme zu und ging man obendrein über Melnif hinaus
dem Feind nicht entgegen, jo konnte e& leicht geſchehen, daß der Feldzug ganz
ohne Schlacht verlief. Bataillen zu liefern, ſei jegt noch nit an der Zeit,
ichreibt Friedrich furz vor dem Ausmarſch, am 26. Auguft, an Schwerin, und
14 Tage darauf vertröftet er den Marſchall auf das nächſte Jahr: da würden
die guten Stöße geführt werden. Schwerin äußerte fein Bedenken: er vermöge
nicht abzujehen, wie der König fich für den Winter fiher in Böhmen feitiegen
wolle, wenn man nicht vorher auf einem oder dem anderen Fled zu einem ent:
ſcheidenden Stoß gekommen jei; Friedrich aber bat ihn unbejorgt zu fein, denn
er werde nach Böhmen bineinfommen und fo weit vordringen, wie er es fi
vorgenommen habe, und, wenn es ans Schlagen gebe, den Defterreichern ein
Drittel ihrer Kanonen abnehmen.
Nein defenſiv war die Aufgabe, die Schwerin jelbft zugewieien erhielt. Er
jollte Schlefien deden, Niederichlefien vor allem, gegen einen Angriff von Böhmen
ber, aber auch Tberjchlefien, gegen Truppen oder irrequläre Haufen, die aus
Mähren und Ungarn fommen mochten. Doch war ihm freigeitellt, nad Lage
der Umftände feine Defenfive in ein offenfives Gewand zu leiden und in Feindes-
land einzudringen.
Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 17
Keine Frage, daß der diesmalige Feldzugsplan, an dem Maßſtab der eigenen
ftrategifchen Anjhauungen des Königs gemeilen, jehr beicheiden war; denn
Friedrich hatte noch im Vorjahre geäußert, dab man an einen Feldzugsplan für
die Eröffnung eines Krieges höhere Anforderungen ftellen könne, als an die von
allzuviel Zwifchenfällen abhängigen fpäteren Entwürfe, und er hatte im Hinweis
auf die Armut feines Staates und die eigentümlichen Vorzüge jeiner ganz auf
die Schlacht zugerichteten Truppen den Befehlshabern preußifcher Heere zur
Pflicht gemacht,!) ſchnelle Entfcheidungen herbeizuführen.
Doch der anſcheinende Widerſpruch löſt fich leicht. Der Feldzug von 1756
it auf Böhmen berechnet. Böhmen aber gilt dem König von Preußen, wie
wir willen, ſeit der Erfahrung von 1744 als das verwunfchene Land, in welchem
eine große Entiheidung ſich nicht erzwingen läßt; als das Land, in weldem
man nicht einmal im Winterquartier fih behaupten fann, es ſei denn daß ein
verbündetes Heer in unmittelbarer Nähe, in Böhmen felbit, die Flanke dedt.
Das verbündete Heer, das im Winter von 1741 auf 1742 zur Stelle geweien
war, bas 1744 jeine Mitwirfung mwenigitens zugelagt hatte, fehlte diesmal ganz.
Und noch in anderer Beziehung war die militäriihe Lage anders als 1744,
ungünftiger. Damals war Böhmen, jo gut wie Sclefien im Dezember 1740,
faft ganz von BVerteidigern entblößt, ungehindert hatten die Preußen Prag be:
lagern und einnehmen können. Statt jenjeits des Rheins, wie damals, ftand
jett das öfterreichiiche Heer diesſeits der Donau, zwar noch nicht völlig ver:
jammelt, aber marjchfertig und fampfbereit, beſſer gerüftet denn je.
Nicht das alfo fann auffallen, daß König Friedrih bier in Böhmen ſich
nicht an große Dinge wagte. Nur ſo darf die Frage geſtellt werden, weshalb
er den Krieg nicht nach Mähren trug; denn in Mähren mußten ſeiner ſtrategiſchen
Theorie nach die Würfel eines Krieges zwiſchen Preußen und Oeſterreich fallen.
Die Annahme iſt erlaubt, daß er 1749, als er den Krieg mit ben beiden Kaiſer—
böfen erwartete, in der That nah Mähren gegangen jein würde. Auch damals
war als Einleitung des Kampfes die Entwafinung der Sachſen gedacht. Aber
während jekt das durch Sachſen vorrüdende und das jchlefiihe Heer getrennt
blieben und beide auf die Beobachtung des Feindes beichränft fein jollten, würde
der König damals, mit Zurüdlafjung von 20 Bataillonen in Sachſen, alles
übrige, jowohl die aus Schlejien wie die aus Sachſen fommenden Regimenter,
zu einem großen Heere unter jeinem eigenen Oberbefehl zufammengefaßt haben,
aljo offenbar für eine nachdrückliche Offenfive, deren Schauplag feiner Auffafjung
nah eben nur Mähren fein fonnte. Aber 1749 hätte er den Krieg früh im
Jahre, im Mai, begonnen; wie denn alle Pläne für einen Feldzug in Mähren,
die er theoretifch oder auf den praftiihen Fall entworfen hat, regelmäßig reich
gemefjene Frift, die ganze gute Jahreszeit, für ihre Ausführung vorausjegen.
Jetzt war der Entihluß zum Kriege ihm abgenötigt worden für einen jehr
jpäten Zeitpunkt; jhon ging der Sommer zur Rüfte. So fonnte Mähren über:
haupt nicht mehr in Betracht fommen, fondern nur nod der Kriegsichauplat,
"3b. 1, 553.
Rojer, König Friedrid der Große. II. 2. Auf. 2
18 Sechſtes Bud, Erfter Abſchnitt.
der entjcheidende Erfolge zwar zu verſagen ſchien, aber den großen Vorteil bot,
daß die Dperationsbafis in der ftarfen Zentralitellung des Angreifers lag, in
Sadjen.
Sachſen bot für die Kriegsführung alle Vorteile, die an Böhmen vermißt
wurden. Einen jhiffbaren Fluß, der die militäriihe Behauptung des Landes
in derjelben Weife erleichterte, wie die Oder die Operationen in Schlefien; hinter
dem allmählich abfallenden Grenzwall der Berge Hügelland und Ebenen, in
denen ein großes Heer volle Bewegungsfreiheit fand; gute Heeritraßen, bie
fürzeften Berbindungslinien zwijchen der preußiichen Hauptitadt und den fchlefifchen
Grenzfeitungen. Eine zwiichen Brandenburg und Schlefien breit hineingejchobene,
geſchloſſene Baltion, die im Befig eines Gegners die preußiichen Lande jchwer be:
drohte, überwältigt aber jie trefflich dedte und dann für Verteidigung und Ausfall
fih gleihmäßig eignete. Erſt nah Einnahme diejer Stellung konnte der König
von Preußen überhaupt daran denfen, feine Truppen, was er ehedem als un:
thunlich bezeichnet hatte, zum Winter in Böhmen bleiben zu laflen. Sadjen
war im größten Stil eine jener beberrichenden, enticheidenden Stellungen, deren
Ueberrumpeluna gleich zu Beginn des Krieges ein quter Feldzugsplan in Betracht
ziehen jollte — io hatte friedrich e& in der Theorie verlangt, und wenigitens in
diefer Beziehung genügte jein Feldzugsplan von 1756 den eigenen ftrategifchen
Anforderungen. Elf Jahre zuvor hatte er fich diefen Gewinn durch zwei Siege
mit vielem Blut erfauft. Er hatte Sahien damals zurüdgegeben, troß der
Gunſt feiner militärischen und politiihen Yage. Dept wo die Dejterreicher zur
Wiederaufnahme des nad) dem Tage von Kefjelsdorf unterbrodenen Kampfes
fih anihidten, war es Friedrichs erite Handlung, die Dinge einfach in ben
militärifhen Stand der Weihnachtstage von 1745 zurüdzuverfegen. Damals
hatten die öfterreihiihen Bundesgenofien dem landflüchtigen König: Kurfürften
Frieden und Heimfehr dur einen ſchweren Entſchluß erwirkt, indem fie endlich
die Warten niederlegten. Wie damals erbot fih auch jetzt Friedrich, Sachſen
wieder zu räumen, jofern nur Deiterreih ihm den Frieden gönnte. Er rechnete
darauf, und nicht ohne Grund, dab es die Deiterreicher ebenjo überraſchen wie
in ihren Entwürfen jtören würde, Sachſen von neuem in preußilcher Umklamme—
rung, ihre eigene Groberungsaufgabe aber verdoppelt, auf Schlefien und Sachſen
verteilt zu jehen. Die 1745 erzielte politiihe Wirkung der Uebermwältigung
Sachſens blieb diesmal aus und verfehrte fich in ihr Gegenteil, die militärische
war um jo entjcheidender und nachhaltiger.
Daß er einen fünftigen Krieg mit der Bejegung Sadiens zu eröffnen
babe, ftand dem Könige von Preußen jeit lange feſt. Der jchwere militärijche
Fehler des vorigen Krieges durfte nicht wiederholt werden. Er hatte 1744 nad
dem Durchmarſch durch das Kurfürftentum das ſächſiſche Heer in jeinem Nüden
gelaſſen; alsbald war das Heer ihm nach Böhmen nachgerückt, auf jeine Verbindungs—
linien gefallen und demnächſt in Schlefien eingedrungen. Er hatte die Sachſen
bei Hohenfriedberg geſchlagen und doch die völferrechtliche Fiktion weiter gelten
lafjen, nad der die Sadjen nicht friegführende Partei, jondern nur Auriliar:
madt zu jein behaupteten. Erit dann hatte er ihr Gebiet betreten, ihr Heer ge:
ſchlagen, ihre Hauptitadt erobert, als ihr mit den Defterreihern vereinbarter
Verlauf und Wirlungen des Feldzugs von 1756. 19
Kriegsplan jeine eigene Nefidenz, in ihrer gefährdeten Lage hart an ber
ſächſiſchen Grenze, der unmittelbaren Gefahr einer Ueberrumpelung ausjegte.
Als jegt am 1. September 1756 auf dem Schloſſe zu Pregih, jeinem
zweiten Hauptquartier auf ſächſiſchem Boden, ein ſächſiſcher Abgefandter ihn
an die beftändige Freundſchaft und Vergefjenheit des Gejchehenen erinnerte, die
fih beide Könige im Dresdener Friedensjchluffe angelobt, antwortete er mit der
ihneidenden Frage: „Und ſeitdem?“ Unter dem Eindrud jener Unterredung,
die er in den Dresdener Weihnachtstagen von 1745 mit dem ſächſiſchen Minifter
Hennide gehabt hatte, ') ift er no geraume Zeit der Meinung gewejen, daß fi
ein politiiches Einvernehmen mit dem Nahbarftaate, dem bisherigen Gegner,
anbahnen werde. Er hatte beim Friedensſchluß nicht auf der Entfernung Brühls
beitanden, um, wie er nachher die Unterlafjung vor fidh jelbft entſchuldigte, den
König Auguſt durch eine jo gehäffige und vielleicht doch nicht zweckdienliche Be-
dingung nicht abzuftoßen. Er hatte den neuen Subjidienvertrag zwiſchen Sachſen
und Franfreih im Frühjahr 1746 mit Freuden begrüßt und ließ fich angelegen
jein, für die Wiedervermählung des Dauphins die Wahl auf die jächjtiche
Prinzeſſin Maria Jofepha zu lenken. Aber noch ehe das erite Friedensjahr zu
Ende gegangen war, beklagte er fich brieflidh bei eben dem Minifter, den er fich
zum Werkzeug der Ausjöhnung auserjehen hatte: „Vor ein Jahr umb diefe
Zeit war der Herr Hennide höfliher wie anjego, es ift zu beflagen, daß Sie
eine jo kurze Memorie haben.” Und als die Verhandlung wegen eines Bünd—
niffes, die der preußiſche Gejandte vielleicht allzu eilfertig und allzu gerade heraus
eingeleitet hatte, fih immer mehr in die Yänge jchleppte, gewahrte er jehr wohl,
daß Brühl, jein geichworener Feind, nur den äußeren Schein wahren wolle, und
daß alle Mühe verloren jei, jo lange diejer uniichere Geſellſchafter dabei bleibe.
Schon am 6. Mai 1747 hat Friedrih gegen feinen Vertreter in Dresden die
Veberzeugung ausgeſprochen, daß die Sachen feine heimlichiten, aber auch feine
erbittertiten Feinde feien; daß wenn es einit zwiichen Preußen und Rußland
zum Bruch fommen follte, Sachſen die größte Schuld tragen werde, dafür dann
aber auch „die Scherben bezahlen“ müſſe, — Worte, die man in Dresden, bei
verftohlener Durhmufterung des Schriftwechjels der preußiihen Geſandtſchaft,
aus der Zifferſprache richtig herausbudjitabierte. Man war gewarnt.
Eben diefe Kunft, alle Mühe eines erfindungsreihen Chiffrierbureaus zu
Schanden zu machen, verjchaffte, wie wir willen, auch dem Könige von Preußen
feine Kunde von den Geheimnillen der Gegner. Jahr aus Jahr ein jammelte
er die Beweije dafür, wie genau ſich die jähliihe Diplomatie in Rußland an
die Inſtruktion hielt „die ruſſiſche Eiferfucht auf die preußiihe Macht zu nähren
und jedem preußenfeindlihen Beginnen Beifall zu zollen”. Er wußte, daß
Sachſen dem gegen Preußen gerichteten Bündnis der beiden Kaiſerhöfe von 1746
nicht beigetreten war. Aber er wußte auch, dab Sachſen zu dem Beitritt fich
wiederholt bereit erflärt hatte, falls ihm jein Anteil an der Beute alsbald ver:
tragsmäßig zugelichert würde. Und dann war Friedrich eines Tages auf das
epigrammatifche Wort geitoßen, das fich nicht wieder vergaß: Sachſen, jo hatte
) 3b. I, 292.
20 Sechſtes Bud. Erfter Abfchnitt.
der ruffiihe Großfanzler zu dem ſächſiſchen Gejandten Funde geſagt, brauche
gegen den mächtigen Nachbarn nicht alsbald auf dem Plan zu erfcheinen, jondern
erft „wenn der Nitter im Sattel wanken werde”. Griff der Ritter mit der
Annahme fehl, daß die den Sachſen zugedachte Aufgabe, binterrüds den Gnaden:
ftoß zu führen, gerade die Rolle war, die Brühl fi erjehnte?
Das eine ift dem Könige von Preußen nit einmal befannt geworden,
daß bei der Verhandlung zwiſchen Deiterreih und Frankreich der Beitritt Sachſens
zu der Koalition gegen Preußen als durchaus fiher galt, wobei den Sadjen
franzöfiiche Geldhülfe und auf Koften Preußens jo reichliher Landgewinn zus
gedacht wurde, daß diejer Verbündete dadurch geneigt werden follte, einen Teil
feines eigenen Gebietes, die Laufig, an Deiterreich zu überlaſſen.
Dagegen waren nod) in letter Stunde Berichte des Grafen Flemming aus
Wien nah Potsdam gelangt, die einen hohen Grab von Vertraulichkeit zwiſchen
dem öfterreihifchen Staatsfanzler und dem ſächſiſchen Gefandten vorausjegen
ließen und den reichlid) vorhandenen Argwohn noch vermehren mußten. Es war
der Fluch ihrer Vielgeihäftigkeit, daß die Brühliche Politif auch da ſich ver:
dächtig machte, wo fie ſich auf ein wenig beneidenswertes Karren und Horden
beſchränkt ſah. Denn thatſächlich ftand die ſächſiſche Diplomatie ſeit einiger Zeit
bei allen wichtigeren Verhandlungen der Gegner Preußens, jelbit da, wo Sachſens
Intereſſe unmittelbar hineingezogen wurde, vor der Thür.
Man wußte in Wien, dab das Geheimnis in Dresden jchledht bewahrt
war; der Kaiſer jelbit hatte 1754 dem Grafen Flemming gelagt, daß alles, was
Flemming aus Wien, alles was die jähfifhen Vertreter in Petersburg und
London nad) Haufe berichteten, ſofort und ganz genau durch den preußifchen
Gejandten Maltzahn nad Berlin gelangt. So wurden die Sadhjen 1756 weder
zu Verjailles noh zu Moskau in die von Kaunit betriebenen Verhandlungen
eingeweiht. Ehedem, vor und gleich nad dem Dresdener Frieden und während
des Aachener Kongrejies, waren es gerade jähfiihe Diplomaten gewejen, die
fih um eine Ausſöhnung zwiſchen Dejterreih und Franfreih, um ein Verftändnis
der beiden zum Schaden Preußens, bemüht hatten; jest ward dem ſächſiſchen Ge:
jandten in Paris von dem Berjailler Bertrage erit einen vollen Monat nad
dem Abſchluß Mitteilung gemadt. Die neue europäiihe Parteibildung volljog
jih ohne Sachſens Zuthun und in gewiſſem Grade zu Sachſens Unguniten.
Während der legten Jahre des öfterreihiichen Erbfolgefrieges hatte der Dresdener
Hof von Frankreich, ohne ein Hülfscorps ftellen zu müſſen, Subſidien erhalten
— eine Art Tribut der Großmadt an den Kleinitaat, um ihn zu beitimmen,
feine Truppen nit den Gegnern Frankreichs zu verfaufen. Und von 1751 bis
1755 hatten wiederum die Engländer, ohne Gegenleiftung, nur um Sachſen der
Umgarnung Frankreichs zu entwinden, einen ftarfen Beitrag zu den Koften des
ſächſiſchen Heeres geleiftet. Jetzt weigerten die einen wie bie anderen jede
Epende, die Franzoſen, die ſich von ihrem alten Fontinentalen Gegner Oeſter—
reich jo eifrig ummworben ſahen, die Engländer, für die nad dem Ausgleich mit
Preußen das Verhältnis zu Sachſen den Wert verlor. So war denn aud ans
geiichts des Mejtminitervertrages der erite Gedanke des ſächſiſchen Geſchäfts—
trägers in London, daß jegt England es nicht nötig haben werde, jeinen bis:
Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 21
herigen Verbündeten noch Subſidien zu gewähren, und der König von Preußen
hatte völlig Recht, wenn er im Februar 1756, einer Bemerkung ſeines Geſandten
in Dresden beiſtimmend, meinte, daß er durch einen kleinen Federſtrich Sachſen
„aneantiert“ habe. Sachſen ſah ſich politiſch zur Null gemacht und finanziell an
den Rand des Staatsbankerotts gedrängt.
Graf Brühl freilich in ſeiner Leichtfertigkeit wußte der kläglichen Lage
eine gute Seite abzugewinnen. Er getröſtete ſich zunächſt der Hoffnung, daß der
Weſtminſtervertrag die Beziehungen zwiſchen Preußen und Frankreich notwendig
lockern werde, und ſchürte an ſeinem Teil das Feuer. Sodann, als die preußiſchen
Rüſtungen begannen, glaubte er ſich und Sachſen beglückwünſchen zu dürfen,
daß man fi nad) feiner Seite hin in engere Verbindungen eingelaffen habe.
Sein Syſtem blieb, wie er noch am 1. Auguſt, alle Warnungen abweiſend, zuver:
fihtlih erklärte: uns für den Augenblid einzig und allein an unfere harmlojen
Verteidigungsbündniffe mit den beiden faiferlihen Höfen zu halten — „bis daß
die Dinge fih mehr entwideln“, was in Brühls Munde wohl dasjelbe bedeutete
wie jenes zu Friedrichs Kenntnis gelangte geflügelte Wort: „bis daß der Ritter
im Sattel wankt“. In der That eine armfelige Weisheit! Wenn Brühl vor
der Welt, wie er es als feine Taktik bezeichnete, den Verdacht der Parteinahme
zu vermeiden bemüht war, jo bedachte er nicht, daß jede Zeile der in Potsdam
wohlbefannten Depeichen ihn leidenichaftliher Parteilichkeit, feines bitteren Haſſes
gegen Preußen überführte.
Minder leihtherzig als der Minifter, der an diefem 1. Auguft die Lage
Sadjens als eine glüdlihe zu bezeichnen wagte, zeigten fich die jächfiichen
Generale. Graf Rutowski fagte voraus, daß der König von Preußen in einem
Kriege gegen Deiterreih das ſächſiſche Heer nicht ein zweites Mal, wie 1744, in
feinem Rüden lafjen werde. Er beantragte ſchon am 3. Juni, auf die Nachricht
von dem Abſchluß des Verjailler Bündniſſes, die Regimenter mobil zu machen
und die Hauptſtadt in Verteidigungszuftand zu jeten; er beantragte am 2. Juli,
auf die weitere Nachricht von dem Beginn preußiicher Nüftungen, alle Bor:
bereitungen zu treffen, um auf den eriten Befehl das gelamte Fußvolk bei
Dresden und die Neiterei hinter der Mulde vereinigen zu fönnen, die Reiterei
mit der Aufgabe, die Infanterie gegen ein Belagerungäbeer zu unterftügen oder
ihr den Uebertritt nach Böhmen zu erleichtern, wofür man dann die Mitwirkung
eines zwiichen Leitmerig und Schandau aufzuftellenden öfterreihiichen Corps in
Anſpruch nehmen müſſe. König Auguft hieß den Plan gut, und der Gejandte
in Wien erhielt den Auftrag, dringend um Rat und Hülfe und um Entjendung
eines Heeres an die böhmiſch-ſächſiſche Grenze zu bitten. Späterhin, als an
dem Bruch zwiſchen Preußen und Deiterreich faum noch gezweifelt werden konnte,
beleuchtete Rutowski in einer Denkſchrift vom 19. Auguſt aud die politische
Seite und empfahl mit Nachdrud, auf feine Verhandlung wegen Auflöjfung
oder Entwafinung des Heeres fich einzulaffen, ſondern Gewalt mit Gewalt zu ver:
treiben. Würde doch, jo erklärte er in echt joldatiichem Geift, durch den aufs
Aeuferfte getriebenen Widerſtand Niemand aufgeopfert, als die, melde ihre
Schuldigfeit ohnehin dazu verbinde. Aller Wahricheinlichkeit mach jei nicht der
Sieg, ſondern die Erniebrigung des Königs von Preußen zu erwarten: was
22 Sechſtes Buch. Erſter Abſchnitt.
könne Sachſen von den Siegern ſich nachher Gutes verſprechen, wenn es jetzt ohne
Schwertſtreich den Preußen ſich ergebe und unter das Joch beuge, ſtatt ſich
ſelbſt und den Freunden zu helfen?
Rutowskis Fürſorge errettete die ſächſiſchen Regimenter vor dem Geſchick,
überfallen und einzeln aufgehoben zu werden. Als die Preußen am 29. Auguſt
über die Grenze famen, eilten die fähliihen Truppen bereits auf allen Straßen
dem Pirnaer Lager zu; den Plan, die Hauptitadt zu verteidigen, hatte man
aufgegeben. Am 2. September war das Heer verfammelt. An diefem Tage
ward bejclofien, daß der König mit den Truppen aufbrechen und fie durch
Böhmen und Mähren nah Polen führen würde. Am 4. früh figt der König
mit zweien feiner Prinzen bereits im Neifewagen, ba tritt General Rochow an
den Wagenjchlag und meldet, preußiſche Hufaren jeien längs der Elbe gejehen
worden. Man fragt den Befehlshaber der Geleittruppe, ob er dafür einftehen
fann, daß feine verlorene Kugel den König treffen wird — die Abfahrt wird
verfhoben, dann aufgegeben, der König und das Heer bleiben im Lande.
Rutowskis Denfihrift vom 19. Auguſt nahm an, daß der König von
Preußen fich nicht begnügen werde mit der Neutralität und mit der Auflöjung
und Entwaifnung der Truppen, fondern daß er das ſächſiſche Heer dem jeinen
einzuverleiben trachte.
Eben dies war in der That die Abficht von vornherein: jo hat fie Friedrich
im Augenblide des Ausmarſches dem Prinzen von Preußen anvertraut. Eigen:
händig hatte er bereits eine förmliche Kriegserflärung aufgejegt: die Anfündiqung,
daß ihm beim Eintritt in den unvermeidlihen Krieg mit Defterreih, angefichts
der Feindfeligfeit Sachſens, für deſſen Umtriebe er die Beweife in den Händen
babe, nichts übrig bleibe, als die jächltiihen Truppen zu entwaffnen und außer
jtand zu jegen, ihm im Verlauf dieſes Krieges zu ſchaden; eine Anzahl Aus—
züge aus den insgeheim durchmuſterten ſächſiſchen Akten fanden fich mit Namen
und Daten eingeichaltet. Nachher aber ließ er nicht diefes „Manifeſt“ — ſchon
der Titel bedeutete im Sprachgebrauch der Zeit eine Kriegserflärung — druden,
jondern eine viel farblofere und viel fürzere „Deklaration“, die den Einmarſch
in Sachſen mit dem Hinweis auf die Erfahrungen von 1744, auf die Regeln
der Klugheit und die Prlichten gegen die eigene Sicherheit begründete und mit
dem Sate ſchloß, Seine Majeität erwarte mit Verlangen den glüdlichen Augen:
blid, da es ihr beim Wegfall der gegenwärtigen zwingenden Erwägungen ge:
ftattet fein werde, Seiner polnifhen Majeftät Dero Kurlande als ein geheiligtes
Depot zurüdzugeben.
Es war eine Abänderung der politiihen Taktik, nicht ein Verzicht auf den
militäriihen Plan. Diejelben Gründe aber — fie werden ſich gleich ergeben —,
die den König von Preußen beitimmten, den offenen Fehdebrief einftweilen noch
zurüdzubalten, bedingten nun für die alsbald beginnenden Verhandlungen vorerft
ein binhaltendes Verfahren, von dem die Sachſen mit Recht Hagten: „Was er
von uns verlangt, darüber fpricht er jich in feiner Weije aus.” Doch enthielt
ihon am 1. September Friedrichs erite Antwort auf einen um Aufklärung
bittenden Brief Augufts III. einen unverblümten Ausfall gegen den Mann, deſſen
Ratſchlägen fich fein Fürft in einer für ihn ſelbſt fo beflagenswerten Weiſe all
Berlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 23
zufehr anvertraue, deſſen ſchlechte Abfichten nur zu befannt und deijen jchwarze
Komplotte urkundlich zu beweilen jeien. Friedrichs zweiter Brief, vom 5. Sep:
tember, nannte gar den Fürſten, an ben er gerichtet war, einen Verführten und
fündete an, daß die leicht zu bemeijenden Anklagen gegen den Minifter noch
heute bemwiejen werden würden, wenn nicht gewiſſe Bedenfen dem noch ent:
gegenftünden.
Die Bedenken follten bald fortfallen. Am 9. September rüdten vier
preußische Bataillone in Dresden ein, tags darauf ließen General Wylih und
Major Wangenheim, troß des Einſpruchs und des beinahe förperlihen Wider:
itands der Königin Maria Yojepha, die Thür der Kabinetsfanzlei öffnen; drei
Säde voll ſorgſam ausgewählter Schriftftüde wanderten nah Berlin. Die Er:
bredung und Plünderung eines Archivs, ein Vorgang, der nad) offener Anjage
der Feindjeligkeiten nichts Auffallendes und nichts Nechtswidriges gehabt haben
würde, war bier, wo dieſe Anjage unterblieben war, noch mehr als alles bereits
Borangegangene geeignet, das preußiihe Vorgehen im grelliten Lichte zugleich
der Gemaltthätigfeit und der Hinterliſt ericheinen zu laflen. Aber die Gründe,
den offenen Bruch, die laute Anklage noch hinauszuſchieben, waren zu jchwer
ins Gewicht gefallen. Einem Minifter wie dem Grafen Brühl, meinte Friedrich,
würde e& nicht darauf angefommten jein, einer vernichtenden Anklage gegenüber
die Zeugniffe feiner Politif, fo lange er fie noch in feinem Gemwahrjam hatte,
beijeite zu ſchaffen, zu vernichten, für Mit: und Nachwelt ftumm zu machen.
Jetzt endlih, im Beſitz der Beweisitüde für die Echtheit der Abjchriften und
Auszüge, auf deren Inhalt er jeine Anihuldigungen gegen die Gegner und die
Redtfertigung feines Krieges gründete, fonnte Friedrich die Maske fallen lafjen.
Am 14. September überreichte in jeinem Auftrag Winterfeldt dem König von
Polen eine Ueberarbeitung eben der Anklageichrift, vie urfprünglich zur Ver:
öffentlihung als Manifeit beitimmt geweſen war.
Auh nah einer anderen Seite erhielt die Lage jett volle Klarheit und
jchneidende Schärfe. Am 11. September traf aus Wien auf das preußifche
Ultimatum, Friedrihs dritte Anfrage,') die Antwort ein. Sie bezeichnete die
beim Einrüden der Preußen in Sachſen veröffentlihte Deklaration als ein
Manifeft gegen die Kaiferin-RKönigin: nad einem jo ausgeprägten Angriff fönne
von feiner Antwort mehr die Nede fein, als von der Widerlegung, welche auf
dieſes Manifeit zu feiner Zeit vielleicht erfolgen würde. Die neulide Antwort
enthalte alles, was mit der Würde der Kaijerin vereinbar geweſen fei, und ber
Vorſchlag, den beitehenden und auf feierlihe Verträge gegründeten Frieden in
einen Waffenitilliitand zu verwandeln — jo hämijch deutete man jene Forderung
des Königs von Preußen, für diefes und das nächſte Jahr den ihm befannt
gewordenen Angriffsplänen gegen ihn durch förmliche Verfiherung zu entjagen
— ſei natürlicherweije zu einer Erklärung nicht geeignet. Derart abgemwiejen
veröffentlichte Friedrih nunmehr unverzüglich die bereits gedrudte, von ihm jelbft
entworfene „Darlegung der Urjadhen, welche Seine Majejtät den König von
Preußen bewogen haben, den Anſchlägen des Hofes zu Wien zuvorzulommen“,
') Bd. 1, 603.
24 Sehites Bud. Erfter Abſchnitt.
Enthüllungen über die Verſchwörung gegen Preußen unter jharfer Hervorhebung
des Unterfchiedes zwijchen dem wahren und dem äußerlihen Angreifer: „Unter
Angriff veriteht man jeden Aft, der dem Sinn eines Friedensvertrages diametral
entgegengejegt it. Eine Offenjiv:Liga, das Aufreizen und Drängen zum Kriege
gegen eine andere Macht, Pläne zur Ueberziehung der Staaten eines anderen
Fürften, ein plögliher Einbruch: alle dieje verjchiedenen Dinge find ebenfoviel
Angriffe, obgleih nur der plöglide Einbruch den Fall der offenen Feindſelig—
feiten darjtellt. Wer diefen Angriffen zuvorkommt, kann offene Feindjeligfeiten
begehen, aber er ift nicht der Angreifer.“
Am 13. September überichritt die Vorhut des preußiſchen Heeres unter
dem Prinzen Ferdinand von Braunfchweig bei Peterswalde die öſterreichiſche
Grenze; einige Tage darauf rüdte aus der Grafihaft Glatz auch das jchlefiiche
Heer in Böhmen ein. Auch jet noch geihah ein Verſuch zur Verftändigung.
In zwei Briefen erjuchte Graf Schwerin den öfterreidhiichen General, dem er
fih gegenüber jahb, um eine Zuſammenkunft: vielleiht werde es gelingen, zu
ehrenvollen Vorſchlägen für die Ausſöhnung der beiden Höfe zu gelangen. Auf
Befehl der Kaiferin:Königin mußte Fürft Piccolomini die Begegnung ablehnen.
Binnen furzem gedadte der König mit dem Hauptheer dem Braunfchweiger
nah Böhmen zu folgen; in ber Friſt, deren er für die Zurüftung feiner Maga:
zine bedurfte, hoffte er auch mit dem Lager von Pirna fertig zu werben. „Vier
Tage fann ih noch warten,” äußerte er am 12, September; „will es alsdann
nicht brechen, fo muß man jehen, wie man jo bereinfömmt.”
Unerwarteterweije hatten die Sachſen von neuem zu verhandeln begonnen.
Seine Minifter rieten dem König von Polen einftimmig, fih nah Ablehnung
der Neutralität aller weiteren Vorichläge zu enthalten und bis auf den letten
Mann zu verteidigen; jeine Generale, denen die verheißene öfterreichiiche Hülfe
noch allzumweit im Felde zu ſtehen ſchien, flimmten ihn um. Alſo bot er am
12. September den Preußen als Sicherheitspläge für die Dauer des Krieges
Pirna, Wittenberg und Torgau, dazu Geifeln für die Neutralität des Heeres.
Nun aber fiel das enticheidende Wort: „Euer Schidjal muß an das meine
gefnüpft fein.” So ichrieb es Friedrih am 13. dem belagerten Fürften, und
tags darauf überbradte Winterfeldt, zugleih mit der Anklageakte gegen Brühl,
mündlich die Forderung, daß der König von Polen an Preußen die ſächſiſchen
Truppen und zu ihrem Unterhalt die „Interimsadminiſtration“ der ſächſiſchen Lande
überlaffen jolle. Drei Viertelitunden verhandelte Winterfeldt mit dem Monarden
unter vier Augen; er jcheint den Eindrud mitgenommen zu haben, daß feine
Sache, obaleih König Auguſt noch nein ſagte, mit nichten ausfichtslos jei.
Wenigitens jchrieb Friedrih unmittelbar nah Winterfelots Nüdfehr, am 14.
abends, an den Herzog Ferdinand, dat die Yeute vom Berge fapitulierten, daß
fie bald alle Preußen fein würden: er hofft ſchon morgen — in einer Nach—
fchrift wenigitens übermorgen — mit ihnen am Ziele zu jein.
Tags darauf fam der durch Winterfeldt angemeldete ſächſiſche Unterhändler,
General Arnim. Sein Beglaubigungsichreiben wiederholte das Nein von geftern
und das frühere Angebot. Friedrich beharrte bei jeinem Begehren. Sadjen,
fagte er zu dem General, „muß mein Los teilen und diefelbe Gefahr teilen wie
Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 25
meine Staaten. Bin ich glücklich, ſo wird der König von Polen nicht nur für
alles reichlich entſchädigt werden, ſondern ich werde auch an ſeine Intereſſen
wie an meine eigenen denken . . Man hat gut leugnen und ſich entſchuldigen.
Ich weiß alles, was jeit 1749 in einem fort bis zum Juli dieſes Jahres gegen
mich verhandelt worden ift und habe hinreichende Beweiſe in den Händen, id)
kann alſo die jähfiihen Truppen nicht hinter mir laſſen, ohne einen jehr ſchweren
Fehler zu begehen... Jh muß die Truppen haben, jonit it feine Sicherheit.
Ich jpiele ein großes Spiel, die Waffen jind den MWechjelfällen des Tages aus:
gejegt: ich brauchte nur eine beträchtliche Schlappe zu erleiden, und eure Truppen
würden mir im Nüden figen... Es gibt fein anderes Mittel, die Armee muß
mit mir marjchieren und mir den Eid leiten.“ Als Arnim bemerkte, dafür
würde es in der ganzen Gefchichte fein Beiſpiel aufzuweiſen geben, erwiderte
der König mit ichlecdht verhaltenem Hohn: „Es gibt deren, und wenn es aud)
feine gäbe: ich weiß nicht, ob Sie es willen, daß ich mir etwas darauf zu gute
thue, originell zu ſein.“
Es gingen an den drei nächſten Tagen noch einige Botichaften hin und
ber, aber riedrid hatte im vollen Ernſt beim Abſchied zu Armin gejagt,
fein legtes Wort ſei geſprochen und daran ſei nichts zu ändern, auch wenn
man ihm einen Erzengel fchide. Am 16. hatte er die Hoffnung auf eine Kapi—
tulation noch nicht ganz aufgegeben; am 17. äußerte er, wenn jein Gegner fich
nicht heute feinem Wunſche gemäß erkläre, jo wolle er ihn morgen anfajjen
und hoffe bis zum 20. das mit Gewalt zu erlangen, was willig nicht gewährt werde.
Somit brad) er am 18. die Verhandlung ab, verweigerte auch die Päſſe
für des Königs Abreife nah Polen. Aber der Sturm auf das Lager unterblieb.
Der Hufarengeneral Warnery hat jpäter erzählt, Winterfeldt habe den
Angrifisplan bereit gehabt und die Erftürmung ald ausführbar angejehen,
aber der König habe nicht gewollt, weil er die Sachſen bereits als die Seinen
betrachtet habe, die er ganz ebenjogut jchonen müfle; doch ſei ihm auch der
Ausgang nicht jo ganz ficher erfchienen. Wir werden jagen, daß Friedrich mit
dem jchließlihen Verziht auf den Angriff der überwiegenden Mehrheit feiner
Umgebung nachgab. Man hatte die Stellung, die jedenfalls die Eingeichloifenen
jelber als völlig gededt betrachteten, in den legten Tagen wiederholt rekognos—
ziert; Shon am 12. September meinte der König, fie werde ſich nur fehr jchwer
angreifen lalfen, während in den Sreilen jeiner Brüder an diefem Tage
bereits die Lofung ausgegeben wurde, man jehe immer mehr, dab das Lager
unangreifbar jei: jchwerlih babe es jemals eine bejlere Stellung gegeben. Zu
weiteren Terrainftubien hatten die zwölf Offiziere bequemite Gelegenheit, die
mit Winterfeldt am 14. zum König von Polen ritten, Am 16. in der Frühe bielt
der König, nur von den Prinzen und Winterfeldt begleitet, von einer Anhöhe
aus Umjhau. Man fönnte mit ebenjo leichter Mühe den Himmel ftürmen,
erzählten nachher die Prinzen; nur dann und wann jei Raum, um jehs Mann
in Front aufzuftellen. Winterfeldt wird das Gegenfpiel gehalten haben. Der
König wollte fich von der Unmöglichkeit heute noch nicht überzeugen: „Der ganze
Entwurf ift gemacht”, jchreibt er tags darauf, „und ich hoffe ihn mit weit geringerem
Verluft als man denken mag auszuführen.“ Aber am 18. hat er nad) erneuten
20 Sechſtes Bud. Erfter Abjchnitt.
Erfundungen die Auffafiung feiner Brüder ſich angeeignet und wiederholt in
einem Brief an Schwerin ihren Haupteinwand: das geräumigfte Angriffsfeld
geltatte eine Front von jehs Mann; „nahdem ich und meine Generale die
Beſchaffenheit des jächfischen Lagers aus nächſter Nähe geprüft haben, haben
wir alle gefunden, daß es moraliih unmöglich ift, dies verfluchte Lager anzu—
greifen, ohne einige Taufend braver Leute zu opfern, und noch dazu mit einem
höchſt unficheren Erfolg.“
Und nun fchien der Zeitverluft nicht eben groß; wohl unbequem, aber nicht
danach angethan, den ganzen Feldzugsplan zu ftören oder gar umzuftoßen. Der
König verließ fih darauf, daß der Hunger das übrige thun werde, und zwar jchnell.
Allerdings hatte er fich in allen jeinen bisherigen Friſtſchätzungen fehr geirrt: am
legten Auguit hatte er dem Pirnaer Lager nur acht Tage Lebensdauer geben
wollen; nach deren Ablauf wieder höchſtens acht Tage. So beihmwichtigte er auch
jegt, nad) dem Abbruch der Verhandlungen, feine Ungeduld und jeine Bedenken mit
janguinifchen Vorausſetzungen und mußte fait von Tag zu Tag den Anjah zu
feinen Ungunften ändern: am 19. September ſpricht er von höchftens acht Tagen,
in einem zweiten Brief vom jelben Datum ſchon von acht bis zehn; am 23. glaubt
er bödjitens bis zum 26. ſich gedulden zu müffen, am 24. geftebt er ih, daß
es noch acht Tage währen kann; am 26. hofit er auf den 1. Oftober, am
27. auf den eriten ober zweiten — auch dann aber jchien es immer noch Zeit
zu fein, den Fyeldzugsplan „auf den Buchitaben“ durchzuführen.
Da fam eine unerwartete Störung. Den Sturm auf das Lager batte
man vermieden, eine Feldſchlacht wurde notwendig.
Als Kaunig es im März bei der Zarin anregte, noch in dielem Jahre
den Angrifföfrieg gegen Preußen zu beginnen, hatte man in Wien zugleich
darauf Bedacht nehmen müflen, zu ſolchem Unterfangen vor allem jelber ganz
bereit und fertig zu fein. Vorerſt ergingen, im April und Anfang Mai, Befehle
an die Negimenter zu beichleunigter Werbung und zu Pferdeankäufen; für bie
Feltungen, auch die Hauptftadt Wien, wurden PBallifaden beichafft, an den Werfen
von Olmütz mußte feit dem April mit erhöhtem Nachdrud gearbeitet werben,
nicht allgemadbh und nur durch Strafgefangene, wie es der Kommandant, falls
fein Krieg zu befürdten fei, für ausreichend halten wollte. Und da von den
Küraffieren und Dragonern weitaus der größte Teil, 19 Negimenter, in Ungarn
lag, gegen nur vier in den deutichen Erblanden, jo begann man jeit dem April
Schritt für Schritt aubh mit Maßnahmen zur Zufammenlegung und Heran—
ziehung diefer Reiterei.
Mitte Mai berechnete der KHabinetsiefretär der Kaijerin, Ignaz v. Koch,
der bewährte Kenner der Heeresverwaltung, als jchlagfertig 77000 Mann, die
allenfalls noh mit 10000 Irregulären verftärkt werden fünnten. Mehr nicht,
rund 80000, hatte Kaunig vor zwei Monaten den Ruſſen als Teilnehmer an
dem gemeinjamen Kriegszuge angefagt. Trotzdem hatte Koch jest Bedenken, den
Krieg „annoch heuer” zu beginnen. Er befannte es als feinen geheimen Wunſch,
„die Operation felbjten” bis zum nächſten Frühling ausgelegt zu ſehen, und
Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1750. 27
gab anheim, ſich für diefen Sommer mit der Verlegung weiterer Streitkräfte,
zumal an Neiterei, nah Böhmen zu begnügen, fie zum 1. Auguft in Uebungs:
lagern zu vereinigen und aHes Uebrige den Winter hindurch in Muße vorzu:
bereiten. Unverfennbar hat diefer Ratſchlag zuerft und hauptſächlich den Anſtoß
gegeben zu der Vertagung des Angriffs und zu der entſprechenden Mitteilung
an den ruffiichen Berbündeten vom 22. Mai. ')
Die weiteren militärifhen Vorkehrungen hielten fih nun zunädit im
Rahmen der Kohihen Vorſchläge. Für die Bildung der Sammellager, die
nicht verborgen bleiben fonnte, boten die Nachrichten, die Anfang Juli aus
Preußen kamen, einen erwünfchten Vorwand. Zwar jener Garnifonswecjel
einiger märfifcher und pommerfcher Regimenter in der zweiten Hälfte des Juni?)
richtete feine Spige zu augenjcheinlich gegen Rußland, als daß er fi als eine
Gefährdung der öfterreihiihen Grenze auslegen ließ; wohl aber ward von der
angeblihen Zufammenziehung eines preußiſchen Neiterlagers bei Schweidniß,
die am 1. Juli irrtümlich aus Troppau nad Wien gemeldet wurde, ausgiebiger
Gebraud vor der Deffentlichfeit gemadt. Am 6. Juli ward dem Hoffriegsrat,
der bie bisherigen Kriegsvorbereitungen geleitet hatte, eine Rüſtungskommiſſion
an die Seite geitellt; am 8. hielt fie ihre erite Situng ab und nahm die Mit:
teilungen über das bereits Geleiftete entgegen. Der Infanterie in den deutſchen
Erblanden ging am Eollbeitande nur noch wenig Mannjchaft ab; für das Fehlende
ſchien teils durch ‚die bereits abgeſchloſſene ausländische Werbung, teils durch die
ausgejchriebene Nefrutenlieferung der Stände jo reichlich gelorgt, da man in
Ausfiht nehmen konnte, bei jedem Regiment 25 Heberfomplette einzujtellen und
doch noch der Kavallerie einen Ueberfhuß von 1300 Mann zuzumeilen. Bei
den Kürafiter- und Dragonerregimentern war für die Ergänzung des Sollbeitandes
von 800 und die Ueberführung auf den Kriegsfuß von 1000 Pferden das Er:
forderlihe angeordnet und zum Teil auch ausgeführt, nachdem die Huſaren—
regimenter ſchon Ende März und Anfang April auf 500 Pferde komplettiert
worden waren. Der im uni angeordnete Pferdeanfauf im Ausland, in Nord:
deutihhland, hatte guten Fortgang genommen. Endlich war am 5. Juli der für
bie Lager bejtimmten, entfernter liegenden Kavallerie der Marjchbereitichaftsbefehl
zugegangen. Es folgte jegt am 11. Juli die gleihe Weifung für fieben längs
der mähriichen Grenze ftationierte Reiterregimenter, am 16. der Marjchbefehl für
die Truppen in Böhmen und Mähren.
So war die Mobilmahung im vollen Gange, und Kaunig war mit ihrem
weiteren Verlauf jehr zufrieden: e& würden, jchreibt er am 27. August, nicht
viel Beifpiele zu finden fein, daß von feiten des durdlaudtigiten Erzhaufes
mit mehr Eilfertigfeit zu Werk gegangen und die ganze Majchine in Bewegung
gejegt worden. Die preußifhen Kriegsrüftungen waren ihm nicht unerwartet
gefommen. Er hatte alsbald vorausgejehen, daß die militärifchen Veranftaltungen
in Hußland den König zu der „deiperaten Entichließung” treiben würden, „mit
dem größten Teil feiner Macht unfere Erblande zu überfallen und dadurd ber
1) 8. 1, 592.
2) Bel. Bd. I, 595.
28 Sechſtes Buch. Erſter Abſchnitt.
ihm drohenden Gefahr zuvorzukommen“. So war es ihm auch jetzt, im Juli,
keinem Zweifel unterworfen, daß „der Marſch der ruſſiſchen Truppen und die
Furcht“ die Urſache der preußiſchen Bewegung ſei; ja noch am 22. Auguft
urteilte er, daß König Friedrih, jobald er fi wegen Rußland beruhigt jähe,
zu einem Einfall in das öfterreichiiche Gebiet nicht fchreiten würde, und daß
deshalb ein übrigens ganz unmahricheinlicher Uebertritt Rußlands zur engliſch—
preußiihen Partei zwar die großen Offenfivpläne Defterreihs auf einmal „ver:
eiteln und unterbreden”, Defterreih aber auch der Gefahr eines preußischen
Angriffs überheben werde. Am liebiten hätte Kaunitz zunächſt wohl gejehen,
daß Preußen gerüftet blieb, aber noch nicht losjchlug; dann gewann man Zeit,
die eigenen Rüflungen zu vervollitändigen, während Preußen fi noch vor dem
Kampfe finanziell ſchwächte oder, wie Kaunit es ausdrüdte, am langjamen Feuer
verzehrte — eben das, wovor Winterfeldt den König am meiften warnte. Als
nun aber Preußen durd feine Anfragen in Wien jo jchnell die Entjcheidung
berausrief, da war Kaunig feinen Augenblid im Zweifel geweien, wie fie zu
lauten habe, und jeine Gebieterin bemerkte jehr zutreffend, daß die Antwort, die
man bem preußiihen Gejandten erteilte, „die Folge all unſer Rejolutionen“ fei.
Gewik war an der Rüftung noch vieles unfertig, oder wie Kaunitz jagte,
„nicht vollfommen”; gewiß würde man im nächiten Frühjahr, zu der Friſt,
die man fich eigentlich gejegt hatte, ganz anders jchlagfertig und vor allem mit
ganz anderen Maflen auf den Plan getreten fein; gewiß ſtörte es alle Berech—
nungen, daß die Sachſen nicht nad Böhmen famen, nicht das faiferlihe Heer
um 20000 Streiter veritärkten. Aber Kaunitz teilte nicht die Meinung jener
Kleinmütigen, die auf die dritte preußiiche Anfrage den Degen jchnell wieder
einfteden wollten. War er in allem Anfang davon ausgegangen, dab an fi
die öfterreichiiche Streitmadht der preußiichen immer gewachſen jei, jo mußte
das Heer es wagen, für einige Zeit auch einer Ueberzahl die Stirn zu bieten.
In den legten Tagen des Auguft hatte Feldmarſchall Browne im Lager von
Kolin 32000 Mann beijammen, der Feldzeugmeifter Fürſt Piccolomini bei
Olmütz 22000. Und die Zahl wuchs täglid. Daß in Böhmen ein Heer nicht
fo leicht gezwungen werden fonnte, die Schlacht anzunehmen, hatte der Feldzug
von 1744 bewiefen. Marjchall Belle: ste, vol Eifer für die gemeinfame Sadıe,
riet den dfterreichifchen Feldherren in einem eigenhändigen Schreiben, jedem
Hauptichlage, jeder Schladht auszuweichen. Aber Browne gedachte jeine Aufgabe
feineswegs auf die Sicherung des eigenen Heeres zu beichränfen. Er erbot ſich
ſchon am 10. September, den eingeſchloſſenen Sachſen die rettende Hand zu reichen,
und der Hof hieß feinen mutigen Entichluß aut; ja er ermädhtigte den Feldherrn
ausdrücklich, zum Heile der Sachſen, wenn es fein mußte, jogar eine Schlacht
zu wagen.
Am 14. September verließ Browne das Lager von Kolin, am 19. bezog
er eine Stellung bei Budin am rechten Egerufer. Der Plan war, durch Schein:
voritöße über das Gebirge, bis nah Auffig, den Gegner zu täufchen, inzwifchen
aber allmählid und unvermerft an die 18000 Mann auf das redhte Elbufer
zu werfen und dann eilends nad) Schandau marſchieren zu laſſen, um dort bie
am Lilienftein über den Fluß zu ſetzenden Sachſen aufzunehmen.
Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 29
Den Preußen fehlte es an Kundichaft vom Feinde. Das über die böhmifche
Grenze ausgeſandte Beobadhtungscorps, jest der Führung des Feldmarſchalls
Keith übergeben, war bis zum 24. auf mehr als 30000 Mann verftärft
und lagerte vor Auffig mit dem Hauptquartier in Johnsdorf. An demfelben
24. erreihte den König im Lager von Sedlit das Gerücht, daß Browne den
Sadjen zu Hülfe eile. Tags darauf hieß es, er ftehe noch bei Kolin. Keith
verficherte das Gleihe; nur eine Vorhut unter dem Grafen Wied:Rundel ſei
bis Lobofit gelangt. Keith ſchlug vor, über das Mittelgebirge zu geben und
vor der Eger, mo die Ebene die Entfaltung der zahlreihen Neiterei erlaubte,
dem Feind den Weg zu verlegen. Da fih für die Verpflegung Rat jchaffen
ließ, jo trat der König nad einigen Bedenken dem Vorſchlage näher, beichloß
aber zugleih, um ficher zu geben, die Truppen perjönlich in das neue Lager
einzuftellen.. Am 27. nachmittags verließ er die Gernierungslinie vor Pirna,
zum 1. Oktober glaubte er wieder zur Stelle fein zu fönnen.
Daß die öfterreihiiche Hauptmacht wirklich im Anzuge fei, erfuhr er bei
der Ankunft in Johnsdorf am 28., und tags darauf in Türnig, nah einem
Marſch mit der Vorhut an die Biela, daß Browne den Webergang über bie
Eger vorbereite. Das ganze Heer erhielt für den 30. Marichbefehl.
Die Erwartung, „morgen die Herren Defterreiher von Angeſicht zu Ans
geficht zu ſehen“, erfüllte fih. Bromwne führte feinen Flußübergang am 30. Sep:
tember bei Tagesanbrud aus, legte fein Hauptquartier und die Vortruppen nad
Lobofig und nahm in Vorausfiht eines Zufammenftoßes feine Hauptitellung, bie
Heeritraße na Budin fefthaltend, hinter dem Modlbache, den rechten Flügel
bei Proßnif an die Elbe, den linfen, mit dem Dorfe Sullowik vor der Front,
an bie Teiche von Tſchiſchkowitz gelehnt. In dieſer Stellung erblidte der König
das öfterreihiihe Heer, ald er am Nachmittag mit dem Xortrab von der Höhe
des Kleticherpafies in das Thal hinabftieg. Er gewahrte zugleih, daß die den
engen Ausgang der Pafftraße jperrenden Höhen des Homolfa und des Loboſch
noch unbejegt waren, und machte fich den Fehler des Feindes zu Nutzen, indem
er noch in der Dunfelheit einen Teil der Truppen über das urjprünglidhe Ziel
des Marfches hinaus, in die Defileen vorjchob, um fi den Aufitieg zu den
beherrichenden Höhen für morgen zu fihern.
Mitternaht war herangefommen, als die legten Truppenteile nad ihrem
beihwerlihen Gebirgsmarſch antraten. Die Zelte wurden nicht aufgeichlagen,
man zündete große Feuer an und ab und fütterte wie man fonnte. Auch der
König wärmte fih am Wachtfeuer, auf einer Trommel figend. Der Prinz von
Preußen trat heran und meldete die Ankunft feiner Kolonne. „Ich habe fie
in der Taſche,“ meinte der König; der Bruder wandte ein, daß die Lage nicht
unbedenflich fei. Der König juchte ihn und fich zu beruhigen: „Wir haben die
Höhen, und was fol ich denn thun? wir fönnen nicht mehr zurüd.” In der
That, fein anderer Ausweg: hielt Browne ftand, jo mußte man ihn angreifen;
ein Zurüdgehen über das Gebirge, den Feind im Naden, konnte verhängnisvoll
werden, ein Stilleftehen und Abwarten verbot der Fouragemangel.
Der Drt, bei dem das Hauptquartier lagerte, war Welmina: Friedrich
nahm es zum guten Zeihen, dem Namen feiner Lieblingsihweiter — Wilhelmine
30 Sechſtes Bud. Erfter Abſchnitt.
— bier zu begegnen. Auch ein Meteor, das die Nacht durchhellte, warb als
Glücksbote gedeutet. Der König ruhte in jeinem Wagen, um ihn herum auf
bloßer Erde die Prinzen, Generale und Adjutanten. In der zweiten Morgen:
ftunde begann ein Schießen, der König jprang aus dem Wagen und vernahm,
daß es ein Morgengruß von den Panduren jei; er meinte, er könne fih auf
die guten Sauerländer, das am Loboſch pojtierte Negiment Quadt, verlafien.
Andere Meldungen bejagten, der Feind jcheine abzuziehen.
Noch vor Tagesanbrud, um 26 Uhr, ritt der König mit dem Marſchall
Keith, dem Thronfolger und den beiden braunichweigifchen Prinzen auf Hund:
ihaft aus und zeigte ihnen die Stellung, in der er aufmarſchieren wollte; die
Ausfiht war frei, die Ebene ganz leer, die Panduren in den Weinbergen ſtill.
Der König ließ vor allem jet die Abhänge der Berge durd die Vortruppen
bejegen. Das Hauptheer marjchierte in zwei Kolonnen an, jchob fich bei Radoſitz
durch die Gebirgspforte hindurh und entfaltete fih dann in Schladhtordnung —
eine Wellenlinie, die fi vom Homolkaberg herunter durch die Thalenge und
wieder herauf quer über den Südabhang des Loboſch zog. Bei der Länge diejer
Front blieben von den verfügbaren 24 Bataillonen von vornherein nur einige
wenige für das zweite Treffen übrig. Die Reiterei ftellte ſich hinter den Sn:
fanterielinien auf. Der König hielt auf dem Homolfa zwiichen dem erften und
dem zweiten Treffen.
Nach 7 Uhr entipann ſich ein lebhaftes Feuergefecht zwiichen den Bataillonen
auf dem Loboſch und den zwiichen den Weinbergsmauern hodenden Panduren.
Etwa gleichzeitig hub von hüben und drüben der Geſchützkampf an. Ein dichter
Nebel, der während des Aufmarjches aufgeitiegen war, hemmte die Ausficht ;
die Stadt Loboſitz ſah man wie dur einen Flor, die Hauptitellung des Feindes
entzog fih dem Blide ganz. Zange blieb zweifelhaft, ob man ein Heer, ob nur
eine Nachhut, die Panduren in den Weinbergen und die Neiterhaufen vorn in
ber Ebene, vor ich hatte. Der König vermutete das legte. Um Gemißheit zu
Ihaffen, befahl er endlich dem General Ayau, — die Reiterei war inzwijchen
vor die Infanterielinie gezogen worden — auf dieje Kavallerie Jagd zu machen;
das Geſchützfeuer hatte jet an drei Stunden gewährt.
Da werden in Sullowig und dem ummauerten Tiergarten die Bären:
mützen öfterreichiicher Grenadiere erfannt: joll fih der Reiterangriff ihrem Flanken—
feuer ausjegen? Kyau wagt den Einwand zu erheben, und erhält „in der
Vhrajeologie, die dem König jo gänge ift, wenn er etwas für eine unzeitige
Vorftellung hält“, eine unmwirjche Antwort. Mit jechzehn Schwadronen jprengt
nun der General los. Es ſind auserlefene, berühmte, ſtolze Regimenter, die
Garde du Corps, die Gendarmen, die Küraffiere des Prinzen von Preußen, im
zweiten Treffen die VBaireuther Dragoner. Der König folgte ihnen mit unver:
wandtem Blid, das Fernglas in der Hand; er hebt fih in den Steigbügeln —
als die Küraffiere in die feindliche Linie vorftoßen und fie im eriten Augenblid
umbreden, jegt er fich wieder im Sattel zurecht und jagt: „Sept find fie weg.“
Aber das Bild ändert fih; die Baireutbher haben feinen quten Tag, fie bleiben
zurüd, man jagt ihnen nah, daß der Anblid der Grenadiere in Sullowig fie
ftugig gemadt hat, genug, fie fommen zu jpät, und die Küraſſiere jind bereits
Terlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 31
überflügelt. Wohl verjchaffen ihnen die Dragoner noch wieder Luft; weiterem
Vordringen aber jegen das Flankenfeuer der Infanterie und die Geſchütze der
Batterien ein Ziel. Mit zwei Standarten als Siegeszeihen und einer Anzahl
Gefangener reiten die Angreifer zurüd.
Dem allen hat die Hauptmafje der preußiichen Reiter vom Sattel aus
zujchauen müſſen. Eingedenf des alten Ruhms und des oft gehörten Gebots, ſich
nie zuporfommen zu laſſen, von Ungeduld verzehrt nach itundenlangem Halten,
erfüllt von dem Verlangen, Gefahr und Ehre des eriten Waffenganges mit den
jchon losgelafjenen Kameraden zu teilen und das begonnene Spiel durd) ver:
doppelten Einjag zu entſcheiden, ſtürmen jegt die vorberiten drauf los, ohne
Befehl; Gewicht hängt ſich an Gewicht, von den friſchen Gefchwadern wollen bie
eben erihöpft aus dem Kampf zurückgekehrten fich nicht beſchämen laflen, wohl
11000 Roſſe — an die ſechzig Shwadronen — jchnauben dur das Blachfeld.
„Mein Gott, was macht die Kavallerie da!” hört man den König rufen. Wer
vermag fie zurüdzubalten, wer jich ihnen entgegenzultemmen? Wieder wird
die feindliche Linie über den Haufen geworfen, noch weiter als vorhin greift
der Angriff aus, nicht bloß über den zehn Fuß breiten Graben zwiſchen Sullowig
und Kobofig, auch über die tief eingejchnittene, hohlwegartige Yanditraße, die von
Kobofig nad Sirſowitz führt. Aber die Reihen haben ſich gelichtet, die Ordnung
iſt aelodert; da naht mit acht neuen Schwadronen Fürst Löwenſtein und wirft
ſich zwiſchen die Fliehenden und die Verfolger, ein erbittertes Handgemenge
beginnt, bis der Wideritand der Preußen der friſchen Kraft der Gegner erliegt.
Viel ungeordneter als nah dem eriten Angriff, nahezu in Auflöfung, mit
Zurüdlaffung zahlreiher Verwundeter, die Schwadronen wirr durcheinander
gewürjelt, langen die Geichlagenen an dem Pla, von dem fie ausgeritten,
wieder an. Nichts bleibt übrig, als diefe ganze Reiterei hinter die Infanterie:
linie zurüdzunehmen.
Der König hatte nach jeinem feititehenden Grundjag, nur mit einem
Flügel zu ichlagen, die Rechte zum Angriff bejtimmt und der an den Loboſch
gelehnten Linken unter dem Herzog von Braunjchweig:Bevern miederholt ein:
geihärft, aus ihrer Stellung nicht vorzugehen. Nah dem Mißerfolg der beiden
Keitergefehte, und nachdem längit fein Zweifel über die Gegenwart des ganzen
feindlihen Heeres blieb, trat nun für die Infanterie die unerwartete Wendung
ein, daß fie, wie Friedrich fi ausdrüdt, „ven Stand der frage gewendet” jah
und, ftatt zum Angriff zu kommen, jelbit angegriffen wurde. Ja, es hatte das
Ausſehen, als ob die preußiichen Flügel gleichzeitig beide gepadt werden jollten.
Von Sullowig her ertönte der dumpfe Klang der öfterreihiichen Holztrommeln ;
wirflih famen einige Vataillone über den Bad. Durd die Batterien auf dem
Homolfaberge wurde die Bewegung ſchnell abgemwieien, immer aber wurde durch
den Angriff oder „Scheinangriif” — als folden faßte man ihn im preußifchen
Heere fpäter auf — das erreicht, daß die Preußen nicht wagen durften, Dielen
ihren rechten Flügel durch Abgaben an die jegt ernſtlich bebrängte Linke zu
ihwädhen. Noch weniger aber war angelichts der Gefährdung des anderen
Flügels jegt an den urfprünglich beabfichtigten Angriff auf Sullowig zu denken;
ganz davon abgejehen, daß diejem Angriff die Seitendedung durch Neiterei ge:
32 Sechſtes Bud. Erfter Abichnitt.
fehlt haben würde. Vielmehr hatte der Keldherr nah dem eriten Gebot jeiner
Schladtentaftit dem in der Frühe zum Mauerbrecher auserjehenen Flügel jegt
einfach und ftreng die Rolle des Zufchauers zuzumeiien; er that ſich nad der
Entſcheidung etwas darauf zu gute, feine Rechte beſtändig feit gehalten zu haben,
und betrachtete es geradezu als die entſcheidende Vorfehrung, daß er die Höhe
rechts wohl gefichert und jouteniert habe.
Die Lage auf dem linken Flügel war bedenklih geworden in dem Augen:
blide, wo die dortigen Bataillone, durch ftundenlanges Geplänfel mit den hinter
ihren Weinbergsmauern verftedten Kroaten ermüdet und zum Teil bereits ohne
Rulver und Blei, fih von größeren Maſſen regulärer Infanterie — Oberſt
Lascy führte fie aus dem Grund an der Elbe den Abhang jchräg herauf —
angegriffen jahen. Deutlih erfannte man vom Homolfaberg den Vorſtoß ber
Defterreiher und konnte doch den bedrängten Kameraden nur Munition, aber
feine Ablöjung oder Verſtärkung ſchicken. Es begann, wie einer der Zeugen
erzählt, „ein Feuer von einer unglaubliden Lebhaftigfeit, das ohne alle Pauſe
fait eine Stunde fortdauerte“. Wurde die preußiihe Flügelſpitze eingeftoßen
und von dem Berge beruntergeworfen, dann ward, jo befürdhteten die Zujchauer,
aus „ver preußifchen Linie ganz wahricheinlih ein Knäuel, den feine Taktik
fähig war, wieder zu entwideln und vom Untergang zu retten”. Der König
jelbit ipradh nachher von „Umftänden, da einem der Kopf leicht umgehen kann“,
glaubte aber von fich jagen zu dürfen, daß er faltes Blut bewahrt und feinen
Schritt gethan habe, ohne alles zu bedenken. Aber wir hören, daß er eine
Zeit lang ernten Beforgnifien fih hingegeben, ja jogar (der Prinz von Preußen
hat es behauptet) von der Unvermeidlichkeit des Rückzugs geiprodhen und bereits
jeinen Standort auf dem Homolfa verlafien babe. Wie denn der Herzog von
Bevern nad Jahren von einem fchriftlihen Befehl erzählt hat, laut deſſen er
mit den Bataillonen vom linken Flügel „bei der vorjeienden Retraite” die
Arrieregarde zu machen hatte. Immer ift der Nüdzug, dejjen Dedung Bevern
zugefallen jein würde, nicht eingeleitet worden; der Offizier, der ben Befehl
überbringen jollte, langte nad Beverns eigener Angabe am Loboſchberg erit an,
als die Yage fih ſchon völlig verändert hatte und Bevern dort nicht mehr an:
zutreffen war.
Denn in ihrer Not war den waderen ®Berteidigern des Berges ein
rettender Gedanke gekommen. Als Kraut und Lot aufs lebte gingen und die
DBedränger auf 500 Schritt heran waren, ward das Gemehr gefällt: Beverns
eigenes Regiment und das Grenadierbataillon Billerbed gaben das Beijpiel.
Mit lautem Geichrei, in vollem Lauf und aus allen Kräften, ftürzten fie ſich
auf den Feind, „mit dem Bajonett ihm in die Rippen, mit dem Kolben hinter:
ber”. Der Prinz ftieg vom Rferde und ſchloß fih dem milden Laufen an. Un:
aufbaltiam ging es weiter, ohne viel Bedaht auf Neih und Glied, von Mauer
zu Mauer durch die Weinberge und dann in die Ebene, auf Lobofig zu: „Die
Fläche wurde blau,” erzählt einer der Offiziere vom jenfeitigen Flügel, „denn das
unüberwindliche Fußvolf erfüllte diefelbe gleich. einem reißenden Strom, der ſich
vom Gebirge herabftürzt.” Der Beiehl von heute morgen, die Linke zurüdzubalten,
hatte längft, da die Nechte nicht ins Gefecht gefommmen war, feine Bedeutung
Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 33
mehr; auch erhielt jeht der den Truppen und ihrem Prinzen durch die eigene
Tapferkeit eingegebene Entſchluß jofort eine vollitändige Gutheißung, da von
drüben Feldmarſchall Keith im Galopp berbeiflog, um die weitere Leitung des
Angriffes zu übernehmen. Der König blieb derweil darauf bedacht, die Rechte,
die Schon mit Elingendem Spiel fih in Bewegung ſetzte, auf ihrem Berge feſt—
zubalten: die beiden Flügel hatten die urjprünglih ihnen zugedadhten Rollen
völlig vertaufcht.
Um die Angriffstruppen gegen eine Umfaſſung zu fihern, wurde jett die
Linie jo weit nach links geichoben, daß fie die Elbe erreihte. Damit aber riß
die Verbindung nach redts ab, und die jehs Bataillone auf dem Homolka
ftanden für fih allein. Um die Züde in der Mitte zu ftopfen, mußten drei
Kürafiierregimenter in die Snfanterielinie einrüden: „ein neues und vielleicht
unerlaubtes Manöver”, wie Friedrih befennt. Neu geordnet fette dann der
linke Flügel feinen Angriff fort. Browne, dem zwei Pferde unter dem Leib
getötet wurden, vermochte den Kampf vor Lobofit nicht mehr zum Steben zu
bringen; Oberft Lascy, noch auf dem Lobojch verwundet, war unerjeglich, die
Infanteriegenerale thaten, wie Bromne bitter klagte, nichts als unbeweglich an
der Spite ihrer Truppen zu halten, um fich töten zu laflen. Nach einem
furzen, aber hartnädigen Gefecht zwifchen den Häufern des in Flammen auf:
gehenden Stäbtleins wurden die geſchlagenen Truppenteile hinter dem Modl—
bade von dem noch unverjehrten linken Flügel aufgenommen, den Browne nun
mit großem Gejhid eine trogige, achtunggebietende Bewegung ausführen ließ.
Den Geihüsdonner löfte ein ſtarkes Gemitter ab.
„So endete das Treffen, man möchte fagen, noch ehe es anfing,” urteilte
man jpäter auf preußiicher Seite. Die Hauptitellung der Defterreiher war un:
gebrochen, ja unberührt. Ob Bromne fie halten oder räumen würde, ob morgen
der Kampf von neuem begann — das wurde im Hauptquartier zu Kinig, wo
der König nad) der Schladt einen Imbiß nahm, lebhaft erörtert. Abends ward
Lärm gejchlagen, bei jtrömendem Negen ftanden die Truppen eine Stunde lang
unterm Gewehr. Grit während der Nacht fam die Meldung, daß der Feind
abziehe. Browne hatte feine Veranlaffung, es auf den unficheren Ausgang einer
neuen Schlaht anfommen zu laſſen, da er für die Ausführung feines Planes
auch jo Rat wußte.
Die Preußen beglückwünſchten fih, eine große Gefahr überjtanden zu
haben. Eine Kraftleiftung, gewaltiger als Soor, dünfte dem König der Sieg
von Loboſitz, und er bezeugte den Truppen: „Seit ih die Ehre habe, fie zu
befehligen, habe ich nie aleihe Wunder der Tapferkeit geihaut.” Die Gegner
ſchienen ihm viel überlegter und anſchlägiger als vordem: nicht mehr die alten
Oefterreiher. So nachdrücklich hatten fich diefe neuen Defterreiher gewehrt, daß
man die aufgebaufchten Stärkeangaben der Ueberläufer qut und gern glaubte:
in die für die Deffentlichkeit beftimmten Berichte durften auf des Königs Be:
fehl die Zahlen nicht aufgenommen werden, wohl weil Friedrich feine numerische
Schwäche der Welt nicht offenbaren wollte; in vertraulichen Briefen aber be:
zifferte er den Feind auf 60000 Mann. Umgekehrt wollte Browne 40000
Preußen beitanden haben. Thatjählich hatten die beiden Heere fich in ungefähr
Roier, Aönig Fricdrich der Große. II. >. Auf 3
54 Sechſtes Bud. Erfter Abſchnilt.
gleicher Stärke gegenüber geitanden: etwas über 28000 Preußen 51000 Defter:
reihern. Auch die Verlufte jcheinen etwa gleich groß gemweien zu jein: hüben
wie drüben nit ganz 2900 an Toten, Verwundeten und Vermißten.
„Eine Schlacht, die uns feinen reellen Nuten, wohl aber einen großen
Verluft an braven Leuten gebradt hat” — jo bie es ſchon nad wenigen
Tagen im. preußifhen Yager. Der König, der etwas ſpäter nicht viel anders
geurteilt hat, erhoffte zunächſt nod von feinem Siege eine unmittelbare Rück—
wirfung auf die militärische Yage vor Pirna: „Nun muß der Mat fapitulieren,
ih denfe, daß ich die Sachſen in Lobofig werde gekriegt haben.“ Er glaubte,
die Defterreiher ganz in die Defenfive zurüdgemworfen zu haben. Aber jelbit
unter der irrigen Vorausſetzung, daß fie nur auf die Dedung der Egerlinie
bedacht jeien, jchien ihm die eigene Yage mit 24 Bataillonen, von denen 14
gelitten hatten, jo unſicher, daß er das Heer in Böhmen nicht zu verlafjen
wagte. Und am 8. Dftober bielt er es für erforderlih, bei dem in Sachſen
zurücdgebliebenen Corps eine Anleihe von vier Bataillonen zu machen. Aber
als dieje „KRollefte” jchon unterwegs war, fam Gegenbefehl. Die Sachſen hatten
in der Nacht auf den 9. über die Elbe zu geben verſucht: die Sache fam „ins
Kochen”. Noch glaubte Friedrich durch jeine Plänfeleien Bromne zu beichäftigen
und feitzubalten, bis er dann am 12. zu feinem Schreden erfuhr, daß ein
öfterreichiiches Corps rechts der Elbe auf vollem Marie jei. „Ich kann nicht
begreifen, wo die Leute herfommen,” ſchrieb er nah Sedlig an Winterfeldt,
„ib geitehbe, dab mir das Herze recht benauet iſt“ Mit 15 Dragonerichwas
dronen ſaß er zum Gemwaltritt auf, um zur Entjcheidung noch zurecht zu fommen:
„Ich wollte um viel, wir wären um vier Tage älter.“
Der taktiſche Mißerfolg von Loboſitz hatte die Kaiſerlichen itrategiich nicht
in Nachteil geſetzt. „Solhem nach bleibt es bei der auf den 11. diejes fon-
zertierten Unternehmung,” jchrieb Browne am zweiten Tage nad der Schlacht
dem Grafen Brühl. Am 11. zur vorherbeitimmten Stunde hatte der öfter:
reichiiche General mit 8000 Mann Lichtenhayn, eine Heine Meile oberhalb
Schandau, erreiht. Aber die Sachſen hatten in der Nacht auf den 10. ihren
Brüdenichlag am Lilienjtein nicht ausführen können, da die zum Auffahren der
Pontons gemieteten Ruderknechte vor dem Feuer einer preußiichen Batterie ins
Waſſer geflüchtet und davongefhwommen waren. Erit am 11. begann die Ver:
anferung der nun zu Lande herbeigeſchafften Schiffsgefäße, in der Naht zum
13. wurde die Brüde überichritten, nicht vor Nachmittag erreichte die Maſſe
des Fußvolfs die enge Bergplatte der Lilienfteiner Ebenheit, unter ſtrömendem
Regen, ohne Gepäd, ohne Gejhüge, weil die ausgehungerten Pferde fie auf den
grundlofen Wegen nicht vorwärts braten, mit durchnäßten Patronen; als Nah:
rung mußten Krautftrünfe und Kürbisranfen dienen oder gefochter Puder mit
Schiekpulver gewürzt.
Wohl hatte man fich den Verbündeten auf vier Megftunden genähert, aber
ehe man ihnen die Hand reihen fonnte, mußten beide Teile einen Gegner über
den Haufen werfen. Sowohl bei Porſchdorf und am Lilienftein wie bei Nat:
mannsdorf und Schandau wurden die preußiichen Verhaue und Redouten fait von
Stunde zu Stunde ftärfer belegt. Bromwne hatte am 11. nur 5 Bataillone und
Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 35
4 Schwadronen, 4000 Mann, fi gegenüber, aber er wollte nicht anders als
zugleih mit den Sachſen angreifen: am 13. boten bereits 10 Bataillone und
7 Schwadronen ihm die Stirn, den Sadjen am 13. früh 5 Bataillone, abends
8 Bataillone und 2 Schwadronen. In das verlalfene Lager waren die Preußen
alsbald nahgedrängt und feuerten von dort auf die Nachhut, und wenn fie jegt
noch) ihre auf dem linfen Elbufer aufgefahrene Batterie jpielen ließen, waren die
auf der Ebenheit zujammengepreßten Flüchtlinge geradezu der Vernichtung preis-
gegeben. Bromne erklärte am 13. abends, bei dem ftetigen Anwachſen der
feindlihen Macht nur noch bis zum nächſten Morgen verweilen zu können.
Zweimal, am 13. abends und am 14. früh, traten die ſächſiſchen Generale zum
Kriegsrat zufammen; alle waren darin einig, daß jeder Kampf nutzlos, ber
Durchbruch unmöglich jei. Aber der König, der auf dem Königftein zurüdgeblieben
war, forderte den Angriff, von Brühl beraten. Die Generale bewiejen ihm,
daß nur eine Kapitulation ihn felbjt vor dem Schickſal der Kriegsgefangenschaft
retten werde, denn der Königftein könne einer Belagerung nicht troßen. So
erklärte er endlih am Nachmittag des 14., das Schidjal des Heeres dem Kriege:
rat überlaſſen zu wollen.
Unten in Struppen, wo fo lange das jählishe Hauptauartier geweſen
war, traf eben in diefem Augenblid der König von Preußen ein. „Alles war
zu Ende,” jchrieb er an Keith, „ich habe nur noch die legten Seufzer der ſächſiſchen
Artillerie gehört.” Die Kapitulation, die dem unglüdlichen Heere am 15. Oktober
gewährt wurde, bedeutete im Grunde eine Uebergabe auf Gnade und Ungnade:
durch Nandbemerfungen des Königs von Preußen zu den von Rutowski und
Winterfeldt entworfenen Artifeln wurden die Geſchicke der Sachſen entſchieden,
und die Bedingung, daß die Unteroffiziere und Gemeinen nicht genötigt werden
jollten, preußiſche Kriegsdienite zu nehmen, wies Friedrich ausdrücklich und ſchroff
zurüd: „Darein hat niemand fich zu mifchen, man wird feinen General zwingen,
wider feinen Willen zu dienen, das genügt.”
Damit waren die Leiber in jeine Gewalt gegeben, die Seelen jollte ihr
Eid ihm überantworten. Dem aus den Tagen bes Landsknechtstums über:
nommenen Brauh, Kriegsgefangene für das Heer des Siegers anzumerben,
einem Brauch, dem Friedrich in Heinerem Mafftabe ſchon wiederholt gefolgt
war, jollte jest ein ganzes Heer ſich unterwerfen, ein faft ausjchließlih aus
ſächſiſchen Landeskindern zufammengejegtes Heer, das bis auf diefe Stunde dem
angeftammten Kriegsherrn bingebende Treue bewahrt und während der langen
Pirnaer Leidenszeit nicht mehr als hundert Mann durch Dejertion verloren hatte.
Es war der duntelfte Fled an dem preußiihen Heerweien, wie Friedrich Wil:
beim I. e& ausgebildet hatte, daß der erzwungene Eid gleihjam zu einer feſt—
ftehenden Einrichtung geworden war. Bei diefem Anlaß fand das im Einzel:
falle unzähligemal befolgte Syftem eine verhängnisvole Maflenanwendung.
König Friedrich hat fi fpäter, mach feinen doch unvermeidlichen ſchlechten Er:
fahrungen mit diejen Sachſen, nur den einen Vorwurf gemadt, daß er die Ge:
fangenen, ftatt fie unter feine alten Truppen zu verteilen (das geichah nur mit
den ſächſiſchen Neitern), in ihren alten NRegimentsverbänden, wenn auch unter
preußijhen Offizieren, bei einander gelaflen habe. Dem Prinzen Morig von
36 Sechſtes Bud. Erfter Abſchnitt.
Deſſau ift nachgeſagt worden, er habe dem Könige eingerebet, daß die proteitan:
tiihen Sadjen ihm, dem glaubensverwandten Fürften, lieber dienen würden,
als ihrem katholiſchen Landesherrn: jo ſei gegen Winterfeldts ausdrüdlichen
Rat von der Auflöfung der Regimenter abgejehen worden.
Im Lager von Loboſitz, am 7. Dftober, äußert Friedrich die Befürchtung,
wenn es in Pirna noch acht Tage andauere, werde es ihm unmöglich fein, über
Winter in Böhmen zu bleiben: „Die Sachſen verderben mir die ganze Cam:
pagne.“ Am 14., bei der Ankunft in Struppen, in der erften Freude über die
Vereitelung des jählifhen Durchbruches, hatte er noch einmal alle Hoffnung,
fih „mit großer Weberlegenheit” in Böhmen behaupten zu können. Aber be:
reits am 16. fündete er Schwerin an, daß mit der Kapitulation der Sadjen
der Feldzug zu Ende fein follte: feiner von ihnen beiden vermöge fi in Böhmen
zu halten, man babe nicht fichere und jolide Anftalten treffen fünnen, da man
zu ſpät eingerüdt jei.
Warnery bat in feiner Kritif der Feldzüge diefes Krieges die Räumung
Böhmens gemißbilligt und will fie dem Könige widerraten haben; er meint,
daß auf dem rechten Elbufer das Heer noch ausreichenden Unterhalt gefunden
haben würde, durch die er in der Front gededt, die Nehte an Melnif an:
gelehnt, die Linke in Kühlung mit dem Schwerinichen Corps, das im König:
grätzer Kreije hätte bleiben müſſen; von diefer Stellung aus würde man auch
jenfeits der Elbe den Abjchnitt zwifchen der Eger und der Grenze leicht gededt
haben. Nun hat Friedrich der Dedung durd einen Fluß, nad der Erfahrung
von Selmig im Jahre 1744,) ftets einen fehr geringen Wert beigemefjen: fo
oft man fih hinter einen Fluß ftelle, um ihn zu verteidigen, werde man ber
betrogene Teil jein. Crinnern wir uns ferner, daß die böhmiſchen Winter:
quartiere des Feldzugsplanes für 1756 mit der Theorie der „Beneralprinzipien
vom Kriege“ von 1748 ohnehin nicht übereinftimmten. Der königliche Feldherr
ift zu diejer feiner alten Theorie durhaus zurüdgefehrt in einer nach jeinem
legten Kriege entitandenen Denkichrift, wo er in eingehender Darlegung es als
faft unmöglich bezeichnet, Böhmen über Winter zu behaupten ohne den Beſitz
von Prag oder ohne eine ganz enticheidende Schlaht, durch die dem Gegner
aller Mut genommen ſei, fih wieder jehen zu laffen. So meinte er aud) jegt,
um ruhige Winterquartiere in Böhmen zu haben, müſſe man zuerft das Heer
des Marichall Browne noch einmal geihlagen haben, „was Norbereitungen er:
fordert, die uns bis zum 20. November in die ſchon zu rauhe und für die
Truppen ungejunde Jahreszeit hinziehen würden“.
Immerhin, ein von vornherein in beicheidenen Grenzen gehaltener Feld—
zugsplan hatte ſich noch eine ftarfe Einichränfung gefallen laſſen müjlen, und
zwar, wie Friedrich eingeftand, dur dieſen unerwartet zähen Widerftand ber
Sadjen. Am Schluſſe eines in der jtrategiihen Offenfive begonnenen Feld—
zuges, nad einem unfruchtbaren Siege und nad) der vollitändigen Näumung des
faum bejegten öjterreichifchen Gebietes, waren jett für die Monate der Winter:
) 8b. 1, 236.
Verlauf und Wirfungen des Feldzugs von 1756. 37
ruhe Schwerin und anfänglid auch der König nicht ohne Sorge um die Sicher:
heit der eigenen Grenzen.
Schwerin war jeinem nah dem nördlichen Böhmen abgezogenen Gegner
Piccolomini über Nahod bis nad Königgräg nachgedrängt; nicht ganz im Sinne
des Königs, der vielmehr einen Vormarſch über Lande, oder jpäter eine Ab:
ſchwenkung nach Hohenmauth gewünscht hätte, um den Feind nah Olmütz ab:
zuziehen. In den lebten Tagen des Oftober rüdten die beiden nad) Böhmen
vorgeihobenen Gorps wieder in die Grafihaft Glag und nad Sadjen ein;
Mitte November, jhon war fußhoher Schnee gefallen, wurden die Winter:
quartiere bezogen, eine lange Kette von Oberichlefien bis nad Plauen im Voigt:
lande. Am 14. ritt der König an der Spite jeines erſten Bataillons Garde in
Dresden ein.
Der Feldzug war beendet. Hat der preußiiche Aufmarich die friegsluftigen
Gegner zu Umkehr und glimpflihem Vergleich bringen follen, jo war der Zwed
verfehlt. Vielleicht, daß eine große, ganze Niederlage des öfterreichifchen Heeres
der Kaiſerin-Königin und den ihr befreundeten Höfen den Sinn gewandt haben
würde: jo aber wurde der preußiihe Rückzug aus Böhmen als Eingeftändnis
der militäriihen Schwäche ausgelegt, als beihämender Mißerfolg bingeitellt,
wohl gar als die Wirfung des Tages von Loboſitz, des unechten preußiichen
Sieges. Wie nah dem Feldzuge von 1744 verbreitete das Gerüht Schredens:
dinge über die Werlufte des preußifchen Heeres. Friedrich jpottete über Die
Zeitungen, nad) denen die Preußen bereits vertilgt jein müßten. „Ihr werdet
diefen Winter hören, daß ich verloren bin,” jchrieb er nah Baireuth; „man
wird den Preußen die Leihenrede halten und die Grabſchrift jegen, aber im
Frühjahr werden jie auferitehen.“ Aber er konnte fih nicht darüber täufchen,
daß man jeine Macht als nicht jo gar fürdterlid anzujehen begann.
Beim Ausrücken in das Feld hatte er jeinen Miniftern drei politiihe Auf:
gaben vornehmlich an das Herz gelegt: in Polen die Parteien zu beobachten und
auf dem Reichstag dieſes Herbftes Beichlüffe zu Gunften des ſächſiſchen Königs zu
bintertreiben; bei der Republif der vereinigten Niederlande auf den Beitritt zu
dem preußiſch-engliſchen Bündnis binzumirfen, wie ihn das gemeinjame pro—
teftantifche Interejle gegenüber dem Bunde der beiden katholiſchen Vormächte,
Deiterreichs und Frankreichs, erheiihe, in Verjailles endlich den Boden gegen ben
öfterreihifchen und ſächſiſchen Einfluß zu verteidigen, um Frankreich von der
Unterftügung der Gegner Preußens troß allem noch zurüdzuhalten.
Sehr bald ergab fih, daß von der lärmenden VBerfammlung zu Grodno
etwas Ernftliches nicht zu befürdhten war, ohne daß der preußiihe Gejandte zu
dem äußeriten Mittel, der Sprengung des Reichstags, zu greifen brauchte. Aber
ebenjo unfruchtbar im Haag die Beratungen der Generalftaaten. Nicht einmal
zu der eine Zeit lang geplanten Vermehrung des Heeres fam es, die Friedrich
bier ebenio befürwortete, wie er fie in Grodno befämpfte. Er jchalt auf diefe
entarteten und ihrer großen Vergangenheit vergeifenden Holländer, die durch nichts
ihrem Phlegma zu entreißen feien; aber er ſchalt auch auf die Engländer, die
38 Sechſtes Bud. Erfter Abichnitt.
nad feinem Plan die dritten im Bunde fein folten, und nun die allgemeine
Entrüftung gegen ſich berausforderten, indem fie durch ihre Kaper die neutrale
bolländifhe Flagge allen Schädigungen und Drangjalen ausjegten. Als die
Schlacht bei Loboſitz geſchlagen war, bat Friedrich einen Verſuch gemacht, Die
Nepublit als Friedensvermittlerin zu gewinnen; er beauftragte zu diefem Behuf
jeinen Gefandten am 6. Dftober mit der Erklärung, daß er Feine Landabtre—
tungen begehre, weder von Defterreih nod von Sachſen, fondern nur Bürg—
Ichaften für einen dauerhaften Frieden.
Die gleihe Erklärung jandte er wenige Tage darauf nad) Paris. „Keinen
Zol breit fächfifchen Landes,” läht er den Franzoſen beteuern. Noch ermaß er
nicht, wie ftark das franzöfifche Intereſſe durch das belgiihe Taufhaeihäft an
dem öfterreihiihen Plan zur Wiedereroberung Schlefiens beteiligt war, wie weit
ſich Franfreich auf die Verſchwörung gegen ihn bereits eingelajien hatte. Wenn
er auch in feinen für die Engländer beitimmten Denfichriften immer ſchon von
dem Triumpirat ſpricht, das die Freiheit Europas bedrohe, jo glaubte er ſich
jelbft und Preußen einitweilen nur durch den Zwiebund der Kaiferhöfe ge:
fährdet. Aber was er über die feindfeligen Abfichten diefer beiden in Erfahrung
gebracht hatte, war ihm bereits bi zu dem Grade gefährlid erſchienen, daß er
unverzüglich zur Notwehr geichritten war und feine militäriihe Stellung um
das ftarfe Bollwerf, das ibm Sadien bot, veritärft hatte — auf die Gefahr
bin, dadurch das anfcheinend noch neutrale Frankreich in das gegneriihe Lager
zu drängen, aber doch mehr in der Hoffnung, daß die Franzoſen nad) der eriten
Erregung, deren auffliegende Hitze er hinreichend kannte, fich eines Beſſeren
beiinnen und abjeits bleiben würden. Biel ſchien gewonnen, wenn fie Dielen
Herbit nicht mehr marſchierten; dann ließ ſich, meinte Friedrich, über Winter
viel Gutes erreihen und vielleicht ein allgemeiner Friedensſchluß anbabnen.
Perfönlihe Erfahrung lehrte ihn, daß fie nicht geneigt waren, fich für einen
Verbündeten gerade zu überanftrengen. Vielleiht, daß ihnen eine Ausrede den
neuen freunden gegenüber ganz willlommen war: daß der Fall des Vertrages
vom 1. Mai, die Verpflichtung, dem Wiener Hofe 24000 Mann zu ftellen,
nicht vorliege, weil Preußen nicht in Wahrheit der Angreifer jei; auf diejen
Sag liefen Friedrihs immer von neuem wiederholte Vorftellungen jämtlich bin:
aus. Für fein Verhalten gegen Sachſen fonnte er ſich zudem auf das eigene
Beijpiel Frankreichs berufen. Hatte fih nicht Yudwig XIV. im ſpaniſchen Erb:
folgefriege den Zugang zu den habsburgifchen Erblanden durch die Ueberrum—
pelung Piemonts geöffnet, und das zu einer Zeit, da der Herzog von Savoyen
der Schwiegervater des Dauphins war? Und jest follte es dem König von
Preußen verboten fein, des Dauphins Schwiegervater zu entwaflnen? Große
Herren hätten feine Verwandte, ließ er den franzöfiihen Miniftern jagen, und
wenn man jeinen Feinden zuvorfommen müfle, fönne die Genealogie nicht fon:
jultiert werden.
Aber ſchon die Haltung des Marquis Valory in Berlin war bezeichnend
für den völligen Sinneswandel der Franzoſen. Der dide, choleriſche Herr war
in den elf Jahren feiner eriten Gejandtichaft eine der populärften Figuren am
preußiichen Hofe geworden. jedermann nahm das Wiedererjcheinen des „lieben
Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1750. 39
Papa” in dem Eritifchen Frühjahr von 1756 zum guten Zeichen; der König
batte ihn als alten Freund mit einer Umarmung begrüßt; er batte die Gut:
möütigfeit und Anhänglichleit des Mannes jederzeit überihäßt. Valory erfannte
jehr bald, daß er, der Favoritminifter von ehedem, unter den veränderten Um—
ftänden ganz und gar nicht an feinem Plage jei. Er Elagte über die unbehagliche
ftumme Rolle, die er jetzt jpielen müfje; er war billig genug, die Weftminifter:
fonvention nad) ihren wahren Bemweggründen zu würdigen, den Krieg aber be-
trachtete er als eine Uebereilung und glaubte feit, daß die Hinterlift oder wohl
gar das Gold der Engländer den König verleitet habe. Im übrigen hütete
er fih wohl, in feinen Berichten nah Verjailles zum guten zu reden, vielmehr
beurteilte er die Haltung Preußens, vor allem auch die Vorgänge in Sadjen,
auf das fchärfite. Er wußte, wie daheim der Wind wehte; war doch auch fein
Gönner und politiiches Orakel Belle-Isle, ehedem unter feinen Landsleuten der
gewichtigite Anwalt der preußiihen Sache, vorbehaltlos zur öjterreihifchen Partei
übergegangen.
Allerdings ift nun in Frankreich das öfterreihiihe Bündnis, ein Menjchen:
alter jpäter dem Hofe geradezu al& Verbrechen angerechnet, ſchon im Augen:
bli jeiner Entitehung nicht ohne lebhaften Widerjpruh geblieben. Das Wert
der Marquiſe von Pompadour und des unter ihrem Schuge aufitrebenden Abbe
Bernis galt den Diplomaten der hiftoriihen Schule als Abfall von den be-
währten Ueberlieferungen der ruhmvolliten Epoche franzöfiicher Geſchichte. Noch
immer jei ranfreih im Bunde mit dem Haufe Defterreih zu Schaden ges
fommen: jo unter der Mebiceerin, ehe Heinrich IV. den alten Kampf wieder
aufnahm; jo nach Heinrihs Tode, bis es Nichelieu gelungen fei, das von den
Habeburgern gewonnene Uebergewicht mit den äußerſten Anftrengungen, mit
Kriegen, Siegen und ntriguen, mit viel Geld und viel Glück zu zeritören.
est laſſe man mit geſchloſſenen Augen Defterreih in Italien und in Deutſch—
land um fich greifen, gebe die deutſchen Proteftanten und die deutſche Libertät
preis, verzichte auf die Verbindung mit Baiern, Württemberg und Sadjen,
um fie und andere an Defterreih auäzuliefern und Defterreih unterzuordnen,
treibe Preußen in die Arme Enalands und überlaffe dem Einfluß Rußlands
die alten Berbündeten im Norden und Dften, Dänemarf, Schweden, Polen und
die Türkei. So klagte d'Argenſon, der ehemalige Minifter des Auswärtigen,
und fein derzeitiger Nachfolger Nouille lehnte die Glückwünſche zu dem Vertrag
von Verjailles mit der völlig zutreffenden Begründung ab, daß der Vertrag das
Werk des Königs fei. Ein loyaler Hofmann, wie der Herzog von Luynes, ge:
wahrte mit Befremden, dab es dem König von Preußen für feinen Angriffs:
frieg an Verteidigern in Frankreich nicht fehlte; nicht bloß feine Abfage an
die Kaijerin-Königin, auch fein Verhalten gegen Sachſen wurde entjchuldigt.
Seine Enthüllungen über die Umtriebe des Grafen Brühl blieben nicht ohne
Beadtung, und der Eindrud, den die Thränen der Dauphine gemacht hatten,
ging dur die unglüdlihe Haltung ihres königlichen Vaters verloren: Gegner
und Freunde Preußens, alle am Hofe, der König nicht ausgenommen, fanden
ih zufammen in der Entrüftung über die unfönigliche Mattberzigfeit, in der
König August, Statt in der Stunde der Gefahr bei jeinen Truppen zu bleiben
40 Sechſtes Bud. Erſter Nbichnitt,
und mit ihnen den von ihm felbit anbefohlenen Durhbrud das Schwert in der
Hand zu erzwingen, fih auf dem Königftein geborgen hatte. Es ift bezeichnend,
daß nicht die Vergewaltigung Sachſens, jondern eine Bejchwerde des Grafen
Broglie, der in feiner Eigenihaft als Gejandter den Einlaß in das ſächſiſche
Lager hatte ertrogen wollen, den äußeren Anlaß gab, Valory aus Berlin ab:
zuberufen und dem preußiihen Gejandten Knyphauſen den Hof zu unterfagen.
Den äußeren Anlaß — es geihab nur, was Frau vom Pompadour im
Mai dem Grafen Starhemberg verheißen hatte, ') daß man bei jo ſchönem Be:
ginnen nicht auf halbem Wege ftehen bleiben werde. Nichts berechtigt zu der
Annahme, daß Frankreich ohne die Schilderhebung Preußens die weiter gehenden
Entwürfe Maria Therefias von fi gewiejen haben würde. Die entjcheidenden
Zugeitändniffe waren bereits vorher gemacht. Defterreich hatte zu viel zu bieten.
Nicht eine Weiberlaune, jondern die Abwägung großer politiicher Intereſſen gab
den Ausſchlag. Gewiß bat die Marquiſe von PBompadour an der Ummälzung
des europäiichen Allianziyitems hervorragenden Anteil gehabt, durch ihre takti—
ſchen Ratſchläge an den öfterreihiihen Botichafter, durch Bekämpfung entgegen:
wirfender Einflüffe, durch ihre perfönlihe Stellung zu Ludwig XV. Sie war,
durch jüngere Schönheiten abgelöft, dem Könige nicht mehr das, was fie ihm früher
gewejen, aber fie war, wie Starhemberg es bezeichnete, „die Freundin, die Be:
raterin, oder richtiger gejagt der Premierminifter des Königs”; dD’Argenjon nannte
fie des Königs Tröfterin. Der fannte aus jeiner amtlichen Erfahrung diejen
Fürften, welcher feine Sentiments, fondern nur Senjationen habe, und wollte
das Geheimnis und die Stärfe der allmäcdhtigen Frauenherrichaft darin jehen, daß
die Marquife die Gejchäfte mit einer Zartheit, einer Ruhe, einem Reiz zu be:
handeln wifle, die der König an einem Manne, und wäre er jein vertrautefter
Freund, vergeblid juchen würde. Sie bejaß die Kunft, fi den Stimmungen
anzufchmiegen, unausgejprohene Abſichten zu erraten, für die noch ungeflärten
Anihauungen die Formel vorwegzufinden. So hatte jie mit richtigem Inſtinkt
erfannt, wie tief im Innern der König dem bisherigen volitiihen Syitem ent:
fremdet war. „Der König feufzte feit lange,” heißt es in der von Ludwig
unterzeichneten Inſtruktion vom 19. Oktober 1756 für den nad Wien beftimmten
militärifhen Bevollmächtigten, „daß die Vorurteile der Politik fi der Aufrich—
tung eines Syftems entgegenftellten, das jeinem Herzen genugthat, und das ihm
geeigneter erjchien als irgend ein anderes, die wahre Religion und den allge:
meinen Frieden aufrecht zu erhalten.“ Der König von Preußen, feit lange ihm
ein Gegenitand der Abneigung und des Nergernifjes, hieß ihm jest eine Gottes:
geißel und der Nafendite der Rajenden.
Es wäre jchwer zu jagen, wer in diefem Falle mehr gewann, ob die
Marguife dur ihr Eintreten für das öfterreichiiche Syftem, ob das neue Syſtem
durch die Unterftügung der Marquije; die Sade, die fie ergriff, war ſtark fchon
an ih. Hatte das alte Syitem den nationalen Ruhm feiner großen Begründer
und die folgerichtige Gefchloffenheit für fich, jo fehlte es auch der neuen Politik
nicht an großem Wurf und einleuchtender Klarheit. „Der König bat das poli:
1) 3b. 1, 589.
Verlauf und Wirfungen des Feldzugs von 1756. 41
tiihe Syitem Europas umgewandelt, aber er hat nicht das Syitem Frankreichs
verändert,” lautete die offizielle Formel. Die am meilten durdichlagende Er—
wägung ift doch die gewejen: im Bunde mit Preußen hatte Frankreich für fich
nichts erreicht, nur für die Vergrößerung feines Verbündeten, eines unficheren
Verbündeten, gearbeitet; das Bündnis mit Oeſterreich verſprach einen großen
Gewinn. Einen Gewinn, den man in jo vielen Kriegen mit dem Haufe Habs:
burg vergeblich erftrebt hatte, und der jegt, von der Erbin der ſpaniſchen und
deutihen Habsburger freimillig angeboten, mit geringitem Einſatz, jo dachte
man, davonzutragen war: damit eröffnete fi) die weitere Ausſicht, mit der
Hauptmafje der franzöſiſchen Streitmacht auf den zweiten der hiſtoriſchen Gegner,
den vornehmiten Feind fallen zu können, auf England, das jet von Oeſterreich
und anjcheinend auch vom Kriegsglüd verlaſſene.
Vor einem Jahr, im erften Entwurf feines großen Planes, hatte Kaunitz
von den Franzoſen nichts weiter verlangt als Losjagung vom Bündniffe mit
Preußen, Zuftimmung zur Rückkehr Schlefiens in öjterreihiihen Beſitz, Geld:
jpenden für den Krieg der beiden Kaiferhöfe gegen Preußen: feine Waftenhülfe.
„Ohne Krieg“ jollte Franfreih einen jo bedeutenden Gewinn wie die Einräu—
mung des halben Belgiens an den Schwiegerjohn des allerhriftliciten Königs
davontragen. Als nah dem Abſchluß des preußiſch-engliſchen Neutralitätsver:
trages Frankreich diejen Plan quthieß, ftedte man Ende März 1756 in Wien,
durch das Ergebnis ermutigt, das Ziel bereits höher. Man nahm in Ausficht,
außer der Geldhülfe noch die Entjendung eines franzöſiſchen Beobadhtungsheeres
nah Weftfalen, zur Warnung der Hannoveraner und fonftiger proteftantijcher
Anhänger Preußens, zu fordern und dafür neben ber territorialen Ausitattung
für den Infanten Philipp noch die Verfchreibung von Luxemburg anzubieten.
Als zwei Monate fpäter nah dem Abichluß des Verteidigungsbündnifies von
Berfailles der franzöfifche Unterhändler von jelbit die Abtretung der gejamten
öfterreichifchen Niederlande anregte, durfte die Kaiſerin-Königin die eigenen An:
ſprüche abermals erhöhen. Kein Zweifel bleibe übrig, jo ward e8 am 19. Mai
im Kronrate ausgeiproden, daß der zweite Vertrag, das Offenlivbündnis mit
Frankreich, zu feiner Nichtigkeit fommen würde. Alfo forderte man: Zuftimmung
Frankreichs zu einer „weiteren Schwächung”, d. h. zu einer Zurüdführung Preußens
auf den Befigftand des beginnenden fiebzehnten Jahrhunderts; Zahlung von zwölf
oder im äußeriten alle von acht Millionen Gulden jährliher Subfidien,; Dedung
der Unterhaltsfoften für ein aus reichsfürftlihen Truppen, Sachſen, Württem:
bergern, Piälzern, zu bildendes Heer; unmittelbare Beteiligung eines franzöfi:
ihen Corps an dem Kampfe gegen Preußen oder wenigitens die Entjendung
jenes Beobadhtungsheeres nah Weitfalen.
Am 9. Juni find die entiprechenden Weifungen an den Botſchafter nad)
Paris abgegangen, als geichidter Unterhändler hielt Starhemberg mit dem
legten Worte feines Hofes lange zurüd, um das als unerläßlich Bezeichnete um
fo fiherer und vollftändiger zu erreihen. Am 20. Auguſt konnte er frohlodend
berichten, daß er endlich auf dem Punkte jei, wohin man diefen Hof jeit lange
habe bringen wollen. Frankreich willigte jet ftillihweigend in die meitere
Schwähung oder, wie man in Berfailles fagte, in die totale Deftruftion
42 Sechſtes Bud. Erfter Abſchnitt.
Preußens und verhieß die-Aufftelung des Beobadhtungsheeres, nicht acht, ſondern
die zwölf Millionen als feiten Jahresbeitrag, und weitere Subjidien für die
reichsfürftlichen Kontingente, und bei dem allem beitand Frankreich nicht einmal
auf der anfangs geforderten unmittelbaren Erwerbung der gelamten öjterreichi:
ſchen Niederlande, jondern wollte fi mit ihrer Ueberlafjung an den Infanten
begnügen. „In der That, viel vergnüglichere Nachrichten, als man vermutet
hatte!” befannte Kaunitz. Den endgültigen Abſchluß der Verhandlung jah er
als nahe bevorftebend an, da fein einziger Punkt mehr auf unausgleichbare
Meinungsverjchiedenheit zu ſtoßen ſchien.
Da bat nun gerade der Ausbruch des Krieges mit Preußen nach eine
unvorhergejebene Schwierigkeit geſchaffen. Wurde anerkannt, daß Oeſterreich
der angegriffene Teil war, jo war Frankreich durch den Vertrag vom
1. Mai zur Stellung von 24000 Mann, zu der unmittelbaren Beteiligung am
Kriege verbunden, die man in Verjailles, nicht zum wenigiten in Erinnerung
an die deutſchen Feldzüge des legten Krieges, eben vermeiden wollte. Ohne
Zweifel hatte die öterreihifche Diplomatie vorausgejehen, daß es jo fommen
würde, da fie ſich die Gejchidlichkeit zutraute, die Role des Angreifers unter
allen Umftänden Preußen zuzuichieben: hundert Gründe ftatt eines babe man
zum Bruch, hatte Starhemberg ſchon im Mai zu Bernis gejagt. Nachmals, als
der ungeahnte Ausgang diejes Krieges die ſchärfſte Kritik der von ihm ver:
tretenen Politik geliefert hatte, da hat Bernis gegen die Dejterreicher den Vor:
wurf erhoben, daß fie, um Frankreich in einen den franzöfiichen Intereſſen
fremden Kampf zu verwideln, dur ihre jchrofite Haltung Preußen zum Bruch
getrieben hätten. Yur Zeit war der langvermißte aroße Staatsmann, den
Kaunig in dem Abbe Bernis für Franfreih fommen ſah, weit davon entfernt,
fih zu jolder Auffafjung zu befennen. Und hatte man denn die Wahl? Man
mußte den Casus foederis als gegeben anerkennen, unter allen Umftänden, um
Belgiens willen. Starhemberg jab ganz klar, wenn er ſagte, die Befürchtung
der Franzoſen jei, daß die Kailerin Schlefien gewinnen fünne ohne Frankreichs
Unterftügung und ehe fie ihre Unterichrift für die Abtretung der Niederlande
gegeben habe. Die Franzojen, nicht die Defterreicher, waren es jeßt, die auf den
Abſchluß des neuen Vertrages bindrängten. Wenn nun aber Kaunig bejorgt
hatte, daß Frankreich mit Hinweis auf die ihm jett obliegende Truppenitellung
von all dem anderen, was im Auguſt bereits zugeſagt worden war, dieſes
oder jenes zurüdnehmen werde, jo war man umgefehrt in Verjailles viel mehr
geneigt, die Tonftigen Zeiftungen zu erhöhen, wofern nur die Auslieferung der
„24000 Geiſeln“ fih umgehen ließ.
Zunädhit ward unter dem Vorwand der vorgejchrittenen Jahreszeit der
Ihon angeordnete Ausmarſch aufgeihoben. Dann bot man jtatt der 24000, die
unterwegs jchon, auf dem Mariche bis Mähren, zur Hälfte draufgeben würden,
ein dreimal jo jtarfes Heer für eine Diverfion zwiichen Niederrhein und Elbe
an. Monatelang ward mit dem nah Wien gejandten Marſchall d’Ejtrees Hin
und ber verhandelt. Schon wollten die Franzoſen fich dazu verjtehen, die
24 000 Mann zwar nicht in Böhmen, aber in Thüringen bei Erfurt zu
einem öjterreihiichen Corps ftoßen zu laſſen; da befann man fi in Wien end—
Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1750. 43
li eines anderen, und fand es vorteilhafter, 100000 und mehr Franzoſen,
ein großes jelbftändiges Heer, über den Niederrhein fommen zu jehen, als
24000 mwiderwillige und vielleicht jehr anſpruchsvolle und unfüglame Gälte im
eigenen Lager aufzunehmen. Man ließ Sich den Vorfchlag gefallen, den d'Eſtrées
am 18. Februar übergab, daß 52000 Mann Ende April die Yaufgräben vor
Weſel eröffnen, weitere 53000 Mann Mitte Mai bei Düfleldorf fich verfammeln
würden. Der Vormarih an die Weſer follte von dem Ergebnis einer mit
Hannover eingeleiteten Neutralitätsverhandlung abhängig bleiben, und die Be:
lagerung von Magdeburg wurde von vornherein an die Bedingung geknüpft, daß
die Defterreicher zuvor Herren des ganzen Elbitromes jein und aus Prag Ge—
ihüß und Munition liefern müßten.
Daraus ergab ſich, was die öfterreihiichen Feldberren an ihrem Teile zu
tbun hatten. Sie hatten geſchwankt, ob fie in Sclefien oder in der Lauſitz
und Sachſen zum Hauptangriff jchreiten follten. Nunmehr, am 28. Februar,
zwei Tage vor des Grafen d'Eſtrées Abreife, traten Prinz Karl von Lothringen,
Kaunig, Neipperg und Browne in der Hofburg zu einer legten Beratung mit
ihm zufammen und eröffneten ihm, daß die Entjcheidung der Kaiferin für den
Einmarih nah Sachſen gefallen ſei, nicht zulegt um den Franzoſen die Unter:
nehmung gegen Magdeburg zu erleichtern. Von der Verlegung des Kriegsichau:
plaßes in das Herz der preußiihen Monardie verfprah jih Maria Therefia
den ficherften und jchnelliten Erfolg: es ſei „menichlicherweife nicht wohl anders
zu urteilen, als daß der König von Preußen fih unmöglid auf allen Seiten
retten und der auf ihn andringenden überlegenen Macht langen MWideritand
leiften könne.“
Nach diefen Vorverhandlungen iſt dann am Jahrestage des eriten Ver:
trages, am 1. Mai 1757, das zweite Berjailler Bündnis unterzeichnet_mworden,
vorteilhafter für Deiterreih nah Starhembergs Urteil, als man ſich jemals
hatte verſprechen können.
Ludwig XV. verpflichtete ſich, ſtatt der 24000 Franzoſen 6000 Württemberger
und 4000 Baiern auf ſeine Koſten zum Heere der Kaiſerin-Königin zu ſtellen,
außerdem aber mit 105000 Mann franzöſiſcher oder in franzöſiſchen Sold ge:
nommener Truppen in den Krieg einzugreifen, jowie vom 1. März 1757 ab
jährlich zwölf Millionen Gulden Hülfsgelder nad Wien zu zahlen. Auf die vor
einem Fahr geforderte unmittelbare Erwerbung Belgiens war Franfreih auch
jegt nicht zurüdgelommen; man begnügte fih mit der Anwartſchaft auf die
Herrſchaften Chimay und Beaumont, auf die Städte Mons, Npern, Yurnes und
auf die beiden einzigen Seehäfen an der belgiſchen Küfte, Nieupoort und Oftende,
mit der Maßgabe, dab das Belisreht in dem Augenblid an die Krone Frank:
reih übergehen jollte, in welchem alle Beitimmungen des Vertrages völlig
ausgeführt und durch den riedensichluß mit Preußen gefichert fein würden. Eben
dann jollte dem Schwiegerfohn des franzöfiihen Königs der Neft der öfter:
reichijchen Niederlande jamt dem zu jchleifenden Luremburg, des Infanten
italieniſche Herrihaft aber, Parma, Piacenza und Gualtalla, dem Erzhaufe ein-
geräumt werben. Noch jagten ſich beide Mächte gegenjeitig ibre guten Dienfte
zu, um die Verwandlung Modenas in eine öfterreichiiche Tertiogenitur und ben
44 Sechſtes Bud. Erſter Abſchnitt.
Uebergang von Minorca in franzöſiſchen Beſitz zu bewirken. In Deutſchland
wurde der Kaiſerin-Königin außer Schleſien und Glatz das Fürſtentum Kroſſen
mit einer paſſenden Abrundung zugeſichert — gemeint war ein Teil der Lauſitz,
wofern der Kurfürſt von Sachſen im Austauſch dafür das Fürſtentum Halber—
ſtadt zu dem für ihn beſtimmten Herzogtum Magdeburg hinzunehmen wollte.
Außer Schleſien und Kroſſen, Magdeburg und Halberſtadt ſollte der König von
Preußen, zu Gunſten der Krone Schweden und des wittelsbachiſchen Hauſes,
ſowie gegebenen Falls der vereinigten Niederlande, noch die Erwerbungen aus den
Friedensſchlüſſen von 1713 und 1720, ſeinen Anteil an Vorpommern und das
Oberquartier von Geldern, ſamt allem, was er aus der Erbſchaft der alten
Herzoge von Kleve bejaß, verlieren, und zwar jollte eine Yandabtretung diejes
Umfanges zum „allermindeiten” ihm abgerungen werden. Nicht eher wollten
die beiden Mächte die Warten niederlegen, nicht eher Frankreich feine Subfidien-
zahlungen einitellen.
Eine weitere Abficht verheimlichte der Wiener Hof jeinem neuen Verbün—
deten. Auch das Land, auf welches das preußiihe Königtum gegründet war,
und damit die Königswürde felbit, jollte dem verhaßten Gegner genommen und
Dftpreußen in die Hände der Polen überantwortet werden, die dafür Kurland
und Semgallen an die Ruffen abtreten würden. Daran fnüpfte fih für Maria
Therefia anfänglich noch der Wunſch, ihren zweiten Sohn, den Erzherzog Karl,
als polnijhen Lehensmann zum Herzog von Preußen eingejegt zu ſehen. Aber
ihrem Botichafter Eiterhazy eridien die Sade allzu „häklig“, als daß er auch
nur von fern und wie von fih aus fie zu berühren gewagt hätte, zumal da
die Staatsmänner der Zarin nad der ihnen geläufigen Taktik vorläufig große
Selbitbeicheidung zur Schau trugen und den Botichafter den Eindrud gewinnen
ließen, als jei Rußland auf eine Vergrößerung „nicht eben verſeſſen“. Eiterhazy
befam jogar zu hören, „daß man den Bären erit haben müffe, um die Haut
teilen zu können“. Auch Subfidien begehrte man nicht: jo groß fei hier der
Kriegseifer, daß von einer Geldforderung bisher noch gar nicht die Nede geweſen
jei, berichtete Eiterhagy Ende September. Niht um Geld, fondern um bie
Niederwerfung des Königs von Preußen jei es ihrer Gebieterin zu thun, eröffneten
ihm der Großfanzler und der BVizefanzler in einer vertraulichen Beſprechung.
Von neuem!) ward dem Bedauern Ausdrud gegeben, daß man ſich von dem
König, ftatt ihn nach dem urfprünglihen Plan ſchon in diefem Sommer anzu:
greifen, habe zuvorfommen lafjen. So it denn aud Kaunig im Ernſt nie wegen
der Haltung der Ruſſen bejorgt geweſen, aud; während der Sommermonate
niht, ob er gleich den Franzoſen gegenüber, um fie zu deito jchnellerem Ent:
ichluffe zu bringen, warnend Rußlands Uebergang in das englifche Lager als
möglich hingeitellt bat.
Zwar Beſtuſhew, ehedem Dejterreihs rührigfter Freund, jest für Eiterhazy
der „Erzböfewicht”, fuhr in aller Vorfiht fort, der Kriegspartei entgegenzu:
arbeiten. Er hatte im Juni den Antrag des Wiener Hofes auf VBertagung bes
großen Unternehmens geſchickt benugt, um feiner Herrin Zweifel an dem Ernit
') Bgl. Bo. I, 592.
Verlauf und Wirkungen bes Feldzugs von 1756. 45
der öfterreichiichen Kriegsabjichten beizubringen; er mußte fidh erfenntlich zeigen
für das Gold Englands und hätte gern auch bei Preußen ſich Elingenden Lohn
verdient: als ihm Hanbury Williams über die ihm von König Friedrich zus
gedachte Erfenntlihfeit — 100000 Thaler waren ausgejebt — einen hinreichend
deutlihen Wink gab, reichte Beftufhem dem Engländer die Hand und erklärte,
von nun an des Königs Freund fein und das Vergangene vergefien zu wollen.
Aber er war aufrihtig genug, hinzuzufügen, er ſehe nicht, wie er dem König
zur Zeit nützen fünne, man müfje die Ereignifje und die erfte gute Gelegenheit
abwarten.
In der That waren ſowohl der gefinnungslofe Beitufhew, wie das Thron—
folgerpaar,, dejjen Vertrauensmann zu fein Williams fih rühmte, weit davon
entfernt, um Englands oder gar um Preußens willen irgend etwas auf das
Spiel zu fegen. Daß der Marſch der Truppen für diefen Herbit unterblieb,
war nit Beſtuſhews PVeranftaltung, fondern aud bier, wie in Frankreich,
die Wirkung militärifher Erwägungen. Fürs fünftige aber erzielte Eſterhazy
einen Erfolg, der alle Erwartungen feines Hofes noch übertraf. In dem Ber:
trage vom 2. Februar 1757 verpflichteten fich die beiden Kaiferinnen für bie
ganze Dauer des Krieges, je SO000 Mann requlärer Truppen, zum geringiten,
gegen den König von Preußen ins Feld zu ftellen; dazu wollte Rußland 15 bis
20 Schladhtichiffe und mindeltens 40 Galeeren ausjenden. Dem Heer wie der
Flotte wurde durch das Kriegskollegium die Weberwältigung von Oftpreußen,
die Einnahme der feften Pläge Memel, Pillau und vor allem Königsberg als
nächte und ausschließliche Aufgabe geftellt, während die Deiterreicher empfohlen
hatten, einen Teil des rujfiihen Heeres zu ihrer unmittelbaren Unterftügung
abzuzweigen. Die in dem Bertrag von 1746 durch den Wiener Hof über:
nommene Verpflichtung zur einmaligen und erjt nad) der Wiedererwerbung von
Schleſien und Glatz fäligen Zahlung von zwei Millionen Gulden wurde in eine
jährlihe Zahlung von einer Million Nubel, wieder für die ganze Dauer des
Krieges, verwandelt: drei Millionen zu bemilligen, war Eſterhazy ermächtigt
worden. Die von der Kaijerin-Königin bereits ausgeftellte Erklärung, die dem
ruffiihen Reich die Erwerbung von Kurland und Semgallen und der Republik
Polen die Entichädigung durch Dftpreußen verbürgte, wurde von ber Zarin im
legten Augenblit nicht eingefordert, und zwar um den dritten im Bunde, Frank:
rei, nicht mißtrauiſch zu machen.
Somit ſchöpfte jetzt auch Rußland mittelbar aus der goldenen Flut, die
fih von PVerjailles nach Wien ergoß; geradenwegs aus der Hand der Franzoſen
Geld zu nehmen, hätte dem ruſſiſchen Hochmut widerftrebt. Das Vertragsver:
hältnis, das die Zarin zu Frankreich einging, beſchränkte fih auf den Beitritt
zu dem eriten Verfailler Abkommen, dem Verteidigungsvertrag zwiſchen Frankreich)
und Deiterreih. Die Unterzeichnung erfolgte am 11. Januar 1757 mit der auf
die Beſchwichtigung der Pforte berechneten Klaufel, daß Rußland jo wenig gegen
England und die italieniihen Staaten, wie Frankreich gegen die Türkei und
Perfien zur Bundeshülfe verpflichtet jein follte.
Eigentümliche Folgen hatte diefe Annäherung zwiihen Rußland und Frank—
reich für die Parteien und die Politik Schwedens. Seit Menjchengedenfen hatten
46 Sechſtes Bud. Erſter Abſchnitt.
ſich in Stockholm der ruſſiſche und der franzöſiſche Einfluß gekreuzt; von den
beiden großen Adelsparteien empfingen die Mützen aus Rußland Loſung und
Löhnung, die Hüte aus Frankreich. Jetzt gewannen die Beſtrebungen beider
Teile eine gemeinſame Richtung in der Feindſeligkeit gegen Preußen. Die Führer
der Hüte hatten längſt aufgehört, dem Verbündeten vom 29, Mai 1747,') dem
in den Nöten des Jahres 1749 erprobten Freund, und der preußiihen Prinzeflin,
die ber ſchwediſchen Krone einen einheimiſchen Erben geichenft hatte, ihre Huldi-
gungen darzubringen. Der Ndelsherrichaft in tiefiter Seele aram, hatte fich die
ftolze, leidenſchaftliche Fürſtin nah der Thronbeiteigung ihres Gemahls mit
ben alten Anhängern jchnell völlig überworfen, und die der Mehrheit im Senat
und im Reichstag unbedingt jichere Freiheitspartei, denn jo nannten die Hüte
fih jegt, übertrug ihr Mißtrauen von der Schweiter auf den Bruder und
gab ihrem Uebelwollen gegen Preußen ſchon 1755 bei geringfügigem Anlaß
gereizten Ausdrud, als König Friedrich den nah Konftantinopel entjandten Kund—
ichafter, ohne vorherige Abrede mit dem Ministerium in Stodholm, unmittelbar
an den jchwediichen Geſandten empfohlen hatte.
Dabei war Friedrih an den ehrgeizigen Entwürfen Ulrifens durchaus
unbeteiligt; oft genug hat er fie davor gewarnt, ein gefährliches Spiel gegen
den übermächtigen Adel zu wagen. Die Entfremdung zwijhen Bruder und
Schweiter war darüber jo weit gediehen, das Ulrike insgeheim fih um bie
Unterftügung der abgefagten Feindin Preußens, der Zarin, bemühte, worauf
Friedrih, es war im Mai 1755, feinen Vertreter, dem er vorher völlige
Unparteilichfeit zur Pflicht gemadt hatte, den Befehl erteilte, in Zukunft bie
Freiheitspartei gegen den Hof zu unterjtügen. Aller Abmahnungen ungeachtet
entjchied fih Ulrike, durch die immer unerträglihere Anmaßung der Freiheits—
männer zum äußeriten getrieben, für einen Staatsjtreih. Aus den Reihen der
dem Hofe ergebenen Reihstagsminderheit waren nur einige wenige Heißiporne
in das Geheimnis eingeweiht. Zur Ausführung des Anfchlags aber fehlte in
der verhängnisvollen Naht vom 21. auf den 22. Juni 1756 der legte Entſchluß.
Der Mitwiſſerſchaft überführt, endeten Graf Brahe und Graf Horn, die Ver:
trauten der Königin, am 26. Juli vor der Riddarholmsfirhe auf dem Schafott;
einftimmig hatte der Reichstag, die verfchüchterte Hofpartei nicht anders als die
rachbegierige Majorität, das Bluturteil erkannt. König und Königin erhielten
von den Ständen eine demütigende Verwarnung; erft war davon geiprocden
worden, die verhaßte Fürftin in ihre preußifche Heimat zurüd zu ſchicken. Ihr
fönigliher Bruder ward als ihr Mitjchuldiger verläftert, dem fie ſchon vor vier
Jahren das ſchwediſche Pommern habe in die Hände fpielen wollen.
Um fo geringer jest die Widerjtandsfraft der im Herzen Friegsiheuen
Reihsräte gegen das Drängen der Fremden, die den Beitritt Schwedens zu dem
europäifchen Bündnis gegen Preußen forderten. Während der Kanzleipräfident
Höpken bis aufs legte den preußiihen Geiandten mit beſchwichtigenden Worten
binhielt, fam am 21. März 1757 der Vertrag mit Deiterreih und Frankreich
zum Abſchluß, durch den Schweden mit Frankreich für die Wiederherftellung des
) 8b. I, 469.
Verlauf und Wirlungen des Feldzugs von 1750. 47
Friedens im Römiſchen Neich einzutreten verjprah und, falls Preußen das
ſchwediſche Gebiet in Pommern vergewaltigte, den 1720 verlorenen Teil von
Pommern zugejagt erhielt. Bon da war nur noch ein Schritt bis zu dem einftimmig
gefaßten Senatsbeihluß, der die unmittelbare Teilnahme von 20000 Schweden
an dem Kriege entjchied. Frankreich bemwilligte neue Subfidien. Höpfen jagte
ganz zutreffend: Schweden mußte ftets jowohl auf Frankreich wie auf Rußland
Rückſicht nehmen, auf Frankreich wegen der von dort zu erhoffenden Wohlthaten,
auf Rußland, um nicht gemißhandelt zu werden: wie fonnte Schweden jeßt, wo
die beiden Gemaltigen zulammenhielten, ſich ihrem Willen entziehen?
Sp geihahb das Wunder: der Staat Richelieus und der Staat Guſtav
Adolfs, die beiden Mächte, die einft dem Haufe Defterreih den weſtfäliſchen
Frieden abgetrogt hatten, fie fandten, von der Erbin der jFerdinande als Bürgen
diefes Friedens aufgerufen, ihre Heere über den Nhein und über das Meer.
Die Heranziehbung Schwedens bezeichnete man in Berfailles als die beite aller
politifihen Operationen diefes Winters, weil dadurch eine Spaltung zwilchen
den fatholiihen und proteitantiihen Ständen im Neid) verhindert, dem Könige
von Frankreich aber Gelegenheit geboten jei, zum eritenmal und mit dem größten
Eclat jeine Rolle als Hüter des Landfriedens in Deutichland zu fpielen.
Auch in Wien wurde dem Beitritt der alten Vormacht des Proteftantismus,
wegen der erwarteten moralifchen Wirkung auf Schwedens Glaubensgenoflen
im Neih, der höchſte Wert beigemejien. Wie die jchwediichen Adelsgeichledhter
zwiſchen Franfreih und Rußland, jo hatten ſich die deutfchen Reichsſtände jeit
langem, und ſchärfer wieder während des Krieges um die habsburgiihe Erbichaft,
zwiichen Frankreich und Defterreich parteit, ohne daß dabei das Befenntnis maß:
gebend war; denn wenn ein Teil der Fatholifhen Fürften aus dynaftischem
Gegenjag jih von Dejterreich zurüdhielt, jo hatten Fih ihm dafür nad dem
Beifpiel Englands genug Proteitanten angeſchloſſen.) est, nach der Ausſöhnung
zwijchen Dejterreih und Frankreich, der Entfremdung zwiichen Dejterreih und
England, verſchmolz zwar die öſterreichiſche Gefolgichaft und die bisherige Oppo—
fition zu einer geſchloſſenen kaiſerlichen Partei, jo jedoch, daß aus beiden Lagern
ein Teil der bisherigen Anhänger abſchwenkte: während die katholiſchen Stände
jest ausnahmslos diefer großen Majoritätspartei angehörten, ftellten ſich inner:
halb des Corpus Evangelicorum ſowohl die bisherigen Parteigänger Frankreichs
wie die Defterreichs ihrer Mehrzahl nah auf die Seite Englands und Preußens.
Die Höfe von Kaſſel, Büdeburg, Gotha und Wolfenbüttel nahmen engliſche
Subſidien an.
König Friedrih hatte nah dem Abſchluß der Weitminfterfonvention an
die Möglichkeit geglaubt, den mädhtigiten der geiltlichen Fürften, den Kurfürften
Clemens Auguit von Köln, durch engliiches Gold von frankreich abzuziehen; die
Nebenlande diejes wittelsbachiſchen Erzbifhofs, das Herzogtum Weftfalen, die
Stifter Müniter, Osnabrück, Paderborn und Hildesheim hätten das Kurfürſten—
tum Hannover treiflich gededt. Aber Clemens Auguft beglid feinen Etiketten:
ftreit mit dem Berfailler Hofe, und jo gewann der preußifch:englifhe Anhang
8b. I, 190. 191.
48 Sechſtes Bud. Erſter Abjchnitt.
im Neih das Ausjehen einer ausſchließlich proteftantifchen Gemeinfhaft; gab
man fi noch, was Preußen jest eifrig betrieb, eine wenn auch nur lofe
Organifation, jo war der jchmalfaldiihe Bund oder die Union von Ahaujen
wieder aufgelebt. Mehr als ein aufregender Vorgang hatte neuerdings die
fonfeffionellen Gegenfäge wieder jchärfer hervortreten laffen, vor allem der ſchon
1748 erfolgte, aber noch fünf Jahre hindurch aller Welt verheimlichte Glaubens»
wechſel des Erbprinzen von Heſſen-Kaſſel: der ſchmerzlich überrajchte, entrüftete
Vater, Landgraf Wilhelm, ließ den Sohn eine Verichreibung zur Sicherftellung
des proteitantiihen Belenntniffes der Untertbanen ausitellen, England und
Preußen, Dänemark und Schweden, die Republif der Niederlande und das
Corpus Evangelicorum übernahmen eine Bürgichaft, in Wien aber und in
Verfailles wurde die Urkunde als erzwungen und unverbindlich bezeichnet. Noch
ehe der Krieg begann, wurden die Anktlagen vernommen, von hier, daß der
Wiener Hof im Bunde mit Franfreih die Evangelifchen im Reich vergewaltigen
wolle, von dort, dab der König von Preußen mit Hülfe der „proteftantiichen
Unionsideen” nad der Oberboheit über das evanaeliihe Deutichland ftrebe.
Erjt zu Beginn des neuen Jahres maßen auf dem Rathaus zu Regens—
burg die neuen Parteien zum eritenmal ihre Stärke, Seit dem September ließ
der Kaiſer Mandat auf Mandat in das Reich aehen: Hofdekrete an die Reiche:
verfammlung, Dehortatoria an den König, Avocatoria an des Königs Offiziere
und Kriegsleute insgemein mit dem ftrengen Befehl, die zur Empörung führen:
den Fahnen zu verlaflen; Monitoria, Exeitatoria und Inhibitoria an die Reiche:
freije zu Verhinderung der preußischen Werbungen. In ebenfoviel Entgegnungen
bemübten fih das Kabinettsminifterium zu Berlin und der allzeit jchlagfertige
Komitialgejandte von Plotho, die Anklage wegen Yandfriedensbrudes zu ent:
fräften und die faiferlihen Avokatorien als verfaffungswidrig binzuftellen. Zwei
Anträge ftanden in der Reichtagsſitzung vom 10. Januar 1757 einander gegen:
über. Die öfterreihiiche Gelandtichaft befürmwortete, die Kontingente der Reichskreiſe
gemäß dem Neihsichluffe von 1681 auf dreifahe Stärke zu jegen und zu thätiger
Hülfe ausrüden zu laſſen, wann und fobald Ihre Kaiſerliche Majeltät es ver:
anlafjjen würden. Dagegen rief Kurbrandenburg feine Mititände um Friedens—
vermittlung und um Bürgichaft für den ruhigen Befiß feiner Staaten an, mit der
Erklärung, der König ſuche feine Eroberungen und verliere nochmals hiermit
feierlichit, „daß die Reftitution aller ſächſiſchen Lande, fobald es mit Sicherheit
und ohne Gefahr Ihrer eigenen Lande möglich ſei und zu einem ficheren und
dauernden Frieden gelangt werden fünne, unverweilt geſchehen folle“. Die
Vertreter der beiden großen Mächte jowie der kurſächſiſche Geſandte entfernten
fih vor der Umfrage. Im Kurfürftentollegium blieb Hannover mit feiner Ab:
ftimmung allein. Im Fürftenrat vereinigten fih von 56 abgegebenen Stimmen
26 ausſchließlich proteitantiihe auf den preufiihen Antrag; für die Reichs—
erefution nach dem öfterreihiihen Vorſchlage itimmten in der Majorität von
50 Stimmen aus der Zahl der proteftantiihen Stände: Medlenburg- Schwerin,
Pralz:Zweibrüden, Heilen-Darmitadt, Holftein-Gottorp, Anhalt, deſſen Fürften:
haus nachher die Abjtimmung feines Vertreters verleugnete, Schwarzjburg und
der eigene Schwager des Königs von Preußen, der Markgraf von Ansbad.
Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 49
Für den Vertreter von Schwediſch-Pommern war eine Weifung damals no
nicht eingetroffen. Nah Zuftimmung des Stäbtefollegiums zu dem Mehrheits-
beſchluß der Kurfüriten und Fürften wurde das Reichsgutachten betreffend den
gewaltjamen furbrandenburgifhen Einfall in die kurſächſiſchen und kurböhmiſchen
Lande am 17. Januar an den Kaiſer erftattet und am 29, durch ein Faijerliches
Ratififationsedift als ein für ſämtliche Stände verbindlider Reichsſchluß ver-
fündet: alfo auch die Minderheit jollte fich der Mitwirkung bei der Reichserefution
nicht entziehen dürfen.
„Ich fpotte des Reichstags und al feiner Beſchlüſſe,“ jchreibt König
Friedrich nach der enticheidenden Abjtimmung. Er übte jeinen Wi an ben
tübdesfen Myrmidonen und an diefem Kaifer, der als der Bankier jeines Hofes
den Titel König von Jerufalem und dem uralten Brauch der jüdiichen Nation
alle Ehre made. Viel Nuten verhieß er dem Wiener Hofe von diefen Be:
mübungen beim Reiche nicht. Auch wegen der Schweden blieb er ganz ruhig
und meinte, er babe von jener Seite nichts zu fürchten und nichts zu hoffen,
da bie Zuftände diefes Landes ihm jede Bethätigung für oder wider unmöglich
machten.
Wohl aber mußte er fich jegt entichließen, Franfreid in die Zahl jeiner
erflärten Widerſacher einzurechnen. Die mündlichen Berichte feines Anfang
Dezember aus Paris zurüdfehrenden Gejandten eröffneten ihm ben vollen Ein:
blid in die bittere Feindjeligfeit des franzöfiichen Hofes. Der englifche Geſandte
glaubte zu bemerfen, daß jeine Unruhe nad dieſen Unterredungen mit Anyp:
haufen ſich ſtark geiteigert habe, und die Freunde Frankreichs in feiner Umgebung
behaupteten, daß der Krieg ihm verleidet jei, feitdem Knyphauſen aus Paris
babe abreifen müfjen. Sein Stolz war tief verlegt. Als der Herzog von Zwei:
brüden fi dur den Landgrafen von Heflen-Kafjel erbot, bei einem beabfichtigten
Beſuch in Verſailles fih der preußiichen Sache anzunehmen, ließ Friedrich ant-
worten, da die Sahen einmal jo weit geflommen wären, jo jei an Berhandlung
nicht mehr zu denken; der Degen müfje jegt das Uebrige entjcheiden. Ya, nad)
Damiens’ verbrecheriſchen Anſchlag auf das Leben Ludwigs XV. verfchmähte er
es, dem aus Mörderhand erretteten, wie der wohlmeinende Eichel riet, einen
Glückwunſch ausiprehen zu laffen, da er meinte, daß ihm in Verjailles das als
Schwäche gedeutet werden könnte. Immer geneigt, den perjönliden Einflüfjen
einen Hauptanteil an den großen Ereignifjen beizumefien, betrachtete er jett als
die allein maßgebende und deshalb allein beachtenswerte Größe in ganz Frant:
teih die Marquife von PBompadour. Nur dann glaubte er no eine Wendung
zum Guten erhoffen zu dürfen, wenn biefe Frau entweder umgeftimmt oder
gejtürzt wurde. Das eine wie das andere fchien für einen Augenblid in den
Bereih der Möglichkeit zu treten. Aber die geiftlihen Gemifjensräte, die 1744
zu Metz dem mit dem Tode ringenden Könige die Verbannung einer Chateaurour
abgezwungen batten,') fie blieben nah Damiens’ Mordanſchlage an Ludwigs
Kranfenlager gegen eine Pompadour madtlos. Und der franzöfiiche Offizier, der
furz vorher in Regensburg und in Baireuth bei Plotho und der Markgräfin
1) Bd. I, 232.
Koier, König Friedrich ber Große, IT. 2, Ruf. 4
50 Sechſtes Buch. Erfter Abjchnitt.
die Ueberlafjung des Füritentums Neuenburg an die Marquije als Beftechungs:
mittel empfohlen hatte, itarb in Baireutb, noch ehe irgend ein Anhaltspunft
dafür gewonnen war, wie weit jein Anbringen und er jelber ernfthaft genommen
werben bürften.
Volles und jcharfes Licht über die Lage in Rußland verbreitete in den
Weihnachtstagen ein Beriht von Hanbury Williams. Allzulange hatte der Mann
„mit viel Geift und wenig Urteil” !) in feiner Vertrauensſeligkeit und Selbit:
gefälligfeit fih und feinen Hof über die großen und ftetigen Erfolge der öfter:
reihiihen und der franzöfiihen Politik in Petersburg betrogen, und Sir Andrews
Mitchell wiederum hatte dem König von Preußen aus den jchönfärberijchen
Berichten nur fo viel mitgeteilt, ala ihm mit dem englifchen Intereſſe vereinbar
ihien. Das Wichtigſte und was ihm zu wiſſen vor allem not gewejen war,
wie die für feine Entichlüffe maßgebend gewordenen Nachrichten über die geheimen
Verhandlungen und verbädtigen Truppenbewegungen, hatte der König von
Preußen im Juli nicht aus diefer trüben Quelle, jondern aus jenen um jo
zutreffenderen holländifhen Berichten ®) entnommen. Einige Wochen darauf
hatten Williams’ Verfiherungen wieder die irrige Vorftellung gewedt, daß „Eng:
lands Aktien am Peterburger Hofe ftiegen”: vielleicht ift jene dritte Anfrage °)
an die Kaiferin-Rönigin dur die Annahme mitveranlaßt worden, daß Anzeichen
für einen Umſchwung in Rußland den Wiener Hof noch in legter Stunde zum
Einlenfen beftimmen fönnten. So bat denn Friedrich aud in Rußland, wie in
Frankreich und in Holland, die Uebernahme einer Friedensvermittlung betreiben
lajien; nah Xage der Dinge blieb der durh Williams geftellte Antrag un—
beantwortet.
Jetzt endlich aljo geftand Williams offen ein, was ſich nicht länger ver:
heimlichen oder verfennen ließ: daß der ruffiihe Hof ganz in den Händen ber
Häufer Habsburg und Bourbon fei, daß das jogenannte neue Syitem in dem
täglich mächtigeren Günftling Schumalow feine feite Stüge habe, daß nun alle
Ausfiht auf Heritellung des alten Syitems jchwinde. Als Mitchell die ichlimme
Poit ihm mitteilte, ermwiderte riedrid mit großer Ruhe: „Ich habe das, was
jest eingetreten ift, lange erwartet”. Seine letzte Hoffnung Hammerte fi nun,
fieben Jahre bindurh, an einen Thronwechſel. „Jetzunder füngt es an wüſter
auszujehen wie noch niemalen”, fchreibt er unter dem frijhen Eindrud der Nad:
riht aus Rußland am eriten Weihnadtstage an Winterfeldt, fügt aber hinzu:
„die Kaiſerin ift gefährlich frank, und ftirbt der Drache, jo ftirbt der Gift mit
ihm“. Nur dat die Nachrichten über den Gejundheitszuftand Eliſabeths vor:
läufig ebenjo unzuverläjfig waren, wie die meiften Mitteilungen engliiden
Urſprungs.
Mit kurzen Unterbrechungen weilte Friedrich den ganzen Winter hindurch
in Dresden. Im Brühlſchen Palaſt dünkte er ſich den Fürſten des Arioſt gleich:
vor ſeinen Augen ein verzaubertes Schloß, die Fee Caraboſſa und einen Zwerg
) Bd. I, 594.
) Bd. I, 596, 598.
) 3b. TI, 603 und oben ©. 23.
Verlauf und Wirkungen bes Feldzugs von 1756. 51
— die Königin von Polen und den Kurprinzen — und einen“ galliichen Heren-
meifter: den Grafen Broglie, dem er demnädit die gemeilene Aufforderung
zugehen ließ, dem König Auguft nah Warſchau zu folgen. Er beſuchte fleißig
die Gemäldejammlung und erfreute fih an Haſſes Konzerten und an ben Oras
torien und Motetten, die in der jüngſt fertig geftellten katholiſchen Hofkirche ber
Cäcilientag und andere Feite braten. Wieberholt wohnte er in der Frauen—
firche und der Kreuzkirche dem evangeliichen Gottesdienfte bei; die das erſte Mal
von ihm gehörte Predigt über den Tert aus dem Evangelium vom Zinsgroſchen:
„Gebet dem Kaijer, was des Kaifers iſt, und Gotte, was Gottes iſt“ erichien
„auf ausbrüdliches Verlangen Seiner Majeität des Königs” im Drud. Sonft
ward er außerhalb jeines Palajtes wenig gejehen und lud ſich auch fein Gäfte;
einige wenige Bevorzugte, wie Prinz Ferdinand von Braunſchweig und Oberft
Balby, waren ihm Abendgejellihafter und Tiſchgenoſſen in feiner „Eöfterlichen”
Eingezogenheit. „Mein Hirn ift jo angefüllt von dem, was mir nächſtes Jahr
zu thun obliegt,“ jeufzt er bald nad feiner Ankunft in Dresden, „daß ich zu
nichts tauge, in welcher Sauce man mich auch anrichten mag.” Er vergleicht
fih dem Hirſch, auf den die Meute losgelafjen ift, „eine Meute von Königen
und Fürften”; oder dem Orpheus, deſſen Schidjal vier Mänaden ihm bereiten
wollen, die beiden Kaijerinnen, die Bompadour und jene Fee Carabofja. Auch
biftoriihe Parallelen bieten ih ihm, Karl XII. im Anfang feiner Regierung,
als drei Nahbarmädhte fich zu feinem Sturz verfhworen hatten, oder die Ne:
publit Venedig in der Epoche der Liga von Cambray, oder Maria Therefia
beim Abſcheiden ihres Vaters. „Aber,“ jo jchreibt er an Marſchall Schwerin,
„der Wiener Hof war 1742 jehr viel jchlimmer daran und hat fi doch gut
berausgezogen; was mich betrifft, der ich einen Schwerin habe und die aus:
gezeichnetiten Truppen von Europa, ich verzweifle an nichts, aber Mohlverhalten
ift not, bald Lebhaftigkeit und bald Borficht, und bei allen Anläffen eine Uner:
fchrodenheit, die jede Probe aushält. Flößt diefe Gefinnung den Truppen ein,
und wir würden die Hölle bändigen“.
„In dem Antlig des Feldherrn lieit die ganze Armee,” jagt Friedrich in
feiner großen militäriichen Lehrſchrift, „alſo muß der General wie ein Schau:
jpieler fein, der jein Geficht allemal in die von der Rolle erforderten Falten
legt. Kommt eine ſchlechte Nachricht, jo gibt man fi den Anjchein fie zu ver:
achten, Zahl und Größe der eigenen Hülfsmittel preift man gefließentlih an,
vor anderen jeßt man den Feind herunter und rejpeftiert ihn bei fich jelbft.“
Nah diefer Vorjhrift gibt er ſich wie gegen jeine Offiziere auch gegen feine
Familie. „Fürchtet nichts für uns!” fo beruhigt er die ſchwergeprüfte Schweſter
in Stodholm; „wenn es dem Himmel gefällt, wird unſer Haus ſich behaupten
wie die alten Eichen, die dem Wetter und Bligftrahl trogen. Meine Feinde
ftelen mid) auf eine harte Probe, aber meine Kraftanftrengungen find ihrem
böfen Willen proportioniert.” Und der Baireuther Schweiter gibt er wohl zu,
daß man nädites Jahr mehr zu thun haben wird als bisher; aber gleichviel:
„Mit Hülfe des höchſten Wejens, wenn es fih in die Erbärmlichkeiten dieſer
Welt einzumifchen gerubt, werden wir uns aus der Klemme ziehen.” In diefer
ungläubigen Gläubigfeit gefällt er ih: „Da die Dinge einmal zum äußeriten
52 Sechſtes Bud. Erfter Abichnitt.
gekommen find,” fchreibt er nach Baireuth ein andermal, „jo muß man hoffen,
falls die Vorfehung fih in die menſchlichen Erbärmlichkeiten einzumiichen gerubt,
daß fie nicht dulden wird, daß der Stolz, die Ueberhebung und die Bosheit
meiner Feinde es über die Gerechtigkeit meiner Sache davontragen“.
Der alte Eichel aber fchrieb in feinem frommen Gottvertrauen an ben
gleichgefinnten Podemwils: „Die Peripektive, jo des Königs Majeftät vor ſich haben,
it wohl nicht die allerangenehmfte; ich hoffe aber, die aöttlihe Providence werde
vor Diejelbe und Dero gerechte Sache wachen, und feit dem, was bei Gelegenheit
ver Bataille bei Lobofig geſchehen und weldes man billig einer miraculeujen
Protektion des Himmels zuzufchreiben bat, bin ich faft perjuadieret, daß die
göttliche Vorficht noch was Beſonders mit des Königs Majeftät intendiere und
Dero Sade protegiere.”
Auch Friedrih beruft fih in feiner Weife auf eine VBorahnung. Un certo
non so che fagt ihm, fo verfidhert er der Markgräfin, „daß alles auf das beite
gehen wird, und daß ich vielleicht eher, als Cie denken, die Ehre und das Ver:
gnügen haben werde, Sie zu jehen und zu hören und mich Ihnen zu Füßen
zu legen“. „Man wird in diefem Frühling jehen, was Preußen ift, und dab
wir durch unjere Kraft und zumal durch unjere Disziplin zu Rande fommen
werben mit der Zahl der Defterreiher, dem Ungeftüm der Franzojen, der Wild:
beit der Ruffen, mit dem großen Haufen der Ungarn und mit allem, was man
uns entgegenftellen wird.“
Der zuverfichtlihite von allen, die dem König nahe ftanden, war wohl
Winterfeldt. Ihm durfte Friedrich auch die Kehrfeite des Blattes zeigen: „Es
ift aljo mit unferen Umständen fein Kinderjpiel, ſondern es gehet auf Kopf und
Kragen... Indeſſen ift meine Rejolution auf alle Fälle genommen und werde
ih mir bis auf ben legten Mann mehren.” Bon der verzehrenden inneren
Unrube aber, die jo leicht fich feiner bemädhtigte und dann den Bertrauteiten
fih nicht verbarg, blieb er noch verfchont. „Seine Majeftät,” ſchrieb Winterfeldt
nad einem Beſuch des Königs bei dem jhlefiihen Heere in Haynau, Anfang
Februar, an den Kabinettsrat, „habe ich gottlob jo munter, vergnügt und rubig
gefunden, als nicht in langer Zeit.“
Bor der Fahrt nad Sclefien hatte der König für wenige Tage auch feine
Hauptitadt beſucht — das legte Mal auf mehr als jehs Jahre. Welche Ge:
danken ihn beichäftigten, ergibt jchon ein Brief an die Markgräfin vom 30, No:
vember: „Ich habe ein Vorgefühl, ich werde weder getötet noch verwundet
werden; ich geftehe indes, dab ich, wenn die Dinge jchleht ablaufen follten,
bundertmal eher den Tod wählen mwürbe ftatt der Lage, die mich dann er:
wartete; fie fennen meine Feinde, Sie ermefien, was ih an Demütigungen
würde herunterwürgen müſſen.“ Was bier nur angedeutet wird, erläutert die
geheime Jnitruftion, die er am 10. Januar zu Berlin in die Hände des zweiten
Kabinettsminifters, feines Jugendgefährten Findenftein legte, das Vermächtnis
eines den bürgerlihen Tod ins Auge Faſſenden, der im gegebenen Augenblide
lebend nicht mehr zu den Lebenden gezählt werben will — die ergreifende
Urkunde, die nad hundert Jahren, als fie befannt wurde, einen preußiſchen
Prinzen, den Erben der Krone und Tünftigen Begründer des Haifertums, zu
Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756, 53
heller Begeifterung binriß als der Ausdrud der Gefinnungen, „welde Regenten
groß und unvergänglid in der Geſchichte darftellen“.
„In der kritiſchen Lage, in der fi unfere Angelegenheiten befinden,”
jo beginnt die eigenhändig niedergejchriebene Urkunde, „muß id Ihnen meine
Befehle geben, auf daß Sie in jedem der Unglüdsfäle, die in der Möglichkeit
der Ereigniſſe liegen, zu den Entſcheidungen, die getroffen werden müjjen, er:
mächtigt find.“ Drei Fälle zunächit untericheidet der König: daß das Heer in
Sadien völlig geihlagen wird, daß die Franzofen ſich fiegreidh in Hannover
feftiegen ımd von dort aus die Altmark bedrohen, daß die Ruſſen in die Neu:
marf vordringen. „Nad einer Niederlage im weitlihen Sadien müſſen das
föniglihe Haus, die Behörden, der Staatsihag nad Küftrin flüchten, nad einer
Niederlage in der Laufig aber oder beim Erjcheinen der Rufen nad Magde:
burg. Die legte Zufluchtsftätte, die indes nur in der äußerften Not aufgejucht
werden darf, ilt Stettin. Der Silberjhmud der föniglihen Gemächer, das
goldene Tafelgeihirr haben in der Stunde der Not ohne Verzug in die Münze
zu wandern.”
Der König fährt fort: „Geſchähe es, daß ich getötet würde, jo müſſen bie
Dinge in ihrem Zuge bleiben ohne die geringite Veränderung und ohne daß
man den Uebergang in andere Hände gewahr wird, und in diefem Falle müſſen
Eide und Huldigungen beſchleunigt werden, jo bier, wie in Preußen und vor
allem in Schlefien. Wenn id das Verhängnis hätte, daß ich vom Feinde ge-
fangen würde, jo verbiete ich, daß man die geringite Rückſicht auf meine Perſon
nimmt oder dem, was id aus meiner Haft jchreiben könnte, die geringite Be—
achtung beimißt. Geſchähe mir ſolches Unglüd, jo will ich für den Staat mid)
opfern, und man muß dann meinem Bruder geboren, der ebenjo wie meine
fämtlihen Minifter und Generale mit dem Kopfe mir dafür verantwortlich fein
werden, daß man weder eine Provinz noch ein Löſegeld für mich anbieten,
jondern den Krieg fortjegen und feine Vorteile verfolgen wird, ganz als wäre
ih nie auf der Welt gemejen.”
Angefichts der gefteigerten Gefahr Ichritt er in den Tagen diejes Berliner
Aufenthalts zu einer neuen, bisher nicht vorgejehenen Veritärfung jeiner Kriegs:
rüftung, zu einer Vermehrung jeines Heeres um fait 20000 Mann über bie
Zahl hinaus, das er noch furz zuvor als das äußerſte Maß jeiner militäriiden
Leiftungsfähigkeit bezeichnet hatte.
Zweiter Abjchnitt.
Prag und Rolin.
eim Einzug in die Winterquartiere berechnete der König die „Förmliche
Friedenszeit“, die er jegt vor fi babe, auf volle jehs Monate, bis
a zum uni. Vor Januar oder Februar hat er von vornherein, bei der
Unflarbheit der politiihen Yage, an die Aufftellung eines Feldzugsplanes nicht
denfen wollen. Nur jo viel jtand ihm feit, daß feine Kriegsführung eine
weſentlich andere jein jollte, als im Vorjahre. „Noch haben wir nichts gethan,“
befennt er; der ganze erite Feldzug gilt ihm nur als die Aufitellung der Schadj:
fiquren, erft im zweiten wird die Partie beginnen. „Die Kleinigkeiten, die dies
Jahr geſchehen find, fie find nur das Vorſpiel für das nädfte Jahr, und wir
haben noch nichts gethan, wenn wir nicht Cäſar am Tage von Pharjalus nad:
ahmen.” Was Pharjalus für Rom, was Leuftra für die Griehen, Denain für
bie im fpanifchen Erbfolgefrieg fait übermältigten Franzoſen, die Türfennieder:
lage vor Wien für die Defterreiher war — das foll ihm der nächte Feldzug
werden. Wie aber date er fich feine Rharfalusjchlacht ?
Im Antimachiavell bat der Kronprinz Friedrich Fabius und Hannibal
einander gegenübergeitellt als die Vertreter zweier ftrategiicher Methoden: der
Ermattungsftrategie und der Strategie des Schlagens. „Fabius ermattete den
Hannibal durch feine Langfchweifigkeiten; diefer Römer verkannte nicht, daß der
Karthager des Geldes und der Refruten ermangelte, und dab es, ohne zu
ſchlagen, genügte, dieſes Heer rubig wegſchmelzen zu jehen, um es ſozuſagen an
Abzehrung fterben zu laſſen. Hannibals Politik dagegen war, zu ſchlagen; feine
Macht war nur eine auf zufälligen Umiftänden beruhende Stärke, aus der
ſchleunigſt jeder erreichbare Vorteil gezogen werden mußte, um ihr durch die
Schreckenswirkungen glänzender Heldenthaten und die Hilfsquellen eroberter Gebiete
Beitand zu geben.” Aus Friedrihs großem militäriichen Brevier von 1748
wiljen wir bereits, daß er für die Kriege feines eigenen Staates, die da kurz
und lebhaft jein müßten, die Ermattungsitratenie als unzwedmäßig betrachtete,
ebenjo aber die „Pointen“, jene ſtrategiſchen Vorftöße, die das Heer allzuweit
Prag und Kolin. 55
in Feindesland hineinführen.!) Nachmals wiederum hat er drei Arten ber Kriegs:
führung unterjchieden: die Offenfive bei entjchiedener Ueberlegenheit, die fich die
höchſten Ziele jegen muß, die 1741 in dem Koalitionskriege gegen Defterreich
das franzöfiiche Heer geradeswegs auf Wien hätte führen müſſen und in einem
fünftigen Roalitionstrieg gegen Frankreich den Marih nad Paris erheiſcht, an
Stelle von fieben Feldzügen im Stile des ſpaniſchen Erbfolgefriegs mit je einer
Schlacht und je einer Belagerung; die Defenfive, die doch nie in reines Ab—
wehren und Abwarten ausarten barf; die Offenfive bei gleich verteilten Kräften,
für die es gilt, die Entwürfe den Kräften anpaſſen und nichts auf gut Glüd
unternehmen, wenn zur Ausführung die Mittel nicht zureichen.
Nach Friedrihs Auffaffung, wie wir fie fennen gelernt haben und wie fie
ſich ſtets gleich geblieben ift, war ein Einzelfrieg zwiſchen Preußen und Defter:
reih allemal jold ein „Kampf mit gleich verteilten Kräften”. So wenig er es
fi zutraute, diefen Gegner, der in ber eriten Hälfte diejes Jahrhunderts einen
dreizehnjährigen und einen fiebenjährigen Krieg geführt hatte, ermatten zu fünnen,
jo wenig bot fi die Ausficht, ihn vernichtend niederzufämpfen; aber er durfte
hoffen, den Gegner zu entmutigen, in großen Schlachten durch glänzende Siege,
wie es ihm durch Hohenfriedberg, Soor und Keſſelsdorf jchon einmal gelungen
war, eben dieſen Gegner zu entmutigen, von der Ausjichtslofigfeit eines mit
Leidenschaft ergriffenen Eroberungsplanes zu überzeugen. Niederfämpfen, tödlich
treffen konnte man die Defterreiher nur — das hat Friedrich am Anfang feiner
Feldherrnlaufbahn ebenjo beftimmt erklärt wie am Schluß — wenn man fie in
ihrer Hauptitadt Wien aufjuhte Wien aber hat er immer nur, jo 1741 und
1744, wie 1775 und 1779, unter der Vorausfegung einer wirfjamen Unter:
ftügung durch Bundesgenofien in den Bereich feiner itrategiihen Entwürfe ge:
zogen. Erjt in diefem Zuſammenhange ermeijen wir ganz, weshalb das politijche
Teitament von 1752 für einen Angriffs: und Eroberungsfrieg gegen den Wiener
Hof, der den Defterreihern Böhmen foften und den Preußen im Tauſch gegen
Böhmen Sadjen einbringen jollte, erft in der Geburtsjtunde einer neuen großen
Koalition gegen das Erzhaus die Zeit gekommen ſieht.
Damit war nicht ausgeichlofien, wie bier noch einmal gejagt werden mag,
daß Friedrih, nachdem ihm das Schwert in die Hand gezwungen war, bei durch:
ihlagenden Erfolgen eine Kriegsentihädigung an Land und Leuten forderte und,
wieder wie in feinem erften Kriege, jeine Anſprüche „nad dem Barometer feines
Glücks“ regelte, jtatt wie 1745 nad jedem neuen Siege immer von neuem den
gleichen uneigennügigen Frieden zu bieten. Gewiß würde Maria Therefia ſich
lieber unter den Trümmern von Wien haben begraben lafjen, ehe fie in den
Verluft von Böhmen gemilligt hätte. Weit leichter mochte geihehen, daß fie
und der Kaifer, nach jchweren Kataftrophen der öfterreichiichen Heere, um des
Friedens willen mit anjahen, daß geiltliches Gebiet der toten Hand entzogen
wurde, jei e& unmittelbar zu Preußens Gunſten, ſei es zur Entſchädigung des
Kurfürften von Sadien für Abtretungen an Preußen — etwa in der Weile,
wie der Wiener Hof jelber im Fortgange diejes Krieges ſächſiſche Landſchaften,
i) 3b. 1, 522 ff.
56 Sechſtes Bud. Zweiter Abjchnitt.
die Laufigen, gegen erobertes preußiiches Gebiet einzutauſchen beabfichtigte.
Aber dab Friedrich nicht Abenteurer genug war, fi auf jo unfichere Rechnung
hin in einen Krieg zu ftürzen, und noch dazu in einen Krieg um Sein und
Nichtſein, das zeigt jchlagend jein Verhalten gegen Rußland. Wir jahen, daß
er es nicht für unmöglich bielt, unter dem Eindrud einer großen Niederlage
zugleich der ruffiihen und der öjterreihiihen Waffen das preußiihe Staats:
gebiet mit Rußlands Zuftimmung auf Koften der Republit Polen zu vergrößern.
Hat er nun, weil ein Sieg über die Rufjen ihm Borteile bringen fonnte, Des:
halb diefen Ruffen den Krieg angefagt? Er hat im Gegenteil bis zum legten
Augenblide alles daran gejegt, fie von ihren ihm nur zu gut befannten An:
griffsabiichten zurüdzubringen. Er hat ferner in jehr bezeichnender Weile für
den Fall, daß nur die Rufen, noch nicht aber die Oeſterreicher geichlagen fein
würden, jeinen General beftimmt angewiejen, den Gejchlagenen „pur und platt“
einen Frieden unter einfaher Verpflichtung zur Neutralität anzubieten — fo
ganz war ihm die Gebietserweiterung etwas Nebenjächliches, das im Siege je
nah den Umftänden mitgenommen oder entbehrt werden modte, nicht aber
Beweggrund und Zwed des Krieges.
An fih mußte der Gedanke an neue Landerwerbungen dem König von
Preußen in dem jet gefommenen Wendepunft der Ereignifje ſehr nahe liegen,
wo einmal der offene Bruch mit Franfreih ihn weiterer Rüdfiht nach dieſer
Seite hin überhob, und wo anderjeits dem König von England, um feine Stand:
baftigkeit zu ftärfen, Landzuwachs für fein hannöveriſches Kurland in lodende
Ausficht geitellt werden mußte.
Denn das war die politiihe Signatur der eriten Monate des neuen Jahres,
die num aud die Feititellung des Feldzugsplanes weſentlich erjchwerte, daß ber
König von Preußen ernitlih in Gefahr fam, zu dem alten Bundesgenofjen
Franfreih auch den neuen zu verlieren, um des willen er es mit dem alten ver:
dorben hatte. Die Regentichaft Georgs II. zu Hannover, das Kollegium der acht
furfüritlihen Geheimräte, jtand noch unter Dem Banne einer Gefinnung, die, durch
die nachbarliche Eiferfuht auf die jchnell emporgewachſene preußische Macht ein:
gegeben und durch den alten verwandtichaftlihen Hader der beiden Fürftenhäufer
genährt, fi während dieſes Winters in einem Wort des Geheimrats von
dem Busſche Ausdrud gab: Ein guter Hannoveraner fünne ebenfowenig unter
preußifcher wie unter franzöfiicher Zuchtrute zu ftehen wünſchen. Dieje Männer,
an ihrer Spige der alte, erfahrene und bedachtſame Kammerpräfident von Münd):
haujen, der Mann der politiichen Kombinationen und Klügeleien, hatten ſich die
Wejtminfter-Konvention gefallen lajlen, va fie die Gefahr eines franzöfiichen
Angriffs abzuwenden ſchien. Indem diefe Wirfung ausblieb, verlor die Abkunft
in ihren Augen jeden Wert, und injofern fie dem Welfenfürften beim Vorrüden
der Franzojen die Verpflichtung auferlegte, zur Verteidigung des deutihen Bodens
mit Preußen zujammenzuftehen, galt fie ihnen als eine Laſt und ein Schaden
für Hannover. Allemal war nad) der ihnen geläufigen feinen Unterſcheidung
ber unbequeme Vertrag dur den König von England und nicht durch den
Kurfüriten von Hannover abgejchloffen worden: das ihnen anvertraute hannöverifche
Intereſſe ſchien zu erheifchen, ohne Nüdjiht auf den Meitminfter:Bertrag einfach
Prag und Kolin. 7
bem Kurfüritentum den Frieden zu erhalten. Der furfürftlihde Geſandte in
Wien erhielt nach der preußifhen Waffenerhebung den Befehl, den Kaiſer für
Hannover um des Reiches Schug gegen einen drohenden franzöfiihen Angriff
anzugehen; feine Auftraggeber waren jehr befümmert, als jener von dem Kaifer
mit nichtsfagenden Redensarten und von Kaunik „in lakoniſcher und juffifanter
Manier” abgewiejen wurde, fie atmeten erleichtert auf, als der Wiener Hof am
4. Januar unermwarteterweije ſich erbot, die Franzoſen zur Anerkennung der
Neutralität zu beitimmen.
Die Defterreiher hatten mehr als einen Grund für dieſes Entgegenfommen.
Sie wünjchten, um die Stellung des Kaijers im Reiche nicht zu jchädigen, fein
deutiches Land außer Preußen in ihren Krieg verwidelt zu ſehen; fie mußten,
um dem Kampf alles zu nehmen, was nad) einem Religionsfrieg ausjehen fonnte,
vornehmlich die Verbindung der beiden hervorragendften proteitantifchen Reichs—
ftände zu löjen ſuchen; fie hatten militärisch ein Intereſſe daran, alle Streit:
fräfte der Koalition, ftatt fie durch einen Angriff auf Hannover zu zerjplittern,
fofort gegen Preußen einzujegen. Anders der Standpunft der Franzojen: fie
ſahen immer in England den vornehmften Feind und betradhteten das Kurland
des britiichen Königs als den empfindlichften Punkt in der Stellung des Haupt:
gegners und für fih als eine ebenfo leichte wie reihe Beute. Und dann bot
ihnen das übermwältigte Niederfahjen eine weit bequemere Operationsbafis für
den Kampf gegen Preußen, als Schwaben, Franken und das Voigtland in der
von den Deiterreihern empfohlenen Aufmarſch- und Angriffsrihtung. Ein
eigener Zufall, daß jetzt wieder ihr neuer Bundesgenofle, wie vorher der alte,
dem fie das jo ſchlimm verdacht hatten, die ſchützende Hand über diejes Han:
nover halten wollte. Wenn die Franzofen gleihwohl fich endlich grundſätzlich
bereit erklärten, die Neutralität zuzugeftehen, jo beanſpruchten jie doch für ihre
Truppen freien Durchzug durch das hannöverifhe Gebiet. Sie von diejer heiflen
Forderung noch zurüdzubringen, jollte die Aufgabe des faiferlihen Geſandten
in Verjailles jein; da ward der zwiſchen Hannover und Wien auf das ſorg—
lichte in die Wege gelenften Berhandlung unerwartet von Yondon aus eine
andere Wendung gegeben.
Niht anders als die Hannoveraner hatten fih die engliihen Staats:
männer von dem MWeftminfter-VBertrag nicht Arieg, jondern Frieden verfproden;
fie hatten eben deshalb die in Deutfchland jetzt anjcheinend entbehrlichen han:
növeriihen und heſſiſchen Mietstruppen über den Kanal fommen laflen. Nad
der Meinung des Herzogs von Nemcaftle jollte der Vertrag feine Verleugnung,
jondern die volle Wiederheritellung des gepriejenen alten Syftems der Zeiten
Wilhelms II. jein: die Wiedereinfügung Preußens in diefes Syftem, die Zu:
fammenfaflung aller Kontinentalmäcdhte zu einem großen Bunde gegen Frankreich,
das dann, auf dem Feitland ifoliert und umitellt, zur See ohnmädtig, ſich
wiberitandslos unter das Gejeg Englands zu beugen haben würde. Der Eluge
Münchhauſen freilich betrachtete das bei den Gegenfägen zwifchen den zufammen:
zufoppelnden Mächten von vornherein für unmöglih, und bald genug jahen bie
Epigonen Wilhelms und Marlboroughs das alte Syftem in voller Auflöjung,
die beiden beutihen Mächte ärger verfeindet denn je und Englands hiltoriiche
58 Sechſtes Bud. Zweiter Abfchnitt.
Verbündete auf der Seite desjelben Frankreichs, in deſſen Uebermacht man jeit
einem Jahrhundert eine Gefahr für das europäiiche Gleichgewicht zu ſehen ge:
wohnt war und das eben jegt im Mittelmeer wie jenjeits des Meltmeeres
unerwartete Proben feiner alten Kraft ablegte. So wenig aber mußten die
Newcaſtle und Holdernejje, von König Georg zu jchweigen, die Tragweite ber
großen politiihen Ummälzung abzuſchätzen, daß fie, weit davon entfernt, ſich mit
Preußen, ihrem neuen und bereits einzigen Verbündeten, ſolidariſch zu fühlen
oder gar, wie es in Verjailles als ausgemadt galt, den preußiſchen König zum
Angriff gegen Deiterreih angeftahelt zu haben, ibm felbit und feiner Unter:
nehmung vielmehr mit entichiedenem Unbehagen und Mißtrauen zuſchauten.
In ruhigeren Zeiten gleihlam durch Erbgang an die Stelle feines Bruders
Pelham getreten, offenbarte Nemwcaftle in den Stürmen diefer neuen Kriegszeit
doch allzu jehr jeine Unzulänglichkeit; diefes „Gemiſch aus faft allen menſchlichen
Schwächen ohne Beifat von Verbrechen oder Laſtern“, wie Chefterfield den
Herzog nannte, war aus dem Minifterium, dem er dreiunddreißig Jahre un-
unterbroden als Mitglied, aber nur zwei Jahre ald Obmann angehört hatte,
im November 1756 ausgeichieden. Und nun endlich war die Stunde gefommen
für den Mann, der durd die Eiferfucht der ariftofratiihen Parteihäupter und
bie Ungnade des Königs bisher zurüdgedrängt worden war. So jlarf war in
diefem Nugenblid der inneren Gärung und äußeren Gefahr die Volkstümlichkeit
William Pitts, daß der gefürdtete Nebner nicht bloß Nemwcaftle zu Falle zu
bringen vermochte, jondern es auch verichmähen durfte, neben or, den ber
König im Amt zu behalten und jekt an die Spite der Regierung zu ftellen
wünjchte, die zweite Rolle zu übernehmen. Alſo ging aud For, und Pitt ſprach
das jtolze Wort: „ch bin ficher, dab ich das Yand retten kann, und daß ein
anderer es nicht retten fann.” Mit Wehmut, jo geitand Münchhauſen, ſahen
die Geheimräte in Hannover Newcaftle jcheiden; aber fie tröfteten fih mit dem
Gedanken, daß noch nicht aller Tage Abend jei, fie wußten, daß Newcaftles
perfönlicher Anhang in dem auf feinen Namen gewählten und durd die landes-
üblihen Beitehungsfünfte unterwühlten Haufe der Gemeinen weit größer war,
als die Gefolgichaft des homo novus, den das Land dem Unterhauje als Führer
aufzwingen wollte. Pitt hatte in dem Wappenſchild des Herzogs von Devonjhire
zwar eine vornehme Ausihmüdung für jein Kabinett gewonnen, aber er bejaß,
wie gejpottet wurde, nicht genug Vettern, um ein Miniiterium vollzählig zu
machen. Und noch dazu: dem Könige blieb er unleidlid. Bon Nemcaitles
baldiger Rückkehr auf die politiihe Bühne erwartete Münchhauſen das Heil.
Er war jchmerzlich enttäuscht, als jelbit diefer bewährte Freund Oeſterreichs, To
lange der feltefte Träger des alten Syitems, ihm entjagend jchrieb, alle Ver:
bältnifje hätten fich geändert und auch er halte es für das beite, ſich eng an
Preußen anzujchließen und möglihft raſch ein ftarfes Heer in Weitfalen zus
jammenzuziehen, auf daß ſich nicht etwa der König von Preußen, aus Furdt,
von England preisgegeben zu werden, mit Frankreich verjöhne; dann feien der
König von England und jein Kurfüritentum ganz verloren. Noch tiefer aber
befümmerte es die hannöveriſchen Näte, daß ihr König-Kurfürſt jelber dem Ge:
danken der Neutralität fi mehr und mehr abwendete. Es entging ihnen nicht,
Prag und Kolin. 50
daß neben dem Drängen feiner engliiden Minifter und ihrer kräftigen Ver:
beißungen für den Schu Hannovers noch ein anderer Antrieb ihn geneigt
machte, es in Deutihland auf den Kampf ankommen zu lajien: ein Brief des
Königs von Preußen, am 25. Dezember unter dem Eindrud der ſchlechten Nach:
rihten aus Rußland geichrieben, wies ihm als Kampfpreis, wenn das Glüd
gut war, die Erwerbung des Bistums Paderborn und den dauernden Bei
von Dsnabrüd, wo nah den Beltimmungen des Weitfälifchen Friedens der
Krummftab zwiſchen der geiltlihen und der weltlichen Hand, zwiſchen einem ge—
wählten und geweihten Biſchof und einem Laienfürften vom Welfenftamme, hin
und ber wandern jollte.
In der erften freudigen Erregung über diefen Vorſchlag hatte Georg II.
fih das Zufunftsbild noch glängender ausgemalt, indem er zu Dsnabrüd und
Paderborn, wenn einmal jäfularifiert werden jollte, im Geift auch ſchon Hildes-
beim und das Eichsfeld jchlug; ja, er hatte den Gedanken hingeworfen, dem
Wiener Hofe zum Torte den Sohn Kaijer Karls VII, Marimilian Joſeph von
Baiern, zum römischen Könige zu wählen. Allerdings ließ er, qut beraten und Klug
berechnend, in der Antwort an Friedrich II. von feiner Freude über das Angebot,
geſchweige denn von feinem Verlangen nah mehr, nichts durchbliden; aber wenn
nod) etwas fehlte, ihn auf dieſe Seite zu ziehen, jo war es die plumbe Deutlichkeit,
mit der Graf Colloredo, der faiferlihe Gejandte in London, die Gewährung der
Neutralität an jene von den Franzoſen vorbehaltene Bedingung des freien Durch:
marjches fnüpfte. Empfindlich verlegt über die ihm zugemutete Erniedrigung,
legte König Georg. die Akten der Verhandlung mit dem Wiener Hofe dem
preußifchen Verbündeten vor und ließ fich gefallen, daß Pitt der Botſchaft an
das Parlament, dur die 200000 Pfund für die Verteidigung von Hannover
gefordert wurden, eine Schärfe des Tones gab, welde die hannöverifchen Räte
bezeihnendermweife faum minder peinlich berührte als die Kaijerinfönigin.
Pitt jelbit vertrat am 18. Februar den Antrag vor dem Unterhauſe in glänzender
Rede. Niemand hatte vorbem fchärfer als er die Vermengung der britiichen
und der hannöverischen Intereſſen verurteilt; nod die Weftminfter-Konvention
hatte er unter biefem Gefidhtspunft angegriffen. Heute aber legte er dar, daß es
fh hier um die Sache Englands, um die Sache Europas handle, deſſen Freiheit
durch die Verbindung der Höfe von Wien und Verfailles und die Verblendung
des von ihnen aufgehegten Zarenreiches jchwer bedroht jei. Durch Englands
Gut und Blut fei Defterreih einft vom Untergang errettet worden, um jeßt
feine Undankbarfeit zu erhärten und argen Anfchlägen gegen Englands Ver:
bündeten nachzugehen. Der preußiſche Geichäftsträger hielt nach dieſer Rede
das neue Syſtem für ficher befeitigt und die britifche Nation für überzeugt von
der Notwendigkeit, mit Preußen vorwärts zu gehen. Und gewiß hatte fi Pitt
feines Abfall von jeinen früheren Grundfägen jchuldig gemadt. Es war wohl:
veritandene engliihe Rolitit, die er vertrat und deren einfadhen und durch—
Ichlagenden Grundgedanken er von nun an immer von neuem feinen Lands—
leuten einzuprägen bemüht war. Preußen in Deutichland gegen die Uebermacht
feiner Feinde fich felbit überlaffen, das hieß den Franzoſen kurzſichtig es möglich
machen, in einem legten Afte des Krieges ihre ganze Kraft in den Einzelfampf
60 Sechſtes Bud. Zweiter Abichnitt.
gegen England zu werfen; Preußens militärifhe Aufftellung in ihrer rechten
Flanke durch ein ſtarkes Außenwerk deden, an dem fich der franzöfiiche Angriff
erichöpfen mochte, hieß England für die eigentlich engliichen, die maritimen und
folonialen Aufgaben jeiner Kriegsführung freie Bahn ſchaffen. Amerika und
Indien wollten in Deutihland erobert werden.
Mitten in dieſen Kampf zwiſchen dem engliijhen Wollen und dem han:
növeriihen Nichtwollen ſah fih nun der militäriihe Bevollmädtigte König
Friedrichs, der jüngere Graf Schmettau, hineingeitellt. Von einer erften Reije
nah Hannover fehrte er Anfang Januar ganz ohne Ergebnis zurüd. Als
er einen Monat ſpäter, auf eine Anregung aus Xondon, von neuem in Han:
nover erſchien, war er den Geheimräten um jo unmwilllommener, als ihn aus
Preußen Sir Andrews Mitchell begleitete, denn neben jeiner Aufgabe, einen
Subfidienvertrag zwiſchen den beiden welfiſchen Linien ins reine zu bringen,
verfäumte der Engländer nicht, auf „die Schliche der Hannoveraner” ein wach—
james Auge zu haben. Da indes deren Verhaltungsmaßregeln aus der Londoner
deutjchen Kanzlei fich feineswegs durch Bündigkeit auszeichneten, vielmehr nad)
Mündhaufens Klage ägyptiichen Hieroglyphen glihen, jo meinten fie, vielleicht
doch ihres Königs innerſte Herzensmeinung zu treffen, wenn fie dem preußifchen
Bevollmächtigten mit möglichſter Zurüdhaltung begegneten. Sie flammerten fi
an die Hoffnung, daß die Verbündeten von Verſailles ſchließlich ſtillſchweigend
die Neutralität des Kurfürftentums gelten laſſen und die Berührung der han:
növerifhen Grenzen vermeiden würden, wenn nur bie furfürftliden Truppen
völlig regungslos blieben und in feiner Weile Ombrage gaben. Deshalb
weigerten fie fih aud gegen Schmettau, die ſechs preußifchen Bataillone aus
Weſel ohne ausdrüdlihen Befehl Georgs II. bei ji aufzunehmen, und deshalb
wünjchten fie den Oberbefehl dem Nelteften ihres eigenen Offiziercorps, dem
Generallieutenant Zajtrow, zuzumenden, um jo der Freiheit ihrer politiſchen
Entſchließungen und militäriishen Maßnahmen völlig ſicher zu bleiben.
Schmettau, dur hannöveriiche Offiziere vor den hannöveriſchen Miniftern
gewarnt, durchſchaute das Spiel, und mit ihm König Friedrich, der da meinte:
„Unſere Herren Nachbarn von der rechten Flanke haben angefangen etwas
wanfelmütig zu werden und gehen mit ihren Präparatorien jo langjam zu
Werke, dab fie einen Prätert haben, zur Neutralität gezwungen zu werben.“
Eo befriedigt er fih über die Mitteilung der Neutralitätsverhandlungen,, über
die Botichaft an das Parlament und Pitts große Rede ausgeiproden hatte, fo
erregt redete er jet — es war am 11. März — auf den in Dresden wieder:
eingetroffenen Mitchell ein: „Es iſt hart, von eben den Leuten verraten zu
werden, die ich gerettet und von denen ih die Waffen Frankreichs auf mid
ſelbſt abgelenkt habe; ficherlihb muß der König von ihnen bintergangen jein; ich
verlaſſe mich auf die Ehrlichkeit der engliichen Nation, aber nie fann id) zu den
Hannoverangrn Vertrauen haben; wenn der König den Befehl über fein Heer
einem Hannoveraner gibt, jo weit ich, dab fie nie etwas thun werben; ich fann
nicht und will nit von ihnen abhängen, Zaſtrow hat weder Fähigkeit noch Er:
fahrung und ift zum höchiten ein mittelmäßiger Untergeneral.” Nun hatte
früher Georg 1]. wiederholt den Prinzen Ferdinand von Braunschweig aus dem
Prag und Kolin. öl
preußiichen Dienft für den Oberbefehl zu gewinnen gewünjcht, Friedrid dagegen
deſſen Bruder Ludwig, den vormals öfterreichiichen, jett holländischen Feldmar—
fhall, al den geeignetiten Führer empfohlen, und als Prinz Ludwig ablehnte,
den Herzog von Cumberland. Auf diejen Lieblingsjohn Georgs II., den Sieger
von Eulloven, fam er jetzt zurüd; er meinte zu Mitchell, jeder andere würde
von den Hannoveranern büpiert werden, und jchrieb an Georg, nur ein Prinz
werde fih an der Spite eines aus Truppen der verjchiedeniten Fürften zu:
jammengejegten Heeres die erforderlide Geltung verſchaffen können, ein Unter:
than, außer Lord Marlborougb, habe das nie vermodt. Der alte Herr fühlte
fih durch das feinem Sprößling entgegengetragene Vertrauen nicht wenig ges
ſchmeichelt, Cumberland wurde ernannt, Friedrich war beruhigt und begrüßte
feinen britifchen Vetter als den Feldherrn, der Deutjchland von den fremden Ein:
dringlingen zu befreien berufen jei.
Friedrich wußte nicht, daß die von ihm betriebene Ernennung eine ſchwere
Niederlage bes engliſchen Minifteriums bedeutete. Cumberland war Pitts er:
flärter Gegner. Lord Holderneffe, der aus dem alten Kabinett in das neue
übergetretene Anhänger Newcaſtles, fand fein Arg dabei, dem preußifchen Ge:
jchäftsträger zu eröffnen, daß der Prinz bei feinem Abgang auf das Feſtland
feinen föniglihen Vater nicht in den Händen der dem König verhaßten und noch
dazu unbrauchbaren Minifter — Pitts Kränklichfeit mußte als Vorwand dienen —
zurüdlaflen werde. In der That, Anfang April wurden Pitt und die ihm
ergebenen Mitglieder der Regierung ihrer Aemter entlafen, ohne daß Erfah für
fie da war: ein volles Vierteljahr hindurch fcheiterten alle Verfuche zur Neu:
bildung des Kabinetts. So wenig ermaß Friedrich damals, was Pitt ihm noch
jein jollte, daß er die Hoffnung ausſprach, England werde jegt endlich thätigere
und ernfthaftere Männer finden, als die Newcaitle und Pitt.
Seines verhängnisvollen Sieges froh, traf Cumberland am 16. April in
Hannover ein. Mit ihm bradte jet Schmettau feine Verhandlung zum Ab—
Ihluß. Der preußiiche Feldzugsplan für den weſtdeutſchen Kriegsichauplag hatte
fein Ziel immer weiter zurüdfteden müffen. Anfänglih, im November, hatte
ih Friedrih für eine Verteidigungsitellung am Nhein mit einem feften Lager
bei Dinslafen oder Angerort, unter Umftänden, bei einer Beteiligung der Holländer
am Kriege, jogar für den Rheinübergang ausgeſprochen. Im Dezember empfahl
er ein Lager hinter der Lippe, rechts an Wejel gelehnt, und fündete an, daß
er bie Feſtung räumen müſſe, falls man fi nicht entichließe, feiner abgeiprengten
Garnifon dort bei guter Zeit die Hand zu reihen. Da nichts gefchah, be:
tradtete er im Februar Wejel bereits als verloren und riet nun den Han:
noveranern, ihre Spiten wenigftens bis Lippftabt vorzufchieben. Auf Lippitadt
oder auf eine Stellung an der Ruhr wies Schmettau jett auch den Herzog von
Cumberland hin, während Münchhauſen den Vorſtoß über die Wejer aus poli:
tiſchen wie militärifchen Gründen für hochbebenklich hielt.
Von den 47000 Hannoveranern, Braunſchweigern, Helen, Büdeburgern,
Gothaern, die Cumberlands Heer bilden jollten, fonnten vorerft nur 16 Ba:
taillone und ebenjoviel Schwadronen ausrüden, während fich die Franzofen in
der Stärke von 100000 Mann zwiihen Maas und Rhein zum Vormarſch auf:
62 Sechſtes Bud. Zweiter Abichnitt.
ftellten. Um das Mifverhältnis der Zahl auszugleichen, hatte König Friedrich
jeit dem vorigen Herbit wiederholt die Entjendung britifcher Regimenter nad
Deutfchland angeregt und noch jüngft wenigitens Reiter aus England für Cumber:
lands Heer gefordert. Er mußte noch nicht, daß nah einem mhiggiftiichen
Glaubensfage engliihes Blut zur Verteidigung der deutſchen SKurlande des
Königs von Großbritannien nit vergoflen werben durfte. Nur das wurde ihm
von neuem zugeiagt, wie ſchon im vergangenen Juli, daß im Falle eines ruf:
fifchen Angriffs auf Preußen eine engliihe Kriegsflotte in der Oſtſee erfcheinen
würde; aber leider erjchütterte mehr als ein Anzeichen den Glauben an die
Ausführung des Verſprechens.
Anderjeits hielten die Hannoveraner in ihrem Beitreben, fi aus ber
Verbindung mit Preußen herauszuminden, den naheliegenden Einwand nicht
zurüd, daß der preußifche König für die Abwehr der Franzojen wohl mit feinem
Rat, aber nicht mit der That bei der Hand ſei. Schmettau konnte ſich ihren
Klagen nicht ganz verjchließen und richtete während feiner zweiten Gefandtichaft
an den Kabinettsrat, den fiheriten Kenner jowohl der Sachlage wie der Stim-
mungen, die Vertrauensfrage, ob es völlig ausgeſchloſſen ſei, 10000 Preußen
nah dem Welten zu entjenden, Aber der König hatte von vornherein auf das
beitimmtefte erklärt, er müſſe Rußlands verfichert fein, bevor er auch nur einen
einzigen Mann von feinem Heere miſſen könne; er wolle, wenn Rußland nichts
gegen ihn unternehmen würde, fiher ein Truppencorps zu dem weſtdeutſchen
Heer ftoßen laſſen, jonft aber könne ihm billigerweije nicht zugemutet werden,
auch noh am Nhein zu Fämpfen. Demgemäß räumte er auch, wie er gedroht
batte, beim erften Erjcheinen der Franzofen feine von den Verbündeten ihrem
Schidjal überlafjene Rheinfeftung, nachdem jein Gedanfe, Weſel holländiſchen
Truppen zur Verwahrung anzuvertrauen, fih als unausführbar herausgeftellt
hatte. Die durch die Preisgabe der Feitung gerettete Bejagung, jene ſechs Ba—
taillone, fteuerte er zu dem in der Bildung begriffenen Wejer:Heere bei; bie
Mehrforderung, mit welher Schmettau beitürmt wurde, lehnte er endgültig ab.
Dann aber eröffnete er den Verbündeten auf einmal eine Ausficht,
die fie nad) allem Worangegangenen um jo freudiger überrafchen mußte und die
den Herzog von Cumberland vielleicht erjt entichieden hat, fich über die Weſer
zu wagen. Alles hänge davon ab, ließ er dem Herzoge zum Willlommen jagen, ob
man lich ſechs Wochen in Weitfalen halten könne, bis zur Ankunft eines preußischen
Corps. Noch beitimmter bezeichnete er dem König von England in einem Briefe
vom 10. April Mitte Mai als den Zeitpunkt, bis zu dem er mit den Defter-
reihern in Böhmen jo weit fertig zu fein gedenfe, um gegen Ruſſen und Franzojen
zu detadhieren und jeine Bundesgenoffen unterftügen zu fönnen.
Der Feldzugsplan, für den er ſich ſoeben entihieden hatte und der ihm
diefe Zuverficht gab, den Hannoveranern jchneller als fie und er gedacht, Hülfe
) Vgl. oben ©. 16.
Prag und Kolin. 03
bringen zu fönnen, führte, aus langen Erwägungen hervorgegangen, über anz
fänglide Vorjäge weit hinaus.
Auf den Feldzug von 1757 und die großen Dinge, die alsdann gejchehen
würden, hatte der König den Marihall Schwerin im vorjährigen Herbfte ver:
tröftet. Und zu dem engliihen Gejandten jagte er in den Meihnadtstagen:
„Von dem Erfolg der nächſten Campagne hängt alles ab; ift der günftig, fo
wird der Krieg nicht lang jein, und in diefer Meinung jpare ich feine Koften,
um mic ftark zu machen und meinen Feinden die Stirn bieten zu können.“
Seit dem Beginn des Krieges hatte ſich das Heer zunächſt durch die Ein-
verleibung der zehn ſächſiſchen nfanterieregimenter vermehrt. Um deren
Lüden auszufüllen und fie auf preußiichen Fuß zu bringen, war den fächfifchen
Kreifen im November die Stellung von 9070 Rekruten auferlegt worden. Die
Sollitärfe betrug jegt 21900 Mann. Garnijonbataillone waren jeit dem Auguft
nod zehn zujammengetreten. Für das loje Gefecht gegen die Kroaten wurden im
Auslande vier Freibataillone, eine bald bewährte Verjuchstruppe, angemworben.
Am meiften ins Gewicht fiel eine neue Erhöhung des Mannfchaftsbeitandes bei
den Feldregimentern. Nachdem fie ſchon im Dezember für die Kürajfiere und
Dragoner angeordnet war, entſchloß jich der König Anfang Januar, die In—
fanterie um mehr als 19000 Mann, d. h. jede Compagnie mit 30 Kantoniften zu
veritärfen: jene Maßregel,') die mehr als alles andere erjehen läßt, wie furchtbar
ernit ihm die Lage erichien. Denn bei Beginn des letzten Krieges hatte er den
Regimentern vielmehr verboten, auch nur einen Refruten aus ihren Kantons
zu entnehmen:;*) jegt ward, noch ehe das Heer namhaften Verluit gehabt hatte,
mit übervollem Maß aus diejer font jo jtreng gehüteten Quelle geihöpft. Auch
die Hufarenregimenter, bei der Augmentation von 1755 leer ausgegangen,
wurden jest zweimal nadeinander an Mannjchaftszahl heraufgefegt. Ingeſamt
glaubte der König das Heer derart auf 210000 Mann bringen zu können.
Ganz iſt diefe Zahl nicht erreicht worden. Die bisher ſächſiſchen Negimenter
lichteten fich durch Mafjendejertion; eines von ihnen entwich in offener Meuterei
mit Wehr und Waffen über die polniihe Grenze zu dem alten Kriegsherrn.
Bor dem Feind vollends war auf diefe mwiderwilligen Truppen niemals zu
rechnen. So blieben für den Kampf im offenen Feld nur etwa 150000 Mann.
In der Verteilung der Streitkräfte trat gegen das Vorjahr die Ver:
änderung ein, daß das Gorps in Pommern, urfprünglid nah Oftpreußen zur
Verftärfung des Feldmarjhalls Lehwaldt beitimmt, während des Winters nad
der Lauſitz gezogen wurde, wo die preußiiche Poftenfette von den öfterreichifchen
Vortruppen während des Winters fort und fort beläftigt wurde; der Ueberfall
von Hirschfeld am 20. Februar bewies, wie dem Gegner die Zuverficht wuchs.
Sah fid jet Lehwaldt allein auf jeine während des Winters bis zu 30000
Mann veritärkten ojtpreußiichen Negimenter angewieien, jo waren in Sachſen
und Schleſien rund 117000 Mann FFeldtruppen vereinigt: 76000 Mann als
Hauptheer unter dem König, 41000 Dann unter Schwerin. Die Dejterreiher
) Bal. oben ©. 53.
2 8b. ], 542.
64 Sechſtes Bud. Zweiter Abichnitt.
in Böhmen und Mähren jhägte man annähernd richtig auf 130—140 000 Mann;
genau zählten fie Ende März 133000 Mann.
Um an der enticheidenden Stelle möglihit ftarf zu jein und gleich zu
Beginn des Feldzugs eine Kraftprobe ablegen zu fünnen, hatte der König bie
10 000 Mann aus Pommern herangezogen. Das Etärfeverhältnis zwiichen ihm
und dem zunädft allein jchlanfertigen Gegner war jegt nicht ungünftig. Aber
diefem Gegner entgegenzugeben, ihn in Böhmen-aufzufuchen, hatte er, als er
die Bommern fommen ließ, doch nicht beabfichtigt.
Wenn Friedrih die durdhichlagende Enticheidung in einem Kriege mit
Defterreih nur von einem Angriff auf Mähren erwartete, jo waren Schwerin
und Winterfeldt, mit denen er den ganzen Winter bindurd in regem Meinungs:
und Nachrichtenaustauſch ftand, in diefem Grundgedanken durchaus mit ihm
einveritanden. „Ehe ſich der Krieg, und jo wie Eure Majeftät es allezeit ge-
jagt, nicht gegen Mähren jpielt, aibt es feinen rechten Ausichlag der Sache,“
ſchrieb ihm Winterfeldt, und ebenfo Schwerin: „Es ift gar jehr wahr, daß, wofern
wir nicht den Krieg nah Mähren und Deiterreih tragen, niemals ein vorteil:
bafter, ſolider und guter Friede zu erhoffen ift.” Mähren blieb aljo das ge:
lobte Yand der preußiichen Strategie; aber in einem Kriege gegen drei oder
mehr Mächte ſchien es vorerft zu gewagt, fi von der jtarfen, gejchlofjenen
Mittelftelung, die man in Sachſen, der Yaufit und Niederfchlefien einnahm,
nad irgend einer Seite hin weit zu entfernen. Der Zug nah Mähren, die
Dffenfive überhaupt, wurde deshalb erit als ein fpäterer Aft des neuen Feld—
zuges gedacht. Gröffnen follte das Stüd nad des Königs anfänglidber Meinung
ein Borfpiel, für das er ben Defterreichern die ftrategiihe Vorhand zu laſſen
beabfichtigte. In der gededten Zentralftellung an der Elbe, hinter den Bergen,
die ihn von Böhmen trennten, fonnte er bei dem Vorteil der inneren Opera—
tionslinie dem Gegner, ob er num vor der Front, ob er rechts oder links in
der Flanke fich zeigte, allemal leicht mit überlegener Streitmacht entgegentreten;
bier alfo wollte er ihn erwarten. So ſchien es die politiihe und jo die mili:
täriſche Lage zu erfordern; fo auch hatte er zu Beginn des Feldzugs von 1745 den
öfterreihiichen Stoß gegen Schlefien aufgefangen und in der ftrategiichen Defenfive
mit taftiicher Dffenfive- den glängendften feiner bisherigen Siege erfochten.
Wieder wie damals fol ihm eine Schladht alsbald für den ganzen Feld—
zug die Ueberlegenheit verjhaffen. Eine enticheidende Schlacht. Kein unnützes
Blutvergießen, eine Schlaht mit nahdrüdlicher Verfolgung, anders als die Lobo—
ſitzer Schlacht, mit der er nachträglich fo unzufrieden ift: „Jede Bataille, fo wir
liefern, muß ein großer Schritt vorwärts zum Verderben des Feindes werden.“
Man wird das feindliche Heer, wenn es irgend möglich ift, vernichten, „abi—
mieren“. Der zeitgenöffiihe Gejchichtsichreiber des fiebenjährigen Krieges,
Tempelhof hat feinen König als einen Feldherrn bezeichnen zu dürfen geglaubt,
ber nicht bloß Schladhten fchlägt, um einmal das Tedeum laudamus anftimmen
zu laſſen, jondern allemal eine totale Niederlage des Feindes zur Abficht hat,
und Warnery hat geradezu gejagt, Friedrichs Bemühen fei ftets darauf ge:
gangen, das feindliche Heer gänzlich zu vernichten. Hier hören wir von Friedrich
jelbit, das er fich dieſes deal der Schlacht in der That vor die Augen ftellt.
Prag und Kolin. 65
Iſt der Erfolg durdichlagend, dann wird die moraliihe und politijche
Wirkung der Schladt hinter der militärifchen nicht zurücbleiben. Eine glückliche
Bataille vor Mitte Mai, ſo meint der König in einem Briefe aus dem Februar,
und die Ruſſen werden vielleicht gar nicht marſchieren. Er weiß von den Fran—
zoſen: „Die Leute ſind mir ſo böſe, ſie möchten mir zerreißen,“ aber er denkt:
„wann erſt die Oeſterreicher tüchtig auf die Ohren werden gekriegt haben, ſo
werden ſich die ſtolzen Wellen legen.“ Er weiß von den Schweden, daß ſie
„nicht die beſten Geſinnungen der Welt“ für ihn hegen: „aber bevor ſie Truppen
verſammeln, werde ich meine Feinde geſchlagen haben, und die anderen werden
nicht das Herz haben, ſich zu rühren.“
Iſt in der ſtrategiſchen Defenſive eine erſte große taktiſche Entſcheidung
gegen ein öſterreichiſches Heer herbeigeführt, ſo werden als weitere Aufgaben
folgen: Abrechnung mit den ſonſtigen Streitkräften der Oeſterreicher und, wenn
ſie kommen, mit ihren Verbündeten, und endlich, als „Ziel- und Endzweck von
alledem“, die Verlegung des Kriegsſchauplatzes nach Mähren, wo der Krieg, wie
Friedrich hofft, „mit Gottes Hülfe bei Olmütz ſich endigen ſoll“.
Wo der erſte Schlag fällt, das erklärt er in einem Brief an Schwerin,
iſt einerlei: vorausgeſetzt, daß der Feind an einem Ort kräftig geſchlagen wird,
ſo kommt auf den Ort ſelbſt wenig an. Den Feldzugsplan im einzelnen feſt—
zuſtellen, war auch Ende Januar bei den Beſprechungen in Haynau!) noch nicht
möglih. Die Nahrichten änderten fih „von Tage zu Tage”. Was wußte man
Sicheres über die Abfichten der Dejterreiher, über die Heere, die fie aufitellen
wollten, und die Stätten ihrer Verjammlung, über ihre Magazine? Ob fie nad)
Schleſien oder nah Sachſen oder vielleiht auch ins Halberſtädtiſche einfallen
würden? Ob die Franzofen nah Franken und Böhmen oder nur vom Nieder:
rhein aus vorgehen, ob die Ruſſen fih nad Oftpreußen oder nad Schlefien und
Mähren wenden würden?
Doch neigte der König der ganz zutreffenden Meinung zu, daß die Defter:
reiher es auf Sachſen abgefehen hätten, wo feine Feftungen wie in Schlefien
ihnen das Vordringen erſchwerten, wo ihnen nad einem Siege alles auf einen
Schlag zufallen konnte. Aud in Haynau vertrat er Schwerin und Winterfeldt
gegenüber dieje Meinung, und alle weiteren Nachrichten beftärkten ihn darin.
Am 10. März fündete er Schwerin an, daß er ihn gegebenen Falls zu ſich nad)
Sachſen nehmen und in Sclefien unter einem anderen General gerade nur jo
viel Streitkräfte zurüdlaffen werde, als zur Verteidigung erforderlich feien.
Einige Tage darauf, am 16. März, glaubte er endlich den Plan der Ver:
bündeten in den Umrifien zu erfennen: 80000 Franzofen, noch verftärkt durch
Deiterreiher und Neihötruppen, werden über den Rhein fommen, 50000 um
Wejel zu belagern, 30000 um auf Magdeburg zu marſchieren; die Defterreicher
werden den Zeitpunkt abwarten und wahrnehmen, wo ein Teil der preußiichen
Hauptmacht diefen Truppen entgegenziehen muß; alsbald wird Browne im
Vertrauen auf feine Uebermacht gegen Sachſen vorbreden. Da gedenkt nun
i) Bol. oben S. 52.
Rojer, Hönig Friedrich der Sirohe IT. 2. Aufl. 5
66 Sehftes Bud. Zweiter Abſchnitt.
Friedrih 30000 Mann gegen die Franzojen auszujenden, 60000 gegen Browne
in Sachſen zu behalten, mit 35000 die Yaufig, mit 15000 Schleſien zu beden.
Gerade in diefen Tagen erbielt er die willlommene Gemißheit, daß der
König von England die Neutralität für Hannover verwarf und ein Heer gegen
die Franzoſen zufammenzog. Deren Mari nad Magdeburg ftand ſomit noch
in weiter ferne. Dagegen verlautete jeßt, dab ſich ein franzölifches Heer im
Elſaß verfammle, um über Mainz an den oberen Main zu ziehen. Die beiden
neuen Umftände berüdfichtigt am 20, März ein zweiter, bereits auf Einzelheiten
eingehender Entwurf, in weldem König Friedrid vier verjchiedene Fälle ſetzt.
Hält Browne fih in Böhmen defenfiv und fommen von Mainz über
Schweinfurt 30000 Franzofen, verftärft dur Neichstruppen, jo will er den
Franzoſen 40000 Mann, darunter 87 Schwadronen, entgegenihiden, die übrigen
Truppen aber abwartende Stellungen einnehmen laſſen: bei Zwidau 25 000 Mann,
bei Dresden 35000, in der Oberlaufig und ben benadbarten Strichen von
Schlefien 35000, bei Schweibnig und in den jchlefiichen Feitungen 15000,
Stößt zu den vom Main anrüdenden Franzojen ein öfterreihiiher Trupp
aus Böhmen, jo muß das ihnen entaegenrüdende Heer durch Nachſchub aus
Sachſen um 10000 Mann veritärkt werden.
Kommen die Franzojen nicht zum Vorſchein und dringt Browne in Sadjen
ein, jo bleibt es bei dem alten Plan, ihn dort möglichit enticheidend zu fchlagen.
Beichränten fih dagegen beim Ausbleiben franzöfticher Hülfe die Defter:
reiher auf einen Defenfivfrieg in Böhmen, jo muß man fie in diefem vierten
Fall freilih dort aufjuchen und vor allem Browne aus feiner feiten Stellung,
aus dem Winfel zwiſchen Elbe und Eger, verdrängen. Das fann geichehen, jo
führt die Denkichrift aus, entweder durch Bewegungen in feiner linfen Flante,
vielleicht ichon dur eine bloße Demonitration gegen Eger, jedenfalls aber durch
Belagerung und Eroberung dieſes Waffenplages, oder durch eine Bedrohung der
öfterreichiihen Stellung im Rüden, wenn 40000 Mann aus Schlefien, 40 000
aus der Lauſitz einbrechen und fi bei Jungbunzlau vereinigen.
Der König jandte diefe „Suppositions verſchiedener Projekte” an Schwerin,
mit dem Erſuchen, ſich ganz offenherzig und ganz natürlich darüber zu äußern.
Für den allgemeineren Entwurf vom 16. März hatte er gleih an dieſem Tage
jowohl von Schwerin wie von Winterfeldt ein Gutachten eingefordert. So be-
gann zwijchen dem großen Hauptquartier zu Dresden und ben Führern des
Ichlefiichen Heeres in Neiße und Landshut ein denkwürdiger Schriftwechiel, da
die Generale ihre entjchieden abweichende Meinung mit Freimut und Lebhaftig—
feit zur Geltung brachten.
Die beiden Männer bat Prinz Heinrih in einer eben damals ent—
worfenen Charafteriftit Winterfeldts einander gegenübergeitellt als den vortreff:
lihen und den mittelmäßigen General und zugleich als den von dem oberften
Kriegsheren mißtrauisch zurüdgeiegten Ehrenmann und den über alles Verdienft
bevorzugten Höfling.
Heinrich wollte Winterfeldt Mut und guten militäriihen Blid und einige
Erfolge gegen die öfterreihiihen leichten Truppen nicht abiprechen, fand es aber
anmaßend, daß dieſes fleine Licht Feldzugspläne ausdenfen wolle. Des Prinzen
Prag und Kolin. 67
Meinuna, ungünftig über Winterfeldts Talent und noch ungünftiger über feinen
Charakter, vielen ganz aus dem Herzen geſprochen und von vielen eifrig nad):
geiprohen, von anderen urteilslos angenommen, Hat die hiftorische Auffaffung
auf lange hinaus beftimmt. Daß Winterfeldt feine zahlreihen Gegner im Offizier:
corp& hatte, lag bis zu gewiſſem Grade ſchon in der Art feiner dienftlichen
Stellung. Es fonnte nicht anders fein, als daß der Mann Gegenftand miß-
trauifcher Scheu wurde, der jeit langen jahren beitändig in des Monarchen Im:
gebung, deſſen Ohr mehr als irgend ein anderer Offizier zu befigen fchien und
nach der gemeinen Rede zumal auf Fragen der bienitlihen Beförderung be—
deutenden Einfluß ausübte. Kein Hufarenoffizier, fo hieß es, könne ohne Winter:
feldts Gunft jein Glück maden. Aber nicht bloß die aufftrebende Jugend fühlte
fih abhängig, auch ein Zieten war der Meinung, daß von diefer Seite ihm
Steine in feinen Weg geworfen wurden, und felbit der Erbe der Krone hielt es
für flug, wie uns ein Brief aus dem Jahre 1750 zeigt, dem Günftling des
Königs feine Sntereffen zu empfehlen. So viele ihm gram waren, niemand
wünjchte ihn fich zum Feinde zu maden. „Man behauptet, daß Er es ilt, der
in die Armee ein gewiſſes gegenjeitiges Mißtrauen und eine Kriecherei hinein:
gebracht hat, die früher unbefannt waren,” jo berichtet ohne zu widerſprechen
der ziemlich unparteiiihe Warnery; aber gegen den Vorwurf, daß Winterfeldt
dem König liebedieneriih nah dem Munde geredet habe, hat ihn derfelbe
Warnery entihieden in Schub genommen: „Er ſprach frei heraus zu dem Könige
und war ein fehr guter Staatsbürger.” Und Winterfeldt jelbit hat den Ruhm
für jih in Anſpruch genommen: „vor Eurer Majeität niemals etwas auf dem
Herzen zurüdbehalten zu haben”.
Daß er ehrgeizig jei — die Tadler ſprachen von feinem maßloſen Ehr—
geize — hat Winterfeldt nicht leugnen wollen: denn niemand fünne ohne Am:
bition jeinem Könige rechtjchaffen dienen. Aber wie weit war jein Ehrgeiz ent:
fernt von kleinlicher Eitelkeit: als eine ihm hinterrüds gewidmete Schrift in der
Zueignung jeine Kriegsthaten pries, da beflagte er fih, daß die Zenſur diefe
„roindige” VBorrede nicht unterbrüdt habe, und meinte, das von feinem Lob:
redner Vorgebrachte gleiche dem, was fein Reitknecht zu erzählen pflege, um ſich
auf der Bierbanf breit zu maden und zu bemeilen, in weldhen Gefahren er aud)
dabei gemweien jei: „Sch verlange die Fama niemals zum Trompeter meiner
Aktionen, jondern nur allezeit meinen eigenen Bujen zum Richter zu haben.”
Bei ſolch hochherziger Gleichgültigfeit gegen den Nachruhm konnte es geichehen,
daß als lange nad) feinem Tode endlich zur Verteidigung feines Leumunds ein
Verwandter das Wort ergriff, im Befig der Familie ganze zwei Briefe von
Winterfeldt aufgefunden wurden. Nur fo Fonnten gerade jeine vornehmiten
Verdienſte völlig im ftillen bleiben, fonnte feine Bedeutung als Stratege länger
als ein Jahrhundert allgemein verfannt werben.
Zum Entgelt haben jeine mit der Feder überaus rührigen Gegner ganz
andere Dinge auf jeine Rechnung gejegt, mit Berufung nicht gerade auf ben
tapferen Reitfneht, aber auf einen doch ganz uneingemweihten Sefretär. Zur
treffend it, dab Winterfeldt fich im Juli 1756 unter einer beitimmten Woraus:
jegung für das Losſchlagen, das Prävenire, ausgeiprohen hat: jene Leute aber
68 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt.
wußten viel mehr. Ihnen galt als ausgemacht, daß Winterfeldt der eigentliche
Urheber, der „Feuerbrand“ des neuen Krieges geweien, dab er den im Herzen
friebliebenden König erft aus der vorteilhaften Verbindung mit Frankreich ge:
riffen und dann in den Kampf hineingetrieben habe, und das aus brennender
Begier nad neuem friegeriihen Ruhm, aus perjönlicher Gereiztheit gegen die
Kaiferin von Rußland und aus Haß gegen die Franzoſen, die ihm deshalb vor:
nehmlih ein Greuel gewejen jeien, weil feine Unfenntnis ihrer Sprade ibn
ſchon oft in peinliche Lage gebracht habe — Dinge, von denen alles in allem
gerade nur die Unkenntnis des Franzöfiichen als Thatſache beftehen bleibt. Denn
allerdings, der Schulfenntniffe und der mobiihen Bildung oder Zuſtutzung ent:
behrte diefer Mann; als jeinen eigentlichen Lehrer hat er nicht den Predigt:
amtsfandidaten, der im udermärkifchen Herrenhauje zu Schmarjow den Knaben
unterrichten jollte, jondern einen alten Sergeanten betrachtet. Auch jein Ge:
Ihmad jcheint nicht allzu anſpruchsvoll geweien zu fein. Bielfeld, der Mann
ber feinen Formen, war bei einem Beſuch in dem Potsdam Friedrich Wilhelms 1.
baß eritaunt, den Kapitän Winterfeldt mit feinen Kameraden ein Tanzvergnügen
ohne Damen veranftalten zu fehen, und Prinz Heinrich jpottete über Winter:
feldts Behagen an einer Gejelligfeit im Stil der Zeiten Heinrichs des Vogel:
ſtellers. Bekannt als Freund eines jcharfen Trunfes, büfte er doch nad
Warnerys Zeugnis nichts an Arbeitskraft und an Friihe ein. Und wenn der
Prinz alles, was der geiprädige Mann vorbradte, trivial fand und feine Wiße
Ihal, jo wird jchwerli der Leſer Winterfeldtfcher Briefe das verächtliche Urteil
unterfhreiben; fie erfreuen überall durch Natürlichkeit, individuelle Farbe, glüd:
lihen Ausdrud, fräftigen Humor.
Seine Munterfeit und Anftelligfeit, in Verbindung mit einem anſprechenden,
feden Gefiht und ftattliher Geftalt, hatten dem jungen Anfänger alsbald das
MWohlgefallen Friedrih Wilhelms I. und auch des Kronprinzen Friedrich erworben,
dem er zuerft im Rheinfeldzug von 1734 näher getreten ift. Friedrich hat 1740
den Lieutenant zum Major und wieder im näditen Jahre den Major zum
Oberften und Generaladjutanten befördert; er bat vor dem Feinde in feinem
Günftling den Offizier von feltenem Kaliber und jeltener Befähigung erprobt, als
welchen Winterfeldt einer feiner Vorgejegten gerühmt bat; er hat ihn zu Friedens—
zeiten in Vertrauensaufträgen verjchiedeniter Art verwandt. Aber Winterfelbt
war ihm noch mehr, als ein überaus gefchidtes Werkzeug. „Er mar mein
Freund,“ hat der alte König nah langen Jahren zu dem Lieutenant Rüchel ge:
jagt, „er war ein guter Menſch, ein Seelenmenſch.“ Winterfeldt empfand es in
mißmutigen Stunden als eine Beeinträchtigung, daß er jahraus, jahrein in
Potsdam ftille fiten müſſe, während bereits zwanzig feiner Hintermänner
vor ihm ein Regiment erbalten hatten. Der König aber beſchwichtigte ſolche
Klage, bis er ihm eines der Berliner Mufterregimenter verlieh, mit der Ver:
fiherung, daß Winterfeldt ihm zu qut jei, um einfach Oberftendienite zu tbun
und in der Provinz „dem Schlendrian zu folgen”; er fei zu größeren Dingen
beitimmt.
Wie hätte es einem fommandierenden General bequem fein jollen, diefes
militärifhe andere Ich des Königs ſich im Felde als Helfer oder gar Aufpafier
Prag und Kolin, 69
an die Seite geitellt zu jehen? Da ſpricht es für Winterfeldt und für Schwerin
gleihmäßig, daß ihr Verhältnis während der gemeinfamen Wirfjamfeit an der
Spitze des jchlefiichen Heeres ſtets ungetrübt geblieben ift, daß zwiichen dem Feld-
marſchall und dem Generallieutenant in allen wichtigen ragen der Heeres-
führung volle Uebereinſtimmung beitanden hat. So hatte Schwerin auch bie
zunächſt nur ihm ſelbſt zur Begutachtung vorgelegte Denkichrift des Königs frei
von jeder Eiferſucht ohne weiteres Winterfeldt mitgeteilt und rechtfertigte vor dem
Gebieter dieſe Ueberantwortung des Geheimniſſes an einen dritten mit dem
Hinweis jomohl auf die Verjchwiegenheit wie auf das Sachverſtändnis feines
Untergebenen.
Schwerin, jegt zweiundiiebzigjährig, war im Unterichieb von Winterfeldt
der gebildete Difizier, des Franzöfiichen, Italieniſchen, Lateinifchen mächtig, der
Weltmann und Lebemann, der aud bei den Offizieren feines Regiments auf
äußeren Glanz und deshalb auf Glüdsgüter Wert legte. Sein verbindliches
Weien, die „anädige Stellage”, die er fich zu geben wußte, ſchuf ihm Beliebt:
heit über den Kreis des Heeres hinaus. Es war eine moralifhe Eroberung,
wenn der Feldmarſchall im Auguft 1741 nad der Bejegung von Breslau beim
Empfang der proteftantiichen Geiftlichfeit nicht bloß ihren Sprecher, jondern, um
niemand zurüdzujegen, jeden einzelnen Paſtor mit einem Friedenskuß bedachte,
alio daß „ich dieier Aktus mit der größten Zärtlichkeit endete”. So berrjchte
auch in jeiner Garnijon Frankfurt, im erfreulihen Gegenjat zu den teten Miß—
belligfeiten, von denen man zu des alten Deflauers Zeiten aus der Mufenftabt
Halle hörte, zwifchen dem Regiment und der Univerfität das befte Einvernehmen,
und es warb dem Chef hoch angerechnet, daß er Profefloren und Studenten in
fein gaftlihes Haus zog. Seine Adjutanten hielt der Leutjelige nach der Mei:
nung mander nicht kurz genug.
In dem Heere, das 1756 in den Krieg 309, gab ihm feine alte Kriegs:
erfahrung überwiegendes Anſehen vor allen anderen Generalen. Er hatte auf
den Schladhtieldern des ſpaniſchen Erbfolgefampfes und des nordiihen Krieges
jeine Schule gemacht, hatte als holländijcher Lieutenant bei Höchſtädt unter den
Augen Marlboroughd und Eugens und als medlenburgifcher Oberit bei Gabe:
buſch an Stenbods Seite gefochten; er rühmte ſich der militärifchen Unterweilung
durch Karl XII., deſſen türfiiches Eril er einige Monate geteilt hatte. Den
Tage von Walsmühlen Anno 19, wo er mit feinen Medlenburgern fih den Weg
durch das hannöverifche Erefutionscorps eröffnet hatte, dankte er feinen Ruf als
verwegener und zugleich umfichtiger Truppenführer und demnädft die Aufnahme
in den preußiichen Dienit. Auf ihn ſchworen num die zahlreihen Gegner bes
Deilauers, feines um act Jahre älteren Waffengefährten von Höchſtädt. Der
„tleine Marlborough“ hatte feine Partei im Heere, und bald wurde aud) der
Kronprinz ihr zugezählt.
Auf den Thron gelangt, nahm Friedrich den jüngiten Marichall, den erit
er ernannt, auf feinem eriten Feldzug mit und ließ den älteften daheim. Seit
dem Sieg von Molwig war Schwerins Name in aller Munde, zugleich aber
flüfterte man von dem Neide des Königs, wie vorher von der Eiferfucht des
Füriten Leopold. Nah außen ſchien alles unverändert, doch jchon nad dem
zu Sehftes Buch. Zweiter Abſchnitt.
unbefriedigenden Ausgang des mähriſchen Winterfeldzuges machte Friedrich in
einem beißenden Epigramm auf die jchledhte Kopie eines elenden englijchen
Originals jeiner üblen Laune Luft, und vollends nah den Reibungen im
zweiten Kriege!) war der neue Marlborough in den Augen des zürmenden Ge:
bieters für geraume Zeit der eigenfinnige Thor, deſſen Empfindlichkeit feine
Schonung verdiene. Erft im Herbit 1747, nad einer offenen Ausſprache, wid
die föniglihe Ungnade von ihm. Schwerin ward jet wieder bei Hofe geſehen.
Daß er nad) jeiner zweiten Heirat die Gattin dort nicht vorjtellen durfte, kränkte
ihn von neuem; aber die Verbindung hatte ihre anftößige Vorgeſchichte, wie
denn die galanten Sünden des waderen Degens jchon früher den Zorn Friedrich
Wilhelms I. entfeffelt hatten.
Inzwiſchen hatte fih die Echwerinihe Partei je länger je mehr daran
gewöhnt, ihren Helden wie einit gegen den alten Deflauer jo nad Xeopolds
Tode gegen den König felbit als den Größeren auszufpielen. Wenn jegt im
Feldlager Friedrich jcherzend von den zwei netten Jungen ſprach, mit denen bie
Königin von Ungarn zu thun babe, jo meinte ein fürwitziger prinzlicher Adjutant,
diefe Zufammenftellung jei für Schwerin jchmeichelhaft vom höfiſchen Stand:
punft aus, vom militärifchen aber made es dem Könige feine Unebre, neben
dem größten General Europas genannt zu werben.
Eine europäifhe Berühmtheit war Schwerin allerdings. 1745 hatte
Ludwig XV, gewünſcht, ihn an die Spige eines jeiner Heere zu Stellen, und
einige jahre jpäter dahte man ihm in Stodholm das Oberlommando über das
ſchwediſche Heer für den Fall eines ruffiihen Krieges zu. Nicht der jchlechteite
Teil jeines Feldherrnruhmes war die trefflihe Mannszuht, die er zu halten
verftand; von feinem Partner von 1756, dem Fürften Piccolomini, wird das
Wort überliefert, wer auf eine edelmütige Art Krieg führen lernen wolle, müſſe
unter einem Schwerin dienen, und er jelbft bat es als feinen Erfahrungs
grundjaß bezeichnet, daß es nur von dem guten Willen der Generale und
Dffiziere abhänge, alle Plündereien zu vermeiden. In feiner erfolgreichen Für:
forge für die Verpflegung wurde er feinen Nachfolgern als Muſter bingeftellt.
Sein Heer, jo wurde ihm nadgerühmt, hatte nie Mangel an Lebensmitteln und
hatte feine Dejertion. Er fannte die Bedürfnifie des Soldaten, da er von ber
Pife an gedient hatte — König Friedrich hat an jeinem Beispiel den pommerſchen
Evelleuten einleuchtend gemacht, wie weit fie es durch eigene Tüchtigfeit bringen
fönnten, denn der junge Schwerin jei von jeinem Vater in die Fremde geihidt
worden mit einem Thaler in der Taſche, einer Obrfeige und dem Rat, ſich das
in Zufunft von niemand mehr gefallen zu laſſen. Das warme Herz für die
Truppe, perjönliche Tapferkeit, deren Denkmäler zahlreihe Narben waren, eine
förperlihe Zähigfeit, die no dem reife die Strapazen des Feldzuges mit
den Truppen zu teilen erlaubte, endlich auch fein Chriftentum, an dem diejes
Weltfind feit bing und gleich dem gemeinen Mann inmitten der Fährniſſe ſich
aufrichtete, alles das wirkte zufammen, um dem glänzenden Kavalier auch den
Nimbus des volfstiimlihen Helden zu leihen. Und jo war es nicht bloß der
1) 3b. I, 163. 238.
Prag und Kolin. 71
Opfertod auf dem Schladitfelde, es war ein vorlängit in einem ganzen Leben
begründeter Ruf, was den Leberlebenden ihren Schwerin als eine der leuchtend:
ften Geftalten der preußiſchen Kriegsgeihihte, als die Verförperung der alten
Tüchtigfeit diefes Heeres ericheinen ließ. „Die Armee wird nie vergejlen, daf
- der Marihall Schwerin fie befehligt hat” — mit diefem Wort hat der König
jechzehn Fahre nach des Helden Tode nur der Wertihägung den klaſſiſchen Ausdruck
gegeben, die unter den Veteranen des fiebenjährigen Krieges wie unter dem
jungen Nachwuchs die allgemeine war.
Einem Schwerin fonnte es nicht gleich gelten, ob ein Feldzugsplan feiner
Bethätigung als jelbjtändiger Heerführer ein ſchmaleres oder weiteres Feld anwies,
das Band der Ilnterordnung unter die allgemeine Heeresleitung jtraffer oder
loderer anzog. Gleich auf die erfte Andeutung des Königs, daß er ihn vielleicht
zu ih nah Sachſen nehmen müjje, hatte der Marihall am 13. März den
Gegenvorjchlag gemadt, dur einen Marſch über Trautenau nad Jungbunzlau
den Feind von Sachſen abzulenfen. Gegen die Truppenverteilung, die nun des
Königs Entwurf vom 16. März in Ausficht ftellte, machte er nochmals die Not:
wendigkeit geltend, das fchlefiiche Heer vielmehr zu verftärfen, als zu ſchwächen;
von Schleſien her bedroht, werde der Feind auf Angriffsbewegungen um jo eher
verzichten.
Noch nahdrüdliher und mit einem pofitiven Gegenvorſchlag erklärte ſich
von vornherein Winterfeldt gegen des Königs Entwurf. Er hatte ſchon bei den
Beiprehungen in Haynau fi mit dem Gedanken, die Defterreiher in Sachſen
zu erwarten, nicht zu befreunden vermocht und dem König damals bedeutet, er
glaube nit, daß man dem Feind dort werde beifommen können; man werde
genötigt fein, ihm über Eger zu folgen, um ihn vielleicht erft in der Gegend von
Prag „bei den Ohren zu friegen”. est, am 19, März, jchreibt Winterfeldt:
Wolle man dem Feldmarihall Browne Zeit laſſen, mit 80—90 000 Mann ſtille
zu ſitzen und abzuwarten, wie der Anſchlag der Franzoſen ablaufen werde, dann
bleibe allerdings nichts übrig, als die von dem Könige ins Auge gefaßten Maß:
nahmen. „Gott bewahre aber davor,” plakt er dann ohne Umſchweife heraus,
„wicht in die Verlegenheit zu fommen, jolche Mejures nehmen zu dürfen!” Denn
wie jolle man mit 15000 Mann Sclefien deden, auf deſſen Hülfsmittel man
doch in diefem Krieg vornehmlih rechnen müſſe. „Um aber diefem Uebel ab:
zubelfen,” fährt er in feinem urwüchſigen Deutich fort, „und des Feindes ge:
fährlihen Deifeins zuvorzukommen, jehe ich fein ander Mittel, als daß wir von
bier, aus Schlefien, jobald als möglich das Spiel anfangen und dem Feinde auf die
Magazine von Pardubig und Königgräß, welche feine ftärkite jeien, die er hat,
zu fallen ſuchen . . Em. Majeftät, welche aber in Sadien mit einer ftarfen
Armee ihm in der Nähe ftehen, können ihm alsdann dadurch nicht allein jeinen
Anſchlag auf der Lausnitz zernichten, fondern auch viel mehr von da offensive
agieren laſſen. Wo der Feind zu Auffig ein ftarfes Magazin hat, als welches
allda jehr Iuftig angelegt it, To könnte ihm folches vors erjte aud genommen
werden. Wenn der Feind bald und in der Zeit angegriffen wird, ehe er mit
Arrangements fertig iſt, fo können wir anjeto mit 30000 Mann mehr gegen
ihm ausrichten, als im Monat uni mit 60 000 Mann. Der Feind muß Haare
12 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt.
lafien, ehe die Franzoſen ihr Dejjein ausführen und dem Magdeburgihen nahe
fommen fönnen; alsdann aber, wann der Feind nur eritlih eine Schlappe be—
fommen, jo dependiert e8 allezeit von Ew. Majejtät, fo viel als nötig gegen die
Franzojen zu ſchicken . . Es würde dem Feinde, der gar nicht darauf rechnet,
der unvermutetite Donnerſchlag fein, jo jemals geihehen, und daburd alles in *
Schrecken und Konfufion geraten. Die jegigen Umstände von Em. Majeität find
allezeit einem Hajarb unterworfen, als woraus nichts, als ebenfalls die aller:
hardieſte Partie prompt zu ergreifen, retten fann.” Ein großer Gedanke, ein
fühner Entwurf, an dem fich fein Urheber hell begeiftert: Winterfeldt bittet den
König „ganz fiher und ruhig“ zu fein, „daß es, will’s Gott, mit Gloire wird
ausgeführt werden“. Er jegt in der Neinjchrift jeines Berichtes noch die Be:
fräftigung darauf: „Ich bin davon jo gewiß überzeuget, daß wann ich zehn
Köpfe und Leben hätte, folhe Ew. Majeftät davor zum Unterpfande geben wollte.”
Sein Herz ſei ihm zur Stunde zu voll, um fi über alles geordnet zu äußern;
er bittet, ihm den Oberſt Find herzufenden, um alles weitere mündlich zu
erörtern.
Eine zweite Denfihrift jandte Winterfeldt am 22. März ein. Sein Vor:
ihlag ericheint jett in einem weſentlichen Punkt verändert. Der erite Ent:
wurf wies mit Königgrätz und Pardubig auf der einen, Aufjig auf der anderen
Seite den beiden preußiſchen Heeren auseinanderfallende Marſchrichtungen; dieſer
Nachteil wird jest bejeitigt, indem Winterfeldt das jichlefiihe Heer auf das
Magazin von Jungbunzlau marſchieren laſſen will, jo daß es einem aus ber
Laujig fommenden Corps die Hand reichen kann. Sei Bunzlau glüdlih er:
reiht, jo bleibe dem Marſchall Schwerin immer die Möglichkeit, links abzu-
jhwenfen, bei Kolin über die Elbe zu gehen, die Magazine von Königgräg und
Pardubig zu bedrohen und Kolowrat, den Befehlshaber des ehemals Piccolomini:
ſchen Heeres vor eine jchwere Wahl zu ftelen: „Kolowrat muß alsdann raufen,
welches wir wünſchen, oder aud gegen Mähren zurüdlaufen, welches ebenjogut,
denn wir befommen doch jeine großen Magazine und können ihm bernad mit
Kommodität nachfolgen.“ Losbrechen wollte Winterfeldt zum 20. April.
Inzwiſchen hatte auh Schwerin in Neiße, nad) Empfang der föniglichen
„Suppositions“, der Sache näher nachgedacht. Auch er empfahl jest bem
Gebieter, am 24. März, nicht minder entichieden als Winterfeldt, die Initia—
tive. Das Heer in fünf Teile zerjplittern, das gute Schlefien einem Häuflein
von 15000 Mann zur Verteidigung überlaſſen, das heiße den Defterreidhern,
deren ganzer Zweck bei diejem Kriege die Wiedereroberung Sclefiens fei, ihre
Sade leiht machen. Bon den vier von dem Könige angenommenen Fällen mag
eintreten wer immer will, dem Marjchall ericheint e8 unvereinbar mit dem Ruhm
wie mit dem Intereſſe des Königs, fih nad den Abfichten der Gegner zu richten ;
vielmehr wird es gelten, einen Plan zu entwerfen und auszuführen, der alle
die ſchönen in Wien ausgehedten Entwürfe verrüdt. Schwerin fordert deshalb
den König auf, mit beträchtlicher Streitmacht in Böhmen einzudringen, nicht nur
in dem einen beitimmten, von Friedrich jelbit bezeichneten Fall, jondern unter
allen Umständen und von vornherein. Er ift der Meinung, dab der König dann
bei Auſſig abzuwarten haben wird, wie von der ſchleſiſchen Seite her die Dinge ſich
Prag und Kolin. 73
entwideln, dab er Eger nicht umgehen, jondern nur durch Entjendung bedrohen
darf; für den ihm ſelbſt zuzumeilenden Teil der Unternehmung übernimmt
Schwerin aus dem hypothetiihen Plan des Königs die Unterftügung durch das
laufigiiche Corps und den Vormarſch auch diejes Corps auf Bunzlau.
So begegneten jih Schwerin und Winterfeldt, noch ehe fie ihre Anfichten
miteinander ausgetaujcht hatten — denn erit am 23. März erfchien zu dieſem
Behuf des Marſchalls Adjutant Platen aus Neiße bei Winterfeldt in Lande:
but — jowohl in dem Grundgedanken der allgemeinen Offenfive, wie in dem
Ausblid auf Jungbunzlau und auf die dort zu bewirkende Vereinigung des
ihlefiichen Heeres mit der laufigiihen Abteilung — Winterfeldt, noch ohne zu
wiſſen, daß der Kriegsherr jelber mwenigitens bedingungsweije den allgemeinen
Vorftoß dreier und das Zufammenwirfen zweier Heeresförper in Erwägung 308,
Schwerin durch diefen von Friedrich hingeworfenen Gedanken in feiner alten
Meinung beftärft.
Der König erhielt Winterfeldts beide Gutachten zuerſt. „Das Projekt ift
admirabel,“ antwortete er auf den eriten Bericht umgehend, belehrte aber den
Ratgeber, dab gegen Königgräß, wie es ihm jeine Erfahrungen aus dem
Chlumer Lager von 1745 fagten, nichts auszurichten, daß der Entwurf deshalb
beijer und fiherer auf Bunzlau zu ftellen jei — ganz wie Winterfeldt es fich
alsbald jelbit gejagt hatte. Friedrich fündete zugleich die Abjendung eines Stabs-
offiziers nach Schleſien an, der alle erfinnlichen Einwände madhen, „lauter Diffi-
fultäten” mitbringen werde. Winterfeldts zweite Denkſchrift bejeitigte einen Teil
diefer Einwände vorweg. Daß nunmehr der König im Herzen ſchon gewonnen
war, läßt deutlich ein Brief an Schwerin vom 26. März erjehen: Winterfeldt
babe einen Plan voll guter Gedanken: „Ich made ihm indes alle Schwierigkeiten,
als wenn ich ihm entgegen wäre, damit er genötigt wird, fie zu heben; alsdann
werde ich einen endgültigen Entichluß fallen, ich mache mich aber jchon im voraus
für die Maßregeln bereit, die für die Ausführung an meinem Teil erforderlich
find.” Nun famen, nod am 26., aud Schwerins Vorjchläge. Auch jie wurden
warm anerfannt, als bemwundernswert bezeichnet: „Sie haben die Dinge jehr gut
ins Auge gefaßt, mein lieber Marihall; man fieht, daß Sie ein alter Routier
find, der das Handwerf aus dem Grunde verfteht und den jungen Leuten gute
Lehren geben fann.” Aber noch jei reifliche Ueberlegung vonnöten.
Das vornehmite Bedenken bot die Jahreszeit. Will man den Krieg nad)
Böhmen oder Mähren tragen, jo muß man warten, bis Grünfutter da ift, oder
die Reiterei wird umfommen, jo lautete Friedrichs Theorie in ben „General
prinzipien vom Kriege”, und jo hatte er an Winterfeldt noch im legten Herbit
geichrieben: „Vor Juni können wir nicht bei ihnen fein.” Am 20. April fei
eine Erpebition möglich, erflärte er jebt, aber noch nit die Campagne.
„Wir fommen gewiß hinein, wir müſſen aber bevenfen, wie wir nachher jub-
fiftieren.“ Er ſpricht von den Hungerjchranfen, die Browne zwiſchen jih und
dem preußiichen Deere aufgerichtet hat, denn die Grenzitrihe Böhmens nad)
Sadjen zu jeien völlig von Vorräten entleert. Und wie, wenn die Defterreicher
weiter im Lande ihre Magazine, aus denen die ungebetenen preußifchen Gäſte
mitipeijen wollen, lieber verbrennen, als jenen in die Hände fallen laffen? „Die
74 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt.
Politik und die Kriegsraifon wollen, daß ich ins Feld rüde, ehe die Feinde ihre
Flöten geitimmt haben; aber phyfifhe Unmöglichfeiten verhindern mid, etwas
Großes zu leiiten.”
Troß allem fonnte er fih dem Reiz des friihen Wagniſſes, dem Appell
an die Kühnheit nicht entziehen. Noch ehe der Freiherr von der Goltz zurüd
war, den er aus jeinem Kantonnementsquartier Lockwitz nah Schleſien ſchickte,
erklärte er jih überwunden und fchrieb den beiden Generalen am 2. April, dab
er ihrem Plan im ganzen und großen beiftimme und daß es nur noch auf die
Nebenumftände anfomme. Eine Nachricht aus Frankreich war ganz danach an—
gethan, ihm die Entjcheidung zu erleichtern: das Gerücht von einem Umſchwung
zu friedfertiger Stimmung. Friedrich meinte: „In Frankreich fommt es ins
Hapern.”
Am 3. April war Golg wieder zur Stelle und brachte ein Protofol, das am
30. März zu Franfenftein von Schwerin, Winterfeldt und ihm jelbit aufgejegt
worden war, dazu einen Sonderberiht Winterfeldts. Die Schriftitüde lauteten
jo zuverfichtlih wie möglich; ja Winterfeldt, der einen Augenblid gefürchtet hatte,
den ganzen Plan an dem Widerfpruch des Königs jcheitern zu ſehen, ſchickte jet
jeiner Widerlegung der Einwände die felbftbewufte Verfiherung voraus, dab
fein einziger Punkt ihm Schwierigkeiten bereitet habe. Schon früher hatte er
auf das Hauptbedenfen des Königs unbeirrt entgegnet, daß man für neun Tage
Fourage und für achtzehn Tage Brot mitzunehmen im ftande jei, wenn man nur
alle ſchwere Bagage zurüdlaffe. Sollte der Feind, ſetzte er jebt hinzu, wirklich
ein paar Magazine verbrennen, jo würde man doch einige jeiner Kornhäuſer
unterwegs jedenfalls wegnehmen und fih damit und mit dem mitgebradten und
nachgefahrenen Vorrat jo lange durchhelfen können, „bis wir ihm jelbiten auf
der Haut ſitzen“.
„Audaces fortuna iuyat!* riefen die Generale zum Schluß ihrer gemein:
jamen Denkſchrift dem Herrn zu. Sie follten alsbald erfahren, daß er fih an
Kühndheit von feinen Dienern nicht beihämen lafien wollte. Indem er ſich noch
am Tage der Ankunft von Golg mit dem Einmarihd nah Böhmen — zum
15, April erbot fih Schwerin ausjurüden — „ganz und gar” einveritanden er:
flärte, gab er dem Plan doch eine Erweiterung und eine Zufpisung, die dem
Ganzen einen höheren ftrategiihen Charakter verlieh.
Ihr „großes Defiein“, von dem die Generale ftolz ſprachen, war für das
eine Heer darauf hinausgelaufen, die Verfammlung des Feindes gründlich zu
ftören und das große Magazin von Jungbunzlau fortzunebmen, für das andere,
die Eingangspforten nah Böhmen aufzureißen; das zu erzielende Ergebnis war
nur als Einleitung für jpätere und fpäter erſt feitzuftellende Unternehmungen
gedacht, und noch immer behielt es das fchlefiihe Hauptquartier fih vor, von
Bunzlau aus nad Kolin links abzuſchwenken, alfo fih von dem Heere des Königs
wieder weit zu entfernen. Was diefer dagegen jegt beichloß und befahl, war
die Zulammenziehung aller Streitkräfte an den beiden Ufern der Elbe, nad
einem Brüdenihlag bei Leitmerig oder Xobofig, der zielbewußte Anlauf zu
einer großen Entiheidung. Schwerins Vorftoß bis zur Elbe nah Melnif oder
Leitmerig, und auf der anderen Seite die Umgehung der öfterreihiihen Haupt:
Prag und Kolın. 75
macht an der Eger, das betrachtet Friedrich als den „Prinzipalpunft”, den
„Decifivcoup”, die „Force unjeres Planes“. Hinter der Eger gedenft er den
„tödlichen Streih” gegen Browne zu führen; will fi der umgangene Feind
dort, auf nicht zubereitetem Boden, zur Schlaht nicht ftellen, die er ja feiner
ganzen Kriegsführung nach vermeidet,') jo muß er abziehen, verliert Magazin
über Magazin, kann erſt bei Prag wieder Halt machen und wird fich bei Prag
doch endlich jchlagen müſſen, wenn er nicht alle feine Vorräte verlieren und ſich
ohne Wideritand aus fait ganz Böhmen verjagt ſehen will.
So umgeformt, zielt der Feldzugsplan auf eine Unternehmung ab, die, jo
fagt Friedvrih, wenn fie in allem gelingt, eine große That ift, und wenn fie
aud nur teilweife einjchlägt, noch etwas Beträchtliches bleibt. Ein coup d’eclat
joll es werben von größter politifcher und militärifher Wirkung. Ein großer
Schlag, „der die Freunde ermutigt, die Feinde verblüfft, die Furchtſamen be:
rubigt und die Trägen zum Entſchluß bringt”.
„sh bin verfichert und beinahe phyſiſch und moralifch überzeugt, daß Dinge
geihehen werden, an die fein Menjch denkt,” jo deutete Friedrich geheimnisvol
der Schweiter in Baireuth den eben gefaßten Entihluß an. Ganz erfüllt von
großen lodenden Bildern braufte er heftig auf, als Schwerin auf den erweiterten
Plan nicht gleich voll einging. Der Marſchall wünjchte für feine Bewegungen
eine gewiſſe Selbjtändigfeit zu behalten, bis zu dem Grade, daß er bindende
Vorſchriften für das Ziel feines Vormarſches nicht annehmen, fondern es in fein
eigenes Ermeſſen geitellt wiſſen wollte, ob er ſich nad der Vereinigung mit
Bevern vorwärts nad) Zeitmeri oder zur Seite nad) Königgräß zu wenden habe;
er bielt es wegen der dortigen Flanfenftellung des Gegners für bedenklich, ſich
allzuweit von der jchlefiihen Grenze zu entfernen. Friedrich antwortete ihm be:
jftimmt und ftreng (14. April): „Mögen Sie den Feind fchlagen oder nicht, ich
befehle Ihnen, nachdem Sie ihn verfolgt, an die Elbe, nad Leitmeritz oder
Melnik, zu gehen: das ijt der entſcheidende Zug, darin liegt die Stärke unjeres
Plans, und Sie werden mir dafür verantwortlich fein, wenn Sie meine Befehle
nidt genau nah dem Buchſtaben ausführen. Wenn Sie das nicht bewirken,
wenn Sie nit an die Elbe gehen, ift Ihre ganze Unternehmung eine verlorene
Mühe... Ich kümmere mid) wenig um einen Einfall, den das Königgräßer
Heer nah Schleſien machen fönnte; ift Browne erſt geichlagen, jo wird es ſehr
Ihnell zurückflüchten. An Ihrer Unternehmung alfo hängt das Wohl des
Staates.”
Thatſächlich hätte das Ichlefiihe Hauptquartier eigenmädtige Schritte doch
nie gewagt, und Winterfeldt, dem der Feldmarſchall bei jeiner Ankunft in Lande:
but den eben erhaltenen geharnifchten Befehl zeigte und den der König gleichfalls
„mit jeinem Kopfe“ verantwortlih machte, fonnte dem hitzigen Gebieter ge:
lajjen antworten, daß es nad Ausweis jeiner legten Berichte der Einjchärfung
nicht bedurft hätte: „Haben Ew. Majeftät aljo nur die Gnade, unjererjeits ganz
ruhig zu fein und verlihern Sich allergnädigt, daß nichts joll verabjäumt
werden.”
) Bel. oben ©. 16.
76 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt.
Friedrich war jchnell beruhigt, und vielleicht hätte er den ſchroffen Ton
gegen den alten Feldmarſchall gar nicht angeichlagen, wenn ihn nicht kurz vorher
noch ein anderes verdroffen und ernftlich beunruhigt hätte: ein Auffchub von drei
Tagen, den Schwerin für feinen bei der Frankenſteiner Beratung auf den 15. April
angejegten Ausmarſch gebrauchte. Friedrich fürchtete für das Geheimnis. Er
hatte alles in allem jchließlich elf Perſonen einweihen müſſen, und redeten nicht
die Vorbereitungen an fich jelber eine verräteriiche Sprade? Und dod galt es
eine Ueberrumpelung, womöglich die Aufhebung der feindlichen Quartiere. Jeder
verlorene Augenblid, jagte Friedrich, verfege ihn „in periculo mortis*. Er be—
ſchwor Schwerin, fih nicht mit Nebenjadhen wie der Sorge um die in Schlefien
zurüdbleibenden ſächſiſchen Bataillone aufzuhalten. „Mögen gleih 2000 Sachſen
dejertieren, was liegt daran, wenn der große Streich gelingt, von dem das Heil
des Staates, das Geihid des Heeres und die Reputation von uns allen ab:
hängt . . . Ich wollte lieber alle ſächſiſchen Regimenter faffieren, als ven Marſch
eine Stunde aufhalten.” Ebenjo befahl er dem Marihall, um Gottes willen
während des Marjches an die Eintreibung von Kontributionen auch nicht einmal
zu denken, denn erjt müſſe man juchen, „den Feind zu fchlagen“.
Was Friedrich befürchtete, war bereits geſchehen: faft in dem Augenblide,
da er fih endgültig für den aroßen fonzentriichen Angriff entidied, war von
Dresden aus jein Vorhaben verraten, mit allen Einzelheiten über die ver:
fchiedenen Marjchfolonnen an Kaunig nah Wien und an Browne nah Prag
gemeldet worden; nur daß der Gewährsmann den Xosbrud bereits für den
6. April anfündigte. Indem nun diefer Tag rubig vorüberging, wurde Browne,
minder vorjorglih als Kaunitz, nur in feiner vorgefaßten Meinung beftärft, daß
die ganze Nachricht ein von den Preußen ausgeiprengtes, auf Irreführung be-
rechnetes Gerücht fei und daß der König von Preußen vielmehr mit feiner
Hauptmacht bei Dresden den Angriff abwarten werde, der in den öfterreidhiichen
Feldzugsplan!) aufgenommen war. Noch lag die eigene Heeresmacht zeritreut:
das Hauptcorps zwijchen der Eger und Prag, ein zweites unter Serbelloni bei
Königgräß, zwei weitere unter Königsegg bei Gabel, Reichenberg und Nimes und
unter Aremberg im Pilſener Kreiſe. Aber Browne hielt diefe Aufftelung für
jo trefflih, daß jedes Vorgehen gegen fie nur zu der Preußen Verderben aus:
ihlagen fünne und deshalb geradezu zu wünschen jei. Es fümmerte ihn aud
wenig, als bald darauf neue Nachrichten ihn vor dem 15. April, dem thatjächlich
anfangs in Ausfiht genommenen Tage, warnten, und er fand es in jeiner Ver:
blendung noch am 20. unglaublih, wie der König jeine Truppen durch zwed:
(oje Märihe und Gegenmärihe abmatte. Und jo kam das Unheil gleichzeitig
von allen Seiten und überall glei) unerwartet über ihn.
— — ——
Am 18. April drangen die ſchleſiſchen Marſchkolonnen über Trautenau,
Eipel und Starkſtadt in Böhmen ein, zwei Tage darauf rüdte der Herzog von
Bevern aus der Lauſitz gegen Reichenberg vor, wieder nach zwei Tagen der König
) Pal. oben ©. 42.
Prag und Kolin. 77
von der Elbe nach Nollendorf, und am 21. Fürſt Moritz über das Erzgebirge nach
Komotau. Nun ſei der Wein wirklich eingeſchenkt und müſſe getrunken werden,
frohlockte Friedrich. „Alles geht wundervoll, mein lieber Marſchall,“ ſchrieb er,
im Begriff aufzubrechen, an Schwerin, „unſer Geheimnis iſt gut gewahrt und ber
Feind überrafcht; alles übrige wird ſich ficherlich ergeben, wie wir als Kriegs:
leute es vorausgejehen haben.”
Schwerin hatte ſich vorgejegt, mit dem Feinde zu ſchlagen, wo er ihn
finde; denn mit 30000 Preußen fürdte er 50000 Defterreicher nicht. Aber
feine Gegner vom vorigen Herbit wichen dem unerwarteten Vorftoß überall aus;
Serbelloni fette fihb mit allen Truppen, die er an ich ziehen fonnte, annähernd
24000 Mann, hinter die bei Königgräk auf dem linken Elbufer aufgeworfenen
Linien und blieb dort unbemweglihd. Leicht und glatt konnten fich die getrennt
einmarjchierten Abteilungen des jchlefiichen Heeres am vierten Tage, dem 22. April,
bei Königinhof vereinigen.
Der Vormarſch Schmwerins jollte, jo hatte man gedacht, den Grafen
Königsegg und feine 26000 Mann beftimmen, den Sperrpunft bei Reichenberg
beim Erjcheinen des Bevernihen Heerhaufens zu räumen. Aber Königsegg er:
fuhr nichts von dem Feind, der feine Rüdzugslinie bedrohte, er jah nur den
Feind vor feiner Front und ſchickte fih an, dem Prinzen von Bevern durch Ent:
fendungen den Rüdzug zu verlegen und den Troß abzunehmen. So bielt fi
der Prinz wohl oder übel an den Nat, den ihm Schwerin erteilt: finde fih auf
dem March Gelegenheit, mit ziemlicher Egalit@ ein feindliches Corps zu Ichlagen,
jo heiße e& nur friſch daran und ihm mit Ernft auf die Haut gegangen; das
made halbe Arbeit für die jpätere Hauptentſcheidung. Mit nit ganz 16000
Mann griff der Prinz am 21. April vor NReichenberg den um etwa 1000 Streiter
ftärferen ‚yeind auf der fteil über der Neiße liegenden verichanzten Fläche zwiichen
der Stadt und dem Jäſchkenberge an. Mit tadellofer Genauigkeit ließ er die
auf dem Paradefeld jo oft aeübten neuen Manöver ausführen; der vorteilhaft
aufgeitellte Feind wehrte fi) mehrere Stunden hartnädig, aber als die Grena-
diere von Kahlden den jeine linke Flanke dedenden Verhau wegnahmen, war die
Stellung nit mehr zu halten.
Am jenfeitigen Abhang des Gebirges, bei Liebenau, bezog Königsegg ein
feftes Lager; nad Wiedervereinigung mit feinen Detadhements, durch Schwa—
dronen vom Heere Brownes veritärft, meinte er bier mit 27000 Mann dem
Sieger von Reichenberg das weitere Vorbringen wehren zu können. Da erhielt
er am 25. Die niederjchmetternde Kunde, daß in feiner rechten Flanke Turnau
von dem Bortrab Schwerins beſetzt jei. Eiliger Nüdzug die Iſer abwärts war
jegt die einzige Rettung, und der Verluſt des Neichenberger Poftens ward dem
geihlagenen Heere nachträglich noch zum Heil; denn hätte Königsegg ihn länger
beibehalten, er wäre bei der gänzlichen Vernadläffigung des Erfundungsdienites
unvermeiblih von ben beiden preußiichen Feldherren umiftellt worden. So aber
konnten fie ihre Vereinigung erft nach feinem Abzuge vollziehen, bei Münchengrätz,
am 27. Das reihe Magazin zu Jungbunzlau war allemal den Defterreichern ver:
loren; der greiſe Marſchall in Perfon feste ſich an die Spige zweier Dragoner:
regimenter und gewann den Gegnern den Vorfprung ab. Königsegg ging bei
78 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt.
Brandeis über die Elbe zurüd; am 1. Mai lagerten die feindlichen Heere, das
ausgemwichene und das nadhdrängende, einander gegenüber, nur dur den Fluß
getrennt.
Die preußiihen Generale waren alle die Tage in großer Sorge gemejen:
feit dem 21. April hatten fie feinerlei Nahriht aus dem Hauptquartier des
Königs. Erit am Abend des 30. bradte dem Feldmarſchall ein Hujarenoffizier
die jede Erwartung übertreffende Botichaft: daß der König die Eger über:
Ichritten habe und jenjeits der Moldau faft auf gleicher Höhe mit den Truppen
Schwerins jtehe.
Dort auf dem weitböhmiihen Schauplag war die Ueberraſchung und Rat:
loſigkeit der öfterreichiihen Heerführer vielleicht noch größer geweien, als an der
Ichlefiichen und laujigichen Grenze. Browne hatte bei dem Erſcheinen der Preußen
feine zurüdprallenden Vortruppen und alle längs der Eger fantonnierenden
Regimenter in dem bewährten Lager bei Budin gefammelt; die Preußen jollten,
jo nahm er fich vor, hier nicht jo leichtes Spiel finden als bei Reichenberg, und,
wenn es no anging, jollten die Kolonnen des Königs und des Fürften Moritz
an der Bereinigung verhindert werben. Aber nicht nur, daß beide Heerförper
ihon am 23. April Fühlung gewannen, es gelang den Preußen auch am 27. früh,
ungeitört über die Eger zu gehen und fich juft im entjcheidenden Augenblick
zwiichen das Lager von Budin und den in Gemwaltmärihen von Tepl herbei:
geeilten Herzog von Aremberg zu ſchieben. Aremberg wich nun in zehnftündigem
Marih über Schlan nah Prag aus, und Browne mußte auf das Drängen feiner
Generale, die umgangen und abgejchnitten zu werben fürdteten, gleichfalls in
der Richtung auf Prag zurüdgehen. Tief befümmert 309 er am 28. zu Tursfo
die völlig ermatteten Truppen Arembergs an fich.
Zwei Tage darauf traf zu Tuchomierſchitz Prinz Karl von Lothringen bei
dem Heere ein, deilen Oberbefehl er nah dem Willen der Kaijerin übernehmen
jollte und das nad dem haſtigen Rückzug entmutigt war wie nach einer ver:
lorenen Schladt. Bor der Front empfing ihn Bromwne, in der traurigiten Ge—
mütsverfaffung: er ſei ſehr unglüdlih, er möchte tot fein; dabei brach der alte
Mann in Thränen aus. Im näditen Augenblid rief er, der Feind rüde an,
man müſſe jchlechterdings über ihn herfallen. In dem Kriegsrat, den Prinz
Karl dann verfanmelte, forderte Bromne das Gleiche; die anderen überftimmten
ihn, wie verftört jagte er, man folle ihm 4000 Mann geben, mit denen wolle
er angreifen und fterben. Der Kriegsrat beſchloß den weiteren Rüdzug auf
Prag, um nicht von der Verbindung mit den rüdwärts gelegenen Magazinen
und ben beiden fleineren Heeren abgejchnitten zu werden. Königsegg erhielt den
Befehl, gegen Schwerin bei Brandeis die Elbe zu behaupten, Serbelleni ward,
wie bereits vorher, angewiejen, diefem Gegner, den man noch öftlich der Iſer
vermutete, in die Flanke zu marjchieren. Beide Befehle wurden bald zurüd:
gezogen. Am 1. und 2. Mai ging das Hauptheer über die Moldau; bereits
batte die Lage ſich weiter entwidelt. Schwerin hatte die Iſer überjchritten, die
Elbe erreicht, Serbelloni hatte ihn nicht mehr eingeholt, Königsegg fürdtete, von
der Uebermadt erbrüdt zu werden. Wieder trat, in der frühe des 2., der
Kriegsrat zufammen, man beichloß beide Corps auf das Hauptheer zurüd:
Prag und Kolin. 79
zunehmen. Wieder erhob Browne Einſpruch, er wollte die Elblinie behaupten.
Er jegte nur jo viel dur, das Prinz Karl jeine nachdrücklich vertretene Abficht,
Serbelloni entgegenzugehen, aufgab und bei Prag verblieb, mit dem linfen
Flügel an den Wiſcherad angelehnt, die Sazawa im Rüden. Noch am 2. traf
von der Elbe Königsegg ein, und Karl hatte jest 61000 Streiter bei einander,
dazu die 13000 Mann der Beſatzung von Prag.
Die Preußen wollten am 1. Mai auf dem Vormarſch nah Tuchomierſchitz
ihren Augen nicht trauen, als fie die jchwierigiten Engen unbejest fanden; Mar:
ſchall Keith fagte zu feinen Begleitern, Bromnes Verhalten beginne ihm unver:
ftändlih zu werden. Doc hoffte der König, der mit jämtlichen Grenadier—
bataillonen dem Heere um einen Marſch vorauseilte, den Feind noch am linken
Ufer zur Schlacht ftellen zu können. Am 3. dachte er ihn anzugreifen; auf die
Nachricht, daß Schwerin die Elbe erreicht, hatte er den Marihall am 29. April
erfuht, ihm womöglich 25 Schwadronen und jechs bis fieben Bataillone über
Melnik zuzufenden, feinerjeits aber dem Heere Brownes, falls es jemjeits der
Moldau über Kundratig nad der Sazawa zurüdgehen follte, den Rüdzug abzu:
fchneiden. Am Ausweihen über die Beraun, woran der Feind nad) gewiſſen An:
zeihen zu denken ſchien, glaubte Friedrich ihn verhindern zu fönnen; wich er über
Prag aus, jo war wenigitens jeiner Nahhut eine unfanfte Begrüßung zugedadt.
Aber jelbit dazu war es zu jpät, als Friedrich am 2. mit den drei vorderiten
Bataillone den Weißen Berg erreichte, die hiſtoriſche Wahlftatt, die er fih für
feine Pharſalusſchlacht gewünſcht hatte; ehe das Heer nachkam, hatten auch die
legten Deiterreiher das linke Ufer geräumt. Jetzt mußte er Pharfalus drüben
fuchen, zwifhen Moldau und Elbe. Und dort fonnte die Schlacht, wenn der
Gegner fie annahm, noch entjcheidender werden; denn jtatt dem einen Heere
konnte man fie gleich zweien anbieten. Friedrich jchrieb an Schwerin, er folle
alles, was er vom Feind vor ſich habe, nach Prag auf Browne hin jagen; er
felbft werde mit 25 Bataillonen und 35 Schwadronen über die Moldau kommen,
und durch den gemeinjamen Angriff auf die vereinigten Kräfte des Haufes Defter:
reich könne man ſich ſchmeicheln, fie auf einmal niederzuichmettern: „Alsdann, mein
teurer Freund, werden wir auf Sammet gebettet jein, und Sie werden links—
wärts gehen und ich rechtswärts, Sie veritehen mich.”
Alfo nicht mit jeinem ganzen Heere meldete fih der König bei Schwerin
an. Er war feineswegs von der Niterweisheit einiger jeiner Epigonen bejefjen,
daß die Stärke einem General oft zur Laft jein könne. Er bezeichnet e& in den
„Generalprinzipien vom Krieg” als alte Regel, die er lediglich zu wiederholen
habe: Wenn ihr eine Schladt liefern wollt, jo rafft jo viel Truppen zuſammen,
als ihr könnt; man würde fie nie nüßlicher verwenden fünnen. Er jeßt hinzu:
„Detadhiert nie, wenn ihr offenfiv vorgebt;” er ſchließt: „Diejenigen Detadhe:
ments find die gefährlichiten und verbammenswerteiten, welche das Heer um ein
Drittel oder die Hälfte ſchwächen.“ Hier bei Prag hat er in der That ein
Drittel der Gejamtitreitmaht unter Keith auf dem linken Flußufer zurüdgelafien,
ohne in jeiner Geſchichtsdarſtellung, jeinen Schlachtberichten, jeinen Briefen irgend
einen Grund dafür anzugeben. Er läßt theoretiih in jeinen Lehrichriiten als
triftigen Grund für Entiendungen gelten die Sicherung der Zufuhren und Ver:
80 Sechſtes Bud. Zweiter Abichnitt.
bindungen; er erwähnt dort ferner, daß manche Generale vor dem Angriff
detachieren, um den Feind während des Kampfes im Rücken zu faſſen, was
indes gefährlich und dem Zufall unterworfen ſei, da das detachierte Corps ſich
verirren, zu früh oder zu jpät ankommen fönne. Cr bat in einem jpäteren Fall,
wo er wieder jeinem Gegner über einen Fluß zur Schlaht entgeaenging, wieder
ein Detahement auf dem anderen fer zurüdgelafien, teils um — Friedrichs
eigener Angabe nah — dem geichlagenen Feind den Rüdzug über das Wailer
zu verlegen, teild um die Verbindungen des übergejegten Heeres zu deden.
Eine ähnliche Doppelaufgabe bat offenbar Keith bei Prag gehabt. Bon
zwei Berichterftattern, die mit dabei waren, betrachtet der eine — Weftphalen,
der Begleiter des Prinzen jerdinand von Braunihmeig — es als etwas Selbit:
verftändliches, dab ein Heeresteil „der Kommunifation wegen” drüben bleiben
mußte, während der andere, der Herzog von Bevern, Keiths Aufgabe darin fiebt,
„Prag von der fleinen Seite eingeihlofien zu halten”. Des Königs Hauptiorge
in diefen Tagen war, daß der Feind ihm auswidh: wie durfte er ihm das linke
Moldau:Ufer und die große Heeritraße nad Königsfaal wieder freigeben? Blieb
eine Abteilung des Heeres auf diejem Ufer zurüd, jo erfüllte fie dort die Sperr:
aufgabe, die der König, wie erwähnt, am 29. April dem Marihall Schwerin,
der damaligen Scenerie entipredhend, für das rechte Ufer zugemwieien hatte. Dann
ftand dem Feind nur noch die eine Rüdzugslinie nad Tabor offen, wo ihn, wenn
er ohne Kampf abzog, das nahdrängende Hauptheer empfindlich beläftigen fonnte,
und wo man nad einer Schladht die Fliehenden vielleiht aufrieb, wenn vom
jenfeitigen Ufer übergejegte Truppen ſich im rechten Augenblide ihm in den Weg
legten: in der That haben zwei Generale vom Keithſchen Corps, Kyau und
Fürſt Morig von Deſſau, am Schlachttag einen dabin zielenden Auftrag erhalten.
Mit mindeitens 30000 Mann und in der beherrihenden Stellung auf dem
Weißen Berge blieb Keith unter allen Umftänden auch für fich allein dem öfter:
reichiſchen Heere gewachſen; nicht diefe 30000, fondern die etwa 20000, die er
jelber mitnahm, bezeichnete der König als „Detadhement”. Nachdem das ſchleſiſche
Heer am 4. Mai bei Brandeis über die Elbe gegangen war, ließ-er am 5. bei
Seltz, eine Stunde unterhalb Prag, eine Brüde über die Moldau jchlagen und
führte vor Abend jeinen Uebergang aus. Er fand Schwerin noch nicht zur
Stelle, braudte aber bei der Beichaffenheit des Geländes nicht zu befürdten, in
feiner augenblidlihen Vereinzelung von dem Feinde angefallen zu werben.
Unter den Augen der öfterreihiichen Vorpoften auf den Höhen von Proſſik
vereinigten ih in der frühe des 6. Mai, zwiichen 6 und 7 Uhr, die beiden
preußilchen Heere an der Straße von Brandeis nah Prag. Sobald der König
Schwerin und Winterfeldt „nur den erften guten Morgen gejagt“, ritt er mit
den beiden Generalen und einigen Adjutanten auf die inzwiihen, nad kurzem
Kugelwedhjel, von den Panduren geräumten Höhen. „Der König,” erzählt uns
Winterfeldt, „war gleich determiniert, den Feind anzugreifen, wie auch der Feld:
marſchall Schwerin nebit meiner Wenigfeit, nur fam es darauf an, erit ein Loc
auszufinden, um demjelben anzufommen.“
Das Heer, das fie ſich gegenüber fahen, lehnte jeine Linfe an den
Zisfaberg und nahm mit diefem Flügel in zwei Treffen und einem Nefervecorps
Prag und Kolin. 81
die parallel laufenden Höhen ein, die ſich vom Ziskaberg nach Nordoſt ziehen;
die Front deckte das tiefeingeſchnittene, an der Sohle ſumpfige Thal des kleinen
Baches, der beim Dorfe Lieben in die hier weit nach Oſten ausholende Moldau
fällt. Zwiſchen den Teichen von Hlauputin und Kej nötigt ein ſchmaler Berg:
arat das Wäſſerlein zu einer langen jchleifenartigen Krümmung; dieje Höhe, im
Verein mit der tiefen Schluht am Weſtabhang des Taborberges, trennte zwar
den linken Flügel vom rechten, bildete aber, mit einer Batterie gekrönt, für beide
eine jtarfe vorfpringende Bruftwehr. Jenſeits ftand die Nechte, hafenförmig
nah Oſten ausgebogen, auf den mäßig anfteigenden Abdachungen des Tabor:
berges und erhielt im Vordergrunde ihre Dedung durch das Gewirr von Teichen,
Sümpfen, Wiefen, Gräben, das oberhalb von Kej damals die Niederung des
Bades ausfülte.
Der Herzog von Lothringen hatte im Augenblide feines NAufbruches zum
Heer aus den Händen feines Bruders, des Kaijers Franz, ein ftrategiiches Bade:
mecum erhalten, eine Denkjchrift, die einige Wahrnehmungen aus den früheren
Feldzügen zu Lehren und Warnungen zufammenfaßte. Das bevorzugte Manöver
des Königs von Preußen, bemerkte der Kaifer jehr richtig, beitehe darin, daß er
mit einem unverhältnismäßig verftärften Flügel den Gegner zu erdrüden ſuche,
mit dem anderen fih auf Abwehr bejchränfe. Da man jegt diefen Kunftgriff
fenne, werde es möglich fein, die Lift dem Liftigen zum Verderben ausjchlagen
zu laffen, wenn man nur, nod ehe er jeinen Angriff ausführen könne, recht:
zeitig und raſch den ſchwächeren Flügel anfaſſe und überwältige. Ein theoretiich
treffliher Rat, der nur fchnelleren Entichluß und friiheren Mut bei den öfter:
reihiichen Feldherren vorausjegte, als thatlächlih vorhanden war; fie haben
bei Prag wie jpäter fih glüdlih geihägt, wenn fie, ftatt vorzugehen, den
bedrohten Flügel des eigenen Heeres noch im lebten Augenblid zu verftärfen
vermochten.
Ohne Frage war es für den König von Preußen auch heute von vorn:
herein ausgemacht, fih nur mit einem Flügel einzulaflen; dann war das Nädhit:
liegende, mit der durch die längere Nachtruhe erfriichten Abteilung des Königs
die öfterreichifche Linfe, die man ummittelbar vor ſich hatte, anzugreifen. Aber
die Befichtigung des Geländes ergab, daß die Stellung des Gegners nur auf
der Redten eine Blöße bot; das jchlefiihe Heer erhielt Befehl, treffenweife in
der Richtung auf Unter: Potichernig linfs abzumarjchieren, um von dort aus
die Umgebung zu verfuhen; der rechte Flügel marfchierte im Angeficht der
vorgejhobenen Batterie von Hlauputin und der Teiche von Kej auf.
Browne erfannte den Zwed des preußiihen Marjches und entichloß fich,
den bedrohten rechten Flügel ſo weit auszureden, daß er, die Front nah Often,
den ganzen Raum zwiſchen den Teihen von Kej und Unter-Mucholup ausfüllte;
die Neiterei kam ſüdlich, das Fußvolf auf der Hügelfette nörbli der niedrigen
Kuppe des Homoly zu ftehen, auf der ſchnell Pofitionsgeihüg aufgefahren wurde.
Der am Zisfaberg verbleibende linke Flügel mußte dem rechten, um bie ver:
längerte Linie auszufüllen, feine Kerntruppen, die Grenabiercompagnien, und
einige Neiterregimenter abtreten; in andere Lüden rüdten Bataillone und
Schwadronen aus der Nejerve ein. Etwa um zehn Uhr hatte ſich der jo
Koier, König Friedrich der Große. IT. 2. Aufl 6
82 Sechſtes Bud. Zweiter Abfchnitt.
zufammengejegte rechte Flügel auf feinem neuen Standort in aller Eile zurecht:
gefunden, und alsbald trafen ihn die eriten Stöße.
Die Neiterei des preußischen Angriffsflügels, vierzig Schwadronen, führte
heute, zum eriten: und zum lettenmal ſolches Auftrags gewürdigt, der Erbprin;
von Schönaich-Carolath. Sie hatte glüdlih, ohne vom Feind geftört zu werden,
den Damm bei Sterbohol überihritten, fonnte aber wegen des Teidhes von
Unter: Mucolup zu ihrer Linken nur in jchmaler Front anreiten. Scönaid
wurde bedenklich. Dreimal jandte ihm Schwerin den Berehl zum Angriff und
ritt endlich Telbit zu der Neiterei, um fie „in Trab zu bringen“. Das erite
Treffen der Defterreiher wurde geworfen, das zweite hielt ftand, und Hadiks
Hujaren gewannen den Angreifern die Flanke ab. Einem zweiten Anlauf war
das Glück gegen die Meberzahl ebenfowenig hold. Erit das Cingreifen der
Nejerve unter Bieten entriß dem Gegner jeine Vorteile; die geichlagenen Regi:
menter flatterten auseinander, an ein Anhalten war nicht mehr zu denken.
Bis e8 dahin fam, mochten ganze Stunden verftrihen fein. Wie die
Reiterei hatte der alte Feldmarichall in jugendlicher Kampfesungeduld aud das
Fußvolk an den Feind getrieben, jobald nur einige Bataillone ſich gerichtet hatten
und obgleid das zweite Treffen noch weit zurüd war; denn beim Anrüden durch
den fumpfigen Wiejengrund, über Dämme und Stege oder bis unter die Arme
im Wajler, verloren die Leute „Rang und Glied und, was das Schlimmſte war,
viel Zeit”. Mehr als ein Bataillonsgeihüg blieb im Schlamme iteden. Des
Königs Bedenken gegen die Eile des Angriffs beihmwichtigte der Marichall mit
dem zuverſichtlichen Worte: „Friſche Eier, gute Eier”. Nicht minder eilig als
Schwerin hatte es Winterfeldt, der die vorausgehende Grenadierbrigade führte ;
es war ihm gelungen, das Vorwerk Sterbohol zu erreihen, an dem die öfter:
reihiiche Infanterie jeiner Meinung nad die Stüße für ihre rechte Flanke juchen
mußte, und er glaubte jegt, durch raſchen Vorſtoß den Feind in einem Augen:
blid umfaſſen und ummerfen zu können. Mit ftarfen Schritten, obne ihre
Kanonen abzumarten, ohne zu jchießen, rüdten die Grenadiere vor, zu ihrer
Rechten die Regimenter Schwerin und Fouque, vor dem Schwerinſchen Regimente
Winterfeldt zu Pferde. Unter dem Kartätichenfeuer des Feindes näherte man
ih ihm auf 200 Schritt; ſchon gewahrte Winterfeldt, daß deſſen Flügel Kebrt
machte, als er, durch einen Schuß am Halfe verwundet, bewußtlos aus dem
Sattel janf. Und nun zeigte fih, daß der moraliihen Standhaftigfeit der
Truppe mit dem Verbot des Feuerns zu viel zugemutet war: die eben noch mit
langen Schritten Vorftürmenden hielten inne, ſchlugen an, wichen zurüd. Als
Oberft Wobersnow, des Königs Generaladjutant, angeritten fam, ſah er nad
rechts und links, jomeit jein Auge reichte, die ganze Linie in großer Unordnung;
die meilten hatten den Rüden gewandt. Doch entaing ihm nicht, daß der Feind
fih in ähnlich Schlechter Verfaffung befinde. Als dann dem am Boden liegenden
Winterfeldt die Sinne wiederfehrten, erblidte er die öſterreichiſchen Grenadiere
noch unichlüffig, regungslos; e& gelang ihm, mit Aufbietung feiner legten Kraft
unbebelligt den zurüdgemwichenen „Eonfufen Klumpen” der Seinen wiederzu:
erreichen, zum Aushalten aber fonnte er durch Bitten und Drohungen niemand
mehr bewegen. In diefem Augenblid fam Schwerin angeiprengt. Er führte
Prag und Kolin. 83
tein Regiment jeit 34 Jahren; er hatte das junge Regiment, das König Fried:
rih Wilhelm ihm anvertraut, in Frankfurt erzogen und gejchult und zu einer
Muftertruppe ausgebildet, unter feinen Augen hatte das Regiment bei Mollwig
die Feuertaufe erhalten, es hatte bei Chotufig und Hohenfriedberg fih neuen
Ruhm erftritten, er liebte es „mit wahrhafter Zärtlichkeit”, und jetzt fab er es
fliehen. Ein Stabsfapitän hatte eine Fahne ergriffen, um die Weichenden zum
Stehen zu bringen; der Feldmarſchall nahm fie ihm aus dem Arm, bieh die
Mannjchaft mit fräftigem Zuruf ihm folgen und trug ihr das Feldzeichen voran.
Einen Augenblid jpäter lag er in feinem Blute, von fünf Kartätichenfugeln zum
Tode getroffen, von der Fahne bededt. Es war ihm zu teil geworden, was er
ih oft gewünſcht, in einer für die preußifhen Waffen fiegreihen Schlacht von
einer Kanonenkugel bingeriifen zu werden; noch jüngit hatte er die Gefallenen
von Lobofig um ihren Solvatentod beneidet und in ihrem glorreihen Ende einen
Aniporn zur Nacdeiferung ſehen wollen.
Dod hat das Beijpiel ohnegleihhen, der Heldentod des greifen Feldherrn,
die Schlacht noch nicht alsbald gewandt. Die Negimenter Fouqué und Kurſſel
wurden fait aufgerieben, das Regiment Fouque verlor jeine Fahnen, fein Kom:
mandeur, Oberit von der Golt, ward viermal verwundet und durch die fünite
Kugel getötet, Fouqué jelbit und General Hautharmoy und zahlreihe tabs:
offiziere wurden verwundet. Drüben ward dem Marſchall Browne, als er bie
Seinen zum Berfolgen anfeuerte, das Bein zerichmettert. Seine Mahnung war
nicht umſonſt geweſen, die diterreihiichen Grenadiere rüdten jegt entſchloſſen
vor und gewannen jegt ihrerjeits Sterbohol, bis die inzwiſchen aufgefabrenen
preußiichen Batterien ihnen Halt geboten. Unterftügung aus dem zweiten Treffen
blieb den Tapferen aus.
Dagegen vollendeten bei den Preußen die Bataillone des Hintertreffens
endlih ihren Aufmarſch; fie konnten das erite aufnehmen und, wo es jein mußte,
ablöfen. Auch fie ſahen ihre Standhaftigkeit noch auf eine harte Probe geftelt:
die noch nie im Feuer gewejenen Fültliere von Jung-Braunſchweig entwidelten
fih nad dem Anmaric über einen langen, jchmalen Damm im jchnellften Yauf:
ichritt eben erft zur Linie, als der Feind ſchon auf fie anftürmte,; noch atemlos
begannen fie unter jeinem Gewehr: und Kartätichenfeuer zurückzugehen, aber der
beherzte Zuſpruch ihres Prinzen Franz ftellte Ordnung und Angriff wieder ber.
Vom rechten Flügel führte der ältere Bruder, Prinz Ferdinand von Braun:
ihmweig, auf des Königs Geheiß die Negimenter Stannader und Markgraf Karl
herbei; fie famen juft zur rechten Zeit, um bei einem entjcheidenden Vorgang
nachzuhelfen.
Die öſterreichiſche Infanterie hatte ſich bei dem Vordringen der Grenadiere
nach Sterbohol im ganzen nach rechts geſchoben und damit nach der Mitte zu
ihr Gefüge gelockert. General Treskow erſpähte dieſe Blöße und führte mit
ſeiner Brigade, ſchleſiſchen Bataillonen, den Stoß durch die Schlachtlinie. Mit
den Regimentern Jung-Braunſchweig und Markgraf Karl drängten der König
und die beiden braunſchweigiſchen Prinzen nach. Wäre jetzt die Reiterei auf
dem Plate geweien, ftatt in ihrer Siegeöfreude abzufigen und fih an der Plün:
derung des erbeuteten Lagers zu erholen, jo hätte der rechte Flügel der Deiter:
84 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt.
reicher, von der Mitte abgeſchnitten und in der Flanke ganz ohne Deckung,
dem Verderben nicht entrinnen können. So aber vermochten ſich dieſe Ab—
geſchnittenen, zwei Regimenter und die Grenadiercompagnien, nur von verein—
zelten Reitertrupps beläſtigt, zu retten, teils in die Feſtung, teils über Nusle
nach der Sazawa.
Immer war durch die Durchſtoßung der Mitte jetzt dasſelbe erreicht worden,
was die anfänglich beabſichtigte Umfaſſung der Flanke hatte bewirken ſollen, und
nad dem Grundgedanken der ſchiefen Schlachtordnung würde nunmehr das
Bentrum und der linke Flügel der Defterreiher von jelbit zum Rüdzug genötigt
gewejen jein. Nun aber hatte bereits jeit geraumer Zeit der Thatendrang eines
Brigadeführers auch auf der preußiſchen Rechten, die der Natur der Sache nad)
zurüdgehalten werden jollte, den Kampf, eine zweite Schlacht, entfeflelt. Die
Wahrnehmung, daß der Bergfopf von Hlauputin, die ſchirmende Baltion vor dem
Sceitelpunft der öfterreihiihen Hakenitellung, nur von wenigen Bataillonen
bejegt war, brachte den Generalmajor Manftein auf den Gedanken, die Batterien
dort wegnehmen zu laſſen. Das Gewehr auf der Schulter begannen drei
Grenadierbataillone zu ftürmen. Furchtbar lichtete das Feuer ihre Reihen; über
das mit Toten und Verwundeten bejäte Geitein führte Prinz Heinrich fünf friiche
Bataillone zur Aushülfe nad. Endlich hatten die Grenadiere die Redoute über:
wältigt. Der Prinz wollte, in richtigem Verſtändnis, des Rampfs damit genug
fein laſſen, und jchidte feinen Adjutanten zu den Grenadieren: „allein alle Be:
fehle halfen nichts, ihre Kampfesluft riß fie immer weiter fort, fie thaten Wunder
der Tapferkeit.” Wieder mußten die anderen wohl oder übel ihnen folgen, jeßt
bergab nad) Hordlorez. Auf den Schultern der Musketiere vom Regiment Itzen—
plig ließ fi der Prinz durch den fchlammigen Wafjergraben vor dem Dorfe
tragen. Am Taborberge fam der Kampf von neuem zum Stehen. Derweil war
zur Linken dieſes Vorftoßes der Herzog von Bevern mit feiner Divifion zwilchen
den Teihen emporgeitiegen und in ber Richtung auf Maleſchitz losgegangen,
um alsbald auf den heftigen Widerftand feines Gegners von Neichenberg, des
Feldzeugmeifters Königseng, zu ftoßen. Hier war es, dab das Regiment Winter:
felot beim Angriff auf eine Batterie ſechs Siebentel feines Beſtandes, an
1200 Mann, einbüßte, bis die Grenadiere von Wrede den Braven zuriefen:
„Kameraden, laßt uns heran, ihr habt Ehre genug”; auch fie verloren dann
die halbe Mannichaft.
Entichieden wurden die blutigen Gefechte auf diejem Flügel doch erft in
dem Augenblide, als Prinz Ferdinand von Braunjchweig, auf der Linken ent:
behrlich geworden, den Rüden des Gegners zu bedrohen begann. So nahm
Königsegg feinen Flügel zurüd und verjuchte, auf den Höhen hinter Maleſchitz
eine neue Schlachtordnung zu bilden. Aber auch die Preußen hatten ihre Linie
Schnell neu gerichtet, ihr zuverfichtliher Angriff brachte die öfterreihiichen Bas
taillone in harte Not und nur der Opfermut der vom Zisfaberg hberangeiprengten
Kürafiiere rettete die Fliehenden vor gänzlicher Vernichtung; jo plöglich prallten
diefe Reiter hervor, daß der König jelber einen Augenblid ernftlich gefährdet war.
Noch hielten am Zisfabera, ohne ins Gefecht nefommen zu fein, 17 Ba:
taillone und 17 Grenadiercompagnien, jamt 20 Schwadronen. Ihre Stellung
Prag und Kolin. 85 -
war bei ber Auflöjung des übrigen Heeres nicht mehr haltbar, aber im Zurüd:
gehen bildeten jie bei Wolſchan, 2000 Schritt vor dem Neuthor von Prag, eine
neue Linie, um die auf die Stadt zutreibenden Trümmer des geihlagenen Heeres
aufzunehmen. Vergebens, die jchwellende Flut riß aud die friiden Truppen
mit fich fort; nur einige wenige Regimenter bielten ſtand und ließen die Flüch—
tenden Zeit gewinnen, fih in die Thore der Feitung zu retten.
Der Herzog von Lothringen war zu Anfang der Schladt, als er das
Reitergefeht am Mucholuper Teich fih ungünftig wenden jah, zu den mweichenden
Schwadronen geritten, fie neu zu ordnen; in der Erregung des Augenblids hatte
ihn ein Bruftframpf gepadt; in jein Quartier nad) Nusle geichafft, wäre der
Bewußtloſe fait die Beute des nachſetzenden Feindes geworden. Erit auf dem
Wiſchehrad gewann er die Sinne wieder. Im Begriff, auf das Schlachtfeld zurüd:
zueilen, ftieß er bereits auf den endlojen Schwarm der Fliehenden; durch das
Kornthor in die Stadt zurückgedrängt, bei einem anderen Thor beinahe zertreten,
verjuchte er noch, auf der Kleinfeite dur das Aujezder Thor nach Königsſaal
auszubreden; bier aber jperrten den Weg die Truppen Reiths.
Für die Sciffsbrüde, die Mori von Defjau bei Klein-Kuchel über bie
Moldau legen jollte, waren die Pontons ausgeblieben, da die Schleppwagen in
den engen Wegen ſich feitgefahren hatten. Der Verſuch, zu Roß durch den Fluß
zu jeßen, erwies fich für die fühnen Reiter als ausſichtslos; Oberſtlieutenant
Seydlig geriet jo tief in den Triebfand, daß er ihm jchon in die Piltolenhalfter
eindrang und jeine Leute den Berwegenen, um ihn noch zu retten, vom Pferde
reißen mußten. Nachher wollten die zahlreichen Gegner bes deſſauiſchen Prinzen
diefem die Verantwortung dafür aufbürden, daß drüben der abgejprengte Flügel
bes geichlagenen Heeres ſich unverfolgt vom Schlachtfelde habe retten fünnen.
In Wirklichkeit ift das Entrinnen diejer Flüchtlinge ohne allzugroße Bedeutung
für die weiteren Kriegsereignilie gewejen. Denn von den 13000, die aus ber
Prager Schlacht nad Beneihau entfamen, find nicht viel mehr als 5000 zu dem
Heere des Marſchalls Daun geitoßen, während die übrigen in Nieder:Defterreich
erit ihre Feldausrüftung neu beihafften. Seine Spione gaben dem König von
Preußen die Zahl der noch Dienftfähigen ſogar nur auf 3000 an, und jo erklärt
es jih binreihend, daß er des verunglüdten Brüdenjchlages und der unter:
bliebenen Verfolgung ſpäter mit feinem Worte gedachte, vielmehr den Prinzen
Morig wenige Tage nah der Schlacht zum General der Infanterie beförderte;
bei dem Gang, den die Schlaht genommen hatte, war es ungleich wichtiger
geworden, daß die Geichlagenen am Austreten auf das linfe Moldau:Ulfer ge:
hindert wurden.
Friedrich war nad der Entjcheidung mit dem Regiment Jung: Braunfchweig
quer durd das öſterreichiſche Lager, deſſen Zelte noch aufgeipannt jtanden, bis
unmittelbar an den Fluß vorgerüdt und hielt dort einige Zeit, zur gerechten
Sorge feiner Begleiter, inmitten der vom Wiſchehrad um ihn einichlagenden
Geſchoſſe. Die Sonne ſtand noch hoch am Himmel — dreizehn Minuten vor Vier
wurden, wie ein pünftliher Mitfämpfer fih merkte, von den preußifchen Ge:
ihügen auf dem linken Ufer die legten Schüffe abgegeben. Eine Ueberſicht aber
über den Verlauf der Schladt, die Erfolge, die Verlufte hatte bei der Aus:
86 Sechſtes Buch. Zweiter Abſchnitt.
dehnung des Schlachtfeldes noch nienand. Gegen 5 Uhr begegnete der König
dem Prinzen Heinrih, fie ftiegen ab, auf grünem Raſen jah man die Brüder
am Wege bei einander figen. Die Siegesfreude trübten die Trauerfunden, die
von allen Seiten herangetragen wurden. „Das ganze preußiiche Heer,” bezeugte
in warmer Teilnahme der britifche Gefandte an diejem Abend, „it in Thränen
über den Berluft des Marihalle Schwerin, eines der größten Offiziere, den dies
oder vielleicht irgend ein Yand hervorgebradt, und eines ber beiten Menichen;
der König ift tief ergriffen durch diefen Verluſt.“ „Unftreitig den größten
General unjeres Jahrhunderts“, nannte Friedrich den Gefallenen in jeinem
Siegesberiht. Wie Schwerin waren General Amftel und drei Oberiten, unter
ihnen Prinz Wilhelm von Bed, der Sohn des alten Holfteiners, auf dem Felde
der Ehren gefallen; drei andere Generale erlagen im Yazarett ihren Wunden.
Der Gejamtverluft ergab ſich als weit höher, ale man im eriten Augenblid
angenommen hatte; ſtatt der am Schladhttage jelbit geſchätzten 53000 Toten und
Verwundeten verzeichnete eine Lilte vom 8. Mai 3094 Tote, 3208 Vermundete,
1657 Vermißte, und die Zählung war noch unvollitändig: der König hat jpäter
den Gejamtverluft auf 18000 angegeben und den 6. Mai als den Tag beklagt,
der die Säulen der preußiihen Infanterie dabinichwinden ließ.
Abends nah 8 Uhr erſchien ein Adjutant des Königs, Oberft von Arodom,
vor der Feſtung, um die Eingefchloffenen zur Uebergabe aufzufordern. Er ward
vor den Herzog Karl und den verwundeten Bromne geführt und mit dem Be:
ſcheid entlafien, man hoffe durch gute Verteidigung ih die Achtung des Königs
von Preußen zu verdienen. Hatten an diefem Tage auf der Walftatt 61 000 Deiter:
reiher, in der Feſtung 13000 geftanden, jo waren nad) der Schlacht alles in
allem nicht mehr 50 000 Mann bienitfähig bei einander geblieben. Der Abgang
verteilte fih auf die nah der Sazawa Geflüchteten und 13324 Tote, Verwun—
dete, Gefangene.
„Rad den Verluiten, die wir gehabt haben,“ jchrieb der König am Tage
nach der Schlacht an den Marſchall Keith, „bleibt uns als einzige Tröftuna, die
Leute, die in Prag find, zu Gefangenen zu machen. . . . Und dann, glaube ich,
wird der Krieg beendigt fein.“
Cold ein Blutvergießen war in den Kriegen der Neuzeit noch nicht erhört
worden. „Das ill jo eine jämmerlibe und erbärmliche Bataille gewejen, die
fein Menſch denken kann, aud fein Menſch wieder erleben wird,“ jo berichtete
den Seinen jchaudernd einer der Kämpen, ein jchlichter preußiſcher Musfetier:
186 000 Preußen hätten 295000 Dejterreicher befiegt und 200 Kanonen und
250 Standarten und Fahnen erbeutet! Und mie die Soldaten im Lager, io
erzählte ji in deutfchen Yanden das Volk Wunderdinge von der Prager Schladt.
Sie blieb mit dem Grauen, das fie umgab, vor allen anderen die eigentlich
volfstümlihe Schlacht diejes Krieges, an die Volkslied und Ballade und Bühnen:
jpiel anfnüpfen konnten, weil jedes Kind von ihr wußte.
Nah Wien war der Kunde von der Niederlage die Panik der zahllojen
Flüchtlinge vorausgeeilt, die beim Naben der Preußen aus Prag oder font aus
Prag und Kolin. 87
ihren Heimftätten entwichen waren, um ſich und ihre Habe nah Brünn, ja nad
Wien zu retten. Die Kaiferin beging ihren Geburtstag am 13. Mai in tiefiter
Zurüdgezogenheit, die Bevölkerung der treuen Hauptitadt trauerte mit ihr. Gegen
Kaunig, als den Urheber des unbeilvollen Krieges, und gegen den Hoffriegsrats-
präfidenten Neipperg, als den Heerverderber, wurden erbitterte Anklagen laut.
Ale Minifter und Hoffriegsräte arbeiteten Kaunitz entgegen, behauptete Graf
Broglie, der auf der Durchreiſe nad feinem Warſchauer Gefandtichaftspoiten in
Wien Zeuge all diefer Auftritte der Trübjal und Verwirrung wurde. Er be:
fannte, nicht abjehen zu können, wie die Ueberlegenbeit, die dem Könige von
Preußen feine Gefchidlichkeit und feine Erfolge gegeben hätten, noch ausgeglichen
werden ſollte; er entwarf in feinen Berichten nad Verjailles die lebhaftejten
Schilderungen von der Unfähigkeit der höheren mie der niederen Offiziere umd
den Gebrehen der ganzen Heeresverfaſſung.
Scharf getadelt wurde die öfterreihiiche Heeresleitung auch in Berjailles,
zumal durch Belleisle, der den Schauplag der jüngiten verhängnisvollen Ereig:
niffe aus eigener Anfhauung genau fannte.!) Aber der Eine, deſſen Wille an
diejen Hofe alles entichied, König Ludwig jelbit, war feſt entjchloffen, ber
Kaijerin in ihrer Not um jo kräftiger zu helfen. Er befahl, ein neues itarfes
Heer zufammentreten und von Straßburg eilends durch Oberdeutichland vor:
rüden zu laſſen.
Dort war die Haltung der Anhänger Defterreihs und Frankreichs völlig
erichüttert. Oberftlieutenant Mayr, mit einem Streifcorps von 1500 Mann
und mit ganzen fünf Kanonen durch die Oberpfalz bis Nürnberg und Schwabach
vorgedrungen, feste die vorderen Reichskreiſe in hellen Schreden. Der Kurfürft
von Bayern jandte den Freiherrn von Montgelas in das Hauptquartier des
Siegers von Prag und gelobte Neutralität. Die furpfälziihen Truppen, zur
Bereinigung mit den Franzoſen aufgebrochen, erhielten unterwegs Gegenbefehl.
Die württembergiihen Negimenter, dur die Bürgerichaft von Stuttgart auf:
gereizt, meuterten, von 3200 blieben nur 400 bei der Fahne. Der Rat von
Nürnberg erbot fih, 80000 Gulden zu zahlen, wenn der Stadt erlaubt jein
follte, ihrer Huldigungs: und Lehenspflicht gemäß ihr Kontingent zum Neichsheer
zu ftellen; der König von Preußen nahm die Abfindungsjumme nicht an und
verlangte Neutralität, in der Stadt aber liefen Pasquille um, gegen die Kaijerin,
die an unjhuldigem Lutheranerblut ihre Bosheit auslaffen wolle, und gegen
den untreuen Nat, der für ſolche Sade die nürnbergiichen Soldaten wie Vieh
zur Schlachtbank jhide: aber die Bürger würden das Rathaus ftürmen und
die Herren an den großen Perüden fchütteln.
Für den Abſchluß des lange geplanten, aber durch die Abneigung bes
bannöveriihen Minifteriums bisher aufgehaltenen Sonderbundes proteftantifcher
Reichsſtände ſchien jet die Stunde gefommen. König Georg, voll Zuverficht
für den Sieg der gemeinfamen Sache, erklärte fih mit dem preußifchen Bundes:
entwurf einveritanden, allerdings unter Streihung eines auf die im Reiche
ſchwebenden Neligionsitreitigkeiten bezüglichen Artifels, und genehmigte nicht
", Bd. I, 199. 194.
88 Sechſtes Buch. Zweiter Abſchnitt.
minder den Antrag Münchhauſens, dem Berliner Hofe jet auch namens des
Kurfürjtentums einen Vertrag anzubieten und babei für Hannover die Erwer:
bung des furmainziihen Eichsfeldes und der Stifter Hildesheim, Dsnabrüd und
Paderborn zu beanipruchen. Um deſto ficherer zu gehen, mußte der Herzog von
Gumberland das Bistum Paderborn unverzüglich beſetzen. Im völligen lim:
ſchwung der Stimmung meinte der Herzog preußifcher Hülfe gegen die Franzoſen
faum mehr zu bedürfen. Selbit den alten behutjamen Zaftrom hatte die Prager
Schlacht jo unternehmend gemacht, daß er jegt friſch auf die Franzoſen drein-
ichlagen wollte. In London erwartete man von der Siegesbotichaft aus Böhmen
günftige Wirkung für die noch immer nicht gelungene Neubildung des Kabinetts.
„Unfere Bewunderung für den Heldenmut des Königs von Preußen ift auf dem
höchſten Gipfel,” ſchrieb Lord Holderneffe an Mitchell, „Weiber und Kinder
fingen jein Lob, auf den Straßen fommt es zu den ausjchweifenditen Freuden:
bezeugungen”. Selbit ein Horace Walpole, der bisher feine Abneigung gegen
diefen Fürften nie verhehlt hatte, jtimmte in den Jubel ein: „Was ift unier
Preuße für ein König! Doppelt und dreifach übertrifft die Wirklichkeit unjere
eriten Nachrichten!”
Die Lage ſchien glänzend, aber jie war erniter und unfidherer, als es der
König von Preußen für den jekt gefommenen Zeitpunkt vorbem angenommen
hatte. Sein böhmifcher Feldzug hatte bis Mitte Mai entichievden und fo weit
beendet jein jollen, dab nur noch die leichte Aufgabe blieb, den geichlagenen
Feind völlig aus Böhmen herauszudrängen: die dem jchlefiichen Heer zugebadhte
Aufgabe. Das andere Heer hatte jofort rechts abſchwenken jollen, um im Reich
die Franzoſen und die deutſchen Gegner Preußens zu Paaren zu treiben. Statt
deſſen begann jegt mit der Einſchließung von Prag und der Abwehr des Heeres
unter Marſchall Daun ein neuer Abſchnitt diefer böhmischen Heerfahrt, für den
der Einjat der gejamten Streitmadht nicht minder nötig war, als für den eriten
Akt, und deſſen Ende noch gar nicht abzujehen war. Die anfängliche Hoffnung,
daß zwifhen dem 20. und 24. Mai alles ficherlich zu Ende fein werde, erwies
fih jchnell als trügerifh; Ihon am 14. Mai wurde befannt, daß die Belagerten
auf zwei Monate mit Vorräten verjehen waren. Länger aber als bis zur zweiten
Mode des Juni glaubte der König mit der Entjendung gegen die Franzoſen
nicht warten zu dürfen, damit nicht die Hannoveraner fih troß allem unter öfter:
reihijcher Vermittelung neutral erklärten.
Die kritiſchen Geifter im preußifchen Lager gaben ihre Stimmen dahin ab,
daß die Belagerung unmöglich gut ablaufen fönne. Friedrich felbit ift von vorn:
herein nicht ohne Bedenken geweien: „Prag blodieren, Daun fernhalten und den
Franzoſen die Stirne bieten, find drei Dinge, die wir nicht auf eins thun
fönnen,” äußerte er acht Tage nad der Schlacht am 14. Mai; ziehe fich die
Sade über drei Wochen hin, fo werde man die Blodade aufheben müflen, um
dann zuzujehen, ob die Leute herausfommen würden oder nit. Doc meinte
er Tags darauf, er habe ein wenig zu Schwarz geſehen; er blieb nun entſchloſſen,
die Feſtung und das Heer auf eine oder die andere Art zur Mebergabe zu
zwingen. Wäre Prag mit 10: oder 12000 Mann befjegt geweien, jo hätte
eine regelrechte Belagerung feine Schwierigfeit gehabt; unter den Augen von
Prag und Kolin. 30
50000 Berteidigern aber ließen ſich feine Yaufgräben eröffnen; mwenigftens biete
die Geſchichte, jagte Friedrich, kein Beilpiel dafür. Immer dachte er, wenn erft
fein jchweres Geſchütz zur Stelle war, durd ein Bombardement von acht Tagen
„die ihon mwadelnden Hirnfäften vollends umzuftoßen”. Aber als jein „Höllen:
zeug“ in der Nacht auf den Pfingftmontag, am 30. Mai, endlich die „zermal:
mende Muſik“ begann, blieb die erwartete Wirfung der Beſchießung aus.
Die Soldaten vor Prag erzählten fih, wenn fie die Feitung hätten, würde
es nah Wien gehen. Für den König aber wäre der Marih an die Donau,
ohne Wegnahme der vorliegenden mähriihen Feſtungen und ohne umfafjende
Vorbereitung für die Sicherheit der Verpflegung und der Verbindungen, eine
jener „Pointen“ geblieben, die feine Kriegstheorie als Hauptfehler verurteilte.
Er gedachte vielmehr, obgleid er die Zahl des noch im Felde ftehenden öfter:
reihifchen Heeres jehr unterichägte, nah dem Fall von Prag an dem urſprüng—
lihen Plane feftzuhalten, und mit dem einen Teil des Heeres den Feind nad)
Mähren zurüdzudrängen, mit einem anderen in das Neich einzurüden und die
Franzoſen abzumehren. Mit jolcher Kriegsführung war nichts von neuem auf
das Spiel gejegt: man blieb, wie er unmittelbar vor der Schlacht an Schwerin
geichrieben hatte, „auf Sammet gebettet”, der Reit war „nur noch ein Spiel“.
Auch gegen die Rufen ließ fih dann detadhieren; Friedrich dachte daran, ein
Streifcorps quer dur Polen ihnen in den Rüden zu fenden. Am liebiten hätte
er, wie er dem engliichen Gejandten jagte, die Deiterreiher dahin gebracht,
ihr Bündnis mit Franfreih zu löfen und ihre Truppen gegen bie Franzoſen
marschieren zu laſſen: dazu aber, ſagte er ſich doch gleich, würde fich der diter:
reihiihe Stolz nie verjtehen.
Während die preußiichen Soldaten in Gedanken nah Wien marjdierten,
verfürzten fich die jungen Offiziere die Tage des Stilllebens und der Erwartung
mit Konjefturalpolitit und Voranſchlägen für den künftigen Frieden: fie ent:
Ihieden fih dafür, Sahjen zu Preußen zu ſchlagen und den König Auguft mit
Böhmen zu entihädigen. Weil nun das eine nicht erreihbar war ohne das
Andere, der Gebietstaufh nicht ohne den Einzug in Wien,') jo hatte der
Adjutant des Prinzen Heinrih nach der militäriichen Geſamtlage recht, in jeinem
Tagebuch ſolche Zukunftspläne als Ausgeburten der Phantafie einiger Enthu:
fiaften zu regiftrieren; wie denn die Prinzen jelbit, bei aller Unzufriedenheit mit
der Politik ihres königlichen Bruders, Eroberungsabiichten bei diefem Kriege nicht
vorausſetzten.
Was man in Wien nach dem Verluſt der Schlacht zunächſt am meiſten
befürchtete, war, daß der König von Preußen, ſtatt Prag eingeſchloſſen zu halten,
jetzt über das letzte Feldheer der Kaiſerin-Königin herfallen könnte.
Das Heer des Marſchall Daun war von dem preußiſchen Könige und
ſeinen Generalen bei den Erörterungen über den Feldzugsplan nicht vergeſſen
worden. Schwerin hatte ja nach dem Vormarſch an die Iſer auf dieſes Heer
ſich zunächſt werfen wollen; der König hatte ihm befohlen, es links liegen zu
laſſen und an die Moldau zu marſchieren. Am Tage von Prag befanden ſich
) Bal. oben ©. 55.
90 Sechſtes Buch. Zweiter Abſchnitt.
Dauns Vortruppen, 9000 Mann unter Graf Puebla, zwei Meilen vom Schlacht—
feld zu Auwal; ihr Erſcheinen im Rücken der Preußen würde deren Angriff
empfindlich geſtört haben. Aber die Nähe des preußiſchen Heeres ſcheint die
öſterreichiſchen Generale völlig gelähmt zu haben; auch Daun, als er Tags nach
der Schlacht zu Puebla ſtieß, fand nicht den Entſchluß zu weiterem Vorrücken,
obgleich von der Niederlage des Hauptheeres noch nicht die geringſte Kunde
gekommen war; denn erſt am Abend des 7. brachte zunächſt Graf Kaunitz, den
die Haiferin zum Heere gelandt hatte, ein ihm unterwegs zugeflogenes Gerücht
mit, dann gab ein Offizier des gejchlagenen Heeres die nieverichmetternde Be:
ſtätigung.
Noch zwei Tage hindurch ſtanden die Oeſterreicher, über 30000 Mann,
unangefochten, ja unbemerkt, bei Böhmiſch-Brod. Erſt am 9. Mai ſandte der
Sieger von Prag 50 Schwadronen unter Zieten zur Aufklärung aus, bei deren
Ericheinen Daun am 10. den Rüdzug antrat, während an demielben Tage der
Herzog von Bevern mit 15 Bataillonen dem Hufarencorps nadhrüdte. Er jollte
angreifen, aber nur wenn der Feind nicht freiwillig wid. Auf Schwächung oder
Aufreibung des Daunfchen Heeres hatte es der König nicht abgefehen; er hielt
in dieſem Falle die Schlaht für entbehrlib, das Manöver für ausreichend, einem
Gegner gegenüber, deſſen Truppenzahl er um mehr als die Hälfte unterjchägte,
der aber gerade unter diejer Vorausjegung ihm als ein ficheres Schladhtopfer
hätte erfcheinen jollen. Der Berehl, wenigſtens unter Umftänden anzugreifen,
wurde allmählich ganz zurüdgenommen. Als Bevern ſich wegen der Schwäche
jeines Häufleins Sorge madte, eröffnete ihm der König am 25. Mai, daß es
nicht in jeiner Abficht liege, es dort jegt zu einer Schlacht fommen zu laſſen
Die Aufgabe, Daun von Prag fernzuhalten, erichien ihm lösbar auch ohne
Schlacht. Vor einem Angriff durch den Feind, meinte er, ſei Bevern allemal
fiher; denn zum Schlagen gehörten in einer „jo terribel coupierten” Gegend
immer zwei. Zudem meldeten die Kundſchafter, daß Daun aus Wien Befehl
babe, nichts auf das Spiel zu jeßen.
Der König empfahl aljo jeinem General immer von neuem, den Gegner
durch Demonitrationen und Umgehungsmärſche, durch Bedrohung feiner Rüdzugs-
linie, feiner Verbindungen, methodiih „wegzubugſieren“ und dem Zurüdweichen:
den ein Magazin nad dem andern, fo wie er jelbit e& vor vier Wochen mit
Browne gemacht hatte, zu entreißen. Zur weiteren Einſchüchterung mochten vie
zahlreihen Hufaren den Schwarm der Irregulären „redt brav an die Ohren
packen“. Bevern, inzwifhen auf 90 Schwadronen und 20 Bataillone verftärkt,
zeigte ſich in diefer Art der Kriegsführung nicht ungewandt. Er verdrängte den
Feind aus dem Lager von Kolin, die Hujaren erbeuteten drei Magazine, und
bei Kuttenberg wurde am >. Juni Nadasdy mit feinen Ungarn, die ihren Ruf
aus den früheren Kriegen ſchon mehr als einmal nicht ganz bewährt hatten, in
die Flucht geſchlagen, abermals unter VBerluft der aufgejpeicherten Vorräte. Wie
denn die Preußen nachmals fih rühmten, daß fie in diefen Wochen jeden Biffen
Brot fich hätten erfämpfen müſſen. Der König ipendete dem Herzog von Bevern
für feine „ebenfo gut entworfenen wie aut ausgeführten Dispofitionen“ reich:
liches Lob. Wie fhon nah dem Siege von NReichenberg fchrieb er aufmunternd,
Prag und Kolin. 91
der Herzog werde jetzt größeres Selbſtvertrauen haben: „Nun ſehen Sie, daß ich
Sie beſſer kenne, als Sie ſich ſelber, Sie ſeind zu modeſt.“
Eben jegt aber überzeugte er fich endlich, daß Daun ſtärker fei, als er in
der Hartnädigfeit jeines Zweifels hatte glauben wollen. Prag wiederum, das
jtellte fih immer mehr heraus, mwar vor dem juli nicht auszubungern. Alſo
ipriht Friedrid am 5. Juni zum eritenmal den Gedanken aus, dab er doch
vielleicht vorher noh mit Daun jchlagen muß. „Daun verftärkt fi, man muß
ihm zuvorfommen,” fagte er Tags darauf jchon beftimmter, „zufammenraffen,
was abkömmlich ift, ihn angreifen und jo weit als möglich verfolgen.” Mindeſtens
bis Iglau, um aud das dortige Magazin zu gewinnen. Aber noch meinte er,
vor der „Austreibung diejes Leopold Daun” die Ankunft der 10 Bataillone und
20 Schwadronen, die zum 20. aus Schleſien zur Stelle fein jollten, abwarten
zu müflen; e& wäre denn, daß Daun inzwilhen eine Blöße böte. Ob Bevern
entichloffen genug war, jol einen günftigen Augenblid ſchnell zu ergreifen,
ihien doch wieder zweifelhaft, da jener nah dem Erfolg von Kuttenberg ver:
jäumt hatte, die erite „Bredouille” des Feindes auszunügen und bis Gzaslau
nachzudrängen. Friedrich beauftragte deshalb am 10. Juni einen feiner Flügel:
adjutanten, den Oberiten Find, dem fürftlihen General mit feiner „Autorität
und guten Reſolution“ nachzuhelfen, „damit wir den Daun auf die Seite
ihaffen“: „Ich kann die Leute nicht in meiner Nachbarſchaft dulden . . . Alſo
warn nur gute Gelegenheit ift, jo muß man fie ergreifen ... attadieret fie
brav mit unsre jchwere Kanonen, mit Kartätichen beſchoſſen und ſodann ihnen
die Flanke gewonnen.”
Neue Meldungen Beverns überzeugten ihn, dab er am beiten perjönlidh
eingreifen werde und das abgezweigte Corps allerdings noch dur Truppen aus
der Belagerungslinie verftärken müſſe. Am 12. meldete er fich für ben 15. mit
8 Bataillonen und 16 Schwadronen an: „Hier hilft nichts vor, Daun muß nad
Mähren herein, er mag ftark oder ſchwach jeind, joniten friegen wir Prag nicht,
fönnen wir die übrigen Feinde, die ankommen, nicht refiitieren, und ift die ganze
Campagne, jo gut wie fie ift angefangen worden, verloren.“
Ein Erfundungsritt Zietens Härte in der Nacht zum 13. die Lage völlig
auf. Es war fein Zmeifel mehr, Daun wollte nah Prag und feinen Gegner
Bevern derweil durch Nadasdy beichäftigen. Der Herzog ging deshalb am 13.
von Kuttenberg auf Kolin zurüd und zog am 14. in ſüdweſtlicher Richtung
weiter. Kalt wären an dieſem Tage er und der König aneinander vorbei:
marjdiert; am Abend vereinigten fie ſich zwiichen Kaurzim und Malotig. Sofort
jandte der König an Mori von Deſſau Befehl, mit noch weiteren 6 Bataillonen
und 10 Schwadronen herbeizueilen: „Es kommt bier auf wenige Tage, zugleich
aber auch auf wenige Stunden an.” Am 16, war der Nachſchub zur Stelle,
bewährte und in diefem Kriege noch nicht im Feuer gewejene Negimenter.
Der Vormarjch des jo lange unthätigen Daun war auf gemejienen Befehl
aus Wien erfolgt. König Friedrich war ganz zutreffend unterrichtet, wenn er
bisher meinte, Daun dürfe nicht Schlagen. Unter dem erſten Eindrud der Prager
Niederlage hatte ein Handichreiben der Kaijerin dem Marſchall als Hauptaufgabe
vorgezeichnet, die rüdmwärts liegenden Erblande gegen feindlichen Einbruch zu
42 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt.
decken, und wieder war eine am 21. Mai an ihn gerichtete Aufforderung, Prag
baldigit zu entjegen, jchon nad drei Tagen dahin erläutert worden, dab es
nicht ſowohl auf den Entfaß des eingeichloffenen, als auf die Erhaltung des
im Felde jtehenden Heeres anfomme. Dann aber jchrieb die Gebieterin am
7. Juni: Prag fönne fih nur bis zum 20. halten, Daun ſolle eine Schlacht
wagen, fie gebe ihm ihr kaiſerliches Wort, daß fie einen unglüdlihen Ausgang
dem Feldherrn nimmermehr zur Laſt legen werde.
Am 12. aus dem Lager bei Goltſch-Jenikau hinter Gzaslau aufgebrochen,
bezog Daun nad drei kleinen Tagesmärjchen und einem Rafttage am 16. abends
im Angefiht des preußiichen Heeres ein wohlgebedtes Lager zwiihen Swojſchitz
und Krychnow, mit dem Vorſatz, entweder den Angriff in biefer Stellung ab—
zumarten ober bei günftiger Gelegenheit felbit anzugreifen. An die augenblid:
liche Stellung der Preußen glaubte er indes fih nicht wagen zu dürfen.
Seinerjeits hielt der König von Preußen das öfterreichiiche Lager wenigitens
in der Front für unberührbar und marjchierte deshalb am Nachmittag des 17. juni
in der Richtung auf Planian links ab, um dem Gegner die rechte Flanfe ab:
zugewinnen, nachdem er fih durch feine Huſaren vergemiflert hatte, daß nicht
etwa ein öfterreihijches Corps nad) Prag unterwegs war.
Durd den Marich der Preußen beunruhigt, ihob Daun in der Nacht auf
den 18. fein Heer weiter nad) rechts, jo daß die Linke auf die Höhe von Boſchitz,
die Nechte auf den Kamhajeker Berg zu ftehen fam.
Der Bergrüden läuft öftlih gegen Kolin, Radowesnig und die Elbe in
eine Hochfläche aus; nad) Norden fällt er, oben fteiler, dann allmählich, zu dem
Kaiferweg ab, der Heerftraße, die von Prag über Planian nad Kolin führt und
fich zwifchen den Wirtshäufern Neuftadt und zur goldenen Sonne in einer feuchten
Niederung ftarf einfenft. Längs des Kaiſerwegs, zwiſchen ihm und der Höhe
— die Entfernung beträgt etwa 9000 Fuß —, folgen fih in der Richtung
auf Kolin die Ortihaften Brzezan, Chogenig, Briſtwi, Kamhajek und Kutlirz,
oberhalb von Kamhajek liegt auf einem Vorſprung des Kammes das Kirchdorf
Kretihorz. Im Meften des Höhenzuges fließen in tiefeingefchnittenen Thal:
betten zwei Bäche dur Teiche und Wiefengrund nah Planian zu. Sie dedten
vortrefflich die linfe Flanke der öfterreichifchen Stellung.
Nah Sonnenaufgang ſetzte das preußifche Heer den geftern begonnenen
Marich fort. Der Vortrab drängte auf der Kaiferftraße die leichten Truppen
des Feindes zurüd. Jenſeits Planian bei dem eriten Wirtshaus ward ein
mehrftündiger Halt gemacht, um die dur die Wegengen aufgehaltenen Enden
der Kolonnen abzuwarten. Aus den Fenftern des zweiten Stodwerfs bot die
Herberge einen Ueberblid über die öfterreihiihe Stellung. Der König ver:
jammelte oben jeine Generale und gab ihnen die Dispofition für den Angriff.
Der Feind hatte den Vorteil des Geländes, den Vorteil der Zahl; feine 54000,
darunter ein Drittel Reiter, jollten von 15000 Mann Fußvolk und 14 000 Reitern,
32 Bataillonen und 116 Schwadronen beitanden und überwältigt werden. Es
galt ſparſam zu verfahren, nur mit einem Flügel, wie immer, ja nur an einem
Punkt anzugreifen. Von ihrem an Kretichorz und ein Eichengehölz angelehnten
äußeriten rechten Flügel her follte Dauns nfanterielinie aufgerollt und mo:
Prag und Kolin. 93
möglich in die Sümpfe zu ihrer Linken geworfen, vom Rückzuge abgeſchnitten
werden. Die Avantgarde, das Grenadiercorps des Generals Hülſen, ſollte den
Angriff auf Kretſchorz und die hinter dem Dorf aufgefahrenen Batterien er:
öffnen, das Hufarencorps unter Zieten jollte den Angreifern die Flanke deden,
der linfe Flügel fie unterftügen und deshalb hinter, nicht neben der Avantgarde
aufmarjchieren ; der rechte Flügel jollte außer Kampf bleiben und an ber Kaiſer—
ftraße, längs deren er bis zu dem zweiten Wirtshaus zu marjchieren hatte, un-
bedingt zurüdgehalten werden.
Segen halb zwei Uhr begann der Angriff, jchon hatten die Defterreicher
geglaubt, heute unbehelligt zu bleiben. Hüljens Bataillone nahmen den Kirchhof
von Kretichorz, das Dorf, die Batterie; nicht ohne jchwere Verlufte. In be:
wunderungswürdiger Ordnung — jeder Grenadier verdiene Lorbeeren, meinten
die Hujaren, die das Schaujpiel unmittelbar vor Augen hatten — erreichten fie
die Höhe und ſchauten nun vor ſich ein unermartetes Bild: eine lange Infanterie—
linie in zwei Treffen, die im ftumpfen Winfel ausjpringende ſchützende Flanke
der öfterreihiihen Schlachtordnung, angelehnt an den Eihwald und mit der
Hauptitellung durch eine große, eingeichanzte Batterie feit veranfert. Denn
Marihall Daun, der von jeinen Höhen alle Bewegungen des Gegners gemächlich
verfolgen fonnte, hatte Zeit gehabt, jeine Stellung entiprechend zu verändern.
Er war vorfihtig und Flug genug, nicht jenen Rat des SKaifers zu befolgen,
dab man nod vor dem Angriff des preußiihen Offenſivflügels raſch auf den
ſchwächeren Flügel losſchlagen ſolle; aber er veritand den drohenden Stoß zu
parieren, indem er noch rechtzeitig von jeinem linken Flügel die Divifion Wied
auf den am meilten gefährdeten Punkt der Aufitellung herüberzog. Auf der
preußiihen Seite dagegen hatte man die Ausdehnung des Geländes unterſchätzt
und nicht geglaubt, daß der Gegner bier feine Flanke jo gut zu ſichern ver:
möge. Der König hat es fih nachher zum Vorwurf gemacht, daß er fich nicht
perjönlih auf feine äußerfte Linfe begeben habe, um fih durch Augenjchein von
der Dertlichfeit zu überzeugen.
Während aljo die Front des Gegners viel breiter auslud, als man an:
genommen hatte, blieb andererfeits die ihm verheißene unmittelbare Unterftügung
den General Hülfen aus.
Das Heer hatte während des Kampfes um das Dorf, noch in Zug:
folonnen, auf feinem Marjche eingehalten, wie es jcheint vor der fefjelartigen
Bodenjenfung am Wirtshaus zur goldenen Sonne; das Dorf Briltwi lag noch
linfs im Vordergrund. Aus diefer Stellung heraus find dann, als Kretichorz
genommen war, die Marjchlinien, ftatt fih bis an das eroberte Dorf weiter:
zujchieben und dadurch mit dem Vortreffen Fühlung berzuftellen, bereits auf
dem Felde zwiichen Chogenit und Briftwi in die Front eingeſchwenkt — eine
Uebereilung, für die der König, offenbar mit Recht, den Prinzen Morig ver:
antwortlih gemacht hat, jo verjchieden auch in der Folge die Erzählungen
von dem errenten Wortwechſel gelautet haben, zu dem es hier gefommen jein
jol. Um den Abftand, der zwiſchen den Vortruppen und dem zu früh auf:
marſchierten Heere blieb, möglichſt zu verfürzen, ließ der König die Schlacht—
linie fih im Angeficht der bereits bedenklich nahen öfterreihiichen Stellung halb:
04 Schftes Bud. weiter Abſchnitt.
links ziehen: da führte ein zweiter Verftoß gegen die Dispofition noch ſchwerere
Mipitände herbei.
In Chogenit und in den Kornfeldern hatten fih Kroaten eingeniftet und
beläftigten mit ihrem Feuer den Aufmarſch des linfen preußiihen Flügels in
der Flanke. Eine mißverftandene Aeußerung eines königlichen Flügeladjutanten
veranlaßte den Generalmajor Manftein nicht bloß, wie er es jollte, mit einem
Bataillon die Plänkler zu Paaren zu treiben, fondern weiter jtrads auf die
itarfe feindlihe Hauptitellung loszugehen, wo nun bie weiter rechts ftehenden
Bataillone, eines nad dem anderen, wohl oder übel zur Hülfe eilen mußten.
So trat dem ftrengen Verbot zum Trog allmählich ein großer Teil der nfanterie
vom rechten Flügel in den Kampf ein. In der Mitte aber riß durd diejen
unglüdlihen Vorſtoß auf Chogenig die Schladhtordnung völlig auseinander: der
linte Flügel verlor den Zujammenhang mit dem Zentrum zu einer Zeit, wo er
den Anichluß an die Avantgarde noch nicht gewonnen hatte. Das in diejer Not
angeordnete Wortreten der Bataillone des zweiten Treffens in die WVorderlinie
füllte die Riſſe der Schladtordnung nicht aus, beraubte dagegen den linken
Flügel für den Verlauf des Kampfes feiner einzigen „infanterierejerve. Und
auch jo waren es im ganzen nur neun Bataillone, die bier, zwiihen dem An:
griff auf Chogenit redhts und dem Gefeht am Eichwald links, jegt ihre Schlacht
für fi eröffneten, auch fie zu früh, denn nocd immer waren fie nicht bei
Hülfens Grenadieren angelangt. Aber einmal im Bereich des feindlihen Stüd:
feuers, lie; fich die aufgeregte Truppe vom Angriff jegt nicht länger zurück—
halten. Statt daß dem Schladtplan gemäß ſämtliche ins Feuer tretende Ab—
teilungen fich in der einen Aufgabe, die feindliche Flanfe zu umfaflen, gegenfeitig
unterftügt hätten, war es unverjehens auf der ganzen Linie zu einem jFrontal:
angriff gefommen, wobei alle Gunft, welche Stellung und Ueberzahl ihnen boten,
den Angegriffenen gewahrt blieb.
Nur das Vortreffen war bis an die Eichen herangelangt, die auch dem
linken Flügel als Richtpunkt und weiter als Anlehnung bezeihnet worden waren.
Auf fih allein angewieſen, jener ſtarken Flanke des Feindes gegenüber, überdies
darauf bedacht, nicht ganz von dem Hauptheer abzulommen — er hatte deshalb
eine Nejerve nah Briftwi gelegt — warf Hülfen von feinen zehn Bataillonen
nur zwei in das Gehölz hinein. Es gelang ihnen, die Kroaten zu vertreiben,
es gelang ihnen nicht, fich unter den Eichen zu behaupten.
Und dod war der fleine Wald von der größten Bedeutung. Bor diejem
verhängnisvollen Eihbufch icheuten den ganzen langen Nachmittag die Roſſe und
die Neiter, jedesmal wenn es gegolten hätte, das bebrängte Fußvolk heraus:
zuhauen. So ſchon als Zieten, während des Angriffs der Grenadiere auf den
Kirchhof, mit 50 Schwadronen von Kutlirz aus fich auf die Ungarn und Grenzer
jtürzte: zum Zufammenftoß fam es nicht, man wechjelte nur Schüffe, aber als
die Preußen beim Nachjegen an den nicht gerade ſchwierigen Einjchnitt von
Radowesnig fanıen und nun aus dem Eihbufh in ihrer Rechten Flankenfeuer
erhielten, ſchwenkten fie ab und fehrten an die Kaiferitraße zurüd. Damit blieb
Nadasdy im ftande, einem überlegenen Gegner das Geſetz zu geben, ihn immer
von neuem auf fich zu ziehen und von einer Unteritüguna des Infanterieangriffs
Prag und Kolin. 95
abzulenken, und es konnte nach der Schlacht im preußiſchen Heere ſogar die
Meinung aufkommen, dieſer Rückzug Nadasdys ſei eitel Verſtellung geweſen.
Kaum war das Wäldchen von den Kroaten wieder beſetzt, ſo wiederholte ſich
das Spiel: herausforderndes Anreiten der mittlerweile noch verſtärkten Magya—
ren, nachdrücklicher Vorſtoß Zietens, Flucht, Verfolgung und abermalige Umkehr
der wieder mit Flankenfeuer begrüßten Verfolger. Nicht beſſer als den Huſaren
glückte es ſpäter den Küraſſierregimentern des linken Flügels unter Führung des
alten Penavaire: zweimal ritten fie von Briſtwi aus gegen die auf der Weſt—
jeite des Eichbuſches aufgerüdte reguläre Kavallerie zum Angriff an, und zwei:
mal wurden fie, ohne eingehauen zu haben, dur das Flankenfeuer der Kroaten
zurüdgetrieben.
Eine Zeit lang ſchien es, als ob aller unvorbergejehenen Zwiſchenfälle,
aller Fehler ungeachtet, der Heldenmut der Infanterie ih das Schlachtenalüd
auch heute, wie ftets bisher, willfährig maden würde. Allmählich waren die Vor:
truppen und ber linke Flügel, von linfs und rechts in der Richtung auf des
Feindes aroße Batterie vorjtoßend, fih dod nahe gekommen; wiederholt zurück—
geworfen, bezwang ihr fonzentriiher Angriff endlih das gewaltige Bollwerk.
Und nun braden einige Bataillone mit gefälltem Bajonett in die erfte, jchon
auch in die zweite Linie des zähen Feindes. Won dem Zietenihen Corps hatte
der König 15 Schwadronen abgejordert, die Küraffierregimenter Prinz von
Preußen und Rochow und die Normann: Dragoner,; Oberit Seydlit führte fie
herbei, dem heute zum eritenmal eine Brigade anvertraut war. Den unver:
gleihlihen Führer an der Spite fluteten die Schwarzen Dragoner in die duch
die Bajonette geöffnete Galle nad), den Riß breit auszerrend, zerfprengten im
zweiten Treifen das ungariiche Regiment Haller, deſſen Musfetiere in der Be:
drängnis mit dem Säbel in der Fauſt fich vergebens der ungeſtümen Gäjte zu
erwehren juchten, erbeuteten fünf Fahnen und an 40 Kanonen und nahmen
endlich noch den ihnen entgegeniprengenden ſächſiſchen Karabinieren eine Standarte
ab. Die durd die feindliche Linie durchgeitoßenen Bataillone ftanden an Ent:
ichlofienheit den Dragonern nicht nad; zum Halbcarre zujammengetreten, wiejen
ihrer drei ebenfoviel Neiterregimenter fiegreih ab.
Es war der fritiiche Augenblid der Schlaht, nahmittags zwiſchen vier und
fünf, die Schidialsftunde des ganzen Krieges. Feldmarſchall-Lieutenant Graf Wied
ließ die Neiter in das eigene Fußvolk einhauen, um die Fliehenden zur Umfehr
zu zwingen. Die links von der Stätte des argen Dammbruchs baltenden öiter:
reihiihen Bataillone, in der Front durch immer erneute Angriffe bedrängt, in
der Flanke entblößt, im Rüden von der Flucht ganzer Negimenter umbrauit,
wurden auf die bärtefte Probe geitellt. Schon madıten bei einzelnen Compag:
nien, während die beiden vorderen Glieder noch gegen den anrüdenden Feind
feuerten, das dritte und vierte Glied rechtsum, um den Kameraden den Rüden
zu deden und im nächſten Augenblid vielleicht zu fliehen.
Zeuge der Aufregung und Verwirrung war ein Offizier des verbündeten
franzöfiihen Heeres, General Champeaur; er hat zwei Tage nad der Schlacht
in einem Brief nah Haufe verſichert, dab der Rüdzug beſchloſſen und bereits
eingeleitet war: Marihall Daun habe den Kopf verloren, und nur dank der
96 Sechſtes Bud. Zweiter Abfchnitt.
Geiftesgegenwart einiger Unterführer und dank der Gefügigfeit, mit der Daun
fie habe handeln laffen, jei das Schickſal noch gewendet worden.
Erft vor wenigen Wochen waren die in öfterreihifchen Sold genommenen
ſächſiſchen Reiterregimenter beim Heere eingetroffen — fie würden feine Eiſen—
freier fein, hatte König Friedrich wegwerfend gemeint, als er von ihrer Ankunft
hörte. War der alte Ruf der ſächſiſchen Tapferkeit erjchüttert, die Chevaur:
legers brachten ihre Waffen jest glänzend zu neuen Ehren. Auch die ſächſiſchen
Generale wußten nicht anders, als daß der Rüdzug ſchon anbefohlen fei; aber
auf eigene Fauft brach Oberftlieutenant von Benkendorf hinter dem Eihbufch
vor, nur mit zwei Schwadronen; mit dem Rufe „Das für Striegau” jtürzt ſich
die Heine Schar auf einen Haufen preußifcher Küraffiere, des 4. Juni 1745
grimmig eingedenf; dem berzbaften Beijpiel folgen die anderen ſächſiſchen
Schwadronen und von den Kaijerlihen zuerit die Dragoner des Fürften Liane;
Gewicht hängt fih an Gewicht, bis es zuletzt an die 56 Schwadronen find.
Soldem Anfturm erliegen die ſchon zum Tode erichöpften, beim Vordringen
weit auseinander gekommenen preußiichen Bataillone und die nad ihrem Sieges—
ritt atemlofen Schwadronen der Brigade Seydlit. Noch einmal mwagten Die
Küraffiere des Prinzen von Preußen unter Führung des Prinzen Morig einen
Angriff auf die feindliche nfanterie; aber durch Kartätichen zurüdgewiejen,
reiten fie im Weichen das eigene Fußvolf, das Negiment Bevern, über den
Haufen, und kaum ift diefer Sturm über fie hinweggebrauft, jo werden die
tapferen Musketiere von der feindlichen Reiterei umzingelt und faft ganz auf:
gerieben. Nicht viel beifer war das Schidjal der Negimenter Prinz Heinrich
und Mündomw. In diefer Zertrümmerung ganzer Negimenter hat der König
den enticheidenden Wendepunft der Schlacht geſehen. Bier friihe Bataillone, jo
meinte er, und fie wäre gewonnen gemwejen. Aber bei dem Fehlen jeglicher
Reſerve ließ fih die Lücke nicht mehr ftopfen.
Nah der Vernichtung ihrer tapferen Vorkämpfer fam die ganze Infanterie
des linken Flügels und des Wortreffens ins Weiden. Doch ſchloſſen fich
hinter dem bereits aufgegebenen Kretſchorz, an der Stelle, von welder der
erite Angriff ausgegangen war, die Grenadiere noch einmal zum leßten ver:
zweifelten Verſuch zuſammen, zum fiebenten Angriff nad) der Zählung der Defter:
reiher. Der Heldenmut dieſer vom eriten Anbeainn im Feuer ftehenden Gre—
nabierbataillone hatte an diefem Nachmittag fich jelbit übertroffen. Sie hatten
in den eroberten Redouten bereits friſche Steine aufgeſchraubt; „aber mitten in
der jüßen Hoffnung, auch hier unbefiegt zu bleiben,” heißt e& in dem jchlichten
Bericht des Treuenbriezener Bataillons, „kam der Befehl an, daß fi die
Grenadiere zurüdziehen jolten.” Mit zwei Bleſſuren jammelte der Kapitän
von Garlowig die Trümmer des Bataillons: „wo uns aber nicht der geringite
Anftoß vorfiel, welches eine Hauptanzeige ift, daß der Feind fo gut wie wir den
Plat des Gejechtes verlafien haben mußte.” Die Grenadiere hatten fi völlig
verichojlen, des Weges fommende Hufaren halfen den Abziehenden mit Kavallerie:
munition aus. So fetten fie fich zulegt auf der Höhe des Hügels nördlih vom
Kaiſerwege feft, der feit jenem Tage der Friedrichsberg heißt, und barrten dort
til aus, Dis es dunfel ward.
Prag und Slolin. 097
“
Etwa gleichzeitig mit der Niederlage des linken Flügels und der Avant:
garde wurde auch im Zentrum der Widerſtand ber Preußen gebroden; von
3000 Streitern, die in den verberblihen Kampf bei Chogenik nacheinander ein-
geariffen hatten, führte Manftein, felbit verwundet, nur etwa 1200 unverwundet
aus dem brennenden Dorf zurüd.
Der König hatte, als fein Fußvolk zu wanfen beganı und die Brigade
Seydli von der Uebermadt erbrüdt wurde, wieder und wieder an den Kaifer:
weg zu Penavaires Schwadronen aeihidt. Sie famen nit. Nun fprengt er
jelber zu den Säumigen: „Aber, meine Herren Generals, wollen Sie nicht
-attadieren? Sehen Sie nicht, wie der Feind in unfere Infanterie einhaut? In
Teufels Namen attadieren Sie doch! Allons, ganze Kavallerie, Marſch Mari!”
Sie reiten los, der König voran, aber bei Briftwi fommen Kanonenfugeln ge:
flogen und die nach den beiden mißglüdten Angriffen von vorhin Fopficheue
Schar iſt nicht mehr zufammenzubalten, fie flüchtet über den Kaiferweg zurüd.
Um die ruhmvollen Fahnen des erften Bataillons Anhalt, der Leibtruppe des
alten Deffauers, ſammelt der König in der allgemeinen Auflöfung etwa 40 Mann,
er läßt das Spiel rühren, jprengt voran, hofft, fein Beifpiel wird die Flucht
noch wenden. Aber das Häuflein hinter ihm lichtet fih, als die Kugeln ein:
ihlagen; er ſchaut nur vor fih und gewahrt nit, daß nur nod feine Adju:
tanten ihm folgen. Bis Major Grant ihm zuruft: „Sire, wollen Sie die
Batterie allein erobern?” Da hemmt der König fein Pferd, betrachtet noch einmal
durch fein Glas die feindliche Stellung, und reitet dann langſam nad) dem rechten
Flügel, um dem Herzog von Bevern die Befehle für den Rückzug zu erteilen.
Bis zur legten Stunde hatte Bevern, wie der Schladhtplan es verlangte,
jeinen Flügel zurüdzuhalten gejucht, und wenn er es auch zulaffen mußte, daß
die dem Angriff auf Chogenis am nächſten ftehenden Regimenter Manteuffel
und Prinz Morig den Kampf mitmachten, jo blieben doch wenigftens das Regiment
Kalditein auf der äußerften Rechten und die Bataillone des zweiten Treffens
außer Gefecht, aud als das immer näher fommende Feuer ſchon ganze Glieder
fortriß und das zweite Bataillon Kalckſtein faft feiner fämtlihen Offiziere und
Unteroffiziere beraubte. Wie nun aber der Herzog von dem Halteplat der Reiter,
wo er die Befehle des Königs entgegengenommen hatte, zurüdfehrte, fand er
auch dieſe legten Bataillone, mit denen er den Rüdzug zu deden gedacht, in
erbittertem Kampf verwidelt. Das erſte Bataillon Garde unter Führung des
waderen Majors Tauenzien wies vier Bataillone und zwei Kavallerieregimenter
ab, aber einer der Potsdamer Hünen nad dem andern brach zufammen, das
Bataillon verlor 24 Offiziere und 475 Mann. Dem Regiment des Prinzen
Mori blieben nur zwei Offiziere unverwundet. Mit den acht Bataillonen, die
fih bier opferten, teilten fih in die Ehren des legten MWiderftandes, von dem
General Meinede entichlofien geführt, die neumärfifchen Dragoner als einzige
Kavallerietruppe diejes Flügels, denn feine beiden Küraffierregimenter hatte
Bevern fortgeihidt, um das Defile von Planian für das abziehende Heer offen
zu halten; nicht weniger als achtınal warfen fih die tapferen Dragoner in das
Kampfgewühl. Nah einem letzten fruchtlofen Vorſtoß aus Brzezan jtellten die
Deiterreicher noch vor Sonnenuntergang auch auf diejem Flügel das Gefecht ein.
Roier, Abnig Friedrich der Große. II. 2. Auf 7
05 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt.
Dieſe unerſchrockene Haltung der preußiihen Rechten, weiter der Nahdrud,
mit dem eben jett bei finfender Sonne auf der entgegengejegten Seite des
Schlachtfeldes Zieten feinen Partner Nadasdy noch ein drittes Mal zurüdwarf,
endlih die Erſchöpfung und bie Verluite der eigenen Truppen — man zählte
nah der Schlacht 1002 Tote, 4176 Verwundete und 1640 Vermißte — be:
ftimmten den Sieger von Kolin, jegliche Verfolgung zu unterlaſſen und fi mit
der Siegesbeute von 45 Geſchützen, 22 Fahnen, 4480 verwundeten und unver:
wundeten Gefangenen zu begnügen. Unbebelligt, in geordneten Kolonnen, folgten
mit Einbruch der Nacht die zufammengeichmolzenen Bataillone Beverns dem
geihlagenen, geflüchteten linken Flügel nad Planian. Es ergab ſich, daß die
Infanterie volle zwei Drittel ihres Beitandes, über 12000 Mann, eingebüßt
hatte; die Neiterregimenter hatten auf 16 000 Mann nur einen Abgang von 1450.
Die Neiterei des linken Flügels blieb bis tief in die Dunfeldeit in une
mittelbarer Nähe des regungslofen öfterreihiichen Heeres und las die Splitter
des Hülſenſchen Grenadiercorps auf. Die Hufaren, die bis zur Elbe bin ſchar—
mußiert hatten, wollten zuerit nicht daran glauben, daß die Schlacht verloren jei.
Doch bielt mehr die Natlofigfeit als Kedheit oder Tro die müde Schar bier
angelichts des Ueberwinders auf freiem Felde zurüd. Bieten war während jeines
dritten Waffenganges verwundet vom Schlachtfeld fortgeſchafft worden; der
Hrjährige Penavaire war nad allen förperlihen Anjtrengungen und allen er:
Ihütternden Eindrüden des heutigen Tages faſſungslos, von den Brigade:
generalen war Krofigf gefallen, Normann erklärte, ohne Befehl des Königs nicht
vom Plage weichen zu fönnen, Krodom, nad) dem Dienitalter der Erfte, jcheute,
als er das hörte, die Verantwortung. Die Lage war für alle völlig neu; noch
nie waren die Preußen geichlagen worden. Aus mehr als einem Munde börte
man: das ift unjer Pultawa. Endlich ritten fie langjam davon; die Kaiſer—
ftraße und die blutige Walftatt, wollte man nicht dem Feinde auflaufen, mußten
linfs liegen bleiben; die Schreie der Verwundeten bezeichneten in der Finſternis
das Feld der Schreden, dem man fich nicht nahen durfte.
Der König hatte gleich nach der Auflöjung des linken Flügels das Schladt:
feld verlafjen, um zu feinem zweiten Heere zu eilen. Nutzte Daun feinen Sieg
nadhdrüdlih aus, jo fonnten die öfterreihijchen Weiter die Erften jein, melde
die Kunde von Kolin an die Moldau trugen. Die gerade Straße war nad
diefem Ausgang bereits unficher, doch mochte Major Grant verſuchen, ob er noch
durchkam mit feiner Botichaft an die Generale vor Prag: daß die Schlacht ver:
loren fei, daß fie alles vorbereiten jollten, um beim eriten Befehl die Belage:
rung aufheben zu fünnen. Der König jchlug den Ummeg über Nimburg ein,
im Galopp, mit ihm die Gardes du Corps und ein Trupp Hufaren. Bei Nim:
burg ging er über die Elbe, durdritt die ler auf einer Furt und jegte bei
Brandeis zum zweitenmal über die Elbe.
„Sie wijjen wohl nicht, daß jedes Menſchen Glüd feine Rückſchläge baben
mu?” jagte er auf dem nächtlichen Ritt zu dem jungen Grafen Kriedrid von
Anhalt; „ih glaube, daß ich jest die meinen haben werde.“
Dritter Abichnitt.
Von Rolin nach Teufhen.
den preußijchen Linien vor Prag Offiziere und Soldaten der Nachrichten
von dem zur Schlaht ausgezogenen Heere. Feindliche Streifpartien
bemmten die Verbindung. Ausgeihidte Hujaren braten gegen Abend die Mel:
dung, daß die Heere aneinander jeien, daß der Feind von Stellung zu Stellung
zurüdgeworfen werde. Helle Freude verbreitete ſich im Heere.
Mitternacht war vorüber, als fih Major Grant mit feinem Auftrag vom
Könige am Zisfaberg bei dem Prinzen Ferdinand von Braunjchweig melden
ließ, der auf dem rechten Moldauufer den Oberbefehl führte. Tief erjchüttert
eilten beide zum Quartier des Prinzen Heinrih. „hr Götter!” rief der Prinz,
indem er vom Lager emporfuhr, bewahrte aber volle Ruhe und Fallung. Er
ritt auf das andere Ufer und beſprach ſich mit Winterfeldt. Am Morgen traten
die Führer zu Branif an der Schiffsbrüde zur Beratung zufammen: die drei
Brüder des Königs, Ferdinand von Braunfchweig, Marihall Keith, die Generale
Schmettau, Winterfeldt, Golg, Regom und Prinz Schönaih. Schon konnte ihnen
Prinz Heinrich feine Dispofition für den vom Könige angeordneten Aufbruch
vorlejen. Die Nachricht von der verlorenen Schladt hielten die Generale ftreng
geheim, nur Gerüchte liefen durch das Heer; die Truppen aber blieben un:
gläubig, denn ihr König galt ihnen als unüberwindlih. Bis er am Nachmittag
jelber durh das Lager dahergeritten fam, auf dem Pferde, das ihn jeßt jeit
36 Stunden trug, nur von einem Pagen begleitet. Obgleich er fi vor Er:
müdung faum im Sattel halten fonnte, zwang er fi doc zu einer guten
Haltung; aber jein jonit jo helles Auge war zu Boden geſenkt und fchien wie
von dichtem Nebel bevedt. Bor dem Pfarrhauſe zu Mile, feinem alten
Quartier, erwarteten ihn die beiden jüngften Brüder, er trat in das Haus, dann
ward Prinz Heinrich hereingerufen. Der König, noch ohne jein Gepäd, lag auf
einem Strobjad, erihöpft an Leib und Seele, nicht mehr unter dem Zwang der
mühſam geübten Selbitbeherrichung, tief bewegt und weich. Er fühte den Bruder,
83 und von Stunde zu Stunde erregter harrten am 18. Juni in
@
100 Sechſtes Bud. Tritter Abfchnitt.
geitand ihm jeine Niedergeichlagenheit und jagte wiederholt, daß er fterben möchte.
Mit der Fürſorge für den Abmarſch beauftragte er den Prinzen und genehmigte
den Entwurf, den dieſer ihm vormwies; Sich jelbit bezeichnete er als jet zu allem
unfähig, jchlehthin der Ruhe bedürftig: früh um 3 Uhr mußte er mit den
Truppen marjdieren.
Die militärifshe Begabung des Prinzen Heinrih trat in dieſer ſchweren
Probe immer glängender zu Tage. Schon nad der Prager Schladht hatte der
König gejagt: „Ich würde ihm noch mehr loben, wenn es nicht mein Bruder
wäre.“ Dem Prinzen aber war es in feinem beißen Schmerz über das Ber:
derben, dem er Heer und Staat ausgeliefert glaubte, eine Art ingrimmigen
Troftes, dab der Miferfolg feines königlichen Bruders feinem eigenen Verdienft
als Folie dienen mußte. Der engliihe Geſandte gewann den Eindrud, daß
Heinrih den König haſſe, und wie ridhtig Mitchell jah, beweiſen des Prinzen
eigenhändige Aufzeihnungen noch unwiderleglicher, als das gehälfige, von fort:
laufenden Anklagen gegen Friedrih ſtrotzende Tagebuch jeines Adjutanten, des
jungen Grafen Hendel. Längft war in des Prinzen Kreiſe vorausgefagt worden,
daß die Belagerung der böhmiſchen Hauptftadt nicht glüden könne. est hatten
die Beſſerwiſſer recht behalten. Der neue Cäſar hatte bei Prag Alefia nicht
erneuert. „Seine Majeftät,“ fpottete Hendel, „thaten alles möglihe, um bei
Prag, wie im Jahre 1744,') Ihren Ruhm abermals zu verlieren und um Prag
ein für allemal zu den Säulen des Herkules feiner ferneren Unternehmungen
zu ftempeln, und das nah der glorreihiten Schlacht, die jemals geichlagen
wurde.” Der Prinz ſelbſt aber jandte der Prinzeffin Amalie ein jchadenfrohes
Brieflein, das jeinem Schreiber zu Unehren den Deiterreihern in die Hände
fiel: „Phaeton ift geftürzt, und wir willen nit, was aus uns werden wird.
Der 18. wird für Brandenburg auf ewig unheilvoll jein. Phaeton bat für feine
Perſon Sorge getragen und ſich zurüdgezogen, bevor der Verluft der Schlacht
völlig entſchieden war.” Die leidenjchaftlihen Anklagen wegen des Angriffs
verteilten fih auf den König felbit und Morik von Deflau. Der hätte, in diefem
Krieg noch an feinem Treffen beteiligt, aus niedriger Eiferſucht auf den Herzog
von Bevern, den Helden von Loboſitz, Neichenberg und Prag, ſtürmiſch zur
Schlacht gedrängt, die Ungeduld und Lebhaftigfeit des Königs gemißbraudt und
jeiner Eigenliebe unwürdig geſchmeichelt; Friedrich ſelbſt aber hätte in dieſer
Eigenliebe ohnegleichen, in dem verberblichen Ehrgeiz, den ſchon jo oft befiegten
Feind noch einmal zu beftegen, jein Heer nicht zur Schlacht, fondern zur Schlacht:
bank geführt und die Kunſt entdedt, in jehs Wochen das Werk von 30 Jahren,
dies ſchöne und umvergleichlihde Heer, die fiherfte Stüge von Preußens Größe,
zu zeritören.
Ohne zu bäßlihen Schmähungen fich hinreißen zu laſſen, verfihert doch
aud der vertraute Berater des Prinzen Ferdinand von Braunſchweig, niemand
int Heere habe gezweifelt, daß der König an der Spitze des von ihm verftärften
Beobahtungscorps völlig im ftande geweſen fei, den ängftlihen, zaudernden Daun
beliebig lange und beliebig weit von Prag zurüdzubalten, auch ohne ihm ein
80.1, 238.
Ton Kolin nad Zeuthen. 101
Treffen zu liefern. Auch jpäter it oft ähnlich geurteilt worden. Die eingehende
biftoriihe Unterfuhung, die nad 50 Jahren ein öfterreihiiher Offizier der
Koliner Schlaht widmete, ilt zu dem Ergebnis gelangt, daß es für den König
von Preußen darauf angelommen wäre, zwijchen Prag und dem öfterreidhiichen
Heere eine gute Stellung zu wählen, an der Daun nicht vorbeigehen konnte, und
dann den Angriff des Gegners abzuwarten; ſchon das nad) Friedrichs Urteil nicht
hinreichend gededte Lager bei Kaurzim fei in Dauns Augen unangreifbar gewejen.
Friedrih hat wiederholt Veranlaffung genommen, jeinen Entihluß zur
Schlacht eingehend zu begründen. Er macht geltend, daß er nicht bloß die Wege
nah Prag zu fperren, fondern auch die Magazine in Brandeis und Nimburg
zu deden hatte, und daß die aus der Zernierungslinie entnommenen Negimenter,
follte die Blodade nicht gefährdet werben, dort nur auf kurze Zeit gemißt werden
fonnten. Dagegen führt der Herzog von Bevern, indem er ben König gegen
die Tadler in Schuß nimmt, lediglich die Rückſicht auf den Kriegsichauplag in
Niederiahien als NRechtfertigungsgrund an. Auch Friedrich hat diefe mehr poli:
tiſche Rücicht ftark betont; in einem Schreiben an Podewils und Findenftein
hat er die Minifter für die unglüdlihe Wendung mittelbar verantwortlich gemacht:
fie, „unter uns gejagt”, hätten dazu beigetragen, daß er ein wenig zu überftürzt
Daun die Schlacht geliefert habe; denn fie hätten ihn jo ſehr gedrängt, nad)
Hannover und Hefjen zu detadhieren. Er glaubte Gefahr zu laufen, wenn feine
Hülfe zu lange auf fi warten ließ, die weitdeutichen Verbündeten erliegen oder
abfallen zu ſehen; er malte fi auf der andern Seite die großen und glänzen:
den politifhen Wirkungen aus, die ein neuer Sieg nad fich ziehen würde: feine
volle Ueberlegenheit über die Defterreiher, den tiefen Eindrud auf die Reiche:
ftände, auf die Franzojen, Rufen und Schweden. reilih, das alles wäre ihm
auch zugefallen, wenn er Daun in vorſichtig abgewarteter Deſenſivſchlacht befiegte,
oder wenn Prag ohne eine zweite Schlacht überging. Aber wie hätte die Aus:
ficht, fo großes mit einem Sclage, an einem Tage, zu erreihen, nicht ihren
mädtigen Reiz auf einen Feldherrn ausüben jollen, der auf die Defenfivjchlacht
jeine Truppen taktiſch und moraliſch nicht eingeihult hatte und der in Terrain:
ichmierigfeiten ſchon feit Soor und Keſſelsdorf ein Hindernis des Sieges nicht
mehr jehen wollte? So blieb das Enticheidende, dab Friedrich, wie Weftphalen
es ausdrüdte, „nur nocd des Sieges gewohnt, die Schlacht zugleih als den
fiherern und fürzeren Weg anzufehen geneigt war”. Der König auf der einen
Seite und feine Kritifer auf der andern befanden ſich hier in jenem großen,
durchgehenden Gegenfag der ftrategiihen Anfhauung, der während diejes Krieges
noch fo oft hervortreten jollte, indem der eine bei den eigentümlichen VBorzügen
jeines Heeres die Schlacht als das allemal am nächſten liegende Mittel der Ent:
iheidung anfah, während fie von den anderen vielmehr als eine Verlegenheits:
ausfunft betrachtet wurde,
Hatten politiihe Beweggründe bei dem Entihluß zur Schlacht mitgewirkt,
jo waren nun die Folgen der Niederlage auf dem Gebiete der Politik zunädjit
faft empfindlicher als auf dem militäriihen. Denn bier war eine unmittelbare
Gefährdung mit dem Tage von Kolin noch nicht eingetreten. Die Ausfiht auf die
Einnahme von Prag und die Waffenftredung eines ganzen Heeres war verjcherzt;
102 Sechſtes Bud. Tritter Abſchnitt
fonft aber jhien in dem Augenblide, wo die bisher gegen die belagerte Feſtung
eingejegte Streitmadht wieder zur freien Verfügung Stand, die Meberlegenheit im
Felde den Preußen zurüdgegeben zu fein. Hat doch jener MWeftphalen fogar die
Frage erörtert, ob man nicht troß der Niederlage die Einſchließung hätte fort:
ſetzen können,
Die Aufhebung der Belagerung, die Fortführung der Poſitionsgeſchütze und
des Trojies, der Abmarſch der Truppen ging obne erhebliche Störung vor ſich.
Nur auf der Kleinjeite hatte Keith bei feinem Rückzuge moldauabwärts gegen
den lebhaft nahdrängenden Feind einen Berluft von etwa 1000 Mann an Toten,
Verwundeten und Ueberläufern zu verzeichnen. Drüben dagegen erreichten die
preußiichen Kolonnen völlig unbehelligt die Elbe bei Brandeis und die Verbin:
dung mit bem auf Nimburg zurüdgegangenen geichlagenen Heere unter Prinz
Morig. „Ih bin heute,“ jo Fündete der König am 20. Juni abends dem
Defjauer feine Ankunft in Brandeis an, „obngeadtet des großen Unglüds des
18, mit Elingendem Spiel und der größten Fiertät um 3 Uhr von Prag auf:
gebroden . . . Bei unferm Unglüd muß unjere gute Contenance die Sache joviel
möglidh reparieren . . . Das Herz ift mir zerrifien, allein ih bin nicht nieder:
geichlagen, und werde bei der eriten Gelegenheit juchen, diefe Scharte aus-
zuwetzen.“ „Nichts drängt uns bier,” jchreibt er zwei Tage jpäter an Keith.
Ein guter Tag, eine gute Biertelftunde, jo hofft er, kann uns die Oberhand
über unjere Feinde wieder verichaffen. Noch denkt er, daß das hier vereinigte Heer
die Elblinie halten ſoll, um früheftens zum Winter nad Schleiien zurüdjugeben,
falls nicht bis dahin ein guter Erfolg einen vollen Umjchlag herbeigeführt hat.
Er hatte geglaubt, die Sieger von Kolin jhon zwifchen Prag und der
Elbe auf jeinem Wege zu finden. Aber Daun hatte tags nah der Schlacht
jein altes Lager bei Krychnow von neuem bezogen und nit einmal den
preußifhen Fuhrpark wegnehmen lajlen, der bis früh um zehn Uhr, die Wagen
im wirren Knäuel feitgefahbren, unter dem Schuße nur eines Bataillons noch
binter Planian jtand. Erſt am 22. begann der Marſchall feinen Marſch in der
Richtung auf Prag, am 24. verließen die Belagerten die Feitung, am 26. ver:
einigten fich beide Heere, eine Streitmadt von faſt 100000 Mann, zwei Meilen
öftlih von Prag bei Kolodej. Den Oberbefehl über das ganze große Heer über:
nahm nicht der Sieger von Kolin, jondern der Beliegte von Prag. Die Freude
im Heer und in allen öfterreihiichen Zanden war groß und geredt. Der Glaube
an Friedrichs Unbejiegbarfeit war dahin. Die Kaiferin-Königin ftiftete Friege-
riſchem Berdienite zu Ehren den Maria:Therefia-Orden und verlieh das erfte
Sroßfreuz dem erjten Ueberwinder ihres gewaltigen Gegners; fie nannte nod
nad Jahren dankbar ben 18. uni den Geburtstag der Monardie. In der
befreiten böhmischen Hauptſtadt aber frohlodte ein frommer Sänger:
Das ijt ein Werk nit unfrer Mächten,
Der Höchſte hilft uns felber fechten,
Gott und Johann von Nepomuk
Trieb von der Stadt den Feind zurud,
Die Vorbitt unſrer Lands: Ratronen
Beſchützte Deiterreichs heilige Gronen.
Bon Kolin nad Leuthen. 103
Der König von Preußen war der Meinung, dab die Bewegungen der ver’
einigten Defterreiher dem Heere Keith gälten. Die Fühlung mit Keith über
Melnik war verloren, da die Pontons auf dem Wege dorthin von Panduren
weggenommen waren. So mußte die Verbindung über Yeitmerig bergeftellt
werden. Mit 18 Bataillonen und 74 Schwadronen meldete fich Friedrih am
23. Juni bei dem anderen Heere an. Für den all, daß es ihm glüden follte,
den Feind zu ſchlagen und vor fi her zu treiben, hinterließ er dem Prinzen
Morig den Befehl, jofort über die Elbe zu gehen und die Magazine von Deutſch—
brod und Iglau zu überfallen, aljo die Aufgabe zu löfen, der Bevern vor Kolin
nit gewachſen geweſen war.
Hochgeſpannte Entwürfe, die ſchnell aufgegeben werden mußten. Keith
hatte die trefflide Stellung bei Budin, in der ihn der König zu finden hoffte,
bereits geräumt, in ber Furt, umgangen zu werden. Morig gab Liſſa und die
Elblinie auf, ging nad Yungbunzlau zurüd und ſprach ſogar, was ihm eine
nahdrüdliche Rüge zuzog, von der Notwendigkeit eines weiteren Rückzuges nad
Zittau. Das feindliche Heer aber, mit dem Friedrich auf dem linken Elbufer
zu jchlagen gedacht hatte, ward nicht fichtbar.
Der König nahm nun an, daß die Gegner ji erit würden erholen wollen,
womit er auch für die Heritellung des eigenen Heeres zwei bis drei Wochen oder
gar die ganze Zeit bis Mitte Auguft gewonnen zu haben glaubte. Aber alle
Pläne für die Kriegsführung in Böhmen Fonnte, wenn fie fich beftätigte, die
Nachricht vereiteln, die er no auf dem Marjche nad) Leitmerig erhielt: es bie,
daß die Franzoſen ohne Widerftand über die Weſer gegangen feien und durd)
das Braunſchweigiſche vordrängen. In diefem Falle, meinte er, werde bes Ver:
bleibens in Böhmen nicht mehr lange fein: „Wo die Franzoſen gegen Magde:
burg kommen, fo ift es vorbei.” Das Gerücht ftellte fih als falſch heraus, und
der König hoffte nun, daß der neue Feind jenfeits der Weſer bleiben würde,
bis die NReichstruppen oder die Schweden auf dem Plan erjchienen; die einen
wie die anderen aber erwartete er nicht vor der Mitte des Auguft. Damit ergab
fih der Zeitpunkt, bis zu dem es galt, das nörbliche Böhmen zu halten.
Eeit dem 27. Juni war das Hauptquartier zu Leitmerig im bifchöflichen
Schloſſe. „Meine Zuflucht in meinem Schmerz,” ſchrieb Friedrih an den ge:
treuen Marquis d'Argens, „Sind die tägliche Arbeit, zu der ich verpflichtet bin,
und die unaufhörliden Zerftreuungen, die mir die Menge meiner Feinde ber
reitet.” Da erjchütterte ein neuer Schlag jeine mühjam wiedergewonnene Faſſung.
Am 28. Juni ftarb in ihrem Schloſſe Monbijou fiebzigjährig die Königin-Mutter
Sophie Dorothea. Auf des Grafen Podewils jchonende Anordnung leate der
Rabinettsrat dem Könige zunächſt die noch rot gefiegelten Familienbriefe vor, in
der Vorausjegung, daß fie nur der Krankheit Erwähnung thäten; darunter
aber befand fih aud das Schreiben der regierenden Königin, das ſchon den töd—
lihen Ausgang meldete, jo daß der König am Abend des 1. Juli gang unvor:
bereitet den Verluſt erfuhr. „Alle Unalüdsihläge treffen mich auf einmal,“
ichreibt er im erjten Schmerz an die Prinzeſſin Amalie, „o meine teure Mutter!
D guter Gott, ich ſoll nicht mehr den Troft haben, dich mwiederzufehen. O Gott,
o Gott, welch Verhängnis für mid.” Was war diefe Mutter ihm gewejen! Sie
104 Schites Bud. Dritter Abſchnitt.
hatte mit ihm gelitten, hatte all das bittere Herzeleid feiner jchweren Jugend
mit ihm durchgefojtet. Sie hatte an ihn geglaubt, da der harte Vater ihn als
verloren aufgab und ausftieß, und wer hätte nachher feiner Kraft und Tüchtig—
feit, feines hell aufftrahlenden Ruhmes, feines Heldentums ſich ftolzer und inniger
freuen fönnen als die treue Mutter? Der Gattin innerlich entfremdet, von den
Geſchwiſtern erit mit jcheuer Ehrerbietung, ipäter mit tiefer Entfremdung be:
trachtet, jelbit mit der Lieblingsſchweſter Jahre hindurch entzweit, war er der
Mutter ſtets gleihermaßen ein lieber Sohn gemejen, ber gute Sohn, der in
zarten Aufmerkjamfeiten und jinnigen Ueberrafhungen fich erichöpfte, um ber
für Glanz und Schimmer jo empfänglihen Fürftin das zu erjegen, was fie in
freudlojer Ehe lange hatte entbehren müſſen. hr hatte alljährlid das glän-
zendſte Feſt des Hofes gegolten, ihr jandte der fieggefrönte Feldherr die eriten
eiligen Botichaften von jeinen Schlachtfeldern. Nur Eines hatte ihren Lebens:
abend zu trüben vermocht, die erneute Sorge um das Yeben des geliebten Sohnes,
der herbe Echmerz der Trennungsitunden im vergangenen Herbft und zulegt am
12. Januar:
Als ich beim Abjchied dich mit meinen Thränen nebte,
Verriet es mir das Herz, dies Scheiden war das legte.
Noch hofft’ ich: Atropos wird mein Gebet belohnen,
Zum Dpfer mid erfehn und meine Mutter fchonen.
Doc nein, der harte Tod flieht mich und meine Bein
Und hüllt dein teures Haupt in bleihe Zchreden ein.
— jo Friedrichs rührende Totenflage. Eine Art Troft it ihm der trübjelige
Ausblid: „Wielleiht hat der Himmel unjere gute Mutter abberufen, damit fie
das Unglüd unferes Hauſes nicht mehr hauen follte.” Den Tag nad dem Ein:
gang der Trauerfunde blieb der König dem Heere unjichtbar. Am dritten Juli
berichtete Eichel an Podewils in treuherziger Teilnahme: „Die Betrübnis Seiner
Königlihen Majeftät ift ehegeitern und geftern ſehr groß und heftig gemweien,
hat fi) doch aber dadurd heute in etwas gemindert, da des Königs Majeität
in Erwägung genommen, was Diejelbe’ in gegenwärtigen eritiquen Umftänden
Sih, Dero Staat und Armee und Dero hödjitgetreuen Unterthanen ſchuldig find,
wodurd dann, und durch die deshalb notwendig zu machende Dispositiones, der
Chagrin etwas unterbroden worden, ob es gleich an jehr betrübten Moments und
Intervalles nicht fehlet.“
Am Abend diefes Tages ließ der König den britiihen Gefandten rufen
und behielt ihn mehrere Stunden bei jih. Mitchell hörte mit tiefiter Bewegung,
wie er fich in jeinem Schmerze gehen ließ und feinem findliden Gefühl wärmiten
Ausdrud gab. Es tröfte ihn, daß er dazu beigetragen habe, der Mutter den
Schluß ihres Lebens ruhig und angenehm zu maden. Er erging fih in Jugend—
erinnerungen; er erzählte dem Gejandten, wie jehr er den Mangel einer geeig-
neten Erziehung empfinde; er eriparte feinem Vater diefen Vorwurf nicht, ge:
dachte aber fein mit aroßer Pietät und Schidlichkeit. Er geitand den ganzen
Leichtfinn feiner jungen Jahre ein, durch den er den väterlichen Zorn verdient
habe, obgleidy der König von jeiner Leidenschaftlichkeit ſich zu weit habe hinreißen
Ton Kolin nach Yeuthen. 105
laften. Zulegt kam er wieder auf jeinen Berluft zurüd und auf alles, was er
der Mutter danke; die Eintracht, die in feiner Familie herrſche, jei den Ge:
ichwiltern anerzogen.
Täuſchte ihn die weihe Stimmung diejes Augenblids darüber hinweg,
daß die Eintracht in dem Föniglihen Haufe längft leerer Schein geworden war,
io jollte jhon die nächite Zukunft unausgeſprochene Gegenjäge ſchroff zum Durch—
bruch bringen.
Gleich nad feiner Ankunft in Leitmerit hatte Friedrih den Thronfolger
nah Jungbunzlau zu dem zweiten Heere entfandt, um den deflauiihen Prinzen
im Oberbefehl abzulöjen. Der Prinz von Preußen hat nahmals behauptet, ſich
um dieje Stellung nicht beworben zu haben; der König dagegen hat es fich zum
Vorwurf gemadt, den Fürjprechern des Prinzen, denen er oft genug reinen Wein
eingeſchenkt, endlich doch nachgegeben zu haben. Erinnern wir uns, daß er 1749
jeinem Bruder für den Kriegstall den Oberbefehl gegen die Ruffen, mit Schwerin
als Berater, zugedadht hatte!) Wenn nun 1756 nicht nur Schwerin, jondern
auch Keith felbitändige Heere anvertraut erhielten, jo machte der Thronfolger
gegen jeine Umgebung fein Hehl daraus, daß es ihn beleidigte, gleihfam auf
die Stellung eines Volontärs angewieſen zu jein und höchitens auf Fleine Streif:
züge ausgejandt zu werden. Seine Mißſtimmung wuchs von Tage zu Tage.
Längit voll Bitterfeit gegen einen Bruder, der jchon daheim als König und
samilienhaupt jeine Herzenswünſche gefreuzt hatte,“) befrittelte er jetzt die
Heeresleitung und Friedrichs perjönlihe Haltung,?) nicht anders, als er die
Politik verdammte, die zu diejem Kriege geführt hatte; jelbit den Franzoſen
gegenüber hielt er mit feinem Verdammungsurteil nicht zurüd, die fi dann noch
nah einem Menjchenalter, als der Sohn diefes Prinzen den preußiſchen Thron
beftieg, erwartungsvoll an die franzöfiihen Sympathien des Vaters erinnert
haben. Prinz Wilhelm bezeichnete ſich als das unglückliche Opfer des Syſtem—
wecjels, denn feiner habe mehr zu verlieren als er; jchon ſah er ſich, wie er
jeinen Vertrauten klagte, nicht ald mächtigen und gefürchteten König von Preußen,
fondern als Kleinen Kurfürſten von Brandenburg; er erklärte, daß er nad einem
ſchimpflichen Frieden die Krone nicht annehmen, jondern alle Rechte jeinem Sohne
übertragen werde.
Schwerin war Weltmann genug geweien, dem Prinzen jagen zu lajlen,
dab er gern unter ihm als Zweiter dienen würde. Nun war der Marjchall
aefallen. Als nah dem Abzug von Prag die Gejamtftreitmaht in Böhmen
wieder in zwei ungefähr gleich ſtarke Heere zerlegt wurde, war bei allen Be:
denfen, die der König hatte, die Wahl des Bruders nicht wohl zu umgehen, um
jo weniger, als des Bringen Vordermänner in der Nanglifte, Feldmarſchall Keith
und Markgraf Karl von Schwedt, bei weitem nicht Anjehen und Anſprüche eines
Schwerin bejaßen.
Das Heer an der Elbe bei Leitmerig zäblte jetzt 50 Bataillone und
83 Schmwadronen, das des Prinzen an der Her 52 ſchwache Bataillone und
) Bd. 1, 471.
) Bd. 1, 484.
’) Bgl. oben ©, 32,
106 Sechſtes Bud. Dritter Abſchnitt.
80 Schwadronen; die 32 Bataillone, die bei Kolin im Feuer gewejen waren,
hatten auf 14 eingeteilt werden müſſen. Bon den 110000, die Ende April in
Böhmen eingedrungen waren, blieben faum noch 70000 verfügbar. Seine eigene
Aufgabe jah der König in der Dedung der ſächſiſch-böhmiſchen Päſſe aegen die
Defterreiher und in der Abwehr der Franzojen und der Neihstruppen. Dem
Prinzen lag ob die Verteidigung der Lauſitz und Schleſiens. Böhmen follte er,
wenn irgend möglih, nicht vor dem 15. Auguft räumen, und den Weg nad
Schleſien eintretenden Falls durh die Yaufig nehmen. Außerdem wurde ihm
vorgejhrieben, daß er in feiner rechten Flanke den Feind an einem Vorſtoß
dur das Mittelgebirge in der Richtung auf Tetichen verhindern und daß er,
wenn bie gejamte öfterreihifche Macht fih gegen das Heer des Königs nad)
Leitmerig wandte, jih dorthin nachziehen follte.
Gleich bei der Ankunft des Prinzen in Jungbunzlau ftellte ſich die Un:
möglichkeit heraus, die dortige Stellung zu behaupten. Er ging auf Neuſchloß
und am 6. Juli weiter auf Leipa zurüd. Des Königs unwirſche Bemerkung,
daß das Heer auf diefe Art fich unverjehens bald mitten in Sachſen befinden
werde, vermehrte noch das Gefühl der Unficherheit, in welchem der Prinz feine
ſchwierige und fomplizierte Aufgabe übernommen hatte. Auf immer wiederholte
Anfragen konnte ihm der König doch nur antworten, er möge nad den Um—
jtänden handeln, da fih Vorichriften für Märjche und Stellungen nit aus der
Entfernung geben ließen. In das Lager bei Leipa eingerüdt, wollte fich ber
Prinz anheifhig machen, von hier aus alle Anſchläge des Feindes auf das
Magazin in Zittau zu verhindern und im Augenblid der Gefahr leicht den nur
zwei Meilen entfernten VBerbindungspunft Gabel zu deden; wenige Tage darauf
aber fehlte es ihm an Entjchlojfenheit, der in Gabel angegriffenen Beſatzung zu
Hülfe zu ziehen; die vier Bataillone mußten ſich nach zweitägigem heldenmütigen
Widerftand ergeben, während der Prinz in einem ratlofen Bericht an den König
es offen ließ, ob er die Bebrängten noch werde entjegen fönnen, oder ob er
Zittau nun auf Nebenmwegen aufzufuchen habe oder gar fid) zu dem andern Heer
nad) Xeitmerit werde retten müſſen. Den König verjegte der Bericht in Die
größte Erregung. „ch will rein von der Leber weg ſprechen,“ jagte er zu
dem Prinzen Heinrich, „ich habe meinen Bruder lieb, aber zum Kommandieren
ift er nicht geichaffen.” Er mußte darauf gefaßt fein, von heute auf morgen
diejen ;yeldherrn mit feinem ganzen Heere bei fih anfommen zu jehen. Dann
war Zittau verloren, die Lauſitz, die Wege nah Schlefien und nad Berlin
ſtanden offen,
So ſchlimm fam es nidt. Der Prinz raffte fih zu dem Entſchluſſe auf,
fein Heer auf dem Ummege über Rumburg nad Zittau zu führen. Er beging
nun aber den neuen jchweren Fehler, daß er nicht die fürzeite Straße, den neu
angelegten Weg über Georgenthal, einjchlug, jondern nah links über Kamnitz
ausbog, um möglichit weitab vom Feinde zu marſchieren. Auf den engen, be:
ſchwerlichen Gebirgswegen brauchte er für einen Mari von fünf Meilen fünf
Tage, verlor Taufende durd Dejertion, mußte fait den ganzen Fuhrpark,
Munitionswagen, Proviantkarren, Brüdengefäße und Feldöfen unterwegs ver:
brennen und konnte doc vor Zittau nicht mehr verhindern, daß der Feind am
Bon Kolin nah Leuthen. 107
23. Juli von der beherrichenden Stellung des Cdartsberges aus die blühende
Stadt und das große Magazin, Vorräte für 40000 Mann auf drei Wochen,
dur feine Brandfugeln in Ajche legte. Mit ihren 80000 hätten Karl von
Lothringen und Daun das auf 18000 Mann zufammengejchmolzene, tief ent:
mutigte, durch jechstägigen Mari erihöpfte preußiiche Heer angreifen müſſen
und vernichten können. Sie blieben unbeweglich. „Noch bat der Feind Reſpekt
vor uns,” jagte Winterfeldst. In dumpfer Nefignation bielt der Prinz zwei
Tage lang feine Stellung bei Herwigsdorf im Angefiht der Uebermadt. Am
26. Juli trat er den Rüdzug nah Baugen an, ſchon in Gefahr, auch von dort
abgejchnitten zu werden. Die Straßen nah Schlefien ftanden jetzt den Defter:
reihern offen.
Es war befannt, daß der Prinz dem Grafen Schmettau fein Vertrauen
zumandte. Schmettau galt als fein „militärifches Wörterbuch” ; diefen Gehülfen
hatte er fih bei Uebernahme des Oberbefehls ausprüdlih ausgebeten. So hat
denn ber König für die mattherzige Art der Heeresleitung alsbald Schmettau
verantwortlich gemacht, während diejer ſich darauf berief, daß der Prinz nichts
gethan habe, ohne Winterfeldt zu Nate zu ziehen. Warnery, der auf dem ver:
derblihen Nüdzug die Nahhut führte, tadelt Schmettau, ohne MWinterfeldt frei-
zufpredhen; denn der ſei jeit feiner Bermwundung in der Prager Schladht nicht
mehr der alte gewejen, er habe die Dinge mit angejehen und Geiftesgegenwart
und Entichluß vermifjen laffen. Die Anhänger des Prinzen haben Winterfeldt
zum Borwurf gemadht, daß er am Abend des 14. Juli, ermüdet von einem
Streifzug nah Tetihen zurüdgefehrt, fi gemweigert habe, zu der Berfammlung
zu kommen, in der wegen des Entjages von Gabel beraten werben follte: aber
war der Prinz deshalb berechtigt, Kriegsrat und Beſchlußfaſſung, wo jede Minute
fojtbar war, auf den andern Morgen zu verfchieben? Er hat fich beflagt, vier
fo uneinige Generallieutenants zu Untergebenen gehabt zu haben, wie Winter:
feldt, Schmettau, Fouqué und Colt, die aus Eiferfucht und Eitelfeit alles ver:
fehrt und verdreht hätten. Nun hatte der Hader der Generale Schon 1756 dem
Feldmarſchall Keith das Leben jchwer gemacht. Damals hatten die Verehrer des
Prinzen gemeint, daß er durch feine Gegenwart „imponieren” und die Einigfeit
wieder herftellen würde. Jetzt follten vielmehr die Recht behalten, welche ihm
ſchon vor Jahren Unabhängigkeit, Selbftvertrauen, Entſchloſſenheit abgeſprochen
batten.’) Ohne dieſe unentbehrlidhiten Eigenjchaften blieb der Prinz ein jchlechter
Feldherr, troß feines guten militäriichen Blickes — denn Warnery hat ihm das
Zeugnis gegeben, daß er die Sache zehnmal befier verftand, als alle die, welche
er um Rat anging, und daß alles gut gegangen jein würde, wäre er feinen
eriten Eingebungen gefolgt. Winterfeldt, wie immer fein eigenes Verhalten ge:
wejen fein mag, traf den Kernpunft, wenn er endlich, nad dem Aufbruch von
Zittau, dem Könige fchrieb: „Bei alle dem Kriegsrathalten fommt nichts heraus,
fondern es muß einer allein mit Rejolution fommandieren;” feine Pflicht er:
fordere, darum zu bitten, daß der König eine Aenderung bei dieſem Heer vor:
nehme oder jelber komme.
) 3b. I, 485.
108 Sehftes Bud. Dritter Abichnitt.
Der König hatte dieje Mahnung nicht abgewartet. Schon auf die Nach:
riht von dem Berluft von Gabel entichloß er fih zum Marie nad der Laufig.
Er ſandte einen Brief an den Bruder voraus, der an Härte und Hohn alles
übertraf, was er je einem General gejagt hatte: „Sie willen nicht, was Sie
wollen, no was Sie thun. Sie werden ftets nur ein erbärmlicher General
fein. SKommtandieren Sie einen Harem, wohlan; aber jo lange ich lebe, werde
ih Ihnen nicht das Kommando über zehn Mann anvertrauen. Wenn ich tot
jein werde, jo mögen Sie alle Dummheiten machen, die Sie wollen; aber jo
lange ich lebe, jollen Sie den Staat dadurch nicht mehr ſchädigen.“ Am 22. Juli
brad er mit einem Teil feines Heeres von Leitmeritz auf: „wenn ich mich nicht
beeile,“ jpottete er, „werde ich meinen Bruder nicht mehr treffen; ich glaube, fie
werden bis Berlin laufen.” Keith folgte mit einer zweiten Abteilung zunädhit
bis Pirna, um auf den eriten Befehl nad Bauten nahrüden zu fönnen. Die
Obhut von Pirna und Dresden übernahm Prinz Morig mit 14 Bataillonen und
10 Schwadronen.
Am 29, vormittags erreichte der König mit den Gensdarmen und Gardes
du Corps das Lager von Bauten. „Da ſah man die Prinzen und die Generale
zittern,” erzählt Warnery; „fie hätten ficher vorgezogen, eine Brejche zu ftürmen,
als jegt vor den König zu treten.” Als der Thronfolger mit den Prinzen von
Bevern und Württemberg und der Generalität fi ihm nahte, wandte Friedrich
jein Pferd und machte fih eine gute Viertelftunde lang mit den Fourierihügen
zu jchaffen, die für jein Corps das Lager abiteden jollten. Als endlich der Prinz
feine Meldung anbringen fonnte, zog der König kaum den Hut und entgegnete
fein Wort. Nachher beichied er den Xeiter des Verpflegungsmwejens, General
Goltz, zu fih und ließ dur ihn den Generalen jagen, fie alle verdienten die
Köpfe zu verlieren. Schmettau erhielt bei der Parole den Befehl, das Lager zu
verlaflen und nad Dresden zu gehen. Tags darauf bat der Prinz um Ent:
hebung vom Oberbefehl, wegen feiner durch Strapazen und mehr noch durch
Verdruß geſchwächten Gejundheit, und weil der geitrige Empfang und bie voran:
gegangenen Briefe ihm genugſam gezeigt hätten, daß er nad) des Königs Meinung
Ehre und Reputation verloren habe. Friedrich antwortete nur immer verlegen:
der: „Sie haben dur Ihre ſchlechte Aufführung meine Angelegenheiten in eine
verzweifelte Yage gebracht; wer mich zu Grunde richtet, find nicht meine Feinde,
jondern Ihre ſchlechten Maßnahmen. Meine Generale find unentſchuldbar, ent=
weder weil fie Ihnen jchlecht geraten oder weil fie Ihre ſchlechten Entſchließungen
zugelafien haben. Ihre Ohren find nur an die Sprade der Schmeichler ge—
wöhnt, Daun bat Yhnen nicht gejchmeichelt und Sie jehen die Folgen... Das
Unglüd, das id) vorausjehe, ift verurfacht worden zum Teil dur Ihre Schuld.
Sie und Ihre Kinder werden den Schaden mehr empfinden als ich.”
Der Prinz ging nah Dresden. Seinen Aufenthalt in Berlin zu nehmen
ward ihm mit der jchneidenden Frage unterfagt, ob er den fFeiglingen im Heere
ein Beijpiel geben oder ſich demnächſt mit den Frauen zur Flucht in eine Feſtung
veranlaßt jehen wolle. Entichuldigungsverfuche trugen ihm nur immer neue Vor:
mwürfe ein: „Mangel an Entſchluß und Mangel an Haltung, ſowohl im Privat:
leben wie an der Spite des Heeres,” dahin fahte der König feine Anflage
Bon Kolin nad Xeuthen. 109
zufammen. Die Erbitterung des unglüdlihen Prinzen war grenzenlos. Der
engliihe Gejandte war entjegt, wie leidenfhaftlih und unvorfidhtig er jprad).
Im Verein mit dem Markgrafen Karl von Schwedt und dem allgemeinen Ber:
trauensmann Eichel ließ Mitchell nichts unverfucht, um ihn zu bewegen, daß er
ſchweige und feiner Umgebung Schweigen auferlege. Vergebens; nur fo viel ward
erreiht, daß der Prinz auf die Veröffentlihung einer Berteidigungsjchrift und
jeines Briefwechſels mit dem Könige verzichtete; jo blieb in dem Augenblid der
höchſten Gefahr dem Staate und dem Königshaufe ein öffentliches Nergernis er:
part. Auch die Schweiler in Stodholm, die jelbft vom Scidjal jo ſchwer
heimgefuchte Königin Ulrike, redete zum Guten. Sie verfidherte dem Lieblings:
bruder, daß das auch in Schweden vielbeiprodhene Zerwürfnis nicht zu feinen
Ungunften beurteilt werde, aber fie mahnte auch, daß es niemals eine Schande
fei, jeinem Herrn, jeinem Könige nachzugeben: „Er iſt lebhaft, ſchnell und die
Kümmerniffe, die er gehabt hat, haben dieje Erregbarkeit gefteigert, Sie willen,
dab das unfer Familienfehler ift.”
Die Brüder blieben unverföhnt. Ein gebrodhener Mann, fiehte Auguft
Wilhelm von Stund an zuiehends und jchnell dahin. Friedrichs perjönliches
Verhalten richtet ſich dadurch, daß er als Bruder dem Bruder eine Behandlung
widerfahren ließ, wie er jelbit fie nicht einmal von dem Vater hatte hinnehmen
wollen; denn wenn er fih aud nicht zu den Gewaltausbrühen Friedrich Wil:
helms binreißen ließ, jo wirkte body fein ägender Hohn und jeine eifige Un:
barmherzigkeit faum minder verlegend. Den PVertrauten des Prinzen galt es
als ausgemadht, daß der König froh geweſen jei, jemand gefunden zu haben,
dem er die Schuld für alles Unglüd babe zufchieben können. So hat ber. Prinz
von Preußen in dem Andenken vieler als das Opfer ungeredhter Laune fort:
gelebt. Aber feine Apologie mit ihren willfürlih ausgewählten Bemeisftüden
vermag ihn doch nicht zu entlaiten. Sein Haupttrumpf, dab der König ihm
verboten habe, von Böhmiſch-Leipa noch weiter zurüdzugehen, wird dadurd ent:
fräftet, daß er jelbit die Stellung bei Leipa gerade unter dem Gefidhtspunft
gewählt hatte, Gabel und die fürzefte Verbindung mit Zittau von dort aus alle:
mal deden zu fönnen, und daß er dann doch abgejchnitten wurde. Andere haben
den König getabelt, daß er an der am meilten gefährdeten Stelle nicht jelber
den Befehl übernommen babe. Aber als Friedrih Ende Juni zu dem Haupt:
heere zurüdging, jchien die Uebermacht des Feindes vielmehr dorthin fallen zu
wollen; auch war die Verteidigung Sachſens, mit der Nötigung zu doppelter
SFrontbildung zugleih gegen die Defterreiher und die Franzofen, an ſich die
ichwerere Aufgabe. Vom Nebel war, daß Friebrih den Bruder nicht auf den
Nat eines beftimmten Generals vorzugsweife oder ausichlieglih angewieſen bat;
jein Kommando follte eben mehr jein als deforativer Schein, aber damit war
der Selbitändigfeit des noch Unerprobten zu viel zugemutet.
Mag die Schroffheit in der Form noch jo beflagenswert ericheinen, in der
Sache hat Friedrich nur recht und königlich gehandelt, wenn er, im Gegenfaß zu
der Schwäche fo vieler anderer Herricher, einen Anspruch hoher Geburt auf die
Heeresführung nicht gelten ließ. Er war nicht zu Gunften feines Fleiſches und
Blutes voreingenommen, aber auch nit zu Ungunſten. Denn wenn er jetzt den
110 Sechſtes Bud. Dritter Abfchnitt.
einen Bruder, bei offenfundiger Unzulänglichkeit, ſchnell wieder unter die Maſſe
zurüdichob, fo hat er nahmals den andern, der echtes Verdienft bewährte, willig
und dankbar als den hervorragendften aller jeiner Truppenführer anerkannt.
Schon jegt ftellte er dem Prinzen Heinrich das Zeugnis aus, daß überall, wo
er fich befinde, die Dinge gut gingen. In die Sorgen, Entwürfe und Entſchlüſſe
der legten jchweren Wochen hatte er diefen Bruder, mit gefliffentlicher Hervor:
hebung feines Vertrauens, fort und fort eingeweiht.
Frriedrich war entichloiien, nach der Vereinigung jeiner beiden Heere „den
legten Mann dranzufegen, um die Sache womöglich wieder in Ordnung zu
bringen”. Nach Kolin hatte er den Vorſatz ausgeiproden, feine Schlachtfelder
in Zufunft mit Vorſicht auszuwählen, da jeder Fehler Fapital werden könne.
Jetzt jagte er, daß ihm nichts übrig bleiben werde, als gegen jeine Grundjäße
zu handeln: zu jchlagen um jeden Preis. Zunächſt aber bedingte ein Vormarſch
gegen den Feind umfaſſende und zeitraubende Vorkehrungen für die Verpflegung.
General Retomw, der Yntendant, mußte diesmal, jo verlangte es der König, ſich
jelbit übertreffen. Von den ſchleſiſchen Magazinen abgejchnitten, der großen
Vorräte von Zittau beraubt, fonnte das Heer nur über Dresden feine Zufuhren
beziehen. Während der Vorbereitungspauje liefen von neuem jchlimme Bot:
ihaften ein, diesmal aus dem Lager des einzigen Verbündeten.
Nach dreimonatlihem Stillitand der Regierungsmaſchine!) hatten fich die
hadernden Häupter der herrichenden Bartei in den legten Tagen des Juni für
die Neubildung des Kabinetts miteinander verftändigt. Pitt ließ fich herbei, unter
dem unfähigen Newcaſtle als eritem Lord des Schafes zufammen mit Lord
Holdernefie die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten zu übernehmen, und
borgte fich, nach feinem bezeichnenden Ausdrud, für feine Politif die Majorität
Neweaftles im Unterhaufe. Aber was der König von Preußen von dem neuen
Minifterium erwartete, geihah nit. Man jandte feine Truppen nad) Hannover
zur Befämpfung der Franzojen und Feine Schiffe in die Dftfee zur Einſchüchte—
rung der Ruffen und Schweden, denn das Eine verbot fih durch die whiggiſtiſche
Barteitrabition und das Andere durch ein einfaches Nechenerempel: „Wir müflen
den Krieg als Kaufleute führen,” jagte Holdernefie, — als Kaufleute, die jede
Störung ihrer Handelsbeziehungen zu Rußland jorgfältig zu vermeiden hatten.
Man ließ aljo Flotte und Landungstruppen vielmehr nad Aranfreih an die
Mündung der Charente fahren, um ſchließlich angefihts der Küfte des völlig
überrafchten Feindes vor der Kühnheit des trefflich vorbereiteten Anjchlages auf
Rocefort zurüdzufhreden. Dem König von Preußen bot man ftatt der Kriegs:
ichiffe und der Truppen Geld, Subfidien, jo viel als man vom Parlament mit
Anitand werde verlangen können. Mitchell überbracdhte ihm dies Anerbieten am
27. Juli auf dem Marie nah Bauen. Friedrich ermiderte jehr verbindlich,
daß er feine Antwort erteilen wolle, wenn in der Lauſitz die Entjcheidung ge:
fallen jei; werde er geihlagen, dann bebürfe es einer Antwort allemal nicht,
dann vermöge auch England ihn nicht zu retten. Daß der König unter Hinweis
auf die früheren Verſprechungen das jegige, für den Nugenblid ganz wertloje
) gl. oben ©. 61. 88.
Ton Kolin nad) Leuthen. —111
Anerbieten bitter als moutarde apres diner bezeichnete, vermerkte Mitchell nur
in feinem Tagebuche, nicht in jeinem Berichte nah London. Seinem dortigen
Geſchäftsträger hatte Friedrich tags zuvor geichrieben: „Sie verfihern mir immer,
dak England entichlojfen fei, in allem mit mir vpranzugehen, während feit andert:
halb Fahren England 3000 Schritt hinter mir zurüdfgeblieben it.”
Eben in dieſem Augenblide erfüllte ſich das vorausgejehene Geſchick des
Heeres in MWeitdeutichland. Die Fehler der engliſchen Politik rächten ſich an der
Kriegsführung in Hannover. Der Herzog von Cumberland hatte, als die feind:
lihen Maſſen ihm näher famen, feinen hochgemuten Vormarſch nad Paderborn !)
ichnell bereut. Mitte Juni ging er bei Nehme über die Weſer zurüd. Noch
zögerte Graf d’Etrees, unſchlüſſig wie immer, nachzudrängen; er begnügte ſich
zunädit, von der oberen Ems aus zur Rechten und zur Linken Heerſcharen nad
Ditfriesland und nad Heſſen auszujenden. Erſt nad einem vollen Monat führte
er bei Corvey feinen Weferübergang aus. Cumberland jchmeichelte fih mit der
Hoffnung, in einer jtarfen Verteidigungsſtellung die Nachteile, die ein Unglüds:
tag für die Sache der Verbündeten von Weftminfter mit ſich gebradt hatte, an
einem einzigen Glücstage wieder ausgleihen zu fünnen. Am 26. Juli nahm
er bei Haftenbed, unweit von Hameln, die Schladht an. Den 74000 Franzofen
hatte er nur 36000 Hannoveraner, Braunjchweiger, Helfen und Büdeburger
entgegenzuftellen. Trogdem gab d'Etrées nad fünfftündigem Gefecht die Schlacht
ihon verloren, da die beherrihende Stellung auf der Ohmsburg ihm wieder
entrijjen wurde und ganze Brigaden bereits flohen. Inzwiſchen aber hatte
Cumberland übereilt feinen Abmarjch eingeleitet, und d’Etrces bemerkte es noch
rechtzeitig, um jeinen eigenen Rüdzugsbefehl zu widerrufen und fi auf dem
vom Gegner geräumten Schladhtfelde als Sieger feitzufegen. Erft in feinen
Nahwirkungen wurde der Tag von Haftenbed für den ganzen Feldzug in Nieder:
deutichland entjcheidend.
König Friedrid jchrieb dem engliihen Gefandten auf die Nachricht von
der verlorenen Schlaht, damit feien feine Vorausfagungen eingetroffen: „Die
Engländer wollen weder zur See ihre Sache kräftig durchführen, noch den Kon:
tinentalfrieg; ich bleibe als der lekte Kämpe unferes Bundes zum Schlagen
bereit, und müßte auf den Trümmern meines Vaterlandes gefämpft werden.“
Die Defterreiher hielten fih noch immer bei Zittau in dem am 24. Juli
bezogenen Yager zwifchen dem Edartsberge und Klein-Schönau und nahmen ihre
vorgeihobenen Bolten, bis auf die Befagung von Görlitz, nad) und nad auf
das Hauptheer zurüd. „Es ift nicht ſchwer,“ fchreibt Friedrihd am 10. Auguft
an Keith, „den kurzen und einfachen Schluß zu machen: der König von Preußen
bat viele Feinde, er vereinigt feine ganze Streitmadht in der Laufiß, alſo er
will jeine Kräfte noch gegen die unſern verjuchen, bevor er ſich gegen jeine andern
Feinde wendet. Leopold Daun hat, ohne große Anftrengung und ohne ein großer
Dialektifer zu fein, ſehr wohl dieje Kleine Anzahl von Ideen in feinem ſchweren
Schädel zu kombinieren vermocht, und ich denke, daß er ſich unverzüglich daran
machen wird, jeine Kanonen aufzuftellen, die wir ihn, wie ich hoffe, noch einige
) Bal. oben S. 88,
112 Sechſtes Bud. Dritter Abſchnitt.
Male umzuftellen nötigen werben . . . Prinz Karl it, trinkt, lacht und lügt;
die Großſprecher da unten teilen fih in unfere Haut, und man ift in Wien
nur noch wegen des Gefängniffes in Verlegenheit, in das man mich zu jteden
haben wird. O wie füh fol es fein, diefe anmaßlide und hochmütige Brut
tüchtig auszuklopfen.“ Gelinge 'es, den Feind zu ſchlagen und in das Gebirge
zurüdzuwerfen, jo folle feine Niederlage eine volftändige werden und fein Ge:
jhüß und der Troß ihm verloren fein. Am 14. Auguft — die Zwiſchenzeit
war dem König im Lager von Weißenberg wie eine Emigteit erichienen — war
das preußiiche Heer endlih mit Brot auf neun Tage!) verfehen, am 15. mar:
ichierte man bis Bernſtadt, der zweite Tagesmarih führte die Avantgarde um
die rechte Flanke des Feindes herum, die durch den langgeitredten, vielfach durch—
ſchnittenen Grund von Wittgendorf gededt wurde. Ueber das Thal hin und ber
begrüßten ſich die Parteien mit einer lebhaften Kanonade. Ganz vorn bei den
Hujaren:Vedetten hielt der König, eine Karte in der Hand, neben ihm Winter:
feldt. Aber da die Maſſe des Heeres hinter der Worhut eine Meile zurüd:
geblieben war und erft um 6 Uhr abends auf der Höhe von Dittelsdorf ficht:
bar wurde, nußte es den Preußen nichts, ihre Gegner überrafcht zu haben; ver
Verſuch einiger Bataillone, fih in Wittgendorf feitzufegen, mißlang.
Der König ſchlug fein Quartier in Dittelsdorf auf, unter einem Baume
nahm er fein Nachtmahl ein und fagte zu den um feinen Tiſch berumftehenden
Dffizieren, daß er morgen dieſe ....... Ichlagen werde. Aber die Stimmung
der Seinen war jehr gebrüdt. Das Heer zählte faum mehr als 40000 Mann,
der Feind war mindeitens doppelt jo ftarf. Prinz Heinrich beſprach fih mit
einigen Generalen und machte fi dann bei jeinem föniglihen Bruder zu ihrem
MWortführer. In des Prinzen Kreife war, im Gegenſatz zu der Auffaſſung des
Königs, feit Wochen die Meinung herrichend, daß der Gewinn einer Schlacht
dem Heere höchſtens für einige Tage Luft machen würde: und nun follte hier
auf einem Kampfplat geichlagen werden, wo der Sieg überhaupt unmöglich
ſchien. Der König nahm die Vorftelungen jeines Bruders nad) einigen erregten
Einwendungen glimpflih auf und verſprach, nur das zu thun, wovon fich Erfolg
erwarten lafie. Morgens um 3 Uhr ritt er mit ſämtlichen Generallieutenants
zum Nelognoszieren aus. Der Feind hatte über Nacht in jeiner Stellung alle
erforderlichen Aenderungen vorgenommen, den Poften von Wittgendorf no ver:
ftärkt, und aud) den andern, jegt an die Neiße gelehnten Flügel trefflich gefichert.
Jenſeits des Fluſſes ftand ein Nefervecorps; wenigitens diejes hoffte der König
ichlagen zu können, wenn ſchon von dem Angriff auf die Hauptitellung abgejehen
werden mußte. So ging Winterfeldt, während die beiden Heere unter ftrömen:
dem Negen fih in Schlachtordnung gegenüberftanden, bei Hirichfeld mit einer
Abteilung über die Neiße, ſah ſich drüben aber durd die Batterien des Feindes
und die fumpfige Niederung des Kipperbades am VBordringen verbindert.
Am 20. Auguft trat das preußifhe Heer den Rüdzug auf Oftrik an.
„Daun will fih nicht mit mir jchlagen, jo will ih ein Epigramm auf ihn
machen,” hörte man den König jagen. Gewiß durfte der Herzog von Lothringen
) Bgl. Bd. I, 555.
Von Kolin nah Keuthen. — 113
in feinem Bericht nah Wien das einen Entſchluß nennen, der einem hochmütigen
Geift habe hart fallen müflen. Aber wenn Friedrih mit dem Ausgang un:
zufrieden war, jo war es Maria Therefia nicht minder, dba wiederum, wie vor
vier Wochen, ihre Generale hier bei Zittau nicht gewagt hatten, die erdrüdende
Ueberzahl in eine große Enticheidung einzufegen, troß aller Mahnungen des Kaifers,
daß die Zertrümmerung des feindlichen Heeres der vornehmfte Gelichtspunft der
Kriegsführung jein müjle.
Nur ein Ergebnis, allerdings ein wichtiges, hatte der Vorſtoß der Preußen
gehabt. Görlitz war zurüdgewonnen, die Verbindung mit Schlefien wieder her:
geitellt. Sie aufrecht zu erhalten und dem feindlichen Heere, falls es den Krieg
nah Schleſien trug, zu folgen, wurde die Hauptaufgabe des Herzogs von Bevern,
dem der König am 25. August die größere Hälfte feines Heeres übergab, während
er jelber jetzt nicht länger zögern durfte, den Operationsplan endlich aufzunehmen,
den er im Frühjahr um eines großen Zwedes willen nicht ohne Bedenken einjt:
weilen zurüdgelegt hatte.
In diefem Augenblide ftanden außer den Defterreihern gegen ihn im
Felde: die Nuffen, in einer Sollftärfe von 90 000 Mann unter Marſchall Aprarin
und General Fermor, der nad) der Einnahme der Feitung Memel am 18. Auguft
bei Inſterburg zu dem Hauptbeer ftieß; die Schweden, nah dem Voranichlag
22000 Mann, bei Greifswald nod in der Verſammlung begriffen ;. die Reichs:
armee, unter dem Herzog von Sahjen:Hildburghaufen, am 23. Auguft aus dem
Sammellager bei Fürth nad Erfurt aufgebroden, wo fie bei ihrem Eintreffen
33000 Mann zählte; das Heer des Fürften Rohan-Soubiſe, das am 16. Auguft
Eiſenach erreichte, 20— 24000 Mann, zufammengejeßt aus den nad der Schlacht
bei Prag im Elſaß aufgeitellten Regimentern !) und aus Abzweigungen bes fran—
zöfifhen Hauptheeres, das nad) dem Siege von Haftenbed den Hannoveranern
in das Herzogtum Bremen gefolgt war, aber bereits Streifpartieen nach dem Harze
vorſchob.
Der König von Preußen konnte ſein kleines Heer am Pregel gegen die
dreifache Uebermacht der Ruſſen nicht verſtärken; er fonnte den Schweden ein
Heer überhaupt nicht gegenüberftellen, jondern nur eilig zujammengeraffte Yand-
milizen, ausrangierte Veteranen unter verabjchiedeten Offizieren, und Dazu Die
nah der Koliner Schlacht in ihre pommerſchen Werbebezirfe heimgejandten
Trümmer zweier Linienregimenter. Was fi) gegen die Deiterreiher entbehren
ließ, führte er nah Thüringen, um den Franzofen „eins zu verjegen” und ben
Reichsvölfern „das consilium abeundi” zu geben. Aber ftatt der 40000 Mann,
mit denen er im März den Franzoſen aus feiner Zentralftellung entgegengehen
wollte,?) fonnte er jegt wenig mehr als 20000 mit auf den Weg nehmen, und ftatt
der 95000, die er damals zwiſchen Zwidau und der lauſitziſch-ſchleſiſchen Grenze
zurüdgelafien haben würde, blieben dort nur 40000. Schon prophezeite er:
„Als General habe ich den Feldzug angefangen und als Parteigänger werde ich
ihn enden”.
') Bol. oben ©. 87.
2) Bgl. oben ©. 66.
Kofler, König Friedrich der Große. II. 2. Aufl 8
+
114 Sechſtes Bud. Dritter Abfchnitt.
Am 29. Auguft fam der König auf feinem Mari dur Dresden. Der
alte Eichel war hoch erfreut, feinen Gebieter, von dem er feit vier Wochen
getrennt gemejen war, „ſowohl von Kopf als Gemüte als auch von Gejundheit”
fo frifh und munter zu ſehen, wie nur je mitten im Frieden zu Potsdam.
Friedrich gab das zu und hob fein treffliches Befinden auf den guten Schlaf,
auf den er jegt rechnen fönne, fobald er fich zur Ruhe begebe. In dem Lager
von Dittelsdorf war ihm dieſer feite Schlaf fait verhängnisvoll geworden: die
Glut einer Kohlenpfanne hatte fein Gemah in Brand gelegt, halberftidt war er
aus dem Bett ins Freie getragen worden.
„Das feind ſchwere Zeiten, weiß Gott,” jchrieb er an den Herzog von
Bevern zum Abjchied in feinem gebrochenen Deutih, „und ſolche beflummene
Umftände, daß man ein graufam Gelüde gebraudht, um fich aus allem diejem
durchzuwicklen.“
Dem neuen Feind, gegen den er jetzt ins Feld zog, hatte er doch bereits
eine Friedensbotſchaft entgegengeſandt.
„Man muß die Segel einziehen, wenn der Wind widrig bläſt“ — auch jetzt
handelte er wieder nad dieſer ſeiner alten Klugheitsregel. Stolz hatte er
fih beinahe. verfchworen, um die Gunft der hochfahrenden Franzojen nicht länger
bublen zu wollen. Aber er war allzuſehr Staatsmann, als daß er einer Laune,
einem Eigenfinn, nachgegeben hätte, und allzu ſanguiniſch, um nicht troß aller
Bemweile von Frankreichs Uebelwollen gleihwohl von dieſer Seite noch Gutes
zu erwarten. Und fo meit Einflüffe feiner Umgebung überhaupt für ihn be:
ftimmend waren, machten fie ſich durchaus zu Guniten der Ausföhnung mit dem
alten Verbündeten geltend. Wie hatten fih doch die Zeiten feit dem Anfange
biefer Regierung gewandelt! Damals hatte auch in Berlin der Staat Ludwigs XIV.
nod im Sinne der reichspatriotifchen Weberlieferung als der Erbfeind gegolten,
und nur mit MWiderftreben und tief innerliher Abneigung waren die alten Be:
rater der preußiichen Bolitif dem veränderten Kurs gefolgt. Im vorigen Jahre
dagegen war von dem jüngeren Gejchlecht die Abmwendung von Frankreich nicht
minder beflagt und verurteilt worden, ala 1741 von den Altväteriichen das
franzöliihe Bündnis. Und nunmehr Ichien der traurige Verlauf des Krieges
alle ihlimmiten Borausfagungen übervoll zu beitätigen.
Unter dem Eindrud der Kritif, weldhe die Dinge und die Menfchen an
feiner Abkehr von der alten Allianz übten, und in der Bitterfeit feines Herzens
über die ſchlaffe, gleihgültige Unthätigkeit feiner neuen Verbündeten hat Friedrich
vor dem Ausmarſch zu der im Auguſt geplanten Entſcheidungsſchlacht eine
Denkſchrift aufgelegt, die für den Fall, daß ihn eine Kugel traf, zur Ehren:
rettung jeiner Politik veröffentliht werben jollte. Den Kern dieſer jeiner
„Apologie” bildet die Darlegung, er habe nicht vorausjehen können, weder daf
England alle Erwartungen unerfüllt laſſen, noch daß frankreich fih mit ganzer
Macht gegen ihn erklären würde. Er hatte im Januar 1756 beim Abſchluß der
Weitminjtersflonvention nicht einmal angenommen, dab Frankreich deshalb fich
von ihm abwenden würde; er hatte jechs Monate jpäter, als er das Schwert
Von Kolin nach LZeuthen. 115
309, zwar mit ber Möglichkeit gerechnet, daß Franfreih den Wiener Hof mit
gewaffneter Hand unterftügte, aber in der That, wie er es jet verficherte, fich
deſſen nicht verjehen, daß Frankreich gleih 150000 Mann marſchieren laſſen
mwürde.!) Das aber darf nun aus diefer Apologie nicht herausgelejen werden,
da Friedrih, wenn er im Sommer von 1756 folden Maſſeneinbruch galliichen
Kriegsvolls geahnt hätte, fein ftille gejejlen und die Entſchließungen jeiner
Widerjacher ergeben abgemwartet haben würde. Vielleicht, daß er von dem Weit:
minfter-Bertrag abgejehen haben möchte, hätte er alle Folgen, alles was wider
Erwartung ausblieb und alles was wider Erwartung geſchah, im voraus er:
meilen fönnen; in der Lage aber, wie fie bis zum Auguft 1756 fich entwidelt
hatte, würde er aller pſychologiſchen Wahricheinlichfeit nach durch jeden weiteren
Einblid in die Tiefen der dräuenden Gefahr nur bejtärkt worden fein in feinem
alten Grundjag, lieber zuvorzulommen, als ſich zuvorfommen zu lajien.
Gleich dem Prinzen von Preußen?) ftand Prinz Heinrich mit jeinen politifchen
Sympatbien, und nicht bloß mit diefen, ganz auf franzöfifcher Seite. Von dem
Könige befragt, erklärte er ihm ſchon in den eriten Tagen nad) der Koliner
Schladt, daß er nur in einem Bündnis mit Frankreich das Heil jehe, daß man
ih den Franzoſen blindlings in die Arme werfen müſſe, und zwar ohne Zögern.
Darauf hatte Frievrih am 25. Juni, zumal da ihn an demjelben Tage jenes
vorzeitige Gerücht von dem Wejerübergang der FFranzojen?) ſtark beunrubigte,
der Marfgräfin von Baireuth geichrieben, fie möge durch den Nitter Folard,
Frankreichs Vertreter bei einer Anzahl oberdeutiher Füritenhöfe, der in den
legten Monaten wiederholt feine guten Dienfte angeboten hatte, auf den Frieden
binzumwirfen fuchen und ihm jagen: man wolle fi) gern dem franzöfiihen Schieds:
fpruche anvertrauen und hoffe, daß Franfreih nod einen Reſt jeiner Freund:
ichaft für die alten Verbündeten bewahren werde.
Die Ausfichten für eine Unterhandlung waren, auch abgejehen von dem
Umſchwung der militäriihen Lage, nicht eben günftig. Gleichzeitig mit der
Neubildung des britiichen Kabinetts vollzog fih auch in Franfrei ein Minifter:
wechſel. An Stelle des immerhin den Anjhauungen des alten Syſtems nod)
nicht ganz entfremdeten Rouille wurde am 25. Juni der Vertraute der Pompabdour,
das vornehmjte Werkzeug der Verträge von Berfailles, Abbe Bernis, zum
Minifter der auswärtigen Angelegenheiten ernannt. Das Gebäude erhielt damit
jeinen Schlußſtein. Gleihmwohl mußte der Verſuch gemacht werden, mit dieſem
Manne anzufnüpfen.
Friedrich hieß es deshalb mit Freuden gut, als die Markgräfin von Bai:
reuth fich erbot, ihren Kammerherrn Mirabeau, einen Verwandten von Bernis,
insgeheim nad Paris zu ſchicken. Dagegen lehnte er es am 15. Juli noch ab,
dem Sendling eine Inſtruktion mitzugeben, alles habe im Namen der Marf:
gräfin zu geſchehen, man dürfe den Franzoſen nichts vorſchlagen, jondern müſſe
traten, fie zum Reden zu bringen: „Meine Anfiht würde fein, wenn man das
') gl. Bo. 1, 580. 588. 586 und oben ©. 37. 38. 40.
’) gl. oben S. 105.
) Bgl. oben S. 103.
116 Sechſtes Bud. Dritter Abichnitt.
legte Wort aus ihnen herausgezogen hat, alles dem König von England mit:
zuteilen, um zu sehen, ob es fih machen läßt, diefen Winter zu einem Ber:
gleich zu gelangen.”
Unmittelbar darauf erhielt er einen Brief des Neichsgrafen von Wied,
der vor zweiundzwanzig Jahren in dem Kriege zwifchen Franfreih und Kaijer
Karl VI. als Friedensvermittler zu einer gewiſſen Berühmtheit gelangt war; fein
Bruder diente als General im preußifchen Heere. Ein franzöfifcher Oberft, angeblich
ein Vertrauensmann von Belle-Isle, hatte fih in Neuwied eingefunden und
dem Grafen die unveränderliche Ergebenheit Belle:Fsles für den König von
Preußen gerühmt und auf Verlangen es fchriftlich wiederholt, daß der Marſchall
fih werde bereit finden laffen, wenn der König Vorſchläge mahen wolle. Auch
jet lehnte Friedrid das ab; er begnügte fih, dem Grafen Wied zu antworten,
daf er nie fich auf Schimpfliche Friedensverhandlungen einlaffen werde, daß erftens
feine Verbündeten in Deutichland miteinbegriffen werden müßten, und daß
zweitens man fi weiter äußern möge. Inzwiſchen aber fiegten die Franzofen
bei Haltenbed, und nun entſchloß ſich Friedrih, einen Offizier aus feiner näheren
Umgebung, den Oberiten Balbi,’) nad Neuwied zu jenden, und bevollmädtigte
ihn zu einem vorläufigen Abkommen auf der Grundlage: feine Abtretungen,
ein Waffenftilftand, um mit den Verbündeten Abrede nehmen zu fünnen, Ein:
ichluß der Verbündeten, Erneuerung der früheren Allianz mit Frankreich. Am
14. Auguft reifte Balbi von Dresden ab.
Zum Unglüd wurde die Antwort des Grafen Wied auf das Schreiben
des Königs von ölterreihiichen Hufaren aufgefangen. Friedrich fam, als er am
4. September das erfuhr, in peinlihe Verlegenheit. Wie, wenn die Botjchaft
günſtig gelautet hatte? Dann konnte ein Zufammenftoß mit dem franzöfiichen
Heere, dem er jetzt entgegenzon, alles verderben. Er veriprab fih von der
Verhandlung um jo mehr, als die Markfgräfin ihm verficherte, Maria Therefia
wolle feinen Finger breit von ihren Niederlanden an Frankreich abtreten. So
ging er jekt noch einen Schritt weiter und wandte fi trog allem unmittelbar
an die Franzoſen, und dod nicht bloß, um durch die Verhandlung die Ber
wegungen ihrer Truppen aufzuhalten. Der Kammergerichtsrat v. Eiditedt, ein
auf einer Nundreife an eine Anzahl deutiher Höfe jüngit erprobter Unterhändler,
wurde am 6. September in das Hauptquartier des Herzogs von Richelieu ab»
gefertigt; denn an diefen glängzendften aller Grandfeigneurs, das Schopfind des
Glücks, den Eroberer von Minorfa, hatte der vem Hofe mißliebige d'Etrées troß
des friichen Lorbeers von Haſtenbeck inzwijchen den Oberbefehl abgeben müffen.
In einem überaus jchmeichelhaften Brief an den Herzog gab Friedrich der
Veberzeugung Ausdrud, dab der Neffe des großen Kardinals ebenjo dazu ge:
Ichaffen fei, Verträge zu unterzeichnen, wie Schlachten zu gewinnen, berief fich
auf eine fechzehnjährige politiihe Verbindung, deren Spuren nicht ganz in den
Gemütern vertilgt fein würden, und erſuchte um Mitteilung der auf dieſen
Friedensantrag bezüglihen Weifungen, die der Marſchall entweder jhon haben
werde oder von feinem Hofe einholen möge.
ı) 3b. 1, 574.
Bon Kolin nad Yeuthen. 117
An diefem 6. September hatte der König zudem eine neue Unglüdstunde
erhalten. Feldmarſchall Lehmwaldt, dur den Pregelübergang der Ruſſen in
jeiner befeftigten Stellung bei Wehlau umgangen, war ihnen mit rafchem Ent:
ihluß auf das linfe Ufer gefolgt, hatte am 30. Auguft das vereinigte ruffische
Heer bei Großjägersdorf angegriffen, war nah anfänglichen Erfolgen gejchlagen
worden und hatte fi unverfolgt Hinter die Alle zurüdgezogen. Der König
bielt die Nahriht von der Niederlage vor dem Heere geheim, dem tapferen
alten Feldmarſchall antwortete er auf jeine Meldung mit tröftenden Worten,
indem er ihm vor allen Dingen anempfahl, fih die Sache nicht jo jehr zu
Herzen zu nehmen, jondern als ein Unglüd zu betrachten, wie e& im Kriege
eben vorfomme. Eine abgeſchlagene Attade ſei noch feine verlorene Bataille;
damit ſolle er Offizieren und Soldaten neuen Mut mahen. Vor Einem warnte
er ernftlich: fich in Königsberg mit dem Heere einschließen zu laſſen. Dann
werde alles verloren jein, lieber jolle man den Feind von neuem angreifen.
Ueber Pegau, Köfen, Braunsroda, wo der König am 12. September ein
zweites Mal dur nächtliches Schabenfeuer aus dem Bette aufgeltört wurde,
führte ihn jein Vormarſch auf die große Frankfurter Landftraße. Vom Feinde
mward außer öfterreihiihen Hufaren und Panduren nichts fihtbar: „Die jran:
zöfifhe und Reichsarmee ift für uns ein geiltiges Weſen,“ ſpottete Friedrich);
„viele Leute behaupten, fie gejehen zu haben, aber trifft man nicht auch Leute,
die Erjcheinungen gehabt haben wollen? Aljo würde ih an der Eriftenz diejes
Heeres zweifeln, wenn anders ih Pferde hier zu Lande gefunden hätte; die aber
gibt es nicht, ein Jemand muß fie fortgeführt haben, und diejer Jemand muß
diefes unfichtbare Heer fein.”
Seine Kriegsfahrt durch das thüringische Land glich einem Triumpbzuge.
Der Jubel des treuberzigen Volks aller Orten galt dem Protejtantenfönig und
dem Befreier von den Franzofen. Beim Durchzug burd das Weimarifche ver:
ſchmähte Friedrid das ihm von dem Herzog zugerüftete Quartier und die ihm
entgegengejandten Spenden für Kühe und Keller und begnügte ſich mit einer
dürftigen Unterkunft zu Neumark; ganz Weimar ftrömte heraus, um den König
zu jehen. Als er durd die Straßen von Erfurt ritt, umdrängte ihn eine un:
gezählte Menge; wer konnte, füßte feine Hände, feinen Rod, fein Pferd.
Vor Gotha erihienen die Preußen am 15. September, zwei Stunden, nad):
dem bie öfterreihifhen und franzöfifhen Hufaren abgezogen waren. Auf die
ganz unerwartete Kunde, daß der Kriegsherr jelber feine Vorhut führe, ver:
jammelten fih im Scloßhof der Herzog und die Herzogin, umgeben von ihren
Kindern und ihrem Hofitaat; immer voller brauften die Freudenrufe heran, und
nun ſah man den König an der Spite des Dragonerregiments Meinede, von
allem Wolf begleitet. „Die Beichaffenheit feiner Kleider und feiner Wäſche bes
ftätigte,” erzählt ein Augenzeuge, „was der Ruf von ihm fagte, daß er im
Felde fih im geringiten nicht mehr Bequemlichkeiten geitatte, als der legte jeiner
Dffiziere.” Er begrüßte die Schloßherrſchaft auf das Artigite und bat um einen
Teller Suppe, da er feit vier Tagen nicht regelrecht geipeift habe. Man jegte
fih an die für die Offiziere des Feindes gededte Tafel, das Volk durfte zu:
ihauen. Die geiftreihe Herzogin, die von ihrem ehemaligen Mißtrauen gegen
118 Sechſtes Bud. Dritter Abſchnitt.
diefen König längit zurüdgefommen war,') ſchien jedes feiner Worte zu ver«
fchlingen. Derweil ftudierten die Tiſchgenoſſen feine Phyfiognomie: „Das Feuer
des Helden, die Bedachtſamkeit des Heerführers, die Verjchlagenheit des Staats:
mannes, den Berftand des Weltweiſen, den Geift des Dichters, den Ernit bes
Gehorſam heifhenden Herren, die Artigfeit des Gejellihafters, den Witz des
Spötters: das Alles fanden wir unjerer Meinung nah in ben Zügen dieſes
Gefihts, in welchem ein Paar der fchönften blauen Augen, voll Glanz und
Lebendigfeit, eine gerade, ſcharf und wohl gebildete Nafe, ein überaus freund:
liher und beim Sprechen von lauter Geift umfpielter Mund und jelbft die zwei
bedenklihen Linien auf der Stirn zwiſchen den Augen, zulammen bas regel:
mäßigfte und angenehmite Menjchenantlig ergaben, das man nur jehen kann.“
Nah zwei Stunden ward die Tafel aufgehoben, der König füßte der Herzogin
die Hand und verließ die Stadt ohne Bededung, denn feine Reiter follten von
bier aus den Feind beobadten; er jelbit ging zum Heere zurüd und bettete ſich
für die Nacht auf dem Boden der Dorfſchenke zu Gamſtädt. Vier Tage ſpäter
waren es die Feldherren der Verbündeten, Soubife und Hildburghaufen, die fich
mit ihrem Stab als Mittagsgälte auf dem Gothaer Schloß anjagten. Aber
Seydlig, den fie auf feinem vorgeſchobenen Poſten abzufangen gedachten, täufchte
fie durch eine fede Kriegslift jo völlig über feine Zahl, daß die Generale ihr
Mahl ftehen ließen und mit 9000 Mann vor 1700 Dragonern und Hufaren
in ihr altes Lager bei Eifenah entwihen. Vom Balkon hatten die Damen des
Hofes dem plöglichen Scenenwechſel lahend zugefhaut. „Nichts Ruhmvolleres
fonnte meinen Truppen geſchehen,“ ſchrieb Friedrich ritterlid an die Herzogin,
„als unter Ihren Augen und für Ihre Verteidigung zu fechten.”
Entſchieden wurde durch ſolche Reiterftüdchen nichts. „Meine Devije ift,”
ſchreibt Friedrih nah dem Gefeht von Gotha in abenteuerlichitem Latein:
„Magnibus in Minibus et minibus in Maxsimus.* In der Vorausſicht, daß
diefer Feind fich zur Schlacht nicht mehr ftellen würde, hatte er ſchon nad der
Belegung von Erfurt feine kleine Schar in drei Teile zerlegt: Ferdinand von
Braunjchweig ward zur Dedung des Fürftentums Halberftadt entjandt; Moritz
von Dellau an die Mulde nah Wurzen, um den Waffenplag Torgau und die
Kurmark gegen das bei Baugen erjchienene öjterreichifche Corps des Freiherrn
v. Marſchall zu firmen; der König jelbit beabiichtigte, wenn der Feind fich
wider Vermuten herausmwagte, an der Eliter bei Pegau ihn zu erwarten und
dann den Deſſauer wieder heranzuziehen.
Bereits hatten gegen einen der anderen Gegner die preußiſchen Waffen
abermals eine Niederlage erlitten. Die Berbindung mit der Laufig war unter:
broden, nur Gerüdte drangen durch. Am 14. September jchreibt der König
an Winterfeldt: „Hier gehet alles nah Wunſch, es ift aber eine verflogene
Zeitung aus der Yausnig gekommen, die mir in große Sorgen jeßet. Ich
weiß nicht, was ih davon glauben fol. Aus Dresden jchreibt man mir, Er
wäre tot, und aus Berlin, Er hätte einen Hieb über der Schulter. Aus diefem
kann ich mir nicht vernehmen. Wende der Himmel alles zum Beſten!“ Wäh—
8b. 1, 205.
Von Kolin nad Leuthen. 119
rend jeine Umgebung bereits klar jah, bielt der König noch an einer legten
Hoffnung feit. Aber am 16. fam eine Meldung aus Berlin, die allzu beftimmt
lautete, am 17. die unmittelbare Beftätigung durch einen Feldjäger mit Be:
richten des Herzogs von Bevern: den 7. war Winterfeldt mit einem vorgefchobenen
Corps von 10000 Mann vor Görlif beim Dorfe Moys von jeinem alten
Gegner Nadasdy, dem er einit den Sieg von Landeshut abgewonnen hatte,') an:
gegriffen worden; nad mehritündigem heißen Gefecht und nad jchwerer Ber:
mwundung ihres Führers hatten die Preußen weichen müfjen, Tags darauf war
Winterfeldt feiner Wunde erlegen. Der König erhielt die Nachricht, als er vom
Zagerplage bei Erfurt in fein Quartier zu Kerspleben zurüdfam. Er vermodte
feine Thränen nicht zurüdzuhalten. „Nie werde ich wieder einen Winterfeldt
finden,” hörte man ihn jagen. Bor drei Wochen beim Abſchied hatte er den
Freund umarmt, und bewegt zu ihm geſagt, faft habe er vergefien, ihm feine
Inſtruktion zu erteilen: „Nur diefe weiß ih für Ihn: erhalte Er fih mir.”
Friedrich betrauerte in Winterfeldt denjenigen feiner Generale, der feinem Herzen
am näditen ſtand, vor allem aber im gegenwärtigen Nugenblide „den unentbehr:
lichſten Mann im Heer des Herzogs von Bevern”, den Offizier, auf den er
für die Verteidigung Schlefiens am meilten gerechnet hatte.
Nah dem Tage von Moys hatte Bevern jein Lager bei Görlig verlafjen
und ſich nah Schleſien gezogen. Eine Ehladht ſchien unmittelbar bevorzuftehen.
Berlin war gegen eine Weberrumpelung durch die Defterreicher jegt nicht mehr
gebedt, der Hof und die Behörden trafen ihre Vorbereitungen für eine Flucht.
Auch von Norden her drohte der Hauptitabt bereits Gefahr. Am 13. September
überſchritten die Schweden die preußifche Grenze und bejegten Anklam und die
Fährſchanze an der Peene. Zugleich drangen die Vortruppen des franzöfifchen
Hauptheeres in das Halberftädtiihe ein. Und meiter: es beftätigte fih, daß
GCumberland, bis unter die Werke von Stade zurüdgedrängt, mit feinem Gegner
Richelieu unter dänischer Vermittelung am 8. September einen PVergleih ge:
ſchloſſen hatte, dur den Nichelieu volle Freiheit der Bewegung gegen bie
preußiihen Lande erhielt: die Konvention von Klofter Zeven, die nur Glimpfes
halber nicht als Kapitulation bezeichnet wurde. Cumberlands Heer löfte ſich auf,
die Heſſen und Braunſchweiger wurden in ihre Heimat entlaflen, die hannöver:
ſchen Truppen mußten teils in Stade und im Herzogtum Bremen, teils auf
däniſchem Gebiet Quartiere nehmen; Herren im Kurfürftentum Hannover blieben
bis auf weiteres Abkommen die Franzojen.
Ale diefe Nachrichten trafen den König von Preußen binnen wenigen
Tagen Schlag auf Schlag. In die Stimmung des Augenblids verjekt uns
jein leidvoller Brief an die Markgräfin Wilhelmine vom 17. September, die
lange „Generalbeichte”, die er der Schweiter ablegte. „Die Feftigkeit befteht im
Widerftand gegen das Unglüd; aber nur Feiglinge entwürdigen fi unter dem
Joche, ſchleppen geduldig ihre Ketten und ertragen ruhig die Unterbrüdung.
Niemals, meine teure Schweiter, werde ih mich zu ſolchem Schimpf entichließen
fönnen ... Hätte ih nur meiner Neigung gefolgt, fo hätte ich alsbald nad} der
) 8b. 1, 256.
120 Sechſtes Bud. Dritter Abſchnitt.
unglücklichen Schlacht, die ich verloren habe, mich davongemacht; aber ich habe
gefühlt, daß das Schwäche fein würde, und daß es meine Pflicht fei, das Uebel
wieder gutzumaden, das gefchehen war. Meine Hingebung an den Staat iſt
wiedererwacht; ich habe mir gejagt: nit im Glück iſt es ſchwer, Verteidiger
zu finden, jondern im Unglüd. ch habe einen Ehrenpunft darein gejegt, alle
Störungen auszugleichen, und es iſt mir noch neulih in der Laufiß gelungen,
aber faum bin ich hierher geeilt, um mich neuen Feinden entgegenzumwerfen, da
wird Winterfeldt bei Görlig geihlagen und getötet, da bringen die Franzoſen
in das Herz meiner Staaten ein, da blodieren die Schweden Stettin. Für mid
gibt es nichts Gutes mehr zu thun; es find der Feinde zu viel. Selbft wenn ich
jo glüdlih wäre, zwei Heere zu ſchlagen, das dritte würde mich jermalmen.“
Die Republifaner des Altertums, Brutus und Cato, jollen es den Fürften
des achtzehnten Jahrhunderts an Hochſinn nicht zuvorthun. So gelobt es der
Brief an die Markgräfin, jo bekräftigt es wenige Tage darauf ein Scheidegruß
an den Marquis d’Argens, die poetiiche Paraphraje jenes Briefes:
Fahr wohl, trugvoller Lorbeer, Heldenkrone,
Zu teuer iſt der Nuhm der Weltgeſchichte:
Ein flücht'ger Blid des Glüds wird dir zum Lohne,
Und vierzigjähr'ge Arbeit wird zu nichte,
Und hundert Gegnern dient dein Los zum Hohne!
Lorbeeren, VBergnügungen und ſchon auch die Pflichten, jo lange heilig und
jet unnütz, ſollen ihn nicht mehr zurüdhalten: die Lohe vom Scheiterhaufen
der hochherzigen Heiden ſoll ihm den Pfad ins dunkle Todesland weifen:
Mich Ichredt nicht das Phantom mit Elapperndem Geben;
Das freundliche Aſyl fer mir der Sara,
Das aus des Schiffbruhs Graus und Rein,
Noms größte Söhne rettend barg.
Tief erregt durch das jchmerzenvolle Schwelgen in feinen bunfeln Phan—
tafien ließ Friedrich eines Abends — es war am 22. September — nod in
fpäter Stunde feinen Vorleſer, den Abbé de Prades, rufen: „ch will Ihnen
meine neueiten Verſe zeigen, vielleicht die legten, die ich in meinem Leben ge:
macht habe.” Der Abbe las, bald entriß ihm der Verfafler das Gedicht, trug
es mit Leidenschaft vor und nebte das Blatt mit feinen Thränen. Zu feiner
Zeit hat Friedrih jo viel Verſe auf das Papier geworfen, wie in bdiejen
ſchweren Sommer: und Herbſtmonden von 1757. „Oft möcht’ ich mich be—
rauſchen,“ Hagt er, „um meinen Kummer zu ertränfen, aber da ich nicht trinken
mag, jo zerftreut mich nichts als Verſemachen, und jo lange diefe Ablenkung
währt, ſpüre ih mein Unglüd nidt. Das hat mir den Geſchmack für die
Poefie wiedergegeben, und jo ſchlecht meine Verſe fein mögen, fie leiiten mir
in meiner traurigen Lage den größten Dienft.”
Am 24. September, jeit langer Zeit ein eriter Lichtblid: „So ſchön meine
Epiftel ift, jo werde ich doch den darin ausgeſprochenen Vorſatz jekt nicht aus:
führen,” jagt Friedrid zu de Prades. Lehmaldt hat gemeldet, daß die Rufien
Von Kolin nad) Yeuthen. 121
in Gewaltmärihen aus Preußen abziehen. Ein Gerücht jagt die Zarin tot.
Zugleih fommt die ſehnlich erwartete Antwort von Nichelieu.
Der Herzog hatte den preußiihen Emiſſär Eidjtedt in Braunjchweig em:
pfangen und ſofort einen Eilboten nach Berfailles geſandt, zugleich freilih auf
die doppelte große Schwierigkeit hingewieſen, die Kaiferin-Königin zu befriedigen
und Sachſen zu entihädigen. In feinem Antwortichreiben auf Friedrichs Brief
erklärte er artig, daß er, auf jedem Gebiete dem König weit unterlegen,
immerhin befler fahren werde, wenn er, ftatt mit ihm fchlagen zu müſſen,
mit ihm unterhandeln jolle. Alles hing nun von der Antwort aus Verfailles
ab. Inzwiſchen ging der König den Franzoſen einen weiteren Schritt entgegen,
wenn er in jeinem Erlaß an Eidjtedt vom 24. September jegt, nad dem Abfall
der Hannoveraner, zum erftenmal das Wort Sonderfrieden fallen lieh.
Und abermals einen Schritt weiter ging er, als er Tags darauf auch aus
Neuwied von jeinem Kundjchafter Balbi gute Nachrichten über einen anjcheinenden
Umſchwung der Stimmung erhielt, wie ihn Barbutt de Maufac, der geheime
Agent des Grafen Wied, am Verfailler Hofe wahrgenommen haben wollte. Da
hieß es, die Verhandlung würde jchnell zum Ziele fommen, wenn der König
von Preußen fich entichließen wollte, das Fürftentum Neufchatel mit Valengin
der Marquife von Pompadour für ihre Lebenszeit abzutreten. Schon im vorigen
Winter hatte ein angebliher Vertrauensmann des franzöfiihen Hofes!) Diele
Abtretung angeregt und fih darauf berufen, daß bereits früher darüber ver:
handelt worden jei. Es foll das im Jahre 1754 geweſen fein; damals aber
hätte König Friedrich, jo erzählte man fi, den Gedanken mit Entrüftung von
fih gewiefen. Wie dem auch jei, im vorigen Winter waren nicht irgendwelche
Sfrupel von feiner Seite, jondern nur der plößlihe Tod des Mittelamannes
dazwifchen getreten. Um mie viel weniger hätte er jegt, im Drange der härteften
Not, an dem von neuem vorgejchlagenen Ausfunftsmittel Anſtoß genommen.
Er ermädtigte Balbi, feine Zuftimmung zu erklären, wofern die Marquije
dahin wirken würde, daß die Friedensbedingungen für Preußen vorteilhaft oder
wenigftens nicht läftig ausfielen: die MWiederherftellung des Zuftandes vor dem
Kriege ſollte das legte Wort fein.
Aber der „Hoffnungsihimmer” erloſch von heute auf morgen. „Ich hatte
geglaubt, daß es uns in Franfreih würde glüden können,“ ſchreibt Friedrich
bereit? am 29. September, „aber nad andern Quellen, die ich habe, jehe ich
nicht mehr Tag.” Wenn Frankreich wirklih, was er bisher noch immer nicht
geglaubt hatte, fih Flandern hatte abtreten laffen, und wenn man im Begriff
war, den älteften Erzherzog der Kaiſerin-Königin mit einer Enkelin Ludwigs XV.
zu verloben, wie durfte da die Auflöfung der Koalition erwartet werden?
Der September, jo hatte er beim Aufbruch aus der Laufig erklärt, werde
fein Schidjal für den Herbit und den Winter enticheiden. est war die Frilt
verronnen, das Glück war nicht zurüdgelehrt, die Lage nur verſchlimmert. Am
l. des neuen Monats jagt er fih: „Wir find zu Grunde gerichtet, aber ich
falle den Degen in der Fauſt.“
) Bal. oben S. 49, 50.
122 Sechſtes Bud. Dritter Abichnitt.
Wie es ſchien, follte bei der Unterhandlung nicht einmal jo viel gewonnen
werben, daß Nidhelieu mit feinem Heere ftille geftanden wäre. Herzog Ferdinand
hatte das Halberftädtiihe von den franzöfiihen Vortruppen jchnell geläubert ;
nun aber mußte er dem König melden, daß der Feind auf der ganzen Linie
mit Macht gegen die Elbe vorrüde und durch die Altmark mit den Schweden
Fühlung zu gewinnen ſuche. Friedrich glaubte nicht, daß es jo ſpät im Jahre
nod auf die Belagerung von Magdeburg abgefehen jei, aber er fürdtete, daß
Franzoſen und Schweden gemeinjfam die Feitung umitellen wollten. Und des:
halb entichloß er fich jegt, fein drittes Heer herbeizuziehen, feine öftliche Außen:
provinz, Preußen, wie ſchon vorher die weitlihen, aufzugeben; mit ſchwerem
Herzen, zumal im Hinblid auf die gerade jegt dort eingetretene günftige Wendung,
aber in der Weberzeugung, daß fonft, wie er an Lehwaldt am 2. Oftober
ſchrieb, „ich faput und verloren fein würde”. Zu Anfang Dezember gedachte
er mit Lehwaldt vereint den Epigonen TQTurennes und Torftenfons zu Leibe
zu geben.
Gleichzeitig mit Richelieu rüdten auch Soubife und Hildburghaufen aus
Eifenah von neuem vor. Friedrich, ſchon am 27. September mit feinem Eleinen
vorgejchobenen Corps von Erfurt auf Weimar zurüdgegangen, zog den Prinzen
Mori nah Naumburg heran. Er hoffte von neuem auf eine Schlacht, wenn
anders der „Narr“ Hildburghaufen fich dazu verleiten ließ. Aber nur zu bald
mußte er als ein „Fabius wider Willen” fich überzeugen, daß er die Leute „zu
nichts kriegen” könne: „wenn Hildburghaufen allein wäre, jo ginge es qut; aber
die Franzofen fantonieren hinter Gotha, und die kann er nicht mitfriegen,
alfo kann ich nichts ala Heine Bagatellen ausrichten.”
„Wenn ich vorrüde,” jchreibt er am 6. Oftober ingrimmig, „fo flieht der
Feind; gehe ich zurüd, jo folgt er mir, aber immer außer Schußmeite. Geb’
ih von bier fort und ſuche etwa den ftolzen Nichelieu irgendwo bei Halberftadt
auf, jo wird der desgleichen thun, und bier dieje Feinde, augenblidiih ruhig
wie die Steinbilder, werden ſich bald bejeelen und mich irgendwo bei Magde:
burg wieder feitnageln. Wende ih mich nach der Laufig, dann nehmen fie mir
meine Magazine in Leipzig und Torgau und gehen geradeswegs nah Berlin.
Kurz, ic bin in Verzweiflung... Die Erperimente fönnen nit mehr lange
währen, das muß binnen kurzem enden, auf eine oder die andere Weiſe.“
In diefen Tagen kam ein Schreiben aus Delices, Voltaires jchweizeriicher
Einfiedelei. Troß allem, was zwiſchen ihnen vorgefallen war, unterhielt Fried:
ri jeit dem vorigen Winter wieder einen Briefwechjel mit dem „Patriarden
des Gefhmads”. Auch jeine Todesgedanken hatte er ihm anvertraut: „Man
muß für fein Vaterland kämpfen und für fein Vaterland fallen, wenn man es
retten fann, und wenn man das nicht kann, ift es jchimpflich, es zu überleben.“
Darauf entgegnete jegt Voltaire: „Erjchreden Sie nit, Sire, vor einem langen
Brief, der einzigen Sade, die Sie erjchreden Fann.” Der lange Brief legte
dar, daß Cato und Dtho Friedrihs Vorbilder nicht jein dürften, daß der große
Kurfürft darum nicht geringer geachtet worden fei, weil er einige feiner Er:
oberungen herausgegeben habe; daß auch nad Abtretungen dem König ftets
genug Land bleiben würde, um einen ſehr hervorragenden Rang in Europa
Von Kolin nach Yeuthen. 123
zu behaupten. „Für mid) wird es ein Troit fein,“ ſchloß Voltaire, „beim
Sceiden aus dem Leben einen philojophiihen König auf Erden zu hinter:
laſſen.“
Friedrich kannte aus ſeinem Plutarch die berühmte Antwort Alexanders
an Parmenion; ſie gab ihm die Anknüpfung für eine nicht minder berühmt
gewordene Antwort:
Glaubt mir, wenn ich Voltaire wär',
Ein Menſchenkind, wie andre mehr,
Säh' ich, mit fargem Los zufrieden,
Vom flücht'gen Glück mich gern gefchteden,
Wollt’ es verlachen, ganz wie er! .
Dod andrer Stand hat andre Pflicht .
Voltaire in feiner ftillen Klauſe,
Im Yand, wo alte Treue noch zu Haufe,
Mag friedfam um den Ruhm des Meifen werben,
Nah Platos Mufter und Gebot.
Ich aber, dem der Schiffbruch droht,
Muß, mutig trogend dem Werderben,
Als König denken, leben, jterben !
Volles Berftändnis fand diefe antife Anjhauung bei der Markgräfin von
Baireuth. Friedrichs erſte Hinweife auf den rettenden Port, den er im Reiche
der Schatten noch finden fünne, hatten ihr eine „Thränenflut” entlodt. Aber
fie rühmte fi, diefe Schwäche überwunden zu haben; fie eröffnete dem Bruder
ihren feiten Entſchluß, fein Los zu teilen, feinen Fall und den Niedergang
der Dynaftie nicht zu überleben. Auch fie verfoht gegen Voltaires Einwürfe
ihre und des Königs heroifche Denkart: „Ein Grab ift unjer Richtpunft; ob:
gleich alles verloren fcheint, bleiben uns doch Güter, die man uns nicht rauben
fol, die Feftigfeit und das warme Herz.” Fürmwahr, eine tapfere Frau, dieſe
zarte Prinzejfin mit dem leidenden Ausdrud in dem fchmalen, unendlih an:
ziehenden Antlig, mit jo viel Geift in dem großen Auge und der leijen Spur
von Spott um den feinen Mund. Krank, aufgeregt, empfindlich, zur Ueber:
treibung geneigt in ber Liebe und im Haß, für alle rührenden und erhebenben
Eindrüde ebenjo empfänglih, wie nachgiebig gegen feindfelige und häßliche
Regungen, ward fie jet von den leidenichaftlihen Schwingungen, in denen
Friedrihs innerftes Weſen vibrierte, wie in Verzüdung mit fortgeriffen. Sie,
die auf ihr ganzes Leben als auf ein ununterbrocdenes Martyrium zurüd:
ihaute, wußte, was Leiden war, und litt alle Dualen des Bruders ſeeliſch und
beinahe förperlih mit. Wenn fie für die einft im Elternhaufe erlittenen Un:
bilden in den fragenhaft verzerrten Schilderungen ihrer Memoiren mit franf:
haftem Nachzittern ſich ihadlos gehalten, wenn fie jahrelang in dem bitteren
Gefühl unverdienter Kränfung und verfhmähter Hingebung auch diefem Bruder
Ihmollend und fchmälend fich entfrembet hatte, jo lebte und mwebte fie jegt nur
in einem Gefühle: fie jchwelgte in dem Stolz auf den Bruder, dem fie ſich eben:
bürtig fühlte und der ihre zärtlihe Schweiterliebe mit rührendem Danke vergalt.
Wer könnte den Briefwechfel der beiden Geſchwiſter ohne Ergriffenheit lejen?
124 Sechſtes Bud. Dritter Abſchnitt.
Die Schwefter war dem gereiften Mann in der ſchwerſten Prüfung jeines Lebens
wieder das geworden, was fie einft dem erbitterten und verftodten und doch fo
liebebebürftigen, halb leichtfinnigen und halb ſchwermütigen Knaben gemweien war.
Wir glauben ihm die oft wiederholte Verfiherung, daß er an dieſer einzigen,
unvergleihlihen Schweiter ſich ftärfe und aufrichte.
In anderer Weile war der Prinz Heinrich feit kurzem jein Vertrauter.
In faſt täglihem Berfehr war der jüngere Bruder jeit dem Tage nad) ber
Koliner Schladt der Zeuge aller der Stürme geweſen, welche die endloje Drangjal
in der Bruft des Königs entfeflelte. Kein ftummer Zeuge: der Prinz hielt mit
feinem felbftändigen Urteil, feinem Widerſpruch nicht leicht zurüd; verſchloſſen
bielt er nur feinen Groll, dem das harte Gejhid des ihm in warmer Freund:
Ihaft verbundenen Prinzen Wilhelm neue Nahrung gegeben hatte. Heinrich war
von gröberem und einheitliherem Stoffe als Friedrich und Wilhelmine, ohne
den Zufag von Empfindfamfeit und Ercentricität, ruhig, fühl, nüchtern, ftets
bedächtig und abwägend, allen unvermittelten Jmpulfen unzugänglich, allem ver:
mwegenen Ungeftüm abhold: jo als Menſch und jo als General und Politiker.
Für den herben politifhen Idealismus, der alles an alles jegt und den Tod
anftändiger achtet als ein entehrtes Leben, hatte er jo wenig Verftändnis wie
Voltaire und führte in diefen peinlihen Geſprächen, während derer der König,
feinen Hut zerfnitternd, wie ein Verzweifelter im Zimmer auf und ab ftürmte,
ungefähr diejelben Gegengründe ins Treffen, wie jener in jeinen weltweifen
Briefen. Am 12. Dftober jpeifte Friedrich zu Edartsberga jelbitviert mit dem
Prinzen, Mitchell und Keith; er ſprach „nicht vier Worte” über Tiſch. Nah
ber Mahlzeit behielt er den Bruder allein zurüd und Hlagte troftlojer denn je:
der Zuftand, in dem er ſich befinde, ſei länger nicht zu ertragen und jchlimmer
als der Tod. Heinrich entgegnete, daß er feinen Grund fähe, die Sade auf
das Neußerfte zu treiben. Der König würde nicht der erite Fürſt fein, der ſich
gezwungen jähe, eine Provinz abzutreten. Gewiß fei feine Lage eine jchredliche,
aber er brauche ja nur ein Kleines Opfer zu bringen, um fi ihr zu entziehen,
und die Standhaftigfeit im Unglüd beftehe nicht darin, eine verlorene Partie
halten zu wollen, jondern in der Anmendung der geeignetiten Mittel, um dem
völligen Ruin vorzubeugen.
Der Markgräfin jchrieb Friedrich jelbigen Tages: „Weit entfernt, daß
das Geſchick fich erweichen ließe, alle Nachrichten, die ich erhalte, alle Briefe,
die ich öffne, vermehren nur das Gewicht meines Unglüds. Kurz, meine liebe
Schweſter, es jcheint eine ausgemadte Sache: das Schidjal oder ein Dämon
haben den Sturz Preußens beſchloſſen, und alles hat dazu zujammenwirfen
müfjen: widernatürliche Allianzen, Haß, dem man feinen Nährftoff geliefert bat,
untergeordnete Urfahen und wirkliche Unglüdsfäle. Ich geitehe, daß ich kaum
zu jchreiben vermag, mein Gemüt ift jo gebrüdt, die Dinge ftehen mir jo nahe
vor Augen, daß meine Anjtrengungen unvermögend find, fo ftarfe und graufame
Eindrüde abzuſchwächen.“ Dieſen Abend konnte man von der Straße den König
in feinem Gemad zu ebener Erde beobadten, wie er mit Xeidenjchaftlichkeit
Nacines Mithridat deflamierte.
Zwei Nadhrichten vor allem waren es, die ihn heute jo tief niederdbrüdten.
Bon Kolin nad Leuthen. 125
In Schlefien war Bevern vor den Dejterreichern hinter die Oder zurüdgemwichen.
Aus Frankreich vermittelte die Markgräfin Stimmungsberidte, wonad von dort
nichts Gutes mehr zu erwarten war.
Die Antwort aus Berfailles, wie fie dann Richelieu am 13. Dftober zu
Halberitadt Eidjtedt vorlas und wie Friedrich fie am 16. vernahm, lautete noch
abweijender und hodhmütiger, als er gefürdtet: daß der König von Frank—
reih ohne feine Verbündeten, die einzeln aufgeführt wurden, nicht in die Ber:
handlung eintreten werde und daß die erforderlichen Beratungen nicht mit einem
General, jondern nur mit den Miniltern des Königs von Frankreich und ber
Raiferin: Königin gepflogen werden fönnten. Das hieß mit anderen Worten, der
König von Preußen follte einen Vevollmädtigten nach Verſailles ſchicken und
um Frieden bitten, wie denn Richelieu es als jeine perfönliche Anficht bezeichnete,
daß Frankreich jet beftimmte Vorſchläge erwarte. Er fügte binzu, daß die
Kaiſerin-Königin nie Frieden jchließen werde, ohne Schleſien wiederzuerhalten,
und unterbrüdte die jpige Bemerkung nicht, daß der König zu viel verfchiedene
Leute in diefer Sade angegangen habe, wie den Marjchall Belle:fsle — der
Kichelieus politiiher Gegner war — und andere.
Friedrichs Selbitgefühl war tief verlegt. Als ihm die Markgräfin in
einem gleichzeitig eintreffenden Briefe von neuem dringend riet, einen beglaubigten
Bertreter mit bejtimmten Friedensanträgen nad) frankreich zu Ichiden, erwiberte
er in der erften Aufmwallung, nicht Krone noch Thron würde er durd eine
Niedrigkeit erfaufen und lieber hundertmal verderben, als dazu fich herablafien.
Wie jehnte er ſich danach, durch Thaten diefe Franzojen für ihre „Ungezogen:
heit und Ueberhebung“ zu ftrafen; anders, fo nahm er fi vor, jollten fie feinen
Namen nicht mehr nennen hören. Viel eher wollte er e& noch einmal mit den
Engländern verfuchen, denen er in den legten Monaten jo oft ihre Unterlaſſungs—
jünden vorgerechnet hatte. Noch an einem der legten Marichtage hatte er dem
britiihen Gefandten, der an feiner Seite ritt, die bittere Wahrheit gejagt: jebt
jhreie man in London über den Herzog von Gumberland und die Konvention
von Kloſter Zeven, aber England und die engliihen Miniſter trügen jelbft die
Schuld, weil fie feine Truppen nah Hannover gejendet hätten. Eine Erklärung,
durh die das britiihe Kabinett nochmals Subfidien anbot und dagegen den
Verzicht auf einen Sonderfrieden forderte, ſowie ein Schreiben Georgs II., das
in gewundenen Ausdrüden die Konvention mißbilligte, aber nicht mwiderrief,
waren beide bisher unbeantwortet geblieben, nicht weil er auf den Brief nichts
zu jagen wußte, wie Friedrih gegen Mitchell ausweichend bemerkte, jondern
weil er meinte, zwifchen Frankreich und England wählen zu müſſen und nicht
mit beiden gleichzeitig verhandeln zu dürfen. Indem nun gleichzeitig mit der
Abjage aus Franfreih am 16. Dftober aus Hamburg durch den englifchen
Refidenten die Nachricht einlief, das dem ſchmählichen Abkommen Cumberlands
in London die Ratififation verweigert werde, hielt Friedrih die Entſchließung
nicht länger an ſich. Er erklärte fich bereit, auf den englifhen Antrag einzu:
gehen, und forderte feinen königlichen Oheim nunmehr zu einem gemeinjamen
Winterfeldzuge auf: Lehwaldts Heer und die Hannoveraner würden durch Ueber:
rumpelung der Quartiere Nichelieus Niederfahien ebenjo vom Feinde fäubern
*
126 Schfted Buch. Dritter Abſchnitt.
fönnen, wie Turenne im Winter auf 1675 das Elſaß ausgefegt hatte. Dem:
nächſt empfahl er no, die an ber franzöfiihen Küfte nicht zur Ausfchiffung
gelangten englifhen Truppen jegt an der Elbmündung aufs Land zu werfen
und den Franzoſen in den Rüden marſchieren zu lafjen. Unerflärli blieb
freilich, dab König Georg und feine britiihen Minifter trog aller Entrüftung
über die Vorgänge in Hannover die hannöverifhen Geheimräte niht „im Zaum
zu halten” verftanden. Nod immer verweilte einer von ihnen, der Großvogt
Steinberg, in Wien als Gejanbter.
Unter diefen Umftänden und bei dem furdtbaren Ernit der militärifchen
Lage waren die wenigen Männer in ber Ilmgebung bes Königs von Preußen,
die in politiichen Fragen zu Rate gezogen wurden, wenig einverftanden mit
feiner Abficht, den Faden der franzöfiichen Unterhandlung ganz abzureißen. So
Prinz Heinrid, der auch diesmal mit Freimut warnte, jo Eichel, der den Grafen
Findenjtein für die Erreihung „des von allen jo jehr ermwünjchten Zwedes“
zum Helfer aufrief und als erfahrener Beobadter ſchon vorausſah, daß die erfte
Hige verfliegen würde. „Ich habe,” vertraute er dem Minifter an, „bei der be:
fannten Vivacite Verjchiedenes zu combattieren gehabt, und da durch jelbige
orbinär wir mehrenteil® auf Extrema gehen, bald zu viel, bald gar nidhts
boten, jo hoffe ih, Em. Ercellenz; werden nad Dero befannten Einſicht alle
gute Temperaments darunter gebrauchen.“ Eichel täuſchte fih nit. Nach
vier Tagen, am 20. Oftober, eröffnete ihm der König aus eigenem Antrieb,
daß er feinen Gelandten am däniſchen Hofe, Häfeler, nah Paris zu jchiden
gedenfe, unter dem Vorwand, daß dieſer Diplomat dort für feine zerrüttete Ge:
ſundheit Heilung ſuchen follte.
Dem englifhen Gejandten blieb nicht verborgen, daß zwiſchen dem Könige
von Preußen und den Franzoſen etwas vorging. Aber er warf in jeinen Be:
richten die Frage auf, ob der König getadelt werden könne, wenn er durch
Unterwerfung unter Frankreich jeine Rettung ſuche, oder ob nit in Englands
eigenem Intereſſe dies einer völligen Unterbrüdung Preußens durd Oeſterreich
vorzuziehen ſei. Mitchells Anficht war, alle Hülfe aus England werde zu jpät
fommen: „Ich fürchte, die Franzoſen und Defterreiher werden bis Weihnachten
nicht bloß im Belige von Berlin, jondern des größten Teils der preußifchen
Erblande jein. In diejer äußerft gefahrvollen Lage, was kann England für
den König von Preußen thun? Franfreih, und Frankreich allein, fann ihn
retten, und gleihmwohl, jo iſt nun fein Sinn und jo ftarf ift jeine Erbitterung,
daß er entſchloſſen ſcheint, lieber jegliche Gefahr zu laufen, als fih von Frank—
rei retten zu laſſen.“
Immerhin betrachtete Friedrih jeinen Feldzug gegen die Franzoſen im
damaligen Augenblide als vorläufig beendet. Seine ganze Aufmerkſamkeit galt
jegt wieder „unjerm größten Feind”, den Defterreihern, die ihm joeben eine
jehr unliebjame Ueberraſchung bereitet hatten. Zuerſt am 11. Oftober wurde
er gewarnt vor einem Anjchlag des in der Lauſitz zurüdgebliebenen öfterreihiichen
Corps auf Berlin. Anfangs fnüpfte er an die Nachricht die Hoffnung, daß bei
diejer Gelegenheit der öjterreichifche Uebermut gebrochen werben jolle, wenn Prinz
Moritz, von Leipzig vorausgeeilt, den Feind „zwaden und aufhalten” fonnte, bis
Ton Kolin nad Leuthen. 127
er jelbit von der Saale her und Herzog Ferdinand von Magdeburg ihm in den
Rüden fommen würden. Nun aber blieb das Corps des Freiherrn v. Marjchall
bei Baugen ftehen, nur ein fliegendes Corps von nicht mehr als 3400 Mann
unter dem verwegenen Parteigänger Hadik erſchien am Vormittag des 16. Oktober
vor dem fchlefiichen Thore von Berlin, dem Prinzen Morig um einen ftarfen
Tagesmarid voraus. So ſchwach und minderwertig die Bejagung der Haupt:
ſtadt war, unter einem fähigeren und entjchloffeneren Kommandanten als dem
General Rochow hätten dieſe Landmilizen, Garnijontruppen und Refruten das
Eindringen des Feindes wohl verhindern können. Ueber die Köpenifer Vorjtabt
it Hadif, während der Hof und die Minifter nad) Spandau flüchteten, allemal
nicht hinausgelangt; er begnügte fi mit einer Brandfchagung von 215 000 Thalern
und nahm ſich in unbegreifliher „Werblendung”, wie der Minifter Findenftein
meinte, nicht die Zeit, die Hülfsquellen der preußifhen Landesverteidigung an
ihrem Urfprung abzuſchneiden, die Tuchmanufafturen, das Arjenal und das
Gießhaus, die Gewehrfabrifen und Pulvermagazine zu zerftören oder auszu:
plündern. Schon beim Morgengrauen bes 17. verließ er Berlin, am Abend
hielt Seydlig mit jeinem Küraffier-Regiment und den grünen Huſaren unter dem
Jubel der Bevölkerung feinen Einzug in die befreite Stadt.
Durh acht Gewaltmärihe ftarf mitgenommen, fonnten die preußijchen
Truppen den eilends abgezogenen Feind nicht mehr einholen. Und da er aud,
öftlich über Storfow und Lieberoje ausbiegend, dem von Torgau bis an bie
ihwarze Elfter vorgerüdten Könige nicht auflief, jo entging Hadik dem ihm zu=
gedachten Schidjal, mit feinen Truppen lebend oder tot abgefangen zu werden, und
führte den „geraubten Plunder“ bis auf einen von Seyblig ihm wieder abgejagten
Geldwagen glüdlih von dannen. Um den Hof und die Behörden nicht einem
neuen Handftreih auszujegen — ſchon war im Norden der Mark der Schwede
bis Prenzlau vorgedrungen — wies ihnen der König jet Magdeburg als Auf:
enthaltsort an. Das aus Sachſen herbeigeeilte Heer erwartete bereits eine andere
Aufgabe als der Schuß der Hauptitadt.
Friedrihs Plan war, geradewegs auf Görlik zu marſchieren, wo die Defter:
reicher ein Lazarett mit 4000 Kranken hatten, und dadurch den bei Bauten
auf dem Wege ftehenden Freiherrn von Marihall zum Schlagen zu zwingen.
War deſſen Corps über den Haufen geworfen oder hatte es ohne Rückſicht auf
das Görliger Lazarett freimillig die Laufig geräumt, fo gedachte der König die
Belagerung von Schweibnik zu ftören, zu der fich die Defterreiher eben an-
ihidten, und im Zufammenmwirfen mit dem Herzog von Bevern das öfterreichiiche
Hauptheer aus Schleſien hinauszubrängen.
Da fam am 23. Oftober wider alles Vermuten die Nachricht, daß beide
Corps des verbündeten Heeres, Soubife und Hildburghaufen, im vollen Marche
jeien. „Hier ändert fi jehr viel in einem Tag,” jchreibt der König, noch aus
dem Lager von Grochwitz an der ſchwarzen Elfter, dem Defjauer und befiehlt
ihm, bei Torgau zu ihm zu ftoßen. Mit aller Lebhaftigfeit ergreift er die Hoff:
nung, daß es nun doch nod mit diefem Feind zur Schladt fommen wird. An
Bevern jchreibt er, das Ganze folle nur einen Auffhub von acht Tagen für
den Zug nah Sclefien ausmahen. Am 28. waren feine drei feit Mitte Sep:
128 Sechſtes Buch. Dritter Abfchnitt.
tember getrennten Corps!) bei Leipzig vereinigt. Prinz Mori hatte von Berlin
aus 23 Meilen in jehs Tagen zurüdgelegt. „Gottlob, des Königs Armee ift
von dem beiten Mut und allem guten Willen,” bezeugt Eichel, „To daß ſolche
durchgängig nicht fräget, wie ſtark der Feind, fondern nur, wo er ift, um
rehtihaffen und brav gegen benjelben arbeiten zu fönnen.” Nad fait unaus:
geſetztem Marjchieren murrten die Leute, daß fie zunächit in Quartiere gelegt
wurden. Sie wollten gegen den nahen Feind lieber heute als morgen losge:
lafjen werben.
Das bisherige Verhalten der Franzoſen war wohlerwogen und ganz folge:
richtig. Der dem Fürften Soubije vorgezeichnete Feldzugsplan bielt ſich von
vornherein in bejcheidenen Grenzen. Genug, wenn ausreihende Magazine für
den Winter und für den nächlten Feldzug angelegt und wenn bis zum Früh—
jahr die Vorbereitungen für die Belagerung von Magdeburg getroffen wurden.
Die Winterquartiere jollte Soubije an der Saale beziehen und von dort aus
die Verbindung mit dem Deere Nichelieus unterhalten. Daß der König von
Preußen fih nad Thüringen vorwagte, geihah den Franzoſen wider alles Er:
warten. Bernis hatte es dem Wiener Hof zur Ehrenpflicht zu machen gelucht,
das preußifche Heer durch zwiefadhe Uebermacht in Schach zu halten, und hatte
durch den Botſchafter Stainville vor dem nadhteiligen moraliihen Eindrud ge:
warnt, den ein preußiicher Vorftoß mitten ins Reich hinterlaſſen müſſe. Um:
gekehrt ließen die Defterreiher durch Stainville dem franzöfiichen Feldherrn die
Erwartung ausſprechen, daß er bei jeiner Ueberlegenheit an Zahl es fich nicht
nehmen lafjen würde, den König von Preußen zu ſchlagen. Aber der Feldherr
und jein Hof dachten ganz anders. Sehr richtig urteilte Belle-Jsle, daß die
Verweigerung der Schladht den Gegner in die peinlichite Verlegenheit ſetzen
müfe, und jo erhielt Soubije die gejcheite Weifung: „Der König ift über:
zeugt, daß Sie zu viel auf Ihren Ruhm geben, um ohne Not fich dem zweifel—
haften Ausgang einer Schlacht auszujegen.” Soubife zeigte für feine eigen:
artige Aufgabe viel Verftändnis und traute fih das Geihid zu, feine paffive
Kriegsführung jo wirkungsvoll zuzuftugen, dab doch auch die Gloire nicht zu
kurz kommen follte; er jchreibt am 27. September, als Friedrich noch mitten
in Thüringen ftand: „Das wichtigite ift, wenn der König von Preußen fih von
Erfurt zurüczieht, daß wir den Augenblid wahrnehmen, ihn zu verfolgen, da—
mit wir jagen können, wir jeien es geweſen, die ihn zum Rüdzug gezwungen.“
Nicht anders als Soubife verfuhr Richelieu; auch er war entidhloffen, einen
Waffengang mit den Preußen zu vermeiden, und arbeitete jeit Anfang Dftober
geradezu auf eine Art Waffenftillftand bin, um feiner Winterruhe in den be:
jegten welfiſchen Gebieten deſto ungeftörter fich freuen zu können.
Das Widerjpiel hielt der Thatenſcheu der Franzofen der Eifer des Be—
fehlshabers der Neihötruppen.?) Prinz Joſeph Friedrih von Sachſen-Hildburg—
haufen, öjterreihifcher und des heiligen römischen Reichs Generalfeldmarichall,
damals fünfundfünfzigjährig, war trog feiner Miferfolge vor zwanzig Jahren im
118.
. 122.
) Vgl. oben
) Vgl. oben
{v er
Ton Kolin nad Yeuthen. * 129
Türkenkriege durch die Gunſt der Kaiſerin-Königin nach langer Ruhezeit, „ver:
roſtet“ wie er ſelbſt ſagte, wieder hervorgezogen worden, nicht zum mindeſten
ſeiner altfürſtlichen Geburt halber, um dem Fürſten Soubiſe, der in dem ver—
bündeten Heere ſich mit der zweiten Stelle begnügen mußte, die Unterordnung
zu erleichtern. Nur mit ſchwerem Herzen drängte der Oberbefehlshaber fort
und fort zum Vormarſch, und nur auf immer erneute Befehle aus Wien. Er
ſei durch Kuriere, klagte er nachmals, „dergeſtalt zum Avancieren animieret,“
daß es wirklich den Anſchein gehabt habe, als ob an feiner Herzhaftigkeit ge:
zweifelt würde.
Die neuefte Bewegung der Verbündeten war veranlaft dur die Kunde
von dem Aufbrud Hadiks nah Berlin und durch den in Wechſelwirkung er:
folgten Abzug der Preußen von der Saale. Soubije war der Reichsarmee
zögernd gefolgt. Hildburghaufens Abficht, fein jogenannter großer Plan zur Be:
freiung Sadjens, war, dem Corps des Barons Marichall, der auf Geheiß der
Kaiferin aus der Lauſitz berbeieilen jollte, an der Elbe die Hand zu reihen und,
falls König Friedrich umfehrte und ſich ihm entgegenwarf, es auf eine Schlacht
anfommen zu laſſen.
Nun waren die Preußen unverfjehens da, und alsbald gingen die Meinungen
ihrer Gegner wieder weit auseinander. Der deutjche General, zwiſchen Saale
und Elfter bei Teuchern gelagert, wollte das gefamte verbündete Heer bei Lügen
für den Kampf zufammenziehen; fein franzöfifher Sekundant zu Weißenfels
weigerte fi, die Truppen feines Königs über die Saale zu nehmen und berief
fih auf ein foeben aus PVerfailles eingetroffenes Verbot. So mußte auch Hild-
burghaufen am 30. Dftober das rechte Ufer verlaffen und den Winkel zwifchen
Saale und Unftrut unterhalb des Zuſammenfluſſes aufjudhen. Wäre der König
von Preußen einen Tag früher von Leipzig aufgebroden, er hätte die ſchwache,
elende Reichsarmee noch diesjeits fallen und erbrüden fünnen. Der Ruhetag,
den er jeinen durch jo viel Gewaltmärſche ermüdeten Truppen gönnte, ließ ihn
den Teilgewinn verfäumen zu Gunften eines baldigen ganzen und vollftändigen
Erfolges: heute Sieger über Hildburghaufen, würde er den vorfichtigen Soubife
ſchwerlich morgen oder jemals vor feine Klinge befommen haben.
Bis die von den Verbündeten zerftörten Brüden bei Weißenfels, Merſe—
burg, Halle wieder hergeftellt waren, vergingen mehrere Tage. Erft am 3. No:
vember führten die Preußen an allen drei Punkten ihren Uebergang aus und
vereinigten fi bis abends um 7 Uhr im Lager von Braunsdorf. Die Schiffe:
brüde bei Weißenfels lieg der König, ein zweiter Ferdinand Cortez wie man
im Heere jagte, abfahren, um dem Gegner die Möglichkeit zu nehmen, hier
auszumeichen und wieder auf das rechte Saale:lifer zu gehen.
Den Uebergang den Preußen zu verwehren oder zu erfchweren, hatten bie
Gegner nicht verſucht; es jchien geratener, fi auf den Höhen bei Mücheln, die
Front gegen Merjeburg, eng zujammenzufchließen und dort den Angriff abzu:
warten. Auch Soubife, vor furzgem dur 20 Bataillone und 15 Schmwadronen
aus dem Lager Richelieus verftärkt, glaubte jegt ehrenhalber im Angeficht des
kleinen preußiichen Heeres nicht zurüdgehen zu dürfen. Die Parteien lagerten
nur eine Stunde voneinander entfernt.
Koſer, Aünig Friedrich der Große 11. 2. Auf, 9
130 Sechſtes Buch. Dritter Abſchnitt.
Am 4, November morgens um 4 Uhr marjchierten die preußichen Truppen
linfs ab, um den Feind in jeiner rechten Flanke zu umfaflen. Es zeigte ſich,
daß er jein geitern Abend von dem Könige perſönlich ausgekundichaftetes, unvor:
teilhaftes Lager über Nacht gejchidt verändert hatte. Die neue Stellung, in
der Rechten dur den Wald von Branderobe, in ber Linken bei Mücheln dur
weichen Wiejengrund, in der Front durch einen tiefen Einjchnitt gededt, bot
der Reiterei fein Angriffsfeld und fonnte auch von der Infanterie nur durch
einen rontalvorftoß bezwungen werden, zu deſſen Durchführung die Heine Zahl
der preußiichen Bataillone nicht auszureichen ſchien. Der König ging deshalb
gegen 9 Uhr morgens über Schortau zurüd und bezog dem Feinde gegenüber
ein neues Lager zwiſchen Roßbah und Bedra. m Heer der Verbündeten ver:
breitete ji lärmender Jubel; bei allen Truppenteilen ward das Spiel gerührt,
das Geſchütz donnerte den Abziehenden nah, als gelte es Victoria zu jchießen;
man fonnte, jagt Friedrih, der frangöfifhen Fanfaronnade nur das deutſche
Phlegma entgegenjegen.
Lange konnte der heute jo ftolze Feind, von feinen Magazinen durd die
Unjtrut getrennt, hier in Kälte, Blöße und Hunger nicht ausharren. Die Reichs:
truppen waren jchon jeit mehreren Tagen ohne Brot und Fourage. Man
mußte ſich zurüdziehen oder ſich fchlagen. In der gehobenen Stimmung bes
Augenblid3 erhielt der Reichsfeldmarfhal von dem franzöfifhen General für
den kommenden Tag die Zuftimmung zum Angriff. Und da das preußiiche
Lager in ber Front unzugänglid war, entihied man fich für einen Rechts—
abmarjch in der Richtung auf Merjeburg, durd den man den Preußen die linfe
Flanke abzugewinnen gedachte. Soubife entjandte einen Kurier nach Berjailles,
der unterwegs jhon im voraus verkündete, am 5. November jei der König von
Preußen ficherlich total geichlagen worden. Die in unmittelbarer Nähe zu Klein
Jena, Freiburg, Köjen befindlichen Truppenteile, ungefähr ein Drittel des ganzen
Heeres, fajt 21000 Mann von 64000, verfchmähte man in dieſer Sieges—
zuverficht heranzuziehen. Bon den 43000 im Lager waren drei Viertel Franzojen.
Um 8 Uhr am nädften Morgen warb Generalmarſch geichlagen, aber da
Soubije heute wieder jehr ſchwankend war, fam Mittag heran, ehe die legten
Abteilungen fih in Marſch jegten. 8 Bataillone und 12 Schwadronen, unter
dem Grafen St. Germain, und Loudon mit feinen Kroaten und Huſaren, im
ganzen 6—7000 Mann, blieben auf den Höhen von Schortau und Gröft zur
Beobachtung des preußijchen Lagers.
Sein Fernrohr vor dem Auge beobachtete König Friedrich ſeit der achten
Morgenitunde vom Söller des Roßbacher Herrenhaufes durch eine Deffnung des
Daches — er hatte die Ziegelfteine herausnehmen laſſen — die Bewegungen jeiner
Feinde. Der Gutsverwalter gab Auskunft über die Dertlichkeiten, Patrouillen
braten widerjprehende Nachrichten. Es blieb unficher, ob die Verbündeten
über die Unftrut abziehen oder ob fie nad der Merjeburger Seite fi ins offene
Feld wagen würden, was Friedrich wünſchen mußte und doc für das Unwahr:
ſcheinlichere hielt. Eine faljhe oder übereilte Bewegung von jeiner Seite, fagte
er fich, konnte alles, was ſich vielleicht günstig vorbereitete, verderben. Endlich
verließ er jeinen Beobadhtungspoften und ſetzte fich zu Tiihd. Da bradte ihm
Von Kolin nad Leuthen. 131
Kapitän Gaudi, es war 2 Uhr geworden, bie noch ungläubig aufgenommene
Meldung, dab der Feind wahrhaftig anmarjchiere. Auf den Dachboden zurüd:
geeilt jah der König, wie die Marjchlolonnen vor Pettſtädt am Obſchützer Wald
nicht die Straße nad Naumburg einſchlugen, fondern fich nach Lunſtädt wenbeten,
wo der das preußiihe Lager in der Front dedende Moraft jein Ende nahm.
Sofort warb der Aufbruch befohlen. Die Pferde waren jchon gefattelt,
binnen wenigen Minuten verfhwanden, zum Staunen des Feindes, die Zelte
„wie eine Theaterbeforation”, nur einige Schwabronen Hufaren und Mayrs
Freibataillon blieben, um dem Mari gegen diefe Beobachter den Rüden zu
deden, auf dem Lagerplag zurüd. Für den Kampf waren nur nod) 26 Ba:
taillone und 38 Schwadronen verfügbar, etwas über 20000 Mann. Um "23 Uhr
wurde abmarjciert, in der Richtung des Höhenrüdens, der fih vom Lager nad
dem janushügel hinzog. Man hatte nur die halbe Sehne des großen Bogens
zu durchmefjen, in welchen die Gegner feit dem Morgen marjdierten, und konnte
jiher fein, die Deffnung zwifchen Lunftädt und den Anhöhen bei Reichert:
werben, durch die fie zu debouchieren gedachten, vor ihnen zu erreihen. Den
für den Angriff beftimmten linken Flügel führte Prinz Heinrih, den rechten
der ſich zurüdhalten und hinter dem Leibebah Dedung ſuchen jollte, Ferdinand
von Braunfhweig; an Reiterei waren biefem Flügel nur die Feldwachen
zugeteilt, die nun, um den Schein einer Dedung zu erweden, ein Glied hoch
in langer, dünner Linie aufgeitellt werden mußten. Die gejamte übrige Kavallerie
unter dem Befehl des jüngften Generalmajors, des jehsunddreißigjährigen Seyblit,
jegte fih im Trab an die Spite des Fußvolfs; fie marſchierte am Fuße des
Bergrüdens, durch die Höhe den Bliden des Feindes völlig entzogen. enjeits
plänfelten nur einige Huſaren.
Noch ſetzte die Reiterei der Verbündeten in zwei Iangen PBarallelfolonnen
ahnungslos ihren Marſch fort, da faulen ihr vom Janushügel die Geſchoſſe
einer unverjehens aufgefahrenen Batterie entgegen, und zugleid tauchen über
der Höhe hinter Reihertswerben Mann und Roß auf, eine lange prädtige Front,
15 Schwabronen, Dragoner und die Leibküraffiere, in zwei Gliedern. Den Säbel
in der Fauft, mit verhängtem Zügel, „wie ein Blit”, jagen fie ben Hang hinab.
> Schwadronen grüne Huſaren bredhen in der linfen Flanke des Anmarjches
aus dem Hinterhalt hervor. Die enggeichlofienen Marſchlinien, die eine 16, die
andere 17 Schwahronen tief, ſehen fi durch den ſtürmiſchen Anprall völlig
überraſcht, eingewidelt, umgeftoßen. Nur bie Eaiferliden Kürajjierregimenter
Pretlad und Trautmannsdorff und die württembergifhen und ansbachiſchen Dra—
goner haben Zeit gehabt, in Schwadronen rechts und links auszuſchwenken, und
fallen nun unter perjönlicer Führung bes Reichsfeldmarſchalls auf die Angreifer;
Kopf an Kopf halten die Rofje gegeneinander, die Reiter hauen fi ins An—
geficht, die Kaiſerlichen brechen durch. Schon aber find aus dem zweiten preußifchen
Treffen 18 Schwadronen Küraffiere zur Stelle, von Seydlig jelber geführt, die
Zurüdgewichenen ſchließen fi wieder an, „und jo geht alles, Küraflier, Dra-
goner, Hufar, wie die Furien in den Feind hinein”, Die Neiter von der Reiche:
armee find bereits unfichtbar geworden. Wohl greift jetzt der Herzog von Broglie
mit 10 Schwabronen Franzofen in den Kampf ein, wohl ſprengt vom andern
132 Sechſtes Bud. Dritter Abichnitt.
Flügel der Naugraf mit 8 Schwadronen herbei — vergebens, alles muß den
Kampfplag räumen und die Infanterie ihrem Schidjal überlafien.
Sie war nicht überrumpelt worden, wie die Neiterei; denn die preußifchen
Bataillone, im Marſch zurüdgeblieben, entwidelten ſich erft, als der Reiterfampf
bereits tobte. In dem Augenblide, da das preußifche erite Reitertreffen wich,
erboten ſich die franzöſiſchen Dffiziere gegen Hildburghaufen, mit dem Bajonett
auf das preußifche Fußvolf loszugehen. Das erjte Treffen rüdt mit mehr Elan
als Ordnung an, die Bataillone teils noch in Kolonne, teils ſchon zur Linie
entwidelt, eine ungleichartige, ungelenfe Schlachtreihe; dahinter ftopft ſich wider
alle Vernunft die Referve in den Zwiſchenraum zwijchen den beiden Treffen ein,
wo bereits die ganze Artillerie fi in ftodender Enge feitgefahren hat. Bei
den Preußen vollzieht fi der Aufmarſch um jo glatter, tadellos. In wohl:
gegliederter Staffel jchieben fi die Bataillone des linken Flügels ſchräg auf
ben Feind zu. Zwei Grenadierbataillone, zum Schuß des Angriffsflügels als Hafen
vorgezogen, bringen ſich durch eine Rechtsſchwenkung in die Flanke des Feindes
und nehmen ihn auf 50 Schritt unter ihr verheerendes Pelotonfeuer, eine Com:
pagnie der Brigade Piemont wird fait ganz zu Boden geftredt. Um die Haltung
diefer Infanterie iſt es gejchehen.
Auch die anderen preußiihen Bataillone veriparen ihr Feuer bis auf
nächſte Nähe. Dem Regiment Alt:Braunichweig reitet der König vorauf, etwa
20 Schritt vor der Front. Ein breiter Graben kann die Vormwärtseilenden nicht
beirren, die Behendeiten erflimmen die Böſchung und ziehen die Kameraden an
den Armen nah; jchnell wieder gerichtet ftürmt die Linie weiter. „Water, aus
dem Wege, daß wir jhießen fönnen,” rufen dann die Musfetiere dem Könige
zu. Die frangöfifche Infanterie, deren Feuer man befommen hat, ift ſchon
verſchwunden. Nun läuft ein Hohlweg dem Regiment quer entgegen und nötigt
es, ih zu fpalten. In diefem Augenblide kommt Kavallerie angejprengt,
mit Heftigfeit befiehlt der König, die Lücke zu ſchließen; al® das nit an-
geht, ruft er den Burſchen einfach zu, fie jollen ihnen tüchtig unter die
Nafe pfeffern. Eine mwohlvorbereitete Salve treibt die Reiter in die Flucht, ihr
Führer fällt.
Im ganzen find von den Preußen nur 7 Bataillone zum Schuß gelangt,
und das Feuergefecht der Infanterie währte nicht über eine Viertelftunde; zu
raſch löften fich bei dem Feinde alle Bande der Ordnung. Das Hintertreffen
war zuerft geflohen, entweder weil es Seydlitz unter die Klinge zu kommen
fürchtete, der jet Front gegen des Feindes Rüden bilden ließ, oder wirklich
ganz ohne erfichtlihen Grund, wie nachher einer der franzöfiihen Generale be-
hauptet hat. Als die zwiichen die beiden Treffen vorgerüdte Referve und das
allein ins Feuer gekommene erfte Treffen dem jchlechten Beispiel folgten, blieben
auf dem eilends geräumten Plane nur die Kanonen ftehen, alle Batterien des
rechten Flügels und des Zentrums bis auf eine einzige, dazu faft fämtliche Ba—
taillonsgeihüge. Wie hätte da die Reichsinfanterie, die fich links neben dem
franzöfiichen zweiten Treffen formierte, ftand halten jollen? Die fränkischen
und turbairiſchen Bataillone warfen das Gewehr weg, als die Preußen noch
weit entfernt waren; in befjerer Ordnung traten nur das in kaiſerlichem Sold
Von Kolin nad) Zeuthen. 133
ftehende blaue Regiment Würzburg und das darmftäbtiiche Bataillon unter
feinem Prinzen Georg den Rüdzug an.
Wo auf der allgemeinen Flucht noch Widerftand geleiftet wurde, ging er
von einzelnen Trupps aus. „Alles vermengte ſich,“ jagt ein franzöſiſcher Schladht-
beriht, „und es war unmöglich, eine Ordnung wieberherzuftellen oder Einhalt
zu thun, obgleih Soubife und alle Generale und Offiziere thaten, was thun-
lid war. Die preußiihe Infanterie folgte der unfern, gab ihr Feuer ab,
jobald einige Truppen fi zu ſammeln begannen, und ſchoß in ftetem Marſch,
ohne daß ein einziger Mann aus Neih und Glied fam. Die Artillerie — auch
die Pofitionsgefhüge folgten troß feiner eiligen Flucht dem Feinde nah — zielte
ununterbrochen auf uns.” Hildburghaufen aber berichtete an den Kaifer Franz:
„Wenn man meinte, eine Esfadron oder ein Bataillon bei einander zu haben,
durfte nur eine einzige Stüdfugel dazwiihen fahren, da lief alles wie Schafe
davon; unjer größtes Glüd war, Allergnädigfter Herr, daß es Nacht geworden
ift, jonjten wäre, bei Gott, nichts davongefommen.”
Auf den Höhen bei Freyburg zündeten die erften Flüchtlinge Feuer an, als
Wegzeihen für die in der Dunkelheit Nachfolgenden. Alles ftrömte nun dorthin
der Unftrutbrüde zu. Die ganze Naht hindurch wurden Truppen und Troß
übergeführt.
Als die Flucht ſchon allgemein war, erjchienen von Schortau her 5 Reiter:
regimenter vom Corps bes Grafen St. Germain und hielten eine Zeit lang
hinter Pettjtäbt, ohne angegriffen zu werben. Denn über das Schlachtfeld hinaus
find die Gejchlagenen nicht verfolgt worden. Die preußifche Reiterei, die ſich
zum Nachſetzen anſchickte, ftieß bei der ſchnell einfallenden Nacht in dem durch—
ſchnittenen Gelände auf Hinderniffe; bei dem Verſuch, einen Graben zu nehmen,
hinter dem fich eine dünne Anfanterielinie zeigte, ward Seydlig, wie vorher
ihon Prinz Heinrich, verwundet. Auf der Höhe von Obſchütz angelangt, ließ
der König das Ganze Halt machen. Die Leute würden, wie uns ein Offizier
verjihert, beim beften Willen nicht weiter gefommen jein, da fie zwei jtarfe
Stunden hindurch unausgejegt hatten traben müſſen. Unter freiem Himmel
lagerte man fich, die Kälte war fchneidend, die Soldaten lafen die von ben
Flüchtlingen weggeworfenen Gewehre auf und jchichteten die Schäfte für ihre
Wachtfeuer zufammen. Ningsum, wohl aus jedem Negiment heraus, fliegen die
jeierlihen Klänge ihrer Choräle zum nädtlihen Himmel empor. „Der hätte
ein Unmenſch fein müfjen“, erzählt uns einer biejer gottesfürdhtigen Kriegsleute,
„der da nicht hätte einſtimmen wollen.” Tiefen Eindrud machte dabei auf die
Zufchauer die fromme Andacht des rauhen Prinzen Morig.
Der König nahm fein Nachtquartier an der Saale in Burgwerben; bie
Schloßherrin ließ er ihr Linnen hergeben, um den verwundeten Franzojen Ber:
bandzeug zu ichaffen. Bon hier fertigte er einen Adjutanten mit ber Sieges—
botichaft an die Königin nad Magdeburg ab. Der Markgräfin aber jchrieb er
an dieſem Abend: „Nach fo viel Unruhen, wohlan, dem Himmel jei Dank, ein
günftiges Ereignis, und es joll gejagt fein, da 20000 Preußen 50000 Fran:
zojen und Deutihe geichlagen haben. Jetzt werde ih mit Frieden in Die
Grube jahren, nahdem der Ruf und die Ehre meines Volfes gerettet iſt. Wir
134 Sechſtes Buch. Dritter Abſchnitt.
können unglüdlih fein, aber wir werden nicht entehrt fein. Sie, meine teure
Schwefter, meine gute, göttliche, zärtlihe Schweiter, da Sie an dem Geidid
eines Sie anbetenden Bruders teilzunehmen geruben, teilen Sie jegt auch meine
Freube.” on
Erft der nächte Tag offenbarte die ganze Größe des Erfolgs. Zunächſt
war fein Feind zu fehen, aber die Straßen waren wie befät mit Hüten und
Kürafjen und Reiterftiefeln, deren fih die Fliehenden entledigt hatten. Aus den
Dörfern und Wäldern jchleppte das Landvolf die Verjprengten herbei und über:
lieferte fie gegen ein Kopfgeld den preußifchen Soldaten. Bei Edartsberga er:
blidte man endlich am Nachmittag den Feind, Reichstruppen, die eben ein Zager
beziehen wollten. Sie waren an der Saale von 16 detadierten Bataillonen
aufgenommen worben; jetzt genügte das Erjcheinen einiger Qufaren, um alle, die
geichlagenen und die friſchen Truppen, durch die Hohlwege Reißaus nehmen zu
lafien, und zwar, wie Graf Holnftein, der Führer des bairiihen Kontingents,
klagte, „mit ſolcher Inquidtance, daß die hohe Generalität fih gezwungen ſah,
fih ebenfalls nah der Retirade umzufehen“. Es war ein Laufen, „noch viel
jchneller und Iuftiger anzufehen, als das nah der Haupt: und Gtaatsaftion
jelbft”. Nur eins der fränfifhen Regimenter harrte in unbeſchreiblicher Kälte
und bei dem jchärfiten Wind „mit zweitägigen nüchternen Mägen” bis in die
Naht aus. Im Lager bei Weimar blieb man am 7. ungeftört, aber wieder
ohne Stroh, Holz und Zelte. Raſttag wurde erft am 10. November bei Saal:
feld gehalten. Am 15. überjchritten die Trümmer der Reichsarmee bei Lichten:
feld den Main.
Noch eiliger hatten es die Franzofen. Soubife hatte am Abend der Schlacht
ih vermeflen wollen, die Unftrut:Zinie zu behaupten, nachher aber gönnte auch
er fih erit am jechiten Tage Raſt, in Norbhaufen, wo Hülfe von Richelieu ihn
erwartete. So waren bie Heere, die am 5. aus gemeinſamem Lager zur Schlacht
ausgerüdt waren, am 10. um mehr als 15 Meilen voneinander getrennt.
Wie richtig vermutete einer von den Reichiſchen voll Selbitironie, daß es
nun einen großen Präcedenzftreit zwiſchen Deutfhen und Franzoſen geben werde,
„wer am eriten und geſchwindeſten weggelaufen ſei“. „Unfere Dispofition war,
wie ich meine, jehr gut”, jagt Soubife in einem vertrauligen Brief, „aber der
König von Preußen hat uns nicht die Zeit gelafien, fie auszuführen. Vor allen
Dingen gilt es jebt, ſoweit e& angeht, die Ehre der Nation zu retten und das
Unglüd auf die Neihstruppen zu fchieben.“ Bergeblihes Bemühen! Hören
wir Voltaire: er hatte jüngft gemeint, daß nur eine enorme öſterreichiſche oder
frangöfiihe Dummheit feinen alten Schüler noch retten könne, und hatte das ſüße
Rachegefühl gefoftet, „einen König tröften zu dürfen, der ihn mißhandelt habe.“
Roßbach war noch etwas mehr als eine „enorme Dummheit“. „Jetzt bat er
alles erreicht”, jchreibt Voltaire enttäufcht, „was er immer ſich erjehnt hat: den
Franzoſen zu gefallen, ſich luftig über fie zu machen, und fie zu ſchlagen ...
Die Nahwelt wird immer ftaunen, daß ein Kurfürft von Brandenburg nad
einer großen Niederlage gegen die Defterreiher, nad dem völligen Ruin feiner
Bundesgenofien, in Preußen durch 100000 fiegreihe Ruſſen verfolgt, von zwei
Von Kolin nah Yeuthen. 135
franzöfiihen Heeren bedrängt, die gleichzeitig auf ihn fallen können, es fertig
befommen bat, allen zu mwiderftehen, feine Eroberungen zu behaupten und eine
der denkwürdigſten Schlachten diejes Jahrhunderts zu gewinnen. Ich verbürge
mid dafür, daß er jegt den Klageliedern Epigramme folgen lafien wird. Für
die Franzoſen im Ausland ift gegenwärtig feine gute Zeit. Man lacht uns ins
Geſicht, als wären wir die Adjutanten des Herrn von Soubije geweien.” Eine
treffende Kritik, fchneidender als alle Chanfons und Wibeleien der Barifer über
diejen Soubije, der mit der Laterne erft das preußiſche Heer und dann jein
eigenes ſucht und einen Mieter für fein Haus verlangt, weil er wieder die
Kriegsſchule zu beziehen gedenft.
Es war nicht anders: die bisher jo ftolzen und jo gefürdteten Franzoſen
mußten jet mit der von ihnen ſelbſt veracdhteten Reichsarmee, der Reißaus—
Armee, die Bürde der Lächerlichkeit zu gleichen Teilen tragen. In aller Mund
war das Spottverslein auf die ganze Gejellichaft:
Und fommt der große Friederich und Flopft nur an die Holen,
So läuft die ganze Reichdarmee, Panduren und Franzoſen.
Bei den Reichstruppen miſchte fih in das unabweisbare Gefühl der Be:
ſchämung unverhüllte Schabenfreude über die Demütigung der Franzoſen, aber
auch über die eigene Niederlage. Die fränkiſchen Kreisregimenter hatte Soubije
ihon vordem als „ganz preußiſch gefinnt” bezeichnet — das war die Gefinnung
der evangelifhen Truppen insgemein. Und wenn noch etwas gefehlt hatte, die
Stimmung des proteftantiihen Volks gegen die Franzojen aufzubringen, fo
waren es die kirchenſchänderiſchen Ausjchreitungen, die ſich der franzöfiiche Soldat
in proteftantifhen Gebieten, auch den furfähliihen, die man befreien mollte,
zu Schulden fommen ließ. Den preußiihen Sympathien ber unfreimilligen Gegner
Preußens gaben die Feldbriefe getreuen Ausdrud, die der Sekretär oder „latei:
nische Adjutant“ des Prinzen Georg von Heſſen, der witzige Elſäſſer Mollinger,
nah Darmſtadt jandte: „Sch wollte,” jchreibt er während der großen Retirade,
„dem heiligen Römiſchen Rei unterthänigft ohnmaßgeblihit anraten, daß es
ih ja jo bald nicht wieder mit dem böſen Frige in ein Handgemeng einlafje,
da er uns jo fräftiglich erwiefen hat, daß er das Kriegshandwerf gar viel befier
als wir verftehe.”
Dem heiligen Reiche zu um jo größerem Torte, und um die Lacher vollends
auf die Geite des Königs von Preußen zu bringen, ward grade jett reiche:
fundig, daß am 14. DOftober zu Regensburg der brandenburgiiche Reichstags:
gejandte mit dem gerichtlihen Schergen des Reichshoffisfals nicht minder ſum—
marifch zu Werfe gegangen war, als fein Gebieter am 5. November mit den
bewaffneten Vollftredern der kaiſerlichen Mandate. Denn als der Notarius April
ihm die faiferlihe VBorladung an den König von Preußen mit der geftrengen
Schlußformel „Darnach weiß Er, Kurfürft, fih zu richten” hatte infinuieren
wollen, war der hitige Herr von Plotho, nad des Notari eigener Schilderung
in der jet der Deffentlichkeit übergegebenen Beſchwerdeſchrift, „in diefe Formalıa
wider ihn ausgebrochen”: „Was, du Flegel, infinuieren?”, hatte bem Erfhrodenen
ſothane Citation mit aller Gewalt vorwärts in den Rod geitoßen und gejchoben,
136 Sechſtes Bud. Dritter Abfchnitt.
ihn jelbit zur Thür hinaus gedrüdet und zween Bebienten zugerufen: „Werfet
ihn über den Gang hinunter!” Bon nun an waren bie beiden in deutjchen
Landen volkstümliche Geftalten, ſowohl
der Rechtsanwalt April,
Der zu Regensburg von der Treppe fiel,
wie jein Bebränger, „der Heine gebrungene Mann mit den ſchwarzen Feuer:
augen”, auf den fieben Jahre jpäter, als er in Frankfurt zur Kaiferwahl erfchien,
aller Augen und vor allen die rohen Augen des jungen Wolfgang Goethe ge:
richtet waren.
König Friedrih ftimmte in den Chor der Spötter, denen fein Roßbacher
Sieg jo dankbaren Stoff bot, mit grotesfen Scheibeliedern an die „parfumierten
Helden”, die zerfchmetterten „Ecraseurs* ein, denn Voltaire hatte richtig voraus:
geiehen, daß jegt die Zeit der Epigramme wiederfehren werde. Leber Weimar
hinaus fonnte der Sieger, durch unabweisbare Aufgaben gewichtigerer Art ab:
gezogen, die „Scheidenden” nicht verfolgen. Die Zahl der Gefangenen belief ſich
bis zum 12. November auf 6000, dazu 250 Offiziere; an Siegeszeihen zählte
man 15 Standarten, 7 Fahnen, 2 Paar Paufen. An Kanonen waren 72 er:
beutet, mehr als zwei Drittel der gegnerischen Artillerie. Nicht einmal der Troft
blieb den Befiegten, ihren Ueberwindern ein Feldzeihen abgenommen zu haben;
denn die erbeutete Standarte, von welcher der Wiener Schlachtbericht erzählte,
ftellte fich bei näherer Belichtigung als eine württembergifche heraus: die öfter:
reichiſchen Hufaren hatten fie in der allgemeinen Verwirrung den eigenen Bundes—
genoffen abgejagt und mußten fie naher „mit vielen höflichen Entſchuldigungen“
ihnen zurüdjenden. Den Preußen hatte diejfe „bataille en douceur* nur
156 Tote und 376 Verwundete gefoftet.
Die weitere Verfolgung der Franzojen, die eigentlihe Ausnugung bes
glänzenden Sieges und des paniſchen Schredens, mußte für den Winterfeldzug
in Niederſachſen vorbehalten bleiben, den Friedrih dem König von England
ſchon vor der Schladt in Vorſchlag gebracht hatte. Jetzt ſei es Zeit für die
Sannoveraner, erflärte er am 9. November zu Merjeburg ihrem General
Schulenburg, die Maske fallen zu laffen und mit fliegenden Fahnen vorzugehen,
ein mwohlapplizierter Tritt — — werde genügen, um von den Franzoſen für
den nächſten Sommer nichts mehr zu hören.
Ein Beobadhtungscorps brauchte er jegt an der Saale nicht mehr zurüd:
zulaffen. So ward die Abteilung des Feldmarſchalls Keith für eine Diverfion
nah Böhmen frei, durch die das öfterreichiiche Corps in der Lauſitz abgelenkt,
an etwaigen neuen Anjchlägen auf die preußiiche Hauptftabt verhindert werden
ſollte. Friedrich jelbit trat am 12. November von Yeipzig aus den jo lange
geplanten Mari nah Sclefien an, mit 18 Bataillonen und 28 Schwadronen,
nicht viel über 12000 Mann. Wohl war jept „das Eis gebrochen”, aber Roß—
bad war immer nur „ein erfter Anfang vom Glüd” und verjchaffte dem „irren:
den Ritter” gerade nur die Möglichkeit, neue Gefahren anderwärts aufzufuchen.
In Wien wie in Verfailles hatte man von dem Prinzen Karl nad jeinem
Einmarih in Schlejien erwartet, daß er der langen Unthätigkeit in der Laufig
Von Kolin nad Yeuthen. 137
jegt um jo entjcheidendere Schläge folgen laſſen würde. Er zittere für Karls
Ruhm, bedeutete der Kaifer feinem Bruder, wenn es dem fleinen preußifchen
Heer gelingen jollte, immer wieder zu entwilhen. Schritt für Schritt zurüd:
weichend, hatte Bevern doch veritanden, durch jein zeitweiliges, dem Könige an:
fänglih unerflärlihes Austreten auf das rechte Oderufer !) Breslau vor dem
Feinde zu erreihen und ſich auf dem linken Ufer die ſtarke Stellung zwiſchen
der Stadt und dem Lohefluß zu fichern. Dort ihn anzugreifen, hielten die
öfterreichiichen Generale, jeit dem 3. Dftober im Yager von Liſſa, für bedenklich
und ſchlugen der Raiferin vielmehr die Belagerung von Schweidnig vor. Maria
Therefia willigte ein, unter der Bedingung, daß nah Schweidnig „dieies häß—
lihe Breslau” an die Reihe fommen würde. Nabasby verließ das Hauptheer
mit 30000 Mann und hielt jeit dem 13. Oktober Echweibnig eingeſchloſſen.
Aller Welt zur Ueberrafhung fapitulierte die ftarfe Feltung, 16 Tage nad Er:
Öffnung der erften Parallele, jhon am 12. November.
König Friedrih erhielt die Nachricht von ber llebergabe am 19. noch in
Sadjen, zu Großenhayn. Er tadelte aufs jhärfite den Herzog von Bevern, daf
er jeinen Vorfat, während ber Belagerung das jo erheblich verringerte öfter:
reihiihe Hauptheer anzugreifen, nicht ausgeführt habe. Auf die Annahme, daß
Bevern das Berfäunte inzwiſchen, bevor Nadasdy wieder da war, nachgeholt
haben würde, gründete ſich Friedrihs Plan: hatte jein General gejiegt, jo wollte
er ſelbſt fih nah Hirfhberg und Landeshut wenden und Bevern jollte ihm den
geichlagenen Feind durd eine nachdrückliche Verfolgung entgegentreiben; war bie
Schlacht verloren, jo wollte Friedrih nad Glogau gehen und jeine gejchlagenen
Truppen dort aufnehmen. Als nun aber tags darauf die Meldung kam, daß
Bevern, nahdem Schweidnitz einmal verloren, den dem Heere für den 14. ſchon
erteilten Angriffsbefehl zurüdgenommen hatte, änderte der König feinen Ent:
ihluß und fündete dem Herzog jest jeinen Marſch nah Breslau an: „ch werde
dem Feind gerade auf die Flanke gehen, da Ew. Liebden ihn dann en front
attaquieren müjjen, jo daß wir mit Gottes Hülfe ihn gerade nad der Oder
dringen und jagen wollen.”
Am 24. November, nad) dem Uebergange über den Queiß, in dem Augen:
blid, da jein Fuß das fchlefiiche Land wieder betritt, wird dem König bie Nach:
riht zugetragen, daß Bevern die Defterreiher vorgeitern total geſchlagen hat.
Mit ibrer ganzen Lebhaftigfeit bemächtigt ſich feine Phantafie der willfom:
menen Neuigkeit und ihrer Tragweite. Dieſer Glückswechſel feit einem Monat
dünkt ihm fchier unerhört. Nun joll der Krieg ein Ende haben; man wird dem
geichlagenen Feinde den Rüdzug abjchneiden, ihn ganz und gar einjchließen, ihn
vielleicht zwingen, das Gewehr zu ftreden, ihn vernichten. Keith erhält den
Befehl, zu verſuchen, ob er nun fih in Böhmen behaupten, möglicherweife Prag
dur einen Handftreid nehmen fann.
Der ganze Tag verftreiht, auch die Nacht und der nächſte Morgen, ohne
dab eine Beltätigung von Bevern fommt. Der König bejchwichtigt jeine Un:
gebuld, indem er fich jagt, dab der Bote den Ummeg rechts von der Oder ein:
') Oben S. 125.
138 Sechſtes Bud. Dritter Abichnitt.
geſchlagen haben wird. Endlih it der Kurier da. Eine Schlaht hat am
22. November ftattgefunden, aber Bevern hat fie verloren.
Der entichiedene Befehl der Kaiſerin-Königin, nad dem Fall von Schweibnit
alsbald mit Breslau Ernft zu maden, hatte die Zagbaftigfeit der Generale über:
wunden. Zu fpät bereute Bevern, nicht nad) jeinem erjten richtigen Gefühl den
Feind während der Belagerung von Schweibnig aufs Geradewohl bei Liſſa an:
gegriffen zu haben. Die preußiſche Stellung an der Lohe, obgleich ſtark be:
feftigt, war viel zu ausgedehnt, um gegen den Angriff eines um das Doppelte
überlegenen Heeres mit Erfolg verteidigt zu werden. Wohl hatte in der unge:
dedten linken Flanke des Lagers, bei Kleinburg, Zieten feinen Partner von
Kolin, Nadasdy, erfolgreich abgewielen, in der Front aber waren nad langem
hartnädigen Kampf die vorgelagerten befeitigten Dörfer bis zur Dunkelheit den
Preußen entrifien. Beverns Abficht, durch nächtlichen Ueberfall die Sieger über
die Lohe zurüdzumerfen, mußte aufgegeben werben, da der Feldherr die über:
mübeten Truppen nicht mehr in der Hand hatte.
So ſchwer der Berluft der Schlaht von Breslau die preußiihe Sache
traf, der König ward in feinem einmal gefaßten Entihluß feinen Nugenblid
erſchüttert. Er befahl Bevern, die gejchlagenen Truppen ihm jenjeits der Oder
nach Leubus entgegenzufhiden, jelber aber Breslau bis aufs Aeußerfte gegen
eine Belagerung zu halten und einen Ausfall zu maden, wenn bas vereinigte
preußiiche Heer die Defterreiher vor der Stadt angreifen werde. Auch jest
noch hoffte er dem Feind die Schlaht mit verwandter Front aufzwingen, ihn
von feiner Rüdzugslinie nah Böhmen abdrängen, auf die Oder treiben zu
fünnen.
Völlig durchkreuzt wurden jeine Entwürfe erft durch ein neues Ereignis,
das ungleich verhängnisvoller war, als jelbit der Verluſt der Schladt. Am
Morgengrauen des 24. November war Bevern auf einem einfamen Erfundungs:
ritt den Kroaten in bie Hände gefallen und noch besjelben Tages hatte der greije
General Leſtwitz, fajjungslos in der allgemeinen Verwirrung, Breslau über:
geben. Nun war der Feind durch nichts in feinen Bewegungen gehemmt und
fonnte fi ohne Beforgnis vor einem Ausfall in eben dem Lager hinter der
Lohe verihanzen, das er am 22. in heißem Strauß ſich geöffnet hatte, und
das, von einer Ueberzahl gegen eine Minderheit verteidigt, als uneinnehmbar
gelten durfte.
Und doch konnte nichts als eine Schladt, eine große Schlacht, ein großer
Sieg die preußiſche Sache noch retten. Friedrich war zu allem entſchloſſen, und
mochten feine Gegner „auf dem Gipfel des Zobtenberges” fich verſchanzt haben.
jede neue Verfchlimmerung feiner Lage ward für die Ausführung des von An:
fang an Beichloffenen nur ein Grund mehr.
Am 28. November überihritt er zwei Meilen unterhalb des von den
Defterreihern bejegten Xiegnig die Katzbach und lagerte jih bei Parchwitz.
Durd die feit der Mitte des Monats andauernde milde Witterung begünftigt,
hatte er in dreizehn, nur durch drei Ruhetage unterbrodenen Märjchen vierzig
Meilen zurüdgelegt. Die Truppen, unterwegs neu eingefleidet und in Kantons
nementöquartieren durd) die Hauswirte beſſer, als es jonft aus den Magazinen
Ton Kolin nad Zeuthen. 139
geſchah, verpflegt, waren guten Mutes und brannten darauf, jett auch den Defter:
reihern ein Roßbach zu bereiten.
„Eure Ercellenz,” jchreibt Eichel am 1. Dezember aus Parchwitz an Finden:
ftein, „werben fi den Zuftand vorjtellen, in weldem unjer Herr nach fo viel
Unglüdsihlägen fih befinden muß, die ihn bier in Schlejien binnen furzem
getroffen haben, infolge der enormen Fehler, um nicht mehr zu jagen, einiger
feiner Generale. Indeſſen, Gott ſei gelobt, ift er davon nicht niedergebrüdt,
jein Herz ift zerriffen, fein Kopf bleibt friſch und gut, er denkt augenblidlich
nur daran, das Glück zu forrigieren und die Fehler der andern wieder gut zu
machen.“ Wie oft war der alte Mann in vergangenen Tagen und wieder jüngit,
als fteter Gehülfe bei der Tagesarbeit, Zeuge erjchütternder Seelenfämpfe, jelbit:
quälerifhen Grams und Zmweifels gewefen; jegt im härteſten Drange der Not,
da die Braviten den Kopf verloren, gewahrte Eichel bewundernd, wie jein König
„gewiß und wahrhaftig eine Feltigfeit zeige, die faft übernatürlih und, ohne
Schmeichelei gejagt, eben nur ihm ſelbſt ähnlih und eigen fei”. In Friedrichs
Briefen aus dieſen Tagen begegnet fein Zweifel, feine Klage mehr. Hatte ſchon
der Tag von Roßbach ihm das innere Gleihgewicht und das alte Selbftvertrauen
wiedergegeben, jo verichaffte ihm jegt fein unerjchütterliher Vorjag, ſich diesmal
durch feinerlei Bedenklichfeit vom Schlagen zurüdhalten zu lafjen, die tröftliche
Sicherheit, aus jeiner Bedrängnis in Fürzefter Friſt jo oder jo erlöft zu werben.
Eine legtwillige Verfügung, am 28. November aufgejegt, Tieht die beiden mög:
lichen Fälle vor: ging die Schlacht verloren, jo überlebte der König die Nieder:
lage nicht, und für diejen Fall hatte er dem Erben einer verlorenen Sache,
eines zuſammenbrechenden Staates nichts mehr zu raten. Fiel er als Sieger,
jo jollte der Nachfolger troß des Sieges unverzüglich einen Friedensunterhändler
mit Vollmadten nach Frankreich jenden.
Die härtefte Probe blieb jeiner Feitigkeit allemal erjpart, denn der volle
Umfang der Gefahr verhüllte fih ihm. Wie vor Kolin unterfchäßte er die Zahl
des Gegners. Willig maß er dem Gerücht Glauben bei, welches die Verluſte
der Deiterreiher in der legten Schlacht auf die Ziffer 24000 Hinauftrieb; den
eigenen Berluft wollte er, viel zu niedrig, nur auf 3—4000 Mann anfchlagen.
So ſchmeichelte er jich mit der Ausficht, nad) der Vereinigung feiner beiden Heere
einem höchſtens 40000 Mann ftarfen Gegner in ungefähr gleiher Zahl ent:
gegenzutreten.
Am 1. Dezember traf auf dem Ummege über Glogau die Vorhut des
ichlefiichen, jegt von Zieten befehligten Heeres ein, tags darauf die Hauptmafle.
Mit Ungeduld hatten die jeither jo unglüdlih geführten Truppen diefe Ver:
einigung berbeigejehnt; der gemeine Mann gab feiner Freude über die Gegen:
wart des Königs lauten Ausdrud. Friedrich Hatte die an der ſchmachvollen
Kapitulation von Breslau fchuldigen und mitſchuldigen Generale, Leitwig, Katte,
Kyau, bei ihrer Ankunft in Glogau verhaften laſſen und kündete ihnen ein
Kriegsgeriht an; das Heer aber empfing er, wie wenn bie Gefchlagenen als
Sieger fümen. Die Mannfhaften wurden wegen ihres tapferen Verhaltens in
der Schlacht belobt und erhielten reihlihe Verpflegung; von den Führern wurden
drei Generalmajors zu Generallieutenants befördert, darunter des Königs jüngiter
140 Sechſtes Buch. Dritter Abfchnitt.
Bruder Ferdinand, der an der Yohe die Fahne in der Hand dem Kugelregen
entgegengeitürmt war. Auf jede Art jollte der gejunfene Mut neu belebt werben.
Denn das Meußerite wollte der Feldherr von der Truppe verlangen. Es galt
nicht bloß, ein gejchlagenes Heer alsbald wieder an den Feind zu bringen; es
galt, fich einer Stellung zu bemäcdhtigen, deren Stärfe jeder in diefem geichlagenen
Heere aus eigener Anſchauung Fannte.
Vor Zittau hatte der König dur die Warnungen jeiner Generale fich
von dem beſchloſſenen Angriffe zurüdhalten laſſen.,) Diesmal ſollte jeder Ein:
wand vorweg abgejchnitten werden, niemand burfte in Ungewißheit darüber
bleiben, daß der Kriegsherr entjchloffen war, fein Heer bis auf den legten Mann
einzufegen.
So ließ er denn am legten Tage des Aufenthaltes zu Parchwitz die Generale
“und Stabsoffiziere zufammenrufen, um mit feiner „veutichen Rhetorik“ auf fie
“ einzumirfen. Durch jedes Band waren fie an ihn gefettet, feine Vaſallen, feine
Offiziere, feine Kampfes: und Leidensgenoffen. Viele hatten jeit Monaten ihn
nicht gejehen. Wie er nun in ihren Kreis trat, in feiner verſchliſſenen Uniform,
gealtert, abgemagert, das große Auge ernit auf die erwartungsvoll Verfammelten
gerichtet, und dann mit dem ganzen Wohlflang feiner weihen Stimme „in Kürze
und mit Nachdruck“ ihnen jeine Notlage zu jchildern begann, da war der Ein-
drud überwältigend. Jedem ift dieje Stunde unvergeßlich geblieben, den Wort:
laut der Rede hätte niemand feftzuhalten vermodt. Er gedachte des Verluftes
der Schlacht, des Berluftes von Schweidnig und Breslau, aber auch des glänzen:
den Gieges über die Franzojen; er erinnerte einen jeden an eine ehrenvolle
militärische Vergangenheit und fie alle an den Preußennamen und beifchte dann
von ihnen Blut und Leben für den Tag, da Preußens Geſchicke ſich entſcheiden
mußten. Dem aber, der die preußiihe Sache verloren gäbe und fih von ihm
trennen wolle, ſagte er bier auf der Stelle den Abichied zu, ohne daß den Mann
ein Vorwurf treffen jole. Es war das doch mehr, als eine nur auf die
oratoriſche Wirkung berechnete Form. Wie viele von diejen freuzbraven Haudegen
hatten nicht jeit dem Unglüdstage von Kolin ſich in die Vorſtellung hinein—
geredet, daß es aus dem Verderben fein Entrinnen mehr gäbe. Schon ging
bei dem Feinde die Rede, daß der König von Preußen von jeinen eriten
Generalen und Verwandten verlafien werde; blieb doch der Prinz von Preußen
dem Heere dauernd fern, und glaubte man doch im öfterreihifchen Hauptquartier
zunächſt ganz feit, daß der Herzog von Bevern fich abfichtlih habe gefangen:
nehmen laffen. Vor allem aber: der Tapferften einer, Mori von Deſſau,
hatte vor kurzem, eingejhüchtert dur die Drohungen des Reichshofrats, feine
Entlafjung aus dem preußiichen Kriegsdienft nachgeſucht und fol noch hier in
Parchwitz zu einigen Offizieren gefagt haben, daß die Lage verzweifelt jei und
leider in wenigen Tagen noch verzweifelter werden würde. Sept mag ſich fein
Blid zu Boden gejenft haben, wenn auf jene Aufforderung des Königs der
biedere Major Billerbed in die lautloje Stile mit dem Kraftwort hineinplagte:
„Das müßte ja ein infamer Hundsfott jein, jett wäre es Zeit”.
— —
) Oben S. 112.
Von Kolin nad Leuthen. 141
Den Truppen ward fundgegeben, daß Seine Majeftät den Feind angreifen
würden, wo Sie ihn fänden und zu Ihrer Armee das Zutrauen hätten, fie würde
in eben der Abſicht, wie Seine Majeftät, dem Feind entgegenmarfchieren, zu fiegen
oder zu fterben. Für jedes erbeutete Gefhüt wurde ein Ehrenlohn von 100 Du:
faten zugefihert. Da und dort redete der König beim Nitt durch das Lager
felber die Leute an und freute fich ihrer treuherzigen Entgegnungen und des
jelbftbewußten Troftwortes, daß bei dem Feinde „keine Pommern“ jeien: „Du
weißt ja wohl, was die können!”
„Ich bofie noch alles wieder gutzumachen,“ fchreibt der König an dieſem
3. Dezember an Ferdinand von Braunfchweig, „obgleich ich nicht leugnen kann,
daß e& mir jehr viel Mühe often wird, und daß ich hier die fchwierigfte und
gewagteite Unternehmung vor mir habe, die ich trogdem mit dem Beiftand des
lieben Gottes zu bemältigen hoffe.” Es ift nicht das einzige Mal in diejen
Parhwiger Tagen, daß Friedrich der Hoffnung auf eine höhere Hülfe Aus-
drud gibt.
Am nächſten Morgen ward das Lager aufgehoben, das Marjchziel war
Neumarkt. Die kleine Stadt war von Kroaten bejegt, abgeſeſſene Hufaren
— denn bie Infanterie war noch zurüd — fprengten das Stabtthor und er:
beuteten die Feldbäderei des öfterreichiichen Heeres mit Brotvorrat für 40000 Mann.
Zugleich aber erhielt man die frohe Kunde, daß der Feind feine feite Stellung
hinter der Lohe verlafjen hatte und fogar ſchon über die Weiltrik vorgegangen
war — ein großes, ungehofftes Ereignis. „Der Fuchs ift aus feinem Loche
gekrochen,“ jagte der König vergnügt, „nun will ich feinen Uebermut ftrafen.“
Prinz Karl von Lothringen unterſchätzte den Gegner nicht, der ihn in vier
Schlachten geichlagen hatte. Nur dur geringen Zuzug war das jüngit befiegte
Heer verftärft, aber dem Einen unter den neuen Antömmlingen ging lähmender
Shreden voraus wie dem zum Kampfe zurüdfehrenden Achill. In die leicht:
fertigen Spöttereien über die Potsdamer Wachtparade, die in feinem Lager ge:
hört wurden, ftimmte der öfterreichiiche Feldherr jo wenig ein, daß er noch joeben
an jeinen faiferlihen Bruder gejchrieben hatte: „Ich fürchte, wenn unfere Herren
Verbündeten, wie ich es mir vorftelle, nichts thun, und wenn die ganze Heeres:
macht auf uns fällt, jo werden wir in jtarfe Verlegenheit kommen.” Aber er
hatte aus Wien gemeſſenen Befehl nicht zwar eine Schlacht zu wagen, aber doc
Liegnig zu behaupten. Und jo hatte er fi unter einftimmiger Billigung feines
Kriegsrats entichlofien, den Preußen entgegenzugeben, ehe fih der König in
jeinen Stellungen allzuſtark befeftigen fonnte; denn damit wäre es um die Rube
der öfterreihifchen Winterquartiere in Schlefien geichehen gemweien.
So nahe, wie die beiden Heere bei einander ftanden, mußte der 5. De:
zember die große Entiheidung bringen. Um 4 Uhr in der Frühe traten die
Preußen an, flügelweife, zwei Kolonnen zu Fuß zwifchen zwei Reiterfolonnen.
Als es zu dbämmern begann, feste fih der Zug in Bewegung. In frommer
Scheu ftimmten diefe mübhfeligen und beladenen Kriegsfnechte ihre geiftlichen
Lieder an und ftärkten fich den Mut für ihr blutiges Tagewerf an den jchlichten
Verſen, die vor mehr als hundert Jahren hier in der Nähe ein jchleftiiher Pfarr:
herr wie für die feierlihe Stimmung diefer Morgenftunde gedichtet hatte:
142 Sechſtes Buch. Dritter Abſchnitt.
Gib, daß ich thu’ mit Fleiß, was mir zu thun gebühret,
Mozu mich mein Beruf in meinem Stande führet;
Gib, daß ich's thue bald, zu der Zeit, da ich foll,
Und warn ichs thu', fo aib, daß es gerate wohl.
Beim Dorfe Borna erfannte der Vortrab, 55 Schwadronen Huſaren und
Dragoner und 9 Bataillone, im Dezembernebel eine Reitermaffe. Wie bei
Lobofig konnte Zweifel entitehen, ob man das ganze feindliche Heer, ob nur
eine Abteilung vor ſich hatte.!) Bald ergab fih, daß es nur 5 Negimenter
waren, öfterreichiiche Hufaren und die 3 ſächſiſchen Chevaurlegers:Regimenter,
die bei Kolin die Entfcheidung herbeigeführt hatten. An diefem Morgen war
ihnen das Glück minder hold. Während fich die Kaiferlihen vor ber Ueber:
macht noch rechtzeitig zurüdzogen, wurden die Sachſen nah anfänglidem Erfolg
jo wuchtig in Front und Flanke gepadt, daß fie 3 Standarten, 550 Gefangene,
darunter ihren jchwerverwunbeten Führer Noftiz, in den Händen der Sieger
laſſen mußten. Nur mit Mühe fonnte der König feine Hufaren zurüdhalten, daß
fie nicht mit verhängtem Zügel gerade auf das diterreichiiche Heer losſprengten.
In Kanonenſchußweite vom Feinde jammelten fie fih dann zwiſchen Heidau und
Frobelwig.
Von einem der Hügel bei Heidau, jüdlih der nah Liſſa führenden Heer:
ftraße, ließ fi der größere Teil der von Nord nah Süd auf eine volle deutſche
Meile ausgedehnten öfterreihiichen Stellung jo überfhauen, daß man „jeden
Mann hätte zählen können”. Nur der rechte, an das Dorf Nippern gelehnte
Flügel war durch Wald und Hügel verdbedt. Das Zentrum ftand auf den mit
Batterien gekrönten Höhen hinter Frobelwit und Leuthen, die mit Grenadieren
belegten Dörfer hart vor der Front. Südlich von Leuthen ragte eine Kavallerie:
linie vor, in der Richtung auf das Heine Dorf Sagſchütz. Bon dort bog fich
die Schlachtordnung wieder zurüd bis zu dem Mittelteih von Gohlau und der
fumpfigen Niederung, in der das Striegauer und das Schweidniger Waſſer zu—
jammenfließen, jo daß die Erhöhungen bei Sagjhüt den Scheitel eines Dreieds
und zugleich den am weiteften ausjpringenden Punkt der ganzen Stellung bildeten.
Hier befehligte Nadasdy eine gefonderte Abteilung, bei der ſich auch die bairifchen
und württembergiihen Hülfsvölfer befanden.
An diefer Stelle beſchloß König Friedrich feinen Angriff einfegen zu laſſen.
Als mehrfach benugtes Manöverfeld war ihm die Gegend mwohlbefannt. Es ent:
ging ihm nicht, daß nach Ueberwältigung der vorgelagerten Höhen bei Sagihüt
der linfe Flügel des Feindes, ohne Anlehnung im Rüden, allen Halt verlieren
mußte. Ueberdies ftieß der Angriff dort in die natürliche Rückzugslinie der
Deiterreiher; von hier verdrängt, verloren fie die fürzefte Verbindung mit
Schweidnitz und fonnten die böhmiſche Grenze nur noch auf dem Ummege über
Breslau erreichen.
Unverzüglid wurde die Marſchrichtung des preußiichen Heeres dem An
griffsplan entiprechend geändert. Waren bisher die vier Kolonnen, in benen
die beiden Infanterie- und die beiden Kavallerieflügel daherzogen, gerade auf
) Then 2. 30.
Ton Kolin nad Leuthen. 143
die feindliche Stellung anmarjdiert, jo galt es jegt, möglichit ſchnell und mög:
lichſt unbemerkt, ihr parallel bis zu ihrer äußerften Linken heranzugleiten. Die
Kolonnen brachen in der Mitte ab, die vier Vorderhälften ſetzten fich, mit einer
Viertelſchwenkung nad rechts, hintereinander, die vier Enden besgleichen, fo daß
nun die beiden neuen Marfchläulen, durch Reiterei eröffnet und geſchloſſen, je
ein Treffen bildeten und durch einfaches Einfchwenken der Züge ſich binnen
fürzefter Zeit in Schlachtordnung entwideln konnten, jobald die Spigen bie
äußerjte Linfe des Feindes überragten.
Solchen treffenweije ausgeführten Parallelmarſch) hatten die Defterreicher
bei Prag und bei Kolin vom erhöhten Standort aus hinreihend genau beob—
achtet, um ihre Stellung noch rechtzeitig ändern zu können.“) Auch heute wurden
die Truppen bin: und hergeſchoben; aber da die anfängliche Richtung des preußi-
ihen Marſches die Voritellung gewedt hatte, daß der Angriff dem rechten Flügel
gelte, jo warb die verfügbare Nejerve dem dort fommandierenden General
Luccheſi zugeteilt. Nachher verhüllte den Marſch der Preußen der Höhenzug, ber
von Borna über Lobetinz nah Sagſchütz ftreidht, die Heeresfcheide, von der aus
König Friedrih und feine Huſaren beim Anmarſch Freund und Feind überfahen.
Defterreihifhe Plänkler wagten fi nicht mehr vor, nachdem joeben drei aus:
erlejene Reiterregimenter zertrümmert worden waren, und jchließlich konnte ja
das Ausbrehen der Preußen hinter Borna als Rückzug aufgefaßt werden, wie
man fie bei Zittau unverrihteter Sache hatte abziehen jehen. „Die guten
Leute paſchen ab,” joll Daun gejagt haben, „laſſen wir fie in Frieden ziehen.“
Als dann die Preußen im Angefiht von Sagſchütz mit unvergleichlicher
Schnelligkeit und Genauigkeit aufmarjcierten, war es zu weiteren Gegenvorkeh—
rungen zu jpät. Um allen Verftößen gegen die Grundidee feiner jhiefen Schlacht:
ordnung vorzubeugen, wie fie bei Prag unnüte Opfer und bei Kolin den Verluſt
der Schlacht verurſacht,“) hatte der König angeorbnet, daß die Bataillone des
eriten Treffens nicht nebeneinander aufmarjchieren jollten, jondern ftaffelförmig
im Abftande von je 50 Schritt; auf diefe Art fam das äußerfte Bataillon der
nicht zum Angriff bejtimmten Linken auf eine Linie zu jtehen, die der Richtlinie
des vorderften Bataillons vom rechten Flügel in einem Abftand von nicht weniger
als 1000 Schritt parallel lief, und es war nicht wohl möglich, daß es abermals
unverjehens zu einem Frontalangriff auf der ganzen Linie fam. Ye 2 Ba:
taillone dedten die Flanfen zwiſchen den beiden Treffen. Die Neiterei ward
teils auf die Flügel, teils als Rejerve hinter das zweite Treifen geftellt. Bon
den I Bataillonen der Vorhut wurden 6 der Reiterei des Angriffsflügels zu:
geteilt, zur Abwehr feindlichen Flankenfeuers, wie es bei Kolin den Reiter:
angriff geftört hatte; mit den 3 andern jollte Oberſt Wedell, unterftügt durch
10 aus Glogau herbeigeichaffte Zwölfpfünder, den eriten Angriff auf den Poſten
bei Sagſchütz ausführen.
Ausnahmsmweile waren es Musketiere, die diesmal dem Angriffe die Bahn
) 3b. I, 547.
2) Oben ©. 81. 93.
) Oben S. 84. 9.
144 Sechſtes Bud. Dritter Abfchnitt.
zu brechen hatten, Kerntruppen aus der Hauptitabt, das Regiment Meyerind
und das zweite Bataillon von Itzenplitz. Der König ritt an die äußerfte
Rechte zu der Fahne der Leibcompagnie von Meyerind und bedeutete den
Fahnenträger: „Junker von der Leibcompagnie, fiehet Er wohl, auf den Verbad
ſoll Er zumarſchieren, Er muß aber nicht zu ſtark avancieren, damit die Armee
folgen kann.“ Dann richtete er jelbit die Front und rief der Truppe zu:
„Burjchen, jehet ihr dorten wohl die Weißröde? Die follt ihr aus ihrer Schanze
mwegjagen, ihr müßt nur ftarf auf fie anmarjchieren und fie mit dem Bajonett
daraus vertreiben, ih will euch aladann mit 5 Grenabierbataillons und ber
ganzen Armee unterftügen. Hier heißt es fiegen oder fterben, vor eud habt
ihr den Feind unb hinter euch die ganze Armee, daß ihr alfo auf feiner Seite,
zurüd ober vorwärts, anders als fiegend Plat findet.“
Den Sagihüger Kiefernberg bielten Württemberger; hinter einem Verhau
auf die Kniee geworfen empfingen fie die preußifche Linie mit ihrem Feuer, bei
der zweiten Salve war die Sturmtruppe bereits unter ben feindlihen Kanonen,
von denen einige dur die preußiichen Bataillonsftüde jofort zum Schweigen
gebradht waren. Unter gemwaltigem Gejchrei, mit gefälltem Bajonett, fpringen
die Angreifer über den Verhad, für die Württemberger ift fein Bleibens mehr,
den MWeichenden wird fo kräftig nachgefeuert, daß ftellenweife 10—12 Mann tot
tibereinander lagen. Nun galt es die Batterie auf ber Höhe jenfeits von Sag:
fhüt zu nehmen. Mit Hülfe des Flügelbataillons aus dem erften Treffen ver:
trieben Wedells 3 Bataillone den Feind, Württemberger, Baiern, Defterreicher,
binnen einer PViertelftunde auch hier.
Inzwiſchen hatte auh das Gros der Avantgarde, 1 Musfetier: und
5 Grenadierbaillone, jeine erite Aufgabe ſchnell und glänzend gelöſt. Sie
hatten den Kaulbuſch jüdöttlih von Sagſchütz von 2 ungarifhen Bataillonen
geläubert, die dort der Reiterei ebenfo gefährlich werden fonnten wie die Kroaten
im Eichwäldchen von Kretihorz, und dann die hinter dem Buſch hervorge:
iprengten Schwadronen, die in wilden Ungeftüm die erfte preußifche Kavallerie:
linie geworfen hatten, durch mwohlgezieltes Feuer zum Rüdzug gezwungen. Jetzt
famen fie, von dem Prinzen Morik herangebolt, gerade zurecht, um im Verein
mit der Brigade Wedell Nadasdys Truppen über Gohlau hinaus von Stellung
zu Stellung zu jagen. In dem freieren Gelände hinter Gohlau fonnte nun
auch die preußiiche Reiterei unter Zietens Führung zum Angriff übergehen; zu:
nächſt noch durch Gräben gehemmt, erzielte fie beim zweiten Vorftoß einen vollen
Erfolg, die Gardes du Corps und Genbarmen bewährten ihren Ruhm von
Roßbach und hieben die Modena:-Dragoner zur Hälfte nieder, und als nun bie
Zieten-Huſaren, an den Küraffieren vorbei, aus dem dritten Treffen vorftürmten,
ward die Flucht des Nadasdyichen Corps allgemein; 2000 Gefangene fielen den
Verfolgern in die Hände, ein Teil der Befiegten entrann in ber Richtung auf
Liffa, eine andere Woge flutete auf die Hauptftellung nad) Zeuthen zurüd; einige
beberzte Neitergefhwader zogen unter dem euer der preußiſchen Geſchütze eine
Kette, hinter der fih der Verwirrung ſteuern und neuer Rat fchaffen ließ.
Die öjterreihiihe Schladtlinie war durch den Berluft des ihrer linfen
Flanke vorgelagerten Dreieds zwiſchen Leuthen, Sagihüg und Gohlau gleichſam
Bon Kolin nad Yeuthen. 145
eingefnidt. Indem jet der rechte Flügel um jo viel vorgezogen wurde, als
der linfe zurüdgebrängt worden war, bildete jih, mit dem Dorfe Leuthen als
Mittelpunft, eine neue Front in der Richtung von Nordweſt nad Südoft, welde
am DOftausgang des Dorfes die urjprüngliche Stellung beinahe ſenkrecht durch—
ſchnitt.
Auf Leuthen richtete ſich jetzt der konzentriſche Angriff des Vortreffens und
des rechten Flügels der Preußen. Der König wählte ſeinen Standort an dem
Gehölz von Radardorf, wo er einen Augenblick nicht bloß von den öſterreichiſchen
Batterien, ſondern auch aus ſeinen eigenen Geſchützen Feuer erhielt. Das ſtatt—
liche Dorf Leuthen mit ſeinen zahlreichen geſchloſſenen Gehöften und eingezäunten
Gärten lag in ſeiner ganzen Länge vor der Front der Angreifer. Das zweite
und dritte Bataillon Garde und die Grenadiergarde ſtießen gerade auf die Mitte
des Ortes, wo der hochgelegene Friedhof der katholiſchen Kirche, dicht mit Kanonen
beſetzt, der Brennpunkt der Verteidigung wurde; in die feſte Steinmauer mußte
förmlich Breſche geſchoſſen werden.
Etwa eine Stunde währte der Kampf, bis Leuthen in den Händen der
Preußen war. Hinter dem Dorfe erwartete ſie neuer Widerſtand. Vom rechten
Flügel her waren die Grenadiercompagnien des Reſervecorps angelangt, auf der
Höhe zwiſchen den Windmühlen die drei Hauptbatterien zuſammengezogen. Die
preußiſche Linie war während des Einzelgefechtes in den Straßen und Gehöften
auseinandergekommen, die Bataillone des zweiten Treffens mußten in die Lücken
eintreten, ſchon auch Bataillone aus dem zurückgehaltenen linken Flügel. Dieſer
ſelbſt hatte ſich in dem Maß, als der Kampf vorrückte, nad rechts dem Angriffs:
flügel nachgeſchoben und war jo doch aud in den Bereich ber öſterreichiſchen
Batterien gefommen: einige Abteilungen gingen in Unordnung zurüd, ein Bataillon
aus dem zweiten Treffen, durch den Adjutanten Retzow, den Sohn des biejen
Flügel fommanbdierenden Generals, vorgeführt, 309 durch fein Beifpiel die Wanfen
den nad), und der ganze Flügel ging nun zum Angriff über.
. Somit waren ſämtliche preußiſche Bataillone in die Feuerlinie getreten —
eine bedenklihe Wendung, die den Abfichten des Feldherrn nicht minder wider:
ſprach, als die bei Prag und Kolin beklagten Abweichungen vom Schladtplan,
die aber hier durch die Achjenwendung des gegnerifhen Heeres unvermeidlich
geworden war. Nod wehrt fich die öſterreichiſche Infanterie hartnädig: wird
die Reiterei fie noch einmal heraushauen und auch die heutige Schlacht no im
legten Augenblid wiederherſtellen? Luccheſi erjpäht fi die Blöße des ſchwachen
linfen Flügels der Angreifer und ſchickt fih an, mit feinen noch friihen Schwa-
dronen fie dort in der Flanke zu faſſen. Aber die preußiiche Kavallerie ijt heute
anders am Plate, als am 18. Juni. Bei Radardorf hält, dem Auge des
Gegners durch eine Bodenerhebung entzogen, General Driejen, nicht ein jugend:
liher Held wie Seydlitz, faft ein Sechziger, unterjegt und ſchweren Leibes, aber
warmblütig und lebhaft, far und entſchloſſen, jchon im Frieden als Führer hoch
angejehen !) und jüngit bei Breslau an der Spike einer Brigade trefflich bewährt.
Seine Batrouillen geben ihm von allem jchnelle Kunde, wie eine ungeheure Sturz:
") Bb. 1, 535.
Kojer, Adnig Friedrich der Große. IL 2. Aufl. 10
146 Sechſtes Bud. Dritter Abfchnitt.
welle türmt fich die fchwere Reitermafje über dem Hügelrand auf und brauft den
Hang hinunter, an die fünfzig Schwadronen; auch der wadere General Krodom
mit feinen Breslauer Küraffieren ift dabei, den fie mit feiner Fußwunde aus
der legten Schlaht vom FFieberbett in den Sattel gehoben haben. Unfehlbar
muß Luccheſi überflügelt werden, im Galopp jchwenft er in Schwadronen links
ab, dem drohenden Gejchid zu entweihen. Vergebens, feine Reiter werden ein:
geholt, in Front, Flanke und Rüden gepadt, der führer fällt; was den Pallaſchen
der Preußen entrinnt, zeritiebt in alle Winde.
Die Zeriprengung dieſes Kavallerietreffens wird für die Infanterie das
Signal zur Fludt. Durch die feindlichen Reiter im Rüden bedroht, werfen die
Leute haufenweije das Gewehr weg; die preußiiche Infanterie bricht mit gefälltem
Bajonett ein und fchlägt den legten „mit den Kolben an die Ohren”. Ein
paar Regimenter, die bei den Windmühlen noch jtandhalten, werden von den
Baireuther Dragonern und den Leiblaradinieren überritten und in Mafje ge:
fangen gemacht.
Die Schlacht ift entichieden, auf der ganzen Linie. Schon bricht die Nacht
herein. Der Verſuch der öfterreichijchen Generale, zwiſchen Frobelwig und Liſſa
eine neue Linie zu bilden, mißlingt. Die Haufen der Gefangenen jchmwellen
immer mehr an. Dod hat Nadasdy auf dem Schauplatz des eriten Schlacht—
abichnittes die Neiterei des Siegers verhindern fünnen, flußabwärts nah Lifja
durchzjudringen und die Brüden über die Weiftrig abzutragen. So gibt es für
die Flüchtenden noch ein Entrinnen.
Das Heer der Sieger ordnete fih, jo gut es in der Dunfelheit ging,
zwifchen den Dörfern Guderwig und Leuthen, und blieb unter dem Gewehr,
die Stätten feiner blutigen Triumphe im Nüden, die Meiftrig zur Necten.
Mieder wie am Abend von Roßbach ward das Schlachtfeld die Stätte eines
Gottesdienftes. Von Trupp zu Trupp pflanzte jich die fromme Weife fort, bis
zulegt aus vieltaufendfachem Kriegermund das deutiche Tedeum ertönte: „Nun
danfet alle Gott!”
Der König war mit den Seydlit-Kürajlieren und einigen Kanonen auf
der Straße nad Liſſa vorangeeilt; ein paar Grenadierbataillone folgten. Neben
dem Pferde des Königs, am Steigriemen fich feithaltend, jchritt der Kretichmer
aus der Dorfichenke von Sahra und machte mit feiner Laterne in der dichten
Finfternis den Führer. Bon Zeit zu Zeit wurden Kanonenihülle abgegeben,
um die Fliehenden nicht zu Atem kommen zu lafjen. Kurz vor Lila ward man
von einem größeren Haufen Nachzügler mit Feuer begrüßt, ebenjo nachher im
Städtchen aus den Fenſtern. Aber der König ließ fofort am jenfeitigen Aus:
gang bei der Weiftrig:Brüde die Kanonen auffahren und ficherte ſich jo den
Ort und für morgen den Flußübergang. Dann überraſchte er — es war gegen
7 Uhr — auf dem Schloß des Freiherrn von Mudrah die abgejchnittenen
öfterreichifchen Offiziere mit feinem: „Bon soir, Messieurs! gewiß find Sie mich
bier nicht vermuten! Kann man bier auch noch mitunterfommen?” Das ganze
Schloß war mit Berwundeten belegt, der König nahm ein dürftiges Nachtmabl
ein und jchlief auf einer Streu, wie die Nacht zuvor unter demfelben Dad jein
Gegner Karl.
Von Kolin nad) Leuthen. 147
„Gottlob, unfer Sieg iſt jo komplett, wie wir erbitten und wünſchen
fönnen,“ fchreibt hier aus Liſſa nachts um 12 Uhr der Generaladjutant Wobers:
nom an den in Glogau zurüdgebliebenen Kabinettsrat,; „der König iſt beftändig
im größeiten Feuer gewejen; es war nicht möglih, ihn zurüdzuhalten, ob ich
mich zwar alle erfinnlihe Mühe gegeben.”
Zur größten Ueberraſchung hörte man, daß man an die 80000 fi
gegenüber gehabt habe. Und wenn fi auch alsbald herausftellte, daß dieſe
Angabe um faft 10000 Mann zu hoch gegriffen war — die Defterreidher hatten
vor der Schlacht geflijjentlih ihre Zahl übertrieben —, jo find die Beftegten
am Schlachttage doch immerhin doppelt jo ftarf gemwejen als die Sieger; denn mehr
als 35000 Preußen werden am 5. Dezember nicht zur Stelle gewejen fein.
Am Morgen nah der Schlacht jegte fih das preußiihe Heer um 6 Uhr
in Mari, überfchritt die Weiftrig umd ftieß gegen 10 Uhr an der Lohe auf
den Feind, deſſen Gejchübfeuer den Verfolgern den Uebergang auf das blut:
getränkte Schlachtfeld des 22. November nicht zu verwehren vermochte. Mit
Staunen laſen fie ſpäter in einem öfterreihiihen Bulletin, daß ihr König es
auf eine neue Schlacht nicht habe anfommen lajjen.
Während der König fich zur Belagerung von Breslau anjchidte, fette
Zieten mit 55 Schwadronen und 11 Bataillonen dem geſchlagenen Heere nad;
nicht jo unabläjfig, wie fein Gebieter es gewünscht hätte, aber doch erfolgreich
genug, denn bis Weihnachten hatte er, zulegt von Glatz ber durch Fouque treff:
(ih unterftügt, den Feind über das Gebirge zurüdgedrängt. Von den 35000,
die nah Böhmen zurüdfehrten, war die Hälfte krank. Demnächſt jäuberte der
Hufarenoberit Werner auch Oberjchlefien.
Die Lifte der preußifhen Trophäen, wie fie, ohne die legten Ergebniſſe
der Verfolgung abzuwarten, veröffentliht wurde, enthält 21500 Gefangene,
307 gefangene Offiziere, 131 Kanonen, 51 Fahnen und Standarten, 4000 Ar:
tilleries, Bagage: und Proviantwagen. Den eigenen Berluft gab der preußifche
Schlachtbericht auf 500 Tote und etwa 2300 Verwundete an; genauere Zählung
ergab bedeutend höhere Ziffern: 1141 Tote und Vermißte, 5018 Verwundete,
85 Gefangene.
Am 20. Dezember fapitulierte Feldmarfhalllieutenant Spreder von Bernegg
mit der Feltung Breslau und 17635 Mann. Xiegnig übergab Oberſt von Bülow
gegen freien Abzug der Beſatzung. Die Belagerung von Schweidnig blieb, da
itarfer Froft eingetreten war, bis zum Frühjahr ausgejett.
„Wenn jemals Preußen Anlaß gehabt hat, das Tebeum anzuftimmen, fo
it es bei dieſer Gelegenheit,” jchreibt Friedrih am 19. an feine Minifter
Podewils und Findenftein; „ih hoffe, Sie werden mit meiner Heerfahrt zu—
frieden fein; niemals habe ich jo viele Hinberniffe angetroffen wie bei diejer
Gelegenheit. Der Himmel fei gelobt, daß es uns geglüdt if.” Weihnachtsruhe
aber durfte er fich nicht gönnen. Am 24. in der Frühe marfchierte er mit dem
Belagerungscorps von Breslau ab, um im Gebirge nah dem Rechten zu jehen
und die Poftierungsfette zum Schute der Winterquartiere zu bilden. So fam
Neujahr heran, ehe Feldherr und Truppen ſich erholen fonnten. „Das nenne
ih eine Campagne, die gleich dreien gilt,” jagt Friedrih am 26. in Striegau;
148 Sechſtes Bud. Dritter Abfchnitt
„ich kann nicht mehr, meine Körperfräfte nugen ſich ab, ih bin frank und habe
jede Nacht viel von Koliten auszuftehen.“ Schon bald nad der Schlaht waren
ihm Schlaf und Appetit plöglih untreu geworden. Aber er blieb guter Laune
und trug Krankheit und Strapazen frohen Mutes; jo verfidhert er dem Prinzen
Heinrih und bittet, ihm die beite Schere zu ſchicken, um dem zurüdgefehrten
Glüd die treulojen Flügel abjchneiden zu können.
Seine fühnften Erwartungen waren übertroffen. „Alles das geht viel
weiter, als ich geglaubt hatte,” jchreibt er nah dem Fall von Breslau an
Keith; „Sie fünnen darauf zählen, daß diefe Unternehmung dem Feinde mehr
als 42000 Mann gekoftet hat, und wenn das nicht zum Frieden führt, jo werben
feine Kriegserfolge ihn zu Wege bringen.” Wenn fih nun noch den Franzoſen
zwifchen Elbe und Wefer und den Schweden ein entfcheidender Schlag verjegen
ließ, wurde das Gefamtbild der Lage noch verheifungsvoller! Schon hatte
Lehwaldt Schwediih: Pommern bis auf Stralfund und dazu Medlenburg in jeiner
Gewalt. Friedrich berief den Grafen Findenftein nah Breslau, um ihm feine
Gedanken für den allgemeinen Friedensſchluß darzulegen. Inzwiſchen warb und
rüftete er raftlos; die Lücken, welche „ſieben rangierte Feldſchlachten“ in fein Heer
gerifien hatten, mußten ausgefüllt werden. Er ſagte fih: „Es ift große Ausficht
vorhanden, daß wir bei der Zerrüttung der Defterreicher im Frühjahr den Frieden
haben werden, aber jelbfi wenn man deſſen fiher wäre, müßte man darum
nicht mindere Anftrengungen maden, um fi in eine formidable Situation zu
verjegen, da das Argument der Gewalt das einzige ift, mas ſich gegen dieje
Hunde von Königen und Kaifern anwenden läßt.”
Dierter Abſchnitt.
Das Jahr 1758.
„Heldin, den bezwingft du nicht!
Gott fann Wunber thun!
Schenk ihm Freundesangefidht,
Bitte Frieden nun!”
— jo rief Gleims preußijcher Grenabier „nad Wiedereroberung der Stadt
Breslau” der Kaiferin-Königin zu. Leſſing erlaubte fih in jeiner Sammlung
der Grenadierlieder das „bitte” zu ändern in „biete“. So darnieder lag troß
Roßbach und Leuthen Defterreichs Sache nicht, daß Gleims Aufforderung an der
Zeit geweſen wäre.
Zunächſt allerdings wirkten die Erfolge der preußiichen Waffen betäubenb,
überwältigend, jomohl auf die Heere und Höfe wie auf die öffentliche Meinung.
Unter Zeihen und Wundern war das alte Jahr dahingegangen; jo jäh hatte
nod nie das wanfelmütige Kriegsglüd fi) gewandt. Wer hätte vor wenigen
Monden die Sahe des preußiihen Königs nicht verloren gegeben! Al fein
Ruhm in Krieg und Frieden jei geborgt gewejen, jo verhöhnten die Gegner ben
Beliegten von Kolin; wie mit Voltaire jeine Feder, jo habe er mit Schwerin
feinen Degen verloren. Auf der Hofbühne zu Wien verherrlichte Metaftafio den
Koliner Sieg in einem allegoriichen Feitipiel: Kyllene-Sadhjen jhaut im Traum,
wie Atalante-Therefia den kalydoniſchen Eber tödlich trifft, und jo erheben fich
die beiden Jägerinnen, von zwei anderen, Euadne-Rußland und Tegea-Frank—
reich, geleitet, jiegesficher zum fröhlichen Jagen: andiamo, ruft Euadne:
a rapir la vittoria,
E a dar soggetto alla futura storia!
In Venedig, wo die Terefiani und die Pruffiani in Sonetten und Knüttel-
verjen fih auf das leidenfchaftlichite befämpften, hatte ein Dichter aus dem
Volke, der Gondoliere Bianchi, den Preußenfönig den gottlojen Amaleliter ge:
icholten, den der neue Joſua Daun zu Boden gefchmettert habe. Jetzt, nad
150 Sechſtes Bud. Pierter Abſchnitt.
den Tagen von Roßbach und Leuthen, nachdem „die hochmütigen Perrüden:
macher, die da fiegen wollten”, bejiegt find und nachdem ihr Bezwinger, „ichneller
als Perſeus und als Bellerophon auf dem geflügelten Begafus”, wie ein Wetter:
ftrahl durch den winterlihden Aether dabingefahren ift, um auch den zweiten
Feind vernichtend zu treffen, jet heißt Friedrich demjelben Poeten „der Heros
des Jahrhunderts”, dem zu feinem Ruhme nur das noch fehle, daß Gott jein
Keperherz rühren und ihn zu einem Hauptmann des triumphierenden Kreuzes
maden möge. „Horatius Cocles auf der Brüde, ein einziger Mann gegen
ganz Etrurien”, ift jest diefer König den enthufiaftiihen Venetianern geworden —
der Löwe vom Kaufajus, der verwundet und ermattet, knirſchend nad ſchreck—
fiher Rache, von dichten Scharen feindjeliger Raubtiere umringt, plötzlich ber:
bricht und ein großes Blutbad unter ihnen anridtet.
Gleich jäh hatte in Frankreich die Stimmung umgefegt. „Unſeren Pariſern,“
ſchreibt D’Alembert an Voltaire, „it jegt durch den König von Preußen der
Kopf verdreht; fünf Monate ift e& ber, daß fie ihn in den Schmuß zogen, und
das find alfo die Yeute, um deren Stimmen man wirbt.” b’Alembert wunderte
fi nicht, daß die Pamphletiften, die diefen König nad jeinen Siegen nicht
mehr ins Lächerlie zu ziehen mwagten, jegt über ihn und feine Encyklopädie
berfielen. Roltaire antwortete: „Ich erkenne gar wohl meine teuren Landsleute
an ber Begeifterung, in der fie fich jest für den König von Preußen befinden,
ihn, den fie vor fünf bis jechs Monaten als Mandrin — den ärgften der
Straßenräuber — betradteten. Die Pariſer bringen ihre Zeit damit hin,
Statuen zu errichten und wieder zu zerbreden, fie vergnügen ſich mit Pfeifen
und mit Händellatjhen, und mit weit weniger Geift als die Athener, haben fie
deren . Fehler alle und find noch erzentriiher.” Wie hatte Voltaire auf die
Defterreiher gehofft, daß fie Franfreih und vor allem ihn jelbit und jeine
hyſteriſche Nichte!) an diefem Salomo des Nordens, dem gewaltigen Philiſter,
rächen würden: „Die Defterreiher rächen und demütigen uns jchredlich,“ ſchreibt
er zwifchen Genugthuung und Scham nah der Schlacht bei Breslau; ganze
jeh8 Stunden habe der Kampf gewährt: „wir Schlingel von Franzoſen, wir
find flinfer, unfere Affaire war in fünf Minuten abgemadt.” Und nun war
er troß Daun und allen Defterreihern wieder obenauf, Voltaires „heros-poete-
philosophe-guerrier-malin-singulier-brillant-fier-modeste*. Dem allgemeinen
Gefühl ftaunender Bewunderung fonnte doch auch diejer Unverſöhnliche ſich nicht
entziehen. Der Verfafler des „Siecle de Louis XIV* wirft die Frage auf:
„Was würde Ludwig XIV. fagen, hätte er gejehen, wie der Marquis de Brande-
bourg, befjer als er jelbft, drei Vierteilen Europas widerftanden hat!“ Wohl jei
es an dem, daß er furzfichtige Augen und einen heißen Kopf habe; zugleich
aber habe er das erfte aller Talente für das Spiel, das er fpiele, die Schnellig:
feit: „Der Kern jeines Heeres iſt feit länger als vierzig Jahren geihult: num
ermeßt, wie dieje gleihmäßigen, fraftvollen, Eriegsgewohnten Maſchinen fämpfen
mögen, bie ihren König alle Tage jehen, die von ihm gefannt werden, und die
er, Hut in der Hand, ermahnt, ihre Pflicht zu thun.“ Immer wieder aber
1) 80. I, 524.
Das Jahr 1758. 151
fommt Voltaire auf Frankreichs nationale Schmach zurüd: „Es giebt ein Luft:
jpiel vom Könige von Preußen, betitelt ‚Der Modeaffe‘;!) wir fönnten es jebt
jehr gut aufführen, während er in Deutichland jo jchredlihe Tragödien in
Scene ſetzt.“
Wenn ganz Paris den Landesfeind in den Himmel hob, um die eigenen
Generale und Minifter deito lauter anflagen und verjpotten zu fönnen, wie
hätte da einem Bernis bei feinem Ruhm als Champion des öſterreichiſchen Bünd—
nifjes und des deutichen Krieges nicht bange werden jollen. Als eben ernannter
Minifter des Auswärtigen hatte er fih bei Ludwig XV. mit der frohen Botjchaft
von Kolin eingeführt; „er kommt mit feiner Siegesfünder-Miene”, hieß es feit-
dem eine Zeitlang bei Hofe, wenn Bernis fihtbar wurde. Als die Niederlagen
famen und verkündet werden wollten, war es um bad Anjehen und um bas
Selbftvertrauen des großen Staatsmannes von geitern geichehen. Bernis trug
Ihwer an dem Gefühl feiner Verantwortlichfeit. Zwar gegen den Grafen
Starhemberg äußerte er fih auf die erſte Nachricht von Leuthen noch ziemlich
gefaßt: „Begehen wir feine großen Fehler mehr, und ich zweifle nicht an dem
glüdlihen Ausgang des Krieges,” und jo glaubte Starhemberg nad Wien
berichten zu bürfen, daß man über die Standhaftigfeit des Hofes von Verfailles
außer Sorge fein möge. An den Botihafter Stainville in Wien aber jchrieb
Bernis ſchon nad der Schlacht bei Roßbach jehr ffeptiich über das Bündnis:
„Die Vorteile, die fih für uns ergeben können, find ungewiß, unfere Unkoſten
find reell. Wir jegen unfere eigenen Befigungen ein, um die unferer Verbündeten
zu verteidigen.“
Einen Monat jpäter, als die ganze Größe ber öfterreihiihen Niederlage
fih offenbart hatte, fährt Bernis in einem vertraulichen Briefe an den Bot:
ſchafter mit jeinen peinlichen Betrahtungen fort: Der Wiener Hof habe in zehn
bis zwölf Tagen drei Viertel jeiner Soldaten und Offiziere verloren, auf Ruß:
land jei fein Verlaß — wer bleibe da auf der Bühne noch übrig? Die Kaiferin
ohne Heer, und das zwiſchen den Preußen und SHannoveranern eingeflemmte
Heer Franfreihs ohne Vorräte, ohne General, ohne Mannszucht. Die franzö:
fiihe Flotte werde die Verlufte des Landkriegs nicht ausgleihen. Der Traum
des Vorjahres jei Schön gewejen, aber es jei gefährlich, ihm fortzufegen. Der
König von Frankreich werde alles thun, feine Verbündeten zu unterftügen; er
aber, der Minifter, werde dem Könige nie dazu raten, feine Krone auf das
Spiel zu jegen: „Ein Krieg gegen den König von Preußen, der ohne Widerrebe
der größte Kapitän unjeres Jahrhunderts, das thatkräftigfte und unternehmenpfte
Genie ift, der mit der Begabung für den Krieg die Grundfäße einer ausgezeich:
neten Verwaltung, einer jharfen Zucht und einer nie einzufchläfernden Wach—
jamfeit verbindet, der die beften Truppen von Europa hat und dazu die ficherfte
und fertigite Methode, fie zu ergänzen und auszubilden, — ein derartiger Krieg
verdient fürwahr eine Leitung durch gute Generale und einen aus den erleudh:
tetjten und erfahreniten Kriegsleuten zujammengejegten Beirat. Weber der
Wiener Hof noch Franfreih haben einen General, den man dem König von
) 8». 1,509.
152 —Sechſtes Bud. Vierter Abfchnitt.
Preußen entgegenitellen könnte.“ Bernis erklärte jomit, an feinem Teil für
den Frieden jtimmen zu müſſen.
In jeder neuen Depeſche erging er fih in Anklagen gegen die eigene
Kriegsführung, in Lobeserhebungen für den großen Gegner. Der weiſeſte Ent:
ſchluß werde jein, jhreibt er am 14. Januar auf die Nachricht von dem Berluft
von Breslau jchärfer als je, einen Plan für immer in den Aften zu vergraben,
der im September nicht zu fehlen gewejen jei, wenn nicht Unwiſſenheit, blindes
Selbftvertrauen oder böſer Wille die begründeten Hoffnungen auf Erfolg hätten
ſcheitern laffen. Und fünf Tage ſpäter: „Es ilt gewiß, daß der König um
nichts in der Welt fein Bündnis mit dem Wiener Hof preisgeben wird; aber
ift es nicht ein verblendeter Mut, weldher der Kaiferin den Wunſch eingibt, im
nächſten Feldzug noch einmal einen Verſuch zur Befiegung ihres Gegners zu
maden? Was hat fie diefes Jahr mehr zu hoffen, als im vorigen? Die näm:
lihen Menſchen leiten die Dinge. Der König von Preußen wirb immer ber
gleiche jein, und die Minifter und die Generale, die ihm gegenüberftehen, werden
ihm immer unterlegen fein... Der Winter verjtreiht, noch ift nichts verein:
bart, und bermeil wühlt unfer Feind ganz Europa auf, ſetzt es in Eritaunen
durch jeine Erfolge, in Schwankungen durch jeine Verhandlungen, in Schreden
durch feine Drohungen. Die größten Mächte der Welt find bejtändig drauf und
daran, ihre Heere angegriffen und beunruhigt zu ſehen.“
So tief niedergejhlagen war Bernis, daß er jchon von einem Friedens:
ſchluß ſprach, der Sachſen „in der Unterdrüdung” gelafien haben würde, da
niemand da zu fein ſchien, der dem Sieger über Defterreih und SFranfreih das
Land wieder entreißen fönnte. Die Stimmung des franzöfiihen Hofes für
Sachſen war von vornherein matt und geteilt gemwefen;') für König Ludwig
ftand es ſeit lange feit, daß ein Kurfürft von Sachſen nicht wieder die polnische
Wahlfrone erhalten dürfte, und Bernis perlönlih war voll Miftrauen und
Widerwillen gegen Brühls „Heinlihe Jntriguen und Tracafjerien” und gab in
diefem Augenblid jogar dem Argwohn Raum, dab Brühl, Arm in Arm mit
Beſtuſhew, auf die preußiſche Seite übergeben wolle.
Mußte weitergelämpft werden, jo war es die Abficht des Grafen Bernis,
die eigenen militärifchen Xeiftungen wejentlib einzujchränfen. Er ließ dem
Wiener Hofe von den deutſchen Truppen des franzöfiichen Heeres 30000 Mann
anbieten, die, verſtärkt durch öfterreichiiche Reiter und Irreguläre, jowie durch
14000 Baiern, Württemberger und andere beutiche Hülfstruppen Frankreichs,
im Verein mit ben Schweden die Mark Brandenburg anzugreifen haben würden.
10000 aus dem preußilhen Heere entwichene Sachſen und 6000 Pfälzer wollte
Frankreich auf feine Koften zur Reichsarmee jtoßen lafien. Die franzöfiihen
Nationaltruppen dagegen jollten, zwijhen Rhein und Weſer als Beobachtungs—
heer aufgeftellt, auf die Aufgabe bejchränft bleiben, die Hannoveraner in Schach
zu halten. Wenn fo die Franzojen nicht mehr tiefer in das Reich hineinfämen,
jo würde Deutihland, meinte Bernis, fi nicht mehr über die Ausichreitungen
der franzöſiſchen Truppen beflagen und die proteitantiihe Bevölkerung nicht
3) Vgl. oben ©. 39. 40.
Das Jahr 1758. 153
mehr über ben ihrer Religion, ihren Kirchen, ihren Geiftlihen angethanen Un:
glimpf.
In Wien vertrat den franzöfiihen Hof feit dem vorigen Sommer !) ber
2othringer Graf Stephan Franz von Stainvile. Vom Kaiſer Franz als alter
Unterthan warm begrüßt, jeinem neuen Gebieter ein gemwichtiger Bürge für bie
Ergebenbeit des lothringifhen Adels, Vertrauensmann der Marquiſe Pompadour,
jeitdem er fie gegen jeine eigene Verwandte, die ihr beim Könige gefährliche
Gräfin Choifeul, unterjtügt hatte, gejhworener Feind des Königs von Preußen,
durfte der noch junge Diplomat — er zählte jett 38 Jahre — als die rechte
Verförperung des Trugbündnitjes zwiſchen den nad jahrhundertelangem Zwift
ausgejöhnten Höfen gelten. Die friedlihe Sprache des ihm vorgejegten Mini:
fters, als deſſen lachenden Erben er fich vieleicht ſchon betrachtete, bereitete ihm
aufrichtigen Schmerz, um jo mehr, als er nur zu gut wußte, daß der Kriegs:
eifer auch der Kaiferin-Königin ohnehin ſtark abgekühlt war. Beim Neujahrs:
empfang hatte Maria Therefia ihm tief bewegt gejagt, fie ſehe wohl, daß die
Vorjehung fie dazu bejtimmt habe, ihr unglüdjeliges Geſchick in Geduld zu
tragen. Sie wolle fi ihrem Verhängnis in Ergebung unterwerfen, nur bejorge
fie, daß auch ihre Bundesgenofjen darunter zu leiden haben würden, und am
meiften bedaure fie, daß ihr Unglüd fih auch auf den König von Frankreich)
eritrede; für ihr Teil habe fie Schon ihren Entſchluß gefaßt und jei bereit, wenn
es jein follte, jich zum Beten der gemeinen Sache zu opfern.
Hätte Stainville jeinem Hofe getreuen Bericht abgeitattet, aller Wahr:
icheinlichfeit nad würde man in Berjailles die Kaiferin beim Worte genommen
haben. Aber Kaunig, dem jich der Botjchafter anvertraute, beeilte fi, die
erregten Aeußerungen jeiner Herrin abzuſchwächen, und warnte jenen, jeinen
Hof in unnötige Zweifel zu verjegen. Als dann Stainville wohl ober übel dem
Wiener Hofe von dem inhalt, der Fleinmütigen Zufchriften von Bernis Kenntnis
gab, hatte Maria Therefia, von Kaunig ermutigt, ihre alte Feſtigkeit bereits
wiedergewonnen. Leidenjchaftlic erklärte fie dem Botjchafter am 28. Januar,
die ganze Naht habe fie fein Auge geichloffen; nicht das Verlangen nad
Schlefien reize fie zur Fortjegung des Krieges, lediglich für die Ruhe Europas
und ihre eigene habe fie geftrebt, die Macht des Ungeheuers zu verringern, das
fie unterdrückte; fie ftele es Gott anheim, fie an dem König von Preußen zu
rächen, da die Menſchen nichts gegen diefen Fürften vermöchten. Nicht minder
nachdrücklich ſprach Kaunitz. Jenen Vorſchlag, den großen Plan zu den Akten
zu legen, fertigte er, der ſonſt ſtets Kühle, voll Zorn mit der hochfahrenden
Erklärung ab, ſein Hof ſei nicht gewohnt, einen Vertrag zu ſchließen und ihn
dann fallen zu laſſen. Ein Rückzug des franzöſiſchen Heeres an den Rhein
gelte einem Sonderfrieden mit Preußen gleih. Man beitand auf der Entjendung
des vertragsmäßigen Hülfscorps nad Böhmen und auf der Zahlung der rüd:
ftändigen Subfidien.
Noch ehe ſolche Antwort erteilt wurde, hatte der franzöfiiche Hof bereits
eingelenft. Der 4. Februar war für die Hofburg ein Freudentag: gleichzeitig kam
) Val. oben ©. 128.
154 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt.
ein Handſchreiben Ludwigs XV. an die Kaijerin mit der Zufage von 24000 Mann
für den böhmischen Kriegsihauplag, und ein Brief der Pompadour an Kaunig mit
der Beteuerung unveränderten Eifers für das Gelingen „des ſchönſten Planes der
Welt“. Hatte die unternehmende Frau doch ſchon gleich nad der Schladt von
Leuthen ihren Vorjak fundgegeben, diejen Attila des Nordens zu Staub zu zer:
malmen: dann werde fie ebenjo zufrieden jein, wie gegenwärtig mißgelaunt.
Gegen den Strom beabfichtigte Bernis nicht zu ſchwimmen. Er hatte fich weite
den Rüden gededt, indem er Stainville eingeichärft hatte, die Kaijerin zwar
auf die Gefahren der Lage binzumweiien, aber nicht unmittelbar zum Frieden zu
ermahnen. Auch er fchrieb aljo jest an Kaunik und verficherte, dab Frankreich
nur das wolle, wofür fich jein Verbündeter nach erniter und unbefangener
Prüfung der Umstände entiheiden werde. Man glaubte ihm nicht ganz, wenn
er ein anderes Mal erklärte, er babe eigentlih nur die Standbhaftigfeit des
Kaiferhofes auf die Probe ftellen wollen. Vollen Beifall fand es in Wien, daß
jest Richelieu von dem franzöfiichen Hauptheer — es mochte no an SU 000 Mann
zählen — entfernt und dur einen Prinzen des fönigliden Haufes erſetzt wurde,
den Grafen Glermont, den Enkel des großen Conde, den jtreitbaren Abt von
St. Germain:des:-Pres, der mit Nachlaß vom Papit die Waffen tragen durfte,
Weniger verjprad die Wahl von Soubije zum Befehlshaber der nah Böhmen
beitimmten Abteilung. Aber den Mann von Roßbach hielt gegen die Mikaunft
der Barifer das Vertrauen des Hofes; es ward ihm nadgerühmt, dab er
Mannszuht zu halten veritehe, deren Bande fich unter Nichelieu, dem pere de
la maraude, nur allzuſehr gelodert hatten.
Am 14. Februar erihien Clermont im Hauptquartier zu Hannover; vier
Tage jpäter begann der große Kehraus, der dem Bejuc der Franzoſen in Nieder:
beutichland vorläufig ein Ende made.
Das verbündete Heer war im Herzogtum Bremen bei einander geblieben,
da der Vertrag vom Klofter Zeven weder von König Georg noch von König
Ludwig ratifiziert worden war. Statt des Herzogs von Gumberland hatte am
23, November auf Georgs Antrag ein preußiiher General zu Stade den Über:
befehl übernommen, Prinz Ferdinand von Braunſchweig, der feine braunfchweis
giihen Landsleute gegen den ausdrüdlichen Befehl des Herzogs Karl, jeines
Bruders, beim Heere zurüdbehielt, dann noch vor Jahresſchluß die Franzofen
bis zur Aller zurüdorängte und die Feſtung Harburg zur Uebergabe zwang.
Verftärft durch 15 preußiihe Schwadronen von dem Lehmaldtihen Heere und
unterftügt dur einen Vorſtoß von 8000 Preußen unter dem Prinzen Heinrich
ins Braunſchweigiſche, fiel jegt Ferdinand mit 2600027000 Mann nad Furzer
Winterruhe den Franzofen in ihre Quartiere und entriß ihnen Schlag auf Schlag
Verben, Hoya, Bremen, Nienburg und Minden. Das hannoverſche Land war
vom Feinde befreit und das weithin verteilte franzöfiiche Heer jo entmutigt, daß
man im eiligiten Rüdzug auch Helfen, Weltfalen und Oftfriesland räumte. In
den lebten Tagen des März und den eriten des April, genau ein Jahr nachdem
die erften SFranzojen gefommen waren, gingen die Flüchtlinge in drei Haufen,
zwiſchen Köln und Düffeldorf, bei Wejel und bei Emmerich, über den Rhein zurüd.
„Dan muß es geitehen, wir haben nur noch den Hauch von einer Armee,“
Das Jahr 1758. 155
hatte Clermont ſchon an der Wejer geklagt. Marſchall Belle-Isle, außer ſich
vor Verdruß und Schmerz, jah das Demütigendite darin, daß der König von
Preußen von der Zerrüttung und den Nöten des Heeres bis auf die Fleinften
Einzelheiten unterrichtet jei. „Das feiſte fupferrote Antlig des Abbe Bernis“ ward
immer ernfter. In einem Erlaß an Stainville vom 7. April berief er ſich
darauf, daß mit Frankreichs Gelde bisher mehr als 400000 Dann zu Gunſten
der Häufer Defterreih und Sachſen bewaffnet worden jeien; er gab die Zufiche:
rung, daß jogar 30000 Mann nah Böhmen gehen würden, und verhieß, daß
bis zum Juli ein Heer von 60000 Franzojen und 26000 Deutihen zum Schuge
Weitfalens und des Mains verfammelt ſein jolle; aber er fuhr dann warnend
fort, daß dies Frankreichs lette Anftrengungen feien, und daß er, falls nicht
unerwartete Glüdsfälle einträten, auf Frankreichs weitere Beteiligung am Kriege
nad dem nächſten Feldzuge feine Ausficht eröffnen könne: „Wir dürfen heute
ben Krieg nicht mehr für unfere Vergrößerung führen, weil wir diejes Ziel nur
durch einen langen Krieg erreichen könnten, den wir nicht auszuhalten vermögen.
Der bevorftehende Feldzug muß aljo dem alleinigen Gefichtspunfte dienen, einen
Frieden auf vernünftige Bedingungen zu erhalten. Unſere politiihe Lage
wird jtets höchſt achtungsgebietend fein, wenn alle Teilnehmer an dem Bunde
eng miteinander geeint bleiben, und der König von Preußen wird es nicht Darauf
ankommen lafjen, gegen jo viel Mächte, denen ihre Fehler in Zukunft eine Lehre
für geihidteres Verhalten jein werden, den Krieg zu erneuern... Graf Kaunig
wird nichtödeftoweniger der große Staatsmann bleiben, der Urheber des Plans,
daß eine halbe Million Streiter und der Bund der größten Mächte Europas dem
Könige von Preußen das Geſetz vorzufchreiben hätten. Die Politik hat fich feinen
Fehler vorzuwerfen, lediglih die Kriegsführung hat alles verborben, weil hüben
und drüben niemand Krieg zu führen verftanden hat, als der König von Preußen,
gegen den man ihn führte. Wenn aber in einem Uebermaß von Hartnädigkeit
Graf Kauniß fich darauf verrennen jollte, den Krieg fortzufegen ohne die erforder:
lihen Mittel und ohne Ausficht, das der Kaijerin Fehlende von ihren Bundes:
genofien erjegt zu erhalten, dann wird er der Abſcheu der Defterreicher und bes
ganzen Deutjchlands werden und fein in Europa gewonnenes Anjehen und feinen
Auf als weifer und erleuchteter Mann verlieren.”
Wie Bernis einen Frieden „unter vernünftigen Bedingungen” veritand,
erläuterte Stainville dem Grafen Kaunig. Preußen würde Sachſen und Mecklen—
burg den Landesherren zurüdgeben und Schlefien behalten. Wolle man abwarten,
bis dieſer König neue Schlahten gewinne, jo werde man ihn zum Herrn
Deutſchlands und zum Deipoten Europas machen. Und deshalb müſſe alsbald
eine Verhandlung angebahnt werden, wozu der König von Franfreih, da er an
dem Kriege gegen Preußen nur als Auxiliarmacht teilnehme, ohne fi etwas zu
vergeben, die erften Schritte thun könne.
Das unaufhörlide Schwanfen des leitenden franzöfiihen Staatsmannes
gab dem Faijerlichen Botjchafter zu der Bemerkung Anlaß, nach feinen Berichten
werde man in Wien glauben, er jei am Wechjelfieber erkrankt, da er heute die
Verheißung und morgen den Widerruf zu melden habe. Maria Therefia glaubte
anfänglich gar, fie fei verraten und der Rüdzug der Franzojen über den Rhein
156 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt.
jei ein mit Preußen abgefartetes Spiel zur Einleitung des Sonderfriedens.
Ludwig XV. ſei ein guter Fürft, er babe ficher weder Kaifer Karl VII. noch
den ftuartijchen Prätendenten im Stich laſſen wollen, und dennoch feien alle beide
das Opfer der Politif geworden. Somit werde man operieren müjlen, als wenn
die Franzoſen nicht auf der Welt wären, und die einzige Hülfe bei Rußland zu
ſuchen haben. Kaunitz beeilte fih zum Guten zu reden; er jah bei dieſem Miß—
trauen gegen Franfreih ſchon fein ganzes politiihes Syſtem erjchüttert. Die
Franzoſen, verficherte er der Herrin, bejäßen bei allem Wanfelmute doch das,
was man ehrenhafte Grundjäge in der Politif nenne: jei man nicht dem eigen:
finnigen, herriſchen, jelbitjüchtigen England gegenüber jtets der Betrogene und
Aufgeopferte gewefen? Kaunitz traf damit eine wunde Stelle. Die Abneigung
gegen ben zu Preußen übergegangenen Verbündeten von ehedem war bei Maria
Therefia zu entjchieden. Sie gewann es über jih, dem Grafen Stainville zu
erklären, daß fie einem billigen Frieden feineswegs entgegen jei, und es dem
Ermefjen des Königs von Franfreih anheimftellen wolle, ob der Friede ratjam
und möglich ſcheine. So ganz wiederum wollte ihr Huger und Fühler Minifter
auf Frankreich Herzenswünſche nicht eingehen. Und da der Verbündete noch
einen Feldzug ja bereits zugeftand, jo fand Kaunig endlich eine Formel, die
dem einen wie dem anderen Standpunkt geredht wurde. Die Kaiferin nahm in
einer Ende April abgegebenen Erklärung die Zufage der Truppenjendung nad
Böhmen danfend an und mwilligte in eine Herabjegung der vertragsmäßigen
Jahresgelder von zwölf auf ſechs Millionen Gulden; fie verwahrte fich indefjen
gegen das franzöfiihe Anerbieten zur Anknüpfung einer Verhandlung mit Preußen
und wies zugleich auf die Ehrenpflicht der Verbündeten hin, für eine Entſchädi—
gung der Sachſen zu jorgen. Von Abreden für die weitere Zufunft, für die
Ausgeftaltung des gegenwärtigen politiihen Syitems nad dem Friedensſchluß
oder gar für eine jpätere Wiederaufnahme der Entwürfe zur Niederwerfung
Preußens, wollte Maria Therelia nichts hören; dem franzöfifchen Botjchafter, der
fie mit diejer Perſpektive tröften wollte, antwortete fie jcherzend, jeit 17 Jahren
mit dem Kriege befannt, habe fie ihn fatt und wolle ihre Augen in Frieden
ſchließen, felbit wenn fie die Rolle der Republik Venedig jpielen müßte.
Daß Maria Therefia damals von den Ruſſen weit mehr für fidh erhoffte,
als von den Franzoſen, geſchah unter dem Eindrud politifcher und militärifcher
Vorgänge, die dem Wiener Hofe gleich erfreulih waren.
Als im vergangenen Herbit das ruffiiche Heer fur; nach dem Siege von
Großjägersdorf das eingenommene preußijche Land bis auf Memel eilends wieder
räumte!) hatte man in Wien jteif und feft an Verrat geglaubt. Aprarin und
Beſtuſhew jollten in Vorausſicht eines baldigen Thronwechſels fich ganz an den
preußiſch gefinnten jungen Hof angeichlojien haben und obendrein mit engliſchem
und preußiihem Geld beftodhen fein. Der Verdacht war unbegründet. Der
fchwere, beunruhigende Ohnmadtsanfall, der mit dem Rüdzug aus Preußen in
urfählice Verbindung gebracht wurde, traf die Zarin erft, als der entjcheidende
Kriegsrat im Lager bei Allenburg bereits abgehalten war. Und in biejem
) Bgl. oben ©. 120. 121.
Das Jahr 1758. 157
Kriegsrat ift der Rückzug von allen Anwejenden einftimmig befchlofjen worden
aus rein militärifhen Erwägungen: weil man ohne eine neue Schlaht nicht
vorwärts konnte, weil der Ausgang einer ſolchen jehr unfidher ſchien, weil die
eigenen Reihen von Tag zu Tag zujammenichmolzen, weil Verpflegung nur noch
auf zehn Tage vorhanden und weil der Pferbebeftand völlig zerrüttet war. Das
Kriegskollegium in Petersburg hat, widerſpruchsvoll genug, die Beweggründe
des Rückzugs als gerechtfertigt anerfannt, zugleih aber mit Rüdficht auf die den
Bundesgenofien erteilten Zufagen erneuten Vormarjch verlangt, den dann ber
Kriegsrat mit Entjchiedenheit als unthunlich bezeichnete. Graf Fermor, dem:
nächſt zum Nachfolger Aprarins beftellt, ift vor der Zarin mit Freimut für feinen
Borgefegten und für die militäriihe Notwendigkeit des Rüdzuges eingetreten.
Aber das Miftrauen der Defterreiher verlangte ein Opfer; Aprarin, obgleid
Schützling der mädtigen Schumalows, fam vor ein Kriegsgeridt.
Beſtuſhew feinerfeits, von den Schumalows, dem Bicefanzler, den Ver:
tretern der verbündeten Höfe immer ftärfer befehdet, mit feinen Annäherungs:
verſuchen abgewiejen, hielt zwar in diefer jeiner politiihen Vereinzelung die
alte Fühlung mit England unter der erforderlichen Worficht feit, war aber um
jeden Preis entichlofjen, fein Amt als Großfanzler zu retten. Er drängte des—
halb den Feldherrn zur Wiederaufnahme der Dffenfive und fagte fi von dem
alten Freunde, als die herrſchende Partei Aprarin fallen ließ, ohne weiteres
los. So lag auch feiner Verbindung mit der Großfürjtin Katharina in Feiner
Weiſe eine gemeinfame Hinneigung für Preußen zu Grunde. Nur gegen Eng:
land zeigten beide fich erfenntlih, beide für empfangene Wohlthaten, und beide
nur jo weit, al& es ohne ſich bloßzuftellen geſchehen konnte. Bon Vorliebe für
Preußen war nur bei dem Großfürften-Thronfolger die Rede, deflen perjönliches
Verhältnis zu der Gemahlin damals bereits ſcharf geſpannt war: während Peter
die Großfürftin am liebften verftoßen hätte, um fi mit Eliſabeth Woronzom
vermäblen zu fönnen, betrieb Katharina mit Beſtuſhew insgeheim den Plan,
beim Tode der Zarin die Krone ftatt an den Gatten an den Sohn, den drei—
jährigen Paul Petrowitſch, fallen zu laſſen. Nicht eine Mitfhuld des Kanzlers
an dem Nüdzug Aprarins, wohl aber diefer Anſchlag gegen Peters Erbredt
fam jeßt zu Tage, der Großfürft rief die Hülfe der Kaiferin an, und jo wurde
Beſtuſhews Sturz, den Rufen, Defterreiher und Franzoſen bisher vergeblich
eritrebt hatten, herbeigeführt dur den einzigen Mann, der an diefem Hofe
preußiih gefinnt war. Am 25. Februar 1758 ward der alte Ränkeſchmied
verhaftet, demnächſt feiner Nemter entfegt und zum Tode verurteilt, aber zur
Verbannung auf eines feiner Güter begnadigt. Sein Nebenbuhler Woronzom
ward jein Nachfolger.
„Beſtuſhew war ein Schurke, aber fähig,” ſagte Maria Therefia,; „wer
wird ihn erjegen fönnen?” Indeß freute fie fih der in Rußland eingetretenen
Wendung um fo mehr, als ihr ganz unverhofft, noch mitten im Winter, auch bie
zuffiiche Kriegsführung einen jehnlihen Wunſch erfülte. In den erften Tagen
des Jahres rüdten von Memel aus 34000 Mann wieder in das jeit dem Dftober
von Verteidigern entblößte Dftpreußen vor, am 22. Januar konnte Fermor der
Zarin die Schlüfjel von Königsberg überfenden. Ohne Schwertitreid war, wie
158 Sechſtes Bud. Vierter Abfchnitt.
Kaunitz ſagte, „eine ganze Campagne gewonnen”. Er empfahl nun dem ruffifchen
Kabinett dringend, ein Heer von 80000 Mann über die Weichjel zu ſchicken und
zwiſchen MWarthe und Nege in ein feites Lager zu werfen, um von dort aus
Brandenburg und Schlefien gleihmäßig bedrohen zu können. Entihloß ſich Ruß:
land zu ſolchem Vorftoß gegen das Herz der preußiichen Monarchie, jo wollte der
Wiener Hof auf die ſchon zugejagte Entjendung eines Corps von 30000 Mann
zum öfterreichifchen Hauptheer verzichten.
Die Berater der Zarin nahmen Berziht und Vorſchlag bereitwillig an,
und Fermor erhielt noch den bejonderen Auftrag, nad der Ankunft an der Nebe
die in Pommern weilenden preußifhen Truppen, Rußlands vorjährige Gegner,
zu beobadten und von der Hauptmacht abzufchneiden. Schon ftand feit, dag
man dabei auf die Mitwirfung der Schweden rechnen durfte, Es war ben
preußifchen Generalen nicht geglüdt, jo gründlich mit ihnen aufzuräumen, wie
ihnen der Braunfchweiger mit den Franzoſen das Beilpiel gab. Zu dem von
dem König anbefohlenen Uebergang über das Eis nad Rügen hatten weder
Lehwaldt noch Dohna den Entihluß gefunden. So behaupteten jich die Schweden
auf der Inſel und in Stralfund, und die bei ſolchem Geldgeſchäft perjönlich
intereflierten Senatoren in Stodholm gewannen den Mut, den Subfidienvertrag
mit SFranfreih zu erneuern. Schweden verhieß, ſtatt 20000 Mann wie im
Vorjahre, 30000 gegen den König von Preußen ins Feld zu fchiden.
Bis zum Erfcheinen der Mosfomwiter an der neumärfifchen Grenze hoffte
Maria Therefia, troß der furdhtbaren Berlufte ihres Heeres, ih im Verteidi—
gungsfriege allemal behaupten zu fünnen. Mitte März wies die Standlifte des
Heeres in Böhmen bereits wieder 63000 Köpfe an bienftfähiger Mannichaft
auf. Ebenſo den Vorftellungen ihrer Verbündeten wie der Stimmung im eigenen
Heere, am Hofe und im ganzen Zande, gab die Kaiferin nah, wenn fie jegt
endlich fich entichloß, einen Wechjel im Oberbefehl eintreten zu laffen. Nachdem
Kaijer Franz in zwei dringenden Borftellungen jeinen Bruder, den in ſechs
Hauptſchlachten befiegten Feldherrn, vergebens zu freiwilligem Rüdtritt zu be—
fimmen verfucht hatte, blieb der Kaiferin nichts übrig, als dem Schwager mit
eigener Hand, dur ein von Kaunig in fchonendfte Form gefleidetes Schreiben,
die Notwendigkeit darzulegen, ihn „der ungerechten Gehäffigfeit des Publikums“
zu entziehen. Zum Troft ward Karl als Sieger von Breslau mit dem Groß:
freuze des Maria-Thereſia-Ordens geſchmückt. Nicht ohne Bedenken fette die
Kaijerin an die Stelle des abtretenden Feldherrn jegt den Marſchall Daun, denn
au zu dem Helden von Kolin hatte fie nah dem Leuthener Unglüdstage fein
volles Vertrauen mehr. Hat fie doch einen Nugenblid zu Kaunigens Entiegen
daran gedacht, fi in Verfailles den dort ausgemufterten Marſchall dD’Eftrees, den
Sieger von Haftenbed, für die Führung ihres Heeres zu erbitten.
Am 12. März übernahm Daun im Hauptquartier zu Königgräß den Ober:
befehl. Es war ihm an das Herz gelegt, zugleih das Heer vor einer neuen
Kataftrophe zu bewahren und die Feitung Schweidnik zu entjegen, wenn anders
diefe Doppelaufgabe angefidhts eines Gegners wie des Königs von Preußen ſich
löſen lieh.
Das Jahr 1758. 159
König Friedrich iſt über den Entſchluß jeiner großen Gegnerin, den Kampf
fortzufegen, nicht lange in Zweifel geblieben.
Unter den Oberften der in feine Hand gefallenen Breslauer Befagung
befand fich Fürft Auguft Lobkowitz; er wurde von dem Könige mit den Kapitu-
lationspunften in das Hauptquartier des Prinzen Karl und von dieſem alsbald
weiter nah Wien geſandt. Dort machte er der Kaijerin eine Eröffnung über
die Geneigtheit des Königs zum Frieden. Bald darauf braten die Zeitungen
die aus Wien ftammende Mitteilung, daß ſich der faiferliche Hof von den durch
Lobkowitz neichehenen Vorſchlägen feinen guten Erfolg babe veripreden fünnen,
daß die Kaiferin für ſich die nötige Befriedigung und Sicherheit, für den
König von Polen und andere Reichsſtände eine Schabloshaltung fordern müfle,
und dab fie ohne Zuziehung ihrer Verbündeten in feine Verhandlung ein:
treten werde.
Friedrich jelbit wußte ſchon am 6. Januar, vielleicht durch Lobkowitz un:
mittelbar unterrichtet, daß die Defterreicher „um jeden Preis“ noch einen Feld:
zug machen wollten. Und ganz entiprehend der Kundgebung des Wiener Hofes
auf das Anbringen von Lobkowitz lautete eine Mitteilung, die dem Könige nad)
langer Pauſe Ende Februar aus Franfreih fam. Friedrich hatte nad) der
Schlacht von Roßbach fich gegen die erneuten Mahnungen der Markgräfin von
Baireuth, unverzüglich eine Verhandlung mit Frankreich einzuleiten, ablehnend
verhalten. Genug wenn man, wie er einmal jagt, ab und zu etwas über bie
Anjhauungen der Franzoſen hörte und fich für den Fall eines großen Unglüds
eine Hinterthür offen hielt. Zu jolhem Behufe hatte einer der gefangenen
franzöfiihen Generale, Graf Maily, Urlaub zu einer Neife in die Heimat
erhalten und aus dem Munde des Prinzen Heinrich die Verfiherung mit auf
den Weg genommen, daß der Prinz wie fein fönigliher Bruder aufrichtig die
Verjöhnung mit Franfreih wünjchten. Darauf hatte nun König Ludwig dem
General eröffnet, daß er, getreu jeinen Bundesgenoflen, jede Verhandlung, die
ihnen Anſtoß geben fönne, vermeiden müſſe, aber im Verein mit ihnen einem
Friedensihluß auf den Grundlagen der Billigfeit und der Sicherung des Land—
friedens im Reiche nie entgegen fein werde. Diefe unbeftimmte und gefchraubte
Antwort, jagte ſich Friedrih mit Recht, Ichlieft allen Verhandlungen bie
Thür. Noch empfindlider als die Erklärung der Franzojen, von denen er
etwas anderes faum nod erwartet hatte und die er feit dem 5. November
als Gegner veradhtete, war ihm das MWiederauftreten der Ruſſen auf der
friegerifchen Bühne.
Somit blieb alles für ihn beim Alten: „Obgleich ich feine Luft habe, auf
dem Seile zu tanzen, dieje Halunfen von Königen und Kaijern zwingen mid
dazu, und es bleibt mir fein anderer Troft, als nad ein paar Kapriolen ihnen
mit der Balancierftange eins auf die Nafe zu geben.” In immer neuen Ton-
arten wandelt er in jeinen Briefen diejes Thema ab. „Wenn alle Welt die
Dinge mit fo philoſophiſchem Auge betradjtete, wie wir beide” jchreibt er feinem
Statthalter in Neufchatel, dem alten Freunde George Keith, jo würde der Friede
längft hergeitellt jein; aber wir haben mit denen zu thun, die Gott verflucht
hat, da fie von Ehrgeiz verzehrt werben; deswegen gebe ich fie zu allen Teufeln.”
160 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt.
Den gern mit klaſſiſchen Citaten prunkenden Algarotti erinnert er an die Gattin
des Königs Latinus, der die Göttin der Zwietracht das Herz gegen Aeneas mit
giftigem Haß erfüllt hat: „Sie ſehen, daß es nicht genügt, ſich zu ſchlagen, und
daß es ſchwerer iſt, mit böſen Frauen fertig zu werden, als mit ſtreitbaren
Männern... hätte ich die Wahl, ich würde vorziehen im Parterre zu ſitzen, als
auf der Bühne aufzutreten.” Es war ein ſchwacher Troft, wenn Algarotti er:
widerte: „Eure Majeftät jpielt zu gut, um nicht Acteur zu jein.“
Das Gerücht jagte ihn krank, „Ich bin nicht frank!” Tautete jein Dementi,
„weder an Leib, noch an Geift, aber ih ruhe mich aus in meinem Zimmer.”
Er verglih fi einem Manne, der lange Zeit auf hoher See geweſen fei und
fi freue, während einiger Zeit im Hafen und am Ufer weilen zu fönnen. Die
furze Pauſe diefer Breslauer Winterquartiere follte ihm dazu dienen, „in lieber
Gefellihaft das wiederabzuftreifen, womit der jchredliche Feldzug die Sitten ver:
roht haben mochte“. So lud er fih feine Schwefter Amalie und feine zwei
Nichten von der Schwedter Linie, die Gemahlinnen feines Bruders Ferdinand
und des Brinzen Friedrih Eugen von Württemberg, nad) Breslau ein, dazu den
Marquis d’Argens; auch Findenftein, der engliihe Geſandte Mitchell und der
ehemalige Vertreter am franzöfiihen Hofe Knyphauſen Ieifteten Gejellichait.
Mitchell, nah der Schlacht bei Roßbach in Leipzig zurüdgeblieben, wurde noch
am Abend feiner Ankunft in Breslau, am 8. Januar, von Friedrich zu Tiſch
gezogen und fand ihn „zufrieden und glüdlih, aber nicht aufgebläht nah den
großen und fait unglaublihen Erfolgen jeiner Waffen; er erzählte von dem
5. Dezember und deſſen Folgen mit der Bejcheidenheit eines Helden, deſſen Hoch—
finnigfeit weder durch das Lächeln noch durch das Stirnrunzeln des Glüds bes
rührt wird”. Man trug fih mit einem Wort aus jeinem Munde: „ch babe
nur etwas faltes Blut und viel Glüd gehabt.” Und indem er dem Prinzen
Heinrih einen Riß des Schladtfeldes von Leuthen überjandte, verhieß er ihm,
daß das jeine legte Erwähnung der Schlacht fein jolle, jonjt werde er in den
Ruf fommen, ebenfo närriih wie Cicero zu fein, der unaufhörlih von jeinem
Konjulat geiprohen habe. Auf des Bruders Glückwunſch zu feinem Geburts:
tage entgegnete er, wenn das beginnende Jahr jo graufam fein follte, wie das
verflofiene, jo wünſche er, daß es das lehte jeines Lebens fein möge. Doc war
er in der Stimmung, anders als vor einem Jahre, fich laute Feier gefallen zu
laſſen; wie einft in ben freubigen Tagen nad jeinem erjten Einzug in die
ſchleſiſche Hauptſtadt!) Iud er Behörden und Bürgerfhaft, alt und jung, zu
Tanz und Masferade.
Und doch zürnte der König einem Teile feiner ſchleſiſchen Unterthanen.
Den Feten gingen Strafgerichte zur Seite. Jetzt würden die Verräter, die vor:
eilig fich jelbit verraten hätten, lange Gefichter machen, meinte der Minifter
Schlabrendorff, als er nah der Schlacht von Leuthen fih zur Nüdfehr nad
Breslau anſchickte. Die Beamten, die fi der Kaiſerin-Königin, die meilten
nur dem Zwange gehorhend, durch Handichlag verpflichtet "hatten, wurden
teils zu Feitungshaft, teils zu Geldbußen verurteilt; einige jchwerer bloßgeitellte
) Bd. I, 64.
Das Jahr 1758. 161
traf Amtsentjegung. Die alten Generale, die nah der Schlacht an der Yohe
ihrer Piliht gefehlt hatten, wurden Friegsrechtlich zu Feitungshaft verurteilt, !)
Leftwig für die Uebergabe von Breslau auch zur Kaſſation. Wereinzelte pro:
teftantifche Geiftliche, die am 27. November bei dem von den Delterreichern an:
geordneten Sieges: und Dankfeſt in ihren Predigten Anjtoß gegeben batten,
wurden dafür nicht zur Verantwortung gezogen; wohl aber jprad der König
die Abficht aus, gegen den Fatholifchen Klerus, der ſchon zu Friedenszeiten ihm
verdächtig geweien war, „ganz ſummariſche Prozeffe zu machen und Erempel zu
ftatuieren“. Vorab zürnte er dem Fürſtbiſchof.
Schaffgotih hatte während der erften Monate diefes Krieges fih durchaus
tadelfrei gehalten, nach Kolin aber jcheint er, mit jo vielen anderen, die preußifche
Sache als verloren betrachtet zu haben. Schlabrendorff gab ihn als verdächtig
an, und der König erteilte ihm eine ernfte Verwarnung wegen feiner Unbe—
fonnenheit. Daß er nah dem Einzug der Kailerlihen in Breslau nah dem
Öfterreihiichen Schlefien auf fein Schloß Johannesberg verwielen wurde, fonnte
ihm auf preußiicher Seite nah Lage der Dinge nicht verargt werden; aber als
er dann zu den Kapuzinern nah Nifolsburg entwich und die Abjicht ausſprach,
für die Dauer des Krieges nah Nom zu geben, ſah der Sieger von Leuthen
die Verräterei des von ihm mit Wohlthaten überhäuften Kirchenfürften als er—
wiejen an und erklärte das Bistum für erledigt. Die Häupter der Breslauer
Kloitergeitlichkeit, zeitweilig in Haft genommen, famen mit einem Verweis davon;
die Jeſuiten blieben bis auf weiteres aus der Stadt verbannt. Die anderer
Orten eingeleiteten Verfahren gegen katholiſche Geiftlihe wurden dank der ruhigen
Unbefangenheit der Unterſuchungsrichter gleichfalls bald niedergefhlagen. Nur
in einem vereinzelten alle wurde ein Strafgericht vollzogen, ohne daß doch ein
zwingender Schuldbeweis erbraht war: der Kaplan Faulhaber zu Glag wurde
am 30. Dezember 1757 auf das unfichere Zeugnis eines dingfeft gemachten
Dejerteurs wegen Begünftigung einer Fahnenflucht durch den Strang hingerichtet,
wie es jcheint auf den dringenden Antrag des Kommandanten Fouque, der aus
feinem grimmen Hugenottenhaß gegen alles, was fatholiih hieß, Fein Hehl
machte.
An die im Frieden von 1742 erteilte Zufage, den kirchlichen Beſitzſtand
aufredhtzuerhalten, glaubte fich der König jegt nicht mehr gebunden; die Ver:
pflihtung der Evangelifhen in Schlefien zur Zahlung der Stolgebühren an den
katholiſchen Ortspfarrer”) wurde aufgehoben, nicht aber zugleich die allerdings
in viel jelteneren Fällen vorhandene entſprechende Verpflichtung fatholifcher Orte:
eingefejfener gegen einen proteſtantiſchen Geiftlichen.
Indes traten dieje Dinge nur ganz vorübergehend in den Gefichtsfreis des
Königs; nah dem Ausrüden in das Feld durfte ihn der Oberpräſident mit
firhenpolitiihen Berichten überhaupt nicht mehr beläftigen, und ſchon vorher
drängten die militäriichen, finanziellen, politifhen Vorbereitungen für den neuen
Kampf alle anderen Regierungsforgen zurück.
) Dben ©. 139.
2) Bd. 1, 41l.
Koier, Aönig Friebrih der Große. II. >. Aufl 11
162 Sechſtes Bud. Vierter Abfchnitt.
„Man jagt, daß wir einigen Ruhm haben,“ jchreibt Friedrich am 28. De:
zember 1757; „falls dem fo ift, find wir nichtsdeitoweniger nur Bettelhelden.“
Selbjt näher Stehende haben gemeint, daß er in diefem Kriege um Geld nie
in Verlegenheit geweien jei: daß er aus feiner gefüllten Schapfammer nad
Gefallen hätte ſchöpfen dürfen, fie aber geihont und fich lieber mit zweifelhaften
Künften gebolfen hätte. Nichts war irriger. Der jeit dem legten Kriege ges
parte Schag war noch vor Ausgang des zweiten Feldzuges völlig erichöpft.
Friedrich hatte früher gemeint, mit einem Vorrat von 20 Millionen vier Cam:
pagnen hindurd austommen zu können. Nun hatte er, da er das Schwert von
neuem 309, überhaupt nicht ganz 13'. Million im Schatze!) und davon war,
trog der aus Sachſen gewonnenen Hülfsmittel, am Schluffe des Jahres 1756
faum die Hälfte, 6", Million, noch verfügbar, und nad einem weiteren Viertel:
jahr, bei Beginn des zweiten Feldzuges, nur nod 570,000 Thaler. Der regel:
mäßige Zufluß des Schatzes verfiegte, da die Ueberſchüſſe der Staatsverwaltung,
fo viel deren ſich noch ergaben, alsbald, ohne durd den Schag bindurd zu geben,
den FFeldfriegsfajien zugeführt wurden. Aus einer außerordentlihen Einnahme:
quelle, einer bei den Ständen der einzelnen Provinzen geheifchten Anleihe, floß
dem Schab bis Ende 1757 nah und nah eine Summe von etwas über
34: Million zu, die aber zu dem genannten Zeitpunfte jomweit bereits aus:
gegeben war, daß fih im Schape bar nur no 1263151 Thaler befanden.
Die unter befondere Verwaltung geftellten Geldleiftungen des Kurfürften:
tums Sachſen endlih waren hinter dem Voranfchlage zurüdgeblieben. Der König
von Preußen hatte aus dem occupierten Yande jährlih 5 Millionen bar ziehen
wollen, ftatt der 6 Millionen, auf welche die Jahreseinnahme des ſächſiſchen
Staates in Friedenszeiten berechnet wurde. Indes betrug die ganze Bareinnahme
des preußiichen Oberfriegsdireftoriums zu Torgau in den vier Monaten bis Ende
1756 gerade nur eine Million und bis Ende 1757 nur weitere 3 100000 Thaler.
- Dazu famen allerdings noch anjehnliche außerordentliche Erhebungen im Gefamt:
betrag von 1271808 Thalern, darunter eine zur vorläufigen Dedung der aus:
ftehenden Nefte beftimmte Zwangsanleihe von einer halben Million bei der
Stadt Leipzig und eine Kriegsfontribution der Hauptitabt Dresden von 40000 Tha—
fern, und die Naturallieferungen beredinete man auf 1900000 Thaler. Seinen
Beitand bezifferte der Präfivent der Torgauer Behörde, der rajtlofe und doch
möglihft auf Schonung des unglüdlihen Landes bedachte Etatsminifter Friedrich
Wilhelm v. Borde, beim ahresabihluß auf 455907 Thaler.
Demnah trat der König in das neue Jahr mit einem Vorrat von noch
nicht ganz 1° Millionen. 2 Millionen gedadte er an Kontribution aus dem
jest von dem Feldmarſchall Lehwaldt eingenommenen Medienburg zu ziehen und
für das fchlefiiche Heer zu verwenden; was in Schwediſch-Pommern einfam,
jollte Yehwaldt für das dortige Heer behalten. In Sachſen wurden Ende Januar
4 Millionen ausgeichrieben, die binnen eben jo vielen Monaten aufgebracht jein
ſollten. Wielleiht ward die fnappe Friſt in der Erwägung geftellt, daß ſchon ein
furzer Frühlingsfeldzug den ‚Frieden bringen und dann auch die Räumung Sachſens
®b. I, 386. 387.
Das jahr 1758. 163
notwendig madhen würde. So hatte der König ſchon nah der Schlacht von
Leuthen, als er den Frieden unmittelbar vor der Thür glaubte, auf fcharfe Ein:
treibung der Nüdjtände gedrängt und dem Marſchall Keith empfohlen, gelegent:
lich bei militäriiher Erekution feine „ruffiihe Politeſſe“ zu zeigen.
Allemal ließ jih das Unmögliche nicht durchſetzen. Gegen den Ausgang
der gejegten Frift, im April 1758, wurde den Sachſen ein Nachlaß in der Weife
gewährt, daß an Steuern 1700000 Thaler, aus den Einkünften der Kammer:
verwaltung eine Million, von der Ritterichaft ein aus dem Vorjahre rüdftändiges
Donativ von einer halben Million, von der Stadt Dresden 235000 Thaler
(einschließlich jener bereits gezahlten 40000) im Laufe des Jahres an das Ober:
friegsdireftorium abzuführen waren, während auf Fouragelieferungen 286000,
auf Armaturgelder 70000 Thaler angerechnet wurden.
Auf folher Grundlage blieb der König finanziell zunächſt noch ſelbſtändig,
ein Umitand, der nun auf den Gang feiner Verhandlungen mit dem britifchen
Verbündeten nicht ohne Einfluß blieb.
Nah Leuthen war der engliihe Gejandte darauf gefaßt geweſen, daß der
König von Preußen, bei feiner ausgeiprodenen Abneigung gegen die Nolle eines
Almojenempfängers, die im Augenblide der höchſten Not widerwillig in Anſpruch
genommenen Subiidien jetzt im Glüde wieder zurüdweifen werde. Unermwarteter:
weile blieb SFriedrih bei der Stange und ſprach jogar den Wunſch aus, das
Geld auf einmal und zwar jofort, zum Jahreswechſel, zu erheben. Zugleich
aber drängte er von neuem auf die Entjendung engliiher Kriegsschiffe in die
Oftfee und englifher Truppen nad Weitdeutfhland. Als nun ftatt deſſen am
23. Januar Mitchell im Auftrage feiner Regierung vielmehr ein preußiiches
Hülfscorps für den mweitbeutichen Krieg forderte, das als Gegenleiftung für die
Subfidienzahlung zu betrachten jein würde, genügte diejes Anfinnen, um den
König auf feinen urfprünglichen Standpunkt zurüdzuführen. Noch am 22, hatte er
fih zur Entgegennahme der Subfidien bereit und mit ihrer Verteilung auf zwei
Zermine einverftanden erflärt, am 23. antwortete er auf Mitchells Antrag ftolz
und nicht ohne Schärfe: da er bisher, den ganzen Krieg bindurd, von England
feine Unteritügung gehabt habe, weder zu Mailer noch zu Lande noch auf diplo-
matiſchem Wege, jo habe er geglaubt, das angebotene Geld als Schadloshaltung
für einen Teil der feit dem Abichluß der MWeitminfterfonvention erlittenen Ber:
Iufte betrachten zu dürfen; jetzt aber begehre man für dieſes Geld eine mili-
tärifche Leiſtung von ihm, die er angefichts der Meberzahl jeiner Feinde nicht
zu verbürgen in der Lage fei, und jo müfle er ohne Umjchweif erklären, die
Subfidien nicht annehmen zu fönnen. Bol Schreden eilte der Gejandte zu dem
erzürnten Fürften und juchte zu begütigen; er erreichte jo viel, daß der König
jeiner Ablehnung am 25. Januar in einem Erlaß an den Gefhäftsträger in
London eine alimpflihere Form, eine andere Begründung gab: es ſei jein Wunſch,
den Verbündeten jo lange als irgend möglich nicht zur Laſt zu fallen. Auch
mit Finckenſtein und Eichel beſprach fih Mitchell in feiner Not. Nach deren
Meinung war der Unmut des Königs über beides, die Forderung wie die Weige—
rung der Engländer, gefteigert worden durch die eben eingetroffene Nachricht von
dem ruffifhen Einbrud in Dftpreußen, der ihm den Elaren Beweis lieferte jo:
104 Sechſtes Buch. Vierter Abſchnitt.
wohl für die ſchädlichen Folgen des englifchen Widerftrebens gegen eine Flotten-
demonftration, wie für die bare Unmöglichkeit, ein Corps an die Weſer und den
Rhein zu ſchicken.
Bor allem aber hatte Friedrih noch immer!) fein rechtes Vertrauen zu
der Perfönlichkeit und zu der Staatskunft Pitts; hatte ihm doc jein Londoner
Vertreter noch vor wenigen Monaten diejen Mann als einen in Parteileiden-
ichaft befangenen und bei glängender Beredjamkeit ziemlich einflußlojfen Nörgler
bingeftellt. Wenn jept die Berichte des Gefchäftsträgers ganz anders lauteten
und die hinreißende Begeifterung rühmten, mit der Pitt vor dem Parlament
von dem König von Preußen, jeinen wunderbaren Erfolgen und feinen unver:
gleihlihen Verdienften um die gemeine Sache aeiprodhen hatte, jo entaegnete
Friedrich fühl, daß es nicht auf Komplimente, fondern auf Realitäten ankomme.
Er bejorgte, daß jein Vertreter fich blenden und berüden ließ. „Ihre Berichte,“
jchrieb er ihm ungnädig, „And wie von einem Sekretär des Herrn Pitt und
nicht wie von einem Gefandten des Königs von Preußen.”
So ſchienen Louis Michel und Andrews Mitchell ihren Auftraggebern das
Miflingen der Verhandlung entgelten zu jollen; denn auch Pitt und Holderneile
klagten über die Ungeichidlichkeit ihres Unterhändlers und nahmen bereits jeine
Ablöfung in Ausfiht. Pitt war durch die abweilende Haltung des preußiſchen
Verbündeten auf das peinlichite überraicht; der eben erft ein wenig aufgebellte
politiiche Himmel ſchien fih von neuem zu verfinftern. Noch vor kurzem war
in Yondon die Gejamtlage als jo ernit angejehen worden, daß Pitt, um das
Bündnis Spaniens für den Kampf gegen frankreich zu gewinnen, die Abtretung
von Gibraltar angeboten hatte. In Amerifa war ort William Henry, das
legte britiiche Bollwerf am XLorenzitrom, gefallen, und die Angriffsbewequngen
gegen die Inſel Kap Breton waren ebenjo mißglüdt, wie in Europa die Unter:
nehmung gegen Rocefort.?) Zwar in Indien war Kalfutta zurüderobert, Chan—
dernagore den Franzoſen entrilfen und die Schlacht bei Plaſſey gewonnen; aber
die Zuverficht der Nation hob doch nicht der eigene Sieg, nicht diefer Tag von
Plafiey, der in feiner mwelthiftoriihen Bedeutung damals nod nicht gewürdigte
eigentlihe Geburtstag der britiihen Herrihaft in Andien; der frohe und volle
Umſchwung der Stimmung ward vielmehr ledialich den preußiſchen Waffentbaten,
den Tagen von Roßbach und Zeuthen, gedankt. Die Begeifterung des englifchen
Volfes für den preußiichen Heldenkönig hatte ihren Höhepunkt erreiht. Mit
Einftimmigfeit — ein unerhörter Vorgang — bewilligte das Unterhaus dem
Minifterium die neuen Geldforderungen für den Krieg. Und num zeigte Eng:
lands jtreitbariter Bundesgenofje, der vergötterte Heros, jo offenbares Miß—
trauen; wann war es den Söhnen Albions je geiheben, daß einer ihrer Wer:
bündeten eine halbe Million Pfund einfah ausgeihlagen hatte! Mit bitterem
Spott jchrieb Feldmarſchall Keith an feinen fchottifchen Landsmann Mitchell :
„Es ſcheint, daß der Engländer, nahdem er an Friedrichs Geburtstage ein
Dugend Flaihen Ale auf jeine Gefundheit getrunfen, alle Dienjte geleiftet zu
') Bal. oben ©. 61.
Oben &. 110.
Das Jahr 1758. 165
haben alaubt, die ſolch ein Verbündeter beanjprucden fann. Sie lieben mehr,
mit ihrem Geld zu zahlen als mit ihrem Leben!”
Wenn der König von Preußen bei jeiner Ablehnung verharre, erklärte
Pitt dem preußiichen Geichäftsträger, fo jet Das ganze Syitem des gegenwärtigen
Minifteriums aus den Fugen gebradt; denn die Vorlage wegen der Subfidien
für das hannöveriſche Heer laſſe ih im Parlament nur vertreten, wenn fie als
eine Folge und als ein Anhängjel des Vertrages mit Preußen ericheine. Wenn
aber die Geldjpenden nah Hannover in Wegfall kämen, was bleibe dem König
Georg als Kurfürſten anderes übrig, als jih um jeden Preis aus der Klemme
zu ziehen? Der alternde Welfenfürft war feit dem Angriff der Franzojen auf
jein Stammland in einem Zuftande jchmerzlidhiter Aufregung. „Ich fomme nie
aus dem königlichen Kabinett, ohne daß mein Herz in Thränen ſchwimmt,“ be:
fannte noch vor der Haftenbeder Schlaht der jüngere Mündhaufen, der Chef
der Londoner deutihen Kanzlei. König Georg bat nad) dem Abſchluß der Kon:
vention vom Klofter Zeeven den nah London zurücdgefehrten Gumberland
vor dem ganzen Hofe gedemütigt, ja beichimpft, und er ſelbſt war e& doch geweien,
der in der Berzweitlung über die Niederlagen von Kolin und Haftenbed diejen
jeinen Sohn und zugleih den hannöveriichen Geſandten in Wien mit weiteiter
Vollmacht für einen Vergleich ausgeftattet hatte.
Erläuternd fügte Michel den Vorftellungen Pitts hinzu, daß das Mini:
fterium fich gegen die Majorität und den ſehr maßgebenden Prinzen von Wales
gebunden habe, Feine Nationaltruppen nah Hannover zu ſchicken; daß Pitts
ganze Stellung, weit mehr als die von Nemcaitle oder Holderneſſe, auf diejer
Borausjegung beruhe; dab bei entgegengejegter Haltung das Kabinett unver:
meidlich zu Falle fommen müſſe, ohne die geringfte Wahrfcheinlichfeit, andere
Minifter fih für die Truppenjendung ins Zeug legen zu jehen; vielmehr jei
alle Gefahr vorhanden, daß England wie im Vorjahre in einen verderblichen
Zuftand der Unthätigfeit und Spaltung verlinfe.
Der Hinweis auf jolhe Möglichkeit blieb nicht ohne Eindrud. An Michel
allerdings jchrieb König Friedrich am 18. Februar noch, daß feine Nuseinander:
jegungen feineswegs überzeugend jeien, und daß er feine Bemühungen, Die
engliihen Minifter von ihren Vorurteilen zurüdzubringen, fortzufegen habe.
Aber ein gleichzeitiges Schreiben an Ferdinand von Braunjchweig zeigt, daß Fried:
rich mit den gegebenen Berbältnijien zu rechnen begann. Indem er an der Hand
der Berichte Michels dem Prinzen die Ausfichtslofigfeit des Antrages auf eng—
liihe Nationaltruppen darlegte, machte er den Vorſchlag, Ferdinand jolle jein
Heer nicht blos ergänzen, jondern nod um 10000 Mann ‘vermehren und die
erforderlihen Geldmittel von England erbitten; das werde genügen, um dem
Feinde während des nächſten Feldzugs gewachlen zu bleiben. An diefem Aus:
funftsmittel hielt er nun feit und ließ es durch einen Erlaß vom 3. März, unter
ausdrüdlihem Verzicht auf die engliihen Truppen, in Zondon unmittelbar be:
antragen, nachdem inzwilchen Ferdinand feinen Siegeszug begonnen, der Hof
von Verjailles dagegen dur jene Eröffnung an den Grafen Mailly jeden Ge—
danfen an Verftändigung abgejchnitten hatte. Zugleich erklärte ſich Friedrich
jett wieder bereit, die Sublidien zu nehmen, und forderte nur noch Kriegsſchiffe
166 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt.
für die Oftfee, nicht eine „Formidable” Flotte, aber doh ein „Promenaden”:
Geſchwader, des moraliichen Eindrudes halber. Für den äußerftien Yall aber
erflärte er, wieder drei Wochen fpäter, am 26. Mär; — noch ebe er Michelle
Bericht über die Aufnahme feines Vorſchlages hatte — dab er auf die Schiffe
ganz verzichten wolle. Außerdem war inzwiſchen, dem britiichen Verlangen ent:
ſprechend, jene preußifche Reiterihar zu dem bannöveriichen Heere geitoßen, und
Prinz Heinrich hatte feine Diverfion nach Hildesheim gemadt. Auch darin zeigte
fih Friedrih den Engländern willfährig, daß er jet einen Gefandten von Rang
und Geburt, den Freiherrn von Anyphaufen, feinen ehemaligen Vertreter in
Frankreich, bei Georg II. beglaubigte.
Knyphaufen und Michel haben dann am 11. April zu London mit den
engliichen Miniftern die Konvention unterzeichnet, durch welche die Krone Eng:
land die Zahlung von jährlid 670000 Pfund Sterling und der König von
Preußen die Verpflichtung übernahm, diefe Summe zum Beiten der gemeinfamen
Sade für Vermehrung und Erhaltung feiner Streitkräfte zu verwenden; beide
Teile, und zwar Georg 11. jowohl als König wie als Kurfürft, gelobten, feinen
einfeitigen Frieden oder Waffenftillitand zu ſchließen, und in einer Zuſatzerklä—
rung verbieß der König von England im Einne der von Preußen geitellten
Bedingung, 50000 Mann in Deutihland auf britiihe Koſten und meitere
5000 Mann auf hannöveriiche zu unterhalten. Die Bewilligung der entſprechenden
Summen durd das Unterhaus erfolgte wiederum jo gut wie einftimmig.
Inſoweit aber blieb der König von Preußen auch jegt noch zurüdhaltend,
als er Anftand nahm, das engliiche Geld fofort zu erheben. Seine Beweg—
gründe deutete er Knyphauſen in einem Erlaß vom 21. Mai mit den Worten
an: er wolle nicht geniert fein in Bezug auf die Vorteile, welche günftige Er:
eigniffe ihm verſchaffen könnten.
Der Gejandte glaubte den Gedanfengang feines Gebieters zu erraten.
Offenbar wollte Friedrich freie Hand behalten, jederzeit mit dem Wiener Hofe
Frieden zu jchließen, und beforgte wohl aud, daß er nah Empfang dieſer eng:
liſchen Subfidien, die als Ausgleich für feine Kriegsfoften gedaht waren, mit
minderem Fug und Nect eine Entihädiqung an Land und Leuten beanipruchen
fönnte. Er war nicht ohne Sorge wegen eines Ueberreites der alten Vorliebe der
Engländer für Defterreih und auch nicht ohne Zweifel wegen der Stellung,
die Pitt zu einer derartigen ‚jorderung einnehmen möchte, denn auch jegt noch
galt ihm der Staatsjefretär als jehr erregt und ſtark eigenfinnig, als von einer
Art Koller beſeſſen. Nah beiden Richtungen glaubte Knyphauſen die Zweifel
zeritreuen zu können: er verlicherte dem Könige in einem Bericht vom 27. Juni
„politiv“, der Grundiag, auf dem Englands Verbindung mit Preußen berube,
fei fie als Gegengewicht auf dem Kontinent gegen die Macht der Höfe von Ber:
jailles und Wien zu benugen, folglich werde man fi einer Vergrößerung Preußens
nicht nur nicht widerjeten, jondern betrachte fie als weientlih und notwendia
zur Befeitigung des neubegründeten Syſtems. Zweitens aber werde England,
wofern fih König Friedrih zu einem förmlihen Alliangvertrag verjtehen wolle,
ihm anbeimitellen, nad freiem Ermeſſen auch ohne engliihe Beteiligung jeden
beliebigen Vertrag mit dem Wiener Hofe zu jchließen, immer vorausgefeßt, daß
Das Jahr 1758. 167
in dem weiteren Kampfe gegen die Franzoſen Defterreich neutral bleibe, Preußen
dagegen zum Entgelt für die Fortzahlung der engliihen Subfidien mit einem
Hülfscorps auf dem Plan ericheine.
In diefer Beziehung hatte Friedrich feinen Bundesgenofien unter behut—
jamen Vorbehalten ſchon einen glänzenden Nusblid eröffnet. Im April war
ihr bisheriger Gefandter bei den Generalftaaten im ſchleſiſchen Hauptquartier
erihienen, Sir Joſeph Vorke, ein warmer Anhänger der preußiihen Sade;')
zur Ablöjung von Mitchell?) bejtimmt, wurde er doch nad) einigen Wochen wieder
abberufen, da der König jenen bei fih zu behalten wünjchte. Gleich in einer
feiner erſten Unterhaltungen mit Norke betonte er die Notwenbigfeit, das neue
politiihe Syftem auf die Dauer zu begründen, und erflärte, wenn er fo glücklich
jein jollte, die Königin von Ungarn zu einem Sonderfrieden zu nötigen, fo fei
er durchaus willens und begierig, feine Waffen gegen Franfreid zu fehren. Oft
habe er über die wirkſamſte Art der Kriegsführung gegen die Franzojen nad):
gedacht. Man dürfe nicht den Stier bei den Hörnern fallen und ihre Feſtungs—
fette überwältigen wollen, denn da werde man auf dem halben Wege zum
Ziel ſchon zu Grunde gerichtet; aber von Luremburg ber könne es nicht Schwierig
fein, die Feftungen zur Seite laſſend, in Frankreich einzudringen. Er werde fi
glüdlih preifen, wenn er noch einmal die Kriegsfadel nah Paris tragen und
diefen Herren „Procédés“ lehren könnte. Das war ein Lieblingsgedanke von Pitt,
auf den er immer wieder zu jprechen fam, den König von Preußen wie am
Tage von Roßbach in Perfon gegen diefen Feind Fämpfen zu ſehen. Friedrich
hoffte, daß ſolches Zulunftsbild die Engländer doch vielleicht noch beftimmen werde,
ihre Nationaltruppen auf das Feſtland zu fchiden. Immer aber erflärte er, daß
an die Ausführung fo großer Dinge nicht zu denfen ſei, ehe er die Ellbogen frei
babe. Vorerſt habe er anderwärts allzu viel zu thun, die Deiterreicher jeien der
erite Feind und der zweite die Ruſſen. „Vielleiht,” fagte er zu Morke, „kann
ih gegen den Herbit mehr thun, aber bis dahin kann ih nicht das Geringite
verſprechen.“
Wenn jomit das Verhältnis zu England ſich durchaus befriedigend geſtaltete,
jo brauchte auch von hannöveriicher Seite ein grundfäglicher Widerſpruch gegen
preußiihen Landerwerb nicht erwartet zu werden. Nahm doch das Ffurfürftliche
Geheimratsfollegium auf eine Anregung aus Berlin die nad) der Koliner Schlacht
zurüdgelegten territorialen Entwürfe?) jegt im April 1758 begierig wieder auf
und gab zu erkennen, daß man Hildesheim und Dsnabrüd noch lieber nehmen
würde als das Eichsfeld. Die preußiihen KHabinettsminifter Podewils und
Findenftein bezeichneten das als einen „angenehmen Traum“ der Hannoveraner;
der König aber entgegnete ihnen, im Begriff ins Feld zu rüden, am 23. April:
wenn unjere Waffen erfolgreich find, jo fünnten die Träume und Chimären von
heute jehr wohl in Zukunft Wirklichkeit werden.
Er hatte ſchon im Januar, als ſich die Umvermeidlichkeit eines weiteren
ı) BD. I, 598.
») Oben ©. 165.
Oben ©. 59. 88.
168 Sehfted Bud. Vierter Abſchnitt.
Feldzuges berausjtellte, dem Grafen Findenftein feine Abſicht eröffnet, bei
gutem Glüd fih durd Landerwerb jchadlos zu halten. Damals rechnete er
noch darauf, Rußland werde keine neue Diverfion mahen, Franfreih ganz lahm
gelegt und Schweden zum Frieden genötigt jein; dann werde Maria Therefia
allein ſtehen und vielleicht fogar, wenn etwa die Türken fich rührten, zwiichen
zwei Feuer fommen. Von dieſen Annahmen war die erfte jchon nad wenigen
Tagen hinfällig geworden, und wie die Ruſſen ſchickten fich ja auch die Schweden
zur Fortiegung des Kampfes an. Aber wenigitens auf einer der Nebenbühnen
war noch vor der Wiedereröffnung des Hauptfriegsichauplages eine jo ent:
iheidende Wendung eingetreten, dab Friedrich im April fagen durfte, der
Frauzoſen, deren Nähe ihm im vorangegangenen Fahre Feſſeln angelegt habe,
jei er auf mindeſtens ſechs Monate entledigt.
In diefem Punfte war jeine militäriihe Lage ohne Zweifel günftiger als
1757. Damals hatte er fich lange beionnen, ehe er bei der Menge feiner Feinde
gegen die Defterreicher ftrategiich die Offenſive ergriff; heute war ihm dieſe Offenfive
feinen Augenblid zweifelhaft. Damals hatte er, um fich nicht zu weit von
jeiner Zentralftellung zu entfernen, die Angriffsbewegung nur gegen Böhmen
kehren zu dürfen geglaubt, das doc) jeiner auf böſen Erfahrungen aufgebauten
militäriichen Theorie als eine unvorteilhafte Arena galt, und eben deshalb hatte
er damals von der Dffenfive zunächſt ganz abjehen wollen. Heute ſchien ihn
nichts zu hindern, die Operationsbajis von der ſächſiſchen Zentralitellung los:
zulöjen und nah Oberfclefien zu legen, um von dort aus feine Waffen dahin
zu tragen, wo nad jeiner alten Auffaffung') am eheſten enticheidende Erfolge
gegen die öfterreihifche Macht fi erwarten ließen: nah Mähren.
Der Grundgedanke feines Seldzugsplanes war wie im Borjahre, einen
großen Schlag gegen den vornehmiten Feind zu führen, jo lange die Haupt:
maſſe der preußifchen Streitkräfte beifammen war, um nachher, wenn andre Gegner
fihtbar würden, nad) Gefallen gegen fie detadhieren zu fönnen. Die Ausführung
dachte er ih in der Weile, daß er nad der Wiedereinnahme von Schweidnig
mit ‚dem jchlefiichen Heere auf Olmütz losgehen, die Feitung zur Uebergabe
zwingen und weiter die Deiterreicher durch ftarke Entjendungen nach Ungarn, wo
Verbindungen mit der alten niurreftionspartei angefnüpit werden jollten, aud
aus dem often von Brünn berausbringen und überhaupt nötigen wollte, alle
ihre Streitkräfte an der Donau zufammenzuziehen. Alsdann ſollte Prinz Heinrich
aus Sadhjen an der Spike eines zweiten Heeres, jo lange auf eine abwartende
Stellung und die Beichäftigung der Neichsarmee angewiefen, in das von Ber:
teidigern entblößte Böhmen einbreden und dur die Wegnahme von Prag dem
Gegner den „Keulenjchlag” verjegen, von dem er fich nicht würde erholen fönnen.
Inzwiſchen jollte Graf Dohna, der Nachfolger des alten Lehwaldt im Ober:
befehl über das ehemals ojtpreußiiche Heer, den Schweden, obgleich die zur Be:
jegung von Nügen geeignete Jahreszeit ungenügt verftrihen war, doch noch eins
„anzuhängen“ verfuchen und weiter den Nuffen das Vordringen nah Pommern
und in die Neumark verwehren. Sollten die Rufen nad Schlefien gehen
1) Oben ©. 17. 64; Bd. 1, 556.
Das Jahr 1758. 169
wollen, jo glaubte der König, da ihre Ankunft dort vor Ende Juli nicht zu
erwarten war, nad der Einnahme von Olmüb wohl im ftande zu fein, einen
Teil des Hauptheeres gegen fie auszufchiden; wo er dann für den Fall einer
gewonnenen Schlacht ji wie im Worjahre !) mit dem Gedanken trug, nad)
einem Weichjelübergang in der Gegend von Warihau ihnen am Unterlauf des
Stroms zwiſchen Thorn und Elbing den Nüdzug zu verlegen.
Bon einem Marih und Angriff auf Wien fpricht Friedrich in diejen feinen
Entwürfen nirgends. Und wenn er mit größter Beitimmtheit der Meinung
Ausdrud gab, daß der Krieg in diefem Jahre auf eine oder die andre Art zu
Ende gehen werde, jo läßt fchon diefer Umstand allein vorausfegen, daß er
1758 die Einnahme der feindlihen Hauptitadt nicht in den Bereich feiner
ſtrategiſchen Kombinationen ziehen wollte; denn wir wiſſen aus einer nach dieſem
Kriege entitandenen Aufzeichnung, daß er für eine in Mähren beginnende Unter:
nehmung, die mit dem Angriff auf Wien zu enden haben würde, nicht einen,
jondern zwei Feldzüge in Anjchlag bradte. Maria Therefia hat damals ge
jagt, habe fie nicht mehr 100000 Mann, fo blieben ihr nod 50000 oder
25000, und verliere fie Böhmen, jo blieben ihr noch Ungarn und Oeſterreich:
fo lange fie noh Waffen in der Hand habe, werde fie auch den Mut nicht
verlieren. Wie heldenhaft feine große Gegnerin date, wußte Friedrich nad
ihrem Verhalten in der Not des Herbftes von 1741 und hat es ihr nachgerühmt.
Wollte er jchnell Frieden haben, jo durfte er fie mit feinen Bedingungen nicht
auf das Aeußerſte treiben.*) Im übrigen blieb das Mehr oder Minder feiner
Forderungen vorbehalten. Er vermöge nicht vorauszjujagen, jchrieb er am
21. Mai in jenem Erlaß an Knyphauſen, wie weit jeine Anſprüche gehen
würden, und alles müſſe von den Ereigniffen diejes Feldzugs abhängen. Daß
des Königs alter Gedanke an Säkularifationen,?) wie fie ſchon einmal in ber
deutichen Gejchichte nad einem großen Bürgerfriege dem Frieden die Thore ge:
öffnet hatten, nicht vergefien war, läßt eine Neußerung der preußijchen Kabinetts—
minilter erſehen: indem fie ihrem Gebieter über jene Abfichten der Hannoveraner
auf geiltliches Land berichteten, machten fie geltend, daß das an preußifches
Gebiet angrenzende Bistum Hildesheim für Preußen ebenjo begehrenswert fei,
mie für Hannover.
Dermeil war der Kampf an den Sudeten, von deſſen Verlauf alle
politiihen Entwürfe abhingen, bereits in vollem Gang.
Die Wiederergänzung des preußiichen Heeres war über Erwarten gut von
Statten gegangen. Während der König nad dem Einrüden in die Winter:
quartiere noch nicht zu jagen vermochte, ob fich mehr als S4000 Mann in
Schlefien würden aufftellen laffen, fand ihm Anfang März feit, daß er unge:
fähr ebenfo ſtark wie im Vorjahre ins Feld rüden würde. Doch fehlten dem
Schlefifchen Heere an der Sollitärte von 96000 Ende April noh an 12000
Kranke und Genejende. Die beiden Heere in Sachſen und in Pommern zählten
1) Oben ©. 89.
9) Vgl. oben S. 55. 89.
2) Bol. Bo. I, 196.
170 Sechſtes Bud. Vierter Abichnitt.
jedes etwa 22000 Mann; dazu kamen die Garnifontruppen und die fünfzehn
nah Weitialen abgegebenen Schwadronen. Tas Nefrutenmaterial batten teils
die Kantons, teils Zwangsaushebungen in Sachſen, Anhalt, Medlenburg,
Schmwediih: Pommern und felbit in den pfälzifchen und kurkölniſchen Gebieten
geliefert; viele Deferteure hatte wie gewöhnlich ein Generalpardon zurüdgelodt ;
auch Leberläufer aus den fremden Heeren und ein Teil der Kriegsgefangenen
balien die Yüden füllen, Aber auch Freiwillige kamen haufenweiſe, dur den
heller denn je ftrahlenden Ruhm der preußiichen Waffen angezogen. Auf dem
Werbeplag des neu errichteten Bellingichen Sularenbataillons zu Yeipzig war
der Zulauf ungeheuer, denn die Hufaren vor allem — ihre Regimenter wurben
jest auf 1300 Pferde gebracht — hatten ſich weit und breit berühmt gemacht:
in Jena verjchworen fich die Burfchen der großen Mofellaner Landsmannſchaft,
in des Königs von Preußen letter Not feine Hufaren zu wersen, um ihm alles
Land bis zur Mojel erobern zu helfen. Dieie Bellinafhen Hufaren und zwei
Freiregimenter, das eine fait ganz aus Franzofen gebildet, waren die einzigen
Neuformationen diefes Jahres; dagegen blieben von den 1756 errichteten zehn
ſächſiſchen Negimentern nur drei noch beftehen.
Auf vorichriftsmäßige oder nur gleihförmige Einkleivung der Neulinge
durfte fein Gewicht aelegt werden. Wo es an Montierungsitüden fehlte, befahl
der König „ih durdyzubelfen und die Mode vom dreißigjährigen Kriege zu
erneuern”. Das neue Hufarenbataillen rüdte im April aus Leipzig in zwei
Kolonnen aus, die eine mit Sätteln und voller Montur, die andere ohne Uniform,
in „Trauermänteln“, mit Schabraden auf den bloßen Pferden. So fehlte überall
noch viel, aber da fih bei dem Feinde noch größere Unfertigfeit vorausiegen
ließ, meinte der König losgehen zu dürfen.
Zunächſt alio galt es, den Tefterreihern den Stützpunkt zu entreißen,
von dem aus fie fich in Schlefien auszubreiten gedadten. Um die Belagerung
von Schweidnig einzuleiten, begab ſich Friedrich am 15. März, drei Tage nad
der Ankunft Dauns zu Olmüs, von Breslau in das Gebirge nah Klofter
Grüffau, einem Hauptquartier „wie in Yappland“; noch war man durch „Eis:
barrieren” vom Feinde getrennt. Am 30. wurden vor Schweidnig die Lauf:
gräben eröffnet; feine Artilleriften thaten dem Könige nicht genug; er ſchalt
ihre Oberften „Erzignoranten” und „Erzdröhmer”. Um abzufürzen, ließ er in
der Naht auf den 16. April das Galgenfort mit ftürmender Hand nehmen;
darauf ergab fih die Feſtung noch ſelbigen Tages, 3200 Mann und 250
Difiziere wurden friegsgefangen.
Am 19. April verließ der König Grüffau, um auf einem Umweg über
Glatz nad Neiße zu geben, wo das Heer fich verfammelte. Er hatte das Gerücht
ausiprengen laſſen, daß der Feldzugsplan des Vorjahres wieder aufgenommen
jei; die Abiicht war, Daun, der inzwiichen jein Sauptquartier nah Sfalig
verlegt hatte, zum Werbleiben in Böhmen zu veranlaffen, um vor ihm bei
Olmütz zu fein. Denn davon ſchien alles abzubängen: „in fünf Tagen werde
ih Ahnen jagen können, ob ih glüdlich oder unglüdlih jein werde”, ſagte
Friedrich am 23. in Münfterberg zu einem feiner Begleiter. Am 27. brad er
von Neiße auf und war am 29, in Troppau, mit einem Vorſprung von neun
Das Jahr 1758. 171
Tagen, wie er ausrechnete, vor dem getäufchten Daun. Feldmarſchall Keith
führte die zweite Kolonne über Yägerndorf. Bei Giebau und bei Sternberg
traten die Preußen am 3. Mai in die mähriſche Ebene ein, am 4. ftand der
König mit der Vorhut bei Yittau auf der Straße von Olmüs nah Böhmen,
Daun war von der Feltung abgeichnitten.
s Während Keith mit einem Teil des Heeres die Belagerung begann, wählte
der König zu ihrer Dedung eine Stellung füdweitlih von Olmütz bei Proßnig,
wo eine zweite Straße aus Böhmen mit der von Brünn fommenden zufammen:
lief. Er freute fih, mit feinen Truppen aus den für die Rufen beitimmten
Zöpfen eſſen zu dürfen.
Seine Stimmung während der nächſten Wochen, in, den elenden Dorf:
quartieren von Schmirfig und Klein-Latein, war hoffnungsvoll und glüdlid. In
feiner Umgebung befand fich feit kurzem der junge Schweizer, den er vor brei
Jahren mwährend jenes Ausfluges nah Holland auf jo abenteuerlihe Weiſe
fennen gelernt hatte.) Henri de Gatt war im März 1758 als Borlejer in
jeine Dienjte getreten, nachdem ber Abbe de Prades,?) der Zeuge der Zweifels-
qualen des Herbites von 1757, nah der Schlacht bei Roßbach wegen eines
verräteriichen Einverftändnilles mit den Franzoſen auf die Feſtung Magdeburg
geihidt worden war. Die Kriegstagebüher des neuen Vorleſers mit ihren
fnappen abgeriffenen, ohne jede jchielende Rückſicht aufgezeichneten Vermerfen,
find unverdächtige Zeugniffe des Zaubers, mit welchem die Perlönlichkeit des
Königs in ihrer Größe und zugleich in ihrer Liebenswürdigfeit den jugendlichen
Sinn des Begleiters gefangen nahm. „Je mehr ich diefen Fürften fehe, um
jo mehr Gründe finde ih, ihn zu lieben und zu verehren“, jchreibt Catt während
des Marſches nah Mähren, und als Friedrih ihm in Schmirſitz eines Tages
vom Tode Ipricht und von der furzen Lebensdauer, die er bei zunehmender An:
fälligfeit fih nur noch beichieden glaubt, wird das weiche Herz des Zuhörers fo
traurig geitimmt, daß er für alle weiteren Neuerungen die Aufmerkſamkeit ver:
liert. Vorwiegend aber waren damals die Eindrüde, die er aus dem Quartier
des Königs bier vor Olmütz beim Nachhauſegehen mitnahm, hell und freund:
ich. Friedrich hatte jein Gefallen an dem gewandten und unterrichteten und
dabei bejiheidenen und taftvollen Gefellichafter; denn nicht Sowohl zum Vorleſen,
als zur Unterhaltung ließ er ihn gegen Abend auf eine oder mehrere Stunden
zu jih fommen, wo dann über die verfchiedenften Dinge, die franzöfifche Litte:
ratur, die jchriftitelleriichen Arbeiten des Königs, Perjönlichkeiten, Erlebniſſe, aber
auch über die militärischen Ereignifie des Tages geplaudert wurde; oder Friedrich
trällerte Arien aus den in Berlin aufgeführten Opern und mweihte feinen Bor:
lejer in die Grundbegriffe der Tanztunft ein, um dann beluftigt auszurufen:
„Welch Schaufpiel für Daun und den Prinzen Karl, jähen fie ihren Befieger
von Liſſa bier in einer Bauernitube Entrechats machen und Herrn Catt graziöfe
Bewegungen beibringen.“
Seine glüdlihe Yaune wurde noch gejteigert durch erfreuliche Nachrichten
) 3b. I, 574.
2), Oben S. 120; Bb. I, 526.
172 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt.
von den anderen Heeren. Prinz Heinrich hielt die jet von dem Prinzen von
Zweibrüden geführten Neichstruppen durch empfindlihe „Nafenftüber” jo in
Chad, daß fie jih aus der Nordweitede von Böhmen nicht bervortrauten, und
ließ durd ein fliegendes Corps unter Drieſen, dem Helden von Leuthen, die
Gebiete von Bamberg und Würzburg brandihagen. Prinz ‚Ferdinand folgte in
der Nacht vom 1. auf den 2. Juni bei Tollbuys unterhalb von Emmerich ‚ben
Franzojen über den Nhein, im Sinne der ihm erteilten draftiihen Mahnung,
fie auf dem ihren Verfolgern zugewandten Körperteile mit den nitialen des
Meftfälifchen Friedens zu zieren. Einem neuen Manifelt, das fie als Garanten
diejes Friedens dem Vernehmen nad zu veröffentlihen gedachten, durfte Friedrich
jegt mit Ruhe entgegenjehen: „Sie reden diejelbe Sprache, wie unter Ludwig XIV.,
aber fie haben feine Turennes und feine Condés.“
In dieſen erjten Junitagen war feine Zuperfichtlichfeit auf ihrem Höhe—
punfte. Die Franzoſen, fo verfichert er dem Prinzen Heinrich, werden kriegs—
müde und die Oeſterreicher flügellabm, und die Ruſſen ſchöpfen Mißtrauen.
„Aus guten Gründen” erfucht er den Bruder, in Sachſen das Gerüdt auszus
fprengen, man dürfe ſich darauf verlaffen, daß Preußen den Frieden nicht ans
nehmen werde, ohne eine eflatante Genugthuung für den ihm aufgenötigten
Krieg, und jollte diefer Krieg no vier Sabre währen. Auch Pitt ließ er, zu
feines alten Kabinettsrats leiiem Echreden, auffordern, joldy hohen Ton anzu—
Ihlagen. Eine nähere Erläuterung gab er beim Abjchied dem Briten Morke, der
am 10. Juni aus dem preußiichen Feldlager auf feinen Haager Gefandtichafte-
pojten zurüdfehrte: „Wir müjlen alle Anträge als an uns gemeinfam gerichtet
behandeln; wir müfjen feine Begierde nad) Frieden verraten, aber aud die uns
gemachten Anträge nicht hochfahrend zurückweiſen.“ Dabei betonte er die Not:
wenbdigfeit, nur einen Frieden, der Dauer verfpräde, zu fließen: „Meine Lage
und meine Umftände erlauben mir nicht, Tag für Tag ins Feld zu ziehen und
einen Waffenftillftand ftatt eines Friedens zu fchließen. Mein Verluft an Leuten
und an Einkünften ift zu fchwer für ein foldes Syftem, und eben deshalb
made ich alle Anftrengungen, um den Krieg abzufürzen, indem ich unjeren
Feinden Abbruh zu thun ſuche, foviel ih nur kann. Die Kaiferin ift mit
Franfreihs Betragen nicht zufrieden und befonders nicht mit dem von dieſer
Macht in Wien geitellten Anerbieten, die Friedensvermittelung zu übernehmen.
Das ift für die Kaiferin feine angenehme Ausfiht — der König zeigte fi hierin
ſehr zutreffend unterrichtet — und wird fie möglicherweife einem Sonderfrieden
geneigt machen, auf den ich gern eingehen werde. ch habe fein Verlangen,
mit dieſer Fürftin in Zwift zu leben, vorausgeießt, daß fie fein zu großes
Uebergewidt erlangt; auf dem Fuße der Gleichheit will ih von Stund an ihr
Freund fein.“ j
In eben diefen Tagen regten fih ihm nun doch die eriten Bedenken wegen
des Ausgangs feiner großen Unternehmung. Alle militäriihen Aufgaben, welche
Zeit erforderten und die Heere fefthielten, hatten in diefem Feldzuge grundiäß:
lih vermieden werden follen: hatte man ji bier vor Olmüß gleichwohl auf
ſolche Aufgabe verjeffen? Wie vor Pirna und wie vor Prag ſah Friedrih den
Termin für das Ende von dem anfänglich angenommenen 15. Juni in immer
Das Jahr 1758. 173
weitere Ferne entweichen. In der Nacht zum 28. Mai waren die Laufgräben
eröffnet worden, in viel zu großem Abftand von der Feſtung. Hatte der König
vor Schweidnig auf jeine Artilleriften geicholten, fo galt fein Tadel hier den
Ingenieuren, die fich To verrechnen Fonnten. Wenn Goehoorn und Vauban
auferitehen fönnten, jo würden fie, jpottete er, ihren ungefchicdten Epigonen
Mützen mit Eielsohren verehren ftatt der Mauerfronen. „Wir verlieren Menſchen,
wir verpuffen unjer Pulver auf Spaten, wir verzehren alle Fourage, und der
beträchtlichite Verluft von allen ift der Zeitverluft, und ſchließlich wird der Feind
fih in gewaltigen Stand jegen infolge unserer unverzeiblihen Langſamkeit.“
König Friedrih hat oft geiagt, dab man als Feldherr das thun müſſe,
was dem Feind am unerwünschteiten fein werde, In Wien fürdtete man Anfang
Mai 1758 nichts mehr, als da die Preußen entweder gradenwegs an bie
Donau marjhieren oder das Heer des Marſchalls Daun in einer Schlacht zu
Paaren treiben fönnten. Schon ließ das durch Flüchtlinge aus Mähren ver:
breitete Gerücht das Corps des Feldmarſchall-Lieutenants de Ville geichlagen
fein; die Zufammenziehung von Truppen bei Schwechat zur Verteidigung des
Donauüberganges, ja die Verlegung des Hofes nah Graz wurden in Vor:
Ichlag aebradt. Daß Mähren von Truppen entblößt jei, wurde Icharf getadelt,
und die abgetretenen Feldherren, der Prinz von Hildburghaufen und der Loth:
ringer, die Männer von Roßbach und von Leuthen, fühlten fih jest berufen,
über die Unzulänglichfeit der getroffenen Vorkehrungen, die Fehlgriffe der Heeres»
leitung zu Gericht zu figen. Maria Therefia glaubte ihnen nicht unrecht geben
zu können. Sie geitand, vor den Zuſtänden im Inneren mehr in Sorge zu
fein, als „vor dem Preußen ſelbſten“ — „mwiewohlen”, jo ſetzte fie hinzu, „ihme
gar nicht verachte”. Sie entzog fich den Bliden ihres Hofes, verftedte, wie ihr
Ausdrud it, ſich täglich mehr, damit niemand ihre tiefe Niedergeichlagenheit
gewahre. Schwere Zweifel peinigten fie; nur zweien ſchüttete fie ihr Herz aus,
ihrem alten Kabinettsſekretär Koh und dem bei ihr tro& allem noch bochange:
fehenen Hildburghausen: ihr Innerliches, Schrieb fie ihm, fonfundiere fie, „mweillen
an alle jelbiten Schuld bin, mithin auch vor Gott und in mein Gewiſſen nicht
rubig fein fann“.
Man atmete auf, als die Nachricht fam, daß die Preußen fih vor Olmütz
feftlegten. Raunig trug die größte Zuverficht zur Schau; der franzöfiihe Ge:
jandte fchrieb nah Haufe, der Staatöfanzler ſehe das Verderben des Königs
von Preußen als gewiß an. Daun erhielt den Befehl, zum Entjag von Olmüt im
erforderlihen Augenblide eine Schlacht zu wagen, und zwar unter dem Geſichts—
punft, daß er nad) dem Falle der Feſtung doch jedenfall werde jchlagen müſſen,
weil dann felbft eine Niederlage nicht nachteiliger wirken könne, als ein Rüdzug
ohne Widerftand bis an die Donau.
Friedrich ſagte ſehr richtig bei Beginn diefes Feldzuges, daß jeine Stärke
in der jchlehten Berfajlung des Feindes beruhe, daß aber dieſer Zuſtand fich
ändern werde. Er hatte drum auch anfänglih auf eine Schlacht gerechnet:
mit dem Marich nad Olmütz überholt, jo hatte er am 25. März kombiniert, werde
Daun ſich hoffentlich zum Kampf veranlaßt jehen und hoffentlich alsdann ge:
ihlagen werden. Bald aber entſchied er fich für eine andere Methode. In
174 Sechſtes Buch. Vierter Abſchnitt
ber vor Olmütz gemählten Stellung glaubte er es völlig in feiner Hand zu
haben, eine Schladht anzunehmen oder nicht, und rechnete num darauf, die
Feſtung zu nehmen auch ohne eine Schlacht. Offenbar dachte er an Kolin;
das Schidjal der Belagerung jollte nicht wieder von dem unficheren Ausgange
des eifernen Würfelipiels abhängig gemacht werden. Falls Daun, wie jest vor
zwölf Monaten, wieder Befehl erhielt, alles an alles zu ſetzen, jo wollte
sriedrih ihm nicht wie damals den Gefallen thun, ihn in befeftigter Stellung
aufzufuchen. Daun ſelbſt mochte einmal angreifen. Und zwar follte ihm die
Möglichkeit dazu nur bei Proßnig geboten werden, wo das Gelände eine aus:
giebige Verfolgung des abgeichlagenen Angreifer erlaubte und wo man im
ftande war, binnen drei Stunden die Truppen aus ihren Stellungen zur
Schlachtordnung zuſammenzuziehen.
Entſchloſſen, nur im Augenblicke der höchſten Not zum Angriff überzu—
gehen, hielt ſich Daun nach ſeiner Ankunft in Mähren einſtweilen regungslos
in der feſten Stellung zu Gewitſch, vier bis fünf Meilen nordweſtlich von
Proßnitz. Um ſo thätiger waren ſeine „großen Canaillen“, wie Friedrich die
überall ausſchwärmenden Corps der Irregulären betitelte, und die „kleinen
Ganaillen in Duodez“, die den preußiſchen Patrouillen in den Wäldern und
Schluchten, wahren „Mördergruben”, auflauerten. Seit Anfang Juni wurden
die Preußen auch in ihren Uuartieren beläftigt. „Wir find an feiner Stelle
ſtark,“ warnte der König jeine Generale, „aber die Betriebjamfeit ift eine große
Stärke für die Schwachen.“ Kür den 18., den Jahrestag von Kolin, glaubt
er mehr als fonft auf der Hut fein zu müſſen, „weil Daun fich einbilden wird,
daß der Tag ihm favorabel iſt“. Aber ſchon in der Nacht auf den 17. wurde
ihm eine böſe Begrüßung zu teil durch einen Weberfal auf die Quartiere der
Baireuther Dragoner am linfen Marhufer, die an 400 Reiter und Pferde
und ihre Pauken einbüßten.
Ein Glück, dab noch die Ruſſen nichts von fich hören ließen. So konnten
acht in Schlefien zurüdgebliebene Bataillone mit 1700 Reitern nachgezogen
werben, denen ein großer Trupp Refruten, Ausgebeilte und vertaufchte Kriegs:
gefangene, ſowie an 3000 Meblfuhren, Munitionswagen, Marfetenderfarren,
auch 46 Magen mit Geld, fih anichloffen. Eine frühere Zufuhr war Anfang
Juni unbehelligt vor Olmütz angelangt; auch diejer zweite Nahihub war am
28, durch Zieten mit 3 Bataillonen und 20 Schwadronen bei Giebau aufge:
nommen worden und Bieten batte einen Angriff Yaudons in bigigem Gefecht
glüdlich abgewiejen. Aber am 30. wurden die Preußen, etwa 12—13 000 Mann,
von dem inzwiſchen auf 15000 Mann verftärkten Feinde bei Domitadtl ge:
ihlagen und nad Troppau abgedrängt; von dem Wagenzug erreichte das Yager
vor Olmütz nur ein Eleiner Teil, darunter der Geldtransport.
Der König hat niemandem wegen des Unglüds einen Vorwurf gemadt.
Er erinnerte jih des alten Spridworts: „convoi attuque, convoi battu.“ Am
1. Juli hatte er volle Gewißheit. Fünf eigenhändige Briefe an Keith von
biefem einen Tage geben ebenfoviel lebendige Augenblidsbilder. Er war un:
verzüglich entihloffen, die Belagerung, für die es jest an Schießbedarf fehlte,
aufzugeben und aus Mähren abzuziehen: nicht nah Schlefien — denn ſchon
Das Jahr 1758. 175
machte Daun eine Bewegung in der Nihtung auf Prerau, um die Strafe nad
Troppau zu fperren — jondern nad) Böhmen.
Allen Offizieren ließ er bei Feltungsitrafe und Kaſſation gebieten, niemand
jolle Entmutigung merken oder fi verlauten laſſen, daß alles verloren ſei;
jedermanns Pflicht jei, gute Miene zu madhen und den Mannſchaften Mut
zuzuſprechen.
Die Wirkung des großen Fehlſchlages von Olmütz war mit einem Worte,
nach Friedrichs eigenem Geſtändnis: „Ich habe die Ueberlegenheit verloren, die
ih im vorigen Herbſt und Winter über die Defterreiher gewonnen hatte.”
Wenn er auf dem Marie nah Böhmen den enaliihen Geſandten ſah,
flagte er immer von neuem, daß die Ausficht auf Frieden jegt in die Ferne
gerüdt fei. Doc meigte er bald wieder der Meinung zu, wenn man bdiejen
Feldzug noch durchhalte, jo werde im Winter der Feind, ermüdet und erichöpit,
als der erite die Hand zum Wergleich bieten. Seinen Miniftern ſchrieb er:
„Wir müflen Geduld haben und die Monate Auguſt, September, Dftober,
November, Dezember abwarten.”
Obne eine Schlaht verloren zu haben, aber nad abermaligem Scheitern
einer großen Belagerung, mußte er fih auf einen Sommer: und Herbſtfeldzug
„ungefähr wie im Vorjahre” gefaßt machen: „Vergegenmwärtigen Sie Sich unfere
Lage in Erfurt,“ ') jchrieb er an Ferdinand von Braunſchweig; „ih babe fünf
Heere gegen mid, und zwar von allen Seiten” — die Defterreicher unter Daun
in Böhmen und unter de Bille in dem jet nur dur die Feſtungen gedeckten
Oberſchleſien; die vereinigten faiferlihen und Reichstruppen in Sachen, die
Schweden und die Rufjen.
MWenigftens nötigte er vorerft noch den unmittelbar ihm gegenüberjtehenden
Feind, fi) ganz nad den Bewegungen der Preußen zu richten. Ihr Abmarſch
nah Böhmen, unter fühner Preisgabe der bisherigen Dperationslinie, fam dieſem
‚Feinde ebenfo unerwartet wie unerwünſcht; man war auf dem eingeicdhlagenen
Wege dem öjterreichifchen Heere um zwei Tagesmärjche voraus, und fonnte den
gewaltigen Troß, das Belagerungsgeihüs, an 2000 Kranke und Berwundete,
einen Fuhrpark von mehr als 4000 Wagen, ohne ernite Störung abführen.
Außerdem blieb der Ariegsichauplag auf öfterreihiichem Boden, man zebrte aus
den vom Feinde aufgehäuften Vorräten.
Am 11. Juli war Königgräb erreicht, die öfterreichiiche Beſatzung wurde
Ichnell verjagt. Die hemmende Wagenburg fonnte jegt nah Glatz zurüdgeichidt
werden. Ihre Abfahrt auf der Nachoder Straße zu deden, jtellte fi der König
mit einem Beobadhtungstrupp bei Opotſchno auf; das Hauptheer lagerte am
Zufammenfluß der Elbe und des Adlers.
Hier bei Königgräg erhielt Friedrich zwei wichtige Nachrichten. Bon dem
Herzog Ferdinand eine Siegespoft: die nah ihrer großen Netirade allmählich
wieder zu Atem gekommenen Franzofen unter Clermont, aus Berjailles zur
176 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt
Offenſive gedrängt, waren am 23. Juni bei Krefeld geſchlagen und auf Neuß
und Köln zurückgeworfen worden. Um ſo unwillkommenere Kunde kam von der
Oder: ein ruſſiſcher Heerhaufen hatte die pommerſchen und neumärkiſchen
Grenzen, ein anderer bei Guhrau das ſchleſiſche Gebiet heimgeſucht, und nun
zogen die Ruſſen ihre ganze Streitmacht bei Poſen zuſammen. Wohin ſie ſich
wenden würden, blieb ungewiß.
Noch glaubte der König, ſie dem Grafen Dohna überlaſſen zu dürfen,
der Mitte Juni die Kantonnementsquartiere vor Stralſund geräumt und ſich an
die Oder nah Schwedt gezogen hatte. Friedrich begnügte fih damit, ihm zur
Verftärkung neun Bataillone aus Schleſien zu ſchicken, die während des mähriſchen
Feldzuges dort bei Yandeshut die Gebirgspäfle beobachtet hatten, dazu zwei
Regimenter Küraffiere aus Sachſen. Zugleih erhielt Dohna den Befehl, den
Feinden, falls fie nah Frankfurt oder Kroffen fämen, „auf den Hals zu gehen“
und dabei fich und feinen Offizieren die Vorftelung aus dem Kopfe zu Schlagen,
„als ob die Ruſſen in einem inattaquablen Lager ftünden“.
Die Wahl inattaquabler Stellungen war das Geheimnis und die Stärfe
nicht der rufliichen, wohl aber der öfterreihiichen Yagerfunft. Gerade jept follte
Friedrih das von neuem erfahren. Daun war von Olmüg anfangs mit vor:
fihtiger Langſamkeit gefolgt. Erft am 17. Juli ging er bei Bardubig über die
Elbe und ichob demnächſt fein Grenadiercorps auf die Höhe von Chlum vor.
„Run kommt es darauf an,” ſagte Friedrich, „wie man die Sache am beiten
anftellet, den Feind zur Bataille zu bringen“; er berief fih auf die legten Worte
des alten Schwerin: „Friſche Eier, gute Eier.”!) Das Gelände war bier
minder jchwierig, als jonit in Böhmen. Der Gewinn der Schladht fonnte, ab»
geiehen von dem moraliihen Eindrud auf die im Anmarſch beariffenen Ruffen,
dem ganzen Feldzuge eine neue Wendung geben, vielleicht jogar dem Prinzen
Heinrih für die früher ihm als Aufgabe geitellte Unternehmung gegen Prag
doch noch freie Bahn ſchaffen; der Verluft der Schlacht ſchien feinen weiteren
Nachteil mit fich zu bringen, als den jegt ohnehin gebotenen Rüdzug nad
Schlefien. Am 23. Juli marjdierte der König mit feiner Abteilung von
Opotſchno zu dem Hauptcorps an die Elbe nad Liberſchitz. Alle Vorbereitungen
zum SFlußübergange waren getroffen. Die Heere ftanden einander fo nabe, daß
man deutlich die Compagniegaſſen im! öſterreichiſchen Lager unterfcheiden Eonnte.
Aber Daun ließ Schanzen über Schanzen aufwerten, der Anariff ſchien un—
thunlihd. So fand auch der Tag von Zittau?) in der Gefchichte dieſes Feld:
zuges fein Seitenſtück.
Am 25. Juli traten die Preußen ihren Marih nah Schlefien zunächſt nad
Stalit, von da auf getrennten Straßen über Politz und über Starkitadt an.
„Eine ſchreckliche Prüfungszeit für unjere arme Familie und alles, was preußifch
beißt,“ jchreibt Friedrih während dieſes Nüdzuges an den Prinzen Heinrich;
„wenn das andauert, muß man jich mit einem Herzen von Stahl mwappnen,
um zu widerſtehen. Aber troß allem, was in mir vorgeht, mad’ ich gute Miene
Das Jahr 1758. 177
zum böfen Spiel und verfuche, joviel an mir ift, Leute, denen man als Heer:
führer Hoffnung und edles Selbitvertrauen einflößen muß, nicht zu entmutigen.“
Am 9. Auguft war das Heer zwifchen Grüffau und Landeshut wieder vereinigt.
Nicht Daun hatte den König von Preußen, wie vor vierzehn Jahren Feld—
marſchall Traun mit feiner überlegenen Strategie, ') zur Näumung von Böhmen
genötigt; Friedrich ging lediglih, wie er an den Oberpräfidenten Schlabrendorff
ichrieb: „weil fie mir foviel wegen der Ruſſen in die Ohren jchreien.” Drei
oder vier Schladten bis Ende Auguft, von Heinrih, von Ferdinand und von
ihm jelber gewonnen, das war es, was er fich jet wünjchte.
Noh aus Böhmen hatte er dem Grafen Dohna jein Kommen angemelbet.
Am 10. Auguft übertrug er im Grüſſauer Klofter dem Markgrafen Karl —
Feldmarſchall Keith juchte in Breslau Heilung für feine angegriffene Gefundheit
— den Oberbefehl über das zurüdbleibende Heer von 51 Bataillonen und
75 Schwadronen, mit jehriftlihen Verhaltungsmaßregeln für die verfchiedenen
Möglichkeiten, jei es, daß der Markgraf bier bei Landeshut angegriffen wurde,
fei e8, daß Daun durch die Laufig entweder an die Elbe oder an die Oder
vordrang: in dem einen Falle jollte Karl ihm an die Dueis, in dem anderen
nad Bunzlau nahrüden. Am Abend des’ 10. Auguſt begab ſich der König nad
Zandeshut; in der Nacht trat er mit 14 Bataillonen und 38 Schwabronen den
Mari an.
In der Annahme, daß das Ziel der ruffiihen Bewegungen die Laufig
und ihr Zwed die Vereinigung mit den Defterreichern ſei, beabfichtigte der
König, zwiſchen Grüneberg und Zülihau über die Oder zu gehen und auf
jenem Ufer entweder fi mit Fermor zu jchlagen oder ihm, wenn er über bie
Warthe zurüdwih, das große Pojener Magazin und damit die Möglichkeit zu
weiterem Vorgehen zu nehmen. Da erhielt er am 16. hinter Grüneberg, zu
Deutſch-Wartenberg, die Nachricht, daß Fermor fih nad Küftrin gewandt hatte.
Dur eine Beſchießung, bei der faft jede Kugel zündete, waren die Stabt, das
Zeughaus, die Magazine in Ajche gelegt, die Feſtungswerke hatten feinen Schaben
gelitten, der Verluſt des Plages war nicht zu befürdten. Was den König be-
unrubigte, war, daß die Rufen in Uebermacht dort über den Fluß famen und
das Dohna’ihe Corps erdrüdten. Für den Fall einer Niederlage wurde Dohna
beauftragt, fich bei Frankfurt, wenn es irgend ging, bis zur Ankunft des Ent:
jages zu halten. Stromabwärts ſetzte jegt der König feinen Eilmarſch fort.
Aber die Rufen blieben auf dem andern Ufer, Fermor bei Küftrin, ein ab:
gezweigtes Corps unter Rumjanzow bei Schwedt. Am 21. in ber Frühe ritt
der König mit einer Schwadron Zieten-Huſaren in Dohnas Lager bei Gorgaft
ein, tags darauf vollzog fi die Vereinigung ber beiden Heerförper. „Ihre
Leute,” Toll der König zu Dohna gejagt haben, „haben fich außerordentlich ge:
pußt; die ich mitbringe, jehen aus wie die Grasteufel, aber fie beißen.” Binnen
zwölf Tagen, in zehn Märſchen, hatten diefe Braven 33 Meilen zurüdgelegt,
bei erdrüdender Hitze, und die legten Tage durch den tiefen Sand; aber die
Stimmung der Truppen war vortrefflich geblieben.
1) 3b ], 235. 236.
Avier, Hönig Arriebrih der Grohe. TI. 2. Auf, 1?
178 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt.
Noch am Abend des 22., von zehn Uhr ab, ward weitermarſchiert bis zu
ber Stelle, wo gegenüber von Güftebiefe das neu ausgegrabene Flußbett fich
von der alten Oder trennt. „Meine Devife ift fiegen oder jterben,” hatte Friedrich
noch aus Sclefien an Dohna geichrieben, zur Nachachtung für die Offiziere alle;
„und wer nicht ebenfo denkt, joll nicht über die Oder gehen, jondern fi zu
allen Teufeln fcheren.“ Am Morgen, während die Brüde geichlagen wurde,
ließ fi der König mit der Infanterie der Vorhut und einer Schwadron Bieten:
bufaren in großen Kähnen überjegen. Ein Umritt ergab, daß fein Koſak zu
jehen war. Als der König auf einer Anhöhe halten blieb, um dem Uebergang
zuzufchauen, drängten fi die Bauern mit Weib und Kind in hellen Haufen
ichier ungeftüm heran, denn jeder hätte dem „Vater und Befreier” den Rod:
zipfel füllen mögen.
Die Preußen lagerten ſich zwilchen Kloſſow und Zellin. Der Uebergana
war inmitten zweier ruſſiſchen Heere völlig ungehindert von ftatten geaangen.
Der König beglückwünſchte fih, die großen Detadhements von dem Hauptheere
abgeihnitten zu haben, und nahm an, daß er Fermor erft bei Yandsberg, fünf
bis jehs Meilen von Kültrin, zum Stehen bringen werde.
Der ruſſiſche Feldherr hätte durch einen Marich nad Landsberg die Mög:
lichfeit gewonnen, fi mit der Divifion Rumjanzow zu vereinigen; aber es
fcheint, daß er fürdhtete, während des Marjches von den mit „unerhörter” Ge:
jhmwindigfeit vorrüdenden Preußen zur Schlacht geitellt zu werden. Die Auf:
regung im ruffiichen Lager war groß. Fermor hatte zum mindeiten fi an:
heiſchig gemacht, den Gegner nicht ohne empfindliche Verlufte über den Fluß
fommen zu laffen; er hatte bis zulegt den Uebergang nur entweder bei Küftrin
oder bei Schwedt erwartet. Er felbit und jeine Stellung im Heere wurden
immer unficherer, nad diefem unleugbaren Nechenfebler und unter dem lähmenden
Drud der unmittelbaren Nähe des großen Schladhtenhelden. Viel Vorficht und
wenig Entihluß waren die Eigenichaften, die diejen ruſſiſchen Feldherrn kenn—
zeichneten. Er jcielte nur immer nach Petersburg und fühlte ich erit wohl,
wenn er fih blind den von dort erteilten dedenden Vorjchriften unterwerfen
fonnte, Bom Hofe ermwartete er jein Heil; dem Heere war er, der Deutſche,
der noch unbemwährte General, der fünf Vordbermännern, darunter vier National:
rufen, vorgezogen war, mißliebig, ja als Führer gegen den deutichen Gegner
verdächtig: feine Krähe hadt der anderen die Augen aus, ſagten die Soldaten
ſehr anzüglid.
Fermor bielt es für das geratenfte, nach Aufhebung der Belagerung
unverzüglich eine möglichit gededte Stellung aufzufuchen. Früh am 24. Auguſt
marjchierte er in dem Ed zwiſchen Oder, Warthe und Miegel durch den Küftriner
Forit und wählte ein Lager zwilchen Onartfchen und Sicher, mit der front nach
der jumpfinen Niederung der Miegel — nicht die ihm von dem öfterreichiichen
Militärbevollmächtigten empfohlene Stellung an der Straße nad) Yandsberg, auf
den mehr jüdlid nad) der Warthe zu aelegenen Höhen von Groß-Kammin; nur
den Troß ſchickte er dorthin voraus. Offenbar wollte er den Uebergang über
die Miegel, das einzige Terrainhindernis zwifchen den beiden Heeren, den Preußen
nicht freigeben. Die Brüden über den feinen Fluß wurden abgeworfen. Nach:
Das Jahr 1758. 179
mittags ftieß das aus Landsberg herbeigerufene Beobahtungscorps unter Browne
zu der Hauptmadht.
Das Ruſſenheer lagerte in einem langen, unregelmäßigen Karree, mit den
Kochkeſſeln, der Feldfanzlei und der Kriegsfafle in der Mitte. In diefer Stellung
erblidten es die Preußen am Abend des 24. Auguft, als fie, nachmittags aus
dem Lager von Zellin aufgebroden, äußerſt ermüdet an die Miegel famen. Der
König ftieg in der Dammmühle ab, eine flarfe Meile oberhalb von Quartichen,
am Rande des Waldes von Maſſin. Hier verjammelte er jeine Generale und
eröffnete ihnen feine Abfiht, morgen nad) jeinem Mari durd den Wald die
rujfiihe Stellung in ihrer rechten Alanfe zu umgehen. Auch der britifche Ge:
fandte fand ji ein und bat, der Schlacht beimohnen zu dürfen, und Friedrid)
ſcherzte: „Sie fönnten getötet werden, und das würde Herrn Pitt Vergnügen
maden;') aber wer foll dann die Siegesbotichaft melden?” Mitchell antwortete:
„Der Sieg wird für fich jelbit jprehen, und es bleiben genug brave Leute, die
entzücdt jein werden, ftatt meiner um Euere Majeftät fein zu dürfen.” Der
König ſchien ihm feiner Sade völlig fiher, „in high spirits“. Zu feinem Vor:
leſer Eatt, der ihn erft um elf Uhr verlieh, ſagte Friedrich: „Finden Sie mid
nicht ruhig? Ein jchredliher Tag, ſolch ein Schlachttag. Ich babe meine An:
ftalten jo getroffen, daß ich nicht viel Leute verlieren werde, und daß der Feind
fortgejagt werden wird; aber vielleiht werden Sie es jehen: ein Nichts wird
alles verändern und wird dem Führer in Rechnung ftellen, was fein Fehler
nicht iſt.“
Ueber Naht wurden Brücken geichlagen, noch vor Tagesanbruch begann
man den Marſch durch den Wald, treffenweiſe, die Infanterie von der Mühle
aus in zwei Kolonnen, die Kavallerie, dreiviertel Meilen Hußaufwärts auf der
Keritenbrüde übergejegt, in einer Kolonne. Beim Austritt aus dem Walde bei
Batzlow wurde die Avantgarde als vierte Kolonne dem eriten Infanterietreffen
vorgelegt und jo der Mari, parallel der umgangenen Stellung des Feindes,
in der Richtung auf Zorndorf noch fortgeiegt.
Die wellige Fläche, auf der jet die beiden Heere fich gegenüberftanden, eine
große Lichtung zwifchen der Maſſiner Heide und dem Küſtriner Wald, fällt von
den Höhen bei Groß: und Klein-Kammin, Wilkersdorf und Zorndorf nad Süden
zur Warthe, nach Nordweften allmählicher gegen Zicher, Darrmietel und Quartſchen
und zu dem Wald: und Sumpfgebiet der Miegel ab. Sie wird in vier Quer—
itreifen zerjchnitten durch drei in das Mietzelbruch ablaufende Waſſerrinnen, 15 bis
20 Fuß tiefe Senfungen mit jumpfiger Sohle und teilweiſe jehr fteilen Rändern.
Der öftlichite, der gegabelte Doppelarund, weſtlich des langgeitredten Dorfes
Zicher, wird nach Darrmiegel zu fortgelegt durch das breite, damals mit dichtem
Geftrüpp bewachſene und ganz unwegſame Hofebruch. Weiter weitlich liegen, in
der Richtung von Zorndorf auf das Vorwerk Uuartichen, in deiien tiefer Nie:
derung fie fich vereinigen, der Galgenarumd und in einigem Abitand von dem
Saum des Küftriner Waldes der Zabergrund, zu beiden Seiten des heute Fried—
rihsberg gebeißenen Fuchsberges, der höchſten Erhebung des ganzen Geländes.
') Bgl. oben ©. 164.
180 Sechſtes Bud. Vierter Abjchnitt.
Das ruſſiſche Heer ftand quer über dem Galgengrund, mit dem einen
Flügel an der Lehne des Yabergrundes, auf den Fuchsberg geftügt, mit dem
anderen noch über den Doppelgrund ausgreifend. Wie wenig Fermor die Um:
gehung dur die Maffiner Heide vorausgejehen hatte, beweiſt die Sorglofigkeit,
mit ber er, wie erwähnt, feinen Wagenpark gerade in diefer Richtung hatte
voranfahren lafjen. Den Preußen das Debouchieren aus dem dichten und teils
weiſe moraftigen Walde zu erfchweren oder gar ihren Spiten eine fertige Schladt:
linie entgegenzumwerfen, wie König Friedrich es als richtig betrachtet hätte, daran
wagte ber ruffifche Feldherr nicht zu denken. Er begnügte fih, durch Bewegungen
auf der Stelle, mittelft Contremariches der Regimenter, das zweite Treffen zum
eriten und ben rechten Flügel zum linfen zu machen und zugleich aus der bis-
herigen Karreebildung eine regelrehte Schlachtordnung herzuftellen, mit der Front
gegen Wilkersdorf und Zorndorf, in zwei Treffen: zwiſchen beiden die im ruſſi—
ſchen Heere üblihen Regimentörejerven, beftimmt, Flüchtlinge aus dem eriten
Treffen niederzuftoßen. Die Enden der Flügel wurden zurüdgebogen, um den
Abſtand zwifchen den Treffen zu deden. Hinter den Infanterietreffen erhielt die
Reiterei, in einem Treffen gegliedert, ihren Plag, fo daß im ganzen vier Linien
fih ergaben. Die Artillerie fuhr vor der front auf.
Sobald die Spigen der preußiihen Marjchjäulen in der Höhe von Zorn:
dorf den nunmehrigen rechten Flügel des Feindes überragten, ließ der König
aufmarſchieren. Der Angriff follte vor fich gehen wie bei Leuthen, unter Zu:
rüdhaltung des rechten Flügels, nur durch den um die Avantgarde von acht Ba:
taillonen zu brei Treffen verftärkten linfen, deſſen Bataillone wieder in ftaffel-
förmigen Abftänden, je zwei und zwei, in die Angriffslinie einzurüden hatten.
Die Reiterei follte erft einbauen, wenn der Feind wid. 25 Schwadronen
Dragoner und 3 Kürajlierregimenter itanden als Reſerve hinter dem Angriffe:
flügel, 31 Schwadronen ftellten fih ihm zur Seite jenjeits des Zabergrundes am
Waldrande auf. Nur 12 dedten anfänglich bei Wilfersdorf die rechte Flanke,
fie mußten bald durch die 3 Küraffierregimenter der Neferve veritärft werden.
Zur Vorbereitung des Angriffs begleiteten das Vortreffen zur Linken und zur
Rechten zwei Batterien von 20 und von 40 ſchweren Geſchützen, mit der Doppel:
aufgabe, den Rufjen die „Contenance* zu rauben und ihre Artillerie zu demon—
tieren, Eben duch dieſe Veranitaltung dachte der König, wie er geitern abend
gejagt hatte, jeinem Heere ſchwereren Verluft zu erjparen. Er verhehlte ſich
nicht, daß feit der Schladht von Breslau jeine Leute Kanonenfurdt hatten; aber
bei Leuthen hatten jeine jchweren Stüde die des Gegners übertrumpft, und
beute jollte desgleihen geſchehen.
Das ſchwere Geſchütz trug auf 5400 Schritt; auf 300 wurden Kartätjchen:
ladungen abgegeben. Nach zweiftündiger Kanonade, die eine wenig wirkſame
Ermwiderung fand, war gegen elf Uhr der rechte rujfiiche Flügel erichüttert, aber
nicht gebroden. Als die preußiiche Infanterie endlich zum Angriff jchritt, ſtieß
fie noch auf unerwartet hartnädigen Widerftand. Und nun wiederholte fich einer
ber Fehler von Kolin. Der linfe Flügel fam neben die Avantgarde zu jtehen,
ftatt zu ihrer Unterftügung hinter ihr zu bleiben — wie e& heißt, weil General
Kanig Fühlung mit der refufierten Rechten behalten wollte. So entbehrte das
Das Jahr 1758. 181
Vortreffen des Nüdhalts, als feine dem zurüdweichenden Feinde allzu ftürmifch
folgenden Bataillone fih plöglih von Kavallerie angegriffen und zur Umkehr
genötigt jahen. Das Beijpiel wirkte verhängnisvoll: in einer bei den Preußen
bisher unerhörten Panik wandte fih die ganze nfanterielinie des Angriffe:
flügels zur Flucht nad Zorndorf und Wilkersdorf; die Schredhafteiten liefen
bis in den Wald zurüd, aus dem man am Morgen hervorgefommen war. Bon
den Kanonen gingen 26 verloren, auch einige Fahnen wurden die Beute der
Rufen.
Damit wurde der Reiterei eine andere Aufgabe geitellt, als ihr in der
Dispofition zugedaht war. Mori von Deſſau warf fi mit den Dragonern
der Rejerve den verfolgenden Reitern entgegen, und jchon waren auch die jenfeits
des Zabergrundes aufmaridierten Regimenter herüber und am Plag: in drei
Kolonnen brach Seydlig mit jeinem Küraffierregiment und den Huſaren von
Bieten und Malachowski von vorn in das ruſſiſche Fußvolf, während gleichzeitig
die Gendarmen und Gardes du Corps in der Flanke angriffen. Bald ſchwärmte
der ganze rechte Flügel des FFeindes umber „wie die Bienen“ ; zwei Waffen hatte
er widerjtanden, der dritten erlag er. Erft der Galgengrund jegte dem preußi—
ihen Reiterangriff ein Ziel.
Die Shlaht war zum Stehen gebradt, aber nicht gewonnen. Die größere
Hälfte des preußiihen Fußvolfes war vom Schladhtfelde verdrängt, die Haupt:
maſſe des rujfiihen Heeres nod unberührt; fie ſchickte eben fih an, zum Angriff
überzugehen.
Der König fonnte mithin nit etwa daran denken, die Schlacht abzu—
breden. Vielmehr mußte er jet wohl oder übel den ganzen Reft feiner Truppen
in die Entiheidung einjegen, entgegen jeinem Grundſatz, ftets den einen Flügel
in Rejerve zu behalten, zur Dedung des Rückzugs, wenn der andere geichlagen war.
So mag jehwere Sorge ihn erfült haben, als er gegen ein Uhr zu dem
bisher zurüdgehaltenen rechten Flügel fam. Bor der Front empfing ihn ber
ſchon vorausgeeilte Deflauer mit Hutſchwenken und Siegesgejchrei, die Truppen
ftimmten ein und der engliſche Gejandte glaubte darauf feine Glückwünſche an—
bringen zu dürfen. Der König nahnı fie artig entgegen, er zeigte völlige Ruhe,
aber als jie weiter ritten, flüfterte er Mitchell zu: „Mein Freund, die Saden
ftehen ſchlecht ſauf der Linken, ich werde Ordnung ſchaffen, aber folgen Sie
mir nicht.”
Um den Rufjen eine einigermaßen ausgedehnte Front zu bieten, mußten
die Bataillone des zweiten Treffens mit in das erite treten: ein Flügel in
einem Treffen, jo völlig mußte jett alles auf eine Karte gejegt werden. Erjt
allmählich jammelte fih das geflohene Fußvolk des linken Flügels und ſchloß
fih wieder an — diesmal, wie es jcheint, auf der Nechten, am langen Grund.
Die ganze Linie jchwenfte während des folgenden Angriffs immer mehr linke,
jo daß die Front die anfängliche Aufftelung Ichließlich freuzte und in der Längs—
richtung jener großen Bodeneinſchnitte hinlief.
Voran fuhren wieder zwei jchwere Batterien, die eine linfs, die andere
rehts vom langen Grunde. Auf die linfe und auf die beiden fie flanfierenden
Bataillone ftürzte ſich der Angriff der Küraffiere des Generals Demikow, das
182 Sechſtes Bud. Pierter Abſchnitt
Fußvolf wurde über den Haufen geritten, erit ein drittes Bataillon erwehrte ſich
durch fein Feuer des Ueberfalls; dann kamen Dragoner und Kürajliere vom
linten Flügel, die Sieger von vorhin, und leuchteten den ftürmifchen Angreifern
heim. Ein ähnliher Vorgang fpielte fi bei der anderen Batterie ab; bier
erihienen als Netter Schwadronen vom rechten Flügel, Normann:Dragoner,
Breußen:Küraffiere und SKarabiniere, und trieben die Koſaken, Hujaren und
Dragoner in den Moraſt bei Zicher.
Schon war auch die nfanferie aneinander gefommen. Wie am Vormittag
beſchränkten ſich die Nuffen nit auf die Abwehr, wiederholt drangen fie mit
dem Bajonett auf die Preußen ein, und dem entſchloſſenen Angriff fehlte Die
Wirfung nicht. Wader hielten fih die neun Bataillone, die der König aus
Schlefien mitgebracht hatte, die vier märfifhen Regimenter Forcade, Afleburg,
Prinz von Preußen und Kalditein und das Grenadierbataillon Wedell; der
König, der in einem der bedenklichiten Augenblide mit eigener Hand eine Fahne
ergriff und vorantrug, hat ihnen reiches Yob gejpendet. Aber die Truppenteile,
die ſchon vorhin ihre Schuldigkeit nicht getban hatten, wandten fih von neuem
zur Flucht: die DOftpreußen, aber auch die nad ihren furdtbaren PVerluften von
Kolin nicht wieder zu ihrer alten Treftlichfeit gelangten pommerihen Regi—
menter Bevern und Fürſt Moritz. Damit trat die Wendung ein, von welder
der König nachher ſagte, daß fie das Heer einer völligen Niederlage nahe ge:
bradt habe. Eine Kataftrophe wie bei Kolin wäre hereingebroden, hätte nicht
heute die Reiterei, jo oft fie nur gebraudt und befohlen wurde, fich jedesmal
gleich glänzend bewährt: faſt jedes Kavallerieregiment durfte fih rühmen, in
das ruffiiche Fußvolk eingehauen zu haben. Die beiden litauifchen Dragoner:
tegimenter Plettenberg und PBlaten zogen ſich durh das Fußvolk hindurch und
bemmten die Verfolgung, bis größere Neitermaffen, von Seyblig geführt, zur
Stelle waren.
Und jest erſt erreichten die Greuel diejes blutigen Tages ihre Höhe. Das
ftundenlange Hin: und Hermogen des Nachmittagsfampfes hatte das Gefüge der
bisher jo ungeftümen Rufen gelodert, unter den Klingen der preußiihen Reiter
janfen fie in ganzen Schwaden dahin, ihr linfer Flügel wurde zerrifien, nidht
anders als am Morgen der rechte. Das Auffliegen der Pulverwagen vermehrte
die Verwirrung und den Schreden. Die Hartnädigften flammerten fih in der
allgemeinen Auflöjung an die Geihüse und ließen fih in Stüde hauen; viele
gerieten in die Sümpfe des Hofebruches; viele, darunter mehrere Generale,
Hücdhteten dur die Wälder oder fetten dur das Wafler der Miegel, fo mit
Verluſt mehrerer Pferde der öfterreichiiche Feldzeugmeilter St. Andre und der
jähfifhe Prinz Karl. Andere, die nicht entrinnen fonnten, fielen über die eigene
Bagage und die Branntweinfäffer ber, und die Truntenheit löſte die legten
Bande der Unterordnung. „Sie betrugen ſich wie die Raſenden,“ bezeugt ein
Zufhauer, der Schwede Armfelt; „Freund und Feind war ihnen gleih, fie
ihoffen auf jeden, der ihnen entgegenfam.”
Die Preußen waren jest von Wilfersdorf und über den langen Grund dem
Galgengrunde ganz nahe gekommen, wie am Vormittag auf der weitlichen Seite
von Zorndorf und über den Zabergrund ber. Den letten Widerftand leifteten
Das Jahr 1758. 183
in dem Gehölz bei Quartſchen, noch in leibliher Ordnung, einige Regimenter des
feindlihen Zentrums. Brandenburgiiche und Ichlefiihe Bataillone ſchickten ſich
zum Angriff an. Wiederholt zurüdgewiejen, drangen fie endlih in den Buſch
ein; dann aber ftodte die Bewegung von neuem: jtatt den Erfolg auszunugen,
hielten fih die Leute, auch fie jegt außer Rand und Band, mit dem Plündern
der rujliichen Kriegskaſſe auf. Und nicht bloß mit der Mannszuht, auch mit
der Munition war es zu Ende bei den wenigen zujammengeichnolzenen Ba:
taillonen, die jo weit vorgeftoßen waren. Die Neiterei aber war nad) ihren
ebenjo glänzenden wie aufreibenden Xeiltungen zum größten Teil davongeritten
und deckte da und dort das maflenhaft eroberte Geihüg gegen die herumſchwär—
menden Koſaken und Kalmüden: noch in jpäter Stunde waren bei Groß:Kammin
an 2000 friſche Koſaken angelangt.
Alſo blieb die legte Stellung der Rufen unbezwungen. Die Preußen
jtellten den Kampf ein und gingen — ſchon war die Naht eingebrochen — bis
an den Doppelgrund zurüd; die Kavallerie lagerte auf dem linken Flügel ; hinter
diefem Grunde jammelten jih bei Zicher die Trümmer der geflüchteten Regi—
menter. Won zwei Uhr früh bis zum Einbruch der Nacht hatten die Truppen
an dem glühend heißen Augufttage feinen Augenblid Ruhe gehabt. „Ein Glüd
für uns,“ meinte nachher der engliſche Gefandte, „daß die Ruſſen unjeren Zu:
ftand, die Auflöjung unjerer Infanterie, unſeren Munitionsmangel nicht kannten;
hätten fie uns in der Naht oder am Morgen angegriffen, fie würden ein jehr
leichtes Spiel gehabt haben.“
Nichts lag der ruffischen Heeresleitung ferner. Auch Fermor nahm, als
der preußiiche Angriff aufhörte, jeine Truppen zurüd und lagerte fie hinter dem
Galgengrunde, ja zum guten Teil hinter dem Zabergrunde. Das ruffiihe Heer
war durd den Gang der Nahmittagsichlacht auf den am Morgen von ihm ein:
gebüßten mweitlihen Abjchnitt des Schlachtfeldes zurüdgeichoben worden; die ent—
gegengelegte „Ede“ beherrihten die Preußen; das Mittelfeld gehörte den Toten —
fo ichrieb einfach und ergreifend unter dem friihen Eindrud eines grauenvollen
Bildes der englijche Gejandte. Minder ftimmungsvoll, aber gleichfalls treffend
war der demnächſt von einem Mitglied des Wiener diplomatifchen Corps an—
geitellte Vergleih der Zorndorfer Schlacht mit einer ftarfen Obrfeige, „da fi
einer rund umdrehet, aber ſtehen bleibet“.
Am Morgen des 26. Auguft ließ der König von Preußen jeine über Nacht
gejammelten Regimenter in Schlachtordnung antreten und von neuem in der
Rihtung auf den Galgengrund und Zorndorf vorgehen. Die Ruſſen, gleichfalls
neu geordnet, rüdten ihm entgegen, eine Linie mit zurüdgebogenen Flügeln; es
ſchien zur Fortjegung des Kampfes kommen zu jollen. Auf einem Erfundungs:
ritt geriet der König unverjehens unter die Geſchoſſe einer bis zum legten Augen:
blick durch Kavallerie verhüllten Batterie. Der Artilleriefampf wurde dann
allgemein, bis gegen Mittag die Ruſſen wieder hinter den Zabergrund gingen.
Nunmehr mochten ſich die Preußen als Herren des Schlachtfeldes bezeichnen:
ein noch vom 25. datierter Antrag des ruſſiſchen Feldherrn auf zwei: bis drei:
tägige Waffenruhe, damit man die Toten begraben und die VBerwundeten warten
fönne, wurde vom General Dohna mit der Erklärung abgelehnt, daß jein könig—
154 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt.
liher Herr das Schlachtfeld inne habe und deshalb auh für die Toten und
Berwundeten beider Parteien Sorge tragen werde. Zu einem legten entjcheidenden
Vorftoß gegen das ruſſiſche Heer und feine noch zahlreihe Artillerie fehlte es
vor allem an Munition. Sobald man den Bedarf ergänzt haben werde, jchrieb
aus dem Hauptquartier der Kabinettsjefretär Cöper an den Miniſter Finden:
ftein, werde es zu einer neuen Schlacht fommen.
Der eigene Berluft ftellte fich als viel ftärker heraus, als man unmittelbar
nad der Schlacht angenommen hatte. Bon der Gejamtzahl von 36000 Strei-
tern gingen nicht weniger als 11337 ab, darunter über 3500 Tote und über
1400 Bermißte. Bon allen Gefallenen betrauerte der König feinen jchmerz:
licher, als jeinen Flügeladjutanten Oppen, dejien Leiche erit am dritten Tage
mit mehr als 40 Wunden auf dem Scladtfelde aufgefunden wurde. „Ich
hatte ihn erzogen, er hatte ſich ganz an mich angeſchloſſen,“ klagt Friedrich jeiner
Baireuther Schweiter, „id vermag mich nicht zu tröften, fo bin ich nun.”
Ohne die Reiterei, das ſprach der König offen und wiederholt aus, wäre
die Schlacht verloren geweſen; diefe Waffe babe fait alles gethan, den Staat
gerettet. Ein Augenzeuge hat uns geichildert, wie Friedrich die Reiter, um ihnen zu
danfen, antreten ließ, den einen umarmte, dem anderen auf die Schulter Eopfte,
alle lobte. Bon den drei Nittmeiltern der Gardes du Corps wurde Wadenit
zum Oberftlieutenant, die beiden anderen zu Majors befördert. Das Beite aber
hatte Seydlitz gethan: ohne den würde es Ichlecht ausgelehen haben, hatte der
König am Abend der Echladht auf den Glückwunſch des enaliihen Gejandten
erwidert. Der tolle Page, der am Hofe des Markarafen von Schwedt durch die
faufenden Flügel der Windmühle geiprengt war, der Trebniger Schwadronscher, mit
deſſen Namen fich die Erinnerung an fo manden luftigen Qujarenftreich verknüpfte,
ber Offizier, an dem nichts zu verbeffern war, als der Seydlig vor 13 Jahren
einem Winterfeldt gegolten — er hatte fich jest zu dem unbeftritten größten
Neiterführer des preußiichen Heeres entwidelt. Für feine heldenhafte Haltung
bei Kolin war er mit dem Generalspatent und dem Berdienftfreuge und für
den Roßbacher Sieg, nur vier Monate jpäter, noch als Generalmajor!) mit dem
Schwarzen Adlerorden und gleich darauf mit der Beförderung zum Generallieute:
nant belohnt worden: jet überftrahlte den heiteren Glanz; der „bataille en
douceur“ ber blutige Glorienihein von Zorndorf. Einen Orfan zu Roß hat
ihn einer der von ihm befiegten SFranzofen genannt. Nadeinander Küraffier,
Huſar, Dragoner und wieder Küraſſier, hatte er, wie jein älteiter Biograph ihm
nahrühmt, die jchwere Neiterei gelehrt, Behendigkeit und Kedheit nicht als
Vorrecht des Hufarenpeljes zu betradhten; er hatte das deal verwirklicht, das
dem Könige für die, einft fo fchmerfällige preußiiche Ravallerie vorgejchwebt
hatte. Seine Untergebenen, Offiziere und Gemeine, vergötterten ihn: „Man
fagte reiten auf Seydligifch,” erzählt ein Kampfaefährte, „Tein Hut, fein Koller,
feine Stiefel, feine Hofen wurden nachgemacht,“ die ganze Reiterei „jauchzte ihm
zu, wenn fie ihn nur ſah,“ und fchaute mit Bewunderung, Verehrung und Nach:
eiferung auf diefen jüngiten der Generale, der vor dem Feinde abwartende Rube
) Ral. Bd 1, 509.
Das Jahr 1758. 185
und zugreifende Vermwegenheit ebenio glüdlih verband, wie im Garnifonleben
peinlihen Dienfteifer und überichäumende Lebensluft und im Kreife der Kame—
raden wortfarge Gemeflenheit und ſchlagenden Wit. Meiſter aller Reiterfünfte
und Spiegel jeder Reitertrefflichkeit hat Seydlit nad dem gewichtigſten Zeugnis,
dem zurüdihauenden Endurteil jeines Königs, durch eine Eigenihaft vor allen
den höchſten Nuhmestitel ih gefichert: durch jene Entſchloſſenheit, welche die
Gunſt des Augenblids jicher zu ergreifen verſteht.
Iſt für die preußiiche Reiterei der 25. Auguſt 1758 ein unvergänglicdher
Ehrentag geworden, jo hatte bei den Rufen vornehmlih das Fußvolk in An:
griff wie in Abwehr eine glänzende Probe abgelegt. Um jo rühmlicher war
diejer hartnädige, immer von neuem aufgenommene Wideritand, als thatfächlich
das ruffiihe Heer bei Zorndorf nur wenig zablreiher als das preußiiche ge:
weien ift; denn nicht 60000— 70000 Rufen, wie drüben angenommen wurde,
fondern höchſtens 42000 find auf der Wahlftatt zugegen gewefen. Mehr als
die Hälfte war außer Kampf geſetzt. Der amtliche Bericht nannte 10886 Tote
und Bermißte und 12785 Verwundete; doch follen ih nachher an 5000 Ber:
jprengte wieder eingefunden haben. Da 2400 Mann mit 6 Generalen md
76 anderen Difizieren in Gefangenjchaft geraten waren, würde die Zahl der
Toten, die Genauigkeit der Liſten vorausgeiegt, verhältnismäßig Hein, nicht ganz
jo groß wie bei den Preußen, geweſen jein. Bon der aus 60 Feld: und
190 Regimentsgeichügen zufammengeiegten Artillerie waren 103 Stüde verloren,
dazu 24 Fahnen und Standarten.
Von jeinen Verbindungen abgedrängt, mit der Oder und der Feltung
Küftrin im Rüden, war das gelichtete ruſſiſche Heer fiherem Verderben aus:
geſetzt, wenn es Fermor nicht gelang, einen Ausweg aus dieſer Sadgafje zu
finden. Indem der König von Preußen feine Kavallerie von Wilfersdorf nord:
wärts nach Zicher zog, gab er den Gegnern die Nüdzugsitraße nah Landsberg
und zunächſt nach der Wagenburg bei Groß:Kammin frei: wie es fcheint, beab—
fihtigte er, den Abziehenden in die Flanke zu fallen. Er hat nad Zorndorf
die umerjchütterliche Zähigfeit des rujfiihen Soldaten rühmend anerkannt, für
die rujfiiche Heeresleitung aber der verädhtlihen Worte nicht genug finden fönnen.
Gleihwohl hat Fermor in der Nacht vom 26. auf den 27. Auguft in unmittel:
barer Nähe des preußifchen Heeres ein ftrategiiches Meifterftüd ausgeführt.
Dinter dem doppelten Schleier der Dunkelheit und feiner leichten Gefchwader
gelang es ihm, fein Kriegsvolf unbehbelligt an der preußiihen Stellung vorbei
auf die Höhen von Groß: und Klein:Kammin zu führen, wo man fich unver:
züglih binter ſtarken Erdwerken verſchanzte.
Beim Anmarſch zur Schlacht am Morgen des 25. war König Friedrich,
entgegen den berrichenden ftrategifhen Anſchauungen, dem großen rujliichen
Fuhrpark mit ftoljer Verachtung vorbeigegangen, weil das feindliche Heer, das er
in feine Hand gegeben glaubte, ihm in jenem Augenblide als der wichtigfte, allein
verlohnende Angriffsgegenftand erſchien. Fett, da der Sieg allzu unvollftändig ge:
blieben war und er mit einer neuen Schlacht zu viel gewagt haben würde, erinnerte
er fih der methodijchen Lehre, daß die Schladt nur ein Mittel unter mehreren fei,
und jo jollte jett der Leberfall auf die nunmehr nad Landsberg abgefahrene
4
186 Sechſtes Bud. Bierter Abſchnitt.
Wagenburg nachgeholt werden. „Das iſt ihr rechtes Magazin,“ jo redhnete
Friedrich, „auf die Wagens haben fie vier Monat Lebensmittel. Laſſe ich die
verbrennen, jo muß die Armee Hals über Kopf zurüde laufen und bin ich fie gewiſſe
08 ... das ift bejjer als eine Bataille.” Nun aber fehrte die Gelegenheit von
vorhin nicht wieder, die Rufen waren auf der Hut, der Anſchlag fonnte nicht
ausgeführt werden.
Die Lage wurde jeden Tag peinliher. Aus der Laufig fam Kunde vom
Vordringen der Deiterreiher; am Tage von Zorndorf hatten die braven In—
validen, welche die Bejabung der Kleinen Feſtung Peit bildeten, gegen freien
Abzug fapituliert. Während die Nullen das Corps von Rumjanzow, 12000 Mann,
zur Verftärfung beranzogen, mußte das preußiiche Heer ſich ſchwächen: ſechs
Bataillone und die Zietenbufaren wurden zum Schutze der Kurmarf entiandt.
Endlich löfte fih die Spannung. Am 31. Auguſt trat Fermor den Nüd:
zug nad) Landsberg an. Der Flankenmarſch der Preußen zu feiner Verfolgung
wurde durch Wald und Sumpf gehemmt. Aber daß die Gegner zurüdfommen
würden, war unmwahricheinlih. jedenfalls war anderwärts die Gefahr jekt
dringender als hier. Am 2. September zog der König von dannen, mit ihm die
aufs neue erprobte, auserlefene Gefolgihaft, mit der er vor 14 Tagen an der
Oder eingetroffen war. Dohna übernahm den Beobahtungsdienft gegen bie
Ruſſen, der vor diefer männermordenden Schlacht, der großen Wettericheide des
ganzen Feldzuges, zu ſchwer auf ihm gelaftet haben würde.
Der ruffiihe Feldherr hatte in den Lager bei Groß-Kammin Biltoria
ſchießen lajjen. Maria Therefia, durh ihren Vertreter in Fermors Hauptquartier
über die wahre Sachlage unterrichtet, meinte mit jtillem Spott, die Berichte
aus Berlin würden die Anzahl der ruſſiſchen Gefangenen und verlorenen
Kanonen bald ergeben. Sie jah völlig richtig voraus, daß ihr ftets ſchnell ent:
ſchloſſener Gegner ſich jegt um die Rufen nicht mehr viel fümmere, jondern
unverzüglich wiederum ihr ſelbſt die Stirn bieten werde. In diefem Endergebnis
wenigftens war Zorndorf die zweite Auflage von Roßbach.
Unter Billigung feines Hofes war Daun nad dem Abmarſch des Königs
von Preußen an die Oder nicht, wie er es urſprünglich beabjichtigt hatte, durch
die Niederlaufig nakhaerüdt, jondern von Görlitz an die Elbe abgeſchwenkt, um
in Verbindung mit der Reihsarmee dag Heer des Prinzen Heinrid durd vier:
fahe Uebermadt, 80000 gegen 20000, zu erprüden. In Wien hatte man
Dresden und ganz Sadien bereits als fidhere Beute anfehen wollen. Aber
mit dem Hin: und Herreiten der Kuriere zwiſchen Hauptquartier und Haupt:
jtabt ging fo viel fojtbare Zeit verloren, daß Daun erit am 2. September ſich
Meißen näherte, wo er über die Elbe zu gehen gedachte. Wieder verrann Tag
auf Tag, che mit dem Reichsfeloherrn ein Angriffsplan feitgeitellt war. Endlich
fam man überein, daß Daun oberhalb Dresden bei Pillnis überjegen und daß
gleichzeitig die Neichstruppen aus dem Pirnaer Lager zu gemeinfamenm Angriff
auf die preußiiche Stellung bei Gamich, zwiihen Maren und Gommern, vor:
brechen würden. Das follte am 11. September geſchehen: da hieß es am 10,
Das Jahr 1758. 187
der König nahe, und jofort jtand es für Daun feit, daß er fi in feinem Xager
bei Stolpen ftreng auf die Verteidigung zu bejchränfen habe.
„Die große Perüde läßt uns Zeit, aber ſpäter hätten wir doch nicht fommen
dürfen,” ſchreibt Friedrih auf jeinem Marſch von der Oder zur Elbe am
5. September aus Lübben. Vier Tage fpäter vereinigte er fih zu Großenhain
mit dem am 20. Auguft von Landeshut aufgebrodhenen Corps des Markgrafen
Karl. Am 11. war er in Dresden und beiprad ſich mit dem aus feinem Lager
‚ in die Stadt gelommenen Prinzen Heinrich. Es war das erfte Wiederjehen
der Brüder feit den Tagen der Roßbacher Schlacht. „Ich Tage Ahnen taufend
Dank”, jchreibt Frievrihd nah der Begegnung, „für den angenehmen Tag, den
Sie mich geitern haben verleben laffen; den Augenblid ausgenommen, wo id
meine Schweiter Amalie gejehen habe” (die Prinzeſſin hatte den König während
des Marfches durch die Mark in einem Dorfe bei Beesfow begrüßt), „it mir
feit ſechs Monaten nichts begegnet, was mir jo viel Vergnügen bereitet hätte.”
Friedrih war nah der Zufammenziehung feiner Corps jebt bereit und
entihlojfen zu jchlagen, „vorausgejegt, daß die dicke Ercellenz von Kolin den
Kragen bergiebt.” Binnen wenigen Tagen, hoffte er, würde es zur Entſchei—
dungsſchlacht kommen: „Ih fange an zu glauben, daß uns alle vierzehn Tage
eine Schlacht vonnöten ift, nicht anders als man einen ſchwammigen Körper
regelmäßig purgiert. Aber, großer Gott, welh Blutvergieken, und noch dazu
wie foftbar diejes Blut! Meine Schuld ift es nicht; jobald man den Krieg
anders nicht enden kann, muß man freilih zu ſolchem Mittel greifen.“
Die Heere ftanden einander fo nahe, dak man fie von den Höhen an der
Elbe alle vier zugleich jehen konnte: am rechten Ufer den König und Daun, am
linfen die Reichsarmee und den Prinzen Heinrih. Aber „Monsieur Leopolde*
war zu einem Waffengange nit zu bewegen. „Sein Poften bei Stolpen ift
zu vorteilhaft, als daß ich mir die Naſe daran einftoßen möchte,“ jchreibt Friedrich
am 14. „Man follte annehmen, daß der Kaukaſus, der Pic von Teneriffa oder
die Cordilleren die Heimat der öfterreihifchen Generale wären: jobald fie einen
Berg ſehen, find fie oben; fie find in die Felfen und Schluchten verliebt bis
zur Narrheit.“
So hatte man unfreiwillige Muße. Vierzehn Tage ftand der König unter
den Augen Dauns im Lager von Schönfeld, anderthalb Meilen von Dresden:
„Ich beginne mich zu beruhigen,” jchreibt er von bier nah einem Scharmügel
ber Prinzeffin Amalie; „es ift noch feine geficherte Ruhe, aber ih bin wie das
Meer nad einem heitigen Sturme: die Wogen find noch in Erregung, obgleich
die großen Fluten fich gelegt haben. Wir haben hier einen gewiſſen Laudon
geihlagen, dem Fabius Marimus vor der Nafe, der, um diefen Titel voll zu
verdienen, ihn bat jchlagen laflen, ohne fi aufzuregen. Eine jchöne Helden:
that! werden Sie jagen. Was wollen Sie, liebe Schweiter, das ift die Farce
nah der Tragödie.”
Körperlihe Beſchwerden, Unterleibsfrämpfe, Augenichmerzen, trugen dazu
bei, jeine Stimmung herabzudrüden, und wiederum die quäfenden Sorgen ließen
den Körper ſich nur langſam erholen: „Es iſt ſchwer, wohlauf zu fein, wenn der
Geiſt ſich unpaß fühlt und fortwährend in Aufregung bleibt.” Dem Bruder
188 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt.
ſchüttet er einmal fein Herz aus: „Wäre es nicht der point d’honneur, ich
hätte längft gethan, was ich Ahnen vorig Jahr oft gefagt habe.) Nun, Hiob
und ich find verpflichtet, Geduld zu üben; dermweil verjtreicht das Leben, und
alles betrachtet und erwogen, ift es nichts als Not, Mühfeligfeit, Sorge und
Trübjal geweſen. Verlohnte es die Mühe geboren zu jein? Ih will Ihre
Phantafie nicht no trüber maden; ich glaube, fie ift traurig genug, auch ohne
daß mein Kummer mit dem Ihren fich zufammenthut und ihn vergrößert.“
Am 26. September verließ er das Schönfelder Yager und marfjdierte nah _
Bilhofswerda und demnächſt nah Bauten, un die Verbindung mit Böhmen
über Zittau, dem Worratsplag der Defterreicher, zu jperren und dadurch Daun
zum Schlagen oder zur Näumung von Sachſen zu nötigen. Der Mari hatte
injoweit die beabfichtigte Wirkung, ald Daun am 5. Oftober das Yager von
Stolpen aufhob. Aber es gelang ihm, durch eine Parallelbewegung über Neu:
ftadt und Scirgiswalde, fih am 7. in dem durchſchnittenen Höhenland zwiſchen
der Bergfette von Hodlirh und dem Löbauer Waſſer den Preußen vorzulegen,
da ihre Vorhut unter General Nekow verfäumt hatte, die das ganze Plateau
beherrihende Beraipige, den Stromberg bei Weißenberg, zu bejegen. Friedrich
hatte gehofft, die Deiterreiher Ihon bei Neuftadt nah Böhmen übergehen zu
jehen, und nahm jest an, daß fie bei Zittau austreten wollten. Wider Er:
warten traf er fie, als er am 10. mit dem Heere bei Hodfirh anlangte, noch
in ihrem Lager am Stromberg. Sein erfter Gedanke war, fie hier anzugreifen;
tags darauf erwies ſich bei näherem Zuſehen ihre Stellung wieder als zu vor:
teilhaft. So bejchloß er, durch eine Umgehung in der rechten Flanke fich zwiſchen
den Feind und Görlig zu ſchieben, um eine Thür nad Schlefien offen zu haben,
wo das Corps des Generals Hari foeben Neiße zu berennen begann. Aus
Berpflegungsrüdiichten wurde der Marjch erjt auf den 13., dann auf die Nacht
zum 15. ausgelegt. Um die Richtung der beabjichtigten Bewegung nicht zu ver:
raten, und nicht aus irgend einer bizarren Zaune, ließ der König das Heer
derweil im Xager von Hodfird).
Das Lager wurde in der Front und in den Flanken gebedt durch zwei
jteil und tief zu Sumpf und Bad abfallende Thäler, der rechte Flügel auf den
Höhen von Hochkirch, Pommrig und Rodewig durch den Grund von Niethen,
der in der Richtung auf Weißenberg ausbiegende linfe dur den Tſchornaer
Grund. Die Stellung litt an drei Gebredhen: fie war in fi nidht zuſammen—
bängend, da die Fortſetzung des Niethener Thales den linken Flügel vom rechten
abſchnitt; ſie konnte aus dem feindlihen Lager eingejehen werden; fie wurde
in der rechten Flanke umfaßt dur das Hochkirchner Waldgebirge, in welchem fich
der unternehmende Yaudon mit feinen leichten Völkern eingeniftet hatte. So
bildeten die Preußen, wie Feldmarſchall Keith warnend bemerkte, die Sehne,
die Defterreicher den Bogen. „Laſſen fie uns hier in Nube, jo verdienten fie ge—
hängt zu werden,” joll er zum Könige gejagt haben, und die Antwort wäre ge—
weſen: „Wir müjlen hoffen, daß fie fih mehr vor uns, als vor dem Galgen
fürdten.“ Der bedächtige Eichel war jchon feit langem in Sorge, dab die Deiter:
) Bgl. oben ©. 124.
u. ———
Das Jahr 1758. 189
reicher einmal die berausfordernde Gleichgültigfeit, mit der man fie behandelte,
beitrafen würden: „Man muß es in der That der göttlichen Vorſicht zufchreiben,
wenn man fiehet, was dergleichen Leute des Königs Majeltät und Dero Affaires
zuweilen vor vieles Böſe ohne Risque noch ſonſtige Umſtände hätten zufügen
fönnen, wenn fie nicht ganz geblendet gewejen wären.”
Daun hatte aus Wien nur den Auftrag, Görlis und dadurch mittelbar
die Belagerung von Neiße zu deden. Aber, von fühneren Geiftern, einem Lacy
und einem Laudon, beraten, entſchloß er fich zu einer großen That, als er fich
überzeugt hatte, daß ſich der preußiſche rechte ‚Flügel „umgeben und von binten
nehmen” ließ. Der Ueberfall im Rüden, von Steindörfel ber, wurde Laudons
Aufgabe; gleichzeitig, eine halbe Stunde vor Tag, ſollten drei Kolonnen, bei
Naht durd die Wälder herangeführt, Hochkirch im Sturm nehmen; ein dritter
Angriff hatte fih gegen die preußiiche Linke zu richten, aber erft wenn Hochkirch
übermältigt fein würde; ein vierter gegen das Corps von Retzow bei Weißenberg.
Der fünfte Glodenidhlag vom Turm der Dorffirde gab für den Kampf
bei Hodhfirh das Signal. Der erfte Anprall nad lleberwältigung der Feld—
wachen galt den beiden Freibataillonen im Birkenbuſch unterhalb des Dorfes und
drei Ichnell zufammengetretenen Grenadierbataillonen. Enticheidend aber wurde,
daß Laudon mit überlegener Macht fi bei der Schlofjerfchenfe die Straße von
Steindörfel nah Hochkirch öffnete. Die hier lagernden Leib-Huſaren und
Gzettriß:Dragoner waren jchnell im Sattel, fonnten aber in dieſer Drangjal
nichts anderes thun, als dem Stoße ausweihen. So waren die Preußen vom
eriten Anfang an umfaßt. Im Beginn fchlichen nur vereinzelte Kroaten zwiſchen
den verlafienen Zelten vor und fuhren den Kämpfenden ins Genid: mährend
er jein Gejhüß lud, ward der Unteroffizier Tempelboff, der nachmalige Ge:
ſchichtsſchreiber dieſes Krieges, durch einen Kolbenſchlag binterrüds niedergeitredt.
In der Folge aber Huteten aus dem Hinterhalt von Steindörfel immer neue
Haufen heran und madten alle Anftrengungen der Preußen zu Schanden.
Zunächſt tobte der Kampf nur in und bei dem Dorfe Hochkirch. Ein regel-
rechtes Feuergefecht konnte fih im Morgennebel und in der Enge faum ent:
wideln; da und dort fam es zum wildeften Handgemenge, Bajonett und Kolben
leifteten die Mordarbeit, und Blechkappe und Bärenmüse wurden die Erkennungs—
zeichen, nad) denen die Ringenden in der Finſternis griffen.
Auf der Höhe von Rodewitz in der Mitte des Lagers waren, als bie
Schüſſe von Hochkirch her durch die Nacht ertönten, Offiziere und Soldaten, die
bei vielen Regimentern in den Kleidern geblieben waren, vor die Zelte gelaufen
und bald aud in Reihe und Glied getreten. Der König fam zu Fuß aus
feinem Quartier und jchritt die Front des Regiments Wedel ab. Meldungen aus
Hochkirch fehlten, noch ungläubig rief er den Leuten zu: „Burfche, geht nad
Lager, das find Panduren.” Aber das Schießen wurde heftiger, und während
noch der König mit den Offizieren den verdächtigen Vorgang beſprach, famen
Ihon die zwölfpfündbigen Kugeln geflogen, die der Feind aus der eroberten
Batterie jegt über das Lager ausfchüttete. „Burſche, nehmt das Gewehr in der
Hand,” rief der König; er verlangte nad) feinem Pferd und befahl, daß drei
Brigaden auf den gefährdeten rechten Flügel marichieren follten.
190 Sechſtes Buch. Bierter Abfchnitt.
Es war auserleienes Volk, was bier in die Finſternis und das Verderben
‚ausgejendet wurde, die märfiichen Kernregimenter, das Beite, was das preußifche
Heer an Mannschaften hatte, und Feldmarſchälle und Prinzen übernahmen die
Führung. Aus der Ferne gab das in Flammen aufgehende Hochkirch, ein Fanal
von trüber Glut, dem Marjche die Richtung; in der Nähe verdichtete fich der
nafje Nebel mit dein Bulverdampf und dem Qualm der Feuersbrunft zu einem zähen,
alles verbülenden und einwidelnden Schleier. Und da der vornehmite Gegen:
itand des Angriffs das Dorf war, jo ward zunächſt nicht daran gedacht, ihn in
Schlahtordnung auszuführen; einzeln gingen die Bataillone und Compagnien
von Forcade, Juenplig und Prinz von Preußen in immer wiederholtem Anlauf
vor, bald geraden Weges mitten hinein in die Dorfſtraße, die Schredensvolle Gaſſe
des Todes, bald Links oder rechts um den Ort herum. Die überrumpelten
Bataillone des rechten Flügels ſchloſſen fich den frifhen Truppen an. Mark:
araf Karl, von feinem treuen Mohren Pietro begleitet, führt mit dem Rufe
„Pietro und brave Preußen ſcheuen fein Feuer!” das erite Bataillon Kannader
wieder vor. Mori von Deflau, der im Nebel auf zwanzig Schritt an den
Feind heranreitet, erhält zwei Schüjle in den Leib und muß vom Kampfplag
fortgeichafft werden. Dicht am Eingange des Dorfes wird Feldmarſchall Keith,
bereits vorher verwundet, durh eine Stüdfugel vom Pferde gerifien, die Leiche
wird vom Feinde geborgen. Bei der Attade des Negiments Prinz von Preußen
findet Franz von Braunſchweig, der jüngite Bruder der Königin, jehsund:
zwanzigjährig den Heldentod, wie vor vierzehn „jahren fein Bruder Albrecht
am Morgen von Soor. Wo eine Truppe durd die Wucht des Vorftoßes den
„Nachtgeſpenſtern“ Raum abgewinnt — und zeitweile waren Dorf und Batterie
ihnen wieder entriffen — büßt fie doch den Vorteil bald wieder ein, von Fuß:
volf und Reiſigen bald in der Flanke, bald im Rüden gepadt oder unter das
Kreuzfeuer der Batterien genommen. Zuletzt gebt auch der Kirchhof verloren,
den Major von Langen mit dem zweiten Bataillon Markgraf Karl ftundenlang
mit der größten Hartnädigfeit gehalten hat. Wohl thun auch die preußiichen
Reiter, als es heller wird, ihre volle Schuldigfeit, wiederholt. brechen unter
Zietens und Seydligens Führung die Leib-Huſaren und die Schönaich-Küraſſiere,
die Normann: und die Gzettriß:Dragoner, die Gendarmen, Karabiniere und
Gardes du Corps in die öjterreichiiche Linie ein, richten ein „terribles Maflacre“
an und machen Gefangene zu Hunderten; aber auch fie müfjen fi zur Flucht
fehren und ihre Beute fahren laſſen, fobald Laudon feine Zwickmühle öffnet und
aus dem Hinterhalt von Steindörfel jeine Meute auf fie losläßt.
MWeitlih von Hodhfirh hat nunmehr der König aus den Regimentern
Wedel und Bornitädt, dem zweiten Bataillon Garde und der Grenadiergarde
eine Linie gebildet, die zum Angriff gegen die bewaldeten Höhen vorgeht. Er
jelbit hält hinter dem zweiten Bataillon Wedel. Die meilten der aus dem
Walde wohlgezielten Schüſſe treffen Kopf und Bruft, dem Major Haugwitz wird
neben dem König der Arm durchſchoſſen. Major v. Schmelinsfi fommt beran:
geritten und wagt eine Xorftellung: „Ew. Majeftät, ich bitte Ihnen um alles
in der Welt, ſchonen Sie Ihre höchſte Perion und reiten mwenigitens aus dem
fleinen Gewehrfeuer, ſehen Sie, wie die Yeute neben ihnen fallen.” „Ib will
Das Jahr 1758. 191
⸗
nur erſt ſehen, wie dieſe Bataillons vor uns vertrieben werden,“ erwidert der
König, und jener fährt fort: „Ich bitte Ihnen um Gottes Willen, ſchonen Sie
Ihre hohe Perſon, Hochkirch ift verloren und der Feind fommt uns am Ende
im Rüden — Ew. Majeftät Pferd ift bleſſiert.“ „Ich?“ fragt der König. —
„Das Pferd, es wird ſich verbluten und umfallen.” Nun reitet der König zum
Sattelplag, mwecjelt das Pferd und reitet dann vom Kampfplag auf die Höbe
zwiihen Pommrig und Rodewitz zurüd.
Dort richtet er einige noch nit an den Feind gefommene Bataillone zu
einer neuen Schladtordnung: in der Mitte das Regiment Alt:Braunfchweig,
zur Sicherung der rechten Flanfe auf fteilem Bergeshbang über dem Wiejengrund
von Drehſa das dritte Bataillon Garde, links über dem Einſchnitt von Niethen
zwei Grenabdierbataillone. Die Trümmer der geichlagenen NRegimenter werden
binter die neue Linie aufgenommen und notdürftig geordnet. Vom zweiten
Bataillon Wedell fommt Lieutenant v. Barjewiih, bringt eine Handvoll Leute
und drei Fahnen — die beiden anderen Gompagniefahnen waren verloren, als
eine Kitrajfierattade über die gelichtete und erihöpfte Schar binmwegbraufte.
„Wo feint die andern?” fraat der König. — „Hier bringe ich die Fahnen, To
gerettet, die andern jeint gefangen, und dieie 15 Mann feint die legten.” —
„Gebe Er die Fahnen an Unteroffiziers,” Tagt der König. „Emw. Majeftät, ich
babe nicht einen mehr.” „So gebe Er fie an Soldaten und ftelle Er die
Leute in Glieder” — von dem ganzen Regiment finden fich allmählich etwa
150 Mann ein.
Während alle Aufmerkſamkeit der Heeresleitung auf den Kampf bei Hoch—
firch gerichtet war, hatte auch der linke preußiiche Flügel, zwiſchen Rodewitz und
Kotig, eine empfindlide Schlappe erlitten.
Hier begann der Herzog von Aremberg feinen Angriff, der Dispofition
entipredhend, erft um acht Uhr. Obgleich alfo die Preußen jeit mehreren Stunden
durch die bei Hochkirch wogende Schlacht zu erhöhter Vorliht veranlaft wurden,
vermocdhten fie in dem dichten Nebel fih doch auch hier nicht gegen eine Weber:
rumpelung zu ſchützen. Won den Vortruppen mwurde das Grenabierbataillon
Kleiſt bei Alt-Kotitz abgeichnitten und zur Warfenftredung gezwungen, während
die Fußjäger, durch ihr wohlgezieltes Feuer auf die nachjegende Kavallerie und
dank dem rechtzeitigen Eingreifen der Krodow-Dragoner,-fih glücklich durchſchlugen.
Der erbittertite Kampf galt den 22 jchweren Gefchügen, die vor dieſem Flügel
eingejchanzt waren: fie gingen endlich verloren, mie die große Batterie von
Hochkirch; auch hier wichen die geichlagenen Truppen, lauter Grenadierbataillone,
auf die Hauptitellung zurüd, etwa um neun Uhr; auch bier unverfolgt; vor dem
Niethener Grund hielten die Angreifer ein.
So waren die preußiichen Abteilungen aus dem weitläufigen Yager jest
auf engem Raum vereinigt und zur Abwehr und gegenſeitigen Unterftügung
um jo mehr im ftande, als mittlerweile aud das ſehnlich erwartete abgezweigte
Corps des Generald Retzow auf dem Plan eridien.
Retzow hatte bei Weihenberg mit befierem Glück gekämpft als die beiden
Flügel des Hauptbeeres. Dreimal warf er den aufflimmenden Feind, die
Truppen des Prinzen von Baden:-Durlah, vom Bergeshang in die Tiefe zurück
192 Sechſtes Bud. Bierter Nbichnitt.
und trat dann unbehelligt jeinen Marih nah dem Schladtfelde an. Sein
Neitervortrab unter dem Prinzen Friedrih Eugen von Württemberg fam über
das Kobauer Waller gerade zur rechten Zeit, um ſowohl die Küraffiere des
rechten öfterreichiichen Alügels bei Nechern an weiterem Vordringen zu hindern,
als auf der anderen Seite die von Steindörfel her die preußiihe Rückzugs—
linie bedrohende Kavallerie Yaudons zu veriheuchen. Die Maſſe des Retzow'ſchen
Corps nahm nad dem Flußübergang eine Aufitelung zwiihen Cannewitz und
Wurichen.
Der Nebel war gewihen, im hellen Sonnenſchein lag das blutgetränfte,
mit Leichen und Bermwundeten bejäte Gefilde, aus elf Ortichaften loderten
Flammen auf. König Friedrih mit dem Markgrafen Karl und dem General
Seydlitz hält auf der Höhe bei dem Regiment Alt-Braunſchweig und betrachtet
mit feinem Glaje den Schauplatz des nächtlichen Kampfes und die feindliche
Stellung. Unter dem Feuer der preußiihen Geihüge find in dem Einjchnitt
zwiſchen Hodfirh und Pommrig die öfterreihiichen Offiziere noch beichäftigt,
ihre ftarf durcheinander gefommenen Xeute, ohne Rüdfiht auf Truppe und
Regiment, wieder in Reihe und Glied zu bringen. Oberſtlieutenant v. Saldern
ichiet feinen Adjutanten Kliging und läßt fragen, ob er mit feiner Brigade
— fünf Bataillone waren auf diefem Flügel noch nicht an den Feind ge:
fommen — von neuem angreifen ſolle. Schweigend fieht der König den Mar:
grafen und Seydlig an, beide bleiben ftil. Nach kurzem Befinnen jagt er zu
Kliging: „Der Angriff muß ja noch nicht erneuert werben, ſehe Er bier, da
liegt Bauten vor uns, ich werde auf die Anhöhen marſchieren, dahin foll mir
Saldern langjam folgen und jenjeits des Baches ftehen bleiben.”
Der Rüdzug ſelbſt, jeine mufterhafte Anordnung und völlig ungeftörte
Durdführung, die ftolze Ruhe, mit der angefichts des fiegreichen Heeres das
neue Lager auf den Höhen von Doberihüg bei Bauten, nur drei Biertelmeilen
vom Scladtfelde, abgeftedt und bezogen wurde — alles das ftellte eine
moraliſche und taftiiche Leitung dar, die dem Feinde volle Bewunderung ab:
nötigte. Der König trug in Blid und Miene volle Sicherheit, ja Heiterfeit zur
Schau, um den ermübeten, entmutigten, entblößten, ihrer dürftigen Habfeligfeiten
beraubten Truppen eine Zuverficht wiederzugeben, die er jelbft doch nur ſchwer
bewahrte. „Kanoniers, wo habt Ihr Eure Kanonen gelaſſen?“ fragt er beim
Abzuge ſcherzend und erhält die prompte Antwort: „Der Teufel bat fie bei der
Nachtzeit geholt.” „So wollen wir fie ihm bei Tage wieder abnehmen,” er:
erwidert er und darf num darauf rechnen, daß das tapfere Wort im Heere
die Runde madt. Einem der erprobteften Waffengefährten, feinem General:
abjutanten Wobersnom, der augenblidlich dem Dohna'ſchen Heere zugeteilt war,
ließ er beftellen: „Ich hätte bier eine tüchtige Obrfeige befommen, da ich bei
Nacht wäre attaquieret worden; ich würde fie aber nah alter Gewohnheit in
wenig Tagen auswiſchen.“
67 ſchwere Gejhüße und Haubigen, 35 Bataillonsftüde, 28 Fahnen und
2 Standarten, der größte Teil der Zelte und des Gepäds, über 9000 Mann
an Toten, Verwundeten und Gefangenen waren verloren: nahezu der vierte
Zeil des mit der Retzow'ſchen Abteilung bisher etwas über 40000 Mann ftarken
Das Jahr 1758. 195
Heeres, mehr als ein Drittel der gefamten Infanterie; die Verlufte der Reiterei
waren gering. Die Sieger hatten auf eine Gejamtitärfe von etwa 70000
Mann einen Abgang von mehr als 6000. Den Helventod des Feldmarſchalls
Keith beklagte der König als einen Verluſt „für das Heer und die menschliche
Gejellichaft”; er widmete dem Gefallenen eine Elegie und nah dem Frieden
ein Standbild. Der Feldmarſchall, der ihm die Schlacht bei Leuthen hatte ge
winnen helfen, Prinz Morig, war mit jeinen Wunden beim Verlaſſen des
Schlahtfeldes den Panduren in die Hände gefallen.
Im Gegenfag zu feiner anfängliden Gefaßtheit erſchien der König feinem
teilnahmsvollen Begleiter Catt bei den abendlihen Unterhaltungen der nächiten
Tage gedrüdt, ja Fleinmütig. „Ich kann die Tragödie enden, wenn ich will,”
fagte er dumpf; er zeigte dem Vorleſer die jegt vor einem Jahr entitandene
Apologie des Selbſtmordes!) und das Gift, das er feit langem bei ſich trug.
Und nun traf ihn eine neue Heimſuchung: eim neuer Todesfall in der
Familie, der dritte feit Beginn des Krieges, der zweite in biefem Jahre.
Mit der verhängnisvollen Epoche von Kolin verknüpfte ſich in feiner Er:
innerung der Verluft der Mutter; in den ſorgenſchweren Tagen, die dem Abzug
von Olmütz vorausgingen, hatte ihn die Nachricht von dem Ableben des Prinzen
von Preußen um jo mehr erjchüttert, als fie alle die peinlihen Eindrüde des
vorigen Sommers?) noch einmal wad rief. Jetzt häufte fih auf das Unglück
von Hochkirch die Trauerfunde aus Bairenth: am Morgen des 14. Oktober, in
der Stunde, da das preußiſche Heer geihlagen wurde, war die Markgräfin
Wilhelmine ihrem beldenhaft getragenen Leiden erlegen. Der Bruder hatte den
Gedanken an diefen jchon lange vorauszujehenden Ausgang bisher gewaltiam von
jich gewieien. „Ih beihwöre Sie,” hatte er noch jüngft dein Prinzen Heinrich
geichrieben, „rauben Eie mir nicht die Hoffnung, den einzigen Troft der Un:
glüdlihen. Bedenken Sie, daß ich mit meiner Schweiter geboren und erzogen
bin, daß diefe eriten Bande unlösbar find, daß zwiſchen uns beiden bie innigite
Zärtlichkeit nicht die geringite Abſchwächung erlitten hat, daß wir getrennte
Körper, aber nur eine Seele haben. Bedenken Sie, daß nad jo vielen Une
glüdsichlägen aller Art, die mir das Leben verleiden müffen, gerade noch diejer
Schlag mir zu fürchten übrig bleibt, um mir das Dafein unerträglich zu machen.“
Der in Dresden zurüdgebliebene Eichel, der verſchwiegene Zeuge jchon fo mancher
erſchütternder Auftritte, jchrieb dem Minifter Findenftein, „diefer Todesfall em:
barrajiiere ihn wegen des Königs mehr als alle Kriegsoperationes” ; der zweite
Kabinettsbeamte, Kriegsrat Cöper, dem nun die jchwere Pflicht oblag, dem Ge:
bieter nach jchonender Vorbereitung die ganze Wahrheit zu offenbaren, nannte
die Wirkung unbeſchreiblich: er glaube nicht, daß ein Schmerzausbruch noch
weiter gehen könne.
Gegen Gatt äußerte der König in diefen Tagen: „Nicht der Berluft einer
Schlacht vermag einen Kriegsmann und Kapitän zu erichüttern, aber der Tod
einer Schweiter iſt unerjeglich.” Und doch mußte er Sich jagen: „Ich habe feine
) Chen S, 120.
2) Then 3. 105— 110.
Aovier, Hönig Friedrich der Droge. IL 2, Auf 13
104 Schftes Bud, Vierter Abſchnitt.
Zeit, den Tod meiner Schweiter zu beweinen. . . . Jh will von all unjerem Un:
glück erft wieder iprehen, wenn der Winter da fein wird, und jet nur an das
denfen, was ich zu thun habe... . Die Menge unferes Unglüds ftumpft ſchließlich
die Empfindung ab, und ich glaube, es fünnte der Himmel die Erde erbrüden
und der Boden unter meinen Füßen einfinfen, ohne daß ich des achten würde.“
Troß feiner Niederlage beharrte er bei dem vor der Schlacht gefaßten
Plan, nad Görlig zu gehen, ſofort entihloffen, jih den Meg, wenn es galt,
dur eine neue Schlacht zu öffnen. Wer zweifelte noch auf ölterreichiicher Seite,
daß der Sieger den Beſiegten nicht an ſich vorbei lalien werde: Daun ſandte
Botihaft an das vor Neiße liegende Heer und verbürgte ſich, jeden Entſatz—
verjuh zu verhindern. König Friedrich zog, um jeine Verluſte einigermaßen
auszugleihen, ven Prinzen Heinrih mit acht Bataillonen und fünf Schwadronen
an fich, umging Dauns Stellung durd einen meilterhaften Mari und beiekte
am 25. Oktober Görlit; nicht mehr er, jondern der Sieger von Hochkirch war
jegt von Schleſien abgejchnitten. An der Fortſetzung des Marjches hätte Daun
ihn nur durd) einen Angriff hindern können, den Friedrich erwartete und wünſchte;
denn der Verluſt einer Schlacht würde jenen zum Abzug nad) Böhmen genötigt
haben. Statt deifen verichanzten fih die Defterreiher auf der Landskrone.
Eo mußte der König aud diesmal, wie im Juli, ohne vorherige Abrechnung
weitermarjdieren und Sachſen, ja die Marten, fait entblößt von BVerteidigern
hinter fich laffen. Im Lager am Gamighügel bei Dresden befanden fih nur
noch 18 Bataillone, Prinz Heinrid hatte die Verantwortung des Oberbefehls
über ein fo geſchwächtes Corps nicht länger auf fih nehmen wollen, dem nun:
mehrigen Führer, Generalmajor Find, fonnte der König nur die Mahnung
binterlaffen, vigilant und aktiv zu fein, „damit ich nicht glauben mühe, Ihr
hättet nicht Luft, etwas zu thun: Eijen, Trinken und Nichtsthun ift die Deviſe
der Mönche, aber nicht der Soldaten.” „Ich ſehe mich zu feltfamen Schritten
genötigt,” fchrieb er nach Berlin, „aber in meiner Lage muß man den Stamm
retten und nicht die Zweige.” Um die Hauptitadt, eintretenden Falls aber auch
die Pläge an der Elbe gegen die Defterreicher oder Neihsvölfer zu deden, wurden
Dohna und Wedel vom rechten Oderufer und aus der Udermarf berbeigerufen,
auf die Gefahr hin, die Ruſſen und die Schweden von neuem vordringen zu
jehen, gegen die nur ganz Keine Abteilungen zurüdblieben.
Mährend der König mit einem Teil des Hauptheeres den Weg über Jauer
und Schweidnig einichlug, veriperrte Prinz Heinrich bei Landeshut die Gebirge:
trage. Der König war bis Münfterberg gefommen, als die Nachricht eintraf,
daß ſich die Belagerungstruppen in der Nacht vom 5. auf den 6. November
eilends von Neiße fortgehoben hatten. Gleiche Kunde fam bald darauf von
Kojel. Oberſchleſien war gerettet, das Entſatzheer durfte zurüdfliegen.
Daun hatte die Muße, die ihm der Abmarjch der Preußen nah Echlefien
gewährte, benugen wollen, um im Verein mit der Neichsarmee das Corps an
der Elbe über den Haufen zu werfen und ſich für Neiße mit Dresden, Torgau,
Leipzig Shadlos zu halten. Aber General Find wich geihidt aus und wählte bei
Kefielsdorf eine Stellung, in der fein Kleines Heer nicht nur jelbit treiflich ge:
dedt war, fondern aud die Verteidigung von Dresden unterftügen konnte, und
Das Jahr 1758. 195
der Kommandant Schmettau jicherte jich gegen eine Ueberrumpelung, indem er
in rücfichtslofer Entihloffenheit am 10. November einen Teil der Vorftädte
nieberbrennen ließ. Auch in Torgau und Leipzig, al8 der Feind vor den Wällen
erſchien, jchidten fich die tapferen und umfichtigen Kommandanten zu nachdrück—
liher Gegenwehr an. Und ſchon fam von allen Seiten den Bebrängten Hülfe.
Am 12. November traf Webdell vor Torgau ein, am 14. ftieß Dohna zu ihm,
am 16. 309 Daun von Dresden ab, auf die Kunde von der Rüdfehr des Könige,
der an diefem Tage bereits wieder in Görlig war. Die Defterreiher nahmen
in Böhmen, die Neihstruppen im fränfifhen Kreife ihre Winterquartiere.. Am
20, ritt der König in Dresden ein, umarmte vor allem Volk den Komman—
danten der ihm geretteten Stadt, dem er feit dem Vorjahr gezürnt hatte,‘) und
bezog diesmal?) die Zimmer des Königs Auguft im Schloffe: „Wohlen, mein
Lieber, bald in den Hütten der Armen und bald in den Palälten der Könige,”
jo empfing er am Abend feinen Borlejer; „bier it, glaub’ ich, noch nie eine
Tragödie gelefen worden.“
Während jo der Ausgang des Feldzugs die drei Heere, die der König im
Frühjahr an der Neiße, der Pleiße und der Peene aufgeftellt hatte, auf ſächſiſchem
Boden zufammenführte, verftanden die Schweden und die Rufen nicht, von der
zeitweiligen Abweſenheit der zu ihrer Beobachtung bejtimmten Truppen Nuten
zu ziehen.
Die Schweden, zuerft von dem Schotten Hamilton, ſpäter von dem Liv—
länder Lantingshaujen geführt, waren in den Tagen ber Zorndorfer Schlacht
durch unverteidigtes Gebiet bis zu den hiftorifhen Stätten von Fehrbellin vor:
gedrungen, dann bei Wedells Ankunft klug in die Udermarf zurüdgegangen. Sie
fanden nad Wedells Fortgang nicht den Mut, bei Prenzlau die unter Manteuffel
zurüdgebliebenen 5000 Preußen anzugreifen, jondern entwichen weiter bis zur
Peene. Nun, da Dohna fi ihnen wieder widmen fonnte, war ihr Schidjal
für den Winter befiegelt: fie blieben auf Stralfund und Rügen beichränft wie
im Vorjahre, die Bejagungen in Anklam und Demmin, 2700 Mann, mußten
fapitulieren.
Die Ruſſen hatten nad) dem Fortgang des Königs von Warthe und Oder
unbeweglich in ihrem Lager bei Yandsberg geitanden, bis endlich Mitte September
die nad) der Schlacht erbetenen Berhaltungsmaßregeln aus Petersburg eintrafen.
Sie erlaubten dem General Fermor, zu thun, was er für das Richtige halte,
und Fermor, ohne Nachrichten über die Bewegungen der Defterreiher und
Schweden, war darauf nah Ponmtern in der Rihtung auf Stargard ab:
marjchiert, von Dohnas Corps begleitet. Ein weiterer Erlaß vom Hofe tadelte
den imaginären Sieger von Zorndorf jcharf, daß er nad des Königs Abzuge
nit Dohna angegriffen hatte; Fermor aber jah feine Aufgabe nur noch darin,
die von feinem Untergeneral Palmenbach begonnene Belagerung von Kolberg
zu deden, und ging Mitte Oftober nah Dramburg und weiter nach Tempelburg
zurüd. Dort erreichte ihn Anfang November der Befehl, die MWinterquartiere
') Oben ©. 107.
) Bal. oben ©. 50.
196 Schftes Bud. Vierter Abichnitt.
hinter der Weichjel aufzufchlagen. Inzwiſchen hatte der von Dohna entjandte
General Wobersnow dem von der Bürgerjchaft hingebend unterftügten Vertei—
diger von Kolberg, einem Invaliden von Hohenfriebberg, Major von der Heyde,
rechtzeitig Hülfe gebradt: am 29. Oktober mußten die Belagerer abziehen.
„Alſo ſechs Belagerungen fait zu gleicher Zeit aufgehoben!” triumphierte
der König in feinem Bulletin über den Schluß des Feldzuges; „Neiße, Kojel,
Dresden, Torgau, Leipzig und Kolberg. Von all den furdtbaren Heeren, die
während biejes Jahres das Feld gehalten haben, fann man jagen:
„La montagne en travail enfanta un souris.*
Die vorfihtigen Kabinettsminifter hielten es für zwedmäßig, im Drud
diejes Kriegsberichtes das anzüglihe Citat aus Lafontaine zu unterſchlagen.
Das militäriihe Gefamtbild ward durch das diesjährige Ergebnis der
franzöſiſchen Kriegführung nicht verändert. In Amerika war den Franzoſen
Louisburg, der Schlüfjel des Yorenzitromes, jebt doch verloren gegangen, dazu
ihr Stützpunkt im Obiothal, das von nun an Pittsburg genannte Fort Dugquesne.
In Afrika entriffen die Engländer ihnen Senegambien. In Deutichland hatte
Herzog Ferdinand ſechs Wochen nad) feinem Krefelder Siege, am 9. und 10. Auguft
über den hoch angejchwollenen Rhein zurückgehen müfjen, aber nicht unter dem Drude
jenes bisher ftets vor ihm gewichenen Heeres, das jett der Generallieutenant
Contades, der dritte Feldherr jeit Beginn bes Jahres, führte, jondern weil das
zweite, uriprünglid nah Sadjen beftimmte Heer, unter Soubiſe, lahnauf:
wärts durch Heſſen vorgedrungen war und ihm die NRüdzugslinie bedrohte.
Als fih der Dann von Roßbad am 10, Oktober bei Lutternberg zwischen Caſſel
und Münden durch feinen Sieg über ein vorgeichobenes heſſiſch-hannöveriſches
Corps den Marſchallſtab verdient hatte, wußte doc Ferdinand, inzwiichen end—
lih durdh 12000 Engländer verltärkt, bei Soeft eine jo vorteilhafte Aufitellung
zu nehmen, daß die Nereinigung der beiden franzöfiihen Heere und ein Vor—
dringen von Soubije gegen Hannover verhindert wurde. Die Winterquartiere
nahm Soubije am Main, Contades am linten Rheinufer.
Sclefien und Sachen, Vor: und Hinterpommern, die Marken und Mecklen—
burg, Hannover, Helfen und ganz Weftfalen waren vom Feinde geläubert.
Mas der franzöfifche Kriegsminifter vor Hochkirch vorausgefagt hatte: der König
von Preußen werde fih am Ende bes Feldzugs in einem Zuftande befinden,
der gegen jeine Lage zu Beginn des Jahres ſich um nichts verjchlimmert hätte
— es war in Erfüllung gegangen nah Hochkirch und trotz Hochkirch.
„Ich bin wie Jemand, der den Schluß eines Epigramms ſucht und ihn
nicht findet,“ hatte König Friedrich nad Hochkirch aelagt: „ich jehe nicht, wie ich
das Ende meines Feldzugs finden jol.” Der Schluß des Epigramms war
jegt gefunden, aber ohne ein Roßbach und ein Yeuthen. Und darum war das
Ende des Feldzugs nod) nicht das Ende des Kriegs. Statt des Friedens bradte
der Winter den dritten Vertrag von Verjailles, das neue Kampfesbündnis
zwijchen Frankreich und Delterreih vom 51. Tezember 1758.
Siebentes Bud.
Bier Defenfivfeldzüge, 789 - 762.
Erjter Abjchnitt.
Jeldzug von 1759.
gang des Feldzugs von 1758 der franzöſiſche Militärbevollmädtigte im
öfterreihiihen Hauptquartier, General Montazet, die Art, wie der König
von Preußen Krieg führe, mehr als tollfühn nennen zu ſollen. Ein bloßer
Haudegen, deſſen Stärke ausſchließlich in feinem Heere liege, jete er ſich fort:
während den größten Wagniffen aus, wo dann ein geglüdter Streich das kaiſer—
liche Heer ihm preisgebe. Mit ftrategiichen Bewegungen und Eunftvollen Plänen
jei gegen folden Gegner nichts auszurichten; nur durch den Angriff auf fein
Heer in offener Schlaht werde man ihn außer Kampf jegen, ober der Krieg
werde zehn Jahre währen. Zu feinem Trofte hielt es Montazet für unmwahr:
iheinlih, daß Friedrihs Kühnheit und andererjeits die ANengftlichfeit der Deiter:
reiher in dem Maße zunehmen würden, als jeine Kräfte dahinſchwänden.
Dem Könige von Preußen würde der Uebergang der Dejterreidher zur
taktiihen Offenfive, wie ihn diefer franzöfiihe Beobachter empfahl, nur will
fommen gemwejen jein, da er in der That die Schlahtentüdhtigfeit feiner Truppen
noch immer als jeine jtärkfte Waffe betrachtete. Daß feine Kräfte dahinſchwanden,
fühlte er jelbit am beiten. Er verhehlte ſich nicht, daß er feine Kühnbeit mäßigen,
feiner Kriegsführung beſcheidenere Aufgaben ftelen, die Anlage des nächſten
Feldzuges in engeren Grenzen halten müſſe.
„Wir werden uns glücklich zu Ihägen haben, wenn wir unfere Feldzüge
fo führen, wie den legten zum Schluß,” jchrieb er an den Herzog Ferdinand.
Und an den König von England: „Bei der Zahl und Ueberlegenheit der Feinde
ift es gewiß, daß auf dem Feſtlande al unjere Anftrengungen nur zureichen,
uns gegen bie Feinde gerade zu behaupten. Prinz Ferdinand ift genötigt ge:
wejen, zwei ftärferen Heeren die Stirn zu bieten, ich habe vieren wiberftehen
müſſen, und ich würde Eure Majeftät gröblich hintergehen, wollte ic Sie damit
ſchmeicheln, daß wir im nächſten Feldzug größere Fortichritte machen fönnten.
J Rückblicke auf den bisherigen Verlauf des Kampfes glaubte zu Aus—
200 Siebentes Bud. Erfter Abſchnitt.
Es bedarf im Kriege notwendig eines Verhältniſſes der Stärke, zufällige Er:
eigniffe können Ausnahmen jchaffen, aber feine Regeln.“
So ergab fih ihm für dem nächiten Feldzug eine Strategie, wie fie ihm
ſchon vor zwei Jahren, damals aber nur für den Anfang des Feldzuges, als zwed:
mäßig vorgeihmwebt hatte:!) die ſtrategiſche Defeniive, die auf einen Vorftoß in
Feindes Land, auf die Nebermwältigung weiter Gebietsitreden verzichtet und ihr
Heil in dem Vorteil der inneren Operationslinie jucht: „Meine Lage ift derart,
daß ich nur auf die Defenfive ausgehen fann, da ich den Feind von vier oder
fünf Seiten habe. . . . Ich gedenfe alle meine Schritte nach denen des Feindes
abzumefjen.” Oder, wie fein bezeichnender Ausdrud it: „ich bilde die Reſerve
der Armee, bereit, dahin mid) zu fehren, wo die dringendite Gefahr mich hin:
ziehen wird.“
Nicht ohne Grund nahm er an, daß feine neue Methode den Feind, der
feit je Difenfivftöße an ihm gewohnt war, unficher maden, „deroutieren“ werde.
Aber er ſagte fich zugleih, daß diejer Vorteil nur ein erites Mal zu erhoffen
jei, daß das „Stratagem” fich nicht wiederholen laffe; denn der Feind werde
bald lernen, ſich danach einzurichten, und dann werde es fehr böje Tage geben.
Er vermaß ſich alfo nicht, bei feinen beichränften Kräften von feiner Defenfive
die Mirkungen einer Crmattungsitrategie im Stile des Fabius und im Einne
der Darlegungen des Antimachiavel ?) zu erwarten. Im Gegenteil: je mehr
er wußte, daß gerade fein Gegner, diefer unerträglich langweilige Daun, ſich
in der Nolle des Fabius ftarf fühlte, um jo mehr mußte er danach tradten,
auch in der ftrategiichen Defenfive taftiih die Offenfive feitzuhalten und mit
dent Feinde zu jchlagen, wo irgend die Gelegenheit fi bot: „ch warte auf
einen Augenblid, um das wenige Del zu nutzen, das ih noch auf meiner
Lampe habe.“
Allerdings verhehlte er fich nicht, dab die erjehnte Gelegenheit fi immer
jeltener einitellen werde. Die unverfennbaren Fortichritte, welche die „modernen
Defterreicher” in der Kriegskunſt gemadt hatten, erheiſchten — jo erflärt er in
einer zu Ausgang des alten Jahres für einige feiner Generale aufgejegten
Denkſchrift — aud für die Preußen Nenderungen in der bisherigen Taktif. Die
Defterreiher haben es in der Verteidigung zur Meifterichaft gebracht, Durch ihre
Lagerkunft, ihre Marſchtaktik, ihr Artilleriefeuer. Bon unendlichen Geſchützmaſſen
umgeben und unteritüßgt, jtehen fie. regelmäßig in drei Linien: bie erſte am Fuß
des Abhangs, gleichfam auf einem Glacis; die zweite auf der Höhe fo verichangt,
daß hier erit der ſchwerſte Kampf entbrennen wird; fie ift mit Kavallerie ver:
miſcht, die bei dem eriten Wanfen des Anareifers alsbald vorbreden und ein:
hauen wird; die dritte Linie ift beftimmt, den Punkt zu veritärfen, auf den der
Angreifer feine Hauptkraft richtet. Kavallerieangriffe, wie fie noch vor kurzem
für die Einleitung der Schlacht die Negel bildeten, erjcheinen angeſichts Jolcher
Stellungen und folder Artilleriemaffen als ganz unthunlich; die Neiterei it
vielmehr zunächſt zu „refuſieren“ und erft für die legte Enticheidung und für
Oben 5. 64.
Oben ©. St.
De
— —
Feldzug von 1759. 201
die Verfolgung einzujegen. Das Schidjal der Staaten hängt von den Ent:
iheidungsichladten ab, eine einzige faliche Bewegung, das Mißverſtändnis eines
Unterführers fann alles verderben ; jo löblich es tft, eine Affaire herbeizuführen, wenn
man feine Vorteile findet, ganz ebenio muß man fie vermeiden, wenn das Riſiko
den zu erhoffenden Gewinn überfteigt. „Es giebt,” jagt Friedrih aud in diefem
Zufammenhang,!) „mehr als einen Weg, der zum Ziele führt; man wird fi
darauf legen müſſen, den Feind ſtückweiſe in die Pfanne zu hauen, feine Detache—
ments zu Grunde zu richten, die er oft und nicht immer mit gleicher Vorſicht
ausjendet.”
„Große Vorteile” ließen fich dabei freilich nicht erhoffen. Ganz anders
wurde das Bild, wenn der Feind einmal von jeinen Höhen herunterfam. „So:
bald wir ihn feiner Berge, feiner Wälder und Cinjchnitte, deren er ſich mit fo
großem Nuten zu bedienen weiß, berauben können, werden jeine Truppen den
unferen nicht zu mwibderftehen vermögen.” Aber wo diefe Ebenen finden? Nicht in
Mähren und Böhmen, nicht bei Görlig, Zittau oder Freiberg, aber in Niederſchleſien.
„Und das unerjättliche heiße Verlangen, womit der Wiener Hof diejes Herzogtum
wieder zu erobern trachtet, wird ihn früher oder jpäter beitimmen, dorthin feine
Truppen zu entjenden. Und dann, wenn fie genötigt find, ihre feften Stellungen
zu verlajien, wird die Stärke ihrer Schlachtordnung und der gewaltige Aufwand
ihres Geihüges wenig ausmahen Wenn ihr Heer zu Anfang eines Feldzuges
in die Ebene eintritt, kann ihre Verwegenheit ihre völlige Vernichtung nad)
fich ziehen” — wie fie nad) Leuthen nur durch die vorgerücte Jahreszeit hintan—
gehalten wurde.
Dieſe Hoffnung, die Teiterreiher in feinen Gefilden als Gäſte zu begrüßen,
hat ihm durch die ganze erite Hälfte des neuen Jahres begleitet. Eine gewonnene
Schlacht in Schlefien wurde die Vorausjegung aller weiteren ftrategiihen Ent:
würfe. Nur wenn er die Deiterreiher zuvor geichlagen hat, wird er ohne zu
großes Wagnis fih gegen jeine anderen Feinde wenden fünnen. „Haben wir
eine auch nur leidlich vorteilhafte Schlacht hier zu Lande, jo habe ich zu ber
Annahme Grund, daß der Reit des Feldzuges eine vorteilhafte Wendung nehmen
wird.” Sein Fouqué wünſchte ihm ein zweites Leuthen; er jelbit erklärte, zufrieden
fein zu wollen, „wenn e& auch nicht etwas ganz Großes, jondern nur etwas wäre”.
Seit dem 14. Dezember 1758 weilte er wie im vorigen Winter in Breslau,
aber diesmal ganz ftill und zurüdgezogen, „als Karthäuſer“. „ch ſpeiſe allein,
ih bringe den Tag mit Leſen und Schreiben hin und ich joupiere nit. Wenn
man traurig ift, jo fällt es auf die Dauer zu jchwer, unaufhörlich feinen Schmerz
zu verheimliden, und es ift beijer, allein zu trauern, als feinen Kummer in
die Gejellihait mitzubringen. Nichts hält mich aufrecht, als die ftraffe und ftete
Anipannung bei der Arbeit. Dieſe Zerftreuumg zwingt, jo lange fie dauert,
die verdrieflihen Vorftellungen fernzuhalten; aber leider, jobald das Werf
gethan iſt, kehren die finfteren Gedanfen wieder, und zwar ganz mit der Leb—
haftigkeit ihres erften Eindruds.” Kein Tag verging, wie der Vorleſer bezeugt,
ohne daß er von dem Tode der Markgräfin von Baireuth geiprodhen hätte.
') 3b. I, 551.
202 Siebentes Bud. Erfter Abichnitt.
Der engliihe Gejandte bemerkte mit Kummer bei mehr als einem Bor:
fommnis bie Veränderung, bie jeit der Zorndorfer Schladht mit ihm vorgegangen
war; feine gute Laune war dahin, er zeigte ſich herbe und verlegend. Seine
Arbeitslaft war groß, aber ſehr vereinfadht. Der im Frieden jo ausgedehnte
Schriftwechſel mit den Verwaltungsbehörden!) ftodte fait ganz. Die Geltung
des Zivilbeamtentums war geringer denn je; einem feiner Generale, der ſich
von den Miniftern nicht wirkſam genug unterftügt glaubte, jchrieb der König:
„Ihr müſſet Euch beileibe an die Faren der General:Directorii nicht kehren,
jfondern ihnen antworten, daß Ihr Euer Metier verltündet und danach thun
würdet.” So ausſchließlich galt jegt jeine Sorge dem Kriege: der Ergänzung
und Zurüftung des Heeres, den Finanzen und der Politik.
An eine volle Ergänzung des Heeres bis zu der Zahl der beiden legten
Jahre?) konnte er nicht mehr denfen. Auch wenn die Rekrutierung gut von jtatten
ging, glaubte er nur 110000 Mann — die Bejagungen rechneten wieder für
fih — ins Feld jtellen zu können; und in der That iſt diefe Zahl wohl nicht
überjhritten worden. Bei dem Hauptheere waren zu Beginn des Jahres Die
Reiterregimenter nur zur Hälfte gefüllt, 5000 Pferde mußten ihnen neu beihafft
werden; im ganzen fehlten diefem Heere 22000 Mann.
Den beiten Erſatz bot nah wie vor die Aushebung im eigenen Lande.
Dabei bewährten fi die im Sommer 1757 von den einzelnen Provinzen auf
eigene Koften aufgeltellten Landwehren, anfänglid 16000, jpäter nod etwa
9000 Mann Stark, in treifliher Weiſe als Erjagcadres. Dieje Landbataillone
nahmen neben abgedankten Veteranen und ungedienten Bauern oder Bürgern
zahlreiche Enrolierte aus den Kantons der Feldregimenter auf, zum Teil halb:
wüchſige Burjhen von 16 oder gar 15 Jahren, Wenn die nun von ihren Bor:
geiegten, zumeift bejahrten Cdelleuten, die ehedem den Sponton getragen
hatten, und halbinvaliden aftiven Offizieren, notdürftig ausgebildet waren, jo
wurden regelmäßig zu Beginn des neuen Jahres die Größten, die „Zehn: bis
Vierzölligen” , an die zuftändigen Regimenter abgegeben und in der Landwehr
durch neue Nefruten aus den Kantons abgelöft. Wie ganz der König auf feine
jungen Bauernburfchen rechnen durfte, das hatte im vorigen Sommer der Helden:
mut bewiejen, mit dem die Nefruten des Ruppiner Füftlierregiments im Gefecht
von Domitadtl?) in den Tod gegangen waren. Neben diefem grünen Holz
das dürre: die erzwungene Refrutenlieferung der unterjohten Nachbarſtaaten.
Die in Sadjen Gepreßten wurden zum Grafen Dohna nah Pommern, die
Medlenburger umgefehrt zum Prinzen Heinrih nah Sadjen geihidt. Nicht
die ſchlechteſte Aushülfe gewährten die Ueberläufer; aus defertierten Ungarn
fonnten bei den Huſaren ganze Schwabronen errichtet werden.
Ließ ih die alte Zahl nicht mehr voll maden, jo war die alte Trefflich-
feit ſchon gar nicht zu erjegen. „Unjere Verlufte und unfere Siege,” Elagte der
König, „haben die Blüte unjerer Infanterie binweggerafft, die dieje Warte ehe—
) Bgl. Bd. I, 316. 349 Mi
| Oben ©. 63. 169,
s, Oben ©. 174. Bgl. Bb. I, 541.
Feldzug von 1759. 203
dem jo glänzend machte.“ Ten oftpreufiichen Bataillonen rüdte er ihre fchlechte
Haltung in der Zorndorfer Schlacht bei jeder Gelegenheit vor; ein Teil diefer
Negimenter ſchien ihm nicht mehr vertrauensmwürdig genug, um ins erite Treffen
geitellt zu werden. Inter dem unmittelbaren Eindrud diejer üblen Erfahrung
hatte er dem Prinzen Heinrich empfohlen, bei jeinem Heere dem Stod zu Ne:
jpeft zu verhelfen; jegt während der Winterquartiere erging für die General:
majore von der Infanterie eine neue Inſtruktion, in der e8 zum Schluß hieß: „Weil
Ich auch gejehen, daß die Burfche aus VBärenhäuterei, wenn fie eine Weile im
Feuer gewejen, vorgeben, fie haben ſich verfchoflen, fo foll den Burſchen angejaget
werden, daß der erjte, jo in ber Bataille Patronen wegſchmeißen wird, mit
36mal Spießrutenlaufen gleih darauf beftrafet werden jol, und wenn die
Batronenwagen fommen und die Burjche feine nehmen wollen, jo foll derjenige,
welder davon überführet wird, jogleidh bei dem Negimente arquebufieret werden,
der Kerl habe ſechs Fuß oder ſechs Zoll.” Wie im Gegenjag dazu bei einer Truppe
von altem Schrot und Korn der Patronenwagen in der Schlacht begrüßt wurde,
hat uns für Hohfich ein Offizier vom Regiment Wedell!) geſchildert: „Der:
jenige, jo in feiner Schlacht geweien, fann ſich gar nicht vorftellen, wie will
fommen ein Patronenwagen in fol einem Moment ift. Ein Wagen mit lauter
Gold wäre bei weitem nicht fo angenehm gemweien.“
Das Gebot an die Infanterie, in der Schlaht beim Angriff nicht zu
feuern, dieſe äußerfte Zumutung an die Kaltblütigkeit und AZuverfichtlichleit des
gemeinen Mannes, war jchon nach den Erfahrungen von Prag?) nicht wieder:
holt worden. „Mit dem gefällten Bajonett und ohne zu ſchießen kommen wir
nicht durch,” hatte damals Winterfeldt dem Könige warnend vorgeftellt.
Nach dem erſten Feldzuge diefes Krieges foll der ölterreichifche Heerführer
gejagt haben, daß jeder, der feindliche Länder richtig zu behandeln lernen wolle,
bei Schwerin in die Schule gehen mülle, und daß die Schonung und Uneigen:
nüßigfeit, die Schwerin und Keith an der Spite ihrer Heere gezeigt, den Ein:
wohnern von Böhmen unvergeklich jein werde. „Der Bauer aderte neben dem
preußiichen Lager, alle Dörfer trieben ihr Vieh unbeforgt auf die Weide.” Und
noch zu Anfang des Feldzugs von 1758 fahen die Einwohner von Troppau die
preußiihen Truppen wegen ihrer guten Mannszucht lieber als die eigenen.
Schon aber begannen die öfterreichifchen Offiziere fich zu rühmen, daß im preußi—
ihen Heere die alte ſchöne Disziplin nicht mehr herrſche, daß jett fie darin
ftrenger jeien und ihre Packknechte und Marketender jchärfer zu halten wüßten.
Den Freibataillonen war das Beutemadhen und Plündern in Feindes Land aus:
drüdlich nachgegeben; dabei blieb diefe irreqguläre, zum großen Teil aus Weber:
läufern zufammengefette Truppe unter tapferen und entichlofjenen, aber nicht
jelten etwas anrüdigen, „liederlihen”, bei guten Regimentern unmöglichen
Offizieren eine unzuverläffige Gejellichaft, welche die Generale nicht weithin aus:
zujenden wagten, und welche deshalb dem Aufllärungsdienft und der Aufgabe,
das Yager zu deden, nur unzureichend gerecht wurde.
'), Barlewiih. Bgl. oben ©. 191.
2) Vgl. oben S. 82 und Bd. I, 549. 637,
204 Siebentes Bud. Erſter Abichnitt.
In dem Offiziercorps, in der Generalität wurden die Yüden, die ber
Krieg riß, von dem Kriegsherrn faſt noch jchwerer empfunden als in der Truppe.
„Man follte jagen,“ jchreibt er 1750 anläßlich eines neuen Verluftes, „daß die
Dejterreiher unsterblich find und nur unfere Leute von binnen müfjen. Meine
Generale nehmen den Acheron im vollen Galopp, bald wird fein Menſch mehr
übrig fein.” Lobofit hatte dem preußiſchen Heere vier Generale gefoftet, Prag
mit dem Feldmarfhall Schwerin ebenfoviel, Kolin und Moys je einen, Breslau
drei, Leuthen zwei, Zorndorf und Hochkirch je drei. Darunter wieder einen Feld—
marſchall: Keith fam einem Schwerin und einem Winterfeldt nicht gleih, er
hatte gleich zu Anfang des Krieges die erforderlihe Entichiedenheit vermifien
lafien, und der König hatte ihm für einen ſelbſtändigen Oberbefehl 1757 erft
den Prinzen von Preußen und dann den Herzog von Bevern und 1758 den
Prinzen Heinrich vorgezogen. Aufgaben zweiten Nanges aber war der friegs-
erfahrene Fremdling immer gerecht geworben, jein Nüdzug von Prag und wieder
der von Olmütz galten als muſterhaft.
Andere Generale waren dur Krankheiten dahingerafit. So Driejen, der
Held von Leuthen, und der alte Pennavaire, der nad) jeinem Koliner Fehlſchlage
ih in der Breslauer Schlaht an der Spitze feiner Schwadronen rühmliche
Wunden geholt hatte; Retzow, ber als Intendant noch immer für die Verpflegung
Nat geichafft hatte, und Mayr, der verwegene Freiſcharenführer, beide dem Könige
in ihrem Bereich unerjeglid. Schon war auch Moris von Deſſau unheilbarem
Siechtum verfallen, dem tüdifchen Krebsleiden, dem er binnen furzem, achtund—
vierzigjährig, erliegen ſollte — der Yieblingsjohn des alten Deffauers, deſſen
Bild er wie ein Amulet auf der bloßen Bruſt mit fich herumtrug, der goites:
fürdtige Haudegen, der wortfarge, ftotternde „Naturmenſch“: von den preußi-
jchen und braunfchweigiihen Prinzen als abjchredendes Beiipiel des ungebildeten
Offiziers verfpottet und als Nebenbubler gehaßt,) von dem Könige in Krieg
und Frieden, im Lager und in der Schlacht als umfichtiger und peinlich genauer
Gehülfe, als Treftenführer, als der richtige Mann, „die Karre aus dem Dred
zu ziehen“, ausnehmend geihägt, am Abend von Leuthen mit den Ichmeichelhafteften
Worten zu der höchſten militärifchen Würde erhoben, mit den höchſten Aufgaben
des Feldherrn aber doch ebenjomwenig betraut wie Keith. Einftweilen war er noch mit
jeinen Hochkirchener Wunden Gefangener der Defterreicher, die da erklärten, Fürft
Moritz könne nur gegen 3000 Köpfe, Offiziere und Gemeine, freigegeben werden.
Dagegen war der Herzog von Bevern jhon im Sommer 1758 aus der
Gefangenschaft zurücgefehrt, die er nad des Königs dod wohl unzutreffender
Auffaffung freiwillig geſucht haben jollte;?) er erſchien aber zunächit nicht beim
Heere, fondern blieb auf feinen Gouverneurpoften in Stettin beihränft. Beverns
Gefährten aus den Breslauer Unglüdstagen, Leitwig und Katte, fanden nad
Abbüßung ihrer Feitungsftrafe überhaupt feine dienitlihe Verwendung mehr;
der dritte der 1758 friegsrechtlich verurteilten Generale, der erit fünfzigjährige
Kyau, ſtarb Schon im Frühling 1759, auf feinem legten Kranfenlager noch durch
'; Oben S. 100.
2) Bgl. oben S. 138.
Feldzug von 1759. 205
einen teilnehmenden Beſuch des nicht mehr zürnenden Gebieters erfreut. Ciner
der Kriegsgefangenen von Schweidnig, Oberſt Warnery, dem eine glänzende
Zukunft als Hujarenführer vorausgejagt worden war, nahm nach jeiner Wieder:
einlöjung den Abjchied, dem Könige mißliebig geworden und durch böje Nachrede
mißmutig gemadt. Geßler und Otto Martin von Schwerin hatten bei Lobofit
ihren Ruhm von Hohenfriedberg nicht erneut und waren ſchon nad) dem erjten
Feldzug zurüdgetreten. Nur feines hohen Alters wegen, in allen Gnaden, war
Feldmarſchall Lehwaldt von dem Oberbefehl über fein nicht glücklich, aber auch
nicht unrühmlich geführtes Heer entbunden worden.
Neue militäriihe Talente, wie fie drüben in den Daun, Lacy, Yaubon,
Hadif entdedt wurden, hatte auf preußiſcher Seite der Krieg, der jo manchen
alten Ruhm fterben oder verderben ließ, doch nur wenige emporgebracht. Zieten
und vor allen Seydlitz glänzten als Neiterführer, famen aber für den Ober:
befehl über ein ganzes Heer nicht in Betracht. Fouqus hatte ſich in engerem
Bereich als wahjamer Grenzhüter in den ihm jeit langem vertrauten ſchleſiſchen
Bergen bewährt: „Ich beglückwünſche Sie als Freund zu der Gerechtigkeit, die
ih Ahnen als König habe zu teil werden laſſen,“ ſchrieb ihm Friedrich am
1. Diärz 1759 nah der Beförderung zum General der Infanterie. Den höchiten
Anſprüchen des Kriegsherrn genügte fein Bruder Heinrih. In ihm war
der große Feldherr geboren, deſſen Beihülfe auf dem Nebenfriegsihauplage
dem Führer des Hauptheeres umd der Hauptichläge unentbehrlih war. Mit
jeinen 33 Jahren nahm der Prinz im Heere ſchon jebt die Stellung ein, die
in den beiden erften Kriegen der alte Fürjt Leopold neben dem Könige be:
bauptet hatte. Auf die Führung des zweiten Heeres hatte er nach feinem um:
fihtigen Feldzuge von 1758 Anjprud ohne Mitbewerber. „Europa,“ ſchrieb Fried:
rich jegt beim Wiederbeginn des Kampfes dem Bruder, „wird Sie nicht bloß als
einen liebenswürdigen Prinzen, fondern noch mehr als einen Dann fennen lernen,
der den Krieg zu führen verſteht und der fich in Reſpekt jegen muß. Und das
fann, bei all meinem ſonſtigen Kummer, nicht verjehlen, mir eine wirkliche
Freude zu bereiten, und war jehr zu wünfchen zum Belten des Staates und vor
allem zum Beiten der armen Waijen (der Söhne des veritorbenen Thronerben),
die mir anvertraut find. Fahren Sie fort, mein lieber Bruder, wie Sie an:
gefangen haben; Eie können zwar die Hochachtung und Freundichaft, die ic)
für Sie hege, nicht vermehren, aber wenn ich nichts als ein einfacher Staate:
bürger wäre, wollte ih Ihnen meine Erfenntlichfeit erzeigen für die guten und
hervorragenden Dienfte, welde Sie dem Vaterlande leiſten.“
Mehr zunächſt noch als diefer preußiihe Prinz 309 der Braunichweiger
Ferdinand, der Sieger von Krefeld, die Augen der Welt auf feinen jungen
Feldherrnruhm. „Nil Claudiae non efficient manus,* citierte William Pitt
aus jeinem Horaz, indem er vor dem Unterhaus die Thaten Friedrihs und
Ferdinands, der nahverwandten Fürſten, pries. Der König ernannte feinen
Schwager nah dem Feldzug von 1758 zum Generalfelomarihall und begrüßte
den Befreier des deutſchen Nordweitens als den neuen Arminius; dem preußiichen
Heere aber, das des Erſatzes für Lehwaldt bedurfte, blieb der neue Feldmarſchall
durch diefe feine Arminiusaufgabe entzogen.
206 Siebentes Bud. Erſter Abichnitt.
vehwaldts Nachfolger im Oberbefehl des dritten Heeres, Graf Chriftoph
Dohna, war aus der Schule des alten Defjauers hervorgegangen, in deſſen Regis
ment er binnen 22 Jahren fih vom Fähnrich bis zum Oberſten beraufgedient
hatte. Ihr Landsmann, wie jein Vorgänger, war er den feiner Führung über:
gebenen oftpreußifhen Regimentern ein willfommener General. Daß jeine
Truppen bei Zorndorf sich jchlecht hielten, dafür it der Feldherr nicht perſönlich
verantwortlich gemacht worden. Tadel aber fand ſein unficheres Auftreten nad)
dem Fortgang des Königs von der Oder, und jegt für den Feldzug von 1759
wurde ihm in ber Perſon des föniglihen Generaladjutanten Wobersnow ein
Berater beigejellt, deilen Wort im gegebenen Falle ebenfo angejehen werden
jollte, ala wenn der Befehl in des Königs Namen jelbit erfolate.
Wobersnow und die Generale Wedel und Find galten als die Männer
der Zukunft; allen dreien follte diejes Jahr verhängnisvoll werden.
Medell und Find, die zu den jüngsten Generalmajors zählten, wurden jegt
außer der Neihe zu Generallieutenants befördert, wie denn der König jhon im
vorigen Sommer bei der Parole hatte verkünden fallen, daß er bei den Ernen=
nungen vom Oberit ab ſich in Zufunft an das Dienftalter nicht binden werde.
Daß nun ein Prinz von Bevern und der Generalmajor Schönaich übergangen
feinen Dienft verließen, befümmerte ihn wenig: er äußerte, wenn er einen
Fähnrih in feinem Heere wüßte, der die Qualitäten des Prinzen Eugen von
Savoyen befäße, fo würde -er ihn flugs zum Generalfeldmarſchall befördern.
Am Ziele feiner diesjährigen Nüftung, war er mit dem Ergebnis doch
nicht unzufrieden. „Meine Armee it nicht admirabel,” jchrieb er dem Prinzen
Heinrich, „aber doch viel paljabler als legtes Jahr.” Auch mit Kleidern, Zelten,
Kochgeichirren war feine Infanterie nad) den Einbußen von Hochkirch jet wieder
verjehen. Großer Aufwand war von neuem für die Vermehrung der Artillerie
gemacht. Bei den drei preußiichen Heeren befanden fich jegt außer den Bataillons-
jtüden im ganzen 536 ſchwere Geichüge und Haubigen, bei dem Hauptheere
214 gegen die 360, die Daun nach preußiiher Annahme zur Verfügung hatte.
„Wenn diefe Mode noch einige Jahre anhält,” meinte Friedrich unwirſch, „Io
wird man fchließlih Detahements von 2000 Mann mit 6000 Kanonen mar:
ſchieren laſſen.“
An Geld war noch fein Mangel. Der Subſidienvertrag mit England
wurde erneuert, die zunehmende Zerrüttung des Ztaatshaushalts, der völlige
Ausfall der Einnahmen aus den vom Feinde beiegten Provinzen wurde dadurch
auszugleichen gefucht, daß von Sachſen und Medlenburg noch höhere Leitungen
als bisher gefordert wurden, und endlich war mit der Nusprägung minder:
wertiger Münze eine Bahn betreten worden, an deren tiefiten Punkte man,
wie wir hören werben, noch lange nicht angefommen war.
Was aber werden alle neuen Vorkehrungen, alle neuen Anftrengungen
frommen? Nur ein Deus ex machina, jo meint Friedrich, kann unjerem Stüd
noch eine gute Yöjung bringen. „Wir haben der Feinde zu viel, um eine Leber:
(egenheit zu gewinnen, die fie zum Frieden zu zwingen vermöcdte. Ganz Europa
ftürzt fih über uns ber, es ſcheint, daß es Mode iſt, unſer Feind zu fein, und
ein Ehrentitel, zu unierem Untergang beizutragen. Und das Ende von alledem?
Feldzug von 1759. 207
Wir werden no einige Streide, die man uns verjegen will, parieren und
zum Schluß unterliegen!”
Das englifche Minifterium fam mit diefem und jenem gut gemeinten Vor:
ihlag: man gewinne den neutralen König von Spanien als Friedensvermittler;
man empfehle ben Höfen von Neapel und Turin eine Schilderhebung und einen
Teilungsvertrag auf Koften Defterreihs, wobei dem Haufe Bourbon Toskana,
dem Haufe Savoyen Mailand zufallen mag. Um nichts unverjucht zu laſſen,
entjandte Friedrich insgeheim nah Madrid George Keith, der lange in ſpani—
ſchen Kriegsdieniten geftanden hatte, und nad Turin den Hauptmann von Cocceji.
An einen Erfolg diejer Verhandlungen wagte er doch ebenfowenig zu glauben,
wie an den Eintritt däniſcher Bermittelung. Anbaltend dagegen beichäftigten
fi jeine Gedanken und Hoffnungen mit einem Türfenfriege; in Yondon und
in Konitantinopel jelbit ließ er voritellen, daß er ohne türfifhe Hilfe in dem
neuen Feldzuge notwendig erliegen werde. Aber wie entfernt und unficher blieb
auch diefe Ansicht !
Ale Anzeihen, auch die leijeften Spuren, von einem Zerfall, von der
inneren Zwietracht des großen zu feinem Berderben gejchloffenen Bundes,
jammelte und deutete er fih unermüdlich, bald mit trübem Zweifel, bald mit
auffladernder Hoffnung. Dur verjchiedene Kanäle wurde unter ber Hand eine
Einwirkung auf den Warjchauer Hof verſucht, mit dem Hinweis auf die Nöte
des fähfiihen Erblandes, denen der König-Kurfürſt ein Ende machen fönne,
wenn er die Franzojen zum Frieden umjtimmen wolle Immer aber blieb
Friedrichs Taftif, daß die anderen fommen jollten, zuerit reden jollten — wie
er ſchon im vergangenen Eeptember, den Franzoſen zur Nachachtung, an den
von ihnen ausgehorhten und vorgeihobenen Marfgrafen von Baireuth ge:
ichrieben hatte: „Ich gebe Ihren auten Abfichten meinen vollen Beifall, aber
ih muß Ihnen jagen: ich bin jtumm wie ein Karpfen. Wenn die Franzoſen,
Defterreiher und Ruſſen mir etwas zu jagen haben, jo haben fie nur zu
ſprechen; ich für mein Teil bejchränfe mich darauf, fie zu jchlagen und zu
jchmweigen.”
Der verfhämte Annäherungsverfuh war die Veranftaltung des Abbe
Bernis geweien. Am Neujahrstage erfuhr der König von Preußen, daß Bernis
in die Verbannung geihidt war. Fortan, das erkannte er jehr bald, war an
Frieden nicht mehr zu denken: „Seine unflugen Handlungen hatten ihn erhöht,
jeine verftändigen Abſichten ftürzten ihn,” jo lautete Friedrichs Epitaph für den
ichnell allgemein vergeſſenen Mann.
Bernis hatte vorlängit überlegt, ob er nicht freiwillig zurüdtreten jolle,
dann aber doch gemeint, feinen Herrn und jein Vaterland in der Not nicht ver:
laſſen zu dürfen. Er hatte Rettung nur nod) in einer „Verſchwörung der quten
Bürger” zur Erhaltung einer auseinander fallenden Mafchine jehen wollen und
hatte jein Sinnen und Tradten, mit Ehren aus diefem Kriege berauszufommen,
jo wenig verhehlt, daß der faiferlihe Botjichafter zu Beginn des vorigen Feld—
zugs bei diefer Sachlage und bei der Zerfahrenheit der franzöfiichen Kriegs:
führung auch feinerjeits dem Frieden bei feiner Gebieterin das Wort reden zu
müſſen glaubte. Von der noch einmal verabredeten Entjendung eines Corps
208 Siebentes Bud. Erſter Abſchnitt.
nah Böhmen!) war der König von Frankreich nad der Niederlage von Krefeld
dur die Kaiferin:Königin förmlich losgejprodhen worden. Damals bevauerte
man in Berfailles, dab Daun, der Befreier von Olmütz, nicht gleichzeitig in
Mähren und am Rhein Krieg führen könne; aber ald Daun nah Hochkirch mit
jeinem mageren Lorbeer nad) Böhmen zurüdging, ohne die Echlüfel von Dresden
oder von Neiffe, Elagte jelbit Stainville, der eifrigfte Freund Defterreihs: wer
einen glänzenden Erfolg jo wenig auszjunügen wiſſe, der werbe nie dem König
von Preußen Schlefien entreißen. Auch Bernis hatte angenommen, dab Sachſen
nah Hochkirch den Beſiegten verloren gehen werde; mur unter diefer Voraus:
ſetzung hatte er noch zu einem weiteren Feldzug raten wollen; nicht ohne die
Bejorgnis, Maria Therefia werde auch nad einem vierten Kriegsjahr ihren
Gegner entweder noch immer zu ftarf oder wiederum jo ſchwach finden, dag man
im einen wie im anderen Falle das Werk feiner Vernichtung noch fortſetzen
müſſe. Um die von ihn geichloiienen Verträge nicht mit eigener Hand zerreißen
zu jollen, kam Bernis auf den Gedanken, fid in die Leitung der auswärtigen
Angelegenheiten mit dem friegsluftigen Stainville zu teilen; er wußte nicht, daß
der von ihm Empfohlene mit der Gunjtdame ſchon bei dem Könige auf feinen
Sturz binarbeitete. Statt jein Mitarbeiter, wie Bernis es vorichlug, wurde
Stainville, kurz zuvor zum Herzog von Choifeul ernannt, am 9. Dftober 1758
fein Nachfolger, und zwei Monate jpäter folgte die Verbannung. König Yudwig
verbot, dab man ihm von einem Syitemwediel aud nur rede.
Das Werk des neuen Minijters war jener neue Vertrag mit dem Wiener
Hofe. Bernis hatte dem Abſchluß entfchieden widerſprochen. Von der Wieder:
eroberung Schlejiens als unerläßlicher Bedingung des Fünftigen Friedens war
nicht mehr die Nede, der Vertrag vom 1. Mai 1757 ward feierlih für null
und nichtig erflärt. Damit entfiel für den Wiener Hof, aud wenn Schleſien
und Glag wirklih noch unter das öfterreihiiche Zepter zurüdfehrten, die Ver:
pflichtung zur Abtretung der Niederlande. Frankreich dagegen ward der jähr—
lihen Subjidienzahlung in der Höhe von 12 Millionen’) Gulden quitt und
verpflichtete fih nur, die Rüditände, 7"; Million, nah dem Frieden nachzu—
zahlen und für 1750 die Stellung der in dem Defenfivvertrag von 1756 zu:
gelagten 24000 Mann mit einer Geldzahlung von monatlid 253000 Gulden
abzulöjen; auch veriprady es, den Krieg mit 100000 Mann fortzufegen, und
nahm die Subfidienzablung nad Stodholm und die Unterhaltung der ſächſiſchen
Truppen allein auf fih. Alles in allem glaubte Kaunitz jagen zu dürfen, daß
bei diefem Abkommen der Vorteil auf öfterreihiicher Seite „merklich vorwiege“.
Im übrigen meinte Maria Therefia, fih von der Kriegsführung der ran:
zojen gar nichts mehr verfpreden zu dürfen. Nach wie vor?) jchien ihr der
Erfolg des Kampfes von Rußland abzuhängen. An dem Eifer der Zarin beitand
fein Zweifel; immer von neuem erflärte Elifabeth, nicht eber ruhen zu wollen,
als bis der König von Preußen gedemütigt jei. Ihr großes Wort, dei legten
1 Dben ©. 150.
*, Oben S. 43. 15%.
3, Then ©, 156.
Feldzug von 1759. 209
Mann und den legten Rubel daran jegen zu wollen, hatte auf König Ludwig XV.
fo tiefen Eindrud gemadt, dab auch er den Entihluß ausſprach, er werde eher
ven legten Sou und den legten Mann aufwenden, als ſich von feinen Ber:
bündeten trennen.
Den allerchriſtlichſten König deito feiter an die gemeine Sache zu fetten, trat
jest aud die Kurie in einer eindringlihen Kundgebung mit Lobſpruch und
Mahnung an ihn heran. Am 3. Mai 1758 war nah achtzehnjährigem Pontififat
Benedikt XIV. geftorben; der milde und weltmänniſche Herrſcher hatte zwar nach
den Ausbruch des Krieges ſich mit feinen Sympathien jo ganz auf die Seite
der Gegner Preußens geitelt, daß feine Umgebung ernftlic für feine Gejund:
heit bejorgt war, wenn ein preußiicher Sieg ihm gemeldet werden mußte; offene
Parteinahme aber hatte er vermieden. Sein Nachfolger, der Venetianer Nez:
zonico, der fi Klemens XIII. nannte, nahm noch im Jahre feiner Erhöhung
die Schlacht bei Hocdhfirh zum Anlaß, um dem Könige von Frankreich feierlich
jeine Freude auszufpredhen über das von feinen Vorgängern fo fehr erjehnte,
endlih zumege gebradte und von Gott jüngft durch glückliche Waffenerfolge
gejegnete Bündnis der beiden großen Fatholifchen Höfe. Gleichzeitig forderte er
in einem anderen Breve den Kailer auf, des Amtes als Schirmvogt der Kirche
gegen die Afatholifchen zu warten und die Nechte der Religion und des heiligen
Neihes zu ſchützen und mwiederherzuftellen. Die Kaiferinflönigin und andere
fatholiiche Yandesherrihaften ermächtigte er für die Zwede des guten Krieges
zu einer außerordentlichen Beitenerung des geiftlichen Gutes.
Nicht lange darauf, jeit Anfang März 1759, ging dur die Zeitungen,
zunächſt durch die holländiihen, eine angeblih aus Wien ftammende Nachricht,
daß dem Feldmarſchall Daun ein Degen und ein Hut, beide vom Papſt geweiht,
zugedacht jeien, geiſtliche Ehrengeſchenke, wie fie zulegt dem Prinzen Eugen für
feine Siege gegen die Ungläubigen verliehen worden waren. König Friedrich
hörte von der ihn fehr beluftigenden Sache erſt Ende April. „Der Papit hat
Daun ich weiß nicht was für einen Hut verliehen; er beträgt fich ſehr unſchicklich
gegen mich,“ fchrieb er an d'Argens. Der riet, die Sade ins Lächerlihe zu
ziehen, zugleih aber eine Broſchüre über die dem Protejtantismus drohenden
Gefahren zu veröffentlichen. Friedrich erwiderte, das jeien verbraudte Warten;
niemand, jelbit nicht mehr die Frauen, laſſe ſich noch fanatifieren, weder für
Luther nod für Calvin. Mehr jagte ihm der ‚andere Vorfchlag zu. Er ent:
warf unter ftärffter Auftragung der Farbe ein päpftliches Verleihungsbreve für
Daun, der da berufen jei, nah dem Worbilde des heiligen Karl den Norden
Deutihlands durch Schwert, Feuer und Blut zu befehren, und fandte die Satire
zur Veröffentlihung an d'Argens, der eine lateinifche Ueberjegung binzufügte.
Harmloje Gemüter nahmen den fauftdiden Hohn als bare Münze auf, der Wiener
Hof aber ſah fi endlich veranlaft, Anfang Auguft 1759, die vielerörterte Ver:
leihung der geweihten Gegenttände in feiner amtlihen Zeitung in Abrede
zu Stellen.
Das war unverkennbar, daß troß der gegenteiligen Behauptung des Königs
von Preußen Deutihland nod immer ein fruchtbarer Boden für fonfeffionelle
Leidenfchaft war, und daß tro& der rein politiihen Anläſſe des — trotz
Koſer, König Friedrich der Große II. 2. Aufl.
210 Siebentes Bud. Erſter Abichnitt.
der Bemühungen des Kaijerhofes, den Kampf fein religiöfes Anjehen gewinnen
zu laffen,') der Gegenjag zwiſchen den Glaubensparteien eine neue Schärfe
erhalten hatte. In die jeit der Schlacht von Kolin wieder ftodenden Verhand—
lungen wegen Bildung eines evangelifhen Sonderbundes?) im Reihe fam in—
folge der veränderten Haltung Roms neue Bewegung. Vollends der gemeine
Mann wußte nicht anders, als daß es in diefem Kriege um die Religion gehe.
Dem Volke in den Fatholiihen Gegenden waren Preuße und Ketzer gleichgeltende
Begriffe; um jo mehr getröftete man fich dort des endlichen Sieges:
Laßt halt aut fein, mein Herr Preuße, und den Pfaffen mir in Ruh,
Wer dem Papit thut Ehr' erweilen, den bevrüdet nie fein Schuh.
Und wer's mit der Kirche hält, niemals auf die Nafe fällt!
Durch ihr kirchenſchänderiſches Treiben in dem proteftantiihen Kurſachſen
vor der Schlacht bei Roßbach“) machte ſich die Rotte der franzöfifchen Befreier
ebenjo verhaßt, wie einit an denfelben Stätten die jpanifhe Armada Karls V.
im Schmalfaldiihen Kriege; der Kaiferhof ſah ſich zu dringenden Vorftellungen
an bie verbündete Macht genötigt. Aber waren nicht die faiferlihen Truppen
jelbft nur zu geneigt, den unglüdlichen, von Feind und freund gedrüdten Sadien
ihren lutheriſchen Glauben entgelten zu lajien? Defterreihiihen Offizieren wurde
das Mort nachgeſagt, man werde den Sadhjen als fegeriihen Hunden nichts
als die Augen im Kopfe lafjen, auf daß fie ihr Elend jelbit jehen könnten.
Hingegen ließ fi die proteftantiiche Bevölkerung, wo die Obrigkeit zu
Oeſterreich hielt, hier und da zu offener Widerjeglichfeit hinreißen;*) der Reichs—
feldherr klagte, daß er fih höchſtens auf die fatholifhe Mannſchaſft verlaſſen
fünne; unter den Bürgern und Bauern in Franken war die Kreistruppe ver:
haßt und der König von Preußen geehrt, und feine gepreßten medfenburgiihen
Refruten durfte diefer König auch jegt im Kriege’) als fihere Leute betrachten,
weil fie evangeliih waren. Die katholiſchen Bruchteile der preußiichen Regi—
menter beeinträdtigten ben proteftantiihen Gejamtcharafter des Heeres nicht.
Wie Frundsbergs Landsfnechte auf den Gaſſen der ewigen Stadt den Papft ver:
böhnt hatten, jo liegen ih in König Friedrichs Feldlager die Soldaten zu ihrer
Kurzweil das firhenpolitiihe Tagesereignis nicht entgehen und gaben auf im:
provifierter Bühne ein Zwiegeipräh zwiichen Harlefin und Daun über die Ber:
leihung des gemeihten Hutes zum beiten. Diejelben Leute aber fangen auf
dem Mari ihre evangeliihen Kirchenlieder mit einer Andacht, daß ein warm:
herziger Offizier wie Ewald von Kleift oft zu Thränen gerührt wurde. Bon
neuem, wie einft in den Tagen der Glaubensfriege, ſtärkte das alte Streitlied
des Proteftantismus: „Ein feite Burg ift unjer Gott” Taufenden von Kämpfern
den Mut. Und jene unangejagten Danfgottesdienite auf den nadhtbededten
'; Eben ©. 47.
:, Oben ©. 48, 87.
2) Oben ©. 135. 152. 153.
ı Chen ©. 37.
Bgl. Bd. I, 540.
Feldzug von 1750. 911
Siegesfeldern, fie haben nachkommenden Geſchlechtern mit Recht als der ergreifendfte
Ausdrud jchlihter joldatiiher Frömmigkeit gegolten. „Sit es nicht gerade lwie
bei Leuthen!” rief Gneifenau am Abend von Belle:Alliance, als wieder die fieg-
gefrönten Preußen ihr „Nun danket ale Gott” anjtimmten.
„Sottesdienft und Betitunden,” fo jchrieb in einem vergleihenden Rückblick
auf den Siebenjährigen Krieg nad einem Menfchenalter ein preußifcher Feld—
geiftliher, „waren immer im Gange und durften jo wenig wie die Löhnungs—
tage fehlen. Damals war der Feldprediger einer der Unentbehrlichſten bei dem
Regiment.” Die treuen und tapferen Hirten waren um jo mehr die Vertrauens:
männer der Soldaten, als fie, der alten Yeldpaftoralregel eingedenf, nicht bloß
durch die Predigt vor der Trommel — dem aus zwei großen Trommeln bergeitellten
Feldaltar, — ſondern durch ihren ganzen Wandel und im täglichen unmittel-
baren Verkehr auf die Mitglieder ihrer friegeriihen Gemeinde einwirkten, und
dazu am Tage der Schlaht wenn es galt aud beim Angriff nicht fehlten, wie
ein Balf bei Roßbach, ein Küfter bei Hohfirh und mand) anderer Feldprediger.)
„ob er aud ein Herz habe und unter Umftänden aud wohl ein Pelotonfeuer
aushalten könne?“ fragte der König den nachmaligen Feldpropft Kletichfe bei
der Ernennung zum Seeljorger der Garde.
In dem religiöfen Vorftellungskreife des gemeinen ae ward aus dem
Könige, ald dem Muſter aller joldatiihen Tugenden, geradezu ein Gottesitreiter.
„Wohl von Berlin ein tapferer Held regiert nebſt Gott jet in der Welt,”
fangen die Soldaten, und noch bezeichnender in einem anderen Liede:
König Friedrich, du mußt ftegen,
Weil dein Gott ſtets mit dir iſt.
Wer follte fich vor dir nicht ſchmiegen!
Du kämpfeſt als ein Held und Chrijt.
Und die Sieger von Leuthen wollten fich nicht ausreden fallen, daß während
der Schlacht da, wo der König hielt, ein heller Glanz über dem Felde gelegen
hatte: die Klarheit des Himmels, die den Erwählten des Herrn in der Stunde
der Gefahr umleuchtet habe.
Der König, der in dieſer Weiſe von feinen gläubigen Kriegern verherr:
licht wurde, war dem Glauben jeiner Väter innerlich ebenjo entfremdet, wie feiner
Politik deutichenationale Antriebe und Rüdfichten fern lagen. Und doch wurden
auch in ihm die Geiſter des Schmalfaldifhen Krieges wieder lebendig: unwill—
fürlih trat er in den Bann der eigentünlihen Verbindung von religiöfem,
politiihen und nationalem Proteftantismus, in der fi die Altvordern gegen
die römische Hierardie des Papſtes und den ſpaniſchen Dominat des Kaijers
aufgelehnt hatten. Die Worte, die während diejes Krieges in der preußifchen
Hauptitadt von der Kanzel gehört wurden: „Deutichland, deine Fefleln waren
bereits gejchmiedet, deine bürgerlihe und Gewijlensfreiheit wäre mit uns zugleich
das Opfer von Wien und Rom geworden” — fie umfchrieben nur des Königs
1) Vgl. Bd. I, 109.
212 Siebentes Bud. Erſter Abſchnitt.
eigenes, in jenen Jahren jo oft wiederholtes Gelöbnis, der Schirmer ber
deutihen Freiheit fein zu wollen, und feine gelegentlihe Bemerkung gegen
d'Argens, daß zugleich mit ihm es auch um bie proteitantiiche Religion geſchehen
fein werde.
Eine gegneriihe Flugſchrift, die von einem proteftantiihen Echweizer
herrühren wollte, jpottete über den „neuen Gujtav Adolf”, den Beſchützer, „der
uns beſchützt, ehe wir noch angegriffen waren”, und Voltaire wagte es, in einem
Brief an Friedrih den Spieß umzudrehen und ihm ins Geficht zu jagen, daß
niemand ihn als einen Märtyrer der Freiheit betrachten werde, daß vielmehr
jein Einfall in Sachſen an den meiften Höfen als eine Verlegung des Völker:
rechts gelte.
Gewiß hatte das Schlagwort „Deutiche Libertät” jeit Jahrhunderten un:
gezähltemal als Dedmantel eigennügiger Politik dienen müſſen; es war gebört
worden, fo oft irgendwo im beutichen Landen gegen das Neihsoberhaupt ein
Banner aufgepflanzt wurde. Und immer hatte das Wort einen gewiſſen Zauber
auf die Gemüter ausgeübt, wie denn eine Neigung ber kaiſerlichen Regierungs—
gewalt zu Webergriffen, zu Verlegung der läftigen, von Kur zu Kur enger ge:
zogenen Schranfen der Wahlfapitulation begreiflicherweife ftets vorhanden und
unſchwer an Einzelfällen nachzuweiſen war. Auch jegt war der Faijerliche Hof,
wie einſt nah den großen Erfolgen Karls V. und Ferdinands II., auf dem
beiten Wege, ſich der Feſſeln des Staatövertrages zu entledigen: es war bis in
den Sommer von 1759 hinein die Abficht, wider den Geiſt und Buchſtaben ber
Kapitulation, wider bie durd den Neligionsfrieden verbürgten Sonderredhte ber
Evangelijchen, durch Mehrheitsbefhluß des Neichstages die Acht über den König
von Preußen verhängen zu lalfen. Dem entgegen eröffnete diefer feinen Minijtern
feinen unabänderlihen Entſchluß, in ſolchem Falle den faiferlihen Thron für
vakant zu erklären und die Kurfürften „zu felter Beibehaltung derer Reichs:
verfafjungen, Prärogativen und Freiheit derer Stände des Reichs“ zu einer
Neuwahl einzuladen.
Aber noch in einem weiteren und höheren Sinne nahm Friedrich in jenem
Zeitpunkte den Ruhm, der Verteidiger deuticher Freiheit zu fein, für ſich in
Anſpruch, und er durfte das jedenfalls mit beſſerem Nechte als einft die deutſchen
Bundesgenofjen Heinrichs II. von Franfreih, die Neichsland an die Fremden
verichrieben. Denn jet waren es andere, die ſolches thaten, während er felbit
heute gegen die Franzofen und morgen gegen bie Rufen zu Felde zog. Aus:
Ihließlih erfüllt von preußifher Staatsgefinnung, national an ſich völlig in:
different, vol Verachtung gegen das Elend der deutichen Kleinftaaterei, gegen
die politiide Starre der Glieder, voll Trog und Eiferſucht gegen die dynaſtiſche
Anmaßlichfeit des Hauptes, |pürte er doch bei feinen Siegen über jene Fremden
im Herzen eine fräftige Negung des nationalen Stolges, den das deutiche Volk
in feiner Gejamtbeit erſt wiedergewinnen mußte:
Bis in feine tiefite Quelle
Schäumt der alte Rhein vor Groll,
Flucht der Schmach, daß feine Welle
Fremdes Noch ertragen foll!
Feldzug von 1759. 213
tief er jegt zürnend, ganz im Tone der überlieferten reichspatriotiihen Ent:
rüftung gegen den Erbfeind, jeinen ehemaligen Verbündeten zu, und den ruffischen
„Barbaren“ galt fein frommer Wunid:
D mödten fie in das Schwarze Meer mit einem Sprunge fi) verfenfen
Köpflings, den Hintern hinterher, ſich felber und ihr Angedenken.
Noch im März verjammelte fih im Königgräger Kreife das öfterreichifche
Hauptheer. Nicht gegen Sachſen, wie im vorigen Herbit, jondern ausſchließlich
gegen Schleſien jollten fid) die Bewegungen richten. So wünſchte es die Kaijerin
perjönlih, und jo erheiſchte es die Rüdficht auf das Zuſammenwirken mit den
Ruffen. An der Oder wollte man die Vereinigung ſuchen. Zuerſt wurbe an
einen Punkt zwiſchen Breslau und Glogau gedacht, nachher fam von diter:
reihiicher Seite Kroffen, von rujfiiher Garolath in Vorſchlag. Vor dem 25. Juni
aber, jo erklärten die Rufen, würden jie von Poſen nicht aufbrechen fönnen.
Bis dahin wollte es den Defterreichern rätlih jcheinen, einer Schladht auszu—
weichen, jo ſehr auch Kaunig immer von neuem die „Moral prebigte”, daß man
dem Könige von Preußen gerade auf den Leib rücken müſſe.
An der Spike ihrer Heere ließ die Kaiſerin-Königin den Grafen Daun.
Sie gab zu, daß Daun furdtiam, langſam, unentjchieden jei und daß ihm jonft
noch vielerlei fehle; fie erflärte, nachdem fie vor einem Jahr nad) dem jchwerften
Kampfe mit fich jelbit den Prinzen Karl geopfert habe, würbe fie jenen gewiß
nicht ichonen, wofern fie nur einen Feldherrn wüßte, der geeigneter wäre.
Dagegen wurde die Führung der ruſſiſchen Truppen abermals in andere
Hände gelegt. Mit Rüdjicht auf die Stimmung des Heeres entichloß ſich die
Zarin, Fermor vom Oberbefehl zu entheben, ohne zunächſt einen Nachfolger zu
bezeichnen. Elifabeth bedenke ſich zwei Jahre, ehe fie fih zwiſchen zwei Kleider:
ſtoffen enticheide, jpottete Eiterhazy: wie jolle jie bei der Auswahl eines Generals
jo bald zum Entſchluß fommen! Schneller als man geglaubt, fiel dann die Wahl
auf den Grafen Peter Sfaltyfow, der, bei den Generalen gefürdtet, von den
Soldaten als ihr „leibliher Vater” verehrt wurde.
Ein ruffisches Nebenheer jollte in Pommern eindringen und den Schweden
die Hand reihen, ein kleineres öfterreichijches Heer fih in Sadjen mit den
Reichötruppen vereinigen. Frankreich verfagte die Mitwirkung auf dem ſächſiſchen
Kriegsihauplage nach wie vor und machte ſich zunächſt nur anheifchig, von
Frankfurt und von Düffeldorf her die Wejerlinie zurücdzugewinnen; am Main
übernahm Broglie, am Rhein wiederum Contades den Befehl.
Zur ftrategiihen Defenfive entichlofien, aber des Grundbfages eingedenf,
daß die Defenfive fih mit allen Attributen der Offenfive „befleiden und ver:
hüllen“ müſſe, ſah der König von Preußen jeine nächſte Aufgabe darin, den
noch unfertigen Gegnern durch Vorftöße gegen ihre Operationsbajen das Konzept
zu verrüden; denn er ſagte fih: „Wenn wir nicht alles verfuchen, was menfchen:
möglih it, um uns jegt, da wir noch Zeit haben, eines der Feinde zu entledigen,
welche uns gegenüber ftehen, jo werden wir uns durch ihre Ueberzahl über:
214 Siebentes Bud. Erſter Abſchnitt
wältigt jehen, wenn fie ihre Operationen alle auf einmal beginnen.” Die
methodiihen und hiſtoriſchen Bedenken des Prinzen Heinrih gegen ſolche weitab
führenden Vorftöße ſchnitt er kurz ab: „Abftrahiert von den alten Kriegen, die
mit den unjeren nicht zufammenpafjen.“
Die im Vorjahre geplante Unternehmung gegen Schweden, der Anſchlag
auf Rügen, verbot fi in dem heurigen weihen Winter von jelbft. Sonjt aber
ging man auf der ganzen Linie vor. Wie Wobersnow ſchon im Februar gegen
die ruffiihen Magazine im Poſenſchen einen Handitreih ausgeführt hatte, To
ftatteten einige Wochen fpäter Fouque von Glatz her, Prinz Heinrih aus Sadjen
und Herzog Ferdinand wejerabwärts ihren Gegnern unerwartet einen früh:
zeitigen Beſuch ab.
Nur Prinz Heinrih war von den dreien glücklich. Er entführte oder
zerftörte die Magazine von Lobofig, Leitmerig, Budin, Saatz. „Das würde für
einen anderen ausgezeichnet fein, iſt aber noch nicht hinreichend für Sie,“ ſagte
der König, und der Prinz ging nad einigem Sträuben nun aud nad Franken
und that desgleihen: aud die Neihsarmee war in ihren Vorbereitungen gründ:
lich gejtört, ihrer Vorräte beraubt, für Wochen oder Monate lahmgelegt. Einen
um jo entichiedeneren Mißerfolg hatte Herzog Ferdinand; er wurde vor Frank:
furt beim Dorfe Bergen am 15. April von den Franzofen unter Broglie in
einem blutigen Treffen geſchlagen, und Friedrich konnte ihn nur mit dem Nat
tröften, die Sache als Bagatelle zu behandeln: dann werde fie das wirklich
werden. Auch Fouqué verfehlte an der Morawa jein Ziel; ohne Verlufte zu
erleiden, fonnte er doch den feindlihen Magazinen nicht beifommen. Und nicht
ergebnisreiher war ein num vom Könige jelbft geführter Vorftoß gegen Zudmantel.
Dem bewegten Vorjpiel des Feldzugs folgte ein jtiler eriter At, noch
länger und langweiliger als Friedrid es vorausgejehen hatte. Zum erftenmal
in diefem Kriege follte den öfterreihiichen Feldherren die Snitiative gelaſſen
werden: war es ein Wunder, daß Daun, Ianglamen Entichluffes und von Wien
ber wie von feinen Unterführern mit den verjchiedenartigiten Vorſchlägen über:
jchüttet, in diefe ungewohnte und jeinem eigenen Gejtändnis nah unerwünſchte
Lage fich nicht jo ſchnell hineinfinden konnte? Unbeweglich ftand er im Lager von
Mündengräg und drillte feine Nefruten; jenjeits der Berge bei Landshut lagerte
der König von Preußen und verzehrte fich bald in Ungebuld. „Das find die
Folgen eines Defenfivfrieges,” jo klagte er jegt fich felbit an wegen feines Ent:
ſchluſſes; „bier ftehen wir wie die Hammels gegeneinander, feiner will beißen.“
Im Mai hoffte er no, daß die Miferen, Detachements und Bagatellen nur bis
zum Juni ihre Zeit haben würden; aber der Juni fam und ging, ganz jo ges
räuichlos wie der Mai. „Ih hatte mir,” fpottet Friedrich, „20 Pfund Blei
binterwärts beigeitedt, um den Feind zu deroutieren mit einer gegen die Vorjahre
ganz veränderten Haltung, aber Daun bat 60 Pfund figen, denn er fadelt ent:
jeglih mit mir herum.” And dabei hatten die Defterreiher einen frübzeitigen
Beginn der Operationen angekündigt. Friedrichs Erklärung für den Verzug
lautete: „Ich babe mit einem Mann zu thun, auf dem der päpftlihe Segen
ruht und den der heilige Geiſt langſam inipiriert; feine frühreife Campagne
wird darauf hinausfommen, dem Monat Auguſt um einige Wochen vorauszu—
Feldzug von 1759. 215
eilen,” in neuer Anwendung des kaiſerlichen Wahlipruds: Semper Augustus.
Diefe Spötteleien über den „päpftlihen General”, die „gemweihte Kreatur“, nahmen
fein Ende! „Er verfteht die Kunft, feine Ueberlegenheit nicht auszunugen; er
fteht zwiichen hier und Troppau mit 103000 Mann, und glaubt nichts wagen
zu dürfen, wenn nidt 60000 Nuffen mit von der Partie find.“
Friedrihs Stimmung verbüfterte fich immer mehr. „Jh bin alt, traurig,
verbrießlih,” klagt er dem Marquis d’Argens; „ein matter Schimmer meiner
alten guten Laune findet fi von Zeit zu Zeit wieder ein, aber es find nur
Funken, die erlöfhen müffen, in Ermangelung der nährenden Glut — Strahlen,
die durch finfteres Gewölk zuden. Ich rede wahr: wenn Sie mich fähen, würden
Sie nur noch die Spuren befjen erfennen, was ich ehedem war. Sie würden
einen ergrauenden, der Hälfte feiner Zähne beraubten Greis fehen, ohne Freudig—
feit, ohne Feuer, ohne Einbildungsfraft — die Wirkung weniger der Jahre, als
des Kummers.” Schon vor einem Jahre hatte Catt beim erften Wiederjehen
in Breslau ben Friedrih von 1755 nur an dem Feuer ber Augen wieder er:
fannt, jo war er damals bereits gealtert, abgemagert. Jetzt zeigte er dieſem
Gefährten feines Lagerlebens, wie die nad Zorndorf angelegte neue Uniform
ihm abermals viel zu weit jaß.
Endlich, in den legten Tagen des Juni, jeßte Daun ſich über Reichenberg
nah dem Dueiß zu in Bewegung, auf gemeflene Befehle aus Wien. Die
Preußen verließen darauf am 5. Juli die Stellung zwiſchen Landshut und
Neihhennersdorf und rüdten am 10. in das Lager bei Schmottjeifen, das die
Straßen aus der Laufig nah Sclefien beherrſchte. Dem Könige jhien es jegt
feinem Zweifel zu unterliegen, daß die Defterreiher in Schlefien eindringen
wollten und daß es „folglih” in wenigen Tagen zur Schlaht fommen würde,
Dit 44000 Mann glaubte er 77000 gewachſen zu fein. Nun aber jchanzte
der Feind am Queiß fi feit ein: „Daun bat geitern Trandheen eröffnet, um
Schleſien zu belagern,” jchreibt Frievrih am 15. Juli. Man war jo weit, als
wie zuvor; es jchien eine „dumme Campagne”, eine „marode Campagne” bleiben
zu jollen, verlohnend nur für die Streifpartien.
Nur zu bald follte diefer Feldzug ein gar anderes Ausſehen gewinnen.
Dauns Schanzthätigfeit hatte ihren guten Grund. Der moderne Fabius
war von den bei ihm vorausgejegten Offenſivabſichten vorerft weit entfernt.
Die verabredete Frilt für die Vereinigung mit den Ruſſen war bereits ver:
firihen, der ganze Plan erſchien längft dem öfterreichiichen Feldherrn unaus:
führbar; denn wie wollte er an dem preufifchen Heere vorbei die Oder erreichen?
Genug, wenn er den König davon abhielt, fih wie im Vorjahr den Rufien
entgegenzumwerfen. Und dieſen Zwed glaubte er mit der beobachtenden Stellung
an der niederfchlefiichen Grenze zu erreihen. Seine Erbwerfe gaben ihm das
Gefühl der Sicherheit; er konnte wagen, zwei größere Corps von jeiner Streit:
macht abzuzweigen. Hadik mit etwa 25000 Mann jollte an der Oberipree den
Prinzen Heinrich ebenſo in Schad halten, wie Daun hier am Queiß das
preußiihe Hauptheer, Laudon derweil mit 20000 Mann den Ruſſen ent:
gegenziehen.
König Friedrich befand fich den Ruſſen gegenüber noch immer in der ge:
916 Siebentes Bud. Eriter Abſchnitt.
mifchten Empfindung, daß er fi für die Gejamtanlage des Feldzugsplanes auf
das äußerſte durch fie behindert fühlte und fie dabei, auch nad Zorndorf, als
Stümper in der Kriegsfunft gründlich, weit über Gebühr, veradtete. Sſaltykows
Ernennung zum fommandierenden General begrüßte er mit dem Spott, das jei
dem Vernehmen nad) gröbliher und thörichter als alles, was Rußland Bäurifches
je hervorgebracht. In dieſer Unterihägung des Gegners wollte er es für ein
(eihtes halten, durch geichidte Handitreihe die Ruſſen in ihren Anftalten, ihrem
Anmarjch, ihrer Verfammlung derart zu ftören, daß fie fih womöglich für das
ganze Jahr nicht jollten rühren können, ‚jene Zeritörung einiger Magazine im
Februar hatte nit viel zur Sade gethan, es war zu früh gemweien, ven
Ruſſen blieb reihlih Zeit, die Vorräte zu eriegen. Im Juni regte das Haupt:
quartier des Dohna’ihen Heeres eine Wiederholung an: einen Vorftoß in der
Richtung auf Thorn zur Bedrohung der ruſſiſchen Rüdzugslinie und der Magazine
jenfeits der Weichſel. General Wobersnow veriprad fi die Wirfung, daß der
Feind aus feiner feiten Stellung bei Pojen zurüdgehen würde, wo man ihn
dann im offenen Felde angreifen müſſe. Der König ging mit Lebhaftigfeit auf
den Vorſchlag ein, die ruffiichen Heerhaufen waren noch weit voneinander ge:
trennt, er ſah fie im Geift jchon einen nah dem andern geſchlagen. „Mit
rechter Vivacite pouſſiert,“ jchien ihm der Plan „für diefes Jahr und vielleicht
für alle Zeit” diejen ‚Feind bejeitigen zu können. Aber die Nufjen waren auf
ihrer Hut und alsbald in Bewegung. Am 29. Juni, ſechs Tage nad) dent
Aufbruch des Grafen Dohna von Landsberg, hatten fie bei Poſen ihre Ver:
jammlung vollendet, und Dohna und Wobersnow nahmen nun Anitand, über
die Warthe hinaus ihre Bewegung fortzufegen. Sie plänfelten fünf Tage mit
dem ruſſiſchen Heere, nach deſſen Aufbruch von Poſen, gingen am 14. Juli aus
Mangel an Verpflegung auf Meferig zurüd, zogen aber ſchon am 18. wieder
gegen den inzwijchen nach der Oder vorgerüdten Feind aus und legten ſich ihm
am 20, bei Züllihau in den Weg. Mit einer aus Sachſen eingetroffenen Ver:
ftärfung von 10 Bataillonen und 23 Schwadronen zählte das preußiſche Heer
jegt ungefähr 27000 Mann, von den Ruſſen waren an 40000 zur Stelle.
Der König war auf das äußerſte unzufrieden mit jeinen Generalen.
Mobersnow befam zu hören, daß „ein mebiocrer General, der betrunfen, die
Armee nicht toller fommandieren könnte”; Wobersnow habe alle Sottiien ge:
than, die im Kriege nur denkbar wären; die Geſchichte feiner polniſchen Cam—
pagne verdiene zum ewigen abjchredenden Beiſpiel gedrudt zu werden. Dem
Grafen Dohna ward anheim gegeben, jeiner Gejundheit wegen das Heer zu
verlaffen; auf alle Fälle wurde er den Befehlen des Generallieutenants Medell
untergeordnet, der am 20. Juli aus dem Hauptquartier des Königs zu dem
Tohna’ihen Heere abging, um dort das zu fein, „was ein Diktator bei der
Römer Zeiten voritellete,” — eine eindringlihe Mahnung zur Subordination
an die vier überjprungenen älteren Generallieutenants Dohna, Manteuffel,
Kanit und Hüljfen. Der König gab Wedell den Auftrag, Ordnung zu ſchaffen
und „den Feind erftlih durch eine gute Pofttion aufzuhalten, alsdann nad)
meiner Manier — d.h. nur mit einem von beiden Flügeln — zu attadieren.”
Durch einen dem Diktator am 24. Juli nadhgelandten Befehl — die Ant:
Feldzug von 1759. 217
wort auf Wedells erjten aus dem Züllihauer Lager abgeitatteten Beriht — er:
flärte fih der König damit einverftanden, daß der Angriff unter Umftänden zu
unterbleiben habe: „Sollten die Rufen jo ftehen, daß man fie nicht attadieren
fann, jo thut Ihr ganz recht, fie da ftehen zu laſſen.“
Der Beiheid war faum abgegangen, als am Abend des 24. ein Offizier
vom Dohna'ſchen Heere die Meldung bradte, dag Wedell geitern Nachmittag
den Feind bei Kay angegriffen hatte und gejchlagen war. Wobersnow hatte
auf dem Schladhtfelde den Tod gefunden.
Catt war zugegen, als der König den Offizier ausfragte. Er war ganz
ruhig; feine Miene verriet feine Erregung; er ſprach leile, jo daß Catt den
Zufammenhang nur mutmaßen fonnte.
Den gejchlagenen Feldherrn traf fein Wort des Tadels. „Mir hat es
geahnt,” jchrieb ihm der König, „das Ding würde jchief gehen, ich habe es Ihm
aud gejagt, denn die Leute waren verblüfft. Nun nur nicht mehr daran ge:
dacht, jondern wo der Euccurs am erſten zuftoßen fan, um von neuem brauf
zu gehen; es ift Seine Schuld nicht, dab die Schurfen jo ſchändlich davon-
laufen.”
Sein Entihluß ftand fofort feſt. Noch geitern hatte er beabſichtigt, im
Falle einer Niederlage ben Prinzen Heinrich zu einer neuen Schlacht gegen die
Austen auszufenden. Sept hielt er es für erforderlih, jelbit den Oberbefehl
gegen biejen Feind zu übernehmen. Am 29. Juli lölte ihn der Bruder im
Sager von Schmottjeifen ab. Tags darauf brach der König mit Heinrichs bie:
herigem Corps, 21 Bataillonen und 31 Schwadronen, von Sagan zur Ober auf.
Ein einziger glüdliher Tag, damit tröftete er die Seinen und fich felbit,
kann alles in Ordnung bringen. Es war fein Vorjag, „die Affaire mit den
Rufen abjolut decifiv zu machen“. „Halte Er fi nur unbeſchädigt,“ jchrieb er
an Wedell, „bis wir heran find; dann joll Zahlwoche gehalten werden und der
Feind ſich nit lange feines Glüdes zu freuen haben.”
Von einer Unterſchätzung des Feindes, gegen den er ausjog, war er jet
bod) frei. Am 4. Nuguft erhielt er auf dem Mari, zu Müllrofe am Friedrich
Wilpelms:Kanal, die Nahriht von dem glänzenden Eiege, den der Braun:
ſchweiger am 1. bei Minden über die Franzofen errungen hatte. „Ich wünjche
von ganzem Herzen,” fchrieb er nah Berlin an Finckenſtein, „Ihnen demnächit
eine ebenjo qute Nachricht geben zu können; aber meine Urjomanen find feine
Franzofen, und Sfaltyfows Artillerie ift hundertmal mehr wert, als die von
Contades ... Jh muß vorlihtiger und zugleich unternehmender fein denn je,
binnen kurzem werbet hr entweder ein De profundis oder ein Te Deum
fingen.“
Und wenn nun obenein diefen unheimlihen Rufen es glüdte, öfter:
reichiſche Verftärfung an Sich zu ziehen? Hadik follte, wie wir hörten, dem
jest von dem Könige geführten Heere den Weg zur Oder verlegen. Das ver:
mochte er nicht; aber wiederum gelang es den Preußen nicht, das zweite ölter:
reihiihe Detahement, die „LZaubonnerie” einzuholen und zu Schlagen oder
menigitens Laudons Infanterie abzufangen, Nah „graufamen und terriblen“
Märichen dur den märkiihen Sand — jehs Nähte hindurch hatte Friedrich,
218 Siebentes Bud. Erfter Abſchnitt.
nervös völlig abgeipannt, feinen Schlaf gefunden — erhielt er doch die leidige
Gewißheit, daß Laudon fih mit den Ruſſen bei Frankfurt vereinigt hatte.
Schon vorher war General Find, der mit 9000 Mann Habif hatte be:
obachten jollen, heranbefohlen worden. Sachſen und Berlin ftanden damit dem
Feinde offen; aber dem König galt mit Recht: „Was bier wird becibiert werden,
ift von der größten Importance und kann alfo nicht mit genuger Force ans
gefangen werben.”
Auh das ftörte feine Entwürfe, daß die Verbündeten ihm nicht auf das
linfe Oderufer entgegenfamen. So empfindlid ihm die Vereinigung Laudons
mit Sſaltykow war, jo wenig war dieſer damit zufrieden, nur Yaudon und
nit, wie verabredet war, das Hauptheer an der Oder eintreffen zu jeben.
Sſaltykow, Fermor, die ruffiihen Generale alle weigerten ſich einftimmig, über die
Oder zu geben, ehe Daun ihnen die Hand reihen werde. Laudon gewann ben
Eindrud, daß fie an die Weichjel zurüdgehen, aljo den Feldzug für dieſes Jahr
endigen wollten.
Die große Entjheidung, die er ſuchte und der jein Gegner gern aus—
gewichen wäre, verzögerte fich jomit für den König unwillkommenerweiſe um die
für den Oberübergang erforderliche Frit. Am 6. nahm er, noch bei Müllrofe,
das bei Schiblow über den Fluß gelommene Wedellihe Heer auf, dem ber
Tag von Kay 7000 Mann gefoftet hatte. Am 9. traf Kind ein. Nah ben
Tageslilten zählte die vereinigte Streitmadt jegt 53 121 Mann mit 114 Ges
ſchützen, außer den Bataillonsftüden. Abgezweigt wurden 9 Bataillone und
5 Schmwabdronen, teild um das an der Oder zurüdbleibende Gepäd und die
Brüden zu deden, teils um während der Schlacht dem Feind den Rückzug auf
das linfe Ufer zu verjperren. Dit der Hauptmaſſe ſchickte fi der König für
die Naht vom 10. auf den 11. zum Uebergang an. „In zwei Tagen,“ fchreibt
er am Abend, wieder an Findenftein, „werdet Ihr eine Heine Hymne an Fortuna
richten müffen. Ich glaube, daß Hadif es auf Berlin abgejehen hat, und ich
bin genötigt, mich hier zu beeilen, um jeinen Streich beizeiten zu parieren.
Ein Verdammter im Fegefeuer ift in feiner abjcheulicheren Lage, als jett ich.“
Ungehindert bei Detfcher über den Fluß gelangt, lagerte fi) das Heer ohne
Zelte zwiihen den Dörfern Leiſſow und Bifchofsfee. Von den Höhen bei Trettin
hatte man den Einblid in die feindliche Stellung jenfeits der von dem Hühner:
fließ durchſchnittenen ſumpfigen Einjenfung.
Die Verbündeten hielten den 6—7000 Fuß langen, ſchmalen Höhenrüden
bejegt, der die im Often und Eüden von Wald begrenzte Feldmarf von Kuners-
dorf nad) Nordweit abjchließt und fich dort zu dem fteilen Thalrand der Oder
ſenkt. Die Front des Lagers war den Strom zugefehrt, die Sümpfe des
Hänckerbuſches und des großen Elsbuſches machten fie fait in ihrer ganzen Aus—
dehnung unzugänglid. Mehrere, durch tief eingeichnittene Schluchten vonein—
ander getrennte jandige Erhöhungen, fübweitlich die Judenberge, in der Mitte
der große Spihberg, nad Norboft, den Trettiner Höhen gegenüber, der Mühl:
berg jprangen, mit Batterien gekrönt, nad) der anderen Seite als Baftionen
vor und waren durch Erdwerke und Zaufgräben verbunden. Nah dem Er:
fcheinen der Preußen auf dem rechten Oderufer ließ Sſaltykow, wie Fermor bei
Feldzug von 1759. 219
Zorndorf, das Heer Kehrt mahen und brannte vor feiner nunmehrigen Front
die Gehöfte von Kumersdorf nieder. Die Truppen ftanden in zwei Treffen auf
dem Höhenzuge, die Reiterei und die rregulären am Fuße der Yudenberge,
die Defterreiher teil® ebendort in der jeither Laudonsgrund geheißenen Ein:
fenfung, teil® auf der Höhe im zweiten Treffen des rechten Flügels. Der
Wagenparf war auf das jenfeitige Ufer geſchafft. Die ruſſiſchen Schladhttruppen
beliefen fih auf etwa 40000 Mann, ihre Srrequlären auf 10000. Die Oeſter—
reicher zählten 18—19000, einjchließlid etwa 6000 Kroaten.
Den Schlüſſel der Stellung bildeten die Judenberge. Wurde diejer Punkt
bezwungen, jo war nicht bloß das ganze Lager dem Feuer des Siegers aus:
gejegt, den Beliegten war dann aud der Rüdzug abgeihnitten. Cs hat indes
wohl von vornherein nicht in der Abficht bes Königs gelegen, fih wie bei Prag
und Kolin, Leuthen und Zorndorf an die ihm am weiteften abliegende Flanke
des Feindes heranzufchieben, wo überdies im vorliegenden Falle der bis auf
300 Schritt an die Schanzen ber Judenberge herantretende Wald der Artillerie
eine wirkſame Vorbereitung des Angriffs unmöglich gemacht hätte. Friedrichs
Augenmerk fcheint fi vielmehr fofort auf die ihm zugemwandte Flanke, den
Mühlberg, gerichtet zu haben: wenn er am nächiten Morgen für den Anmarfch
zur Schladht den Umweg durch die Neuendorfer Heide einihlug, jo geihah das
feiner Angabe nah, weil er in gerader Richtung von Trettin aus ſich dem
Mübhlberge nur auf zwei ſchmalen, dem ruſſiſchen euer ausgejegten Dämmen
hätte nähern Fönnen.
Zum Schuße der Batterien, die von den Trettiner Höhen aus die ruffische
Flanke beitreichen jollten, blieb General Find mit 8 Bataillonen und 21 Schwa-
dronen zurüd, während das Heer Jeit der zweiten Nachtſtunde in zwei Kolonnen
über das Hühnerfließ dur den ſandigen Forft vorrüdte, bis eine langgeitredte
Sumpfniederung, die jüdliche Fyortjegung des Seenbedens von Kunersborf, dem
Marſche Einhalt gebot. Noh im Walde, da fein Unterholz hemmte, wurde
aufmarichiert; der linfe Flügel, hinter dem faft die ganze Reiterei ftand, wurde
zurüdgehalten, der zum Angriff beftimmte rechte lehnte fih an das Hühner:
fließ; voran rüdte ein Vortreffen von 8 Bataillonen bis hart an ben vor dem
Mühlberg liegenden, zu dem Bädergrunde abfallenden Ausgang des Waldes,
Auf zwei Waldhöhen am Saume, jowie auf dem Heinen Spitberg bei Kuners—
borf wurden Batterien errichtet.
Erit eine halbe Stunde vor Mittag, denn der beichwerlihde Marih und
Aufmarih im Holze hatte unendliche Zeit erfordert, eröffneten die Batterien
aus 60 Geſchützen das Feuer gegen den Mühlberg. Bald glitten die Grenadiere
des Vortreifens aus ihrem Waldverſteck in den Bädergrund hinab und Fletterten
jenjeitö empor, auf 100 Schritt aus den ruffiihen Verſchanzungen mit Klein:
gemwehrfeuer und SKartätichen begrüßt. Sie antworteten mit einer Salve und
überftiegen mit gefälltem Gewehr die Erdaufwürfe und das in hellen Flammen
ftehende Verhad. 15 ruſſiſche Bataillone wandten fih zur Flucht, der Mühl:
berg mit 40 Geſchützen gehörte den Preußen, die Erftürmung hatte ihnen nur
etwa 200 Tote und Verwundete gefoftet.
Mit der glänzenden Einleitung der Schlacht war für die Angreifer fo viel
220 Siebentes Buch. Erfter Abſchnitt.
gewonnen, wie am Tage von Yeuthen durch die Uebermwältigung der Höhen von
Sagihüg. Aber wenn damals der geichlagene Flügel des angegriffenen Heeres
baltlos bis auf die Zentralitellung zurüdgeroft war, jo bot heute den Rufen
für die verlorene Flankendeckung jchnell eine jener tiefen Falten des Geländes
Erjat und hemmte die Edhritte der mit Siegesgeihrei von dem eritürmten
Mühlberg her andrängenden Verfolger: der Kubgrund, durch den vielleicht ehe:
dem der Kunersdorfer Dorfteih und die beiden oberhalb des Ortes liegenden
Gewäſſer, der blanke und der faule See, ihren Abflug zum Oderthal genommen
haben, eine etwa 400 Schritt lange, ftellenweije bis zu 40 Fuß tiefe Schlucht
mit breiter Sandjohle, an den fteilen Rändern mit kurzem, glatten Raſen be—
kleidet. Hinter diefem Einjchnitt bildete der Feind aus friihen Truppen, auch
öfterreihiichen, mehrere Linien, während zugleich inmitten der Trümmer des an
den Grund anftoßenden Kunersborf der ummauerte Kirchhof ftark beſetzt wurde.
Wäre auf preußifher Seite Reiterei zum Einhauen und Artillerie zum
Nachfeuern glei in größerer Mafle zur Hand geweien, jo würde die Verwirrung
unter den Ruſſen viel verheerender um ſich gegriffen haben. Vor allem aber
fehlte es der glänzenden Attade der Grenadiere auch an jofortiger Unterftügung
durch friihe Infanterie. Zwar auf der jchmalen Plattforın des Mübhlberges
bäuften fi die Bataillone der Art, daß der Feind vom Epitberg aus eine
einzige dichte Kolonne zu erbliden glaubte; aber jtatt nun dem Bortreffen nad:
zurüden, verirrten ſich die Bataillone des rechten Flügels jo weit nad) rechts,
daß fie in das Elsbruch hinunterfamen und erft nad) anderthalbitündiger Ver:
jpätung wieder oben und zur Ablöjfung des Vortreffens bereit waren.
Inzwiſchen mühten fi) die braven Grenadiere vergebens damit ab, wie
den Mühlberg fo auch den fteilen jenfeitigen Hang des Kuhgrundes zu erflettern;
wer fi) emporarbeitete, ward hinuntergeftoßen. „Das Würgen,“ erzählt ein
Augenzeuge, „war auf beiden Seiten entjeglih, weil die Truppen an manden
Orten nicht fünfzig Schritt auseinander ftanden und das fleine Gewehr in
feiner vollen Etärfe wirkte.” Unter diefen Umſtänden beichränften fich die
Grenabdiere, ohne Unterftügung gelafien, bald auf ein Schügengefedt.
Was dem Frontalangriff nicht gelang, wurde endlich durch Bedrohung der
feindlihen Flanken erreiht. Zur Rechten des Grenabiercorps drang durch bie
Niederung des Elsbujches die Abteilung des Generals Find vor, der, durd bie
Batterien des Mühlbergs nicht mehr gehemmt, von Trettin her über die Dämme
herangekommen war; zur Linken ftürmte das Regiment Knoblod vom rechten Flügel
den Kunersborfer Kirchhof und öffnete dadurch fih und den Nahbarregimentern
zwijchen dem Dorffee und dem Kuhgrund ein Angriffsfeld.
Die feindlihen Truppen räumten den jo lange hartnädig behaupteten
Thalrand und wurden hinter die neue DVerteidigungsitellung zurüdgenommen,
welche die Heeresleitung inzwiihen ausgewählt und hergerichtet hatte: eine etwa
1000 Schritt lange, an beiden Enden durch jtarfe Nedouten eingefaßte Quer:
linie im Zuge der VBodenwelle, die fi) von dem großen Epigberge bis zum
tiefen Grunde, ber hinter dem Kubgrund in das Elsbruch fallenden Schlucht,
allmählich abjenft.
An diefer Schranfe und injonderheit an dem Bollwerk des großen Spitz—
Feldzug von 1759. 221
berges find alle weiteren Angriffe der Preußen, deren jchwere Geihüte nicht in
genügender Anzahl zur Stelle geichafft werben konnten, geicheitert.
Auf der äußerften Rechten, im Elsbrud, famen Finde Bataillone, zwiſchen
dem Kubgrund und dem tiefen Grund, unter die Kartätſchenladungen der auf
der Höhe aufgeitellten Batterien und das Gewehrfeuer immer neuer Gegner.
Hier fiel beim Regiment Haufen der Major Ewald v. Kleift, zum Tode ver:
wundet, in die Hände der Koſaken. Den von Kunersdorf berbeigerufenen Neitern
des Prinzen Friedrih Eugen von Württemberg gelang es, aus der Niederung
auf die Hochfläche zu kommen; fie ritten ein Musfetierregiment über den Haufen
und bedrohten jchon die eine der großen Batterien, als zwei ruſſiſche und ein
ölterreihiiches Neiterregiment fie anfielen und von ben Höhen binunterwarfen.
Dei einem neuen Angriffsverfuh wurde der Prinz verwundet.
Ebenſo ergebnislos verlief das Gefecht auf der Kunersdorfer Seite. Vom
Dorfe her ftrebten die Negimenter Anobloh, Prinz Heinrih, Find dem großen
Epigberg zu, und zeitweile ift die Höhe, aber noch nicht die große Redoute, in
ihrem Belig geweien: ber König gedenkt eines Augenblides, in welchem fein
Außvolf von der jchon verlafienen Batterie nur noch 150 Schritt entfernt ge
mejen jei, als Laudon, mit Rejerven berbeieilend, den Preußen einen Voriprung
von wenigen Minuten abgewonnen und dann das Kartätichenfeuer aus nächiter
Nähe auf die Angreifer gegeben babe.
Der zurüdgebaltene linke Flügel des preufiihen Heeres hatte bisher hinter
der fait eine Viertelmeile langen Linie der Sümpfe und Seen oberhalb von
Kunersdorf geitanden. Es fam die Stunde, da auch er eingejeßt werden mußte.
Als er zum Kampf anrüdte, follen von den mehr als 30 bisher ins Feuer ge:
Ihidten Bataillonen kaum noch 21 gegen den Feind gefianden haben.
Nah Friedrihs Theorie follte die „Nefufierung” des einen Flügels vor
allem dem Zmwede dienen, bei einem Miperfolg des Angriffsflügels dem Heere
den geordneten Nüdzug zu fihern. An dieſem 12. Auguſt ftellte der König
wieder wie bei Leuthen und Zorndorf!) dem aufgeiparten Flügel fchließlich eine
andre Aufgabe, die Fortführung des fiodenden Angriffs, und jegte ſich damit
über die Sorge um den NRüdzug gänzlich hinweg. Im preußiſchen Offiziercorps,
unter den Mitjtreitern von Kunersdorf, pflanzte fi die von Gaudi aufgezeichnete
Veberlieferung fort, dat nad der Wegnahme des Kuhgrundes, als zwei Drittel
bes vom Feinde vor der Schlacht bejesten Bodens erobert waren, General Find
dem Könige geraten habe, fich ferneren Angriff zu erjparen, „da die Bataille
völlig gewonnen fei, unjere Infanterie viel gelitten hätte und der Feind gewiß
nur die Nacht abwarten würde, um ſich längs der Oder durd die Wälder zurüd:
zuziehen”. Der König fol geantwortet haben: der Feind babe gar feine Retraite,
wenn er in das Obderthal geworfen würde; man müſſe die Ruſſen dergeftalt in
Schreden jegen, daß ihnen die Luft vergehe, künftig die preußiichen Staaten zu
betreten. Andere wollten willen, daß aud Seydlik, ja alle Generale, den
einzigen Wedell ausgenommen, die erlangten Vorteile als ausreichend angejehen
hätten; ja es it behauptet worden, daß man ſchon nad der Bezwingung bes
) Bal. oben ©. 145. 181.
992 Eiebentes Bud. Erſter Abfchnitt.
— — —
Mühlberges hätte einhalten können oder müſſen — eine Meinung, auf bie
Tempelhoff treffend erwidert hat: das heiße, der König hätte gerade in dem
Augenblid Halt machen follen, da er ale Wahrfcheinlichkeit auf jeiner Seite
hatte, den vollfommenften, enticheidenditen Sieg zu erringen. Ob in irgend einem
jpäteren Zeitpunkt, etwa nad) Erſchöpfung des rechten Flügels, der Kampf zweck—
mäßig abgebroden worden wäre? Der in der Schlacht verwundete General
Hülfen hat bald darauf erflärt, daß aud er als Feldherr die legte Stellung des
Feindes angegriffen haben würde; daß der König Tadel verdient hätte, wenn
er es hätte unterlajjen wollen. Und jchon fünf Tage nad) der Schladt ſchrieb
der Neitergeneral Platen an den Prinzen Heinrich, er fönne den Vorwurf, daß der
König nad) der Wegnahme des Dorfes nicht eingehalten habe, nicht als ber
rechtigt anerkennen; nur war Platen der Meinung, daß es fi) in dem bezeich-
neten Zeitpunkt enıpfohlen haben würde, nunmehr mit dem linken Flügel die
feindlihe Stellung in ihrer rechten Flanfe zu umfaſſen. Die ihn wegen feiner
Vermwegenheit und Ungenügjamfeit geicholten haben, und Friedrich jelbit, haben
dabei immer angenommen, daß das Hindernis, an dem der Angriff fih brach,
ber große Spigberg, bereits das legte Bollwerk des Feindes, d. h. der Judenberg
oder gar ber ganz nahe an Frankfurt gelegene Judenkirchhof geweſen jei, und
dieje irrige Annahme hat die Tadler in ihrer VBoritellung von der Zulänglichfeit
des eritrittenen Teilerfolgs, den König aber in feiner Tendenz auf völlige Ber:
nidtung des Gegners beſtärkt. In Wirklichkeit hätten die Verbündeten auch
nach Verluſt des großen Spitbergs immer nod eine Zuflucht hinterwärts ge:
junden und würden jo den legten Abichnitt des Schlachtfeldes behauptet haben,
obgleih die auf dem Judenberge aufgeitellte Neferve ichließlih, in dem
Maße, als der preußiihe Angriff Zug um Zug ihre Abberufung erheifchte,
bis auf ſechs öſterreichiſche Bataillone und drei Öufarenregimenter zuſammen—
ſchrumpfte.
Die Tadler, denen des Königs zähes Feſthalten an dem lockenden Bilde
eines Vernichtungsſchlages ein Aergernis oder eine Thorheit geweſen iſt, waren
dieſelben, die ſein kühnes Bataillieren von vornherein verurteilten. Oft mit
ihren Ausſtellungen einverſtanden, hat ein ſpäterer Kritiker, der Franzoſe Jomini,
für die Beurteilung des Entſchluſſes von Kunersdorf doch das richtige Wort
gefunden: es ſei lächerlich, einem General nachträglich vorzuwerfen, daß er den
Sieg habe verfolgen wollen — wie dürfe man einen großen Mann tadeln, wenn
er die Hälfte eines verjchanzten Yagers in jeine Gewalt gebradht, daß er den
Reit über den Haufen zu rennen gefucht habe? Und vergeffen wir nicht, daß
dem Könige, als fein rechter Flügel erlahmte und wid, noch 20 unberührte
Bataillone, deren Mehrzahl allerdings in der Schladht bei Kay gelitten hatte,
und die große Maſſe feiner Neiterei zur Verfügung ftanden.
Es bleibt dahingeftelt, ob es möglich gewejen wäre, wie Platen und
Spätere es gewünjcht hätten, dieje friihen Bataillone durch die Seenniederung
bindurchzuziehen und zu einer Umfaſſung der feindlichen Stellung von der Süd—
jeite her zu verwenden. Genug, dab ſich der König dahin entſchied, feinen
Angriff immer wieder auf denfelben Punkt zu richten und alſo auch den linfen
Flügel auf dem beengten Raum rechts vom Dorfteihe gegen den großen Spitz—
Feldzug von 1759. 298
berg lositoßen zu lafjen: zu dem Behuf mußten die Bataillone erit längs der
Ceenlinie bis zu dem Kunersdorfer Kirchhof herabmarichieren.
Auf dem Gelände ſüdlich des Dorfes blieb ſomit nur die Neiterei. Sn
halber Zugbreite waren die Schwadronen auf dem etwa 200 Schritt mefjenden
Thalboden zwiſchen dem Dorfteih und dem blanfen Eee hindurch gegangen und
hatten ſich unter dem Schuß einer Bodenanfhwellung formiert. Seydlit, der
den Verlauf des Kampfes anfänglid von dem kleinen Spitberg bei Kunersdorf
überfhaut hatte, war auf den rechten Flügel zu dem Könige geritten, um ihm
vorzuitellen, daß die Kavallerie auf dem vor ihr liegenden Felde nicht wohl an—
greifen fünne. Auf dem Standort bes Königs wurde ihm durch eine Kugel der
Degengriff in die Hand hineingetrieben; er mußte fih vom Kampfplage fort:
ſchaffen laſſen wie vorher der andere Neitergeneral, der MWürttemberger. An
den Attaden diejes Tages hat der Sieger von Zorndorf jomit feinen Teil gehabt.
Nicht in Mafje, nur truppmweife, gleichſam taftend, ſchickten fich die Reiter
zum Angriff an. Die preußiichen Pallaſche verjtanden vortrefflich, unter ge:
loderter Infanterie aufzuräumen; fie hatten im freien Felde auch ſchon Batte—
rien genommen; bier aber, bei dem Angriff auf ein befeftigtes Lager, trennten
den Angreifer von den Feuerſchlünden, die ihn jegt mit Kartätichen überjchütteten,
Schanzen und Wälle, Palliſaden und Wolfsgruben. Der Angriff brach fih und
flutete zurüd.
Generallieutenant v. Platen, der das zweite Neitertreffen führte, er:
fannte, daß hier das Spiel zu hohen Einſatz erheiſche. Er 309 fich mit der
ganzen Kavallerie diejes Flügels nad links, jo daß er die Verjchanzungen des
Spigberges nun zu feiner Rechten hatte, und ließ dur die Dragoner von
Schorlemer ausipähen, ob die Redoute von hinten zu umgehen fei. Dort aber
zeigten ſich große KRavalleriemafjen, die Batterien dedend und von ihnen gededt.
Es war fünf Uhr vorüber. Das Feuer des kleinen Gemwehrs hatte bisher
ununterbrochen angedauert. Sämtliche Bataillone aud des linken preußifchen
Flügels hatten der Reihe nad ihre Kraft an den feindlichen Schanzen verfucht,
ſämtlich vergebens: der Feind hat, jo bejagt der öfterreihiihe Schlachtbericht, „bei
jeiner wenigftens fiebenmal erneuten Attade jedesmal mit friichen Truppen
fämpfen müſſen“. Dieſe abgearbeitete, todmüde Infanterie war für den Gnaden—
ſtoß reif. Mit vier Compagnieen reitender Grenadiere und im zweiten Treffen
mit zehn Schwadronen Dragonern brach Laudon am Händerbufch quer durd die
eigenen Bataillone aus Staub: und Rauchwolken jählings in die preußifche Feuer:
linie ein. hr legter Zuſammenhalt löfte fih, was noch jtand und zum Teil
nod) avanciert war, flüchtete nach Kunersdorf und über den Kuhgrund zurüd, Die
Entſcheidung war gefallen.
Vom Kuhgrund bis auf den Mübhlberg, in bem in den erjten Nachmittags-
tunden erfämpften Teil des rujfiihen Lagers, ftauten fi die Trümmer aller
an diefem blutigen Sonntag im Feuer gewejenen Bataillone und bargen fi in
den Bodenfalten gegen den Traubenhagel der berühmten weittragenden Haubiten
von Peter Schumalows Erfindung. Seit fünfzehn Stunden auf den Beinen —
auf dem Mari, während des Halts und im Kampf dem Sonnenbrand eines
erdrüdend heißen NAugufttages ausgelegt, war die Truppe jegt völlig verbraucht;
224 Siebenteö Bud. Erfter Abichnitt.
auch die Gegenwart und das Beifpiel des Königs fruchtete nichts mehr. „Der
König,” berichtete ein jchlichter weſtfäliſcher Musketier nad der Schlacht in die
Heimat, „it allzeit vorn geweſen und hat gejagt: Kinder, verlaft mid) nicht, und
bat noch zulegt eine Fahne von Prinz Heinrihs Regiment genommen und gejagt,
wer ein braver Soldat ift, der folge mir! Wer noch Patronen hatte, ging ge:
troft. Zulegt fol er ſelber Rechtsum! kommandiert haben und gejagt: Ziehet
euch zurüd, Kinder!”
Zwei Pferde waren ihm unter dem Leibe zufammengefchoffen. Eine Flinten:
fugel, die ihm den Tod hätte bringen müſſen, prallte an dem goldnen Etui in
feiner Taſche ab, nachdem fie es plattgedrüdt. Die Beihwörungen jeiner Bes
gleiter, fich dem Feuer zu entziehen, wies er mit den Worten ab: „Wir müſſen
bier alles verjuhen, um die Bataille zu gewinnen, und id muß bier wie jeder
andere meine Schuldigfeit thun.“
Erit auf dem Mühlberg gelang es ihm, mit den beiden Bataillonen des
ſchleſiſchen Regiments Leitwig und einiger Neiterei unter dem Schutze einer
jehöpfündigen Batterie eine neue Front zu bilden, worauf, wie ein ruſſiſcher
Bericht jagt, „Seine Attade unter entjeglihem Artilleriefeuer den Anfang nahm
und eine jolde Wirkung that, daß unjere Truppen, welche ſich zum Teil ver-
ſchoſſen hatten, wieder zu pliieren anfingen“.
Hier hätte eine ftarfe Kavalleriereferve die völlige Niederlage nod wen
den mögen. Der König hat fi nachher beklagt, daß zwei Stunden vor Aus:
gang des Kampfes feine Neiterei mehr fih habe jehen laſſen. Auf dem Linken
Flügel war Platen in feiner dem eigentlihen Schladhtfelde weit entrüdten ab:
wartenden Stellung plöglih von öfterreihiichen und ruffiiden Schwabronen an:
gefallen worden. Zwei Angriffen hielt er ftand, dann aber kam feine Neiterei
in volle Unordnung und flüchtete an Kunersdorf vorbei den Wäldern zu, durch
die man am Morgen gefommen war; bei ben Kumersborfer Kohlgärten lagen
die toten Küraffiere mit ihren großen ſchwarzen Pferden ganz dit. Auf der
Dderjeite waren immerhin noch einige Negimenter zur Stelle. An der Spite
feiner weißen Huſaren fand General Ruttfamer den Heldentod; zwei Schwa—
dronen Zeibfüraffiere bieben in das Anfanterieregiment Narwa ein, wurden aber
von den Tihugojhom:Kojafen in den Sumpf gedrängt und verloren ihren Kom:
mandeur als Gefangenen und eine Standarte. Nachher befamen die Krodomw:
dragoner mit den Koſaken „alle Hände voll zu thun“, bis fie ihnen durch Ans
zündung eines Verhads den Weg fperrten.
Der Widerftand des Königs und feiner legten Getreuen am Mühlberg
gab dem gejchlagenen Heere eine knappe Frift für den Rüdzug über die Dämme
nah Trettin. Nun aber wurde es aud für die Fleine Schar dort oben hohe
Zeit zum Abzug. Schon wurde in ihrem Rüden das Regiment Pioniere, das
während der Schladht die Batterien am Dorfe gededt hatte, umzingelt und zum
größten Teil gefangen. Als einer der lebten verlieh den legten Rampfplat
der König; ftarren Auges, wie in Betäubung verjunfen. „Kann mid denn
feine verwünſchte Kugel treffen?” hörte man ihn fagen. Hart hinter ihm ber
fommen Kofafen angeiprengt, ein Entrinnen ſcheint nicht mehr möglih. „Prittwig,
ih bin verloren,” ruft der König dem Rittmeifter von den Leibhufaren zu, der
Feldzug von 17509. 225
nit einem Kommando von feinem Negiment die Stabswade bildet. „Nein,
Ihre Majeität, das ſoll nicht geihehen, jolange noch ein Atem in uns ift,“
antwortet Prittwig und ſchlägt mit jeinem Häuflein in wiederholtem Angriff die
Verfolger ab. Nie hat ein Regiment des Ehrennamens einer Leibtruppe ſich
in eigentliherem Sinne wert gezeigt, und nie hat der König feinem Netter
diejen Dienft vergeilen.
In dem Lager von gejtern, wo die in verihiedenen Richtungen Geflüdhteten
wieder zufammentrafen, war ihres Bleibens nicht lange. So groß war ber
Schreden der Mannihaft, dab gegen zehn Uhr in der Nacht auf den blinden
Lärm vom Nahen der Koſaken alles weiter lief, während doc der Feind vom
Verfolgen jehr bald abgelaſſen hatte. Erſt in dem Winkel zwiſchen Warthebrud)
und Oder vor den Brüden bei Oetſcher fam die Flucht zum Stehen. Niemand,
der nicht verwundet war, wurde herübergelaflen. Da das ganze Dorf mit Ver:
wundeten überfüllt war, nahm der König feine Unterkunft am Ufer im Fähr—
bauje. Eine kurze Mitteilung von dem Geſchehenen an Findenftein ſchloß mit
den Worten: „Won einem Heer von 48000 Mann babe ich nicht mehr 3000,
In dem Augenblid, da ich dies ſchreibe, flieht alles, und ich bin nicht mehr Herr
meiner Leute. Man wird in Berlin wohl daran thun, an jeine Sicherheit zu
denken. Es iſt ein graufamer Schlag, ich werde ihn nicht überleben, die Folgen
der Affaire werden jchlimmer jein, als die Affaire jelbit. Ich habe fein Hülfs—
mittel mehr, und, um nicht zu lügen, ich glaube alles verloren. Ich werde den
Untergang meines Baterlandes nicht überleben. Adieu für immer!”
Auf dem Ufer an der Schirfsbrüde lag alles wirr und wüſt durcheinander.
„Während der Nacht famen Adjutanten,” erzählt ein Augenzeuge, „nahmen immer
ganze Klumpen zufammen und führten fie auf die Heinen Höhen von Detjcer,
wo den Morgen darauf Bataillone und Regimenter formiert wurden, jo gut es
angehen wollte.” Gegen Mittag ſtand das gefchlagene Heer, foviel ſich wieder
eingefunden hatten, in Schladtordnung unter dem Gewehr; um 4 Uhr ging
man über den Fluß zurüd, in ſteter Sorge dabei angegriffen zu werben.
Der König nahm jein Hauptquartier im Schloſſe zu NReitwein. Er berief
den leicht verwundeten General ‚ind und übertrug ihm den Oberbefehl —
„weilen Mir eine ſchwere Krankheit zugeitoßen,” heißt es in der Vollmacht, durch
welche er die Stellvertretung „bis zu feiner Beſſerung“ anordnete. Die eigenhändige
Inſtruktion, die Find erhielt, geht doch von einer anderen Vorausjegung aus:
„Der General Fink frigt eine Schwehre Comission. Die unglüflihe armée
So id ihm übergebe, iſt nicht mehr im Stande mit die Hufen zu Schlagen,
Hadek wirdt nad) Berlin Eillen, villeiht Yaudon auch, gehet der general Finf
dieße beide nah, So kommen die Rufen ihm im Nüfen, bleibt er an der Oder
Stehen, So frigt er den Hadef dig Seit, in deben So glaube das wen Laudon
nah Berlin wolte, Solden könte er unterwegens attaquiren und Schlagen,
Soldes, wohr es guht gehet, gibt dem ungelüf einen anftandt und hält die
ſachen auf, Zeit gewonnen it Sehr vihl bei diehjen Desperaten Umſtände.“
Der König erwähnt no, dab er den Prinzen Heinrich zum Generaliffimus er:
Roier, Adnig Yyriedrih der Grohe II 2. Aufl 15
226 Siebentes Buch. Erſter Abichnitt.
nannt hat und daß das Heer dem jungen Prinzen Friedrich Wilhelm, dem
Thronfolger, ſchwören ſoll, und ſchließt dann: „Dießes iſt der eintzige raht den
ich bei denen unglüklichen Umbſtänden im Stande zu geben bin, hette ich noch
resourssen So wehre ich darbei gebliben.“
Zuſammengehalten mit dem Schluß jenes Briefes vom Abend der Schlacht,
laſſen die ergreifenden Worte nicht wohl einen Zweifel übrig. War weiterer
Widerſtand ausfichtslos, ein ehrenvoller Friede ausgeichloffen, dann ſchien dem
darniederliegenden Ringer der fo oft jchon als unvermeidliches Ziel und Ende
vorausgejagte Augenblid gelommen, den Tod, den er auf dem Schladtfeld nicht
gefunden, fich felbit zu geben. Nach dem Webermaß der förperlichen Anftren:
gungen diefer legten Wochen, nad) dem jteten peinvollen Sin: und Hertreiben
zwiichen Sorge und Hoffnung, nad) dem jähen Uebergang von ftolzer Vorfreude
über den jcheinbar unentrinnbaren Siena zu der vollen Bitternis der Niederlage
und der Hülfs- und Hoffnungslofigfeit, nad dem gemwaltigiten Aufruhr aller
jeiner Nerven war er jeßt dumpfer, teilnahmlofer Abjpannung verfallen. Sein
Sefretär Cöper ipridt von dem Abattement, das die Umgebung in die pein-
lihite Sorge verfeße: der König ſehe die Dinge, die doch vielleicht noch nicht in
der äußerſten Krifis jeien, als verzweifelt an und verhalte ſich demgemäß.
Aber nur für eine furze Spanne Zeit zahlt der ermattende Held der
menſchlichen Schwachheit feinen Zol. Er gewinnt fich jelbit wieder. Mit ge:
waltigem Entſchluß richtet er fi von neuen auf an jenem Ehr: und Pilicht:
gefühl, von welchem er vordem erflärt hat, das allein verleihe ihm die Kraft
zum Ausharren. Er nimmt den Kampf wieder auf gegen feine Feinde, gegen
jeine Xeiden, gegen ſich ſelbſt und jeine Kampfesmübdigfeit und Todes—
ſehnſucht.
„Im Augenblick, da ich Ihnen unſer Unglück ankündigte,“ ſchreibt er am
16. Auguſt dem Prinzen Heinrich, „ſchien alles verzweifelt; das ſoll nicht heißen,
daß die Gefahr nicht noch ſehr groß wäre, aber rechnet darauf, jo lange ich
die Augen offen haben werde, dab id für den Staat einftehen werde, wie
es meine Pflicht it. Ein Etui, das ich in der Taiche hatte, hat mein Bein
vor einer Kartätſchenkugel geihüst, die das Etui zerdrüdt hat. Wir find alle
zerfegt ; niemand, der nicht zwei oder drei Schüſſe in den Kleidern oder im Hut
hat. Wir würden gern unfere Garderobe opfern, wenn es nur das wäre...
Glüdlih die Toten! Sie find über den Gram und alle Unruben hinweg.“
An diefem Tage führte der König durh einen Mari in ſüdweſtlicher
Richtung fein Heer über Lebus in die Niederung der Epree nah Madlig,
um dem bei Müllrofe eingetroffenen Hadik den Meg nad Berlin zu iperren.
Da gleichzeitig Sialtyfow und Laudon Tüdlih von Frankfurt über die Oder
gingen, ftanden die Heere jegt wieder ganz nahe bei einander. Am 17. drängte
ein feindliches Neitercorps die preußischen Feldwachen auf das Lager zurüd und
wurde dann durch Kanonenfeuer abgemwiefen. Am 18. verlegte der König fein
Lager nad) Fürftenwalde und hatte fich ſomit feiner Hauptftadt auf ſechs Meilen
genähert. „Ich babe mich hier auf ihren Meg gelegt,” Ichreibt er am 19. an
den mit dem Hofe und den Behörden nad) Magdeburg geflüchteten Findenttein;
„id weiß nicht, ob fie heute oder erft morgen fonımen werden; aber obgleich
Jeldzug von 1759. 397
die Ruſſen durch Hadif verjtärft find, werde ich mich jchlagen, weil es fürs
Vaterland gilt. Betrachten Sie diefen Entihluß als den legten Haud unserer
Macht und Kraft; ich wage nicht, für den Ausgang irgend etwas zu verjprechen,
das wäre zu verwegen; aber ich ſchwöre Ihnen, daß man nicht mehr aufs
Epiel jegen fann, als ich thue.”
Das geihlagene Heer hatte die während der Schlacht auf dem linfen Oder:
ufer zurüdgebliebenen Abteilungen allmählich wieder an ſich gezogen, dazu fanden
ih noch täglich Veriprengte in Fleinerer oder größerer Zahl ein. Schon im
Lager von Madlig ergab die Tageslifte 27848 Mann, immerhin nicht viel über
die Hälfte von den 53121, die vor einer Woche am Tage bes Oderüberganges
gezählt worden waren. „Koſtet alfo der Tag der Bataille,” jo 309 General
Find in einer eigenhändigen Aufitellung die Summe, „an Toten, Bleffierten,
Gefangenen und Vermißten 25273 Köpfe.” Und da etwa 6000 Mann nicht
mit über den Fluß gegangen waren, fo hatte thatfächlich dem Heere feine Nieder:
lage mehr als die volle Hälfte des Beltandes geraubt. Dazu waren 26 Fahnen,
2 Standarten und, was jegt bejonders empfindlid war, 172 Gefüge verloren
gegangen; Erjat an Artillerie wurde aus Berlin herbeigeihaftt. Bei manden
Negimentern waren nur ein oder zwei Offiziere unverlegt; von den Generalen
war die Mehrzahl verwundet.
Der Mangel an Offizieren war um jo ftörender, je weniger der König
zu der Mannihaft noch Pertrauen hatte. „Die Offiziere und ich find ent:
ſchloſſen zu fterben oder zu fiegen,” jchreibt er in der Ausficht auf die neue
Schlacht, „wolle der Himmel, daß der gemeine Soldat ebenjo denkt”; aber er
erklärt in der Bitterfeit feines Herzens, daß er „leine Truppen mehr fürchtet
als den Feind'. Waren die Verwünſchungen an jein Ohr gedrungen, die am
Abend der Niederlage im Gewühl der Flüchtenden ausgeftoßen wurden? Was
ih thun ließ, um den Geift der Truppe wieder zu beben, geſchah; bei dem
Regiment Leitwig, das bis zulegt ausgeharrt batte, erhielt jeder Soldat acht
Groſchen Douceur; auch andere Regimenter wurden belobt und belohnt. Minder
entmutigt als die Infanterie, die erft almählih von ihrem Schreden ſich erbolte,
war die von weit geringeren Berluften betroffene Kavallerie.
Gegen die Erwartung jhritt der Feind weder am 19. no am 20, zum
Angriff. Wohl aber fam die Nachricht, da aud Daun im Anmarſch und fchon
bis Kottbus gelangt jei. Friedrichs eriter Gedanfe war, mit feinem zerrütteten
und Heinmütigen Heer die Ruſſen, ehe e& zu ihrer Vereinigung mit Daun kam,
anzugreifen; dann jollte Branntwein vor der Schladht den Truppen Courage
madhen. Aber die Rufen hatten zwifchen Müllroſe und der Oder ein fo jtarfes
Lager bezogen, daß der König feine Abjiht aufgeben mußte. Nun fchien alles
Weitere davon abzuhängen, ob Prinz Heinrich mit dem fchlefiichen Heere Daun
bart aenug auf den Ferien war, um dem Zujammenihluß der gegneriichen
Heere jeine Ankunft bei dem Corps des Königs unmittelbar folgen zu lafjen.
„Wir werden uns zu vereinigen juchen, jo gut wie die anderen; wenn ich Glüd
genug habe, dieſen Anſchluß rechtzeitig herbeizuführen, dann werden wir uns
mit einiger Ausfiht auf Erfolg gegen die geſamten Streitfräfte unferer Feinde
ichlagen können. Aber es gibt der Wenn jehr viele, che wir alles das in
228 Ziebentes Bud. Erfter Abichnitt.
Drdnung haben. Dieſe Schlacht wird über unjer Geihid, über den Feldzug
und vielleicht über den Frieden entſcheiden.“ War der Prinz nicht rechtzeitig
zur Stelle, dann meinte Friedrich fi zermalmen lafjen zu müflen; er werde
dann ſich nicht ſowohl in einiger Hoffnung auf Erfolg ſchlagen, als um feine
Pflicht zu thun bis ans Ende.
Da geihah das Unermwartete. „Ich verfünde Ihnen das Mirafel des
Hauſes Brandenburg,” ſchreibt Frievrihd am 1. September an jeinen Bruder
mit Beziehung auf die in der Gefchichte verzeichneten wunderbaren Errettungen des
Haufes Delterreih; „in der Yeit, da der Feind nad) dem Uebergang über die
Oder dur den Entſchluß zu einer zweiten Schlacht den Krieg beendigen konnte,
it er von Müllrofe nad Lieberoje marichiert!” Der Mari auf Berlin war
damit augenicheinlih aufgegeben. Der König entiprah der Bewegung der
Nuffen, indem er gleichfalls in die Lauſitz einrüdte und eine vorteilhafte Stellung
bei Waldow, zwiſchen Xieberofe und Lübben, wählte.
Wie war das Mirafel zu Wege gebradt? Drei Tage nad der Cchladht
war Yacy aus Dauns Hauptquartier im Lager der Sieger eingetroffen, Glüd
zu wünjchen und Vorſchläge zu mahen: daß die Rufen, durch Hadif veritärkt,
entweder nad) Berlin gehen, oder daß fie in feiter Stellung, das Corps des
Königs von Preußen bedrohend und feithaltend, an der Oder bleiben jollten,
wo dann die Deiterreiher entweder den Zug gegen Berlin auf ſich nehmen oder
fih nah Schlefien wenden würden, um dort eine der Feſtungen zu erobern und
fih die Winterauartiere zu fihern, In ihrem alten Mißtrauen gegen die Ver:
ftodtheit und den Eigennuß des Bundesgenofien hörten die Rufen aus dieſem
Anbringen nur das heraus, dab die Delterreiher es auf Schlefien und ihre
Winterruhe abgejeben hätten. Sſaltykow entließ den Unterhändler ohne be:
ftimmten Beicheid und [ud Daun zu perlönliher Nüdiprade ein.
Daran blieb fein Zweifel, das die Rufen nicht gewillt waren, nad) zwei
blutigen Schlabten noch weitere Opfer zu bringen. Daun habe es leicht, To
ward den öfterreihiichen Offizieren im ruſſiſchen Lager bemerkt, Vorichläge zu
madhen und die Ausführung den Rufen zu überlaifen; jest jei das öſterreichiſche
Heer an der Reihe, feine Haut zu Markte zu tragen, die Ruffen würden ich
nicht mehr zur Schlachtbank führen laffen. Und als Laudon wenigſtens um eine
bejchränfte Anzahl rujfiiher Truppen bat, um mit ihnen und feinen eigenen
Leuten fi den Preußen an die Ferſen zu hängen, rief Sſaltykow, er fünne und
wolle mit dem Feinde nichts mehr zu thun haben. Wenn er am 16. Auguit
fi zum Uebergang über die Oder entichloß, jo geſchah es nur, weil ihm die
eritidenden Ausdünſtungen des Totenfeldes aus dem alten Lager vertrieben.
Der ruffiihe Feldherr fonnte fih darauf berufen, daß ihm der Sieg von
Kay an 5000 Mann, der Sieg von Kunersdorf 13—14000 Mann gefoftet
hatte. Die Thatfache blieb doch beſtehen, daß das ruifiihe Heer am 12. ges
Ichlagen geweſen war, als im legten Aunenblide eine ungeahnte Wendung das
innere Gefüge aud des angreifenden Heeres auflöfte. Daß trogdem Sjaltyfom
mit jeinen erichütterten Truppen bei fräftigerem,.Entihluß und beſſerem Willen
mehr zur Ausnügung feines unverhofiten Sieges hätte thun können, lehrt ein
Vergleih mit dem Verhalten Fermors nah Zorndorf: auch nur mit einem Teil
Feldzug von 1759. 224)
der feiten und gewandten Bewegungen, die dort das geichlagene ruffiiche Heer
ausführte, hätte fich der Sieger von Kunersdorf zum Meiiter über das Gejchid
der Befiegten machen können. Aber die Not des Augenblids, die damals zum
Entjichlufe und zum Handeln zwang, fie drängte heute nicht. Sſaltykow hatte
feinen Lorbeer, jeine zwei Siege, die volle Dedung zugleih dem Feinde und
jeiner Gebieterin gegenüber, er hatte die Erlöjung von jchwerer Sorge, ‚die
Errettung vom Untergang: warum jollte er jein Heer und jich jelbit, feinen
Feldherrnruhm und jein Anjehen bei Hofe wieder aufs Spiel jeßen? Und in
der That, nahdem die Gunft des erften Augenblids verjherzt war, würde der
König von Preußen, jo grimmig wie er fich jegt wieder in Politur jegte, die
Feldherrnkunſt diefes jüngſten Siegeshelden noch auf eine harte Probe geitellt
haben. Zur Verfolgung war es ſchon zu jpät geworden, nur in neuem beißen
Kampfe hätte fi das Werk von Kunersdorf noch frönen laſſen.
Das aljo war die Lage, als Sfaltyfom und Taun am 22. Auguft zu
Guben fih beſprachen. Keiner von beiden bradte die Neigung mit, quer durch
das von Friedrich angeführte Heer fi den Weg nad) Berlin zu eröffnen. Daum
gab die Erklärung ab — eine offenbare Ausfluht — daß er auf den Marich
von jeinem Hauptquartier Triebel bis nah Berlin, einen Weg von fünfzehn
Meilen, mindeitens 21 Tage rechnen müſſe; nachher aber werde die Wegnahme
der preußifchen Hauptitabt einen wirklichen Gewinn nicht bedeuten, bei der Un:
möglichkeit, in der ausgelogenen Mark Winterquartiere zu beziehen. Die Feld:
herren famen überein, vorerit in Beobadtungsitellungen, Sialtyfow am Friedrich—
Wilhelms:Graben und Daun in der Niederlaufig, zu verbleiben, um bier dem
Prinzen Heinrih und dort dem Könige Entjendungen an die Elbe unmöglich zu
machen. Werde Dresden gefallen fein, jo würben beide Heere ih nad Schlefien
zu wenden haben; auch jprah Daun davon, fein Nugenmerf auf die Zertrümme:
rung der Armee des Prinzen richten zu wollen.
Maria Therefia erklärte jid mit dem Ergebnis der Gubener Beſprechung
durchaus einverftanden. So gern fie die Eroberung der feindlihen Hauptitadt
geſehen hätte, fie erkannte dod an, daß es den Ruſſen nad) zwei mörberijchen
Schlachten nit zu verbenfen fei, wenn ſie „mehrere bergleihen blutige Ge:
legenheiten” vermeiden wollten. Den Plan zum Einmarſch in Sclefien und
zur Bedrängung des Prinzen Heinrich bezeichnete fie als den vergnügliditen, der
überhaupt hätte gefaßt werden fünnen. Dabei jchärfte fie für das dem Könige
gegenüberftehende Beobahtungsheer die äußerite Worfiht ein. So notwendig
es jei, dem Prinzen eine Schlacht zu liefern, jo unbedingt müfje fie gegen ben
König vermieden werden. Ihn eng in Shah zu halten, jei die ausschließliche,
eine wichtige und jchwierige Aufgabe. Die Kaiferin ſprach ihr Bedauern aus, daß
Daun fi nicht teilen fönne, um in Perſon gleichzeitig da und dort zu fein.
Minder zufrieden zeigte fih der ruffiihe Hof mit dem Verhalten feines
Feldherrn; man tadelte, dat Sſaltykow nad dem Siege verabfäumt habe, das
geichlagene Heer Fräftig zu bedrängen.
Inzwifchen hatte diejer, da die Ausfiht auf den in Guben als fiher und
als Grundlage für alles Weitere angenommenen Fall von Dresden zu jchwinden
jhien, am 26. Auguſt doch noch Daun zu einem gemeinjamen Angriff auf das
230 Siebentes Bud. Erſter Abichnitt.
Corps des Hönigs aufgefordert. Daun antwortete mit Hinweis auf die Gubener
Verabredungen ablehnend: man müſſe abwarten, was mit Dresden geſchehen
werde. Und dort war wider Sfaltylows Vermuten das Glüf den Gegnern
Preußens hold.
Die Neihsarmee erhielt Gelegenheit zu ihrer größten That. Sie hatte
fh nah den zu Beginn des Feldzuges erlittenen Unbilden bis Ende Juli jo
weit erholt, um im Verein mit einem öfterreihiichen Corps den Einmarſch in
das von preußifhen Truppen augenblidlih fat ganz entblöjte Sachſen zu
wagen.) Die Heinen Bejagungen in Leipzig, Torgau, Wittenberg kapitu—
lierten gegen freien Abzug. Am 26. Auguſt erſchien der Neichsfeldherr, auch
in diefem Jahr Friedrich Michael von Pfalz: Zweibrüden, mit 27000 Mann vor
Dresden. Der Kommandant, der vor neun Monaten die Stadt jo entihlofien
verteidigt hatte, Grat Schmettau mit jeinen 3700 Mann, ftand diesmal vor
einer ſchwierigen Enticheidung. Unter dem erjten Eindrud der großen Nieder:
lage hatte ihn der König durch ein Schreiben vom 14. Auguſt ermächtigt, wenn
er fich nicht halten könne, eine vorteilhafte Kapitulation abzujchliegen, um die
Garnijon, das Lazareth, das Magazin, die Kalten — fie enthielten über 5°:
Million Thaler — zu retten. Inzwiſchen aber wußte Friedrih Nat zu ſchaffen
für ein Entfagcorps; General Wunsch, durch vier Bataillone aus Pommern er:
jest, verließ am 21. Auguſt mit feinem Freiregiment das Lager des Königs, 300
unterwegs einige gleichfalls aus Pommern heranmarſchierende Truppenteile und
die Beſatzungen der geräumten Plätze an fih, gewann Wittenberg und Torgau
zurüd und erihien am 5. September mit 4—5000 Mann vor der Neuftadt
Dresden. Am Abend zuvor hatte Schmettau die Stadt dem Feind übergeben!
Ter König hat dem Kommandanten den ohne Frage übereilten Schritt
nie verziehen, um jo weniger, als ihm diejer General unmittelbar nad dem
verhängnisvollen Ereignis in ſehr beitimmter Anklage als Verräter verbädtigt
wurde. An Beitehungsverfuhen hat es allerdings nicht gefehlt, aber Schmettau
ift ihnen nicht. erlegen; auch hat er fich wegen der Uebergabe von Dresden
friegsrechtlid nicht zu verantworten gebraucht, der Befehl des Königs dedte ihn
formell. Aber dienjtlihe Verwendung fand er nicht wieder, und nad den Kriege
wurde er mit einem fargen Ruhegehalt verabjciedet.
Chen hatte ;jriedrih ein wenig aufzuatmen begonnen. „Sie werben be:
urteilen können,“ jchreibt er am 5. September feinem jüngiten Bruder, „wie ich
während der legten drei Wochen, erregbar wie ich bin, das Martyrium ertragen
habe. Unjere Lage iſt weniger verzweifelt als vor acht Tagen, aber ich jehe
mid umringt von Klippen und Abgründen, meine Aufgabe it ſehr ſchwierig,
und ohne ein Mirakel oder die göttliche Efelei meiner Feinde wird es unmöglich
fein, den Feldzug zu Ende zu bringen.“ Zwei Tage jpäter erfährt er gleich:
zeitig, daß Dresden gefallen ift und daß die Schweden, nad) dem Abzug ber
legten preußiichen ‚Feldtruppen aus Pommern, die Uckermark überziehen. „Diejer
Feldzug,” klagt er, „it um jo fchredlicher, ald meine eignen Leute mir ebenio:
viel und mehr Not machen, als meine Feinde. Unſere Sachen hängen Tag für
Bol. oben ©. 218.
Feldzug von 1759. 231
Tag an einem Haar. Die Zahl unjerer Feinde erbrüdt uns, weil unjere Braven
im Kriege umgelommen find und ich nur noch Kujone zu fommandieren habe.”
„Hätte ich 10 Bataillone von 1757”, ruft er ein andermal, „jo würbe ich mid)
vor nichts fürdten, aber der graufame Krieg, den man gegen uns führt, hat
unsere beiten Verteidiger umlommen laſſen, und was uns bleibt, kann ſich nicht
einmal mit dem Schledteiten, was wir früher hatten, vergleichen.”
Dod rechnete der König bejtimmt darauf, Dresden binnen kurzem wieder
in jeiner Hand zu haben, und zwar um fo mehr, als jegt überall die preußiiche
Strategie ihre Ueberlegenheit von neuem offenbarte.
Gegen die Schweden, dieje Hottentotten, wie man fie verädhtli nannte,
zog General Manteuffel, von feiner bei Kay empfangenen Wunde faum genejen,
mit vier Bataillonen und zehn Echmwadronen zu Felde und drängte fie, wie im
Vorjahre, bis zur Peene zurüd. Freilich die im Haff ausgerüftete Kleine Flottille
von acht armierten Kauffahrern und vier dedlojen Barkaſſen erlag unter dem
Befehl des ald Kommodore eingefleideten Hauptmanns von Köller nach rühm—
liher Gegenmwehr dem Angriff von vierzehn ſchwediſchen Galeeren; aber 150 Ge:
fangene aus diefer Seeſchlacht überwältigten auf ihrer unfreimwilligen Ueberfahrt
nad Karlsfrona ihre Schwedischen Begleiter und führten das Schiff im Triumph
nad Kolberg.
Gegen Daun, der ihn zerjchmettern wollte, operierte Prinz Heinrich an der
Spitze des Schönen und unverjehrten jchleiiichen Heeres mit jeinem ganzen, bis:
ber nur gegen untergeordnete Gegner bewährten Geſchick. Bis zum 25. Auguft
war der Prinz im Lager von Schmottjeifen ohne fichere Kunde von dem
Kunersdorfer Creignis gewejen. Am 4. hatte er überhaupt die legte Nachricht
vom Könige erhalten. Als er nın Daun aus dem Lager von Marklijia nad)
der Niederlaufig aufbrehen ſah, folgte er ihm zunächit bis Sagan, warf ſich
dann nad Görlitz, ließ in Böhmen die öfterreihiihen Magazine zu Friedland und
Gabel wegnehmen und veranlafte dadurch Daun, der nad) dem Fall von Dresden
doch noch eine Unternehmung auf Berlin geplant hatte, zu eiliger Umfehr nad)
Baugen. Für einen weiteren Plan noch nicht entjchieden, wurde dann der
Prinz dur jeinen föniglichen Bruder auf die Elblinie und Torgau hingemwiefen,
wo General Wunſch, aud nad) feiner Vereinigung mit einem durd Find herbei—
geführten Detachement von dem Corps des Königs, gegen die Neichsarmee noch
zu Ihwadh war. Am 23. September trat der Prinz aus dem Lager bei Görlik
jeinen vielbewunderten Zug an die Elbe an; zur Dedung von Schleiien ließ er
einen Teil feiner Truppen bei Schmottjeifen unter Fouqué zurüd. Daun, überlijtet
und umgangen, war auf das äußerfte verwundert. Um Dresden zu retten, zog
er von Baugen den preußiichen Prinzen eflends nad; damit aber war er in die
Defenfive gebradht und von dem großen jchlefiihen Plan völlig abgelenft.
Immerhin war es ihm vor dem Aufbruch von Bauten noch gelungen,
12000 Mann zu dem ruffiichen Heere, das ſich inzwiſchen von Lieberoje über
Buben nad) Chriſtianſtadt gezogen hatte, ſtoßen zu laffen. Ohne dieje Veritärkung
würde Sſaltykow fi troß früherer Zujagen fchwerlih auf neue Unternehmungen
eingelafien haben. So aber fand er ſich bereit, einen Anfchlag auf Glogau zu
versuchen. König Friedrih war feit entichlojien, eine Belagerung der Feſtung
232 Siebentes Bud. Erfter Abichnitt.
nicht zu dulden. Ueber vierzehn Tage hatte er im Yager von Waldow unbe:
weglich, lediglich beobachtend geitanden. Jetzt zog er den Ruſſen über Kottbus,
Forft, Sorau und Sagan nad) und hatte die Senugthuung, am 24. September
die Oder hinter Neuftäbtel vor ihnen zu erreihen. Er erwartete für den nädjiten
Tag die Schlacht, mit 21000 Mann gegen 50000, Morgens um 6 Uhr be:
gannen die Feinde zu refognoscieren. „Dieſe Herren,“ meinte der König,
„müſſen uns noch jür fürchterlich halten.” Nachdem er fich überzeugt hatte, dat;
fie ihn nicht anzugreifen wagten, jehrieb er dem Prinzen Heinrich, er halte die
Campagne hier für beendet; jobald der erite Reif falle, würden die Verbündeten
für ihre Pferde keine Weide mehr finden und nad Haufe ziehen müllen; zum
10. oder 1.4. Oftober glaubte er fih aljo dem Bruder zur Verfügung ftellen
zu fönnen.
Der Feind hielt dann am rechten Oderufer noch etwas länger aus, nur
ehrenhalber, ohne an Angriffsbewegungen zu denfen, und jo mußte auch Friedrich
an der Oder bleiben, denn er wollte Schleiten „nur unter guten Zeichen” ver:
lajjen. Der Ausgang Stand vorweg feit. Der Kanzler Woronzow hatte dem
öſterreichiſchen Botjchaiter erklärt, blutige Thränen weinen zu wollen, wenn die
Heere nicht gemeinfam in Schlefien Winterguartiere fänden. Aber am 26. Oftober
mußte geichieden fein. Die Rufen zogen nad der Weichjel ab, Laudon, nad
dem ihm von Friedrich verliehenen Titel des „heiligen Römiſchen Reichs Erzbären:
führer”, ſah ſich genötigt, da die Straße durch Schleſien geiperrt war, den Rückweg
nah Ungarn über Kaliih und Krakau wie ein veriprengter Freibeuter zu nehmen.
Sialtyfom und Daun, fo jchrieb Friedrich feinem Gefandten in London,
einer dort gemachten Bemerkung zuftimmend, hätten ihre Operationen jo auss
geführt, als wären fie beraufcht geweſen. Der eine war jegt abgefertigt, dem
andern mußte der Laufpaß noch gegeben werden.
Sachſen vom Feinde zu befreien, Dresden wiederzugewinnen, wünſchte
Friedrich nicht bloß aus allgemeinen militäriihen Rüdfichten und wegen feiner
Winterguartiere, fondern nod aus einem befonderen Grunde politiiher Art.
Es lagen Anzeichen dafür vor, daß Frankreich und England fi wegen des
Friedens verftändigen würden. Der König hatte jchon vor Kunersdorf bei feinen
britiihen Verbündeten dem Frieden das Wort geredet. Er hoffte nicht bloß in
den Frieden eingeichloflen zu werben, er hoffte fogar wie im Norjahre auf eine
Kriegsentihädigung an Land und Leuten und war eben im Begriff, feine Anz:
iprüche anzumelden. Um jo notwendiger war es, den Feldzug nicht mit einem
territorialen Deficit abzuschließen. MWiederheritellung des militäriihen Beſitzſtandes
vom vorigen Winter war das Schlagwort, das Friedrich in dieſem Herbit zu
ungezählten Malen wiederholte. Tas Ziel, das militärifche wie das politiiche,
icheint ihm nicht mehr zu verfehlen: „it der Feind einmal aus Sadien aus:
getrieben, fo wird der Neft nur einige Federftriche foiten, das wird ſehr ſchnell
gemacht fein.”
„Die Lage der Dinge iſt bier nicht fo, wie ih wünſchen möchte”, ſchrieb
damals aus dem Hauptquartier des Prinzen Heinrich der engliihe Geſandte;
„indeß, der König von Preußen lebt, und fo lange er lebt, wird er fortfahren
Wunder zu thun.“
Feldzug von 1759. 233
Seit Mitte Oktober ſchwer von der Gicht geplagt, an der linfen Hand, dem
rehten Fuß und Anie völlig gelähmt, immer wieder von ſtarken SFieberichauern
heimgejucht, mußte Friedrich ſich entichließen, jelber in Glogau zurüdzubleiben und
das nah Sachſen beitimmte Corps von 18 Bataillonen und 30 Schwadronen
dem General Hülfen anzuvertrauen. Aber länger als bis zum 7. November
litt es ihn nicht auf feinem Schmerzenslager. Als „lahmer Krüppel” ließ er
fih von Ort zu Ort jchleppen: „Ich werde zu Ihnen fliegen,” fo meldet er ſich
dem Prinzen Heinrid an, „auf den Flügeln der Vaterlandsliebe und der Pflicht,
aber Sie werden bei meiner Ankunft nur ein Skelett angefüllt mit gutem Willen
ſehen; mein Geift wird den ſiechen und ſchwachen Leib geben heißen.“ Er nennt
fih ein Impedimentum des Heers und erinnert ſich an Philipp II., dem feine
Generale ichrieben, er möge nicht als läftige Bagage ins Lager fommen, fondern
als nüsliches Glied,
Am 13. November traf der König, feiner Glieder wieder mächtig, aber
noch vom Schlaf gemieden, matt und jehr blaß und abgezehrt, zu Hirichftein
bei Meißen ein und nahm aus den Händen des Prinzen den Oberbefehl zurüd
über das jegt in Sachſen vereinigte Heer von nahezu 50000 Dann. „Sie jehen
einen Mann, der vom Unglück und vom Schmerz geichlagen, aber nicht nieder:
geworfen iſt,“ ſagte er beim Wiederjehen zu feinem ſeit Ende Juli von ihm
getrennten Vorlejer Catt.
Prinz Heinrich erntete aus des Bruders Munde reiches Lob für die Feld—
herrnkunſt, mit der er ein ganzes Vierteljahr hindurh Tauns großes Heer in
Chad gehalten hatte. In den Gefechten von Hoyerswerda und Torgau, Korbit
und Pretzſch hatten Heinrih, Find und Wunſch ſich den Defterreihern und
Reihötruppen jedesmal überlegen gezeigt. Völlig genügt hatte der Prinz den
Ansprüchen des Königs allerdings nicht. Friedrich Hätte gewünſcht, dab Heinrich
auf den Ebenen bei Torgau oder Leipzig die Delterreiher zur Schlacht geftellt
hätte, und es war darüber in dem Briefwechfel zu einer ſcharfen Auseinander:
fegung gefommen. Friedrich hatte geichrieben, wer niemals etwas riskieren
wolle, werde auch nichts thun fünnen, und Heinrich hatte gereizt geantwortet:
„Ih bin jehr ruhig, ich bemühe mich meine Pilicht zu thun, ich babe zu viel
Zeugen, um die Ungerechtigkeit zu fürdten, und Mut genug, um die Verleumdung
zu verachten.”
Jetzt war Daun aus der Ebene entwichen und hatte in dem durchichnittenen
Gelände auf dem linken Elbufer bei Dresden die Stellungen, wie er fie liebte,
zur Auswahl. Daß er zum Winter Sachſen würde räumen müſſen, nahm man
im preußiichen Hauptquartier als fiher an. Ließ er dann in Dresden eine
Beſatzung zurüd, jo wollte Friedrich die als ein Geſchenk betrachten, da die
Stadt bald würde fapitulieren müſſen.
Aber auch Daun jelber follte ihm, jo war jein Vorſatz, nicht ungezauft
entrinnen, wenn diefer Jauderer auch der Schlacht wiederum auswich. Friedrich ſann
auf Mittel, den Nüdzug des Feindes zugleich zu beichleunigen und verluftreich
zu machen: „Verwirrung, Beltürjung und den Geift des Jrrtuns und Taumels
in den Natjchlag und die Entichliehungen der feindlichen Heerführer hineinzu—
tragen.” Als geeignete Maßnahmen erichienen ihm: Weberrumpelung der Maga:
234 Ziebentes Bud. Erſter Abſchnitt.
zine in Saat, Teplig, Auſſig — der Anſchlag, den Oberft Kleiſt mit feinen
grünen Hufaren erfolgreid ins Werk jegte, Verwandlung der feindlihen Rück—
zugsftraße in eine „Mördergrube“ durch Entjendung eines Detahements in den
Nüden der öfterreihifchen Stellung, gegen Dauns „Subdelegierte” — die Auf:
gabe, die dem General Find zufiel; endlih ein Nachhutsgefecht, in das der
König jelber das abziehende Heer zu verwideln gedachte, „auf daß diefer Mann,
der auf fein Haupt alle Symbole menjchlicher Eitelkeit (den geweihten Hut)
gehäuft hat, Sachſen nicht verläßt, ohne feierlich mit großen Tritten vor fein
Hinterteil hinausgeleitet zu fein“.
Der Plan, den Feind durh einen Flankenmarſch nad Freiburg und
Dippoldiswalde zu beunruhigen, war bereits durch den Prinzen Heinrich ent:
worfen und eingeleitet worden. Am 5. November legte er feine Abjicht dem
noch in Glogau weilenden Könige dar und fand deſſen vollen Beifall. Schon
am 4. war General Find über die Mulde gejandt worden; als der König an-
fam, ftand Find, nach und nad) verftärft, bei Noffig. Friedrich befahl ihm
alsbald, bis Dippoldiswalde vorzugehen und von dort ſtark nach Maxen zu
detadhieren. Die Aufgabe war, auf der Lauer zu liegen, den Troß, wenn er
vorausgeſchickt wurde, abzufangen, Heine vorbeifommende Trupps zu überfallen,
ftärfere und wohlgeordnete Abteilungen aber ziehen zu laſſen. Am 13. erbielt
Find den Befehl, mit feinem ganzen Corps nad) Maren zu geben, um die Vor:
truppen dort nicht einem Ueberfall ausjujegen und die von Dresden aufge:
brochene Neichsarmee, wenn fie des Weges fam, „in Empfang zu nehmen“.
Noch denjelben Abend aber teilte ihm der König einen Bericht Zietens mit, wo:
nah ein öfterreichiiches Corps auf Tippoldiswalde, ein anderes nah Maren
zu marjciert jei; Find habe danach jeine Anftalten zu treffen. Zur Veritärfung
wurde General Hülfen mit 7 Bataillonen und 31 Schwadronen nad Dippoldis—
walde gelandt. Der Hauptmacht des ;Feindes war der König von Meißen bis
hinter Keffelsdorf und an den Plauenſchen Grund auf den Ferfen gefolgt; er glaubte
fie feftzubalten. Er war feiner Sade völlig fiber. „Wir haben gewanft und
waren im Begriff zu fallen, aber trotz aller unjerer Unglüdsfälle ftehen wir wieder
aufrecht da und befinden uns am Ende eines von Gefahren ftarrenden Feldzugs,
und zwar in derjelben Lage wie vor einem Jahre. Diejes Wunder wird ledig:
lih dem Ungejhid und al den groben Fehlern unferer Feinde gedankt.“ Er
fündete Boltaire feinen nächſten Brief für den Zeitpunkt feines Einzugs in
Dresden an. Und noh am 21. November meinte er, Daun werde jenfeits der
Elbe über Zittau nad Böhmen gehen müfjen, bis zum 25. werde Sachſen vom
Feinde gereinigt fein.
An diefem 21, war jein Hauptquartier bereits in großer Erregung und
Sorge. Dunkle Gerüchte ſchwirrten durd die Luft, dem Könige wagte niemand
davon zu Sprechen. Endlich wurden zwei Bauern zu ihm geführt; fie fagten
aus, daß Find mit allen jeinen Leuten in Gefangenihaft geraten fjei. „Mein
Gott,” rief der König, „it es möglich! joll ich denn mein Unglück mit mir nad
Sachſen gebradht haben!” Noch blieb die Schreckensnachricht unbeglaubigt; auch
am nächſten Tage wußte man noch nichts Beitimmtes, bis Finde eigener Bericht
alles beftätigte.
Feldzug von 1750. 235
Der König antwortete ihm: „Es ilt bis dato ein ganz unerhörtes Erempel,
daß ein preußiiches Corps das Gewehr vor feinem Feind niedergeleget, von
deraleihen Vorfall man vorhin gar feine Idee gehabt. Bon der Sade felbft
muß Jh annoh Dein Judieium juspendiren, weil Ich die eigentlihen Um:
ftände, jo dabei vorgegangen, noch gar nicht weiß.“
In Wien urteilte Kaifer Franz: „Es it unbegreiflih, daß ein ſolches Corps
mit allen feinen Generalen ſich auf die Art ergeben hat; das it höchſt ſchimpflich
für fie und gleicht nicht den Preußen von früher.”
Mit dem Corps, das am 21. November 1759 die Waffen geftredt bat,
verlor das preußiiche Heer falt 15 000 Mann, dazu 70 Gefüge, 96 Fahnen
und 24 Standarten. Der unglüdlihe General bat fi darauf berufen, daß
er mit feinen Bedenken genen den Vormarſch in die ausgefegte Stellung bei
Maren nicht zurüdgehalten habe, vom Könige aber mündlich ungnädig angelafjen
und durch fchriftliche Befehle fort und fort vorgedrängt worden ſei. Find hat
auch der Meinung Ausdrud gegeben, daß jeine Napporte, von denen er Ab:
ſchriften nicht zurücdbehalten hatte, ihn gewiß noch mehr rechtfertigen würden:
das trifft indes nicht zu. Seine Berichte noch aus den legten Tagen jeines
Kommandos zeigen, daß er jehr zuverfichtlich war, daß er fich eines Angriffs nicht
verfah. Und auch als das Nahen ftärkerer Maſſen ihm gemeldet wurde, hat er weder
durch einen Rüdzug nad) Dippoldiswalde ſich jeine Verbindung mit dem Dauptheere
oder für den äußerſten Fall einen Ausweg in jüdliher Richtung geiichert, noch aud)
die vorgeichobene Abteilung des General Wunſch aus Dohna wieder an fich gezogen.
Schon abgeichnitten, zeriplittert, hat er dann immer nod) geglaubt, nicht ange:
griffen, jondern nur eingeſchloſſen und alsbald entjegt zu werden. Er bat unter
diefer Vorausfegung nicht einmal daran gedacht, ſich hinter die Schludt von
Reinhardsgrimma zu jegen, wo er ftärkite Dedung und allemal eine Nüdzugs:
ftraße gehabt haben würde. Dabei waren alle diefe Stätten den preußiichen
Truppen und injonderbeit dem General Find perſönlich aus den vorangegan-
genen Feldzügen genau befannt. So erlag der bis dahin trefflih bewährte, ge:
priejene General, umjtellt und überraicht, dem von Daun felber aeleiteten An:
griff. Und nicht eine Uebermacht von 50000, wie Find annahm, hat ihn
erdrüdt; nur etwa 25000 Gegner waren zur Stelle, einfchließlid der im Rüden
der Preußen erjchienenen und wie immer nicht gerade nachdrücklich vorgehenden
Neihstruppen.
Als Finck am Morgen nah dem Kampfe fi ergab, will er außer den
1800 Mann des General Wunſch, die er in die Kapitulation mit einſchloß, nur
noch 5071 Dann bei einander gehabt haben. Vom Standpunkt der militäriichen
Ehre bleibt die Zuftimmung zu einer fürmlihen Waffenftredung der dunkelſte
Fleck an jeinem Verhalten. Mit Necht ift ihm ipäter von feinen Richtern vor:
gehalten worden, daß auch ohne Kapitulation das Corps fein härteres Schidjal
als die Kriegsgefangenichaft hätte treffen fönnen: „wobei ftatt defien, daß ein
ganzes Corps im freien Felde die Waffen auf eine deshonorierende Weiſe nieder:
geleget, die Ehre der Waffen conjervieret und ein Erempel zu übler Nadyfolge ver:
mieden jein würde.“ Daß die Kapitulation den Offizieren den Befit ihres Gepäcks
zugeltand, das ließ den traurigen Vorgang nur um jo anftößiger ericheinen.
230 Siebentes Bud. Erfter Abschnitt.
Der König und fein General haben beide, troß der Erfahrung von Hoch—
firh, dem Feinde nicht den Grad von Entichlofjenheit zugetraut, den Daun,
von mutigen Gehilfen beraten, am 20. November 1759 wiederum wie am
14. October 1758 gezeigt bat. Und in dieler Beziehung bat Find zu feiner
Entlajtung nicht unzutreffend geltend gemacht, daß wenn der König mit dem
Hauptheer durd eine fräftige Diverfion auf Dauns Front hätte wirken wollen,
diefer die Unternehmung auf die in feinem Rüden erjchienenen preußiſchen
Streitfräfte ichwerlid gewagt haben würde.
Das nah dem SFriedensihluß unter Zietens Vorſitz zufammengetretene
Kriegsgericht hat den General Find zur Kaſſation und zu einjähriger Feſtungshaft
verurteilt, weil er, ohne des Verrats oder einer ehrverlegenden Handlung ſchuldig
zu fein, es an Umficht und Rejolution habe fehlen laſſen. Ueberwiegend aber blieb
im Heere und in der litterariichen Leberlieferung die Meinung, der fih im Haupt:
quartier unmittelbar nad) der Kataftrophe auch unvoreingenonmene Beurteiler an:
ſchloſſen. „Find it unglüdlih und anjcheinend unschuldig”, ſchrieb Eichel an
den Miniſter Findenftein, während Prinz Heinrich in jeinem Haß gegen den
Bruder fih ungleich ſchärfer und deutliher auslieh: „Von dem Tage an, da
er zu meinem Heere geftoßen ift, hat er Unordnung und Unglüd verbreitet; all
meine Mühe in dieſem Feldzug und das Glüd, das mich benünftigt hat, alles
it verloren durch Friedrich.“ Mit einem giftigen Ausfall gegen den „wider:
jpruchsvollen, unzuverläffigen Charakter” des Königs wiederholte der Prinz jeine
alte Behauptung: „Er hat uns in diejen graulamen Krieg bineingeworfen, die
Zapferfeit der Generale und Eoldaten fann allein uns herausziehen.”
Noch niemals meinte der engliſche Gejandte, der allerdings bei Kuner&dorf
nicht zugegen gemweien war, den König jo bekümmert und niedergedrüdt geſehen
zu haben. Das neue Unglück lie die peinlichiten Erinnerungen feines ganzen
Yebens wieder auflteigen. „Sehen Sie, wie ih von je unglüdlich geweſen bin,”
jagte er zu Catt; „von meinem Vater gemißhandelt, drei Monate lang allein
eingeiperrt . . . Das Unglüd hat mich immer verfolgt, ih bin glücklich geweſen
nur in Rheinsberg. Ich liege wie auf Kohlen, id habe Anwandlungen von
Ungeduld, Entrüftung und Zorn, ih babe das Gefühl, als ob ich Ketten
trüge und fie zerreißen wollte.” Dem Marquis d'Argens hatte er vor acht
Tagen einen fiegesgewilfen Brief mit einem übermütigen Spottgebicht auf Daun
geſchickt; jett Ichrieb er ihm: „Die fleine Hymne an Fortuna, die ih Ahnen
mitgeteilt habe, war vorſchnell gemadt; man joll nicht Viktoria fingen, ehe man
geitegt hat.” Und in einem zweiten Brief aus diefen Tagen: „Seit vier Jahren
mache ich mein Fegefeuer dur; wenn es ein anderes Xeben gibt, jo wird ber
himmliſche Vater mir das, was ih in dieſem Leben gelitten babe, zu gute
halten müſſen. Jede Stellung, jede Yebenslage hat ihre Widerwärtigfeiten und
Mißgeſchicke; ih muß meine Laſt, jo ſchwer fie drüdt, tragen wie ein anderer,
und jage mir: das wird vorübergehen, wie unjere Vergnügungen, unfere Neis
gungen, unſere Plagen und unſere glüdlichen Loſe.“
Friedrichs Gegner verrechneten fich in feiner Standbaftigfeit, wenn fie meinten,
daß er Sachſen jebt räumen müßte. Ihre Enttäufhung war groß, und doch war nad
dem Zeugnis des venetianischen Botichafters ganz Wien von Bewunderung erfüllt,
Feldzug von 1759. 237
als ſich herausftellte, dat; der König feinen Fuß breit vor den Siegern von Maren
zurückzuweichen entjchloffen war. „Das legte Bund Stroh und der legte Bifjen
Brot Sollen darüber enticheiden, wer von uns beiden in Sadjen bleiben wird!”
erklärte er trogig. Noch immer glaubte er, da Daun aus Mangel an Ber:
pflegung nad) Böhmen abziehen würde.
Die erften Tage des Dezember braten einen neuen Unfall. Bei Meißen
geriet General Dieride mit 1500 Mann, durd den Eisgang der Elbe am recht:
zeitigen Rüdzug gehindert, nach heldenmütigem Widerftand in öſterreichiſche Ge:
fangenihaft. Wollte der König den Feldzug noch fortjegen oder gar wieder
zur Offenſive übergehen, jo brauchte er nach feinen empfindlichen VBerluften Ver:
ftärfung. Er wandte fih an den Herzog Ferdinand und bat um 5—6000 Mann
von dem wejtdeutichen Heere.
Ferdinand hatte die Scharte von Bergen dur den Sieg von Minden
und Gobfeld über die vereinigte Streitmacht von Contades und Broglie am
1. August!) rühmlich ausgewegt. In Berlin wollten es die gefangenen franzöſiſchen
Dffiziere nicht für ſchimpflich halten, bei Roßbach von einem Helden geichlagen
zu fein, aber bitter empfanden fie es, jegt auch von einem Heere, das fie chedem
befiegt und veradtet hatten, geihlagen zu werden.
Von Weitfalen abgedrängt, hatten die franzöliihen Generale ihren Rück—
zug durch Helfen genommen und erft zwiiden Gießen und Weglar in einem
verſchanzten Lager hinter der Lahn Halt gemadt. Anfang Dezember bezogen
fie am Main und Rhein die Winterquartiere. In Weltfalen ging ihnen am
Tage der Kapitulation von Maren ihr Waffenplatz Münfter nach längerer Be:
lagerung verloren. So beherrſchte Ferdinand wieder den ganzen Bereich, den
er im vorigen Winter inne gehabt hatte?). Er konnte dem Verlangen des Königs
willfahren und jandte ihm 13 VBataillone und 19 Schwadronen, Hannoveraner,
Braunfchweiger und Heilen. Ihre Führung übernahm der junge Prinz, der
feit dem Tage von Haltenbed bei zahlreihen Gelegenheiten feine hervorragende
militäriihe Begabung und feinen perfönlihen Mut bewährt und noch jüngft bei
dem Ueberfall von Fulda dem Herzog von Württemberg übel mitgejpielt hatte:
Erbprinz Karl Wilhelm Ferdinand von Braunſchweig. Nicht umſonſt hatte ihn
die preußiihe Mutter vor dem eriten Ausrüden in das Feld mit den Worten
entlaffen: „Sch verbiete Euch, wieder vor meine Augen zu treten, wenn Ihr
nicht Thaten gethan habt, die Eurer Geburt und Eurer Berwandtichaft würdig find.“
König Friedrich erwartete jeinen Neffen mit Ungeduld. Sein Plan war,
nad der Ankunft der Verftärfung entweder ein Streifcorps nah Böhmen zur
Aufhebung der Magazine zu entienden oder den Poſten bei Dippoldiswalde zu
ftürmen; in einem wie in dem andern Falle würde Daun, fo meinte er, Sachſen
verlajfen müſſen. Prinz Heinrich äußerte gegen den Angriff auf Dippoldis-
walde jeine Bedenken, den Streiizug nah Böhmen ſah er als ausführbar an.
Ter König betonte die Notwendigkeit, die fremden Hülfstruppen zu benügen,
folange fie zur Stelle waren. Am 6. Dezember hatte er, um dem entjchei:
) Dal. ober ©. 217.
) Oben ©. 1%.
258 Eiebentes Bud). Erfter Abichnitt.
denden Punkte näher zu fein, das Hauptquartier nach Freiberg verlegt. Dort
begrüßte ihn am zweiten Weihnadhtstage der Erbprin;.
Zwei Tage darauf meldete ein Kundſchafter aus Dresden: „Die Defter:
reiher jagen, fie verliefen Dresden nicht, es koſte was es wolle.” Friedrich
tröftete fih damit, es ſei beifer, „eine unangenehme Wahrheit als eine an:
genehme Lüge zu erfahren”; nun bleibe nichts anderes übrig, als es „mit
der Schärfe zu probieren”. Bon dem Erbprinzen begleitet, jeßte er fih am
29. Dezember in Marſch, doch ſchon in dem peinlichen Vorgefühl, dab er feine
Ausficht habe, den Feind mit Erfolg anzugreifen: „Ich denke mehr an den Nüd:
zug, als an den Sieg.” Die öfterreichifchen Vortruppen wurden zurüdgetrieben,
aber die Hauptitellung bei Dippoldiswalde hatte Daun funftgerecht in Verteidigungs-
zuftand gejegt und dicht mit fchnell herangezogener Verftärkung belegt. Der
Verfud, den Poſten auf den tief verichneiten Gebirgswegen zu umgehen, mußte
aufgegeben werden, da fein Geihüt vorwärts zu bringen war.
Damit war es entichieden, daß der König und jeine Truppen nad einem
unerhört angeftrengten Feldzuge ordentlihe Winterguartiere nicht haben würden.
Den Glückwunſch feiner Gemahlin zum neuen Jahre beantwortete der König am
1. Nanuar aus dem elenden Dorfquartier zu Prebichendorf mit der Mitteilung:
„Unfere Lage ift nicht anmutig und hat nicht den Anschein, e8 zu werden. Wir
werden genötigt fein, den ganzen Winter einen Juß im Steigbügel zu behalten,
und folglich nicht ausruhen können.”
Die Kälte wurde immer ftrenger. Am 10. Januar führte der König die
Truppen nad) Freiberg zurüd und ſchlug dort für den Reit des Winters das Haupt:
quartier auf. Das Heer wurde in engen Kantonnements auf die Dörfer zwiſchen
Freiburg und Meißen verteilt. Täglich zogen 6 volle Bataillone zwiſchen Wils:
druff und Keffelsdorf auf die Wade, um einen Weberfall zu verhindern. Aber
die Dejterreicher rührten fich nit, Sie lagen, noch gebrängter als ihre Gegner,
in den Ortichaften hinter vem Plauenſchen Grund und dem Tharandter Wald.
Durch Schanzen und Verhaue gab Daun feiner an fich ftarfen Stellung „das
Anjehen einer unüberwindlichen Feſtung“. Alles was fein Heer brauchte, mußte,
da die Elbe zugefroren war, zu Wagen aus Böhmen herbeigeihaftt werden.
Nah allen Schrednifien, die das legte Jahr ihm gebracht, wollte Friedrich
an den nächſten Feldzug nur „mit Zittern” denken. Um jo ſehnlicher harrte er
des Friedens. Aber ſchon gewann es zu feiner ſchmerzlichen Enttäufchung den
Anſchein, als ob bei den Verhandlungen, die er eingeleitet hatte, das Glüd ihm
ebenjo abhold jein würde wie vorher im Kampfe.
Zweiter Abichnitt.
Iriedensberhandlungen. Feldzug bon 1760.
König Friedrih in einer langen Unterredung dem englifchen Gejandten
ebenjo orfenherzig wie dringend fein Verlangen und jein Bedürfnis nah
srieden geihildert. „Es war ein Wunder,” fagte er, „daß die Sachen bisher
nod) jo gut gegangen jind.“ Zum Schluß der lebhaften Darlegung fam die Frage:
„Aber können denn Ihre Minifter Frieden ſchließen?“ Mitchell antwortete, er jei
überzeugt, fie wünjchten den Frieden; der König fiel ein: „ch hoffe, ich werde
nicht vergeſſen werben,” und jegte, che jener etwas erwidern konnte, Schnell Hinzu:
„Nein, ih bin in feiner Gefahr, Herr Pitt ift ein Ehrenmann und feit, meine
Intereſſen find in feiner Hand ficher.”
In derjelben Beiprehung eröffnete er dem Gefandten, daß er bei Fort:
dauer des Krieges nur noch die eine Rettung für fich ſähe: ein Waffenbündnis
mit der Pforte). Seit dem Herbit 1757 herrſchte im Serail ein neuer Sultan,
Muftapha II. Wie jein geheimer Agent dem Könige aus Konftantinopel be:
richtete, waren die Türfen dem Abſchluß jett geneigter, aber jie wünfchten ben
Beitritt oder doc die Bürgichaft Englands. Friedrich richtete durch feine Ver:
treter in London, Knyphaufen und Michel, einen entipredhenden Antrag an das
engliihe Minifterium, lie aber zugleich erklären, auf den Vertrag mit dem
Sultan verzihten zu wollen, wenn England fi anheiſchig machen könne, im
Laufe diejes Jahres einen „allgemeinen, ehrenvollen und fiheren” Frieden herbei:
zuführen.
Nah Ablauf eines Monats lag der Bericht jeiner Gejandten ihm vor.
Er ſah beitätigt, was er jhon aus Mitchels Andeutungen entnommen hatte.
Offenbar hatten die engliichen Minifter ihre Bedenken. Ohne rund heraus nein
zu jagen, wollten jie do aus dem Vertragsentwurf gerade die Beltimmung
jtreihen, auf welche die Türken begreifliherweife vor allem Wert legen mußten:
den Verzicht der Parteien auf einen Sonderirieden.
HD: Monate vor der Kumersdorfer Niederlage, am 19. Mai 1759, Hatte
j Shen ©. 207.
240 Siebentes Buch. Zweiter Abſchnitt.
Je weniger Ausfihten fih demnach für erfprieglihen Fortgang diejer Ver:
handlung boten, um jo mehr juchten Anyphaujen und Michel ihren Gebieter
in feinen Friedensgedanken zu beftärfen. Ihre Darlegung ging davon aus, daf
der alte Gegenjag innerhalb des britiichen Rabinetts!) noch in voller Echärfe
beftand. Die Eiferfucht des Herzogs von Nemwcaftle auf Pitt wuchs in dem
Maße, als der jüngere Staatsmann, dank jeiner Qalente, feiner fittlichen
Integrität und jeiner Erfolge, an Vertrauen bei der Nation und anſcheinend auch
an Einfluß auf den Monarden gewann. Newcaitle jage fih, daß das Anjehen
und die Volfstümlichkeit Pitts im Krieg und durch den Krieg nur noch immer
wachſen werde, dab ihm jelbit dagegen im Frieden und in dem herfömmlichen
Getriebe der Betterihaftsmahenichaften und Parteiintriguen die Führerrolle von
felbjt wieder zufallen müſſe. Die Befürchtung der preußiſchen Gejandten war, dab
das alte Parteihaupt mit jeinem noch immer großen Anhang entweder beim eriten
milttärifchen Mißerfolg die Nation zu einem überftürzten Frieden hinreiße, oder den
König noch einmal zu einem geheimen Sondervergleihe beitimme, oder wenigſtens
dem Nachdruck der bisherigen Kriegsführung durch feine Umtriebe Abbruch
bereite. Allen diefen Gefahren konnte König Friedrich nah der Meinung feiner
Vertreter vorbeugen, wenn er fich entichloß, je eher je lieber ein eigenbändiges
Schreiben an den König von England zu richten, um ihn aufzufordern, nad) neuen
Warfenerfolgen den Gegnern die Eröffnung eines Friedensfongreiies vorzufchlagen.
Dit diefem Nat verbanden Knyphaufen und Michel noch einen zweiten.
Sie empfahlen dem Könige, jeinem königlichen Oheim gegenüber ſolchen Antrag
ausſchließlich mit der Prliht gegen die beiderjeitigen Unterthanen und Lande zu
begründen, nicht aber mit einem Hinweis auf die Erihöpfung des preußiichen
Staates und feiner Finanzen. Denn ſonſt würden die Gegner, die er in Eng:
land habe, nicht verabiäumen, ihn als einen der britiihen Nation nur zur Zait
fallenden Bundesgenoffen hinzuftelen, mit weldem man nichts erreihen könne
und welcher der Krone England nur Verlegenheiten bereite. Vor allem baten
fie ihren Herrn dringend, nie wieder dem engliihen Gejandten gegenüber von
der Ermattung und Erihöpfung Preußens zu jprechen, denn ſonſt möchte dieſer
Berichteritatter, ohne Kenntnis von den Anjägen neuer Parteigruppierungen, bei
reblihitem Willen jehr großen Schaden anrichten.
Eigenhändig fügte Anyphaufen dem mit feinem Kollegen gemeinſchaftlich
abgeftatteten Berichte Hinzu: „Ich bitte und beihwöre Ew. Majeftät, dieſer
Depeſche die erniteite Aufmerkiamfeit zu ſchenken und überzeugt zu fein, daß
der zur Erwägung gegebene Schritt unumgänglich notwendig ift für das Wohl
der gemeinen Sade und für Ihre eigenen Intereſſen insbejondere, und dab, wenn
Ew. Majeität Sih darauf einzulaflen geruhen, Sie die größten Vorteile erzielen
werben.”
König Friedrich befolgte den jo nachdrücklich befürworteten Vorjchlag der
beiden einfichtigen Ratgeber. Wie völlig richtig fie die inneren Zuſtände Eng:
lands beurteilten, wie feit For, der Herzog von Bedford und ihre Freunde mit
Nemwcaftle gegen Pitt zufammenbielten, das fonnte Friedrich nicht ermeſſen; er war
I; Oben ©. 61. SS. 110. 1065.
Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 241
der Meinung, daß die Gefahr, den Bundesgenoffen dur Nemwcaftles Umtriebe
zu verlieren, nicht fo nahe jei; er hatte im Gegenteil früher einmal die Bes
fürdtung ausgeiproden, daß England an der Fortjegung des Krieges ebenfo viel
Sinterefje haben möchte, wie Preußen wenig. Gleichwohl jchrieb er am 20. Juni
1759 an feinen föniglihen Obeim ganz im Sinn jenes Vorjchlages und freute
fih, daß die Antwort zuftimmend lautete; er glaubte damit der Sorge wegen
eines britifhen Sonderfriedens überhoben zu fein.
Die erfolgreihe Verteidigung von Madras, die Eroberung von Guade—
loupe und Fort Niagara, die Fortichritte der Blofade von Duebec, die Nieder:
lagen ber franzöfiihen Flotte an der portugiejiichen Küfte bei Yagos und des
franzöfifchen Landheeres am Weſerſtrande — jo viele glänzende Warfenerfolge
beftärften die britiiche Regierung in der Hoffnung auf das Gebeihen des Friedens:
werfes, und die ruffiihen Siege von Kay und Kunersdorf drüdten dieje er—
wartungsvolle Stimmung nicht allzufehr herab, da die preußifchen Vertreter,
ihrer wohlerwogenen Taktik getreu, ſich Faltblütig und zuverfichtlich zeigten und
wohl hüteten, in diefem für ihren König jo drangvollen Augenblid auf fofortige
Einleitung der in Ausfiht genommenen Verhandlung anzutragen: eine nad)
Kunersdorf „im erften Schredensichauer” an fie ergangene verzweiflungsvolle
Aufforderung des Minifters Findenftein, jest Pitt als legten Retter und als
Friedensftifter aufzurufen, ließ Knyphauſen auf eigene Verantwortung unaus:
geführt. Sein Standpunkt war, daß, wenn die Lage wirklich verzweifelt war,
auch ein Friedensfongreß Preußen nicht mehr retten fünne: überwinde aber ber
Kranke dank feiner guten Konftitution die Krifis von jelbft, dann werde es Zeit
fein, zu feiner völligen Wiederherftellung die jetzt aufzujparenden Stärfungs:
mittel anzumenden.
Die preußiſchen Diplomaten ließen alſo einen vollen Monat verftreicdhen,
ehe fie die Erörterung über den Kongreßvorſchlag offiziell wieder aufnahmen.
In der Konferenz, zu der fie am 26. September mit Nemwcaftle, Pitt und Holder:
neſſe zufammentraten, wurde dann vereinbart, für die Kundgebung an die Höfe
von Verſailles, Wien und Petersburg den Ausgang des Feldzuges in Amerika,
die Entſcheidung über Quebec, abzuwarten.
Die Krifis war von dem „Kranken“ glüdlich überwunden, als König Friedrich
Mitte Oktober das Protokoll diejer Konferenz erhielt. Vol Selbitgefühl über
die Erfolge jeiner Defenfive gegen die Sieger von Kunersdorf, der grundfäß-
lihen Zuftimmung Pitts zu einem Anſpruch auf Kriegsentihädigung feit dem
Vorjahre vergewiliert,') von feinen Gejandten noch jüngft aufgefordert, dem
britiihen Bundesgenofien gegenüber breifte Sicherheit zur Schau zu tragen,
glaubte Friedrich es nicht unterlafjen zu jollen, feinen Eugen Anyphaufen für
alle fälle über das, was ihm begehrenswert erichien, zu unterrichten. Und nod
ein bejonderer Anlaß mußte ihn darin beftärfen. Im franzöſiſchen Heere diente
als Generallieutenant Prinz Xaver von Sachſen, der zweite Sohn des Königs
von Polen; ein Teil feiner Feldkanzlei war nad der Schlacht bei Minden von
den Truppen Ferdinands erbeutet worden, darunter ein Entwurf, das auf Koften
) Dben 5. 166. 167.
Kofler, König Friedrich der Grobe. II, 2. Aufl 16
242 Siebentes Bud. Zweiter Abjchnitt.
Preußens zu vergrößernde Sachſen zum Königreich zu erheben und den Prinzen
Xaver jelbit, falls jeine fortgejegten Bemühungen um die Nachfolge in Polen!)
Icheitern jollten, zum Troſt mit Gebieten am Rhein, auch preußifchen, auszu—
ftatten. Aus London ihm mitgeteilt, kam diejer Entwurf genau gleichzeitig mit
jenem Sonferenzprotofoll in ;Friedrihs Hand. Daß Gebietsabtretungen beim
Frieden ihm nicht zugemutet werben durften, ftand ihm unabänderlich feit; es
empfahl fich, die Jlufionen der Gegner durch Aufftellung einer Gegenrehnung
von vornherein zu zerftören.
„Wir brauchen,” fchreibt Friedrih an Knyphauſen am 12. Oktober, „eine
Salbe für unjere Brandwunde, wenn es fein fann. Und da fann man folgendes
thun: entweder vorichlagen, daß jeder bebält, was er beim Frieden beſitzt; oder,
wenn man wiebereintaufchen will, da Preußen und meine Befigungen am Rhein
bei weitem nicht Sachſen werth find, jo müßte man an Ausgleihsgegenitände
denken, jei e& daß man uns die Niederlauig läßt und den König von Polen
mit Erfurt entjchädigat, fei es dab man mir für den Tod des Königs Polniſch—
Preußen verbürgt, oder endlich, daß man irgend ein anderes Land ausfindig
macht, gleichviel welches, wofern es nur als Salbe für die Brandwunde gelten
fann. Im jchlimmiten Falle wird es heißen, die Dinge in den Status quo, wie
fie vor dem Kriege lagen, zurüdzuveriegen.”
Eichel und Findenftein, dur deren Hände der Erlaß an Knyphauſen ging,
beide in jenem Augenblid von dem Könige getrennt, der Kabinettsrat in Torgau
und der Miniiter mit dem geflüchteten Hofe in Magdeburg, fie erichrafen über
den Optimismus ihres aus dem wildeſten Strudel eben erit wieder „über
Waſſer gelommenen” Gebieters. „Gebe der liebe Gott nur,” jeufzte Eichel in
einem Briefe an den Minifter, „daß der König die zur Zeit unerläßliche Selbit:
beherrihung gewinnen und dem Rachgefühl gegen jeine Feinde weniger nad:
geben möge, obgleich fie wahrlih unmwürdig gegen ihn gehandelt haben. ch
ſchmeichele mid, daß die BVoritellungen des Herrn von Anyphaufen ihm jeden
Gedanken an Entihädiqgungen und Erwerbungen, als unter den gegenwärtigen
Umftänden illuforiich, aus dem Sinne ſchlagen werden.” Finckenſtein hatte ſchon
vorher jeine Bedenken mit Freimut dem Könige dargelegt: nur bei ganz ent:
fcheidenden, das Ausjehen der Dinge umgejtaltenden Erfolgen zu Ausgang des
Feldzuges wollte er die Verwirklihung der an fich lodenden dee für möglich
halten; daneben ſprach er die Befürchtung aus, daß der Londoner Hof, der bei
den großen von ihm erzielten Vorteilen vielleicht gern den Krieg noch um einige
Beit verlängern werde, den preußiichen Anſpruch auf Entihädigung zum Vor—
wand nehmen fönnte, um den Frieden hintenanzuhalten und in bie Ferne
zu rüden.
Der König antwortete ihm: „Sie jagen mir fein Wort, das id nicht ebenjo
gut wüßte wie Sie; aber man muß das Glück auf die Probe ftellen, und
der ganze Unterfchied dabei wird fein, daß der Friede um jehs Moden auf:
gehalten werben fann. Denn im Falle, daß nichts zu machen ift, gehe ich
immer auf den Status quo herab.“
1) Bgl. Bo. I, 265.
Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 243
Es war diejelbe Taktif, die im zweiten jchlefiihen Krieg eine Zeit lang
von ihm befolgt worden war, bis er dem Gedanken an Gewinn ganz entjagt
hatte.!) Augenblidlih ging er ganz in der Vorftellung auf, daß die Franzofen,
vom Unglüd verfolgt, fih „an Händen und Füßen gebunden” den Engländern
ergeben müßten, daß dieje den Frieden nicht bloß den Franzoſen, jondern der
ganzen Koalition diftieren fönnten. „Einige Federſtriche“ jchienen ihm alles
binnen furzer Frift regeln zu können — immer vorausgejegt, daß es ihm ge:
lang, die Defterreiher wieder ganz aus Sachſen zu vertreiben.
Wie unabläffig ihn diefe Entwürfe in jenen Tagen beichäftigten, läßt ein
weiteres Schreiben an Findenjtein, vom 30. Oftober, erjehen, mit einer ganzen
Blumenleje von Kombinationen. Friedrich denft an die Säfularifation von
Münfter und Dsnabrüd für Hannover, von Hildesheim für Preußen, mobei
ihm als geeigneter Zeitpunft der Todestag des derzeitigen Inhabers der drei
Stifter, des Kurfürſten von Köln, erfcheinen will. Er denft an einen Austaufch
des Herzogtums Kleve, der Grafihaft Mörs und des preußiichen Anteil® von
Geldern gegen Medlenburg, an die Erwerbung der NReichsitadt Nordhauien. Er
fommt zurüd auf den jchon geäußerten Gedanken, dem Kurfürjten von Sachjfen
für die Niederlaufig Erfurt und das Eichsfeld anzumweilen. Er gibt dem Plan
zur Erwerbung des polniihen Preußens eine Erweiterung dahin, daß aud Ruß:
land das Stüd von Polen nehmen wird, deſſen es zur Verteidigung gegen bie
Türfen zu bedürfen behauptet. Er ſpricht aud von der Säfularijation des
Bistums Ermland. Er iſt „weit davon entfernt zu denken, daß dies alles aus:
führbar jein möchte”, aber er meint, daß man jehr wohl die englifhen Minijter
und die zum Frieden geneigten Mächte über diefe Punkte aushorchen kann:
Sindenftein fol die Materie „verbauen und zubereiten”, auch durch die dritte
Hand einige diefer Projekte als Fühler ausitreden.
„Licet injusta petere, ut justa obtineamus*, ſchrieb Eichel gleihjam ent:
ihuldigend an Findenftein. Aber er beruhigte fich einigermaßen, als er ben
König am 11. November mwiedergejehen und aus jeinem Munde nähere Er:
läuterungen erhalten hatte. „Ich habe alsbald bemerkt,” vertraute er dem Minifter
an, „daß Seine Majeität von den Ideen, über die Ew. Ercellenz Herrn von
Knyphaufen hat unterweifen müſſen, noch ganz erfüllt ift; aber was mid)
jehr getröftet hat, ift, daß ich, jomweit ich habe veritehen können, mich ſchmeicheln
darf, dab alle diefe Aeußerungen jozufagen nur Probleme find, die der König
den Engländern hinwirft, eritens, um zu ſehen, wie fie denken, und ob es nicht
möglich it, mwenigitens irgend etwas, Kopf oder Kragen, zu erwiſchen, und
zweitens um glei von vornherein jeden Gedanken an eine dem Könige zuzus
mutende Abtretung abzujchneiden. Drittens jollen es feine Forderungen fein,
die der König hartnädig feithalten wird; er wird auch viertens den Frieden
nicht davon abhängen lafjen; vielmehr wird fünftens, wenn nichts von alle dem
durchzufegen ift, des Königs Ultimatum fein, daß er in feine Abtretung von
jeinen alten Befigungen willigt, fondern daß alles auf dem Fuße wie vor dem
Kriege bleibt.“
1) Bgl. Bd. I, 239. 268.
244 Siebentes Buch. Zweiter Abfchnitt.
Zeitweife war Friedrich der Anficht gewejen, daß England, in der glän—
zendften Lage, in der fi eine europäifhe Macht nur befinden fönne, fih mit
der Verhandlung nicht übereilen jolle, ja daß man von der beabfichtigten Er:
Öffnung an die Gegenpartei befjer ganz abjehen werde; denn bald würben bie
Franzoſen genötigt fein, das, was man ihnen anbieten wolle, ihrerjeits zu er:
bitten. Er gab indes dieſe Auffaffung jofort auf — es war am 17. No—
vember — als Pitt ihm mitteilen ließ, daß jchleuniges Vorgehen auf der vor:
gezeichneten Linie die einzige fichere Bürgichaft biete gegen die fortgejegten
Umtriebe Newcaftles, gegen die Gefahr eines einfeitigen Abjchluffes mit Frank—
reich, zu dem König Georg nur zu geneigt fcheine.
Für die Weberreihung der engliſch-preußiſchen Deklaration wurde der neu:
trale Boden Hollands auserjehen. Ein der Sade der beiden proteftantifchen
Mächte aufrichtig ergebener deuticher Prinz, der Vormund des oraniſchen Erb:
ftatthalters, Yudwig von Braunfchweig, fand ſich bereit, die ‚Friedensbotichaft den
im Haag beglaubigten Vertretern Franfreihs und der Kaijerhöfe zuzuitellen.
An hiſtoriſcher Stätte, auf dem Schloffe zu Ryswijf, in demjelben Zimmer, in
welhem vor 62 Jahren ein europäiicher Friedensvertrag unterzeichnet worden
war, verlas der Prinz am 25. November dem Grafen d'Affry, dem Baron
Neiihah und dem Grafen Golowlin die Urkunde, laut deren die Könige von
Großbritannien und von Preußen fich bereit erklärten, Bevollmädtigte an einen
zu vereinbarenden Ort zu entjenden, um in Gemeinihaft mit den Vertretern
der anderen friegführenden Mächte über Mittel und Wege zur Herbeiführung
eines allgemeinen und dauerhaften Friedens zu beraten.
Der Deklaration war auf das trefflichite vorgearbeitet worden durch Die
große Entiheidung in Kanada, die Mitte Oftober nad) Europa gelangte Poit
von der am 13. September erfolgten Uebergabe von Quebec an die Engländer.
Die Ausfihten des Friedensvorſchlages wurden noch erheblich vermehrt durch
die weitere Kunde, die unmittelbar nah dem Ryswijker Staatsafte von der
Weſtküſte Frankreihs fam: am 20. November war das aus Breft ausgelaufene,
zur Landung in Schottland beftimmte Geſchwader, Frankreichs legte Kriegsflotte,
vor der Bilaine-Mündung bei Quiberon durch Aomiral Harfe zertrümmert worden.
Uber der Tag von Quiberon war auch der Tag des Kampfes bei Maren.
Lediglih unter dem Eindrud von Maren, jo urteilte der engliſche Ge:
fandte Keith, geſchah es, daß der rujliihe Großfanzler ibm am 12. Dezember
als vorläufige Antwort auf die Haager Deklaration eine mit beleidigenden Aus:
fällen gegen den König von Preußen angefüllte Note übergab. Der Wiener
Hof feinerfeits begnügte fi vorerit damit, dem Prinzen von Braunihweig eine
einfache Empfangsbeicheinigung auszuftellen.
Um jo angelegentliher, das trat offen zu Tage, Juchte Franfreich den
Frieden.
König Ludwig hatte jhon im September 1759 die Friedensvermittlung
des ſtammverwandten Königs von Spanien !), des am 10. Auguft feinem
Bruder Ferdinand VI. gefolgten Karl IIT., angenommen, und als jest die fühle
i) Dal. oben ©. 207.
Friebensverhandlungen. Feldzug von 1700. 245
Zurüdhaltung der beiden Kaiferhöfe für den Zufammentritt des Kongrejjes nur
geringe Hoffnung ließ, nahm Spanien um jo mehr VBeranlaflung, den Kronen
England und Frankreich feine guten Dienjte für einen Sonderfrieden anzubieten.
Auf Pitts Antwort, daß Frankreich fih offen über jeine Abjichten erflären möge,
beauftragte Ehoijeul den Gejandten im Haag, mit dem dortigen Vertreter Eng:
lands, es war noch immer Sir Joſeph Yorke,) in Verbindung zu treten. Pitt
betradhtete die Stimmung der Franzojen als fo günftig, daß er dem Könige
von Preußen raten ließ, eine unmittelbare Anknüpfung mit dem Hofe von Ber:
jailles zu juchen, und Friedrich entjchloß fich, diefer Anregung Folge zu geben.
Auf Umwegen ftand man miteinander bereits in Kühlung. Im vorigen
Frühjahr hatte der geichäftige Voltaire mit einer gelegentlihen Erwähnung feines
Anteils an jenen Vermittlungsverjuchen der Markgräfin Wilhelmine ſich als Unter:
händler in empfehlende Erinnerung gebradt. Friedrich hatte zwiſchen Spott
und Ernit geantwortet: „Sie eifern für den Frieden, es würde Ihnen mehr
geziemen, mit diefer edlen Impertinenz, die Ihnen fo wohl anfteht, gegen die
zu fhreiben, welche den Friedensſchluß verzögern, gegen alle diefe Leute, die
fih in Konvulfionen und im Delirium befinden. Es wäre für die Gejchichte
ein eigenartiger Zug, wenn man im neunzehnten Jahrhundert erzählte: dieſer
berühmte Voltaire, der zu jeiner Zeit jo viel gegen die Buchhändler, gegen die
Fanatifer und gegen den ſchlechten Geſchmack geſchrieben, er habe mit feiner
Feder den Fürften ihren Krieg jo nachdrücklich verwiejen, daß er fie zu einem
Frieden beftimmt und die Friedensbedingungen biftiert habe. Birgil begleitete
den Mäcenas auf der Reife nach Brundifium, wo Auguft jeinen Frieden mit
Antonius Schloß, und Voltaire, wird man jagen, wurde der Lehrer der Könige
wie der Xehrer von Europa, und zwar ohne daß er zu reifen braudte.” Auf
ſolche Vollmacht hin ſtellte der Einfiedler von Ferney nunmehr auch dem Herzog
von Choijeul jeine diplomatiichen Talente zur Verfügung; die aufmunternde
Antwort, die er aus PVerjailles erhielt, gab er an Friedrich weiter mit einer
niedlihen Nußanwendung der Fabel von der Maus, die den Löwen aus der
Schlinge errettet. Der Löwe antwortete — es waren ſechs Wochen jeit der
Schlacht von Kunersdorf vergangen —: „Meine Lage iit nicht jo verzweifelt,
wie meine Feinde es ausiprengen. ch werde meinen Feldzug noch jehr gut
zu Ende bringen, mein Mut liegt nicht darnieder, aber ich jehe, dab von Frieden
die Rede ift. Alles, was ich Ihnen pofitiv über diefen Artikel jagen fann, iſt,
dab ih Ehre für zehn habe, und daß ich, welches Unglüd mir auch zuftoßen
mag, mich unfähig fühle eine Handlung zu begehen, welche aud nur im ge:
ringiten diefen Punkt verlegen könnte, der für einen Mann, welcher als waderer
Ritter denkt, jo empfindlich und jo zart iſt und jo wenig geachtet wird von
diefen ehrlojen Bolitifern, die als Krämer denken.“
Auf Veranftaltung Choileuls richtete dann Voltaire einen weiteren Brief
an Friedrich mit einem Ausblid auf die Geneigtheit Frankreichs, nah Auf:
lafjung Sadiens an König Auguft in den Fünftigen Frieden mit England auch
Preußen einzufchließen. Friedrih antwortete mit dem Hinweis auf die damals
) Oben ©. 165.
246 Siebentes Bud. Zweiter Abichnitt.
in nächſter Nähe bevoritehbende Haager Deklaration: „Die Thür iſt geöffnet;
fann, wer da will, ins Sprechzimmer eintreten. An den Franzofen, die von Natur
berebt find, ift es, zu ſprechen; uns ziemt es, fie mit Bewunderung zu hören
und in fchlehtem Kauderwelſch, jo aut wir e& vermögen, zu antworten.”
Aber ſtatt fich deutlicher vernehmen zu laflen, verftummie nah dem Tage
von Maren Voltaires Verſailler Orakel zunächſt völlig. Und da dem Könige
die Zmwijchenträgerei diefes unzünftigen Diplomaten ohnehin aus guten Gründen
nicht ganz geheuer eridhien, jo begrüßte er es mit Freuden, als die Herzogin
von Gotha ibm in dem jungen Freiherrn v. Edelöheim eine vertrauenswürdige
Perfönlichkeit für eine Sendung nach Frankreich empfehlen konnte. Eine In—
ftruftion vom 18. Februar 1760 wies den „jungen Merkur” — er zählte that:
fählih erit 19 Jahre — an den Botſchafter des Maltheierordens in Paris,
ben Bailli de Froullay, der dem Könige feit einem Beſuche zu Potsdam in
freundlicher Erinnerung ftand. Ein eingehendes Schreiben an Froullay aipfelte,
ohne beitimmtere Vorjchläge, in dem Sage: „Frankreich kann fi mit Ehre und
Vorteil aus feiner verdrieklihen Lage herausziehen, wenn es mit uns, Eng:
land und unferen Verbündeten einen Sonderfrieden jchließen will. Wenn Franf:
reich darein willigt, das Gleichgewicht in Deutichland aufrecht zu erhalten, und
im Verein mit England jeine Verbündeten zur Fügſamkeit bringt, jo wird es
auf viel günftigere Bedingungen rechnen fünnen, als in jevem anderen Falle.“
Der Bailli vermittelte dem Ueberbringer des Briefes eine Zuſammenkunft mit
Choiſeul, ja eine Audienz bei Ludwig XV. Aber der Beſcheid, den Edelsheim
endlih durch Froullay erhielt, war recht nichtsjagend, indem der König von
Preußen im wejentlihen auf die Fürſprache Englands hingewieſen wurde. Beim
Abſchied bemerkte Froullay noh, man würde bier gern jehen, daß Seine
Preußiihe Majeltät an eine Entihädigung für den König von Polen denfen
mödte; wenn aber von einem Friedensplan auf Grund von Säfularijationen die
Rede geweien jei, jo wünſche Franfreih davon nie etwas zu bören.
Am 27, März eritattete Edelsheim im Freiberg dem Könige mündlich
feinen Bericht. Frievrih war angenehm berührt dur die artige Aufnahme,
die jein Sendling gefunden hatte, und war geneigt, den Beſcheid fih günftig zu
deuten. Er jandte jegt diejen feinen Galopin nad England zur Berichteritattung
an Pitt; er ging fo weit, feine Vertreter in London zu der Erklärung zu er:
mädtigen, daß er bei dem offenbaren Widerftreben Franfreihs gegen eine uns
mittelbare Verhandlung mit Preußen bereit fei, auf diefe Formalität zu verzichten.
Da aber warnte Pitt. Er war im hohen Grabe befriedigt geweien, als
jih König Friedrich ohne weiteres zu der Erklärung erboten hatte, Sadjen
beim Frieden an König Auguft zurüdgeben und auch einer territorialen Ent—
Ihädigung für Sachſen, wofern fie nicht auf Koften Preußens erfolgen jollte,
nicht entgegen fein zu wollen. Ein Mehreres aber an Zugeſtändniſſen von
preußifcher Seite jchien dem britifchen Staatsmanne vom Uebel zu fein. Er
fand den franzöfiihen Beſcheid hinterhaltig, verfänglih; preußiicher als der
preußiſche König felbit, beitand er darauf, dab eine unzweideutige Beitimmung
über den Einfluß Preußens in den Frieden zwiſchen England und Frankreich
für die Präliminarien Ausgangspunft und Grundlage zu bilden habe; beginne
Ariedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 247
man die Verhandlungen ohne diefe Vorbedingung, jo ſei Gefahr vorhanden,
daß Frankreich mit lodenden, für England jehr vorteilhaften Vorſchlägen fomme,
denen gegenüber er, Pitt, feftbleiben werde, während doch die anderen Minifter
und die Nation leiht der Verſuchung erliegen möchten. Friedrich wurde von
Pitts Gründen völlig überzeugt und ließ dem jcharfiichtigen und loyalen Staats:
manne in wärmften Worten feinen Dank ausipreden.
Wie in Frankreich verfuchte es König Friedrih auch in Rußland mit der
Entiendung eines geheimen Agenten, nachdem bereits die Verhandlungen wegen
Auswechfelung der Kriegsgefangenen benugt worden waren, um durch den
General Wylih bei dem rujfiihen Bevollmächtigten, General Jakowleff, den
Frieden eindringlich zu befürworten; nad der Berficherung des engliichen Ge:
fandten Keith dachte der Großkanzler Woronzow verjöhnlih. Die Anregung zu der
geheimen Miffion nah Petersburg gab dann einer der Gefährten der Nheins-
berger Tage, der Hamburger Bielfeld,') der damit noch einmal in den Gefichts-
kreis feines ehemaligen Gönners trat. Des Großfürften Peter Gejandter im
niederfähftihen Kreife, ein Freiherr v. Rangſtädt, empfahl an Bielfeld einen
jhleswigihen Edelmann und früheren Offizier des Großfüriten, Pechlin von
Löwenbad, als den geeigneten Mann zur Bearbeitung des ruffiihen Hofes, an
welhem alles ebenjo fäuflich jei wie in der Türfei. König Friedrich trat dem
Vorichlage näher; er ließ Anfang März an Pechlin 4000 Dukaten als Reife:
geld à fonds perdu auszahlen und benadrichtigte den engliichen Gejandten von
der bevorftehenden Ankunft diefes Emifjärs in Petersburg. Er meinte, daß
man in verzweifelter Lage feinen Verſuch verfäumen dürfe; einen Erfolg ver:
iprad er fih von vornherein faum: denn wer wußte, ob Pechlins Einfluß über
die Sphäre der „Eleinen Sefretäre, Commis, Kammerdiener und Kammermädchen“
binausging? Sollten fih aber wirklich die maßgebenden Perjönlichkeiten für
den Frieden gewinnen laffen, dann war Friedrich willens, bis zu einer Million
Thaler für feinen Zmwed zu opfern. Doh es fam, wie er es vorausgejehen
hatte: Pechlin wurde im Sommer 1760 nad jeiner Ankunft in Petersburg
gleih auf die eriten Andeutungen ſchroff abgewiejen.
Inzwiſchen hatte die offizielle Friedensverhandlung längſt ihren Abichluf
gefunden durch die Gegendeflaration, welde die Vertreter der drei zum Kongreß
eingeladenen Mächte am 3. April im Haag dem Prinzen Ludwig in form
identiicher Noten zugeltellt hatten. Frankreich gab jeine Bereitwilligfeit zu er:
fennen, jeinen Zwiſt mit England unter ſpaniſcher Vermittlung durch einen
Sondervergleich zu jchlichten. In Bezug auf den Krieg mit Preußen erklärten
die drei Höfe, ohne Mitwirkung ihrer Verbündeten fih auf nichts einlaffen zu
fönnen, und gaben deshalb lediglih anheim, die Einladung zum Kongreß aud
auf diefe auszudehnen, injonderheit auf den König von Polen und Kurfürften
von Sachſen und auf den König von Schweden.
„Entweder täufche ich mich oder dieje Schrift iſt von Kaunit diktiert,“ ſchrieb
König Friedrih an den Vermittler; „dieje Yeute find geihmwollen von ihren Er:
folgen und wollen den Frieden nicht.”
8b. I, 311.
248 Siebented Bud. Zweiter Abſchnitt.
Sein Urteil über das, was hinter den Kuliffen vorging, ſowohl in Ber:
failles, wie in Wien und in Petersburg, traf im weſentlichen zu. Nicht ganz
ohne Grund jeßte er bei ‚Frankreich Neigung zum Frieden nicht bloß mit Eng:
land, fondern auch mit Preußen voraus. Die militäriihen Mißerfolge, die
finanziellen PVerlegenheiten wurden in Xerfailles immer peinlicher empfunden.
König Ludwig ſchickte Silbergerät in die Münze und forderte jeine Unterthanen
feierlich auf, desgleihen zu tun. In den Paläften der Großen bevedten ſich
die Tafeln mit Thongeſchirr, bis man der patriotifhen Mode überdrüjjig wurde;
auch der faiferlihe Botichafter Starhemberg fpeifte von Fayencetellern — für
Frankreich, fagten die Spötter, fein zureihender Gewinn aus der öfterreihiichen
Allianz. Wenn Starhemberg geltend machte, in jedem neuen Kriegsjahre werde
man die anfängliden Fehler der Kriegsführung mehr und mehr abitellen und
auf diefem Wege endlich zu dem entjcheidenden Feldzuge gelangen, jo antwortete
ihm der Herzog von Choifeul mit höchſt erftauntem Gefiht: mit ſolchen Anz:
ſchauungen fünne man 100 Jahre Krieg führen. „Der Charakter des Kriegs
bat ſich verändert,” fchrieb der franzöfiihe Minifter nah Wien; „wir haben
ihn als Eroberer begonnen, es ift uns nicht geglüdt, wir müſſen einhalten und
veränderte Umftände abwarten: fo wird es weile jein.” Er verfocht den Sat,
daß es für Frankreich fein Unglüd jei, wenn Preußen nicht „zerfchmettert”
werde. Wie vor drei Jahren die Gegner des öfterreihiihen Bündniſſes,
empfand auch diejer eifrigite Freund Deiterreichs allmählich Bellemmungen ob
des Anjchwellens der faiferlihen Macht im deutichen Reihe. Der franzöfiiche Bot:
ſchafter in Wien, jetzt des Herzogs Vetter, Graf Choifeul, wollte nit an das
Gerücht glauben, daß Oefterreih beim Ausfterben des bairishen Kurhaujes —
der lette bairiihe Wittelsbacher, Kurfürft Marimilian Joſeph, war ohne Leibes-
erben — es auf die Erwerbung von Baiern abgeſehen habe; aber er verfannte
nicht, daß nach der Vernichtung des Königs von Preußen die Kaijerin:Königin
fih im Reiche alles werde erlauben dürfen: dann werde fih ganz Europa gegen
den Wiener Hof mit Frankreich verbünden müſſen. Nicht minder aber als die
alten Schüglinge Frankreichs im Reiche durch das Uebergewicht der Faiferlichen
Macht, jchienen die hiftorifchen Verbündeten im Norden und Oſten Europas, Polen,
Schweden, Dänemark, gefährdet, wenn die Rufien dur dauernde Bejegung des
preußiihen Küftenlandes einjchließlih der Weichjelmündung noch weiter am
baltiihen Meere um fich griffen.
Schon hatte Choifeul — nit einmal Frau v. Bompadour hatte wider:
ſprochen — nad) London Präliminarartifel für einen Sonderfrieden mitteilen
laſſen, nad) deilen Abjchluß beiden Teilen, Engländern wie Franzofen, die Weiter:
beteiligung an dem Kriege in Deutichland unterjagt, die Fortzahlung von Sub:
fidien nah Berlin wie nad) Wien aber geitattet fein jollte. Choiſeul gab den
Entwurf dem Wiener Hofe zur Kenntnis und war auf die beftigiten Vorwürfe
gefaßt. Aber Kaunig nahm in Eluger Berechnung die Mitteilung mit voller
Ruhe auf: die Antwort des Wiener Hofes vom »0. Januar 1760 erfannte
das Sriedensbebürfnis Franfreihs an und erhob nur dagegen Einjprud, daß
England feine Geldzahlungen an Preußen follte fortfegen dürfen. Perſönlich
ſchrieb Kaunig an Choileul: „Sie find ein Ehrenmann, find gut und weile;
‚sriedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 249
ih gründe meine Hoffnungen auf jo große Eigenihaften und jchmeichle mich,
daß der König von Preußen und Herr Pitt nicht geichidter jein werden, als
wir.” Solde Taktit ſchlug durch. Frankreich ſtrich aus den vorgejchlagenen
Präliminarien die in Wien beanitandete Klaufel und mutete alſo dem britifchen
Kabinett zu, Preußen fallen zu laffen. Bei Pitts Feſtigkeit war die Fortdauer
des Krieges damit entichieden. Trotz allen Sträubens hatte Franfreih ſich
abermals zu der öfterreihiihen Auffafiung bequemt: daß der Krieg in Deutſch—
land bisher zwar nicht glüdlich genug geführt worden fei, um einen vorteil:
haften Frieden zu erhalten, viel zu glüdlih aber, um einen nadteiligen hin:
nehmen zu müſſen.
Anderer Art waren die Schwierigfeiten, die der Wiener Hof während
diefes Winters in Rußland zu überwinden hatte. Hier war nad) dem großen
Greignijje von Maren Neigung zur Fortfegung des Krieges vollauf vorhanden:
ber noch vor furzem vielgejhmähte Daun war augenblidlih in Petersburg der
Held des Tages. Um fargen Lohn aber wollten die Ruſſen bei aller Kriegsluft
doch nicht weiter Heeresfolge leiften. Offen und dringlich begehrten fie jegt Oft:
preußen für jih, das mach der bisherigen Vorausjegung!) der Republif Polen
zufallen jollte, zum Erſatz für die an Rußland abzutretenden polnischen Gebiete.
Aus denjelben Gründen, die den Franzoſen ein weiteres Vordringen der ruſſi—
ſchen Macht bedenklich ericheinen ließen, widerſtrebte Maria Therefia ſolchem
Verlangen. Und hatte fie doch jelbit zu Beginn des Krieges Oftpreußen für
ihr Haus zu erwerben gewünſcht. Aber Rußland blieb unerjchütterlich und Ruß—
land war nicht zu entbebren: allzu deutlih war die Weigerung der rujfiichen
Staatsmänner, wegen des Plans für den fünftigen Feldzug eher zu verhandeln,
als die Gebietsanjprüdhe der Zarin anerkannt fein würden. So gab Eiterhazy
nad und unterzeichnete, ohne im Befig einer bündigen Vollmacht zu fein, am
1. April 1760 den von den Ruſſen verlangten Vertrag. Kaifer Franz und bie
Kaiſerin⸗Königin waren, wie Kaunig dem franzöfiichen Botſchafter beteuerte, vor
Staunen ftarr, als jie die Unterjchrift ihres Vertreters unter dem Abkommen
fahen. Da indes Franfreich gegen die vollendete Thatſache feinen Einfpruch erhob,
fondern nur jeinen Beitritt zu dem als höchſt bedenklich bezeichneten Vertrage
verweigerte, jo entihlo& ſich Maria Therefia zur Natififation. Nur fnüpfte fie
ihre Zuftimmung zu der Ermwerbung von Oftpreußgen durch Rußland an den
Vorbehalt, daß fie jelbit beim Friedensſchluß in den wirklichen Beſitz von ganz
Schleſien und Glat gelangen werde.
Eine peinlihe Enttäufhung für den Wiener Hof, daß nach feinem großen
Zugeftändnis die Nufjen jich gleichwohl mweigerten, ein Corps zur Bereinigung
mit einem öfterreihiihen Heere nah Oberichlefien zu entjenden. In Wien
wünjchte man das dringend, weil Laudon der Meinung war, 20— 30000 Ruſſen
würden an der Seite öfterreihiicher Truppen ungleih mehr nügen, als 60000
auf ſich allein geitelt. Gerade "darauf aber legte man in Petersburg entichei-
denden Wert, die Truppen bei einander und zu völlig freier Verfügung zu bes
halten. Dean beichränfte ſich alfo auf die Zulage, das Heer — den Oberbefehl
!) Oben ©. 45.
250 Siebentes Buch. Zweiter Abfchnitt.
behielt Sſaltykow — bis zur Oder zu ſchicken, und madte alles weitere
davon abhängig, ob Daun mit dem öfterreihiihen Hauptheer die Offenfive
ergreifen würde.
Zu foldem Beginnen war Daun auch in diefem Jahre an ſich wenig ge:
neigt, und fein Generalquartiermeifter Yacy übertraf ihn no in Mangel an
Unternehmungsgeift und in Scheu vor Verantwortung. Denn Lacys Operations:
plan fam darauf hinaus, daß man fi, bis die Rufen nahen würden, an der
Elbe auf die Defenfive zu beſchränken habe: nachher würde es den Verſuch
gelten, den König von Preußen aus Sachſen zu verdrängen und in Sclefien
— eine Aufgabe für die Rufen — Breslau zu erobern und dadurch die Winter:
quartiere in diefer Provinz ſicher zu ftellen. Lebhaften Widerfpruch erhob gegen
fo mattberzigen Natichlag wiederum Kaunig.!) Der Diplomat bedeutete die
Kriegsmänner, daß die Grundlage aller Unternehmungen das Beftreben bilden
müjle, die feindlihe Streitmadht zu vernichten. jede andere Art der Kriegs:
führung, wenn auch nad den beften Negeln der Defenfive angelegt, widerſpreche
dem Zwecke diefes Krieges. Wenigftens einer von den Generalen vertrat mit
allem Nahdrud die gleihen Anſchauungen, Laudon. Der machte geltend, daß
auch der etwaine Verluſt einer Schlacht nicht allzufehr zu fürchten jei; zudem
aber jeien die Ausfichten auf den Sieg in der Schlacht jett günftiger als ehe:
dem. Wohl habe Lacy reht, dem Heere des Gegners an Kriegstücdhtigkeit
noch den Vorzug vor dem öfterreihiichen zu geben, immerhin aber fönnten die
preußifhen Truppen von heute nicht mehr mit dem verglichen werden, was fie
früher geweſen.
Die fräftigere Meinung fiegte ob. Im Rate der Kaiſerin-Königin warb
grundſätzlich beſchloſſen, nahdrüdliher Offenfive den Vorzug zu geben und die
Schlacht nicht zu vermeiden, ſondern eifrig zu ſuchen. Allerdings mit dem
Hauptheer in Sachſen jollte Daun fich vorerft noch in der Defenfive halten, bis
der König von Preußen ſich durch Entſendungen geſchwächt haben würde; gegen
Schleſien aber jollte Laudon mit 40000 Mann alsbald zum Angriff übergehen,
und zwar, wie er ſelbſt vorichlug, von der Lauſitz aus.
Daß nun die Nuffen ihre Mitwirkung für den jchlefiihen Kriegsſchauplatz
verfagten, war eine erite empfindliche Störung. Der Anmarſch durd die Laufig
erichien jett jelbit dem unternehmenden Laudon allzu gefahrvoll; nur einen
Heereszug dur die Grafihaft Glatz nach Oberfchlefien glaubte er noch verant:
worten zu fönnen.
Ganz außer Betracht blieb Für die öfterreihiiche Kriegsführung auch in
diefem Jahre?) ein Zujammenwirken mit den Aranzofen. Die Streitmacdht, die
König Ludwig ins Feld jchidte, war noch größer als bisher, das Ziel aber
ftedten fih feine Strategen nad jo viel vergeblichen Anläufen noch niedriger.
100000 Mann jollten vom Main ber in Heilen, 30000 vom Niederrhein in
Weitfalen vordringen. Die in franzöſiſchem Solde ftehenden Württemberger und
Sadjen wurden in der rechten Flanke des Hauptheeres auf Thüringen binge:
) Bal. oben ©. 213.
2) Bal. oben S. 156. 208.
Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 251
wiejen, ohne dab an einen Vorſtoß bis an die Elbe und an ihre Vereinigung
mit ber Neichsarmee gedadht wurde. Den Oberbefehl erhielt zum Lohn für
jeinen Sieg von Bergen Graf Broglie.
So wenig die Reihen der Gegner Preußens ſich lodern oder lichten wollten,
ebenjowenig glüdte es dem Könige, für die unvermeidliche Fortſetzung des
Kampfes Verftärkfung, neue Bundesgenofjen zu finden.
Die Verfuhe in Konftantinopel wurden fortgejegt, ohne Rüdfiht auf die
Möglichkeit, daß Frankreich aus der großen Koalition ausfchied. Denn auch in
diefem Falle blieb die Macht der beiden Kaijerhöfe fo beträchtlich, daß erft eine
Diverfion des Großherren das Gleichgewicht zwiſchen den Parteien bergeftellt
haben würde. Allzu hoch ſchlug Friedrich die Kriegstüchtigfeit der Türken ohnehin
niht an: 50000 Defterreicher, fo meinte er, würden auf dem Schladhtfelde mit
100000 Türfen allemal fertig werden. Mitunter einem Abſchluß jcheinbar ganz
nahe, geriet diefe Verhandlung dod immer von neuem in bas Ungewifle.
Einen Augenblid jhien es, als ob Dänemark zu gewinnen jei. Der
Minifter Bernftorff ließ Aeußerungen fallen, die jein Unbehagen über die von
Rußland beabfichtigte Einverleibung von Dftpreußen deutlih erfennen ließen.
Darauf ließ Frievrihd dem Kopenhagener Hofe für die Stellung eines Truppen-
corps Subjidien in der Höhe von 400000 Thalern anbieten und wäre aud
bereit geweſen, die dänischen Abfichten auf den gottorpiichen Anteil von Holitein,
das Erbe des Großfürften-Thronfolgers, zu begünftigen; denn er wollte es als
das geringere Uebel betrachten, wenn Holftein däniſch wurde, als wenn es in
ruffiihe Hände fam.
Weder in Konftantinopel noch in Kopenhagen hatte ih die preußifche
Diplomatie einer Unterftügung durch den britiichen Bundesgenofjen zu erfreuen.
Am goldenen Horn that Sir James Porter den Bemühungen des preußijchen
Agenten Rexin, wie diefer bitter Hagte, mehr Abbruch, als jelbft die Vertreter
Defterreihe, Rußlands und Frankreichs; und im Sunde zeigten fich die britiſchen
Kriegsichiffe nicht, deren Ausfendung nicht bloß der König von Preußen immer
von neuem,!) fondern jegt auch der däniſche Hof beantragte; denn nur wenn
England diefen Schuß bot, glaubte man in Kopenhagen fih rühren zu dürfen.
König Friedrich hat damals der englifhen Politik ihre Keinen Wunderlich:
feiten und ihre Unterlaffungen zu gute nehalten gegen ihre loyale Haltung in
der Hauptjahe. Vorübergehende Verftimmungen überwog bei ihm das Gefühl
aufrichtiger Anerkennung und Dankbarkeit gegen Pitt. „England,” jagte er, „hat
lange in ſchweren Wehen gelegen, aber endlich hat es einen Mann geboren.”
Friedrih hatte allen Grund, diefen Mann zu rühmen; nur zu bald jollte es
dahin kommen, daß feine Sache in England allein auf diejen zwei Augen jtand.
Die Zeiten waren vorüber, da Horace Walpole befannte: „Es iſt unglaublich,
wie populär König Friedrich ift; außer einigen Leuten, die ihn und Pitt für
') Oben S. 62. 110. 163 fi.
252 Siebentes Bud. Zweiter Abſchnitt.
ein und diefelbe Perfon halten, ift er auch dem Geringften bei uns befannt.”
Die Begeifterung bei Hoch und Niedrig fühlte fih ab, als neue Siegespoiten
aus dem preußifchen Hauptquartier auöblieben. Die den König von Preußen
aufrichtig verehrten, wie Lord Cheiterfield, veritummten allmählich; die ihm von
je gram waren, aber in den Tagen des preußiihen Glüds im Chorus mit:
gejubelt hatten, kehrten jegt ihr wahres Geficht wieder hervor. Jener Walpole
fpottete nach Kunersdorf, Friedrich ſei durch diefe Niederlage zu einem König
von Küftrin herabgelunfen und werde im nächſten Winter in Somerjethouje ein
Abfteigequartier oder eine Apanage am Obio angewiefen erhalten, und nad
Maren hielt der Hämiſche fih darüber auf, dab das Parlament gutmütig neue
acht Millionen für den deutihen Krieg bewillige, während diejer König von
Preußen durch jeine Tollfühnheit alle Kriegs: und Siegeshoffnungen Englands
völlig vernichtet habe.
Auf Grund diefer Geldbewilligung wurden für 1760 die Subfidien an
Preußen in demjelben Betrage wie in den beiden vorangegangenen Jahren
weiter bezahlt, die Höfe von Braunſchweig und Kaſſel erhielten jogar größere
Summen als bisher und verftärkten dafür ihre Kontingente. Es galt das Heer
des Prinzen Ferdinand auf 98000 Mann zu bringen. Hannover jtellte 37 000,
Braunſchweig 9300, Helen 23200, Schaumburg:£ippe 1190; den Reit über:
nahm England jelbit. Schon 1758, jo hoch wie damals die Begeifterung der
Nation für den deutichen Krieg ging, hatte Pitt wagen dürfen, entgegen den von
ihm jelbit früher jo eifrig vertretenen Anjchauungen,!) britiihe Truppen nad
Deutjchland zu ſchicken, im ganzen nah und nah an 9000 Mann. 1759 war
dieje Zahl nur um ein Geringes erhöht worden, jet aber, da Frankreich immer
färfere Heeresmaffen über den Rhein ſchickte und da für Englands Küften irgend
eine Gefahr nicht mehr drohte, wurde das britiihe Corps in Deutjchland auf
die ftattlihe Höhe von 22—23000 Mann gebradt.
Für feine eigene Streitmadt gab fi der König von Preußen anfänglich
ber Hoffnung hin, mit 120000 Feldjoldaten und 40 000 Mann Garnifontruppen
den Feldzug eröffnen zu können. Bejondere Schwierigkeiten bot die Wieder:
aufftellung der bei Maren in Gefangenschaft geratenen Truppenteile. Doch
waren bei der Infanterie des Finckſchen Corps einige Regimenter nah ihren
Verluſten von Kay und Kumersdorf nur auf Bataillonsfuß formiert gewejen,
und jo waren in den Nefonvalescenten aus den Ruſſenſchlachten jest Stämme
für die Neubildung vorhanden. Statt der etatsmäßigen Stärke von 1800 wurden
dieje Negimenter freilich nur zu 1000, wenn es hoch fam, zu 1200 Köpfen auf:
geitellt, und noch lüdenhafter waren ihre Offiziercorps: einige zählten 15 oder
18 Offiziere ftatt 42. Won den zur Waffenftredung genötigten 35 Schwadronen
fonnten nur 10 erjegt werden, jo dab das Negiment im Durchſchnitt nur
140—150 Pferde zählte. Der König ſah ſich deshalb veranlaßt, die beiden Dra—
gonerregimenter, welche die Feldzüge von 1758 und 1759 bei dem weftdeutichen
Heere mitgemacht hatten,?) wieder an fich zu ziehen; nur die fünf Schwadronen
1) Oben ©. 62. 110. 165. 167.
2) Oben ©. 154.
Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 253
Ihwarze und blaue Hufaren und etwa 1000 Mann Freitruppen ließ er nod
dem Prinzen Ferdinand.
Auch die alten Negimenter Fonnten nicht mehr zur vollen Stärfe ergänzt
werben. Mitte Mai bezifferte der König die Gejamtzahl feiner Feldtruppen,
vielleiht noch zu hob, auf 110 000 Mann. 60000 wurden auf das Heer in
Sadjen gerechnet, 10000 auf das Corps Fouqués bei Landshut, 35000 auf
das Heer des Prinzen Heinrich an der Oder, 5000 auf die in Vorpommern
aufgeftellte Abteilung unter General Stutterheim, dem Nachfolger des von den
Schweden während des Winters in Anklam durch einen Handftreich aufgehobenen
Manteuffel. Das pommerjche Häuflein galt als Detahement vom Heere des
Prinzen, Fouqués Abteilung als Detahement vom Hauptheere.
Ueber die Beſchaffenheit feiner Truppen urteilte der König ſehr ungünftig.
Ein Teil ſchien ihm höchitens geeignet, dem Feinde „von weitem“ gezeigt ober
in Miſchung mit anderen NRegimentern verwendet zu werben; andere, an fi
bejiere Negimenter, ftanden noch unter der Nachwirkung des Schredens von
Kunersdorf. Der neue Feldzug follte beweilen, daß die Meinung des Kriegs:
herren von feinen Truppen zu gering war; ſchon im erften Anfang bewährte
in Oberſchleſien eins der pommerihen Musfetierregimenter, indem es fich durch
Laudons überlegene Kavalleriemaſſen durchſchlug, feinen einſt bei Soor gezeigten
Heldenmut in glänzendfter Weife und nötigte dem Könige die Anerkennung ab,
daß dies die „alte preußische Art” fei, „ſich auch gegen einen überlegenen Feind
mit Succeß zu defendieren”: „fie haben nad unjerer alten Art agieret, wo Ehre
bei ift, und nicht nach denen modernen infamen Exempels, die ich leider zur
Schande von der Nation und der Armee habe erleben müſſen.“
Für die ftrategiiche Anlage des nächſten Feldzuges ließ ſich eine Ent-
ſcheidung zwiſchen Dffenfive und Defenfive diesmal nicht von vornherein treffen.
Noch gab ja die Diplomatie ihre Sache nicht ganz auf: Friedrich verglich die
Verhandlungen mit einer Glut, die dem Erlöfchen nahe fcheint und doch von
Zeit zu Zeit noch eine Flamme emporzüngeln läßt. „Es gibt nur fehr Gutes
oder jehr Schlimmes für uns zu gemärtigen, dazwiſchen nichts,” jo ftellte er das
politiihe und militärifche Horojfop für das neue Jahr. Sehr Gutes, wenn die
Franzofen von der Koalition abfielen und wenn die Türken losbrahen. Blieben
aber jene auf dem Plan, dann fonnte Ferdinand ihm nicht zu Hülfe kommen,
es mußte benn jein, daß der den Siegen von Krefeld und Minden eine völlige
Vernichtungsſchlacht wie bie von Höchſtädt folgen ließ. Einftweilen empfahl
Sriedrih dem Herzog, beizeiten eine Grabjchrift für ihm zu entwerfen: die
Hauptnot werde allerdings erit im Juli fommen, dann aber werde au alles
rettungslos verloren jein: „Ende Juli wird die Maſchine zu wadeln anfangen
und im Auguſt oder September zuſammenklappen.“ Auch bei d’Argens beitellte
er ji fein Epitaph und kündete ihm „als Kaflandra” das Hinfinfen Trojas an.
Anfänglih hatte er beabfichtigt, die Führung des ſchleſiſchen Heeres jelber
zu übernehmen, um den Rufen in Schlefien oder Pommern, je nad) der Richtung
ihres Anmarjches, eine Schlacht zu liefern; er ließ alle Vorbereitungen für den
Marih von Glogau nad Kolberg treffen. Nachher entichied er fi) doch dafür,
in Sadjen bei feinem anderen Heere zu bleiben, um mehr im Mittelpunkt des
254 Siebentes Bud. Zweiter Abichnitt.
Kriegsichauplages zu jein und unter Umständen, wenn Frankreich noch Frieden
fchloß, im Verein mit dem weſtdeutſchen Heere zur Offenfive übergehen zu können:
dann jollte Ferdinand über Eger in Böhmen einbreden, während er jelbit elb:
aufwärts vorzudringen gedadte. Griffen gar noch die Türken in den Krieg ein,
jo ſollte auch Fouqué aus Oberjchlefien in Feindesland, nah Mähren, einrüden.
Nah den Entichliegungen der Türken jollte fih dann auch das Verhalten
bes Prinzen Heinrih an der Spige des ſchleſiſchen Heeres richten. Nahten ſich
bie Rufen, was vor dem Yuni nicht zu erwarten ftand, jo war es dem Könige
an fich wünjchenswert, ſchnell eine Enticheidung herbeizuführen, damit das jchlefijche
Heer naher für andere Aufgaben zur Verfügung ftand. In dem Fall aber,
daß die Türken ihre Diverfion ausführten, ſchien es nicht erforderlih, das
Schladhtenglüd gegen die Ruſſen zu verjuhen. Im übrigen empfahl der König
feinem Bruder, wie in den früheren Feldzügen den Yehwaldt und Dohna, vor
der Verfammlung der Ruſſen eine ihrer Marſchkolonnen zu überfallen und da—
durch ihren ganzen Feldzugsplan zu jtören.
Am 25. April begann der König den Feldzug, indem er das von ihm
jelbft geführte Heer bei Meißen, hinter dem Kleinen Fluß Triebiche, zulammen:
zog. Eine während des Winters in ftarfen Verteidigungszuftand gejegte Stellung,
jein „Porzellanlager”, wie Friedrih wegen der Nachbarſchaft der berühmten
Manufaktur jagte, jollte für die Truppen nad) den Unbilden des legten Winters
ein Erholungslager!) jein. Der König felbit fühlte fich körperlich wenig wider:
ftandsfähig. „Jh bin jehr ermattet,” ſchreibt er unmittelbar nad der Ankunft
im Lager; „ih ſpüre das Alter und jeine Schwächen, die mich ganz anders
beläftigen, als ehedem. Der Krieg darf einen alten Kopf voll Erfahrung in
Verbindung mit einem jungen und fräftigen Körper verlangen; wenn dies Leben
fo weiter geht, werde ich binnen kurzem weder das eine noch das andere
haben.“
Was ihn und den Truppen an Strapazen bevoritand, fonnte er ſich un:
gefähr vorausfagen: „Der ewige Nude, wenn er je gelebt hat, hat nicht ein jolches
Landjtreicherleben geführt wie ih. Man wird jchließlich wie die Dorfichaufpieler,
die nicht Haus noch Herd haben; wir ziehen hin in alle Welt, um unfere blutigen
Tragödien aufzuführen, wo es unjeren Feinden gefällt, die Bühne aufzufchlagen.“
Er eröffnete feinen Generalen, „daß er in dieſem Jahre mehr als gewöhnlich
genötigt fein würde, ſtarke Märjche zu machen, um den Feind zu einem Treffen
zu nötigen.“ Den Truppen follte das mit der Aufforderung mitgeteilt werden,
„die dabei zu erwartenden Bejchwerlichkeiten mit Geduld und Standhaftigfeit zu
ertragen und ſich bei allen Gefechten und anderen Vorgängen des preußijchen
Namens würdig zu zeigen.“
Im gegnerifhen Lager wollte man wiſſen, der König von Preußen habe
dem verbündeten englifchen Hofe verſprochen, in diefem Jahre vorfichtiger, weijer
zu fein. Friedrich war nad der Erfahrung von Kunersdorf weniger als je
gemeint, der Schlaht unbedingt das Wort zu reden. In der bald nad) der
großen Niederlage verfaßten Schrift über die militäriihen Talente und ben
— — —
') ®gl. Bd. I, 138.
‚sriedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 355
Charakter Karls X11.’) tadelt er den Schwedenkönig, weil er jo oft zwedlos
geihlagen habe, weil er mit dem Menfchenblut nicht haushälterischer umgegangen
jei; er bemerkt in diejfem Zuſammenhange, ganz übereinftimmend mit der Schul:
meinung, daß die Mehrzahl der großen Batailleurs diefe Auskunft nur mangels
anderer Hülfsmittel gewählt hätten: „weit davon entfernt, ihnen das als Ver:
dienit gelten zu lajien, muß man vielmehr ein Zeichen der Dürftigfeit ihres
Genius darin jehen.” Aber gleihmwohl, in feiner jetigen Zage frommte ihm fein
Hinhalten, bei dem man jchlieglih „ch auszehren und lebendigen Leibes ver:
dorren” mußte, feine Ermattungsitrategie, jondern allein Schlacht und Sieg.
Diefer Heberzeugung gab er im brieflihen Meinungsaustaufch mit dem auch jett
mehr zum vorfichtigen Lavieren geneigten Bruder immer von neuem Ausdrud.
„Wenn es nicht Frieden gibt,” erklärte er ſchon im Februar, „jo wird es ficher
zu einem Kampf fommen, der über das Geſchick der Staaten eine erfledliche Ent:
iheidung bringt.” Er jagte fih, daß die Schladt von Denain Frankreich nad
den in zehn aufeinander folgenden Unglüdsjahren erlittenen VBerluften wieder
emporgehoben habe. Er itellte fich freilih aud die Gegenfrage: „Wenn wir
nod eine Schlacht verlieren, was wird aus uns?” Aber er fam doc immer zu
dem Ergebnis, daß ihm dann genau nur dasjelbe Unglüd zuftoße, dem er auch
beim Verharren in der Unthätigfeit endlich nicht entrinnen könne. Es gilt ihm alſo
die Kräfte nicht zu zeriplittern, beträchtlihe Mafjen an einem Punkte anzuhäufen
und fie zu benugen, „um fich des einen Feindes zu entledigen und dann eilends
dem anderen entgegenzutreten, wie dies mir oft geglüdt ift. Und wenn ein
Unglüd gejchieht, jo ift man gleich mit einem Schlage niedergeitredt, ftatt daß
man, hätte man nichts gewagt, vier Monate jpäter zu Grunde gegangen wäre.”
Die eriten Wochen nad) dem Einrüden in das Yager verliefen völlig ruhig:
erit Ende Mai verjammelten ſich die Kaiferlihen und bezogen mit der Haupt:
macht wieder das Yager hinter dem Plauenihen Grund. So lange glaubte
Friedrid) ſich nicht rühren zu follen, zum Teil ſchon aus politiihen Gründen, mit
Rüdfiht auf die Verhandlungen mit Franzoſen und Türfen, bejonders aber um
den Feind fiher und anmaßlih zu mahen und um feinen falichen oder vor:
eiligen Schritt zu thun. Sein Gedanfe war, zunädit ein abgezweigtes Corps,
wenn fi die Gelegenheit bot, anzugreifen, etwa die Neihsarmee, wenn fie aus
dem Thüringer Wald hervorfam, oder den rechts von der Elbe ſich vorjchieben:
den Yacy.
Seine Aufgabe war ähnlich der im Herbit von 1758 ihm geftellten. Wieder
galt es, einmal dem feindlihen Heere gegenüber in Sachſen das Feld zu halten
und die eigenen Stammlande zu deden und zugleich die ſchleſiſchen Feſtungen gegen
Laudon, den er auf den Monomatapa wünſchte, nicht ohne Entjag zu lafien.
Eben aus diefer Vielfältigkeit des Problems ergab ſich die Notwendigkeit,
mit dem Feind gründlich abzurechnen. „Nah Schleſien kann ich nicht eher
fommen,” jchrieb der König am 6, Juni an Fouqué, „als ich mich mit ben
Defterreihern geichlagen. Sie hier jtehen zu laſſen, gehet gar nicht an, und
würde id auf der einen Seite verderben, was id) auf der anderen gut mache.”
) Vgl. oben ©. 6.
256 Siebentes Bud. Zweiter Abſchnitt.
Er nahm an, dab Daun fi diesmal zur Schlacht herbeilafien werde,
denn es ſchien ihm unzweifelhaft, daß die Feinde, wenn er ſich zum Abmarſch
nah Schleſien anjchicte, ihm den Weg verlegen würden. Er wog die Chancen
ab, Die Reichstruppen noch nicht zur Stelle, Yeipzig und Halle alfo no un:
gefährdet; blieb der im letzten Feldzug als felbftändiger Führer bewährte Hüllen
mit 16 Bataillonen und 24 Schwadronen in den Schanzen bei Meißen zurüd,
fo behielt er jelbit noh 33 Bataillone und 70 Schwadronen für die Schlacht;
angenommen, dat Daun von feinem auf 61 Bataillone und 130 Schwadronen
geſchätzten Heere 24 VBataillone und 40 Schwabronen bei Dresden ließ, fo ergab
fih ein Zahlenverhältnis, günftiger als e& während des ganzen Krieges je fich
den Preußen geboten Hatte. Wurden die Defterreiher geidhlagen, jo konnte
Friedrich zu Fouqué ftoßen, Neiße entiegen, Schlefien vom Feinde befreien; ging
die Schlacht verloren, jo wollte der König immer damit fi tröften, nur das
gethan zu haben, was „Pflicht und Dienit und Kriegsraifon und das Wohl des
Baterlandes” erheifchten.
Die Naht vom 14. zum 15. Juni war zum Uebergang über die Elbe
beitimmt. Da fan am 12. unerwartet die Nahriht, dab Laudon aus jeinem
Lager von Franfenftein in das Glagifche zurücdgegangen war. Was fonnte ber
Grund fein? Waren die Türken auf dem Marihe und den Dejterreichern
bereits angemeldet? „Bis dato,” fchrieb Eichel an Findenftein, „ändert fi der
Barometer bei uns noch täglich, wo nicht zuweilen ſtündlich.“ Er hatte die Genug:
thuung, binzufügen zu fönnen, daß der König der von dem Minifter immer
vertretenen Anficht ſich jegt anichließe und erft zum Ausgang des Monats auf
eine Klärung der politiihen und militäriihen Lage reine. So lange mochte
no zugewartet werden. Der König führte den Flußübergang aus, aber nur,
um am rechten Ufer, in dem Lager von Proſchwitz, für alle Fälle jchneller zur
Hand zu fein; „große Abenteuer,“ die Schlaht, veriprah er vorerft nur im
Falle der unbedingten Notwendigkeit ſuchen zu wollen.
Aber diefer Fall ergab ſich fofort. Es hieß, die Reichsarmee fei im Marſch
auf Dresden und werde ſchon am 21. eintreffen. Dann konnte Daun ihr den
feiten Bolten dort überlaffen und den Preußen auf dem rechten Ufer mit um
jo ftärkerer Uebermacht entgegentreten. Soldem glaubte nun Frievrih durd
einen unverzüglihen Angriff auf die Stellung Lacys zwiſchen Radeburg und
Morigburg zuvorfommen zu müſſen. Und da Daun wirklich bereits marjdierte,
jo zog aud Frievrih den größten Teil des auf dem anderen Ufer zurüd:
gebliebenen Corps an ſich und fchrieb dem nunmehr auf ein Kleines Häuflein be:
Ichränften Hülſen, wenn die Sachen jchlecht gingen, jo jei feine „Boutique” —
die Stellung bei Meißen — ohnehin verloren. „Das wird fiher da® Va Banque,”
meinte Eichel jorgenvoll; „alles wird gewonnen oder alles verloren jein, Gott
wolle uns den König erhalten!”
Am 19. Juni bei Tagesanbrud brach das Heer zur Schlaht auf. Man
ftieß auf das leere Net. Lacy war bei nächtliher Weile auf das Hauptheer
zurüdgegangen. Die Schuld wurde der Neiterei des Vortrabs beigemefjen, die
fih am vorangehenden Abend zu weit vorgewagt und dadurd den Anichlag ver-
raten hätte, jonft würde, ſagte man im preußischen Lager, Lacy fein Maren ge:
Ariedenäverhandlungen. Feldzug von 1760. 257
funden haben. „Ach hätte Luft, mich aufzuhängen,” ſagte der König am Abend
zu Gatt; „haben Sie nie diefe Luft gefpürt? Sehen Sie mein Pech, es ver:
folgt mich überall!” Er ftieß einen tiefen Seufjer aus und entließ dann den
Vorlejer lächelnd mit den Worten: „Bringen Sie mir morgen einen Strid mit.“
Schon jah er im Geifte feine Gegner auf jenen Felien von Etolpen, auf
denen fie im Herbſt 1758 feine Geduld einer jo harten Probe unterworfen
hatten. PVielleiht aber überließ Daun jet Dresden dem Schuß der Reiche:
völfer und ging nah Schlefien. In diefem Falle wollte Friedrih ihm folgen,
zu Fouque ftoßen und dort auf bequemerem Gelände Daun zur Schlacht zwingen.
Noch einmal gab eine politiihe Erwägung jeinen Gedanken für ein paar
Tage eine andere Richtung. Aus Konftantinopel ſchrieb Rerin unter dem 8. Mai,
daß nur die türfiiche Faſtenzeit die Unterzeihnung des Vertrages noch hinten-
angehalten habe, am Beiramsfeſt hoffte er das Werk abzuſchließen; dann würde
die Fahne des Propheten unverzüglich entfaltet werden, der Sultan in Perſon
nad Aorianopel gehen, um die Führung des Heeres zu übernehmen. Wurde
das wahr, jo blieb für Schlefien nichts mehr zu fürdten, und man konnte an
die ſtrategiſche Dffenfive denken: „Wir müſſen,“ jchrieb der König auf dieſe
Nahriht am 23. Juni an Fouque, „zulammen bier vornehmlich davor forgen,
daß uns zwifchen bier oder dem 10. oder 12. Julius feine Feftung verloren gehe.”
Schlimmeres geſchah. An dem Tage ſelbſt, da der König diefe Worte
ihrieb, wurde Fouquss ganzes Corps, 10—11000 Mann, bei Landshut von
mehr als dreifaher Uebermacht zertrümmert; nur die Reiter, 16 Schwadronen,
konnten ſich durchhauen.
Prinz Heinrich hatte zu Anfang des Monats fich erboten, im Verein mit
Fouqué Laudon aus Schlejien zu verjagen. Der König hatte es für dringlicher
erachtet, daß der Prinz den Ruſſen entgegenzog. Friedrich betrachtete die Unter:
ftügung des Fouquéſchen Corps, des Detahements von feinem Heer,') als jeine
eigene Aufgabe. Er unterfhägte Laudon, feinen Unternehmungsgeift, jein Feld:
berrntalent. Fouque ging, als Laudon feinen eriten Vorftoß machte, in der
Richtung auf Breslau zurüd; dem Könige galt diejer Abmarfh von Landshut
als vorzeitig, überftürzt, er verlangte gebieteriich und mit verlegender Schärfe,
daß jein General ihm den Bolten von Landshut wiederfchafte. Befehle, die
einen freieren Spielraum ließen und den Rückzug nach Breslau nicht bloß frei:
ftellten, jondern unter bejtimmten Borausjetungen fogar empfahlen, waren
zu jpät gefommen.
In der eriten jchmerzlichen Erregung über den neuen furdtbaren Scid:
jalsihlag wollte der König für den Verluſt von 15 Bataillonen und 68 Ge:
Ihügen dem fommandierenden General die Schuld beimeſſen; bei ruhigerer
Ueberlegung wurde er dem Manne, der in voller Vorausficht feines Schidjals
als echter Soldat das Opfer eines blinden, buchjtäblichen Gehorfams geworden
war, gerechter und fühlte jich feinem Jugendfreunde, dem Großmeifter des Rheins—
berger Bayardordens,?) zu warmem Dank verpflichtet, weil Fouqus, hochfinniger
1) Oben ©. 258.
?) Bol. Bd. I, 489; „Friedrich der Große ald Kronprinz” ©. 131.
Koier, König Friedrich ver Große. 11. 2. Aufl, 17
258 Siebentes Bud. Zweiter Abichnitt.
als Find bei Maren, die Ehre der preußiſchen Warten gerettet hatte; er feierte
den mit fchweren Wunden in die Hände der Sieger Gefallenen als den preußiſchen
Leonidas. Keine Kapitulation war abgeſchloſſen worden, in adhtitündigem Kampf
hatte fi) das Feine Heer nad) dem Zeugnis feines Ueberwinders Yaudon, „in
der beiten Ordnung, unter beftändigem feuern und nicht anders als Schritt vor
Schritt” von Höhe zu Höhe zurüdigezogen, bis zuletzt die auseinander geiprengten
Truppenteile in ihren Karrees einzeln überwältigt worden waren.
Nun war Schlefien von Verteidigern entblößt, bis auf die ſchwachen Be—
jagungen der feften Plätze. Eine Wahl ſchien nicht mehr zu bleiben. Friedrich
mußte nah Schlefien gehen, auf die Gefahr hin, daß Hülfen, der bei Meißen
zurüdblieb, dort ebenfo über den Haufen gerannt wurde wie joeben Fouqué.
Denn auch wenn Daun mit dem Hauptheer nad Schleſien nachzog, blieb den
Gegnern in Sadjen noch eine erdrücdende Uebermadt. Daun hoffte der König
unterwegs nicht bloß zur Schladt ftellen, fondern trog des Mißverhältniſſes der
Zahl auch fchlagen zu können; war aber das Schlachtenglück den Preußen un:
günftig, dann war er entichlofien, fi auf der Walftatt zufammenhauen zu laffen
wie Fouque.
Friedrich marſchierte am 2. Juli in der Richtung auf Bauten ab, Daun
zog vor ihm ber, Lacy blieb dem preußiichen Heere zur Rechten. Daun gewann
fchnell einen jo ftarfen Vorfprung, daß er nicht wohl fih noch fallen ließ. Um
jo ficherer hoffte Friedrich jet mit Lacy abrechnen zu fünnen. Aber mit der
größten Geichmeidigkeit entglitt ihm jein Widerpart von Stellung zu Stellung
bis nad) Dresden, ging dann durd die Stadt auf das linfe Ufer, räumte dort,
als Friedrich gleichfalls über die Elbe ſetzte, ſogar den jo lange feitgebaltenen
Plauenihen Grund!) und nahm jeine Zuflucht zu der geficherten Stellung zwischen
Seblik und Pirna.
Alfo jah der König ganz unerwarteterweile das Glacis von Dresden
überall frei. Die Gelegenheit war lodend, er konnte der Verſuchung nicht
widerftehen, die Stadt zu berennen. „Sie werden ohne Zweifel denfen, daß
ih Ihnen Träume erzähle, wenn ich Ihnen fage, daß ich mit dem Heer vor
Dresden liege,” ichrieb er am 13. Juli dem Prinzen Heinrih — jo ganz aus
dem Stegreif hatte fich diefe neue Scene ergeben,
Friedrich jagte fi, da die Einnahme der Stadt nur einen jehr bedingten
Wert habe, daß Lacy Dresden vielleicht zurüdgewinnen werde, wenn er jelbit
fih nah Schlefien wenden mußte. Gleichwohl wollte er auf einen Erfolg, den
er in zwei bis drei Tagen erringen zu fönnen meinte, nicht verzichten, ſchon
des moralifhen Eindruds wegen, den der Fall von Dresden, wie er meinte,
zumal auf die Franzoſen machen würde. Er hatte ohne die Standhaftigkeit der
Verteidiger gerechnet. Nicht geichredt dur ein Bombardement, das ganze
Straßen in Ajche legte und die Kreuzkirche unter den Trümmern ihres Turms
begrub, verweigerte der Kommandant Graf Maquire die Uebergabe; er wußte,
da Daun am Bober umgekehrt war und Entja bradte. Am 23. Juli mußte
Friedrich befennen, dab fein Schlag fehlgegangen jei; am 29. 309 er von
Oben ©. 238.
Nriedensverhandlungen. Feldzug von 1760.
ID
99
Dresden nad Keſſelsdorf ab. Zum drittenmal in diefem Kriege war eine Be:
lagerung ihm mißlungen.
Noch vor Dresden erfuhr er, daß am 26, jeine Oberften D’O und Quadt
die alte und die neue Feſtung Glat nad nur fünftägiger Belagerung an Laudon
übergeben hatten. In Wien trug man fi mit ben freubigiten Hoffnungen.
Laudon hatte ſich anheiſchig gemacht, auch Breslau binnen furzem zu nehmen
und dadurch den Rufen einen Stützpunkt an der Oder und die Verbindung mit
dem öfterreihiihen Heere zu fihern; dann jollten Schweidnig und Glogau an
die Reihe fommen. „So madhen wir,” jchrieb Kaunig triumphierend an Laudon,
„noch eine glänzende Gampagne, und der König dürfte jeinen Mari nad)
Drespen bitter bereuen.”
Faſt täglich ſprach jet Friedrich zu feinem Catt von der Unvermeidlichkeit
des IUlnterganges. „Im Anfang meiner Drangjale war ich troftlos, aber im
Leiden wird man Philoſoph, und das ift die befte Philoſophie. Sie geben mir
zu, daß wir jegt jeit jehr langer Zeit ringen. Das wird nod einen Monat jo
gehen, und dann werde ich den Purzelbaum ſchlagen.“ Er erzählte, daß er
Memoiren binterlafje; daraus jolle jeine Familie die Gründe feines Handelns
entnehmen; man werde viel von ihm reden. „Wenn ich Fehler gemacht habe,
jo bin ih eben ein Menih. Um über einen Menichen richtig zu urteilen, muß
man fich die ganze Lage, in ber er ſich befindet, wohl vergegenwärtigen: man
wird viel gelten laffen, man wird viel verzeihen.” Er geftand, daß er von
Natur zur Bequemlichkeit neige; aber wenn es wie jegt gelte, fich zu tummeln,
jo veritehe er von einem Ertrem ins andere zu fallen.
„I habe heute den ganzen Tag gegrübelt,” jagte er tags nad) dem Ab-
marſch von Dresden; „wenn ich mich nicht an meiner Pflicht feithielte, jo würde
ich alles preisgeben. Ich würde glüdlicher leben als einfacher Privatmann. Ich
bin am Rande des Abgrunds; ich rede mir nichts vor, dabei kann id nur ge:
winnen, es fann mir nichts Schlimmeres geſchehen, ald das, was ich vorausfehe;
bin ich glücklich, jo werde ich mit einer angenehmen Ueberraſchung abjchneiden.
Hätte alles von mir abgehangen, ich hätte viel darum gegeben, in Frieden zu
leben, aber nun muß getanzt fein.”
Gatt empfand das tieffte Mitleid mit feinem Gebieter. „Es ift wahr,”
bemerkte er nachträglich in feinem Tagebuh, „daß der König feit einiger Zeit
das qualvollite Leben führte. Die Art, wie er jein Unglüd trug, jeine Auf:
merkfiamfeiten für feine Umgebung, feine geringe Eorge für feine Gejundheit,
jeine Aufregungen: alles das ſchien einen Erfolg zu verdienen.”
In diefen Tagen erhielt der König die Nahriht von dem am 29. Juli
erfolgten Ableben feines alten treuen Mitarbeiters, des wiederholt dur Schlag:
anfälle heimgeſuchten Podewils. „Ich bedaure jehr den armen Grafen Pode—
wils,“ jchrieb er an Findenftein, den Kollegen des Verſtorbenen; „das war ein
Ehrenmann und ein guter Staatsbürger; aber inmitten aller der Verlufte, die
wir erleiden, wird man, wie es jcheint, unempfindlich gegen alles.” Ein anderer
Brief an Findenftein erfüllte den Empfänger mit tiefem Kummer: „Alle An:
jtrengungen,” jchrieb der König, „die wir gemacht haben, um den Sturm zu
beſchwören, haben ſich als eitel und nuplos erwielen. Ich habe von dem, mas
250 Siebentes Bud. Zweiter Abſchnitt.
in der Politif und in der Kriegsführung wünfchenswert wäre, nichts zu erhoffen.
Es bleibt mir alfo nur das Los der Waffen, aber alles das fommt bei uns nur
darauf hinaus, ob wir vier Wochen früher oder vier Wochen jpäter untergehen
ſollen, und da, denfe ich, gelten Auguft, September und Oktober jehr gleich.“
Findenftein jchrieb an den Kabinettsrat, er gewahre in diefem Briefe Spuren
einer jo ausgeprägten Verzweiflung, daß es ihm das Herz zerreiße, und Eichel
antwortete, der Minifter durchſchaue die Stimmung nur zu richtig: „Die vorige
Erfahrung hatte mich ſchon gelehret, wie ſchwer es ſei, Unglück zu ertragen,
ohne fih einem gewiſſen Deseipoir zu ergeben. Ich thue, was in meinen
Kräften ftehet, um diejes zu mildern, aber Ew. Ercellenz kennen die Delicatefie,
deren man fich deshalb zu bedienen hat, und diefer Point macht meine Situation
höchſt betrübt und fonjumieret mir bei allen anderen Sorgen Kräfte und Leben.”
Das Dresdener Zwiſchenſpiel hatte dem Könige fait drei Wochen gefoftet.
Er war Anfang Auguft nicht weiter, als Anfang Juli, die Bilder des vorigen
Monats kehrten ganz unverändert wieder. Am 1. Auguft ging er unterhalb
Meißen zwiſchen Zehren und Hirfchftein über die Elbe, wieder blieb Hüljen bei
Meißen zurüd, wieder machten die Kaiferlihen den Mari der Preußen mit.
Drei Heere, ein preußiiches und zwei öfterreichiiche, zogen in der gleihen Rich—
tung dahin, der jchlejiichen Grenze zu. Wer fie marjdieren ſah, jagte Friedrich,
konnte fie für ein einziges Heer halten, Dauns Völker für den Vortrab, die
Preußen für das corps de bataille, den jegt wieder zum Vorſchein gefommenen
Lacy für die Nahhut. Immer wichen die Öfterreihiihen Generale allzu naher
Berührung vorfihtig aus.
Am 7. Auguft erreichte man den Bober, Daun bei Yömwenberg, die Preußen
zwei bis drei Meilen abwärts bei Bunzlau. Sie mußten Schweidnig oder
Breslau zu erreihen juhen, Daun aber legte fih ihnen an der Katzbach in
den Weg und ftellte feine Verbindung nicht bloß mit Yacy, fondern aud mit
Laudon her.
Laudon hatte nach der Einnahme von Glatz fünf Tage, vom 31. Juli bie
4, Auguft, vor Breslau gelegen, aber diefen Platz verteidigte diesmal jener
Tauengien, von dem fein Sefretär Gotthold Ephraim Leſſing gelagt bat: „Wäre
der König jo unglüdlich geweien, feine Armee unter einem Baume zu verjammeln,
General Tauenkien hätte gewiß unter diefem Baume geitanden.” So blieb
Breslau dem Könige erhalten, danf ber Feitigfeit des Kommandanten, dank aber
auch der Pünktlichkeit, mit der Prinz Heinrih aus der Neumark zum Entjag
berbeigeeilt war.
Gemäß den ihm erteilten Befehlen ’) hatte Heinrich zuerit bei Landsberg
an der Warthe, feit Mitte Juli aber in einer Stellung hinter der Obra den
Anmarſch der Ruſſen beobadtet. Als Sialtyfom von Poſen aufbrad, feste
auch der Prinz, zunächft längs der Obra, fi in Bewegung. Anfangs unficher,
jeinem föniglihen Bruder nicht entfchloffen genug, bewährte er doch angefichts
der gefteigerten Gefahr ebenjoviel Kühnheit wie Umſicht. Statt ſich weiter mit
den Ruſſen zu beichäftigen, marfchierte er über Zülidau und Glogau geraden:
ı Oben ©. 254.
Friebensverhanblungen. Feldzug von 1760. 261
wegs dem jegt am meilten gefährdeten Punkte, der jchlefiichen Hauptſtadt zu, auf
die Gefahr Hin, zwifchen zwei Feuer zu fommen, wenn die beiden Heere, deren
jedes, das ruffiiche wie das von Laudon, für ſich allein ihm überlegen war, ihn
gleichzeitig angriffen. Das Glück belohnte den mutigen Entſchluß. Laudon hielt
es für ficherer, jeßt zu Daun zu ftoßen, die Ruſſen aber glaubten bei ihrer
Ankunft an der Oder von neuem, fich über die Unzuverläffigfeit und den Eigen:
nuß ihrer Verbündeten bejchweren zu dürfen, und hüteten ſich wohl, auf eigene
Hand mit dem Prinzen Heinrih anzubinden. Allemal war ihre Gegenwart
überaus peinlich für die preußiiche Kriegsführung: fie verjperrten auf dem rechten
Oberufer dem Könige die Verbindung mit Breslau und mit dem Prinzen, wie
Daun und feine „Afolythen” auf dem linken, und fie waren in der Lage, den
Defterreihern über die Ober bie Hand zu reihen. Nach einigen Bedenklichkeiten
fieß Sſaltykow bei Auras Brüden jehlagen, erklärte aber zugleich, daß er zurüd:
gehen werde, wenn die Bereinigung zwiſchen den Ruſſen und Defterreidhern nicht
unverzüglid vor ſich gebe.
Schon jet, noch ohne die Rufen, hatten die Defterreiher eine dreifache
Uebermadt zur Verfügung, 90000 gegen 30000. Die Kaiferin-Königin ver:
langte entichieden eine Schlacht und ſprach, wie bei früherem Anlaß !), Daun
von jeder Verantwortung vorweg frei. Laudon erhielt den Auftrag, den Feld:
marſchall zur That zu drängen. Jetzt oder nie, Daun mußte ihm darin recht
geben, war die Stunde da, einen großen Schlag zu führen.
König Friedrich Jeinerfeits konnte, nachdem die Bereinigung der drei Heere ſich
nicht hatte verhindern laffen, die Schlacht jegt nicht mehr wünſchen. Seine Lage
wurde um jo jchwieriger, als die Vorräte des Heeres zu Ende gingen. Inter
den Dffizieren ging die Rede, daß ein neuer Tag von Maren vor der Thür
ftehe, falls fich der König nicht jchleunigft forthebe. Aber gab es überhaupt
noch eine Möglichkeit, der Umklammerung fi zu entziehen? Alle Verfuche, die
feindlichen Stellungen zu umgehen und die Straße nad Jauer und Schweidnik
zu gewinnen, jcheiterten. Daß die Dejterreiher ihn angreifen wollten, konnte
Friedrich aus ihren Anftalten ungefähr entnehmen. Durd wiederholten Wechſel
des Lagers, durch Bewegungen im Gtile eines Parteigängers, fuchte er den
‚Feind unficher zu machen.
Das Yager, welches das preußiiche Heer am 13. Nuguft, zum zweitenmal
binnen vier Tagen, bezog, eritredte fich oberhalb von Liegnik, auf den Höhen
am nördlichen Ufer der Katzbach, vom Dorfe Schimmelwig bis unmittelbar an
die Vorſtadt Dänemark. Durch den Fluß von den Preußen getrennt, lagerte
fih das öfterreihiihe Hauptheer zwiſchen den Dörfern Hochkirch und Nieder:
Krain; die Vorpoften jtanden nicht einen Kanonenſchuß voneinander entfernt.
In Dauns linker Flanke dehnte jich Lacys Corps von Nieder-Krain bis Goldberg
aus; unterhalb von Liegnig, auf demjelben Ufer wie jeine Kameraden, ftand
Laudon zwiihen Koiihwig und Jeſchkendorf.
Man kam überein, daß in der Frühe des 15. Auguſt Daun in der Front,
Lacy in der rechten und Laudon in der linfen Flanke die preußiſche Stellung
1, Oben &. 92.
262 Siebented Buch. Zweiter Abichnitt,
gleichzeitig angreifen follten; zu dem Behuf mußten Lacy bei Goldberg und
Laudon unterhalb von Liegnitz über die Katzbach gehen.
Die Stadt Liegnig ift in den Winfel zwiſchen der Kabbah und dem von
Nordweiten zuftrömenden Schwarzwaſſer bineingebaut, die dicht hinter der Stadt
ineinander laufen. In dem gegenüber liegenden Winfel gelangt man aus der
Vorftabt Töpferberg durch Pfaffendorf auf eine zum Teil mit Wald bededte
Hochfläche, die nah Weiten zum Schwarzwajler, nad Süden und Süboften zu
dem Wiejengrund abfällt, durch welchen die Katzbach nad Aufnahme des Schwarz:
waſſers an den Dörfern Panten, Bienowig und Pohlſchildern vorbeifließt. Leber
dieje Hochflähe mußte Laudon marfchieren, wenn er auf die preußifche Stellung
ftoßen wollte.
König Friedrich that feinen Gegnern nicht den Gefallen, ihren fonzentrijchen
Angriff in jeinem feineswegs vorteilhaften Lager abzuwarten. Schon die Rüd-
fiht auf die Verpflegung mußte ihn beftimmen, von bannen zu ziehen. Bon
Schmweidnig abgefchnitten, entichied er fi für den Marſch an die Oder. Noch
am 13. fündete er dem Prinzen Heinrih an, daß er den Verſuch machen werde,
fih über Wohlau ihm zu nähern, wofern die Ruffen oder Daun ihm nicht einen
Uuerftrih machen würden. Die Marjchbejehle waren ſchon ausgegeben, als am
14. nachmittags ein Ueberläufer es verriet, daß Daun und Lacy morgen an-
greifen würden; von der dem dritten der Triumpirn übertragenen Rolle erfuhr man
nichts. Die Nachricht konnte den König lediglih in feinem Vorhaben beftärfen.
Abends um 8 Uhr begann der Abmarih an Liegnig vorbei nad Pfaffen—
dorf. Hufarenpifetts blieben bis "22 im Lager und unterhielten zur Täuſchung
des Gegners die Wachtfeuer, von Bauersleuten unteritügt. Nach der Marſch—
dispofition jollten die Truppen, auf der Höhe angelangt, raften und erit bei
Tagesanbruch fich wieder in Bewegung jegen. Der Aufmarſch auf dem Halteplag
ging in der Dunkelheit nicht ohne einige Verwirrung vor fih. Front wurde gegen
Liegnik gemacht, weil nur von diefer Seite ein Angriff erwartet wurde, wofern
Daum unverzüglich nadhrüdte. Der linfe Flügel hatte das Dorf Panten links
vor ſich, der rechte eritredte fich längs dem Schwarzwafler bis zum Dorf Hummel.
Während die Generale nody mit der NAufitellung bejchäftigt waren, ſtieg der
König hinter Pfaffendorf vor dem Grenadierbatailloen Rathenow vom Pferde
und ftredte ih am Wachtfeuer zur Ruhe nieder, in feinen Mantel gehüll.
Starfe Patrouillen der Zietenhufaren ftreiften bis zur Thaljohle nad Bienomwig
und Pohlſchildern. Major v. Hundt fommt angefprengt und fragt nah dem
König: feine Vedetten find alle zurüdgeworfen, der Feind it da, in großen
Malen, da wo man ihn nicht erwartet bat, ftromabwärts, es fann nur Laudon fein.
Die Preußen müfjen fih auf einen Kampf mit doppelter front einrichten.
Dem General Zieten giebt der König den Befehl, mit dem redten Flügel auf
der Stelle zu bleiben und dem öfterreihiichen Hauptbeer, wenn es zum Vorjchein
fommt, den UWebergang über das Schwarzwailer und den Aufitieg von der
Liegniger Seite zu verwehren. Er jelbit fest fih auf dem linken Flügel mit
dem General Schendendorff an die Spige der Grenadierbataillone Rathenow
und Nimſchewsky und marſchiert mit linksum ab, um dem unvermuteten Angriff
eine Flanke entgegenzumwerfen. Cine Anhöhe oberhalb von Bienomwig, der Reh—
Friedensverhandlungen. Feldzug von 1700. 2063
berg, wird den Bataillonen als Stüßpunft angewiejen, eine fchwere Batterie
begleitet fie, der ganze linke Flügel jchiebt ſich nad.
Freund und Feind waren einander jo nahe, dab man fich fofort mit
Kartätihen beſchießen konnte. Eine Viertelftunde jpäter oder eine Viertelftunde
früher aufmarjchiert, fo urteilte der König nachher, hätten die Preußen auf einen
Sieg nicht zu rechnen gehabt: im eriten Falle wären fie überrannt worden, im
anderen hätte Laudon noch zuletzt einhalten und die Schlacht vermeiden fönnen.
Auch diejer war völlig überrajcht. Um jeinen Ueberfall deſto ficherer bis zu—
legt zu verheimlichen, war er ohne Vorhut marſchiert und ftieß nun ftatt auf das
preußiiche Gepäd auf das preußifche Heer. Immer mochte er ſich der Hoffnung
bingeben, von Daun jchnell unterftügt zu werden.
Die öfterreihifhe Neiterei marjchierte zur Rechten der Anfanteriefolonnen.
Auf der Straße von Pohlſchildern nah Schönborn bereits bis zur Höhe gelangt,
formierte fie fih in der Flanke der noch im Aufmarjch begriffenen preußijchen
Infanterie und warf die ihr entgegenfprengenden Krodow:Dragoner zurüd, Aber
im Buſch bei Krummelinde hatte fih die vor furzem aus diefem Regiment aus:
gefonderte leihte Schwadron in den Hinterhalt gelegt und fiel nun den inzwifchen
unter nfanteriefeuer genommenen feindlichen Reitern in den Rüden, während
General Krodom mit den XYeibfüraffieren und den NRegimentern Seydlitz und
Markgraf Friedrich ihnen von vorn entgegenfuhr.
Inzwiſchen hatte Laudon mit der dem Heere voranziehenden und ſchon ent:
widelten nfanterierejerve auf den Höhen über Bienowig feiten Fuß gefaßt;
er verlor feine eriten Erfolge, als die preußiſchen Bataillone des linken Flügels
eines nad dem anderen in die Schladhtlinie einjchwenkten. Bei jeiner großen
Ueberlegenheit an Zahl jedoch bereitete er den Preußen noch harte Arbeit, indem
er entichloffen und zäh ſofort jein erftes und nachher aud fein ganzes zweites
Treffen den Kampf fortfegen ließ. Ohne die wirffame Unterjtügung jeitens der
Reiterei, die zu wieberholtenmalen, jo oft der Feind irgendwie eine Blöße bot,
einhieb, würden die allmählich aufmarjchierten 13 preußischen Bataillone ſich des
immer erneuten Angriffs ſchwerlich ermwehrt haben.
Indem ſich die preußiiche Linke beim Aufmarſch und im Gefecht immer
weiter nad lints biegen mußte, geſchah es, daß die beiden Flügel in einem
ftumpfen Winkel fait Rüden gegen Rüden ftanden und daß im Scheitel des
Winkels, dem Dorfe Panten gegenüber, eine weite Lücke Haffte. Die dort über
den Fluß kommende öfterreichiiche Kolonne hatte das ſchönſte Spiel in der Hand.
Ein vereinzeltes preußijches Peloton war auf feinem verlorenen Posten durch
einen Vorſtoß bes Feindes Ihon überwältigt worden. Hier bei Panten war e&,
wo Graf Karl zu Wied mit den NRegimentern Wedel und Altbraunichweig ſich
des Königs Dank erwarb; im dichten Kugelregen auf und nieder reiten fpornte
Wied den Ehrgeiz feiner Märker und Magdeburger an; dem geſchickten Bombardier,
der mit wenigen wohlgezielten Schüffen eine feindlihe Batterie zum Schweigen
brachte, jpendete General Saldern auf der Stelle drei Louisdor. Als das dritte
Bataillon Garde unter Führung des Oberftlieutenants v. Möllendorff und des
Majors Rohdih in Panten eindrang und das Dorf in Brand ftedte, war dem
Kampfe hier ein Ziel gejekt.
964 Siebented Bud. Zweiter Abichnitt.
Etwas fpäter gaben die Deiterreiher auch bei Bienowig die Partie auf.
Laudon ließ eine Batterie auffahren und nahm unter ihrem Schute die Truppen
über die Katzbach zurück. Noch zulegt jegte fich ein Major von Laudons eigenem
Sinfanterieregimente an die Spike einer Reiterihar und brad in die beim Ver:
folgen aus ihrem Gefüge gefommenen Regimenter Anhalt und Prinz Ferdinand
ein; die Säbelhiebe fielen dicht, aber au jo mancher Reitersmann wurde durd
bie preußifhen Bajonette aus dem Sattel gehoben.
Ueber das Wafler folgten die Preußen dem geichlagenen Feinde nicht.
Denn jchon zeigten fi auf der anderen Seite des Schladhtfelds die Spiten ber
Heere von Daun und Lacy.
Daun hatte, als feine Patrouillen nachts gegen 2 Uhr das alte preußiiche
Lager leer fanden, Liegnig bejegt und bereitete, um ſich den abziehenden
Gegner nicht entgehen zu laflen, den Uebergang über das Schwarzwajler vor.
Der Reitervortrab wurde von den Preußen ungehindert herübergelafien, dann
aber nad fräftiger Begrüßung aus dem fchweren Geihüt durch 20 Schwadronen
Dragoner und Hujaren zurüdgejagt. Daun ftugte und überlegte. Bald fam
ein Offizier geritten und bradte die Kunde von dem, was mit Laudon eben
geihehen war, und nun hielt es Daun für geraten, über die Katzbach in fein
Lager zurüdzugehen. Auch vom Lacyſchen Corps fam eine Neiterabteilung,
über das Schwarzwafler, weiter aufwärts; ihr Verfuh, das bei Hümeln aufge:
fahrene Gepäd der Preußen wegzunehmen, wurde dur die Grenadiercompagnie
des eriten Bataillons Garde vereitelt.
Solch ein Sommermorgen war dem preußiichen Heere feit Hohenfriedberg
nicht angebroden, und etwas von der Stimmung von Hohenfriedberg lag über
dem Siegesfelde. Der König war nah jo mandem harten und ungerecdhten
Sceltwort mit feinen Truppen ausgejöhnt: „heute hätte er gejehen, daß er noch
feine alte tapfere Infanterie in der Armee habe,” rief er den Bataillonen zu,
und die Neiterei erhielt gleiches Lob. Hatten die Truppen fchon auf den un:
erträglich heißen Märjchen diefes Sommers ihre Tüchtigkeit und ihren guten
Willen gezeigt, ſo entiprachen die heutigen Leiftungen im Kampf den glänzendften
Ueberlieferungen diejes tapferen Heeres. Das Negiment Anhalt hatte fich bei
dem Nüdjug von Dresden, wohl unverdient, eine empfindliche Kränfung zu:
gezogen: Gemeine, Unteroffiziere und Offiziere, ohne Ausnahme, hatten das
Seitengewehr ablegen müſſen und die Huttrefien verloren. Heute gewann ber
Heldenmut diefes alten Regiments ihm die Zufriedenheit des Kriegsherren und
ale Ehren und Abzeichen zurüd. Als Friedrich einen der Veteranen des Regi:
ments, der noch unter dem alten Defiauer gedient, mit einem Lobſpruch ans
ſprach, antwortete der brave Musfetier: „Wie follten wir nicht? wir fämpfen für
die Religion, für Euch, für das Vaterland!” Dem Könige traten die Thränen
in die Augen, und die Rührung übermannte ihn von neuem, als er naher von
dieſer Scene erzählte.
Er nannte die Schlacht von Liegnig die zweite Auflage von Roßbach, als
ein Nencontre zwifchen zwei auf dem Marjch befindlichen Heeren und wegen der
verhältnismäßig geringen Verlufte, deren Umfang allerdings die anfängliche
Schätung übertraf: von den 16000 Mann, die Laudon in Empfang nahmen,
Friebensverhandlungen. Feldzug von 1760. 205
waren 775 gefallen, nicht ganz; 2500 verwundet, 252 wurden vermißt. Laudon
hatte von 32000 Mann fait das Drittel, an 10000 Mann, darunter 4000 Ge:
fangene eingebüßt, dazu 83 Kanonen. yeldzeihen waren im Handgemenge
hüben und drüben verloren gegangen.
An d'Argens jchrieb der König: „Gott iſt in den Schwachen mächtig: dieſe
Worte wiederholte uns der alte Bülow !) jedesmal, wenn er uns die Schwanger:
ſchaft der Kurpringeffin von Sachſen anfündigte, und ich wende dieſes jchöne
Diktum auf unfere Armee an.... . Fürwahr, ein großer Vorteil, den wir uns
nicht verfprehen durften. Mir find der Nod und meine Pferde verlegt, ich jelbit
bin bis jest unverwundbar. Niemals haben wir größere Gefahren beitanden,
niemals ärgere Strapazen gehabt.”
Den engliihen Gejandten rief er auf dem Schlachtfelde, als Mitchell ihm
Glück wünjchte, zum Zeugen dafür an, wie jehr er jich, aber ftets ohne Erfolg,
bemüht habe, das zu Wege zu bringen, was jegt der Zufall habe alüden laſſen:
diefen Sieg verdanfe er ganz allein der Tapferkeit der Truppen. So unvoll-
fommen jei alle menſchliche Vorſorge. Mitchell, der jchon oft mit dem Könige
das Problem der göttlihen Vorſehung erörtert hatte, erwiderte: ihm ſei es Kar,
wenn die Vorſehung Seiner Majeftät nicht ein beileres DVerftändnis verliehen
hätte, als feinen Feinden, jo würde diefer Tag fein Tag des Sieges fein. Der
König lächelte: „Ich ehe, daß wir in diefem Punkte nicht völlig einig find, aber
da Sie es wollen, jo mag dem jet aljo fein.”
Sein Vorjehungsglaube war allzu jtarf erjchüttert, die Ueberzeugung zu
feit bei ihm eingewurzelt, daß der Himmel um die Händel diefer Welt fich nicht
fümmere. Er ſprach jest gern von „Seiner Majeität dem Zufall” und befannte,
von dem Vorurteil nicht zurückkommen zu können, daß Gott im Kriege bei den
ftarfen Schwadronen jei, und die jeien bis jegt leider auf der Gegenfeite.
Die Schlacht bei Liegnig ift in der Geſchichte des Feldzugs von 1760 bas
entjcheidende Ereignis. Hatten ſchon vorher die öfterreihifchen Feldherren, troß
ihrer Weberlegenheit an Zahl, fih Zug um Zug nad den Bewegungen ihres
großen Gegners gerichtet, jo waren nitiative und die Neigung zum Schlagen
in Daun jett vollends erftidt. Daraus zogen aber auch die Ruſſen, wie fie
ed vorher angefündigt hatten, alsbald die Nutanmendung für ihre eigene Kriegs:
führung.
Immerhin, unmittelbar nah der Schlacht trat für die Sieger nod) ein
fritiijcher Augenblid ein, den Friedrich ſpäter als den unangenehmiten und aufs
regenditen des ganzen Feldzugs bezeichnen zu jollen glaubte. Als er, noch am
Schlachttage jelbit, bei Parchwitz den fo lange ihm bejtrittenen Uebergang über
die Katzbach vollzog, gingen zwar die hier aufgeitellten öjterreichiichen Abteilungen,
dur das Laudonſche Heer nicht mehr gededt, ſchnell zurück; zugleih aber erfuhr
man, daß ein Corps Ruffen unter General Tſchernyſchew jchon diesſeits der
1) Bat. Bo. I, 545.
2650 Siebentes Buch. Zweiter Abfchnitt.
Der ftand, und tags darauf gewahrte man während des Marſches nad Neu-
markt zur Rechten in einer Entfernung von drei Viertelmeilen das ganze öfter:
reihifhe Heer. Wieder waren die Preußen in Gefahr, zwiichen zwei euer zu
fommen, und das in einem Augenblide, da ihre Marſchkolonnen mit jo vielen Ge:
fangenen und über 1000 Verwundeten belaftet waren, während ein Heiner Vorrat
von halbverjhimmeltem Brot nur no für einen Tag zureihte. Schnell aber
wurde man über die Abfichten der Feinde völlig berubigt. Kaum hatte Ticher:
nyſchew von Laudons Niederlage gehört, als er mit feinen 20000 Mann eilends
über die Oder zurüdging; es bedurfte dazu nicht noch der Kriegsliit, mit der
Friedrich dem ruffischen General einen die öfterreihiichen Verlufte ftarf übertreiben:
den Schladhtbericht in die Hände ipielte. Wie hätte es nun die Defterreicher
nad diejem, wie Daun fi ausdrüdte, unerwarteten Nüdzuge der Ruſſen nod
in der gefährliden Nahbarichaft des preußiichen Heeres gelitten! Ihre ſämt—
lihen Corps marjcierten in der Richtung auf das Gebirge ab, und der König
ftellte am 18. ungehindert feine Verbindung mit Breslau und dem Heere des
Prinzen Heinrich ber. Die Truppen batten herrliche Tage, denn die vom Feinde
erreiteten Einwohner der ſchleſiſchen Hauptitadt brachten ihnen Bier, Branntwein,
Fleiſch und Tabak im Weberfluß in das Lager.
„Dan bat gut reden, daß der König von Preußen ſchon halb zu Grunde
gerichtet iſt, daß feine Truppen nicht mehr diefelben find, daß er feine Generale
bat: alles das kann wahr fein, aber jein Geift, der alles belebt, bleibt immer
derjelbe, und unglüclicherweife bleibt der Geift bei uns auch immer derſelbe.“
So ſchrieb drei Tage nah Lieanig aus Dauns Hauptquartier der Franzose
Montazet. Das Bild, das die Koalition in diefem Augenblide gewährte, war
trüber denn je: allgemeine Niedergeichlagenheit und Unluft, Mißtrauen aller gegen
alle, offener Streit, bittere gegenfeitige Anklagen. Auf Daun jchalten nicht
bloß die Ruſſen und Franzofen, jondern vor allem Laudon; er jprad in einem
Briefe an feinen großen Gönner Haunig unummunden die Anklage aus, daß
er „hintergangen” worden jei. Kauni antwortete, lediglih Unentſchloſſenheit
falle Daun zur Laſt, von Böswilligfeit fei feine Rede; aber eine Zeit lang
wurde Laudons Auffaffung in Wien ziemlich allgemein geteilt. Auch an Spott:
bildern und Pasquillen auf Daun fehlte es nicht. Wenn nun aber die Kaiferin-
Königin auch jest wieder!) beftürmt wurde, den Zauberer vom Überbefebl zu
entheben, jo erinnerte fie fih zu dankbar der drei Siege von Kolin, Hochkirch
und Maren, und war vielmehr geneigt, die Schuld für die legte Niederlage der
Unvorfichtigfeit Laudons beizumeſſen.
Am ärgerlichſten blieb, daß die Vereinigung mit den Ruſſen, die ſchon
als völlig geſichert gegolten hatte, für dieſen Feldzug ſich nun nicht mehr hoffen
ließ. Ihr Feldherr war nicht zu erweidhen, er war feſt entichloffen, ſich einem
Angriff dur den König von Preußen nicht auszujegen. Wenn Daun, jo lieh
Sſaltykow fih vernehmen, feinem Waffengefährten Laudon auf anderthalb
Stunden Entfernung feine Unterftügung gebracht babe, wie dürfe man fich ver:
ſprechen, daß er den König verhindern werde, mit aefamter Macht fih raſch
) Bgl. oben ©. 158. 213.
Ariedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 267
auf die Ruſſen zu werfen. Sſaltykow jah feine Aufgabe jest lediglich darin,
durch kleine Märfche oderabmwärts das Heer des Prinzen Heinrih nad fich zu
ziehen: dadurch werde Daun wieder eine beträchtliche Nebermadt über den König
gewinnen und jeine Operationen in Schlefien ungehindert fortjeten fünnen.
Wie Sſaltykow annahm, war Prinz Heinrih allerdings der Meinung,
baß er den Ruſſen nadzurüden habe. Der König entſchied anders. Er beabſich—
tigte, die längit erfehnte große Entiheidung gegen das öſterreichiſche Hauptheer jetzt
bier in Schlefien herbeizuführen. Er verftärfte deshalb jein eigenes Corps durch
die Hauptmafle des zweiten Heeres auf etwa 50000 Mann. Er nahm nicht
an, daß die Rufen noch einmal umkehren würden; er glaubte fie einem Be:
obadtungscorpe von 10—12000 Mann überlaffen zu dürfen. Den Befehl
über dieſe Abteilung erhielt Generallieutenant v. d. Golg, während der Prinz
fih mit Berufung auf feine angegriffene Gejundheit verftimmt vom Heere
zurüdzog und feinen Aufenthalt in Breslau nahm.
Auf Daun übte die Zufammenziehung der preußiichen Streitkräfte die
Wirkung aus, daß er die den Ruſſen erteilte Zufage, fie durch Laudon bei der
Belagerung von Glogau zu unterftügen, fofort zurüdzog; nur zögernd erneute
er fie jpäter. Sein Hof trieb ihn immer dringender zur That. In einem auf:
gefangenen Briefe des Königs von Preußen las man mit Genugthuung jehr
trübjelige Betrachtungen und das Eingeftändnis, ehedem würde ein Tag wie der von
Liegnig einen Feldzug entſchieden haben, jett jei fol eine Aktion nur wie eine
leihte Schramme. Unter dem Vorſitz der Kaiferin trat ein Kriegsrat zufammen,
die in der Hauptitadt befindlichen Feldmarſchälle gaben ihr Gutachten dahin ab,
daß es ganz umerläßlich ſei, den kurzen Reit des Feldzugs noch zu enticheidenden
Unternehmungen auszunugen. Der Staatsfanzler beihwor Laudon, dem Ober:
feldherrn zu „großen, herzhaften und vigoureuſen“ Entjchlüffen den Mut zu
ſtärken. Wenn aber die Kaiferin wie ftets erflärte, die Verantwortung für den
Verluſt einer Schlacht auf fih nehmen zu wollen, jo antwortete ihr Daun, daß
er bei einem in augenscheinliher Vorausficht des Miflingens unternommenen An:
griffe doch allemal verantwortlich bleibe für das Blut jo vieler dabei frevelhaft
aufgeopferter tapferer und treugefinnter Soldaten. Daß „decifive Operationes“
von Nöten feien, erfannte er an und beteuerte: „Gott weiß, daß ih Tag und
Nacht danach ftrebe; mithin wolle nur feine Barmherzigkeit mid) mehrers als
bishero dazu erleuchten, wozu ih Tag und Nacht feine Allmacht anrufe.”
Am 30. Auguft brach König Friedrih aus feinem Lager bei Breslau auf,
näherte fih durch zwei Märjche, die ihn links am Zobtenberg herumführten, der
Feltung Schweidnig und bezog am 3. September ein Lager zwiſchen Bunzel-
wit und Striegau. Er hatte anfänglich wieder gehofft, in vier oder fünf Tagen
am Ziele zu.fein, wenn nämlid Daun, um ihn von Schweidnig fernzuhalten,
die Schladht annahm: „Seit unferem Aufbruch,” berichtete Graf Hendel an den
Prinzen Heinrih, „haben wir keinen Marſch gethan ohne die Erwartung, eine
Schlacht zu engagieren.” est follte ein Vorftoß in das Gebirge, eine Be:
drohung der Zufuhritraßen den Feind abermals vor die Wahl ſtellen, entweder
ih zu fchlagen oder „wenigitens” den Rückzug fortzufegen, diesmal bis nad)
Böhmen. Aber der Nerfuh, die Defterreiher in ihrer Stellung hinter Hohen:
268 Siebentes Bud. Zweiter Abichnitt.
friedberg zu umgehen und von Landshut abzufhneiden, wurde durd die Wach—
famfeit Laudons vereitelt. Das Lager bei Baumgarten, das die Preußen jett
zwifhen den Bergen bezogen, bradte die djterreichiihen Generale von neuem
auf den Gedanken an einen Ueberfall, wie er bei Hochkirch geglüdt und bei
Liegnit nicht zur Ausführung gefommen war. Aber dem Könige entgingen
weder die Vorbereitungen des Feindes noch die Mängel jeiner eignen Stellung,
er wollte auf diefem Platz, von dem es im Falle einer Niederlage fein Entrinnen
gab, das Glück nicht auf die Probe ftelen; er brad am 16. abends aus dem
Lager auf und wählte eine neue Stellung in unmittelbarer Nähe von Schweibnig
bei Hohengiersdorf. Nun klagten Daun und feine Mitfeldherren ihrerjeits, wenig:
itens in ihren Berichten nah Wien, daß der König alles jorgfältig vermeide,
was zu einer Entſcheidung führen fünne, befannten aber zugleih, daß fie unter
diefen Umſtänden in Sclefien nidts mehr zu erreihen vermödten. Nicht
einmal an die Belagerung von Schweidnit durfte noch gedacht werden, die man
in Wien bisher immer als etwas allzu Geringes bezeichnet hatte.
In dem bdrüdenden Gefühl, mit feiner Heerführung auf einem toten
Punkte angelangt zu jein, nahm Daun mit Erleichterung einen erlöjenden Vor:
ichlag aus dem ruffiihen Hauptquartier zu Carolath auf: ruſſiſche und öfter:
reihiijhe Truppen sollten fi zu einer Unternehmung gegen Berlin vereinigen.
Prinz Heinrich hatte recht behalten, wenn er mit dem Abzug der Ruflen von
Breslau ihren diesjährigen Feldzug noch nicht als beendet anjehen wollte. Von
der Oder her festen fih 23000 Auffen unter Tottleben, Tichernyfhew und
Panin in Bewegung, aus den fchlefifchen Bergen 18000 Defterreider unter
Lacy; denn ihm und nicht dem verhaßten Yaudon, wie e& die Rufen gewünjcht
hätten, wollte Daun die Ehren diejes Zuges gönnen.
Zuerft war Tottleben am Ziel mit jeinen 6000 Grenadieren, Kojafen und
Huſaren; am 3, Oftober zeigte fih jein Vortrab auf den NRollbergen vor dem
Kottbufer Thor. Dem ſchwachherzigen Kommandanten der Reſidenz, jenem jchon
1757 hinter feiner Aufgabe zurüdgebliebenen Rochow,!) ftanden diesmal Männer
von allerbeftem Sclage zur Seite, der feine Kunersdorfer Wunde ausbeilende
Seydlitz und als Ehrengouverneur der alte Feldmarſchall Lehmwaldt,*) der es
mit feinen 75 Jahren jegt angefichts der Gefahr als feine liebte Prlicht bes
zeichnete, „für die gute Stadt Berlin und das Beite Sr. Königl. Majeftät den
Reft meiner alten Tage daranzufegen, die mir jonft fein rechtes Fortkommen mehr
erlauben wollen“. Sie wiejen den Gedanken an Uebergabe weit ab und jhlugen
mit drei ſchwachen Garnifonbataillonen und 40 Stadthufaren am Halliſchen
und am Kottbujer Thor den Sturm der Rufen ab; das Bombardement in der
monbhellen Naht auf den 4. Oktober äfcherte doch nur wenige Häufer ein. Der
Hof und die oberiten Staatsbehörden waren jchon im Frühjahr wieder nad
Magdeburg übergefiedelt. Die Bürger von Berlin glaubten ſich gerettet, als
von Nord und Süd Entjag heranfam: vom pommerſchen Kriegsihauplag am 4.
Prinz Friedrih Eugen von Württemberg, von der Elbe am 7. das Hülſenſche
) Dben ©. 127.
2, Chen S. 223.
Ariebensverhandlungen. Feldzug von 1760. 2659
Corps, das durch die überlegenen Streitkräfte der Defterreiher und des Reihe
von Torgau und Wittenberg abgedrängt worden war. An 16000 Mann waren
damit in und bei Berlin vereinigt. Aber Zug um Zug trafen auch die feind:
lihen Abteilungen ein: am 5. Tſchernyſchew, am 8. Panin und, den Verteidigern
völlig unerwartet, die Defterreiher unter Lacy; die Zahl der Bedränger war
auf mehr als 40000 geftiegen. Und aus der Udermarf waren bie Schweden
im Anmarſch, bei Treuenbriezen ftand die Reichsarmee, bei Landsberg an der
Warthe das ruffische Hauptbeer.
So ſchien feine Ausfiht zu bleiben auf Errettung einer Stabt von dem
Umfange dreier Meilen, die nur füdlih der Spree mit einer Mauer und
ſchwachen Erdwerken, im Norden nur dur einen Pallifadenzaun umgeben war.
Um die Truppen dem Könige zu erhalten, zogen die Generale in der Nacht
auf den 9. nad Spandau ab, der Kommandant übergab die Stadt dem General
Tottleben, die Bürgerihaft übernahm die Zahlung einer Kontribution von
2 Millionen Thalern, deren Betrag in der folge von dem Könige erfegt wurde.
Die Defterreiher wurden von ihren Verbündeten gleihjfam nur als Zuſchauer in
der Stadt geduldet, und da den ruffiichen Generalen nichts peinliher war, als
wenn fie Barbaren geicholten wurden, fo hielten ihre Truppen bier in ber
Hauptitadt weit ftrengere Mannszucht, als auf ihren Verheerungszügen burd)
das platte Land. Ebenfo erlaubte in Potsdam Graf Efterhazy feinen Deiter:
teichern Feinerlei Ausfchreitungen. Um jo mwültere Vorgänge fpielten fich im
Schloſſe der Königin zu Schönhaufen, zumal aber im Charlottenburger Schloſſe
ab, wo Zimmerausftattung, Silberſchmuck und Kunftgegenftände, die Bilder von
Watteau und Lancret und die Antilen aus der Polignacſchen Sammlung!)
unterjchiedlos der Raubluft oder der Zeritörungswut der Kojafen und der öfter:
reichiſchen Huſaren, und zwar unter den Augen der Offiziere, zum Opfer fielen.
Nur wenige Tage währte der jchredensvolle Beſuch. Schon am 11. Dftober
zogen die Deiterreicher aus Berlin ab, am 12. und 13. die Rufen; denn der
Ruf eriholl, daß der König nabe.
Friedrid war am 7. Dftober aus ſeinem Lager bei Waldenburg ab:
marſchiert; er ermaß, dab die Campagne noch „jehr ernithaft“ werden würde.
Den Schuß der jchlefiichen Feitungen gegen Laudon übernahm Goltz, der noch
bei Glogau ftand. Wieder König vorausgejeht hatte, 309g Daun hinter ihm
bee. So wurde die Hauptbühne an die Elbe zurüdverlegt. Am 22, Oktober
vereinigten fih Daun und Lacy unweit Torgau, am 26. der König und Hülfen am
Zujfammenfluß der Elbe und Mulde bei Roßlau. Die Neihsarmee war jchnell
veriheudt, von der Verbindung mit Daun abgedrängt.
In diefem Flachland, das er vor einem Yahr dem Bruder als ein zur
Schlacht einladendes Gefilde bezeichnet hatte”), wollte Friedrich jegt unter allen
Umftänden dem Feinde die Entiheidungsichladht aufzwingen. „Ziehen wir ben
Krieg in die Länge,” ſagte er fih, „und juche ich nicht eine entjcheidende Affaire
herbeizuführen, jo wird der Friede im Minter uns im Stiche laſſen, und in
') 8b. I, 473.
2) Oben ©. 233.
270 Siebentes Buch. Zweiter Abſchnitt.
einem weiteren Feldzuge würden unfere Angelegenheiten noch ſchlimmer ftehen,
als bisher.” Dazu kam, daß Winterquartiere für die Truppen, Geld und Re:
fruten für Fortſetzung des Krieges fi nur in bem jest fait ganz von den
Defterreihern bejegten Sachſen bejchaffen ließen.
Aber wird der fo oft vereitelte Vorſatz fich diesmal ausführen laſſen? „Wir
ermangeln nicht des Wollens noch des Muts, wir erjehnen uns nur Gelegenheit
und Glüd.“ Matt und abgeipannt, wie er ich in diefen Tagen fühlte — er
bezeichnet fich als frank und juchte fih durch einen Aderlaß zu helfen —, jah er
die Dinge wieder nur ſchwarz und wollte an das erjehnte Glüd nicht mehr
glauben. „Denkt nicht,” jchreibt er am 24. Oftober an d'Argens, „dab id
nicht flar jehe durch den Wolkenſchleier, mit dem Sie thatjählihe und er:
drüdende Unglüdsjchläge verhüllen wollen. Das Ende meiner Tage ift ver:
giftet, und der Abend meines Lebens ebenjo jchredlich wie jein Morgen war.
Was ih auch thun mag, bei der Menge meiner Feinde jehe ich voraus, daß
ih, wenn ich bier wiberftehe, dort unterliegen muß; ich habe nicht Hülfe, noch
Entjag, nod Frieden, ich habe nichts in der Welt zu hoffen.”
Als d'Argens noch weiter tröften wollte, antwortete ihm Friedrich am 28.
ſchneidend: „ch jehe, dab wir uns in unferen Gedanken nicht begegnen und daß
wir von fehr verjchiedenen Grundjägen ausgehen. Sie legen auf das Leben
Wert als Sybarit; ih für mein Teil betradhte den Tod als Stoifer. Niemals
werde ich den Augenblid erleben, der mid zwingen fol, einen unehrenbaften
Frieden zu jchließen; feine Ueberredung, feine Beredſamkeit fönnen mich dahin
bringen, meine Schande zu unterzeichnen. Entweder werde ich mich begraben
laffen unter den Trümmern meines Vaterlandes, oder, wenn dem Unglück, das
mich verfolgt, diefe Tröftung noch zu ſüß erjcheint, jo werde ich jelber meinen
Leiden ein Ziel jegen, wenn es nicht mehr möglich jein wird fie zu ertragen.
Ih habe gehandelt und werde zu handeln fortfahren nach diejer inneren Stimme
und dem Chrgefühl, die alle meine Schritte lenfen; mein Verhalten wird zu
jeder Zeit mit diefen Grundfägen übereinftimmen. Nachdem ich meine Jugend
meinem Vater, mein reiferes Alter meinem VBaterlande geopfert habe, glaube
ich das Recht erworben zu haben, über mein Alter frei zu beftimmen, Ich habe
es Ihnen gejagt und wiederhole es: nie wird meine Hand einen demütigenden
Frieden unterzeichnen. Und jo will ich diefen Feldzug beenden; entichlofien,
alles zu wagen und die verzweifeltiten Dinge zu verſuchen, um zu fiegen oder ein
Ende mit Ruhm zu finden.” —
An der Mulde aufwärts marjchiert gelangte das preußiihe Heer am
30, Oktober nad Eilenburg. Ueber die Stellung des Feindes war nichts Sicheres
zu erfunden. Am 2. November hoffte man ihn bei Schildau zu treffen, aber
durch Dejerteure erfuhr man, daß er zwiſchen Großwig und Torgau auf den
Süptiger Höhen lagere.
Dieje Hügelfette wurde zu den unangreifbaren Poiten gezählt. Prinz
Heinrich hatte fie 1759 gegen Daun, und Hülfen vor kurzem gegen die Reichs—
armee inne gehabt, ohne von der Weberzahl angegriffen zu werden. König
Friedrih ſah die Schwäche der Stellung in ihrem Mangel an Tiefe: bei einem
gleichzeitigen Angriff in der Front und im Rüden ſchien fie ihm unvermeidlicher:
Sriedenäverhandlungen. Feldzug von 1760. 271
weile auseinanderbredhen zu müjlen, wo dann die Trümmer aufgerollt und in
die Elbe gefegt werben follten.
Am 3. November in der Frühe um 7 Uhr verließ das Heer das Lager
von Schildau und Langen-Reichenbach. Die Infanterie bildete zwei Kolonnen,
in der dritten, die bei dem beabiidhtigten Umgehungsmaric durch die Dom:
mitzſcher Heide die Peripherie des Halbfreifes zu bejchreiben hatte, marjchierte die
Kavallerie unter dem Prinzen Georg Ludwig von Holftein:Gottorp; jeder Kolonne
ritten Hularen voran. Nachdem eine gute Meile zurüdgelegt war, mußten die
Enden der Kolonnen Halt mahen, 21 Bataillone und 55 Schwadronen, etwa
der dritte Teil der Infanterie und die Hälfte der Kavallerie, an 18000 Mann
von den 44000, die für die Schladht verfügbar waren. General Zieten, dem
diejes Corps anvertraut wurde, erhielt die Weifung, fih im Walde an der Heer:
frage von Leipzig nah Torgau zu halten, bis der König nad feinem Um:
gehungsmaricd den Angriff auf den nah Torgau zugewandten Flügel des Feindes
beginnen würde; alsdann jollte Zieten bei Großwig auf den entgegengejegten
Flügel fallen. „Wir festen voraus,” jo erläuterte nad der Schlacht der Major
Gaudi dem Prinzen Heinrich diefen Entwurf, „daß der Feind in der Ueberrafchung
über ein jo unerwartetes Manöver in furchtbare Unordnung geraten würde,
wenn er jeine Negimenter ummenden, jeine Schlachtordnung und feine Batterien
ändern mußte in dem Augenblid, da wir ihn von fo verſchiedenen Seiten an:
griffen.”
Zietens Aufgabe erforderte in ungewöhnlihem Mae ſowohl Urteil wie
Entihluß; das ſchwerſte Tagewerk feines Lebens ſtand vor dem jet einund—
jechzigjährigen Hufarenvater. Wie wechjelvoll hatte diejes Leben jeinen Lauf ge:
nommen. Als nfanteriefähnrich wegen Kleiner Geitalt und „ſchwacher Stimme
für das Kommandieren“ dimittiert, jpäter ald Dragonerlieutenant wegen eines
Ehrenhandels mit jeinem nächſten Vorgeſetzten kaſſiert, hatte der noch nicht
Dreißigjährige jeine Soldatenlaufbahn als abgeſchloſſen betrachten müſſen, als
König Friedrih Wilhelm nah Jahr und Tag bei der Errichtung einer Frei—
compagnie Hujaren ihm ein drittes Mal den Eintritt in das Heer geitattete.
Sein Anjehen war dann jtetig gewachſen mit dem Anjehen der Truppe, die
ihre Art und Kunft nicht zum mindeften ihm, dem quten Führer und dem guten
echter, verdankte und die den Ehrgeiz mit ihm teilte, nicht weniger, fondern
mehr zu leilten als die älteren und zur Zeit noch als vornehmer geltenden
Reitergeihwader. Schon in Friedrihs eriten Kriegen war der Nuhm der preußi:
ichen Huſaren und der Name des unanjehnlichen, wortfargen Zieten in aller
Munde. Bor dem Feinde zum Generalmajor ernannt, fonnte Zieten mit den
dienjtlihen Aufgaben der folgenden Friedenszeit fich nicht recht abfinden. Durch
jeine Empfindlichkeit, jeine Eiferfucht auf diejen oder jenen Günftling des Könige,
feine Eiferfucht insgemein auf die Kürafjiere und Dragoner, denen er troß feines
ſchnellen Avancements ſich hintenangeſetzt glaubte, durch allerhand fonftige Grillen
bereitete jih der Wadere mande ſchwere Stunde: „Sn der Garnijon taugt
Bieten den Teufel nicht,“ fol der König gelagt haben, „und jeinetwegen fann
ich feinen Krieg anfangen.“ Der neue Krieg zeigte ihn dann auf der alten Höhe.
Bei Prag, Kolin, Breslau, Leuthen, Hochkirch, in zahlloien Kleinen Gefechten,
272 Siebentes Bud. Zweiter Abſchnitt.
überall war Zieten dabei gemweien, nicht überall gleih alüdlih, aber immer um—
fihtig und vor allem immer unerfchroden. Bei Liegnik hatte er zum erftenmal
einen ganzen Flügel fommandiert und fih das Patent als General der Ka—
vallerie verdient. Heute aljo mußte er noch mehr auf ſich nehmen, er jollte ein
ganzes Corps jelbitändig zum Kampfe führen und doch feine Entſcheidungen
wieder einem ftrategiihen Entwurfe anpafien, deſſen räumliche und zeitliche
Vorausjegungen den größten Zufälligfeiten ausgefegt waren.
So erlitt aleih der Marich des Königs durch die fandige Kiefernheide
unvorbergejehenen Zeitverluft dur Gefechte mit feindlichen Abteilungen und
das dadurch veranlafte Nusbiegen und Zufammenftoßen der Kolonnen. Als um
121 Uhr die erfte Kolonne aus dem Wald in die kleine Ebene eintrat, die ſich
bei den Dörfern Elsnig und Neiden zwiſchen den Wald und die von den toten
Nebenläufen des Stromes durchſetzte Elbniederung legt, gingen die Vortruppen
Dauns eilig zurüd und gaben ſomit den Uebergang frei über den zwijchen
beiden Dörfern die Ebene durchſchneidenden ſumpfigen Striemühlenbah: ein
ftarfes Corps an diefem Defile aufgeitellt, würde ihm, fo meinte der König,
die Schlacht unmöglich gemacht haben.
Er gewahrte, daß die Stellung der Gegner nicht jo nahe, wie er voraus—
geiegt hatte, an Torgau heranreichte; er überzeugte ſich zugleich, dab fie, durch—
weicht wie in biefer Jahreszeit das Gelände nad der Elbe zu war, von dieſer
Seite, von Nordoit, nicht umfaßt werden fonnte. Er mußte fi aljo, gegen die
Dispofition, für den Angriff aus Nordweſten auf den an die Süptiger Höhen
gelehnten linken Flügel entjcheiden.
Daun hatte den Angriff ausichlieflih von Süden ber erwartet, aber
während des Umgehungsmarſches der Preußen dur die Dommitzſcher Heide hatte
er reichlich Zeit gehabt, feine Stellung für den Kampf mit zwei Fronten einzu—
richten. Er ließ das erite Treffen gegen Norden, das zweite nah Süden —
denn Zietens Verbleiben war feiner Kenntnis nicht entgangen — gegen Süptit
und den Nöhrgraben Front machen; auf dem jchmalen weftlihen Rande des
Höhenzuges, an einer Schanze oberhalb des zwiſchen den Scafteihen empor—
führenden Dammes, ſchloß den Raum zwiſchen den beiden Treffen eine Flanke
von drei Bataillonen, nah Oſten, gegen Zinna, blieb das Viered offen. Die
Eüdfront verlängerte in einem nah Südoften ausfpringenden Hafen, durch
Zinna von dem Hauptheer getrennt, das Corps Lacys, in der Stärke von
17000 Dann. Quer über die Leipzig: Torgauer Straße geftellt, mit dem großen
Teich in der Flanke, dedten diefe Truppen Torgau, die Nüczugslinie und die
über die Elbe gelegten Schiffsbrüden gegen eine Gefährdung durd das Corps
von Zieten. Nah Abzug jener 17000 Mann blieben in der Hauptftellung
33000 Defterreiher, etwa 25000 nad Norden, der Neit gegen Süptig ge
richtet.
Das Hin: und Herwogen des in die Schlachtordnung einrüdenden Feindes,
jowie der Umstand, daß zahlreiche Gepädwagen fiber die Brüde auf das rechte
Elbufer abjuhren, legten die Vermutung nahe, daß Daun, wie fo oft, ber
Schlacht ausweihen wolle. Ein auf Kundſchaft ausgefandter Adjutant beftärkte
den König in diefer Annahme Dann durfte fein Augenblid verloren werben,
Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 273
um fo weniger, als der ftarfe Südwind einen Geihügbonner herübertrug, der
dahin gedeutet wurde, daß Bieten bereits am Werfe war.
Der König ließ das zum erjten Angriff beitimmte Grenadiercorps über den
Striebach gehen, durch das Neidener Holz fich rechts ziehen und noch im Walde
aufmarjchieren, obgleich die Kavallerie noch über eine Meile vom Schlachtfeld
entfernt war und auch die Pofitionsgeihüte im aufgeweihten Waldgrund dem
beichleunigten Schritt der Infanterie nicht folgen konnten. Schon war man im
Bereich der feindlihen Batterieen; die einichlagenden Geſchoſſe vervielfältigten
fih durch die Splitter der zerjcehmetterten Bäume; ber zu Boden krachende Aft
einer Eiche erjchlug hart neben dem Könige zwei Grenadiere. Friedrich ftieg
vom Pferde und führte die Bataillone aus dem Walde heraus in die janft an—
fteigende, nur etwa 1000 Schritte breite Ebene, die, vom Walde und links durd
den tiefeingefchnittenen Zicheitichfengraben halbkreisartig umſchloſſen, die Angriffs:
linie von der öfterreihiichen Stellung noch trennte.
Es war um 2 Uhr; in der legten halben Stunde hatte fi der Wind zu
einem von dichtem Schneeregen begleiteten Sturm gefteigert, aber die hundert
Feuerſchlünde der feindlihen Batterien überbrülten den Aufruhr der Natur.
Das Gefechtsfeld lag zunächſt ganz in Dunkelheit gehüllt; als fich der Himmel
wieder aufflärte, ſahen die Grenadiere ihren Gegner fon ganz nahe; aber
immer furdtbarer lichteten fich ihre Reihen. Zu den Verwundeten zählten die
beiden Brigadeführer, Syburg und Stutterheim, und von den Kommandeuren
der zehn zu diefem Angriff vereinigten Bataillone drei; ein vierter fiel zum
Tode getroffen, der Flügeladjutant Graf Wilhelm von Anhalt. Der König
befand fih unmittelbar hinter der Angriffslinie, neben ihn bes Gefallenen
Bruder, Graf Friedrih: „Alles geht heute ſchlecht,“ ruft der König ihm mit
Ichmerzlier Bewegung zu, „meine Freunde verlaffen mich, eben meldet man
mir den Tod Ihres Bruders.”
Der Angriff der Grenadiere iſt abgeichlagen, ehe die Truppe zum Schuß
gefommen ift; dieſe Blüte der preußiichen Infanterie ift nahezu vernichtet.
Dreizehn Bataillone vom erften Treffen löjen die Avantgarde ab; auch die Bat:
terien find jegt aufgefahren und fünnen den neuen Angriff unterftügen. Er
führt weiter als der erfte, die Preußen werfen den beim Verfolgen bes Vor:
treffens in Unordnung geratenen Feind zurüf, dringen in die öfterreichiiche
Stellung ein und behaupten fi oben hartnädig, durch drei friſche Grenadier—
bataillone unterftügt. Aber Daun zieht Veritärfung beran, Fußvolf und zumal
Neiter. Der preußiſchen Infanterie fehlt noch immer die Unterftügung der
Schweiterwaffe, die Angreifer werden von der Anhöhe heruntergetrieben und bis
an den Wald zurüdgebrängt, wo das zweite Treffen, elf Bataillone, fie auf:
nimmt und bie Verfolger abweilt.
Und jest endlich ift auch die eigene Neiterei in Sit. Ueber ihr langes
Ausbleiben ift der König aufs äußerfte aufgebracht, er jchilt auf das Phlegma
ihres prinzlihen Führers und fchidt ihm feine Adjutanten entgegen, und Graf
Friedrich von Anhalt richtet dem Prinzen feine Botſchaft in jehr unehrerbietigen
Worten aus. Das Marjchtempo der Kolonne ift beim Austritt aus dem Walde
in geftredten Galopp übergegangen, der Prinz ift im beten Begriff, an ber
Roier, König Friedtich der Große II. 2. Aufl. 18
274 Siebentes Bud. Zweiter Abſchnitt.
Stätte der Gefahr vorbeizufprengen, als der Generaladjutant Krufemard fommt
und zwei Küraffierregimenter und die Baireuther Dragoner aus der Kolonne
herausnimmt. Unter den Augen des Königs werfen dieje Regimenter — es war
nah 3 Uhr — die öfterreihifhe Neiterei und bauen dann jofort in das Fuß:
volf ein. Bataillon auf Bataillon — die Baireuther erinnern fih an Hohen:
friedberg — wird über den Haufen geritten und zeriprengt, bis Kavallerie in
Ueberzahl heraneilt und die im Handgemenge auseinandergefonmenen preußiſchen
Reiter zurüdtreibt. Dem Verſuch des Prinzen von Holftein, mit dem Reit der
Kavallerie von Neiden her in den Kampf einzugreifen, ftellt fich der Zicheitichken:
graben als Hindernis entgegen, und als dann von Zinna ber öfterreichiiche
Schwabronen dem Prinzen in die Flanke fallen, muß auch er zurüdgehen. Nicht
glüclicher find während der Neitergefechte die elf Bataillone des zweiten Treffens
gewejen, fie haben troß heißen Ringens und nad wedielndem Erfolg dem
Feinde jchlieglich feinen Fuß breit Erde abgewonnen.
Als jegt die vier legten Bataillone — fie waren hinter der Kavallerie:
folonne hermarjchiert — aus dem Walde hervorrüdten, zog fich die öſterreichiſche
Kavallerie alsbald jo weit zurüd, daß fie ihnen aus dem Gefichtsfreis fam;
auch feindliche Infanterie jahen fie nicht, und fein Geſchütz ſandte ihnen einen
Gruß entgegen; nur Tote und Verwundete und verlaflene Kanonen bededten
das Feld. Die vier Bataillone marjdierten an der Neidener Waldede auf
und vereinigten ſich mit der rechts und links anſchließenden Kavallerie zu einer
neuen Linie, hinter der fi die geichlagenen Bataillone notdürftig wieder ordnen
fonnten.
Der König hatte fih während des ganzen Kampfes dem Feuer rüdfichtslos
ausgejeßt. Die Offiziere feiner Umgebung und feine Pagen waren zumeiſt ver:
wundet, drei Pferde ihm unter dem Leibe zuſammengeſchoſſen, eine Kanonenfugel
flog hart an ihm vorbei, eine Kartätichenfugel traf feine Bruft: betäubt ſank er
zufammen, zwei Adjutanten riffen feine Kleider auf, der Pelz und das Samt:
futter des Rockes hatten die Wirkung abgeſchwächt, die Kugel war am Körper
abgeprallt: „Ce n'est rien,“ fagte er, jchnell feiner Sinne wieder mächtig. Er
fonnte den Oberbefehl fortführen.
Jetzt, da die Dunkelheit hereingebrodden war und die Truppe völlig erjchöpft
ihien, glaubte er von weiteren Verſuchen abjehen zu müſſen. Er befahl dem
General Hüljen, das Defile die Nacht über zu halten; der Feind, feste er hinzu,
babe gleichfalls ungemein viel verloren, und da Bieten ihm noch im Rüden
ftünde, jo würde er nicht wagen, in feiner Stellung zu bleiben, fondern ſich in
der Nacht über die Elbe zurüdziehen, alsdann fei die Bataille dennod für uns
gewonnen.
Gleih darauf fonnte der König fich überzeugen, daß die gejchlagene In—
fanterie noch nicht fo verbraucht war, wie es zuerit den Anjchein hatte. Dem Major
Leitwig vom Regiment Altbraunfchweig, dem Oberſten Nimſchewsky und anderen
Stabsoffizieren war es gelungen, aus der Mannjchaft verichiedener Truppenteile
drei anſehnliche Bataillone zufammenzubringen; Leftwig erntete aus dem Munde
des Kriegsheren reiches Lob. Schon war die eingetretene Stille wieder unter:
brochen worden. Lebhafter Kanonendonner, ein Beweis, daß Zieten jest endlich
Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 275
am Feinde war, gab das Signal zu neuem Angriff. Auch Hülfen und fein
Adjutant Gaudi verftanden die Sprade diefer Gefhüge und ließen die Pommern
vom Regiment des jüngſt verftorbenen Prinzen Mori!) zu der von Leitwig
gefammelten Schar jtoßen. Die Kürajfierregimenter Epaen und Markgraf
Friedrih, ein Dutzend Kanonen und einige Haubiten jchloffen fih an. Der alte
Hüljen, durch einen Sturz mit dem Pferde verlegt, ließ fih auf einem der Ge:
ſchütze nachfahren. Unter dem Schuß der Dunfelheit gewann man eine vom
Feind verlaffene Höhe, die feine Stellung beherrſchte. Was fih von Geihüg
irgend herbeiſchaffen ließ, fuhr bier auf und fchüttete ein furchtbares Feuer auf
den überrajchten Feind. Er ermwiderte die Begrüßung, aber nur aus den Feld—
aeihügen; bei dem am jenjeitigen Hange emporleuchtenden Flammenjchein ber
in Brand geltedten Häufer von Süptit gewahrte man, wie die ſchwere Artillerie
in der Richtung nad) Torgau abfuhr. Einige Grenadierbataillone vom Lacyichen
Corps, ganz frifhe Truppen, eilten herbei, aber das Feuer der preußijchen Ge:
Ihüge und alsbald auch ein Bajonettangriff der Musketiere von Morik und
Markgraf Karl zwangen fie zur Flucht.
So fam in legter Stunde der Grundgedanfe des Schlachtplans endlich zur
Ausführung: zwei Angriffe wirkten zufammen und feßten fich gegenjeitig durch.
Denn in der That, wie man es unten im Neidener Walde angenommen hatte,
auch Zietens Bataillone faßten jet auf dem Bergrüden Fuß.
Bieten war am Vormittag auf dem Mari durch den fühlih von Süptig
gelegenen Wald an der roten Furt durch Warasdiner und Hufaren aufgehalten
worden, hatte fih dann mit der Artillerie Lacys in den Feuerkampf eingelafjen,
welden man zwiſchen 1 und 2 Uhr bei Neiden hörte, und war hinter dem
Röhrgraben in einer Stellung aufmarjchiert, aus der er ſowohl gegen Lacy wie
gegen bie öfterreihifhe Hauptmacht vorgehen konnte. Offenbar ftörte ihn diefe
unerwartete Flanfenftelung Lacys. Die dann eintretende Paufe, ein unficheres
Hin: und Herziehen, „Pouſſieren und Repouffieren”, brachte bei Zietens Dffi-
zieren die irrige Meinung auf, daß der König befohlen habe, den Angriff bier
erit dann zu beginnen, wenn man den Feind in Unordnung jehen würde. Erft
der Zwang der Not, die Erwägung, daß unter allen Umftänden — unb wenn
der König geihlagen war vollends — die Verbindung mit dem Hauptheer her:
geftellt werben mußte, hat dann, wie es fcheint, Zieten und feine Berater in
vorgerüdter Stunde zum Entihluffe und zur Eröffnung des nfanterieangriffs
veranlaft. An fteiliter Stelle, gegen die Weinberge oberhalb von Süptig unter:
nommen, hätte der Angriff ſchwerlich Erfolg gehabt, wenn nicht die Entdedung
des Dammes zwiichen den beiden Schafteichen andere Bataillone in die Flanke
des Feindes gebradt hätte, und wenn nicht diefe Flanke dadurch entblößt gewejen
wäre, daß die Defterreiher nad) ihren Berluften ſich nad der Mitte zufammen:
gezogen hatten. Aber auch jo blieb der Widerftand überaus fräftig; die über
den Damm emporgeltiegenen Truppen wurden auf der Höhe mit jo mörderiſchem
Feuer empfangen, daß fie die jchmwerften Verlufte zu beflagen hatten. Auch
geſchah es in der Dunkelheit, daß Preußen auf Preußen feuerten, als jegt von
') Bal. oben ©. 204.
276 Siebentes Bud. Zweiter Abichnitt.
hüben und drüben die Sturmfolonnen fi einander näherten. Da ſchlugen bie
Tambours nod einmal an, und die Wirbel der wohlbefannten Märfche ver:
fündeten den zu Tode ermatteten Truppen, daß die beiden Heere auf dem
Siegesfeld ihre Vereinigung gefunden hatten. Die Garnifonen von Berlin,
Spandau und Potsdam waren es injonderheit, die hier auf den Süptiger
Höhen fih ein mächtliches Rendezvous gaben: die jo oft erprobten Braven von
Forcade, Markgraf Karl und Prinz von Preußen, die Garde und Grenadier:
garde. Gegen 8 Uhr gab der Feind den Widerftand auf, wenn aud da und
dort noch einige Schüſſe gewechjelt wurden.
Der König hatte den Ausgang des von neuem entbrannten Kampfes noch
abgewartet, erft um 9 Uhr verließ er das Schlachtfeld. Er hielt vor der Thür
des Pfarrhaufes zu Elsnig, aber die Räume waren mit verwunbeten Offizieren
belegt. So ließ er fi in der Kirche eine Streu herricten und ein wärmendes
Feuer anzünden; Auf der unterften Altarftufe figend jchrieb er beim Schein ber
Kirchenkerzen die Siegesbotfhaft an den Minifter Findenftein: „Wir haben Daun
und die Defterreicher aeichlagen, die Nacht ift eingefallen, jonft würde ich mehr
Umftände melden fönnen. Wir haben viel Gefangene gemadt, id weiß die
Zahl nicht, aber begnügen Sie Sich mit der Nachricht, jo wie ich fie Ihnen gebe,
morgen werden Sie die Einzelheiten erfahren.“
Noch vor Tagesanbrud war der König wieder bei ben Truppen, ritt die
ganze Linie ab, umarmte Zieten und trat dann an die Wacdhtfeuer der Garde
heran, von den Truppen mit Jubel und treuberzigen Fragen begrüßt. Als es
heller wurde, gewahrte man, daß der Feind jeine Stellungen vollftändig geräumt
batte; auch Torgau war verlajien und wurde unverzüglid von den Preußen
beſetzt.
Daun hatte geſtern mit einer Schußwunde im Beine ſich im Sattel ge—
halten, bis er den Sieg völlig entſchieden glaubte; erſt um 27 hatte er ſich
auf einem Pulverkarren nah Torgau ſchaffen laffen. Kaum war ihm ein Ber:
band angelegt, als jeine Generale Yacy und D’Donnell ganz verftört in jein
Zimmer traten und den Berluft der Höhen eingeitanden. Dauns Rüdzugsbefehl
rettete das Heer vom Verderben, dem es verfallen wäre, wenn es den Ueber:
gang über die Elbe nicht mehr unter dem Schuße diefer Nacht ausführen konnte.
Ueber 7000 Gefangene, 30 Feldzeihen, 40 Kanonen blieben in den Händen ber
Sieger zurüd; der öfterreihiiche Gefamtverluft belief fih auf 16000 Mann, fait
den dritten Teil des Beitandes. König Friedrich bewies feinem zum eritenmal
bejiegten Gegner die Artigfeit, in feinem Schlachtbericht öffentlich auszuiprechen,
dat die VBerwundung Dauns den Preußen ihren Sieg erleichtert habe.
Die Shlaht war gewonnen. Aber nit die Vernichtungsſchlacht, die der
König geplant hatte. Und die eigenen Verluſte ftellten fich bald als jo jchmerz:
lih hodh heraus, daß der König feinen Adjutanten bei ftrenger Ahndung bie
Geheimhaltung der wirklihen Ziffern anbefahl. Mehr als das volle Drittel
fehlte dem Heere, fait 17000 Mann, 920 bei der Stavallerie, 15900 bei der
Infanterie.
„Betrachten wir,“ ſchreibt Friedrich drei Tage nach ſeinem Siege, „den
3. vielmehr als ein Ereignis, das uns vor großem Unglück bewahrt hat, denn
Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 977
als einen Triumph, der uns den Weg der Eroberungen und glänzenbiter Erfolge
erſchlöſſe“ Immerhin hoffte er damals und während der nächften acht Tage
noch, als Frucht jeines Sieges Dresden zurüdzugewinnen. Aber es gelang den
Defterreihern, fih vor der Ankunft ihrer Verfolger im Plauenihen Grund!)
feftzufegen, in diejer Stellung, die fih nad allgemeiner Anficht nicht über:
mwältigen ließ, aud wenn fie, wie Friedrich fagte, „nur von Schorniteinfegern”
beſetzt geweſen wäre.
Derweil entſetzte in Schleſien Goltz die Feſtung Koſel. Vor Kolberg hatte
ihon im September General Werner mit 7 Huſarenſchwadronen und 3 Ba:
taillonen durch fein bloßes Erſcheinen ein ruflisches Belagerungscorps vertrieben
und fogar die Kriegsihiffe der Rufen und Schweden zur Abfahrt veranlaßt.
Dann hatten Werner und Belling an der Uder ben erit im Auguft ins Feld
gerüdten Schweden die Stirn geboten, bis dieſe Ende Oftober wie alljährlich
auf Straljund zurüdgingen. Die Rufen nahmen ihre Winterquartiere wieder
binter der Weichjel.
Das preußiiche Heer hatte in dieſem Feldzuge, wie der König anerfannte,
mehr geleiftet, als er erwartet hatte. Er befand ſich jet am Schluffe „wieder
ungefähr in derjelben Lage wie bei der Eröffnung“ und glaubte ſich dazu be—
glückwünſchen zu müflen. Eine Gnabenfrift, jo faßte er es auf, von 7 Monaten
war mit dem Einzug in die Winterquartiere eröffnet. Torgau dünfte ihm „der
legte Funfe des verglimmenden Feuers”, und er citierte das Sprichwort: „Der
Krug geht jo lange zu Waſſer, bis er bricht.“
Auf dem weftlihen Kriegsichaupla war e8 zu einer Hauptichlacht in diefem
Jahre nicht gekommen, fo jehr auch der König von Preußen den Prinzen
Ferdinand darauf bingedrängt hatte. Bei Eleineren Zujammenftößen glüdlich,
batte der Prinz doch nicht verhindern können, dab Broglie, der unter den fran—
zöfifchen Generalen immer mehr fih als der fähigfte und gefährlichite erwies,
ganz Hefjen in feine Gewalt befam. Ein Heerhaufen unter dem Erbprinzen von
Braunſchweig hatte das zweite franzöſiſche Heer über den Rhein zurücgedrängt,
mußte aber nach dem unglüdlihen Gefecht bei Klofter Campen die Belagerung
von Weſel am 18. Oftober aufheben.
Es fehlte viel daran, daß die Franzoſen durch diefe doch nur bejcheidenen
Erfolge der Fortfegung des Kampfes geneigter geworben wären. In Oftindien
verloren fie zu Beginn des Yahres die Schlaht bei Wandewaſch, nad) der aud)
der Fall von Pondichery, ihrem letzten Waffenplag, umabmwendbar war; in
Amerika vollendeten die Engländer die Eroberung von Kanada mit der Einnahme
von Montreal. Immer unrubiger und mißlauniger ſah Choijeul dem Gang ber
Ereigniffe zu, und der öfterreichiiche Botichafter hatte unter der „Lebhaftigfeit,
Ausgelaflen: und Bosheit diejes ſo gefährlihen Mannes” jchwer zu leiden. Das
Feuer Ihürten die Berihte aus dem Daunſchen Hauptquartier, die hochmütigen
Krititen jenes Montazet, von dem Maria Therefia jagte, daß er fich der aller:
weijelte unter den Zeitgenofjen dünfe, fo daß man wünjchen müßte, das Kom:
mando jämtlicher vor dem Feinde ftehenden Armeen ausichließlih ihm anzuver:
') Dal. oben ©. 258.
278 Siebentes Bud. Zweiter Abſchnitt.
trauen. Die Schlacht bei Liegnig gab dem Herzog von Choifeul bei der eriten
Begegnung mit Starhemberg zu der Erklärung Anlaß, der König von Frank:
reich ſei feit entichloffen, diefen Feldzug den legten fein zu laffen: „Wir haben
fein Geld, feine Hülfsmittel, feine Marine, feine Soldaten, feine Generale, feine
Köpfe, feine Minifter.” Und in Wien ließ Choifeul demnächſt eine Denkſchrift
übergeben, die unter dem Hinweis auf den Fall, daß Ruſſen, Schweden und
Franzoſen ihre Beteiligung an dem Kampfe einzuftellen genötigt wären, die anzüg: .
liche Frage aufwarf, ob man dann in Wien fih nicht Gefahren ausgeſetzt jehen
würde, vor denen nad dem Urteil von ganz Europa die Talente des Grafen
Daun das Haus Deiterreih nicht zu bewahren vermödten. Die Kaiſerin-Königin
war über diefe Sprade in dem Grade aufgebradt, daß fie dem frangöfifchen
Botichafter erflärte, es dürfte ihr jomit nichts übrig bleiben, als die Allianz und
das Einvernehmen mit dem König von Preußen.
Nun war noch der Schlag von Torgau hinzugefommen, der in Wien um
fo jchmerzlicher empfunden wurde, als die von Daun voreilig abgefertigte Sieges-
botichaft Hof und Stabt mit hellitem Jubel erfüllt hatte. Ein Kriegsgericht zur
Unterfuhung der Urfahen des unglüdlihen Ausganges, wie die Kaijerin es
anregte, widerriet Daun entihieden, denn es würde ein „Hexenprozeß“ daraus
entitehen: „Gott hat es abfolute jo haben wollen, jonften wäre es nicht möglich,
dat es jo unglüdlich hätte endigen können; Gott ift geredht.” Daun erbot ſich,
der SKaijerin alle ihm befannt gewordenen Umftände mündlich vorzutragen,
„wenn Ew. Majeftät noch ein jo unglüdjeliges Tier, wie ich bin, vor Ihren
allerhöchften Augen werden ertragen oder leiden können”. Bon den Verbündeten
ward der geſchlagene Feldherr jegt alimpflicher beurteilt, als jener Daun, der
ih nie hatte Schlagen wollen; aber das Vertrauen auf die militäriſche Leiſtungs—
fähigfeit der Defterreiher war den Franzojen nunmehr ganz geſchwunden, und
ChHoifeul forderte dringender als je den Frieden, und zwar fo bald als nur irgend
möglid.
Zu klar legte ſich Kaunig über die gegebenen Thatſachen Rechenſchaft ab,
als daß er dem Verlangen Frankreichs ein jchroffes Nein entgegengejegt hätte.
Schon nad) Liegnig hatte er auf Grund der bisherigen Ergebnifje der Kriegs—
führung methodiih und umftändlidh für die Bedingungen des fünftigen Friedens
eine gleitende Ecala in fünffadher Abftufung aufgeftellt. Als der befte Friede
ericheint ihm der, welcher feiner Kaiferin ganz Schlefien und Glatz, ohne Ab—
tretung eines Nequivalents an Franfreih, und den Bundesgenofien gleichfalls
hinlängliche Entihädigungen auf Koften Preußens verjhafft; aber aud wenn
den Franzoſen ihr Nequivalent in den öfterreihiihen Niederlanden gewährt
werden muß, wird der Friede auf jener Grundlage immer noch als qut gelten
fönnen. Sollte ſich für die Kaiferin nur ein Teil von Schlefien, für die Bundes:
genofien nur unerheblihe Entihädigung gewinnen lafjen, jo wird der Friede als
mittelmäßig gelten müjlen, und als jchleht, wenn die Gewinnloſe nod Kleiner
ausfallen. Der jchlechteite Friede aber bleibt der, welcher den Beſitzſtand, wie
er vor dem Kriege war, einfach wiederherſtellt. Nach Torgau gab fi doch
Kaunig erniten Zweifeln darüber hin, ob es möglich jein werde, aud nur die
Grafichaft Glag dauernd zu behaupten. Indes riet er der Kaiferin, bei Beginn
Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 2709
der Friedensverhandlungen mit dem Anſpruche nicht fofort zu tief berabzugehen;
fie möge einftweilen unbeftimmt erklären, daß man nicht ganz Schlefien, jondern
nur einen Teil verlange.
Alſo erklärte fih endlih der Wiener Hof zum Vergleih grundſätzlich
bereit. Zum Zwede reifliher Abwägung aller Anſprüche und Intereſſen empfahl
Kaunig die Einberufung eines Kongreſſes. Nach einigem Zögern ging Choifeul
auf den Borichlag ein; fein Gegenantrag, jeitens der Parteien ausschließlich
Franfreih und England mit der Führung der gefamten Verhandlungen zu be:
trauen, wurde in Wien mit Lebhaftigkeit zurückgewieſen. Bis die Höfe von
Petersburg, Stodholm und Warſchau ihre Zuftimmung erklärt hatten, verging
noch geraume Zeit; dann wurde am 26. März 1761 im Namen fämtlider Ber:
bündeten, anfnüpfend an die englifch-preußifche Erklärung vom 25. November
1759, die Einladung zum Kongreß durch den ruffiihen Botjchafter in London
dem britiſchen Kabinett zugeftellt. Die dortigen Vertreter Preußens waren mit
Weifungen bereits verjehen; am 23, April erfolgte die Antwort, die Zufage
Englands und Preußens. Als Verfammlungsort des Kongrejles wurde Augs—
burg, als Zeitpunft für den Zufammentritt die erfte Hälfte des Juli in Ausficht
genommen.
Dritter Abjchnitt.
Das Jahr 1761,
nmittelbar nach der Torgauer Schlacht hatte König Friedrich die Kunde
von einem Ereignis erhalten, deffen Tragweite für das Bündnis zwijchen
/ Breußen und England fih nur zu bald herausftellen jollte Am
25. Oktober 1760 ftarb zu Kenfington fiebenundfiebzigjährig König Georg II.;
die Kronen von Großbritannien und Irland fielen an feinen zweiundzwanzig-
jährigen Enfel Georg II. Die kräftige, unüberwindlihe Abneigung Friedrid
Wilhelms I. gegen jeinen welfiihen Schwager hatte einft der Kronprinz Friedrich
als Erbteil vom Vater übernommen; die perlönlihe Spannung zwiihen Obeim
und Neffen hatte fi noch verjchärft durch die politiihe Gegnerihaft während
des öfterreihiichen Erbfolgefriegs und wieder nach dem Nachener Frieden. Erſt
die Waffenbrüderjhaft in dem großen Kriege gegen Frankreich hatte die beiden
Fürſten den alten Groll vergefjen laffen. Friedrih nahm die Trauerfunde nicht
ohne Bewegung entgegen; er hat in feiner Gejchichte diefes Krieges die heroiſche
Syeftigkeit des alten Welfen, feine volle Zuverläſſigkeit als Bundesgenoſſe viel:
leicht zu ſtark gerühmt, und er hat, als er jpäter die Darftellung feiner erften
Kriege umarbeitete, da, wo von Georg II. die Rede ift, die Schärfen gemildert,
den Spott getilgt.
Ein eigener Zufall, daß nicht lange vor des greifen Fürſten Tode die
Schatten der längſt vergrabenen Zwiſte noch einmal emporftiegen. Wie in der
erften Fallung jeiner Denfwürdigfeiten hatte Friedrich aud in jener nur in
ganz wenigen Abzügen gedrudten Sammlung feiner Gedichte,!) den „(Euvres du
Philosophe de Sanssouei*, feinen Oheim von England nit geihont. Im
Winter auf 1760 waren nun von dieſer jorgfältig gehüteten Koftbarfeit unab—
bängig voneinander zwei Nahdrude erſchienen; der Verfaſſer war über ben
hier vorliegenden VBertrauensbruh in mehr als einer Beziehung peinlich berührt;
er war unficher, wo er den Verräter juchen jolte, er jah fi wider Wunſch
') Vgl. Bd. 1, 496.
Das Jahr 1761. sl
und Willen vor den Augen der ganzen Welt als Poeten entlarot, er jah im
Gefolge diejer Veröffentlihung politiihe Nackenſchläge voraus.
Wir willen heute, daß der Herzog von Choifeul das litterarifch:politifche
Zwijchenipiel zwar nicht veranlaßt, aber begünftigt hat, daß nämlich die in Paris
veranjtaltete Ausgabe unter jeinen Augen entitand und dabei Fleine Aenderungen
und Auslaffungen erlitt, die das Nergernis immerhin zu verringern beftimmt
waren. Es war dem franzöfiichen Minifter nicht unerwünſcht, an dem erlauchten
Poeten eine Eleine Rache üben zu können. Friedrichs Feder war die Jahre
daher faum minder gejchäftig geweien, als fein Schwert. Das Breve des Papites
für den Marjchall Daun!) war nur eine Satire unter vielen; das Unglüd
fei, jcherzte Friedrih, daß diefer Krieg nicht durch Federſtriche, jondern durch)
Schwertftreihe entichieden werde: „gälte es nichts weiter als zu jchreiben, fo
würden wir binnen furzem Oeſterreicher, Rufen, Reichsfreife und Schweden auf
den Sand geſetzt haben.” So aber vermöchten diefe Krigeleien, feine Verfe und
Flugiriften, nur den Dienft zu leiten, ihm die Zeit zu vertreiben ?) und ihn
über feine Nöte hinwegzutäuſchen: „Wiegenlieder, mit denen ich mein Kind am
Schreien verhindere und einſchläfere.“ d’Argens, fein litterarifcher Vertrauter,
warnte: jedermann müſſe den Verfaſſer diefer Flugichriften erfennen, der König
babe nur die Wahl, entweder nicht mehr zu jchreiben, oder von allen mit Unter:
iheidungsvermögen begabten Leſern jofort erfannt zu werden. Friedrich ant:
wortete, er glaube nit, daß fein Stil jo ohne weiteres zum Verräter werben
müſſe, es fei denn dur gewiſſe Solöcismen; wie werde man überhaupt auf den
Gedanken fommen, daß er, der mit wichtigen Dingen nur allzufehr befchäftigt
fei, jeine Zeit mit joldhen Narreteien vergeuden werde? „Nicht mein Schreiben
der Frau von Pompadour an die Königin von Ungarn ift es, was den Krieg
ewig werden läßt; die Pompadour hat feine Ahnung davon, dab ih der Ver:
faffer bin, und niemand in Paris hat mid im Verdacht.“
Es fteht dahin, wie viele oder wie wenige diejer litterarifchen Angriffe von
den Gegnern auf Friedrihs Rechnung gejegt wurden; in einem Falle wenigitens
war Choifeul jehr genau unterrichtet. Friedrichs nicht für die Veröffentlihung
beitimmte Ode an Prinz Ferdinand von Braunjchweig mit ihren jtarfen Aus:
fällen gegen die Franzojen insgefamt und König Ludwig und jeine Bompadour
insbefondere war dem franzöfiihen Minifter in die Hände gejpielt worden und
hatte feinen ganzen Zorn gewedt. Voltaire, dem Friedrich eine Abjchrift mit:
geteilt hatte, war der Verräter gewejen, während er dem Verfaſſer beteuerte, daß
er das gefährliche Stüd, alsbald nad Empfang, dur Feuer vertilgt habe. Es
iſt nicht wahrſcheinlich, daß Voltaire nun auch bei der Veröffentlichung der „(Euvres
du Philosophe de Sanssouci* — denn er war einer ber wenigen, die von dem
Verfafler ein Eremplar?) erhalten hatten — dieje Judasrolle geipielt hat. Nur
jo viel fteht jet, daß er fehr früh den Nahdrud in den Händen hatte und daß
er in Briefen mit Schadenfreude fi ausmalte, wie Katholifen, Lutheraner und
Kalviniſten die freigeiftigen Verſe des königlichen Dichters aufnehmen würden.
) Oben ©. 209.
2) Val. oben S. 120.
) Bol. Bd. 1, 523.
282 Siebentes Bud. Dritter Abjchnitt.
Friedrich jedenfalls witterte Unrat, beichränfte fi indes in einem Briefe an
Voltaire auf die Andeutung: „Man begnügt fi nicht damit, den König in mir
zu verfolgen, man verfolgt auch den Autor; der, welcher meine Werfe veröffent:
licht hat, verrät damit feine ehrlofe Gefinnung. Ich lage niemanden an, aber
der Schuldige verdient die Strafe der Heiligtumsfchänder.“
Der König ließ in Berlin unter dem anjpruchslofen Titel „Po&sies diverses*
eine offizielle Ausgabe veranftalten; zahlreihe Verſe enthielten eine veränderte
Lesart oder waren ganz durch neue erſetzt; alles, was die Engländer oder Die
Ruſſen verlegen konnte, war getilgt; alle anderen Terte wurben als apokryph
bezeichnet. Auch dem engliihen Gejandten wurde ein Eremplar der gereinigten
Ausgabe zugeftellt, und der König nahm PVeranlaffung, ihm mündlich die Er-
läuterungen zu geben, die ihm mit Rückſicht auf die Engländer erforderlich
ihienen. In London wußte man, an welden der Terte man ſich zu halten
hatte. In den Kreifen der britiichen Negierung wurde der Sade eine Bedeutung
nicht beigemefien, aber die öffentlihe Meinung nahm jchweren Anftoß an dem
Anhalt des echten Werkes. „Diejer Philofoph von Sorgenfrei,” eiferte Horace
Walpole, „oder vielmehr diefer Mann, der kein ‚Rhilofopb‘ ift und mehr ‚Sorgen‘
bat als irgend ein Menſch in Europa, begeht die Thorheit, jeinen Widerwillen
gegen England öffentlih fund zu geben, und zwar gerade zu der Zeit, da Eng:
land fih für ihn aufgeopfert hat.” Noch andere Gründe zum Wergernis hatten,
wie Voltaire vorausgejagt hatte, alle Frommen in dem jtreng kirchlichen Lande.
Genug, die Zahl der Freunde Preußens in der britiihen Nation lichtete ſich
immer ftärfer.') Vor wenigen Jahren als „Heldenfönig“ in den Himmel erhoben,
hieß Friedrih ſchon 1760 ein Abenteurer, ein Wagehals; mit dem Sieg bei
Liegnig, den er noch ergattert hat, wird er nah Walpoles Meinung nur feinen
Sarg vergolden, da der Totengräber Daun fein Begräbnis bald bejorgen wird,
und obgleih dann für den Sieg von Torgau im St. James Parf Viktoria ge
ſchoſſen wurde, jo meinte doch wieder Walpole, es fönne für England, auf daß
fih ein Ausweg aus dem läftigen, deutichen Kriege eröffne, nichts Vorteilhafteres
geichehen, als wenn dem Sieger von Torgau der Kopf abgeſchoſſen würde.
Zunächſt aber jchien der Thronwechſel vom 25. Oktober 1760 eine Ber:
änderung in den Beziehungen Englands zu Preußen noch nicht herbeiführen zu
wollen. Die Eubfidien für die deutihen Verbündeten wurden auch für das
fommende Jahr vom Unterhaus anitandlos bewilligt. Von einem Syſtemwechſel
war nicht die Nede; zwar überließ Lord Holderneſſe fein Amt als einer der
Staatsjefretäre des Auswärtigen dem perfönliden Vertrauensmann des neuen
Königs, Lord Bute, und Nemwcaitle und fein Anhang gaben fi der Hoffnung
bin, durch diefes Zugeltändnis dem unbequemen Pitt in der Gunjt Georgs 11.
einen Vorſprung abzugemwinnen; aber Pitt hatte jeit Jahren perjönliche Be:
ziehungen zu dem jungen Hofe unterhalten und hatte in der Krifis von 1757?
ſich der Unterſtützung Butes zu erfreuen gehabt. Er ließ ſich aljo trog mancher
Bedenken den neuen Amtsgenoiien gefallen.
') Del. oben ©. 252.
*) Oben ©. 51. 68. 110.
Das Jahr 1761. 283
Wie im vorigen Winter empfahl der König von Preußen dem englifchen
Minifterium dringend, den Franzofen einen Sonderfrieden zu gewähren, immer
unter der Borausfegung, daß Frankreich fich verpflichten jollte, für die Sort:
ſetzung bes Krieges gegen Preußen nur nod das in dem Berteidigungsbündnis
von 1756 dem Wiener Hofe zugelagte Hülfscorps von 24000 Mann zu ftellen,
und daß dann England mindeitens 30000 Mann von jeinen bisherigen deutſchen
Hülfstruppen zu Gunften Preußens im Felde lafjen würde. In London fchien
man geneigt, dieſem Vorichlag näher zu treten, ſtieß ſich dann aber an der
Höhe der Summe, die Friedridh als zum Unterhalt diefer Hülfstruppen erforder:
lich bezeichnete: er bezifferte fie auf 5 Millionen Thaler. Und da inzwiichen
der Friede mit Frankreich wieder in weite Ferne rüdte, jo ließ man von eng:
lifcher Seite diefe Verhandlung mit Preußen Ende April 1761 ganz fallen.
War Friedrih ſchon aus dieſem Anlaß einigermaßen verftimmt, fo berührte
ihn noch peinlicher eine völlig unerwartete Eröffnung, die man feinen Vertretern
einige Wochen fpäter madte. Mit dem Hinweis auf den allerieits in Ausficht
genommenen Kongreß und auf neue Beiprehungen mit dem in London er:
jhienenen franzöfiichen Unterhändler Buffy ftellte Pitt die Frage, wie der König
von Preußen über die Anfprüche der Höfe von Wien und Dresden denfe. Er
wifle, daß der König entichlojjen jei, jede Gebietsabtretung zu verweigern; aber
wenn diefe Gefinnung allgemein befannt werden follte, jo jeien bie übeljten
Folgen zu befürdten, da feine und Friedrichs Feinde in England daraus Anlaß
nehmen würden, der Nation begreiflich zu machen, daß fie unter diefen Umftänden
nie zum Frieden gelangen fönne. Pitt bat jomit um eine beitimmte Erflärung.
König Friedrich erteilte fie jo bündig wie möglich. Er befahl feinen Ver:
tretern am 23. Juni, dem Herrn Pitt zu erwibern, daß der König es ſich nimmer:
mehr gedacht haben würbe, ſolche Reden von ihm zu hören. „Sch hätte den
Krieg bisher mit Ehren geführt und wollte ihn nicht mit Schande fortjegen, und
jei, Dank dem Himmel, noch nicht jo weit heruntergebradht, um meinen Feinden
nit die Stirn bieten zu können.” Friedrich berief fich darauf, daß der zwijchen
ihm und England beftehende Vertrag gerade die gegenfeitige Verpflichtung zur
Aufrehterhaltung des Beſitzſtandes ausſpreche. In einem zweiten Erlaß fügte
er hinzu: „Sie müſſen wachſamer fein denn je, um dieſe Leute zu beobachten,
die, wie mir jcheint, anfangen fi zu winden und neue Grundjäße anzunehmen.
Die meinen werden immer diefelben fein und erft mit dem Ende meiner Lebens:
geifter fih wandeln.”
Angefichts diefer nahdrüdlichen Erklärungen, und da die Ausficht auf den
Kongreß immer unfiherer wurde, ſah das engliihe Kabinett einftweilen davon
ab, weiter auf den König von Preußen einzureden.
Friedrih hatte im Frühjahr „zehn gegen eins wetten wollen”, daß die
Franzoſen noch vor Beginn des Feldzugs fich zum Frieden bequemen würden.
Er jah im Geifte auch ſchon die Schweden und Ruſſen vom Kriegsichauplag ver:
Ihwinden. Nun war alles beim alten geblieben.
Auch feine Verhandlung mit den Türken war nicht vom Flecke gefommen.
Zwar unterzeichnete fein immer hoffnungsvoller Agent Rexin am 2. April mit
dem Großvezier einen Freundſchafts- und Handelsvertrag, aber der König wußte
>84 Siebentes Bud. Dritter Abjchnitt.
jehr wohl, wie wenig diejes Ergebnis bedeutete, und richtete fich bei den üblichen
Gefchenten für die türkifhen MWürdenträger nad) dem Grundjag, „daß es genug
fei, vor fupfern Geld fupferne Seelenmeſſen zu halten,“ wenn er auch vor ber
Außenwelt, vor feinen Gegnern, von dem Abkommen ein wohl berechnetes Auf:
heben madhte.
Wie er jelbit hatten auch feine Gegner ohne Rüdficht auf die ſchwebenden
SFriedensverhandlungen — der Kongreß iſt wirklich nicht zu ftande gelommen —
in ihren militärifchen Vorbereitungen feinen Augenblid eingehalten. Es galt,
ichrieb Kaunig nah Paris, „Jozufagen den legten Verſuch, den großen End:
zweck zu erreihen”. Die Franzoſen ftellten in Helfen unter Broglie an 60 000,
unter Soubife am Rhein 80000 Mann auf. Wider die Erwartung des Wiener
Hofes fanden die Ruſſen ſich bereit, den für den vorigen Feldzug aufgeitellten
Dperationsplan wieder aufzunehmen. Sie beitimmten ein Corps für die Be:
lagerung von Kolberg und das Hauptbeer, über das noch im vorigen Herbit an
bes erkrankten Sjaltyfow Stelle der Feldmarfhall Buturlin den Befehl über:
nommen hatte, für einen Zug nad Schlelien, unter der Vorausſetzung, daß die
Defterreiher dort mit anjehnliden Streitkräften angriffsweile vorgehen würden.
Das war ohnehin in Ausfiht genommen, und Laudon, der den Ruſſen vorzugss
weiſe genehme General, ſchien mit jeinen von Maria Therelia ihm nadhgerühmten
Eigenſchaften, „reinem Dienfteifer, Berträglichkeit, guter Einficht und unerfchrodenem
Mute“, der geeignetite Mann für dieje offenfive Aufgabe. Dagegen hatte Daun,
dem dringenden Wunjche der Kaiferin nacdgebend, das Kommando über das
Hauptheer in Sachſen nur unter der Bedingung noch einmal übernommen, daß
man von ihm feine Eroberungen verlangen würde. Er erwartete, den König
in Perſon fich gegenüber zu ſehen, und nicht ohne Grund bezeichnete der Franzoſe
Montazet als die Wurzel alles Uebels „la peur extröme qu’on a du roi de
Prusse‘. Dauns linfen Flügel follte die Neihsarmee bilden, an deren Spike
jegt ein öfterreichiicher General, Graf Serbelloni trat, denn der bisherige reiche:
fürſtliche Feldherr, der Prinz von Pfalz: Zweibrüden,') war nad dreijährigen
Erfahrungen feines undanfbaren Kommandos ebenjo überdrüffig, wie fein er:
lauchter Vorgänger, der Prinz von Hildburghaufen, nad) dem Tage von Roßbach.
König Friedrich freuzte die Entwürfe feiner Gegner zunächſt ſchon dadurch,
daß er ſich dafür entichied, in diefem Jahre den Oberbefehl in Schlefien von
vornherein jelber zu übernehmen. Mitte März Fündete er feinen dortigen
Seneralen feine Ankunft für den Beginn des Mai an.
Der Winteraufenthalt in Leipzig hatte ihm größere Ruhe und Bequem:
lichkeit geboten, als der vorjährige zu Freiberg. Er hatte fi alsbald den
Marquis d'Argens aus Berlin eingeladen: „Jh kann nicht leugnen, daß es mir
ein lebhaftes Vergnügen fein fol, Sie wiederzufehen und mich über unzählige
Dinge mit Yhnen zu unterhalten. Ach werde einem Karthäufer gleichen, dem
i) Bal. oben S. 172.
Das Jahr 1761. 285
jein Oberer die Erlaubnis zu ſprechen erteilt. Ich habe in Schweigjamfeit und
Adgeichlofienheit gelebt. Machen Sie fih auf eine Ueberſchwemmung mit Ge
plapper gefaßt und auf alles, was das Gelüft einer lange durch den Schmerz
und durch die Stille der Einſamkeit gefeilelten Zunge vorzubringen vermag.”
Auch jeine beiden Neffen, der jechzehnjährige Thronfolger und der um drei
Jahre jüngere Prinz Heinrich, leifteten dem Könige mehrere Wochen hindurch
angenehme Gejellihaft. Wiederholt wurden die Profefjoren der Univerfität
zur Unterhaltung herangezogen; Gellert fand Anerkennung für jeine Fabeln,
Gottſched, den der König vor drei Jahren bei feinem erften Aufenthalt in Leipzig ')
ausgezeichnet hatte, verbarb es diesmal durch feine anfpruchsvolle Geſpreiztheit.
Alabendlich fpielte die aus Berlin herbeigerufene Kapelle, Friedrich beteiligte
fih mit feiner Flöte, aber das Blaſen wurde ihm ſchwer; wie ganz verändert
eridien den Muſikern ihr früher jo fröhlicher Gebieter, ernit, melandolifch, weit
über jeine neunundovierzig Jahre gealtert. Seiner mütterlihen Freundin, ber
vierundfiebzigjährigen Gräfin Camas, ?) fchrieb Friedrich in diefem Winter: „Ich
ſchwöre Ihnen, es ift ein Hundeleben, wie es, den Don Duirote ausgenommen,
niemand außer mir geführt hat. Dies ganze Treiben, diejer unaufhörliche Wirr:
warr hat mic) fo alt gemacht, daß Sie Mühe haben würden mich wiederzuerfennen.
An der rechten Seite ift mein Haar ganz grau, meine Zähne breden ab und
fallen aus, mein Geficht hat Runzeln gleich den Falten eines Weiberrods, mein
Rüden ift gekrümmt wie ein Bogen und mein Sinn traurig und niedergejchlagen
wie ein Trappiftenmönd. Sch bereite Sie auf alles das vor, damit Sie, falls
wir uns in Fleiih und Bein wiederjehen ſollten, über meinen Anblick nicht zu
entjegt find. Nur das Herz hat fich nicht verändert und wird, folange ich
atme, die Gefühle der Verehrung und einer innigen Freundfchaft für meine
gute Mama bewahren.”
Am 17. März 1761 verließ der König Leipzig und verfammelte wie im
Vorjahre die Truppen in dem Lager von Meißen. Die Ergänzung des Heeres
war „a la merveille* von ftatten gegangen; bei dem Heere in Sachſen fehlten
Ende März nur nod 1600 Mann. Insgeſamt konnten doch noch über 100 000 Mann
ins Feld geitellt werden, ohne die Garnifontruppen. Neben Sachſen, Medlen:
burg und den anhaltijchen Fürftentümern wurden diesmal auch alle thüringifchen
Lande bis zur Werra zu Soldatenlieferungen herangezogen, die Streifzüge des
Oberiten von Lölhöffel nad Langenjalza, der Generale Syburg und Schenden:
dorff nah Saalfeld ftörten nicht bloß gründlich die Winterruhe der Reichsarmee
und der Franzoſen, jondern füllten auch die Magazine, Kaflen und Cadres bes
preußiihen Heeres; Gefangene, Ueberläufer und friſche Nefruten wurden zu
gleihen Teilen eingebradht und untergeftedt. Not kennt fein Gebot: Einwände
ließ der König nicht gelten. Einem feiner Generale ſchreibt er: „Erinnern Sie
fih, mein Lieber, daß man ohne Menfchen und ohne Geld nit Krieg führt.”
Nur ausnahmsweiſe nahm der König von einigen ber kleineren Reichöftände wie
den Grafen von Reuß ftatt Refruten eine Geldzahlung an. Die Zahl der Landes:
') Oben S. 123. 129. Bgl. Bb. I, 518.
2) Dal. Bb. I, 278.
286 Siebented Bud. Dritter Abichnitt.
finder bei den Negimentern betrug jest der Negel nah nur noch die Hälfte der
Ausländer.) An Hinterpommern ftörten Einfälle der Rufen die Rekrutierung,
in Oberjchlefien zeigte fih die fatholifche VBevölferung immer widerjpenftiger,
während die Niederichlefier ihre Zuverläffigfeit wie überall jo auch bei ber
Rekrutenftellung bewährten; wider das Erwarten des Königs vermochten auch
die nicht fantonpflichtigen Gebirgsfreife eine ftattlihe Zahl aufzubringen. Und
wahrhaft antifen Sinn zeigten jene treuen Bauernſchaften am preußiſchen Nieder:
rhein und im Ravensbergifchen, die, als einzelne Gemeinbefinder fahnenflüchtig
heimfehrten, diefe entarteten Söhne nit mehr im Dorfe duldeten.
Für die Winterquartiere hatte der König fleißiges Ererzieren anbefoblen,
„damit die Kerls auf das Frühjahr nicht fo Bauers find”. Daß feine Infanterie
nicht mehr das war, was fie früher geweſen, mußte er fich zu feinem Leidweſen,
troß des ihr bei Liegnig geipenbeten freudigen Lobes, immer von neuem jagen.
Geringere Einbuße an innerem Wert hatte bei ihren viel leichteren Gefedhts-
verluften die Reiterei erlitten, und befonders die Huſaren hatten fih im Laufe
des langen Krieges nur vervollfommnet; fie remontierten fih regelmäßig und
ohne jede Schwierigkeit mit Beutepferden, deren jedes der König dem Gewinner
mit 30 Thalern bezahlte; jegt wurden ihre Regimenter auf 1500 Pferde gebradt.
Die Freitruppen wurden um 8 Bataillone und 10 Schwahronen vermehrt. Sie
hatten Sammelpläge in Oftfriesland, den Kern bildeten Schweizer, Dejerteure
von dem Deere des Herzogs Ferdinand — denn auch zwijchen den verbündeten
Barteien liefen die Nusreißer, um neues Handgeld zu verdienen, bin und ber!) —
durften nur, ſoweit fie aus Holland famen, angenommen werden. Ein von einem
ehemaligen ruſſiſchen Oberſt angeworbenes, ganz aus franzöfiichen Deferteuren ges
bildetes Freibataillon meuterte alsbald und lief auseinander. Mit dem feit
Maren in Gefangenschaft befindlichen General Wunsch fehlte der ftrenge und doch
populäre Zuchtmeifter, der aus folhen zufammengelaufenen Taugenichtjen brauch:
bare Soldaten zu formen veritanden hatte.
Aber nicht bloß dieſe Kreitruppen liefen Mannszucht vermiſſen. Ueberall
fah man den Soldaten Ausichreitungen nah, die man ehedem jcharf geahndet
hätte. Da die ſächſiſchen Lande und zumal die Laufigen immer abwechſelnd
bald von den Preußen, bald von den „Befreiern”, den Defterreihern und Ruſſen,
bejeßt waren oder durchzogen wurden, jo begründete man alle Requifitionen,
auch die härtejten, mit der einfahen und unbarmberzigen Logif, dag man den
Nacfolgern, dem Feinde, nichts zu futtern, baden und ſchlachten übrig laſſen
dürfe. Als im Oftober 1760 die Preußen durch die Niederlaufig marfchierten,
beriefen ſich die Offiziere für diefes Wegſchleppen aller Vorräte auf den aus:
drüdlichen Befehl des Königs, der foeben die Kunde von den Vermwüftungen ber
Feinde in der Mark und bei Berlin erhalten hatte. Im Januar wurde dann,
den Bejten im preußiihen Offizierscorps zum ſchweren Nergernis, durch eines
der beuteluftigen Freibataillone Hubertusburg ausgeplündert, König Augufts
Lieblingsfig, zur Vergeltung des im Schloffe von Charlottenburg geübten
Bandalismus. Sonſt aber hatte der König bei Verlegung der Truppen in die
) Bal. Bo. I, 539.
Das Jahr 1761. 287
Winterquartiere jtrengen Befehl gegeben, daß die eingeriljene Unordnung ab:
geftellt, die willfürlide Verpflegung und Fouragierung in den von den preußiichen
Truppen dauernd bejegten Teilen von Sachſen unnadhfichtlidh beitraft werden jollte.
Je zweifelhafter der Wert der neuen Beftandteile des preußiichen Heeres
war, um jo mehr bedauerte der König, daß die Auswechfelung der Kriegs:
gefangenen zwijchen Preußen und Defterreich, wie fie früher vereinbart, feit Ende
1759 ftodte, denn Daun hatte bei der Kaijerin geltend gemacht, daß der König
von Preußen bei dem Kartell nur gewinne, weil feine Eoldaten, Offiziere unb
Generale mehr wert ſeien als die öfterreichiichen.
Die Ergänzung des DOffigiercorps begegnete, der Natur der Sahe nad,
noch größeren Schwierigkeiten als die Rekrutierung der Truppen. Die Offiziere
der Freiſcharen wurden überhaupt nur für die Dauer des Krieges angenomnten,
und wohl jeder Chef hatte allzeit einige dunkle Ehrenmänner auf Vorrat, die, wie
Friedrich fih ausdrüdte, würdige Kandidaten zum Yortjagen waren. „Seine
Dffizierd haben wie die Naben geftohlen,” hat der König nad) dem Striege einem
diejer Häuptlinge vorgehalten. Rühmliche Ausnahmen, wie jener L'Homme be
Courbiere, der, als Freifcharenführer eingetreten, der preußiihen Armee nad)
einem halben Jahrhundert einen ihrer ſchönſten Ehrenfränze gewonnen bat, be:
ftärften nur die Regel. Die alten Feldregimenter hielten fih von anrüchigem
Nachwuchs im ganzen rein; hier traten Offiziere von den Garnijonregimentern
in die Lüden ein, au wohl Studenten, zumal aber blutjunge, faum aus den
Kinderihuhen getretene Kadetten und jonftige Junfer: ein Archenholg hatte noch
nicht das vierzehnte Fahr erreicht, als er im Dezember 1758 mit 39 Kameraden
aus dem SKadettenhaus nad Breslau in das Hauptquartier fam und von dem
Könige ſelber dem ſtolzen Regiment Forcade zugeteilt wurde. „Er ift noch jehr
jung, find Seine Ohren ſchon troden,” fragte der König im Lager von Meiken
einen jeiner jüngiten Junker und erhielt, wie er mohlgefällig wiedererzählte,
die jchlagfertige Antwort: „Ih bin jung, Majeftät, aber mein Mut ift alt.”
Eben in diefen Lager erblidte der König unter den Fenſtern feines Quartiers
Offiziere bei fnabenhaftem Spiele. „Mit diefem Zeug muß ich mich behelfen,”
tief er und citierte die Verſe aus der Athalie:
Voilä done quels vengeurs s’arment pour ta querelle:
Un vieillard, des enfants, ö sagesse eternelle!
Seinen Generalen warf er vor, daß bei dem bloßen Worte „Detachement“
jeder zittere — die Nahmirfung des Trauerjpiels von Maren. Wiederum,
wenn nun ein General gegen den Feind ausgelandt war, jo wurde nad) des
Königs Beobadhtung viel zu oft eine „unzeitige Fermets“ gezeigt, um „das
Terrain zu foutenieren”, wo es vielmehr gegolten hätte, einer Uebermacht mit
Vorfiht und Geſchick auszumeihen. Diejes „ContenancesHalten” war für junge
und alte Offiziere das A und das D ihres ungefchriebenen Ehren-Koder. „Meine
Herren, nehmen Sie eine Priſe Contenance,” jagte bei Hochkirch der Lieutenant
v. Hergberg, die Tabaksdoje in der Hand, zu den Kameraden vom Negiment
Wedell, da fuhr ihm eine Musfetenfugel in die Stirn. Und in einem Vor:
poitengefeht in Schlefien hielt General Saldern auf feinem Schimmel zur all:
288 Siebented Bud. Dritter Abjchnitt.
gemeinen Bewunderung unbemweglih, obgleich die Kroaten ihre Kanone auf ihn
richteten; exit als der zehnte Schuß ihm die Piftole am Sattel jtreifte, ver:
änderte diejes Mufterbild der Contenance den Standort. —
Der Zeitpunkt für den Marih nah Schlefien rüdte jett näher. „Ich
habe die jchwierige Aufgabe, die ich erfüllen fol, ohne Unterlaß vor Augen,”
Schreibt Friedrih an d’Argens; „ich habe nichts als einen großen fonds von
gutem Willen und eine unzerftörbare Ergebenheit für den Staat, das find alle
meine Waffen. Kurz, ich ftürze mich mit geichlofjenen Augen in ein von allen
Winden gepeitichtes Meer, und weiß nicht, wo ich ans Land treiben werde.”
Zum Schutze von Sachſen gegen das Heer Dauns und die Neichsarmee
fonnten nur etwa 30000 Mann zurüdbleiben, zu mehr als einem Drittel Frei—
truppen. Zur Führung fand fich endlich wieder Prinz Heinrich bereit. Er hatte
den ganzen Winter in Glogau geweilt, mißvergnügter denn je, unzufrieden auch
mit feinem förperlihen Zuftand, der ihm doch wieder einen nicht unmwilllommenen
Vorwand gab, fich fortgefegt beifeite zu halten. Schon im Herbit, als ber
König Schlefien verließ, hatte er den Bruder dringend und mit den jchmeichel:
bafteften Worten erjucht, dort den Oberbefehl zu übernehmen: er habe ſonſt
niemanden, dem er das zweite Heer anvertrauen könne. Der Prinz war damals
allen Vorſtellungen unzugänglich geblieben. Der Briefwechſel wurde, wenn auch
nicht jehr rege, in ſcheinbar unbefangener Weife fortgejegt, aber es war offenes
Geheimnis, daf die Brüder miteinander zerfallen waren, und weder in ber Um:
gebung des Prinzen noch im föniglichen Hauptquartier fehlte es an Leuten, Die
Del ins Feuer goffen. „Die Menſchen find ſeltſam,“ jo beobachtete Catt, „es
bereitet ihnen ein Vergnügen, den König berabzufegen, um den Prinzen in die
Höhe zu heben, und umgekehrt.” Eichel glaubte in einem vertraulihen Briefe
an Findenftein von Leuten reden zu dürfen, die des Königs Sade jchon lange
als verloren angefehen hätten und jegt ſich geichmeichelt fühlten, daß ihre Vor:
ausfagung recht behielte. Daß der engliſche Gejandte ganze Moden in Glogau
weilte, dünfte dem Kabinettsrat jehr verdächtig, während jener ſich doch redliche
Mühe gab, den Prinzen verföhnlicher zu ftimmen: Mitchell erlaubte fich mit
Freimut, ihm eine Begegnung mit dem Könige als „unbedingt erforderlich für
das Mohl des Staates” zu empfehlen, damit den in Berlin und anderwärts
umlaufenden „schädlichen und böswilligen Gerüchten” der Boden entzogen werde.
Der Prinz antwortete ausweihend — ed war furz vor Weihnachten —, es jei
ohne Zweifel feine Pflicht, fich für das Vaterland zu opfern, aber man müſſe
doch, wo nicht die Gewißheit, jo doch wenigftens die Wahricheinlichkeit dafür
haben, daß das Opfer nicht nuglos jei. Dann bat er den König, für einige
Zeit nad) Spandau geben zu dürfen. Friedrich wollte davon nichts willen, weil
biefer Aufenthalt wie eine Verbannung ausjehen könne; Heinrich antwortete,
über jo graufamen Verdacht werde der König bei jedermann erhaben jein; ihm
jei es nur darum zu thun, irgendwo in Zurüdgezogenheit und Zwangloſigkeit
fih zu vergewillern, ob fein Gefundheitszuftand ihm erlauben werde, dem Könige
feine Dienfte wieder zur Verfügung zu ftellen.
Damit hatte er nah langem Schmollen ſacht mwiebereingelenft; einige
Moden jpäter, am 15. März, bat er, für den Fal feiner Wiederverwendung
Das Jahr 1761. 289
ihn rechtzeitig zu benachrichtigen. Der König nahm freudig das Anerbieten an
und ſchrieb zurück, förperlihe Bewegung würde die bejte Arznei für ihn fein:
„Wie wir bisher gut ftandgehalten haben, fo gilt es jegt, das Werf zu Erönen
und biejes Stüdchen Feldzug noch den fünf hinter uns liegenden hinzuzufügen;
ih hoffe alfo, daß Sie als guter Patriot an Ihrem Teil Ihre Kräfte einjegen
werden für die Herbeiführung des Friedens.” Klang das dem Prinzen wieder
zu fanguiniih, zu übermütig? Bon neuem begann er über feine Gejundheit
zu Hagen und alles zweifelhaft zu lafjen. Aber er fam doch. Am 21. April,
wenige Tage nad) feiner Ankunft in Meißen, empfing er jeine Inſtruktion.
Sie wies ihm eine rein defenfive Aufgabe zu: die Dinge in Sadjen auf
ihrem gegenwärtigen Fuß zu erhalten. Für den Fall, daß Daun nad Schleſien
ging, jollte der Prinz mit der größeren Hälfte jeines Corps ihm folgen und dann
die Dedung wieder dem alten Hülfen überlaflen, dejien nachlaſſendem Gedächtnis
der Generalmajor von Linden als Berater zu Hülfe fommen jollte.
Gleichzeitig traf der König die Anordnungen für den Schuß von Hinter:
pommern gegen die Rufen. Zu dem im Winter dort verbliebenen kleinen Corps
des Hujarengenerals Werner ftieß jegt aus Medlenburg der Prinz von Württem:
berg; beide Abteilungen beliefen fih zujammen auf 12—13000 Mann. Ein
verihanztes Lager bei Kolberg gab ihnen einen Stüßpunft. In Vorpommern
blieb gegen die Schweden nur Oberft Belling mit feinem Hufarenregiment und
zwei Freibataillonen zurüd.
In Shlefien erwartete den König General Golg mit feinem Corps in
einer Stellung bei Schweidnig, und da Laudon bereits aus den Bergen vor:
drängte, jo war, bis der Zuzug aus Sadjen zur Stelle war, feine Aufgabe
nicht leiht. Der König empfahl ihm, fich inzwiſchen auf feine „General: und
Decifivaffaire” einzulaffen und im übrigen „feine fünf Sinne zufammenzu:
halten”.
Am 4. Mai von der Elbe aufgebroden, volljog der König nad völlig
ungehindertem Marſch feine Vereinigung mit Golg am 13. zwiſchen Striegau
und Hohenfriebberg. Er verfügte jetzt hier in Schlefien über nicht ganz 60 000
Mann, 66 Bataillone und 108 Schwabronen, die beften und verhältnismäßig
vollitändigiten Negimenter des Heeres, wie Prinz Heinrich nicht ohne Neid be:
merkte. Während Laudon im Gebirge blieb, ftand Frievrih 7 Wochen hindurch,
vom 16. Mai bis 6. Juli, im Lager von Kunzendorf, weitlih von Schweibniß,
in einer Stellung, die ihm für alle Fälle größere Freiheit der Bewegung gab,
als die an fich ftärferen Poſten von Friedland ober Landshut; er fonnte bier
feine Detachements, wenn es galt, binnen drei Stunden an fi ziehen.
Die militäriſche Gefamtlage, das konnte er fid nicht verhehlen, war jo:
wohl für die Preußen wie für das Heer Ferdinands ſchlechterdings ungünftiger
als im Vorjahre, „wo wir ſchon genug Mühe hatten, uns zu behaupten”. Er
ſprach von der Unmöglichkeit, einen „geometrifch eraften” Feldzugsplan zu ent:
werfen: „unfere Schwäche und die Unzulänglichfeit unferer Mittel entpuppt ſich
überall.” Von den Defterreihern nahm er an, daß fie in der Vorausfiht, Frank:
reih& Bundesgenoflenichaft zu verlieren, in diefem Feldzuge alles an alles jegen
würden: mit einem großen Siege konnten fie Preußen zermalmen, während dur
Rofer, König Frievrih ver Große. II. 2. Aufl 19
2090 Siebented Bud. Dritter Abichnitt.
eine große Niederlage ihre eigene Sache politiſch nicht verſchlimmert werden würde.
Seinem Bruder, mit dem er fort und fort die Ausfihten und Möglichkeiten der
Kriegsführung erörterte, gelobte Friedrich äußerfte Vorfiht. Die Ueberzahl des
Feindes und die ſchlechte Beichaffenheit der eigenen Truppen war ein doppelter
Grund gegen eine Schlacht. Angriffe auf „Poſten“, befeftigte Stellungen, jollten,
fomweit e8 irgend ging, vermieden werben: dieſer ſchon vor zwei Jahren auf:
geftellte Grundſatz erhielt durch die inzwiſchen bei Kunersborf und Torgau ge:
machten Erfahrungen verftärfte Gültigkeit. Den Friedensverhandlungen durch
eine gewonnene Schlaht Nahdrud geben zu können, wie es ihm 1742 und 1745
geglüdt war, traute Friedrich bei jeiner jegigen Schwäche ſich nicht mehr zu;
im Gegenteil, er jprad) es aus, daß am Vorabend des Kongreſſes ein weiterer
Grund vorliege, einen Zufammenftoß zu vermeiden, wegen der Möglichkeit einer
Niederlage. So ganz hatten ihn die veränderten Umitände auf eine Ermat:
tungöftrategie geführt, die ihm ehedem bei der Natur jeines Staates als unan-
wendbar erſchienen war und in der er noch im vorigen Jahre ein Verdorren
an lebendigem Leibe hatte jehen wollen.) Dod bielt er es für unwahrſchein—
(ih, daß die Schlachtentſcheidung ganz zu „vermeiden“ fein würde; zwei
Schlachten glaubte er vorausfagen zu Sollen. Und als der Zeitpunkt näher
rüdte, zu dem auch die Rufen in Schlefien zu erwarten waren, fam er troß
aller Warnungen des Bruders doch wieder auf feinen alten Sat zurüd, daß
e& gelte, den einen Feind, den nächſten und läftigiten, „mit bem ganzen
Klumpen” anzufallen und fih dann gegen den andern zu wenden. Prinz
Heinrich machte geltend, die Vorteile eines Sieges ftünden nicht im Verhältnis
zu den Nadteilen einer Niederlage. Der König antwortete etwas gereizt: „Jh
fenne nicht die Kunft, viele Feinde fih vom Halſe zu ſchaffen, ohne ſich von
dem einen mit Gewalt loszumadhen, und die, welde es zu irgend einer Ent—
ſcheidung nicht kommen laſſen wollen, haben dasjelbe Gejhid, wie der Herzog
von Gumberland oder der Herzog von Bevern.?) Ich kenne alle Fährlichkeiten
der Schladten; trogdem können Sie ficher darauf rechnen, daß ich dem Feinde
nie erlauben werde, mich nad) Gefallen einzuwideln, jondern daß ich ihn viel:
mehr überall auffuchen werde, wo ich ihn finden werde.“
Einitweilen hatte er gegen die Ruſſen wieder den trefflihen Golg auf die
Wacht geftellt, als den für ein jelbitändiges Kommando am meilten geeigneten
General bei dem in Schlelien vereinigten Heere. Goltz jtand bis zur legten
Woche des Juni bei Glogau mit 11000 Mann; dann verftärkte ihn der König
auf 16—17000 und übertrug ihm dieſelbe Aufgabe, die Jahr für Jahr für
biefen Teil des Kriegsichauplages geitellt worden war.“) Prinz Heinrich jagte
nad) jeinen eigenen Erfahrungen im Vorjahre es voraus, Golg werde weder
das Magazin in Pojen nehmen noch das rufiiihe Heer auf dem Marjche an:
greifen können; er riet, daß Goltz in unnahbaren Stellungen fi den Ruffen
vorlegen, durch geſchickte Manöver fie aufhalten fole; zum Schlagen werde es
') Oben ©. 255. Bol. Bd. I, 552. 558.
?, Chen ©. 119. 138.
’) Dben ©. 176. 177. 216. 254. 260.
Das Jahr 1761. 291
gegen Ende des Feldzuges noch Zeit fein, wo der Feind einen etwaigen Sieg
nit mehr voll ausnügen fünne. Auch hier ließ fich Friedrich nicht überzeugen.
„Es iſt gewiß,” antwortete er am 27. Yuni, „daß in jedem Striege, der mit
gleihen Kräften geführt wird, Ihr Syftem, als das ficherfte, vor dem meinen
den Borzug verdient, aber der Fall, in welchem wir uns befinden, liegt
anders. Wir haben nur zwei Heere, und haben vier gegen uns. Alſo, da
dem jo ift, müfjen wir uns höchſt notwendig des einen entledigen, um gegen
die anderen anlaufen zu fönnen, und vor allem die Zeit abmejjen, damit
jedes unjerer Heere zeitweije doppelt erjcheinen fünne, ein jedes für feine Aktion
gegen zwei,”
Der Verlauf der Unternehmung gab dem Prinzen recht. PVielleiht, daß
fie geglüdt wäre, wenn nicht im Augenblide des Aufbruchs den General Goltz
ein plögliher Tod binweggerafft hätte. Der König erfegte ihn durch Zieten;
Verzug aber war unter diejen Umftänden unvermeidlich; wie ftets bisher konnten
die ruffiihen Marjchkolonnen ihre Vereinigung ungeftört vollziehen. Einer ihrer
Generale, Graf Tottleben, hatte dem Könige Spionendienfte in Ausficht geſtellt;
aber ehe er in die Lage kam, fich nütlich zu maden, war er jchon als verdächtig
vom Heere entfernt.
Die weitere Nihtung ihres Marjches blieb ungewiß. Der König verlegte
am 6. Juli fein Lager auf die andere Seite von Schweibnit, nach Pilzen, um
an der großen Heeritraße nad Frankenftein jebe erforderliche Bewegung um fo
leichter ausführen zu fönnen. Er blieb entjchloflen, jich der Bereinigung der
Defterreiher und Ruffen durch eine Schlaht zu widerjegen, und zwar durd
eine Schlaht gegen Laudon, nur gegen Laudon: wolle der darauf warten, daf
man die Rufen angreifen werde, jo jolle er lange warten. Friedrich rechnete
fo: nad einer Niederlage der Defterreiher würden die Ruſſen ohne weiteres ab:
ziehen, nad einer Niederlage der Rufen dagegen würden jene ihren Feldzug
gleihwohl fortiegen. Das die feiner Anficht nach „triftigen Gründe”, die ihn
fih „darauf jteifen” ließen, nur mit Laudon zu jchlagen.
Noch immer ftand Laudon in feinem Lager bei Braunau unbemweglid.
„Unſere Soldaten werden fett bei der Faulenzerei,” fagte der König — es fam
faft, wie er es vorausgejagt, daß der Feldzug nicht vor dem Auguft beginnen
werde. Endlih am 19. Juli feste fih Laudon mit ungefähr 60000 Mann in
Mari, um durch Oberſchleſien den Rufen entgegenzuziehen.
Sofort marjcierten auch die Preußen. „Wir haben 83 Tage vor uns,”
ſchreibt Friedrich am 27. Juli, „die ſchwierig und peinlich fein werden; ich
zähle fie an den Fingern ab, ich hwite und plage mich.” In drei Märjchen
hatte Laudon die Oder und die Ruſſen erreichen wollen. Aber als die Preußen
fih ihm in den Weg ftellten, wagte er doch nicht fie anzugreifen, fondern ging
ihnell in die Berge zurüd. So Heinmütigen Entſchluß hatte Friedrich nicht
erwartet, er meinte jest, daß diejer Feldzug nicht jehr blutig werden würde,
daß die gefährlichſten Streihe ſchon pariert feien; er nannte Laudon einen jehr
ſchlechten General, der fein Heer wie einen Haufen PBanduren geführt habe,
Aber auch Laudons Gegner im eigenen Lager zudten die Achſel: „Wenn ich
der Auserwählte des Minifters gemwejen wäre,” jchrieb Lacy Ipöttiih an Daun,
292 Siebentes Bud. Dritter Abjchnitt.
„jo würde ich beflifien gemwejen fein, meine beicheidenen Bedenken vorher geltend
zu machen; hätte ich aber einmal Hand ans Werk gelegt, jo würde ih aud
nur noch darauf gedacht haben, die Bahn bis ans Ziel zu durchmeſſen und die
Hindernifjfe zu nehmen.“
Laudon [ud nun die Ruffen nad Niederfchlefien ein, und dort glüdte ihm,
was in Oberſchleſien fo kläglich mißlungen war. Buturlin ging bei Klofter
Leubus über die Oder, Laudon rüdte längs der Berge bis Striegau und Jauer
vor, Friedrich folgte ihm von Strehlen durch einen Parallelmarih über Kanth
und zog unterwegs das Zietenſche Corps an fih. Noch ftanden die Preußen
zwifchen den Heeren der Verbündeten; ein Detachement unter der perjönlichen
Führung des Königs machte Front gegen die Ruſſen, die man nad langem Um:
hertaften endlich in einer feiten Stellung ſüdlich von der Katzbach bei Koiſchwitz
entdedte; mit dem Hauptheer beobachtete Markgraf Karl die Defterreicher. Der
König hoffte, dab dieſe Fi zum Angriff veranlaßt jehen würden; die Ruflen
anzugreifen beabjichtigte er nicht, dem einmal aufgeitellten Grundjage gemäß,
und nahm auch nicht an, daß fie ihrerjeits angreifen ober auch nur die Ver:
bindung mit Laudon ſuchen würden; er beurteilte fie nad ihrem Verhalten im
vorigen Sommer. Aber dur einen nächtlichen Mari in der Richtung auf
Liegnig hatte ih Buturlin am Morgen des 19. Auguft den Defterreichern
jo weit genähert, daß die jo mandes Fahr vergeblich erftrebte Bereinigung der
verbündeten Heere nunmehr wirklich als erreicht gelten konnte,
Sein Hauptaugenmerk richtete der König von Preußen in biejer Krifis
darauf, die Verbindung mit Schweidnig und feinem großen Magazin aufrecht
zu erhalten. Die Stellung bei Kunzendorf zwiſchen Schweidnig und Freiburg,
welde die Gebirgsitraßen beherrihte und ſomit die Zufuhrlinie des Feindes
durhichnitt, erreichte diejer einen Tag vor dem preußiichen Heere; Friedrich
wählte jegt wieder!) das Lager von Bunzelwis. Mit Beftimmtheit mußte er
darauf rechnen, hier angegriffen zu werden; denn würden fich feine Gegner nur
vereinigt haben, um unverrichteter Sache alsbald wieder voneinander zu ſcheiden?
Durch Schanzarbeit wurde das an fich ſtarke Lager ſchnell in eine Art Feftung,
mit dem Würbenberg als Zitadelle, verwandelt. Mit der größten Zuverſichtlich—
feit jah der König ber weiteren Entwidelung entgegen; es fchien ihm „fait io
fiher wie ein mathematiicher Beweis”, daß die Gegner platt zu Boden ge:
Ihlagen werden mußten, daß fie bei ihrem Angriff 30000 Mann Infanterie
würden einbüßen fünnen. Und dann war die Vereinigung der beiden Heere
fogar ein günftiges Ereignis gemeien.
Des Königs Zelt war im Nohlandsholze zwiichen Zeblig und Neudorf auf:
geihlagen, da wo heute die Eifenbahnlinien von Freiburg nah Breslau und
von Schweidnit nach Jauer jich ſchneiden. Jeden Abend aber begab fich Friedrich
in die große Schanze auf dem Pfaffenberg bei Jauernid und begnügte fih für
die Nachtruhe mit einem Strohlager unter freiem Himmel, wie er es dem
Marquis d'Argens in einer poetiichen Beichreibung des Bunzelwitzer Lagers
ſchilderte:
ij Bgl. oben S. 267.
Das Jahr 1761. 293
Ein Berg, von Schanzen rings umfaßt,
Ward unfer prunfender Palaſt,
Mo unter hohem Himmelszelt
Ein Bündel Stroh vom nahen Feld
Auf nadtem Boden auägeitreut
Gar fanftes Bett dem Leibe beut.
Die Truppen traten, jobald es dunfel wurde, in Schladhtorbnung unter das
Gewehr; bei Tage fehrten fie zu ihren Zelten zurüd.
Die Preußen zählten etwa 55000 Mann, Rufen und Defterreidher ver:
fügten zufammen mindeitens über die doppelte Stärfe. Sie ftanden im weiten
Bogen von Kammerau, eine halbe Meile weftlich von Schweidnig, über Striegau
bis Edersdorf und Kallendorf, eine Meile nörblih von der Feſtung. Den
DOberbefehl über beide Heere hatte Buturlin übernommen; fein perjönliches Ver:
hältnis zu Laudon fcheint ſich bald jehr unfreundlich geftaltet zu haben. Dem
eigenen Hofe gegenüber hat nachher jeder der beiden Feldherren die Schuld an
dem unrühmlichen Ausgang der gemeinfamen Unternehmung auf den Waffen:
genofien geihoben. Sicher ift, daß Laudon für die Frühftunden des 3. Sep:
tember die Dispofition zum Ueberfall ausgegeben hatte; aber um Mitternacht
wurden bie ſchon ausmarſchierten Truppen wieder zurüdgezogen, angeblich weil
Buturlin im legten Augenblick die zugeficherte Unterftügung verlagt hatte, Nach
der ruſſiſchen Lesart hat dagegen Laudon ſchon am 2. September in Buturlins
Hauptquartier ſowohl die großen Schwierigkeiten des Angriffs, wie die Unmög—
lichkeit, für beide Heere Fourage zu ſchaffen, geltend gemadt und deshalb bie
Trennung vorgejchlagen.
Am 9, September riefen die öfterreihiichen Vorpoften den preußijchen zu,
dab die Ruſſen abmarjchieren würden. Der Aufbruch nad Jauer erfolgte ſchon
in der näditen Nacht; das Corps unter Tihernyichew, welches zurüdgelafien
wurde, belief fih auf 12000 Mann. Um Buturlin nicht unbeobadhtet zu lafjen,
entjandte der König den General Platen mit 14 Bataillonen und 26 Schwa—
dronen auf dem fürzeften Wege an die Oder. Die Preußen erftürmten auf dem
heiligen Berge hinter dem Philippinerflojter bei Goftyn mit gefältem Bajonett
die große rujfiihe Wagenburg, zerftörten die Magazine in Kaliſch, Schrimm, Pofen
und erreihten am 22. September, nachdem fie in zehn Tagen 50 Meilen zurüd:
gelegt hatten, Landsberg an der Warthe. Buturlin, durch diefen Streifzug des
Feindes in feinem Nüden beunruhigt, entjagte jest troß der ihm aus Petersburg
zugehenden Weifungen allen Anſchlägen auf Glogau oder auf Berlin und
marjchierte in Eilmärſchen nad Hinterpommern.
Bis jegt war alles gekommen, wie es Yacy in feiner Eiferfucht auf Laudon
Ihadenfrob vorausgeiagt hatte: „Es jcheint nach dem Gange der Dinge in
Schleſien wirklich, daß Europa feine Veranlaffung haben wird, über den Glanz
und die Wichtigkeit der Ereignifie auf diefem Schauplat zu ftaunen.” Ebenſo
wenig aber hatte in Sachſen Lacys großer Daun geleiltet. Der König wollte
Ende September den Feldzug bereits als abgeſchloſſen betradhten: es handle
fh nur noch um ein paar weder jchwierige noch gewagte Märſche. Sie
follten das Heer, weil bie Vorräte in Schweibnig nahezu erichöpft waren,
204 Siebentes Bud. Dritter Abſchnitt.
dem Magazin von Neiße nähern und zugleich den Feind für Glak und Mähren
beforgt machen und jo aus dem Gebirge berausloden. Aber faum hatte ber
König Schweidnig den Rüden gekehrt, jo erftürmte Laudon in der Nacht auf
ben 1. Dftober die Feſtung Schweidnig durch einen gleichzeitigen Ueberfall ſämt—
liher Außenforts und ſchloß durch diefen glänzenden Erfolg feinen Neidern und
Anklägern den Mund.
Durd den völlig unerwarteten Verluft diejes Schlüffels von Niederfchlefien
auf das jchwerfte getroffen, hatte der König zunächit feinen anderen Gedanken,
als die Feſtung noch diefen Herbft „conte que coüte* wiederzunehmen; nur bie
Nüdkehr Platens wollte er abwarten, um alsdann jofort die Belagerung zu
beginnen. Derweil aber gewannen die Ruffen gegen Platen und den Prinzen
von Württemberg ein entichiedenes Uebergewicht. Zwar entrann der Prinz, bei
Kolberg eingeihlofien, dank dem rechtzeitigen Anmarſche Platens dem Schidjal
der Aushungerung; aber nur das Truppencorps, nicht aud die Feitung wurde
gerettet; nachdem die preußifchen Generale vor der ruffiichen Uebermadt an die
Der zurüdgegangen waren, mußte ſich Kolberg, von Mundvorrat und Schieß—
bedarf völlig entblößt, am 16. Dezember den Rufen ergeben.
Mit dem Fall von Schweidnik und Kolberg war der bisher jo zähe be:
bauptete militärische Befigitand Preußens gegen die VBorjahre ganz erheblich
eingefhränft. Zum eritenmal konnten die Defterreiher in Schlefien, die Ruflen
in Bommern ihre Winterquartiere nehmen.
Glüdliher als König Friedrih hatte Herzog Ferdinand ſich behauptet.
„Sie haben,” jchrieb ihm jener zum Schluſſe des Feldzuges, „alle Ihre Ber:
(ufte wieder gutgemacht, ich bin leider weit davon entfernt, dasjelbe jagen zu
fönnen.” Wiederholt von den übermächtigen Gegnern arg in die Enge getrieben,
hatte Ferdinand fie immer wieder die Ueberlegenheit jeiner Kriegsfunft fühlen
laſſen. Die Vereinigung von Broglie und Soubiſe an der oberen Lippe hatte
er in einem Anfall von Unentſchloſſenheit geſchehen laſſen, und fie jchien ihm
verderblich werden zu müſſen, aber in der Schlacht bei Vellinghaufen ſchlug er
am 15. und 16. Juli ihre Angriffe fiegreih ab. Als fi die Marſchälle dann
wieder trennten, vermochte er nicht bloß die Refidenzen Hannover und Braun:
ſchweig gegen die Anſchläge Broglies zu deden, jondern ſchließlich fogar zur
Dffenfive überzugehen und Broglie nach Heilen zurüdzubrängen. Und da aud
in Weitfalen ihre Verjuhe auf Münfter und Hamm dur den Erbprinzen von
Braunfchweig vereitelt worden waren, jo mußten ſich die Franzoſen mit den
Winterquartieren des vorigen Jahres begnügen: „fie find felber ihre ärgften
Feinde“, ſagte man in Wien angefichts ihrer „erbärmlichen“ Kriegsführung.
Sn Oftindien war ihnen mit Pondichery nunmehr alles verloren gegangen, in
Weftindien Dominifa und an ihrer heimifchen Hüfte das Felfeneiland Belle-Jole.
Trotz aller militärifjhen Mißerfolge war es in dieſem Zeitpunkt ber
franzöfifche Hof, der innerhalb des großen Kriegsbundes die ftärkfite Kampfesluft
zeigte. Die Verhandlungen mit England wurden im Dftober 1761 abgebrochen,
Das Jahr 1761. 295
und Choifeul erflärte dem öfterreihiichen Botſchafter: „Da ich den Frieden nicht
zu ftande bringen fonnte, will ich den Krieg führen;” er hatte Schon zu Beginn
des Jahres nad dem Tode bes alten Marihalls Belle-Isle das Kriegsminiſterium
übernommen und wurde jetzt auch Marineminijter, während ihn im auswärtigen
Amt fein Vetter, der bisherige Botjchafter in Wien, Graf Choiſeul-Praslin,
ablöfte. Was den Franzofen den Mut noch einmal bob, war die Hoffnung auf
die Hülfe Spaniens. In dem Familienvertrag vom 15. Auguft 1761 fettete
fih König Karl III. ganz an die Sache der bourbonifchen Hauptlinie und ge:
lobte, falls Franfreih und England nicht Frieden fhlöffen, bis zum 1. Mai 1762
die Waffen zu erheben. Nach einem Grund zur Kriegserflärung braudte man nicht
lange zu ſuchen; er lag vor in den engliichen Kapereien, unter denen auch der
ſpaniſche Handel ſchwer zu leiden hatte, und in anderen Uebergriffen der jeßt
alle Deere beberrichenden Seemacht. Anfänglih nur jehr beſcheiden vorgebradt,
eine Zeit lang ganz eingeftellt, wurden jet die ſpaniſchen Beſchwerden um jo
ftolzer und herausfordernder erhoben; von dem Marcheje Grimaldi jchlecht be—
raten, batte König Karl fich die Voritellung angeeignet, daß die Finanzen des
Gegners erichöpft feien und daß Englands Klientelftaat und Stapelftätte
Portugal eine bequeme Beute für die bourbonifchen Heere fein werde. Noch
ehe das alte Jahr zu Ende ging, fam es bei diejfer Haltung Spaniens zum
offenen Bruch.
So ganz hatte das Blatt fich gewandt, daß man in Wien diefe plößlichen
kriegeriſchen Regungen der bourbonifhen Politik nur unter Vorbehalt gutbieß.
Ohne Frage, Defterreich verlangte in diefem Augenblide fehnliher nad Frieden,
als Franfreid. Daß Choifeul nah Abbruh der Sonderverhandlungen mit
England aud von dem allgemeinen Friedenskfongreß nichts weiter hören wollte,
bedauerte Kaunitz lebhaft. „Die innerlihen Kräfte,” geſtand er dem Botſchafter
in Verjailles in einem vertraulihen Erlafle vom 31. Dftober 1761, „wollen
nit mehr zureihen, die ungeheuer großen Kriegserfordernifje länger zu be:
ftreiten; die bisherigen militärifchen Operationen find mit der wahrſcheinlichen
Hoffnung nicht übereingefommen.” Die Waffenbülfe Rußlands fchlug er bei
den, wie ihm ſchien, unheilbaren Gebredhen der ruffiihen Heereseinrichtungen
jehr gering an, und wenn bie franfe Zarin von heute auf morgen ftarb, kam
aller Vorausfiht nah auch diejes geringe Maß an Beiftand in Wegfall, wogegen
eine Kriegserflärung der Pforte nicht ausgefhloffen war. Die Steuerfraft der
Erblande — nur die Gebiete der Stefanstrone waren ausgenommen — war durch
außerordentliche Kriegsauflagen jegliher Art, Vermögens, Einkommen-, Kopf:,
Erbſchafts- und Lurusfteuern allmählich erihöpft; auch der öffentliche Kredit
verjagte, nachdem bei einer Jahreseinnahme von 24 Millionen Gulden die Staats:
ſchuld ſeit 1756 von 49 Millionen auf 136 gejtiegen war. So ratlos war die
Finanzverwaltung den Bedürfniffen des Heeres gegenüber, daß fie jet mitten
im Kriege eine Verringerung der Truppenteile beantragte und troß des lebhaften
Einſpruchs der Generale, des Kaijers, des jungen Kronprinzen Joſeph, bei der
Kaiſerin-Königin durchſetzte: bei jedem Regiment wurden nun zwei Compagnien
in der Weije aufgelöft, daß die Mannſchaften zum Erjag für den jonftigen Ab:
gang bes Heeres verwendet wurden.
2096 Siebentes Bud. Dritter Abfchnitt.
Lacy warnte: man habe mit einem Feinde zu thun, dem man nie genug
Truppen gegenüberftellen könne. Das ließ fih füglich nicht beitreiten; indes
hatte das „Mirakel von Schweidnitz“ das Selbftvertrauen des Wiener Hofes
geftärft, die Zuverfichtlichften dachten jogar wieder an die Eroberung des ganzen
Sclefiens, während Kaunig, minder hoffnungsvoll, ven Hauptwert auf den baldigen
Schluß des Krieges legte und deshalb geneigt war, mit einem „wo nicht ganz
glücdlichen, fo doch erträglichen” Frieden vorliebzunehmen. Mehr als von der
eigenen Kraft verjprah man fi von der Erihöpfung des Gegners; in Wien
wie in Berjailles war jet die Meinung vorherrſchend, daß es der Offenfive,
zu der offenbar die öfterreihiichen Feldherren nicht geſchickt waren, nicht
mehr bedürfe, daß man den König von Preußen bei dem allmählichen Ber:
fiegen feiner Hülfsmittel an Mannichaft und Geld auch in der Defenfive matt:
ſetzen könne.
Eben diefen Auszehrungstod fürchtete Friedrih am allermeiften.
Seine Feldtruppen waren auf 60000 Dann, den halben Beitand, zufammen
gefhmolzen. Die erdrüdende Enge der diesmaligen Winterquartiere, zwijchen den
Defterreihern in und bei Schweibnig und den Rufen von Poſen bis Kolberg,
gab ihm einen Vorihmad des Lojes, das man ihm bereiten wollte. „Jedes
Bündel Stroh, jeder Schub Nekruten, jede Sendung Geld, alles was an mid
gelangt, ift oder wird eine Gunft meiner Feinde oder ein Beweis für ihre Nach:
läſſigkeit, da fie eigentlich alles wegnehmen fünnen. In Sachſen ſind bie Deiter:
reicher Meifter der Berge, Thüringen beherrichen die Kreistruppen, die Franzoſen
find bis Mühlhauſen vorgerüdt. Alles das ſchnürt uns jo ein und gibt unjern
Feinden jo große Vorteile, daß ich, wenn fie auch nur mit halber Kraft handeln,
nicht abjehe, wie wir unfern Untergang noch hinausſchieben fönnen. Hier in
Schleſien find alle Feitungen den Unternehmungen des Feindes ausgefegt, Stettin,
Küftrin und felbit Berlin find dem Belieben der Ruſſen preisgegeben, in Sadien
it mein Bruder fozulagen bei der eriten Bewegung Dauns über die Elbe
zurüdgemworfen. Alles das ift jehr reell, es find nicht etwa Vorausſagungen
eines hypochondriſchen und milanthropiichen Sinnes, fondern unglüdlicherweije
notwendige Wirkungen der von unfern Feinden wohl vorbereiteten Urjachen.“
So Friedrichs trübjelige Rundſchau und Ausihau am 10. Dezember 1761,
unmittelbar nad) feiner Ankunft in dem dur die Beſchießung von 1760 ver:
wüſteten Stadtihloß zu Breslau, nachdem er fur; zuvor im Sauptquartier
Woiſelwitz bei Strehlen, nicht weit von den Stätten, wo man ſchon einmal ihm
nachgeitellt hatte,!) dem Anfchlag glüdlich entgangen war, den Laudon im Ein:
verftändnis mit einem verräteriichen ſchleſiſchen Vaſallen, dem Freiherrn von
Warkotſch, und einem Fatholiihen Geiitlihen gegen die Perjon feines großen
Gegners geplant hatte: nach Friedrichs Anficht unter ftärferer Bethätigung feines
böſen Willens als jeiner militärifchen Einfidht.
„Ich wohne hier in meinem Haufe,” jchreibt Friedrich aus Breslau,
„zwiſchen Schutt und Trümmern, einige Zimmer find wieder hergeftellt, in den
andern das Oberite zu unterft gekehrt.“ Der Leipziger Karneval vom vorigen
') 8.1, 9.
Das Jahr 1761. 297
Winter?) dünkt ihm glänzend im Bergleih zu dem diesjährigen; Gäſte wie
damals ladet er ſich nicht ein, er bleibt ausſchließlich auf fich jelbit, „alfo auf
recht Schlechte Gefelichaft”, angewieſen; er lieſt viel, er „verjchlingt” feine Bücher,
und fie geben ihm „heilfame Ablenkung”; wenn er diefe Bücher nicht hätte,
würde er fürchten, daß feine Hypochondrie ihn in das Irrenhaus brädte: „Sch
babe ohne Zweifel jehr jtarfes Reifen am Kopf, das mir den Schlaf nimmt,
zufammengefegt aus ruſſiſchen, öfterreihiichen, galliihen und ſchwediſchen
Schmerzen — genug, um einen Ochjen zu töten, und wäre es Gott Apis ſelbſt.“
. „Die Schule der Geduld, die ich durchlaufe, ift hart, lang, graufam, ja
barbariih. Ich habe mich meinem Geſchick nicht entziehen können; alles was
die menſchliche Worausfiht an die Hand zu geben vermodte, ift angewandt
worden, und nichts ift geglüdt. Wenn Fortuna fortfährt, mich jo unbarmherzig
zu behandeln, werde ich unzweifelhaft unterliegen; nur fie kann mich aus meiner
jegigen Lage berausziehen. ch rette mich aus alledem, indem ich die Welt im
großen und wie von einem entfernten Planeten aus betradhte; dann erjcheinen
mir alle Gegenftände unendlich Klein, und ich bemitleide meine Feinde, daß fie
fi jo viel Mühe um fo geringes Ding machen.”
„Man erzählt,“ jchreibt er ein andermal dem Marquis d'Argens, an den
alle diefe Befenntnifje gerichtet find, „daß ein geihidter Mufifer gefragt wurde:
‚Würden Sie auf einer Geige mit nur drei Saiten jpielen fünnen?‘ Er jpielte,
fo gut e& ging. Darauf zerriß man ihm nod eine. Er jpielte, aber weniger
gut. Nun zerriß man die beiden legten Saiten und wollte, daß er jeinem
Inſtrument nod Töne entlodte!”
Den großen politiihen Wendungen, welche dieſer Herbit brachte, maß er
für feine verzweifelten Umftände feine Bedeutung bei. Am 5. Oftober hatte William
Pitt fein Amt niedergelegt, freiwillig, weil er die in richtiger Vorausficht der
fommenden Ereignifie geforderte Kriegserflärung gegen Spanien bei jeinen Amts—
genoffen und dem jungen Könige nicht durchſetzen fonnte. Friedrich verhehlte
fih nicht, daß mit dem „großen Commtoner“ der einzige Mann aus dem britifchen
Minifterium ſchied, der Feitigkeit und Fähigkeit miteinander verband, und zugleich
der einzige Engländer, auf den er beim Friedensſchluß rechnen durfte; aber da
jest nicht mehr von Verhandlungen, fondern nur noch von Krieg die Rede war,
jo jah er von dem Minifterwechjel unmittelbare Folgen für feine Sache nicht
voraus. Und als dann, wie Pitt vorausgejagt hatte, die Kriegserflärung
Spaniens erfolgte, meinte Friedrich, daß er dieſes Ereignis, wenn feine
eigene Lage gut und vorteilhaft wäre, als einen jehr unbequemen Querſtrich
empfinden würde; jo aber wollte er den neuen Krieg mit völliger Gleichgültigkeit
betrachten.
Ein einziger Hoffnungsftrahl brad durch jeine Nacht, ein fernes, unficheres
Aufleuchten. Noch einmal verkündete aus Konftantinopel jener ſchon fo oft als
falſcher Zeichendeuter überführte Nerin, daß große Dinge bevorftünden, daß die
Kriegsrüftungen für den nächſten Frühling im vollen Gange wären, daß
120000 Mann in Ungarn einbreden, 80000 gegen die Nuffen marſchieren
) Bgl. oben ©. 184.
298 Siebentes Bud. Dritter Abfchnitt.
würden. Der König erinnerte jeinen Sendling daran, wie wenig vor zwei
Sahren der Sommer gehalten habe, was der Winter veriproden; er jelbit
flammerte fih doch an diefe Möglichkeit mit der ganzen Zebhaftigfeit jeiner Ein—
bildungsfraft und der ganzen Stärfe und Zähigkeit feines Wollens, troß aller
Einwände feines Bruders, der an diejes Heil, das von den Mufelmanen fommen
follte, noch nie hatte alauben wollen.
Des Königs Zuverficht ftieg, als aus der Krim ein Abgejandter des Chang
der Tataren im Hauptquartier erihien und verfündete, daß fein Gebieter,
Kerim Gerai, 30000 Mann über die ruffiihe Grenze und 6000 zur Bereini:
gung mit dem preußiſchen Heere nad Oberſchleſien ſchicken wolle. Diele Ber:
handlung mit den Türken und Tataren wurde jegt „der einzige Barometer“
der preußiichen Bolitif. „Ob die Engländer uns unterftügen oder uns ver:
laſſen,“ jchreibt der König am 10. Dezember an Findenftein, „wird im gegen:
wärtigen Augenblid gleihgültig, nicht aber ob die Türken neutral bleiben oder
handeln. Mit einem Wort, wir find verloren ohne ihren Beiftand, und mit
ihrer Hülfe werden wir uns nicht bloß wieder aufrichten, fondern vielleicht jogar
Balſam für jo viele fchmerzlihe Wunden finden.”
Schon ftand ein glänzendes Bild vor jeinem Auge, eine ftolze Offenfive,
ein Feldzugsplan nah dem Mufter der Entwürfe von 1758.) Er nahm an,
daß die Defterreiher die Hälfte ihrer Truppen, 60000 Mann, nah Ungarn
werfen, daß die Ruſſen nicht mehr als 12—15000 Mann an der Weichſel und
das Feine Hülfscorps in Schlefien laffen würden. Dann hatte er mit SO000 Mann
in Schlefien und 50000 in Sachſen die Meberzahl für fih und fonnte nad der
Wiedereinnahme von Schweidbnit und von Dresden zugleih in Mähren und in
Böhmen eindringen.
Prinz Heinrih, dem er diefe hochflienenden Gedanken eröffnete, hatte jchon
1758 den DOffenfivvorftoß nah Mähren nicht gebilligt. Er warf jegt fühl und
wortfarg nur die Frage auf, welche Mafregeln der König für den Fall
zu ergreifen gedenfe, daß die Drientalen ihre Diverfion nicht ausführten;
denn es jei dringend notwendig, auch für diefe Möglichkeit alle Vorkehrungen
zu treffen.
Der König geitand, dann jehe er nit ab, wie man den Untergang
binausjchieben oder beſchwören ſolle; doch glaube er, daß in der legten Not
noch das beite fein werde, alle Streitkräfte zufammenzuraffen und mit der
ganzen Maſſe den Feinden der Reihe nach zu Leibe zu gehen; das eine ihrer
Heere erdrüdt, werde man mit den beiden anderen befleres Spiel haben,
und unter allen Umftänden gelte es gleich, zubauf oder ftüdmweife zu Grunde
zu geben.
Wieder meinte der Prinz, diefer Ausweg ericheine ihm als der allerver:
zweifeltite; denn mit ſolcher Zufammenballung aller Streitfräfte gebe man
überall, wo man ben Rüden fehre, Magazine und Provinzen dem Feinde preis.
Auch Tehre die bisherige Erfahrung, daß man ein Heer nicht jo ohne weiteres
zermalme. Müſſe geitorben fein, jo komme es ledigli darauf an, feitzuftellen,
1) Vgl. oben ©. 168.
Das Jahr 1761. 299
welder Tod der langſamſte jei, um die Gunst unvorhergejehener Zwiſchenfälle
nicht zu vericherzen.
Nun erinnerte Friedrid den Bruder nur noch an die beiden Aerzte in der
franzöfifhen Fabel, den Doktor Tant pis und den Doktor Tant mieux, die
unter den gleihen Hut zu bringen unmöglich jei: „Ich habe einen Kranken zu
behandeln, der im higigen Fieber liegt, im verzweifelten Falle verorbne ih ihm
eine Gewaltkur, Sie wollen ibm Palliativmittel geben.“
Eines verfchwieg er dem Bruder. Denn nod an einen anderen Ausweg dachte
er. Se weniger er jelbit im Innerften an einen Erfolg der von dem Prinzen
als verzweifelt bezeichneten Strategie glaubte, um fo mehr nahmen ihn jeßt
die finfteren Gedanken wieder gefangen, die ihn ſchon jo oft in Verſuchung ge:
führt hatten.
„Konmen die Türken nicht,” eröffnet er am 6. Januar jeinem Kabinetts-
minifter, „dann läßt uns unjere unglüdliche Lage nicht mehr die Hoffnung, durch
unfere Tapferkeit und den Einſatz unjerer eignen Kräfte unjere Sache wieder
ins Gleiche zu bringen oder auch nur den nächſten Feldzug durchzuhalten.“
Dann wird alfo nicht mehr Kampf, fondern Verhandlung die Loſung fein; es
wird gelten, durch geeignete Schritte in London oder bei dringender Not auch
in Berjailles, Wien oder Petersburg von den Trümmern des Staates jo viel,
als fih der Habgier der Feinde entreißen läßt, zu retten. Zu retten für bes
Königs jungen Neffen. Friedrich ſelbſt beharrt bei der Meinung, daß in einem
verftümmelten Preußen für ihn jelber fein Raum mehr ift. Nur wenige Wochen
trennen ihn noch von der Gewißheit, der guten oder ſchlimmen, von der letzten
Entſcheidung. „Bis zum 15. oder 20. Februar muß fich,” jo erklärt er, „ergeben,
ob die Türfen ins Feld rücken“ — darum will er fich jegt mit England wegen
defien, was im neuen Jahre zu geichehen hat, no nicht ins Einvernehmen
jegen. „Wäre ich der Türken ſicher, fo würde ich ohne Zweifel die Engländer
zum Kampf ermuntern; aber mwenn meine Anftalten in SKonitantinopel fehl:
Ihlagen, wie ganz mit Recht würden fih die Engländer über mich beklagen
dürfen, wenn ich ihnen jegt die ſchönſten Hoffnungen gäbe und mein Neffe ge:
nötigt wäre, dieje Hoffnungen nad) vier Wochen Lügen zu ftrafen?”
Eine weitere Erläuterung zu der „ſeltſamen Alternative”, vor welcher der
König ih ſah, geben feine Briefe an d’Argens: „Wir find noch nicht ver:
Ihlungen, man will fogar noch einen Hoffnungsftrahl erfennen, ich jpreche nicht
davon; vegetieren wir diefen Winter, wie wir eben können, und wenn alles gut
geht, verſpreche ich Ihnen zum Frühling eine ſchöne Ode; wo nicht, To halten
Sie Sih an das, was Cato Ihnen jagen wird.” Das Leben Catos und das
Leben Kaijer Othos im Plutarch find wieder fein bevorzugter Leſe- und Lern:
ftoff gemorden.!) „ch finde da lehrreidhe Ereignifle jeder Art, für jedermann
beachtenswert, ber jeine Pilgerfchaft durch dieje Hölle, genannt Welt, zurüdlegt.
IH denke wie diefe großen Männer des Altertums, und ich finde, wenn man
ihr Verhalten prüft, jo kann man ihnen nur Beifall zollen. Mögen hohle
Schreier in ihrer Schulweisheit anders gedacht, mögen fie über diefe Frage
) Bgl. oben ©, 120. 122.
300 Siebented Bud. Dritter Abſchnitt.
abjurde Paraboren aufgeftelt haben, daran braucht man fich nicht zu halten;
und fidher wären bie verftändigen Leute zu bedauern, wollten fie fi in ihrem
Urteil nach diefen Schulpebanten richten, welche die fchöniten Handlungen und
den erhabenften Seelenadel der Alten herabzufegen verjucht haben.“
Der 20. Februar joll enticheiden, jo fündet er es auch dem treuen d'Argens
an. Gnticheiden für den Staat zwifhen Kampf und Verhandlung und für den
König zwiſchen Leben und Tod: ob er es „mit Cato halten” oder ob er „Cäſars
Kommentare zur Richtſchnur nehmen” wird.
Die Entſcheidung fiel früher, und fie fam aus anderer Richtung, als Friedrich
es erwartet hatte.
Dierter Abjchnitt.
Siebenter Feldzug und Jriedensſchlüſſe.
der König das große Ereignis, defjen er feit Jahren geharrt hatte, jeßt,
da es eintrat, zunächſt auffallend Fühl und Eleingläubig aufgenommen.
Am eriten Feittage der rujfiichen Weihnachten, dem 5. Januar 1762 abendländifchen
Stils, erlag die Tochter Peters des Großen, Kaijerin Elifabeth von Rußland, im
dreiundfünfzigiten Lebensjahre den Folgen eines Blutjturzes; an ihre Stelle trat
fraft der von ihr aufgerichteten Erbordnung !) ihr Schweiterfohn, der Herzog
von Holitein:Gottorp, Kaifer Peter III.
König Friedrich erhielt die Todesnahriht am 19. Januar aus Warjchau.
„Ein großes Ereignis,” jchrieb er an den Grafen Findenftein, „das vielleicht
auf geringe Wirkung hinausfommen wird. Sie willen, was uns ber Tod des
Königs von Spanien eingetragen hat.“) Ich fürchte, daß dies die zweite Muflage
davon wird.” Und einen Glüdwunfdh des Marquis b’Argens zu dem Um:
ihwung der Dinge beantwortete er ſchwermütig: „Ich bin in diefem ganzen
Kriege jo unglüdlicd gewejen, mit dem Schwert und mit der Feder, daß mir
das bei jedem Anlaß großes Mißtrauen einflößt und ich nur noch meinen Augen
und meinen Ohren traue. ... O, was ilt die Erfahrung für eine ſchöne Sadıe.
Ich, der ih unbändig war in meiner Jugend, wie ein Füllen ohne Zaum, das
fih auf der Weide tummelt, bin jest langjam geworden wie der alte Neftor;
aber dafür bin ich auch grauföpfig, von Kummer zernagt, von Gebreften ge:
ichlagen, mit einem Wort: gut, den Hunden vorgeworfen zu werben.”
Wer gab ihm, jo fragte er ſich, eine Bürgichaft dagegen, daß nicht feine
Feinde „durch Kunftgriffe und jchmeichleriihe Einflüfterungen“ dem neuen
Zaren die Fortſetzung des Krieges abgewannen? Perfönliche Verbindung zwijchen
ihm und Peter war ſeit Jahren völlig unterbroden. Mehr als von dem
SE erfüllt von feinen auf die Türkenhülfe geitellten Entwürfen bat
ı) 3b. I, 202.
2) Dben S. 207. 244. 295.
302 Siebentes Buch. Vierter Abfchnitt.
Kaifer fcheint er fih im eriten Augenblid von der Kaijerin Katharina ver:
fproden zu haben; an fie vor allem follte fih nad jeinem Dafürhalten und
Wunſch der engliihe Gejandte Keith wenden, um das aufrichtige Verlangen
Preußens nad friedlihem Ausgleidh mit Rußland zum Ausdrud zu bringen. So
wenig hatte er bisher den Großfürften-Thronfolger als perfönliden Faktor in
die politiihe Nechnung eingeftellt, day er, wie wir jahen, geneigt gewejen war,
Dänemarks Beitritt zur preußiicheengliihen Partei auf Koften ber ſchleswig—
holſteinſchen Anſprüche Peters zu erfaufen.!) Auch jegt ſchien es ihm nicht aus:
geihloffen, daß fein einziger Gewinn aus dem ruffiihen Thronwechſel in einer
Schilderhebung Dänemarks beitehen werde. So ſchwebte noch immer eine
europäiiche Kombination ihm vor, in der Rußland zu der Gegenpartei zählte.
Eben auf diefer Vorausfegung berubte auch jene Verhandlung mit der Pforte.
Noh vor wenigen Wochen hatte er den Vorſchlag, abermals ?) in Petersburg
mit Hülfe eines wohlgejinnten Holfteiners aus der Umgebung des Großfürften
auf den Frieden hinzumwirfen, mit der Begründung von der Hand gewiejen, daß
bei der Eriegeriichen Haltung der Türken kleine Chipoterieen mit den Ruffen
jest nicht an der Zeit jeien.
„In meiner gegenwärtigen Lage bin ich genötigt, ſehr gemeſſenen Schrittes
zu gehen, um meine Angelegenheiten nicht zu verjhlimmern ftatt fie zu ver:
bejjern.“ Das die allgemeine Richtſchnur, die der König feinem Kabinettsminifter
unter dem eriten Eindrud der Todesnadhricht erteilte. Drei Tage ſpäter, am
22. Januar, ftand jeine Politif noch ganz im Zeichen des Halbmonds: „Wenn
meine Sade in der Türfei den Erfolg bat, den ih mir veriprede, jo
werden wir dann aud Dänemark an uns heranziehen müſſen. Wenn es mir
mit den Türken nicht gelingt, und wenn der neue Kaifer von Rußland, nad
den ehedem ihm beigemeilenen Gefinnungen, uns vielleicht auf geheimen Wegen
wegen eines Ausgleichs jondieren läßt, jo werden wir in diefem Fall nur no
zu ſehen haben, was ſich mit den Ruffen maden läßt; und dann würden wir
nicht umhin fönnen, obgleich gegen unfer Intereſſe, dem Großfürften den Beſitz
von Holftein und vielleiht noh von Schleswig zu verbürgen, was wir nicht
thun fönnten, wenn wir uns gegen Dänemark die Hand gebunden hätten —
fo daß, alles wiederholt und zufammengefaßt, alle meine Entſchließungen von
dem Ausgang meiner Verhandlung in der Türkei abhängen, über den wir,
wie ih mir ſchmeichle, alleripäteitens gegen Mitte Februar unterrichtet jein
werben.”
Nun aber geſchah es, daß die Enticheidung aus Petersburg eher fam, als
die aus Konftantinopel, welder alles andere untergeordnet werden jollte.
Am 27. Januar traf die Nachricht in Breslau ein, daß ein Senbbote des
Zaren unterwegs fei. Vier Tage lang erwartete man jeine Ankunft im Haupt:
quartier ftündlih, bis am 31. ftatt des Ruſſen ein Courier aus Magdeburg
anlangte, wo der Hof und die Minifter noch mweilten.’) Dorthin und nit nad
) Dben ©. 251.
?) Bl. oben ©. 247.
2) Val. oben ©. 208.
Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 303
Breslau war der ruffiihe Oberft Gudowitſch gegangen; fein eigentliches Reiſeziel
war Zerbit, die Reſidenz des Bruders der Kaiferin Katharina. Er hatte dem
Grafen Findenitein des Zaren offizielle Anzeige von feinem Negierungsantritt
eingehändigt und dazu einen Begleitbrief des Großfanzlers Woronzom. Auftrag,
bei dem Könige felber fih zu melden, hatte Gudowitſch nur für den Fall, daß
fein Weg ihn über die augenblidlihe Stätte des Hauptquartiers führen würde;
er erklärte fich indes bereit, nad Breslau zu gehen, falls der König dies aus:
drücklich wünſchen follte. Gleichzeitig hatte Sir Robert Keith) aus Petersburg
geichrieben, daß die Gefinnungen des neuen Herrichers jo günjtig wie möglich
feien: die ruſſiſchen Generale hätten Befehl erhalten, zu feinen Feindſeligkeiten
gegen die Preußen zu jchreiten, und Tſchernyſchew insbejondere, ji von den
Defterreichern zu trennen und nad Polen zu marjcieren.
Der König ließ den ruffifschen Oberſten angelegentlid) einladen. „Sie willen,“
jhrieb er an Findenjtein, „dab nichts dringender ift, als jchleunigite Aus»
föhnung mit Rußland, um uns vom Rande des Abgrunds zu entfernen.” Eigen:
händig jegte er hinzu: „Der erfte Lichtftrahl, der fi zeigt! Der Himmel fei
gefegnet! Man muß hoffen, daß den Stürmen jegt die fchönen Tage folgen,
Gott wolle es!”
Er betrachtete den Frieden mit Rußland bereits als gelichert und meinte,
daß dies große Ereignis unfehlbar auch den Frieden mit Schweden nach ſich
ziehen werde. „Alſo, Dank dem Himmel, unjer Rüden frei,“ ſchrieb er feinem
Bruder und jprad) die Hoffnung aus, daß diefe Nachrichten ihn in gute Laune
zurüdverjegen würden. Noch ehe Gudowitſch, von Friedrich der Taube verglichen,
welche den Delzweig zur Arche bradte, in Breslau eintraf — die Ankunft ver:
zögerte fich bis zum 20. Februar —, jandte der König den aus diefem Anlaß
zum Oberften und Flügeladjutanten ernannten Legationsrat v. d. Golg, den
Sohn jeines trefflihen, 1746 verftorbenen Freundes, ’) mit einem Glückwunſch—
jchreiben an den Zaren und mit einer Unterweifung für bie Friedensverhandlung
nad Petersburg.
Wenn nun faft gleichzeitig mit der Ankündigung des Bejuches von Gudowitſch
der mit Sehnſucht erwartete Bericht aus Konftantinopel eintraf, nad welchem
die friegeriiche Stimmung dort nicht bloß andauerte, ſondern noch geitiegen war,
jo jegte das die politiihen Gehülfen des Königs freilich in einige Berlegenheit.
Sindenftein gab in einem vertraulihen Briefe an den Kabinettsrat feiner Be:
unruhigung Ausdrud über den höchſt gefährlichen Kontraft „zwiſchen unſeren
orientaliihen Verhandlungen und der neuen ruffiihen Negociation”, und Eichel
beteuerte dem Minifter am 4. Februar, daß er es feinerfeits „gehörigen Orts“
an Warnungen nicht fehlen laſſe, hob aber zugleich hervor, wie leicht man Ge:
fahr laufen fünne, fi „zwifchen zwei Stühle zu ſetzen“; wie dürfe man unreines
Waſſer ausgießen, ehe reines ficher zu Hand jei?
Um gegen Rußland loyal zu handeln, ließ der König feinem Refidenten
Boscamp in Baktſchiſarai die Weiſung zugehen, die Angriffsgelüfte des Tataren:
hans von den ruffiichen Grenzen ab: und vielmehr gegen Ungarn zu lenken; in
) 8b. I, 486.
304 Siebentes Bud. Vierter Abſchnitt.
Konftantinopel hatte die Abliht, auch mit Rußland zu breden, immer nur in
zweiter Linie geitanden. Allemal blieb zweifelhaft, wie Rußland einen Angriff
feiner Erbfeinde gegen das bisher ihm fo engverbündete Deiterreih aufnehmen
würde, Da gab der Zar Anfang April die Erklärung ab, er wolle weder ben
Türken noh den Tataren entgegen fein, wenn fie den Wiener Hof mit Krieg
tiberzieben würden. So hatte ſich diefe Schwierigkeit unerwartet glatt gelöft.
In der That, der ruſſiſche Monarch ging im Sturmichritt vor. Noch ehe
der Bevollmädhtigte des Königs von Preußen bei ihm erjchienen war, gab Peter
durch die engliihen Gejandten Keith und Mitchell feinen Wunſch zu erkennen,
in den Belik des Schwarzen Nolerordens zu gelangen. König Friedrih war
begreiflicherweife überraicht, noch während des Kriegs ſolches Begehren zu ver:
nehmen; aber er beeilte fih, Kreuz und Stern feinem Gejandten Gol& zur
Ueberreihung an den Kaifer zuzuftellen, und jchrieb jcherzend an Mitchell, das
fei ein fonderbarer Ritter, der SO000 Mann auf preußifche Koften jpeife, der
einzige feiner Ritter, der fich dieje freiheit berausnehme: „Wenn jeder Hoſen—
band-Nitter desgleihen thun wollte, jo würde hr England, das ganze England
wie e& da ilt, verſpeiſt werden. Ich bitte Sie, meinen Ritter gelehriger zu
maden und ihm beizubringen, daß es gegen das Ordensitatut ift, wenn ein
Ritter feinen Großmeifter verjpeift.“
Der König hatte Golg für verſchiedene Möglichkeiten mit Verhaltungs—
maßregeln verjehen. Wollten die Ruſſen Oftpreußen bis zum allgemeinen Frieden
befegt halten, jo durfte der Gefandte das ohne weiteres zugeftehen. Sollten fie
die feit vier Jahren von ihnen verwaltete Provinz überhaupt nicht herausgeben
wollen — ein Fall, der immerhin nicht ausgeihloffen war —, jo jollte Golg
unter allen Umjtänden einen Entihädigungsaniprud anmelden und entiprechende
Vorſchläge in Ausficht ftellen. Außerdem war er ermächtigt, eine Gemährleiftung
für den gottorpiichen Beſitz in Holftein, womöglich gegen eine wechlelfeitige Bürg—
ſchaft Rußlands für Schlefien, zuzufagen, ſowie die preußifche Neutralität für
den Fall eines ruffiihen Krieges gegen Dänemark. Als Golg nun am 4. März
in Petersburg eintraf, fand er die Lage zu feiner freudigen Ueberraſchung da:
durd) völlig geklärt vor, daf der Zar am 23. Februar durch gleidhlautende Noten
den am Kriege beteiligten Mächten unter warmer Empfehlung des Friedens feine
Abſicht kundgethan hatte, auf die durch die ruffifhen Waffen gemachten Erobe:
tungen zu verzichten.
Der preußiihe Unterhändler hatte nach diefer Erklärung leichtes Spiel.
Der Kaifer überhäufte ihn mit Beweiſen feiner Gunft und feines Pertrauens
und mit Beteuerungen feiner Verehrung und Bewunderung für König Friedrich.
Dagegen wußte Golg, daß er fi von ber Kaiſerin Katharina Förderung nicht
zu veriprechen hatte.
Am 5. Mai wurde duch Golk und Woronzow die Friedensurfunde unter:
zeichnet, Eraft welcher der Kaifer von Nußland das eroberte Oftpreußen und
Hinterpommern dem Könige von Preußen zurüdgab und binnen zwei Monaten
zu räumen verſprach, allerdings mit dem Vorbehalt, daß diefe Frift unter Um:
ftänden verlängert werden follte. In einem Sonderartifel wurde der Abſchluß
eines Bündnifjes in Ausficht genommen.
Siebenter Feldzug und FFriedensichlüffe. 305
Der König ſpendete jeinem jugendlichen, erſt jehsundzwanzigjährigen Unter:
händler reiches Lob: „Ihre Erſtlingsverſuche, mein Lieber, find Meifterftüde.
Welch eine Ehre für einen Unterhändler Ihres Alters, einen Friedensvertrag
und eine Allianz in weniger als ſechs Wochen zu ftande gebracht zu haben.“
Wenn der Zar in dem Friebensvertrage feine guten Dienfte für die Her:
ftelung des Friedens auch mit den Schweden verhieß, jo bat es dieſer Ver:
mittelung nicht mehr bedurft. Schon hatten in Hamburg die Verhandlungen
zwiichen dem dortigen preußifhen Reſidenten Heht und dem ſchwediſchen Be:
vollmädtigten Dlthoff begonnen, nachdem die jchwergeprüfte Königin Ulrike die
Genugthuung gehabt hatte, von ihren bisherigen Widerfachern !) um ihre Unter:
Ihrift zu dem Schreiben an den König von Preußen angegangen zu werden, durch
das von Stodholm aus der Antrag auf Frieden geftellt wurde. Der ſchwediſche
Stolz verjagte fich nicht, zunädhit die Abtretung der Inſeln Uſedom und Wollin
und eine Sandelsiperre für die Smwinemündung ?) zu fordern; das eine wie das
andere wurde ohne weiteres abgejhlagen, und da nun Rußland vom Kampf:
plat endgültig zurüdtrat, jo nahm aud Schweden am 22. Mai ben Frieden auf
Grund des alten Befisftandes an. „ch hoffe,” meinte der König nad) dieſen
beiden Friedensſchlüſſen, „ich werde jegt in politifher Beziehung nicht mehr wie
ein Ausfähiger, deſſen Berührung man vermeiden muß, betrachtet werden.”
Eben zu dem Zeitpunkte, da Friede und Freundſchaft zwiichen Preußen
und Rußland Geftalt annahmen, zerriß das alte Bündnis mit England.
Schon vor Jahresfriſt hatte Pitt die preußifhen Vertreter in London
darauf hingewieſen, daß jept au die Stimmung der Nation. — nicht bloß wie
bisher ?) einzelner Staatsmänner — der Fortfegung des Krieges entgegen jei;
in einer Unzahl von Flugfchriften trete diefe Friedensneigung unverkennbar zu
Tage. Thatiahe blieb, daß England 1760 den Frieden mit Franfreid, der
einzigen Macht, mit der man im erflärten Kriegszuftand ſich befand, hätte haben
fönnen, wenn die durch den Vertrag vom 11. April 1758 gebotene Rückſicht auf
Preußen nicht dazwiichengetreten wäre.!) Pitt hatte unbedingt ſolche Rüdjicht
walten lafjen, denn er vergaß nicht, was fein Staat diefem Verbündeten dankte,
und daß erit der Sieg von Roßbach feine Landsleute aus tiefer Mutlofigfeit
aufgewedt hatte; er erinnerte fie immer von neuem daran, wie England jeine
Erfolge in Amerifa nur dem Umſtand verdanfe, daß Franfreihs Kraft auf
Deutihland abgelenkt geweien jei — und wem galten diefe deutichen Kriegszüge
ber Franzojen anders, als dem Könige von Preußen? Pitt fühlte fih gebunden,
nicht bloß durch den Buchſtaben des Vertrages, jondern vor allem durch diele
ganze Reihe feierliher Erklärungen, die er Jahr für Jahr vor dem Parlament,
vor Europa abgegeben hatte: daß jolange er im Amte ſei, er niemals dulden
werde, Englands Verbündete die Opfer ihrer Verbindung mit England werben
zu laſſen; daß er fie im Frieden nicht um ein Jota verkürzen lafjen werde,
i) Oben ©. 46.
2) Bol. Bo. ], 441. 442.
®) Bal. oben S. 240.
Oben ©. 249.
Koier, König Friedrich der Große. 2. Aufl 9
306 Siebentes Bud. Vierter Abſchnitt.
britifhen Sonderinterefien zu Liebe, daß er feinen neuen Frieden von Utrecht
dulden wolle; daß man ihm eher die Hand abichneiden jolle, ehe er einen
Frieden unterzeichnen werbe, der ben zwifchen England und Preußen beftehenden
Verpflichtungen und ihren gegenjeitigen Intereſſen nicht gemäß jei.
Aber ſelbſt ein Pitt hatte im vorigen Sonmer, wenn auch zjögernd und
iheu, jene Frage geftellt, die dem König von Preußen den Gedanfen an Land»
abtretungen nahelegen follte und eine jo entichievdene Zurüdweilung erfahren
batte.')
Nicht aus dem Verhältnis zu Preußen hatte ih alsdann für Pitt der
Anlaß zum Nüdtritte ergeben, fondern, wie wir jahen,?) aus der jhmwächlichen
Haltung, mit der die Friedenspartei im britiichen Kabinett die Herausforderungen
ber Spanier aufnahm.
Durch die offene Schilderhebung Spaniens endblih unfanft aus ihren
Friedensträumen aufgerüttelt und für ihre Kurziichtigkeit empfindlich beitraft,
jegten die Erben Pitts mit ihrer Friedenspolitif doch ſofort an einem anderen
Punkte an. Bon den bourboniihen Höfen mit Hohn zurüdgeftoßen, richteten
fie ihre Blide und Hoffnungen jest nah Wien. Der Herzog von Nemwcaitle,
als erfter Lord des Schates nad wie vor an der Epite des Kabinetts, war in
den Anſchauungen bes alten Syitems, den Ueberlieferungen der Freundſchaft
und Waffengenoffenihaft mit Defterreih emporgelommen und grau geworben;?)
er hatte vor dem Vertreter der auswärtigen Politif, dem Neuling Bute, eine
über mehr als ein Menichenalter zurüdreichende diplomatiiche Erfahrung voraus,
die fich gleichſam von felbft zur Geltung bradte. Hatte Lord Chefterfield das
Zwiegeipann Newcaftle und Pitt mit einem zanfenden Ehepaar verglichen, das fi)
doch aus beiderfeitigem Intereſſe nicht jcheiden wolle, jo ſchien jegt die Ver:
bindung des Aldermanns der Whig:Ariftokratie mit dem perjönlihen Günftling
des Monarchen die Probe nicht übel zu beftehen. Newcaftle mag wirklich, mie
ihm nachgeſagt wurde, gemeint haben, durch Pitts Sturz ſich feine Stellung
für weitere dreißig Jahre zu fidern. Und das im Sommer neu gewählte Unter:
haus ftand dem Kabinett unbedingt zur Verfügung.
Im Einveritändnis mit Bute eröffnete Nemweaitle die neue Politif am
8. Januar 1762 durd ein vertrauliches Schreiben an Yorke, den Gejandten im
Haag. Er jprad von der Schwierigkeit, neben dem Krieg gegen Spanien aud
den alten in Deutichland zu führen, überall militäriſch in der Minderheit und
mit einem „zu Grunde gerichteten, erjchöpften, unvernünftigen und verzweifelten“
Bundesgenofjen wie dem Könige von Preußen. Und doch fünne man Deutid:
land nit einfah den Franzofen preisgeben. So gelte es den Verfuh, den
Wiener Hof angefichts des erflärten Bündnifjes der bourboniichen Kronen zum
Wiederanihluß an das „alte Enftem” zu beitimmen; und um ihm den für feine
eigene Ehre und fein wirkliches Intereſſe richtigen Entſchluß zu erleichtern, werde
man in Bezug auf Schlefien zu einer für Defterreich befriedigenden Regulierung
ſchreiten, auch Anftalten treffen, um alle Bourbonen aus Italien zu vertreiben.
ı) Oben ©. 283.
2) Chen ©. 297.
) Oben ©. 58.
Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe 307
Prinz Ludwig von Braunfchweig, der Unterhändler von 1759,!) erſchien bem
britiichen Kabinett auch bei diefem Anlaß als geeigneter Mittelamann. Durd)
einen Erlaß Butes wurde Yorke vier Tage ipäter amtlich beauftragt, unter der
erforderlichen Borfiht und Zurüdhaltung mit dem Prinzen und durch biefen
mit dem faiferlihen Gejandten Grafen Reiihah anzufnüpfen.
Als dann die Nahriht von dem Ableben der Kaiferin Elijabeth nad
London gelangt war, fand am 6. Februar eine denfwürdige Beiprehung zwifchen
Bute und dem ruſſiſchen Botjchafter Galizin ftatt, über die jener noch am ſelben
Abend dem Herzog von Newcaftle eine kurze Mitteilung gab. Der Ruſſe lebte
noch ganz im alten Gedankenkreiſe. Er wollte nicht an den Erfolg von Friedens:
unterhandlungen glauben, wenn man nicht Preußen auf den Beſitz von Branden-
burg beichränfen werde; er bezeichnete es als unmöglid, daß fein Hof feine jo
lange begehrte Eroberung aufgeben follte. Bute erflärte, daß England ehren:
balber in eine fait völlige Aufteilung der preußifhen Provinzen nicht willigen
fönne; wohl aber habe man bereits dem Könige von Preußen ernithaft die
Notwendigkeit vorgehalten, an den Frieden, ob immer unter Darbringung einiger
Opfer, zu denken. Daß die ruffifhen Truppen zurüdberufen werben würden,
ftellte Galizin in Abrede. Nach jeinem dem Kaijer erftatteten eingehenden Bericht
über diefe Unterredung, in welchem er feine eigenen, der preußiſchen Sache fo
feindfeligen Neußerungen aus naheliegenden Gründen unterdrüdte, hätte ihm
Bute eröffnet, daß der Londoner Hof, jo jehr er den Frieden erfehne, nicht
wünjchen fönne, die ruffiihen Truppen zurüdgezogen zu jehen; denn bas würde
nicht Beichleunigung des Friedens, fondern Verjchleppung des Krieges bedeuten,
während England zwar den König von Preußen vom völligen Untergang retten,
aber doch zugleich zu angemefjenen Abtretungen veranlaffen wolle.
Dann famen Keiths Meldungen aus Petersburg über den mehr und mehr
zu Tage tretenden Umſchwung ber dortigen Politif, und Bute handelte von
feinem Standpunkt aus nur folgerihtig, wenn er am 26. Februar in einem
Erlaß an diefen Gefandten der Beſorgnis Ausdrud gab, daß Peters zu große
Freundſchaft für Friedrih den ruffiihen Hof zu Maßregeln verleiten werde,
welche diefen friegerifhen und ehrgeizigen Fürften zur Fortjegung der Feind»
jeligfeiten ermutigen fönnten.
Die Bute und Newcaftle falvierten ihr Gewiſſen damit, daß fie den bisher
aljährlih erneuerten Vertrag vom 11. April 1758 mit der Garantie des beider:
feitigen Beligftandes und dem Verbot getrennten Friedensſchluſſes für das neue
Fahr nicht verlängert hatten, und daß nad ihrer Ueberzeugung, wie fie jedem,
der es hören wollte, fagten, für den König von Preußen „ohne beträchtliches
Nachgeben“ Friede nun einmal nit zu erhoffen war. Zu dieſer Leberzeugung
auch ihn jelbit zu bringen — ein Unterfangen, mit dem die großen Kontinental:
mächte, die Waffen in der Hand, feit ſechs Jahren fich vergeblih abmühten —,
verſuchten fie alfo fühn mit den Künften ihrer Diplomatie. Was fie jegt gegen
ihn, und nad ihrer Auffaffung ja lediglich zu jeinem Heile, planten, war genau
dasjelbe Verfahren, welches England 1742 und in gewiſſem Grade auch 1745
) Oben S 244. 47.
308 Siebentes Buch. Vierter Abſchnitt.
und 1748 gegen Maria Therefia, ihr zur bitterften Klage, angewandt hatten: ?)
die Nötigung des Bundesgenofien zu Landabtretungen nah dem Gefallen und
ben Bedürfniffen der britifchen Politif. Daß Friedrich mit der von ihnen ge—
wünjchten Erklärung über feine Lage und feine Abfichten aus Gründen, die wir
fennen gelernt haben,*) zurüdhielt, betrachteten fie als einen neuen Beweis jeiner
Herzenshärtigkeit und feines Abenteurerfinnes. Und ihre Gereiztheit verichärfte
ih, als fie in einem chiffrierten Erlaß des preußijchen Königs an feine Gefandt:
fhaft, den fie berfümmlicherweiie auf ihrem Poftamt anhalten und entziffern
ließen, das unwirſche und freilich nicht ſchmeichelhafte Wort laſen: die jegigen
engliſchen Minifter gehörten ins Tollhaus!
Dei alledem war das britifche Minifterium bereit, die Hülfsgelder an Preußen
weiter zu zablen, wofern nur die läftigen politifhen Klaufeln des bisherigen
Bündniſſes nicht von neuem ausgejprodhen wurden. Ya, Anyphaufen und Michell
gewannen den Eindrud, daß man fogar einer Erhöhung des früheren Betrages
bis auf fünf oder ſechs Millionen deutſcher Thaler feine Schwierigfeit entgegen-
ſetzen werde.
König Frievrihd war zunädhft der Meinung, daß er die Subfidien nicht
miſſen fünne. Es war ihm peinlih genug, daß die britifhen Minifter jegt
gleihjam „mit dem Stod in der Hand” verhandelten, aber er entſchloß ſich
zu „dijjimulieren“, feine Empfindlichkeit zu verbergen. Nun aber famen Mitte
Januar, unmittelbar nah Einleitung jener Verhandlung im Haag, Bute und
Newcaitle ganz offen mit dem Anfinnen, der König von Preußen möge Ver:
handlungen mit dem Wiener Hofe anknüpfen; das fei das einzige Mittel, um
in Deutichland, welches man bier zwar nicht preisgeben wolle, aber auch nicht mit
Erfolg verteidigen könne, eine befiere Lage herbeizuführen. Friedrichs eigene
Vertreter nahmen ſich die Freiheit, ihren Gebieter „ehr ebrfurdtsvoll zu er:
mahnen“, er möge auf die Gefichtspunfte Englands eingeben; ſchon oft babe
man ihnen zu verjtehen gegeben, daß die größten Mächte ich zu Opfern hätten
bequemen müſſen, dab fein Fürſt erflären könne, er wolle nie und um feinen
Preis Opfer bringen. Der König fuhr auf; er hatte in einem früheren Fall’)
Knyphauſens Ratſchläge willig befolgt; jet erhielten die Gejandten am 4. Februar
einen firengen Verweis, und eigenhändig fügte Friedrid bei der Unterichrift die
Worte hinzu: „Lernen Sie beffer Ihre Pflicht, und merken Sie ſich, daf es Ihnen
in feiner Weiſe zufteht, mir fo thörichte, jo impertinente Ratſchläge zu erteilen,
wie die, welche Sie fich einfallen laſſen.“ Nur die Thatſache, daß die Gejandten
damals um den Tod der Kaiferin von Rußland noch nicht gewußt hätten, wollte
er als mildernden Umftand gelten laſſen. Noch härter wurde Anyphaufen wegen
feiner zu weit gehenden Anpafjung an den britiſchen Standpunkt einige Wochen
jpäter getadelt. Daß fein Vater, der Habinettsminifter, vor 32 Jahren im Zu:
jammenbange des dem Kronprinzen Friedrich gemachten Prozejies als der Hin:
neigung zu England verdächtig verabjdiedet worden war,*) trug jekt von dem
Bd. I, 171. 269. 473.
Oben S. 2,
’, Oben ©. 241.
) Val. „Sriedri der Große als Kronprinz” S. 58. 234. 235.
—
7
—
Siebenter Feldzug und Friedensſchlüffe. 309
Könige Friedrih dem Sohne den graujamen, völlig ungerechten Vorwurf ein:
„Ihr Water, Anyphaufen, hatte Geld von Franfreih und England genommen,
weshalb er fortgejagt wurde; jollte er dieje Gewohnheit Ahnen zum Erbe ver:
madt haben?”
Als Friedrih am 25. März diefe Worte jchrieb, war er bereits entſchloſſen,
lieber auf das engliihe Geld ganz zu verzichten, als fich entwürdigende Neben:
bedingungen auferlegen zu laflen. Da feine Erklärungen Bute nicht genügten,
und da es doch unmöglich fei, den Frieden aufs Geratewohl, „a la hurlu-burlu*,
zu Schließen, jo müfle man ruhig abwarten, bis fih Bute von jelbit wieder
melde, auf die Gefahr hin, daß man diefes Jahr Feine Subfidien erhalte. So
hatte er feine Geſandtſchaft am 17. März unterwiejen.
Unmittelbar darauf, am 23. März, erhielt der König aus Petersburg eine
Mitteilung, unter deren friihem Eindrud feine Entrüftung über das englifche
Minifterium fih auf feine Vertreter in London übertragen und in jenem
Donnerwort gegen Knyphaufen entladen zu haben jcheint. Kaiſer Peter ließ ihm
als Beweis für die Treulofigfeit Englands einen Auszug aus dem Berichte mit:
teilen, den Galizin über jene Unterrebung mit Bute vom 6. Februar erftattet hatte.
Und nad weiteren vierzehn Tagen erfuhr der König durch Knyphauſen
und Michel auch von der feinen Intereſſen fo ganz zumiderlaufenden Anfrage
des britiichen Kabinetts an den Wiener Hof, die inzwiſchen, zum Glüd für Preußen,
durch Kaunig eine fühle, beinah ironiihe Ablehnung erfahren hatte. Die preußi-
Shen Diplomaten nahmen Beranlafjung, die engliihen Minifter auf diefen
Zwifchenfall hin anzureden und das Vorgehen als, wenn auch gut gemeint, jo
doch „unregelmäßig” zu bezeichnen. Nemcaftle geriet in jichtbare Verlegenheit;
Bute jpielte den Gefränften und las den Preußen den vorfichtig, wie für ein
Blaubuch, zugeftugten offiziellen Erla an orte vor, mwohlweislih aber nicht
das vorangegangene vertraulide Schreiben des Herzogs von Nemwcaitle vom
8. Januar.!) An dem durch die Verhandlungen mit Defterreich gegebenen Nergernis
follte jegt lediglih ein Mißverſtändnis oder eine Auftragsüberfchreitung des
Vermittlers, des Prinzen Ludwig von Braunjchweig, Tchuld fein, wie an dem
anderen noch größeren Nergernis, dem Cinwirfungsverfuh auf Rußland, ein
Mißverſtändnis, wo nicht eine Entitellung Galizins.
Wegen der Subfidien, die der König von Preußen gar nicht mehr begehrte,
ift es dann zwifchen Bute und Newcaſtle zum offenen Streit und zum völligen
Bruch gelommen. Nemwcajtle wollte aus politifhen Zweckmäßigkeitsrückſichten
die nochmalige Bewilligung beim Unterhauje beantragen, Bute widerſprach jetzt
und erreichte damit, daß Newcaſtle, über die herrifhe Art des jüngeren Amts:
genoſſen verftimmt, den Kampf aufgab und jeine Entlaffung einreichte. Statt
feiner übernahm jest Bute felbit die Leitung des Minifteriums als erfter Lord
bes Schatzes.
Der König von Preußen war von dem Belieben der Engländer unab—
bängig, weil er, wie bisher immer, die Koften des bevorftehenden Feldzuges
fhon zu Beginn des Jahres gededt jah.
1) Oben S. 306.
310 Siebentes Bud. Bierter Abichnitt.
So bo wie 1757, auf 12 Millionen Thaler alten Geldes außer dem
Bedarf des Heeres in Friedenszeiten, find dieje Koften in den folgenden Jahren
nicht geftiegen. Andrerfeits gingen infolge der Kriegsläufte und des Verluſtes
ganzer Provinzen die ordentlihen Staatseinnahmen immer mehr zurüd. Die
Generaldomänentafje hatte ihren Jahresbeitrag für den Staatsihat; ') ſchon im
erften Kriegsjahre nur zu zwei Siebenteln, jpäter aber überhaupt nicht mehr
geleitet; ihren Zufhuß für den Friedensetat der Heeresverwaltung ?) hat fie an
die Generalfriegsfafje bis zum Rechnungsjahre 1759,60 in der vollen Höhe von
1% Millionen, im folgenden Jahre noch zu zwei Dritteln abgeführt; in den
beiden legten Kriegsjahren mußte fie den Betrag jchuldig bleiben. Dazu kam
der beträchtliche Ausfall der Generalkriegskaſſe an ihren eigenen Einnahmen, ber
Kontribution und Acciſe. Ueberraſchend nünftig waren dagegen die Ergebnifje
der jchlefiihen Verwaltung. Der Oberpräſident Schlabrendorff ſetzte einen
Ehrenpunkt darein, den zur Friedenszeit gemachten Voranſchlag der Einnahme
troß des Krieges zu erreihen, und hat im legten Kriegsjahr ſogar einen Ueber:
ihuß von beinah 300000 Thalern erzielt.
Mit Einführung neuer Steuern oder einem Zuſchlag zu den beftehenden
blieben die ausnahmslos von feindlichen Einfälen und Einlagerungen jchwer
heimgefuchten preußiihen Provinzen verfhont. Nur für die Unterhaltung der
Zandmwehrtruppen ®) legten die ergebenen Provinzialftände einen Yandmilizimpoft
um, der bis zum Ende des Krieges alles in allem etwas über 11. Million
eingetragen hat. Eine Anleihe ift nad 1758*) nicht wieder aufgenommen
worden. Wenn vom November 1757 bis Ende Mai 1762 ein Teil der Be:
amtengehälter und Gnadengelder nicht bar, fondern in bald ftarf entwerteten
Kafienscheinen zur Auszahlung kam, fo ift durch diefe Maßregel, wie es Icheint,
nicht viel über eine halbe Million erſpart worden. Viel bedeutender waren
die Summen, die aus Feindesland gezogen wurden. Medlenburg wurde an:
fänglid mit 2 Millionen, fpäter jährlihd mit 1 Million an Kontribution ver:
anlagt, ohne daß ſich die Höhe der thatjächlich eingetriebenen Summen feftitellen
läßt. Nach einer von dem Herzog von Medlenburg: Schwerin aufgeitellten Be:
rechnung joll der Krieg jeinem Lande im ganzen, an Barzahlungen und an
Lieferungen, volle 8 Millionen gefoftet haben. Dem Kurfürftentum Sadjen
wurden — nad) einer Ausbeute von 1004912 Thalern für 1756, 3094691
Thalern für 1757, 49447 Thalern für 1758 — auf das Jahr 1759
db Millionen abgefordert, jeit 1760 aber nicht weniger als jährlid 12450 000
Thaler, und wenn nun auch diefe Summe wieder bei weitem nicht voll einfam,
jo find doch 1761 mehr als 8 Millionen, 1762 mehr als 7 beigetrieben worden,
allerdings nur in der neuen jchledhten Münze.
Denn das war freilich eine unvermeibliche Wirkung der während des Krieges
zu immer größeren Umfange gelangten Ausprägung minderwertigen Geldes,
daß auch die Einnahmen des Staates entjprehend an Metallwert verloren.
) Bd. I, 385.
) Bd. I, 334.
’) Oben ©. 202.
+ Oben S. 162,
Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 311
Gelegentliche Münzverſchlechterung war ſeit den Tagen des Mittelalters in den
europäiſchen Staaten ein beliebtes Hausmittel urväteriſcher Finanzkunſt; in Frank—
reih waren in den beiden legten Kriegen Ludwigs XIV. an die vierzig Münz-
veränderungen erfolgt. Zumal aud in den Zoll: und Handelsfämpfen zwiſchen
den Staaten wurde die leichte Münze wie nad ftillfehweigender gegenfeitiger
Uebereinfunft als eine Waffe benugt. Der König von Preußen hat den erſten
Schritt auf einer abſchüſſigen Bahn noch zur Friedengzeit gethan, als er im
Herbit 1755 der Firma Her Mofes Gompert erlaubte, für die Zwede des
ausländifchen, injonderheit polnischen Handels gegen einen beträchtlichen Schlag:
ihat die jogenannten neuen Friedrichsdor zu einem Fuße ausjuprägen, nad
welhem auf die feine Mark Gold ftatt 186 Thaler 274 famen. Im Jahre
1757 gewährte er dann anderen Unternehmern, dem Konfortium Veitel Ephraim
Söhne und Daniel Jia, einen Vertrag, kraft deilen fie in den Münzftätten zu
Dresden und Leipzig ſächſiſche Drittelthaler nah dem Fuße von 19% Thaler
auf die feine Mark Silber, ſowie Auguftsbor in ber Legierung jener neuen
Friedrichsdor prägen durften. Bei Erneuerung des Vertrages wurden dieſen
Münzpächtern vom 1. März 1759 ab für die Gilberprägung aud die branden:
burgiſch-preußiſchen Münzitätten übergeben, und ftatt der bisher geſetzlichen
14 Thaler durften nunmehr auch hier 19% in Drittelftüden aus der feinen
Mark Silber geprägt, die „Ephraimiten”, von denen der Volksmund Fündete:
Von außen Schön, von innen ſchlimm,
Von außen Friederich, von innen Ephraim.
Für die ſächſiſchen Münzitätten aber mußte der König feinen Geldmännern gleich:
zeitig nachlaflen, die Mark in Drittelftüden gar zu 30 Thalern und in Fleineren
Münzen, jowie polniihen Timpfen, zu noch geringerem Korn auszubringen,
während der Feingehalt des Auguftspor noch einmal und zwar glei um die
Hälfte verringert wurde. Und wiederum ein Jahr jpäter, am 28. Auguft 1760,
mußte er, da die Unternehmer anders zur Erneuerung des Vertrages nicht zu
beftimmen waren, den ſächſiſchen Drittelftüden den Zugang zu ben preußijchen
Staatsfajjen öffnen. Von diefem Augenblif an wurden die preußifhen Münzen
von altem Schrot und Korn, aber auch die leichteren von 1759, durch die fort
und fort maffenhaft ausgeprägten ſächſiſchen völlig aus dem Verkehr verdrängt;
jüdiſche Haufierer zogen von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf, um
die beſſeren Münzen gegen ein möglichit niedriges Agio aufzufaufen und ihren
Herren und Meiftern den Großunternehmern, zur Umfchmelzung abzuliefern. Die
Münzverwirrung erreichte ihren Gipfel, als nun aud die Nachbarſtaaten ihre
leichten und leichteften Münzen, und zwar zum Teil unter fremdherrlichem, ge:
fäljchtem Stempel, jchlugen und in Verkehr bradten. Die Unterbringung der
von ihnen geprägten Münze war Sade der Unternehmer; eine jehr bedeutende
Summe, die Unmafje der polnischen Timpfe, floß nad Polen ab, teils durch
Vermittelung ber Armeelieferanten, die dort ihre Ankäufe für die Magazine
machten, teils auch in diefem Falle dank der Betriebjamkfeit der die ſchwereren
Münzſorten auffaufenden Haufierer. Die Unternehmer rühmten dem Könige
Anfang 1761 die Findigfeit, mit der fie aus Polen, Ungarn, Rußland „vor
312 Siebentes Bud. Bierter Abſchnitt.
leicht Geld” jchon mehr als 50 Millionen Gold gezogen und „aljo gemwifler:
maßen biefe Yänder in SKontribution gejegt” hätten. Bis zu den feindlichen
Heeresverwaltungen reichten, durch Vermittelung ihrer Prager und Warjchauer
Geſchäftsfreunde, ihre Verbindungen, und da man im öfterreidhiichen und im
ruffiihen Lager die neue ſächſiſche Münze als bequemftes und billigftes Klein:
geld: Zahlungsmittel ſchätzen lernte, jo lieh fie fih auch auf diefem Wege in gutes
öfterreichifches und ruſſiſches Gold umſetzen, das dann behufs der geihäftsmäßigen
Vervielfältigung wieder in den nie feiernden großen Münztiegel wanderte.
Der an den Staat gezahlte Schlagjcha belief fi bis Anfang 1761 im
ganzen ungefähr auf 12 Millionen Thaler, für 1761 aber auf nicht weniger
als 6 Millionen. Für 1762 verpflichteten fih die Unternehmer, 850000 Mark
Silber gegen einen Schlagihag von 4100000 Thalern unter den bisherigen
Bedingungen auszuprägen, mit dem Verſprechen, wenn irgend möglich die Aus-
prägung unter entiprechender Erhöhung des Schlagihates jo zu fteigern, daß
wie im Vorjahre der Gewinn des Staates 6 Millionen betragen würde. Die
im Sommer 1762 wiederhergeftellte Münze in Königsberg nahmen fie gegen
einen Schlagihag von 200000 Thalern in Betrieb.
Die Ausprägung ber engliihen Hülfsgelder hat der König von vornherein
wenigftens teilweife auf eigene Rechnung, ohne Zuziehung der Münzpächter, vor:
nehmen lafjen; zulegt unter. jo ftarfer Kupferlegierung, daß aus einer Million
zwei wurden.
So bedenklich und für Handel und Wandel jhädlich diefe Finanzerperimente
waren, fie leifteten dem Könige in feiner Bedrängnis doch den Dienft, daß in
feinem Sädel niemals Ebbe eintrat. Wir hörten, daf er bereit war, den Dänen,
wenn fie. mit ihm ins Feld zogen, Subfidien zu zahlen, ') und den Türken wollte
er eine Million zur Verfügung ftellen. Und wie er der Hauptitabt Berlin
nah der feindlichen Einlagerung ihre Brandihagung erfegte, jo hat er auch
andere Städte und Teile des platten Yandes nod inmitten bes Krieges mit
nicht unbeträdhtlihen Spenden unterftügen können.
Finanziell alſo den Anfprücden des bevorftehenden Feldzuges gewachſen,
erhielt König Friedrich nun aud die erjehnte militärische VBerftärfung duch das
‚am 19. Juni endlih zum Abſchluß gelangende Bündnis mit Rußland. Der
Preis des Bündniſſes, das Eintreten Preußens für die gottorpifchen Anſprüche
auf das zu Anfang des Jahrhunderts dem Water Peters III. entriffene jchles-
wigſche Gebiet, fonnte jehr unbequeme Weiterungen für König Friedrid in fih
fließen, denn jenes Gebiet war der Krone Dänemark im Frieden von Friedrichs:
burg von 1720 durd England und Frankreich verbürgt worden, und ohnehin war
dem König eine Erweiterung des ruffiihen Beliges auf der cimbrifchen Halbinjel
fein willfommener Gedanfe.?) Aber alle entgegenjtehenden Bedenken überwog die
Erkenntnis, daß Widerrede oder aud nur Einrede gegen diefe Anmwandlungen
gottorpifcher Revanche- und Reunionspolitif den fofortigen Bruch mit dem Zaren
herbeiführen würde, und anderjeits die Ausfiht, 20000 Ruſſen unmittelbar
i) Oben ©. 251.
1, Dben S. 251.
Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 313
und jofort in den Kampf gegen Defterreich eingreifen zu fehen, während Preußen
zur Stellung eines gleich ftarfen Hülfscorps gegen Dänemark für die Dauer
jeines eigenen Krieges nicht verpflichtet fein ſollte; nur das Bellingſche Huſaren—
regiment erbat jih der Zar zur Unterſtützung. Einftweilen unterzog ſich der
König von Preußen auf Peters Aufforderung dem Verſuch einer Wermittelung
zwifchen Rußland und Dänemark; in Berlin jollte zu dieſem Behuf ein Kongreß
zufammentreten.
„Eine ſüße Stille lebt in meiner Seele wieder auf,” hatte Friedrich feinem
d’Argens ſchon nad der Unterzeihnung des Petersburger Friedens befannt;
„Hoffnungsregungen, deren Gewohnheit ich jeit ſechs Jahren abgelegt hatte,
tröften mich für die vergangenen Unruhen. . . . Im Grunde meines Herzens fage
ih mit dem Weiſen: "Eitelfeit der Eitelfeiten, es ift alles ganz eitel. Politifche
Thorheiten, die Thorheiten des Ehrgeizes, die Thorheiten des Eigennußes, alles
das jollte die Seele jo wenig dauerhafter Weſen, wie wir es find, nicht erregen.
Aber Vorurteile und Einbildungen regieren die Welt, und obaleih wir wifjen,
daß unſer Leben eine kurze Pilgerjchaft ift, bleibt doch in unferem Innern ein
Reft Ehrgeiz, der für ben Ruhm empfänglid macht.“ Jetzt auf der Höhe jeiner
Hoffnungen wollte er doch nicht vergeflen, daß alles, was politiſche Konjeftur
heiße, nichts als Schaum fei: „Wer kann davon befjer jprechen, als ich, der ich
mich jeit jechs Jahren von allen politiihen Stürmen Europas gepeiticht fehe,
immer dem Schiffbruch ganz nahe, bisher wie durch ein Wunder gerettet, und
gleihmwohl immer in neuen Gefahren. Alles, was in Rußland vor fich geht,
fonnte von Kaunig nicht vorausgejehen werden, und alles, was fi in Eng:
land zugetragen hat, fonnte in meine politifchen Kombinationen nit auf:
genommen werben.”
Auf das Zufammenmwirfen nicht bloß mit den Ruſſen, ſondern aud) den
Türfen und Tataren — denn noch lauteten die Nachrichten aus dem Orient
andauernd günftig — legte der König feinen Feldzugsplan an. Nach drei De:
fenfiofeldzügen glaubte er jegt zur Offenfive zurüdfehren, den Kriegsihauplag
wieder jenjeits der öfterreihiichen Grenzen aufichlagen zu fönnen. Das gute
Ende des Krieges, fo hoffte er, jollte jetzt nachkommen.
Vorerft mußte Schweidnig wieder gewonnen werden. Die Aufgabe war
ſchwieriger als 1758, weil jegt ein ftarfes Heer, das öſterreichiſche Hauptheer
unter Daun, bie Feitung dedte. Friedrich ſchätzte die feindliche Streitmacht bier
auf 82000 Mann; er ſelbſt hatte in Schlefien nad Abſchluß feiner diesjährigen
Rüftungen 76000 eigene Truppen zur Verfügung. Entjendungen nad Ober:
ſchleſien ſollten Daun zur Teilung feiner Truppen nötigen. General Werner,
im Kampfe gegen Rufjen und Schweden als Detahementsführer bewährt, rüdte
nit 10 Bataillonen und 15 Schwadronen ins öfterreihiiche Schlefien ein; feine
weitere Aufgabe war, bei Kaſchau die Tataren in Empfang zu nehmen, denen
der Quartiermeijterlieutenant von der Golg nad Jaſſy entgegengefandt worden
war, um im Verein mit ihnen das feindliche Gebiet zu brandfchagen und zu
plündern. Mit einem anderen Detachement, 14 Bataillonen und 35 Schmwa-
314 Siebentes Bud. Vierter Abfchnitt.
dronen, jollte der Herzog von Bevern, auf feinem Stettiner Gouverneurpoften !)
jest entbehrli, die mährifhen Grenzen bedrohen. Der König nahm an, daß
Daun mindeitens 30000 Mann dem Tatareneinbruh, mindejtens 10000 Mann
dem Herzog von Bevern entgegenwerfen werde; alsdann und nad Ankunft der
20000 Ruſſen glaubte er jelbit fich ftarf genug, Daum auch in beiten vorteil
bafter Gebirgsftellung zu Leibe zu gehen, ihn zu verjagen und Schweidnitz zu
nehmen.
Im zweiten Abihnitt des Feldzugs mußte dann aud die Diverfion der
Türken zur Geltung fommen. Die Hälfte der öſterreichiſchen Gefamtmadht,
60000 Mann, würden vorausfichtlih, jo rechnete Friedrih, aus der gegen die
Preußen umd Rufen gerichteten front verſchwinden. Er ließ den Türken bei
feiner geringen Meinung von ihrer Kriegstüchtigfeit wiederum empfehlen,*) das
Schladtenglüd nicht zu verfuhen; der preußiihen Kriegsführung glaubte er
Dresden, Prag, Olmüs, als fihere Beute verheifen zu dürfen, wenn in Mähren
ihm jelbft nicht mehr als 40000, in Sachſen dem Prinzen Heinrich und feinen
44000 Mann nicht mehr als 20000 Widerſacher gegenüberftanden.
Der Beginn der Unternehmung gegen Schweibnig wurde auf die erften
Tage des Juli feftgefeßt, weil erit zu diefem Zeitpunkt die Ankunft der Ruſſen
angemeldet war. Derweil bielt fih der König unweit von Breslau in einem
Lager an beiden Ufern der Lohe, mit dem Hauptquartier in Bettlern. Das
öfterreihifche Heer ftand zwiihen dem Zobten und dem Pitjchen:Berg, quer
über dem Schweidnitzer Waſſer.
Am 30. Juni festen die Ruſſen bei Auras über die Ober, tags darauf
begann der Vormarſch der vereinigten Heere. Da Daun jeine Stellung un:
verzüglih räumte und auf Schweidnig zurüdging, jo war die Handlung wieder
auf den Schauplag der Funftreihen Schachzüge von 1760 und 1761 verlegt.
Daun wählte zunächſt den Ausfallpoften von Kunzendorf,?) der König fein altes
Bunzelwiger Lager,) und als die Preußen fih von bier aus in den Rüden
des Feindes bis Seitendorf vorſchoben, bejegte Daun, um zugleih mit Schweibnig
in Verbindung zu bleiben und den Rüdzug nah Böhmen offen zu behalten,
die Höhen auf beiden Seiten des oberen Weiitrigthales zwiſchen Tannhauſen und
Burkersdorf. Um ihn zu weiterem Rüdzug zu beftimmen, brad ein preußiiches
Corps unter General Wied, nah einem mißglüdten Vorſtoß gegen Adelsbach,
über Schatzlar und Trautenau in Böhmen ein; die an dem Streifzuge beteiligten
Koſaken ließen jet die Untertanen Maria Therefias die Schredniffe often,
mit denen fie die Jahre daher die preußiihen Provinzen heimgeſucht hatten.
Im Hauptquartier zu Seitendorf erhielt der König am 14. Juli eine be:
unrubigende Nachricht, die um jo ftärfere Beachtung verdiente, als fie von einem
der ergebenften Anhänger des Zaren fam. Der Konferenzrat von Saldern, ein
Holiteiner, als Bevollmädhtigter für die Verhandlungen mit Dänemark aus Peters:
burg in Berlin eingetroffen, hatte dem Grafen Finckenſtein anvertraut, er babe
) Oben 5. 204.
) Bol. oben ©. 251.
) Dben ©. 289, 202.
* Oben S. 267. 292. 295.
Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 315
am ruſſiſchen Hofe zu viel beobachtet, um nicht für die Zeit der Abwejenheit
bes Zaren — Peter ftand im Begriff, für den dänischen Krieg zu feinem Heere
nad Deutichland zu gehen — eine Staatsummälzung beforgen zu müffen: nicht
Prinz Iwan, der 1741 entthronte Kaiſer,) jei zu fürchten, denn mit ihm rechne
niemand mehr, wohl aber die Kaijerin Katharina, der größte Feind, den ihr
Gemahl und der König von Preußen in Rußland hätten. Und hinter der Kaiferin
ſtehe eine ftarfe Partei, die fih täglich vergrößere.
Entgegen dem ruſſiſchen Herfommen hatte Peter bei jeinem Negierungs-
antritt feine Projfriptionglifte aufgejegt, vielmehr die Opfer der Staatöftreiche
und Staatsprozeffe aus den Zeiten Jwans und Elifabeths begnadigt und wieder
an den Hof gezogen, bie Nebenbuhler Biron und Münnich nicht anders als ihren
gemeinfamen Gegner Leſtocq.)) Nur der alte Beſtuſhew mar von ber Gnade
ausgeſchloſſen geblieben, als Bertrauensmann der jegigen Kaiſerin.“) Der Günft:
ling Elijabeths, Iwan Schumwalow, von tiefer Feindſchaft gegen feinen neuen
Herrn erfüllt, fah fih von dem Vertrauensfeligen mit Gunſtbeweiſen überhäuft.
Der behutfame, in allen Sätteln gerechte Großfanzler Woronzow jah ih in
feinem Amte betätigt, ebenjo der Staatsrat Wolkow, bisher ein entjchiedener
Anhänger und nütlicher Helfer des Wiener Hofes, während in die Stellung des
Vizefanzlers jener Galizin berufen wurde, ber bisherige Botſchafter in London,
der aus feiner Feindfeligfeit gegen den König von Preußen fein Hehl machte.
So wenig fannte der Zar die Menſchen; diefe in Ränfen und Beritellungs-
fünften ergrauten Minifter, Hofleute und Generale mwähnte er voll harmlofer
Selbftüberhebung als willenloje Werkzeuge in feiner Hand zu halten. In feiner
Vertrauensjeligfeit löfte er jogar die geheime Polizei auf.
Der König von Preußen hatte es an Warnungen nicht fehlen lafien, und
fein vertraulicher Briefwechjel mit feinem „deus ex machina“, mit dem „Schuß:
geiit Preußens”, als den er den bejchränften, für überſchwengliche Freundſchafts—
beteuerungen jo empfänglihen Fürften pries, gab ihm unmittelbare und un—
gezwungene Gelegenheit zu einem offenen Worte. Er erinnerte den Zaren an
den Regierungsanfang des Grofvaters, an die Verſchwörung, die während einer
Abweienheit im Ausland Peters des Großen Thron gefährdet hatte; er beſchwor
den Zaren, nicht zum Heere abzugehen, ehe er dur die Krönung feiner
Negierung erhöhte Weihe und ftärkere Feltigkeit gegeben haben werde: „Ich
bin mit Leib und Seele beteiligt an Ihrer Erhaltung, und wie follte ih dem
nicht taufendfaches Glück wünſchen, der allein in ganz Europa mir eine hülfreiche
Hand in meinem Unglüd gereicht hat, und der fih als mein Freund erklärt,
da meine Bundesgenojjen mich verraten?” Peter hatte leichten Herzens geant—
wortet: „Wenn die Ruffen mir ein Leid zufügen wollten, jo hätten fie es
Ihon lange thun können, da fie jehen, daß ich feine Wache um mich habe, mich
immer der Hut Gottes anvertraue, allein zu Fuß auf der Straße gehe, wie
Golg es bezeugen kann. Ich kann verfihern, wenn man die Ruffen zu nehmen
weiß, jo kann man ihrer auch ficher fein, und, Eure Majeftät, was würden bieje
) Bgl. Bo. I, 154. 155. 208.
2) Val. Bd. I, 92. 202. 467.
2) Oben ©. 157.
316 Siebentes Bud. Vierter Abichnitt.
jelben Ruſſen von mir denfen, jähen fie, daß ih im Zimmer bliebe zur Zeit
eines Krieges in meinem Heimatslande, fie, bie ftets nur gewünscht haben, unter
einem Herrn zu ftehen, und nicht unter einer Frau.” Der unglüdliche Herrſcher
fah nicht, in welchem Grabe er bereits die nationalen Empfindlichfeiten, Bor:
urteile und Leidenſchaften erregt und geradezu alles gegen ſich aufgebracht hatte:
das Heer und infonberheit die Garden durch die Nahahmung des preußiichen
Dienftes, die Geiftlichfeit durch feine Nichtachtung der orthodoren Religion und
feine Anſprüche an das Kirhengut, den Anhang der Kaiferin durd feine Ge:
ringihägung und Roheit gegen die Gemahlin und feinen Zweifel an der echten
Geburt des Großfüriten Baul, die Nationalruffen insgemein und voran bie
MWürdenträger durch feine Bevorzugung der Holiteiner. Hatte der öfterreichifche
Botichafter, jegt Graf Mercy d’Argenteau, im April noch geklagt, daß in Ruf:
land der Dejpotismus jedes Vaterlandsgefühl erftide, fo konnte er Ende Mai
ſchon frohloden, daß alles vom Höchſten bis zum Geringiten über des Zaren
tolle Regierung mißvergnügt fei, wenn man aud ſich no ruhig verhalte.
König Friedrid wollte jene Befürdtungen Salderns am 14. Juli no für
übertrieben halten. Aber ſchon vier Tage darauf erfuhr er die Abſetzung und
am 31. Juli den Tod des unglüdlichen Zaren. Nach der amtlihen Mitteilung
des rufliichen Gejandten hätte eine heftige Kolif dem Leben des entthronten
Kaijers ein Ende gemadt. „Es wird Ahnen, glaube ich,” jchrieb Friedrich an
Findenftein, „nicht jchwerfallen, zu ergründen, welcher Art diefe Kolik geweſen
ift.” Er ſprach von den Semiramis, die ihren eigenen Gatten den Garaus machen.
Katharinas Werf ift die an frühere Entwürfe !) anfnüpfende Verihmörung
gewefen, bie am 9. Juli, dem Vorabend feines Namensfeftes, dem Kaiſer den
Thron foftete, aber fie hat feinen unmittelbaren Anteil gehabt an dem, was
folgte, an der Blutthat des 17. Juli. Ohne Vorwiſſen Katharinas, ja, wie es
Icheint, au ohne Vorbedacht der Thäter, ift Peter beim Gelage, als man in
der Trunfenheit vom Wortitreit zu Thätlichfeiten fam, von den Bariatinsfi und
Orlow, den Gehülfen des Staatöftreiches, elend erwürgt worden.
Das gedrudte Manifeft der neuen Herriderin an ihre Untertbanen vom
Morgen des 9. Juli, das die Farben nicht ftark genug auftragen fonnte, zählte
unter den Verbrechen des entthronten Raifers auch den mit dem „Todfeind“
geichloffenen Frieden auf, durch den das ruhmreihe Rußland unter das Joch
gebracht worden fei. Aber jhon in dem am Abend desielben Tages den fremden
Geſandtſchaften zugeitellten Tert war diefe Stelle weſentlich abgeſchwächt, wie
denn aud in dem Konzept die herausfordernden Worte nicht geitanden hatten.
Nicht der Friedensihluß an fih war der Nation ein Aergernis gewefen. Man
begehrte feinen neuen Krieg gegen Preußen; aber noch weniger wollte man den
Krieg gegen Defterreih für preußifche Intereffen, und am wenigjten den Krieg
gegen Dänemark für holfteinifhe. Und Katharina felbit ermaß, wie dringend
fie des Friedens bedurfte, um geordnete Zuftände im Innern berzuftellen. Wenn
Sfaltyfow in Königsberg an der Spige der ruſſiſchen Truppen, um feinen Eifer
für die neuefte Ordnung der Dinge zu befunden, in eigenmädhtiger Deutung
1) Rat. Bo. 1, 590.
Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 317
jener Worte des Manifeftes den Kriegszuitand wiederheritellte, jo wurde dieſer
Schritt von dem Hofe alsbald verleugnet; aber ihre innerfte Serzensmeinung
offenbarte die Kaiferin, wenn fie am 22. Juli den offiziellen Erlaß an Sſaltykow
mit der vertraulichen Erläuterung begleitete: „Seien Sie indes verliert, daß
ſowohl ich als alle treuen Söhne des Waterlandes außerordentlich zufrieden ge:
weſen find. Vielleicht hilft Gott, dieſen unerträgliden Frieden in unferem
Sinne zu wenden.” Es gelte Vorſicht, denn vorerit müſſe es fich noch zeigen,
ob der König von Preußen den Grafen Tihernyicher willig ziehen lafjen werde.
So hatte dieſer felbit unverzüglih den Befehl erhalten, fich mit feinem Corps
jofort von den Preußen zu trennen, in dem Falle aber, daß der König ihn
daran hindern follte, ſich jofort „auf die füglichfte Art” mit den Oeſterreichern
zu vereinigen.
Tſchernyſchew meldete feinen Abmarſch ſofort am 18. Juli, als er die
Anzeige von dem Thronwechſel eritattete, erklärte ſich aber zugleich bereit, den
Aufbruh um vier Tage zu verfchieben, bis preußifcherjeits die Anftalten für
feine Verpflegung getroffen fein würden. Erit zwei Tage fpäter war er in ber
Lage, die feierliche Erklärung abzugeben, dab Rußland den Frieden aufrechtzu:
erhalten gedenke.
Der König war um fo peinlicher berührt, als er inmitten der Vorberei—
tungen zu einem Sclage gegen die Oeſterreicher ſtand.
Daun hatte jih durd das Erjcheinen preußiiher Truppen in Böhmen
nicht beunruhigen laſſen, da er fein großes Magazin in Braunau hinreichend
gebedt wußte. Diefes Manöver aljo hatte verfagt. „Meine Devije iſt festina
lente!” jchreibt der König am 17. Juli; „ich fomme langjam vom led, aber
ih habe einen noch langjameren und unbewegliheren Mann mir gegenüber, und
mein Glaube ift nicht lebendig genug, um Berge, Kanonen und vor allem den
Marihall Daun zu verfegen.” Schon jeit dem 13. trug er ſich nunmehr mit
dem Plane, Daun dur einen Angriff in feiner Rechten auf die vorgeichobenen
Roften von Burfersdorf und Leutmannsdorf, welche die Verbindung des öfter:
reichiſchen Heeres mit Schweidnig heritellten, von der Feitung abzudrängen.
Das Wiedſche Corps, das nad der Rüdkehr aus Böhmen jekt ſüdweſtlich von
Schweidnig zwiihen Friedland und Gottesberg ſtand, erhielt zu jenem Behufe
ven Befehl, im weiten Bogen nördlid um die Feltung herum, binter der
preußiichen Hauptitellung vorbei, fih nad Grädi und Faulbrück hinzuſchieben.
Der Angriff wurde auf den 21. Juli angeſetzt. In drei Nachtmärſchen, vom
17. bis zum Morgen des 20., löfte Graf Wied, vom Feinde unbemerkt, feine
Aufgabe. Andere Abteilungen nifteten ſich im Weiſtritzthale zwiſchen Burkers—
dorf und Schweidnig ein. Zur Sicherung der Umgehungstruppen wurden nad)
der ſchmerzlichen Erfahrung von Maren weitgehende Vorfihtsmaßregeln getroffen ;
den mit Sturmpfählen und Ballifaden bewehrten Schanzen des Feindes wurden
in der legten Nacht Batterieen mit befeftigten Verbindungsmwegen, eine regel:
rechte Barallele, entgegengeitellt; andererfeits jollte das Hauptbheer am Tage des
Kampfes vor Dauns Front in Schlachtordnung aufrüden und durch Schein:
vorftöße den Feind bier in Schach halten und feine Aufmerkſamkeit von ben
Stätten des ernithaften Angriffs ablenken.
318 Siebentes Buch. Vierter Abfchnitt.
An diefen Scheinbewegungen jollten nad der jhon vor dem 18. bis ins
einzelne feitgeftellten Dispofition nun auch 2—3 ruſſiſche Bataillone fi be:
teiligen. An fi unbedeutend fonnte der Anteil der Ruſſen leicht von ein paar
preußiihen Bataillonen übernommen werden. Indes jtanden dem Könige, da
32 Bataillone für den Angriff entiandt waren, vor der Hauptfront des Feindes
ohne die Nuffen im ganzen nur no 14 Bataillone zur Verfügung, und es war
ihm deshalb im hödjften Grade erwüniht, daß Tihernyihem zu jenem Auf:
ſchub fich beftimmen ließ. So ficherte fih der König für den entſcheidenden
Augenblid wenigſtens die paffive Aififtenz feiner flüchtigen Sommergäfte; es
bedeutete etwas, daß Daun die Gegenwart diefer 20000 Mann mit in Anſchlag
bringen mußte.
Unter den Augen des Königs, der ſich nächtlicherweile aus jeinem Haupt:
quartier Bögendorf zu den detadhierten Truppen begeben hatte, iſt dann am 21.
von ber vierten Morgenftunde an der preußiihe Angriff dem Entwurfe gemäß
von jtatten gegangen. Der ſonſt jo wachſame und umjichtige Daun hatte, da
er das Wiedſche Corps noch in feiner linken Flanfe glaubte, eine Bedrohung
feiner Rechten ganz außer Betracht gelafien. Aus dem Peilauthal auffteigend,
erftürmten Graf Wied, Prinz Franz von Anhalt:Bernburg und Oberft Lottum
mit dem Regiment Anhalt und 16 weiteren Bataillonen die Schanzen bei Lud—
wigsdorf und Leutmannsdorf, während im Weiſtritzthal General Möllendorf mit
der Garde und dem Negiment Prinz von Preußen unter gejdidter Benugung
einer unbejegten Schlucht den Poſten von Burfersdorf umging und übermältigte.
Ein Ausfall der Beſatzung von Schweibnig wurde von Bögendorf durch vier
Kürajiierregimenter zurüdgeworfen. Der Sieg foftete den Preußen 760 Tote
und Vermißte und an 850 Vermwundete; die Deiterreicher verloren 2—3000 Mann,
darunter 550 Gefangene, und 7000 Ueberläufer.
Tags nad dem Kampfe, noch in der Dämmerung, verließ Tſchernyſchew
mit feinen Rufen das Lager, von dem Könige mit einem goldenen, reich mit
Diamanten bejegten Degen und mit 15000 Dufaten bejchenft. Aber aud)
Daun hub fich nach Verluft feiner Außenpoiten von dannen und lagerte fi, an
die Hohe Eule gelehnt, zwiihen Tannhaujfen und Königswalde hart an ber
böhmijchen Grenze. Er hatte noch vor furzem gemeint, daß Schweidnig, mit
10000 Mann Belagung und einem Heere in der Nähe, faum belagert und noch
weniger weggenommen werden fünne, indem er jebt bie Verbindung mit der
Feitung aufgab, fam die Wirfung der Poftengefehte vom 21. für die Sieger
dem Gewinn einer Schladht aleih. Die Belagerung fonnte begonnen werden,
am 7. Auguft ließ der König die Laufgräben eröffnen.
Seine großen Offenfivpläne aber traten immer mehr in den Hintergrund,
und zwar in dem Maße, als es in Konftantinopel ftil und ftiller wurde. Die
eriten Zweifel waren ihm ſchon im Juni aufgeitiegen; er argwöhnte, daß fein
Friede mit Rußland der preußiichen Sade bei den Muſelmanen geichadet habe.
Mitte Juli wagte er wieder zu hoffen, denn die Pforte jchien geneigt, in dem
abzufchließenden Bündnis Rußland auszunehmen und den Krieg auf Deiterreich
zu beihränfen. Anfang Auguft vollends betrachtete er frohen Mutes die Kriegs:
erklärung als unmittelbar bevorftehend und meinte nun, daß man außer
Siebenter Feldzug und Friedensidlüffe. 319
Schweidnig noch Dresden, vielleicht auch) Prag nehmen, wenigitens aber Winter:
quartiere in Böhmen und Mähren gewinnen werde. Prinz Heinrih, wie immer
fühl, erklärte, jeine Hoffnung vielmehr auf das ſchwere Gefjhüg vor Schweidnig
als auf die Türken jegen zu wollen; der König gab ihm zu, daß jeder fi
felber der bejte Alliterte jei, aber Pfliht und Klugheit erheiihe, die Bürde,
joweit es nur irgend möglich jei, leichter zu machen; werde nun auch diesmal
jene Hülfe ausbleiben, dann werde er allerdings geitehen müfjen, daß mit
den Drientalen nichts zu machen jei. In der That, es blieb bei dem „alten
Lied“, und Anfang September entiagte er endgültig jeiner Hoffnung, die
Türken in diefen Feldzug eingreifen zu ſehen. Wergebens hatte Rerin „pferde:
mäßig“, wie er fih ausprüdte, „Tag und Naht fih abgemüht”, ohne Scheu
vor „Reit, Feuer, Waſſer, Vergiftung und Meuchelmördern“. Streng unter:
fagte ihm der König, auch nur einen Grojhen noch an die Türken wegzu—
werfen, und erinnerte ihn daran, wie Jahr für Jahr der Großvezier im
Winter ftets alles verfproden habe, um dann im Sommer immer neue Aus:
flüchte zu finden.
So ftodte denn auch der Vormarſch der Tataren. Der Chan madıte
im Auguft in der Nähe von Bender Halt und erflärte, Befehle aus Kon:
ftantinopel abwarten zu müfjen, die nicht kamen; der Refident Boscamp aber
jchalt den „Nachfolger des Mithridates”, wie Friedrich den Chan nannte, in
feinen Berichten einen Schurken und Hafenfuß, der es nur auf jchnöden Geld—
gewinn abjehe.
Friedrichs Troft war, daß das Sriegsfeuer jetzt gleichwohl erlöjchen
werde, auch ohne große Entſcheidungsſchläge. Hatte er ſolche zu einer Zeit,
da er den Gegner friegsluftig, überlegen, zuverfihtlih wuhte, als unerläßlid
bezeichnet, herausgefordert, herbeigefehnt, jo itellte er jegt, da auch der Gegner
offenbar des Kampfes müde war, die Negel auf, daß dem Zeitpunfte, in
welchem ein Krieg zu Ende gehe, angemefjen jei, „deciſive Affairen zu ver:
meiden”. In ähnlihem Sinne hatte er jhon in feinen „Generalprinzipien
vom Kriege” an die Feldzugspläne im vorgerüdten Stadium eines Krieges
geringere Anforderungen ftellen wollen, als an die Entwürfe für die Anfänge
eines Krieges.
Auh Daun dachte nit an eine große Schlaht um Schweidnitz' willen.
Sein Verſuch zur Rettung der Feitung beichränfte fih, ein Gegenftüd zu Burfers-
dorf, auf den Angriff gegen einen Außenpoften des preußiichen Heeres.
Der König hatte in der Meinung, zum Schuge jeiner Belagerung nie
Dedungsmannihaiten zuviel aufftelen zu können, die nach Oberſchleſien ent:
jandten Truppen an fi herangezogen. Der Herzog von Bevern jperrte vor
Neihenbah die Straße nad Frankenſtein, der König ſelbſt beobachtete mit dem
Hauptheer zwijchen Peterswaldau und Bärsdorf das Lager Dauns, ein Kavallerie:
corps hielt auf der Straße nad Landshut Wacht. Hinter diefer lebendigen
Mauer leitete General Tauengien die Belagerung.
Feldmarſchalllieutenant Bed, derjelbe Gegner, deſſen Gefangener vor fünf
Jahren der Herzog von Bevern geworden war, übernahm die Aufgabe, das
Corps bei Reichenbach zu umgehen, während Lacy und O’Donnell in der Front
320 Siebented Buch. Vierter Abjchnitt.
vorrüden follten. Die Umgehung gelang, gegen 5 Uhr nachmittags am 16. Auguft
fah fich Bevern im Rüden und von vorn von ftarker Uebermadt angegriffen.
Aber der Fal war vorgejehen; ſchon nad einer Stunde fam von Peterswaldau
der König auf ſeinem Rotſchimmel Cäſar an der Spitze des braunen Huſaren⸗
regiments im ſcharfen Galopp angeſprengt, 20 weitere Schwadronen und
9 Bataillone folgten. Unverzüglich warf ſich Oberſt von Loſſow, in welchem ber
König einen neuen Seydlig heranwachſen jah, mit den Hufaren und den Gzettrig:
Dragonern auf O’Donnells Schwadronen, wirkſam unterjtügt von den Dragonern
des Herzogs von Bevern unter Führung des Generals Lentulus und durch
eine neue, hier zum erſtenmal einem Reiterangriff beigeſellte Waffe, die reitende
Artillerie; nach wiederholtem Stoß und Gegenſtoß wurde die öſterreichiſche
Reiterei geworfen, ohne daß die preußiſche Küraffierreferve zum Einhauen ges
langt war. Seine Infanterie hatte Daun auf die Kunde, daß der König unter:
wegs ſei, das Gefecht alsbald abbrechen laſſen. So verlief binnen zwei Stunden
„bas eigentümlichfte Gefecht des ganzen Krieges”, wie Friedrich dieſe „kleine
Schlacht“ — das letzte Treffen, das er einem Feinde geliefert hat — nannte.
Auch das war eigentümlich, daß nicht bloß der Sieger, ſondern auch Daun nach
dieſem Treffen Victoria ſchießen ließ und doch zugleich der Kaiſerin berichtete,
es gebe nun kein Mittel mehr, Schweidnitz zu retten. Er zog ſich zur großen
Verwunderung des Königs in die Grafſchaft Glatz zurück und überließ die Be⸗
obachtung des preußiſchen Heeres ſeinen Vortruppen, dachte auch nicht etwa an
eine Belagerung von Neiße.
Dem entiprad, daß Graf Guasko, der Kommandant von Schweibnig, jetzt
den Befehl erhielt, die Feftung zu übergeben. Aber er forderte für Die Bejagung
freien Abzug, und der König hielt es für bedenklich, das öſterreichiſche Heer jih um
diefe 10000 Mann verftärken zu laſſen. So wehrte ſich die Feltung bis aufs
äußerfte und mit gutem Erfolg, da der dem Kommandanten zur Seite ftehende
ausgezeichnete Geniegeneral Gribeauval feinem franzöfiihen Landsmann, dem
preußiichen Ingenieur Zefebore, an Kunft überlegen war. Der König vermißte
an Lefebure Ruhe und Feftigkeit und Hagte ungeduldig: „Wir brauden jede
Wochen, um einen Platz wiederzuerobern, den wir in zwei Stunden verloren
haben. . . Es gibt Feine jchöne Helena in Schweidnig, und bei uns feinen Achill.“
Erſt am 9. Oktober ergaben ſich Feſtung und Beſatzung — „trotz Bute und
aller ehrloſen Schurken, die wie er denken,“ ſo teilte Friedrich ſeinen Vertretern
in London das Ereignis mit.
Bei Beginn der Belagerung hatte er es offen gelaſſen, ob er nad ihrer
Beendigung in Mähren einrüden oder nah Sachſen, um Dresden wieberzu:
gewinnen, detahieren würde. Der mähriſche Plan fiel weg, ſeitdem feftitand,
daß die Türfen nicht kamen, ohne deren Mitwirkung ein Offenfivvorftoß zu
nichts führen Eonnte, auf eine „elende Pointe“ hinaus fommen mußte.
Was die Aufgabe in Sachſen anbetraf, jo bat der König vorübergehend
daran gedacht, in Perſon dort den Oberbefehl zu übernehmen, da ihm die dies:
jährige Kriegsführung jeines Bruders nicht Genüge that. „Wenn ich nicht jelbit
nah Sachſen gebe,” äußerte er am 18. September, „jo jehe ih voraus, daß
nichts dabei herausfommen wird.”
Siebenter Feldzug und Friedensichlüffe. 321
Die Zweifel an der Entjchlofjenheit des Prinzen Heinrich, die Schon früher
dann und warn dem Könige aufgeftiegen waren, ') hatten durch neue Mißhellig:
feiten zwiſchen den Brüdern neue Nahrung erhalten. Der lange zurüdgehaltene
Groll des Prinzen war zu Anfang diejes Feldzugs zum Durchbruch gefommen in
einem Briefe, der in dem Vorwurf gipfelte, der König gefalle fi darin, für
fein Unglüd ihn, den Prinzen, verantwortlic zu machen: dieſe Behandlung Lafje
ihn wohl ermefjen, für welches Schidjal er diefe ſechs Feldzugsjahre geopfert
babe. Der König hatte geantwortet: „Eriparen Sie, Monfeigneur, Yhrem Diener
Ihren Zorn und Ihre Entrüftung; Sie, die Sie Nachſicht predigen, mögen fie
felber üben gegen Perjonen, welche nit die Abjicht haben, Sie zu verlegen
oder es an Ehrerbietung gegen Sie fehlen zu laflen, und geruben Sie, mit mehr
Güte die unterthänigen Vorftellungen aufzunehmen, zu welden die Umftänbe
mid bisweilen nötigen.” Darauf erflärte der Prinz, mit Rüdjiht auf feine
geſchwächte Gefundheit, und da es an jeder Ausficht auf enticheidende Erfolge
fehle, den Oberbefehl in Sachen niederlegen zu müſſen; der König aber ant:
wortete ihm jchroff, feine Ehre, fein Ruf und feine Pflicht gegen den Staat müßten
ihn von jelbft von diefem Entſchluß zurüdbringen. Der Prinz berubigte fich
noch nicht und ſchlug Seydlit zu feinem Nachfolger vor. Der König fragte,
wie es, von anderen Unzuträglichfeiten abgejehen, um die Eintracht unter den
Generalen beftellt jein werde, wenn Seyblig der Vorgejegte feiner Vordermänner
fein folle? Er hatte dann die Erörterung am 22. April mit einem ganz kurzen
Briefe geſchloſſen: „Das bißchen Erfahrung, das ich in der Welt habe, hat mich
gelehrt, daß die Aufrichtigfeit oft zum Schlechten ausihlägt und daß das
Schweigen vorzuziehen ift. Aus diefem Grunde aljo jchreibe ich Ihnen nur das,
was zwingende Rüdfiht auf die Geichäfte mich unbedingt verpflichtet, Ihnen
mitzuteilen; Sie werden das nicht übel vermerken; im Gegenteil, Ihre Leb:
baftigfeit wird meiner Geduld, die Sie auf ſeltſame Proben Stellen, Dant
wiſſen.“
Durch einen Ueberfall auf die feindliche Stellung an der Mulde bei
Döbeln hatte der Prinz am 12. Mai ſeinen Feldzug ſehr glücklich eröffnet. Er
folgte feinem Gegner Serbelloni, der in diefem Jahre jowohl die Deiterreicher
wie das Neichsheer befehligte, bis über Freiberg hinaus; 60000 Defterreicher
und Reichstruppen ganz aus Sachſen zu verdrängen, dazu reichte fein nur zur
Hälfte vollzähliges, faum über 30000 Mann ftarkes Heer nicht aus. Cine nad)
Böhmen ausgejandte Abteilung wurde am 2. Auguft bei Teplig zurüdgeichlagen,
obgleih ein Seydlitz und der erprobteite aller Barteigänger, der „grüne“ Kleift,
den Zug leiteten, die beide freilich nicht im beften Einvernehmen fanden. Und
am 15. Oktober brachte Hadik, Serbellonis fähigerer Nachfolger, dem Prinzen
felber bei Brand in der Nähe von Freiberg eine empfindliche Schlappe bei.
Schon war nun nad dem Falle von Schweidnig Graf Wied mit 20000
Mann auf dem Marie nad Sachſen: da entjchloß fich der Prinz noch vor der
Ankunft diefer Verſtärkung den Feind, der gleichfalls Zuzug erwartete, anzu:
greifen. So lieferte er am 29. Oktober bei Freiberg feine erſte Feldichlacht
') Oben ©. 233. 260.
Rojer, Aönig Friedrich der Große. 2 Aufl. 2
322 Siebentes Bud. Vierter Abichnitt.
und bereitete dem durch öſterreichiſche Negimenter verftärkten Neichsheere unter
dem Prinzen von Stolberg-Gedern eine volle Niederlage.
Der König beglüdwünjchte den Bruder zu feinem Siege in den jchmeichel-
bafteften Ausdrüden: diefe Nachricht habe ihn um zwanzig Jahre verjüngt,
diefer dem Staate geleiftete Dienst jei jo jchwerwiegend, daß er feine Erfennt:
lichkeit nicht genug beweijen fünne. Er fchenfte dem Sieger demnächſt zwei Herr:
Ihaften im Halberftädtifchen und zeichnete die Adjutanten des Prinzen durch
Beförderung aus.
Am 7. November traf der König aus Sclefien in Torgau ein. Noch
trug er fi mit dem Lieblingsplan gegen Dresden, wenn nicht zu viel dabei
aufs Spiel gejegt wurde. Er meinte, Dresden für die Friedensverhandlung zu
brauchen, als Austaufchobjeft für Glatz.
Aber ſchon am 9. jagte er fih in Meißen, dab er fi feine Hoffnung
auf Dresden mehr machen dürfe. Der Feind hielt die Stellung hinter dem
Plauenſchen Grund trog Freiberg ebenfo feit, wie vor zwei Jahren trog Torgau.
Alfo entſchloß fi -der König, den Feldzug in Sachſen als beendet zu betrachten.
Demnädft wurde mit den Defterreihern ſowohl in Sachſen wie in Sclefien
für die Zeit der Winterquartiere eine Waffenruhe vereinbart.
Ausgeihloffen von diefer Abkunft blieb das Reichsheer. Die NReichsfreife
lagen den preußiihen Waffen jegt ebenfo offen wie nad ber Schlacht bei
Prag.) Mit 6000 Mann fiel der grüne Kleift in Franfen ein und brands
ihagte die Lande des Biihofs von Bamberg und Würzburg und die Reichsftäbte
Nürnberg, Rothenburg, Windsheim; andere Truppen lagerten fih in den thüs
ringifhen Befigungen des Erzbifchofs von Mainz und im Bistum Fulda ein.
Allen Reihöftänden, die fih von der Sache Deiterreihs trennen wollten, ließ
der König durch feinen Gelandten in Regensburg eine Neutralitätsfonvention
anbieten, wie fie dem Herzog von Medlenburg: Schwerin Schon aus Anlaß des
Friedens mit Schweden gewährt worden war. So fchloflen fie der Reihe nad
ihren Vergleih, voran die Kurfürften von Bayern, von der Pfalz, von Köln
und der Herzog von Württemberg, zum Verdruß des faiferlichen Hofes, der dieie
Verhandlungen unter feine Aufpizien zu nehmen gewünſcht hätte.
So wenig wie das Neichsoberhaupt fonnte die Neichaftände jene aus:
wärtige Macht ſchützen oder vertreten, weldhe als Bürge bes Weitfälifchen
Friedens in dieſen Krieg eingetreten war und eine Anzahl deutſcher Höfe durd)
Subfidienverträge an fich aefeilelt hatte. Frankreich hatte im legten Jahr noch
einmal 140000 Mann nad Deutihland geworfen, nicht wieder unter dem durch
Hofumtriebe geftürzten Herzog von Broglie, jondern unter Eitrees und Soubife,
dem Sieger von Haftenbed und dem Beftegten von Roßbach. Herzog Ferdinand
zeigte fi mit 70000 Mann ihnen überlegen. Er ſchlug fie in der Nähe von
Kafjel am 24. Juni bei Wilhelmsthal und am 23. Juli bei Lutternberg.
„Sott fegne Soubife!” jpottete König Friedrih; „ob, wie billige ih die Wahl
der Pompadour.“ Die Franzofen gingen in der Richtung auf Frankfurt hinter
die Ohm zurüd, Ferdinand Fonnte Kaffel belagern. Am 1. November öffnete
') Vgl. oben ©. 87.
Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 323
ihm die heſſiſche Hauptitadt die Thore; wenige Tage ipäter traf die Nachricht
auf dem Kriegsihauplage ein, dab am 3. zu FFontainebleau die Friedens:
präliminarien zwijhen England und Frankreich unterzeichnet worden waren.
Die Verhandlungen waren jhon jeit Beginn des Jahres geführt worden,
zuerft durch Vermittelung ſardiniſcher Diplomaten, dann, jeit dem September,
durch offizielle Bevollmäcdtigte, in Paris durd den Herzog von Bedford, in
London durch den Herzog von Nivernais, der für den Mißerfolg feiner Berliner
Miffion von 1756 durch diefen Vertrauensauftrag entichädigt werden follte.
Wie wenig hatten fi die Erwartungen erfüllt, die ſich für Frankreich vor
einem Jahr an die Erhebung der jpaniihen Waffen gefnüpft hatten. In
Portugal behaupteten fih unter einem deutſchen Feldhauptmann, dem Grafen
Wilhelm von Schaumburg=Xippe, 15000 Portugiefen und Engländer gegen
40000 Spanier; in Afien fojtete der leichtfertig heraufbeichworene Krieg den
Spaniern die Philippinen, in Amerifa Havana, während die Franzojen jebt
noch Martinique verloren. Und doch träumte Karl III. nod von der Er:
oberung Portugals. Choiſeul ſagte fih, daß man ohne das Spanische Bündnis
bei den friedfertigen Gefinnungen Lord Butes bereits im Hafen fein würde.
So aber ftörte die Zirkel feiner Friebenspolitif ſowohl diefer impotente Ehrgeiz des
jpanifchen Königs, über deſſen „Eifenfreffer-Miene” Choijeul fpottete, wie die
dur die fpanifhen Verluite neu angefachte Kriegsluſt der engliihen Nation.
Nah dem Fall von Havana war Bute im Minifterium der einzige, ber dieſe
Eroberung herauszugeben geneigt war: in England, jagte Choiſeul, gehöre jegt
faft ebenjoviel Mut dazu, Frieden zu ſchließen, wie Krieg zu führen.
Aber Bute ließ es darauf anfommen, ob jeine Friedensverhandlung ihn
zu Falle bringen würde, da er bei Fortdauer des Krieges jeinen Sturz ohnehin
vorausjah; ohne den Frieden, jagte er mit deutlicher Beziehung auf die whig—
giſtiſchen Gegner, fünne der junge König feine Ketten nicht löjen und feine
Herricherrechte nicht wahrhaft ausüben. Seine vornehmfte Sorge war jett alſo,
wie er den bourbonijhen Kronen, um ihnen ben Frieden zu erleichtern und zu
ermöglichen, mit gutem Anftand einen Teil der ihnen abgenommenen Spolien
zurückgeben fönne. Eben deshalb wünſchte er, daß Hellen als Wertgegenftand
für die jchließlihe Aufrechnung im militärifchen Befig der Franzoſen bleiben
jollte. Aus London über Paris erhielt die franzöfiihe Heeresleitung ihre Ver:
haltungsbeiehle! Nach der Schlacht bei Wilhelmsthal jchrieb Choijeul an
Soubife, laut einer Mitteilung aus London fei das britiihe Minifterium über
diefe Affaire ebenſo überrafcht wie verftimmt. Bute habe nicht gewagt, dem
Führer der englifhen Nationaltruppen den Befehl zur Einftellung der Feind:
jeligfeiten zu fenden, aus Furcht, daß der König von Preußen davon unter:
richtet werden könnte: „Er ſcheint mir in jeinem Briefe wütend auf Seine
Preußiſche Majeftät, die in der That fein perjönlicher Feind ift, und ermahnt
uns, dem Prinzen Ferdinand fräftigen Widerſtand entgegenzujegen, damit er,
Bute, nit durd die preußiiche Partei, d. 5. dur die Partei Pitts, erbrüdt
wird.... Sie ermefjen die Kritif und die Vorwürfe, darin fi) der König von
Preußen gegen die englifhen Minifter ergehen würde, wenn fie das, was wir
fhon verloren haben, als Kompenfation annähmen.”
324 Siebentes Buch. Bierter Abfchnitt.
Je länger die Verhandlungen fi hinzogen, um jo gefährdeter erſchien
Yutes Stellung. „Wenn das Parlament vor Abſchluß der Präliminarien zu:
jammentritt,“ jchrieb der franzöſiſche Bevollmächtigte Nivernais am 9. Dftober
an Choifeul, „jo habe ih feine Hoffnung mehr.” Da gelang es mit dem Vor:
frieden noch kurz vor Thoresichluß.
Frankreichs Kriegsmarine war völlig vernichtet, fein überjeeiiches Gebiet
zum allergrößten Teil verloren, feine Kriegsführung zu Lande jo untüchtig, daß
Choifeul im Geifte den Feind jhon auf franzöfiihem Boden jah: „Unfere
Generale,” jeufzte er, „werden im Elſaß nicht befier jein als in Heſſen.“
Franfreih hatte ald Gewinn nur Minorca, das in der Verluſtmaſſe durch
Belle-Isle aufgewogen wurde,!) und die preußifchen Lande am Rhein aufzu-
weijen, Kleve, Mörs und Geldern. Nun gab Lord Bute mit vollen Händen den
Befiegten aus dem AZufammenfturz ihres Kolonialbefiges Eoftbare Bruchſtücke
zurüd: in Oftindien an der Malabar: und Koromandelfüfte alles, was Frank:
reich zu Beginn des Jahres 1749 bejeflen hatte; in Afrifa zwar nicht den
Senegal, aber die Anfel Gorea; dazu die meilten Berlufte in Weftindien.
England legte ben enticheidenden Wert auf die Begründung feiner Alleinherrjchaft
in Nordamerika. Hier begab fih Franfreih des Belites von Kanada und der
Anſprüche auf Neufhottland, Neufoundland und das Obio-Beden; nur die
fleinen Inſeln St. Pierre und Miquelon blieben ihm als Stationen für bie
Fiſcherei. Indem Frankreich endlich in der ebenjo vornehmen, wie übelange-
bradten Großmut und Selbitlofigfeit, weldhe die Haltung Ludwigs XV. jeinen
Bundesgenofien gegenüber während diejes Krieges Fennzeichnete, an Spanien
zum Erjaß für deffen Verlufte Louiſiana abtrat, zog es den Fuß völlig vom
norbamerifanifchen Feltlande zurüd. Und dod war auch Spanien, wie Frank:
reich jelbit, mit einem viel glimpflicheren Frieden Davongefommen, als beide ihn
nad dem offenen Geftändnis der bourbonifhen Staatsmänner aus Pitts harter
Hand je erhalten haben würden, denn Spanien trat in den Belit von Cuba
und den Philippinen zurüd und mußte dem Ueberwinder nur Florida abtreten.
Butes Wagen wurde in den Straßen von London vom Pöbel mit Steinen
und Kot beworfen, aber das Parlament beugte ſich vor der vollendeten Thatſache
und beſchloß Danfadrejien. Vergebens unterzog Pitt am 9. Dezember in viert:
balbitündiger Rede die Präliminarien fchonungslojer Verurteilung, zumal den
Verziht auf Cuba und das Verfahren des Minifteriums gegen den König von
Preußen, den man „binterliltig, trugvoll, gemein und verräteriſch“ von dieſem
Frieden ausgeichloffen habe: und doch ſei Amerifa in Deutfchland erobert
worden. Und in der That, auch nur mit einem Teil der Qunderttaufende von
Kriegern, die Frankreich lediglih dem Wiener Hofe zuliebe und aus Haß gegen
ben König von Preußen Jahr für Jahr nad Deutichland ausgefandt hatte, würde
ed Kanada allemal behauptet haben.
Das Verhältnis zwifhen England und Preußen war ein offen feindjeliges
geworden. Bute, der in feinem ſchwarzen Kabinett den Schriftwedhiel der
preußiihen Geſandten mit ihrem Könige Zeile für Zeile durchmuftern lieh,
1) Oben ©. 13. 294. Dal. auch S. 110. 164 241. 244. 277.
Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 325
wußte, daß fie mit Pitt unausgeſetzt in Verbindung ſtanden und nichts ſehn—
liher wünjchten, als ihn jelbft durch Pitt geftürzt zu jehen. König Friedrich
hatte felber ehedem zu zwei Malen ji einem Kriegsbündnis durd) einen Sonder:
frieden entzogen, und wir erinnern uns, daß jeine Vertragstheorie eine vis
major, die Erjchöpfung der eigenen Hülfsmittel, als triftige Rechtfertigung
jolden Schrittes betrachtete. ') Aber diejer Fall lag bier nit vor. „Gewiß,“
fagte Friedrich, „wenn die Sache fich jo verhielte, daß England feinen Frieden
Schließen müßte infolge eines unglüdlihen Krieges, dann würde man folchen
Schritt mit dem Zwang der Not entjchuldigen können; aber daß man unter ben
gegenwärtigen Umitänden, da die Waffen Englands zu Wafler und zu Lande
überall glücklich geweſen find, die Intereſſen feiner Freunde und Berbündeten
leichten Herzens preisgibt, das ilt ein Ding, weswegen man lediglich den böjen
Willen einiger Leute anzuflagen hat, die fi ein ganz anderes Syitem der
Rechtskunde und des Völferrechts erdacht haben, als bisher gefannt und gebilligt
wurde.”
Nicht den Friedensihluß an fi machte er feinen bisherigen Verbündeten
zum Vorwurf, fondern die ihn auf das tieffte verlegende Thatſache, daß bei der
Aufzählung der deutfchen Bundesgenoffen, denen Frankreich ihre Lande wieder:
einzuräumen verſprach, er allein gefliffentlich übergangen war. Zwar mußten
Kleve, Mörs, Geldern von den Franzoſen geräumt werben, aber dieje Ver:
pflihtung war fo gefaßt, daß fie ihnen erlaubte, ihre eigenen Beſatzungen durch
Öfterreihiiche ablöfen zu laſſen.
So ſchlimm dieſe Abkunft gemeint war, ihren Zwed verfehlte jie völlig.
Der Wiener Hof hatte gegen den franzöfiichengliihen Friedensfhluß um
jo weniger etwas eingewendet, ald Frankreich weitere Subfidienzahlungen ?) für
die Dauer des Krieges zwiſchen Defterreih und Preußen und außerdem all:
mäbliche Abtragung aller Rüditände verſprach. Und den Vorjchlag, öfterreichiiche
Truppen in die preußifchen Rheinlande einrüden zu laſſen, nahm man zunächft
in Wien mit lebhafter Freude an. Sehr bald aber geitand Maria Therefia
ihrem Staatsfanzler: „Wir werden niemals zurechtlommen, diefe Länder gnug:
fam zu bejegen.” Schon marſchierten preußiihe Truppen durch Weftfalen dem
Rheine zu, die Kaiferin begann für die Sicherheit ihrer Niederlande zu fürchten
und verzichtete deshalb darauf, jene von England preisgegebenen, von Frankreich
ihr angebotenen preußifchen Gebietsteile als ein Faultpfand in Beſitz zu
nehmen.
Die Kaiferin fonnte jest faum erwarten, ben Frieden, „den wir alle nötig
haben”, abgejchlofien zu ſehen; und wenn die Nachrichten aus Konftantinopel neuer:
dings für fie ebenjo beruhigend lauteten, wie für Preußen ungünftig, jo vermochte
biefer Umihwung do ihre Stimmung nicht mehr zu wandeln. Um jo weniger
ald Daun nad dem Falle von Schweidnig in einer dunfeln Schilderung ber
Zuftände beim Heere und zumal des Geldmangels und der Verpflegungsichwies
rigfeiten zu dem Ergebnis fam: „Wenn aus den Präliminarien nichts werben
1) Bgl. Bo. I, 180. 181.
?) Bal. oben S. 208.
326 Siebentes Bud. Vierter Abſchnitt.
follte, folglich fein Friede zu hoffen, jo ſehe ich nicht, wie Ew. Majeftät den
Krieg werden fortführen können, da nad den obwaltenden Umftänden ſehr zu
beforgen, daß die Armee nicht einmal mehr den Winter hindurch zu erhalten
fein wird.”
Wie aber jollte der erite Schritt zum Frieden geichehen? Rußland bot
jeine Bermittelung an; aber mißtrauifch gegen alles, was jegt von bort ber
fanı, ließ Maria Therefia — es war noch im Auguft — ausweihend ant-
morten, daß man ſchon die Bemühungen Franfreihs und Englands in Aniprud
genommen babe und dieſe Mächte nicht durd Mangel an Folgerichtigfeit ver:
legen dürfe. Und dod wußte man ſehr wohl, daß beide gar nicht in der Lage
waren, ſich nügli zu maden. König Friedrid würde, jo wie jegt die Dinge
lagen, die Bermittelung der Pompadour mit Hohn, die Butes mit Entrüftung
zurüdgemwiefen haben. Und jo war Maria Therelia Mitte November nahe daran,
jo hart es ihrem Stolze anfam, fi unmittelbar an den verhaßten Gegner um
Frieden zu wenden, dba erjparte ihr diefe Demütigung der Staat, deſſen trauriges
208 es jeit 1745 nun einmal war, immer wieder für Defterreih „die Kaftanien
aus dem Feuer zu holen“.
Um auf baldigen Friedensſchluß zu drängen und feines Hofes gute Dienfte
dazu anzubieten, erſchien in Wien der ſächſiſche Geheimrat von Saul, derjelbe
Diplomat, der vor achtzehn Fahren zwiſchen Sachſen und Deiterreih den für
fein Land jo verhängnisvollen Vertrag zur Aufteilung preußiicher Provinzen !)
zu ftande gebradt hatte. Als vollendeter Meifter in jeinem Fache ermaß Kaunig
auf den erſten Blid den dreifahen Gewinn, der ſich bier bot: überhaupt einen
Mittler gefunden zu haben, von dem Mittler, da er ohnmächtig war, feine
herriſche Anmaßlichkeit befürchten zu müſſen, und obendrein gegen diefen Mittler,
da er jelber den Frieden geradezu um jeden Preis verlangte, der io oft erteilten
Verheigung quitt zu werden, daß Sachſen beim Frieden jeine Schabloshaltung
finden follte. Bon dem eigenen Friedensbedürfnis des Wiener Hofes war in
der Konferenz, zu der Kaunig am 4. November mit Saul und dem ftändigen
ſächſiſchen Gejandten Flemming zujammentrat, mit feinem Worte die Rede.
Defterreich ſei im Begriff, jo erklärte der Staatsfanzler den beiden Sadjen, mit
verboppeltem Kraftaufwand die Vorbereitungen zum nächiten Feldzuge zu treffen:
„bloß und hauptjählih“ dur die Rüdfiht auf die Bedrängniffe Sachſens fühle
fih die Kaiferin bewogen, an die baldige Herftellung des Friedens zu denken.
In Dresden hatte, während König Auguft zu Warfhau im Eril weilte,
ununterbrochen eine ſächſiſche Hofhaltung ihren Sit gehabt. Die Königin Maria
Sojepha, die Habsburgerin, die geſchworene Feindin des Königs von Preußen,
hatte inmitten der feindlichen Einlagerung bier ausgeharrt, bis der preußifche
Sieg bei Roßbach ihr das Herz brach; nad ihrem Tode hatten von Dresden
aus der Kurprinz Friedrich Chriftian und die Kurprinzeffin Maria Antonie, die
Wittelsbaherin, die Tochter des durch Friedvrih auf den Thron erhobenen
bayriihen Kaifers, jchon zu wiederholten Malen für den Frieden zu wirken
geſucht.
) Bd. 1, 269. Bgl. ebenda ©. 280.
Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 327
Man kam jept überein, daß der Kurprinz einen dem König von Preußen
ſchon befannten ehemaligen jähfifhen Beamten, den Freiheren von Fritich, mit
einem eigenhändigen Schreiben in das preußiiche Hauptquartier jenden würde,
offiziell mit dem Auftrage, für das jähfiihe Land Erleichterung feiner Laften
zu erbitten. Das weitere mochte die Gunit der Stunde ergeben.
Fritſch wurde am 29. November in Meißen von dem Könige empfangen, glitt
von dem einleitenden Teile jeiner Aufgabe bald zu feinem eigentlihen Gewerbe
über und übergab im Laufe der Unterredung eine ihm von dem Kurprinzen
erteilte oftenfible Inſtruktion und weiter einen Notenmwechjel zwiſchen Kaunig
und der ſächſiſchen Gejandtihaft in Wien, aus dem die Bereitwilligfeit der
Kaiferin:Königin zum Abſchluß eines „billigen und anftändigen” Friedens ber:
vorging. Der König verſprach eine jhriftliche Erklärung, verlangte aber Be-
denkzeit: da er die hergebradhte Art des Wiener Hofes zu gut kenne, aud
bereits das fünfzigite Jahr überjchritten und mithin Lehrgeld genug gegeben
babe, jo müſſe man ihm etwas Zeit laſſen, damit er alles richtig und genau
ausdrüden fünne Die Antwort, die dann Fritih am näditen Tage für den
Kurprinzen erhielt, begann mit einem beißenden Ausfall gegen einen Sat ber
öfterreihiichen Erklärung, aus dem König Friedrich mißverftändlih die Be:
bauptung berausgelejen hatte, daß der Wiener Hof ihm bereits vergeblid Er-
Öffnungen gemadt habe; alsdann wurde lediglich Auskunft Darüber erbeten, was
man unter einem „billigen” Frieden in Wien verftehe,
Inzwischen nahm die allgemeine politifche Lage eine dem preußiſchen Könige
jehr unerwünſchte Wendung: die rujfiihe Vermittelung gewann eine unvorher:
gejehene Tragweite. Friedrich hätte, nicht anders als der Wiener Hof, dieſe
Vermittelung am liebiten, wenn es ohne Kränfung der Zarin geſchehen fonnte,
ganz umgangen. Als dann Rubland vorihlug, daß zur Einleitung der
Friedensverhandlung vorab ſowohl die preußiihen wie die öſterreichiſchen Truppen
aus Sachſen abziehen jollten, hielt er das zunädit für ein Scheinwerf, womit
die Zarin dem ſächſiſchen Hofe ihren guten Willen zeigen wolle. Nun aber
batte jih Defterreih mit dem Vorſchlag einveritanden erklärt, und die ruſſiſche
Diplomatie wurde immer dringender, ohne daß Fürft Nepnin, der jeit dem Juli
im preußiihen Hauptquartier weilende Gelandte, einen Schritt weiter fam.
„Der König,” berichtete er der Zarin, „unterbricht mich, jobald ich dieſe Frage
nur berühre oder überhaupt von der Heritellung des Friedens ſpreche, und
wendet fich ärgerlich von mir weg.” Der Gejandte fahte feine Anficht dahin
zufammen, daß man durch Verhandlungen nichts erreichen werde, wofern man
dem Könige nicht die Beligungen, die er vor dem Kriege gehabt habe, laſſen
werde; wolle der Wiener Hof irgendweldhe Vorteile erlangen, fo müſſe er fie
fih mit den Waffen in der Hand erfämpfen; ja es jei zu fürchten, daß der
König ſchließlich noch jelber Entihädigungen fordern werde.
Da verfuchte es num die Zarin am 28. November mit einem eigenhändigen
Brief, dem eriten, den fie nad) ihrer Thronbefteigung an den König richtete.
Zwiſchen jehr artige Wendungen und die Beteuerungen der Freundichaft und
Dffenberzigfeit waren unzmweideutige Drohungen eingeftreut. Katharina berief
ih darauf, daß fie die Ergebnifle der Kriegsführung geopfert habe aus ‚Friedens
328 Siebentes Bud. Vierter Abſchnitt.
liebe: „Ich hätte anders handeln fönnen, ich hatte die Mittel dazu in der Hand,
ih habe fie noch.” Sie ſchloß: „Ich weiß, daß der Wiener Hof zum Frieden
geneigt iſt. Ich könnte Ihnen Eröffnungen übermitteln, wenn ich jolde von
jeiten Eurer Majeftät erwarten fönnte, aber unglüdliherweife haben Sie Si
defien gemweigert, und ich fürdte jehr, daß meine beiten Abfichten vereitelt
werben und daß ih mich auf Erwägungen hingebrängt jehen werde, die meinen
Wünfhen und Neigungen fehr entgegen find.”
Der König vergalt in feiner Antwort vom 22. Dezember die Artigfeiten
mit boppeltem Maß, den fo deutlich erneuten Vermittelungsantrag aber nahm er
nicht an: es fei feine Abficht geweſen, die Vermittelung anzurufen, jobald ſich
das Schickſal feiner rheinifhen Beligungen klar entichieden haben würde, das
fei auch heute noch nicht der Fall, und jo müſſe er den Schritt verjchieben.
Und beftimmt genug lauteten die Worte: „Ich habe einige Vorteile gehabt, bie
mich jegt bejier als ehedem in den Stand jeken, zu verhandeln.” Im übrigen
erinnerte er die Zarin an ihre beim Regierungsantritt abgegebene Erklärung,
dem Kriege zwilchen Preußen und Defterreich fern bleiben zu wollen, und bat,
ihr die Frage vorlegen zu dürfen, wer mehr den Frieden liebe, ein Deiter:
reiher, der Eroberungen machen wolle, oder ein Preuße, der nur das begehre,
was ihm gehöre. Mehr vielleicht als irgend eine andere der friegführenden
Mächte zur Forderung von Entſchädigungen berechtigt, beichränfe er fih doch
darauf, die Wiederherftellung feines Beſitzes zu fordern.
Das von dem Könige unverzüglich beantwortete Schreiben Katharinas war
an demjelben Tage, dem 19. Dezember, in Leipzig angelangt, an weldem er
dort ben Freiherrn von Fritich zum zmweitenmal empfing.
In Warſchau wie in Wien hatte man die Bereitwilligfeit des Königs zum
Eintritt in die Friedensverhandlung mit großer Befriedigung vernommen. Da
wie bort rechnete man auf einen, wenn aud nur befcheidenen Gewinn. Ge:
nugthuung für die Unbilden der preußifchen Einlagerung war nun feit Jahren
das Loſungswort der Sachſen geweien, und die großen Mächte hatten dieſen
Entihädigungsanfpruch allzeit anerfannt; noch jüngst hatte ver Wiener Hof feine
Zuftimmung zu ber Friedensverhandlung Franfreihs mit England unter dem
ausdrüdlichen Vorbehalt erteilt, daß ihm jelbft die Grafſchaft Glag und den
Sachſen „einige Genugthuung” zu teil werde. Als Kaunig im Sommer 1755
den großen Plan entwarf, nah weldhem Preußen in Trümmer geſchlagen werben
follte, war den Sadjen für ihre Beteiligung an dem großen Kefjeltreiben das
Herzogtum Magdeburg zugedaht worden; zu dem Zeitpunkt, da die Hoffnungen
ber Verbündeten am höchſten geipannt waren, in den Tagen nad der Schlacht
bei Kolin, hatte Graf Brühl jogar einen Teil von Schlefien in Wien fordern
zu bürfen geglaubt, während nach einem anderen jeiner Iuftigen Projekte von
damals Oftpreußen dem ſächſiſchen Prinzen Karl zufallen follte, der dann auf
das ihm durch der Zarin Gnade veriprochene Herzogtum Kurland zu Rußlands
Gunſten verzichtet haben würde. Seitdem hatten der landflühtige König-Kur-
fürft und fein ihn noch immer beherrſchender Minifter viel Waſſer in ihren
Wein gießen müflen. Was man jegt noch für allenfalls erreihbar hielt, war
etwa die Erwerbung von Erfurt, oder der Gewinn der preußiſchen Enclaven
Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 329
in der Lauſitz, oder Preußens Beihülfe zur Sicherung einer Landausftattung für
ben einen oder den anderen ſächſiſchen Prinzen, fei es daß dem inzwifchen in
Kurland wirflih zum Herzog gewählten, aber nad) dem Tode der Kaiferin
Elifabeth wieder verdbrängten Prinz Karl die rujfiihe Anerfennung von neuem
erwirkt, oder dab Prinz Clemens bei der Bewerbung um ein deutſches Bistum
begünftigt würde. Noch jchmeichelte man fi dabei mit der Hoffnung, daß
Defterreih den ſächſiſchen Entſchädigungsanſpruch als Ehrenſache betrachten und
als conditio sine qua non bezeichnen werde.
Davon war man in Wien, wo verächtlich von den ſächſiſchen „Betteleien”
geſprochen wurde, freilich weit entfernt. Der König von Preußen aber zerftörte
alle trügerifchen Einbildungen mit einem Furzen Worte, indem er dem Freiherrn
von Fritih an jenem 19. Dezember auf die wehleidige Frage: „Was machen
Em. Majeftät aber mit uns armen Sachſen?“ einfach antwortete: „Ich gebe
euch euer Land wieder.“ Weitere Vorftellungen wurden mit der Ankündigung
abgeichnitten: „Rechnet ja nicht darauf, ein Dorf oder einen Groſchen von mir
zu befommen.” Als der König den Sachſen tags darauf nad der Mittagstafel
entließ, erflärte er ihm mit ftarfem Nahdrud, daß an Räumung des Kurfürften-
tums oder an bie geringfte Linderung der Laften nicht zu denken ſei, ehe ber
Friebe geſchloſſen und ratifiziert fein werde. Dabei händigte er dem Unterhändler
geheimnisvoll für die Reife „eine ſchöne Piece zur Unterhaltung” ein, aus der jener
lernen möge, „wie man Länder evafuiere”; als Fritſch das Schriftitüd nachher
entfaltete, las er zu feiner fchmerzlihen Weberrafhung einen Schriftwechſel
zwiſchen der preußifchen Regierung zu Kleve und dem franzöfiichen Kommiſſar,
der da rund heraus erklärte, daß die Fleviichen Lande ihre Kontribution für das
Jahr vom 1. Mai 1762 bis 1. Mai 1763 als ein Ganzes, ohne Nüdficht auf
den Zeitpunft des Abzugs der franzöfiihen Bejagung, zu entrichten hätten.
Ganz joweit ift Friedrih dem Kurfürftentum Sachſen gegenüber nicht ge:
gangen; das aber war allerdings jeine Abficht, die Verfügung über die Erträge
des Landes, das aus früheren Jahren große Nüdjtände !) fchuldete, bis Ende
Februar in feiner Hand zu behalten, während er anderjeits den Abſchluß des
Friebens nicht über den 1. März hinaus verzögert zu jehen wünſchte.
Diefem Intereſſe Preußens an einer gemeſſenen Gangart der Friedens:
verhandlung fam nun in willfommener Weije entgegen die Umftändlichkeit, ja
Schwerfälligfeit des öfterreihiihen Bevollmächtigten, jo daß vorübergehend auf
preußiicher Seite jogar befürchtet wurde, feine übergroße Langſamkeit könne das
Merk allzujehr in die Länge ziehen. Es traf fich nicht glüdlich für den Wiener
Hof, daß der zunächſt zum Unterhändler auserjehene Hofrat von Kannegießer,
der 1742 bei den Verhandlungen in Breslau?) das Intereſſe feiner Gebieterin
in jehr geſchickter Weiſe wahrgenommen hatte, im letzten Augenblide erfranfte;
als Erfagmann trat nun der offenbar viel weniger geeignete Hofrat von Collen—
bad die Reife nad) Sachſen an.
Gleich zu Beginn ſah er ſich vor eine ihm gar bedenkliche Etifettenfrage
') Bel. oben ©. 310.
) 8b. I, 173—175.
330 Siebentes Bud. Bierter Abſchnitt.
gejtellt. Der König hatte mit Fritſch verabredet, dab die Verhandlungen unter
feinen Augen in Leipzig geführt werden würden. Collenbads Inſtruktion wies
ihn nach Dresden. Durch die Vorftellungen des Kurprinzen und der Kurprinzeſſin
ließ er fih dort zwar beftimmen, am 23. Dezember mit Fritſch nach Leipzig
aufzubrehen; aber ald er bei der Weberfahrt über die Elbe auf der Meißener
Fähre die Worte hörte: „Da kommen die Wiener, die gehen zum Könige,” er:
wachten von neuem feine diplomatiihen Skrupel und jein öfterreihiicher Stolz.
In Wermsdorf, wenige Meilen vor Leipzig, erflärte er kurz, feinen Schritt
weiter fahren zu wollen, und fand dann für feinen tapferen Entihluß in Wien
um jo mehr Berftändnis und Zuftimmung, als man dort über die anfängliche
Bereitwilligkeit des Gejandten zur Reife in das preußiſche Hauptquartier wahr:
baft erichredt geweien war; den König damit vor den Augen von ganz Europa
als „Friedensdiktator” anzuerkennen, das erſchien als unverträglid mit ber
eigenen Ehre. Ihm jelbit wagte man diejes grundfägliche Bedenken freilich nicht
mitzuteilen, jondern machte nur den einigermaßen gejuchten Einwand geltend,
daß das Geheimnis der Verhandlung fi in Hubertusburg, dem bei Wermsdorf
gelegenen Luſtſchloß, bejjer wahren lafjen werde, als in Leipzig. Da Friedrid
von vornherein erklärt hatte, die Wahl des Ortes gelte ihm völlig gleih und
er fei bereit, wenn e& gewünjcht werde, einen Botſchafter nad Wien zu jchiden,
jo zeigte er fi mit Hubertusburg ohne weiteres zufrieden. Doch ernannte er zu
feinem Bevollmächtigten jegt nicht, wie er beabfichtigt hatte, den Kabinettsminifter
Findenftein, den er bei fi zu behalten wünjchte, jondern den eriten vortragenden
Nat des Kabinettsminifteriums, den Geheimen Legationsrat von Hergberg.
Am 30. Dezember hielten Her&berg, Collenbah, Fritih in dem ver:
ödeten !) Hubertusburg ihre erfte Sigung ab. Sofort fiel die entſcheidende
Forderung: Oeſterreich begehrte die noch in jeiner Gewalt befindliche Grafichaft
Glatz. Da auch von diefer Seite ausprüdlih der Grundjag anerfannt worden
war, daß fein Teil durch den ‚Frieden einen „reellen Verluft” erleiden jolle, jo hätte
diefer diplomatiihe Kampf um Glag füglic nicht aufgenommen werden dürfen.
Aber man begründete die Forderung mit dem „Intereſſe eines dauerhaften
Friedens”, welches geichädigt werden würde, wenn dieſe nad Böhmen herein—
tragende Gebirgslandichaft in preußifchen Beſitz zurüdfehren jollte; man bot,
um den „reellen Verluſt“ auszugleichen, für die Erträge von Glag eine Geld:
entichädigung. Preußifcherjeits wurde eingemwendet, daß nad dem Urteile bes
Feldmarſchalls Daun Glatz ein Bollwerk für Schlefien, nit ein Ausfallsthor
gegen Böhmen ſei, für Preußen alſo ein defenfiver, für Defterreich ein offenfiver
Pag. Eilboten zwiihen Hubertusburg und Wien gingen hin und ber, ber
Wiener Hof, mit jeinem Geldanerbieten abgewieſen, wollte nun den 1742 öfter:
reihijch gebliebenen Teil des Fürftentums Neiße gegen Glatz eintaufhen, knüpfte
alsdann die Wiebereinräumung von Grafichaft und Feſtung an den Vorbehalt,
daß die Werke von Glatz gejchleift werden jollten, und ſprach erit, als aud)
dieſe Klauſel Schroff abgelehnt wurde, den bedingungslojen Verzicht aus. Dar:
über war der 31. Januar berangefommen.
) Val. oben S. 236.
Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 331
Die weiteren Schwierigfeiten wurden dann verhältnismäßig jchnell aus
dem Wege geräumt. Der Bevollmächtigte des Wiener Hofes erreichte durch feinen
entichiedenen Widerſpruch, daß die für die öfterreihiiche Induſtrie unerträgliden
bandelspolitiihen Beftimmungen des Dresdener Friedens ') nicht wiederholt
wurden. Ebenſo entſchieden verweigerte der König eine Zuſage, beim Ausfterben
der brandenburgiihen Nebenlinien in Ansbah und Baireuth dieje fränkiſchen
Lande nicht mit dem preußiihen Staat zu vereinigen, jondern als Sekundo—
genitur wieberauszugeben. Ohne MWiderrede dagegen verhieß er dem Erzherzog
Sofeph jeine Kurftimme für die Kaiſerwahl,“) „aus Gefälligfeit und um die
Gemüter zu bejänitigen”. Die ſächſiſchen Kontributionszahlungen jollten mit
dem 10. Februar (einen früheren Termin hatte der König unter feinen Um:
ftänden zugeftehen wollen) aufhören, eine Anzahl Wechjelbriefe und jonitige
Bahlungsverfprehungen ausgenommen.
Sp wurden am 15. Februar die Friedensurfunden unterzeichnet. Tags
darauf verließen Collenbach und Fritih Hubertusburg, und am 17. begrüßte
dort der König feinen Unterhändler auf der Fahrt von Leipzig nad Meißen.
„Es iſt doch ein gutes Ding um den Frieden, den wir abgeſchloſſen haben,”
fagte er zu Hergberg, „aber man muß fich das nicht merken lafjen.“
„Diefer Krieg ift entbrannt,“ jo fchrieb zu Ende des vierten Kriegs—
jahres in dem neutralen Kopenhagen der dänifche Minifter Bernftorff, „nicht
um ein mittelmäßiges oder vorübergehendes Intereſſe, nit um ein paar
Waffenpläge oder Heine Provinzen mehr oder weniger, jondern um Sein ober
Nichtiein der neuen Monarchie, die der König von Preußen mit einer Kunjt und
einer Schlagfertigfeit in die Höhe gebracht hat, welche die eine Hälfte von Europa
überraiht und die andere getäuſcht haben; der Krieg ift entitanden, um zu ent:
jcheiden, ob dieje neue Monarchie, zujammengejegt aus verjchiedenen Beſtand—
teilen, nod ohne die ganze für fie notwendige Feltigkeit und Ausdehnung,
aber ganz und gar militäriih und mit der ganzen Begehrlichkeit eines jugend—
lihen, mageren Körpers, beftehen bleiben wird; ob das Reich zwei Häupter haben
und der Norden Deutſchlands einen Fürſten behalten joll, der aus jeinen
Staaten ein Lager und aus jeinem Volf ein Heer gemacht bat und der, wofern
man ihm Muße läßt, jeine Staatsgründung abzurunden und zu befeftigen, als
Schiedsridhter der großen europäiihen Angelegenheiten dajtehen und für das
Gleihgewiht zwiihen den Mächten den Ausichlag geben würde,“
Wie ganz fiher hatte man zu Wien im Sommer 1756 diefe neue Macht
zertrümmern zu Fönnen geglaubt. Das Schidjal Heinrichs des Löwen wollte
Kaunig dem preußiichen Könige bereiten, und der Jeſuit Michael Denis, der
öfterreihifche Barde, hatte beim Ausbruch des Krieges „dem kühnen Fürften“
zugerufen: „Das Grab, das du gräbit, ift dir beftimmt, du ſucheſt deinen
8b. I, 445—447.
) Val. Bd. I, 562. 563.
332 Siebented Bud. Vierter Abfchnitt.
Sturz.” Aber jhon jeit 1760 hatten Maria Therefia und Kaunik ihre Hoff:
nungen bis auf die Erwerbung von Glaß zurüdgeichraubt.!) Und zu Beginn des
folgenden Jahres fragte der junge Erzherzog Joſeph in der erften aus jeiner
Feder erhaltenen politiihen Denkſchrift: „Welchen Frieden dürfen wir hoffen?
Der vorteilhafteite wird ohne Zweifel der fein, der den König von Preußen in
den Grenzen hält, die er vor dem Kriege inne hatte. Vordem war man von
der Ueberlegenheit der heute verbündeten Mächte, Frankreichs, Rußlands,
Schwedens, des Reiches, Defterreihs, fo überzeugt, daß fie nur zu drohen
brauchten, ohne erft das Schwert zu ziehen, um Genugthuung von ihren Nad:
barn zu erhalten. Heute hat der König von Preußen ganz Europa gezeigt,
woran er jelber nicht geglaubt hat, daß er nit nur im ftande ift, ihrer ver:
einten Macht zu trogen, jondern fie fogar zu zwingen, einen nadhteiligen Frieden
zu fuchen.* Jetzt war es gefommen, wie es der Thronerbe vorausgejagt hatte.
Die Kaiferin:Königin ftellte den Kampf ein, obgleich fie dem Fortbeſtand ber
preußiſchen Monarchie in dem bisherigen Umfang nah wie vor als jchädlidh
bezeichnete, nicht nur für Wohlfahrt, Aufnahme und Sicherheit des Erzhaufes,
fondern aud für die fatholifche Kirche und die deutiche Reichsverfaſſung. Das
ber Gegner dem Erzherzog Joſeph zur Nachfolge im Reich verhelfen wollte und
in der handelspolitiihen Frage nachgegeben hatte, war nur ein geringer Troft:
der Friede blieb „der ſchlechteſte“ nah der Kaunitzſchen Stufenleiter. ?)
Wie Friedrihs Feinde, jo hatten auch feine Bewunderer feinen endlichen
Untergang als unvermeidlich betrachten wollen. „Wenn irgend ein anderer
Mann in folder Lage wäre,” ſagte Lord Chefterfield im dritten Kriegsjahre,
„ich würde ihn ohne weiteres verloren geben, aber Er ift fol ein Wunder von
einem Mann, daß ih nur jagen will: ich fürchte, er ift verloren.” Gelte gleich
von ihm wie nie bisher von einem Sterblidhen das ſtolze Wort „nec pluribus
impar*, jo müfje doch auch Tapferkeit und Gemwandtheit zulegt erliegen, wenn
die plures bis über einen gewiſſen Grad fich vermehrten. Und Friedrich jelbft
hatte, als er die Waffen erhob, wohl gehofft, die Gegner einſchüchtern, zur
Ueberlegung bringen, alsbald von der Ausfichtslofigkeit ihrer Anſchläge überzeugen
zu fönnen; daß er aber in jahrelangem Kampf gegen eine große Koalition fich
zu halten vermöchte, das hatte er felbit ehedem als unmöglich bezeichnet. °)
Die Strategie, die er für ſolchen Verzweiflungskampf gegen eine Mehrzahl
mächtiger Gegner in der Theorie fich vorgezeichnet hatte, „dem einen Feind eine
Provinz preiszugeben und inzwifchen mit der gefamten Streitmadht gegen den
anderen zu marjdieren, ihn zur Schlacht zu nötigen, ale Anftrengungen zu
madhen, um ihn zu vernichten” — er hatte fie in diefen drangvollen Jahren,
foviel an ihm war, in die Praris zu überfegen geftrebt. Er, der den Wert
des Manövers neben der Bedeutung der Schladt fehr wohl zu ſchätzen wußte,
der, wenn es galt, fih auf das Manövrieren und Ausweichen ebenfogut ver:
ftand wie die großen Methodifer Heinrih und Daun, er hat doch in ber
Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 333
Kriegsführung ebenſowenig wie in der Politik fih auf das Hinhalten und Ab:
warten, das ſchwächliche beneficium temporis, ') die unvorhergejehene Zwiichen-
fälle verlaffen wollen, ſondern das Schidjal wieder und wieder zur großen
Entidheidung herausgefordert und dabei nur immer beflagt, daß er nicht das
Elirier befaß, dem Gegner jedesmal, wenn er es wollte, die Schlachtenticheidung
aufzundtigen.
Wenn Prinz Heinrih in feiner Bevorzugung des Manövers und ans
gefichts jeiner meiſt defenfiven Aufgaben fi geringerer Fährnis ausfegte, die
Schlappen feines föniglihen Bruders glüdlih vermied und deshalb wohl ge:
neigt war, fih für den trefflieren Feldherrn zu halten, jo unterfchägte er
das ungeheure moralijche Uebergemwicht, welches Friedrihs Wagemut, Schlachten:
froheit und Kampfesschredlichkeit den preußifhen Waffen in einem Grabe
verichaffte, daß die Gegner nad den eriten jchlimmen Erfahrungen einen
politiihen Offenfiofrieg, widerfinnig genug, andauernd in der taktiihen Defen:
five führten. Vor dem Urteil der Gefchichte hat nicht der Prinz recht behalten,
der da meinte, daß das Heer die Fehler des Königs wett machen müßte, ?)
fondern vielmehr Napoleon, wenn er jagte, nicht das Heer habe fieben Jahre
hindurch Preußen gegen die drei größten Mächte Europas verteidigt, aber Friedrich
der Große,
„Sie find nit der König,“ fchreibt Friedrich während des Kriegs einmal
feinem d’Argens, „Sie haben weder ven Staat zu verteidigen, noch Verband:
lungen zu führen, noch für alles Rat zu ſchaffen, noch die Verantwortlichkeit für
den Ausgang zu übernehmen; mir, der ich unter diefer Laſt erliege, mir ziemt
es, die Dual allein für mich auszuftehen.” Wer fo, ganz erfüllt von einem hohen
Beruf, in ftolzer erhabener Einſamkeit fieben Jahre hindurch fein Joch getragen
und Tag für Tag, inmitten immer neuer Widerwärtigfeiten und Enttäuſchungen,
nur bei fich ſelbſt Rat und fchnellen, tapferen Entſchluß gefunden hatte, der durfte
nahmals ohne Ueberhebung ih rühmen, dat zwei Verbündete in diefem Kriege
ihm zur Seite geblieben feien: Mut und Beharrlichleit. Wir find Zeugen ge:
worden, wie dieje Begleiter, auch wenn fie in dunfelfter Stunde feinem Blid
entihmwanden, ſich immer wieder zu ihm gejellten; wie er, reizbar, aufgeregt,
nicht geichaffen, das Unglüd mit Gelafjenheit zu ertragen, doch die Zweifel feines
zagenden Menjchenherzens fieghaft in feiner Königsbruft niederzufämpfen und
allen Verfuhungen zur Flucht aus einem anfcheinend hoffnungslofen Leben zu
wiberitehen vermodte, bis endlich ein errettender Zwilchenfall feine Standhaftig:
feit belohnte, jenes beneficium temporis, das er bei feinen Entſchlüſſen nicht
batte in Anja bringen wollen.
Auf feinen früher wiederholt zum Ausdrud gebrachten Wunſch, den Staat
für die ſchweren Opfer des Krieges durch eine Landerwerbung zu entichädigen, hatte
der König bei der Friedensverhandlung Verzicht geleiftet. „Hätte der Staat eine
Provinz fih anglievern können,“ jchrieb er am 19. Februar an den Prinzen
Heinrich, „jo wäre das ohne Zweifel ſehr gut geweien; aber da das nicht von
1) Bl. Bo. I, 599.
2) Dben ©. 236.
334 Siebentes Bud. Vierter Abichnitt.
mir, fondern vom Glüd abgehangen hat, jo ftört diefer Gedanfe meine Ruhe
in feiner Weiſe.“ Eroberungen auf Defterreihs Koften, das hatte Friedrich fich
vordem gejagt und ber Verlauf dieies Krieges hatte es beftätigt, ließen ſich nicht
erhoffen, wenn fich nicht eine verbündete Macht an der militäriihen Offenfive
unmittelbar beteiligte. An der Seite der Rufjen und in Erwartung ber Türfen
hatte er im Sommer 1762 nod einmal daran denken können, ji eine „Salbe
für die Brandwunde” ) zu verihaffen; aber wie befcheiden hatte er fih nad dem
Wegfall jener umfafienden Kombination das Ziel des legten Feldzugs fteden
müfjen. Zur Säfkularifation geiitlihen Gutes zu Gunften der am Kriege be:
teiligten deutſchen Staaten, wie fie früher geplant worden war,?) hätte fi 1761,
beim Tode des Kurfürften Clemens Auguft von Köln, an ſich günftige Gelegen:
heit geboten, denn damit war defien große territoriale Nachlaßmaſſe, die Gejamt:
beit der nordweſtdeutſchen Hodhitifter, verfügbar geworden, und jelbit Choijeul
trat damals in den Spuren feines großen Vorgängers Mazarin dem ein Jahr
zuvor ®) von franzöfiicher Seite abgelehnten Säfularifationsgedanfen näher. Auch
hatten England und Preußen zunächſt verabredet, den Kapiteln der Bistümer
Münfter, Paderborn und Hildesheim (auf den erzbifchöflihen Stuhl von Köln
wurde ein von dem failerlihen Hofe beaünftigter Reihsgraf erhöht, zum eriten:
mal jeit faft 200 Jahren fein Wittelsbacher) eine Neuwahl nit zu geftatten,
jolange der Krieg währen würde. Aber dem dritten Georg lag die welfiſche
Hauspolitik feines Großvaters mit ihren Abrundungsplänen für das Kurfürften:
tum Hannover ganz fern, und jo ließ England die Wahl in Münfter fhon im
Frühjahr 1762 zu und gegen Ende des Jahres, nah Abſchluß der Präliminarien
von Fontainebleau, aud die Wahl in Paderborn und in Hildesheim. So blieb
die Fortſetzung der Eäfularifationsarbeit des Weftfälifhen Friedens bis zum
Beginn des neunzehnten Jahrhunderts ausgefegt. Seine „Wundfalbe” aber er:
hielt der preußiiche Staat do viel früher. Der König konnte beim Abſchluß
des Friedens nicht vorausfehen, dab ſchon binnen wenigen Jahren, mitten im
Frieden, eine Provinz ihm zufallen würde, deren Erwerbung er doch nur diejem
Kriege, infofern der Krieg feine Madhtftellung in Europa zu unbedingter An:
erfennung bradte, zu danken gehabt hat: jein Gewinn aus dem fiebenjährigen
Kriege wurde Weſtpreußen.
Einen anderen Kampfpreis trug der Held bes fiebenjährigen Krieges für
jeinen Staat und jein Volk unmittelbar und jofort davon. Nach diefem Kriege,
jo hat er während des Kampfes einmal gejagt, werde man den Preußen Stolz
nicht erft zu predigen brauden. Sein Wunſch, daß alle feine Unterthanen fi
als Preußen fühlen jollten, war jet erfüllt. Ein preußiſches Selbftbewußtiein,
getragen dur) das, was Goethe „Wert, Würde und Starrfinn der Preußen”
nannte, hatte fich Eräftig entwidelt, und wenn die Art der „überftolzs gewordenen
Preußen” die Landsleute „draußen im Reich“ oft abitieß und verlegte, fo iſt
der Stählung des in den Zeiten des politiichen Niedergangs allzufehr ins Weiche
—
VBgl. oben ©. 242.
Oben S. 59. 88. 167. 169. 243.
Oben S. 246.
..
—
3
—
Siebenter Feldzug und Friedensichlüffe. 335
umgeichlagenen deutihen Volkscharakters das rauhe preußifhe Mufter in der
Folge doch zu gute gekommen.
Der König felbft hat fich feines endlichen Sieges, feines reihlihen Ruhmes
nicht voll zu freuen vermocht. „Unjer Kriegsruhm,” jo befannte er, „ift jehr jchön
aus der Ferne angejehen; aber wer Zeuge ift, in welchem Jammer und Elend
diejer Ruhm erworben wird, unter welchen förperlichen Entbehrungen und Ans
ftrengungen, in Hite und Kälte, in Hunger, Schmut und Blöße, der lernt über
den Ruhm ganz anders urteilen.” „Alt, fait findiih, grau wie ein Maultier,
tagtäglih einen Zahn einbüßend, von der Gicht zum halben Krüppel gemacht,”
meinte er nur noch auf einen Plag im Invalidenhauſe Aniprud zu haben. Er
wolle den Berlinern, jchrieb er noch aus Sachſen an d’Argens, ihren Jubel über
den Frieden gönnen, aber „was mich anbetrifft, mich armen Greis, fo fehre
ih in eine Stadt zurüd, von der ih nur noch die Mauern fenne, wo ich
niemand von meiner alten Belanntihaft mehr vorfinde, wo unermeßliche
Arbeit mich erwartet, und wo ich binnen kurzem meine Gebeine einer Zu:
fluchtsftätte übergeben werde, die nicht mehr gejtört werben foll, weder dur)
den Krieg, noch durch die Unglüdsichläge, noch durch die Schledtigfeit der
Menſchen.“ An Sansfouci wollte er gar nicht denken, denn welcher Vergleich
bot ſich „wiſchen dem glüdlihen Zuftand, in weldem wir vor dem Kriege dort
weilten, und unſerem gegenwärtigen Elend, zwiichen dem erlefenen Kreife, der
bort fi verfammelte, mit der Einjamfeit oder ſchlechten Gejelihaft, die uns
übrig bleibt”,
Er fehrte gealtert zurüd in eine ſich verjüngende Welt. Ein neues Zeit:
alter brach an. Während diejes Krieges hatten die Phyfiofraten ihre Programm:
ihriften und Roufjeau feinen Emile und den Gejellichaftevertrag veröffentlicht,
und bald wurde auch Deutichland von der Einwirkung Roufjeaus und vom Sturm
und Drange erreicht. Die Jugend ftürmte über den „alten Fritz“ hinaus, er felbft
ging feinen eigenen Weg weiter, handelnd, jchaffend, vollbringend, feine Welt
formend nad feinem Bilde.
Die „unermeßliche Arbeit”, vor die er fich geftellt jah, fie begann noch vor
jeiner Rüdfehr in die Hauptftadt. Es galt den Finger in die Wunde zu legen,
dem großen allgemeinen Elende unerjchroden ins Auge zu jehen, die Spuren
des Krieges, der Verwüſtung zu verwilchen und zu tilgen, und zwar ohne ben
geringften Zeitverluft. Einer Fahrt durch Schlefien, die er im März von Sadjfen
aus antrat, beabfichtigte er nad) kurzer Rait am heimijchen Herde den Beſuch
der anderen Provinzen, denn ausnahmslos hatte jie der Krieg zertreten, folgen
zu laſſen — „eine reizende Erholung,“ meinte er, „auf die ich gern verzichten
würde, wenn es von mir abhinge.” Aber er weiß es nicht anders: „Der
Menih muß arbeiten, wie der Ochs pflügen muß.” Wenn er das Münzwejen
verbefjert, die Kriegsfchulden abgetragen haben wird, dann, jo erklärt er, wird er
ruhig fterben fünnen; und wenn er das ganze Wiederherftellungsmwerk nicht mehr
vollbringen kann, fo will er feinen Nachfolgern wenigjtens die Wegrichtung ge:
wieſen haben, in der fie fortfahren können, falls es ihnen belieben wird.
Inmitten aller neuen Arbeitsjorgen hofft er, den Geſchäften doch jo viel
Muße abzugewinnen, um feiner „biefen ganzen Krieg hindurch unaufhörlich durch
336 Siebentes Bud. Vierter Abfchnitt.
gewaltjante und ftürmifche Eindrüde aufgewühlten Seele” ihre Ruhe wiederzugeben,
um „Einkehr bei fich zu halten, über ſich felbit nachzuſinnen“ und dabei fid
der Repräjentation zu entziehen, die ihm von Tag zu Tag unerträglider dünft.
Sein Kinderipieljeug aber im Greifenalter, jo gelobt er ſich, ſollen die geliebten
Studien bleiben: „Mit ihnen will ich mich vergnügen, bis meine Lampe erliſcht:
fie mildern den Sinn und bewirken, daß die Strenge der PBergeltung, die
Schärfe der Strafen, fur; alles, was die Herrichergewalt an Härte mit fi
bringt, ſich mit Pbilojopbie und Duldfamleit zu der Miſchung paart, deren es
bedarf, wenn man Menſchen regieren joll, die nicht vollfommen find, und wenn
man felbit dabei nicht vollkommen ift.“
Adıtes Bud.
Viederauſnahme der Friedensarbeit und neue Gebiefserweiterung.
Kofer, Aönig Mriedrih der Große, II. 2. Aufl
—
1
Erfter Abjchnitt.
Das Retablilfement.
SLR abe ich mich gut gehalten? jo will König Friedrid feinen Vater im
nädtliden Traume gefragt haben, der ihn inmitten der heißeften
Drangiale des Siebenjährigen Krieges in die Tage jeiner bewegten
Jugend zurüdtrug.
Wie oft hat Friedrih Wilhelm I, wenn er ſich von jeinen Verbündeten -, .
mißachtet glaubte, zornig gejagt, er wolle nicht ihr Beiläufer, ihr Galopin, ihr
Mietsgaul fein. Jetzt hatte jein Staat die großen Mächte, die vormals als Bundes:
genojjen ihn ihr überlegenes Gewicht hatten fühlen laffen, als Gegner vor ſich
auf dem Plane gehabt. Am Kampfe gegen die furdtbarfte Koalition, die Europa
je geichaut hatte, an dem erften allgemeinen europäifchen Kriege war der König
von Preußen wahrlich nicht als Nebenfigur, als „Beiläufer”, auch nicht mehr
als Zweiter an der Seite eines Größeren beteiligt gemwejen, wie nod in feinen
beiden eriten Kriegen, ſondern als der Hauptkämpe, der jtarfe Gemwaltige, der
Held des blutigen Stüds. Die Meinung war gründlich widerlegt, daß Preußen
Erfolg und Gewinn nur einem breiften Spiel, dem Zufall, feiner Gefchidlichkeit,
andere für fi arbeiten zu laffen, zu danfen gehabt habe. Als der Mann bes
Jahrhunderts ging der König, als der Staat der Zukunft fein Königreih aus
dem ungeheuren Ringen hervor.
Unter den Militärmächten Europas nad) diefer Kraftprobe unbedingt als die
. erfte anerkannt, befand fich Preußen troß jeiner fnappen Hülfsmittel zwiſchen
ben Großjtaaten jetzt auch finanziell in nicht ungünftiger Lage. So überrajchend
e& Klingen mag, Friedrih war der Meinung, daß jein Staat, der die Kriegs:
ſchulden jofort hatte abtragen und den Staatsſchatz jofort hatte auffüllen können,
- finanziell leiftungsfähiger aus dem Kriege hervorgegangen jei, als England,
Frankreich oder Dejterreih. Er glaubte das eigentümliche Verhältnis feititellen
zu fönnen, daß dort die Regierungen mit Schulden überlaftet und fait ohne
Kredit jeien, die Völker dagegen nur an dem höheren Steuerbrudf den Krieg
empfunden hätten, mährend in Preußen das Land durch die feindlichen Sn:
340 Achtes Bud. Erfter Abichnitt.
vafionen ausgejogen, die Regierung aber im Beſitz hinlängliher Geldmittel ge:
blieben jei. Solange die Geldbeutel der Großftaaten leer find, folgerte er,
folange werden wir in Ruhe und Sicherheit leben; und er geftand, daß biefe
Ebbe in den Kaſſen ihm als ein zureichenderer Grund für die Friedensliebe
feiner bisherigen Feinde erjcheinen wolle, als ihre Humanität.
So war Preußens Finanzlage beim Ausgang des Krieges eine durdaus
andere als in der Epoche nah dem Frieden von Dresden, in ber ein Staats:
ſchatz erſt almählih wieder gefammelt werden mußte. Schon nad wenigen
Jahren durfte fich der König mit dem Gedanken beſchäftigen, Schwediſch-Pom—
mern und Stralfund bei den Geldverlegenheiten der Krone Schweden durch
Kauf in preußifchen Befig zu bringen. Und als Rußland demnäcft feinen Krieg
„gegen bie Pforte führte, war Preußen ohne weiteres im ftande, die Subfidien
zu bezahlen, die es in feinem Bündnis mit Rußland für den Kriegsfall ver:
heißen hatte.
In diefem Bündnis mit dem nordifhen Nahbarn lag ein weiteres Mo:
ment der Stärfe und Sicherheit Preußens nad dem Siebenjährigen Kriege.
Um das Bündnis mit Rußland, als der Macht, gegen die Preußen im
Kampfe nichts gewinnen, jondern nur verlieren könne, hatte der König in ben
Anfängen feiner Regierung eifrig, aber erfolglos geworben. Aus gewichtigen
Gründen hat dann die legte der vier fürftlichen Frauen, die zu Friedrichs Zeiten
die Geihide Rußlands gelenkt haben, die Freundſchaft Preußens der öfter:
reihiichen vorgezogen; ſchon machte der Gegenjaß fid geltend, der in ihrem Ver:
bältnis jomwohl zu Polen wie zu der Pforte zwifchen den beiden im Sieben:
jährigen Kriege verbündeten Kaiferhöfen beitand. Die damaligen Abwandlungen
der Geichide Polens hat das preußifch-ruffifhe Einvernehmen überdauert; das
neue Problem der orientaliichen Frage hat zu der Auflöfung des Bündnifjes
geführt, die den König von Preußen am Abend feines Lebens nötigte, noch
einmal nad neuen Verbündeten Umſchau zu halten.
Als König Friedrih am 15. Februar 1763 zu der ruhmreichen Beendigung
des Krieges mit dem Worte beglüdwünfcht wurde, diefer Tag werde der ſchönſte
feines Lebens fein, entgegnete er: „Der fchönfte Tag im Leben tft der, an dem
man es verläßt.” In diefer weltmüden Stimmung hatte er während des Krieges
gern von feinem Plane geſprochen, beim Friedensihluffe die Regierung nieder:
zulegen, da man zwiſchen all den Wirrwarr und das letzte Stündlein eine
Ruhepauſe einjchieben müſſe: da wolle er dann ohne jeden Zwang auf dem
Zande leben, in einem einfahen Haufe, deſſen Zeichnung er fi ſchon entworfen
hatte, 100000 Thaler jährlich von den Staatseinfünften ſich vorbehalten, 12000
für feine Tafel, 20000 für Liebhabereien verwenden, den Net als Jahrgelder
unter feine Gefährten verteilen; jeder Fremde von Geift und befanntem Namen
folle willkommen jein, bis auf die lediglich durch ihre Neugierde herbeigeführten
Gaffer; das heiße fich die legte kurze Strede des Lebenspfades mit Blumen
beftreuen.
Das Retabliffement. 341
Mit einem ähnlichen Plan zur Weltflucht und zu beſchaulichem Stillleben
hatte auch ſein Vater geſpielt, und noch manch anderer Fürſt und Staatsmann
hat unter des Tages Laſt und Hitze beteuert, ſich nach voller Ruhe zu ſehnen.
Aber wem eine Herrſcherſeele und die Herrſcherkunſt zum Erbteil gefallen find,
dem bleibt doch, hoch über allen Anwandlungen der Müdigkeit, „zu jeiner Kunft
die ewige Leidenſchaft“, und er wird mit Willen nie der ſtarken und ftärkenden
Gewohnheit des Befehlens, des Wirkens entjagen. Der ruhige Genuß wäre feiner
Herrenart zuwider.
Zudem aber vergaß eine Herrihernatur wie König Friedrih nie, daß
Herrihaft Dienst ift, und daß des Staates erfter Diener, als den er vorlängft
fich bezeichnet hatte, durch feine Dienftpflit an den Staat gefettet blieb.
Vorab galt es, das Verſprechen einzulöfen, das er 1760 inmitten der
größten Echrednifje des Krieges in einem Erlaß aus jeinem Hauptquartier
niebergelegt hatte: „daß er hiernächſt als ein redhtjchaffener und treuer Landes—
vater alles ihm auf der Welt nur mögliche thun werde, was zum Soulagement
feiner getreuen, durch die feindliche Invaſion betrübten und verunglüdten Unter:
thanen geſchehen könne.“
Friedrich hatte in ſeiner brandenburgiſchen Geſchichte ſeinem Urgroßvater,
dem Großen Kurfürſten, nachgerühmt, daß er in der allgemeinen Auflöſung am
Vaterlande nicht verzweifelt habe. „Am Baterlande nicht verzweifeln, jondern
dem Verderben den Mut entgegenwerfen,” das wurde jet feine eigene Loſung
für die Wiederaufrichtung des zu Boden getretenen, aus taujend Wunden blu:
tenden Staates. Der troftlofe Zuftand feiner meilten Provinzen erinnerte ihn
nur zu lebhaft an die Zerrüttung Brandenburgs beim Ausgang des Dreißig-
jährigen Krieges. Damals war der Landesherr nicht reich genug gewejen, zu
helfen, zu beilen, aufzubauen, und fo war nach Friedrichs zutreffender Bemerkung
ein volles Jahrhundert verjtrichen, ohne daß die Spuren der großen Verwüſtung
ganz verwiſcht waren. Eben dieje Erfahrung bejtärfte ihn in dem Entichluß,
jegt mit voller Hand überall jeine Hülfsfpenden auszuteilen.
Aber nicht lediglich) die Heilung der Kriegsfhäden, nicht die einfache Her- '
ftellung des früheren Zuftandes wurde angeftrebt. Große Kulturaufgaben, die
vor dem Kriege entweder ganz hintenangejegt oder nur ungenügend geförbert
und noch durch Hindernifje aufgehalten worden waren, fie wurben jegt inmitten
des allgemeinen Verfalls mit friidem Antrieb ergriffen, als fjollten nad dem
langen Stoden der Verwaltungsthätigfeit die fieben verlorenen Jahre jegt in
ſchnellſtem Anlauf wiedereingebracdht werden. Hebung der Volksschule, Beſſerung
der Lage des Bauernitandes, Schaffung der noch fehlenden Manufakturen, das
waren drei große Ziele, die alsbald nach der Unterzeihnung des Friedens ben
beteiligten Behörden mit Nahdrud gemiejen wurden.
Des Königs eriter Befuch galt nad dem noch im Leipziger Hauptquartier‘. ı
feftgeftellten Reifeplane der Provinz, um die all die unermehlichen Ströme Blutes -
gefloffen waren und die feine Gewalt auf Erden ihrem Beliger zu entreifen ver: 8
mocht hatte. Eben hatte Schleſien allerorten das Friedensfeſt gefeiert, jett
ſchmückte ſich Stadt und Land aufs neue zur Begrüßung des ſieggekrönten
Herrſchers. Eine jede dieſer in den Kriegsnöten verarmten Bürgerſchaften leiſtete
342 Achtes Buch. Erfter Abſchnitt.
an Feſtlichkeiten, was ihr möglih war, und der König ließ ſich die von Herzen
gut gemeinten, aber einigermaßen ermüdenden Huldigungen geduldig gefallen,
auch wenn bei der Fahrt durch die feftlich beleuchteten Straßen von Breslau
die dichtgedrängte Menge feinen Wagen immer von neuem zum Halten nötigte.
Daß er auf reihe Abwechſelung nicht rechnen durfte, gewahrte er glei in
Lömwenberg, dem Grenzftädthen am Bober, wo er bei der Ausfahrt aus der
Stadt den ihm ſchon unter der Ehrenpforte am Eingangsthor vorgeführten
lebenden Stanbbildern, Knaben in römisher Tradt und Schäferinnen, wohl:
, ; gelaunt zurief: „Kinder, feid ihr ſchon wieder da?” Was äußerlid einem
Triumpbzug gli, war feinem Zwede nah eine Dienftreife und Erfundungs:
. j fahrt. Nicht um der Schauftellung willen fam der Yandesherr, das Elend wollte
er mit eigenen Augen ſehen. Ueberall mußten Berichte und Zahlen vorgewielen
werden, als Unterlagen für die Bemefjung der überall unentbehrliden Spenden
an Geld, an Ausfaat und Brotforn, an Vieh und Bauftoff.
Zum 30. März meldete ſich Friedrih in Berlin an. Die Straße aus
Schlefien führte ihn an dem Kunersdorfer Schlachtfeld vorbei. Der Beſuch
diefer Echidjalsftätte am Morgen des 30. war gleihjam der legte Abjchied vom
x Kriege vor der Nüdfehr in die Hauptftadt. Auch ſonſt gab e& unterwegs aller:
band Aufenthalt. Zu Taßdorf, fehs Meilen vor Berlin, begrüßte den König
während des Pferdewechſels der Landrat v. Nüfler von Niederbarnim und
jchilderte ihm den Notftand der Kreisinfaflen in Gegenwart einer großen Menjchen:
menge — denn überall auf den Borjpannplägen war viel Volf aus der Um—
gegend zufammengeftrömt. Der König beichied ihn für den zweitnächſten Tag
nad Berlin auf das Schloß; dort werde er mit allen Landräten der Kurmarf
beiprechen, wie er dem Lande helfen könne und wolle.
So wurde erft in jpäter Abendftunde, zwifhen 8 und 9 Uhr, die Haupt:
ſtadt erreicht; feit Stunden erwartungsvoll auf dem Plage, hatten die Bürger
fih noch eben mit Fadeln verfehen. Unter der Ehrenpforte am Frankfurter
Thor nahm der König die Glückwünſche des Magiftrats entgegen; ben ihm von
der Stadt dargebotenen Prunfwagen mit den „goldbehängten Roſſen“ beftieg er
nicht, fondern lenkte mit feinem Reifegeipann, weiteren Huldigungen ausmweichend,
durch abjeits gelegene Straßen dem Sclofje zu, wo die Königin mit den Prinzen
und Prinzejfinnen und dem ganzen Hofftaat ihn erwartete. Am Morgen famen
die einzelnen Abordnungen mit ihren geitern abend nicht überreihten Glüd:
wunſchgedichten zu ihrem Recht: die Kaufmannſchaft, die franzöfifche Kolonie, das
Schlädhtergewerfe als die vornehmfte Innung, die Schügengilde. Ihrem Em:
pfang jchloß Ti gegen Mittag eine große Cour an; dann zeigte ſich der König
der jubelnden Bevölkerung auf einer Umfahrt durd die Straßen nadträglid in
dem Einholungswagen, ihrem Geſchenk. Eine allgemeine Jllumination und mehr:
fache Hoffeftlichkeiten blieben für die nächſten Tage aufgefpart.
„3% befinde mich in einer Stabt,” fchreibt Friedrich kurz nad feiner An-
funft an feine Schwefter Ulrife nah Stodholm, „wo id die Mauern kenne,
. aber wo ih die Perfonen, die der Gegenftand meiner Ehrfurcht oder meiner
Freundſchaft waren, nicht wiederfinde. Ich bin fremd hier, meine liebe Schweiter,
. biefe fieben Kriegsjahre haben die ganze Stadt verändert, es bleiben wenige
Das Retabliffement. 343
übrig von meiner Bekanntſchaft, und wenn id) von den Gebäuden abjehe, würde
ich hier fo fremd fein, als ob ih in London wäre.”
Die Landräte waren am 1. April pünktlih zur Stelle. Nüßler führte ’
das Wort, lebhaft und eindringlih. Der König unterbrah ihn: „Sei Er ftille
und lafje Er mid; reden. Hat Er Crayon? — Nun, ſo jchreibe Er auf: die
Herren jollen aufjegen, wie viel Roggen zu Brot, wie viel Sommerfaat, wie "-
viel Pferde, Ochfen und Kühe ihre Kreife höchſt nötig brauchen. Ueberlegen 5
Sie das recht, und kommen Sie übermorgen wieder zu mir.” In der Zwiſchen-
zeit führte der alte Eichel mit einigen Vertrauensmännern die Beiprehung fort;
er zeigte ihnen „ganze Bände” von Unterftügungsgefuhen. Nicht alle Bitten
ließen fih erfüllen, aber wenigitens jo weit fonnte der Not ‚gefeuert werben, daß,
wie Nüßler anerkannte, „fein Unterthan zu Grunde ging“.
Die Arbeit chien fein Ende nehmen zu wollen. Auch im Eleinen und ;
Heinften wurde das Eingreifen des Königs verlangt, feine Geduld wurde bis:
weilen auf eine harte Probe geftelt. „Sie ſchreiben mir von Wahslihtern,“,
antwortet er am 14. April dem Marquis d’Argens, „und bier ſpricht man mir
von Heringen. In der That, darum verlohnte es fih, Krieg zu führen, daß
ih auf meine alten Tage zum Krämer werden joll. Ich gehe auf das große
‚Ganze, mein Lieber, ih orbne den Münzfuß und andere Dinge von größerer _
5, Bedeutung für den Staat; Brot und Fleiſch gehören zu diefer Kategorie, aber.
Heringe, Stiefeln und Wachslichter werden von jelbft in Ordnung kommen,
‚wenn bie Hauptfache geregelt if. Adieu, mein Lieber, ih habe den ganzen
fangen Tag gerechnet, ih bin müde.”
Ende April war die Mafje der dringendften Gefchäfte jo weit aufgearbeitet,
daß er fi bei dem ſchönen Frühlingsmetter ein paar Erholungstage in Sant: ,,
ſouci gönnen durfte. „Wirklich,“ ſchreibt er dort am 12. Mai „jeht ift die Zeit,
da es auf dem Lande am ſchönſten ift, wenn man jeden Tag Knofpen und Blüten 5
und das Fortſchreiten aller Schöpfungen der Natur jchaut, die miteinander zu
wetteifern jcheinen, um ihren Nährboden und alle Fluren zu ſchmücken. Ich “
ſpreche mit Entzüiden davon, da ich ſchon feit acht Tagen dies reizende Schau:
jpiel Hier genieße.” Er fegne den Himmel, gefteht er einige Wochen fpäter
dem Prinzen Heinrih, daß er jegt nur dummes Zeug als Stoff für feine Briefe
babe: „das ift mehr wert als Feldzugspläne im Vorrat für drei oder vier vor-
auszujehende Berzweiflungsfälle.”
Längere Ruhe durfte er erft nad Beendigung der Rundreiſe dur die...
Provinzen — nur DOftpreußen erhielt feinen Bejuh — erhoffen. Das nächſte
Biel war Pommern. Stargard, Greifenberg, Treptow, Kolberg wurden befidhtigt,
in Kolberg mit bejonderer Aufmerkſamkeit die Stätten ber wieberholten rühm-
lihen Berteidigung. „Ich habe,” jchreibt der König am 26. Mai nad der --
Wiederanfunft in Berlin, „die vom Kriege am jchwerjten geichäbigten Gegenden °
durdeilt und babe gethban, was von mir abbing, um ihnen wiederaufzubelfen.
Obgleich mande Landftrihe ſehr gelitten haben, ift das Unheil nicht fo groß, wie
es die Uebertreibung gemacht hat, und ich jchmeichle mich, daß Pommern in zwei
Jahren bevölkerter und befjer im ftande fein joll, als vor dem Kriege. Die Neu:
marf ift in voller Thätigfeit, alles regt fich, ein jeder legt die Hand ans Werf.“
344 Achtes Bud. Erfter Abfchnitt.
An der Fahrt durch die weitlihen Provinzen im Juni beteiligte fih Prinz
Ferdinand von Braunfdhweig; er durfte dem Könige feine Siegesfelder von
Minden, Bellinghaufen und Krefeld zeigen. Auf feinem Landfig bei Kleve wurde
ein alter Jugendfreund befucht, jener Spaen, der einft in die Fluchtpläne des
Kronprinzen eingeweiht gewejen war und dann in holländifhen Dienften es zum
General gebracht hatte. Auch bier gab es zwifchen den Empfängen und Feſt—
lichkeiten aller Orten ernfte und anftrengende Arbeit; auch bier jahen fidh die
Beamten mit jener in medias res führenden Frage: „habt Ihr Crayon?“ bes
‚grüßt; Berichte, Liften und Anträge wurden eingeforbert und alsbald, noch an
‚Ort und Stelle, genau geprüft und mit eingehenden Beſcheiden verjehen.
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Sp war das. Sietablifement überall in die Wege geleitet; die Früchte
r mußten abgemwartet werden. Erſt jegt durfte der König an ſich felbft, an das
Retablifiement feines eigenen Heims, feiner „Penaten“, denken. Der alte Kreis,
die klaſſiſche Tafelrunde von Sansjouci, war zeriprengt. Sollte es gelingen,
noch einmal einen ſtarken Helden im Reiche der Geifter zu gewinnen, der die
‘ anderen um Haupteslänge überragte, ber einen Voltaire und defjen feit vier Jahren
zu den Toten entbotenen Widerpart Maupertuis erfegen mochte? Wie vor 23 Jahren
Maupertuis, begleitete den König auf der Nüdjahrt vom Rhein nad Potsdam
Jean Le Rond d'Alembert, das Haupt der Encyflopädiften, der Mann, auf den
ih jegt Friedrichs ganze Hoffnung ſowohl für ſich perſönlich wie für jeine Afa:
bemie richtete.
D’Alembert wurde von bem Augenblid an, da er am 11. Juni in Geldern
zu dem föniglihen Reifezuge ftieß, von Friedrih mit warmer Herzlichfeit wie
ein alter Freund, von allen anderen mit ehrerbietiger Auszeihnung behandelt.
Beim Beſuch der braunſchweigiſchen Verwandtſchaft in Salzdahlum waren er
und Graf Borcke, der Oberhofmeiſter des Prinzen von Preußen, die einzigen
nichtfürſtlichen Teilnehmer an der Familientafel, und d'Alembert mußte ſich da—
für gefallen laſſen, an dieſem Hofe von jedermann als Marquis angeredet zu
werden. Mehr Zeit als unterwegs konnte Friedrich ſeinem berühmten Gaſte in
Potsdam widmen, an der Mittagstafel, die ſtatt einer Stunde in dieſer Geſell—
ſchaft mehr als zwei währte, beim Souper, das ſich bis gegen Mitternacht aus—
dehnte, im Konzert, bei den Spaziergängen ſelbzweit im Park von Sansſouci, wo
der König eine Roſe pflückt und ſie dem Begleiter mit den Worten reicht: gern
gäbe er ihm Beſſeres. So zeigte er ſich andauernd in fröhlichſter Stimmung,
von der liebenswürdigſten Seite; glaubte doch d'Alembert einer vertrauten
Freundin nach Paris ſchreiben zu dürfen, niemand könne weniger zur Medi—
ſance neigen, mehr bereit ſein, alle Dinge von ihrer guten Seite zu ſehen:
„Seine Art zu unterhalten iſt von eignem Reiz, heiter, mild, lehrreich.“ Ueber—
raſcht war der Franzoſe trotz allem, was ihm vorher geſagt worden war, von
der Vertrautheit dieſes deutſchen Fürſten mit der franzöſiſchen Litteratur, als
hätte er ſein ganzes Leben auf ihre Lektüre verwandt: „Ich kann ihm keine
bedeutende Stelle anführen, zumal aus unſeren Dichtern, ohne daß er ſie eben—
Das Retabliffement. 345
fogut kennt, als ih.” Friedrich zeigte ihm mit Behagen und eingehend jeine
auserwählte Heine Büherfammlung im Turmzimmer von Sansjouci und führte
ihn zwei Stunden lang in der Bildergalerie herum, „ebenjo beredt über Malerei, »
wie über Kriegsführung oder Politit”. Weniger erfreulich war dem Ga der
Aufenthalt in Charlottenburg; die Unterkunft in dem fahlen, noch alle Spuren
der feindlichen Plünderung tragenden Schloſſe jehr unbehaglich, die Mahlzeiten, --
zu denen hier Generale und Staatsbeamte Einladungen erhielten, fteif und
langweilig: alle diefe Herren ſcheinen ihm Mönche aus La Trappe zu fein, fie
iprehen fein Wort und begnügen fih dann und wann zu dem, was fie hören,
pflihtichuldigft zu laden. D’Alembert wohnte in der Charlottenburger Schloß:
fapelle mit dem Könige jener Aufführung des Graunſchen Tedeum bei, der
nahmals die Sagenbildung fi bemächtigt hat; er wurde in Schönhaufen der
Königin vorgeftellt und befuchte in Berlin am 14. Juli die Sigung der Afademie.
Damit war die enticheidende Stunde gekommen. Bedeutungsvoll fragte /,
ihn der König, was fein Herz ihm ſage — ſchon in Potsdam hatte er die An-
jpielung gemadt: ob d’Alembert nicht mit den armen Waiſen Mitleid haben 1. r
würde. Der Philofoph war feit lange vorbereitet. Schon 1752, während einer
jhweren Erfranfung Maupertuis’, war ihm die Anwartihaft auf den Vorſitz
in der Akademie angeboten worden; jeßt galt in Frankreich feine Ernennung
ihon als vollzogen. Aber d’Alembert jcheint feinen Augenblid zweifelhaft ge:
weſen zu fein. Er erklärte, daß er feſt entichloffen fei, auf fein Vaterland nicht 49
zu verzichten, und Friedrich entgegnete, er wolle warten und jeine „iträflihen”
Wünſche zurüddrängen. Es hatte wohl nicht erft der Warnungen des unver:
jöhnten Voltaire bedurft, der untröftlid gewejen wäre, wenn es jeinem ver: ,
baten nordiſchen Salomo gelungen wäre, für ihn, den Verſtoßenen, Erjag zu
Ihaffen. Freiheitsfinn und Heimweh waren zwei gleich ftarfe Antriebe für
d’Alembert. Während diejes zweimonatlihen Aufenthaltes an einem Hofe, der
ein Hof eigentlih nicht war, ergaben ſich doch jofort für feine Lebensgewohn—
heiten eine Anzahl von Störungen, die ihm auf die Dauer unerträglich ge:
wejen wären. Und diejes Preußen blieb ihm ein Land, „wo bie Gejellichaft
weder gut noch ſchlecht iit, weil es überhaupt feine gibt”. Der König erjcheint
ihm als der einzige Menſch im Königreih, mit dem man Konverjation führen
fann, d. h. „die Art von Konverjation, die man nur in Frankreich fennt, und U,
die unentbehrlich wird, wenn man fie einmal fennt”. Er bedauert deshalb
diefen König, „ber, in jeder Beziehung jo groß und liebenswürdig, inmitten
feines Ruhms das eine große Unglüd bat, allzu hoch über dem ganzen Reft der
—
Nation zu ſtehen und niemand zu haben, weder zur Hülfe bei feiner großen
unendlihen Arbeit, noch zur Erholung nad der Arbeit für die Konverfation“,
Friedrich jelbit jcheint beim Scheiden eine Empfindung dieſer Art gehabt
zu haben. D’Alembert ihue jeiner Seele wohl, jagte er ihm; er werde ſich
naher jehr verwahrlojt fühlen. Ueber dem legten Souper am 25. Auguft lag —
eine gedrückte Stimmung. Und in einem Abſchiedsbriefe ſagte Friedrich: „Ich
werde nie das Vergnügen vergeſſen, einen wahren Philoſophen geſehen zu haben.
Ich bin glücklicher geweſen als Diogenes, denn ich habe den Menſchen, den der
ſo lange geſucht hat, gefunden — aber er geht.“
346 Achtes Buch. Erfter Abſchnitt.
Der Präfidentenftuhl in der Akademie, jo erflärte Friedrich, follte unbe:
‚ Test bleiben, bis d’Alembert zurüdfehren werde. Aber man war auf Nimmer:
wieberjehen geſchieden. Nur aus der Ferne mwurbe der Verkehr fortgejegt, in
einem Briefmechjel, der fih uns als das mertoollfte Zeugnis für Friedrichs
Stellung zu dem geiftigen Zeben diefer Epoche bewähren wird.
Die Einfamkeit und Einförmigkeit des Potsdamer Lebens, die den Gaſt
aus Paris fo ſeltſam berührte, jchloß für Friedrich doch Feine Entbehrung ein.
„Ih führe hier,” jo oder ähnlich äußert er fich oft, „das allereingezogenfte und
ftillfte Leben, wie e8 meinem Alter und meiner Anſchauungsweiſe entipridt....
Ich lebe mit der Welt in Ehefcheidung und trenne mich von ihr, ehe fie mich
verläßt.” Doc beneidete er d'Alembert und jeden andern, der über die Alpen
reifen fonnte; „das alte und das moderne Italien“ war von je das Land jeiner
Sehnſucht gewejen: ') „Ich würde glei von der Partie jein, wenn die Geiß
nit grafen müßte, wo fie angebunden ift.” Sehr jelten, meinte er, fönnten
‚ Souveräne ſolche Vergnügungen fi gewähren: „entweder haben fie feine Zeit,
oder fie werden durch andere Rüdfichten verhindert.“
Vielleiht hätte ih um d’Alembert, wenn er geblieben wäre, eine neue
Kolonie franzöſiſcher Gelehrter und Schöngeifter gejammelt. So aber ver:
ſchwanden die Franzoſen allmählih aus Friebrichs Umgebung; man meinte in
Berlin in ihren Kreifen, daß der König über die franzöfiihe Bildung jekt ge:
fliſſentlich abihägig urteile, ja daß thatfächlic eine innere Entfremdung einge:
treten ſei, zum Teil in Erinnerung an die Zänfereien, die ſich unter feinen
Augen abgefpielt hätten. Letzter Vertreter der alten franzöſiſchen Zeit war
Marquis d’Argens, von dem b’Alembert fagte, daß er in der Unterhaltung be:
beutend mehr wert jei, als in feinen Schriften. Eigentlih erft während bes
Krieges war er dem Könige recht nahe getreten, als ber Einzige, dem Friedrich
in Briefen, welche doch vielmehr Selbſtgeſpräche waren, jeine ſchmerzlichen Beichten
abzulegen wagte. Daß diefer den Verkehr jetzt wieder auf einen leichteren Ton
ftimmte und den alten Scherzen über b’Argens’ eingebildete Krankheiten und
fonftige Schrullen wieder weiten Spielraum ließ, verbroß den treuen Ge:
fährten, der für feine Behandlung, je älter die Freundichaft geworden war, auch
um fo zartere Rüdficht beanſpruchte. Man wußte fich in das erneute Zufammen:
fein nicht mehr ganz zu ſchicken; d'Argens, immer hypochondriſcher, begann ſich
nad jeiner warmen provencalifhen Sonne zurüdzufehnen, und nun glaubte
wieder Friedrich, fich beklagen zu dürfen, da er argwöhnte, daß fein Iſaak eine
Fahnenflucht vorbereite.
Aus der Zahl der anderen alten Freunde war Graf Gotter, der Ritter
vom Orden der vergnügten Einfiebler — hermites de bonne humeur — im
legten Kriegsjahr geftorben, am Abend feines Epikureerdafeins ſchwer von Gicht
und Waſſerſucht heimgeſucht. Algarotti weilte feit 1753 beharrlih in jeiner
* italieniſchen Heimat; er hatte zu allen preußiſchen Siegen in artigen, mit latei—
niſchen Citaten verzierten Briefen Glück gewünſcht, ebenſo dann zum Friedens:
ſchluß nach einem Kampfe, in welchem ſein Held nicht wie Scipio, Cäſar und
') Bd. 1, 479.
Das Retablifjement. 347
Alerander immer nur einen Feind, fondern faft ganz Europa beitanden habe.
Friedrich bat ihn auf diefen Glückwunſch, nun auch feinerjeits mit feiner kranken
Lunge Frieden zu fließen, wie Preußen mit Defterreih, aber ſchon nad Jahres—
frift erlag Algarotti zu Piſa feinen Leiden, und der König von Preußen mweihte
sur
dort im Campo santo dem „Schüler Newtons und Nacheiferer Ovids“ das ;
ſchöne Denkmal mit der Inſchrift „Algarottus non omnis“.
Ein neuer Trauerfall in der königlichen Familie im November 1765,
der Tod feiner Schweiter Sophie, der Markgräfin von Schwedt, führte den cu" ke
Bruder in einem Brief an die jetzt achtzigjährige Gräfin Camas auf die fchmerzliche
Betrachtung: „Unfere Familie ſcheint mir einem Walde gleih, deſſen ſchönſte
Bäume der Orfan gebrochen hat, hier und da fieht man noch eine abgeäftete Tanne,
die ih mit den Wurzeln noch feftllammert, nur um den Zufammenfturz der
Gefährtinnen, die Opfer und den Raub des Windbruchs, zu betradten. ch
wünjche, meine liebe Mama, daß diejes Wehen des Todes Ihnen fernbleibe, daß
wir Sie noch lange behalten, und ich Ihnen noch oft die Verfiherung meiner alten
und treuen Freunbjchaft wiederholen kann.” Ein halbes Jahr jpäter betrauerte
Friedrich auch diefe feine mütterliche Freundin. „Könnte ich fie auferweden,”
ihrieb er an die Königin, „ich thäte es auf der Stelle. Ihr Tod ift ein wirklicher
Verluſt, ſowohl wegen ihres BVerbienftes und ihrer großen Eigenidhaften, wie
wegen biejes Bannes von Würde und Schidlichkeit, den fie dem Hofe auferlegte.”
Aufrichtige Freude bereitete ihm nah jo mandem ſchmerzlichen Verlufte
das Wiederjehen mit George Keith, dem Lord-Marſchall von Schottland. Nach |
Abſchluß des preußifch:engliihen Bündnifjes von feinem Landesherrn, König
Georg II., begnadigt, hatte der alte Jakobit 1763 nad fait fünfzigjähriger Ver—
bannung den heimatlihen Boden nod einmal betreten dürfen, und Friedrich
ſprach ihm fein Bedauern aus, daß feine Elbfähne zu einer Landung in Schott:
land, um den Lord aufzuheben und mwegzuführen, allzumenig geeignet ſeien; er
verficherte dem Freunde, daß er ihn im Sommer und im Winter, bei Tag und
bei Nacht, al’ Zeit und Stunde, mit offenen Armen aufnehmen werde. Lord
Marihall fam und lebte noch vierzehn Jahre an Friedrichs Seite in dem be:
baglihen Haufe, das ihm in unmittelbarer Nähe von Sansfouci eingerichtet
wurde, und als er, vom Alter gelähmt, nach feiner Selbftichilderung neuer Augen,
neuer Ohren, neuer Beine und eines neuen Magens bebürftig, des Königs
Tiihgenoffe nicht mehr fein konnte, da ging ber König durd feinen Schloß:
garten fleißig zu dem „Nachbar Ameife”, um fich des Geſprächs mit dem Alten,
feiner Munterfeit und feines „attiſchen Salzes” zu freuen. D’Alembert hat uns
das gute Wort aufbewahrt, das Friedrichs Freundſchaft für Lord George fenn:
zeichnet: „Sch habe Treulofigkeit, Undank und Schlechtigkeit der Menfchen jo viel an
mir erfahren, daß ich vielleicht zu entjchuldigen wäre, wenn ich nicht mehr an Tugend
glaubte, aber der gute Lord hat mich wieder zu diefem Glauben gezwungen.“
Noch ältere Anſprüche als Lord Marihall hatte Fouqus, neben dem '
gihtbrüdigen, allzeit in alter Gunft ftehenden General Wylich der legte der
Augendgenofien aus ber Rheinsberger Zeit. Der Held von Landshut!) fehrte
) Bgl. oben ©. 257.
348 Achtes Bud. Erfter Abichnitt.
aus der Kriegsgefangenihaft zu Karlftadt nicht zu feinem Regiment nah Glatz
zurüd, jondern nahm Wohnfig in Brandenburg als Domherr des dortigen
Kapitels. Er kam während der nächſten Jahre, bis förperlihe Gebrechlichkeit
ihn unbeweglih machte, wiederholt zum Beſuch nad Potsdam, noch häufiger
aber lud fid) der König bei feinem älteften Freund zu Gafte: „ich beaniprude
nichts”, fo meldete er fich einmal an, „als eine gute Suppe und eine Schüfjel
‚ Salat, des Wirtes freundlihe Miene, und daß ih Sie bei guter Gejundbeit
antreffe.“ Friedrich hat nit nur die „Breſchen“ des Fougusihen Vermögens
mit freigebiger Hand ausgefüllt und ihm den Berluft feiner fahrenden Habe
durch eine „Fürftliche” Wohnungseinrihtung, filbernes Tafelgerät und die fchnell
fih fteigernden Kunitleiftungen der Berliner PBorzellanmanufaftur erfegt, er
war auch in jenen Kleinen Aufmerkjamfeiten und Geſchenken unerihöpflid, die
nah dem Sprichwort die Freundſchaft erhalten: er labt den franfen Freund
mit Rheinwein von 1684 oder der legten Flaſche Ungarwein aus dem Vorrat
König Friedrichs J., er Shidt ihm Trüffeln von Perigord und Früdte aus
den Potsdamer Gärten, Mekkabalſam aus Konftantinopel und türkiſchen Kaffee;
bald gibt der Gedenktag der Schlacht von Prag, aus der Fouqué rühmliche Narben
trug, zu einem Gefchent Anlaß, bald das Ehriftfeit, denn „es ift Braud, daß
Verwandte fih zur Weihnacht beſchenken, und ich betrachte Sie als Familien:
mitglied, ſowohl in Ihrer Eigenſchaft als ehrenfeiten und waderen Ritter ohne
Furcht und Tadel, wie in der meines alten Freundes“.
Bon ben anderen großen Kriegeshelden lebte Prinz Heinrich ſtill in Rheins:
berg und erſchien bei Hofe nicht öfter, als unerläßlich war. Ferdinand von
Braunfchweig, vor dem Kriege einer der täglichen Gefährten und der beſcheidene
—Zögling des Königs, war von feinem weſtdeutſchen Kriegsihauplag, an Siegen
reich, mit berechtigtem Selbſtbewußtſein zurüdgefehrt, und wenn er während des
großen Ringens manch' jcharfem Wort gegenüber jeine Empfindlichkeit hochherzig
zurüdgebrängt hatte, jo war er jet, im Frieden, auf feinem Magdeburger Gou:
; verneurpoften weniger geneigt, Selbftverleugnung zu üben: anläßlich eines ver:
* brießlihen Vorganges bei der Revue von 1766 erbat er feinen Abſchied und
zog ſich auf fein braunſchweigiſches Landgut Vechelde zurüd, ein neuer Cincin:
natus, wie fein getreuer Wejtphalen rühmte, ein neuer Belifar, wie Friedrid
verjtimmt jpöttelte. Seydlitz fam in den erften Friedensjahren aus feinem Stand:
quartier Ohlau noch wiederholt nah Potsdam; zu den Vertrauten zählte er
nicht; es bieß, daß der König fich mit feinen ſarkaſtiſchen Einfällen und kleinen
Nedereien einem Manne gegenüber zurüdhielt, dem es unter Umftänden nicht
darauf anlam, mit gleicher Münze zu dienen. Mit ausgeiprohenem Wohlwollen
wurde Zieten behandelt, aber doc mehr als ehrwürdige Ruine, als überitändiger
Veteran, auf den für den Felddienſt nicht mehr gerechnet wurde. Als der Vier:
undjechzigjährige zu Ende des erften Friedensjahres nah jahren des Witwer:
ftandes einer jehsundzwanzigjährigen Nichte die Hand zum Chebunde reichte,
wünjchte ihm der König „alles Glüd und Vergnügen, jo Ihr nur dazu
wünjchen und verlangen möget, wie Ich denn, wenn Jh wüßte, wo Ihr Euer
Hodhzeitsfeft celebrieren werdet, jelbjt dabin fommen würde, um auf jelbigem
zu tanzen”. Dem eriten Sprößling aus der neuen Ehe legte fein königlicher
Das Retabliffement. 349
Pate ein Kornettspatent und die Anmweifung auf ein Lieutenantstraftament in
die Wiege.
Zum ftändigen militäriichen Gefolge gehörten noch aus der alten Zeit
Hans Friedrih von Krufemard und Rupert Ecipio von Lentulus. Kruſemarck
acht Jahre jünger als Friedrich, bereits 1747 als junger Gendarmenlieutenant
zum Flügeladjutanten ernannt, feit 1759 an Stelle des bei Kay gefallenen
Wobersnow erfter Generaladjutant, war fait während des ganzen Krieges des
Königs Begleiter gewefen. Ein Mann von unermüdlicher Arbeitskraft, aus:
gezeichneter Kavallerift, ala Vorgefegter ftreng und, wenn es jein mußte, ſchroff;
als er einige Jahre nad) dem Friedensſchluß Chef der Gendarmen wurde, that
er das Seine, um die ftugerhaften Auswüchſe in dem vornehmen Dffiziercorps
nah Möglichkeit auszurotten; einem Offizier, der ſich der Kleiderordnung nicht
fügte, ließ er bei der Parade durch einen jchnell herbeigeholten Schneider furzer
Hand die vorfhriftswidrigen Rockſchöße abjchneiden. Der „ſchöne“ Lentulus, jet
Chef der Leibküraſſiere, Schweizer von Geburt und Sohn eines öſterreichiſchen
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Feldmarſchalls, hatte die Aufmerkjamkeit des Königs von Preußen auf ſich ge:
lenft, als er 1744 nad dem Falle von Prag im Unmut über die Waffenitredung
der Deiterreicher feinen Degen lieber zerbrach, als daß er ihn den Preußen ein:
gehändigt hätte. Schnell hatte es dann die beftridende Huld des Siegers dem
jungen Kriegsgefangenen angethan; nad dem Frieden von Dresden nahm er
preußiihe Kriegsdienite, der König zog den weltmännifch gebildeten, vielgereiiten,
liebenswürdigen Kavalier in jein Gefolge und widmete 1748, als Lentulus fich
mit einem Fräulein von Schwerin vermählte, dem Brautpaare ein jcherzhaftes
Poem über die nationalen Eigentümlichfeiten des SFreiersmannes, des „Schult:
beißen” Zentulus, wie ihm das Berner Patrizierfind ald Mitglied des großen
Rats feiner Vaterftadt hieß. Bei Leuthen und bei Zorndorf hatte er als Bri:
gadegeneral die Gendarmen und Gardes du Corps zum Siege geführt und bei
Reihenbah unter des Königs Augen den lekten großen Neiterangriff dieſes
Krieges fommanbdiert.
Einen neuen Günftling hatte der Krieg in dem Generaladjutanten Heinrich ,
Wilhelm von Anhalt emporgebradt. Friedrich jah in dieſem Entel bes alten /
Defauers einen „neuen Turenne“ fommen und bezeichnete ihn als den beiten
Offizier feines Heeres nähft dem Prinzen Heinrih, als den geborenen Heer: -
führer, den man in einem fünftigen Kriege vorzugsweiſe zu verwenden haben
werde, troß der Fehler, mit denen er font behaftet fei. In den Streifen feiner
zahlreichen Gegner galt Anhalt als der Mann, der das „ſchwärzeſte Herz mit
dem beiten militäriichen Kopf verbinde”, als der „Tyrann der Armee”; er war
gleihlam der Erbe des Hafles, der fich früher auf einen Winterfeldt entladen
hatte; dem Herzog Ferdinand, jo wurde behauptet, fei der preußifche Dienft vor
allem durch diefen Mann unleidli geworden.
Durch häufige, oft geradezu dringende und ftets jehr jchmeichelhafte Ein-
ladungen an das Hoflager wurde der Pommer Anton von Krodom ausgezeichnet,
Chef des Dragonerregiments zu Lüben in Schlefien. Wie ehedem Graf Rothen-
burg, war Krockow bei Beginn des legten Krieges aus dem franzöſiſchen Heere,
dem er 23 Jahre hindurch angehört hatte, in den Dienft feines Landesherren
fe na
350 Achtes Bud. Erfter Abſchnitt.
übergetreten und vor dem Feinde jchnell vom Oberften zum Geuerallieutenant
emporgeftiegen. Dem Könige war biejer Altersgenofjie — Krodow war nur
zwei Jahre jünger als Friedrich — an feiner Tafelrunde als wißiger Unter:
halter, als „angenehmer Barleur” willlommen; wiederholt hat er ihn ge
beten, unbeſchadet des Dienfteifer® für das Regiment dem Potsdamer Auf:
enthalt no ein paar Tage zuzulegen; anderen war Krodom als böje Zunge
verdächtig.
Zu den Auserwählten des engeren Kreifes gehörten auch die beiden Offiziere,
die dem Könige in den ſchwerſten Stunden jeines Kriegslebens unvergehliche
Dienfte geleiftet hatten: Prittwig, einer der erften Schlefier, die in das preußiſche
Heer eingetreten waren, der Lebensretter von Kunersdorf, jet unter Zieten Kom:
mandeur der Leibhuſaren, und der in elf Schlachten erprobte Leſtwitz, bei Tor:
gau zu höchſtem Ruhme gelangt, im legten Kriegsjahr zum Kommandeur eines
der Berliner Infanterieregimenter und demnächſt zum Chef der Potsdamer Gre:
nadiergarde ernannt. Beide hatte Friedrich zum Lohne ihres Verdienftes in
reicher Weiſe mit Grundbefig ausgeitattet: LZeftwig hat den Staat und Prittwig
den König gerettet, pflegte er wohl zu jagen. Er meinte, daß Leitwig das Zeug
babe, ein großer General zu werden, und nannte Prittwig einen hervorragenden
Offizier, der zu allem befähigt jei, wozu man ihn aud gebrauchen möge. Als
Gejellihafter waren fie ihm in ihrer jebigen dienftlihen Stellung ſtets ſchnell
erreichbar.
Eine der eigenartigſten Rollen ſpielte in Potsdam der gelehrte Offizier,
den der König im Feldzug von 1759, bald nach ſeinem Eintritt in das preu—
ßiſche Heer, nach einer Disputation über die Geſchichte der Pharſalus-Schlacht
Duintus Feilius getauft und unter diefem Namen beim Parolebefehl dem ihm
anvertrauten Freibataillon vorgeftelt hatte. Der Vorgang kennzeichnet die Stel:
lung des Mannes; er gehörte zu den Opfern, an denen Friedrih bei allem
Wohlwollen beftändig feinen Wit übte, da fie für die Abwehr weder das An:
jehen noch die Schlagfertigfeit eines Seyblig hatten. Bald famen über dieje fleinen
Drangjale des lateinifchen Dffiziers eine Fülle von Geſchichtchen im Umlauf,
wahre und erfundene. Kind der Pfälzerfolonie in Magdeburg, Sohn nicht, wie
erzählt wurde, eines Töpfers, jondern eines Beamten, hatte fih Karl Theopbil
Guiſchard auf deutfhen und holländiſchen Univerfitäten feine klaſſiſche Bildung
verihafft und war jpäter als Offizier der Generalftaaten mit einem gelehrten
Werk über die Kriegsführung der Griehen und Römer an die Deffentlichfeit ge:
treten. So machte er fi nach dem lebertritt in den preußiichen Dienſt dem
Könige nit nur als Freifcharenführer nüglih, fondern aud als Orakel für
friegsmwifjenihaftliche Antiquitäten, ohne daß er mit jeiner Gelehriamfeit den
Gebieter jedesmal glüdlic beraten hätte: Beweis die auf Duintus’ Vorſchlag
zurüdgehende Inſchrift Nutrimentum spiritus über der Berliner Bibliothek,
die allzu wörtliche Meberjfegung des „Nourrissement de l’Esprit*, das dem König
als Bezeihnung für eine Bibliothek aus dem einft mit vielem Vergnügen ge:
lefjenen Sethos, dem ägyptiihen Roman des Abbe Terraffon, in Erinnerung
geblieben fein wird. Faſt jcheint es, daß Friedrich in feinem Lateiner weder
den Offizier noch den Gelehrten ganz für voll anſah; fein abſchätziges Urteil
Das Retabliffement. 351
über bie Freitruppen und ihre freibeuterifchen Offiziere!) hat er ihm nicht vor: ———
enthalten, und als Quintus zu ſeinem Sitz in der Akademie der Wiſſenſchaften
auch ein Gehalt erbat, wurde er mit der Belehrung abgewieſen: „Die Aca-
demie nimmt nicht Leute an, deren Bücher jo ſchändlich wie Seine feind Fkriti- -
fi
fieret worden.” Auch haben feine Machenichaften bei Gründung der Berliner
Bank, feine Geichäftsverbindungen mit allerhand verbädtigen Glüdarittern
jeinem Anjehen offenbar geſchadet. Eine Zeit lang hat Quintus nah einem
ſcharfen Zuſammenſtoß fih jhmollend zurüdgezogen, aber der König that dann
das Seine, den Gefräntten zu verjöhnen, und der Stellung des Seigneur de
Wassersuppe, wie Guiſchard in feinen legten Lebensjahren nad feiner havel:
ländiſchen Befigung betitelt wurde, iſt der Zwiſchenfall nur zu gute ges
fommen.
Das junge Geſchlecht vertraten des Königs Neffen, die beiden Söhne des ’
verjtorbenen Prinzen von Preußen und die Prinzen Friedrich und Wilgelm von
Braunſchweig. Die jungen Welfen zählten 1763 bei ihrem Eintritt in das preu:
Biihe Heer 23 und 18 Jahre — der ältere Bruder hatte jih 1761 durch die
Wiedereroberung von Wolfenbüttel bereits einen geadhteten Namen als Truppen:
führer gemadt. Friedrich war bei näherer Bekanntſchaft „entzückt“ von dem
Eifer, dem Wiffensdrang, der Beicheidenheit jeiner beiden Schweiterföhne, er
nannte jie die wohlerzogenften Kinder, die fich denken ließen, und widmete den
„ungen Helden” eine launige, poetiihe Epiftel über die Vorzüge der glüdlichen
„jugend vor dem freublofen Alter.
Dann und wann jah Potsdam auch Damen als Gäfte. „Ich erwarte bier
in den nächſten Tagen,“ ſchreibt Friedrih am 14. Auguft 1763, „einen ganzen
Schwarm von Neffen und Nichten; ih bin im Begriff, der Onfel von ganz
Deutihland zu werben, wie ich ehedem ein Fräulein von Sonsfeld fannte, melde
die Tante von aller Welt war. Wenn man nicht Großvater ift, fann man
doch Großonfel werden und durch fein Gefajel den Großneffen zum Kinderjpott
dienen; das ift der fünfte Aft des Stüdes, und zum Schluß wird man aus:
gepfiffen.” Bei ſolchem Verwandtenbeſuch jchwelgte dann Friedrich gern mit den
Schweitern in alten Erinnerungen aus „fait fabelhaften” Tagen — „wie bie
alten frangöfifchen Oberftlieutenants fi von ihren einftigen Waffenthaten unter:
halten“. Für das Vergnügen der jungen Nichten ließ fich freilich ſchwerer jorgen:
„Ne brauchen einen Ball, e8 fehlt uns an Damen, man wird es vielleidht ins
Intelligenzblatt einrüden müflen, daß jede mittanzen fann, die da will“.
Friedrich felbft zog fih von allem, was Feitlicfeit, Repräjentation und
Zeremonie hieß, immer mehr zurüd, anders als der „alte Baron”, der ewig —
jugendliche Pöllnitz, der noch ganz wie ehedem „in der Zeremonie lebte und
webte“. Auch der Winteraufenthalt in Berlin anläßlich des Karnevals?) wurde
immer mehr eingefchränft. Friedrich zog vor, die Nüdfehr des Frühlings zu
Fotsdam „in feinem Loch“ abzuwarten: „Wir Greife leben erft im Frühling
wieder auf und find lebendig nur im Sommer; der Winter ift gut nur für die
') Bgl. oben ©. 236. 287.
) Val. Bd. I, 545.
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19
— — —
4*
352 Achtes Bud. Erſter Abjchnitt.
beige, ftürmifhe Jugend, die fih mit Schlittenfahrten und Schneebällen ab:
fühlt.” Ab und zu beifchte ein großes Familienfeſt die Mitwirkung des Ober:
bauptes. Im Juli 1765, als die Vermählung des Thronerben mit Elifabeth
von Braunfchweig gefeiert wurde, glich der Berliner Hof nah Friedrichs Schil—
derung „einer allgemeinen Reihsverfammlung des heiligen Römijhen Reichs”:
„wir find umgeben von dreißig Prinzen und Prinzeffinnen, und im übrigen ver:
hindern mich meine Gebrefte, an allen Gelagen teilzunehmen. Ich finde mich zu
den großen Solennitäten ein und verfuhe, in den Paujen etwas Erholung zu
finden, Der alte Baron verhöhnt meine verfrüppelten Beine, er ift mit dem
Prinzen Friedrih um die Wette gelaufen: ih, der ih mich als Hinfebein hin:
fchleppe, ungefähr wie eine Schildfröte, betradhte ihren ungeftümen Lauf wie ein
Gelähmter, der fi ein Ballett anfieht.”
„Das Leben, mein lieber Darget,” fchreibt er zu Neujahr 1768 an jeinen
alten Vorleſer,) „ift eine hundsföttiſche Sade, wenn man alt wird. Entweder
muß man fi entfchließen, auf der Stelle umzukommen, oder fih Stüd für
Stüd dahinfterben zu jehen. Aber bei alledem gibt e& eine Art, glüdlich zu
fein: man muß fi ideell verjüngen, von feinem Körper abjehen und ſich bis
zum Ende bes Stüds eine innere Heiterkeit erhalten und die legten Schritte des
Pfades mit Blumen betreuen.” Zum Glüd plagte die Gicht nit immer. a,
nah dem Beſuch des Landeder Bades im Sommer 1765 wollte er ſchon glauben,
die Gicht nie gehabt zu haben; nur hatte ihm die Kur an ſich wenig behagt, und
er erklärte, fich im Wafjer „deplaciert” zu fühlen und das Element der Thales
und Buffon den Aalen, Butten, Hechten und Enten überlaffen zu wollen. Freund
Fouqué empfahl zur Erhaltung der Geſundheit das Nezept des alten Deſſauers:
Ererzieren, Manövrieren und bisweilen etwas Aerger. „Sie denken,” antwortete
Friedrih, „daß ich noch fo lebhaft wie ehedem bin, aber Sie täufhen fi, ich
habe Wafler in meinen Wein gethan“; beim Ererzieren helfe er wohl noch, aber
ohne fich aufzuregen. Vor der Front ſchien fein Körper noch die ganze Zähig—
feit und Spannkraft ber vergangenen Tage zu befigen: „zu Pferde würde man
ihn für einen Gentauren halten,“ meinte der Franzofe Guibert, als er den König
1773 bei der Parade ſah. Und in feinem Reiſewagen troßte er bei der Fahrt
über Stod und Stein oder durch den fußhohen Sand allen Unbilden jeiner
Landſtraßen.
Mit dieſen unermüdlich fortgeſetzten anſtrengenden Rundfahrten, dieſen
„tumultuariſchen“ Unterbrechungen ſeines „Klausnerlebens“, kehrten Jahr für
Jahr, meiſt zu denſelben Zeiten, für die Provinzen die Tage ſcharfer Prüfung
und genauer Abrechnung wieder. „Ich reiſe viel,“ ſagt er einmal, „und bei meinen
Reiſen erfahre ich manches.“ Die erſte Frage des Gebieters aber galt jetzt immer
den Fortſchritten feines „Retabliſſements“.
Was man in der zweiten Hälfte dieſer Regierung amtlich unter Retabliſſe—
ment verſtand, beſchränkte ſich nicht auf die unmittelbar nad dem Friedens—
ı) Bd. I, 202.
Das Netablifjement. 353
fchluffe zur Heilung der ſchwerſten Kriegsſchäden ergriffenen Maßnahmen, jon:
dern ſetzte fich in einer langen Neihe großer, auf Staatskfoften auszuführender
Kulturarbeiten fort, die aber doch nicht ins Unendliche ausgedehnt werben, jon-
dern an einem beftimmten Ziele einhalten follten: Urbarmahung und Befiedelung
von Wiüfteneien und insgemein Heranziehung von Einwanderern, Hebung ber
Bodenkultur und Vermehrung des Viehftandes, Gemeinheitsteilungen und Anlage
neuer Bauerngüter, Verbeſſerung der bäuerlichen Rechts: und Befigverhältniffe.
So erflärte er dem Minifter Derfhau 1775 für das „Retabliffementswefen“ der
Kurmarf, es fei jeine Abficht, mit den Verbefjerungen fortzufahren, „bis die ganze
Provinz in Ordnung ift und nichts mehr zu thun übrig“.
Von den Barbeftänden der Feldfriegsfaflen, der Königlihen Dispofitions-
kaſſe und des großen, für die Zwede der Kriegsführung gebildeten Zentralfonds
ift für_das Retablifjement nur ein verhältnismäßig geringer Teil _aufgewendet .
worden, alles übrige wurde Jahr jür Jahr aus den Ueberſchüſſen der laufenden .
Verwaltung beftritten. Jene Beſtände betrugen nad einer dem Sönige bei
der Rüdfehr aus dem Felde vorgelegten Abrechnung nicht weniger als 29430814
Thaler, —— u die Koſten zweier weiterer Feldzüge zu dechen. An Bürg-
f&haften für die Landesverfeibigung wurde nun aud) in erfter Linie gedacht. Für
die Ergänzung der Waffen, Uniformen und Feldausrüftung wurden 7 Mil:
lionen, für Gejhüge 250000, für das Fuhrweſen 193000 Thaler angewieſen, in
den Kriegsihag 14" Million, in die Mobilmadungstafje 700000 Thaler ge:
legt. Die bei den Ständen der einzelnen Provinzen aufgenommene Anleihe und
ein von der märkiſchen Landſchaft geborgter Vorſchuß im Betrage von insgefamt
4 Millionen in altem Golde wurden jchon im März 1763 mit 5413586 Thalern
nah dem Münzfuß von 1758 zurüdgezahlt.
Der geringe Gehalt der während des Krieges ausgeprägten Münze ver:
minderte nun allerdings den Metallmert des neu aufgefüllten Trejors jehr er:
heblih. Mehr als 6’. Million Thaler lagerten bier in Sorten jchledhtefter
Währung, d. h. in den jogenannten neuen Auguftdor, deren Gehalt nicht viel -
über ein Drittel des Nennmwertes betrug, und in den noch berüdhtigteren Bern:
burger Münzen. Zur Wiederanbahnung eines gefunden Münzmwejens, wobei
Härten und Aergerniſſe freilih unvermeidlih waren, wurde durch zwei Edikte
vom 21. April und 18. Mai 1763 angeordnet, daß für die Zeit vom nächſten
Trinitatistermin ab nur_nod das nah dem Münzfuß von 1758 geprägte Gelb,
das jogenannte brandenburgijhe Mittelgeld, als gejeglihes Zahlungsmittel
gelten jollte, jene Münze, von der 19°, Thaler auf die feine Mark Silber
famen.!) Für die Abtragung der in den verjchiedenen Abjchnitten der Kriegs:
zeit eingegangenen Zahlungsverbindlichkeiten, für die Einlöfung der einjtweilen
noh im Umlauf befindliden geringeren Münzjorten und für die Bezahlung der
nad dem alten Wert einzuziehenden Steuern und Amtspachten wurden genaue
Umrehnungsfäge befannt gegeben. Bereits aber war es die Abficht des Könige,
zu dem Münzfuße von 1750 zurüdzufehren, die Mark Silber wieder zu 14 Thalern
ausbringen zu Lafjen und die Prägung nicht durch Unternehmer, fondern auf Rechnung
1) Oben ©. 311.
Koier, König Friedrich der Große. II. 2. Aufl. 23
354 Achtes Bud. Erſter Abſchnitt.
des Staates vornehmen zu laſſen, „ohne mit Juden oder Chriſten weiter melieret
zu ſein“ — fo eröffnete er am 29. Mai 1763 feinem jetzigen Berater in Münz—
angelegenheiten, dem General Tauengien, indem er die Abficht ausſprach, zunächſt
drei Jahre hintereinander je 12 Wilionen nad be —— zu
lajien. Das _Münzedift vom 29. März 1764 hat dieſen dann wieberhergeftellt.
Außer den Millionen in den Kriegskaffen lagen beim Friedensſchluß in
ben Magazinen reihe Vorräte an Korn, Mehl und Rauhfutter für die Fort:
jegung des Krieges bereit, und das Heer hatte im legten Winter durch Werbung
und Aushebung, feine Lücken ergänzt; allein Oftpreußen hatte nah dem Abzug
. ber Ruffen 15 000 Refruten gejtellt. Die Regimenter waren wieder „vollzählig
nad dem großen Kriegsffuß“. Durch Entlaffung von 30780 Landesfindern
wurden den Provinzen die Arbeitskräfte, deren zumal der Landbau dringend be:
durfte, zurüdgegeben, und da die Huſaren 400 Mann auf das Regiment, die Küraf-
fiere und Dragoner je 150 Mann ausmufterten, da die Artillerie und der Train
ihre Gejpanne fait ganz abgaben,') jo fonnten 35000 Pferde im Lande verteilt
werden. An Roggen und Mehl wurden 25000, an Hafer 17000 Wifpel aus
-- den Magazinen geipendet. So wurde, wie Friedrich jagte, dem Volk vorerit ein-
mal Mut gemacht, wieder an die Arbeit zu gehen; denn die wirffamfte Hülfe
blieb allemal der eigene Fleiß.
Nah Pommern war ſchon im April 1762, jobald der Friede mit Rußland
und Schweden gefichert erfchien, der Geheime Finanzrat Schönberg von Brenden:
hoff geichidt worden, ein joeben aus anhaltifchen Dienften übernommener Be:
amter, deſſen Thatkraft und Findigfeit der König während des Krieges bei mehr
als einer Gelegenheit Sägen gelernt hatte. Brendenhoff jollte Vorſchläge machen,
wie Land und Leute „wieder auf die Beine zu bringen feien”. In Danzig
lagen 6000 Wifpel Roggen und 2000 Wifpel Hafer bereit, die jegt in Pommern
zur Verteilung famen; mit barem Geld wurbe ber Kommiſſar reichlicher erft
ausgeftattet, als die Friedensverhandlung zu Hubertusburg dem Abſchluß nahe
war. Bis zum Juni 1763 waren der pommerjchen Retablifjementsfaffe 1202920
Thaler zugeflofien, eine halbe Million aus dem großen Dispofitionsfonds des
Königs, das übrige aus den pommerſchen Einkünften. Ausgegeben waren ba-
mals für den Ankauf der im Lande zu verteilenden Pferde 109135 Thaler, für
Ochſen 311650, für Schafe 230367, für Brot, Getreide, Mehl und Seefrachten
240898 Thaler. 22000 erhielten die Domänenämter für Sommerjaat, 5000
der Magiftrat von Kolberg für die Herftellung feiner Vorwerke. Zu dem Reit
von 283870 Thalern wurde für das nächſte Rehnungsjahr die gefamte pom:
merſche Einnahme mit 593488 Thalern gefhlagen. Nun ging es an den Ans
fauf von Kühen; mehr ald 50000 fehlten; wenigftens der jechfte Teil jollte be:
jchafft werden, 8766 Stüd, die Kuh zu 25 Thalern gerechnet, was 220150
Thaler ergab. Nochmals wurden für Pferde 30 000, für Ochfen 50 000, für Brot:
und Saatlorn 40000 Thaler angewiefen. Die Städte erhielten als Beihülfe
200000 Thaler, die bedürftigften bäuerlihen Wirte 48065 Thaler; man rechnete
50 Thaler für den abgebrannten Hof, ausichließlich des freien Bauholzes. Zur
2) Bl. Bo. I, 550.
Das Retabliffement. 355
MWiederaufführung der Gebäude auf den Nemtern wurden 134000 Thaler aus:
geworfen; die Domänenpächter berechneten ihren Kriegsichaden an verlorenen Vieh
und Inventar und an „feindlichen Erpreſſungen“ auf 372695 Thaler; um ihnen
aufzubelfen, wurden ihnen ihre Pachtrückſtände erlaflen und ihre Kontrafte ver:
längert. In den Dörfern der Provinz lagen 1256 Häuser, Scheunen und Ställe
in Trümmern. Die bäuerlide Grundfteuer blieb einigen Kreifen bis zum 1. Sep:
tember 1763 erlaſſen, anderen auf ein oder zwei weitere PVierteljahre, den am
härtejten heimgejuchten Gegenden, dem Fürftentum Kammin, den Kolberger Ka:
piteldörfern, der Staroftei Draheim, bis zum 1. September 1764.
Auch auf die Neumark erftredten ſich Brenckenhoffs Vollmachten. Hier
waren allein auf dem platten Lande 1974 Häufer eingeäjchert; die Hauptitabt
Küftrin war dur die Beſchießung von 1758 völlig zerftört. Für den Wieder:
aufbau dieſes Plages hatte der König gleich damals 200 000 Thaler angemwiefen,
im ganzen wurden für folden Zwed 683000 ausgegeben. Frankfurt, Kottbus, j 1
Kroſſen Hatten während des Krieges zuſammen 144000 Thaler an Unterſtützung
erhalten. Auf das Netablifjement des platten Yandes wurden jegt 768149
Thaler verwendet, und neben 6342 Zugpferden kamen bier, wo ein großer Teil
der Einwohnerihaft von der Wollfpinnerei und Tucherei lebte, 68866 Schafe
zur Verteilung.
Die Kurmarf hatte 1760 nah dem Einfall der Ruſſen und Oeſterreicher
eine Unterftüßung von 400000 Thalern erhalten und außerdem hatte der König ,
der Stadt Berlin ihre Kriegsfontribution von 2 Millionen gededt und 12000 Thaler
an die Armen von Berlin, Potsdam und Charlottenburg verteilen laffen. Frei—
lih berechnete damals die Provinz ihren Schaden auf 6218896 Thaler, ein-
ichließlich des Wertes der verlorenen Tiere: fait 25000 Pferde, 17 000 Ochſen,
20 900 Kühe, 121000 Schafe, an 35 000 Schweine. Was jegt noch an Gnaden—
gaben angewiejen wurde, fam wieder nur den Bebürftigiten zu gute. Die ab-
gebrannten Bauern, Kofläten und Spinner im Kreife Lebus erhielten 22000,
ein Dugend bejonders hart betroffener Edelleute insgefamt 39000 Thaler. Zum
Ankauf von 4000 Pferden, 3053 Ochſen, 3373 Kühen wurden 379050 Thaler
beftimmt, von den Magazinjpenden entfielen auf diefe Provinz 1777 Wifpel
Roggen, 1587 Wifpel Hafer, 1289 Wifpel Gerfte. 100000 Thaler wurden an
die Kreije Ober: und Niederbarnim, Teltow, Zauche, Beeskow-Storkow, Lebus
verteilt, zu Gunften der am ärgiten gejchädigten Bauern. Doc haben die nieder:
barnimjhen Kreisftände nur die Hälfte der Summe zur Verteilung gebradt, mit
ber anderen Hälfte die Ausfälle der Kreiskaſſe gebedt, und überall war der An:
teil des Einzelnen nur gering: jo erhielten im Kreiſe Beeskow-Storkow die
Bauern, deren Bedürftigfeit überhaupt anerfannt wurde, Spenden von 3—24
Thalern.
Die Provinz Preußen war von den Rufen weit glimpfliher behandelt
worden als Pommern, die Marken und Sclefien. Betradhteten fie doch diejes
Land bereits als ihr eigenes, und jo benugte man bier flug die Gelegenheit,
der harten Behandlung Sahjens durd die Preußen ein leuchtendes Beiſpiel
entgegenzuftellen. Der Landesherr wies für die vom Feinde geräumte Provinz
aus der Einnahme des Rechnungsjahres 176253 700000 Thaler zu Ent-
356 Achtes Bud. Erfter Abſchnitt.
Ihädigungen an. Diejer Betrag wurde indes zu anderen Zweden, vor allem
für Naturallieferungen an das Feldheer und zur Bezahlung der nad) Pommern
beftimmten Getreidevorräte, fowie der den Ruſſen abzufaufenden Magazine
verwendet. So mußten die Retabliffementsgelder aus anderen Fonds flüſſig
gemacht werden, und die Abmwidelung des Entichädigungsgejchäftes zog ſich
bier jahrelang Hin.
In Schlefien waren auf dem platten Lande 3323 Häufer, 2225 Scheu:
nen, 3495 Ställe abgebrannt oder fonit in Verfall geraten, in den Städten
2917 Häufer, 399 Scheunen, 1380 Ställe. Bereits im September 1764 waren
4371 Häufer neu errichtet, 1325 im Bau begriffen; im Laufe des Jahres 1766
wurden auf den Dörfern die Erjatbauten zu Ende geführt; in den Städten
waren Ende Auguft 1766, nachdem inzwiichen 519 weitere Häufer durch große
Feuersbrünſte zerftört worden waren, noch 644 Häufer, 95 Scheunen, 829 Ställe
zu bauen. An Bferden jollen in diefer Provinz 17000 Stüd verteilt worden
fein. Als der Minifter Schlabrendorff im Mai 1764 O:berfchlefien bereifte, fand
er den ganzen Landftrih von Neiße über Neuftadt, Leobſchütz, Ratibor, Oder:
berg bis nad Pleß „in recht guten, fultivierten Umftänden”: „Die Leute haben
einen fo guten Pferde: und Viehftand wie vor dem Krieg und haben ihre Wirt:
ichaft recht gut eingerichtet, da man ihrem Fleiß das billige Lob nicht ver:
jagen Tann.“
Ein ſchleſiſcher Schriftiteller, der Pfälzer Klöber, ſchrieb 14 Jahre nad
dem Kriege, daß Schlefien unter öfterreichifcher Herrihaft die Spuren des Drei:
Bigjährigen Krieges no 100 Jahre lang getragen, von den Nachwehen des
Siebenjährigen Krieges überraſchend jchnell fi erholt habe. Und der König
jelbft hat nad feinen Reifen wiederholt feine Befriedigung über die guten Fort:
jchritte der Heilung ausgefproden. „Ich bin bier in einer Provinz,” jchreibt
er am 1. September 1766 aus Breslau an Voltaire, „wo man bie Phyſik der
Metaphyfif vorzieht. Man beftellt die Felder, man hat 8000 Häujer wieder:
aufgebaut und man zeugt alljährlih Taufende von Kindern, um die zu erjegen,
welche die Raferei der Politif und des Krieges dahingerafft hat.” „Wenn Sie
nad der Gejamtzahl der Verwüftungen wißbegierig find,“ fügt er im nädjiten
Briefe hinzu, „jo vernehmen Sie, daß ich im ganzen in Schlefien 3000 Häuſer
wieberaufgebaut habe, in Pommern und in der Neumarkt 6500, madt nad)
Newton und d’Alembert 14500.” Doch klagt er noch nad) Jahren, daß die
Wunden noch immer bluten, baß viel Werf gethan ift, aber noch fehr viel zu
thun übrig bleibt.
Großes Aufjehen erregte allerorten der foitipielige Bau bes „zweiten Sans:
fouci”, des fogenannten Neuen Palais, der nad dem ſchon im Frühjahr 1756
feftgeftellten Entwurfe unmittelbar nach dem Kriege, im Mai 1763, begonnen
wurde, Der Prinz von Preußen fagte zu dem öfterreihijhen Gejandten, das
neue Schloß werde. ‚größer als das Berliner, rt, und diefer berichtete feinem Hofe,
des Königs vorherrfchende Leidenschaft fei ohne Widerrede der Ruhm; nicht zu:
frieden mit dem im Kriege durch fein Talent und fein Glüd erworbenen, wolle
er_jegt Ludwig XIV. und Verſailles nahahmen. Die Zeitgenoffen fabelten,
daß der Bau 11 Millionen gekoftet habe und die innere Einrihtung ebenfoviel. Die
Das Retabliffement. 457
Annahme griff vielleiht um das Zehnfache zu hoch; beträchtlich aber blieben im
Gegenjag zu der jonftigen Sparjamfeit der Hofhaltung die Aufwendungen unter
allen Umjtänden; nachmweislih find in den beiden Jahren der ſtärkſten Bau:
thätigfeit je 200000 Thaler für den Bau jelbit und je 100000 Thaler für
Möbel ausgegeben worden. Friedrich hat nachmals gejagt, diefer Bau unmittel-
bar nad dem Kriege ſei eine „Sanfaronnade” gewejen. Aber er hat auch ein:
mal jeinem Minifter von der Horft erklärt, das Bauen jei ein vortreffliches Ding,
jelbft wenn die Bauten unnüß jcheinen möchten; denn jeder Künftler und jeder
Zagelöhner finde dabei Arbeit, jobald er fie verlange. Ueberſehen wir vor allem
nit, daß die gewinnbringenden Aufträge für die prunkvolle Ausftattung der
Gemäder den einheimifhen Fabriken zu gute famen und daß ohne dieſe Be:
ftelungen die Berliner und Potsdamer Lurusinduftrien, zumal die junge Seiden:
manufaltur, in jchweren Jahren eines geſchäftlichen Stillitandes und Nüdganges,
der ſich nicht auf Preußen beſchränkte, ſich kaum würde aufrecht gehalten haben.
Die wirtjhaftlihe Krifis, die jeit dem Hochſommer von 1763 auf einen
Zeil von Europa drüdte, begann mit dem Bankbruch eines der größten Häufer -
von Amfterdam, der Brüder de Neufville. Der Amſterdamer und der Ham—
burger Geldmarkt hatten mit den’ peinlihften Schwierigkeiten zu kämpfen; in
der Hanjaftadt ftellten 95 Firmen ihre Zahlungen ein. „Woher kommen alle
Refiventen; „feit ih auf der Welt bin, habe ich nichts dergleichen gehört.” Er
glaubte zunächſt, eine Kabale beftimmter faufmänniicher Kreife annehmen zu
jollen. Nur zu bald famen auch Berlin, Magdeburg und andere preußiiche Städte
an die Reihe, als der erfte in der Hauptftadt Gotzkowsky. Bon dem Könige
wegen jeiner Erfahrung und Findigkeit in Handelsangelegenheiten geſchätzt und
jeit lange vielfach verwendet, hatte diefer unternehmende Mann während bes
Krieges durch umfangreiche Lieferungen und mweitausgreifende Wechſelgeſchäfte
große Summen verdient, zugleich aber allzuviel gewagt und gemettet, als daß
er jegt in dem großen Zufammenbruch hätte beftehen fünnen. Der König mußte
fih bald überzeugen, daß das Verhängnis nicht zu wenden war; er verjuchte
dann, dem Banferotten wieder aufzubelfen; aber nah > Jahren war Gotzkowsky
abermals zahlungsunfähig.
Die allgemeine Erjhütterung der Kreditverhältniffe, im Verein mit anderen
Kalamitäten, Viehfterben und mehreren Mifernten, lähmte aljo das Geſchäft auf
Jahre hinaus; viele Berliner Kaufleute glaubten, ihre Kapitalien im Auslande
unterbringen zu müfjen. Abhülfe verſprach fi der König von der Gründung
einer Bank.
Projekte dazu waren ſchon dem erften preußiichen Könige von unter:
nehmungsluftigen Fremdlingen vorgelegt worden. Dann hatte der Münzdirektor
Graumann 1752 die Gründung unter dem Gefihtspunft empfohlen, das preu-
ßiſche Kommerzium von der Willkür und Bedrüdung der Hamburger Börfe
unabhängig zu maden. König Friedrich hatte damals den Vorſchlag als eine
der „allerinterefjanteiten” Angelegenheiten und die Gründung bereits als „be:
ichlofjene Sache” bezeichnet. Aber von anderen Projeftenmadern und der Ber:
liner Kaufmannſchaft gleihmäßig befämpft, war Graumanns Plan nicht zur
358 Achtes Bud. Erfter Abſchnitt.
Ausführung gelangt. Auch jegt ergaben fih Schwierigkeiten ohne Ende. Be:
vater des Königs war diesmal ein dunfler Ehrenmann aus ber Haffiihen Heimat
des Mechfelgefhäfts und der Finanzkünftler, Calzabigi aus Livorno. Den Deut:
jchen fehlte e& für das Bankweſen noch allzufehr an Erfahrung und an Ver:
ftändnis. Die ſtaatswiſſenſchaftliche Litteratur in der erſten Hälfte des 18. Jahr:
bunderts predigte nad) den blendenden Erfolgen der 1694 begründeten Zon:
doner Bank die Nachfolge als ficherites Mittel der Volksbeglüdung, ohne das
Problem wiffenfhaftlih zu prüfen und vom Wejen und den Borausjegungen
des Bankverkehrs eine klare Vorftellung herauszuarbeiten. Die Praktiker, die
Kaufleute, die Bankiers verbielten fich faſt durchweg ablehnend, in einem Grabe,
daß ein preußiicher Beamter endlih ungeduldig meinte, man dürfe nicht in bem
Wahn begriffen bleiben, „daß alle neuen Saden nichts taugen“. Doch teilte im
allgemeinen das Beamtentum, bei voller Unkenntnis der Aufgabe, Unluft und
Mißtrauen der Kaufmannſchaft. Der vom König zur Leitung der Bank zunädjit
in Ausficht genommene YJuftizminifter Graf Reuß äußerte entfagungsvoll, er ge:
lange zur Direftion, wie der Unfchuldige zur Ohrfeige. Wieſen die Enthufiaften
auf London, jo beriefen fi die Gegner bes Neuen auf das abſchreckende Bei:
fpiel des Lawſchen Bankſchwindels in Franfreih, auf die Mißerfolge der Banken
von Kopenhagen und Stodholm. Das von vornherein reihlih vorhandene
Mißtrauen der gewerblihen und Handelsfreife erhielt dadurch weitere Nahrung,
daß nad) Calzabigis Plan die Bank Handelsgeſchäfte veridhiedenfter Art mit mweit-
gehenden Borrechten an fich nehmen jollte. Davon wurde nun bald abgejehen,
gleichwohl aber blieben die Zeihnungen des Privatkapitals, auf die man für bie
Beihaffung des Stammvermögens gerechnet hatte, jo gut wie ganz aus.
Es blieb nichts übrig, als die Bank auf Staatskoften mit Betriebsmitteln
und Bürgichaftsftod auszuftatten. Die Verordnung vom — ——
dete unter Hinweis auf die noch nicht geheilten Wunden, die der Krieg dem
Staat geſchlagen habe, die Eroffnung einer Giro⸗ Diskonto⸗ und Leihbank in
lauf des Geldes in allen — und Handelsgejchäften das Kommerzium blühend
zu machen“. Alle Unkoſten der Errichtung und Verwaltung übernahm ber
König, erklärte aber zualeih, daß die Bank von den Staatsbehörden völlig un:
abhängig fein ſolle, daß „lediglih und allein“ er perfönlih fi vorbehalte,
„von dem Zuftand der Bank, nad) Unferem hohen Gefallen und Belieben, Wiffen:
Schaft einzuziehen“. Als [8 Grundfapital jollten der Bank 8 Millionen aus dem
Staatsſchatz dienen, doch wurden zunächſt nur 400000 Thaler eingefchoffen, ſpäter
weitere 900 000 niedergelegt.
Die Anfänge des Gejchäfts ließen ſich günftig an. Aber bie tiefe Ab:
neigung ber am meiiten beteiligten Streife war um fo weniger zu überwinden, als
die erften Leiter ſchwere Fehlgriffe, ja, wie es jcheint, Untreue ſich zu fchulden
fommen ließen. Die_Geihäfte der Bank kamen jomit nit in Fluß, und
nah einem Jahr erflärten dem Könige ber Großfanzler der Juſtiz und das
Generaldireftorium, der auswärtige Kredit jei infolge ber Banfgründung nod
mehr gejunfen, indem faft jedermann fürchte, ftatt baren Geldes zulegt Papier
zu_befommen. Unftreitig fei, daß der früher in Berlin und Breslau betriebene
Das Retablifjement. 359
ausländifche Wechjelhandel jih nach Leipzig, Braunſchweig, Frankfurt aM,
Prag gezogen habe. Ein neuer Entwurf des betriebfamen Calzabigi, der den
Miperfolg des erſten Verſuches nicht leugnen konnte, wurde von den Miniftern
zum großen Verdruß des Monarden einer Kritif unterzogen, die in den Morten
gipfelte: „Wir find vollfommen überzeugt, daß bie Feinde von Em. Königl.
Majeſtät höchſten Perfon und Haufe fih freuen würden, wenn diefer Plan pus
blizieret und zur Erefution gebracht würde.” Der König antwortete fehr un:
gnädig, aber Calzabigis Rezept, das die Bank zu einer Zmwangsanitalt für jeg:
lihen Geldumſatz in der Höhe von mehr als 150 Thalern machen wollte, wurde
preisgegeben, und ebenjo aus dem erften Statut eine Anzahl als ftörend erfannter
Vorjhriften. Dagegen erhielt jett die Bank, gleichzeitig unter ſchärfere Aufficht
geitellt, das Recht zur Ausgabe von Noten; fie gewannen fih Vertrauen und
wurden jhon Anfang 1768 in Hamburg um_ein Drittel Prozent teurer als gute
Wechſel bezahlt. Bon entjcheidender Bedeutung wurde aber erft die Verfügung
an bie Gerichte vom 18. Juli 1768, alle Mündelgelder und fonftigen Depofita,
joweit fie nicht gegen hypothekariſche Sicherheit untergebracht werden fönnten,
zinsbar bei der Banf anzulegen. Nun flofien die Gelder ihr oft allzu reichlich
zu, fie wurde lebensfähig und erfüllte vollauf ihren Zweck, durch Aufrechterhaltung
des Wechſelkurſes den Handel zu ſtützen und zu beleben, bis ſie gegen Ende des
Jahrhunderts ihren Schwerpunkt in das Depoſiten- und Hypothekengeſchäft verlegte.
Der Umſatz fteigerte fih von Jahr zu Jahr, der dem Staat zufallende Reingewinn
wuchs von den 22289 Thalern des Nechnungsjahres 1767/68 im nächſten Jahr
auf 46739 und bis 1785/86 auf 216166. Der König war ſchon nad) wenigen
„Jahren zufrieden, und voll Lobes für den Minifter Hagen, ber endlich der Bank
auf den Weg geholfen habe.
pet
Schwer lafteten auf den Städten die zur Beftreitung feindlicher Brand: ER
ihagung aufgenommenen Jnvafionsihulden. Der Regel nad} blieb ihre Tilgung
Sade ber Gemeinde. So ordnete Schlabrendorff für Schlefien an, daß bie
Bürgerfhaften die Schuld allmählig an diejenigen abzutragen hätten, „melde
ihren Kredit zu folder erpreßten Kontribution employieret“. Nur in den drin:
gendften Fällen trat der Staat dazwiſchen: Landshut erhielt 200000 Thaler,
Striegau 40000, Halle, das feinen Schaden auf 520000 Thaler berechnete,
30.000, Krofjen und Reppen in der Neumark 24000 und 6000, Minden 20000,
Bielefeld 15000. Die Stände von Halberftadt 40000, die von Hohnitein 13000.
Aber auch fonft empfingen die Städte in zahlreichen Fällen außerordentliche Zu:
wendungen, zumal für Bauzwede, jo die fchlefifhen Städte 1774 eine Summe
von 56000 Thalern und 1777 eine Anweifung auf 288 000 Thaler.
Vielleicht noch ſchwerer als die Städte litt unter den Nachwehen des Krieges :
der adeliche Grundbefig. Die Rittergüter waren tief verſchuldet; die Moratorien,
die den Beligern von Gerichts wegen auf zwei Jahre gewährt wurden, hatten,
wie Friedrih jagt, nur die Wirkung, den Kredit des „erften und glänzendften
Standes” vollends zu zerftören. Die Lage der Schuldner war um fo ſchwieriger,
als die Veräußerung von Rittergütern an Bürgerliche,) während der Kriegs:
') Dal. Bb. I, 369.
360 Achtes Bud. Erfter Abfchnitt.
läufte häufiger vorgenommen, nad dem Friedensſchluß alsbald wieder auf das
Heußerite erſchwert und fchließli ganz verboten wurde. Sollte ein allgemeiner
Zufammenbrud abgewendet werben, jo mußte der Staat eintreten.
Der König half auf zweierlei Weiſe, mit unmittelbaren Geldjpenden und
dur die Schöpfung landbwirtfchaftliher Kreditverbände. Ein jegensreiches Wert
von unendlicher Tragweite wurde eingeleitet, ald am 12. Januar 1767 der Groß:
fanzler der Juſtiz den Auftrag erhielt, die Befigverhältniffe des Adels in Pommern
und ber Neumark zu ermitteln: den Wert jedes Gutes, die Höhe feiner Schul:
den, den Ueberfchuß der im Landbuche eingetragenen Hypotheken über die Hälfte des
Wertes, eine Abſchätzung der Kriegsihäben der einzelnen Güter. In einer be:
fonderen Rubrik folten die „ganz armen und durch ben Krieg vorzüglich mit:
genommenen Ebelleute” aufgeführt werden. Schon Friedrich Wilhelm I. hatte
für Oftpreußen an die Gründung einer Landeskreditkaſſe zum Beiten des ver:
ichuldeten ländliden Grundbefiges gedacht. Wie es jcheint, folgte Friedrich II.
jeßt einer Anregung bes Berliner Kaufmanns Büring, defien „Plan zu einer all:
gemeinen Leihbank auf liegende Gründe und Häufer” darauf hinausging, daß
jedes Rittergut abgeihägt und zur Hälfte oder zu zwei Dritteln des Wertes
Darlehen aus der landichaftlihen Kaſſe zur Befriedigung der Gläubiger er-
halten jollte.
Das erfte Ergebnis wurde in Schlefien erzielt. Der Staat bezahlte bier
von den Schulden des Adels 300000 Thaler; der Gejamtbetrag der Schuld
wurde auf 25 Millionen geſchätzt, der Wert des adelichen Belites auf 60 Mil:
lionen. Der Freiherr von Garmer,!) ſoeben zum Chefpräfidenten ſämtlicher
jchlefifcher Oberamtsregierungen ernannt, wollte dem Notitand durch Begründung
einer ſchleſiſchen „Sejelihaft zur Beförderung der Landesöfonomie, des Handels
und der Fabriken“ fteuern, aber nah Rüdipradhe mit dem Könige wurde der Plan
auf eine Organijation des Großgrundbefiges eingeſchränkt. armer hat erzählt,
wie der König in einer erften Audienz mit feinem Worte eine eigene Meinung
ausgeſprochen, ihn lediglich befragt habe: über Pfandrecht, Hypothekenweſen und
verwandte Rechtsgegenftände. In der zweiten Audienz feien die Rollen gleichjam
vertaujcht geweien, und ber König babe mit voller Sachkunde und Beitimmtheit
die Grundfäge der zu errichtenden Pfandbriefanftalt aufgeftellt. Gerade den
Schlefiern war eine derartige Einrihtung nicht neu; denn in den Fürſtentümern
Schweidnig und Jauer hatte man ehedem die „ledernen Briefe“ gefannt, Per:
gamentverjchreibungen, die, über den halben Kaufpreis eines Landgutes ausgeitellt,
im Handel mit Grund und Boden fi großer Beliebtheit erfreut hatten. Cine
Flugſchrift „Gedanken eines Patrioten über den Entwurf zur Wiederherſtellung
des allgemeinen Kredits des jchlefifchen Adels“, die Arbeit des 23jährigen Re:
ferendars Suarez, befämpfte mit Geſchick die Einwände „eigennüßiger, unpatrio:
tiſcher Wucherer und Makler”. Ein allgemeiner Landtag des fchlefiichen Adels
im Sommer 1770 machte fih den Entwurf zu eigen: der Adel als Genofjen-
Ihaft handelte die erforderlihen Gelder gegen Piandbriefe auf feinen Kredit,
jegte den Gläubigern fein gejamtes Vermögen zum Unterpfande und erhielt
1) 8b. I, 341.
Das Retabliffement. 361
feine Rüdfiherung durch die befondere Verpfändung derjenigen Güter, auf welche
die Darlehen gejucht worden waren, nahm aber Hypotheken nur bis zum halben
Tarwert des Gutes an. Die Heineren Pfandbriefe follten jederzeit, die größeren
auf halbjährige Kündigung einlösbar fein. Um die unauffhiebbaren Zahlungen
zu fihern, überwies der Staat der fchlefiichen Landihaft ein Kapital von 200000
Thalern gegen zwei Prozent Zinfen. In Anlehnung an die neue Schöpfung
nahm nun auch Garmers „Patriotifhe Geſellſchaft“ Geftalt an.
Sechs Jahre nah der Begründung der jchlefiihen Landſchaft empfing der
König in Potsdam am 18. Januar 1776 vier Bertreter der furmärfiichen
Stände. Er mies fie auf das Vorbild der Nachbarprovinz hin: „Das müſſen
Sie imitieren, e8 gehet exzellent.” Er wollte den Einwand nicht gelten laſſen,
daß eine ganze Provinz ruiniert werden könne, etwa wie im Dreißigjährigen
Kriege, und daß dann bei der folidariihen Haftpflicht der Landſchaft jeder ein:
zelne Befiger dem Unglück mitverfallen jei: „Darauf müſſen Sie gar nicht re
Heftieren, das ift nur lächerlih; denn wenn der Himmel einfällt, jo find alle
Vögel gefangen, und wenn der jüngite Tag fommt, fo machen wir alle Banferott.
Und wenn aud) eine Provinz ruiniert würde, jo muß alsdann der Herr zutreten,
denn diefer und die Stände machen nur eins aus.” Die „Krebitfozietät” für
die Kur: und Neumark ift dann im folgenden Jahre, vom Staate wieder mit
einem Stammlapital von 200000 Thalern ausgeftattet, auf der Grundlage zu
ftande gekommen, daß bier nur die Befiger der mit Pfandbriefen belafteten Güter
als Teilnehmer beitraten und nad Ablöſung der Briefe jederzeit ausjcheiden
konnten, eine Abweichung von dem jhlefiihen Mufter, die Carmer als „verun:
glüdt” betrachten wollte.
Inzwiſchen hatte in der Neumark und in Pommern die Ritterfhaft jehr
anſehnliche Unterftügungen vom Staate erhalten: die neumärkiſche zur Schulden:
tilgung ein unverzinslihes Gnabengefhent von 154000 Thalern, und zu
Meliorationszweden weitere 100000 Thaler, deren zmweiprozentige Zinjen in der
Höhe von 2000 Thalern zur Unterflügung armer adeliher Witwen dienen
jollten; die pommerjche zu denjelben Zweden 381000 Thaler zinsfrei und über
eine halbe Million gegen zwei Prozent Zinfen. Summen, die fi in ben legten
Negierungsjahren noch um eine ganze Million für Bommern und faft eine halbe
für die Neumark erhöhten. Als dann die Pommern aus eigenem Antrieb um
eine Kreditanftalt baten, fam ihnen der König bereitwillig entgegen und erflärte
ihren Vertrauensmännern mit warmen Worten: „ch will Ihnen gerne helfen,
denn ich liebe die Pommern wie meine Brüder, und man fann fie nicht mehr
lieben, als ich fie liebe; denn fie find brave Leute, die mir jederzeit in Ver:
teidigung bes Vaterlandes, ſowohl im Felde als zu Haufe, mit Gut und Blut,
beigeitanden haben, und ich müßte fein Menſch fein oder fein menfchliches Herz
haben, wenn ih Ahnen bei diefer Gelegenheit nicht meine Dankbarkeit bezeigen
wollte.” So erhielt auch Pommern 1780 fein Kreditwerk. Die anderen Pro:
vinzen folgten vorerit noch nicht, aber für den ganzen Staat wurde am
20. Dezember 1783 die allgemeine Hypothefenordnung erlafen, die in anderen
deutichen Territorien lebhafte Beahtung und vielfahe Nachfolge fand.
Die beiden uns überlieferten Anſprachen an die märfifhen und die pom—
362 Achtes Bud. Erfter Abichnitt.
merfchen Abgeordneten kennzeichnen Friedrichs perjönliches Verhältnis zu feinem
Adel. Wir erinnern uns der Zeugniffe, die das politifche Teftament von 1752
den Edelleuten der einzelnen Provinzen ausgeftellt hatte.) Als Frievrih 1768
diefes Teftament umarbeitete, hat er feine Urteile bier und da etwas umge-
prägt und die Charafteriftif diesmal aud auf die breite Mafje der Bevölkerung
ausgedehnt. Nach wie vor erhalten die Bewohner und injonderheit die Ebel:
leute des Herzogtums Kleve die fchlechtefte Note: es find diejenigen Untertbanen,
von denen man fih am wenigiten Vorteil verſprechen kann. Aud die geringe
Meinung des Königs von den Brandenburgern ijt unverändert geblieben: der
Adel gilt ihm als verſchwenderiſch und leichtfinnig, es gibt nur wenige, die man
mit Erfolg gebrauden kann; das Volk ift auf jeine Meinung verjejlen, ge-
ichworener Feind alles Neuen, fie verabjcheuen jogar die Fremden, find aber
nicht bösartig. Das günftige Urteil über die pommerſchen Edelleute erhält eine
Einſchränkung: fie würden nicht ohne Geift fein, wenn fie mehr Bildung hätten;
der gemeine Mann ift argwöhniſch und eigenfinnig, ſelbſtſüchtig, aber nicht
graufam oder blutdürftig, vielmehr gutmütig. Man bedarf alfo keiner Strenge,
um fie zu regieren, fie geben gute Dffiziere und vortreffliche Soldaten ab. Die
Magdeburger und Halberftädter zeichnen fi) gegen die benachbarten Märker
durch feineren Schliff aus; felbft der gemeine Mann zeigt Ehrgefühl; die edle
Bereitwilligkeit wirb gerühmt, mit ber die Magdeburger während bes Krieges
ben von den Rufen ausgeplünderten Pommern 10000 Thaler geihidt — ein
Seitenftüd zu der Opferfreubigfeit, mit der die Provinzen Magdeburg und
Halberftabt auf die Anregung des Kammerpräfidenten Blumenthal dem König
nah der Schlacht bei Kolin 4000 Pferde geitellt hatten, um ben Reiterregi:
mentern ihren Berluft zu erfegen. Gleiches Lob wird der Gefinnung der Be:
wohner von Minden und Navensberg geipendet: „Während des lekten Krieges
haben fich die Bauern freiwillig gemeldet, um für das Vaterland zu fämpfen;?)
was haben die alten Römer jchöneres gethan?“ Hier ift „das befte Wolf der
Welt”, Hug, arbeitfam, gewerbsthätig und treu. In Schleſien unterjcheidet der
König. Die Niederjchlefier erhalten kein unvorteilhaftes Zeugnis: fie wiſſen ſich
zu benehmen, jelbft der Bauer; der Adel befigt Geift, und wenn man jeine
Oberflächlichkeit befämpft, kann man in Heer und Verwaltung vortrefflihe Dienfte
von ihm erwarten. Auf Oberjchlefien aber ift wenig zu rechnen: die Grafen
meift mit Defterreihern verwandt, zum Teil in Mähren und Böhmen begütert;
der gemeine Mann jtodfatholiih, jchaudert vor dem Worte Ketzer und wird
durch feine Priefter und durch feine religiöfe Voreingenommenheit an das Haus
Deiterreich gefefjelt — wie denn das gefamte „Mönchsgezücht“ und die Breslauer
Domberren während des Krieges ihre wahre Gefinnung offenbart hätten. °)
Den Dftpreußen zürnte ber König, jeit er fie bei Zorndborf hatte fliehen
jehen. Er machte in dem Teftament dem Adel den Vorwurf, daß er während
der fünf Fahre der ruffiihen Einlagerung mehr ruſſiſch als preußiih gefinnt
'!) 3b. I, 368.
?) Oben ©. 286.
®) Oben ©. 160. 161. 236. Bd. I, 391. 407 ff. 413. 414.
Das Retabliffement. 363
gewejen fei, aber er erflärt zugleih, daß er alles vergejlien habe, nachdem er
fie ihr Unrecht und feine Unzufrievenheit habe fühlen lafjen. Unverfennbar
haben fih Spuren diefer Unzufriedenheit doch auch jpäter gezeigt, und eine ge:
wiſſe Abneigung der oſtpreußiſchen Junker gegen den Dffiziersbienft, auf die er
mehrfach ftieß, gab immer erneuten Anlaß zum Tadel. Noch 1781 erwiberte
er auf eine Eingabe der Nitterfhaft von Samland, Nautangen und Oberland:
fie mödten ſich „hübſch daran zurüderinnern, wie fie fih im Kriege 1756 be:
tragen haben“; fie hätten Feine Liebe zum Vaterlande und fönnten mithin nicht
verlangen, daß der König Liebe für fie haben follte. Indes war es fein leeres
Mort, wenn er in feinen Denkwürdigkeiten jchrieb, er habe nicht gewollt, daß
diefe Provinz den anderen nachſtehen ſolle. Spenden aus dem Staatsjädel hat
er mit freigebiger Hand aud ihr zufließen laſſen.
Die Höhe der den einzelnen Provinzen zu teil gewordenen Beträge und
ihre Gejamtziffer laſſen fih rehnungsmäßig nicht mehr feitftelen. Der König
nennt zum Schluß jeiner Gefhichte des Siebenjährigen Krieges, die er Anfang
März 1764 vollendete, die Summe von 6 Millionen Thalern bar, von denen
drei auf Sclefien, 1400000 auf die Neumark und Pommern, 700 000 auf die
Kurmark, 100000 auf Kleve, 800000 auf Preußen entfallen jeien. Offenbar
find in dieſen Poiten einzelne Titel enthalten, die teild jchon während bes
Krieges ausgezahlt, teils aber, wie die Gelder für Oftpreußen, vorerft nur an-
gewiejen waren. Zehn Jahre jpäter, in feinen Denfwürdigfeiten über die Periode
nad dem Hubertusburger Frieden, beziffert der König den Gejamtbetrag der
Spenden auf 20389000 Thaler, und diesmal find darunter aud Ausgaben ver:
ftanden, die nicht für die Heilung der Kriegsfchäden unmittelbar, ſondern für
das Retablifjement im weiteren Sinne geleiftet worben waren. Im Jahre 1768
berechnete er die Summe, die jährlich für „Meliorationen und Fortifikationen“
verfügbar bliebe, auf 1400000 Thaler, d,_h. ungefähr den zehnten Teil_der
damaligen Staatseinnahme; im Laufe des nächſten Jahrzehnts ftieg der fo
verfügbare Betrag auf 3700000 Thaler; im Jahre 1774, aus dem ein eigen:
händiger Voranſchlag des Königs vorliegt, find für Kulturzwede aus dieſem
Dispofitionsfonds 1976000 Thaler angewiejen worden, für militärifhe Aus:
gaben 1040000, für die Subfidienzahlung an Rußland ') 480000. Nach den
Berechnungen, die der Minifter Hergberg für Friedrichs legte Negierungsjahre
auf Grund eines heute nicht mehr erhaltenen Materials angeftellt bat, betrug
die Ausgabe des Dispofitionsfonds zur Förderung der LZandeswohlfahrt 1782/83
2118000 Thaler, im folgenden Jahre 2070000, in den beiden legten 2236156
und 2900000; wie denn Herkberg in feiner Feſtrede vor der Afademie der
Wiſſenſchaften am 25. Januar 1785 die Gefamtfumme der jeit 1763 gewährten
außerordentlihen Unterftügungen auf mehr als 40 Millionen annahm.
Der König konnte freigebiger jpenden in dem Maße, als die allgemeine ha
Finanzlage des Staates, wie wir es noch verfolgen werden, ſich günftiger ge mar ms:
ftaltete. „Ich laſſe eine oder anderthalb Millionen mehr im Trefor oder nicht, \
(ms iſt gle ichviel, und beſſer, wenn ich noch bei meinem Leben Gutes damit
ı) Oben ©. 340.
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in Pomarzmnt;
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364 Achtes Bud. Erfter Abfchnitt.
ftifte” — fo erklärte er jener Abordnung der pommerfchen Nitterfchaft. Jeder
Provinz maß er alljährlih den Betrag zu, den fie im Ertraordinarium er:
balten jollte, dem war dann der Umfang ber auszuführenden Arbeiten anzu—
paflen. Erft ſeit dem Anfang der achtziger Jahre wurden jolde Meliorations-
pläne, Jahresvoranjhläge auch für das Fabrifwejen ausgearbeitet, deſſen Förde—
rung im übrigen als eine Aufgabe für fi, außerhalb des Retablifjements,
betrachtet wurde.
Ein allgemeiner Grundjag war, die vorausfichtlich einträglichiten Meliorationen
\ zuerft vorzunehmen: „mo aber der wenigfte Vorteil babei herausfommt, das laſſen
wir alles bis zulegt”. Deshalb wurde in allen Provinzen mit der ein jchnelles Er:
gebnis verjpredhenden Verbeflerung der Wiefenwirtichaft der Anfang gemadt. Ein
‘anderer Grundfag: die verfügbaren Mittel jollten nicht in zu kleine Beträge zer:
‚fplittert werden: „Wir müflen uns in acht nehmen, da wir vielen Menjchen
helfen wollen, e& nicht geichehe, daß wir feinen helfen.”
Wenn der König im Juni, zu Beginn des Etatsjahres, ſeine höchſten Ver—
waltungsbeamten zur Beratung und Abrechnung, zur „Minifterrenue”, ver:
jammelte, jo wurden regelmäßig auch die Retablifjementsfragen erörtert, alte
Wuünſche in Erinnerung gebradt, neue Aufgaben bezeihnet. Dann pflegten zur
Weihnachtszeit die inzwifchen ausgearbeiteten Pläne vorgelegt und geprüft zu
, werben, mündlich mußten die einzelnen Minijter des Generaldireftoriums, bis:
weilen aud der aus Breslau herbeigerufene fchlefiihe Provinzialminifter, ihre
Anſchläge erläutern, und um die Entwürfe deito eingehender mit ihnen beſprechen
zu können, eröffnete ihnen der König Ende 1775, daß er fie fünftig nicht alle
auf einmal, jondern je zwei und zwei empfangen werbe. Oder er lub fidh die
Minifter zur Tafel und unterhielt fie während und nah der Mahlzeit über
wirtichaftliche Gegenftände und Aufgaben aler Art, jo daf fie wohl das Merk:
würdigfte von dieſen Tiſchgeſprächen nachher eilig zu Protofoll nahmen, „um
die Königlichen Abfichten nicht zu verfehlen, vielmehr darnah ein und anderes
Notwendiges allenfalls zu verfügen“.
In dem damaligen Regierungsiyitem lag es, daß von dem großen Werk
des Auf: und Ausbaues erhebliche Teile nicht der oberiten Verwaltungsbehörde
zugewiejen, fondern durch bejondere Aufträge an Vertrauensperjonen erledigt
wurden. Der unermüdliche Wohlthäter Pommerns und der Neumark, Brenden-
hoff, war weder Minifter noch Kammerpräfident; als Geheimer Finanzrat und
“ vortragender Rat im Generalbireftorium, ging er mit außerordentlihen Voll—
machten in die feiner Fürforge und Thatkraft anvertrauten Provinzen und
bildete dort eine Macht für fih, in den midtigiten Dingen nur dem Könige
zur Rechenſchaft verpflichtet, nur an des Königs Befehle gebunden. Nah Brenden:
hoffs Tode jegte ein Geheimer Finanzrat Schüg in ähnliher Ausnahmeftellung
das Werf fort. Auch die Kammerpräfidenten untermwies der König in Meliora:
tionsangelegenheiten mit Vorliebe unmittelbar aus dem Kabinett. Und fuhr er
durch die Lande, jo war es ihm gerade recht, wenn er, unerwartet eingetroffen,
bei den neuen Anlagen gelegentlih nit die Spitzen der Behörden antraf,
jondern etwa, wie am 13. Juli 1775 im Holmer Bruch, nur einen biederen
Grabenmwärter, aus dem fich allerlei Lehrreiches herausfragen ließ und der fich
Das Retablifiement. 369
dann für jeine Wiſſenſchaft und Auskunft duch ein Geſchenk von 7 Thalern zu
neuen Waflerftiefeln belohnt jah.
Wenigftens ein Paar von den eigenhändigen franzöfifhen Notizblättern ’r 2 >
\ haben fi erhalten, auf denen Friedrich während oder nad der Neife zu ver: Ki Ad
merfen pflegte, was es zu verbeijern oder neu zu jchaffen gab. Anläßlich feines haarı - md
Beſuches in Schlefien im Herbft 1780 zeichnet er 14 Punkte auf, ſorgſam mit .-, 14 —E
fortlaufender Zählung verſehen: „Auf den Gütern des Grafen Wallis ver: „, I, ses:
) faufen fie ihren Flachs nah Böhmen; warum jpinnt und verarbeitet man ihn
nicht in der Grafihaft Glatz? — Die Stadt Striegau beflagt fi, daß fie feine
Manufakturen und nichts, was fie bereichert, hat; ich jehe nicht, wie ihr zu helfen
it, wofern man nicht irgend eine neue Manufaktur dort anjegen fann, irgend
eine Zubereitung von Bitriol oder ähnliche Dinge. — Den Städten Schweidnig
und Neiße fehlt es noch vielfah an Ziegeldähern, Notabene, woran man zu
denken haben wird. — Der Nıntmann des Grafen Wallis hat mir gejagt, dab
' fie eine Kolonie von 30 Familien anjegen fünnen; prüfen, ob bas geht, und
| wie es zu maden. — Notabene, für den Katafter von Glag muß man einen
Unterſchied maden zwijhen den guten und ehrenmwerten Edelleuten und den
Fremden. — Wenn im Glatziſchen ein Bauer oder Bauernjohn ausmwanbert,
werde jein Gut fequeitriert. — Klagen der Schmiedeberger, die behaupten, daß
die Kaufleute fie erbrüden; die Sache prüfen und mir einen Bericht erftatten. —
Von einigen Edelleuten, die noch Koloniften im Gebirge anjegen wollen. —
Dan könnte mehr Schafe im Glagifhen halten, wenn man fie in den Wäldern,
die auf den Bergen find, meiden ließe; aber die Frage, ob ihre Wolle gut iſt
ober nicht; mindeftens wäre das eine Hülfe für den armen Landmann, der von
der Schafmilch ſich nähren fünnte. — Ich gebe 1000 Thaler für jeden der beiden
Eoelleute, Arnold und den anderen, deſſen Namen ich vergellen habe, bie
zwiſchen Kroffen und Glogau durch die Ueberſchwemmung ber Oder gelitten
| haben. — Noch etwas Geld für Neuftädtel, für die Vorſtädte. — Dienftregle:
ment jür Oberjchlefien jenjeits der Oder. — Ob man mehr kleines Geld nad
Polen einführen fönnte oder nit. — Der neue Weg für die Porzellanerbe,
Pfau — ein Ingenieuroffizier — hat die Zeichnung.” Zum Schluß folgen
einige Vermerke über anzumweijende Gelber.
Wenn jo der Aufmerkjamfeit des Gebieters nichts zu gering erſchien, jo
hatte der jchlefiiche Provinzialminifter vollen Anlaß, jeine Veranftaltungen zu
treffen, daß alles und jedes, was der König bei einer Fahrt durch Schlefien ge:
äußert hatte, ihm ſofort getreulich berichtet wurde.
Am dringenditen nötigten verheerende Naturereignifle, Feuersbrünite und: —** gr a
Ueberihwenmungen, immer von neuem den Staat zu außerordentlicher Hülfe-
leiftung. „Es ſchien“, jchreibt Friedrih im Jahre 1773 in feinen Memoiren,
„ale ob das Unglüd, das die Preußen verfolgte, fih noch nicht erfchöpft
hatte“; er zählt die Städte auf, die bald nach dem Kriege, Königsberg fogar
zweimal, durch ſchweren Brandſchaden heimgejucht wurden. Von den 130 Städten
und Marktfleden Schlefiens pflegten durhfchnittlih in jedem Jahre zwei ganz
oder teilweiſe abzubrennen. Die größte Hochwaſſernot brachte das Frühjahr 7% .b:
1785 im Flußgebiet der Oder, Spree und Elbe; der König gab damals für die
— —
3606 Achtes Buch. Erfter Abichnitt.
Marken und das Herzogtum Magdeburg 655 000 Thaler, für Schlefien 100 000,
'» alſo dreiviertel Millionen, etwa den breißigiten Teil der Jahreseinnahme des
a make en Staates. Der Schaden der Schlejier war auf 150000 Thaler abgejchägt
worden; wenn ihn nun der König zu zwei Dritteln gebedt hatte und gleihwohl noch
Klagen aus diefer Provinz an ihn famen, jo durfte er mit Recht die Frage
aufwerfen: „Welcher Zandesherr in der Welt wird das thun? Damit follten
fie alfo doch wohl zufrieden jein.”
r In Zeiten des Mißwachſes wurde, wie es gleih nach dem Friedensſchluſſe
I Aarıtsb:geichehen war, Saat und Brotkorn unentgeltlich an Hülfsbedürftige überwieſen,
und der König war jehr entrüjtet, als die Kurmärkiſche Kammer einige Jahre
nad der Teuerung von 1772 die Bauern zur Erftattung des Gelbbetrages ver:
anlafien wollte: „Wie könnt Ihr der Kammer das zugeben?“ fragte er den
vorgejegten Minifter, „und wie fann dieſe ſich unterjtehen, wenn ich den armen
Unterthanen einmal was geſchenket habe, ihnen nachher jolches wieder abzunehmen ?
Das ift ganz unverantwortlich und ganz und gar gegen meine landespäterliche
Gefinnung.”
Für die fortdauernden Arbeiten wurde am 21. Dftober 1774, zunächſt
f für die Kurmark, ein zufammenfaffender Plan aufgeftelt. Die Vorfchrift lautete:
ns die kleineren Flüffe, zu beſſerer Kultur der anliegenden Wieſen und Aeder, in
Kanäle zerlegen und zum Zeil ſchiffbar machen, die größeren mit Bewallungen
einfaffen; die noch vorhandenen Brüche und ber Ueberſchwemmung ausgejegten
Niederungen durch Gräben urbar oder nugbarer maden; auf das jo gewonnene
Land Bübner anfegen, zur Vermehrung der Zahl der Tagelöhner und Hand»
arbeiter.
Auf den Rittergütern wurden die Meliorationen, die der Staat veranlafte
und mit feinen Geldvorſchüſſen beftritt, auch unter der Auffiht von Staate-
beamten ausgeführt. Wer als fiher galt, erhielt beim Beginn der Arbeiten einen
Teil der ausgefegten Gelder, den Reſt beim Abſchluß; anderenfalls erfolgten
alle Zahlungen nicht durch den Gutsbefiger, jondern durch die Kammer.
| kalt Für das Netabliffement der furmärkijhen Städte wurde in einem Ent»
Hr wurf vom 29. Januar 1770 die Wiederbebauung der „wülten Stellen” in Aus»
as ficht genommen. Solder Bauftellen wurden in der Kurmark nad einer Tabelle
a gi‘ vom 18. Dftober 1770 nicht weniger ala 447 ermittelt, die zum Teil noch feit dem
Dreißigjährigen Kriege ungenugt balagen, die meiften, 200 an der Zahl, in
Stendal, wo damals ganz neue Straßen entitanden. Wohl ergab fih, daß
über 100 von diejen 447 Stellen zur Bebauung fich nicht eigneten; immerhin
waren bis Ende 1775 in Ausführung des Planes 276 Häufer errichtet und
mit 487 Familien bejegt, darunter 40 Häufer für die jogenannten Kreisgärtner,
"raus f ar Amerdie, zumeift aus Süddeutſchland berufen, in den einzelnen Kreifen der Kurmark
“ die Lehrmeifter der Gartenkunſt werben jollten. Zur Hebung des ſtädtiſchen
Aderbaues verfügte der König, daß in ſämtlichen Aderftäbten bei der Wahl des
Magiftrats darauf Bedacht zu nehmen fei, allzeit wenigitens einen „tüchtigen
Delonomieverftändigen” in ber Stabtverwaltung zu haben. Gern hätte ber
König den ftäbtiichen Handwerkern die Landwirtſchaft gänzlich unterjagt, da fie
davon nichts verftünden und ihre Lehrlinge nicht auf dem Felde, jondern in der
Ih ume —
Das Netabliffement. 367
Werkitatt zu bejchäftigen hätten. Ein dahin zielendes Edikt vom 25. Auguft I
1763 wurde am 19. September 1765 dur ben Befehl verfhärft, daß die,
„Profeſſioniſten“ die in ihrem Beſitz befindlichen Weder verkaufen ober ver: =; nn ze
pachten follten. Nun aber erflärten in den Ffleineren Städten zahlreiche Hand:
werfer, daß fie allein von ihrer Profeifion nicht leben fönnten, und die Kammern
fahen ſich deshalb genötigt, es mit der Ausführung des Edikts nicht allzu genau
zu nehmen.
Zur Verfiherung gegen die verheerenden Fenersbrünfte wurden nach den unrcı/-
Vorgang bes Feuerjogietätsvereins für die jchlefiihen Stäbte von 1748 und der <,_ lm :
turmarkiſchen Generallandfeuerjozietät von 1765 überall Verbände auf Gegen:
jeitigfeit geftiftet. Feuerlöfhorbnungen erhielten die einzelnen Städte nad dem
Mufter der Berliner. Wo Truppen in der Stadt lagen, hatte ber Komman—
beur die Leitung der Löfchanftalten; jür die jchlefifhen Städte ohne Garnifon
betellte der König bejondere Beamte, die im Nange unmittelbar hinter dem
Bürgermeifter ftehen, den vom Könige jelber gewählten Titel Feuerbürgermeifter
führen und die Stadt „Ichlechterdings” niemals verlajjen follten. Wo ber
König dur die Städte fährt, fällt fein Blick jofort auf die baufälligen und
feuergefährlihen Häufer. „Zu Neiße”, jchreibt er 1780 dem ſchleſiſchen Pro:
vinzialminifter, „find noch 14 Häufer, die jehr jchlecht find, dem General von
Rothkirch habe ich fie gezeigt.“ Zu Landshut bemerkt er das Jahr darauf einige
ichlehte baufälige Häufer glei am Thore, von lauter Holz: „wenn da mal
Feuer ausfommt, jo ift fein Retten”. Zr
Ihre glänzenditen Erfolge erzielte die Meliorationsarbeit des Staates im Ira «m — —
Kampfe mit Sumpf und Moor. Brenckenhoffs Urbarmachung des neumärkiſchen fr:
Nege: und Warthebruches von Driefen und Friedeberg über Zantoch und Lande:
berg bis nah Sonnenburg, die Ausführung eines vorlängft von dem Könige
geplanten Werkes,) das glänzende Seitenftüd zu der Trodenlegung der
Oderbrüche, wurde das Vorbild für andere größere Unternehmungen dieſer Art.
Hierher reiften zu ihrer Belehrung die Beamten aus anderen Provinzen, wie der
jchlefiihe Provinzialminifter, dem der König nad einem Beſuche ſchrieb: „Ihr
werdet dajelbft jehr viele gute und nüglihe Sachen gejehen haben”. Auf einem
Gebiet von mehreren Duadratmeilen, wo bisher nur Raubzeug und Schlangen:
brut gehauft und feine andere Nugung ftattgefunden hatte, als daß man bei
ſtrengem Froft das Gefträucd zur Feuerung abholzte, wurden Feldmarfen aus:
gemeſſen, und Dorf reihte fih an Dorf. Ende 1775 war an ber Nee, wie der
König anerkannte, wenig, mehr zu thun, und Brendenhoff erhielt den Befehl,
nunmehr aud in Pommern „alles in guten Stand und Ordnung zu bringen”.
Schon in den vorangegangenen Jahren waren hier am Madüefee, dem „pommer:
ſchen Meere”, über 14000 Morgen dem Wafler abgewonnen und die Brühe auf
der Injel Uſedom trodengelegt worden. An der Plöne und der Ihna, am
Lebaſee und bei Kammin wurden die. Entwäfjerungsarbeiten fortgejett. Noch
heute heißt dem Bolfe in Pommern ein Abzugsgraben mit Vorliebe Brenden-
hoffskanal.
) Vgl. Bd. I, 376. 627.
368 Achtes Bud. Erſter Abſchnitt.
So oft der König von Potsdam nach Berlin fuhr, verdroß ihn das
ſumpfige, mit Gebüſch beſtandene Hopfenbruch, das ſich zur Linken der Land—
ſtraße von Schöneberg und dem Botaniſchen Garten bis nach Charlottenburg
erſtreckte. Bei der „Miniſterrevue“ von 1774 brachte er den vernachläſſigten
Zuſtand dieſes Geländes zur Sprache: trocken gelegt, mit Gräben durchzogen,
werde es den Eigentümern weit größeren Ertrag bieten, als jetzt durch Holz:
nugung und Viehweide. Nun aber famen die Schöneberger Bauern mit gar
tläglihen Vorftellungen, daß fie in ihrer Armifeligkeit die Koften der Urbar—
madhung nicht erfchwingen könnten. Der König ließ deshalb die erforder:
lichen Arbeiten für 6038 Thaler und 4 Groſchen von Staats wegen ausführen.
Zuwiſchen Mittenwalde und Saarmund an der Notte und Nuthe, an der Havel
zwiichen Werber und Brandenburg, am Rhyn und an der Doffe, auf der Wiſche
bei Stendal, an der Biefe und Milde in der Altmark, in Fienerbruch bei Ziejar,
überall wurden hier Wiefen und Weiden, dort Aeder und Anfiedelungen aus
dem Sumpfe hervorgezaubert, wo bis dahin weber Menſch noch Bieh Hatte
den Fuß jegen können. Die unter den Augen der Königs entitandenen Anlagen
in den Havelniederungen erwiefen ſich in der Folge als folider, als die anfäng-
(ih jo gepriefenen Brendenhoffihen Schöpfungen im Warthebrud. Seit 1776
war man in der Altmark mit der Austrodnung des Drömling beſchäftigt, diejes
6 Meilen langen, 3 Meilen breiten toten Waldmoors. Gern hätte man die
benahbarten Staaten, Braunfchweig und Hannover, zur Beteiligung an dem
großen Werfe herangezogen; aber Friedrich überzeugte fih bald, daß daran
„nicht zu denken” ſei. Preußen mußte allein vorgehen. Hier wurden binnen
wenigen Jahren durch angeftrengte Arbeit 90000 Morgen für eine ergiebige
Wieſen- und Waldwirtfhaft und für neue Anweſen gewonnen, und im Jahr:
zehnt nad Friedrichs Tode hat ſich diefes urbar gemachte Gebiet bis auf 176000
Morgen vermehrt.
Für Oftfriesland wurde 1765 die Anlage von Moorkolonien gefordert,
für das Herzogtum Kleve 1774 die Urbarmadung „der vielen noch vorhandenen
wüften und Haidengründe” angeordnet. In den Graffhaften Tedlenburg und
Lingen wurden die bis dahin unangebauten Grenzftrihe mit Anfiedlern bejegt.
Für Dftpreußen und Litauen wurden 1777 Erhebungen über die noch unge:
nügten Bruchländereien veranlaft. Große Flähen an Unland und Urwald
wurden bier der Kultur näher gerüdt, als man von 1764—1766 zur Ber:
bindung der majurifchen Seeen mit dem Pregel die große Waſſerſtraße aus-
baute, die von Fohannisburg und dem Niederjee in einer langen Kette von
Kanälen und Seeen bis zur Angerap führte, zunächſt für die Zwecke ber Holz-
flößerei, weiter aber in der Abficht angelegt, den polnifchen Handel auf diefem
neuen Sciffahrtswege nad Königsberg zu ziehen und von ber Weichjel abzu—
lenken.
Zur Siedelung ohne vorangehende Urbarmadung hatte der Staat auf
ſeinem reichen Domanialbefig weiten Spielraum. Die meiften Wemter umfaßten
neben dem Haupthofe mehrere Vorwerke. Man machte jetzt Ernft mit dem,
was vor dem Kriege nur in vereinzelten Fällen gefchehen war, indem man zahl:
reihe Vorwerke, vorzugsmweife die Hleineren und vom Haupthofe entlegenen, in
Das Netablifiement 369
——
Bauerngüter zerſchlug und in Erbpacht austhat und ſo aus dem Vorwerk ein / |
Dorf ſchuf. Daf; der finanzielle Ertrag dabei Heiner und weniger fiher wurde, un
beirrte den König nicht. Er rechnete, daß mandes alte Vorwerk nicht mehr ale —' 7 ——
ſechs Leute beſchäftigt habe — außer den zum Frondienſt verpflichteten Bauern
aus den anliegenden Ortſchaften — daß die neue Anſiedelung dagegen mindeſtens
25—30 Einwohner vereinige. Er gibt an, daß bis 1779 mehr als 150 Vor:
werfe in Bauerndörfer verwandelt worden jeien, und bis 1785 war die Zahl
auf mehr als 300 geitiegen.
Hier auf den Vormerken wurde nun auch das Beifpiel gegeben für in Diem ?
andere wirtihaftlih ungemein wichtige Neuerung: man begann bier mit den“ nun"
Gemeinbeitsteilungen oder Separationen, d. h. mit einer neuen Aufteilung der —
bisher im Gemenge durcheinander geworfenen Wieſen und Ackerſtücke, bei der —
jeder Beſitzer ſeine Hufen und Hütungen auf geſondertem Fleck, in geſchloſſenem — —
Loſe, angewieſen erhielt. Für die im Gemenge mit bäuerlichen Grundftüden 7 cr Amcyr)
liegenden Aeder der pommerſchen Domänen ſchon 1752 angeordnet, jollte dieje (et, ,
Mafregel nah dem Kriege verallgemeinert werden — in der Minifterfonferenz +
vom 11. uni 1765 erklärte der König feinen Entſchluß dazu und erteilte zu:
gleich eine Anzahl vorbereitender Weifungen. Eine jpätere Verordnung fcheibet
die zu zerlegenden Gemeinheiten in zwei Klaſſen: „Die raumen Gemeinweiden, |
Haiden, großen Brüder und großen Anger”, und die in den Gemeinden unter
fih, mit oder ohne Teilnahme der Herridhaften, auf den Feldmarken, der Brade, | u
den Stoppeln und Wiejen eingeführten Hütungen. Teilungsfommiffionen wurden ER
beftellt, Landmeſſer und Ingenieure jollten den Grund und Boden aufnepmen | Pr
und die Güte der einzelnen Yagen feſtſtellen, „ebhrlihe und verftändige Kamera: WA
liften und Defonomen“” die neue Auslegung vornehmen, Vertreter der Landes: |
juftizbehörden für gerechte Bemeſſung der neuen Anteile jorgen und jede Be: |
drüdung und Webervorteilung der geringen Leute verhindern; auch aus dem
Bürger: und Bauernftande jollten Vertreter, „Defonomiefommifjare”, herangezogen
werden und in voller Freiheit ihre Meinung jagen dürfen, und wo fie etwa
mit dem Ausdrud ſich nicht zurechtfinden würden, jollte man ihnen darin zu
Hülfe fommen.
Die wirtihaftliden Vorteile lagen auf der Hand, und unermüdlich wies 2 PEOR ARTE
der König die Anhänger des beitehenden Zujtandes immer von neuem darauf
hin. Die Gemenglage bedingte den Flurzwang, die Nötigung zu gleichzeitiger
und gleihartiger Beltellung und Aberntung der Schläge; vor allem aber, und
dieje Seite betonte der König am ftärkjten, das häufig jehr ausgedehnte gemein: + )
jame Weideland wurde in höchſt unwirtichaftlider, unverftändiger Weife der
intenjiveren Ausnügung entzogen, auf die ein Einzelbeliger durch das eigene
Intereſſe fofort geführt werden mußte. Erweiterung des Aderbaues und Ber: EZ
mehrung der Viehzucht, das war der doppelte Vorteil, den der König fi und
den Landwirten von der geplanten Neform verſprach. Die Kammerprälidenten
erhielten den Befehl, „durch gütlihe und gründliche Voritellungen” alle Beteiligten,
vorab die Departements:, Land» und Steuerräte und die Magiltrate, über dieje
jeine Ziele und Gefichtspunfte aufzuklären. Um nod unmittelbarer nachzubelfen,
verfügte er nad einigen Fahren, daß ein „ganz platt Büchelgen“, das die Bauern
Kofer, König Friedrich der Große. 1] 2. Auf 24
370 Achtes Bud. Erſter Abichnitt.
wie den Kalender für wenige Pfennige kaufen könnten, gedrudt und in jedem
Aynalım » Dorfe und jeder Stabt verbreitet werben follte. Aber nicht bloß der Bauers-
TE mann fonnte ji mit der Neuerung nicht befreunden, auch die Behörden, die
Vertrauensmänner ber Ritterſchaften, ſchließlich ſelbſt die Minifter kamen mit
Bedenken und Einreden. Der König wurde ungeduldig, ungnädig. Die hinter—
pommerſchen Landſtände bedeutete er auf ihr Widerſtreben, ſie ſähen ſeine landes—
väterliche Fürſorge nicht ein und ließen ſich durch Eigenſinn, Neid und Mißgunſt hin—
reißen. Und den Miniftern vom Generaldireftorium gab er in einer Rückſprache
am Weihnachtsheiligabend 1769 feine Unzufriedenheit über die Vernadläffigung
einer ihm jo wichtigen Sache in recht empfindliher Weife zu erfennen: er be:
rief fih auf das Beifpiel der Schweiz und zumal Englands; das jei ein freies
Sand, und doch ſei die Sache dort durchgefegt worden; nur hier zu Lande fünne
er es nicht dahin bringen, weil die Leute jo dumm wären, daß fie ihren eigenen
Vorteil nicht verftehen wollten. Aber er werde die Sadhe gewiß nicht fallen
lafien, es könne gejchehen und müſſe geſchehen, und möchten die Leute bis zum
jüngften Tage ſchreien — Gewalt und Unrecht freilich dürfe ihnen nicht angethan
werden. Von nun an mußten die Minifter regelmäßig alle drei Monate ein
Verzeichnis über den Fortgang der Auseinanderjegungen vorlegen.
Soviel ift danf der Entſchiedenheit und Beharrlichfeit des Königs nod)
bei jeinen Lebzeiten erreicht worden, daß ein fehr beträchtliher Teil des ritter-
ſchaftlichen Beliges aus der Vermengung mit Bauerngrundftüden gelöft wurde,
r? während die Bauern unter fih vorwiegend nod an der alten Flurordnung
.f — ai /feſthielten. Vollftändig ift die Ausführung des Scheidungsverfahrens erit um die
a: At Mitte des neunzehnten Jahrhunderts erzielt worden, und zwar it die Ausein:
Ef A anderjetung bis zulegt nicht bloß den von Friebrich aufgeitellten Leitſätzen,
fondern auch den Einzelbeitimmungen jeiner anfänglih mit jo lebhaften Miß—
trauen befämpften Erlaſſe gefolgt.
Zähelter Gegner der auf die Hebung der Bodenkultur gerichteten Be:
ftrebungen war der märfifhe Sand. Ihn zu befämpfen, entlieh jih Friedrich
Waffen aus England. Er verfuchte es in ausgedehntem Maße und beharrlich
mit der Anlegung künftliher Wiefen, dem Anbau der von den engliichen Land—
wirten erprobten Futterpflanzen, Zuzerne, Eſparſette, ale“ Turnips, zu denen
er jpäter noch die aus Stalien verjchriebene Lupine treten ließ. Gleih nad
dem Krieg hatte er mehrere junge Leute, die Söhne märkiſcher Domänenpädhter,
er die englifhe Landwirtihaft an Ort und Stelle ftudieren laſſen; er ging ihre
: ‚+; » \tagebuchartigen Berichte auf das Genauefte durch und begann dann mit Hülfe
— eines ſachkundigen Engländers auf den Domänen in der Mark, ſpäter auch in
anderen Provinzen, dieſe Erfahrungen nutzbar zu machen, ganz ohne Erfolg
wohl nur in der Niedergrafſchaft Lingen. Rittergutsbefiger, die dem Beifpiel mit
eigenen Anlagen nachfolgten, erhielten Staatsunterftügungen. Neben der Ber:
befierung des Sandbodens galt es der allgemeineren Einführung der Stall:
fütterung mit ihrem doppelten Vorzug reicheren Mildertrages und jparfamer
Auffammlung des Düngers. Der König nahm an diefen Dingen andauernd
jo lebhaften Anteil, daß fie ihm nicht zu gering jchienen, Voltaire einen Bericht
darüber zu eritatten: „Ich geftehe”, jchreibt er am 10. Januar 1776, „daß,
Das Retablifjement. 371
Libyen ausgenommen, wenige Staaten ſich rühmen können, im Punkte des “
Sandes uns gleichzufommen. Indes bauen wir diejes Jahr 76000 Morgen
MWiejen an; diefe Wiejen nähren 7000 Kühe, deren Miſt wird unjeren Sand
düngen und verbeflern, und die Ernten werden mehr wert jein. Ich weiß, daß
es den Menjchen nicht gegeben ilt, die Natur der Dinge zu ändern, aber id
denfe, daß man dur viel Fleiß und Arbeit dahin gelangt, unfruchtbares Land
zu verbejjern, und daß man es wenigftens in mittelmäßigen Boden verwandeln
fann. Und bamit dürfen wir uns begnügen”. Einem VBerfuchsfeld mit der Kultur
der Futterrüben oder Turnips, das er in der Nähe von Sansjouci anlegen
ließ, galt eine Zeit lang fait täglich jein Spaziergang.
Da, wo nicht re mal unter der Sandoberfläce Lehm Tagerte, ließ ſich
ine Umſchüttung und Verbeſſerung des Erdbodens zu
hoffen, durch Aajolen “
erzielen. Nach den erſten Verſuchen in diefer Richtung verfügte der König im \.-...
Herbit 1779 an die furmärkiiche Kammer: „Nun jehen Se. Königl. Majeſtät
da wohl, daß das feine Operation vor Edelleute ift, vor die ift das viel zu «-
foftbar, die können da nichts präftieren; aber vor Se. Königl. Majeltät ift das
eher eine Sache“. Er beabfidtigte, in größerem Maßſtabe dieje Arbeiten dann
ausführen zu laffen, wenn man mit der Austrodnung der Brüde fertig
jein werde.
Wo aber der Sandboden allen Bekehrungsverſuchen unverbeſſerlich troßte,
da jollte Kiefernfamen ausgejät werden; wenn dann aud nur elendes Krumm—
holz anwuchs, jo erhielt doch der Sand jo viel Halt, daß er nit mehr vom
Winde auf fruchtbares Land verweht wurde, und als Brennholz war das Ge:
ftrüpp immerhin zu verwerten. Nach einer Ueberfiht aus dem Jahre 1782
waren in den legten ſechs Jahren nicht weniger als 20000 Morgen lojer Sand:
ihollen mit Kiefern bejät worden.
In weldem Maße die Forftwirtihaft während des großen Krieges in Ber:
fall geraten war, hat Friedrich in feinen Memoiren mit lebhaften Farben ge: ......
ſchildert. Ungetreue Beamte, die den Staat für rettungslos verloren und ſich
jelbjt jpäterer Verantwortung überhoben glaubten, hatten durch räuberijche Ab-
bolzungen weite Waldreviere verwültet; Pommern und die Marken, die vor dem
Kriege der Generaldomänentafje bisweilen eine Jahreseinnahme von mehr —F
150000 Thalern aus ihren Wäldern zugeführt hatten, mußten jetzt peinlich ge:
ſchont, gleihjam neu aufgeforftet werden. Auch die Foritwirtihaft der Ritter:
güter und der Stabtgemeinden wurde von Staate unter genaue Auflicht
genommen. Kein Waldeigentümer, jagt ein Edikt vom 24. Mai 1764, joll ver:
geſſen, was er fih, der Nachwelt und dem Staate ſchuldig ſei; alle „unorbent:
lichen und übermäßigen” Holzfällungen jollen deshalb durch die Föniglichen
Förfter jofort der Kammer angezeigt und mit Bußen von 50 bis 1000 Thalern
belegt werben. Wohl war es einigermaßen jchwierig, bei dem Grundſatz äußerfter
Schonung des Baumbeftandes den Anjprüchen an „Freiholz“ gerecht zu werden,
die nad) dem Friedensihluß die gefteigerte Bauthätigfeit ſtellte, wenn den
Unterthanen ihre zerſtörten Häuſer wieder hergeſtellt und den zugewanderten
Koloniſten neue erbaut werden ſollten. Um ſo mehr drängte der König darauf,
daß in den Forſten „kein Fleck unbeſät, und kein Platz, wo ein Baum ſtehen
Jene
7;
4 LEW,
J
372 Achtes Buch. Erfter Abſchnitt.
fann, unbepflanzt” bleibe. Wenn er auf feinen Reifen gewahrt, „daß nod
greuliche Diftrifte öde find“, die nach den Tabellen ſchon zehnjährige Stämme
' tragen müßten, jo jcheint ihm feine andere Erklärung möglich, als daß die von
den Oberförftern vorgelegten Xiften „nad Jägerart jehr lügenhaft und falſch
verfaſſet find“. Er droht den „nachläſſigen und incorrigiblen” Förftern mit der
Feſtung, den Oberforftmeiftern, wenn fie nicht beſſere Veranftaltungen treffen
werden, mit Kafjation; er greift endlich zu einem aud in anderen Bereichen der
Zivilverwaltung gelegentlih angewandten Zmangsmittel, indem er die Forften
durch einen feiner Offiziere, den gefürchteten Generalmajor von Anhalt, bereifen
läßt und deſſen Vorjchläge 1773 einer neuen Dienftanweifung zu Grunde legt.
Auch diefe Waldverbefjerung wurde durh Zufhüffe aus dem Retabliffements:
fonds gefördert; noch fur; vor jeinem Tode mies der König von neuem eine
größere Summe, 150000 Thaler, für Anpflanzungen an. Am wertvolliten
waren die Forſten der Kurmark; fie trugen faft dreimal jo viel ein wie die an
zweiter Stelle jtehenden pommerſchen; dann folgten in Abftufung nad unten
die Kammerbezirfe Neumarkt, Magdeburg, Königsberg, Litauen, Kleve, Halber:
ftadt; ganz unbedeutend waren die weitfäliijhen und oftfriefiihen Foriten.
Den fiherften Maßſtab für die Fortichritte feines Netabliffements wollte
5 — der König allemal in der Zunahme der Bevölkerung ſehen. In jenen dem
IM
Friedensſchluß folgenden Zeiten ftarfer Bauthätigfeit hat er der mit ihren Ge:
bäubeliften prunfenden pommerjhen Kammer einmal erklärt, daß ihm mehr
‚an Menihen, als an leeren Häufern gelegen jei. Im ganzen durfte er mit
„den Ergebnijien der Bolkszählungen zufrieden fein. Die durh den Krieg um
? mehr als ein Viertel der Bevölkerung, von 213467 Seelen auf 156439 zurüd:
gebrachte Neumark hatte von 1762 auf 1763 jofort um faft 30000, bis Ende
1765 um weitere 25000 Einwohner zugenommen und damit den Verluft bis
auf 3449 erjegt, und 1777 wurden hier 28843 mehr gezählt als 1756. Nächſt
der Neumark hatte Pommern den ftärkiten Menfchenverluft zu beklagen gehabt,
mehr als 72000 von fait 370000 Einwohnern. Hier gli fih der Abgang
nach anfänglicher Schneller Zunahme (faft 17000 von 1762 auf 1763) jchwerer
nu, Aus: er betrug 1764 noch 44380 Seelen, 1765 noch 37859. Aber 1774 war
...s. Die Zahl von 1756 jhon um 15000 überfchritten. Schlefien erreichte feinen
Tiefſtand erſt im zweiten Friedensjahre, nahdem 1763 im fait umgekehrten
Verhältnis zu dem ftatijtifchen Durchjchnittsergebnis auf 47259 Geburten 62393
Todesfälle gefommen waren. So zählte die Provinz 1111961 Einwohner ftatt
der 1162355 von 1756, und nod Ende 1765 betrug das Minus 37300.
Aber ſchon das folgende Jahr brachte gegen 1756 ein Mehr von 21000, umd
die Einwohnerzahl iſt dann bis 1785 auf 1680932 geitiegen. Am wenigften
von allen Provinzen dur die Kriegsbrangjale erreicht, wies das Herzogtum
Magdeburg ſchon 1765 eine um 1468 Seelen ftärkere Bevölkerung auf, als bei
Beginn des Krieges. In Oftpreußen und Litauen ergab die während der ruſſi—
ihen Zwifchenregierung 1750 veranftaltete Zählung gegen die Ziffer 625749
von 1754 eine Werminderung der Bevölkerung auf 521223 Berjonen; 1775
wurden 775329 gezählt. Für die Kurmark, wo die Zählungen ſtarke Schwan:
fungen aufwiejen, wurde das Generaldireftorium zweifelhaft, ob die Zahl von
Das Retabliffement. j 373
1756 — 576000 Einwohner — eine zuverläffige Grundlage biete; wie es
ſcheint, war doch auch hier der Kriegsverluft nach wenigen Jahren erjegt.
Aus dem Jahre 1775 Liegen zwei voneinander unabhängige Bevölferungs: -:,:%,*"
liften vor, von denen die größere die ganze Militärgemeinde einjchließt, während _ .:-: °,
die kleinere nur die auf das platte Land entlafjenen Urlauber jamt ihrem Haus °,...
ftand mitberüdfihtigt. Die eine zählt für die ſchon 1756 unter preußifchem
Zepter vereinigten Provinzen 4308840 Seelen, die andere 4480171 — gegen
das Jahr 1756 mit einer Gejamtziffer von etwa 4100000 Einwohnern, unter kanal
allen Umftänden eine jehr erheblihe Zunahme. Weder die Nachbarländer Kur: ER
jadhjen und Hannover, noch irgend einer von den größeren europäifhen Staaten ae . aaa le
bat im achtzehnten Jahrhundert einen gleich ftarfen Bevölkerungszuwachs aufzu: ven —
weiſen gehabt. age,
Der Ueberfhuß der Geburten über die Todesfälle erreichte im Jahre 1784
mit der Zahl 59162 den Höhepunkt. Indes ift ein fehr ftarfer Bruchteil des «- .... cr:
Bevölkerungszuwachſes nit auf Rechnung diefer natürlihen Bermehrung zu h au.
jegen, fondern auf die der Einwanderung. Für die Kurmarf hat man be: ,, ,.. AST,
rechnet, daß in den Jahren 1763—1786 der Zuwachs von 163614 Seelen ſich
auf 78656 Mehrgeburten und 84958 Einwanderer verteilt. —
Die innere Koloniſation, deren kräftige Anfänge und deren Formen wir
kennen gelernt haben,“) wurde alsbald nah dem Kriege mit Nachdruck wieder
aufgenommen. Schauplag der Dorfgründung im großen Stile wurden jegt die‘),,, —
Neumark und Schleſien. Dort bedeckten ſich vor allem das trodengelegte Warthe: ,
und Nekebruh mit Kolonien. Eine Lifte von 1779 weiſt ihrer 110 auf, dazu
19 dur den „Abbau” von Vorwerken?) entitandene Niederlaffungen, und Herp:
berg hat die Gefamtzahl der Ortsgründungen in der Neumark für die Negierungs:
zeit Friedrihs II. auf 152 mit 3643 Familien angegeben. Für Sclefien wurde
das große Werk durch das grundlegende Edikt vom 28. Auguft 1773, bei einem
Beſuch des Königs in der Hauptitadt Breslau, angeordnet. Bis dahin waren
in diefer Provinz jeit 1743 72 Dörfer angelegt worden. et wurde bie
Gründung von nicht weniger als 200 vorgefehen, und zwar auf den adelichen
Domänen; für jede Katafterftelle verjprady der König dem Grundherrn eine Ber:
gütung von 150 Thalern. Schon zu Anfang 1777 war die Aufgabe im wejent:
lichen erfüllt. Nur in Oberichlefien fehlten noch 26 Dörfer, jIchon errichtet
waren 128 bier und 46 in Niederfchlefien, mit einer Staatsunterftügung von
348702 Thalern, einer Summe, die fi in den nächſten Fahren durd weitere
Aufwendungen auf eine halbe Million erhöhte. Nach einer neueren Berechnung
müflen in Schlefien von 1742 bis 1786 mindeftens 61000 Koloniften angejegt
worden fein, und zwar zu vier Fünfteln nach dem Siebenjährigen Sriege.
Freilich frifteten viele der neuen Dörfer, zumal in den unmwirtliden Gegenden
Oberfchlefiens, ihr Dafein nur kümmerlich.
An Pommern und in der Kurmark wurden jegt im Gegenjag zu den
masienhaften Dorfgründungen der Zeit um 1750 neue Ortidaften, abgejehen
) Bd. I, 374 ff.
?) Then ©. 368.
374 Achtes Bud. Erfter Abichnitt.
von dem Abbau der Vorwerke, nur noch vereinzelt angelegt. Erft 1782 ent:
Schloß fih der König für die Kurmark zu einem neuen großen Anlauf. In
“einer Audienz, die er dem kurmärkiſchen Provinzialminifter von Werder am
79, Dftober erteilte, entwidelte er ihm feinen Plan: „Mitten rum, wo die Dörfer
weit auseinander liegen, geſchieht die Anlane eines neuen Dorfes, zu deſſen Be:
,.. jebung dann aus jedem umberliegenden Dorfe ein oder zwei Bauernföhne ge:
nommen werden. Ein jeder befommt etwa drei Kühe und was jonft erforder:
lid ift, die ich dann auch das erfte Jahr ernähren muß, weil fie noch nichts
gewinnen fönnen. Was dann die Anlegung eines folden Dorfes in allem
koftet, dazu gebe ich das Geld, und die Leute verbleiben unter eben der Herr:
ſchaft, wohin fie vorhin gehört. Ihr werdet fehen, wieviel ein dergleichen Dorf
anzulegen fojtet, und alsdann werde ich jehen, wieviel neue Dörfer ich ein Jahr
nah dem anderen anlegen und erbauen lafjen kann.“ Die Feldmark jollte auf
Unland ausgelegt werden, foweit fid) dies durch jene Kultur künſtlicher Wieſen!)
anbaufähig machen ließ. Nach drei Jahren der Vorbereitungen wurde im Of
tober 1785 ein Entwurf feitgeftelt, wonah im ganzen 208 Dörfer, jedes für
zwölf Familien, gegründet werden follten. „Wenn ich mit der Zeit,“ jchrieb der
König am 30. Oftober 1785, „jährlid ein paarmal 100000 Thaler dazu
bergebe, jo muß binnen zehn Jahren doch jchon etwas dabei herauskommen.“
Die Gejamtkoften wurden auf 3120000 Thaler veranlagt.
In den dichter bevölferten Gebieten von Magdeburg und Halberitabt war
immerhin noh Raum für eine in den Jahren 1772—77 als einheitlihe Maß:
regel durchgeführte Anjegung von 1200 Familien. Oſtpreußen mit Litauen
endlich jol nach Friedrichs eigener Angabe in der Zeit von 1740—1774 einen
Zuwachs von 13000 Familien erhalten haben; in den Aften find Spuren einer
jo umfafjenden Einwanderung bisher nicht feitgeftellt worden, mit Sicherheit
laffen fich vielmehr nur etwa 15000 Koloniften für diefe Provinz nachweiſen.
— Bleibt es unmöglich, genaue Zahlen für die einzelnen Provinzen feſtzu—
> stellen, jo dürfen wir dod der Schätzung uns anſchließen, nad der im ganzen
während der 46 Jahre diefer Regierung 300000 Einwanderer mit „Koloniften:
— — in Preußen, damals „dem einzigen europäiſchen Staate mit ſtarker
‚ * | Einwanderung und ftaatlih gelenkter innerer Kolonifation”, angejegt worden
ind, jo daß ein Sedjftel oder gar ein Fünftel der im Jahr 1786 Tebenden
"Einwohner des Staats Koloniften und Abkömmlinge von Koloniften geweien
find. Andauernd waren die verjchiedenften Stämme an dieſer Mafleneinwan:
derung beteiligt, Medlenburger und Kurfadhien, Pfälzer, Schwaben und Defter:
reicher, Böhmen und Polen. In den Hungerjahren 1771 und 1772 ſollen an
20000 Böhmen und ebenfoviel Sachſen ein Aſyl in den preußiihen Landen
gejucht haben. Stoff und Art der Zuwanderer blieb fehr ungleih.‘) Die Be:
amten klagten über das nicht zu bejchreibende unruhige Weſen dieſer Leute;
viele waren untauglich, träge, lieberlih, jo daß nicht viel daran gelegen war,
wenn fie fortliefen, oder, wie es mit militärifhem Ausdrud hieß, defertierten.
>
') Oben ©. 370.
2) Bgl. Bd. I, 378.
Das Netablifjement. 375
Viele aber zeigten fich zuverläffig, gefcheit, gewandt, dem Durchſchnitt der Ein:
geborenen geiltig und fittlih überlegen. Ausdrücklich erklärte der König, in
Oberſchleſien nur „vernünftige und gefittete” Anfiebler aufnehmen zu wollen,
die durch ihr Beiſpiel das Volk dort zu Land aus feiner „Dummheit und Blind:
beit“ reißen könnten. Im ganzen bat fidh dieje Kolonijation Friedrichs des
Großen ebenfo bewährt, wie unter jeinem Vater der Zuzug der Salzburger.
Auch über das Vermögen an Bargeld und Haustieren, das die Zuwan—
derer einbrahten, wurde Buch geführt. Die wieder nur lüdenhaft erhaltenen I-« ‘
Liften weifen auf: 2079601 Thaler, 150 Dufaten, 22440 Gulden, 6392 Pferde,
7875 Stüd Nindvieh, 20548 Schafe, 3227 Schweine. Auch diefe vierfüßigen .....
Zuwanderer begrüßte der Landesherr bei feinen auf die Vermehrung des Vieh:
ftandes gerichteten Beitrebungen als werte Gäfte. Der damalige Zuftand der
Schäfereien wird uns noch in anderem Zufammenhange beichäftigen.!) Die
Rindviehzuht genügte vorerit wenig. Fort und fort gab der König durch die
Kammern Anmweifungen für die zwedmäßigite Art der Fütterung, für die Be-
fämpfung von Seuden, für die Auswahl und Behandlung der Zuchttiere.
Wo neues Wiefenland gewonnen wurbe, ſchenkte er den ärmeren Anwohnern
einen Teil des PViehs, das fie nunmehr halten fonnten. So 1781 nad
Trodenlegung des Schmolfiner und Kamminer Bruclandes in Hinterpommern
ein Drittel der neu anzufhaffenden 3400 Kühe; er meinte: „wenn die Leute
die Kühe ſich jelbit faufen jollen, wird es lange dauern und aud wohl gar
nicht geſchehen, und das viele Geld, jo auf die Urbarmahung der Brücher
verwendet worden, wäre vergebens und weggeworfen“. Doch jollte jeder Land»
wirt das Vieh jelber ausfuhen und anfaufen und nachher das von Staats wegen
angemwiejene Geld ausgezahlt erhalten: „Die Leute werden immer mit jolchen
Kühen, die fie fich ſelbſt angekaufet, mehr zufrieden fein”. Noch immer brauchte
der Ader mehr Dünger, der Markt mehr Schladtvieh und mehr Butter; zumal ‘ '
der Markt der Hauptitadt war für die jchnell anwachſende Bevölkerung auf
Vieh aus Polen und auf ſächſiſche und holſteinſche Butter angewiejen. Der
König ließ es dem Berliner Schlädhtergewerf nahelegen, Auffäufer nah Pom:
mern zu jhiden, um das Maftvieh an Ort und Stelle zu erhandeln. Für die
Molkerei blieben die Holländer die Lehrmeiſter; der König hielt es deshalb für
erforderlih, noch mehr holländische Familien auf Staatskoften fommen zu lafien.
Auf dem Domänenamte Königshorft wurden Lehrgänge für Milchwirtſchaft ein:
gerichtet: der nftruftor, jo verfügt der König an den kurmärkiſchen Provinzial:
minijter, joll den Leuten weifen, „wie die Gefäße und Mafchinen zum Butter:
machen beſchaffen jein und wie ſolche propre gehalten werden müſſen, und wie
die Butter gemacht wird, daß fie fich hübſch confervieret, und daß die Butter,
die zu den Speijen gebraudt wird, ſich beſſer hält und nicht jo leicht verdirbet,
wie die jetzige; das macht, weil die Butter nicht reinlich genug ausgewaſchen
wird und die Gefäße und Majchinen nicht recht propre gehalten werben”. Die
jo bis ins Hleinfte gehenden Bemühungen blieben nicht ohne Erfolg. Die Summe,
die aus der Kurmark für Butter über die Landesgrenze ging, verminderte jich
) Unten S. 420. 421.
m
376 Achtes Bud. Erfter Abſchnitt.
von Jahr zu Jahr, von 257053 Thalern im Jahre 1775 auf 146000 im
Jahre 1780.
Auh der Berliner Eiermarft war noch vom Ausland abhängig. Eine
dur den König veranlaßte Zählung ergab in der Kurmark 1780 einen Beftand
a von 324175 Hühnern; es fehlten, um ben Bedarf zu deden, 36300. „Was
i * will es ſagen“, fragte der König, „wenn jeder Bauer auf dem Lande 10 bis
* 128 Hühner mehr hält? Das Futter koſtet ja da nicht viel, und überdem finden
0. die Hühner ihr Freffen meiftens in dem Stroh und Mift auf den Höfen“. Ein
inteygune iur, Verbot der Einfuhr fremder Eier ließ den Marktpreis fteigen; die Minifter
äußerten die Bejorgnis, daß der Bedarf fich nicht deden lafjen werde; der König
u... antwortete: „Es ift nur ber Fehler der Pachters und Bauern, daß fie fi nicht
un Hdarauf legen. 42 Jahr habe ich darauf gearbeitet, um ſolches einzuführen.
Wenn die Herren Miniſters Eier eſſen wollen, ſo geben ſie ſich mehr Mühe mit
die Kammern, ſolches zu bewirken, der Verbot bleibet vor ausländiſche Eier vor
wie nach“. Nur für ſechs Monate wurde ſpäter eine Unterbrechung gewährt,
um den neuen Veranſtaltungen, zumal dem 1780 eingerichteten Kärnerhandel
mit Eiern, Butter und Käſe, eine Friſt zur Entmwidelung zu gönnen.
Berühmt wurde in der Mitte des Jahrhunderts die oftpreußiiche Pferde:
zucht, jeitdem der Kriegs: und Domänenrat Domhardt bei der Ausgeitaltung des
- in Verfall geratenen Stutamtes zu Trafehnen das bedeutende Verwaltungstalent
offenbart hatte, das fi in der Folge bei größeren Aufgaben bewährte. Nach
dem Vorgange des Domhardtſchen Stalles auf dem Gute Worienen legten num
aud anderwärts in biefer Provinz Edelleute und Domänenpädter, durd eine
Kabinettsordre vom 13. November 1766 dazu ermuntert, Privatgeftüte an.
Wie ſchon in der Periode vor 1756, wurden auf dem platten Zande die
Kuna k Koloniften der Negel nad als Erbzinsleute angejegt, zu dent beiten bäuerlichen
where one, Rechte, das in den mittleren Provinzen ber Monarhie befannt war, zu dem
er: Recht, deſſen der König gern die ganze bäuerlihe Bevölkerung teilhaftig ge—
x macht hätte.
fnüpfte, daß ſie die Leibeigenihaft auf ihren Gütern abſchaffen ſollten: ſonſt
——“' — — “würden fie „weder jegt noch jemalen einige Hülfe oder Aſſiſtenz zu gemärtigen
> haben und deſſen ohneradhtet dazu angehalten werden, ihre Güter gleich zu
retablieren und mit der gehörigen Anzahl Unterthanen wieder zu bejegen”.
— f. So ſprach e& die Inſtruktion vom 20. April 1762 aus, bie Brendenhoff nach
ae Pommern mitnahm, und jo wiederholte es der König mündli im folgenden
‚Jahre am 23. Mai bei dem Beſuch in Kolberg: es jollten alle, die ſich wider:
jeßen würden, mit Güte oder Gewalt dahin gebracht werden, „daß dieje von
‚Sr. Majeftät jo feitgejegte Jdee zum Nugen der ganzen Provinz ins Werk ge:
L richtet werde“.
Das Retablifjement. 377
Vertrauensmänner der vorpommerjhen Nitterichaft, die bald darauf zu — Frmanann
Demmin zujammentraten, überfandten dem Könige eine Gegenvorftellung. Man i
wies darauf hin, daß die Leibeigenſchaft in Vorpommern lediglich in dem Sinne
von Gutspflichtigkeit bekannt ſei, ja daß ſelbſt der Name ſeit unvordenklicher
Zeit nicht mehr gebraucht werde. So ſei man gern damit zufrieden, dieſe ohne—
bin bier zu Lande unbelannte Leibeigenſchaft, auf Grund deren der Herr ben
Zeibeigenen verfaufen, verjchenten und vertauſchen und alles von dem Leib:
eigenen Erworbene für ſich beanjpruchen bürfe, ausbrüdlich aufgehoben zu jehen. »
tigen, jo unterliege das den ſchwerſten Bedenken. Die Gutspflichtigfeit verbinde ar
den Bauern, nicht ohne der Herrihaft Einwilligung das Gut und feinen Hof -
zu verlafjen und feine Kinder, wenn fie als Knecht oder Magd dienen, vorzugs: 7
weile dem Gutsherrn „gegen den Lohn, jo einem freien Menfchen gegeben
wird“, zum Dienft zu ftellen. Aufhebung diejes Verhältniffes, völlige Freiheit Z
werde unvermeidlich zur Entvölferung des Landes führen. Die Bauern würden
zum ım Teil fortziehen, zum anderen Teil nicht im ftande jein, die VBorausfegung
für die Entlaffung aus der Gutspflichtigkeit zu erfüllen, nämlich dem bisherigen
Grundherrn den Hof zu bezahlen und fich jelbft mit Vieh, Adergerät und an:
deren Bedürfniffen zu verfehen.
Der Hinweis auf die Gefahr einer „Depeuplierung”, des Austrittes zahl⸗
reicher Bauern, berührte die jchwierigite Seite des ganzen Problems, die Frage,
wie weit die perjönliche Freiheit mit der Erhaltung des Bauernitandes und des
Bauernlandes fi vertrug, und ob es Mittel gab, das bäuerliche Anwejen, das
der Inhaber verließ oder veräußerte, für den Kleingrundbefis zu retten. Die
Geſetzgeber des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts jind an dieſer Frage,
dem Dogma des „Sreihandels im Grundbeſitz“ huldigend, allzu jorglos vorüber: |
drio nr:
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Sei aber des Königs Meinung, aud die "Gutspflichtigkeit der Bauern zu bejei: BE
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a7} sputur —
gegangen, und die Folge war ein gemaltiges Anſchwellen des Großgrundbeſitzes, ta
eine ftarfe Verminderung ber bäuerligen Wirtichaften. Friedrih dem Großen
war die Unantajtbarkeit der ländlichen Befigverteilung oberjter Leitiag aller
agrariihen Sozialpolitif: vergrößert durfte die Gejamtflähe des Bauernlandes
werden, verkleinert nie. Mit Strenge hatte er bisher darauf gehalten, daß jede
ledig gewordene bäuerlihe Stelle wieder mit einem Bauern bejegt wurde. Wie
aber ließ ſich die läftige Pfliht, einen Erjagmann herbeizuſchaffen, dem Edel:
mann weiter auferlegen, wenn für den Bauern der Zwang wegfiel, der ihn
verhinderte, jeinen Hof aufzugeben? Frievrih Wilhelm J., als er 1718 den
oftpreußiichen. Domänenbauern den erb: und "eigentümlicjen Beſitz ihrer ‚Hufen
verlieh, hatte ſie durch einen förperlichen Eid verpflichten lafien, die Höfe nicht ||
anders als mit dem Tode zu verlaffen: das war nur eine andere Art der Ge: }
bundenheit an die Scholle, eine Verlegenheitsauskunft.
0? Ale
—
— 77:
Auch König Friedrich fand eine befriedigende Löfung nicht. Der Einwand "o »* *
der vorpommerſchen Ritterſchaft blieb nicht ohne Eindruck. Nicht aus blinder‘
Vorliebe für den Adel oder aus Schwäche hielt er auf der beſchrittenen Bahn
inne, fondern in der Weberzeugung, daß die Gewährung voller Freiheit an den |
Bauer die beftehenden Grundlagen der ländlichen Gejellihaftsordnung, auf denen
das Steuerwejen und die Heeresverfafjung des Staates beruhten, erjchüttern
2
„de
ee
u... vom 30, Dezember 1764,
378 Achtes Buch. Erfter Abfchnitt.
mußte. Er ließ die Erklärung gelten, daß Leibeigenfhaft im juriftiichen Sinne
‚nicht mehr beitehe, was aud für Hinterpommern zutraf, und er eritredte jeine
riegserflärung gegen die Leibeigenichaft auf die Gutspflichtigfeit oder Erbunter:
thänigkeit nit. Eben deshalb hatte er in den Provinzen, wo er nur Erbunter:
thänigfeit und feine Leibeigenichaft vorausjegte, zum Einjchreiten ſich überhaupt
nicht veranlaßt gefehen. Daß er an fich gern weiter gegangen wäre, läßt bie
uns ſchon befannte Stelle!) aus einer ftaatsphilojophiichen Schrift von 1777
erfehen. So aber beſchränkte er fich darauf, innerhalb des Bereichs der Erb:
unterthänigfeit zu reformieren, dur Ausrottung von Mißbräuchen, dur Ber:
befierung des Befigrechtes, durch Erleihterung der Dienfte und Laſten.
Unter diefem Gefichtspunft entftand zunächſt, ein bejcheidener Abſchluß des
jo nahbrüdlih angekündigten Reformwerkes, die pommerjhe Bauernordnung
eine Umarbeitung der alten Bauern, Schäfer: und
Gefindeordnung von 1616. Den von den Ständen vorgelegten Entwurf hat
Brendenhoff dem Könige in mündlihem Vortrag erläutert. Die Ordnung ftellt
den Sat auf, daß die Bauern in Pommern feine leibeigenen Sklaven find, die
verſchenkt, verfauft oder als res in commercio traftiert werden fönnen, und dab
alles, was fie erwerben, ihr freies und vererbbares Eigentum wird; fie betont
aber zugleih, daß Aeder und Hofwehr der Gutsherrf&haft gehören, und daß,
fomeit nicht in einigen Dörfern ein anderes ausdrücklich feſtgeſeht ift, die Bauern
feine Erbzins: oder Pachtleute, jondern des Guts eigenbehörige Unterthanen und
glebae adseripti find. Sie ſchützt den Bauer vor ungerechter Vertreibung von
Haus und Hof und erleichtert feinen Söhnen den Eintritt in eine ftädtifche
Handwerkerzunft. Daß fie andererjeits mit der Forderung des gutsherrlichen
- Ehefonjenjes die alte Ordnung geradezu verichärfte, war von der Staatsbehörde
zunächſt überjehen worden; erft durch eine Zujagverordnung vom 30. Mai 1766
wurde den „ledigen Weibsperjonen“ geitattet, fih in das Gebiet einer anderen
Gulsherrſchaft ohne Konſens zu verheiraten.
In ähnlichem Sinne wurde durch die Verordnung vom 8. November 1773
das Verhältnis zwiſchen Gutsherren und Bauern für Preußen, die alte wie die
damals neu erworbene Provinz, geregelt. Die Verordnung geht davon aus,
daß in Oſtpreußen die ehemalige Leibeigenſchaft ſchon längſt, in der Zeit von
1719—1724, in Weſtpreußen durch das Beſitzergreifungspatent aufgehoben worden
fei. Damit ſeien aber die e Domänenbauern nicht derjenigen Unterthänigfeit ent:
ledigt, „womit ſie dieſem oder jenem unſerer Domänengüter verpflichtet ſind und
dazu als glebae adscripti gehören”; und dasſelbe gelte von den Unterthanen
adelicher oder jonjtiger Güter. So wird auch der Geſindedienſtzwang der Kinder,
„„Hogar für Dftpreußen, wo er früher ſchon abgejhafft worden war, als zu Recht
bejtehend anerkannt, wenigjtens in der Ausdehnung auf je fünf Jahre Zum
Schutze des Bauern werben die Fälle aufgeführt, in denen feine Loslaſſung er:
folgen kann und muß.
Obgleich alfo die Refornpolitif fih nunmehr vorbehaltlos auf den Boden
der Erbunterthänigfeit ftellte, ftieß fie doch auch in diefer Selbſtbeſcheidung aller:
’) Bel. Bd. I, 871.
Das Retablifjement. 379
orten auf einen zähen paſſiven Widerftand, der die Ergebniffe jehr verküm—
mert bat.
dem 1748 aufgeftellten Grundjag feft, daß nirgends mehr als höchftens an drei
oder vier Tagen in der Woche Hand: oder Spanndienite geleiftet werden jollten;
ja in dem politijchen Teftament von 1752 gibt er feiner Genugthuung darüber
Ausdrud, daß diefe Beſchränkung überall Pla gegriffen habe. Gleichwohl ift
der Befehl des Monarchen keineswegs durchgehend ausgeführt oder menigitens
nicht auf die Dauer gleihmäßig beachtet worden, vielmehr je länger deſto
öfter ſtillſchweigend übertreten. Der Domänenetat jollte feine Ausfälle auf:
weifen: da waren die Kammern in Perlegenheit, wie fie die Pachtverträge
in der alten Höhe abſchließen follten, wenn den Pächtern der Anſpruch auf die
Bauerndienfte jo erheblich verkürzt wurde. Um auszugleichen, iſt der König
1774 auf einen Gedanken zurüdgelommen, mit dem man zwanzig Jahre früher
in Litauen Verſuche gemadt hatte: die Dienfte nicht nad) Arbeitstagen, jondern,
Sseumesir-
Was die Fronden anbetrifft, jo hielt der König für_die Domänen an, /,
24
* *4
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nach beftimmten Leiftungen, als „Stüd- oder Morgen-Scharwerk“, abzumefien. A ur...
Aber damit geriet man vollends ins Unberehenbare. Was auf den Kron—
gütern fo vielen Hemmnifjen begegnete, wie hätte das für bie ritterihaftlichen
Bauern erreihbar werden jollen? In Schlefien forderte unter dem friichen
Antrieb, den der Friedensihluß gab, ein Runderlaß des bauernfreundlichen
Minifters Schlabrendorff vom 15. Mai 1763 die Landräte auf, bei den Edel:
leuten die Beihränfung der ungemeljenen Dienfte auf eine beftimmte Anzahl
Tage zu betreiben. Der Verſuch, trog wiederholter Erinnerungen und Rügen
bes Königs, hatte feinen beiieren Erfolg, als die 1751 der pommerſchen Ritter:
ſchaft gegebene Anregung: die hinterpommerihen Stände hatten damals in
einer langen Denkſchrift beweifen wollen, daß nicht die Hofdienite Urſache ber
bäuerlihen Armut feien und daß die Nittergutsbefiger ohne dieſe Dienfte nicht
mehr beftehen fünnten. Und dieſe VBorjtellung hatte in Berlin an den Miniftern
Podewils und Gocceji, die beide der pommerſchen Ritterſchaft angehörten, rüd:
balteloje Fürjpredher gefunden; denn die wenigiten unter den hohen Staats:
beamten dachten über die Bauernfrage fo vorurteilsfrei und human, wie der
Märker Schlabrendorfi. Es galt auch in diefen Regionen als ausgemacht,
daß durch bie Herabjegung der Frondienſte, für die Cocceji mit freigebigem
Anahronismus ein mehr als taufendjähriges Alter in Anſpruch nahm, der
Adel ruiniert und den Bauern nicht geholfen werden würde.
Wie nun aber der König immer wieder auf diefe ihm aufrihtig am Herzen
liegende Sache zurüdfam, jo that der Großfanzler der Juſtiz, Coccejis Nach:
folger Fürft am 8. Juli 1774 endlich einen neuen Schritt, indem er jämtlihen
Landesjuftizböfen aufgab, eine den allerhöchiten Abfichten entiprechende Verän—
derung des Dienftwejens in Ueberlegung zu nehmen und allgemeine Grunbjäge
dafür ausfindig zu madhen, ohne den beftehenden Rechten zu nahe zu treten.
Damit war diefer Teil der Neform_durd die Bureaufratie zunächſt rettungslos
in das Stadium der ſchwebenden Erwägungen geleitet. Erft zehn Jahre jpäter
kam die Sade dadurh noch einmal in Fluß, daß der König befahl, in der
ganzen Monardie Urbarien anzulegen, wie fie in Schleſien aus öſterreichiſcher
Sıleı —
Im Ainilk :
rin tert
mmlasrel :
380 Achtes Bud. Erſter Abſchnitt.
DENE Zeit noch vorhanden waren, um „Dienite, Pflichten, Schuldigkeiten und Ge—
— rechtſame“ der bäuerlichen Bevölkerung genau feſtzuſtellen. Das gleiche war
ſchon 1773 für Oſt- und Weſtpreußen angeordnet worden. Dabei wurde als
billig bezeichnet, daß dem Bauern nicht mehr Dienſttage abgefordert werden
ſollten, als mit dem Gedeihen ſeiner eigenen Wirtſchaft verträglich ſeien. Alle
ungemeſſenen Dienſte ſollten in gemeſſene verwandelt werden. Das Landvolk
nahm die Thätigkeit der Urbarienkommiſſionen vielfach mit Mißtrauen auf; man
fürchtete, daß bei dem neuen Schreibwerk nur neue Laſt und Plage heraus—
kommen werde. Da und dort führte die Aufregung zu Ausſchreitungen. Der
Juſtizminiſter für Schleſien empfahl, wieder ſehr bezeichnender Weiſe, die Maß—
regel vorläufig aufzuſchieben, aber der König entſchied, daß fortzufahren ſei:
möchte die Angelegenheit auch, weitläuftig ſein und viel Zeit koſten, bei dem
Nutzen, den ſie dem ganzen Lande bringen werde, ſei ſie der Mühe Wert; mit
den durch falſche Vorſpiegelungen aufgewiegelten Kerls werde man ſchnell fertig
werden.
on Mit den Bemühungen um ein befleres Erbredht der Bauern wurde an
raum * den im legten Friedensjahr in Oberjchlefien gemachten Verſuch wieder angefnüpft.
Der ſchon erwähnte Runderlaß an die jchlefifhen Landräte vom 15. Mai 1763
erklärte, daß diefe „wegen der Kriegsunruhe liegen gebliebene Sache“ ohne
Widerrebe jetzt zu verwirklichen fei. Ein Bericht Schlabrendorffs vom 20. Januar
1765 nannte dem Könige als die Gefamtzahl der Bauernhöfe in Schlefien 42219,
als die der Gärtnerftellen 76955, der Häuslerftellen 54276. Darunter jeien
nicht erblih: 3263 Bauern, und zwar im Glogauer Kammerbezirt nur 45;
9592 Gärtner, 8418 im Breslauer, 1174 im Glogauer Bezirk; 2074 Häusler,
bis auf 109 fämtlih im Breslauer Bezirk. Anjcheinend nahm nun die vom
Könige verlangte Ummandlung einen jehr günftigen Verlauf. Im Herbit 1766
berichtete Schlabrendorff, daß nur nod 35 Bauern, 259 Gärtner, 157 Häusler
nicht im Beſitz des Erbrechtes feien, und 1775 wurde verfichert, daß die Maß—
regel vollitändig durchgeführt jei. Aber viele diefer Landleute legten auf die
Erblichkeit des Beliges gar feinen Wert, denn der erbliche Lajfit verlor mande
Vorteile und Anſprüche des unerblihen, dem der Grundherr die Gebäude im
Stand halten, Berlufte am Vieh erfegen und Nüditände an Staatsfteuer decken
mußte. Und jo fam es, daß die Zahl der unerbliden Wirte in Schlefien gegen
den Ausgang des ‚Jahrhunderts wieder auf 38918 ftieg.
Pan mn Der pommerſchen Nitterfchaft gegenüber wurde von dem Berjuhe, ihren
; > Bauern das Erbrecht zu erwirken, von vornherein abgeiehen. Zwar beteuerten die
en vorpommerfchen Herren, da ſie den erledigten Bauernhof der Negel nah einem
er N der Söhne des verftorbenen Bauern, jofern unter ihnen ein guter Wirt jei,
rer: übertrügen; in der Bauernordnung von 1764 aber wurde ausdrüdlich anerkannt,
daß den Bauern feine Erbgerechtigfeit, „nec ex contractu emphyteutico nec
libellario nec censuali“, zuftehe. In den anderen Provinzen ließ der Staat
diefe Frage in Anjehung der Privatbauern unberührt. Für die Domänenbauern
— Inc „galt die ihnen ſchon unter der vorigen Regierung zuerkannte Erbfähigkeit der
in Söhne als allgemeiner Grundjag. Friedrich Wilhelm I. hatte diejem Fortichritt.
— mit Recht die größte Bedeutung beigemeſſen und die Einführung der Erblichkeit
M
—
.7
Das Retablifjement. 381
ſchlechthin mit Aufhebung der Leibeigenſchaft gleichgeſetzt. König Friedrich ging - I. 2 ea
in Anerfennung des Erbanſpruchs jo weit, dab er ihn nicht_bloß dem Sohn, u °,4 2:5 <>
fondern auch der Tochter zugeitanden wiſſen wollte. Als auf einem pommeriden (-ire ch Fr
Domänenamt einer Bauerntochter der väterlihe Hof abgenommen murbe, den —* 4
fie doch nad) Ausfage aller Zeugen „recht ordentlich“ bewirtichaftet haben jollte,
verfügte er am 20. Februar 1777 fofortige Wiedereinjegung und ſprach es bei
diefem Anlaß als durchgehende Negel für alle Provinzen aus, daß alle unter
den Nemtern ftehenden Bauerngüter den Unterthanen erb: und eigentümlich zu
übergeben, von den Eltern auf die Kinder zu vererben jeien.
Der König hat ſich feiner Täufhung darüber hingegeben, daß er im ganzen — Hrrak -
mit feinem Bemühen um das Wohlergehen ber Bauern nicht weit vorwärts
fam. So hat er ſich in feinen Memoiren barauf beſchränkt, von allen diejen
Anläufen. nur den einen zu erwähnen, der von unbeftreitbarem Erfolg be egleitet
war: es gelang, die Nuffaugung bes Bauernlandes durch den Großgrundbefig +"
zu verhindern, durch die in jenem Jahrhundert in Medlenburg und Schwediſch— —
Pommern die Reihen der Bauern ſo furchtbar gelichtet wurden. Die beiden —
Geſetze von 1749 gegen das Bauernlegen, das Hineinziehen von Bauernhöfen
in das Areal des kit nd wurden im Juli 1764 dahin erweitert, dab die
Für Schlefien she dabei auf das Jahr 1723 zurüdgegriffen, in welchem ber
bäuerlihe Beſitzſtand durch eine allgemeine Landesaufnahme genau feitaeftellt
worden war, für die anderen Provinzen auf das erſte Kriegsjahr 1756. Der
König hatte verlangt, daß die in Betracht kommenden „wüſten Stellen“ in
Sclefien binnen Jahresfriſt neu bejegt fein jollten; der Minifter wies auf die
Schwierigkeit hin, in jo furzer Zeit geeignete Wirte zu beichaffen, und ließ dafür
die Zahlen einer DVerluftlifte fprehen: von 1723—1749 waren 1500 Stellen
dem Stleinbefig der Bauern, Gärtner und Häusler entzogen worden, feit 1749
weitere 1187 Stellen. Dod gelang es Jahr für Sahr, durch diejes „Neta-
bliffement” den Sleinbefig nicht unanjehnlid zu vermehren, vorzugsweife aller:
dings nur durch Häuslerftellen, deren von 1763—1779 in Schleſien 3539 ge:
ihaffen worden find. Und völlig erreiht wurde das andere, ein gewiß ſehr
bedeutendes Ergebnis: für die Zufunft war der Berkleinerung der Bauern:
ftellen und der Bauernzahl ein Ziel gejekt, das Bauernland, aud das nicht!
erbfähige, jedem Eingriff und Abftrich entzogen.
Nom iſt nicht an einem Tage gebaut worden, mit dem Dingen geht es
nicht io schnell wie mit den Gedanken — das waren die Sentenzen, mit denen
Friedrich die Ungeduld anderer und jeine eigene zu bejchwichtigen pflegte. Er
wußte, daß auch in der inneren Politik, wie in der Diplomatie und in der
Kriegsführung, Mißerfolge nicht ausbleiben konnten, Teilerfolge für voll ge:
nommen werden mußten. Mit der impulfiven Lebhaftigfeit, die ihm auch
im Alter blieb, verband er eine zähe Beharrlichkeit, die nichts ermüdete
und nichts langmweilte, die nicht abiprang und nicht ausipannte. Alles in
allem gewahrte er doh mit Genugthuung und fliller Freude, wie von Jahr
—
——
382 Achtes Buch. Erſter Abſchnitt.
zu Jahr die lange, mühſelige Arbeit vorſchritt, wie das Ziel, das er ſeinem
Retabliſſement geſteckt hatte, näher rückte. Indem er ſich einmal berechnet,
daß er binnen zehn Jahren allein für die Kurmark 2700000 Thaler an
außerordentlichen Spenden aufgewendet haben wird, ſo dünkt ihm das „etwas
fehr anſehnliches, wovon die Leute ſchon zufrieden fein können“. Mit Vorliebe
nennt er jeine wirtjchaftlihen Entwürfe und Arbeiten, Sorgen und Freuden das
Kinderipielzeug jeines Alters. Aber wie viel mehr war das, als Zeitvertreib
und Liebhaberei! , Als d’Alembert ihn nad einem Krankheitsanfall mahnte, jeine
Gejundheit zu ſchonen, um fich feinen Unterthanen, der Philofophie und den
Wiffenichaften zu erhalten, antwortete er: „Sie erraten richtig meine Abficht,
. ..| meinem VBaterlande und meinen Zeitgenoflen nüglich zu jein während der wenigen
Zeit, die ich zu leben haben werde; die Pflicht des Menſchen ift, ſeinesgleichen
| zu unterftügen in allem, was von ihm abhängt; das ift der Kern aller Moral,
‚ und ein Herz am richtigen Flede wird mit ſich ſelbſt unzufrieden jein, wenn es
dieſe Pflicht nicht erfüllt.“
Daß bier etwas Großes geleiltet wurde, konnte jelbft ein jo mißgünftiger
Beurteiler nicht ganz leugnen, wie jFrievrihs ehemaliger Flügeladjutant Retzow,
der feine „Charakteriftit der wichtigiten Ereigniffe des Siebenjährigen Krieges“
mit der Bemerkung ſchloß: Einen Teil der ungeheuren Summen, die infolge neuer
Sinanzeinrihtungen dem Schate nah dem Kriege zugefloſſen jeien, habe der
König zu Zweden der Yandeswohlfahrt verausgabt und dadurch den Schmerz, den
jene Einrichtungen verurfadht, „gewillermaßen betäubt”. In Wirflichfeit lag
das Verhältnis jo, daß die Mehrerträge der 1766 gefchaffenen Zoll: und Acciſe—
verwaltung, der Regie, wohl ganz auf gemeinnüßige Veranitaltungen aufgewandt
worden jind: „Sie wifjen,” erklärte der König dem Direktor der Regie, „daß
ih von dieſen Einnahmen nichts ſammle.“
Zweiter Abichnitt.
Derwaltungsteformen und Schuß der nationalen
Arbeit.
von feiner Umgebung eindringlich die Rückkehr zu den Negierungsgrund: sl emeı
lägen und Verwaltungseinrihtungen jeines Großvaters, König Friedrih „/. *
Wilhelms J., empfohlen worden. In einer der Denkſchriften über Aufgaben der. „___5 7
inneren Politik Preußens, die jein nahmaliger Minifter Wöllner für den Thron: „/_,.
folger ausgearbeitet hat, wird zumal für die Finanzverwaltung die Forderung —
aufgeſtellt, daß „die Staatsmaſchine der Hauptſache nach gerade jo wieder montiert /
werde, als fie Friedrich Wilhelm 1. eingerichtet hatte, wo alles einfach, kurz und,
der er Sandesbeichaffenheit angemejjen war.‘
Sollten die einfachſten Formen der Verwaltung allemal aud die beften <
jein, dann allerdings hätte eine Verwaltungstunft und Berwaltungswifienihaft / "7
ih nie zu entwideln gebraudt. Die Erfahrung eines weiteren Jahrhunderts rn
bat gelehrt, daß überall die Aufgabe der Verwaltungspolitit nur immer künſt—
liher und verwidelter geworden ift, immer jchwieriger das Problem, die An:
iprüche und Lebensbedingungen der großen produftiven Erwerbszweige, der In—
duftrie, des Handels und der Landwirtſchaft mit einander in Einklang zu bringen,
ein Problem, um defjen Löjung, wie wir jehen werden, auch Friedrich der Große
an jeinem Teile fi gemüht hat.
Er jelbit hatte Grundfäge und Syſtem feines Vaters vordem als unan— en A
taftbar betrachten wollen.) Aber wie hätte er die Bedingtheit verfennen jollen,
der das fonjervative Prinzip allzeit unterworfen bleibt? Es ift lediglich ein Be-
weis für Friedrichs ftaatsmännifche Größe, daß er nad fünfundzwanzig Jahren Ze 74
für die fortichreitenden Bedürfniſſe feines Staates auf Umformung und Ber: «Aulsem =
jtärfung des Triebwerfes dachte. So ift er in der zweiten Hälfte feiner Re: nn Kr
gierung in viel ausgebdehnterem Maße als früher zu Neuerungen geſchritten, die
Y 8b. I, 314.
I: Nachfolger Friedrichs des Großen ift an der Schwelle jeiner Regierung
384 Achtes Bud. Zweiter Abfchnitt.
zwar die Grundlagen unberührt ließen, die Gliederung und den Gang der Ver:
waltung aber nicht unmwejentlic veränderten.
Die einfchneidendite adminiftrative Umgeftaltung wurde im Zufammenhange
mit einer Reform des Steuerwejens herbeigeführt.
Ar u rfmn Dem König ftand ein hohes deal vor Augen. Soziale, abminiftrative,
am: fistaliſche Zwecke ſollten gleichzeitig erreicht werden. Durch Vereinfachung der
Verwaltung, durch größere Ueberfichtlichfeit der Erhebung jollte ein befieres
finanzielles Ergebnis angebahnt, zugleich aber die Möglichkeit geſchaffen werden,
die Armut zu entlaften, den Reichtum zu ftärterem Beitrag heranzuziehen.
Seit lange beſchäftigten ihn biefe Gedanken. Schon 1743 hatte er dem
Generaldireftorium bezeichnet, was ihm an dem beitehenden Syitem der indirekten
cz ne, Steuern mißfiel: „das zu große Detail bei der Accije“, das den Handel über
—— — 1 Gebühr beläftige; die willfürliche Berechnung der Abgaben, die Chifanen, die
rise m
— der Steuerbeamte ſich erlaube. Der König wies damals ein ganz beſtimmtes
—* Ziel: von jedem Gegenſtand ſoll nur einmal, nur an einem Orte, Acciſe erhoben
und der Tarif ſoll ſo eingerichtet werden, daß jeder Kaufmann den Betrag der
Abgabe im voraus genau wiſſen kann. Wie das zu erreichen ſei, das wurde
dem Generaldirektorium zur Erwägung anheimgegeben. Und wieder 1748 hatte
er dem Minifter Boden eröffnet: „Meinen Principiis nad ift allemal darauf
zu denfen, auf was Art die Armut und der geringe Handwerksmann und Fabri-
quante in denjenigen Stüden, fo jelbige zur Erhaltung ihres Lebens unum—
gängli nötig haben, joulagiert werden, und müſſen daher billig auf das Bier,
Brot und Fleiſch, wovon die Armut leben muß, nur jehr geringe Taren und
— Impoſten gelegt werben“.
Im, Divech Das Generaldireftorium unterließ nicht, ſich auf diefen Befehl zu berufen,
ar na fobald in der Accife Ausfälle bemerkbar wurden. Mit den ihr ans Herz ge:
rer: legten Erwägungen kam bie hohe Behörde nicht vorwärts. Während des Krieges
r ftarben von den fünf Departementschefs nicht weniger als vier: Happe, Katte,
Adam Ludwig v. Blumenthal, Boden; der einzige Ueberlebende, der Nachfolger
7 des ſchon vor dem Kriege zurücgetretenen Viered, Friedrih Wilhelm v. Borde,
deſſen Leiftungen bei der Verwaltung der kurſächſiſchen Kontribution nicht genügt
hatten, nahm Anfang 1764 feinen Abſchied. Friedrich hat oft geklagt, daß es
ſchwer jei, geeignete Männer für die Minifterftellen zu finden, was er forderte,
war, wie er einem feiner Minifter bei Gelegenheit erklärt hat, die Verbindung
von adeliher Geburt mit Fachkenntnis und einer auf Neigung und Geſchmack
. beruhenden Hingebung an das Amt. Sebt erſetzte er den alten Stamm durch
u —— "zwei Kammerpräſidenten, Valentin v. Maſſow aus Minden und den in Magdeburg
trefflih bewährten Joachim Chriftian v. Blumenthal, und durd den jungen,
hervorragend befähigten und außerordentlich arbeitfamen Geheimen Finanzrat
Ludwig Philipp v. Hagen.') Als die neuen Minifter im dritten Friedensjahre,
am 10. Juni 1765, zur alljährlihen Etatsberatung in Potsdam verjammelt
waren, erörterte der König die Notwendigkeit, die Staatseinnahmen zu erhöhen.
Da jol, wie man ſich nahmals in Beamtenkreiſen erzählte, Maflow, der die
’) Dal, oben ©. 35%.
Berwaltungsreformen und Schuß ber nationalen Arbeit. 335
Kaffenverwaltung leitete, erflärt haben, daß dazu das Land infolge des Krieges Massour.
zu erfchöpft ſei. Maſſow hatte fi vor 20 Jahren als Kammerpräfident harten
Tadel zugezogen; ') feine Berufung in das vermwailte Generaldireftorium mag
alſo eher eine Verlegenheitswahl geweſen fein, als daß ein großer Staatswirt
und Rechenmeiſter in ihm gejehen worden wäre; immerhin, nach feinem Tode
im Jahre 1775 hat der König feine „Gejchidlichkeit” und feinen „Patriotismus“
anerkannt, und aud unmittelbar nad} jener mündlichen Beratung hat er im Herbit
1765 mit Maſſow die Frage der Tarifreform einer eingehenden jchriftlichen
Erörterung unterzogen.
Zugleih aber hatte er alabald nad dem Minifterrate Vorbereitungen ge: /, —
troffen, um ſeine Steuerreform ohne ſeine neuen Miniſter durchzuführen. Er A: ———
hatte ſich offenbar abermals in der Meinung beſtärkt, auf die er ſchon durch
frühere Wahrnehmungen geführt worden war: daß ſeine „großen Perrücken“,
wie er die Miniſter gern nannte, lediglich eingeſchulte, im alten Gleiſe einher:
ſchreitende Verwaltungskünftler jeien, feine Männer von weitem Blid und ſchöpfe—
tiichen Gedanken oder auch nur von Anpafiungsvermögen. Selbft von jenem
Boden, den er ehedem fo hoch geihätt hatte, jagte er während des Krieges,
daß diefer Mann vom Handel, der hohen Finanz und dem MWechjelverfehr nicht
die geringfte Vorftellung noch Kenntnis habe. Das ſchloß nicht aus, daß er die
Zeiftungen einzelner von diejen Minijtern in ihrem geſchloſſenen Wirkungsfreije ,
hoch angejhlagen und warm anerkannt hat. Als Hagen nad fiebenjähriger ragen ⸗
Amtsthätigkeit 1771 ſtarb, nannte ihn der König in einem Erlaß an das General— net. ——
bireftorium „einen Miniſter, dergleichen Seine Königliche Majeſtät Sich wohl viele *27 3
wünſchen, aber leider wenig haben“; er verfügte, daß ein von ihm geſtiftetes Bild
des Verſtorbenen im Audienzſaal der Behörde, den bisher ausſchließlich das Bild
König Friedrich Wilhelms I. ſchmückte, „bei voller Verſammlung und offenen
Thüren” jeierlih aufgeftelt werden follte „zum immermwährenden Gebädtnis
diejes rechtichaffenen Dieners des Staates”.
Nun war ein Vierteljahr vor jener Minifterfonferenz der franzöfiiche Arzt / hr PR
Helvetins zu mehrwöchentlichem Beſuch in Potsdam eingetroffen, von d'Alem—
bert warm empfohlen, dem Könige als Schriftiteller bereits befannt und troß
grundjäglier Vorbehalte als Mann von Geift, Welt und Geihmad und als Ber:
folgter willlommen. Willlommen aber aud) als erfahrener Finanzmann. Denn —W—
Helvetius hatte ſeinen Reichtum als Teilhaber einer der großen franzöſiſchen et
Steuerpächtereien erworben, und Friedrich war längit begierig, über dieſes fran: 2 Inner *
zöſiſche Pachtſyſtem etwas Näheres zu erfahren, von dem ihm, wie e& heißt,‘ Jemenal :
Krodow und Quintus?) allerhand erzählt hatten. Er entichloß fi nach Helvetius’ “
Adreife zu einem Berjuche und ließ durch d’Argens, der jpäter allerdings jeine ., uhr ern
Beteiligung leugnete, jenen auffordern, ihm aus Frankreich Fachleute, einen _,,.
Obmann und fünf Hilfsarbeiter, zu ſchicken, um bis zum nächſten Rechnungs:
jahre alles Erforderliche vorbereiten zu können.
So erſchien Anfang 1766 der Mann am preußiichen Hofe, der während
24 —
') Bd. J, S. 360.
2) Oben S. 349. 350.
Kojer, König Friedrih der Große. II. 2, Auf
=)
386 Achtes Buch. Zweiter Abſchnitt.
. ber nächſten zwei Jahrzehnte alle einheimiſchen Finanzgrößen in ben Schatten
ftellte, de La Haye de Launay, von Friedrich als der Jupiter begrüßt, der ein
Chaos entwirren werde.
Des Königs Abfiht war uriprünglih, für die Erhebung der Zölle und
Acciſen einfah die Generalpaht nah dem franzöfiiden Mufter einzuführen.
Bereits verhandelte er durch de Launay mit einer Gefellihaft Pariſer Kapi:
taliften. Es ftellte fich heraus, daß de Launays Hintermänner nicht im flande
waren oder nicht Neigung hatten, die 300.000 Thaler, die als Vorſchuß für die
Einrihtungstoften, vieleicht aud als Kaution, gefordert wurden, zu hinterlegen.
Sehr erflärlich, daß nun der König es von der Hand wies, fih von Paris aus
durch einen „Areopag von Bettlern” in feine Angelegenheiten einreden zu laſſen.
Er machte endlid de Launay, als dem einzigen, der ihm Vertrauen einflößte
und ber ihm ernfthaft bei der Sade zu jein jhien, den Vorſchlag, ibm und
vier Gehülfen gegen feites Gehalt und einen Anteil an dem Neingewinn die
» Verwaltung zu übertragen. Am 14. Juli 1766 wurde auf diefer Grundlage
ein Vertrag auf ſechs Jahre, bis zum 31. Mai 1772, abgeſchloſſen. Die
: Regiffeure übernahmen unter der Auffiht, nit unter der Leitung, eines der
Minifter die Verwaltung der indireften Steuern, gegen Gehälter im Gejamt:
betrage von 60000 Mark und fünf Progent an Tantieme von dem, was über
die Erträge des Rechnungsjahres 1765/66 einfommen würde.
Schon vor diefer Umgeftaltung des Verwaltungsbetriebes hatte der König
mit jeinem neuen Vertrauensmann über die Grundfäge der anzuftrebenden
J need f- —* -PTarifreform verhandelt.
X Leni Fr
— —⸗ñ u.
⸗
*
In einem eigenhändigen Beſcheid, den er am 16. März 1766 auf die Vor—
ſchläge de Launays erteilte, ſteht im Vordergrunde die ſozialpolitiſche Tendenz
des Reformplanes: die e unentbehrlichſten Lebensmittel ſollen ſteuerfrei bleiben
oder doch möglichſt geringe Abgaben erleiden, alle Luxusgegenſtände ſtart be:
— laſtet werden. Daß das Brot in Zukunft nicht zu beſteuern iſt, ſteht von vorn—
herein feſt. De Launay will, um den Ausfall zu deden, Fleiſch und Bier ſtärker
als bisher heranziehen; der König aber kürzt bie vorgeſchlagenen Sätze, weil
3 fie ihm für das Volk zu drückend erſcheinen. Er will für Fleiſch und ein—
4%)
heimifches Bier nur eine ganz geringe Erhöhung zulaffen und gibt dafür preis
alle fremden Biere, alle Weine und den franzöfiichen Likör, dazu Pfeifer, Zimmt,
Gewürze, mit einem Worte „alles, was zum Lurus gehört” — „da ift nicht der
Arme der Zahler, nicht der Handarbeiter und der Soldat, denn die find es,
als deren Anwalt ih mich erkläre und deren Sache ich führen muß“. Für den
Soldaten, der fein Brot in Friedenszeiten damals jelber zu faufen hatte, be
deutete die Aufhebung der Mahlfteuer die allergrößte Erleichterung.
Denfelben Gefichtspunft entwidelte vier Wochen fpäter das „Deklaration:
patent” vom 14. April 1766, das die Notwendigkeit der Reform begründete
und bie Einjegung einer Kommiffion zur Ausarbeitung eines neuen Tarifs an—
kündigte. Bereits jetzt aber wurde im Sinne der zwiſchen dem Könige und
ein geringfügiges, lediglih behufs Verhütung der Unterjchleife eingeführtes Viſi⸗
tationsgeld von zwei Pfennig für den Scheffel. Dagegen wurde zur Dedung des
Verwaltungsreformen und Schub der nationalen Arbeit. 387
Ausfalls die Branntweinaccife erhöht, desaleihen und zwar erheblid die vom m
Weine, die vom Biere um einen Pfennig für das Quart, die vom Fleiihe um ne
einen Pfennig für das Pfund, eine Erhöhung, von der das Schweinefleijch, als 7
die Nahrung der Armen, nicht betroffen wurde. Als Zwed der Reform wurde — ——
bezeichnet, daß die Staatseinkünfte auf einen feſten und beſtändigen Fuß ge—
bracht werden ſollten, ohne dabei eine übermäßige Vermehrung der Abgaben zu
erſtreben. Daß es an ſich auf eine Vermehrung abgeſehen ſei, daraus wurde alſo
kein Hehl gemacht. Aber der Vermehrung der Steuern ſollte ausgleichend zur Seite
gehen ihre gleichmäßigere und gerechtere Verteilung. Der König erklärte hier
öffentlich, er ſei ſeit dem Kriege unabläſſig darauf bedacht geweſen, den Unter—
thanen wieder aufzuhelfen und dadurch Erleichterung zu ſchaffen, daß ihre Laſten
„auf einen billigen und proportionierten Fuß geſetzet und durchgehends mit
gleichen Schultern und nach Vermögen der Kontribuenten getragen werden mögen“.
Es iſt der Grundgedanke der Weifungen von 1743 und 1748, und ber: 6: - J
ſelbe, den Friedrich 1768 in ſeinem neuen politiſchen Teſtamente ausgeſprochen L
hat: „Bei der Verwaltung der Finanzen müſſen Billigkeit und Menjchenfreund: — —
lichfeit mitſprechen; die Menſchenfreundlichkeit muß den Vorſitz führen und die ————
Art der Auflagen vorſchreiben; die Billigkeit verlangt, daß niemand dem Staate Bay:
über jeine Kräfte Steuern zahlt und die Abgaben verhältnismäßig bleiben: wer
nur 100 Thaler zu verzehren hat, darf nicht mehr als 2 entrichten, während |
der, welder ein Einfommen von 1000 Thalern hat, ohne Beſchwer 100 zahlen)
fann. Die Auflagen dürfen weder den Arbeiter, noch den Soldaten, noch deni
Armen treffen, jondern nur den wohlhabenden und reihen Bürger.”
Wer wollte verfennen, namentlid auch im Hinblid auf die Grundlagen
der direften Beſteuerung in dem —— Preußen, daß hier eine Bertiäait 4 ———
bringen ringen blieb hinter dem Wunſchen * Wollen weit zurüd, Der Verſuch zu einer
materiellen n Reform der Acciſeverfaſſung ſcheiterte. Zu gebieteriſch ſprach das
Bedürfnis dee des Staatshaushalts. Die für die Ausarbeitung neuer Tarife im? —
Sommer 1768 berufene Immediatkommiſſion, übrigens aus Vertretern des alten _
Beamtentums zujammengejeßt, führte gegen die neue Regie mit klarem Verftänd:
nis und großer Sadfunde eine Neihe von Vorjchlägen ins Treffen, denen die rs ⸗ 9—
Franzoſen regelmäßig die Befürchtung entgegenhielten, daß dadurch der Fiskus V *
Schaden leiden werde. Der König verließ ſich für die ſteuertechniſchen Einzel—
heiten auf de Launay, und ſo fiel dieſem der Sieg zu. Indem am 21. De—
zember 1768 verfügt wurde, daß bei allen fremden Waren die bisherigen Säße ————
—*
in Kraft bleiben ſollten, war das Geſchick des ſozialpolitiſchen Programms, ohne , °.
daB jein Urheber diefe Nachwirkung ermaß, im wejentlihen ſchon entichieden, (7 2
denn nur dur Erhöhung jener Säte hätte fi die beabjichtigte Mehrbelaſtung hr
der er Wohlhabenden erzielen lajien. So aber mußte aud an jenem vorläufigen uch:
Tarif, der inneren DVerbrauchsftenern, die vorzugsweile die Aermeren trafen, , 2
dauernd feftgehalten werden. Soweit das Deflarationspatent von 1766 pofitive —— >
Beitimmungen enthielt, die doch nur als Uebergangsrecht gedacht worden waren, |
blieb es eine dauernde Ordnung; ſoweit es allgemeine Grundjäße ausſprach,
blieb es unausgeführt. Es war nicht anders, als wie die Kommiſſion es der
ne En
En
were:
388 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt.
Regie zum Vorwurfe machte: gegen früher blieb die Bieraccife um das Doppelte,
die Branntweinaccife um bie Hälfte erhöht.
Daß damit die Nahrungsmittel des gemeinen Mannes zu hoch beiteuert
. feien, wollte der König nicht anerkennen. Faſt ericheinen gegen die Diskufjion
en ri de Launay vom Fahre 1766 die Rollen vertaufcht, wenn ſechs Jahre jpäter
permaneuF: einer der Kammerpräfidenten dringend die Abſchaffung des Steuerzuihlages auf
Bier, Branntwein und Fleiſch befürwortet, der König aber das „irrige und höchſt
gefährliche Finanzprinzip” abweift, „woburd die Revenuen des Staats, die ihre
Sicherung und Gemißheit nur in den erften Bebürfnifien des Menichen finden
können, der Willkür und Caprice ſchlechterdings überlafien bleiben“.
Ohne Frage alfo führte der Accijetarif, mit dem die Negie arbeitete, eine
Mehrbelaftung herbei, die auf das bitterfte empfunden wurde. Den Wegfall
der Kornaccije brachte man nicht in Anjchlag, man beadhtete nur das Plus, das
beim Fleiſch und Getränk fih ergab. Die jozialpolitiihe Abfiht der Reform
alfo blieb im weſentlichen unerfült und jedenfalls ganz ohne Anerkennung,
ganz ohne Dank. .
- Friedrich ſelbſt betrachtete als das befte, was bei der Acciſereform heraus:
d * er u) fam, die Einſchränkung des Schleihhandels. Eine Bewachung der Grenzen hatte
im Reiche des „roi_des lisieres“ !) bisher ganz gefehlt, alles hatte die Zollviit:
tation an ben Stadtthoren leiften und verantworten jolen. Jetzt wurden Grenz:
bureaur eingerichtet und eine zum Teil berittene Grenzwacht aufgeftellt, die jo-
genannten Brigaden. Urjprungszeugnijie und Begleiticheine mußten vorgewieien,
Plomben beim Durhgangshandel angelegt werden — techniſche Schugmaßregeln,
welche die franzöfifchen Beamten aus ihrer Heimat als jelbitverftändlich mitbradhten.
reilich fehlte viel daran, daß nun der Schmuggel ganz eritidt worden wäre;
von einem wirklihen Grenzzolliyitem, wie es 1818 geſchaffen worden ift, blieben
die Anläufe von 1766 doch nod weit entfernt; ja, ein neuerer Forſcher iſt ge:
neigt, „fait alle Härten, alle über das Ziel hinausgehenden Wirkungen” der
fridericianifhen Zoll: und Handelspolitif auf die noch immer erheblichen tech—
nifhen Mängel der Accifeverfaffung zurüdzuführen. Verglichen aber mit den
Zuftänden im damaligen England, müfjen die preußifchen nod als günftig er:
jcheinen; denn man nahm an, daß vor den jeit 1784 durchgeführten Finanz:
reformen des jüngeren Pitt die Hälfte der englifchen Bevölkerung am Schmugael
beteiligt war, daß 5'. Million Pfund Thee jährlich verzollt, 7%. Million aber
eingejhmuggelt wurden.
Dis, A Der größte adminiftrative Fortjchritt lag darin, daß die gefamte Verwal:
— — tung der indirekten Steuern jetzt einheitlich zuſammengefaßt wurde — nur die
rheiniſch-weſtfäliſchen Provinzen erhielten eine Ausnahmeſtellung, indem ſie ſich
von der Acciſe durch ein „Abonnement“ loskauften. Im Laufe der Zeiten nad:
einander ausgebildet, waren die einzelnen Gefälle bisher an einem und dem:
jelben Orte von verjchievenen Beamten verwaltet worden: die urväteriſchen Zinjen
und Zölle, die Licenten, d. h. Hafenzölle aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges,
die jeit der Negierung des großen Kurfürften eingeführte Accife, und als Steuer
1) Bgl. Bo. I, 88.
AR ER:
Vermwaltungäreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 389
jüngfien Datums!) der Tranfito-Jmpoft. Wiederum zeriplitterte ſich an der /- 2
Zentralſtelle die Verwaltung der Steuern auf die vier Provinzialdepartements des /- 7...
Generaldireftoriums. Jetzt wurden Provinzialdireftoren mit einem Stabe von a
Gehülfen und Unterbeamten zur ausjchließlihen und einheitlihen Verwaltung der
indireften Steuern_beftellt, jo daß die Kriegs: und Domänentammern durch diefe
neuen Behörden von allen einfhlägigen Geichäften entlaftet wurden. Und
ebenjo hatten im Generaldireftorium bie Chefs der vier alten Departements mit
den indirekten Steuern nichts mehr zu jchaffen, fie hatten in diefem Bereiche ab:
zudanfen zu Gunften des Zoll und Accijedepartements mit feinen franzöfiichen
Regifjeuren unter einem deutſchen Minifter, aljo eines neuen, alle Provinzen -
umfjpannenden Realdepartements, wie ein _folches 1740 für Kommerzien und.
Fabrifen, 1746 für bie Heeresverwaltung errichtet worden war. Die damals u):
betretene Bahn wurde weiter verfolgt. Mit den laufenden Verwaltungsgeichäften x "
nicht befaßt, vermittelte doch der dirigierende Minifter der Accifeabteilung alle
Beziehungen, die ih zwiihen den Aufgaben der Regie und dem Gange der
allgemeinen Staatöverwaltung ergaben, und eritattete vor allen grundjäglichen
Entſcheidungen dem Könige fein Gutadten.
Dem Grundgedanken, aus dem heraus das ganze Gebiet ber indirekten
Beiteuerung eigene Organe und einheitliche Zeitung erhielt, gehörte die Zukunft.
Die Arbeitsteilung innerhalb des Verwaltungsförpers war immer mehr Grund:
fat und Notwendigkeit geworden. Gleichwohl haben fi in der Praris bei der
1766 gejhaffenen Ordnung ftarfe Mißitände ergeben. Dem unleugbaren ver:
waltungstehnifchen Fortichritte, der in der einheitlichen Geitaltung des gefamten « —
indirekten Steuerweſens lag, ſtand der Nachteil gegenüber, daß durch die neue *
Einrichtung die Finanzverwaltung des Staates als Ganzes noch mehr den Zu—
ſammenhang verlor als bisher. Wie bereits früher eine ganze Provinz, das v)
große Schleſien, jo wurde jetzt ein ganzer Verwaltungszweig dem eigentlichen -v;« — *
Finanzminiſterium entzogen. Denn nicht bloß mit der Verwaltung und Erhebung % L
ber indirekten Steuern, d. 6. ungefähr des dritten Teiles der gefamten Staats: —
einnahmen, auch mit ihrer Verrechnung hatte das Generaldirektorium nichts mehr
zu thun. Der ganze Mehrertrag der Acciſeverwaltung, der nach Abführung des
Paufhquantums an die Generalfriegsfafje verblieb, wurde in den Staatshaus:
halt überhaupt nicht eingeftellt, jondern dem Königlichen Dispofitionsfonds über:
wiefen, und zwar fo, daß das Generaldireftorium nicht einmal die Höhe der
Summe erfuhr.
Weiter aber: zum Schaden der Sache begannen nun von neuem zwijchen
den Reſſorts die Neibungen und Kämpfe, die an die Zeiten unmittelbar vor der * — ——
277
—
ne Duff
Gründung des Ge Seneralbireftoriums erinnern. ?) Die organijche Einheit der LefarYamaiiz :
inneren Verwaltung, die Treffiicherheit des ‚ Apparats ging wieder verloren. Das
Ganze wurde lediglich durch die Kabinettsregierung, die unmittelbaren Entidei: - r En F ——
dungen des Königs ſtreng, aber doch nur notdürftig und außerlich zuſammen⸗
gehalten. Friedrich machte ſeinen Kammerkollegien insgemein den Vorwurf, daß
) Bd. I, 443.
) Bd. I, 350.
ti
"Preußen in allen Städten und alle Tage von den Franzojen geihlagen. Die
390 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt.
fie Umtriebe machten, um „feine guten Negie-Einrihtungen rüdgängig zu machen
und über den Haufen zu werfen“.
ai Und die Reſſorteiferſucht wurde getragen und geſchärft durch den nationalen
Gegenfag. Der Einbruch des Franzofentums in bie Nccifeverwaltung bat nicht
den Umfang gehabt, auf den die erregte öffentliche Meinung ihn ſchätzte. Von
den 2000 in Betracht fommenden Stellen find nur etwa 175—200 mit ran:
zoſen befegt worden, Gleichviel, dieje unter franzöſiſcher Leitung ſtehende, nach
franzöſiſcher Regel arbeitende Verwaltung blieb als Fremdherrſchaft dem ein:
heimischen Beamtentum wie der Bevölkerung gleihmäßig verhaßt. Dem eng:
‚lichen Gejandten Mitchell wurde das Wort zugeichrieben: die Franzoſen find
einmal bei Roßbach von den Preußen geſchlagen worden, dafür werden num die
Beiten der Vorliebe für franzöfiihe Art und Bildung und für franzoſiſchen Be⸗
ſuch waren vorüber. Roßbach und das Auftreten Leſſi
dem Umſchwunge beigetragen. Selbft einem d’ Alembert, der mit der ausgeſuch—
teften Nrtigkeit in der Berliner Gejellihaft aufgenommen mwurde, entging es
nicht, wie im allgemeinen die Stimmung gegen feine Landsleute war; er be:
trahtete das ihm gemachte Kompliment, einen Franzofen wie ihn habe man hier
noch nicht Fennen gelernt, als ebenjo fchmeichelhaft für fich jelbit wie bedenklich
für feine Nation.
2 Dem König ſelber fonnten auf die Dauer die der neuen Einrichtung an:
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Ainamys Ren
NE 3 2, :
— Haftenden Gebrechen nicht entgehen. Zwar bemwahrte er dem Generalregifieur
fein Vertrauen und hielt ihn und die Regie gegen alle Angriffe und Anlagen.
Aber er wies doch in feinen letzten Lebensjahren die Kritif nicht mehr fo furzer
Hand zurüd, wie er es früher gethan hatte, und ließ de Launay keineswegs
frei Schalten und walten. Vor allem aber Elagte auch er jegt über die Un—
zuverläffigfeit der Franzojen und begann von de Launay zu fordern, daß zur
Erledigung gelangende Stellen, wie die des 1781 wegen Betrügereien abgejegten
Stettiner Accijedireftors, mit Deutjchen wiederbejegt werden jollten. Die zwei
Fahre hindurch wiederholten Klagen führten endlih in einem Schreiben an
de Yaunay vom 28. Februar 1783 auf die verallgemeinernde Nukanmwendung:
„Sp ift nun die Mehrzahl der Franzojen: zu Haufe fortgejagt, ſetzen fie hier
ans Land, erhalten die erjten Stellen in der Regie, plündern die Provinzen und
gehen, wenn fie ihr Geld im Beutel haben, nad Frankreich zurüd. d_mwill
infolgedefien nicht mehr, daß Sie Franzojen für bergleihen Stellen nehmen.”
Auch das verdroß ihn, daß troß aller Einjchränfungsverjuhe die Betriebe:
fojten der Regie jehr hoch blieben. Sie verſchlangen q andauernd mehr als ein
Zehn hntel der Bruttoeinnahme, während fie unter der alten Nccifeverwaltung noch
nicht den fünfzehnten Teil beanſprucht hatten. Allerdings waren damals die
Vorkehrungen für die Grenzbewahung unvollkommener und deshalb weniger koſt—
ipielig geweſen. Das finanzielle Gejfamtergebnis ſchwankte. Die an die General-
‚ riegetafl e zu zahlende Abſchlagsſumme, die jogenannte Firation, betrug anfäng:
| lich, entſprechend den Erträgen der alten Verwaltung im Rechnungsjahre 1765,66,
‚4662210 Thaler; fie wurde 1772 bei Ablauf des erften Vertrages im Zus ı
\Tammenhange mit anderen Nenderungen auf 4395957 Thaler herabgejegt, womit
Berwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 391
fih der an die Königliche Dispofitionsfafle gelangende Ueberſchuß entipredend }, —
4
ſtiegen, nachdem inzwiſchen eine neue Provinz dem Staate zugefallen war. Laſſen 7944-5.
wir deren Erträge außer Betracht, ſo wird der Ueberſchuß, der in dieſen
et Tree BON erzielt worden ift, nad einer
‚ neuerdings angeftellten Berehnung im ganzen auf 23". Millionen veranſchlagt
werden dürfen. Die Gegner der Regie haben ſchon damals nicht mit Unrecht
darauf hingewieſen, daß aud ohne die franzöfiiche Verwaltung die Accijeerträge
mit dem zunehmenden Wohlitand ji erhöht haben würden.
Während bei der Einführung der Regie der fisfaliihe Geſichtspunkt erit
in zweiter Linie ftand, war er bei einigen anderen abminiftrativen Reformen
das Enticheidende.
Ganz nad dem Mufter der Regie erhielt 1766 das Koftweien eine Neu: Ant
ordnung: ein Generalintendant übernahm die Verwaltung der _Poften gegen Ab: y: ln
lieferung eines felten Betrages in der Höhe —— — ee
führte den Ueberſchuß, nach Abzug einer Tantieme für die Beamten, an die 746
Königlihe Dispofitionsfafle ab. Auch Hier richtete ein Franzoſe, Jacques Marie
Bernard, den neuen Betrieb ein, wurde aber ſchon 1769 durd einen deutſchen
Generalpoftmeifter erſetzt, nachdem er einem Strafprozeß durch Flucht aus dem
Wege gegangen war. =
Für die Ausübung des 1765 eingeführten jtaatlihen Tabafınonopols wurde Iebace m
im Frühjahr 1767 die Generaltabatadminiftration eingejegt; ein Verſuch, das mr Ari, :
Monopol zu verpadten, war mißglüdt. Die Tabafverwaltung ftand unab:
bängig neben der Regie, jo jedoh, daß derjelbe Minifter die Aufficht über
beide führte. Das finanzielle Ergebnis war durchaus günftig, der jährliche Rein-
gewinn ftieg, troß einer ſchweren Krifis zu Anfang der achtziger Jahre, bis zum
Ende der Regierung auf 1624711 Thaler. Der König war unabläffig bemüht,
die Erträge durch Verbefjerung des im Lande gewonnenen Rohſtoffes zu fteigern;
während des amerifanijchen Unabhängigfeitskrieges, als die Zufuhr aus Virginien ,, , L
ftodte, gewann der einheimiſche Tabakbau eine beträchtliche Ausbreitung, die ſich 77a * et /
bald als ſtarke Ueberproduftion herausitellte. Viel hätte der König darum ge: «« α Ins;
geben, wenn e& gelungen wäre, bie virginiihen Blätter für die Fabrikation voll:
wertig zu erjegen. Er habe die dee, ſchrieb er am 16. Januar 1780 an den
Chemiker Ahard, „ob es möglich fei, eine ſolche Sauce zu erfinden, die auf
feine Weiſe ſchädlich iſt und dennoch den hieſigen Landblättertabat dergeitalt
verbefjern kann, daß ſolcher dem virginifchen, wo nidht in totum, jo doch in
tantum an Bonite gleihlöümmt”. Aber das Ergebnis der angeftellten Verſuche
bereitete ihm eine große Enttäufhung. Nach einem Bericht der Generaltabaf-
abminiftration vom 27. Juli 1782 hatten von 1180 eingefandten Proben außer
34 alle übrigen feinen Vorzug vor dem ordinären Zandtabaf, und die 34, „ungeachtet
fie dem äußeren Anſehen nad gute Miene machten“, ſchienen doch nicht geeignet,
ohne Nachteil des Abjates unter die aus virginiihen Blättern hergeftellte Ware
gemiſcht zu werben, „weil fie zum Teil den jchlehten Landblättergeruch, teils einen
ihnen eigenen Geruch hätten, der mit dem virginifchen gar nicht übereinfäme”.
392 Achtes Buch. Zweiter Abfchnitt.
ä H L Erit 1781 wurde als Seitenftüd zu der Tabafabminiftration die jtaatliche
ug 70 Rafjeeregie geichaffen. In diefem alle bezwedte das neue Monopol aus:
geiprodenermaßen, einen erft feit einem Menſchenalter zu größerer Verbreitung
‚JL.ÄAs 7 ‚gelangten Zurusgegenftand, eine „dem Vorteil des Staates höchſt ſchädliche
Delikateſſe“, ſtracks zu bekämpfen: „daß nicht alle Maurer, Mägde und der—
gleichen von ihrer Hände Arbeit ſich nährende Perſonen Coffée trinken ſollten“.
— Nicht genug, daß eine Summe von mindeſtens 700000 Thalern jährlich aus
dem Lande gehe, werde auch die heimiſche Bierbrauerei durch dies neumodiſche
Genußmittel „abſcheulich heruntergebracht“. „Se. Majeſtät find Höchſtſelbſt in
Bar rn Dero Jugend mit Bierjuppe erzogen, mithin können die Leute dorten ebenjogut
mit Vierjuppe erzogen werben, das ift_viel gefunder als ber Coffee”, fo beſchied
der König die pommerjhen Stände auf ihre Vorftellung gegen die fisfalifche
Verteuerung des ſchwarzen Naſſes. Die Errichtung ftaatliher Kaffeemagazine
und Brennereien, die Beitimmung, daß niemand ohne befondere, nur den Standes:
perionen erreihbare Erlaubnis rohe Bohnen faufen und felber brennen durfte,
Mk fund endlich die Feitjegung des ſchier unerſchwinglichen Preifes von einem Thaler für
das 8 Pfund, das waren die Waffen, mit denen der Kampf zugleich gegen ben
Konfum und gegen die Rontrebande aufgenommen wurde. Vielleicht würde auf
diefem Wege der Kaffee aus der Haushaltung des gemeinen Mannes und des
Mittelftandes bald ganz verdrängt worden fein, um durch jchauerlihen Sud er:
jegt zu werden. Dabei aber hätte nun wieder der Staatsjädel feine Rechnung
nicht gefunden; ſchon flagten de Yaunay und feine Leute über den Nüdgang
ihrer Einnahme aus dieſem Zweige der Beiteuerung. So ſetzten fie zweimal
eine Ermäßigung des Tarpreijes durch, bis das Pfund nur nod einen Drittel:
thaler foftete. Nun ſtieg die Einnahme, aber der allgemeine Hab gegen die
ganze Einrihtung und ihre Werkzeuge, die in alle Küchen und alle Töpfe hinein—
ihnüffelnden Aufpafler, blieb, und nichts hat der Verwaltung des Königs
foviel Mißgunſt eingetragen, wie diefe „Kaffeeriecherei“.
⸗ 4
Lech a'
Fr Die Errihtung einer Lotterie hatte Friedrich ſchon vor dem Siebenjährigen
ur 4 2 Kriege ins Auge gefaßt, um den Gewinn, der durch die Einſätze preußifcher
rg: Unterthanen auswärtigen Auslofungen zufloß, in bie eigenen Kaſſen zu Ienten.
Unmittelbar nah dem Kriege nahm der Plan Geitalt an. Auf den Vorjchlag des
uns ſchon befannten Livorneſen Calzabigi,') nad dem Borbild des in Italien und
den öſterreichiſchen Landen eingebürgerten Zablenlotto geichaffen, demnächſt mit der
noch heute beitehenden Klafjenlotterie holländischen Mufters verbunden, anfangs
vom Staate in Selbitverwaltung betrieben, dann an Galzabigi und Genoſſen, und
nad) deren Rüdtritt an die Etatsminifter Graf Reuß und Graf Eidjtedt verpachtet,
trug dies Unternehmen dem Staate zu Ende der Regierung einen Pachtzins von
75000 Thalern ein, gegen den anfänglichen Betrag von nur 25000 Thalern.
Mit der Einrichtung einer bejonderen Behörde für die Zoll: und Aceiſe—
verwaltung und mit der Abzweigung der Tabafadminiftration, der Kaffeeregie
und der Lotterie von der allgemeinen Finanzverwaltung, ift die Zahl der organi-
‚Tatorifchen Aenderungen der Periode nah 1763 noch nicht erſchöpft.
) Oben ©. 358.
Verwaltungsreformen und Schub der nationalen Nrbeit. 393
Die alten vier Provinzialdepartements?) verringerten fi auf drei, als Claes —
der König 1766 dem von ihm jo hoch gejhägten dirigierenden Minifter des »,,.,. u...
dritten Departements, Hagen,”) zu feinem die weſtdeutſchen Landesteile Kleve, ;, une:
Mark, Geldern, Mörs und Dftfriesland umfaſſenden Sprengel noch das vierte
Departement mit Halberftadbt, Minden, Ravensberg, Tedlenburg, Lingen zu:
teilte. 1771 wurde aud) das Herzogtum Magdeburg, bisher mit der Kurmarf
verbunden, zu diefem nunmehr alle linfselbifchen Provinzen außer der Altmark
vereinigenden Departement geſchlagen; nach Hagens frühzeitigem Tode folgte ein
früherer Offizier, jener Freiherr v. Schulenburg:Ktehnert, der, lange Zeit hoch:
angejehen, 1806 durch feinen Anſchluß an die fremden Ueberwinder ſchweres
Aergernis gegeben hat. Inzwiſchen war die alte Vierzahl 1769 wiederhergeftellt
worden: das erjte Departement wurde in der Weiſe zerlegt, daß der Miniiter
Blumenthal nur Pommern und die Neumark behielt, die Kammerbezirte Königs:
berg und Gumbinnen dagegen Maſſow übernahm, der dafür fein bisheriges
Departement, das kurmärkiſche, an Friedrich Wilhelm v. Derihau abgab.
An der damit eingetretenen Verteilung der Provinzen ift zu Friedrichs
Lebzeiten nichts mehr geändert worden. Das preußiſch-litauiſche Departement
erhielt nah Mafiowms Tode der Magdeburger Kammerpräfident v. Gaudi, wieder
ein ehemaliger Offizier, das furmärfifhe in Verbindung mit der Salzvermaltung
und dem Generalpoftmeifteramt nah Derihaus Tode 1779 Friedrich Gottlieb
Michaelis, der als Ariegsrat in Breslau, dann als Direktor der kurmärkiſchen
Kammer und zulett als Geheimer Finanzrat zahlreihe Sonderaufträge zu des
Königs großer Zufriedenheit gelöft hatte, der einzige bürgerliche Minifter Friedrichs
des Großen. Als Michaelis jhon nad zwei Jahren ftarb, berief der König
einen Landrat aus dem Magdeburgiichen, der ihm auf jeinen Befichtigungsreifen
gefallen hatte, den nachmals als Freund Wöllners ftarf angefeindeten Minifter
v. Werder. In den beiden anderen Provinzialdepartements haben die 1763 und
1771 ernannten Minifter Blumenthal und Schulenburg ben König überlebt. haus Beford-
Neue Realdepartements entftanden, außer dem für Acciſe und Zölle, 1768 *
für_das Bergwerfs: und Hüttenwefen, zunächſt unter Hagen, dann unter Waityr, nr: 2
v. Eſchen) und zulegt unter dem Freiherrn v. Heinig, jowie 1770 für die Forft-
verwaltung unter dem eben genannten Freiherrn von der Schulenburg:Kehnert. Inf
Wie das Accifedepartement, erftredte fi auch die neue Bergwerfsverwaltung 3: becrt
über die ganze Monarchie einſchließlich Schleſiens. Heinig befürmwortete die
gleiche räumliche Erweiterung für das ältefte der Realdepartements, die Abteilung \
für Manufafturen und Kommerzien; hier aber wie in der Salzverwaltung ließ
der König die Scheidung zwiſchen Alt- und Neuland beſtehen.
Dieſes älteſte Realdepartement, amtlich ſtets als das fünfte Departement Tr. mer 2 *
des Generaldirektoriums bezeichnet, trat Ende 1767 noch mehr als bisher aus 2, une
dem Rahmen der Gejamtbehörde heraus, indem der König verfügte, daß die
Manufaktur: und Fabritenangelegenheiten überhaupt nicht mehr vor das Plenum
') 8b. I, 350.
’) Dben ©. 359. 384.
) Bal. Bd. I, 437.
Ne — V
394 Achtes Buch. Zweiter Abſchnitt.
gebracht werden ſollten. Doch wurde für gewiſſe Fälle der Zuſammenhang mit
dem Geſamtkollegium wiederhergeſtellt, für andere blieb er immer erhalten.
Jahrelang unter der perfönliden Einwirkung des Königs von einem „dirigieren:
den” Geheimen Finanzrat, dem Schweizer Fäſch,) verwaltet, wurde jegt dieſes
fünfte Departement wieder einem Minifter anvertraut, demjelben Freiherrn von
der Horft, der im Accifedepartement den Vorfig führte. Ihm zur Seite ftanden
mit Befugniffen, die über die Stellung eines vortragenden Rats hinausgingen,
für Fabrikſachen noch jener Fäſch, und als commissaire general de commerce
der uns ſchon befannte Freiherr v. Anyphaufen, dem für dieſe Aufgabe die auf
den Gejandtfchaitspoften zu Paris und London gefammelten Erfahrungen zu
gute famen. Beide traten zurüd, als Horfts ebenjo unbedeutender und unzu—
verläffiger wie anfpruchsvoller Nachfolger, der Sohn des alten Minifters Görne,
jeine Gehülfen ſich ftraffer unterzuorbnen juchte. Diefer Görne nahm ein Ende
mit Schreden, er wurde abgejegt und wegen Veruntreuung öffentliher Gelder
zu Feftungshaft verurteilt. Aber auch feine Mitarbeiter verdienten fih feinen
Dank. Die Anftellung eines neuen vortragenden Rats lehnte der König 1776
mit dem ungnäbigen Beicheide ab: „ch babe noch nicht gejehen, was alle die
Rats des ganzen fünften Departements fonderliches geleiftet haben.“ Und noch
1782 wiederholte er die Klage, daß er mit dem Gejchäftsbetrieb bei diefer Be-
börde gar nicht zufrieden jei.
Die aus inneren Gründen gegebene Perjonalunion zwiſchen dem vierten
und fünften, dem Accife: und dem Fabrifendepartement, die unter Horſt ge:
ſchaffen und unter feinen Nachfolgern Görne, Bismard und Heinig beibehalten
wurde, verlor dadurd an Bedeutung, daß in der Hccifeverwaltung der Minifter,
wie wir fahen, einen wirklihen Einfluß auf die Regieangelegenheiten nicht hatte,
jondern bier im wejentlihen nur mit ber Beſchaffung handelsitatiftiicher Nad-
richten und Verfehrstabellen und mit der Aufftellung der Handelsbilanz befaßt war.
Doch hat Horft noch verftanden, fich dem herriſchen und geichäftsfundigen Regie:
direftor de Launay gegenüber einigermaßen zu behaupten. Horſt bejaß die per:
ſönliche Gunft des Monarchen und wußte fie ſich durch eine eigentümlihe Miſchung
von Gejchmeidigfeit und Freimut zu erhalten; er erzählte gern, daß der König
einmal von ihm gejagt habe: „Horit ift ein ganz eigentümlicher Mann, wenn
ih ihm den Kopf gewafchen habe, fordert er eine Audienz.“ Auch als er 1774
jein Amt niederlegte und fi auf fein weitfäliihes Gut zurüdzog, blieb er
in Gnaben fund ward noch wiederholt als Gaft und Tiihgenofie in Potsdam
gejehen. Im Gegenfag zu den fisfaliihen Geſichtspunkten de Launays, der aus
Bejorgnis vor Ausfällen an der Accife den Ausschluß weiterer fremder Fabrikate
von dem heimifchen Markt oft ungern ſah, vertrat Horfts Departement zu
Gunften der Induſtrie die rüdjichtslofe Schußzolltendenz. Zwiſchen beiden Rich:
tungen vermittelte der König, wie uns gejagt wird, „immer mehr im Sinne
des Gewerbeſchutzes, ala der Fisfalität”.
Als zu Beginn der achtziger Jahre Heinig zweimal auf fürzere Zeit ver-
tretungsweife das vierte und fünfte Departement leitete, verfuchte er, die handele:
) 8b. I, 427.
Berwaltungsreformen und Schutz der nationalen Arbeit. 305
politiihen Gefichtspunfte gegen de Launay ftärfer zur Geltung zu bringen. Aber
dieſes Mannes Stellung hatte ſich inzwifchen jo befeftigt, daß der König bei
der „Minifterrevue” am 16. Juni 1783 mit Heinig über die Angelegenheiten
des Nccifedepartements überhaupt nicht ſprach, um, wie Heinig meinte, den
Negiedirektor nicht zu verlegen; der Minifter erlaubte fich deshalb tags darauf
in einem jchriftlihen Bericht die Bemerkung: „Die gegenwärtige Arbeit des
Minifters von vierten Departement befteht eigentlih nur darin, Eurer Majeftät
alljährlich die Ertrafte und Rechnungsberichte vorzulegen.”
Wie König Friedrih die Aufgabe des Induſtrieſchutzes auffaßte, hat er
feinem franzöſiſchen Regiechef, als de Launay wieder einmal im Intereſſe feiner
Aecifeeinnahmen vor prohibitivem Webereifer warnte, eingehend dargelegt: „ch
probibiere, jo viel ich kann, weil dies das einzige Mittel ift, dab meine Unter:
thanen ih dasjenige jelbft maden, was fie nicht anderswoher befommen können...
Wollte ih meinen Unterthanen geftatten, fremde Fabrikwaren, die freilich Tehr
nah ihrem Gejhmad fein würden, einzuführen, was würde in kurzer Zeit aus
ihnen werden, da der Luxus in allen Ländern überhand genommen bat und
heutzutage die geringite Magd einen Seidenfaden an ſich haben will? Sie
würden bald alles Bargeld ausgegeben haben, was ſie für Wolle, Leinwand
und Holz, unſere einzigen Ausfuhrartikel, einnehmen.” Aber dieſer der merkanti—
liſtiſchen Schulweisheit entnommene Grundſab, daß man das Geld nicht außer
Landes gehen laſſen dürfe, leitete ihn nicht ausſchließlich; es entging ihm nicht,
welchen Segen, welche befruchtende Wirkung und ſchöpferiſche Kraft die Arbeit
als ſolche in ſich birgt. Durchs Arbeiten, war ſeine Rede, lernt man Geld ver—
dienen, Geld behalten und macht ſich dem Gemeinweſen nützlich. Der Wert
der Arbeit ſollte den Mangel an natürlichem Reichtum erſetzen, in dieſem Lande,
deſſen Kargheit der Monarch ſeinem Regiedirektor in den lebhafteſten Farben
ſchilderte: in dieſem Lande ohne Gold- und Silberminen, mit ſeinem ſandigen
Boden und ſeiner tnappen U Weide, mit ſeinem kleinen, mageren Vieh und ſeinem
geringen Wachsſstum ſauren Landweines. „Mein Volk muß arbeiten und würde
faul werden, wenn die Induſtrie feinen geficherten Abjag hätte... Wir wollen
uns beide beeifern, meinen Unterthanen die doppelte Kunſt zu lehren: ihr Geld
zu jperen und Geld zu verdienen.” Er ſprach von der „Lehrzeit” (apprentis-
sage) jeiner Unterthanen, während der es gelte, ihnen zu Hülfe zu kommen.
Er gab zu, daß die Leiftungen zunächit noch gering feien, aber „Zeit, Gewohn—
heit und das eigene Intereſſe, es beffer zu machen”, würden nachhelfen. Er be:
rief fih darauf, daß ein einziger Fabrifant_ 1200 Menſchen in Nahrung jegen
fönne, ein Handelsmann faum zwölf. | 5
In dieſem Sinne fagte de Launay nad) des Königs Tode kurz und richtig:
„Friedrich der Große hat die Induſtrie beſchützt, weil ſie ſeinem Volke Be—
ihäftigung gab.“
Wir kennen bereits die wichtigſten Zweige der damaligen preußifchen Sn: -
duftrie. Alle hatten fie unter den Stürmen der Kriegszeit gelitten, alle galt
es nicht bloß wiederaufjurichten, jondern, wenn es anging, zu erweitern und zu
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396 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt.
vermehren.!) Auch die Accifereform von 1766, unter anderen Gefichtspunften in
Angriff genommen, jollte mit ihrer jchärferen Grenzhut nebenbei auch dem In—
duſtrieſchutz dienen.
Wenn bald nah dem FFriedensichlufie eine Statiftif des Beftandes an
Fabrifen aufgenommen worden war, ?) jo wurde nun fort und fort auf die
Ausfüllung der Lüden Bedacht genommen. Der Blid des Monarchen umipannte
das Größte und das Kleinſte. Eine Papierfabrik joll angelegt werden, und es
ericheint fraglid, ob der erforderliche Vorrat an feinen Lumpen aufzutreiben jein
wird. Friedrich verfügt: „Bier im Lande ift der üble Gebraud, daß die Dienit-
mägde jowohl in den Städten als auf dem platten Lande die beften Zumpen
zu Zunder verbrennen, um Feuer anzumadhen; hiervon muß man fuchen, die
Leute zu entwöhnen, und müfjen in der Abficht diejenigen, jo die Lumpen ein:
jammeln, mit S Shine en verjehen fein, die fie den Mägden vor Lumpen geben,
womit fie ebenjogut ald mit dem Zunder Feuer anmadhen können.” Die Be:
gründung einer neuen Fabrik für Baummollenftoffe und oſtindiſche Tücher wird
ihm vorgeichlagen; der König entgegnet, der Baummollenfabrifen würden zum
Schaden der eigenen Zandesprodufte bald zu viel werden, und wirft die Frage
auf: „Und wozu find auch oftindifhe Tücher nötig? Die Leute haben fich fo
lange mit leinen Schnupftüchern beholfen, und das gereicht doch zum beiten
unjerer Zeinenfabrifation.” Er beobachtet, daß kleine Heiligenbilder bei dem
fatholifhen Volk jehr begehrt find, und befiehlt deshalb, ſolche möglichit wohlfeil
berzuftellen, zuvor aber Erfundigung darüber einzuziehen, „welche Heiligen die
Leute am liebiten hätten, die müßten am meiften gemadt werden”.
Da wo das Privatlapital für Anlage und Betrieb neuer Fabrifen nicht
zureichte, half der Staat mit Prämien oder unmittelbaren Geldzuſchüſſen aus,
die man treffend mit den Bürgjchaften gegen etwaigen Zinsausfall verglichen
bat, wie fie in einer jpäteren Periode von Staats wegen bei der Anlage der
eriten Eifenbahnen gewährt wurden. „Man weiß doc ein für allemal,” erklärte
der König im Sommer 1779 dem Minifter Michaelis, „daß, wenn in meinen
Staaten etwas die Kräfte meiner Unterthanen überjteigt, e& mir obliegt, die
Koften zu übernehmen, und fie weiter nichts zu thun haben, als die Früchte
einzufammeln.” Es war die Zeit, von der Friedrich Nicolai zurüdblidend ſagte:
Jeder Unternehmer nüglicher Fabrifen und Manufakturen konnte fih den er:
ſprießlichſten Beiſtand verfprechen.
Mittelpunkt aller induſtriellen Anlagen blieb die Hauptſtadt. Anderwärts
pflegte der König für den Bau von Fabriken nur Unterſtützungen zu bewilligen;
in Berlin und in Potsdam baute er ſie durch das Hofbauamt auf Staatskoſten
und jchenkte fie dann den Fabrikanten. Nicht weniger als neun Millionen
Thaler find für dieſen Zwed von 1763—1786 in Berlin aufgewendet worden,
obgleich die Koſten im einzelnen Falle 6—7000 Thaler nicht überiteigen jollten,
denn der König erklärte, „daß es meine Intention nicht ift, den Fabriken-Entre—
geneurs jozufagen Palais bauen zu lajjen“. Die Zahl ber Berliner Gewerbe:
!) Val. Bd. I, 429—438.
?) Oben ©. 378.
Berwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 307
treibenden betrug vor dem Kriege 18709; 1765, nachdem die Unbilden der Amt:
Kriegszeit ſchon einigermaßen :verwunden waren, 18411; aber die Zahl der
jelbitändigen Betriebe war von 10062 auf 8866 zurüdgegangen, während die
der abhängigen Arbeiter von 8647 auf 9545 geitiegen war. Um die Wende at op y
bes Jahrhunderts war faſt jeder vierte Berliner ein Gewerbetreibender, während m
729 exit auf 9—10 Einwohner ein folder gefommen war; jo ganz hat Berlin
in diefen 70 Jahren den Charakter der Ackerſtadt abgeftreift. Man berechnete RB AU)
im „Jahre 1786, daß von der Warenerzeugung der Monarchie dem Werte nad —
faſt ein Drittel auf die Hauptſtadt entfalle.
So ſehr der Siebenjährige Krieg im allgemeinen den Gewerbefleiß lähmte, a)
bat er doch eine einzelne Induſtrie, die in der Folge zu großer Blüte gelangte, Arcellaru
neu entitehen laſſen. Die 1751 angelegte Porzellanfabrit von Wegely batte
ihren Betrieb nod während des Friedens wieder eingeſtellt. Nun bot fi
während der Beſetzung von Sachſen Gelegenheit, den Meifnern ihr Geheimnis
abzujehen. Der_raftlofe Gotzkowsky errichtete in Berlin jeine Fabrik am Ende
der Leipziger Straße und fonnte ſchon während des Winters auf 1762 einige
Probeitüde im föniglihen Hauptquartier vorlegen. Bald nach dem Friedens—
ihluffe faufte der König von dem Begründer anläßlich feines Bankbruches) die 2
neue Anlage für 225000 Thaler und wandte ihr nun feine unausgejeßte per: —
ſönliche Aufmerkſamkeit zu; wie oft, wenn er aus Potsdam in die Hauptſtadt
fam, hat er nicht feiner geliebten Fabrik einen Beſuch abgeltattet. Im Frühjahr
1764 bejchäftigte fie bereits 507 Arbeiter und übernahm Aufträge aus Holland
und Rußland, und der König glaubte in der Freude über das Gelingen ihren
Erzeugnijlen vor dem Meißner Porzellan den Vorzug geben zu ſollen; Fremde
freilih bemängelten den bläulihen Ton der Berliner Ware. Zur Erhöhung
des Abſatzes diente das über ausländiiches Fabrikat verhängte Einfuhrverbot, der
reihlihe Gebraub, den der König zu Gejchenfszweden von diefem Gegenitande
machte, und die den Juden auferlegte Verpflihtung, bei Eheſchließungen Berliner
Porzellan in bejtimmtem Betrage abzunehmen.
In dem wichtigſten ber älteren Jnduftrien, der_Tucfabrifation, in der — Aeik:
mit der Reſidenz die Landftädte, voran die neumärlifchen, mwetteiferten, wurde
ihon im erſten Kriegsjahr über den Stillſtand des Geſchäfts und die Nötigung
zur Herabjegung der Löhne und zur Entlaſſung von Arbeitsfräften geklagt.
1765 waren in Berlin 3683 felbftändige Betriebe im Gange, gegen 5251 von
1755; die Zahl der abhängigen Arbeiter war von 2964 auf 3448 geftiegen.
Das Wieberaufblühen dieſer Induſtrie in den Friedenszeiten läßt die Berliner
Berufsitatiftit von 1786 _erfehen: fie verzeichnet 7683 Meifterbetriebe mit 6014
abhängigen Arbeitern. In der Neumark waren 1779 31000 Wollarbeiter thätig,
in Rommern dagegen nur 800. Im m Magdeburgiſchen galt jhon 1760 der Zu:
ſtand der Wollfabrifen wieder als ‚befriedigend; im folgenden Jahre wurden
dann noch 100 deutiche und polnische Tuchmaderfamilien in diefer Provinz an:
geliedelt. In Schlefien hatte jich im Kriege die Zahl der Meilter von 3519 auf
3090 verringert; an vielen Orten war, wie der König 1763 auf jeiner Rund-
PR.
') Oben ©. 336.
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linken
308 Achtes Buch. Zweiter Abichnitt.
reile feititellte, faum die Hälfte der Tuhmader von 1756 noch vorhanden; er
machte es den Behörden dringend zur Pflicht, Fabrifanten aus Sadjen und Ar:
beiter aus Defterreih und Polen heranzuziehen, und Schlabrendorff als Haupt
der Provinz ließ es an Eifer nicht fehlen. Ihm vor allem hat in dieſem Lande,
deiien Bewohner lange Zeit fih in das aus jchlefiiher Wolle zu Aachen oder
Leiden gefertigte Tuch gekleidet hatten, die Wollenmanufaltur ihren Auf:
ſchwung zu danfen gehabt; auf jeine Anordnung wurden jet Spinnſchulen ein:
gerichtet, die Knechte auf dem Lande jollten nicht heiraten dürfen, ehe fie jpinnen
fönnten, und feine Erfahrungen aus Pommern jagten ihm, daß es des Zwanges
nicht lange bedürfen werde. Das jetzt aud auf Schlefien ausgedehnte Verbot
/4j der Wollausfuhr und Wolldurhfuhr verfehlte feine Wirkungen auf die öfter:
reichiſchen und ſächſiſchen Fabriken nicht. Das Tuchreglement für Schleſien und
re) Glatz von 1765 verband den Hauptinhalt der alten Innungsartikel mit tech—
—
niſchen Anleitungen und Vorſchriften für die Fabrikation. Erſt jetzt begann in
dieſer Provinz ein Betrieb modernen Stils, indem leiſtungsfähige Häuſer zur
Anlage größerer Fabriken nach dem Muſter der Berliner und Potsdamer an—
gehalten wurden ; bisher hatte der ſchleſiſche Kaufmann, wie Schlabrendorff ſchalt,
in der Tuhmanufaltur nichts anderes gethan, „ald nur darauf zu raffinieren,
wie man dem armen Tuchmacher jeine Tücher abpreiien und faum das liebe
Brot darauf laſſen möge”.
Dank den Bemühungen des Königs und des Minifiers ftieg der jchlefiiche
Tucderport von 1763— 1769 von 49143 Stück auf 07290, Nach weiteren
act Jahren beziffert Friedrich in einem Briefe an Voltaire den Wert diejes
Ausfuhrzweiges für Sclefien auf 1200000 Thaler, und an nahm 1783
1234 000 Thaler an. Den Wert der Leinenausiuhr, w es ganzen
Staates, bemaß der König 1777, allerdings zu hoch, F 5 —* Für
Sclefien allein berechnete Heinitz 1783 vorfihtig nur 3418000, während die
offiziellen Aufitellungen Jahr für Jahr rund 4 Millionen, für 1785 ſogar
4:2 Millionen ergaben. Beide Ausfuhrartifel betrachtete der König als die einzigen,
die in nennenswerter Weile die Gefamthandelsbilang des Staats günftig geitalteten.
Daß er die jchlefiihe Leinwand noch immer als jein Peru‘) anjah, be:
weilt jein Wort: er werde in den Bezirken der Leineninduftrie feinen Bergbau
° dulden, felbit_feinen Bau auf Gold, damit den Bleihen nicht das Holz entzogen
werde. Um die Lüden des Weberheeres auszufüllen, die der Krieg geriſſen
hatte, wurde im Auslande faum minder eifrig geworben, als für die Rekrutie—
rung der Regimenter, und jeder zumandernde Weber erhielt einen Werkituhl ge:
ſchenkt. Leider blieb das Xos diejer jchlefiihen Leineweber, diefer in allen
deutihen Landen jo gedrüdten, auch im Volkslied ale armjelig veripotteten
Zunft, überaus färglih, und es mag ſchwer zu entideiden fein, ob das Ver—
hältnis der Gutsunterthänigkeit, in der fich die Mehrzahl befand, ungünftiger
wirkte, oder die Art des Betriebes, die feinen Zuſammenſchluß fannte, jondern
den einzelnen Weber ohne Kapital und ohne Jntelligenz zum Fabrifanten machte
und allen Gewinn dem Händler zufallen ließ.
Bgl. Bo. 1, 430.
Verwaltungäreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 399
Sehr nahdrüdlih machte der König in Schleiien den Wunſch geltend, daß
die adelihen Grundherren und die fatholiihen Stifter Fabriken einrichten jollten.
Einige Standesherren gingen mit gutem Willen voran, ohne viel Nachfolge zu
finden, und die unbebeutenden induftrielen Unternehmungen einzelner Klöjter
erwiefen fi) doch bald als verfehlte Anläufe, die man nur dem Herricher zu
Gefallen ihr kümmerliches Dafein von Jahr zu Fahr binjchleppen ließ. ’ se {
Das Schoßkind der ftaatlihen Fürforge und Nachhülfe blieb bie unge 9 ;
Seiden: und Sammetinduftrie. Man hat berechnet, daß Friedrich während feiner
Regierung für_diefe Jnduftrie_in runder Summe 2 Millionen Thaler ausge: 2,000,
geben hat, das Vierfache der den übrigen neuen Fabrifanlagen in der Kurmarkt SAuıt.
zugewandten Unterjtügungen. Der Krieg batte aud bier feine vollitändige
Stodung, jondern nur eine zeitweilige Einfchränfung der Produktion eintreten
laffen. Gleich im eriten Friedensjahre entitanden einige neue Unternehmungen,
darunter die beiden erjten Anlagen, die an bie Stelle der Hausinduftrie den
fabrifmäßigen Betrieb fegten: die Taffetfabrifen zu Frankfurt a. DO. und Köpenit.
Berlin zählte 1766 ſchon wieder an 500 Stühle, ftatt der 400, die zehn Jahre
vorher gearbeitet hatten. Aber da der Abjag ſich nicht in gleihem Maße
fteigerte, jo führte das genannte Jahr eine ſchwere Krije herauf, in der nur
das Eingreifen des Staates retten fonnte, Unterftügung der brotlos gewordenen
Arbeiter aus öffentlihen Mitteln, und eine Reihe von Maßnahmen zur Be:
lebung des Geſchäfts: eine nicht unerhebliche Erhöhung der ſchon bisher ge:
währten Bonififationen; eine außerorbentlihe Prämie von zehn Prozent auf
größere Verkäufe, welche die Fabriken in den Stand jegte, den Abnehmern einen
entiprechenden Rabatt zu gewähren und fo die aufgeitauten Lager leichter zu
räumen; endlich die nach erhebliden Schwierigkeiten geglüdte Einrichtung eines
Seidenmagazins, das bei wachjendem Umjat mit erhöhten Mitteln ausgeftattet
wurde, den Fabriken den Bezug des Rohſtoffes erleichterte und Preisſchwan—
fungen vorbeugte. Diefer Reform folgte, von einem vorübergehenden Nüdichlage
im Jahre 1775 abgejehen, ein andauernder Aufſchwung. Mit der Zunahme
des Umſatzes fonnten die Bonififationen allmählich; wieder berabgejegt werben.
1785 erzielten in Berlin und Potsdam 2935 Stühle einen Ertrag von rund
2 Millionen Thalern; ungefähr der dritte Teil der Ware wurde in die Fremde
abgejegt. Bon dem zur Verarbeitung gelangenden Rohmaterial wurde im eigenen
Lande jegt mehr als ein Siebentel gewonnen: 1784 13500 Pfund im Wert
von etwa 54000 Thalern, freilich nur zur Verwendung in gröberen Geweben
völlig geeignet. Vor allem aber: ein umfichtiger, Euger, leiftungsfähiger Unter:
nehmerftand, eine fleißige, geſchickte, ſtrebſame Arbeiterihaft waren gerade in
der Schule der Seideninduftrie herangebildet worden. Dieje Berliner Induſtrie
war darauf vorbereitet, im nächſten ‚Jahrzehnt, als in dem altberühmten Lyon | 7
unter dem Schrecken der Jakobinerherrſchaft Betrieb und Geſchäft darniederlagen, /
vorübergehend den Weltmarkt zu bedienen. Schon jest war die Konkurrenz der)
ſächſiſchen Seidenfabrifen zurüdgedrängt, die der hamburgiiden aus dem Felde
eſchlagen.
Auch gegen den Wettbewerb der älteren einheimiſchen Seideninduſtrie
wurde den Berliner Unternehmern von Staats wegen Schutz gewährt. Bald
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400 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt.
nah Einführung der Negie wurde 1768 in den mittleren und öſtlichen Bro:
vinzen der Monardie die Einfuhr von Maren aus den Gebieten wejtlich der
Weſer allgemein verboten. Den Anlaß gab die Unmöglichkeit, auf anderem
Wege die Einfhmuggelung franzöfifher und holländiſcher Seidenftoffe, die ſich
als Krefelder Fabrikat aufipielten, zu verhindern. Ueberhaupt aber ergab fi
dies Verbot folgerichtig aus einem Wirtſchaftsſyſtem, das die geographiich zu:
jammenhängenden mittleren Provinzen als ein abgejchloflenes, einheitlich zu be:
bandelndes Zollgebiet, ) die abgeiprengten Borlande dagegen als Zollausland
betrachtete. Die Krefelder Seidenindujtrie ging zwar nicht zurüd, wurde aber
durch den reißenden Fortſchritt der hauptſtädtiſchen erheblich überholt, *) ber
Wert der Berliner Produktion war gegen das Ende diefer Regierung dreimal
größer. Krefeld blieb im wejentlihen auf den Abjag nach dem Auslande, zu:
mal nad Holland und über Holland nad) Amerifa angewieſen; und um den
Nachbarn nicht zu Netorfionen Anlaß zu geben, wurde der Zolihug bier in
diefem abgetrennten Wirfchaftsgebiet der weitlihen Provinzen grundfäglic auf
mäßiger Höhe gehalten.
Dagegen follte Oftpreußen, das eine jelbftändige Induftrie no nicht ent—
widelt hatte, ſich durchaus als Abſatzgebiet für die mittleren Provinzen betradten.
Daß die Königsberger Kaufleute fich fträubten, Tücher und Wolwaren aus den
Landesfabrifen zu beziehen, tadelte der König ala ein „Lieblojes” Verfahren und
unterwarf deshalb den Einfauf ausländifcher Erzeugnifje immer ftärferen Ein:
ſchränkungen. „Obngeledte Bären find fie noch ein wenig in Stäbtefahen und
in Manufalturen und Induſtrie gegen polizierte Provinzen,” ſagte er 1780
von den Djtpreußen. Die Tuchfabrifen in Wormbitten und einigen anderen
Städten vermodhten nur gröbere Sorten berzuitellen; durch die Hausinduftrie
der Zeinenweberei wurde nah Mirabeaus Urteil doch jo viel erreicht, daß bier
nicht wie im benadhbarten Polen drei Viertel der Einwohner ohne Hemd einher:
gingen. Ein Beifpiel gab der Provinz der Oberpräfident Domhardt, der auf
feinen Gütern eine Bapiermühle nah Holländer Art und Hammerwerke ſchuf;
auf die Vermehrung der Ziegelbrennereien, die Anlage von Segeltuchfabriken
im Intereſſe bes Schiffsbaus wies ihn der König 1781 nachdrücklich hin.
Memel und und Pillau wurden gegen Ende der Regierung jährlich etwa 20 Schiffe
vom m Stapel gelafjen. Mittelpunkt diefer Induſtrie war vielmehr Stettin. Aus:
wärtige Schiffsbaumeilter begannen hier zu Anfang der fünfziger Jahre größere
Seeſchiffe nah den Negeln der holländiihen Kunft zu bauen. Nah dem Kriege
wurde an dieje Anfänge wieder angefnüpft. 1765 ftanden 21 Schiffe auf dem
Stapel, darunter einige nad) Holland und Frankreich zu liefernde große Indien:
fahrer. Die Werft des Schiffsbaumeifters Duantin auf der „Laftadie” erhielt
nun zahlreiche Aufträge für auswärtige Rechnung ; bald wurden auch auf Staats:
foften große Handelsfregatten zum Verkauf an das Ausland erbaut, und feit
1772 — die neugegründete Seehandlung die Stettiner Werften mit
) Bd. I, 438.
) Bd. I, 434.
Berwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 401
ihren —— Das — —— ſeine höchſte Blüte während des
laͤhmte; damals herrſchte — den Heine pommerjchen Werften, zumal in
Rügenmwalde, lebhafte Thätigfeit. 1782 wurden in ganz Pommern, an 21 Orten,
99 Schiffe im Gejamtwert von 1 Million Thaler fertiggeitellt; ins Ausland ver:
kauft wurden binnen ſechs Jahren 113 Seeſchiffe für 872970 Thaler. —
In einer für die ganze Monardie mit Ausnahme von Schlefien auf: Hemi ha
geftellten Induſtrie-Statiſtik, die Heinit 1783 dem Könige übergab, erjcheinen die — —
Seidenfabriken mit 5055 Arbeitern und einem inländiſchen Abjat von 1356702 , 778:
Thalern, einer Ausfuhr von 531026. Das MWollgewerbe bejchäftigte 39367 Ar:“
beiter und jegte im Inland für 3344166, nah dem Ausland für 1601305
Thaler Ware ab. Die Leinenweberei mit 22523 Arbeitern weiſt als ent:
ſprechende Abjatjahlen 373506 und 897757 Thaler auf, die Lederfabrifation
mit 3595 Arbeitern 996614 und 399986 Thaler, die Baummolleninduftrie mit
4503 Arbeitern 540056 und 106765 Thaler, die der Glas: und Eijenwaren
mit 8373 Arbeitern 2126675 und 1053844 Thaler. Alle diefe Manufakturen
mit ihren 83416 Arbeitern und ihrem Abſatz von 13. Millionen verarbeiteten
einheimifhen Rohſtoff im Werte von 4729660, eingeführten im Werte von
3470479 Thalern
Wenn der Minijter Herkberg in der Akademie der Willenjchaften 1785 Haren, .
am Königs:-Geburtstage den jährlihen Gejamtertrag der preußiſchen Fabrifate
auf 15 Millionen angab, fo griff er zu niedrig. Die e Zahl von 30 Millionen, } J
die er im nächſten Jahre an derjelben Stelle nannte, Ta als ſtarke Ue Uebertreibung
verdädtigt worden, weicht aber, genauer geprüft, von n dem Ergebnis, zu dem
Heinig unter Ausihluß Schleſiens mit 131. Millionen gelangte, nit allzu er:
heblich ab; denn von Hergbergs Summe entfallen einmal ganze 11 Millionen
auf Schlefien, und weiter 4. Millionen auf verjchiedene Fleinere, von Heinit
nicht herangezogene Induſtrieerzeugniſſe: Tabak, Zuder, Porzellan, Papier, Gold:
waren, Seife, Talg, Del.
Die preußifche Induſtrie, jo rühmte Herkberg in der Rede von 1786,
reihe fi auf ihrer gegenwärtigen Stufe vielleiht unmittelbar der Induſtrie —D
Frankreichs, Englands, Hollands an, der Mächte, die jeit zwei Jahrhunderten ./ |
nahezu das Monopol für Manufakturen, Handel und Schiffahrt gehabt hätten: —
„Wir haben faſt alle erdenklichen Fabriken und Manufakturen, ſowohl für die
Gegenſtände des notwendigen Gebrauches, wie für die Annehmlichkeiten und den
Luxus.“ Tuch- und Leineninduſtrie nannte der Redner als die am meiſten zur
Vollkommenheit gelangten Zweige; die anderen Induſtrien ſeien der Mehrzahl
nad vorerjt mittelmäßig, würden fich aber mit der Zeit vervolltommnen fönnen,
wenn man fortfahre, ihnen Aufmerkfamfeit, Hülfe und Schuß jo zuzumenden,
wie es die Regierung mit wahrhaft verſchwenderiſcher Hand bisher gethan habe.
Unberüdfichtigt ließen ſowohl Hertberg wie Heinig in ihren Aufftellungen
die Montaninduitrie, das Gebiet, das durch Heinig für die preußiſche Induſtrie
erit erobert worden ift.
Der Freiherr _v. Heinig ift einer der vielen hervorragenden Männer, die
der preußifche Staat, danf feiner Anziehungskraft auf große Talente und ftarfe
Kofer, König Friedrich der Große, II. 2. Aufl. 26
Hr: ni, »
402 Achtes Bud. Zweiter Abfchnitt.
Charaftere, aus der Fremde gewonnen hat. 1725 in Kurſachſen geboren, hatte
er den Grund zu der vielfeitigen Bildung, die ihn nahmals für die Stelle eines
Kurators der Berliner Akademie empfahl, zu Zchulpforta gelegt; er hat dann
in Braunſchweig und in jeiner Heimat, wo er der Schöpfer der Freiberger
Bergakademie wurde, ſich zum praktiſchen Bergmann ausgebildet und als tüch—
tiger Berwallungsbeamter bewährt und damals auf Dienftreilen die Bergwerke
von Schweden und Ungarn bejudt. Nach jeinem Austritt aus dem jächfifchen
Staatsbienfte benugte er einen längeren Aufenthalt in Frankreich zum theo:
retijhen Studium der Volkswirtihaft und ſchaffte ſich durch eine Reiſe nad
England eingehende Kenntnis der dortigen Grundjäge und Veranſtaltungen für
Bergbau und Hüttenbetrieb. Der König von Preußen jcheint dur die Minifter
Waitz v. Eichen und Valentin v. Maffow, die beide mit Heinig jeit jeiner braun:
ſchweigiſchen Zeit in perfönlihen Beziehungen itanden, auf ihn aufmerkſam ge:
worden zu jein; nad dem Tode des Heilen Waig übertrug er das Bergwerfe-
— 2
departement am 7. September 1777 dieſem Kurſachſen. Heinitz gehört zu den
ſelbſtändigeren Naturen unter den Beratern Friedrichs des Großen. Der junge
Freiherr vom Stein, der unter ihm, der Nichtpreuße unter dem Nichtpreußen,
ſeine Schule als preußiſcher Beamter und Bergmann durchmachte und ſeine Ge—
ſchicke von Heinitz mit „Liebe, Ernſt und Weisheit“ geleitet ſah, hat ihn dank—
bar als einen der vortrefflichſten Männer ſeines Zeitalters und als das Gegen—
teil eines mittelmäßigen, ſteifen, in Förmlichkeiten befangenen Vorgeſetzten ge—
ie, er fon peühmt: „Tiefer religiöfer Sinn, ernftes anhaltendes Streben, fein inneres zu
”
| Verebeln, Entfernung von aller Selbitiucht, Empfänglichkeit für alles Edle, Schöne,
unerſchöpfliches Wohlwollen und Milde, fortvauerndes Bemühen, verdienftvoll
‚ füchtige Männer anzuftellen, ihren Verdieniten zu buldigen und junge Leute
| auszubilden, waren die Hauptzüge diejes vortrefflichen Charakters und brachten
| die jegensreihiten Früchte in dem jeiner Verwaltung anvertrauten Geſchäfts—
freife.”
Heinig hat es als jtellvertretender Leiter des Fabrikendepartements mit feinen
jelbftändigen Ideen bei dem Könige nicht getroffen; in der Bergvermaltung ward
ihm freierer Spielraum gelajien und dauerndes Vertrauen entgegengebradt. Der
vornehmfte Schauplat aber feines Wirfens für dieſe Verwaltung, die er nad)
Steins Ausdrud aus dem Nichts erhob, wurde Schlefien, die Provinz, in der
« nicht weniger als 24 verſchiedene Mineralien der Verwertung harrten und für die
der König dur eine Inſtruktion vom 15. Juni 1779, als Heinit dort feinen
erſten Beſuch abitatten wollte, dem neuen Minifter „alle möglichen Verbeſſerungen“
zur Pfliht machte.
Anlaß zur Errichtung der eriten jtaatlihen Hochöfen in _Schlefien hatte
753 nicht bloß der Wunſch gegeben, aud in diejer Provinz die Ergänzung
a zu fihern, fondern zugleich die Notwendigkeit, angelichts
des öfterreihiichen Prohibitiviyitems den Kampf gegen die alte Eifeninduftrie
des Nachbarreiches aufzunehmen. „Die Werke jeien nicht dazu da, um ewig
Bomben zu gießen,“ erflärte der König gleih anfangs; er ſprach die Hoffnung
aus, daß mit der Herftellung von Guß- und Schmiedewaren, Stahl, Draht und
Blech der Gewinn ſich erheblich fteigern werde. Der Krieg mit dem vermehrten
Verwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 403
Munitionsbebürfnis jhaffte den Werfen zwar große Aufträge, hemmte aber im Z,%. —
ganzen doch ihre Entwickelung; während der ganzen ſieben Jahre haben die
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Zeit ſowohl die Anwerbung geeigneter Meiſter, wie die Beſchaffung des Rohſtoffs,
bis ſeit 1768 ergiebigere Erzlager entdeckt wurden. Bald nach dem Kriege fühlte
man ſich ſtark genug, um die Einfuhr von Roheiſen und Rohſtahl aus Oeſter—
Eingangszoll von 30 Prozent des Wertes gelegt; ſie ganz auszuſchließen, konnte
man noch nicht verſuchen, da die von dem Grafen Poſadowsky 1764 zu Peis—
fretiham bei Toft angelegte Senjenfabrif nicht in die Höhe kam.
Zweifellos fehlte es den jchlefifchen Hütten anfänglich an geeigneter Lei:
tung. Der Oberforjtimeifter Rehdang, der in die Breſche treten mußte, klagte
nahmals, er habe Baumeifter und ingenieur, Artillerift und Mechanikus, Schmelzer
und Förmer, Bergmann und Kohlenſchwehler in einer Perſon fein müſſen. Der
enticheidende Umſchwung erfolgte erit, als die Hütten auf Heinigens Veranlaſſung
der Ichlefiichen Kammerverwaltung entzogen und dem Berg: und Süttenbeparte: Hana
ment übergeben wurden, und als der Freiherr v. Reden an die Spite des
Breslauer Bergamtes trat. Heinig ftellte dem König auf Nedens Gutachten vor,
daß die Eifenerze Oberfchlefiens mächtig genug ſeien, um ſämtliche Werke der
Monarchie auf unabjehbare Zeiten mit Schmelzmaterial zu verjehen, und der
König genehmigte, daß die Mark und Pommern aus einem in Berlin anzu—
legenden Haupteifenmagazine ausschließlich mit ſchleſiſchem und Harzer Eifen ver:
ſorgt werben follten. Die Einfuhr ſchwediſchen Eifens wurde am 4. November 1779
verboten ; me die Druning Breuben Sich Hm aafae. die wegen ihrer Ent:
fernung den Eifenbedarf aus Schlefien ſchwer beziehen fonnte und ohnehin mit
ihrer Ausfuhr an Korn und Holz eine günftige Handelsbilan; im Werfehr mit
Schweden erzielte. Das alte Vorurteil gegen die Feſtigkeit des jchlefiichen Eifens
wurde endlich überwunden. Verſuche vor den Augen von Artillerie-Offizieren er:
wieſen, daß die ſchleſiſchen Barren ſchwerer fich zerreißen ließen als die ge:
rühmten ſchwediſchen: hatten doc die Potsdamer und Spandauer Gewehrfabrifen
bisher ausjchließlih ſchwediſchen Stahl verarbeitet. Nun forderte der König RER
von den Xelteften der Breslauer Kaufmannſchaft die Anlage einer Stahlfabrit, At Fa m
„um dem Lande die dur die Einfuhr fremder Stahl: und Eijenwaren er⸗ .
wachſenden Nachteile zu erſparen“. So entſtand ſeit 1785 an der Malapane
die Tabrik Königsfeld mit ihrer großen Zukunft — aus Eleinen Anfängen, denn
der König mahnte die Unternehmer, „die Sade nicht mit eins jo groß zu bes,
treiben und fo reinzuplumpen, jondern nur ganz ins feine damit anzufangen)
und erit zu ſehen, wie die Sache reüjfieret”.
Heinig berechnete 1785 den Gewinn der Handelebilanz jeit dem Verbot
des ſchwediſchen Eijens im ganzen auf 507786 Thaler, obgleich zunächſt noch
Einfuhrpäfje für diejes Material erteilt wurden, um der von den Privathütten
verjuchten Steigerung des Eifenpreijes entgegenzuwirfen. In dem lange gering
geachteten Oberichlejien waren damals bereits 47 Hochöfen und 185 Eifen- |
hämmer im Betrieb; man berechnete ihre Produftion, im Gejamtmwerte er
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404 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt.
532000 Thalern, auf 21819 Zentner an Gußeiſen, 123840 an Schmiedeeiſen,
2000 an Stahl, 200 an Citenbrat, 1200 an Eiſenblech.
in br Rute bei Tarnowig. Gier ftellte der König aus Staatsmitteln
das Betriebsfapital zur Verfügung, um einen Zweig des Bergbaus wieberzu:
gewinnen, der jeit 1754 nad der Erihöpfung ber Silberberger Bleiminen ganz
fehlte. Die Mächtigfeit des Lagers erwies fih als fo ſtark, daß Heinig nicht
bloß den ganzen inländifchen Bedarf zu deden hoffte, fondern fich noch eine ge:
winnbringende Ausfuhr verſprach. Ueber die Bedeutung der großen Erfindung
eines james Watt durd die Berichte feiner nah England gelandten Techniker
hinlänglich unterrichtet, gab der König bei diefem Anlaß für das Tarnomwiger
Werk jeine Zuftimmung zum Bau einer „Feuermaſchine“; eine andere wurde am
23. Auguft 1785 im König-Friedrihsihacht bei Hettftätt im Mansfeldiſchen in
Betrieb geſetzt; weitere Dampfmafginen erhielten dann die Berliner Porzellan:
Salinen zu S F und Unna. —
Lag bei der neuen jchlefiihen Montaninduftrie der Schwerpunft nod in
der Förderung des Rohmaterials, jo übertraf im Brandenburgiihen der Wert
der Fabrifate den der Stoffproduftion um ein Erhebliches; aber Heinig beflagte
das hier geltende Monopol der Splitgerberiden Stahlwarenfabrifen zu Cbers-
walde, weil das Kabrifat an Schärfe hinter dem weitfälifhen weit zurüditand.
Die reich entwidelten weſtfäliſchen Induftriebezirfe nahmen das Anterefie
des Minifters, der im Generaldireftorium zugleih dem Provinzialdepartement
für diejen Teil der Monarchie vorftand, in hervorragendem Maße in Anfprud.
Er ſchätzte den jährlihen Wert der weitfälifhen Eifeninduftrie auf 600 000
Thaler und glaubte das Sauerland ſchon mit den glänzenden Vorbildern von
Sheffield und Birmingham vergleichen zu dürfen, deren induftriele Anlagen er
durch feine Bergräte an Ort und Stelle prüfen ließ.
Auf den oft und dringend ausgefprodenen Wunſch des Königs juchte
Heinig überall den Steinfohlenbau zu fördern. Mit Sorge betradhteten König
und Miniſter die Abnahme bes Walhheitandes, das Steigen ber Holzpreife, zu:
mal nah der Vermwüftung der Forſten im Siebenjährigen Kriege; ja ſchon vor
dem Kriege hatte der König für die Heizung der Kaſernen in Schlelien die Stein:
kohlen empfohlen. In der Grafſchaft Mark ift der Ertrag diejer Kohle in dem
halben Jahrhundert ſeit 1737 von jährlid 467874 auf 1707461 Scheffel ge:
ftiegen. Im übrigen preußischen Weitfalen wurden 1785 jäbrlih 172940 Scheffel
gehoben, wovon ein Teil die angrenzenden geiftlihen Gebiete jpeifte, im Saal:
freis bei noch ſehr unbeholfenem Betriebe nicht viel über 100000 Scheffel, die
gerade nur zur Verforgung der Salinen des Herzogtums Magdeburg zureichten.
Der ftellenweije in diefer Provinz gefundenen, aber faum angebrodenen Braun:
fohle jagte Heinik ihre große Zufunft voraus. In Oberjchlejien fehlte es für
den Kohlenreihtum an Abjag, da hier Holzmangel fih ausnahmsmeife noch nicht
fühlbar machte und zur Ausfuhr die Verkehrsmittel nicht binlangten; jo wußte
Heinig für die Steinfohlen von Pleß kaum eine andere Verwendung ala zur
Herftellung von Ruß für die Schwärzung der Wachsleinwand; doch dachte er ſchon
an ihre Xerfrahtung nad Magdeburg, indem er annahm, daß troß der Ent:
Verwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 405
fernung ihr Preis fich dort nicht höher als der des Holzes ftellen würde. Da—
gegen ftieg im Fürftentum Schweidnig der Verbrauch der hier geförderten Stein:
fohle binnen drei Jahren um das Dreifahe, d. h. auf nicht weniger als
415 742 Scheffel im Jahre 1785, da ſchon zahlreiche gewerbliche Anlagen dieje
Feuerung zu jhäßen wußten: e& war das mehr als der zehnfache Betrag deſſen,
was 1740 in ganz Schlefien an Steinfohle gewonnen worden war. 1786 wurde
der Verbraud im Schweidniger Yand auf 500 000, im Glagifchen auf 100000,
in Oberjchlefien auf 50000 Scheffel berechnet. Hätte das jchlefiiche Bergamt, jo
urteilte der Breslauer Kammerdireftor v. Klöber in feinem noch bei Friedrichs
Lebzeiten erſchienenen Buche „Von Schlejien vor und jeit 1740”, auch feine an:
dere Aufgabe als die Beihaffung billiger Feuerung durch den Steinfohlenbau,
„ſo würde jelbiges dadurh dem Lande jchon mehr nüten, als dur den Bau
von Gold: und Silberminen“.
Was für Sclefien und Weitfalen die Steinkohle leiftete, jollte anderen
Provinzen ein gejteigerter und verftändigerer Betrieb der Torfgräberei eriegen.
Nah Pommern wurden zu diefem Behuf Sachverſtändige aus Oftfriesland ges
zogen; die Torfftihe im Magdeburgiihen und Halberftädtiichen hatte man bis
zum Ende diejer Regierung auf den vierfahen Ertrag gebracht; für Ditpreußen
und die Marken wurde entiprechendes angeitrebt.
Mit dem rajchen Aufblühen der Montaninduftrie hielt die Entwidelung sach:
eines alten Betriebes, des Salinenwejens, nicht gleihen Schritt. Zwar ließ der
König von 1769—1774 dur den für dieſen Verwaltungszweig als Minifter
in das Generaldireftorium berufenen Kleviihen Kammerpräfidenten v. Derſchau
Reformen ſowohl in der Verwaltung der Generaljalzkajje wie in den Grundjäßen
für Verpachtung und technijche Leitung der Siedereien durchführen, und die Sa:
(ine Schönebed ftand gegen Ende der Regierung nad wiederholtem Umbau mit
einer Zeiltungsfähigfeit von 17500 Xajten und einer Schar von etwa 840 Ar:
beitern als die größte in Deutichland da. Aber über die Güte des gewonnenen
Salzes wurde nicht ohne Grund geklagt; die Päcdhterinnen der großen Staats:
jalinen, zwei abelihe Damen, waren einjeitig auf ihren Vorteil bedacht, die
Wirtihaft war durchaus nicht muftergültig. Wandel hat bier wieder erjt Heinig
geihaffen, als er unter Friedrichs Nachfolger das Salzdepartement übernahm.
Heinig yeinig berechnete 1785, daß von der Bevölkerung der Monardjie di ber r fechite |”, hohen
Teil das Mineralreich gerichteten Jnduftrieen bethätige. Das ges Ei „Lt
— ihm noch nicht, wenn er in England ein Drittel, in Schweden, Sachſen, & ——
Oeſterreich drei Achtel der Einwohner von dieſen Erwerbszweigen leben ſah. —
In den Verfügungen, die der König in Gewerbeangelegenheiten an die
Miniſter, Kammerpräſidenten ergehen ließ, begegnet uns immer wieder die Mah—
nung zu erhöhtem Eifer, eine gewiſſe Ungeduld, der die Erfolge nicht ſchnell
genug fich einftellen, oft jcharfer Tadel, ja verlegende Drohung. Wenn aber
der ftrenge Gebieter das Gejamtergebnis jahrzehntelanger Arbeit in diefem Be:
reihe mufterte, jo erklärte er ſich doch auch hier mit dem Fortjchritt zufrieden
und befannte, daß alles in jeinem Staate Nerv jei und daß jeder an jeinem
Mat auf Vervollkommnung binarbeite. Er betrachtet jeine Regierungszeit als
die Epoche des Aufblühens der preußifchen Induſtrie; durch die Begründung
men:
ur or Le ML
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—
406 Achtes Buch. Zweiter Abſchnitt.
ſeiner neuen Manufakturen, ſo ſtellt er ſich in einer Denkſchrift aus dem 42. Jahre
ſeiner Herrſchaft das Zeugnis aus, habe er die paſſive Handelsbilanz der voran—
gegangenen Regierung zu ſehr bedeutendem aktiven Ueberſchuß emporgetrieben.
Voltaires Wort: „Le siecle de la Prusse est à la fin venu* — die Selbft:
variation eines Verjes aus dem Mahomet — galt auch für Preußens In—
buftrie.
So urteilte au) der Hamburger Büſch, deffen von 1759— 1800 erſchienene
‚ nationalöfonomifche Schriften in unferen Tagen als die wohl lehrreichite zeit:
genöſſiſche Kritif der preußifchen Verwaltung bezeichnet worden find: „Friedrichs
des Großen Meilterwerk war, daß er feinen Staaten, welchen die Manufafturen
bis dahin fo jehr fehlten, einen fo großen Erwerb durch das von ihm ge-
ſchaffene Manufakturgewerbe gegeben hat.” Nicht jede Manufaktur lafle ſich
überall einführen, wahr aber bleibe: „Es gibt Manufafturen, die ein jedes Volf
muß haben können, wenn es fie haben will.” Büſch kannte als Hamburger alle
die Klagen feiner Landsleute über die Schädigung ihrer Interefien durch die
preußiihe Wirtfchaftspolitif, er betrachtete viele Maßnahmen dieſer Politif als
verfehlt und tabelte andere jehr icharf; aber er ftellte die Thatſache feit, daß
trog aller Prohibitionen und Erjchwerungen der Zwiſchenhandel Hamburgs mit
den brandenburgifchpreußifchen Staaten infolge ihres wirtſchaftlichen Aufblühens
jest bei_meitem größer als vordem geworden jei, ſodaß es jehr thöricht jein
würde, die Mark Brandenburg in ihren ehemaligen „betrübten und fümmerlichen
Zuftand” zurüdzumünjchen.
Ohne Frage blieb lieb hinter den Erfolgen. der Induſtrie die Entwidelung des
Handels zu zurück.
Deutſchlanden mehr geſchadet, Ir die Fremden glauben. Man bat zuerit mit dem
Landbau wieder anfangen müfen, dann mit den Manufakturen, endlich mit einem
ſchwachen Handel.” Dieje im Wahstum zurüdgebliebene jüngfte Schweiter war
einitweilen noch das Aichenbrödel; ihre Anſprüche wurden den Bedürfniſſen bes
Smduftriefhuges, der im Mittelpunkt der ftaatlihen Wirtſchaftspolitik ftand, faft
unbedingt untergeordnet.
Es fam hinzu, daß da, wo die Umftände an fi eine Begünftigung des
Freihandels nahe legten, wie im Verkehr zwiſchen Sclefien und den öfterreidhi-
fhen Landen, nun wiederum das Induſtrieſchutz Syſtem der Nachbarmacht zur
Gegenwehr, zu Sperrmaßregeln nötige
Der Rechtsanſpruch auf Aufrechterhaltung des alten freien Handels an der
ſchleſiſchen Grenze, den Preußen durch die Friedensſchlüſſe von 1742 und 1745
bis zu gewiſſem Grade gewonnen hatte, war bei den Verhandlungen von Hubertus—
burg, wie wir fahen,") preisgegeben worden. Der dreizehnte Artikel des Friedens
von 1763 erhielt den ausdrüdlihen Zuſatz, daß bis zu dem zu erftrebenden Ab:
ſchluß eines Handelsvertrages jeder der beiden Staaten alles auf den Handel
!) Oben ©. 331.
VBerwaltungäreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 407
Bezüglihe „selon sa volonte* einrihten werde. So hatte bald nad der Ein 7-- u,
ftellung bes Kampfes mit den Waffen der Zollfrieg von neuem begonnen; in —
Wien aber glaubte man die ſchädliche Wirkung der Kampfzölle leichter tragen zu... Accı Ar .
fönnen, als der Gegner. Der dur die öfterreichiichen Einfuhrverbote vom
24. März 1764 wiebereröffnete Kampf galt injonderheit den preußiichen Seiden:
waren, Wollzeugen und Tüchern, auch den Hüten und Strümpfen; für Preußen
war neben zahlreichen, jeit dem Mai 1764 erlafjenen Einfuhrverboten das wirf:
ſamſte Kampfmittel jene Sperre der Wollausfuhr,') wodurh man die mühſam
ſich heraufarbeitenden öfterreihiichen Fabriken zu bedrängen hoffte.
Nicht anders das Bild an den preußiſch⸗ſächſiſchen Grenzen. Ein Boll: Ro, Jaum:
ausfuhrverbot, vorübergehend ſchon 1755 als Waffe angewendet, dann 1761 er:
neut, wurde 1763 durch eine Sperre der Durchfuhr polnischer Wolle erweitert.
Den vollftändigen Bruch führte das Dresdener Edift vom 27. März 1765 herbei,
das alle preußiichen Fabrifate aus Sachſen ausſchloß. Ein preußiiches Edift vom
nädften 7. Mai vergalt Gleiches mit Gleihem in Bezug auf alle ſeidenen, wollenen,
baummollenen, leinenen Waren, Gold: und Silbergerät und Porzellan. Nah
wiederholtem Austaufh von Beichwerden und Anklagen benugte gegen das Ende s
des Jahres die Kurfürftin Marie Antonie den eigenhänbigen Briefverfehr, ven Le Ares
fie jeit dem Kriege mit dem Könige von Preußen unterhielt, zu dem Verſuch einer Im
perjönlihen Friedensvermittelung. rd he-
Eine ganz eigenartige Diskuflion begann. An eine Betrachtung über die 9... /
Notwendigkeit, durch Induſtrie und Handel die Wunden, die der legte Krieg ge:
ſchlagen, zu heilen, fnüpfte die Kurfürftin ihr Bedauern über die eingetretenen RE ADS,
handelspolitiihen Mißhelligkeiten: „Sie find jo erleuchtet, Sire, Sie kennen die WEL
geſunden Grundjäße, ih muß notwendig annehmen, da Eurer Majeftät ſchlecht
begründete Berichte, gehäſſige Inſinuationen vorliegen. Glauben Sie mir, Sire,
ich kenne ein wenig unſere Geſchäfte, obgleich ich nicht am Ruder ſitze. Unſer
großes Prinzip iſt die Freiheit des Handels und die Gegenſeitigkeit. Wenn
Eure Majeſtät dieſes Syſtem ſich zu eigen machen will, mit den Einſchränkungen,
die das innere Bedürfnis jedes Staates notwendig machen mag, ſo werden Sie
uns zu allem bereit finden, was zu dem gemeinſamen Wohl beider Staaten bei—
tragen kann.“ Der König antwortet mit dem Hinweis auf das ſächſiſche Edikt,
durch das er erſt zu Repreſſalien genötigt worden ſei, und bemerkt dann aus—
weichend, die ganzen Streitigkeiten, dieſe kleinen Erbärmlichkeiten, gingen nur auf
die Miniſter, die großen Perrücken, zurück, die überall von demſelben Schlage
ſeien, in Sachſen wie in Preußen: „Vorausgeſetzt, daß dieſe Herren nicht den
Verkehr, den Sie, Madame, mit mir zu unterhalten geruhen, verbieten, verzeihe
ich ihnen den Reſt.“ Aber ſo läßt ſich die Fürſtin nicht abfinden; ſie ſtellt jetzt
gleichſam die Vertrauensfrage; ſie bittet um eine direkte Verhandlung, bei der
man viel ſchneller zu einem erſprießlichen Handelsvertrag kommen werde, als
wenn man die großen Perrücken, die Feder in der Hand, in Schlachtordnung auf—
ſtelle; fie gibt noch einmal ihre Loſung aus: „Liberté et réciprocité*. Friedrich
bekennt bewundernd, daß die Kurfürſtin in einer Handelskammer oder an der
Ak +
1) Oben ©. 398.
408 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt.
Seite eines Richelieu ebenſo an ihrem Plage fein würde, wie als KRunftrichterin
0, auf dem Parnaß; er ſeinerſeits kenne zu gut feine Schwäche, um nicht zu willen,
Es verl, "wie jehlecht er fich als Unterhändler ihr gegenüber behaupten werde. Erniter fährt
er dann fort: „Seit einem halben Jahrhundert, jeit Europa anfängt, ſich über
die Interefien jeines Handels aufzuflären, gibt es feinen Staat, wo eine völlige
Handelsfreiheit beiteht, und was zwiſchen Nachbarn geſchehen kann, bejchräntt
ih auf eine Webereinfunft über gewiſſe, beiden Teilen gleihmäßig vorteilhafte
Punkte, was immer eine Beihränfung der Einfuhr vorausſetzt.“ Er jchlägt
dann die Ernennung von Kommifjaren vor, denn nur fie, mit voller Kenntnis
des unermeßlichen Details, feien folhen Verhandlungen gewachſen. Die Kur:
fürftin dankt für das Entgegenfommen, der König jchließt: „Wir werden alſo
große Perrüde gegen große Perrüde loslajjen, und fie werden Wunder thun.
Aber eine innere Stimme jagt mir: ‚Verrate nicht die Intereſſen des Volkes, das
dir anvertraut ift,‘ und eben nach diefer inneren Stimme wird meine große Perrüde
ihre Inſtruktionen erhalten.”
Und fo geichah es. Friedrich bedeutete jeine Minifter, daß ber einzige Punkt,
‚der bei den Konferenzen zur Beratung kommen dürfe, ein Abfommen für den
Meßverkehr in Frankfurt a. O. und Leipzig jei: „von allen übrigen Saden,
die ih ſchon auf einen feiten Fuß eingerichtet habe, wird nicht mehr die Rede
ſein können“. So hielt fi das Ergebnis der Beratung in beſcheidenſten Grenzen.
Die ſtärkſte Waffe in der Hand des preußiichen Königs war für dieſen
wirtſchaftlichen Kampf fein Syftem der Durchgangszölle. Zum Unglüd für die
Zeitgenofjen, klagte jener Hamburger Büſch in feiner jechs Jahre nad) Friedrichs
Tode erjchienenen „Darftellung der Handlung“, habe die geographiiche Lage feines
Staates diefen König zum Meifter von fünf der größten Flüſſe und von den
vorzüglichiten Handelsftraßen in Europa gemadht. Immerhin war diefe Waffe
I) zweilchneidig; eine gewiſſe Schädigung bes eigenen Handels mußte mit in den
ꝰKauf genommen werden. Zunächſt allerdings hatte, nad der Einführung des
Tranfitzolles in den vierziger Jahren, !) der Magdeburger Handel einen großen
Aufihwung genommen, und jo glaubte der König 1765, zu dem bisherigen Durch—
gangszoll unbedenklich noch einen Aufſchlag erheben zu können. Der Erfolg
ſprach dagegen. Die Einnahme aus den Tranſitogefällen ging im Rechnungs—
jahr 1766/67 von 118000 Thaler auf 40000 herunter, zwiſchen Hamburg
und Leipzig lenkte der Verkehr den preußifchen Straßen aus und jcheute nicht
den Ummeg durch das Hannöveriſche, weitlih um den Harz herum. Der
König jagte fih, daß er zu viel verjucht hatte, und erließ am 20. Januar 1768
eine neue, zu etwas niedrigeren Sägen zurüdtehrende und vor allem weſentlich
vereinfachte Zollordnung; durch Einzelbeftimmungen ergänzt, ift fie während ver
beiden nächſten Jahrzehnte in Kraft geblieben. Nun hoben ſich die Zolleinnahmen
wieder und überfchritten allmählich den bis 1765 eingefommenen Betrag nicht
unerheblich. Das legte Ziel freilich, die Abficht, den ganzen Zwiſchenhandel den
Magdeburgern in die Hände zu jpielen, wurde nicht erreicht, obgleich die Abgaben
wejentli geringer waren, wenn die nad) Mitteldeutichland beitimmten Waren
————
) Bd. I, 448.
Bermwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 409
nicht einfach durchgeführt, fondern auf den Padhöfen zu Magdeburg oder Halle
abgelaben wurden.
Dieſes vornehmlih gegen den ſächſiſch-hamburgiſchen Handel gerichtete
Magdeburger Durhgangszoliyftem wurde feit 1765 mit einigen Abwandelungen
auf Schlefien und den jähftfch:polniihen Handel ausgedehnt. Der Zoll wurde
bier jchlieglih auf Säge gebradt, die hoch genug waren, um den Wettbewerb
der Jächliichen Fabrifate zurüdzuhalten, und noch gerade niedrig genug, um ben
jähftich-polnifhen Handel mit Tüchern, Wachs, Garn, Wolle, Rohleder, Vieh und
Getreide nit auf den Umweg durch das öſterreichiſche Gebiet zu drängen.
Die Magdeburger Kaufleute bezeichneten es bei ihren Klagen über den
Tranfitzol als das Beichwerlichite, „daß man jo viele Formalien introduziert
habe, die Erpedition der Waren durd die vielen Anmweifungen und Inſtanzen
aufhalte und den auswärtigen Fuhrmann, der weder lefen noch jchreiben fünne,
durch die vielen Zettel in Verwirrung ſetze“. Man gemöhnte fi allmählih an
die Neuerungen, zumal als jeit 1773 nad den manderlei Schwankungen ein
Zuftand eintrat, an dem nichts Wefentliches mehr geändert wurde. Als jpäter
nah dem Thronwechſel die Abänderung diejer Zollverfallung in Erwägung ge:
zogen wurde, gab diejelbe Magdeburger Kaufmannichaft, die bei der Einführung
der Zölle den völligen Ruin des Elbhandels vorausgejagt hatte, ihre Stimme
dahin- ab, daß man tiefer eingreifende Ummandlungen nicht vornehmen jolle.
Sehr gering war ber Ertrag der legten noch bejtehenden Binnenzölle. Der
König betrachtete fie vornehmlich als eine Kontrolle gegen den Schmuggel, nicht
als Geldquelle. Bor der wiffenichaftlichen Kritik fanden fie längft feine Gnade mehr.
Auch die großen politiihen Umgeftaltungen der Landkarte übten immer
von neuem ihre ftörende Wirkung aus, indem alte Handelswege durchſchnitten,
alte Abjaggebiete veriperrt wurden. Für den jchlefiichen Handel, insbefondere
den Viehhandel nah dem Gebiet der unteren Donau war es ein jchwerer Schlag,
als Galizien öfterreihifch wurde und ſich mit Zollgrenzen umgab. Und Rußland
batte von jeinem Anteil an Polen faum Befig ergriffen, jo legte man ber Ge:
treideausfuhr nah Preußen Erſchwerungen auf, die der Königsberger Kaufmann:
ihaft bange Sorge bereiteten.
Den nadteiligen Wirkungen, welche die zum Schuge der heimiſchen In—
duftrie geführten Zollfriege auf den Handel ausübten, juchte der König, wie jchon
vor dem Siebenjährigen Kriege, !) vornehmlich durch zwei Mittel pojitiv entgegen:
zumirfen: durd die Anbahnung von Handelsverträgen und durch die Begünftigung
fapitaliftiicher Unternehmungen.
Einer feiner Minifter hat ihm vorgeftellt, es jei in der Handelspolitif eben:
jo nötig, ſich Nahbaren wie fih Kolonien zu erhalten — damals hatten bie
Engländer die ihren in Nordamerifa gerade verloren. Der Rat war trefflic,
aber im Zeitalter des ftarren Merfantilismus, wo eben jeder Staat ſich mit Zoll:
ſchranken umgab, war es freilich jchwer, die Vorausfegungen für einen Handels:
vertrag zu finden. Das vor dem Kriege mit Mühen erlangte Ablommen mit
Frankreich hätte Preußen gern erneuert, aber der Wind wehte nicht mehr, der
', 8b. I, 447— 456.
410 Achtes Bud. Zweiter Abfhnitt.
f ——— 1753 der Verhandlung die Segel geſchwellt hatte; bei der zwiſchen den beiden
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Höfen andauernden Spannung führten die Handelsfonferenzen der Jahre 1768 — 69
zu feinem Ergebnis. Um jo mehr wurde eine Verhandlung mit Polen durch die
politiihe und fommerzielle Konjunktur begünftigt. Als dieſes Nahbarland durch
die Ereignifje des Jahres 1772 von der See abgeichnitten war, erklärte de Launay
dem Könige: „Eure Majeftät dürfen nur den Schlagbaum zubalten, um Ihren
Staaten den ganzen Zwifchenhandel mit Polen zu fihern.” Nach einigem Sträuben
nahm man dort die preußifchen Anträge an, um nur etwas Gemijjes zu haben, wie
in der Delegation des Neichstages gejagt wurde, und nicht ganz von der Willkür
des Nachbarn abzuhängen. Der Vertrag vom 19. März 1775 errichtete an den
preußijch:polniihen Grenzen Differenzialzölle für die Waren der beiderfeitigen
Unterthanen und die Waren jedes dritten; dieſe wurden mit einer Abgabe von
zwölf Prozent des Wertes belegt, jene nur mit einer zweiprozentigen. So hoffte
Preußen fih den polniichen Markt für feine Fabrikate zu erobern, den fremden
Wettbewerb matt zu jegen und zugleich den polnischen Kornhandel nah Königs:
berg, Pillau, Elbing und Stettin zu ziehen, auf Koften Danzigs, das, noch pol:
niſch, jett doch als Zollausland behandelt und unter den erhöhten Zoll von
zwölf Prozent einbegriffen wurde. Der Vertrag, von dem Könige als großer
Gewinn betrachtet, wurde von einem Teil der preußiichen Kaufleute, zumal von den
ſchleſiſchen, mit fcheelen Bliden angejehen. Man klagte, daß der jchlefiiche Durch—
gangshandel jetzt den Gnadenftoß erhalte, und wies die Vertröftung ab, daß bald
der Stapel: und Speditionshandel um jo größeren Aufſchwung nehmen werde.
Auch Heinik hatte Bedenken, de Launay glaubte fie widerlegen zu können. Der
König berief eine Kommiffion zur Prüfung, fie hielt zu Heinik, aber der König
entichied für de Launay und die Beibehaltung des Tarifs von 1775.
Einen widtigen Erfolg bedeutete der Handelsvertrag mit Spanien von
1782: die fchlefifche Leinwand, fortan beim Eingang nicht höher beiteuert als
die franzöſiſche, vermochte jet troß des weiteren Weges jene auf dem ſpaniſchen
Markte zu unterbieten und zurüdzudrängen. Als damals jenjeits des Welt:
meeres eine neue Republik entftand, beeilte fih König Friedrich, dort Handels:
beziehungen anzufnüpfen, um Tuche, Wollftoffe und Yeinwand, Eijenwaren und
Porzellan gegen Reis, Indigo und virginiihen Tabak umzujegen. Der Meift:
begünftigungsvertrag zwiſchen Preußen und den Vereinigten Staaten von Amerika
vom 10, September 1785 hat dann freilihd den von beiden Teilen an ihn ge
fnüpften Erwartungen nur wenig entiprodhen, da noch auf lange hinaus die
maritim und fapitaliftiich leiftungsfähigeren Engländer im Welthandel die Ver:
mittler zwiichen biefen abtrünnigen Kolonien und der alten Welt blieben.
Nichts ift den Fanatifern eines neuen national:öfonomiihen Dogmas an
der Wirtihaftspolitif Friedrichs des Großen jo anitößig, fo verdammensmwürdig,
jo unbegreiflih erjchienen, al& feine Monopole. Ein Mirabeau erklärte, daß er
den Urfprung diejer Vorliebe für erflufive Privilegien, den Grund der Ber:
blendung Friedrichs gegen ihre verderblihen Wirkungen nicht babe entdeden
können; als Vermutung ſprach er aus, daß neben dem rein fisfalifchen Geſichts—
punkte — denn anfcheinend feien diefe Monopole den Staate für jchweres Geld
abgefauft worden — die Hoffnung mitgewirkt habe, dem Schmuggel Abbruch zu
Verwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 411
thun, da natürlicherweife die Furcht vor der Einziehung der Freibriefe die In—
haber zu um fo genauerer Beahtung der Jollgefege angetrieben habe.
Wie völlig griff jolhe Vermutung fehl! Friedrich hatte über das Monopol: —
weſen ſeine eigene Theorie. Er betrachtete es als ein notwendiges Uebel, als
ein Aushülfsmittel, als eine Uebergang: ingsform des ‚ volfswirtichaftlichen 3 Betriebes. ”
Erflufivprivilegien wurden deshalb an Fabrifanten grundſätzlich nur verlieben,
um die Einführung eines neuen Artikels zu erleichtern, zumal wenn es galt,
einen Großbetrieb zu ermöglichen und jchnell in die Höhe zu bringen, gleihjam
als ein Patent, um für Koften und Gefahr dem Unternehmer einen Borfprung
zu fihern. Grundſätzlich erfolgte jomit die Verleihung auh nur auf befriftete
Zeit und wurde nicht erneut, wenn die Unternehmung Kraft gewonnen hatte, auf
eigenen Füßen zu ftehen. Es verfteht fih, dab es dabei bisweilen ſchwer
war, den entjcheidenden Zeitpunkt genau zu beitimmen. Den Berliner Unter:
nehmern die Tucdlieferungen für die Regimenter zu Gunjten der neuen weit:
preußifhen Manufakturen zu verfürzen, wollte fi) der König nicht entſchließen:
„Man muß nit Paulum ausziehen, um Petrum zu befleiden,” jo verfügte er
eigenhändig. Es blieb nicht aus, daß fortbeftehende Alleinrechte ihre Berechtigung
im Sinne der Theorie doch ſchon verloren hatten und nur noch jchädlich wirkten,
wie nah Heinigens Auffafiung jenes Privilegium der Splitgerberihen Stahl:
waren.!) Der König jelbit leugnete ſolche ſchlechten Erfahrungen nicht und Fargte
deshalb jpäter mit der Bevorzugung Einzelner, wie das andererjeits auch die folge-
richtige Wirkung der Zunahme des Nationalreihtums und der allgemeinen Leiftungs-
fähigfeit war. „Ein Monopolium wollte ih nicht gerne haben, denn das hat immer
einen üblen Erfolg,” jo erflärte er in jeinem legten Lebensjahre dem jchlefifchen
Provinzialminifter, als es ih um die Begründung der bortigen Stahlwaren:
fabrif *) handelte; „der Monopolift wendet feinen rechten Fleiß und Betrieb:
jamfeit an auf die Sade, ı weil er niemanden neben fi hat, der ihm nadeifert;
daraus fommt denn, daß er feine Arbeit negligieret und ſchlechte Ware macht.“ So
ganz wußte Friedrich die Bedeutung der Konkurrenz für den gewerblichen Fortichritt
zuwürdigen. Und als Daniel Itzig 1781 für feine neu zu begründende Luxus—
lederfabrif wünschte, daß die Schlächter angehalten werden jollten, ihm jährlich
eine Zahl roher Rindshäute nah feiter Tare zu liefern, verfügte der König:
„Das geht nit an! Freilich können fie an ihn verkaufen, foviel fie wollen;
allein fein Zwang muß dabei fein.”
Auch mit den Beihülfen für neue Fabrifanlagen war er zulegt zurückhaltender
geworben. Als er 1781 um 6000 Thaler Zufhuß für die Gründung einer
Segelluchfabrik in Oftpreußen angegangen wurde, antwortete er dem Oberpräft:
denten Dombarbt jehr unwirſch: „Ihr ſeid nicht gefcheidt, das iſt nichts. Die
Leute müflen das für ihr eigenes Geld thun, denn fie haben ja den Profit da:
von. Warum joll id das Geld geben? Das wird dann nur verzehrt, und aus der
Fabrif wird nachher nichts. Wenn die Leute diefe Saden für ihr eigenes Gelb
machen, jo wenden fie auch mehr Fleiß darauf und geben fih mehr Mühe darum.”
1) Oben ©. 404.
2) Oben ©. 408.
in.
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412 Achtes Buch. Zweiter Abſchnitt.
In dem Maße nun, als Handelsunternehmungen, zumal überſeeiſche, größerem
Riſiko ausgeſetzt waren als induſtrielle Anlagen, erforderten ſie auch ſtärkere und
vor allem längere Unterſtützung durch Monopole. Die Bildung großer kapital—
kräftiger Handelsgejellichaften hatte ſchon der Lehrmeifter des Kronprinzen Friedrich,
der Kammerbireftor Hille, in jener Denkſchrift von 1725!) gefordert, aber nod)
immer galt jeine Klage, daß der Kaufmann, reich geworden, ben Handel lieber
aufgebe und Grundbeiik erwerbe. „Statt dab die Bürger ſolche Sachen machen
und ihre Gelder anlegen follten,” jchreibt der alte König 1780, „wollen fie
Güter kaufen.” So fand aud fein Beftreben, ven Magdeburger Eigenhandel
auf Koften der Nahbaren in die Höhe zu bringen, bei der Kaufmannfchaft ge:
ringes Entgegenfommen. Und in Breslau flagte die Kammer fort und fort
über die ſchlaffe Bequemlichkeit der Kaufleute, die „nah ihrem befannten Genie“
die Waren von den fremden abholen ließen, ftatt fie jelber auf die auswärtigen
Märkte zu führen. Ein Fachmann endlid, der unternehmendite Kaufmann des
damaligen Sclefiens, der aus Weftfalen zugewanderte Peter Hajenclever, warf
jeinen neuen Zandsleuten vor, daß fie für gemeinnütige Veranftaltungen nie
Geld hätten, nie daran dädten, auf gemeinfame Koften Sadverftändige ins
Ausland zu ſchicken, „um Fabriken und Handelsgeheimniffe zu erforſchen“, daß
die Landshuter Kaufmannsinnung im Laufe von elf Jahrzehnten noch nicht einen
Groſchen für einen kaufmänniſchen Fonds gefammelt hätte, und daß es in Hirſch—
berg nicht beſſer ftünde.
So verftehen wir, dab der König troß feines Mißtrauens gegen ber:
gelaufene Projeftenmader °) fih zu dem Grundfate befannte, bei Begründung
von Handelsgejellihaften oder neuen Induſtrieen Ausländer aus den Staaten heran:
zuziehen, in denen diejer Handelszweig oder jene Manufaktur fhon in Blüte
ftehe. Wenn er dann auch einmal an einen Betrüger fomme, jo ärgere und
entmutige ihm das doch nidt. Ein Kleeblatt dieſer Schmaroger — Messieurs
les Ecornifleurs — hat er in beißenden Spottverjen verewigt.
Als eine Handelsgejellihaft im größten Maßftabe und mit den mannig-
fachſten Aufgaben war urjprünglich die preußifche Bank gedacht worden :°) fie jollte
neben den eigentlihen Banfgeichäften und der Münze den gefamten auswärtigen
Holzhandel, den jchlefiihen Leinenhandel, das Geihäft nah Rußland, Polen und
Sfandinavien, nah dem Mittelmeer und China an fich nehmen und endlich auch
als Gejellihaft zur Schiffsverfiherung wirken. Wenn nun eine jo gewaltige Grün—
dung fich jofort als unausführbar herausgeftellt hatte, jo wurden doch die Stüde
dieſes zerfchellten Riefenentwurfes fämtlich feftgehalten und der Reihe nad einzeln
; verwirklicht.
Die SeeafjeturanzGejellicaft, am 31. Januar 1765 zu Berlin mit einem
— — — — —
— Stammkapital von einer Million Thaler zu 4000 Aktien gegründet, hatte an—
fangs, wie die Bank jelbft, mit dem hartnädigiten Mißtrauen zu kämpfen; bie
Stettiner Kaufleute weigerten fi, fie zu benugen, da fie in Amfterdam oder
Hamburg ihre Schiffe billiger und bequemer verfichern konnten. Erit ganz all:
i) Bd. I, 424.
2) Bd. I, 458.
Oben ©, 358.
Verwaltungdreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 413
mählich gewann die einheimiiche Anftalt in den preußiſchen Hafenftädten Boden.
Eine Brennholzgejellihaft zur Verjorgung der Nefidenzitädte Berlin und ots:
dam, die beim Verfauf eine Tare nicht überfchreiten durfte, jollte der willkür—
lihen und wucherifchen Berteuerung des Holzes vorbeugen; eine Nupholzgefell:
ſchaft war in eriter Linie bejtimmt, den Elbhandel nah Hamburg einheitlich zu
organifieren und erhielt zu diefem Zweck das ausſchließliche Recht zur Ausfuhr
des Schiffs-, Stab: und Kaufmannsholzes aus den Staats: und Kämmereiforiten
der Kurmarf und des Herzogtums Magdeburg und das Vorfaufsrecht auf alles
zur Ausfuhr beitimmte Nutzholz aus den Privatforiten. Beide Gejellichaften, 1766
gegründet, gaben in der Folge ihre Gejhäfte an eine ftaatlihe Verwaltung ab.
Erfolglos war, zum Teil wegen ungeeigneter Xeitung, die 1765 ins Leben
getretene Levantiſche Kompanie, eine Aktiengejellihaft mit dem Monopol, bie
bisher auf dem Landwege über Trieft und Wien bezogenen Waren, macebonijche
Baummolle und türfifches Garn, Kameelhaare, Del und Südfrüchte zur See ein:
zuführen. Sie mietete fremde Schiffe, da den preußifchen die zum Schuge gegen
die jeeräuberifhen Barbaresfen unentbehrlihen Türkenpäſſe fehlten, mußte aber
ihon 1769 ihre Zahlungen einftellen, als der Hauptunternehmer, der Hofbanfier
Clement, ein Holländer, fih in den Bankfbrud eines Amijterbamer Haufes ver:
mwidelt jah. Für das Geſchäft nah Rußland erhielt 1766 das Schweiggeriche
Bankhaus gegen die Verpflichtung, jährlih für 15000 Thaler Porzellan aus der
Königlihen Manufaktur abzufegen, ein gewichtiges Vorzugsreht: alle Waren
aus Rußland, die nit auf Rechnung feines Petersburger Kontors gingen,
unterlagen in Stettin einer Zollerhöhung von zwei Prozent des Wertes; gleich:
zeitig wurde auf alle ruffiihen Ausfuhren, die nicht auf Nechnung preußiicher
Unterthanen gingen, ein Zuſchlag von fünf Prozent in Stettin und von acht Pro:
zent auf der Elbe gelegt. Der König dachte damit die ruffiihe Durchfuhr durch
preußifches Gebiet fremden Zwilchenhändlern zu entziehen und zugleih mehr und
und mehr von Hamburg nad Stettin zu lenfen;?) er hielt deshalb die neue Orb:
nung jowohl gegen die diplomatifchen Vorftelungen der Zarin, wie gegen bie bes
weglihen Klagen der Breslauer Kaufmannſchaft mit Entichiedenheit aufrecht.
Unerfült blieb zunächſt jein Wunſch, den unmittelbaren Handelsverfehr
mit t Dftafien J— wieder aufgenommen zu ſehen. Erſt in ſeinen 1 legten Regierungs:
jahren | jandten die Emdener Handelsherren abermals Schiffe nad Bengalen,
Batavia und China, nachdem ihnen ihr einträglicher Gabotagehandel während des
neuen Seekriegs zwiſchen England und Franfreih friſchen Unternehmungsgeift
eingeflößt hatte. Erfolgreich trat ſeit 1769 die Heringsfompanie von Emden
dem Wettbewerb der Dänen, Schweden und zumal der Holländer entgegen. Mit
6 Schiffen anfangend, ließ fie 1782 fchon 32 in See gehen, und in dem Maße,
als fie ihren Betrieb erweiterte, konnten ihr immer neue Provinzen zur aus:
fchlieglihen Verforgung überwiejen werben, aber mit der Beichränfung, daß der
Preis gegen den in ihrem Gründungsjahr für die holländiſche Ware markt:
gängigen nicht erhöht werden durfte.
Bgl. Bo. I, 441 ff.
2) 3. I, 453.
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414 Achtes Bud. Zweiter Abfchnitt.
Alle diefe Unternehmungen übertraf und überbauerte die Seehandlungs:
3 geielihaft von 1772, die nad) Erwerbung einer neuen Provinz Anläffen, welche
— —
uns noch 5 beichäftigen werden, ihre Entftehung verbantlte.
Sorgjam fortgefegt wurden die im „jahre 1747 eingeführten Handels:
tabellen. Mirabeau, der von feinem freihändleriihen Standpunft aus die Auf:
ſtellung einer Handelshilanz überhaupt für „unnüg und illuſoriſch“ erklärte, hat
über die Zahlen der amtlihen preußiſchen Handelsſtatiſtik jehr abſchätzig ge-
urteilt. Er_verwarf das Bild, das Hergberg danad zeichnen zu können meinte,
als „ein abfolut faljches, ohne Grundlage, ohne Wirklichkeit, ohne Scheinbarfeit,
ohne Möglichkeit". Nach den richtigeren Ziffern, über die Mirabeau zu ver:
fügen glaubte, würde die preußiſche Handelsbilanz ſich vielmehr jo geitellt haben,
daß aus ihr nur der Schluß übrig blieb, Preußen eile mit Riejenichritten jeinem
Ruin entgegen.
Richtig ift, daß dieje Tabellen einen unbedingten Wert nicht für ſich be:
anſpruchen fonnten. Eine neuerdings für die jchlefifhen Lilten angeftellte Prü—
fung bat ergeben, daß von den drei Rubrifen „fabrizierte, im Lande verhandelte,
ausgeführte Waren” nicht jede die gleihe Glaubwürdigkeit verdient, und ſchon
Heinig hat den Fehlerquellen dieſer bei den Provinzialiteuerdireftionen aus:
gearbeiteten Zufammenftellungen nachgeforiht. Er hat nad einem Beſuch der
Frankfurter Meile die Mepberichte der Kriegs: und Domänenfammer einer
ſcharfen Kritik unterworfen und feinerjeits, jtatt bes offiziell angenommenen
Umfages von 2’ Million Thalern für eine einzige Meffe, nur im ganzen 3 Mil:
lionen für drei Mefien herausgerehnet. Als Reflortminiiter in der Lage,
die ftatiitiichen Grundlagen genau zu prüfen, als NReformminifter, der er für
das fünfte Departement werden wollte, nachdrücklich beitrebt, fie jehr jcharf zu
prüfen, wird Heinig für die Nachweile, die er uns der offiziellen Statiftif gegen:
über als berichtigte gibt, bejondere Beadhtung beanipruchen dürfen, größere als
Hergberg für die feinen, der biefer Minifter in einem abjeits liegenden amt:
lihen Wirfungsfreife nicht aus den tiefiten Quellen ſchöpfen konnte.
Heinig berechnete für das Jahr 178182 für das „Pflanzenreih“ ben
Wert der Ausfuhr auf 8586 223, den der Einfuhr_auf 3069328 Thaler, für
‚ das Tierreich“ dieſelbe Bilanz auf 4648178 gegen 3648808, für das „Mi:
—
“ neralreih” auf 843495 gegen 709447, für die allen drei Reichen angehörigen
Erzeugnifie auf 519098 gegen 1759791 Thaler, während für die eigentlichen
Lurusartifel, Wein, Thee, Kaffee, Schofolade, Zuder u. j. w., fih eine überaus
ftarfe Baffivbilanz ergab, mit dem Ausfuhrmwert von 270872 gegen eine Ein:
fuhr von 2675011 Thalern. Insgeſamt übertraf nach diejer Berechnung der
Wert der Ausfuhr (14867516) den der Einfuhr (11834691) um 3032825
Thaler. Der ganze Umjag, Ein: und Ausfuhr zufammen, betrug aljo 26 bis
27 Millionen, während die Aus: und Einfuhr Großbritanniens 1786 auf fait
32 Millionen Pfund Sterling, die Franfreihs 1780 auf 377%: Millionen Livres
berechnet wurde.
Unter den Provinzen erzielten Oftpreußen und Pommern mit ihrer für den
Handel günftigen Küftenlage nad der amtlichen Statiftif eine Aktivbilanz von
faft 500009 und 400000 Thalern; die neue Provinz Weftpreußen gewann im
Berwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 415
Handel 150000 Thaler; die Neumark dank ihrem Tucherport 180000; Schlefien
über 1700000 vornehmlih durd feine Woll- und Leinenwaren; Magdeburg
und Halberitabt 168000; Kleve, Mörs und Geldern zufammen 110000; bie
Srafihaft Mark dur ihre Metallmarenausfuhr fait 500000; Minden, Ravens—
berg und Lingen 356000; Oftfriesland 316000. Die einzige Provinz mit einer
Paifivbilang war die Kurmarf; fie verlor beim Austaufh nahezu eine halbe
Million, bei dem großen Bedarf der Refidenzitädte Berlin und Potsdam an
Nahrungsmitteln, an Rohſtoffen für die Fabriken und an Lurusgegenftänden.
Die Zahl der Seeſchiffe betrug nach den Erhebungen von Heinig 1782 in Sk —
Preußen und Litauen 90 mit 816 Matroſen; in Pommern 303 mit 2235; in At:
Dftfriesland 892 mit 5395. Von den preußifchen und pommerjchen —
waren nicht weniger als 25 dort und 89 hier während der beiden legten Jahre
1780 und 1781 gebaut worden, denn durch den Anſchluß an das internationale
Syſtem der bewaffneten Seeneutralität hatte Preußen in dem großen Seefriege
Englands gegen Franfreih, Spanien und Holland ſich die Unverleglichfeit feiner
Handelsflagge gefihert und damit einen jtarf gefteigerten Handelsverfehr nad)
und zwiſchen den Häfen der Gegner Englands gewonnen. So hat ſich bie
Stettiner Reederei, die 1751 erft 79 Schiffe mit 3899 Laften zählte, bie 1784
auf 165 Schiffe mit 21791 Laften vermehrt. Hatte fih die Gejamtzahl der
aus: und einlaufenden Schiffe gegen die Zeit vor dem Siebenjährigen Krieg!)
verringert, jo waren doch die einzelnen Schiffsgefäße jest ungleich größer: 1751
bejaß Stettin nur 2, 1786 78 Schiffe über 100 Laſten. Ein: und Ausfuhr
Stettins betrug 1739 zujammen 300000 Thaler, 1786 4'» Million.
Aus der allgemeinen Klage der Kaufleute, daß der Handel unter bem In €.
doppelten Drude der Schugzölle und der Regie erftidt werde, nahm Heinig Ber: ++ >‘ era
anlafjung, feine Berechnungen für Schlefien aus den Jahren 1768 und 1782 97885 -
mit einander zu vergleihen. Er fonnte feftftellen, daß zwar der Wert des ’/rı
Tranfits von 1766875 Thalern auf 1239875, der ber Einfuhr minder jtarf
von 2231279 auf 2177040 zurüdgegangen, daß dagegen der Wert der Aus—
fuhr fat um eine Million, von 2819730 auf 3746813 Thaler geftiegen
war. Er fand es ungeredtfertigt, unter dieſen Umſtänden von einem Verfall
des jchlefiihen Handels zu ſprechen, und ſah nur die Wahrheit des Sapes be:
ftätigt, daß man fi ganz fihere Kenntnifie über das Ganze verihaffen müſſe,
ehe man über Grund oder Ungrund der Klagen entſcheiden könne. Zu dem:
jelben Ergebnis wie Heinig für den ſchleſiſchen, kam damals eine von privater
Seite an : angeftellte Berechnung für_den preußiſchen Oſtſeehandel.
Blieben die Schlußergebniſſe trotz aller ſchonungsloſen Umrechnungen, die be
Heinig in den offiziellen Liften vornahm, doch noch günftig im Sinne einer 57,“ , Mes
ftarfen „Aktivität“, jo durfte er hoffen, den König von der irreführenden Schön:
färberei der herfömmlichen Statiftif zu überzeugen. In der That gab Friedrich
bei der gemeinjamen Prüfung der Handelsbilanz für 1781/82 dem Minifter zu,
daß fie offenbare Irrtümer, Verwechſelungen, Doppelanfäge enthalte, und ſtrich,
Heinig zur Genugthuung, allein bei den zwei Titeln Wolle und Seide faſt zwei
) Bgl. Bd. I, 442.
416 Achtes Buch. Zweiter Abichnitt.
Millionen. Daraufhin jegte ihm Heinig auch im nächſten Jahre bei Vorlegung
der diesmal bejonders günftigen Bilanz eingehend die Gründe auseinander, aus
denen man fi auf den angegebenen Gewinn von 5423010 Thalern nicht ver:
laſſen dürfe; er betonte namentlih, daß durd die Kontrebande ein beträchtlicher
Teil des berechneten Aktivüberichufies verloren gehe. Der König verfügte auf
den Beriht: „Ih rechne auf 4 Millionen”. Er machte eben jelber recht er:
hebliche Abftrihe von der offiziellen Statiltif, wie er denn zu Heinig einmal
gejagt hat, es jei fein Schade, derartige zu glänzende Tableaur zu haben, wenn
nur die, weldhe davon Gebrauch zu machen hätten, das Wahre und das Falſche
zu unterjcheiden wüßten. Aber unvertennbar iſt er doc immer jehr geneigt
gemeien, das zu glauben und anzunehmen, was feinem Herzen wohl that, und
Heinig täufchte fih, wenn er meinte, daß der König den „nationalen Gewinn“
wirflih nur auf 3 Millionen jährlich berechne. Friedrichs eigenhändige Aufzeich:
nungen von 1777 und 1782 ergeben vielmehr, daß er ihn das erfte Mal auf
tete er die Statiftif des Auslandes gern durch ein Verfleinerungsglas; einer
ſeiner Tifchgenofien gemwahrte zu feiner Vermunderung oft, wie der alte König
„Uber die Bevölkerung, die Staatseinfünfte und Aehnliches in den fremden Län—
dern fich abfichtlih zu geringe Vorftellung machte und feitbielt”.
Wenn der König berechtigte oder unberechtigte Klagen über den Rüdgang
des Handels hörte, hat er wohl abweiſend geäußert, die Kaufleute jeien mie die
Landwirte, denen es der liebe Gott niemals recht machen könne.
Vor dem Nichterituhle der neuen Theorie fand feine Agrarpolitik noch
. weniger Gnade als jein Syitem des Jnduftriefhußes und der Handelsbalance.
„Er bat ftets,” jchalt Mirabeau, „die Landwirtſchaft erbrüdt, um die Fabriken
zu heben.” Nun haben wir gehört, mit wie bedeutenden Spenden Friedrich der
Landwirtſchaft zu Meliorationszweden und für die Negelung der Schuldverhält:
niffe zu Hülfe gekommen ift.‘) Aber dab er den Kornhandel unter ſtaatliche
| Aufficht nahm und die Wollausfuhr verbot, das waren in den Augen dieſer
Doktrinäre feine beiden großen Verbrechen gegen den Landmann.
Bon den preußiihen Provinzen erzielten das Herzogtum Magdeburg und
das Fürftentum Halberftabt, mit ihrem fetten Boden den übrigen landwirticdhaft:
ih weit voraus, einen Ueberſchuß und hatten deshalb in früheren Zeiten einen
einträglihen Ausfuhrhandel mit Roggen und Weizen nah Hamburg betrieben.
Die Marken, Pommern und Sclefien erzeugten im allgemeinen nur das, was
der eigene Bedarf erforderte; das Herzogtum Preußen erntete wieder mehr.
Kornausfuhrländer waren im damaligen Europa England, deſſen Getreidebau
in der erften Hälfte des Jahrhunderts dur hohe Ausfuhrprämien neuen Anz
trieb erhalten hatte, und Polen, das gewaltige Maffen an Weizen und Roggen
über Europa ausſchüttete. Das ojteuropäiihe Korn war billiger, Jchwerer, zum
Verſchiffen geeigneter als das deutiche; es beherrichte den Weltmarkt für Ge:
!) Oben ©. 359 ff.
Verwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 417
treide, deſſen Mittelpunkt damals noch Amſterdam bildete; es hatte zeitweilig
jelbft den inländiſchen Getreidemarkt des brandenburgiich : preußiichen Staates
ernftlich bedroht, bis Friedrih Wilhelm I. den Kornhändlern die Einfuhr aus
Polen verbot, und nur noch die Durchfuhr nach Königsberg und Stettin für
den überfeeifchen Handel geftattete.
Für ſeine eigenen Einkäufe, für die Ergänzung feiner Magazine hielt
fih der Staat den polniſchen Markt dagegen offen, und eben deshalb ſprachen bie
Gegner feiner Wirtjchaftspolitif von Verftaatlihung des Kornhandels, von dem
Getreidemonopol des Königs vom Preußen, des größten SKornhändlers in
feinem Reiche.
Auch hier beruhten die Anklagen zum weſentlichen Teile auf Unkenntnis ], = ‘ ,
der Berhältniffe und der leitenden Gefichtspunfte. Friedrichs Getreidehandele: 2. he’
politik fennzeichnet fi, wie neuere Forſchungen es überzeugend dargelegt haben, /.... +.
als der erfolgreiche Verfuh zu einem Ausgleich zwiſchen den Anſprüchen . der
Landwirtfhaft und der Induſtrie, der aderbauenden Bevölkerung, die fih hohe
Kornpreife erjehnt, und der Eleinen Leute in der Stadt, die billiges Brot brauchen.
„Dem Fürften liegt es ob,” erklärt er in dem Teftament von 1768, „in ben‘
Getreidepreiſen die jcharfe Richtfchnur und Mittellinie zu ziehen zwifchen ben
Sinterefjen des Edelmanns, des Domänenpädhters und des Bauern auf der einen |
Seite und den Interefien des Soldaten und des Arbeiters auf der anderen.” Die
Getreidepreife auf einem Durchſchnittsmaß zu halten war deshalb das Ziel aller
feiner Beitrebungen, der Grundgedanke eines Syitems, das nad) dem Sieben:
jährigen Kriege feine volle Ausbildung erhielt. Der Preis follte nicht unter den
Betrag der Produktionskoſten finken, und für diefe gab es einen feiten Maßitab
an ber Kammertare, d. h. an dem von den Kriegs: und Domänenfammern zum
Zwede der Aemterverpachtung aufgeftellten Anfage für ben mutmaßlichen Erlös des
auf ven Pachtäckern geernteten Kornes, einem Sate, der in den weftlihen Provinzen
höher, in den öftlichen niedriger war und gemöhnlid von dem Marftpreife über:
troffen wurde. Im Jahre 1752 betrug die Kammertare in der Kurmarf 16 Groſchen
für den Sceffel Roggen, in Pommern 14, in Oſtpreußen 12 Groſchen. sah,
Das doppelte Ziel dieſer Politif ließ fich erreihen mit Hülfe der großen’ "
ftaatlichen Kornmagazine, die, allzeit zugleich aufnahmefähig und abgabefähig,
dem Staat in Friedenszeiten e8 ermöglichten, ald Abnehmer oder als Verkäufer,
in fetten Jahren durch feine Nachfrage und in mageren durch fein Angebot, den
Preis auf ungefähr gleihmäßiger Höhe zu halten. Solche großen —
hatte Friedrich Wilhelm J. in der Hauptſtadt und in den Landesfeſtungen er—
richtet: zu Spandau, Küſtrin, Peitz, zu Magdeburg, Stettin, Kolberg, zu Minden
und Weſel, und beſonders zahlreich in Oſtpreußen: zu Königsberg, Pillau, Memel,
Ragnit, Inſterburg, Preußiſch-Holland, Johannisburg, Marienwerder. Friedrich
der Große fügte in Schleſien die alten öſterreichiſchen „Kornhäufer” zu Brieg
und Glogau dem preußiihen Eyftem ein und errichtete neue Magazine in
Schweidnig, Glag, Neiße, Koſel und Hirfhberg, außerdem in der Mark zu,
Zehdenid, Havelberg, Tangermünde und Franffurt. Endlich wurden nad dem
Siebenjährigen Kriege die beiden fogenannten Friedens: oder Stabtmagazine in
Berlin und in Breslau angelegt.
KRojer, König Friedrich der Große. II. 2. Aufl. 97
418 Achtes Buch. Zweiter Abſchnitt.
Grundjag für alle weiteren Maßnahmen des Staates auf diefem Gebiet
blieb die Weifung, die der König 1748 dem Minifter Katte für die Magazin:
verwaltung erteilt hatte. Der Roggen jollte fih in der Kurmark nicht unter
18 Grofhen und nicht über einem Thaler verkaufen, bie Preisſchwankung
aljo in einem Spielraum von 6 Grofchen gehalten werden. Sobald in einer
Provinz der Marktpreis die Thalergrenze überftieg, jollten die Magazine fi
öffnen und den Noggen zu 20 Grofhen anbieten; ſank irgendwo der Preis bis
unter die Kammertare, jo jollten die Magazinverwaltungen an Ort und Stelle
durch Auffäufe ihn wieder in die Höhe bringen, „damit Jolchergeftalt die Korn:
preife beftändig dahin balancieret werden, daß der Bürger, Bauer, Beamte und
Edelmann mit einander dabei beftehen können“,
Gleich nad zwei Jahren gab die überall jehr reihe Ernte des Sommers
von 1750 dem Könige Veranlafjung, „zum Soulagement des Landmanns” in
jämtlichen öftlihen Provinzen umfangreihe Einkäufe zu machen. Aud in den
folgenden durchweg guten Jahren würde in Schlefien der Ueberfluß feinen Ab-
nehmer gefunden haben, wenn nicht der Staat zu den Sätzen der Kammertare
feine Ankäufe fortgejegt hätte. Unmittelbar darauf wurde Pommern durch wieder:
holte Mikernten heimgeſucht, und nun fonnten wieder die Magazine mit ihren
Vorräten ausgleihend und rettend dazmwifchentreten,
Das große Hungerjahr des achtzehnten Jahrhunderts war das Jahr 1771,
der Höhepunkt einer Teuerung, die 1770 begonnen hatte und nad) dem nod:
maligen Mißwachs des Sommers 1772 bis 1774 anbielt. Inmitten der bitteren
Not der angrenzenden deutſchen Gebiete, die zahlreihe Opfer dem Hungertod ver:
fallen ließ, erfreuten fich die preußiſchen Provinzen ber mwohlthätigen Wirkungen
des ftaatlihen Schutzes. Das Magazinfyftem beitand bei diefem Anlaß die Probe
glänzend und gewann dem Staate jene Taufende neuer Anfiedler, die der Hunger
aus Sachſen und Böhmen über die Grenzen trieb. Das freilich erreichte man in
Preußen damals nicht, den Roggenpreis, wie der König es wünſchte, auf der Höhe
von 1! Thaler zu halten. Denn die Not war jo allgemein, daß man mit einer
Erihöpfung der Staatsmagazine rechnen und deshalb die Berfäufe in gewiſſen
Grenzen halten mußte. So ftieg 1771 bier und da aud in Preußen der Preis
auf 2 Thaler und darüber hinaus; aber auf eine Klage aus Hinterpommern über
diefe unerhörte Teuerung konnte der König darauf hinweifen, daß der Roggen
jegt in Sachſen 2", in Mähren 3's, in der Gegend von Augsburg 7 Thaler
foftete.
Erft diefe Notjahre lenkten die Aufmerffamfeit der Fremden auf die
preußifhen Schutzeinrichtungen; ein ſächſiſcher Schriftfteller empfahl ihre Nach—
ahmung. Friedrich jelbft aber urteilte nah ben Erfahrungen jener Jahre:
„Jeder Herricher, ber auf das öffentliche Wohl bedacht ift, hat die Pflicht, fich
mit reichlich gefüllten Magazinen zu verjehen, um eine Mißernte auszugleichen
und der Hungersnot vorzubeugen.“ Es gelte, eine genaue Berehnung zur Hand
zu haben über den Ertrag der verjchiedenen Getreibearten in guten, mittleren
und jchlehten Jahren, den Konſum damit zu vergleihen und auf diefem Wege
feftzuftellen, in weldem Umfang die Ausfuhr zu erlauben jei oder eine Er-
gänzung einzutreten habe.
Berwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 419
Bald war infolge der vier _gejegneten Ernten von 1777—80 die Markt:
lage wieder dahin umgeſchlagen, daß die Landwirte bei den niedrigen Preifen
nicht beftehen zu können meinten, und wieder brachte nun der Staat durd) feine
PMafjeneinfäufe den Preis in _die Höhe.
Fisfalifhe Abfichten wurden mit diejen ftaatlihen Käufen und Verkäufen
nicht verbunden, nur ſoziale. Wenn thatfählih das Magazintorn in Notjahren
etwas teurer abgefegt wurde, als es in den Zeiten des Weberflufies eingekauft
worden war, fo mochte der Unterjchied gerade nur den Zinsverluft deden. „Ich
will”, jo erklärte der König jhon 1748 dem Minifter Katte, „bei diefem An-
kauf und Verkauf nicht das geringite für mich verdienen, jondern nur durch
diefen Umſchlag die Armut und den gemeinen Mann durch einen leiblichen Korn-
preis joulagieren.“ Vorteil erzielte der Staat nur bei den Getreibeeinfäufen in
Polen. Die preußiide Magazinverwaltung konnte das polniſche Getreide fehr
billig, zu Zeiten den Scheffel Roggen für 6 bis 8 Groſchen, eritehen und be:
wirkte jomit ihre Anſchaffungen vorzugsweife dort — ſobald nicht beim Sinfen
der Preife auf dem Binnenmarfte die Rückſichten auf die heimische Landwirtichaft
ein anderes erheijchten.
Die Geſamtwirkung diefer Getreidehandelspolitif läßt eine im General:
direftorium ausgearbeitete Tabelle mit den Durhichnittspreifen des Roggens in
der Marf, in Pommern und im Magdeburgiihen für die 23 Jahre von 1763
bis 1787 erfennen. Die Schwankungen waren, von den bezeichneten Hungerjahren
abgefehen, jehr gering. In Berlin bat der Roggen in 16 von dieſen 23 Jahren
genau oder fait genau auf dem Mittelpreife, 30 bis 31 Groſchen, geftanden,
in fünf Jahren entfernte er fich nach oben oder unten um 8 bis 9 Groſchen, nur
1771 und 1772 jchnellte er um 22 bis 24 Groſchen in die Höhe. Noch geringer
waren die Schwankungen in Stettin, ftärfer dagegen in Halle, wo ein ftaat:
lihes Kornmagazin fehlte.
Abgejehen von feiner allgemeinen Bedeutung für die Regulierung des
Marktpreijes gab_das Magaziniyften die Möglichkeit zu unmittelbarer Unter:
ſtützung der Landwirte bei dringender Not. Saatforn wurde 1772 vielfah um:
jonft gefpendet, und ungezählt find die Fälle, in denen der König einen Ein:
zelnen oder eine Gemeinde aus den Staatsvorräten gegen billigftes Entgelt
geſpeiſt hat.
Für den Getreidehandel der Privaten blieb allemal noch Spielraum. Die
Einfuhr polnifhen Getreides war, wie ſchon unter der vorigen Regierung, an
der pommerjhen und märkiſchen Grenze verboten, an der fchlefifchen war fie
einem Zol unterworfen. Eine noch höhere Auflage traf dort die Einfuhr von
Getreide aus Defterreih. Je nad) der Lage des Marktes wurde in Schlefien der
Verkehr mit ben Nahbarländern bald erleichtert, bald erfchwert oder ganz ge:
ſperrt. Die Ausfuhr von Getreide aus dem Magdeburgiihen und Ponmern
wurde nach dem GSiebenjährigen Kriege nur noch gegen Päfle, die der König
eigenhändig vollzog, geftattet. Oftpreußen behielt feine freie Ausfuhr und das
Recht, das auszuführende Getreide aus Polen zu beziehen; ber Landwirt dort
zu Zande Flagte, daß für das einheimifche Korn infolgedeflen fein Abjag fei,
und ber König gab zu, daß er mit Magazinfäufen allein nicht helfen könne,
Gurt uch.
420 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt.
wenn die Kaufleute im Inlande nicht kaufen wollten. Trotz des neuen Wett:
bewerbs der ruffiihen DOftfeehäfen!) wurden aus Königsberg 1784 noch an
48000, 1785 an 42000 Wifpel ausgeführt. Der Magdeburger Kornhandel
blieb troß aller Erſchwerungen der Ausfuhr und Durhfuhr?) ftets von großer
Bedeutung, da für die Verminderung des Abjages nah dem Auslande Die Ver:
forgung der Hauptftadt Berlin mit Brotforn einen Ausgleih bot. Um den
Getreivehandel auf der Elbe und Oder zu heben, empfahl der König wieder die
Bildung von Aftiengejelihaften: als er am 27. Dezember 1769 die Minifter
vom Generaldireftorium an feiner Tafel vereinigt ſah, entwidelte er ihnen
während des Mahles eingehend jeine Gedanken über die zwedmäßigite Art, wie
Rittergutsbefiger und erfahrene Kaufleute ſowohl auf der Elbe wie auf der Oder
den Korn: und Holzhandel betreiben könnten, zumal um den Hamburgern den
Zwiſchenhandel zu entreißen; den Edelleuten, die dadurch die Einfünfte ihrer
Güter merklich verbeffern würden, könne die Beteiligung an folder Handlungs:
focietät „zu feiner Verkleinerung“ gereihen, „indem nicht abzujehen, warum fie
nicht auf die beite Weife aus ihren Denrdes den beiten Nugen ziehen jollten“.
Schnell nahm der Plan Geltalt an; am 5. Februar 1770 erhielten die Magde—
burger Kompanien ihre Freibriefe: das Recht zur Ausfuhr einheimifchen Ge:
treides, foweit der Roggen auf den Märkten von Berlin und Magdeburg unter
einem beftimmten Preiſe bleiben würde, und das ausichließliche Recht zur Durch—
fuhr fremden Getreides aus Anhalt und Sadien. Dagegen ift die für den
Oderhandel geplante Gejelihaft nicht zu ftande gefommen.
Nicht anders als um die Einjchränfungen des Getreidehandels ftand es
um das Verbot der Wollausfuhr. nn beiden Fällen entſchädigte die wachſende
Aufnahmefähigfeit des inländiihen Marktes den Landwirt für den Verluft aus-
wärtiger Abfaggebiete.
Die Klagen und Befürdtungen, zu denen 1719 den Schäfereibefigern bas
Ausfuhrverbot Friedrih Wilhelms 1.) Anlaß gegeben hatte, fanden einen Wieder:
ball in Sclefien, als jeit 1754 die Sperrmaßregeln, im Zuſammenhang der
zollpolitiichen Maßregeln gegen die Nachbarn, auf dieje Provinz ausgedehnt
wurden. Die Schafzucht ftand in Schlefien in hohem Flor. Man wandte ihr
bier eine Sorgfalt zu, die anderwärts noch unbelannt war, in Auswahl der
Zudtböde, der Weidepläge, des MWinterfutters, der Streu. Die ſchleſiſche Wolle
aus der Gegend um Namslau und Dels wurde auf dem —— —
faum geringer als die ſpaniſche geſchätzt; nach Holland wurde zu Anfang des Jahr:
bunderts, ehe die öfterreihiiche Regierung die Ausfuhr mit einem Zoll belegte,
ſchleſiſche Wolle für eine ee a nn Zehaler verkauft, um in Leyden zu Tüchern
im Werte von 2! Million verarbeitet zu werden, während daheim die Tuch:
wirfer für ihre damals noch gröbere Ware die Mittelmolle bevorzugten. Nah
Deiterreih ging um 1750, vor dem Beginne des Zollfriegs, ſchleſiſche Wolle
jährlih im Durdichnittswerte von 99000 Thalern, und aud die fächfifchen
) Bgl. oben ©. 213.
2) Vgl. oben ©. 6.
” 96.1, 429.
Verwaltungäreformen und Schuh der nationalen Arbeit. 421
Tudfabrifen bezogen einen jehr großen Teil ihres Rohftoffes aus Schlefien, im
Werte von jährlich 120000 Thalern. Trotzdem waren bei der Größe des Schaf:
beftandes die Wollpreife in Schlefien niedriger als in der Mark; fie fielen im
Jahre 1755 infolge der neuen Prohibitivpolitif noch um ein beträchtliches,
und das 1755 ausgeiprochene Verbot der Ausfuhr nad Sachſen wurde deshalb
bald durd einen mäßigen Ausfuhrzoll erfegt. Gleich darauf kam der Krieg und
brachte die Wollpreife auf unerhörte Höhe, indem er aller Orten, in Schlefien,
in Sachſen, in der Mark, furdhtbare Verheerungen unter den Schäfereien an-
richtete. Zwar wurde wenigftens in Schlefien der Abgang auffallend jchnell
erjegt, denn 1765 war hier bereits wieder der Schafbeftand von 1763 erreicht;
aber inzwiſchen hatten biejelben Behörden, die vor dem Kriege fich im Intereſſe
der Landwirtſchaft gegen das Ausfuhrverbot ausgeiproden hatten, jegt im Intereſſe
ber Induſtrie dies Verbot gefordert, und jo war Anfang Oktober 1761 die Woll:
ausfuhr aus Schleſien geiperrt worden.
Die Folge bat dann gezeigt, daß bei dem Aufblühen der Tucinduftrie
die Wollpreife troß des Ausfuhrverbotes auf einer Höhe blieben, bei der, wie
der nachmalige preußiiche Minifter Strumfee in einer feiner ftaatswirtichaftlichen
Abhandlungen hervorhob, ſowohl der Landmann als der Fabrifant beftehen
fonnte. Nur vorübergehend hatte „die Noblefje”, der Stand der Gutsbefiger, Art wi
wie es 1755 vorausgefagt worden war, ein Opfer bringen müfjen. 1756 waren 1758: gehen, RR
in n ben öftlichen und mittleren Provinzen über 5612362 Schafe vorhanden, davon
etwas über eine Million in der Kurmarf, ungefähr eine halbe in der Neumart
und im Magdeburgiſchen, 2200000 allein in Schlefien. Cine Zählung vom
Dezember _1783 ergab für die ganze — 6808 089 Stück, während ala 753: 694:
Schafbeftand des damaligen Englands 12 2 Millionen ‚gerechnet wurden. Damit
war in Preußen ein Höhepunft — Die nächſten Jahre brachten ein
großes Schafſterben, aber auch ſonſt verringerten, wenigſtens in Schleſien, bie
Beſitzer ihre Herden, trotz hoher Wollpreiſe.
Unter allen Umſtänden konnten gegen das Ende der Regierung die
preußiſchen — —— die da gefürchtet hatten, an dem Ausfuhrverbot zu
Nach der —— von Heinitz mußte jährlich für etwa 350000 „Thaler 7 Shemes h /
Wolle aus Spanien, Polen und Medlenburg eingeführt werden. Teilweije aller: ars Pi
dings war dieſer fremde Rohitoff den Fabriken wegen feiner Eigenart unent:
behrlich; die ſchleſiſchen Zeugmacher bezogen für ihre Rammarbeit einfchürige
Wolle aus Polen, da die zweiſchürige jchlefifhe nur für Tuche verwendbar
war. Für die feinften Stoffe aber blieb man noch immer auf ſpaniſche Wolle
angewiejen. Daß Spanien um 1750 die Ausfuhr feiner edlen Zucdttiere bei
Tobesjtrafe verboten hatte, gereichte dem König von Preußen zum jchweren
Kummer. Erft 1785 wurbe das Verbot aufgehoben, und nun wurde nad
dem Vorgang von 1748 alsbald wieder eine Herde Böde und Mutterjchafe
„tief in Andalufien” aufgekauft. Was fi dur Veredelung der Zucht nod
erreichen ließ, lehrte ein Vergleich mit den Ergebnifjen der Mufterwirtihaft in
England. Dort erzielte man einen Zentner Wolle von 30 Schafen und ver:
faufte ihn für 110—170 Thaler, in Preußen aber trugen erit 50 Schafe
2 G
422 Achtes Buch. Zweiter Abfchnitt.
einen Zentner ein und der Zentner pommerfcher und märkiſcher Wolle wurde
nur mit 27% Thaler, der feinfter ſchleſiſcher Wolle mit 64 bezahlt.
Die Kritik, die über die preußifche Wirtihaftspolitif, ala der große König
faum die Augen geichloffen hatte, ein vollftändiges und grundjägliches Ber:
dammungsurteil abgab, hat ſich bei Friedrichs Lebzeiten no im Hintergrund
gehalten.
Allerdings ift er bei feinen Miniftern, und zwar feineswegs jelten, mit
feinen Anordnungen und Entwürfen auf Einwände und Widerſpruch geftoßen,
und wenigftens in einem ‘alle bat ber Widerſpruch geradezu eine heraus:
fordernde Form angenommen. Es war im Herbit 1766. Eben hatte der
König feine neuen Schöpfungen ins Leben gerufen, bie franzöfifche Regie des
Boll: und Nccifewejens, das ftraffere Tronützolliyitem, die Tabafsadminiftration,
bie Bank, die Handelsgefellihaften. Die allgemeine wirtichaftliche Lage wollte
fih noch nicht beſſern, der Großkanzler Jariges empfahl deshalb eine Unter:
ſuchung über die Urfahen des Verfalls von Handel und Induſtrie. Der König
entgegnete, die Urſachen feien ihm mwohlbefannt, und wies vor allem auf die
„Caprice“ der Kaufleute gegen feine neuen Einrichtungen bin; indes forderte er
vom Generalvireftorium einen eingehenden Bericht ein, wie ihn der Großfanzler
wünfchte. Diejen Auftrag nun benugten die Minilter zu einem ſchonungsloſen
Vorftoß gegen das ganze Gefüge jener neuen Beranftaltungen. Der König
war über ihre „impertinente Relation” entrüftet, er argwöhnte eine Beitechung.
Mit Hohn erklärte er, die Minifter, die den Bericht unterzeichnet hatten, „mit
ihrer Ignoranz“ entjhuldigen zu wollen; aber die „Malice und Korruption”
des Konzipienten müſſe eremplarifch beftraft werben: „jonften bringe ich bie
Kanaillen niemals in die Subordination”. Der Berfafler, ein Geheimer Finanz:
rat Urfinus, hatte früher bei dem Könige einiges gegolten, aber er fand feine
Gnade und wurde, da bei der Unterjuhung fleine Unregelmäßigfeiten jeiner
Amtsführung fih ergaben, zu einjähriger Feltungshaft verurteilt. Seitdem
legten jih die Minifter, wenn fie Bedenken geltend zu machen hatten, große
Vorfiht auf, wie Heinig mit feinen Angriffen auf die Regie, mit denen er doch
nicht zum Ziele fam.
Schärfer oder behutiamer zum Ausdrud gebradt, galten aber diefe Ein—
wände immer nur der Ueberjpannung des Syftems, nicht dem Syſtem jelbit.
Sowohl Urfinus, das Opfer von 1766, wie Heinig waren gemäßigte Merkan—
tiliften, gingen aljo von berjelben Grundanfhauung aus wie der König.
Grundjäglide Anhänger des Freihandels, wie etwa der Kriegsrat Bertram in
Königsberg, der den Xccijetarif für feine Provinz gern in feinem Sinne aus:
geftaltet hätte, gab es in dem damaligen Preußen gewiß nur in fehr fleiner
Zahl. Indem alſo der Gegenfag der Prinzipien, des alten und eines neu
aufiteigenden Syitems, bei den Meinungsverfchiedenheiten zwifchen dem Könige
und jeinen Beratern noch nicht in die Erfcheinung trat, war Friedrich geneigt,
fih dem Widerſpruch gegenüber ftets als Reformer, als den Vertreter des
Bortihritts zu betrachten. „Die Menſchen,“ Elagt er in dem Teftament von
Bermwaltungdreformen und Schu der nationalen Arbeit. 423
1768, „bewegen fi, wenn man fie antreibt, und halten ftill, jobald man einen
Augenblid aufhört, fie zu ftoßen. Jedermann hält nur die Gebräuche feiner
Väter für gut. Man lieft wenig, man hat feine Zuft, fi) darüber zu unter:
ridten, wie man etwas anders maden kann, und von mir, ber ich immer
nur Gutes gethan, denken jie, daß ich ihnen das Mefler an die Kehle jegen
will, jobald es fih darum handelt, eine nügliche Verbefferung oder überhaupt
eine Aenderung einzuführen. Ich babe mich in ſolchen Fällen auf meine red:
lihen Abfihten und auf mein gutes Gewiſſen verlaffen, ſowie auf die Kenntniffe,
die ich mir verfchafft habe, und bin ruhig meines Weges gegangen.”
Einige Jahre jpäter gewahrte er wohl, daß ein Streit um die erften
Vorausfegungen begonnen hatte, daß jenjeit der Landesgrenzen eine neue
Auffaffung von den Bedingungen und Anſprüchen des ftaatlihen, fozialen und
wirtichaftlihen Lebens fih Bahn brach. Aber er verließ fih darauf, daß feine
alte Praris mehr wert jei, als die neue Theorie. „Die Herren Encyklopädijten,”
ſchreibt er am 5. September 1777 an Voltaire, „werben vielleicht nicht immer
meiner Meinung fein; ein jeder fann die feine haben. Allemal, wenn bie
Erfahrung von allen Führern der ficherfte ift, jo wage ich zu jagen, daß meine
Sätze einzig allein auf das ſich gründen, was ich gejehen und was ich über:
legt habe.”
Dritter Abjchnitt.
Bündnis mit Rußland und erfie Teilung Polens.
ganz auf den Gegenſatz zwiſchen Franfreih und England geftellt. Als
jo unverföhnlich galt ihm dieſer Gegenfag, daß er ſicher glaubte, unter
allen Umftänden bei der einen oder bei der anderen biejer beiden europätfchen
Vormächte ein Bündnis zu finden. So rein und rejtlos jchien ihm die Rechnung
aufgehen zu müflen, daß er feinen erjten Krieg gewagt hatte, ohne vorher einen
Kampfgenofien fich gefihert zu haben.
Später hat er an fich felber erfahren, daß der Verſuch, es mit Frankreich
und England zugleich zu halten, unmöglid war, daß zwijchen beiden gewählt
werden mußte. Als er im Januar 1756 mit England den Weftminftervertrag
ſchloß, verließ ihn der Gefährte feiner beiden erjten Kriege tief verlegt und
ſchloß fih in dem dritten jchlefiihen Kriege Preußens Gegnern an.
Der Gegenfaß zwiſchen den beiden großen Weſtmächten beitand auch nad)
den Friedensihlüffen von 1762 und 1763 in aller Schärfe fort. Ein enges
Bündnis zwiſchen Franfreih und Englands altem Gegner Spanien, der Familien-
vertrag zwiſchen den beiden bourbonifchen Kronen und Streitigkeiten zwiſchen
Spanien und England jenjeit des Weltmeeres bradten jchon nad) wenigen
Fahren neuen Krieg in Sicht. Und bald beobachteten Englands europäijche
Widerfaher mit Schadenfreude Beginn und Berlauf des verberbliden Kampfes
zwiſchen dem britifhen Mutterlande und den amerifanifchen Kolonien, an dem
die Macht, welche im Siebenjährigen Kriege ihren ftolzen Erbfeind gedbemütigt
hatte, in neuen fieben Kriegsjahren fich erjchöpfte.
Der Gegenſatz zwiſchen Frankreich und England beftand fort, aber er
brachte feinen Vorteil mehr für Preußen. Die franzöfiiche Politik hielt ihm ihr
Antlitz beharrlich abgewandt. Andere politifche Kombinationen, andere Allianzen
famen und gingen, das Bündnis der Höfe von Berjailles und Wien hat von
1756 bis zu ber großen franzöfiihen Staatsummälzung unerfchütterlih an:
gedauert, der einzige feite Pol in der damaligen europäifhen Staatenwelt.
X den Anfängen feiner Regierung hatte Friedrich der Große feine Politik
Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 425
Nicht mehr die Wahl zwiſchen Frankreih und England blieb dem Könige von
Preußen, nur nad der engliihen Seite bot ſich ihm noch die Möglichkeit zum
Anſchluß. Aber wenn das franzöfiihe Bündnis nicht erreihbar war, jo
erihien das engliſche micht begehrenswert. König Friedrih hielt fih nad)
den beim Ausgang des letzten Krieges gemadten Erfahrungen an ben oft
wiederholten Grundjag: Man könne zwar mit einem engliſchen Minifterium ein
Bündnis ſchließen, aber nit mit der engliihen Nation; denn fobald das
Minifterium eine Nenderung erleide, würden die von ihm eingegangenen Ber:
pflichtungen als nichtig und ungefchehen betrachtet, wofern fie für die neuen
Minifter unbequem wären. In ber gleihen Auffaffung von dem Werte eines
Bündnifjes mit England hat genau hundert Jahre nah dem Abſchluß des
Weitininftervertrages Dtto von Bismard in der berühmten Denkſchrift vom
26. April 1856 zurüdihauend warnen zu follen geglaubt: „Die infularifche
Sicherheit macht es England leicht, einen fontinentalen Bundesgenoffen je nad
dem Bebürfnis der britiihen Politik zu halten oder figen zu laſſen, und ein
Minifterwechjel reicht zur Bewirkung und Rechtfertigung des Nevirement hin, mie
Preußen das im Siebenjährigen Krieg erlebt hat.”
Heußerlih ftand man mit dem bisherigen Bundesgenojjen ein wenig beiler,
als mit dem bisherigen Feinde; denn die diplomatiihen Beziehungen zu England
wurden, troß einiger Paufen bei der Ablöfung der Gefandten, immer aufrecht
erhalten, während die zu Frankreich nach dem Kriege noch Jahre hindurd ganz
ausgejegt blieben. Wie man Krieg geführt hatte ohne vorangegangene Kriegs:
erflärung, fo war auch fein Friede förmlich geichloffen worden. König Friedrich)
machte aus jeiner Gleichgültigfeit gegen Frankreich fein Hehl. Als im Frühjahr
1763 ein nad Stodholm beitimmter franzöfifher Diplomat auf der Durchreife
durh Berlin um eine Audienz erfuchte, wurde ihm anbeimgeftelt, fih zu
gedulden, bis der König das nächſte Mal aus Potsdam fommen werde; es
war darauf abgejehen, daß der Franzoje ſich langweilen und weiterreijen follte,
was dann auch bald geihah. Die Wiederheritellung einer diplomatifhen Ber:
tretung wurde zwar im erften Friedensjahre mehrfach erörtert. Aber der zunächſt
für den Berliner Poſten in Ausficht genommene General Montazet wurde von
preußifcher Seite als nicht genehm bezeichnet, weil er ſich während bes ganzen
Krieges im öfterreihifchen Hauptquartier befunden habe. Mit der Perjönlichkeit
des nunmehr vorgeichlagenen Grafen Mailly, eines der Kriegsgefangenen von
Roßbach, erklärte fih König Friedrich einverftanden; aber da feine Ernennung
dann ſtillſchweigend unterlaffen wurde, jo ging auch ber bereits deſignierte
Baron von der Golg, der Unterhändler des preußiſch-ruſſiſchen Friedens, nicht
nah Paris ab. Am dritten Ort hatten fih die preußiichen Diplomaten gegen
die franzöfifhen Kollegen auf fühle Höflichkeit zu bejchränfen.
Bei diefer Spannung zwiſchen Preußen und den beiden Weltmächten
gewann derjenige Staat für die preußifche Politik entjcheidende Bedeutung, der
zwar nie unterſchätzt, aber bisher doch nur als Nebenfaltor in bie politische
Rechnung eingeitellt worden war.
„Bon allen Nahbaren Preußens,” fo hatte Friedrih im Jahre 1746
geichrieben, „it das ruffiiche Reich der gefährlichite, ſowohl durch jeine Macht,
426 Achtes Buch. Dritter Abjchnitt.
wie durch feine örtliche Lage. Die, welde nad) mir unjer Land regieren werben,
haben Anlaß, die Freundfchaft diefer Barbaren zu pflegen, da fie im ftande
find, dur die ungeheure Zahl ihrer leiten Truppen Preußen von Grund
aus zu verwüften, während man ihnen den Schaden, den fie anrichten fünnen,
nicht vergelten fann, wegen der Armjeligkeit ihrer an Preußen angrenzenden
Landſchaften.“ Galt ihm Franfreid als begehrenswerter Bundesgenofje für bie
Dffenfive, für einen Eroberungsfrieg gegen Defterreih, war England 1742
und 1745 mit Erfolg als Vermittler des Friedens angerufen worden, jo hatte
er von Rußland vordem nur paflive Affiftenz begehrt, jchon zufrieden, wenn
diefe Macht ihm während eines Waffenganges nicht in den Arm fiel; vor Beginn
jeines erften, feines zweiten Krieges hatte er fich jedesmal die Frage vorgelegt, ')
ob er Ausfiht habe, den Rüden gegen Rußland frei zu behalten. Wiederum
war ed nach dem zweiten jchlefiichen Kriege feine Anficht, daß Defterreih ohne
die Beteiligung Rußlands einen Angriffsfrieg gegen ihn nidt wagen würde,
und beshalb hatte er im Januar 1756 fein Bündnis mit Frankreih aufs Spiel
gejegt, um mit Englands Hülfe Rußland von der für Preußen bebrohlichen
Verbindung mit Defterreich abzuziehen.
Hatte er bei diejer Hoffnung, feine Beziehungen zu Rußland nad dem
Verhältnis zu England regeln zu können, die politifhe Selbftändigfeit des
nordiſchen Reiches in verhängnisvoller Weife unterfhägt, jo übertraf auch die
militäriſche Leiftungsfähigkeit diefes Staates, wie fie fih im Siebenjährigen
Kriege offenbarte, alle bisherigen Annahmen um ein Erheblides. Ein Grund
mehr für Preußen, fih um die Wiederheritelung der guten Beziehungen zu
bemühen, die einjt zwiſchen Peter dem Großen und Friedrihd Wilheln I. be
ftanden hatten. Aber das dem rein perfönlihen Antriebe eines unfähigen
Herrichers entiprungene, den Ruſſen durhaus mißliebige Bündnis vom Früh:
jahr 1762 war, noch ehe es ratifiziert werden konnte, mit feinem Urheber in
das Grab gelegt worden. Und für die Wiederanfnüpfung der jo jchnell zer:
riffenen Bande konnte es nicht förderlich fein, daß der König von Preußen
die den Ffriegführenden Teilen recht dringlich angebotene ruſſiſche Friedens—
vermittelung artig, aber entichieden zurückgewieſen hatte.
Als Gefandter der Zarin ging bald nah ihrem NRegierungsantritt der
Kurländer Graf Keyferling nah Warſchau, deſſen wohlmeinende Gefinnung
in Berlin, wo er früher einige Jahre hindurch feinen Hof vertreten hatte, be:
fannt war.?) Bor feiner Abreife aus Petersburg äußerte er im Auguft 1762
zu dem preußifchen Gejandten Bolt, es liege zwar nicht im Intereſſe Rußlands,
mit feinen Nahbaren Bündnifje zu jchließen, durch die man mur zu leicht in
fremde Händel verwidelt werde; gleichwohl werde feiner Anficht nach die Kaijerin
nicht abgeneigt fein, mit Preußen eine engere Berbindung für die Behandlung
der polnischen Angelegenheiten einzugehen. König Friedrich, der damals nod
Schweidnitz belagerte, beſchied feinen Gefandten nicht ablehnend, aber aus:
weichend. Vorerſt müſſe er aus dem Labyrinth diejes Krieges binausgelangt
2) Bd. I, 48, 49, 91 ff., 201 ff.
2) Bd. 1, 560,
Bündnis mit Rußland und erjte Teilung Polens. 4927
fein; ſonſt aber werde fih ein Abkommen wegen Polen leicht erreichen laflen,
da er felber nichts anderes fordere, ald daß ein Prinz aus dem Haufe
Deiterreih unbedingt von der Wahl ausgeichloflen bleibe; jeder andere Kandidat
des ruſſiſchen Hofes, auch ein fächlifcher Prinz, werde ihm genehm fein. Er
erinnerte fich wohl jenes alten, in Wien thatfächlih noch nicht vergeffenen
Planes, dem Schwager Maria Therejfias, dem Prinzen Karl von Lothringen,
die polniihe Krone zuzumenden.
Keyferling war ſehr dienfteifrig. Auf der Durchreiſe durch Königsberg
ftellte er dem Kammerpräfidenten Domhardt vor, Preußens Intereſſe erheifche
einen Freundſchaftsvertrag, wohl aud einen Hanbelsvertrag mit Rußland, aus
dem fich jpäter vielleicht ein Schukbündnis entwideln werde. Aus Ergebenbheit
für ihre beiden Höfe werde er mit Freuden und mit den zwedmäßigiten Nat:
ſchlägen dazu helfen; aber der König möge zu einer geheimen Verhandlung den
geeigneten Mann nad Warſchau ſchicken, denn auf die Verfchwiegenheit des
dortigen preußifchen Geſandten Benoit — Keyſerlingk kannte ihn von feiner früheren
Warſchauer Miffion her — wolle er fich nicht verlaffen. So entjandte Friedrich
einen oftpreußifhen Edelmann, der vor zwanzig Jahren vorübergehend im
diplomatiſchen Dienit verwandt worden war und jüngſt nach dem Friedensſchluß
mit Rußland bei den Ausführungsverhandlungen mitgewirkt Hatte, den Geheimen
Zegationsrat v. Korff. Am 22. Januar 1763 erftattete Korff feinen erften
Beriht. Keyſerling bezeichnete als die beiden Ziele der polniſchen Politik
feiner Gebieterin: Aufrechterhaltung der Wahlfreiheit und Wahl eines Piaften.
Bald darauf war er zu der Erklärung ermächtigt, die Kaiferin fei bereit, mit dem
Könige über die politiiche Frage in unmittelbaren Briefwechfel zu treten, wünſche
ihn aber von preußifcher Seite eingeleitet zu jehen. Doc kam fie gleichzeitig
ihrerjeits dem Könige um einen weiteren Schritt entgegen. Am 14. Februar
erfuchte ihn ihr Gejandter Fürft Dolgorufi im Hauptquartier zu Leipzig im
offiziellen Auftrage um Aufflärung über feine Abfichten für Polen und regte
ein gemeinfames Vorgehen an. Und nun teilte ber König ber Kaijerin am
folgenden Tage eigenhändig den in diefem Nugenblid erfolgten Abſchluß jeines
Friedens mit und knüpfte daran die Bemerkung, das ficherfte Mittel zur
Beieftigung des glüdlih vollbrachten Werkes werde in der Befolgung der geftern
ihm durch Dolgorufi dargelegten Ideen liegen, auf daß nicht beim Tode des
nad den neueften Nachrichten bedenklich erkrankten Königs von Polen das Kriegs:
feuer von neuem entbrenne. Von allen Bewerbern um die Krone erklärte er
nur die Prinzen vom Haufe Oeſterreich ausſchließen zu müffen, nach den Geſetzen
einer gefunden Politik, aber wohl auch im eigenen Intereſſe Rußlands; mit jedem
anderen, den die Kaijerin vorjchlage, werde er einveritanden fein, doch jcheine
ihm ihrem gemeinfamen Intereſſe am beften ein Piaft zu entiprechen.
Katharina antwortete am 4. März, fie willige gern in den Ausſchluß eines
Oeſterreichers, wofern der König jedem von Frankreich unterjtügten Bewerber
gegenüber das Gleihe thun wolle. Auch fie erklärte fih für einen Piaften,
aber für einen Piaften, der nicht am Rande bes Grabes und nicht im Solde
einer fremden Macht ftehe.
Jetzt erft hielt Frievrih den Augenblid für gefommen, die Bedingung
“
428 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt.
auszuſprechen, auf die er den enticheidenden Wert legte. In feinem Briefe vom
5. April, foeben in feine Hauptitadt zurüdgefehrt, bezeichnete er der Zarin als
das wirfjamfte Mittel zur Erhaltung bes Friedens die Vereinbarung „eines
Vertrages und gewiffer Garantien, die denjenigen Mächten, welche ehrgeizige
Abſichten hegen, die Luft, fie in Ausführung zu bringen, nehmen würden.”
Gemeint war, was Katharina fofort verftand, die ruffiihe Garantie für den
preußiihen Befigitand einſchließlich Schleſiens.
Damit war Katharina vor die Entjcheibung geftellt. Eine Abrede für
ben einzelnen Fall, für die polnifhe Wahl, wollte Preußen erweitern zu einem
politiiden Syftem: Rußland ſollte zwiihen Preußen und Deiterreih wählen.
Lieber, das jcheint Katharinas eriter Gedanke gemwejen zu fein, verzichtete fie
auf das befondere Abkommen ganz. Oder fie machte den Verſuch, den bis:
berigen Meinungsaustauſch jo auszulegen und zufammenzufafien, als jei man
in der polnifchen Frage bereits einig und gegenfeitig gebunden. Denn dahinaus
geht das ebenjo artige wie ſchlaue Brieflein, das fie am 7. Mai dem Könige
von Preußen zur Antwort jandte: Da fie alle beide jegt mit den inneren Ans
gelegenheiten ihrer Staaten voll beihäftigt jeien, fürchte fie fait, durch ein Schreiben
läftig zu fallen; andererjeits würde Stillſchweigen als Gleihgültigfeit oder Kälte
erſcheinen, angefichts des Inhalts des an fie gerichteten Briefes: „ch bin von
dem, was Eure Majeftät mir darin fchreibt, überzeugt: daß unſere gegenjeitigen
Intereſſen intimere Bande erheifhen. Aber ich glaube auch, daß, da wir fie
beiderjeit8 mwünjhen, fie von uns abhängen. Sie find jchon da, obgleich die
gewöhnlichen Formalitäten nicht angewandt worden find. Was bie polnijchen
Angelegenheiten anbetrifft, jo verlafje ih mich darin vollflommen auf das Wort
Eurer Majeftät und danke Ihnen aufrichtigit für die freundſchaftliche Art, womit
Sie dem, was ich vorſchlug, zugeftimmt haben.“
So leiten Kaufs aber wollte Friedrich fih nicht ergeben. „ch werde
den Augenblick abwarten,” antwortete er am 23, Juni, „wo die gewichtigen
Dinge, die Sie befchäftigen, Ihnen Zeit laffen werden, präcijer auf das zu
antworten, was ich die Ehre gehabt habe, Jhnen zu jchreiben.”
Gewiß ftellte die Kaiferin von Rußland feine Geduld auf eine harte
Probe. Aber ihr Zaubern hatte ſchwerwiegende Gründe.
Die Meinung Keyferlings, daß Rußland nicht wohl daran thue, ſich
durch eine Allianz die Hände zu binden, ſcheint damals unter den ruſſiſchen
Staatsmännern in der That die vorherrichende gewejen zu fein. Das Bündnis
mit Defterreich, jo rechnete man der Kaiſerin vor, habe ihren Reiche 60 Millionen
gefoftet, außer ungezählten Menjchenopfern. Als der öfterreihiihe Geſandte
Graf Mercy D’Argenteau den ehemaligen Groffanzler, den aus der Verbannung
zurüdberufenen greifen Alexei Beftufhew, für die Wiederherftellung des alten
BVerhältnifes zu dem Wiener Hofe zu gewinnen fuchte, meinte dieſer erfahrenfte
und verighlagenfte aller ruffiihen Staatsmänner, offenbar aufrihtig, er würde
feiner , falls fie ihn um feine Meinung anginge, den Rat geben, niemals
ein Bündnis zu Ichließen, weder mit dem Wiener noch mit dem Berliner Hofe.
Vor die Wahl geftellt, würde aber der alte Widerjacher Preußens, obgleich er
ſchließlich durch einen Liebesdienft der öfterreihifhen Diplomatie zu Fall ge:
Bündnis mit Rufland und erfte Teilung Polens. 429
fommen war,!) fi auch jegt noch entjchieden mehr der öſterreichiſchen als ber
preußiihen Sache zugeneigt haben. Wollends Woronzow, der no immer Groß:
fanzler war, der eigentlihe Träger der Politif des Siebenjährigen Krieges,
mußte einem Bündnis mit Preußen im Innerſten entgegen fein. Auch Orlomw,
ber Mörder Peters III, der erklärte Günftling, galt als öfterreichifch gefinnt,
und mit Sorge hörte König Friedrih von dem Gerücht, da diefem Manne in
Wien die Reihsfürftenwürde zugevaht werde. Der von der Kaiferin je länger
je mehr zu ben auswärtigen Angelegenheiten herangezogene Nifita Panin,
durch feine politiihe Vergangenheit nicht gebunden, wurde von preußifcher
Seite eifrig ummorben, wahrte aber vorerft abwartende Zurüdhaltung. Katharina
felbft befannte in einem vertrauliden Schreiben an Keyſerlingk, ihr Ziel fei,
zu allen Mächten im freundfchaftlihen und fogar in einem Defenfivverhältnis
zu ftehen, um fich ſtets auf die Geite der Vergemaltigten ftellen zu fönnen und
dadurch der Schiedsrichter von Europa zu fein.
Das Bedenklichite war, daß ein Bündnis mit Preußen jofort eine peinliche,
gefährlihe Erinnerung weden mußte. Was der Thronummälzung von 1762
und der angemaßten Krone ber landfremden Tochter eines fleinen und ver:
armten deutſchen Fürftenhaufes in den Augen ihrer ruffiihen Unterthanen
eine Sanftion gab, war vor allem die Abmwendung der neuen Herrin von
der Politik Peters III. Wenn fie jet den leitenden Gedanken dieſer Politik
wieder aufnahm, ihr nachträglich eine Rechtfertigung erteilte, jo konnte das ben
noh ſchwankenden Grundlagen ihrer Stellung den verhängnisvollen Stoß geben.
Der preußifhe Gejfandte machte die Wahrnehmung, daß in Petersburg fall
allgemein ihrer Herrihaft nur kurze Dauer vorausgefagt wurde. Er ſah bie
Urſachen der Unzufriedenheit mit der Regierung Katharinas in ihrem über:
triebenen Reformeifer, in der wenig glüdlihen Auswahl der Berater, in der
leidenfhaftlihen Zuneigung der Zarin für den Favoriten Orlow. eben Augen:
blid fonnte ihr eigener Sohn als Gegenkaifer auf den Schild erhoben werben:
hielten doch viele dafür, daß die Herrſchaft der Mutter nur eine Art Zwiſchen—
reich fei, bis der beim Tode des Vaters fiebenjährige Großfürft Paul zu feinen
Jahren gekommen fein werde. Und weiter: nad der Ermordung Peters III.
lebten in Rußland zwar nicht mehr drei Kaifer, wie in der Woche nah Peters
Sturz, aber immer noch zwei: neben Katharina der unglüdliche Iwan Antono:
witſch, der nad) einjähriger Negierung als einjähriges Kind entthronte Zar und
Enfel eines Zaren, der Gefangene von Schlüſſelburg.
So ſprachen die ftärfften Bedenken gegen eine neue Verbindung mit dem
in Katharinas erften Manifeit als „Todfeind”?) angeklagten Könige von Preußen.
Und doch erheiſchte die Lage der polnifhen Angelegenheiten einen fchnellen
Entihluß. Der Tod König Auguſts durfte von heute auf morgen erwartet
werden; aljo ftand nad den Erfahrungen von 1733 ein Bürgerkrieg vor ber
Thür und im AZufammenhang damit vielleiht eine bewaffnete Einmiſchung
fremder Mächte. Unmöglich fonnte Rußland abjeits bleiben. Aber es war
ı) Oben ©. 157.
2) Oben S. 316.
430 Achtes Bud. Dritter Abfchnitt.
gefährlich, für fih allein, ohne das Einverftändnis mit wenigftens einer Macht,
vorzugehen. Katharina, die im Juli 1763 ein ruſſiſches Corps nah Litauen
geihidt hatte, mwiegelte einen Monat jpäter ſtark ab: indem fie ihre Anhänger
in Polen vor unvorficdhtigen Schritten, vor einer übereilten Scilderhebung
warnen ließ, wies fie zumal darauf hin, daß fie noch feine Allianz habe; fie
arbeite erft daran.
Noch immer jeit hundert Jahren Hatte bei jeder Königswahl der König
von Franfreih, um die Republit Polen für fein europäiiches Föderativiyitem
zu gewinnen, einem Manne feines Vertrauens, einem feiner Verwandten die
Krone auf das Haupt zu fegen geſucht. Ludwig XIV, hatte 1669 und 1674
für den großen Conde, 1696 für den Prinzen von Gonty die franzöfijche
Diplomatie und das franzöfiihe Gold arbeiten laſſen und Ludwig XV. zu
Gunften feines Schwiegervaters Stanislaus Leszezyunsfi ein Heer an der
Weichjelmündung auf polniihen Boden geſetzt. Damals hatte Rußland die
franzöfiihe Intervention im Bunde mit Defterreih befämpft, indem fich die
Kaiferin Anna nah dem Borgange Kaifer Karls VI. für den Kurfürften von
Sadjen erklärte. Wieder war es um 1750, als von neuem ein Gonty um
die dereinftige Nachfolge des Sachſen ſich bemühte, zu einem Einverftändnis
zwiſchen ben beiden Kaiferhöfen gegen den franzöfiihen Bewerber gekommen,
diesmal zu Gunften des Schwagers der Kaiferin Maria Therefia.')
Aber war es denn möglich, auch heute noh mit dem Bundesgenofjen
von damals, dem Ktampfgefährten aus dem Siebenjährigen Kriege, in Polen
zufammenzugehen ?
Vor dreißig Jahren hatte Rußland den ſächſiſchen Bewerber, der ſich die
öfterreihifche Unterftügung durch feine Garantie der pragmatiichen Sanktion
Karls VI. gefihert hatte, um fo eher fich gefallen laſſen, als diefer Bewerber
dem damals am Zarenhofe allmädtigen Grafen Biron die Belehnung mit dem
Herzogtum Kurland in Ausfiht ſtellte. Jetzt aber lagen die Verhältniſſe
völlig anders. Rußland hatte feine eigene Partei in Polen, eine gejchlofjene,
zahlreiche, mächtige Partei, deren Wünfche die Zarin berüdfidtigen mußte, wenn
fie ihrer ficher bleiben wollte.
Den Kern diefer ruffiihen Partei bildete die weitverzweigte Vetterichaft
des dem alten litauiichen Regentengejchlehte verwandten Haufes der Czartoryski.
Bezeichnenderweile nannte man die Partei allgemein „die Familie”, eine
FJamilie, gegen die feine andere im ganzen Land auffam, die Familie ſchlechthin.
Neben dem Kanzler von Litauen, Fürft Michael Ezartorysfi, dem 1696 ge:
borenen Senior des Gefchlechtes, ftanden feine Brüder Theodor, der Biſchof
von Pojen, und Auguſt, der Woimode von Klein-Rußland, der durch eine
Fuge Heirat den gewaltigen Reichtum der Familie begründet hatte, dann deſſen
Sohn Adam, der Hetman von PVodolien, vier Vettern aus dem Haufe Ponia—
towski und andere Vettern aus den Sippen der Maflalsfi, Oginsfi, Yubomirski.
Der ruffiihe Gejandte verglich die Familie mit einer Heinen, in vortrefflider
Ordnung regierten Republif innerhalb der großen, auf das fchlechteite regierten.
') Oben ©. 427; Bd. I, 5683.
Bündnis mit Nußland und erfte Teilung Polens. 431
In den Thronftreitigkeiten zu Anfang des Jahrhunderts hatten die Czartorysfi
auf Seiten des Schwedenkönigs und feines Schützlings Leszezynski gegen
Auguft den Starken gefämpft, dann mit dem Sieger ihren Frieden gejichloffen,
bei der zmwiejpältigen Wahl von 1733 abermals zu Leszcezynski gehalten und
nad) deflen Verdrängung abermals die Partei gewechſelt. Zwanzig Jahre
hindurch die kräftigſte Stüße des jähfiihen Hofes, trennte fi die Familie im
Sahre 1754 von Auguft III. anläßlih eines ſchweren Zerwürfniſſes mit dem
Günftling Brühl und übernahm die Führung der parlamentarifhen Oppofition,
während ber Hof fich jegt mit der Partei der Potodi verſöhnte und verbündete,
denen fich der Sohn des Grafen Brühl verſchwägert hatte. Die Beziehungen zu
Nufland aber pflegten die Ezartorysfi und Poniatowski weiter.
Alfo ſah fih Katharina II. von vornherein auf diefe Partei angewiejen
und gegen die ſächſiſche Dynaſtie geftelt. Beſondere Anläffe führten beide
Teile noch näher aneinander. Bon der Ritterfchaft Kurlands war 1758 Prinz
Karl, der dritte Sohn des Königs von Polen, zum Herzog gewählt worden,
dem Hofe zu liebe, aber gegen bie furiichen Landesgejege, die einen Katholiken
von der Herzogswürde ausjchloffen. Als vier Jahre darauf der alte Biron,
aus der Verbannung zurüdgefehrt, fein Herzogtum heimforberte, erklärte fi
Rußland für ihn, und ebenfo im polniihen Senat Michael Czartoryski, zu
Katharinas lebhafter Genugthuung. Der ſächſiſche Prinz wurde im April 1763
durch ruffiihe Truppen aus Mitau verdrängt, der offene Bruch zwiſchen der
Zarin und bem polnifhen Hofe war da. Ueberdies, ſchon war Katharina
entfchloffen zur nachdrücklichen Unterftügung der Diffidenten in Polen, zumal
der Griechiſch-Gläubigen, gegen die Unduldfamfeit der katholiſchen Staatskirche
Polens. Der Abt des Heiliggeift:lofters zu Wilna, Theophan Leontowitich,
hatte ihr in wiederholten Unterredungen die gedrüdte Lage jeiner und ihrer
Glaubensgenofien gefchildert und auf ihre gerade aufs Ziel losgehende Frage,
welchen politiihen Vorteil Rußland aus dem Schuß der ruſſiſch-griechiſchen
Belenner in Polen ziehen fünne, den lodenden Ausblid eröffnet: „Unfer
ruffiiches Neih wird 600 Werft des allerbeften, fruchtbariten Landes mit einer
ungezählten Menge redhtgläubigen Volkes gerecht und gejeglich vor der ganzen
Melt an fih nehmen fönnen.” Und wie mußte nicht eine foldhe zugleich
religiöje und nationalsruffiihe Propaganda Katharinas Stellung im eigenen
Lande befeftigen. Bisher, jo lange feine polnifhe Politif auf der Verbindung
mit der fatholifchen Hofburg und dem Konvertitenkönig beruhte, hatte Rußland
für die Klagen der griechiſch-katholiſchen Polen nur ein halbes Ohr gehabt und
das aus einem Vertrag von 1686 ihm zuftehende Schutzrecht nur in ſehr
bejcheidenem Maße geltend gemadt. Katharina nahm die doppelte Forderung
in ihr politifhes Programm auf: Schuß der Diffidenten für die Zukunft und
Erjat des in der Vergangenheit ihnen entrifjenen Befites. Auch das fonnte fie
nur erreihen, wenn fie der fähliihen Herrihafit in Polen ein Ende machte
und einem ihrer Anhänger, einem Mitgliede der „Familie“, auf den Thron half.
Katharina entichied fi für den Neffen der Familienhäupter, den jungen
und ſchönen, aber unbedeutenden Grafen Stanislaus Poniatowsli, dem fie
vor einigen Jahren, als er die Republik Polen in Petersburg vertrat, feine
432 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt.
Gunft verfagt hatte. Die Sendung Keyierlingts nah Warſchau, jo fchrieb fie
ihrem Auserforenen glei nach ihrer Thronbefteigung, bezwede, ihn nad dem
Tode Auguſts II. auf den Thron zu erheben; felbitbewußt jeßte fie hinzu:
„Wenn es meinem Gejandten nicht gelingt, Sie zum Könige zu maden, jo
will ih, daß Adam zartorysfi König wird.” Wie es heißt, ift Keyferlingf
es gemwejen, der ihr geraten hat, nur im Notfall fi für den reihen, Eugen,
thatfräftigen Czartoryski zu erklären, den glühenden polniſchen Patrioten, den
Vorfämpfer für eine politiide Berjüngung und innere Erftarfung feines
Vaterlandes.
Die Entſcheidung für die „Familie“, für Poniatowski, ſchloß noch nicht
die Entjcheidung für das Bündnis mit Preußen ein. Wenn es gelang, wie
vorläufig von Preußen felbit, fo auch von den anderen an ber polniichen
Thronfrage unmittelbar beteiligten Mächten die Zuftimmung zu dem ruffiichen
Plane zu erzielen, jo fam Katharina über die von preußifcher Seite geftellten,
ihr bedenklihen Bedingungen hinweg. König Friedrich Hat es nicht erfahren,
daß fie in Berjailles und in Wien, in ganz ähnlicher Weife wie bei ihm
jelber, eine Berftändigung wegen der Wiederbeſetzung des polniſchen Thrones
geſucht hat.
In Frankreich wurde ihre Annäherung kühl, faft unfreundlih abgewiefen.
Der Wiener Hof nahm den Verfuh mit Ueberraihung und entfchiedenem
Miktrauen auf. Man argmwöhnte, daß Rußland bereits mit Preußen im Ein:
verftändnis jei. Und wie ber König von Preußen die Zarin zu einem Vertrage
zu bewegen fuchte, der vor allem ihm Schuß gegen Deiterreih gewähren follte,
jo betradjtete man umgefehrt in Wien jedes Abkommen mit Rußland für unnüß,
wo nicht läftig, das nicht auf Sicherung gegen Preußen hinausfam. Die
öfterreichifche Antwort beichränfte ſich ſomit auf Allgemeinheiten, ließ aber
immerhin deutlich erfennen, daß man der Fortdauer des ſächſiſchen Königtums
in Polen vor jeder anderen Löjung den Vorzug gab.
Angefichts diefer Zurüdhaltung der verbündeten Höfe von Wien und
von Verfailles ließ fih die Zarin nun endlich herbei, am 20. Juli in einem
Briefe an den König von Preußen den Entwurf zu einer Vertragsurfunde zu
erbitten. Unverzüglich fandte ihn Friedrih ihr am 6. Auguft zu, mußte aber
zu feiner Befremdung bemerken, daß man fih in Petersburg mit der Aus:
arbeitung eines Gegenentwurfs nicht gerade beeilte. Woche auf Woche verging,
alle Vertröftungen Panins auf baldige Antwort blieben ohne Erfüllung, und
als die Kaiferin ihm im Oktober Wafjermelonen aus Aftrahan für feine Tafel
ſchickte, geſtand Friedrih feinem Gejandten, jegt dem Grafen Solms-Sonnen:
walde, ein Allianztraftat würde ihm lieber jein.
Es unterliegt feinem Zweijel: Katharina Hatte die Hoffnung noch nicht
aufgegeben, Defterreih für die Thronfandidatur ihres polniſchen Schüglings
gewinnen und dann von einem Bündnis mit Preußen abjehen zu fönnen.
Die Entſcheidung mußte fallen, ale am 5. Dftober König Auguft III. einem
Schlaganfall erlag, nur ſechs Monate nad) der Rückkehr in feine ſächſiſche Reſidenz—
ſtadt. „Lachen Sie mi nicht aus,” jchrieb Katharina an Panin, „daß ich vom
Stuhl aufgejprungen bin, als ich die Nahridt vom Tode des Königs von
Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 433
Polen erhielt; der König von Preußen ift vom Tiſch aufgeiprungen, als er es
hörte.” An einem und demfelben Tage, dem 17. Dftober, richtete fie eigen-
bändige Briefe an Friedrih und an Maria Therefia. Dieſer ſchrieb fie, ver:
trauensvoll wolle fie ihr nicht länger verhehlen, daß fie auf einem gejegmäßigen,
freien und regelrechten Wahltage der Wahl eines Piaſten nicht entgegen fein
werde; jeien dieſe Abfichten ihr annehmbar, jo möge die Kaiferin:Königin ihren
Minifter in Warfhau anweiſen, mit dem Vertreter Rußlands zufammenzugehen.
Dem König von Preußen durfte fie nach den vorangegangenen Verhandlungen
jest ohne weiteres den Namen ihres Auserforenen nennen: obwohl nicht reich:
begütert, werde Stanislaus Poniatowsfi doh an dem Familienintereſſe der
Gzartorysfis eine Stübe finden. In beiden Briefen wurden die ruffifchen
Truppenbewegungen an ber polnifhen Grenze mit dem Intereſſe Rußlands an
der Wahlfreiheit und an dem NRuheftande Polens begründet.
Maria Therefias Antwort war gewunden, verflaujuliert, vieldeutig, fie
jollte nach Raunigens Abſicht durch diefe ihre Faflung den Ruſſen zu denten geben.
Maria Therefia erklärte fih in erfter Linie für die Wahl des Kurfürften von
Sadjen, wollte aber auch der Wahl eines polnifhen Magnaten nicht entgegen
fein, wenn nur das polnische Staatsgebiet unangetaftet und die Wahlfreiheit
unverlegt bliebe; militärijhe Demonftrationen empfahl fie zu unterlaffen. Fried:
rih antwortete unbedingt zuftimmend. Und ſchon unmittelbar nad dem Eintritt
des Interregnums hatte er aus eigenem Antrieb der Zarin geichrieben, ein
Wort von ihr würde genügen, um den ſächſiſchen Kurprinzen von feiner
Bewerbung abftehen zu laſſen.
Katharina konnte nicht mehr zweifelhaft fein. Auf einem Hoffeſte im
November drüdte fie dem preußifchen Geſandten ihre Freude über die Antwort
feines Gebieters aus: allen Scheelfühhtigen zum Troß werbe fie alfo die Genug:
thuung haben, in gutem Einvernehmen und als Freundin mit dem Könige zu
leben; als fie im Verlauf des Abends den Gejandten in der Nähe ihres Spiel:
tiiches bemerkte, ſprach fie ihn noch einmal an: fie jei heute jehr guter Laune,
fie hoffe, er werde die Urſache erraten.
Gerade jet hatten die Gegner Preußens in Katharinas Umgebung nod
einen Verſuch gemacht, fie mit Mißtrauen zu erfüllen. Den Anlaß bot das
Erſcheinen eines türfifhen Gefandten in Berlin, des erften Vertreters, den bie
Piorte am preußiſchen Hofe beglaubigt hat. Das Schredgeipenft eines Bünd—
nifjes zwifchen dem Könige von Preußen und dem Großherren wirkte jo beun:
ruhigend, daß Katharina in Wien vorftellen ließ, ein ſolcher Vertrag würde
jowohl für Rußland wie für Defterreich bedenklich, gefährlich fein; man müfle
gemeinfam in Konftantinopel den Plan befämpfen. Aber es gelang dem König,
die Zarin von der Thatſache zu überzeugen, daß er feine freundlichen Beziehungen
zu der Pforte dahin ausnußte, fie für die polnische Politif Rußlands günftig
zu jtimmen.
Es bleibt dahingeftellt, wie weit diefer Zwiſchenfall mit im Spiele war,
wenn die Erklärung auf den preußiſchen Bündnisantrag vom vorigen Sommer
noch immer auf fih warten ließ. Katharina beharrte bei ihrer Taktik, die
Sade fo binzuftelen, als ſei bereits alles abgemadt; in bdiefem Sinne hatte
Kojer, König Friedrich der Große. II. 2 Auf. 98
434 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt.
fie in jenem glei nach dem Tode Augufts III. an Friedrich gerichteten Briefe
die verfängliche Wendung gebraucht, daß damit der Fall des „Konzerts“ gegeben
jei. Graf Panin, feit dem November 1763 offiziell mit der Leitung der aus:
wärtigen Angelegenheiten betraut, ließ ſich zunädft nur angelegen jein, in
wiederholten Beiprehungen mit dem Grafen Solms zu ergründen, zu welchen
Leiftungen der König fi für die polnifhe Wahlcampagne, an die der preußijche
Vertragsvorichlag noch nicht gedacht hatte, wohl verftehen würde. Er legte dem
Geſandten den Entwurf zu einer Erflärung vor, dur die Rußland allen Polen,
weldhe einer Königswahl einen SGonderbund, eine Konföderation entgegenzufegen
verjuden mwürden, mit feuer und Schwert zu drohen gebadhte; er jprad die
Erwartung aus, daß Preußen dieje Erklärung durch eine zwar nicht gleichlautende,
aber immerhin nahdrüdlihe Kundgebung unterftügen werde. Er ließ feinen
Zweifel darüber beftehen, daß Rußland auf „reelle Affiftenz” rechne, falls die
Kaiferin fi veranlaßt jehen jollte, ihre Truppen in Polen einrüden zu laffen;
der König von Preußen dürfe fih, wenn er einmal die Erjprießlichfeit eines
nocd zu vereinbarenden Planes anerkannt haben würde, nicht weigern, der Aus—
führung allen möglihen Vorſchub zu leiften.
König Friedrich faßte diefe Aeußerungen jo auf, als wolle man ihn noch
vor Abſchluß des Bündniffes zum Handeln, zum Eingreifen in die polnifchen
Wirren drängen. Er war feit entichloffen, nur Zug um Zug vorzugehen. Er
wies darauf hin, daß Rußland nad feinem Bündnis mit der Republik — kraft
der Bürgfchaft, die Peter der Große 1716 für die polnifche Verfaffung über:
nommen hatte — beredtigt jei, unter Umſtänden feine Truppen in Polen eins
rüden zu laffen, daß dagegen Preußen dur nichts zu dem gleihen Schritte
ermächtigt werde; zur Einmifchung werde ihm vielmehr erft das PVerteidigungs-
bündnis mit Rußland unter Umjtänden einen Redtstitel bieten.
Banin ließ eine Neußerung fallen, die, wie es ſchien, einen lodenden
Ausblid eröffnen follte. Indem er furz vor Neujahr in einer der Beiprehungen
mit Solms dringender denn je die Notwendigkeit betonte, auch preußifche Truppen
an den Demonftrationen zu beteiligen, jeßte er bedeutſam hinzu, der König
werde es nicht zu bereuen haben, Verpflichtungen gegen den ruffiihen Hof ein:
gegangen zu fein; denn wenn wider alles Erwarten die Dinge zum Aeußerften
fommen follten, jo ftehe er, Panin, dafür, daß Preußen feine Mühe belohnt
finden werde, ebenjo wie Rußland: man werde nicht umjonjt gearbeitet haben.
Es jei das eine Sade, die er im voraus eingeleitet habe, über die er fih aber
zur Zeit noch nicht näher auslaffen könne. Aber der König ließ einfach ant—
worten, troß feiner aufrichtigen und ftetigen Abficht, der Kaiferin alle von ihm
abhängenden Gefälligfeiten zu erweiſen, jei es ihm unmöglih, feinen Staat in
gefährlihe Dinge zu verflehten ohne vorherigen Abſchluß eines Bündniſſes.
Seinem Gejandten geftand er: „Ich glaube zu durchſchauen, daß diejer Minifter
vafte Abfichten auf das Königreich Polen hat, die er einftweilen noch verbirgt.”
Je mehr Zeit ins Land ging, um fo verftimmter und mißtrauijher wurde
Friedrich. Schon äußerte er gegen Solms den Verdacht, daß die Rufen ihn
mit der Perſpektive eines Bindniffes jo lange „amüſieren“ wollten, bis fie mit
feiner Hülfe in Polen am Ziele fein würden, um dann das Bündnis auf fi
Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 4435
beruhen zu laſſen. In einem Brief, den er am 14. Januar anläßlich jener
Verhandlung mit dem Sultan an die Zarin richtete, ſchwieg er von dem ange—
tragenen Bündnis ganz. „Ich will ſehen,“ ſo erläuterte er ſeinem Geſandten
ſeine neue Taktik, „ob dieſe Leute mehr Empreſſement, zum Abſchluß zu kommen,
zeigen werden, wenn ich meinerſeits keines zeige.“
Derweil hatte in Polen der Wahlkampf begonnen. Die Bewerber traten
in die Schranfen. Das eine ergab ſich fofort, daß der lebhafteſte Widerſtand
gegen den ruffifhen Kandidaten von dem Kurhaufe Sachſen ausging.
Die preußische Politit ftand der ſächſiſchen Bewerbung mwefentlih anders
gegenüber ald vor dreißig Jahren. König Friedrich hat den Rufen rund heraus
erflärt, daß an ſich die Fortdauer des ſächſiſchen Königtums in Polen das
preußiſche Intereſſe nicht berühren würde; denn die Regierung Augufts II,
deſſen Wahl Friedrih Wilhelm I. 1733 als eine empfindlihe Schädigung Preußens
betrachtete, hatte zwar gewiſſe Unbequemlichfeiten mit ſich gebracht, aber in zwei
Kriegen, die Preußen gegen Sachſen geführt hatte, war Polen trog der Perfonal:
union neutral geblieben. Seit dem letzten Friedensjchluffe, jeit jener Begegnung
in Morigburg gab fich das ſächſiſche furprinzlide Paar der Hoffnung hin, bei
einer Bewerbung um die polnifhe Krone preußifcher Unterftügung teilhaftig zu
werden; ja die nunmehrige Kurfürftin Maria Antonie glaubte fi in dem Briefe,
den fie unmittelbar nad ihres Schwiegervaters Tode an ben König von Preußen
richtete, auf ein „Verſprechen“ berufen zu dürfen. Solde Hoffnung ſchnitt
Friedrich num freilich unverzüglid ab. Das Schreiben der Kurfürftin teilte er
zur Kennzeichnung der Lage der Kaiferin von Rußland mit — wie fi ver:
fteht ohne die auf das angebliche Verſprechen bezüglihe Stelle; der Schreiberin
aber antwortete er jehr deutlih: er fürdte, daß Rußland ihrem Plan mehr
entgegen jei, als fie annehme, und daß er jeinerjeits genötigt ſei, auf Rußland
Rückſicht zu nehmen. Dabei blieb er au in allen folgenden Briefen an Maria
Antonie. Er fönne für Sachſen nichts thun, da mehr als ein Beijpiel zeige,
daß man bei dem Verſuche, ed zwei Perfonen zugleich recht zu machen, es mit
allen beiden verderbe. Rußland habe fich entjchieden für die Wahl eines Piaften:
„ich geitehe Ihnen ganz unbefangen, daß ich mich mit der Kaiferin von Rußland
nicht überwerfen möchte. Eure Kurfürftlide Durchlaucht weiß, daß die Hänbel
der großen Fürſten nicht vor die Eivilgeridhte fommen, wie die der Privatleute.
Die Jurisprudenz der Souveräne it für gewöhnlih das Necht des Stärkeren,
und der Schwädhere, wenn er Hug ift, darf fih auf einen Kampf, in welchem
er unterliegen muß, nicht einlafjen.” Friedrih hätte die Kurfürftin an das
Schickſal ihres wittelsbachiſchen Vaters, Kaifer Karls VII., erinnern können.
Es war ein fchwerer Schlag für die ſächſiſche Sache, daß am 17. Dezember
1763 der milde und wohlmeinende Kurfürft Friedrich Chriftian nad vierund:
fiebzigtägiger Negierung durd die Blattern dabingerafft wurde. Sein dreizehn:
jähriger Sohn, Kurfürft Friedrih Auguft, fonnte nicht daran denken, in den
Wettbewerb um die polniihe Krone einzutreten; er überließ die Anſprüche des
wettinifhen Haufes feinem Obeim und Vormunde, dem Prinzen Xaver. Für
ihn, den Schwager, warb jett Maria Antonie ebenfo eifrig, wie bisher für den
Gatten; für ihn, den Lieblingsbruder, wirkte am franzöfiichen Hofe die Dauphine
436 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt.
Maria Joſepha, und in Polen gab es unter der ſächſiſchen Partei viele, die
für dieſen nicht regierenden Prinzen lieber als für den Träger des Kurhutes
ftimmen wollten.
Hätte der König von Frankreich fich entſchloſſen, offen und entichieden die
Bewerbung Tavers zu unterftügen, der Sachſe wäre dem ruffiihen Kandidaten
ein gefährlicher Gegner geworden. Aber Ludwig XV. hatte auf die wiederholten
Anfragen feiner Bunbesgenoifin, der Kaiferin Maria Therefia, ob er bereit jei,
mit Geld und Truppen für Xaver einzutreten, nur ablehnende Antworten. Die
franzöfifche Politik lieh nicht einmal klar erfennen, ob fie dem ſächſiſchen Prinzen,
ob dem Prinzen von Conti den Vorzug gab. Man bebarrte in Verjailles bei
dem Programm des Herzogs von Choifeul: „Wir haben in Bezug auf Polen
ein Syſtem der Indifferenz und Neutralität angenommen, von dem wir uns
nicht entfernen wollen.“ Am wenigften durfte, das ſprach Ludwig jelber mit
voller Ueberzeugung aus, um Polens willen ein neuer Krieg gewagt werben.
Und wenn das Gerücht auftrat, Rußland und Preußen trügen fih mit der
Abficht, polnifches Gebiet an fich zu reißen, jo tröftete man fih mit der Er:
mwägung, dab die gegenfeitige Eiferjucht der Nachbarn Polen ausreihend gegen
eine Zergliederung ſchütze. Man beichränfte fich aljo ichlieglih auf die ebenſo
bochtönende wie unaufrichtige Erflärung, daß der König von Frankreich die
Republif Polen mit allen ihm zur Verfügung ftehenden Mitteln unterftügen
würde, falls die Wahlfreiheit gefährdet werden follte.
In ganz unbeitimmten, überaus vorfichtigen Ausdrücken trat eine Kund—
gebung des Wiener Hofes für den Grundjag der freien Wahl ein. Kam es
doch dem Fürſten Kaunig nad) feiner in vertrauliden Schriftftüden oft wieder:
holten Formel vor allem darauf an, fih mit Ehren und Anftändigfeit aus der
peinlihen Lage berauszuziehen. Mit Genugthuung, obgleih nicht gang mit
Beruhigung nahm man deshalb in Wien von den Erklärungen Kenntnis, durch
die der preußifche und der ruffifche Hof die ihnen untergejhobenen Teilungs—
gelüfte nachdrücklich in Abrede ftellten.
In ber Weberzeugung, zur Stunde der Entjcheidung weder von Defterreich
noch von Frankreich ernfthafte Unterltügung zu erhalten, ift Prinz Xaver im
Februar 1764 von jeiner Bewerbung zurüdgetreten. Der Dresdener Hof ließ
fih nunmehr das Feldgeihrei „Piaſt gegen Piaſt“ gefallen und erflärte fih für
den Krongroßfeldherrn Branidi, immer mit dem Vorbehalt, nad dem Tode
diefes hochbetagten Magnaten den Prinzen Xaver von neuem vorzufcieben.
Die einheimiihen Geaner der Ezartorysfi ließen es an tapferen Vorſätzen
und großen Worten nicht fehlen. Branidi machte fih anheiſchig, das Kronheer
auf 20000 Mann zu bringen, das Haus Potodi und Fürft Karl Rabziwill, der
Woiwode von Wilna, verjpraden, je 10000 Streiter aufzuftelen. So hoffte
man, den Ruſſen im Felde gewachjen zu fein, wenn aus Defterreih und Frank—
reich mwenigftens Geld fam, ohne welches man die Truppen allerdings nicht bei
einander zu halten vermochte.
Die Kaiferin von Rußland konnte nicht willen, wie wenig Ernft e8 ben
beiden verbündeten Höfen von Wien und BVerfailles um ihre Bekämpfung der
ruffiihen Kandidatur war. Es war für Rußland fein Kleines, den Bund der
Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 437
beiden Mächte diesmal gegen fih zu haben, deren Zerwürfnis während des
legten polniihen Interregnums die Entſcheidung in die Hände der bamaligen
Zarin gelegt hatte. Katharina mußte fih auf den Kampf mit ihnen und viel:
leiht auch mit den Türken einrichten, wenn es nicht gelang, dieſe Mächte durch
eine verftärfte politiiche Aufftellung einzuſchüchtern. Und jo entichloß fie fi
endlich, das preußiihe Bündnis anzunehmen.
Am 26. Januar 1764 war Graf Solms in der Lage, das vor einem
halben Yahre verheißene ruffiihe Gegenprojeft feinem Hofe einzujenden. Am
7, Februar war das Schriftftüf in des Königs Hand. Friedrich ſandte es
umgehend zurüd; er hatte, wie er der Zarin am 15. Februar fchrieb, „nur ein
paar leichte Klarftellungen” hinzuzufügen gehabt.
Der rufliihe Gegenentwurf, wie er demnach im mejentlihen dem am
11. April unterzeichneten Bertrage zu Grunde gelegt wurde, erhielt fein Gepräge
dur die der Haupturfunde angehängte Konvention wegen ber polnifchen Königs:
wahl mit dem Zwed, gemeinfam dem Stolnif von Litauen, Stanislaus Ponia:
towsfi, in fräftigiter Weile durch gute Dienfte und Bemühungen die möglichite
Einftimmigfeit zu verfhaffen und ihn auf den Thron zu heben. Die Kaiferin
nahm es auf fi, das Feuer einer gegen feine Wahl gerichteten Konföderation
mit ihren alleinigen Kräften zu dämpfen, der König jollte dazu vorerjt nur
durch militärifshe Demonftrationen an der Grenze und durch Berhandlungen
mitzuwirken verpflichtet fein, durch unmittelbare Beteiligung am Kampf erft
dann, wenn ein fremdes Truppencorps thatfählih in Polen eingedrungen fein
würde, und zwar in jolhem Falle durch Entjendung von 20000 Mann — auf
diefe Ziffer drüdte Friedrich die ruffiiche Forderung von 20— 30 000 herab. Sollte
die eine der beiven Vertragsmächte in den eigenen Grenzen von einer feindlichen
Macht angegriffen werden, jo war der andere Teil zur Stellung von weiteren
20000 Mann verpflichtet. Eine an die Polen zu richtende Erklärung, gegen
deren Beröffentlihung jest, da das Bündnis Geftalt annahm, auf preußifcher
Seite feine Bedenken mehr beftanden, wollte Friedrih möglichſt abgeſchwächt
wiſſen; denn niemand folle zu jagen berechtigt jein, daß man mit Gewalt vor:
gehe. Es wurde dann in der Konvention für dieſe Kundgebung die Form
vorgejehen: „Falls Angehörige der polnischen Nation die Ruhe der Republif
jtören und eine Konföderation gegen den rechtmäßigen König ſchließen jollten,
jo würden die Kaijerin und der König ihre Truppen in Polen einrüden lafjen
und ohne Schonung alle Härten des Krieges gegen die Perjonen und ihren
Befig ausüben.”
Die Nebenkonvention jollte geheim bleiben, der Hauptvertrag war bis auf
vier Zujaßartifel für die Deffentlichkeit beftimmt. Und bier alfo erzielte König
Friedrich in dem zweiten Artikel, in welchem die beiden Mächte fich den Belik
ihrer in Europa gelegenen Bejigungen verbürgten, den großen Erfolg, daß
damit Rußland fih vor aller Welt zur Verteidigung desjelben Schlefiens ver:
pflichtete, deſſen Losreißung von Preußen der vornehmite Zwed der brei mit
Defterreih geſchloſſenen Verträge von 1746, 1757 und 1760!) geweſen war.
') 8b. I, 305 (2. Aufl). Bd. II, 45. 249.
438 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt.
Die dem angegriffenen Teile zu leiftende Bundeshülfe wurde im dritten Artikel
zunächſt zwar nur auf 10000 Mann zu Fuß und 2000 Reiter feitgefegt, aber
im vierten Artikel verhießen beide Staaten einander im Bedürfnisfalle Unter:
ftügung mit ihrer gefamten Macht. Der erite ver Geheimartifel beitimmte, daß
die Truppenftellung mit Geld abgelöft werden fonnte, wenn Rußland von jeiten
der Türken und wenn Preußen in feinen weſtlich der Weſer gelegenen Gebieten
angegriffen würde, eine Erleihterung der Bundespflichten, die, bei der Unmahr:
jcheinlichfeit eines Krieges im nordweitlihen Deutichland, wejentlih dem Könige
von Preußen zu gute fam. Im zweiten Geheimartifel verpflichtete man fich
— ein Zugeftändnis an den ruffiihen Standpunkt — zur Aufredterhaltung der
in Schweden beftehenden Verfaſſung; im dritten verbürgte Preußen dem Groß:
fürften Paul den Befig des gottorpijchen Anteild am Herzogtum Holitein; der
vierte ftellte Verfaflung und Wahlfreibeit der Nepublif Polen unter den Schuß
der beiden Mächte, und ein „Article séparé“ nahm ihr gemeinfames Vorgehen
zu Gunften der polnifchen Diffidenten in Ausficht.
Der König verhehlte fih nicht, dab das Bündnis ihn, der joeben aus
einem Kampfe auf Tod und Leben hervorgegangen war, jofort in einen neuen
Krieg verwideln konnte, deſſen Anläffe ihn im Grunde nidts angingen; denn
e8 war für Preußen in ber That an fi gleichgültig, ob der neue König von
Polen Poniatowski oder Branidi oder Xaver von Sadjen hieß. Seinetwegen,
äußerte König Friedrih im Hinblid auf die im Hubertusburger Frieden verein-
barte und eben jet erfolgte Wahl des Erzherzogs Joſeph zum römiichen Könige,
möge man noch zehn Könige der Römer zu Frankfurt und zwanzig Könige von
Polen zu Warſchau frönen. Er berubigte fih damit, daß ein Krieg um die
polnische Thronfolge nicht mwahrfcheinlich fei: „Das beite ift,“ ſagte er im
Augenblid der Unterzeihnung des Bündniffes, „daß man zu ber Annahme
Grund hat, den casus foederis nie eintreten zu ſehen; ſonſt würde ich eine
große Dummheit begangen haben, mid in dieſe Dinge einzulaffen, gegen meine
wahren Intereſſen und ohne die Hoffnung, einen Vorteil daraus zu ziehen.“
immerhin famen ihm von Zeit zu Zeit „Kleine Skrupel“. Doch wiederholte er
ih dann, daß gerade die vollendete Thatſache des preußischruffiihen Bündniſſes
eine Friedensbürgichaft fei, daß Dejterreih gegen Rußland und Preußen zugleich
den Kampf nicht aufnehmen werde, daß Defterreih den Frieden ebenjo nötig
habe, wie er jelber.
Die Ereigniffe jollten ihm recht geben. Das einzige, was die Höfe von
Wien und Berjailles gegen die Bewerbung Poniatowskis jegt noch unternahmen,
war der Verſuch, die Türken gegen Rußland vorzufchieben. Dur den franzö—
ſiſchen Gejandten Vergennes aufgereizt, erklärte Muftapha III. zwar jeine Zu:
ftimmung zu dem von Rußland und Preußen aufgeitelten Grundfaß, daß nur
ein Piaft die polniſche Krone tragen jolle: Stanislaus Poniatowsfi aber jei zu
jung, zu unerfahren und vor allem noch unvermählt; jo werde er vielleicht nach
feiner Krönung durch eine Heirat feine Macht auf Koften der polniſchen Libertät
und zum Schaden der Nachbarn vergrößern wollen. Nicht ohne Erfolg hatten
die Feinde der Zarin das Gerücht ausgefprengt, dab fie ihrem Geliebten von
ehedem alsbald nach feiner Wahl zum Könige die Hand zu reichen gebenfe.
Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 439
Nun gebot Katharina, um den türfifhen Gegenzug abzuwehren, ihrem Schüb:
ling ſehr einfah, fih noch vor der Königswahl zu verheiraten oder doch zu
verloben. Schon feine Verwandten hatten ihm das geraten. Stanislaus weigerte
fih, gelobte aber demnächſt in jeiner Wahlfapitulation, feine Ehe ohne Zuftim:
mung von Reihstag und Senat zu ſchließen, nur eine römische Katholifin zu
wählen und den Vorzug allemal einer Polin zu geben.
Inzwiſchen hatten jeine Anhänger mit ruffiicher Hülfe fich freie Bahn
geſchaffen. Am 7. Mai 1764 wurde zu Warſchau der Konvolationsreichstag
eröffnet, der die Vorbereitungen für den Wahltag zu treffen hatte, nachdem bei
den Wahlen der Landboten auf den ftürmifchen Palatinatsverfammlungen dies:
mal zur allgemeinen Ueberrafhung im ganzen nur zehn Edelleute totgejchlagen
worden waren. Die Landboten von der Patriotenpartei, wie fie fih nannten,
von Branidi geführt, zogen unter Einfprud gegen die Anwejenheit ruſſiſcher
Truppen alsbald von Warſchau ab. Aber Branidi und Radziwill hatten noch
feine 10000 Mann unter den Waffen. Am 26. Juni wurde Radziwill in Litauen
bei Slonim von den Ruſſen geichlagen und flüchtete auf türfifches Gebiet. Die
Wahl Poniatowelis war entichieden, zahlreiche Gegner traten in jein Lager
über. Als der Wahlreihstag Ende Auguft zufammentrat, waren nur Partei:
gänger Rußlands erihienen. Einftimmig wurde Poniatowsfi am 7. September
gewählt. „Sch gratuliere zum König, den wir gemacht haben,” ſchrieb Katharina
an PBanin. Und König Friedrich beglüdwünfchte feine Bundesgenoflin in dem
blühenden Stile, deffen er fih in feinen eigenhändigen Briefen an Katharina
jegt zu bedienen pflegte: „Nichts Jcheint mir bewunderungswürdiger, als daß
Eie jo viele große Dinge ſozuſagen ohne Anftrengungen und ohne Anwendung
von Zwang oder Gewalt ausgeführt haben. Gott jprah: Es werde Licht, und
es ward Lit. Eure Kaiferlihe Majeität zwingt alle Welt bis zu der Hohen
Pforte, die Trefflichfeit Jhres neuen Syftems anzuerkennen. Sie ſprechen, und
die Welt ſchweigt vor Ihnen.“
Immerhin berechnete man, daß die Unfoften der polniihen Königsmwahl
fih für Rußland auf drei Millionen Rubel beliefen, die Ausgaben für die Ver:
pflegung der ruffiihen Truppen ungezählt.
Das polnifhe nterregnum war ohne Krieg zu Ende gegangen, das neue
Bündnis mit Rußland für Preußen nicht gefährlich geworden.
Aber troß aller Beteuerung der Freundichaft, Verehrung und Bewunderung 4; ehrsk
in feinen Briefen an die Zarin, troß aller Ueberihwenglichkeiten in Katharinas „Ir lare
Antworten gewann der König von Preußen an diefem Bündnis feine Freude. ya Bassın
„Der reelle Vorteil der Verbindung mit Rußland,” jagte fein Minifter Finden: „Leulce :
ftein einmal, „iſt diefe anjcheinende Intimität, die dem Wiener Hofe imponiert.“
Und damit tröftete fih auch Friedrich jelber, jo oft ihm an jeinen Verbündeten
etwas verdroß: „So lange ih im Bunde mit Rußland bin, werde ih mich um
die üble Laune des Wiener Hofes wenig kümmern.”
Den näditen Anlaß zu einer von den Gefihtspunften der ruffiichen Politik
abweichenden Haltung gab dem König der Wunſch und Antrag Katharinas, das
440 Achtes Buch. Dritter Abſchnitt.
F Bündnis mit Preußen zu erweitern zu einer großen nordiſchen Koalition, deren
Pan 3 plan weitere Teilnehmer in erfter Linie England, in zweiter, al& mehr „paffive
/ a Del Mitglieder”, Schweden, Dänemark, die Niederlande und einige deutſche Staaten,
Aecordt wie Sadjen, jein jollten. .
— Schon während der dem Abſchluß mit Preußen vorausgehenden Verhand—
er 34 obyechesstungen hatte Banin der Aufnahme Englands in das Bündnis das Wort geredet,
„ch # on und wieder und wieder fam er auf fein nordifches Syſtem zurüd. Friedrich
Aartrertar berief fi demgegenüber zunächſt auf feine Erfahrungen mit England im legten
7 — Kriege, auf die Inkonſequenz der engliſchen Politik, auf die Unzuverläſſigkeit
der Miniſter vom Schlage Butes, auf die für ihn vorliegende moraliſche Un—
möglichkeit, vor einem gründlichen Syſtemwechſel dort wieder Verbindungen
anzufnüpfen.
Stärfer noch fiel ein zweiter Grund ins Gewidt. Ausgangspunft des
Fangen 4 ruſſiſchen Vorſchlags war die Erwägung, daß ein Gegengewicht gegen die katho—
2 ——— — liſche Allianz der bourboniſchen Höfe und Oeſterreichs geſchaffen, gegen den
ſudeuropäiſchen Bund ein nordeuropäiſcher geſtellt werden müſſe. Friedrich aber
au Man wollte e& gerade vermeiden, in die Streitigkeiten der Briten mit den bourbonifchen
erlomınt Kronen abermals, wie 1756, verwidelt zu werden. Er gab den Ruſſen ihre
uran: Theje nicht zu, daß die in Amerifa anhebenden Kriege regelmäßig und notwendig
ihre Fortfegung in Europa zu finden hätten. Die Engländer, fo legte er den
Ruſſen im März 1766 die Grunblinien feiner Auffaffung dar, „haben fid von
den Franzofen und Spaniern alles zu gewärtigen; mit ihnen in dieſer Lage
ein Bündnis jchließen, heißt fich leichten Herzens in einen neuen Krieg ftürzen,
an deſſen Gegenitand Preußen fein Intereſſe hat“. Nur dann jei für ihn eine
Verbindung mit England denkbar, wenn ihr jede Verpflichtung fern bliebe, aus
der eine Störung des Ruheſtandes in Deutihland folgen könne.
u’ shyrche Noch weniger Gnade fanden in Friedrihs Augen die von Rußland als
(5 ta heil: paljive Teilnehmer gedachten Staaten. Bon den Niederlanden, der „Republif
der Kaufleute”, fagte er wegwerfend: „hr Handel ift ihr Gott und ihr alles.”
Und der holländische Handel gravitierte nad Ssranfreih und gewann, wenn bie
Republik in einem europäiſchen Kriege neutral bleiben konnte. Ein Ablommen
2 mit den Dänen, den Schweden kennzeichnete Friedrich lediglich als eine
ee Geldfrage; doch verlohne es nicht die Mühe, der ganz heruntergefommenen
nr Sande: ſchwediſchen Macht Anträge zu machen. Sachſen endlih mußte nah jeiner
Auffaffung ganz außer Betracht bleiben bei der engen Verbindung, die ber
Dresdener Hof mit dem Wiener und dem Gejamthaufe Bourbon noch immer
— unterhalte. Friedrich erklärte offen, daß er die Sachſen zu gut kenne, um ihnen
— jemals zu trauen. Er glaubte zu bemerken, daß die ſächſiſche Diplomatie ſeinen
Intereſſen am Hofe Katharinas ebenſo entgegenarbeite, wie vor dem letzten
Kriege am Hofe Eliſabeths und an dem damals mit Preußen verbündeten
franzöſiſchen Hofe. Der „Geiſt des Grafen Brühl“ ſchien ihm wieder aufzu—
leben, Einen beſonderen Grund, den er noch gegen eine Allianz mit Sachſen
hatte, verſchwieg er den Ruffen: denſelben Grund, aus dem er früher nichts
von der Aufnahme der Sachſen in fein Bündnis mit Franfreih hatte hören
wollen. Er war entichlofjen, wenn es noch einmal zum Bruch zwijchen Preußen
>
*
Bündnis mıt Rußland und erfte Teilung Polens. 441
und Deiterreih fam, wieder wie 1756 zu verfahren, das ſächſiſche Gebiet zur
Dperationsbafis zu maden und als Kornfammer, Goldmine und Aushebungs:
revier auszunußen.
Unausgejprodhen blieb den Rufen gegenüber auch die Erwägung, daß es
dem Könige vorteilhafter fhien, wenn die Zarin auf das Bündnis allein mit
Preußen angemwiejen blieb, als wenn fie fih ein großes füberatives Syſtem
ausbaute, in welchem Preußen unter Umftänden entbehrt werden konnte.
So leicht indes ließen fih die Auffen mit ihrem großen Plan nit ab: &eder.—
weifen. Als im Frühjahr 1766 der holſteiniſche Konferenzrat v. Saldern als — Bart
ruffiiher Gejandter nach Kopenhagen ging, jegte er auf der Durdreife dur 77%“.
Berlin alle Hebel an, um die preußifchen Bedenken zu überwinden. Der König
empfing ihn wiederholt unter vier Augen. Gründe und Gegengründe wurden
ausgetaufcht. Saldern bemerkte, wie der König fich verfärbte, als die Rede auf
Sadjen fam, und zum Schluß einer längeren Auseinanderjegung über England
trat Friedrih ganz nahe an den Geſandten und flüjterte ihm ins Obr, als wären
Zeugen zugegen, die es nicht hören dürften: „Les Anglais sont des miserables.“
Rußland mußte jhließlih auf feinen Wunſch verzichten; die aufdringlide Z „m 4% )
Art aber, mit der Saldern ihm die große Allianz empfehlen wollte, hatte auf_/ Pau
den König einen peinlihen Eindrud gemadt. Die „diktatoriſche“ Sprade dieſes udn
Diplomaten erinnerte ihn an einen gern von ihm als klaſſiſches Beifpiel benugten „. /r zw), -
Vorgang aus der römischen Geihichte, das Auftreten des Popilius Länas vor
Antiohus von Syrien. Er fand die Klage feines Gejandten Solms beftätigt,
daß die ruffiihen Minifter geneigt feien, gegen die Vertreter befreundeter Staaten
im Tone der Ueberhebung zu ſprechen.
Am meiften verdroß ihn ein Verfuh Rußlands, in die inneren Angelegen=
heiten Preußens einzureden. Die Vorrechte, die das Berliner Bankhaus „„A .. r#-
Schweigger für den ruffiihen Handel erhalten hatte '), wurden in Petersburg za.) /s
beanftandet, und eine Erhöhung des preußifchen Poittarifs gab den Rufen Aarssrarı
zu der Forderung Anlaß, daß diefe „ohne vorgängige Unterhandlung und rezi: Zu,
profes nachbarliches Einveritändnis” getroffene Maßregel wegen ihrer finanziellen
Nachteile für Rußland aufgehoben werde. Friedrih fuhr auf: das ſei die
Folge davon, daß man die ruffifhen Minifter durch allzuviel Gefälligfeit ver:
zogen habe. Er verkündete e& feinen Kabinetsminiftern als jeinen feiten und
unmwiderruflihen Grundjag, daß er einen erften Schritt „diefer Leute” zur Ein:
miſchung in feine Angelegenheiten nicht dulden werde, möge gefhehen, was da _
wolle; jonft werde er von Rußland abhängig werden, wie Polen und Schweden, Is decl.
oder wie der Hospodar der Waladei den Türken gegenüber. Unter einen ber much her -
Erlaſſe an feinen Gejandten, die, wie er wußte, unterwegs von den Rufen Asmce_-
regelmäßig geöffnet wurden, fchrieb er eigenhändig: „Ich fange an, des Joches,
i) Bgl. oben ©. 413.
7 jhs —— — ia when . al. rn.
4 Asıf per ccrhe ee Art. we: ’ke ec Toy and)
t /[- — war want a 2 KATZ
* — =, es fetter nf — —
PIE ER cn * a , (rn 37
Der Geichidlichkeit des — gelang es, die — von a Ans
ws finnen zurüdzubringen.
Den innerften Widerfpruch, unter dem das preußiſch-ruſſiſche Bündnis litt,
3 X bat Friedrich ſich nicht verhehlt: daß es ganz gegen das Intereſſe ſeines Staates
alıem I " war, wenn er jegt wohl oder übel die Herrihaft Rußlands in Polen aufrichten
(a me rs- half. Altbrandenburgiiher Grundfag war, daß die im Niedergang begriffene
en ꝓ„volniſche Macht nicht wieder erſtarken dürfe, ſie, die auf die Mark und auf
— 7 Rommern brüdte, das Herzogtum Preußen von allen Seiten umſchloß und von
den brandenburgiihen Kernlanden trennte und aud der neueiten Erwerbung, der
Provinz Schlefien, in ihrer ganzen Yänge vorgelagert war. Die Bedrohung,
der man von einem jtarken Piaftenreich fich verfah, wurde aber ungleich gefähr:
liher, jobald ‘Polen ein ruffiiches Nebenland und der ftändige Yagerplag ruſſiſcher
Heere wurde und Rußland derart auf eine Grenzlinie von mehreren hundert
Meilen in unmittelbare Berührung zu dem preußiichen Staate trat.
Pr HH L- Wenn nun in Wien das Vordringen der ruffiihen Macht nad Weſten
nl nicht minder mit Sorge betradtet wurde, jo lag die Frage nahe, die Friedrich
* ge jegt ab fi immer von neuem vorgelegt hat: ob nicht einmal der Tag
7 Pad LAtommen werde, an dem der gemeinfame Gegenjag gegen den Nachbar im
Eu 7 — die beiden deutſchen Mächte nad fo viel Blutvergießen wieder zuſammen—
führen werde.
Zunächſt freilid war zwijchen ihnen glei wegen der Ausführung der
Friedensbeſtimmungen neuer ärgerlicher Streit entbrannt. Einer der Artikel von
Fan 16 Hubertusburg befagte, daß die beiderfeitigen Unterthanen, die während des Krieges
tschange zum Eintritt in die Dienfte des anderen Staates gezwungen worden feien, aus:
ern: geliefert werden jollten. Friedrich erbot fih, 3085 in fein Heer eingereihte
, £.. Deiterreiher nah Haufe zu jenden gegen Freilafjung einer annähernd gleichen
Zahl von Preußen. Nun aber fand es Maria Therefia vom militärifhen Stand:
punkt aus bedenflih, bei den Negimentern, wie Kaunig es für richtig bielt,
kundmachen zu laflen, daß den preußiſchen Unterthanen auf Verlangen der Ab:
ſchied erteilt werden würde; denn dann werde man, ſagte die Kaijerin, wenig:
tens noch 6000 auserlejene Mann entlajjen müfjen, zu den 1200, die man
— auszuliefern bereit war. So wurde von öſterreichiſcher Seite die Verhandlung
A. abgebrochen.
Bald aber begannen die Beziehungen zwiſchen den beiden Höfen fich wenig:
jtens äußerlich etwas freundlicher zu geftalten.
Am 18. Auguft 1765 ftarb im Alter von 57 Jahren Kaifer Franz I., von
Dr. K — jedermann bald vergeſſen, nur von feiner Gattin, die ihm ſechzehn Kinder ge—
Aarncc, ſchenkt hatte, als der „volllommenfte und liebenswürdigite Herr“, „ihr Troft in
allem in einem harten Lebenslaufe”“ ſchmerzlich, ja leidenſchaftlich betrauert.
Mitregent in den öfterreihifhen Erblanden an feines Vaters Statt wurde der
vierundzwanzigjährige Erzherzog und römiſche König Joſeph, nunmehr römiſch—
deutjher Kaifer. Ob auch er ſich damit begnügte, nur ein „Gaſt bei Hofe” zu
jein, als den fein Vater in einer Miihung von Scherz und Verdruß fich be:
zeichnet hatte? Oder 309 eine neue Nera der öfterreihiihen Politik mit dem
jungen Kaifer herauf? Den König von Preußen beichäftigten diefe Fragen leb—
N
Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Bolens. 443
haft. Sein Gejandter Rohd fchilderte ihm Joſeph als friedfertig und als —— A
ſam, und Friedrich ſprach die Hoffnung aus, daß es bei ſolchen Geſinnunge EB
zu befjerem Verftändnis zwiichen ihm und dem Wiener Hofe fommen, daß man 76S- ’750
es wenigitens nicht mehr nötig haben werde, jeden Augenblid zum Kampf bis
aufs Mefler bereit zu fein. Ja, jenem ruffiihen Diplomaten Saldern ſagte er
von Joſeph mit leicht verftändlicher Abſicht: „Ein guter und friedlebender Fürft,
der die Franzoſen verabjcheut; er wird fich niemals in gefährliche oder zwei:
deutige Dinge einlaffen, dafür jage ih gut.” [7
Fürft Kaunig galt, wie es den Anfchein hatte, bei dem Sohne weniger 7 h
als bei der Mutter. Daß der Staatsfanzler, über die Bevorzugung feines .
Gegners Lacy dur Joſeph, wohl aud über des Kaifers jehr bald bemertharef Far
Selbitändigfeit verftiimmt, im Juni 1766 der Kaiferin:Königin ein mit Leb— test:
baftigkeit zurüdgemwiejenes Entlafjungsgefuh eingereiht hat, blieb dem Könige
von Preußen nicht unbefannt; als ſchon früher ein Gerücht über den bevor:
ftehenden Rüdtritt umlief, meinte er, der Wiener Hof jolle feine Dummheit
begehen, denn Kaunig jei ohne Frage der beite Kopf, über den man dort ver:
füge. Kaunitz ſelbſt jprach ſich gegen ben preußiſchen Gefandten jetzt gern in
dem Sinne aus, daß ihm für die Ruhe Europas nichts wünfchenswerter er:
ideine, als ein gutes Einvernehmen zwifchen feinem jungen Herrn und dem
Könige von Preußen. Mit dem Freimut, auf den er ſich etwas zu gute thue,
geftehe er offen, daß er dem Könige vordem viel Böſes habe zufügen wollen,
darüber aber müſſe man den Schleier ziehen, und wie jein Einfluß auf die
Staatsgeihäfte ja nicht unbefannt jei, jo fünne er als Ehrenmann verfichern,
daß Schlefien in Wien jegt vergefjen ſei und in Zukunft nicht mehr zum Eris—
apfel werben jolle. Schon wagte Kaunit mit fleinen Geſchenken aufzumarten:
mit einer Trüffelfendung, mit Defen nad) einem von ihm ſelbſt erfundenen Modell.
Friedrich maß diefen Annäherungsverfuchen feine übertriebene Bedeutung bei,
aber er wies feinen Gejandten an, dem Staatsfanzler Artigfeiten zu jagen, wo
nur immer die Gelegenheit fich biete. Und als Kaunit angelegentli ven Wunſch
äußerte, für feine auserlejene, ihm ſehr am Herzen liegende Gemäldefammlung
ein getreues Bild des Königs zu befigen, verfprac Friedrich fofort, daß er gegen
feine fonjtige Gewohnheit fih malen laffen werde, und ließ ihm durd den
Gejandten jagen: „Wenn Kaunitz eine ſchöne Frau wäre, würde ih mich hüten,
ihm das Porträt eines hinfälligen Greifes zu jchiden, aber in feiner Eigenfchaft
als Minifter wird er es, wie ih mir jchmeichle, nicht jo genau nehmen.”
Auf ernitere Proben durfte die neue Eintradht, die man im Munde führte, 2, 4, ,. |
freilih nicht geftellt werden. Als Kaifer Yojeph im Juni 1766 an eine Reiſe
nah Böhmen einen Bejuh des Dresdener Hofes und eine Belichtigung des EM _
Torgauer Schlachtfeldes zu Enüpfen fi vornahm, glaubte Friedrich nach gewiſſen E
Andeutungen, die man in Wien feinem Geſandten gemacht hatte, eine Neußerung — *
des öſterreichiſchen Geſandten Nugent als Aufforderung zu einer Zuſammenkunft —* .-
auffaſſen zu ſollen. Schon hatte er alles zur Reife vorbereiten laflen, einer /766
unmittelbaren Einladung gemwärtig. Aber Nugent, der zur Begrüßung jeines
Gebieterd nad; Dresden gegangen war, beſchränkte fih unerwarteterweije darauf,
in einem Brieflein vom 24. Juni an den Minifter Findenftein einfach mitzu—
444 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt.
teilen, daß der Kaiſer am 28. in Torgau fein werde und noch denjelben Abend
in Bautzen Nachtquartier zu nehmen gedenfe. Nun genügte die Entfendung eines
Vertreters zur Begrüßung des hohen Reiſenden. Friedrich war äußerft be:
treten und blieb verftimmt. „Wir find,” ſchrieb er feiner ſchwediſchen Schweiter,
„bei KRomplimenten, Aufmerkſamkeiten, Höflichkeiten ftehen geblieben; der Teufel
wird nichts dabei verlieren, denn e& fteht gefchrieben im Bude des Schidjals,
dag Rom und Karthago nicht neben einander beftehen können.” Er erging ih
in Vermutungen über die Gründe des befremdlichen Verhaltens der Deiterreicher;
er witterte den Einfluß Kaunigens oder bes Feldmarſchalls Lacy, der den Kaiſer
begleitete. Ober war es bie Bejorgnis der Kaiferin-Rönigin geweſen, ihren
— * PAD Sohn durch diefe Begegnung berüdt, verführt zu jehen? Oder etwa die Rückſicht
auf den franzöfiichen Hof? Thatſächlich hatte Maria Therefia von vornherein
— * Umgebung keinen Zweifel darüber gelaſſen, daß es ihr ungemein leid thun
ürde, wenn dieſe Zuſammenkunft ſtattfände. Und Kaunitz, an ſich dem Plane
— geneigter, wollte doch unter allen Umſtänden den Schein vermieden wiſſen, als
mel. ob die Anregung von Joſeph und nicht von Friedrich ausgehe. So hatte der
junge Fürft wohl oder übel darauf verzichten müflen, einen Mann zu jehen und
zu ſprechen, der, wie er feiner Mutter nachher freimütig geitand, feine Neugierde
außerordentlich gereizt hätte. Die Kaiferin aber frohlodte: „Die Zufammentunft,
bie er und der König wünjchten, ift nicht zu ftande gelommen, „weil die Vor:
jehung es es nicht jo wollte.”
Ausfichtslos von vornherein war ein Einfall, den Kaunik in demſelben
— Jahre geſprächsweiſe vorbrachte. Zu ſeiner großen Ueberraſchung hörte der
junge preußiſche Legationsrat Edelsheim, der den beurlaubten Rohd im Herbſt
35 „für einige Zeit vertrat, eines Tages aus dem Munde des Staatskanzlers einen
— längeren moraliſch-politiſchen Vortrag über die Schäden, die Vorurteil und Ehr—
— geiz der Menſchheit zufügten. Religiöſes Vorurteil führe den Klöſtern, politiſcher
Ehrgeiz den großen Armeen fortgeſetzt Scharen von Staatsbürgern zu und mache
fie zu unnützen Gliedern der menſchlichen Geſellſchaft. Wozu einen verſteckten
Krieg führen mitten im Frieden? Sei es denn nicht möglich, ſich über eine all—
gemeine Abrüſtung zu einigen, etwa nach dem Maßſtabe, daß jeder Staat drei
Viertel der Streitkräfte, die er im Zeitpunkte der Friedensſchlüſſe von 1763
unter den Waffen gehabt habe, entlaffe und daß man durch Bevollmädtigte die
gewiſſenhafte Ausführung diefer Vereinbarung gegenfeitig überwadhe? Der König
w. von Preußen eröffnete feinem Vertreter, er habe jehr wohl gethan, ſich auf
diefen Gegenftand nicht einzulaflen. Sollte Kaunig darauf zurüdfommen, jo
j möge Edelsheim ihm bemerken, daß diejes Projekt ein wenig nad den Ideen
ChrSsr des Abbe St.-Pierre jchmede, des bereits vor mehr als zwanzig Jahren von
—— Friedrich unſanft abgewiejenen!) Schwärmers für den ewigen Frieden.
tan Wenige Monate nah diefem verfhämten Abrüftungsantrage fahen ſich
ad die beiden Mächte zu neuen Kriegsvorbereitungen gegen einander veranlaßt.
— AN: . Polen hatte fi wiederum Zündftoff aufgehäuft für einen europäijchen
ran
’) Bol. Bb. I, 178 (2. Aufl.).
Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 445
Katharina II. hatte mit Hülfe der Familie Czartorysti die Wahl des ihr urk> .
genehmen Königs kaum erzwungen, als ſchon ihre bisherige Partei von den Ingra
Wegen Rußlands abzulenten begann. Beide, die Zarin und bie Czartoryafis, Pat ud,
wollten das Königtum Poniatowstis als Werkzeug für ihre bejonderen Zwede au. > [- R
benugen. Katharinas großes Ziel blieb _ die erfelung. ber
Parität, die Czartorysfi glaubten die Stunde für ihre Berfaljungsreform ge:
fommen. Auf dem Konvofationsreihstag von 1764 hatte Rußland die Reform:
partei, um ihrer Unterftügung im Wahlkampf fiher zu bleiben, bis zu gewiſſem i
Grade gewähren laſſen. Mit den dort eingejegten ftändigen Kommiſſionen für 'ho Shan? 1
Rechtspflege und Finanzen, Heerweien und Polizei waren als Gegengewicht Cam mustı
gegen die Willfür und Mißmwirtihaft der großen Kronbeamten Verwaltungs: Ö dis
körper geichaffen worden, die als Anfäge für die Ausgeftaltung einer fejteren
Staatsordnung dienen mochten. Auf dem Krönungsreihstag im Herbit 1764
waren dann die Gegenjäge ſchon auf einander geftoßen, ohne daß von hüben
und drüben der Kampf offen aufgenommen wurde. Der König und die Reform:
partei beugten fih dem Machtgebot Rußlands, indem man an die Ausrottung
des Grundübels, die Abjchaffung des Liberum Veto, für diesmal nicht heran:
ging, und einen Gejegentwurf zur Anerkennung der Religionsfreiheit der Diſſi—
benten vor den Reichstag bradte; Katharina aber nahm es bin, daß dieſe Vor—
lage von den Landboten unter wilden Toben, ohne aud nur zur Verleſung zu
gelangen, totgejchrieen mwurbe.
Als zwei Jahre jpäter der gefekliche Zeitpunkt für die Einberufung des Pat —
erſten ordentlichen Reichstages gekommen war, hatte die Gnade Katharinas ihren “* 7b6-].
ehemaligen Schüßlingen fich bereits ganz abgewandt. Rußland war entichlojjen,
jeine Baritätsforderung mit Waffengewalt durchzufegen und unterjagte anderer: j
jeits jede Reformpolitif. Dadurch werde ihm, jchrieb König Stanislaus beweg⸗ Su, .t.,
ih nad Petersburg, jein Königtum zum Nefjushemd; er jehe fi vor die Wahl ,,,, ——
geſtellt, entweder zum Reichsverräter zu werden, oder ſich von der Kaiſerin los— sub F GA
zufagen. Er entſchied fi für das Zweite. Er wagte, in der Religionsfache
den Kampf gegen Rußland aufzunehmen. Indem er für die Vorrechte des
fatholifchen Belenntniffes zu der überwiegenden Mehrheit der Nation ftand, hoffte unfpel
er, daß fie ihm ihrerjeits auf der Bahn der Reform folgen werde. Aber der, for
Reichstag ließ den König in der Verfajjungsfrage im Stich. Zugeſtändniſſe zu —5 Inf.
Bunften der Diffidenten wurden abgelehnt, aber auch die von Stanislaus em:
pfohlenen politifhen Reformen. Durch feierlihen Beihluß wurde die Fortdauer
des Liberum Veto ausgejproden; nur für die Wahl zum Reichstage und zu
den Gerichtshöfen jollten Mehrheitsbeſchlüſſe gelten.
Verlauf und Ergebnis diejes Reichstags von 1766 offenbarten, wenn es
defien noch beburft hätte, die ganze Zerfahrenheit und Fäulnis der öffentlihen. 9,4
Zuftände in Polen. Parteihader, Unbeftändigfeit und Eigennuß hatten ſich
ftärfer ermiefen, als jede andere Regung und Nüdfiht. Das Liberum Veto
wurde doch deshalb vor allem als ein Palladium der polniſchen Freiheit be-
trachtet, weil es bei der allgemeinen Beftechlichfeit für jeden einzelnen ein nutz—
bares Recht war. Die Einführung des Majoritätsprinzips wäre den Schlachtizen
an den Geldbeutel gegangen. Das Wort des Königs von Preußen an jeinen
—
446 Achtes Bud. Dritter Abfchnitt.
Gejandten in Warſchau traf völlig zu: „Sie wiffen doch, daß man in Polen
mit Geld alles macht.“
j Bei der Käuflichkeit der Kleinen wie der Großen, bei der unbezähmbaren
area Eiferfucht zwiihen den Parteihäuptern durfte die Zarin fich jagen, daß ſie ftets
am Pr) die eine Hälfte der Nation für die ehrgeizigen Pläne Rußlands zur Verfügung
Hrn “arhaben werde; daß die, welche geitern noch Rußlands Gegner geweſen waren,
an Plan) morgen diejer auswärtigen Macht zum Sinappendienft bereit ftanden, jobald die
Ausficht ſich bot, die einheimischen Rivalen aus dem Regiment, aus den gewinn:
bringenden Nemtern zu verdrängen. Die Gegner Rußlands von 1763 und 1764,
die Ueberbleibjel der alten ſächſiſchen Partei, alle endlich, die aus irgend einem
Grunde mit der Regierung des Poniatowski und der Hegemonie der Czartornsfis
unzufrieden waren, hatten zur Zeit die Augen auf Rußland gerichtet, ſchon ganz
bereit, in der joeben noch als Gewiſſensſache bezeichneten Frage der Diffidenten:
rechte Zugeftändniffe zu machen. So fonnte Rußland ſich anjhiden, das was
auf dem Reichstag ihm mißglüdt war, nad dem Neihstag und ohne den Reiche:
tag auszuführen. Hatte fih der Reichstag der ruffiihen Politik verfagt, To
hatte fie noch einen ftärferen Hebel anzufegen: den organifierten Bürgerkrieg,
die Konföderation.
* Eine polnische Konföderation, der wildeite Auswuchs der chroniſchen Anarchie,
zu welcher in diefem unglüdlihen Lande der völlige Bankbruch des Parlamen:
tarismus geführt hatte, fennzeichnete fih als ein gleichſam völferrechtliher Bund
der jouveränen Edelleute beim Verfagen der ftaatsrechtlihen Organe des nationalen
Lebens. „Zum Beften des Königs und der Republik“ verpflichteten fih die Mit:
glieder auf ein Bundesprogramm und feine gewaltfame Durhführung, erklärten
ih als die zeitweiligen Inhaber der öffentlichen Gewalt und hielten ſich für
befugt, der Republik während diefes Ausnahmezuftandes auf einem Konföberations:
reihstage ihre Bundesartifel nah dem fonft durch die Gefchäftsordnung aus:
geichloflenen Mehrheitsprinzipe als gültige, dauernde Geſetze aufzuerlegen. Des:
halb hat Jean Jacques Rouffeau in dem Weſen der polniſchen Konföderation
die altrömiſche Diktatur wiedererfennen wollen. Durch den Reichstagsbeſchluß
von 1716 verpönt, war der Konföderationsunfug während der Zwilchenreiche
von 1733 und 1764 doch wieder aufgelebt, und jet hatte die Zarin den Triumph,
nit eine Konföderation, jondern zwei für ſich aufzubieten.
uf dsyalo, Die Häupter der Proteftanten und der Griechen fonföderierten fi unter
a 1766 Nührung des Grafen Golg und des Generals Grabowski, die fatholifchen *
Gegner des Hpfes, darunter auch zahlreihe Prälaten, erwählten zu ihrem Mar:
ihall denfelben Karl Radziwill, der 1764 ein Heer gegen die Ruſſen geführt
hatte; jest hatten ihn die Ruſſen fich mit ihren Rubeln verpflichtet und aus jeinem
Dresdener Eril zurüdgerufen. Genugthuung für die Dijfidenten und Abſchaffung
aller jeit 1764 eingeführten Reformen war die gemeinfame Loſung aller Kon:
. föderierten: die Zarin durfte zufrieden fein.
ER i Der König von Preußen jah biefer neuen Wendung mit geteilten Em:
pfindungen zu. Der Kampf aegen die Verfaffungsreform, die Bewegung für
das Liberum Veto hatte durdhaus feine Billigung; denn mit feinen Miniftern
befannte er ſich ohne Einſchränkung zu dem von den Vätern ererbten Grundjage,
emfedırahen
Iwan) Yrlam -
oa ae Pla)
Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 447
daß jede Aenderung der polniihen Verfaſſung, jeder Verſuch zur Bejeitigung
der „Anarchie“, jede Erftarfung Polens als eine Gefahr für Brandenburg zu
betradhten fei. Unter dieſem Gefichtspunft war er anfänglih, als Katharina
und Panin des neuen polniihen Königs noch fiher zu jein glaubten und bes: AD 78 Har-
halb eine Stärkung feiner Regierungsgewalt noch für nüslich hielten, viel ent: Mack
jchiedener als Rußland für das Liberum Veto eingetreten; er hatte dringend * rss E
vor Neuerungen gewarnt, deren politiihe Tragweite fich nicht abjehen ließ. —
Andererſeits hatte er allzeit, nach erfolgter Königswahl nicht minder als während Busen ein
des Zmwijchenreiches , der Zarin Mäßigung an das Herz gelegt, fi immer von Ir Tam-
neuem gegen die Anwendung von Zwang und Waffendrud ausgeiproden. Er Re, „ro we.
fürdtete, daß dieje unverhüllte Herrſchſucht und Gemwaltthätigfeit, die immer "er G <
wiederholte Einlagerung ruſſiſcher Truppen auf polniſchem Boden, die militärische her Abi
Aſſiſtenz Rußlands bei allen Staatsakten der Republik doch endlich einmal die «ga cm :
Nachbarn, die Defterreiher vor allen und vielleiht auch die Türken, in den
Harniſch bringen würde. Dann war doch ber casus foederis für ihn da, dem
er vor drei Jahren glüdlih entgangen war.
Mittelsmann zwiſchen der Hofburg zu Wien und dem Königsſchloſſe zu 4, — —
Warſchau war, was dem Könige von Preußen nicht unbemerkt blieb, Fürſt, —
Andreas Poniatowsfi, der Bruder des Königs Stanislaus, Generalfeldwacht— RN EN sa
meijter in öfterreichiichen Dienften. Durch ihn ließ Kaunig dem Könige und "
den Gzartoryskis raten, angefichts der Drohungen Rußlands und Preußens den
Mut nicht zu verlieren, jondern mit Adel und Geiftlichkeit feit zum Schute des,e,, mu
Glaubens zujammenzuitehen. Zugleich rief man den Bundesgenojjen in Berjailles
zu gemeinfjamem Vorgehen auf, um dem König von Polen zu größerer Selb:
tändigfeit zu verhelfen und ihm ein Bündnis mit der hohen Pforte zu ver:
mitteln. Und doch konnte fih Kaunig des Zweifels nicht erwehren, ob nicht
etwa Stanislaus und Katharina insgeheim einverftanden waren. leichviel,
man bielt es für erforderlich, fih den Anjchein zu geben, daß Deiterreih, wenn
die Dinge in Polen auf die Spige getrieben würden, ſich zu enticheidenden —
Gegenmaßregeln zu entſchließen vermöge. Dem engliſchen Geſandten erklärte —
Maria Thereſia um die Jahreswende mit der Haltung und dem Blicke, die ihr REN
bei ernten Eindrüden und in Augenbliden der Erregung eigen waren: „Ich will
offen mit Ihnen reden und Sie werben es nerfiehen, wenn wir nicht mit ge:
freuzten Armen zulafien fönnen, daß ein Fürſt, mit dem wir in Freundſchaft
leben, leben, freventlich unterdrüdt wird.” Man _rüftete alfo und rüftete eifrig. Be:
fehle er ergingen zur Zufammenziehung größerer Truppenmafjen und zur Anlegung re bbısa bon
von Magazinen in Böhmen und in Mähren, und General Laudon wurde nach⸗ ——
Wien berufen, wie es hieß zur Feſtſtellung des Feldzugsplanes, deſſen Ausführung *
ihm obliegen würde.
Nah Berlin — die een N vr über öfterreichijche ya ‚700-]
Anzeichen. cz — te feine Augen und Ohren überall; er rühmte ſich, daß
nicht der Heinfte Vorgang in den Erblanden der Kaijerin:Königin ihm entgehen
fole. Wie vor elf Jahren jtellte er fi die von allen Seiten, aus Wien, von
448 Achte Bud. Dritter Abjchnitt.
use „di. den ichlefiichen Grenzen, aus Dresden, aus dem Haag einlaufenden Berichte zu-
by ma Wr
—
— ——
‚Ss Ib. 767.
fammen, verglich fie miteinander, teilte fie feinen Gejandtichaften mit zur Be:
gutahtung und zur Prüfung und als Anhaltspunkte für ihre eigenen Beob-
ahtungen, übermittelte fie zur Warnung dem ruffiihen Hofe. Freilich konnte
er fich die politifche Rechnung der Defterreiher nicht wohl erklären. Eine Ein-
wirkung von franzöfifher und ſpaniſcher Seite, vom allgemeinen katholiſchen
Standpunkte aus, erihien unwahricheinlid, und ebenjo, dag man in Wien feine
Hoffnung auf die Türken geftellt haben ſollte. Bielleiht, daß man durch diefe
militäriijhen Demonftrationen Rußland einihüchtern zu fönnen hoffte. Eine
vierte Möglichkeit, die Friedrih in Erwägung zog, beunruhbigte ihn am meiften:
arbeitete man etwa von Wien aus auf eine Palaftrevolution bin, auf den Sturz
Katharinas? Nach feinem Grundfag, daß Vorſicht die Mutter der Sicherheit fei,
ſetzte auch er fih in Pofitur. „Da id meine Vorbereitungen den ihren pro:
portioniere,” jchreibt er am 12. Februar dem Prinzen Heinrih, „ſoll mid die
Königin von Ungarn nicht unverjehens erwilhen, was auch ihre Abfichten fein
mögen. Die Armeen find jchon eingeteilt, die Märfche geregelt und fehr viel
Werk und Arbeit vorausgetban. Wir fönnen zum Beginn 140000 Mann ins
Feld ftellen und dieje Zahl wird fih im zweiten Feldzug um 30000 Mann ver:
mehren laſſen.“ „Ich laſſe diefe Leute,” jchreibt er drei Tage jpäter, „ruhig
thun, was fie beſchloſſen haben, und _wenn es zum Neußerjten fommen muß,
ol man uns früher fertig finden, als man benft.”
Die Vorfrage war ihm feinen Augenblid zweifelhaft. Unbedingt war er
entichlofien, wenn die Rufen und Defterreiher wegen der polniihen Wirren
bandgemein wurben, feine Verpflichtungen gegen den Bundesgenofien zu erfüllen.
So hart es ihn anfommen modte. Denn nicht damit genug, daß er für Ruß-
land fi in neuen Krieg ftürzen jollte, mußte er fi auch jagen, daß er durch
jeine Waffenhülfe wiederum dazu beitrug, die ruffiihe Macht zu vermehren, bie
ruffiihe Anmaßlichkeit zu fteigern, die Unterjohung Polens unter die ruſſiſche
Herrſchaft zu befiegeln. „In ganz Europa,” fchrieb er feinem Gejandten Solms
am 12. Februar 1767, „ſagt man frei öffentlih, da& die Kaiferin Polen auf
kurländiſchen Fuß binabdrüden und einen König haben will, der das Land
unter ruffiiher Leitung regieren und nichts ohne der Kaiferin Erlaubnis thun
joll.” Er madte es diefem Gejandten zum Vorwurf, daß er die ruffiiche Politif
beſchönige, über die ruffiihe Herrichfucht den Schleier ziehe. Aber trog allem
fam er zu dem Ergebnis: „Man muß die Prozeduren der Rufen in Polen
ertragen, weil wir wenn fie mit dem Wiener Hofe im Bunde ftünden, bieje
Prozeduren ebenjo dulden müßten.” Die Defterreicher, äußerte er in demſelben
Gedankengange, würden jest zu fpät gewahr, daß fie ehebem den Ruſſen allzu:
viel Gelegenheiten geboten hätten, ihren jegigen großen Einfluß auf die euro:
päilchen Angelegenheiten zu gemwinnen.
Entſchloſſen, troß folder Bedenken das Bündnis mit Rußland inmitten
der neuen Wirren feftzuhalten, hielt König Friedrih es doch für geboten, ſich
für den Kriegsfal den Anfprud auf Entfhädigung, und zwar auf Landgewinn
zu fihern. Die Aeußerung Panins aus dem Dezember 1763, daß Preußen,
wenn die Dinge zum Aeußerſten fämen, nicht umſonſt gearbeitet haben
Bündnis mit Rukland und erite Teilung Polens. 449
ſollte, ſie war, damals anſcheinend überhört, nicht vergeſſen worden. Friedrich ließ
den ruſſiſchen Staatsmann jetzt an jene Worte erinnern, als er am 19. Februar,
nach wiederholter Beratung mit ſeinen Kabinetsminiſtern, den Entwurf zu
einem neuen, den Zeitläuften angepaßten Vertrag nad Petersburg ſandte. Dort G 4 Mm
ging man gern und ganz und diesmal aud raſch auf einen Vorſchlag ein,, £ — rt
deſſen unmittelbare Borteile durchaus auf ruffiiher Seite lagen. Das am a gA —
eine Diverſion gegen die Erblande der Kaiſerin-Königin zu machen. Rußland
übernahm, ihm gemäß dem Bündnis von 1764 mit einem Hüliscorps, erforder:
Auf Wunſch der Ruſſen wurde noch ein Artikel aufgenommen, wonach es freier
Vereinbarung vorbehalten blieb, den Gelobeitrag, den Preußen 1764 für den %
Fall eines ruſſiſch-türkiſchen Krieges zugefagt hatte, in Truppenhülfe zu verwandeln. 4 5 parken
Preußen hatte jegt diplomatijch und militärifch feine Aufitellung genommen... 75% #167
Wäre es damals zum Bruche gefommen, jo hätte der Krieg, allem Ermeſſen (eu bare):
nad, dem Könige nur Gewinn bringen fünnen. Seine Lage war in Anbetracht
jeiner Stellung zu Rußland und bei der Lethargie Frankreichs ungleich günftiger
als 1756. est wie damals wurde in beiden Lagern gerüftet, in Preußen wie
in Defterreih. Jetzt wie damals war der König von Preußen entichlofjen, wenn
es jein mußte, vom Leder zu ziehen, zugleich aber entichloffen, den äußerſten
Notfall, einen wirflihen Zwang abzuwarten. Jetzt wie damals verfolgten jeine
militärifchen Maßnahmen den Nebenzwed, über die Abfichten des Gegners Klar:
beit zu gewinnen. Und die Klärung wurde herbeigeführt, damals wie jegt; aber
diesmal in entgegengejegter Richtung. Weit davon entfernt, die preußiichen
Rüftungen als willkommenen Vorwand für die Fortfegung der eigenen zu be—
nußen, wie 1756, lenkte man in Wien ein, wie 1749,!) und ließ beſchwichtigende
Erklärungen abgeben. Im Auftrage des Fürften Kaunig eröffnete Nugent ſchon
Anfang Februar 1767 dem Grafen Findenftein anläßlih der Gerüchte über
öfterreihiiche Rüftungen, alles, was in Wien geſchehe, gelte einzig und allein
dem Plane des Kaijers zur Verbefferung jeines Heerwejens. Findenftein ent:
gegnete, auch die preußiichen Vorkehrungen bezwedten nichts anderes, als die
Reiterei auf den kompletten Friedensfuß zu bringen. „Die Neiterpferde, die 4, rauch, few
wir faufen lafjen, haben ihnen den Floh ins Ohr gejegt,” folgerte der König; phsace ev wen!
„Ne haben begriffen, daß wir mit Rußland im reinen find.” Er erklärte, jet
die weitere Entwidelung ruhig abwarten zu wollen: „Ih bin auf alles gefaßt.
Muß Krieg geführt fein, jo werde ich ihn führen, und muß Friede gehalten
werden, jo werde ich ihn halten. Und offen gejagt, nad den Unglüdsichlägen,
die legthin den Staat getroffen und erjchüttert haben, wäre es zu wünjchen,
daß wir noch einige Jahre hätten, um ihn fich erholen zu laflen und zugleich
ftreitbar zu machen.“
Bal. Bd. T, 473 ff.
Kofler, König Äpriedrih der Große. II. 2 Aufl 29
ch (Bi — af: er nt: I au in ( Lu Ie—
un '767(oc.).
|
1
450 Achtes Buch. Dritter Abſchnitt.
as al, a Es zeigte fih dann immer deutlicher, daß die öſterreichiſchen Rüftungen in der
That nur, wie Friedrich es vermutet hatte, als Demonftrationen gemeint gewejen
i waren, auf die man einen jtärferen Trumpf nicht folgen zu laſſen beabjichtigte.
meh “ Am Juni 1767 urteilten der König von Preußen und Graf Panin überein:
Auf . ftimmend, daß der Wiener Hof angefichts der engen Berbindung zwiihen Ruß:
land und Preußen jetzt auf jeden Einſpruch verzichtet habe. Die Vorſicht des
Staatsfanzlers begegnete ſich mit der tiefen Abneigung der Raiferin gegen neuen
Krieg. Sie fhaudere, hat Maria Therefia einige Wochen jpäter dem päpftlichen
Nuntius gelagt, wenn fie daran denke, wieviel Blut während ihrer Regierung
gefloffen jei. Nur die äußerite Notwendigkeit werde fie dahin bringen, daß
um ihretwillen noch ein Tropfen vergoffen werbe.
wu) 9.2 „F So verlief das Fahr 1767 ruhiger, als ihm an jeiner Schwelle voraus:
GI 75 Helagt worden war. Aud in Polen fam es nicht zum offenen Bürgerfriege, zu
ul, u lz einer Erhebung gegen die ruffiichen Unterdrüder. Rußland beherrichte, wie es
p ihien, mit dem unter feinem Schirm zufammengetretenen Sonderbunde bie
f,, Lage völlig.
Allerdings mußte diefe Konföderation bejtändig unter eiferner Rute ge-
halten werden. Zwei Gemaltafte des ruſſiſchen Geſandten Repnin bezeichnen ihre
Geſchichte. Als zu Radom in Kleinpolen Anfang uni die Einzelfonföberationen'
g Tas - [ n fih verfhmolzen, gelangte die Bundesafte der Generallonföderation in dem von
ent Am fed-
—X
Repnin vorgeſchriebenen Wortlaut doch erſt zur Unterzeichnung, als ruſſiſche
ur. ASoldaten das Verſammlungshaus umſtellten und ihre Kanonen auffuhren. Und
gen . als am 3. Oktober der von den Konföderierten verlangte außerordentlihe Reichs:
Enafe Ierctim tag zulammengetreten war, konnte Nepnin nicht anders zum Ziel fommen, als
st Bin daß er die Wortführer der Gegenpartei, die Biſchöfe von Krafau und von Kiew
u deh. ‚767 und drei weltliche Würdenträger, verhaften und in die Gefangenfchaft nah Ruß:
“ land abführen ließ, unter dem Vorwand, daß fie fih gegen die Majeftät der
Zarin vergangen hätten. „Alles iſt verloren,” meldete damals der päpftliche
kat — fruh Nuntius nah Rom. Die vom Reichstag eingejegte Kommiſſion beſchloß nun
aha >. wie Nepnin es verlangte; fie mußte fih von dem Biſchof von Kujavien die
ur höhniſche Frage gefallen laflen: ob fie denn auch den Koran angenommen haben
/ + A ) würde, wenn Repnin es geboten hätte. Das große Ergebnis war, daß die
i Kommiffion und demnächſt der Reichstag die ftaatsbürgerlihe Gleichitellung der
Katholifen und der Diffidenten, ſowohl der nichtunierten Griehen wie der Pro:
teftanten ausjprah und den nicht Fatholifhen Edelleuten den Zutritt zu allen
? Aemtern und Würden, allein die Königsfrone ausgenommen, eröffnete. Für bie
Ya, er car Beihäftsordnung hatte Rußland den Reformfreunden fo viel nachgegeben, daß
fr Brian: während der drei erften Wochen eines Reichstages für die Erledigung der
Rinanzvorlagen Mehrheitsbeihlüffe Platz greifen ſollten.
Am 5. März 1768 Löfte die Konföderation fih auf, bie ruſſiſchen Truppen
begannen das Gebiet der Republik zu räumen.
Cohen 4 Der König von Preußen freute ſich der politiſchen Windſtille: Europa
— “ endlich einmal nicht angefüllt „von Faktionen, Negociationen und Intriguen“,
7% oem): nicht in ben „Geburtswehen eines neuen Krieges“. „Ich bin viel zufriedener,“
joreibt er am 20. Januar 1768 an den Gejandten in Wien, „wenn Sie mir
Bündnis mit Rufland und erfte Teilung Polens. 451
über Opern, Schlittenfahrten und ähnliche Vergnügungen von dort berichten,
als wenn Sie mir politiſche Verwickelungen anzukündigen haben.“ Und an den
Prinzen Heinrich nach Rheinsberg am 1. Februar: „Die beſte Nachricht, die ich
Ihnen von hier ſenden kann, iſt die, daß es keine gibt.“
Aber ſchon Jam 12. März meldete ihm ſein Geſandter in Warſchau, daß „Lt rn
in der polniſchen Ufraine eine neue Konföberation im Entitehen war. Friedrich Yasrıe
beflagte den Zwiſchenfall als höchft ungelegen, da er den Auflen einen Vorwand (,,_ fa BR
bieten werde, ihre Truppen in Polen zu lafjen. Die Bewegung griff weiter um „/ Zar
ih. Was anfangs ein „Strohfeuer” ſchien, fennzeichnete ſich dem König von, zu... 7 75 *
Preußen nach zwei Monaten als „ein Aufſtand des ganzen Königreichs gegen
das Ergebnis des letzten Reichstags”. Die Stadt Bar in Podolien war der
Ausftrahlungspunft. Die Religion gab das Panier. Die Konföderation nannte
fi die heilige, Lutheraner und Calviniften, getaufte Juden und _nichtunierte
Griehen wurden von dem Bunde ausgeihlojien. Die große Gegnerichaft der
Czartoryskis, in ihrer Hoffnung den König Stanislaus geftürzt zu ſehen durch & ar-
die Ruſſen getäuſcht, trat jenem Bündnis wider Rußland bei, wie vor andert:., ., ff
halb Jahren dem für Rußland. Der Kleinkrieg mit allen jeinen Schreden begann. ——
Kaum mehr als 10000 Ruſſen ſtanden noch auf polniſchem Boden. Man über
fiel fie in ihren Quartieren, ermordete oder verftümmelte fie; man goß ben ge:
fangenen Koſaken fievendes Peh in den Hals. Nun fannen die Rufen, wo
Konföderierte in ihre Hände fielen, auf noch ſcheußlichere Martern.
Wie König Friedrich jofort zutreffend vermutete, wurde die Bewegung ge «DL md;
ſchürt und ermutigt durch den franzöfiichen und den ſächſiſchen Hof. Prinz A Sony r3
Karl von Sadjen verhieß 4000 Mann aufzubringen, Franfreih fandte Gelder — ———
und Offiziere. Freilich waren die Wahrnehmungen, die Oberſt Dumouriez im
Lager der Konföderierten alsbald über die Zuchtloſigkeit der Truppen, über den
Leichtſinn und die Liederlichkeit der Führer, ihre Eiferfucht und ihre Zänkereien
madte, jo niederdrüdend wie möglich für die fremden Gönner.
Mehr als von den Polen erwartete man in Berjailles von den Türfen. deck] war.
Die franzöfiihe Diplomatie am goldnen Horn ließ es nicht an ſich fehlen. Eine hy a
Verlegung der türkischen Grenze bei Balta durch die Rufen im Juli 1768, { EIER
bei Verfolgung pobolifher Konföderierten, gab der Kriegspartei im Divan das = )
Uebergewidt. Nah dem Sturze des friebliebenden Großveziers wurde Anfang
Dftober der Krieg gegen Rußland beichlofien, der ruſſiſche Geſandte Obreskow
als Staatsgefangener in das Verließ der fieben Türme gemorfen.
Bis zulegt hatte König Friedrih nah dem Ereignis von Balta gehofft,
daß troß der Gärung, in welde die europäische Politik, einer fiedenden Flüffig: L, 4 FE
feit gleich, geraten fei, der ;jriede gewahrt bleiben werde. Jetzt Jah er im Ge „x, 0
folge des ruffiichtürfifhen Zufammenftoßes den allgemeinen Krieg fommen, „pie
Frucht der ntriguen Frankreichs”, falls das nicht der Penetration des Herzogs
von Choifeul allzuviel Ehre ermeiien heiße. „Umgeben von jo viel Mächten,”
Ichreibt er am 28. November 1768, „die ſchon in Aktion find oder dicht vor
ihr ftehen, werde ih nicht mit gefreuzten Armen jtehen bleiben können; man
muß fein Wörtchen mitſprechen wie die anderen.”
— 3
Are,
ber &
ek
452 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt.
Huf dem Reichstage von 1662 hat König Johann Kafimir von Polen
Sehe
einen Landsleuten ihr Schidjal vorausgefagt. Gott möge ihn einen faljchen
Propheten fein laffen, rief er ihnen zu, aber er fürdte, daß dank ihrem melt:
berühmten Recht der freien Königswahl dereinft noch der Mosfomwiter, ber
Brandenburger und der Delterreiher die Republif Polen unter fi teilen
würden.
Zu jener Zeit hat der große Kurfürft im Marienburger Vertrag von 1656
von dem ihm verbündeten Schwedenfünig ſich als Erjak für die Kriegskoſten
den Beſitz der vier Palatinate Kaliih, Poſen, Sieradz und Lenczyca, d. h. fait
des ganzen Großpolens, zufihern lafien, dann aber diejer verlodenden Ausficht
mit der Abkehr von dem jchwediichen Bündnis entfagt. In dem großen nordi—
ſchen Kriege zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts hat der König von Polen
jelber eine Teilung des polniſchen Staatsgebiets angeregt, bei der er ein Los an
das fiegreihe Schweden, ein zweites an Brandenburg: Preußen überlaffen und
ben Neft für fein jächfiiches Kurhaus als Erbfönigreich behalten wollte, und
nad dem Altranftädter Frieden hat derjelbe König Auguft, um die polnijche
Krone für ſich wieberzugewinnen, den Nachbarn nochmals Stüde von Polen
angeboten. Der erfte König von Preußen ift 1710 auf diefe Entwürfe mit
Eifer eingegangen, er begehrte das polnische Preußen, Ermland und Camogitien,
auch die Anwartſchaft auf Semgallen und Kurland; aber nad der Vernichtung
des ſchwediſchen Heeres bei Pultawa fühlte fich Peter der Große fo jehr als
Herr der Lage im europäifchen Dften, daß er von der Teilung eines Landes,
welches jegt ganz in feine Hände gegeben war, nichts hören wollte. Nach der
zwiejpältigen Königswahl von 1733 hat fowohl Franfreih im Namen feines
Schützlings Stanislaus Leszeaynsfi, wie die Zarin Anna als Patronin des
wettinifhen Gegenfönigs dem Berliner Hofe einen Streifen Landes zur Ver—
bindung zwifhen Pommern und Oftpreußen angeboten. Aber Friedvrih Wil:
heim I. fand nit den Entſchluß, für die eine oder die andere Sache offen
Partei zu nehmen, obgleih er einmal geäußert hat, er wolle für Marienburg,
PBelplin, Stargard und Mewe — die Stationen auf jeinen Fahrten nad Königs:
berg oder Marienwerder — mit Vergnügen feine Anfprüde auf Jülich und
Berg drangeben.
So hat au der Kronprinz Friedrich in dem territorialen Zukunftsbild des
preußiichen Staates, das der Gefangene von Küftrin 1731 mit feder Feder ent:
warf, Polniich: Preußen als ein unentbehrliches Bindeftüd eingezeihnet. Er hat
in den „Politiihen Träumereien” bes Teftaments von 1752 nochmals auf dieje
Erwerbung bingewiefen, und wieder als der Krieg mit Rußland fam, hat er
zu Zeiten an fie gedadht.')
Eben in den Herbittagen von 1768, bei denen unfere Erzählung angelangt
ift, am 7. November, bradte Friedrich eine Umarbeitung feines „Politiſchen
Teitaments“ von 1752 zum Abſchluß. Wieder ergeht er fih in „Politiihen
Träumereien” ; wieder fieht er im Geiſte dereinft Sachſen, Schwediſch-Pommern,
') Val. Friedrich der Große als Kronprinz (2. Aufl.) S. 195, 265 und oben Bd. I, 299,
Bd. II, 56, 248.
Bündnis mit Rufland und erfte Teilung Polens. 453
Bolnijh: Preußen in die Grenzen jeines Staates einbezogen. Dann werde man
nad Befeitigung einiger Weichjelpläge DOftpreußen gegen ruffifche Anjchläge
verteidigen können. Aber er jagt fi zugleich, da eben Rußland diejenige Macht
jei, bei der man wegen des polniihen Preußen das größte Hindernis finden
würde. So werde es vielleicht beſſer fein, jenes Land durch Verhandlung ſtück—
weile zu gewinnen, als durch das Recht des Krieges. Vielleiht werde Rußland
in einem Falle, da ſich ihm der preußiiche Beiltand als ein dringendes Bevürf:
nis ergäbe, geneigt fein, Thorn, Elbing und eine Bannmeile an Preußen zu
überlaffen, zur Verbindung von Pommern mit der Weichjel.
An fih Fonnte die Lage Preußens in Europa zu jenem Zeitpunft für die
Aufnahme großer Entwürfe günftig erjcheinen. König Friedrich, mit feinem
Rüdhalt an Rußland, ſah fih von den ſeit fürzerer oder längerer Zeit ihm
entfremdeten oder verfeindeten Mächten auf einmal angelegentli ummorben.
Sranfreih, jein Bundesgenofje von ehedem, nahm damals einen großen
Anlauf, fein durch den Ausgang bes legten Krieges ſtark erichüttertes Preftige
wieberherzuitellen. Im Sinne feiner alten ofteuropäiihen Politif, die als eine
ihrer vornehmften Aufgaben die Unterftügung Polens betrachtete, hatte Frank:
reih die Türken zu ihrer Kriegserflärung gegen Rußland gebradt. Und den
Engländern zum Tort riß man im Mittelmeer ein jtarfes Außenwerk an fi:
durch Kauf erwarb man von der Republif Genua die Inſel Korfifa, auf bie
Gefahr hin, daß England darob zu den Waffen ariff. Im Zufammenhang
diefer Politik hielt e& der Herzog von Choiſeul nicht nur für angezeigt, bie
diplomatiihen Beziehungen zu Preußen wieder aufzunehmen, jondern empfahl
Ihon im Herbit 1767 dem Wiener Hofe, gleichfalls eine Annäherung an Preußen
zu ſuchen, um diefe Macht aus der engen Verbindung mit Rußland herauszu:
ziehen und damit deffen Stellung in Polen zu ſchwächen.
Defterreih ging nah anfänglihen Bedenken auf diefe Anregung ein.
Kaunig, bei dem die Neigung für fünftliche politiihe Kombinationen mit den
Jahren zunahm, jchwelgte in weiten Nusbliden. Er hielt einen gegen Rußland
gerichteten Dreibund zwiſchen Defterreihern, Preußen und Osmanen nit für
unmöglich, ja er ſah bereits Schlefien unter das öfterreihifche Zepter zurüd:
fehren, indem er annahm, daß Preußen zwar nicht jofort, aber in der Folge,
etwa beim Erlöfhen des auf wenigen Augen ſtehenden Mannesftammes der
Dynaftie, fich bereit finden könne, Schlefien gegen Kurland und einen Teil von
Bolnifh: Preußen umzutaufhen. Wohl möge fein Gedanke, meinte er, aben:
teuerlich ericheinen. Aber habe man nicht auch feinen großen Plan, Frankreich
für Oefterreich zu gewinnen, 1749 als chimäriſch bezeichnet? Und doc habe der
1756 Geftalt angenommen. Die Jugend urteilte in diefem Falle nüchterner
als das Alter. Der junge Kaiſer unterjog bes alten Kanzlers „Projeft zu einem
neuen politiihen Syftem” einer einfchneidenden, abweijenden Kritit, und die
Kaijerin-Königin flellte fih auf die Seite ihres Sohnes. Darin aber waren
alle drei einig, daß eine Verftändigung mit Preußen augenblidlih wünſchens—
wert fei und daß man den Verfuch machen müſſe. In einer Audienz, die Maria
Therefia am 4. September 1768 zu Schönbrunn dem preußiſchen Gefandten
erteilte, fam der Gedanfe offen zur Ausipradhe, daß Defterreih und Preußen
454 Achtes Buch. Dritter Abſchnitt.
in den Wirren des Oſtens dur ihr Einverftändnis den Ton angeben könnten.
Maria Therefia ftellte weitere Eröffnungen in Ausſicht.
In London, wo das Vorgehen Franfreihs im Mittelmeer zwar ohne Ein:
ſpruch, aber mit großem Unbehagen aufgenommen wurde, hatte der Staatsſekretär
Rochefort gegen das Ende des Jahres ein Geipräh mit dem preußiichen Ge:
fandten Maltan über die allgemeine politiihe Lage und ſprach ſchließlich die
Bereitwilligkeit Englands zu Subfidienzahlungen an Preußen aus; zwar werde
das Parlament in Friedenszeiten Hülfsgelder nicht bewilligen wollen, aber im
Kriegsfal könne man fie doppelt reichlich bemefien.
Auch Rußland begann wieder, dem preußifchen Verbündeten eine engere
Verbindung mit England zu empfehlen. Im übrigen beihränfte fihb Panin
gegen den Grafen Solms nah dem Bruch mit der Türkei auf die allgemeine
Bemerkung, daß man jet Preußen als Freund in der Not zu erproben hoffe.
Wie jollte der König von Preußen zwiſchen den entgegengelegten Inter—
eſſen, Anjprüden und Anträgen der vier großen Mächte Stellung nehmen?
Den Weftmähten gegenüber war fie leicht gefunden. Friedrich war feſt
entjchloffen, fi ihren Händeln völlig fernzuhalten und deshalb weder mit Eng:
land nod mit Frankreich eine nähere Verbindung einzugehen.
Bei der Wiederanfnüpfung mit Frankreich, zu der er ſich bereit fand, ging
er wefentlih von dem Wunſche aus, Handelsvorteile zu gewinnen, und vermied
alles, was die Ruſſen mit Mißtrauen erfüllen und bei ihnen den Anfchein
erweden fonnte, alö wenn er die Franzoſen vielmehr juche, als fih von ihnen
juchen laſſe. Das dürfe ihm, fagte er dem Minifter Findenftein, nicht als
jpießbürgerlihe Eitelfeit gedeutet werden.
Das Subfidienangebot der Briten wies er ftolz und ſchroff zurüd. „Eng:
land jcheint ſich einzubilden,“ fchrieb er jeinem Gefandten, „daß es fich mit
feinem Gelde beliebig viel Bundesgenoffen verfhaffen kann. England täufcht
fih indejlen furdtbar, wenn es fich jchmeichelt, mich durch diejen Köder in feine
Allianz hineinzuzerren. Nach den Werrätereien, die ih von jeiner Seite zu
Ausgang des legten Kriegs erfahren habe, werde ich ficher weder jein Gold noch
jeine Freundſchaft ſuchen. Der König von Preußen nimmt Subfidien nur,
wenn ganz Europa gegen ihn verbündet ift und man ihm an die fieben Pro:
vinzen auf einmal entriijen bat. Und wenn fie mir Taufende an Subfidien
anböten, ich werde nidht wieder ihr Verbündeter werden, es jei denn unter dem
Zwang des äußeriten Unglüds.“
Ganz anders Friedrichs Verhalten gegen die Defterreiher. Nach jenem
huldvollen Empfange feines Gejandten dur die Kaiſerin-Königin wies er diefen
jofort an, geſprächsweiſe auf die Zweckmäßigkeit eines Abkommens für den
Ruheſtand des deutichen Reichs hinzumweilen. Der Gedanke fiel in Wien auf
fruchtbaren Boden. Im November kehrte Graf Nugent, der kaiſerliche Gejandte,
mit eingehenden Inſtruktionen von einer Urlaubsreije nad) Berlin zurüd. Am 15.
empfing ihn der König in Potsdam. Nugent hatte zu verfichern, daß die failer:
lihen Majeftäten, jo wenig fie einen neuen Krieg jcheuen würden, „bie Bei:
behaltung der allgemeinen Ruhe, wenigstens in Deutihland”, zum erften und
größten Endzwed ihrer Politif gemacht hätten. Der König ftimmte mit Leb—
Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 455
haftigfeit ein: „Wir find Deutfhe, was liegt uns daran, ob in Kanada und
auf anderen amerilanischen Inſeln die Engländer und Franzoſen fich zufammen
herumſchlagen? Ob der Paoli den Franzofen wegen Korlifa die Hände voll zu
Ichaffen gibt? Ob die Ruffen und die Türfen fich einander in die Haare fallen?
So lange wir zwei, das Haus Defterreih und ich, uns wohl einverftehen, hat
Deutſchland von Kriegsunruben wenig zu befahren. Die Kaijerin:Königin und
ih haben lange verberblihe und Eoftjpielige Kriege wider einander geführet, und
was haben wir endlich davon?” Nugent ſchlug nun vor, da der Abfhluß von
Verträgen unliebfames Aufjehen zu erregen pflege, fo möchten die Monarchen
brieflich fi bindende Zujagen geben, oder aud von Mund zu Mund bei einer
Zufammenfunft. „Sie haben recht,“ ermwiderte der König, „wir werden uns
Kavaliersparole geben, wie Franz I. und Karl V., das wird ficherer jein, als
alle Verträge.”
Man nahm eine Zufammenkunft für dem nächſten Herbit, die Zeit der
ſchleſiſchen Revuen, in Ausfiht. In weiteren Verhandlungen, bei denen es
nicht an vorübergehenden Mikverftändniffen fehlte, wurde verabredet, daß der
Kaiſer Anfang September zum Beſuche des Königs nah Neiße kommen würde.
Eine Neutralitätserflärung für Deutihland hatte dem König von Preußen
vor zwölf Jahren die Freundſchaft feines damaligen Verbündeten gefoftet. Graf
Findenftein mahnte zur Borficht: vielleicht lege e& der Wiener Hof nur darauf
an, Preußen und Rußland auseinanderzubringen. Der König ermwiberte, die
Ruſſen würden aus feiner Haltung jehr wohl entnehmen, daß er fich von der
Allianz nicht ablenken lajje; denn er erfülle alle Vertragspunfte und beabfihtige
außerbem, die Erneuerung des Bündniſſes zu beantragen.
In der That begann Preußen demnädhft ohne Weigern mit der Zahlung
der 1764 ausbebungenen Hülfsgelder für den Türkenkrieg, jo ſchmerzlich es
dem Könige anfam, diefe 400000 Rubel jährlih ins Ausland geben zu laſſen.
Die Erneuerung des Bündnifjes aber, von deſſen acht Jahren fait fünf bereits
abgelaufen waren, wünjdte er jowohl an ſich, weil die Verlängerung von größter
Wichtigkeit für feine Machtitellung in Europa war, wie in der Hoffnung, im
gegenwärtigen Augenblide günftigere Bedingungen zu erzielen, um für fein teures
Geld nicht das leere Nachſehen zu haben.
Unter dem Gefichtepunft, daß neue Schwierigfeiten, türkiſche Schmerzen
zu ben bereits reichlih vorhandenen polnischen, die Ruſſen den Intereſſen
Preußens zugänglicher machen würden, hätte er das Eingreifen der Türken in
die polnifche Frage fih ſchon genehm fein lafjen, wenn nicht ganz entichieben
die Befürchtung überwogen hätte, daß aus diefem orientalifhen Krieg ein all:
gemeiner Brand entitehen könnte. „Guter Gott,” jo jeufzte er, „warum hat
man fi nicht darauf beichränft, die polnische Königswahl zu machen? Alles
ging wunderſchön, aber diefe unglüdlihe Dijfidentenfahe hat alles verborben.”
Was begehrte er nun aber von Rußland am Vorabend dieſes orientalifchen
Krieges als Preis für die Erneuerung des Bündniffes und als Balfam für das
jchmerzlihe Geldopfer? Weberrafchend wenig. Nichts anderes als die ruffiiche
Bürgihaft für den Erbaniprudh der fönigliden Linie feines Haufes auf bie
Markgrafentümer Ansbah und Baireuth — einen Wechſel auf vorausfichtlich
456 Achtes Bud. Dritter Abfchnitt.
ferne Zufunft, der allen Wert verlor, wenn der Erbfall nicht mehr während der
Dauer dieſer Allianz eintrat. Er weihte am 2. November Findenftein in dieje
jeine Abjichten ein; er nahm fich zugleih vor, die Ruſſen kommen und einjt:
weilen fein Wörtchen von einer Verhandlung laut werden zu laſſen. Gleihwohl
that er dann in einem Briefe an die Zarin vom 15. Dezember feinerjeits ben
eriten Schritt und bot ihr nicht bloß die Verlängerung des Bündniſſes an,
jondern machte auch zugleich eine Andeutung über feine Hauptbedingung, „die
jein Haus ſehr interefiierende Angelegenheit”.
Denn daß er in der That nur Ansbah und Baireuth dabei im Sinne
batte, läßt mit aller Deutlichfeit fein nächfter Schritt erjehen. Am 21. Januar
1769 überjandte er auf Katharinas Erjuchen einen Entwurf zu dem neuen
Vertrage: der eingefügte Artifel wegen der fränkiſchen Erbfolge offenbarte jegt
den Ruſſen, wie billig die Verlängerung des Bündniſſes zu haben war.
Im politiihen Meinungsaustaufh mit dem Prinzen Heinrihd hat der
König ſpäter jelber zugeftanden, daß diefe Bürgſchaft für Ansbah und Baireuth,
jein einziger Gewinn aus dem Bündnis mit Nußland, nicht viel bedeute; aber
er vertrat dem Bruder gegenüber die Anfiht, dab einen Landzuwachs nad) der
polniſchen Seite weder Rußland noch Defterreih ihm gönnen würden. Heinrich
nahm im Gegenteil an, daß beide fich in diefen ſchweren Zeitläuften wohl dazu
würden bequemen müſſen. „Jh will Sie als Herrn der Ufer des Baltiichen
Meeres jehen,” ruft er dem Könige einmal zu. Ermwerbung eines guten Stüdes
von Polen wurde allmählich des Prinzen ceterum censeo,
Vielleicht ift Heinrich ſchon Anfang 1769 beteiligt geweien, wenn der König
damals, vierzehn Tage nad der Ueberſendung jeines Vertragsentwurfes, fich
nachträglich entſchloß, mit aller Vorfiht einen Fühler auszuftreden. Einem
Erlaß an Solms vom 1. Februar fügte er eigenhändig eine Nachſchrift hinzu,
einen kleinen Roman: der Graf Lynar jei nad Berlin gefommen zu einem
Hodhzeitsfeit, derjelbe, der die Konvention von Klofter Zeven abgeſchloſſen habe,
ein großer Politiker, der aus dem nnerften des Dorfes — Lübbenau im Spree:
wald —, auf das er ſich zurüdgezogen habe, noch Europa regiere. Diejer
Graf Lynar habe eine ziemlich fonderbare dee, um alle politifhen Intereſſen
zu vereinigen und den Dingen in Europa auf einen Schlag ein anderes Aus—
jehen zu verleihen: „er will, daß Nußland dem Wiener Hofe für feinen Bei:
ftand gegen die Türken Yemberg mit Umgebung anbiete, uns Polnisch: Preußen
mit Ermland und dem Schugrecht über Danzig gebe und fich felber als Kriegs:
foftenentichädigung einen ihm zufagenden Teil von Polen angliedere.”
Der König überließ es feinem Geſandten, ob er von diejer „dee“ mit
dem Grafen Banin jpredhen wollte oder nit. Solms bradte nach einigem
Zaudern feinen Wechſelbalg zum Vorſchein. Panin durfte, da er Preußens
Bedingung für die Erneuerung des Bündnifjes bereits kannte, ſich auf eine rein
akademiſche Betrachtung bejchränfen. Aber bezeichnend bleibt die Wendung, die
er fofort der „Idee“ gab. Es würde ſich nicht verlohnen, drei jo große Mächte
in ein Bündnis zufammenzufaffen einzig und allein um die Türfen über den
Dnjeftr zu werfen; joldh ein Bund müßte nichts Geringeres bezweden, als fie
ganz aus Europa und einem guten Stüd von Aſien zu vertreiben. Und ale
Bündnis mit Rufland und erite Teilung Polens. 457
dann könne Deiterreich mit türkiſchem Gebiet, nicht aber in Polen, ſich ent:
ſchädigen, und Preußen werde in diejem Falle allerdings das polnische Preußen
und Ermland beanipruchen dürfen. Rußland jelbft, erwiderte Panin auf eine
Frage des Grafen Solms, befite bereits mehr Land, als man regieren könne
und werde ſich deshalb allemal mit einigen Grenzfeftungen begnügen.
Friedrih bemerkte feinem Gejandten lafoniih, er zweifle, ob der Plan
Panins jo leicht auszuführen als zu entwerfen jei, in Wien werde man große
Schwierigkeiten mahen. Bon dem Pſeudo-Lynarſchen Projeft ward nun nicht
weiter geſprochen. Erflärten fi doch die Ruſſen nicht einmal mit dem bes
icheidenen preußiſchen Vertragsentwurf ohne weiteres einveritanden. Die Forde:
rung der Bürgſchaft für die fränkiſche Erbfolge begegnete Einwänden. Wie
1763 jchleppte fich die Verhandlung endlos hin. Rußland hatte den Vorteil, daß
der beitehende Vertrag noch auf drei Jahre lief, während derer man aljo im
ungeftörten Genuß der preußiihen Subfidien blieb. Schon war der Auguft
herangefommen, und nunmehr eröffnete König Friedrid dem Minifter Finden:
ftein feine Abficht, die Verhandlung jest jeinerjeits binzuziehen. Die für die
Begegnung mit Joſeph II. verabredete Zeit war gefommen. „Sch bin neugierig,
zu hören,” meinte Friedrih, „was der Kaifer mir fagen wird. Sollten wir
jehr vorteilhafte Anträge erhalten, jo müßte man fie zurüdweifen, wenn wir
die Unvorfichtigfeit gehabt hätten, uns vorfchnell zu binden; während, wenn der
Kaifer nichts Intereſſantes jagt, es noch immer Zeit fein wird, unjeren Vertrag
mit den Rufen abzuſchließen.“
In der Frühe des 25. Auguſt traf der König in Neiße ein und flieg in
der biſchöflichen Reſidenz ab, begleitet von dem jest fünfundzwanzigjährigen
Thronfolger und jeinen Kriegsgefährten, dem Prinzen Heinrich, Seyplig,
Tauengien. Um die Mittagsftunde fam der Graf von Falkenftein, denn unter
diefem Namen reilte Kaifer Joſeph, mit feinem Schwager, dem Herzog Albert
von Sachſen-Teſchen, und den beiden nah Dauns Tode angejeheniten Führern
feines Heeres, Lacy und Laudon. Der Beſuch mwährte drei Tage. Der Kaifer,
der fein Inkognito ftreng feithielt, wohnte im Gafthofe zu den drei Kronen und
war des Königs Gaft nur an der Tafel, auf der in den Augen der Defterreicher
die Weine und das Obſt mehr Anerkennung fanden, als die „militärifche Aus:
wahl” der Speifen. Das Wort führten bei Tiſch ausſchließlich die beiden
gefrönten Häupter. Die Vormittagsitunden waren der Befichtigung der Truppen,
die Abende der italienischen Oper gewidmet. Für die politifchen Gejprädhe war
Joſeph von Kaunig mit einer jehr ausführliden Denkſchrift ausgerüftet. Er
fand feine Gelegenheit, über die fünftige Regelung der Erbjolge in Preußen
fih auszulafjen, die Kaunik in der Weite ſich dachte, daß für die öfterreichiiche
Anerkennung des weibliden Erbrechtes im preußiihen Hauje der König der
Nachfolge in Ansbah und Baireuth entfagen follte. Auch ging Friedrih Er:
örterungen über das Verhältnis Defterreichs zu Frankreich und jein eigenes zu
Rußland möglihit aus dem Wege. Er geltand indes ein, daß das Bündnis
mit Rußland ihm bisweilen unbequem fei, und daß, wenn nicht heute, fo doch
vielleicht in zwanzig Jahren ein Aufammenichluß zwiſchen Defterreih und
Preußen, das deutſch-patriotiſche Syſtem, wie er ſich ausdrüdte, erforderlich
458 Adıtes Bud. Dritter Abſchnitt.
werden fönne, um den Herrichgelüften, dem Deipotismus Ruflands zu fteuern.
Seinen Wunſch, mit dem Wiener Hofe qute Freundſchaft zu halten, betonte er
ftarf. Und als Joſeph von reiflihen Erwägungen ſprach, die voranzugeben
haben würden, entgegnete Friedrich mit Lebhaftigfeit: „Nein, fangen wir gleich
heute an. Als ih jung war, war ich ehrgeizig; ich bin heute nicht mehr der—
jelbe, nein, nicht mehr derfelbe. Ahr haltet mich für unzuverläffig, ich weiß
ed, ich habe es ein wenig verdient, die Umftände verlangten es, aber das hat
fih geändert.“
Das Ergebnis der Verhandlungen von Neiße war, dab Joſeph das Ber:
ſprechen unbedingter Neutralität für alle Eriegeriihen Verwidelungen, das er
haben wollte, von dem Könige doch nicht erhielt. Sole uneingeichränfte Zujage
ftand in dem aus Wien von ihm verlangten Entwurfe zu den Briefen, die ver:
abredetermaßen zwiſchen den beiden Herrjchern ausgetaufcht werden jollten. Aber
Friedrich veritand fih nur bazu, für den Fall eines neuen Krieges zwiſchen
Franfreih und England die Nidhteinmiihung unbedingt zu geloben. Für alle
anderen Fälle veriprah er nur, den Kaifer nicht in feinen eigenen Befigungen
mit Krieg überziehen zu wollen. Diefe Zulage konnte injofern unbedenklich
erteilt werden, als Dejterreih auf eine bewaffnete Einmifhung in die polnischen
Händel längft völlig verzichtet hatte und ſomit nicht zu erwarten ftand, daß ber
casus foederis des preußiich:rujfiihen Abkommens von 1767 nod eintrat, das
ja den König unter Umftänden zu einem Angriff auf die öfterreidhifchen Erb:
lande verpflichtete. Dagegen behielt Friedrih dur die Verflaufulierung dieles
Reverjes von Neiße völlig freie Hand, wenn es wegen der Türken zum Bruch
zwiichen Defterreih und Rußland fam, der Zarin fein vertragsmäßiges Hülfs-
corps zu ftellen.
Und deshalb hielt der Kaifer den politifchen Ertrag der Zujammenfunft
für wenig befriedigend: die ausgetaufhten Zujagen, jo wie der König fie ver:
flaufuliert habe, jeien ohne Bedeutung. Kaunig urteilte, Friedrich halte offen:
bar die Rufen für weit weniger furdtbar, als er fie binftelle, und fürchte in
Wirklichkeit nur das eine, daß der Wiener Hof fie früher oder jpäter ihm
abipenftig made. Verſtimmt über den Ausgang ber eriten von ihm geführten
Verhandlung und zugleich offenbar von dem Wunſche bejeelt, fi der Mutter
als den Unbeftohenen, Unverführten zu zeigen, fennzeichnete Joſeph ihr ihren
großen Feind: „Ein Genie und ein Mann, der bewundernsmwert jpricht, aber
jede feiner Neußerungen verrät den fourbe.”
Der alte König hat den jugendlichen Fürften, der diefe Schilderung von
ihm entwarf, damals jehr günftig beurteilt. Er war, fo lefen wir in der 1775
entitandenen fFortfegung der Histoire de mon temps, „von ber liebenswürdigften
Zauterfeit und Offenheit, vol Lebhaftigkeit und Frohſinn. Eine ſchöne Seele,
reine Abfichten verbanden fich mit einem unermeßlichen Verlangen, fi zu unter:
rihten, und dem edlen Ehrgeiz, feinen Vaterlande nüblich zu fein. Bei einem
jolden Charakter knüpften die Bande der Hodhadtung und Freundichaft fi
zwischen den beiden Monarden jchnell.” In einem Briefe an d’Alembert nannte
er gleih nad) der Zujammenfunft Joſeph II. den beiten Kaifer, den Deutjchland
jeit lange gehabt habe. Er glaubte in der That damals, auf dem beften Wege
Bündnis mit Rußland und erjte Teilung Bolens. 459
zu fein zur allmählihen Heritellung eines Einvernehmens, das gegen den Ehr:
geiz Rußlands ein Gegengewicht bilden mochte. Allerdings, als Prinz Heinric)
ihn zu der Ausſicht beglückwünſchte, daß Friedrih und Joſeph dereinit das
römische Reich unter fih aufteilen würden wie Dctavian und Antonius, Da wies
er ſolchen Optimismus zurüd: nicht er mehr werde die Verföhnung erleben.
Jedenfalls hatte für jet der Kaifer dem Könige nichts „Intereflantes” in
jenem Sinne eröffnet oder vorgefhlagen, daß danach die Erneuerung des
Bündnifjes mit Rußland entbehrlih oder gar unzwedmäßig erjcheinen Fonnte.
Andererfeits liefen unmittelbar nad der Zuſammenkunft, und offenbar im inneren
Zufammenhang mit ihr, Erklärungen aus Petersburg ein, die dem preußiichen
Standpunkt durchaus entgegenlamen. Denn man war nunmehr dort bereit, den
Artikel wegen Ansbah und Baireuth ohne Vorbehalt anzunehmen, und ver:
zichtete zugleih auf eine jtärkere Bindung Preußens in der ſchwediſchen Frage
und auf die Hereinziehung Englands in das Bündnis. So ftand dem Abſchluß
nichts mehr im Wege. Am 23. Dftober 1769 wurde die neue, den alten Vertrag
bis Ende März 1780 verlängernde Urkunde in Petersburg unterzeichnet.
Die Ruſſen hatten in ihrem Kriege gegen die Türken diefes erfte Fahr
erit gegen das Ende des Feldzuges mit der Einnahme der Feſtung Chotzim und
dem Einmarſch in die Moldau einen Erfolg erzielt. Den Generalen Katharinas,
Ipottete Friedrih in feiner alten Geringſchätzung der ruffiihen Kriegstunft, ')
fehle es in der Taktif und Lagerfunde an den einfachſten Grundbegriffen, aber
die Generale des Sultans feien noch unwiſſender. Das Jahr 1770 bradte
größere Entiheidungen. Die Zarin entiandte ihre Oftfeeflotte ins Mittelmeer,
um den Inſelgriechen die Freiheit zu erfämpfen. In der Bucht von Tichesme
gegenüber Chios wurde am 5. Juli die türkiſche Seemacht vernichtet, wenige
Wochen jpäter überwältigte in Beffarabien General Rumianzow an zwei Schladt:
tagen zuerft das Aufgebot des Tatarendhans und dann das Heer des Groß:
vezierd. Die Pforte rief die Vermittelung Defterreihs und Preußens an.
Unter jo veränderten Aſpekten hatte der zu Neiße dem Kaijer zugejagte
Gegenbefuh des Königs von Preußen ftatt. Am 3. September traf Friedrich
mit dem Thronfolger, feinem Bruder Ferdinand, dem Erbprinzen von Braun:
ſchweig und dem General Lentulus zu Mährifch:Neuftadt ein. Seine Erwartung,
auch die Kaijerin:Königin bier zu treffen, erfüllte fich nicht. Wohl aber hatte
der Staatslanzler den Kaifer diesmal begleitet — 40 jahre waren verfloffen,
jeit Friedrih den jungen Grafen Kaunig im ſächſiſchen Luftlager bei Mühlberg
zuerft geſehen hatte.”) Die Preußen waren in weißen Waffenröden gefommen,
um ihren Gaftfreunden den Anblid des ihnen aus den Kriegen ſattſam befannten
Blau zu eriparen, und als fein Rod bald die Spuren des Schnupftabafs zeigte,
ſcherzte der König: „Ich bin nicht reinlih genug, um Ihre Farbe zu tragen.”
Das Gefolge hatte den Eindrud, daß Kaiſer und König „ohne alle Prätenfionen
und Reſerven“ miteinander verfehrten; die Unterhaltung während den Mahl:
zeiten war jo heiter und anregend wie nur möglid. Mit feinen Schmeicdheleien
) Bgl. oben ©. 216.
) Dal. „Friedrich der Große ald Kronprinz" ©. 36 (2. Aufl.).
460 Achtes Buch. Dritter Abſchnitt.
fargte Friedrid nicht. Indem er ſich einmal den General Yaudon als Tiid:
nachbar ausbat, jegte er hinzu: „ch habe ihn lieber an meiner Seite, als mir
gegenüber,” und als Laudon fich veripätet hatte, bemerkte Friedrih: „Sonft ift
er oft genug früher als ich zur Stelle geweſen.“ Nach einer der militärifchen
Belihtigungen äußerte er artig: „Wenn Gott Mars fih eine Leibgarde aus:
fuhen müßte, jo würde ich ihm raten, die faiferlihen Grenadiere zu wählen.”
Daß die öfterreichifche Infanterie gegen früher jehr gewonnen habe, befannte er
auch jeinen eigenen Leuten, meinte aber, er wolle nicht taufchen; die Artillerie
ihien ihm jehr aut, die Neiterei erbärmlid. Am dritten Tage der Zuſammen—
funft richtete ein Wolkenbruch furdhtbare Verheerungen unter dem Yagerzeug und
Gepäd der Defterreicher an; Friedrich jelbft mußte ftundenlang in feinen Mantel
gehüllt am Herdfeuer jtehen, während Rod und Beinkleider zum Trodnen auf:
gehängt waren. Er jprad) jein Bedauern aus, daß die Truppen ihn vermaledeien
würden, diefen Teufelsferl, der jelbit jegt im ;rieden ihnen Not made. Und
in der That entlodte diefer überaus ftörende Zwifchenfall feinem Geringeren
als dem Kaifer jelber den Stoßjeufzer: „Es fcheint, daß uns dieſer Menich
überall Beh bringt.”
Bei den Verhandlungen führte diesmal Kaunig für jeinen Hof das Wort.
Er hatte fih in feiner methodiſchen Umftändlichfeit auf das jorafältigfte vor:
bereitet, den Gang, den er den Unterredungen zu geben wünjchte, genau über:
legt. An Friedrichs fpringender Art das Geſpräch zu führen vermißte er logiiche
Folgerichtigfeit; ja er glaubte in einem Falle von des Königs „kindiſchen“ Ideen
iprehen zu dürfen, die er einem Manne von foviel Geift nit zugetraut habe.
Mehr Klarheit in diefes Mannes verworrene Worftellungen zu bringen, ihn
weiter und jchärfer bliden zu lehren, bejwedte nad Kaunigens ausgeiprochener
Abfiht der einftündige politifche Vortrag, den er am 4. September dem König
hielt, nahdem er vorher ausdrüdlich gebeten hatte, ihn nicht zu unterbrechen.
Kaunitz entwidelte hier mit eingehender Begründung die Gefihtspunfte, die beide
Höfe zu befolgen haben würden, um Mißtrauen und Eiferfucht aus ihrem Verkehr
miteinander völlig zu bannen. In einem Schriftitüd, das er feinen politiſchen
Katehismus nannte, hatte er diefe Regeln auf zehn Paragraphen gezogen —
was lag näher als von Kaunigens Defalog zu jprehen? Die neuen zehn Gebote
waren zum Teil ſehr allgemeiner Natur. Greifbare Bedeutung batte der Vor:
ihlag, daß weder Deiterreih in Petersburg, noch Preußen in Verjailles An:
näberungsverfuhe machen jolle, und daß man etwaige Bündnisanträge der
Franzofen an Preußen oder der Ruſſen an Deiterreih mechjelfeitig ſich mit-
teilen möge. Auch empfahl der Katechismus, einer ſolle des anderen Vorteil
nicht hindern, jobald es fih nur um geringe Dinge handle; wo Größeres vor:
liege, folle man ein auf Gegenjeitigfeit beruhendes Abkommen anitreben.
Seine mohlgejegte Rede trug dem Staatslanzler eine Umarmung und
reiche Lobſprüche ein. Offenbar galt des Königs Befriedigung mehr nocd der
Endihait des Vertrags, als dem Anhalt. Er erbat fi eine Abjchrift des
Katechismus und erklärte, die allgemeinen Leitſätze fi ohne weiteres aneignen
zu können. Aber die gegenwärtige Lage ftöre und beunrubige ihn: dieſer „ver:
fluchte Türfenfrieg”.
Bündnis mit Nußland und erfte Teilung Bolens. 461
Es war ihm nun nicht unerwünſcht, daß man ihn bevollmächtigte, den
Hufen eine Mitteilung darüber zugehen zu laſſen, daß Defterreih unter Um—
ftänden fih zu Gunften der Pforte den ruffiichen Fortichritten und Anſprüchen
mit bewaffneter Hand entgegenftellen werde. Danach hofite er, für den Sultan
milde Friedensbedingungen zu erlangen, diejen fich wohlgefinnt zu erhalten und
einen Krieg aus der Welt zu jchaffen, der jo leicht allgemeine Ausdehnung ge
winnen fonnte.
So jhied man aus Neuftadt beiderfeits zufrieden. Friedrich wiederholte
jein mwohlmwollendes Urteil über Joſeyh und nannte Kaunitz einen Mann von
viel Geift, der fi) defien aber auch bewußt jei und einige Huldigung verlange.
Kaunig wiederum, für den ihm geipendeten Weihrauch jehr empfänglih, glaubte
den König befehrt zu haben. Er werde mit anderen Empfindungen über und
für die Defterreicher von bannen gezogen jein. „Ich babe Grund zu glauben,”
jagte Kaunig, „daß er uns nun fünftiabin trauen wird, ſoweit es ihm möglich
ift, jemand zu trauen, und daß auch wir ihm mehr trauen dürfen, als es bisher
vernünftig geweſen wäre.“
Alles kam nun darauf an, wieviel fih unter dem Eindrud der Neuftädter
Tage zu Gunſten der Türfen, der gemeinfanen Schüglinge von Preußen und
Defterreih, bei ihren Ueberwindern erreihen ließ. Im einem eigenhändigen
Schreiben an Katharina II. vom 14. September legte ihr König Friedrich Die
Frage vor, ob die Vermittelung der beiden Mächte ihr genehm fein werde; er
babe Kaunig maßvoller gefunden, als er erwartet. Zur Erläuterung ließ er
dur feinen Gejandten den Ruffen jagen, Defterreih werde vorausfichtlich ſich
rubig halten, wofern nur Moldau und Walachei unter türkischer Herridaft
blieben. Auch bat er im Einverftändnis mit dem Wiener Hofe um einen Plan
zur Beilegung der polniſchen Wirren.
In Petersburg hatte man die zweite Zuſammenkunft der beiden deutichen
Fürſten mit gefteigerter Eiferfudht und Sorge ſich vorbereiten und abjpielen
jehen. Ein jo merkwürbiges Phänomen wie diefe Annäherung zwiſchen zwei
Gegnern, die aller Welt als unverföhnbar gegolten hatten, machte es ber Zarin
wünjchenswert, ihr Verhältnis zu Preußen gleichfalls perjönlicher auszugeftalten
und im Lichte der Vertraulichkeit und Freundichaft erftrahlen zu laffen. Der
Anregung zu einer Zuſammenkunft zwiſchen Zarin und König war Friedrih im
Torjahre ausgewihen. Nunmehr hatte Katharina bereits im Juli den Prinzen
Heinrich eingeladen, jeinen brüderlichen Beſuch in Stodholm bei der Königin
Ulrite auf Petersburg auszudehnen, und der König hatte feine Zuftimmung zu
der Reije erteilt.
Heinrich erreihte Petersburg am 12. Dftober. Nach den Unbilden einer
langen ſtürmiſchen Seefahrt ſah er ſich alsbald in den Strudel der ihm zu
Ehren veranitalteten Feitlichkeiten und Vergnügungen hineingerifjen. Aber troß
des ebenjo glänzenden wie herzlichen Empfanges mußte er ſich bald überzeugen,
wie jhwierig der ihm mit auf den Weg gegebene Auftrag war, diefen Hof zur
Mäpigung und Nachgiebigkeit jowohl den Türken wie den Polen gegenüber zu
beitimmen. Bon Woche zu Woche war der preußifche Prinz Zeuge der beraufchenden
Wirkung, welche die rafch fih folgenden Triumpbpoften vom türkiſchen Kriegs:
462 Achtes Bud. Dritter Mbichnitt.
ihaupla auf die hauptitädtifche Bevölkerung, den Hof, die Kaiferin ausübten.
In voller Siegeszuverfiht jehienen ihm die Rufen ganz von dem Gedanken be:
jeelt, ihre militäriſchen Erfolge politiich möglichit vollitändig auszunügen. Dabei
ließ Graf Panin immer von neuem durchblicken, daß es leicht jein werde, die
Oefterreicher, mit denen doch Preußen die Rufen ſchrecken wollte, durch Zu:
fiherung eines Anteils an der Beute in diefen heiligen Krieg mithineinzuziehen.
Andeutungen, die den Prinzen veranlaßten, feinerjeits zu bemerken, daß öiter:
reihifche Erwerbungen an türfiihem Gebiete dem König von Preußen in anderer
Weiſe zu Gute geichrieben werden müßten. Aber er glaubte Grund zu ber
Vermutung zu haben, daß man bier fich jehr ſchwer dazu herbeilafjen werde,
Preußen einen Gewinn nah der polniihen Seite hin zu gönnen; gegen Er:
werbungen in Deutihland werde man nichts einzuwenden haben.
Schon kurz vor der Ankunft des Prinzen Heinrich hatte die Zarin am
9. Oktober die Vermittelung der anderen deutſchen Mächte abgelehnt, da fie
fonft auch England zu diefer Vermittelung binzuziehen müſſe. Nur „gute
Dienfte”, die Schonendfte Form diplomatiſcher Dazwiſchenkunft, mwollte fie ſich
gefallen laſſen, erteilte aber alsbald ihrem General Rumianzow den Befehl,
durch unmittelbare Verhandlung mit dem Großvezier einen Verſuch zur Heritellung
des Friedens zu madhen. Der VBerfuh mißlang. Bis man darüber klar ſah,
mußten bie fich herandrängenden Friebensitifter hingehalten werden. Erfi Anfang
November übergab Panin dem Prinzen Heinrich einen Entwurf zur Herftellung
des Ruhezuftandes in Polen mit einigen Zugeftändnifjen in der Diffidentenfrage;
erit am 20. Degember ließ die Zarin eine Mitteilung über die von ihr be-
abfichtigten Forderungen an die Pforte nach Berlin abgehen.
Sie begehrte: es jollten Moldau und Walachei, gerade die Gebiete, die
der Wiener Hof als unantaftbar betradhtet willen wollte, entweder ala Ent:
Ihädigung für die Kriegsfoften auf 25 Jahre in ruffifchen Befig übergehen oder
in unabhängige Staaten verwandelt werden; die große und die Eleine Kabardei
am Nordabhang des Kaufajus, jamt Aſow und einer Inſel des griedhiichen
Archipels, unmittelbar an Rußland fallen. Es follte den Tatarenftämmen vom
Dinepr bis zur Krim die Unabhängigkeit gewährt und dem ruffiihen Handel
und der rufliihen Schiffahrt das Schwarze Meer geöffnet werben.
Prinz Heinrich riet jeinem königlichen Bruder, den Widerftand gegen dieſes
Friedensprogramm dem Wiener Hof und der Pforte zu überlaflen. Damit werbe
er fih bis auf weiteres freie Hand wahren. Andernfalls laufe er Gefahr, die
ruſſiſche Allianz zu verlieren.
König Friedrich faßte die Lage und feine Aufgabe anders auf.
Er hatte den ganzen Herbft hindurch in feinen Briefen an den Bruder
und in jeinen Erlailen an den Gefandten immer von neuem den Ruſſen
Mäpigung gepredigt. Panins Hoffnung auf einen Bund mit Defterreih ſchien
ibm „abfolut unpraftifabel”, denn nie und nimmer werde Kaunit mit den
Türken, den Freunden jeiner franzöfifhen Freunde, brechen wollen, um den
Kuchen mit den Ruffen zu teilen. Die Zarin, jo warnte er, ftehe am Rubifon.
Sie fünne den Krieg nicht fortjegen, ohne einen allgemeinen Brand zu entfejleln.
Er hatte ſchon die Zurückweiſung feiner Vermittelung, noch mehr aber die
Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 463
mit unverhüllter Beziehung auf jein Anerbieten eingeleitete direkte Verhandlung
mit dem Großvezier den Rufen jehr verdadt. „Die Leute fünnen uns als
Vermittler annehmen oder ablehnen, aber fie follen jich nicht offen über uns
mokieren,“ ſchalt er damals. Jetzt, am 2. Januar 1771, fchrieb er dem Prinzen
Heinrih: „Mir find Hörner gewachſen, als ich die Friedensbedingungen erhielt!”
Das jei eine Kriegserflärung, nicht geeignet in Wien vorgelegt zu werden; das
jei zu ftarf, für alle europäiihen Mächte unerträglihd. Alle Gefälligfeit für
einen Bundesgenoifen habe ihre Grenzen, die Staaten lenfe das eigene Antereife.
Mas auch die Folge fein möge, ihm ſei es unmöglich, in diefem Augenblid zu
dijfimulieren, e& gelte deutlich zu reden. Er antwortete dann der Zarin un:
ummunden, daß er wohl für Ajow, die Kabardeien und die Schiffahrt auf dem
Schwarzen Meer die Zuitimmung Defterreihs zu erwirfen hoffen fönne, für den
Reit der Bedingungen nidt.
Ehe dieſe Antwort in Betersburg einlief, war dort eine Wendung erfolgt,
die den preußifhen Gaſt feiner Bejorgnis überhob, anläßlich dieſer Friedens:
bedingungen einen Bruch zwiſchen den beiden verbündeten Höfen eintreten zu
ſehen. Der Wiener Hof jelbit leiftete der ihm fo ärgerlihen preußiſch-ruſſiſchen
Allianz den Dienft, einen Ausweg aus den Fährniffen zu weilen, die ihren
Beitand bedrohten.
Im polnifhen Grenzgebiet nah Ungarn zu hatte ſich feit dem Sommer
1769 geräufchlos eine Öfterreichiiche Occupation vollzogen. Den erften Anlaß
gab das Erfuchen des Königs Stanislaus an den Wiener Hof, in dem polnischen
Teile der Zips, dem nad Ungarn vorfpringenden, durch die hohe Tatra von
Polen getrennten Bezirk der dreizehn Fleden, den Ausſchreitungen der polnischen
Konföderierten zu wehren. Bereitwillig famen die Defterreiher diefer Auf:
forderung nad, nahmen aber nun alsbald Veranlaffung, in der ganzen Ge:
marfung die faiferlihen Adler aufzupflanzen, um einen alten Rechtstitel der
Krone Ungarn in Erinnerung zu bringen, denn die dreizehn Fleden waren vor
mehr ala 300 Jahren, in dem Jahrhundert höchſter Entfaltung der Jagellonen—
madt, damals als auch Weftpreußen an Polen verloren ging, durd König
Sigmund von Ungarn an Wladislam II. verpfändet worden. Im Friedensſchluß
von 1589, nad) der Niederlage der habsburgifchen Waffen in der Schlacht bei
Pitihen, hatte Kaifer Rudolf auf die Wiedereinlöfung des Pfandes Verzicht
geleiftet. Aber man beſann ſich jet darauf, daß diefem Vertrage noch die Bes
ftätigung der ungarifhen Stände fehle, man machte die weitere Entdeckung, daß
das verpfändete Gebiet im Augenblid des Uebergangs an Polen weit umfang:
reicher geweſen fei, als der jpätere Dreizehnfledenbezirkt, und ber Präfivent des
Hofkriegsrats erhielt deshalb im Juli 1770 Befehl, die Truppen und die Grenz:
zeichen jo weit vorzufchieben, daß nunmehr auch Teile der Starofteien Neu-Sandek,
Neumarkt und Czorßtyn in ben Bereich der Decupation fielen.
Sofort erhob der polniſche Großfanzler auf Befehl feines Königs Einſpruch.
Er erhielt die Antwort, daß die Kaiſerin-Königin zu einer gütlihen Beilegung
der ftreitigen Grenzfragen gern die Hand bieten werde. Eine neue Verwahrung
464 Achtes Buch. Dritter Abſchnitt
blieb nicht aus, und Kaunitz, der von Anfang an Bedenken gegen die Beſetzung
der drei Starofteien geltend gemacht hatte, bekannte ſeiner Gebieterin, er könne
nah dem was er von den verjchiedeniten Seiten über ben Wert der Anſprüche
höre, zu feinem Bedauern fih des Eindruds nicht erwehren, daß man nur allzu
fehr recht habe, das Gefchehene einfah eine Eroberung zu nennen. Maria
Therefia erwiderte — es war Ende Oktober 1770 —: „ch habe eine jehr ge:
ringe Meinung von unferen Anfprüden.“ Schon aber hatte die öfterreidhiiche
Verwaltung in den umjtrittenen Zandesteilen ſich häuslich eingerichtet. Eine
dritte Beichwerde des polniihen Großfanzlers ftellte die Thatfache feit, daß der
Adminiſtrator Török den Adel der Staroftei Neu-Sandef jhriftli befragt habe,
ob er die Raiferin als Erbherrin anerfenne, und zumal das Amtöfiegel der öfter:
reihifhen Behörde mit feiner Umſchrift „Sigillum administrationis terrarum
recuperatarum* gab den Polen jchweres Nergernis.
Wie hätten fich die Nuffen dieſe Blöße ihrer Gegner entgehen laſſen follen?
Als Prinz Heinrih am 6. Januar 1771 von einem NAusfluge nah Moskau
wieder in Petersburg eintraf, ſtand die Kunde von dem Streit um die Starofteien
im Mittelpunkt des politiichen Tagesgeiprähs. Am 8. Januar abends war der
Prinz in Heiner Gefellichaft Gaft der Kaiſerin. Im ſcherzenden Tone erzählte fie
ihm das Vorgehen der Dejterreiher und fügte hinzu: „Aber warum jollte alle
Welt nicht auch zugreifen?” Der Prinz antwortete, der König, fein Bruder,
habe in Polen zwar einen Kordon gegen die Pet ziehen lafien, aber feine
Starofteien occupiert. „Aber warum nicht occupieren?” ſagte die Kaijerin
lahend. Bald darauf trat Graf Zacharias Tſchernyſchew, der als ein Wort:
führer der Kriegspartei im Staatsrate galt, auf den Prinzen zu, bradte das
Geſpräch auf denjelben Gegenftand und ſchloß: „Aber warum nicht das Bistum
Ermland wegnehmen? Denn jchließlih muß doch jeder etwas haben!”
Das Eis war gebrodhen. Man bot in Petersburg, was man bisher jorg-
ſam vermieden hatte, den Preußen ein Stüd polnijhen Landes an. In den
Woronzowſchen Palaft an der Gartenftraße, fein Abfteigeguartier, zurückgekehrt,
entwarf der Prinz noch in der Nacht einen Beriht an den König über das,
was er joeben gehört hatte: „Obgleich das nur wie im Scherz hingeworfen war,
it e& doch ficher nicht um nichts und wieder nichts gefaat, und ich bin feft über:
zeugt, dab es jehr wohl möglich jein wird, von diejer Gelegenheit Nuten zu
ziehen.“ Der Prinz fchloß feinen eiligen Brief mit der Ankündigung eines
weiteren Berichtes über eine Unterredung, zu der ihn für morgen Graf Panin
aufgefordert habe.
Dieje Verhandlung des nächſten Tages galt der Haltung Defterreichs gegen:
über den ruffiichen Anſprüchen an die Pforte. Der ruſſiſche Minifter wollte die
Lage nicht jo ernit auffafien, wie der König von Preußen. Ueber die Beſetzung
der Starofteien äußerte er ſich nicht gerade zufrieden, von Ermland fagte er
fein Wort. Im Geipräh mit dem preußiichen Gejandten Solms meinte Panin,
Rußland und Preußen müßten Defterreihs Vorgehen in Polen eher hindern,
als feinem Beilpiel folgen; jo werde er es der Kaijerin raten. Gleichwohl blieb
der Prinz, wie er an den König ſchrieb, der Meinung, daß man nichts aufs
Spiel jeße, wenn man unter einem plaufiblen Vorwande fih Ermlands be:
Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 465
mächtige, vorausgefegt, daß die Oeſterreicher die Stafofteien, auf die fie dem
Bernehmen nad) Rechtötitel geltend machten, wirklih genommen hätten.
In eben diefen Tagen fagte der ruffifche Botſchafter Wolkonski in Warſchau
zu dem preußiichen Gejandten Benoit, er wünjche lebhaft, daß der Wiener Hof
bei feinem Entſchluſſe beharren möchte, und daß Preußen und Rußland überein:
fämen, ebenjo zu verfahren, und zwar für ein bedeutend größeres Stüd Land,
das die Mühe verlohnen würde. Offenbar waren die Anfichten in den ruffifchen
Regierungsfreifen geteilt. Panin hielt feft an dem wiederholt feierlich verfündeten
Grundjag, daß Rußland eine Zerftüdelung Polens nicht dulden dürfe. Das
war ehrenvoll für die Zarin und bradte Gewinn: den Vorteil, daß Polen aus:
ihließlih dem ruffiigen Einfluß unterworfen blieb. Andererfeits beunruhigte
das Vorrüden der Defterreicher über die polniiche Grenze. Solchen Entſchluſſes
hatte man von diejer Seite ſich wohl nicht verfehen: was war dahinter zu juchen ?
Rußland befand fi in einem heiflen Dilemma. That man nichts, um Preußen
bei guter Laune zu erhalten und an das ruffiihe Bündnis zu feffeln, jo war
die Gefahr vorhanden, daß Deiterreih, im Rüden frei geworden, zu Gunften
der Türken losihlug; bot man die Hand zu einer Vergrößerung Preußens, jo
war vielleicht noch mehr zu befürdhten, daß Oeſterreich losſchlug, um dieje Ver:
größerung feines alten Widerſachers zu verhindern.
Als König Friedvrih den Brief feines Bruders vom 8. Januar erhielt,
ftand er noch ganz unter dem peinliden Eindruck der Mitteilung über die
Friedensbedingungen, die jeine Bundesgenoſſen ſich erzwingen wollten. Wohl
hatten die Andeutungen, die man dem Prinzen Heinrih in Petersburg gemacht
hatte, äußerlich einen Berührungspunft mit Friedrichs eigenen Wünfchen. Aber
der Grundgedanke jeines Pſeudo-Lynarſchen Projektes war die Erhaltung des
Friedens, der Ausgleich zwiſchen Rußland und Defterreih auf Koften Polens
geweſen, und Preußen hatte jeinen Anteil am Gewinn ohne Blutzoll, als Maler:
lohn, einheimjen follen. est dagegen war dem Anjchein nad diejer Gewinn
nur ald Kampfpreis zu haben. Denn fo fcharf, wie ſich der Gegenfat zwijchen
den beiden Kaijerhöfen neuerdings zugeipigt hatte, ſchien der Verſuch ganz aus:
fihtslos, Defterreih als dritten im Bunde zu gemwinnen.
Friedrich war überdies nicht der Meinung, daß Oeſterreich die befegten
Starofteien behalten wollte. In dem Kriege, den er erwartete, werde es ſich,
jo urteilte er, um ganz andere Dinge handeln, als um Grenzregulierungen in
Polen. Er jah alfo in dem verjtedten Angebot Rußlands nur den feden Ber:
ſuch, ihn mit einem recht bürftigen Köder für den Krieg gegen Defterreidh ein:
zufangen: Ermland ſei nicht wert, ſechs Sous dafür auszugeben. Biel geratener
ſchien, neutral zu bleiben und die Gelegenheit abzuwarten. Jeder Augenblid,
um den ber Frieden ſich verlängerte, gab dem Staate neue Kräfte, dermeil
Rußland und Defterreih fih im Kampf miteinander erjhöpfen modten. So
jhrieb er dem Prinzen Heinrih am 24. Januar, und am 31. wiederholte er:
„Was die Bejignahme von Ermland anbetrifft, fo habe ich davon abgejehen,
weil das Spiel die Kerze nicht wert ift. Die Portion ift fo winzig, daß fie
das Gejchrei, das fie veranlafien würde, nicht lohnen würde. Bolnifch: Preußen
wäre ber Mühe wert, jelbit ohne Danzig, denn wir erhielten die MWeichjel
Koſer, König Friedrich der Große 11, 2. Aufl. 30
466 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt.
und bie freie Verbindung mit dem Königreih, eine wichtige Sade. Handelte
es fih darum, Geld daran zu wenden, fo wäre es der Mühe wert, jogar reich:
lich zu geben. Aber wenn man fi nad) Kleinigkeiten reißt, jo macht das den
Eindrud der Habſucht und Unerfättlichfeit, und ich möchte niht, daß man mir
noch mehr von diefen Eigenfhaften zumißt, als man es ohnehin in Europa thut.”
Aljo auch für Volnifh: Preußen, aud für den größeren Gewinn, wollte er
nur Geld einjegen, nicht Gut und Blut. Er fei entſchloſſen, eröffnete er am
7, Februar dem Minifter Findenftein, an feinem Neutralitätsplan abjolut und
um jeden Preis feflzubalten: „Das ift eine Erwägung, die wir im Lauf dieſer
Unterhandlung beftändig vor Augen haben müffen, und ich verftändige Sie darüber
vorweg, als über einen Grundjag, von dem ich mich niemals entfernen werde.“
In diefen Anſchauungen und Vorſätzen trat ein Umſchwung ein mit der
MWiederankunft des Prinzen Heinrih. Ihn erwartete der folgenreichſte Augenblid
jeines politiihen Zebens; er gewann auf den entſcheidenden Entſchluß feines
föniglihen Bruders einen Einfluß, wie Friedrih ihn ſonſt wohl niemals einem
jeiner Gehülfen vergönnt hat,
Noch am Morgen des 17. Februar, an dem ber Prinz abends in Berlin
wieder eintraf, hatte der König in einem Erlaß an den Gejandten in Wien
die von den Defterreichern befegten polnifhen Landſtriche als „Eleine Parzellen“
bezeichnet. Tags darauf fam Heinrich nach Potsdam und blieb bis zum 24.
Auch Findenftein wurde zu den Beratungen bingezogen. Eine Niederjchrift
über ihren inhalt liegt nicht vor. Aber aus allen vorangegangenen und allen
folgenden Briefen des Prinzen an den König läßt ſich leicht abnehmen, mit
welchen Gründen er feine Sache geführt hat. Er wird noch einmal gewarnt
haben, durch eine übellaunige Kritik der ruffiihen Anfprüche, durch eine Drohung
mit dem Rückzug auf die Linie der gleihgültigen Neutralität das Bünbnis mit
der Zarin zu verjcherzen; er wird feiner Meberzeugung Ausdrud gegeben haben,
daß Rußland angefichts der ftreitbaren Haltung des Wiener Hofes zu Zugeftänd-
niffen an Preußen fich bereit finden, Defterreih aber vor einem Kriege am
legten Ende zurüdichreden werde. „Sie halten die Wage zwifchen Oeſterreich
und Rußland,“ fo fchrieb er dem Bruder recapitulierend bald nad dem Beſuche
in Potsdam; „Rußland wird fih ſchließlich dazu bequemen müſſen, für die Vor:
teile, die Sie ihm verfhaffen, Ihnen einen Vorteil zuzugeftehen; wenn das bie
Defterreicher ſehen, werben fie ebenfalls einen Vorteil Juden, und jo werden die
drei Mächte über ihre wahren Vorteile zu einem Vergleich auf Gegenfeitigfeit
gelangen.”
Die Frucht der Beratungen im Potsdamer Stadtſchloſſe, der enticheibende
Erlaß an den Grafen Solms vom 20. Februar 1771, wurde von Findenftein
entworfen und von Heinrih, wie der König verbindlih fagte, „approbiert“.
„Wenn unfere Eleinen Acquifitionsprojefte glüden,” fchrieb er dem Prinzen einige
Wochen jpäter, „jo werden fie Ihnen, mein lieber Bruder, ausſchließlich gedankt
werden.“
Der Erlaf an Solms geht davon aus, daß die Defterreiher ein Gebiet,
zwanzig Meilen lang, vom Saroſcher Komitat bis zur fchlefiichen Grenze ge—
rechnet, mit mehreren Städten und an 97 Dörfern in ihren Korbon hinein:
Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 467
gezogen und die Bejchwerde der Republik Polen ausweihend beantwortet hätten,
jo jedoch, daß ihre Abfiht, alte Anfprüche geltend zu machen, deutlich werde.
Auch Preußen habe derartige Anfprühe. Der König beabfidhtige, das Beifpiel
der Defterreicher zu befolgen und fih in den Beſitz einer Heinen polnifchen
Provinz zu jeßen, um fie herauszugeben, wenn jene von ihrem Unternehmen
abftehen würden, oder fie zu behalten, wenn jene ihre angeblihen Anfprüche
geltend machen wollten. Es Handle fih nicht mehr darum, Polen in feinem
Gefamtumfang zu erhalten, da die Defterreicher einen Teil abgliedern wollten,
iondern es gelte zu verhindern, daß diefe Abgliederung das Gleichgewicht zwiſchen
der öfterreihifchen und der preußiſchen Macht beeinträchtige, deſſen Erhaltung jo
erheblih für Preußen und jo wichtig für Rußland felbft jei.
Mit welchem Eifer der König im Gegenjag zu feiner bisherigen Zurüd:
haltung dieſe Idee jegt ergriffen hatte, läßt ein zweiter Erlaß von bemfelben
Tage erjehen, in welchem er den Gefandten anfpornte, die Gelegenheit, jeinem
Gebieter einen hervorragenden Dienft zu leiften, wahrzunehmen. Ob größer oder
kleiner, werde die Erwerbung den Staat allemal für die an Rußland gezahlten
Subfidien entihädigen. „Salbe für die Brandwunde!” jegte der König eigen:
bändig unter die Ausfertigung; „Ihre Aufgabe wird es fein, zu jehen, wie Sie
die Sache glüden laſſen.“
Als Hequivalent für feine Subfidien aljo war die Erwerbung gebadt;
nicht ala Lohn für eine noch zu leiftende Waffenhülfe. Noch immer aljo hielt
der König daran feit, daß aus dem türkiſchen Kreuzzuge der Ruſſen fein all:
gemeiner Kampf, feine Beteiligung Preußens am Kriege folgen folle, folgen
dürfe. Die Kombination, die ihm vorjchwebte, tritt uns ganz erft aus einem
dritten Erlaß entgegen, der am 27. Februar an Solms abging. Panin hatte
dem preußiſchen Gejandten, ala Prinz Heinrich ſchon abgereift war, gejagt, wenn
Rußland auf ale Vorteile aus feinem Kriege gegen die Pforte verzichten jolle,
jo müfle man darauf denken, ihm eine Entfhädigung für ſolchen Verzicht zu
verfchaffen. Eben das war des Königs Meinung. Rußland möge do, fo
ihrieb er an Solms, feine Entfhädigung in Polen fuhen. Dann entfiel für
Deiterreih, fo ergänzte fih die Gedanfenreihe, der Anlaß zur Einmifhung in
den Türfenfrieg und dann wiederum für Preußen die Pflicht zur Truppen:
jtelung an Rußland.
Noch war alles unfiher. Der König bezeichnete die dem Grafen Solms
aufgetragene Unterhandlung ala ebenjo wichtig wie jhwierig. Ob Rußland auf
ven Plan eingehen werde, war durchaus noch nicht abzufehen, wenn auch Friedrich
daran erinnern ließ, daß mehrere Perjönlichkeiten am Petersburger Hofe bereits
auf denjelben Gedanken gefommen jeien.
Um die Mitte des März entledigte fih Solms in wiederholten Beiprehungen
mit Panin feines großen Auftrags. Der ruffiihe Minifter verhielt ſich nicht
fo ablehnend, wie jener gefürchtet hatte. Wohl bezeichnete er es als überaus
ſchwierig und peinlih, daß Rußland nad jo vielen feierlichen Erklärungen zu
Gunften der Unverleglichkeit des polnifhen Beſitzſtandes dieſen Grundſatz jetzt
verlafjen jolle; aber Solms gewann ben Eindrud, daß Panin ſich der Mehrheit
im Staatsrat werde fügen müflen Bor jedem weiteren Schritte hielt es Panin
468 Achtes Bud. Dritter Abichnitt.
für erforderlih, eine Aeußerung ber Kaiferin-Königin über die öfterreihifchen
Rechtsanſprüche auf die polniichen Grenzgebiete herbeizuführen, und ließ den
König von Preußen auffordern, die entſprechende Anfrage nah Wien zu richten,
Inzwiſchen hatte ber Wiener Hof in richtiger Vorausfiht der Deutungen
und Nußanwendungen, benen feine eigenmäcdtige Grenzichiebung ausgejegt war,
bereits bie Formel für die öffentlihe Vertretung feines Vorgehens gefunden
und fi zugleich für alle Fälle eine Rüdzugslinie gefichert. Schleunigft änderte
man bie verbächtige, verräteriihe Amtsbezeihnung, die der Abminiftrator ber
„wiedererworbenen“ Provinzen bisher geführt hatte, in einen minder vorgreif:
lihen Titel. Und in einem Schreiben an den König von Polen vom 26. Januar
1771 erklärte Maria Therefia ſich bereit, freundichaftlich über „Arrangement und
Determination der notoriſch feit jeher ungewiſſen und ftrittigen Grenzen zwiſchen
Ungarn und Polen“ verhandeln zu wollen — jobald der Friebe zwifchen Ruß—
land und der Pforte geichloffen und das Königreih Polen zu befeftigtem Ruhe—
ftand zurüdgeführt fein werde. Schon jet aber müſſe fie erflären, daß fie
unabhängig von diefer Grenzverhandlung den unter dem Namen der Zipfer Städte
befannten Diftrift ihres Königreichs Ungarn wiedereinzulöfen beabfihtige. Daß
man im ftillen hoffte, bei der freundichaftlichen Verhandlung ſchließlich auch die
drei Starofteien zu gewinnen, erhellt aus dem Vorſchlag, den Kaunig am 18. April
der Raiferin-Königin machte: man folle eine Verjtändigung mit dem König von
Polen auf der Grundlage ſuchen, daß man feinem Bruder Andreas Poniatowski
die ihm zuftcehenden Einkünfte aus den Starofteien auf Lebenszeit ließe oder eine
gleihe Summe andermeit auswürfe.
Genau im Sinne des Schreibens an den Polenkönig war nun aud die
Erklärung gehalten, die der Gejandte van Swieten am 27. April in der Audienz
abgab, in der König Friebrih, um gemäß der Verabredung mit Rußland die
Anfiht des Wiener Hofes zu erfunden, ihm vorftellte: das Zwedmäßigfte für
die Erhaltung bes Friedens werde fein, wenn Rußland fidh für die Koften feines
Türfenkrieges nicht mit türkiſchem, jondern mit polniſchem Gebiet entihädige,
wenn Defterreih den in Befig genommenen Grenzitrich behalte und auch Preußen
dann feine Konvenienz in Polen juche.
Schon aus diejer Unterredung und mehr noch aus einigen Gejpräden
Findenfteins mit dem öfterreihiihen Gejandten gewann Friedrich den Eindrud,
daß Deiterreih dem Teilungsplar doch nicht entgegen fein werde. Zwar be:
teuerte jener, daß es mit ber Gefinnung ber Raijerin-Königin nit in Einklang
ftehe, in Polen mehr zu nehmen, als fie von Rechts wegen fordern bürfe; aber
er ließ doch die Neußerung fallen, wenn es nicht glüde, die Türken zu ausreichen—
den Abtretungen an Rußland zu beftimmen, werde allerdings Polen herhalten
müflen. Und wenn er bei Erörterung der Ginzelheiten des Plans bemerkte,
daß ber für Oeſterreich beftimmte Anteil mit dem den Rufen zu überweifenden
nicht zu vergleichen jei, jo zogen der König und Finckenſtein den freilih unzu—
treffenden Schluß, daß Defterreihs Bedenken nit dem Teilungsplan an fich,
jondern nur der Kleinheit der Portion gälten, daß nur Neid und Eiferſucht
noch im Wege ftünden.
Nah Petersburg meldete der König tags nad ber Audienz bes öfterreichi-
Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 469
ihen Gefandten als vorläufiges Ergebnis, daß die Kaiferin-Königin feiner
Meinung nach das occupierte polniiche Gebiet behalten, nie aber in eine Ab:
trennung ber Moldau und ber Walachei von ber Türfei willigen werde.
Wenigftens in dem zweiten Punkt traf Friedrich das Richtige. Davon
überzeugte fih Panin am 31. Mai in einer Unterredung mit bem öfterreichifchen
Geſandten Lobkowitz. Panin teilte ihm offiziell, in Gegenwart des preußischen
Vertreters, das ruſſiſche Friedensprogramm mit, in welchem jegt die Erwerbung
der beiden Kabarbeien geftrihen war und jtatt der ruffiihen Sequeftration der
Donaufürftentümer nur deren Zostrennung vom türkiſchen Staatsförper geforbert
wurde. Panin jeßte hinzu, eine Andeutung des Teilungsplanes: es fcheine,
daß man fih in Wien für die Koften der Rüftung mit polnischen Gebieten,
auf die man Rechtsanſprüche habe, ſchadlos halten wolle; aud Preußen werde
dann vermutlich derartige Anſprüche gegen Polen erheben; dafür könne man
Polen entihädigen durch die Moldau und die Walachei. Lobkowitz verlas darauf
einfah den Sat feiner Snftruftion, der es als mit den Intereſſen Defterreichs
unvereinbar bezeichnete, diefe Fürftentümer von ber türkiſchen Herrichaft befreit
zu ſehen.
Dem leitenden ruffiiden Staatsmann hätte viel daran gelegen, eine Ber:
ftändigung mit Defterreich zu erzielen. Vertraulich hat er Lobkowitz gewarnt:
das Vorrüden der Defterreiher in Polen könne einen unruhigen Nachbar ver:
leiten, das gleiche zu thun, was ben Ruſſen keineswegs erwünſcht jein würde.
Eine Neußerung, die in Wien ſehr beachtet wurde und wohl annehmen läßt,
daß Panin eine andere Löfung, im Einverftändnis mit Defterreih auf Koften
der Türken herbeigeführt, dem Ausgleich auf Koften der Polen im Einverftändnis
mit Preußen allemal vorgezogen haben würde. Bei ber ablehnenden Haltung
des Wiener Hofes blieb aber jest nichts übrig, als einfeitig mit Preußen ſowohl
die Friedensverhandlung mit der Pforte wie den polnischen Teilungsvertrag zum
Abſchluß zu bringen, um dann vor den fertigen Thatfadhen von den Defterreichern
ihr letztes Wort zu heiſchen. Unmittelbar nad) der Konferenz mit Lobkowitz er:
öffnete alfo Banin dem Grafen Solms, daß er von feiner Gebieterin beauftragt
fei, die Verhandlung wegen ber beiberfeitigen Erwerbung polnifchen Gebietes
mit Preußen in die Wege zu leiten und demgemäß um einen Vertragsentwurf
zu bitten.
Dem Könige von Preußen war es an fi nur recht, daß bie beiden Kaifer:
höfe auf dem Wege direkter Verhandlung einander nicht näher gefommen waren.
Um jo mehr, als er fich jegt ganz der Meinung des Prinzen Heinrich angeſchloſſen
hatte, Defterreih werde ſich fchließlich allem fügen, zumal wenn die Mufelmanen
inzwijhen die Waffen niederlegten. Als demnähft der Wiener Hof auf bie
ruſſiſchen Eröffnungen vom 31. Mai eine förmliche Ablehnung nad Petersburg
ſandte und fie nad) Berlin mitteilte, fagte Frievrih zu Swieten in einer langen
Audienz am 13. Auguft: „Es thut mir leid, daß mein Projekt nit den Beifall
Ihrer Kaiferlihen Majeftäten gefunden hat. Es war eine Verftändigungsidee,
die mir gefommen war und die ich vorgefchlagen hatte, weil ih ein Mittel
finden wollte, eine Sache, die zu weit gehen fönnte, ins Gleiche zu bringen; ich
werde noch nach zwanzig anderen Ideen fuchen, wenn ich kann, und fie Euch
470 Achtes Bud. Dritter Abfchnitt.
vorſchlagen; vielleicht findet fi} eine, die Ihr Euch zu eigen machen könnt. Sehen
Sie, ih bin alt, mein Hirn ift verbraucht, daher fommen mir nur hohle Jdeen,
aber Ihr follt fie prüfen und beurteilen. Webrigens bin ih in der Politik nur
eine Novize im Vergleih zu dem Fürften Kaunitz.“ Eine neue Variation der
in Neuftadt dem Staatslanzler bargebradten Huldigungen.
Meder am preußiihen noch am ruſſiſchen Hofe ahnte man, daß inzwiſchen
Kaunig in aller Stille einen Gegenzug gethan hatte, ber folgerichtigermeife
hätte zum Bruch führen müffen. In der Naht vom 6. auf den 7. Juli 1771
wurde zu Konftantinopel im tiefften Geheimnis zwiſchen bem öfterreidiichen
Internuntius Thugut und den Bevollmächtigten bes Großherrn ein Bündnis
unterzeichnet. Defterreich verpflichtete fi, einen Uebergang der Ruſſen über die
Donau als Kriegsfall zu betrachten, und verfprad der Pforte feine Beihülfe zu
einem Frieden entweber auf der Grundlage des Belgraber Vertrags von 1739
ober unter anderen, nad) Zeit und Umftänden annehmbaren Bedingungen. Dafür
ließ man fi die Abtretung der Fleinen Walachei, meftlih von ber Aluta,
und Hülfsgelder in ber Höhe von 114 Millionen Gulden, zahlbar zum fünften
Teil jofort, zu vier Teilen binnen acht Monaten, von den Türken zufihern, troß
der Abneigung Maria Therefias gegen ſolches Geldgefhäft: „Ich nehme nicht
gerne Geld von diefen Leuten,” fchrieb fie nah Abſchluß des Vertrages an
Kaunig. Sie hatte fih aus Gewiſſensbedenken erit nad langem Sträuben auf
diefe Verbindung mit den Ungläubigen eingelajjen.
Der Staatsfanzler hatte fich ſchon zu Anfang des Jahres zu feiner Sicher:
beit von ber Kaiferin- Königin ein Handjchreiben ausfertigen laflen, des Inhalts,
daß fie ſich nad reifliher Weberlegung feit entihlofien habe, die Erfolge Ruß:
lands nicht mehr mit der bisherigen Gleichgültigkeit zu betrachten. Zugleich
hatte fie die Zufammenziehung eines Heeres von 60000 Mann angeordnet.
Durch diefe Veranftaltung und durch die nunmehr in Petersburg abgegebene
Erklärung, daß Defterreih einen Donauübergang der Ruſſen als Kriegsfall be-
traten würde, glaubte Kaunig die Lage zu beherrſchen. Wirklih Krieg zu
führen, hielt er für bedenklich, fals nicht, was jet faum noch anzunehmen war,
Preußen neutral blieb; ja, Kaiſer Joſeph hatte feine Stimme jogar dahin ab-
gegeben, daß man nur mit Preußen im Bunde die Waffen gegen Rußland
kehren dürfe. Gleichviel, der Staatsfanzler verließ fich feft auf ben tiefen Ein:
drud, den feine Rüftungen machen würben; des preußifchen Königs „Furcht vor
einem Kriege” war der, wie er meinte, unanfechtbare Anſatz feiner politifchen
Rechnung. So fchmeichelte er ſich mit der „wohlbegründeten Hoffnung”, bie
Kaiferin-Königin „nit nur mit Wahrung ihres Ruhmes und ihrer Sicher:
heit, jondern au ohne Wagnis und Gefahr und fogar mit einigen wirklichen
Vorteilen“ aus allen Wirren hervorgehen zu laffen. Ober, wie Joſeph es ein:
mal zufammenfaßte, es galt: Rußland mit „einigen mäßigen Vorteilen” zu
befriedigen; die Türken aus Defterreihs Händen einen leidlihen Frieden ent:
gegennehmen zu laſſen; für das Erzhaus die kleine Walachei einzuheimjen und
die dreizehn Zipfer Städte ſamt der Herrfhaft Lublo „wiebereinzulöfen”; durch
Verzicht auf den ganzen Reft des bejegten polniſchen Grenzgebiets Rußland dafür
zu gewinnen, baß es in Gemeinfhaft mit Defterreih eine Teilung Polens
Bündnis mit Rufland und erfte Teilung Polens. 471
verhinderte; den König von Preußen endlih, und zwar ihn allein, leer aus:
gehen zu laſſen.
Für nit weniger als dreizehn verjchiedene Fälle hat Kaunitz damals in
einer feiner großen Denkfchriften vorgebaut. Zwei Umftände aber ließ er außer
Betracht: daß Rußland fich feineswegs mit „einigen mäßigen” Vorteilen zu begnügen
gedachte, vielmehr jetzt feſt entichlofjen war, fich für jeden Verzicht nad} der türkischen
Seite reichlich auf der polnischen zu entichädigen, und daß des preußiſchen Königs
„Sucht vor einem Kriege” eben nur in der Einbildung von Kaunitz beftand.
Friedrich ſah feit Mitte Auguft feine Hoffnung mehr und mehr ſchwinden,
dur den polnischen Teilungsplan zugleich den Krieg abzuwenden und fi Gewinn
zu fihern. Er bezeichnete den Krieg zwifchen Rußland und Defterreih ſchon als
unvermeiblich, e8 müßte denn fein, „daß der Beichtvater das Gewiſſen der Raijerin-
Königin erweichte wegen bes für bie Türken zu vergießenden Chriftenblutes”.
Er beabfihtigte nicht mehr, wie im vorigen Winter, dann neutral zu bleiben.
Auch er rüftete. Er „bereitete ſich auf alle Rollen vor, ohne den Krieg zu wünfchen
und ohne ihn zu fürdten“.
Aber wenn er einerfeits fih durch die Rüftungen der Defterreiher nicht
einfhüctern ließ, jo verlangte er andererfeits von ben Ruffen, daß fie fein
Mittel zur Verftändigung mit jenen unverfucht ließen. Noch fchwebte die Streit:
frage, in welcher der König von Anfang an den fpringenden Punkt erfannt
hatte; von ihrer Erledigung in feinem Sinne ließ er die Zuſage jeiner Waffen:
hülfe abhängen. „Panin,” ſchreibt er am 14. Auguft an den Prinzen Heinrich,
„muß fich entfcheiden über Moldau und Walachei, darin liegt der Knoten.” Bei
der Verhandlung über den polnifhen Teilungsvertrag machte er nunmehr, am
30. September, die Fortdauer der türkiſchen Oberherrſchaft über bie beiden
Fürſtentümer ausdrücklich zur Bedingung.
Damit wollte er ben Defterreichern ihren Rüdzug erleichtern. Hatte er
doch foeben gehört, wie Maria Therefia im Grunde ihres Herzens dachte. In
einer langen Unterredung mit dem preußifchen Gejandten Rohd hatte fie am
5. September appelliert an die freundfhaftlihe Gefinnung feines Königs: in
Friedrichs Hand liege es, die Ruſſen zum Verziht auf die Donaufürftentümer
zu beftimmen und dann bie Türken zur Annahme der fonftigen ruſſiſchen Be:
dingungen geneigt zu machen. Friedrich war aufrichtig erfreut. Er las ben
Bericht feines Gefandten dem Defterreiher van Swieten vor, der fich „ein wenig
deroutiert” fühlte, er braudte beftändig den Ausbrud „das Ultimatum bes
Wiener Hofes” und gab feine Befriedigung in beinahe ftürmifcher Weiſe zu er:
fennen. „Seine Lebhaftigkeit,“ berichtete Smwieten nah Wien, „und fein Eifer
für den Frieden waren außerordentlih; meine Arme, Schultern und Hände
haben zum öfteren den Drud feiner Geften zu jpüren befommen.”
Auch Kaunig fühlte fih durch die Offenherzigkeit feiner Gebieterin „de
routiert“. Er beflagte ſich bitter, durch die Erklärung der Kaiferin das Wert
dreier Jahre zerftört zu fehen,; denn niemand werde jegt mehr an den Ernit
der öſterreichiſchen Kriegsvorbereitungen glauben. Er beeilte fi, durch den Ge:
fandten in Berlin die Neußerungen ber Kaiferin abſchwächen zu lafjen, und dort
fegte man deshalb die eigenen Rüftungen einftweilen fort.
472 Achtes Buch. Dritter Abfchnitt.
Enblih, erft in den Weihnachtstagen, erhielt König Friedrich von ber
Zarin die bindende Erklärung, daß fie, fo ſchmerzlich es ihr fei, chriſtliche Pro:
vinzen unter das Joch der Ungläubigen zurüdtehren zu lafien, die Donaufürften-
tümer herausgeben wolle. Und nad einem weiteren Monat gab van Swieten
dem preußiſchen Hofe Kenntnis von der nad Petersburg gefandten Erklärung
feiner Regierung, daß Defterreih nad Befeitigung jenes Streitpunftes den Reſt
der ruffiihen Vorſchläge in Konftantinopel unterftügen werde und zugleich bereit
fei, fih über die Erwerbung polniſchen Gebietes mit Rußland und Preußen zu
verftändigen.
Die Entſcheidung in Wien war erfolgt unter dem doppelten Eindrud neuer
türkischer Niederlagen und der Erkenntnis, dab Rußland und Preußen in ber
polnijchen Frage bereits hanbelseins geworben jeien. Noch immer aber wünſchte
man das Odium der Vergewaltigung Polens auf die beiden anderen Mächte
allein abzuwälzen. Sieben verſchiedene Projekte hatte Kaunitz wieder ausgeflügelt,
alle darauf berechnet, dem Erzhauje ftatt polnifhen Gebiets Landgewinn ander:
wärts zu verfchaffen. Unter allen Löſungen die liebfte wäre ihm geweſen, ftatt
der polniſchen Teilung eine Teilung der europäifhen Türkei zwiſchen den beiden
Raiferhöfen, mit Wiederherftellung ihrer alten Allianz und Abkehr Rußlands
von Preußen. Nie aber hätte Maria Therefia zu folhem Verrat an ihren
islamitiihen Verbündeten die Hand geboten. Dagegen war fie ganz bamit ein:
verstanden, daß noch ein Verſuch gemacht wurde, dur ein Tauſchgeſchäft mit
Preußen um die polnifhe Erwerbung herumzukommen.
Dan Smwieten wurde mit ben erforberlihen Vorfchriften verfehen. Am
4. Februar 1772 entlebigte er fi vor König Friedrich feines heiflen Auftrages.
Er begann damit, daß fein Hof geneigt fein würde, durch das ihm zugebadhte, aber
nicht eben zuſagende Teilftüd polnifchen Landes den für Preußen beftimmten
Anteil zu vergrößern. „Aber,“ fragte der König, „warum wollt Ihr, daß ich
Eure Portion nehme? Ich verftehe nicht.” Nun gab jener die Erläuterung:
„Sure Majeftät könnte uns die Grafihaft Glag und ein Stüd von Schleſien
abtreten.” — „Comment! Comment!“ rief der König mit Lebhaftigfeit.
Ban Smieten bot feine ganze Beredſamkeit auf, um den Vorſchlag einleuchtend zu
maden, bis der König ihm bedeutete: „Aber der Kaiſer hat mir jelbit verſprochen,
daß er niemals daran benfen würde, Schlefien oder Glaß wiederzuhaben, und
Fürft Kaunig hat es mir jehr förmlich und feierlich wiederholt.”
Drei Tage nad diefer Unterredung jchrieb Friedrih an Findenjtein: „ch
merfe, wie Kaunig ſich bevrüdt fühlen muß, feinen Plan gejtört und fich ge
nötigt zu jehen, den Umftänden zu weichen. Aber was auch die Projekte fein
mögen, die er in feinem Haupte wälzt, jo glaube ich doch hinreichend wahrzu—
nehmen, daß er nicht vom Leber ziehen will, und dieſe Ueberjeugung genügt
mir, um mich zu beruhigen und um für den Verlauf unjerer Angelegenheiten
das Belte zu hoffen. In der That, vorausgejegt, daß wir feithalten, Rußland
und id, und daß mein Vertrag mit diefer legteren Macht gezeichnet wird, wird
der Wiener Hof wohl ſich fügen und fidh jchließlich gern oder ungern mit ber
Portion begnügen müſſen, die ihm von Polen angewiefen werben wird.”
Inzwiſchen war der preußifcheruffiihe Teilungsvertrag am 15. Januar zu
Bündnis mit Rußland umd erfte Teilung Polens. 473
Petersburg in ber That unterzeichnet worden. Ein Zuſatzartikel betraf den Fall,
daß die beiden Mächte aus diefem Anlaß Krieg mit Deiterreich befamen. Aber
am 5. Auguft 1772 hat der Wiener Hof fi dem Abkommen angeſchloſſen.
Niemand hat damals das Vorgehen der Teilungsmädte gegen Bolen und
ihr eigenes Vorgehen ſchärfer verurteilt, als Maria Therefia. Bis zulegt hat
fie gegen die Politif ihrer Berater angefämpft. Mehr als einmal offenbart ſich
in ihren Briefen und Denkjchriften ihre ergreifende Gewiſſensangſt. Sie befennt,
daß fie fih ſchämt, ſich jehen zu laffen. Als alle ihre Länder angefochten
waren, habe fie ſich auf ihr gutes Recht und den Beiſtand Gottes geftüßt; jet
jei das Recht himmelfchreiend gegen fie. Seit dem Anfang ihrer unglüdlichen
Regierung jei al ihr Tradten auf eine wahrhaftige und gerechte Haltung, Wort:
halten, Mäßigung und treue Erfüllung ihrer Verpflichtungen gerichtet gewefen,
das habe ihr das Vertrauen, ja die Bewunderung von ganz; Europa, die Ehr:
furdt und Anerkennung felbit der Feinde gewonnen. Seit einem Jahr fei das
alles verloren, und nichts auf der Welt habe fie mehr geichmerzt, als diefer leider
nicht unverfchuldete Verluft ihres guten Rufes.
In der öfterreihifchen Politik jeit 1770 fah fie eine lange Kette von
Fehlern. „Der allzu drohende Ton gegen die Rufen, unſer geheimnisvolles
Betragen ſowohl gegen unfere Verbündeten als gegen unfere Gegner, alles folgte
aus dem von uns aufgeltellten Grundſatze, aus dem Kriege zwifchen der Pforte
und Rußland Gewinn zu ziehen, um unjere Grenzen auszubehnen und Vorteile
zu erlangen, an die man vor dem Kriege überhaupt nicht gebacht hatte. Man
wollte auf preußijhe Manier handeln und gleichzeitig den Anfchein der Ehrlich:
feit retten.” Seht habe man fich in bie Lage gebracht, felbft von dem König
von Preußen der Faljchheit und Doppelzüngigfeit befchuldigt zu werben, und
jwar mit Redt.
Am meiften ſchmerzte es die Kaiferin, daß die beiden anderen Teilungs-
mächte nicht unterliegen, auf das Beijpiel Hinzumeifen, das Defterreich ihnen
glei im Anfang mit der Bejeßung polniſcher Grenzlande gegeben hatte. „Unſere
Unternehmungen gegen polnijches Gebiet,” fie geftand es ein, „gewährten dem
Könige von Preußen einen Vorwand, einen Teil dieſes Königreihs zu befeken.
Unfere Konvention mit der Pforte gab Anlaß zu der zwiſchen Preußen und
Rußland. Unfere Eriegerifhen Kundgebungen beftimmten die ruffiihe Macht,
ihre Anftrengungen zu verdoppeln und fi mehr und mehr des Königs von
Preußen zu verfihern, indem fie ihm einen Anteil an ber Zerftüdelung Polens
zugeltand.” Statt felbft im trüben zu filden, um einige elende Diftrikte zu
erlangen, hätte man, fo meinte die Kaijerin, fih darauf beſchränken jollen, für
den Fall eines preußiihen Anjchlags auf Polen ein Heer zum Einmarſch in
Schlefien bereit zu halten.
Wie Maria Therefia lehnte auch Kaunig die Verantwortung von fih ab;
beide, die alte Kaiferin und ihr Kanzler, wälzten fie dem jungen Kaiſer zu.
Preußen babe, fagte Kaunik in einem Rüdblid, jo lange nicht den Hleinften
Schritt zur Vergrößerung auf Koften Polens gewagt, bis Defterreih die anfangs
nur im Intereſſe der eigenen Sicherheit geplanten Maßnahmen für den Grenz:
ihug wider feinen, des Staatsfanzlers, Nat „in einen Eroberungsplan“ ver:
474 Achtes Bud. Dritter Abfchnitt.
wandelt und dadurch dem Könige von Preußen die gewünfchte Gelegenheit ae:
geben habe, fi auf dieſes Beiſpiel zu beziehen.
Als Friedrih der Große 1775 bei Fortfegung feiner zeitgeſchichtlichen
Dentwürdigkeiten die Geſchichte der polniſchen Teilung fchilderte, ſchrieb er, daß
ein jo entſcheidender Schritt wie die Bejegung der an die Zips anftoßenden
Starofteien durch die Defterreiher den Teilungsvertrag „verurſacht“ habe. In—
dem ber königliche Gejchichtichreiber einige Jahre jpäter feinen erften Entwurf
umarbeitete, bat er jorgjam abwägend den Ausdrud dahin abgeſchwächt, daß
der Schritt der Defterreicher dem Teilungsvertrage „am meiften die Wege ge:
öffnet” habe. Die Wege geöffnet — in dem Sinne, daß ohne jenes Vorgehen
Defterreihs Rußland fih dem Wunſche Preußens nad Erwerbung des Zwijchen:
landes zwiſchen feinen alten Provinzen nicht ohne weiteres gefügt haben würde.
Dierter Abfchnitt.
Weſtpreußen.
dem polniſchen Reiche auferlegten, ſind nicht ſein erſter Eigentumsverluſt
geweſen. In den Zeiten ſeiner Machtfülle, nach der Vereinigung mit
Litauen, unter ber kräftigen Fremdherrſchaft der Jagellonen ſchnell empor:
geftiegen, zum Schrecken und Schaden ſchwächerer Nachbarn, hatte das große
Reich Schon im fiebzehnten Jahrhundert einen erheblichen Teil feiner Eroberungen
wieder aus ber Hand geben müfjen: im Frieden von Dliva Livland an Schweden
und Eleinere Gebiete jamt der Souveränetät über das Herzogtum Preußen an
Brandenburg, im Frieden von Andruffom meite Landihaften am Dnjepr mit
Smolensk, Tſchernigow und Kiew an Rußland.
Durd das Abkommen von 1772 erwarb Preußen das Bistum Ermland,
die Woiwodſchaften Marienburg, Kulmerland und Pomerellen, aber nicht bie
Städte Danzig und Thorn; dazu Teile der großpolnifchen Woiwodſchaften Pojen,
Gnejen, Inowrazlam und Brzesk; Rußland das bisher im polniſchen Befit ge:
bliebene Stüd von Livland und die weißruffifchen, zum großen Teil von griechiſchen
Katholiken bevölferten Gebiete Litauens öftlih von der Düna und von ber Quelle
des Drujaf bis zu deffen Einmündung in den Dnjepr; Defterreih die nach den
alten Landen Halitih und Wladimir benannten, aus den Stüden von fieben
kleinpolniſchen Woiwodſchaften zufammengefchlagenen Königreihe Galizien und
Lodomirien. Als die Defterreiher gegen den Buchſtaben der Petersburger Ab:
funft über Bug und Weichfel noch hinausgriffen und ihre Grenzen durch ben
fruchtbarften Teil Podoliens von der Podgorze zum Zbrucz vorjhoben, hat auch
König Friedrih Beranlaffung genommen, feinen Anteil zu erweitern. Die Ber:
tragsbeitimmung, daß die Nee Grenze feiner Erwerbung feien und ganz
(en entier) ihm gehören folle, wurde dahin ausgelegt, dab am linken Ufer des
Stroms bis zur Sübfpige des Goplo:Sees eine Lifiere — das Ueberſchwemmungs-
gebiet der Nete, wie man ſagte — von Preußen beanfprudt werben bürfe.
Nur ein fleiner Teil des unter diefer Begründung befegten Gebietes ift nad)
SD Dpfer an Land und Leuten, melde die Teilungsverträge von 1772
476 Achtes Bud. Vierter Abſchnitt.
endloſen Verhandlungen mit Rußland und Polen, da auch Oeſterreich feine nach—
träglihe Forderung einfchränfte, wieder geräumt worden.
Bei einer von der ruſſiſchen Regierung veranlaßten vorläufigen Schäßung
war man davon ausgegangen, baf bie Xofe der brei Mächte an innerem Wert,
der Umfang, die Bevölkerungszahl und die Erträge ineinander gerechnet, ſich
gleich fein follten. Nach diefer ruffiihen „Evaluation“ wurde für den preußifchen
Anteil angenommen, daß er, ſowohl an Umfang wie an Einwohnern, hinter
den beiden anderen zurüdbleiben, aber an Einkünften mehr als das Doppelte
bes öfterreihiichen, mehr als das Dreifadhe des ruffiichen Anteils abwerfen würde.
Zu einer irgendwie ficheren Vergleihung waren doch die damals verfügbaren
ftatiftifchen Unterlagen viel zu dürftig. Ueber Bodenflähe und Seelenzahl ihrer
Erwerbungen haben ſich die neuen Befiger nur allmählid und immer noch nur
- ungenau zu unterrichten vermocht. Der Landzumahs Preußens, damals auf
630 Duabratmeilen angenommen, war in Wirklichkeit um etwa 30 größer; ber
ruffiihe hat nicht ganz 1700 Duadratmeilen betragen; ber öfterreichiiche nicht
2700, wie bei der Befigergreifung ein Ingenieur berechnete, ſondern nur wenig
über 1500.
Der Beligergreifung trat nirgends Widerſtand entgegen. Weftpreußen
hatte jih in die Gemeinfhaft mit der Republif Polen nie ganz hineingelebt.
Im erften Jahrhundert nad ber Losreißung von der Ordensherrſchaft nur durch
Perjonalunion mit dem Jagellonenreihe verbunden, hatte das eroberte Yand
nod feine alte landftändifche Verfaſſung bewahrt; damals durfte auf dem Ge:
famtlandtage der drei preußifchen Palatinate nicht polnifch geiprochen werden.
Erft der Lubliner Reichstag von 1569 hatte der Sonderftellung von Polnijch:
Preußen ein Ende gemadt; erft ſeitdem erfchienen preußiiche Landboten auf der
polnifhen Reichsverfammlung, von der man dann freilih die Stäbtevertreter
Schnell verdrängt bat. Im legten Jahrhundert war diefe Reichsſtandſchaft
ganze Jahrzehnte hindurch unterbrochen gemejen; denn von 1713—28 und von
1735—60 waren bie weſtpreußiſchen Gefamtlandtage, auf denen die Abgeordneten
zum Reichstage zu wählen waren, nie zu ftande gefommen. Jetzt begrüßten in
MWeftpreußen die zablreihen Proteftanten, wie vor einem Menſchenalter ihre
Glaubensgenofjen in Schlejien, die neue Landesherrihaft mit ungeheuchelter
Freude; fie, die bisher, wie es in einem Bericht an den König heißt, der „Härte
und Gewalt“ des polnischen Adels und der fatholifchen Geiſtlichkeit hülflos über:
antwortet gewejen waren. Noch ftanden die Greuel des Thorner Blutbades von
1725 in jchredhafter Erinnerung; hoffte doch der König, daß alles, was bilfi-
dentifh in Polen war, jegt bei ihm eine Zuflucht fuchen würde. Aber auch
unter den Katholiten fehlte es nicht an ſolchen, bie mit dem Uebergang unter
preußiihe Botmäßigfeit ganz einverftanden waren. Die gelehrte Gräfin Skor—
zewsfa, am Berliner Hofe längft wohlbefannt und von dem König als „eine
Art Phänomen” gepriefen, fam bei Nacht und Nebel verkleidet zu dem preußiſchen
Grenzlommifjar gefahren, um ihn zu beftimmen, ihre Güter am linfen Nete:Ufer
in die Abmarkfungslinie hineinzuziehen. Vorjichtshalber wurden auf dem platten
Lande bei dem gemeinen Mann Hausfuhungen nah Waffen angeitellt, die aus
dem legten Bürgerkrieg noch vorhanden fein mochten; indes war die neue
Weſtpreußen. 477
preußiſche Provinz ſchon ſeit zwei Jahren von den Streifzügen der Konföderierten
nicht mehr heimgeſucht worden. Wo in der Nachbarſchaft jenſeits der neuen
Landesgrenze einzelne Staroſten bewaffnete Haufen als ſogenannte Haustruppen
zuſammenzogen, erſchienen preußiſche Kommandos, um die ſofortige Auflöſung
dieſer Banden zu fordern. Bei ſolchen und ähnlichen Anläſſen blieben zwiſchen
den preußiſchen Offizieren und den polniſchen Edelleuten Reibungen nicht aus;
aber als der Generalmajor Loſſow einen Magnaten fordern zu müſſen meinte,
Ichrieb ihm der König: „Meine Generals würben viel zu ſchaffen haben, wenn
fie ih mit jedem dergleihen polnischen Narren und Windbeutel wollten zu thun
maden und herumſchießen — es jollte mir leid fein, um ſolch einer polnifchen
Kanaille halber einen braven General zu riskieren.“
Er hatte fi feine Anfhauung von den polniſchen Edlen gebildet, als er
fie, noch Kronprinz, 1735 zu Königsberg an dem Emigrantenhofe des Königs
Stanislaus beobachten konnte, wie fie den franzöſiſchen Gefandten umſchwärmten,
wenn er Wechſel befommen hatte, und unfichtbar wurden, ſobald der Franzoſe
fein Geld verteilt hatte — jo hat Frievrih das erbaulihe Schaufpiel dreißig
Fahre jpäter einem ruffiihen Diplomaten geſchildert. Die Polen, „diefe ganze
imbecille Gejelfchaft mit den Namen auf fi”, blieben ihm „eine in jeder Hinſicht
verächtlihe Nation”, deren einzige Entſchuldigung ihre Unbildung ſei: „ftolz in
der Sicherheit und feige in der Gefahr”. Mit welchem Hohn überfhüttet nicht
jein 1771 entftandenes burlesfes Heldengediht „La guerre des Confederes*,
ein Seitenftüd zu dem Palladion von 1749,') die Kämpen der „heiligen“ Kon:
jöberation von Bar, die „Baftarbfinder der Zwietradhtsgöttinnen”, fie jelber und
ihre zelotiſchen geiltlihen Hintermänner! Ohne Frage jpannte bier die Satire
ihren Bogen zu ftraff; denn wenn auch Dumouriez und die anderen Franzoſen
im fonföberierten Lager über bie polnische Wirtihaft diefer Glaubenstämpfer
faum minder wegwerfend urteilten als Friedrich, fo bildet immerhin jener vier:
jährige Guerillafampf gegen die ruffiihe Invafion ein nicht unrühmliches Blatt
in der Geſchichte des polnishen Zerſetzungsprozeſſes.
Nun aber war auch ſchier alles ausgefhöpft und verbraudt, was an
Kräften des moralifhen und phyſiſchen Widerftandes in der unglüdliden Nation
noch vorhanden geweſen war. Ohnehin wurde jeber weitere Kampf völlig aus:
fichtslos in dem Augenblid, da nicht bloß Preußen mit den Ruſſen gemein:
ſame Sade madte, ſondern auch Defterreih, auf deifen Unterftügung die Liga
von Bar bis zulegt gehofft hatte. Nach dem Fall ihrer legten Veſten ent:
wichen die Führer der Konföderierten, wie der wadere Pulawski, in das Ausland.
Niemand wird die polnifhen Unabhängigkeitstämpfer jchelten dürfen, weil
fie angefichts der ungeheuren gegen ihr Vaterland zufammengetretenen Koalition
die Waffen niederlegten. Aber noch hätte dem vergewaltigten Reiche zur Rettung
der nationalen Ehre der Weg des pajliven Widerftandes offen geitanden. Es
hätte gegolten, dem Gewaltakt des Dreibundes unter feinen Umftänden die
legale Anerkennung, die Sanktion durch einen Reichstagsbeſchluß zu erteilen.
Auf eine feierlihe Anerkennung ihrer Erwerbungen, eine Abtretung in
') 8b. I, 506 (2. Aufl).
478 Achtes Buch. Vierter Abſchnitt
rechtlichen Formen, legten die drei Mächte, wie ſich verſteht, den größten Wert.
Um eine Art Grundlage für die Verhandlung zu ſchaffen, veröffentlichten ſie
Manifeſte über ihren angeblichen Rechtstitel. „Wir wollen für die Gültigkeit
unſerer Rechte nicht einſtehen, auch nicht für die der ruſſiſchen und noch weniger
für die der öſterreichiſchen,“ ſchreibt König Friedrich in demſelben Geſchichtswerk,
in welchem er die Anſprüche ſeines Hauſes auf Schleſien als „unbeſtreitbar“
bezeichnet hatte.
Zum 19. April 1773 ſtand die Eröffnung des Reichstags bevor, der mit
den drei Nachbarn über die Abtretung verhandeln ſollte. Der Zarenhof empfahl
den beiden anderen Mächten das ruffiihe Hausmittel, das auf fo vielen pol»
nischen Reichstagen Wunder gewirkt hatte: die Beftehung. Kaunik war zweifelhaft.
Er meinte, es fei von dem polnifhen Adel nimmermehr zu erwarten, baß er ſich
mit dem Vorwurf des Vaterlandsverrates beladen werde; er hielt deshalb Zwang
für ein fichereres Mittel und ſchlug die Beſetzung noch weiterer polniſcher Ge:
biete vor. Man entſchied fih dann für ein gemifchtes Syitem, bei dem Ueber:
redung, Zwang und Beftehung ineinandergreifen jollten. Die drei Gejanbten,
der Ruſſe Stadelberg, der Preuße Benoit und ber Defterreicher Reviczky, die
Triumvirn, wie fie fi nannten, verftänbigten fi über die Verwaltung einer
gemeinfamen Kaffe, aus der die Blutgelder an die Senatoren und bie Land:
boten gezahlt wurden. Es fam, wie Saldern, Stadelbergs Vorgänger, beim
Sceiden aus Warſchau geraten hatte: „Verforgen Sie fih nur gut mit Kafla,
allhier muß jeder vier bis jechs Freunde unter den Perfonen von Gewicht und
eine Anzahl Schreier haben; es genügt nicht, Geld unter diefe Leute auszuteilen,
man muß mit ihnen leben, fie bewirten und trunfen madjen, in vino veritas!“
Schon hatten Fürft Adam Ezartorysli und andere Magnaten ihren Frieden
mit der Zarin geichloffen, der eigentlihe Gefhäftsführer der drei Mächte auf
dem Reichstage aber wurde der Reihstagsmarfhall Graf Poninski. Die Ber:
jammlung tagte, um dem Liberum veto die Spitze abzubredhen, in den Formen
eines Ronföderationsreihstages!). Am 14. Mai überwies das Plenum die Ber:
handlung mit den Mächten einer Delegation; bis dahin hatte die Kafle der
Triumvirn 8000 Dufaten aufgewendet. Um die Mitte des September waren
die Gefandten mit der Delegation einig; am 30. wurden die Ausſchußbeſchlüſſe
vom Neichötage nach mehreren erregten Situngen einftimmig angenommen.
Boll Genugthuung meldete der öfterreihifche Gefandte nah Haufe, die Formen
jeien derart gewahrt worden, daß es ganz den Anjchein habe, als ob ein un:
gezwungener und freiwilliger Vergleih abgeichloffen worden fei; auch habe bie
Sache nit viel Geld gefoftet, nur 15000 Dufaten für jeden der drei Höfe
aus ber gemeinfamen Kaſſe. Die Volksvertreter waren nicht allzu anſpruchsvoll
geweſen, ein polnifher Fürft hat feine Stimme für 30 Dukaten gefauft, und
mande hatten fein Gold genommen, fondern fi mit einigen Tonnen Salzes
begnügt.
Mit Beihämung gewahrte der ſächſiſche Geſandte Eſſen, der an fi mit
feinen Sympathien auf der Seite der Polen ftand, wie ſchmachvoll dieſe Märtyrer
) Bgl. oben ©. 446.
Weftpreußen. 479
fih gebärbeten und wie die Ausihußmitglievder am Pharao-Tiſche dieſelben
Friedrichsdor und Imperiale auf die Karte ſetzten, die fie eben von bem preußi-
ſchen oder ruſſiſchen Gefandten erhalten hatten. Und ber päpftlihe Nuntius
beftätigte ihm, daß die geiftlichen Herren nicht befier ſeien als der Laienadel.
„Es ift fat nicht mehr möglih, das Bild der hiefigen Vorgänge zu zeichnen,“
Elagte diefer fähfifhe Diplomat; „soviel die Zeitungen auch darüber jchreiben
mögen, fie jagen nicht genug. Sie jprechen nur von Inkonſequenz, von Leicht:
fertigfeit und von den lächerlihen Erſcheinungen, aber fie fennen nicht die Rechte:
verlegungen, bie Räubereien, das öffentliche Feilbieten der Erkenntniſſe in ben
Prozefien, ven Ruin ganzer Familien und die Shauderhaften Dinge, welche die
Häupter der Delegation treiben, wofern nur Gold in ihre Beutel rinnt. ...
Auch läßt mich diefe Verderbtheit, dieſer Sittenverfall fürdten, daß das Un:
glüd der Nation noch nicht an feinem Ziele ift.“
Mangel an Gemeinfinn und ſchmutzige Habgier, Parteifanatismus und
Korruption, alle jhon fo oft gegeißelten Schäden des öffentlichen Lebens, alle
wüften Auswüchſe der polnifhen „Anardie” waren auf diefem Reichstage, der
die Augen von ganz Europa auf ſich lenkte, in erſchreckender Weiſe zu Tage
getreten.
In ihrer Anardie, in der Auflöfung aller ftaatlihen Ordnung und poli:
tiihen Zucht, ift den Polen zuerft die Integrität ihres Gebietes und zwei Jahr:
zehnte fpäter ihre nationale Selbftändigfeit verloren gegangen. Nachdem fie
jelbft in wahnwitziger Lemurenarbeit die Fundamente ihres Staatswejens ab:
gegraben hatten, mußte ber Bau endlich zufammenbredhen.
Diefe polnische Anarchie war gehegt und gepflegt worden nicht bloß von
den Polen jelbft, als das gepriefene Palladium ihrer republifaniichen Freiheit,
jondern aud von den auswärtigen Mächten. Nicht bloß von den Nahbarn,
fondern auch von denen, bie fi) als die Erbfreunde und berufenen Beſchützer
Polens hinftelten. Denn auch franzöfiide Staatsmänner haben noch 1760 die
polniſche „Anarchie“ als für Frankreich erfprießlich bezeichnen zu follen geglaubt,
ganz wie vom ruffiihen Standpunkte aus Katharina Il. von der „glüdlichen
Anarchie“ Polens ſprach.
Frankreich hat ſich angeſichts der polniſchen Teilung mit ſeiner hiſtoriſchen
Beſchützerrolle wohlfeil abgefunden, indem es an dem verbündeten Wiener Hofe
eine vorwurfsvolle Vorſtellung anbrachte, die dem Fürſten Kaunitz die ſarkaſtiſche
Bemerkung entlockte, dieſer Unmut werde ſchnell verrauchen: „vanae sine viribus
irae.* Auch der Verſuch Frankreichs, ſeinen alten Feind England zu gemeinſamem
Einfprud gegen das Vorgehen der drei Oſtmächte zu gewinnen, mußte fi} feiner
Ausfichtslofigfeit von vornherein bewußt fein. Das britifche Kabinet beichränfte
ſich darauf, feinen Vertretern im Ausland zu eröffnen: obgleich der Teilungsvertrag
die Befürdtung nahelege, daß der Handel Europas darunter leiden könnte, fo
mefje doch weder der König von England nod eine andere handeltreibende Macht
der Veränderung ſolche Bedeutung bei, daß man ſich ihr direft widerfegen müſſe.
England beunruhigte fih erft, als Klagen aus Danzig nah London famen,
und ftahhelte nun die Danziger zum Widerftand gegen Preußen auf, ſah aber
jofort von dieſer Einmifhung ab, als ein Edikt vom 11. Mai 1774 dem
480 Adtes Bud. Vierter Abſchnitt.
britifhen Handel in Weftpreußen die unter polnifher Herrichaft ihm gewährten
Vergünftigungen auch für die Zukunft verbürgte.
Auf den erften Blid fällt an dem Vorgang von 1772 nur bie eine Seite
auf, daß drei Starke einen Schwachen vergewaltigt haben. Vom Stanbpunft
ber preußiſchen Geſchichte tritt uns vielmehr die Kehrfeite entgegen, daß die eine
ber brei Teilungsmädhte den beiden anderen, die miteinander verbünbet noch vor
furzem ben erbittertften Krieg gegen die dritte geführt hatten, mit den Waffen
der Diplomatie einen großen politifhen Erfolg abgerungen bat. Kaunit hatte
es im Jahre des Hubertsburger Friedensſchluſſes als unverrüdbaren Grundjas
für die öſterreichiſche Politik aufgeftelt, daß man Polen in feinem Befigitande
zu erhalten juchen müfje; er hatte damals gemeint, daß die Erwerbung einer
Landesverbindung zwiſchen Weichfel und Oder für Preußen noch von größerem
Vorteil fein würde, als die Eroberung Schleſiens. Und noch mehr als Defterreich
hatte Rußland wünſchen müfjen, Preußen an der Weichfel nicht feiten Fuß
faffen zu jehen.
Rußland erhob feit dem Beginn des Jahrhunderts den Anſpruch, als der
Erbe Schwedens das altumftrittene dominium maris baltici auszuüben. Die
Geftade der Oſtſee im Dften, Süden und Weften famen unter ruffiihe Herrſchaft
oder ruffiihen Einfluß. Imgermanland, Karelien, Ejthland, Livland wurden
ruffiiche Provinzen, Kurland eine ruſſiſche Satrapie, die Herzöge von Holftein
und von Medlenburg, mit Prinzeffinnen aus dem Haufe Romanow vermäbhlt,
Schüplinge zugleih und Scildfnappen der ruffiihen Politik. Und im Jahre 1713
hat die ſchwediſche Feitung Stettin fi einem ruffifhen Belagerungsheer ergeben.
Damals zuerft offenbarte fih, was das Emporfommen der preußifhen Monardie
im nördliden Deutſchland bedeutete. Als Ruſſen, Polen und Dänen über die
Spolien der zufammenbredenden ſchwediſchen Macht das Los warfen, da lieh
ih das waffenſtarke Preußen nicht wieder, wie 1648 das noch faft wehrloje
Brandenburg, von den Fremden ben Plat an der Sonne wegnehmen; die Oder,
nach der Klage des Großen Kurfürften lange Zeit „fremder Nation Gefangene“,
wurde frei, die Obermündung wurde preußifh. est, 60 Jahre jpäter, wurde
auch die Weichfel in ihrem unteren Lauf wieder ein beutfcher Strom. Mit
Rußlands Zuftimmung, wie 1713 die untere Ober, und doch im Grunde gegen
Rußland. Dem Zaren Peter III. war e8 von den Ruffen jchwer verbacdht
worden, daß er Ditpreußen dem angeftammten Befiger zurüdgegeben hatte, es
ift nicht verwunderlih, daß Peters Nachfolgerin ſich lange gefträubt hat, Weit:
preußen bdiefem Nachbarn zu überantworten. Eine Neußerung Katharinas gegen
Panin läßt erfehen, daß bie Zarin fürdtete, Preußen werde im Belig von
Danzig fi alsbald eine Kriegaflotte ſchaffen. Deshalb war man gegen ben
dringenden Wunſch des Königs, feinem Anteil Danzig zugelegt zu jehen, in
Petersburg ſchlechterdings taub geblieben. Sehr zutreffend urteilte Kaunig, daß
Rußland nur duch die Macht der Verhältniſſe gezwungen in bie Teilung
Polens gemwilligt habe, denn es habe dadurch verloren; viel mehr als um Die
Erwerbung einiger polniſcher Landſchaften fei es der Zarin um die Behauptung
ihres ausſchließlichen Einfluffes in Polen zu thun, den fie mit feiner anderen
Macht teilen wolle.
Weſtpreußen. 481
Sp wenig ilt Friebrih der Große, wie er bisweilen es gefürchtet hatte,?)
in dem ruſſiſchen Bündnis Rußlands Sklave geworden. Preußen hatte, obgleich
fein 208 äußerlih das Fleinfte war, doch den Hauptgewinn bei der Teilung
davongetragen und war der einzige unter den drei Gewinnern, ber fi bes
Erreichten mit ungemifchter Empfindung freute.
Wäre Polen nicht bereits jeit lange dem ruffifhen Einfluffe fo tief ver:
fallen gewejen und hätten nicht noch zulegt, vor und während dem Sieben:
jährigen Kriege, die Einheimifchen und die Fremden, die Czartorysfis und ihr
Anhang und die Öfterreihifche Diplomatie, miteinander gewetteifert, das Ueber:
gewicht Rußlands in Polen immer ftärker zu befeitigen, jo hätte ber preußiichen
Politik vieleicht noch ein anderer Weg offen geftanden. Preußen hätte an ben
Verfuh denfen können, im Bündnis mit Polen dem Vordrängen ber ruffifchen
Macht an die Weichjel bewaffneten Widerftand entgegenzufegen. Aber ſchon war
Polen in feinem felbftverjchuldeten traurigen Zuftande gar nicht mehr bündnis—
fähig: das zerbrodhene Rohr, welches dem die Hand durchbohrt, der fih darauf
ftüßen will.
König Friedrich vereinigte die Hauptmafje des neu erworbenen Gebietes
zu einem Kammerbezirk, zu dem von altem Befig noch die bisher Königsbergifchen
Aemter Riefenburg und Marienwerber gelegt wurden; die Königsberger Kammer
erhielt zum Erjag aus der neuen Ermwerbung das Ermland. Zu Marienmwerder
Ichlug die neue Kammer ihren Sik auf. Im Nebelande wurde eine befondere
Verwaltung zu Bromberg beftellt; zuerft felbftändig, it fie 1775 der Behörde in
Marienwerber als „KRammerbeputation” angegliedert worden. Der Hauptbezirk
mwurbe in fieben, der brombergifche in vier Kreife zerlegt, deren Landräte, wie
in Oftpreußen, ohne Mitwirkung der Kreisinjaffen vom Könige ernannt wurben.
Beide Bezirke erhielten den Geſamtnamen Weitpreußen und der königliche Titel
„König in Preußen” wurde jegt nad der „Wiederergänzung” des Reiches ?) in
„König von Preußen” verwanbelt.
Die Rammervermwaltung der beiden neuen Bezirke trat zunächſt nicht unter
die Sentralverwaltungsbehörde des Staates, das Generaldireftorium, jondern
unmittelbar unter das Kabinet. Doch blieb die Sonderftellung hier nicht wie die
der jchlefiihen Kammern eine endgültige; nad) einem Jahrzehnt ift das Neuland
dem Amtsbereich des Generaldireftoriums eingefügt worden, beim Tode des erften
weitpreußiihen Kammerpräfidenten, des trefflihen Domhardt.
Johann Friedrih Domhardt war als braunfchweigiicher Unterthan geboren.
Der Vater, vom Harz nad) Litauen eingewandert, fonnte als Domänenpädter
auf feinen grünen Zweig fommen; erit der Sohn bradte die Wirtſchaft in die
Höhe. Er erwarb fih als Amtmann die Anerfennung Friedrih Wilhelms 1.
und wurde auch bem Kronprinzen Friedrich perjönlih bekannt. Ein Praftifer
von dem Schlage, wie Friedrich fich feine Staatspächter wünſchte,“) war er
') Oben ©. 441.
?) „Regno redintegrato* lautete die Umfchrift der Hulbigungsdentmünge,
®) Bd. I, 359. 360 (2. Aufl.).
Koier, Aönig fFriebri der Große. II. 2. Aufl. 81
482 Achtes Bud. Vierter Abfchnitt.
1746 zum Kriegs: und Domänenrat in Königsberg ernannt, und gleich darauf
nicht zum mwenigften wegen jeines Rufes als Pferbezüchter ') an die Gumbinner
Kammer verjegt worden. Zu Beginn bes Krieges mwurbe er deren Präfident
auf Empfehlung des Feldmarſchalls Lehwaldt, dem er fi beim Erfcheinen des
Feindes unentbehrlich gemacht hatte. Domhardt it während ber ruffiichen Occu—
pation, wie alle Beamten für die Zarin in Pflicht genommen, für das Wohl
ber Provinz geſchickt und hingebend eingetreten; ſelbſt in einem Augenblid ftarfer
Verftimmung hat König Friedrich nachmals das Verdienſt an Domhardt anerkannt,
daß er bie Rufen zu fchonenderer Behandlung des Landes vermocht habe. Sein
aus Heinften Anfängen erwachſenes Vermögen hatte der kluge Rechner auch
während der Kriegsläufte zufammenzuhalten und zu mehren verftanden; jo war
er im ftande, als nad dem Friedensſchluß der Bodenpreis niedrig ftand, feinen
Grundbefig in der Provinz ſehr anjehnlich zu vergrößern. Zu dem Borfig in
ber litauifhen Kammer erhielt er jegt auch den in der Königaberger. Domhardt ift
in feiner langen Amtsthätigfeit, bis zulegt, nicht felten ftrengen Verweiſen aus:
gefegt geweien, und mehr als einmal ganz unverdienten. Aber der König hat
ihn dann wieder durch das völlig aufrichtige Zeugnis befhmwichtigt, daß Domhardt
von allen feinen Präfidenten einer der tüchtigften fei, und als er den treuen
Diener bald nah dem Ausgang des Krieges zu Beratungen über das Wohl der
Provinz zu ſich befchied, gab er ihm bei einer Wanderung durch den Park von
Sansfouci einen feiner hiſtoriſchen Krüditöde zum Andenken. Andere Gunft:
bemweife folgten. Die Schwierigkeiten der Stellung des zugemwanderten Roturiers
neben den vornehmen alteingejellenen preußijchen Oberräten, ben Mitgliedern bes
Königsberger Etatsminifteriums, gli der Monard 1771 dadurch aus, daß er
dem Kammerpräfidenten den Abel und das beredte Standbeswappen mit der
goldenen Garbe und dem filbernen Pferd verlieh.
Noh während Friedrih mit den Rufen über das Schidjal Polens ver:
handelte, hatte ihm Domhardt Nahmeifungen über die Ertragsfähigfeit der be:
nachbarten polniſchen Gebiete vorlegen müſſen. Für die Einrichtung der preußiichen
Verwaltung in der neuen Provinz hätte feine geeignetere Kraft ausgewählt werden
fönnen, als diefer erprobte Organifator, Kameralift und Landwirt mit feiner
feit geichloffenen, fi überall durchſetzenden Perjönlichkeit. Domhardt behielt die
Leitung feiner beiden alten Rammerbezirfe bei, als er jegt mit dem Titel eines
„Sberpräfidenten ber preußiſchen Kammern” auch die weitpreußifche übernahm.
Die Berufslaft des bereits Sechzigjährigen in feinem weiten, von den Grenzen
der Neumark bis an die Memelmündung auseinandergejtredten Reiche hätte eine
minder thatkräftige und jchaffensfreudige Natur erbrüden mögen. Ein wahres
Nomadenleben, wie treffend gejagt worden ift, begann jekt für ihn, und voll
Anerkennung jchreibt ihm fein König einmal eigenhändig: „Sie haben jetzt jo
viel zu thun, daß ih Sie nicht überladen muß mit mehrerer Arbeit.” Wohl:
wollend und human, ohne akademiſches Studium ein Mann von echter Herzens:
bildung, ging Domhardt in feiner unmittelbaren Aufgabe, das fisfaliiche Intereſſe
zu vertreten und „bas Kameralweſen in gehörigen Zug zu bringen“, nicht auf,
') Oben ©. 376.
Weſtpreußen. 483
ſondern behielt allezeit das höhere Ziel, die große Erziehungsarbeit im Auge,
aus den neuen Unterthanen, wie der König es ihm gejagt hatte, „Menſchen und
nügliche Glieder des Staates zu machen“,
Ein jelbfigemadter Mann, ein Beamter ohne gelehrte Berufsbildung wie
Domhardt war auch der erite Verwalter des Nebebiftrifts, Franz Balthafar
Schönberg von Brendenhoff. Ein Wirt aus der hohen Schule Leopolds von
Anhalt, nad) damaligem defjauifchen Zufchnitt ohne jeden höheren Unterricht auf:
gewachſen, bejchlagen nur in der Landwirtſchaft und in Geldſachen, bis zu jeinem
fünfundzwanzigften Jahre Page des alten Fürften, jpäter unter dem Sohne und
Enkel Kammerbdireftor, hatte er nach feinen Uebertritt in preußiiche Dienfte das
Retabliffement in der Neumark und in Pommern zur vollen Zufriedenheit des
Königs durchgeführt.) So war er an ber Nebe jchon zu Haufe, wie Domhardt
an ber Weichjel. Auch für ihn begann mit dem Augenblid der Befigergreifung
ein unrubiges Wanderleben, die Zeit, von ber er wohl jagte, fein ganzer Gehalt
habe damals faum zur Unterhaltung feines Wagens und zum Biergeld für bie
Vorjpänner zugereiht. In dem Grenzgebiet zwiſchen deutſchem und ſlaviſchem
Weſen gewährte der unterjegte fettleibige Mann, mit den leuchtenden Augen in
dem roten vieredigen Gefiht, dem polniihen Magnaten und Schlachtizen eine
Gajtfreundichaft, die ihrem Umfang nah fürftlih, in ihren Formen ganz länd—
(ih und patriacrhaliid war, wo der Scafitall abwechſelnd als Schaufpielhaus
und als Speijejaal diente, wo Grafen, Ercellenzen, Durdlaudten, Männlein
und Weiblein, in derjelben Stube auf einer Streu vorlieb nehmen mußten,
und wo e& dem Hausherren nicht darauf anfam, an der Tafel fchlichte
Adersleute zwijchen feine vornehmen Gäfte zu ſetzen. Mancher Eleine deutjche
Fürft, fo hieß es, unterhalte weniger Leute in Sold und Brot als Brendenhoff.
Seinen Reihtum hatte diejes Original vor dem Siebenjährigen Kriege im kleinen
dur Pferdehandel, während des Krieges im großen durch Lieferungen für das
preußijche Heer und glüdliche Finanzipekulationen gewonnen. Als preußifcher Be:
amter jegte er feine Handelsgeihäfte fort, jett freilich nicht immer mit Erfolg.
Neumärkiſche Tücher, die er für die ruffifhen Truppen im Türfenkrieg lieferte,
ließ er in der Moldau, wo er zeitweife ein Gut in Pacht hatte, gegen Häute,
Wachs, Talg und Honig eintaufchen. Dreifter Spekulant mit ſorgloſer Ber:
achtung einer orbentlihen Buchführung, hatte er ſich doch ſchließlich verrechnet,
auch feine landwirtſchaftlichen Experimente auf feinen ausgedehnten Befigungen
ſchlugen vielfach) nicht ein, und große Kapitalien, die er ausgeliehen hatte, übertrug
er mit den Beltänden der ihm ohne hinreichende Aufficht übergebenen Meliorations-
falle. Zu jpät, erſt während Brendenhoffs letter Krankheit, gewahrte der König die
„verteufelte Konfufion” in der Gejchäftsführung des Mannes, dem er das un:
bedingtefte Vertrauen gejchenft hatte und bei deſſen Tode im Jahre 1780 ſich
nun ein Defekt von über 100000 Thalern offenbarte. Allerdings wurde biejer
Betrag durch den Brendenhoffihen Grundbefig gedeckt, und vielleicht übertroffen
durch die Summen, die er mit freigebiger Hand aus feinem Eigen in die feiner
Leitung anvertrauten gemeinnüßgigen Unternehmungen geftedt hatte.
') Oben ©. 354. 367.
484 . Achtes Buch. Vierter Abſchnitt.
Den Dombardt und Brendenhoff, feinen rüftigen und umſichtigen Land:
pflegern in dem fo lange verwahrloften „wiedergewonnenen“ Gebiete, ftellte der
König für eine vorübergehende, aber überaus wichtige und ſchwierige Aufgabe
als dritten den Geheimen Finanzrat Roben zur Seite: ber follte im ganzen
Neulande die Vermefjung der Liegenſchaften, die Klaffifitation des Bodens, die
Veranlagung einer Grundfteuer nah dem Fuß des oftpreußifchen Generalhuben:
fchoffes in die Wege leiten. Der König hatte diefen Beamten 1763 beim Re-
tabliffement im Klevifhen als anftellig und braudbar fennen gelernt und dann
in die Finanzverwaltung nad) Berlin gezogen. est umgab er ihn mit einem
großen Stabe von Kriegsräten, „den beiten und ausgelefeniten aus allen Kammern“,
von Singenieuren und Feldmeſſern, und biftierte ihm felber zu Sansfouci feine
Smftruftion. „Ich weiß,“ jo entließ er Roden nach Weltpreußen, „daß Er auf dem
Generalpireftorio der fleißigfte ift; fei Er mir auch in Preußen fleißig und reite
Er brav umber, jo wird Er mager werben und gejund wieder nah Haufe
fommen.“”
„Jh werbe hinkommen, um alles jelber zu bejehen und einzuridten,“
hatte Friedrih am 1. April 1772 an Domhardt gejchrieben. Am 4. Juni er:
reichte er in feinem Reijewagen nad der Fahrt durch feine neue Provinz die
MWeichjel gegenüber von Marienwerber. Domhardt erwartete ihn am linfen Ufer
bei der roten Bude; drüben waren die Beamten der neuen Kammer zur Stelle,
fämtlihe von ihr abhängige Landräte, Forft: und Accifebeamte, ſowie Roden mit
feinen Gehülfen. Nah dem Ueberfegen über den Strom ftieg der König zu
Pferde und ritt dur die Stadt in das Lager ber zur Heerfhau verfammelten
oftpreußifchen Regimenter. Die Paujen zwifhen den Truppenübungen diejer
Tage wurden dur die Vorträge der Beamten ausgefüllt. Als am 7. wegen
Unmetters das Manöver abbeitellt werben mußte, ließ fi der König doch nicht
hindern, nad der Motauer Spite zu fahren, um für die Strombauten, die er
zu Gunften der Nogatichiffahrt vorzunehmen beabfichtigte, ein Bild von der Oert—
lichkeit zu gewinnen. Jahr für Jahr fam er nun zum Beſuch feiner „Halb:
wilden” wieder, regelmäßig im Juni. Im Dorfe Mofrau, in deſſen Nahbar:
{haft die Truppenmufterung ftattfand, zwiſchen Marienwerder und Graudenz,
ließ er fih für feine Unterkunft den jchlichten Fachwerkbau unter einem Strob:
dad herrichten, der nun bis 1785 die klaſſiſche Stätte feiner weſtpreußiſchen
Regententhätigfeit blieb. Er felbft war doch, die Verdienfte eines Domhardt in
Ehren, der „eigentlihe Oberpräfident” der neuen Provinz, als den ein Mitglied
ber Marienwerberihen Kammer ihn bezeichnet hat.
Friedrich jagte bei jeinem erften Beſuch zu jedem, der es hören wollte, er
babe auf der ganzen Reife nichts gejehen, als Sand, Nabelholz, Heidefraut und
Juden. Um jo weniger, meinte er, werde man ihm den neuen Befiß neiben.
Im ftilen gab er zu, daß er das beite Los gezogen babe. „Ach habe dies
Preußen gefehen,” jchreibt er nad der Reife an den Prinzen Heinrid, „das ich
gewillermaßen aus Ihren Händen erhalte. Es ift eine fehr gute, jehr vorteil:
hafte Erwerbung, ſowohl für die politifche Lage des Staates wie für die
Finanzen. ... Unfer Anteil ift der vorteilhafteite in Anbetracht des Handels.
Wir werden Herren über alle Erzeugniffe Polens und über feine ganze Einfuhr,
Weſtpreußen. 485
und der allergrößte Vorteil iſt, daß wir als Herren des Getreidehandels zu keiner
Zeit mehr einer Hungersnot ausgeſetzt ſein werden.“
Allerdings mußte er hinzuſetzen, er halte Kanada für ganz ebenſo geſittet
wie dieſes mit feinem anderen europäiſchen Lande zu vergleichende Polen: „Keine
Ordnung, alles außer Rand und Band. Kulm 3. B. follte 800 Häufer haben,
nit 100 ftehen, und ihre Bewohner find Juden und Mönche, noch dazu von
ber elenbeften Art.” Auch die 27 Kleinen Städte in dem großpolnifchen Land:
ſtrich zwiſchen Drage, Neke und Weichjel waren fait ausjchlieglih von Juden
bevölkert. Von Inowrazlaw jagt Friedrich, er habe nie eine mijerabler gebaute
Stadt gejehen. Brombergs Einwohnerzahl war auf 600 gefunfen. Faft überall
in dieſen armjeligen Städten fehlten Aerzte und Apothefen. Einander gleich in
ihrer Dürftigkeit, unterjhieden fie fih um fo mehr durch die Mannigfaltigkeit
von Maß und Gewidt.
Als d’Alembert das Baltiihe Meer zu feinem neuen Herren beglüd:
wünfchte, antwortete ihm Friedrich, daß er feine große Neigung habe, mit diefem
Meere, nah dem Vorbild des Dogen von Venedig, jeine Vermählung zu feiern,
denn das Klima diejer Geftade fei rauh und die Anwohnerſchaft ähnle ein wenig
den Srofefen. „Man hat mir ein Stüd Anardie zu beijern und zu befehren
gegeben,” fchreibt er jeinem gelehrten Freund ein anbermal. Hier wäre ein
großartiges Verfuchsfeld für die Staatsweisheit und Regierungsfunft der Herren
Encyklopädiften: „So ſchön ihr Staatsgebilde jein mag, ich verzweifle an meinem
bißchen Verftand, es fo in Gang zu bringen, wie Ihre gelehrten Geſetzgeber, die
niemals regiert haben, es vorjchreiben. Schließlich, es wird dabei herausfommen,
jo viel wie fann, und man wird mir meinen guten Willen in Anrechnung bringen,
etwa wie einem Schüler, der in Abweſenheit feiner Lehrer Lektionen erteilen
will und, weil er fie nicht recht begriffen hat, e& verkehrt macht”.
Der alte Praktiker, mit feinen ironiſchen Komplimenten für die modernften
der Staatstheoretifer war gegen eine Schwäde jebenfalls gefeit: gegen ben dilet—
tantifchen UWebereifer, der die Ergebnifje nicht abwarten fann und, wie Friedrich
es nahmals an feinem Nahahmer Joſeph getadelt hat, den zweiten Schritt thun
möchte, bevor der erfte gethan if. Ohne Raft, aber auch ohne Haft follte die
Kulturarbeit an dem preußifhen „Kanada“ oder „Sibirien“ gethan werben.
„Eines nad dem andern!” und „Nicht ins Wilde hinein“ waren die Lofungen,
die er mehr als einmal ausgab, wenn feine braven Werfmeifter, um ihren Eifer
zu zeigen, zu viel Gutes auf einmal leiften wollten.
Den LVortritt vor allen anderen Aufgaben hatte das große Werk, das
gleichzeitig mit der Befigergreifung begonnen, mit ftaunenswerter Spannfraft
binnen 16 Monaten zu einem erften Abſchluß gebracht wurde. Wie die neue
Erwerbung eine Landbrüde zwifchen der Mitte und dem Dften der Monardie
darjtellte, fo jollte alsbald zwifchen Oder und Weichſel auch eine Wailerverbindung
geichaffen werben. Um ji wegen des Danziger Handels jchablos zu halten,
jei er gewillt, jo eröffnete der König am 26. Februar 1772 dem Präfidenten
Domhardt, Weichjel und Netze dur einen Kanal zu fombinieren, die Nogat
mehr räumen und jhiffbar machen zu laflen, um fo den Danziger Handel un:
vermerkt nad Elbing und Bromberg zu ziehen. Noch in demjelben Jahre mußte
486 Achtes Bud. Vierter Abfchnitt.
mit dem Sanalbau zwiſchen Brahe und Netze, Bromberg und Natel, der Anfang
gemadt werben. Brendenhoff beforgte die Anfchläge. Arbeiter wurden aus
Sadjen, Anhalt, Thüringen, Böhmen herangezogen. In ber erften Zeit gruben
an 6000 Mann Tag und Naht. Brendenhoff beklagte naher, daß man fi
nicht Zeit gelafjen hatte, das Bruchland bei Nakel vorher auszutrodnen, was
die Aushebung des Kanals erleichtert haben und vielen Arbeitern Gejunbheit
und Leben erhalten haben würde. Als ber König im Juni 1773 durch das
Netzeland fuhr, jah er die erften beladenen Schiffe auf der neuen Wafjerftraße.
Im Jahre 1775, als die ganze Arbeit gethan war, ftrichen bereits 222 Schiffe
und 1151 Flöße dur den Kanal. Der König hatte 680000 Thaler für das
Merk angewiejen; bis auf 40000 wurden fie verbraudt. An diefen Bau ſchloß
fi die Regulierung der Nege zwiſchen Nafel und Driefen. Dann wurden einige
Nebenflüffe der Nee und der Weichjel ſchiffbar gemacht. Die Abficht des Königs,
den Waflervorrat der Weichjel „Iucceffive, immer mehr und mehr, nad) der Nogat
zu zwingen und abzuleiten”, wurde durch die Strombauten an der Montauer
Spike jo weit erfüllt, daß die Nogat, bisher nur halb fo ftarf wie die Weichjel
nad der Gabelung, von jet ab mehr Waſſer führte als der Hauptitrom. Nah
diefem Ergebnis wurde 1783 zwifchen der Nogat und Elbing der anderthalb
Meilen lange Kraffuhlfanal angelegt.
Während Brendenhoff den großen Kanal baute, brachte Roden fein Ratajter:
werk zu ftande, allerdings ohne die Vermefiung vollftändig durchzuführen. Männig-
lih mußte Rede und Antwort ftehen, jeine Anfprüche erhärten und feine Ver:
fchreibungen vorweifen. So eröffnete fi den Kommifjfaren und dem König ein
voller Einblid in den Abgrund der polnifhen Anardie.
Vom Nebegebiet hieß es: „Das Land wüfte und leer, die Viehraſſen ſchlecht
und entartet, das Adergerät höchſt unvollfommen, bis zur Pflugihar alles ohne
Eifen, die Aecker ausgefogen, vol Unkraut und Geftein, die Wiejen verjumpft,
die Wälder gelichtet.” Ebenſo untröftlih jah es im polniſchen Preußen aus,
am fhlimmften im Kulmifhen und zwiſchen Konig und Hammerftein. Ueber
die Staroftenwirtihaft berichtete Domhardt: „Unordnung und Finfternis haben
bisher in diefen Gegenden ihr feites Quartier gehabt. Lediglich die deſpotiſche
Wilfür der Staroften gab den Ausfhlag bei Beitimmung ber Praestandorum
und bei Benugung der Pertinenzien. Man findet weder Regiſter noch Red:
nungen von den bisherigen wirklichen Einnahmen. Ausmitteln läßt fih, daß
meiftens, namentlih in Pommerellen, die Bauernzinje jo in die Höhe getrieben
find, daß es für die Folge unmöglich ift, diefelben zu erzwingen, wenn man bie
Holzdiebereien nicht länger paffieren laffen will, aus deren Erträgnis größtenteils
Brot und Zins genommen wurde. Es gibt einzelne Starofteien mit undanfbarem
Boden, wo ſich die Mehrzahl der Bauern ohne Brot behelfen und von Wurzelwerf
und jchlehtem Gemüſe leben mußte. Das wenige Getreide, das fie bauten, ver:
Fauften fie, um bie ihnen auferlegten Laſten zu erſchwingen.“ Auch die Geiftlichkeit
hatte noch jüngft ihre finanziellen Anſprüche an die Bauern jehr erheblich gefteigert.
„Das einzige Land, wo bie Mafje des Volfes aller Rechte der Menſch—
beit entbehrt,“ jo hat ein König von Polen, Stanislaus Leszezynafi, fein Reich
gekennzeichnet: man betrachte hier die Bauern als Geſchöpfe einer anderen Art
Weſtpreußen. 487
und verweigere ihnen faſt die Luft zum atmen. Und wenn im eigentlichen Polen
die Grundholden der königlichen Tafelgüter und der Geiſtlichkeit beſſer geſtellt
waren als die des Adels, ſo war in Weſtpreußen die Lage ihrer aller gleich
ſchlecht. Schon durch die polniſche Prozeßordnung von 1523 der Verfügungs—
fähigkeit vor Gericht beraubt, waren ſie leibeigen im eigentlichen Sinne, ſeitdem
die Konföderationsakte von 1573 den Grundherren unumſchränkte Gewalt über
ihre Bauern zuerkannt hatte, verfaufbar und vertaufchbar, ohne Eigentumsredht
an ihrer bemeglihen Habe, die dem Peculium der römischen Sklaven gleich:
gerechnet wurde, geichweige denn an den Höfen und Hufen, jederzeit abſetzbar,
ungemefjenem F$rondienft unterworfen. Auch das Beligrecht der verhältnismäßig
nicht zahlreichen perſönlich freien Bauern, zumeift deutſcher Zuwanderer, die ihre
Grundftüde in emphyteutiſchem Befig als Zeitpächter bewirtſchafteten, war unter
dem Drud der Grundherren und in den Stürmen ber Bürgerfriege immer un:
fiherer geworben. Und jelbft die wenigen erblichen Wirte, die zu kulmiſchen
Recht angeſeſſenen Freifhulzgen und Lehnbauern und die ihnen ungefähr gleich:
geitellten Hauländer, Erbzinsleute auf gerodetem Waldboden, litten unter ber
Willkür der die Staatsgewalt vertretenden und ſchändenden Staroften.
Nicht viel beſſer als die Lebenshaltung der Bauern war die bes viel-
verfpotteten polnifchen Bauernabels, biefer Edlen, die barfuß einhergingen, weil
fie den Baſtſchuh verfhmähten, der fie ben Bauern gleihgemadt haben würde.
„Privilegierte Taugenichtfe,” hat fie ein Kenner genannt, „Leute ohne Befig und
ohne Heimftätte, ftupide unwiſſend, fäuflihe Sklaven der großen Herren, aber
bes Glaubens lebend, daß ihr Liberum veto und ihr Privileg, fi, ſoweit fie
es dazu haben, zu beraufchen, ihre Edelmannsqualität genugfam erhärten.” Unter
denen, die noch Grund und Boden ihr eigen nannten, waren manche doch an ber
Grenze des Nichts angelangt. Auf dem Gut Sobongz in der pommerelliihen
Staroftei Kiſchau fanden die preußifhen Kommiffare nicht weniger als zwölf
Edelleute als Befiger vor, einer hatte zwei Hufen im Beſitz, drei je eine, fünf
je eine halbe, drei zufammen drei Viertel Hufen.
Die neue preußifche Verwaltung jchuf ſich zunächſt reinen Tiſch durch völlige
Befeitigung der Starofteiverfaffung. Die Staroften, für die Wahrnehmung
ihrer richterlihen und fonftigen obrigkeitlihen Aufgaben mit dem Nießnug von
Staatsgütern ausgeitattet, hatten nad einem Geſetz von 1562 die „Quarte“
ihrer Einkünfte, wie fie alle fünf Jahre durch eine „Luftration” ermittelt werden
follten, an den Staat zu zahlen; wie es um die Ausführung dieſes Geſetzes
ftand, ergibt die 1769 feftgeftellte Thatſache, daß ein halbes Jahrhundert
hindurch diefe Schagungen unterblieben waren. Der König von Preußen ver:
fügte jet die jofortige Einziehung fämtliher Staroftengüter. Bis zum 1. Juni
1773 jollten fie, um die Erträge feitzuftellen, von Staats wegen bewirtichaftet,
von da ab, zunähft immer auf die furze Frift von drei Jahren, verpadtet
werben. Den bisherigen Inhabern wurde eine mäßige Geldentihädigung in
Ausficht geftelt. Es war dem König ganz willfommen, daß fi eine Anzahl
Staroften zur Huldigung vor feinen Bevollmächtigten in Marienburg am 27. Sep:
tember 1772 nicht einfanden und damit einen Anlaß gaben, ihr Amtsgut ohne
weiteres einzuziehen; hat doch ein weltpreußifcher Graf damals zu der Rolle
488 Achtes Bud. Vierter Abſchnitt.
eines agent provocateur ſich bereit gefunden. Im ganzen ſind im weſtpreußiſchen
Kammerbezirk als Entſchädigung an Staroſteibeſitzer 380000 Thaler ausgezahlt
worden, einſchließlich 530000 Thaler zur Deckung ber Schulden des Biſchofs
von Ermland. Ohne Härten iſt es bei dieſer Wiedereinziehung der Staatsgüter
nicht abgegangen, aber der König berief ſich darauf, daß er mehr gegeben habe,
als aus gleichem Anlaß die öſterreichiſche Regierung, oder gar die Ruſſen, die
gar keine Entſchädigung gewährt hätten.
Andere Staatsäcker waren unter polniſcher Herrſchaft ohne Verbindung mit
einem obrigkeitlichen Amte als Gratialgüter an Manutenare ausgegeben worden,
teils auf Lebenszeit, teils erblich auf vier oder ſechs Augen. Dieſe wurden zum
größeren Teil in Rittergüter verwandelt.
Die Herrichtung der in das Staatseigentum zurückkehrenden Ländereien
erforderte ſehr erheblichen Aufwand. Die Wohnhäuſer waren zumeiſt „in den
ſchlechteſten Umſtänden und mehr Viehſtällen ähnlich“, auch die ſogenannten
Schlöſſer der Staroſten nur von Holz oder Lehmfachwerk, und als im Sommer
1775 die weſtpreußiſche Kammer eine lange Liſte der durch einen Sturm um—
geſtoßenen Scheunen und Ställe vorlegte, meinte der König, das wundere ihn
bei dem Zuſtand der Gebäude in dem alten polniſchen Preußen nicht. Ins—
geſamt hat das „Retabliſſement“ ber weſtpreußiſchen Domänen mehr als
4 Millionen Thaler erfordert.
Der Verftaatlihung der Starofteien ging zur Seite eine Sequeftration bes
Kirchengutes. Ale geiftlihen Liegenſchaften, nur die Pfarräder der „geringen
und Dorfpfaffen” ausgenommen, wurben in ftaatlihen Wirtjchaftsbetrieb ge—
nommen, in ber Weife, daß der Grundherr, Biſchof, Prälat oder Abt, nad
Abzug aller Unkoften die Hälfte des Reinertrages, der Staat als Grundſteuer
die andere Hälfte erhielt; jede aus fpäteren Berbefferungen erwachſende Mehr:
einnahme jollte zu der fisfalifhen Halbicheid gejchlagen werden. Eine Klauſel
zu Gunften des status quo der fatholifchen Kirche in dem 1773 mit der
Republif Polen gejhloffenen Abtretungsvertrag ließ der König für dieſe in-
zwifchen thatjächlich bereits durchgeführte Neuordnung nicht gelten. Begrünbet
wurde die Maßregel mit dem offenkundigen Verfall der geiftliden Gutsver—
waltung und mit dem Hinweis darauf, daß die Prälaten durch die Wirtſchafts—
mühen von den Aufgaben der Seeljorge allzufehr abgelenft würden. „Unjere
Biſchöfe,“ fchrieb der König an Voltaire, „behalten 24000 Thaler Rente, die
Hebte 7000. Die Apoftel hatten nicht fo viel. Man verftändigt ſich mit ihnen
in der Weile, daß man fie von den Sorgen dieſer Welt entlaftet, auf daß fie
fih ohne Ablenkung befleißigen, das himmlische Jerufalem zu gewinnen, das
ihre wahre Heimat ift.“
Nur mit der Hälfte bes den Geiftlichen auferlegten Sates, mit 25 Prozent
vom Neinertrag der Güter, wurden die Ebdelleute zur Staatefteuer, der den
Grundfägen bes oftpreußifchen Generalhubenſchoſſes nachgebildeten Kontribution,
veranlagt, und der proteftantifche Adel erhielt noch einen Nachlaß von 5 Prozent.
Außerdem hatten Rittergutsbefiger und freie Bauern Lehnpferdegelder nad) dem
Muſter der alten Provinzen zu entrichten. Für die Befteuerung der Bauern
hatte der König die Richtſchnur gegeben, dab die Fleinen Leute möglichſt geſchont
Weftpreußen. 489
werben follten. Demgemäß wurden bei der Einihägung der gutsunterthänigen
Bauern alle Fronen, Zehnten und Laften, die fie dem Grundherrn oder zu
Kirchen: und Schulzweden jchuldeten, von dem Bruttoertrag der Wirtfchaft ab:
gezogen; von dem jo berechneten Reinertrag hatten fie dann an Kontribution
3315 Prozent zu zahlen. Die Kölmer und jonjtigen Freibauern wurden, ſoweit
fie nicht Lehnpferdegelder aufbrachten, mit 28, jonft mit 25 Prozent vom Rein-
ertrag veranlagt. Von den Stabtgemeinden zahlten die Eleinen Aderftäbte
Kontribution, die etwas größeren Gemeinmwejen Xccife.
Den Bauern verfündete gleich bei der Beligergreifung das Patent vom
28. September 1772 die Befreiung von Sklaverei und Leibeigenſchaft. Die
damit nicht aufgehobene Erbunterthänigkeit der gutspflidtigen Bauern wurde
dur die uns ſchon bekannte Verordnung vom 8. November 1773) geregelt.
Hatte der König anfänglih Domhardt mit der Weifung verfehen, daß fein
Bauer mehr als drei Tage in der Woche Frondienſte leijten jolle, jo wurde
jegt der Dienft der Amtsbauern ſogar auf 60 Tage im Jahre beſchränkt, und
es wurde ftreng darauf gehalten, daß die Domänenpädter mit den Leuten
nit „nad dem harten polnischen Fuß” umgingen. Den adelihen Grundherren
empfahl die Verordnung von 1773, die Dienfte ihrer Bauern nah den für die
Aemter aufgeftellten Grundſätzen zu regeln; da, wo bisher Dienitfontrafte nicht
beftanden, follten die Edelleute fie binnen Jahresfriſt abjchliegen oder gewärtigen,
daß auf ihren Gütern ohne weiteres die den Amtsbauern gewährten Bedingungen
rehtlihe Geltung gewönnen. Den erbliden Beſitz ihrer Güter ficherte den
Bauern eine Verordnung vom 20. Februar 1777.
Es ift fennzeichnend, daß ber König bei der Volkszählung, die er in ber
neuen Provinz alsbald anjtellen ließ, die Nationalität, die Sprade feftgeitellt
willen wollte. Der Wunſch, das Land möglihft zu germanifieren, war von
vornherein vorhanden und machte fich je länger deſto entfchiedener geltend.
Zwei Mittel wurden gleichzeitig angewandt: Zurüddrängung des polnifchen
Adels aus dem Grundbefig und Anfiedelung deutfher Bauern und Bürger.
In eriter Hinfiht war mit ber Einziehung der Starofteigüter ſchon ein Er:
heblihes erreiht. Der König entichied, daß die aus diefen und den geiftlichen
Gütern entftandenen 79 Domänenämter nur an Deutſche zu verpachten jeien,
zielbewußter als Dombardt, der fein Arg dabei gehabt hätte, „bemittelte und
vernünftige polnifche Edelleute” als Staatspädhter zu empfehlen. In derfelben
Tendenz wollte ber König die Anfäufe, bie der Staat zur Vergrößerung feines
Domanialbefiges machte, nur auf die Güter polnifher Grundherren erftredt
wiſſen, um, wie er wiederholt an Domhardt fchreibt, das „unordentliche polnische
Bolt”, das „garfiige und foddrige Polenzeug” loszuwerden. Gelegenheit zu
jolden Antäufen erwartete er genug, in der Annahme, daß die sujets mixtes,
diejenigen Edelleute, die gleichzeitig noch unter polnifcher Oberhoheit, oder jept
auch unter ruffiiher und öfterreihiicher ftanden, den Wunſch haben würden,
ich eines Teiles ihrer Güter zu entäußern, um fih „unter einer Herrſchaft
zu firieren”. Fügte es fich bei ſolchem Ankauf, daß proteftantifche Bauern aus
ı) Oben ©. 378. 380.
490 Achtes Bud. Vierter Abfchnitt.
ber „Oppreffion” einer fatholifhen Grundherrfchaft gelöft wurden, jo war
das dem Könige um fo lieber. Und entgegen feinem fonftigen Grundſatze
geftattete er in ber neuen Provinz, daß adeliche Güter, ſoweit fie bisher in
polnischen Händen geweſen waren, von bürgerlichen Deutihen erworben werden
durften, wofern die Käufer nicht die „alte polnifche Wirtſchaft“ fortfegen, fondern
den Betrieb „orbentlih und regelmäßig” einrichten würden. „Obwohl in ans
beren Provinzen es wider die Geſetze läuft”, fo legt er in einer Inftruftion
für die Bromberger Kammerbeputation feine Beweggründe dar, „daß Leute
bürgerliden Standes abelihe Güter acquirieren, jo wollen Seine Königl.
Majeftät doch in Weftpreußen ſolches accordieren, um nur bie Polen los zu
werden, weil Ihnen borten ein guter Bürger lieber ift, als alles das polnijche
Toll.” „Das polniſche adelihe Zeug,” fchilt der König ein andermal an:
läßlich eines Berichtes über Grundfteuer-Rüdftände, „ift nicht orbentlid und
verthut fein Geld in Polen;” er befahl deshalb, dab den am Hofe in Warſchau
und ſonſt in Altpolen weilenden Edelleuten fein Pfennig von ihren Einkünften
verabfolgt werde, bis fie ihre Abgaben völlig berichtigt haben würden.
Den Gedanken, weſtpreußiſche Nittergüter aufzulaufen, um fie unter
bäuerlihe Koloniften auszuteilen, bat der König in feinen letzten Jahren
mehrfach ausgeiprocdhen, ohne daß, wie es jcheint, die That folgte.
Mit der Anjegung deuticher Koloniften, freier Erbzinsleute, ſollten zunächſt
ben verfommenen polnifhen Bauern Lehrmeifter an die Seite geftellt werben.
„Das ficherfte Mittel,” jo jchrieb der König noch vor der Belikergreifung an
Domhardt, „diefen ſklaviſchen Leuten beffere Begriffe und Sitten beizubringen,
wird immer fein, folde mit der Zeit mit Deutihen zu vermifchen, und wenn
es nur anfänglid mit zwei oder brei in jedem Dorfe gefhehen kann.” Später
hielt er es für zwedmäßiger, die deutihen Zumanberer in geſchloſſener Mafje
anzufegen: „Es müflen glei ganze Dörfer und Kolonien, mitten unter dem
groben und butten Zeug, angelegt werben, die ganz allein wohnen und ihre
Nahrung und Gewerbe vor ſich treiben, damit das hiefige Volk um fo befler
fiehet und gemwahr wird, wie jene fi einrichten und wirtfhaften.” So ent:
ftanden auch in diefer Provinz neue Dörfer, im Ganzen etwa 50, teils wie
anderwärts !) auf den Domänenvorwerfen, die nad) des Königs Abficht jämtlich,
foweit fie nicht Brauereien enthalten, mit Bauern befegt werben folten, teils
auf Rodungen, im Bruchland oder im Streufand, bie meilten längs der Netze
an der Grenze nah Altpolen. Medlenburger und Laufiger, längft als „gute
und fleißige Wirte” befannt, ferner Pfälzer, Thüringer, Sachſen wünfchte der
König vorzugsmweife als Koloniften herangezogen, auch Deutihe aus Polen —
„ſchlechterdings aber feine Stodpolen“. An der Grenze ließ er vielmehr jcharf
fahnden „auf das ſchlechte polnifhe Zeug, fo ins Land hereinfömmt”. Be:
fondere Bedeutung für Weitpreußen gewannen die Württemberger-Kolonien, die
in den legten Regierungsjahren gegründeten Dörfer, deren Bewohner inmitten
der plattveutihen und polnischen Bevölkerung auf 100 Jahre hinaus ihren
ſchwäbiſchen Typus, ihre Bräuche und ihre Lieder ſich gewahrt haben,
) Dben ©. 368. 369.
Weſtpreußen. 491
Die beiten Ausſichten hatte die Germanifation in den Städten. Hier
hatte das deutſche Element in den Zeiten der Fremdherrſchaft fich widerſtands⸗
fähiger gezeigt als auf dem platten Lande. Ein polnifches Bürgertum, ein
polnifher Handbwerkerftand war noch nicht vorhanden. Es kam alfo hier nur
darauf an, die klaffenden Lüden in ben deutihen Bürgerfchaften auszufüllen,
die furdtbaren Spuren bes allgemeinen Nieberganges der polnifhen Wirtichaft.
Der Wiederaufbau der verwüfteten Städte hatte mit dem Sommer 1774
begonnen; bis dahin waren die verfügbaren öffentlihen Mittel durch den Kanal:
bau und die Herrihtung von Kajernen in Anjprud genommen. Vorweg ver:
fügte der König, daß das ſtädtiſche Retabliffement „nicht ins Wilde hinein, fondern
mit Ordnung und auf eine folide Art” in Angriff zu nehmen fei, in der Weife,
daß zuerft nur die beträdtlichften Orte Kulm, Graudenz, Bromberg, denen dann
noch Mewe angereiht wurde, Berüdjihtigung finden follten. Als die met:
preußifhe Kammer im Herbit 1774 das begonnene Werf glei auf fünf weitere
Städte auszubehnen vorfhlug, tabelte fie der König, weil fie in feine Idées
fchleht entriere. Die Gefamtkoften befjen, was für die Städte feines weft:
preußifhen Kammerbezirks zu leiften fei, berechnete Domhardt auf 626402 Thaler.
Der König fegte zunächſt für jedes Jahr 100000 Thaler aus. An Lurusbauten
durfte dabei freilich nicht gedacht werden. Als nah einigen Jahren die Her:
ftellung des großen Saales im Marienburger Schloß ihm empfohlen wurde,
erflärte der König, bazu feinen Pfennig geben zu können. Vielmehr bot der Hoch—
meifterpalaft jegt einer Webergemeinde, das Hochſchloß einer Kaferne Raum,
Die dem Könige einzureihenden Voranjhläge hatten zu enthalten ein
Verzeichnis der wüften Stellen in jeder Stabt und Liften für Heranziehung von
Kaufleuten und für Anfegung von Handmwerfen, je nad den Ausſichten auf
Fortkommen, die ſich den einzelnen Gewerben nad den örtlichen Verhältniſſen
boten. Tuchmacher und Weber wollte der König zunähft nit in die neue
Provinz ziehen, wo fie die Abfagbebingungen der neumärkiſchen Wollinduftrie
ftören würden, fondern „nur die gemeinften Handwerker”, Maurer, Zimmerleute,
Tiſchler, Lohgerber, LZederarbeiter, Wagenmadher und Bortenwirker. „Schufter
und Schneider”, jchreibt er no 1775 aus feinem „Kanada“ an b’Alembert,
„Ind in dieſem Lande geſuchte Virtuofen, weil es feine gibt.” Maurer und
Zimmerleute aus der Fremde fchaffte die Berliner Dberbaudireftion auf bie jet
überall herzurichtenden Baupläße herbei. Unter 927 Familien, die zu Friedrichs
Zeiten in die von ihm erworbenen polnifhen Städte eingewandert find, begegnen
uns 71 Schuhmader, 64 Schneider, 24 Bäder, 20 Fleifher, 64 Gärtner,
60 Maurer, 36 Zimmerleute, 51 Tuchwirker, 33 Zeugmacher, 44 Kaufleute.
Alle diefe Zuwanderer wurden in fertige Häufer und Werkſtätten eingemiefen.
Ganz lag das alte Braugewerbe der Städte danieder. Gegen bie ftäbtifchen
Privilegien von 1581 hatten allerorten die Staroften, die Edelleute überhaupt,
Bierbrauereien und Schnapsbrennereien für den gewerbsmäßigen Verfchleiß an-
gelegt, während fie von Rechts wegen nur für ihren eigenen Bedarf brauen
follten, und ihre Krüge jchoben fi bis in die ſtädtiſchen Weichbilder hinein.
Der neue Landesherr verbot die Erteilung neuer Braugeredtigfeiten an länd—
lihe Befiger und befahl die alten Konzejfionen zu prüfen; fie alle aufzuheben
492 Achtes Bud. Bierter Abſchnitt.
wagte er nicht, da er damit wohlerworbene Rechte zu verlegen fürchtete. Aber
auf den Domänen ließ er in ber Folge das Brauen ganz einftellen und er:
munterte dafür die Städte zur Anlegung neuer Brauereien, zumal zur Her:
ftellung des in Polen fo beliebten ftarfen Bieres nad) engliiher Art, das man
dann jenjeits ber Grenze als echtes Gebräu an den Mann bringen mochte.
Almählih konnte nun daran gedacht werden, den anfänglih abſichtlich
beſchränkten Kreis der Induſtrieen zu erweitern. In Kulm, Konig, Schönlanfe
arbeitete fih eine Tuchmanufaktur empor, die der König wieder auf die Nach—
ahmung der englifhen Technif hinmwies; in Elbing wünſchte er eine Färberei
anzulegen; bie Städte an ber Weichſel, wie Marienburg und Mewe, die das
polniſche Rohlever bequem beziehen fonnten, jolten fih auf die Lohgerberei
werfen. Auch mit der Fabrikation von Strümpfen, Mützen und Handſchuhen,
Tabakspfeifen und Spiegeln folte ein Anfang gemadt werden. Alle dieſe
Induſtrieen wurden mit ihrem Abſatz vorzugsmeile auf Polen angemwiejen; je
näher ein Ort ber Grenze lag, befto geeigneter erjchien er zur Entfaltung des
Gewerbefleißes. Die Verfertigung der in Polen ftets begehrten Schärpen von
bunter Wolle wurde ausnahmsweiſe noch auf dem platten Lande geftattet.
Die Städte blühten fihtlih auf. Es hat lange gedauert, bis Friedrich
bie eriten Früchte feiner Bemühungen ſah, aber noch kurz vor feinem Tode hat
er gegen einen feiner Minifter es anerfannt, daß die Weftpreußen anfingen,
„etwas inbuftriöfer und aufgeflärter zu werden“; das und überhaupt der Fort:
gang der Fabriken habe ihn erfreut. Die weitpreußiihen Stabtfämmereien
nahmen 1774 nur 76875 Thaler ein, 1786 ſchon 141966; die Ziffer ihrer
Schulden war in diefen 13 Jahren von 362117 auf 274634 Thaler gejunten.
Nah den vollftändig nicht mehr erhaltenen Liſten haben fi zu Friedrichs
Zeit neben jenen 927 in die weſtpreußiſchen Städte eingewanderten Familien
auf dem Lande 1279 angefiedelt, ein Zuwachs von etwa 11000 Köpfen auf
eine Bevölkerung, bie bei der Befigergreifung auf 5—600000 gefhägt wurde
und nad) der Zählung von 1782 in den Bezirken von Marienwerder und Brom:
berg 561372 Köpfe betrug, das Ermland mit mehr ala 100 000 Einwohnern
ungerehnet. Raum blieb in dem dünn bevölferten Lande noch für viele; im
Sabre 1780 legte die weitpreußiihe Kammer einen Entwurf vor, wonach nod
14 774 Familien angefegt werden jollten.
So mwilllommen der neuen Landesherrſchaft jeder arbeitiame Anftebler
war, jo unerfreulih waren ihr die zahlreihen Nomaden, die man im Lande
vorfand. Gegen Zigeuner und Landftreicher richtete fich gleich eines der erften
Edikte, obgleich der König wußte, daß Hufarenpatrouillen hier befjere Wirkung
thun würden, als Edikte. Wiederholt ließ er die Tucheler Heide durch Fußvolf
und Reiter „ablleppern”, um alle „Bagabunden und loſes Gefindel” aufzugreifen.
Betteljuben jollten ebenjowenig wie in den alten Zanbesteilen gebuldet werben;
doch bedingten die eigentümlichen örtlichen Verhältniffe, daß die Abjchaffung
diefer Fahrenden „nur almählih und ohne Ungeftüm“ zu bewirken war. Be:
mittelte Juden jollten nah den für Oftpreußen geltenden Beitimmungen in den
größeren, den „accifebaren” Städten, zumal in den Grenzitädten nad) Polen zu,
eine Freiftätte haben.
Weſtpreußen. 493
Von dem Hauſiergeſchäft der Juden und von der Elbinger Kaufmannſchaft
abgeſehen, war von Handel in der neuen Provinz, wie die amtlichen Erhebungen
ergaben, ſo gut wie gar nicht die Rede. „Wir debitieren nirgends,“ antwortete
die Stadt Krone kurz und bündig auf die amtliche Umfrage. Von der durch
Domhardt vorgeſchlagenen Einſetzung eines kaufmänniſchen KKommerzkollegiums“
ſah der König unter dieſen Umſtänden ab, bis die Handlung der Provinz erſt
in „Ordnung und zu beſſerem Flor“ gebracht ſein würde. Noch mehr aber als
anderwärts ſchien es hier angezeigt, großhändleriſche Unternehmungen durch
Monopole aufzumuntern, ja überhaupt zu ermöglichen.
So wurde am 14. Oktober 1772 zu Berlin die Seehandlungsgeſellſchaft
begründet: fie ſollte mit eigenen oder gecharterten Schiffen unter preußiſcher
Flagge unmittelbaren Verkehr mit überfeeifhen Häfen unterhalten und zur
Sicherung ihrer Geſchäfte das ausſchließliche Recht zur Anfuhr von Seeſalz und
für das Weichjelgebiet zum Auffauf und zur Ausfuhr von Wachs haben. Für
den Abſatz des durch die Seehandlung angefahrenen Salzes erhielt gleichzeitig
eine andere Gejelihaft, die jogenannte Compagnie de Prusse, das Monopol.
Schwer beeinträchtigt fühlte fih dur das Privileg der Seehandlung bie oft:
preußiſche Kaufmannſchaft, und auch die Schlefier klagten fort und fort über ben
ihnen dadurch erwachſenden Schaden. Nicht ohne die Billigung des Präfidenten
Domhardt verſuchte das Königsberger Kommerzkollegium der Neuordnung ent:
gegenzumirfen, bis ihr der König für ihr „mutwilliges und frevelhaftes Wider:
ftreben” eine ftrenge, auch den Kammerpräfidenten treffende Rüge erteilte. In—
befien wollten die Gejchäfte ber beiden Monopolgejellihaften nicht blühen.
Zumal die zweite geriet in Berlegenheiten durch den Ankauf großer Salz:
vorräte, für die e8 an Abnehmern fehlte Sie wurde nun im Mai 1775 mit
ber Seehandlung verihmolzen, und dieſe erhielt, bis die Schulden der aufgelöften
Gejellihaft getilgt fein würden, Nachlaß des ihr für ihre Salzzufuhren auf:
erlegten Eingangszolles. Sehr viel verfprah fih der König von einem am
3. Januar 1779 getroffenen Abfommen: gegen Erlegung einer Pachtſumme von
jährlih 400000 polniihen Gulden übernahm eine Warſchauer Zweiganftalt der
Seehandlung den bisher von der Krone Polen betriebenen Salzhandel. Aber bie
Verwaltung der großen, jett öſterreichiſchen Salzwerfe Galiziens begünftigte Wett:
bewerber, und jo jah fich die Seehandlung veranlafßt, im Mai 1781 ihren Vertrag
zu fündigen. Bald darauf erhielt das Anfehen der Geſellſchaft einen harten
Stoß, als 1782 die gegen ihren damaligen Zeiter, den Minifter Friedrich Wilhelm
v. Görne eingeleitete Unterfuhung die unlautere Geſchäftsführung diefes Mannes,
feine gewagten Geldgeihäfte mit polnifhen Magnaten, Wechjelreitereien, ja un:
leugbare Beruntreuungen offenbarte. Zwar wurden die Berlufte der Seehand:
lung dur die Konfisfation Görnefcher Güter gededt, aber der Kredit ber Anftalt
blieb erjchüttert, bis ganz allmählich die geihicdte und fachkundige Leitung des
Geheimen Finanzrats Struenfee befiere Tage für fie heraufführte.
Ale Bemühungen um bie Hebung des Handels blieben freilich Stüdwerf,
folange man, wie damals gejagt worden ift, nur den Rumpf und nicht das
Haupt hatte, jolange Danzig außerhalb der preußiihen Staatsgrenzen blieb.
Der Verfud, die vier preußifch gewordenen Vorſtädte am linken Weichjelufer —
494 Achtes Bud. Vierter Abſchnitt.
fie und den Hafen von Neufahrwaſſer hatte man kurzerhand in die Grenze
einbezogen — auf Koften der Hauptitabt emporzubringen, führte zu feinem be—
friedigenden Ergebnis; fie blieben wirtfhaftlih von Danzig abhängig. Aber der
Danziger Handel litt ſchwer unter dem Differentialtarif des preußiſch-polniſchen
Hanbdelsvertrages von 17755!) den Import ber zur Berjorgung bes weft:
preußifchen Hinterlandes und des Königreihs Polen beftimmten Waren verlor
man im wefentliden an Elbing; im Ausfuhrgeſchäft behauptete fi noch ungefähr
der alte Kornhandel der Danziger, ihr Holzhandel ſank beträdtlihd. Schon er:
hoben fih Stimmen, zumal unter dem jüngeren Geſchlecht, die ben Anſchluß an
den mädtigen Nachbar, die freiwillige Unterwerfung empfahlen. Und zahlreiche
Danziger wanderten in bie neue preußifche Provinz aus. Wenn bie Stadt in
der Umklammerung durd die preußifhen Zolllinien und Militärforbons nicht ganz
erftidt wurde, fo hatte fie das nur der Fürſprache Rußlands zu banken.
Durchgreifender als alles, was fonft in der neuen Provinz geſchah, war
die Einführung einer gerechten und wirkſamen Nechtäpflege und bie Schöpfung
einer Volksſchule.
Ein Feberftrich bejeitigte den ganzen Wuft der alten Gerichtsverfaflung,
„die weltbefannte, und in öffentlih gebrudten Schriften polnifher Geſchicht—
ſchreiber felbft abgefchilderte tumultuarifche und aller rechtſchaffenen, unparteiiſchen
Rechtspflege wiberftreitende Prozedur und Gewalt ber bisherigen Gerichte, fie
haben Namen wie fie wollen“. In biefem unglüdlihen Lande, jo jchilderte
Friedrich den bisherigen rechtlojen Zuftand in einem Briefe an d’Alembert, habe
ftatt jedes Geſetzes der Stärfere ungeftraft ben Schwachen unterdrüdt; aber das
fei jegt gewejen. Fortan war niemand die Berufung von dem erjten Richter
an einen höheren verfchränft. Weber den nad altländifhem Mufter eingerichteten
Stadtgerichten, Domänenjuftizämtern und Patrimonialgerichten ftand das Oberhof—
und Landesgericht zu Marienwerber, jeit 1773 „weitpreußijche Regierung” ges
nannt; neben fie trat 1773 für den Netebiftrift das Hofgericht zu Bromberg.
Die dritte Inſtanz bildete das Berliner Obertribunal, Für die materielle Recht:
ſprechung erkannte die Inftruftion für die weitpreußifche Regierung vom 21. Sep:
tember 1773 die alten ftatutarifchen Ortsrecdhte an, während das oftpreußiiche
Landrecht von 1721, das Römiſche Recht und in gewiſſen Fällen aud das Corpus
Juris Fridericianum von 1751 jubfidiäre Geltung haben jollten. Im Strafredt
fanden die uns befannten menſchlichen Grundjäge des Königs Anwendung, ber
„in criminalibus eher zu gelinde ala zu ſcharf“ erfannt wiſſen wollte. Und auf
dem klaſſiſchen Boden der Unduldſamkeit und der Diffidentenverfolgungen galt
nunmehr der Sat, daß ber Juftiz „ohne die mindefte Rüdficht auf die Religion“
ihr Lauf zu lafjen fei: „ohne daß nur gefragt wird, zu welder Religion die
Parteien fich befennen“.
Das Fehlen jeder Schule auf dem platten Lande bemerkte ber König
gleich auf der Rundreife des Sommers von 1772 als eine der frembartigften
Begleiterfcheinungen der polnischen Anarhie und Barbarei. Er erhob gegen
die polniihen Evdelleute, die „Tyrannen“ ihres Vaterlandes, die Anklage, fie
’) Bal. oben &. 410.
Weftpreußen. 495
hätten, um das Spiel ihrer Willtür defto weiter treiben zu können, das Volt
abfihtlih in Unmifjenheit verfommen laflen. Erjt mit der Zeit, und nur durch
eine befere Erziehung, würde man dahin gelangen, dieſe Jrofefen zu zivilifieren.
Nah einem Bericht der Kammer, erfchien die Anftellung von zunächſt 211 Schul
meiftern erforderlich, wenn „bie heranwachſende Landjugend“ nicht „gleich ihren
Vätern aller Edufation und auch des notdürftigen Unterrichts” beraubt bleiben
jolte. Der König ftiftete einen Schulfonds, deſſen Zinfen zu Lehrergehältern
verwendet werden jollten; er wollte jeden Lehrer mit 60 Thalern an Bar:
einfommen, Brennholz und mit einem Morgen Gartenland ausgeitattet wiſſen.
Evangeliihe Schulmeifter mußte der Minifter Zeblig herbeiihaffen, der fie zu:
meift dem halliihen Waifenhaus entnahm, deutſche Katholifen der ſchleſiſche
Provinzialminifter, polnifhe der Bilhof von Ermland. Die Fürforge des
Staates für den Volksunterricht galt zunächſt den Domanialdörfern; aber die
Rittergüter mußten wohl oder übel dem Beifpiel folgen. Zu Ausgang des Jahr:
bunderts, im dritten Jahrzehnt der deutihen Verwaltung, zählte man in Met:
preußen mit Ausihluß des Netzelandes unter 750 Landſchulen 173 auf adlichen
Gütern. In dem Bromberger Bezirk, der an dem mweitpreußifhen Schulfonds
nit teilhatte, waren bis 1778 58 katholiſche und 177 evangeliiche Lehrer
berufen worden; es fehlten damals noch 112 Katholifen, 43 Proteftanten. Auch
in den Städten mußte fih das Schulweſen aus den armjeligiten Zuftänden
emporarbeiten: die Stadt Bromberg war beim Verfall ihrer Kämmerei nicht im
ftande, einen Lehrer für die evangeliihen Zuwanderer anzuftellen; man mußte
die Hülfe des Königs anrufen.
„Es war nur gerecht,” fchrieb Friedrih bald nad der Erwerbung von
Weftpreußen an Voltaire, „daß ein Land, das einen Kopernifus hervorgebradht hat,
nicht länger in der Barbarei jeglicher Art verfumpfte, in melde die Tyrannei
der Gewalthaber es verjenkt hatte.” Bei der Belfigergreifung hatte er dem ver:
wahrloften Lande verheißen, jo zu regieren, „daß die vernünftigen und wohl:
denfenden Einwohner glüdlih und zufrieden fein könnten und feine Urſache
haben würden, bie Veränderung zu bereuen.“ Der Erfolg hat jeine Bemühungen
gelohnt, und an Dank hat es ihm in der neuen Provinz nicht gefehlt. „Fragen
Sie die Leute, die an der Nee wohnen,” burfte General Zentulus 1773 zu
einem Bertreter ber Stadt Danzig jagen, „und jehen Sie dann, wie glüdli
und zufrieden diefelben find.” Die Aufgabe, vor der die preußifche Verwaltung
itand, war ſchwer; ſchier unermeßlich, weil überall ſchlechterdings von vorn an:
gefangen werden mußte. Aber fie wurde erleichtert durch das Fehlen derjenigen
Gegentriebe, die fpäter in den ehemals polnijhen Landesteilen der Monarchie
die Befeftigung des Staatsgedanfens und des Deutichtums gehemmt haben.
Noch war nichts zu jpüren von einem ſolidariſchen Gegenjaß der polnischen
Nationalität gegen die preußiiche Obrigkeit und die deutſche Mitbürgerfchaft.
Gejhädigt fühlte fih nur der bisher herrjchende Stand, der in feiner Willkür—
herrſchaft und in feiner Zudhtlofigfeit geftörte Adel, und ihm war mit feiner
landſtändiſchen Verfaſſung die einzige Möglichkeit zu politiicher Oppofition ges
nommen, wenn anders er in jeiner wirtjchaftlihen und fittliden Verkommenheit
überhaupt noch politiide Regungen hatte. Der polniſche Bauer hatte bei dem
496 Achtes Bud. Bierter Abjchnitt.
Wechſel der Landesherrfchaft nur gewonnen; von einem polnifhen Bürgertum,
einem polnifchen Handmwerkerftand, die beide fich in der Folge, dank der neuen
Ordnung der Dinge, kräftig entwidelt haben, war wie gejagt nod nicht die
Rede. Und vor allem bie Geiftlichkeit ftand entweder teilnahmlos beifeite,
oder zeigte fi nad dem Vorgang der Landesbifchöfe ergeben und zuverläjfig.
Aus der Ferne aber geihah nichts, um die Stimmung des polnischen Klerus
gegen ben preußifchen Staat zu erregen. Die Kurie, damals von den katholiſchen
Mächten hart bedrängt, bem König von Preußen aber, wie wir noch hören werden,
dur mandherlei Gefälligkeiten zu Dank verpflichtet, enthielt ſich jeder Ein-
mifhung in das Verhältnis zwiſchen diefem proteftantifhen Staate und feinen
fatholifchen Unterthanen. So ftanden die weſtpreußiſchen Katholifen der neuen
Herrſchaft ohne Eonfeffionelles Mißtrauen gegenüber, während alles, was
evangeliich war, ihr warme Sympathien entgegentrug.
Weſentlich fam ferner ber moralifhen Eroberung biefer Landſchaften ber
Umftand zu gute, daß nah der Teilung von 1772 noch ein felbitändiges
Polenreich fortbeftand, und daß ein einziger Blid über die Grenze in das alt:
polnifhe Chaos hinein vollauf genügte, um die ungeheure Ueberlegenheit der
deutſchen Kultur und die Segnungen einer feften Staatsordnung und Vermaltung
erfennen zu laflen. Und endlih war der Umfang der neuen Provinz nicht jo
groß, daß der deutſche Geſamtcharakter des Staates beeinträchtigt, oder daß die
Verwaltung vor unmöglihe Ausgaben geftellt worden wäre, wie zwanzig Jahre
fpäter nad den polnifhen Erwerbungen Frievrih Wilhelms II., dem weder
geeignete Beamte für die Beſetzung der Behörden, noch Geldmittel für die Be—
wirtihaftung des dem Fiskus mafjenhaft zufallenden Grunbeigentums in aus:
reihendem Maße zur Verfügung ftanden.
Für alles weitere jorgte eine weife Verbindung von Schonung und Strenge.
König Friedrid hat feine Behörden bei Gelegenheit darauf bingewiefen, daß er
gegen die katholiſche Geiftlichfeit mehr „Menagement* beobadten müffe, als die
bem gleichen Belenntnis angehörige öfterreihifche Regierung. So wollte er
überhaupt die Gefühle der neuen Unterthanen nicht verlegt fehen; ein Landrat
im Negelande, der es ben abdelichen Kreisinfallen gegenüber an Takt fehlen
ließ, wurde abgefegt. Auch wünſchte der König, daß feine deutihen Beamten
zwiichen polnifher Bevölkerung der fremden Sprache mächtig jein follten. Nie
aber durften Rüdfiht und Schonung zu Handlungen oder Unterlafjungen führen,
die als Schwähe gedeutet werden fonnten. Dem Bromberger Kammerbireftor
Ihärfte drum der König die goldene Negel ein: „So muß Er aud mit denen
Polen feine Komplimente machen, denn dadurch werden fie noch mehr verborben,
fondern Er muß ſcharf darauf achten, daß fie den Ordres gehörig nachleben.“
Die Politik des großen Königs im Weichſel- und Nepelande in ihrer
Sicherheit und Stetigfeit, ihrem Selbitbemußtjein und ihrer Zuverfiht kenn—
zeichnen die Worte eines feiner Gehülfen, des Generals Lentulus: „Was ge:
macht wird, ift nicht auf kurze Zeit, ſondern auf die Jahrhunderte gemacht.“
Sünfter Abfchnitt.
Sfaaftshaushalf und Beerivefen.
————
und zumal an Einnahmen einen jo beträdtlihen Zuwachs, daß ber
König ih endlih am Ziele eines lang gehegten Wunſches ſah. Er
fonnte jein Heer bis zu der Zahl vermehren, die er ſchon 1752 als für bie
Sicherheit der Landesgrenzen erforderlich bezeichnet hatte.
Hinter den erften, allzu erwartungsvollen Anſchlägen blieben die finanziellen
Erträge der neuen Provinz freilih nicht umerheblich zurüd, Friedrich hatte
anfänglich auf eine Einnahme von 6 Millionen Thalern gehofft. In einem
zweiten Ueberſchlage rechnete er bereits vorfichtiger auf nicht ganz 3" Million.
Scließlih wurde in den Staatshaushaltsetat des Generaldireftoriums für 1775/76,
den eriten, der die neuen Lande berüdfichtigte, die Einnahme von 1636595 Thalern
für Weltpreußen einfchließlih des Netegebiets und von 140364 Thalern für das
Ermland eingeftellt. Thatſächlich jchloß die Einnahmeredhnung bald etwas höher
ab. Im Jahre 1779 durfte der Ertrag auf 2111000 angenommen werben,
Die weitpreußifhe Einnahme des Rechnungsjahres 1775/76 ftand zum
größeren Teil auf dem Etat ber Generaldomänenfafje, mit 922354 Thalern,
von denen nur wenig über ein Zehntel (96060 Thaler) für die Zwecke der
laufenden Verwaltung in der Provinz verblieb. Als Einnahme der General:
friegsfaffe aus Weftpreußen wurden 714240 Thaler eingeftellt; davon wurden
für den Unterhalt der in die Provinz gelegten neu errichteten Regimenter
365514 angemwiefen. Wenn nun auch für diefe Truppen aus der General:
friegsfafje unter einem anderen Titel noch weitere 133682 Thaler gezahlt
wurden, fo belief fih doch nad dem Etat die reine Einnahme der beiden großen
Staatshauptlaffen aus Weftpreußen auf 1041339 Thaler. Sofort konnten
400000 Thaler von der weftpreußiihen Einnahme bei der Generaldomänen:
kaſſe der Dispofition des Königs vorbehalten bleiben, ſei e& zur Ueberführung
in den Staatsſchatz, fei es für gemeinnügige Unternehmungen oder zur Beftrei-
tung außerordentlicher militärischer Ausgaben. Ein großer Teil der Aufmwen-
Rofer, König Friedrich der Große. U. 2. Aufl. 32
I: Erwerbung von Weftpreußen bradte dem Staate an Bevölkerung
498 Adtes Bud. Fünfter Abſchnitt.
dungen, die für das Netablifjement der neuen Provinz gemacht wurden, ift ſo—
mit aus ihren eigenen Mitteln gededt worden. So viel vermochte eine georbnete,
ſparſame und reinlihe Haushaltung ſchon in ihren erften Anfängen zu leiften.
In dem genannten Rednungsjahre betrug die etatsmäßige Bruttoeinnahme
der Generaldomänenfafle 8095661 Thaler, die der Generalfriegstafje, ohne den
Zuſchuß aus jener, 4992145, die Einnahme der jchlefiichen Provinzialfafje etwas
über 31. Million. Zu diejer Gejamteinnahme von rund 16’, Million — von
einigen anderen in bie Etats der Finanzbehörden nicht aufgenommenen Einkünften ab:
gefehen — trug alfo Weitpreußen mit feinen 184 Millionen mehr als ein Zehntel bei.
Auch dadurch gewann der König für feinen Staatshaushalt größere Be:
mwegungsfreiheit, daß gleichzeitig mit der Erſchließung der mweftpreußifchen Ein:
nahmequelle der Staatsihag eine vorerit als ausreihend betrachtete Höhe er:
reichte.
Beim Friedensihluß hatte der König von den großen Summen, die für
die Fortfegung des Krieges bereit lagen,!) nad Abtragung ber Kriegsanleihe
und nad Aufwendung von 7"; Million für die Neueinkleidung der Truppen
und für die Ergänzung der Artillerie und bes Fuhrweſens nicht weniger als
14158880 Thaler dem Schatz überwieſen. Doch mußte einftweilen dieſe Metall:
mafje zum großen Teile in den während des Krieges ausgeprägten unterwertigen
Münzen hinterlegt werden. Alljährli wurde nun ein Teil diefer ſchlechten Münze
zur Umjchmelzung herausgezogen und durch gutes Gold erjeht; infolgedeſſen ſtieg
der Nennwert des Schakgeldes nicht fo ſchnell, als dies im Verhältnis zu der
wirklichen Zufuhr hätte geſchehen müſſen. Ende Mai 1769, beim Abſchluß der
Jahresrechnung, lagen im Trefor 19157203 Thaler, darunter noch faft 6 Mil-
lionen in geringen Sorten. 1770 war ber Schag um 224000 Thaler geftiegen,
der Vorrat an ſchlechter Münze um 2 Millionen verringert. 1771 war fein
mindermwertiges Geld mehr vorhanden, die Gefamtziffer aber nad) diejer Aus-
ftoßung um 960000 Thaler zurüdgegangen. 1772 um ein Geringes vermehrt,
hatte der Schat im folgenden Jahr nach einem nochmaligen Kleinen Zuwachs die
Summe von 19249920 Thalern erreiht. Auf diefer Höhe ließ ihn nun ber
König zunächft ftehen, nachdem er 1768 in feinem zweiten politifchen Teftament,
wie jhon in dem erften von 1752,?) 20 Millionen als die Summe genannt
hatte, welcher der Treſor zuguftreben habe.
Außerdem ift der kleine Scha, der Mobilmahungsfonds, defien erfte Aus-
jtattung von 640000 Thalern ſofort ausſchließlich in vollwertigem Golde beitand,
von 1763 bis 1776 auf 4266863 Thaler gebracht worden.
Nah Erfüllung feines Sparprogramms ftand der König jegt vor der Frage,
wie er die im Verhältnis zu dem Gefamteinfommen des Staats jehr erheblichen
jährlihen Weberichüffe verwenden, db. h., wie er das Ertraordinarium des Staats:
haushalts künftig regeln follte.
Verfügbar waren in erfter Linie 1800000 jährliche Treforgelder, nämlich
je 700000 aus den alten Provinzen und aus Schlefien,?) und jene 400 000
) Oben ©. 353.
) Dal. Bb. I, 387.
°») Bd. I, 385.
Staatöhaushalt und Heermejen. 499
aus Weftpreußen. Dazu gewiſſe Einnahmen, die dem Dispofitionsfonds unmit-
telbar aus den Domänenkaſſen einzelner Provinzen zugingen. 50000 aus dem
Königsberger und dem litauifchen Kammerbezirt, 21000 aus den Marten,
100000 aus Oftiriesland. Weiter die in der Forft: und ber Domänen:
verwaltung über den Etat hinaus erzielten Einnahmen, die im Jahr vor dem
legten Kriege 705000 Thaler betragen hatten und jet im Frieden noch fliegen;
der Ertrag des Magdeburger Tranfito:Jmpofts,?) der nad) dem Rückgang von 1766
fih bis 1786 wieder auf 102454 Thaler hob. Endlich die Ueberſchüſſe der nad)
dem Kriege neu eingerichteten, den alten Finanzfollegien entzogenen Verwaltungen:
Regie, Tabafsadminiftration, Bank, Lotterie, Poſt.)) Der König hat 1779 die feit
1763 neu erfchlofjenen Einnahmequellen, abgejehen von den weitpreußifchen Ein=
fünften, auf faft 3 Millionen berechnet und die für das Ertraordinarium ver:
fügbaren Ueberſchüſſe 1768 auf 4700000 Thaler, 1777 auf 5700000, 1783 auf
7120000 — bei einer Staatseinnahme von nunmehr 21730000 Thalern.
Abrechnungen diejes großen, jeder Aufficht der Finanzbehörden und jeder
Kontrolle der Oberrehenfammer entrüdten Dispofitionsfonds find uns nicht er—
halten. Aber für ein einzelnes Jahr, 1774, liegt der ſchon erwähnte?) eigen:
händige Anjchlag des Königs über die „Depense* vor, die er aus dieſen Ueber:
jhußgeldern zu deden gedachte. Da erfcheinen 600000 Thaler für den Nebe:
fanal,*) weiter 40000 Thaler Entihädigung für die Inhaber der polnifchen
Starofteigüter,’) 340000 für Meliorationen am Rhyn, in Pommern, der Neu:
mark, im Magdeburgiihen; 56000 für die fhlefifhen Städte, 80000 für bie
Anlage von 30 Dörfern in Oberjchlefien; 40000 an die Stadt Königsberg für
Brandihaden; je 200000 für Berlin und Potsdam, wohl befonders für Fabriken
und fonftige Bauten, außerdem 160000 für den Bau der Berliner Bibliothek.
Militärifhen Zwecken jollten dienen: 300000 Thaler für die jchlefifhen, 200000
für die weitpreußifchen Feitungen, 230000 für Kafernen, 170000 für Verände-
rung der Infanteriegewehre, 140000 für die Artillerie. Endlich 480000 Thaler
für die Subfidienzahlung an Rußland.) Danad betrug in diefem Jahre das
Ertraordinarium für Aufgaben der Landeskultur 1716000, der Zuihuß für
die Heeresverwaltung (einjchlieglid der als Ablöfung für Hülfstruppen bezahlten
Subfidien) 1520000 Thaler. Der Zufammenftellungen für die vier leßten
Regierungsjahre, die der Minifter Herkberg über die zum beiten der Landwirtſchaft
und Induſtrie und für die Landeswohlfahrt insgemein aufgewandten Gelder
veröffentlicht hat, wurde in anderem Zufammenhang ’) ſchon gedacht.
Ein Bergleih jener Ziffern mit der Gejomthöhe des jährlichen Weber-
jchuffes läßt erjehen, daß der König auch nad Erfüllung feines urjprünglihen
Programms mit Thejaurieren fortfuhr. Der Chat war gefüllt, nun aber wurde
) Oben ©, 389. 408.
) Oben ©, 358. 385--392.
) Dben ©. 363. Dort ift 3.13 v. u. zu lefen ftatt 1976000: 1716000.
) Dben S. 485.
5) Oben ©. 488.
°) Dben ©. 455.
’) Oben ©. 363.
500 Achtes Bud. Fünfter Abfchnitt.
ein Anbau nad dem andern angefügt. Zu dem Trefor und dem fleinen Trefor
traten brei Nebenabteilungen, zulegt noch eine vierte.
Ein Schatzdepot zu Breslau, im Keller unter ber „Kriegskaſſe“, das der
König 1770 anzufammeln befahl, wurbe bis 1774 auf 3269000 Thaler ge
bradt, die Jahresquote für die fyeldverpflegung eines in Sclefien mobil zu
madenden Heeres von 70000 Mann. Einen entipredenden Geldvorrat für
ein an ber Elbe zu verjammelndes Armeecorps ftellten die jogenannten Magde:
burgifchen Fouragegelder dar, 1776 mit 900000 Thaler bei der Bank niedergelegt.
Ein eijerner Beitand bei der Generalfriegsfafe war beftimmt, die rechtzeitige
Auszahlung des Soldes im Kriege fiher zu ftellen; vor 1756 nur auf 680000
Thaler bemeiien, den Betrag einer einmaligen Monatslöhnung, ') zählte er
1777 ſchon 4 Millionen, und der König beabfidhtigte, ihn binnen drei Jahren
auf 11 Millionen zu bringen. Endlich verfügte er, erft im legten Regierungs—
jahre, daß über weitere Zugänge des Trejors befondere Rechnung „unter dem
Titel von Subfidiengeldern” geführt werden follte, und ftattete diefes neue Konto
alsbald mit 3 Millionen aus,
Das fortgejegte Thejaurieren hatte feine guten Gründe. Der König be:
rechnete nad) dem legten Kriege die Koften eines Feldzugs auf 11 bis 12 Mil-
lionen, außer den Summen, die ſchon zur Friedenszeit für das Heer angemwiejen
waren. Hatte er früher gemeint, nur für vier Feldzüge Vorjorge treffen zu
müſſen, fo bielt er es nad) einem fiebenjährigen Kriege für geraten, fih auf
acht Kriegsjahre einzurichten. Jm Jahre 1768, als der Schaf nur auf den
Fuß von 20 Millionen zugeichnitten war, ſah ſich Friedrich jomit genötigt,
wieder mit einer Beichlagnahme des Nachbarlandes, mit den Hülfsmitteln
Sadjens ?) zu rechnen: 5 Millionen aus Sadjen, 4700000 Thaler an Ueber:
Ihuß aus den eigenen Staatseinnahmen, die Treforguanta mitgerechnet, und
2300000 aus dem Staatsihat ergaben den Jahresbedarf von 12 Millionen.
Noch 1776 glaubte er, im Kriegsfall des ſächſiſchen Zuſchuſſes nicht ent:
raten zu können. Zu Grunde gelegt wurde der Rechnung diesmal — denn
neue Anſchläge ließen eine Erjparnis möglich erjcheinen — die Jahresſumme
von 11 Milionen. Der Ueberihuß der laufenden Einnahme, auf 5700000
Thaler berechnet, bedurfte aljo, um diefe Summe zu deden, noch der Ergänzung
durh 5300000. Verfügbar waren damals an Erjparnifjen, außer den Mobil:
madungsgelvdern, 19300000 im Staatsſchatz, 3200000 in der Breslauer Schat:
niederlage, 900000 Magdeburger Fouragegelder, 4 Millionen als Vorrat der
Generaltriegstafje; insgefamt 27400000 Thaler. Eine Summe, die um jene
5300000 Thaler jährlich gekürzt, in fünf Feldzügen erihöpft war, ja voraus:
fihtlih jchon in vier, da in Kriegsläuften ein Ausfall in der ordentlichen
Staatseinnahme und mithin ein Rüdgang des Jahresüberſchuſſes vorausgejegt
werden mußte. Und darum Ienften fih die Blide des königlichen Feldherrn
und Staatswirtes, der für die doppelte Zeit mit feinem Schatze reihen wollte,
auch damals wieder nad) Sadjen.
) Bel. Bd. 1, 356.
2) Bol. oben ©. 441.
Staatöhaushalt und Heerweien. 501
Nun ſollte es ſich fügen, daß in Friedrichs letztem Kriege die Sachſen
nicht gegen ihn, ſondern an ſeiner Seite fochten, Geld alſo ihm aus dieſer
Quelle nicht zufloß. Und ſo geſchah es, daß er bei ſeinen weiteren finanziellen
Voranſchlägen Sachſen ganz außer Betracht ließ. Der eine Feldzug von 1778
und die Vorbereitung zu einem zweiten haben 17 Millionen erfordert; danach
ſchien es zunächſt genügend, in Zukunft 12 Millionen für jeden Feldzug anzu:
jegen. Ein 1784 entftandener Anſchlag geht davon aus, daß der Jahresüber:
fhuß von 7120000 Thalern fih zu Kriegszeiten auf 6 Millionen ermäßigen
wird; die dann für die Feldzugsfoften noch fehlenden andern 6 Millionen will
der König drei Jahre hindurch aus den bei ben Zweigniederlagen des Staats:
ſchatzes aufgeftapelten Geldern und für brei weitere Jahre aus dem alten
Trejor deden. In einem Anſchlag von 1786 wurden bie Koften eines Feldzugs
reichlicher zu 14856259 Thaler angenommen.
Zu Ende diefer Regierung lagen bei einer Yahreseinnahme von nicht
ganz 22 Millionen im alten Trejor 22638339 Thaler, einſchließlich 3 Millionen
„Subfidiengelder”; im fleinen für die Mobilmahung 4454411; im fchlefifchen
Schat 9330000; an Magdeburger Fyouragegeldern 8800000 bei ber Banl, die
damit (jeit 1785) das ihr bei ihrer Gründung in Ausficht geftellte Depofitum!)
in voller Höhe erhalten hatte; bei der Generaltriegsfaffe als eiferner Beſtand
6052250 Thaler. Im ganzen 51302010 Thaler, ftatt der rund 10 Millionen,
die König Friedrih von feinem Vater überfommen hatte.
Für den Unterhalt des Heeres in Friedenszeiten blieben in herkömmlicher
Weife die Erträge der Steuerverwaltung und das fogenannte Adjutum ber
Generaldomänenfafje beftimmt. Dieſer Zufhuß ift zwifchen 1740 und 1786
von 1’, Million auf das Doppelte geftiegen. Das Friedensbudget des Heeres
hatte 1740 nicht ganz 57% Million, im legten Rechnungsjahr vor dem Sieben:
jährigen Krieg 8300000 Thaler betragen; nah dem Krieg hat es fi bis
zum Ausgang Frievrihs II. von 9 Millionen auf mehr ale 127; Million
vermehrt; doch blieb diefe Steigerung von 1740 bis 1786 Hinter dem Wachs—
tum ber inzwifchen faft um bas Dreifache vermehrten Staatseinnahme erheb-
lich zurüd.
Das Heer war im Augenblide des Friedensichluffes nahezu vollzählig ge—
wejen. Friedrich hat damals gejagt, daß er für einen neuen Feldzug 219000
Mann, darunter 183000 Feldjoldaten, in Bereitichaft gehalten habe. Nach
Auflöfung von 8 Garnifonbataillonen, aller während des Krieges errichteten
Freiiharen, Refrutenbataillone und Landmilizen und der legten Reſte der ehe:
mals jähfiihen Truppen?) und nad Zurüdführung der alten Regimenter?) un-
gefähr auf die vor dem Kriege ihnen vorgejchriebenen Stärken zählte das Heer
!) Bl. oben ©. 358,
) Bal. oben ©. 35. 63. 170.
) Bol. oben ©. 354.
502 Achtes Bud. Fünfter Abſchnitt.
nad dem Friedensihluß wieder wie beim Ausbruch der Feindfeligfeiten!) etwas
über 150000 Dann.
Die Verringerung der Truppenzahl wurde nicht nur durch finanzielle Er-
mwägungen, fondern vor allem dur den NRüdgang ber Bevölferung geboten.
Den Kantons mußte Zeit gelaffen werden, fi nad der ftarfen Aushebung ber
legten Sabre, in denen man die Bauernburfhen noch als halbe Kinder den
Nekrutenbataillonen eingereiht hatte, zu erholen. Der König traf die Anordnung,
daß nicht mehr als 70000 Landesfinder im Heere dienen follten. Mit dem
Ueberſchuß über diefe Zahl blieben die Kantons in äußerften Kriegsnöten eine
legte Hilfsquelle für das Heer, die Friedrih „wie einen Augapfel” hüten zu
mwollen erklärte. Bei der ftarfen Vermehrung ber Bevölkerung in ben erften
Friedensjahren?) war die Gejamtziffer der „Enrollierten“, der für den Heer-
dienft vorgemerften waffenfähigen Jugend, bereits 1773 beträchtlich größer als
1756, bie weftpreußifchen Kantons ungerechnet.
Schon vor der Erwerbung von Weitpreußen war ber König 1768 beim
Ausbruch des ruflifch-türkiichen Krieges zu einer erften neuen Heeresvermehrung,
im Umfang eines Zehntaufends, gejchritten: zwölf märkiſche Musfetierregimenter
wurden um 40 Köpfe auf die Compagnie, die Hufaren um 300 Mann auf das
Regiment vermehrt, und Schleſien erhielt ein neues Feldbataillon. Es folgte
dann 1772 die Aufftellung von 5 weitpreußifchen Musfetierregimentern, 4 neuen
Bataillonen bei den oftpreußiihen Garnifontruppen, einem Huſarenregiment,
2 Bataillonen Artillerie; zugleich wurden bei 36 alten Snfanterieregimentern
die Compagnien um je 20 Mann verftärft.
Das Heer hatte mit diefer Vermehrung die Stärke von 186000 Dann
erreicht und zählte jegt 110 Bataillone Feldinfanterie, deren Grenadiercompagnieen
im Kriege zu 25 gefonderten Bataillonen zufammenzutreten hatten, 7 ftändige
Grenadierbataillone, 1 Bataillon Fußjäger, 36 Garnifonbataillone, 63 Schwa—
dronen an Küraffieren, 70 an Dragonern, 90 an Huſaren, 10 an Bosniafen,
eine an reitenden Jägern, 8 Bataillone Feldartillerie, 11 Compagnien Feitungs:
artillerie. Für den Kriegsfall wurde vorgefehen die Anwerbung von 23 frei:
bataillonen in der Stärfe von 18768 Mann, die Erridtung von 5 Schwadronen
Dragonern und von 2 Garnifonbataillonen und eine Verftärfung ber Cadres bei
der Kavallerie und ben Feldbataillonen. Ein 1772 bis ins einzelne ausgeführter
Mobilmahungsplan fegte die „Summe der ganzen Force” mit 226777 Köpfen an,
die zum Ausmarſch beftimmten Feldtruppen mit 197256; dazu follten 3832 Mann
an Landmilizen zufammengezogen werben.
Der preußiiche Soldat jener Zeiten war nidht mehr der miles invictus,
als den ihn nad dem zweiten ſchleſiſchen Kriege fein Kriegsherr gepriefen hatte, *)
aber e8 galt auch von ihm, daß er nur in Echladhten, nicht im Kriege über:
wunden ſei: proeliis ambiguus, bello non victus. Und nit nur hoben
ij Oben ©. 14.
) Oben ©. 372.
», Bd. 1, 544.
Staatshaushalt und Heermejen. 303
Ruhm, auch Popularität hatte fih der Soldat erworben, bei groß und bei
Hein. Das bezeugte ber bamals durd den Siebenjährigen Krieg herbeigeführte
Aufſchwung einer feither in Flor gebliebenen Nürnberger Jnduftrie: das Völklein
der Kinderftuben fannte jegt fein jchöneres Spielzeug als die Bleifoldaten. Die
Erwachſenen aber konnten fih im Schaufpiel nicht fatt ſehen an ben martia-
liſchen Geftalten, die Lejfing und feine Nahahmer über die Bretter gehen ließen.
Minna von Barnhelm, nach Goethes Urteil „die wahrfte Ausgeburt des Sieben:
jährigen Krieges, von volllommen norbdeutihem Nationalgehalt”, ift ein unver:
gleichlihes Denkmal für das damalige preußiiche Heer geblieben, welches auch
darin fein „Soldatenglüd“ bewährte, daß es dieſen Herold fand. Leſſing hatte
als Sefretär des heldenmütigen Generals Tauengien!) in Breslau und in den
Belagerungslinien vor Schweibnig den Geift des preußiihen Dffiziercorps
fennen und ſchätzen gelernt, aus dem früher einer der beiten ihm als Freund
nahe getreten war. Die Züge Ewalds von Kleift lieh er feinem Tellheim, biefer
Verkörperung ber preußifhen Dffiziersehre. Die Soldatentypen ber „Minna”
waren aus dem Leben gegriffen und, wenn auch verklärt, jo doch ohne jede
Uebertreibung gezeihnet. Als gute alte Bekannte begrüßte ein Recenſent den
fadgroben und pudelhaft anhänglihen Packknecht Juſt und den „Luftigen, jpaß:
haften, ehrlichen” Wachtmeifter Paul Werner, der, nahdem er lange vergebens
gehofft, „es follte hier wieder losgehen,” Gott preift, daß noch irgendwo in ber
Welt Krieg ift. Die Kameraden, welche die nun beginnende „Mobilmahung ber
Armee für das Theater” einem Tellheim und feinen Getreuen zuführte, reichten‘
an die großen Vorbilder nicht heran, den Schaufpielern aber galten die Uniform:
rollen ohne Unterſchied als danfbar, denn das Parterre hatte nun einmal feine
Freude dran.
Einem aber war bie rechte Freude an dieſem gefeierten Preußenheer jeßt
verborben: dem Föniglihen Anführer. Das Werkzeug jeines Feldherrnruhms
hatte ihm nicht genug gethan. Er zürnte mit dem Heere, und gar mander im
Heere zürnte ihm.
Es galt nad) der Heimkehr in die Friedensquartiere, die aus Rand und
Band gelommenen, nad jedem Feldzug notbürftig immer von neuem zufammen:
geftoppelten, ſchlecht ausgebildeten und noch ſchlechter erzogenen Regimenter
und ihre gelichteten, mit mancherlei zmweifelhaftem Nachwuchs durchfegten, durch:
aus nicht mehr homogenen DOffiziercorps wieder auf bie alte Höhe zu bringen.
Da griff nun der König zu Abmweihungen von dem alten Herfommen, die zumal
unter den Offizieren große Verſtimmung hervorriefen, teilweije geradezu als
Strafen empfunden wurden und bis zu gewiſſem Grade in der That als jolche
gedacht waren. Mit unverkennbarer Jronie fehrieb der Herzog von Bevern, der
Held von Lobofig und Reichenbach, in feinem Verfud zu einer Armeegeſchichte:
Da die Armee gegen die ganze öfterreihiiche, ruſſiſche, ſchwediſche und einen
großen Teil der teutichen Reiche: und franzöfifhen Macht ſich aufrecht erhalten,
fo habe das Publikum und der Vulgaire geglaubt, des Königs Majeftät würde
von den pflichtſchuldigſt geleifteten Dienften zufrieden fein: „allein Dero jharf:
!) Oben ©. 260.
504 Achtes Bud. Fünfter Abfchnitt.
fichtiges Auge hatte jo weit burchgeichaut und befunden, daß nur wenige Per:
fonen und Regimenter das Gute, was im Laufe des Krieges geichehen, allein
zu Wege gebradt, das Widrige hingegen von bem größten Ueberreſt berer
anderen verurſacht worden, folglich nur wenige Belohnungen verdienten.” So
famen die Klagen und Anflagen auf und gingen von Mund zu Munde, bie
fpäter in den Schriften einer jüngeren, während des Siebenjährigen Kriegs her:
angewachſenen Generation preußifcher Offiziere einen Niederſchlag gefunden
haben in ben „Briefen“ eines Kaltenborn, den „Betradtungen” eines Beren-
borft: daß Chefs und Kommandeure allzeit in Gefahr geſchwebt hätten, aus
geringfügigem Anlaß, aus Laune mweggejagt zu werden; daß der König bie
Revue allemal ſchon bei fih gehalten, ehe er einen Mann von den Truppen
ſah, daß das Schidjal eines jeden Regiments ſchon in dem Augenblid feſt—
geftanden habe, da der König in Potsdam in den Wagen ftieg; dat Mut und
Geift und innerer Wert in der Armee ohne gejunde Pflege geblieben feien;
daß Friedrich feinen prächtigen Schlachthengſt nah und nad jo kurz und ſcharf
aufgejegt habe, bis der zulegt nicht mehr gewußt habe, wie er treten oder
gehen jolle.
Noch während in Hubertusburg über den Frieden verhandelt wurbe, teilte
ber König bas Heer in eine Anzahl Inſpektionen ein, provinzweife und in den
Provinzen nad den beiden Hauptwaffen; die Artillerie blieb außerhalb dieſer
Gliederung. Es war ber erfte Schritt zu der jpäteren Corpseinteilung; bie
Inſpektionen wurden die Vorläufer der heutigen Generalflommandos. Die In—
Ipeftoren jollten verantwortlich fein für die Ausführung der Verordnungen, für
die Gleihmäßigfeit der Disziplin und der Ausbildung bei den verjchiedenen
Negimentern, für die Einhaltung der richtigen Mitte zwischen Milde und Strenge
bei den Kommanbeuren, für die Haltung der Offiziere, für die Ordnung beim
Aushebungsgefhäft. Sie hatten Vorjchläge für Auszeihnungen und für das
Avancement zu madhen. Der von dem Könige für die Neuerung uns angegebene
Grund it einfah und durchſchlagend: die Unmöglichkeit, auf alles mit eigenen
Augen zu achten. Die Mafregel ſprach für fich felbft, aber fie wirkte peinlich
und gehäffig vor allem dadurch, daß der König bei der Wahl der Inſpekteure
fih nicht an die Ranglifte hielt und zwar in Schlefien einem Seyblig bei der
Kavallerie und einem Tauengien beim Fußvolk das neue Amt übertrug, in ben
anderen Provinzen aber vorwiegend jüngere Generalmajore zu feinen Vertretern
beftellte. Der raue Namin an der Spige ber Berliner Inſpektion wurde von
dem Könige ebenjo geſchätzt und gefliffentlih ausgezeichnet, wie im Heere als
„eigentlich in das Zeitalter der Hunnen und Vandalen gehörig” gehabt. Einem
Hintermann ſich unterzuorbnen, fam ben im Rang oder im Dienftalter höher
ftehenden Regimentschefs um fo härter an, als ihre bisherige Stellung, in der
fie unter niemand als dem Könige geftanden hatten, durch die neue Ordnung
der Dinge ohnehin wejentlih an Bedeutung, Anfehen und Einfluß verlor. Es
verfiel und verfchwand, wie damals ganz richtig bemerkt worden ift, die patriar-
chaliſche Verfafjung bes altpreußifchen Heeres, nad) der bei jedem Regiment „ber
General gleihfam ben Emir des Stammes und die elf anderen Compagnie:
inhaber die erften Vorfteher der Hefte bezeichneten”. Der Herzog von Bevern
Stantähauähalt und Heerwefen. 505
in Stettin, ber als einer der älteſten Generale von der Infanterie den General:
major Steinteller zum Inſpekteur erhielt, urteilte bitter, daß den Chefs und
Kapitänen faft nichts übrig geblieben fei, ala Gehilfen der Inſpekteure zu fein
und für die Anſchaffung der Heinen Monturftüde zu forgen. Das Miplichite
war, daß die Inſpekteure ſelbſt Negimentsinhaber blieben und dadurch, wie
wieder Bevern Flagte, in die Lage kamen, ihr eigenes Regiment „nad Belieben
zu favorifieren”.
In ungleich weitere Kreife wurde die Unzufriedenheit hineingetragen durch
eine zweite Neuerung : die Reform der Compagniewirtſchaft; denn damit wurde
den darbenden Subalternoffizieren die ermutigende Ausficht auf dereinflige aus:
kömmliche Verforgung abgejchnitten. Wir erinnern uns, daß bisher der Com:
pagniechef die Löhnung für die im Frieden jährlih auf neun bis zehn Monate
beurlaubten Landeskinder einbehielt, aus diefer Erjparnis die Koften der aus:
ländifhen Werbung beftritt und noch einen Ueberfhuß für ſich perſönlich zurück—
legte.) Bon nun an übernahm der König die Werbegelder auf eine Zentral:
faffe, zu ber der eriparte Sold der Urlauber bis auf einen geringen, bem
Compagniehef vorbehaltenen Betrag eingezogen wurde. Zunächſt aus Sparſam—
feitsrüdfichten eingeführt, erhielt diefe Immälzung, von der materiellen Schäbi-
gung ber Kapitäne abgejehen, daburd noch einen verlegenden Stadel, daß
einige Regimenter in Anerkennung ihrer vorzüglihen Haltung vor dem Feinde
auf dem alten Fuße weiterwirtfhaften durften. Ya, auch unter fi wurden
bie deflaffierten Regimenter nicht nad gleihem Maße gemeſſen: bier war der
dem Kapitän belaffene Bruchteil feiner alten Nebeneinkünfte größer, dort geringer,
je nachdem das Regiment in Bezug auf fein Wohlverhalten höher oder niedriger
eingefhägt wurde. Zu der Scheidung zwiſchen Garde und Linie und zwifchen
Feldregimentern und Garnifonen war jegt aljo noch dieſe Abftufung ber Feld:
regimenter unter ſich nad Betragen und Leiftungen getreten. Das leuchtende
Prinzip der gleihartigen Standesehre und des gleichen perſönlichen Wertes, auf
welches das preußifche Dffiziercorps gegründet war, wurde durch die Verfegung
ganzer Regimenter in eine nievere Konduitenklaffe verbunfelt.
Die ſchlimmſte Folge aber war, daß die Verkürzung feiner Einnahme
manden Hauptmann, der fi ſchadlos halten wollte, zu Unterjchleifen verleitete
und ihn nad dem Vorgange der räuberijchen Unternehmeroffiziere des fiebzehnten
Sahrhunderts die Lite feiner Dienftthuer fälfhen ließ. Mit Berufung auf
„bäufige Denunziationen und bie befremblihe Menge ſchmutziger Prozefje bei
verjhiedenen Regimentern” hat nad) dem Thronwechfel von 1786 ein Rundbefehl
des Nachfolgers mit jcharfen Worten es gerügt, daß durch Männer von Ehre
um jchnöden Gemwinnftes willen die Wahrheit aus den Liften verbannt werbe.
Und doch hatten Friedrih Wilhelm I. und Friedrid II. unausgejegt daran
gearbeitet, ihrem Dffiziercorps die peinlichite Ehrenhaftigfeit einzuimpfen; glaubte
ja Friedrich als defto feiteres Pfand für adelihe Gefinnung von feinen Dffizieren
abelihe Geburt fordern zu müfjen.?) Friedrih Wilhelm I. ließ die Bürgerlichen
) Bd. I, 537. 538.
2) Bd. I, 530 ff.
906 Adtes Bud. Fünfter Abſchnitt.
zwar zu Leutnants, aber nicht zu Kapitänen aufiteigen; ber jpätere General
Stollhofen, eines Predigers Sohn, mußte bis zu dem Thronwechſel von 1740
warten, ehe er als Roturier Stabefapitän wurde. Friedrich hat dann der Regel
nad alte Unteroffiziere überhaupt nicht mehr ins Dffiziercorps aufgenommen,
denn im wejentlihen nur aus ſolchen waren die bürgerlihen Zeutnants feines
Vaters hervorgegangen, da die Söhne des gebildeten Bürgerftandes dem Heere
no fernblieben. Nun aber waren während bes langen Strieges zahlreiche
Bürgerlihe aus guten Häufern freiwillig in das Heer eingetreten, Stubenten
von den Landesuniverfitäten und Gymnafiaften; hat doch damals das Kölnische
Gymnafium in Berlin mehrere Jahre hindurd Feine Prima gehabt. Dieje
bürgerlichen Landeskinder hatten das filberne Portepee erworben, wie gleichzeitig
die hergelaufenen Abenteurer, die ben Dffiziercorps der Freibataillone ihren Ruf
verdarben. Nach dem Friedensſchluß verwarf der König fie alle, die Gerechten
mit den Ungeredten. Die anrüdigen Subjefte wurden entlaffen, wer einwande-
frei und braudbar war, wurde bei einem Garnifonregiment untergebradt.
Fünf Jahre nah dem Kriege waren bei ben fFeldregimentern ber Inſpektion
bes Generals Möllendorff nur noch vier unadeliche Offiziere, und auch fie beab-
fihtigte der König zu verfegen. Nicht mit Unredht haben die davon Betroffenen
dies Verfahren graufam genannt; bier wurden wieder viele brave Soldatenherzen
mit Bitterfeit erfüllt, und mit ben gefränften Opfern murrte jeßt das ganze
Bürgertum.
Bald trat ein Rüdjchlag ein. Der Nachwuchs aus dem Adel dedte nicht
mehr den Bedarf. Nicht jeder Sohn des Landedelmanns hatte Luft zu dienen;
eine Erbſchaft, eine vorteilhafte Heirat beftimmten manden jungen Offizier, des
Königs Rod wieder auszuziehen; der Jahrzehnte hindurch ftolz verachtete Zivil:
ftand begann im Anfehen wieder zu fteigen. Andererjeits ſah der König jehr
reiche und fehr vornehme Edelleute bei feinen Regimentern nicht gern. Berenhorft
hat von feiner „Soiofynkrafie gegen Grafen“ geiproden, und zumal die Söhne
ber fchlefiihen Magnaten ſah Frievrih mit Mißtrauen fommen, weil ihrer viele
jchnell wieder gegangen waren. Ja 1783 eröffnete er feinem gräflichen Hof:
marſchall, daß er ſchon Befehl gegeben habe, feine Grafen in der Armee anzu:
nehmen: „unge Grafen, die nichts lernen, find Ignoranten in allen Ländern.
Im Falle nun einmal ein Wunder gejhehen und aus einem Grafen etwas
werden jollte, fo muß er fih auf Titel und Geburt nichts einbilden, denn diefes
find nur Narrenspofjen, jondern es fommt nur allezeit auf jein merite personnel
an.” Aud von den Söhnen feiner Generale, feiner Minifter hat er wohl gejagt,
bie Leute jeien zu reich unb wollten nur einige Jahre zum Spaß dienen. Und
als General Tauenkien einen Sohn bei den Gendarmen eintreten lafjen wollte,
entgegnete ihm ber König, er jehe es nicht gern, wenn die vornehmen Leute
alle unter bie Gendarmen gehen wollten; nach zwei oder brei Dienftjahren würden
dann Bruftichmerzen, blödes Geſicht oder Bruchſchaden vorgefhügt: „jo habens
20 vornehme Leute bei die Gensdarms gemacht, ih will Officiers und feine
Durdläufer dabei haben.“
Um Rat gegen den ſchon fühlbar werdenden Dffiziersmangel zu jchaffen,
wurden 1779 die Regimenter allgemein darauf hingewiefen, daß fie aus fremden
Staatähaushalt und Heermweien. 507
Landen Edelleute „von Berftand, Ambition und wahrem Dienfteifer“ heran:
ziehen möchten. Auch gewiſſe Schichten des mißachteten Roture ſuchte man jeßt
zu loden. Dur öffentliches Edift vom 28. Mai 1768 wurde den Söhnen
bürgerlier Rittergutsbefiger, diefer do nur als unmwilllommene Ausnahme zu:
gelaſſenen Klaſſe des ländlichen Grunbeigentums, in freilich recht ferner Weite
die Ausſicht erichloffen, daß fie geadelt werben follten, wenn fie bei den Garnijon:
regimentern oder in ber Artillerie bis zur Compagnie aufgeftiegen fein und
zehn Fahre als Kapitän gedient haben würden — denn aud ihnen wurden doc
nur biefe minber geadhteten Waffen zugänglih gemacht.
Daneben behielten die Hufaren ihre Sonderftellung. 1779 rügte der König,
daß der „wirklihe Hufarendienft” in Verfall gefommen fei, und wollte die
Urſache darin ſehen, daß zu viel „junge Windbeutel” als Offiziere Aufnahme
gefunden hätten: er verfügte deshalb, dab fortan mehr alte gediente Wacht:
meifter zu Leutnants zu befördern jeien. Aber aud bei den neu eintretenden
Avantageuren fam es ihm bier auf den Stammbaum nit an. Als General
Loſſow in einer Meldung den jüngften Kornet feiner ſchwarzen Huſaren als
medlenburgifchen Junfer bezeichnete, jchrieb ihm ber König troden: „Soviel will
Ih Euch doch zur Nachricht jagen, dab jein Vater fein Edelmann, fondern ein
Jäger und zugleich ein Liebfter der alten Herzogin zu Medlenburg:Strelig ge:
weſen ift, damit Ihr nur feine ganze Genealogie willen möget.“ Bürgerlicher
Herkunft find die nachmals geadelten Hufarengenerale Möhring, Günther,
Salenmon, Hohenitod geweſen, wie bei der Artillerie die Generale Holtzendorff,
Moller und Tempelhof.
Zu allen anderen Gründen ber Verfiimmung trat noch die Klage über
dad Zunehmen des Drills und der Sleinigkeitsfrämerei. Wieviel war nicht
unter Friedrih Wilhelm I. auf den in die Armee gefahrenen Crerzierteufel
geiholten worden! Jetzt feufjten die Epigonen, daß das Ererzieren, unter der
vorigen Regierung im wejentlihen auf die Uebungswochen des Frühlings be—
ſchränkt und auch vor dem großen Kriege immerhin noch erträglich, feit dem
Frieden bis zum äußerften Ueberdruß, bis zur Ausmergelung ber außerhalb ber
Frühjahrsübungen bei der Fahne verbleibenden Dienftthuer betrieben werde.
„Rirgends war Entjagung nötiger,“ höhnte Berenhorft, „als bei den jchlecht
refompenfierten Siegern des Siebenjährigen Strieges, wo nun die verfeinerte
Ausipinnung der Taktik und deren zahllofe Kombinationen, in der nad Fußen,
Zollen und Sekunden abgemefjenen Ausführung, fein geringes Studium erfor:
derten.” Wenn der Kriegsherr unaufhörli auf ein großes Ziel hinwies, die
Herftellung der alten Disziplin, Waffenfertigkeit und Beweglichkeit, jo fannen
feine Oberften, wie ſich verfteht, auf Mittel und Wege, dem Ziele möglichft
fhnel und möglichſt fiher nahe zu fommen. Daß mander Inſpekteur oder
Regimentschef hier des Guten zu viel an „erfinderiiher Strenge” that, wird
nicht bezweifelt werden können. Aber nicht alles, was da auögellügelt und aus:
probiert wurde, trat in des Königs Gelichtsfreis. General von Saldern, ber
größte Künftler unter den preußiſchen Taftifern, mußte, wie es heißt, mit feinen
Erfindungen behutfam verfahren und führte mandes nur unter der Hand, gleich:
fam verftohlen ein. Denn an fi war der König, wie der gewiß nicht vorein-
508 Achtes Bud. Fünfter Abſchnitt.
genommene Kaltenborn ihm bezeugt, burhaus fein Freund vom Reglementieren
und von „zeitraubenden Spielereien”: „Er überfhmwemmte feine Armee nicht
mit Orders, in welchen er das ſchon Befohlene entweder hundertmal wiederholte
ober durch einen neuen Befehl wieder aufhob. Er ſcheute alle Neuerungen;
Veränderungen an Montierungen und andere Heine Formalitäten waren weit
unter feiner Würde und ber, die er feiner Armee zu geben bemüht war.” Die
Kleinigkeitsfrämer unter feinen Difizieren nannte er „Stiefelettenmajore”. Wenn
er mit Strenge auf vorfchriftsmäßigen Anzug hielt, jo geihah das nit aus
Kleinlichkeit, fondern in dem Beftreben, feine Modenarrheiten auflommen zu
lafien, der Verſchwendungsſucht zu fteuern, den Offizieren das „Petitmaitre-
Weſen“ auszutreiben. Die Läfterer behaupteten, daß er im Zmweifelsfalle das
Gegenteil der jeweiligen Mode als Vorſchrift annahın,
Auch das erfennt Kaltenborn an, daß der König an den Manövertagen
den Blid nur auf das Ganze gerichtet hielt: „Won dem Augenblid an, wo er jeine
Truppen manövrieren ließ, behandelte er jie wie in der Stunde ber Schladht
und war zufrieden, wenn nur bie Hauptfahe gut ausgeführt wurde. . . . Er
mandvrierte mit ungemein vieler Leichtigkeit, er quälte die Leute nicht mit bogen:
langen Dispofitionen, man fonnte fie faft jederzeit auf ein Kartenblatt jchreiben.”
So fei er auch beim Manöver, Tags nah der Revue, faft immer guter Laune
geweſen, „gleihjam froh, das Unangenehme, was er zu jagen gehabt hatte, vom
Herzen zu haben”. Und nichts fei lehrreiher geweien, als ihn bei foldhen
Gelegenheiten fpredhen zu hören — „wenn er nicht üble Laune hatte”. „Da
war es eine Wonne, ihn gleihiam ein militärifches Kolegium lejen zu hören.
Er wußte genau, wer gefehlt hatte, woran ber Fehler gelegen, und wie er hätte
fönnen und follen gebejjert werden. Seine Stimme war fanft und hinreißend,
er ſah freundlih aus und ſchien eher einen guten Rat als Befehle erteilen zu
wollen.” Bon den großen Herbfimanövern, die wie vor dem Kriege!) abgehalten
wurden, fagt Friedrich jelbft, daß die ganze Uebung für die Offiziere, bie
Generale fei, ohne daß man die Aufmerfjamfeit auf die Gemeinen richte.
Eine Stufenfolge neuer Veranftaltungen zielte auf die beſſere VBorbildung
und bie theoretiihe Unterweifung ber Offiziere ab. Dem Kadettencorps ſchloß
fih als eine Art Selefta die 1765 geftiftete Acaddmie des Nobles an, für
fünfzehn ordentliche Mitglieder und ebenfoviel Ertraneer, während als Boranftalten
1764 die Kadettenichule zu Stolp für die Söhne des hinterpommerjchen Adels
und 1775 die zu Kulm für die ber Erziehung noch mehr bebürftigen mweftpreußi:
jhen Junker begründet wurden. Lehrgänge für Befeftigungstunde und für Geo—
graphie wurden an den Eigen der neuen Armee-Inſpektionen eingerichtet, in ber
Weife, daß ein Angenieuroffizier einer Anzahl begabter Kameraden, die nad
Vorihlag der Regimenter einberufen wurden, vier Wintermonate hindurch Unter:
richt erteilte. Wiederum die befähigften diefer Kriegsfhüler, der Regel nad)
insgefamt zwölf, nahm der König in fein militärifches Gefolge auf. Er hatte
fih ſchon vor dem Siebenjährigen Kriege einen perſönlichen Generalitab geichaffen
und bildete jet dieſe Einrihtung weiter. Wie er als Kronprinz in Rheins-
) ®b. I, 545.
Staatöhaushalt und Heerweſen. 509
berg mit feinen Gefährten fih in den wiſſenſchaftlichen Unterricht bes jüngften
Schloßbewohners geteilt hatte, jo bielt er jegt in feinem Lehnftuhl feinen zwölf
militäriihen Jüngern Vorträge über die Kriegsfunft, um nachher vom Sattel
aus fie vornehmlich daraufhin zu prüfen, wie weit fi diefe angehenden Quartier:
meifter Urteil und Sicherheit in Ausnügung bes Geländes erworben hatten.
Für die Inſpekteure ließ er 1771 in wenigen Abzügen „Grunbfäge der Lager:
funft und Taktik“ druden, die Ueberarbeitung einzelner Abjchnitte aus den alten
„Seneralprinzipien vom Kriege“.) Die ältere wie die jüngere Lehrjchrift, auch
eine kurze Zufammenfaffung der „Regeln, nad weldhen ein guter Kommandeur
eines Batailons zur Zeit des Krieges handeln fol”, wurden den Generalen
und Staböoffizieren unter dem Siegel des Dienitgeheimnifjes zugänglich gemacht,
„um Durchlefen, aber nicht zum Abjchreiben”.
Der nahmals berühmt gewordene Franzofe Dumouriez, ber das preußifche
Heer auf feiner Fahrt nah Polen kennen lernte, hat geurteilt, daß fi damals
in Preußen eine große Anzahl „evolutionärer Dffiziere” herangebildet habe,
ohne daß dadurd die Heranbildung von Generalen erreicht worden fei. Begierig
diefe Bemerkung aufgreifend, fette Berenhorft hinzu, nachdem bereits in den
Beiten von 1746 bis 1756 der Typus des gelehrten Offiziere von ben Franzoſen
zu den Preußen herübergetragen worden, fei jet einem Teile der offenen Köpfe
noch das Licht der Manöverkunft nah und nad) aufgegangen: „fie entdedten
die Wege und Schliche derfelben auf den Neißbrettern”. Man wird zugeben,
daß die gelehrte Ueberihägung der Terrainfunde in der Folge dem preußiichen
Heere verderbli gemorben ift und daß jener Maſſenbach, der in Preußens
trübfter Zeit geradezu das abjchredende Beifpiel eines jchriftgelehrten General:
ftabsoffiziers geworben iſt, unter Friedrichs Augen feine erfte Ausbildung erhalten
bat. Der Grundgedanke aber der pädagogiſchen Beitrebungen des großen Feld—
herrn war unzweifelhaft richtig, und auch in Bezug auf diefe Erwedung und
Pflege des wifienfchaftlihen Geiftes im Dffiziercorps gilt das Wort Kaltenborns,
daß Friedrich in die Armee eine ganz andere Lebensart und Ton hineingebracht,
als er beim Antritt feiner Regierung vorgefunden habe.
Jene „Regeln für einen guten Bataillonstommandeur” gipfeln in dem
Sate: „Man weiß aus Erfahrung, daß die Tüchtigkeit der Truppen einzig und
allein auf der der Offiziere beruht: ein braver Oberft, ein braves Bataillon;
und man hat in allen unjeren Kriegen gejehen, daß wenn der Kommandeur
recht tüchtig war, das Bataillon niemals geworfen worden ilt, es fei denn, daß
der Kommandeur zuvor verwundet oder getötet war.” Noch deutlicher, noch
berber fpricht fich Frievrihs Mißachtung des gemeinen Mannes in dem Tefta: .
ment von 1768 aus: Die Ambition vermag auf den Troupier nicht zu wirken,
„Alles, was man aus ihm machen kann, beichränft fih darauf, daß man ihm
den Corpsgeift beibringt, d. h. eine höhere Meinung von feinem Regiment als
von allen Truppen des Weltalls, und da bei gewiſſen Gelegenheiten die Offiziere
ihn quer durch die größten Gefahren hindurdführen müflen, jo muß er feine
Difiziere mehr fürchten, als die Gefahren, denen man ihn ausſetzt.“ Wie dank:
1) 8b. I, 545.
510 Achtes Bud. Fünfter Abſchnitt.
bar hatte einjt der junge König, der Sieger von Hohenfriedberg und Soor, den
guten Willen, die Beherztbeit, die Hingebung auch der Gemeinen anerkannt!)
Die Tage jeiner Niederlagen, die finfteren Stunden, in denen er feine Soldaten
batte fliehen jehen, dieſe Schule des Unglüds war für ihn aud ein Kurfus
der Menfchenveradhtung geworben, und der graue Schüler ift nur zu gelehrig
gewejen.
Sie jelber aber, diefe armen Kriegsknechte, die der alte Friedrich verachtete,
fie liebten ihn. Die Armee liebte ihren König fait bis zur Abgötterei, bezeugt
Kaltenborn, nachdem er vorher mweidlih auf denfelben König geſchmäht hat.
Und einer der öfterreihifhen Gäfte von Neiße beftätigt es: jo ehr feine Um:
gebung über bes Königs oft unerträgliche Zaunen Hagen und ihn fürchten möge,
die Soldaten und zumal die Landeskinder feien immer enthufiasmiert von ihm,
denn er fümmere fi um fie und erleichtere ihr Los, wie er nur fünne. Die
Anrede Fritze oder Vater, worauf die Leute ein Gemwohnheitsreht erworben
hatten, das treuberzige Du, das ihr Frig ihnen geitattete, andere Feine Ber:
traulichfeiten, auch wohl derbe Ermwiderungen, die ihnen nicht übel genommen
wurden, alles das wog ihnen der Unbilvden und Leiden viele auf. Wollends die
Grenadiere vom erften Bataillon Garde glaubten, wie wieder Kaltenborn jagt,
wirkliche Mitglieder und gleihfam Hausgenofien der füniglihen Familie zu fein;
hielten fie fih daburd für berechtigt, zumeilen über ihren Hausvater zu murren
und zwar nicht in den gewählteften Ausbrüden, fondern in den ärgften Läſte—
rungen, jo hätte doch niemand in ihrer Gegenwart auch nur ein ungebührliches
Wort gegen den König wagen dürfen: „Das Bataillon bewies allein, wie weit
es jener faſt übernatürlihe Mann in der Runft, fich lieben zu laflen, gebracht
hatte, ... Ein Blid, ein Wort aus Friedrihs Munde war hinreihend, fie für
alles zu entſchädigen.“ Es war ein Blid, fagt unfer Zeuge ein anderes Mal,
„dem nichts widerſtehen konnte. Ich habe immer geglaubt, ein Hauptgrund zu
der nicht zu erreihenden Größe, die Friedrich erlangte, lag in feinen Augen“.
Wie er mit einem der feit Zorndorf ungnädig angefehenen oftpreußiihen Regi—
menter auf der Revue von 1773 feinen Frieden ſchloß, hat uns ein Leutnant
diejes Negiments unter dem erften ergreifenden Eindrud ſchlicht und treu ge:
ſchildert; wie alles fi danfend und jubelnd um den König drängt: „er wollte
nun etwas reden; er war aber jelbit jo gerührt, daß er ſchwieg und nur weinte.
Seine Majeftät wollte nun weg, aber wir ließen ihn nicht los. ‚Es ift gut,‘
fagte der König, ‚nun ift ja alles gut. Kinder, laßt mich zufrieden.‘ Der
General trat jegt heran und dankte für das Regiment noch befonders. Da
jagte der König: ‚Da hat er jeinen Grenadiermarfch wieder!‘ und ritt ges
ſchwinde weg.” —
Als der große Kriegsheld im Frühling von 1764 zum erflenmal wieder
nad) alter Friedensgewohnheit mit feinen Potsdamer Bataillonen ererzierte, ſchöpfte
er doch wieder Hoffnung, fein einft fo treffliches, aber durch den blutigen Krieg
ruiniertes Heer „wie einen Phönir aus der Aſche“ auferftehen zu fehen. Aber es
währte lange, bis alle Nachwehen überwunden waren. Leichter als das Fußvolf
1) Bel. Bd. I, 548.
Staatöhaushalt und Heerweſen. 511
erholte ſich die Reiterei, die weniger ftarfe Berlufte gehabt und ihren Abgang
ziemlich leicht erjegt hatte. Sie hatte fi, wie der König jagte, im Kriege ver:
volllommnet, während die Infanterie mit dem Dahinſchwinden ihrer Veteranen
von Stufe zu Stufe gefunfen war. Im vierten Jahre nad dem Friedensihluß
urteilte Friedrich, daß noch weitere brei Jahre ins Land gehen würden, bis der
alte „ton de solidit&* ganz mwieberhergeftellt jein werde. In der That hat ihm
nahmals das Jahr 1770 als die Epoche ber vollen Genefung gegolten. Ein
General im Gefolge des Kaifers fand 1769 zu Neiße die preußifche Infanterie,
wenn noch nicht völlig erholt, fo boch ſchön, trefflich adjuftiert, ungezwungen in
allen ihren Bewegungen; man erkenne eben die preußifche Truppe, bie ſeit
fünfzig Jahren nad denjelben Grundfägen arbeite. Unter der Neiterei gab
derfelbe Beobadter dem Regiment Seydlig vor den übrigen weit den Vorzug.
Die Huſaren beftachen ihn nad ihrem äußeren Aufzug nicht, aber fie jchienen
ihm trefflih gejhult für den kleinen Krieg, die Sicherung der Märſche, das
Scharmützel.
Erhöhte Aufmerkſamkeit wandte der König jetzt der Schnelligkeit des In—
fanteriefeuers zu, ſeitdem die Erfahrung gelehrt hatte, daß der ehemals von
ihnen verlangte Bajonettangriff den Soldaten bei Beginn des Gefechts nicht mehr
zugemutet werben durfte.) Mit der Sekundenuhr in der Hand lief er bei den
Revuen die Pelotons Probe hießen. Man erreichte, daß der Soldat viermal
in der Minute lud und jhoß. Der 1773 auf Anregung des Prinzen Friedrich
von Braunjchweig eingeführte cylindriſche Ladeftod eriparte das Ummenden des
bisher gebrauchten, fih nad unten verjüngenden Stoßfolbens, und eine Erleich—
terung für das Aufichütten des Pulvers gewährte feit 1781 die Tridhterform
des Zündloches, die mit dem Orden pour le merite belohnte Erfindung bes
Leutnant von Freytag. Nun gelang es, mit Ererzierpatronen bis zu jehsmal
in der Minute zu feuern, während mit fcharfen doch faum mehr als vier oder
höchſtens fünf Schüffe erzielt wurden. Die Garnifonbataillone ſchoſſen weniger
Ihnell, waren fonft aber nad des Königs Urteil bis 1773 auf eine Höhe ge:
bradt, daß fein General fi ihrer in feiner Brigade zu ſchämen brauche.
An den Feſtungen, deren Chuß dieſen Garnifontruppen im Kriegsfalle
oblag, gab es nad) dem Friedensſchluß viel aufzubauen und zu vervolllommnen.
Am Eulengebirge entitand das jchlefiihe Gibraltar, Silberberg, mit feiner Kette
von Feljenforts, um die Gebirgsftraßen jomohl nah der böhmischen wie nad)
der Glater Seite zu decken und zugleih der berühmten Schlüfjelitellung von
Landehut eine Stübe zu geben. In Weftpreußen wurde Graudenz befeftigt, als
Bollwerk ſowohl gegen einen Angriff von Polen ber, wie als eine vierte Ber:
teidigungsftellung gegen einen durch Dftpreußen vordringenden Feind, dem es
gelungen war, den Memelübergang, die Linie der Inſter und bes Pregels und
ein befeftigtes Lager in dem Pak von Löten zu forcieren. Zum Schuße der
Dftfeefüfte wurde Kolberg, defjen ftrategifche Bedeutung ber legte Krieg ermwiejen
hatte, zu einem Waffenplatz erften Ranges ausgebaut.
Ehedem, in dem politiſchen Teftament von 1752, hatte König Friebrid
) Bgl. oben S. 208.
512 Achtes Bud. Fünfter Abſchnitt.
den Plan erwogen, nad der Erwerbung von Weftpreußen mit Danzig für ben
Küſtenſchutz ſchwimmende Batterien, etwa dreißig Galeeren und einige Fregatten
auszurüften, nicht aber Schlachtſchiffe. Jetzt, da die Vorausjegung, allerdings
unter Wegfall von Danzig, gegeben gemweien wäre, ift er auf dieſen immerhin
beiheidenen Plan zur Begründung einer Kriegsflotte doch nicht zurüdgelommen.
„Ich glaube nicht,” fchreibt er 1777, „daß man in dieſem Lande fi jemals
überreden lafjen fol, eine Kriegsmarine zu fchaffen. Hier die Gründe. Es
gibt in Europa an großen Flotten die englifche, die franzöſiſche, die ſpaniſche,
die däniſche, die ruffiihe. Niemals werden wir ihnen gleihfommen können;
wenn wir aljo mit ein paar Schiffen den anderen Nationen immer unterlegen
bleiben, jo wäre die Ausgabe unnüß. Dazu fommt, daß das Geld, weldes
eine Flotte foftet, uns nötigen würde, die Landtruppen zu verringern, daß das
Land nicht bevölfert genug it, um Nefruten für das Heer und Matrofen für
die Schiffe zu liefern, und endlich, daß die Seeſchlachten ſelten entjcheidend find.
Sodaß ich folgere, es iſt befler die erfte Armee Europas zu haben, als die
ſchlechteſte Flotte unter den Seemädhten.”
So völlig ging der Eroberer von Schleſien in der von ihm ſelbſt ge—
ſchaffenen politiſchen Lage und in den Aufgaben des Augenblicks auf, die aller:
dings noch faft ein Jahrhundert für ihre endgültige Löſung erfordern follten.
Der Gegenfag gegen Defterreih blieb andauernd der Erponent feiner politiſchen
und feiner militäriichen Rechnung.
Immer von neuem erörterte er Mittel und Möglichkeiten, gegen dieſen
Gegner, wenn es noch einmal zum Kampf fam, möglihit wuchtige Schläge zu
führen; fo ſchon 1764 in der Vorrebe zu feiner Darftellung des eben beendeten
Krieges, fo 1768 in dem neuen politiiden Teitament, 1770 in jenen „Grundſätzen
der Lagerkunft und Taktik“, 1775 in den „Reflexionen über Feldzugspläne” und
1777 in dem gebrängten „Expose du gouvernement prussien“, das den engen
Zufammenhang zwiſchen Kriegsführung und Politif betont.
Die früher aus den befonderen Berbältnifien des preußifhen Staates
gezogene Nutzanwendung „Unjere Kriege müflen kurz und vif ſein“,) verallge-
meinerte er jegt zu dem Lehrſatz: „Der Krieg wird nur geführt, um den Feind
jo jchnell als möglih zu zwingen, einen uns vorteilhaften Frieden zu unter:
zeichnen.” So verlangte er für einen Krieg gegen die Franzofen, daß ein
Invaſionsheer nicht fieben bis acht Jahre mit der Belagerung ber Grenzfeftungen
und jährlid einer Schlacht fih aufhalten, fondern in das Herz von Frankreich
vordringen und die Hauptftabt bedrohen jolle.*) Große Entwürfe, das ift das
Loſungswort aud des alten Königs für fünftige Feldzüge. Prinz Eugen, „ber
größte Krieger des Jahrhunderts”, mit feinen drei glänzendften Kampagnen, mit
Höhftädt, Turin und Belgrad, der ift das Mufter, das er fih und feinen
Generalen vorhält. „Die großen Feldzugspläne,” gefteht er, „gelingen nicht
alle, aber es kommt immer mehr dabei heraus, als bei diefen Heinen Entwürfen,
wo man fih auf die Wegnahme eines Neftes an ber Grenze beſchränkt.“ ...
1) Bd. I, 558; oben ©. 17.
?) Val. auch oben ©. 167.
Staatähaushalt und Heerweſen. 513
„Der Mann, dem alle Entwürfe geglüdt wären, ift noch nicht geboren, aber
wenn ihr euch nur auf Kleine einlaßt, werbet ihr immer ein mittelmäßiger Menſch
bleiben, und wenn von zehn großen Unternehmungen, auf bie ihr euch einlaßt,
aud nur zwei euch glüden, jo macht ihr euren Namen unfterblich.“
Aber kannte feine Kriegsfunft ein Mittel, wies feine Kriegslehre einen
Weg, den großen Entwurf zu einem großen Erfolg überzuleiten? Chedem hatte
er feinen Generalen, um das Kriegsglüd zu zwingen, die Schlacht als Fräftigftes
Mittel empfohlen, im freudigen Rüdblid auf Hohenfriedberg, Soor und Kefjels-
dorf, in dem ftolzen Glauben, daß den preußifhen Truppen aud die angeblich
unangreifbaren Stellungen nicht zu ftarf ſeien.“) Jetzt lagen ſchmerzliche Ent-
täufhungen, furdtbare Erfahrungen hinter ihm, mörberifhhe Niederlagen und
nicht minder mörderiſche Siege, diefe Schladten, die ihn bei den Methodifern,
bei den Bewunderern ber zahmeren Kriegsführung des Prinzen Heinrich, in den
Nuf gebracht hatten, „kein anderes Hilfsmittel als die Schladht zu kennen“.
Der Krieg, fagte er fich, „ift raffinierter geworben, jchwieriger, gewagter, weil
wir nicht mehr allein Menſchen zu befämpfen haben, fondern vor allem bie
ftarfen Stellungen und die Artillerie”.?) Es ſchien nicht wahrjcheinlid, daß die
öfterreichiichen Generale fih von ber Methode bes Generald Daun, die Friedrich
als bie für fie unftreitig gute anerkennen mußte, entfernen würden; jo würben
fie im nächſten Kriege ebenfo auf gute Stellungen bedacht jein, als im legten.
Da will er den Feldherrn tabeln, der fich überftürzen würbe, diefen Feind auf
Bergeshöhen oder über durchſchnittenes Gelände hinweg anzugreifen. Sich felbft,
wenn er das bisweilen gethan bat, entſchuldigt er mit feiner äußerften Notlage.
„Der Angriff auf einen feſten Poften ift ein zu ſchwer verbauliches Stück; man
fann leicht geworfen oder geichlagen werden, und wenn man es zwingt, fo
gejchieht es mit einem Berluft von fünfzehn Taufenden ober zwanzig Taufenden,
der eine zu graufame Lücke in bas Heer reißt.” Angefichts folder Stellungen
fann man im Anfang der Schladt die Kavallerie — die in Friedrichs früheren
Schlachten den Kampf regelmäßig eröffnet hatte — nicht benugen, und will man
Infanterie vorfdiden, jo fann man ebenjo gut Bauern mit Knütteln loslaffen.
Und jo weiß der König, entgegen feiner früheren Anſchauung, daß Scharmützel
foftipieliger als eine Schlacht feien, in feiner gleih nad dem Friedensſchluſſe
geihriebenen Geſchichte des Siebenjährigen Krieges und ebenjo in dem militäriſchen
Tejtament von 1768 feinen anderen Rat, als ben, viele kleine Erfolge zu
häufen: „ihre Summe ergibt große; kleine Erfolge vervielfältigen, das heißt
einen Schat nad und nad) fammeln; mit der Zeit fieht man fich reih, ohne
zu wiſſen, wie man es geworben ift.“
Auch die „Röflexions* von 1775 wiederholen bie Lehre, daß die Häufung
Heiner Erfolge Erjat für eine gewonnene Schladt biete und auf die Länge bie
Ueberlegenheit entſcheide. Aber bier begegnet uns der Sat unter den Rat:
ſchlägen für die Defenfive. Die Abfchnitte über den Dffenfivfrieg laſſen erfehen,
daß es feineswegs bie Abficht des Königs war, auf die Schladht zu verzichten.
Bd. I, 554.
?) Bgl. hierzu Bb. I, 551.
Kojer, König Friedrich der Große. II. 2, Auf, 3
>14 Achtes Bud. Fünfter Abſchnitt.
Kann er mit überlegener Macht in die Offenfive gegen Defterreich eintreten, jo
denkt er nad feinem alten Normalplan !) Mähren zum Kriegsfhauplag zu
erwählen und bier auf dem für den Kampf günftigeren Boden eine entjcheidende
Schlacht zu liefern, die den Gegner zur Räumung von Böhmen nötigen und
dem Sieger den Weg an die Donau, zur Bedrohung der feindlichen Hauptftabt,
öffnen fol. Für die taftifhe Anlage der Schladt hält er babei an ber alten
Regel feft, daß nur der eine Flügel in den Kampf einzufegen ift.
Einftweilen war der alte Schladhtenheld recht froh, fremden Kriegen
zufhauen zu können, ohne jelber eingreifen zu müſſen: er verglich ſich ben
deutfchen Komödianten, die während ihrer Ferien die Aufführungen der Franzofen
zu beſuchen pflegten, um fih nad ihrem Mufter zu bilden. Als Voltaire
während des Türfenfrieges der Ruffen ihm ben Wunſch ausjprad, daß auch er
auf Muftapha losſchlagen möge, um bie Barbaren aus Europa zu vertreiben,
antwortete Friedrih dem aus der Rolle fallenden Friedensapoftel: „Wie, mein
Herr Heiliger, Sie erftaunen, daß es in Europa Krieg gibt, ohne daß ich dabei
bin?” Wir haben gefehen, wie es damals ihm glüdte, feinem Staat ben
Frieden zu erhalten. Einmal aber mußte doch noch gefämpft fein.
) Dben ©. 17. 64. 65. 168. 314. Bb. I, 556.
Deuntes Buch.
Segler Krieg und leßter Friede.
Erfter Abfchnitt.
Bairifcher Erbfolgekrieg.
Friede zwifchen ihnen erhalten worden. Auch aus bem Hintergrund
verſchwanden allmählich die Wetterwolfen. Im ruffiiden Lager von
Kutſchuk⸗Kainardſche bei Siliftria wurde am 21. Juli 1774 von dem Fürften
Repnin und dem Bevollmächtigten des Sultans Abdul Hamid der Friede auf
die von Rußland vorlängft bezeichneten Bedingungen !) abgefchloffen, und zu
Warſchau befriedigte im folgenden Jahre der Reichstag die Diffidenten durch
eine billige Regelung ihrer Rechtsverhältniſſe, im mwefentlichen auf der Grundlage
der Beſchlüſſe von 1768, und befeitigte fo den Anlaß des langen verderblichen
Bürgerzmwiftes.
Aber faum war im Drient das Kriegsfeuer erftidt, jo entbrannte im fernen
Weſten jenfeits des Weltmeers der große Kampf zwijchen dem enalifchen Mutter:
lande und den amerilanifhen Kolonien, und faum war die Republif Polen aus
ihren inneren Wirren zu einem leiblihen Ruheftand gelangt, jo wurde das
deutſche Reich abermals der Schauplaß eines inneren Krieges.
Derweil behauptete fi noch das bisherige Allianzſyſtem; das preußifch-
ruffiihe Bündnis auf der einen Seite, das alte Verfailler Bündnis von 1756
zwifchen Defterreih und Frankreich auf der anderen. Die fünfte der großen
Mächte, England, fand ihre Stellung nah wie vor dur den Gegenfaß zu
Frankreich vorgezeichnet und ſah fich deshalb bei der beftehenden Parteigruppierung
auf die beiden nordiſchen Großmädte angemwiejen.
Aber auch Defterreih war zu dieſen beiden Mächten durch feine Mitwirkung
bei der polnifhen Teilung jet in eine Intereſſengemeinſchaft getreten, bie
allerdings weit entfernt blieb von der durch den König von Preußen bei den
Verhandlungen von 1772 gelegentlih als Elirier für den ewigen Weltfrieden
empfohlenen Tripelallianz. Eifrig bemüht, die in einer einzelnen Frage wieder:
DE die DVerftändigung der drei Oſtmächte auf Koften Polens war der
’) Oben 5. 472.
518 Neuntes Buch. Erfter Abfchnitt.
gewonnenen Beziehungen zu Rußland feiter auszugeftalten, hatte die Hofburg
während der ruffifchen SFriedensverhandlungen mit den Türken biefen ihren bis:
berigen Verbündeten ihr Wohlwollen gänzlich entzogen. Es jei im Grunde
gleihgültig, hatte Kaunig erflärt, ob die Türken, die jegt von ihm übermütige
und unruhige Nahbarn gefcholten wurden, etwas mehr oder weniger verlören.
In praktiſcher Nutzanwendung diefes Sates nahm man 1774 zur peinlichen
Ueberrafhung des Serails im Einverftändnis mit dem unſchwer gewonnenen
ruffiihen Oberfeldherrn einen Teil der Moldau in Befig, die Bukowina, an:
gebli vor alters ein Anhängfel von Galizien.
Der König von Preußen wußte, daß es ber ſehnliche Wunſch der Deiter-
reiher und zumal des jungen Kaifers war, fih in Petersburg „miebereinzu=
hängen” und ihn ſelbſt beifeite zu fchieben. Einjtweilen aber behauptete dort
noch Preußen den breiten Stein. Der König führte, folange der Türfenfrieg
währte, feine Subfidien alljährlich bundestreu ab; er wahrte bei jeinen Hänbeln
mit Danzig die Rückſicht auf die Zarin und rechnete es ſich bei ihr als Verdienſt
an, wenn er bei den Grenzftreitigfeiten an der Nee ſchließlich einen Schritt
zurüdging.‘) Und vor allem, er wurde auch bei einer neuen Irrung zwijchen
Rußland und Schweden den Erwartungen und Anfprüden des Bundesgenofien
geredht.
Durch den Staatsitreih vom 19. Auguft 1772 hatte König Guftav III.,
jeit einem Jahre der Nachfolger jeines ſchwachen Baters Adolf Friedrich, um
„Schweden mit Schweden zu verfühnen”, die Vorherrihaft der Reichsſtände mit
glüdliher Hand befeitigt, erfolgreicher als feine preußifhe Mutter bei dem
Anſchlag von 1756. Die umgeftoßene Verfafjung ftand unter Hut und Bürg:
Schaft Rußlands, und die Zarin hatte durch jene Klaufel des Vertrags von
1764 ?) auch Preußen zur Aufrechterhaltung dieſer Verfafjung verpflichtet. König
Friedrih war ganz und gar nicht in den ſchwediſchen Staatsſtreich eingeweiht
geweſen, wie in Petersburg anfänglich geargwöhnt wurde. Er war nicht minder
al& die Zarin durch den kühnen Schritt feines Neffen völlig überrafht und
empfand es als eine perſönliche Niederlage, daß er, der Altmeifter der Politik, fich
das Jahr zuvor, bei Guftavs Beſuch in Berlin, durch die treuberzig klingenden
Beteuerungen des jungen Fürften hatte in Sicherheit wiegen laſſen. Auf
Guſtavs in einem eigenhändigen Briefe niedergelegte „Beichte” verweigerte er
entjchieden die erbetene „Approbation“; vielmehr mahnten die beiden Obeime,
ſowohl König Friedrich wie Prinz Heinrich, eindringlich, „das Geſchehene wieder
gut zu machen“. Gegen ſolche Vorftellungen blieb der Bändiger des ſchwediſchen
Adels taub; immerhin wurden die in Stodholm abgegebenen Erklärungen dem
preußiihen König an der Newa als Beweiſe feines guten Willens hoch angerechnet.
Wären die ruſſiſchen Streitkräfte damals nit durch den Türkenkrieg
gebunden geweſen, jo würde Katharina fiher Schweden mit Krieg überzogen
haben, und Preußen wäre zur Bundeshilfe verpflichtet gewefen. So aber fanden
die befhmwichtigenden Worte, die Friedrich nach Petersburg gelangen ließ, günftige
) Dben ©. 475. 476.
) Oben ©. 438.
Bairifcher Erbfolgekrieg. 519
Aufnahme Rußland Ienkte ein. Indes verfhärfte jih zum Winter die Lage
von neuem, da jest ein Krieg zwiſchen den beiden verfchwägerten Königen von
Schweden und Dänemark, ein Einfall Guftavs IH. in Norwegen bevorzuftehen
ſchien. Bon neuem erwog Rußland eine bewaffnete Einmifhung; am legten
Ende hat doch nur der auch 1773 noch fortgejegte Widerftand der Türfen den
Ausbruch eines Krieges im Norden beſchworen. Auch blieb Guſtav der Meinung,
nur eine Gnadenfrift gewonnen zu haben, obgleih Katharina fi 1777 feinen
Befuh an ihrem Hofe gefallen lief.
Die Zufammenfünfte der fürftlihen Herrſchaften gehörten jetzt zum ftehen:
den Apparat der Diplomatie. Friedrich ließ feine früheren Bebenfen gegen
folde Begegnungen fallen. Als die Zarin von neuem den Beſuch des Prinzen
Heinrih erbat, hätte diefer die beſchwerliche Reife fi gern erjpart. Aber der
König ftellte ihm vor, daß er dem Staat ein Opfer bringen müſſe, und citierte
ihm ein indifches Sprichwort: man müfle den Teufel anbeten, um ihn am
Böfesthun zu verhindern. Im Frühling 1776 wurde ber Beſuch ausgeführt,
und die Aufnahme des Prinzen am ruffifhen Hofe war wiederum ſo herzlich,
da Friedrich dem Bruder dankbar ſchrieb: „Sie bringen es fertig, alles, was
Sie wollen, auszuführen und alles nah Wunſch gelingen zu laſſen.“ Das fo
mwohlverdiente Vertrauen, das die Kaiferin dem Prinzen fchenke, ſei das feftefte
Band der Einigung zwifhen Rufen und Preußen. Auf der Rüdreife begleitete
ben Prinzen Heinrih der Großfürit:Thronfolger Paul Petrowitih. Sein Ein-
zug in Berlin am 21. Juli 1776 war ein Ereignis für ben Hof und die ganze
Bevölkerung der Hauptftadt; in der Königftraße, dur die der hohe Gaft dem
Schloſſe zufuhr, vermietete man das Fenfter für zwanzig Thaler. Paul fam als
Werber. Schon jeine erfte, fürzlih dur den Tod gelöfte Ehe hatte er mit
einer nahen Verwandten des preußiſchen Königshaufes, einer Pringeffin von
Heſſen-Darmſtadt, geichlofien; jet verlobte er fi in Berlin mit Friedrichs
Großnidte, der Prinzejfin Sophie Dorothee von Württemberg, bie bei ihrem
Vebertritt zur griechiſchen Kirhe den Namen Maria Feodoromna annahm.
„Unter dem Echatten diefer günftigen Aſpekten“ erfüllte fih im folgenden Jahre
Friedrichs Wunfh, fein Bündnis mit Rußland auf geraume Zeit, bis zum
31. März 1788, verlängert zu fehen.
Die perfönlihen Beziehungen zu dem Wiener Hofe, in ben Zeiten bebroh:
liher Wirren angefnüpft, wurden nah dem Gegenbeſuch König Friedrichs zu
Mähriſch-Neuſtadt nicht weiter gepflegt; er hat den Kaifer Joſeph jeitdem nicht
wiedergejehen. Seine Hoffnung auf eine allmählide Ausjöhnung der beiden
großen deutjchen Staaten, auf ihr Zujammenftehen gegen das Vorbringen Ruß:
lands, war ber Erkenntnis gewihen, daß es „faft unmöglich” fei, mit dem
Haufe Defterreih einen feiten Bund zu flechten. Entgegen der Auffaffung feines
Gelandten Rohd in Wien blieb er der Meinung, daß man es dort auf Baiern
abgejehen habe. Daß aber ein öfterreihifcher Anſchlag auf biefes Land einen
fharfen und blutigen Krieg unvermeiblih machen werde, hatte er ſchon 1765 vor:
ausgejagt, damals in ber Erwartung, dieſen Fall jelber nicht zu erleben. Den
Prinzen Heinrich hat er einmal daran erinnert, daß ihr Vater oft gejagt habe,
an jeinem Nachfolger werde es fein, die Rechte des Haufes auf Jülich und
520 Neuntes Bud. Erfter Abſchnitt.
+
Berg zu diskutieren: dasfelbe gelte in Bezug auf die bairiſche Frage für das
fommende Geſchlecht. Zugleich aber fagte er fih: „Stirbt der Kurfürft von
Baiern vor mir und wird zum Aufligen geblafen, dann wird man wohl noch
in den Sattel müffen.“
Sein politiihes Syitem, das er Schritt für Schritt einhalte, entwidelte
er dem Bruder am 13. April 1777 in ber einfahen Formel: „Mit Rußland
jo eng verbündet bleiben wie möglih; auf Die Schritte des Wiener Hofs, bie
großen wie die Heinften, acht haben; mit allen anderen Mächten jo gut wie
möglich ftehen, und zwar ſowohl um fich nicht mutwillig Feinde zu machen, als
befonders um mit biefen Mächten auf derartigem Fuß zu bleiben, dag man,
wenn die Umftände eine Allianz erheifhen, Verhandlungen mit ihnen an-
fnüpfen kann.“
Mit Franfreih war man zu einem Handelsvertrag nicht gelangt,') aber
die 1768 wieder aufgenommenen diplomatiſchen Beziehungen erlitten feine weitere
Unterbredung. In BVerjailles trat das alte Gefhleht vom Schauplag. Als
die Marquife Pompadour 1764 ftarb, jah König Friedri richtig voraus, daß
Choifeul und jeine „Elique” fi gleihwohl behaupten würben. Erſt in ben
Weihnachtstagen von 1770 gelang es den Umtrieben ber Gräfin Dubarry, der
legten und niebrigften in ber Reihe der Gunftdamen Ludwigs XV., ben lange
allmächtigen Minifter durch ihr Werkzeug, den Herzog von Aiguillon, zu erjegen.
Angenehm überrafcht durch diejen Sturz des „ci-devant roi de France*, ſchrieb
Friedrich damals mit vergnüglichem Spott an Voltaire: „Ich verlafie mich auf die
hohe Einfiht Ihres Monarchen in der Wahl und Verabſchiedung feiner Minifter
und feiner Maitrefjen.” Als diefer Monard am 10. Mai 1774, 64 Jahre alt,
feine jechzigjährige Regierung beſchloß, widmete ihm Friedrich das Epitaph:
„Ein guter Mann, der feinen anderen Fehler hatte, als den, König zu fein.”
In der Satire „Ludwig XV. in ben Elyfäifhen Gefilden“ läßt er den „roi
trop phlegmatique* im Schattenlande, wie auf Erden, fein Tagewerf zwijchen
Liebe und Langeweile teilen und zum Bufenfreund den König Salomo wählen.
Den Nachfolger Ludwigs XV. durchſchaute er bald als „regierungsunfähig”.
Zugleih aber erfannte er ganz richtig, daß der fteinalte Maurepas und das von
ihm gebildete Minifterium, welches die Kreaturen ber Dubarry ablöfte, bei aller
Rüdfiht auf die öfterreihifhe Gemahlin des jungen Königs darauf bedadt
waren, Frankreich nicht „unter die Herrſchaft der Kunfel” fallen zu laffen. Noch
dem alten Herrſcher hatte in feinem legten Regierungsjahre Graf Karl Franz
von Broglie, der Leiter der geheimen Diplomatie Ludwigs XV., die Nachteile
der öſterreichiſchen Allianz vor die Augen gehalten, indem er auf den König
von Preußen hinwies, der heute als derjenige Fürft in Europa zu betrachten
jei, welcher den höchſten Grad der Macht erreicht habe. Jetzt nah dem Thron:
wechſel ſprach Broglie e8 aus, daß Frankreih in dem Bündnis mit Oeſterreich
durch eine Verkettung von Frrtümern und Fehlern zu einer Macht dritten oder
vierten Ranges herabgefunten jei, daß es gelte, den hitzigen und Friegerijchen
Sinn des Kaiſers Jojeph zu dämpfen, die alten Beziehungen zu Preußen wieder
1) ®gl. oben S. 409. 410.
Bairifcher Erbfolgefrieg. 521
aufzunehmen. So völlig hat nun die Politif Ludwigs XVI. den Kurs nicht
geändert. Wohl aber hat fi fein Minifter Vergennes die Aufgabe geitellt,
zwifchen Preußen und Defterreih das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten und auf
dem Kontinent einem neuen Kriege vorzubeugen, der die Bemühungen zur
Stärkung der franzöfiihen Seemadt geftört haben würde. Denn ſchon wartete
man in Verfailles auf die Stunde der Abrechnung mit dem Erbfeind, mit
England.
Von dem Zerwürfnis zwijchen England und den amerifanifhen Kolonien
hat der König von Preußen frühzeitig vorausgefagt, daß es der engliichen
Regierung ein Dorn im Fuße fein werde, wenn fie früher ober |päter einmal
mit Franfreih oder Spanien den Kampf erneuern müſſe. Wie richtig war fein
Urteil in den Anfängen diefes Streites, daß das britiſche Minifterium feine
andere Wahl habe, als die Stempelafte, das Hauptärgernis der Amerikaner,
einfad aufzuheben, auf die Gefahr hin, der Autorität des Parlaments dadurch
vorübergehend etwas zu vergeben. Der Haber ber parlamentarijchen Parteien,
der das Inſelreich jeht im Frieden um das im legten Kriege erworbene Anjehen
zu bringen ſchien, war dem preußifchen Selbftherrfcher ebenſo verächtlich wie
unverftändlid. Wenn die Kabinette famen und gingen, jah er in allem nur
ben heimliden Einfluß des ihm verhaßten Lord Bute; den böſen Geiftern ähn—
lid, von denen man ftets jprehe und die man nie jehe, hülle diefer Bute fi
und feine Umtriebe in tiefftes Dunfel und regiere in Wirklichkeit den König
und das Königreich. Eine Auffaffung, die infoweit zutreffend war, als das
KRoalitionsminifterium von 1766, in welchem Willtam Pitt, damals zum Grafen
von Chatham erhoben, Whigs und Mitglieder der neuen, auf die Stärkung ber
monarchiſchen Gewalt bedachten Torypartei unter feiner Führung vereinigte, in
der That das Werk Butes geweſen ift; der gemeinfame Gegenjat gegen bie
Dligardhie des Hochadels, die Parteiherrihaft und Familienfonnerion der Whig:
geichlechter, gegen bie Gefolgihaft der Herzoge von Nemcaftle und Devonihire,
hatte den Günftling des Königs und den „großen Commoner” zufammengeführt.
Ganz unabhängig aber von Bute ftellte fi fein Nachfolger in der Gunft
Georgs III., jener Lord North, dem nad Chathams Rüdtritt die Leitung ber
Geſchäfte zufiel und deſſen unheilvolle Verwaltung dem britifchen Reiche den Verluft
der amerikaniſchen Kolonien eingetragen hat.
„Ganz Europa,” jo ſchrieb Benjamin Franklin im Jahre nah der Unab-
bängigfeitserflärung der PVereinigten Staaten, „wünſcht England gedemütigt,
denn England hat alle Nationen durch feine Anmaßungen gekränkt.“ König
Friedrih antwortete damals auf die Frage d’Alemberts nach feinem Urteil über
den amerifanifhen Krieg und über das Verhalten der Engländer, er denke ganz
wie die Öffentlihe Meinung: daß fie fih gegen Treu und Glauben vergangen
hätten, durch den Bruch ihres Pakts mit den Kolonien, und zugleich gegen bie
Regeln ber politiichen Klugheit und der Kriegsfunft, durch die noch dazu unge:
Ihidte Eröffnung eines unvermeiblicherweife ſchädlichen Bürgerfrieges, durch
thörichte Unterfhägung der gegnerifhen Hilfskräfte, durch ungenügende und
zwedwibrige Vorbereitungen, durch Verzettelung ihrer Streitmacht, durch Rück—
fichtslofigkeiten gegen die neutralen Staaten.
522 Neuntes Bud. Erſter Abfchnitt.
Aber trog feiner alten, durch die neueften Vorgänge nur noch verftärkten
Abneigung gegen die „Goddams“ hielt er fidh feit an feinen Vorſatz, es mit
niemand in Europa zu verderben im Hinblid auf einen Ffünftigen Krieg mit
Defterreid. Die Sendlinge der Aufftändiichen, die im November 1776 und im
folgenden Juni in Berlin erſchienen, Carmichael aus Maryland und Arthur Lee
aus Virginia, wurden höflih empfangen, ohne irgend welche Zufagen oder auch
nur eine Aubdienz beim Könige zu erhalten. Man müſſe alles vermeiden, fo
wies Friedrich feine Minifter an, was die Amerikaner beleidigen oder verlegen
fönnte, aber er könne fih, um jene zu begünftigen, nicht mit England über:
werfen. Er gedenfe ruhig abzuwarten, um fi endlich auf die Seite defjen zu
ihlagen, für den das Glüd ſich erklären werde. So lange mußte aljo der
Handelsvertrag zurüdgelegt werden, um den fi die Kolonien bemühten und
der dem Könige von Preußen an fi jo willkommen geweſen mwäre.') Und
vollends mußte man es ablehnen, den amerikaniſchen Kaperidiffen den Hafen
von Emden zu öffnen. Allemal konnte darauf hingewieſen werden, daß ber
Natur der Sahe nah Franfreih, das fih noch immer zurüdhielt, mit ber
Anerkennung der neuen Republif den Bortritt zu nehmen habe.
Das Intereſſe der amerikaniſchen Freiheitskämpfer und der Wunſch des
preußiihen Königs, die deutſchen Werbepläge nicht allzu ftarf in Anſpruch ge-
nommen zu jehen, begegneten fih, wenn Friedrich im Herbit 1777 den in Deutſch—
land gemieteten engliihen Hilfstruppen bei Minden die Wejerfahrt fperrte. Doc
gab er den Flußpaß bald wieder frei, als nun mit dem neuen Jahre wirklich
der Krieg um Baiern fam und in erhöhtem Maße politifhe Nüdfichten auf den
König von England und Kurfürften von Hannover geraten erfcheinen ließ.
Kurfürft Marimilian Joſeph von Baiern, der einzige Sohn des unglüd-
lihen Kaijers Karl VII., der legte der alten bairiſchen Wittelsbacher, zählte
bei feinem Tode am 30. Dezember 1777 erit fünfzig Jahre. „Er hat uns den
Streich geipielt zu fterben“, fagte Kaifer Zojeph, als er die Nachricht erhielt;
denn noch waren die geheimen Verhandlungen des Wiener Hofes mit dem Erben
von Baiern nicht zum Schluſſe gelangt.
Der Erbe war jener Karl Theodor, der als Sprößling einer pfälziichen
Nebenlinie, als Gebieter des Heinen Fürftentums Sulzbach im alten bairiſchen
Nordgau, bejcheiden genug angefangen hatte und dem vor fünfunddreißig Jahren
beim Tode bes letzten Neuburger Kurfürften von der Pfalz die gejegneten
Kurlande am Ober: und Mittelrhein, die Herzogtümer Jülih und Berg am
Niederrhein und das Fürftentum Neuburg an der Donau und der Naab zuge:
fallen waren. Sept alſo war er berufen, mit diefem alten Befig der rubolfinifchen
Linie das ganze große Gut der wilhelminifchen zu vereinigen, ſowohl Ober: und
Niederbaiern mit der Herrſchaft Mindelheim in Schwaben und der Landgraf:
ſchaft Leuchtenberg im Nordgau, wie die der pfälziihen Kur im Dreißigjährigen
) Bol. oben S. 410.
Bairiſcher Erbfolgefrieg. 528
Kriege entriſſene Oberpfalz. Zwar war das Haus Wittelebah beim gänzlichen
Mangel an jüngeren Prinzen nicht mehr im Befig der acht rheinifch-weitfälifchen
und bairijhen Bistümer, die um die Mitte des Jahrhunderts die beiden Oheime
des legten bairiſchen Kurfürften inne gehabt hatten, ’) immerhin aber ergab bie
Gejamtheit der bairiſchen und pfälziihen Lande unter derjelben Herrichaft eine
Hausmadt von jolhem Umfang und Gewicht, dab Kaifer Joſeph als Reiche:
oberhaupt wie als Nachbar allen Grund Hatte, diejer Verſchiebung der Macht:
verhältnifje entgegenzuarbeiten. Er that es, indem er eine Verfchiebung nad
der entgegengejegten Richtung verſuchte und die Gewichte, die er der Schale
Wittelsbahs mißgönnte, mit fühnem Griff für die Defterreihs in Anſpruch
nahm. Sollte ihm gelingen, was vor einem Menjchenalter feinem bairifchen
Vorgänger auf dem Kaijerthbron jo kläglich mißglüdt war, die Vereinigung
ber beiden größten Staaten Süddeutſchlands? Joſeph war entichlojfen, eine
Gelegenheit, „wie fie nur in Jahrhunderten einmal wiederfehre”, nit ungenugt
zu laſſen.
Die unvergleichliche Gelegenheit bot der Umstand, dag aud Kurfürft Karl
Theodor finderlos war wie fein Vorgänger und ih um das Nachfolgerecht
eines Vetter von der Linie Pfalz: Zweibrüden herzlich wenig fümmerte. Schon
am zweiten Tag, nahdem die Todesbotichaft nah Wien gefommen war, am
3. Januar 1778, fegte dort der Unterhändler Karl Theodors feine Unterjhrift
unter einen durch Kaunitz ihm vorgelegten Vertrag, und nad) einiger Bebenf-
lichkeit erteilte „der ftille und fait furchtſame Mann“, als den der Kaiſer den
Kurfürften charakterifierte, am 14. Januar feine Ratififation, im Widerfpruch zu
den früher von ihm unterzeichneten Hausverträgen, welche die Unteilbarfeit der
wittelsbachiſchen Erblande ausipraden.
Durd den Vertrag vom 3. Januar erkannte Karl Theodor einen Erb:
anſpruch Deiterreihs auf alle bairifchen Gebiete an, die Herzog Wilhelm von
Baiern auf Grund der Teilung von 1353 beſeſſen hatte und die König Sigmund
angebli dem Herzog Albrecht von Defterreih 1426 zu Lehen gegeben haben
follte — niemand fonnte genau jagen, welchen Umfang das fo bezeichnete Ge:
biet hatte. Genug, daß man in Wien den größten Teil von Niederbaiern bar:
unter verftand. Der Kurfürft trat weiter die Herrihaft Mindelheim ab und
erkannte das Recht der Krone Böhmen zur Einziehung der böhmiſchen Lehen in
der Oberpfalz an, allerdings unter dem Ausdruck der Hoffnung, fie fih von
neuem verliehen zu ſehen. Zur Abrundung der abgetretenen Gebiete und zu
ihrer befleren Verbindung mit den öfterreihiihen Landen wurde ein freiwilliger
Austauſch vorbehalten. Joſeph hoffte auf diefem Wege zu gewinnen: entweder
alles Land öftlih einer Linie vom Austritt des Inn aus Tirol, über Waſſerburg,
Landshut, Donauftauf bis an die böhmifche Grenze bei Waldmünden, gegen
Zurüderftattung der weſtlich diejer Linie gelegenen Teile des durch den Vertrag
erworbenen Gebietes; oder ganz Ober: und Niederbaiern diesjeits einer geraden
Linie von Waldmünden bis Donaumörth, gegen Abtretung von Borderöfterreich,
Limburg, Luremburg und der öfterreihiichen Anwartſchaft auf Württemberg.
) 8b. I, 191.
524 Neuntes Bud. Erſter Abſchnitt.
Obgleich nicht vollftändig, werde die Erwerbung doch immerhin jchön jein,
fagte Joſeph; zumal da fie nichts fofte. Maria Therefia warnte: noch jei feine
derartige Unternehmung geglüdt, mit einziger Ausnahme ber preußiichen von
1741; noch verfpüre Defterreih die Folgen der eigenen Ilnternehmung von 1756:
„Zweihundert Millionen Schulden mehr, und der Wohlftand unferer Völker zer:
rüttet.” Doc berubigte fi die Kaiſerin, als die Ratififation Karl Theodors
vorlag. Am 16. Januar rücdten 10000 Defterreiher in die abgetretenen Ge:
biete zur Befigergreifung ein. „Alle Welt jcheint ruhig und zufrieden,” ſchrieb
Joſeph zu Ende des erſten Monats.
Aber der König von Preußen hatte diefen Monat nit verloren, feinen
Augenblid geſchwankt oder gezaudert. Am 3. hatte er in Berlin das Ableben
bes Baiernfürjten erfahren; noch in der Nacht empfing er einen jeiner General:
abjutanten, den aus Potsdam fchleunigit herbeigerufenen Grafen Görk, und
eröffnete ihm, daß er feinen Bruder, den Grafen Euftahius Görk, den früheren
Dberhofmeilter des jungen Herzogs Karl Auguft von Weimar, zu einer geheimen,
Sendung an die wittelsbachiſchen Höfe zu benugen wünſche. Er ſei entſchloſſen,
bie Zerftüdelung Baierns nicht zuzulaſſen und lieber Krieg bis zum äußerften
zu führen; es gelte, erforberlihenfalls einen der wittelsbachiſchen Agnaten, und
fei e8 der jüngfte des ganzen Haufes, gegen die Anſchläge des Kaifers zum
Einfprud und Widerftand aufzurufen.
Der General eilte im tieften Geheimnis nah Weimar und überrebete
feinen Bruder, den Vertrauensauftrag zu übernehmen. Graf Euftahius über:
zeugte fih in Münden, daß der Kurfürft völlig umgarnt ſei — jchon wurde
au der Vertrag vom 3. Januar der Deffentlichfeit übergeben — hatte aber
einen vollen Erfolg bei dem dort zum Beſuch eingetroffenen Herzog Karl von
Zweibrüden. „Unjer Unglüd hört auf, fobald Seine Majeftät daran teilnimmt,“
fagte Karl von dem preußiichen Könige.
Am 16. März übergaben ſowohl der zweibrüdifhe Vertreter wie der
brandenburgifche Komitialgefandte Schwargenau dem Reichstage zu Regensburg
ihre Verwahrungen gegen das Vorgehen des Wiener Hofes, mit Berufung auf
die Neichsverfafjung und die faiferlihe Wahlkapitulation. Am 26. März ver:
bürgte König Friedrich dem Herzog Karl fein Erbrecht auf Baiern durch feier
lihen Vertrag. Die Stimmung in Baiern wandte fi ganz ab von dem neuen
Herrn, dem Landfremden, der das Land zerftüdeln wollte. Die Witwe bes früh
verfiorbenen Herzogs Klemens, der als Neffe des Kurfürften Marimilian Joſeph
fein Erbe gewejen wäre, Herzogin Maria Anna, von julzbahiihem Geſchlecht
wie Karl Theodor jelbft, wurde feine und Defterreihs eifrigfte Widerſacherin
und forderte in flammenden Briefen den König von Preußen zum Kampfe auf.
Das Stoßgebet „Jeſus, Maria, Joſeph“, fo witelte man, laute jegt in Baiern
bei groß und Klein „Jeſus, Maria, Friedrich”.
Auch bei den Reichsſtänden war die Stimmung unter dem Eindrud der
brandenburgiihen Erklärungen am Reichstag ganz Überwiegend, wie man es in
Wien fi nicht verhehlte, gegen Defterreih und für Preußen. Wenn aber Fried:
rih daran gedacht hatte, gegen das verfaflungswidrige Vorgehen des Kaiſers eine
Afjociation der Neichsfreife zu bilden, fo erwies ſich folder Verſuch ſchnell als
Bairifcher Erbfolgekrieg. 525
ausſichtslos; die Erfahrung von 1743 wurde von neuem gemadt.!) Er werbe
Ihamrot für Deutfchland, zürnte Friedrich; diefe Neichsfürften feien „ganz
Furcht”; fie feien nicht einmal zum Bellen zu bringen, während er fi für fie
Ihlage. Nur der junge Kurfürft von Sachſen fand einen Entſchluß. Er war
an dem bairifchen Erbfolgeftreit nahe beteiligt dur feine Mutter Maria Antonie,
die Schweiter des verftorbenen Kurfürften von Baiern. Ihrem Anſpruche auf
deſſen Allodialhinterlafienihaft, die man in Dresden auf viele Millionen bezifferte,
wurde in Wien eine Vorzugsforderung Maria Therefias entgegengeitellt, gegründet
auf die Abftammung ber Kaiferin von zwei bairifchen Prinzeffinnen des ſech—
zehnten Jahrhunderts. Auch hatte ein Streit wegen der von Böhmen zu Lehen
gehenden, aber unter fächfifcher Landeshoheit ftehenden gräflich-ſchönburgiſchen
Befigungen den Kurfürften gegen den Wiener Hof aufgebradt. In der Er:
fenntnis, daß er in einem Krieg zwifchen den beiden deutichen Großmädhten fo
wenig wie 1756 jeine Neutralität behaupten werde, ſchlug ſich ber Dresdener
Hof diesmal auf die andere Seite und ftellte dem König von Preußen durch
einen Vertrag vom 2. April feine 21000 Mann zur Verfügung.
Entſcheidender als alles andere mußte die Haltung ber europäifchen Ber:
bündeten Preußens und Defterreih& werden. Nicht nur in Petersburg, au in
Verjailles hatte König Friedrich alsbald feine Hebel angejegt. Sowohl Rußland
wie ranfreih waren in dieſem Augenblid durch eigene Sorgen in Anſpruch
genommen. Frankreich hatte gerade jet durch die Anerkennung der Vereinigten
Staaten von Amerika einen Bruch mit England endlich herbeigeführt, Rußland
ſah den Frieden von Kutſchuk-Kainardſche durch einen Zwift mit der Pforte über
bie Auslegung der auf die Krim bezüglichen Artikel gefährdet.
Zu Verfailles hielt der Minifter den Bemühungen ber Königin, der öfter:
reihifhen Prinzeffin, das Widerfpiel. Vergennes war entſchloſſen, den Fehler
von 1756 nicht zu wiederholen, um nicht abermals die Partie gegen England
durch das Abenteuer eines gleichzeitigen deutichen Krieges zu verlieren. Und mie
durfte man Baiern den Raub Defterreihs werden laffen, dieſen treueften aller
deutihen Bundesgenofien, dem fein Martyrium im fpanifchen, im öfterreidhifchen
Erbfolgefrieg auf Frankreichs Schuß das ftärkite Anrecht gab? Kurz, als ber
Wiener Hof auf Grund des Vertrags vom 1. Mai 1756 die Stellung von
24000 Mann gegen Preußen beantragte, erkannte Franfreih den Bündnisfall
nit an und erklärte feine Neutralität. König Friedrihs anfängliche Hoffnung,
die Franzofen fih offen gegen Defterreich erheben zu fehen, hatte fich nun frei
lich nicht erfüllt; aber er hatte ganz recht, wenn er jagte, dab Ludwig XV. und
die Pompadour befjere Defterreicher gemwejen feien, als Ludwig XVI. und Marie
Antoinette.
Aber auch ihm verjagte fi fein Bundesgenofie. Die Kaiferin Katharina
ftellte Waffenhilfe nur unter Vorbehalt in Ausfiht und juchte inzwiſchen durch
ihre Diplomatie auf den Wiener Hof einzuwirken. „Gejegt, daß fie uns Hilfs-
truppen ſchicken,“ meinte Frievrih Ende März in richtiger Ahnung, „jo werben
die vielleicht, wenn fie fich fehr beeilen, 1779 anfommen.”
2) Bd. I, 212.
5206 Neunted Bud. Erfter Abſchnitt.
Niemals, jo jagte er in bdiefer Zeit der Spannung und Vorbereitung,
jei fo viel Papier in feinem Haufe vollgefhmiert worden: „Niemals find fo viel
Teftamente, Konventionen, Traltate, Reichsfonftitutionen mir durch die Hand
gegangen, wie jeht; ich fürchte, ein Eleiner Eujacius, ein Pufendorff, ein von
dem Rofte Regensburgs angefreflienes Tier zu werben, aber man muß auf diejer
Welt Chamäleon jein und die Farben der Zeitläufte widerſpiegeln. Webrigens
bin ih in der größten Ruhe für die Zukunft, entjchloffen meine Pflicht zu thun,
jei es als Schreiber, fei es als Soldat, und die Zukunft den unfiheren Gefchiden
zu überlafjen.” Mitte Februar ſprach er von der Notwendigkeit, fih auf den
Krieg als auf etwas Unvermeidliches vorzubereiten. Anfang März wurden die
Beurlaubten einberufen, am 18. März ergingen die Befehle zur Mobilmahung.
Am 20. hielt der König in Potsdam Kriegsrat ab mit dem General, den er
vor zehn Jahren in feinem militäriihen Teftament als feinen einzigen einer
jelbftändigen Heerführung völlig gewachſenen Feldherrn bezeichnet hatte: mit dem
Prinzen Heinrihd. Der Prinz erhielt den Oberbefehl über ein an ber Elbe zu
verjammelndes, aus Preußen und Sachſen gemijchtes Heer; ber König ging
am 6. April von Berlin zu dem Hauptheere ab, das in Schlefien zuſammen—
gezogen wurde,
Der Prinz war neben den Miniftern Findenftein und Hergberg auch jetzt
der Vertraute aller politiihen Entwürfe und Entihlüffe, wie vordem in den
polnifhen Wirren. Seinen Beifall aber hatten fie nit. Er meinte, daß der
Staat bei dieſer Politik fein Intereſſe nicht fände. Er erklärte dem König von
vornherein, daß er „diefe bairifche Affaire” unter dem Gejichtspunft bes für
Preußen daraus erwachſenden Vorteils betrachte. Und er verftand unter Torteil
Gebietserweiterung. „Ein Fürft von Ihrer Reputation,” fchreibt er dem König
am 29. Januar, „kann einen Krieg nicht unternehmen, mwofern derſelbe nicht
zur Vergrößerung feines Staats dient; in dieſem Kriege aber, wo gegen bie
Defterreiher Sie allein ftehen würden, ift es jchlechthin nicht menſchenmöglich,
etwas derartiges zu erwarten.” Als Friedrich über diefe Vorftellungen ftill-
jchweigend hinwegging, entwidelte Heinrih am 15. Februar einen anderen Ge:
danken: vielleicht werde der Wiener Hof, auf Widerftand ftoßend, geneigt fein,
auch dem König einen Gewinn zu gönnen und beide Teile ihr Intereſſe finden
zu laſſen. Niht daß man den Pfaljgrafen und den jähfiichen Hof opfern
jollte; aber könnten nicht Säfularijationen dazu dienen, alle Welt zufrieden zu
ftelen? Darauf entgegnete der König mit Nahdrud: „Es handelt ſich in dieſer
Sade, mein lieber Bruder, nit um Erwerbungen oder Vergrößerung, jondern
darum, ein für allemal den öfterreihiihen Ehrgeiz zu duden, damit ihre Autorität
im Neich nicht defpotifch wird, was uns den größten Abbruch thun würbe. Aljo
welche VBorfchläge zu Erwerbungen fie mir machen mögen, ich werbe fie alle ver:
werfen, jehr entichloffen, den Degen nicht in die Scheibe zu fteden, ehe fie alle
ihre Ujurpationen zurüderftattet haben werben.”
Den Vorwurf, dab ſolche Politik das preußiiche Intereſſe vernadhläffige,
durfte er mit Recht zurüdweifen. Es jei gar nicht jeine Abficht, fih zum Don
Duirote der armjeligen Neihsfürften zu machen. Aber auf dem Plaß, den er
einnehme, dürfe im eigenften Intereſſe niemand weder die Aufrihtung des
Bairifher Erbfolgelrieg. 597
öfterreihiichen Deipotismus im Reich dulden, noch eine Verſchiebung des Gleich—
gewichts der Macht dur Vergrößerung bes öfterreihifchen Beiigitandes. „Ich
weiß fehr wohl, daß allein unjer eigenes ntereffe uns in dieſem Augenblid
zum Handeln verpflichtet, aber man muß ſich wohl hüten, es zu jagen.”
Auch Herkberg war wenig damit einveritanden, daß ber König diefe Ge:
legenheit nicht zur Erlangung greifbarer Vorteile nah dem Grundſatze ber
Konvenienz benugen wollte. Immer wieder ſchlug er diefe Saite an; ja, ſchon
im allererften Augenblid hatte er ein großartiges Taufchprojeft fertig gehabt,
aus dem einzelne Gedanken ihn durd feine ganze politiihe Laufbahn begleitet
haben: Defterreih jollte für die Erwerbung von Baiern bis zur far mit den
Salzwerten von Reichenhall Teile von Galizien mit den Salzwerten von Wielida
an die Republif Polen zurüdgeben, diefe dafür Danzig und Thorn und ben
Grenzftrih weftlih der Obra an Preußen abtreten; aud follte Preußen zu
feiner Abrundung dereinft Ansbah und Baireuth gegen die Laufisen eintaufchen
bürfen.
Aber au jeinen Miniftern konnte der König immer nur jagen, daß man
alles vermeiden müfje, womit ber Gegner die Uneigennügigfeit Preußens ver:
dächtigen fönne. Um den Prinzen Heinrih zu beſchwichtigen, jchrieb er ihm
einmal, Vorteile werde man, wenn das Glüd günftig gewejen fein follte, immer
noch als Entihädigung für die Kriegskoiten fordern fünnen; das aber mülle
man verheimlihen wie einen Mord.
An die Möglichkeit eines Erfolgs im Kriege aber wollte der Prinz eben
nicht glauben. Er jah es kommen, daß Preußen nicht den geringiten Gewinn
einheimfen, Defterreih aber im Bejig von Baiern bleiben werde. So jprad er
fih gegen den König aus und noch viel abfälliger und bitterer gegen andere.
Friedrich erklärte dem Bruder endlich mit ernften Worten fein Erftaunen
über dieſe büfteren Betrachtungen zu einer Zeit, wo man ſchwere Gefahren,
wie ehedem, für den Staat nit zu fürdten habe: „Der Menſch ift zum
Handeln geihaffen, und wie könnten wir nüßlicher handeln, als indem wir das
tyranniſche Jod breden, das die Defterreiher Deutſchland auflegen wollen.“
Der Prinz aber in feiner trüben Stimmung und im Bollgefühl feiner befjeren
Einfiht glaubte fi berufen, zu Gunften zugleich des Friedens und ber preußi=
ſchen „Konvenienz” die Vorjehung zu jpielen: durch die dritte Hand, feinen
Vertrauten Anyphaufen, ließ er es dem öfterreihiihen Gejandten, dem Grafen
Ludwig Cobenzl, zu Ohren fommen, daß ſich eine geeignete Grundlage für einen
Vergleich bieten werde, wenn Defterreich fih mit dem fünftigen Austaufch von
Ansbah und Baireuth gegen die Laufigen einverftanden erflären wolle.
Mit Unrecht glaubte man in Wien diefe Eröffnung auf den König jelbit
zurüdführen zu jollen. Fürft Kaunitz ſah fi in der Vorſtellung beftärft, daß
Friedrich fi nie und nimmermehr zum Krieg entfchließen werde, dab es ihm
nur um eine anſehnliche Gebietserweiterung zu thun fei, daß er gern bereit
jein werde, mie 1772 ein Abkommen nad den Gefichtspunften der gegenjeitigen
Konvenienz zu treffen. Nach wie vor jah Kaunig mit unendlihem Hochmut auf
den Staatsmann Friedrih herab. Niht in jcharffinniger Vorausſicht oder
gefunder Staatsfunft jeien die Beweggründe diefes Fürften zu fuchen, jo hatte
528 Neuntes Bud. Erfter Abſchnitt.
er noch jüngft geſagt, ſondern in feinem perſönlichen Charakter, jeiner Stim:
mung, feiner mürrifhen Einjamfeit, feinem Menfchenhaß, feiner fteten Verachtung
fittliher Pflichten, in ber Abnahme feiner Gejundbeit, in feinen perfönlichen,
unverföhnlihen Feindihaften. „Gute Menſchen Fönnen die wilden und faft
wahnfinnigen Ausfchweifungen eines Gemüts wie das feine, in welchem Leiden:
ihaft und räuberifcher Ehrgeiz immerbar regieren, weber vorausfehen nod
berechnen.” Der Staatslanzler war mit der KaiferinsKönigin darin einig, daß
man bie bargebotene Hand nicht zurüdftoßen ſolle. Nun war Kaifer Joſeph
nicht ohne Kriegsluft, nicht ohne militärischen Ehrgeiz. Noch mehr als Kaunig
vertrat er die Meinung, daß Friedrich nicht ſchlagen werde. Joſeph hat damals
wohl gejagt, daß er nichts auf das Spiel jege, denn träfe ihn das Unglüd,
bejiegt zu werben, jo würde er dem Helden des Jahrhunderts erlegen fein, und
falle ihm ein Erfolg zu, jo wäre ibm das um jo ruhmvoller. Er war im
Begriff, nad) dem Vorgang feines großen Gegners fi gleichfalls ins Feldlager
zu begeben. Aber er ließ fi den Vertragsentwurf, den Kaunig auffegte,
gefallen. Der Entwurf ftellte die öfterreihifhen Anſprüche auf Teile von
Baiern, die preußifhen auf Ansbah und Baireuth in Parallele, jah die gegen:
feitige Anerkennung biefer Anſprüche vor und behielt beiden Teilen das Recht
für einen Austaufch der bezeichneten Gebiete gegen ſolche vor, die nicht an bie
Landesgrenzen des anderen ftoßen würden.
Das aljo der Vorſchlag, den der Kaifer am 13. April einem eigenhändigen
Briefe an den König beifhloß. Er babe, fo hieß es in dieſem aus Olmütz
batierten, aber aus Wien fertig mitgenommenen Schreiben, zu vertrauliden Er:
Öffnungen im Sinne der zu Neiße und Neuftadt ausgetaufchten Verjprehungen !)
erſt jchreiten wollen, nachdem er der Hauptitadt und folglich „allem, was Fineſſe
und Bolitif heiße”, den Rüden gelehrt.
Friedrih ging auf den biederen Ton ein. Ohne einen Minifter oder
Sähreiber bei der Hand zu haben, müfje er den Kaifer bitten, mit der Antwort
eines alten Soldaten vorlieb zu nehmen, der ihm mit Grabheit und Freimut
ſchreibe. Freimütig war es allerdings, wenn er nun ohne Umfchweife fortfuhr:
Kernpunft des ganzen Streites ſei die Frage, ob ein Kaifer nah Willtür über
Neihslehen verfügen dürfe: „Soll dem fo fein, jo werben die Zehen zu Timars
auf Lebenszeit, über die der Sultan nah dem Tode des Inhabers beftimmt.“
Vebrigens fam die Antwort dem öfterreihiichen Intereſſe weit entgegen, indem
der König dem Kaifer anheimgab, den Pfalzgrafen von Zweibrüden für feine
bairiihen Erbanfprühe durch andere Gebiete zu entihädigen und auch Sachſen
und Medlenburg (das Anſprüche auf Leuchtenberg erhob) dur Abfindungen zu-
frieden zu ftellen. Die ansbach-baireuthiſche Nachfolge, ein unbeftreitbares Recht
des Haufes Brandenburg, bat er den Kaiſer gänzlih aus dem Spiele zu lafjen.
Im Fortgang der Verhandlung erhielt dann am 20. Mai der preußifche
Ausgleihsvorfhlag eine feftere Geftalt: Der Wiener Hof jolle, gegen Abtretung
von Geldern und Limburg an das Haus Wittelebah und nad Ablöjung der
ſächſiſchen Anſprüche, von dem bejegten bairifhen Gebiet zwei an Böhmen und
) Bgl. Bo. J, 31.
Bairifcher Erbfolgefrieg. 529
Oberöfterreih anftoßende, durch das Bistum Paflau getrennte Stüde behalten
dürfen: nördlich der Donau das Revier des bairishen Waldes bis zu den Flüffen
Regen und Cham, jühli das Land bis zur Jar und Salzach; Preußen griff
für fih aus dem öfterreihijchen Antrag den Tauſch von Ansbah und Baireuth
heraus, indem ihm freiftehen jollte, beide dereinft gegen die beiden Laufigen
— nad bes Kaijers Briefe blieb doch die Oberlaufig, als an Böhmen grenzend,
außer Betracht — auszuwechſeln. Eine öfterreihifche Antwort vom 31. Mai fam
weſentlich auf den erften Vorſchlag zurüd, wie ihn der Kaifer überjandt hatte;
man ftellte fih auf den Standpunkt, daß Defterreih im Intereſſe des Gleich:
gewichts die Vereinigung der beiden fränfifchen Fürftentümer mit dem Königreich
Preußen mit demjelben Recht befämpfen dürfe, wie Preußen jett den Uebergang
bairifcher Provinzen an das Erzhaus. Mit Lebhaftigfeit beitritt die preußijche
Erwiderung vom 13. Juni, daß man dem öfterreihijchen Anjchlag auf Baiern
nur aus Gründen der Politik und des Gleichgewichts entgegentrete; der König
wollte jegt, nachdem fich ohnehin inzwiſchen fein neuer Verbündeter, der Dresdener
Hof, gegen das laufigiihe Tauſchgeſchäft ausgeſprochen hatte, feinen fränkiſchen
Erbanſpruch gänzlih aus der Verhandlung ausgeſchieden wiſſen und verlangte
unummunden Auskunft über die Entihädigungen, die Defterreih den Wittels-
badern und dem fähliichen Kurhaus geben wolle. „Ich verftehe die Apokalypſen
Eures Kaunig nicht,” ſchrieb er an feinen Gefandten Riedejel nah Wien, „ih
bin fein Seher, er muß entweder jpredhen oder der Krieg bridt aus.” Und
mit feinem Lieblingscitat aus Racine ſchloß er: „Dies Orakel ift fiherer als das
des Kalchas.“
Daß die neue preußiiche Note unmittelbar nad Wien gefandt wurde, darin
wollte Joſeph, noch immer in der Vorftellung von Friedrichs Kampfesicheu be:
fangen, ein gutes Zeichen fehen: offenbar erwarte ber König mit der friedliebenden
Kaiferin und ihrem Kanzler eher handelseins zu werden, als mit ihm, dem
Kaijer, in dem von Bajonetten ftarrenden Hauptquartier. Er bezeichnete dieſe
Verlegung der Scene nad Wien als eine Selbfterniedrigung des Königs. Darin
fimmte die Mutter ihm zu: biefer große Mann fei doch, wenn man ihn nur
näher anfehe, jehr Kein und ein reiner Charlatan. In der Sache aber, fo
mußte die Kaiferin zugeben, habe „diejes Ungeheuer” leiver recht: „Unglück—
liherweije find wir es, die fi im Unrecht befinden, da wir nicht deutlich reden,
und wir fönnen es nicht, da wir ungerechte Dinge begehren und ihrer habhaft
zu werben hofiten, indem wir dem Könige von Preußen die Laufit als Lockſpeiſe
binbielten.”
So galt denn die preußifche Note der Kaiferin als „ganz annehmbar”,
dem Kaijer aber als „unverfhämt”, Joſeph beftand darauf, daß wiederum feine
„deutlihe”, jondern in ber Hauptjache eine ausweichende Antwort erteilt werde;
denn die Entſchädigungen bürften erft angemwiefen werben, wenn bie Heere aus:
einandergegangen fein würden. Noch am 17. Juni meinte er: „Das einzige, was
man urteilen fann, ijt wohl dieſes, daß bes Königs friegeriihe Luft jehr Elein,
deſſen Habhaftwerbung ber Lauſitz aber fehr groß fei, und ich folgere aus all
diejem, daß, wenn wir bei einer billigen aber feften Sprache bleiben, der große
Friedrich mitfamt feiner Kerres:Armee endlich doch feine — Sprache
Rofer, König Friedrich der Große. II. 2. Aufl,
530 Neuntes Bud. Erſter Abſchnitt.
für das Heil Deutfchlands mäßigen und feinen wejentlihen Vorteilen und ber
Ruhe feiner alten Knochen das übrige aufopfern wird.”
Derweil ſaß der alte Mann, dem ſolche Charafteriftif und Prognofe galt,
täglih lange Stunden im Sattel und war mit Wort und Beifpiel bemüht,
feinen Beratern und Gehülfen Mut, Zuverfiht und guten Willen einzuflößen:
dem Minifter Hergberg, der immer von neuem auf diplomatifche Auswege fann,
dem Prinzen Heinrih, der alles jhlimmfte vorausfah und vorausfagte. „Sie
müſſen mich hinreichend fennen, mein lieber Bruder,” fchreibt ihm Friedrich
am 21., „um mir nicht zuzutrauen, daß ich zurüdzuden werbe, nachdem ich mid)
jo weit in die Verhandlung eingelaffen habe. Alles wird gut gehen; guten Mut
und Selbitvertrauen, und ich ftehe Jhnen dafür ein, daß der Kaifer, obſchon ganz
Cälar, lernen wird, Waffer in feinen Wein zu thun.”
Am 27. Juni erhielt er aus Wien die nichtsfagende Antwort auf fein
Ultimatum. Am 3. Juli ließ er die Feindjeligfeiten anfagen. Am 5. überjchritt
das jchlefifhe Heer die böhmiſche Grenze, der König bei der erften Sektion der
Avantgarde.
Der Kaiſer war überrafcht und beftürzt. Diefe Wendung hatte er in ber
That für ausgejchlofjen gehalten. Die Erhaltung der Monardie, fo fchrieb er
an bie alte Kaiferin, hänge bei diefem entftandenen verberblihen und höchft ge:
fährlihen Kriege von wenigen unglüdlihen Augenbliden ab. Er verlangte Auf:
bietung ber äußerſten Mittel, Aushebung von mindeftens 40000 Refruten, Er:
höhung der Steuern. Die Aufregung, die fih in feinen Briefen fpiegelte, teilte
fih der Mutter mit und gab ihr einen jähen Entfhluß ein. Sie gewann es
über ih, acht Tage nad der Kriegserflärung einen Bevollmächtigten in das
böhmiſche Hauptquartier des Königs von Preußen zu ſchicken und Frieden zu
bieten; in einem Begleitichreiben (dem erften Brief, ben fie mit eigener Hand an
den „böfen Mann“ gerichtet hat) berief fie fich auf die Unruhe ihres Mutterherzens
und ſprach ihren lebhaften Wunſch aus, daß das gute Einvernehmen für immer
wieberhergeftellt werde. Wohl hatte Joſeph ihr geichrieben, daß ein Friede zu
nur einigermaßen anftändigen Bedingungen ein ſehr großes Glüd fein werde,
trotzdem mwurbe er jet durch den Schritt der Kaiferin auf das peinlichite und
ichmerzlicfte berührt. Nachdem fie den Feind um Frieden „ordentlich gebeten“,
bleibe ihm faum etwas anderes übrig, als alles im Stih zu laſſen und fid
gerabeswegs nad Florenz zu begeben.
Zweimal fam und ging der Friedensbote, Baron Thugut. Der König
beantwortete das Schreiben der Kaiferin mit Worten hoher Anerkennung für bie
Hochherzigkeit und Mäßigung, die diefe Fürftin in einer ftrittigen Sade zeige,
nachdem fie vordem die Erbfchaft ihrer Väter mit heldenmütiger Feftigfeit be—
hauptet habe. Aber eine Verftändigung wurde nicht erreiht. Bei der zweiten
Berhandlung bot Thugut zunädft den völligen Berzicht feines Hofes auf alles
bairifhe Gebiet, wenn Preußen fich verpflichten wollte, Ansbah und Baireuth
als Selundogenitur fortbeitehen zu laſſen. Als diefer Vorfhlag mit Schärfe
zurüdgewiejfen wurde, brachte jener noch einmal das laufigiihe Tauſchgeſchäft
Bairifcher Erbfolgelrieg. 531
zur Sprache, diesmal auch auf die Oberlauſitz erſtreckt; aber der Kurfürſt von
Sachſen ſollte mit ſeinen bairiſchen Allodialanſprüchen wieder auf künftige Ab—
machungen vertröſtet werden. Der König meinte, Thugut ſpiele die Rolle des
Verſuchers nicht übel. Aber er widerſtand der Verſuchung. Am 16. Auguſt
mußten feine Miniſter Finckenſtein und Hertzberg auf fein Geheiß aus Braunau,
dem legten Schauplat der Verhandlung, abreifen, und ber Defterreicher mußte
wohl oder übel ihrem Beifpiele folgen.
Eben in diefe Tage, da der Faden der Verhandlung abriß, fiel auch die
militärifche Krife diejes Krieges, die über den Charakter und Verlauf des Feld:
zugs entſchied.
Der preußiſche Operationsplan ging aus von dem Grundgedanken der
fridericianifhen Strategie, dab die Entſcheidung in Mähren gefuht werben
müſſe.) Von zwei gleich ftarfen Heeren — jedes zählte, die 20000 Sadjen
mitgerechnet, ungefähr 80000 Mann — wollte der König das eine nad) Mähren
führen, mit dem anderen jollte Prinz Heinrih von Sachſen aus in Böhmen vor:
dringen. Bon einer Schladt, einem Sieg in Mähren, einer „guten Bataille” und
der Entjendung von 20000 Mann an die Donau nad) Preßburg erhoffte Friedrich
die Wirfung, daß die Defterreiher ihre Truppen aus Böhmen zurüdnehmen
würden; dann jollte das eine preußifche Heer Brünn, das andere Prag belagern.
Als weiteres Ziel wurbe beiden die Donau gemiejen.
Für die erfte Einleitung der Bewegungen hatte nun der Entwurf alsbald
eine Abänderung erfordert. Die Maſſe der öfterreihiihen Streitkräfte zog ſich
nicht bei Olmütz, wie Friedrih erwartet hatte, jondern im norböftlihen Böhmen
zufammen. Von dort konnte der Feind, wenn der König in Mähren einbrad,
in feinem Nüden eine Diverfion nad Niederſchleſien machen oder jih auf das
Heer des Prinzen werfen und Sachſen bedrohen. Um das öſterreichiſche Haupt:
heer, das der Kaiſer in Perfon befehligte, feitzuhalten, war deshalb ber König,
wie wir eben hörten, Anfang Juli aus den jchlefischen Bergen nah Böhmen
eingerüdt, über Nachod. Er verjprad) dem Prinzen Heinrich, dort zunächſt jo
lange bleiben zu wollen, bis jener von Norden ber feinen Einmarſch bewirkt,
die Truppen Laudons „weggefegt” und fich feitgejegt haben würde.
Prinz Heinrid hatte vor Jahr und Tag die Hoffnung ausgejproden, bie
Deiterreiher würden, da der Zauberer Daun nicht mehr unter den Lebenden
war, in einem fünftigen Kriege mit mehr Schnelligfeit und Entſchluß als früher
operieren und jo vielleiht ihren Gegnern eher eine Gelegenheit zum Angriff
bieten. Aber gerade im Gegenteil hatten es ſich Kaifer Joſeph und feine er:
fahrenen Gehülfen Lacy und Laudon feſt vorgejegt, ganz in der Defenfive zu
verharren und ihr Heil in ftarfen Stellungen zu juchen.
An die Elbe gelangt, fand das jchlefifhe Heer den ganzen oberen Lauf
des Fluſſes bis nad Königgräg durch dreifache Redouten und zahllofe Artillerie
in einen furdtbaren Verteidigungszuftand geſetzt, „Ichwerer zu bezwingen als
die Feitung Lille“. Der König urteilte, daß hier eine Dffenfive ausfichtslos jei,
und beſchloß deshalb, feinen Feldzug nad) Mähren, um nicht allzuviel Zeit zu
) Oben ©. 514.
932 Neuntes Bud. Erſter Abſchnitt.
verlieren, durch ein abgefondertes Corps unter dem Erbprinzen von Braun:
ſchweig ſchon jett zu eröffnen. Er dachte, daß dann aud der Kaijer nad)
Mähren detadhieren müßte und daß jo, durch eine Folge einander angepaßter
Entjendungen von hüben und drüben, ſich bie Bühne gleihjam unvermerft auf
mährifhen Boden hinüberſchieben würbe.
Prinz Heinrich hatte für den Einmarfh nah Böhmen die Wahl zwiſchen
der Straße zur Linken ber Elbe, über den Paskopol, oder dem Uebergang über
das Laufiger Gebirge auf dem rechten Ufer. Am 13. Juli meldete er dem
Könige, daß er fih für den zweiten Meg entjchieden habe; fo denfe er Laudon
von ber Elbe nad} der Iſer abzubrängen und vielleicht die Verbindung mit dem
Hauptheer zu gewinnen. Er änderte feinen Entfhluß und leitete den Marſch auf
dem linken Ufer ein, als er am 15. zu feinem Schreden den Mitteilungen des
Königs über die beabfichtigte Entjendung des Braunfchweigers entnehmen zu
müſſen glaubte, daß Friedrich überhaupt aus Böhmen abziehen wolle. Das war
nun die Meinung nicht gewejen; vielmehr verzichtete Friedrich jogar auf die Ab:
jweigung auch nur jenes einen Corps augenblidli, jobald er Heinrichs erfte
Botſchaft erhalten hatte, den Bericht vom 13., die Ankündigung des Vormarſches
auf dem rechten Ufer. Er begrüßte den Entſchluß feines Bruders mit über:
ſchwenglichen Lobſprüchen: Ein Gott habe ihm dieſen Plan eingegeben. Der
Prinz fam demnah am 19. Juli auf fein urfprüngliches Vorhaben zurüd, ftellte
aber die ausbrüdliche Bedingung, daß das Hauptheer in Böhmen verbarre:
„Wenn Sie nah Mähren gehen,” fchrieb er dem Könige, „kann ich nicht in
Böhmen bleiben.”
Friedrich gab feinen großen Plan, „Böhmen in Mähren zu erobern” nicht
endgültig auf. Aber er machte jeinem Bruder weitgehende Zugeftändniffe. Bis
gegen Ende September, jo verhieß er, wolle er in Böhmen bleiben, unb bie
Entjendungen nad Mähren würden nur ganz allmählid, in Fleinen Trupps, vor
fih gehen. Doch geftand er, daß ihm die Unthätigkeit, zu der er fi in feinem
Winkel von Böhmen verurteilt jah, hart anfomme. „Wir ftehen hier,” jchreibt er
dem Bruder am 9. Auguft „mit gefreuzten Armen und bewundern Ihre jchönen
Thaten.”
Die Anerkennung war durchaus aufrihtig; denn der Prinz hatte feinen
Feldzug in den legten Tagen des Juli und den erften des Auguft auf das
glänzendite begonnen, feines Ruhmes aus dem vorigen Kriege, feines großen
Namens wert. Auf Pfaden, die als ungangbar gegolten hatten, war er über
die Laufiter Berge gefommen, dem Feldmarſchall Laudon zur völligen Weber:
rafhung. Der Schreden der öfterreihiihen Kommandos war faum minder groß,
als beim Einbruch der Preußen in jenen Apriltagen von 1757. Laubon war
faflungslos; ohne Schwertftreih, wie ber Kaifer ſchalt, gab er alle wohlvor:
bereiteten Verteidigungsftelungen auf; bis Münchengräß zurüdgegangen, erklärte
er, auch die Iſerlinie nicht halten zu fünnen. Der Kaifer eilte aus dem großen
Hauptquartier herbei, er fand bei feiner Ankunft in der Nacht auf den 11. Auguft
die Zelte ſchon abgejchlagen für den weiteren Rüdzug, er ließ den Abmarſch
nicht zu, aber er geitand am 14. in feinem Bericht an die Kaiferin, daß man,
erihöpft und entmutigt wie die Truppen jeien, die Stellung an der Iſer beim
Bairifcher Erbiolgefrieg. 533
Nahen des Prinzen Heinrih werde räumen müſſen, vielleicht vor Ablauf von
zwei Tagen. Und dann war auch feine eigene Stellung am Oberlauf der Elbe
nicht mehr haltbar. Die fritiihe Stunde des Feldzugs war gelommen.
Völlig richtig erfaßte die Gunft des Augenblids der Generalleutnant von
Möllendorff im Heere des Prinzen Heinrihd. Er legte dem Feldherrn am
17. Auguft Vorſchläge zur Umgehung der feindlichen Stellung vor. Graf Hendel
von Donnersmard, auch in diefem Feldzug wie vor 20 Jahren!) des Prinzen
Vertrauter, jetzt Oberft, jah ihn jehr aufgebracht über Möllendorff. Heinrich
argmwöhnte, jein Untergebener werde fich mit jeinem größeren Wagemut brüjten
wollen, und ließ fih nur allmählich durch Hendel befänftigen. Möllendorff wurde
unverzüglih, no am 17., ablehnend beſchieden. Laudon war außer Gefahr.
Dem Könige meldete Heinrid am 17. Auguft, daß er aus Mangel an
Verpflegung in zehn bis zwölf Tagen nad) der Laufig zurüdgehen müfle. Friedrich
war peinlich überraſcht. Er erklärte, daß der Abmarſch, wenn er unvermeidlich
würde, vielmehr auf Zeitmerig zu richten ſei: „Geſetzt daß Sie entſchloſſen wären,
nichts zu unternehmen, würden Sie dann mwenigftens Ihr Heer auf Koften des
Feindes leben laffen, und das iſt mehr wert als nad) der Lauſitz zu gehen, nad)
diefem ſchönen Debüt, womit Sie den Feldzug eben eröffnet haben.”
Damit doch irgend etwas gejchehe, beihloß nun der König, die Dffenfive
felbft auf fich zu nehmen, ganz entgegen den bisherigen Borausjegungen. Es
galt den PVerfuh, das Heer des Kaijers in der nördlichen Flanfe, die minder
befeftigt fchien, zu umgehen und dann von Hohenelbe über Turnau mit bem
Prinzen Fühlung zu gewinnen. Der Kaijer, über die Abficht feines gefürchteten
Gegners bald im Haren, war einige Tage hindurch in großer Sorge, um fo
mehr, als gerade jetzt wieder Laudon, der ſich, fo ganz ohne Grund, noch immer
von dem Prinzen Heinrich bedroht glaubte, feinen Rückzug von der fer als
unvermeiblih anfündete. Erſt am 24. atmete Joſeph auf: es ſei unbezahlbar,
fchrieb er der Kaijerin, daß ihm die Preußen den heutigen Tag für feine Gegen:
maßregeln gelafjen hätten; jegt hoffe er einem Angriff widerſtehen zu fönnen.
Entjcheidend war, daß die preußiiche Artillerie den Marſchſäulen im Gebirge
nicht raſch genug hatte folgen können; auch hatte der Generalmajor von Anhalt
am 22. die Beſetzung der die Stellung von Hohenelbe beherrjchenden Höhen
zwifchen der großen und der kleinen Elbe verjäumt. Der König mußte fi
jagen, daß fein Anſchlag nad unermeßlihen Anftrengungen vereitelt war. In
Mähren, meinte er, hätte jolches ihm nicht zuftoßen ſollen.
Von nun an bejchränfte fi der Aufenthalt der Preußen in Böhmen, ihre
nach Frievrihs eigenem Ausdrud „inſipide“ Gampagne auf einen „Kartoffel:
krieg“, auf die gründliche Ausleerung des von ihnen bejegten Gebiets. Der
Feind blieb regungslos, „wie veriteinert”. Um fo mehr litt man unter Kranf:
heiten und dem ungewöhnlich rauhen Herbft. In den legten Tagen des September
zog Prinz Heinrih, Mitte Oftober der König aus Böhmen ab, zum ungeheuren
Jubel der Defterreiher. Mit Selbitironie ſprach Friedrih von den „Heldenthaten
der Siebzigjährigen”.
') Oben ©. 100.
534 Neuntes Bud. Erfter Abſchnitt.
Die bis zulegt im Auge behaltene mähriihe Unternehmung führte jett,
im Oftober, nur noch zur Beſetzung von Troppau und Jägerndorf, d. h. zur
Sicherung der Operationsbafis für den nächſten Feldzug; denn Friedrich wurde
durch feine neuefte Erfahrung in feiner alten Meinung nur beftärft, daß er fid
nicht nad) Böhmen verlieren dürfe, fondern das Heil in Mähren zu juchen habe.
Die Stimmung im preußiſchen Heere war nad diefem mit Unfruchtbarkeit
geihlagenen Feldzug jehr gedrüdt. Die Feldherren, die Offiziere, die Mann:
fhaften, fie alle murrten. Die Eoldaten hatten feine Schlacht gehabt, die fie
gewünſcht hatten und die erfahrungsmäßig die Lebensgeifter der Truppe immer
auffriihte. „Ich kenne die preußiiche Armee gegen die vorige nicht,“ ſchreibt
ein Offizier gegen das Ende des Feldzugs, „es ift Fein Leben unter Generals
und DOffiziers, alles läßt den Kopf hängen, und es iſt in feinem Stüde die
mindefte Ordnung.” Ein anderer jpricht von einer über alle Begriffe eingerifjenen
Dienftnadläffigfeit. Das Klugreden aber, das Räfonnieren und Kritteln mar
mehr denn je im Schwange Als infolge einer Anordnung, die vom König
jelbft ausgegangen war, einmal einer Zufuhr ein Unfall zuftieß, gab fi im
Hauptquartier die Schadenfreude offen fund, und als ein dem Heere als Volontär
folgender hejfifcher Prinz feinem Miffallen über ſolche Gefinnung Ausdrud gab,
ipottete man über diefen „Noyaliften”. Ein jchwerer Schaden für den Dienft
war die große Zahl invalider Stabsoffiziere und altersihwadher Generale. Prinz
Heinrich hatte bei jeiner Infanterie drei Generalleutnants und drei General:
majore, die wegen Alters und Gebredlichkeit ihm nur zur Laſt waren. Aber
auch über die bdienftfähigen Generale urteilte der Prinz in Bauſch und Bogen
ab; nur den einen Möllendorff ließ er gelten, und diejes Einen guten Rat hatte
er nicht befolgt. Belling, der Schwedenverfolger aus dem Siebenjährigen Krieg,
für jeine ausgezeichneten Leiſtungen beim Einmarfh aus der Laufig mit dem
Ihmarzen Aolerorden belohnt, galt ihm als gut für die Ausführung, aber ber
Zeitung bebürftig. Alles im Heere, jo Hagte er dem Erbprinzen von Braunschweig,
ſei medhanijch geworden: „Keine Köpfe! In diefer Beziehung find wir äußerft
heruntergefommen. Das ift die Wirkung des Dejpotismus, das ift die Wirkung
der ſchlechten Beifpiele, die eine ganze Nation verderben.“ Zwiſchen den Zeilen
deutete er dieje feine Auffaffung dem Könige ſelbſt an. Als Friedrich geäußert
hatte, daß er wenig Unterftügung finde, antwortete Heinrih: „Die, auf Die das
geht, find ohne Zweifel ſehr unglüdlih, Jhnen nicht genügen zu können, aber,
wenn es mir erlaubt ift mit meinem gewohnten Freimut zu reden, jo ift es für
Sie und für jene beiler, andere, denen Sie mehr Vertrauen gewähren, zu wäblen.
Unter der großen Anzahl von Offizieren, die Sie in Krieg und Frieden gebildet
haben, müfjen fi ſolche finden, die Ihren Beifall verdienen werden; die, welche
ihn verloren haben, müſſen ohnehin an ihrer natürliden Thatkraft einbüßen,
jobald fie bemerken, Ihren Dank nicht mehr zu erwerben. Nichts ift entmutigender,
als wenn der Souverän gegen die, welde ihm dienen, verftimmt it.“
Der Prinz jprad von feinem eigenen Fall; deutlich genug. Er quittierte
mit diejer Anjpielung und mit ähnlihen Stoßfeufzern die verftedte Kritik feines
legten Feldzugs, die er aus gewiſſen allgemeinen Betrachtungen in den Briefen
des Königs herauslefen konnte. „Krieg und Schlaffheit,“ ſchreibt ihm Friedrich
Bairifcher Erbfolgefrieg. 535
einmal während dieſes Winters, anſcheinend ohne jede perſönliche Beziehung,
„vertragen ſich nicht miteinander; wer nach reiflichem Nachdenken über ſeine
Aufgabe nichts unternimmt, wird immer ein armer Herr ſein.“ In ſeinen Denk—
würdigkeiten des bairiſchen Erbfolgekriegs hat Friedrich abfällige Bemerkungen
über die Unthätigkeit ſeines Bruders nicht unterdrückt, ohne doch, wie es ſcheint,
von dem für das Urteil am meiſten entſcheidenden Vorgang, jener verhängnisvollen
Meinungsverſchiedenheit zwiſchen dem Prinzen und Möllendorff, etwas gewußt
zu haben. Heinrich ſeinerſeits legte ſich das Bild dieſes Krieges ſo zurecht, daß
der König, nach der glänzenden Antrittsrolle der zweiten Armee auf ihn eifer—
füchtig, ihn durch widerſpruchsvolle Befehle in Gefahr gebracht habe, ſeine
Reputation als Feldherr zu verlieren; noch während des Feldzugs iſt ihm das
gehäſſige Wort entfahren, er ſei gegen die Falſchheit des Königs mehr auf der
Hut als gegen die Unternehmungen des Feindes.
Aus ſeinem Winterquartier zu Dresden reichte der Prinz am 3. Dezember
ein ſchon vor Wochen aufgeſetztes Abſchiedsgeſuch ein, das er mit der Zerrüttung
ſeiner Nerven begründete. Der König ließ es zunächſt unerledigt; in der Folge
beſtimmte er für den Fall eines neuen Feldzugs den Erbprinzen von Braun—
ſchweig für den Oberbefehl an Heinrichs Statt.
Die Ausſicht auf Frieden war zu Beginn der Winterquartiere ſehr unſicher.
Der König leitete ſeine diplomatiſche Campagne von Breslau aus, „von früh
bis ſpät am Schreibtiſch“ — er hieß das feine ſogenannte königliche Unabhängig—
keit — im übrigen einſiedleriſch, „wie die Ratte im Keller“.
Die Kaiferin von Rußland hatte keine Hülfstruppen zum preußifchen Heere
jtoßen laſſen, jondern ſich darauf beſchränkt, am 22. September eine Note an
den Wiener Hof zu fhiden, deren drohender Ton dort verlegte, aber den König
von Preußen nicht befriedigte. „Bloße Worte,” jagte er, „thun feinen Schaden.“
Faft meinte er, daß man für den Frieden mehr von Frankreich als von Rußland
zu erwarten habe.
Frankreichs Vermittelung hatte der Wiener Hof nah dem Mißerfolg der
Entjendung Thuguts angerufen. König Friedrich hatte diefe Vermittelung mit
einigen Vorbehalten und unter der Bedingung angenommen, daß Frankreich die
Bermittlerrolle mit Rußland teile. Als man in Wien auf dieje Forderung ein:
ging, ließ Friedrih Anfang November den beiden Vermittlern eine „Skizze“ für
den Friedensvertrag mitteilen. Er forderte für fih, um fünftigen Zwiftigfeiten
vorzubeugen, volle Berfügungsfreiheit, wenn in Ansbach und Baireuth die Neben:
linie ausftarb; er wollte den Defterreichern eine mäßige Erwerbung in Baiern zu:
geftehen — in einem abgejonderten Schriftitüd wurde ein an Böhmen grenzender
Strid der Oberpfalz bezeichnet; dagegen jollten fie den Kurfürften von Sadjen
für feine Anſprüche auf das bairiſche Allodialerbe mit Geld ſchadlos halten.
In den nädften Wochen mußten die Kuriere zwiſchen dem Hauptquartier
de3 Königs von Preußen und den an der Verhandlung beteiligten Höfen noch
oft hin und her fprengen, ehe auch nur in den Grundfragen Einigung erzielt
936 Neuntes Bud. Erfter Abſchnitt.
war. In Wien flräubte man fi vor allem gegen eine Geldzahlung an Sachſen
und verlangte ftatt des oberpfäßziichen Grenzftrides das ſchon im vorangegangenen
Sommer genannte Gebiet am rechten Ufer von Inn und Salzach; auch wollte
man die Erborbnung in den fränkifhen Marfgrafihaften der Entſcheidung des
Reiches vorbehalten. Endlich ließ Friedvrih am 10. Februar, ohne auf eine nod
ausjtehende Aeußerung Rußlands länger zu warten, dem ruffifhen und dem
franzöfifchen Gejandten fein Ultimatum zuftellen. Er geftand das Innviertel zu,
verzichtete auf den dereinſtigen Austaufjh von Ansbah und Baireuth gegen die
Zaufigen und ftellte es den beiden vermittelnden Mächten anheim, eine Ent:
ihädigung für Sahjen ausfindig zu maden. Für die Feitftellung aller Einzel-
beiten ſchlug er einen Kongreß vor.
Gegen dieſe Vorſchläge ließ ſich füglich nichts mehr einwenden. Maria
Therefia war aufrichtig erfreut über jo „angenehme Zeitung”, und der Kaijer,
der ungern auf bie Fortjegung jeines Krieges verzichtete, tröftete fich mit dem
Triumphruf, daß der König die legten öfterreichifhen Bedingungen pure und
einfach angenommen habe.
Auch Herkberg ift der Meinung geweſen, daß fein Gebieter den Gegnern
zu weit entgegenfäme. Es wollte ihm nicht in den Sinn, daß man den Grund:
jag der Unteilbarfeit Baierns preisgeben follte; auf jeine VBorftellungen war es
geichehen, daß der König anfänglih ein Stüd der Oberpfalz geboten hatte;
denn bier ließ fich wenigftens bis zu einem gewiſſen Grabe ein Anſpruch der
Krone Böhmen zugeben. Als Hergberg einmal in einem geradezu pathetijchen
Schreiben den König beſchwor, in der Prinzipienfrage nicht zu wanfen, antwortete
Friedrih dem bei früherem Anlafje jchon jehr ſchroff abgewiefenen Ratgeber
freundlich, aber beftimmt: die Ideen jeien vortrefflich und er jelbit würde wünſchen
fie verwirklihen zu können, aber mit Ideen allein könne man feine Politik
treiben, es frage fich, ob fie durchführbar feien, und unter diefem Gefihtspunft
möge auch Hergberg die Verhältniffe betrachten.
In Teihen, wo am 10. und 11. März die Bevollmächtigten fich zum
Friedensfongreß verfammelten, ift dann noch Wochen hindurch zäh geftritten und
gefeiliht worden. Der Vertreter der Hofburg, Graf Philipp Cobenzl, ein Better
des früheren Gejandten am preußiichen Hofe, hatte feine leichte Aufgabe: ſchrieb
ihm die Kaiferin, jo mahnte fie ihn, nicht zu große Schwierigkeiten zu maden;
ſchrieb ihm der Kaijer, jo predigte der ihm Feitigkeit. Zwei Fragen ftanden im
Vordergrund: die Auseinanderfegung zwiſchen Baiern und Sachſen wegen des
ſächſiſchen Entihädigungsaniprudes und die Sicherftellung der Erbrechte des
Pfalzgrafen von Zweibrüden auf Baiern. Für den Sachſen forderten die Ge:
jandbten der beiden vermittelnden Mächte, Baron Breteuil und Fürft Repnin,
vier Millionen Thaler; während der bairiſche Vertreter den Auftrag hatte, eine
halbe oder höchitens eine Million Gulden zu bieten. Maria Therefia meinte
man bürfe dem mit ihr verbündeten Kurfürften nicht die Haut abziehen laſſen,
Friedrich aber trat mit größter Entſchiedenheit für den ſächſiſchen Anjpruch ein.
Er jei zum Glüd, jo hören wir ihn jagen, nicht darauf angemwielen, den Frieden
zu erbetteln; wenn Sadjen feine anftändige Entihädigung erhalte, werde ſich
niemand in Zukunft mit Preußen verbünden wollen. So mußte der Kurfürft
Bairifcher Erbfolgekrieg. 337
von Baiern wohl oder übel die vier Millionen Thaler bewilligen. Nachgiebiger
zeigte fich der König von Preußen in dem zweiten Hauptitüde der Verhandlung.
Er hatte zunächſt verlangt, als Bürge des öfterreichiid:bairiichen Vertrages be:
ftellt zu werden, duch den das Haus Defterreih auf die Nachfolge in Baiern
für immer verzichtete. Dadurch, jo meinte Joſeph II., würde der König von
Preußen das Anjehen eines Proteftors und eine Handhabe zu „taufend Chicanen“
gewinnen. Friedrih begnügte fih dann damit, daß der zwiſchen Defterreih und
Baiern abgeſchloſſene Vertrag der öfterreihiich-preußiichen Friedensurkunde an:
gehängt und ausdrüdlih als deren untrennbarer Beſtandteil bezeichnet wurbe.
In der Sache ward mit diefem Ausfunftsmittel dasjelbe erreicht: auch jo war
die Erbfolge des Pfalzgrafen von Zweibrüden fihergeitellt, injofern als Preußen
fie auf Grund des Friedensſchluſſes allemal fordern Eonnte.
Der von Hergberg jo lebhaft vertretene grundfäglihe Standpunkt fam bei
der Friedensverhandlung dadurch zur Geltung, daß in dem Vertrag zwiſchen den
Höfen von Wien und Münden ihr berufener Pakt vom 3. Januar 1778, bie
Urſache des Krieges, aufgehoben wurde und daß Defterreih das Innviertel nit
unter einem Rechtstitel erwarb, jondern in Anrechnung auf gewiſſe Zugeſtänd—
nifje und Leiftungen an Baiern.
Die Bürgfhaft für den Teichener Frieden übernahmen Franfreih und
Nufland. Inſofern nun die Friedensurfunde eine ausdrüdliche Erneuerung bes
als Reihegrundgejeg geltenden Weſtfäliſchen Friedens enthielt, glei als wenn
er „Wort für Wort dem neuen Vertrag eingefügt wäre”, fo gewann dadurch
Rußland dasjelbe Schugredht über den deutjchen Verfaſſungszuſtand, welches
Frankreich jeit 1648 beſaß — ein Schutzrecht, wie es Rußland fi früher der
ſchwediſchen und der polnijchen Verfaffung gegenüber gefihert hatte. Solches
Ziel hatten ſchon die Staatsmänner der Kaijerin Elifabeth der deutſchen Politik
Rußlands gemiejen, ala man während des Siebenjährigen Kriegs einen europäischen
Kongreß in Ausficht genommen hatte, ) und das damalige Bündnis mit dem
Hofe des deutſchen Kaijers hätte eine günftige Gelegenheit geboten. Der Kongreß
war 1761 nicht zufammengetreten, und bei den Friedensverhandlungen zu Hubertus:
burg hatte der König von Preußen die ruffiihe Vermittelung zurüdgemiefen.
Seht lag die Mitwirkung der ihm verbündeten Zarin in feinem Intereſſe. Ein
jpäteres Geſchlecht, deſſen nationales Selbitgefühl empfindlicher geworden war,
bat an diefem Einbruch Rußlands in das Gehege des deutichen öffentlichen Rechts
Anftoß genommen; in der europäifchen Lage von 1779 aber ergab jich die ruffifche
Garantie als folgerichtige Ergänzung zu jenem von Frankreich ſeit mehr als
einem Jahrhundert feftgehaltenen, erft zum Unglimpf und dann im Intereſſe
des öfterreichiichen Reichsoberhaupts ausgeübten Schugredt.
Am Geburtstag Maria Therefias, dem 13. Mai, wurden die Friedens:
urfunden zu Teichen unterzeichnet, und um jeiner großen Gegnerin eine Auf:
merfjamfeit zu ermweijen, ließ Friedrich gleich desjelben Tages, noch vor Ablauf
der feltgejegten Frift, die von feinen Truppen noch bejegten öfterreihifchen Städte
räumen. Er wußte jehr wohl, daß fie es war, ber er diefen Frieden dankte.
) Oben ©. 279. 283.
538 Neuntes Bud. Erfter Abſchnitt.
Er ſchulde, fo ichrieb er der Kurfürftin Witwe von Sachſen, der Billigfeit der
Kaijerin-Königin die Anerkennung, daß fie, jobald fie die Geſetzwidrigkeit ihres
Vorgehens eingejehen Habe, mit all ihrem Können für die Wiederherftellung bes
Friedens eingetreten ſei — minder hartnädig als Priamus, der das Blutvergießen
zehn Jahre habe währen laflen.
Die ſächſiſche Fürftin aus wittelsbachiſchem Stamm gab das Lob, das
Friedrich der alten Kaiferin gejpendet, ihm mit Zinfen zurüd: „Man dachte 1777,
daß Friedrih, Sieger in drei Kriegen, Gefebgeber und Vater feiner Völker, fich
höher nicht erheben könne. . . . Bis dahin hatte er vornehmlich für die Seinen
gekämpft; jegt fämpfte er für die andern; er wurde ber uneigennügige Schieds—
tihter in den Händeln der Herrſcher, das Werkzeug der oberften Geredtigfeit,
welche die Nationen richtet.” Was die Kurfürftin von Sachſen bier emphatiſch
ausſprach, war ohne Frage jegt die Meinung der meiften in Deutſchland. Friedrich
hatte die Bewunderer und Joſeph die Tabler auf feiner Seite. Der Freiherr
vom Stein hat befannt, daß er zu jeinem damaligen Eintritt in den preußiſchen
Staatsdienjt bewogen worden ſei durch jeine „hohe Verehrung für Friedrid den
Einzigen, der durch die Erhaltung von Baiern die Dankbarkeit diejfes Landes und
des ganzen Vaterlandes fid) erworben hatte”.
Der König von Preußen war weit davon entfernt geweſen, die Verfaflung
und Rechtsordnung des vermodernden Reiches, als deren Schirmer er jegt ge:
priejen wurde, um ihrer jelbft willen zu verteidigen. Aber er hatte fih, wie
wir hörten, gejagt, daß er feine deipotiihe Gewalt des Kaifers im Reiche
auffommen laffen dürfe, weil er deren Wirkungen am eigenen Leibe jpüren
würde. So freute er fich jegt, „ben großen Vorteil” gewonnen zu haben, „daß
man uns im Reich als ein nützliches Gegengewicht gegen den öſterreichiſchen
Dejpotismus betraditen wird“. Den von Nußland unterftügten Gegenfaifer
nannte ihn Joſeph ingrimmig. Schwerer fiel für alle Zukunft noch der andere
Gewinn in die Wagichale, daß zum zmeitenmal wie in der Epoche von 1744
die Selbitändigfeit Baierns gerettet, das Vorrüden der öfterreihiichen Macht in
Süddeutſchland verhindert worden war. Auch deſſen freute fi Friedrich, ber
Creignifje von 1756 gedenkend, daß diesmal, bei der jchnellen Beendigung des
Waffenganges ber beiden deutichen Mächte, der neue engliſch-franzöſiſche Krieg auf
jeinen Herd beichränft blieb: „Ehedem glaubten unfere guten Deutihen, wenn
die Kriegsbrommete in Merilo oder Kanada ertönte, man müſſe ſich aud in
Europa jchlagen; es jcheint mir, daß man gänzlich von diefem Vorurteil zurüd:
gekommen iſt.“
Doch wurde ihm ſeine Freude über den Frieden und die errungenen Erfolge
durch die Vorausſicht getrübt, daß zwar die Kaiſerin-Königin ſich auf einen Krieg
nicht mehr einlaſſen, daß aber ihr Sohn mit den Türken, in Italien und mit
den deutſchen Reichsſtänden neue Händel ſuchen werde.
Das alte europäiſche Allianzſyſtem hatte dieſen deutſchen Krieg überdauert.
Aber keine der beiden kriegführenden Mächte war von der Haltung ihres Ver—
bündeten ganz befriedigt. Kaiſer Joſeph urteilte jetzt ganz wegwerfend über
das Bündnis mit den Franzoſen, den „elenden Perückenmachern ohne Herz und
ohne Geld“, wie er ſie während des Kriegs einmal genannt hat, und auch
Bairiſcher Erbfolgekrieg. 539
Kaunig meinte, Breteuil habe in Teſchen mehr zu Preußens ala zu Deiterreichs
Guniten den riebensvermittler abgegeben. König Friedrich wiederum war zwar
mit ber biplomatijchen Bethätigung Rußlands ebenſo zufrieden wie mit der Frank—
reihs; aber er hatte ſich überzeugt, daß er auf eine wirkſame militärifhe Unter:
ftügung von ruſſiſcher Seite nicht rechnen dürfe. Dazu fam, da Rußland jeine
finanziellen Gegenforderungen für eine Waftenhülfe von zweifelhaftem Wert un:
verhältnismäßig bochgefhraubt hatte. 16000 Rufen würden dem König von
Preußen jährlid 3300000 Thaler gefoftet haben: er berechnete fih, daß er
biefelbe Truppenzahl für anderthalb Millionen von deutſchen Reichsfürſten würde
mieten können. Das ruſſiſche Bündnis war wenigftens militärifch nicht unerjeglich.
Zweiter Abjchnitt.
Juftizpflege und Rirchenpvlifik; Tandrecht und
Staatsform.
ie König Friedrich bei der Rückkehr aus ſeinem zweiten Krieg unver:
züglih die Durchführung der Yuftizreform als Lofung ausgegeben
hatte, jo erhielt bald nah dem Friedensſchluß von 1779 das vor
einem Menjchenalter nur halb geleiftete Werf einen neuen Antrieb, durch den
es dann noch im alten Jahrhundert jeiner Vollendung, der Krönung durch das
Allgemeine Landrecht, entgegengeführt werden jollte.
Zange Zeit hatte der König die große Aufgabe der Kobififation ganz aus
Crummmf toM dem Auge verloren. Ober vielmehr, er hielt fie bereits für gelöft. Nicht bloß
jein geläutertes — war fein Stolz. Ohne die blutige Halsgerichts—
ordnung Kaifer Karls V. aufgehoben zu haben, hatte er fie doch durchbrochen
duch die Aufftellung der humanen Grundjäge,') an die fich jegt der preußiſche
Strafrichter zu halten hatte. „Das ift bei uns ſchon gethan,“ „wir haben
unfere Gejege gemildert und uns gut dabei befunden,” fo rühmte er ſich, als
Ferrara nad 1764 unter dem tiefen Eindrud von Beccarias berühmtem Wert Dei
delitti e pene auch anderwärts Folter und Blutdurft in Verruf famen. Auch
das bürgerliche Recht, nad dem die preußiichen Gerichte urteilten, ſchien ihm
a auf einer hinreichend ficheren Grundlage zu ruhen. Nocd 1777 ſchrieb er in
7 feinem Expos& du gouvernement prussien: „Die Die Geſetze find bier zu Lande
9 Efadlen, ' Binzeichenb_ weife_georbnet. Ich glaube nicht, daß man nötig hat, fie zu über:
arbeiten.” So hoch ſchätzte er die geſetzgeberiſche Leiftung feines gefeierten
Tribonian,?) das Corpus juris Fridericianum.
Der König ftand mit diefer Ueberfhägung ber Coccejiihen Juſtizreform
nicht allein. Der Großfanzler Jariges pries 1765 das Werf feines Amts:
vorgängers als „biele glüdliche Revolution“, dank deren in feinem Land ber
Erde die Juftiz mit gleiher Trefflichfeit wie in Preußen gehandhabt werde.
) 3b. I, 345 (1. Aufl. ©. 344).
2) 3b. I, 347 (1. Aufl. ©. 346).
*
are
Juftigpflege und Kirdenpolitif; Landrecht und Staatäform. 541
Das ganze Kammergericht, die Hochburg ber Jünger Coccejis, urteilte ungefähr ara
ebenfo; auch der Freiherr von Fürft, der ehemalige Präfident diefes Gerichte,
der 1770 nad dem Tode von Jariges die Großfanzlerwürde erhielt; auch die
anderen Minifter des Juftizdepartements, Nündhaufen und Dorville, bie gleich
nad dem Kriege eingetreten waren, Zeblig und Dörnberg, die nad dem Tode
von Jariges und Dorville das Kollegium ergänzten.
Seine eigenen Wege ging der Juftizminifter für Schlefien und Chef: Canmen :
präfident der drei dortigen Dbergerichte, v._ Carmer. Einft Coccejis Gehilfe
gleih Fürft, zu dem er je länger je mehr in Gegenfag trat, hatte Carmer in
feinem jelbjtändigen provinzialen Wirkungskreis fräftiges Selbftgefühl gewonnen
und forderte endlich eine neue Reform in einer von den Eoccejifhen Grundlagen
meit ablenfenden Richtung: dem Prinzip jhriftliher Verhandlung, auf dem derwundh L
Prozeß bisher beruhte, ftellte er die Offizial- oder Inquifitionsmarime entgegen, ne mt
indem er dem Richter die Aufgabe zuweilen wollte, von Amts wegen buch zer”:
mündliche Befragung der Parteien den Thatbeftand_ feitzuftellen; dabei follte —
die Anmaltiaft, nad) Carmer die Wurzel alles Mebels, ganz entbehrlich werden.
Carmer entwidelte dem König feinen Plan bei der jchlefiihen Revue von 1774.
Der Großfanzler wandte ein, daß bei dem vorgeſchlagenen Verfahren bie große Myechem 3:
Errungenjchaft der legten Reform, die Schnelligkeit ber Rechtſprechung, gefährdet
werben und daß eine erhebliche Verftärfung bes Richterperſonals erforderlich fein
würde. Beide Teile ſchidten fomit Argumente ins Treffen, die bei dem König
auf Beachtung rechnen durften. Er ließ die Bertreter der entgegengejeßten
Anfihten, Carmer, deſſen rechte Hand der Rat Svarez von ber Breslauer
DOberamtsregierung war, und ben Großfanzler, dem der Kammergerihtspräfident
v. Rebeur zur Seite ftand, in Berlin perjönlid miteinander verhandeln und _ -
nahm ihre mündlihen Vorträge entgegen. Nach einer mehrftündigen Aubienz, 187, vet] h
die er Nebeur am 13. Januar 1776 gichtleidend vom Bette aus erteilte, ſchnitt 7. 7 :
er bie Erörterung mit einer entſchiedenen Abſage an Carmers Anträge kurz ab
und begnügte fih im Sinne Fürfts mit einer neuen Verordnung zur Abkürzung
der Prozefle. h
So hatte Carmer zunächſt nichts erreicht, als das alte Mißtrauen gegen Warn un, i
die Advofaten wieder aufjzuweden. Gegen fie richteten fich in der nächſten Zeit — an 9
ee — —
wiederholte Strafandrohungen, die ſich bald auch auf ſaumſelige Richter erſtreckten; /«? 5 hs
den einen wie den anderen wurbe burd ein Edilt vom 11. September 17769, user
für Verjhleppung eines Prozefjes nicht bloß Amtsentjegung, ſondern obenein
Feſtungshaft in Ausficht geftellt.
Auf diefe Verfügungen und auf die von dem Könige veranlaßten Vifitas/ter) ;
tionsreifen des Großfanzlers bezieht fi in jenem Expose du gouvernementnatt ns :
prussien die Bemerkung, es jei erforberli, alle drei Jahre die Gerichtshöfe in
den Provinzen zu _revidieren und alle zwanzig jahre eine Unterfudung darüber
anzuftellen, durch melde Schlide die Advokaten die Prozeſſe zu verfchleppen
ſuchten, um ihnen Schranken entgegenzufegen: wie man es augenblidlich thue.
Bei diefer Razzia gegen die Verdächtigen gejchah es nun, daß der Groß: F..,s, (scı
kanzler Fürft, foeben noch aus bem Kainpfe gegen einen Rivalen als Sieger :
hervorgegangen, das Vertrauen bes Gebieters Schritt für Schritt verlor. „Es
942 Neuntes Bud. Zweiter Abſchnitt.
Ischrelle ‚„jfommt mir vor, als wenn die Juftiz wieder anfängt einzuſchlafen“ — dieſe am
* 289. März 1775 an den Großkanzler gerichtete Warnung wurde in den nächſten
u Jahren bei mehr als einem Anlaß wiederholt. Wenn der König ihm drohte:
— „Wir werden Unfreunde werden und ich werde müſſen andere Mesures nehmen“,
— jo war das deutlich genug geſprochen. Offenbar traute er dem Großkanzler
nichts mehr zu. armer war jein Mann, der fommende Mann. Und wenn
er, wie es bei feiner Unzufriedenheit mit Fürſt nicht anders fein fonnte, beide
im jtilen mit einander verglid, jo mochte e& ihn nachträglich reuen, bei jenen
Sanuarfonferenzen von 1776 nicht burchgegriffen, nicht für den jüngeren Minifter,
für den Neuerer entſchieden zu haben.
Am 27. November 1779 rügte er in einem Kabinetsjchreiben an Fürft
die Verfchleppung eines in Kleve ſchwebenden Prozeijes mit dem Ausdrud jeiner
„höchſten Unzufriedenheit” und forderte jchleunige Abhilfe, mit der Ankündigung:
„widrigen Falls und wo das nicht geſchiehet, werdet Ihr Händel mit mir
kriegen“. Vierzehn Tage ſpäter vollzog ſich das Geſchick des Großkanzlers. Nicht
der Zufall hat endlich zwiſchen Fürſt und Carmer entſchieden. Der Wechſel
hatte ſich lange vorbereitet und war wohl auch bereits vorbedacht, als ein
\ Tropfen die Schale des Zorns zum Ueberlaufen brachte.
M la Armote Den Anlaß gab die Klage eines Heinen Mannes, der Streit eines Müllers
Core 7755 mit zwei Edelleuten.
Y Der Wafjermüller Arnold im Züllihauer Kreife ift feinem Grundherrn,
dem Grafen Schmettau, mit der Erbpacht für jeine Mühle im Rüdftand geblieben.
Nah Verfall der wiederholt ihm gewährten Friften wird durch das Patrimonial:
Rath, Lt gericht die Verfteigerung der Mühle verfügt, des Müllers Klage bei dem Ober:
inchmef [w gericht der Provinz, der neumärkiſchen Regierung, wird abgemwiejen; jeine
vom Behauptung, dab ein Karpfenteich, den ber Landrat v. Gersdorf oberhalb der
* unt: Mühle wieder in Stand gejeht hat, ihm das Waſſer entzogen habe, wird nicht
| anerkannt. Nun verfuht der Müller es mit Bittſchriften beim König; der
König läßt durch einen höheren Offizier und ein Mitglied der neumärkiſchen
Regierung den Thatbeftand unterfuhen. Der Oberft erklärt fi für, der Re—
gierungsrat gegen den Müller, ein Deichinipektor gibt als Sadverftändiger das
oberflählich, widerſpruchsvoll und durch Zeugenausfagen entkräftet; er hält, ent:
gegen der Anregung eines einzelnen Mitgliedes, weitere Erhebungen wegen des
angeblichen Waflermangels nicht für erforderlih und beharrt bei der Abmweifung
des Müllers.
Us kachunm Der König wittert Unrat. Er ift von Haufe aus mißtrauiſch, jobald ein
“dry m Edelmann gegen einen Bauern vor Gericht obliegt. Der Adel verweft die
ländlichen Untergerichte, er hat die Präfidentenftühle und eine große Anzahl der
Richterftellen in den Appellböfen inne; Friedrih ift dem Argwohn zugänglich,
daß „die Gevatterjhaft im Lande mehr gilt als die Juſtiz“. Die Anfiht feines
Oberften ſcheint ihm den gefunden Menjchenverjtand zu vertreten, das Gutachten
rohe) Mal: bes Deichbeamten jtüßt fie. Schon fehr unwirſch, verweiſt der König die Sache
des Müllers von der Küftriner Regierung an das Kammergericht nah Berlin.
5 er. BF Irması , Gun dm un lan: 9 ——— . Null Ara Ad schen ’
- Erp&, 34: 77-w (425) Wk shrlh np
Juftizpflege und Kirchenpolitik; Landrecht und Staatäform. 543
Das Kammergericht_ift fi der grundfäglihen Tragweite des von ihm zu⸗⸗ .
fällenden Urteils bewußt. Der Codex Fridericianus und ihr Eid macht es den L
preußiſchen Richtern zur Pflicht, durch Kabinetsrefolutionen den Lauf Redtens "7
nicht unterbrechen zu laffen. Wiederholt hat der König no in leßter Zeit, —
zwiſchen allem Grollen und Schelten, ſich zu dem Grundſatz der Nichteinmiſchung
bekannt, ja ſeinem „Abſcheu“ gegen Machtſprüche Ausdruck gegeben. Es gilt eine
Probe, eine Kraftprobe. Man behandelt alſo in der Lindenſtraße den Fall ſehr
erhaben, ſehr catoniſch, aber auch reichlich pedantiſch: von dem „linkiſchen“
Benehmen des Kammergerichtspräſidenten v. Rebeur hat einer ſeiner Mitarbeiter
geſprochen. Statt dem Könige den Tenor der kammergerichtlichen Entſcheidung
mit einem aufklärenden Bericht, wie der Referent es vorgeſchlagen hat, mitzu—
teilen, findet man ihn mit der kahlen Anzeige ab, daß der Senat geſprochen
habe. Materiell ſchließt ſich das der neumärkiſchen Regierung zur Verkündigung
zugeſtellte Urteil dem Vorerkenntnis durchaus an und ſtellt dabei, ſo doktrinär
als möglich, das unbeſtreitbare Recht des beklagten Landrats zur Anlegung
feines Fiſchteichs als Hauptpunkt hin, die Frage nach dem entſtandenen Schaden,
die im übrigen verneinend beantwortet wird, als Nebenjacde.
Der König aber hält unerfhütterlid an der ihm beigebradten Meinung Ir) 7;
feit, daß der Müller aufs Trodene gejett worden ift, weil der Edelmann das
Waſſer für feine Karpfenzudt braucht. Der Sachverhalt jcheint ihm einfach
und über jeden Zweifel erhaben; alle entgegenftehenden Annahmen betrachtet
er als „Fidfadereien”, als frivole und brutale Verſuche, das Recht zu verbrehen,
zu beugen. Er beſchließt, ein Erempel zu ftatuieren. Er läßt die brei Kammer:
gerichtsräte, die ihm als Verfaffer des Urteils bezeichnet werden, und den Groß:
fanzler rufen. In feinem Arbeitszimmer auf dem Berliner Schloffe fit er am C .
Nachmittag des 11. Dezember 1779, zornerfüllt und von der Gicht gefoltert, zu“ me
Gericht über die vermeintlich ungetreuen Richter. Ein Protokoll wird auf: © Man er
genommen, den beftürzten Rammergerichtsräten fehlt es an Geiftesgegenwart, Zu/ .
auf die ihnen geftelten Fragen kurz zugleih und einleuchtend ihren Standpunft
darzulegen, fie werben gejcholten und beihimpft wie überführte Verbreder, dem
Großfanzler, der einen ganz nebenjählihen Punkt durch eine Zwifchenbemerkung |
richtig jtellen will, wird mit dem Donnerwort: „Marſch, Seine Stelle ift ſchon | \
vergeben!“ die Thür gewiejen, die Räte werden aus dem Audienzzimmer nad . /
dem Kalandshofe in das gemeine Gefängniß abgeführt. Durch einen Machtſpruch «lt — *
wird das Urteil kaſſiert, der Müller in ſeine Mühle wieder eingewieſen, — —
Teichanlagen des Landrats werden zerſtört, er ſelbſt und der Präſident der
neumärkiſchen Regierung, der Sohn des dem König durch Jugendfreundſchaft
verbundenen Kabinetsminiſters Finckenſtein, abgeſetzt. J
Tags nach der Entlaſſung des Großkanzlers fährt die Berliner Geſellſchaft Syauf: —
in langer Wagenreihe am Schloſſe vorüber bei dem Geſtürzten auf, um ihm JC
— —
ihre Teilnahme auszudrücken und zugleich den eigenen Freimut zu bekunden.“3- ne oo,
Vor den Fenftern des Königs aber fpielt fih auf dem Schloßplage eine FL
Huldigung entgegengefegten Charakters ab: hier drängt fi das Wolf, Bauern
vom Lande fommen zu Hunderten, um bei dem Schüger der Armut ihre Bitt:
ihriften anzubringen. Manche Bürgerhäufer fieht man abends erleuchtet und I £ ,
RETTEN SE
Rı fat |
— FR
Cian Ian.
544 Neuntes Bud. Zweiter Abfhnitt.
mit finnbildlihen Darftellungen zum Preife des gerechten Königs geihmüdt.
Vom Kriminalfenat des Kammergerichts verlangt der König ein Strafurteil
gegen die in Haft gejegten Richter. Der Senat legt mit eingehender Begrün:
dung bar, daß er feine Schuld an ihnen findet, und ber Minifter Zedlig als
Chef des Kriminaldepartements erflärt dem König, daß er demnad außer
ftande fei, „ein kondemnatoriſches Urteil wider die in der Arnoldſchen Sache
arretierten Juſtizbedienten abzufaflen“. Der König fieht ſich genötigt, einen
neuen Machtſpruch zu fällen: zwei ber Richter werden fajfiert und zu einjähriger
Feitungshaft verdammt. j
Wer hatte richtig gejehen und erfannt? Die Frage ift bis auf dem
heutigen Tag umftritten worden. Und doch wird ein Zweifel nicht beftehen
fönnen. Die Behauptung bes Müllers, daß das Wafler ihm entzogen fei,
wibderlegte ſich durch die Thatſache, daß eine zwifchen feiner Mühle und dem
berufenen Karpfenteih gelegene Schneidemühle über Waflermangel nicht zu
lagen gehabt hat. Diefer Umftand ift in ben Urteilsgründen des Obertribunals,
das nad dem Thronwechſel von 1786 den Machtſpruch von 1779 außer Kraft
jegte, gebührend in den Vordergrund gerüdt worden; die vorher mit diefem
Mühlenprozeß befaßten Gerichte und mehr noch den Großlanzler Fürft trifft der
Vorwurf, daß fie es verjäumt ober verſchmäht haben, über diefen entjcheidendften
Punkt den König durch einen kurzen, beutlihen Bericht aufjuflären. Auch
rächte es fih an ihnen, daß fie, wenn nun einmal das Gutachten eines angeb—
lihen Sadverftändigen gegen ihre Auffaflung ſprach, dem nicht einen anderen
Fachmann entgegentreten ließen. So haben bie Richter von 1779 in ihrem
Männerftolz vor Königsthronen nicht geſchickt, nicht Hug gehandelt, aber untabel-
haft, überzeugungstreu, geredht. Und Zeblitens Weigerung, ein Verdammungs—
urteil über fie zu fällen, wird zu den ſchönſten Nuhmestiteln feiner trefflichen
Verwaltung gezählt werden müffen.
Hätte der König richtig gejehen und richtig entſchieden, jo wäre es für:
wahr mit der Juftiz in preußiichen Landen damals jchledht beftellt gemejen.
Friedrich ſelbſt fcheint in der Ueberzeugung von der Gerechtigkeit jeines Macht:
ſpruchs nicht irre geworben zu fein; aus dem Umſtand, daß er bie auf bie
Feſtung geſchickten Richter vor Ablauf des Strafjahres begnadigte, darf das
Gegenteil nicht gefolgert werden. Den Glückwunſch, den d’Nlembert ihm nad)
einem Vierteljahr zu feinem Einfchreiten für einen armen Landmann abftattete,
beantwortete er mit der Bemerfung, die Gejege feien zum Schuge der Schwachen
beftimmt und würden überall befolgt werden, wenn man aufmerfjam die aus:
führenden Organe überwachte.
D’Alemberts philofophifcher Kreis, der die Spigen bes gebildeten Paris
vereinigte, ftellte fi auf die Seite des preußiichen Königs; nur einige Juſtiz—
größen bezeichneten die Beftrafung der Berliner Richter als zu rigoros —
rihterliche Kannibalen, die den Unſchuldigen auf der Folter fterben laſſen, ſchalt
d’Alembert diefe modernen franzöfifhen Juriften, während Voltaire mit den
Ehrentiteln „Rannibalen” und „Affen in ſchwarzer Robe“ abwechſelte. Jene
Juſtizmorde in feiner Heimat, über die Voltaire vor ganz Europa Klage erhob,
hatten dem noch aller Orten verbreiteten Mißtrauen gegen den Richterftand neue
Auftispflege und Kirhenpolitif; Zandredt und Staatäform. 545
Nahrung gegeben. Gleichzeitig hatte die von Kaifer Joſeph angeordnete Viſi—
tation des Wetzlarer Reichskammergerichts ſchwere Schäden aufgededt, zur Ab:
jegung mehrerer Affefioren geführt und dem Juden Nathan Aaron die Ver:
urteilung zu jehsjährigem Gefängnis und einer Gelditrafe von einer Viertel:
million Gulden eingetragen „wegen der bei dem Kaiferlihen Reichskammer-Gericht
verübten abſcheulichen Juftiz.Maklereien und Korruptionen”. Es fam die Zeit,
wo nad Goethe, dem unmittelbaren Zeugen des über die Weglarer Juſtiz ver:
hängten Strafgerihts, „der Theater und Romandichter feine Böſewichter am
liebften unter Miniftern und Amtleuten auffuchte“. „Den Schurken, der bie
Geſetze falſchmünzt und das Auge der Gerechtigkeit überfilbert,” ſchalt damals
Schiller in jeinem Jugendftil den ungerechten Richter, während Goethes Volks—
beglüder Breme vor den „aufgeregten“ Bauern dem alten Frigen das Wort
in den Mund legt: „Sch weiß wohl, die Reihen haben viele Advolaten, aber
die Dürftigen haben nur Einen, und das bin ich.”
Bei diefer Dispofition der öffentlichen Meinung jahen die Berliner Juriften,
die fi für ihre Ueberzeugung geopfert hatten, ihr Martyrium über die Kreiſe
des preußiihen Beamtentums und der hauptftädtifhen Gejelichaft hinaus nicht
anerfannt. Nicht feine Tapferkeit im Prozeß des Müllers Arnold hat das
Kammergericht Friedrihs des Großen bei Mit: und Nachwelt populär gemacht,
fondern das taujendmal wiederholte und felbft auf die Bühne gebradte Ge-
ihichtchen, das doch in das Neih der Sage gehört. Denn jener andere Müller, Wendt
der in der Fridericianiihen Ueberlieferung eine Rolle jpielt, der Windmüller Ir Je
von Sansjouci, er hat, wie urkundlich feititeht, nie Veranlafjung gehabt, das
ihm zugejchriebene Wort: „Es gibt noch Richter in Berlin!” zu jprechen, weil
er in feinem Befig nie bedroht geweſen ift — am wenigften durch feinen Nach—
barn, den Schloßherrn von Sansjouci, der die hiſtoriſche Mühle vielmehr als
ein malerijches Anhängjel feines Luſtſchloſſes betrachtete und ihre Unterhaltung!
ſich ein gut Stüd Geld loſten ließ.
Hat Friedrih mit jeinem Madtipruh in Saden des Müllers Arno CAamor *
geirrt, im beſten Glauben und aus dem edelſten Beweggrund Unrecht gethan, ZI4: Maw:
jo hat er in der großen, feit einigen Jahren fchwebenden Zukunftsfrage am
11. Dezember 1779 zweifellos die richtige Entſcheidung getroffen, indem er zur
Zeitung feines feines Juſtizweſ ens jetzt endlich Carmer nach Berlin berief. Ganz davon
abgeſehen, ob die Reſormgedanken dieſes Mannes in ihrem ihrem vollen Umfange
zweckmäßig oder ausführbar waren, kam es damals vor allem darauf an, daß
ein friſcher Zug in das ſtockende Triebwerk hineingebracht wurde. Die Gefahr
einer wohlgeordneten Bureaukratie wird immer fein, daß fie, von der Trefflich—
feit ihrer für die nächſten Zwede zureihenden Einrichtungen eingenommen, ſich
an dem beftehenden Zuftand genügen läßt, durchaus nicht immer aus Bequem:
lichkeit und Läffigkeit, fondern vielfah aus einer Scheu vor dem Erperiment,
vor dem Unberedhenbaren, das in jeder Neuerung liegt. Carmers großes Ver:
dienſt um bie Entwidelung des preußiihen Rechts ift es gemejen, daß er friichen ?
Mutes und mit feſter Hand. zugriff, mit einem Wuſt von Bedenfen aufräumte Gr
und aud) Schärfe und Nücjichtslofigkeit genug beſaß, die Gegner jeiner Perjon
und feines Werkes, gefcheite, jelbftbewußte und erbitterte Gegner, beijeite zu
Rojer, Rönig Friedrich der Große. II. 2. Aut, 35
as (fe F
il. fen,
(eruer
1714
—
>46 Neuntes Bud. Zweiter Abfchnitt.
fchieben. Daß er babei für die eigentlich fachmänniſche Seite jeiner Aufgabe
an einem Sparez einen unvergleichli fähigen Mitarbeiter von unermüdlicher
Arbeitskraft, tiefgründiger Gelehrfamfeit und vollendeter Kunft der Formgebung
fand, war Carmers großes Glüd und doch auch wieder fein großes Verdienſt.
Gewiß ift Sparez der eigentlihe Vater des preußiichen Allgemeinen Landrechts
gewejen, der die von den übrigen Werkgenofien gelieferten Gußftüde miteinander
verichmolzen und dem Ganzen das Gepräge feines eigenen Geiftes gegeben bat.
Aber jo wenig wie Sparez könnte man fih Carmer aus der zweiten preußiichen
Juſtizreform fortdenfen.
Carmers Berufung bebeutete ein Programm. Die formelle Zuftimmung
ber Krone zu Teinen Plänen erzielte ber neue Großfanzler durch den Erlaß, der
am 14. April 1780 die föniglihe Unterfhrift erhielt. Der Reform wurden
darin zwei Aufgaben geitellt: Umgejtaltung des Prozefjes im Sinne der In:
quifitionsmarime, mit ber Verpflichtung für ben Richter, die Parteien ſelbſt zu
hören, und Herftellung. eines allgemeinen Gejegbudes mit jublidiärer Geltung
neben den zur Sammlung zu bringenden Provinzial: und Statutarredhten.
Bei der Ausgeitaltung feiner Prozefordnung, deren Entwurf 1781 als
, Corpus Juris Fridericianum Bud 1 erihien und die in der 1793 veröffentlichten
“ Allgemeinen Gerihtsordnung ihre endgültige Geftalt erhielt, hat Carmer auf
feinen einen utopiſchen Lieblingsgedanfen, die ie gänzliche Beleitigung der Abvofatur,
verzichten müfjen, feinen Gegnern zur nicht unberechtigten Schadenfreude. Sonft
aber bedeutete diefe Reform einen ſehr erheblichen Forticritt, und ein Gewinn
auf immer blieb der freie Spielraum, den fie dem Richter bei Erhebung ver
Beweife, zumal für die Abnahme von Eiden, eröffnete. Bei der Kobififatione-
arbeit gelang der große Wurf, nah den Worten eines zuftändigen neueren
Veurteilers, „zum eriten Mal für Deutſchland den Dualismus des römiſchen
Rechtsſtoffes und des deutichen und modernen bejeitigt und dieje Elemente zu
einem organifchen Ganzen, einem einheitlihen Rechtsſyſtem verbunden“ zu haben.
Gleich den erften Teil des dem Drud übergebenen Entwurfes begrüßte der
angejehenite Nechtshiftorifer des damaligen Deutichlands, der Göttinger Pütter,
mit dem Wunſche, daß daraus ein ähnliches Geſetzbuch für jeden anderen
deutichen Staat, „oder warum nicht jelbjt für ganz Deutſchland?“, erwachſen
möchte.
König Friedrich hat diefen eriten Teil 1784 mit buldvollen Worten der
Anerkennung für Carmers „unermübeten Dienfteifer” entgegengenommen; an
der zweiten, das Jahr darauf ihm vorgelegten Abteilung übte er die eigenhändige
Kritit: „Es ift aber ſehr dide, und Geſetze müflen kurz und nicht weitläuftig
fein.” Er bielt aljo an feiner alten Auffaffung feſt, daß ein gutes Geſetzbuch
den höchſten Grab der Gemeinverftändlichkeit erfireben, dem Laien einen Weg:
weiſer dur das Labyrinth der überlieferten Rechte bieten und „durch Klarheit
und Schärfe der Beitimmungen” womöglich jeden Anlaß zum Zwiſt abjichneiden
müfle.) Daß die Verfaffer des Landredts diefem Standpunkt weite Zugeſtänd—
niffe gemacht, ja die Auffafjung des Königs im weientlichen geteilt haben, daraus
) 8b. I, 340.
Juſtizpflege und Kirchenpolitif; Landredt und Staatäform. 547
find die jpäter oft gerügten Schwächen ihrer Arbeit zum Teil bergefloifen; jo
die Nusmerzung der lateinifchen Kunftausdrüde, ohne daß es gelungen wäre, in
das im übrigen anerkannt trefflihe Deutſch des Geſetzbuches hinreihend klare
und fefte Uebertragungen einzufügen; fo ferner die allzu feine verzweigte
Kajuiftif der Paragraphen mit ihrem ausgefprochenen Beftreben, „nicht nur die
Begriffe der rechtlihen Gegenftände und Handlungen, ſondern aud die daraus
herzuleitenden Folgen fo viel als möglih durch pofitive Gejege zu regeln, um
das Schwanfende und Willfürlihe der Entiheidung möglichſt zu verhüten.”
Das „Allgemeine Preußiſche Landrecht“, wie es 1794 nah dem Tode Code ( /777:
Friedrichs des Großen Gejegesfraft erhielt, war nicht ausichließli ein bürger:
liches Geſetzbuch. Es enthielt aud Säge aus dem Strafreht, Sätze aus dem
Staatsrecht; es umſchrieb das Necht der einzelnen jozialen Schichten, der Berufs:
und Geburtsftände; es erftredte ſich auch auf das Verhältnis zwiſchen Kirche
und Staat.
Der elfte Titel des zweiten Teiles „Von den Rechten und Pflichten der
Kirhen und geiftlihen Geſellſchaften“ darf als die Abftraftion ber Fridericia-
nischen Kirchenpolitif bezeichnet werben, auf die wir in dieſem Zufammenhang
noch einmal geführt werden. ')
Das Verhältnis der preußifhen Staatsgewalt zu der katholiſchen Kirche
war während des Siebenjährigen Krieges getrübt worden ſowohl durch Beweiſe
von Untreue aus den Reihen der jhlefiichen Katholifen, wie durch bie verlegende
Haltung der Kurie.?)
Doh ließ der König die nicht treu erfundenen katholiſchen Unterthanen
nicht dauernd feine Ungnade fühlen. Der nah der Schlacht von Leuthen ver:
fügten Aufhebung des Pfarrzwanges, den fatholijche Geiftlihe über evangelische
Gemeindemitglievder ausgeübt hatten, wurde nach Wiederheritellung des Friedens
der Stempel einer Strafbeftimmung dadurch genommen, daß jegt nach dem
Grundſatz der Gegenjeitigfeit auch Katholifen, die in einem proteftantifchen
Kirchſpiel eingepfarrt waren, von Stolgebühren und fonftigen Abgaben an
Pfarrer und Küfter befreit fein follten. Ein weiteres Entgegenfommen durften
die Katholiken darin jehen, daß der König 1772 zu Gunften ber unter prote:
ſtantiſchem Patronat ftehenden katholiſchen Kirchen eine Entiheidung traf, wonach
ein Gutsbefiger auf das Kirchenpatronat und die damit verfnüpfte Pflicht, das
Gotteshaus, allerdings nur in ber Höhe ber herfümmlichen Laſten, zu unter:
halten, nicht verzichten durfte. Und der Befisitand an gottesbienftlihen Gebäuden
nad dem Fuße von 1742 wurde den Katholiken jo ftreng gewahrt, daß auch
dann, wenn nur ein einziger Ortsangefefjener katholiſchen Bekenntniſſes noch
vorhanden war, die Kirche den Evangelijchen gleihwohl nicht eingeräumt wurde;
ja der König gebot, daß felbit beim völligen Erlöjchen einer katholiſchen Ge:
!) Bol. BD. 1, 402 ff.
2) Dal. oben ©. 159 ff. 209.
548 Neuntes Bud. Zweiter Abſchnitt.
meinde ihre Kirhe für bie fünftig fih etwa anfievelnden Katholiken offen zu
halten war.
Auch für die zwiſchen der weltlihen und geiftlihen Gewalt umftrittenen .
Grenzgebiete, auf die er fraft feiner landesherrlihen Machtvolllommenbeit den
Fuß gejegt hatte, ließ Friedrich es fih angelegen fein, die Empfindungen und
Empfindlichfeiten feiner katholiſchen Unterthanen zu jchonen. Wenn er nad
dem Vorgang von 1744!) bei Erledigung geiftliher Pfründen an feinem Nomi—
nationsrecht grundfäglidh feithielt, jo jah er e& doch nicht gern, wenn „ohne
Not Schwierigkeiten gemacht und die Sachen aufs Heußerfte getrieben“ wurden.
Unnachſichtig freilid und unbeugbar zeigte er fih nad dem Kriege bei der
Forderung, daß in dem von der jchlefifchen Geiftlichkeit zu erneuernden Treueid
die Schwörenden ausdrüdlih befennen follten, fie wollten mit einem Verſtoß
gegen dieſen Eid Vergebung in diefem wie in jenem Leben verwirkt haben.
Hier ließ er den Einwand ber Breslauer Domberren, daß dieſe Klaufel dem
Saframent der Buße und der priefterlihen Abfolution vorgreife, ſchlechterdings
nicht gelten, ſondern zwang bieje vornehmen Klerifer durh Androhung ber
Landesvermweifung, den von ber Mehrzahl der jchlefiichen Geiftlichfeit bereits
geleifteten Eid auch ihrerjeits abzulegen.
Einen Grabmeiler dafür, wie weit der Anſpruch der Staatshoheit ohne
Gewiffenszwang geltend gemadht werden Fonnte, gab immer das Beijpiel ber
Eatholifhen Staaten. Der König verjah den ſchleſiſchen Oberpräfidenten Schlabren:
dorff mit der allgemeinen Anweiſung, daß jedes in Frankreich oder einem anderen
katholiſchen Neiche dem Klerus auferlegte Verbot oder Dnus auch auf Schlefien
Anwendung zu finden habe. Daraufhin beantragte Schabrendorff im März 1765,
daß in Zukunft nad) dem Vorgang eines joeben in frankreich erlaffenen Gejeges
weder Bullen noch Breven des Papftes ohne fönigliche Einwilligung veröffentlicht
werden möchten. Der König war mit dem Vorſchlag durchaus einverftanden
und bat in der Folge wiederholt päpftlihen Verordnungen fein Placet vor:
enthalten.
Papſt Klemens XIII., der während des Krieges den Bund der fatholifchen
Mächte gegen den SKegerfönig jo freudig gepriefen hatte, ?) jchwieg zu dem
neuen firchenpolitiiden Anſpruch der preußifchen Krone ftil. Und wäre es auf
ihn allein angelommen, jo würde er gern das freundliche Verhältnis mieder:
bergeftellt haben, das vor jeiner Erwählung zwifchen diefer in Rom noch immer
nicht offiziell anerfannten Krone und der Kurie beftanden hatte. Der Nuntius
in Warſchau hat nicht lange nah dem Hubertusburger Frieden dem preußifchen
Refidenten die freundichaftlihen Gefinnungen bes Papites gegen den König be:
teuert und bei diefem Anlaß jenes Gerücht von der Verleihung eines geweihten
Degens an den Marjhall Daun?) mit Nahdrud in Abrede geitelt. Aber der
König ließ völlig ablehnend zurüdjagen, bei aller Hochachtung für den römifchen
Stuhl wünſche er mit deſſen derzeitigem Inhaber nichts zu ſchaffen zu haben.
) 3b. I, 409.
2) Oben ©. 209.
2) Dben ©. 209.
Juftispflege und Kirchenpolitif; Landrecht und Staatöform. 549
Das hinderte nicht, daß Klemens XII. ein Jahr jpäter bei einem ärger:
lihen Zwiſchenfall in Schlefien durch feine entgegenfommende Haltung den Frieden
zwifhen Staat und Kirche rettete.
Noh einmal nämlich führte jener unwürdige Prälat einen Konflilt herbei,
deſſen Erhebung vor mehr als 20 Jahren bei der Kurie auf fo lebhaften Wider:
ſpruch geftoßen war. Fürftbiihof Schaffgotſch, feit 1757 in des Königs Augen
ein Berräter, hatte zu Ausgang des Krieges um feine Aufnahme in die dur
den Friedensvertrag vorgejehene Amneftie gebeten, da jein Verhalten zwar nicht
von Webereilung, aber doch von Böswilligkeit frei geblieben fei; er hatte kenn—
zeichnenderweile fein Gnadengejuh mit einem Aft der Simonie verbunden,
indem er für den Fall feiner Wiedereinfegung dem Minifter Schlabrendorff eine
jährlide Penfion von 1000 Dukaten anbot. Der König ließ den Beſtechungs—
verjuh auf fi beruhen und beauftragte Schlabrendorff, dem reuigen Sünder
die Begnadigung anzufündigen; aber nie jole Schaffgotich noch einmal wagen,
an den König zu jchreiben oder an demjelben Ort mit ihm zu verweilen. Dem
um fo ficherer vorzubeugen, wurde ihm, eine anftändige Form ber Einſchließung,
die Stadt Oppeln als beftändiger Aufenthaltsort angewiefen. Die Vermefung
bes Bistums verblieb wie bisher dem Weihbifhof und Generalvifar Strachwitz.
Lange jeboch hielt es der Heimgefehrte im Eleinen Oppeln nit aus. Im Früh:
ling 1766 flüchtete er ins öfterreihifche Schlefien auf fein Schloß Johannesburg.
Die dem Generalvifar erteilten Vollmachten zog er zurüd; der König aber unter:
fagte dem Domkapitel jede Verbindung mit dem entwichenen Biſchof, der nicht
anders zu betrachten jei, „als ob er mit Tode abgegangen wäre”. Da ftellte
fih nun die Kurie ohne Zögern auf die Seite des Landesherren, indem fie
Strahmwih, jeinem Antrag gemäß und mit Hinweis auf das an das Domkapitel
ergangene königliche Gebot, zum apoftolifhen Vikar in dem preußifchen Teile bes
Bistums Breslau ernannte,
Wie hätte au Klemens XIH. auf diefem Außenpoften jeines geiftlichen
Machtgebietes einen Kampf mit der proteftantiihen Staatsgewalt ſuchen follen,
zu einer Zeit, wo die fatholifchen Fürften des romanifhen Europas bereits auf
der ganzen Linie den Sturmlauf gegen die Burg der Hierarchie begonnen hatten.
Der häusliche Streit innerhalb der fatholifchen Chriftenheit war für die Kirchen:
politif der proteftantifchen Staaten ein Gewinn.
So wurde es für Preußen gleihgültig, ob einer von den Heißlpornen,
den „Zelanti”, oder ein „Regalift,“ ein Opportunift, den Stuhl Petri einnahm.
Als Klemens XII. 1769 in dem Augenblide, da ihm jeine gefrönten Gegner
die ſchwerſte Demütigung bereiten wollten, geftorben war, jah König Friedrich
der Wahl des Nachfolgers, „den ber heilige Geift und die Könige von Frank—
reih und Spanien dem Konklave bezeichnen würden”, mit voller Seelenruhe
entgegen.
Ganganelli, der aus diefer Mahl als der Vertrauensmann ber bourbonijchen
Kronen hervorging und fi) Klemens XIV. nannte, juchte für die Beziehungen zu
Preußen auch das perjönliche Verhältnis wiederherzuftellen, das einft Benedikt XIV.
gepflegt hatte. Bon diefem Vorgänger, jagte er dem Abbe Ciofani, Friedrichs
Agenten in Rom, habe er die Verehrung für den preußijchen König geerbt;
550 Neuntes Bud. Zweiter Abſchnitt.
denn Benedikt habe ihn immer Friedrichs Zufchriften lefen laffen, und oft hätten
fie beide in vertrautem Geſpräch die großen und heroiſchen Tugenden diejes
Königs bewundert, die jekt ganz Europa anerfenne. Das aufmerkjame Ent:
gegenlommen, das man in der Grafihaft Glatz dem Vikar bes Erzbiſchofs von
Prag auf feiner Vifitationsreife durch diefen Teil des Prager Sprengels gezeigt
hatte, veranlaßte den Papft zu einem Schreiben an den Erzbifhof, das ihm
empfahl, durch Dankbarkeit für jo große Wohlthat immer größeres Wohlwollen
für fih und die Seinen bei dem Fürften jenes Landes zu verdienen.
Gerade unter dem kurzen Pontififat Klemens’ XIV. jollte nun aber die
preußiſche Regierung zu einem Wahrſpruch der Kurie von unermeßlicher Be:
deutung ſich in offenen Widerfpruch fegen: zu der Bulle Dominus ac redemptor,
welche die Geſellſchaft Jeſu aufhob und vertilgte.
Was Friedrih von den Zefuiten hielt, haben wir von ihm jelbit gehört.)
Sie galten ihm an ſich unter allen Mönchen als die gefährlichſten. Aber zugleich
hatten fi ihm die franzöfifchen Jefuiten, die er zum Gegengewicht gegen die
ichlefifhen, die Fanatifer für Deſterreich, an die Univerfität Breslau gezogen hatte,
als brauchbar für die Aufgaben des Unterrichts bewährt. Nur find ihrer nie mehr
als fünf gewefen, und im Laufe des Krieges find fie jamt und jonders davon:
gegangen. Friedrichs Abneigung gegen ben Orden wuchs damals. Als in Portugal
die Austreibung verfügt war, jchrieb er 1761 aus dem Bunzelwiger Feldlager
an d'Argens: „Ich erwartete nicht, die Jeſuiten verfolgt zu jehen. Man würde
gut thun, diefen Orden aus der Welt zu jchaffen, wie man es mit den Templern
mit weniger Gerechtigkeit gethan hat. Es gibt in Schlefien viel von diefer Saat.
Ich möchte fie nah dem Beifpiel der Katholiken abſchaffen können. Vielleicht
fafle ih mir ein Herz und made es ihnen nad.” In der That hat er im
Augenblide des Friedensihluffes fih von Schlabrendorff für ihre Ausweiſung
einen Plan ausarbeiten lafjen. Und als 1765 der Papſt no einmal für fie
eintrat, verweigerte der König der Bulle fein Placet: „nicht aus Liebe zu Calvin,“
fo fchrieb er damals an d’Alembert, „jondern um ein jchädliches Ungeziefer im
Rande nicht noch mehr zu fördern, das früher oder jpäter das ihm in Frankreich
und Portugal ſchon bereitete Los auf fich nehmen wird.” Noch 1767, als
Spanien den beiden Nahbarreichen ſich anſchloß, beglückwünſchte er d'Alembert:
„Es leben die Philofophen! Alſo die Jefuiten aus Spanien vertrieben! Der
Thron des Aberglaubens ift unterhöhlt, im kommenden Jahrhundert wird er
zufanmenbrechen.”
Dann aber änderte er plöglih jeine Sprade, jeine Anfiht. Indem er
feftftellt, daß die Jeſuiten jet aus ber Hälfte von Europa und jelbft aus
Paraguay verjagt find, und nicht dafür einftehen will, was ihnen beim Tode
der Kaiferin in Defterreich gefchehen mag, erklärt er am 7. Januar 1768 dem—
jelben d’Alembert: „Was mid anbetrifft fo werde ich fie dulden, folange fie
fih ruhig verhalten und niemand ermwürgen wollen.” So ſehr er Ketzer jei,
fhreibt er wenige Wochen jpäter, jo werde er ſich wohl hüten, das Beifpiel
der fatholifchen Mächte, die zum Zeitvertreib gegen die armen Jeſuiten Krieg
1) Bd. 1, 413.
Juſtizpflege und Kirchenpolitif; Landrecht und Staatöform. 551
führten, nachzuahmen: „ch werde dieſen Orden in Ruhe lafjen, ſolange er fich
nicht in die weltlihe Gewalt einmifchen oder mid) und die Meinen erwürgen
wil. Man unterhält im Zirkus für die Tierfämpfe Tiger und Löwen, warım
follte man nicht auch Jeſuiten dulden? Das gejelligite unter allen Wejen muß
ſich mit allen anderen vertragen, und man kann mit Jejuiten, Bonzen, Talapoins,
Imams und Rabbinern leben, ohne fie zu beißen oder von ihnen aufgefrefjen zu
werden.” Dabei blieb er. Als die katholiſchen Höfe ihr geijtliches Oberhaupt
ungeftümer bebrängten, ließ er im Sommer 1770 in Rom den Wunfd aus:
ſprechen, daß eintretenden Falls die Jefuitenfollegien in Preußen von der Auf:
löjung ausgenommen werden möchten. Wie aber hätte jolhem Wunſch, wenn
einmal zum Weußerften gejchritten wurde, fi willfahren laſſen! Die Vertilgungs:
bulle erihien, ohne Vorbehalte und Ausnahmen, und der König von Preußen
verbot in feinen Landen ihre Bekanntmachung. Hätte es von ihm abgehangen,
jo hätte der Sefuitengeneral bei ihm eine Zufluchtsſtätte ſuchen bürfen.
Friedrichs Beweggründe liegen Har zu Tage. Das Jahr zuvor, ehe er
fih bei Klemens XIV. für die preußiihen Jefuiten verwandte, hatte er von dem
Auguftinerabt Felbiger einen eingehenden Bericht über das ſchleſiſche Schulwefen
entgegengenommen, und felbiger hatte es als notwendig bezeichnet, die Gymnafien
der Provinz in den Händen der unentgeltlich unterrichtenden Jeſuiten zu lafjen,
da andere taugliche Lehrkräfte ebenjowenig vorhanden jeien, als Geldmittel zu
ihrem Unterhalt. Doc riet er, dieje Anftalten unter Staatsaufficht, unter einen
nit dem Orden angehörigen Kurator zu ftellen. Noch weniger wäre für die
Univerfität Breslau, die einzige Bildungsftätte in Preußen für katholiſche Theo:
logen, Rat zu jchaffen geweien, wenn man die Jejuiten verlor. Der Sat, den
der König anfänglid nur im Scherz, unter einer Anzahl anderer paradorer
Thejen, gegen d'Alembert vertrat: „daß die Gejellihaft Jeſu den Staaten nüglich
it” — der gewann jegt für ihn unter jenem Gefihtspunfte eine bedingte Wahr:
heit. Er glaubte prophezeien zu dürfen, daß auch anderwärts, auch in Frankreich
die Jeſuiten als Lehrer nicht leicht zu miffen feien. Und hatte er früher Anlaß
gehabt, fie ala gefährlich anzujehen, jo jchien es ihm jegt damit feine Not zu
haben: „Der Cordelier Ganganelli hat ihnen die Krallen geftugt und das Gebiß
ausgeriffen und fie in einen Zuftand verjegt, wo fie weder fragen noch beißen
fönnen.” Er unterfhäßte die Zähigfeit diefes Ordens, wie er die Lebenskraft
des Papſttums unterjhägte, wenn er die Zeit des Verfalles für die Mad,
welche die Nachfolger Petri fih angemaßt hätten, nahe herbeigefommen glaubte
und bald ſchon die Mönde aus der Klofterzelle in die Welt zurüdfehren jah.
Ein d’Alembert teilte biefe Zuverſicht nit. „Wenn alle Fürften Friebriche
wären,“ meinte er, „jo wollte ih Europa mit Jeſuiten gepflaitert fehen, ohne
fie zu fürdten oder mich um fie zu forgen; aber die Friedriche gehen, und bie
Jeſuiten bleiben.”
Außer dem für ihn bereits durchſchlagenden Zwedmäßigkeitsgrund, aus
dem ber König von Preußen feine Jeſuiten nicht fallen ließ, ſtimmten ihn nod
andere Erwägungen jegt ihnen günſtig. Bon dem NAugenblide an, da fie, bie
alten Kampfhähne und PBerfolger, die Verfolgten und Berfemten geworben
waren und nun gegen die einzelnen mit Härte, ja mit Graujamfeit vorgegangen
552 Neuntes Buch. Zweiter Abſchnitt.
wurde, empörte fih in Sriedridh fein Duldfamleitsfinn. Er fah in dieſem Kefiel-
treiben nur eine neue Bethätigung des Berfolgungseifers derſelben katholiſchen
Höfe, die einft um ber Neligion willen ihre fleißigften Untertanen über bie
Grenze oder auf den Scheiterhaufen getrieben hatten.
Als dv’Alembert daran erinnerte, aus des Königs eigenem Munde von
der Untreue der jchlefiichen Jeſuiten gehört zu haben, antwortete Friedrich, das
jei richtig: „Aber bedenkt das Wejen der Milde: man kann bieje bewunderungs:
werte Tugend nur üben, wenn man beleidigt geweſen it, und Ihr Philofophen
dürft mir nicht vorwerfen, daß ih die Menſchen mit Güte behandle und die
Menschlichkeit unterfhiedslos gegen alle meine Mitmenſchen übe, welcher Religion
und welder Gemeinfchaft fie angehören mögen. . . . Beichuldigen Sie mich zu
großer Toleranz, ich werde mich diejes Fehlers rühmen: es wäre zu wünſchen,
daß man den Souveränen nur foldhe Fehler vorwerfen Fönnte.“
Wenn endlich das Haus Bourbon, das den großen Feldzug gegen den Orden
leitete, im europäiſchen Staatenſyſtem derzeit auf der antipreußiichen Seite ftand,
jo hatte es für den preußiichen König einen eigenen Reiz, als „Erjefuit von
Sansfouci”, wie er fich jegt nannte, den bevrängten Vätern gegen ihre und feine
Feinde das Widerfpiel zu halten, gegen eben dieje Höfe, die der Orden durch
feine Beichtiger bis vor furzem beherrſcht hatte.
Gegen die bourboniihen Höfe nicht ohne auftrumpfende Gereizheit, ging
doch Friedrich mit feinem Jeſuitenſchutz nicht zugleich darauf aus, auch der Kurie
einen Tort anzuthun, etwa aus Empfindlichkeit, wie wohl angenommen mworben
ift, wegen der andauernden Vorenthaltung des föniglihen Titels von Preußen.
Die hat nur feine Minifter, nicht aber ernitlich ihn jelber befümmert. Er wußte
jehr wohl, daß der Vatikan mit dem Anathema gegen jeine alte „Leibgarde” nicht
dem eigenen Triebe, nur der Not gehorchte. Zwar Ganganelli, durd) feine eigene
Bulle gebunden und in einen jcharfen perjönlihen Gegenfag gegen den Orden
gebracht, konnte nicht mit fich handeln laſſen. Aber der zweite Papſt nah ihm
bat die Gefellihaft Jeſu mwiederhergeftelt, und ſchon fein unmittelbarer Nach—
folger Bius VI. hat ihre verjprengten Weberbleibjel beaünftigt, ſoweit er es
ohne offenen Bruch mit ihren weltlichen Berfolgern fonnte. So ift der König
von Preußen mit diefem Papſt Ichnell zu einem Veritändnis gefommen. Durd
eine Berfügung des Kardinals Rezzonico an den Weihbifchof von Breslau erklärte
fih Pius VI. damit einverftanden, daß den Prieftern des vertilgten Ordens in
Schleſien unverboten fein ſolle, das Beichtfaframent zu verjehen, zu predigen,
die Jugend zu unterweijen und jedes andere Werf der Frömmigkeit zu verrichten;
indes nur als Individuen und der bifchöflihen Jurisdiktion unterworfen, nicht
als Glieder eines geiftlihen Ordens. Mit diefem Ausgleih war allen Teilen
genügt. Die Kurie wahrte den bourbonijchen Kronen gegenüber den Schein.
Die biſchöfliche Gewalt, der peinlihen Wahl zwiihen dem Gehorfam gegen Rom
und der Ungnade des Königs überhoben, Jah ſich ausdrücklich ermädtigt, dem
Nachwuchs der angeblich vertilgten Gemeinſchaft die Weihen zu erteilen. Die
Patres lebten in ihren Ordenshäufern nad wie vor bei einander und jehten
ihre gewohnte Thätigfeit fort, nur daß fie ihre Ordenstradht ablegen und ſich
Geiftlihe des königlichen Schulinftituts nennen mußten. Der Staat endlich ſah
Juftizpflege und Nirchenpolitif; Landredt und Staatsform. 553
die Lehrkräfte erhalten, die ihm unentbehrlich jchienen, und gewann zugleich die
unmittelbare Leitung des Unterrichts und die Verwaltung der Einkünfte: Ordens:
general war jet der König oder fein jchlefiicher Juftizminifter. Umfang und
Bedeutung der Neuordnung hat der König in dem Kabinetsbefehl, dur den er
den jchlefifhen modus vivendi auf Weftpreußen ausdehnte, ſcharf umſchrieben:
„Ihre Bezeichnung als Jeſuiten, ebenjo wie ihr Habit, find Dinge, bie ich gern
dem Willen des Papftes opfern fann. Aber für das Wejentlihe muß ihr Inſtitut
intakt bleiben und auf demjelben Fuße wie in Schlefien.”
Er war aljo mit dem Ergebnis jehr zufrieden. Einen neuen Erfolg über
die Kurie hatte er einige Jahre fpäter zu verzeichnen; fie wid auf dem viel:
umftrittenen Gebiet der gemijchten Ehen einen weiteren Schritt zurüd.
Die Haltung der Fatholifchen Kirche gegenüber den Ehen zwiſchen Katholiken
und Proteftanten war in jenem Jahrhundert nachſichtig. Man jegte folchen Ver:
bindungen in Gegenden, wo nad) der furialen Sprachweiſe die Ketzerei ungeftraft
graffierte, eine Schwierigkeit faum entgegen; die Biſchöfe von Breslau erteilten
den Dispens für das Chehindernis verjchiedener Religion, ohne Anfrage bei der
Kurie und ohne auf die Zujage katholiſcher Kindererziehung zu beftehen; man
fügte fih dem von Staats wegen aufgeitellten Grundiage, daß die Söhne aus
gemischten Ehen der väterlichen Konfeflion, bie Töchter der mütterlichen zu folgen
hatten. Nur wenn bei Mifchehen noch das bejondere Hindernis fanonifh un—
erlaubten Verwandtichaftsgrabes vorlag, ergaben ſich Anftände zwiſchen der Kirche
und der Staatögewalt. Benebift XIV. hatte der bifchöflihen Entſcheidung aud
in diefer Beziehung Spielraum gelajjen; Klemens XIV. und Pius VI ftellten
fih indes auf den Standpunkt, daß ein Dispens a gradibus nur vom Papft
felber und nur dann gewährt werden könne, wenn der nichtfatholifche Teil vor
ber Eheſchließung feinen Mebertritt erkläre. Darin jah die preußiiche Regierung
den Berfuch der Projelytenmadjerei, eine Schädigung der Religionsfreiheit. Nach
längerer Verhandlung wirkte endlich die Drohung des Königs, daß er in jolden
Fällen, bei fortgejegter Weigerung der geiftlihen Behörde, die Brautleute durch
einen proteftantiihen Pfarrer trauen laffen werde. Der Papſt ließ ſich 1777
herbei, dem Breslauer Weihbiſchof eine bedingte Vollmaht für Dispenfe zu
geben, die er felbft, wie er erflärte, wohl duldenden, obgleich unmwilligen Geiftes
ertragen, nicht aber durch einen Akt feiner Autorität gutheißen könne. Ausbrüd:
lih aber hat Pius VI. bei diefem Anlaß mit warmen Lobeserhebungen die ben
preußiihen Katholiten gewährte jhirmende Huld anerkannt.
Bald jollte fich diefer Papft dem preußiichen Könige noch zu größerem
Dank verpflichtet jehen. Auch für ihn famen die Tage der Heimjuhung, wie
für feine beiden Vorgänger. In Defterreih ſchob Joſeph II. die Grenzen der
Staatögewalt gegen das geiftliche Gebiet weit vor und begann jein Säkulari—
ſationswerk, das die Zahl der Klöfter und das Beligtum der verſchont gebliebenen
jo gewaltig beichräntte. Vergebens entihloß fi der Papit, „ver Abt aus dem
Süden”, wie man in Wien jpottete, zu einem Bittgang nah Wien, der Kaiſer
hielt auf dem einmal betretenen Wege nit ein. „Wenn Brashi unfehlbar
wäre,” hatte König Friedrich vorausgefagt, „jo würde er nidht die Dummheit
begehen, einen ebenjo unnügen wie unpafjenden Schritt zu thun.“ Man müßte,
954 Neuntes Buch. Zweiter Abfchnitt.
meinte er, um Friedrich II. und Heinrich IV. zu rächen, dem Papſt in Wien
einen Empfang bereiten, wie einft dem Kaiſer zu Ganojja: „Rom, das herriſche
Rom, unterliegt feinen auffälligen Kindern, die ihm den Gehorfam verweigern,
die Kuttenträger entkloftern, ihre Güter fih aneignen und das Joch bes Fege—
feuers frech abſchütteln, und allerorten fchreien die Keter: wir haben es ja
gefagt, daf die babylonifhe Dirne nicht unfehlbar iſt!“
In feiner Eigenſchaft als Keker, die er gern betonte, mit dem Niedergang
des Papfttums, der Demütigung des „Vicegotts von den fieben Bergen” nicht
unzufrieden, wußte er als Politifer alsbald diefen Vorgängen einen Vorteil nad
der entgegengejegten Seite abzugewinnen. Für die endgültige Befeitigung der
preußiſchen Herrihaft in Schlefien konnte nichts ihm mwilllommener fein, als die
Drangjale des Klerus in dem fatholiihen Nahbarreihe, über deſſen Grenzen
viele der ſchleſiſchen Katholiten noch immer hinausgeihaut hatten. Jetzt endlich,
nad vierzig Jahren, wurden auch fie innerlich für Preußen gewonnen, als der
König am 26. Auguft 1782 bei feinem Beſuch in Breslau durch den Weihbifchof
der gefamten Geiftlichkeit befannt geben ließ, daß fein Stift oder Klofter eine
Mehrbelaftung oder gar die Aufhebung zu befürchten haben folle, „jolange fie
fih wie treue und reblich gefinnte Untertbanen verhielten“. Mit aufrichtiger
Freude befannte der Weihbifchof in feinem alsbald erlafjenen Hirtenbriefe: „Fit
mir mein bijchöfliches Amt je jüß und leicht vorgefommen, jo ift e& gewiß in dem
Augenblid, wo ich infonderheit denen jämtlihen Stiftern und Klöftern dieſe
väterliden Gefinnungen Seiner Königliden Majeftät verkünden fann.”
: So waren die fonfeffionellen Gegenjäge in Schleſien zu Ausgang der
Regierung des eriten preußifhen Herrſchers ausgegliden. Alle Schlefier, ob
evangeliich oder fatholiid, waren gute Preußen geworden.
Den evangelifchen Kirchengemeinichaften gegenüber bot fich der Staatögewalt
nur jehr jelten Anlaß zum Eingreifen. Die Zeiten waren vorüber, da ber
reformierte Landesherr mit dem Mißtrauen und Uebelwollen der Lutheraner zu
fämpfen gehabt hatte. Auch war es nicht mehr nötig, zwijchen den beiden
proteftantiihen Kirchen häuslihen Frieden zu gebieten; die einft jo beliebten
Kontroverspredigten über die Unterfcheidungslehren famen immer mehr in Ab:
nahme, wie überhaupt das Schelten und Poltern auf der Kanzel. Die Geift:
lichkeit im pommerfchen Stargard zog fi 1749 einen ſcharfen Verweis aus dem
Kabinet zu, als es noch einmal vorgefommen war, daß Gemeindemitglieder wegen
ihrer freien Richtung öffentlich in ber Kirche geiholten und im Tode vom Friedhof
ausgejchloffen wurden. Auch innerhalb des geiftlihen Standes ließ man den
freifinnigen, ja freigeiftigen Köpfen weiten Spielraum. Eine Beſchwerde des
oſtpreußiſchen Konfiftoriums über eine Abhandlung des Königsberger Oberhof:
predigers und Generaljuperintendenten Stark, ber zugleih Profeſſor an der
Albertina war, wurde 1776 als „Kegerflage” abgewiejen, da der Verfaſſer das,
„was er einem gelehrten Publikum zur Erwedung weiteren Nachdenkens als
Shriftfteller jage”, von dem zu ſcheiden willen werde, „was von ihm als Prediger
jeiner Gemeinde zu lehren nüglich jei”. Das Berliner Oberfonfiitorium be=
anftandete einige Jahre fpäter die „Sittenlehre für alle Menſchen ohne Unter:
ſchied der Religion” von jenem märkiſchen Prediger Schulz, der zum Entjegen
Juſtizpflege und Kirchenpolitif; Landrecht und Staatsiorm. 555
der Zionswächter als der erite mit dem Zopf ftatt in der Perüde die Kanzel
beftieg. Nun hatte dieſer Verfafler an des Königs Abhandlung „Ueber die
Selbftliebe ald Grundfag der Moral” angefnüpft, und als Friedrich dem „Zopf:
ſchulzen“ in einem Kabinetsfchreiben vom 5. Dezember 1783 feinen Danf dafür
ausſprach „daß Ihr in Eurer GSittenlehre Meinen vorgezeihneten Plan weiter
auszuführen gejucht habt”, da mußte die geiftliche Behörde wohl oder übel den
Rüdzug antreten. Ja, der Minifter Zeblig erhob die volle Ungebundenheit des
firhlihen Lehramts zum Grundjag, wenn er als rejoluter Jünger der Auf:
Härung bei diejem Anlaß ausdrüdlich erflärte, da das Konfiftorium nur darüber
zu wachen habe, ob der Seeljorger feine Gemeindeglieder zu gutgefinnten Menſchen
bilde und mit eigenem guten Wandel ihnen vorangehe.
Andererjeits wollte der König jeitens der Geiftlihen alles vermieden jehen,
was bei ihren Pfarrkindern Anftoß erregen, altüberlieferte und eingewurzelte An:
Ihauungen, auch wenn es jeiner eignen Meinung nad Vorurteile waren, verlegen
fonnte. Als 1781 in der Hauptitadt die Geiftlichfeit im Einverftändnis mit dem
Konfiftorium ein neues Geſangbuch einführte, baten vier Berliner Gemeinden
den König, fie in ihrer freien Religionsübung gegen die jchriftwidrigen Neuerer,
die ſich klüger dünkten ala die Apoſtel und Luther, huldreichit zu ſchützen. Der
König antwortete ihnen, dab er es fi zum unveränderlichen Geſetz gemacht
habe, jedem Unterthanen völlige Freiheit zu laffen „zu glauben und feinen Gottes:
dienst zu halten wie er will, nur daß feine Lehrfäge und Religionsübungen weder
der Ruhe des Staats, noch den guten Sitten nadteilig jein müſſen“. So jolle
auch in Anfehung des Katehismus und des Geſangbuchs fein Zwang herrichen.
Allerdings gab der Schluß des Beſcheides der frommen Einfalt zu veritehen,
daß vermutlich das neue Geſangbuch veritändlicher, vernünftiger und dem wahren
Gottesdienft angemefjener fein werde, weil jo viele andere Gemeinden ihm den
Vorzug gegeben hätten. Und in einer eigenhändigen Nachſchrift vermochte der
Monarh zum großen Schmerz der glaubenseifrigen Bittiteller den Spott nidt
zu unterbrüden, es ftehe einem jeden frei zu fingen: „Nun ruhen alle Wälder
und bergleihen dbummes und thörichtes Zeug mehr.” Jetzt brauchten fie für
den Spott nicht zu forgen:
Er ließ uns alle Freiheit, ſelbſt
Die Freiheit, dumm zu fein!
verfündete der Welt Friedrichs alter Bewunderer Gleim. Bald darauf begann in
zwei anderen Gemeinden berjelbe Streit um das Gejfangbud, und diesmal erklärte
fih der König noch entjchiedener für die orthodoren Gemeindemitglieder und
gegen die rationaliftifche Geiftlichfeit: „die Herren Priefter oder Kathederredner,
wer fie find, haben nichts zu befehlen, fondern nur an Chriſti Statt zu bitten,
d. h. ſchriftmäßig, nicht als die über das Volk herrſchen.“ Seinen eigenen
Summepifjfopat, wie es jein zweiter Nachfolger gethan hat, zur Einführung
liturgiſcher Neuerungen zu benußen, hätte ihm völlig fern gelegen.
So wollte er auch bei der Wahl der Pfarrer die Wünſche der Gemeinden
möglichft beachtet jehen. „Gute Mores ift das erfte vor einem Dorfpriefter, und
wenn er den Bauern gefällt, jo muß man fie nit dhicanieren,” lautete eine
556 Neuntes Buch. Zweiter Abfchnitt.
feiner Entjheidungen, und biefes jein „bei Predigerwahlfahen den Gemeinden
feine Chicanen machen!“ hat er den Behörden unzählige Male eingejhärft.
Den ESeltierern gegenüber wurbe das Verfahren beobachtet, dag man fie
als Zumanderer willlommen hieß und da, wo fie bereits angejeflen waren,
anerfannte, daß man aber ihrer Propaganda fteuerte und deshalb Profelyten
von den der Stammgemeinde erteilten Rechten ausihloß. Die 18 Mennoniten:
gemeinden, die man in Weftpreußen vorfand, durften fih von der Wehrpflicht
mit Geld ablöfen. Den vordem aus Polen nad Preußiſch-Littauen geflüchteten
Antitrinitariern erlaubte der König 1776, ihrem Bethaus die Geftalt einer Kirche
zu geben. Schleſien öffnete fid) nad der preußiihen Befigergreifung Schwenk:
feldern und Hufiten. Die Herrnhuter, dem Könige wegen ihrer ſchwärmeriſchen
Richtung perſönlich widerwärtig — eine mijerable Sekte hat er fie genannt —
erfreuten fih auf ihren Niederlaffungen in Schleſien und in und bei Berlin
ihrer drei im Lauf der Jahre erworbenen Generalfonzeifionen. Als ein paar
Herrnhuter in einem Mahnſchreiben den König zu befehren juchten, äußerte er:
„Man muß den Leuten höflich antworten, fie meinen es nur gut mit mir.“
Wenn er beim Regierungsantritt gejagt hatte, er werde Türfen und Heiden,
wenn fie das Land bevölkern wollten, Moſcheen bauen, jo bat er nad der Er:
werbung von Weitpreußen in der That eine Zeit lang fi darum bemüht, Tataren
als Anfiedler für die neue Provinz zu gewinnen.
Das Wort des alten Königs: „Ein jeder fann bei mir glauben, was er
will, wenn er nur ehrlich ift,“ hat in der Geſetzesſprache des Allgemeinen Land:
rechts die Prägung erhalten: „Jedem Einwohner im Staate muß eine voll:
fommene Glaubens: und Gewifiensfreiheit gewahrt bleiben.” Ganz den Grund:
fägen Friedrichs entſprachen aber auch die kirchenpolitiſchen Schugmwehren, mit
denen ber Staat fi) umgab, indem das Landrecht jede Kirchengemeinichaft ver:
pflichtete, ihren Mitgliedern neben der Ehrfurcht gegen die Gottheit „Gehorſam
gegen die Gefege, Treue gegen den Staat und fittlih gute Gefinnungen gegen
ihre Mitbürger einzuflößen”, und indem andererjeits das Recht, dem zumiber:
laufende Religionsgrundjäße zu verwerfen und an der Ausbreitung zu verhindern,
ausichließlich dem Staate vorbehalten wurde.
Und jo begegnen wir auf Schritt und Tritt in den das Gebiet des all-
gemeinen Staatsredhts berührenden Abjchnitten des Landrechts den von Friedrich
aufgeltelten und angewandten Regierungsmarimen. Wir fennen bereits das
Ideal des fridericianifchen Ständeftaates: wie in dem alten Preußen, nachdem
der Abjolutismus mit den politiichen Ansprüchen des Ständetums auf Mitregierung
gründlich aufgeräumt hatte, doch die Gliederung der Gejellihaft eine ftändifche
geblieben war; wie Geburtsftände mit den Berufs: und Erwerbsftänden ſich deden
follten; wie jedem Stand fein Pla angemiefen, fein Wirfungsfreis jharf abs
gegrenzt, feine Leiftungen für das Gemeinwejen genau vorgejchrieben waren;
wie zwiihen Stabt und Land eine tiefe Kluft lag; wie der ländlihe Beſitz in
feinem Beſtand erhalten bleiben ſollte und wieder der bäuerliche und ber adelige
Befig jeder in dem feinen; wie aljo der Bauernftand in jeinem Beſitz geihüsgt
Juſtizpflege und Kirchenpolitif; Landrecht und Staatäform. 557
wurde gegen das Bauernlegen ber Herren und ber ritterichaftlihe Beſitz ab:
geiperrt wurbe gegen die Anziehungskraft des bürgerlichen Kapitals; wie ber
Bürgerftand mit feinen ſchnell fi vermehrenden Mitteln immer wieder auf
Induftrie und Handel, womöglich Großhandel, hingewiejfen wurde; wie bies
Steuerwefen und das Heerwejen durchaus dieſe ftändiihe Gliederung voraus:
jegten; wie der eigentliche Kern der Truppen der Bauernftand, und bie Subftanz
bes Dffiziercorps der Abel war; wie man den Grundfat der allgemeinen Wehr:
pfliht der ftädtiichen Induſtrie zuliebe durchbrochen hatte. Diefer altüberlieferten,
und duch die Verwaltungskunſt des modernen Abjolutismus jorgiam gepflegten
und planvoll ausgebildeten ſtändiſchen Gejellihaftsorbnung, dieſem mwohldurd;
daten „Syftem politiicher Arbeitsteilung”, von dem treffend gefprochen worden
it, hat das Landrecht gleihjam den Schlußftein eingefügt, die gefeglihe An—
erfennung verliehen und damit Ausfiht und gewiffermaßen Anſpruch auf dauernde
Gültigkeit gegeben — und das in dem Augenblide, da in Franfreih der Baum
des Feubalismus mit Stumpf und Stiel ausgerottet wurde. „Perjonen, welchen
vermöge ihrer Geburt, Beitimmung oder Hauptbefchäftigung gleiche Rechte in
der bürgerlichen Gejellihaft beigelegt find, machen zufammen einen Stand des
Staates aus,” jo lautet einer der erften Paragraphen des Landrechts, und auch
die äußere Anordnung des Stoffes hat fich diefem ftändifchen Prinzip anbequemen
müſſen, in der Aneinanderreihung der Titel des zweiten Buches: „Vom Bauern:
flande”, „Vom Bürgerftande”, „Bon den Rechten und Pflichten des Adelftandes“,
wo nun das ganze Handels-, Wechſel-, See: und Verſicherungsrecht ſich gefallen
laffen mußte, in den Titel „Vom Bürgerftande” eingezwängt zu werben. Wird
doh auch, wieder ganz in Friedrichs Sinne, dem Adel, dem „erften Stande” aus:
drüdlich die vorzügliche Berechtigung zu den Ehrenftellen im Staate zugeiprocdhen, !)
allerdings unter der Borausfegung, daß er fih dazu geſchickt gemacht habe,
und unter dem Vorbehalt, daß dem Landesherren die Beurteilung der Tüchtig:
feit und die Auswahl unter mehreren Bewerbern unbenommen fein folle.
Um jo moderner klingt daneben jene Beftimmung, auf die fi 100 Jahre
jpäter der große Bahnbreder unjerer heutigen jozialpolitiihen Gejeggebung be:
rufen bat: die Verkündigung des Rechtes auf Arbeit. Nachdem die Verpflichtung
des Staates zur Ernährung und Verpflegung derjenigen Bürger ausgejproden
ift, „die fih ihren Unterhalt nicht jelbft verichaffen können”, fährt das Land:
recht fort: „Diejenigen, welden es nur an Mitteln und Gelegenheit, ihren und
der Ihrigen Unterhalt felbft zu verdienen, ermangelt, ſollen Arbeiten, die ihren
Kräften und Fähigkeiten gemäß find, angewieſen werden.” Friedrich hat das
große Problem nicht als ſchwierig betradtet. Der Behauptung des radikalen
Holbach, daß das Elend die Urſache der meilten Verbrechen fei, bielt er die
Worte entgegen: „Es gibt fein Land, wo jeder, der nicht faul oder nichtsnugig
ift, durch feine Arbeit nicht genügenden Lebensunterhalt fände.” Einer ver:
bungernden Familie würde er das Recht auf Diebftahl zugeftehen.
Friedrih hat die Aufgabe des Arbeiterfhuges mit Erfolg in Angriff ge:
nommen durch Neuordnung des Verhältniſſes zwiſchen den induftriellen Unter:
’) Bgl. oben S. 393; Bd. I, 360.
558 Neuntes Buch. Zweiter Abfchnitt.
nehmern und ben Arbeitern, das einer fcharfen, jenen ebenfo läftigen wie diejen
nützlichen Staatsauffiht unterworfen wurde, um ſowohl ausbeuteriijhem Drud
auf die Löhne wie willfürlichen Entlaffungen einen Riegel vorzuſchieben. Damit
und mit gelegentliher Veranftaltung von Rotitandsarbeiten war bei der niedrigen
Bevölferungsziffer und bei den einfacheren wirtichaftlihen Verhältniffen jener
Zeit ſchon viel erreicht.
In einer Richtung aber find die Verfaſſer des Allgemeinen Landrechts
von den Pfaden ihres Herrn und Meifters abgewichen.
Das liberale preußiihe Beamtentum aus Friedrichs Schule hatte nod)
einen anderen Lehrgang durchgemacht. Man befannte fi zu Montesquieu, zu
dem „Geift der Gefege”, zu dem Grundfag von der Teilung der Gemwalten.
Sparez hat 1791 als Lehrer des damaligen Kronprinzen, des jpäteren Königs
Friedrih Wilhelm III., den Grundfag aufgeftellt und als die Schutzwehr der
bürgerlien freiheit eines preußifchen Unterthanen bezeichnet, daß der Souverän,
der Träger der ganzen gejeßgebenden Gewalt des Staates, nicht auch die richter:
lihe Gewalt an ſich nehmen dürfe. Er hat gleichzeitig in einem vor der Berliner
Mittwochsgejelichaft gehaltenen Vortrag feinem allgemeinen Gejegbudh die Auf:
gabe zugewiejen, in einem Staat ohne Grundverfaſſung eine joldhe gewiſſer—
maßen zu erjfegen. Auch Kircheiſen, der Präfident des Kammergerichts unter
Friedrich Wilhelm IL, bekannte fih zu dem Montesquieufchen Sage, daß der
Fürft wohl in deſpotiſchen, aber nicht in monardiihen Staaten richten dürfe,
weil jonft die „Verfaſſung“ zerftört und eine notwendige „Mittelgewalt” auf:
gehoben würde. So ganz nahmen diefe preußijchen Juriften für ihre Tribunale
die Stellung jener „intermediären Gewalten” Montesquieus in Anſpruch, die
Stellung, um melde bie höchften Gerichtshöfe des alten Franfreihs, die Parla:
mente, unter Zubwig XV. jo hartnädig gefämpft haben. „Es ift beinahe, als
ob fie eine Art von Parlament vorjtellen wollten,” jo hat Friedrich Wilhelm II.
ſolche Anſprüche ganz richtig gefennzeihnet. Auch von anderer Seite wurden
fie abfällig beurteilt. Der Minifter Hergberg erklärte noch bei Friedrichs Leb—
zeiten in einer feiner akademiſchen Feſtreden, daß er in Provinzialftänden ge:
eignetere „intermebiäre Körperfhajten” jehen würde, als in Juſtizkollegien.
Der Kampf der Meinungen unter der Regierung Friedrih Wilhelms II.
bat dann bekanntlich dahin geführt, daß der Paragraph, welcher „Machtſprüche“
der „oberften Gewalt” vorweg als null und nichtig erklärte, vor der Einführung
des Allgemeinen Landrechts aus dem Entwurf entfernt wurde. Immerhin blieb
dem Landrecht noch jo viel an allgemeinen Beltimmungen über Wejen und
Grenzen der Staatsgewalt, daß nachmals der geiitvolle Kritiker der franzöfiichen
Revolution, Aleris de Tocqueville, das Werf von Carmer und Svarez als eine
Schöpfung bezeichnen durfte, die zugleich bürgerliches Gejegbuh, Straffoder und
Verfafjungsurfunde ſei. Volftändig zutreffend aber hat 1793 ein Gegner jener
beiden Männer, der fchlefifche Juftizminifter Adolf v. Dandelman, gegen fie
geltend gemacht, daß Friedrih der Große, auf den fie fih bei ihrem quaſi—
fonftitutionellen Beftreben gern beriefen, fein Eideshelfer für fie jei; denn Friedrich
habe zwar die Mängel des Juſtizweſens bejeitigen wollen, aber nicht entfernt
daran gedacht, dab in dem neuen Geſetzbuche von jeinen landesherrlihen Befug—
Juſtizpflege und Kirchenpolitik; Landrecht und Staatäforn. 559
niffen oder gar von jeinen Berbindlichfeiten die Rede jein werde, „von denen
legteren er glaubte, daß er auf Erden niemandem Rechenſchaft ſchuldig fei, noch
nötig habe, durch eine Erklärung derjelben gleihlam eine neue Verbindlichkeit
zu fontrahieren.”
Friedrich hat fich über die Modetheorie des Jahrhunderts, über Lockes dur
Montesquieu weitergebildete und populär gemachte Lehre von der Gemalten:
teilung, nie vernehmen laſſen. Nur indirekt hatte er ihr mit feinem ungünftigen
Urteil über die Wirkungen des engliihen Parlamentarismus feine Anerkennung
verjagt.') Die wiederholt von ihm ausgeiprodhene Forderung, daß alle Zweige
der Staatsverwaltung in ftarfer Hand feſt zufammenzubalten jeien, enthält eine
Kritik nicht der Lehre Montesquieus, jondern der Zerfahrenheit, in der fich die
monarchiſche Verwaltung des gealterten Frankreichs befand. Inzwiſchen war
dort die politifche Theorie über Montesquieu weit hinausgegangen. Rouſſeaus
Contrat social übte auf das junge Geſchlecht einen berüdenden Zauber aus.
Auch mit diefer Lehre hat fi Friedrih nicht unmittelbar auseinandergejegt;
aber zu den fortgejegten Angriffen der modernen Philoſophen auf die monarchiſche
Staatsform hat der „Philofoph auf dem Throne” doch nicht ftillefhmweigen
wollen.
Sein pofitives Bekenntnis enthält der 1777 entftandene „Essai sur les
formes de gouvernement et sur les devoirs des souverains“. Wohl in Anflang
an Rouſſeau braucht er bier wiederholt den Ausdrud pacte social, eine früher
ihm fremde Bezeihnung für einen längft ihm geläufigen Begriff. Denn mit der
ganzen naturrechtlihen Schule der vorangegangenen Jahrhunderte hatte ſchon der
Kronprinz Friedrih im Antimahiavell die Entitehung des Staates aus einem
Vertrage der Mitglieder angenommen. An biefer Auffaflung, die ein Sparez
fritifher nur als bequeme philojophifche Hypotheſe, nicht als biftorifchen Er:
fahrungsfag gelten laſſen wollte, hält der alte König ohne Vorbehalt feit. Das
Prinzip der Gefege und des Gejellihaftsvertrages ift ihm „die große Wahrheit,
daß man gegen die anderen jo handeln muß; wie man wünſcht, daß fie gegen
uns handeln“. „Da die Gejehe nicht beitehen und fich nicht vollziehen Fönnen
ohne eine beitändige Aufſicht, jo entftanden die Obrigfeiten, die das Volf er:
wählte und denen es fi unterwarf” — die Aufrechterhaltung der Geſetze er:
icheint ihm als „der einzige Grund, der die Menſchen veranlaßte, ſich Obere
zu geben”, als der „wahre Urjprung der Souveränetät“. Der Verfaſſer ſchildert
dann an hiftorifhen Beifpielen ben aus der Unvolfommenheit der menſchlichen
Einridtungen herrührenden Verfall jo vieler Staatsgebilde: den Untergang der
antiken Ariftofratien und Demofratien, wobei er dem freien England mit jeiner
parlamentarijhen Korruption, das er noch fchärfer beurteilt als 1748, das Schidjal
der römiſchen Republif vorausfagt; die Wandlungen der mittelalterlihen Feudal-
monardie, die uns in Polen „das einzige Modell ihrer abſcheulichen Regierungs:
form“ aufbewahrt habe, während anderwärts in dem Ringen um die entjcheidende
Gewalt die Vafallen entweder unterdbrüdt oder, wie im Deutjchen Reich, zur
Unabhängigkeit gelangt feien. Won der „wahrhaft monardiihen” Regierung
) Val. Bd. I, 344.
560 Neuntes Bud. Zweiter Abfchnitt.
— er meint die abjolute Monardie — jagt der abjolute König von Preußen
mit ber größten Unbefangenheit, es ſei bie jchlechtefte oder die beite von allen,
je nachdem fie geführt werde. Er gibt dann das „einzige Mittel” an, bie
monarchiſche Staatsform zu einer guten und vorteilhaften zu maden, indem er
ähnlih wie 30 Jahre früher in der poetiſchen „Apologie der Könige” ') ein
leuchtendes Bild entwirft von dem aufgeflärten Abjolutismus in jeiner all:
umfaflenden Thätigfeit für die einzelnen Gebiete des Staatswejens, Bolitif,
Diplomatie, Heerweien, Kriegsführung, Finanzverwaltung, Kultus und Wolfe:
erziehung, Landwirtſchaft, Induftrie, Handel. Wir erfennen alles in allem das
Seal feiner eigenen Regierungs: und Verwaltungskunſt. Auf daß der Fürſt
niemals von diejen feinen Pflihten abirre, ſoll er fi oft ins Gedächtnis rufen,
„daß er Menſch ift, wie der geringite feiner Unterthanen.” „Wenn er ber erite
Nichter, der erfte General, der erſte Schakbeamte, der erfte Minifter der Gemein:
ſchaft ift, jo ift er es nicht zur Schauftellung, jondern um die Pflichten diefer
Hemter zu erfüllen. Er ift nur der erite Diener des Staats, verpflichtet mit
Rechtſchaffenheit, mit Weisheit und mit völliger Uneigennügigfeit zu handeln,
wie wenn er in jedem Augenblid feinen Mitbürgern Rechenſchaft über feine
Verwaltung ablegen müßte.” Er geiteht zum Schluß, daß dieſe Skizze eines
Fürften die Zenforen vielleicht erinnern werde an den Urtypus der Stoifer, an
die von ihnen ausgeflügelte und nirgends in die Erſcheinung getretene Idee des
Weijen, der allenfalls der einzige Marc Aurel fi angenäbert habe.
Zur Abwehr einzelner bejonders leidenſchaftlicher und gehäffiger Angriffe
gegen das Königtum erhebt fich Friedrich in den Kritiken, die er im Jahre 1770
zwei anonymen Schriften bes frivoliten aller Barijer Modephilojophen entgegen:
gejegt bat, dem Essai sur les prejuges und dem berufenen Systeme de la
nature des Baron Holbach. In feiner Kritif des „Essai* gibt Friedrih eine
Pofition ohne weiteres auf: er will mit feinem Gegner nicht ftreiten, wenn biejer
Königsfeind verfichert, daß die Fürften ihre Macht nicht durch göttliche Verleihung
haben. Um ſo nachdrücklicher wendet ſich die Kritif gegen die Anflage, daß die
Fürften die Schlädhter ihrer Unterthanen feien und zum Zeitvertreib fie in ihren
Kriegen fich gegenfeitig erwürgen ließen. Friedrich antwortet einfah, daß bie
Republifen aller Zeiten ebenſowohl Kriege geführt haben, als die Monardien,
und daß nad des Verfaflers Grundfägen alle ftaatlihen Gemeinſchaften, mit
einziger Ausnahme der Quäfer, als tyranniich verjchrieen werden müßten. Den
Kern aber der Tendenzen, welche die ganze Gruppe der modernen „Monarcho:
machen” erfüllten, ſchält die zweite Kritik fharf heraus, das Examen du systeme
de la nature: jeine wahren Anfichten über Regierung, jagt Friedrich, enthülle der
Verfafjer, indem er für die Unterthanen das Necht fordere, ihre Souveräne
abzujegen, wenn fie mit ihnen unzufrieden feien.
Diefen aus dem Ideenkreis des Jahrhunderts der religiöjen Bürgerfriege
durh Jean Jacques Rouffeau mwiederaufgenommenen Anſpruch weilt der könig—
liche Schriftfteller weit ab; vom Staatsvertrag ausgehend, betrachtet er doch
den einmal geichloflenen Vertrag ſtillſchweigend als unlöslih, unfündbar, den
)8b.1, 311 (2. Aufl. ©. 312).
Juſtizpflege und Kirchenpolitik; Landrecht und Staatäform. 561
der Staatsgewalt, dem Souverän, dem erjten Diener des Staats erteilten Auf:
trag als unbedingt und unmiberruflih. Zwiſchen Fürft und Volk befteht nad
Friedrichs Theorie fein Dualismus, fondern Identität. Ebenjomwenig hatten vor
ihm jeine Landsleute, die deutihen Theoretifer des Naturrechts, die Pufendorf,
Thomafius, Wolff, von frangöfifchen und englifchen Doktrinen abweichend, dem
Untertanen das Recht des aktiven oder auch nur pafliven Widerftands zu:
geitehen wollen. So fehr Friebrid dem Fürſten das Gefühl der Verantwort:
lichkeit zur Pliht macht, fo gar nicht räumt er dem Boll das Recht ein,
Verantwortung zu heifhen. Wohl ſprach num der Göttinger Publizift Pütter 1779
in jeiner politiſchen Zeitfchrift von „Warianten in ber politiichen Terminologie“,
indem er das dem vierzehnten Ludwig zugefchriebene „L’Etat c'est moi* mit dem
Wort vom „premier serviteur de l’Etat“ verglid, das man in den Werfen des
Königs von Preußen fand. Aber in dem Anfpruch auf fürftlihe VBollgewalt, in
der Ablehnung eines Anteils der Unterthanen an der Regierung, unterſchied ſich
Friedrichs aufgeflärter Abfolutismus von dem Negierungsiyitem Ludwigs XIV.
nit. „Die Politik verlangt, daß nur ein Herr im Lande ei,” dies Wort aus
Friedrichs erften Regierungstagen bat ihn durch fein ganzes Leben begleitet.
Monarchie und Abjolutismus blieben ihm ftets, wie in den Königsberger Huldi—
gungstagen von 1740,') gleichgeltende Begriffe.
Wenn Friedrich bei jeinen theoretiſchen Erörterungen die Abftufungen ber
Staatsform, die zwilhen dem monardiihen Abjolutismus und der reinen
Demokratie liegen, außer Betradht gelaffen hat, jo hat er den Apofteln der
Volfsjouveränetät in jener Kritif der Holbachſchen Schrift das ungefähr voraus:
gejagt, was bald darauf in frankreich fich ereignete: daß die Abjegung eines
Monarden der Ausgangspunft unabjehbarer innerer Unruhen fein wird, „Wenn
je die hohlen Ideen unjeres Philoſophen ſich verwirklichen jollen, jo müßte man
zuvor die Regierungsformen in allen europäifchen Staaten umjchmelzen, was
ihm freilich eine Kleinigkeit erfcheint; auch wäre erforderlih, was mir unmöglich
ericheint, daß dieje zu Richtern ihres Herrn erhobenen Unterthanen fomohl weiſe
wie billig wären, daß die Bewerber um die Regierung ohne Ehrgeiz wären, daß
weder Intrigue noch Kabale noch der Geiſt der Auflehnung ſich geltend machten;
erforderlich wäre weiter, daß die entthronte Dynaftie völlig ausgerottet würde,
oder man würde den Nährftoff zu Bürgerfriegen und Parteihäupter haben, die
itetS bereit wären, an der Spitze der Parteien den Staat in Unruhe zu ftürzen.”
Im Vergleih mit all diejen Unzuträglichfeiten nennt Friedrih die Erbmonardie,
für welche die meiften Völker ſich entſchieden hätten, das kleinere Uebel, troß
ihrer Gebreden; und er warnt vor den Arzneien, die jchlimmer find als die
Schäden, über die man fich beflagt.
Die Abwehr der Angriffe gegen das Königtum ift nur die eine Seite der
Kritik, die Friedrih an das „Systeme de la nature* anlegte. Durchweg zog
er in jeiner Gegenfchrift, wie wir weiter jehen werben, jcharf die Grenze zwifchen
ih, als dem Jünger der älteren Aufllärungsphilofopbie, und den Trägern ber
modernen franzöfiichen Bildung, den Encyklopäbdiften.
') Bat. Bb. 1, 31.
Kojer, Aönig Friedrich der Wroße. II. 2. Aufl. 36
Dritter Abichnitt.
Der alte König und die neue Bildunn.
26 Jahre hindurch gemieden hatte, der Cinfiedler von Ferney. Der
König von Preußen erhielt die Nachricht von Voltaire Tode inmitten
der legten Vorbereitungen für feinen Krieg gegen den Kaiſer. Im böhmijchen
Feldlager entwarf er die Gedäcdhtnisrede, die er am 26. November in der Berliner
Akademie verlefen lief. Mit dem Gejchichtichreiber des Sieele de Louis XIV
war ihm ber legte Vertreter diefer klaſſiſchen Litteraturperiode Frankreichs dahin:
gegangen. „Mit Ihnen wird man den franzöfiihen Parnaß begraben“, hatte
er vor fünf Jahren nad Ferney gejchrieben.
Nah dem fhroffen Bruch von 1753 Hatte Voltaire im Siebenjährigen
Kriege durch feine ebenſo geſchäftige wie unfruchtbare Vermittlerthätigkeit zwilchen
den fämpfenden Mächten mwenigitens für ſich perfönlic den Frieden mit dem
großen Könige wiederhergeſtellt.) Freilich nur äußerlib. Ihr Briefwechſel ftodte
noch wiederholt, ganze Jahre vergingen, in denen von beiden Seiten Stillſchweigen
beobadtet wurde. Friedrich blieb mißtrauiih, Voltaire ingrimmig. Er bielt
daran feit, daß die rohe Behandlung, der er und feine Nichte in Frankfurt
ausgejeßt gewejen waren, Sühne erheifche, und verlangte fie in mehr oder minder
durchfichtigen Andeutungen. Friedrich wies ſolchen Anſpruch mit Schärfe zurüd
und verbat fih mit Hohn, diefe Nichte noch weiter genannt zu hören, die ihn
langweile und die nicht das Verdienft ihres Oheims befige, um ihre Fehler damit
zuzudeden: „Man ſpricht von der Magd Molieres, aber niemals wird man von
der Nichte Voltaires ſprechen.“
Tod Voltaire jollte nicht ewig grollen. Schließlich hat eine Kleinigkeit,
wenn man will ein Zufall, fein Herz erweicht. Im Jahre 1770 vereinigten ſich
jeine Freunde und Verehrer in Franfreih, um dem unbeftritten erften aller
lebenden Schriftiteller noch bei feinen Lebzeiten ein Standbild zu errichten. In
— — — — — *
) Bgl. oben S. 122. 150. 245. 281; Bb. I, 523 fi.
9: 30. Mai 1778 ftarb als Gaft in jeiner Vaterſtadt Paris, die er
Der alte König und die neue Bildung. 563
ben Plan eingeweiht, verlangte der zu Feiernde zuerft in einem ſcherzenden unb
dann in einem recht nadhbrüdlichen Briefe an d'Alembert, daß der König von
Preußen zu der Huldigung heranzuziehen fei: „Er ſchuldet mir ohne Frage eine
Ehrenerflärung, als König, als Philofoph, als Litterat.” D’Alembert forderte
nad einigem Zaubern den König zur Teilnahme auf: „Einen Thaler und Ihren
Name, Sire,” lautete die Bitte. Friedrich ging mit aufrichtiger Freude und der
größten Unbefangenheit auf den Wunſch ein, ohne zu ahnen, welche geheime
Bedeutung fein Jamwort für den „Göttlichen” hatte. Er ſchickte taufend Thaler
und ein warmes Zuftimmungsichreiben, das d’Alembert in öffentliher Sitzung
der franzöſiſchen Akademie vorlas und protofollieren ließ: „Das ſchönſte Denkmal
Voltaires”, jo hieß es im Eingang mit horazifhem Anklang, „ift das, welches
er fich felbft errichtet hat, feine Werfe, die länger dauern werden, als bie Bafilifa
von St. Peter, als der Louvre und alle diefe Bauten, welche die menjchliche
Eitelkeit der Ewigkeit weiht. Man wird nicht mehr franzöfifh ſprechen, und
Voltaire wird noch in die Sprade, die der franzöfiichen folgen wird, überjegt
werden.” Nun war Voltaire befriedigt, beglüct, gerührt. Er dankte dem „großen
Philojophen von der Sekte und der Art Marc Aurels“, dem „Pfleger und Be:
Ihüger der Künfte” für die Förderung, die er der Anatomie durd) feine Unter:
ſchrift zu Gunften eines alten Sfeletts zu teil werden laffe: „Diejes Skelett
befigt eine alte, jehr empfängliche Seele, fie iſt durchdrungen von der Ehre, die
Eure Majeftät ihr erweiſt.“
Von der Bruft des Skeletts war ein Alp genommen. Der Ton feiner
Briefe an Friedrich wird jeit diefer Zeit fichtlih ungezwungener, wärmer und
voller, vergnüglider. Und die Schmähſchrift auf den Preußenkönig, die feit
Jahr und Tag in feinem Screine lag, erjegte Voltaire jetzt in einer neuen
autobiographiihen Aufzeihnung dur eine ruhigere Schilderung feiner Erlebniffe
und Erfahrungen mit Friebrih, ohne freilih für die Vernichtung des Schand-
denfmals zu jorgen, das dann bald nad des Verfaflers Tode, mehr ihm als
Friedrich zur Unehre, an das Licht trat. Ya, er verftand fich jet auch feiner-
jeitö zu einer Art „Reparation”, einem artig vermummten Sünbenbefenntnis.
In einem Brief vom Jahre 1772 erzählt er Friebrih, wie er wißbegierigen
Fragern feinen fo außerorbentlihen Fürften zu jchildern pflege: „Meine Herren,
das ift ein Mann, der mit berjelben Leichtigkeit eine Schlacht ſchlägt, wie eine
Oper ſchreibt; der alle Stunden nützlich anwendet, welche andere Fürſten ver:
geuden, um einem Hunde hinter dem Hiriche her zu folgen; der mehr Bücher
verfaßt hat, als irgend einer feiner fürjtlihen Zeitgenofien Baftarde erzeugte,
und der mehr Siege erfochten, als Bücher verfaßt hat. Hinzufügen werde ich,
daß ich diefes Phänomen vor 20 Jahren geihaut habe und es noch ſchauen
würde, wenn ich nicht ein Hein wenig unbejonnen geweſen wäre. Wenn Sie
erraten haben jollten, wer der Held it, von dem ich Sie unterhalte, jo haben
Sie die Güte, ihm meinen unterthänigften Reſpekt und die Bewunderung aus-
zubrüden, die er mir jeit dem Jahre 1736 eingeflößt hat, d. h. genau jeit
36 Jahren: nun, eine Anhänglichkeit von 36 Yahren ift feine Kleinigkeit.“
Friedrich antwortete, er denfe mit 60 Jahren ebenfo wie mit 24, und feine
aufrichtigen Gefinnungen grüben fi dank Boltaires Werfen ohne Unterlaß
964 Neuntes Bud. Dritter Abſchnitt.
tiefer in feine Bruft ein. Hatte er früher mehr als einmal dem von ihm be:
mwunderten Genius in harten Worten den Abftand zwiſchen feinem Geift und
feinem Charakter vorgehalten, jo unterbrüdte er von nun an diefe Moralpredigten.
Selbft wenn Boltaire ihn durch neue Sticheleien gegen den Lappländer Maupertuis
reiste — denn ber Kampf gegen bie „alte Ajche” des Tobfeindes wurde mit
heißem Haß fortgefegt — verwies ihm Friedrih dieſe Schwäche jegt nur in
mildem Ton: „Maupertuis war brüsf, ich gebe es zu, das hat Euch auseinander
gebradt; ich weiß nicht durch welches Verhängnis niemals zwei Franzojen in
fremden Landen ſich Freunde find.” ’) Offener ſprach er gegen d’Alembert fein
Mißfallen über ſolche Unverjöhnlichkeit aus; d’Alembert werde ein gutes Werk
thun, wenn er jenem wegen diefes Schwalles abgeftandener Schmähungen, gegen
Maupertuis ſowohl wie gegen die Schar feiner obffuren Widerjader, einen
Verweis erteilen wolle: „Ich jchließe aus dem Benehmen Boltaires, daß er als
Souverän mit feinen fämtlihen Nahbaren blank ftehen würde, feine Regierung
würde ein unaufhörlider Krieg jein, und dann weiß Gott, welder Argumente
er fi bedienen würde, um den Krieg als Naturzuftand der Gejelligaft und den
Frieden als für den Menjchen nicht geichaffen zu beweiſen.“
Voltaires mit feiner perfönliden Zankſucht jo wenig übereinftimmende
Thätigleit als Friedensapoftel, fein Poltern gegen Krieg, fein „herzliher Haß”
gegen das „Metier Cäſars“, die „große Kunft Luzifers”, war ein weiterer Anlaß
für Friedrich zu gelegentlicher neuer Verftimmung. Zwar rief der Friedensfreund
ben preußiihen König, wie wir ſchon hörten ‚?) zur Bertreibung der Türken
und Befreiung des edlen Griechenvolfes in die Schranken, hielt ihm jcherzend
das Mufter Gottfrieds von Bouillon vor Augen und bedauerte, daß ihm der
Hafen von Danzig mehr am Herzen liege als der Piräus. Sonft aber machte
er aus feinem Herzen feine Mördergrube und ſchonte, wo er fi unbemerft
glaubte, auch Friedrih nit. Nun fanden Berfe ihren Weg nah Sansfouci,
in denen ein nur zu wohlbefannter Dichter alle Kriegeshelden vom großen Cyrus
bis auf „diefen glänzenden König, der Zentulus ?) erzog”, jeines Haſſes verficherte:
Man rühmt mir ihre Kunft, erhaben ohne Zweifel,
Doch flieh’ ich alle fie und wünſche fie zum Teufel.
Friedrich quittierte das Kompliment in einem feiner nächſten Briefe mit
ber trodnen Bemerkung, er fei als Teutone jelbft in Voltaires Schule nit in
alle Freiheiten der franzöfifchen Sprache eingedrungen, doch habe er nicht ge:
funden, daß die Ausdrüde Hab und zum Teufel wünjdhen in irgend einem
Brieffteller für Liebende ftünden, es fei denn, dak Tifiphone, Megära oder Alekto
ihn verfaßt hätten.
Dichteres Gewölk aljo zog am Abendhimmel diefer langen Freundichaft
nit mehr auf. Alte Gewohnheit und ein ftets neuer Neiz verbanden fih, um
Friedrih an den Mann zu fefleln, der ihm aud aus ber Ferne ebenfo unter:
Bd. 1, 526.
) Oben ©. 514.
») Dben S. 349.
Der alte König und die neue Bildung. 565
rihtende wie unterhaltende Geſellſchaft leiftete. Die Ankunft eines Briefes von
Voltaire war immer eine Art Felt. Liegt der Empfänger an folhem Tage an
der Gicht danieder, jo erinnert er fih aus Ciceros Tusculanen bes Stoifers
Pofidonius, der ſchwer frank den großen Pompejus nicht ungegrüßt vorüber:
reifen laſſen wollte, und erflärt, daß jeine Krankheit ihn am Antworten nicht
bindern fol. Er beneidet ben Grafen von Falfenftein, den Iuftreifenden
Kaiſer Joſeph, der bei der Rückkehr aus Frankreich Ferney wird bejuchen
fönnen; er fpottet, dab der hohe Reiſende fich jchließlih prübe die un—
vergleichlihe Gelegenheit entgehen läßt: „Der Graf Falkenftein hat die An—
ziehung gefühlt, aber auf feiner Bahn bat das Geftirn Therejfe ihm eine centris
fugale Bewegung gegeben!” Auf feinen eigenen Heilen begleiten ihn Voltaires
Schriften: „Voltaire und ich,” jchreibt er nad) den Revuen von 1775, „haben
die ganze Fahrt durch Schlefien gemacht und find zufammen zurüdgelommen.” —
„Rein, e& gibt feinen ſpaßhafteren Greis, als Sie,” ruft er wieder nach dem
Eingang eines diefer unvergleihlichen Briefe aus Ferney; „Sie haben fi) die
ganze Heiterkeit und Anmut Ihrer Jugend erhalten!” In immer neuen Wen:
dungen beglückwünſcht er den „Patriarchen des Geihmads”, weil er aus ber
Jugendquelle getrunfen hat, weil Voltaire und nur Voltaire die Kunft fi zu
verjüngen fennt, weil er mehr Del auf feiner Lampe hat, als die Jungfrauen
im Evangelium, thöricht und Eluge, zufammengenommen:
Welch Feuer, wie viel Neiz bleibt immerdar dein Eigen!
Sein Frührot überjtrahlt dein Tag im Niederfteigen.
Wir, Ihon vom Froft berührt, vom Alter untergraben,
Verloren allzubald Luft, Anmut, Geift und Gaben.
Doch deiner Stimme Klang und Frifche ift gefeit,
Zum Tort dem Thorenvolf, dem Alter und der Zeit.
„Dies kleine Kompliment,” ſetzt Friedrih in Proja hinzu, „wird Ihnen
geichuldet; oder, beiler gejagt, es ift ein Wunder, mweldes Europa in Staunen
jest, es ift ein Problem, welches die Nachwelt zu löfen Mühe haben wird, daß
Voltaire unter der Bürde jeiner Tage und Jahre mehr Feuer, mehr Frohlinn,
mehr Genie befigt, als diefe ganze Menge junger Dichter, von denen Ihr
Vaterland wimmelt.”
Wohin Friedrichs Auge reicht, auf allen Gebieten der franzöſiſchen Litteratur
glaubt er Verfall, Mittelmäbigfeit, Verwilderung wahrzunehmen, einen ſchlechten
Geihmad, der vieleiht Europa in eine Art Barbarei zurüdfinfen laffen wird,
aus der eine Menge großer Geifter uns errettet hatten. „Die Zeitalter, in
denen die Nationen ihre Turenne, GConde, Eolbert, Bofluet, Bayle, Corneille
bervorbringen, folgen ſich nicht jo ſchnell aufeinander, die Zeitalter eines Perikles,
eines Cicero, eines vierzehnten Ludwig.” Für den Niedergang der humanen
Wiſſenſchaften bietet dem Philofophen von Sansjouci das Emporfommen der
Naturwiffenihaften und der öfonomifhen Studien feinen Erſatz und jedenfalls
fein Vergnügen. Ein Zahlengeift jcheint ihm in die jegige Zeit gefahren. Den
ganzen Ballaft an Werfen über Handel und Aderbau, von Berfaflern, die nie
weder ein Schiff noch einen Pflug geiehen haben, will er als Bücher über:
9606 Neuntes Bud. Dritter Abſchnitt.
haupt nicht gelten lajfen. Die Franzojen thun ſich jegt etwas darauf zu gute,
tief zu fein, ihre Bücher werden von falten Klüglern verfaßt, die Grazie,
die ihnen früher jo natürlih war, wird vernadläffigt. Bald werden jie
würdige Kollegen der tüdesfen Profefjoren auf us ſein. Bon der Geometrie
fürchtet er, daß fie das wenige an Keimen erftiden wird, moraus eine neue
Kunit erblühen könnte. Ein Myrmidonenfhwarm von Geometern verfolgt die
Ihöne Litteratur und jchreibt ihr Gejete vor, um fie zu erniedrigen. „hr
habt feine Dramatifer in Frankreich mehr,” ruft Friedrich Voltaire zu, „micht
mehr dieſe niedlichen Gelegenheitsgedichte, wie fie früher in ganzen Sammlungen
erſchienen, feine berühmten Redner mehr, feine anmutigen Verſe mehr, nichts,
nichts mehr von al diejen entzüdenden Werfen, bie ehedem einen Teil des
Ruhms der franzöfiichen Nation ausmachten. Sie haben als der legte diefen
Ruhm vertreten, aber Sie werden feine Nachfolger haben.” Voltaire erjcheint
ihm, und das war völlig aufrichtig gejagt, als die „einzige Stütze“, die „lebte
Säule” in dem allgemeinen Verfall. Sein Troft bleibt: „Was auch kommen
mag, ich bin Ihr Zeitgenofje gewejen.“ „Ich babe Voltaire gejehen, und wenn
ih ihn nicht mehr jehe, jo leje ich ihn, und er jchreibt mir.”
In dem äfthetiihen Wohlgefalen, in der Bewunderung des litterarijchen
Genies, der allumfaflenden Produktivität ging Friedrichs Verehrung für Voltaire
nicht auf. So ſah auch diefer in jeinem gefrönten Freunde nit bloß das
„Mufter der Helden und ber guten Geſellſchaft,“ nicht bloß den „Berteidiger,
Geſetzgeber, Geſchichtſchreiber und Lehrer” feiner Unterthbanen, nicht bloß den
Mann des Jahrhunderts, Woltaire feierte den König von Preußen als den
„König der Deiften“, und Friedrich hat in jener Gedenkſchrift Voltaire nad):
gerühmt, daß er alle Triebfräfte jeines Genies aufgeboten habe, um das Dajein
Gottes zu bemweilen. Die Grundlage ihrer Weltanihauung war in der Jahre
Flucht diefelbe geblieben: das gemeinfame Belenntnis zu dieſem Deismus, den
Friedrih als „den einfachen Kultus des höchſten Weſens“ umfchrieb.
„Boltaire unterjchied ftets die Religion von denen, die fie verunehrten,”
jagt Friedrih in jenem Eloge. Man fennt den leidenjhaftlihen Kampf des
alten Voltaire gegen das, was er die Infame zu nennen pflegte, gegen bie
Superftition, die Imposture oder im konkreten Sinne gegen die Hierardie:
Babylon im Sinne Calvins, „die Hierarchie und allen damit zufammenhängenden
Aberglauben”. Den Monarchen der Infame nennt einmal Friedrih in Voltaires
Terminologie den Papft. Friedrid übernahm das Schlagwort in jeine Briefe
an Voltaire jelbft und an d’Alembert; zunächſt, wie er diefem geftand, um ſich
durh Einihaltung der fompromittierenden Geheimformel „Ecrasez l’infüme*
dagegen zu fichern, daß jener die Briefe ein unberufenes Auge jeben ließ. Im
Grunde feines Herzens ſah der Ketzerkönig diefem Kampf gegen Rom mit Gleich—
mut zu. Als Klemens XIV. eine anonym erjchienene Schrift Friedrihs des
Großen auf den Inder der verbotenen Bücher feste, forderte Voltaire, wieder
einmal friegeriih, den Verfaſſer jcherzend auf, ſich den Nachfolger Petri vor:
zunehmen, wie bie Kaijerin von Rußland den Statthalter Muhammebs, um
Europa gleichzeitig von zwei ſeltſamen Thorheiten zu befreien. Friedrich vertrat
gegen Voltaire wie gegen d’Alembert die Meinung, daß das Papfttum eine
Der alte König und bie neue Bildung. 567
Macht nicht mehr ſei. Schon fehe „der Unfehlbare auf den fieben Bergen“
mit Sorge die Nefte feines idealen Kredits dahinihmwinden und den Banferott
fommen, wie der franzöſiſche Generalfontrolleur der Finanzen; freilich werde
Franfreih, als das ältefte Königreih der Welt, bei dem Banferott den Vor:
tritt haben. Es gelte das Gebäude der Unvernunft ftill und geräufchlos zu
unterminieren, dann werde es von jelbit einftürzen. Voltaire dürfe fich rühmen,
beim Belagerungsfampf gegen die Wälle des Aberglaubens mit dem Geſchütz
feines guten Wites mehr gethan zu haben, als Bayle mit jeiner guten Dialektif.
D’Alembert teilte ſolchen Optimismus nicht, jo wenig wie er Friedrichs
Nachſicht gegen die Jeſuiten billigte.") Friedrih veradhte die Priefter, weil er
fie nicht zu fürchten brauche und weil er fie zwingen fönne, aud wider ihren
Willen duldfam, gemäßigt und veritändig zu jein. Aber in grellen Farben
ichilderte er dem preußiſchen König immer von neuem, jo 1772 wie 1780, den
Drud, den in Frankreich die Inquiſition der Pfaffen auf die Geifter ausübe,
die Verfolgung, der die Litteratur mehr als je ausgejeßt fei. Friedrich hat ſich
über die „erbauliche Vorſicht“ aufgehalten, mit der Voltaire, wo er mit offenem
Viſier auftrat, die Kirche jchonte: der allerdhriftlichite König dürfe fich zu einem
fo orthodoren Kammerherren beglüdwünjden; das heiße die Infame mit der
einen Hand fragen und mit der anderen ftreidheln. Die alte Wahrheit offenbarte
fih von neuem, daß nicht ein jeder frei ift, ber jeiner Feſſeln ſpottet. Voltaire
verbringt fein Leben wie Petrus, hat d’Alembert einmal bemerkt, zwifchen
Berleugnen und Bereuen. Wie er jhon zu Ferney wiederholt den Forderungen
der katholiſchen Kirche genügt hatte, jo hat er auch in Paris angefichts des
Todes ein Sündenbefenntnis abgelegt, unaufridtig und unter einem Vorbehalt;
aber er wollte nicht auf den „Schindanger” geworfen werden. Friedrich ift durch
diefe Kapitulation nicht überrafcht worden, er hatte fie vorhergejehen, vorher:
gejagt. Die Kirhe aber hat Voltaires halben Untermwerfungsaft nicht gelten
laſſen, jo daß d’Alembert, um feinen und bes Toten geiftlihen Gegnern auf:
zutrumpfen, den König von Preußen bat, in der eben eingeweihten Hedwigs—
firhe zu Berlin, dem Denkmal Fridericianifher Duldfamkeit ein feierliches
Totenamt für Voltaire veranitalten zu laſſen. Das ift gejchehen, aber ben
weiteren Wunſch des herausfordernden d’Alembert, dem Verächter des Kirchen:
glaubens ein Denkmal in der Kirche errichtet zu jehen, hat Friedrich mit
richtigerem Gefühl abgelehnt: Voltaires Büfte, mit diefer Erklärung ſchnitt er
endlich die Erörterung ab, gehöre beffer in die Akademie, wo es nichts zu
„ecrafieren” gebe.
Hatte Friedrih fih mit Voltaire in den Grundanfchauungen jtets einig
gewußt, das perſönliche Verhältnis zu ihm dagegen jehr erjchwert und lange
Zeit völlig erfchüttert gejehen, jo hat umgekehrt d’Alembert ihm als Menſch
näher, als Philojoph ferner geitanden. D’Alemberts Charakter bot ihm die
Bürgichaften für die süret6 de commerce, die er bei Voltaire vermißte. Ab:
gejehen von einer ganz vorübergehenden Berftimmung des Königs über die Ver:
öffentlihung einiger Stellen aus feinen Briefen an d’Alembert find Mißhellig-
1) Bgl. oben S. 550 ff.
568 Neuntes Bud. Dritter Abfchnitt.
feiten in zwei Jahrzehnten lebhaften und intimen brieflihen Verkehrs nie zwiſchen
beide getreten, und Friebrih beflagte nur immer von neuem, daß dieſer an-
ſpruchsloſe, ebenjo geiftreihe wie liebenswürbige Mann, der ihm bei jener
Begegnung im Sommer 1763 aufridtige Zuneigung abgewonnen hatte, fi von
feiner franzöfiihen Heimat nicht trennen wollte. An immer neuen Einladungen
ließ er es nicht fehlen. „Das eifige Klima des Baltiihen Meeres,” jchreibt er
1775, „würde uns Körper und Geift gefrieren lafjen, wenn nicht ab und zu
ein gallifcher Prometheus Feuer aus dem Aether, uns wieder anzufachen, herbei-
trüge; ich wüßte wohl einen, der uns diefen Dienit erweiſen fönnte, aber er
wird nichts desgleihen thun.” Der alte Herriher mahnt den nur um fünf
Jahre jüngeren Philofophen, dab fie feine Zeit zu verlieren haben, joll ihre
Begegnung nicht etwa erft im Thale Joſaphat ftattfinden; er gefteht, daß er an
feinem Teil ein Wiederjehen zu Potsdam in Fleifh und Bein vorziehen würde,
da eine gejpenfterhafte Unterredung ohne Zunge und ohne Stimme nicht viel
Reiz verjprede. Als dann der Arzt dem Philojfophen eine Reife nah talien
verordnet, meint Friedrich, er felber würde vielmehr die preußifche Luft zur
Heilung verjhrieben haben. Er ſchenkte nun d'Alembert das Reijegeld und
wies, als jener am Fuße der Alpen umkehrte, die allzu mathematiſch genaue
Zurüderftattung des unverbrauct gebliebenen Geldreites mit dem Pilatuswort
zurüd: „Was gejchrieben ift, ift geſchrieben.“ Aber er konnte nicht veritehen,
wie jener e& über fich gewonnen habe, jo nahe am Ziele das gelobte Land nicht
zu betreten, zumal da er vor dem Schidjal Galileis in Rom ficher gemweien
wäre: denn der Papft habe jih an die Umdrehung der Erde völlig gewöhnt.
Friedrih ſchrieb an d’Alembert, wie er an Boltaire jchrieb: behaglich,
ſprudelnd von Laune und Wi, geihmadvoll und gedanfenreih, voll glüdlicher
Einfälle, epigrammatifch, ironifh und mit dem Humor, der gelegentlich ſich ſelbſt
zum beiten haben fann. Nur daß hier die jenem gern verjegten Spigen und
Bosheiten fehlen; um fo wohliger liegt über diefen Briefen an d’Alembert das
Abendrot der fonnigen Heiterkeit, in der die Frohnatur des jungen Friedrich
einft geftrahlt hatte. Nun hatte Voltaire mit unvergleihlihem Anpaflungsver:
mögen feine Antworten ftets auf den Ton feines föniglihen Freundes geſtimmt,
und auch d’Alembert war offenbar bemüht, diefen Ton zu treffen; aber jein
Kelchglas wollte doch nicht ganz jo heil und kraus ſchäumen und perlen; jeine
Rede fließt, wie ein feinfinniger Beobachter gejagt bat, „meilt in rubiger Klar:
heit dahin, nur leije gehoben durch die ihm reichlich zufließenden Reminiscenzen
aus Dichtern und Scriftftellern aller Zeiten und Litteraturen, und was ihm
jonft von Fabeln und Anefooten, Bonmots "und Parabeln zuflog, das alles wie
farbiges Ziergewächs den glatten Spiegel umzog“.
Indeſſen gab es ein paar Themata, bei deren Berührung der Brief:
wechjel unverkennbar befangen wurde, jo zwar, daß Friedrih den Ton dämpfte
und um d’Alembert nicht zu verlegen an ſich bielt, dieſer aber gleichwohl ein
leifes Unbehagen fühlte.
D’Ulembert war einer von diejen Geometern, deren Formelfram und Ber:
ftandesdürre ihm, wie wir ihn vorhin lagen hörten, die alte franzöfiiche Geiftes:
bildung eritiden zu wollen ſchienen. Und weiter, d'Alembert war derjenige
Der alte König und bie neue Bildung. 569
Geometer, der ihn zuerft zum Widerfpruch gegen eine vermeintliche Vergewalti⸗
gung der Poefie gereizt hatte. Eine jcharfe Kritif, die jener 1760 anläßlich
einer Preisverteilung in der Académie frangaise an den Poetaftern der Gegen:
wart übte, faßte Friedrich jo auf, als ob durch einen wohlfeilen Angriff auf die
Unzahl der mittelmäßigen Dichter die Dichtkunft überhaupt in Verruf gebradt
oder aber unter mathematifhe Regeln gebeugt werden follte. Man erjehe an
diefer Ueberhebung d’Alemberts, jchrieb er damals an d'Argens, daß die Geo:
metrie den Geift nicht jo dreifiere, wie man es ihr nadhrühme; d’Alemberts
neuefte Sachen ſchienen ihm der damals umlaufenden ſchlechten Kriegsmünze
gleichwertig. Er ſetzte den „Erummlinigen Geſetzgebern“, den „Wilden“, den
„Barbaren“, den „Ikonoklaſten“ eine Widerlegung in Profa und eine Facetie in
Verſen entgegen und ſchickte, dba b’Argens fein Ara babei fand, beides an
d’Alembert. Der nahm den Fehdehandſchuh nicht auf; es jei das Scidjal
des Königs, antwortete er artig, immer auf Kriegsfuß zu leben, im Sommer
mit den Defterreihern, im Winter mit der Geometrie; da nun das ftolge und
furdtbare Haus Defterreih ſich als befiegt betrachten müſſe, jo werde die be
ſcheidene Geometrie nicht fchwieriger jein wollen. Als dann Friedrich dem
großen Mathematiker während des Bejudhs von 1763 perfönlich näher getreten
war, ging er in dem nun beginnenden intimeren Briefwechjel dem Streit über
die Grenzen von Geometrie und Dichtkunft aus dem Wege; aber ein Vers in
einem Gebicht an Voltaire von 1771
Dur comme un geometre en ses opinions
forderte d’Alembert zu der Bemerkung heraus: „ch weiß, daß Eure Majeftät
immer etwas gegen die Geometrie auf dem Herzen gehabt haben.”
Die Späße und Nedereien über die Geometrie als Kunftrichterin waren
ſchließlich weder böſe noch auch nur ernft gemeint. Schwerer fiel ein anderes
ins Gewicht. Friedrich gewahrte an den Naturmwifienichaften ein Mifverhältnis
zwiſchen jo viel Aufgebot tiefgründiger Forſchung, jublimiter Gelehrſamkeit und
dem praftiihen Nuten der Ergebnifje: fein Elajfiiches Beiſpiel war der Fall
feines großen Mathematifers Euler, deſſen exakte Berechnungen für die hydrau—
lichen Mafchinen von Sansfouci die Waflerfünfte doch nicht zum Spielen bringen
wollten. Hätte Friedrich das Zeitalter erlebt, wo die Naturmwifjenichaften endlich
begannen, die das ganze wirtichaftlihe Leben ummälzende Anwendung ihrer
großen Entdedungen zu machen, der große Praftifer wäre der erite gemejen,
diefe Leiftungen anzuerkennen und zu bewundern. So aber hat er d’Alembert
ganz offen einmal gefragt: „Iſt es nicht wahr, daß die Eleftrizität und alle
Wunder, die fie enthüllt, nur dazu gedient haben, unjere Neugierde anzuregen?
ift e8 nicht wahr, daß die Anziehungs: und Schwerkraft nur unfere Einbildung
in Erftaunen gejegt haben? ift es nicht wahr, daß alle chemiſchen Operationen
fih in dem gleihen Falle befinden?” Der Gefragte mußte das bis zu einem
gewiffen Grade zugeben. „Eure Majeität,” antwortete er, „behandelt die tran-
ſcendente Geometrie ein wenig zu ſchlecht. Ich gebe zu, daß fie oft nur ein
Zurus müßiger Gelehrter ift; aber oft ift fie auch nüglich gewejen, und wäre
es nur, indem fie die Phänomene des Weltiyitems jo gut erklärt.”
570 Neuntes Bud. Dritter Abjchnitt.
Noch eine andere Reibungsflähe war vorhanden. Dem Philofophen von
Sansfouci war die Gefolgichaft halb lächerlich, halb unheimlih und jedenfalls
verbrießlich, die hinter d'alembert, dem Führer zur Linken, ftand, die Schar der
nadgeborenen Söhne der Aufklärung, die neue Richtung. Er bemunderte
d’Alemberts Discours preliminaire zu der Eneyclopedie, diefen genialen Ber:
ſuch zu einem entwidelnden Ueberblid über die Gejamtheit der pofitiven Wiſſen—
ihaften, ihre grenznahbarlihen Berührungen und ihren Stammbaum; aber
er verachtete die „Encyklopädiſten“, wie er das junge Philoſophengeſchlecht,
gleichviel ob die einzelnen an der Encyklopädie mitarbeiteten oder nicht, unter:
ſchiedslos nannte; und nur ironifch bezeichnete er die Encyklopädiſten ab und
an als jeine Mitbrüder, ſich jelbft als ihren Verehrer, ihren eifrigen Schüler.
Am Iuftigften bat Friedrich über die Encyflopädiften gefpottet in einer
ausichließlih zu feiner eigenen Ergöplichkeit verfaßten Schrift von 1773, in
einem der im achtzehnten Jahrhundert jo beliebten Totengeſpräche, wo er den
eben verftorbenen Fürſten Liechtenitein, den öfterreichifchen General, jeinen be:
rühmten Vorgängern, dem Prinzen Eugen und Marlborough als das Neuefte von
ber Erde berichten läßt, daß man dort die großen Feldherren nicht mehr achtet,
dank der Friebenspredigt der Encyllopädiften. Marlboroughb hält die Encyflo:
pädiften für eine Art Irokeſen, aber Liechtenftein belehrt ihn: „Die Encyflo:
päbiften find eine zu unjeren Tagen entitandene Sekte jogenannter Philoſophen.
Sie glauben ſich erhaben über alles, was das Altertum in diejer Art hervor:
gebracht hat! Mit der Frechheit der Cyniker verbinden fie die edle Schamlofigfeit,
alle Baradoren, die ihnen in den Sinn fommen, zu verbreiten. Sie brüften ſich
mit der Geometrie und behaupten, daß die, welche dieſe Wiſſenſchaft nicht ftudiert
haben, nicht recht Klug find, und daß folglich fie allein die Gabe richtig zu denfen
befigen. Ihre landläufigiten Reben find mit wiſſenſchaftlichen Ausdrüden ge:
ipidt. Wenn ein Floh fie gebifien bat, jo find es die unendlich Kleinen der
erften Ordnung, die fie behelligen. Wenn fie einen Fal thun, fo geichiebt es,
weil fie das Centrum der Schwere verloren haben. . . . Alle Wiſſenſchaften, mit
Ausnahme ihrer Rechnungen, jegen fie berab. Ein Poet ſoll nur noch algebraiiche
Gleihungen reimen; was die Geſchichte anbetrifft, jo wollen fie die von hinten
an ftudiert willen, mit der Gegenwart angefangen bis zurüd vor die Sündflut.
Die Regierungen reformieren fie alle, Frankreich joll eine Republif unter einem
Geometer als Gejeggeber werden, und Geometer werden regieren, indem fie alle
Schritte der neuen Republik der nfinitefimalrehnung unterwerfen. Diefe
Republik wird einen beftändigen Frieden wahren und fi ohne Heer behaupten.”
Bezeichnenderweile hat der Verfaſſer diejes Totengeſpräch an b’Alembert
nicht mitgeteilt und gegen Voltaire verleugnet. Aber in den „Briefen über die
Vaterlandsliebe”, von denen er d’Alembert 1779 einen Abdrud fandte, las
diefer zu feinem Schmerz das überaus herbe Urteil über die Encyflopädiften,
daß neben einer fleinen Anzahl guter Sachen und einer Heinen Anzahl Wahr:
heiten, die man in ihren Schriften finde, der Reit ein Wuft von Paraboren
und leichtfertig, ohne Nachprüfung vorgetragener been jei. Da bielt er ji
doch für verpflichtet, für die „ehrenwerten Leute, die an der Encyflopädie mit:
gearbeitet“ hätten, einzutreten und injonderheit den Vorwurf der Vaterlands—
Der alte König und die neue Bildung. 571
lofigfeit zurüdgumweifen: jolange er felbit an der Spitze diejes Werks geftanden
babe, würde er nie ſolche Tendenz geduldet haben; auch erinnere er fich nicht,
dab man an irgend einer Stelle diejes gewaltigen Wörterbuches die Dummheit
und zugleich die Kedheit bejeilen hätte, die Vaterlandsliebe zu befämpfen. Fried:
rich entgegnete — zu feiner Entihuldigung, wie er fagte —, daß man in
Deutichland gemeinhin alle Werke franzöfiicher Hohlköpfe auf die Rechnung der
Encyklopädiſten jeße; „ich hoffe, daß Sie eine hinreichend gute Meinung von
mir haben werden, um zu glauben, daß ich die d'Alembert nit mit den
Diverot, den Sean Jacques und den jogenannten Bhilojophen verwechſele, welche
die Schande der Litteratur find“.
D’Alembert gab einen Rouffeau ohne weiteres preis. Er haßte und neidete
ihn nicht, wie es Voltaire that; aber Rouffeau war ihm der Sonderling, der
da behaupten konnte, „daß der Menih, welcher denkt, ein bepraviertes Tier
fei”; denn fo faßte D’Alembert die Löfung zufammen, die jener 1751 für bie
Preisfrage der Akademie von Dijon, nah dem Einfluß der Wiſſenſchaften und
Künfte auf die Sitten, gefunden hatte. Den ungeheuren Erfolg diefes Mannes
in Gegenwart und Zukunft, ven Zauber, den fein radifaler Idealismus, feine
Predigt der Rückkehr zur Natur, fein Glaube an die Güte der menſchlichen An:
lage, jein Unabhängigfeitsfinn, feine Auflehnung gegen das Herkommen, jeine
„Religion des Herzens”, gerade auf edle Gemüter ausgeübt hat, die von ihm
ausgehende Verjüngung der franzöfiihen und Befruchtung der deutſchen Litteratur,
bie Fleiſchwerdung feiner politifhen Theorie noch vor Ablauf eines Menjchen:
alters, alles das ahnten oder ermaßen weder Friedrih noch d'Alembert und
jeine Encyllopädiften. Friedrih ſah die Wirkung der Rouffeaufhen Schrift:
ftellerei nur in der Anſteckung anderer zur Thorheit und Tollheit und ließ es
zweifelhaft, ob man den noch zu den Philofophen zählen dürfe, der bas Hirn
einiger guter Hausväter jo weit verwirrt habe, daß fie ihren Söhnen die Er:
ziehung eines Emil gäben. Angemwidert durch „die Paradoxen und den cynifchen
Ton” dieſes „Beſeſſenen“, erklärte er doch in ihm das Unglüd ehren, den Ber:
jolgten jchügen zu wollen. Es war im legten Jahre des Siebenjährigen Kriegs,
als er im Lager vor Schweidnig jenen Brief aus Motiers:Travers im Neuen:
burgijchen erhielt: „Sire, ih habe viel Uebles über Sie geredet, ich werde viel:
leicht noch desgleihen reden. Indes, aus Franfreih, Genf, dem Kanton Bern
vertrieben, fomme ich, ein Aſyl in Ihren Staaten zu juchen; vielleicht war es
mein Fehler, daß ich es nicht von vornherein that; dies Lob gehört zu denen,
deren Sie wert find.” Der König hat an Roufjeau nie gejchrieben, aber ihrem
PMittelsmann, feinem dermaligen Statthalter von Neuenburg, dem philojophijchen
Lord Marſchall von Schottland,!) antwortete er: „Geben wir dem Unglüdlichen
ein Aſyl. Diejer Rouffeau ift ein eigentümliher Knabe, ein cyniſcher Philoſoph,
der nichts außer jeinem Bettelfad hat; man muß ihn am Schreiben verhindern,
joweit e& geht, weil er heifle Gegenftände behandelt, die in Euren Neuenburger
Köpfen zu lebhafte Erregungen hervorrufen und das Gejchrei aller Eurer jtreit:
füchtigen und von Fanatismus erfüllten Prieiter veranlafjen würden.” Er er:
') Bgl. oben ©. 347.
972 Neunted Bud. Dritter Abſchnitt.
fannte an, daß die einzige Sünde dieſes armen Unglüdliden in feinen ſeltſamen
Anfichten beftehe, die er doch für gut halte; allerdings jolle Rouffeau ihn nie
überreden, zu grafen und auf vier Füßen zu laufen.
An Diderot, den Friedrich nicht höher wertete, mißfiel ihm vorweg der
jelbftzufriedene Ton, „die Arroganz, die den Inſtinkt meiner Freiheit empört“.
Er erflärte die Lektüre diefes Schriftftellers nicht aushalten zu können, ein jo
unerfchrodener Leſer er fonft fei: „So haben Ariftoteles, Cicero, Lukrez, Zode,
Gaſſendi, Bayle, Newton nicht gefchrieben. Die Beicheidenheit fteht aller Welt
wohl an, man muß mit Kraft Gründe entwideln, aber nicht herrijch entjcheiden.
Das fommt davon, wenn man fchneidend jein will; man glaubt, daß ein ent:
jhiedener Ton zum UWeberreden genügt, diefer Ton fann dem mündliden Bor:
trag helfen, aber bei der Lektüre jegt er fich nicht durd. Wenn man ein Buch
in der Hand hat, urteilt man über die Gründe und mofiert fi über die
Emphaje.” Wie Rouffeau forderte Diderot die Rückkehr zur Natur und kriti—
fierte die beftehende Gejellihaftsorbnung; er verbreitete, wie Goethe gejagt hat,
„von dem gejelligen Leben einen Efelbegriff”; fein politiider und jozialer
Radikalismus, deffen ftärkite Aeußerungen allerdings erit aus jeinen hinterlaſſenen
Manuffripten befannt geworben find, und vor allem wieder jein Schelten auf
den Krieg blieb von Friedrich nicht unbemerkt; die Zarin, jo jcherzte er, habe
von Diderot, den fie verhätichelte, nur für jchweres Geld einen Dispens zur
Kriegführung gegen die Türken erhalten. Ob Friedrih von dem philojophiichen
Inhalt der Schriften Diderots, von feinem pantheiltiichen Zug Notiz genommen
hat, ift nicht erfichtlih; hat er es gethan, fo mußte auch das ihn abftoßen. Das
verwandte Syitem Buffons, der die Naturgeſchichte mit pantheiftiihem Auge
betrachtete, hat er gekannt und verworfen.
D’Alembert hätte für feinen hervorragendften Mitarbeiter an der Encyflopäbie
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inereh roch dem König von Preußen gern Stimmung gemadt; als Diderot 1774 vom
, ruſſiſchen Hofe zurüdkehrte, hoffte jener, daß er bei Friedrich vorſprechen werde,
Si ‚4 und war überzeugt, daß ihm „die fanfte Wärme feiner Unterhaltung und
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—
das Anſprechende ſeines Charakters“ gegen des Königs Vorurteil gewonnen
Spiel geben würden. Diderot, in Potsdam erwartet, reiſte vorbei. „Ein großes
encylopäbifches Phänomen”, ſchrieb Friedrich an d'Alembert, „hat, eine Ellipſe
beſchreibend, die Grenzen unſeres Horizonts geſtreift, aber die Strahlen ſeines
Lichts ſind nicht bis zu uns gedrungen. Pompejus war glücklich genug, den
Poſidonius zu ſehen, obgleich der Philoſoph die Gicht hatte; ich habe den großen
Diderot weder geſehen noch gehört, obgleich er voller Geſundheit war. Aber
es iſt nicht jedermann beſchieden, nad) Korinth zu kommen, und die encyklo—
pädiſche Fatalität, die über die Geſchicke der Menſchen enticheidet, hat mid nicht
begünftigt, offenbar weil ich die Jeſuiten beihüse.” Ein nodhmaliges Plaidoyer
d’Alemberts für den encyklopädiftiichen Freund wies er nun mit Entjchiedenheit
ab: in einem fürzlich ihm in die Hände gefallenen Buche Diderots habe er die
Worte gefunden: „Junger Mann, nimm und lies:” „daraufhin babe ich das
Bud) zugeflappt, weil ih wohl ſah, dak es nicht für mich gefchrieben war, da
ih jechzig Jahr vorüber bin.... ch bewundere Eure Welſchen, wenn fie
Bonjens und Eſprit haben; ich habe alle Achtung vor den Turenne, Luremburg,
Der alte König und die neue Bildung. 575
Gaffendi, Bayle, Boileau, Bofjuet, ſelbſt vor den Deshoulieres und in unjerem
Sahrhundert vor den Boltaire und d’Alembert; aber da mein Bewunderungs:
vermögen auf gewifle Grenzen beichränft ift, jo ift es mir unmöglich, in dieſe
Akte der Verehrung die Mißgeburten des Parnaß einzubeziehen, die Philoſophen
der Paradboren und der Sophismen, die falichen Schöngeifter, die Generale,
die immer gejchlagen werben und nie ſchlagen, die Maler ohne Kolorit, die
Minifter ohne Redlichkeit, die ac. ac. ac.”
Von Diderot dem Bantheiften führte der nächſte Schritt zu den erklärten 7, .. +
Materialiften und Atheiften, zu Helvetius und Holbah. Sie verwarf Friedrih Zul -.r
vollends. Von Helvetius’ Bud „De l’esprit“ urteilte er, daß es den faft allen „ L7. .n.
ſyſtematiſchen Werken gemeinjamen Fehler beige, vergeblihe Anftrengungen für ‘, 223 ji
den Beweis des Paradoren zu maden. Als der Verfafler ibm 1765 feinen * Ye
Beſuch angekündigt hatte, fchrieb er an d'Alembert, nad) jenem Buch zu ſchließen Pr
werde der erfte Tag ihrer Bekanntſchaft der fchönfte fein. Aber Helvetius als —
Menſch fand nun Gnade vor Friedrichs Augen. Seine Uneigennützigkeit be— ade a 1a NUT“
währte fi, fein Charakter ſchien „bewundernswert”, fein Herz „ebenſo rein, —
wie ſein Verſtand leicht in die Itre zu führen“, fo daß Friedrich nur wünſchte, /
daß er als Schriftfteller weniger jeinen Geift als jein Herz zu Rate gezogen
hätte. Als Helvetius 1771 ftarb, erklärte fein föniglider Gönner: „Er war
ein jo guter Menih, daß ih mit Vergnügen feine Werfe noch einmal lejen
will”. Freilid enttäufchten ihn die nachgelaſſenen Schriften, über die Erziehung
und über das Glück, von neuem ſchwer. Lebhaft beftritt er zumal den Satz,
daß alle Menjchen mit ungefähr gleichen Anlagen geboren würden, }
Die anſpruchsvollſte und felbitficherfte Leiftung der modernen franzöfiichen Helır fuus
Philoſophie war jenes 1770 anonym erſchienene „Syftem der Natur“, Hinter 4s.—e e
dem der Baron Holbach ftand. Hier follte das Welträtfel beantwortet, ſollten -
die „Gefege ber phyfiihen und moraliſchen Welt“ gefunden fein. Goethe hat,
uns gejchildert, wie er, der Straßburger Student, und fein Freundeskreis bie
graue Theorie diejes Buches, das ihnen „unſchmackhaft, ja abgeſchmackt“ fhien, + Le,
von ſich abjhüttelten; wie fie von dieſer „triften atheiftifhen Halbnacht“ ih, at
wiſſen wollten, nichts von dieſer Materie, die, von Emigfeit her bewegt, nun
mit diefer Bewegung rechts und links und nah allen Seiten ohne weiteres,
jelber richtungs- und geitaltlos, die unendlichen Phänomene des Dafeins hervor:
bringen jollte: „alles follte notwendig fein, und deswegen Fein Gott”. Dem
jungen Anfänger in Straßburg brachte das „Syftem der Natur” den negativen
Ertrag, daß er nad feinem eigenen Geftändnis aller Philofophie, bejonders aber
der Metaphyſik, recht herzlih gram wurde. Auf den alten Mann in Sansjouci,
der jein Leben lang fih mit philoſophiſchen Problemen bejchäftigt hatte, übte,
das Buch ſchließlich eine ähnliche Wirkung aus. D’Alembert und Voltaire famen
überein, daß Friedrich der Philojophie das „Syitem der Natur” nicht verzeihen
fünne, daß Metaphyſik, ja die ganze Philoſophie jegt nicht mehr viel bei,
ihm gelte.
Zunädft allerdings gab ihm das, wie er jagt, auf den eriten Blid be:
ftehende Buch neue Anregung zur Erörterung alter Lieblingsfragen. Er areift
zur Feder, er glaubt den Verfaffer leicht widerlegen zu können. Er erhebt vor
at
574 Neuntes Bud. Dritter Abjchnitt.
— allem Einſpruch gegen den bei Behandlung jo ſchwieriger und dunkler Gegen:
— ſtände unangebrachten dogmatiſchen Ton. Er greift dann vier Haupttheſen heraus
— 7 und an: die e Leugnu ung Gottes, die Leugnung ber menſchlichen Willensf freiheit,
Kiel ırn Ger a die e Anſchuldigunge igungen gegen die chriſtliche Religion und gegen die Monardiie.
—— Friedrichs Entgegnung auf den legten Punkt hat uns bereits beſchäftigt.!)
‚9 Die riftlihe Religion will er unterjchieden willen von ihren Entftellungen durch
den Klerus. Wie dürfe man diefe Religion als die Quelle alles über das
Ara Zur Menſchengeſchlecht gekommenen Uebels bezeichnen, da doch, von den Lehren der
vechum 3: „berrliden Bergprebigt” ganz abgejehen die Duinteffenz ber ganzen Moral ent:
halten fei in der einen einzigen Vorfchrift des Evangeliums: dem Näcdhften nur
das zu thun, was wir von ihm uns gethan wiſſen wollen! Holbah dem Gottes:
2) ‚leugner hält er jein altes Hauptargument für das Dafein Gottes, ben teleo:
Pr logiſchen Beweis ?) entgegen: „Die Zwecke, welche die Natur ſich in ihren Werfen
u geſebt hat, offenbaren fich jo einleuchtend, im unendlich Großen, wie im unendlich
Kleinen, daß man gezwungen ift, eine überlegene und intelligente Urſache, die
über dem Ganzen waltet, anzuerkennen.” Die ganze Welt dient ihm als Beweis
und Zeugnis; das Auge einer Milbe, ein Grashalm genügen, bie Intelligenz
3 des Werfmeifters zu beweiſen. Mit der Leugnung der menſchlichen Willens:
/, freiheit und Verantwortlickeit endlih, mit dem Dogma des Fatalismus jcheinen
nn ihm die Grundlagen aller fozialen Ordnung erjchüttert: „Was aud Calvin,
— Leibniz, die Arminianer und der Verfaſſer des Syſtems der Natur ſagen mögen,
fie werden niemand überzeugen, daß wir nur Mühlräder ſeien, die eine not:
wendige und unmiberftehliche Urſache nad ihrer Laune in Bewegung jeßt.“
Der Verfaffer jandte jein „Examen critique du systeme de la nature“,
fein „Berk ı gegen den Atheismus“, abjchriftlih an d’Alembert. In feinem Begleit:
jchreiben vo vom 7. Juli 1770 ſprach er von den handgreiflihen Widerſprüchen,
den ſchlechten Schlußfolgerungen feines Gegners. Aber d’Alemberts Antwort
zeigte ihm, daß der „Atlas unferer Philojophie”, wie Friedrich ihn jüngft genannt
hatte, die helle Entrüftung über das „Systöme* gar nicht teilte und bis zu
gewiſſem Grade für den Angegriffenen Partei nahm. Ein lebhafter brieflicher
Wortwechſel begann, von Friedrichs, des „Techzigjährigen Schülers”, Seite der
legte Verſuch, jeine philoſophiſchen und religiöfen Anſchauungen begrifflich zu
entwideln.
f Gegen die hriftlihe Religion wiederholte d’Alembert ganz einfach die An
ö flage Holbachs: er müſſe fie für eine der größten Geißeln der Menſchheit halten,
e kannt 7 und zwar wegen ber Ströme von Blut, die fie bei der ihr wejentlichen Unduld—
rg, ſamkeit und Erklufivität, bei ihrem Anſpruch, die einzige wahre Art des Gottes:
dienftes zu jein, mit folgerichtiger Notwendigkeit vergofien habe. Friedrich ent:
gegnete: nicht Kindheitsvorurteile trieben ihn die hriftliche Religion zu verteidigen,
Br‘ fondern ihr Charakter uriprünglicher Reinheit: „Erlauben Sie mir, Ihnen zu
ER — 6) jagen, daß unſere heutige Religion der Religion Chrifti ebenjfowenig gleicht wie
der Religion der Irokeſen. Jeſus war Jude, und wir verbrennen die Juden.
) Oben ©. 560.
Bd. I, 502 (2. Aufl. ©. 503).
Der alte König und die neue Bildung. 575
Jeſus prebigte die Geduld, und wir verfolgen. Jeſus predigte eine gute Moral, !
‚und wir üben fie nit aus. Jeſus bat feine Dogmen aufgeftellt, aber die!
‚Konzile haben trefflih dafür geforgt. Kurz, ein Chrift des dritten Jahrhunderts
gleiht nicht mehr einem Chriften des erften. Jeſus war eigentlid ein Efjäer,
er war erfüllt von der Moral der Efjäer, die viel von der Zenos hat. Sein
Religion war ein reiner Deismus („eine Art von Theismus”, hatte Friedrich
früher einmal gejagt) und jehen Sie, wie wir fie verbildet haben! Wenn dem
jo ift, fo verteidige ih mit der Religion Chrifti die Religion aller Philoſophen,
und ih opfere Ihnen alle Dogmen, die nit von ihm herrühren.“ Die
proteftantiiden Dogmen gab er nicht weniger preis, als die fatholifhen, alle
Religionen jchienen ihm „vom Standpunkt der Philofophie” ungefähr gleich.
Praktiſch gab er der proteftantifchen vor der Fatholifchen weit den Vorzug, als
der in minderem Grade mit „Aberglauben“ belafteten und zugleich nicht ver:
folgungsfüdhtigen, und er hat deshalb einft einer Herzogin von Gotha es ent:
Ihieden wiberraten, ihre Tochter um einer vorteilhaften Heirat willen zum
Katholizismus übertreten und damit einen Schritt thun zu laſſen, der die ganze
Ueberlieferung des erneftinifhen Haufes Lügen ftrafen würde. Doch geitand er,
daß er als Zeitgenofje Martin Luthers es darauf angelegt haben würde, jenen
bis zum Socianismus, bis zur „Religion eines einzigen Gottes”, zu treiben;
fo aber feien „diefer Mönch und feine Genofjen”, nachdem fie den Schleier zur
Hälfte weggerifien, im beften Zuge ftehen geblieben und hätten noch jo viel
Dunkelheiten ungeklärt gelaffen; er beklagte, daß jo viel Blut, Gemetzel, Krieg
und Verwüſtung ſchließlich nur dahin geführt hätten, daß man ſich einiger weniger
Slaubensjäge zu entichlagen wagte. Ganz in diefem Sinne hatte Friedrih ſchon
vor drei Jahrzehnten den proteitantifhen Theologen Mangel an Folgerichtigkeit
vorgeworfen: „Sie bedienen fih der Argumente der Ungläubigen, um die
Zransjubftantiation der Katholiken zu befämpfen, und befämpfen die Ungläubigen
mit benfelben Argumenten, mit denen die Katholifen die Transfubftantiation
ftügen.“
D’Alembert ließ bei Fortjegung der Diskuffion die Gleichftellung des Ur: Ash
Hriftentums mit dem Deismus gelten, ging jet aber alsbald dem Deismus 17 y?
felber zu Leibe. Diplomatijch ſchickt er das Zugeftändnis voraus, er glaube in ’
Bezug auf eine höchſte Fntelligenz, daß ihre Leugner mehr behaupteten, als fie
beweifen könnten. Dann aber ftellt er eine Anzahl ſcharf zugeipigter Fragen,
in ihrer Abfolge darauf berechnet, den Gefragten wo nicht auf den Standpunkt
des Fragenden herüberzuziehen, jo doch von der Unbaltbarkeit des eigenen
Standpunftes zu überführen: „Was iſt dieje höchite Intelligenz? Hat fie bie
Materie geſchaffen oder hat fie die Materie nur geordnet? Iſt eine Schöpfung
möglih? Und, wenn fie es nicht ift, ift aljo die Materie ewig? Und wenn bie
Materie ewig it und einer Intelligenz nur bedarf, um geordnet zu werden, ift
diefe Intelligenz mit der Materie vereint oder von ihr unterjchieden?. Fit fie
mit ihr vereint, fo ift eigentlih die Materie Gott, und Gott die Materie; ift
fie von der Materie unterjchieden, wie verjteht man, daß ein Weſen, weldes
nicht Materie ift, auf die Materie einwirkt?”
Nun war die Anfangslofigfeit, die Emigfeit der Welt für Friedrich jeit
en —
576 Reuntes Bud. Dritter Abfchnitt.
lange ein Ueberzeugungsfag; die Annahme einer Schöpfung aus dem Nichts
erihien ihm miderfinnig; nicht minder die Annahme einer Entwidelung bes
Kosmos aus dem Chaos zu einem von Gott nah Willfür ausgewählten Zeit:
punkt. So gibt er denn die Ewigkeit der Welt d’Alembert ohne weiteres zu.
Dann jeien fie einig, erwidert diefer befriedigt und fügt fofort hinzu, daß die
aus der ihnen gemeinfamen Prämifje „Ewigkeit der Welt” zu ziehende Folge
rung „feine Schöpfung und fein Schöpfer” den wahren Partifanen des Dajeins
Gottes wenig gefallen würde, die da eine fouveräne, ſchöpferiſche, nichtmaterielle
Intelligenz verlangten.
Eine zweite, ihnen beiden gemeinſame Borausjegung war die Unjelbftändig-
feit der Seele, ihre Abhängigkeit vom Körper. Auch von diefem Punkt aus
jegt d’Alembert feine Hebel an: „Wenn bei dem Menjchen dieje ntelligenz,
deren Wirkungen und Hervorbringungen wir bewundern, allein bie Folge der
Organijation ift, warum follten wir nicht auch in den anderen Teilen der Materie
eine Struktur und Dispofition von derſelben Notwendigkeit und Natürlichkeit,
wie die Materie felbit, zulafien, aus der, ohne daß eine fremde Intelligenz fi
einmijcht, die Wirkungen entipringen, die wir hauen und die uns überraſchen?“
D’Alembert fährt fort: „Und fomit find wir beim beiten Willen dahin gebracht,
allerhöchſtens einen materiellen, beſchränkten und abhängigen Gott im Weltall
anzuerkennen und zuzulaſſen“ — wieder nicht im Sinne der eifrigen Partijane
des Daſeins Gottes: „fie werden uns ebenfo gern als Atheiften jehen, wie als die
Spinoziſten, die wir find.”
Friedrich gibt fi doch nicht gefangen. Er verwahrt fich dagegen, dem
Syftem Spinozas nahe zu ftehen, „ober dem der Stoifer, die da alle denkenden
Weſen als Emanationen des großen allgemeinen Geiftes betrachteten”. Nicht
materiell will er fi die Gottheit denken, weil fie dann „burddringlich, teilbar,
endlich“ fein würde. Er wählt jegt die Umfchreibung: „die der ewigen Organi:
jation der eriftierenden Welten anbaftende Intelligenz“, „das Senforium des
Weltalls“. Und die Beweile für diefe Intelligenz find ihm, er wiederholt es,
bie erftaunliden Zufammenbänge, die in der ganzen phyſiſchen Zurüftung der
Welt, der Gewächſe und der bejeelten Weſen beftehen, und zweitens die Intelligenz
des Menſchen: „denn wenn die Natur vernunftlos wäre, wie hätte fie uns geben
fönnen, was fie jelbft nicht hat?“
D'Alembert blieb dabei, daß man einig jei, nur in der Ausdrucksweiſe ſich
trenne; daß nad Friedrichs Deduftion Gott nichts anderes fei, ala „die Materie,
infofern fie intelligent it”. Er hatte die Blöße geſchickt benugt, die ihm ber
Widerſpruch in Friedrichs Gottesbegriff bot: die Kluft zwischen feiner teleologiihen
Beweisführung für das Dafein Gottes einerjeits und jeiner Yeugnung eines
Schöpfungsaktes, jeiner Leugnung einer immateriellen Seele andererjeits. Friedrich
verzichtete nun auf den weiteren Verſuch zu einer Begriffebeftimmung: „Wir
werden nicht die einzigen fein,” jo jchloß er das Wortgefeht, „die dazu ver:
urteilt find, die Natur Gottes immerdar nicht zu fennen.” Er verwahrte jich
nur nochmals gegen den PBantheismus: „Ich habe nicht die Eitelkeit, zu be:
anjpruchen, daß eine Seele eine Emanation des großen Weſens ift und daß fie
nad meinem Tode jich ihm miedervereinigen wird, weil Gott nicht teilbar iſt,
Der alte König und die neue Bildung. 577
weil wir Dummheiten machen, und Gott nit, und weil endlich die ewige und
göttliche Natur ſich nicht vergänglihen Weſen mitteilen kann nod darf, Krea:
turen, deren Eriftenz verglichen mit der Ewigkeit nur die Dauer einer Sekunde
hat. Das iſt mein Glaubensbekenntnis.“
In den Zeiten, da Friedrich noch an eine auch die kleinſten Kleinigkeiten —— e
der Weltregierung umfafjende göttliche Vorfehung geglaubt hatte, war ihm dieje
Anfhauung ein Argument gegen die menſchliche Willensfreiheit geweſen, für
die fein Pla zu bleiben ſchien, wenn alle Handlungen des Menſchen nur dem
Zwede dienten, die Beihlüffe der Vorjehung zu erfüllen. In der Folge hatte
er, wie wir hörten, !) feinen Vorfehungsglauben dahin eingejchränft, daß er ben
großen Weltenmeilter nur mit der Lenkung und Erhaltung des Als, nicht mit
der Fürforge für das Individuum, den einzelnen Menschen oder den einzelnen
Staat, beihäftigt denken wollte. In diefer Nefignation war er durch die Drang:
fale und wirren MWechielfälle und durch die inneren Erlebniffe des jchreden:
volliten Krieges nur beitärft worden: „Gott ift taub gegen die Bitten der zu
Boden gejchmetterten Sterblichen“, „Gott kann fich zu uns nicht herablaffen“,
„von ihm zu uns ift ber Abftand unermeßlich”, fo hören wir ihn während
diefes Krieges feufzen. Nun hatte er, als er den Glauben an ein bis auf das
einzelne Menjchenlos eritredtes Walten der Vorſehung fallen ließ, anfänglid |
noch nicht zugleich mit jeinem alten Determinismus, feiner Ueberzeugung von der )-7 nfert
Unfreiheit des Willens gebrochen.) Diefer Bruch war jetzt erfolgt. Als Kronz yo lu.
prinz hatte er mit Waffen aus dem Arjenal von Leibniz und Wolff die Unfreis‘ An (nein
beit, die Notwendigkeit, die Fatalität gegen Voltaire, den damaligen Anwalt
der Willensfreiheit, verteidigt: ein Menfchenalter jpäter hatten beide den Stand:
ort und die Waffen gewechſelt; denn Voltaire jtand in diefem Streit jeßt /_L, . <t-
auf derjelben Seite wie Holbah und d'Alembert. Der Schule feines älteften 7. / all:
philojophifchen Lehrmeifters Wolff vorlängit entwachſen, zieh Friedrich jegt den
Verfafler des „Systeme de la nature* der Abhängigkeit von jener Schule: er
fopiere fait buchftäblih die Lehre von der Fatalität, wie Leibniz fie dargelegt
und Wolff fie erläutert habe.
Er machte b’Alembert einen Bermittelungsvorihlag für dieſe „Ichmwierigite -, ., J—
Frage der ganzen Metaphyſik“. Er wollte von einer „begrenzten“ oder „ger 4 = ,
mäßigten” Freiheit reden. D’Alembert hatte gejagt: „Der Menſch ift frei in rw dm ——
dem Sinne, daß er in dem nicht majchinenmäßigen Handlungen fih von ſelbſt 7
und ohne Zwang entjcheidet; aber er ift es nicht in dem Sinne, daß, wenn
er fich enticheidet, jelbit freiwillig und aus Wahl, immer eine Urſache da iſt, die
ihn zu der Entjcheidung treibt und die Wage für den Entſchluß, welchen er fat,
fih neigen läßt.” Friedrich entgegnet: Der Menſch jei frei, wenn er feinen
Leidenschaften, den Wirkungen feiner elementaren Zufammeniegung, widerftehe, und
Sflave, wenn er ihnen gehorde; den Einwand, daß der Grund, aus dem er den
Leidenichaften mwiderftehe, doch allemal der Notwendigkeit unterworfen fei, weift
) 8b. 1, 503 (2. Aufl. ©. 504). gl. oben ©. 265; „Friedrich der Große als iron:
prinz“ ©. 147 (2. Aufl. S. 150).
2) Bd. 1, 504. 505 (2. Aufl. ©. 505. 5001.
Stojer, König FFriebrid der Große, TI. 2, Auf, 37
578 Neuntes Bud. Dritter Abichnitt.
hr. * er mittelſt des Erfahrungsſatzes ab, daß Strafen und Belohnung geeignet ſind,
‚me die angeblich zwingenden Gewalten um ihren Sieg zu bringen: alſo könne
Ber“ der Menſch nicht im ſtrengſten Sinne der Fatalität unterworfen fein. D’Alembert
beharrt dabei, e& ſei jehr fehwierig, das Syſtem der Notwendigkeit und abfoluten
Fatalität nicht annehmen zu mwolen; jeder Entihluß bleibe notwendige Folge
der nicht minder notwendigen Zufammenjegung unferer Organe und der nicht
minder notwendigen Wirkung, welche die Aktion anderer Weſen in uns hervor:
bringt: „Wenn die Steine wühten, daß fie fallen, und wenn fie Vergnügen
am Falle fänden, jo würden fie alauben, freiwillig zu fallen.“ Der Wortitreit
wird dann noch weiter fortgefegt. Friedrih ruft: „Sie würden triumpbieren,
wenn die Yeidenjchaften es immer uns anthäten, aber man wibderfteht ihnen
oft, ich fenne Leute, die fih von ihren Fehlern gebeflert haben.” D’Alembert
ift um die Erklärung nicht verlegen: „Die, welche ihren Leidenſchaften wider:
ſtehen, find nötigenden Beweggründen unterworfen, welche bei ihnen ftärfer
wirken als felbit die Leidenſchaften.“ Friedrich ſchickt nun einen von ihm ge:
fannten Herzog von Medlenburg ins Treffen, der die Entjheidung an ben
Knöpfen abgezählt habe: dies Rnopforafel, dieſe Boutonomaneie, ſcheint ihm
gegen d'Alemberts ftarres Zwangsgeſetz ſchwer ins Gewicht zu fallen. Er greift
endlih auf einen Trumpf zurüd, den er gleich anfangs gegen Holbah aus:
geipielt hatte: man dürfe nicht den Begriff des rundes oder der Urfache mit
dem der Notwendigkeit verwechſeln; alles habe feine Urſache, aber nicht jede
Urſache jei notwendig: „Wollen Sie Notwendigkeit nennen, was ich Grund
nenne, jo iſt unfer Streit beendet; aber wenn Sie eine verhängnisvolle Not:
wenbdigfeit annehmen, die uns wie Marionetten handeln läßt, jo würde es mir
ihwer fallen, auf meine alten Tage Marionette zu werden.”
— Iſt es ein Widerſpruch, wenn Friedrich ſich ſieben Jahre ſpäter ſelbſt eine
le, Marionette, „eine der kleinſten der Marionetten“, genannt hat? In ſeinem
Brief an die Kurfürſtin-Witwe von Sachſen vom 1. Mai 1778 leſen wir:
„Es ift gewiß, daß die Menihen nah den Plänen, die fie ſich entwerfen,
handeln, ohne vorausjehen zu können, wo das Spiel der Urſachen zweiter Orb:
nung binführen wird. Alfo find wir, die Dinge genau bewertet, nur Mario:
netten, bewegt von göttlihen Händen, die unjeren Willen und unfere Handlungen
auf ein gemwiljes Ziel hinleiten, das wir nicht kennen, aber das fi mit Not:
wendigfeit in die allgemeine Verkettung der Urſachen des Univerjums eingliedert.“
Aber wir hörten in der Disputation mit d’Alembert, daß Friedrich für
den Willen immer nur eine „begrenzte“ Freiheit in Aniprud nahm. Dort be
trachtete er die menfchlihen Entſchlüſſe und Willensakte auf ihre Entftehung
und gewahrte den Spielraum, welcher der freiheit gelaſſen bleibt; bier betrachtet
er die Entichlüfe auf ihre Wirkung und gewahrt in ber Erfenntnis von der
Unficherbeit aller menjdhlihen Entwürfe die Grenzen jenes Spielraums. Der
Menſch iſt Marionette, jo ift feine Meinung, nicht als ob wir uns nicht frei
entichließen könnten, jondern weil die Verwirklichung unferer Vorſätze nicht von
uns abhängt, vielmehr durch taufend unvorbergejehene, unberechenbare Urjachen,
die Urjachen zweiter Ordnung (causes secondes), gefreuzt wird.
Diefe Urſachen zweiter Ordnung find es, die er der Kürze halber gern als
I
Der alte König und die neue Bildung. 579
*
Zufall”, bezeichnet. Auf die Rechnung dieſes Zufalls will er drei Viertel der
Weltereigniſſe jegen. Aber nicht ein blindes Ungefähr ift ihm diefer „Hazard“.
Einen Zufall in diefem Sinne erfennt er nit an: „was man gemeinhin ben
Zufall nennt, hat feinen Anteil an den Ereigniffen des Lebens”. Sehr be:
fimmt erklärt er, daß er unter Zufall nichts anderes verjtanden wiſſen will,
als „die Verfettung der Urſachen zweiter Ordnung, deren Spiel man erft nad):
träglih bemerkt, deren Wirkungen aber in der allgemeinen Ordnung der Dinge
einbegriffen find”. Zum Teil entfallen ihm diefe Urjachen zweiter Ordnung
auf die allgemeine menſchliche Schwäche und Unvollkommenheit, und injofern jagt
er gelegentlih, daß das, was das Volk Zufall und der Theologe Prädeftination
nenne, nah dem Urteil der Weifen jeine Urfahe in der Unklugheit ber — —
Menſchen habe. Eine lange Lebenserfahrung und Regierungspraxis hat den
philoſophiſchen König, hat den großen politiſchen und ſtrategiſchen Rechenmeiſter
davon überzeugt, daß dieſe Urſachen zweiter Ordnung es vor allem ſind, die
ein planvolles, geradliniges Handeln unmöglich machen: „Das Leben der Menſchen
hängt oft nur an einem Haar, den Gewinn oder Verluſt einer Schlacht kann
eine Bagatelle entſcheiden.“ Indem er von den auf Vernichtung Preußens
abzielenden Entwürfen ſeiner Gegner aus dem Siebenjährigen Kriege ſpricht,
fragt er: „Scheint es nicht erſtaunlich, daß das denkbar Raffinierteſte in der
menſchlichen Klugheit, verbunden mit der Stärke, ſich ſo oft durch unerwartete
Ereigniſſe oder Schickſalsſchläge betrogen ſieht? und ſcheint es nicht, als ob
es ein gewiſſes Etwas gibt, das voll Verachtung mit den Entwürfen der
Menſchen ſpielt?“
Iſt die Verknüpfung dieſer „Urſachen zweiter Ordnung“ dem menſchlichen
Auge nicht oder nur unvollkommen erkennbar, ſo ſpricht doch Friedrich die
Anſicht aus, daß das Vorhandenſein der allgemeinen und ewigen Geſetze, die
das Univerſum regieren, uns mit Fug auch Geſetze für das Einzelne annehmen
laſſe. Ja, jene ſeine Anſchauung, daß die Gottheit nur die großen Geſetze
vollſtrecke, den Individuen aber ihre Aufmerkſamkeit nicht zuwende, durchbricht
doch bisweilen ein Ausblick auf eine andere Möglichkeit. „Glück, Zufall
oder Vorſehung“, „Vorſehung oder auch Fatalität“, das ſind die taſtenden
Formeln, die er braucht, und wenn er in dem ergreifenden Schluß feiner Dar:
ftellung des Siebenjährigen Krieges feinen Wünſchen für die Zukunft Preußens
Worte leiht, wagt jein Gebet, diejen jeinen Staat, wenn auch unter Zweifel,
dem Himmel zu empfehlen, ) — „im Falle, daß die Vorjehung ihre Blide zu
den menſchlichen Erbärmlichkeiten hinabjentt.“
Aus Friedrihs Nachlaß ift ein feinen legten Lebensjahren angehöriges
Gedicht über das Dafein Gottes befannt geworden, ein Nachklang feiner Dis:
fuffion mit d’Alembert, feiner Polemik gegen den Atheismus, fein legtes Wort
zu den großen, ewigen Fragen, über die er jein ganzes Leben hindurch nad):
gefonnen hatte. Noch einmal erhebt er feinen Proteit: „Cine blinde Materie
als aller Wirkung erjte Urſache annehmen, das widerfteht und widerſpricht meiner
Zufall oder ſcherzhaft als „Seine Majeftät den Zufall”, den „heiligen Vater — u
) Bol. Bd. IT, 288 (2. Aufl. ©. 289).
dert.
)
4 ii ff
Ir 5 ARrLeAML
* 4 ——
—
580 Neuntes Buch. Dritter Abſchnitt.
Vernunft.“ — — „Wenn mein begrenztes Ich fühlt, denkt, will, ſich einen
Zwea ſucht, ſoll dann das allmächtige Weſen, der Urheber des Alls und meines
eignen Daſeins, keinen Zweck, keinen Willen haben?“ Und dann tritt der Ver—
faſſer, wie ſchon früher oft, dem landläufigſten Einwand gegen die Weisheit
und Güte Gottes entgegen: Alles moraliſche und phyſiſche Uebel, Peſt und Krieg,
Hunger und Durſt, Gicht und Steinleiden, ſo viel verheerende Naturereigniſſe,
anſcheinend wahrlich nicht die Geſchenke eines Vaters für feine Kinder, ſie alle
find uns nur deshalb unverftändlich, weil wir ihre Stellung in der Gejamtorbnung
der Dinge nicht kennen:
Nicht darfit du Gottes Weisheit fhuldig nennen,
Statt deiner Einfiht Schwäche zu befennen.
Er, der Allmächt'ge, fette dir die Schranfen,
Die all dein Vorwis nimmer bringt ins Wanken.
Vielleicht will er durch dieſe Finfternifie
Demüt’gen die Vernunft, die ſelbſtgewiſſe,
Die ſchon frohlodte, wenn fie hie und da
Im Streifliht eine Wahrheit dämmern fah.
Vermeſſ'nes Menfchenfind, rebelliihes Atom!
Wie viel fehlt dir, daß ſich dein Glüd erfüllte,
Und deinem blöden Blide ſich enthüllte
Das ewige Geſetz im Weltenftrom!
Da ganz du Gottes Ratſchluß könnteſt preifen,
Müßt' er dir erft fein gang Geheimnis meifen.
ER Wortflaubereien nannte Friedrich feine Einreden gegen d’Alembert in
Ahrem philofophiichen Schriftwechſel. Was könne man von einer Wiljenichaft
willen, in ber leere und mißveritändliche Worte als Dolmetiher dienen müßten?
Von ber Metapbyfit dürfe man wohl jagen, dab fie fih Ungeheuer geichaffen
habe, um ſie zu befämpfen. Er zog ſich wieder ganz auf feinen Sfepticismus
zurüd,.!) Erkennen lernen, das heiße zweifeln lernen; wer die Vhilofophie recht
ftudiert habe, jei genötigt mit Montaigne zu jagen: Que sais-je? Ueber die
Lüden in der Philojophie laſſe fih ein Werk jchreiben im doppelten Umfange
ber Encyklopädie.
Er war mit der fpefulativen Philojophie jet fertig. Aber den Peſſimis—
um: mus jeines Erfahrungsjages „Der Menſch ift zum Irrtum geihaffen” überwand
er durch die tapfere Lebensbejahung: „Der Menſch ift zum Handeln gefhaffen.”
Im Dienfte des Ganzen, in der Hingabe an das gemeine Wohl ſah er bie
Beitimmung des Menſchen, die Beitimmung jedes Einzelnen, wie feinen eigenen
I großen Königsberuf. Die Erfüllung der Pflicht hatte er von je als das höchſte
fittlihe Gebot hingeſtellt. An dem Bemußtjein der erfüllten Pfliht und an der
„Hoffnung auf fein eignes beftes Bemühen bis zum Tode“ ?) hatte er fich in
den jchweriten Prüfungen feines ſchweren Lebens, wenn jede andere Stüße ihm
1) Bgl. Bd. 1, 505. (2. Aufl. S. 506.)
2 Oben ©. 9.
Der alte König und die neue Bildung. 581
verjagte, immer wieder aufgerichtet. Hier war der feite Pol feiner Weltanſchau⸗ % —
ung, im Wirbel aller metaphyſiſchen Zweifel über das Woher und Wohin der —
Welt und des Menſchen. Seinen legten Willen bat er mit der Betrachtung
eingeleitet: „Unſer Leben ift ein eiliger Uebergang vom Augenblide unjerer
Geburt zu dem unjeres Todes; während diejes furzen Zwijchenraumes ift ber
Menſch beſtimmt, für das Wohl der Geſellſchaft, an deren Körper er ein Glied
iſt, zu arbeiten.“ Die Pflicht des Menſchen, ſeinesgleichen zu unterſtützen, nannte
er den Inbegriff der Moral; ein wackeres Herz werde nicht zufrieden fein, ohne ı
diefe Pflicht erfüllt zu haben.
Aljo jpielt er gegen die Metaphyfif die Moral aus, als die wahrhaft 5. «<>:
fruchtbare unter ben Provinzen der Philofophie, und gegen die Philofophen der
Gegenwart die großen Alten. Wenn er jhon unter den Metaphyſikern Epifur
als den Bahnbreder einer nichttheologifhen Welterflärung über Gajjendi,
Newton und Lode ftellte, die Meiſter unter den Neueren, jo fonnte fih ihm
vollends in der Moral niemand unter diejen mit den Stoifern meflen. Er mal:
will den Stoifern alle Verirrungen ihrer metaphyfifchen Schlüffe ) verzeihen zu
Gunften der dur ihre Moral herangebildeten großen Männer. Die erſte unter
allen Philoſophenſchulen ſoll ihm die jein, die am meilten auf die Sitten Ein:
fluß gewinnt, die Geſellſchaft zuverläjfiger, janfter und tugendhafter macht. Auf:
klärung ift ihm Erziehung.
„Bas nützen ber Gejellichaft,” fragt er d’Alembert, „die Entdedungen der
Modernen, wenn die Philofophie das Gebiet der Moral und Eittenbildung ver:
nadhläffigt, darein die Alten ihre ganze Kraft ſetzten?“ Er befennt ſich als
„großen Partiſan der Moral“, weil er die Menjchen genügend fenne und das
Gute mwahrnehme, das jene zu wirken vermöge. Ein Algebrift in feinem
Studierzimmer jehe freilih nur Zahlen und Proportionen: „das aber hält die
moralifhe Welt nicht im Gleis, und gute Sitten find für die Geſellſchaft mehr
wert, als alle Berehnungen Nemwtons.“
Und jo fonnte es nicht anders jein, als daß Friedrich auf das lebhafteite 4 ne —
die für die öffentliche Ordnung und das Gemeinmwohl gefährlihen Nuganwendungen 7 af (RR —
befämpfte, welche die neueften Philofophen aus ihren auf ſchwankendem Grunde ., u :
aufgebauten Theorien zogen. „Man muß geftehen,” fchreibt er, „daß der Ber:
fafler des Systeme de la nature zu unverſchämt bie Fenſter eingeworfen hat;
dies Bud hat viel Uebel angeftiftet, es_hat die Philofophie gehäffig gemacht
duch gewiſſe Folgerungen aus den Vorderjägen.” Er ftellte jest Voltaire, den
Verfaſſer des Akakia,“) als das Mufter für diejenige Wohlanftändigfeit hin, die
jeder Schriftſteller beobachten jollte, um eine zuläffige Freiheit nicht in einen
frehen Cynismus entarten zu laſſen.
D’Alembert und Voltaire hatten aljo Recht mit ihrer Vermutung, daß
Friedrich der Philofophie das Systeme de la nature nicht verzeihe. Die
Häupter ber franzöfifchen Aufklärung wußten es ſehr wohl zu jchägen, was die
Bundesgenofjenihaft des „nordiſchen Salomo“ für fie bedeutete. Polizei und Genfur
RER 3. ad:
) Bal. oben S. 576.
Bd. I, 523.
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une nFh aim.
582 Neuntes Bud. Dritter Abjchnitt.
‚in Franfreih mußten auf das erlaudhte auswärtige Mitglied der philofophifchen
Gemeinde wohl oder übel eine gewiſſe Rüdjicht nehmen; denn wenn bie Chikanen
und Verfolgungen das Maß des Erträglichen überjchritten hätten, jo wäre es
doch vielleicht einmal zu der Maflenauswanderung franzöfifher Philojopben nad
dem preußiichen Cleve gefommen, die Voltaire eine Zeitlang geplant hat. Und
im ganzen übrigen Europa gab der philoſophiſche König von Preußen für andere
* gefrönte Häupter, die große Katharina und fo viele Kleinere und Kleinjte, mit
feinem Mäcenatentum den Ton an. „Niemand hat die Philofophie und die
Ritteratur reſpektabler gemadıt,” jo erkannte es Woltaire gegen d'Alembert rüd:
haltslos an. Somit bedauerten fie es aufrichtig, daß Friedrich ſich der Philo:
jophie entfremdete und fich der großen Aufgabe der Aufklärung entziehen zu
wollen ſchien. Als den, der vorherbeitimmt jei, die Welt aufzuklären, hatte
einft Voltaire den jungen König begrüßt; ) jegt nannte der ergraute Herricher
ed verlorene Mühe, diefen unjeren Globus aufflären zu wollen, und erklärte es
für wichtiger, gut zu verbauen, als das Weſen der Dinge zu erkennen.
Als Friedrich bereits früher einmal, im Jahre 1766, bie Theje aufgeftellt
hatte, die Maffe verdiene nicht aufgeklärt zu werden, da hatte Voltaire erwidert,
für die Kanaille treffe das zu, aber nicht für die anftändigen Leute, „bie
denfen, die denken wollen”. Friedrich berief fi auf die Erfahrungen, die er
in feiner Eigenſchaft als Herrſcher mit diefer „zmweibeinigen Spezies ohne
Federn” gemacht habe; alle Philofophen der Welt würden das Menſchengeſchlecht
nit von dem Aberglauben, einem untrennbaren Beltandteil jeiner Miſchung,
abbringen. „Was bedeuten,” fo fragt er jegt d'Alembert, „einige aufgeflärte
Profefioren, einige weile Akademiker im Vergleich zu der ungeheuren Bolfszahl
eines großen Staates? Die Stimme dieſer Yehrer wird wenig gehört und er:
ftredft fich nicht über eine begrenzte Sphäre hinaus.” Er rechnet auf 10 Millionen
Einwohner nur 50000, die nicht durch die Arbeit für das tägliche Brot völlig
in Anſpruch genommen jeien: Adel und wohlhabenden Bürgerftand. Und von
diefen 50000 fehe man die meilten ohne geiftige Intereſſen, in Dummbeit,
Gleihgültigkeit oder Engherzigfeit oder in frivolem Genuß dahinleben: jo
möchten vieleicht taujend Gebildete übrig bleiben, nad Geilt und Gaben unter:
einander jehr verfchieden. Er verficht die Anficht, daß in einer Kolonie von
Freidenfern nah Ablauf einer Reihe von Jahren unfehlbar abergläubiide Vor:
ftellungen fich verbreiten würden; daß in feinem Neligionsiyitem die Fabeln zu
entbehren feien. Die Superftition ift ihm die Tochter der Furdt, der Schwäche
und der Unwiſſenheit; dieſe Trinität regiere ebenjo berriih in den Seelen der
Menge, wie eine andere Trinität in den Schulen der Theologen. Die von den
Philoſophen verachteten Abjurbitäten der Hierardhie ftüge der Enthufiasmus des
Pöbels — auch ohne die Nahhülfe ſelbſtiſcher Prieiter und übel berichteter
Fürften. Bei diefer Anlage und Stimmung der Gemüter will ihm Aufklärung
als ein ſehr unzureichendes Mittel ericheinen: „Man müßte den Menſchen Seelen:
mut einflößen können, ſonſt werden Erregbarfeit und Todesfurdt immer über
die ftärfften und methodiichiten Beweisführungen triumphieren.” Alfo blieb der
) Bd. I, 8.
Der alte König und die neue Bildung. 583
Birfel feines Erdentages: „Bei der Geburt habe ih die Welt als Sklavin des
Aberglaubens vorgefunden, und fterbend werde id) fie ebenjo zurüdlafien.”
Gern berief fih Friedrich auf Fontenelle, dem mit hundert Jahren ver: 7 Luce) 4
forbenen Neftor der franzöftichen Akademie, , ber geiagt, wenn er die ganze Hand a
voller Wahrheiten hätte, jo wollte er fie nicht für das Publitum öffnen. D’Alem: ;.._ —* ht Grm
bert erwiderte: „Die Philofophen, welche die Hand zu plöplih öffnen, ſin —
Narren, und man fchlägt ihnen die Fauſt ab; aber die, welche fie völlig ge:
ihlofien halten, thun für die Menfchheit nicht ihre Pflicht.”
Das war nun do, trotz jo mancher mißmutiger Klage über verlorene „,
Mühe, Friedrichs Meinung nicht, der Menfchheit die Aufklärung vorzuenthalten. ””
Aber von dem feiten Punkte aus, den er für fidh jelbit gewonnen hatte, ftedte 7 jr cu —
er der Aufklärung zugleich mit ihrem praktiſchen Ziele gewiſſe Grenzen. Es
gilt und genügt, aus der unendlichen Zahl der Irrtümer, deren Verzeichnis
einen dicken Folianten füllen würde, diejenigen zu bekämpfen, die der Geſell—
ſchaft ſchaden. Unbekämpft mögen bleiben die unſchuldigen, vielleicht jogar nüß:
lichen, die nüglichen und zugleich angenehmen Irrtümer.
Demnach fol man fih nicht bemühen, die Menſchen von jeglihem Irrtum 54
zu befreien und fie alle zu Philofophen zu maden, was ohnehin ausjihtslos fein, ——
würde, fondern man fol fich beſcheiden, fie tolerant zu machen, weil Ber! ——— —
folgungseifer den Frieden der Geſellſchaft untergräbt. Mit Genugthuung tet 1° de Zu.
der preußische König feit, daß Deutichland, weniger rüdjtändig als das offizielle
Frankreich, fih in diefem Sinne aufzuklären beginnt, daß man hier zu Lande
faum noch jemand nad jeiner Konfejfion fragt. Seinem fatholifchen Freunde,
dem Abbe Baftiani, jchreibt er zur Einweihung der Berliner Hedwigs-Kirche, in
Bamberg, Würzburg, Salzburg u. ſ. w. werde freilih weder eine [utherifche
noch eine calvinifche Kirche errichtet werden: „Ihr Andern, was Ihr auch jagen
‚mögt, habt nod die Nachmwehen vom higigen Fieber des Fanatismus, fo ſeid
Ihr auch nur halbe Menjchen.“ Auf der anderen Seite bittet er feine philo:
fophifhen Freunde in Franfreih, es feinem echt deutichen Phlegma, feiner Hy far cs.
Zugehörigkeit zu einer Nation mit abgeblaßten Leidenfhaften zu gute zu halten, |
wenn er auch die Kehrfeite der Toleranz betont: „Die Toleranz muß in der
Gejelichaft einem Jeden die Freiheit fihern, zu glauben, was er will; aber | u J-
—
x — Fr
dieje Toleranz darf nicht jo weit gehen, daß fie die Frechheit und Willkür junger
Thoren ermädtigt, was das Volk verehrt, fe zu verhöhnen.” Vorurteile,
weldhe die Zeit in der Vorftellung der Völker geheiligt, dürfe man nicht „vor
den Kopf ftoßen”.
Es war wohl jehwer, hier eine ſcharfe Grenze zu ziehen. Empfahl doc
Friedrich — wiederum, „mit vollen Händen Lächerlichkeit über den Aberglauben
auszuſtreuen“. Und wie in vertrauten Briefen, ſo hat er auch mit dem Worte,
vor ſeiner engeren Umgebung, an ſeiner Konfidenztafel, die chriſtlichen Dogmen,
katholiſche und proteſtantiſche, nicht geſchont und ſeinen Wit an dem, was für
die Gläubigen das Heiligſte iſt, ausgelaſſen. Wie dem Papſt ein parodiſtiſches
DBreve,!) ſo hat er noch 1779 einem franzöſiſchen Biſchof einen mit natur—
i) Oben S. 209.
584 Keuntes Bud. Dritter Abfchnitt.
getreuem ſcholaſtiſchen Bombaſt ausftaffierten theologischen Kommentar unter:
geichoben und fih das Vergnügen bereitet, diefen Nachzjügler der Litterae
R obscurorum virorum in die Salons der Pariſer Freigeiſter einzufchwärzen.
Ar per feine Kritit des Systeme de la nature wollte er doch nicht druden laſſen,
da dieſe Widerlegung des Atheismus ihm an einzelnen Stellen immerhin ge:
a _ = eignet jhien, frommen Gemütern Nergernis zu geben; das Jahrhundert jei noch
—* I nicht ſo aufgeklärt, daß man ungeſtraft ganz laut denken dürfe: „Ich will
— Niemand ſkandaliſieren, ich habe beim Schreiben nur mit mir ſelbſt geſprochen.
ER de)
i be: 7 ‚Sobald es dagegen gilt, ſich vor der Deffentlichkeit vernehmen zu lafjen, jo ift
mein feftitehender Grundſatz, die Kitzligkeit ber abergläubiihen Obren zu fchonen.”
Demnach erklärte er fih auch, von d’Alembert um eine grundjägliche
Aeußerung erfucht, gegen eine unbedingte Prehfreibeit: „Ohne die Herren
Encyflopädilten, die ich verehre, verlegen zu wollen, jo kenne ich die Menjchen,
7) ec weil ich mich lange genug mit ihnen beichäftint habe, und bin jehr überzeugt,
om — ddaß fie dämpfender Mittel bebürfen und jede Freiheit, die fie befigen, miß—
rem; |brauden, ſodaß auf dem Gebiet der Litteratur ihre Werke einer Prüfung zu;
ID urn Aunterwerfen find, nicht peinlih, aber jo, daß alles, was dem öffentlichen Frieden
BR ) und dem Wohl der Gefellihaft entgegen ift, unterbrüdt wird.” Ueber das in
Frankreich übliche litterariihe Autodafs jpottete er. Das ſei eine Hilfe bei
ftrenger Kälte; werde das Holz Inapp, jo würden die Bücher es nie werben; doch
möge man nur die Schriften und nit die Schriftiteller verbrennen, denn das
werde zu weit führen: „Wollte man den Verfaſſer des Systeme de la nature
verbrennen, ich jelbit würde Waſſer herbeitragen, feinen Scheiterhaufen zu
‚löfehen.“
’ Die Praris in Preußen entſprach diefer Theorie. Der König hatte die
ee li Bücercenfur, die in den erjten Jahren feiner Regierung faft außer Hebung ge:
22 tommen war, dur) das Edikt vom 11. Mai 1749 vier gelehrten Cenſoren,
Auriften und Theologen, nad den vier Gebieten Rehtswillenihaft, Gedichte,
Philoſophie und Theologie übertragen, mit der ausdrücklichen Erklärung, „daß es
feine Abficht keineswegs jei, eine anftändige und ernithafte Unterjuhung der
weten Wahrheit zu hindern, fondern nur vornehmlich demjenigen zu fteuern, was den
allgemeinen Grundjägen der Religion und ſowohl moralijher als bürgerlicher
Ordnung entgegen it“. Die Akademie genoß Genfurfreiheit, und die Uni—
verfitäten übten für bie unter ihrer Aegide ericheinenden Werke die Cenjur
felbftändig aus. Ueber politiihe Schriften und die hauptitädtifchen Tages:
zeitungen wachte das auswärtige Amt; in diefem Bereich blieb die öffentliche
Diskuffion ganz unterbunden. Sonſt aber wurde die Cenſur, ſolange Friedrich
lebte, jehr milde gehandhabt; viele Schriftiteller fetten fich über die Einholung
einer Druderlaubnis einfach hinweg, und als die theologische Fakultät zu Halle
1780 einer in Berlin bereits approbierten Schrift Schwierigfeiten in den Weg
legen wollte, verwies ihr der König diefe „zweite Cenfur“ mit dem Bemerfen,
daß die den Schriftitellern ohnedem äußerſt läftige Cenſur jo viel als möglich
einzufchränfen fei. Als aber bald darauf ein Berliner Litterateur eine Wochen:
jhrift unter dem Titel „Prebigerfritif” herausgab, nahm Friedrich bald Ans
ftand, diefe „nafeweifen Leute, die nur fhwagen und nicht predigen” , ge:
Der alte König und die neue Bildung. 585
währen zu laſſen; er verbot diefe Wocenkritif als den gemeinen Mann ver:
wirrend.
D'Alembert ſah in des Königs Verhalten der poſitiven Religion gegen- 34.
über bedenklichen Opportunismus. Er verwarf jene Unterſcheidung zwiihen den / ‚zu ven
ihäplichen Srrtümern und den unſchädlichen, erträglihen, ja nüglihen. Der
Anfiht, daß „Fabeln“ in feinem Religionsſyſtem zu miſſen feien, trat er mit
dein Sage entgegen, dab man feiner Auffallung nah dem Volle immer die “7
Wahrheit jagen müſſe. Er ftellte dem König die Gewiſſensfrage, ob es nützlich
fei, in religiöjer Beziehung, oder in irgend einer beliebigen Beziehung überhaupt,
das Volk zu täufhen. Er betrachtete es als eine Aufgabe der Regierungskunft,
das Chriſtentum zu feinem Urftand zurüdzuführen, zu der Predigt der Duldſam—
feit und Nächftenliebe und zum einfahen Kultus eines rächenden und belohnen:
den Gottes. Nur daß d’Alembert, der fih zum Anwalt der unbedingten Wahr:
baftigfeit aufwarf, an diefen Dieu vengeur et r&mundrateur doch jelbit nicht
glaubte! D’Alembert hat jhon 1769 dem König nahe gelegt, das Problem,
der Berechtigung einer Täufhung als akademiſche Preisfrage auszufchreiben,
und acht Jahre jpäter hat fich Friedrih in der That entfchlofjen, feine Akademie,
jo jehr fie ſich begreiflicherweife fträubte, zu der Frageftellung zu veranlaffen:
„Iſt es dem Volke nüblih, getäufcht zu werden, entweder indem man es zu
neuen Jrrtümern binleitet, oder indem man es in ben überfommenen beläßt?“ |
Zu den „nüßlichen und angenehmen Jrrtümern”, die man nicht befämpfen er ; Aufense
fol, zählte Friedrih auch den Ehrgeiz, das „Vorurteil der Reputation”. Freilih
bei genauer Prüfung bleibe vom Ruhm fehr wenig übrig: „Von Undankbaren
pa ———
beurteilt und von Thoren geſchätzt zu werden, feinen Namen im Munde eines Pöbels 7 Arare en
zu wiſſen, der ohne Grund zuftimmt, verwirft, liebt und hat, darauf darf man
nicht ftolz jein.” Aber, jo fragt Frievrih, „was würde aus den tugenbhaften
und löblichen Handlungen werden, wenn wir nit den Ruhm liebten? Alle,
die ih um ihr Vaterland verdient gemacht haben, find in ihren Handlungen
durch jenes Vorurteil ermutigt worden. Wohl fann nad unferem Tode unjer
Ruf uns ebenjo gleichgültig fein, wie alles, was beim Turmbau zu Babel ge:
ſprochen worden ift — und doch, gewöhnt zu leben, find wir empfindlich gegen
das Urteil der Nachwelt, und die Könige müſſen es mehr jein als die Privat:
leute, da das der einzige NRichterftuhl ift, den fie zu fürdten haben. Wer nur
ein wenig Empfindung bat, ftrebt nad) der Achtung feiner Mitbürger, man will
mit etwas glänzen, man will nicht mit der vegetierenden Menge zujammen-
geworfen werden. Diejer Inſtinkt ift eine Wirkung der Ingredienzen, aus
denen bie Natur uns zufammengefnetet hat: ich habe mein Teil davon.”
Unwillfürlich erinnern wir uns des Belenntnifjes, das der alte König
über den Anteil des Chrgeizes an jeiner erften großen That, an der Untere
frame:
nehmung 1 auf Schlefien, abgelegt hat.) Wohl kennt er ein Moralprinzip, das 5 /xc ———
den Ehrgeiz entbehren kann und ausſtößt. Er preift und bewundert dieſe
intereſſeloſe Moral, das Ideal der Stoiker, dieſe höchſte Sittlichkeit, die nicht
auf ſchnöden Lohn zählt, weder im Himmel noch auf Erben, die uns lehrt und |
1) Vgl. Bb. 1, 59. Dal. audy oben ©. 313.
los kick:
986 Neuntes Bud. Dritter Abfchnitt.
befiehlt, das Gute nur um feiner jelbit willen, nur aus Liebe zur Pflicht zu
thun.) Wohl hat ihm die Lehre der Stoa am Rande des Abgrundes ihren
Troft angeboten und gewährt, indem fie ihm die Verächtlichkeit aller irdijchen
Hüter zu beweifen bemüht war. Aber zugleich hatte er fih in folder Yage
doch überzeugt, daß er mit feinen heißen Leidenſchaften die „Unempfindlichkeit“
des Stoifers nie erreihen, den Schmerz immer als ein Uebel ſpüren merde.
\ Er unterdrüdte nicht den Vorwurf gegen die Stoa, daß fie dem Menſchen Leber:
menſchliches aufbürde, mehr von ihm verlange, als er leiften könne. Ihr Weiſer
‚enthüllte fih ihm als ein „abftraftes Weſen“.
Nicht an den abftraften Menfchen, fondern an den der Schwäche und
Verfuhung unterworfenen dachte SFriedrih, wenn er für die Zwecke der Er:
ziehung ein neues Moralprinzip aufitellte, das Prinzip der Eigenliebe als der
‚verborgenen Triebfraft aller menjchlichen Handlungen. Seit feiner Jugend
‚hatte er mit dem Gedanken ſich getragen, mit dem er 1770 öffentlidh hervor:
trat: „Ich wünſchte, daß man den Antrieb der Eigenliebe benugte, um den
Menſchen zu beweilen, daß es ihr wahrhaftes Intereſſe ift, gute Bürger, gute
Väter, gute Freunde zu fein, mit einem Worte, alle moraliihen Tugenden zu
lüben.“ Weisheit und Vernunft galten ihm als Früchte der mittelit Furcht und
Hoffnung auf unjere Handlungen einwirkenden Erfahrung. Er erwartete von
diefem jeinen auf den Nugerfolg begründeten Moralprinzip, daß es ſich fräftiger
erweifen werde nicht nur als jenes herbe Gebot der Stoifer, die Tugend jelbit-
108 zu üben, fondern auch kräftiger als die lodende Aufforderung der Epikureer,
in der Tugend den mit ihrer Hebung verbundenen Genuß zu ſuchen, und endlich
auch fräftiger als das für ftumpfe Seelen allzu erhabene Gebot bes Chriſten⸗
tums, das Gute aus Liebe zu Gott zu thun; jedenfalls jchien ihm fein Vor:
ſchlag treiflich geeignet, das chriſtliche Moralprinzip bei der Erziehung zu unter:
ftügen. Der alte König empfiehlt die Erziehungsmethode, die jeder verftändige
Pädagog beim Kinde anwendet. Seine tiefe Menfchenkenntnis, eine lange Er:
fahrung fagten ihm, daß durchichnittlich die Menſchen in diejer einen Beziehung,
in ihrem naiven Egoismus, immer Kinder bleiben, nicht Stoifer oder Engel
werden.
Den „Essai sur l’amour-propre envisag@ comme principe de morale*
ließ der König am 11. Januar 1770 in der Akademie der Wifjenichaften ver:
lefen. Die Schrift wirft zum Schluß den Gedanken hin, daß es vielleicht zweck—
mäßig jein würde, Katehismen zulammenzuftellen, aus denen die Kinder von
der zarteiten Jugend an lernen fünnten, daß, um glüdlich zu werden, die Tugend
ihnen unerläßli notwendig jei. Einen derartigen Katechismus hat er alsbald
eigenhändig ausgearbeitet, den „Dialogue de morale à l’usage de la jeune
noblesse*, den er dem Kommandeur der Berliner Kadettenanftalt zuitellte: die
praftiiche Anweilung zu einem religionslofen Moralunterriht. Hier aljo jollte
mit dem utilitariichen Moralprinzip eine Probe gemacht werden. Die fünf Jahre
früher erlafjene, auf wejentlih neue Unterrichtsmethoden hinweifende Inftruftion
für die Direltion der höheren militärifhen Bildungsftätte, der Academie des
’) Vgl. Bb. I, 501. 502 (2. Aufl. &. 502. 508).
Der alte König und die neue Bildung. 587
nobles, !) hatte diejes Prinzip zwar bereits betont, indem fie die Tugend als)
„nüglih und fogar fehr nüglih” anpries, hatte aber im Sinne der Stoa zu:
gleih als den Gipfel der Tugend die vollftändigfte Selbitlofigkeit bezeichnet.
Der „Berfucd über die Eigenliebe”, der „Katechismus“, die „Inſtruktion“
und noch weitere drei, glei zu erwähnende Schriften verwandten Inhalts find , , 4
die denfwürdigen Zeugnifle für den lebhaften Anteil, den der König in ber? ni unch 0
zweiten Hälfte feiner Regierung an pädagogifchen Fragen nahm. Er fette ſich Rn vduculer
ganz eigentlih vor, jegt auch der Erzieher jeines Volkes zu werden. „Je mehr $ Kr pi.
man im Alter vorrüdt,” jchreibt er am 6. Dftober 1772 an d’Alembert, „deito
mehr gewahrt man den Schaden, den der Gejellihaft die VBernadläffigung der
Jugenderziehung zufügt; ich falle die Sache auf alle mögliche Art an, um dieſen
Mißſtand zu verbeffern. Ich _reformiere_die Mittelſchulen, die Univerfitäten und
gehe bis zu ben Dorfichulen; aber es find dreißig Jahre von nöten, um bie
Früchte zu fehen. Ich werde fie nicht genießen, aber ich werde mid) damit . 1
tröften, meinem Vaterland dieſen Vorteil, deſſen es bisher entbehrt hat, zu ver: Iıffar weit,
mitteln.” Von dem Erziehungsiveal Rouffeaus, welches das junge Geſchlecht >“ La —
bejubelte, lenkte diefe Schulreform freilich weit ab.
Ein öffentliches Bekenntnis hat der königliche Pädagog über feine grund: j
fäglihe Stellung zur Wiſſenſchaft, Aufklärung und Bolfsbildung niedergelegt in pi; Irscmmmrı
dem „Discours_de l'utilite_des_sciences_et des arts_dans un Etat‘, der am % ,772 «Änike
27. Januar 1 1772 in der Akademie zur Verlefung fam. Er ſchlägt feine Shlaht „eL RC .s
mit zwei Fronten, gegen die alten und gegen die neuen yanatiker, gegen die „_) Aursım
„Seltalten in jchwarzer, brauner, grauer, weißer oder ſcheckiger Soutane“ hüben
und gegen Rouffeau drüben. Er nennt Rouſſeau nicht bei Namen, aber er
„ſchämt fih”, vor der Afademie jagen zu müſſen, daß man die Frechheit gehabt
habe, es in Frage zu ftellen, ob die Wiſſenſchaften der Geſellſchaft nüglich oder
ſchädlich ſeien. Die pejlimiftiihen Töne der Briefe an d’Alembert werden ge: yrr.
dämpft; ftatt der Klage über das Undankbare aller Verfuche, den ewig Blinden ——
des Lichtes Himmelsfadel zu leihen, begegnet uns der Hinweis auf einen that: „, „_e
ſächlichen Fortichritt: daß zwar die Dialektik dem Verftändnis des Pöbels ent: PER rl
rüdt jei, daß diefer ganze große Teil des menſchlichen Geſchlechts immer — ——
allen zuletzt die Augen öffnen werde, daß man aber gleichwohl es erreicht habe,
auch das Volk von dem Glauben an Zauberer, Adepten und Beſeſſene und
von ähnlichen kindiſchen Thorheiten zurückzubringen. Die Anſicht t gewiſſer ſchlechter
Staatsmänner, daß es leichter ſei, ein unwiſſendes und ftumpffinniges Volk als
ein aufgeflärtes zu regieren, beitreitet er auf das lebhafteſte: ein von Jgnoran:
Paradies gleihen. Vom Standpunft gerade des Staatsmannes legt er dar, yalaa EG
was die einzelnen Wilfenfhaften dem Gemeinweſen praktiſch leiten: Mathematit,, ea. ;
Phyſik, Botanik, Anatomie, Mechanik, Ajtronomie und Erdfunde, Geihihte und
Philoſophie. Die Verächter der Künfte aber erinnert er daran, dab Amphion
) Oben ©. 508.
oma f Av
588 Neuntes Bud. Dritter Abfchnitt.
dur die Klänge feiner Lyra die Mauern von Theben eritehen ließ, d. h.
daß die Künfte die Wilden zu fanften Sitten gewöhnten und jo Raum für bie
Begründung der Gemeinſchaften jchufen. Er führt das Zeitalter der Blüte
Athens, das Auguſtiſche, die Renaifjanceperiode, die Regierung Lubwigs XIV.
als die Höhepunkte der Weltgeihichte vor und jchließt mit der Warnung, wenn
heutzutage ein Staat in Europa verabjäumen wollte, die Wiſſenſchaften zu
ermutigen, jo würde er bald um ein Jahrhundert hinter den Nahbarn zurüd:
bleiben, wie Polen dafür ein greifbares Beiipiel liefere.
Der akademiſchen Abhandlung war vorangegangen eine pädagogiſche Flug:
ſchrift. Als Brief eines in Preußen lebenden Genfers veröffentlichte der König
Ende 1769 Betrachtungen „Ueber die Erziehung“, eine ſcharfe Kritif der in den
Rinderftuben der oberen Schichten feiner Anficht nach eingeriffenen Verweich—
lichung. Er beflagt, daß man die Kinder einmal durch eine blinde Liebe verzärtele
und andererjeits den Händen der Dienerſchaft oder ungeidhidter Hauslehrer
überlaffe, die der Erziehung und des Schliffs felber entbehrten!); er fragt, ent:
ſchieden ungerecht gegen das Gejchlecht des Siebenjährigen Krieges, was Arminius
oder der große Kurfürft jagen möchten, wenn fie die _verweichlichte Jugend von
heute jehen würden. Noch ungünftiger beurteilt er die übliche Erziehung der
Tödter. Es empört ihn zu jehen, wie man die volle Hälfte des Menjchen:
geihledhtes bis zu dem Grade veradte, daß man alles vernadläflige, was
ihren Geift bilden könnte. Wo bleibe einem Wejen Zeit zur Befinnung auf fich
jelbjt, defien Tagemwerf jei, zwei bis drei Stunden vor dem Spiegel mit der
Betrachtung, Bervolllommnung und Bewunderung der eigenen Reize zuzubringen,
den ganzen Nachmittag mit Klatjcherei und den Abend mit Theater, Spiel, Mahl
und wieder Spiel auszufüllen? Und das in dem Jahrhundert der großen
Fürftinnen, die ihre männlichen Vorgänger jo weit überträfen — ein Bemeis,
daß mit männlicherer, fräftigerer Erziehung das weibliche Gejhleht dem männ-
lihen überlegen fein würde.
An diefe allgemeinen Bemerkungen über die häusliche Erziehung fnüpfte
der Verfaſſer beitimmte, no zu ermwähnende Vorſchläge für die Reform des
höheren Unterrichts auf Gymnafium und Univerfität, und nahm deshalb Veran—
lafjung, feine Schrift dem damals an der Spite des geiftlihen Departements
jtehenden Miniſter v. Mündhaufen zur Beachtung zujuftellen. Dod wurde
nicht mehr diejer, jondern jein bald darauf ernannter Nachfolger der Bollitreder
des Programms für die Unterrichtsreform: ein wie Carmer aus Schleſien
herangezogener Staatsmann, der bisherige Präfident der Oberamtsregierung zu
Brieg, der bei feiner Ernennung zum Minifter noch nicht ganz vierzigjährige
Karl Abraham v. Zedlitz, der erſte große Unterrichtsminiſter des preußiſchen
—
Staats, mit ſeinem freien Blide und feiner ſicheren Hand der Mann nad dem |
Gefallen des Königs.
Carmers aus Schleſien mitgebradtem Plane für die Juſtizreform hatte der
König nur jeinen Arm geliehen; dem neuen Unterrichtsminifter alfo gab er
für feine Aufgabe auch die leitenden Gedanken mit auf den Weg.
1) Bol. Bd. I, 498 (2. Aufl. &, 199).
Der alte König und die neue Bildung. 589
ebung des Verftandes und des Urteils hat Friedrich als „das erſte Iufrimnet
Fundament bei der Erziehung“ bezeichnet. Demnädjit verkündete Immanuel Kant ra
als „Wahlſpruch der Aufklärung” das horazifche „Sapere_aude!*: „Habe Mut, A fur“
dich deines eigenen Beritandes zu bedienen” — in jener Umfchreibung des
Begriffes Aufklärung, die der große Philojoph 1784 in der Berliner Monats:
4 Pr
ihrift_ gab: Aufflärung der Ausgang des Menſchen aus feiner jelbitverjchuldeten Kuhn
Unmündigfeit, aus dem Unvermögen, ſich feines PVerftandes ohne Leitung eines
anderen zu bedienen. Mit Recht durfte ſich Kant auf Friedrich jelbft beziehen:
„3 höre von allen Seiten rufen: räjonniert nit! Der Offizier jagt: räſon—
niert nicht, ſondern ererziert! Der Finanzrat: räfonniert nicht, fondern bezahlt!
Der Geiltlihe: räfonniert nicht, jondern glaubt! Nur ein einziger Herr in der
Welt jagt: räfonniert, jo viel ihr wollt und worüber ihr wollt, aber gehorcht!“
„Wer am beiten räfonniert,“ hat der König einmal zu Zedlitz gejagt,
„wird immer weiter fommen, als einer, der faljiche Consequences zieht. Ein
jeder Bauer muß jeine Sade überlegen, und wenn jeber richtig dächte, das
wäre ſehr gut.” Brendenhoff, dem der König für das Retablifjement der
Neumark und Pommerns!) auch die Schule befonders empfohlen hatte, faßte
1764 in einem Schreiben an das geiftlihe Departement die „allerhöchſte Inten—
tion” dahin zufammen, „daß das Wohl des Staates durch Erzeugung vernünf:
tiger und gelitteter Unterthanen mehr als durch dumme und unmifjende ge:
fördert werde”. Und in jener afademifchen Abhandlung von dem Nuben der
Wiffenihaften für den Staat heißt es, erfahrungsmäßig ſei das Volf, je abge:
ftumpfter, defto verbohrter und halsitarriger; es jei viel ſchwieriger, ſolche Hals—
ftarrigfeit zu befiegen, als ein Volk, das gebildet genug ſei, um Vernunft zu
hören, von dem Richtigen zu überzeugen. Eine Kabinetsorbre von 1769 ver:
langt, die Landbewohner müßten einen „vernünftigen umd deutlichen Unterricht
in der Religion” erhalten, damit „der Verftand mehr aufgeklärt” und ihnen ein
richtiger Begriff der Pflichten gegeben werde: „die mehrften Bauernkinder
bleiben darüber in der größten Unwiffenheit, und diefer Dummheit, um mid jo
auszubrüden, muß notwendig am eriten abgeholfen werben.” Eben deshalb
fomme es bei den Bemühungen um das Schulweien vor allem auf das platte
Land an; dort ftehe es am fchlechteften, in den Städten möge es mit den
Volksſchulen noch angehen.
Zu einem Einblid in den Betrieb und die Mängel der Dorffhulen der
Mark Brandenburg hatte der König im Feldzug von 1759 Gelegenheit ge:
nommen, als er nad der Schlaht bei Kumersdorf mit feinem geichlagenen Heere
die Hauptftadt dedte. Im Augenblide des Friedensihluffes ?) erinnerte er fi
eines vor vier Jahren gefahten Vorjages; eine Anzahl Kabinetsbefehle aus dem
Februar, März, April 1763 eröffneten den Behörden, daß der König nad) glüd:
lich bergeftelltem Frieden „die Aufrechterhaltung der Schulen im Lande und die
gute Ordnung bei ſolchen“ jegt „mit zum Hauptaugenmerk” genommen habe. Vom
12. Auguft 1763 datiert das „Generallandjhulreglement” für die evangeliihen
ı, Oben ©. 354.
2) Oben ©. 341.
Tas ———
590 Neunted Buch. Dritter Abfchnitt.
Schulen, die Arbeit des unermüdlichen Direktors Heder von der 1747 bes
gründeten Berliner Realſchule. Für die fatholiihen Schulen Schlefiens erging
am 3. November 1765 ein Neglement; bier hatte der Prälat des Saganer
Auguftinerftiftes die Feder geführt, der Abt Felbiger, ber fih Heders Thätig-
feit zum Vorbild genommen batte; Heder rühmte ihm nah, daß diejer Mönd
in Schlefien mehr Eifer für die Verbeilerung des Schulweſens zeige, als bie
Vorstände der evangelifhen Schulen.
Jumnerarg 4 F Die Grundlage, auf der man fußte, war die Gejeggebung Friedrich Wil:
n dm cal Lhelms L.: das Edikt von 1717, das den Grundiag der_allgemeinen Schulpflicht
ul i ausgefprodjen und den Eitern geboten hatte, ihre Kinder im Winter täglich, in.
Sommer wenigſtens an zwei Wocentagen zur_ Schule zu ſchichen, und die
Ausführungsbeftimmungen für einzelne Provinzen von 1736 und 1738. Aud
1754 und 1759 waren derartige Einzelvorichriften ergangen, für Minden
Kurs ri; und für Schleſien. Die neuen Ordnungen von 1763 und 1765 ſahen vor:
176 8- 5’ eine geregelte Aufſicht t über die Säulen durch geiftliche, aber von Staats
wann wegen beauftragte Organe, durch den Ortsgeiftlihen und durch einen Inſpeltor
> innerhalb eines größeren Bezirks, eine Auffiht, die fih auch auf die Schulen
an ach, Privaten Patronats erftredte; fie fnüpften die Anftellung der Lehrer an eine
rau; vorangegangene Prüfung. Dem Lehrerjeminar, das Heder an jeiner Realſchule
eingerichtet hatte, und den älteren in Königsberg, Stettin und Kloſter Bergen
traten weitere derartige Anſtalten zur Seite. Das Reglement von 1763 wollte
weiter den Lehrer ſo geſtellt wiſſen, daß er nicht auf Nebenverbienit angewielen
blieb. Bisher war es die Regel gewejen, daß der Dorfſchulmeiſter zugleich das
u Schneiderhandwerf übte. In dem Reglement für Schleiien mußte dem Ser:
‚ler — fommen und den thatjächlihen Verhältniffen das Zugeftändnis gemacht werden,
üuchere: daß „die Schneiderprofeflion, das Wirken und dergleihen“ aud fürderhin
„vergönnt” wurde, „feineswegs aber das Bier- und Branntweinfchenfen, das
Handeln oder das Aufwarten in denen Kretihamen mit Muſik“. Auch in den
Ba beſcheidenen Grenzen, die man fi ftedte, ftieß die Durdführung der Regle—
D Arc res ments auf die größten Schwierigkeiten. Die Mitarbeiter des Königs hatten es -
vorausgewußt, daß „die Natur, die Dummheit, der Stolz und der Eigenfinn
des Bauers, Pächters und Landedelmanns” ohne Zmwangsmaßregeln nicht zu
überwinden jein würden. Nühmlihe Ausnahmen bildeten die jeit 1773 ein:
gerichteten Mufteranftalten_des Domberrn von Room auf feinen Dörfern im
Havelland und die Schulen der Maltzahnſchen Güter in Vorpommern. Nicht
einmal die Schulbehörden felber thaten überall ihre Schuldigfeit. Die Herren
Inſpektores hielten die Vilitationen, wie Zedlitz klagte, wohl unter ihrer Würde,
und aus mandem Geiftlihen hätte nad dem derben Ausdruck des Minifters
erit der Bierlümmel berausgepeiticht werden müſſen, ehe er zum Aufjeher über
die Schule geeignet gewejen wäre. „mmerbin fam man vorwärts. Eine außer:
ordentlihe Bifitation, die im Winter 1768,69 auf ausdrüdlichen Befehl des
Königs. vorgenommen wurde, batte das beite Ergebnis für Oftfriesland, das
nädhitbeite für Halberftadt, das am wenigiten befriedigende für Pommern und
zu zweit für die Neumark. Für Preußen und Sclefien wurden die Zuftände
wieder als gut bezeichnet. In Schlefien waren vom Frühjahr 1763 _bis zum
Der alte König und die neue Bildung. 591
‘ Herbft 1765 251 katholiſche Schulen neu begründet worden, bis Anfang 1769 Reentle
weitere 240 katholiſche und 238 evangeliihe. In der Kurmarf waren 1771
unter 1997 Dörfern noch 337 ohne Schule.
Das größte Hemmnis blieb der Mangel an geeigneten Lehrern, die Folge/ 4 gen)
der Dürftigfeit der Einkünfte, der nod lange nicht durchweg abgeholfen war, . ef j
auch nicht, als der König in einzelnen Provinzen die Zinjen der dem Adel vor: © j
geſchoſſenen Kapitalien ') teilweije für die Verbeſſerung der Lehrergehälter an:
gewiejen hatte. Nun galt es, die zahlreihen neuen Stellen zu bejegen, dem—
nächſt eine ganze, bisher völlig von Landſchulen entblößte Provinz?) mit Lehr:
fräften auszuftatten und endlih für die ausjumerzenden Gevatter Schneider
Erſatz zu ſchaffen: fie mochten fehen, wie fie allein mit ihrer Nadel ſich kümmer—
(ih weiter halfen. Nachwuchs ließ ſich ſchwer heranziehen. Wenn der Lehrer
vor dem 22, Lebensjahre füglich nicht angeftellt werden follte, wie fand bis
dahin der im Seminar vorgebildete Anwärter jein Austommen? Wer fi be:
gabt zeigte, bezog da lieber in der Hoffnung auf Freitiſch und Stipendien die⸗ —
Univerſität. In einem ſpäteren Zeitpunkt hat jener Brenckenhoff, unter dem ust Aumlı/
lebhaften Einſpruch des Minifters Zedlitz, dem König vorgefchlagen, alte Unter: Fr ut
offiziere, foweit fie geeignet fein würden, den Dorfſchulen vorzufegen. Aber Pins;
unter 3443 Jnvaliden mujterte die Militärbehörde nur 79 als vielleiht brauch—
bar Heraus, und von diejen 70 beftanden dann keineswegs alle die Prüfung
vor dem Konfiftorium, in einem Bezirk von 13 nur 3, von denen einer wiederum
wegen feiner ausgeiprocenen Unluft zur Uebernahme einer Schule ausfiel. R
Ueber das der Volksſchule zu jtedende Ziel ftimmten die Anfichten des F ubrr eh
Königs und des Minifters überein. Obgleich itatiltiiche Angaben nit vor: ⸗
liegen, darf man annehmen, daß die Zahl der Analphabeten, die bis auf den
heutigen Tag aus den Kulturitaaten nicht ganz geihmwunden find, in dem da—
maligen Preußen noch beträdtlih war. An diefem Punkt alfo mußte der
Hebel zunädft angejegt werden. Die Schulordnung für Minden von 1754
fannte nur Religion und Leſen als verbindliche Unterrichtsgegenftände, die Teil:
nahme der Kinder an den Schreib: und Rechenſtunden war in das Belieben.
der Eltern geitellt. Daß der Bauer nicht jchreiben lernen dürfe, galt mandem
| Gutsheren als ausgemadte Sade, und ein alter Lehrer hat 1772 die Anficht
/ Kuna) b-
Zedlig faßte in einer afademijchen Nede von 1777 feinen Standpunkt dahin Mar er Dim
jo jei es eine Thorbeit, die fünftigen Schneider, Tiſchler oder Krämer wie einen
Konfiftorialrat oder Schulrektor zu erziehen. Der Menjchenfreund Rochow, deſſen
Beftrebungen Zedlitz anfänglih warm begrüßt hatte, wurde ihm fpäter als
Cosmopolite enthousiaste verdädhtig, der die Dorfjugend zu Hug made. Be:
) Oben S. 361.
) Oben S. 494. 495.
592 Neuntes Buch, Dritter Abjchnitt.
rufe zu unterrichten jei, der Bauer anders als der Bürger und als ein bereinftiger
— 22Melehrter, hielt Zeblig auch in dem Reformplan feſt, den er nad dem Thron:
mh “Dar. wechjel von 1786 entwidelt bat: gelehrt dürfe der Bauer nicht werben, aber
a „ein guter und in feinen Stande verftändiger, brauchbarer und thätiger Mann“.
Zedlitzens Leitſatz entiprad ganz der uns befannten Grundidee des Frideri—
cianifchen _Ständeftaates ) mit feiner ſcharfen Sonderung der ſozialen Schichten,
ER und aus * dieſer Grundanſchauung — hat der König dem —— „ein
ihr — In —
wine il „wiſſen ie > viel, jo laufen fie in Städte und wollen Secretairs = io
Dupapnte was werben; deshalb muß man aufm platten Lande den Unterricht ber
jungen Zeute jo einridhten, daß fie das Notwendige, was zu ihrem Wiſſen nötig
ift, lernen, aber au in der Art, daß die Leute nicht aus den Dörfern weg:
laufen, fondern hübſch da bleiben.“
Was den Neligionsunterriht in der Volksſchule anbetrifft, jo legte der
Valacı / König auf ihm enticheidendes Gewicht. Nicht als ob er geglaubt hätte, die
Arlicrome Religion zur Unterftügung der Polizei aufbieten zu müflen; denn er vertrat die
et rn Meinung, daß eine kräftige und beharrliche Staatsgewalt die Untertbanen auch
nk ohne die Androhung göttliher Strafen zum Gehorfam gegen die Gejege anzu:
hans; halten vermöge. Aber wir fennen Iele Qusuhtung mo: ber Moral bes
Chriftentums.?) Von ihr erhoffte er die fittlihe Hebung der Maſſe. So jollten
auf die ſer Stufe des öffentlihen Unterrichtes Morallehre und Religionslehre zu:
jammenfallen. Der Grenzen, die aller Erziehungstunft geſetzt find, blieb Friedrich
fih auch bier bewußt. Der Philanthrop, der idealiftiihe Pädagog mag die
Achſeln zuden, wenn der König von dem Morallehrer der Volksſchule nichts
weiter verlangt, als daß er die Leute jo weit bringen fol, „daß fie nicht ftehlen
und morden”; ber alte Praftifer aber wußte ſehr wohl, daß er damit jogar
noch zu viel verlangte: „Diebereien werden nie aufhören, das liegt in der menſch—
2/5 # lichen Natur.” Und als ihm der Profeffor Sulzer gutgläubig den Erziehungs:
——— grundſatz der Rouſſeau und Vafedow, dab der Menſch von Natur gut ſei,
ua " anpreifen wollte, befam er die Antwort: „Ad, Sie fennen diefe verfluchte
Raſſe nicht genügend, der wir angehören.” i
2,4 Von dem Religionsunterriht in der protejtantiihen Volksſchule erwartete
; der König noch ein anderes. Der Lehrer joll den Kindern Attachement zur
eye! Religion beibringen, „damit die Leute bei ihrer Religion hübſch bleiben und
nicht zur Fatholifchen übergehen, denn die evangeliihe Religion ift die beite,
und viel beijer wie bie Fatholifche”. Ein Urteil, dem er in anderem Zufammen:
‚ hang eine bejondere Beziehung auf die Moral beider Konfeffionen gegeben hat.
In demjelben Jahre des großen Krieges, da der König in den Zuftand
der kurmärkiſchen Volksſchulen einen Einblid gewann, bat er ſich aud mit
einigen Fragen des höheren Unterrichtes beſchäftigt. Um jeinen trüben Gedanfen
eine Ablenfung zu geben, verfaßte er in den ſchweren Tagen unmittelbar nad)
der Kapitulation von Maren?) einen Aufſatz über die Methode, wie man die
1, Dben S. 556.
?, Dben ©. 574.
>) Dben ©. 234.
Der alte König und die neue Bildung. 593
Alten leſen müffe, und über ihr Verhältnis zu den Modernen. Er vertrat die
Anfiht, daß man von diefen um fo größeren Gewinn haben werde, je gründ-
liher man mit Geilt und Inhalt der Alten vertraut geworden fei. In der:
Schrift „Ueber die Erziehung” von 1769 nannte er unter den Gymnafien feines
Landes das Joachimsthal, das Domgymnafium zu Brandenburg, das Gymnafium
zu Klofter Bergen bei Magdeburg als Beijpiele für einen verhältnismäßig guten
Unterriht, glaubte aber ſelbſt bei ihnen die Ueberlaftung der Schüler mit Ge:
dächtnisftoff rügen zu müflen: man gewöhne fie nicht an jelbftändiges Denken,
übe das Urteil nicht früh genug, verfäume die Seelen aufzurichten und ihnen
edle und tugendhafte Regungen einzuflößen. Auch bier legte jett Zeblik die
Hand an, und mit größerem Erfolg als in der Volksſchule. König und Minifter
famen überein, daß mit der Reform in der Reſidenz und in den Hauptftädten
der Provinzen anzufangen ſei; beide waren auch über die Haupterfordernifje des
Gymnafialunterrichtes durchaus einverftanden, wie fie der König dem Minifter
in der Aubdienz vom 5. September 1779 noch einmal ans Herz legte: Vom
Lateiniſchen werde er nicht abgehen, auch vom Griechiſchen nit: „das find die
wejentlihften Stüde mit;” doch werde e8 gelten, die leichtefte Methode für die
Erlernung ausfindig zu machen. Friedrich wünſchte dringend, von den Klaffikern, f
lateinifhen wie griehifchen, gute deutſche Ueberfegungen angefertigt zu jehen: 3
„damit die jungen Leute eine Idee davon friegen, was es eigentlich it, fonften
lernen fie die Worte wohl, aber die Sache nicht.” Die weiteren Forderungen
des Königs waren: ein guter Unterricht im Deutſchen nach der beften erreidh:
baren Grammatik — Zeblig ſetzte fi demnädft mit Adelung für diefen Zwed
in Verbindung; Uebungen in der Rhetorif an der Hand des Duintilian; eine
Einführung in die Elemente der Mathematif, der PhHilofophie, Logik, Meta: ”
phyſik und Geſchichte der Syſteme, nicht durch einen Geiftlihen, „ſonſten ift
es ebenfo, als wenn ein Jurift einem Offizier die Kriegskunft lehren fol“; in
der Geichichte Bevorzugung der neueren Zeit feit dem jechzehnten Yahrhundert,
nach einem Weberblid über die früheren Perioden, der wiederum das Altertum
vor dem Mittelalter bevorzugen folte.
Mit dem ſtarken Rüdhalt am Throne, im Beſitz der Mar und beftimmt
ausgedrüdten Befehle des Monarden vermochte Zeblig den da und dort ihm
entgegentretenden, bald offenen, bald verftedten Widerftand einzelner Schulvor:
ftände, Ruratoren, Zehrerfollegien leicht zu breden. Der thatfräftige junge Rektor
Meierotto vom Joahimsthaliihen Gymnafium machte ihm die erite Probe auf
die neuen Zehrpläne. Den der altberühmten Anftalt angekündigten perfönlichen
Beſuch hat der König ihr ſchließlich nicht abgeftattet, aber dem Rektor Meierotto
und dem Kurator Merian gewährte er am 22. Januar 1783 eine anderthalb:
ftündige Audienz: „Es freuet mich, mein lieber Profeffor, daß ih Ihn kennen
lerne, wie jtehts in dem Gymnaſium?“ war bie erjte Anrede; die Unterhaltung
wurde dann franzöfiich fortgefett, der König jprad mit großer Lebhaftigfeit
und ging nad) des Rektors Zeugnis „jehr ins Genaue in Anfehung des Gym-
nasio und befonders der Rhetorik”. Noch mand anderer wadere Schulmann
leiftete freudige, verjtändnisvolle und erfolgreihe Mitarbeit an dem Reformwerk,
ein Lieberfühn in Breslau, Steindart in Züllihau, Struenfee in Halberſtadt,
KRofer, König Friedrich der Große. IT. 2. Aufl. 38
4; ws 37/4
GI, FERN
— )
—
—
l
594 Neuntes Bud. Dritter Abſchnitt.
NRötgers in Magdeburg, Buſching und Gedike in der Hauptſtadt. Den Dank
der Altertumsfreunde für den. Ihren Studien angebrodenen neuen Tag erftattete
Gedike 1781 in feiner „Nachricht von der Einrichtung des Friedrich-Werderſchen
Gymnafiums”: „Für Ale ift außer dem unmittelbaren Nuten und Vergnügen
der Wunfch unjeres großen Monarden, daß das Studium ber griechifchen
Litteratur eifriger auf den Schulen getrieben werben folle, und das Beifpiel
eine Zeblig, der täglih im Heiligtum der griehifhen Mufe fih von den
Arbeiten des Staates erholt, und das ‚Beifpiel fo mander anderer großer Männer
» Berlins eine kräftige Aufmunterung.“ Bald entftanden in der Hauptftadt, aus
t
rk 424 —
hufrereman
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hu en nk a
m ira =
Miles hat *
zünftigen und unzünftigen Verehrern von Hellas zuſammengeſetzt, dieſe griechiſchen
Geſellſchaften, die bis auf den heutigen Tag fortblühen.
Wie von dem Gymnaſium verlangte der König auch von der Univerſität
Feine Verjüngung des Unterrichtsbetriebes, den Bruch mit dem Schlendrian, die
‚Einführung zwedmäßigerer Lehrmethode, die Anleitung der Jugend zu ſelb—
ftändigem Denken und zu eigner Arbeit. Auch hier trat er mit ganzem Nach—
drud für die Pflege der klaſſiſchen Spraden ein. Er glaubte zu bemerfen, daf
das Studium des Griechiſchen und Lateiniſchen an den Univerfitäten nicht mehr
jo im Schwange ſei, wie früher; an b’Alembert jchrieb er geradezu, daß ohne
jeine Bemühungen die Erlernung der griehifhen Sprache fih ganz verlieren
würde. Es wollte ihm jcheinen, „daß die guten Deutjchen, von der tiefen Ge:
lehrfamkeit angemwibert, in deren Belik fie ehedem waren, jegt mit möglichſt
geringem Koftenaufwand zu wiflenihaftlihem Ruf gelangen wollen”; in falſch
verftandener Nahahmung der Franzofen feien fie auf dem beiten Wege, ober:
Hächlich zu werden. Dachte der König, als er 1769 ſolches jchrieb, etwa an
den balliihen Profefjor Klog? Es wäre wohl möglih, daß Friedrih dur
Duintus Icilius auf das bedenkliche Treiben und den wiſſenſchaftlichen Banferott
dieſes neumobijchen Philologen aufmerkſam geworden wäre, ber die Loſung aus—
gegeben hatte: „Gott erweiſe Euch die Gnade, weniger gelehrt zu werben.”
Mängel anderer Art tadelt er an ven Profefioren der Philofophie. Die Monaden:
lehre und bie präftabilierte Harmonie, auf die fie noch immer ſchwören, nennt
er einen „Gallimathias“, und ein andermal, etwas höflicher, den Roman eines
Mannes von viel Genie; das ganze Syſtem des „doctissimus, sapientissimus
Wolffius® gilt ihm als ebenio abfurd und unverftändlih wie die früheren
Schulſyſteme; er rät den deutfhen Philojophen, gegen den einzigen Metaphyſiker,
. der die Imagination dem Bonfens geopfert habe, gegen Locke, ihre nationalen
Borurteile aufzugeben. So hatte er jhon 1754 perfönlih den halliihen Profefior
Meier veranlaßt, Vorlefungen über Lodes Philofophie zu halten. Den Juriften
ruft er zu: „Wir ftehen nicht im Jahrhundert der Worte, jondern in dem der
Dinge.” Bon den Medizinern, aus deren Wiſſenſchaft er ſich allerhand Kennt:
niffe angeeignet hatte, verlangt er, daß fie Hippofrates und Gallen nur ale
Ausgangspunfte betrachten und ſich an die Lehren der neuen Meifter halten
folen. Den akademiſchen Gejchichtslehrern empfiehlt er ungefähr denjelben
Gang des Unterrichtes und diefelbe Stoffverteilung, wie er beides jhon für das
rn Gymnafium gefordert hat: insbejondere eingehendere Behandlung der neueren
Geſchichte feit Karl V., weil von da ab alles interefiant und denkwürdig werde;
Der alte König und bie neue Bildung. 595
weiter fol der Lehrer die Entwidelung der Berfafjungszuftände und Rechtsord:
nungen vorführen, eine Gejchichte der Anfichten und Meinungen geben und bie
Urſachen der großen Ereignifje darlegen. Viel mehr Wert als Ueberfüllung mit
Yahreszahlen und unverbauten Einzelfenntniffen hat ihm auch beim Gejchichte:
unterriht Schärfung des Urteils, wozu bier noch der praftiihe Lehrzweck tritt:
die Erwedung der Nadeiferung durch großes und gutes Beifpiel.
Der Bermwilderung der afabemifhen Sitten glaubte der König durch das
Edikt vom 9. Mai 1750 wirkſam gefteuert zu haben, das ganz feiner eigenen
Entſchließung entjprungen war und bei defien Abfafjung er mit eigener Feder
mitgewirkt hatte. Mißtrauifch blieb er gegen Fleiß und Eifer der Profefforen.
Noch 1784 hat er als die Hauptjache bezeichnet, „daß die Professores meinen
Anmweifungen und Verordnungen gemäß die Studenten in jeder Fakultät mit
aller erjinnlihhiten Treue und Sorgfalt unterridten”. Auch fand er, daß Pro-
fessores „immer zu weitläuftig“ feien. Bon feinem Interefje an den Berufungen 7, +7, h .
neuer Zehrer zeugen zahlreiche Randbemerkungen zu den Vorſchlägen der Minifter.
Selbft einem Zedlitz machte er bei ſolchem Anlaß bisweilen Einwände, obgleich
bei ihm diefer Mann, der Jünger und Verehrer von Jmmanuel Kant, der Gönner
von Friedrid Auguft Wolf, auch als Leiter des Univerſitätsweſens eine wohl: ,
verdiente Vertrauensftellung einnahm.
f
In den Dienft des großen Erziehungswerkes, das ihm am Herzen lag, Arc |
ftellte »der König endlich aud die Akademie ber Wiſſenſchaften. Sie hat in
feinem Sinne und auf feine Anregung im legten Jahrzehnt feiner Regierung
ihre Preisfragen vorzugsmweife auf das Gebiet der Moralphilofophie gerichtet,
um eine Berftändigung über die Grundprobleme anzubahnen und dieje zugleich
zu popularifieren — aud ein Weg, bie Menſchen befier und toleranter zu
machen, wie Friedrich es von ber Aufflärung forderte. Solange Maupertuis
die von ihm wiederhergeftellte Akademie beherrjcht hatte, waren die metaphyſiſchen
Preisaufgaben an der Tagesordnung geweſen und im entſchiedenen Gegenſatz
gegen bie Leibniz. Wolffiche Philojophie formuliert und beurteilt worden. Dann
bradte Sulzer diefe Richtung vorübergehend noch einmal zu Anfehen: jchon
fürdtete Friedrich, Leibnizens „ſchwangere Monade” wiederkehren zu jehen, und
verlangte jest alfo, im Oktober 1777, daß die Akademie intereffantere und
mehr praftiihe Fragen ftatt der unverftändlichen zur öffentlihen Erörterung
ftellen follte. Er jelbft drängte ihr eben damals jenes heifle Thema von ber
Zuläffigfeit der Täufhung !) auf, nit um die Akademie zu verhöhnen, wie
wohl behauptet worden ift, fondern weil d’Alembert ihm gejagt hatte, daß nur
vor diefem Tribunal, nicht in dem von Vorurteilen erfüllten Frankreich, jene
Frage unbefangen gewürdigt werden könne; die Akademie hat dann, nicht das
Ergebnis, jondern nur die Methode der Antwortſchriften vor ihr Forum ziehend,
unter 42 Bearbeitungen des Gegenftandes je einem Anwalt und einem An:
Eläger der „Täuſchung“ den Preis zuerkannt. |
Die Fabel, daß der alte König feine Akademie verachtet, ja gehaßt habe,
daß er ſich den Spaß bereitet habe, ungefähr wie fein Vater, ihr eine große
') Oben ©. 585.
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996 Neuntes Bud. Dritter Abfchnitt.
NA und > Anzahl Mittelmäßigfeiten aufzupfropfen, ift nach Friedrichs Tode von dem Fran:
ya Pa Pre zofen de Laveaur in Umlauf gejegt worden, dem bie Pforten der Akademie
x den dam verſchloſſen geblieben waren und der fi durch feine Angriffe gegen einzelne
7 Akademiker eine ſcharfe Zurechtweiſung ſeitens des Königs zugezogen hatte. Wenn
Friedrich in feinen legten Lebensjahren zur Zeit feines Berliner Winteraufent:
haltes einzelne Afabemifer nachmittags zu gelehrter Unterhaltung empfing, fo
beweift das viel mehr fein Intereſſe an Akademie und Wilfenichaft, als daß ihm
mit jenem hämiſchen Zoilus der Zwed, ſich über die Pedanterie feiner Gäfte
Iuftig zu machen, angebichtet werben dürfte, gleihviel ob Friedrich in Briefen
Fuchs, an d'Alembert dieſe afademijchen Nebenftunden ein wenig draſtiſch jchilderte:
ka „3 habe die meiften unferer Afademiker gefehen. Die Einen haben mir von
Lt, FT einem neuen Glauben geiprohen, die Anderen von einem neuen Kometen, ich
N J— warte darauf, daß ſie ſein Los entſcheiden, um ihn entſprechend zu ehren. Was
Herrn de La Grange anbetrifft, er rechnet, rechnet, rechnet über ſeinen Kurven,
foviel Sie wollen; Herr Formey macht Lobreden, Achard dephlogiftiiche Luft,
Weguelin ftudiert, wie man den Dreißigjährigen Krieg hätte jchneller beendigen
fönnen.” Daß jeine Akademie manches zu wünſchen übrig ließ, daß fie nicht viel
zuzufegen hatte, verheblte er fih nit: „Ohne glänzend zu fein, geht fie jachte
ihren Weg.” Anı übelften war es ſchließlich um bie philoſophiſche Klaſſe beftellt,
die in der Folge für geraume Zeit eine fo große Bedeutung gewonnen bat;
fie war der Stolz der Akademie, weil Paris und London, teils aus Scheu vor
einem Zufammenftoß mit der Theologie, teils aus Mißtrauen gegen den anſpruchs—
vollen Dogmatismus der berühmten Syiteme, eine ſolche Klafie nicht befaßen;
aber dieſe philojophifche Klafje war beim Tode des dem Könige wenig genehmen,
aber erträglichen Wolffianers Sulzer 1779 fo hülflos, daß fie den Theologen
Formey zum Direktor wählen wollte, „den heimlichen Feind der Philoſophie“,
als den ihn Friedrich verjpottete, das unerreichte Mufter der Kleinlichkeit, Selbft-
gefälligkeit und Geſchmackloſigkeit. Ihren Ruhm behauptete die Afademie in der
Mathematik und den Naturwillenichaften.
—— —*
"m... torifche Gewalt) übte er jetzt ſelber aus, nicht ohne Nat und Zuſtimmung bes
rl: m Kurator in absentia d’Alembert, aber au nicht ohne eine gemwifle Vorficht
* ALL BR r gegenüber den Vorſchlägen diejes Beraters, wie fie fih ihm aus feinem Miß—
trauen gegen die Philofophen der neuelten franzöfifhen Mode ergab. Hat doch
auch die Berliner Afademie, vielleicht auf des Königs Geheiß, gegen den Atheis—
mus bes „Systeme de la nature“ ®) eine feierliche Erklärung veröffentliht. Dem
heimlichen Präfidenten in Paris wiederum wurden die Unterlagen für jeine Vor—
Ichläge, joweit es fih um Einheimifche handelte, doch erft von Berlin her, aus
den Kreijen der Akademiker, an die Hand gegeben. Die Gegner der Akademie
jpotteten, daß die von d’Alembert empfohlenen und entjandten Franzojen von
eben der Ware jeien, welche die Parifer Kaufhäufer als „gut für den Norden”
1) 3b. I, 495.
2) Dben ©. 573 ff.
Der alte König und die neue Bildung. 597
zu bezeihnen pflegten. Thatſache ift, dab nah 1763 die wahren Vertreter der ©, __,..
Wiffenihaft in der Akademie die Deutihen waren, und dab die franzöfiihen , 7...
Akademiker, Hugenotten von der alten Kolonie wie die neuen Zuwanderer aus _
Franfreih und der franzöfiihen Schweiz, mit einziger Ausnahme des großen
Aftronomen La Grange, als Gelehrte nichts bedeuteten. Die Zahl der deutſchen
Mitglieder aber war bei Friedrichs Tode auf fünf zuſammengeſchrumpft, fünf
Naturforſcher. Erſt Herkberg hat dann zwölf Deutiche auf einmal, die Vertreter
der Berliner fridericianiihen Aufklärung, die Epigonen Leifings, in die Afademie
eingeführt. Daß fie zu Friedrichs Lebzeiten nicht völlig in Deutſchland vereinfamt,
auf das geiftige Altenteil geflommen, der Vergeſſenheit anheimgefallen war, hatte
die Akademie nur jenen Preisfragen zu danken gehabt, durch die fie mit der neuen
deutihen Bildung doch einige Fühlung gewann, nicht bloß mit der Berliner
Aufklärung, jondern aud mit den kommenden Männern, ben Kant und Herder.
Ueber jein perjönliches Verhältnis zu der neuen deutſchen Bildung bat
König Friedrich, ihren Trägern und Jüngern zum Xergernis und Herzeleid, ein / le :
öffentliches Belenntnis abgelegt. Ende November 1780 erſchien die legte feiner
pädagogiihen Abhandlungen, die Schrift „De la literature allemande*.
Der Berfaffer entwidelt abermals jeine Gedanken für eine Reform bes
Unterrichtes, im Sinne ber „Lettre sur l’education* von 1769, deren Dar:
legungen bier ergänzt und zum Teil näher ausgeführt werden. Die Reform:
vorſchläge werben begründet dur den Hinweis auf den gegenwärtigen Stand
der deutſchen Litteratur, deren bisherige Leiftungen dem Verfafler als jo kläglich
erjcheinen, daß er den Kampf gegen bie Urſachen ihrer Unterwertigfeit für eine
dringende nationale Aufgabe hält.
Seit Friedrid am 6. Juli 1737 in einem jeiner früheiten Briefe an
Voltaire einen Blid auf die deutſche Literatur geworfen, hatte er von Zeit zu ur
Zeit in einem müßigen Augenblid fih über ihre Fortichritte zu unterrichten >- * IN
je !) am meiften immer durch feine dürftige Kenntnis der eigenen Mutter: | |
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ſprache behindert: deutſche Terte zu lejen bereitete ihm Mühe, laut vorgelefen
wurden fie ihm eher verftändlih. In Leipzig hatte er während bes Siebenjährigen
Krieges den gefeierten, hocherhabenen Patriarden Gottſched geſprochen, ber ihm
bald jehr mißfiel, und den bejcheidenen Gellert, deſſen Fabeln er ſeitdem mit
Anerkennung zu nennen pflegte. Sein Gejamturteil aber über die Deutfchen ,. /
als Dichter und Schriftfteller blieb das alte. Ex_jhreibt an Voltaire im Zui —
1775 nicht anders als im Juli 1737: „Zwei Dinge fehlen den Deutjchen, die A" —
Sprade und der Geihmad”; daraus erklärt er ſich ihren Wortihwall, ihre Zum——
Sprachmengerei, ihre Urteilslofigkeit über das, was ſchön, was mittelmäßig oder u - “t:!
vollendet, was edel und erhaben ift: „Worausgejegt, daß viele R vorkommen,
halten fie ihre Verje für harmonisch.” Deutichland ſcheint ihm in ber Litteratur
nicht weiter gefommen zu fein, als Frankreich unter Franz I. Den Geſchichts—
ichreiber Johannes Müller, der ihm 1781, von d’Alembert warm empfohlen,
) Vgl. oben ©. 285.
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98 Neuntes Bud. Dritter Abfchnitt.
vorgeftellt wurde, fand er „minutiös” und bebauerte, daß dieſer „Monjieur
Mayer” an der Nationalfrankheit der Deutihen, der Adywv draßhore, leide.
Eine Anftellung in Preußen fand Müller ebenfowenig, wie vor ihm Windel:
mann und Leſſing. Beiden hatte Duintus Jcilius die Stätte in Berlin zu
bereiten verjucht, bei Hofe der eifrige Anwalt der beutjchen Bildung. So
bradhen auch andere Männer in bes Königs Umgebung für die deutſchen Schrift:
fteller eine Lanze, vor allen Hergberg und der Baron Grimm. Und jchon be:
gannen unter des alten Königs Augen junge Offiziere feiner Garde für den Dichter
des Werther zu jhwärmen, fündeten ihren Freunden in der Provinz das bevor:
ftehende Erfcheinen des Egmont als wichtige Neuigfeit an und priefen „ganz
bezaubert“ die Stella als „durdgehends Goethiſch, das ift warm und ftarf“.
rs Im Widerfprud gegen die an ben König berantretenden lobenden und
bewundernden Urteile über die junge deutihe Dichtung ift unfer Litteraturbrief
entftanden. „Sie wundern fi,” beginnt der Verfaffer, „daß ich meine Stimme
nicht mit ber Ihren vereinige, um den Fortſchritten Beifall zu zollen, welde
die deutfche Litteratur, nad Ihnen, täglid made.“ Wie in dem Briefe an
Voltaire von 1775 vermißt er eine gebildete Spradhe und einen gebildeten Ge:
ihmad. Freilich die Klage, daß die deutjche Litteratur ſich in jo viel Dialekte
zeriplittere, als das Reich Kreife zähle, fie verfannte die Thatjahe, daß man
eine gemeinfame Schriftipradhe, fo ungelent und raub fie jein mochte, längit
befaß. Ebenfo war es ein Mißgriff, daß Friedrich zur Erläuterung und Be:
fräftigung feiner Behauptungen über die deutſche Geihmadlofigfeit Beifpiele
heranzog, die um Jahrzehnte zurüdlagen — die den Zeiten entlehnt waren,
da der junge Prinz lange Stellen aus der Aſiatiſchen Banife, dem 1688 er:
ſchienenen Roman, auswendig gelernt hatte, wie er fie noch nad) vielen Jahren
dem Baron Grimm aus dem Gedächtnis deffamierte. Hergberg, dem der Ber:
faffer fein Manuffript vor der Drudlegung zeigte, hatte vergeblich vorgefchlagen,
die Verſe eines Unbefannten, die Friedrich als zehnjähriger Knabe in Wuſter—
haufen gehört haben wollte und jegt als Beijpiel der Gejhmadlofigfeit anführte,
durch eine Gottſchedſche Strophe zu erjegen; denn jo weit war man ja vorge:
ſchritten, daß der „anſehnliche Altvater” dem öffentlihen Spott ausgefett werden
durfte. Die Lejer ausnahmslos überrajchte und verblüffte es, Klopftod, Leſſing,
Wieland überhaupt nicht genannt zu hören; die Jungen und Jüngſten aber
waren empört, daß der größte von allen, ihr Abgott, jchroff, wegwerfend ab:
gelehnt wurde: „Man kann Shakeſpeare die bizarren Verirrungen verzeihen,
denn die Geburtsitunde der Künfte ift nie der Zeitpunkt ihrer Reife; aber nun,
mie mmels| fieh da, tritt no ein Göß von Berlidingen auf die Bühne, die abjcheuliche
"Nachahmung diefer ſchlechten englifhen Stüde und das Parterre klatſcht und
‚ verlangt mit Enthufiasmus die Wiederholung diejer niedrigen Plattheiten.”
2 Friedrih hat ein paar Jahre darauf Wieland ein großes Verdienſt um
die Bildung des deutihen Geihmads zuerfannt und hat an den alten Gleim,
den er 1785 durch eine Aubdienz erfreute, die Frage gerichtet, ob Wieland oder
Klopftod der größere ſei. Er foll über Lejfing, wie Laveaur behauptet, geſagt
haben: „Sch würde ihn ſchätzen, wenn er nicht die Emilia Galotti geſchrieben
hätte,” ein Stüd, in weldem der Prinz ein Dummkopf ſei, der Kammerberr
Der alte König und die neue Bildung. 599
ein Meuchelmörder, die Gräfin eine Furie, die Mutter eine Schwägerin, die P
Tochter beihränft und der Vater ertravagant. Was Shafejpeare und Goethe ? ef
anbetrifft, fo darf das Urteil über fie unter allen ſchroffen Behauptungen unferes heran
Litteraturbriefes am menigiten überrafhen. Beide hatten damals noch eine ſtarke } Arge
Partei in Deutichland gegen fih. Noch 1787 ſprach Formey in einer öffent:
lihen Sigung der Berliner Akademie von gewiflen unverrüdbaren und unzer:
förbaren Vorurteilen des nationalen Geihmads, denen, wie es jcheine, auch
Shakeſpeare troß unbeftreitbarer Schönheiten ausgefegt bleibe. Und in Gleims
Kreifen freute man fi, daß Friedrich wider „die Shafefpearijh wütende Rotte“
hart geiprodhen habe. Bor dem Mafftab der Bühnengeredhtigkeit, den Friebrich
der franzöfiihen Tragödie mit ihren erftarrten drei Einheiten entnahm, fonnte |
ber Götz freilich nicht beftehen; verwarfen ihn in feiner Uferlofigfeit doch felbit‘ var 2 5;
erklärte Gegner der galliichen Aftermufe, des falſchen Regelzwanges. „Shakeſpeare = bern 7
bat Euch ganz verborben,” meinte Goethes kritiſcher Freund Merd, während v., v-
Leſſing nicht übel Luft hatte, im Efel über das im Kielmafjer des Göß herein: / AD
flutende theatraliihe Unwejen mit Goethen „troß allem Genie, worauf er jo
pocht“, anzubinden. Bald nahm niemand ftärferes Nergernis als Goethe felber an
den Nachfolgern feines Götz, an ber wilden Maßlofigfeit des Ritter: und Räuber: |
dramas, Wenn Friedrich aus der ganzen dramatiihen Produktion der Sturm: |
und Drangperiode gerade das Goetheſche Stüd heraushob, jo iſt damit der
Dichtung nur ihr Recht der zeitlihen und geiftigen Erftgeburt gewahrt worden.
Vielleiht aber wollte der König mit der fchroffen Ablehnung des Götz auch dem ,,, ww:
genialiihen Treiben jenes Eleinen Fürftenhojes einen Stich verjegen, an Dem In, ?
man einen Poeten zum Minifter gemacht hatte. Als der Rektor Meierotto ihm
auf jeine Frage nah Wielands Wohnſitz Weimar nannte, erwiderte er lachend:
„Wo der Herzog mit feinem Goethe lebt.” Erft bei der Begegnung im —8*
1786 lernte er dieſen Herzog ſchätzen, als den beſten des Weimarer Hauſes
ſeit Bernhard.
Hätte er nur ſtatt des von ihm als rühmliche Ausnahme angeführten
„Poſtzuges“, eines heute vergeſſenen Stückes von dem Wiener Ayrenhoff, Leſſings
Minna genannt, ſo könnte im übrigen fein abſchätziges Urteil über die deutſche
Komödie ohne weiteres beftehen bleiben. Noch jüngft hatte ihr Lejfing in ber
Hamburgifhen Dramaturgie das vernichtende Armutszeugnis ausgeftellt: „Unfere
höchſt triviale Komödie.” Und wie Lejfing diefe einzelne Gattung, jo betrachtete
Herder um 1770 unfere ganze Litteratur als dürftig, damals „als er in I, ko
Straßburg unbarmherzig den „Vorhang zerriß”, der dem jungen Goethe „die -rı 4..,—
Armut der deutſchen Litteratur verhüllte”. Gerade das, was Friedrih an den se —
Deutfhen vornehmlich tadelte, empfand ja aud Goethe als ein Grundbübel,
indem er ſich fagte, „daß der erite Schritt, um aus der wällerigen, weit:
ichweifigen nullen Epoche ſich herauszuretten, nur durch Beitimmtheit, |
Ari?»
und Kürze gethan werden fünne”. Nur daß Goethe, unterrichteter und deshalb
gerechter als Friedrich, es anerkannte, daß einzelne Schriftiteller mit mehr oder
weniger Erfolg „bem breiten Unheil” zu entgehen gefucht hatten.
Hätte Friedrich fih gründlider und umfaffender unterrichtet, hätte er alles
Beſte, was zu feinen Tagen bis 1780 in deutſcher Sprache geichrieben war, ge |
[23
Me *
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600 Neunted Bud. Dritter Abjchnitt.
fannt, fein Urteil würde gleihwohl nicht anders gelautet haben. Leifings Anti:
Goeze würde er als Pfaffengezänk angefehen haben, wie Hutten anfänglich Luthers
Thefen, und der Hamburger Dramaturg, der die großen Franzojen von ihrem
Throne ftürzte, wäre ihm ohne Zweifel als ein Herojtrat erſchienen. Noch viel
entſchiedener aber als Leſſing hatte fich das jüngere Geſchlecht von der klaſſiſchen
‚Zitteratur des Siecle de Louis XIV, abgewendet, in der Friedrich fein Ideal
und die er in Voltaire fortgeſetzt ſah. Dieſer Voltaire, jagt Goethe in der
Schilderung feiner Straßburger Zeit, „war ſelbſt bejahrt wie die Litteratur,
‚die er beinahe ein Jahrhundert hindurch belebt und beberricht hatte”. „Be:
ion und vornehm“ war dieje Litteratur, war Voltaire, war auch Friedrich; fo
ihied ihn von der neuen deutfchen Bildung der Gegenſatz zweier Generationen,
zweier Kulturen.
In der Erregung, in bie feine Schrift die Gemüter verjegte, unter dem
lauten Scelten, das die Veröffentlihung begleitete, wurden die mandherlei
treffenden Bemerkungen des Verfaſſers von den meiften überhört. Thatjächlich
aber fam die beutjche Litteratur in ihrer weiteren Entwidelung dem Standpunft
Friedrichs entgegen, als fie aus dem Sturm und Drang in den Klaffizismus
Ay er mas Die ein Jahr nad des Königs Tode erſchienene Iphigenie würde
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feinem Schönbeitsideal mehr genügt haben als der Götz.
Auch der edle Patriotismus wurde nicht anerfannt, der ihn getrieben hatte,
jeine Stimme zu erheben, und der ihn hoffen hieß, daß bereinft die deutſche
‚Litteratur den vor ihr gefommenen Weltlitteraturen ebenbürtig jein werde:
„Wir werden unjere Eajliihen Autoren haben; jeder wird fie lefen wollen, um
‚von ihnen zu gewinnen; unfere Nachbaren werbe das Deutjche lernen; die Höfe
‚werden es mit Vergnügen jprehen, und es wird dahin fommen, baß unjere
'Sprade, verfeinert und vervolllommnet, jih dank unferer guten Schriftiteller
‚von einem Ende Europas zum andern verbreitet. Dieje jchönen Tage unjerer
Litteratur find noch nicht gefommen, aber fie nähern fih. Ich fünde fie Euch
‚an, fie werden erjcheinen, ich werde fie nit jhauen, mein Alter verſagt mir
se dieſe Hoffnung. Ich bin wie Mojes: ih ſchaue von ferne das gelobte Land,
aber ich werde es nicht betreten.”
Das war mehr als eine pathetiihe Deklamation. Auch hier jpricht der alte
König nur lang gehegte Gedanken öffentlih aus. Denn ſchon 1772 hatte er in
einem Briefe an d’Alembert, nad einer mwehmütigen Klage über die geringe
Wirkung feiner Bemühungen um die Läuterung des Geihmads feiner Landsleute,
; ‚Die Frage aufgeworfen, warum bie Wiſſenſchaften, die ja zu reifen pflegten,
nah ihrem Beſuch in Griechenland und Stalien, in Frankreich und England,
nicht auch einmal auf einige Zeit in Preußen ihren Sit auffchlagen follten:
= „Man muß fi mit diefer Hoffnung ſchmeicheln, und ſchon der Gedanke er-
— ‚freut mid.“
Wenn Friedrich in jeinem Litteraturbrief den Deutſchen einen Auguftus
herbeiwünſcht, der die Virgile erweden möge, jo hatte er früher doch gejagt,
"daß fein Fürft ein Zeitalter wie das auguftiiche oder medizäifche herbeizuführen
, vermöge, daß die Natur die Genies hervorbringen und ihnen da ihren Pla
anmweifen müſſe, wo jie ſich entwideln fünnten. Und fo iſt es bei uns geſchehen:
Der alte König und die neue Bildung. 601
„Ne entfaltete die Blume nicht am Strahl der Fürftengunft” durfte Schiller der
deutihen Muje nahrühmen, und auch was er Hinzufeßt, entſprach nur der
Wahrheit: er
' Bon dem größten deutfchen Sohne, |. m «ıı!
Von des großen Friedrichs Throne
Ging fie ſchutzlos, ungeehrt. \
Dod die deutihe Muje hat dem großen Könige darum nicht gegrollt. Timer
Erſchöpfend gefennzeihnet waren jeine Beziehungen zu der deutfchen Geifteskultur” . , PR
mit Schillers Flammenmworte noch nicht. Nicht einmal die zu der deutichen
Dichtkunſt. Der in Friedrichs Litteraturbrief unter allen deutſchen Dichtern am
unbilligften angegriffene, der Dichter des nad) Friedrichs Geſchmack abjcheulichen
Götz, hat nahmals das klaſſiſche Zeugnis abgelegt, daß der erſte wahre und
höhere eigentlihe Lebensgehalt duch Friedrich den Großen und die Thaten des
Siebenjährigen Krieges in bie deutiche Poeſie gefommen it; und hat nicht Schiller
jelber daran gedacht, eine Epoche aus Friedrichs Leben, feine Größe im Unglüd,
zum Gegenjtand eines epiichen Gedichtes zu wählen? Wiederum blieb in Herbers Her? _
dankbarer Erinnerung Friedrich lebendig als der Vorfämpfer der Humanität, ae Bad
„ein großer Feldherr in ber Verſammlung der Humanitätsfreunde”. „Wir find ; 7, :
darüber einig,“ befannte er fieben Jahre nach Friedrihs Tode, „daß wenn ein
großer Name auf Europa mächtig gewirkt hat, es Friedrich gewefen.” Aus bes
Königs nachgelaffenen Schriften trug fih Herder eine reihe Auswahl von „Ge:
danken und Marimen“ zufammen; er erfannte an, daß dem König in den
unhumanften Situationen feines Lebens feine humane Gefinnung nie ganz fremd
geworden fei, und fprad den Wunſch aus, daß alle Fürften und Prinzen jeine ER
Werke lefen möchten, „und zwar fo, als ob jie den großen König jelbit hörten“. |
Und endlich bat Kant das Zeitalter der Aufklärung „das Zeitalter Friedrichs”
nennen wollen, meil Friedrich die Freiheit gewährt habe, von der Vernunft |
öffentlih Gebrauch zu maden.
Die Aufklärung und ihre Träger find viel gepriefen und viel gefcholten
worden. Die neue deutſche Bildung, der Herder und Goethe das Banner —
vorantrugen, hatte mit einer kräftigen Auflehnung gegen den um die Mitte des
Jahrhunderts zur Vorherrichaft gelangten Nationalismus eingefegt. In feiner
„Bhilofophie der Geſchichte“ hatte Herder 1774 zu Gericht geſeſſen über die
durch Voltaire vertretene Geſchichtsſchreibung mit ihrer Geringihäßung bes
Mittelalters, über das „arme policierte” Europa der Gegenwart, über das
Jahrhundert der Einförmigfeit und Abftraftion, über Friedrich felber, befien
Uniform das Jahrhundert trage. Wenn nun nad Friedrichs Tode berjelbe
Herder an den alten Gleim gejchrieben hat: „Sie find aus Friedrihs Zeit, und
id wills s auch. jein und bleiben” — jo hat er damit anerfannt, daß ein
[ebenbiger £ Zufanmenhang der Entwidelung vorhanden war, daß die einft von
ihm befämpfte Aufllärung feinem eigenen Bildungsideal den Boden bereitet hatte.
Amt
27
Dierter Abjchnitt.
Der deuffihe Jürſtenbund von 1785.
ftoff, den der alte König von Preußen feinen deutichen Landsleuten bot.
Herder hatte im Verlauf der „Litteraturfehde” gemeint: er wünſche,
ber König ſchriebe nicht mehr, lebte aber noch einige Jahre für Deutjchland.
Friedrich hat die wenigen Jahre, die ihm noch blieben, bis an die legte Stunde
genugt. Dem müden Greife gelang noch einmal ein großer Wurf. Wer hätte
geglaubt, daß nad den blendenden Anfängen des jugendfrohen Eroberers von
Schlefien, nah den Zeihen und Wundern, die der Held des Siebenjährigen
Krieges im Ringen gegen eine bewaffnete Welt Freunden und Feinden zu
Schauen gegeben hatte, nad) ben überzeugenden Beweiſen von Weitblid und
Augenmaß, von Entichloffenheit und Mäßigung, die der Altmeiſter der Staats:
funft 1772 bei der Wiebererwerbung von Weftpreußen und noch jüngft bei der
Errettung von Baiern abgelegt hatte, daß nach diefer Fülle der Gefichte bie
Teilnahme der Welt an dem Helden des Jahrhunderts noch einer Steigerung
fähig fein würde? Und doch jollte es fo geichehen.
Die Anfänge des neuen Jahrzehnts, die erften achtziger Jahre, ließen
folde Wendung nicht vorausjehen. Die preußiiche Politik verlor den Stügpunft,
der ihr ſeit 1764 gedient hatte, dad Bündnis mit Rußland. Und weiter: aus
dem legten Kriege war der König mit der erniten Sorge heimgefehrt, daß beim
Tode der Kaiſerin-Königin ihr Sohn jeine Bergrößerungspläne wieder aufnehmen
mwerde.!)
Aus diefem Grunde wünfhte man in Berlin der Kaiferin:Königin einen
langen Zebensabend, während in Wien dem Ende des Königs mit einer gewiſſen
Ungeduld entgegengejehen wurde. Nicht ale ob es die Abficht geweſen wäre,
ben Nachfolger Friedrichs des Großen alsbald mit Krieg zu überziehen. Die
Taktik des Fürften Kaunig war eine andere: es gelte, jo belehrte er den Ge:
SD Schrift über die deutſche Litteratur war nicht der legte Betrachtungs—
i) Bel. oben ©. 538.
Der deutihe Fürſtenbund von 1785. 603
fandten in Berlin ſchon 1776 während einer Krankheit des Königs, dem Prinzen
von Preußen „alle Bejorgnis vor widrigen Abfichten, die etwa nad) dem Tode
feines Oheims ausgeführt werben dürften, zu benehmen“: „dur ſolche perfön:
lie Siderftellung und Beruhigung kann ber bisherige Hang des Kronprinzen
zu Pradht und Verſchwendung am leichtejten genährt, auf eben dieſe Art aber
die preußiſche Maſchine am ficherften untergraben und allmählih zum Berfalle
geleitet werden.” König Friedrich fagte, die einzige Aufgabe des Faiferlichen
Gefandten in Berlin fei, ihn auf feine Gefundheit zu beobadten. Den ftillen
Gedanken, der die öſterreichiſchen Herzen erfüllte, hat die junge franzöfifche
Königin Marie Antoinette in einem Briefe an ihre Mutter unbefangen aus:
geſprochen: es fei ihr nicht erlaubt, den Tod des Königs von Preußen zu
wünſchen, aber es würde ein großes Glüd fein, wenn er durch jeine fchlechte
Gefundheit außer Stande wäre, ſich zu rühren.
Fünf Jahre jünger als der „böfe Mann” in Sansfouci, wie fie den König
nannte, ift die große Kaiferin fünf Jahre vor ihm von dem Schauplatz abge:
treten, ben ihrer beider Wibderjtreit vierzig Jahre hindurch erfült hatte. Sie
ftarb in der Burg ihrer Väter zu Wien am 29. November 1780. Sie ftarb
wie fie gelebt: voll Fürforge für ihr Land bis zum legten Tage, voll Liebe
und Güte gegen ihre Kinder und ihre ganze Umgebung, voll Ergebung und
Dankbarkeit gegen ihren Gott, gläubig, tapfer, ohne Furcht vor der Krankheit,
ohne Furt vor dem Tode. Als Friedrih die Botihaft von Maria Thereſias
Ableben erhielt, jchrieb er an feinen Gejandten Riebejel nah Wien: „Die aus:
gezeichneten Verdienſte diefer großen Fürftin find allgemein anerfannt. Ganz -
Europa bemunderte die hervorragenden Eigenihaften ihres Geiftes und ihres
Herzens. Es gab nur eine Stimme über den Rang, den fie unter den Souve—
ränen einnahın. Man kann ohne Webertreibung wohl jagen, daß fie einhellig
betrauert werden wird.” Er war entrüftet über die Undankbarkeit des über
Steuerdrud klagenden Wiener Pöbels, deffen free Haltung bei dem Leichen:
begängnis einen Mißton in die Trauer der Hauptitabt mijchte.
An d'Alembert ſchrieb Friedrih, troß feiner dur das Alter gewonnenen
Gelafjenheit angefichts des Sterbens und Geborenwerdens um ihn herum habe -
er den Tob ber Kaiferin betrauert: „Sie hat dem Thron Ehre gemacht und
ihrem Geſchlecht. ch habe Krieg gegen fie geführt und bin niemals ihr Feind
gewejen.” Worte, die, in der franzöfiihen Akademie bei feierlihem Anlaß
angeführt, ſtürmiſchen Beifall wedten. Das jchönfte Lob Hat doch der König
feiner großen Gegnerin gejpendet, als er in eigener Gefahr fi auf das Beifpiel
der Standhaftigkeit und des Heldenmutes berief,!) das einft die junge Königin
von Ungarn im Kampf um das Erbe ihrer Väter ber ftaunenden Welt gegeben
hatte. Ohne Vorbehalt ift jeine Bewunderung für diefe Frau freilih nicht
geweſen. Als jein Gejandter in Wien ihm bald nad) dem Hubertusburger Frieden
eine Charafteriftit Maria Therefias entwarf, wandte er ein, daß in dem Porträt
zwei fennzeichnende Züge vergeflen feien: die Bigotterie, von ber die Religions:
verfolgungen in den öfterreihifchen Erblanden ein Beweis feien, und bie Kunſt
1) 8b. 1, 253; vgl. oben S. 530.
604 Neuntes Bud. Vierter Abſchnitt.
der Verftellung. In den Thränen der Kaijerin um die Teilung Polens, die
heiß und echt waren, wollte er eine Komödie jehen.
Das Urteil der Geſchichte über Maria Therefia, die größte Geftalt feit
Karl V, in der Reihe der öfterreihifchen Herrjcher, das edelfte und reinjte Kind
| . des Haufes Habsburg, entipricht dem Urteil des Königs von Preußen darin,
daß diefe Fürftin auch der Nachwelt am bemwundernswerteften und liebenswürbdigften
in der Glorie des heroiſchen Verteidigungsfampfes ihrer fieben eriten Regierungs:
jahre ericheint. Noch auf der vollen Höhe ihres ungebrodenen Jugendmutes
zeigte fie fich dann in der Entjchloffenheit, mit der fie, von Kaunig meifterhaft be=
dient und rüdhaltslos mit ihm einverjtanden, den Weltkrieg zur Wiedereroberung
des ihr entriffenen Schlefiens und zur Nieberwerfung der preußiſchen Macht
vorbereitete, und in der zähen Ausdauer, mit der fie in den Wechjelfällen ihres
zweiten Siebenjährigen Krieges das große Ziel feſt im Auge behielt, bis ber
Friedensſchluß von 1763 ihr die jchwerfte Enttäufhung ihres Lebens brachte.
Jetzt hatte fie die helle Freudigkeit, die naive Sicherheit ihrer jungen Tage verloren,
das innere Gleihgewidht. Nah dem Tode des Gatten mollte es ihr „ichier
unerträglich” jcheinen, noch in dem „Getümmel der Welt” zu bleiben: „bete für
mich,” ſchreibt fie an eine Freundin, „daß Gott mich erleuchte und ftärfe, fo lang
ih noch in diefer Welt herumfugeln fol.” Die Bahnen, die fie den Sohn jegt
einſchlagen ſah und auf denen er die Mutter mit ſich fortriß, führten zu einer
neuen, dem Rechtsſinn der alten Frau miderftreitenden Aera der öfterreidhiichen
Bolitit. Die Mitwirkung bei der Zergliederung Polens, ein Bündnis mit den
Ungläubigen und der Verrat diefer Bundesgenoſſen bei der Fortnahme der
Bulowina, zulegt der Anſchlag auf Baiern und der Eintritt in einen neuen
Krieg, alles das waren ebenjoviel Gewiflensfapitulationen, die der Sohn ihr
abnötigte; in der Weichheit des Mutterherzens hat die große Herrſcherin der
Schwäche ihres Geſchlechts den Zoll entrichtet.
Sterbend hatte die Kaijerin den Stern ihres Haufes in verheifungsvollem
Aufſtieg geihaut. Tu felix Austria nube! dem alten Wahlſpruch der Dynaftie
folgend hatte die glüdhafte Politit des Fürften Kaunig ihr großes Werk, die
Alianz mit dem Haufe Bourbon, dur vierfaches Ehebündnis gefeitet. Zwei
Töchter Maria Therejias nahmen die Throne von Franfreih und von Neapel
ein, dem Herzog von Parma war eine dritte vermählt, der Kaiferin zweiter
Sohn, Leopold von Toskana, hatte eine Tochter des jpanifhen Bourbonenkönigs
gefreit. Neben der Sekundogenitur Toskana hatte der dritte Sohn, Erzherzog
Ferdinand, durch Heimführung der Erbtocdter von Modena: Eite eine Tertiogenitur
feines Haufes in Italien begründet. I
Vor allem aber hatte im Sommer vor dem Tode Maria Thereſias die
öſterreichiſche Politik in Deutſchland ſelbſt einen großen Erfolg errungen. Auf
die Nachfolge in Baiern hatte man verzichten müſſen, aber die Erbſchaft des
Hauſes Wittelsbach in der Germania sacra trat das Haus Habsburg-Lothringen
jetzt an. Seit der für die katholiſche Reaktion im Reiche jo entſcheidenden Wahl
von 1583 war das Erzitift Köln bis 1761 ununterbrochen im Beſitz bairifcher
Herzoge geweſen, und mit ihm bald eine größere, bald eine geringere Anzahl der
benadbarten Bistümer. Bei dem Prinzenmangel im bairifhen Haufe, der endlich
Der deutjche Fürftenbund von 1755. 605
zum Erlöfchen des Mannesftammes führte, hatte Defterreich feine Beligergreifung
am Niederrhein 1761 durch die Wahl eines feiner Anhänger, des Reichsgrafen |
von Königsfeld, bereits vorbereitet; mit der Mahl des Erzherjogs Marimilian, —
des jüngften Sohnes der Kaijerin, zum Koadjutor von Köln und von Münfter,
im Sommer 1780, war die faijerlihde Politif an ihrem Ziele. Ihr Sieg war
um jo glänzender, je heftiger ihn eine von Berlin aus unterftüßte und
geleitete Gegenpartei ihr ftreitig gemacht hatte; die Niederlage der preußifchen _
Diplomatie wurde allgemein bemerkt. Sein Erzhaus mit niederdeutjchen Stiftern
auszuftatten, war einft in den Tagen bes Reititutionsebifts der jehnliche Wunſch
Kaifer Ferdinands II. gewejen; was fein Ahnherr vergeblich angeftrebt hatte,
Joſeph II. hatte es jetzt erreicht.
Und noch ein anderes großes Ereignis fiel in das lette Lebensjahr der alten
Kaiferin. Der Beſuch Joſephs II. am Hofe der Zarin im Juni und Juli 1780 .
ftellte fich in der Folge immer mehr als der enticheidende Wendepunkt in dem .
Nerhältnis Nußlands zu den beiden deutſchen Mächten heraus. Als Joſeph
jeine Reife antrat, äußerte er den Wunſch, „die Galle des teuren Friedrich“
dadurch jo aufzuregen, daß er plagen möge, und feinem Gefandten bei ber
Zarin jchrieb er vorweg, er verbäte fih von ihr Gaftgefchenfe: „Die einzigen
Juwelen, die mir Vergnügen machen könnten, wären Schweidnik, Glatz, Neiße
und Kojel; aber Sie verftehen jehr wohl, daß die Juweliere Zeit brauchen
werden, um fie zu faflen.”
Die Betradhtungen über den Thronwechſel, die der König von Preußen -
beim Tode Maria Thereſias anitellte, führten ihn zu dem Ergebnis: „Des
Kaiſers Vergrößerungspläne werden nicht einen jo beichleunigten Gang ein:
ſchlagen. Solche Pläne werden für gewöhnlich leichter gefaßt, als ausgeführt, '
und ganz mit ihnen bejchäftigt bemerft man nicht immer die zahllofen Unzu—
träglichfeiten, mit denen fie oft verflodhten find.” Zwei Jahre mindeftens, jo
nahm er an, werde der Kaiſer brauden, um das Chaos der Finanzen zu ent:
wirren; auch müſſe er für eine große Unternehmung ſich erft neue Bündniſſe
und geeignete Vorwände ſchaffen; inzwifchen werde er im deutſchen Reich mit
feinen Ränken fortfahren und die fetteften Bistümer an fein Haus zu bringen
traten.
Als der ſchleſiſche Provinzialminifter Hoym in einem feiner Berichte auf
gewiſſe friedfertige Anzeichen hinwies, antwortete ihm der König, wenn Joſeph
fich ftelle, al& ob er das Militär vernachläſſige, To geichehe das nur, um ber
Welt jeine Friebensliebe mweiszumadhen: „Aber es müflen dumme Leute jein,
die fih davon einnehmen laffen. Er ift ein Komödiante, fo wie feine Mutter eine.
Komddiantin war, und bildet fi ein, die Leute mit feinen Schelmereien zu!
betrügen . . . Diejes, was ich bier jchreibe, müſſet Ihr hübſch in Euer Archiv
legen, damit man hiernächſt ſehen kann, ob ich nicht recht geſaget habe.“
Daß Joſeph ihn aus dem Bündnis mit Rußland hinausdrängen könne,
fürchtete Friedrich damals ernſtlich noch nicht. Der Buchſtabe der wiederholt
verlängerten Vertragsurkunde feſſelte die Ruſſen noch bis 1788.) In dem
) Bol. oben S. 519,
606 Neuntes Buch, Bierter Abſchnitt.
Konflitt zwiihen Rußland und Spanien anläßlich einer Verlegung der ruffiichen
Handelöflagge wirfte er ausgleichend und ebnete jo dem Syftem der bewaffneten
+. Seeneutralität die Wege, in welhem Katharina demnächſt die Staaten vereinigte,
die an dem Seekriege Englands gegen Franfreih, Spanien und Holland, die
Verbündeten der jungen norbamerifanijhen Republif, unbeteiligt waren; aud
Preußen Schloß fih nach einigen Bedenken im Mai 1781 diefem Bunde an,
der die von König Friedrich jelber vordem verfocdhtenen Grundfäte für bie
Sicherheit des neutralen Handels als internationales Gejeß aufftellte. Geflifjent-
lich betonte man bei diefem Anlaß auf beiden Seiten die Feftigfeit des alten
Bündniſſes.
Verhängnisvoll aber wurde dieſem Bündnis, daß Friedrich, ohne ein Arg
dabei zu haben, die Zirkel der ruſſiſchen Orientpolitik ſtörte.
Um ſeine Defenſivſtellung gegen Oeſterreich zu ſtärken, plante er die
Aufnahme der hohen Pforte in das preußiſch-ruſſiſche Bündnis, und zwar auf
eine Anregung bin, die ihm im Herbit 1779 durch einen türkiſchen Staatsmann
gegeben wurde. Wir erinnern uns, daß in den Tagen, da das Bündnis mit
Preußen gefnüpft wurde, der Gedanfe an eine Verftändigung zwiſchen Berlin
und Konftantinopel den Petersburger Hof Schwer beunruhigt hatte.!) Diesmal
wies Graf Nikita Panin den Vorſchlag zu der Tripelallianz, den ihm ber
preußijche Geſandte, jest Graf Görg,?) entwidelte, nicht ab; um fo entichiedener
aber gab Katharina ihr Mißfallen zu erfennen, ſodaß Panin dringend riet,
nicht noch einmal auf den Plan zurüdzufommen. Gleihmwohl ließ König Friedrich,
mit einem gewiſſen Eigenfinn, man möchte jagen mit Verblendung, an einer lieb-
gewonnenen dee jeithaltend, die Frage ftelen, ob Rußland auch gegen ein
einfeitiges Verteidigungsbündnis zwiſchen Preußen und der Pforte etmas ein:
zuwenden haben würde. Wieder wies Panin auf die entſchiedene Abeigung feiner
Gebieterin hin. Um dem preußiihen Könige für feine Türken eine Art Erfag
zu bieten, machte man ihm zwei verjchiedene Gegenvorjchläge: zu einem Bund
zwifhen Preußen und den deutſchen Reichsſtänden unter ruffifhem Einfluß, aber
auch zu einem Dreibunde, in welchem neben Rußland und Preußen nit bie
Pforte, ſondern Defterreih der dritte Teilnehmer fein jollte; ja, durch ihren
- Günftling Potemkin ließ Katharina den preußiichen Geſandten ausforichen, ob
jein König zu einem neuen Beutezug gegen Polen, der Aufteilung des ge:
jamten polnifhen Gebietes unter die drei großen Nahbarmädte, die Hand
bieten würde. Friedrich antwortete ohne Zaubern: es gelte, den Beſitz zu
erhalten, nicht nach neuer Vergrößerung zu ftreben, vor allem aber ven Wiener
Hof in Schranken zu halten.
So hatten die Verhandlungen des Herbftes 1779 nur dazu geführt, die
Divergenz des ruſſiſchen und des preußiſchen Syftems zu offenbaren. Erpanfive
Tendenzen waren im legten Grunde beiden Staaten gemeinfam. Aber der alte
König von Preußen Hatte 1772 mit feiner legten Erwerbung noch jelber einen
größeren Teil des jeiner Monarhie vorgezeichneten Erweiterungsprogramms
1) Oben &. 433.
?) Oben ©. 524.
Der deutſche Fürftenbund von 1785. 607
verwirklicht, als er je geglaubt hatte, und hielt jegt um jo mehr an fich, je
weniger er fi über den andauernd unſicheren, noch unmittelbar gefährbeten
Zuftand feiner fchlefiihen Eroberung täuſchte. Dagegen ſah Katharina, durch
feinen irgendwie ebenbürtigen Gegner im Nüden bedroht, von zwei Nebenbuhlern
ummorben, das Segel ihrer offenfiven Politik von günftigftem Winde gefchmwellt.
Sie hatte ihre orientalifhen Entwürfe von 1770 nur zurüdgeftellt für den ges
legeneren Augenblid; fie betrachtete jowohl Polen wie die Türfei bereits als
fihere Beute, und mußte nun jehen, wie ihr preußiicher Bundesgenofje bie
Polen ſchonen, mit den Türfen fi) jogar verbünden wollte. Sollte fie wieber,
wie 1770, auf dem Wege nah Konftantinopel ihrem Siegeswagen den Hemmi—
ſchuh anlegen laſſen? Wer nicht für fie war, der war wider fie. Wer ihr
Freund jein wollte, mußte fih ihr ganz und gar verjchreiben. Der Kampfpreis
war rei genug, um für den Helfer einen Teilgewinn abfallen zu laffen.
Und jo begegneten fih Katharina und Joſeph. Auch der Kaijer trachtete
nad Gewinn und Vergrößerung, auch er wollte nit erhalten, jondern ummälzen.
Die Vorausfegungen zu einer natürlichen Bundesgenoffenihaft waren vorhanden.
Bei der Begegnung vom Sommer 1780 war nod) nichts verabredet worden.
«
Im folgenden Mai wurde ein Verteidigungsbündnis auf acht Jahre geſchloſſen.
Und wieder nad) einem Jahre vertraute Katharina dem Kaifer ihre großen Ent: + ''
würfe rüdhaltsloes an — in einem langen eigenhändigen Schreiben vom
10. September a. St. 1782.
Zwei neue Reiche jollen entitehen: das alte griechiſche Kaifertum mit der
Hauptftadt Konftantinopel, als ruffiihe Sefundogenitur unter dem Großfürften
4
—
Konftantin, dem zweiten 1779 geborenen Sohne des ruſſiſchen Thronfolgers ©
Paul, und ein Königreich Dacien unter einem Herricher griehifihen Glaubens, ,
zufammenzufegen aus Bellarabien, der Walachei öftlih der Aluta, und der
Moldau, ein Pufferftaat, der für ewig grenznahbarlide Reibungen zwiſchen
Rußland und dem neuen byzantinifhen Reih und zwischen Rußland und Defter:
reich verhindern jol. Katharina gab ihrem Bundesgenofien anheim, wie viel
von dem türfifhen Gebiet er für ſich jelbft nehmen wollte.
Joſeph stellte aljo feine Gegenforderung auf: die Stabt Chozim zur
Dedung der Bukowina; die Walachei weitlih der Aluta; die Donaugrenze von ı
Nikopolis aufwärts bis Belgrad, mit einem Grenzftrih von drei Meilen am '
Südufer einjchlieglih der Pläge Widdin und Orfowa; alles türfiiche Gebiet
biesfeits einer geraden Linie von Belgrad bis zum Golf von Drin, d.h. Teile ) .... ‘%
Serbiens, Bosnien, die Herzegowina, Montenegro und ein Stüd von Albanien;
weiter aber noch auf Koften der mit Morea, Kreta, Kandia zu entjchädigenden
Republif Venedig deren Terra firma, zur Abrundung des Herzogtums Mai:
land, Iſtrien und Dalmatien. Joſeph forderte endlich Sicherftellung gegen
ranfreih und gegen Preußen. Er bezeichnete die Zuftimmung Frankreichs zu
dem großen Plan geradezu als Vorausjegung des Gelingens, ganz wie Kaunig
1749 und 1755 den großen Plan gegen Preußen von der Herftellung des ..
Einverftändniffes mit Franfreih abhängig gemadt hatte’); er jchlug deshalb
) 3b. 1, 474. 484 (2. Aufl. 475. 485.)
608 Neuntes Bud. Bierter Abfchnitt.
‚vor, Franfreih mit Yegypten zu loden. Er erklärte gegen Preußen in bem
Alter des Königs, auf das Katharina hingewiejen hatte, eine genügende Sicherung
nicht jehen zu können, und empfahl vielmehr ein Bündnis mit Sachſen und die
Aufftelung eines ruffiihen Heeres von 40—50 000 Mann an der Grenze von
Livland oder noch befler in Polen längs der Weichſel und Warthe.
Auf jo viel war Katharina offenbar nicht gefaßt gewejen. Gerade das,
was Joſeph als jeine einzige wirkliche Konvenienz betrachtete, die venetianifche
Erwerbung, mies fie mit dem Einwand ab, dab man die Republif Venedig
ihonen und überdies Morea und den Ardipel dem neuen griehiichen Reich
vorbehalten müſſe. Die Aufftellung ruſſiſcher Truppen in der Nähe feiner Grenze
würde den König von Preußen nur reizen. Sachſen bringe einem Bundes—
genoflen, wie die Erfahrung von 1756 lehre, eher Schaden als Nugen, und
die polnische Königsfrone, der von Joſeph empfohlene Köder für Sachſen, dürfe
nur ein Piaft tragen. Frankreich) endlich wollte die Zarin erit im Verlauf ihres
Krieges begrüßt und feine Neutralität nur, ſoweit es unerläßlih jein würde,
belohnt willen.
Joſeph fuhr auf. Die Kaiferin wolle ihn düpieren, äußerte er zu Kaunitz.
' Der alte Staatsfanzler erwarb fich das Verdienſt, die verlegende Antwort zu:
rückzuhalten, die Joſeph abjenden wollte und mun doch milderte. So mwurde
ein Zerwürfnis verhindert. Aber ihren Höhepunkt hatte die öſterreichiſch-ruſſiſche
Freundihaft in diefem Augenblid, Ende Februar 1783, bereits überfchritten.
Denn auch Katharina war nun verftimmt. Sie jei der Meinung geweien,
ichrieb fie jpig an Joſeph, daß bei Cäfar zwifchen Annahme und Ausführung
‚. eines großen nüßliden und Cäjars würdigen Projefts fein Intervall liegen
würde; ein Augenblid babe alle ihre Erwartungen zerftört. Da nun aud ber
inzwiſchen abgejchlofjene Friede zwifchen Franfreih und England diefen Mädten
größere Bewegungsfreiheit gab, jo erflärte die Zarin dem Cäſar in einem
weiteren Schreiben, am 7. April a. St., daß man nad) der Umgeitaltung ber
Lage die großen Entwürfe des Vorjahres einzufchränfen haben werde. Sie
faßte jegt nur die Erwerbung der Krim und des Kuban ins Auge. Sie machte
fih anheifhhig, diesmal ihren Strauß mit der Pforte auch allein durchzufechten,
bot aber dem Kaifer, falls er bei diefem Anlaß feine Regierung durch „Siege
und nützliche Eroberungen“ verberrlichen wolle, die einft feiner Erbfrone ge
raubten Edelſteine an, d. h. die im Frieden von Paflarowis abgetretenen
Provinzen. Joſeph antwortete fühl mit dem Hinweis auf die gefährdete Lage
feiner Staaten, beteuerte aber, daß er der Kaiferin von ganzem Herzen die
Krim mit der Halbinfel Taman und ganz Kuban gönne. Weber jeinen eigenen
Anſpruch ſchwieg er. Seinem Bruder aber, dem Großherzog Leopold von
Tosfana, geftand er, daß jeine Abſichten „nad einer anderen Seite” gerichtet
feien und jein Streich geführt fein jolle, ehe man nur davon gejproden habe.
Die ruffiihe Befigergreifung in der Krim in diefem Sommer von 1783
und die gleichzeitigen Rüftungen Defterreihs wurden von der europäilchen
Diplomatie als der Anfang vom Ende der Türfei gebeutet.
Auch der König von Preußen glaubte die beiden Kaiſerhöfe zum Neußeriten
entſchloſſen.
Der deutihe Fürftenbund von 1785. 609
Er hatte jeit jenem Beſuch des Kaijers bei der Zarin die Abwandlungen ‘
der ruffifhen Politif mit Mißtrauen und wachſender Sorge beobachtet. Katha: '
rinas Charakter hatte ihm perfönliche Bürgichaften für fein Bündnis mit Auf:
land nie geboten. Er unterihägte ihre Begabung und ihre Energie; er jah in
Katharina immer nur das eitle und launenhafte Weib, eine zweite Elifabeth,
ba er doch ſchon dieſe Elijabeth ohne Frage unterfhäßt hatte. Bon Hochmut
geihmwollen, in der Politik fih nur auf Gewaltthätigfeiten verftehend, behandele
Katharina alle Gejhäfte als Bagatellen, indem fie ihrer gewohnten Trägheit
faum einige Augenblide für die Arbeit entreiße: jo hat er fie zu einer Zeit
harakterifiert, da die preußifcheruffiiche Allianz fih noch in auffteigender Linie
bewegte. Im wie viel ſchärfer und bitterer urteilte er jegt, al das Bündnis
zu Sceiter gegangen war, über die „Pantocratice* und ihren unermeßlidhen
Hochmut: jie würde, wenn fie mit Gott dem Bater in Briefwechjel träte, zum
mindeften Gleichheit des Ranges in Anfpruh nehmen! Und wer dürfe einer
Frau vertrauen, die ihren Mann habe umbringen lafjen? WMufterte er dann
Katharinas Umgebung, von der er mit Unrecht die Herricherin abhängig glaubte,
fo war das Ergebnis ganz niederdrüdend. Panin, fo lange der eigentliche 7 >...
Träger des jegt verworfenen preußiihen Syſtems, war im Frühjahr 1783 ge:
ſtorben. Bis zulegt hatte er den Gegnern Preußens als der Mann gegolten, h
ber alle jeine Ideen von Seiner Preußiiden Majeltät empfange und fie
urteils[los ſich aneigne, in deſſen politiihem Glaubensbefenntnis Unterwürfigfeit
gegen Preußen einen ftehenden Artikel bilde. Panins Nachfolger als Minifter -
des Auswärtigen, Graf Iwan Oftermann, der Sohn jenes Beraters der Kaijerin
Anna, galt als erflärter Anhänger Defterreihs. Den Günftling Potemkin und
den jüngeren Woronzow betrachtete Friedrih als durch Joſeph erfauft, und
Potemkin überdies als den Urheber der ausfchweifenden Entwürfe der neueften
ruſſiſchen Drientpolitit. So zählte er nur noch auf den Großfürften-Thronfolger.
Mehr diefem, als der Zarin hat der Beſuch gegolten, den der Prinz von Preußen
im Herbft 1780 dem ruſſiſchen Hof abftattete, um der Reife Kaijer Joſephs
ein Paroli zu bieten. Katharina hat fih über den preußiichen Thronfolger,
zumal im Dergleich zu feinen beiden Oheimen, dem König und dem Prien .
Heinrih, damals jehr abfällig und ſpöttiſch geäußert: der hochehrerbietige
Lehrjunge müſſe noch ftart wandern, bis ein Gejelle aus ihm heraus:
fommen werde. Aber die perfönlihen Beziehungen zu dem Großfürften Paul,
1776 in Berlin angefnüpft, find durch jenen Petersburger Aufenthalt Friedrich
Wilhelms ohne Frage befeftigt worden, und das wurde für die Zukunft als
Gewinn gebucht.
Den Kern der großen Entwürfe Katharinas ſchälte fidh Friedrih aus dem ),
Nebel unficherer Nachrichten richtig heraus. Er mutmaßte zutreffend, daß Ver:
iprehungen ganz perſönlicher Art ausgetaufcht ſeien und daß ſich Joſeph für
das Projekt des ruffiich:griehiichen Kaifertums habe gewinnen laſſen.
Das europäiiche Intereſſe, das der byzantiniſche Zukunftskaiſer, das
Knäblein Konftantin, auf ſich lenkte, erftredte fih bis auf die jehs aus dem
Lande der Griechen im voraus für ihn verſchriebenen Nationalammen, die freilich
ſämtlich im entjcheidenden Augenblid für ihren großen welthiſtoriſchen Zweck
Rofer, König Friebrih der Große. II. 2. Aufl, 39
610 Neuntes Buch. Vierter Abichnitt.
‚ verfagten. Wenn aber der preußiſche Gejandte Görk die Hoffnung ausgeſprochen
- hatte, das griechifche Projekt werde fich verflüchtigen wie die Milch der griechifchen
Ammen, jo jolte dem nicht jo fein. Der große Plan jpufte weiter, und als
--demnäcdft der Zarin neue Großmutterfreuben warteten, meinte ber König von
Preußen, das fommende Kind, ber dritte Enkel, werde zum Großmogul vorher:
beſtimmt fein.
Die Fiktion, daß jein Bündnis mit Rußland fortbeftehe, hielt der König
J gefliſſentlich aufrecht. Bon Selbſttäuſchung aber war er frei. „Ich werde ad
* 2
£ j
patres gehen,” tagt er am 18. Oftober 1782, „und unjer Land ohne Ber:
bindungen, ohne Freunde zurüdlaffen, in einer Lage, in der es die Streiche, die
der Kaiſer ihm beizubringen tradhtet, nicht parieren kann.” indem er fich jegt
oft in folhen Klagen erging, meinte er doch, vorerft die weitere Entwidelung
der Ereignifje abwarten zu follen: das Jahr 1783, fo nahm er an, würbe den
Drientfrieg bringen, der bie beiden Kaijerhöfe entweder um jo fefter vereinen
ober heillos entzweien mwürbe.
Indes grübelte er fort und fort über den Möglichkeiten einer neuen Allianz.
In den Herbittagen von 1782 dadte er viel an England, das wie Preußen
ifolierte. Noch vor furzem waren die Beziehungen zwiſchen beiden Staaten ſehr
geipannt gewejen, denn nad dem Teichener Frieden hatte ſich Friedrich über
die während bes bairiſchen Erbfolgefriegs geübten Rüdfichten!) wieber hinweg:
gejegt, ſodaß ein englifher Minifter meinte, der König von Preußen zeige
ſich an allen Eden und Enden Europas als Englands böswilliger Feind. Aber
#
nad dem Miniftermechfel vom 20. März 1782 hatte der Wind umgejegt. In
dem gefallenen Lord North hatte Friedrich den Fortfeger und, ganz mit Unrecht, ?)
das Werkzeug des böjen Bute geſehen; das neue Whigminifterium, deſſen Haupt
Lord Rodingyam und deffen Seele Charles For war, betrachtete er als
„bonett”. Eine Verbindung mit England ſchien ihm jeßt für Preußen wieder
„in den Bereih der Möglichkeit” getreten zu fein. For fam ihm weit ent-
gegen; ein großes programmartiges Schreiben des neuen Staatsjefretärs über
das Intereſſe beider Staaten an einer politifchen Verftändigung blieb nicht ohne
Eindrud auf Friedrich. Was aber mehr als alles andere ihn beftimmte, dem
Gedanken an ein Bündnis mit England Raum zu geben, war die Hoffnung,
mit Englands Hülfe feine Beziehungen zu Rußland miederberzuftellen: unter
dieſem Geſichtspunkte juchte er den Prinzen Heinrich, der auch jegt wie jeit je
. vielmehr von Frankreich das Heil erwartete, mit dieſer britiihen Kombination
zu befreunden. In befieren Tagen, Rußlands noch ganz ficher, hatte er Eng:
land als Dritten im Bunde abgelehnt;?) jegt alfo wäre er froh geweien, feiner:
jeits als Dritter der Tripelallianz fih anſchließen zu können, die einſt Panin fo
eifrig empfohlen hatte.
Darin ftimmte der König mit dem Prinzen Heinrich überein, daß er das
frangöfiiche Bündnis dem englifchen an fich vorgezogen haben würde. Nur daß
) Dben S. 522.
*; Oben ©. 521.
’; Oben S. 440.
Der deutſche Fürftenbund von 1785. 611
jenes nicht erreichbar ſchien, ſolange ber öſterreichiſche Einfluß ſich in Verſailles
behauptete. Immerhin konnte jetzt die Mitwirkung Oeſterreichs bei einer Auf—
teilung der Türkei den Bruch zwiſchen den Verbündeten von 1756 herbeiführen.
Und dann wäre die Reihe wieder an Preußen geweſen. In einer eigenhändigen
Denkſchrift des Königs vom 19. Dezember 1782 iſt dieſe Perſpektiye an die —
Stelle des in den vorangegangenen Monaten viel erörterten engliſchen Planes
getreten. Für den Fall aber, daß ein gemeinjames Vorgehen mit Franfreih ,.
bin: wenn jehon die Türfei nicht zu retten ift, wird es den Verſuch gelten,
\ durch Eriegeriiche Demonftrationen im Rüden der Ruſſen und Defterreicher für
Preußen eine Kompenfation nad) der polniſchen Seite zu erzwingen, um das‘
nicht erzielt würde, wies diefelbe Denkſchrift noch auf eine andere Möglichkeit ER
Gleichgewicht der Macht zwiſchen den drei Staaten nicht allzuſehr verrücken —
zu laſſen.
Der weitere Verlauf der diplomatiſchen Vorgänge iſt dann der geweſen,
daß ſeit dem Februar 1783 die franzöſiſche Politik, in dem Maße, als die Nach—
richten aus dem Orient friegerifher Hangen, näher an Preußen heranrüdte,
während die englifche Politif durch For jegt mehr und mehr in das Fahrwaſſer
der beiden Kaijerhöfe hinübergelenft wurde. Erit der Herbſt brachte einen
Rückſchlag. Entjehloffen, der Zertrümmerung der Türkei entgegenzutreten und zu
dem Behufe Preußen in ein Bündnis zu ziehen, beruhigte fih Graf Vergennes |
doch, als er gewahrte, daß Rußland fi mit der Erwerbung der Krim begnügen - --
wollte. Franfreih wies nun die Anregung zu einem Bündniſſe zurüd, bie
König Friedrih im DOftober 1783 voreilig, wenn aud nur unter der Hand,
gegeben hatte. Am 26. November ſah diejer durch eine Erklärung des franzö—
ſiſchen Gejandten Efterno feine Einbildungen zerftört.
Auf diefe Art ließ Frankreich die Krim in ruſſiſchen Befig übergehen, um
fich fiebzig Jahre jpäter vergebens zu bemühen, das Bollwerk des Schwarzen
Meeres von Rußland wieder loszureißen. Am 8. Januar 1784 wurde in dem
Gartenpalaft zum fpiegelnden Ahorn (Ainali kawak) bei Konſtantinopel der “
Vertrag abgeichloffen, durch den die Pforte Krim und Kuban an Rußland
preisgab. Die Gejandten Oeſterreichs, Frankreichs, Englands hatten ihr zur
Nachgiebigkeit geraten, nur der preußiiche Vertreter hatte auf Befehl jeines
Gebieters den Schritten der anderen fi nicht angefchloffen.
König Friedrich erhielt die Nachricht von diefer Löjung Anfang Februar.
Er jah den Vertrag als ein für Preußen ungünftiges Creignis an. Er hätte
den Krieg zwiſchen Rufen und Türken gewünfcht, weil ſich ihm damit die
Ausficht auf das Bündnis mit Franfreih, auf die Endſchaft der öfterreihii—h:
franzöfifhen Freundichaft eröffnet hätte. So aber erhielt er nur einen neuen
Beweis für die Abhängigkeit der Franzofen von Defterreih und fagte ſich zu:
gleih, daß Kaiſer Joſeph die Zarin noch lange feithalten werde, da ihr. ....
griehifher Plan noch unausgeführt bleibe. England endlich fchien bei feiner >--.: .
finanziellen Erfhöpfung nad einem verluftreihen Kriege und in den inneren
Wirren nad Auflöfung der alten MWhigpartei auf lange zur Unthätigfeit ver:
urteilt zu fein. Wir werden nicht eine einzige Madt finden, flagte er am
5. Februar jeinem Findenftein, „die uns aud nur den Schatten eines Bünd—
a
612 Neuntes Bud. Bierter Abfchnitt.
niffes bietet, geſchweige denn ein wirkliches Bündnis“. Schweden und Dänemarf,
als „Wefen ohne Energie”, ließ er dabei völlig außer Betradt.
In diefer peinlihen Vereinfamung lenkt der König feinen Blick wieder
auf die deutſchen Reihsfürften, nachdem er ſchon vor Neujahr dem Herjog von
Braunſchweig erklärt hatte, es fei an der Zeit, eine Liga nad dem Beiipiel
der fchmalfaldijchen! zu errihten. Man müfle, jchreibt er am 21. Februar an
Findenftein, die deutſchen Fürften zu einer Konföberation vereinigen, „einzig
und allein zu dem Zwed, das Reichsſyſtem, jo wie ed gegenwärtig ift, aufrecht
‘zu erhalten; und ich geitehe, daß, wenn die Dinge zum Kriege fommen jollten,
‚man fi dazu vorbereiten müßte, dieje Yeute in das Spiel einzujegen und ihnen
Subfidien zu zahlen, was nicht unmöglich fein würde”. Ein Bund der Reiche:
ftände, den er früher ald Anhängjel zu einem Bunde mit Rußland oder aud)
mit Frankreich oder England gedacht hatte, jollte jegt für fih allein die Stütze
der preußiichen Politit werden, ihre legte Zuflucht: ein anderes Ausfunftsmittel
erklärte der König nicht mehr zu fehen. Er dachte in erfter Linie an Hannover,
Braunfhweig und Heflen, feine Bundesgenofjen aus dem Siebenjährigen Kriege,
weiter aber an die geiltlihen Fürften: Bamberg-Würzburg, Paderborn, Fulda,
Hildesheim. j
Am 6. März erging an die Minifter der Befehl zur Einleitung der er:
‚ forderlihen Schritte. Nicht von heute auf morgen, meinte der König, würden
fo viele Köpfe fih unter einen Hut bringen lafjen; nit um ein Werf von
vierzehn Tagen handle es fich, jondern um ein Werk von anderthalb oder zwei
Jahren. Nur noch vor feinem Tode wünſchte er den Bund verwirklicht zu ſehen.
Einer augenblidlihen Gefahr alfo glaubte er ſich nicht ausgelegt. Ganz
‚ richtig fühlte er heraus, daß nicht wie 1756 ein unmittelbarer Angriff gegen
ihn verabredet und vorbereitet war. Denn das bezeichnete doch die Yage, daß
Defterreih durch fein nah Südoſten gerichtetes Bündnis mit Rußland von An:
griffsplänen gegen Preußen vorerit abgelenkt wurde, und daß Rußland in diefem
Bündniffe nur die Zertrümmerung der Türkei, nicht aber wie zu Elifabeths und
Beitufhews Zeiten die Niederwerfung Preußens anitrebte.
Auch jegte Friedrich beftimmt voraus, daß er, wenn es ſchon zum Bruche
mit den beiden Kaiferhöfen fam, doch unter feinen Umftänden wie im Sieben:
jährigen Kriege auch die Franzoſen unter feinen Gegnern jehen werde. War
ihr Bündnis nicht für ihn zu haben geweien, jo blieben doch die Beziehungen
zwiſchen ihnen freundlih, und als Prinz Heinrih im Sommer 1784 eine Reife
nah dem franzöfiihen Süden antrat, gab jein föniglicher Bruder gern feine
Zuftimmung, daß der Prinz einer ihn in Genf erreihenden Einladung zum
Beſuche von Paris folgte. Am 17. Auguft traf der Graf von Dele, als welcher
Heinrich reilte, dort ein, am 22. begrüßte er König und Königin in Verfaillee.
Derweil wollten die Verhandlungen nicht recht vom Flecke gehen. Nicht
als ob es an den fleinen Höfen an Empfänglichkeit für den Affociationsgedanten
gefehlt hätte. Zumal aud die geiftlihen Höfe waren voll Sorge über die un:
rubige, ausgreifende Politif des Kaifers. Wie, wenn Joſeph eines Tages das
Der deutſche Fürftenbund von 1785. 613
in jeinen Erblanden durchgeführte Syftem der Säfularifationen!) auf die Reiche: °
jtifter ausdehnte? Seine Streitigkeiten mit den benachbarten Kirchenfürſten von
Salzburg und von Paſſau gaben ihnen allen zu denfen. Das Haus Oeſterreich
verlor auf dem Neichstage mit diefen Bifchöfen feine getreuefte Fraktion.?) Durch
ben freifinnigen Biihof von Würzburg und Bamberg, Franz Ludwig von Erthal, =
wurden Beziehungen zu ben proteftantiihen Höfen von Weimar, Gotha, Defjau,
Karlsruhe angelnüpft. Ganz in der Ausdrucksweiſe der reichsfürftlihen Gegner
von Joſephs großem Ahnen, Kaifer Karl V., jprad man an diejen Höfen vom
Joche, das den Schultern der deutichen Fürften drohe, von den Feſſeln, an
denen eifrig geichmiedet werde. In feinem Eifer für bie deutſche Libertät,
b. h. für die alte Selbftherrlichfeit der Reichsſtände, berief fih Herzog Ernit
PR
“
von Gotha fogar auf die amerifanifhen Unabhängigkeitstämpfer: ihr Beifpiel /,
habe gezeigt, daß Rechte der Menjchheit feine Verjährung litten. Schon dadten
diefe Kleinfürften zum Schuge gegen den Kaiſer an bie Aufftellung eines Reichs:
heeres, defjen Oberbefehl einer aus ihrer Mitte, der neue "Herzog Karl Wilhelm
Ferdinand von Braunfchweig zu übernehmen haben würde. Nicht bloß den
Raifer, aud Preußen fürdtete man; die preußifhe Anmafung, von ber man
ſprach, ſchien der deutichen Freiheit ebenjo gefährlich werden zu fünnen, wie
der jojephinifhe Imperialismus. Darum meinte der evangeliiche Fürſtbiſchof
von Dsnabrüd, der zweite Sohn des engliihen Königs, der Fortbeftand ber
Reihögewalt hänge ganz von dem Gleichgewicht zwifchen Defterreih und Preußen
ab. Augenblidlih drohte von Wien die unmittelbarere Gefahr. Es fam auf
den Verſuch an, Preußen dadurch zu binden, auf eine fonfervative Tendenz fell:
zulegen, daß man dieſe Macht an einem Bunde zur Aufrechterhaltung der —
deutſchen Xibertät beteiligte, dem König von Preußen die Rolle des Beihügers
der Neichsverfaffung zufchob. In diefem Sinne bemühten fid der Enfel des
alten Deſſauers, Fürft Leopold Friebrih Franz, und mit ihm der Herzog von
Braunſchweig, den preußifhen Thronfolger und den Minifter Hergberg für den
Gedanken einer Reichsafjociation zu gewinnen.
Hier aljo hatte die preußifche Politif einzufegen, und bei entſchiedenem
des Königs von Preußen hemmten.
So oft Reihsangelegenbeiten in Frage famen, die feinem vielfach wieder:
holten Geftändnis nah ganz „außerhalb feiner Sphäre” lagen, ließ ihnen ihr
Gebieter für die Verhandlungen wohl oder übel ftets jehr weiten Spielraum.
Der ältere von ihnen, Graf Findenitein, war vor 35 Jahren zu einer Zeit
Minifter geworden, als die Berater des jugendlihen Königs es als ihre Auf ·
gabe und Pflicht betrachteten, vielmehr zu hemmen und zu warnen, als zu
drängen und Pläne zu ſchmieden.“) Friedrich fchenkte diefem Staatsmanne,
dem ‘Freunde, dem Gefpielen feiner Knabenjahre, uneingefchränftes Vertrauen;
zu Beiten hat er fait Tag für Tag feine Briefe an ihn gerichtet, um ſich über
') Oben ©. 553.
2) Bol. Bo. I, 344.
5) Vgl. Bd. I, 548.
heran
Zugreifen ließ fich vielleicht jchnel etwas erreihen. Aber die eigenen Minifter
614 Neuntes Buch. Vierter Abjchnitt.
die politifhe Lage und ihre Bedürfniſſe mit diefem erfahrenen und einfichtigen,
taftovollen und anſpruchsloſen Vertrauten zu beiprehen. Sehr anders geartet
war der zweite Minifter. Ewald Friedrich v. Hergberg, 11 Jahre jünger als
Findenftein und 13 jünger als Friedrich, juchte vor dem älteren Kollegen, der
feiner unruhigen Beweglichkeit und feinem fpigfindigen Doftrinarismus mit
mißtrauifshem Unbehagen gegenüberftand, nicht felten fi vorzubrängen, bem
König fih aufzudrängen. Selbitgewiß, gerade heraus, breift — Junker Plump
von Pommerland hat ihn ein fremder Diplomat genannt — hielt er mit feiner
Meinung, auch wenn er nicht gefragt war, nicht zurüd. Hertzberg, jchreibt
Prinz Karl von Heſſen nad feinen Beobadtungen im Breslauer Winterquartier
von 1778/79, „tritt fi immer mit dem König herum,!) welcher ihn oft tüchtig
abführte und zwar in einer ſehr derben Weife; er war eigentlih, was man
einen Aktenmenſchen nennt, er hatte ftudiert, war aber fein Politiker“. Andere
wollten ihm, dem Verfaſſer faft aller publiziftiichen Deduktionen feines Hofes,
‚ nur das Verbienft eines guten Archivars zugeftehen — als folder hatte er im
Staatsdienft angefangen, wie er ſich denn auf feine Hiftorifchen Kenntniffe und jein
allzeit gegenmwärtiges Wiffen nicht wenig zu gute that. Eine feiner Lieblingsvor:
ftellungen war, daß der Staat nah dem großen Muſter von 1772 Erwerbungen
ohne Schwertftreih, nur mit den Künften der Verhandlung, denen er einen
übertriebenen Wert beimaß, anftreben müſſe; bie Kriegserflärungen von 1756
und 1778 hat er ftets als zwedloje Webereilungen betrachtet. Bon der Ueber:
legenheit feiner politiihen Methode und von feiner höheren Einfiht dem alten
König gegenüber aufridhtig überzeugt, von feinem untergeordneten Wirkungskreis
unbefriedigt, ftets geneigt über Zurüdjegung zu lagen, ging Hertzberg jegt an
", die den Miniftern geitellte Aufgabe nur mit dem größten Widerftreben heran.
Was Herkberg im Sinne hatte, waren weitere Erwerbungen in Polen;
dazu aber bedurfte es einer Wiederannäherung an die Kaiferhöfe. Von diefem
Hintergedanfen durften die Einverftandenen im Reiche nichts hören; ihnen
gegenüber vertrat Hergberg die Anſicht, daß man nichts überftürzen, daß man
7 nur unter drei Vorausfegungen, nur in einer von drei „Epochen“ Hand ans
Werk legen dürfe: beim Ausbruch eines Türfenkrieges, beim Tode des Kur:
fürſten von Pfalz: Baiern und „noch in einer dritten Epoche” — gemeint war der
Tod des Königs von Preußen, der dem ehrgeizigen und zuverfichtlihen Minifter
endlich einmal freie Hand für feine eigene ungeduldige Politik geben ſollte. Herk:
berg ging jo weit, dem Minifter des Pfalzgrafen von Zweibrüden vertraulich
zu fchreiben, da der König plöglih auf diefe Idee gefommen fei, jo müſſe
man ihn mwenigftens par maniere d’acquit zufriedenftelen. Das blieb jein
Lofungswort. So verftrih Monat auf Monat, ohne daß etwas Ernithaftes
geleiftet wurde, der König aber jchwieg dazu, weil er aus manden Anzeichen
ſchließen zu dürfen glaubte, daß die Kaiferin von Rußland es nicht zum Brud
mit ihm treiben werde.
Bis dann mit dem Herbit 1784 neue Entwürfe Kaifer Joſephs neue
Erregung in die politifche Welt hineintrugen. Joſeph verwand es nicht, bei
) Bol. oben S. 527. 536.
Der deutſche Fürftenbund von 1785. 615
dem legten, für Rußland fo ergiebigen Fifchzug feiner Bundesgenofiin leer aus:
gegangen zu jein. So reichte er denn nachträglich feinen Wunſchzettel ein. —
Ein „freier und freiwilliger” Austaufh von Baiern und der Oberpfalz jamt
dem Erzbistum Salzburg gegen die öſterreichiſchen Niederlande, jo pries er der
Zarin feine „Idee“ an, entipreche auch dem ruſſiſchen Intereſſe, weil Deiterreich,
der nachbarlichen Berührung mit Frankreich entrüdt, mit ganzer Kraft ſich dem
großen orientalifhen Plan werde widmen fünnen. Katharina fprad ihren Beifall
aus, wies aber jofort auf die Hindernifje hin, die der Taufchplan ſowohl im deut:
ſchen Reich wie bei den an feiner Vereitelung intereffierten Nachbarn der beiden
Raiferreihe — nur Preußen fonnte gemeint fein — finden werde.
Joſeph hörte über diefe Warnung hinweg. So zuverfidtli war er, daß
er feine politifhe Karre alsbald noch mit einem zweiten Schwergewicht be
laftete. Im Begriff ſich feiner Niederlande zu entäußern, rief er auf belgiſchem a
Boden einen Streit mit ben holländiihen Nachbarn hervor, den legten Strauß
des Haufes Habsburg mit den alten Widerfahern Philipps II. Der Welt:
fälifche Friede jperrte die Scheldemündung, um Amfterbam und Rotterdam gegen
den Wettbewerb Antwerpens zu fihern. Dem Kaiſer dünkte es unerträglich,
dieſen unwürdigen Zuftand länger anzuerkennen; er beichloß, die Eröffnung der
Schelde mit Gewalt durchzuſetzen. In dem zunähft mit der Feder geführten
Streit wurden von hüben und drüben bald andere Anſprüche hineingezogen.
Es fam dahin, daß am 6. Dftober 1784 das holländifhe Wachtſchiff auf der
Schelde einen nah Antwerpen jegelnden öfterreihiihen Kauffahrer unter Feuer
nahm. Frankreich, mit beiden Teilen im Bundesverhältnis, bemühte fih zu .
vermitteln. Sofeph, der allzu leichtfertig in diefe Händel eingetreten war, ſuchte
jegt nicht ungeihidt den bairiihen Taufhplan und den Schelbeitreit mit:
einander zu verfnüpfen, indem er Nachgiebigkeit gegen die Holländer hoffen ließ,
um Frankreich defto eher für die Verpflanzung der Wittelsbacher nad) Belgien
zu gewinnen.
Denn das hatte ſich fofort herausgeftelt, daß Frankreih auch jegt wie, ,- ,
1778 den Taufchplan ſcheelen Blickes und mit Unmut betrachtete. Abermals . 23
fah man in Verjailles nach kurzer Nuhepaufe die Freundfhaft zu Defterrih —
auf eine harte Probe geitellt, wie vor einem Jahr in der türfifhen Frage und '
vor einem Jahrzehnt in der polnischen. Abermals führten Minifter und Königin,
Bergennes und Marie Antoinette, ein Kampf um den ſchwachen König. Aber:
n
mals begann der Minifter ernitlih mit Preußen zu rechnen. Prinz Heinrich,
deſſen Anmejenheit in Paris unter diefer Konftellation eine unvorhergefehene Be:
deutung gewann, jah am Seineftrand die Dinge noch mehr dur die franzöſiſche
Brille, als in feinem Rheinsberg, und glaubte die feit dreißig Jahren heiß von
ihm begehrte franzöfiihe Allianz jchon mit Händen greifen zu fönnen. Zu i
ſolchem Uebergang aus dem öjterreihiihen in das preußiiche Lager, wie er
vor einem Jahre als letztes Mittel zur Rettung der Türkei ernftlih erwogen
worden war, würde fi Franfreih bloß um Baierns willen ſchwerlich ent:
ſchloſſen haben. Aber jo viel jegte Vergennes, von den andern Miniftern unter:
ftügt, gegen die Königin durch, daß Lubwig XVI. in einem Schreiben an jeinen
faiferlihen Schwager vom 6. Januar 1785 das Schidjal Baierns von einer
616 Neuntes Bud. Vierter Abſchnitt.
Verſtändigung mit dem König von Preußen abhängig machte, auf die doch nach
den Erfahrungen von 1778 nie zu rechnen war.
König Friedrid, über die weiteren Pläne der beiden Kaiferhöfe nad dem
Vertrag von Ainali-Kawak im unklaren, betrachtete im Herbit 1784 die europäiſche
Lage als ein „Chaos“. Aber nit den Preußen liege e8 ob, diefe Nebel zu
jerteilen — er mochte an feine Snitiative von 1740 oder 1756 denken — fondern
vermutlich werde ein Angriff der Kaiferhöfe gegen bie Türken ober eine Kriegs:
erflärung des Kaifers gegen die Holländer den andern Mächten das Signal zur
‚Sammlung geben. Nah’ Eingang der alarmierenden Nachrichten aus den Rieder:
‚landen lieh er enblih ber ftodenden Verhandlung wegen eines Fürftenbundes
einen neuen Antrieb; eigenhändig entwarf er am 24. Oftober das „Projekt einer
Ligue zwiihen den Fürften Deutichlands, nad dem Modell der ſchmalkaldiſchen
nachgezeichnet“, eine Richtſchnur für Herkberg zur Ausarbeitung der Bundes-
urfunde. Und als wenige Tage darauf aus Zmweibrüden die Nachricht von neuen
Verſuchungen fam, durch die der Pfalzgraf für den bairifchen Taufh gewonnen
werben jollte, rief er jeinen Miniftern ein ungebuldiges „Du feu! du feu!
Messieurs!* zu: „Da jehen Sie beutlih, womit ih mid vor Ihnen zu Tode
rede, daß der Kaifer mit feiner Aktivität zulegt den Sieg über unfere Indolenz
davontragen wird.“
Noh einmal wagten die Minifter zu hemmen. Sie mwarnten vor einer
offenen Scilderhebung in einem Augenblide, da der Kaijer, wie fein jchroffes
. Auftreten gegen die Generaljtaaten jchließen lajle, des Beiltandes von Rußland
und Frankreich ficher zu fein jcheine. Der König lud fich Hergberg für ein paar
Tage nah Potsdam ein, das Für und Wider mit ihm zu befpreden. Herb:
bergs Gegengründe jcheinen nicht ohne Eindrud geblieben zu fein; jedenfalls
ftand das Werk in den nädften Wochen von neuem ftill.
Erit vierzehn Tage nah Neujahr 1785 veränderte fi die Scene. Aus
Zweibrücken fam eine neue Warnung, ein Ruf um Hülfe in dräuender, ganz
naher Gefahr. Der Vertreter der Zarin am deutſchen Reichstag, Rumianzom,
war in Zweibrüden erjchienen und hatte von dem Pfalzgrafen Karl ftürmifch,
gebieteriih die Zuftimmung gefordert zu dem Austaufh von Baiern gegen
Belgien, über den der Kaijer und ber bairische Kurfürft im Einverftändnis mit
Frankreih und Rußland ſich geeinigt hätten. Der Pfalzgraf hatte fich geweigert.
Jetzt wurden doch auch Findenftein und Hergberg beforgt. Durch dieſen Taufch,
erklärten fie dem König, werde der Kaifer fi} in den Stand jegen, das Eljaß und fein
Stammland Zothringen zurüdzuerobern und dann ganz Deutſchland zu unterjodhen.
Der Rubigere war in diefem Augenblid der König. Er wollte noch nicht
glauben, daß Frankreich fi gebunden haben ſollte, und fein Zweifel war, wie
- wir gejehen haben, begründet, Auch beteuerte der franzöfifche Gejandte Eſterno
dem Grafen Findenftein, man habe die Sache fallen laffen.
Aber Anfang Februar meldeten die Zeitungen den bairiſch-belgiſchen Tauſch
als feite und fertige Thatfahe und ließen nur die Frage offen, ob das neue
wittelsbadhijche Königreich in den Niederlanden Belgien, Burgund oder Auftrafien
beißen würde; Frankreich jollte für fein Jawort mit der Erwerbung von Lurem:
burg und Namur an dem Geichäft beteiligt jein.
Der deutiche Fürftendbund von 1785. 617
Friedrichs Briefe feit dem 8. Februar zeigen uns feine Erregung von Tag
zu Tag im Wachſen. „Nah allem, was Sie mir über Ihre Unterredung mit ) _
Herrn Eiterno gemeldet haben,“ jchreibt er am 10. eigenhändig an Findenftein,
„beginne ih Verdacht zu jchöpfen gegen Franfreih jelbit... Es könnte fehr
wohl jein, daß der Cäſar Joſeph feinen Schwager dur diefen Köder (Lurem-
burg) hat beſtechen wollen, ich weiß ſogar durch ähnliche Gerüchte, daß man fih - ,
auch den Spaß gemadt hat, uns ih weiß nicht welchen Anteil zu beitimmen,
und der phlegmatijhe Ton, in dem Herr Efterno Sie über dieje Abfichten des
verteufelten Joſeph unterhalten hat, läßt mich glauben, daß Frankreich in diefem
für feine Ehre entfheidenden Augenblide es an Energie fehlen lajjen wird und
Ichließlih wohl Najenbluten befommen könnte. O Götter, mit was für einem
infamen Zeug haben wir es zu thun! Und wie werden wir, umgeben von
feigen und feilen Ganaillen, für uns allein die deutſche Verfaſſung aufrecht:
erhalten und uns der zügellofen Räuberei diefes verfluchten Wiener Tyrannen
widerjegen können? ch geitehe Ihnen, daß mic alles das aus den Angeln
hebt, denn in einer jo allgemeinen Verwirrung wie biejer gibt es nicht einmal
für Ronjefturen binreihende Anhaltspunkte.” Und dem Prinzen Heinrich be-
fannte er drei Tage ſpäter, daß fein Greifentum fehr fchlecht zu diefen fort:
währenden Treibereien pafje, mit denen der turbulente Joſeph auf die politifche Rage
von Europa drüde: „Schon mehr als zur Hälfte jenfeits diefer Welt, muß ich
Klugheit und Thätigfeit verdoppeln und unausgefegt die verhaßten Projekte im
Kopfe haben, die diefer verfluchte Joſeph mit jedem neuen Tage neu erzeugt.
Ih bin aljo dazu verurteilt, einige Ruhe nicht eher zu genießen, als bis ein
wenig Erde meine Gebeine deden wird,“
Die nähften Tage braten ihm zwar nicht die Ruhe, aber eine ftarfe -
Beruhigung. Aus Paris wurde ihm in beftimmtefter Weiſe die Erflärung ger ;
geben, daß der Kaifer, wie er es am 18. Januar in feiner Antwort auf jenen
Brief Ludwigs XVI. vom 6. in der That getan hat, auf das Tauſchgeſchäft
verzihte. Er preife den Himmel von Grund feiner Seele, jhrieb Friedrih am
21. Februar an Finckenſtein, daß diefer Plan zu nichte geworden jei; denn fo
jei man einem Kriege gegen bie beiden Kaiferhöfe entgangen, in weldem es
ſchwer gehalten haben würde, Baiern den Defterreihern wieder abzunehmen.
BZugleih aber glaubte er, nicht mit Unreht, annehmen zu dürfen, daß
der Plan des Kaiſers nur bis zu günfligerer Stunde zurüdgelegt, nur aufe
geichoben, nicht aufgehoben jei. Aufgeihoben bis zum Tode des Kurfürften von
Baiern, des „unmürdigen Theodor”, oder vielleicht nur bis zu feinem, des
Königs von Preußen, nahen Tode. Und deshalb mußten die Verhandlungen
mit den beutjchen Fürſten fortgejegt werben.
Am 23. Juli 1785 wurde zu Berlin mit den Vertretern der Höfe von
Dresden und Hannover die Urkunde des Fürftenbundes unterzeichnet, zu dem
Zwede, allen Neihsftänden, aud den geiftlihen, den Beſitz ihrer Lande und
ihrer Gerechtſame zu fihern. Sonbderartifel gaben dem Abkommen den Charakter
der alten Kurvereine, indem fi die drei Kurfürjten von Brandenburg, Sachſen
und Hannover verſprachen, in allen furfürftlihen Angelegenheiten, wie bei der
Wahl eines römiihen Königs, Feſtſetzung der Wahlfapitulation und Errichtung
618 Neuntes Bud. Vierter Abſchnitt.
einer neuen Kur, im Einvernehmen zu handeln. Ein „geheimfter” Artikel ver:
pflichtete die drei Höfe, fich Verfuchen zu Austaufch oder Wegnahme von Reiche:
landen mit bewaffneter Hand zu wiberjegen.
Durch den Beitritt des Erzbifchofs von Mainz, der aber den geheimften
Artikel nicht unterfchrieb, gewann der Fürftenbund die Hälfte der Stimmen im
Kurfürftenrat. Von anderen Reihsftänden haben fi dem Hauptvertrage an:
geichloffen der an dem Ausgangspunkt der Verhandlungen unmittelbar beteiligte
Pfalzgraf von Zweibrüden, der Landgraf von Heſſen-Kaſſel, die Erneftiner von
Gotha und Weimar und die medlenburgiichen Herzöge von Schwerin und
Strelig, die Markgrafen von Ansbah und von Baden, die anhaltiichen Fürften
von Bernburg, Deſſau und Köthen, endlih der evangeliihe Biſchof von
Denabrüd.
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Das Ergebnis des deutichen Fürftenbundes von 1785 war nicht die aber:
malige Rettung ber territorialen Selbftändigfeit Baierns, denn Baiern war
ſchon in dem Augenblid gerettet geweſen, als Frankreich feine Zuftimmung zu
dem Tauſchplan Joſephs II. von der Entſcheidung des Königs von Preußen
abhängig machte. Das vornehmfte Ergebnis des Fürltenbundes war ein mo:
raliiher Gewinn für Preußen, eine mächtige Steigerung bes preußifhen An—
ſehens im deutſchen Reiche und in Europa, auf der dbunfeln Folie einer großen
politiihen Niederlage des Kaijers. Friedrich durfte nicht ohne Grund fein
Eritaunen darüber äußern, mit welcher Leichtigkeit der Kaifer ungeheure Pläne
entwerfe, um jie bei der geringften Schwierigkeit fallen zu laſſen. Yofeph machte
in einem Briefe an feine ruffiiche Bundesgenojfin feinem Aerger mit den Worten
Luft, daß man auf Grund abjurder Fabeln jo viel Dumme zufammenzubringen
gewußt habe, um einen fogenannten Bund für die beutiche Freiheit bilden zu
fünnen. Und Katharina konnte in ihrer Antwort ihm nur den fahlen guten
Rat geben, diefen Bund, nachdem es ihnen nicht geglüdt fei, ihn im Werben
zu erftiden, mit voller Gleichgültigfeit zu behandeln, ohne Gereiztheit durchblicken
zu laſſen.
Die Niederlage des Kaiſers war um jo empfindlicher, al& er, von ben Be:
‚ ftrebungen Preußens unterrichtet, durch ein Rundichreiben an die kaiſerlichen
Gejandtihaften im Reich die Reichsſtände aufgefordert hatte, zur Aufrecht—
‚erhaltung der Reiheverfafjung mit ihm, dem NReichsoberhaupte „eine förmliche
und feierlihe Verbindung” einzugehen. Einen derartigen Bund im Reich hatte
das Haus Defterreich ehedem in der Affociation der vorderen Reichskreiſe von
1697 und 1702 und in dem jchwäbiihen Bunde der Zeiten Marimilians 1.,
hatte das wittelsbachiſche Kaifertum Karls VII. in der Frankfurter Union von
1744 zur Verfügung gehabt; ein Bund im Reiche, der feine Spige gegen den
Kaijer gerichtet hätte, war feit dem Rheinbund von 1658 nicht erlebt worden.
König Friedrih hat 1785 für feinen Fürftenbund ohne und gegen den Kaijer
weit mehr Teilnehmer gefunden, als 1744 für jene Union unter Vortritt und
zum Schuge des Kaijers. Was aber diejen neuen Fürftenbund von feinen Vor:
gängern weſentlich unterfhied, war auf der einen Seite das Fehlen jeder fon:
Der deutſche Fürftenbund von 1785. 619
fejfionellen Tendenz, wie fie vom ſchmalkaldiſchen Bunde an bis zu den Unions—
beftrebungen von 1757) fi immer wieder geregt hatte, und fodann ber
innerdeutſche Charakter diefer Bereinigung: fie war nicht das Werk, Organ oder
Anhängjel einer auswärtigen Macht, wie der Rheinbund Mazarins, wie ber
Heilbronner Bund Drenftiernas im Dreißigjährigen Kriege oder wie bis zu
gewiflem Grade auch die Union der deutſchen Proteftanten von 1609 und ber
Fürftenbund von 1552 gegen den Sieger von Mühlberg.
Herkberg, der aud hierin feine befondere Meinung vertrat, hätte gern, ,
dem Bunde durch Heranziehung Hollands und Englands eine breitere Grund: _
lage, das europäiihe NRüdgrat gegeben. Aber der König wußte ſehr wohl,
weshalb er auf diefe Erweiterung verzichtete. Mit eiferner Beharrlichkeit bielt -
er fih von jeder Einmifchung in die inneren Wirren des nieberländifchen Frei:
ftaates fern; jo wenig wie er einft feiner Schwefter in Schweden gegen bie
DOppofitionspartei Unterftügung gewährt hatte,?) fo wenig durfte im Haag feine
Nichte, die Gemahlin des oranifchen Erbftatthalters, preußifhen Beiftand er:
warten. Er erzielte durch diefe Zurüdhaltung den großen Vorteil, daß nun
*
zwar feine ber europäiſchen Großmächte mit ihm verbündet war, daß aber die 5
zwei großen Weſtmächte, mit einander auch nach ihrem letzten Friedensſchluſſe
noch geſpannt, beide Preußens Werke, dem Fürſtenbund, wohlwollend zur Seite
ſtanden und gleichſam eine Reſerve für ihn bildeten. Wie England aus den
beſonderen dynaſtiſchen Rückſichten ſeines Nebenlandes Hannover, jo hieß Frank
reich den Fürſtenbund gut nach allen Ueberlieferungen ſeiner an der Erhaltung
/ der reichsfürſtlichen Libertät intereſſierten Politik. In früheren Zeiten, zumal
vor und nach dem Dresdener Frieden von 1745, war es Friedrichs Beſtreben
geweſen, mit England und mit Frankreich womöglich gleich gut zu ſtehen: war
' 1756 ſeine Staatskunſt an dem Verſuch, die mittlere Linie zwiſchen beiden zu
gewinnen, gejcheitert, jo hatte er jett mit größerem Glüde operiert. Aus dem
gefahrvollen AZuftande der politifhen Vereinſamung, in mweldem er ſich nad
der Löfung jeiner Beziehungen zu Rußland ſah, hatte er fih mit fidherer Hand
einen Ausweg geöffnet. Er nahm jet an ber Spige des Fürftenbundes eine
Stellung ein, in der er für die fonfervativen und defenfiven Zwecke dieſer Ber:
yeinigung, die Erhaltung der Verfaflung und der Befigverhältnifie im Neiche,
auf die Unterftügung ſowohl von Franfreih wie von England rechnen durfte,
während Rußland und Defterreih in den nädften Jahren immer mehr an
Geltung in Europa verloren, je tiefer fich beide in bie orientaliihen Wirren
verftridten.
In diejer feiner fonjervativen und defenfiven Tendenz lag die Stärke und
die Schwäche des Fürftenbundes. Indem der Bund die politifhe Lage des
Augenblides beherrſchte, war er doc feinem Weſen nah unfähig, dem Bedürf:
niffe der nationalen Zukunft zu genügen. Das Heil für Deutichland Fonnte
nur von einer Reform, einer Ummälzung, einer Neufhöpfung fommen. Das
wußte im Grunde niemand beſſer ald das Haupt dieſes auf den Grundfaß ber
ı) Oben ©. 87.
?) Oben ©. 46.
620 Neuntes Bud. Vierter Abſchnitt.
Erhaltung geftifteten Bundes, als ber König von Preußen, der vordem bie
Frage aufgeworfen hatte, wie lange wohl diejes „bizarre und überlebte” Ge-
bilde, das man deutiches Reich nannte, noch zufammenhalten werde, und ber
als junger Fürft einen Augenblid daran gedadht hatte, das Reih „von Grund
aus umzufehren“.!) Nun hätte eine lebensfähige Neufhöpfung vor allem Stärkung
der Zentralgewalt erfordert. Der imperialiftiiche Ehrgeiz des damaligen Reiche:
oberhauptes, durch die neuen dynaftisch «territorialen Beitrebungen des Haufes
Defterreih getragen, erftrebte ſolche Stärkung ebenfo entſchieden, wie ihr das
Selbftgefühl und der Selbfterhaltungstrieb der jungen preußiiden Großmadt
entgegenarbeiteten. Preußen wollte jeine Macht dem öfterreihiihen Jmperialis-
mus nod weniger unterordnen, als bie anderen deutſchen Fürften ihre Ohn—
macht: jo ſchworen alle auf das Prinzip der Erhaltung des Alten. Nur in
diefem rein negativen Programm waren Preußen und jeine beutichen Verbündeten
von 1785 einig.
Schon damals ift im eigenen Lager, von preußiihen Männern, die nur
das ſpezifiſch preußifche Intereſſe gelten laſſen wollten, die Frage aufgeworfen
. ' worden, ob es eine des Königs von Preußen mwürdige Rolle jei, Weberlebtes
'fünftlich zu erhalten: das unförmliche Gebäude des deutſchen Reiches mit feiner
geiſtlichen und weltlichen Kleinftaaterei, feinen verfümmerten Neihsftäbten, ber
langjamen und parteiiichen Rechtspflege feiner Reichögerichte, dem nichtigen und
läderlihen Gezänt feines Reichstags? Ob der König durch den neuen Titel
eines Beſchützers deutſcher Freiheit ſich nicht lediglich Fefleln angelegt habe, in
dem Verzicht auf die feinem Staate jo nötige Ausrundung und Vergrößerung?
Ob die Staatsflugheit nicht vielmehr gebieten würde, nad) dem von dem
Kaifer auf Koften der deutfhen Nachbarn gegebenen Beijpiel zu gelegener Zeit
Gleiches zu eigenem Vorteil zu verfuhen? König Friedrich hatte noch jüngft feine
nunmebhrigen Verbündeten mit Machhiavell als principi di Germania bisognosi
di scudi verjpottet, hatte in früheren Zeiten eine Berichtigung der Karte von
Deutihland durch Ländertaufh und die durch den Fürftenbund ausdrüdlich per:
borrescierte Säkularifation geiftliher Staaten wiederholt in ben Bereich feiner
„. politifhen Kombinationen gezogen;?) jest wies er, wie jhon 1778,°) den Ges
danken, mit Defterreih halbpart zu machen, weit von fih. Wir willen, daß
Kaunig bei dem Kaifer eine unmittelbare Verftändigung mit Preußen über die
bairiihe Frage angeregt bat: als ein Gerücht von ſolchem Vorhaben nad Berlin
drang, erflärte yriedrih feinen Miniftern, daß er feinen Anerbietungen oder
Infinuationen jein Obr leihen, nit aus ſchwächlicher Gewinnjucht bei den de:
ftruftiven Plänen des Kaifers gegen die Reichsverfaſſung mitwirken werde.
Huf die Dauer ift diefer Standpunft nicht feitgehalten worden, Preußen
betrat an Deiterreihs Seite die Bahn, die es dem SKaifer aus dem Haufe
Defterreih 1785 verjperrt hatte. Im Reichsdeputationshauptichluß von 1803
haben beide Staaten mit anderen weltlihen Reichsftänden über die geiftlichen
1) Bl. Bo. I, 204. 212.
2) Bol. Bd. I, 201.
») Oben ©. 526.
Der deutſche Fürftenbund von 1755. 621
Fürftentümer und über die Reichsunmittelbarfeit jo vieler Grafen, Ritter und
Städte das Los geworfen. Und als es zwei Menjchenalter fpäter zwifchen den
beiden Großmädten zu dem entjcheidenden Kampf um die Vorberrfchaft in
Deutichland fam, hat diefer Kampf neue Opfer aus der Zahl der beutichen
Souveränitäten gefordert.
Von dem Kampf um die Vorherrihaft in Deutihland, dem Kampf zur
Verdrängung Defterreihs aus Deutſchland, war alſo Preußen in jver Epoche
des deutſchen Fürftenbundes noch weit entfernt. Nur das Gleichgewicht zwiſchen
feiner neuen Schöpfung und der alten öfterreihifhen Macht wollte Friebrich
der Große behaupten, das Gleichgewicht, das er durch die Eroberung von Schlefien
bergeftellt hatte und das Kaijer Joſeph durch die Erwerbung von Baiern wieder:
aufgehoben haben würde.
Diejes befchränkte Ziel wurde durch die Politit von 1785 voll erreidt.
Der unbeitreitbare diplomatifhe Sieg Preußens, diefer neue Erfolg nad dem _
von 1779 und nad jo vielen früheren, hinter dem Gejchleht von 1785 bereits
im biftorifhen Halbdunfel zurüdliegenden Meifterftüden des alten Helden, wirkte
in der Gloriole einer nationalen That auf die Gemüter ſchier berüdend. Sein
„Mebergewicht in allem”, um Goethes Ausdrud zu wiederholen, war aufs neue .
erhärtet; „auf feiner Kraft ruhend“ blieb Friedrich dem nachwachſenden Ge:
Ihlehte nah dem Goetheihen Bilde „der Polarftern, um den fih Deutichland,
Europa, ja die Welt zu drehen ſchien“.
Fünfter Abjchnitt.
Ausgang und Ergebnilfe.
an bis nahe an den Ausgang mit einem hiſtoriſchen Rechenſchaftsbericht
begleitet.
Nah dem Breslauer Frieden von 1742 entitand ein in dieſer älteiten
Faffung bis auf wenige Bruchftüde verloren gegangener Verſuch über den erften
Krieg. Nach dem Dresdener Frieden behandelte Friedrih die Vorgeſchichte und
den Verlauf des zweiten Krieges, arbeitete die Darftellung des erjten um, ftellte
beiden Arbeiten einen Abriß der brandenburgifch:preußifhen Geſchichte vorarı
und gab dem Ganzen den gemeinfamen Titel „Histoire de Brandebourg*, Teil 1
bis 3. Dem Jahr 1753 angehörige Vorbereitungen für eine Fortfegung von
1746 ab führten zu feinem Ergebnis. Nah dem Hubertusburger Frieden jchrieb
Friedrich auf Grund der ſchon beim Schluß der einzelnen Feldzüge zufammen-
geftellten Jahresüberfichten die Geſchichte des Siebenjährigen Krieges, mit einer
gedrängten Einleitung über die zehn vorangegangenen Friebensjahre. Die Er:
werbung von Weftpreußen gab ihm 1775 Anlaß zur Darftellung der Ereignifje
jeit 1763, und einmal bei der Arbeit entjchloß er fich jegt zu einer vollftändigen
Umformung der Geihichte der beiden eriten Kriege; für die ganze Reihe feiner
biftorifchen Dentwürdigfeiten jeit 1740 wählte er jegt den Titel Histoire de
mon temps. Unmittelbar nah dem Tejchener Frieden jchrieb er dann die
Geſchichte feines legten Krieges, ftellte die Verbindung mit dem Früheren durch
eine Ueberficht über die Vorgänge von 1775 bis 1778 her und gab den Memoiren
über die Zeit nah 1763 von 1775 eine neue Geftalt. Und endlich bradte er
im Herbft 1784 Bemerkungen „Ueber die Politif” zu Papier, die als Skizze für
eine weitere Fortſetzung der Histoire de mon temps betrachtet werden bürfen.
Nur feine Darftellung der älteren Geihichte des Staates hat der Ber:
fafjer alsbald nad ihrer Niederſchrift als M&moires pour servir à l’histoire
de la maison de Brandebourg „zum Nußen unferer Jugend“ der Deffentlid:
feit übergeben. Und aud fie nur bis zum Tode des eriten Königs, jeines von
ihm jo überaus jcharf beurteilten Großvaters. Die Geſchichte feiner eigenen
GE: Friedrih hat feine Herrſcherthätigkeit von ihren erften Anfängen
Ausgang und Ergebniffe. 023
Zeit bejtimmte er nur für jeine Nachfolger auf dem preußifchen Throne. Sie
ift ihrem Zmwed und ihrem Inhalt nah von Friedrichs beiden politiichen Tefta:
menten von 1752 und 1768 nicht fpezifiich unterſchieden; ausdrüdlih jagt er
im Juli 1752, mit der Ausarbeitung des erften biefer Teitamente beichäftigt,
diefes Werk werde feiner Natur nah zu demſelben Schidjal, zu ewiger Ver:
borgenheit verurteilt fein wie feine älteren Geſchwiſter, d. h. wie die Memoiren
zur Zeitgefchichte.
Gleichwohl ift dann unmittelbar nah des Verfaſſers Tod auf Be:
treiben des Minifters Hertzberg die Veröffentlihung der Histoire de mon
temps durch den Nachfolger geftattet worden zu einer Zeit, wo Preußen,
ohne Bündnis mit einer europäifhen Macht, aber an ber Spige bes Fürften:
bundes in acdhtunggebietender Stellung, auf feinen ber großen Nachbaren
befondere Nüdfihten zu nehmen braudte. Immerhin ergab fih damals
die Notwendigkeit zu einigen in der jpäteren Ausgabe ergänzten Auslafjungen
aus Rüdfiht auf noch lebende Perjönlichkeiten, vor allem auf den Nad;
folger jelber.
Die 1788 und 1789 erſchienene, noch keineswegs vollftändige Sammlung
des litterarifchen Nadhlaffes, der Oeuvres de Frederic II, zählte 25 Bände;
mit Recht wurde gejagt, daß hier von einem Manne der That die Fruchtbarkeit
der jchreibjeligften Schriftfteller erreicht oder übertroffen worben jei.
Eine Erfheinung, die als ein Rätjel daftehen würde, hätte nicht Friedrich
jelber uns die Löfung gegeben: „Sobald id ein paar Augenblide übrig babe,”
ſchreibt er einmal, „ergreift mich der Schreibfigel; ih fann dieſem leichtfinnigen
Vergnügen nicht widerftehen, das unterhält mich, zerftreut mich und macht mic)
für jpäter, zu der Arbeit, die auf mir liegt, geeigneter.”
Wir haben einen Einblid gewonnen in die harte Arbeit, die ein langes Reben
bindurd und Tag für Tag ununterbroden in Krieg und Frieden, in Diplomatie,
Landesverwaltung und Staatswirtichaft, im Kabinett und auf dem Ererzierplaße
von diefem Einzigen geleitet worden it. Wir bewundern eine Schaffenskraft,
der die Anſpannung ein ſtetes Bebürfnis it, der ein Wechfel der Anſpannung
bereits Erholung bedeutet und verfchafft, die feine andere Erholung begehrt, als
neben der Königsarbeit die Thätigfeit des Schrijtitellers, welche fie ala wirkliche
Arbeit nicht gelten läßt.
Für die Beurteilung des Schriftitellers Friedrih und zumal aud des
Hiftorifers Friedrich ift damit der allein zuläffige Standpunkt gewonnen.
Mit dem doppelten Hinweis auf die Dienfte, die ihm feine Poeterei für
fein perfönliches Wohlbehagen leifte, und auf die Selbftbeicheidung, mit der fie
fih vor der Deffentlichfeit verberge, hat Friedrich felber fie immer entſchuldigt.
Er jcherjt, daß er, der vieux rimailleur tudesque, als guter Poet höchſtens in
Rußland gelten wird; er befennt, daß jeder, der nicht franzöfiih wie Racine
fchreiben fann, die Feder lieber aus der Hand legen fol, daß er jelbft nur
mittelmäßige Verſe gemadt hat und daß unter Verjen die mittelmäßigen
und die ſchlechten gleich viel wert jeien. Aber er bekennt zugleih, daß er fich
eines ihm zur Gewohnheit gewordenen Vergnügens ſchwerlich berauben würde,
daß dieſe Beichäftigung, wenigitens Tolange fie dauert, ihn glüdlih macht; jie
624 Neuntes Bud. Fünfter Abjchnitt.
bat ihm in jchwerfter Seelennot Ablenkung gegeben,*) fie zerftreut ihn aud,
wenn bie Gicht ihn plagt.
Andererfeits haben die Schwierigkeiten, die der Kampf mit einer fremden
Sprade bereitete, den Schriftiteller nicht abgeichredt, diefen Kampf immer von
neuem aufzunehmen. So ift er auch an die Neugejtaltung älterer Abjchnitte
feiner hiſtoriſchen Denkwürdigkeiten wejentlih unter dem formalen Gefidhtspunfte
berangegangen. „Ich lede meine Stleinen,” fchreibt er 1775 bei Umarbeitung
ber Anfänge, „ich verſuche fie zu glätten, ein Unterichied von dreißig Fahren
macht es jchwieriger, ſich felbft zu genügen, und obgleich diejes Werk beftimmt
ift, für immer in einem ftaubigen Archiv vergraben zu bleiben, will id doch
nicht, daß es ſchlecht geſchrieben fein fol.” Zu groß war die Ehrfurcht, mit der
er zu der Muſe der Geihichte aufichaute, als daß er gewagt hätte, im Alltags:
Heide in ihr Heiligtum zu treten. Unübertrefflich ſchön hat er ben unmittel-
baren und perjönliden Gewinn gepriejen, den das Geſchichtsſtudium bietet:
„In die Zeiten eindringen, die uns vorangegangen find, die ganze Welt mit
der vollen Anipannung unferes Geiltes umfaflen, das heißt wahrlich Eroberungen
gegen die Unmifjenbeit und gegen den Irrtum machen; das heißt in allen Jahr:
hunderten gelebt haben und thatſächlich Bürger aller Orte und aller Länder
werden.” Nicht minder hoch aber ftellte er den erzieheriihen Wert der Ge:
Ihichte, auf den er ihre Lehrer immer wieder bingewiefen hat,?) etwa in dem
Sinne, in welhem Goethe das Belte an der Geſchichte den Enthufiasmus ge:
nannt bat, den fie erwede. Er hatte weiter eine jehr jtarfe Anregung erhalten
durch die neue Richtung in der Gejchichtsihreibung, die von Bolingbrofe ent:
widelten, von Voltaire praftiih angewandten Grundfäße: dab Geſchichte und
Xeben in Verbindung zu bringen feien; daß der Hiltorifer auch die Gejchichte
des menſchlichen Geiftes und die Entwidlung des Kulturlebens in den Be:
reich feiner Betrachtung zu ziehen habe, daß ein Geſchichtswerk nicht eine tote
Notizenammlung fein dürfe, ſich nicht bloß an die Gelehrten, ſondern an alle
Gebildeten wenden ſolle; daß die Geſchichtsſchreibung eine Kunftform entwideln
müfle. Je ungenügender ihm auch auf diefem Gebiet die bisherigen Leiftungen
der Deutſchen Schienen, je weniger ihm ihr von Leſſing ganz in Uebereinftimmung
mit Friedrich gerügter „Mangel an Gejchidlichfeit, dem Stoffe eine Geftalt zu
erteilen” entging, um jo mehr jtrebte er an feinem Teile nach geiftiger Durch—
dringung des Stoffes, nach Leberfihtlichfeit der Anordnung und klarem und
gefäligem Ausdrud, nad Leben und Anjchaulichkeit der Darftellung. Das Reiz:
mittel Heiner pridelnder Einzeljüge aber wollte er nur fo weit angewendet
wiften, als joldhe Zugaben wirklich charakteriftiich feien für die Sinnesart der
Fürften und ihrer Höfe; an den Memoiren feines Höflings Pölnig mißfiel ihm,
daß fie mit Kleinigfeiten überladen jeien. Wenn es bis auf den heutigen Tag
ein Fehler vieler Hiftorifer geblieben it, daß fie über der Kritif des Richtigen
die Kritif des Wichtigen vergejien, fo hielt Friedrich auch als Geſchichtsſchreiber
ftets den Blid auf das Ganze gerichtet. Er wolle nit die Geſchichte der
1) Oben &. 120. 281.
2) Vgl, oben S. 594. 595.
Ausgang und Ergebniffe. 625
Huſaren ſchreiben, jagte er einmal, fondern die Geſchichte der Eroberung
Sälefiens. Aber er blieb auch die Antwort nit ſchuldig, als Voltaire
1747 das „ihredlihe und langweilige Detail” der Tagebücher über Belage:
rungen, Märſche, Kontermärfhe, Trancheen ala den lUnterhaltungsftoff ver:
abſchiedeter Majore und Oberftleutnants ins Lächerliche 309 und die Bemerkung
daran fnüpfte, der Krieg müfje wohl an fi eine ſehr häßliche Sache fein, weil
feine Details jo langweilig feier. Man müſſe, erwiderte Friedrih, den Stoff
unterfcheiden von dem Ungeſchick der Bearbeiter.
Nah dem Erfcheinen der Histoire de mon temps hatte Schiller an ber
Darftellung die „Voltairiſche Manier” auszufegen, die mit einem wigigen Ein:
fall über erhebliche Details hinwegglitfchte, und fand die Auffaffung „doch nur
individuell”. Freund Körner lobte in einem Brief an Schiller, nad) mandherlei
Tadel, „die wirklih ſchöne Art”, in der Friedrich von fich erzähle: „in dem
Ton des wahrhaft großen Mannes, mit der Unparteilichfeit eines Fremden, ohne
Anmaßung und ohne affeftierte Beicheidenheit“. Unter den Mitftreitern aus
den beiden legten Kriegen — Zeitgenofjen der beiden erften lebten nicht mehr —
glaubten viele, Prinz Heinrich an ihrer Spike, ihre eigenen Verdienfte von dem
königlichen Berfafjer verfannt oder verbunfelt und ftellten jelbft oder durch
andere, offen oder im ftillen, ihre Gegenrehnung auf, zumeift mit mehr Zu:
verfichtlichfeit ald Berechtigung.
Seitdem find die urſprünglichſten Urkunden der Lebensgeſchichte Friedrichs
des Großen an das Licht getreten, bie jein Tagewerf Schritt für Schritt be:
gleitenden diplomatiihen Weiſungen, militärifchen Befehle und abminiftrativen
Verfügungen, wie fie in ungeahnter Zahl aus feinem Kabinet und zum großen
Teil unmittelbar aus feiner eigenen Feber hervorgegangen find; dazu die Fülle
jeiner PBrivatbriefe. Die Kenntnis feiner Geſchichte Shöpfen wir alfo heute nicht
mehr aus feinen Memoiren, jondern aus jenen Urkunden. Gleihwohl find in
neuefter Zeit Friedrichs hiftoriihe Schriften eifriger benugt worden als je, aber
freilich zumeift als corpus vile für den Geciertifch der hiſtoriſchen Seminare
unferer Univerfitäten. „Anders lejen die Knaben, anders Grotius den Terenz”:
wer eine Arbeit wie die Histoire de mon temps vorzugsmweife auf ihre Ber:
fehen anfieht, wird der Bedeutung des Werkes und dem Genius des Ber:
faffers freilich nicht gerecht werden und vermutlich als weſentlichſten Gewinn
das erhebende Bewußtfein mitnehmen, an Genauigkeit, die für den zünftigen
Geſchichtsforſcher Pfliht und Töblih ift, dem großen Staatsmann und feld:
herrn, der folder Arbeit ein paar Mußeſtunden opfert, überlegen zu fein. Friedrich
jelber würde fragen: „Kann Er lefen?“*)
Seine Geihichtserzählung ift beeinträchtigt worden durch eine jouveräne
Nacläffigkeit in Behandlung der Zahlen und Daten; durch das jchlehte Ge:
dächtnis des Verfaffers, das feiner Umgebung auffiel und über das er fich felbit
beflagt hat; durch gewiffe Mängel feiner Unterlagen, denn ber Berfafler bielt
fih unter anderem an jeine Bulletins vom Sriegsfchauplage, die nicht ohne
Berechnung geichrieben waren, und an die Berichte feiner Gejandten, bie ſich
) „Friedrich der Große ald Kronprinz” ©. 126 (2. Aufl. S. 129).
KRofer, König Friedrich der Große. II. 2. Aufl, 40
626 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt.
nicht immer zureihend unterrichtet hatten; weiter durch bie fait unglaubliche
Schnelligkeit des Arbeitens, ohne die er jein Tagespenfum und fein Lebenswerk
nie hätte leiften können. Friedrich hat endlich keineswegs ohne Haß und ohne
Vorliebe geichrieben, und wie wäre dies überhaupt denkbar in einer zwifchen
den Kriegen, ja im erften Entwurf zwiſchen den Schladten, entitandenen Dar:
ftellung? Ueberall jpürt man den Nachklang großer und jchwerer Zeit; ber
Tiefbrud der Atmojphäre hält an, der Sturm hat ſich für den Augenblid gelegt,
ift aber noch nicht abgezogen. Durch Ironie wird die Leidenſchaft zwar ein-
gedämmt und gleihjam verdünnt, der Ton aber wiederum verſchärft. Einem
Grafen Brühl zeigt der Verfafler auf dem Papier ganz benjelben Haß, mit
dem er im Kriege die Brühlſchen Beligungen hatte verheeren lafjen. Ihr
Leben und ihre Bewegung, ihre Anſchaulichkeit und padende Wirkung verdankt
feine Darftellung gerade biejer ihrer Subjeftivität.
Friedrih hat die Dinge dargeftellt nicht überall jo, wie fie objektiv ge
wejen find, aber fo, wie fie lebendig ihm vor Augen ftanden. An feiner
inneren Wahrhaftigkeit, feiner Beteuerung, daß er die wahre Gejchichte jchreiben
wolle, wird nicht gezweifelt werben bürfen. Und vieles fam ihm zu ftatten,
um ihn andere Memoirenjchriftfteller in diefer Hinficht jchlagen zu laflen. Er
hatte keine Rüdfihten auf Lebende zu nehmen. Er beabfichtigte anders als
Cäfar, nicht eine Wirkung auf die Lage des Augenblides, die Meinung des
Tages, die politiihen Gegenfäge auszuüben. Er fonnte, was für Cäjar oder
auch für Napoleon unmöglich geweſen wäre, feine Fehler als Feldherr und als
Staatsmann eingeftehen, und hat es gethan. Bor allem aber: jeine Rechen:
ihaft über die Beweggründe feines Handelns in den entſcheidenden Augenbliden,
an ben großen Wendepunften feines Zebens hat ſich doch ſchließlich als zuverläffig
erwiejen. Er hat nicht verſchweigen wollen, daß an feiner erſten Unternehmung
der Ehrgeiz feinen Anteil gehabt hat; er hat fi über den Unwert der preußiichen
Rechtsanſprüche auf Pomerellen deutlih genug geäußert;') er hat fein Vorgehen
bei der Teilung Polens mit einer Offenheit beſprochen, die einer unferer her:
vorragendften Gejchichtsforfcher erichredend genannt hat; je mehr der urkund—
lichen Zeugniffe über diefe Verhandlung an das Licht getreten, um fo mehr find
Friedrichs Mitteilungen beftätigt worden. Und für die Vorgeſchichte des Sieben:
jährigen Krieges hat ſich feine Darftellung alten und neuen Angriffen gegenüber
fieghaft behauptet.
Friedrichs Wahrhaftigkeit hat fih nun auch darin gezeigt, daß er die
Dinge beim rechten Namen zu nennen den Mut gewann, ohne fi den Selbit-
täufhungen hinzugeben, die den Berfaffer des Antimachiavell noh bis zu einem
gewiffen Grade gefangen gehalten hatten. Er hatte die Welt und fich felbit
fennen gelernt. Er nennt es nur zu richtig ein dur die Erfahrung aller
Zeiten feitgeitelltes und erhärtetes Prinzip, daß in Saden der Politik nicht
immer eine genaue Gerechtigkeit, jondern fehr oft die Konvenienz den Borfig
im Rate führt und die Handlungen der Fürften beftimmt, und beshalb hatte er
ſehr bald dem einft von ihm jo ſcharf angegriffenen Machiavell eine Ehren:
') Bgl. oben ©. 478.
Ausgang und Ergebniffe, 627
erklärung gegeben.!) Nicht Friedrih hat die Aera der Konveniengpolitif herauf:
geführt, wie von jeinen Gegnern, ganz unhiſtoriſch, wohl behauptet worden ift.
Von dem „jublimen Recht der Konvenienz” ſprach man ſchon vor feinem Re:
gierungsantritt, und unendlich viel älter als der Sprachgebrauch ift die Sache.
Die Konvenienzpolitif mit ihrem Beftreben, das Staatsgebiet zufammenzu:
ballen und abzurunden, abjeitsgelegene Belistümer, Vorlande, Außenpoften
abzuftoßen und gegen Enklaven, Bindegliever, Füllftüde umzutauſchen, ftarfe
Grenzen, natürlihe Grenzen zu gewinnen, was iſt fie anderes gewefen als die
gejunde Reaktion gegen die territorialen Ergebniffe des feudalen Staats: und
Fürſtenrechts, das in Uebertragung rein privatrechtliher Anſchauungen auf das
öffentliche Leben Land und Leute als Erbgut und Heiratsgut von einem Befiger
auf den andern, von einer Linie des erlauchten Stammbaums auf die andere
übergehen ließ, heute bei einer Erbſchaftsteilung auseinanderriß und morgen mit
Stüden aus anderer Erbſchaftsmaſſe zuſammenſchweißte, bis der Wirrwarr der
Landkarte immer bunter, die Unnatur der Beligflitterung immer widerfinniger
wurde, Die Reaktion war um jo berechtigter, als der augenblidliche Rechts:
zuftand, gegen ben fie ſich richtete, doch im legten Grunde ein ufurpierter war,
denn bie Erblichfeit hatten im Feudalftaat die Inhaber der Lehnsämter und
Lehnsgüter erft ertrogt.
Das Recht der Konvenienz hatten zu Friedrih Wilhelms I. Zeiten die
großen Staaten, auf ihre Macht pochend, dem ſchwächeren Preußen aufzwingen
wollen. Solch unerträgliden Anſpruch nit zu dulden, war der ftolze Vorſatz
ihon des Kronprinzen Friedrih, dann vom eriten Augenblide der Regierung
an des jungen Königs feiter Entſchluß geweſen. In feinen Memoiren, bie
diefen Gefichtspunft ſcharf voranftellen, ift das eigentliche Thema die Darlegung,
wie jein Preußen ſich neben den alten Mächten und gegen fie zur Selbftändigfeit
emporgerungen, inmitten einer feindlichen Welt das eigene Intereſſe zu wahren
und zu fördern verftanden hat. Nicht umſonſt hatte ein erfahrener Mentor
einft dem Kronprinzen gejagt, daß die modernen Marimen in der Politif den,
welcher dem allgemeinen Brauche nicht folge, faft der Lächerlichfeit preisgäben,
und daß ein Fürft, der fih auf Nechtlichkeit verfteifen wollte, inmitten aller
Schlingen und Fallitride den jchwerften Stand haben mwürbe.
Friedrih war frühzeitig auf den Unterſchied zwifchen privater und öffent:
liher Moral geführt worden, der fih aus dem eigenften Wejen des Staates
ergibt: aus der Verpflihtung des Staates, feine Macht zu wahren, fi als
Macht durchzuſetzen und zu behaupten, aus der „natürlichen“ Verpflichtung ba=
zu, von der Ludwig XIV. einmal gejproden hat. Kaunig, um nod einen
anberen der großen Realpolitifer zu hören, hat während jener rrungen wegen
der Scheldeſchiffahrt zu einem holländifhen Diplomaten gerade heraus gejagt,
fein Vertrag binde länger, als das Verhältnis daure, unter dem er geſchloſſen
jei. Friedrich hat die Eide der Minifter als gleichwertig mit den Eiden ber
Liebenden erklärt. Wie er grunbfäglich fih zu der Frage nad) der Verbind—
lichkeit der Staatsverträge geäußert hat, wie er von dem Fürſten verlangt, daß
') Bel. Bd. I, 181.
628 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt.
er, dem Wohle der Unterthanen ſich opfernd, lieber einen Bertrag brechen, als
das Staatswohl gefährden fol, wie er diefe Forderung in ber fpäteren Faſſung
der Denkwürdigkeiten über jeinen erften Krieg auf ganz beftimmte Fälle ein-
geſchränkt Hat, das haben wir in anderem Zufammenhang bereits gehört.')
Unverfennbar dämpit der Verfafler der Histoire de mon temps den Ton,
zumal in den jpäter entftandenen Teilen, wenn die Leiftungen der Politik und
Diplomatie zu würdigen find. In dem Vorwort zu ber Darftellung des Sieben:
jährigen Krieges wird „politiihen Intriguen“, wenn fie zu nichts führen, fein
größerer Anſpruch auf Beahtung zuerfannt, als ben kleinen Reibereien, den
„Trakaſſerien“ in der Geſellſchaft. Am Schluß der Memoiren über die Teilung
Polens nennt Friedrih bei einem Ausblid in die Zufunft bie politifhen Be:
rehnungen das Kinderjpielzeug der Greife. Immerhin wird von der Politik,
die mit „Gebulb, Feſtigkeit und Gefchidlichkeit” die Erwerbung von Weftpreußen
berbeiführte, mit einem gewiſſen befriedigten Selbftgefühl geſprochen; um fo
fteptifcher blickt wieder die Schlußbetrachtung der Geſchichte des Krieges von 1778
in die Zufunft. Ueber die Zunft der Diplomaten insgemein hat fi Friedrich
bisweilen faum minder verädhtlich geäußert, als über die eine, ihm geradezu
lächerlich erfcheinende Spezies dieſer Zunft, die rechtsgelehrten Bevollmächtigten
am Reichstage, die Pedanten von Regensburg, und wenigftens zum Teil erklärt
fih bei ihm aus diefer Geringfhägung die ganz auffällige Gleihgültigfeit, mit
der er nur zu oft bei der Auswahl feiner eigenen biplomatifchen Vertreter ver:
fuhr. Die „hohlen und unfinnigen Hirngefpinfte der Diplomaten“,?) d. h. alles,
was nad Projeftenmacherei ausjah, waren ihm verbädtig; fein eigener Minifter
mußte für einen künftlichen Vorſchlag zu einem großen Ländertaufhgeichäft?)
bie Zurechtweifung hinnehmen: „Geht fpazieren mit Euren unmwürdigen Plänen,
Ihr jeid zum Minifter für Goujone wie der Kurfürft von Baiern geichaffen,
aber nicht für mich.”
Friedrichs Politik erfcheint groß in dem hohen Flug ihrer erften kühnen
Entwürfe; groß in der ſtolzen Sprade, mit der fie für Preußen den Einlaß in
den Kreis der alten Mächte forderte; unvergleichlih groß in der Beherztheit,
mit der fie jedesmal in der Stunde der Entſcheidung den Entſchluß aefunden bat.
Sie erfcheint groß in ber Selbftbeiheidung und Mäßigung, die fie fi trog der
eriten großen Erfolge nah dem Einblid in die Beichränktheit ihrer Mittel
aufjuerlegen verftand; groß wieder in der Bejonnenheit und Feltigfeit, mit der
fie nad) manden Bebenfklichkeiten und längerem Zaubern eine verwidelte diplo=
matiſche Aktion, wie bie von 1771, zum glüdlihen Ende geführt hat; groß
endlich in der vornehmen Gejchlofjenheit, mit der fie bei Anläffen wie dem von
1778 oder 1785, ein mwürbiges, obgleich beſchränktes Ziel im Auge, der Ber:
fuhung wiberftand, durch begehrliches Ausgreifen im Geifte jener Hertzbergſchen
Projekte eine einfache und klare Lage zu vermwirren und zu verbunfeln. Aber bei
aller Großzügigkeit hat diefe Politit in feinem Lebensabſchnitt ihres königlichen
ı) Vgl. 3b. 1, 179—181 (2. Aufl. S. 180—182).
2) Vgl. Bd. I, 183 (2. Aufl. ©. 184).
3 Oben ©. 527. 536.
Ausgang und Ergebniffe. 029
Trägers verzichtet auf die Fleinen, ja kleinlichen Künfte der herfümmlichen
Diplomatie, auf allerhand eigenartige Hausmittelhen, auf das, was Kaunik
„dienfame Minifterialmittel” zu nennen pflegte. Ohne frage waren bes großen
Friedrich dieje Heinen Mittel nicht gerade würdig, und fie ftanden ihm nicht
einmal ganz zu Geſichte; denn wie e& einft dem jungen Prinzen ſchwer geworden
war, die „verſchwiegene Kunft des Verftellens” zu erlernen und dem Vater ftatt
des trogigen Gefichts ein freundliches zu zeigen, jo hieß es noch von dem greifen
Könige bei den fremden Diplomaten, daß er den Ausbrud feiner Züge nicht in
feiner Gewalt babe. Friedrich ift in feinen legten Regierungsjahren, um Frank—
reih von Defterreich zu trennen, in jeinen Mitteln nicht wähleriſcher gewejen,
ala ein Menjchenalter zuvor der Wiener Hof in feinem Beftreben, Unkraut in
ben Weizen des damaligen franzöfifhen Bünbniffes mit Preußen zu fäen. Und
er bat, al& das Wiederauffteigen des öfterreichifchen Sterns am ruffiichen Himmel
ihn beunruhigte, es bei der Zarin an Umtrieben gegen feinen Nebenbuhler
Joſeph nicht fehlen laffen. Ja, er hat gelegentlich kleine Künfte jpielen laffen,
von denen er fih doch von vornherein Erfolg nicht verfprocdhen haben würde,
hätte er nicht auf die große Mehrzahl feiner fürftlihen Zeitgenofien, die große
Katharina nicht ausgenommen, mit Unterfhägung ihrer geiftigen Bedeutung
herabgefehen.
Auch dafür bieten feine Memoiren zahlreiche Belege, ganz zu geſchweigen
von dem ſatiriſchen „Codicille* von 1770 oder jenem Briefe von 1782
an ben Herzog von Braunfchweig, wo er die Fürſten Curopas mit ihren
Schwächen und ihren Thorheiten Revue paffieren läßt. Beiſpiele wie ber
Fürft von Anhalt: Köthen, der an der Tafelrunde von Sansjouci über die
Volkszahl jeines angeftammten Reiches nicht Auskunft zu erteilen vermochte,
erregten die Spottlujt des Königs von Preußen immer von neuem und ließen
ihn die Thatfache überjehen, daß in Deutichland und in Europa ein neues
Herrſchergeſchlecht herangewachſen war, welches fich in zahlreihen Vertretern von
der Generation von 1740 jehr vorteilhaft unterjchied; ſchon 1775 hatte Voltaire
ganz treffend bemerkt, man fönne jegt faft unter allen Souveränen Europas
den Wetteifer beobachten, fih dur große und nützliche Schöpfungen auszu:
zeichnen. Friedrichs aufgeklärter Abjolutismus begann in Europa Schule zu
maden, und bis zu gemwiffem Grabe hat fein Spott über feine fürftlihen Mit:
brüder fie angetrieben, dem großen Mufter nachzueifern. Sie fürdteten fein
fpöttiiches Geficht: ridendo stimulat reges — das wollte einem Zeitgenoffen
als pafiende Umfchrift für eine Medaille auf Friedrich erfcheinen.
Wir erinnern uns, daß Friedrich einen großen Teil des Zufälligen und
Unberehenbaren im Verlauf der Weltbegebenheiten auf die Rechnung der menſch—
lihen Thorheit zu jegen geneigt war;!) eben in diefem Sinne nennt er die Politik
ein Spiel des Zufall, weil Könige, Fürften, Minifter eben Menjchen feien wie
die anderen aud. Das Kapitel von den Fleinen Urſachen und ihren großen
Wirkungen nimmt in feiner Geſchichtsbetrachtung einen breiten Raum ein.
„Man muß nur alt werden,” jagt er 1781, „und man wird aus der Erfahrung
ı) Oben ©. 579.
630 Neuntes Bud, Fünfter Abſchnitt.
lernen, daß nichts unmöglich ift und daß der, welcher die Impertinenz hat, am
längften zu leben, immer etwas Neues vorfindet... . Ich babe Ludwig XIV.,
faum im Grabe, mißachtet und vergeflen geſehen; ich habe eine Poiffon und
eine Madame Lange als Königinnen von Frankreich geſehen; ih habe Feuer
und Waller fich vereinen, die Bourbonen mit den Habsburgern fich verbinden
fehen; ih babe die Jeſuiten vernichtet geſehen; ich habe die Philojophie die
Wahrheit aus dem Schacht fürdern fehen; ih habe Barbaren Voltaire die letzte
Ruhe verweigern fehen; ich jehe rebelliihe Kinder gegen ihren Vater, den Papft,
fih auflehnen; ich fehe noch viele andere Dinge und ſchweige.“ „Das Los der
menſchlichen Dinge,” fchreibt er 1779 in dem Schlußheft feiner Zeitgefchichte,
„iſt dies: Heine Intereſſen enticheiden über die größten Angelegenheiten.“
Aber in demfelben Jahr hat Friedrih in einem Brief an d’Alembert das
goldne Wort niedergelegt: „die Evidenz der wahrhaften Intereſſen der Staaten
behält über die vorübergehenden Illuſionen die Oberhand.” Es gebe, ſetzt er
binzu, auch in der Politit Dinge von annähernd mathematifcher Sicherheit; es
hänge dann nur von der Zeit und den Umftänden ab, daß foldhe bee fi
durchſetze und daß die Verblendung aufhöre.
Das war dasjenige Ma von Optimismus, deſſen feine Geſchichts—
betrachtung fähig war, da fie zu der Annahme einer göttlihen Weltregierung
fih nicht zu erheben mwagte.')
Friedrichs äußeres Leben verlief jeit dem Siebenjährigen Kriege jo regel:
mäßig und einförmig wie möglid. Sein Minifter Schulenburg bat gejagt, daß
man im voraus einen Kalender dafür aufftellen könnte, was er an bem oder
jenem Tage thun würde: „Es ſchien jogar, daß fein Wille dem Phyſiſchen
gebot, denn wenn er noch vor beitimmten Revuen und Reifen im Bette lag,
war er, wenn der Tag erjhien, beſſer und that, was er fi vorgenommen
hatte.” Zum Winteraufenthalt, dem fogenannten Karneval, fam er wie ſchon
in ben legten Jahren vor dem Kriege,?) immer erſt in den Weihnachtstagen nad)
Berlin und blieb den Januar hindurch dort; aber 1768 verließ er die Haupt:
ſtadt Thon am 23. Januar, dem Vorabend feines Wiegenfeites und machte
bald diejen Reijetag zur Regel, um ber offiziellen Geburtstagsfeier aus bem
Wege zu geben. Bei diefen Winterbefuhen in der Hauptſtadt benußte ber
König, der ſich ſonſt nur zu Pferde öffentlich zeigte, für die Fahrten zur Oper
und für Bejuchsfahrten noch die unförmlidhe achtipännige Staatsfaroffe, die vor
einem halben Jahrhundert als Glanzleiftung der Berliner Wagenbaufunft be:
wundert worden war, und wie ehedem jchritten in zwei Reihen die Läufer mit
ihren Stäben, Schärpen und Federhüten voraus; aber ihre Gangart war nicht
eben eine bejchleunigte, denn es waren Kriegsinvaliden, die in mohlverdientem
Ruheſtand jetzt den Läuferdienit verrihteten, und der greife Siegesheld lieb
aus Rüdfiht auf die morſchen Knochen jeiner waderen Kriegsfameraden jeine
altmodiſche Kutjche in feierlihitem Zuge fich fortbewegen.
) Bel. oben ©. 577. 579,
2) Bd. I, 526 (2. Aufl. S. 527).
Ausgang und Ergebnifie. 631
Im April, zugleih mit der Weberfiedelung aus dem Potsdamer Stadt:
ſchloſſe nah Sansjouci, begann das militärifhe Jahr mit den Ererzitien ber
Potsdamer Garnifon. Den 10. April, den Jahrestag jeiner eriten Schlacht,
feierte er jedes Jahr damit, daß er das erſte Bataillon Garde antreten und
zweimal mit Pelotons hargieren ließ und dann feierlih mit den Worten entlief:
„So madten es eure Vorfahren bei Molwig.” In ber erften Hälfte des Mai
fam der König auf zwei bis drei Tage zur Befihtigung der märfifchen Regi:
menter, um ben 20. Mai auf drei bis vier Tage zur Parade nad Berlin.
Daran fchloß fih no im Mai die Revuenreife nah Pommern, Anfang Juni
die nach dem Magdeburgifchen; nah 1772 fanden beide in umgefehrter Reihen:
folge ftatt, da jet der König von Stargard aus regelmäßig die weitere Reife
nad Weftpreußen antrat. An einem Tage um die Mitte des Juni verfammelte
er in Potsdam die Minifter des Generaldireftoriums zur Feſtſtellung des Staats:
haushalts für das in diefem Monat beginnende Rechnungsjahr. Es folgten die
Wochen, die er als jeine Ferien zu bezeichnen pflegte, die ganz ftillen Sommer:
tage in Sansfouci oder im Neuen Palais. Faſt ſtets am 15. Auguſt wurde
für den Reit des Monats nah Schleſien aufgebroden. Am September wurde
feit 1773 auf dem Wedding bei Berlin ein eintägiges Artilleriemanöver ab:
gehalten, das den König veranlaßte, bie vorangehende Naht in unmittelbarer
Nähe des Schießplakes auf dem „Gefundbrunnen” zuzubringen. Mit dem brei:
bis viertägigen Manöver bei Potsdam in der vorlegten Septemberwoche ſchloß
der Felddienft ab. Erft im November wurde Sansfouci wieder mit dem ots:
damer Stadtſchloß vertauſcht.
Dem Potsdamer Herbſtmanöver und den Revuen durften fremdherrliche
Offiziere beiwohnen, die von Jahr zu Jahr in größerer Anzahl kamen, Franzoſen,
Ruſſen, Engländer, Holländer, Sachſen, gelegentlich auch ein Spanier. Bei
dieſem Anlaß haben ſich auf ſchleſiſchem Boden die Gegner aus dem amerika—
niſchen Unabhängigkeitskriege, Lord Cornwallis und Marquis de Lafayette, ge:
troffen. Friedrichs Manöver galten der Welt als die hohe Schule ber Kriegs:
funft. Noch war der Glaube an die Meberlegenheit der preußiichen Taktik, troß
der geringen Erfolge des Feldzugs von 1778, nicht erfchüttert. Friedrich hat
jeinen Nachfolgern empfohlen, an den bejtehenden Einrichtungen fo lange feft:
zubalten, als die Kriegsfunft fich nicht verändern würde, d. 5. fjolange nicht
Fortjchritte in der Kriegführung, neue Erfahrungen in der Praris zu Ver:
änderungen Anlaß geben würden. Aus joldem Grunde hatte er felbft in feinen
Anfängen feine Reiterei ſich gleichſam neugefhaffen und die Infanterie zu
einer früher ungeahnten Beweglichkeit ausgebildet, in diefem Sinne hat er
während und nad) dem Siebenjährigen Kriege, zulegt noch 1782, die Artillerie
vermehrt, fie erft zu einer felbftändigen Waffe erhoben. Für feine legte Zeit
ift die Aufmerkjamfeit kennzeichnend, die er dem zerftreuten Gefecht zuzumenden
begann. Unter Offizieren, die in Amerifa mit diefer Kampfesart vertraut
geworden waren, ftellte er im letzten Regierungsjahr drei ftändige Freiregimenter
zu je zwei Bataillonen auf, nachdem die Erfahrung des legten Krieges die Un—
zuträglichfeiten gezeigt hatte, die mit einer erſt bei Beginn des Kampfes be-
wirkten Anwerbung leiter Truppen verbunden waren.
632 Neuntes Bud. Fünfter Abfchnitt.
Die alte Freude aber an jeinem Heere gewann ber König nicht wieder.
Der Feldzug von 1778 hatte ihn noch unzufriedener gemacht. Er rechnete dieſe
Epifode gar nicht als Krieg: er fpricht in einem Befehl aus dem Jahre 1782
von dem zwanzigjährigen Frieden, den das Heer jetzt gehabt habe. Immer
wieder mahnte er, im Friedensdienſt „die Kriegsgedanfen nicht einfchläfern zu
lafjen“. Immer ſchwerer wurde es, jeinen Anforderungen zu genügen. Bei
der Revue von Neiße im Herbit 1784 blieb er den ganzen Tag faft immer
allein, ohne jemand anzureden; es hieß, daß er feinen Schredenablid habe.
Dantals erging an den Inſpekteur der jchlefiihen Infanterie, den fonft jo
hochgeſchätzten Tauenzien, eine in die ungnädigften Ausdrüde gefleivete Kabinets-
ordre, die an eine jcharfe Kritif der einzelnen Truppenteile das Gejamtverbift
fnüpfte, daß die Armee in Schlefien noch nie jo ſchlecht geweſen fei, wie jet:
„wenn ich Schufter oder Schneider zu Generalen machte, könnten die Regimenter
nicht ſchlechter fein“. L
Dur die aljährlihen Reifen blieb der Einfiebler von Potsdam mit der
Außenwelt in lebendiger Berührung. Wo er erwartet wurde, waren groß und
Hein, Unterthgnen und Fremde gleihmäßig in Bewegung, um feinen Anblid
nicht zu verfäumen. Ein junger Hamburger Patrizierfohn, Piter Poel, der
1783 in Potsdam einer Mufterung zufhaute, bat uns den übermältigenden
Eindrud geihildert, welchen der Anblid des Greijes auf ihn madte, „deilen
Name alles Denktwürdige eines halben Jahrhunderts bezeichnete und deſſen
Thaten, Leiden und Gefahren, deſſen föniglihe und menſchliche Worte, deſſen
angeftrengte Arbeiten und heitere Tiſch- und Abendgeſpräche überall, von meiner
Kindheit an, ein unerfchöpflider Stoff der Unterhaltung geweſen waren“ ; tief
ergriffen jchaute er jegt vor fih, „die ſchon durch fo viele Abbildungen be:
fannten Züge und den durchdringenden Blid”; aber das Bild ſchien „kaum
mehr der Gegenwart anzugehören, fo fichtbar waren die Spuren der Hin:
fälligfeit in dem zufammengefunfenen Körper und der jchlaffen Bewegung der
Glieder”.
Wie war nun die Stimmung, welde die Fremden in Preußen vorfanden.
War der alte König bei feinen Unterthanen populär?
Als der Schweizer Zimmermann, der befannte Arzt, 1771 nad Berlin
fam, ſagte er fih, jo viel Böſes niemals und nirgends gegen Friedrich den
Großen gehört zu haben, wie in Berlin, eine Wahrnehmung, die ihn mit einem
Seitenblid auf die Zuftände in der Heimat zu der Bemerkung veranlaßte, er
habe in Berlin taufendmal mehr Freiheit gefunden, als in der Schweiz und.
zumal in Bern: „ale Menſchen von jedem Stande fonnten jagen, was ihnen
beliebte, und feinem wird dafür ein Haar gekrümmt.” Eine ganz veränderte
Stimmung fand acht Jahre jpäter — der bairische Erbfolgefrieg lag dazwiihen —
der Mainzer Georg Forfter in Berlin vor. Ihm war es ärgerlih, „daß
alles, bis auf die gejcheitejten, einfichtsvollften Leute, den König vergöttert und
fo närriſch anbetet, daß felbit was jchlecht, falſch, unbillig oder wunderlih an
ihm ‘ft, ſchlechterdings als vortrefflih und übermenfchlih genannt werden muß“.
Der Zimmermannfche und der Forfterfche Bericht nebeneinandergehalten, beitätigen
die Angaben Friedrih Nicolais über die Wandlungen im Urteil der Berliner
Ausgang und Ergebnifie. 633
über Friedrih. Nach dem „unbejchreiblihen Enthufiasmus“, der ſich während
des Siebenjährigen Krieges „jomohl der Unterthanen als felbft weit entfernter
Ausländer” bemädtigt hatte, trat in ben erften Friedensjahren, unter dem Drud
einer wirtſchaftlichen Notlage ein entſchiedener Rückſchlag ein: man hielt den
König, jagt Nicolai, „faft allgemein für einen bloßen Soldaten, deſſen Pläne
nur auf Krieg gerichtet wären”. Diejes Vorurteil jei endlich gewichen, zumal
jeitvem in der Teuerung und Hungersnot zu Beginn der fiebziger Jahre!) fich
die Umſicht und der Nuten feiner Wirtſchaftspolitik offenbart habe: „Aufmerkſame
Beobachter fingen an einzufehen, welde große Wirkungen ununterbrodene
Thätigkeit, die nur auf wenige, aber wohlgeorbnete Zwede fi einjchränft, ver-
bunden mit Ordnung und mit unermübetem Ausdauern hervorbringen fann.“
Forfter hatte in Berlin in Nicolais Kreife verkehrt, in der Gemeinde ber
Aufklärer. Wäre er nicht bloß mit den freifinnigen Theologen, fondern etwa
auch mit dem pofitiver gerichteten Konfiltorialrat Büſching in Berührung
gefommen, er würde auch minder lobenbe Urteile über Friedrich gehört haben.
Wie die erklärten Gegner der Berliner Aufflärung dachten, willen wir aus ben
Briefen des „Magus im Norden”, des Königsberger Accijejetretärs Hamann.
Dem war Berlin das verhaßte „Babel“; er jchalt, daß alles ein Leiten, ein
Schuh jein folle, Fabrifen und Heerbienft, Litteratur und Kritif, und von der
brandenburgiichen Herrjchaft über Preußen meinte er: „Es war dem Herzogtum
feine jolde Schande, von Polen abzuhangen, als es dem Königreich ein Unglüd
it, abzuhangen von der Politit der Chaldäer im deutſchen Reiche.“ Minder
fanatiſch, aber hinreichend offenherzig äußerte fi Wieland: „König Friedrich
ift zwar ein großer Mann, aber vor dem Glüd, unter feinem Stode sive
Scepter zu leben, bewahre uns der liebe Herrgott.“
Begeben wir uns aus bem engeren Kreife der Gebildeten in bie Mitte
des Volles. Der Breslauer Garve hat zutreffend bemerft, der König habe jehr
wohl gewußt, daß viele jeiner Maßnahmen zum Beften bes Landes nicht den
Beifall des Publikums hatten, jondern bald Mifvergnügen, bald Tadel erregten,
wie die Einjhränfung des Handels zu Gunften der Fabriken und jelbft die
Kolonieanlagen ; aber er fei im ftande gemweien, ſich durch die bloße feite Ueber:
zeugung von der Nüßlichfeit oder der Rechtmäßigkeit einer Handlung für den
ausbleibenden Ruhm und jelbft für ben Tadel jchablos zu halten. Nah fo
mancher Neuerung, dur die er feit 1763 die öffentlihe Meinung gegen ſich
berausgefordert hatte, nach dem neuen Accifetarif, der Berufung der franzöſiſchen
Zöllner, der Beiteuerung des Tranfithandels und dem Tabafsmonopol, trug
endlih 1781 die Einführung ber Kaffeeregie bie ſtärkſte Erregung in die Ge—
müter.?) Und nun ſpielt ſich vor unſeren Augen jener - fennzeichnende Auftritt
ab. Der alte König reitet, nur von einem Reitknecht begleitet, durch die
Yägerftraße und fieht jchon von weitem, wie am Werderſchen Markt das Volf
fih drängt. „Sie haben etwas auf Eure Majeftät angeichlagen,” berichtet der
vorausgeſchickte Heidud, und jegt nähergefommen gewahrt der König im Bilde
') Oben ©. 419.
2) Oben ©. 384 ff., 391. 392. 406 ff.
Kunden.
erde :
634 Neuntes Bud, Fünfter Abſchnitt.
— ler —— ſich ſelbſt, kläglich auf einem Fußſchemel hockend, eine Kaffeemühle zwiſchen den
aAuieen, mit der Rechten mahlend, mit der Linken gierig na erausfallenden
Böhnen_greifend. „Hängt ed doch niedriger, daß bie Leute fi nicht den den Hals
ausreden,” ruft er mit einer entſprechenden Handbewegung. Ungeheurer Jubel
bricht aus, die Karikatur wird in tauſend Feen zerriſſen, unter lauten Hod:
rufen reitet der König langſam von dannen.
Friedrichs P Popularität in den niederen Volksſchichten war unzerftörbar,
fie troßte auch dem Nerger über die fisfalifche Kaffeeriecherei. "Mir hörten, wie
U Ann > im Dezember 1779 nad dem objektiv durchaus fehlgreifenden Machtſpruch zu
M ! Gunften des Waflermüllerse Arnold und nad der Entlafjung ! des Großkanzlers
— —
Fürft die vornehme Geſellſchaft bei dem geftürzten Minifter in langer Wagen:
reihe auffuhr, die Berliner Bürger aber ihre Häufer feitlich erleuchteten und
die Bauern vom Lande unter des Königs Fenfter fih verjammelten.‘) Daß
noch ein jeder, der unter der Bittjchriftenlinde am Potsdamer Stadtſchloß jeinen
laeı, 6 —S emputiet. fiher war, ihn entgegengenommen zu jehen, das gab dem
Volke ein unbegrenztes Vertrauen zu der Geredhtigfeitsliebe des Königs, ob
immer ben Berwaltungsbehörben und den Gerichten die Prüfung dieſer nur
zu oft unbegründeten Querelen mande Unbequemlichfeit und viel Zeitverluft
verurfachte. Unbemerft in die unmittelbare Nähe des Monarden zu kommen,
Sans Smci war nicht eben ſchwer. In Sansfouci zog nur für die Nacht ein Unteroffizier
— P: mit ſechs Grenadieren zur Wache auf; bei Tage war der König bier ohne jede
Bedeckung und buldete nicht einmal, daß die Thüren verfhloffen wurden. Einer
feiner Tiſchgäſte war fehr erftaunt, als er eines Tages eine große Menge Land:
leute auf_der Terrafje beim Schloffe traf, wohl an ſechzig; fie wollten eine Bitt-
ſchrift überreichen, niemand hielt fie zurüd.
Ausländer, die zum erſtenmal in Berlin mweilten, waren höchſt überrafcht,
wenn ber König aus Potsdam herüberkam, und fie nun die nergelnden, ab:
ſprechenden, jchmähfüchtigen Berliner gar nicht wiedererfannten. „Sie können
ſich nicht vorftellen,” jchreibt 1777 der eben eingetroffene engliſche Geſandte Elliot
in einem vertraulihen Brief an einen Verwandten, „wie das Volk fich freute,
ihn zu Pferde zu ſehen; alles Klubgefhwäg von einem Lande, das unter dem
Gewicht feiner Laſten ftöhne, und von einer Nation, bie mit eiferner Rute
regiert werde, verſchwand vor dem aufrichtigen Zuruf aller Schichten der Be:
völferung, die fich verbanben, ihre Begeifterung für ihren großen Monarden zu
bezeugen.” Ritt der König nad einer Truppenbefihtigung vom Tempelbofer
Felde in die Stabt ein, unaufhörlih den Hut abnehmend, dann war „das ganze
Rondell und die Wilhelmftraße gedrüdt vol Menſchen, alle Fenfter voll, alle
Häupter entblößt”; und doch war nichts gejchehen, jo jagt einer aus der Schar
diejer ehrſurchtsvollen Taufende: „Nur ein bdreiundfiebzigjähriger alter Mann,
ſchlecht gekleidet, ftaubbededt, kehrte von feinem mühſamen Tagewerfe zurüd;
aber jedermann wußte, daß diefer Alte auch für ihn arbeite, daß er fein ganzes
Leben an diefe Arbeit gefegt und fie feit 45 Jahren auch nicht einen Tag ver:
fäumt hatte.”
') Oben ©. 543.
Ausgang und Ergebnifie. 635
Hören wir nochmals einen Fremden, den Franzoſen de Laveaur, der...
Jahre in Berlin gelebt hat: „Sein Braud, alle Eingaben der Unterthanen zu
lefen, mußte dem König unendlide Mühe und Ueberdruß verurfahen, aber er
unterrichtete ſich dadurch über alles, was vorging, und hielt alle feine Minifter
und Beamten in einer viel ſtärkeren Furt, als fie der blinde Deipotismus,
der aus Laune Köpfe jpringen läßt, einflößen fann. Wenn ein Minifter einen
zu hohen Ton gegen einen Bauern anjchlug, jegte der Bauer den Hut auf den
Kopf und jagte: Ich gehe zum König! und dieſe Freiheit, dem Könige alles zu
fagen, erleichterte jcheinbar die Laft, die man für diefen König trug.” Dazu
fam, daß die Spenden aus jenem großen Dispofitionsfonds, den Friedrich für
außerordentliche Ausgaben bereit hatte, unmittelbar als Wohlthaten aus ber
eigenen Hand des Königs empfunden wurden. Die weile Verteilung feiner
Wohlthaten, jagt derjelbe Berichterftatter, „ſicherte ihm Segnungen und Liebe in
allen Provinzen feines Staates, in allen Berhältnifien, in allen Städten, in
allen Dörfern und Weilern. Alles, was in Preußen atmete, hing fozufagen
unmittelbar von ihm ab.“
Wir begleiten den alten König auf feiner legten Dienftreife am 18. Auguft
1785 nad Hirfchberg. Viele Taufende erwarten ihn feit Stunden, aus ber
ganzen Gegend zufammengeftrömt. Ein Augenzeuge erzählt: „Man las auf
allen Gefihtern, daß man etwas Großes mit Freuden erwarte. Endlich kam
er, der Einzige, und aller Augen waren mit dem fprecdhendften Ausdrud von
Ehrfurht und Liebe auf ihn gerichtet. Ich kann die Empfindungen nicht
beſchreiben, die ſich meiner und gewiß eines jeden bemächtigten, als ich ihn
ſah, den Greis, in der jhwadhen Hand den Hut, im großen Auge freund:
lihen Baterblid auf die unzählige Menge, die feinen Wagen umgab und
ftrommeife begleitete. ... Alle, die das Glüd traf, ihn zu ſprechen, waren
über die väterlihe Milde des großen Königs außerordentlich gerührt. Der
ganze Tag war für die Stabt ein Fefttag, und man ſprach von nichts, als
daß der König fo freundlich geweſen wäre und auf die Menge jo mit Wohl:
gefallen geblict hätte.” Hier war es, dab er ben Dank einer Aborbnung
Greiffenberger Bürger für ein Gnadengeſchenk zum Wiederaufbau ihrer ab:
gebrannten Häufer „Fichtlih gerührt” mit den Worten ablehnte: „Sie haben
nicht Urſach, ſich deswegen bei mir zu bedanken, es ift meine Schuldigfeit, da:
für bin ih da.“
Friedrih befak die große Kunft und in den meilten Fällen aud ben
guten Willen, in jedem Geſpräch ſich der Sphäre des Angeredeten anzupafien,
modte er nun einen General oder einen Diplomaten, einen Gelehrten oder
Künftler, einen Kaufmann oder Handwerker, einen Pächter oder Bauer vor
fih fehen. Lord Conway, der 1774 wohl einem menſchenſcheuen Einfiedler oder
gar einem finfteren Menfchenfeind gegenüberzutreten erwartet hatte, war erftaunt
über die Leichtigkeit und Freiheit, mit der der preußifche König das Geſpräch
über die verjchiedenartigiten Gegenftände dabingleiten ließ; es war „das gerade
Gegenteil” von dem, was der Engländer fich vorgeftellt hatte. Andere Diplo:
maten, die an den preußifchen Hof gingen, warnte man, vor des alten Königs
einnehmendem Weſen und feiner „faft unmwiderftehlihen Beredſamkeit“ auf der
636 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt.
Hut zu fein. Auch Helvetius') lernte 1785 einen Charmeur in ihm fennen:
„beitehend wie Voltaire, wenn er gefallen will“. Nicht umfonft und nicht bloß
wegen jeiner politiihen Erfolge nannte man ihn den „alten Zauberer”. „Seines
eigenen Ruhmes gewiß,“ fchreibt ein Engländer 1776, „und der Gemüter fundig,
auf die er Eindrud maden will, weiß er, daß ein Lächeln von ihm mehr wirft,
als wenn er all feine Schäge ausgäbe.” „Wenn man ihn zum erftenmal ſah,“
bezeugt Laveaux, „und bei ber mit einem fo großen Manne verfnüpften dee
einige Unruhe empfand, fo war man nad ber erjten Frage, die er ftellte,
beruhigt.” Er hatte die Gabe, es jedermann leicht zu machen (de mettre tout
le monde à son aise), verfihern ber Litterat Zaveaur und der Diplomat Edels—
beim mit den gleihen Worten. Der Rektor Meierotto hatte diejelbe Em—
pfindung: jede Schlihternheit habe verſchwinden müfjen, bei ber Laune und
Lebhaftigfeit des Königs. Johannes v. Müller war nad der Aubdienz, in ber
er fo wenig gefiel,?) enthufiasmiert, Zimmermann nad) dem erften Empfang
„su Thränen gerührt”. Der Leutnant Mafienbah war alsbald durd die „un—
gemein janfte und Vertrauen erwedende” Stimme bejaubert; von dem Mienen:
ipiel des Siebzigjährigen jagt er: „Ich hatte noch nie einen Menſchen gejehen,
auf deſſen Gefiht alle Gedanken der Seele fi ebenſo ſchnell ausdrüdten als
Gedanken aufeinander folgen. Das war eine Mobilität, die mi in Erftaunen
jegte, diejer föniglide Ernft, und dann wieder dieſe föniglide Milde. Den
Ausdrud, der in dem Auge diefes Königs lag, hat kein Maler erreicht, er war
unerreichbar.”
Friedrich ſprach lieber, als er hörte — darin ſtimmen alle Berichte über:
ein — und liebte kurze und beftimmte Antworten. Mit der Etifette nahm er
e8 babei nicht genau; Zimmermann wurde nad) jeiner Audienz von dem gleich:
zeitig empfangenen Generalftabsarzt Schmuder darauf aufmerfjam gemadt, daß
er umerhörterweife vor Seiner Majeftät geftikuliert hatte. Friedrich liebte es,
jagt der Akademiker Thiebault, bei diefen Unterrevungen den König anjcheinend
zu vergeſſen, allerdings immer mit dem geheimen Vorbehalt, daß der ihm
Gegenüberftehende den König nicht vergeffen werbe. Als 1781 in Schmiedeberg
die fchlefiichen Kaufleute feine Vorfchläge zur Hebung ihres Leinenhandels als
undurhführbar bezeichneten, erwiderte er: „Nu, nu, es find nur jo been, Die
ih habe, Sie müflen das freilich befjer verftehen, ich fomme zu Ihnen in die
Schule.” Auf ihre Bitte um Verbefferung der Landftragen antwortete er lähelnd:
„sh werde Ihre Befehle refpektieren, ich bin darum da.”
Fremde wie Laveaur fanden, dab in Preußen das Volk in gewiljer Be:
ziehung ſich größerer Freiheit erfreue, als in anderen, an fi minder deſpotiſch
regierten Staaten, wo man gleihwohl die Minifter, die Sefretäre, die Kammer:
diener, die Maitreffen und die Kammerfrauen der Maitrefjen zu fürdten habe: in
Berlin fürchte das Volf nur den König, und fo beftehe zwiſchen allen Einwohnern
von Berlin eine bürgerliche Gleichheit, die den gejellichaftlihen Verkehr bier ſehr
angenehm made; ohne den anmaßlihen Dünkel des Beamtentums judhe der
) Dben ©. 578.
*) Dben ©. 597. 598.
Ausgang und Ergebnifie. 637
Minifter fein Anjehen vielmehr durch Verbindlichkeit und Leutjeligfeit zu er:
böhen. Der Minifter wife im Grunde nur zu gut, wie wenig er eigentlich gelie.
Wir dürfen binzufegen, daß die Minifter, ja die Beamten insgemein dies
nicht bloß wußten, fondern auch peinlich empfanden. Hier treten wir in das
Lager der entſchieden Mifvergnügten ein.
Der junge König war mit feinen alten Miniftern nicht immer fein fäuberlich
umgegangen;!) wie hätte ber alte König den jungen Beamtennachwuchs ſchonen
follen. Wenn ehedem Voltaire ihm Artigkeiten fagte, jo vergaß er unter allen
andern Ruhmestiteln nicht den des Herrſchers, der ohne Minifter regiere, und
in der That fpielten in Preußen die Minifter ausnahmslos eine ſehr beſcheidene
Role im Bergleih zu den hohen Würdenträgern der anderen Staaten. Der
König hatte fi für die Behandlung aller feiner Diener eine eigene Pädagogif
zurechtgelegt. Getreu feinem Grundſatz, die Menſchen, die er für feine Zwecke
brauchte, beftändig zwiſchen Furcht und Hoffnung zu halten, war er mit feiner
Anerkennung, mit Auszeihnungen und Belohnungen fparfam, und glaubte unter:
jcheiden zu können, wer viel oder weniger Tadel, wer viel oder weniger Lob
vertrug. Der einzige ſchwarze Aolerorden, ber in der legten Hälfte feiner
Regierung auf das gefamte Minifterfollegium entfiel, hat den Zweck gehabt,
den alſo Ausgezeichneten für einen ungerecht gegen ihn gehegten Verdacht zu
entihädigen. Als Regel galt, daß ein jeder nur Titel und Charakter eines
ernftlih von ihm befleideten Amtes führen jollte. In Polen gebe man jedem
Schuhflider einen Charakter, das fei aber hier nicht der Gebrauch. Ein Bud:
händler, der Kommerzienrat zu werden wünjchte, erhielt den Beſcheid: „Buch:
bänbler, das ift ein honetter Titel.” Zuverläffigkeit im Dienft, jo erklärte er
einmal, ſei der befte „Charakter“ für einen Beamten. Den Anfprud eines
Auditeurs auf Beförderung nah dem Dienftalter lehnte er mit dem Marginal
ab: „Ich habe einen Haufen alte Maulejeld im Stall, die lange den Dienft
machen, aber nicht daß fie Stallmeifters werben.”
Die Abneigung gegen das Geſchlecht der Federfuchſer, als die ihm wie
feinem Bater die Eivilbeamten insgefamt gelten, hat ihn fein ganzes Leben
hindurch begleitet.) Ausgaben für Bureaubedürfnifie war er geneigt als weg:
geworfenes Geld zu betrachten, und das „enge und feine Geſchmiere“ ber zier:
lihen Kanzleihände — „wovon ich die Hälfte erft erraten müflen” — war
feinem Auge ein Greuel. Das Berlegendfte für die Beamten war des Königs
tief eingewurzeltes Mißtrauen gegen ihre Integrität. Die ſchlimmen Erfahrungen,
die er in feinen legten Jahren mit zwei hochgeſtellten Staatsdienern, Brendenhoff
und Görne,?) gemacht hat, ſchienen einem wiederholt geäußerten Argmohn recht
zu geben. Und doch find die von ihm erhobenen Anklagen in ihrer Allgemeinheit
gewiß jehr ungerecht geweien. Trat nun etwa noch der befchwerende Umijtand
binzu, daß eine Zivilbehörde das ſakroſankte Gebiet des Militärftatus verlegte
oder zu verlegen ſchien, fo konnte fich der alte König zu Maßlofigfeiten hinreißen
!) 3b. I, 14. 20. 130 (2. Aufl. S. 15. 20. 131).
2) Bol. „Friedrich der Große ald Kronprinz” S. 91 (2. Aufl. ©. 94).
2) Dben ©. 483. 4983.
638 Neuntes Bud. Fünfter Abfchnitt.
lafien, wie dem Beſcheid an die weftpreußifche Kammer vom 13. September 1774,
als diefe wegen der in Marienwerber vorhandenen Wohnungsnot die Verlegung
der Garnijon beantragt hatte: „hr feid alle Narrens. Meinet Ihr, dab ich
um einen Kriegsrat, der eigentlich ein Dieb ift, der mit den Beamten und
Defraudanten unter einer Dede ſticht, meinet Ihr, daß ih um ſolche Schlingels
einen einzigen Dragoner umquartieren follte, jo betrügt Ihr Euch jehr. Unter
100 Kriegsräten fann man immer mit gutem Gewiſſen 99 hängen laffen, denn
wann ein ehrliher Mann unter fie ift, jo ift es viel. Ich wünſchte, daß
der Herr Vorhoff — der Kammerbireftor — unter ber kleinen Zahl begriffen
jei, aber ich wollte nicht davor ſchwören. Ein wenig mobefter gegen das
Militarium!“
Neben ſolchen Schmähungen nehmen fi andere höchfteigenhändige Rüffel,
wie fie fih zahllos in den Aften finden, noch harmlos aus. Der grobe Stilus
der Kabinetsorbres, die Erbſchaft der Kanzlei Friedrih Wilhelms I., erhielt
durch die Postscripta regia eine erhebliche Verſchärfung. Minifter und Präfi:
denten, Direktoren und Räte, Verwaltungsbeamte, Richter und Diplomaten,
da war feiner, der nicht gelegentlich fein Teil abbefam. „Ad, was hätten die
Ministres nötig noch in die Schule zu gehen, da würde der Neftor Zeitvertreib
haben,” leſen wir am Rande eines Berichtes vom Generaldireftorium, und ein
andermal ftellte der alte König die hier in die Klippfchule verwiefenen Excel:
lenzen mit den verborbenen Eriftenzen ber Univerfität in gleiche Zinie, indem
er ihre Finanzkontrole mit dem Donnermworte tadelt: „Da habe ich feine
Ministres dafür nötig und darf ih nur liederlihen Studenten das Geld an:
vertrauen.” Der Kammerpräfident in Kleve erhält zu Weihnadten 1780 das
Zeugnis: „Jh muß ſchlecht von Euch fein informieret worden, ober Ihr jeid
ein Ejel, daß Ihr die Provinz nicht fennet, oder ein Windbeutel, der fih um
nichts kümmert; man fann feinen bümmeren Bericht maden, als den Ihr mir
da ſchicket.“ In demjelben Jahre erging über die weſtpreußiſche Kammer
abermals ein Gejamtverbift: „Ihr ſeid Erzichäfers, die das Brot nit wert
find, das man Eud gibt, und verdient alle, weggejagt zu werden. Wartet nur,
daß ih nad Preußen komme.” Eine Rüge für Präfident und Räte der Magde—
burger Kammer, daß fie Zeit und Geld verlieren, „um fi mit Qumpereien
abzugeben”, jchließt mit dem Zeterruf: „O tempora, o mores!* Es mag über:
rajhen, daß unter jq, brüsfem Regiment gleihmwohl einmal ein preußiicher
Beamter fi dem wirken gegenüber einen Scherz erlaubt, wie der junge
neumärfiihe Landrat v. Podewils, ber im Herbft 1779 für feinen vom Könige
angezweifelten Bericht über das Auftreten von Heufchreden einige Originaleremplare
als lebendige Belege nah Sansfouci fhidt, die beim Deffnen ihres mit Luft:
löhern verjehenen Verlieges die philofophiihe Stille der klaſſiſchen Stätte
ftören und nun das firenge Gebot veranlaflen, daß niemand vor zurüdgelegtem
jünfundbreißigften Lebensjahre zum Landrat ernannt werden fol, denn „Kinder
und junge Najeweife wollen Seine Majeftät fchlechterdings nicht zu Landräten
haben.”
Wir gewinnen einen Einblid in die Verfiimmung und Berbitterung, die
offenbar weite Kreife des Beamtentums ergriffen hatten, wenn wir lefen, wie
Ausgang und Ergebniffe. 639
einer der thätigiten ber hohen Provinzialbeamten, der Oberpräfident Dombarbdt, !)
in einem vertraulichen Briefe einem endlich zurüdgelegten Projekte des Königs
den Stoßfeufzer nachſendet: „Diefer Choc ift alfo vorüber, und ich hoffe, man
werbe weiterhin jo wenig fich felbit als uns mit dergleichen widerſinnigen
Gedanken nicht mehr beunruhigen.” Oder wenn berjelbe Domhardt fi vor:
fihtig erkundigt, ob eine feiner Fdeen den Anſchauungen des Thronfolgers ent:
ſprechen würde, und wieder ein anderes Mal einem feiner Söhne ſchreibt: „Der
Himmel laffe uns nur erjt eine andre Epoche erleben!” Von dem Nachfolger
erhoffte Domhardt für fih und feine Familie „Grandeur personnelle*,. Nicht
anders erwartete Hergberg für die auswärtige Politit von dem Thronmwechfel
die „große Revolution“, eine entjcheidende Wendung, großartigen neuen Auf:
ſchwung. Herkbergs ausgedehnter Briefwechiel mit den preußiihen Vertretern
im Auslande liefert die Belege für feine Eritifche Stimmung in Fülle. Der Fronde
im preußifhen Heere, der heimlichen Oppofition, die ih um den Prinzen
Heinrih ſcharte, ift Schon gedacht worden. ?)
Am 17. Mai 1778 war Goethe mit feinem Herzog in Berlin Gaft an
ber Tafel diejes Prinzen. „Das Wefen der Großen, Mittleren und Kleinen
durcheinander” wiberte ihn an. Der König ftand ſchon im Felde, Goethe ſchaute
nur in feine Ummelt, aber er gewann ein lebendiges Bild: „Dem alten Frig
bin ich recht nah worden, da hab ich fein Weſen gefehen, fein Gold, Silber,
Marmor, Affen, Papageien und zerriffene Vorhänge, und hab über den großen
Menſchen feine eigenen Lumpenhunde räfonnieren hören.”
Im diplomatifhen Corps erzählte man fich, daß der König, jo oft er bei
der Rüdkehr vom Berliner Karneval fein Zimmer im Potsdamer Stadtſchloß
betrete, einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausftoße; der Berliner Aufenthalt
fei für ihn jchlimmer als ein Feldzug, während er in feiner Potsdamer Ein:
fiedelei, gleichſam hundert Meilen von Berlin entfernt, fi aller Schreden und
alles peinlihen Zwanges ledig fühle. Dort haufte er alfo den größten Teil des
Jahres inmitten feiner verzogenen Windipiele, als „alter Anachoret“ oder, wieder
nad feinem eigenen Ausdrud, als „Vogelſcheuche“, in feiner „bis zum Cynis⸗
mus“ vernachläffigten Kleidung, dem blauen Rod mit ganz einfachen roten Auf:
ſchlägen und Kragen, der jogenannten Uniform von der Armee, „vorn mit
einer enormen Quantität ſpaniſchen Tabads garniert”, in den vergilbten, ehemals
ſchwarzen Waflerftiefeln.
Immer ftiller und einfamer war es um ihn geworben; er war ſchließlich
„nur noch von Erinnerungen umgeben”. Er tröftete fih mit der Erwägung,
dag man wahre Freunde nur unter feinen Altersgenofjen habe, und daß dies
unfhägbare Gut des Weiſen verloren jei, wenn man feinen Lebenslauf bis in
die zweite und dritte Generation ausbehne. Orte, die ihn an teure Tote er:
innerten, mied er gefliſſentlich.
i) Oben ©. 481.
2) Chen ©. 236. 288. 504. 535.
640 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt.
Als im Januar 1771 d’Argens während eines Beſuchs feiner franzöfifchen
Heimat ftarb, nannte ihn fein föniglicher Freund feinen Quartiermeifter, ber
„im Lande ber leeren Träume“ für ihn Wohnung beftellen wolle. Kurz zuvor
war derjenige von den alten Rheinsberger Gefährten geitorben, der bis zulegt
in der unmittelbaren Umgebung bes Gebieters geblieben war, der podennarbige,
jchlieplid von Hüftweh ſchwer geplagte Wylich,') in vierzigjähriger Freundichaft
bewährt. m Herbit 1773 ging Seyblik dahin, wenige Wochen nachdem der
König ihn zu Ohlau an feinem Siechenbette bejucht hatte; im nädjften Jahre
folgte Fouque, im Mai 1775 ftarben binnen drei Tagen Krufemard und der
tagtägliche Gejellfhafter Duintus Icilius. Ale ſchien überleben zu wollen der
alte Pöllnig, der jhon am Hofe Frievrih Wilhelms I. die luftige Perſon und,
gefährlih genug, aud den Gejhichtenträger gejpielt hatte; er war in das vier:
undachtzigſte Lebensjahr eingetreten und troß wiederholter Erkrankung Charons
Nahen immer wieder entwifcht, weil er, wie der König fpottete, das Fahrgeld
nicht bezahlen fonnte; jegt, am 23. Yuni 1775, ſchloß aud er fein bemwegtes
Leben, „von niemand betrauert als von jeinen Gläubigern”. Um fo aufrichtiger
beklagte Friebrih den Tod des ehrwürdigen Lord George Keith, der während
des bairishen Erbfolgefrieges neunzigjährig in Potsdam ftarb. Ihm folgte
noch in demjelben Jahre 1778 der franzöfierte Pommer Krockow, auf deſſen
Namen der König einen eigenartig gemilchten Punſch getauft hatte, und 1781
der halb erblindete Bubdenbrod, noch einer von den alten Rheinsbergern, der
langjährige Generalabjutant. Und enblih mußte Friedrich auch den jeit zwanzig
Jahren liebgewonnenen jchriftlihen Verkehr mit d’Alembert, der am 30. Sep:
tember 1783 in Paris ftarb, miffen. Der Briefwechſel mit dem gelehrten
Marquis Condorcet, nunmehr fein Berater in den Angelegenheiten der Berliner
Akademie, gewann einen intimen Charakter nicht.
Zängit war auch der alte Kabinetsfefretär dahingegangen, der getreue
Eichel, Friebrihs verfchwiegener Schatten; die Fluten des großen Krieges hatte
er noch verrinnen jehen, dann aber nur noch fünf Jahre und nur noch mit
einem ſchwachen Reit von Lebensfräften feines Amtes walten föünnen. Als
vielvermögend, wie Eichel, hatte lange Zeit auch Henri de Catt gegolten, der
Vorlefer, dem feit den mährifchen Feldquartieren von 1758 die Gnadenſonne
ftrahlte. Aber Catt hatte feit 1780 den Schmerz, ſich zurüdgejegt und aus
der täglihen Gefeljchaft des Herren verbannt zu ſehen, doch wohl, weil er in
jo vielen Jahren nicht gelernt hatte, wie der Kabinetsrat Stellter fih aus:
drüdte, „den großen Unterfchied zwifchen den Konverfations: und den Arbeits:
ftunden” zu erfennen und anzuerkennen.
Männer wie Eichel und Eatt hatten nie zu der Tafelrunde gehört. Gerade
beim Mahle entbehrte eine von Haufe aus jo gejellige Natur wie Friedrich die
alten Gefährten am ſchwerſten. Erjag zu jchaffen war nicht leicht. Der im
Jahre 1768 gemadte Verfuh, einen von früher in freundlidem Andenken
ftehenden Fremden, den ſchwediſchen Diplomaten Rudenfchöld ?) gegen einen
') „Sriedrih der Große ald Kronprinz“ ©. 132 (2. Aufl. ©. 135).
?) Bgl. ®b. I, 282. 283.
Ausgang und Ergebnifie. 641
Ehrenfold, Tediglich zu Friedrichs Gejelihaft, nah Preußen zu ziehen, führte
zu feinem Ergebnis. Ein furzes Phänomen für Potsdam wurde, eine Bekannt:
Ichaft aus dem Feldzuge von 1758, jener romantische Sonderling aus Mähren,
der alte Graf Hoditz, deſſen Zauberſchloß Roßwalde, den „Palaſt Armidens“
Friedrich beſucht und bejungen hatte; wiederholt dringend eingeladen, kam
Hodig doch erit 1776, als er fih am Bettelftab ſah, und der Mann, der „fait
wie Voltaire ſprach“, nahm num auch Voltaires Pla bei Tiih zu Sansfouci
ein. Aber jchon 1778 erlag der alte Lebemann jeinem Steinleiden.
Auf einer Reife durch Frankreich und Deutichland begriffen, ließ fih im
Jahre 1779 der achtundzwanzigjährige Marcheſe Girolamo Luccheſini dem König
von Preußen vorftelen. Er gefiel und fam auf Friedrichs Einladung bald
wieder, um als Kammerherr Dienfte zu nehmen. Seit dem Mai 1780 verging
faum ein Tag, baß der junge Staliener dem Könige nicht Geſellſchaft geleiftet
hätte. Mit einem Landsmanne, dem etwas querföpfigen Grafen Pinto, einem
Piemontejen, mit dem Oberftallmeifter Grafen Schwerin, dem Jugendfameraden,
einem der „Blaftrons” für die Pfeile des königlichen Witzes, und mit dem
Generalleutnant Grafen Görk!) bildete Luchefini jegt den Stamm der Tafel:
runde zu Sansfouci oder im Potsdamer Schloß.
Sein Tagebudh aus ber Zeit vom 8. Mai 1780 bis 25. Juni 1782 ift
die einzige Duelle, die wir über Friedrihs Tiſchgeſpräche befiten. Selbft wenn
außer den drei oder vier ftändigen Tiſchgenoſſen niemand eingeladen war,
pflegte die Unterhaltung höchſt angeregt und munter zu fein. „Pranzo lieto*
bezeugt Zuchefini in feinem lakoniſchen Notizenftil oft genug, auch wenn er
nichts inhaltlih Bemerfenswertes aufzubewahren bat. Er verzeichnet Mahlzeiten
im Heinften Kreis, bie fünf bis jechs Stunden mwährten. „Es läßt fi nicht
bejchreiben,” verfihert er, „mit welcher Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit die
Tiſchgenoſſen behandelt werden; jeder Zwang ift verbannt, e& herrſcht nur ber
Unterſchied des Geiftes und des Willens.” Die Hauptfoften der Unterhaltung
trug, wie fich verfteht, der Wirt; oft riß er das Geſpräch ausſchließlich an fi,
jo daß mande feiner Tifchreden zu gefprohenen Abhandlungen wurden‘). Die
Soupers, die zu Voltaires Zeiten die Tagesorbnung beſchloſſen und den Höhe:
punkt der Gefelligfeit bezeichneten, fanden jegt nicht mehr ftatt, denn ber König
batte fi während ber fieben Kriegsjahre der Abendmahlzeit entwöhnt. Aber
nad dem Konzert, gegen ſechs oder fieben Uhr, erwartete er feine kleine Gejell-
ichaft meift noch einmal, wenn er nicht vorzog, Luccheſini allein rufen zu laſſen.
Man unterhielt fih eine Stunde ober länger, wie bei Tiſch „encyklopädiſch“
über litterariiche, philofophifche, äfthetifche, politiiche und zumal auch wirtichaft:
liche Fragen; gern auch erzählte der König von jeinen Erlebniflen, feinen
Schlachten und diplomatiihen Schachzügen. Seine Neider haben von dem legten ber
Geſellſchafter Friedrichs des Großen gejagt: „Er hat Eiprit genug, um zu be:
wundern, und nicht fo viel, um Nebenbubler zu fein”. Unbefangenere Beob-
achter haben Luckhefini das Zeugnis gegeben, er habe es ohne die geringiten
1) Oben ©. 524,
2) Bgl. Bd. I, 495 (2. Aufl. S. 496).
Rojer, Rönig Friedrich der Broße. IT. 2. Aufl, 4
642 Neuntes Bud. Fünfter Abfchnitt.
Schmeidhelfünfte dadurch getroffen, daß er aufmerkſam zuhörte und bei feiner
vieljeitigen Bildung ftets Rebe und Antwort zu ftehen vermochte; durch feinen
Geift wie durch jeinen Charafter habe er jih nicht bloß dem Könige, ſondern
jedermann empfohlen. Ein Zwiſchenfall, deſſen das Tagebuch gedenft, läßt
erjehen, wie ber junge Fremdling jeine Stellung zu nehmen verftand. Nach
einer abfäligen Aeußerung über die italieniihen Marquis, die, ſchnell hin-
geworfen, von Friedrich nicht böje gemeint war, aber doch verlegen mußte,
verftummte Luchefini und brach während der ganzen Tafel jein Schweigen nicht.
Als er abends wieder erſchien, war ber König „comis, blandus, humanus*:
„ſprach über die Unmöglichkeit, augenblidlihe Einfälle zu unterdrüden“.
Das mußte fi die Umgebung ſchon gefallen laffen, dat der alte Herr
aus dem reihen Schage feines Gedächtniſſes diejelben Anekdoten wieder und
wieder zum beiten gab, „befonders wenn Fremde hinzufamen, die noch nicht
eingeweiht waren” — jo berichtet jein Kämmerer und langjähriger Hausgenoſſe
Schöning, und Luchefinis Tagebuh gibt in der That mehr als einen Beleg
dafür, daß Friedrich damals in feinen legten Jahren noch immer die fuftigen
Hiftörchen erzählte, dur die er im Siebenjährigen Krieg feinen Vorlefer Catt
zum Lachen gebracht hatte.
Zu den Gejellihaftern, die der König von Zeit zu Zeit fih zu längerem
oder fürzerem Befuh nah Potsdam einlud, gehörten die beiden Kabinetsminifter
Finckenſtein und Hergbera, der verabjchiebete Minifter von der Horft und wiederum
ein Staliener, der Dompropft Baltiani. Der Schneidersjohn aus Venedig, zwei
Jahre jünger als Friedrih, ein Mann von riefenhafter Körpergröße und glatter
frangöfifcher Bildung, mar nad feinem Austritt aus dem Franzisfanerorden
1744 Hausgeiftliher des Breslauer Fürftbiihofs Singendorff geworben; ber
Koadjutor Schaffgotich hatte ihn bei Hofe eingeführt, und der König hatte ihn
ihon 1747 zu einer Vertrauensjendung an den Papſt benugt. Nach der Kapitu:
lation von Breslau 1757 als Gefangener in das Stodhaus nad Wien geführt,
war er nad feiner Freilaffung von Friedrid mit dem Worte begrüßt worden,
jein Name werde in bem Martyrologium borussicum bewahrt bleiben. Bon
Baitiani hieß es, daß der Geift des vollendeten Hofmannes fiebenfah auf ihm
ruhe. Berühmt waren feine jchlagfertigen Antworten; als der König jeinen
geiftlihen Tifchgenofien bat, ihn, den Ketzer, dereinft durd die Himmelsthür
unter dem Prieftermantel mit einzufhmuggeln, erflärte Baftiani feine Bereit:
willigfeit unter der Vorausſetzung, daß man dort auf die Kontrebande nicht jo
ſcharf achthaben werde, wie in Preußen. Ein andermal ſoll er fi der
Sartasmen des Gebieters mit dem Ausruf erwehrt haben: „Allmächtiger Adler,
dede mich mit deinen Flügeln, aber verfhone mich mit deinem Schnabel.” Noch
ein anderer diejer weltmännifch gebildeten Prälaten war wiederholt in Potsdam
Gaſt, Graf Ignaz Krafichi, Fürftbiihof von Ermland, der Dichter unter den
geiftlihen Oberbirten.
Von Generalen war Möllendorff aus Berlin bisweilen zu Gafte, auch
Dalwig aus Ratibor, der bei Torgau an der Spige der Spaenſchen Kürajfiere’)
) Oben ©. 274. 275.
Ausgang und Ergebniffe. 643
jeinen Ruhm begründet hatte; aber der mürriſche, launenhafte, jtets zum Wiber:
ipruch geneigte Mann war dem König mehr rejpeftabel als ſympathiſch. Anders
Generalleutnant v. Prittwig, Kunersdorfer Angedenfens,!) der allemal, wenn
er von Berlin berüberfam, neuen Gejprädsftoff und zumal die Chronik der
Berliner Damenwelt mitbradte: „je ne ris qu’avec Prittwitz*, joll der alte
König gejagt haben. Ein Jugendfreund, mit dem der junge Fürft einft viel
gelacht, erichien in Chaſot noch einmal auf der Bildflähe. Der glänzende
Reiterführer von Hohenfriedberg hatte nad) jeinem Austritt aus dem preußifchen
Dienft feine Soldatenlaufbahn als Stadtlommandant von Lübed jehr friedfam
fortgefegt. Bon dort aus ift er nah dem bairifchen Erbfolgefrieg in zmei
Wintern zu mehrwöhigem Befuh nad Potsdam gefommen; man erging fi
in Erinnerungen an fröhlide und an große Tage und fam dabei immer wieder
auf Chafots Kleine Lübecker Welt zurüd: „Chafot,” jchreibt Friedrih am 2. Fe:
bruar 1784, „ſpricht nur von Efjerei, von Champagner, Rheinwein, Madeira,
Ungar, von der Pracht der Herren Staufleute der Lübecker Börfe, von dem
großen Strom Trave, von dem Hafen der Stadt und von feinem Garten, für
den er mir eine genaue Aufzählung aller Bäume, Sträucher, Pflanzen, Gemüſe
und Kräuter, die ihn verfchönen, gegeben hat.” Wenn das jo weiter gehe, io
veriprah er ſich, demnächſt dem großen La Duintinie mit einem Bud über
die Gartenfunft Schadh bieten und in einer Schrift über die Nomenklatur der
Pflanzen mit Linne wetteifern zu fönnen.
Fremde Diplomaten und Offiziere wurden zu bes Königs Tafel grund:
jäglih nicht zugelaflen. Eine Ausnahme wurde im Sommer 1780 mit einem
öfterreihifchen General gemadt, dem Fürften Ligne, dem geiftreihen Wallonen,
ben Friedrich zehn Jahre zuvor bei der mährijchen Begegnung mit Joſeph II.
fennen gelernt hatte. „Der König übertraf thatſächlich fich ſelbſt,“ vermerkt
Zuchefini am 11. Juli 1780 in feinem Tagebudhe, und der Gaft war ganz
bingerifjen von dem, was Friedrich jagte, und noch mehr vonder Art, wie er
es jagte, von der „Magie feiner Unterhaltung”: er able alles dur jein Ge:
ſpräch, jelbit das Geringfügigfte; „alles das Pridelnde, was da in bunter
Abwechſelung gejagt wurde, fam aus feinem Munde in einem überaus janften
Zonfall der Stimme, ziemlich leife, ganz jo aniprechend wie die Bewegungen
feiner Lippen, auf denen eine unbefchreibliche Anmut lag”.
Abendtafel wurde nur no angefagt, wenn Gäſte, die bejonders geehrt
werben jollten, eingetroffen waren. So pflegten im Herbit die Schweitern des
Königs, die Herzogin Philippine Charlotte von Braunjchweig und die Prinzeifin
Amalie, auf einige Zeit zu Befuh nah Potsdam zu kommen; der Bruder
bemirtete fie im Neuen Palais?) und nahm dann jelber dort Wohnung. Seine
Gemahlin, die Königin Elifabeth Chriftine, ſah er nad wie vor nur in Berlin,
wenn ſich der Hof verfammelte. Einmal, im Dezember 1771 hat die ſchwediſche
Schweiter, die ftolze, heißblütige Königin-Witwe Ulrike nad) faft dreißigjähriger
Abmwejenheit?) die preußifche Heimat wieder aufgeſucht; durch ihre Ankunft wurde
') Oben &. 225. 350.
2) Oben S. 356.
) Dal. Bd. I, 224. 469.
644 Neuntes Bud. Fünfter Abichnitt.
nah Friedrichs Ausdrud die ganze königliche Familie „neu belebt“, er jelbit
fühlte fih „um zehn Jahre verjüngt”. Ulrike blieb fieben Monate. Leider
hatte der Beſuch einen ftörenden Nachklang, denn faum hatte die Königin ihre
Verwandten verlaffen, jo fam die Kunde von dem für die preußifche Politik jo
unbequemen Staatöftreih des jungen Königs Guftav,!) und als Friedrih nun
der Schweiter mit einem Krieg gegen ihren Sohn drohte, antwortete ihm Ulrike,
noch auf ber Rüdreije aus Stralfund: „Sie werben Ihre eigene Schweiter diefen
Platz verteidigen ſehen; ich werde überall jein, wo Ihre Kugeln einjchlagen.
Sie werben den Plat einnehmen, daran zweifle ich nicht, aber es wird gefchehen
um den Preis meines Blutes, und noch bei meinem lebten Atemzuge werde ich
Ihrer würdig fein.“
Mit lebhafter Teilnahme hatte der König die Zukunft feines Haufes und
des Landes, die brei Kinder des 1758 verftorbenen Prinzen von Preußen, heran:
wachſen jehen, die Prinzen Friedrid Wilhelm und Heinrih und die Prinzejfin
Wilhelmine. Als die Prinzeffin fih 1767 dem Prinzen Wilhelm V. von Dranien
vermählte, begann der König einen Briefwechſel, in welchem er ſich zwanzig
Sabre hindurch der Nichte wahrhaft als einen Vater gezeigt hat. Nicht minder
lieb hatte er den jungen Prinzen Heinrich gemonnen; der plöglihe Tod des
Neunzehnjährigen, am 26. Mai 1767, hat ihm tief erjchüttert. Er jelbft be-
ftiimmte den Bibeltert für die Leichenrede: „Meine Gedanken find nicht eure
Gedanken, und eure Wege find nicht meine Wege.“ „Mein Kind hatte mir
das Herz entwandt”, fchreibt er vierzehn Tage fpäter, „Durch eine Menge guter
Eigenjhaften, denen fein Fehler gegenüberftand. ch ſah in ihm einen Prinzen,
der den Ruhm des Haufes aufrechterhalten würde. Wenn ich denke, daß diejes
Kind das befte Herz der Welt hatte, angeborenes Wohlmwollen bejaß und für
mich Freundſchaft empfand, jo treten mir unwillfürlih Thränen in die Augen
und ich muß den Verluft des Staates und meinen eigenen tief beflagen. Ich
bin niemals Vater gewefen, aber ich bin überzeugt, daß fein Vater feinen einzigen
Sohn anders betrauert, als ich diejes liebenswürdige Kind.”
Wer könnte verfennen, daß jolde Worte und mehr noch des Königs
jpäter in der Akademie verlefene Eloge auf den jungen Prinzen mittelbar eine
Kritik des älteren Bruders, des Thronfolgers, enthalten? Sein Urteil über diefen
Neffen blieb fühl und abſprechend, ob immer der Beherztheit des Prinzen im
böhmijchen Feldzug von 1778 einmal öffentlih ein Lob geipendet wurde. Als
1769 die Ehe Friedrih Wilhelms mit jeiner Eoufine Elifabeth von Braunfchweig
bei beiberjeitiger Verfhuldung getrennt werben mußte, bat der König das
Verhalten des Prinzen auf das jchärffte verurteilt. Damals war er ernftlich
bejorgt um die Zukunft feines Haufes, wie denn auch in Wien bereits auf das
Erlöjhen des brandenburgifhen Mannesftammes gerechnet und gehofft wurde. ?)
Bald hatte fih dann das Bild geändert. Nicht nur, daß dem jüngiten Bruder
des Königs, dem Yohanniter-Herrenmeilter Ferdinand, in rafcher Folge die lange
erjehnten Prinzen geboren wurden; ber König erlebte auch zu feiner größten
'!, Dben ©. 51
2) Oben S. 45
Ausgang und Ergebniffe. 645
‚sreude, dab dem Thronfolger aus feiner zweiten Ehe mit Friederife Luiſe von
Helfen :Darmitadt vier Söhne erblühten, und man erzählte fih, daf er dem
älteften der Brüder, dem Kleinen Friebrih Wilhelm, nah einem erfreulichen
Beweiſe Inabenhaften Eigenfinnes wohlgefällig zugerufen habe: „Dir werden fie
Sclefien nicht wieder abnehmen.”
Kennzeihnend für des Königs geringe Meinung von feinem Neffen und
Thronerben ift die Thatjahe, daß er während eines ſchweren Gichtanfalles im
Winter von 1776 ermftlih daran gedacht hat, für den Fall jeines Ablebens
ſeinsm Bruder Heinrih einen Anteil an der Regierung zu fihern, ihn „gewifler:
maßen als Tutor zu beitellen”. Dazu ift es nicht gefommen, und es würde
ſchwer geweſen jein, eine Form für folde Tutel und noch ſchwerer eine Bürg:
Ichaft für ihre Dauer ausfindig zu machen. Ueberbies führte der Verlauf des
Krieges von 1778 zu neuer jchwerer Verftimmung zwijchen den Brüdern. !)
Zwar ihr Briefwechfel wurde bald wieder auf den alten verbindlichen und
Icherzenden Ton geftimmt, aber der Prinz blieb auf das tiefte erbittert und
jhalt vor feinen Vertrauten auf den König heftiger denn je. Gaft in Potsdam
it er nah dem bairiſchen Kriege nur noch zweimal gemejen.
Wollte der alte König einen Beſuch, den er fich geladen hatte, verabſchieden,
jo deutete er dies mit Vorliebe durch die Wendung an, er habe jagen hören,
daß man abreifen wolle.
Das Gleihmaß der Tage hatte für ihn nichts Erbrüdendes. Es kamen
Beiten, zu denen es hieß: „ch arbeite, promeniere und fehe niemand.“ Es
war ftile um ihn, aber er fühlte fih nicht einfam. Bor allem, weil eine
freundliche Gefolgihaft ihm treu geblieben war, die er früh gejucht und ge-
funden hatte: die Wiffenjchaften und die Künfte, von denen der Greis bekannte,
daß er fie feit feiner Jugend geliebt babe und daß es auf diefer Welt fein
wahres Vergnügen gebe ohne fie.
Seine genaue Tageseinteilung, in der jede Minute ihre eigene Beltimmung
hatte, ließ ihn bei angeipanntefter Regententhätigkeit für die liebgewonnenen
Nebenbeihäftigungen ſtets reichlihe Zeit erübrigen.
In feiner Bildergalerie neben Sansjouci weilte er oft jtundenlang. Diet»
Ankäufe von Meifterwerfen wurben noch fortgejegt, unter Bevorzugung ber
Staliener und der Niederländer.?) Immer jagte fi dabei der erlauchte Sammler,
daß man feinen Liebhabereien nit minder Schranken ſetzen müfle als jeinen
Leidenihaften. Einem König Auguft ftehe frei, 30000 Dukaten für ein Bild
zu zahlen und dafür in Sachſen 100000 Thaler Kopfiteuer auszujchreiben, das
aber jei jeine Methode nit. Eeinen Hofmaler VBanloo, den Nachfolger Pesnes,
fonnte er zu feinem Bedauern nicht länger als bis 1769 an Berlin fefleln.
Das Bildhaueratelier leiteten unter jeinen Augen nah dem großen Kriege
Sigisbert Michel und ſeit 1774 Taflaert, der Schöpfer der Standbilder von
Keith und Seydlig. Die Boumann, Vater und Sohn, und Gontard ſchmückten die
Refidenzen mit Monumentalbauten, den Schlöffern, Tempeln, Thoren in und bei
1) Oben ©. 535.
?) Bgl. Bo. 1, 480.
—
_
werde pl
Kilefan laoler
646 . Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt.
Potsdam, dem Afabemiegebäude, dem Palaft des Prinzen Heinridh, den Türmen
auf dem Gendarmenmarkt und der Bibliothek in Berlin; auch ließ der König,
um in der Hauptitadt einer beginnenden Wohnungsnot zu fteuern, in den vor:
nehmiten Straßen die Privathäufer auf jeine Koften in drei: oder gar vierftödige
umbauen und mit Nofofofafjaden verjehen. Freilich blieb derweil die Akademie
der Künfte auf dem Niveau einer mittelmäßigen Zeichenfchule; ihr ift der große
König nur infofern ein Förderer geworben, als er ganz zulegt, am 25. Januar
1786, dem Minifter Heinig die Auffiht über die Akademie übertrug, der dann
alsbald mit fruchtbaren Reformen begann.
Der Dienft, den Friedrih von jeder Kunft für fih verlangte, war Er:
bebung in eine Feiertagsftimmung, in bie leichte Sphäre der Harmonie und
Gefälligkeit. Zu den realiftiichen Gebilden Chobowiedis fand er fein Verhältnis;
dieſe Heinbürgerlihen Stoffe waren für ihn unbedeutend. „Alle Dinge in ber
Welt,” fagt er einmal, „haben ihre Grenzen, fo auch die Künjte, die unferem
Vergnügen dienen; dehnen wir fie über ihre Sphäre aus, jo denaturieren wir
fie, ftatt fie zu vervolltommnen.”
So beharrte aud fein mufifalifher Geſchmack einfeitig bei dem einmal
erworbenen innerlihen Befig. Im Jahre 1777, als Glud, Haydn und Mozart
reits ihren Siegeslauf begonnen hatten, ı meinte er nad der Wiederaufführung
einer alten Oper von Hafle: „Die guten Saden bleiben fih immer glei, und
obihon man fie oft gehört hat, hört man fie gern wieder; überdies ift die
neue Muſik in einen Charivari entartet, der das Ohr verlegt, ftatt ihm zu
ſchmeicheln, und ber edle Gejang ift den Zeitgenoffen nicht mehr bekannt.” ')
Wie ein ähnlich abjprechendes Zeugnis der modernen franzöfiichen Zitteratur
ausgeltellt wurde, haben wir jchon gehört.) Wohl las Friedrich noh immer
viel, aber zumeijt jeine alten Belannten; mit den Neuen Belanntichaft zu
machen, jhien ihm „nicht der Mühe wert“. Aleranders Leben von Curtius
und Diodors Weltchronik, Rolins Geſchichte des Altertums und Boltaires
biftorifche Arbeiten find die legten _ Werke gemeien, die fein letzter Lektor ihm
im Zuſammenhang vorgeleſen hat.
„Ich unterhalte mich mit den Toten, denen ich bald folgen werde,“ ſagte
er dann gern. Und wie oft im Lauf der Jahrzehnte hat er nicht mit einem
ſeiner „älteſten Freunde“, mit Cicero, das Lob der litterariſchen Studien ver—
kündet, die da die Jugend bilden und das Alter erquicken, im Glück das Glück
erhöhen und im Unglück uns Zuflucht und Troſt bieten, uns zu Hauſe erfreuen
und bei Fremden nicht ſtören, mit uns reifen, übernachten und Hütten bauen.
Jetzt hatte er in der That an ſich erfahren, daß, wenn alle übrigen VBergnügungen
im Alter aufhören, dieſe flille Freude ein unverlierbares Gut ſei. Mit Recht
durfte Herder nachmals jagen, daß für Friedrich die Litteratur „die Hauptquelle
der inneren, höheren Freude und Ermunterung”“ geweſen jei.
Auch zum Schreibtiich zog es ihn immer von neuem, wie ihm denn jeit je
das Schreiben nicht weniger ein Bedürfnis gewejen war als das Leſen. Und
) Bol. Bd. I, 511 (2. Aufl. ©. 512).
2) Dben ©. 565.
Ausgang und Ergebnifie, 647
an Betradhtungsitoff fehlte es nicht, mochte er num vorwärts oder hinter ſich
ſchauen.
Blickte er in die Zukunft, ſo war es zunächſt die Perſönlichkeit ſeines Nach—
folgers, die ihn mit Sorge erfüllte. „Wenn nach meinem Tode,“ ſchreibt er 1782
in einer Betrachtung über die europäiſche Lage, „mein Herr Neffe in Schlaffheit
einſchläft, wenn er ſorglos dahinlebt, wenn er, verſchwenderiſch wie er iſt, die
Gelder des Staates vergeudet und nicht alle ſeine Seelenkräfte anfacht, ſo ſehe
ich voraus, daß Herr Joſeph ihm ein Bein ſtellen wird und daß heute in dreißig
Jahren weder von Preußen noch dem Hauſe Brandenburg mehr die Rede ſein
wird.“ Er wußte, daß wenn die Großmacht Preußen ſich behaupten wollte, ſie
in ewigem Gefechte ihren Weg gehen mußte. Er wußte, daß ſeine Monarchie
zur Zeit mehr als durch ihre wirkliche Macht ſich durch ihre Reputation behaupte.
„Die Reputation,” jo lautet eines der ſtolzeſten Worte ſeines Lebens, „iſt eine
Sade ohne Preis und gilt mehr als die Macht.“ Hätte er eine wirflihe Macht
hinter fich, fol er gejagt haben, ftünde er an der Spihe bes franzöfifhen Volks,
fo follte fein Kanonenfhuß in Europa ohne feine Erlaubnis abgegeben werben
dürfen. Und nicht ohne tiefen Sinn und einen jchwermütigen Beillang war
der jcherzhafte Vorfchlag für neue Ordensinfignien, den er 1781 feinen Tijch:
genoſſen entwidelte: für das Haus Dejterreih der donnernde Jupiter, für Eng:
land der Piratenfapitän Merkur, für Franfreih der Stern der Venus, „und
für uns ein Affe, denn wir äffen die Großmäcdte nah, ohne es zu fein“.
Dabei war es immer Deiterreih mit jeinem donnernden Jupiter Joſeph,
das er als den dräuenden Feind betrachtete, Deiterreih, die unbeimlihe Macht,
die, wie er jagte, troß aller Landverlufte immer furdtbar blieb. Ein Zufammen:
ftoß Preußens mit Franfreih lag außerhalb feiner Berehnung. Wenn er den
Franzoſen eine „Revolution” vorausgejagt hat, jo hatte er damit doch nur den
Staatsbanfrott, nicht einen Bolksaufftand im Sinn. Die Aera der Rebellionen
fhien ihm für Europa vorüber. So hat au Voltaire gemeint, dab man unter
Ludwig XVI. eine Fronde nicht zu befürdten babe, und daß die Theorien der
Philoſophen die Ruhe der Staaten niemals ftören mürden.
Das abihredende Beifpiel der franzöfischen Finanzen erhöhte Friedrichs
Bejorgniffe für die Zukunft des eigenen, nur mit Hülfe peinlichfter Sparſamkeit
groß gewordenen Staates. Seine eigenhändige Denkichrift vom 20. Dftober 1784
„Weber die Verwaltung der Finanzen für die preußifche Regierung” richtet an
den Thronerben eine eindringlihe Warnung: „In der Verwaltung der Finanzen
muß man feine Grillen, feine Baffionen, feine Liebhabereien zügeln; denn erftens
gehören die Einfünfte des Staates nicht dem Souverän, dies Geld hat nur eine
rehtmäßige Anwendung: die für das Wohl und die Erleichterung der Unter:
thanen. Jeder Fürft, der diefes Einfommen in Vergnügungen oder unangebradhten
Freigebigkeiten verfchwendet, ift in feinem Treiben weniger Herriher als Straßen:
räuber, weil er diejes Geld, das reine Blut der Unterthanen, zu unnügen und
oft lädherlihen Ausgaben verwendet.“ Er wirft den Fürften vor, daß fie ins:
gemein den Fehler der Verſchwendungsſucht und der Abneigung gegen finan:
zielle Kalkuls, daß fie die Dummheit haben, ſich gewohnheitsmäßig und gleich
gültig durch ihre Beamten beftehlen zu laffen: „Entweder muß man bie
648 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt.
Regierung der Staaten nicht anftreben, oder man muß den edlen Vorſatz faſſen,
fih der Aufgabe würdig zu mahen, indem man jich alle Kenntniffe, bie den
Fürften ausmachen, erwirbt, und indem man jih durch einen edlen Ehrgeiz
ermutigen läßt, feine der Arbeiten und Sorgen von ſich zu weifen, welde bie
Regierung erfordert. Man wird 3. B. jagen: ‚Die Nechnungen langweilen
mich.‘ ch erwidere: ‚Das Wohl des Staates erfordert, daß ich fie nachjehe,
und in dieſem Falle darf feine Mühe mich verdrießen!‘“ Der Zerrüttung ber
franzöfiihen Finanzen gedenkend, erflärt er, daß ein Königreih wie Frankreich
immerhin unermeßliche Hülfsmittel behalte, aber in einem armen Lande, wie
Preußen in allen feinen Provinzen es jei, werde der Ruin binnen kurzem voll:
ſtändig und unbeilbar jein.
So wenig wie die Ordnung im Staatshaushalt, ſchien ihm in feinem
Preußen für die Zukunft die religiöfe Duldſamkeit gefihert, die er zum Re:
gierungsgrundfag erhoben hatte. Er wollte nicht dafür gut jagen, daß nicht
nad feinem Tode „irgend ein Priefter“ für die Wut feines Fanatismus freien
Spielraum befommen werde — an eine bejtimmte Periönlichfeit, etwa einen
Wöllner, den er gelegentlih einen „intriganten und betrügeriihen Paten“
genannt, hat er dabei nicht gedacht. Er blidte mit Befremden und Verachtung
auf die Auswüchſe in dem reimaurerorden, dem er früher jeine Gunft zu:
gewandt hatte, und beflagte, daß jegt in den Logen eine religiöfe Sekte auf:
fomme, bie, was viel jagen wolle, abjurber jei, als alle bisher bagewejenen: das
Rofenkreuzertum mit feinem kraſſen Aberglauben und jeinen Geifterbefhwörungen.
Er ſelbſt dachte noch wie vor vierzig Jahren, als er es ausgeiprocden
hatte, daß hier zu Lande jeder nad jeiner Fagon jelig werden jolle. „Ich laſſe
jeden Gott anbeten, wie er es für richtig hält“, fchreibt er 1782 beim Jahres
ſchluß, „und ich glaube, daß jeder das Recht hat, nad dem unbelannten Lande
des Paradiejes oder der Hölle den Weg einzufchlagen, dem er den Vorzug gibt;
ih begnüge mid mit der Freiheit, daß ich auch meinerjeits dem Antrieb der
Vernunft und meiner Fagon zu denfen folgen darf.“
„Das unbefannte Land des Paradiefes oder der Hölle” — er war im
Innerſten doch der Meberzeugung, daß niemand es betreten werde, dab ein
„Wiederjehen im Thale Joſaphat“ nicht zu erhoffen jei. Wie er eine vom
Körper getrennte Seele nicht annehmen mwollte, jo erklärte er auch, von einer
unfterblihen Seele feine Borjtellung zu haben. Die Unfterblichkeit it ihm ein
verzaubertes Schloß, das man von ferne ſchaut und in das niemand Einlaf
erhält. Er beruft fih auf einen Philofophen feiner Bekanntſchaft, „einen in
feinen Anfihten ziemlich entfchiedenen Mann” — er meint ſich felber, der einen
binreihenden Grad der Wahrfcheinlichkeit für fi zu haben glaube, um zu der
Gewißheit zu gelangen, „daß post mortem nihil est”. Tiefes Vergeſſen,
ein andauernd Ruben, das ilt alles, was er ſich von Atropos’ Schere ver:
ſprechen will.
Denn aber Friedrih bie und da die Möglichkeit zuläßt, daß unſer Geift
jeine irdifche Hülle überleben wird, dann will er fich getroft den Armen und
dem Erbarmen des allgütigen Gottes anvertrauen, weil er nicht glauben kann,
daß der Schöpfer fein Geſchöpf mißhandeln könnte.
Ausgang und Ergebniffe. 649
Ohne grübelnde Sorge wegen eines Zufünftigen, ohne Reue wegen bes
Zurüdliegenden, ging er auf, bis zulegt, in der Ausnützung des Augenblides.
Im jfeptifhen Verzicht auf die Erforihung des Undurddringliden hatte er
gelebt, jo wollte er auch fterben, ohne im Thal des Todes nah Stüßen zu
greifen, die er auf der Höhe des Lebensweges von fich gewieſen hatte.
Er hat in feinen legten Wochen geäußert, den Tod fürdte er nicht,
nur ärgere er fi über den Tod und möchte ihn mit der Fauſt wegſchlagen.
Philoſophiſcher, mit glüdliher Selbftironie hatte er einige Jahre früher an
d’Alembert geichrieben: „Wenn man nicht das ift, was man ehedem Hypochonder
nannte und was man jest mit ungleich mehr Eleganz Vaporeux nennt, jo muß
man dem Zeitpunkt, der unjeren Dummbeiten und unferen Qualen ein Ende
bereitet, fröhlichen Sinnes entgegenfehen und fich freuen, daß der Tod uns von
den Leidenſchaften, die uns peinigen, befreit. Nach reifliher Ueberlegung biefes
wichtigen Gegenftandes denfe ih, meine gute Laune zu bewahren, jolange
meine elende und gebrehlihe Majchine dauert. Weit davon, mich über mein
nahes Enbe zu beflagen, muß ich mich vielmehr beim Publikum entjchuldigen,
daß ich die Impertinenz gehabt babe, jo lange zu leben, es gelangweilt und
ermüdet zu haben und ihm brei Viertel des Jahrhunderts zur Laſt geweſen zu
fein, was über den Spaß geht.” Die Jugend möge am Leben hängen, jo
philojophiert der Greis ein andermal, weil ihr alles lache, weil ihre Unerfahren:
beit ihr alles jchön male und weil fie auf den Schwingen des Glüdes zum
Gipfel ihrer Wünſche getragen zu werden glaube: „Wie bald zerftreut bie
Wahrheit jolde Einbildungen! Sie enttäufcht den Glüdlihen durch feine eigenen
Erfahrungen und zeigt ihm ftatt dieſer geträumten Glüdfeligfeiten das Nichtige
der menſchlichen Eitelfeiten.”
Ein poetiiher Rüdblid auf fein Leben und jein Streben führt ihn auf
dasjelbe Belenntnis:
Beim Aufitieg zu dem Thron dem Ehrgeiz unterthan,
Sprad um Unfterblicfeit den Ruhm ich gläubig an,
Da dody in feinem Staub das Wolf, ftumpf und verblendet,
Den Tadel wie das Lob nur nah dem Zufall fpendet.
In Sorgen und in Mühn verzehrte ich mein Leben,
Blieb in Bellonas Dienft Uranien ergeben.
Raftlos ließ ih den Geift von Plan zu Plane fchmweifen,
Um in der Dunkelheit der Zulunft Bild zu greifen:
Der nahen Sorgen Schar gefellte ich die fernen.
Die Herriherfunft wollt! ih mit Fleiß und Acht erlernen,
Um durd den Menfchengeift, dur ein verdoppelt Ringen,
Durch kluge Rechnerei das Schickſal zu bezwingen.
Was aber iſt der Menſch und was des Menſchen Dichten?
Ein Nichts wird alſobald der Kurzſicht Plan vernichten.
In der Stimmung dieſer Verſe, in der Erkenntnis des Mißverhältniſſes
zwiſchen Erſtrebtem und Erreichtem, in dem Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit
hat er gern den Ratſchlag des „heiligen Epikur“ im Munde geführt, daß der
Weiſe ſich von den Staatsgeſchäften fernhalten ſolle; denn alle die, welche damit
650 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt.
je zu thun gehabt hätten, fie müßten, daß unter 100 Gejchäften, die dur ihre
Hände gingen, 94 ärgerlich feien, und je größere Angelegenheiten man zu ver:
fehen habe, um jo mehr fei man den Wechjelfällen des Glüds, gewaltſamen
Erſchütterungen ausgefegt. So jei ihm völlig klar, daß er, wenn er nur jein
individuelles Glück hätte im Auge haben wollen, es als Privatmann hätte
juchen müfjen, in einem Stande, der ihm die Annehmlichkeiten des Lebens aus:
reihend ohne Ueberfluß verfchafft haben würde.
Über wenn vor Jahren einmal die Rede davon geweien war, dab Maria
Therefia an Abdankung denke, jo hatte er fehr richtig gejagt, daß ſolche An—
wandlungen, wie fie auch ihm nicht fremb waren,!) nur einem „paflageren
Degout” zuzufchreiben fein. Er wußte, daß der Tüchtige und Thätige die
Unluft, die Mattigfeit, die elegiijhe Stimmung, die Trauer über die Unerreich—
barkeit der Ideale immer wieder überwinden wird. Er hielt fih an feinen
alten Erfahrungsfag: „Man ift in der Welt nur glüdlih, indem man fich
beſchäftigt.“ Er ſagte fich weiter, daß für den Herrſcher, der jchaffen muß, die
Bedächtigkeit und Selbftgenügjamleit, die Nefignation und Grämlichkeit des zu:
nehmenden Alters eine Gefahr in ſich ſchließt. Indem er ſich inmitten feiner
großen Kulturaufgaben nah einem langen Kriege zu dem Grundſatz befennt,
man müjje das Vergangene vergeflen, da es bleibe wie es fei, und nur an die
Zukunft denfen, meint er, das fei freilich einigermaßen „die Nede eines jungen
Menſchen“: „aber bebenft, daß die Staaten unjterblich find, und daß die, welche
an ihrer Spige ftehen, nicht altern dürfen, jolange fie regieren.“ Er gibt zu,
„daß alle, die aufrichtig für das Wohl der Gejellichaft arbeiten, den Traum
eines Ehrenmannes träumen”, aber er fett tapfer hinzu: „Das hindert mich
nicht, in dem einen Kreife, in melden der Zufall mich geftellt hat, mit diefer
Arbeit fortzufahren, um die, welche in diefem Kreije wohnen, glüdlich zu maden,
und die Praris der Dinge, die mir täglid durch die Hände gehen, klärt mid
über ihre Bebürfniffe auf.” „Die Menfhen glüdlih machen,” das war das
Seal, wie es vor einem halben Jahrhundert der Verfaſſer des Antimachiavell
in frifcher Begeilterung aufgeitellt hatte; „fie glüdlih machen, ſoweit es die
menſchliche Natur zuläßt und die ſchwachen Kräfte, die ich aufmwenden kann, es
erlauben,“ das ift der ins Alter gerettete Reit des jugendlichen Idealismus nad
den Abjtrihen des Lebens,
Friedrich bat ſolche Grundfäße nicht bloß im Munde geführt. Er ift in der
That jein ganzes Herricherleben hindurch reblih bemüht gewejen, nad feiner
beiten Ueberzeugung Gutes zu jchaffen, Wohlthaten auszuftreuen. Er erntete
auch manden Dank für jein Bemühen, aufridtigen Danf, bisweilen in wahrhaft
rührender Weije, wie wir es eben mit ihm in Hirſchberg erlebt haben. Aber
er brachte ſich doch wieder um ben beften Teil feines Lohnes, durch die Menichen-
veradhtung, die fich je länger je mehr in ihm feitgefegt hatte.
Ihre Keime hatten von je in ihm gelegen: jein Hang zum Spott, fein
Iharfer Blick für die Eigenheiten, Schwächen, Lächerlichleiten der Menſchen, das
frühzeitig erwadhte Gefühl der geiltigen Weberlegenheit über feine Umgebung.
') Dben ©. 339,
Ausgang und Ergebnijie. 651
Dann waren binzugetreten die lange Uebung des unumſchränkten Befehlens, die
Gewohnheit, die Menſchen als Werkzeuge zu betrachten, die mannigfahen Er:
fahrungen und Enttäufhungen beim Gebrauch diejer Werkzeuge, die Einblide,
die er als Regent, als Feldherr, ala Diplomat, die er in jeinem eigenen Haufe
und an feinem eigenen Tiſche in die dunfeln Tiefen des Lebens, in die fchlechten
Inſtinkte des menſchlichen Herzens gethan hatte. Nach dem Abfall jeines einzigen
Bundesgenoffen wählte er in den forgenvollen Herbittagen von 1761 „Die
Schlechtigfeit der Menichen” zum Thema einer poetifhen Epiftel. Im bewußten
Gegenſatz zu Rouffeau und in unbewußter llebereinftimmung mit Kant betrachtete
er jet den Menichen als im Grunde böje und begegnete den Einwürfen der
Optimiften mit feinem überlegenen: „Vous ne connaissez pas cette maudite
race.“') Er fennt ben ‚Sauerteig von Wildheit‘ im Menjchenherjen, der nur zu
oft wieder auffteigt, wenn man ihn zerftört zu haben glaubt. Der Menſch it
ihm eine „espöce assez mechante“, gegen die man überall der Zwangsmaß—
regeln bedarf, foll eine tiefwurzelnde Bosheit nicht alle Schranken der Rechtlich—
feit und ſelbſt der Woblanftändigfeit umftoßen; er jpottet bitter: „in Anbetracht
der Schmählichfeit und ber Verbrechen unferer Gattung dürften wir mit größerer
MWahricheinlichfeit von böjen Geiltern, wenn es ſolche gäbe, abjtammen, als von
einem Weſen, deifen eigentlihe Natur das Gute fein jol.“ Je älter er wurde,
je mehr ſchwand fein Vertrauen zu den Menfchen; alle diefe fchroffften Aeuße—
rungen gehören jeinen legten Jahren an. Es wird erzählt, daß Friedrich 1785
bei jeinem letten Bejuh in Breslau, in einem philoſophiſchen Geſpräch mit
Garve über diejen Gegenftand, die Menge Canaille genannt habe; Garve habe
eingewandt: „Als Eure Majeität geitern in die Stadt famen und alles Volt
zufammenlief, um jeinen großen König zu jehen, das war nicht Canaille!”; der
König aber habe jchnell geantwortet: „See Er einen alten Affen aufs Pferd
und laſſe Er ihn dur die Straßen reiten, jo wird das Volk ebenjo zufammen:
laufen.”
Und doch fonnte dieſem Menichenverädter in Augenbliden der inneren
Bewegung noch das Auge feucht werden, jo daß den Seinen hinter der ehernen
Herrſchermaske ſich plöglih der echte Menſch offenbarte.‘) „Sein Auge,“ jo
beobachtete der Fürſt von Ligne, „durch angeitrengte Arbeit im Kabinet und die
Mühſale des Krieges ftechend geworden, verflärte jich in Milde, wenn er einen
edlen Zug, etwas Erhebendes oder Rührendes vernahm oder erzählte.”
Schon ein Zeitgenofje ift der irrigen Vorſtellung der Fernerftehenden
entgegengetreten, als ob Friedrich bei feinem Hang zur Einfamkeit und feiner
Menjhenveradtung zulegt in Melancholie verfallen jei. Die, welche damals ein
zuftändiges Urteil hatten, ftimmen darin überein, daß er „feinen angeborenen
Hang zur Freude” nicht verloren hat; daß es ihm wider die Natur war, mürrifch
und verdrießlich zu jein; daß er denen, die um ihn waren, nicht durch Anmut
oder Klagen läjtig wurde; daß er fich die Fähigkeit bewahrte, alle Dinge „rofen:
farben” zu erbliden. In feinen vertraulichen Briefen haben wir den Spiegel
I) Dben ©. 592.
2) Bol. oben ©. 510.
652 Neuntes Bud. Fünfter Abfchnitt.
diefer froben Laune. Ciceros Briefe ad familiares, hatte ihm einit Voltaire
mit einer feiner graziöfen Schmeicheleien geichrieben, fämen denen von Frederic
le Grand nicht gleih: Friedrich fei fröhlicher als Cicero, wie er auch der beſſere
General jei, obgleich Cicero auf demjelben Echladhtfeld wie Alerander der Große
geſchlagen habe. „Sein Frohfinn kam von jeiner Ueberlegenheit,” hat Katharina II.
verftändnisvoll gejagt.
Friedrich jelbit ſah in diefer jeiner glüdlihen Naturanlage feinen beiten
Troft in förperlichen Leiden und jeelifhen Erregungen, die freilih wiederum
bei diefem lebendigen Temperament um jo ftärfer auf ihn wirkten. Er beglüd:
wünjchte ſich, daß er ſich immer glei blieb, auch al feine alte Frohnatur nicht
verleugnete. „Ich bin alt, zerichlagen, gichtbrüchig, überjährig, aber immer
froh und guten Humors,“ jcreibt er als Sechziger, „mein Freund, guten
Humor!” ruft er als Fünfundfechziger dem fränfelnden d’Alembert zu; „das
iſt das einzige Linderungsmittel, um bie Bürde des Lebens zu tragen.” Dabei
bebarrt er. „Man muß verfuhen, das Leben fröhlich zu beenden”... „Da
ih die Gicht nur in den Füßen und nicht im Kopfe habe, jo hindert fie mid
nicht, einige Reſte meiner alten Fröhlichkeit feitzubalten.” Sein Wahliprud,
„eine Lektion für uns Greije,” bleiben die Verſe Chaulieus:
Je seme encore de quelques fleurs
Le peu de chemin qui me reste.
Bis in den Herbft von 1785 hat Friedrichs Jahreseinteilung durch feinen
Gejundheitszuftand eine Störung nidt erlitten. Seine Gichtanfälle — 1776
zählte er den achtzehnten — ſtellten zumeift fih nur im Winter ein, und wenn
fie nur alle drei Jahre famen, glaubte er fich nicht beflagen zu dürfen. Selbit
außerorbentlihe Anftrengungen griffen feinen Körper nicht erheblih an. Am
13. Juni 1780 fam er nad vierzehntägiger mühevoller Inſpektionsreiſe um
balbzehn früh nah Sansjouci zurüd, nachdem er um drei Uhr in der Nacht
von Küjtrin abgefahren war, aljo 14 deutſche Meilen in jehs Stunden zurüd:
gelegt hatte; er jaß dann breieinhalb Stunden bei Tiſch und war „friih und
guter Yaune, als ob er noch nichts hinter fi hätte“. Als ihm im folgenden
Jahre der Arzt die Fahrt nah Weltpreußen verbieten wollte, erhielt er die
Antwort: „Doktor, Er treibt jein Geſchäft, ich das meinige, ih will bis zu
meinem letten Moment meine Pfliht als König thun.” Fünf Jahre vorher
hatte er einmal erklärt: „Meine Methode, mich nicht zu menagieren, bleibt
immer biejelbe. Ye mehr man fich verwöhnt, defto empfindlider und ſchwächer
wird der Körper. Mein Metier verlangt Arbeit und Thätigfeit, mein Körper
und Geijt müſſen fich ihrer Pflicht anbequemen. Es ift nicht nötig, dab id;
lebe, aber wohl daß ich handle. Dabei habe ih mich immer fehr wohl be:
funden.”
Seit Neujahr 1785 machten fi Verdauungsbejchwerden, die Folge fort:
geiegter Verſtöße gegen die Diät, ftörender bemerkbar; im Frühjahr ftellte ſich
die Gicht wieder ein; ber feit vierzig Jahren regelmäßig gebraudte Egerbrunnen
war in dieſem Juni von nadteiliger Wirfung auf den Magen. So jhwad er
Ausgang und Ergebnifie. 653
ich fühlte, reifte der König nah Schlefien zu den Truppenübungen, in der
Erfüllung feines Berufes als „KRönig:Connetable” hat er den Todeskeim in fich
aufgenommen. Nahdem er dem ftrömenden Regen bes vorlegten Revuetags,
des 24. Auguft, ſechs Stunden lang, ohne feinen Pelz anzulegen, getroßt hatte,
mußte er nad) der Paradetafel fiebernd das Bett aufſuchen; gleihwohl erſchien
er am nächſten Tage wieder unter feinen Truppen. Bier Wochen jpäter hatte
er in Potsdam einen Schlaganfall; dem dortigen Herbitmanöver fonnte er nicht
beimohnen.
Der Winter im Potsdamer Stadtſchloß verlief qualvol. Die Anzeichen
der Wafjerjucht traten immer beutlicher zu Tage. Sobald die Witterung im
April milder wurde, mußte dem Kranken Nahmittags ein Seſſel auf die Frei:
treppe des Schlofjes geieht werden, wo die warme Frühlingsfonne ihn beftrablte;
„ih habe immer das Licht geliebt”, hörte man ihn jagen.
Bald litt es ihm nit mehr in der Stadt. Auf einem Umwege von
mehreren Meilen ließ er fih am 17. April, nad einer Rundfahrt durch die
Dörfer rings um den breiten Schwielowfee, nah Sansjouci bringen. Dort
empfing er nod an demjelben Tage den Grafen Mirabeau, den legten vor:
nehmen fremden, ber Audienz von ihm erhielt.
Je kürzer die ihm zugemefjene Frift wurde, um fo raftlofer jpannte er
feine Thätigfeit an. Sonſt waren die Kabinetsbeamten früh um ſechs oder
fieben Uhr angetreten, jeßt beftellte er fie bereits zu der vierten Morgenftunde.
„Mein Zuftand,” eröffnete er ihnen, „zwingt mid, Ihnen diefe Mühe zu
maden, die für Sie nicht lange dauern wird. Mein Leben ift auf der Neige;
die Zeit, die ich noch habe, muß ich benugen, fie gehört nicht mir, fondern dem
Staate.” Eines Morgens, am 29. Mai, ift einer der Kabinetsräte inmitten der
Arbeit vor den Augen des Königs vom Sclage getroffen zuſammengeſunken;
der König ließ einen anderen rufen und fuhr in feinem Tagewerk fort. Mit
Genugthuung ſah er doch jetzt, da die Nacht für ihn hereinbrad, wie die große
lange Kulturarbeit, an die er jein Leben gejegt hatte und die er als fein
„Kinderſpielzeug im Alter” zu bezeichnen pflegte, bald da bald dort ihrem Ziele
fi näherte. Schon 1783 hatte er verfügt, daß es in Pommern auf den
Nittergütern mit den Staatszufhüllen für Meliorationszwede ein Ende haben
fönne; im Magdeburgiſchen trat im Sommer 1785 der Zeitpunft ein, wo „neue
Etabliffements” nicht mehr erforderlich fchienen; jegt im Sommer 1786 meinte
er, daß man auch in den pommerjhen Städten mit „ſoliden Ameliorationes”
aufhören könne. Aber noch wenige Tage vor feinem Tode hat er wieder an:
gefragt, ob nicht doch vielleicht für Pommern „noch einige nützliche Sachen”
ausfindig gemacht werden könnten, für die er dann auf das nächſte Jahr Geld
anmweijen wollte.
Der König fand in Sansfouci für fein Leiden die Linderung nicht, die er
noch gehofft hatte. Die Nächte fpendeten immer weniger Schlaf; das Lager
aufzujudhen, verbot die Atemnot, der Kranke blieb in feinem Lehnſeſſel: „ich
ftehe nie auf, denn ich gehe nie zu Bette,” fagte er bei der erften Begrüßung
dem aus Hannover herbeigerufenen berühmten Arzte, dem Ritter v. Zimmer:
mann. Hülfe war nicht mehr möglid. Das Befinden wechſelte. Es galt als
654 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt.
ein übles Zeihen, wenn man die Wagen mit den täglichen Geſellſchaftern jofort
wieder nad Potsdam zurüdrollen ſah; denn alsdann hatte ber König die
gemeinfame Tafel abjagen laffen. Am 4. Juli ließ er jih noch einmal auf
den Condé, jeinen langen Schimmel, fegen und ritt drei Viertelftunden durch
den Garten von Sansfouci, jogar im Galopp. Die Wirkung war jehr übel;
der Reiter fam ganz entfräftet zurüd und mußte ſich erbreden. Am 10. Juli
fagte er dem Doktor Zimmermann, daß er ihn in Potsdam nit aufhalten
dürfe, um die Kranken in Hannover ber ärztlihen Hülfe nicht länger zu
berauben. Als Zimmermann fi am nächften Morgen beurlaubte, 309 ber
König feinen großen weichen abgetragenen Hut mit der vergilbten Feder und
neigte „mit unbefchreibliher Würde, Huld und Freundlichkeit” fein Haupt zum
Sceidegruß: „Vergeſſen Sie den guten alten Mann nicht, den Sie hier geſehen
haben.”
Zwei Tage zuvor war Hergberg als Sommergait feines Gebieters in
Sansfouci eingetroffen. Seine Briefe an jeinen Kollegen Findenftein geben
uns für die nächſten Wochen bulletinartig, fait Tag für Tag, einen getreuen
Beriht von dem Verlauf der legten Krankheit des Könige.
Am 21. Juli glaubte unjer Beriterftatter wahrzunehmen, daß der Kranke
fih von Tag zu Tag erhole, aber gegen Ende des Monats zeigte fi eine neue
Wendung zum Schlechteren, herbeigeführt durch Verbauungsbeichwerben. Am
30. Juli abends mußte der Vorleſer in Voltaires Geſchichte Ludwigs XV. beim
Jahre 1757 innehalten, weil die Schmerzen allzu gewaltſam auftraten; die
Lektüre ift nach diefem Tage nicht wieder aufgenommen worden.
Gerade in biefen Tagen, da die Auflöfung fchnelle Fortfchritte machte,
wurde in den Berliner Buchläden ein Bamphlet voll der niedrigften Schmähungen
gegen ben König und feine Umgebung frei öffentlich verfauft. Hertzberg wünjchte
das Verbot der Schrift; der König, dem man fie zugeichidt Hatte, ſagte ihm:
„Man muß das verachten.“
Als Friedrich fih in den nächſten Tagen wieder wohler fühlte, verlangte
er von feinem Berliner Arzt Selle „mit feiner gewohnten Furdtlofigfeit”, er jolle
das angefammelte Waſſer durch Einjchnitte an den Beinen entfernen. Der Arzt
fonnte ſich dazu nicht entichließen, da er ein Hinzutreten des Brandes fürdhtete;
die Natur half fih am 4. Auguft felber durch eine rojenartige Entzündung
des linken Schienbeines mit reichlicher Abjonderung von Feuchtigkeit. Der Kranke
fühlte jich erleichtert. Sein Appetit blieb vortrefflih; er ftellte fich felbit täglich
die Speijenfolge zufammen und aß reichlich, Schwere und leichte Gerichte unter:
ſchiedlos. Es war ein Zeichen neuer Yebensluft, daß er von diefem Tage an
die ganze nächſte Woche hindurch feine Feine Geſellſchaft wieder zweimal täglich,
morgens gegen elf Uhr und abends gegen ſechs, um fich verfammelte. Auch
Hoym, der jchlefiihe Provinzialminifter, wurde in bdiefen Tagen nod zum
Vortrag empfangen. Am 12, äußerte ber König, dab er ſich wie neugeboren
fühle, fanf aber bald darauf in Schlummer. „Er thut feine ganze Arbeit,“
ſchreibt Hergberg, „aber doch mit Widerftreben, mit Eile und indem er fich
dazu zwingt, jo daß er nicht alles mit voller Aufmerkfamteit lieft.” Am Morgen
des 13. erzählte er dem Miniſter nach einer durch Fiebererfcheinungen geftörten
Ausgang und Ergebniffe. 655
Naht den ganzen Inhalt der aus Wien eingelaufenen Depeihen. Die drei
Adjutanten, die er als jeine Vertreter zur Teilnahme an ben jchlefiihen Ma:
növern abordnete — der Soldatenwig hatte die nicht überall gern Gejehenen
die heiligen drei Könige getauft — verjah er am jelben Tage mündlich mit
den eingehendften Weilungen. An diefem Abend jchlief er um jieben Uhr in
Gegenwart jeiner Gäfte ein, ſchickte fie um acht fort und fchlief von zehn Uhr
ab zwölf Stunden ununterbroden, ließ dann den Stadtkommandanten und bie
jeit jehs Stunden harrenden Sekretäre vor und diftierte kurze Antworten auf
die diplomatifhen Berichte. Die Gejelichafter wurden an dieſem 14. nicht
mehr gerufen.
Am 15. Auguft begann der König die Arbeit mit feinen Kabinetsbeamten
wieder früh um fünf. Fieber war nicht vorhanden, dem ihn behandelnden
Chirurgen ſchien der Zuftand befriedigend. Aber die Unterfchriften, die er noch
erteilte, zeigten in ihren verjchobenen Zügen unverkennbar die Schwäche bes
Schreibenden.
Am 16,, einem Mittwoch, erſchienen die Sekretäre, die Adjutanten, der
Stadtlommandant früh zu der einem jeden vorgefchriebenen Zeit; auch heute,
wie vorgeftern, mußten fie warten. Die Stunden vergingen, endlich warb ber
General Rohdich gerufen. Der König hatte fih in einem klaren Augenblide
jeiner erinnert, er wollte ibm die Parole geben, er fand feine Sprade nicht;
er ſah Rohdich mit einem klagenden Blide an, das Haupt janf jeitwärts in
die Kiffen zurüd, der General war zu Thränen gerührt und 309 ſein Tuch vor
die Augen, der König ſchlummerte wieder. Die Truppen, die vor dem Thore
ererzierten, erwarteten jeden Augenblid die Nachricht von feinem Abjcheiden.
Um drei Uhr nachmittags fam, durch einen Eilboten des Prinzen von
Preußen aus Berlin berbeigebolt, der Doktor Selle. Das Bewußtfein war jegt
etwas lichter, der König erkannte die Anmwejenden, aber er erinnerte fich nicht
der heute noch nicht erledigten Regierungsgeſchäfte. Das Gefiht war leicht
gerötet, die Augen hatten ihr altes Feuer noch nicht ganz verloren, und die
Füße vermochten im Berlauf diejes Abends noch einige Schritte zu machen.
Ein janfter Schlummer bradte gegen fieben Uhr gelinden Schweiß, aber die
Beine bis zum Knie aufwärts begannen zu erlalten. Seit neun Uhr lag ein
furzer Huften auf der Bruft, von lauten Röcheltönen unterbroden. Dazwiſchen
nod einige Worte, einige Gebärden. Als die Wanduhr über jeinem Haupte
elf ichlägt, horcht der König auf und fragt: „Was ift die Glode? Um vier Uhr
will ich aufftehen.” Das Bemußtjein ift ihm noch nicht ganz gejchwunden; er
fragt nad feinem Windfpiel und befiehlt, das fröftelnde Tier mit einem Kiffen
zuzudeden. Er wehrte nicht, daß fein Kammerhuſar Strügfy, der den fort und
fort in eine gepreßte Stellung Zufammenfinfenden fait alle zwei Minuten auf:
rihten mußte, ſich endlich neben dem Stuhle auf das Knie ließ, ihn umjchlang
und mit beiden Händen ftüßte: aljo verharrte der treue Diener noch an drei
Stunden. Nach einem neuen heftigen Hultenanfall, der den Schleim löfte, jeufzte
der Sterbende: „La montagne est passee, nous irons mieux*. In dem
Nebenzimmer weilte Selle mit Hergberg, Görk und Schwerin; als der Arzt
eine Stunde nad Mitternacht noch einmal das Kranfenzimmer betrat, zitterte der
656 Neuntes Bud. Fünfter Abfchnitt.
Buls und wich zurüd, das Auge war matt und feudht. Der Huften ward
feltener und ſchwächer, das Röcheln ftärfer. Zwanzig Minuten nad zwei ein
leifes Zuden des Mundes, der Tod war gelommen.
Hergberg drüdte dem großen König die Augen zu und führte dann den
alsbald aus Potsdam herbeigerufenen Nachfolger zu der Leiche. Als am Morgen
ber junge Prinz Friedrih Wilhelm, der nunmehrige Kronprinz, nad) Sansjouci
fam, fah er den Toten im Konzertjaal auf feinem Feldbett liegen, einen Eleinen
Hut auf dem Kopfe, der mit einer Serviette um das Kinn befeftigt war, mit
einem alten blauen Seidenmantel und darunter einem Pelzhemd angethan, die
Füße in großen Gidhtitiefeln. Zwei Diener fehrten mit grünen Zweigen die
Fliegen von dem Antlig ab.
Und wenn nun feine Offiziere an bieje eilig hergerichtete Bahre heran:
traten und feine Grenadiere, dann gemahnte es fie ernft und weihevoll an bie
großen Zeiten der gemeinfamen Kämpfe: alio in feinen Mantel gehült, hatte
er fo mande Naht auf feinem Strohlager mitten unter ihnen gerubt. Und
bie hellen Thränen rannen über ihre Wangen. Dem einen aber von ben
Getreuen, dem in feine ſchweizeriſche Heimat zurüdgelehrten General Zentulus,
ſollte noch vor Yahresihluß fein Wunſch in Erfüllung geben, den er damals
ausſprach: feinem Heldenkönig bald als Arrieregarde folgen zu dürfen, wie
Bieten zu Anfang des Jahres die Avantgarde gebildet hatte.
Bei der Eibesleiftung der Berliner Garnijon für Friedrih Wilhelm II.,
noch am Todestage jelbit, richtete General Möllendorff an die Offiziere tief
erjehlittert, weinend, bie jhlihten Worte: „Sie haben den größten ber Könige,
den eriten der Helden verloren, und ich verliere meinen Herrn und, wenn ih es
jagen darf, meinen Freund.”
Niht auf der Terrafje zu Sansfouci, wie er_felbit es beſtimmt hatte, ift
Friebrich zur legten Ruhe gebettet worden, fondern in ber Potsdamer Garnifon:
firche an ber Seite feines Vaters. Dorthin wurde der Sarg am Abend des
18. Auguft übergeführt, nachdem die Leiche den Tag über im Stadtſchloß
öffentlih in Parade ausgeftellt worden war. Am 9. September fand das feier:
liche Leihenbegängnis ftatt, ganz in den Formen, in denen ſich einft die Toten:
feier für Friedrich Wilhelm I. bewegt hatte.
Noch nie hatte einen Sterbliden eine folche Fülle von Nachrufen zu Grabe
geleitet, wie fie uns in der weitſchichtigen, alsbald nad) Friedrichs Tode aus dem
Boden geſchoſſenen Litteratur vorliegt. Leichenprebigten und Gedäcdhtnisreden,
Kantaten, Oden und Epitaphe, zufammenfaffende Lebensbeichreibungen und
Beiträge zu einzelnen Augenbliden feiner Geſchichte, Effais und Fragmente und
endlich jene zahlreihen Sammlungen gut oder jchleht beglaubigter Anekooten.
Für den Geſchichtsforſcher fachlich nicht allzu ergiebig, ift dieſe Litteratur als
Ganzes ein vollwichtiges Zeugnis dafür, in weldem Maße Friedrichs Helden:
leben den Zeitgenoſſen Betrachtungsitoff, ihrer Phantafie Beihäftigung geboten
hatte. Seine Perjönlichkeit war ihnen nun einmal „die größte Merkwürdigkeit
des Jahrhunderts”.
Ausgang und Grgebniffe. 057
Aus der breiten Maſſe der Nachrufe ragt der eine empor:
Willſt du aber die Meinung beherrichen, beherrfche durch That fie,
Nicht durch Geheiß und Verbot. Der wadre Mann, der beitändige,
Der den Seinen und ſich zu nützen veriteht und groß dem Zufall gebietet,
Der den Augenblid fennt, dem unverfchleiert die Zukunft
In der jtillen Zelle des hohen Denkers erfcheinet,
Der wo alle wanfen noch jteht —
Der beherrjcht fein Wolf, er gebietet der Menge der Menfchen.
Einen folhen habt ihr gefehen vor furzem hinaufwärts
Zu den Göttern getragen, woher er fam. hm fchauten
Alle Völker der Welt mit traurigen Bliden nad.
Goethe bat dieſe flüchtig auf das Papier geworfenen Verfe nicht vollendet
und nicht veröffentliht. Wie weit und bis in welche Niederungen Friedrichs
Ruhm gedrungen war, dafür traten dem Dichter auf feiner italienischen Reife
die Beweiſe leibhaftig entgegen, von dem päpftlihen Offizier aus Perugia, der
da willen wollte, daß der Preußenfönig insgeheim katholiſch geweſen fei, bis zu
den fizilianifhen Kleinftädtern, deren Teilnahme an diefem Großen jo lebhaft
war, daß Goethe ihnen feinen Tod verhehlen mußte, um feinen Wirten „nicht
durch eine jo unfelige Nachricht verhaßt zu werben“.
Aber Friedrihs Weltruhm und die volkstümliche Verbreitung feines Bild:
nifjes „auf Pfeifenföpfen und Taſſen“, an der Goethe |päter feine eigene Popu—
larität gemefjen bat, fie hatten ihre Kehrſeite.
Mirabeau ſchrieb am Abend des Todestages aus Berlin, diefer Tag habe
ein bemerfenswertes Schaufpiel geboten: „Alles ift büfter, nichts traurig; alles
iſt beichäftigt, nichts befümmert. Kein Geſicht, das nicht Erleichterung und
Hoffnung ankündigt; nicht ein Bedauern, nicht ein Seufjer, nicht ein Lob.
Dabinaus aljo laufen jo viel gewonnene Schladten, jo viel Ruhm, eine Re:
gierung von fait einem halben Jahrhundert voll jo vieler Großthaten. Alle
Melt wünjchte ihr Ende, alle Welt beglückwünſcht fich dazu.“
Wir haben das Mikvergnügen der vornehmen Gejellihaftsihichten, inner:
halb deren Mirabeau in Berlin verkehrte und jeine einfeitigen Beobachtungen
machte, fennen gelernt. Die „große Revolution“, auf die Hertberg und andere
mit ihm gehofft hatten, war gefommen. Ein engliiher Diplomat hatte ſchon
vor Jahren gelagt: es werde faſt diefelbe Gefchidlichkeit erfordern, für Preußen
die errungene, weit über die natürlihen Verhältniſſe hinausreichende Stellung
zu behaupten, als fie begründet zu haben. Die Männer aber, die jegt an der
Bahre des großen Königs ftanden, der Nachfolger und feine Berater, haben fich
die Frage nicht vorgelegt, ob ihre Kräfte hinreihen würden, die Arbeit des
bundertarmigen Titanen fortzuführen. Genug, daß die Zukunft jest ihnen
gehörte.
Nicht gegen das Regierungsiyitem Frievrihs als Ganzes, nur gegen bie
Anwendung des Syitems in Einzelheiten und gegen feine Auswüchſe haben fich
die Reformanläufe der nächſten Jahre gerichtet. Wie wenig man mit dem Alten
ſchroff breden, grundfäglic etwas Neues fchaffen, ganze Arbeit leiften wollte,
Avier, König Friedrich der Große, 11. 2. Aufl, 42
658 Meuntes Bud. Fünfter Abſchnitt.
das beweift nichts jchlagender als die damals ausgegebene Lofung:!) Rückkehr zu
der ‚Staatsordnung Friedrich Wilhelms J.! Die „glüdlihen Zeiten” dieſes
Herrihers, von denen doch niemand mehr eine greifbare Vorftellung hatte,
waren in aller Munde. Grundfägliher Widerjpruh gegen das Syftem und
zwar vorzugsweiſe gegen jeine volfswirtichaftlihe Seite, gegen den Merkantilis—
mus, wurde nur ganz vereinzelt, von einem Fremden erhoben. Nachdem
zuerft 1773 der Abbe Raynal in feiner Histoire politique et philosophique
des deux Indes die Monopole und die Negieverwaltung Friedrichs auf bas
ſchärfſte verurteilt hatte, richtete jet Mirabeau feinen offenen Brief an Friedrich
Wilhelm II., mit der ftürmifhen Aufforderung, zum Freihandellüberzugehen, alle
indireften Steuern dur eine einzige Grunditeuer im Sinne der agrarifchen
Schulweisheit der Phyfiofraten zu erjegen, das ftehende Heer durch eine Bürger:
wehr abzulöjen, alle Adelsvorrechte und alle Monopole abzuſchaffen. Mirabeaus
großes Sammelmwerf „De la monarchie prussienne*, die ganz auf die Mode:
theorien bes Verfaſſers zugeipigte, geiftreihe Verarbeitung allerhand eiligit
zufammengerafiter, höchſt lückenhafter Nachrichten über die Verwaltung, Volfe-
wirtichaft und Statiftif des preußifchen Staates, hat dann dem Syitem Friedrichs
des Großen durch acht Bände bindurd den Prozeß gemacht; ging es nad)
Mirabeau, fo blieb von dem alten Preußen fein Stein auf dem anderen. *)
Derweil hatte Friedrihs Nachfolger feine Flidarbeit, feine reftaurierende
Thätigfeit begonnen. Man bejeitigte die bejonders unpopulären Einrichtungen,
die franzöfifche Acciſeverwaltung, die Kaffeeregie, das Tabalsmonopol. Man juchte
die durch die Kabinettsregierung herbeigeführte Verbildung: der Zentralverwaltung
dur kleine Abhülfen zurüdzubilden. Man glaubte, den auf den Unterthanen
laftenden Drud da und dort erleichtern, die jtraff geipannten Bande lodern zu
fönnen, und geriet dabei, zumal im Staatshaushalt, jehr bald auf eine abſchüſſige
Bahn. Weitergehende Neformgedanken fanden feinen Raum. Wöllners einft
dem Prinzen von Preußen entwidelte Vorfchläge zur Hebung des Bauern:
ftandes und zur Beſchränkung der Adelsvorrechte blieben unausgeführt, ja
unerörtert.
Ein grundſätzlicher Brud mit den Weberlieferungen der vorangegangenen
Regierung vollzog fich nur auf dem einen Gebiete, das außerhalb des unmittelbaren
Bufammenhanges der großen Verwaltungsmaſchine lag, in der Kirchenpolitif.
Hier erhob Wöllner gegen König Friedrich die Anklage, daß er in feinen Landen
„ven Hauptgrund zur fsreidenferei und zur Verachtung der hriftlichen Religion“
gelegt habe, und ließ zur Verteidigung des Religionsebiftes von 17883 die wunder:
ſame Mär in Umlauf jegen, Friedrich habe zulegt feine Reue ausgeſprochen
und befannt: „gern gebe er jeine ſchönſte Bataille dafür zurüd, daß er die
Liebe zur Religion und die Moralität wieder jo allgemein maden fönnte, wie
er jie bei feinem NRegierungsantritt gefunden habe.“ Wöllners Urteil über
Friedrihs Stellung zur Religion haben viele andere und Beſſere geteilt, vor
allen der Freiherr vom Stein. Aber ein gläubiger Ehrift, wie der General
) Val. ©. 383.
2) Xgl. oben ©. 422.
Ausgang und Ergebniffe. 659
Leopold v. Gerlach hat fi auf das Zeugnis feines Vaters dafür berufen, daß
Friedrich Wilhelms II. auswendige Religiofität, verbunden mit feinem fittenlofen
Wandel, der Kirche mehr Schaden gethan habe, als Friedrichs Jrreligiofität.
Drei Jahre nah Friedrichs Tod ſchrieb Katharina II. angefichts ber
litterarifchen Angriffe gegen jein Andenfen: „Es ift ohne Frage jeltiam, mit
welcher Subtilität man dem Ruhm und dem Namen fFriedrihs II. zu ſchaden
ſucht, und das drudt und veröffentlicht jih in Berlin; dieſer große Mann tft
indes nicht erfegt.” Goethe drüdte ſich noch kräftiger aus, über die Hunde, die
an des „größten Königs Grube” ihr Unweſen trieben.
Friedrih Wilhelm II. hat den Namen des „Vielgeliebten”, mit dem man
ihn begrüßt hatte, nicht lange behauptet. Bei dem Thronwechſel von 1797
wünſchte man fi, die Zeiten Friebrichs des Großen wieder anbredhen zu
jehen, wie man elf Jahre zuvor die Zeit des erſten Friedrich Wilhelm zurüd:
gejehnt hatte. Nun jpottete einer von Friedrichs Verkleinerern, jein ehemaliger
Flügeladjutant Berenhorft: ein Succefjor, wie Friedrich Wilhelm II, gehöre
wejentlih zu Friedrichs glüdlihen Geſtirnen: zu dem jekigen Unkenruf ber
Sfribler und Rhetoren von der übermenjhliden Größe Friedrichs fei eine
Haupturjache dieſer Nachfolger, „den man jehnlich herbeimünjchte, von dem man
fih viel, gar zu viel verſprach, und der jo wenig leiftete”.
Nicht im Namen Friedrich Wilhelms I., nicht im Zeichen der Vergangenheit
hätte gegen Friedrichs Werk der Angriff eröffnet werden dürfen. Die Gegner,
mit denen fich die alte Monardie auseinanderjegen mußte, waren die jungen
Mächte der Zukunft, die Jdeen, die, auf frangöfifhem Erdreich ausgefät und
aufgefproßt, in der Revolution von 1789 ihr Haupt erhoben und fich in Frank—⸗
reich alsbald wenigftens teilweife durchjegten. Es war ein Kampf großer, tief:
liegender, jchroff auseinanderftrebender Grundfäße, die in legter Linie fih auf
den einfachen Gegenſatz von individueller Freiheit und ftaatlihem Zwang zurüd:
führten. Das Syitem des preußifchen Staates, wie es Friedrich der Große zur
Ihärfften Anfpannung, zur größten Vollendung gebracht hatte, ging auf Zentrali-
jation in einer höchſten Spige hinaus, auf Unterordnung des Einzelnen, der Ge:
meinben, der ftänbifchen Körperfchaften unter die Staatsbehörden, Unterordnung
diefer Behörden unter den Souverän: wie zuvor das ftändifche Mitregiment burch
die Bureaufratie, jo war jett bis zu gewiſſem Grade die Bureaufratie durch bie
Kabinettsregierung mediatifiert worden; ber Abjolutismus war aufs äußerſte ge—
fteigert, auf die beiden Augen des Monarchen geftellt worden. Die franzöſiſche
Revolution gab fünf Jahre nach Friedrichs Tod in der Verfaffung von 1791 ben
Gemeinden Selbitverwaltung, Befreiung von der Bevormundung ber Staats:
behörden, den Behörden eine befeftigte Stellung neben dem Staatsoberhaupt, einer
Volfsvertretung Selbitändigfeit neben der Staatsregierung. Und wie die politifche
und abminijtrative Sphäre war nad dem alten Eyftem aud das wirtichaftliche
Leben nicht bloß der Aufficht, ſondern der unmittelbaren Leitung der Staatsgewalt
unterworfen; in dem Merfantilismus hatte ſich der Abjolutismus feine wirtſchaft—
ide Erfcheinungsform gegeben. Die neue Theorie forderte ungehemmten Blut:
umlauf in dem wirtſchaftlichen Organismus, weiten Spielraum für alle Kräfte,
freien Wettbewerb der Individuen. Eben derjelbe Jndividualismus verwarf die
660 Neuntes Bud. Fünfter Abfchnitt.
foziale Schichtung des alten Staatswejens, die Drbnung und Unterordnung der mit
den Geburtsjtänden im mwejentlichen ſich noch dedenden Berufsftände, dieſe joziale
Schichtung, die Friedrih, wie wir gejehen haben,') auf das forgfältigfte gepflegt
hatte. Sollte die alte, ſtändiſch abgeftufte Gejelichaftsordnung aud in Preußen
fallen und einer einheitlihen ftaatsbürgerlihen Gejamtmafje Pla maden, dann
fiel notwendig mit ihr auch die überlieferte Form der Steuerverfaflung und ber
Wehrverfaffung, wie fie funftvoll und eng jener Scheidung der Stände und ber
mit ihr zufammenhängenden Scheidung von Stadt und Land angepaßt war.
Die Auseinanderjegung zwiſchen dem alten und neuen Syftem, 1807 in
Preußen begonnen, bat das ganze neunzehnte Jahrhundert durchzogen; denn
mehr als hundert Jahre find nah Friedrichs Tode dahingegangen, ehe ein jo
wejentliher Teil des Neformprogramms von 1807, wie die Landgemeindeord:
nung, zur Ausführung gelangt war.
Das Ideal der Regierungskunft Friedrichs des Großen mußte in dem
Maße erblaffen, als das nachkommende Geihleht fih das Wort des älteren
Mirabeau aneignete, daß „die Wut zu regieren die verderblichſte Krankheit der
modernen Regierungen ſei“ — biejes Wort, das der junge Wilhelm von
Humboldt 1792 jeinem Verſuch über die Grenzen der Staatswirkſamkeit als
Motto voranitellte. Der Zujammenbruh des alten Preußens am Tage von
Sena und Auerftedt war biesjeits und jenfeits der preußijchen Grenzen für viele
ber Beweis, daß das Fridericianiihe Syſtem völlig verfehlt gewejen ſei. Ein
franzöfifher Schriftiteller hat fih damals gewundert, daß man Friedrich noch
immer den Großen nenne, Als dann der Freiherr vom Stein den Staat neu
aufzubauen begann, da fonnte es nicht anders jein, als daß er, der alles Heil
von „dem lebendigen, feft ftrebenden, jchaffenden Geift” der Staatsbürger, von
ihrer kräftigen Initiative und ihrem Selbftgefühl erwartete, daß Stein ein Syitem
verurteilte und beflagte, in weldem alles auf die Selbftregierung eines Einzelnen
berechnet geweſen fei, alle Kräfte den bewegenden Stoß von oben erwartet hätten.
Gleichzeitig erhob in jenen Tagen der Fremdherrſchaft Ernit Morig Arndt jeine
leidenfchaftlihen Anklagen gegen den undeutichen König, den Franzen-Affen, den
Feind und Zerftörer der deutſchen Verfaſſung, deflen Größe Deutichland zum
Verderben und deſſen Gedächtnis Deutjchland zum Fluch geworden fei. Ein
anderes Angriffsfeld wählte ſich demnächſt das Reftaurationgzeitalter. In ihrem
prinzipiellen Gegenfaß gegen die naturrechtliche Doftrin und gegen den in ihr wur:
zelnden aufgeflärten Abjolutismus betrachtete Hallers „Reitauration der Staats:
wiſſenſchaften“ das Fridericianische preußiihe Landrecht als den auffallendften
Beweis von dem unglüdlichen Einfluß, den die unphilojophiichen Irrtümer auch
auf die Fürften und ihre Umgebungen gehabt hätten.
Uns ift der Abjolutismus einfach eine hiſtoriſche Ericheinung, der gegen:
über wir lediglich fragen, was fie politifch geleiltet hat. Und dann lautet die
Antwort, daß der Abjolutismus in Preußen wie anderwärts ftaatsbildende Kraft
in bervorragendem Grade bewährt und zumal bei uns eine in befonderem Maße
pünftliche, einfichtige und zuverläffige Verwaltung geihaffen hat, daß in feiner
) Oben ©. 556. 557.
Ausgang und Ergebniffe. 561
ftrengen und harten Echule das preußiiche Volk erit erzogen, ja erit geformt
worden ift; daß unter dem abjoluten Regiment das brandenburgifchpreußiiche
Heer zuerft gebändigt und dann zu einem unvergleihlihen Werkzeug ausgebildet
worden ift, der landſäſſige Abel fi zuerft an Gehorfam gewöhnt und dann als
treu und hingebend erprobt hat, der Bauernftand zwar nicht aus jeiner Ab:
bängigfeit gelöft, aber in feinem Befiß gefihert, durch den Waffendienit all:
mählich zu Gemeinfinn erwedt und durch die perjönliche Fürforge des Monarchen
mit Vertrauen zu dem Geredtigfeitsfinn der Landesherrſchaft erfüllt, das
Bürgertum zu Sparjamfeit, Fleiß und Unternehmungsgeift angeleitet worden
ift; daß erft der Abfjolutismus den Boden bereitet hat, dem dann zu Be:
ginn des neunzehnten Jahrhunderts die Saat der Selbftverwaltung anvertraut
werden fonnte.
Daß das Syitem des Abjolutismus aud in Preußen bei den größten
Yeiftungen offenbare Schwächen gehabt hat, ift unferer Betrachtung nicht ent-
gangen. Wir verfennen niht, daß in dieſem Syftem reiche Kräfte gebunden
blieben, dur die allzu ftraffe Spannung eritidt wurden; daß das Syitem, zumal
in feiner wirtjchaftlihen Ausgeftaltung,!) einjeitig den Berhältniffen und Be:
dürfniffen der mittleren Provinzen, der geſchloſſenen Kernlande angepaßt war;
daß durch die Eigenart des Syftems mande Aufgaben, welche die Reformpolitif
des Königtums an ſich gern gelöft hätte, gehemmt, ja unmöglich gemacht wurden; ?)
daß die Ueberhöhung des Abjolutismus, wie fie in der Kabinettsregierung erfolgte,
bis zu gewiffem Grade eine Desorganijation herbeiführte;“) daß das Syitem
allzuſehr auf die Perfönlichfeit des Trägers zugejchnitten war.‘) Der legte
Punkt trifft den Kern des Problems. Aber hat denn ber große Mann nicht
das mit ihm geborene Recht, feiner Wefensart die Formen anzupaflen, die Dinge
fich zu unterwerfen, ftatt fih ben Dingen? Jede gemwaltige Energie braucht
weiten Spielraum, um fich durchzuſetzen, fich zu erfchließen und auszugeben.
Wer dieje diktatorifhe Gewalt beflagen will, mit der noch jede große welthifto-
riſche Perjönlichkeit die Schranken der Alltäglichkeit durchbrochen hat, dem ift für
ein großes Geheimnis bes geichichtlichen Lebens der Einn verſchloſſen, der ver:
fennt ben ftärkften Hebel des allgemeinen Fortſchritts.
Einer unferer hervorragenditen Geſchichtſchreiber, Niebuhr bat gejagt:
„Es hat immer Menſchen gegeben, welche an allem, was groß und ſchön war,
Flecken auffuchten oder fie anhefteten, und diefe haben fidh immer vor der Nachwelt
verächtlich gemacht.” Friedrich hat feine eigene Sache geführt in feiner Verteidi—
gung Ludwigs XIV. gegen die Angriffe der Encyflopädiften: „Die Fehler diejes
Fürften find befannt, und diefe jogenannten Philojophen haben nicht einmal den
fleinen Vorzug, fie zuerft aufgededt zu haben. Ein Fürft, der nur acht Tage
regiert, wird ohne Zweifel Fehler begehen, um wieviel mehr ein Monarch, der
jechzig Jahre feines Lebens auf dem Thron zugebradt hat.” Es ift nicht abzu—
') 3b. I, 438; oben ©. 400.
2) Bol. oben S. 377 ff.
2) Bd. I, 315. 316. 386. 395 (2. Aufl, S. 316. 317. 386. 395); oben S. 389.
*) 3b. I, 319 (2. Aufl. S. 320).
662 Neuntes Buch. Fünfter Abfchnitt.
jehen, wie Friedrich für feine Zeit die großen Leiftungen, die er vollbracht hat,
mit anderen Mitteln, als denen feines Syitems hätte erzielen follen. „Uniere
Nation”, jagte er, für jeine Zeit mit vollem Recht, „bat das Auge des Herm
nötig, um aufgemuntert zu werden.“ Und aud Stein hat anerkannt, da
Friedrih, im Gegenfag zu Joſef Il., von willtürlihem Umformen des Vorge:
fundenen weit entfernt gemwejen fei. Wenn nad) der eigenen Bemerkung Friedrichs
für die hiftoriihe Größe eines Menſchen alles von dem Zeitpunkt abhängt, zu
dem er auf die Welt fommt, fo hat in feinem Falle der richtige Augenblid den
rihtigen Mann gefunden.
Verſuchen wir nun, wieder nicht mit den Augen irgend eines vorange:
gangenen Geſchlechts, jondern mit möglichft unbefangenem Blid das feitzuftellen,
was fih, abgefehen von der Bedeutung Friedrichs des Großen für feine Zeit,
bis heute als das dauernde Ergebnis feiner Lebensarbeit bezeichnen läßt; ver:
ſuchen wir, was jchon 1808 die Gerechteſten und ARubigften, wie Schleiermader,
als Aufgabe und Pflicht bezeichneten, das „Wejentliche und Bleibende” an feinem
Werke von dem „Zufälligen” zu fcheiden.
Friedrih hat die Ermwerbung von Schlefien als die Epoche der Größe
feiner Dynaſtie bezeichnet.) Er hat noch jung ji rühmen dürfen, mehr als
irgend ein anderer beigetragen zu haben zum Wachstum feines Haufes. Dieier
Ruhm ift ihm geblieben. Er bat feinen Staat den enticheidenden Schritt thun
lafien, ihn in den geſchloſſenen Kreis der alten Großmädte bineingeführt.
Jeder jpätere Zuwachs an Macht ift ein grabueller, nicht wieder ein fpezififcher
geweſen.
Mit dieſer preußiſchen Großmacht war nun weiter die Vorausſetzung und
der feſte Kern geſchaffen zu dem deutſchen Nationalſtaat der Zukunft. Die neue
europäiſche Großmacht Preußen war eine ausſchließlich deutſche Großmacht, die
deutſche Großmacht, die bisher in Europa gefehlt hatte; denn Oeſterreich, mit
undeutſchem Beſitz überladen, konnte, obgleich mit der Krone des Deutſchen Reiches
geſchmückt, als deutſche Großmacht nicht gelten. Bis dahin war, wie ein preußi—
ſcher Patriot von 1808, Süvern in ſeinen Königsberger Vorleſungen, gejagt
bat, „die Mitte Europas leer, durh Preußen befam fie Gehalt und Fülle und
Konſiſtenz“. Noch war die Einheit Deutichlands nicht begründet, aber ein großer
innerdeutjcher Einigungsprozeß hatte fi volljogen. Der brandenburgifch:preußiiche
Teil von Deutihland war ein jo übermwiegendes Bruchſtück des Ganzen, daf
diefer auf feinen einzelnen Volksſtamm beſchränkte, an keine landſchaftliche Grenze
gebundene Staat bereits ein Kleindeutichland, ein Neudeutſchland darftellte.
Derweil Defterreichs territorialer Schwerpunft fih aus Deutihland hinausſchob,
war Preußen immer mehr nad Deutjchland hineingewachſen. Nicht ein großes
nationales Zukunftsbild im Auge, nicht als bewußte Träger einer deutſchen
Miffion, fondern immer von brandenburgiſch-preußiſchen Geſichtspunkten aus:
gehend, hatten gleichwohl die Hohenzollern mit jeder ihrer Erwerbungen nicht bloß
dem eigenen Vorteile, fondern auch der gemeinen Sade, dem Vorteile Deutid:
lands gedient: jchon damals galt, daß Deutichland gewann, was Preußen erwarb,
1) Bgl. Bo. I, 250.
Ausgang und Ergebniffe. 663
mochte es fih um das alte Orbensland und das ſchwediſche Pommern, oder um
Weltpreußen und, wir bürfen es hinzufügen, um Schlefien handeln. Noch war
die Lofung in Preußen nicht ausgegeben, zur Zeit und Stunde Deutjchland unter
preußiiher Spige zufammenzufafjen; vielmehr hatte Friedrich feinen Nachfolgern
den Rat erteilt, ven Staat vor allem auf eine noch höhere Stufe der Macht zu
erheben und dann erft an Glanz und Schimmer, an einen Titel, an die Kaifer:
frone zu denken. Denn auch nad) der Erwerbung von Schlefien und Weftpreußen
galt noch immer das Wort Friedrich Wilhelms I., daß der preußifche Staat
entweder zu Elein oder zu groß jei; wollte er inmitten der alten Mächte, inmitten
jo vieler Nachbarn feine hart erfämpfte Stellung und Geltung behaupten, fo
mußte der junge Staat wachen, fich dehnen, fi abrunden.
Friedrih hat jeinen Staat zu einer europäifhen Großmadt, zu der deut:
ihen Großmadt erhoben: er hat feinem Volke auch das für eine Großmadt
unentbehrliche Selbitgefühl gegeben, hat von feinem eigenen jtarfen Selbitgefühl
den Seinen abgegeben. Das gewahrte Goethe!) an feinem Freunde Philipp
Hadert, der als Preuße von Geburt „feinen Teil von der Glorie des großen
Königs ſich zueignete”, nun aber auch durch „Tüdhtigfeit, Strenge, Schärfe,
Thätigkeit und Ausdauern“ den Belten feines preußifchen Volks ähnelte. Wer
hatte vor Friedrichs Zeiten von einem preußiihen Volke geſprochen? Die Märker
hatten zu Anfang des Jahrhunderts ſich gefträubt, den Namen eines fremden
Stammes, den nad Bismards Ausdruck „damals ziemlich verjchollenen” Namen
der Preußen anzunehmen, und die Dynaftie jelber bezeichnete fich in den erften
hundert Jahren nad) Annahme des preußiichen Königstitels noch immer als das
„Haus Brandenburg“. Friedrich hatte von feinen Unterthanen, vorab von jeinen
Offizieren und Soldaten verlangt, daß fie fih Preußen nennen folten. Bald
bedurfte es eines Gebotes nicht mehr. Die gemeinfamen Kämpfe und gemein:
jamen Siege ber unter dem preußifchen Zepter vereinigten deutichen Stämme,
die Siege ber preußifhen Waffen unter den jchwarzeweißen Fahnen, hatten den
preußiihen Namen in allen Teilen der Monarchie jett vollstümlich gemadt. Man
fühlte fih als ein Bolt und fühlte fi als ein ruhmvolles Volf. Niemand hat
dem beredteren Ausdruck gegeben als Arndt, troß feines Verdammungsurteils über
das Werk Friedrichs des Großen. Indem er in feinem „Geift der Zeit” feft-
jtellt, daß die meijten Deutichen, „Bürger Kleiner Staaten”, „Teilnehmer Heiner
Verhältniffe, Gefhäfte und Anfichten”, Großes nicht zu verlieren gehabt und
fomit die Herrihhaft der Fremden faum als ein Unglüd empfunden hätten, fährt
Arndt fort: „Anderes widerfuhr den Preußen. Sie hatten einen unjterblichen
Namen, einen großen Ruhm verloren. Sie konnten ohne Ehre nicht mehr glüdlich
fein. Alle fühlten das Unglüd, aber bitterer fühlten fie die Schande, fie trauerten,
aber zürnten noch mehr.” So konnte die Erinnerung an Friedrich bei der Jahr:
hunbertfeier feines Geburtstags in trübiter Zeit einem Fichte, einem Blücher die
flammenden Worte eingeben, welche die Herzen der Hörer zu „itarfer und erniter
Begeifterung“ Hinriffen. Und fo hat Claujewig eben damals, Anfang 1812,
es ausgejprocdhen, wie von einem Staat mit diefer Vergangenheit ganz Europa
ij Bol. aud oben ©. 334.
664 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt.
erwarten müfle, „daß er ſich noch einmal gegen eine völlige Unterdrüdung und
Vernichtung erheben und durd einen Kampf auf Leben und Tod Friedrichs
Namen fih würdig zeigen werde”.
In fonzentrierter Kraft und Schärfe hat das preußiſche Selbitgefühl in
dem Organ fortgelebt, dur das der große König diefen Geift geichaffen
hatte, in dem preußifchen Heere. Was damals von den Preußen insgejamt
gejagt wurde, galt von dem preußijchen Offizier und Soldaten insbejondere: ein
jeder eignete feinen Teil von der Glorie diejes Königs ih an, der jein pro
gloria et patria in die preußiichen Fahnen gefchrieben, der mit jeinem Heer in
zwölf Kriegsjahren gegen eine Welt von Feinden das Feld behauptet und in
härtefter Bedrängnis bewährt hatte, daß er „mehr als ein großer Feldherr“,
daß er ein Held war. Und wußte nicht jeder im Heere bis zum jüngſten
Rekruten, daß der Soldatenjtand im Staate ber erjte war, weil er von dem
Könige, der jelber den Soldatenrod trug, vor allen anderen Ständen geſchätzt
wurde? Bereits durch Friedrih Wilhelm I. feinem Volke eingeflößt, ift der militä-
rifhe Geift in Preußen durch die übermwältigenden Erfolge des Fridericianifchen
Heeres jo eritarft, daß er dem Staate bis auf den heutigen Tag gleihiam als
character indelebilis geblieben ift.
Mit Net ift betont worden, daß die neue preußifche Armee, wie fie
Scharnhorit und Boyen gebildet haben, noch die unverfennbaren Grundzüge des
Fridericianifchen Zeitalters trug. So hat fi auch die Reform der Verwaltung,
die Umgeftaltung der Behörden im nmeunzehnten Jahrhundert ohne jchroffen
Bruch mit der Vergangenheit, ohne jchroffe Preisgabe der Weberlieferungen
Friedrich Wilhelms I. und Friedrihs II. vollzogen, und noch heute treten
uns in ber preußiihen Verwaltung auf Schritt und Tritt Spuren jenes
alten Syſtems entgegen, die der Zeiten Flucht, die Wandlungen von 1807
und 1848 überbauert haben. Dieſe Zäbigfeit der alten Lebensfräfte, dieje
Widerftandsfähigfeit des im Heer und im Beamtentum eingemwurzelten Geiites
bat einft den Freiherrn vom Stein in einer Stunde zorniger Erregung zu
der feitbem in mandherlei Variationen wiederholten Anklage gegen die Branden:
burger hingerifien, daß fie doch eigentlih nur zu Korporals und Kalkulatoren
gemadt jeien. Wenn nun Friedrich die um die Mark Brandenburg fi
anfryftallifierenden Provinzen an der Elbe und ber Oder als ben feiten und
für die innere Politik maßgebenden Kern feiner Monarchie betrachtet hatte, fo
erinnern auch daran manche Ericheinungen in unferem Staats: und Gejellichafts:
leben noch heute deutlich.
Auch in feiner Wirtichaftspolitif ift uns nod heute Frievrih mehr als
eine tote hiftorifche Erinnerung. In dem Maße, als gegen die lange behauptete
Alleinherrihaft einer nationalöfonomijhen Doktrin fih während bes legten
Menſchenalters eine Reaktion geltend madte, erichloß fih, danf eindringender
urfundlider Studien, das Verftändnis für die Ziele und Leiſtungen der von
jener Doktrin verurteilten Fridericianifhen Wirtjchaftspolitif, und die Praris der
Gegenwart hat an mehr als einem Punkte, wie in der inneren Kolonijation,
an die Vorgänge bes achtzjehnten Jahrhunderts angefnüpft. Bei Erörterung
agrariiher Tagesfragen ift Friebrih im Parteifampf geradezu als Zeuge ange:
Ausgang und Ergebniffe. 665
rufen worden. Sein Induftriefhug darf nicht nad der mehr zufälligen Thatjache
beurteilt werden, daß gerade feine Lieblingsihöpfung, die Berliner Seiden—
manufaftur, unter veränderten Abjakverhältnifjen ihre Thätigfeit wieder ein:
geitellt hat; jein großes Verdienſt bleibt,!) durch jeine Bemühungen einen leiftungs:
fähigen Großbetrieb und einen technisch ausgebildeten gewerblichen Arbeiterftand
herangezogen und bamit auch hier die feften Grundlagen für die jpätere Ent:
widelung geſchaffen zu haben.
Uns viel bemwußter reicht in die Gegenwart hinein die Nachwirkung jeiner
im engeren Sinne geiltigen Erbichaft: die der Nachwelt zum Gemeingut ge:
wordene Grinnerung an die leuchtende Thatſache, daß Preußens größter König
fih perfönlih in den Dienft ber Wiſſenſchaft geftellt, den Künften feine Huldi—
gung dargebradt und den Grundjag der Gemiffensfreiheit als das Palladium
feines Staates bingeftellt hat, einen Grundjaß, der, wo er fih im Verlauf
unſerer Gejchichte je gefährdet glaubte, an fein Tribunal wirkſamer hat appellieren
fönnen, als an Friedrichs geharnifchten Geift.
Das perjönlihe Verhältnis, das feine Nachfolger zu diefem Könige gefucht
und gefunden haben, ift ein verichiedenes geweien. Der Herrſcher, der dem
Genius Friedrichs voll warmer Bewunderung, Friedrichs Philofophie mit ent:
ſchiedenem Widerſpruch gegenüberftand, Friedrich Wilhelm IV. hat in ſchickſals—
ſchwerer Stunde den Hinweis auf das Beiſpiel des Fridericianiſchen Heldentums
und Wagemuts mit dem Eingeſtändnis abgelehnt: Er ſei kein großer Regent. Nicht
Heldengröße läßt ſich im Erbgange vermachen; das eine Stück aber aus dem
Vermächtnis des Heldenkönigs wird bindend bleiben für alle Erben ſeiner Krone
ohne Unterſchied: ſein Beiſpiel der Treue und der Pflichterfüllung, ſein Wort,
daß der Fürſt des Staates erſter Diener ſein ſoll.
Wenn einſt die heute noch unmittelbar wahrnehmbaren Nachwirkungen der
Lebensarbeit des großen Königs ſich im Laufe der Zeiten mehr und mehr ver—
flüchtigt haben werden, dann wird noch das Bild ſeiner ausgeprägten Perſönlichkeit,
wie ſie in ungezählten Urkunden ſich offenbart hat, die Teilnahme der kommenden
Geſchlechter feſſeln: die kraftvolle, widerſpruchsvolle Miſchung der Tempera—
mente, dieſe einzige Verbindung von Thatkraft und Beſonnenheit, Feuer und
Mäßigung, Entſchloſſenheit und Ueberlegung, jäher Impulſivität und zäher Aus—
dauer, von Schärfe und Weichheit, Leichtherzigkeit und Sentimentalität, Spott
und Frömmigkeit, von tiefer Verſchlagenheit und herber Wahrhaftigkeit, von
Talent und Charakter, Genialität und Selbſtzucht. Den Dämon in ſeiner
Bruſt behielt er in ſeiner Gewalt und wußte wiederum in derſelben Bruſt bei
härteſter Not unauslöſchliche Gluten moraliſchen Widerſtandes anzufachen, aus
der Tiefe ſeiner Seele unüberwindliche Hilfsmächte zu Schutz und Trutz auf—
zubieten. Eine äſthetiſch angelegte, genußfähige, dem eignen Geſtändnis nach
epikureiſch gerichtete Natur, das echte Kind des ſchöngeiſtigen Jahrhunderts, trat
aus ſich heraus und nahm Heldengeſtalt an und bewährte das antike Wort, daß
das die edelſten Seelen ſind, die bei voller Empfänglichkeit für den Genuß und
klarer Vorſtellung von bevorſtehenden Mühſalen und Opfern ſich doch nicht ver—
) Vgl. oben ©. 399.
666 Neuntes Bud. Fünfter Abichnitt.
leiten lafjen, den Gefahren aus dem Wege zu gehen. Und aljo ift es dann
geihehen, daß dieſes achtzehnte Jahrhundert, das politiih und militäriſch als
ein Zeitalter der Erſchlaffung begonnen hatte, einen Lebenslauf heraufführte,
von dem ein Zufchauer gejagt hat, dab Fünftige Geſchlechter deſſen Geſchichte
eher für ein Heldengebicht, als für die wahre Erzählung wirklich gefchehener
Dinge halten würden.
„Die Stärke der Staaten beruht auf den großen Männern, welche die
Natur ihnen zur rechten Stunde geboren werden läßt” — in diefen Worten hat
Friedrich feine Auffalfung von der Bedeutung der Perfönlichkeit für die Geſchichte
niedergelegt. Seine eigne Geichichte beitätigt feinen Ausſpruch.
Anmerkungen.
Die „Bolitifhe Korreipondenz Friebrihs des Großen“ (PC) liegt 1903 mit Bd. 28
bis Juli 1769 vor und enthält für den Siebenjährigen Krieg ungleich reichhaltigeren Stoff als
A. Schäfer in feinem verbienftlichen Werk (Geſch. des Siebenj. Krieges, 3 Bde. 1867—1874)
benügen Fonnte. Zu den älteren militärifhen Darftellungen, den Memoiren des Königs,
(Euvres de Frederie le Grand IV. V. (CE.), der „Geſchichte des Siebenj. Krieges” von Tempel:
hoff (6 Bde. 1783 ff.; val. Herrmann, Ueber die Quellen T.'s, Berliner Diff. 1885), den Ab:
handlungen in der Defterreihifhen Militärifhen Zeitfchrift (Jahrg. 1811. 13. 20. 22. 24. 26.
33. 35. 4143) und der „Geſchichte des Siebenj. Krieges von den Offizieren bes großen General:
ftabs“ (6 Bde. 1824 ff.), Th. v. Bernhardi, Fr. d. Gr. als Feldherr (2 Bde. 1881) ift jekt,
von mir in dem Anfang 1900 erichienenen Halbband I (die erfte Lieferung lag bereits 1392 vor)
nod nicht benüßt, das neue Generalftaböwerf (G. Stab) getreten: „Die Kriege Fr. d. Gr.”
Teil II. Bd. 1—3 (1901), bis Ende Auguft 1757; dieſe weſentlich andere Zwede verfolgende,
ind einzelne gehende Darftellung von fahmännifher Seite beftätigt mir in den entjcheidenden
Punkten bie Richtigkeit meiner nur in großen Umriſſen ausgeführten Zeihnung; ich verweiſe
auf einen demnächſt in der hiftoriihen Zeitfchrift Bd. 92 von mir zu veröffentlichenden Auffak.
— Militäriſche Darftellung von ruflifher Seite: Mafllowäfi, Der Sieben. Krieg überfegt
von A. v. Drygalski (3 Bde., 1888 ff.), von franzöfifer Seite: Pajol, Les guerres sous Louis XV
(1881 fi.) und (im Ericheinen begriffen, auch Geſch. der Politif) R. Waddington, La guerre
de sept ans (1899). Für den fchwedifchen Krieg: Marfchall v. Sulidi, Der Siebenj. Krieg in P.
(1867). Für Deiterreih in erjter Linie: A. v. Arneth, Geld. Maria Therefiadö V—X, dazu
Arneths und Beers Aftenpublifationen.
Für die Zeit jeit 1763 liegt eine neuere, in den Abjchnitten über die auswärtige Politik
auf archivalifhen Studien beruhende Gefamtdarftellung vor: E. Reimann, Neuere Geſch.
des preuß. Staats feit 1763 (2 Bode. bis 1786; 1882—1886). Urkundliches Material zur
Geſch. der inneren Politif enthalten für den in dem vorliegenden Bande behandelten Zeitraum
vornehmlich: Publikationen aus den preuß. Staatsarchiven (Publ.) XI. XIII. XVIII. XXIV.
Acta Borussica (Seideninduftrie, herausg. von Schmoller und Hinge). Preuß, Urkundenbuch
zur Vebensgefhichte Fr. d. Gr. (UB.).
VI. 1. Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756.
(Seite 11—26.) Vorbereitungen. Beſetzung von Sachſen. Bol;, Publ. LXXIV. Für die
Kontroverfe über den Uriprung des Arieged babe ich dem in der 2. Aufl. des erften Bandes
(S. 645) Bemerften nichts hinzuzufügen. Seitdem hat fih aud) ein norwegiicher Forfcher gegen
die Lehmanniche Hypotheſe erflärt: Mosgren, Fredrik den store og syvaarskrigens oprindelse
(1902); ebenfo Hinke in den Forſchungen zur brand. und preuß. Geſch. (im Folgenden abge:
türzt: FBPG.) XV 280 ff. — Mähren als Offenfivziel der fribericianifchen Strategie (val.
A. Naude, Fr. d. Gr. Angriffspläne, Marburg 1893) halte ich gegen D. Herrmann (Jahrb.
668 Zu Bud VI, Abichnitt I. IT. II.
d. deutihe Armee CXI) feit; fiehe Schon Bd. I 556. Bal. auh Wolf FBPG. XIII 552. —
Sachſen: archiv. Material bei (Vitzthum v. Edftädt] Geheimniffe des ſächſ. Kabinets (1866)
und in den preuß. Debultionen von 1756 (Neudrude in „Preußiſche Staatäfchriften” Bo. III,
bearb, von D. Krausfe). Bal. weiter E. Herrmann, Preußische Jahrb. XLVII. XLVII. Xipvert,
Ar.d. Gr. und Brühl, Nieberlauf. Mitteilungen VII. Bolz, Politit und Ariegführung Ar. d. Gr.
in den erften Nahren des Siebenj. Krieges (1896). Zu dem andantır PC. XII 125 vgl. den
Bericht des ſächſ. Gejhäftsträgers Wiedmarfter Revue historique LVIII 14.
(Seite 26 —37.) Oeſterreichiſche Nüftung. Lobofig und Pirna. Küngel, Publ. LXXIV
p. CLVII ff. Die Entftehbung der Depeihe an Efterhazy vom 22. Mai (oben S. 28, Bo. I 647.,
2. Aufl.) beurteilt Küngel CLXX anders; vgl. dagegen Hintze FBPG. XV 283. — Für
Loboſitz grundlegend Granier, Die Schlacht bei 2. (1890); über das Verhältnis von Dopſch,
Das Treffen bei L. (1892) zu Granier vgl. Immich FBPG. VI 855. Dem neuen General:
ſtabswerk find als Ergänzungen gefolgt: Urk. Beiträge und Korihungen zur Geſch. des preuß.
Heeres, Heft 1 und 4 (Soldatenbriefe und die Relation Ferdinands von Braunichmweig, ausder
hervorgeht, dak der König den Homolfaberg verlaffen hat; val. oben ©. 32).
(Seite 37-583.) Ausbau der Koalition, Neben den älteren Werten jegt Küntzel,
Publ. LXXIV. Waddington I, Recueil des instructions donndes aux ambassadeurs de France
(1884 ff.) Maſſlowski I. Bilbafjoff, Katharina II (vgl. I 421, II 24 über die engliihen Rad:
rihten aus Rußland). Zur Kritif der Memoiren von Bernis: Küngel FBPG. XV 117. Für
Schweden vgl, Arnheim FBPG. III 611; VI 242. Arnheim, Memoiren der Königin Ulrife
Luife (1888). Für das Reich: H. Meyer, Der Plan eines evangeliihen Fürftenbundes im
Siebenj. Krieg, Bonn 1893 (Dif.); VBitterauf, Die furbayr. Rolitif im Siebenj. Krieg (1901)
L. Schulg, Jahrb. des Ber. für medienb. Geih. LIII. LIV. Brunner, Zeitichr. des Ver. für
heil. Geſch. N. F. XII. — Dresdener Binterquartiere: PC. XIV; XXI 556. Heinze,
Dresden in Siebenj. Krieg (1883), Hendel von Donnersmard, Mil. Nachlaß (1846) Ib 70 ff. (val.
Zippert FBPG. XIII 497). Bolz, Ariegführung und Politik 202, Herrmann FBPG.I 275.
VI. 2. Prag und Kolin.
(Seite 54. 55.) Vorbemerkungen: Pharſalus: Sendel I b 192. PC. XIV 172; E. XXVII
a 892.; vgl. ebend. VIII 288; XXVIII 11; XXIX 70. 83. 76. 78. 122. 126. 140. PC. I
268. 286; III 136.
(Seite 56—62.) Verhandlungen mit Gngland und Hannover: Zu PC. XIV val.
v. Haffell, Die fehle. Kriege und das Kurf. Hannover (1879). Waddington I. Arnetb VI.
(Seite 62— 76.) Feldzugsplan. Teftament von 1768 (Miscelaneen zur Geſch. Fr. d. Gr.
143) PC. XIV. Ich habe abfichtlich bei Ausarbeitung diejes Abſchnittes die vorangegangene
Kontroverslitteratur nicht zu Rate gezogen. Inzwiſchen erſchien die lange vermifte Biographie
Winterfeldts in dem Buche von X. Mollmo (1899). Cine kritiihe Biographie Schwerins fehlt
noch immer,
(Seite 76-86.) Prag: Kritit der Quellen bei Ammann, Schlacht bei Pr. (1887). Wich—
tige Beiträge zur QUuellenkritif für die beiden erften Feldzüge jind ferner: [v. Spig] Die
Süßenbachſchen Handfchriften, Mil. Wochenbl. 1898, Beiheft 8; Jany, Das Gaudifhe Journal
(Urkundliche Beiträge und Forſchungen zur Geich. des preuß. Heers, Heft 3).
(Seite 86—98.) Kolin: vgl. meine Bemertungen FBPG. XI 174—200. Für das
ganze Kapitel: G. Stab. III, Bb. 2, 3.
VI. 3. Von Kolin nach Leutben.
(Seite 99—105.) Aufhebung der Belagerung von Prag. Ankunft im Lager:
Hendel Ib 229. MWeftphalen, Feldzüge des Herzogs Ferdinand II 12 FBPG. XII 352. —
Heinrich: PC. XV 28. Raumer, Beiträge, II 246, Alefia: Bülow, Prinz Heinrih (1805)
1 12. Phaeton: Arneth V 198. 502, — Rüdblide auf Kolin: Weftphalen I 195. Defterr.
Zu Bud VI, Abſchnitt II. IV, 669
Mil. Zeitihr. 1824 ©. 44. Bellona J 53. PC. XV 234. Raisons (E. XXVII c 269. — Richter,
Defterr. Volksſchriften und Vollslieder im fiebenj. Krieg (1869) S. 39.
(Seite 105— 110.) Räumung von Böhmen. Tod der Köniain:Mutter. PC. XV
2038 ff. Raumer II 433. Mitchell Memoirs I 253. 357. (E. XII 41. — Prinz; von
Preußen: (E. XXVI Hendel II b 152. 178. 179. 183. 184. 255. Valory Mém. II 364.
Welichinger, La mission secröte de Mirabeau à Berlin (1900) 177. SHendel PC. XV 281.
807. Publ. XXI 8375. Zeitſchr. für Preuß. Geih. (ZPrG.) XVII 48. Ueber die Ausgaben
der Apologie des Pringen: CE. XXVI p. XXI. Heinrid: Hendel I b 238. 240. 245. 268.
Strategiihe Erwägungen: PC. XV 1983. 243. 263. 268. Mitchell I 255. 356.
(Seite 110— 111.) PBerhandlung mit England. Schäfer I 350. 523. Mitchell I 264.
362. PC. XV 89. — Schlacht bei Haftenbed: v. Haffell a. a. D. 357 fi.
(Seite 111— 114.) Operationen in der Lauſitz. PC. XV 280 ff. Keith bei Mitchell II
463. Sendel Ib 267. 269. 270. Weftphalen II 19. Arneth V 504. 510. — Körperliches
Befinden PC. XV 311.
(Seite 114—136.) Feldzug gegen die Franzoſen. Verhandlungen: PC. XV.
Broglie, Voltaire avant et pendant la guerre de sept ans (1898; val Volz a. a. D. 210.
Baillae in HZ. LXXXLI 375. v. Noftiz in Hift.:Pol. Blätter CXV 849), Hohenzollern:
jahrbuch 1899, S. 136. — Gotha: J. v. d. Oſten, Luife Dorothee von S. ©. (1893) 162.
Burbaum, Seydlig S. 50. Hendel I b. 298. Rödenbed, Tagebuh 1 319. — Wilhelmine:
jept Fefter, Die Baireuther Schwefter Fr. d. Gr. (1902) 149 ff. — Die Poeſien von 1757:
(E. XIL; val. XXVII a 399. Hendel Ib 307. — Berlin: A. Naude, Märk. Forſchungen
XX. — Zur VBorgeihihte von Roßbach vgl. Stuhr I 175. 186—189. 192. 203. 342. 348.
Für die Neichsarmee grundlegend Brodrüd, Duellenftüde und Studien (1858); dort aud bie
Berichte Mollingerd. Zu den in früheren Darftellungen benügten Berichten habe ich außer
ungedrudtem Material vor allem Weftphalen III 55 ff. herangezogen. Bgl. ferner Rödenbed
1 326. Tagebuch des Mustetierd Dominicus ber. v. Kerler (1891) 31. Berenhorft Nachlaß II.
Finot et Galmiche, Une mission militaire en Prusse 1786 (1881) p. 86. Sammlung uns
gedrudter Nachrichten (SUN.) IV 26. CE. XII 70. v. Haffell 463. Die württembergifche
Standarte: Niethammer, Mil. Wochenblatt 1879, Beiheft S. 195. Ebend. 1900 ©. 119 ein
Vortrag über Roßbach von Didhuth.
(Zeite 1386—148.) Feldzug in Schlefien. Armeelommando Bevernäd: Die Re:
fation Bellona VI. VII (mit Kürzungen bei Hendel Ib 374—379; identiih mit dem
Preeis in der Süßenbachſchen Sammlung vgl. Forihungen zur deutſch. Geih. XVII 586) ift
von Bevern jelber; vgl. v. Seidl, fir. d. Gr. und feine Gegner (1819) 159; als Entgegnung
gegen Goltz (Bellona VII 78.; VII 3). Bgl. auch Kutzen, Die Tage von Kolin und Leuthen
1 185; 11 167. 168. — Stimmung im Seere vor Leuthen: Barſewiſch, Kriegserlebniſſe
(2. Aufl. 1863). Warnery, Les campagnes de Frederic II (1788) 237. 238. SUN. IV 65.
229. [Kaltenborn] Briefe v. alten preuß. Off. I 37. — Ueber die Barhmwiger Rede und
den Abend im Schloffe von Liſſa habe ih FBPG. I 605—618 gehandelt; die Anführung
der traditionellen Begrüßungsworte (oben 5. 146) fließt feinen Widerfpruh mit jenen Aus:
führungen ein (vgl. FBPG. XIII 598); die Begrüßung bat ftattgehabt, aber die Begegnung
mit den abaefchnittenen öfterr, Offizieren (dad war der Echwerpunft meines Nachweiſes) war
für den König ohne Gefahr. — Die inzwiſchen erfchienene Arbeit von Gerber, Die Sc. b. L.
(1901) will al$ Zahlenverhältnis der beiden Heere 40:66 herausrechnen (?). Bgl. zu Gerber:
Mil. Wochenblatt 1902 Nr. 40; ebend. 1900 Beiheft 291 ein Auffag von v. Leszezynsli über
Bredlau und Yeuthen.
VI. 4 Pas Jahr 1758.
(Seite 149— 158.) Preußens Gegner nach Leuthen. Zum Cingang vgl. Pröhle, Fr. d. Gr.
und die beutiche Lit. (1872) S. 70 und Weber, Benetianiihe Stimmen zum Siebenj. Kriege,
FBPG. Ill. Bal. jetzt aud d’Ancona, Ar. d. Gr. und bie Staliener, deutih von Schnell,
S. 7 ff. — Franfreih und Defterreich: Arhivalifches Material bei Filon, L’ambassade
070 Zu Bud VI, Abichnitt IV.
de Choiseul à Vienne (1872). Arneth V 277. 292 ff. Schäfer II a 525 ff. Stuhr IT 1 fi.
423 fi. Kirchenſchändung: Schäfer IIa 527. Filon 41. 42, 52. Huſchberg 395. Schloſſer,
Geſch. des 18. Jahrh. VI 300 (5. Aufl.) — Sadien: Stuhr 1309. Schäfer a5. — Winter:
feldzug in Niederbeutfhland: Hauptwerf Weftphalen, Geſch. der Feldzüge bes Herzogs
Ferdinand von Braunichweig, 6 Bde. (1859 ff.); val. Donalies in FBPG. IX und Daniels
in Preuß. Jahrb. Bd. 77. 78. 80. 82, — La face grosse et rubiconde de M. de Bernis:
Voltaire an d’Argental, 24. Mai 1758. — Rückzug Aprarind, Sturz Beſtuſhews:
Arneth V 213. 288. Mafflowsli I 244 ff. Bilbaffoff I 415 ff. 424. 425. 445. Herrmann in
Preuß. Jahrb. XLVII 576 fi.; LXVIII 1. FBPG. XV 539. — Franzoſiſch-ſchwedi—
her Bertrag: Schäfer I a 10. Bal. Marfhall v. Sulidi 84 fi.
(Seite 158—161.) Breblauer Winterquartiere. Auf die Epifode Yoblomwit (vgl.
Volz, Politik und Kriegführung 170) beabfichtige ich bei Veröffentlihung der gleich zu er-
wähnenden Vorkeichen Berichte zurüdzulommen. — Mailly: PC. XVI 435. — Zur Stim—
mung: CE. XVII 112. 114; XIX 48; XX 269; XXIII 18. PC. XVI 156. 157. 160. 174.
175. 189. 190. 198. 227. — Die fihlefiihen Katholifen: Hendel Ib 896. Publ. X 111.
XV 111. und jegt Nürnberger, P. Faulhaber (1900: val. Granier, Deutiche Lit. Zeitung 1901
Nr. 43).
(Seite 161—170.) Vorbereitungen für den neuen Feldzug. Finanzoperationen:
vgl. meine Unterfuhungen FBPG. XII. — Verhandlungen mit England: Bertrag
vom 11. April 1758. Wenck, Codex jur. gentium Ill 173. Außer dem gedrudten urkund—
lihen Material benugte ich Berichte Yorkes aus dem Public Record Office zu London, die
ih an andrer Stelle veröffentlichen werde. Ueber Pitt val. PC. XVI 875; XVII 26; über
Geora II. Haffell 404. Mitchell I 376. 877. Schäfer I 376. — Eventualität eines Vorſtoßes
nad Frankreich: Berichte Yorkes; vgl. PC. XVII 24. Anm. 2. XVII 24. 16. Publ. XXII
361. — Indemnifationsfrage: PC. XVI 348. 377. 898. 403. XVII 24. 25. Dazu
eine ungedrudte Denffhrift Kindenfteins aus dem Januar 1758 — Feldzugsplan: PC.
XVI 308. 332. 342. 346—8348. 375. 381. CE. IV 192. vgl. Henckel II a 28. Gen. Stab II
211. Arnetb V 329. — Ergänzung des Heeres: PC. XVI 175. 227. 286. 291. 376.
401. XVII 62 Märf. Forſch. XIX 71. 184. Sendel II a 30.
(Seite 170— 175.) Mährifcher Feldzug. PC. XVII. Catts Tagebücher Publ. XXII. —
Höhepuntt der Stimmung: PC. XVII 52. 55. 57. Mitchell II 26. Dorfes Bericht 14. Juni
1758. — Borzeihen des militärifhen Rückſchlags: PC. XVII 50. 60. vgl. 31; XVI 327.
392. Arnetb V 359 ff. — Gefeht von Domftabt! PC. XVII 62. Anm. 3. 94. Wobersnow
bei Sendel IIla 67. Mitchell II 33,
(Seite 175—177.) Rückzug durh Böhmen. Wirkung des Fehlſchlages: PC.
XVII 96. 120. 126. 129. 149. Mitchell II 33. 34. Hendel ITa 67. — Weifungen an
Dohna: PC. XVII 121. 122. 157. Tempelhoff II 136. — Schlacht beabſichtigt (CE.
IV 199 nicht erwähnt): PC. XVII 132—134; vol. 184. Tempelboff II 174. — Abmarid
aus Böhmen: (nit, wie Arneth V 401 meint, das Berdienft Dauns) PC. XVII 138. 145.
148. 185.
(Seite 177—186.) Feldzug gegen die Ruſſen. Immich, Die Schlaht bei Zorndorf
(1898) vgl. v. d. Wengen, Deutjche Heereszeitung 1894, Nr. 18 ff. Ueber Fermor vol
Mafllowsti II 2 ff. 209. 242. 306. 807. Arneth V 8. — NHanonenfurdt der Soldaten: PC.
XVI 308. 347; XVII 84. 122. Publ. XXI 356. — Eine neue Biographie von Seydlik
wäre erwünicht; die ältere Lit. verzeichnet Burbaum, Seydlit (2. Aufl. 1890).
(Seite 186—194.) Feldzug in Sadjjen. Arneth V 397 fi. PC. XVII 211 ff. Publ.
XXI 365 ff. CE. XX 271, XXVIla 406. — Dauns Mari nah Hochkirch: Defterr. Mil
Zeitihr. 1842, 273.5; Dagegen Bernhardi I 291. Der Stromberg: Tempelhoff Il 280. 281.
283. PC. XVII 295. 296. — Hochkirch: vgl. die Diff. von Hohenemfer, Heidelberg 1899.
Ein Beriht Gaubis im Geh. StR. ift wenig aufflärend. Dispofition des Ueberfalld: Hendel
IH a 2. Warnende Stimmen: Publ. XXI 198. 221. 375. 376. Retzow I 344. Maſſenbach,
NRüderinnerungen I 202.; val. PC. XVII 279. (CE. XXVID. 162. Kampf um den Kirchhof
Zu Bud VII, Abſchnitt 1. 571
(fehr widerſpruchsvolle Berichte): Küfter, Vruhftüd feines Campagnelebens (2. Aufl. 1791)
35. 72. 186. SUN, IV 87. Bellona XV 37. ©. Stab (1824) II 312. Tempelboff II 327.
GG. IV 213. — Rüdzug: Küfter 53. Barſewiſch 82 Preuß IV 480; vgl. Publ. XXI 376.
— Tod Wilhelminens: Publ. XXI 375. PC. XVII 318 fi.
(Seite 194—196.) Entjag von Neiße und Dreöden. Ausgang des Feldzugs. PÜ.
XVII 382 fi. Heinze, Dreöben 94 ff. Publ. XXI 376 ff. Stuhr II 34.
VII. 1. Feldzug von 1759.
(Seite 199— 201.) Strategifhe Erwägungen. Montazet: Stuhr II 25. 28. 189. —
Ref. sur quelques chargements de la fagon de faire la guerre: CE. XXVIII 151. al.
PC. XVII 396. 419. (CE. XVIII 116. 124. 137. 239. 260. 261. 305; XIX 67. Pegel,
Beiheft zum Mil. Wochenbl. 1857 Nr. 3. 4.
(Seite 201—207.) Borbereitungen. Dresdener Winterquartiere: (E. XIX
59. Publ. XXII 222. Mitchell II 476. — Ergänzung des Heeres: PC. XVIIL 769.
Schwartz, Landmiligen 39. 57. PC. XVII 435; G. XXVIII 163. Henckel IIa 89. Dift:
preußen: XVIII 224. — nfanteriefeuer: Gen. Stab. (1824) I 37. 187. Barnhagen,
Winterfeldt 201. CE. X 229. SUN. II 630; IV 62. Warnery 111. 112. 120. — Disziplin:
Publ. XXII 340. 381. Sendel Ib 141. 143. Varnhagen, Schwerin 181. al. PC. XVIII 768.
— Freibataillone: ebend. XVII 42, 64.; XVII 57. CE. XXVIII 162. — Berlufte an Offi—
jieren: PC. XVII 407. — Mayr: PC. XVII 18. Brodrüd 304. SUN. IV 487. —
Morig: PC. XVII 96. Publ. XXI 129. Rekow I 357. Berenhorft, Betrachtungen
(3. Aufl.) 98; Nachlaß TI 148. Kugen II 213 — Bevern: Mitchell II 39. Arneth V 514.
— Kyau: Hendel 1 b 243. Lippe, Hufarenbud 302. — Geßler ud O. M. Schwerin:
Warnery 57. Lippe, Militaria 107. — Fouqué: PC. XVI 121.; XVIII 94. — Heinrid:
PC. XVIII 227. und im allgemeinen Schmitt, Br. 9. ald Feldherr (1885. 1897). — Fer:
dinand: MWeftphalen III 945. PC. XV 435. — Dohna: Familiengefhichte IV, Bei:
beft 11 (vgl. dafelbft S. 13. 72. über Wobersnow). — Anciennitätöverhältniffe: PC. XVII
138. 167. 177. — Artillerie: ebend. XVIII 266.; vgl. v. Duvernois im Mil. Wochenbl. 1900,
Nr. 8—14. — Prognoftila: PC, XVII 432.; XVII 65. 150.
(Seite 207.) Bolitifche Beziehungen. Britifhe Vorſchläge: PC. XVII 405. 415.
428. (Spanien); XVII 17. 111. 114 (Jtalien). — Türtei: PC. XVII 258. 263. 375. 420.
488; XVII 292. 293. — Dänemarf: PC. XVII 407. — BWarfhau: PC. XVII 398.
405; XVII 6. 8. 36. Arneth V 10. — Zumwartende Haltung: PC. XVII 216. 258.
375. 410. 418.
(Seite 207—209.) Vorbereitungen ber Gegner. Nüdtritt von Bernis: CE. IV 295.
PC. XVIII ı. 31. 33. Filon 70 ff. — Franfreih und Defterreich: Arneth IV 379. 380.
385. 445. 450, V 2. — Vertrag vom 31. Dez. 1758: Schäfer ITa 509 ff. Arneth IV
541. — Defterreih und Rußland: Arneth IV 448. 537. Schäfer Ila 220. 558.
(Seite 209.) Haltung der Kurie: Publ. XVIII 36—39. Broſch, Geſch. des Kirchen:
ftaats II 107. Meyer, Plan eines evang. Fürftenbundes 80. — Das fatirifche Breve:
(E. XV 122. Bgl. Publ. XVII 156. XXII 492. Heigel und Bitterauf, Mündener Alle.
Zeitung Beilage, 1895 Nr. 172; 1900 Nr. 209; 1902 Nr. 237; A. Antus, Dauns geweihter
Degen (1897).
(Seite 209— 213.) Neligiöfe und nationale Momente: Ci. XIX 69. Fitte im Progr.
des Sophien:Öymn., Berlin 1899. Schild, Der preuß. Feldprebiger (1888) 51. 130. 218.
Pröhle, Fr. d. Gr. und die deutſche Lit. 57. Böhm Z.Pr.G. VII 445 ff. 573 ff. — Deutſche
Libertät: CE, XII 15 ff. 177 und zahlreiche einzelne Stellen. Die Verſe XII 9. 167 nad) der
Ueberfegung bei Treitſchke, Deutfche Geſch. I 58.
(Seite 213—216.) Der Feldzug bis Ende Juli. Ruſſiſch-öſterr Abreden: Arneth V
1. 14. 15. Stuhr II 189. Mafftowsti IT 242. 301. — Borfpiel: PC. XVIII 189. 196.
— Stiller erfter Alt: Val. ebend. 305. (E. XIX 73. 74. 79. Publ. XXI 391. —
672 Zu Buch VII, Abſchnitt 1. II.
Dauns®orftoß Publ. XVIII 386. 390. 392. 398. 408. 458. Arneth V 32. — Dohnas
Operationen: (E V 13. PC. XVII 335. 360. 422. Gaudi bei Dohna a. a. O. 106.
Maſſlowski III 15. 16. 18. FBPG. VI 581.
(Seite 216— 225.) Kay und Kunersdorf. Inſtruktion für Wedell: PC. XVII
424. 442.; val. dazu die Tradition bei Gaudi (Dohna a. a. D. 109) Tempelhof III 152,
Bellona XVI 38. Retzow II 87. 88, und Gen. Stab, (1824) III 58. — Für Nuneräbori
habe ih außer dem von Stiehle im Mil. Wochenbl. 1859 benugten Material u. a. den Be:
richt Platenö herangezogen, den inzwifchen Laubert, Die Schlacht bei Kunersdorf (1900) €. 127
veröffentlicht hat. Bgl. auch! meine Notiz über Seydlitz bei Kunersdorf, HZ. LXXXVI. —
Die Lifte Finde oben (S. 227) enthält einen von Laubert 52 entdedten Additionsfehler; dar:
nach betrug die Gefamtftärfe der Preußen nur 49000.
(Seite 225— 232.) Defenfive nad Kunersdorf. Uebertragung des Oberbefehls
an Find: PC. XVII 482. 483 vgl. CE. XXVII 40. 9. Naudé in FBPG. VI 251. —
Zuftand des Heeres: PC, XVIII 492. 494. 496. (CE. XIX 82. SUN. IV 144. — Be:
lohnungen: ebend. IV 459. Preuß II 367 — PVerwünfhungen: Berenhorft, Betrachtungen
(3. Aufl.) 108. — Defterreiher und Ruffen: Arneth V 40 ff. Mafflomäti III 51. 112.
129 ff. 426. — Kapitulation von Dresden: Bgl. Krüger, Kritif der Lebensgeſch. des
Grafen Schmettau (Diff., Halle 1886) ©. 50 ff. Die aus Schmettauß Lebensgeih. (1806)
11 435 übernommene Angabe, daf fi zu Dresden in der Kriegskaſſe 5600000 Thaler be:
funden hätten (oben ©. 230), babe ich inzwifchen als tendenziöfe Uebertreibung nachweiſen
fönnen; die Summe betrug nur 350000 Thaler: FBPG. XII 204. 205. — Krieafüh
rung gegen die Schweden: Sulidi; vgl. Weftphalen III 697. — Heinrih und Daun:
(E. V 15. FBPG. I 266. — Abzug der Ruffen: val. XVII 561. 586. Maſſlowsti III
142. 430. Schäfer II a 381. Laudon archiconducteur d’ours: PC. XVIII 551.
(Seite 232—238.) Magen. Val. Winter in „Hiftorifhe Unterfuhungen“ her. von
Jaſtrow Heft 7. Mollmo, Die Kapitulation von Maren, Marburg 1893 (Diff.) Treufh von
Buttlar und M. Immich in FBPG. VII. Bülow, Prinz Heinri 1145 ff. CE. XXIX 45. Airanf:
heit bes Königs: PC. XVII 599. 608. 607. 609. 617. — Ankunft an der Elbe: ebend. 623 fi.
Publ. XXII 403. — Gereiztheit des Prinzen Heinrih: PC. XVII 589. 604. Schöning
II 179. — Friedrichs Biel: PC. XVII 627 636. 644. — Uriprung des Planes: Schöning
II 190. Zempelhoff III 351. — Stimmung nad Maren: Publ. XXII 408. 409. PC.
XVII 682. (E. XIX 106 ff. Prinz Heinrih PC. XVII 696. — Borftoß gegen Dip:
poldiswalbde: ebend. 681 ff. (CE. XXVI 34.
VII 2. Sriedensverbandlungen. Feldzug von 1760,
(Seite 237— 247.) Friedendverhandlungen 175760: Borverhandlung zwiſchen
Preußen und Enaland: PC. XVII 759; val. XVII 323 — Sächſiſche Entſchädigungs—
forderung: ebend. XVIII 591. Weftphalen III 832. — Preußifhe Entihädigungsforderungen
PC. XVIII 592. 602. 612, 636. 637. FBPG. II 257. — Deflaration vom 25. Nov. 1759
ebend. 673. 680 (Tert bei Schäfer II a 570), — Ruſſiſche Ablehnung: ebend. XIX 10. 11.
— Haltung Franfreihs: Schäfer II a 456 ff. CE. XXIII 51. 60. 66. — Sendung von Edels-
heim nach Paris: vgl. Obfer in Zeitichr. für Geich. des Oberrheins RF. II. III. — Preußiſche
Zufage der Reftituierung von Sadjfen: PC. XIX 40. 59. 67, 88. — Sendung von Bedlin
nah Rußland: val. Schmitt in Deutiche Zeitfchr, für Gefhichtsmwiff. VI. — Identiſche
Noten vom 3, April 1760: PC. XIX 257.
(Seite 248— 251.) Maßnahmen der Gegner. Frankreich und Defterreid:
Schäfer IIa 457 ff. Arneth VI 85 fi. 436. — Defterreih und Rußland: Armeth VI
62 ff. Vertrag vom 1. April 1760: Martens, Recueil 1 269. Defterreihifch:ruffiiher Feldzugs—
plan: Arneth VI 94 ff.
(Seite 251—254.) Preuhifche Vorbereitungen: Verhandlungen mit der Pforte:
Porſch a. a. D. Ueber die militärifche Leiftungsfähigleit der Türken PC. XIN 296. — Ber:
Zu Bud VII, Abſchnitt IT. III. 673
bandlungen mit Dänemarf: PC. XIX 627. gl. Vedel, Corr. du comte J. H. E. Bernstorff
(1382) 1327 ff. Vedel, Bernftorfis Miniftertum (1882) p. 144 ff. — Beziehungen zu
England: Umjhwung der Stimmung in E.: PC. XVII 588. 595. Schäfer IT a 445;
b 117. 118. Hirſch, Die legten Jahre des fichenj. Krieges HZ. XXXVII. — Ergänzung
bes Heeres: PC. XIX 23. 87. 101. 155. 161. 177. 282. 357. 404. Gen. Stab. (1824) IV
11. 12. FBPG. VI 549 Anm. 4. — Horoſtop für 1760: PC. XIX 239. (CE. XIX
164. Publ. XXII 425; val. PC. XIX 24. 48. 55. 324. (E. XIX 177. — Dperations:
plan: PC. XIX 159. 225. 280. 241. 265. 270. 319. 324. — Für Heinrich ebend. 237.
246. 391.
(Zeite 254—260.) Feldzug in Sachen bi8 Ende Juli, Lager von Schlettau: SUN.
IV 79. (E. XVII 119. 120. — Eröffnung an die Generale: Tempelhoff IV 47. —
Strategifhe Erwägungen: PC. XIX 91. 102. 167. 236. 344. 395. 521. 522; vgl. (E.
VII 8. Stuhr II 331. 332. — Anfängliche Ruhe: PC. XIX 360. 364. 390. 398. 407.
451. — Ausmarſch zur Schladt (19. Auni): ebend. 393. 395. 416. 429. 438. 440. 455.
Publ. XXII 426. 427. — Landshut: E. v. St, Der Feldzug deö Generald Fouqué 1760
(1862). Laube, Die Kataftrophe von Landshut (1861). — Plan zum Mari nad Schlefien: PC.
XIX 470. 475. — Belagerung von Dresden ebend. 488 fi. Publ. XXII 431 fi. Arneth
V 184.
(Seite 260— 265.) Marſch nadı Schlefien und Schlacht bei Liegnitz. PC. XIX 531 ff. Publ.
XXII 430 ff. Mitchell II 187— 205. Kugen, Der Tag von Liegnit (1860). v. d. Wengen, Graf Wied
(1890) 220 ff. Barſewiſch 108 ff. Bericht Hendels (Geh. St.A.). (E. XIX 189. 191; val. XVII
186. 188.
(Seite 265— 269.) Weiterer Feldzug in Schlefien. Depreifion der Gegner: Stuhr II
231. 339. Arnetb VI 143 ff. 156 ff. 449. 450. — Krieg in den Borbergen: PC. XIX
559 ff. Arneth VI 168. — Berlin: Granier im Hob. Jahrb. 1898, S. 113.
(Seite 269— 277.) Torgau: vgl. meine Unterfuhung FBPG. XIV 272. — Ergebnis
PC. XX 52. 76. 87. (E. XVII 191. — Für Zieten die Biographien von E. Graf zur Lippe
(2. Aufl. 1885) und G. Winter (2 Bde, 1885).
(Seite 277— 279.) Entmutigung der Gegner. Arneth VI 160. 193 fi. 456. 459.
Stuhr II 350 fi.
VI 3. Das Jahr 1761.
(Seite 280-283.) Abwandlung der Beziehungen zu England. Tob Georgs Il.: (E.
VI 107. PC. XX 61 ff.; val. E. X 72. 73.142. 148. — Nachdruck der Poefien: vgl. Türk
FBPG. XII 49 ff.; im weſentlichen beftätigt durdd Lemoine et Lichtenberger, Frederie II
poete et la censure frangaise. Revue de Paris 1901, Nr. 2. Ueber Friedrichs Flugfchriften
aus dem Siebenj. Krieg vgl. Cauer, Zur Geld. und Char. Fr. d. Gr. ©. 178 ff. Preußifche
Staatöfhriften III 403. — Bute: N. v. Ruville, Pitt und Bute (1895). — Heine Gebiets:
abtretung: PC. XX 480. 481. 507. Bal. Schäfer II a 170 ff.; b 838. 400. Arneth
VI 262.
(Seite 284.) Maßnahmen der Gegner. Arnethb VI 232 ff. 251. Stuhr II 340. Falfche
Borausfiht: PC. XX 273.
(Seite 284— 289.) Preufiiche Vorbereitungen. Leipziger Winterquartiere: (E.
XIX 212. XVII 145. 193. 194. Die Stelle wird auf Gottiched bejogen; val. Pütters Selbft:
biograpbie S. 406 und die anderen bei Breuß II 472 ff. angeführten Beuaniffe, fowie Publ.
XXI 380. — Ergänzung des Heeres: Gen. Stab. (1824) V a 29. 81. 148. 146. 149.
165. PC. XX 100. 140. 161. 196—198. 209. 216. 225. Die Ravensberger: Preuß II 317 ff.
Anekdoten VII 31. — Ausidreitungen: PC. XX 104. 105; XXI 521; vgl. dagegen Publ.
XXI 431. €. v. Wiedebah:Noftig in Niederlaufiger Mitteilungen V, und jest (betr. Brühl)
£ippert ebend. VII. Wegen Hubertusburg val, Preuß II 319. 320, wo aber die Notiz betr.
den Austritt von Saldern unzutreffend if. — Auswechſelung der Kriegsgefangenen;
Koſet, Aönig Frievrid der Große. 11, 43
674 Zu Buch VII, Abſchnitt III. IV.
PC. XXI 132. 456. Arneth VI 454. — Offisiere: PC. XVII 695; XX 174; XXI 351.
Preuß 11 320 Publ. XXII 310. 425. — Contenance: Barjewiih 77. 119; vgl. PC. XX 560.
(Seite 239-291.) Aufftellung der Heere. Heinrich: Publ. XXI 405. Schmitt II
304. 305. PC. XX 34. Snftruftion: ebend. 348. — Hülfen: 250. — Bolt: 341. 361. 364.
— Etärfen: Die Zahlen in der Süfenbahichen Lifte (bei Herrmann, Weber die Uuellen
Tempelboffs 35) find zu hoch. Für das Heer in Sachſen: Tempelhoff V 82. Gen. Stab V
605, Schmitt IE 131. 164. — Für Pommern: Tempelhoff V 296. Gen. Stab V a 505. Sulidi
410. — Für Schleſien: Tempelhoff V 77. Gen. Stab V 179. PC. XX 392. 477. Schöning
IIT 88. — Lager bei Kunzendorf: PC.XX 469. — Militärifche Gefamtlage: ebend. 393. 39.
412. 413. 456. 458. 463. 513. — Gebot der Borfiht: 337. 412. 424. 446. — Goltz und
Zieten in Polen: 387. 490. Scöning III 99. 106. 112.
(Seite 291-293.) Oefterreichifcruffiihe Kooperation in Schleſien. Laudon in
Oberſchleſien: (E. VI 112. PC, XX 517. 519. 538. 568. 570. 583—586. 600. Arneth
VI 239. 466. — Vereinigung der Gegner in Niederfchlefien: PC. XX 596 ff. Tempelhoff V
145. 150. Gen. &tab V a 370 ff. — Bunzelmwig: Duelle der ausführliben Darftellung
im Gen. Stab V ift Tielfe, Beiträge zur Kriegskunſt III. Stärfeangaben: PC. XX 570. 608.
Tielte III 46. Gen. Stab V a 342. Mafllowsti III 316. — Die poetifhe Schilderung: &.
XII 163; val. XVII 125. Publ. XXII 444. Rüſter, Yebensrettungen Friedrichs IT. (2. Aufl.
1797) 58. — Dispofition vom 3. Sept.: Tielfe III 107; vgl. Arneth VI 466. Mafjlowsti II
320. — Entfendung Platens: Maſſlowski ITI 324. 325. Zahl der erbeuteten Wagen
«E. VI 126 und Gen. Stab V 489 (nad Gaudi) 5000 ftammt aus Platens Tageäbericht; mo:
nach Tempelhoff V 288 und Tielfe III 68 (nur 500) zu berichtigen. Ueber Goſtyn Einzelheiten
bei Schwarg, Die Prov. Polen als Schauplak des Siebenj. Krieges (Zeitichr. der Hift. Ge
fellich. für die Pr. P. V).
(Seite 293. 294.) Ausgang des Feldzugs, Fall von Schweidnis und Colberg: PC.
XX 629. 630; XXT 1 ff. 82.
(Seite 294—296.) Die Rechnung der Gegner. Neue Kampfesluſt Choifeuls: Armeth
v1 274—276. Schäfer JI b 191 fi. 327 ff. 398. — Armeereduktion in Defterreih: Arneth
VI 254 fi. — Das Miralel von Schweibnig: ebend. 468; vgl. aud 261. 275. 298. 308.
(Seite 296—300.) Die Rechnung des Königs von Preußen. Enge der Winter:
quartiere: PC. XXI 111. 112. 60000 Mann: Gen. Stab VI 14; val. Schmitt II 284. 286.
PC. XX1 153. — Warkotſch: PC. XXI 138. Küfter, Yebensrettungen Friedrichs II. (2. Aufl.)
65 ff. Preuß II 288 ff. Janko, Leben Laudons 312 ff. — Für die Stimmung: (E. XIX 272 ir.
Conte du violon: (E. XII 203; XIX 262. 278; XXIII 121. 128. 129. — Rüdtritt Bitts: PC.
XXI 53. — Sirtegserflärung Spaniens an England: ebend. 175. — Türfifche Verhandlung
Barometer: PC. XXI 87; vol. 29. 113. 152. Porih a. a. D. und (E. XII 178. 179. —
Militäriihe Diskuſſion mit Heinrich: PC. XXI 151 ff. 171. 191. Schöning III
261. 265. — Alternative: PC. XX1 165. (E. XIX 279. Val. zu dem ganzen Abſchnitt aud
9. v. Sybel, Vorträge und Abhandlungen, her. v. Varrentrapp (1897) 188 ft.
VII. 4 Siebenter Feldzug und Friedensfchlüffe.
(Seite 501— 305.) Berhandlungen und Friede mit Rußland und Schweden: PC. XXI
189— 478.
(Seite 305—309.) Löfung des Bündniffes mit England. A. v. Ruville, Die Auf:
löfung des pr.:engl. Bünbdniffes 1762 (1892); vgl. Michael in den Göttinger Gelehrten Anzeigen
1894 Nr. 4 und Ruville in Deutſche Zeitichr. für Geſch.-Wiſſ. XII 160. — Haltung Fitts:
Schäfer IIa 247. 428. 443. 444; b 177. 417. 418. — Für die Depeiche Galizins vom 6. Febr.
(PC. XXI 311) vgl. Ruville, Auflöfung S. 52 und Raumer II 501. — Die Frage der Eub:
fidien: PC. XXI 109. 192. 223. 302. 318.
(Seite 309— 312.) Finanzen: val. FBPG. XII, wo ſich mir einige Modifikationen
ergeben haben.
Zu Buch VII, Abſchnitt IV; Buch VIII, Abſchnitt 1. 675
(Seite 312. 313.) Bündnis mit Rußland: Martens, Recueil V 3839. (E. XIX 323. 329,
(Seite 313. 314.) Beginn des Feldzugs. Dffenfivpläne: PC. XXI 229. 332.
471. 481. 490. 521. 524. — PBrandfhagungen in Böhmen: U. V 185. 186. Publ. XXII
454. v. d. Wengen, Wied 405.
(Seite 313— 317.) Regierungsantritt Katharinas II. Peter Ill. „deus ex machina*:
(E. XX 285; oval. XIX 132. 177. — Friedrichs Warnung: PC. XXI 413; vgl. 510.
Die bereit von Arneth benukten Berichte des Grafen Mercy find im Magazin (Shornif) der
Ruff. Hift. Geſellſchaft XVIII veröffentlicht. — Ermordung Peters: Bilbaſſoff, Geſch. Kath. II.,
II a 167. Semiramis: M. XIX 369. — Manifeft vom 9. Juli und Erlaß an Sfaltilom:
Bilbaffoff 43. 127. 130. 139; val. PC. XXIT 93, Arneth VI 331. — Die beiden Botichaften
Tihernyihews: PC. XXI 42. 51 (der Brief an Katharina vom 18. Juli ift vorbatiert).
Das Geldgefchen? an Tſch. erwähnt das Tagebuch SUN. II 511; ein urfundlicher Beweis fehlt.
Tal. noch Retzow II 415 ff.
(Seite 317— 320.) Kampf um Schweibnis. Burkersdorf: Gen. Stab VI 170. Treuſch
v. Buttlar, FBPG. X 337. v.d. Wengen, Wied 411 ff. — Zurüdftellung ber Offen—
jiopläne: PC. XXI 514. 524; XXII 31. 35. 41 (val. E. XXVIII 125) 111. 132. 203. 209.
262. — Reihenbadh: neben Tempelhoff und Gen. Stab VI vgl. Bevern, Märf, Forſch. XIX
151. Haller, Vie de Lentulus 54. Küſter, Zebensrettungen 39. Nicolai, Anekdoten IV 52.
SUN. II 517. Arneth VI 483. Schöning, Nachrichten zur Geſch. der Artillerie II 249. Mis:
cellaneen 127. Weber Koflow: ebend. 157. PC. XX 535. 549. 555; XXII 141. 149. — Dauns
Rückzug: Arneth VI 333. 339. PC. XXI 150. 155. 178.
(Seite 320— 322.) Prinz Heinrid in Sadjfen: PC. XXI 337. 382; XXII 223. 226,
Stärfe: ebend. XXI 521. Schmitt II 235. 270. — Freiberg: Schmitt II 274 ff. — Dres:
den: 209. 223, 226. 251. 273. 314. (E. XIX 871.
(Seite 323—325.) Friede zwifchen England und Frankreich: Barthelemy, Le traite
de Paris, Revue des questions historiques XLIII 420 ff. (1888). B. vermutet (S. 483), daß
Bute beftochen war. Vgl. Stuhr IT 404 ff. Ueber die Klauſel wegen der preußiihen Befigungen
am Rhein val. Arneth VI 352. 379. 489. Schäfer II b 697.
(Seite 325—331.) Friede zwifchen Preußen, Defterreih, Sachſen: v. Beaulteu: Mar:
connay, Der Hubertusburger Friede (1871). Arneth, Schäfer, Feftichrift zum 75. Jubiläum
des K. Sächſ. Altertumvereinö (1900) ©. 146 ff. (Zippert über Fritih). PC. XXI. Publ.
XVII 93 ff. Berichte Repnins aus dem Moskauer Hauptardiv.
(Seite 331—336.) Schlufbemerfungen: Corr. de Bernstorff avec Choiseul (1871) 112.
113. Arneth, Maria Therefia und Joſeph IL, I 1—12 (Denkſchrift vom 3. April 1761).
Schäfer II b 616. Publ. XXI 369. (E. V 43; XVII 154; XIX 93. 139. 321. 322. 378.
381. 385.
VII. 1. Das Retabfiffement.
(Seite 340. 341.) Borbemerfungen: Publ. XXI, 327. Droyfen, Friedrich Wilhelm ],,
I 426. 387; U 388. — Finanzlage: (E. V 230; XXIV 95. 96. PC. XXIV 19. —
Bündnis mit Rußland: unten ©. 424 ff.
(Seite 341— 344.) Heimkehr and dem Felde: (CE. XXV 273. Publ. XXI 268. 366.
409 (plan de retraite). — K. ©. vom 18. Oft. 1760: Stein, Charakteriftit II 306. — Am
Vaterland nicht verzweifeln: (CE, I 94; VI 74. — Drei Hulturaufgaben: Publ. XI
340; XVII 308. Korn, Sclei, Ediftenfammlung VII 402. — Beſuch von Schleſien:
Srünhagen II 262. — Nüdfehr nah Berlin: Graf Lippe, Jahrbb. für Die deutjche Armee
1890. Büfching, Beiträge I 401. Rödenbeck IT 211. 212. v. Hahnfe, Elifabetb Chriftine
249 fi. PC. XXIII 4 (E. XIX 49 (gehört nicht zu 1758); XXVI 274. 281. Anekdoten
XVII 86. — Befud der Brovinzen: (E. XXVI 275. Nicolai, Anekdoten VI 178.
Preuß III 442 ff.
(Zeite 344— 352.) Netabliffement des eigenen Hanſes. Beſuch d'Alemberts: (E. XXIV
378 #. Rerue Historique XAVI. — Tedeum: GW. XXV1 279. Nicolai, Anekdoten V 122.
676 Zu Buch VIII, Abfänitt 1.
— Stillleben: PC. XXVI 108. 347. — Berziht auf Bergnügungsreifen: CE. XX 294;
PC. XXV1 259. — Zurüdtreten ber Franzofen: [de Laveaux] Vie de Fröderic II, Stras-
bourg 1787, IV 83. UB. II 233. — d'Argens: (E. XIX 386 ff.; XXIII 192. 193. Thiebault,
Souvenirs (dd. II, 1805) 186; V 342. — Algarotti: vgl. jept d'Ancona, Fr. d. Gr. und Die
Staliener, deutſch von Schnell, Roftod 1902, S. 83 fi. — Gräfin Camas: (E. XVII 158;
XXVI 88. — Lord Marſchall: CE. XX 295. 297; XXIII 807. 319. 344. 354. 378; XXIV
354. Murray, Memoirs I 132. d'Alembert, Elog® de milord Maréchal p. 138. Thiebault
153. — Fouque: (E. XX. — Prinz Heinridh: (CE. XXVI 283. — Ferdinand von
Braunfdweia: PC. XXV 139. 171. 175. 228. 229. [Raltenborn] Briefe eines alten preuß. Dil.
111. Regomw 11 477. Thiebault II 372. Preuß II 356; 111 578. Weftphalen, Biogr. Skizze, Berlin
1866, ©. 70. — Seydlig: Kaltenborn 186. 90. Blandenburg &. 81. — Zieten: Graf Yippe
©. 64. (2 Aufl). Winter II 474 fi. — Krufemard: Schöning, Leben Natzmers ©. 449.
450. — Lentulus: Haller, Vie de Lentulus (1787). Retzow II 454. Thiebault III 372;
IV 313. Büſching, Charakter ©. 203. Kaltenborn I 135. Preuß IV 55. Hoh. Jahrb. 191
€. 141. — 9. W. v. Anhalt: Miscellanen S. 156. (E. XX 227. Kaltenborn I 10 ff.
Ligne, Memoire sur Frederie II, p. 28. *erifon aller Helden I 69. Berenhorft, Nachlaß
II 199. Thiebault IV 318. Öbservations sur la constitution des armees de Prusse (17781
p- 63. Zweiter Turenne: Bericht Rieds, Sept. 1763 (Wiener Ardiv). — Krodom: (E, AX
p. XVII; XXV 596. Schöning, Bayr. Erbfolgelrieg UB, 143. Haltenborn I 10. 86; II 141.
Briefe eines preuß. Neldpredigers (1791) ©. 17 ff. Nicolai IV 61. [Ricolai:-Blandenburg]
Freimütige Anmerkungen über Zimmermanns Jragmente. II 97. — Prittwig und £eftwip:
Miöcellaneen S. 157. Aneldoten I 49. UB. II 236. Berenhorft, Nachlaß II 199. Halten:
born II 116. Une mission militaire en Prusse (1881) p. 116. Lippe, Huſarenbuch 513. —
Duintus Jeilius: (E. XXVI 368. Nicolai VI 129 ff. Nicolai» Blandenburg I 175.
Büſching, Charakter S. 75. Thiebault I 71. 85; V 376 ff. Kaltenborn I 84. 90. Guibert,
Journal d'un voyage en Allemagne (1803) I 219. Preuß Il 320; UB. II 230. Sarnad,
Geh. der Alademie I 259. 263. An der Ueberſetzung nutrimentum spiritus (oben &. 350)
dürfte indes Quintus, entgegen der früheren Annahme von Graf Lippe, Militaria aus fr. d. Gr,
Zeit (1866) S. 106, unſchuldig fein, vgl. Thiebault I 336. — Die braunfchweigiichen Prinzen:
(E. XIII 5; XX 287. 295; XXI 173. 197; XXVI 276. 287; XXVU b 47 ff. Thiebault
1 296 fi.; V 346. — Böllnig: W. XX 91 ff.; XXVI 294. 295. 297. — Verwandten:
befuhe: CE. XVII 232; XXVI 281. 282. — Körperlihes Befinden: XX 72. 130. 131.
138. Guibert, Journal I 210. 216. 228; II 231 ff. Bal, Graf Lippe, ZPr.G. XIV 192 fi. —
Kur in Zanded: (E. XIX 398; XX 140; XXIV 93. 95. 399. — Unterbreßungen des
Klauönerlebend: (E. XXV 184. Anekdoten VIII 111.
(Seite 352—354.) Vorbereitungen für das Netablifiement bed Stanted, All—
gemeiner Charalter: (E, VI 74 ff, vgl. Publ. XI 431. — Verteilung der Barvor:
räte beim Friedensſchluß: FBPG. XII 359 ff. (CE. XXVI 277. 279. 280. 281. al. Ge:
ſpräche Fr. d. Gr. mit Catt und Lucdefini, überf. von Bifhoff S. 198. — Neuordnung
der Münze: Riedel, Staatähaushalt S. 109 fi. Preuß III 529. PC. XXII 529. — Ab:
rüftung: (E. V 232; VI 92; XIX 885. 700. Joachim, Domhardt (1899) ©. 54. PC.
XXI 529. Beheim:Schwarzbah, Hohenzollernſche Kolonifationen S. 310.
(Seite 354—356.) Metabliffement der einzelnen Provinzen. VBommern: Alten
bes Generaldireftoriums im Geh. Staatsarchiv. [Meisner], Leben Brendenhoffs S. 47. 55. 56.
(E. V 282; VI 82. Publ. XI 836. 394. 402; 408. 422. 459. 488. 555. 556. Berger S. 105.
107. Sergbera, Huit Diss. p. 175. Roden bei Preuß IV 444. — Neumarf: Meisner
©. 42—44. FBPG. XII 330. 861. PC. XXIII 485. Berger ©. 108. Büfding, Erbbe-
fchreibung VIII 550. Hergberg 177. — Kurmark: Alten des Gen.-Dir. Publ. XT 391. 430.
451. 491. 544. 568. 591. Hertzberg 216. — Preußen: Joachim ©. 40. 46. 55. 56; das
Anschläge aus den Akten. — Schlefien: Klöber, Bon Schleſien II 204. Schlabrendoriis
Immediatberichte im Geh. Staatsardhiv; die am 7. Sept. 1764 von ihm vorgeleaten Säufer:
liften weichen von den Ziffern bei Grünhagen II 268 ab. — Val. auch E. XX 126. 138. 153.
170; XXIII 107. 108. 112. 170. PC. XXIII 484; XXIV 337. — Bau des Neuen Palais:
Zu Bud VIII, Abſchnitt I. 677
Selle, Potsdam und Sansjouci ©. 388. Luccheſini bei Biſchoff S. 185. Zimmermann, Frag:
mente II 107. 108. Retzow 11 455. Publ. XXI 354. 363. Preuß I 423. Fr. Buchholz
im Berliner Kalender 1827. Zahlenangaben aus den Alten.
(Seite 357—361.) Mafnahmen gegen bie wirtſchaftliche Krifis (feit Herbſt 1769).
Banferotte: PC. XVII 234; XXIII 93. 116. (E. VI 78. 79; XXVI 285. Revue Historique
XXVI 92. Scmoller, Studien über die wirtfhaftlihe Politik Fr. d. Gr., Jahrb. für Geſetz—
gebung u. ſ. w. (Neue folge) X 28. Hintze, Seideninduftrie II 249. 453. 457; III 155. 164.
165. — Gründung der Preußifhen Bank: Niebuhr, Geſch. der Bank (1854). v. Bo:
ſchinger, Bankweſen und Bankpolitif in Preußen I (1878). Hinge III 165. Naude in FBPG.
V 223 (val. oben S. 501). E. XIII 22 fi. — Maſſenbach, Rüderinnerungen II 85. — In:
vafionsihulden der Städte: (E. VI 82 (berichtigt nad den Angaben der ungedrudten
älteren Redaktion). Beriht Schlabrendorffs 6. Sept. 1765 (Beh. St. A.). Vgl. auch Grünhagen Il
272 1. Büſching, Erbfunde (7. Aufl.) IX 50. — Rittergüter: (E. VI 81, vgl. Hinke, HZ.
LXXVI 422. Grünhagen II 330. Droyjen, Fr. d. Gr. III 44. Preuß III 78 fi. 464. Röden-
bed, Beiträge IT 468. PC. XXVII 191. 200. — Schöpfunglandwirtihaftlider Kredit—
verbände: (E. VI 81. Rabe, Darftellung des Wefens der Rfandbriefe in den preuß. Staaten
(1818). Preuß II 74. Nödenbed, Beiträge II 380. Poſchinger I 26. — in Schleſien:
Stölzel, Suarez, S. 83—110. Publ. XI 127. 619. — Kurmarf: Aneldoten VIII 108—118.
Publ. XI 486. Stölzel S. 109. — Neumart und Bommern: Preuß III 62. Publ. XI
564; vgl. Preuß IV 444; Berger, Fr. d. Gr, alö Kolonifator S. 108 (andere Zahl bei Meisner,
Brendenhoff S. 53 und Hertzberg, Huit Dissertations p. 177). — Magdeburg: Publ.
XI 526.
(Seite 362. 363.) Urteil des Königs über die Bewohner der einzelnen Provinzen.
Bolit. Teftament von 1768, bei Reimann, Bericht über die Thätigfeit der hiſt. Seltion der
ſchleſ. Sei. für vaterl, Kultur 1888. — Bommern: Preuß III 62. Publ. XI 444. —
Pferdegeftelung au8 Magdeburg: Hertzberg, Huit Diss. p. 163; vgl. Meisner, Brendenhoff
©. 31. — Treue der Weftfalen: Herkberg S. 163. Preuß II 318; III 61. — Dft:
preußen (E. VI 80. Joachim, Domhardt ©. 62. 188. Preuß IIT 463. FBPG. XV 408.
— Schlejier: Grünhagen II 473. PC. XXVII 318.
(Seite 363.) Betrag der Netabliffementsfpenden: (CE. V 232; VI 75. (Redaktion von
1773: 20389000 Thaler.) Depense de 1774. (Geh. St.A.) Herkberg, Huit Diss. p. 130. 175.
216. 248. Luccheſini bei Biſchoff S. 186.
(Seite 363—366.) Methode der Metabliffementdarbeit. Allgemeine Grundfäge
und jährlide Voranſchläge: Hinke III 283. Publ. XI 258. 341. 369. 425. 542. —
Spezialaufträge: Brendenhoff: Inſtruktion vom 21. April 1762. — Schütz: Publ. XI
546—654 passim,. — Reifenotizblätter im Geh. St.A. Ueber bie Reifen in Schlefien
mehrere Konvolute im Breslauer Staatsarhiv. Pol. Fechner, Schlef. Zeitung 1889, Nr. 475.
478. 481. — Staatähilfe bei Brandihaden, Hochwaſſer, Mißwachs: (E. VI 76.
Sergberg, H.D. 269. Luccheſini bei Bifhoff 198. Publ. XI 470. 631. FBPG. XV 402 ff.
— Meliorationsplan vom 21. Dt. 1774: Beiträge zur Finanzlit. in den preuß. Staaten
(1781) 1 314. Unfichere Rittergutöbefiger: vgl. Roden bei Preuß IV 445.
(Seite 366. 867.) Metabliffement der Städte. Nach Alten des Gen.:Direltoriums-
— Berordnung vom 29. Jan. 1770: Beiträge zur Finanzlit. 1315. Publ. XI 371. 429. Bat.
auh Beheim-Schwarzbach S. 364. Berger ©. 101. 102. Publ. X1 513. — Feuerjozietäten
und Löſchordnungen: Preuß III 77; IV 484, Beiträge zur Finanzlit. 1 52 jf. Schmoller
in ZPr.G. XI 577; XI 364. 368. 441. Publ. XI 418. Grünbagen II 348.
(Seite 367— 372.) Meliorationdarbeit auf dem Lande. Bol. im allgemeinen Be:
nedendorff, Zuverl. Nachrichten von wichtigen Landes: und Wirtjchaftöverbefferungen (1778).
Lamotte, Abhandlungen 1793. — Urbarmahungen: Netze- und Warthebruh: Meisner,
Brendenhoif. Publ. XI 393. 422. Die Unvolllommenheiten der Arbeit ftellten ſich erft ipäter
heraus, — Pommern: Petri, Pommerſche Lebens: und Landesbilder (1880) I 283 fi. —
Aurmarf: Preuß III 85. 86. Publ. XI 397 (Schönebera). 433. 453. 491. Beheim: Schwarz:
678 3u Bud VII, Abſchnitt 1.
bach 365. — Drömling: Publ. XI 57—59. — Oftfriesfand: Publ. XI 55. Preuß 111 573. —
Weitfalen: Büfching, Erdfunde IX 410. — Dftpreußen: Zoachim, Dombarbt S. 91 ff. Lucche—
fini bei Biihoff S. 272. — Abbau von Bormerfen: (CE. VI 80 („plus de 150 furent
changees en villages* 1779; die ungedrudte Redaktion der Memoiren von 1773 hat „plus
de &0*; Hertzberg p. 193 (1785: „plus de 300*). Bal. Meisner S. 60. Schmoller, Umrifie
und Unterſuchungen ©. 587. 609. Beheim-Schwarzbach S. 362. 363, ſowie den Amtsetat von
1673 (Borwerf mit 13 Seelen) in Urkunden und Akten zur Geſch. des Kurf. Friedrih Wilhelm
(innere Bolitif) 1 202. — Gemeinbeitsteilungen: Publ. Xl 95. 98. 99. 368. Preuß III
92. ZPr.G. 11 581. — Verſuche mit engliiher Bodenmwirtidaft: Publ. XI. (E. XXI
365. Büſching, Erbbeichreibung VI 419. Joahim, Domhardt 80 und jekt Habernoll in Yand:
wirtſch. Jahrb., her. von Thiel, Bd. 29 (1900). — Aufforftung von Sandſchollen: Publ.
XI 441. 485. 510. 568. — Forftwirtfhaft: (CE. VI 87; XXUI 72. Publ, XL Preuß II
94 und Boden ebend. IV 446. Schmoller, Umriffe und Unterfuchungen ©. 600.
(Seite 372. 373.) Zunahme der Bevölkerung. Die Belege werde ih FBPÜ.
XVI geben.
Seite 373—975.) Anſetzung von Koloniften. Beheim-Schwarzbach, Hohenzollerſche
Kolonifationen. Schmoller, Schriften des Vereins für Sozialpolitif XXXII (jest in „Umritie
und Unterfuhungen zur Verfaffungd:, Verwaltungs- und Wirtſchaftsgeſchichte“ 1898 ©. 562 f.).
— Neumarkt: Hertzberg 546. Noden bei Preuß IV 443. Büſching, Erbbeichreibung VIII
546. Beheim:Schwarzbah 369. 569 fi. — Schlefien: Bebeim 320. 588 ff. (in diefen Zahlen
ſtecken Widerfprüde). Bal. Grünbagen II 546 ff. Publ. XI 396. (CE. XXI 260; XXVI
364. 371. — Pommern: Wehrmann, Fr. d. Gr. als Kolonifator in P. (Brogr.), Pyritz 1897. 9°.
— Rurmarf: Publ. XI 58 ff. 622. 633. 634. Beheim 366. — Ditpreußen: (E. VI 0.
Beheim 373 ff. — Geſamtergebnis Beheim 441 mit der Korreftur von Schmoller (Umriſſe
©. 574); Schmoller ebend. ©. 622.
(Seite 375. 376.) Vermehrung des Biehftanded: Beheim S. 441. Publ. XI, 458. 462.
547. 556. — Butterbedarf: ebend. 199. 545. Grünhagen II 554. Joachim, Dombardt
&, 167. — Eier: Publ. XI 206 ff. Publ. XXI 354. Luccheſini bei Biſchoff S. 250. —
Pferdezucht: Joahim, Dombardt ©. 11 ff. 89.
(Seite 3765-381.) Bänerliche Berhältniffe. Außer der Bd. 1631 (2. Aufl.) angegebenen
Lit. vgl, noch Anapp und Kern, Die ländl. Berfaffung von Niederichlefien (Schmoller, Jahrbuch
XIX). Kern FBPG. XIV 176 ff. Theodor Anapp, Ueber die Bauernbefreiung in Oft: und
Weftpreußen 1719—1808 (Neues Korr.:Blatt für die Gelehrtenichulen Württembergs IV, 1897)
Liebermann, Der Gefindedienitzwang in der Marf Brandenburg, Greifswald 1897 (Difi.), To:
wie die Urteile von Wöllner (ZPr.G. Il 597 #.), Büſching (Charakter Friedrichs II. ©. 206,
vgl. dazu Zimmermann, ragmente 11 4; NicolaisBlandenburg II 10 ff.), Schön (Papiere IV
370 ff). — Frondienfte: val. Hinke FBPG. X 287 ff. Publ. XI 481. 605; XXX 36. —
Urbarien: Publ. X1 619. Grünhagen 11 259 (mit günftigerem Urteil als Schutiakoff,
Bauerngefeggebung unter Ar. d. Gr. ©. 23. 32). — Abſtrömen der ländlichen Bevölfe
rung in die Städte: Joahim, Dombardt S. 181. — Bäuerliches Beſitzrecht: Publ.
XI 340. 469. Preuß III 466. 467. Die Zahlen des Schlabrendorffihen Berichts (Geh. St.N.)
weichen von denen bei Schutiafoff S. 31, Keil, Landgemeinde S. 70 ab; Zahlen für 1736
bei Büſching, Erdbeſchreibung X 746. Die Edifte vom 13. und 18. Juli 1764 (Anapp,
Bauernbefreiung II 63 fi.) ergingen auf eine Kab.:DOrdre an Schlabrendorif vom 5. Juli
(Beh. St. A.). Zu (CE. VI 81 val. Schmoller, Der Kampf des preuß. Königtums um Die
Erhaltung des Bauernftandes (Jahrb. für Gefeggebung N. F. XII 647), ſowie Umrifie S. 597.
Beheim S. 310. 536; abweichende Zahlen in Schlabrendorffs Beriht vom 20. Mai 1765
(Geb. St.N.).
(Seite 381. 382) Schluß. Les hochets de ma vieillesse: (E. XXIII 360. Bat.
(E. XX 249. 250; XXV 62. Publ. XI 544. Retzow Il 455. Rödenbeck, Beiträge II 181.
Zu Bud VII, Abſchnitt II, 679
VII, 2. DVermwaltungsreformen und Schuß der nafionalen Erwerdstbätigkeit.
(Seite 383.) Borbemerfung. ZPr.G. II 599; val. auch Philippfon, Geich. des preuß.
Staatsweſens (jeit 1786) I 84. 166.
(Seite 384— 391.) Reform der Accifeverwaltung. Walther Schulge, Geſch. der preuß.
Regieverwaltung 1766—1786, I (Staats: und ſozialwiſſ. Forſchungen ber. von Schmoller VII 3);
daielbft S. 352 über die Ältere Ueberlieferung; vgl. Schmoller, S. B. der Berliner Afad. 1888,
E. 68 ff. und Umriffe S. 186. — Frühere Anregungen und allgemeine Tendenz:
Schulge 28. 209. Schmoller 83. (E. VI 71; IX 205. — Neue Minifter: (E. VI 75.
Heinitz, Memoire sur ma gestion p. 13. Borde: FBPG. X!II 188 ff. PC. XXI 337.
423. — Boden: FBPG. XIII 385. — Maſſow: Anefdoten VI 111. — Hagen: Publ.
XI 386. CE. VI 79. Preuß II 483. — Beſuch von Helvetius: CE. XVII 252; XIX
398; XXIV 393. 395. 396. PC. XXIV 171. Revue Historique XXV 69 ff. Wegen Duintus
und Krockow vgl. Anefooten X 67; Zimmermann, Fragmente II 39. Nicolat-Blandenburg II
97. — Bertrag mit de Launay: Schulte 37 fi. In dem Schreiben an de Launay vom
29. April 1766 iſt ftatt Ardopage de yeux zu leien: de gueux. — Tarifreform: Schulte
184 ff.; die Erhöhungen: 179. 228. 251 ff. (E, XIV 147; XXVlIla 410. Joachim, Dom:
bardt 116. — Einfhräntung des Shleihhandels: (E. VI 77; val. Schulge 107 bis
114. Schmoller 76. 85. — Tehnifhe Mängel: Hinge, Seideninbuftrie III 294. — Der
abminiftrative Fortſchritt: Schmoller 78 (über die Sonderftellung der weftlichen Landes:
teile val. Roden bei Preuß IV 433. Zimmermann, Fragmente II 8 fi. und jest Lehmann,
Stein, 1902, 1131). — Störung der Einheitlihfeit in ber Finanzverwaltung:
Schulge 20; vgl. Joahim, Domhardt 69. — Franzoſentum: Schulte 125. 360 und
FBPG. V 191; vgl. ebend. II 614. Scmoller 77. Klöber, Bon Sclejien II 230. — Hobe
Betriebäfoften: Schulge 141 ff. (vgl. (E. IX 183).
(Seite 391. 392.) Andere Sonderverwaltungen (vgl. Wöllner in ZPr.G. li 602): Poſt—
regie: Stephan, Gefdh. der preuß. Poft (1859) 277 ff. Preuß II 23. — Tabaksadmini—
ftration: (E. IX 183. Philippſon I 101 (eine andere Zahl bei Riedel, Staatshaushalt 108
und Preuß III 25). Publ. XI 517. 542. 543. 595. 596. Schulge 156. Rapp, Fr. d. Gr. und
die Vereinigten Staaten 16. 31. — KHaffeeregie: Preuß II 26 ff. Publ. XI 508. —
&otterie: CE. IX 183. Doebredit ZPr.G.1.
(Seite 393— 395.) Organifatorifce Aenderungen im Generaldireftorium. Ueberficht
bei Preuß III 444 ff. — Schulenburg:Hehnert: W. Naube, FBPG.XV 73 ff. Schmoller,
Jahrbuch für Gefeggebung X 41 und Umriſſe 187. — Michaelis: Büfhing, Charakter 208.
Publ. XI 502. 509. Grünhagen II 401. — Horſt: Hinge, Seibeninduftrie III 185. Zimmer:
mann, ‚sragmente II 146 und passim. v. Hahnfe, Elifabeth Ehriftine S.65. — Görne:
Friedberg, HZ. LXV 1 ff. (E. XXVUb 56. — Stellung bes 5. Departements: Hinke
111 187 ff. 283 ff. (vgl. FBPG. IV 624). Scdulge 48. Publ. XI 441. 608. 609. SHeinig,
Mm. sur ma gestion du 4me et 5me dep.; val. FBPG. II 614.
(Seite 395—406.) Gewerbepofitif. Allgemeine Tendenz: de La Haye de Lau-
nay, Justification du systeme d’&conomie pol. et fin. de Frödärie II (1786) p. 57 ff.
(Deutiche Ueberf.: Friedrichs IL. pol. Finanzſyſtem 1789) und Compte rendu au roi (1. Dit. 178)
bei Mirabeau, de la monarchie prussienne IV 258 ff. Bal. Schmoller, Umriffe 560. Hintze
Ilt 207. 292, Publ. XI 464. — Fürforge bis ins Kleinfte: HZ. LXV 7. Rödenbed,
Beiträge II 157. Publ. XI 464. 630. Preuß II 49. 51. — Prämien und Sub:
ventionen: Wiedfeldt, Studien zur Entwidlungsgeich. der Berliner Induftrie 1720— 1890
(Staats: und fozialwiff. Forſch. her. v. Schmoller XVI 2) 63. Publ. XI 511. De LZaunay,
Finanzigitem 93. — Berlin: Wiedfeldt 55. 63. FBPG. X 376. Herkberg, HD. 355. —
Porzellanmanufaltur: jetzt Seidel, Hoh. Jahrb. 1902. — Tudinduftrie: v, Schrötter,
FBPG.X. XI (für Schlefien; vgl. dazu ebend. XV 235). Feig ebend. X (Ludenwalde; val. (E.
XXVI 503). Wiedfeldbt a. a. O. Schmoller, Jahrb. XI 820. Nödenbed, Beiträge II 357
Anm, Publ. XI 496. Heinitz, Mem. sur ma gestion 22. (E. XXIII 406. HZ. LX 263. —
680 Zu Bud VIII, Abſchnitt 11.
Seineninbuftrie: Zimmermann, Blüte und Berfall des Leinengewerbes in Schleſien; ans
fnüpfende Kontroverſe zwifchen Brentano, Sombart, Grünhagen, Kern (Zeitfhr. für Sozial:
und Wirtſchaftsgeſch. I. 1. III). Export: Grünhagen II 535. 536. Dergbera, HD. 255. Heinitz,
M&öm. 19. Fechner, Garnhandelspolitif in Schlefien, Zeitihr. des Vereins für Geſch. Schlefiens
XXV. Ueber die Bielefelder Zeineninduftrie val. Reeſe, Hanſiſche Geihichtöblätter 1895. —
Ueber die induftr. Unternehmungen geiftliher Stifter in Schlefien vgl. Fechner (Jahrb. für
Nat.:Def. und Statiftit, Folge II Bd. 4). — Seideninduftrie: Bd. 1 635 i2. Aufl.),
Schmoller, Umrifie 530. — Dftpreußen: Joahim, Domhardt 78. 87. 188. 189. Mirabeau,
de la monarchie pruss, III 28. 31. — Schiffsbau: MWirabeau III 36. Schmidt, Brogr.
der Friedrich: Wilhelmöfchule zu Stettin (1858) S. 35 ff. Büſching, Erbbefchreibung VIII 701.
— Induftrieftatiftif von 1783: Seinik, Mém. 22; vgl. Hergbera, HD. 252 fi. —
Montaninduftrie: Heinig, M&öm, sur les produits du rögne mineral de la mon. pruss
(mieberabgedrudt bei Mirabeau II 213 ft.). Fechner. Geſch. des ſchleſ. Berg⸗ und Hüttenweſens,
Berlin 1903 (Sonderdruck aus Zeitſchr. f. d. Berg:, Hütten: und Salinenweſen 1900—1902).
Leber Heinig val. jegt Steinede, FBPG. XV 421. — Berbot des ſchwediſchen Eifens:
Fechner 333 fi. Heinitz a. a. D. 219. 231. 243. 803. Publ. X1 566. v. Schöning, Nadı:
richten zur Geſch. der brand.:preuß. Artillerie II 287. Luccheſini bei Bifhoff 210. 243. 276.
— Dampfmaſchinen: Fechner 290. — Steinfohlen: Fechner 255 fi. 259 ff. Schmoller,
Jahrb. XI 830 F. Schmemann FBPG. VII 418. — Weſtfalen: jegt Yehmann, Stein 137 fi.
— Salinen: Schwemann, Heinitz als Chef des Salzdepartements 1786—96 (FBPG. VI).
Schmoller, Jahrb. XT 839 ff. — Ergebniffe: (E. VI88; IX 185; XXIII 326. HZ. LX
263. Urteile von Büfh und anderen Zeitgenofien bei Schmoller, Jahrb. VIII 10.
(Seite 406—409.) Handelöpolitit: CE. XXIII 350. — Zolltrieg mit Deiter:
reich: Fechner, Die handelspolit. Beziehungen Preußens au Defterreih 1741—1806. Beer,
Archiv f. öfterr. Geſch. LXXII 553 ff. Vgl. FBPG. XI 441. Hinge, Seideninduftrie III 210.
— mit Sahfen: Biedermann in Bierteljahrsfchrift für Bollswirtihaft XIX. FBPG. X 182;
XI 487. (E. XXIV 98 ff. PC. XXV 13. Bgl. Sadıregifter der PC. unter Defterreih und
Sachſen. — Tranfitzölle: Schmoller, Jahrbuch X 718 ff., X125 ff. v. Schrötter, FBPG. XI 437.
Heinig, Mem. sur ma gestion 19. Klöber II 230. 221. — Verſchiebung der Abiap:
gebiete: vgl. Grünhagen II 542. Fechner 507. Joachim, Domhardt 166. 190. Nödenbed,
Beiträge II 302.
(Seite 409. 410.) Handelsverträge: Fruchtloſe Verhandlung mit Franfreidh: PC.
XXVI 579; XXVIII 491. — Hanbelövertrag mit Bolen 1775: Eine Unterfuhung fehlt nod.
®gl. de Launay, Justification. Heinig, M&m. sur ma gestion 10. Damus, Zeitſchr. des
Meftpreuß. Gefh.:Ber. XX 62 ff. Fechner, Handelsberiehungen 499. 508. Hinge III 215. —
mit Spanien 1782: vgl. Zimmermann, Schleſ. Leinengewerbe. Grünhagen II 536. — mit
Amerita 1785: Hergberg, Recueil I 472 (2. Aufl.). Kapp, Fr. d. Gr. u, die Ber. Staaten.
(1871) 86 ff.
(Seite 410—412.) Monopole: Mirabeau III 334. Hintze III 292. Rödenbed, Beiträge
II 147. 150. FBPG. XI 416. Joachim, Dombardt 189. — Geringer Unternehmungsgeiit
der Kaufleute: Preuß III 50. Grünhagen II 536. 537. — Ecornifleurs: (E. XIII 22. Bal.
Mangold, Progr. des Askaniſchen Gymn., Berlin 1903, ©. 16. Luccheſini bei Biſchoff 288.
(Seite 412—414.) Handelögefellfchaften: Bank: Rofchinger 1 58 oben ©. 501. —
Aifeluranzgefellfhaft: Nov. Corpus Const. III 575. Schmidt (Stettiner Progr. von
1858) 33. 34. — Brennholz: und Rutzhol zgeſellſchaft: Nödenbed, Beiträge II 227. —
Levantiſche Kompagnie: Preuß III 72. Bine III 195. 199. Schmidt a. a. O. 34.
Niebuhr, Bank 53. Röbenbed, Beiträge Il 325. — Schweiggeriches Privileg: PC. XXV 398.
Scmoller, Jahrbuch X 723. FBPG. XI 447. — Handel nad) Dftafien: Hergberg, HD. 257.
Preuß III 574. Rödenbed, Beiträge II 328. Ring, Aſiat. Handlungsfompagnien 198 ff. Fried—
rich fchreibt an de Yaunay 26. Juli 1779: „Le commerce de la Chine qui ne nous convient
sullement, l’experience l'ayant prouvé, lorsque nous voulümes le tenter.* (Geb. St. A.). —
Emdener Heringäfifcherei: Nov. Corp. Const. IV 3, Nr. 57. Mirabeau III 316 fi. Röden—
bed, Beiträge II 231. — Seehandlungsgeſellſchaft: vgl. oben ©. 498, unten &. 684.
Zu Bud VII, Abſchnitt IL. III. 681
(Seite 414—416.) Handelöftatiftit und Bilanz: v. Schrötter, FBPG. X 163. Heinit,
Mem. sur ma gestion 4 ff. Mirabeau III 372. NRödenbed, Beiträge II 264 ff. Schmoller,
Jahrbuch VIII 417; XI 33. Schmidt a. a. O. 30. 31. 35. 40. 42. Hertzberg, HD. 131.
Friedbrihs Angaben: (E. IX 184. HZ. LX 263; vgl. Luccheſini bei Biihoff 210. Bol. aud)
Lohmann, Hanbelsftatiftift Englands und Frankreichs im 18. Jahrh. S.B. der Berliner Af.
1898, ©. 890. 892.
(Seite 416—422.) Agrariſches Schutzſyſtem: Mirabeau III 353. Yandwirte fiets unzu—
frieden: Grünhagen II 533. — Getreidehandelspolitif: W. Naude in „Deutiche lands
wirtich. Preſſe“ 1895, Nr. 14. 20 u. „Deutſches Wochenblatt” 1895, Nr. 20. 21, vgl. aud
FBPG. XII 305: Ergebnifje der ardivaliihen Forihungen des Verf. für die Serie „Getreide:
handelspolitik“ der Acta Borussica, von der bisher 2 Bände, bis 1740, erichienen find (1896
und 1901); val. dafelbft I 395. 415 über Nahahmung der preuf. Getreidehandelspolitif in
Dänemark und Rußland. (E. VI 83. 84; IX 207. Scmoller, Umrifie 670 ff. und Jahrb.
XIııf. Joachim, Domhardt 185. Nicolai, Anefdoten I Vorwort. M. Müller, Getreide:
politif in Schlefien während des 18. Jahrhunderts (1897). — Kornhbandelsfompagnie:
Mylius IV 3, Nr. 13. 16. 22. Rödenbed, Beiträge II 2835. Publ. XI 869. Schmoller, Jahrb.
X1 13. — Wollprobuftion und Handel: v. Schrötter, FBPG. X 137. 167. 174. 176.
180. 182; XI 382. 386 ff. Schmoller, Jahrbuch XI 18. Heinitz, Mém. sur ma gestion 21. 22.
(E. XXVI 400. Rödenbed, Beiträge II 359 Anm. Struenfee, Abhandlungen über wichtige
Gegenftände der Staatäwirtfchaft (1800) II 187.
(Seite 422. 423.) Schluß: (E. XXIII 407. Urfinus 1766: UB. III 86—103. Hintze
111 166 ff. Ueber Bertram: Schulge, Regie 270 ff. 305. 323; auch fir Hoym nimmt Fechner,
Handelsbeziehungen 406, phyfiofratifche Anmwandlungen an, ebenjo für Heinig Lehmann, Stein
I 85. 36.
VIII. 3, Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens.
Der eignen Darftelung Ariebridhs (CE. VI; val. F. Preuß, Die erfte Teilung Polens
u. die Memoiren ir. d. Gr., ZPr.G. XI) folgten als archivaliich fundierte Beiträge: [Comte
de Görtz). M&m. relatifs aux negociations qui ont précédé le partage de P. (1810).
v. Schlözer, Fr. d. Gr, u. Katharina II. (1859). M. Dunder, Die Erwerbung von Weftpreußen
(ZPr.G. IX, 1872; wiederholt in des Verf. Abhandlungen zur preuß. Gefch.). Beer, Die erfte
Teilung Polens (3 Bde. 1873; nach preuß. und öfterr. Alten). Beer, fr. II. u. van Swieten
(1874). Arneth VIII (1877; in Polemik gegen Beer). Reimann I. Bom ruffiigen Stand:
punkt: Sſolowjow, Geſch. des Falls von Polen, über. von Spörer (1865). Smitt, Frederie II.
Catherine et le partage de Pologne (1861). Martens, Recueil des traits conclus par la
Russie. Bal. aud Röpell, Polen um die Mitte des 18. Jahrh. (1876).
(Seite 425. 426.) Verhältnis zu England und Frankreich: val. PC. XXIV 308. 338
mit Publ. XIV 365. PC. XXIII 34. 36. 268. Val. Treuſch v. Buttlar in den „Grenzboten“
1898, Nr. 15.
(Seite 426—439.) Gntftehung des Bündniffes mit Rußland: Urteil von 1746:
Publ. IV 802. Nach meiner Auffaffung ift für die Beurteilung der Allianzverhbandlung
mit Rußland das enticheidende Moment, daß es Friedrich gelang, Rußland dur ein Bündnis
an fich zu fetten, während Katharina nur ein Zufammengeben in einer einzelnen frage, der
damals aftuellen Frage der polniichen Königswahl gewünſcht hätte, nur dur dieſen grunds
fäglichen Gegenfag wurde ber Abſchluß der Verhandlung monatelang verzögert, nicht durch
die Diskuffion über einzelne Bedingungen, aegen die Friedrich nur fo lange ſich fträubte
(mas befonderö gegen Beer I 103 zu bemerfen ift), als der Vertrag an ſich noch nicht gefichert
war, Ueber frühere Urteile val. die lebte Bearbeitung des Gegenftandes durch Küngel in
FBPG. XIII 75—122; über die Gefihtspuntte Katharinas beſonders Bilbaffoff II 151; val.
PC. XXIII 52. Röpell 172. 192, Die 62 Millionen (S. 428) aus Bericht Domhardts vom
21. Nov. 1762 (Geh, St.A.) nad) einer Mitteilung Korfjs. — Polniihes JInterregnum
1763/64: Askenazy, Die legte poln. Königswahl (Bötting. Diff. 1894). Haltung Ruf:
682 Zu Bud VIII, Abichnitt III.
lands: Bilbaffoff II 396. 404. 535. 542; die Briefe vom 17. Dit. 1768: Beer III 80.
PC, XXIII 167. — Der türkiſche Geſandte in Berlin: Nottebohm, Die preuß.ztürf.
Defenfivallianz 1763—65 (Feftichrift des Friedrichwerderſchen Gymn., Berlin 1881). Beer I
123. PC, XXIII 283. 298. — Banins peripeltivifhe Neußerung: PC. XXIII 254. —
Haltung Frantreihs und Defterreihs: Beer I 74. 77—81. 90. 116. 137. 143. 151.
168. Choifeuld Programm (12. Oft. 1762): Bilbafioff, Monographien III 211. Bal. aud
Boutarie, Corr. secr. de Louis XV (1866). Saint-Priest, Etudes politiques et litteraires. —
Vertragsurkunde vom 11. April 1764: Martens, Recueil des traites conclus par la Russie
VII.
(Seite 439—442.) Zur Charalteriftit ded Bündniffed. Sein eigentlider Wert
für Preußen: PC. XXIV 253; XXVI 290. — Gründe gegen Erweiterung bes
Bündniffes zu einer nordiſchen Koalition: PC. XXIV 126. 290; XV 71. 74.
359-361. — wegen Sachſens: XXVII 127. 183. 136. 141. — Saldern: PC. XXV 350
(Popilius Laenas: (E. VI 15; VIII 23. Publ. LXXI 174). Bgl. PC. XXI 283. —
Cinmifhung in innere preußiihe Angelegenheiten zurüdgemiejen: PC.
XXV 187. 195; XXVI 18. 57. — Traditioneller Grundſatz der polnifden Politik
Preußens: vgl. Droyfen, Friedrich Wilhelm J., Il 236. 237.
(Seite 442—444.) Beziehungen zu Defterreih. Eventualität einer Nusiöhnung
bei gemeinfamem Gegenfag gegen Rußland: PC. XXVI 300. 304. 323; XXVII 116. 146. —
Streit wegen Ausführung der riedensbedingungen: Arnetb VIII 93 ff. PC.
XXII—XXV, — Sofepb Il.: PC. XXIV 348; XXV 356. — Raunitz: Arneth VII 292.
PC. XXIV 325; XXV 148. 216. — Bereitelte Monardenbegeanung 1766: vgl.
Küngel, FBPG. XV 507 ff. — Abrüſtungsvorſchlag: PC. XXVI 225.
(Seite 444— 446.) Polnifhe Reichſtage von 1764 und 1766 und Konföderation von 1766:
PC. XXIV 422, XXV 392. — „Vous n’ignorez pas qu’avec argent on fait tout en Pologne*:
PC. XXIV 191.
(Seite 446—451.) Gefahr einer bewaffneten Einmifhung Defterreihs 1767. Defter:
reihijche Demonftrationen und Nüftungen: Arneth VIII 125 ff. — Preußiihe Gegenmaßregeln:
PC. XXV 359; XXVIS ff. 25—27. 54. 58. — Nuffiide Gemwaltfamfeit: XXVI 58.
285. 294. 300. — Neuer Vertrag mit Rußland (4. Main, St. 1767): Martens, Re-
cueil VI 37, mit irriger Datierung 12./23. Aprit (vgl. auch PC. XXVI 122 Anm. 1). —
Defterreih lenkt ein: PC. XXVI 45. 77. 83. 188. Raumer, Beiträge zur neueren Geſch.
IV 108. 109. — Auflöfung der Konföderation von Radom, Windftille: PC.
XXVII 18. 39.
(Seite 451.) Heilige Konföderation von Bar, Ausbruch des ruffifch-türkifchen Krieges
1768: Herrmann V 434 ff. Saint-Priest, Etudes I. PC. XXVII 169. 188. 332. 340. 478.
(Seite 452.) Die Teilung Poleus wirft ihren Schatten voraus. Prophezeiung
Johann KHafimirs 1662: Urkunden u. Alten zur Gef. des AKurfürften Friedrih Wilhelm
IX 356. ZPr.G. XV11 579. Bilbafiow 11 517 Anm. — Meltere Entwürfe: vgl. Droyjen,
Geih.jder preuf. Politif III, 2, 196 (2. Aufl); IV, 3, 218. 239. 257; 4, 284 ff. Noorden, Eur.
Geſch. im 18. Jahrh. II 36. — Bol. Teft. vom 7. Rov. 1768: zuerft bei Dunder a. a. D.
(Seite 453—455.) Preußen umworben. Frankreich: PC. XXVI 579. 580. —
Defterreich: Beer I 293 ff. Audienz vom 4. Sept. 1768: PC. XXVII 329. — England:
ebend. 507. — Verhandlung mit Defterreih wegen Neutralität für Deutihland
und wegen einer Monardenzujammenkfunft: ebend,. 441 ff. 453. 454; XXVIII 496.
(Seite 455—457.) Berhandlung wegen Berlängerung des ruffischen Bündniſſes. Wir:
fung des Türfenfrieges auf die politische Yage: PC. XXVI 230. 234. 499. — Subſidien—
zahlung: ebend. 376. 421; XXVIII 146. 153. 169. — Preußiſcher Vertragsentmwurf
mit Alaujel wegen Ansbah:Baireuth: ebend. 28, val. XXVII 421. 423. 515. 543. —
Der Lynarſche Plan: PC. XXVIII 84. 160—162. 194. 195. — Schleppender Gang
der Verhandlung: ebend. 503; an Findenftein, Anfang Auguft: zuerft bei Beer II 352.
(Seite 457—459.) Zufammenkunft in Neiße 1769: Beer im Archiv f. öfterr. Geld.
XLVII. Berichte Joſephs IL. bei Arneth, Maria Therefia u. Joſeph II. (Rorrefp.) I 300 ff.
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Zu Buch VIIL, Abſchnitt III, IV. 683
Memoiren des Brinzen Albert von Sachſen und Bericht von Ayafafa: Arneth 566 ff. Das
aünftige Urteil Friedrichs über Joſeph in der ungebrudten Redaktion feiner Memoiren von 1775
iſt weientlih verändert in (E. VI 25. Bal. im übrigen PC. XXIX (1908 unter der Preſſe)
u. Kraufe, Brogr. des Altftädt. Gymn. in Königsberg 1902.
(Seite 459.) Bündnis mit Rußland vom 23. Oft. 1769: Martens, Recueil VI 48 ff.
(Seite 459—461.) Zufammenkfunft in Nenjtadt 1770: (E. XXVI 320. Beer im Ardiv
f. öfterr. Geih. XLVII. Ergänzungen bei Arnetb VIII 576 ff. Ligne, Memoire sur Frederie II
(1789). Friedrih an Königin Ulrike 1. September 1770 (glaubt Maria Therefia zu treffen). Bat.
(E. XXVI 824 ff.
(Seite 461—463.) Preußiſche Bermittelung im Türlenfriege, Prinz Heinrich in Peters:
burg. Gedanfe einer Begegnung zwiichen Friedrih und Katharina: PC. XXVIII 108. Prinz
Heinrich: (E. XXVI 320 ff., ergänzt durch Sclöger 228 ff. Dunder 196 ff. (in berechtigter
Rolemit gegen Smitt I 134 ff.). Beer 11 53 Anm, Martens, Recueil VI 67.
(Seite 4653—474.) Erſte Teilung Polens: Oltupation polnifhen Gebietes
durch Defterreih: Beer II 48 ff. 68. Arneth VIII 170 fi. 295 ff. 587. 588. — Wirfung
in Beteröburg: (E. XXVI 345 (val. Dunder 229 Anm.) — Für die weitere Verband:
tung mit Nußland bat ſich mir aus Durdarbeitung des preußiſchen Aftenmaterialö er:
neben, daß das Verdienſt des Prinzen Heinrih um die Erwerbung von Weftpreußen nicht bloß
tr feinen Peteröburger Pourparlers beruht, fondern vor allem darin, daß er bei feiner Nüd:
fehr die gewichtigen Bedenken des Königs zu überwinden vermocht hat. Die in der Fortſetzung
des PC. zu veröffentlihenden Auszüge aus feinen Briefen an den Hönig werden feinen Anteil
an ber Verhandlung auf das deutlichite erfehen lajjen. — Ergebnislofe Verhandlung mit Defter:
reich in Berlin (27. April 1771) und Petersburg (31. Mai): Beer II 68 ff. 358 und
van Swieten 22 ff. 30. Arneth VIII 309 ff. 591. Dunder 237. 238. Neimann I 391 ff. —
Oeſterreichiſch-türkiſches Bündnis (6. Juli 1771): Beer II 16. 20. 36. Arnetb VII
253. 290. 291. 328. — Kaunitz: Beer II 16; III 23 (die 13 Fälle), Arneth VIII 267. —
Joſeph: Beer III 11 ff. Arneth VIII 256. 267. — Maria Therefia lenkt ein (5. Sept.):
Beer I1 108 ff. 337 ff. u. Swieten 35 ff. Arnetb VIII 323 ff. 329 (gegen Beer) 338. — Ent:
iheidung in Petersburg (Bersiht auf Moldau und Wallachei) und in Wien (für Mit:
wirkung bei der Teilung Polens): Dunder 246 ff, Beer TI 111; III 173 ff. Arneth VIII
335. — Audienz van Smwietens (4. Febr. 1772): Beer, Smwieten 58 ff; val. Beer II 341.
357. — Die Teilungsverträge: Martens, Recueil II Nr. 31; VI Nr. 223. 225. — Ur:
teile von Maria Therefia und Kaunig: Arneth VIII 3583. 354. 365 (ſchon bei Preuß
IV 38 aus Hormayrs Tajhenbud 1831) 367. 376. 377. 395. Beer I p. IX; II 340.
VIII. 4 Weftpreußen.
(Seite 475—431.) Befitergreifung. Umfang ber Erwerbungen der drei Mächte:
Nach einer im Staatdarhiv zu Polen gemadten Zufammenftellung über die einfchlägigen For:
ſchungen ift annähernd ber preußifche Teil auf 664 :Meilen, der ruffiihe auf 1692, der
öfterreichifche auf 1508 anzunehmen. Cvaluation: Beer 3, 121. — Nadträglihe Ausdehnung
der Grenzen: Reimann I 504 ff. Beer II 230. 281. 289. 307. Arneth VIII 423. Martens,
Recueil VI 99. 100. — Haltung der PBroteftanten: (E. XXVI 359. Graf Lippe, Weft:
preußen unter Fr. d. Gr. 23. — Storzewsta, (E. XXIII 124; XXV 618. Meisner, Brendenhoff
110. — Entwaffnung: UB. IV 37. 98 Preuß III 385 ff. (wodurch Kaltenborn II 93
wegen Loſſow widerlegt wird). — Urteile Friedrichs über die Polen: PC. XXIII
204; XXVII 352. (CE. XIV 183 (Guerre des Confederes); XXIII 205. 208. 210. 220;
XXIV 557.
(Seite 477—431.) Abtretung durch den Neichdtag von 1773: Die Rechtsfrage:
(E. VI 47; val. Herkberg, Recueil I 324 ff. — Ueber den Berlauf der Verhandlungen neben
den preußiihen Gefanbtichaftäberichten im Geh. Staatdardiv die öfterreichtihen bei Beer II
199 — 244, bie fähfifhen bei Herrmann, Geſch. Rußlands V 532 ff. 590 ff. — L'heureuse
684 3u Buch VIII, Abſchnitt IV.
anarchie: Bilbaffom Il, 1, 541. — Haltung Franfreihs und Englands: Arneth VIII
196. 428. Reimann I 53. PC. XXVII 428. Michael, Englands Stellung zur erften Teilung
Polens (1890). Arnheim in Deutſche Zeitichr. für Geſch.Wiſſ. VIII 151. — Die preußiiche
Ermwerbung durchgeſetzt gegen das öfterreihiiche Intereſſe: Beer 1 983. 119 — gegen das ruſſiſche:
ebend. II 301. Bal. aud Herrmann V 360; Köppen, Fr. d. Gr. und feine Widerſacher (1840)
148. Dunder, Abhandlungen 259.
(Seite 451483.) Einrichtung der neuen Berwaltung: „Weitpreußen”: UB. IV 25
V 227. — Die Bebilfen: über Dombardt vgl. Joahim; über Brenckenhoff, Meisner,
jowie Petri, Pommerſche Lebens: und Landesbilder I 271 ff. 418. Büſching, Charakter 248.
Rödenbed, Geſchichtskalender 111 157 und Berg, FBPG. XI 493 ff. — Roden: Preuß III
367 ff. Zakrzewski, Reformen der direkten Steuern im 18. Jahrh. (Schmoller, Forſchungen
VIII 2) 8.84. — SHabinettsordres betr. Weftpreußen: UB. IV 3—195; V 183—234; Preuß
IV 374 ff. Anderes urfundliches Material: Publ. XI. XVIII. XXIV, Graf £ippe, Weitpreußen
unter Fr. d. Gr. Otto, Aus der fridericianifhen Verwaltung BWeftpreußens, Konitz 1887. 189.
(Progr.) M. Meyer im Jahrb. der Hift. Geſ. für den Negebiftrift 1896. — Bearbeitungen:
Noscius, Weitpreußen 1772— 1328 (1829). Rethwiſch, Progr. des Wilhelmgymn. Berlin 1872.
Boas, Berliner Diff. 1890 u. Jahrb. der Hit. Gef, für den Netzediſtrilt 1891. 1892. Kreis:
geihichten für Pr.:Stargard von Plehn (1900), für Deutſch-Krone von Schul (1902). Eine
umfaſſende Altenpublifation bereitet M. Bär in Danzig im Auftrage der preußiſchen Archiv—
verwaltung vor.
(Seite 454. 485.) Beſuche des Königs: Roden bei Preuß III 369. 370. (E. XXVI
356 ff.; XXIII 8380; XXIV 587. NRödenbed, Beiträge I 495.
(Seite 485— 492.) Retabliſſement: Kanalbauten: Garbe, Der Bromberger Kanal
(1874). Hertzberg, H.D. 297 (vgl. dazu Preuß IV 70). — Kataſterwerk: Zaktzewski 83 ff.,
vgl. Publ. XI 535. Graf Lippe 183. Damus in Zeitfchrift des weitpreuß. Geſch-Vereins
XXX 55. — Lage der Bauern: Beer 1 42. Hüppe, Verfaffung von Polen 62. Boas,
Diff. S. 21. Plehn in Mitteilungen des weftpreuß. Geih.:Ber. I Nr. 1. — Bauernadel:
Lippe 9. Herrmann V 593. Boas, Diff. S. 20. 21. — Beieitigung der Staroitei:-
verfaffung: (E. VI 88. UB.1V 95. 119. Lippe 76. — Huldigung: vgl. die Bajallenlifte
in Bierteljahröichrift für Wappentunde XX. — Kirchengut: Publ. XVII. (E. XXIII 242.
Kolberg, Dotation des Bistums Ermland, Zeitfchr. für Geſch. Ermlands IX. X. — Befteue:
rung: Zakrzewski 87 ff. UB. IV 145. — Zurüddrängung des polniihen Adels:
Joachim 173. Publ. XI 423. 435. 578. 603. UB. IV 164. Schmoller, Umrifie 611. —
Anfegung deutiher Koloniften: Herzberg, HD. 191, val. 173. 216. 267. Beheim:
Schwarzbah 407 ff. UB. IV 4. 193; V 193. Publ. Xl. 479. — Netabliffement der
Stäbte: UB. IV 71. 77. 97. 112. 168. 170. Publ. XI 440. 536. (E. XXV 18. 2ippe 114.
Marienburg: Steinbrecht in Hoh. Jahrb. 1902. — Braugewerbe: UB, IV 31. 37. Publ.
XI 581. Preuß 1V 382. Boas, Diff. S.26. — Erweiterung der Induftrie: Breuß IV
376. 378. 3883. UB. IV 97. Publ. XI 536.
(Seite 492.) Bevölkerungsſtatiſtik: Siehe FBPG. XVI. — Landftreicher und Bettel:
juben: Zippe 834. 35. 112. UB. 10. 41; V 28.
(Seite 493. 494.) Handel: Lippe 61. UB. V 227. — Seehandlung: Nov. Corp.
Const. V B. Rt. 51. 55—57. Preuß III 456. Joachim 164 fi. 204. Raumer V 266. — Ber:
trag vom 3. Jan. 1779 abichriftlih im Geh. Staatsarchiv; einiges Einihlägige enthalten die
Berichte des Refidenten Blanchot ebend.; val. aud (E. VI 89. 90. Damus, Zeitichr. des
weitpreuß. Gejch.:Ber. XX 93. 94. Beer III 249. 250. — Prozeß Görne: Friedberg, HZ.
LXV. Nicolai:Blandenburg II 105. (E. XXVII b. 56.
(Seite 495. 494.) Beziehungen zu Danzig. Damus, Zeitihr. des weſtpreuß. Geid.:
Ber. XX. Michael, Englands Stellung zur erften Teilung Polens 21 ff.
(Seite 494.) Juſtizpflege: Publ. XVII 45 f. CE. XXV 18. Nov. Corp. Const. V
(die Ordnungen von 1773). Stölzel, Brandenburg: Preußens Rechtsverfaſſung u. Rechtäver:
waltung II 260; die dafelbjt S. 262 Anm. 2 u. 264 Anm, 4 zitierte Verordnung vom 30 Juli
1774 (Nov. Corp. Const. V 341) bezieht fi nur auf Oftpreufen.
3u Bud VII, Abſchnitt IV. V. 685
(Zeite 494. 495.) Schulmwefen: CE. XXIII 267. Lippe 53. 73. 76—78. UB. IV 4.
5. 176. Rethwiſch 16. Publ. XXIV 246. 275.
(Seite 495. 496.) Schluß: (E. XXIII 267. Damus 47. Publ. XI 573; XVII 470.
UB. IV 140. 149; V 19.
VII. 5. Staatsbausbalt und Heerweſen.
(Seite 497—501.) Stantöhaushalt: Die Belege gebe ih FBPG. XVI (1903).
(Seite 501. 502.) Heereöftärle: Reduktion 1763: Märkiſche Forihungen XIX 183.
189 fi. (E. VI 92. 101 (in der älteren ungedrudten Redaktion fteht: „les r&giments etaient
sur le grand pied de guerre*); XIX 385; vgl. den Etat von 1757 in Sammlung ungedr. Nadı:
richten V 450. 454. G.Stab IIIa 126. — Firierung der Zahl der Kantoniiten: Mis—
cellaneen 122—124. GB. IX 186. Soldaten als eldarbeiter: FBPG. X 301. — Augmen:
tation von 1768 ff.: CE. VI 101 ff. 129; IX 186. PC. XXVII 240. 254. Märt. Forſch. XIX
183. Graf Lippe, Weftpreußen 71. Der (E. VI 104 erwähnte Mobilmadhungsplan bat fich
unter den neuerdings an das Geh. Staatsarchiv gelangten Treioralten aefunden; er liegt
meinen Angaben zu Grunde und fol in den „Bublifationen aus den Staatsardiven” veröffent:
liht werden. Ungenaue Ziffern: Preuß IV 306. Büſching, Beiträge zur Regierungsgeih. 391 ff.
(Seite 502—510.) Netabliffement des Heeres. Popularität: Litzmann, Schröder
II 48#. €. Schmidt, Leifing I 484. — Verfall der Disziplin im Kriege: (E. VI 91.
92; XXVIIb 48. — Infpeltionen: Miscellaneen 131. PC. XXIII 97. 98. Märt. Forſch.
XIX 169. Berenhorft, Betradhtungen (3. Aufl.) 171. 179. [Raltenborn), Briefe eines alten
preuß. Off. II 111. 152 fi. Gaudi bei Jany, Gefechtätaftif der Infanterie von 1806 (Beiträge
und Forſch. zur Gef. d. preuß. Heeres V) 8. Ueber Ramin: Kaltenborn I 85. 100; II 154.
Thiebault IV 309. Dentwürdigfeiten des Landarafen Karl von Heſſen, überf. von Bernharbi,
107, 127. NRöbdenbed, Tagebudy III passim. — Reform der Kompaaniewirtichaft: Mis:
celaneen 121. 122. Büſching, Beiträge zur Reg-Geſch. 393—410. Courbiere 115 ff. Beren:
horſt 169. 180. 294 Anm, Kaltenborn I 75; 11 117. 156. Une mission mil. en Prusse 1786
p. 277.. Tal. auh PC. XXI 521. — Offizierforps, Abel: (E. IX 186. Schnadenburg,
Sahrbb. f. d. deutiche Armee CXV. v. Tayfen, Milit. Thätigleit Fr. d. Gr. während feines
legten Lebensjahres 62 ff. 72. Breuß III 332 Anm. 2. Militärlerifon IV 48, — Abneigung
gegen Grafen: Luccheſini bei Bifchoff 227. Berenhorft 198. Preuß III 142; val. (E. IX 120.
Kaltenborn I 109; an Tauengien 8. Nov. 1775 (ungedrudt). — DOffiziermangel: Preuß III 133.
Eourbiere 115. — Hufaren: Zippe, Hufarenbudh 480. Winter, Bieten 1439. Preuß IV 388.
— Der Eleine Dienft: Berenhorft 182. 183. 218. Naltenborn I 28. 122. 123. [v. Zoffom],
Dentwürdigfeiten zur Charalteriftif der preuß. Armee unter fir. II (1826) 230 ff. Küſter,
Leben Saldernd und Neue Militär, Blätter LVII 123. — Manöver: Miscellaneen 132.
v. Taufen a. a.D. 85 ff. Kaltenborn I 24. 25. 29. v. Seidl, Fr. d. Gr. und feine Gegner 118.
„Daheim” 1898 Nr. 34 (nad den Papieren des Generalleutn. v. Löbell). — Theoretiice
Unterweifung der Dffiziere: G. Friedländer, Die K. Allg. Kriegsſchule nnd das
Militärbildungsweien 1765—1813 (1854). (E. VI 95. 99. Miscellaneen 140. 156. Une
mission militaire 1786 p. 287. 299. — Eleven, Generalftab: Miscellaneen 177. Fried:
länder 143. Donalies FBPG. VIII 6.7. Maſſenbach, Rüderinnerungen I 121; 1195 ff. Berk,
Gneifenau 1 30. Preußiſche Jahrb. XLV (Rüchel). — Elements de castrametrie: (EB. XXIX
(vgl. VI 96). Regeln für BatKomm. ebend. — TDumouriej: Berenhorft 195. — Gejamt:
fortichritt des Dffizierforps: Kaltenborn I 124. — Urteil über die Gemeinen: Mis:
cellaneen 130. (E. XXIX 50; vgl. aber die Anertennung der „valeur“ (E. XXIV 570 (gegen
Buibert). — Popularität des Königs bei der Truppe: Kaltenborn 157; II 50. 110
Preuß ITI 365. Arneth VII 568. Saroline v. Fouqué, Blid auf Gefinnung und Streben
in den Jahren 1774—78 (1331) S. 91. — Revue von 1773: K. v. Hülfen, Memoiren 185.
Preuß IV 369. 371. Kaltenborn I 34. — Allmähliche Vervollkommnung des Heeres
(E. VI 94. 96. 124; IX 186; XX 127. 131; XXVI 308. 805. 358. 364. Lippe, Militaria 47 ff,
Arneth VIII 568 (dagegen Schöning IV 38. 39).
686 Yu Buch VII, Abſchnitt IV; Buch IN, Abichnitt 1.
(Seite 511.) Infanteriefeuer: (E. IV 222; XXVI 306. Miscellaneen 131. Loſſow 257
bis 275. Berenhorſt 222. 223. 329. Preuß 11 365; IV 177. Mission mil. 1786 p. 280.
295 und jegt Jany a. a. D. 4. 97, wonad.- Anhalt 1783 acht Schüffe und achtmal Laden in
der Minute verlangte.
(Seite 511.) Feſtungen: Miscellaneen 140. (E. IX 186; XXIX 76.
(Seite 512. 513.) Keine Kriegsmarine: CE. IX 189. 190; val. 3. G. Droyien, Monats:
berichte der Berl, Afademie der Wiff,, Januar 1881.
(Seite 513. 514.) Strategie: (E. IV p. XVII; IX 190; XXIX 3. 21 ff. 67 ff. Mis:
cellaneen 142 ff. Vie du prince Henri, Paris 1809, 351 Anm,
(Seite 514.) Schiußbemerfung: (E. XXIII 154. 155; XXVI 400.
IX. 1. Bairifcher Erbfolgekrieg.
Mömoires de la guerre de 1778, (E. VI. Hertzberg, Recueil des deductions 11
(1739). IArndt], Volftändige Sammlung von Staatsichriften. 5 Teile (1778—1779). Mitli:
tärifches Hauptwerk noch immer: v.Schöning, Der bayr. Erbfolgefrieg 1859 (Mil. Korr. Fr. d. Sr.
mit dem Prinzen Heinrich, IV) mit Urkundenbuch (zitiert: Schöning UB). Sampaane bes
Prinzen: Beitichr. für Kunſt u. Wiffenichaft des Krieges 1845. Eine mweientlihe Ergänsung
bieten die von mir an anderer Stelle mitzuteilenden Briefe des Prinzen Heinrich an den Erb:
prinzen von Braunfhweig im Arhiv zu Wolfenbüttel, Zur Kritik der älteren milit. Lit. val.
Cogniazzo IV 285, Dohm, Beiträge V 360 ff, Schöning IV 37 ff. u. v. Seidl, Fr. d. Gr.
u. feine Gegner (1819). — Reimann, Gef. des bayr. E.:K. (1869; umgearbeitet in Reimann,
Neuere Geſch. des preuf. Staats II). Arneth X. Beer (nad; öfterr. und preuf. Aften) HZ.
XXXV. XXVII Radda, Der bayr. E.K. u. der Friede zu Teichen (1879).
(Seite 517—522). Weberficht der auswärtigen Politil 1772—1777. (E. VI 111—133
Idee eines Dreibundes der DOftmädte: Beer, Smwieten 89. 108. — Staatsſtreich
Guſtavs III: Arnheim, Beiträge zur Gefch. der nordiſchen Frage (Deutfche Zeitihr. für Geich :
Wiſſ. VII. VIII; vgl. aud Nationalzeitung 1892, 30. März). Hüffer FBPG. VI 384. —
Bring Heinrich in Petersburg und Großfürft Raulin Berlin 1776: (E.XXVI.
Korrefpondenz zwiſchen Heinrih und Solms (Geh. St. A.). Sbornit XXXVII. — Vertrag
vom 1. April 1777: Martens, Recueil VI Nr. 227. — Beziehungen zu Defterreic:
(E. IX 187. — Borausiiht der Anfhläge auf Bayern: (E. XVII 251. XXV1 370.
PC. XXVII 320. 358. 387. — Friedrids Syftem 1777: (CE. XXVI 892; val. VI 130.
Beziehungen zu Frankreich: Tod der Bompabour: PC. XXVI 302. (E. XXIII 183.
— Choifeul: vgl. die Sachregifter zur PC.; (E. XIV. 179. 240. 260 ff. — Ludwig XV: (E.
VI 67; XIV 260 ff.; XXIII 286. 290; XXIV 628. — Ludwig XVL: @&. VI 67: XXVI
370. 398; val. PC. XXVII 424. Broglies Denkichrift 1773: Boutaric, Corr. secrete de
Louis XV, T. II. — Bergennes: Tratchevsky, La France et l’Allemagne sous Louis
XVI (1880); val. Bailleu in Revue Critique 1881, Nr. 31. — Beziehungen zu England:
Krieg in Amerifa: vgl. PC. XXV 42; XXVI 323. — Hader der engl. Parteien und Bute
(E. VI 114. PC. XXVI 382. Ranfe S. W. XXXYAXXXII 460 („un roi d’Angleterre que But
möne par la lisiöere;* ebend. S. 105 in Nantes Ueberfegung mihverftanden). CE. XIII 42
(wo mit dem enfant sur le tröne, servilement soumis aux lois de son mentor Georg III.,
nicht ber vom Herauägeber vermutete König von Portugal gemeint tft). v. Ruville, Pitt und
Bute (1895) 64 ff. 80. — Verhältnis zu den Amerifanern: Kapp, Fr. d. Gr. unb
die Vereinigten Staaten (1871). Bancroft, Gef. der Ver, St. (überf, von Bartels) X p. V
und 52 ff. CE. XXV 45. 82. Nöbdenbed, Tagebuch III 117.
(Seite 522—530.) Borgefchichte des Krieges. Joſephs Il. bayrijder Plan:
Arneth X 303 ff. Unger in Mitteil. des Inftit. für öſterr. Geihichtsforfh. AV — Preußiſche
Gegenzüge: Görk, Memoire hist. de la negociation de 1778 (1812). v. Seidl a. a. D.
369 ff. (Befehle an Hoym). Meisner, Herzonin Maria Anna von Bayern (Feitichr. des Gymn.
zu Sauer 1890), vgl. Bitterauf, Die wittelsb. Hausunion 1746/47 (Feſtgabe für K. Th. v. Heigel,
Zu Buch IX, Abſchnitt I. II. 687
Münden 1908 &.465 ff... — Haltung Franfreihs und Rußlands: val. Schöning
UB. 42. 73. — Rapierverbraud: ebend. 9.11. (E. XXIII 422. — Prinz Heinrid:
Miscellaneen 156 (befter eldherr). Val. befonders Schöning UB. 2. 4. 16. 17. 26. 32. 34. 45.
— Herhberg: Unger, 9. Anteil an den preuß.söfterr, Verhandlungen 1778/79 (1890) 4. 27.
121. — Berftändigungsverjude: Arneth X 376. 380. (CE. VI 183 ff. Hersberg,
Recueil II 126 ff.; wegen der Lauſitz val. fhon (E. XXVI 372. — Defterreidifde Ur:
teile über Friedrich: Raumer V 317. Arneth X 431 ff.
(Seite 530. 531.) Verhandlung nad) dem preußiſchen Einmarfch in Böhmen. Beer,
HZ. XXXVII; vgl. Arneth, Reimann, Unger.
(Seite 531.) Preußiſcher Feldzugsplan. Erfter Entwurf: (E. VI 145; XXIX 121.
Schöning UB. 66. — Erfte Modififation: (E. VI 146. 147. Schöning UB. 54. 82. 84.
(Seite 531-535.) Berlanf des Feldzugs. Der König vor der oberen Elbe:
Schöning UB. 91. 92. (E. XXIV 25. — Vorbereitungen Heinrichs: Schöning UB,
93—95. 102. 107. Hendel von Donnersmard, Milit. Nadhlak II b 171. — Sein Ein:
marih, Schreden der Defterreidher: Schöning UB. 98 ff. Arneth X 505. Preuß
UB. V 177. — Die Krifis des Feldzugs: Hendel a. a. D. 182. 183 (beftätigt durch
Möllendorffs Bericht 17. Auguft, Geh. Staatdardiv). Schöning UB. 102. 107. — Dffenfiv:
verjud des Königs: Scöning UB, 117. 119. 128. 131. 138. Anhalt: Preuß IV 391 ff.
Preuß UB. V 177. 180. Schöning IV 175 fi. Hendel 187. 200. Karl von Hefien, Dent:
würbdigfeiten 100. — Les exploits des septuag£naires: (E. XXIV 29. — Mähren bis zu:
legt im Auge behalten: (E. VI 161. Schöning UB. 132. 155. 158. — Felbzugsplan für 1779:
(E. XXIX 126; vgl. Schöning UB. 184. 192. — Berlufte: VBlandenburg:Nicolai II 64. —
Koſten: fiehe oben ©. 501. — Allgemeine Rerftimmung: außer den Briefen des Prinzen
Heinrich Hendel a.a.D. 216. Schmettau, Ueber den Feldzug von 1778 (1789). Karl von Heflen,
Denfwürdigkeiten 85 ff. — Urteile über Generale: Echöning UB. 103. 106. 123. 160.
175. 205. 206. Sendel 216. Ueber Möllendorfi: Graf Lippe, Jahrb. für die deutiche Armee
Bd. CIX. — Bormwürfe gegen den Bringen Heinrid: (E. VI 156. 179; vgl. XXVI
473. Scöning UB. 119. 124. 132. 163. 164. 167. 186. 191.
(Seite 535 —539.) Friede von Teihen. Breslauer Winterquartiere: Schöning
UB. 197. 199. 200. 217. — Gegenkaiſer: ebend. 246; vgl. Arneth X 614. — Friedrich
über Maria Therefia: (E. XXIV 325. 326. — Dieöffentlide Meinungfür Preußen:
vgl. ebend. 328. Briefe Maria Therefias, her. von Arneth, IV 587. Perg, Stein VI (Beilagen
&. 156). Ron fpäteren fteht ganz auf feiten Joſephs II. Scloffer, Geſch. des 18. Jahr:
bunderts III. — Ergebnis für Preußen: (E, XXVI 476; vol. auch XXIV 326. 327. Reimann
1 260. — Unzufriedenheit Joſephs mit Frankreich: Arneth X 548. 541. 631.
665. — Der militärifche Wert des ruſſiſchen Bündnifies für Preußen prefär: Reimann
ll 220. 238. 239.
IX. 2. Zuſtizpflege und Kirchenpolitik; Kandrecht und Staatsform.
(Seite 540-542.) Ergebniffe der erften Juftizreform. Aeußerungen bes Königs:
(E. IX 188. 201. 232; XXIII 343. 405. 409. 412; XXV 375. 378. Bal. indes Holge, Zur
Strafrehtpflege unter Fr. Wilh. T. (1894). — Die Schüler Eoccejis: Stölzel, Branden:
burg: Preußens Nechtöverfaffung und Rechtsverwaltung II 248 ff. Hole, Gef. des Kammer:
gericht III 281. 282. — Gegenſatz zwifchen Fürſt und Garmer, Inquiſitions- und Ber:
bandlungsprinzip: Kamptz, Yahrbb. für die preuß. Geſetzgebung LVIII. Holte III 288 ff.
Stölzel II 265 ff. Stölzel, Spare; 80. 137 ff. Breflau und Iſaacſohn, Der Fall zweier preuß.
Minifter (Dandelman und Fürft) S.75 f. W. Naube FBPG. V 314.
(Seite 542—545.) Brozeh des Müllerd Arnold. Materialien: Preuß III 489 ff. 538 ff.
und ZPr.G. I 129 ff. Didel, Beiträge zum preuß. Rechte I (1891) ©. IX (ebend. Zufammen:
ftellung der Litteratur). Gegen Didelö Verteidigung des Machtſpruchs vom 11. Dez. 1779
Winter, Münchener Allg. Zeitung 1891 Nr, 277 und (von Standpunkt des Kammergerichts)
Holge III, Svarez' Urteil: Stölzel, Sparer 316. 317 (vgl. Dohm bei Preuß III 537. 538). —
688 Zu Buch IN, Abſchnitt I.
Demonftrationen: Preuß III 500. Salfreutb, Mes paroles (1818). Thiebault IV 32.
Raumer V 341. Büſching, Charakter 255; vgl. auch E. XXV 142. 145. FBPG. XV 542.
— Grundjag der Nichteinmiſchung: Die bei Stölzel II 263 erörterte Kabinettsordre ift
vom 27. Dez. 1772: UB. 11 19. — Weglar: Moſer, Bon der teutichen Juftizverfaffung (1774)
II 821. Goethe, Wahrheit und Dihtung, Buch 12; vgl. „Die Aufgeregten” Alt I Sc.5. —
Müller von Sandiouci: vgl. Schneider (Märt, Forſch. VI 165 ff.). Zange (Mitteilungen
des Ber. für Geſch. Potsdams N, F. II 3086).
(Seite 545547.) Berufung Garmerd. Gntftehung des Allgemeinen Landrechts
Garmer und Sparez: Stölzel IT 292 und „Svarez” 172 ff. (Urteile von Goßler und
Klein); abihägig gegen Carmer, Holtze III 327. — Drdre vom 14. April 1780: Kampk,
Jahrbb. XLVI 225. Stölzel, Svarez 156. — Befriedigung ded Königs: ebend. 235. 239. —
Tal. auch Hinihius, Svarez, Berliner Reltoratsrede 1389,
(Seite 547549.) Kirchenpolitif in Schlefien feit 1763. Regelung der Barodial:
und Batronatöverhältniife: Publ. XVII 137. 239. 241. 464 (für das Einzelne, auch
im folgenden, vgl. die Sadregifter des Herausgeberd Lehmann zu Publ. XVII. XXIV).
Grünhagen II 428 ff. — Nominationsredt: Publ. XVII 92. 135. 139. 198. 419. 433. —
Einführung des Königl. Placet ebend. 230. — Klemens XII: ebend. 156. 157. —
Biſchof Schaffaotih, Ernennung eines Vikars: ebend. 658.
(Seite 549--553.) Wahl Klemens XIV. Anfhebung des Jeſnitenordens. Konklave
von 1769: CE. XXIV 168. PC. XXVI 595; XXVII 503. Publ. XVIII 389. 392. —
Abfiht zur Ausmweifung der Nefuiten aus Schleſien 1763:! ebend. 105. (E. XIX
319. 321; XXIV 610; val. ebend. 396. 422; XXI 135 und noh PC. XXVII 16 (17. Jan.
1768). — Beränderte Haltung Seit 1768: CE. XAIV 149. (1. Febr.) 429. Publ. XVII
408. Broich, Geſch. des Kirchenftaats IT 141 Anm. Beer, Smwieten 121. — Beweggründe:
(E. XXIII 168. 414; XXIV 440. 451. 624. Publ. XVII 347 fi. b’Ancona, Fr. d. Gr.
und die taliener, überf. von Schnell, 67 ff. Ligne, Memoire sur Frederie II p. 54.
Ueber die bourbonifchen Höfe (E. XXV 232. 241. — Erjuit von Sansfouci: (E. XXIII 378
und öfter. Eine Rancune gegen Klemens XIV. möchte ih, in biefem Punkte von Witte
(Fr. d. Gr. und die Jefuiten 1892, S. 83; zuerft im Progr. von Schulpforta 1892), der beiten
Behandlung dieſes Gegenftands, abweichend, nicht annehmen. — Verſtändigung mit ber
Kurie: Publ. XXIV 73. 326. 473. Bol. Dittrih in Zeitichr. für Geih. Ermlands XII. CE.
XXIV 618.
(Seite 553. 554.) Berhältnis zu Pius VI. frage der gemifhten Ehen: Publ.
XXIV 229. Meydenbauer in Quellen und Forſch. aus ital. Archiven und Bibl, III 195. —
Pius VI in Bien: (E. XXV 201. 206. 211. 217. 237 (neben dem Schriftwechjel mit der
Gefandtihaft in Wien). — Rückwirkung auf Schleſien: Publ. XXIV 504. CE. XXIII 108.
Grünhagen a. a. D. Bgl. noch Schön, Papiere, III 68.
(Seite 554—556.) Staatögewalt und evangelifche Kirche. Büſching, Charakter 148 fr.
Preuß III 220 ff. Rhilippfon, Geh. des preuß. Staatsweſens feit 1786 I 47. Stölzel,
Sparey 341. 352. (E. XXV 177. 178. 180.
(Seite 556.) Sehen. Bülhing, Charakter 138 ff. Preuß I 318 ff.; III 277. 278;
IV 74. Beheim:Schwarzbah, Kolonifationen 341. 356. 378. 387. 418. Publ. X 68 —
Zataren: (E. XXIII 344.
(Seite 556--558.) Das Landrecht als Abftraktion Fridericianifcher Negierungdmarimen.
Neligionspolitik: Teil II Tit.2 82. 13—15. Pal. RD. vom 17. Jan. 1781 bei Preuß
III 227. — „Syſtem polit. Arbeitsteilung”: Hintze, Acta Borussica Vla 183. — Ndels:
rechte: Teil II Tit.9 855; vgl. CE. IX 140; XXIV 580. Zedlig bei Preuß III 136. — Recht
auf Arbeit: Zeil II Tit. 19 82 (vgl. Vismard im Reihätage 9. Mai 1884); CE. IX 165;
XXIV 474,482. Schmoller inFBPG. XII 31. Hinge, Seideninduftrie III 180. 225. 234. 295 ff.
(Seite 558.) Konftitutionele Tendenzen unter der abfoluten Monardie. Stölzel,
Spare; 135. 313. 314. 333--338. 385. 390. 391; Rechtsverfaſſung 11 249. Hertzberg HD. 159.
Dal. Tocqueville, L'ancien regime, notes („code du grand Frederic),
Zu Buch IX, Abſchnitt IT. TIT. 689
(Seite 559—561.) Friedrichs Aeußerungen über die Stantöformen. Die drei fpäteren
Hauptichriften (E. IX 129. 153. 193. Bol. Publ. XXII 391. HZ. LXI 280 ff. — Engliſche
VBarlamentöverfajjung: (E. IX 21. PC. passim (vgl. 3. B. PC. XXV 43; XXVI. 139.
247. 306, wogegen die poetifche Stelle (E. XII 195 nicht ins Gewicht fällt). — Forderung
ftraffer Konzentration: (BE. IX 190. 216 („mener de front comme les quadrigues*); val.
8b. J 319 (2. Aufl. 321). — Autorite divine: (E. IX 151. — Pacte social: (E. IX
196. 215. — Premier serviteur de l’Etat: (E. 1123; VIII 66. 168; IX 197. Schlöger,
Briefwechſel Heft 21 (1779). — Bal. noch Dod, Der Souveränetätsbegriff von Bobin bis
Ar. d. Gr. (1897), mit der Bemerkung von Hinte FBPG. XII 297.
IX, 3. Per alte König und die neue Bildung.
(Seite 562—567.) Späteres Berhältnis zu Voltaire. Gedächtnisrede: (E. VII 50;
XXV 119; vgl. XXIII 125. 237. — Subffription von 1770: ebend. 166; XXIV 488. 491.
497; XXV 333. — Belenntnis von 1772: (BE, XXI 213. — Nüdblide auf den Streit
mit Maupertuis: ebend. 93—95. 118. 131. 145. 149. 167. 179. 307. 310; val. aud PC.
XXVII 478. — Der Friedensapoftel: W. XX 111. 257. 265 ff. 273. 282. 284; XXIV 447.
457. 542. 547; XXV 154. — Der Patriarch des Gefhmads: (E. XXIII 95. 138. 156.
190. 348. 355. 399. — Berfall der franz. Litt.: ebenda 97. 99. 107. 110. 115. 125.
126. 162. 178. 184. 212. 237. 266. 295 (zahlreiche Parallelftellen in den Briefen an d'Alem—
bert). — Roi des deistes: ebend. 168; vgl. II 36; VII 63. — L’infäme: (E. XXIII 45;
XXV 4; val. XXIV 397. — Das Schwinden des idealen Kredits des Bapfttums: XXIII 348.
381; vgl. XV 24; XXIV 470. 615. 627; XXV 35. 201. PC. XXVII 97. — Intoleranz
in $ranfreid: (E. XXIV 566. 596. 601; XXV 133. 165. — Boltaires Vorſicht: (E.
XXIII 45. 182. 188; XXIV 415. 437. 438. 444. 449. 453. — Totenamt für ®. in Berlin:
tk. XXV 154; vgl. 157. 161. 168.
(Seite 567-573.) Verhältnis zu der jüngeren franzöfifchen Philoſophie. d'Alem—
bert: vgl. Vahlen, SB. der Berl. Akad. 1899 Nr. 4. (E. XXVI 511. Luccheſini bei
Bilhoff 244. Geometrie: (E. XXIV 373. 529. Val. (E.XX p. XXI; XXI 421 (Euler);
XXIV 523 (Bequelin), 430. 431. — Spott über die Encyflopädiften: Totengeipräd)
von 1773: (E. XIV 253; val. XXIII 277 (etudier l'histoire à rebours: XIV 254; XXIV
375. 421). Weiter IX 239; XXIV 559. 582; XXV 132. 136. Miscellaneen 143. Schöning
UB. 227. — Rouffeau: (E. 172, XX 288. 299 fi.; XXIII 116. 353; XXIV 440. Thiebault
1 59. 63. Duboid:Reymond, Fr. d. Gr. u, Rouffeau (1879; auch in „Reben“ I). — Diderot:
(E. XXIII 156; XXIV 620. 624. 630. 631; XXVI 511. — Buffon: XXIV 399; XXV 219;
XXVI 506. — Helvetius: XXIII 227. 251. 253; XXIV 395. 396. 557. 561. 563. 569. 620;
XXV 82. — Examen crit, du Systöme de la nature: IX 1. 53; XXIII 188; XXIV 480.
— Das Eindringendfte über die verichiedenen Strömungen der franzöfifchen Philofophie des
18. Jahrhunderts und Friedrichs Verhältnis zu ihnen bietet Dilthey, Ar. d. Gr. u, feine Akademie,
Deutihe Rundſchau, Juli 1900.
(Seite 574—580.) Bhilofophifche Diskuffion mit D’Alembert 1770/71. Bal. Lucche—
fini 182 und im allgemeinen Zeller, Fr. d. Gr. als Philoſoph (1886). Chriftentum: (E.
XXIV 485. 496. 503; vgl. VIII 155; XVII 2395 XXIV 479. — Emwigleit der Welt:
(E. IX 157; XII 199; XIX 265; XXI135; XXIII 165. 171; XXIV 306. 503; XXV 212. 219.
376. — Gottesbegriff: XXIV 503. 518 ff. 520. 531. 557. Gott taub: CH. XII 96. 199. 200.
— Freiheit und Notwendigkeit: «E. XXIII 201—205. (E. XXIV 504. 516. 520 ff.
527. 531. WMarionetten: XXIV 313. 532. — Causes secondes, hasard: I 127, IV 223;
V 284; VI 179; XVII 20; XVIII 188; XXIV 461. 598; XXV 62. — Vers sur l’existence
de Dieu: XIV 18; vgl. IX 89. 90; XII 95. 199. 260,
(Seite 580—587.) Hintenanfegung der ipefulativen gegen die Moralphilofophie. (K.
XXIV 430. 469. 472. 508. 526. L’'homme est fait pour l’erreur — l'homme est fait. pour
agir: (E. XXI 119; XXIV 537; vgl. VII 215; XXV 62. 257. Schöning UB. 45. —
Aberglauben unausrottbar: CE, XVIIT 240; XXIII 102, 103. 109. 111. 115. 1195 XXIV
Kojer, König Friedrich der Große, 11 41
690 Zu Bud, IX, Abſchnitt III. IV.
464. 470. 471.476, XXV 138. 227. 237. — Nur die ſchädlichen Irrtümer zu befämpfen:
XXIII 235. 341; XXIV 472. — Toleranz und ihre Grenzen: XXV 207. Publ. XVII 556.
(E.XXIII 102.161. 168. Thiebault I 93. Bal. Binae, Die religiöfe Toleranz Fr. d. Gr. (1898) und dazu
FBPG. XII 299. — Commentaire apostolique (1778): CE. XIV 38. — Ueber Breffreibeit:
(E. XXIV 561—564; val. 408. 507. Preuß III 249 ff. — Zuläffigteit der Täujhuna:
(E. XXI 376; XXIV 467. 470. 475. 478. 479. 483; XXV 88. 91. 277. SHarnad, Seid.
der Akademie I 417. — Selbftliebe als Roralprinzip: (E. IX 90; XXV 225. Döring,
Fr. d. Gr. ald Morallehrer (Preußiſche Jahrbb. LXX). Uebermenſchlichkeit des Stoicidmus:
(E. XII 181 ff.; XIX 79. 109. 117. 163; XXV 226; XXVlla 204. — Dialogue de morale:
IX 85; XXIV 579. — Inftruftion von 1765: IX 75.
(Seite 587—597.) Büdagogifche Beftrebungen. (E. XXIV 578 580. N.D. vom
5. Sept. 1789 zuerſt bei Nicolai, Anefooten V 33. Trendelenburg, Kl. Schriften IIT (Zeblig).
J. Bona Meyer, Ar. db. Gr. pädagogische Schriften (1875). Fiſcher, Fr. d. Gr. u. die Volks—
erziehung (1877). Difjelntötter u. Güterfohn in den Progr. des Gymn. zu Wefel 1892
bezw. der Oberrealſchule zu Karlsruhe 1893. Hübler, Fr. d. Gr. als Pädagog (2. Aufl. 1900;
val. FBPG. XV 598). — Discours von 1772, Lettre sur l’edueation: (E. IX 113.
169; val. XXIII 213; XXV 565. Ueber frauenbildung vgl. auh XXIII 125. — Volks:
ſchule: Glausniger in „Deutfche Schule”, big. v. Rifmann V (1901) 342 ff. 411 ff. (nad)
archival, Forfhungen u. mit Nachweiſung der älteren Litt.). Unteroffiziere ald Lehrer: ebend.
419 (die Angabe bei Preuß IV 486 wegen Koppy ift nicht zutreffend). Ueber Militäranwärter
bei anderen Behörden val. Holge, Kammergericht III 278; Schmoller FBPG. 11 613. Neligions:
unterridt: Nicolai V 39. Clausnitzer 416; vgl. (E. XXVI 500. Die Antwort an Sulser:
Nicolai III 274. — Öymnafium: Rethwiſch, Zedlig u. Preußens höheres Schulmweien (2. Aufl.
1886). Petri, Pommerjche Lebens: und Landesbilder 375 fi. (Meierotto). — Universitäten:
näheres werbe ih FBPG. XVII mitteilen. — Alademie: Sarnad I. [de la Veaux] Vie
de Frederie II, IV 70 ff. (E. XIII 104 (Formey). Publ. LXXII 298.
(Seite 597—601.) De la litterature allemande. (CE. VII 89; XXI 78; XXI
301. 337; XXIV 569. 598; XXV 171. 172. 337 ff.; XXVI 523 (Karl Auguft; val. Brunn, Meier:
otto 269). Beer, van Smieten 27. Bal. Supban, Fr. d. Gr. Schrift über d. Deutfche Litt.
(1388) und die zahlreihen anderen bei Geiger, Deutiche Litt. Denfmale, big. von Sauer Ar. 16
(2. Aufl, 1902) u. bei Schüddekopf ebend. Nr. 122 verzeichneten Arbeiten. Geeft, Fr. d. Gr. u.
Leſſing (Jahrbb. für die deutihe Armee CX.).
IX. 4. Der deutfche Fürftenbund von 1785.
Urkundliches Material: Hertzberg, Recueil des d4ductions II 364 ff. (1789). A. Schmidt,
Geſch. der preußiſch-deutſchen Unionsbeftrebungen (1851). Ranke, Die deutfhen Mächte und
der Fürſtenbund (1871; SW. XXXI/XXXII, 1875). Bailleu, Der Urfprung des deutichen
Fürftenbundes (HZ. XLI, 1879).
(Seite 602—605.) Maria Therefins Ausgang. Arnetb X 719 ff.; vgl. Archiv f. öfter.
Geſch. XLVII 76. Arneth, M. Th. u. M. Antoinette 169. 202. 204. Arneth, Briefe Marias
IV 518. PC. XXIII 246. (E. XXV 171. 174. Immediaterlaſſe an Riedefel 3. 6. 17. 20
Dezember 1780; an Hoym, 2. Dit. 1782 (Geh. St.A.). Martens, Recueil des traites conclus
par la Russie VI 99. Matrimoniale Bolitit Defterreihs: PC. XXVII 404. — Wahlen
in Köln und Münfter: Dohm, Dentwürdigteiten I 295 ff. Arneth X 692 ff. Reimann
II 269 ff. PC. XT 139. — Joſeph Il. in Rufland: vgl. Arneth X 831. 832. Alvens
leben bei Reimann II 275.
(Seite 605—607.) Preußen und Rußland. Sceneutralität: Hertzberg, Recueil
450 ff. (2. Aufl). Dohm II 100 ff. Baneroft, Seid. d. 2 gig Staaten, deutſch von
Bartels, X 190—192. FBPG. XV 542. Martens, Recußil des trait&s conclus par la
Russie VI 107. Bergbohm, Die bewaffnete Neutralität 1780—83 (1884). — Türkiſche Ber:
handlung: Bailleu a.a.D. Zinfeifen, Geſch. des osmanischen Reichs VI. Reimann II 273.
Martens VI 120.
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Zu Bud IX, Abſchnitt IV, V. 691
(Seite 6OT— 08.) Der große Plan Katharinas. Arneth, Joſeph 11, u. Kath. 11. (Brief:
wechjel; 1869). Arneth, Joſeph II. u. Leopold II. (1872).
(Seite 609-612.) Zumwartende Politik Preußens: Urteile über Katharina PC.
XXVII 260 (1769). Reimann 11 317. 349. Pantocratice: (E XXVI 497 ff. — Panin:
Raumer V 567. Bancroft X 181. SKapp 78. Reimann II 310. — Rotemtin HZ. LX 266.
Haumer V 556. — Nonftantin (E. XXV 247. Reimann 11 279. — Grofmogul: Raumer V
569. — Der Prinz von Preußen in Petersburg: Brüdner, Hatharina 11. (1883) 327 ff. — Groß:
fürft Paul: HZ. LX 268. — Verhandlungen mit Frankreich und England: Bailleu a. a. O.
Happ 77. Neimann II 333. NRaumer V 555. Tratchefski, La France et l’Allemagne sous
Louis XVI (1880) mit den Bemerkungen von Bailleu, Revue Critique 1881 Nr. 31. Memo-
rials and Correspondence of Fox (1853) 1 338. Diaries and Correspondence of Harris
(1844) II 47. 51. 77%
(Seite 612 -618.) uiſtehuug des Farſtenburde⸗ Außer den angeführten allgemeinen
Darſtellungen: Krauel, Prinz Heinrich in Paris (1901); vgl. Krauel, Prinz Heinrich als Politiker
(1902) S. 31; die Einladung hatte ſich der Prinz, wie G. B. Volz im Archiv des franz. Minifte:
viums der ausw, Angelegenheiten fetgeftelt bat, durch den franzöfiihen Gefandten Efterno
verihafft. — Tayfen, Die milit. Thätigleit Fr. db. Gr. während feines legten Lebensjahres
(1886) S. 20 ff. Corr. de Mercy d’Argenteau p. p. Arneth et Flammermont (1889) I 377.
G. Wolf, Oefterreih und Preußen 1780—1790 ©. 105. 107. F. 8. Wittihen, Preußen und
England 1785—1788 (1902). Dreier, Fr. d. Gr. u. Hertzberg in ihrer Stellung zu den
holländ. Wirren (Breslauer Diff. 1882). Vgl. Bailleu, Hergberg, HZ. XLII. Martens, Recueil
VI 134 137. Damus, Zeitſchr. des Weſtpr. Geich.: Ber. XX 132. Erbmannsdörffer, Bol.
Korr. Karl Friedrihs v. Baden I (1888). Bailleu, Karl Auguft, Goethe und der Fürftenbund,
HZ. LXXIII. — Zeitgenöffifhe Kritit vom preußiſchen Standpuntt: vgl. Dohm III 106 ff.
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IX. 5. Ausgang und Ergebniffe,
(Seite 622—630.) Friedrichs Geſchichtsſchreibung: CE. I—VI. HZ. LX 266. rag:
mente von 1742 mitg. von Arnheim: FBPG. IX (mit Zitteraturangaben). Miscellaneen zur
Geſch. Fr. d. Gr. (1879) ©. 21 ff. (Bibliographie), S. 205 ff. (Posner, Genefis der Hist. de
mon temps u. der branbenb. Dentwürdigfeiten) Wiegand, Die Vorreden zur Hist. de mon
temps (1874), mit treffenden allgemeinen Bemerkungen. Bilmar, Ueber die Quellen der Hist.
de la guerre de sept ans (Straßburger Diff. 1888). Fr. Preuß, ZPr.G. XI 129 ff. (betr. Teilung
Polens; vgl. G. Waitz in Göttinger Gel. Anzeigen 1850 ©. 707). Prinz Heinrih: Revue des
etudes historiques 1902 (janvier); vgl. HZ. CXXXIX 174. FBPG. I 231 ff. Pal. weiter
Garve, Fragmente II 114. (E. XXI1181. 94. 121. 197. 320 (über die poetifche Produktion);
ebend. Ip. L.; XX 81; XXI 334. Publ. LXXI 275. Varrentrapp, HZ. LXXXI 287.
Küfelhaus zu Schillers Werken, herausg. von Bellermann XIV 9. 10. — Gedächtnis: Publ.
XXI 368. (E XX11 290. — Konvenienzpolitit: PC, XXVII 144. Publ. LXXII 162.
3. G. Droyien, Abhandlungen zur neueren Geſch. 208. „Dienfame Minifterialmittel“ Beer,
Teilung Polens. 11 276. — Spott über die Fürften: CE. XII 41 fi; XVII 241.
PC. XXVIII 285. Ranfe, S. W. XXXUXXXI 460. Zimmermann, Fragmente II 189. —
Auswahl der preußiihen Diplomaten: F. K. Wittihen a. a. ©. S. 157 ff. — Politit „jeu
d’hasard“: (E. XXI 230; XXIII 197; XXV 196; vgl. I p. XV; VI 152 und dagegen
XXV 130.
(Seite 630. 631.) Yahreseinteilung. Nödenbed, Tagebuch III. W. Naude, Denkwürdig—
feiten des Grafen Schulenburg FBPG. XV 413. v. d. Marwitz, Nachlaß (1852) 1 17. Kalten:
born I 112, II 121 (Minifterrevne; vgl. Breuß IV 476.)
(Seite 631. 632.) Militärifche Thätigkeit feit 1779: v. Tayfen, Die milit. Thätigkeit
Fr. d. Gr. während feines legten Lebensjahres (1886). FBPG. VII 800, Essai sur la vie
du marquis de Bouille (1853). Graf 2ippe, Militarin &, 52. Allg. Mil. Zeitung 1884
Nr. 4—7. Jahrbücher f. d. deutjhe Armee LIV. — Zerftreutes Gefeht: Tayfen 16 ff,
692 Zu Buch IX, Abſchnitt V.
104 ff. any, Sefechtöausbildung der pr. Inf. vor 1806 ©. 10 ff. Berenhorft, Betrahtungen
517 (3. Aufl.). — Areibataillone 1778: Schöning UB. 164. 167. 177. 274. 275. Henckel IL b 169.
Die 8.:D. an Tauengien vom 7. Sept. 1784: Mil. Wochenbl. 1902, Nr. 7. Ueber das Revuebild
von Cunningham vgl. Rödenbed III 297. 337.
(Zeite 632— 639.) Stimmung im Lande. Bilder aus vergangener Zeit (Piter Poel)
1584, 2.349. Zimmermann, Aragmente II 191. Karl von Heflen, Dentwürbdigteiten 141.
Preuß III 308 (vol. Suphan a. a. D. 64). Nicolai, Anekdoten I p. X. Garve, Fragmente
11 250. — „Niedriger hängen“: Preuß 111 275 (monad) ver Zweifel bei Nicolai-Blandenbura,
Freymüthige Anmerkungen über ZJimmermanns Fragmente II 220 ungeredhtfertigt erſcheint;
val. Zimmermann, Fragmente II 201. de la Venux, Vie de Frederie II, IV 319). NRaumer
V 139. Marwig, Nachlaß I 18. de La Beaur IV 122 ff. Rödenbed III 331. — Friedrid
im Geſpräch: Conway bei Carlyle Buch XXI, cp. 5. Raumer V 297. 305. 540. I. v. d. Dften,
Dorothea von Sachſen-Gotha 290. de Ya Beaur IV 66. P.C. XXVII 117. Maſſenbach, Rüd:
erinnerungen II 104. Rödenbed III 265. W. v. Haffell, Die ſchleſ. Kriege und Hannover 463.
Zimmermann, fragmente 11147. 148 d'Ancona, Fr. d. Gr. und die Jtaliener 112. Vieux sorcier:
(E XXV 334. Ligne, Memoire sur Frederie II, 52. — Berhältnis zum Beamtentum:
(E. XXI 116. 151. Zimmermann, Fragmente Il 135. Breuß IV 371. Garve, Fragmente I 168.
UB. 11 227. 229. Publ. XI 472. 522. 626. FBPG. XV 410. Graf Lippe, Weftpreußen unter
At. d. Gr. 98. Hiftor. Monatsblätter für die Prov. Pofen II 185. Joahim, Domhardt 76. 77.
194. 195.206. Grünhagen II 566 ff. Anderes aud hier aus den Alten. Goethe an Frau v. Stein
17., 19. Mai 1778; an Merd 5. Aug. 1778.
(Seite 639— 645.) Stillleben in Potsdam. Journal des franz. Geichäftäträgers Gauffen
Abſchrift aus Paris jegt im Geh. St.A.) 23. März 1781. Thiebault I 354. (E. XXV 186;
XXVI 356; XXVII b 51. Sohenzollernjahrbud 1897 ©. 96 ff. — Umgebung: vgl. bie
Angaben oben ©. 675. d’Argens: (E. XXIII 187. 189. 192. 210. 211; XXIV 5834. 536.
— Wylid: PC. XXVII 40. — Böllnig: Thiebault II 142. (CE. XXIII 246. 250. —
Buddenbrod; (E. XXVI 53. v. Hahnke, Elifabeth Chriftine 42. Biihoff a. a. D. 183. —
dv’Alemberts Tod: CE. XXV 349. 351; XXVI 510. — Gondorcet: (E. XXV 36T ff. —
KCatt: Publ. XXII Einleitung. Stelter an Hoym 2. Febr. 1781 (Geh. St.A.) — Die Notiz
über Nudenfchöld verdanke ich einer freundlichen Mitteilung von F. Arnheim aus R.S hand:
Ichriftlicher, zum Teil 1769 gebrudter Selbftbiographie. — Hodig: (E.XX p. XXI; XXI
197. 258. Thiebault 1 272. Büſching, Zuverl. Beiträge, Anhang ©. 9. Karl von Hefien, Dent:
würdigfeiten 122. Graf Lippe in Berliner Revue LIX. LX. — Lucdefini: Bifhoff a. a. TC.
d’Ancona, Ar. d. Gr. und die Jtaliener, deutfh von Schnell, S. 104. — Schwerin: Thiebault
1 323. NHaltenborn I 87. Anefooten I 67; VII 95. Yaveaur IV 374. — Balftiani: ZPr.G.
XVII 467. Breuß IV 212. 395. Publ. X. XIII. XVII. XXIV, Karl von Heffen 135. Zimmer:
mann, Fragmente passim. — Krafidi: Luchefini bei Biſchoff 199 ff. (E. XX. Publ.
XVII 469. — Dalmwig: Biihoff 208. 209. Kaltenborn I 61. — Prittwitz: Finot et
(Galmiche, Une mission mil. en Prusse 126. Naltenborn Il 117. Berenhorft, Nadılak Il 19%.
Chafot: E. XXVI 501. — Ulrife: Thiebault II. CE. XXIII 209. Hüffer, FBPG. VIl 384.
— Wilhelmine von Holland: PC, XXVI ff., ihre Memoiren wird ©. B. Bol; demnächſt
veröffentlichen. — Prinz Heinrich jun.: (E. VI 16. 23; VII 37; XXVI 308. — Der Thron:
folger: Raumer V 289. 291. 295. Thicbault II 106. Preuß IV 105. 182. (E. VI 28.
158, XXVI 376. Bgl. auch Berner im SHohenzollernjahrbuh 1902. — Prinz Friedrid
Wilhelm: M. XXVII b 140. © W. v. Raumer, Kindheits- und Jugendgeſchichte Friedrich
Wilhelms III. (Berliner Kalender 1845, ©. 25 ff.) Laveaux IV 345. — Verabſchiedung der
Gäſte: Biihoff 204. Karl von Hefien 140. Carlyle Bud XVI cp. 8.
Seite 645. 646.) Nebenbefhäftigungen: Haltenborn I 120. 121. (E. XXV 333. —
Hünfte: CE. XXIV 422. 492. Seidel, Das Bildhaueratelier Fr. d. Gr. (Jahrbuch der preuß.
Kunftfammlungen 1893). Seidel, Franzöi. Runftwerle des 18. Jahrh. (1900) S.205 ff. du Bois:
Reymond, fr. Il. in der bildenden Kunſt 5. 23 (1887). Bode im „Pan“ 1896, Heft 1 u. 4.
A. v. Werner in „Deutihe Revue” Jan, 1897. Publ. LXXI 214. — Lektüre: Dantal,
Les delassemens littöraires de Fr. II (1791). &. XXI 125. 336. Suphan a. a. O. ©. 92,
Zu Buch IX, Abſchnitt V. 693
(Seite 646—652.) Ausblicke, Nüdblide, Stimmungen: Bal. die Denkſchriſten HZ.
LX 255 ff. Schönina IV UB. 250. Preuß IV 401. Biſchoff 215. v. Zeidl, Fr. d. Gr. und feine
Gegner 30. PC. VIII 46. CE. XXI 58; XXIII 374. — Toleranz: (E. XXV 168. —
Freimaurer: (E. XXV 227; XXV1512. Biihoff 201. 256. Zimmermann, Unterredungen 87.
Rödenbeck, Tagebuch III 400. — Unsterblichkeit: MW. IX 163; XII 99. 188; XXI 173.
175. 232. 315; XXVI 149. 158. 198. — Todeöbereitichaft: (E. XXIV 182. Zimmermann,
Unterrebungen 251. Formey, Souvenirs 1 133. — Poetiſcher Rüdblid: (E. XIV 96;
vgl. XIX 158. 295; XXIV 130; XXV 235; XXVI 482. — Lob der Thätialeit: (E. IX 223;
XVII 243; XVII 219; XXIII 169. 318 (val. Zimmermann, Fragmente IT 1); XXIV 491.
Publ. LXXII 275. PC. XXVII 179. — Menſchenverachtung: (E. XII 172; XXIII 401.
414; XXV 225. 231. Schön, Papiere 1 21. — Frohſinn: Dohm V 447. Ware I 332.
Naltenborn I 122, FBPG. XV 230. (E. XXIII 221. 326 (vgl. Cicero ad Atticum V 20);
XXV 81. 197.
(Seite 652— 656.) Leiste Krankheit nnd Tod. Sörperliche Zähigkeit: W. XXIV 144;
XXV 44. Biihoff 246. Preuß IV 396. Bol. im allgemeinen jegt Mamlod, Fr. d. Gr. Be:
ziehungen zur Medicin (1902). Für das Weitere: Damus a. a. D. 137. Martens, Recueil
VI 135. &.XXVI 518 ji. Publ, XI 607. 629. 646. 654. Preuß IV 240 fi. Dohm 111 181.
Selle, Krantheitsgeih. Fr. II. (1736). Kletſchke, Letzte Stunden und Leihenbegängnis Ar. 11.
(1786). [v. Maffenbah], Kurze Nahridt von dem Tode Fr. II. (1786). Sertbera, Hist.
Dissertations 280. Jahrbuch der preuf.:brandend. Staatengeih. VII 314 ff. (1796). Berliner
Kalender 1845, S. 45 ff. Val. meinen Aufiag in Deutſche Rundihau 1886, Auguft, wo
außerdem die ungedrudten Briefe Hertzbergs benupt find. Ueber Möllendorff: Mirabeau bei
Welschinger, La mission secrete de M. à Berlin p. 173.
(Seite 656— 666.) Nachklänge und Nachwirkungen. „Anzeige der durch den Tod Ar. I.
veranlaßten Schriften“: Allg. deutiche Bibl. LXXX 253 —83. Val. Berenhorft, Nachlaß Il 158.
Goethes Berfe: Goethejahrbuh XIII, 227. Zu Mirabeau a. a. D. 172 (fiebe auch Wild,
M.s neh. Sendung nad Berlin, 1901, S. 112) val. Dohm IV 181. Piter Poel (Bilder aus
vergangener Zeit 346), Marwis, Nahlak | 20. Zimmermann, Fragmente III 113. 240.
Graf Lippe, Huſarenbuch 523. — Ueber Mirabeaus ofinen Brief und die Monarchie Prussienne:
Schmoller, Jahrbuch f. Geſetzgebung VII 2 ff. Ueber Naynal: Preuß III 269. Bgl. aud)
Guibert, Eloge de Fr. Il p. 120. Zimmermann, Fragmente IIT 251. — Rüdfehr zu Zr. W. L:
Maſſenbach, Rücderinnerungen II 33, Wöllner in ZPr.G. II 559; zu ebend. 767 vgl. Gerlach,
Denkwürdigkeiten 11 737. — Natharina II.: FBPG. XV 230; val. Berenhorft, Nachlaß 11
192. 212. — Ueber Süvern: Barrentrapp HZ. LXXXI 274; über Fichte: Fouqué, Yebens:
geichichte (1840) 296; über Claufewig: Pertz, Gneifenau III 624. Val. auch Wachter FBPÜ.
IX 585. Hintze, HZ. LXXXI 425. Friedrich „mehr als ein großer Feldherr“: Ranke, S. W.
XXIV 24. Bol. weiter Köppen, Fr. d. Gr. und jeine Widerfacher (1840). Wiegand, Fr. d. Gr.
im Urteil der Nachwelt (1888). Haltenborn I 125. Tout depend du moment oü l’on vient
au monde: (E. XXIV 599; val. VIII 289. — La force des Fitats consiste dans les grands
hommes que la nature y fait naitre ü propos: (E. VII 3%.
HWRRARA RR
Verbeſſerungen.
.25 3. 17 v. o.: ſtatt Armin lies: Arnim,
.92 3. 5 v. u: ſtatt 16 000 bezw. 14.000 lies: 18 000 bezw. 16000.
202 3.8 v. o.: ſtatt der lies: des,
225 3. 14. 15 v. o.: ftatt am Ufer im Fährhaufe lies: in einem Haufe am Ufer.
318 3.20 v. u.: ftatt 7000 lies; 700.
403 3.10 v. u.: ftatt Königsfeld lies: Königshuld.
478 3. 5 v. u.: ſtatt gekauft lies: verkauft.
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