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Full text of "König Friedrich der Grosse"

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HARVARD COLLEGE 
LIBRARY 


From the Library of 
SIDNEY B. FAY, 96 
The Gift of his children 


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König Friedrich der Große 


Smweiter Band 


Sy / 
König FSriedrich der Große 


Von 


Reinhold Kofer 


Zweiter Band 


Erſte und zweite Auflage 





Stuttgart und Berlin 1903 


3. 6. Cotta'ſche Buchhandlung Nachfolger 
G. m. b. G. 


Gr HAIS.AIN.S (2) 


— 














HARVARD 
UN!VYERSITY 
L!S"ARY 
MAR > 1972 


Alle Rechte vorbehalten 





Druc der Union Deutiche Berlagsgefellhaft in Stuttgart 


Snbaltsverzeidnis. 


Sechſtes Bud. 
Drei Dffenfivfeldzüge, 1756— 1758. 


Vorbereitungen, Beſetzung von Sachſen 11—26. Loboſitz und Pirna 26—37. 


Ausbau der Koalition gegen Preußen 37—53. 
weiter Abfchnitt. rag und Kolin ö ’ as 
Borbemerkung 54—55. Verhandlungen mit En — = Yannover 56—62. 
eldzugsplan 62— 76. rag 76—86. Kolin 86—98. 
Dritter Abſchnitt. Bon Kolin na as i ee a ——— 
Feldzug gegen die Defterreiher in Böhmen und v- Zaufi 99—114. Feld: 
zug gegen bie Franzoſen, Schladht bei Roßbach 114—136. Breslau und 
Leuthen 136—148. 
Vierter Abſchnitt. Das Jahr 1758. . . . i R z na 
Die Gegner nad; Leuthen 149—158. Bis zum Abzug von Dimük 159 bis 
175. Rüchzug durch Böhmen, Schlaht bei Zorndorf 175—186. Schlacht bei 


Hochlirch, Ausgang des Feldzugs 186—196. 





99—148 





149—1% 





Siebentes Bud. 
Dier Defenfinfeldzüge, 1759-1762. 





Vorbereitungen und Stimmungen 199— 213. Der Feldzug sis Aunerborf 
213—225. Defenfive nad Kunersdorf, Kapitulation von Maren 225— 238. 


239—279 







Friedenäverhandlungen und neue riegsvorbereitungen 239— 251. Bis zur 


Schlacht bei Liegniß 251—265. Torgau 265—279. 
Dritter Ab mitt. Das Jahr 1761 






280—300 





bis 300. 

Bierter Abſchnitt. Siebenter — 
Umſchwung der politiſchen Lage, Friede mit Rußland und mit — 
301 313. Verlauf des Feldzugs 313—323. Friede von Hubertusburg 
323—331. Schlußbemerlungen 331—336. 


301—336 





Inhaltöverzeichnis, 


Antes Bud. 


Wiederaufnahme der Firiedensarbeit und neue Gebiefsermweiterung. z 
eite 


er Abſchnitt. Das Retabliſſemennnnnnn.. 
Borbemerfung 339—340. Heimkehr aus bem Felde 340—344. Netabliffement 
bes eigenen Hauſes 344—352. NRetabliffement des Staates 352—382. 
Zweiter Abſchnitt. Berwaltungsreformen und Schutz ber nationalen Erwerbs- 
thätigkeit. . . . ; r ; j ee 2 2 22 383428 
Verwaltungsreformen — Gewerbepolitif 395406. Handelspolitif 
406—416. Agrarifhes Schutzſyſtem 416-423. 
Dritter Abſchnitt. Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens . . . .„ 424—474 
Bündnis mit Rußland und polniihe Königswahl von 1764 424—439. Be: 
inn des polnischen Bürgerfrieges und des ruffish:türfifchen Krieges 439 — 451. 
Preußens Mittelftelung zwiihen Rußland und Defterreih 452— 463. Die 
erfte Teilung Polens 463—474. 
Bierter Abſchnitt EEE 
Befigergreifung 475—477. Abtretung durch ben polnishen Reichätan 477 
bis 481. Einrichtung der neuen Verwaltung 481—496. 
ünfter Abſchnitt. Staatshaus 








475—4%6 








Staatähaushalt 497 — 501. Heereäftärfe 501—502. Auftand des Heeres 502 
bis 512, Strategie 512—514. 


Meuntes Bud, 
ebter Arieg und lebter Ziriede. 


517—539 





Meberficht der auswärtigen Bolitif ei 1772 517522. org eſchichte des 
Krieges 522—530. Militärifher Verlauf 530—535. Friede von Te 
535 — 539. 

Zweiter Abjchnitt. Juſtizpflege und Kirchenpolitif. Landrecht und Staatsform 540—561 
Juſtizpflege 540—547. Kirchenpolitil 547—556. Landrecht und Staatöform 
556—561, 

Dritter Abſchnitt. Der alte König und die nene Bildung . ne 
Verhältnis zu ber älteren und ber jüngeren franzöfiichen Bildun 562 —580. 
Abwendung von der fpefulativen zur Moralphilofophie 580—587. Päda— 

ifche Beftrebungen 587597. Berhältnis zu der deutichen Litteratur 597 
bis _ 601. 
Bierter Abſchnitt. Der dentfche ; enbund von 1785 . . er ne 
Abwandlungen der europäifchen Politik feit 1779 602—612. Entftehung 
des Fürftenbundes 612—618. Seine Bedeutung 618—621. 

Ünfter Abſchnitt. Ausgang und Ergebnifle - > > 220 
Hiftorifcher Rechenſchaftsbericht 622—630. Jahreseinteilung, Berührungen 
mit der Außenwelt 630—639. Stillleben in Potsdam 639—652. Lebte 
Krankheit und Tob 652—656. Nachklänge und Nachwirlungen 656—666. 

nmerkungenn.. 661604 


562—601 





602—621 





622—666 








Sechſtes Buch. 


Drei Offenfivfeldzüge, 1756—1758. 


Rofer, König Friedrich ber Große, TI. 


Ihaffen, aber wider alle Anfechtungen und Zmeifel erhärtet und zur 

Anerkennung gebradt. Noch nad dem zweiten ſchleſiſchen Kriege nannte 
ein franzöfifher Staatsmann den König von Preußen einen Filigrankönig, 
defien Macht nicht ernfthaft zu nehmen jei. Nach dem dritten Krieg fchrieb 
1773 der Graf von Broglie in einer für Ludwig XV. beftimmten Denkſchrift 
über die Gejamtlage der europäiihen Politik, König Friedrid dürfe heute als 
der Fürft betrachtet werden, der des höchſten Grades von Macht fich erfreute. 

Für die neuere Geſchichte Deutjchlands bedeutet der fiebenjährige Krieg 
die Ablegung einer eriten nationalen Kraftprobe. In dem zähen Ringen ber 
norddeutihen Stämme, Preußen und Hannoveraner, Braunfchweiger und Hefjen, 
offenbarte jih, welde Fülle autodhthoner Widerjtandsfraft in dem jeit Jahr: 
Hunderten zerriſſenen Yande jich wieder angefammelt hatte. Trotz der ſchmach— 
vollen Flucht der Neichsarmee blieb der Tag von Roßbach ein deuticher Ehren: 
tag: von dem preußifhen Ruhm fiel nad dem Worte des Freiherrn von Stein 
ein Abglanz jogar auf die Beliegten. Auf die Dauer fonnte die Nation mit 
diejem Abglanz fih nicht begnügen wollen; in dem Augenblid, da Deutichland 
fih entſchloß, der preußifhen Führung zu folgen, find die alten deutjchen 
Ehren wieder allen Deutichen nad gleihem Maß zu teil geworden. 

Das europäifhe Staateniyitem hat mit dem fiebenjährigen Kriege die 
Grundlagen gewonnen, die ihm jeither, nur für kurze Zeit dur den Wogen— 
prall der napoleoniſchen Sturmflut erfchüttert, geblieben find. Der Kreis einer 
Anzahl großer Mächte, derjelben, die in jenem Weltfriege um die Mitte des 
vorigen Jahrhunderts ihre Kräfte gemeſſen hatten, hat fih in der jüngften 
großen Kriegsperiode zwar erweitert durch den Eintritt einer ſechſten Macht, 
aber nicht gelöit oder verwandelt, und das neue Deutihe Neich ift in der alten 
Staatengemeinihaft nur der Erbe der bereits anerkannten europäiſchen Bor: 
rehte und Aniprücde Preußens geworden. 

Uns wird bei aller Bedeutung für die Gejchichte Preußens, Deutichlands, 
Europas diejer Krieg vor allem ein perjönliches Intereſſe haben. 

Der König von Preußen war ohne Frage jhon vor dem Jahre 1756 
derjenige Mann in Europa, mit dem die Welt fih am meilten beichäftigte, in 


5) fiebenjährige Krieg bat die Großmadtitellung Preußens nicht ge: 


4 Sechſtes Buch. Borbemerfungen. 


Beifall und Mißgunſt, in Hab und Liebe. Der Mann des Jahrhunderts wurde 
er doch erft, al& Europa ſich zuſammenthat, um, wie d’Alembert jagte, ihn zu 
befämpfen und ihn zu bewundern, und als in den Straßen einer deutſchen 
Reichsſtadt Verwandte fich nicht begegnen konnten, ohne daß es Händel Jette, 
wie in Romeo und Julia, für oder wider Friedrih und Maria Therefia. Den 
Namen des Großen, den die helle Begeifterung feiner danfbaren Unterthanen 
ihon nad den eriten Siegen freigebig ibm erteilte, wirde das Ausland, die 
Nachwelt ohne den fiebenjährigen Krieg jchwerlich anerfannt haben: „grand 
homme manqué“ bieß der König von Preußen 1746 den Franzojen. 

Bis zum fiebenjährigen Kriege ift Friedrich ein Werdender gewejen. Jept 
ward er fertig; zugleih aber, wie er felbit geflagt bat, zum Greiſe. 

Wenn er jett die Nechnung feines bisherigen Lebens 309 und auf feine 
eriten Anfänge zurüdblidte, jo fonnte er das bittere Wort nicht unterbrüden, 
daf er feine Jugend dem Vater habe opfern müſſen. Eindrüde — fo hat er 
ein andermal gejagt —, die man in foldem Alter empfängt, verwiſchen ſich 
nicht jo leicht; fie haben nachgewirkt, diefe eriten Jugendeindrücke, mehr als auf 
einen flüchtigen Blid fcheinen möchte. Zu früh hatte fich fein Herz zugeſchloſſen, 
zufammengeframpft, als dat Miftrauen und Bitterfeit jich je ganz wieder hätten 
bannen lafien. 

Die idylliihen Rheinsberger Tage waren gefolgt, die glüdlichite Zeit feines 
Lebens, als die fie in ber Erinnerung ftets ihm erjchien; mit dem frifchen und 
vielfältigen Reiz erniter, anhaltender Studien, beiteren Lebensgenuffes, bes 
haglicher Häuslichkeit und geiftig angeregten Verkehrs; aber auch mit dem 
nagenden Unmut über die gedrüdte Lage des Staates, deſſen Erbe der Ein: 
fiedler vom NRemusberge zu werden bejtimmt war, und mit der geheimen Un: 
geduld, einen großen Namen „in den Zeitungen und dereinft in der Gefchichte” 
zu erlangen. 

Schnell genug hatte dann ihm und feinem Staate Fortuna Ehren und 
Nuhm die Fülle in den Schoß geworfen. Volles Genüge aber und innerfte 
Befriedigung hatte er auch jegt nicht gefunden. Und wenn es ihm gelungen 
war, die Natur des „Zwitterweiens zwiſchen Kurfürftentum und Königreich” zu 
enticheiden, jo war doch in feiner Bruft der Zwiefvalt noch nicht gefchlichtet, 
jein eigenes Weſen noch immer nicht völlig aeklärt. Wollte der Philoſoph von 
Sansjouci in jeinen poetiichen Epifteln, wie wir es hörten, die Tugenden des 
Herzens hoch über allen Glanz des Geiftes und Witzes ſtellen, jo meinte ein 
Valory, daran erkenne er feinen König von Preußen, der fi jelbit etwas ein- 
zureden juche. Friedrich entwarf in diefen Selbitbetrahtungen das Bild, dem 
er ähnlich zu jein wünſchte, das Bild des in fich ausgeglichenen, über Leiden: 
Ichaften und Schwädhen und Vorurteilen erhabenen Weltweifen. Aber weit ent: 
fernt von olympilcher Ruhe blieb er doch der echte und rechte Sterbliche, ein 
Stimmungsmenich, bald im Zorn auffahrend, bald „wie ein zerftreuter Gelehrter” 
in Träumerei verjunfen, und bei aller Selbjtbeherrihung, die er zu üben meinte, 
geihah es doch immer von neuem, daß er wie dem Wite und der Zunge, jo 
der Empfindung und den Thränen freien Lauf ließ: „Itete im Widerſpruch 
mit ſich ſelbſt“, jagten die Mißgünftigen. Bis zu welchem Grade unbewußt 





Sedhftes Bud. Borbemerkungen. 5 


und unfrei er unter der Herrichaft jeiner Stimmungen jtand, beobachten wir, 
wenn ihm bei anderen ein allzu heftig auftretender ſeeliſcher Schmerz als unecht 
ericheinen will, während gerade er jelbit bei Verluften derer, die ihm teuer 
waren, fi) dem erſten Eindrud des Schmerzes jedesmal fait widerjtandslos 
überläßt. 

Auch der Staatsmann ift von dieſem Gemwoge der Stimmungen nicht ums 
berührt geblieben. In überrafchender Weile zeigt Friedrichs Politif bisweilen 
eine Mifhung von zurüdhaltender Berehnung und vorbrechender Lebhaftigfeit, 
von ausgeprägtem Argwohn und jener fait eigenfinnigen Zuverfichtlichfeit, die 
ihn zu dem Verſuch verleitet, Unvereinbares zufammenzufaflen und bei einem 
Abſchluß mit England die Beziehungen zu Englands Todfeind feitzuhalten. Wie 
oft bat er nicht feinen Offizieren und feinen Diplomaten und vor allem fich 
felbft die Weisheit des normanniſchen Spridwortes „Defie-toi! De qui? de 
tout le monde“ eingeprägt. Er erklärt, daß das erfte Gelübde, welches dem Poli: 
tifer abgefordert wird, dem Gott des Geheimniffes gebührt; er will fein Hemd 
jerreißen, wenn es jeine Gedanken erraten könnte, und jagt gern, wer in jeine 
Geheimniffe eindringen wolle, der müſſe ihn jelber beftehen. Und doc weiß 
er, daß fein Geheimnis nicht völlig bei ihm ficher iſt, daß feine Lebhaftigkeit im 
Geſpräch ihn hinreißt, daß der erſte Eindrud ihn überwältigt, daß er ſich vor 
dem eriten NAugenblid, der ftürmifch bei ihm ift, in acht nehmen muß. Er madıt 
es ſich deshalb zur Regel, die er freilich oft übertritt, die fremden Diplomaten 
möglichſt von jih fern zu halten; einer von ihnen, der Franzoje Tyrconnell, 
der ji die Ergründung diejes Charakters in nicht eben wohlwollender Weife 
angelegen jein läßt, findet, daß es nicht ſchwer fei, ihm fein Geheimnis zu ent: 
loden; daß er überaus mißtrauiſch fei, aber doch leichtfinnig und unüberlegt 
und feiner angeborenen Art nah vorlaut. Derjelbe Geſandte hat geglaubt, 
ihn den furchtſamſten und unentſchloſſenſten Menjchen nennen und den inner: 
lichen Mut ihm abſprechen zu ſollen; Friedrich ift ihm ein Schwarzjeher, der 
fih vor eingebildeten Gefahren erfchredlich fürchtet. So ſpricht der ähnlich vor: 
eingenommene Engländer Hyndford in den Anfängen der Regierung von bes 
jungen Königs Ueberhebung im Glüd und feiner Berzagtheit beim geringften Unfall, 
und nicht minder abjprechend haben jpäter des Königs eigene Brüber jamt dem 
Anhang ihrer Nachbeter geurteilt. Aber auch der treu ergebene Kabinetsrat ift 
bie und da geneigt gewejen, aus dem Wechſel der Eindrüde und aus der Un: 
geduld den Wechjel der Entihlüffe und der politifhen Aufitelung berzuleiten. 

Der ftebenjährige Krieg hat dann feinen Zweifel darüber gelaſſen, was 
in einer zunächſt verwirrenden Mifchung der Charakterzüge, in diefer Zus 
jammenjegung aus allen Gegenfägen, wie Tyrconnell den König von Preußen 
nannte, die ftarfen, beherrichenden Elemente waren. est erit offenbarte 
fih Friedrichs eigentümlichſte Stärke, feine unvergleihlide Größe. Der den 
meilten als unbeftändig und manden als unentichlojien galt, bewies jett, daß 
Entichloffenheit und Standhaftigfeit gerade die hervorragenditen jeiner Eigen: 
Ihaften waren, Nicht daß Friedrich jedesmal den richtigen Entſchluß gefaßt 
hätte; mehr als einmal bat er in enticheidenden Augenbliden durchaus fehl: 
gegriffen. Nie aber hat ihm verjagt die Fähigkeit und Kraft zum Entſchluß, 


6 Sechſtes Buch. Borbemerkungen. 


und, was mehr ift, nie die von einem Moltfe an ihm bemwunderte Fähigkeit, 
den Entſchluß bei fich jelbit zu finden, „alles von fich jelbit zu nehmen“. Nicht 
daß er feinen Entihluß nun jedesmal auch feitgehalten hätte, was ihm den Auf 
der Unbeftändigfeit eingetragen hatte, war eben jener raiche Wechſel jeiner Politif 
geweien; aber in geringeren Dingen oft an ihm vermißt, hat jeine Beharrlich— 
keit jenfeits einer gemwifjen Grenze, auf die härtefte Probe geitelt, jih um jo 
unerjchütterlicher erwielen. Beide, Entichloffenheit und Standhaftigeit, wuchſen 
ihm mit den Gefahren. Die höchſte Probe des Feldherrn, das Heer nad der 
Niederlage zum Siege zu führen, Friedrich hat fie jechs „jahre hindurch immer 
von neuem abgelegt. „Er ift vornehmlidh groß geweien in den enticheidendften 
Augenbliden, und das ift die jchönfte Yobrede, die man auf feinen Charakter 
halten kann“ — jo, bei jcharfer Kritif der einzelnen Schritte, das Gejamturteil 
Napoleons über Friedrich. 

An ſolchem Lob aus foldem Munde wird der größte Held ſich genügen 
lafjien dürfen, ob immer Friedrich dem Großen der Uebereifer der Moderniten 
Eigenſchaften und Entwürfe leihen zu müſſen geglaubt bat, durch die er nod 
größer, gewaltiger, dämonischer daſtehen fol. Dämoniſche Naturen in feinem 
Sinne des Begriffes, als Gefäße ungeheurer, den Lauf der gefchichtlichen Ent: 
widelung durchkreuzender Thatkraft und raftlofen Schaffensdranges, hat Goethe 
jowohl Friedrich den Großen wie Napoleon genannt; aber ein geiltvoller Be: 
urteiler hat den Unterſchied zwiſchen beiden gerade darin ſehen wollen, daß 
sriebrich fih von feinem Dämon, anders ald Napoleon, nicht wie von einem 
Sturmmwind regieren ließ. Allerdings, gar mander war während des langen 
Krieges geneigt, ihm eine Steigerung der Willensitärfe in das Eigenfinnige vor: 
zuwerfen und einen neuen Karl in ihm zu ſehen, der nur noch den Eingebungen 
feiner Laune folge. Der Gedanke an Karl XII. Tag nahe. Aber deshalb und 
weil er eine verwandte Ader in fich fühlte, hat Friedrich jelber um fo ent: 
ihiedener das Tafeltuch zwiſchen ihnen beiden entzweigeichnitten und den 
Schwedenkönig ſich allezeit als warnendes Beiipiel vorgehalten, „den außer: 
ordentlihen Menichen, den König, welcher der Aventiuren des alten Nittertums 
würdig war, den landitreichenden Helden, bei dem alle Tugenden durch Ueber: 
treibung in Laſter ausarteten”. An diefes Königs Uebermut in Glüd und Sieg 
erinnert er fih und andere 1745 in der eroberten ſächſiſchen Hauptitadt, ent: 
Ihlofien, der Welt viel Mäßigung zu zeigen, um fie von der mit ibm, dem 
preußiichen Heeresfönig, verfnüpften Vorftellung ausichweifenden Ehrgeizes zurück— 
zubringen. Ueber Karls Talente und Charakter verfaßt er jett, während des 
fiebenjährigen Krieges, „zu feiner eigenen Belehrung“ eine Abhandlung: Friedrich 
verurteilt Karls brennenden Durſt nad Race, feine unermeßliche Begierde nad 
Ruhm, die beide ihm den Sinn unverföhnlih gemacht haben, jo daf er, da 
ber Friede nicht bloß mit Ehren, fondern aud vorteilhaft geſchloſſen werden 
fonnte, den Frieden verwarf, weil Krieg führen und den Gegner enttbronen 
ihm als eines und dasjelbe erichien. 

Ohne dunkle Kebrfeite aber blieb auch Friedrichs Heldentum nit. Wir 
waren jo daran gewöhnt, beitändig die Kanonen zu hören, daß wir zulegt die 
jehspfündigen Kugeln kaum beachteten — jo durfte König Friedrich nachmals 


Sechſtes Bud. Vorbemerkungen. 2 


vom fiebenjährigen Kriege erzählen. Wer gegen die Eindrüde der unmittelbaren 
Gefahr jo ganz fih abftumpfte, und wen jahraus jahrein und Tag für Tag in 
immer neuer Geftalt die Sorge fi ums Lager ftellte, wie hätte dem nicht auch 
der Sinn ſich verhärten, ftarre Rinde und dreifach Erz um die Bruft fich legen follen. 
Noch jchneidender und abftoßender wirkten jegt die Schroffheiten feines Wefens, 
fonder Hülle brab die Gewaltſamkeit hervor, die in der Tiefe diefer ftarfen 
Seele lag. Schon verglihd man ihn dem Manne, von dem gejchrieben fteht: 
„Er wird ein wilder Menich fein, feine Hand wider jedermann, und jedermanns 
Hand gegen ihn.” Wider jedermann, nicht bloß wider die Feinde. Immer 
mehr bemädhtigte fich feiner die ſtolze Menſchenverachtung, das tragijche Erbteil 
der großen Staatsmänner. Syn friiher, die höchſten Kränze vorweg fordernder 
Anmaßlichfeit hatte einit der junge Fürft fih ganz auf fich jelber geftellt; wie 
viel weniger ließ der in fteter Uebung jelbftändigen Entſchluſſes und jelbitän- 
digen Handelns Ergraute, jeines Könnens jet ganz Sichere, noch Rat oder 
Einrede gelten! Er jei deſpotiſch in allem, auch als Dichter, Redner, Geſchichts— 
jchreiber, Philoſoph, urteilte in den fpäteren Jahren ganz zutreffend des Königs 
Tiſchgenoſſe Luchelini; gerade aber der große Dichter wußte in der Wahl: 
verwandtichaft des Genies Weſen und Recht diefer deſpotiſchen Ader zu würdigen 
und gab auf die Frage: „Warum ich Royalifte bin?” die Auskunft: 


Das ift ſehr fimpel: 

Als Poet fand ih Ruhms Gewinn, 
Frei Segel, freie Wimpel. 

Muft aber alles felber thun, 
Konnt' niemand fragen; 

Der alte Fritz wußt' aud zu thun, 
Durft’ ihm niemand was jagen. 


Wer es mit dem Könige nicht verderben wollte, der mußte, fo meinte man, durch— 
bliden laſſen, daß er des Gebieter& Meberlegenheit fühle. Da knirſchten nun 
gerade die fräftigiten Naturen in feiner Umgebung, und die, weldhe dem Thron 
am nädjiten jtanden, wie die Brüder, und fchalten auf ihn in feinem eigenen Lager 
faum minder erbittert, als die offenen Feinde in den gegnerifchen Hauptquartieren 
und Kabineten, und mwagten doch nicht, wider den Stachel zu löfen. Und 
wie wäre das eine Entjicheidende, darin Preußen der Menge jeiner Wider: 
jacher überlegen blieb, wie wäre die äußerfte Anfpannung aller Kräfte und die 
Zuſammenfaſſung aller Einzelwillen in dem Willen des Einen, zu erreihen ge: 
weſen, ohne dieje „Furcht vor dem gebieteriichen Willen des Königs”, von der 
Claujewig einmal jpridt. Denfen wir diefe Furcht hinweg — möchte dann 
nah den Niederlagen von Kolin und Breslau die Auflöjung des Heeres und 
des Staates hinter den beillojen Erjcheinungen der Tage von Jena und Auer: 
jtäbt zurüdgeblieben fein? 

So gewandelt geht der Held aus diejer furdtbaren Prüfung hervor, nicht 
mehr heil und freudig, nicht warm und mild, fondern trüb, falt und hart wie 
ein fonnenlojer Wintertag. Das glüdlichfte aller Glüdsfinder, wie der junge 
König lahenden Mundes ſich ſelbſt genannt hatte, ift der alte Frig geworden, 


8 Schftes Bud. Vorbemerkungen. 


grämlich, verhärmt, verhärtet, jo wie in dem Antlit die weiche Nundung ber 
Züge den allbefannten ftrengen und jpigen Linien gewichen iſt. 

Aber wie die Stimme ihren alten einfhmeihelnden Klang, „weich ſelbſt 
beim Fluchen“, behalten hat, jo glimmt doch noch im Grunde des Herzens ein 
Funke warmer, weicher Empfindung. Noch immer wird das Auge leicht ihm 
‚feucht. Er ſelbſt ſchilt auf diefe Empfindfamkeit, auf diefe Nachgiebigkeit gegen 
äußere Eindrüde, da fie ibm die Schwere des Daſeins, die Aufregungen des 
Augenblids nur um jo peinvoller madt. Er gibt feiner Seele „Stockſchläge“, 
er denkt, daß Philofophie und Erfahrung jeine natürliche Lebhaftigfeit gebändigt 
haben jollen, und muß ſich endli doch ſagen, daß ein mit jo heißen Leiden: 
ſchaften Geborener die erjehnte „Unempfindlichkeit des Stoifers“ nicht erreichen 
fann. Und wäre er noch eine Natur gewejen, die an der That und am Einſatz 
aler Kräfte, am Wetten und Wagen, am beldenhaften Ringen mit dem feind: 
-feligen Geſchick innerlide und ausſchließliche Freude, leidenſchaftliches Genügen, 
Seligkeit empfunden hätte. Aber immer wieder fommt die Sehnjucht nah bem 
Stillleben, nah der Einjamkeit des Studierzgimmers zum Durchbruch, die jenti- 
mentale Sehnſucht des achtzehnten Jahrhunderts, die das befte Teil in beſchau— 
licher Beltellung des Gärtleins fieht. Der Mann, an dem bie anderen die „mehr 
als menschliche” Feitigkeit bewundern, ſeufzt: „Der Geift der großen Männer ift 
nicht der meine”, und bezeichnet fich als den, dem Wagniffe und Glüdsfpiel 
verhaßt find. Als Martyrium, als Fegefeuer beklagt er jein Heldentum; „ein 
Zeichen mehr des Leidens als des Glücks“ ift der Lorbeerkranz auch ihm geweien. 
Er ift allmähli der Kataſtrophen jo gewohnt, daß er die fommenden Ereignifle 
„nur noch fürchtet”; er bebt, wenn er einen Brief erbricht, und erfchridt, wenn 
die Thüre ſich öffnet. 

Vordem hatte er in Karl XII. den einzigen pathetiichen Typus bes Jahr: 
bunderts gejehen; jet jagt er von ſich felbit, daß er allen Erforderniffen eines 
tragiihen Bühnencharakters genüge. Alles fommt zufammen: jener Verzicht auf - 
die Kleinen Bequemlichkeiten und Genüſſe feines anfprudslojen Haushaltes und 
auf die Anregungen und ben heiteren Zauber der Tafelrunde von Sansſouci; 
der Gram, des Landes Wohlfahrt zeritört, die Saaten des Friedens zertreten 
zu ſehen; bald ſchon die Unfähigkeit zur rechten Freude an den Erfolgen, wenn 
fie einmal nicht ausbleiben, an dem Ruhm und an dem Werkzeug des Ruhms, 
dem Heere, das da verwildert und jich zerrüttet; die Vorausſicht endlich, troß 
allen Ringens endlich unterliegen zu müſſen, dieſe „peinlichen Grübeleien des 
Wafferfüchtigen”, „der Tag für Tag die Fortichritte jeiner Krankheit feititellt, 
die Kälte ald Todesboten ſchon in den Gliedern jpürt, und den Augenblid vor: 
aus berechnet, da auch das Herz abfterben wird“. Und indem ihm fo „das Ende 
des Stüdes” allezeit vor Augen fteht, gelobt er fih, daß mit dem „Schlufie 
des fünften Aktes“, mit dem legten Widerftand gegen das unabmwendbare Ver: 
hängnis aud für ihn jelbit die Zeit vorbei jein ſoll. Dieſe Todesgedanfen be: 
gleiten ihn den ganzen Krieg hindurch: Schon 1757 geiteht einer der Tabler im 
eigenen Lager, daß es nicht leicht einen Unglüclicheren geben fann, als ben, 
deſſen Einbildungstraft immer mit Todesgedanfen beichäftigt ift und der mit 
einem Fuß bereits im Grabe fteht. 


Sechſtes Bud. Vorbemerlungen. 9 


Hat Friedrich, wenn er ſich einen tragiſchen Charakter nannte, auch das 
‚Moment der eigenen Verſchuldung damit anerkennen wollen? Gewiß hat er 
den Eturm, der fein Leben erfüllt hat, jelbit entfacht. Er hat einen Gegner 
auf Tod und Leben herausgefordert, und dann, da er es noch gefonnt hätte, 
ihn nicht zu Boden geitredt; denn wohl dürfte e& in jeinem eriten Kriege bei 
ihm geftanden haben, die Hand, die nahmals ihm fo jchwere Wunden ge: 
ſchlagen hat, ganz und für immer zu entwaffnen. Es hat nicht an Stimmen 
gefehlt, weder bei jeinen Lebzeiten noch im der Folgezeit, die all jein Thun jeit 
der Eroberung von Schleiien aus der Unruhe eines böjen Gewiſſens haben 
herleiten wollen. Friedrich hat als großer Nealpolititer die Grenzen des politiſch 
Erlaubten weit gejtedt und Hat dem einjt öffentlih von ihm verurteilten Mac: 
hiavell jpäter eine fürmlihe Chrenerflärung gegeben ; aber es unterjcheiden 
fih ihm doch beim Rückblick auf feine eigenen Handlungen ſolche, die ihm durch: 
aus unbedenklich und gleichſam jelbitverftändlich ericheinen, und andere, die er 
entichuldigen zu müjlen glaubt. Schon der alte Garve hat treffend bemerft, 
daß Friedrich, jo oft und jo angelegentlid er feinen eriten Frieden, den Sonder: 
vertrag von Breslau, den Abfall von dem Bündnis mit Franfreih, zu recht— 
fertigen gejucht hat, doch nie ein Wort der Entjehuldigung für feinen erften 
Krieg, für die Eroberung. von Schlefien übrig gehabt habe, und daß ihm voll- 
ends im fiebenjährigen Kriege nie, jelbit in den größten Bedrängniſſen nicht, 
der geringfte Zweifel an der Gerechtigkeit feines Thuns aufgeftiegen fei. Es 
ift nicht anders: in dem Beſitz von Schlefien, dem noli me tangere feines 
politiihen Dajeins, hat er fih durch Gewiſſensbedenken ebenjowenig beirren 
daffen, wie dur das Dräuen und Anftürmen des verbündeten Europas, und 
mehr noch als fchon jein zweiter Krieg hat ihm diejer dritte immer als ein ihm 
aufgezwungener Verteidigungsfampf gegolten. Es wäre denn, dab man aus all 
den unvergleihlichen Briefen, die vielmehr als Selbitgeiprädhe denn als Mit: 
teilungen anzufehen find, entweder bewußte Heuchelei, oder den Verſuch das 
Gewiſſen zu betäuben, oder vollendeten Selbitbetrug herauslefen wollte — da 
wo wir den todbmüden Kämpfer bewundern, der. in. Trübjal und Bangen 
und den ſchwerſten Anfechtungen fich immer wieder aufrichtet an dem Bewußt— 
fein, feine Pflicht gethan zu haben, und an dem Vorſatz, ſeine Pflicht weiter 
zu thun, oder, wie Garlyle einfah und jchön gejagt hat, „an der Hoffnung 
auf fein eigenes bejtes Bemühen bis zum Tode“. 

Diejer Glaube an ſich jelbit und an jeine Sache war ihm um so leben: 
diger, je mehr er ſich der entſcheidenden Bedeutung dDiejes Krieges als eines 
großen Wendepunftes in den Geſchicken Preußens, Deutichlands, Europas be: 
wußt war. „Das Größte, was dem Menjchen begegnen kann,“ jagt Ranke 
von der britiichen Elifabeth, „it es wohl, in der eigenen Sache die allgemeine 
zu verteidigen: dann ermeitert fih das perjönlihe Dafein zu einem welt: 
biftorifchen Moment.” Wohl philofophierte Friedrih, daß in der Unermeßlich— 
feit des Weltalls und in der Flucht der Zeiten diefer Kampf nur ein Frojch: 
mäuſekrieg jei; aber für dieje fleine Erde fieht er von ber Webermältigung 
Preußens Folgen genug voraus: wilden Hader zwiſchen den Siegern, Um: 
wälzung auf Umwälzung im europäifchen Staateniyitem, dazu ſchwere Gefahren 


10 Sehftes Bud. Vorbemerkungen. 


für die Zukunft der deutichen Geifteskultur, da der Sieg feiner Feinde ber Un: 
duldfamkeit freie Bahn Schaffen wird zur Verfolgung aller derer, welche die 
Leuchten ihrer Vernunft nicht auslöfchen wollen. Wohl bleiben die Bilder der 
nationalen Zufunft und der einftigen SKaiferberrlichkeit jeines Haufes jeinem 
Blick verihloffen; aber den großen Geftalten der deutfchen Vergangenheit reicht 
er über die Jahrhunderte hin die Hand und fieht in jeinem Kampfe die Fort: 
jegung des ſchmalkaldiſchen und des dreißigjährigen Krieges wider den „Deſpo— 
tismus der Ferdinande”. Wohl meint er in einer Stunde dumpfer Entjagung, 
der Staat habe vor ihm beitanden und werde nad ihm beitehen — wie denn 
der Begriff Brandenburg nicht durch die wendiſche oder germaniiche Bevölke— 
rung, nicht durch die asfanische oder zollerifche Yandesherrichaft beitimmt wird. 
Uber das Brandenburg, das Preußen, das er aufgerichtet hat, zu dejien Größe 
er „mehr als irgend ein anderer feines Haufes” beigetragen zu haben früh fi 
rühmen durfte, das fteht und fällt mit dem guten oder böjen Ausgang diejes 
Krieges, das fteht und fällt mit feinem Schöpfer. Von diefem Preußen gilt 
ibm: es jei wie es ift oder e& höre auf zu fein; weil für diefen Staat das Leben 
ebenjowenig der Güter höchftes iſt, wie für dieſen König, der die Schande 
nicht überleben will, und der allen Mahnungen, fi den feindlichen Gefchofien nicht 
auszufegen, das Wort entgegenhält: „Es iſt nicht nötig, daß ich lebe; wohl aber, 
daß ich meine Pflicht thue und für das Vaterland kämpfe, um es zu retten, 
wenn es noch zu retten iſt.“ 

Wenn irgend jemand, jo hätte Friedrih das Necht gehabt, von der Not: 
wendigfeit jeiner Erhaltung, von feiner Unentbehrlichkeit zu reden. Daß er 
unter den Lebenden blieb, war notwendig für feinen Staat, notwendig aud für 
feinen Nachruhm. Hätte eine Kugel ihn dabingerafft, wie den Helden des nordi— 
ſchen Krieges, er würde in der Gejchichte, trog alles von ihm erhobenen Einfpruches, 
eben nur als der preußifche Karl XII. fortleben. Friedrich bat ein andermal ge- 
fagt: „An der Stelle, wo ich ftehe, muß man handeln, als jollte man niemals 
fterben.“ Ein Widerfpruch liegt zwifchen den beiden Worten nicht; fie enthalten 
die beiden Seiten feiner Auffafiung von dem perfönlichen Verhältnis des Fürften 
zum Staate. Hier fpricht der Herrſcher, der gleichſam unperjönlih ganz aus 
dem Ich des Staates heraus denkt und handelt und dem uniterblichen Staat fi 
jelbjt gleichfegen darf; dort ift es der erfte Diener des Staates, der da in Demut 
befennt, daß vor der Majeität des Staates jedes Menjchenleben gleich wenig 
gilt, ob nun der König oder der geringfte Kriegsfnecht fält. Für den ganzen 
Krieg jener fieben Jahre ift diefes „Es ift nicht nötig, dab ich lebe” gleichſam 
das Motto, eine ſchlichte und treue Spiegelung des Helden in feinem föniglichen 
Pflichtgefühl, feiner philofophiihen Ergebung, feiner foldatiihen Tapferkeit. 


Erjter Abjchnitt. 


Derlauf und Wirkungen des Jeldzugs don 1756. 


des jiebenjährigen Krieges als unbezwingbar gegolten; nicht jo das 
bisher immer fiegreihe beim Beginn des großen Kampfes. 

Noch hatte fich die öfterreihiihe Macht mit der preußifchen nie gemeſſen, 
ohne daß fie zugleih andere Gegner zu beitehen gehabt hätte: Baiern und 
Sachſen, Neapolitaner und Spanier, und vor allem die Franzojen. Jetzt, da 
Franfreih feine Hand von Preußen abgezogen hatte, gab ein franzöfifcher 
Minifter der allgemeinen Anficht feiner Landsleute dahin Ausdrud, daß der König 
von Preußen fich jelbit jagen müſſe, die Kaiferin:Königin werde an Macht ihm 
immer überlegen und allemal bejier im ftande fein, den Krieg auf die Dauer 
auszuhalten, als er, deſſen Macht doch noch lange nicht fo befeftigt fei, wie die 
des Hauſes Deiterreih. So meinte auh Graf Kaunig zuverfichtli, habe Oeſter— 
reih von anderer Seite nichts zu beforgen, dann würden bie eigenen Streit: 
fräfte wohl noch zureihend fein, Preußen über den Haufen zu werfen: von 
diefem Sat ging im Juni 1755 fein eriter Ratichlag zum Angriffsfriege aus — 
wenn Raunig auch von Stund an raftlos darauf hinarbeitete, zu defto jäherem 
Verderben des Gegners Bündnis an Bündnis und Heer an Heer zu hängen. 

König Friedrich felbit hat feinen Hauptgegner jo wenig unterfhäßt, daß 
er Zeit feines Lebens die öſterreichiſche Kriegsmacht als der preußifchen eben: 
bürtig betrachtet hat. „Wenn wir ebenfoviel Verbündete als Feinde haben” — 
hörten wir ihn einige Jahre vor dem neuen Zufammenftoß über die Nusfichten 
eines Krieges mit Defterreih jagen, !) „werden wir uns mit Ehren herausziehen, 
dank der Vortrefflichfeit unferer Disziplin und danf dem Porteil, den die 
Schnelligkeit vor der Langſamkeit voraus hat.” Und wenn er e& an fi als ein 
Gebot der gefunden Vernunft bezeichnet, bei einem Krieg Eroberungen ins Auge 
zu faſſen, fo jest er doch jofort hinzu: „Aber da in allen unſeren Kriegen Europa 


D in mehr als einer Schlacht beſiegte preußiſche Heer hat am Ausgang 


) Bd. I, 558. 


12 Sehftes Bud. Erfter Abichnitt. 
jich in zwei große Gruppen teilt, jo ergibt ſich ein gewiſſes Gleichgewicht der 
Kräfte und bewirkt, daß man nah allen Erfolgen beim allgemeinen Frieden 
um nichts vorwärts gefommen ift.” In dem politifchen Teftament von 1752 
dient ihm der Hinweis auf diejes Gleihgewidht der großen europäiichen Parteien 
als eine Warnung gegen den Eintritt in einen Angriffäfrieg. 

Er hatte die Erfahrung von 1744 nit umsonst gemadt. Um das von 
der einen Partei gewonnene Uebergewicht wieder aufzuheben, hatte er damals 
fein Schweres Schwert in die Schale der anderen geworfen: in der Hoffnung, von 
Frankreich unterftügt und von Nußland, wo nicht unterftügt, jo doc) nicht ge: 
hindert zu werden, hatte er die öjterreichiiche Macht niederzufämpfen und in 
Böhmen dem Wittelsbacher einen großen Siegespreis und fich felbit einen Heinen 
zu erringen gedacht. Es war ihm nicht geglüdt, und feine Nuganmendung war 
in jenem Tejtament, daß er jeinem Staate das Wagnis eines neuen Eroberungs: 
frieges gegen Defterreih nur unter einer europäilhen Konjunktur geraten haben 
wollte, die den Gegner möglichſt ijolieren würde. 

Statt vereinfamt zu fein, nahm Defterreich mit dem 1. Mai 1756 eine 
Föberativitellung in Europa ein, die ihren Schöpfer, den Grafen Kaunig, mit 
berechtigtem Stolz und freudigiten Hoffnungen erfüllte. Zu den beiden Mächten, 
auf die bei Beginn des vorigen Krieges Preußen mittelbar oder unmittelbar 
feine Rechnung geitellt hatte, unterhielt jetzt vielmehr Deiterreih Beziehungen, 
die ihm verbürgten, in den Kampf für die Wiedereroberung Schlefiens von der 
einen wie von der anderen unterftügt zu werben. 

Nicht von allen dreien, zunächſt und unmittelbar nur von den beiden 
Kaiferhöfen, glaubte der König von Preußen fich bedroht. Nicht daß er die 
Nuffen im offenen Feld gefürchtet hätte; da verachtete er fie über Gebühr. Aber 
troßdem hatte er vor zehn Jahren das ruffiiche Neich als den gefährliditen unter 
allen Nahbarn bezeichnet und feinen Nachfolgern empfohlen, die Freundſchaft 
„diejer Barbaren“ zu pflegen, die da im ftande feien, mit der unermeßlichen Zahl 
ihrer leichten Truppen Preußen von oben bis unten zu Grunde zu richten und 
denen man doch nicht Gleiches mit Gleichem vergelten könne. Rußlands ficher, 
hatte er 1744 bei Beginn des Krieges feine von den Kernlanden abgetrennte 
Oftproving ruhig von Verteidigern entblößen und alles, was er an Truppen 
bejaß, zufammenziehen fönnen. Bon Rußland und Defterreich gleichzeitig bedroht, 
mußte er jeine Macht zerteilen und fonnte dann doch das Grenzland nur uns 
zureichend gegen einen ruffifchen Einbruch deden; ja er mußte noch dazu von 
vornherein in Ausficht nehmen, die Provinz zu räumen, wenn etwa die Ruffen 
durch Polen nach der Neumark zogen, da man ihm jonit, wie er fih ausdrüdte, 
„bier die Kehle abjchneiden würde”. Und weiter: ſehr bald mußte ſich der 
König von Preußen mit dem Gedanken vertraut machen, bei der beichränften Zahl 
feiner Truppen auch Oberſchleſien von BVerteidigern zu entblößen, „es fei denn, 
daß der wilde Bär ftile fißet.“ Im Mißverhältnis zu dem wirkliden Maß 
feiner damaligen Stärfe war Rufland bei dem unverföhnlihen Gegenjag ber 
beiden deutihen Höfe die ausjchlaggebende Macht geworden, ſchon vor dem 
Kriege politifh, weil von jeiner Haltung die Entihließung der Kaiſerin-Königin 
und damit die Entſcheidung über Krieg und Frieden abhing, und jegt aud) 


Berlauf und Wirkungen bes Feldzugs von 1756. 13 


militärifch, weil durch die Dazwiſchenkunft der ruffiihen Truppen das annähernde 
Gleihgewiht, das nad Friedrichs Auffaſſung zwiſchen der preußifchen und der 
öſterreichiſchen Streitmacht beitand, zu Preußens Ungunften bejeitigt wurde. 

Und wo waren die Bundesgenofjen, deren Friedrich in dem Striege gegen 
eine Koalition, um fi mit Ehren berauszuziehen, nicht entbehren zu können 
glaubte? Er hatte 1756 nur einen Verbündeten, England. Einen Verbündeten, 
von dem ein franzöfiicher Minifter mit Recht jagte, daß dieſer neue Alliierte gar 
nit in der Lage fei, den König von Preußen mit gemwaffneter Hand zu 
unterjtügen. 

Denn in der That, traurig genug war damals die Lage diejes folgen 
Englands, das im Mai nah langem Zaudern endlich den Krieg an frankreich 
erklärt hatte und nun in den nächſten Mochen Verluft auf Verluſt erlitt, im 
Mittelmeer Minorka fih entreißen ließ und die Franzojen auf Korſika landen 
lab, in Amerifa die Waffenplätze am Ontariojee und in Indien Kalkutta ein: 
büßte, vor dem Erbfeind ſchon hinter dem Kanal fih nicht mehr fiher glaubte 
und angfterfüllt die beutihen Dlietstruppen, Hannoveraner und Heilen, zur Ver: 
teidiaung feiner Küften berbeirief. Aber jelbft wenn England aus dem augen= 
blidlihen Bedrängnis fi herauswand, das eine wußte der König von Preußen 
genau, daß unmittelbare Hülfe in einem Kampfe gegen Defterreih von diejer 
Seite nie zu erwarten war. So veriteht es ſich, wenn das politifche Teftament 
den Satz aufftellt: gewinnen und Eroberungen maden könne Preußen in einem 
Kriege mit Defterreih nur an der Seite Frankreich, nicht im Bunde mit Eng: 
land. Unterftügung mit den Waffen war von England doch nur in dem einen 
Falle zu erwarten, deſſen Eintritt Friedrich noch feineswegs ale wahrſcheinlich 
betrachtete, daß Frankreich mit einem jelbitändigen Heere in den beutichen Krieg 
eingriff. Und felbit in diefem Falle ftand es dabin, ob bie heſſiſchen und 
bannoverihen Truppen aus England zurüdfehrten; es war Gefahr vorhanden, 
dat dann FFranfreih, indem es die Neutralität Hannovers anerfannte, den 
Engländern das unmittelbare Intereſſe an einer Interftügung Preußens 
fortnahm. 

So ganz fehlten die föderativen Vorausfekungen, von deren Erfüllung das 
politifche Teftament wenige Jahre zuvor einen Angriffsfrieg, einen Eroberungs: 
frieg abhängig gemacht hatte. 

Der preußiſche Staat jab fih dem Bunde der beiden Kaijerhöfe gegenüber 
allein auf die eigenen Hülfsmittel angewieſen. „Die bewaffnete Macht,” befennt 
der König 1752 in eben jenem politiihen Teitament, „it reipeftabel, aber nicht 
zahlreich genug, um allen Feinden, die uns umringen, zu widerſtehen.“ Indes 
meinte er damals nod, die weitere Verftärfung des Heeres, das er von 77000 
Mann auf 135600 (die Troßknechte und Landſoldaten beivemal nicht eingerechnet) 
gebracht hatte, der Nachwelt überlafjen zu dürfen. 1755 befchloß er für fünf 
Garnifonregimenter die Errichtung dritter und vierter Bataillone, gedachte aber 
dieſe Vermehrung um zehn Bataillone auf ganze drei Jahre, von Trinitatis 1755 
bis 1758, gemächlich zu verteilen und beſchränkte fih in dem eriten Rechnungs: 
jahre ſogar auf nur zwei Bataillone, 1390 Mann. Bis dann Mitte Juni 1756 
der Umſchwung der politiichen Lage es geraten erjcheinen ließ, die noch fehlenden 


14 Sechſtes Bud. Erfter Abfchnitt. 


acht Bataillone auf einmal und ſchon bis zum nächiten 1. Auguft aufzuftellen 
und dazu, über den Voranſchlag hinaus, für den 1. September die Errichtung 
noch von vieren in Aussicht zu nehmen, ') Das Wejeler Garnijonbataillon wurde 
zu Beginn des Etatsjahrs 175657 unter Hinzulegung eines zweiten Bataillons 
in ein Feldregiment verwandelt, die Artillerie hat von 1752 bis 1756 eine Ber: 
ftärfung um 200 Mann erhalten. 

Eine Vermehrung innerhalb der beitehenden Gadres war für den größten 
Teil der Infanterie ſchon am 25. Februar 1755 angeordnet worden, indem die 
Zahl der jogenannten Ueberkompletten durch ftärfere Heranziehung der wehr: 
pflichtigen Landeskinder verdoppelt, von 10 auf 20 bei der Compagnie gebradjt 
werden follte. Entiprehende Weifungen ergingen gleichzeitig für die Dragoner: 
und Küraffierregimenter. Auf die Hufaren und die neu errichteten Garnifon: 
bataillone war die Maßregel nicht ausgedehnt worden. Zu Beginn des Krieges 
betrug die Geſamtſumme der Ueberfompletten rund 17 000 Mann, gegen 8ÿ9000 
nad dem Fuße von 1752 und gegen die 13570 Ueberfompletten, die bei Er: 
Öffnung des Feldzuges von 1744 in den Lilten geführt wurden. Aber die jegt 
zu der Truppe ftoßenden neuen Weberfompletten hatten zunächſt weder Uniform 
noch Gewehr noch Patronen; die von der Kavallerie rüdten zum größten Teil 
unberitten ins Feld; für die Dragoner der oftpreußiichen Regimenter fanden ſich 
nicht einmal die abgelegten Degen vor, mit denen der König fie in der Eile aus: 
zurüften gedachte, denn das Militärdepartement hatte alle alten Degen, Riftolen 
und Karabiner nad Berlin abgefordert. Sollen gleihwohl diefe unfertigen neuen 
oder doppelten Weberfompletten als Streiter mitgezählt werden, jo würde die 
Geſamthöhe der feit 1752 eingetretenen Vermehrung fih bis Anfang September 
1756 auf 18000 und einige Hundert Mann belaufen. Mit etwa 154000 Mann 
war das Heer immer nur um rund 10000 ftärfer als beim Beginn des legten 
Krieges. 

Wie die neuen Truppenkörper erit im legten Augenblide gebildet wurden 
und wie die neu ausgehobenen Mannſchaften nicht einmal ſämtlich bewaffnet 
werden fonnten, jo zeigte fih an der diesmaligen Rüftung überall, daß ber 
Krieg nicht wie 1744 ſeit geraumer Zeit vorbedadht und vorbereitet, fondern 
einem plöglichen und ipäten Entſchluß entiprungen war. Die Uebungen ber 
Negimenter waren 1744 ſämtlich in den Juli gelegt worden, das heißt jo, daß 
der vorherbeitimmte Zeitpunkt des Losbruchs ale Beurlaubten bei der Fahne 
fand. Dagegen hatten in diefem Jahre die Regimenter der einzelnen Provinzen 
wie gewöhnlich zu verfchiedenen Zeitpunkten, in den gleichen Tagen wie im 
Vorjahre, ihre Uebungen begonnen, und die pommerichen und märfiichen (von 
fünf Neiterregimentern abgejehen), die magdeburgiihen und weitfälifchen hatten 
im Juni nad der Uebung ihre Beurlaubten wie gewöhnlich wieder entlaffen; 
nur die oftpreußiichen Truppen behielten die Beurlaubten bei der Fahne und 
die elf ihnen zum Rüdhalt nad) Hinterpommern verlegten Bataillone zogen fie 
von neuem ein, auf jene beunrubigenden Nachrichten, die gerade im Juni aus 
Rußland famen. Für die ſchleſiſchen Negimenter, die herfömmlich erft im Juli 


) Val. Bd. 1, 596, wo 3.2 ftatt vier zu lejen ift: zwei. 


Verlauf und Wirkungen bes Feldzuges von 1756. 15 


ihre Beurlaubten zur Uebung einzogen, fiel das Ende der Uebungszeit wie 1744 
mit dem Anfang des Krieges zuſammen. 

Der Ankauf der Pferde und die Zurüftung des Troffes war 1744 für alle 
Regimenter jhon Anfang März, fünf Monate vor dem Ausmarſch, angeordnet 
worden; 1756 erit Ende uni und nur zum Eleineren Teil; die Hauptſache, der 
Pferdeankauf in Lande, erit im Auguft; auf dem ausländiihen Markt in 
Hannover, Medlenburg, Holitein hatten die öfterreihiichen Händler das Beite 
vorweg gelauft. 

Noch andere Maßnahmen waren allzulange hinausgezjögert. Den Ausbau 
der jchlefiihen Feitungen fand der Beginn des Krieges unvollendet; nur Glogau 
war im wejentlihen fertig. Für Kofel, Neijje, Brieg waren die noch erforder: 
lihen Summen in den Etat des Nechnungsjahres 1756,57 eingeftellt und im 
Frühjahr 1756 in der Weiſe angemwiejen worden, daß die Palliſaden bis Ende 
bes Kalenderjahres beſchafft, die Kajernenbauten bis Ende bes Etatsjahres, aljo 
bis Ende Mai 1757, ausgeführt fein jollten. lat hatte überhaupt erjt im 
Redhnungsjahr 175758 an die Reihe zu fommen, und als der Kommandant 
drängte, den Bau der Kajematten fofort in Angriff zu nehmen, hatte ihm der 
König am 11. März 1756 fait unmwillig erwidert, es bleibe dabei, daß in diejem 
„jahre in Glatz nichts zu geichehen habe. Eo ganz hatte ihn der Vertrag mit 
England in Ariedensjicherheit gewiegt. Als nun im Juni die Kriegswolken auf: 
fliegen und den unfertigen Grenzplägen wenigitens ihr Pallifadengürtel ſchnell 
angelegt werden jollte, ergab jih, daß in Glatz an der erforderlichen Zahl von 
20000 nicht weniger als 18000, daß in Neiffe 43000 Palliſaden fehlten, daß 
fie aud in Breslau und Brieg nur unvollitändig, in Kojel nur für zwei Außen- 
werfe vorhanden waren. Die Kommandanten wehllagten; aus Neiſſe fam ein 
endlojes Verzeichnis der noch fehlenden Verteidigungsgegenftände: Flinten- und 
Kanonenkugeln, Bomben und Granaten, Pulver und Pechkränze und an die 
fieben Millionen Patronenhülſen. 

Erhebliche Schwierigkeiten endlich bot die Füllung der Magazine. Der lepte 
Eommer hatte eine Mifernte gebracht, Getreide war fnapp und noch fnapper Raub: 
futter. Zwar befahl der König am 19, Juni dem Oberpräfidenten der ſchleſiſchen 
Kammern, daß die Magazine der Provinz bis zum Herbit ergänzt fein jollten 
und daß für das jchleiifche Heer Fourage auf dritthalb Monate beichafft werden 
müſſe; aber als Marſchall Schwerin im September ins Feld rüdte, ſchuf ihm 
der allgemeine Mangel an Heu und Stroh die größte Verlegenbeit. 

Wenn der König im juli dem engliihen Gefandten erklärte, daß er troß 
der DVerftärfung des Heeres doch nicht über 120000 Mann ins Feld jtellen 
fönne, jo ilt diefe Zahl beim Beginn des Krieges in der That nur unerheblich 
überjchritten worden; doch blieben von den Feldbataillonen eines in Schlefien 
und jehs am Rhein zurüd. 

Das Hauptheer, das am 29. August in drei Kolonnen, unter Führung des 
Königs und zweier braunshweigiicher Prinzen, Auguft Wilhelm von Bevern und 
Ferdinand, die ſächſiſchen Grenzen überfchritt, 70 Bataillone und 101 Schwadronen 
fark, nahm der König auf rund 65000 Mann an, das jchlefiihe Heer, 
unter dem Feldmarſchall Schwerin, auf fait 30000; eine fpätere Berechnung 


16 Sechſtes Bud. Erfter Abichnitt. 


der einzelnen Truppenteile bat, ohne Einfluß auf die Hauptiumme, für das 
erite Heer 67050, für das zweite 27100 Mann ergeben. Ein drittes Heer, 
dem Oberbefehl des Feldmarichalls Lehwaldt anvertraut und wieder auf rund 
30000 Mann angefchlagen, follte fih zufammenjegen aus 14 Feldbataillonen 
und 4 auf FFeldetat gebradhten Garnifonbataillonen, ſowie 50 Schwadronen, in 
Preußen und jenem bereits Ende Juni nah Pommern entjandten Rejervecorps 
von 11 Bataillonen und 10 Schwadronen unter dem Erbpringen von Heilen: 
Darmitadt. 

Da die rufliihen Nüftungen feit dem Juni unterbroden waren, ein Angriff 
von dieſer Seite aljo für das laufende Jahr faum noch zu erwarten war, jo 
blieben Lehmwaldts Truppen auf die beiden Provinzen verteilt; ja König Friedrich 
bat dem englijhen Gejandten am 19. Auguft die Zuſage gegeben, bei unmittel- 
barer Gefahr eines franzöftichen Angriffs auf Hannover die etwa 10000 Mann 
aus Pommern dem König von England, allerdings nur bis Ende Februar, zur 
Verfügung ftellen zu wollen. 

Die Offenfive war dem Hauptheer vorbehalten. Als Ziel jeines Vor— 
dringens für den diesjährigen Feldzug bat Friedrich jowohl dem engliichen Ge: 
jandten wie dem Prinzen von Preußen, dem er durch den Generallieutenant 
Winterfeldt feinen Feldzugsplan darlegen ließ, Melnik bezeichnet, wo die Elbe 
die Moldau aufnimmt und jchifibar wird. Someit wollte er die Vorpoiten aus- 
fenden, die Hauptitellung aber und jpäter die Winterquartiere hinter der Eger 
nehmen; für die Zufuhr follte die Elbe Gewähr leiten. Bon den Gegnern 
nahm er an, daß fie, zum Angriff noch nicht fertig, fich begnügen würden, eine 
ſtarke Beſatzung nad) Prag zu werfen, auch ihr Hauptheer dorthin zu ziehen. 
Segte man doch überhaupt eine ſtrategiſche Methode bei ihnen voraus, wonach 
fie die Schlachten vermeiden und es vielmehr darauf anlegen würden, wie 
Winterfeldt es ausdrüdte, „uns durch Detours und den langiamen Krieg abzu: 
matten“. Traf diefe Annahme zu und ging man obendrein über Melnif hinaus 
dem Feind nicht entgegen, jo konnte e& leicht geſchehen, daß der Feldzug ganz 
ohne Schlacht verlief. Bataillen zu liefern, ſei jegt noch nit an der Zeit, 
ichreibt Friedrich furz vor dem Ausmarſch, am 26. Auguft, an Schwerin, und 
14 Tage darauf vertröftet er den Marſchall auf das nächſte Jahr: da würden 
die guten Stöße geführt werden. Schwerin äußerte fein Bedenken: er vermöge 
nicht abzujehen, wie der König fich für den Winter fiher in Böhmen feitiegen 
wolle, wenn man nicht vorher auf einem oder dem anderen Fled zu einem ent: 
ſcheidenden Stoß gekommen jei; Friedrich aber bat ihn unbejorgt zu fein, denn 
er werde nach Böhmen bineinfommen und fo weit vordringen, wie er es fi 
vorgenommen habe, und, wenn es ans Schlagen gebe, den Defterreichern ein 
Drittel ihrer Kanonen abnehmen. 

Nein defenſiv war die Aufgabe, die Schwerin jelbft zugewieien erhielt. Er 
jollte Schlefien deden, Niederichlefien vor allem, gegen einen Angriff von Böhmen 
ber, aber auch Tberjchlefien, gegen Truppen oder irrequläre Haufen, die aus 
Mähren und Ungarn fommen mochten. Doch war ihm freigeitellt, nad Lage 
der Umftände feine Defenfive in ein offenfives Gewand zu leiden und in Feindes- 
land einzudringen. 


Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 17 


Keine Frage, daß der diesmalige Feldzugsplan, an dem Maßſtab der eigenen 
ftrategifchen Anjhauungen des Königs gemeilen, jehr beicheiden war; denn 
Friedrich hatte noch im Vorjahre geäußert, dab man an einen Feldzugsplan für 
die Eröffnung eines Krieges höhere Anforderungen ftellen könne, als an die von 
allzuviel Zwifchenfällen abhängigen fpäteren Entwürfe, und er hatte im Hinweis 
auf die Armut feines Staates und die eigentümlichen Vorzüge jeiner ganz auf 
die Schlacht zugerichteten Truppen den Befehlshabern preußifcher Heere zur 
Pflicht gemacht,!) ſchnelle Entfcheidungen herbeizuführen. 

Doch der anſcheinende Widerſpruch löſt fich leicht. Der Feldzug von 1756 
it auf Böhmen berechnet. Böhmen aber gilt dem König von Preußen, wie 
wir willen, ſeit der Erfahrung von 1744 als das verwunfchene Land, in welchem 
eine große Entiheidung ſich nicht erzwingen läßt; als das Land, in weldem 
man nicht einmal im Winterquartier fih behaupten fann, es ſei denn daß ein 
verbündetes Heer in unmittelbarer Nähe, in Böhmen felbit, die Flanke dedt. 
Das verbündete Heer, das im Winter von 1741 auf 1742 zur Stelle geweien 
war, bas 1744 jeine Mitwirfung mwenigitens zugelagt hatte, fehlte diesmal ganz. 
Und noch in anderer Beziehung war die militäriihe Lage anders als 1744, 
ungünftiger. Damals war Böhmen, jo gut wie Sclefien im Dezember 1740, 
faft ganz von BVerteidigern entblößt, ungehindert hatten die Preußen Prag be: 
lagern und einnehmen können. Statt jenjeits des Rheins, wie damals, ftand 
jett das öfterreichiiche Heer diesſeits der Donau, zwar noch nicht völlig ver: 
jammelt, aber marjchfertig und fampfbereit, beſſer gerüftet denn je. 

Nicht das alfo fann auffallen, daß König Friedrih bier in Böhmen ſich 
nicht an große Dinge wagte. Nur ſo darf die Frage geſtellt werden, weshalb 
er den Krieg nicht nach Mähren trug; denn in Mähren mußten ſeiner ſtrategiſchen 
Theorie nach die Würfel eines Krieges zwiſchen Preußen und Oeſterreich fallen. 
Die Annahme iſt erlaubt, daß er 1749, als er den Krieg mit ben beiden Kaiſer— 
böfen erwartete, in der That nah Mähren gegangen jein würde. Auch damals 
war als Einleitung des Kampfes die Entwafinung der Sachſen gedacht. Aber 
während jekt das durch Sachſen vorrüdende und das jchlefiihe Heer getrennt 
blieben und beide auf die Beobachtung des Feindes beichränft fein jollten, würde 
der König damals, mit Zurüdlafjung von 20 Bataillonen in Sachſen, alles 
übrige, jowohl die aus Schlejien wie die aus Sachſen fommenden Regimenter, 
zu einem großen Heere unter jeinem eigenen Oberbefehl zufammengefaßt haben, 
aljo offenbar für eine nachdrückliche Offenfive, deren Schauplag feiner Auffafjung 
nah eben nur Mähren fein fonnte. Aber 1749 hätte er den Krieg früh im 
Jahre, im Mai, begonnen; wie denn alle Pläne für einen Feldzug in Mähren, 
die er theoretifch oder auf den praftiihen Fall entworfen hat, regelmäßig reich 
gemefjene Frift, die ganze gute Jahreszeit, für ihre Ausführung vorausjegen. 
Jetzt war der Entihluß zum Kriege ihm abgenötigt worden für einen jehr 
jpäten Zeitpunkt; jhon ging der Sommer zur Rüfte. So fonnte Mähren über: 
haupt nicht mehr in Betracht fommen, fondern nur nod der Kriegsichauplat, 


"3b. 1, 553. 
Rojer, König Friedrid der Große. II. 2. Auf. 2 


18 Sechſtes Bud, Erfter Abſchnitt. 


der entjcheidende Erfolge zwar zu verſagen ſchien, aber den großen Vorteil bot, 
daß die Dperationsbafis in der ftarfen Zentralitellung des Angreifers lag, in 
Sadjen. 

Sachſen bot für die Kriegsführung alle Vorteile, die an Böhmen vermißt 
wurden. Einen jhiffbaren Fluß, der die militäriihe Behauptung des Landes 
in derjelben Weife erleichterte, wie die Oder die Operationen in Schlefien; hinter 
dem allmählich abfallenden Grenzwall der Berge Hügelland und Ebenen, in 
denen ein großes Heer volle Bewegungsfreiheit fand; gute Heeritraßen, bie 
fürzeften Berbindungslinien zwijchen der preußiichen Hauptitadt und den fchlefifchen 
Grenzfeitungen. Eine zwiichen Brandenburg und Schlefien breit hineingejchobene, 
geſchloſſene Baltion, die im Befig eines Gegners die preußiichen Lande jchwer be: 
drohte, überwältigt aber jie trefflich dedte und dann für Verteidigung und Ausfall 
fih gleihmäßig eignete. Erſt nah Einnahme diejer Stellung konnte der König 
von Preußen überhaupt daran denfen, feine Truppen, was er ehedem als un: 
thunlich bezeichnet hatte, zum Winter in Böhmen bleiben zu laflen. Sadjen 
war im größten Stil eine jener beberrichenden, enticheidenden Stellungen, deren 
Ueberrumpeluna gleich zu Beginn des Krieges ein quter Feldzugsplan in Betracht 
ziehen jollte — io hatte friedrich e& in der Theorie verlangt, und wenigitens in 
diefer Beziehung genügte jein Feldzugsplan von 1756 den eigenen ftrategifchen 
Anforderungen. Elf Jahre zuvor hatte er fich diefen Gewinn durch zwei Siege 
mit vielem Blut erfauft. Er hatte Sahien damals zurüdgegeben, troß der 
Gunſt feiner militärischen und politiihen Yage. Dept wo die Dejterreicher zur 
Wiederaufnahme des nad) dem Tage von Kefjelsdorf unterbrodenen Kampfes 
fih anihidten, war es Friedrichs erite Handlung, die Dinge einfach in ben 
militärifhen Stand der Weihnachtstage von 1745 zurüdzuverfegen. Damals 
hatten die öfterreihiihen Bundesgenofien dem landflüchtigen König: Kurfürften 
Frieden und Heimfehr dur einen ſchweren Entſchluß erwirkt, indem fie endlich 
die Warten niederlegten. Wie damals erbot fih auch jetzt Friedrich, Sachſen 
wieder zu räumen, jofern nur Deiterreih ihm den Frieden gönnte. Er rechnete 
darauf, und nicht ohne Grund, dab es die Deiterreicher ebenjo überraſchen wie 
in ihren Entwürfen jtören würde, Sachſen von neuem in preußilcher Umklamme— 
rung, ihre eigene Groberungsaufgabe aber verdoppelt, auf Schlefien und Sachſen 
verteilt zu jehen. Die 1745 erzielte politiihe Wirkung der Uebermwältigung 
Sachſens blieb diesmal aus und verfehrte fich in ihr Gegenteil, die militärische 
war um jo entjcheidender und nachhaltiger. 

Daß er einen fünftigen Krieg mit der Bejegung Sadiens zu eröffnen 
babe, ftand dem Könige von Preußen jeit lange feſt. Der jchwere militärijche 
Fehler des vorigen Krieges durfte nicht wiederholt werden. Er hatte 1744 nad 
dem Durchmarſch durch das Kurfürftentum das ſächſiſche Heer in jeinem Nüden 
gelaſſen; alsbald war das Heer ihm nach Böhmen nachgerückt, auf jeine Verbindungs— 
linien gefallen und demnächſt in Schlefien eingedrungen. Er hatte die Sachſen 
bei Hohenfriedberg geſchlagen und doch die völferrechtliche Fiktion weiter gelten 
lafjen, nad der die Sadjen nicht friegführende Partei, jondern nur Auriliar: 
madt zu jein behaupteten. Erit dann hatte er ihr Gebiet betreten, ihr Heer ge: 
ſchlagen, ihre Hauptitadt erobert, als ihr mit den Defterreihern vereinbarter 


Verlauf und Wirlungen des Feldzugs von 1756. 19 


Kriegsplan jeine eigene Nefidenz, in ihrer gefährdeten Lage hart an ber 
ſächſiſchen Grenze, der unmittelbaren Gefahr einer Ueberrumpelung ausjegte. 

Als jegt am 1. September 1756 auf dem Schloſſe zu Pregih, jeinem 
zweiten Hauptquartier auf ſächſiſchem Boden, ein ſächſiſcher Abgefandter ihn 
an die beftändige Freundſchaft und Vergefjenheit des Gejchehenen erinnerte, die 
fih beide Könige im Dresdener Friedensjchluffe angelobt, antwortete er mit der 
ihneidenden Frage: „Und ſeitdem?“ Unter dem Eindrud jener Unterredung, 
die er in den Dresdener Weihnachtstagen von 1745 mit dem ſächſiſchen Minifter 
Hennide gehabt hatte, ') ift er no geraume Zeit der Meinung gewejen, daß fi 
ein politiiches Einvernehmen mit dem Nahbarftaate, dem bisherigen Gegner, 
anbahnen werde. Er hatte beim Friedensſchluß nicht auf der Entfernung Brühls 
beitanden, um, wie er nachher die Unterlafjung vor fidh jelbft entſchuldigte, den 
König Auguſt durch eine jo gehäffige und vielleicht doch nicht zweckdienliche Be- 
dingung nicht abzuftoßen. Er hatte den neuen Subjidienvertrag zwiſchen Sachſen 
und Franfreih im Frühjahr 1746 mit Freuden begrüßt und ließ fich angelegen 
jein, für die Wiedervermählung des Dauphins die Wahl auf die jächjtiche 
Prinzeſſin Maria Jofepha zu lenken. Aber noch ehe das erite Friedensjahr zu 
Ende gegangen war, beklagte er fich brieflidh bei eben dem Minifter, den er fich 
zum Werkzeug der Ausjöhnung auserjehen hatte: „Vor ein Jahr umb diefe 
Zeit war der Herr Hennide höfliher wie anjego, es ift zu beflagen, daß Sie 
eine jo kurze Memorie haben.” Und als die Verhandlung wegen eines Bünd— 
niffes, die der preußiſche Gejandte vielleicht allzu eilfertig und allzu gerade heraus 
eingeleitet hatte, fih immer mehr in die Yänge jchleppte, gewahrte er jehr wohl, 
daß Brühl, jein geichworener Feind, nur den äußeren Schein wahren wolle, und 
daß alle Mühe verloren jei, jo lange diejer uniichere Geſellſchafter dabei bleibe. 
Schon am 6. Mai 1747 hat Friedrih gegen feinen Vertreter in Dresden die 
Veberzeugung ausgeſprochen, daß die Sachen feine heimlichiten, aber auch feine 
erbittertiten Feinde feien; daß wenn es einit zwiichen Preußen und Rußland 
zum Bruch fommen follte, Sachſen die größte Schuld tragen werde, dafür dann 
aber auch „die Scherben bezahlen“ müſſe, — Worte, die man in Dresden, bei 
verftohlener Durhmufterung des Schriftwechjels der preußiihen Geſandtſchaft, 
aus der Zifferſprache richtig herausbudjitabierte. Man war gewarnt. 

Eben diefe Kunft, alle Mühe eines erfindungsreihen Chiffrierbureaus zu 
Schanden zu machen, verjchaffte, wie wir willen, auch dem Könige von Preußen 
feine Kunde von den Geheimnillen der Gegner. Jahr aus Jahr ein jammelte 
er die Beweije dafür, wie genau ſich die jähliihe Diplomatie in Rußland an 
die Inſtruktion hielt „die ruſſiſche Eiferfucht auf die preußiihe Macht zu nähren 
und jedem preußenfeindlihen Beginnen Beifall zu zollen”. Er wußte, daß 
Sachſen dem gegen Preußen gerichteten Bündnis der beiden Kaiſerhöfe von 1746 
nicht beigetreten war. Aber er wußte auch, dab Sachſen zu dem Beitritt fich 
wiederholt bereit erflärt hatte, falls ihm jein Anteil an der Beute alsbald ver: 
tragsmäßig zugelichert würde. Und dann war Friedrich eines Tages auf das 
epigrammatifche Wort geitoßen, das fich nicht wieder vergaß: Sachſen, jo hatte 


) 3b. I, 292. 


20 Sechſtes Bud. Erfter Abfchnitt. 


der ruffiihe Großfanzler zu dem ſächſiſchen Gejandten Funde geſagt, brauche 
gegen den mächtigen Nachbarn nicht alsbald auf dem Plan zu erfcheinen, jondern 
erft „wenn der Nitter im Sattel wanken werde”. Griff der Ritter mit der 
Annahme fehl, daß die den Sachſen zugedachte Aufgabe, binterrüds den Gnaden: 
ftoß zu führen, gerade die Rolle war, die Brühl fi erjehnte? 

Das eine ift dem Könige von Preußen nit einmal befannt geworden, 
daß bei der Verhandlung zwiſchen Deiterreih und Frankreich der Beitritt Sachſens 
zu der Koalition gegen Preußen als durchaus fiher galt, wobei den Sadjen 
franzöfiiche Geldhülfe und auf Koften Preußens jo reichliher Landgewinn zus 
gedacht wurde, daß diejer Verbündete dadurch geneigt werden follte, einen Teil 
feines eigenen Gebietes, die Laufig, an Deiterreich zu überlaſſen. 

Dagegen waren nod) in letter Stunde Berichte des Grafen Flemming aus 
Wien nah Potsdam gelangt, die einen hohen Grab von Vertraulichkeit zwiſchen 
dem öfterreihifchen Staatsfanzler und dem ſächſiſchen Gefandten vorausjegen 
ließen und den reichlid) vorhandenen Argwohn noch vermehren mußten. Es war 
der Fluch ihrer Vielgeihäftigkeit, daß die Brühliche Politif auch da ſich ver: 
dächtig machte, wo fie ſich auf ein wenig beneidenswertes Karren und Horden 
beſchränkt ſah. Denn thatſächlich ftand die ſächſiſche Diplomatie ſeit einiger Zeit 
bei allen wichtigeren Verhandlungen der Gegner Preußens, jelbit da, wo Sachſens 
Intereſſe unmittelbar hineingezogen wurde, vor der Thür. 

Man wußte in Wien, dab das Geheimnis in Dresden jchledht bewahrt 
war; der Kaiſer jelbit hatte 1754 dem Grafen Flemming gelagt, daß alles, was 
Flemming aus Wien, alles was die jähfifhen Vertreter in Petersburg und 
London nad) Haufe berichteten, ſofort und ganz genau durch den preußifchen 
Gejandten Maltzahn nad Berlin gelangt. So wurden die Sadhjen 1756 weder 
zu Verjailles noh zu Moskau in die von Kaunit betriebenen Verhandlungen 
eingeweiht. Ehedem, vor und gleich nad dem Dresdener Frieden und während 
des Aachener Kongrejies, waren es gerade jähfiihe Diplomaten gewejen, die 
fih um eine Ausſöhnung zwiſchen Dejterreih und Franfreih, um ein Verftändnis 
der beiden zum Schaden Preußens, bemüht hatten; jest ward dem ſächſiſchen Ge: 
jandten in Paris von dem Berjailler Bertrage erit einen vollen Monat nad 
dem Abſchluß Mitteilung gemadt. Die neue europäiihe Parteibildung volljog 
jih ohne Sachſens Zuthun und in gewiſſem Grade zu Sachſens Unguniten. 
Während der legten Jahre des öfterreihiichen Erbfolgefrieges hatte der Dresdener 
Hof von Frankreich, ohne ein Hülfscorps ftellen zu müſſen, Subſidien erhalten 
— eine Art Tribut der Großmadt an den Kleinitaat, um ihn zu beitimmen, 
feine Truppen nit den Gegnern Frankreichs zu verfaufen. Und von 1751 bis 
1755 hatten wiederum die Engländer, ohne Gegenleiftung, nur um Sachſen der 
Umgarnung Frankreichs zu entwinden, einen ftarfen Beitrag zu den Koften des 
ſächſiſchen Heeres geleiftet. Jetzt weigerten die einen wie bie anderen jede 
Epende, die Franzoſen, die ſich von ihrem alten Fontinentalen Gegner Oeſter— 
reich jo eifrig ummworben ſahen, die Engländer, für die nad dem Ausgleich mit 
Preußen das Verhältnis zu Sachſen den Wert verlor. So war denn aud ans 
geiichts des Mejtminitervertrages der erite Gedanke des ſächſiſchen Geſchäfts— 
trägers in London, daß jegt England es nicht nötig haben werde, jeinen bis: 


Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 21 


herigen Verbündeten noch Subſidien zu gewähren, und der König von Preußen 
hatte völlig Recht, wenn er im Februar 1756, einer Bemerkung ſeines Geſandten 
in Dresden beiſtimmend, meinte, daß er durch einen kleinen Federſtrich Sachſen 
„aneantiert“ habe. Sachſen ſah ſich politiſch zur Null gemacht und finanziell an 
den Rand des Staatsbankerotts gedrängt. 

Graf Brühl freilich in ſeiner Leichtfertigkeit wußte der kläglichen Lage 
eine gute Seite abzugewinnen. Er getröſtete ſich zunächſt der Hoffnung, daß der 
Weſtminſtervertrag die Beziehungen zwiſchen Preußen und Frankreich notwendig 
lockern werde, und ſchürte an ſeinem Teil das Feuer. Sodann, als die preußiſchen 
Rüſtungen begannen, glaubte er ſich und Sachſen beglückwünſchen zu dürfen, 
daß man fi nad) feiner Seite hin in engere Verbindungen eingelaffen habe. 
Sein Syſtem blieb, wie er noch am 1. Auguſt, alle Warnungen abweiſend, zuver: 
fihtlih erklärte: uns für den Augenblid einzig und allein an unfere harmlojen 
Verteidigungsbündniffe mit den beiden faiferlihen Höfen zu halten — „bis daß 
die Dinge fih mehr entwideln“, was in Brühls Munde wohl dasjelbe bedeutete 
wie jenes zu Friedrichs Kenntnis gelangte geflügelte Wort: „bis daß der Ritter 
im Sattel wankt“. In der That eine armfelige Weisheit! Wenn Brühl vor 
der Welt, wie er es als feine Taktik bezeichnete, den Verdacht der Parteinahme 
zu vermeiden bemüht war, jo bedachte er nicht, daß jede Zeile der in Potsdam 
wohlbefannten Depeichen ihn leidenichaftliher Parteilichkeit, feines bitteren Haſſes 
gegen Preußen überführte. 

Minder leihtherzig als der Minifter, der an diefem 1. Auguft die Lage 
Sadjens als eine glüdlihe zu bezeichnen wagte, zeigten fich die jächfiichen 
Generale. Graf Rutowski fagte voraus, daß der König von Preußen in einem 
Kriege gegen Deiterreih das ſächſiſche Heer nicht ein zweites Mal, wie 1744, in 
feinem Rüden lafjen werde. Er beantragte ſchon am 3. Juni, auf die Nachricht 
von dem Abſchluß des Verjailler Bündniſſes, die Regimenter mobil zu machen 
und die Hauptſtadt in Verteidigungszuftand zu jeten; er beantragte am 2. Juli, 
auf die weitere Nachricht von dem Beginn preußiicher Nüftungen, alle Bor: 
bereitungen zu treffen, um auf den eriten Befehl das gelamte Fußvolk bei 
Dresden und die Neiterei hinter der Mulde vereinigen zu fönnen, die Reiterei 
mit der Aufgabe, die Infanterie gegen ein Belagerungäbeer zu unterftügen oder 
ihr den Uebertritt nach Böhmen zu erleichtern, wofür man dann die Mitwirkung 
eines zwiichen Leitmerig und Schandau aufzuftellenden öfterreihiichen Corps in 
Anſpruch nehmen müſſe. König Auguft hieß den Plan gut, und der Gejandte 
in Wien erhielt den Auftrag, dringend um Rat und Hülfe und um Entjendung 
eines Heeres an die böhmiſch-ſächſiſche Grenze zu bitten. Späterhin, als an 
dem Bruch zwiſchen Preußen und Deiterreich faum noch gezweifelt werden konnte, 
beleuchtete Rutowski in einer Denkſchrift vom 19. Auguſt aud die politische 
Seite und empfahl mit Nachdrud, auf feine Verhandlung wegen Auflöjfung 
oder Entwafinung des Heeres fich einzulaffen, ſondern Gewalt mit Gewalt zu ver: 
treiben. Würde doch, jo erklärte er in echt joldatiichem Geift, durch den aufs 
Aeuferfte getriebenen Widerſtand Niemand aufgeopfert, als die, melde ihre 
Schuldigfeit ohnehin dazu verbinde. Aller Wahricheinlichkeit mach jei nicht der 
Sieg, ſondern die Erniebrigung des Königs von Preußen zu erwarten: was 


22 Sechſtes Buch. Erſter Abſchnitt. 


könne Sachſen von den Siegern ſich nachher Gutes verſprechen, wenn es jetzt ohne 
Schwertſtreich den Preußen ſich ergebe und unter das Joch beuge, ſtatt ſich 
ſelbſt und den Freunden zu helfen? 

Rutowskis Fürſorge errettete die ſächſiſchen Regimenter vor dem Geſchick, 
überfallen und einzeln aufgehoben zu werden. Als die Preußen am 29. Auguſt 
über die Grenze famen, eilten die fähliihen Truppen bereits auf allen Straßen 
dem Pirnaer Lager zu; den Plan, die Hauptitadt zu verteidigen, hatte man 
aufgegeben. Am 2. September war das Heer verfammelt. An diefem Tage 
ward bejclofien, daß der König mit den Truppen aufbrechen und fie durch 
Böhmen und Mähren nah Polen führen würde. Am 4. früh figt der König 
mit zweien feiner Prinzen bereits im Neifewagen, ba tritt General Rochow an 
den Wagenjchlag und meldet, preußiſche Hufaren jeien längs der Elbe gejehen 
worden. Man fragt den Befehlshaber der Geleittruppe, ob er dafür einftehen 
fann, daß feine verlorene Kugel den König treffen wird — die Abfahrt wird 
verfhoben, dann aufgegeben, der König und das Heer bleiben im Lande. 

Rutowskis Denfihrift vom 19. Auguſt nahm an, daß der König von 
Preußen fich nicht begnügen werde mit der Neutralität und mit der Auflöjung 
und Entwaifnung der Truppen, fondern daß er das ſächſiſche Heer dem jeinen 
einzuverleiben trachte. 

Eben dies war in der That die Abficht von vornherein: jo hat fie Friedrich 
im Augenblide des Ausmarſches dem Prinzen von Preußen anvertraut. Eigen: 
händig hatte er bereits eine förmliche Kriegserflärung aufgejegt: die Anfündiqung, 
daß ihm beim Eintritt in den unvermeidlihen Krieg mit Defterreih, angefichts 
der Feindfeligfeit Sachſens, für deſſen Umtriebe er die Beweife in den Händen 
babe, nichts übrig bleibe, als die jächltiihen Truppen zu entwaffnen und außer 
jtand zu jegen, ihm im Verlauf dieſes Krieges zu ſchaden; eine Anzahl Aus— 
züge aus den insgeheim durchmuſterten ſächſiſchen Akten fanden fich mit Namen 
und Daten eingeichaltet. Nachher aber ließ er nicht diefes „Manifeſt“ — ſchon 
der Titel bedeutete im Sprachgebrauch der Zeit eine Kriegserflärung — druden, 
jondern eine viel farblofere und viel fürzere „Deklaration“, die den Einmarſch 
in Sachſen mit dem Hinweis auf die Erfahrungen von 1744, auf die Regeln 
der Klugheit und die Prlichten gegen die eigene Sicherheit begründete und mit 
dem Sate ſchloß, Seine Majeität erwarte mit Verlangen den glüdlichen Augen: 
blid, da es ihr beim Wegfall der gegenwärtigen zwingenden Erwägungen ge: 
ftattet fein werde, Seiner polnifhen Majeftät Dero Kurlande als ein geheiligtes 
Depot zurüdzugeben. 

Es war eine Abänderung der politiihen Taktik, nicht ein Verzicht auf den 
militäriihen Plan. Diejelben Gründe aber — fie werden ſich gleich ergeben —, 
die den König von Preußen beitimmten, den offenen Fehdebrief einftweilen noch 
zurüdzubalten, bedingten nun für die alsbald beginnenden Verhandlungen vorerft 
ein binhaltendes Verfahren, von dem die Sachſen mit Recht Hagten: „Was er 
von uns verlangt, darüber fpricht er jich in feiner Weije aus.” Doch enthielt 
ihon am 1. September Friedrichs erite Antwort auf einen um Aufklärung 
bittenden Brief Augufts III. einen unverblümten Ausfall gegen den Mann, deſſen 
Ratſchlägen fich fein Fürft in einer für ihn ſelbſt fo beflagenswerten Weiſe all 


Berlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 23 


zufehr anvertraue, deſſen ſchlechte Abfichten nur zu befannt und deijen jchwarze 
Komplotte urkundlich zu beweilen jeien. Friedrichs zweiter Brief, vom 5. Sep: 
tember, nannte gar den Fürſten, an ben er gerichtet war, einen Verführten und 
fündete an, daß die leicht zu bemeijenden Anklagen gegen den Minifter noch 
heute bemwiejen werden würden, wenn nicht gewiſſe Bedenfen dem noch ent: 
gegenftünden. 

Die Bedenken follten bald fortfallen. Am 9. September rüdten vier 
preußische Bataillone in Dresden ein, tags darauf ließen General Wylih und 
Major Wangenheim, troß des Einſpruchs und des beinahe förperlihen Wider: 
itands der Königin Maria Yojepha, die Thür der Kabinetsfanzlei öffnen; drei 
Säde voll ſorgſam ausgewählter Schriftftüde wanderten nah Berlin. Die Er: 
bredung und Plünderung eines Archivs, ein Vorgang, der nad) offener Anjage 
der Feindjeligkeiten nichts Auffallendes und nichts Nechtswidriges gehabt haben 
würde, war bier, wo dieſe Anjage unterblieben war, noch mehr als alles bereits 
Borangegangene geeignet, das preußiihe Vorgehen im grelliten Lichte zugleich 
der Gemaltthätigfeit und der Hinterliſt ericheinen zu laflen. Aber die Gründe, 
den offenen Bruch, die laute Anklage noch hinauszuſchieben, waren zu jchwer 
ins Gewicht gefallen. Einem Minifter wie dem Grafen Brühl, meinte Friedrich, 
würde e& nicht darauf angefommten jein, einer vernichtenden Anklage gegenüber 
die Zeugniffe feiner Politif, fo lange er fie noch in feinem Gemwahrjam hatte, 
beijeite zu ſchaffen, zu vernichten, für Mit: und Nachwelt ftumm zu machen. 
Jetzt endlih, im Beſitz der Beweisitüde für die Echtheit der Abjchriften und 
Auszüge, auf deren Inhalt er jeine Anihuldigungen gegen die Gegner und die 
Redtfertigung feines Krieges gründete, fonnte Friedrich die Maske fallen lafjen. 
Am 14. September überreichte in jeinem Auftrag Winterfeldt dem König von 
Polen eine Ueberarbeitung eben der Anklageichrift, vie urfprünglich zur Ver: 
öffentlihung als Manifeit beitimmt geweſen war. 

Auh nah einer anderen Seite erhielt die Lage jett volle Klarheit und 
jchneidende Schärfe. Am 11. September traf aus Wien auf das preußifche 
Ultimatum, Friedrihs dritte Anfrage,') die Antwort ein. Sie bezeichnete die 
beim Einrüden der Preußen in Sachſen veröffentlihte Deklaration als ein 
Manifeft gegen die Kaiferin-RKönigin: nad einem jo ausgeprägten Angriff fönne 
von feiner Antwort mehr die Nede fein, als von der Widerlegung, welche auf 
dieſes Manifeit zu feiner Zeit vielleicht erfolgen würde. Die neulide Antwort 
enthalte alles, was mit der Würde der Kaijerin vereinbar geweſen fei, und ber 
Vorſchlag, den beitehenden und auf feierlihe Verträge gegründeten Frieden in 
einen Waffenitilliitand zu verwandeln — jo hämijch deutete man jene Forderung 
des Königs von Preußen, für diefes und das nächſte Jahr den ihm befannt 
gewordenen Angriffsplänen gegen ihn durch förmliche Verfiherung zu entjagen 
— ſei natürlicherweije zu einer Erklärung nicht geeignet. Derart abgemwiejen 
veröffentlichte Friedrih nunmehr unverzüglich die bereits gedrudte, von ihm jelbft 
entworfene „Darlegung der Urjadhen, welche Seine Majejtät den König von 
Preußen bewogen haben, den Anſchlägen des Hofes zu Wien zuvorzulommen“, 


') Bd. 1, 603. 


24 Sehites Bud. Erfter Abſchnitt. 


Enthüllungen über die Verſchwörung gegen Preußen unter jharfer Hervorhebung 
des Unterfchiedes zwijchen dem wahren und dem äußerlihen Angreifer: „Unter 
Angriff veriteht man jeden Aft, der dem Sinn eines Friedensvertrages diametral 
entgegengejegt it. Eine Offenjiv:Liga, das Aufreizen und Drängen zum Kriege 
gegen eine andere Macht, Pläne zur Ueberziehung der Staaten eines anderen 
Fürften, ein plögliher Einbruch: alle dieje verjchiedenen Dinge find ebenfoviel 
Angriffe, obgleih nur der plöglide Einbruch den Fall der offenen Feindſelig— 
feiten darjtellt. Wer diefen Angriffen zuvorkommt, kann offene Feindjeligfeiten 
begehen, aber er ift nicht der Angreifer.“ 

Am 13. September überichritt die Vorhut des preußiſchen Heeres unter 
dem Prinzen Ferdinand von Braunfchweig bei Peterswalde die öſterreichiſche 
Grenze; einige Tage darauf rüdte aus der Grafihaft Glatz auch das jchlefiiche 
Heer in Böhmen ein. Auch jet noch geihah ein Verſuch zur Verftändigung. 
In zwei Briefen erjuchte Graf Schwerin den öfterreidhiichen General, dem er 
fih gegenüber jahb, um eine Zuſammenkunft: vielleiht werde es gelingen, zu 
ehrenvollen Vorſchlägen für die Ausſöhnung der beiden Höfe zu gelangen. Auf 
Befehl der Kaiferin:Königin mußte Fürft Piccolomini die Begegnung ablehnen. 

Binnen furzem gedadte der König mit dem Hauptheer dem Braunfchweiger 
nah Böhmen zu folgen; in ber Friſt, deren er für die Zurüftung feiner Maga: 
zine bedurfte, hoffte er auch mit dem Lager von Pirna fertig zu werben. „Vier 
Tage fann ih noch warten,” äußerte er am 12, September; „will es alsdann 
nicht brechen, fo muß man jehen, wie man jo bereinfömmt.” 

Unerwarteterweije hatten die Sachſen von neuem zu verhandeln begonnen. 
Seine Minifter rieten dem König von Polen einftimmig, fih nah Ablehnung 
der Neutralität aller weiteren Vorichläge zu enthalten und bis auf den letten 
Mann zu verteidigen; jeine Generale, denen die verheißene öfterreichiiche Hülfe 
noch allzumweit im Felde zu ſtehen ſchien, flimmten ihn um. Alſo bot er am 
12. September den Preußen als Sicherheitspläge für die Dauer des Krieges 
Pirna, Wittenberg und Torgau, dazu Geifeln für die Neutralität des Heeres. 

Nun aber fiel das enticheidende Wort: „Euer Schidjal muß an das meine 
gefnüpft fein.” So ichrieb es Friedrih am 13. dem belagerten Fürften, und 
tags darauf überbradte Winterfeldt, zugleih mit der Anklageakte gegen Brühl, 
mündlich die Forderung, daß der König von Polen an Preußen die ſächſiſchen 
Truppen und zu ihrem Unterhalt die „Interimsadminiſtration“ der ſächſiſchen Lande 
überlaffen jolle. Drei Viertelitunden verhandelte Winterfeldt mit dem Monarden 
unter vier Augen; er jcheint den Eindrud mitgenommen zu haben, daß feine 
Sache, obaleih König Auguſt noch nein ſagte, mit nichten ausfichtslos jei. 
Wenigitens jchrieb Friedrih unmittelbar nah Winterfelots Nüdfehr, am 14. 
abends, an den Herzog Ferdinand, dat die Yeute vom Berge fapitulierten, daß 
fie bald alle Preußen fein würden: er hofft ſchon morgen — in einer Nach— 
fchrift wenigitens übermorgen — mit ihnen am Ziele zu jein. 

Tags darauf fam der durch Winterfeldt angemeldete ſächſiſche Unterhändler, 
General Arnim. Sein Beglaubigungsichreiben wiederholte das Nein von geftern 
und das frühere Angebot. Friedrich beharrte bei jeinem Begehren. Sadjen, 
fagte er zu dem General, „muß mein Los teilen und diefelbe Gefahr teilen wie 


Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 25 


meine Staaten. Bin ich glücklich, ſo wird der König von Polen nicht nur für 
alles reichlich entſchädigt werden, ſondern ich werde auch an ſeine Intereſſen 
wie an meine eigenen denken . . Man hat gut leugnen und ſich entſchuldigen. 
Ich weiß alles, was jeit 1749 in einem fort bis zum Juli dieſes Jahres gegen 
mich verhandelt worden ift und habe hinreichende Beweiſe in den Händen, id) 
kann alſo die jähfiihen Truppen nicht hinter mir laſſen, ohne einen jehr ſchweren 
Fehler zu begehen... Jh muß die Truppen haben, jonit it feine Sicherheit. 
Ich jpiele ein großes Spiel, die Waffen jind den MWechjelfällen des Tages aus: 
gejegt: ich brauchte nur eine beträchtliche Schlappe zu erleiden, und eure Truppen 
würden mir im Nüden figen... Es gibt fein anderes Mittel, die Armee muß 
mit mir marjchieren und mir den Eid leiten.“ Als Arnim bemerkte, dafür 
würde es in der ganzen Gefchichte fein Beiſpiel aufzuweiſen geben, erwiderte 
der König mit ichlecdht verhaltenem Hohn: „Es gibt deren, und wenn es aud) 
feine gäbe: ich weiß nicht, ob Sie es willen, daß ich mir etwas darauf zu gute 
thue, originell zu ſein.“ 

Es gingen an den drei nächſten Tagen noch einige Botichaften hin und 
ber, aber riedrid hatte im vollen Ernſt beim Abſchied zu Armin gejagt, 
fein legtes Wort ſei geſprochen und daran ſei nichts zu ändern, auch wenn 
man ihm einen Erzengel fchide. Am 16. hatte er die Hoffnung auf eine Kapi— 
tulation noch nicht ganz aufgegeben; am 17. äußerte er, wenn jein Gegner fich 
nicht heute feinem Wunſche gemäß erkläre, jo wolle er ihn morgen anfajjen 
und hoffe bis zum 20. das mit Gewalt zu erlangen, was willig nicht gewährt werde. 

Somit brad) er am 18. die Verhandlung ab, verweigerte auch die Päſſe 
für des Königs Abreife nah Polen. Aber der Sturm auf das Lager unterblieb. 

Der Hufarengeneral Warnery hat jpäter erzählt, Winterfeldt habe den 
Angrifisplan bereit gehabt und die Erftürmung ald ausführbar angejehen, 
aber der König habe nicht gewollt, weil er die Sachſen bereits als die Seinen 
betrachtet habe, die er ganz ebenjogut jchonen müfle; doch ſei ihm auch der 
Ausgang nicht jo ganz ficher erfchienen. Wir werden jagen, daß Friedrich mit 
dem jchließlihen Verziht auf den Angriff der überwiegenden Mehrheit feiner 
Umgebung nachgab. Man hatte die Stellung, die jedenfalls die Eingeichloifenen 
jelber als völlig gededt betrachteten, in den legten Tagen wiederholt rekognos— 
ziert; Shon am 12. September meinte der König, fie werde ſich nur fehr jchwer 
angreifen lalfen, während in den Sreilen jeiner Brüder an diefem Tage 
bereits die Lofung ausgegeben wurde, man jehe immer mehr, dab das Lager 
unangreifbar jei: jchwerlih babe es jemals eine bejlere Stellung gegeben. Zu 
weiteren Terrainftubien hatten die zwölf Offiziere bequemite Gelegenheit, die 
mit Winterfeldt am 14. zum König von Polen ritten, Am 16. in der Frühe bielt 
der König, nur von den Prinzen und Winterfeldt begleitet, von einer Anhöhe 
aus Umjhau. Man fönnte mit ebenjo leichter Mühe den Himmel ftürmen, 
erzählten nachher die Prinzen; nur dann und wann jei Raum, um jehs Mann 
in Front aufzuftellen. Winterfeldt wird das Gegenfpiel gehalten haben. Der 
König wollte fich von der Unmöglichkeit heute noch nicht überzeugen: „Der ganze 
Entwurf ift gemacht”, jchreibt er tags darauf, „und ich hoffe ihn mit weit geringerem 
Verluft als man denken mag auszuführen.“ Aber am 18. hat er nad) erneuten 


20 Sechſtes Bud. Erfter Abjchnitt. 


Erfundungen die Auffafiung feiner Brüder ſich angeeignet und wiederholt in 
einem Brief an Schwerin ihren Haupteinwand: das geräumigfte Angriffsfeld 
geltatte eine Front von jehs Mann; „nahdem ich und meine Generale die 
Beſchaffenheit des jächfischen Lagers aus nächſter Nähe geprüft haben, haben 
wir alle gefunden, daß es moraliih unmöglich ift, dies verfluchte Lager anzu— 
greifen, ohne einige Taufend braver Leute zu opfern, und noch dazu mit einem 
höchſt unficheren Erfolg.“ 

Und nun fchien der Zeitverluft nicht eben groß; wohl unbequem, aber nicht 
danach angethan, den ganzen Feldzugsplan zu ftören oder gar umzuftoßen. Der 
König verließ fih darauf, daß der Hunger das übrige thun werde, und zwar jchnell. 
Allerdings hatte er fich in allen jeinen bisherigen Friſtſchätzungen fehr geirrt: am 
legten Auguit hatte er dem Pirnaer Lager nur acht Tage Lebensdauer geben 
wollen; nach deren Ablauf wieder höchſtens acht Tage. So beihmwichtigte er auch 
jegt, nad) dem Abbruch der Verhandlungen, feine Ungeduld und jeine Bedenken mit 
janguinifchen Vorausſetzungen und mußte fait von Tag zu Tag den Anjah zu 
feinen Ungunften ändern: am 19. September ſpricht er von höchftens acht Tagen, 
in einem zweiten Brief vom jelben Datum ſchon von acht bis zehn; am 23. glaubt 
er bödjitens bis zum 26. ſich gedulden zu müffen, am 24. geftebt er ih, daß 
es noch acht Tage währen kann; am 26. hofit er auf den 1. Oftober, am 
27. auf den eriten ober zweiten — auch dann aber jchien es immer noch Zeit 
zu fein, den Fyeldzugsplan „auf den Buchitaben“ durchzuführen. 

Da fam eine unerwartete Störung. Den Sturm auf das Lager batte 
man vermieden, eine Feldſchlacht wurde notwendig. 


Als Kaunig es im März bei der Zarin anregte, noch in dielem Jahre 
den Angrifföfrieg gegen Preußen zu beginnen, hatte man in Wien zugleich 
darauf Bedacht nehmen müflen, zu ſolchem Unterfangen vor allem jelber ganz 
bereit und fertig zu fein. Vorerſt ergingen, im April und Anfang Mai, Befehle 
an die Negimenter zu beichleunigter Werbung und zu Pferdeankäufen; für bie 
Feltungen, auch die Hauptftadt Wien, wurden PBallifaden beichafft, an den Werfen 
von Olmütz mußte feit dem April mit erhöhtem Nachdrud gearbeitet werben, 
nicht allgemadbh und nur durch Strafgefangene, wie es der Kommandant, falls 
fein Krieg zu befürdten fei, für ausreichend halten wollte. Und da von den 
Küraffieren und Dragonern weitaus der größte Teil, 19 Negimenter, in Ungarn 
lag, gegen nur vier in den deutichen Erblanden, jo begann man jeit dem April 
Schritt für Schritt aubh mit Maßnahmen zur Zufammenlegung und Heran— 
ziehung diefer Reiterei. 

Mitte Mai berechnete der KHabinetsiefretär der Kaijerin, Ignaz v. Koch, 
der bewährte Kenner der Heeresverwaltung, als jchlagfertig 77000 Mann, die 
allenfalls noh mit 10000 Irregulären verftärkt werden fünnten. Mehr nicht, 
rund 80000, hatte Kaunig vor zwei Monaten den Ruſſen als Teilnehmer an 
dem gemeinjamen Kriegszuge angefagt. Trotzdem hatte Koch jest Bedenken, den 
Krieg „annoch heuer” zu beginnen. Er befannte es als feinen geheimen Wunſch, 
„die Operation felbjten” bis zum nächſten Frühling ausgelegt zu ſehen, und 


Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1750. 27 


gab anheim, ſich für diefen Sommer mit der Verlegung weiterer Streitkräfte, 
zumal an Neiterei, nah Böhmen zu begnügen, fie zum 1. Auguft in Uebungs: 
lagern zu vereinigen und aHes Uebrige den Winter hindurch in Muße vorzu: 
bereiten. Unverfennbar hat diefer Ratſchlag zuerft und hauptſächlich den Anſtoß 
gegeben zu der Vertagung des Angriffs und zu der entſprechenden Mitteilung 
an den ruffiichen Berbündeten vom 22. Mai. ') 

Die weiteren militärifhen Vorkehrungen hielten fih nun zunädit im 
Rahmen der Kohihen Vorſchläge. Für die Bildung der Sammellager, die 
nicht verborgen bleiben fonnte, boten die Nachrichten, die Anfang Juli aus 
Preußen kamen, einen erwünfchten Vorwand. Zwar jener Garnifonswecjel 
einiger märfifcher und pommerfcher Regimenter in der zweiten Hälfte des Juni?) 
richtete feine Spige zu augenjcheinlich gegen Rußland, als daß er fi als eine 
Gefährdung der öfterreihiihen Grenze auslegen ließ; wohl aber ward von der 
angeblihen Zufammenziehung eines preußiſchen Neiterlagers bei Schweidniß, 
die am 1. Juli irrtümlich aus Troppau nad Wien gemeldet wurde, ausgiebiger 
Gebraud vor der Deffentlichfeit gemadt. Am 6. Juli ward dem Hoffriegsrat, 
der bie bisherigen Kriegsvorbereitungen geleitet hatte, eine Rüſtungskommiſſion 
an die Seite geitellt; am 8. hielt fie ihre erite Situng ab und nahm die Mit: 
teilungen über das bereits Geleiftete entgegen. Der Infanterie in den deutſchen 
Erblanden ging am Eollbeitande nur noch wenig Mannjchaft ab; für das Fehlende 
ſchien teils durch ‚die bereits abgeſchloſſene ausländische Werbung, teils durch die 
ausgejchriebene Nefrutenlieferung der Stände jo reichlich gelorgt, da man in 
Ausfiht nehmen konnte, bei jedem Regiment 25 Heberfomplette einzujtellen und 
doch noch der Kavallerie einen Ueberfhuß von 1300 Mann zuzumeilen. Bei 
den Kürafiter- und Dragonerregimentern war für die Ergänzung des Sollbeitandes 
von 800 und die Ueberführung auf den Kriegsfuß von 1000 Pferden das Er: 
forderlihe angeordnet und zum Teil auch ausgeführt, nachdem die Huſaren— 
regimenter ſchon Ende März und Anfang April auf 500 Pferde komplettiert 
worden waren. Der im uni angeordnete Pferdeanfauf im Ausland, in Nord: 
deutihhland, hatte guten Fortgang genommen. Endlich war am 5. Juli der für 
bie Lager bejtimmten, entfernter liegenden Kavallerie der Marjchbereitichaftsbefehl 
zugegangen. Es folgte jegt am 11. Juli die gleihe Weifung für fieben längs 
der mähriichen Grenze ftationierte Reiterregimenter, am 16. der Marjchbefehl für 
die Truppen in Böhmen und Mähren. 

So war die Mobilmahung im vollen Gange, und Kaunig war mit ihrem 
weiteren Verlauf jehr zufrieden: e& würden, jchreibt er am 27. August, nicht 
viel Beifpiele zu finden fein, daß von feiten des durdlaudtigiten Erzhaufes 
mit mehr Eilfertigfeit zu Werk gegangen und die ganze Majchine in Bewegung 
gejegt worden. Die preußifhen Kriegsrüftungen waren ihm nicht unerwartet 
gefommen. Er hatte alsbald vorausgejehen, daß die militärifchen Veranftaltungen 
in Hußland den König zu der „deiperaten Entichließung” treiben würden, „mit 
dem größten Teil feiner Macht unfere Erblande zu überfallen und dadurd ber 


1) 8. 1, 592. 
2) Bel. Bd. I, 595. 


28 Sechſtes Buch. Erſter Abſchnitt. 


ihm drohenden Gefahr zuvorzukommen“. So war es ihm auch jetzt, im Juli, 
keinem Zweifel unterworfen, daß „der Marſch der ruſſiſchen Truppen und die 
Furcht“ die Urſache der preußiſchen Bewegung ſei; ja noch am 22. Auguft 
urteilte er, daß König Friedrih, jobald er fi wegen Rußland beruhigt jähe, 
zu einem Einfall in das öfterreichiiche Gebiet nicht fchreiten würde, und daß 
deshalb ein übrigens ganz unmahricheinlicher Uebertritt Rußlands zur engliſch— 
preußiihen Partei zwar die großen Offenfivpläne Defterreihs auf einmal „ver: 
eiteln und unterbreden”, Defterreih aber auch der Gefahr eines preußischen 
Angriffs überheben werde. Am liebiten hätte Kaunitz zunächſt wohl gejehen, 
daß Preußen gerüftet blieb, aber noch nicht losjchlug; dann gewann man Zeit, 
die eigenen Rüflungen zu vervollitändigen, während Preußen fi noch vor dem 
Kampfe finanziell ſchwächte oder, wie Kaunit es ausdrüdte, am langjamen Feuer 
verzehrte — eben das, wovor Winterfeldt den König am meiften warnte. Als 
nun aber Preußen durd feine Anfragen in Wien jo jchnell die Entjcheidung 
berausrief, da war Kaunig feinen Augenblid im Zweifel geweien, wie fie zu 
lauten habe, und jeine Gebieterin bemerkte jehr zutreffend, daß die Antwort, die 
man bem preußiihen Gejandten erteilte, „die Folge all unſer Rejolutionen“ fei. 

Gewik war an der Rüftung noch vieles unfertig, oder wie Kaunitz jagte, 
„nicht vollfommen”; gewiß würde man im nächiten Frühjahr, zu der Friſt, 
die man fich eigentlich gejegt hatte, ganz anders jchlagfertig und vor allem mit 
ganz anderen Maflen auf den Plan getreten fein; gewiß ſtörte es alle Berech— 
nungen, daß die Sachſen nicht nad Böhmen famen, nicht das faiferlihe Heer 
um 20000 Streiter veritärkten. Aber Kaunitz teilte nicht die Meinung jener 
Kleinmütigen, die auf die dritte preußiiche Anfrage den Degen jchnell wieder 
einfteden wollten. War er in allem Anfang davon ausgegangen, dab an fi 
die öfterreichiiche Streitmadht der preußiichen immer gewachſen jei, jo mußte 
das Heer es wagen, für einige Zeit auch einer Ueberzahl die Stirn zu bieten. 
In den legten Tagen des Auguft hatte Feldmarſchall Browne im Lager von 
Kolin 32000 Mann beijammen, der Feldzeugmeifter Fürſt Piccolomini bei 
Olmütz 22000. Und die Zahl wuchs täglid. Daß in Böhmen ein Heer nicht 
fo leicht gezwungen werden fonnte, die Schlacht anzunehmen, hatte der Feldzug 
von 1744 bewiefen. Marjchall Belle: ste, vol Eifer für die gemeinfame Sadıe, 
riet den dfterreichifchen Feldherren in einem eigenhändigen Schreiben, jedem 
Hauptichlage, jeder Schladht auszuweichen. Aber Browne gedachte jeine Aufgabe 
feineswegs auf die Sicherung des eigenen Heeres zu beichränfen. Er erbot ſich 
ſchon am 10. September, den eingeſchloſſenen Sachſen die rettende Hand zu reichen, 
und der Hof hieß feinen mutigen Entichluß aut; ja er ermädhtigte den Feldherrn 
ausdrücklich, zum Heile der Sachſen, wenn es fein mußte, jogar eine Schlacht 
zu wagen. 

Am 14. September verließ Browne das Lager von Kolin, am 19. bezog 
er eine Stellung bei Budin am rechten Egerufer. Der Plan war, durch Schein: 
voritöße über das Gebirge, bis nah Auffig, den Gegner zu täufchen, inzwifchen 
aber allmählid und unvermerft an die 18000 Mann auf das redhte Elbufer 
zu werfen und dann eilends nad) Schandau marſchieren zu laſſen, um dort bie 
am Lilienftein über den Fluß zu ſetzenden Sachſen aufzunehmen. 


Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 29 


Den Preußen fehlte es an Kundichaft vom Feinde. Das über die böhmifche 
Grenze ausgeſandte Beobadhtungscorps, jest der Führung des Feldmarſchalls 
Keith übergeben, war bis zum 24. auf mehr als 30000 Mann verftärft 
und lagerte vor Auffig mit dem Hauptquartier in Johnsdorf. An demfelben 
24. erreihte den König im Lager von Sedlit das Gerücht, daß Browne den 
Sadjen zu Hülfe eile. Tags darauf hieß es, er ftehe noch bei Kolin. Keith 
verficherte das Gleihe; nur eine Vorhut unter dem Grafen Wied:Rundel ſei 
bis Lobofit gelangt. Keith ſchlug vor, über das Mittelgebirge zu geben und 
vor der Eger, mo die Ebene die Entfaltung der zahlreihen Neiterei erlaubte, 
dem Feind den Weg zu verlegen. Da fih für die Verpflegung Rat jchaffen 
ließ, jo trat der König nad einigen Bedenken dem Vorſchlage näher, beichloß 
aber zugleih, um ficher zu geben, die Truppen perjönlich in das neue Lager 
einzuftellen.. Am 27. nachmittags verließ er die Gernierungslinie vor Pirna, 
zum 1. Oktober glaubte er wieder zur Stelle fein zu fönnen. 

Daß die öfterreihiiche Hauptmacht wirklich im Anzuge fei, erfuhr er bei 
der Ankunft in Johnsdorf am 28., und tags darauf in Türnig, nah einem 
Marſch mit der Vorhut an die Biela, daß Browne den Webergang über bie 
Eger vorbereite. Das ganze Heer erhielt für den 30. Marichbefehl. 

Die Erwartung, „morgen die Herren Defterreiher von Angeſicht zu Ans 
geficht zu ſehen“, erfüllte fih. Bromwne führte feinen Flußübergang am 30. Sep: 
tember bei Tagesanbrud aus, legte fein Hauptquartier und die Vortruppen nad 
Lobofig und nahm in Vorausfiht eines Zufammenftoßes feine Hauptitellung, bie 
Heeritraße na Budin fefthaltend, hinter dem Modlbache, den rechten Flügel 
bei Proßnif an die Elbe, den linfen, mit dem Dorfe Sullowik vor der Front, 
an bie Teiche von Tſchiſchkowitz gelehnt. In dieſer Stellung erblidte der König 
das öfterreihiihe Heer, ald er am Nachmittag mit dem Xortrab von der Höhe 
des Kleticherpafies in das Thal hinabftieg. Er gewahrte zugleih, daß die den 
engen Ausgang der Pafftraße jperrenden Höhen des Homolfa und des Loboſch 
noch unbejegt waren, und machte fich den Fehler des Feindes zu Nutzen, indem 
er noch in der Dunfelheit einen Teil der Truppen über das urjprünglidhe Ziel 
des Marfches hinaus, in die Defileen vorjchob, um fi den Aufitieg zu den 
beherrichenden Höhen für morgen zu fihern. 

Mitternaht war herangefommen, als die legten Truppenteile nad ihrem 
beihwerlihen Gebirgsmarſch antraten. Die Zelte wurden nicht aufgeichlagen, 
man zündete große Feuer an und ab und fütterte wie man fonnte. Auch der 
König wärmte fih am Wachtfeuer, auf einer Trommel figend. Der Prinz von 
Preußen trat heran und meldete die Ankunft feiner Kolonne. „Ich habe fie 
in der Taſche,“ meinte der König; der Bruder wandte ein, daß die Lage nicht 
unbedenflich fei. Der König juchte ihn und fich zu beruhigen: „Wir haben die 
Höhen, und was fol ich denn thun? wir fönnen nicht mehr zurüd.” In der 
That, fein anderer Ausweg: hielt Browne ftand, jo mußte man ihn angreifen; 
ein Zurüdgehen über das Gebirge, den Feind im Naden, konnte verhängnisvoll 
werden, ein Stilleftehen und Abwarten verbot der Fouragemangel. 

Der Drt, bei dem das Hauptquartier lagerte, war Welmina: Friedrich 
nahm es zum guten Zeihen, dem Namen feiner Lieblingsihweiter — Wilhelmine 


30 Sechſtes Bud. Erfter Abſchnitt. 


— bier zu begegnen. Auch ein Meteor, das die Nacht durchhellte, warb als 
Glücksbote gedeutet. Der König ruhte in jeinem Wagen, um ihn herum auf 
bloßer Erde die Prinzen, Generale und Adjutanten. In der zweiten Morgen: 
ftunde begann ein Schießen, der König jprang aus dem Wagen und vernahm, 
daß es ein Morgengruß von den Panduren jei; er meinte, er könne fih auf 
die guten Sauerländer, das am Loboſch pojtierte Negiment Quadt, verlafien. 
Andere Meldungen bejagten, der Feind jcheine abzuziehen. 

Noch vor Tagesanbrud, um 26 Uhr, ritt der König mit dem Marſchall 
Keith, dem Thronfolger und den beiden braunichweigifchen Prinzen auf Hund: 
ihaft aus und zeigte ihnen die Stellung, in der er aufmarſchieren wollte; die 
Ausfiht war frei, die Ebene ganz leer, die Panduren in den Weinbergen ſtill. 
Der König ließ vor allem jet die Abhänge der Berge durd die Vortruppen 
bejegen. Das Hauptheer marjchierte in zwei Kolonnen an, jchob fich bei Radoſitz 
durch die Gebirgspforte hindurh und entfaltete fih dann in Schladhtordnung — 
eine Wellenlinie, die fi vom Homolkaberg herunter durch die Thalenge und 
wieder herauf quer über den Südabhang des Loboſch zog. Bei der Länge diejer 
Front blieben von den verfügbaren 24 Bataillonen von vornherein nur einige 
wenige für das zweite Treffen übrig. Die Reiterei ftellte ſich hinter den Sn: 
fanterielinien auf. Der König hielt auf dem Homolfa zwiichen dem erften und 
dem zweiten Treffen. 

Nach 7 Uhr entipann ſich ein lebhaftes Feuergefecht zwiichen den Bataillonen 
auf dem Loboſch und den zwiichen den Weinbergsmauern hodenden Panduren. 
Etwa gleichzeitig hub von hüben und drüben der Geſchützkampf an. Ein dichter 
Nebel, der während des Aufmarjches aufgeitiegen war, hemmte die Ausficht ; 
die Stadt Loboſitz ſah man wie dur einen Flor, die Hauptitellung des Feindes 
entzog fih dem Blide ganz. Zange blieb zweifelhaft, ob man ein Heer, ob nur 
eine Nachhut, die Panduren in den Weinbergen und die Neiterhaufen vorn in 
ber Ebene, vor ich hatte. Der König vermutete das legte. Um Gemißheit zu 
Ihaffen, befahl er endlich dem General Ayau, — die Reiterei war inzwijchen 
vor die Infanterielinie gezogen worden — auf dieje Kavallerie Jagd zu machen; 
das Geſchützfeuer hatte jet an drei Stunden gewährt. 

Da werden in Sullowig und dem ummauerten Tiergarten die Bären: 
mützen öfterreichiicher Grenadiere erfannt: joll fih der Reiterangriff ihrem Flanken— 
feuer ausjegen? Kyau wagt den Einwand zu erheben, und erhält „in der 
Vhrajeologie, die dem König jo gänge ift, wenn er etwas für eine unzeitige 
Vorftellung hält“, eine unmwirjche Antwort. Mit jechzehn Schwadronen jprengt 
nun der General los. Es ſind auserlefene, berühmte, ſtolze Regimenter, die 
Garde du Corps, die Gendarmen, die Küraffiere des Prinzen von Preußen, im 
zweiten Treffen die VBaireuther Dragoner. Der König folgte ihnen mit unver: 
wandtem Blid, das Fernglas in der Hand; er hebt fih in den Steigbügeln — 
als die Küraffiere in die feindliche Linie vorftoßen und fie im eriten Augenblid 
umbreden, jegt er fich wieder im Sattel zurecht und jagt: „Sept find fie weg.“ 
Aber das Bild ändert fih; die Baireutbher haben feinen quten Tag, fie bleiben 
zurüd, man jagt ihnen nah, daß der Anblid der Grenadiere in Sullowig fie 
ftugig gemadt hat, genug, fie fommen zu jpät, und die Küraſſiere jind bereits 


Terlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 31 


überflügelt. Wohl verjchaffen ihnen die Dragoner noch wieder Luft; weiterem 
Vordringen aber jegen das Flankenfeuer der Infanterie und die Geſchütze der 
Batterien ein Ziel. Mit zwei Standarten als Siegeszeihen und einer Anzahl 
Gefangener reiten die Angreifer zurüd. 

Dem allen hat die Hauptmafje der preußiichen Reiter vom Sattel aus 
zujchauen müſſen. Eingedenf des alten Ruhms und des oft gehörten Gebots, ſich 
nie zuporfommen zu laſſen, von Ungeduld verzehrt nach itundenlangem Halten, 
erfüllt von dem Verlangen, Gefahr und Ehre des eriten Waffenganges mit den 
jchon losgelafjenen Kameraden zu teilen und das begonnene Spiel durd) ver: 
doppelten Einjag zu entſcheiden, ſtürmen jegt die vorberiten drauf los, ohne 
Befehl; Gewicht hängt ſich an Gewicht, von den friſchen Gefchwadern wollen bie 
eben erihöpft aus dem Kampf zurückgekehrten fich nicht beſchämen laflen, wohl 
11000 Roſſe — an die ſechzig Shwadronen — jchnauben dur das Blachfeld. 
„Mein Gott, was macht die Kavallerie da!” hört man den König rufen. Wer 
vermag fie zurüdzubalten, wer jich ihnen entgegenzultemmen? Wieder wird 
die feindliche Linie über den Haufen geworfen, noch weiter als vorhin greift 
der Angriff aus, nicht bloß über den zehn Fuß breiten Graben zwiſchen Sullowig 
und Kobofig, auch über die tief eingejchnittene, hohlwegartige Yanditraße, die von 
Kobofig nad Sirſowitz führt. Aber die Reihen haben ſich gelichtet, die Ordnung 
iſt aelodert; da naht mit acht neuen Schwadronen Fürst Löwenſtein und wirft 
ſich zwiſchen die Fliehenden und die Verfolger, ein erbittertes Handgemenge 
beginnt, bis der Wideritand der Preußen der friſchen Kraft der Gegner erliegt. 
Viel ungeordneter als nah dem eriten Angriff, nahezu in Auflöfung, mit 
Zurüdlaffung zahlreiher Verwundeter, die Schwadronen wirr durcheinander 
gewürjelt, langen die Geichlagenen an dem Pla, von dem fie ausgeritten, 
wieder an. Nichts bleibt übrig, als diefe ganze Reiterei hinter die Infanterie: 
linie zurüdzunehmen. 

Der König hatte nach jeinem feititehenden Grundjag, nur mit einem 
Flügel zu ichlagen, die Rechte zum Angriff bejtimmt und der an den Loboſch 
gelehnten Linken unter dem Herzog von Braunjchweig:Bevern miederholt ein: 
geihärft, aus ihrer Stellung nicht vorzugehen. Nah dem Mißerfolg der beiden 
Keitergefehte, und nachdem längit fein Zweifel über die Gegenwart des ganzen 
feindlihen Heeres blieb, trat nun für die Infanterie die unerwartete Wendung 
ein, daß fie, wie Friedrich fi ausdrüdt, „ven Stand der frage gewendet” jah 
und, ftatt zum Angriff zu kommen, jelbit angegriffen wurde. Ja, es hatte das 
Ausſehen, als ob die preußiichen Flügel gleichzeitig beide gepadt werden jollten. 
Von Sullowig her ertönte der dumpfe Klang der öfterreihiichen Holztrommeln ; 
wirflih famen einige Vataillone über den Bad. Durd die Batterien auf dem 
Homolfaberge wurde die Bewegung ſchnell abgemwieien, immer aber wurde durch 
den Angriff oder „Scheinangriif” — als folden faßte man ihn im preußifchen 
Heere fpäter auf — das erreicht, daß die Preußen nicht wagen durften, Dielen 
ihren rechten Flügel durch Abgaben an die jegt ernſtlich bebrängte Linke zu 
ihwädhen. Noch weniger aber war angelichts der Gefährdung des anderen 
Flügels jegt an den urfprünglich beabfichtigten Angriff auf Sullowig zu denken; 
ganz davon abgejehen, daß diejem Angriff die Seitendedung durch Neiterei ge: 


32 Sechſtes Bud. Erfter Abichnitt. 


fehlt haben würde. Vielmehr hatte der Keldherr nah dem eriten Gebot jeiner 
Schladtentaftit dem in der Frühe zum Mauerbrecher auserjehenen Flügel jegt 
einfach und ftreng die Rolle des Zufchauers zuzumeiien; er that ſich nad der 
Entſcheidung etwas darauf zu gute, feine Rechte beſtändig feit gehalten zu haben, 
und betrachtete es geradezu als die entſcheidende Vorfehrung, daß er die Höhe 
rechts wohl gefichert und jouteniert habe. 

Die Lage auf dem linken Flügel war bedenklih geworden in dem Augen: 
blide, wo die dortigen Bataillone, durch ftundenlanges Geplänfel mit den hinter 
ihren Weinbergsmauern verftedten Kroaten ermüdet und zum Teil bereits ohne 
Rulver und Blei, fih von größeren Maſſen regulärer Infanterie — Oberſt 
Lascy führte fie aus dem Grund an der Elbe den Abhang jchräg herauf — 
angegriffen jahen. Deutlih erfannte man vom Homolfaberg den Vorſtoß ber 
Defterreiher und konnte doch den bedrängten Kameraden nur Munition, aber 
feine Ablöjung oder Verſtärkung ſchicken. Es begann, wie einer der Zeugen 
erzählt, „ein Feuer von einer unglaubliden Lebhaftigfeit, das ohne alle Pauſe 
fait eine Stunde fortdauerte“. Wurde die preußiihe Flügelſpitze eingeftoßen 
und von dem Berge beruntergeworfen, dann ward, jo befürdhteten die Zujchauer, 
aus „ver preußifchen Linie ganz wahricheinlih ein Knäuel, den feine Taktik 
fähig war, wieder zu entwideln und vom Untergang zu retten”. Der König 
jelbit ipradh nachher von „Umftänden, da einem der Kopf leicht umgehen kann“, 
glaubte aber von fich jagen zu dürfen, daß er faltes Blut bewahrt und feinen 
Schritt gethan habe, ohne alles zu bedenken. Aber wir hören, daß er eine 
Zeit lang ernten Beforgnifien fih hingegeben, ja jogar (der Prinz von Preußen 
hat es behauptet) von der Unvermeidlichkeit des Rückzugs geiprodhen und bereits 
jeinen Standort auf dem Homolfa verlafien babe. Wie denn der Herzog von 
Bevern nad Jahren von einem fchriftlihen Befehl erzählt hat, laut deſſen er 
mit den Bataillonen vom linken Flügel „bei der vorjeienden Retraite” die 
Arrieregarde zu machen hatte. Immer ift der Nüdzug, dejjen Dedung Bevern 
zugefallen jein würde, nicht eingeleitet worden; der Offizier, der ben Befehl 
überbringen jollte, langte nad Beverns eigener Angabe am Loboſchberg erit an, 
als die Yage fih ſchon völlig verändert hatte und Bevern dort nicht mehr an: 
zutreffen war. 

Denn in ihrer Not war den waderen ®Berteidigern des Berges ein 
rettender Gedanke gekommen. Als Kraut und Lot aufs lebte gingen und die 
DBedränger auf 500 Schritt heran waren, ward das Gemehr gefällt: Beverns 
eigenes Regiment und das Grenadierbataillon Billerbed gaben das Beijpiel. 
Mit lautem Geichrei, in vollem Lauf und aus allen Kräften, ftürzten fie ſich 
auf den Feind, „mit dem Bajonett ihm in die Rippen, mit dem Kolben hinter: 
ber”. Der Prinz ftieg vom Rferde und ſchloß fih dem milden Laufen an. Un: 
aufbaltiam ging es weiter, ohne viel Bedaht auf Neih und Glied, von Mauer 
zu Mauer durch die Weinberge und dann in die Ebene, auf Lobofig zu: „Die 
Fläche wurde blau,” erzählt einer der Offiziere vom jenfeitigen Flügel, „denn das 
unüberwindliche Fußvolf erfüllte diefelbe gleich. einem reißenden Strom, der ſich 
vom Gebirge herabftürzt.” Der Beiehl von heute morgen, die Linke zurüdzubalten, 
hatte längft, da die Nechte nicht ins Gefecht gefommmen war, feine Bedeutung 


Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 33 


mehr; auch erhielt jeht der den Truppen und ihrem Prinzen durch die eigene 
Tapferkeit eingegebene Entſchluß jofort eine vollitändige Gutheißung, da von 
drüben Feldmarſchall Keith im Galopp berbeiflog, um die weitere Leitung des 
Angriffes zu übernehmen. Der König blieb derweil darauf bedacht, die Rechte, 
die Schon mit Elingendem Spiel fih in Bewegung ſetzte, auf ihrem Berge feſt— 
zubalten: die beiden Flügel hatten die urjprünglih ihnen zugedadhten Rollen 
völlig vertaufcht. 

Um die Angriffstruppen gegen eine Umfaſſung zu fihern, wurde jett die 
Linie jo weit nach links geichoben, daß fie die Elbe erreihte. Damit aber riß 
die Verbindung nach redts ab, und die jehs Bataillone auf dem Homolka 
ftanden für fih allein. Um die Züde in der Mitte zu ftopfen, mußten drei 
Kürafiierregimenter in die Snfanterielinie einrüden: „ein neues und vielleicht 
unerlaubtes Manöver”, wie Friedrih befennt. Neu geordnet fette dann der 
linke Flügel feinen Angriff fort. Browne, dem zwei Pferde unter dem Leib 
getötet wurden, vermochte den Kampf vor Lobofit nicht mehr zum Steben zu 
bringen; Oberft Lascy, noch auf dem Lobojch verwundet, war unerjeglich, die 
Infanteriegenerale thaten, wie Bromne bitter klagte, nichts als unbeweglich an 
der Spite ihrer Truppen zu halten, um fich töten zu laflen. Nach einem 
furzen, aber hartnädigen Gefecht zwifchen den Häufern des in Flammen auf: 
gehenden Stäbtleins wurden die geſchlagenen Truppenteile hinter dem Modl— 
bade von dem noch unverjehrten linken Flügel aufgenommen, den Browne nun 
mit großem Gejhid eine trogige, achtunggebietende Bewegung ausführen ließ. 
Den Geihüsdonner löfte ein ſtarkes Gemitter ab. 

„So endete das Treffen, man möchte fagen, noch ehe es anfing,” urteilte 
man jpäter auf preußiicher Seite. Die Hauptitellung der Defterreiher war un: 
gebrochen, ja unberührt. Ob Bromne fie halten oder räumen würde, ob morgen 
der Kampf von neuem begann — das wurde im Hauptquartier zu Kinig, wo 
der König nad) der Schladt einen Imbiß nahm, lebhaft erörtert. Abends ward 
Lärm gejchlagen, bei jtrömendem Negen ftanden die Truppen eine Stunde lang 
unterm Gewehr. Grit während der Nacht fam die Meldung, daß der Feind 
abziehe. Browne hatte feine Veranlaffung, es auf den unficheren Ausgang einer 
neuen Schlaht anfommen zu laſſen, da er für die Ausführung feines Planes 
auch jo Rat wußte. 

Die Preußen beglückwünſchten fih, eine große Gefahr überjtanden zu 
haben. Eine Kraftleiftung, gewaltiger als Soor, dünfte dem König der Sieg 
von Loboſitz, und er bezeugte den Truppen: „Seit ih die Ehre habe, fie zu 
befehligen, habe ich nie aleihe Wunder der Tapferkeit geihaut.” Die Gegner 
ſchienen ihm viel überlegter und anſchlägiger als vordem: nicht mehr die alten 
Oefterreiher. So nachdrücklich hatten fich diefe neuen Defterreiher gewehrt, daß 
man die aufgebaufchten Stärkeangaben der Ueberläufer qut und gern glaubte: 
in die für die Deffentlichkeit beftimmten Berichte durften auf des Königs Be: 
fehl die Zahlen nicht aufgenommen werden, wohl weil Friedrich feine numerische 
Schwäche der Welt nicht offenbaren wollte; in vertraulichen Briefen aber be: 
zifferte er den Feind auf 60000 Mann. Umgekehrt wollte Browne 40000 
Preußen beitanden haben. Thatjählich hatten die beiden Heere fich in ungefähr 


Roier, Aönig Fricdrich der Große. II. >. Auf 3 


54 Sechſtes Bud. Erfter Abſchnilt. 


gleicher Stärke gegenüber geitanden: etwas über 28000 Preußen 51000 Defter: 
reihern. Auch die Verlufte jcheinen etwa gleich groß gemweien zu jein: hüben 
wie drüben nit ganz 2900 an Toten, Verwundeten und Vermißten. 

„Eine Schlacht, die uns feinen reellen Nuten, wohl aber einen großen 
Verluft an braven Leuten gebradt hat” — jo bie es ſchon nad wenigen 
Tagen im. preußifhen Yager. Der König, der etwas ſpäter nicht viel anders 
geurteilt hat, erhoffte zunächſt nod von feinem Siege eine unmittelbare Rück— 
wirfung auf die militärische Yage vor Pirna: „Nun muß der Mat fapitulieren, 
ih denfe, daß ich die Sachſen in Lobofig werde gekriegt haben.“ Er glaubte, 
die Defterreiher ganz in die Defenfive zurüdgemworfen zu haben. Aber jelbit 
unter der irrigen Vorausſetzung, daß fie nur auf die Dedung der Egerlinie 
bedacht jeien, jchien ihm die eigene Yage mit 24 Bataillonen, von denen 14 
gelitten hatten, jo unſicher, daß er das Heer in Böhmen nicht zu verlafjen 
wagte. Und am 8. Dftober bielt er es für erforderlih, bei dem in Sachſen 
zurücdgebliebenen Corps eine Anleihe von vier Bataillonen zu machen. Aber 
als dieje „KRollefte” jchon unterwegs war, fam Gegenbefehl. Die Sachſen hatten 
in der Nacht auf den 9. über die Elbe zu geben verſucht: die Sache fam „ins 
Kochen”. Noch glaubte Friedrich durch jeine Plänfeleien Bromne zu beichäftigen 
und feitzubalten, bis er dann am 12. zu feinem Schreden erfuhr, daß ein 
öfterreichiiches Corps rechts der Elbe auf vollem Marie jei. „Ich kann nicht 
begreifen, wo die Leute herfommen,” ſchrieb er nah Sedlig an Winterfeldt, 
„ib geitehbe, dab mir das Herze recht benauet iſt“ Mit 15 Dragonerichwas 
dronen ſaß er zum Gemwaltritt auf, um zur Entjcheidung noch zurecht zu fommen: 
„Ich wollte um viel, wir wären um vier Tage älter.“ 

Der taktiſche Mißerfolg von Loboſitz hatte die Kaiſerlichen itrategiich nicht 
in Nachteil geſetzt. „Solhem nach bleibt es bei der auf den 11. diejes fon- 
zertierten Unternehmung,” jchrieb Browne am zweiten Tage nad der Schlacht 
dem Grafen Brühl. Am 11. zur vorherbeitimmten Stunde hatte der öfter: 
reichiiche General mit 8000 Mann Lichtenhayn, eine Heine Meile oberhalb 
Schandau, erreiht. Aber die Sachſen hatten in der Nacht auf den 10. ihren 
Brüdenichlag am Lilienjtein nicht ausführen können, da die zum Auffahren der 
Pontons gemieteten Ruderknechte vor dem Feuer einer preußiichen Batterie ins 
Waſſer geflüchtet und davongefhwommen waren. Erit am 11. begann die Ver: 
anferung der nun zu Lande herbeigeſchafften Schiffsgefäße, in der Naht zum 
13. wurde die Brüde überichritten, nicht vor Nachmittag erreichte die Maſſe 
des Fußvolfs die enge Bergplatte der Lilienfteiner Ebenheit, unter ſtrömendem 
Regen, ohne Gepäd, ohne Gejhüge, weil die ausgehungerten Pferde fie auf den 
grundlofen Wegen nicht vorwärts braten, mit durchnäßten Patronen; als Nah: 
rung mußten Krautftrünfe und Kürbisranfen dienen oder gefochter Puder mit 
Schiekpulver gewürzt. 

Wohl hatte man fich den Verbündeten auf vier Megftunden genähert, aber 
ehe man ihnen die Hand reihen fonnte, mußten beide Teile einen Gegner über 
den Haufen werfen. Sowohl bei Porſchdorf und am Lilienftein wie bei Nat: 
mannsdorf und Schandau wurden die preußiichen Verhaue und Redouten fait von 
Stunde zu Stunde ftärfer belegt. Bromwne hatte am 11. nur 5 Bataillone und 


Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 35 


4 Schwadronen, 4000 Mann, fi gegenüber, aber er wollte nicht anders als 
zugleih mit den Sachſen angreifen: am 13. boten bereits 10 Bataillone und 
7 Schwadronen ihm die Stirn, den Sadjen am 13. früh 5 Bataillone, abends 
8 Bataillone und 2 Schwadronen. In das verlalfene Lager waren die Preußen 
alsbald nahgedrängt und feuerten von dort auf die Nachhut, und wenn fie jegt 
noch) ihre auf dem linfen Elbufer aufgefahrene Batterie jpielen ließen, waren die 
auf der Ebenheit zujammengepreßten Flüchtlinge geradezu der Vernichtung preis- 
gegeben. Bromne erklärte am 13. abends, bei dem ftetigen Anwachſen der 
feindlihen Macht nur noch bis zum nächſten Morgen verweilen zu können. 
Zweimal, am 13. abends und am 14. früh, traten die ſächſiſchen Generale zum 
Kriegsrat zufammen; alle waren darin einig, daß jeder Kampf nutzlos, ber 
Durchbruch unmöglich jei. Aber der König, der auf dem Königftein zurüdgeblieben 
war, forderte den Angriff, von Brühl beraten. Die Generale bewiejen ihm, 
daß nur eine Kapitulation ihn felbjt vor dem Schickſal der Kriegsgefangenschaft 
retten werde, denn der Königftein könne einer Belagerung nicht troßen. So 
erklärte er endlih am Nachmittag des 14., das Schidjal des Heeres dem Kriege: 
rat überlaſſen zu wollen. 

Unten in Struppen, wo fo lange das jählishe Hauptauartier geweſen 
war, traf eben in diefem Augenblid der König von Preußen ein. „Alles war 
zu Ende,” jchrieb er an Keith, „ich habe nur noch die legten Seufzer der ſächſiſchen 
Artillerie gehört.” Die Kapitulation, die dem unglüdlichen Heere am 15. Oktober 
gewährt wurde, bedeutete im Grunde eine Uebergabe auf Gnade und Ungnade: 
durch Nandbemerfungen des Königs von Preußen zu den von Rutowski und 
Winterfeldt entworfenen Artifeln wurden die Geſchicke der Sachſen entſchieden, 
und die Bedingung, daß die Unteroffiziere und Gemeinen nicht genötigt werden 
jollten, preußiſche Kriegsdienite zu nehmen, wies Friedrich ausdrücklich und ſchroff 
zurüd: „Darein hat niemand fich zu mifchen, man wird feinen General zwingen, 
wider feinen Willen zu dienen, das genügt.” 

Damit waren die Leiber in jeine Gewalt gegeben, die Seelen jollte ihr 
Eid ihm überantworten. Dem aus den Tagen bes Landsknechtstums über: 
nommenen Brauh, Kriegsgefangene für das Heer des Siegers anzumerben, 
einem Brauch, dem Friedrich in Heinerem Mafftabe ſchon wiederholt gefolgt 
war, jollte jest ein ganzes Heer ſich unterwerfen, ein faft ausjchließlih aus 
ſächſiſchen Landeskindern zufammengejegtes Heer, das bis auf diefe Stunde dem 
angeftammten Kriegsherrn bingebende Treue bewahrt und während der langen 
Pirnaer Leidenszeit nicht mehr als hundert Mann durch Dejertion verloren hatte. 
Es war der duntelfte Fled an dem preußiihen Heerweien, wie Friedrich Wil: 
beim I. e& ausgebildet hatte, daß der erzwungene Eid gleihjam zu einer feſt— 
ftehenden Einrichtung geworden war. Bei diefem Anlaß fand das im Einzel: 
falle unzähligemal befolgte Syftem eine verhängnisvole Maflenanwendung. 
König Friedrich hat fi fpäter, mach feinen doch unvermeidlichen ſchlechten Er: 
fahrungen mit diejen Sachſen, nur den einen Vorwurf gemadt, daß er die Ge: 
fangenen, ftatt fie unter feine alten Truppen zu verteilen (das geichah nur mit 
den ſächſiſchen Neitern), in ihren alten NRegimentsverbänden, wenn auch unter 
preußijhen Offizieren, bei einander gelaflen habe. Dem Prinzen Morig von 


36 Sechſtes Bud. Erfter Abſchnitt. 


Deſſau ift nachgeſagt worden, er habe dem Könige eingerebet, daß die proteitan: 
tiihen Sadjen ihm, dem glaubensverwandten Fürften, lieber dienen würden, 
als ihrem katholiſchen Landesherrn: jo ſei gegen Winterfeldts ausdrüdlichen 
Rat von der Auflöfung der Regimenter abgejehen worden. 

Im Lager von Loboſitz, am 7. Dftober, äußert Friedrich die Befürchtung, 
wenn es in Pirna noch acht Tage andauere, werde es ihm unmöglich fein, über 
Winter in Böhmen zu bleiben: „Die Sachſen verderben mir die ganze Cam: 
pagne.“ Am 14., bei der Ankunft in Struppen, in der erften Freude über die 
Vereitelung des jählifhen Durchbruches, hatte er noch einmal alle Hoffnung, 
fih „mit großer Weberlegenheit” in Böhmen behaupten zu können. Aber be: 
reits am 16. fündete er Schwerin an, daß mit der Kapitulation der Sadjen 
der Feldzug zu Ende fein follte: feiner von ihnen beiden vermöge fi in Böhmen 
zu halten, man babe nicht fichere und jolide Anftalten treffen fünnen, da man 
zu ſpät eingerüdt jei. 

Warnery bat in feiner Kritif der Feldzüge diefes Krieges die Räumung 
Böhmens gemißbilligt und will fie dem Könige widerraten haben; er meint, 
daß auf dem rechten Elbufer das Heer noch ausreichenden Unterhalt gefunden 
haben würde, durch die er in der Front gededt, die Nehte an Melnif an: 
gelehnt, die Linke in Kühlung mit dem Schwerinichen Corps, das im König: 
grätzer Kreije hätte bleiben müſſen; von diefer Stellung aus würde man auch 
jenfeits der Elbe den Abjchnitt zwifchen der Eger und der Grenze leicht gededt 
haben. Nun hat Friedrich der Dedung durd einen Fluß, nad der Erfahrung 
von Selmig im Jahre 1744,) ftets einen fehr geringen Wert beigemefjen: fo 
oft man fih hinter einen Fluß ftelle, um ihn zu verteidigen, werde man ber 
betrogene Teil jein. Crinnern wir uns ferner, daß die böhmiſchen Winter: 
quartiere des Feldzugsplanes für 1756 mit der Theorie der „Beneralprinzipien 
vom Kriege“ von 1748 ohnehin nicht übereinftimmten. Der königliche Feldherr 
ift zu diejer feiner alten Theorie durhaus zurüdgefehrt in einer nach jeinem 
legten Kriege entitandenen Denkichrift, wo er in eingehender Darlegung es als 
faft unmöglich bezeichnet, Böhmen über Winter zu behaupten ohne den Beſitz 
von Prag oder ohne eine ganz enticheidende Schlaht, durch die dem Gegner 
aller Mut genommen ſei, fih wieder jehen zu laffen. So meinte er aud) jegt, 
um ruhige Winterquartiere in Böhmen zu haben, müſſe man zuerft das Heer 
des Marichall Browne noch einmal geihlagen haben, „was Norbereitungen er: 
fordert, die uns bis zum 20. November in die ſchon zu rauhe und für die 
Truppen ungejunde Jahreszeit hinziehen würden“. 

Immerhin, ein von vornherein in beicheidenen Grenzen gehaltener Feld— 
zugsplan hatte ſich noch eine ftarfe Einichränfung gefallen laſſen müjlen, und 
zwar, wie Friedrich eingeftand, dur dieſen unerwartet zähen Widerftand ber 
Sadjen. Am Schluſſe eines in der jtrategiihen Offenfive begonnenen Feld— 
zuges, nad einem unfruchtbaren Siege und nad) der vollitändigen Näumung des 
faum bejegten öjterreichifchen Gebietes, waren jett für die Monate der Winter: 


) 8b. 1, 236. 


Verlauf und Wirfungen des Feldzugs von 1756. 37 


ruhe Schwerin und anfänglid auch der König nicht ohne Sorge um die Sicher: 
heit der eigenen Grenzen. 

Schwerin war jeinem nah dem nördlichen Böhmen abgezogenen Gegner 
Piccolomini über Nahod bis nad Königgräg nachgedrängt; nicht ganz im Sinne 
des Königs, der vielmehr einen Vormarſch über Lande, oder jpäter eine Ab: 
ſchwenkung nach Hohenmauth gewünscht hätte, um den Feind nah Olmütz ab: 
zuziehen. In den lebten Tagen des Oftober rüdten die beiden nad) Böhmen 
vorgeihobenen Gorps wieder in die Grafihaft Glag und nad Sadjen ein; 
Mitte November, jhon war fußhoher Schnee gefallen, wurden die Winter: 
quartiere bezogen, eine lange Kette von Oberichlefien bis nad Plauen im Voigt: 
lande. Am 14. ritt der König an der Spite jeines erſten Bataillons Garde in 
Dresden ein. 


Der Feldzug war beendet. Hat der preußiiche Aufmarich die friegsluftigen 
Gegner zu Umkehr und glimpflihem Vergleich bringen follen, jo war der Zwed 
verfehlt. Vielleicht, daß eine große, ganze Niederlage des öfterreichifchen Heeres 
der Kaiſerin-Königin und den ihr befreundeten Höfen den Sinn gewandt haben 
würde: jo aber wurde der preußiihe Rückzug aus Böhmen als Eingeftändnis 
der militäriihen Schwäche ausgelegt, als beihämender Mißerfolg bingeitellt, 
wohl gar als die Wirfung des Tages von Loboſitz, des unechten preußiichen 
Sieges. Wie nah dem Feldzuge von 1744 verbreitete das Gerüht Schredens: 
dinge über die Werlufte des preußifchen Heeres. Friedrich jpottete über Die 
Zeitungen, nad) denen die Preußen bereits vertilgt jein müßten. „Ihr werdet 
diefen Winter hören, daß ich verloren bin,” jchrieb er nah Baireuth; „man 
wird den Preußen die Leihenrede halten und die Grabſchrift jegen, aber im 
Frühjahr werden jie auferitehen.“ Aber er konnte fih nicht darüber täufchen, 
daß man jeine Macht als nicht jo gar fürdterlid anzujehen begann. 

Beim Ausrücken in das Feld hatte er jeinen Miniftern drei politiihe Auf: 
gaben vornehmlich an das Herz gelegt: in Polen die Parteien zu beobachten und 
auf dem Reichstag dieſes Herbftes Beichlüffe zu Gunften des ſächſiſchen Königs zu 
bintertreiben; bei der Republif der vereinigten Niederlande auf den Beitritt zu 
dem preußiſch-engliſchen Bündnis binzumirfen, wie ihn das gemeinjame pro— 
teftantifche Interejle gegenüber dem Bunde der beiden katholiſchen Vormächte, 
Deiterreichs und Frankreichs, erheiihe, in Verjailles endlich den Boden gegen ben 
öfterreihifchen und ſächſiſchen Einfluß zu verteidigen, um Frankreich von der 
Unterftügung der Gegner Preußens troß allem noch zurüdzuhalten. 

Sehr bald ergab fih, daß von der lärmenden VBerfammlung zu Grodno 
etwas Ernftliches nicht zu befürdhten war, ohne daß der preußiihe Gejandte zu 
dem äußeriten Mittel, der Sprengung des Reichstags, zu greifen brauchte. Aber 
ebenjo unfruchtbar im Haag die Beratungen der Generalftaaten. Nicht einmal 
zu der eine Zeit lang geplanten Vermehrung des Heeres fam es, die Friedrich 
bier ebenio befürwortete, wie er fie in Grodno befämpfte. Er jchalt auf diefe 
entarteten und ihrer großen Vergangenheit vergeifenden Holländer, die durch nichts 
ihrem Phlegma zu entreißen feien; aber er ſchalt auch auf die Engländer, die 


38 Sechſtes Bud. Erfter Abichnitt. 


nad feinem Plan die dritten im Bunde fein folten, und nun die allgemeine 
Entrüftung gegen ſich berausforderten, indem fie durch ihre Kaper die neutrale 
bolländifhe Flagge allen Schädigungen und Drangjalen ausjegten. Als die 
Schlacht bei Loboſitz geſchlagen war, bat Friedrich einen Verſuch gemacht, Die 
Nepublit als Friedensvermittlerin zu gewinnen; er beauftragte zu diefem Behuf 
jeinen Gefandten am 6. Dftober mit der Erklärung, daß er Feine Landabtre— 
tungen begehre, weder von Defterreih nod von Sachſen, fondern nur Bürg— 
Ichaften für einen dauerhaften Frieden. 

Die gleihe Erklärung jandte er wenige Tage darauf nad) Paris. „Keinen 
Zol breit fächfifchen Landes,” läht er den Franzoſen beteuern. Noch ermaß er 
nicht, wie ftark das franzöfifche Intereſſe durch das belgiihe Taufhaeihäft an 
dem öfterreihiihen Plan zur Wiedereroberung Schlefiens beteiligt war, wie weit 
ſich Franfreich auf die Verſchwörung gegen ihn bereits eingelajien hatte. Wenn 
er auch in feinen für die Engländer beitimmten Denfichriften immer ſchon von 
dem Triumpirat ſpricht, das die Freiheit Europas bedrohe, jo glaubte er ſich 
jelbft und Preußen einitweilen nur durch den Zwiebund der Kaiferhöfe ge: 
fährdet. Aber was er über die feindfeligen Abfichten diefer beiden in Erfahrung 
gebracht hatte, war ihm bereits bi zu dem Grade gefährlid erſchienen, daß er 
unverzüglich zur Notwehr geichritten war und feine militäriihe Stellung um 
das ftarfe Bollwerf, das ibm Sadien bot, veritärft hatte — auf die Gefahr 
bin, dadurch das anfcheinend noch neutrale Frankreich in das gegneriihe Lager 
zu drängen, aber doch mehr in der Hoffnung, daß die Franzoſen nad) der eriten 
Erregung, deren auffliegende Hitze er hinreichend kannte, fich eines Beſſeren 
beiinnen und abjeits bleiben würden. Biel ſchien gewonnen, wenn fie Dielen 
Herbit nicht mehr marſchierten; dann ließ ſich, meinte Friedrich, über Winter 
viel Gutes erreihen und vielleicht ein allgemeiner Friedensſchluß anbabnen. 
Perfönlihe Erfahrung lehrte ihn, daß fie nicht geneigt waren, fich für einen 
Verbündeten gerade zu überanftrengen. Vielleiht, daß ihnen eine Ausrede den 
neuen freunden gegenüber ganz willlommen war: daß der Fall des Vertrages 
vom 1. Mai, die Verpflichtung, dem Wiener Hofe 24000 Mann zu ftellen, 
nicht vorliege, weil Preußen nicht in Wahrheit der Angreifer jei; auf diejen 
Sag liefen Friedrihs immer von neuem wiederholte Vorftellungen jämtlich bin: 
aus. Für fein Verhalten gegen Sachſen fonnte er ſich zudem auf das eigene 
Beijpiel Frankreichs berufen. Hatte fih nicht Yudwig XIV. im ſpaniſchen Erb: 
folgefriege den Zugang zu den habsburgifchen Erblanden durch die Ueberrum— 
pelung Piemonts geöffnet, und das zu einer Zeit, da der Herzog von Savoyen 
der Schwiegervater des Dauphins war? Und jest follte es dem König von 
Preußen verboten fein, des Dauphins Schwiegervater zu entwaflnen? Große 
Herren hätten feine Verwandte, ließ er den franzöfiihen Miniftern jagen, und 
wenn man jeinen Feinden zuvorfommen müfle, fönne die Genealogie nicht fon: 
jultiert werden. 

Aber ſchon die Haltung des Marquis Valory in Berlin war bezeichnend 
für den völligen Sinneswandel der Franzoſen. Der dide, choleriſche Herr war 
in den elf Jahren feiner eriten Gejandtichaft eine der populärften Figuren am 
preußiichen Hofe geworden. jedermann nahm das Wiedererjcheinen des „lieben 


Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1750. 39 


Papa” in dem Eritifchen Frühjahr von 1756 zum guten Zeichen; der König 
batte ihn als alten Freund mit einer Umarmung begrüßt; er batte die Gut: 
möütigfeit und Anhänglichleit des Mannes jederzeit überihäßt. Valory erfannte 
jehr bald, daß er, der Favoritminifter von ehedem, unter den veränderten Um— 
ftänden ganz und gar nicht an feinem Plage jei. Er Elagte über die unbehagliche 
ftumme Rolle, die er jetzt jpielen müfje; er war billig genug, die Weftminifter: 
fonvention nad) ihren wahren Bemweggründen zu würdigen, den Krieg aber be- 
trachtete er als eine Uebereilung und glaubte feit, daß die Hinterlift oder wohl 
gar das Gold der Engländer den König verleitet habe. Im übrigen hütete 
er fih wohl, in feinen Berichten nah Verjailles zum guten zu reden, vielmehr 
beurteilte er die Haltung Preußens, vor allem auch die Vorgänge in Sadjen, 
auf das fchärfite. Er wußte, wie daheim der Wind wehte; war doch auch fein 
Gönner und politiiches Orakel Belle-Isle, ehedem unter feinen Landsleuten der 
gewichtigite Anwalt der preußiihen Sache, vorbehaltlos zur öjterreihifchen Partei 
übergegangen. 

Allerdings ift nun in Frankreich das öfterreihiihe Bündnis, ein Menjchen: 
alter jpäter dem Hofe geradezu al& Verbrechen angerechnet, ſchon im Augen: 
bli jeiner Entitehung nicht ohne lebhaften Widerjpruh geblieben. Das Wert 
der Marquiſe von Pompadour und des unter ihrem Schuge aufitrebenden Abbe 
Bernis galt den Diplomaten der hiftoriihen Schule als Abfall von den be- 
währten Ueberlieferungen der ruhmvolliten Epoche franzöfiicher Geſchichte. Noch 
immer jei ranfreih im Bunde mit dem Haufe Defterreih zu Schaden ges 
fommen: jo unter der Mebiceerin, ehe Heinrich IV. den alten Kampf wieder 
aufnahm; jo nach Heinrihs Tode, bis es Nichelieu gelungen fei, das von den 
Habeburgern gewonnene Uebergewicht mit den äußerſten Anftrengungen, mit 
Kriegen, Siegen und ntriguen, mit viel Geld und viel Glück zu zeritören. 
est laſſe man mit geſchloſſenen Augen Defterreih in Italien und in Deutſch— 
land um fich greifen, gebe die deutſchen Proteftanten und die deutſche Libertät 
preis, verzichte auf die Verbindung mit Baiern, Württemberg und Sadjen, 
um fie und andere an Defterreih auäzuliefern und Defterreih unterzuordnen, 
treibe Preußen in die Arme Enalands und überlaffe dem Einfluß Rußlands 
die alten Berbündeten im Norden und Dften, Dänemarf, Schweden, Polen und 
die Türkei. So klagte d'Argenſon, der ehemalige Minifter des Auswärtigen, 
und fein derzeitiger Nachfolger Nouille lehnte die Glückwünſche zu dem Vertrag 
von Verjailles mit der völlig zutreffenden Begründung ab, daß der Vertrag das 
Werk des Königs fei. Ein loyaler Hofmann, wie der Herzog von Luynes, ge: 
wahrte mit Befremden, dab es dem König von Preußen für feinen Angriffs: 
frieg an Verteidigern in Frankreich nicht fehlte; nicht bloß feine Abfage an 
die Kaijerin-Königin, auch fein Verhalten gegen Sachſen wurde entjchuldigt. 
Seine Enthüllungen über die Umtriebe des Grafen Brühl blieben nicht ohne 
Beadtung, und der Eindrud, den die Thränen der Dauphine gemacht hatten, 
ging dur die unglüdlihe Haltung ihres königlichen Vaters verloren: Gegner 
und Freunde Preußens, alle am Hofe, der König nicht ausgenommen, fanden 
ih zufammen in der Entrüftung über die unfönigliche Mattberzigfeit, in der 
König August, Statt in der Stunde der Gefahr bei jeinen Truppen zu bleiben 


40 Sechſtes Bud. Erſter Nbichnitt, 


und mit ihnen den von ihm felbit anbefohlenen Durhbrud das Schwert in der 
Hand zu erzwingen, fih auf dem Königftein geborgen hatte. Es ift bezeichnend, 
daß nicht die Vergewaltigung Sachſens, jondern eine Bejchwerde des Grafen 
Broglie, der in feiner Eigenihaft als Gejandter den Einlaß in das ſächſiſche 
Lager hatte ertrogen wollen, den äußeren Anlaß gab, Valory aus Berlin ab: 
zuberufen und dem preußiihen Gejandten Knyphauſen den Hof zu unterfagen. 

Den äußeren Anlaß — es geihab nur, was Frau vom Pompadour im 
Mai dem Grafen Starhemberg verheißen hatte, ') daß man bei jo ſchönem Be: 
ginnen nicht auf halbem Wege ftehen bleiben werde. Nichts berechtigt zu der 
Annahme, daß Frankreich ohne die Schilderhebung Preußens die weiter gehenden 
Entwürfe Maria Therefias von fi gewiejen haben würde. Die entjcheidenden 
Zugeitändniffe waren bereits vorher gemacht. Defterreich hatte zu viel zu bieten. 
Nicht eine Weiberlaune, jondern die Abwägung großer politiicher Intereſſen gab 
den Ausſchlag. Gewiß bat die Marquiſe von PBompadour an der Ummälzung 
des europäiichen Allianziyitems hervorragenden Anteil gehabt, durch ihre takti— 
ſchen Ratſchläge an den öfterreihiihen Botichafter, durch Bekämpfung entgegen: 
wirfender Einflüffe, durch ihre perfönlihe Stellung zu Ludwig XV. Sie war, 
durch jüngere Schönheiten abgelöft, dem Könige nicht mehr das, was fie ihm früher 
gewejen, aber fie war, wie Starhemberg es bezeichnete, „die Freundin, die Be: 
raterin, oder richtiger gejagt der Premierminifter des Königs”; dD’Argenjon nannte 
fie des Königs Tröfterin. Der fannte aus jeiner amtlichen Erfahrung diejen 
Fürften, welcher feine Sentiments, fondern nur Senjationen habe, und wollte 
das Geheimnis und die Stärfe der allmäcdhtigen Frauenherrichaft darin jehen, daß 
die Marquife die Gejchäfte mit einer Zartheit, einer Ruhe, einem Reiz zu be: 
handeln wifle, die der König an einem Manne, und wäre er jein vertrautefter 
Freund, vergeblid juchen würde. Sie bejaß die Kunft, fi den Stimmungen 
anzufchmiegen, unausgejprohene Abſichten zu erraten, für die noch ungeflärten 
Anihauungen die Formel vorwegzufinden. So hatte jie mit richtigem Inſtinkt 
erfannt, wie tief im Innern der König dem bisherigen volitiihen Syitem ent: 
fremdet war. „Der König feufzte feit lange,” heißt es in der von Ludwig 
unterzeichneten Inſtruktion vom 19. Oktober 1756 für den nad Wien beftimmten 
militärifhen Bevollmächtigten, „daß die Vorurteile der Politik fi der Aufrich— 
tung eines Syftems entgegenftellten, das jeinem Herzen genugthat, und das ihm 
geeigneter erjchien als irgend ein anderes, die wahre Religion und den allge: 
meinen Frieden aufrecht zu erhalten.“ Der König von Preußen, feit lange ihm 
ein Gegenitand der Abneigung und des Nergernifjes, hieß ihm jest eine Gottes: 
geißel und der Nafendite der Rajenden. 

Es wäre jchwer zu jagen, wer in diefem Falle mehr gewann, ob die 
Marguife dur ihr Eintreten für das öfterreichiiche Syftem, ob das neue Syſtem 
durch die Unterftügung der Marquije; die Sade, die fie ergriff, war ſtark fchon 
an ih. Hatte das alte Syitem den nationalen Ruhm feiner großen Begründer 
und die folgerichtige Gefchloffenheit für fich, jo fehlte es auch der neuen Politik 
nicht an großem Wurf und einleuchtender Klarheit. „Der König bat das poli: 


1) 3b. 1, 589. 


Verlauf und Wirfungen des Feldzugs von 1756. 41 


tiihe Syitem Europas umgewandelt, aber er hat nicht das Syitem Frankreichs 
verändert,” lautete die offizielle Formel. Die am meilten durdichlagende Er— 
wägung ift doch die gewejen: im Bunde mit Preußen hatte Frankreich für fich 
nichts erreicht, nur für die Vergrößerung feines Verbündeten, eines unficheren 
Verbündeten, gearbeitet; das Bündnis mit Oeſterreich verſprach einen großen 
Gewinn. Einen Gewinn, den man in jo vielen Kriegen mit dem Haufe Habs: 
burg vergeblich erftrebt hatte, und der jegt, von der Erbin der ſpaniſchen und 
deutihen Habsburger freimillig angeboten, mit geringitem Einſatz, jo dachte 
man, davonzutragen war: damit eröffnete fi) die weitere Ausſicht, mit der 
Hauptmafje der franzöſiſchen Streitmacht auf den zweiten der hiſtoriſchen Gegner, 
den vornehmiten Feind fallen zu können, auf England, das jet von Oeſterreich 
und anjcheinend auch vom Kriegsglüd verlaſſene. 

Vor einem Jahr, im erften Entwurf feines großen Planes, hatte Kaunitz 
von den Franzoſen nichts weiter verlangt als Losjagung vom Bündniffe mit 
Preußen, Zuftimmung zur Rückkehr Schlefiens in öjterreihiihen Beſitz, Geld: 
jpenden für den Krieg der beiden Kaiferhöfe gegen Preußen: feine Waftenhülfe. 
„Ohne Krieg“ jollte Franfreih einen jo bedeutenden Gewinn wie die Einräu— 
mung des halben Belgiens an den Schwiegerjohn des allerhriftliciten Königs 
davontragen. Als nah dem Abſchluß des preußiſch-engliſchen Neutralitätsver: 
trages Frankreich diejen Plan quthieß, ftedte man Ende März 1756 in Wien, 
durch das Ergebnis ermutigt, das Ziel bereits höher. Man nahm in Ausficht, 
außer der Geldhülfe noch die Entjendung eines franzöſiſchen Beobadhtungsheeres 
nah Weftfalen, zur Warnung der Hannoveraner und fonftiger proteftantijcher 
Anhänger Preußens, zu fordern und dafür neben ber territorialen Ausitattung 
für den Infanten Philipp noch die Verfchreibung von Luxemburg anzubieten. 
Als zwei Monate fpäter nah dem Abichluß des Verteidigungsbündnifies von 
Berfailles der franzöfifche Unterhändler von jelbit die Abtretung der gejamten 
öfterreichifchen Niederlande anregte, durfte die Kaiſerin-Königin die eigenen An: 
ſprüche abermals erhöhen. Kein Zweifel bleibe übrig, jo ward e8 am 19. Mai 
im Kronrate ausgeiproden, daß der zweite Vertrag, das Offenlivbündnis mit 
Frankreich, zu feiner Nichtigkeit fommen würde. Alfo forderte man: Zuftimmung 
Frankreichs zu einer „weiteren Schwächung”, d. h. zu einer Zurüdführung Preußens 
auf den Befigftand des beginnenden fiebzehnten Jahrhunderts; Zahlung von zwölf 
oder im äußeriten alle von acht Millionen Gulden jährliher Subfidien,; Dedung 
der Unterhaltsfoften für ein aus reichsfürftlihen Truppen, Sachſen, Württem: 
bergern, Piälzern, zu bildendes Heer; unmittelbare Beteiligung eines franzöfi: 
ihen Corps an dem Kampfe gegen Preußen oder wenigitens die Entjendung 
jenes Beobadhtungsheeres nah Weitfalen. 

Am 9. Juni find die entiprechenden Weifungen an den Botſchafter nad) 
Paris abgegangen, als geichidter Unterhändler hielt Starhemberg mit dem 
legten Worte feines Hofes lange zurüd, um das als unerläßlich Bezeichnete um 
fo fiherer und vollftändiger zu erreihen. Am 20. Auguſt konnte er frohlodend 
berichten, daß er endlich auf dem Punkte jei, wohin man diefen Hof jeit lange 
habe bringen wollen. Frankreich willigte jet ftillihweigend in die meitere 
Schwähung oder, wie man in Berfailles fagte, in die totale Deftruftion 


42 Sechſtes Bud. Erfter Abſchnitt. 


Preußens und verhieß die-Aufftelung des Beobadhtungsheeres, nicht acht, ſondern 
die zwölf Millionen als feiten Jahresbeitrag, und weitere Subjidien für die 
reichsfürftlichen Kontingente, und bei dem allem beitand Frankreich nicht einmal 
auf der anfangs geforderten unmittelbaren Erwerbung der gelamten öjterreichi: 
ſchen Niederlande, jondern wollte fi mit ihrer Ueberlafjung an den Infanten 
begnügen. „In der That, viel vergnüglichere Nachrichten, als man vermutet 
hatte!” befannte Kaunitz. Den endgültigen Abſchluß der Verhandlung jah er 
als nahe bevorftebend an, da fein einziger Punkt mehr auf unausgleichbare 
Meinungsverjchiedenheit zu ſtoßen ſchien. 

Da bat nun gerade der Ausbruch des Krieges mit Preußen nach eine 
unvorhergejebene Schwierigkeit geſchaffen. Wurde anerkannt, daß Oeſterreich 
der angegriffene Teil war, jo war Frankreich durch den Vertrag vom 
1. Mai zur Stellung von 24000 Mann, zu der unmittelbaren Beteiligung am 
Kriege verbunden, die man in Verjailles, nicht zum wenigiten in Erinnerung 
an die deutſchen Feldzüge des legten Krieges, eben vermeiden wollte. Ohne 
Zweifel hatte die öterreihifche Diplomatie vorausgejehen, daß es jo fommen 
würde, da fie ſich die Gejchidlichkeit zutraute, die Role des Angreifers unter 
allen Umftänden Preußen zuzuichieben: hundert Gründe ftatt eines babe man 
zum Bruch, hatte Starhemberg ſchon im Mai zu Bernis gejagt. Nachmals, als 
der ungeahnte Ausgang diejes Krieges die ſchärfſte Kritik der von ihm ver: 
tretenen Politik geliefert hatte, da hat Bernis gegen die Dejterreicher den Vor: 
wurf erhoben, daß fie, um Frankreich in einen den franzöfiichen Intereſſen 
fremden Kampf zu verwideln, dur ihre jchrofite Haltung Preußen zum Bruch 
getrieben hätten. Yur Zeit war der langvermißte aroße Staatsmann, den 
Kaunig in dem Abbe Bernis für Franfreih fommen ſah, weit davon entfernt, 
fih zu jolder Auffafjung zu befennen. Und hatte man denn die Wahl? Man 
mußte den Casus foederis als gegeben anerkennen, unter allen Umftänden, um 
Belgiens willen. Starhemberg jab ganz klar, wenn er ſagte, die Befürchtung 
der Franzoſen jei, daß die Kailerin Schlefien gewinnen fünne ohne Frankreichs 
Unterftügung und ehe fie ihre Unterichrift für die Abtretung der Niederlande 
gegeben habe. Die Franzojen, nicht die Defterreicher, waren es jeßt, die auf den 
Abſchluß des neuen Vertrages bindrängten. Wenn nun aber Kaunig bejorgt 
hatte, daß Frankreich mit Hinweis auf die ihm jett obliegende Truppenitellung 
von all dem anderen, was im Auguſt bereits zugeſagt worden war, dieſes 
oder jenes zurüdnehmen werde, jo war man umgefehrt in Verjailles viel mehr 
geneigt, die Tonftigen Zeiftungen zu erhöhen, wofern nur die Auslieferung der 
„24000 Geiſeln“ fih umgehen ließ. 

Zunädhit ward unter dem Vorwand der vorgejchrittenen Jahreszeit der 
Ihon angeordnete Ausmarſch aufgeihoben. Dann bot man jtatt der 24000, die 
unterwegs jchon, auf dem Mariche bis Mähren, zur Hälfte draufgeben würden, 
ein dreimal jo jtarfes Heer für eine Diverfion zwiichen Niederrhein und Elbe 
an. Monatelang ward mit dem nah Wien gejandten Marſchall d’Ejtrees Hin 
und ber verhandelt. Schon wollten die Franzoſen fich dazu verjtehen, die 
24 000 Mann zwar nicht in Böhmen, aber in Thüringen bei Erfurt zu 
einem öjterreihiichen Corps ftoßen zu laſſen; da befann man fi in Wien end— 


Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1750. 43 


li eines anderen, und fand es vorteilhafter, 100000 und mehr Franzoſen, 
ein großes jelbftändiges Heer, über den Niederrhein fommen zu jehen, als 
24000 mwiderwillige und vielleicht jehr anſpruchsvolle und unfüglame Gälte im 
eigenen Lager aufzunehmen. Man ließ Sich den Vorfchlag gefallen, den d'Eſtrées 
am 18. Februar übergab, daß 52000 Mann Ende April die Yaufgräben vor 
Weſel eröffnen, weitere 53000 Mann Mitte Mai bei Düfleldorf fich verfammeln 
würden. Der Vormarih an die Weſer follte von dem Ergebnis einer mit 
Hannover eingeleiteten Neutralitätsverhandlung abhängig bleiben, und die Be: 
lagerung von Magdeburg wurde von vornherein an die Bedingung geknüpft, daß 
die Defterreicher zuvor Herren des ganzen Elbitromes jein und aus Prag Ge— 
ihüß und Munition liefern müßten. 

Daraus ergab ſich, was die öfterreihiichen Feldberren an ihrem Teile zu 
tbun hatten. Sie hatten geſchwankt, ob fie in Sclefien oder in der Lauſitz 
und Sachſen zum Hauptangriff jchreiten follten. Nunmehr, am 28. Februar, 
zwei Tage vor des Grafen d'Eſtrées Abreife, traten Prinz Karl von Lothringen, 
Kaunig, Neipperg und Browne in der Hofburg zu einer legten Beratung mit 
ihm zufammen und eröffneten ihm, daß die Entjcheidung der Kaiferin für den 
Einmarih nah Sachſen gefallen ſei, nicht zulegt um den Franzoſen die Unter: 
nehmung gegen Magdeburg zu erleichtern. Von der Verlegung des Kriegsichau: 
plaßes in das Herz der preußiihen Monardie verfprah jih Maria Therefia 
den ficherften und jchnelliten Erfolg: es ſei „menichlicherweife nicht wohl anders 
zu urteilen, als daß der König von Preußen fih unmöglid auf allen Seiten 
retten und der auf ihn andringenden überlegenen Macht langen MWideritand 
leiften könne.“ 

Nach diefen Vorverhandlungen iſt dann am Jahrestage des eriten Ver: 
trages, am 1. Mai 1757, das zweite Berjailler Bündnis unterzeichnet_mworden, 
vorteilhafter für Deiterreih nah Starhembergs Urteil, als man ſich jemals 
hatte verſprechen können. 

Ludwig XV. verpflichtete ſich, ſtatt der 24000 Franzoſen 6000 Württemberger 
und 4000 Baiern auf ſeine Koſten zum Heere der Kaiſerin-Königin zu ſtellen, 
außerdem aber mit 105000 Mann franzöſiſcher oder in franzöſiſchen Sold ge: 
nommener Truppen in den Krieg einzugreifen, jowie vom 1. März 1757 ab 
jährlich zwölf Millionen Gulden Hülfsgelder nad Wien zu zahlen. Auf die vor 
einem Fahr geforderte unmittelbare Erwerbung Belgiens war Franfreih auch 
jegt nicht zurüdgelommen; man begnügte fih mit der Anwartſchaft auf die 
Herrſchaften Chimay und Beaumont, auf die Städte Mons, Npern, Yurnes und 
auf die beiden einzigen Seehäfen an der belgiſchen Küfte, Nieupoort und Oftende, 
mit der Maßgabe, dab das Belisreht in dem Augenblid an die Krone Frank: 
reih übergehen jollte, in welchem alle Beitimmungen des Vertrages völlig 
ausgeführt und durch den riedensichluß mit Preußen gefichert fein würden. Eben 
dann jollte dem Schwiegerfohn des franzöfiihen Königs der Neft der öfter: 
reichijchen Niederlande jamt dem zu jchleifenden Luremburg, des Infanten 
italieniſche Herrihaft aber, Parma, Piacenza und Gualtalla, dem Erzhaufe ein- 
geräumt werben. Noch jagten ſich beide Mächte gegenjeitig ibre guten Dienfte 
zu, um die Verwandlung Modenas in eine öfterreichiiche Tertiogenitur und ben 


44 Sechſtes Bud. Erſter Abſchnitt. 


Uebergang von Minorca in franzöſiſchen Beſitz zu bewirken. In Deutſchland 
wurde der Kaiſerin-Königin außer Schleſien und Glatz das Fürſtentum Kroſſen 
mit einer paſſenden Abrundung zugeſichert — gemeint war ein Teil der Lauſitz, 
wofern der Kurfürſt von Sachſen im Austauſch dafür das Fürſtentum Halber— 
ſtadt zu dem für ihn beſtimmten Herzogtum Magdeburg hinzunehmen wollte. 
Außer Schleſien und Kroſſen, Magdeburg und Halberſtadt ſollte der König von 
Preußen, zu Gunſten der Krone Schweden und des wittelsbachiſchen Hauſes, 
ſowie gegebenen Falls der vereinigten Niederlande, noch die Erwerbungen aus den 
Friedensſchlüſſen von 1713 und 1720, ſeinen Anteil an Vorpommern und das 
Oberquartier von Geldern, ſamt allem, was er aus der Erbſchaft der alten 
Herzoge von Kleve bejaß, verlieren, und zwar jollte eine Yandabtretung diejes 
Umfanges zum „allermindeiten” ihm abgerungen werden. Nicht eher wollten 
die beiden Mächte die Warten niederlegen, nicht eher Frankreich feine Subfidien- 
zahlungen einitellen. 

Eine weitere Abficht verheimlichte der Wiener Hof jeinem neuen Verbün— 
deten. Auch das Land, auf welches das preußiihe Königtum gegründet war, 
und damit die Königswürde felbit, jollte dem verhaßten Gegner genommen und 
Dftpreußen in die Hände der Polen überantwortet werden, die dafür Kurland 
und Semgallen an die Ruffen abtreten würden. Daran fnüpfte fih für Maria 
Therefia anfänglich noch der Wunſch, ihren zweiten Sohn, den Erzherzog Karl, 
als polnijhen Lehensmann zum Herzog von Preußen eingejegt zu ſehen. Aber 
ihrem Botichafter Eiterhazy eridien die Sade allzu „häklig“, als daß er auch 
nur von fern und wie von fih aus fie zu berühren gewagt hätte, zumal da 
die Staatsmänner der Zarin nad der ihnen geläufigen Taktik vorläufig große 
Selbitbeicheidung zur Schau trugen und den Botichafter den Eindrud gewinnen 
ließen, als jei Rußland auf eine Vergrößerung „nicht eben verſeſſen“. Eiterhazy 
befam jogar zu hören, „daß man den Bären erit haben müffe, um die Haut 
teilen zu können“. Auch Subfidien begehrte man nicht: jo groß fei hier der 
Kriegseifer, daß von einer Geldforderung bisher noch gar nicht die Nede geweſen 
jei, berichtete Eiterhagy Ende September. Niht um Geld, fondern um bie 
Niederwerfung des Königs von Preußen jei es ihrer Gebieterin zu thun, eröffneten 
ihm der Großfanzler und der BVizefanzler in einer vertraulichen Beſprechung. 
Von neuem!) ward dem Bedauern Ausdrud gegeben, daß man ſich von dem 
König, ftatt ihn nach dem urfprünglihen Plan ſchon in diefem Sommer anzu: 
greifen, habe zuvorfommen lafjen. So it denn aud Kaunig im Ernſt nie wegen 
der Haltung der Ruſſen bejorgt geweſen, aud; während der Sommermonate 
niht, ob er gleich den Franzoſen gegenüber, um fie zu deito jchnellerem Ent: 
ichluffe zu bringen, warnend Rußlands Uebergang in das englifche Lager als 
möglich hingeitellt bat. 

Zwar Beſtuſhew, ehedem Dejterreihs rührigfter Freund, jest für Eiterhazy 
der „Erzböfewicht”, fuhr in aller Vorfiht fort, der Kriegspartei entgegenzu: 
arbeiten. Er hatte im Juni den Antrag des Wiener Hofes auf VBertagung bes 
großen Unternehmens geſchickt benugt, um feiner Herrin Zweifel an dem Ernit 


') Bgl. Bo. I, 592. 


Verlauf und Wirkungen bes Feldzugs von 1756. 45 


der öfterreichiichen Kriegsabjichten beizubringen; er mußte fidh erfenntlich zeigen 
für das Gold Englands und hätte gern auch bei Preußen ſich Elingenden Lohn 
verdient: als ihm Hanbury Williams über die ihm von König Friedrich zus 
gedachte Erfenntlihfeit — 100000 Thaler waren ausgejebt — einen hinreichend 
deutlihen Wink gab, reichte Beftufhem dem Engländer die Hand und erklärte, 
von nun an des Königs Freund fein und das Vergangene vergefien zu wollen. 
Aber er war aufrihtig genug, hinzuzufügen, er ſehe nicht, wie er dem König 
zur Zeit nützen fünne, man müfje die Ereignifje und die erfte gute Gelegenheit 
abwarten. 

In der That waren ſowohl der gefinnungslofe Beitufhew, wie das Thron— 
folgerpaar,, dejjen Vertrauensmann zu fein Williams fih rühmte, weit davon 
entfernt, um Englands oder gar um Preußens willen irgend etwas auf das 
Spiel zu fegen. Daß der Marſch der Truppen für diefen Herbit unterblieb, 
war nit Beſtuſhews PVeranftaltung, fondern aud bier, wie in Frankreich, 
die Wirkung militärifher Erwägungen. Fürs fünftige aber erzielte Eſterhazy 
einen Erfolg, der alle Erwartungen feines Hofes noch übertraf. In dem Ber: 
trage vom 2. Februar 1757 verpflichteten fich die beiden Kaiferinnen für bie 
ganze Dauer des Krieges, je SO000 Mann requlärer Truppen, zum geringiten, 
gegen den König von Preußen ins Feld zu ftellen; dazu wollte Rußland 15 bis 
20 Schladhtichiffe und mindeltens 40 Galeeren ausjenden. Dem Heer wie der 
Flotte wurde durch das Kriegskollegium die Weberwältigung von Oftpreußen, 
die Einnahme der feften Pläge Memel, Pillau und vor allem Königsberg als 
nächte und ausschließliche Aufgabe geftellt, während die Deiterreicher empfohlen 
hatten, einen Teil des rujfiihen Heeres zu ihrer unmittelbaren Unterftügung 
abzuzweigen. Die in dem Bertrag von 1746 durch den Wiener Hof über: 
nommene Verpflichtung zur einmaligen und erjt nad) der Wiedererwerbung von 
Schleſien und Glatz fäligen Zahlung von zwei Millionen Gulden wurde in eine 
jährlihe Zahlung von einer Million Nubel, wieder für die ganze Dauer des 
Krieges, verwandelt: drei Millionen zu bemilligen, war Eſterhazy ermächtigt 
worden. Die von der Kaijerin-Königin bereits ausgeftellte Erklärung, die dem 
ruffiihen Reich die Erwerbung von Kurland und Semgallen und der Republik 
Polen die Entichädigung durch Dftpreußen verbürgte, wurde von ber Zarin im 
legten Augenblit nicht eingefordert, und zwar um den dritten im Bunde, Frank: 
rei, nicht mißtrauiſch zu machen. 

Somit ſchöpfte jetzt auch Rußland mittelbar aus der goldenen Flut, die 
fih von PVerjailles nach Wien ergoß; geradenwegs aus der Hand der Franzoſen 
Geld zu nehmen, hätte dem ruſſiſchen Hochmut widerftrebt. Das Vertragsver: 
hältnis, das die Zarin zu Frankreich einging, beſchränkte fih auf den Beitritt 
zu dem eriten Verfailler Abkommen, dem Verteidigungsvertrag zwiſchen Frankreich) 
und Deiterreih. Die Unterzeichnung erfolgte am 11. Januar 1757 mit der auf 
die Beſchwichtigung der Pforte berechneten Klaufel, daß Rußland jo wenig gegen 
England und die italieniihen Staaten, wie Frankreich gegen die Türkei und 
Perfien zur Bundeshülfe verpflichtet jein follte. 

Eigentümliche Folgen hatte diefe Annäherung zwiihen Rußland und Frank— 
reich für die Parteien und die Politik Schwedens. Seit Menjchengedenfen hatten 


46 Sechſtes Bud. Erſter Abſchnitt. 


ſich in Stockholm der ruſſiſche und der franzöſiſche Einfluß gekreuzt; von den 
beiden großen Adelsparteien empfingen die Mützen aus Rußland Loſung und 
Löhnung, die Hüte aus Frankreich. Jetzt gewannen die Beſtrebungen beider 
Teile eine gemeinſame Richtung in der Feindſeligkeit gegen Preußen. Die Führer 
der Hüte hatten längſt aufgehört, dem Verbündeten vom 29, Mai 1747,') dem 
in den Nöten des Jahres 1749 erprobten Freund, und der preußiihen Prinzeflin, 
die ber ſchwediſchen Krone einen einheimiſchen Erben geichenft hatte, ihre Huldi- 
gungen darzubringen. Der Ndelsherrichaft in tiefiter Seele aram, hatte fich die 
ftolze, leidenſchaftliche Fürſtin nah der Thronbeiteigung ihres Gemahls mit 
ben alten Anhängern jchnell völlig überworfen, und die der Mehrheit im Senat 
und im Reichstag unbedingt jichere Freiheitspartei, denn jo nannten die Hüte 
fih jegt, übertrug ihr Mißtrauen von der Schweiter auf den Bruder und 
gab ihrem Uebelwollen gegen Preußen ſchon 1755 bei geringfügigem Anlaß 
gereizten Ausdrud, als König Friedrich den nah Konftantinopel entjandten Kund— 
ichafter, ohne vorherige Abrede mit dem Ministerium in Stodholm, unmittelbar 
an den jchwediichen Geſandten empfohlen hatte. 

Dabei war Friedrih an den ehrgeizigen Entwürfen Ulrifens durchaus 
unbeteiligt; oft genug hat er fie davor gewarnt, ein gefährliches Spiel gegen 
den übermächtigen Adel zu wagen. Die Entfremdung zwijhen Bruder und 
Schweiter war darüber jo weit gediehen, das Ulrike insgeheim fih um bie 
Unterftügung der abgefagten Feindin Preußens, der Zarin, bemühte, worauf 
Friedrih, es war im Mai 1755, feinen Vertreter, dem er vorher völlige 
Unparteilichfeit zur Pflicht gemadt hatte, den Befehl erteilte, in Zukunft bie 
Freiheitspartei gegen den Hof zu unterjtügen. Aller Abmahnungen ungeachtet 
entjchied fih Ulrike, durch die immer unerträglihere Anmaßung der Freiheits— 
männer zum äußeriten getrieben, für einen Staatsjtreih. Aus den Reihen der 
dem Hofe ergebenen Reihstagsminderheit waren nur einige wenige Heißiporne 
in das Geheimnis eingeweiht. Zur Ausführung des Anfchlags aber fehlte in 
der verhängnisvollen Naht vom 21. auf den 22. Juni 1756 der legte Entſchluß. 
Der Mitwiſſerſchaft überführt, endeten Graf Brahe und Graf Horn, die Ver: 
trauten der Königin, am 26. Juli vor der Riddarholmsfirhe auf dem Schafott; 
einftimmig hatte der Reichstag, die verfchüchterte Hofpartei nicht anders als die 
rachbegierige Majorität, das Bluturteil erkannt. König und Königin erhielten 
von den Ständen eine demütigende Verwarnung; erft war davon geiprocden 
worden, die verhaßte Fürftin in ihre preußifche Heimat zurüd zu ſchicken. Ihr 
fönigliher Bruder ward als ihr Mitjchuldiger verläftert, dem fie ſchon vor vier 
Jahren das ſchwediſche Pommern habe in die Hände fpielen wollen. 

Um fo geringer jest die Widerjtandsfraft der im Herzen Friegsiheuen 
Reihsräte gegen das Drängen der Fremden, die den Beitritt Schwedens zu dem 
europäifchen Bündnis gegen Preußen forderten. Während der Kanzleipräfident 
Höpken bis aufs legte den preußiihen Geiandten mit beſchwichtigenden Worten 
binhielt, fam am 21. März 1757 der Vertrag mit Deiterreih und Frankreich 
zum Abſchluß, durch den Schweden mit Frankreich für die Wiederherftellung des 


) 8b. I, 469. 


Verlauf und Wirlungen des Feldzugs von 1750. 47 


Friedens im Römiſchen Neich einzutreten verjprah und, falls Preußen das 
ſchwediſche Gebiet in Pommern vergewaltigte, den 1720 verlorenen Teil von 
Pommern zugejagt erhielt. Bon da war nur noch ein Schritt bis zu dem einftimmig 
gefaßten Senatsbeihluß, der die unmittelbare Teilnahme von 20000 Schweden 
an dem Kriege entjchied. Frankreich bemwilligte neue Subfidien. Höpfen jagte 
ganz zutreffend: Schweden mußte ftets jowohl auf Frankreich wie auf Rußland 
Rückſicht nehmen, auf Frankreich wegen der von dort zu erhoffenden Wohlthaten, 
auf Rußland, um nicht gemißhandelt zu werden: wie fonnte Schweden jeßt, wo 
die beiden Gemaltigen zulammenhielten, ſich ihrem Willen entziehen? 

Sp geihahb das Wunder: der Staat Richelieus und der Staat Guſtav 
Adolfs, die beiden Mächte, die einft dem Haufe Defterreih den weſtfäliſchen 
Frieden abgetrogt hatten, fie fandten, von der Erbin der jFerdinande als Bürgen 
diefes Friedens aufgerufen, ihre Heere über den Nhein und über das Meer. 
Die Heranziehbung Schwedens bezeichnete man in Berfailles als die beite aller 
politifihen Operationen diefes Winters, weil dadurch eine Spaltung zwilchen 
den fatholiihen und proteitantiihen Ständen im Neid) verhindert, dem Könige 
von Frankreich aber Gelegenheit geboten jei, zum eritenmal und mit dem größten 
Eclat jeine Rolle als Hüter des Landfriedens in Deutichland zu fpielen. 

Auch in Wien wurde dem Beitritt der alten Vormacht des Proteftantismus, 
wegen der erwarteten moralifchen Wirkung auf Schwedens Glaubensgenoflen 
im Neih, der höchſte Wert beigemejien. Wie die jchwediichen Adelsgeichledhter 
zwiſchen Franfreih und Rußland, jo hatten ſich die deutfchen Reichsſtände jeit 
langem, und ſchärfer wieder während des Krieges um die habsburgiihe Erbichaft, 
zwiichen Frankreich und Defterreich parteit, ohne daß dabei das Befenntnis maß: 
gebend war; denn wenn ein Teil der Fatholifhen Fürften aus dynaftischem 
Gegenjag jih von Dejterreich zurüdhielt, jo hatten Fih ihm dafür nad dem 
Beifpiel Englands genug Proteitanten angeſchloſſen.) est, nach der Ausſöhnung 
zwijchen Dejterreih und Frankreich, der Entfremdung zwiichen Dejterreih und 
England, verſchmolz zwar die öſterreichiſche Gefolgichaft und die bisherige Oppo— 
fition zu einer geſchloſſenen kaiſerlichen Partei, jo jedoch, daß aus beiden Lagern 
ein Teil der bisherigen Anhänger abſchwenkte: während die katholiſchen Stände 
jest ausnahmslos diefer großen Majoritätspartei angehörten, ftellten ſich inner: 
halb des Corpus Evangelicorum ſowohl die bisherigen Parteigänger Frankreichs 
wie die Defterreichs ihrer Mehrzahl nah auf die Seite Englands und Preußens. 
Die Höfe von Kaſſel, Büdeburg, Gotha und Wolfenbüttel nahmen engliſche 
Subſidien an. 

König Friedrih hatte nah dem Abſchluß der Weitminfterfonvention an 
die Möglichkeit geglaubt, den mädhtigiten der geiltlichen Fürften, den Kurfürften 
Clemens Auguit von Köln, durch engliiches Gold von frankreich abzuziehen; die 
Nebenlande diejes wittelsbachiſchen Erzbifhofs, das Herzogtum Weftfalen, die 
Stifter Müniter, Osnabrück, Paderborn und Hildesheim hätten das Kurfürſten— 
tum Hannover treiflich gededt. Aber Clemens Auguft beglid feinen Etiketten: 
ftreit mit dem Berfailler Hofe, und jo gewann der preußifch:englifhe Anhang 


8b. I, 190. 191. 


48 Sechſtes Bud. Erſter Abjchnitt. 


im Neih das Ausjehen einer ausſchließlich proteftantifchen Gemeinfhaft; gab 
man fi noch, was Preußen jest eifrig betrieb, eine wenn auch nur lofe 
Organifation, jo war der jchmalfaldiihe Bund oder die Union von Ahaujen 
wieder aufgelebt. Mehr als ein aufregender Vorgang hatte neuerdings die 
fonfeffionellen Gegenfäge wieder jchärfer hervortreten laffen, vor allem der ſchon 
1748 erfolgte, aber noch fünf Jahre hindurch aller Welt verheimlichte Glaubens» 
wechſel des Erbprinzen von Heſſen-Kaſſel: der ſchmerzlich überrajchte, entrüftete 
Vater, Landgraf Wilhelm, ließ den Sohn eine Verichreibung zur Sicherftellung 
des proteitantiihen Belenntniffes der Untertbanen ausitellen, England und 
Preußen, Dänemark und Schweden, die Republif der Niederlande und das 
Corpus Evangelicorum übernahmen eine Bürgichaft, in Wien aber und in 
Verfailles wurde die Urkunde als erzwungen und unverbindlich bezeichnet. Noch 
ehe der Krieg begann, wurden die Anktlagen vernommen, von hier, daß der 
Wiener Hof im Bunde mit Franfreih die Evangelifchen im Reich vergewaltigen 
wolle, von dort, dab der König von Preußen mit Hülfe der „proteftantiichen 
Unionsideen” nad der Oberboheit über das evanaeliihe Deutichland ftrebe. 
Erjt zu Beginn des neuen Jahres maßen auf dem Rathaus zu Regens— 
burg die neuen Parteien zum eritenmal ihre Stärke, Seit dem September ließ 
der Kaiſer Mandat auf Mandat in das Reich aehen: Hofdekrete an die Reiche: 
verfammlung, Dehortatoria an den König, Avocatoria an des Königs Offiziere 
und Kriegsleute insgemein mit dem ftrengen Befehl, die zur Empörung führen: 
den Fahnen zu verlaflen; Monitoria, Exeitatoria und Inhibitoria an die Reiche: 
freije zu Verhinderung der preußischen Werbungen. In ebenfoviel Entgegnungen 
bemübten fih das Kabinettsminifterium zu Berlin und der allzeit jchlagfertige 
Komitialgejandte von Plotho, die Anklage wegen Yandfriedensbrudes zu ent: 
fräften und die faiferlihen Avokatorien als verfaffungswidrig binzuftellen. Zwei 
Anträge ftanden in der Reichtagsſitzung vom 10. Januar 1757 einander gegen: 
über. Die öfterreihiiche Gelandtichaft befürmwortete, die Kontingente der Reichskreiſe 
gemäß dem Neihsichluffe von 1681 auf dreifahe Stärke zu jegen und zu thätiger 
Hülfe ausrüden zu laſſen, wann und fobald Ihre Kaiſerliche Majeltät es ver: 
anlafjjen würden. Dagegen rief Kurbrandenburg feine Mititände um Friedens— 
vermittlung und um Bürgichaft für den ruhigen Befiß feiner Staaten an, mit der 
Erklärung, der König ſuche feine Eroberungen und verliere nochmals hiermit 
feierlichit, „daß die Reftitution aller ſächſiſchen Lande, fobald es mit Sicherheit 
und ohne Gefahr Ihrer eigenen Lande möglich ſei und zu einem ficheren und 
dauernden Frieden gelangt werden fünne, unverweilt geſchehen folle“. Die 
Vertreter der beiden großen Mächte jowie der kurſächſiſche Geſandte entfernten 
fih vor der Umfrage. Im Kurfürftentollegium blieb Hannover mit feiner Ab: 
ftimmung allein. Im Fürftenrat vereinigten fih von 56 abgegebenen Stimmen 
26 ausſchließlich proteitantiihe auf den preufiihen Antrag; für die Reichs— 
erefution nach dem öfterreihiihen Vorſchlage itimmten in der Majorität von 
50 Stimmen aus der Zahl der proteftantiihen Stände: Medlenburg- Schwerin, 
Pralz:Zweibrüden, Heilen-Darmitadt, Holftein-Gottorp, Anhalt, deſſen Fürften: 
haus nachher die Abjtimmung feines Vertreters verleugnete, Schwarzjburg und 
der eigene Schwager des Königs von Preußen, der Markgraf von Ansbad. 


Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 49 


Für den Vertreter von Schwediſch-Pommern war eine Weifung damals no 
nicht eingetroffen. Nah Zuftimmung des Stäbtefollegiums zu dem Mehrheits- 
beſchluß der Kurfüriten und Fürften wurde das Reichsgutachten betreffend den 
gewaltjamen furbrandenburgifhen Einfall in die kurſächſiſchen und kurböhmiſchen 
Lande am 17. Januar an den Kaiſer erftattet und am 29, durch ein Faijerliches 
Ratififationsedift als ein für ſämtliche Stände verbindlider Reichsſchluß ver- 
fündet: alfo auch die Minderheit jollte fich der Mitwirkung bei der Reichserefution 
nicht entziehen dürfen. 

„Ich fpotte des Reichstags und al feiner Beſchlüſſe,“ jchreibt König 
Friedrich nach der enticheidenden Abjtimmung. Er übte jeinen Wi an ben 
tübdesfen Myrmidonen und an diefem Kaifer, der als der Bankier jeines Hofes 
den Titel König von Jerufalem und dem uralten Brauch der jüdiichen Nation 
alle Ehre made. Viel Nuten verhieß er dem Wiener Hofe von diefen Be: 
mübungen beim Reiche nicht. Auch wegen der Schweden blieb er ganz ruhig 
und meinte, er babe von jener Seite nichts zu fürchten und nichts zu hoffen, 
da bie Zuftände diefes Landes ihm jede Bethätigung für oder wider unmöglich 
machten. 

Wohl aber mußte er fich jegt entichließen, Franfreid in die Zahl jeiner 
erflärten Widerſacher einzurechnen. Die mündlichen Berichte feines Anfang 
Dezember aus Paris zurüdfehrenden Gejandten eröffneten ihm ben vollen Ein: 
blid in die bittere Feindjeligfeit des franzöfiichen Hofes. Der englifche Geſandte 
glaubte zu bemerfen, daß jeine Unruhe nad dieſen Unterredungen mit Anyp: 
haufen ſich ſtark geiteigert habe, und die Freunde Frankreichs in feiner Umgebung 
behaupteten, daß der Krieg ihm verleidet jei, feitdem Knyphauſen aus Paris 
babe abreifen müfjen. Sein Stolz war tief verlegt. Als der Herzog von Zwei: 
brüden fi dur den Landgrafen von Heflen-Kafjel erbot, bei einem beabfichtigten 
Beſuch in Verſailles fih der preußiichen Sache anzunehmen, ließ Friedrich ant- 
worten, da die Sahen einmal jo weit geflommen wären, jo jei an Berhandlung 
nicht mehr zu denken; der Degen müfje jegt das Uebrige entjcheiden. Ya, nad) 
Damiens’ verbrecheriſchen Anſchlag auf das Leben Ludwigs XV. verfchmähte er 
es, dem aus Mörderhand erretteten, wie der wohlmeinende Eichel riet, einen 
Glückwunſch ausiprehen zu laffen, da er meinte, daß ihm in Verjailles das als 
Schwäche gedeutet werden könnte. Immer geneigt, den perjönliden Einflüfjen 
einen Hauptanteil an den großen Ereignifjen beizumefien, betrachtete er jett als 
die allein maßgebende und deshalb allein beachtenswerte Größe in ganz Frant: 
teih die Marquife von PBompadour. Nur dann glaubte er no eine Wendung 
zum Guten erhoffen zu dürfen, wenn biefe Frau entweder umgeftimmt oder 
gejtürzt wurde. Das eine wie das andere fchien für einen Augenblid in den 
Bereih der Möglichkeit zu treten. Aber die geiftlihen Gemifjensräte, die 1744 
zu Metz dem mit dem Tode ringenden Könige die Verbannung einer Chateaurour 
abgezwungen batten,') fie blieben nah Damiens’ Mordanſchlage an Ludwigs 
Kranfenlager gegen eine Pompadour madtlos. Und der franzöfiiche Offizier, der 
furz vorher in Regensburg und in Baireuth bei Plotho und der Markgräfin 


1) Bd. I, 232. 
Koier, König Friedrich ber Große, IT. 2, Ruf. 4 


50 Sechſtes Buch. Erfter Abjchnitt. 


die Ueberlafjung des Füritentums Neuenburg an die Marquije als Beftechungs: 
mittel empfohlen hatte, itarb in Baireutb, noch ehe irgend ein Anhaltspunft 
dafür gewonnen war, wie weit jein Anbringen und er jelber ernfthaft genommen 
werben bürften. 

Volles und jcharfes Licht über die Lage in Rußland verbreitete in den 
Weihnachtstagen ein Beriht von Hanbury Williams. Allzulange hatte der Mann 
„mit viel Geift und wenig Urteil” !) in feiner Vertrauensſeligkeit und Selbit: 
gefälligfeit fih und feinen Hof über die großen und ftetigen Erfolge der öfter: 
reihiihen und der franzöfiihen Politik in Petersburg betrogen, und Sir Andrews 
Mitchell wiederum hatte dem König von Preußen aus den jchönfärberijchen 
Berichten nur fo viel mitgeteilt, ala ihm mit dem englifchen Intereſſe vereinbar 
ihien. Das Wichtigſte und was ihm zu wiſſen vor allem not gewejen war, 
wie die für feine Entichlüffe maßgebend gewordenen Nachrichten über die geheimen 
Verhandlungen und verbädtigen Truppenbewegungen, hatte der König von 
Preußen im Juli nicht aus diefer trüben Quelle, jondern aus jenen um jo 
zutreffenderen holländifhen Berichten ®) entnommen. Einige Wochen darauf 
hatten Williams’ Verfiherungen wieder die irrige Vorftellung gewedt, daß „Eng: 
lands Aktien am Peterburger Hofe ftiegen”: vielleicht ift jene dritte Anfrage °) 
an die Kaiferin-Rönigin dur die Annahme mitveranlaßt worden, daß Anzeichen 
für einen Umſchwung in Rußland den Wiener Hof noch in legter Stunde zum 
Einlenfen beftimmen fönnten. So bat denn Friedrich aud in Rußland, wie in 
Frankreich und in Holland, die Uebernahme einer Friedensvermittlung betreiben 
lajien; nah Xage der Dinge blieb der durh Williams geftellte Antrag un— 
beantwortet. 

Jetzt endlich aljo geftand Williams offen ein, was ſich nicht länger ver: 
heimlichen oder verfennen ließ: daß der ruffiihe Hof ganz in den Händen ber 
Häufer Habsburg und Bourbon fei, daß das jogenannte neue Syitem in dem 
täglich mächtigeren Günftling Schumalow feine feite Stüge habe, daß nun alle 
Ausfiht auf Heritellung des alten Syitems jchwinde. Als Mitchell die ichlimme 
Poit ihm mitteilte, ermwiderte riedrid mit großer Ruhe: „Ich habe das, was 
jest eingetreten ift, lange erwartet”. Seine letzte Hoffnung Hammerte fi nun, 
fieben Jahre bindurh, an einen Thronwechſel. „Jetzunder füngt es an wüſter 
auszujehen wie noch niemalen”, fchreibt er unter dem frijhen Eindrud der Nad: 
riht aus Rußland am eriten Weihnadtstage an Winterfeldt, fügt aber hinzu: 
„die Kaiſerin ift gefährlich frank, und ftirbt der Drache, jo ftirbt der Gift mit 
ihm“. Nur dat die Nachrichten über den Gejundheitszuftand Eliſabeths vor: 
läufig ebenjo unzuverläjfig waren, wie die meiften Mitteilungen engliiden 
Urſprungs. 

Mit kurzen Unterbrechungen weilte Friedrich den ganzen Winter hindurch 
in Dresden. Im Brühlſchen Palaſt dünkte er ſich den Fürſten des Arioſt gleich: 
vor ſeinen Augen ein verzaubertes Schloß, die Fee Caraboſſa und einen Zwerg 





) Bd. I, 594. 
) Bd. I, 596, 598. 
) 3b. TI, 603 und oben ©. 23. 


Verlauf und Wirkungen bes Feldzugs von 1756. 51 


— die Königin von Polen und den Kurprinzen — und einen“ galliichen Heren- 
meifter: den Grafen Broglie, dem er demnädit die gemeilene Aufforderung 
zugehen ließ, dem König Auguft nah Warſchau zu folgen. Er beſuchte fleißig 
die Gemäldejammlung und erfreute fih an Haſſes Konzerten und an ben Oras 
torien und Motetten, die in der jüngſt fertig geftellten katholiſchen Hofkirche ber 
Cäcilientag und andere Feite braten. Wieberholt wohnte er in der Frauen— 
firche und der Kreuzkirche dem evangeliichen Gottesdienfte bei; die das erſte Mal 
von ihm gehörte Predigt über den Tert aus dem Evangelium vom Zinsgroſchen: 
„Gebet dem Kaijer, was des Kaifers iſt, und Gotte, was Gottes iſt“ erichien 
„auf ausbrüdliches Verlangen Seiner Majeität des Königs” im Drud. Sonft 
ward er außerhalb jeines Palajtes wenig gejehen und lud ſich auch fein Gäfte; 
einige wenige Bevorzugte, wie Prinz Ferdinand von Braunſchweig und Oberft 
Balby, waren ihm Abendgejellihafter und Tiſchgenoſſen in feiner „Eöfterlichen” 
Eingezogenheit. „Mein Hirn ift jo angefüllt von dem, was mir nächſtes Jahr 
zu thun obliegt,“ jeufzt er bald nad feiner Ankunft in Dresden, „daß ich zu 
nichts tauge, in welcher Sauce man mich auch anrichten mag.” Er vergleicht 
fih dem Hirſch, auf den die Meute losgelafjen ift, „eine Meute von Königen 
und Fürften”; oder dem Orpheus, deſſen Schidjal vier Mänaden ihm bereiten 
wollen, die beiden Kaijerinnen, die Bompadour und jene Fee Carabofja. Auch 
biftoriihe Parallelen bieten ih ihm, Karl XII. im Anfang feiner Regierung, 
als drei Nahbarmädhte fich zu feinem Sturz verfhworen hatten, oder die Ne: 
publit Venedig in der Epoche der Liga von Cambray, oder Maria Therefia 
beim Abſcheiden ihres Vaters. „Aber,“ jo jchreibt er an Marſchall Schwerin, 
„der Wiener Hof war 1742 jehr viel jchlimmer daran und hat fi doch gut 
berausgezogen; was mich betrifft, der ich einen Schwerin habe und die aus: 
gezeichnetiten Truppen von Europa, ich verzweifle an nichts, aber Mohlverhalten 
ift not, bald Lebhaftigkeit und bald Borficht, und bei allen Anläffen eine Uner: 
fchrodenheit, die jede Probe aushält. Flößt diefe Gefinnung den Truppen ein, 
und wir würden die Hölle bändigen“. 

„In dem Antlig des Feldherrn lieit die ganze Armee,” jagt Friedrich in 
feiner großen militäriichen Lehrſchrift, „alſo muß der General wie ein Schau: 
jpieler fein, der jein Geficht allemal in die von der Rolle erforderten Falten 
legt. Kommt eine ſchlechte Nachricht, jo gibt man fi den Anjchein fie zu ver: 
achten, Zahl und Größe der eigenen Hülfsmittel preift man gefließentlih an, 
vor anderen jeßt man den Feind herunter und rejpeftiert ihn bei fich jelbft.“ 
Nah diefer Vorjhrift gibt er ſich wie gegen jeine Offiziere auch gegen feine 
Familie. „Fürchtet nichts für uns!” fo beruhigt er die ſchwergeprüfte Schweſter 
in Stodholm; „wenn es dem Himmel gefällt, wird unſer Haus ſich behaupten 
wie die alten Eichen, die dem Wetter und Bligftrahl trogen. Meine Feinde 
ftelen mid) auf eine harte Probe, aber meine Kraftanftrengungen find ihrem 
böfen Willen proportioniert.” Und der Baireuther Schweiter gibt er wohl zu, 
daß man nädites Jahr mehr zu thun haben wird als bisher; aber gleichviel: 
„Mit Hülfe des höchſten Wejens, wenn es fih in die Erbärmlichkeiten dieſer 
Welt einzumifchen gerubt, werden wir uns aus der Klemme ziehen.” In diefer 
ungläubigen Gläubigfeit gefällt er ih: „Da die Dinge einmal zum äußeriten 


52 Sechſtes Bud. Erfter Abichnitt. 


gekommen find,” fchreibt er nach Baireuth ein andermal, „jo muß man hoffen, 
falls die Vorfehung fih in die menſchlichen Erbärmlichkeiten einzumiichen gerubt, 
daß fie nicht dulden wird, daß der Stolz, die Ueberhebung und die Bosheit 
meiner Feinde es über die Gerechtigkeit meiner Sache davontragen“. 

Der alte Eichel aber fchrieb in feinem frommen Gottvertrauen an ben 
gleichgefinnten Podemwils: „Die Peripektive, jo des Königs Majeftät vor ſich haben, 
it wohl nicht die allerangenehmfte; ich hoffe aber, die aöttlihe Providence werde 
vor Diejelbe und Dero gerechte Sache wachen, und feit dem, was bei Gelegenheit 
ver Bataille bei Lobofig geſchehen und weldes man billig einer miraculeujen 
Protektion des Himmels zuzufchreiben bat, bin ich faft perjuadieret, daß die 
göttliche Vorficht noch was Beſonders mit des Königs Majeftät intendiere und 
Dero Sade protegiere.” 

Auch Friedrih beruft fih in feiner Weife auf eine VBorahnung. Un certo 
non so che fagt ihm, fo verfidhert er der Markgräfin, „daß alles auf das beite 
gehen wird, und daß ich vielleicht eher, als Cie denken, die Ehre und das Ver: 
gnügen haben werde, Sie zu jehen und zu hören und mich Ihnen zu Füßen 
zu legen“. „Man wird in diefem Frühling jehen, was Preußen ift, und dab 
wir durch unjere Kraft und zumal durch unjere Disziplin zu Rande fommen 
werben mit der Zahl der Defterreiher, dem Ungeftüm der Franzojen, der Wild: 
beit der Ruffen, mit dem großen Haufen der Ungarn und mit allem, was man 
uns entgegenftellen wird.“ 

Der zuverfichtlihite von allen, die dem König nahe ftanden, war wohl 
Winterfeldt. Ihm durfte Friedrich auch die Kehrfeite des Blattes zeigen: „Es 
ift aljo mit unferen Umständen fein Kinderjpiel, ſondern es gehet auf Kopf und 
Kragen... Indeſſen ift meine Rejolution auf alle Fälle genommen und werde 
ih mir bis auf ben legten Mann mehren.” Bon der verzehrenden inneren 
Unrube aber, die jo leicht fich feiner bemädhtigte und dann den Bertrauteiten 
fih nicht verbarg, blieb er noch verfchont. „Seine Majeftät,” ſchrieb Winterfeldt 
nad einem Beſuch des Königs bei dem jhlefiihen Heere in Haynau, Anfang 
Februar, an den Kabinettsrat, „habe ich gottlob jo munter, vergnügt und rubig 
gefunden, als nicht in langer Zeit.“ 

Bor der Fahrt nad Sclefien hatte der König für wenige Tage auch feine 
Hauptitadt beſucht — das legte Mal auf mehr als jehs Jahre. Welche Ge: 
danken ihn beichäftigten, ergibt jchon ein Brief an die Markgräfin vom 30, No: 
vember: „Ich habe ein Vorgefühl, ich werde weder getötet noch verwundet 
werden; ich geftehe indes, dab ich, wenn die Dinge jchleht ablaufen follten, 
bundertmal eher den Tod wählen mwürbe ftatt der Lage, die mich dann er: 
wartete; fie fennen meine Feinde, Sie ermefien, was ih an Demütigungen 
würde herunterwürgen müſſen.“ Was bier nur angedeutet wird, erläutert die 
geheime Jnitruftion, die er am 10. Januar zu Berlin in die Hände des zweiten 
Kabinettsminifters, feines Jugendgefährten Findenftein legte, das Vermächtnis 
eines den bürgerlihen Tod ins Auge Faſſenden, der im gegebenen Augenblide 
lebend nicht mehr zu den Lebenden gezählt werben will — die ergreifende 
Urkunde, die nad hundert Jahren, als fie befannt wurde, einen preußiſchen 
Prinzen, den Erben der Krone und Tünftigen Begründer des Haifertums, zu 


Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756, 53 


heller Begeifterung binriß als der Ausdrud der Gefinnungen, „welde Regenten 
groß und unvergänglid in der Geſchichte darftellen“. 

„In der kritiſchen Lage, in der fi unfere Angelegenheiten befinden,” 
jo beginnt die eigenhändig niedergejchriebene Urkunde, „muß id Ihnen meine 
Befehle geben, auf daß Sie in jedem der Unglüdsfäle, die in der Möglichkeit 
der Ereigniſſe liegen, zu den Entſcheidungen, die getroffen werden müjjen, er: 
mächtigt find.“ Drei Fälle zunächit untericheidet der König: daß das Heer in 
Sadien völlig geihlagen wird, daß die Franzofen ſich fiegreidh in Hannover 
feftiegen ımd von dort aus die Altmark bedrohen, daß die Ruſſen in die Neu: 
marf vordringen. „Nad einer Niederlage im weitlihen Sadien müſſen das 
föniglihe Haus, die Behörden, der Staatsihag nad Küftrin flüchten, nad einer 
Niederlage in der Laufig aber oder beim Erjcheinen der Rufen nad Magde: 
burg. Die legte Zufluchtsftätte, die indes nur in der äußerften Not aufgejucht 
werden darf, ilt Stettin. Der Silberjhmud der föniglihen Gemächer, das 
goldene Tafelgeihirr haben in der Stunde der Not ohne Verzug in die Münze 
zu wandern.” 

Der König fährt fort: „Geſchähe es, daß ich getötet würde, jo müſſen bie 
Dinge in ihrem Zuge bleiben ohne die geringite Veränderung und ohne daß 
man den Uebergang in andere Hände gewahr wird, und in diefem Falle müſſen 
Eide und Huldigungen beſchleunigt werden, jo bier, wie in Preußen und vor 
allem in Schlefien. Wenn id das Verhängnis hätte, daß ich vom Feinde ge- 
fangen würde, jo verbiete ich, daß man die geringite Rückſicht auf meine Perſon 
nimmt oder dem, was id aus meiner Haft jchreiben könnte, die geringite Be— 
achtung beimißt. Geſchähe mir ſolches Unglüd, jo will ich für den Staat mid) 
opfern, und man muß dann meinem Bruder geboren, der ebenjo wie meine 
fämtlihen Minifter und Generale mit dem Kopfe mir dafür verantwortlich fein 
werden, daß man weder eine Provinz noch ein Löſegeld für mich anbieten, 
jondern den Krieg fortjegen und feine Vorteile verfolgen wird, ganz als wäre 
ih nie auf der Welt gemejen.” 

Angefichts der gefteigerten Gefahr Ichritt er in den Tagen diejes Berliner 
Aufenthalts zu einer neuen, bisher nicht vorgejehenen Veritärfung jeiner Kriegs: 
rüftung, zu einer Vermehrung jeines Heeres um fait 20000 Mann über bie 
Zahl hinaus, das er noch furz zuvor als das äußerſte Maß jeiner militäriiden 
Leiftungsfähigkeit bezeichnet hatte. 


Zweiter Abjchnitt. 


Prag und Rolin. 


eim Einzug in die Winterquartiere berechnete der König die „Förmliche 

Friedenszeit“, die er jegt vor fi babe, auf volle jehs Monate, bis 
a zum uni. Vor Januar oder Februar hat er von vornherein, bei der 
Unflarbheit der politiihen Yage, an die Aufftellung eines Feldzugsplanes nicht 
denfen wollen. Nur jo viel jtand ihm feit, daß feine Kriegsführung eine 
weſentlich andere jein jollte, als im Vorjahre. „Noch haben wir nichts gethan,“ 
befennt er; der ganze erite Feldzug gilt ihm nur als die Aufitellung der Schadj: 
fiquren, erft im zweiten wird die Partie beginnen. „Die Kleinigkeiten, die dies 
Jahr geſchehen find, fie find nur das Vorſpiel für das nädfte Jahr, und wir 
haben noch nichts gethan, wenn wir nicht Cäſar am Tage von Pharjalus nad: 
ahmen.” Was Pharjalus für Rom, was Leuftra für die Griehen, Denain für 
bie im fpanifchen Erbfolgefrieg fait übermältigten Franzoſen, die Türfennieder: 
lage vor Wien für die Defterreiher war — das foll ihm der nächte Feldzug 
werden. Wie aber date er fich feine Rharfalusjchlacht ? 

Im Antimachiavell bat der Kronprinz Friedrich Fabius und Hannibal 
einander gegenübergeitellt als die Vertreter zweier ftrategiicher Methoden: der 
Ermattungsftrategie und der Strategie des Schlagens. „Fabius ermattete den 
Hannibal durch feine Langfchweifigkeiten; diefer Römer verkannte nicht, daß der 
Karthager des Geldes und der Refruten ermangelte, und dab es, ohne zu 
ſchlagen, genügte, dieſes Heer rubig wegſchmelzen zu jehen, um es ſozuſagen an 
Abzehrung fterben zu laſſen. Hannibals Politik dagegen war, zu ſchlagen; feine 
Macht war nur eine auf zufälligen Umiftänden beruhende Stärke, aus der 
ſchleunigſt jeder erreichbare Vorteil gezogen werden mußte, um ihr durch die 
Schreckenswirkungen glänzender Heldenthaten und die Hilfsquellen eroberter Gebiete 
Beitand zu geben.” Aus Friedrihs großem militäriichen Brevier von 1748 
wiljen wir bereits, daß er für die Kriege feines eigenen Staates, die da kurz 
und lebhaft jein müßten, die Ermattungsitratenie als unzwedmäßig betrachtete, 
ebenjo aber die „Pointen“, jene ſtrategiſchen Vorftöße, die das Heer allzuweit 


Prag und Kolin. 55 


in Feindesland hineinführen.!) Nachmals wiederum hat er drei Arten ber Kriegs: 
führung unterjchieden: die Offenfive bei entjchiedener Ueberlegenheit, die fich die 
höchſten Ziele jegen muß, die 1741 in dem Koalitionskriege gegen Defterreich 
das franzöfiiche Heer geradeswegs auf Wien hätte führen müſſen und in einem 
fünftigen Roalitionstrieg gegen Frankreich den Marih nad Paris erheiſcht, an 
Stelle von fieben Feldzügen im Stile des ſpaniſchen Erbfolgefriegs mit je einer 
Schlacht und je einer Belagerung; die Defenfive, die doch nie in reines Ab— 
wehren und Abwarten ausarten barf; die Offenfive bei gleich verteilten Kräften, 
für die es gilt, die Entwürfe den Kräften anpaſſen und nichts auf gut Glüd 
unternehmen, wenn zur Ausführung die Mittel nicht zureichen. 

Nach Friedrihs Auffaffung, wie wir fie fennen gelernt haben und wie fie 
ſich ſtets gleich geblieben ift, war ein Einzelfrieg zwiſchen Preußen und Defter: 
reih allemal jold ein „Kampf mit gleich verteilten Kräften”. So wenig er es 
fi zutraute, diefen Gegner, der in ber eriten Hälfte diejes Jahrhunderts einen 
dreizehnjährigen und einen fiebenjährigen Krieg geführt hatte, ermatten zu fünnen, 
jo wenig bot fi die Ausficht, ihn vernichtend niederzufämpfen; aber er durfte 
hoffen, den Gegner zu entmutigen, in großen Schlachten durch glänzende Siege, 
wie es ihm durch Hohenfriedberg, Soor und Keſſelsdorf jchon einmal gelungen 
war, eben dieſen Gegner zu entmutigen, von der Ausjichtslofigfeit eines mit 
Leidenschaft ergriffenen Eroberungsplanes zu überzeugen. Niederfämpfen, tödlich 
treffen konnte man die Defterreiher nur — das hat Friedrich am Anfang feiner 
Feldherrnlaufbahn ebenjo beftimmt erklärt wie am Schluß — wenn man fie in 
ihrer Hauptitadt Wien aufjuhte Wien aber hat er immer nur, jo 1741 und 
1744, wie 1775 und 1779, unter der Vorausfegung einer wirfjamen Unter: 
ftügung durch Bundesgenofien in den Bereich feiner itrategiihen Entwürfe ge: 
zogen. Erjt in diefem Zuſammenhange ermeijen wir ganz, weshalb das politijche 
Teitament von 1752 für einen Angriffs: und Eroberungsfrieg gegen den Wiener 
Hof, der den Defterreihern Böhmen foften und den Preußen im Tauſch gegen 
Böhmen Sadjen einbringen jollte, erft in der Geburtsjtunde einer neuen großen 
Koalition gegen das Erzhaus die Zeit gekommen ſieht. 

Damit war nicht ausgeichlofien, wie bier noch einmal gejagt werden mag, 
daß Friedrih, nachdem ihm das Schwert in die Hand gezwungen war, bei durch: 
ihlagenden Erfolgen eine Kriegsentihädigung an Land und Leuten forderte und, 
wieder wie in feinem erften Kriege, jeine Anſprüche „nad dem Barometer feines 
Glücks“ regelte, jtatt wie 1745 nad jedem neuen Siege immer von neuem den 
gleichen uneigennügigen Frieden zu bieten. Gewiß würde Maria Therefia ſich 
lieber unter den Trümmern von Wien haben begraben lafjen, ehe fie in den 
Verluft von Böhmen gemilligt hätte. Weit leichter mochte geihehen, daß fie 
und der Kaifer, nach jchweren Kataftrophen der öfterreichiichen Heere, um des 
Friedens willen mit anjahen, daß geiltliches Gebiet der toten Hand entzogen 
wurde, jei e& unmittelbar zu Preußens Gunſten, ſei es zur Entſchädigung des 
Kurfürften von Sadien für Abtretungen an Preußen — etwa in der Weile, 
wie der Wiener Hof jelber im Fortgange diejes Krieges ſächſiſche Landſchaften, 


i) 3b. 1, 522 ff. 


56 Sechſtes Bud. Zweiter Abjchnitt. 


die Laufigen, gegen erobertes preußiiches Gebiet einzutauſchen beabfichtigte. 
Aber dab Friedrich nicht Abenteurer genug war, fi auf jo unfichere Rechnung 
hin in einen Krieg zu ftürzen, und noch dazu in einen Krieg um Sein und 
Nichtſein, das zeigt jchlagend jein Verhalten gegen Rußland. Wir jahen, daß 
er es nicht für unmöglich bielt, unter dem Eindrud einer großen Niederlage 
zugleich der ruffiihen und der öjterreihiihen Waffen das preußiihe Staats: 
gebiet mit Rußlands Zuftimmung auf Koften der Republit Polen zu vergrößern. 
Hat er nun, weil ein Sieg über die Rufjen ihm Borteile bringen fonnte, Des: 
halb diefen Ruffen den Krieg angefagt? Er hat im Gegenteil bis zum legten 
Augenblide alles daran gejegt, fie von ihren ihm nur zu gut befannten An: 
griffsabiichten zurüdzubringen. Er hat ferner in jehr bezeichnender Weile für 
den Fall, daß nur die Rufen, noch nicht aber die Oeſterreicher geichlagen fein 
würden, jeinen General beftimmt angewiejen, den Gejchlagenen „pur und platt“ 
einen Frieden unter einfaher Verpflichtung zur Neutralität anzubieten — fo 
ganz war ihm die Gebietserweiterung etwas Nebenjächliches, das im Siege je 
nah den Umftänden mitgenommen oder entbehrt werden modte, nicht aber 
Beweggrund und Zwed des Krieges. 

An fih mußte der Gedanke an neue Landerwerbungen dem König von 
Preußen in dem jet gefommenen Wendepunft der Ereignifje ſehr nahe liegen, 
wo einmal der offene Bruch mit Franfreih ihn weiterer Rüdfiht nach dieſer 
Seite hin überhob, und wo anderjeits dem König von England, um feine Stand: 
baftigkeit zu ftärfen, Landzuwachs für fein hannöveriſches Kurland in lodende 
Ausficht geitellt werden mußte. 

Denn das war die politiihe Signatur der eriten Monate des neuen Jahres, 
die num aud die Feititellung des Feldzugsplanes weſentlich erjchwerte, daß ber 
König von Preußen ernitlih in Gefahr fam, zu dem alten Bundesgenofjen 
Franfreih auch den neuen zu verlieren, um des willen er es mit dem alten ver: 
dorben hatte. Die Regentichaft Georgs II. zu Hannover, das Kollegium der acht 
furfüritlihen Geheimräte, jtand noch unter Dem Banne einer Gefinnung, die, durch 
die nachbarliche Eiferfuht auf die jchnell emporgewachſene preußische Macht ein: 
gegeben und durch den alten verwandtichaftlihen Hader der beiden Fürftenhäufer 
genährt, fi während dieſes Winters in einem Wort des Geheimrats von 
dem Busſche Ausdrud gab: Ein guter Hannoveraner fünne ebenfowenig unter 
preußifcher wie unter franzöfiicher Zuchtrute zu ftehen wünſchen. Dieje Männer, 
an ihrer Spige der alte, erfahrene und bedachtſame Kammerpräfident von Münd): 
haujen, der Mann der politiichen Kombinationen und Klügeleien, hatten ſich die 
Wejtminfter-Konvention gefallen lajlen, va fie die Gefahr eines franzöfiichen 
Angriffs abzuwenden ſchien. Indem diefe Wirfung ausblieb, verlor die Abkunft 
in ihren Augen jeden Wert, und injofern fie dem Welfenfürften beim Vorrüden 
der Franzojen die Verpflichtung auferlegte, zur Verteidigung des deutihen Bodens 
mit Preußen zujammenzuftehen, galt fie ihnen als eine Laſt und ein Schaden 
für Hannover. Allemal war nad) der ihnen geläufigen feinen Unterſcheidung 
ber unbequeme Vertrag dur den König von England und nicht durch den 
Kurfüriten von Hannover abgejchloffen worden: das ihnen anvertraute hannöverifche 
Intereſſe ſchien zu erheifchen, ohne Nüdjiht auf den Meitminfter:Bertrag einfach 


Prag und Kolin. 7 


bem Kurfüritentum den Frieden zu erhalten. Der furfürftlihde Geſandte in 
Wien erhielt nach der preußifhen Waffenerhebung den Befehl, den Kaiſer für 
Hannover um des Reiches Schug gegen einen drohenden franzöfiihen Angriff 
anzugehen; feine Auftraggeber waren jehr befümmert, als jener von dem Kaifer 
mit nichtsfagenden Redensarten und von Kaunik „in lakoniſcher und juffifanter 
Manier” abgewiejen wurde, fie atmeten erleichtert auf, als der Wiener Hof am 
4. Januar unermwarteterweije ſich erbot, die Franzoſen zur Anerkennung der 
Neutralität zu beitimmen. 

Die Defterreiher hatten mehr als einen Grund für dieſes Entgegenfommen. 
Sie wünjchten, um die Stellung des Kaijers im Reiche nicht zu jchädigen, fein 
deutiches Land außer Preußen in ihren Krieg verwidelt zu ſehen; fie mußten, 
um dem Kampf alles zu nehmen, was nad) einem Religionsfrieg ausjehen fonnte, 
vornehmlich die Verbindung der beiden hervorragendften proteitantifchen Reichs— 
ftände zu löjen ſuchen; fie hatten militärisch ein Intereſſe daran, alle Streit: 
fräfte der Koalition, ftatt fie durch einen Angriff auf Hannover zu zerjplittern, 
fofort gegen Preußen einzujegen. Anders der Standpunft der Franzojen: fie 
ſahen immer in England den vornehmften Feind und betradhteten das Kurland 
des britiichen Königs als den empfindlichften Punkt in der Stellung des Haupt: 
gegners und für fih als eine ebenfo leichte wie reihe Beute. Und dann bot 
ihnen das übermwältigte Niederfahjen eine weit bequemere Operationsbafis für 
den Kampf gegen Preußen, als Schwaben, Franken und das Voigtland in der 
von den Deiterreihern empfohlenen Aufmarſch- und Angriffsrihtung. Ein 
eigener Zufall, daß jetzt wieder ihr neuer Bundesgenofle, wie vorher der alte, 
dem fie das jo ſchlimm verdacht hatten, die ſchützende Hand über diejes Han: 
nover halten wollte. Wenn die Franzofen gleihwohl fich endlich grundſätzlich 
bereit erklärten, die Neutralität zuzugeftehen, jo beanſpruchten jie doch für ihre 
Truppen freien Durchzug durch das hannöverifhe Gebiet. Sie von diejer heiflen 
Forderung noch zurüdzubringen, jollte die Aufgabe des faiferlihen Geſandten 
in Verjailles jein; da ward der zwiſchen Hannover und Wien auf das ſorg— 
lichte in die Wege gelenften Berhandlung unerwartet von Yondon aus eine 
andere Wendung gegeben. 

Niht anders als die Hannoveraner hatten fih die engliihen Staats: 
männer von dem MWeftminfter-VBertrag nicht Arieg, jondern Frieden verfproden; 
fie hatten eben deshalb die in Deutfchland jetzt anjcheinend entbehrlichen han: 
növeriihen und heſſiſchen Mietstruppen über den Kanal fommen laflen. Nad 
der Meinung des Herzogs von Nemcaftle jollte der Vertrag feine Verleugnung, 
jondern die volle Wiederheritellung des gepriejenen alten Syftems der Zeiten 
Wilhelms II. jein: die Wiedereinfügung Preußens in diefes Syftem, die Zu: 
fammenfaflung aller Kontinentalmäcdhte zu einem großen Bunde gegen Frankreich, 
das dann, auf dem Feitland ifoliert und umitellt, zur See ohnmädtig, ſich 
wiberitandslos unter das Gejeg Englands zu beugen haben würde. Der Eluge 
Münchhauſen freilich betrachtete das bei den Gegenfägen zwifchen den zufammen: 
zufoppelnden Mächten von vornherein für unmöglih, und bald genug jahen bie 
Epigonen Wilhelms und Marlboroughs das alte Syftem in voller Auflöjung, 
die beiden beutihen Mächte ärger verfeindet denn je und Englands hiltoriiche 


58 Sechſtes Bud. Zweiter Abfchnitt. 


Verbündete auf der Seite desjelben Frankreichs, in deſſen Uebermacht man jeit 
einem Jahrhundert eine Gefahr für das europäiiche Gleichgewicht zu ſehen ge: 
wohnt war und das eben jegt im Mittelmeer wie jenjeits des Meltmeeres 
unerwartete Proben feiner alten Kraft ablegte. So wenig aber mußten die 
Newcaſtle und Holdernejje, von König Georg zu jchweigen, die Tragweite ber 
großen politiihen Ummälzung abzuſchätzen, daß fie, weit davon entfernt, ſich mit 
Preußen, ihrem neuen und bereits einzigen Verbündeten, ſolidariſch zu fühlen 
oder gar, wie es in Verjailles als ausgemadt galt, den preußiſchen König zum 
Angriff gegen Deiterreih angeftahelt zu haben, ibm felbit und feiner Unter: 
nehmung vielmehr mit entichiedenem Unbehagen und Mißtrauen zuſchauten. 
In ruhigeren Zeiten gleihlam durch Erbgang an die Stelle feines Bruders 
Pelham getreten, offenbarte Nemwcaftle in den Stürmen diefer neuen Kriegszeit 
doch allzu jehr jeine Unzulänglichkeit; diefes „Gemiſch aus faft allen menſchlichen 
Schwächen ohne Beifat von Verbrechen oder Laſtern“, wie Chefterfield den 
Herzog nannte, war aus dem Minifterium, dem er dreiunddreißig Jahre un- 
unterbroden als Mitglied, aber nur zwei Jahre ald Obmann angehört hatte, 
im November 1756 ausgeichieden. Und nun endlich war die Stunde gefommen 
für den Mann, der durd die Eiferfucht der ariftofratiihen Parteihäupter und 
bie Ungnade des Königs bisher zurüdgedrängt worden war. So jlarf war in 
diefem Nugenblid der inneren Gärung und äußeren Gefahr die Volkstümlichkeit 
William Pitts, daß der gefürdtete Nebner nicht bloß Nemwcaftle zu Falle zu 
bringen vermochte, jondern es auch verichmähen durfte, neben or, den ber 
König im Amt zu behalten und jekt an die Spite der Regierung zu ftellen 
wünjchte, die zweite Rolle zu übernehmen. Alſo ging aud For, und Pitt ſprach 
das jtolze Wort: „ch bin ficher, dab ich das Yand retten kann, und daß ein 
anderer es nicht retten fann.” Mit Wehmut, jo geitand Münchhauſen, ſahen 
die Geheimräte in Hannover Newcaftle jcheiden; aber fie tröfteten fih mit dem 
Gedanken, daß noch nicht aller Tage Abend jei, fie wußten, daß Newcaftles 
perfönlicher Anhang in dem auf feinen Namen gewählten und durd die landes- 
üblihen Beitehungsfünfte unterwühlten Haufe der Gemeinen weit größer war, 
als die Gefolgichaft des homo novus, den das Land dem Unterhauje als Führer 
aufzwingen wollte. Pitt hatte in dem Wappenſchild des Herzogs von Devonjhire 
zwar eine vornehme Ausihmüdung für jein Kabinett gewonnen, aber er bejaß, 
wie gejpottet wurde, nicht genug Vettern, um ein Miniiterium vollzählig zu 
machen. Und noch dazu: dem Könige blieb er unleidlid. Bon Nemcaitles 
baldiger Rückkehr auf die politiihe Bühne erwartete Münchhauſen das Heil. 
Er war jchmerzlich enttäuscht, als jelbit diefer bewährte Freund Oeſterreichs, To 
lange der feltefte Träger des alten Syitems, ihm entjagend jchrieb, alle Ver: 
bältnifje hätten fich geändert und auch er halte es für das beite, ſich eng an 
Preußen anzujchließen und möglihft raſch ein ftarfes Heer in Weitfalen zus 
jammenzuziehen, auf daß ſich nicht etwa der König von Preußen, aus Furdt, 
von England preisgegeben zu werden, mit Frankreich verjöhne; dann feien der 
König von England und jein Kurfüritentum ganz verloren. Noch tiefer aber 
befümmerte es die hannöveriſchen Näte, daß ihr König-Kurfürſt jelber dem Ge: 
danken der Neutralität fi mehr und mehr abwendete. Es entging ihnen nicht, 


Prag und Kolin. 50 


daß neben dem Drängen feiner engliiden Minifter und ihrer kräftigen Ver: 
beißungen für den Schu Hannovers noch ein anderer Antrieb ihn geneigt 
machte, es in Deutihland auf den Kampf ankommen zu lajien: ein Brief des 
Königs von Preußen, am 25. Dezember unter dem Eindrud der ſchlechten Nach: 
rihten aus Rußland geichrieben, wies ihm als Kampfpreis, wenn das Glüd 
gut war, die Erwerbung des Bistums Paderborn und den dauernden Bei 
von Dsnabrüd, wo nah den Beltimmungen des Weitfälifchen Friedens der 
Krummftab zwiſchen der geiltlihen und der weltlichen Hand, zwiſchen einem ge— 
wählten und geweihten Biſchof und einem Laienfürften vom Welfenftamme, hin 
und ber wandern jollte. 

In der erften freudigen Erregung über diefen Vorſchlag hatte Georg II. 
fih das Zufunftsbild noch glängender ausgemalt, indem er zu Dsnabrüd und 
Paderborn, wenn einmal jäfularifiert werden jollte, im Geift auch ſchon Hildes- 
beim und das Eichsfeld jchlug; ja, er hatte den Gedanken hingeworfen, dem 
Wiener Hofe zum Torte den Sohn Kaijer Karls VII, Marimilian Joſeph von 
Baiern, zum römischen Könige zu wählen. Allerdings ließ er, qut beraten und Klug 
berechnend, in der Antwort an Friedrich II. von feiner Freude über das Angebot, 
geſchweige denn von feinem Verlangen nah mehr, nichts durchbliden; aber wenn 
nod) etwas fehlte, ihn auf dieſe Seite zu ziehen, jo war es die plumbe Deutlichkeit, 
mit der Graf Colloredo, der faiferlihe Gejandte in London, die Gewährung der 
Neutralität an jene von den Franzoſen vorbehaltene Bedingung des freien Durch: 
marjches fnüpfte. Empfindlich verlegt über die ihm zugemutete Erniedrigung, 
legte König Georg. die Akten der Verhandlung mit dem Wiener Hofe dem 
preußifchen Verbündeten vor und ließ fich gefallen, daß Pitt der Botſchaft an 
das Parlament, dur die 200000 Pfund für die Verteidigung von Hannover 
gefordert wurden, eine Schärfe des Tones gab, welde die hannöverifchen Räte 
bezeihnendermweife faum minder peinlich berührte als die Kaijerinfönigin. 
Pitt jelbit vertrat am 18. Februar den Antrag vor dem Unterhauſe in glänzender 
Rede. Niemand hatte vorbem fchärfer als er die Vermengung der britiichen 
und der hannöverischen Intereſſen verurteilt; nod die Weftminfter-Konvention 
hatte er unter biefem Gefidhtspunft angegriffen. Heute aber legte er dar, daß es 
fh hier um die Sache Englands, um die Sache Europas handle, deſſen Freiheit 
durch die Verbindung der Höfe von Wien und Verfailles und die Verblendung 
des von ihnen aufgehegten Zarenreiches jchwer bedroht jei. Durch Englands 
Gut und Blut fei Defterreih einft vom Untergang errettet worden, um jeßt 
feine Undankbarfeit zu erhärten und argen Anfchlägen gegen Englands Ver: 
bündeten nachzugehen. Der preußiſche Geichäftsträger hielt nach dieſer Rede 
das neue Syſtem für ficher befeitigt und die britifche Nation für überzeugt von 
der Notwendigkeit, mit Preußen vorwärts zu gehen. Und gewiß hatte fi Pitt 
feines Abfall von jeinen früheren Grundfägen jchuldig gemadt. Es war wohl: 
veritandene engliihe Rolitit, die er vertrat und deren einfadhen und durch— 
Ichlagenden Grundgedanken er von nun an immer von neuem feinen Lands— 
leuten einzuprägen bemüht war. Preußen in Deutichland gegen die Uebermacht 
feiner Feinde fich felbit überlaffen, das hieß den Franzoſen kurzſichtig es möglich 
machen, in einem legten Afte des Krieges ihre ganze Kraft in den Einzelfampf 


60 Sechſtes Bud. Zweiter Abichnitt. 


gegen England zu werfen; Preußens militärifhe Aufftellung in ihrer rechten 
Flanke durch ein ſtarkes Außenwerk deden, an dem fich der franzöfiiche Angriff 
erichöpfen mochte, hieß England für die eigentlich engliichen, die maritimen und 
folonialen Aufgaben jeiner Kriegsführung freie Bahn ſchaffen. Amerika und 
Indien wollten in Deutihland erobert werden. 

Mitten in dieſen Kampf zwiſchen dem engliijhen Wollen und dem han: 
növeriihen Nichtwollen ſah fih nun der militäriihe Bevollmädtigte König 
Friedrichs, der jüngere Graf Schmettau, hineingeitellt. Von einer erften Reije 
nah Hannover fehrte er Anfang Januar ganz ohne Ergebnis zurüd. Als 
er einen Monat ſpäter, auf eine Anregung aus Xondon, von neuem in Han: 
nover erſchien, war er den Geheimräten um jo unmwilllommener, als ihn aus 
Preußen Sir Andrews Mitchell begleitete, denn neben jeiner Aufgabe, einen 
Subfidienvertrag zwiſchen den beiden welfiſchen Linien ins reine zu bringen, 
verfäumte der Engländer nicht, auf „die Schliche der Hannoveraner” ein wach— 
james Auge zu haben. Da indes deren Verhaltungsmaßregeln aus der Londoner 
deutjchen Kanzlei fich feineswegs durch Bündigkeit auszeichneten, vielmehr nad) 
Mündhaufens Klage ägyptiichen Hieroglyphen glihen, jo meinten fie, vielleicht 
doch ihres Königs innerſte Herzensmeinung zu treffen, wenn fie dem preußifchen 
Bevollmächtigten mit möglichſter Zurüdhaltung begegneten. Sie flammerten fi 
an die Hoffnung, daß die Verbündeten von Verſailles ſchließlich ſtillſchweigend 
die Neutralität des Kurfürftentums gelten laſſen und die Berührung der han: 
növerifhen Grenzen vermeiden würden, wenn nur bie furfürftliden Truppen 
völlig regungslos blieben und in feiner Weile Ombrage gaben. Deshalb 
weigerten fie fih aud gegen Schmettau, die ſechs preußifchen Bataillone aus 
Weſel ohne ausdrüdlihen Befehl Georgs II. bei ji aufzunehmen, und deshalb 
wünjchten fie den Oberbefehl dem Nelteften ihres eigenen Offiziercorps, dem 
Generallieutenant Zajtrow, zuzumenden, um jo der Freiheit ihrer politiſchen 
Entſchließungen und militäriishen Maßnahmen völlig ſicher zu bleiben. 

Schmettau, dur hannöveriiche Offiziere vor den hannöveriſchen Miniftern 
gewarnt, durchſchaute das Spiel, und mit ihm König Friedrich, der da meinte: 
„Unſere Herren Nachbarn von der rechten Flanke haben angefangen etwas 
wanfelmütig zu werden und gehen mit ihren Präparatorien jo langjam zu 
Werke, dab fie einen Prätert haben, zur Neutralität gezwungen zu werben.“ 
Eo befriedigt er fih über die Mitteilung der Neutralitätsverhandlungen,, über 
die Botichaft an das Parlament und Pitts große Rede ausgeiproden hatte, fo 
erregt redete er jet — es war am 11. März — auf den in Dresden wieder: 
eingetroffenen Mitchell ein: „Es iſt hart, von eben den Leuten verraten zu 
werden, die ich gerettet und von denen ih die Waffen Frankreichs auf mid 
ſelbſt abgelenkt habe; ficherlihb muß der König von ihnen bintergangen jein; ich 
verlaſſe mich auf die Ehrlichkeit der engliichen Nation, aber nie fann id) zu den 
Hannoverangrn Vertrauen haben; wenn der König den Befehl über fein Heer 
einem Hannoveraner gibt, jo weit ich, dab fie nie etwas thun werben; ich fann 
nicht und will nit von ihnen abhängen, Zaſtrow hat weder Fähigkeit noch Er: 
fahrung und ift zum höchiten ein mittelmäßiger Untergeneral.” Nun hatte 
früher Georg 1]. wiederholt den Prinzen Ferdinand von Braunschweig aus dem 


Prag und Kolin. öl 


preußiichen Dienft für den Oberbefehl zu gewinnen gewünjcht, Friedrid dagegen 
deſſen Bruder Ludwig, den vormals öfterreichiichen, jett holländischen Feldmar— 
fhall, al den geeignetiten Führer empfohlen, und als Prinz Ludwig ablehnte, 
den Herzog von Cumberland. Auf diejen Lieblingsjohn Georgs II., den Sieger 
von Eulloven, fam er jetzt zurüd; er meinte zu Mitchell, jeder andere würde 
von den Hannoveranern büpiert werden, und jchrieb an Georg, nur ein Prinz 
werde fih an der Spite eines aus Truppen der verjchiedeniten Fürften zu: 
jammengejegten Heeres die erforderlide Geltung verſchaffen können, ein Unter: 
than, außer Lord Marlborougb, habe das nie vermodt. Der alte Herr fühlte 
fih durch das feinem Sprößling entgegengetragene Vertrauen nicht wenig ges 
ſchmeichelt, Cumberland wurde ernannt, Friedrich war beruhigt und begrüßte 
feinen britifchen Vetter als den Feldherrn, der Deutjchland von den fremden Ein: 
dringlingen zu befreien berufen jei. 

Friedrich wußte nicht, daß die von ihm betriebene Ernennung eine ſchwere 
Niederlage bes engliſchen Minifteriums bedeutete. Cumberland war Pitts er: 
flärter Gegner. Lord Holderneffe, der aus dem alten Kabinett in das neue 
übergetretene Anhänger Newcaſtles, fand fein Arg dabei, dem preußifchen Ge: 
jchäftsträger zu eröffnen, daß der Prinz bei feinem Abgang auf das Feſtland 
feinen föniglihen Vater nicht in den Händen der dem König verhaßten und noch 
dazu unbrauchbaren Minifter — Pitts Kränklichfeit mußte als Vorwand dienen — 
zurüdlaflen werde. In der That, Anfang April wurden Pitt und die ihm 
ergebenen Mitglieder der Regierung ihrer Aemter entlafen, ohne daß Erfah für 
fie da war: ein volles Vierteljahr hindurch fcheiterten alle Verfuche zur Neu: 
bildung des Kabinetts. So wenig ermaß Friedrich damals, was Pitt ihm noch 
jein jollte, daß er die Hoffnung ausſprach, England werde jegt endlich thätigere 
und ernfthaftere Männer finden, als die Newcaitle und Pitt. 

Seines verhängnisvollen Sieges froh, traf Cumberland am 16. April in 
Hannover ein. Mit ihm bradte jet Schmettau feine Verhandlung zum Ab— 
Ihluß. Der preußiiche Feldzugsplan für den weſtdeutſchen Kriegsichauplag hatte 
fein Ziel immer weiter zurüdfteden müffen. Anfänglih, im November, hatte 
ih Friedrih für eine Verteidigungsitellung am Nhein mit einem feften Lager 
bei Dinslafen oder Angerort, unter Umftänden, bei einer Beteiligung der Holländer 
am Kriege, jogar für den Rheinübergang ausgeſprochen. Im Dezember empfahl 
er ein Lager hinter der Lippe, rechts an Wejel gelehnt, und fündete an, daß 
er bie Feſtung räumen müſſe, falls man fi nicht entichließe, feiner abgeiprengten 
Garnifon dort bei guter Zeit die Hand zu reihen. Da nichts gefchah, be: 
tradtete er im Februar Wejel bereits als verloren und riet nun den Han: 
noveranern, ihre Spiten wenigftens bis Lippftabt vorzufchieben. Auf Lippitadt 
oder auf eine Stellung an der Ruhr wies Schmettau jett auch den Herzog von 
Cumberland hin, während Münchhauſen den Vorſtoß über die Wejer aus poli: 
tiſchen wie militärifchen Gründen für hochbebenklich hielt. 

Von den 47000 Hannoveranern, Braunſchweigern, Helen, Büdeburgern, 
Gothaern, die Cumberlands Heer bilden jollten, fonnten vorerft nur 16 Ba: 
taillone und ebenjoviel Schwadronen ausrüden, während fich die Franzofen in 
der Stärke von 100000 Mann zwiihen Maas und Rhein zum Vormarſch auf: 


62 Sechſtes Bud. Zweiter Abichnitt. 


ftellten. Um das Mifverhältnis der Zahl auszugleichen, hatte König Friedrich 
jeit dem vorigen Herbit wiederholt die Entjendung britifcher Regimenter nad 
Deutfchland angeregt und noch jüngft wenigitens Reiter aus England für Cumber: 
lands Heer gefordert. Er mußte noch nicht, daß nah einem mhiggiftiichen 
Glaubensfage engliihes Blut zur Verteidigung der deutſchen SKurlande des 
Königs von Großbritannien nit vergoflen werben durfte. Nur das wurde ihm 
von neuem zugeiagt, wie ſchon im vergangenen Juli, daß im Falle eines ruf: 
fifchen Angriffs auf Preußen eine engliihe Kriegsflotte in der Oſtſee erfcheinen 
würde; aber leider erjchütterte mehr als ein Anzeichen den Glauben an die 
Ausführung des Verſprechens. 

Anderjeits hielten die Hannoveraner in ihrem Beitreben, fi aus ber 
Verbindung mit Preußen herauszuminden, den naheliegenden Einwand nicht 
zurüd, daß der preußifche König für die Abwehr der Franzojen wohl mit feinem 
Rat, aber nicht mit der That bei der Hand ſei. Schmettau konnte ſich ihren 
Klagen nicht ganz verjchließen und richtete während feiner zweiten Gefandtichaft 
an den Kabinettsrat, den fiheriten Kenner jowohl der Sachlage wie der Stim- 
mungen, die Vertrauensfrage, ob es völlig ausgeſchloſſen ſei, 10000 Preußen 
nah dem Welten zu entjenden, Aber der König hatte von vornherein auf das 
beitimmtefte erklärt, er müſſe Rußlands verfichert fein, bevor er auch nur einen 
einzigen Mann von feinem Heere miſſen könne; er wolle, wenn Rußland nichts 
gegen ihn unternehmen würde, fiher ein Truppencorps zu dem weſtdeutſchen 
Heer ftoßen laſſen, jonft aber könne ihm billigerweije nicht zugemutet werden, 
auch noh am Nhein zu Fämpfen. Demgemäß räumte er auch, wie er gedroht 
batte, beim erften Erjcheinen der Franzofen feine von den Verbündeten ihrem 
Schidjal überlafjene Rheinfeftung, nachdem jein Gedanfe, Weſel holländiſchen 
Truppen zur Verwahrung anzuvertrauen, fih als unausführbar herausgeftellt 
hatte. Die durch die Preisgabe der Feitung gerettete Bejagung, jene ſechs Ba— 
taillone, fteuerte er zu dem in der Bildung begriffenen Wejer:Heere bei; bie 
Mehrforderung, mit welher Schmettau beitürmt wurde, lehnte er endgültig ab. 

Dann aber eröffnete er den Verbündeten auf einmal eine Ausficht, 
die fie nad) allem Worangegangenen um jo freudiger überrafchen mußte und die 
den Herzog von Cumberland vielleicht erjt entichieden hat, fich über die Weſer 
zu wagen. Alles hänge davon ab, ließ er dem Herzoge zum Willlommen jagen, ob 
man lich ſechs Wochen in Weitfalen halten könne, bis zur Ankunft eines preußischen 
Corps. Noch beitimmter bezeichnete er dem König von England in einem Briefe 
vom 10. April Mitte Mai als den Zeitpunkt, bis zu dem er mit den Defter- 
reihern in Böhmen jo weit fertig zu fein gedenfe, um gegen Ruſſen und Franzojen 
zu detadhieren und jeine Bundesgenoffen unterftügen zu fönnen. 


Der Feldzugsplan, für den er ſich ſoeben entihieden hatte und der ihm 
diefe Zuverficht gab, den Hannoveranern jchneller als fie und er gedacht, Hülfe 


) Vgl. oben ©. 16. 


Prag und Kolin. 03 


bringen zu fönnen, führte, aus langen Erwägungen hervorgegangen, über anz 
fänglide Vorjäge weit hinaus. 

Auf den Feldzug von 1757 und die großen Dinge, die alsdann gejchehen 
würden, hatte der König den Marihall Schwerin im vorjährigen Herbfte ver: 
tröftet. Und zu dem engliihen Gejandten jagte er in den Meihnadtstagen: 
„Von dem Erfolg der nächſten Campagne hängt alles ab; ift der günftig, fo 
wird der Krieg nicht lang jein, und in diefer Meinung jpare ich feine Koften, 
um mic ftark zu machen und meinen Feinden die Stirn bieten zu können.“ 

Seit dem Beginn des Krieges hatte ſich das Heer zunächſt durch die Ein- 
verleibung der zehn ſächſiſchen nfanterieregimenter vermehrt. Um deren 
Lüden auszufüllen und fie auf preußiichen Fuß zu bringen, war den fächfifchen 
Kreifen im November die Stellung von 9070 Rekruten auferlegt worden. Die 
Sollitärfe betrug jegt 21900 Mann. Garnijonbataillone waren jeit dem Auguft 
nod zehn zujammengetreten. Für das loje Gefecht gegen die Kroaten wurden im 
Auslande vier Freibataillone, eine bald bewährte Verjuchstruppe, angemworben. 
Am meiften ins Gewicht fiel eine neue Erhöhung des Mannfchaftsbeitandes bei 
den Feldregimentern. Nachdem fie ſchon im Dezember für die Kürajfiere und 
Dragoner angeordnet war, entſchloß jich der König Anfang Januar, die In— 
fanterie um mehr als 19000 Mann, d. h. jede Compagnie mit 30 Kantoniften zu 
veritärfen: jene Maßregel,') die mehr als alles andere erjehen läßt, wie furchtbar 
ernit ihm die Lage erichien. Denn bei Beginn des letzten Krieges hatte er den 
Regimentern vielmehr verboten, auch nur einen Refruten aus ihren Kantons 
zu entnehmen:;*) jegt ward, noch ehe das Heer namhaften Verluit gehabt hatte, 
mit übervollem Maß aus diejer font jo jtreng gehüteten Quelle geihöpft. Auch 
die Hufarenregimenter, bei der Augmentation von 1755 leer ausgegangen, 
wurden jest zweimal nadeinander an Mannjchaftszahl heraufgefegt. Ingeſamt 
glaubte der König das Heer derart auf 210000 Mann bringen zu können. 
Ganz iſt diefe Zahl nicht erreicht worden. Die bisher ſächſiſchen Negimenter 
lichteten fich durch Mafjendejertion; eines von ihnen entwich in offener Meuterei 
mit Wehr und Waffen über die polniihe Grenze zu dem alten Kriegsherrn. 
Bor dem Feind vollends war auf diefe mwiderwilligen Truppen niemals zu 
rechnen. So blieben für den Kampf im offenen Feld nur etwa 150000 Mann. 

In der Verteilung der Streitkräfte trat gegen das Vorjahr die Ver: 
änderung ein, daß das Gorps in Pommern, urfprünglid nah Oftpreußen zur 
Verftärfung des Feldmarjhalls Lehwaldt beitimmt, während des Winters nad 
der Lauſitz gezogen wurde, wo die preußiiche Poftenfette von den öfterreichifchen 
Vortruppen während des Winters fort und fort beläftigt wurde; der Ueberfall 
von Hirschfeld am 20. Februar bewies, wie dem Gegner die Zuverficht wuchs. 
Sah fid jet Lehwaldt allein auf jeine während des Winters bis zu 30000 
Mann veritärkten ojtpreußiichen Negimenter angewieien, jo waren in Sachſen 
und Schleſien rund 117000 Mann FFeldtruppen vereinigt: 76000 Mann als 
Hauptheer unter dem König, 41000 Dann unter Schwerin. Die Dejterreiher 





) Bal. oben ©. 53. 
2 8b. ], 542. 


64 Sechſtes Bud. Zweiter Abichnitt. 


in Böhmen und Mähren jhägte man annähernd richtig auf 130—140 000 Mann; 
genau zählten fie Ende März 133000 Mann. 

Um an der enticheidenden Stelle möglihit ftarf zu jein und gleich zu 
Beginn des Feldzugs eine Kraftprobe ablegen zu fünnen, hatte der König bie 
10 000 Mann aus Pommern herangezogen. Das Etärfeverhältnis zwiichen ihm 
und dem zunädft allein jchlanfertigen Gegner war jegt nicht ungünftig. Aber 
diefem Gegner entgegenzugeben, ihn in Böhmen-aufzufuchen, hatte er, als er 
die Bommern fommen ließ, doch nicht beabfichtigt. 

Wenn Friedrih die durdhichlagende Enticheidung in einem Kriege mit 
Defterreih nur von einem Angriff auf Mähren erwartete, jo waren Schwerin 
und Winterfeldt, mit denen er den ganzen Winter bindurd in regem Meinungs: 
und Nachrichtenaustauſch ftand, in diefem Grundgedanken durchaus mit ihm 
einveritanden. „Ehe ſich der Krieg, und jo wie Eure Majeftät es allezeit ge- 
jagt, nicht gegen Mähren jpielt, aibt es feinen rechten Ausichlag der Sache,“ 
ſchrieb ihm Winterfeldt, und ebenfo Schwerin: „Es ift gar jehr wahr, daß, wofern 
wir nicht den Krieg nah Mähren und Deiterreih tragen, niemals ein vorteil: 
bafter, ſolider und guter Friede zu erhoffen ift.” Mähren blieb aljo das ge: 
lobte Yand der preußiichen Strategie; aber in einem Kriege gegen drei oder 
mehr Mächte ſchien es vorerft zu gewagt, fi von der jtarfen, gejchlofjenen 
Mittelftelung, die man in Sachſen, der Yaufit und Niederfchlefien einnahm, 
nad irgend einer Seite hin weit zu entfernen. Der Zug nah Mähren, die 
Dffenfive überhaupt, wurde deshalb erit als ein fpäterer Aft des neuen Feld— 
zuges gedacht. Gröffnen follte das Stüd nad des Königs anfänglidber Meinung 
ein Borfpiel, für das er ben Defterreichern die ftrategiihe Vorhand zu laſſen 
beabfichtigte. In der gededten Zentralftellung an der Elbe, hinter den Bergen, 
die ihn von Böhmen trennten, fonnte er bei dem Vorteil der inneren Opera— 
tionslinie dem Gegner, ob er num vor der Front, ob er rechts oder links in 
der Flanke fich zeigte, allemal leicht mit überlegener Streitmacht entgegentreten; 
bier alfo wollte er ihn erwarten. So ſchien es die politiihe und jo die mili: 
täriſche Lage zu erfordern; fo auch hatte er zu Beginn des Feldzugs von 1745 den 
öfterreihiichen Stoß gegen Schlefien aufgefangen und in der ftrategiichen Defenfive 
mit taftiicher Dffenfive- den glängendften feiner bisherigen Siege erfochten. 

Wieder wie damals fol ihm eine Schladht alsbald für den ganzen Feld— 
zug die Ueberlegenheit verjhaffen. Eine enticheidende Schlacht. Kein unnützes 
Blutvergießen, eine Schlaht mit nahdrüdlicher Verfolgung, anders als die Lobo— 
ſitzer Schlacht, mit der er nachträglich fo unzufrieden ift: „Jede Bataille, fo wir 
liefern, muß ein großer Schritt vorwärts zum Verderben des Feindes werden.“ 
Man wird das feindliche Heer, wenn es irgend möglich ift, vernichten, „abi— 
mieren“. Der zeitgenöffiihe Gejchichtsichreiber des fiebenjährigen Krieges, 
Tempelhof hat feinen König als einen Feldherrn bezeichnen zu dürfen geglaubt, 
ber nicht bloß Schladhten fchlägt, um einmal das Tedeum laudamus anftimmen 
zu laſſen, jondern allemal eine totale Niederlage des Feindes zur Abficht hat, 
und Warnery hat geradezu gejagt, Friedrichs Bemühen fei ftets darauf ge: 
gangen, das feindliche Heer gänzlich zu vernichten. Hier hören wir von Friedrich 
jelbit, das er fich dieſes deal der Schlacht in der That vor die Augen ftellt. 


Prag und Kolin. 65 


Iſt der Erfolg durdichlagend, dann wird die moraliihe und politijche 
Wirkung der Schladt hinter der militärifchen nicht zurücbleiben. Eine glückliche 
Bataille vor Mitte Mai, ſo meint der König in einem Briefe aus dem Februar, 
und die Ruſſen werden vielleicht gar nicht marſchieren. Er weiß von den Fran— 
zoſen: „Die Leute ſind mir ſo böſe, ſie möchten mir zerreißen,“ aber er denkt: 
„wann erſt die Oeſterreicher tüchtig auf die Ohren werden gekriegt haben, ſo 
werden ſich die ſtolzen Wellen legen.“ Er weiß von den Schweden, daß ſie 
„nicht die beſten Geſinnungen der Welt“ für ihn hegen: „aber bevor ſie Truppen 
verſammeln, werde ich meine Feinde geſchlagen haben, und die anderen werden 
nicht das Herz haben, ſich zu rühren.“ 

Iſt in der ſtrategiſchen Defenſive eine erſte große taktiſche Entſcheidung 
gegen ein öſterreichiſches Heer herbeigeführt, ſo werden als weitere Aufgaben 
folgen: Abrechnung mit den ſonſtigen Streitkräften der Oeſterreicher und, wenn 
ſie kommen, mit ihren Verbündeten, und endlich, als „Ziel- und Endzweck von 
alledem“, die Verlegung des Kriegsſchauplatzes nach Mähren, wo der Krieg, wie 
Friedrich hofft, „mit Gottes Hülfe bei Olmütz ſich endigen ſoll“. 

Wo der erſte Schlag fällt, das erklärt er in einem Brief an Schwerin, 
iſt einerlei: vorausgeſetzt, daß der Feind an einem Ort kräftig geſchlagen wird, 
ſo kommt auf den Ort ſelbſt wenig an. Den Feldzugsplan im einzelnen feſt— 
zuſtellen, war auch Ende Januar bei den Beſprechungen in Haynau!) noch nicht 
möglih. Die Nahrichten änderten fih „von Tage zu Tage”. Was wußte man 
Sicheres über die Abfichten der Dejterreiher, über die Heere, die fie aufitellen 
wollten, und die Stätten ihrer Verjammlung, über ihre Magazine? Ob fie nad) 
Schleſien oder nah Sachſen oder vielleiht auch ins Halberſtädtiſche einfallen 
würden? Ob die Franzofen nah Franken und Böhmen oder nur vom Nieder: 
rhein aus vorgehen, ob die Ruſſen fih nad Oftpreußen oder nad Schlefien und 
Mähren wenden würden? 

Doch neigte der König der ganz zutreffenden Meinung zu, daß die Defter: 
reiher es auf Sachſen abgefehen hätten, wo feine Feftungen wie in Schlefien 
ihnen das Vordringen erſchwerten, wo ihnen nad einem Siege alles auf einen 
Schlag zufallen konnte. Aud in Haynau vertrat er Schwerin und Winterfeldt 
gegenüber dieje Meinung, und alle weiteren Nachrichten beftärkten ihn darin. 
Am 10. März fündete er Schwerin an, daß er ihn gegebenen Falls zu ſich nad) 
Sachſen nehmen und in Sclefien unter einem anderen General gerade nur jo 
viel Streitkräfte zurüdlaffen werde, als zur Verteidigung erforderlich feien. 

Einige Tage darauf, am 16. März, glaubte er endlich den Plan der Ver: 
bündeten in den Umrifien zu erfennen: 80000 Franzofen, noch verftärkt durch 
Deiterreiher und Neihötruppen, werden über den Rhein fommen, 50000 um 
Wejel zu belagern, 30000 um auf Magdeburg zu marſchieren; die Defterreicher 
werden den Zeitpunkt abwarten und wahrnehmen, wo ein Teil der preußiichen 
Hauptmacht diefen Truppen entgegenziehen muß; alsbald wird Browne im 
Vertrauen auf feine Uebermacht gegen Sachſen vorbreden. Da gedenkt nun 


i) Bol. oben S. 52. 
Rojer, Hönig Friedrich der Sirohe IT. 2. Aufl. 5 


66 Sehftes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Friedrih 30000 Mann gegen die Franzojen auszujenden, 60000 gegen Browne 
in Sachſen zu behalten, mit 35000 die Yaufig, mit 15000 Schleſien zu beden. 
Gerade in diefen Tagen erbielt er die willlommene Gemißheit, daß der 
König von England die Neutralität für Hannover verwarf und ein Heer gegen 
die Franzoſen zufammenzog. Deren Mari nad Magdeburg ftand ſomit noch 
in weiter ferne. Dagegen verlautete jeßt, dab ſich ein franzölifches Heer im 
Elſaß verfammle, um über Mainz an den oberen Main zu ziehen. Die beiden 
neuen Umftände berüdfichtigt am 20, März ein zweiter, bereits auf Einzelheiten 
eingehender Entwurf, in weldem König Friedrid vier verjchiedene Fälle ſetzt. 

Hält Browne fih in Böhmen defenfiv und fommen von Mainz über 
Schweinfurt 30000 Franzofen, verftärft dur Neichstruppen, jo will er den 
Franzoſen 40000 Mann, darunter 87 Schwadronen, entgegenihiden, die übrigen 
Truppen aber abwartende Stellungen einnehmen laſſen: bei Zwidau 25 000 Mann, 
bei Dresden 35000, in der Oberlaufig und ben benadbarten Strichen von 
Schlefien 35000, bei Schweibnig und in den jchlefiichen Feitungen 15000, 

Stößt zu den vom Main anrüdenden Franzojen ein öfterreihiiher Trupp 
aus Böhmen, jo muß das ihnen entaegenrüdende Heer durch Nachſchub aus 
Sachſen um 10000 Mann veritärkt werden. 

Kommen die Franzojen nicht zum Vorſchein und dringt Browne in Sadjen 
ein, jo bleibt es bei dem alten Plan, ihn dort möglichit enticheidend zu fchlagen. 

Beichränten fih dagegen beim Ausbleiben franzöfticher Hülfe die Defter: 
reiher auf einen Defenfivfrieg in Böhmen, jo muß man fie in diefem vierten 
Fall freilih dort aufjuchen und vor allem Browne aus feiner feiten Stellung, 
aus dem Winfel zwiſchen Elbe und Eger, verdrängen. Das fann geichehen, jo 
führt die Denkichrift aus, entweder durch Bewegungen in feiner linfen Flante, 
vielleicht ichon dur eine bloße Demonitration gegen Eger, jedenfalls aber durch 
Belagerung und Eroberung dieſes Waffenplages, oder durch eine Bedrohung der 
öfterreichiihen Stellung im Rüden, wenn 40000 Mann aus Schlefien, 40 000 
aus der Lauſitz einbrechen und fi bei Jungbunzlau vereinigen. 

Der König jandte diefe „Suppositions verſchiedener Projekte” an Schwerin, 
mit dem Erſuchen, ſich ganz offenherzig und ganz natürlich darüber zu äußern. 
Für den allgemeineren Entwurf vom 16. März hatte er gleih an dieſem Tage 
jowohl von Schwerin wie von Winterfeldt ein Gutachten eingefordert. So be- 
gann zwijchen dem großen Hauptquartier zu Dresden und ben Führern des 
Ichlefiichen Heeres in Neiße und Landshut ein denkwürdiger Schriftwechiel, da 
die Generale ihre entjchieden abweichende Meinung mit Freimut und Lebhaftig— 
feit zur Geltung brachten. 

Die beiden Männer bat Prinz Heinrih in einer eben damals ent— 
worfenen Charafteriftit Winterfeldts einander gegenübergeitellt als den vortreff: 
lihen und den mittelmäßigen General und zugleich als den von dem oberften 
Kriegsheren mißtrauisch zurüdgeiegten Ehrenmann und den über alles Verdienft 
bevorzugten Höfling. 

Heinrich wollte Winterfeldt Mut und guten militäriihen Blid und einige 
Erfolge gegen die öfterreihiihen leichten Truppen nicht abiprechen, fand es aber 
anmaßend, daß dieſes fleine Licht Feldzugspläne ausdenfen wolle. Des Prinzen 


Prag und Kolin. 67 


Meinuna, ungünftig über Winterfeldts Talent und noch ungünftiger über feinen 
Charakter, vielen ganz aus dem Herzen geſprochen und von vielen eifrig nad): 
geiprohen, von anderen urteilslos angenommen, Hat die hiftorische Auffaffung 
auf lange hinaus beftimmt. Daß Winterfeldt feine zahlreihen Gegner im Offizier: 
corp& hatte, lag bis zu gewiſſem Grade ſchon in der Art feiner dienftlichen 
Stellung. Es fonnte nicht anders fein, als daß der Mann Gegenftand miß- 
trauifcher Scheu wurde, der jeit langen jahren beitändig in des Monarchen Im: 
gebung, deſſen Ohr mehr als irgend ein anderer Offizier zu befigen fchien und 
nach der gemeinen Rede zumal auf Fragen der bienitlihen Beförderung be— 
deutenden Einfluß ausübte. Kein Hufarenoffizier, fo hieß es, könne ohne Winter: 
feldts Gunft jein Glück maden. Aber nicht bloß die aufftrebende Jugend fühlte 
fih abhängig, auch ein Zieten war der Meinung, daß von diefer Seite ihm 
Steine in feinen Weg geworfen wurden, und felbit der Erbe der Krone hielt es 
für flug, wie uns ein Brief aus dem Jahre 1750 zeigt, dem Günftling des 
Königs feine Sntereffen zu empfehlen. So viele ihm gram waren, niemand 
wünjchte ihn fich zum Feinde zu maden. „Man behauptet, daß Er es ilt, der 
in die Armee ein gewiſſes gegenjeitiges Mißtrauen und eine Kriecherei hinein: 
gebracht hat, die früher unbefannt waren,” jo berichtet ohne zu widerſprechen 
der ziemlich unparteiiihe Warnery; aber gegen den Vorwurf, daß Winterfeldt 
dem König liebedieneriih nah dem Munde geredet habe, hat ihn derfelbe 
Warnery entihieden in Schub genommen: „Er ſprach frei heraus zu dem Könige 
und war ein fehr guter Staatsbürger.” Und Winterfeldt jelbit hat den Ruhm 
für jih in Anſpruch genommen: „vor Eurer Majeität niemals etwas auf dem 
Herzen zurüdbehalten zu haben”. 

Daß er ehrgeizig jei — die Tadler ſprachen von feinem maßloſen Ehr— 
geize — hat Winterfeldt nicht leugnen wollen: denn niemand fünne ohne Am: 
bition jeinem Könige rechtjchaffen dienen. Aber wie weit war jein Ehrgeiz ent: 
fernt von kleinlicher Eitelkeit: als eine ihm hinterrüds gewidmete Schrift in der 
Zueignung jeine Kriegsthaten pries, da beflagte er fih, daß die Zenſur diefe 
„roindige” VBorrede nicht unterbrüdt habe, und meinte, das von feinem Lob: 
redner Vorgebrachte gleiche dem, was fein Reitknecht zu erzählen pflege, um ſich 
auf der Bierbanf breit zu maden und zu bemeilen, in weldhen Gefahren er aud) 
dabei gemweien jei: „Sch verlange die Fama niemals zum Trompeter meiner 
Aktionen, jondern nur allezeit meinen eigenen Bujen zum Richter zu haben.” 
Bei ſolch hochherziger Gleichgültigfeit gegen den Nachruhm konnte es geichehen, 
daß als lange nad) feinem Tode endlich zur Verteidigung feines Leumunds ein 
Verwandter das Wort ergriff, im Befig der Familie ganze zwei Briefe von 
Winterfeldt aufgefunden wurden. Nur fo Fonnten gerade jeine vornehmiten 
Verdienſte völlig im ftillen bleiben, fonnte feine Bedeutung als Stratege länger 
als ein Jahrhundert allgemein verfannt werben. 

Zum Entgelt haben jeine mit der Feder überaus rührigen Gegner ganz 
andere Dinge auf jeine Rechnung gejegt, mit Berufung nicht gerade auf ben 
tapferen Reitfneht, aber auf einen doch ganz uneingemweihten Sefretär. Zur 
treffend it, dab Winterfeldt fich im Juli 1756 unter einer beitimmten Woraus: 
jegung für das Losſchlagen, das Prävenire, ausgeiprohen hat: jene Leute aber 


68 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


wußten viel mehr. Ihnen galt als ausgemacht, daß Winterfeldt der eigentliche 
Urheber, der „Feuerbrand“ des neuen Krieges geweien, dab er den im Herzen 
friebliebenden König erft aus der vorteilhaften Verbindung mit Frankreich ge: 
riffen und dann in den Kampf hineingetrieben habe, und das aus brennender 
Begier nad neuem friegeriihen Ruhm, aus perjönlicher Gereiztheit gegen die 
Kaiferin von Rußland und aus Haß gegen die Franzoſen, die ihm deshalb vor: 
nehmlih ein Greuel gewejen jeien, weil feine Unfenntnis ihrer Sprade ibn 
ſchon oft in peinliche Lage gebracht habe — Dinge, von denen alles in allem 
gerade nur die Unkenntnis des Franzöfiichen als Thatſache beftehen bleibt. Denn 
allerdings, der Schulfenntniffe und der mobiihen Bildung oder Zuſtutzung ent: 
behrte diefer Mann; als jeinen eigentlichen Lehrer hat er nicht den Predigt: 
amtsfandidaten, der im udermärkifchen Herrenhauje zu Schmarjow den Knaben 
unterrichten jollte, jondern einen alten Sergeanten betrachtet. Auch jein Ge: 
Ihmad jcheint nicht allzu anſpruchsvoll geweien zu fein. Bielfeld, der Mann 
ber feinen Formen, war bei einem Beſuch in dem Potsdam Friedrich Wilhelms 1. 
baß eritaunt, den Kapitän Winterfeldt mit feinen Kameraden ein Tanzvergnügen 
ohne Damen veranftalten zu fehen, und Prinz Heinrich jpottete über Winter: 
feldts Behagen an einer Gejelligfeit im Stil der Zeiten Heinrichs des Vogel: 
ſtellers. Bekannt als Freund eines jcharfen Trunfes, büfte er doch nad 
Warnerys Zeugnis nichts an Arbeitskraft und an Friihe ein. Und wenn der 
Prinz alles, was der geiprädige Mann vorbradte, trivial fand und feine Wiße 
Ihal, jo wird jchwerli der Leſer Winterfeldtfcher Briefe das verächtliche Urteil 
unterfhreiben; fie erfreuen überall durch Natürlichkeit, individuelle Farbe, glüd: 
lihen Ausdrud, fräftigen Humor. 

Seine Munterfeit und Anftelligfeit, in Verbindung mit einem anſprechenden, 
feden Gefiht und ftattliher Geftalt, hatten dem jungen Anfänger alsbald das 
MWohlgefallen Friedrih Wilhelms I. und auch des Kronprinzen Friedrich erworben, 
dem er zuerft im Rheinfeldzug von 1734 näher getreten ift. Friedrich hat 1740 
den Lieutenant zum Major und wieder im näditen Jahre den Major zum 
Oberften und Generaladjutanten befördert; er bat vor dem Feinde in feinem 
Günftling den Offizier von feltenem Kaliber und jeltener Befähigung erprobt, als 
welchen Winterfeldt einer feiner Vorgejegten gerühmt bat; er hat ihn zu Friedens— 
zeiten in Vertrauensaufträgen verjchiedeniter Art verwandt. Aber Winterfelbt 
war ihm noch mehr, als ein überaus gefchidtes Werkzeug. „Er mar mein 
Freund,“ hat der alte König nah langen Jahren zu dem Lieutenant Rüchel ge: 
jagt, „er war ein guter Menſch, ein Seelenmenſch.“ Winterfeldt empfand es in 
mißmutigen Stunden als eine Beeinträchtigung, daß er jahraus, jahrein in 
Potsdam ftille fiten müſſe, während bereits zwanzig feiner Hintermänner 
vor ihm ein Regiment erbalten hatten. Der König aber beſchwichtigte ſolche 
Klage, bis er ihm eines der Berliner Mufterregimenter verlieh, mit der Ver: 
fiherung, daß Winterfeldt ihm zu qut jei, um einfach Oberftendienite zu tbun 
und in der Provinz „dem Schlendrian zu folgen”; er fei zu größeren Dingen 
beitimmt. 

Wie hätte es einem fommandierenden General bequem fein jollen, diefes 
militärifhe andere Ich des Königs ſich im Felde als Helfer oder gar Aufpafier 


Prag und Kolin, 69 


an die Seite geitellt zu jehen? Da ſpricht es für Winterfeldt und für Schwerin 
gleihmäßig, daß ihr Verhältnis während der gemeinfamen Wirfjamfeit an der 
Spitze des jchlefiichen Heeres ſtets ungetrübt geblieben ift, daß zwiichen dem Feld- 
marſchall und dem Generallieutenant in allen wichtigen ragen der Heeres- 
führung volle Uebereinſtimmung beitanden hat. So hatte Schwerin auch bie 
zunächſt nur ihm ſelbſt zur Begutachtung vorgelegte Denkichrift des Königs frei 
von jeder Eiferſucht ohne weiteres Winterfeldt mitgeteilt und rechtfertigte vor dem 
Gebieter dieſe Ueberantwortung des Geheimniſſes an einen dritten mit dem 
Hinweis jomohl auf die Verjchwiegenheit wie auf das Sachverſtändnis feines 
Untergebenen. 

Schwerin, jegt zweiundiiebzigjährig, war im Unterichieb von Winterfeldt 
der gebildete Difizier, des Franzöfiichen, Italieniſchen, Lateinifchen mächtig, der 
Weltmann und Lebemann, der aud bei den Offizieren feines Regiments auf 
äußeren Glanz und deshalb auf Glüdsgüter Wert legte. Sein verbindliches 
Weien, die „anädige Stellage”, die er fich zu geben wußte, ſchuf ihm Beliebt: 
heit über den Kreis des Heeres hinaus. Es war eine moralifhe Eroberung, 
wenn der Feldmarſchall im Auguft 1741 nad der Bejegung von Breslau beim 
Empfang der proteftantiichen Geiftlichfeit nicht bloß ihren Sprecher, jondern, um 
niemand zurüdzujegen, jeden einzelnen Paſtor mit einem Friedenskuß bedachte, 
alio daß „ich dieier Aktus mit der größten Zärtlichkeit endete”. So berrjchte 
auch in jeiner Garnijon Frankfurt, im erfreulihen Gegenjat zu den teten Miß— 
belligfeiten, von denen man zu des alten Deflauers Zeiten aus der Mufenftabt 
Halle hörte, zwifchen dem Regiment und der Univerfität das befte Einvernehmen, 
und es warb dem Chef hoch angerechnet, daß er Profefloren und Studenten in 
fein gaftlihes Haus zog. Seine Adjutanten hielt der Leutjelige nach der Mei: 
nung mander nicht kurz genug. 

In dem Heere, das 1756 in den Krieg 309, gab ihm feine alte Kriegs: 
erfahrung überwiegendes Anſehen vor allen anderen Generalen. Er hatte auf 
den Schladhtieldern des ſpaniſchen Erbfolgefampfes und des nordiihen Krieges 
jeine Schule gemacht, hatte als holländijcher Lieutenant bei Höchſtädt unter den 
Augen Marlboroughd und Eugens und als medlenburgifcher Oberit bei Gabe: 
buſch an Stenbods Seite gefochten; er rühmte ſich der militärifchen Unterweilung 
durch Karl XII., deſſen türfiiches Eril er einige Monate geteilt hatte. Den 
Tage von Walsmühlen Anno 19, wo er mit feinen Medlenburgern fih den Weg 
durch das hannöverifche Erefutionscorps eröffnet hatte, dankte er feinen Ruf als 
verwegener und zugleich umfichtiger Truppenführer und demnädft die Aufnahme 
in den preußiichen Dienit. Auf ihn ſchworen num die zahlreihen Gegner bes 
Deilauers, feines um act Jahre älteren Waffengefährten von Höchſtädt. Der 
„tleine Marlborough“ hatte feine Partei im Heere, und bald wurde aud) der 
Kronprinz ihr zugezählt. 

Auf den Thron gelangt, nahm Friedrich den jüngiten Marichall, den erit 
er ernannt, auf feinem eriten Feldzug mit und ließ den älteften daheim. Seit 
dem Sieg von Molwig war Schwerins Name in aller Munde, zugleich aber 
flüfterte man von dem Neide des Königs, wie vorher von der Eiferfucht des 
Füriten Leopold. Nah außen ſchien alles unverändert, doch jchon nad dem 


zu Sehftes Buch. Zweiter Abſchnitt. 


unbefriedigenden Ausgang des mähriſchen Winterfeldzuges machte Friedrich in 
einem beißenden Epigramm auf die jchledhte Kopie eines elenden englijchen 
Originals jeiner üblen Laune Luft, und vollends nah den Reibungen im 
zweiten Kriege!) war der neue Marlborough in den Augen des zürmenden Ge: 
bieters für geraume Zeit der eigenfinnige Thor, deſſen Empfindlichkeit feine 
Schonung verdiene. Erft im Herbit 1747, nad einer offenen Ausſprache, wid 
die föniglihe Ungnade von ihm. Schwerin ward jet wieder bei Hofe geſehen. 
Daß er nad) jeiner zweiten Heirat die Gattin dort nicht vorjtellen durfte, kränkte 
ihn von neuem; aber die Verbindung hatte ihre anftößige Vorgeſchichte, wie 
denn die galanten Sünden des waderen Degens jchon früher den Zorn Friedrich 
Wilhelms I. entfeffelt hatten. 

Inzwiſchen hatte fih die Echwerinihe Partei je länger je mehr daran 
gewöhnt, ihren Helden wie einit gegen den alten Deflauer jo nad Xeopolds 
Tode gegen den König felbit als den Größeren auszufpielen. Wenn jegt im 
Feldlager Friedrich jcherzend von den zwei netten Jungen ſprach, mit denen bie 
Königin von Ungarn zu thun babe, jo meinte ein fürwitziger prinzlicher Adjutant, 
diefe Zufammenftellung jei für Schwerin jchmeichelhaft vom höfiſchen Stand: 
punft aus, vom militärifchen aber made es dem Könige feine Unebre, neben 
dem größten General Europas genannt zu werben. 

Eine europäifhe Berühmtheit war Schwerin allerdings. 1745 hatte 
Ludwig XV, gewünſcht, ihn an die Spige eines jeiner Heere zu Stellen, und 
einige jahre jpäter dahte man ihm in Stodholm das Oberlommando über das 
ſchwediſche Heer für den Fall eines ruffiihen Krieges zu. Nicht der jchlechteite 
Teil jeines Feldherrnruhmes war die trefflihe Mannszuht, die er zu halten 
verftand; von feinem Partner von 1756, dem Fürften Piccolomini, wird das 
Wort überliefert, wer auf eine edelmütige Art Krieg führen lernen wolle, müſſe 
unter einem Schwerin dienen, und er jelbft bat es als feinen Erfahrungs 
grundjaß bezeichnet, daß es nur von dem guten Willen der Generale und 
Dffiziere abhänge, alle Plündereien zu vermeiden. In feiner erfolgreichen Für: 
forge für die Verpflegung wurde er feinen Nachfolgern als Muſter bingeftellt. 
Sein Heer, jo wurde ihm nadgerühmt, hatte nie Mangel an Lebensmitteln und 
hatte feine Dejertion. Er fannte die Bedürfnifie des Soldaten, da er von ber 
Pife an gedient hatte — König Friedrich hat an jeinem Beispiel den pommerſchen 
Evelleuten einleuchtend gemacht, wie weit fie es durch eigene Tüchtigfeit bringen 
fönnten, denn der junge Schwerin jei von jeinem Vater in die Fremde geihidt 
worden mit einem Thaler in der Taſche, einer Obrfeige und dem Rat, ſich das 
in Zufunft von niemand mehr gefallen zu laſſen. Das warme Herz für die 
Truppe, perjönliche Tapferkeit, deren Denkmäler zahlreihe Narben waren, eine 
förperlihe Zähigfeit, die no dem reife die Strapazen des Feldzuges mit 
den Truppen zu teilen erlaubte, endlich auch fein Chriftentum, an dem diejes 
Weltfind feit bing und gleich dem gemeinen Mann inmitten der Fährniſſe ſich 
aufrichtete, alles das wirkte zufammen, um dem glänzenden Kavalier auch den 
Nimbus des volfstiimlihen Helden zu leihen. Und jo war es nicht bloß der 


1) 3b. I, 163. 238. 


Prag und Kolin. 71 


Opfertod auf dem Schladitfelde, es war ein vorlängit in einem ganzen Leben 
begründeter Ruf, was den Leberlebenden ihren Schwerin als eine der leuchtend: 
ften Geftalten der preußiſchen Kriegsgeihihte, als die Verförperung der alten 
Tüchtigfeit diefes Heeres ericheinen ließ. „Die Armee wird nie vergejlen, daf 
- der Marihall Schwerin fie befehligt hat” — mit diefem Wort hat der König 
jechzehn Fahre nach des Helden Tode nur der Wertihägung den klaſſiſchen Ausdruck 
gegeben, die unter den Veteranen des fiebenjährigen Krieges wie unter dem 
jungen Nachwuchs die allgemeine war. 

Einem Schwerin fonnte es nicht gleich gelten, ob ein Feldzugsplan feiner 
Bethätigung als jelbjtändiger Heerführer ein ſchmaleres oder weiteres Feld anwies, 
das Band der Ilnterordnung unter die allgemeine Heeresleitung jtraffer oder 
loderer anzog. Gleich auf die erfte Andeutung des Königs, daß er ihn vielleicht 
zu ih nah Sachſen nehmen müjje, hatte der Marihall am 13. März den 
Gegenvorjchlag gemadt, dur einen Marſch über Trautenau nad Jungbunzlau 
den Feind von Sachſen abzulenfen. Gegen die Truppenverteilung, die nun des 
Königs Entwurf vom 16. März in Ausficht ftellte, machte er nochmals die Not: 
wendigkeit geltend, das fchlefiiche Heer vielmehr zu verftärfen, als zu ſchwächen; 
von Schleſien her bedroht, werde der Feind auf Angriffsbewegungen um jo eher 
verzichten. 

Noch nahdrüdliher und mit einem pofitiven Gegenvorſchlag erklärte ſich 
von vornherein Winterfeldt gegen des Königs Entwurf. Er hatte ſchon bei den 
Beiprehungen in Haynau fi mit dem Gedanken, die Defterreiher in Sachſen 
zu erwarten, nicht zu befreunden vermocht und dem König damals bedeutet, er 
glaube nit, daß man dem Feind dort werde beifommen können; man werde 
genötigt fein, ihm über Eger zu folgen, um ihn vielleicht erft in der Gegend von 
Prag „bei den Ohren zu friegen”. est, am 19, März, jchreibt Winterfeldt: 
Wolle man dem Feldmarihall Browne Zeit laſſen, mit 80—90 000 Mann ſtille 
zu ſitzen und abzuwarten, wie der Anſchlag der Franzoſen ablaufen werde, dann 
bleibe allerdings nichts übrig, als die von dem Könige ins Auge gefaßten Maß: 
nahmen. „Gott bewahre aber davor,” plakt er dann ohne Umſchweife heraus, 
„wicht in die Verlegenheit zu fommen, jolche Mejures nehmen zu dürfen!” Denn 
wie jolle man mit 15000 Mann Sclefien deden, auf deſſen Hülfsmittel man 
doch in diefem Krieg vornehmlih rechnen müſſe. „Um aber diefem Uebel ab: 
zubelfen,” fährt er in feinem urwüchſigen Deutich fort, „und des Feindes ge: 
fährlihen Deifeins zuvorzukommen, jehe ich fein ander Mittel, als daß wir von 
bier, aus Schlefien, jobald als möglich das Spiel anfangen und dem Feinde auf die 
Magazine von Pardubig und Königgräß, welche feine ftärkite jeien, die er hat, 
zu fallen ſuchen . . Em. Majeftät, welche aber in Sadien mit einer ftarfen 
Armee ihm in der Nähe ftehen, können ihm alsdann dadurch nicht allein jeinen 
Anſchlag auf der Lausnitz zernichten, fondern auch viel mehr von da offensive 
agieren laſſen. Wo der Feind zu Auffig ein ftarfes Magazin hat, als welches 
allda jehr Iuftig angelegt it, To könnte ihm folches vors erjte aud genommen 
werden. Wenn der Feind bald und in der Zeit angegriffen wird, ehe er mit 
Arrangements fertig iſt, fo können wir anjeto mit 30000 Mann mehr gegen 
ihm ausrichten, als im Monat uni mit 60 000 Mann. Der Feind muß Haare 


12 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


lafien, ehe die Franzoſen ihr Dejjein ausführen und dem Magdeburgihen nahe 
fommen fönnen; alsdann aber, wann der Feind nur eritlih eine Schlappe be— 
fommen, jo dependiert e8 allezeit von Ew. Majejtät, fo viel als nötig gegen die 
Franzojen zu ſchicken . . Es würde dem Feinde, der gar nicht darauf rechnet, 
der unvermutetite Donnerſchlag fein, jo jemals geihehen, und daburd alles in * 
Schrecken und Konfufion geraten. Die jegigen Umstände von Em. Majeität find 
allezeit einem Hajarb unterworfen, als woraus nichts, als ebenfalls die aller: 
hardieſte Partie prompt zu ergreifen, retten fann.” Ein großer Gedanke, ein 
fühner Entwurf, an dem fich fein Urheber hell begeiftert: Winterfeldt bittet den 
König „ganz fiher und ruhig“ zu fein, „daß es, will’s Gott, mit Gloire wird 
ausgeführt werden“. Er jegt in der Neinjchrift jeines Berichtes noch die Be: 
fräftigung darauf: „Ich bin davon jo gewiß überzeuget, daß wann ich zehn 
Köpfe und Leben hätte, folhe Ew. Majeftät davor zum Unterpfande geben wollte.” 
Sein Herz ſei ihm zur Stunde zu voll, um fi über alles geordnet zu äußern; 
er bittet, ihm den Oberſt Find herzufenden, um alles weitere mündlich zu 
erörtern. 

Eine zweite Denfihrift jandte Winterfeldt am 22. März ein. Sein Vor: 
ihlag ericheint jett in einem weſentlichen Punkt verändert. Der erite Ent: 
wurf wies mit Königgrätz und Pardubig auf der einen, Aufjig auf der anderen 
Seite den beiden preußiſchen Heeren auseinanderfallende Marſchrichtungen; dieſer 
Nachteil wird jest bejeitigt, indem Winterfeldt das jichlefiihe Heer auf das 
Magazin von Jungbunzlau marſchieren laſſen will, jo daß es einem aus ber 
Laujig fommenden Corps die Hand reichen kann. Sei Bunzlau glüdlih er: 
reiht, jo bleibe dem Marſchall Schwerin immer die Möglichkeit, links abzu- 
jhwenfen, bei Kolin über die Elbe zu gehen, die Magazine von Königgräg und 
Pardubig zu bedrohen und Kolowrat, den Befehlshaber des ehemals Piccolomini: 
ſchen Heeres vor eine jchwere Wahl zu ftelen: „Kolowrat muß alsdann raufen, 
welches wir wünſchen, oder aud gegen Mähren zurüdlaufen, welches ebenjogut, 
denn wir befommen doch jeine großen Magazine und können ihm bernad mit 
Kommodität nachfolgen.“ Losbrechen wollte Winterfeldt zum 20. April. 

Inzwiſchen hatte auh Schwerin in Neiße, nad) Empfang der föniglichen 
„Suppositions“, der Sache näher nachgedacht. Auch er empfahl jest bem 
Gebieter, am 24. März, nicht minder entichieden als Winterfeldt, die Initia— 
tive. Das Heer in fünf Teile zerjplittern, das gute Schlefien einem Häuflein 
von 15000 Mann zur Verteidigung überlaſſen, das heiße den Defterreidhern, 
deren ganzer Zweck bei diejem Kriege die Wiedereroberung Sclefiens fei, ihre 
Sade leiht machen. Bon den vier von dem Könige angenommenen Fällen mag 
eintreten wer immer will, dem Marjchall ericheint e8 unvereinbar mit dem Ruhm 
wie mit dem Intereſſe des Königs, fih nad den Abfichten der Gegner zu richten ; 
vielmehr wird es gelten, einen Plan zu entwerfen und auszuführen, der alle 
die ſchönen in Wien ausgehedten Entwürfe verrüdt. Schwerin fordert deshalb 
den König auf, mit beträchtlicher Streitmacht in Böhmen einzudringen, nicht nur 
in dem einen beitimmten, von Friedrich jelbit bezeichneten Fall, jondern unter 
allen Umständen und von vornherein. Er ift der Meinung, dab der König dann 
bei Auſſig abzuwarten haben wird, wie von der ſchleſiſchen Seite her die Dinge ſich 


Prag und Kolin. 73 


entwideln, dab er Eger nicht umgehen, jondern nur durch Entjendung bedrohen 
darf; für den ihm ſelbſt zuzumeilenden Teil der Unternehmung übernimmt 
Schwerin aus dem hypothetiihen Plan des Königs die Unterftügung durch das 
laufigiiche Corps und den Vormarſch auch diejes Corps auf Bunzlau. 

So begegneten jih Schwerin und Winterfeldt, noch ehe fie ihre Anfichten 
miteinander ausgetaujcht hatten — denn erit am 23. März erfchien zu dieſem 
Behuf des Marſchalls Adjutant Platen aus Neiße bei Winterfeldt in Lande: 
but — jowohl in dem Grundgedanken der allgemeinen Offenfive, wie in dem 
Ausblid auf Jungbunzlau und auf die dort zu bewirkende Vereinigung des 
ihlefiichen Heeres mit der laufigiihen Abteilung — Winterfeldt, noch ohne zu 
wiſſen, daß der Kriegsherr jelber mwenigitens bedingungsweije den allgemeinen 
Vorftoß dreier und das Zufammenwirfen zweier Heeresförper in Erwägung 308, 
Schwerin durch diefen von Friedrich hingeworfenen Gedanken in feiner alten 
Meinung beftärft. 

Der König erhielt Winterfeldts beide Gutachten zuerſt. „Das Projekt ift 
admirabel,“ antwortete er auf den eriten Bericht umgehend, belehrte aber den 
Ratgeber, dab gegen Königgräß, wie es ihm jeine Erfahrungen aus dem 
Chlumer Lager von 1745 fagten, nichts auszurichten, daß der Entwurf deshalb 
beijer und fiherer auf Bunzlau zu ftellen jei — ganz wie Winterfeldt es fich 
alsbald jelbit gejagt hatte. Friedrich fündete zugleich die Abjendung eines Stabs- 
offiziers nach Schleſien an, der alle erfinnlichen Einwände madhen, „lauter Diffi- 
fultäten” mitbringen werde. Winterfeldts zweite Denkſchrift bejeitigte einen Teil 
diefer Einwände vorweg. Daß nunmehr der König im Herzen ſchon gewonnen 
war, läßt deutlich ein Brief an Schwerin vom 26. März erjehen: Winterfeldt 
babe einen Plan voll guter Gedanken: „Ich made ihm indes alle Schwierigkeiten, 
als wenn ich ihm entgegen wäre, damit er genötigt wird, fie zu heben; alsdann 
werde ich einen endgültigen Entichluß fallen, ich mache mich aber jchon im voraus 
für die Maßregeln bereit, die für die Ausführung an meinem Teil erforderlich 
find.” Nun famen, nod am 26., aud Schwerins Vorjchläge. Auch jie wurden 
warm anerfannt, als bemwundernswert bezeichnet: „Sie haben die Dinge jehr gut 
ins Auge gefaßt, mein lieber Marihall; man fieht, daß Sie ein alter Routier 
find, der das Handwerf aus dem Grunde verfteht und den jungen Leuten gute 
Lehren geben fann.” Aber noch jei reifliche Ueberlegung vonnöten. 

Das vornehmite Bedenken bot die Jahreszeit. Will man den Krieg nad) 
Böhmen oder Mähren tragen, jo muß man warten, bis Grünfutter da ift, oder 
die Reiterei wird umfommen, jo lautete Friedrichs Theorie in ben „General 
prinzipien vom Kriege”, und jo hatte er an Winterfeldt noch im legten Herbit 
geichrieben: „Vor Juni können wir nicht bei ihnen fein.” Am 20. April fei 
eine Erpebition möglich, erflärte er jebt, aber noch nit die Campagne. 
„Wir fommen gewiß hinein, wir müſſen aber bevenfen, wie wir nachher jub- 
fiftieren.“ Er ſpricht von den Hungerjchranfen, die Browne zwiſchen jih und 
dem preußiichen Deere aufgerichtet hat, denn die Grenzitrihe Böhmens nad) 
Sadjen zu jeien völlig von Vorräten entleert. Und wie, wenn die Defterreicher 
weiter im Lande ihre Magazine, aus denen die ungebetenen preußifchen Gäſte 
mitipeijen wollen, lieber verbrennen, als jenen in die Hände fallen laffen? „Die 


74 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Politik und die Kriegsraifon wollen, daß ich ins Feld rüde, ehe die Feinde ihre 
Flöten geitimmt haben; aber phyfifhe Unmöglichfeiten verhindern mid, etwas 
Großes zu leiiten.” 

Troß allem fonnte er fih dem Reiz des friihen Wagniſſes, dem Appell 
an die Kühnheit nicht entziehen. Noch ehe der Freiherr von der Goltz zurüd 
war, den er aus jeinem Kantonnementsquartier Lockwitz nah Schleſien ſchickte, 
erklärte er jih überwunden und fchrieb den beiden Generalen am 2. April, dab 
er ihrem Plan im ganzen und großen beiftimme und daß es nur noch auf die 
Nebenumftände anfomme. Eine Nachricht aus Frankreich war ganz danach an— 
gethan, ihm die Entjcheidung zu erleichtern: das Gerücht von einem Umſchwung 
zu friedfertiger Stimmung. Friedrich meinte: „In Frankreich fommt es ins 
Hapern.” 

Am 3. April war Golg wieder zur Stelle und brachte ein Protofol, das am 
30. März zu Franfenftein von Schwerin, Winterfeldt und ihm jelbit aufgejegt 
worden war, dazu einen Sonderberiht Winterfeldts. Die Schriftitüde lauteten 
jo zuverfichtlih wie möglich; ja Winterfeldt, der einen Augenblid gefürchtet hatte, 
den ganzen Plan an dem Widerfpruch des Königs jcheitern zu ſehen, ſchickte jet 
jeiner Widerlegung der Einwände die felbftbewufte Verfiherung voraus, dab 
fein einziger Punkt ihm Schwierigkeiten bereitet habe. Schon früher hatte er 
auf das Hauptbedenfen des Königs unbeirrt entgegnet, daß man für neun Tage 
Fourage und für achtzehn Tage Brot mitzunehmen im ftande jei, wenn man nur 
alle ſchwere Bagage zurüdlaffe. Sollte der Feind, ſetzte er jebt hinzu, wirklich 
ein paar Magazine verbrennen, jo würde man doch einige jeiner Kornhäuſer 
unterwegs jedenfalls wegnehmen und fih damit und mit dem mitgebradten und 
nachgefahrenen Vorrat jo lange durchhelfen können, „bis wir ihm jelbiten auf 
der Haut ſitzen“. 

„Audaces fortuna iuyat!* riefen die Generale zum Schluß ihrer gemein: 
jamen Denkſchrift dem Herrn zu. Sie follten alsbald erfahren, daß er fih an 
Kühndheit von feinen Dienern nicht beihämen lafien wollte. Indem er ſich noch 
am Tage der Ankunft von Golg mit dem Einmarihd nah Böhmen — zum 
15, April erbot fih Schwerin ausjurüden — „ganz und gar” einveritanden er: 
flärte, gab er dem Plan doch eine Erweiterung und eine Zufpisung, die dem 
Ganzen einen höheren ftrategiihen Charakter verlieh. 

Ihr „großes Defiein“, von dem die Generale ftolz ſprachen, war für das 
eine Heer darauf hinausgelaufen, die Verfammlung des Feindes gründlich zu 
ftören und das große Magazin von Jungbunzlau fortzunebmen, für das andere, 
die Eingangspforten nah Böhmen aufzureißen; das zu erzielende Ergebnis war 
nur als Einleitung für jpätere und fpäter erſt feitzuftellende Unternehmungen 
gedacht, und noch immer behielt es das fchlefiihe Hauptquartier fih vor, von 
Bunzlau aus nad Kolin links abzuſchwenken, alfo fih von dem Heere des Königs 
wieder weit zu entfernen. Was diefer dagegen jegt beichloß und befahl, war 
die Zulammenziehung aller Streitkräfte an den beiden Ufern der Elbe, nad 
einem Brüdenihlag bei Leitmerig oder Xobofig, der zielbewußte Anlauf zu 
einer großen Entiheidung. Schwerins Vorftoß bis zur Elbe nah Melnif oder 
Leitmerig, und auf der anderen Seite die Umgehung der öfterreihiihen Haupt: 


Prag und Kolın. 75 


macht an der Eger, das betrachtet Friedrich als den „Prinzipalpunft”, den 
„Decifivcoup”, die „Force unjeres Planes“. Hinter der Eger gedenft er den 
„tödlichen Streih” gegen Browne zu führen; will fi der umgangene Feind 
dort, auf nicht zubereitetem Boden, zur Schlaht nicht ftellen, die er ja feiner 
ganzen Kriegsführung nach vermeidet,') jo muß er abziehen, verliert Magazin 
über Magazin, kann erſt bei Prag wieder Halt machen und wird fich bei Prag 
doch endlich jchlagen müſſen, wenn er nicht alle feine Vorräte verlieren und ſich 
ohne Wideritand aus fait ganz Böhmen verjagt ſehen will. 

So umgeformt, zielt der Feldzugsplan auf eine Unternehmung ab, die, jo 
fagt Friedvrih, wenn fie in allem gelingt, eine große That ift, und wenn fie 
aud nur teilweife einjchlägt, noch etwas Beträchtliches bleibt. Ein coup d’eclat 
joll es werben von größter politifcher und militärifher Wirkung. Ein großer 
Schlag, „der die Freunde ermutigt, die Feinde verblüfft, die Furchtſamen be: 
rubigt und die Trägen zum Entſchluß bringt”. 

„sh bin verfichert und beinahe phyſiſch und moralifch überzeugt, daß Dinge 
geihehen werden, an die fein Menjch denkt,” jo deutete Friedrich geheimnisvol 
der Schweiter in Baireuth den eben gefaßten Entihluß an. Ganz erfüllt von 
großen lodenden Bildern braufte er heftig auf, als Schwerin auf den erweiterten 
Plan nicht gleich voll einging. Der Marſchall wünjchte für feine Bewegungen 
eine gewiſſe Selbjtändigfeit zu behalten, bis zu dem Grade, daß er bindende 
Vorſchriften für das Ziel feines Vormarſches nicht annehmen, fondern es in fein 
eigenes Ermeſſen geitellt wiſſen wollte, ob er ſich nad der Vereinigung mit 
Bevern vorwärts nad) Zeitmeri oder zur Seite nad) Königgräß zu wenden habe; 
er bielt es wegen der dortigen Flanfenftellung des Gegners für bedenklich, ſich 
allzuweit von der jchlefiihen Grenze zu entfernen. Friedrich antwortete ihm be: 
jftimmt und ftreng (14. April): „Mögen Sie den Feind fchlagen oder nicht, ich 
befehle Ihnen, nachdem Sie ihn verfolgt, an die Elbe, nad Leitmeritz oder 
Melnik, zu gehen: das ijt der entſcheidende Zug, darin liegt die Stärke unjeres 
Plans, und Sie werden mir dafür verantwortlich fein, wenn Sie meine Befehle 
nidt genau nah dem Buchſtaben ausführen. Wenn Sie das nicht bewirken, 
wenn Sie nit an die Elbe gehen, ift Ihre ganze Unternehmung eine verlorene 
Mühe... Ich kümmere mid) wenig um einen Einfall, den das Königgräßer 
Heer nah Schleſien machen fönnte; ift Browne erſt geichlagen, jo wird es ſehr 
Ihnell zurückflüchten. An Ihrer Unternehmung alfo hängt das Wohl des 
Staates.” 

Thatſächlich hätte das Ichlefiihe Hauptquartier eigenmädtige Schritte doch 
nie gewagt, und Winterfeldt, dem der Feldmarſchall bei jeiner Ankunft in Lande: 
but den eben erhaltenen geharnifchten Befehl zeigte und den der König gleichfalls 
„mit jeinem Kopfe“ verantwortlih machte, fonnte dem hitzigen Gebieter ge: 
lajjen antworten, daß es nad Ausweis jeiner legten Berichte der Einjchärfung 
nicht bedurft hätte: „Haben Ew. Majeftät aljo nur die Gnade, unjererjeits ganz 
ruhig zu fein und verlihern Sich allergnädigt, daß nichts joll verabjäumt 
werden.” 


) Bel. oben ©. 16. 


76 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Friedrich war jchnell beruhigt, und vielleicht hätte er den ſchroffen Ton 
gegen den alten Feldmarſchall gar nicht angeichlagen, wenn ihn nicht kurz vorher 
noch ein anderes verdroffen und ernftlich beunruhigt hätte: ein Auffchub von drei 
Tagen, den Schwerin für feinen bei der Frankenſteiner Beratung auf den 15. April 
angejegten Ausmarſch gebrauchte. Friedrich fürchtete für das Geheimnis. Er 
hatte alles in allem jchließlich elf Perſonen einweihen müſſen, und redeten nicht 
die Vorbereitungen an fich jelber eine verräteriiche Sprade? Und dod galt es 
eine Ueberrumpelung, womöglich die Aufhebung der feindlichen Quartiere. Jeder 
verlorene Augenblid, jagte Friedrich, verfege ihn „in periculo mortis*. Er be— 
ſchwor Schwerin, fih nicht mit Nebenjadhen wie der Sorge um die in Schlefien 
zurüdbleibenden ſächſiſchen Bataillone aufzuhalten. „Mögen gleih 2000 Sachſen 
dejertieren, was liegt daran, wenn der große Streich gelingt, von dem das Heil 
des Staates, das Geihid des Heeres und die Reputation von uns allen ab: 
hängt . . . Ich wollte lieber alle ſächſiſchen Regimenter faffieren, als ven Marſch 
eine Stunde aufhalten.” Ebenjo befahl er dem Marihall, um Gottes willen 
während des Marjches an die Eintreibung von Kontributionen auch nicht einmal 
zu denken, denn erjt müſſe man juchen, „den Feind zu fchlagen“. 

Was Friedrich befürchtete, war bereits geſchehen: faft in dem Augenblide, 
da er fih endgültig für den aroßen fonzentriichen Angriff entidied, war von 
Dresden aus jein Vorhaben verraten, mit allen Einzelheiten über die ver: 
fchiedenen Marjchfolonnen an Kaunig nah Wien und an Browne nah Prag 
gemeldet worden; nur daß der Gewährsmann den Xosbrud bereits für den 
6. April anfündigte. Indem nun diefer Tag rubig vorüberging, wurde Browne, 
minder vorjorglih als Kaunitz, nur in feiner vorgefaßten Meinung beftärft, daß 
die ganze Nachricht ein von den Preußen ausgeiprengtes, auf Irreführung be- 
rechnetes Gerücht fei und daß der König von Preußen vielmehr mit feiner 
Hauptmacht bei Dresden den Angriff abwarten werde, der in den öfterreidhiichen 
Feldzugsplan!) aufgenommen war. Noch lag die eigene Heeresmacht zeritreut: 
das Hauptcorps zwijchen der Eger und Prag, ein zweites unter Serbelloni bei 
Königgräß, zwei weitere unter Königsegg bei Gabel, Reichenberg und Nimes und 
unter Aremberg im Pilſener Kreiſe. Aber Browne hielt diefe Aufftelung für 
jo trefflih, daß jedes Vorgehen gegen fie nur zu der Preußen Verderben aus: 
ihlagen fünne und deshalb geradezu zu wünschen jei. Es fümmerte ihn aud 
wenig, als bald darauf neue Nachrichten ihn vor dem 15. April, dem thatjächlich 
anfangs in Ausfiht genommenen Tage, warnten, und er fand es in jeiner Ver: 
blendung noch am 20. unglaublih, wie der König jeine Truppen durch zwed: 
(oje Märihe und Gegenmärihe abmatte. Und jo kam das Unheil gleichzeitig 
von allen Seiten und überall glei) unerwartet über ihn. 


— — —— 


Am 18. April drangen die ſchleſiſchen Marſchkolonnen über Trautenau, 
Eipel und Starkſtadt in Böhmen ein, zwei Tage darauf rüdte der Herzog von 
Bevern aus der Lauſitz gegen Reichenberg vor, wieder nach zwei Tagen der König 


) Pal. oben ©. 42. 


Prag und Kolin. 77 


von der Elbe nach Nollendorf, und am 21. Fürſt Moritz über das Erzgebirge nach 
Komotau. Nun ſei der Wein wirklich eingeſchenkt und müſſe getrunken werden, 
frohlockte Friedrich. „Alles geht wundervoll, mein lieber Marſchall,“ ſchrieb er, 
im Begriff aufzubrechen, an Schwerin, „unſer Geheimnis iſt gut gewahrt und ber 
Feind überrafcht; alles übrige wird ſich ficherlich ergeben, wie wir als Kriegs: 
leute es vorausgejehen haben.” 

Schwerin hatte ſich vorgejegt, mit dem Feinde zu ſchlagen, wo er ihn 
finde; denn mit 30000 Preußen fürdte er 50000 Defterreicher nicht. Aber 
feine Gegner vom vorigen Herbit wichen dem unerwarteten Vorftoß überall aus; 
Serbelloni fette fihb mit allen Truppen, die er an ich ziehen fonnte, annähernd 
24000 Mann, hinter die bei Königgräk auf dem linken Elbufer aufgeworfenen 
Linien und blieb dort unbemweglihd. Leicht und glatt konnten fich die getrennt 
einmarjchierten Abteilungen des jchlefiichen Heeres am vierten Tage, dem 22. April, 
bei Königinhof vereinigen. 

Der Vormarſch Schmwerins jollte, jo hatte man gedacht, den Grafen 
Königsegg und feine 26000 Mann beftimmen, den Sperrpunft bei Reichenberg 
beim Erjcheinen des Bevernihen Heerhaufens zu räumen. Aber Königsegg er: 
fuhr nichts von dem Feind, der feine Rüdzugslinie bedrohte, er jah nur den 
Feind vor feiner Front und ſchickte fih an, dem Prinzen von Bevern durch Ent: 
fendungen den Rüdzug zu verlegen und den Troß abzunehmen. So bielt fi 
der Prinz wohl oder übel an den Nat, den ihm Schwerin erteilt: finde fih auf 
dem March Gelegenheit, mit ziemlicher Egalit@ ein feindliches Corps zu Ichlagen, 
jo heiße e& nur friſch daran und ihm mit Ernft auf die Haut gegangen; das 
made halbe Arbeit für die jpätere Hauptentſcheidung. Mit nit ganz 16000 
Mann griff der Prinz am 21. April vor NReichenberg den um etwa 1000 Streiter 
ftärferen ‚yeind auf der fteil über der Neiße liegenden verichanzten Fläche zwiichen 
der Stadt und dem Jäſchkenberge an. Mit tadellofer Genauigkeit ließ er die 
auf dem Paradefeld jo oft aeübten neuen Manöver ausführen; der vorteilhaft 
aufgeitellte Feind wehrte fi) mehrere Stunden hartnädig, aber als die Grena- 
diere von Kahlden den jeine linke Flanke dedenden Verhau wegnahmen, war die 
Stellung nit mehr zu halten. 

Am jenfeitigen Abhang des Gebirges, bei Liebenau, bezog Königsegg ein 
feftes Lager; nad Wiedervereinigung mit feinen Detadhements, durch Schwa— 
dronen vom Heere Brownes veritärft, meinte er bier mit 27000 Mann dem 
Sieger von Reichenberg das weitere Vorbringen wehren zu können. Da erhielt 
er am 25. Die niederjchmetternde Kunde, daß in feiner rechten Flanke Turnau 
von dem Bortrab Schwerins beſetzt jei. Eiliger Nüdzug die Iſer abwärts war 
jegt die einzige Rettung, und der Verluſt des Neichenberger Poftens ward dem 
geihlagenen Heere nachträglich noch zum Heil; denn hätte Königsegg ihn länger 
beibehalten, er wäre bei der gänzlichen Vernadläffigung des Erfundungsdienites 
unvermeiblih von ben beiden preußiichen Feldherren umiftellt worden. So aber 
konnten fie ihre Vereinigung erft nach feinem Abzuge vollziehen, bei Münchengrätz, 
am 27. Das reihe Magazin zu Jungbunzlau war allemal den Defterreichern ver: 
loren; der greiſe Marſchall in Perfon feste ſich an die Spige zweier Dragoner: 
regimenter und gewann den Gegnern den Vorfprung ab. Königsegg ging bei 


78 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Brandeis über die Elbe zurüd; am 1. Mai lagerten die feindlichen Heere, das 
ausgemwichene und das nadhdrängende, einander gegenüber, nur dur den Fluß 
getrennt. 

Die preußiihen Generale waren alle die Tage in großer Sorge gemejen: 
feit dem 21. April hatten fie feinerlei Nahriht aus dem Hauptquartier des 
Königs. Erit am Abend des 30. bradte dem Feldmarſchall ein Hujarenoffizier 
die jede Erwartung übertreffende Botichaft: daß der König die Eger über: 
Ichritten habe und jenjeits der Moldau faft auf gleicher Höhe mit den Truppen 
Schwerins jtehe. 

Dort auf dem weitböhmiihen Schauplag war die Ueberraſchung und Rat: 
loſigkeit der öfterreichiihen Heerführer vielleicht noch größer geweien, als an der 
Ichlefiichen und laujigichen Grenze. Browne hatte bei dem Erſcheinen der Preußen 
feine zurüdprallenden Vortruppen und alle längs der Eger fantonnierenden 
Regimenter in dem bewährten Lager bei Budin gefammelt; die Preußen jollten, 
jo nahm er fich vor, hier nicht jo leichtes Spiel finden als bei Reichenberg, und, 
wenn es no anging, jollten die Kolonnen des Königs und des Fürften Moritz 
an der Bereinigung verhindert werben. Aber nicht nur, daß beide Heerförper 
ihon am 23. April Fühlung gewannen, es gelang den Preußen auch am 27. früh, 
ungeitört über die Eger zu gehen und fich juft im entjcheidenden Augenblick 
zwiichen das Lager von Budin und den in Gemwaltmärihen von Tepl herbei: 
geeilten Herzog von Aremberg zu ſchieben. Aremberg wich nun in zehnftündigem 
Marih über Schlan nah Prag aus, und Browne mußte auf das Drängen feiner 
Generale, die umgangen und abgejchnitten zu werben fürdteten, gleichfalls in 
der Richtung auf Prag zurüdgehen. Tief befümmert 309 er am 28. zu Tursfo 
die völlig ermatteten Truppen Arembergs an fich. 

Zwei Tage darauf traf zu Tuchomierſchitz Prinz Karl von Lothringen bei 
dem Heere ein, deilen Oberbefehl er nah dem Willen der Kaijerin übernehmen 
jollte und das nad dem haſtigen Rückzug entmutigt war wie nach einer ver: 
lorenen Schladt. Bor der Front empfing ihn Bromwne, in der traurigiten Ge— 
mütsverfaffung: er ſei ſehr unglüdlih, er möchte tot fein; dabei brach der alte 
Mann in Thränen aus. Im näditen Augenblid rief er, der Feind rüde an, 
man müſſe jchlechterdings über ihn herfallen. In dem Kriegsrat, den Prinz 
Karl dann verfanmelte, forderte Bromne das Gleiche; die anderen überftimmten 
ihn, wie verftört jagte er, man folle ihm 4000 Mann geben, mit denen wolle 
er angreifen und fterben. Der Kriegsrat beſchloß den weiteren Rüdzug auf 
Prag, um nicht von der Verbindung mit den rüdwärts gelegenen Magazinen 
und ben beiden fleineren Heeren abgejchnitten zu werden. Königsegg erhielt den 
Befehl, gegen Schwerin bei Brandeis die Elbe zu behaupten, Serbelleni ward, 
wie bereits vorher, angewiejen, diefem Gegner, den man noch öftlich der Iſer 
vermutete, in die Flanke zu marjchieren. Beide Befehle wurden bald zurüd: 
gezogen. Am 1. und 2. Mai ging das Hauptheer über die Moldau; bereits 
batte die Lage ſich weiter entwidelt. Schwerin hatte die Iſer überjchritten, die 
Elbe erreicht, Serbelloni hatte ihn nicht mehr eingeholt, Königsegg fürdtete, von 
der Uebermadt erbrüdt zu werden. Wieder trat, in der frühe des 2., der 
Kriegsrat zufammen, man beichloß beide Corps auf das Hauptheer zurüd: 


Prag und Kolin. 79 


zunehmen. Wieder erhob Browne Einſpruch, er wollte die Elblinie behaupten. 
Er jegte nur jo viel dur, das Prinz Karl jeine nachdrücklich vertretene Abficht, 
Serbelloni entgegenzugehen, aufgab und bei Prag verblieb, mit dem linfen 
Flügel an den Wiſcherad angelehnt, die Sazawa im Rüden. Noch am 2. traf 
von der Elbe Königsegg ein, und Karl hatte jest 61000 Streiter bei einander, 
dazu die 13000 Mann der Beſatzung von Prag. 

Die Preußen wollten am 1. Mai auf dem Vormarſch nah Tuchomierſchitz 
ihren Augen nicht trauen, als fie die jchwierigiten Engen unbejest fanden; Mar: 
ſchall Keith fagte zu feinen Begleitern, Bromnes Verhalten beginne ihm unver: 
ftändlih zu werden. Doc hoffte der König, der mit jämtlichen Grenadier— 
bataillonen dem Heere um einen Marſch vorauseilte, den Feind noch am linken 
Ufer zur Schlacht ftellen zu können. Am 3. dachte er ihn anzugreifen; auf die 
Nachricht, daß Schwerin die Elbe erreicht, hatte er den Marihall am 29. April 
erfuht, ihm womöglich 25 Schwadronen und jechs bis fieben Bataillone über 
Melnik zuzufenden, feinerjeits aber dem Heere Brownes, falls es jemjeits der 
Moldau über Kundratig nad der Sazawa zurüdgehen follte, den Rüdzug abzu: 
fchneiden. Am Ausweihen über die Beraun, woran der Feind nad) gewiſſen An: 
zeihen zu denken ſchien, glaubte Friedrich ihn verhindern zu fönnen; wich er über 
Prag aus, jo war wenigitens jeiner Nahhut eine unfanfte Begrüßung zugedadt. 
Aber jelbit dazu war es zu jpät, als Friedrich am 2. mit den drei vorderiten 
Bataillone den Weißen Berg erreichte, die hiſtoriſche Wahlftatt, die er fih für 
feine Pharſalusſchlacht gewünſcht hatte; ehe das Heer nachkam, hatten auch die 
legten Deiterreiher das linke Ufer geräumt. Jetzt mußte er Pharfalus drüben 
fuchen, zwifhen Moldau und Elbe. Und dort fonnte die Schlacht, wenn der 
Gegner fie annahm, noch entjcheidender werden; denn jtatt dem einen Heere 
konnte man fie gleich zweien anbieten. Friedrich jchrieb an Schwerin, er folle 
alles, was er vom Feind vor ſich habe, nach Prag auf Browne hin jagen; er 
felbft werde mit 25 Bataillonen und 35 Schwadronen über die Moldau kommen, 
und durch den gemeinjamen Angriff auf die vereinigten Kräfte des Haufes Defter: 
reich könne man ſich ſchmeicheln, fie auf einmal niederzuichmettern: „Alsdann, mein 
teurer Freund, werden wir auf Sammet gebettet jein, und Sie werden links— 
wärts gehen und ich rechtswärts, Sie veritehen mich.” 

Alfo nicht mit jeinem ganzen Heere meldete fih der König bei Schwerin 
an. Er war feineswegs von der Niterweisheit einiger jeiner Epigonen bejefjen, 
daß die Stärke einem General oft zur Laft jein könne. Er bezeichnet e& in den 
„Generalprinzipien vom Krieg” als alte Regel, die er lediglich zu wiederholen 
habe: Wenn ihr eine Schladt liefern wollt, jo rafft jo viel Truppen zuſammen, 
als ihr könnt; man würde fie nie nüßlicher verwenden fünnen. Er jeßt hinzu: 
„Detadhiert nie, wenn ihr offenfiv vorgebt;” er ſchließt: „Diejenigen Detadhe: 
ments find die gefährlichiten und verbammenswerteiten, welche das Heer um ein 
Drittel oder die Hälfte ſchwächen.“ Hier bei Prag hat er in der That ein 
Drittel der Gejamtitreitmaht unter Keith auf dem linken Flußufer zurüdgelafien, 
ohne in jeiner Geſchichtsdarſtellung, jeinen Schlachtberichten, jeinen Briefen irgend 
einen Grund dafür anzugeben. Er läßt theoretiih in jeinen Lehrichriiten als 
triftigen Grund für Entiendungen gelten die Sicherung der Zufuhren und Ver: 


80 Sechſtes Bud. Zweiter Abichnitt. 


bindungen; er erwähnt dort ferner, daß manche Generale vor dem Angriff 
detachieren, um den Feind während des Kampfes im Rücken zu faſſen, was 
indes gefährlich und dem Zufall unterworfen ſei, da das detachierte Corps ſich 
verirren, zu früh oder zu jpät ankommen fönne. Cr bat in einem jpäteren Fall, 
wo er wieder jeinem Gegner über einen Fluß zur Schlaht entgeaenging, wieder 
ein Detahement auf dem anderen fer zurüdgelafien, teils um — Friedrichs 
eigener Angabe nah — dem geichlagenen Feind den Rüdzug über das Wailer 
zu verlegen, teild um die Verbindungen des übergejegten Heeres zu deden. 
Eine ähnliche Doppelaufgabe bat offenbar Keith bei Prag gehabt. Bon 
zwei Berichterftattern, die mit dabei waren, betrachtet der eine — Weftphalen, 
der Begleiter des Prinzen jerdinand von Braunihmeig — es als etwas Selbit: 
verftändliches, dab ein Heeresteil „der Kommunifation wegen” drüben bleiben 
mußte, während der andere, der Herzog von Bevern, Keiths Aufgabe darin fiebt, 
„Prag von der fleinen Seite eingeihlofien zu halten”. Des Königs Hauptiorge 
in diefen Tagen war, daß der Feind ihm auswidh: wie durfte er ihm das linke 
Moldau:Ufer und die große Heeritraße nad Königsfaal wieder freigeben? Blieb 
eine Abteilung des Heeres auf diejem Ufer zurüd, jo erfüllte fie dort die Sperr: 
aufgabe, die der König, wie erwähnt, am 29. April dem Marihall Schwerin, 
der damaligen Scenerie entipredhend, für das rechte Ufer zugemwieien hatte. Dann 
ftand dem Feind nur noch die eine Rüdzugslinie nad Tabor offen, wo ihn, wenn 
er ohne Kampf abzog, das nahdrängende Hauptheer empfindlich beläftigen fonnte, 
und wo man nad einer Schladht die Fliehenden vielleiht aufrieb, wenn vom 
jenfeitigen Ufer übergejegte Truppen ſich im rechten Augenblide ihm in den Weg 
legten: in der That haben zwei Generale vom Keithſchen Corps, Kyau und 
Fürſt Morig von Deſſau, am Schlachttag einen dabin zielenden Auftrag erhalten. 
Mit mindeitens 30000 Mann und in der beherrihenden Stellung auf dem 
Weißen Berge blieb Keith unter allen Umftänden auch für fich allein dem öfter: 
reichiſchen Heere gewachſen; nicht diefe 30000, fondern die etwa 20000, die er 
jelber mitnahm, bezeichnete der König als „Detadhement”. Nachdem das ſchleſiſche 
Heer am 4. Mai bei Brandeis über die Elbe gegangen war, ließ-er am 5. bei 
Seltz, eine Stunde unterhalb Prag, eine Brüde über die Moldau jchlagen und 
führte vor Abend jeinen Uebergang aus. Er fand Schwerin noch nicht zur 
Stelle, braudte aber bei der Beichaffenheit des Geländes nicht zu befürdten, in 
feiner augenblidlihen Vereinzelung von dem Feinde angefallen zu werben. 
Unter den Augen der öfterreihiichen Vorpoften auf den Höhen von Proſſik 
vereinigten ih in der frühe des 6. Mai, zwiichen 6 und 7 Uhr, die beiden 
preußilchen Heere an der Straße von Brandeis nah Prag. Sobald der König 
Schwerin und Winterfeldt „nur den erften guten Morgen gejagt“, ritt er mit 
den beiden Generalen und einigen Adjutanten auf die inzwiihen, nad kurzem 
Kugelwedhjel, von den Panduren geräumten Höhen. „Der König,” erzählt uns 
Winterfeldt, „war gleich determiniert, den Feind anzugreifen, wie auch der Feld: 
marſchall Schwerin nebit meiner Wenigfeit, nur fam es darauf an, erit ein Loc 
auszufinden, um demjelben anzufommen.“ 
Das Heer, das fie ſich gegenüber fahen, lehnte jeine Linfe an den 
Zisfaberg und nahm mit diefem Flügel in zwei Treffen und einem Nefervecorps 


Prag und Kolin. 81 


die parallel laufenden Höhen ein, die ſich vom Ziskaberg nach Nordoſt ziehen; 
die Front deckte das tiefeingeſchnittene, an der Sohle ſumpfige Thal des kleinen 
Baches, der beim Dorfe Lieben in die hier weit nach Oſten ausholende Moldau 
fällt. Zwiſchen den Teichen von Hlauputin und Kej nötigt ein ſchmaler Berg: 
arat das Wäſſerlein zu einer langen jchleifenartigen Krümmung; dieje Höhe, im 
Verein mit der tiefen Schluht am Weſtabhang des Taborberges, trennte zwar 
den linken Flügel vom rechten, bildete aber, mit einer Batterie gekrönt, für beide 
eine jtarfe vorfpringende Bruftwehr. Jenſeits ftand die Nechte, hafenförmig 
nah Oſten ausgebogen, auf den mäßig anfteigenden Abdachungen des Tabor: 
berges und erhielt im Vordergrunde ihre Dedung durch das Gewirr von Teichen, 
Sümpfen, Wiefen, Gräben, das oberhalb von Kej damals die Niederung des 
Bades ausfülte. 

Der Herzog von Lothringen hatte im Augenblide feines NAufbruches zum 
Heer aus den Händen feines Bruders, des Kaijers Franz, ein ftrategiiches Bade: 
mecum erhalten, eine Denkjchrift, die einige Wahrnehmungen aus den früheren 
Feldzügen zu Lehren und Warnungen zufammenfaßte. Das bevorzugte Manöver 
des Königs von Preußen, bemerkte der Kaifer jehr richtig, beitehe darin, daß er 
mit einem unverhältnismäßig verftärften Flügel den Gegner zu erdrüden ſuche, 
mit dem anderen fih auf Abwehr bejchränfe. Da man jegt diefen Kunftgriff 
fenne, werde es möglich fein, die Lift dem Liftigen zum Verderben ausjchlagen 
zu laffen, wenn man nur, nod ehe er jeinen Angriff ausführen könne, recht: 
zeitig und raſch den ſchwächeren Flügel anfaſſe und überwältige. Ein theoretiich 
treffliher Rat, der nur fchnelleren Entichluß und friiheren Mut bei den öfter: 
reihiichen Feldherren vorausjegte, als thatlächlih vorhanden war; fie haben 
bei Prag wie jpäter fih glüdlih geihägt, wenn fie, ftatt vorzugehen, den 
bedrohten Flügel des eigenen Heeres noch im lebten Augenblid zu verftärfen 
vermochten. 

Ohne Frage war es für den König von Preußen auch heute von vorn: 
herein ausgemacht, fih nur mit einem Flügel einzulaflen; dann war das Nädhit: 
liegende, mit der durch die längere Nachtruhe erfriichten Abteilung des Königs 
die öfterreichifche Linfe, die man ummittelbar vor ſich hatte, anzugreifen. Aber 
die Befichtigung des Geländes ergab, daß die Stellung des Gegners nur auf 
der Redten eine Blöße bot; das jchlefiihe Heer erhielt Befehl, treffenweife in 
der Richtung auf Unter: Potichernig linfs abzumarjchieren, um von dort aus 
die Umgebung zu verfuhen; der rechte Flügel marfchierte im Angeficht der 
vorgejhobenen Batterie von Hlauputin und der Teiche von Kej auf. 

Browne erfannte den Zwed des preußiihen Marjches und entichloß fich, 
den bedrohten rechten Flügel ſo weit auszureden, daß er, die Front nah Often, 
den ganzen Raum zwiſchen den Teihen von Kej und Unter-Mucholup ausfüllte; 
die Neiterei kam ſüdlich, das Fußvolf auf der Hügelfette nörbli der niedrigen 
Kuppe des Homoly zu ftehen, auf der ſchnell Pofitionsgeihüg aufgefahren wurde. 
Der am Zisfaberg verbleibende linke Flügel mußte dem rechten, um bie ver: 
längerte Linie auszufüllen, feine Kerntruppen, die Grenabiercompagnien, und 
einige Neiterregimenter abtreten; in andere Lüden rüdten Bataillone und 
Schwadronen aus der Nejerve ein. Etwa um zehn Uhr hatte ſich der jo 

Koier, König Friedrich der Große. IT. 2. Aufl 6 


82 Sechſtes Bud. Zweiter Abfchnitt. 


zufammengejegte rechte Flügel auf feinem neuen Standort in aller Eile zurecht: 
gefunden, und alsbald trafen ihn die eriten Stöße. 

Die Neiterei des preußischen Angriffsflügels, vierzig Schwadronen, führte 
heute, zum eriten: und zum lettenmal ſolches Auftrags gewürdigt, der Erbprin; 
von Schönaich-Carolath. Sie hatte glüdlih, ohne vom Feind geftört zu werden, 
den Damm bei Sterbohol überihritten, fonnte aber wegen des Teidhes von 
Unter: Mucolup zu ihrer Linken nur in jchmaler Front anreiten. Scönaid 
wurde bedenklich. Dreimal jandte ihm Schwerin den Berehl zum Angriff und 
ritt endlich Telbit zu der Neiterei, um fie „in Trab zu bringen“. Das erite 
Treffen der Defterreiher wurde geworfen, das zweite hielt ftand, und Hadiks 
Hujaren gewannen den Angreifern die Flanke ab. Einem zweiten Anlauf war 
das Glück gegen die Meberzahl ebenfowenig hold. Erit das Cingreifen der 
Nejerve unter Bieten entriß dem Gegner jeine Vorteile; die geichlagenen Regi: 
menter flatterten auseinander, an ein Anhalten war nicht mehr zu denken. 

Bis e8 dahin fam, mochten ganze Stunden verftrihen fein. Wie die 
Reiterei hatte der alte Feldmarichall in jugendlicher Kampfesungeduld aud das 
Fußvolk an den Feind getrieben, jobald nur einige Bataillone ſich gerichtet hatten 
und obgleid das zweite Treffen noch weit zurüd war; denn beim Anrüden durch 
den fumpfigen Wiejengrund, über Dämme und Stege oder bis unter die Arme 
im Wajler, verloren die Leute „Rang und Glied und, was das Schlimmſte war, 
viel Zeit”. Mehr als ein Bataillonsgeihüg blieb im Schlamme iteden. Des 
Königs Bedenken gegen die Eile des Angriffs beihmwichtigte der Marichall mit 
dem zuverſichtlichen Worte: „Friſche Eier, gute Eier”. Nicht minder eilig als 
Schwerin hatte es Winterfeldt, der die vorausgehende Grenadierbrigade führte ; 
es war ihm gelungen, das Vorwerk Sterbohol zu erreihen, an dem die öfter: 
reihiiche Infanterie jeiner Meinung nad die Stüße für ihre rechte Flanke juchen 
mußte, und er glaubte jegt, durch raſchen Vorſtoß den Feind in einem Augen: 
blid umfaſſen und ummerfen zu können. Mit ftarfen Schritten, obne ihre 
Kanonen abzumarten, ohne zu jchießen, rüdten die Grenadiere vor, zu ihrer 
Rechten die Regimenter Schwerin und Fouque, vor dem Schwerinſchen Regimente 
Winterfeldt zu Pferde. Unter dem Kartätichenfeuer des Feindes näherte man 
ih ihm auf 200 Schritt; ſchon gewahrte Winterfeldt, daß deſſen Flügel Kebrt 
machte, als er, durch einen Schuß am Halfe verwundet, bewußtlos aus dem 
Sattel janf. Und nun zeigte fih, daß der moraliihen Standhaftigfeit der 
Truppe mit dem Verbot des Feuerns zu viel zugemutet war: die eben noch mit 
langen Schritten Vorftürmenden hielten inne, ſchlugen an, wichen zurüd. Als 
Oberft Wobersnow, des Königs Generaladjutant, angeritten fam, ſah er nad 
rechts und links, jomeit jein Auge reichte, die ganze Linie in großer Unordnung; 
die meilten hatten den Rüden gewandt. Doch entaing ihm nicht, daß der Feind 
fih in ähnlich Schlechter Verfaffung befinde. Als dann dem am Boden liegenden 
Winterfeldt die Sinne wiederfehrten, erblidte er die öſterreichiſchen Grenadiere 
noch unichlüffig, regungslos; e& gelang ihm, mit Aufbietung feiner legten Kraft 
unbebelligt den zurüdgemwichenen „Eonfufen Klumpen” der Seinen wiederzu: 
erreichen, zum Aushalten aber fonnte er durch Bitten und Drohungen niemand 
mehr bewegen. In diefem Augenblid fam Schwerin angeiprengt. Er führte 


Prag und Kolin. 83 


tein Regiment jeit 34 Jahren; er hatte das junge Regiment, das König Fried: 
rih Wilhelm ihm anvertraut, in Frankfurt erzogen und gejchult und zu einer 
Muftertruppe ausgebildet, unter feinen Augen hatte das Regiment bei Mollwig 
die Feuertaufe erhalten, es hatte bei Chotufig und Hohenfriedberg fih neuen 
Ruhm erftritten, er liebte es „mit wahrhafter Zärtlichkeit”, und jetzt fab er es 
fliehen. Ein Stabsfapitän hatte eine Fahne ergriffen, um die Weichenden zum 
Stehen zu bringen; der Feldmarſchall nahm fie ihm aus dem Arm, bieh die 
Mannjchaft mit fräftigem Zuruf ihm folgen und trug ihr das Feldzeichen voran. 
Einen Augenblid jpäter lag er in feinem Blute, von fünf Kartätichenfugeln zum 
Tode getroffen, von der Fahne bededt. Es war ihm zu teil geworden, was er 
ih oft gewünſcht, in einer für die preußifhen Waffen fiegreihen Schlacht von 
einer Kanonenkugel bingeriifen zu werden; noch jüngit hatte er die Gefallenen 
von Lobofig um ihren Solvatentod beneidet und in ihrem glorreihen Ende einen 
Aniporn zur Nacdeiferung ſehen wollen. 

Dod hat das Beijpiel ohnegleihhen, der Heldentod des greifen Feldherrn, 
die Schlacht noch nicht alsbald gewandt. Die Negimenter Fouqué und Kurſſel 
wurden fait aufgerieben, das Regiment Fouque verlor jeine Fahnen, fein Kom: 
mandeur, Oberit von der Golt, ward viermal verwundet und durch die fünite 
Kugel getötet, Fouqué jelbit und General Hautharmoy und zahlreihe tabs: 
offiziere wurden verwundet. Drüben ward dem Marſchall Browne, als er bie 
Seinen zum Berfolgen anfeuerte, das Bein zerichmettert. Seine Mahnung war 
nicht umſonſt geweſen, die diterreihiichen Grenadiere rüdten jegt entſchloſſen 
vor und gewannen jegt ihrerjeits Sterbohol, bis die inzwiſchen aufgefabrenen 
preußiichen Batterien ihnen Halt geboten. Unterftügung aus dem zweiten Treffen 
blieb den Tapferen aus. 

Dagegen vollendeten bei den Preußen die Bataillone des Hintertreffens 
endlih ihren Aufmarſch; fie konnten das erite aufnehmen und, wo es jein mußte, 
ablöfen. Auch fie ſahen ihre Standhaftigkeit noch auf eine harte Probe geftelt: 
die noch nie im Feuer gewejenen Fültliere von Jung-Braunſchweig entwidelten 
fih nad dem Anmaric über einen langen, jchmalen Damm im jchnellften Yauf: 
ichritt eben erft zur Linie, als der Feind ſchon auf fie anftürmte,; noch atemlos 
begannen fie unter jeinem Gewehr: und Kartätichenfeuer zurückzugehen, aber der 
beherzte Zuſpruch ihres Prinzen Franz ftellte Ordnung und Angriff wieder ber. 
Vom rechten Flügel führte der ältere Bruder, Prinz Ferdinand von Braun: 
ihmweig, auf des Königs Geheiß die Negimenter Stannader und Markgraf Karl 
herbei; fie famen juft zur rechten Zeit, um bei einem entjcheidenden Vorgang 
nachzuhelfen. 

Die öſterreichiſche Infanterie hatte ſich bei dem Vordringen der Grenadiere 
nach Sterbohol im ganzen nach rechts geſchoben und damit nach der Mitte zu 
ihr Gefüge gelockert. General Treskow erſpähte dieſe Blöße und führte mit 
ſeiner Brigade, ſchleſiſchen Bataillonen, den Stoß durch die Schlachtlinie. Mit 
den Regimentern Jung-Braunſchweig und Markgraf Karl drängten der König 
und die beiden braunſchweigiſchen Prinzen nach. Wäre jetzt die Reiterei auf 
dem Plate geweien, ftatt in ihrer Siegeöfreude abzufigen und fih an der Plün: 
derung des erbeuteten Lagers zu erholen, jo hätte der rechte Flügel der Deiter: 


84 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


reicher, von der Mitte abgeſchnitten und in der Flanke ganz ohne Deckung, 
dem Verderben nicht entrinnen können. So aber vermochten ſich dieſe Ab— 
geſchnittenen, zwei Regimenter und die Grenadiercompagnien, nur von verein— 
zelten Reitertrupps beläſtigt, zu retten, teils in die Feſtung, teils über Nusle 
nach der Sazawa. 

Immer war durch die Durchſtoßung der Mitte jetzt dasſelbe erreicht worden, 
was die anfänglich beabſichtigte Umfaſſung der Flanke hatte bewirken ſollen, und 
nad dem Grundgedanken der ſchiefen Schlachtordnung würde nunmehr das 
Bentrum und der linke Flügel der Defterreiher von jelbit zum Rüdzug genötigt 
gewejen jein. Nun aber hatte bereits jeit geraumer Zeit der Thatendrang eines 
Brigadeführers auch auf der preußiſchen Rechten, die der Natur der Sache nad) 
zurüdgehalten werden jollte, den Kampf, eine zweite Schlacht, entfeflelt. Die 
Wahrnehmung, daß der Bergfopf von Hlauputin, die ſchirmende Baltion vor dem 
Sceitelpunft der öfterreihiihen Hakenitellung, nur von wenigen Bataillonen 
bejegt war, brachte den Generalmajor Manftein auf den Gedanken, die Batterien 
dort wegnehmen zu laſſen. Das Gewehr auf der Schulter begannen drei 
Grenadierbataillone zu ftürmen. Furchtbar lichtete das Feuer ihre Reihen; über 
das mit Toten und Verwundeten bejäte Geitein führte Prinz Heinrich fünf friiche 
Bataillone zur Aushülfe nad. Endlich hatten die Grenadiere die Redoute über: 
wältigt. Der Prinz wollte, in richtigem Verſtändnis, des Rampfs damit genug 
fein laſſen, und jchidte feinen Adjutanten zu den Grenadieren: „allein alle Be: 
fehle halfen nichts, ihre Kampfesluft riß fie immer weiter fort, fie thaten Wunder 
der Tapferkeit.” Wieder mußten die anderen wohl oder übel ihnen folgen, jeßt 
bergab nad) Hordlorez. Auf den Schultern der Musketiere vom Regiment Itzen— 
plig ließ fi der Prinz durch den fchlammigen Wafjergraben vor dem Dorfe 
tragen. Am Taborberge fam der Kampf von neuem zum Stehen. Derweil war 
zur Linken dieſes Vorftoßes der Herzog von Bevern mit feiner Divifion zwilchen 
den Teihen emporgeitiegen und in ber Richtung auf Maleſchitz losgegangen, 
um alsbald auf den heftigen Widerftand feines Gegners von Neichenberg, des 
Feldzeugmeifters Königseng, zu ftoßen. Hier war es, dab das Regiment Winter: 
felot beim Angriff auf eine Batterie ſechs Siebentel feines Beſtandes, an 
1200 Mann, einbüßte, bis die Grenadiere von Wrede den Braven zuriefen: 
„Kameraden, laßt uns heran, ihr habt Ehre genug”; auch fie verloren dann 
die halbe Mannichaft. 

Entichieden wurden die blutigen Gefechte auf diejem Flügel doch erft in 
dem Augenblide, als Prinz Ferdinand von Braunjchweig, auf der Linken ent: 
behrlich geworden, den Rüden des Gegners zu bedrohen begann. So nahm 
Königsegg feinen Flügel zurüd und verjuchte, auf den Höhen hinter Maleſchitz 
eine neue Schlachtordnung zu bilden. Aber auch die Preußen hatten ihre Linie 
Schnell neu gerichtet, ihr zuverfichtliher Angriff brachte die öfterreihiichen Bas 
taillone in harte Not und nur der Opfermut der vom Zisfaberg hberangeiprengten 
Kürafiiere rettete die Fliehenden vor gänzlicher Vernichtung; jo plöglich prallten 
diefe Reiter hervor, daß der König jelber einen Augenblid ernftlich gefährdet war. 

Noch hielten am Zisfabera, ohne ins Gefecht nefommen zu fein, 17 Ba: 
taillone und 17 Grenadiercompagnien, jamt 20 Schwadronen. Ihre Stellung 


Prag und Kolin. 85 - 


war bei ber Auflöjung des übrigen Heeres nicht mehr haltbar, aber im Zurüd: 
gehen bildeten jie bei Wolſchan, 2000 Schritt vor dem Neuthor von Prag, eine 
neue Linie, um die auf die Stadt zutreibenden Trümmer des geihlagenen Heeres 
aufzunehmen. Vergebens, die jchwellende Flut riß aud die friiden Truppen 
mit fich fort; nur einige wenige Regimenter bielten ſtand und ließen die Flüch— 
tenden Zeit gewinnen, fih in die Thore der Feitung zu retten. 

Der Herzog von Lothringen war zu Anfang der Schladt, als er das 
Reitergefeht am Mucholuper Teich fih ungünftig wenden jah, zu den mweichenden 
Schwadronen geritten, fie neu zu ordnen; in der Erregung des Augenblids hatte 
ihn ein Bruftframpf gepadt; in jein Quartier nad) Nusle geichafft, wäre der 
Bewußtloſe fait die Beute des nachſetzenden Feindes geworden. Erit auf dem 
Wiſchehrad gewann er die Sinne wieder. Im Begriff, auf das Schlachtfeld zurüd: 
zueilen, ftieß er bereits auf den endlojen Schwarm der Fliehenden; durch das 
Kornthor in die Stadt zurückgedrängt, bei einem anderen Thor beinahe zertreten, 
verjuchte er noch, auf der Kleinfeite dur das Aujezder Thor nach Königsſaal 
auszubreden; bier aber jperrten den Weg die Truppen Reiths. 

Für die Sciffsbrüde, die Mori von Defjau bei Klein-Kuchel über bie 
Moldau legen jollte, waren die Pontons ausgeblieben, da die Schleppwagen in 
den engen Wegen ſich feitgefahren hatten. Der Verſuch, zu Roß durch den Fluß 
zu jeßen, erwies fich für die fühnen Reiter als ausſichtslos; Oberſtlieutenant 
Seydlig geriet jo tief in den Triebfand, daß er ihm jchon in die Piltolenhalfter 
eindrang und jeine Leute den Berwegenen, um ihn noch zu retten, vom Pferde 
reißen mußten. Nachher wollten die zahlreichen Gegner bes deſſauiſchen Prinzen 
diefem die Verantwortung dafür aufbürden, daß drüben der abgejprengte Flügel 
bes geichlagenen Heeres ſich unverfolgt vom Schlachtfelde habe retten fünnen. 
In Wirklichkeit ift das Entrinnen diejer Flüchtlinge ohne allzugroße Bedeutung 
für die weiteren Kriegsereignilie gewejen. Denn von den 13000, die aus ber 
Prager Schlacht nad Beneihau entfamen, find nicht viel mehr als 5000 zu dem 
Heere des Marſchalls Daun geitoßen, während die übrigen in Nieder:Defterreich 
erit ihre Feldausrüftung neu beihafften. Seine Spione gaben dem König von 
Preußen die Zahl der noch Dienftfähigen ſogar nur auf 3000 an, und jo erklärt 
es jih binreihend, daß er des verunglüdten Brüdenjchlages und der unter: 
bliebenen Verfolgung ſpäter mit feinem Worte gedachte, vielmehr den Prinzen 
Morig wenige Tage nah der Schlacht zum General der Infanterie beförderte; 
bei dem Gang, den die Schlaht genommen hatte, war es ungleich wichtiger 
geworden, daß die Geichlagenen am Austreten auf das linfe Moldau:Ulfer ge: 
hindert wurden. 

Friedrich war nad der Entjcheidung mit dem Regiment Jung: Braunfchweig 
quer durd das öſterreichiſche Lager, deſſen Zelte noch aufgeipannt jtanden, bis 
unmittelbar an den Fluß vorgerüdt und hielt dort einige Zeit, zur gerechten 
Sorge feiner Begleiter, inmitten der vom Wiſchehrad um ihn einichlagenden 
Geſchoſſe. Die Sonne ſtand noch hoch am Himmel — dreizehn Minuten vor Vier 
wurden, wie ein pünftliher Mitfämpfer fih merkte, von den preußifchen Ge: 
ihügen auf dem linken Ufer die legten Schüffe abgegeben. Eine Ueberſicht aber 
über den Verlauf der Schladt, die Erfolge, die Verlufte hatte bei der Aus: 


86 Sechſtes Buch. Zweiter Abſchnitt. 


dehnung des Schlachtfeldes noch nienand. Gegen 5 Uhr begegnete der König 
dem Prinzen Heinrih, fie ftiegen ab, auf grünem Raſen jah man die Brüder 
am Wege bei einander figen. Die Siegesfreude trübten die Trauerfunden, die 
von allen Seiten herangetragen wurden. „Das ganze preußiiche Heer,” bezeugte 
in warmer Teilnahme der britifche Gefandte an diejem Abend, „it in Thränen 
über den Berluft des Marihalle Schwerin, eines der größten Offiziere, den dies 
oder vielleicht irgend ein Yand hervorgebradt, und eines ber beiten Menichen; 
der König ift tief ergriffen durch diefen Verluſt.“ „Unftreitig den größten 
General unjeres Jahrhunderts“, nannte Friedrich den Gefallenen in jeinem 
Siegesberiht. Wie Schwerin waren General Amftel und drei Oberiten, unter 
ihnen Prinz Wilhelm von Bed, der Sohn des alten Holfteiners, auf dem Felde 
der Ehren gefallen; drei andere Generale erlagen im Yazarett ihren Wunden. 
Der Gejamtverluft ergab ſich als weit höher, ale man im eriten Augenblid 
angenommen hatte; ſtatt der am Schladhttage jelbit geſchätzten 53000 Toten und 
Verwundeten verzeichnete eine Lilte vom 8. Mai 3094 Tote, 3208 Vermundete, 
1657 Vermißte, und die Zählung war noch unvollitändig: der König hat jpäter 
den Gejamtverluft auf 18000 angegeben und den 6. Mai als den Tag beklagt, 
der die Säulen der preußiihen Infanterie dabinichwinden ließ. 

Abends nah 8 Uhr erſchien ein Adjutant des Königs, Oberft von Arodom, 
vor der Feſtung, um die Eingefchloffenen zur Uebergabe aufzufordern. Er ward 
vor den Herzog Karl und den verwundeten Bromne geführt und mit dem Be: 
ſcheid entlafien, man hoffe durch gute Verteidigung ih die Achtung des Königs 
von Preußen zu verdienen. Hatten an diefem Tage auf der Walftatt 61 000 Deiter: 
reiher, in der Feſtung 13000 geftanden, jo waren nad) der Schlacht alles in 
allem nicht mehr 50 000 Mann bienitfähig bei einander geblieben. Der Abgang 
verteilte fih auf die nah der Sazawa Geflüchteten und 13324 Tote, Verwun— 
dete, Gefangene. 

„Rad den Verluiten, die wir gehabt haben,“ jchrieb der König am Tage 
nach der Schlacht an den Marſchall Keith, „bleibt uns als einzige Tröftuna, die 
Leute, die in Prag find, zu Gefangenen zu machen. . . . Und dann, glaube ich, 
wird der Krieg beendigt fein.“ 


Cold ein Blutvergießen war in den Kriegen der Neuzeit noch nicht erhört 
worden. „Das ill jo eine jämmerlibe und erbärmliche Bataille gewejen, die 
fein Menſch denken kann, aud fein Menſch wieder erleben wird,“ jo berichtete 
den Seinen jchaudernd einer der Kämpen, ein jchlichter preußiſcher Musfetier: 
186 000 Preußen hätten 295000 Dejterreicher befiegt und 200 Kanonen und 
250 Standarten und Fahnen erbeutet! Und mie die Soldaten im Lager, io 
erzählte ji in deutfchen Yanden das Volk Wunderdinge von der Prager Schladt. 
Sie blieb mit dem Grauen, das fie umgab, vor allen anderen die eigentlich 
volfstümlihe Schlacht diejes Krieges, an die Volkslied und Ballade und Bühnen: 
jpiel anfnüpfen konnten, weil jedes Kind von ihr wußte. 

Nah Wien war der Kunde von der Niederlage die Panik der zahllojen 
Flüchtlinge vorausgeeilt, die beim Naben der Preußen aus Prag oder font aus 


Prag und Kolin. 87 


ihren Heimftätten entwichen waren, um ſich und ihre Habe nah Brünn, ja nad 
Wien zu retten. Die Kaiferin beging ihren Geburtstag am 13. Mai in tiefiter 
Zurüdgezogenheit, die Bevölkerung der treuen Hauptitadt trauerte mit ihr. Gegen 
Kaunig, als den Urheber des unbeilvollen Krieges, und gegen den Hoffriegsrats- 
präfidenten Neipperg, als den Heerverderber, wurden erbitterte Anklagen laut. 
Ale Minifter und Hoffriegsräte arbeiteten Kaunitz entgegen, behauptete Graf 
Broglie, der auf der Durchreiſe nad feinem Warſchauer Gefandtichaftspoiten in 
Wien Zeuge all diefer Auftritte der Trübjal und Verwirrung wurde. Er be: 
fannte, nicht abjehen zu können, wie die Ueberlegenbeit, die dem Könige von 
Preußen feine Gefchidlichkeit und feine Erfolge gegeben hätten, noch ausgeglichen 
werden ſollte; er entwarf in feinen Berichten nad Verjailles die lebhaftejten 
Schilderungen von der Unfähigkeit der höheren mie der niederen Offiziere umd 
den Gebrehen der ganzen Heeresverfaſſung. 

Scharf getadelt wurde die öfterreihiiche Heeresleitung auch in Berjailles, 
zumal durch Belleisle, der den Schauplag der jüngiten verhängnisvollen Ereig: 
niffe aus eigener Anfhauung genau fannte.!) Aber der Eine, deſſen Wille an 
diejen Hofe alles entichied, König Ludwig jelbit, war feſt entjchloffen, ber 
Kaijerin in ihrer Not um jo kräftiger zu helfen. Er befahl, ein neues itarfes 
Heer zufammentreten und von Straßburg eilends durch Oberdeutichland vor: 
rüden zu laſſen. 

Dort war die Haltung der Anhänger Defterreihs und Frankreichs völlig 
erichüttert. Oberftlieutenant Mayr, mit einem Streifcorps von 1500 Mann 
und mit ganzen fünf Kanonen durch die Oberpfalz bis Nürnberg und Schwabach 
vorgedrungen, feste die vorderen Reichskreiſe in hellen Schreden. Der Kurfürft 
von Bayern jandte den Freiherrn von Montgelas in das Hauptquartier des 
Siegers von Prag und gelobte Neutralität. Die furpfälziihen Truppen, zur 
Bereinigung mit den Franzoſen aufgebrochen, erhielten unterwegs Gegenbefehl. 
Die württembergiihen Negimenter, dur die Bürgerichaft von Stuttgart auf: 
gereizt, meuterten, von 3200 blieben nur 400 bei der Fahne. Der Rat von 
Nürnberg erbot fih, 80000 Gulden zu zahlen, wenn der Stadt erlaubt jein 
follte, ihrer Huldigungs: und Lehenspflicht gemäß ihr Kontingent zum Neichsheer 
zu ftellen; der König von Preußen nahm die Abfindungsjumme nicht an und 
verlangte Neutralität, in der Stadt aber liefen Pasquille um, gegen die Kaijerin, 
die an unjhuldigem Lutheranerblut ihre Bosheit auslaffen wolle, und gegen 
den untreuen Nat, der für ſolche Sade die nürnbergiichen Soldaten wie Vieh 
zur Schlachtbank jhide: aber die Bürger würden das Rathaus ftürmen und 
die Herren an den großen Perüden fchütteln. 

Für den Abſchluß des lange geplanten, aber durch die Abneigung bes 
bannöveriihen Minifteriums bisher aufgehaltenen Sonderbundes proteftantifcher 
Reichsſtände ſchien jet die Stunde gefommen. König Georg, voll Zuverficht 
für den Sieg der gemeinfamen Sache, erklärte fih mit dem preußifchen Bundes: 
entwurf einveritanden, allerdings unter Streihung eines auf die im Reiche 
ſchwebenden Neligionsitreitigkeiten bezüglichen Artifels, und genehmigte nicht 





", Bd. I, 199. 194. 


88 Sechſtes Buch. Zweiter Abſchnitt. 


minder den Antrag Münchhauſens, dem Berliner Hofe jet auch namens des 
Kurfürjtentums einen Vertrag anzubieten und babei für Hannover die Erwer: 
bung des furmainziihen Eichsfeldes und der Stifter Hildesheim, Dsnabrüd und 
Paderborn zu beanipruchen. Um deſto ficherer zu gehen, mußte der Herzog von 
Gumberland das Bistum Paderborn unverzüglich beſetzen. Im völligen lim: 
ſchwung der Stimmung meinte der Herzog preußifcher Hülfe gegen die Franzoſen 
faum mehr zu bedürfen. Selbit den alten behutjamen Zaftrom hatte die Prager 
Schlacht jo unternehmend gemacht, daß er jegt friſch auf die Franzoſen drein- 
ichlagen wollte. In London erwartete man von der Siegesbotichaft aus Böhmen 
günftige Wirkung für die noch immer nicht gelungene Neubildung des Kabinetts. 
„Unfere Bewunderung für den Heldenmut des Königs von Preußen ift auf dem 
höchſten Gipfel,” ſchrieb Lord Holderneffe an Mitchell, „Weiber und Kinder 
fingen jein Lob, auf den Straßen fommt es zu den ausjchweifenditen Freuden: 
bezeugungen”. Selbit ein Horace Walpole, der bisher feine Abneigung gegen 
diefen Fürften nie verhehlt hatte, jtimmte in den Jubel ein: „Was ift unier 
Preuße für ein König! Doppelt und dreifach übertrifft die Wirklichkeit unjere 
eriten Nachrichten!” 

Die Lage ſchien glänzend, aber jie war erniter und unfidherer, als es der 
König von Preußen für den jekt gefommenen Zeitpunkt vorbem angenommen 
hatte. Sein böhmifcher Feldzug hatte bis Mitte Mai entichievden und fo weit 
beendet jein jollen, dab nur noch die leichte Aufgabe blieb, den geichlagenen 
Feind völlig aus Böhmen herauszudrängen: die dem jchlefiichen Heer zugebadhte 
Aufgabe. Das andere Heer hatte jofort rechts abſchwenken jollen, um im Reich 
die Franzoſen und die deutſchen Gegner Preußens zu Paaren zu treiben. Statt 
deſſen begann jegt mit der Einſchließung von Prag und der Abwehr des Heeres 
unter Marſchall Daun ein neuer Abſchnitt diefer böhmischen Heerfahrt, für den 
der Einjat der gejamten Streitmadht nicht minder nötig war, als für den eriten 
Akt, und deſſen Ende noch gar nicht abzujehen war. Die anfängliche Hoffnung, 
daß zwifhen dem 20. und 24. Mai alles ficherlich zu Ende fein werde, erwies 
fih jchnell als trügerifh; Ihon am 14. Mai wurde befannt, daß die Belagerten 
auf zwei Monate mit Vorräten verjehen waren. Länger aber als bis zur zweiten 
Mode des Juni glaubte der König mit der Entjendung gegen die Franzoſen 
nicht warten zu dürfen, damit nicht die Hannoveraner fih troß allem unter öfter: 
reihijcher Vermittelung neutral erklärten. 

Die kritiſchen Geifter im preußifchen Lager gaben ihre Stimmen dahin ab, 
daß die Belagerung unmöglich gut ablaufen fönne. Friedrich felbit ift von vorn: 
herein nicht ohne Bedenken geweien: „Prag blodieren, Daun fernhalten und den 
Franzoſen die Stirne bieten, find drei Dinge, die wir nicht auf eins thun 
fönnen,” äußerte er acht Tage nad der Schlacht am 14. Mai; ziehe fich die 
Sade über drei Wochen hin, fo werde man die Blodade aufheben müflen, um 
dann zuzujehen, ob die Leute herausfommen würden oder nit. Doc meinte 
er Tags darauf, er habe ein wenig zu Schwarz geſehen; er blieb nun entſchloſſen, 
die Feſtung und das Heer auf eine oder die andere Art zur Mebergabe zu 
zwingen. Wäre Prag mit 10: oder 12000 Mann befjegt geweien, jo hätte 
eine regelrechte Belagerung feine Schwierigfeit gehabt; unter den Augen von 


Prag und Kolin. 30 


50000 Berteidigern aber ließen ſich feine Yaufgräben eröffnen; mwenigftens biete 
die Geſchichte, jagte Friedrich, kein Beilpiel dafür. Immer dachte er, wenn erft 
fein jchweres Geſchütz zur Stelle war, durd ein Bombardement von acht Tagen 
„die ihon mwadelnden Hirnfäften vollends umzuftoßen”. Aber als jein „Höllen: 
zeug“ in der Nacht auf den Pfingftmontag, am 30. Mai, endlich die „zermal: 
mende Muſik“ begann, blieb die erwartete Wirfung der Beſchießung aus. 

Die Soldaten vor Prag erzählten fih, wenn fie die Feitung hätten, würde 
es nah Wien gehen. Für den König aber wäre der Marih an die Donau, 
ohne Wegnahme der vorliegenden mähriihen Feſtungen und ohne umfafjende 
Vorbereitung für die Sicherheit der Verpflegung und der Verbindungen, eine 
jener „Pointen“ geblieben, die feine Kriegstheorie als Hauptfehler verurteilte. 
Er gedachte vielmehr, obgleid er die Zahl des noch im Felde ftehenden öfter: 
reihifchen Heeres jehr unterichägte, nah dem Fall von Prag an dem urſprüng— 
lihen Plane feftzuhalten, und mit dem einen Teil des Heeres den Feind nad) 
Mähren zurüdzudrängen, mit einem anderen in das Neich einzurüden und die 
Franzoſen abzumehren. Mit jolcher Kriegsführung war nichts von neuem auf 
das Spiel gejegt: man blieb, wie er unmittelbar vor der Schlacht an Schwerin 
geichrieben hatte, „auf Sammet gebettet”, der Reit war „nur noch ein Spiel“. 
Auch gegen die Rufen ließ fih dann detadhieren; Friedrich dachte daran, ein 
Streifcorps quer dur Polen ihnen in den Rüden zu fenden. Am liebiten hätte 
er, wie er dem engliichen Gejandten jagte, die Deiterreiher dahin gebracht, 
ihr Bündnis mit Franfreih zu löfen und ihre Truppen gegen bie Franzoſen 
marschieren zu laſſen: dazu aber, ſagte er ſich doch gleich, würde fich der diter: 
reihiihe Stolz nie verjtehen. 

Während die preußiichen Soldaten in Gedanken nah Wien marjdierten, 
verfürzten fich die jungen Offiziere die Tage des Stilllebens und der Erwartung 
mit Konjefturalpolitit und Voranſchlägen für den künftigen Frieden: fie ent: 
Ihieden fih dafür, Sahjen zu Preußen zu ſchlagen und den König Auguft mit 
Böhmen zu entihädigen. Weil nun das eine nicht erreihbar war ohne das 
Andere, der Gebietstaufh nicht ohne den Einzug in Wien,') jo hatte der 
Adjutant des Prinzen Heinrih nach der militäriichen Geſamtlage recht, in jeinem 
Tagebuch ſolche Zukunftspläne als Ausgeburten der Phantafie einiger Enthu: 
fiaften zu regiftrieren; wie denn die Prinzen jelbit, bei aller Unzufriedenheit mit 
der Politik ihres königlichen Bruders, Eroberungsabiichten bei diefem Kriege nicht 
vorausſetzten. 

Was man in Wien nach dem Verluſt der Schlacht zunächſt am meiſten 
befürchtete, war, daß der König von Preußen, ſtatt Prag eingeſchloſſen zu halten, 
jetzt über das letzte Feldheer der Kaiſerin-Königin herfallen könnte. 

Das Heer des Marſchall Daun war von dem preußiſchen Könige und 
ſeinen Generalen bei den Erörterungen über den Feldzugsplan nicht vergeſſen 
worden. Schwerin hatte ja nach dem Vormarſch an die Iſer auf dieſes Heer 
ſich zunächſt werfen wollen; der König hatte ihm befohlen, es links liegen zu 
laſſen und an die Moldau zu marſchieren. Am Tage von Prag befanden ſich 


) Bal. oben ©. 55. 


90 Sechſtes Buch. Zweiter Abſchnitt. 


Dauns Vortruppen, 9000 Mann unter Graf Puebla, zwei Meilen vom Schlacht— 
feld zu Auwal; ihr Erſcheinen im Rücken der Preußen würde deren Angriff 
empfindlich geſtört haben. Aber die Nähe des preußiſchen Heeres ſcheint die 
öſterreichiſchen Generale völlig gelähmt zu haben; auch Daun, als er Tags nach 
der Schlacht zu Puebla ſtieß, fand nicht den Entſchluß zu weiterem Vorrücken, 
obgleich von der Niederlage des Hauptheeres noch nicht die geringſte Kunde 
gekommen war; denn erſt am Abend des 7. brachte zunächſt Graf Kaunitz, den 
die Haiferin zum Heere gelandt hatte, ein ihm unterwegs zugeflogenes Gerücht 
mit, dann gab ein Offizier des gejchlagenen Heeres die nieverichmetternde Be: 
ſtätigung. 

Noch zwei Tage hindurch ſtanden die Oeſterreicher, über 30000 Mann, 
unangefochten, ja unbemerkt, bei Böhmiſch-Brod. Erſt am 9. Mai ſandte der 
Sieger von Prag 50 Schwadronen unter Zieten zur Aufklärung aus, bei deren 
Ericheinen Daun am 10. den Rüdzug antrat, während an demielben Tage der 
Herzog von Bevern mit 15 Bataillonen dem Hufarencorps nadhrüdte. Er jollte 
angreifen, aber nur wenn der Feind nicht freiwillig wid. Auf Schwächung oder 
Aufreibung des Daunfchen Heeres hatte es der König nicht abgefehen; er hielt 
in dieſem Falle die Schlaht für entbehrlib, das Manöver für ausreichend, einem 
Gegner gegenüber, deſſen Truppenzahl er um mehr als die Hälfte unterjchägte, 
der aber gerade unter diejer Vorausjegung ihm als ein ficheres Schladhtopfer 
hätte erfcheinen jollen. Der Berehl, wenigſtens unter Umftänden anzugreifen, 
wurde allmählich ganz zurüdgenommen. Als Bevern ſich wegen der Schwäche 
jeines Häufleins Sorge madte, eröffnete ihm der König am 25. Mai, daß es 
nicht in jeiner Abficht liege, es dort jegt zu einer Schlacht fommen zu laſſen 
Die Aufgabe, Daun von Prag fernzuhalten, erichien ihm lösbar auch ohne 
Schlacht. Vor einem Angriff durch den Feind, meinte er, ſei Bevern allemal 
fiher; denn zum Schlagen gehörten in einer „jo terribel coupierten” Gegend 
immer zwei. Zudem meldeten die Kundſchafter, daß Daun aus Wien Befehl 
babe, nichts auf das Spiel zu jeßen. 

Der König empfahl aljo jeinem General immer von neuem, den Gegner 
durch Demonitrationen und Umgehungsmärſche, durch Bedrohung feiner Rüdzugs- 
linie, feiner Verbindungen, methodiih „wegzubugſieren“ und dem Zurüdweichen: 
den ein Magazin nad dem andern, fo wie er jelbit e& vor vier Wochen mit 
Browne gemacht hatte, zu entreißen. Zur weiteren Einſchüchterung mochten vie 
zahlreihen Hufaren den Schwarm der Irregulären „redt brav an die Ohren 
packen“. Bevern, inzwifhen auf 90 Schwadronen und 20 Bataillone verftärkt, 
zeigte ſich in diefer Art der Kriegsführung nicht ungewandt. Er verdrängte den 
Feind aus dem Lager von Kolin, die Hujaren erbeuteten drei Magazine, und 
bei Kuttenberg wurde am >. Juni Nadasdy mit feinen Ungarn, die ihren Ruf 
aus den früheren Kriegen ſchon mehr als einmal nicht ganz bewährt hatten, in 
die Flucht geſchlagen, abermals unter VBerluft der aufgejpeicherten Vorräte. Wie 
denn die Preußen nachmals fih rühmten, daß fie in diefen Wochen jeden Biffen 
Brot fich hätten erfämpfen müſſen. Der König ipendete dem Herzog von Bevern 
für feine „ebenfo gut entworfenen wie aut ausgeführten Dispofitionen“ reich: 
liches Lob. Wie fhon nah dem Siege von NReichenberg fchrieb er aufmunternd, 


Prag und Kolin. 91 


der Herzog werde jetzt größeres Selbſtvertrauen haben: „Nun ſehen Sie, daß ich 
Sie beſſer kenne, als Sie ſich ſelber, Sie ſeind zu modeſt.“ 

Eben jegt aber überzeugte er fich endlich, daß Daun ſtärker fei, als er in 
der Hartnädigfeit jeines Zweifels hatte glauben wollen. Prag wiederum, das 
jtellte fih immer mehr heraus, mwar vor dem juli nicht auszubungern. Alſo 
ipriht Friedrid am 5. Juni zum eritenmal den Gedanken aus, dab er doch 
vielleicht vorher noh mit Daun jchlagen muß. „Daun verftärkt fi, man muß 
ihm zuvorfommen,” fagte er Tags darauf jchon beftimmter, „zufammenraffen, 
was abkömmlich ift, ihn angreifen und jo weit als möglich verfolgen.” Mindeſtens 
bis Iglau, um aud das dortige Magazin zu gewinnen. Aber noch meinte er, 
vor der „Austreibung diejes Leopold Daun” die Ankunft der 10 Bataillone und 
20 Schwadronen, die zum 20. aus Schleſien zur Stelle fein jollten, abwarten 
zu müflen; e& wäre denn, daß Daun inzwilhen eine Blöße böte. Ob Bevern 
entichloffen genug war, jol einen günftigen Augenblid ſchnell zu ergreifen, 
ihien doch wieder zweifelhaft, da jener nah dem Erfolg von Kuttenberg ver: 
jäumt hatte, die erite „Bredouille” des Feindes auszunügen und bis Gzaslau 
nachzudrängen. Friedrich beauftragte deshalb am 10. Juni einen feiner Flügel: 
adjutanten, den Oberiten Find, dem fürftlihen General mit feiner „Autorität 
und guten Reſolution“ nachzuhelfen, „damit wir den Daun auf die Seite 
ihaffen“: „Ich kann die Leute nicht in meiner Nachbarſchaft dulden . . . Alſo 
warn nur gute Gelegenheit ift, jo muß man fie ergreifen ... attadieret fie 
brav mit unsre jchwere Kanonen, mit Kartätichen beſchoſſen und ſodann ihnen 
die Flanke gewonnen.” 

Neue Meldungen Beverns überzeugten ihn, dab er am beiten perjönlidh 
eingreifen werde und das abgezweigte Corps allerdings noch dur Truppen aus 
der Belagerungslinie verftärken müſſe. Am 12. meldete er fich für ben 15. mit 
8 Bataillonen und 16 Schwadronen an: „Hier hilft nichts vor, Daun muß nad 
Mähren herein, er mag ftark oder ſchwach jeind, joniten friegen wir Prag nicht, 
fönnen wir die übrigen Feinde, die ankommen, nicht refiitieren, und ift die ganze 
Campagne, jo gut wie fie ift angefangen worden, verloren.“ 

Ein Erfundungsritt Zietens Härte in der Nacht zum 13. die Lage völlig 
auf. Es war fein Zmeifel mehr, Daun wollte nah Prag und feinen Gegner 
Bevern derweil durch Nadasdy beichäftigen. Der Herzog ging deshalb am 13. 
von Kuttenberg auf Kolin zurüd und zog am 14. in ſüdweſtlicher Richtung 
weiter. Kalt wären an dieſem Tage er und der König aneinander vorbei: 
marjdiert; am Abend vereinigten fie ſich zwiichen Kaurzim und Malotig. Sofort 
jandte der König an Mori von Deſſau Befehl, mit noch weiteren 6 Bataillonen 
und 10 Schwadronen herbeizueilen: „Es kommt bier auf wenige Tage, zugleich 
aber auch auf wenige Stunden an.” Am 16, war der Nachſchub zur Stelle, 
bewährte und in diefem Kriege noch nicht im Feuer gewejene Negimenter. 

Der Vormarjch des jo lange unthätigen Daun war auf gemejienen Befehl 
aus Wien erfolgt. König Friedrich war ganz zutreffend unterrichtet, wenn er 
bisher meinte, Daun dürfe nicht Schlagen. Unter dem erſten Eindrud der Prager 
Niederlage hatte ein Handichreiben der Kaijerin dem Marſchall als Hauptaufgabe 
vorgezeichnet, die rüdmwärts liegenden Erblande gegen feindlichen Einbruch zu 


42 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


decken, und wieder war eine am 21. Mai an ihn gerichtete Aufforderung, Prag 
baldigit zu entjegen, jchon nad drei Tagen dahin erläutert worden, dab es 
nicht ſowohl auf den Entfaß des eingeichloffenen, als auf die Erhaltung des 
im Felde jtehenden Heeres anfomme. Dann aber jchrieb die Gebieterin am 
7. Juni: Prag fönne fih nur bis zum 20. halten, Daun ſolle eine Schlacht 
wagen, fie gebe ihm ihr kaiſerliches Wort, daß fie einen unglüdlihen Ausgang 
dem Feldherrn nimmermehr zur Laſt legen werde. 

Am 12. aus dem Lager bei Goltſch-Jenikau hinter Gzaslau aufgebrochen, 
bezog Daun nad drei kleinen Tagesmärjchen und einem Rafttage am 16. abends 
im Angefiht des preußiichen Heeres ein wohlgebedtes Lager zwiihen Swojſchitz 
und Krychnow, mit dem Vorſatz, entweder den Angriff in biefer Stellung ab— 
zumarten ober bei günftiger Gelegenheit felbit anzugreifen. An die augenblid: 
liche Stellung der Preußen glaubte er indes fih nicht wagen zu dürfen. 

Seinerjeits hielt der König von Preußen das öfterreichiiche Lager wenigitens 
in der Front für unberührbar und marjchierte deshalb am Nachmittag des 17. juni 
in der Richtung auf Planian links ab, um dem Gegner die rechte Flanfe ab: 
zugewinnen, nachdem er fih durch feine Huſaren vergemiflert hatte, daß nicht 
etwa ein öfterreihijches Corps nad) Prag unterwegs war. 

Durd den Marich der Preußen beunruhigt, ihob Daun in der Nacht auf 
den 18. fein Heer weiter nad) rechts, jo daß die Linke auf die Höhe von Boſchitz, 
die Nechte auf den Kamhajeker Berg zu ftehen fam. 

Der Bergrüden läuft öftlih gegen Kolin, Radowesnig und die Elbe in 
eine Hochfläche aus; nad) Norden fällt er, oben fteiler, dann allmählich, zu dem 
Kaiferweg ab, der Heerftraße, die von Prag über Planian nad Kolin führt und 
fich zwifchen den Wirtshäufern Neuftadt und zur goldenen Sonne in einer feuchten 
Niederung ftarf einfenft. Längs des Kaiſerwegs, zwiſchen ihm und der Höhe 
— die Entfernung beträgt etwa 9000 Fuß —, folgen fih in der Richtung 
auf Kolin die Ortihaften Brzezan, Chogenig, Briſtwi, Kamhajek und Kutlirz, 
oberhalb von Kamhajek liegt auf einem Vorſprung des Kammes das Kirchdorf 
Kretihorz. Im Meften des Höhenzuges fließen in tiefeingefchnittenen Thal: 
betten zwei Bäche dur Teiche und Wiefengrund nah Planian zu. Sie dedten 
vortrefflich die linfe Flanke der öfterreichifchen Stellung. 

Nah Sonnenaufgang ſetzte das preußifche Heer den geftern begonnenen 
Marich fort. Der Vortrab drängte auf der Kaiferftraße die leichten Truppen 
des Feindes zurüd. Jenſeits Planian bei dem eriten Wirtshaus ward ein 
mehrftündiger Halt gemacht, um die dur die Wegengen aufgehaltenen Enden 
der Kolonnen abzuwarten. Aus den Fenftern des zweiten Stodwerfs bot die 
Herberge einen Ueberblid über die öfterreihiihe Stellung. Der König ver: 
jammelte oben jeine Generale und gab ihnen die Dispofition für den Angriff. 
Der Feind hatte den Vorteil des Geländes, den Vorteil der Zahl; feine 54000, 
darunter ein Drittel Reiter, jollten von 15000 Mann Fußvolk und 14 000 Reitern, 
32 Bataillonen und 116 Schwadronen beitanden und überwältigt werden. Es 
galt ſparſam zu verfahren, nur mit einem Flügel, wie immer, ja nur an einem 
Punkt anzugreifen. Von ihrem an Kretichorz und ein Eichengehölz angelehnten 
äußeriten rechten Flügel her follte Dauns nfanterielinie aufgerollt und mo: 


Prag und Kolin. 93 


möglich in die Sümpfe zu ihrer Linken geworfen, vom Rückzuge abgeſchnitten 
werden. Die Avantgarde, das Grenadiercorps des Generals Hülſen, ſollte den 
Angriff auf Kretſchorz und die hinter dem Dorf aufgefahrenen Batterien er: 
öffnen, das Hufarencorps unter Zieten jollte den Angreifern die Flanke deden, 
der linfe Flügel fie unterftügen und deshalb hinter, nicht neben der Avantgarde 
aufmarjchieren ; der rechte Flügel jollte außer Kampf bleiben und an ber Kaiſer— 
ftraße, längs deren er bis zu dem zweiten Wirtshaus zu marjchieren hatte, un- 
bedingt zurüdgehalten werden. 

Segen halb zwei Uhr begann der Angriff, jchon hatten die Defterreicher 
geglaubt, heute unbehelligt zu bleiben. Hüljens Bataillone nahmen den Kirchhof 
von Kretichorz, das Dorf, die Batterie; nicht ohne jchwere Verlufte. In be: 
wunderungswürdiger Ordnung — jeder Grenadier verdiene Lorbeeren, meinten 
die Hujaren, die das Schaujpiel unmittelbar vor Augen hatten — erreichten fie 
die Höhe und ſchauten nun vor ſich ein unermartetes Bild: eine lange Infanterie— 
linie in zwei Treffen, die im ftumpfen Winfel ausjpringende ſchützende Flanke 
der öfterreihiihen Schlachtordnung, angelehnt an den Eihwald und mit der 
Hauptitellung durch eine große, eingeichanzte Batterie feit veranfert. Denn 
Marihall Daun, der von jeinen Höhen alle Bewegungen des Gegners gemächlich 
verfolgen fonnte, hatte Zeit gehabt, jeine Stellung entiprechend zu verändern. 
Er war vorfihtig und Flug genug, nicht jenen Rat des SKaifers zu befolgen, 
dab man nod vor dem Angriff des preußiihen Offenſivflügels raſch auf den 
ſchwächeren Flügel losſchlagen ſolle; aber er veritand den drohenden Stoß zu 
parieren, indem er noch rechtzeitig von jeinem linken Flügel die Divifion Wied 
auf den am meilten gefährdeten Punkt der Aufitellung herüberzog. Auf der 
preußiihen Seite dagegen hatte man die Ausdehnung des Geländes unterſchätzt 
und nicht geglaubt, daß der Gegner bier feine Flanke jo gut zu ſichern ver: 
möge. Der König hat es fih nachher zum Vorwurf gemacht, daß er fich nicht 
perjönlih auf feine äußerfte Linfe begeben habe, um fih durch Augenjchein von 
der Dertlichfeit zu überzeugen. 

Während aljo die Front des Gegners viel breiter auslud, als man an: 
genommen hatte, blieb andererfeits die ihm verheißene unmittelbare Unterftügung 
den General Hülfen aus. 

Das Heer hatte während des Kampfes um das Dorf, noch in Zug: 
folonnen, auf feinem Marjche eingehalten, wie es jcheint vor der fefjelartigen 
Bodenjenfung am Wirtshaus zur goldenen Sonne; das Dorf Briltwi lag noch 
linfs im Vordergrund. Aus diefer Stellung heraus find dann, als Kretichorz 
genommen war, die Marjchlinien, ftatt fih bis an das eroberte Dorf weiter: 
zujchieben und dadurch mit dem Vortreffen Fühlung berzuftellen, bereits auf 
dem Felde zwiichen Chogenit und Briftwi in die Front eingeſchwenkt — eine 
Uebereilung, für die der König, offenbar mit Recht, den Prinzen Morig ver: 
antwortlih gemacht hat, jo verjchieden auch in der Folge die Erzählungen 
von dem errenten Wortwechſel gelautet haben, zu dem es hier gefommen jein 
jol. Um den Abftand, der zwiſchen den Vortruppen und dem zu früh auf: 
marſchierten Heere blieb, möglichſt zu verfürzen, ließ der König die Schlacht— 
linie fih im Angeficht der bereits bedenklich nahen öfterreihiichen Stellung halb: 


04 Schftes Bud. weiter Abſchnitt. 


links ziehen: da führte ein zweiter Verftoß gegen die Dispofition noch ſchwerere 
Mipitände herbei. 

In Chogenit und in den Kornfeldern hatten fih Kroaten eingeniftet und 
beläftigten mit ihrem Feuer den Aufmarſch des linfen preußiihen Flügels in 
der Flanke. Eine mißverftandene Aeußerung eines königlichen Flügeladjutanten 
veranlaßte den Generalmajor Manftein nicht bloß, wie er es jollte, mit einem 
Bataillon die Plänkler zu Paaren zu treiben, fondern weiter jtrads auf die 
itarfe feindlihe Hauptitellung loszugehen, wo nun bie weiter rechts ftehenden 
Bataillone, eines nad dem anderen, wohl oder übel zur Hülfe eilen mußten. 
So trat dem ftrengen Verbot zum Trog allmählich ein großer Teil der nfanterie 
vom rechten Flügel in den Kampf ein. In der Mitte aber riß durd diejen 
unglüdlihen Vorſtoß auf Chogenig die Schladhtordnung völlig auseinander: der 
linte Flügel verlor den Zujammenhang mit dem Zentrum zu einer Zeit, wo er 
den Anichluß an die Avantgarde noch nicht gewonnen hatte. Das in diejer Not 
angeordnete Wortreten der Bataillone des zweiten Treffens in die WVorderlinie 
füllte die Riſſe der Schladtordnung nicht aus, beraubte dagegen den linken 
Flügel für den Verlauf des Kampfes feiner einzigen „infanterierejerve. Und 
auch jo waren es im ganzen nur neun Bataillone, die bier, zwiihen dem An: 
griff auf Chogenit redhts und dem Gefeht am Eichwald links, jegt ihre Schlacht 
für fi eröffneten, auch fie zu früh, denn nocd immer waren fie nicht bei 
Hülfens Grenadieren angelangt. Aber einmal im Bereich des feindlihen Stüd: 
feuers, lie; fich die aufgeregte Truppe vom Angriff jegt nicht länger zurück— 
halten. Statt daß dem Schladtplan gemäß ſämtliche ins Feuer tretende Ab— 
teilungen fich in der einen Aufgabe, die feindliche Flanfe zu umfaflen, gegenfeitig 
unterftügt hätten, war es unverjehens auf der ganzen Linie zu einem jFrontal: 
angriff gefommen, wobei alle Gunft, welche Stellung und Ueberzahl ihnen boten, 
den Angegriffenen gewahrt blieb. 

Nur das Vortreffen war bis an die Eichen herangelangt, die auch dem 
linken Flügel als Richtpunkt und weiter als Anlehnung bezeihnet worden waren. 
Auf fih allein angewieſen, jener ſtarken Flanke des Feindes gegenüber, überdies 
darauf bedacht, nicht ganz von dem Hauptheer abzulommen — er hatte deshalb 
eine Nejerve nah Briftwi gelegt — warf Hülfen von feinen zehn Bataillonen 
nur zwei in das Gehölz hinein. Es gelang ihnen, die Kroaten zu vertreiben, 
es gelang ihnen nicht, fich unter den Eichen zu behaupten. 

Und dod war der fleine Wald von der größten Bedeutung. Bor diejem 
verhängnisvollen Eihbufch icheuten den ganzen langen Nachmittag die Roſſe und 
die Neiter, jedesmal wenn es gegolten hätte, das bebrängte Fußvolk heraus: 
zuhauen. So ſchon als Zieten, während des Angriffs der Grenadiere auf den 
Kirchhof, mit 50 Schwadronen von Kutlirz aus fich auf die Ungarn und Grenzer 
jtürzte: zum Zufammenftoß fam es nicht, man wechjelte nur Schüffe, aber als 
die Preußen beim Nachjegen an den nicht gerade ſchwierigen Einjchnitt von 
Radowesnig fanıen und nun aus dem Eihbufh in ihrer Rechten Flankenfeuer 
erhielten, ſchwenkten fie ab und fehrten an die Kaiferitraße zurüd. Damit blieb 
Nadasdy im ftande, einem überlegenen Gegner das Geſetz zu geben, ihn immer 
von neuem auf fich zu ziehen und von einer Unteritüguna des Infanterieangriffs 


Prag und Kolin. 95 


abzulenken, und es konnte nach der Schlacht im preußiſchen Heere ſogar die 
Meinung aufkommen, dieſer Rückzug Nadasdys ſei eitel Verſtellung geweſen. 
Kaum war das Wäldchen von den Kroaten wieder beſetzt, ſo wiederholte ſich 
das Spiel: herausforderndes Anreiten der mittlerweile noch verſtärkten Magya— 
ren, nachdrücklicher Vorſtoß Zietens, Flucht, Verfolgung und abermalige Umkehr 
der wieder mit Flankenfeuer begrüßten Verfolger. Nicht beſſer als den Huſaren 
glückte es ſpäter den Küraſſierregimentern des linken Flügels unter Führung des 
alten Penavaire: zweimal ritten fie von Briſtwi aus gegen die auf der Weſt— 
jeite des Eichbuſches aufgerüdte reguläre Kavallerie zum Angriff an, und zwei: 
mal wurden fie, ohne eingehauen zu haben, dur das Flankenfeuer der Kroaten 
zurüdgetrieben. 

Eine Zeit lang ſchien es, als ob aller unvorbergejehenen Zwiſchenfälle, 
aller Fehler ungeachtet, der Heldenmut der Infanterie ih das Schlachtenalüd 
auch heute, wie ftets bisher, willfährig maden würde. Allmählich waren die Vor: 
truppen und ber linke Flügel, von linfs und rechts in der Richtung auf des 
Feindes aroße Batterie vorjtoßend, fih dod nahe gekommen; wiederholt zurück— 
geworfen, bezwang ihr fonzentriiher Angriff endlih das gewaltige Bollwerk. 
Und nun braden einige Bataillone mit gefälltem Bajonett in die erfte, jchon 
auch in die zweite Linie des zähen Feindes. Won dem Zietenihen Corps hatte 
der König 15 Schwadronen abgejordert, die Küraffierregimenter Prinz von 
Preußen und Rochow und die Normann: Dragoner,; Oberit Seydlit führte fie 
herbei, dem heute zum eritenmal eine Brigade anvertraut war. Den unver: 
gleihlihen Führer an der Spite fluteten die Schwarzen Dragoner in die duch 
die Bajonette geöffnete Galle nad), den Riß breit auszerrend, zerfprengten im 
zweiten Treifen das ungariiche Regiment Haller, deſſen Musfetiere in der Be: 
drängnis mit dem Säbel in der Fauſt fich vergebens der ungeſtümen Gäjte zu 
erwehren juchten, erbeuteten fünf Fahnen und an 40 Kanonen und nahmen 
endlich noch den ihnen entgegeniprengenden ſächſiſchen Karabinieren eine Standarte 
ab. Die durd die feindliche Linie durchgeitoßenen Bataillone ftanden an Ent: 
ichlofienheit den Dragonern nicht nad; zum Halbcarre zujammengetreten, wiejen 
ihrer drei ebenfoviel Neiterregimenter fiegreih ab. 

Es war der fritiiche Augenblid der Schlaht, nahmittags zwiſchen vier und 
fünf, die Schidialsftunde des ganzen Krieges. Feldmarſchall-Lieutenant Graf Wied 
ließ die Neiter in das eigene Fußvolk einhauen, um die Fliehenden zur Umfehr 
zu zwingen. Die links von der Stätte des argen Dammbruchs baltenden öiter: 
reihiihen Bataillone, in der Front durch immer erneute Angriffe bedrängt, in 
der Flanke entblößt, im Rüden von der Flucht ganzer Negimenter umbrauit, 
wurden auf die bärtefte Probe geitellt. Schon madıten bei einzelnen Compag: 
nien, während die beiden vorderen Glieder noch gegen den anrüdenden Feind 
feuerten, das dritte und vierte Glied rechtsum, um den Kameraden den Rüden 
zu deden und im nächſten Augenblid vielleicht zu fliehen. 

Zeuge der Aufregung und Verwirrung war ein Offizier des verbündeten 
franzöfiihen Heeres, General Champeaur; er hat zwei Tage nad der Schlacht 
in einem Brief nah Haufe verſichert, dab der Rüdzug beſchloſſen und bereits 
eingeleitet war: Marihall Daun habe den Kopf verloren, und nur dank der 


96 Sechſtes Bud. Zweiter Abfchnitt. 


Geiftesgegenwart einiger Unterführer und dank der Gefügigfeit, mit der Daun 
fie habe handeln laffen, jei das Schickſal noch gewendet worden. 

Erft vor wenigen Wochen waren die in öfterreihifchen Sold genommenen 
ſächſiſchen Reiterregimenter beim Heere eingetroffen — fie würden feine Eiſen— 
freier fein, hatte König Friedrich wegwerfend gemeint, als er von ihrer Ankunft 
hörte. War der alte Ruf der ſächſiſchen Tapferkeit erjchüttert, die Chevaur: 
legers brachten ihre Waffen jest glänzend zu neuen Ehren. Auch die ſächſiſchen 
Generale wußten nicht anders, als daß der Rüdzug ſchon anbefohlen fei; aber 
auf eigene Fauft brach Oberftlieutenant von Benkendorf hinter dem Eihbufch 
vor, nur mit zwei Schwadronen; mit dem Rufe „Das für Striegau” jtürzt ſich 
die Heine Schar auf einen Haufen preußifcher Küraffiere, des 4. Juni 1745 
grimmig eingedenf; dem berzbaften Beijpiel folgen die anderen ſächſiſchen 
Schwadronen und von den Kaijerlihen zuerit die Dragoner des Fürften Liane; 
Gewicht hängt fih an Gewicht, bis es zuletzt an die 56 Schwadronen find. 
Soldem Anfturm erliegen die ſchon zum Tode erichöpften, beim Vordringen 
weit auseinander gekommenen preußiichen Bataillone und die nad ihrem Sieges— 
ritt atemlofen Schwadronen der Brigade Seydlit. Noch einmal mwagten Die 
Küraffiere des Prinzen von Preußen unter Führung des Prinzen Morig einen 
Angriff auf die feindliche nfanterie; aber durch Kartätichen zurüdgewiejen, 
reiten fie im Weichen das eigene Fußvolf, das Negiment Bevern, über den 
Haufen, und kaum ift diefer Sturm über fie hinweggebrauft, jo werden die 
tapferen Musketiere von der feindlichen Reiterei umzingelt und faft ganz auf: 
gerieben. Nicht viel beifer war das Schidjal der Negimenter Prinz Heinrich 
und Mündomw. In diefer Zertrümmerung ganzer Negimenter hat der König 
den enticheidenden Wendepunft der Schlacht geſehen. Bier friihe Bataillone, jo 
meinte er, und fie wäre gewonnen gemwejen. Aber bei dem Fehlen jeglicher 
Reſerve ließ fih die Lücke nicht mehr ftopfen. 

Nah der Vernichtung ihrer tapferen Vorkämpfer fam die ganze Infanterie 
des linken Flügels und des Wortreffens ins Weiden. Doch ſchloſſen fich 
hinter dem bereits aufgegebenen Kretſchorz, an der Stelle, von welder der 
erite Angriff ausgegangen war, die Grenadiere noch einmal zum leßten ver: 
zweifelten Verſuch zuſammen, zum fiebenten Angriff nad) der Zählung der Defter: 
reiher. Der Heldenmut dieſer vom eriten Anbeainn im Feuer ftehenden Gre— 
nabierbataillone hatte an diefem Nachmittag fich jelbit übertroffen. Sie hatten 
in den eroberten Redouten bereits friſche Steine aufgeſchraubt; „aber mitten in 
der jüßen Hoffnung, auch hier unbefiegt zu bleiben,” heißt e& in dem jchlichten 
Bericht des Treuenbriezener Bataillons, „kam der Befehl an, daß fi die 
Grenadiere zurüdziehen jolten.” Mit zwei Bleſſuren jammelte der Kapitän 
von Garlowig die Trümmer des Bataillons: „wo uns aber nicht der geringite 
Anftoß vorfiel, welches eine Hauptanzeige ift, daß der Feind fo gut wie wir den 
Plat des Gejechtes verlafien haben mußte.” Die Grenadiere hatten fi völlig 
verichojlen, des Weges fommende Hufaren halfen den Abziehenden mit Kavallerie: 
munition aus. So fetten fie fich zulegt auf der Höhe des Hügels nördlih vom 
Kaiſerwege feft, der feit jenem Tage der Friedrichsberg heißt, und barrten dort 
til aus, Dis es dunfel ward. 


Prag und Slolin. 097 


“ 


Etwa gleichzeitig mit der Niederlage des linken Flügels und der Avant: 
garde wurde auch im Zentrum der Widerſtand ber Preußen gebroden; von 
3000 Streitern, die in den verberblihen Kampf bei Chogenik nacheinander ein- 
geariffen hatten, führte Manftein, felbit verwundet, nur etwa 1200 unverwundet 
aus dem brennenden Dorf zurüd. 

Der König hatte, als fein Fußvolk zu wanfen beganı und die Brigade 
Seydli von der Uebermadt erbrüdt wurde, wieder und wieder an den Kaifer: 
weg zu Penavaires Schwadronen aeihidt. Sie famen nit. Nun fprengt er 
jelber zu den Säumigen: „Aber, meine Herren Generals, wollen Sie nicht 
-attadieren? Sehen Sie nicht, wie der Feind in unfere Infanterie einhaut? In 
Teufels Namen attadieren Sie doch! Allons, ganze Kavallerie, Marſch Mari!” 
Sie reiten los, der König voran, aber bei Briftwi fommen Kanonenfugeln ge: 
flogen und die nach den beiden mißglüdten Angriffen von vorhin Fopficheue 
Schar iſt nicht mehr zufammenzubalten, fie flüchtet über den Kaiferweg zurüd. 
Um die ruhmvollen Fahnen des erften Bataillons Anhalt, der Leibtruppe des 
alten Deffauers, ſammelt der König in der allgemeinen Auflöfung etwa 40 Mann, 
er läßt das Spiel rühren, jprengt voran, hofft, fein Beifpiel wird die Flucht 
noch wenden. Aber das Häuflein hinter ihm lichtet fih, als die Kugeln ein: 
ihlagen; er ſchaut nur vor fih und gewahrt nit, daß nur nod feine Adju: 
tanten ihm folgen. Bis Major Grant ihm zuruft: „Sire, wollen Sie die 
Batterie allein erobern?” Da hemmt der König fein Pferd, betrachtet noch einmal 
durch fein Glas die feindliche Stellung, und reitet dann langſam nad) dem rechten 
Flügel, um dem Herzog von Bevern die Befehle für den Rückzug zu erteilen. 

Bis zur legten Stunde hatte Bevern, wie der Schladhtplan es verlangte, 
jeinen Flügel zurüdzuhalten gejucht, und wenn er es auch zulaffen mußte, daß 
die dem Angriff auf Chogenis am nächſten ftehenden Regimenter Manteuffel 
und Prinz Morig den Kampf mitmachten, jo blieben doch wenigftens das Regiment 
Kalditein auf der äußerften Rechten und die Bataillone des zweiten Treffens 
außer Gefecht, aud als das immer näher fommende Feuer ſchon ganze Glieder 
fortriß und das zweite Bataillon Kalckſtein faft feiner fämtlihen Offiziere und 
Unteroffiziere beraubte. Wie nun aber der Herzog von dem Halteplat der Reiter, 
wo er die Befehle des Königs entgegengenommen hatte, zurüdfehrte, fand er 
auch dieſe legten Bataillone, mit denen er den Rüdzug zu deden gedacht, in 
erbittertem Kampf verwidelt. Das erſte Bataillon Garde unter Führung des 
waderen Majors Tauenzien wies vier Bataillone und zwei Kavallerieregimenter 
ab, aber einer der Potsdamer Hünen nad dem andern brach zufammen, das 
Bataillon verlor 24 Offiziere und 475 Mann. Dem Regiment des Prinzen 
Mori blieben nur zwei Offiziere unverwundet. Mit den acht Bataillonen, die 
fih bier opferten, teilten fih in die Ehren des legten MWiderftandes, von dem 
General Meinede entichlofien geführt, die neumärfifchen Dragoner als einzige 
Kavallerietruppe diejes Flügels, denn feine beiden Küraffierregimenter hatte 
Bevern fortgeihidt, um das Defile von Planian für das abziehende Heer offen 
zu halten; nicht weniger als achtınal warfen fih die tapferen Dragoner in das 
Kampfgewühl. Nah einem letzten fruchtlofen Vorſtoß aus Brzezan jtellten die 
Deiterreicher noch vor Sonnenuntergang auch auf diejem Flügel das Gefecht ein. 


Roier, Abnig Friedrich der Große. II. 2. Auf 7 


05 Sechſtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Dieſe unerſchrockene Haltung der preußiihen Rechten, weiter der Nahdrud, 
mit dem eben jett bei finfender Sonne auf der entgegengejegten Seite des 
Schlachtfeldes Zieten feinen Partner Nadasdy noch ein drittes Mal zurüdwarf, 
endlih die Erſchöpfung und bie Verluite der eigenen Truppen — man zählte 
nah der Schlacht 1002 Tote, 4176 Verwundete und 1640 Vermißte — be: 
ftimmten den Sieger von Kolin, jegliche Verfolgung zu unterlaſſen und fi mit 
der Siegesbeute von 45 Geſchützen, 22 Fahnen, 4480 verwundeten und unver: 
wundeten Gefangenen zu begnügen. Unbebelligt, in geordneten Kolonnen, folgten 
mit Einbruch der Nacht die zufammengeichmolzenen Bataillone Beverns dem 
geihlagenen, geflüchteten linken Flügel nad Planian. Es ergab ſich, daß die 
Infanterie volle zwei Drittel ihres Beitandes, über 12000 Mann, eingebüßt 
hatte; die Neiterregimenter hatten auf 16 000 Mann nur einen Abgang von 1450. 

Die Neiterei des linken Flügels blieb bis tief in die Dunfeldeit in une 
mittelbarer Nähe des regungslofen öfterreihiichen Heeres und las die Splitter 
des Hülſenſchen Grenadiercorps auf. Die Hufaren, die bis zur Elbe bin ſchar— 
mußiert hatten, wollten zuerit nicht daran glauben, daß die Schlacht verloren jei. 
Doch bielt mehr die Natlofigfeit als Kedheit oder Tro die müde Schar bier 
angelichts des Ueberwinders auf freiem Felde zurüd. Bieten war während jeines 
dritten Waffenganges verwundet vom Schlachtfeld fortgeſchafft worden; der 
Hrjährige Penavaire war nad allen förperlihen Anjtrengungen und allen er: 
Ihütternden Eindrüden des heutigen Tages faſſungslos, von den Brigade: 
generalen war Krofigf gefallen, Normann erklärte, ohne Befehl des Königs nicht 
vom Plage weichen zu fönnen, Krodom, nad) dem Dienitalter der Erfte, jcheute, 
als er das hörte, die Verantwortung. Die Lage war für alle völlig neu; noch 
nie waren die Preußen geichlagen worden. Aus mehr als einem Munde börte 
man: das ift unjer Pultawa. Endlich ritten fie langjam davon; die Kaiſer— 
ftraße und die blutige Walftatt, wollte man nicht dem Feinde auflaufen, mußten 
linfs liegen bleiben; die Schreie der Verwundeten bezeichneten in der Finſternis 
das Feld der Schreden, dem man fich nicht nahen durfte. 

Der König hatte gleich nach der Auflöjung des linken Flügels das Schladt: 
feld verlafjen, um zu feinem zweiten Heere zu eilen. Nutzte Daun feinen Sieg 
nadhdrüdlih aus, jo fonnten die öfterreihijchen Weiter die Erften jein, melde 
die Kunde von Kolin an die Moldau trugen. Die gerade Straße war nad 
diefem Ausgang bereits unficher, doch mochte Major Grant verſuchen, ob er noch 
durchkam mit feiner Botichaft an die Generale vor Prag: daß die Schlacht ver: 
loren fei, daß fie alles vorbereiten jollten, um beim eriten Befehl die Belage: 
rung aufheben zu fünnen. Der König jchlug den Ummeg über Nimburg ein, 
im Galopp, mit ihm die Gardes du Corps und ein Trupp Hufaren. Bei Nim: 
burg ging er über die Elbe, durdritt die ler auf einer Furt und jegte bei 
Brandeis zum zweitenmal über die Elbe. 

„Sie wijjen wohl nicht, daß jedes Menſchen Glüd feine Rückſchläge baben 
mu?” jagte er auf dem nächtlichen Ritt zu dem jungen Grafen Kriedrid von 
Anhalt; „ih glaube, daß ich jest die meinen haben werde.“ 


Dritter Abichnitt. 


Von Rolin nach Teufhen. 


den preußijchen Linien vor Prag Offiziere und Soldaten der Nachrichten 
von dem zur Schlaht ausgezogenen Heere. Feindliche Streifpartien 
bemmten die Verbindung. Ausgeihidte Hujaren braten gegen Abend die Mel: 
dung, daß die Heere aneinander jeien, daß der Feind von Stellung zu Stellung 
zurüdgeworfen werde. Helle Freude verbreitete ſich im Heere. 

Mitternacht war vorüber, als fih Major Grant mit feinem Auftrag vom 
Könige am Zisfaberg bei dem Prinzen Ferdinand von Braunjchweig melden 
ließ, der auf dem rechten Moldauufer den Oberbefehl führte. Tief erjchüttert 
eilten beide zum Quartier des Prinzen Heinrih. „hr Götter!” rief der Prinz, 
indem er vom Lager emporfuhr, bewahrte aber volle Ruhe und Fallung. Er 
ritt auf das andere Ufer und beſprach ſich mit Winterfeldt. Am Morgen traten 
die Führer zu Branif an der Schiffsbrüde zur Beratung zufammen: die drei 
Brüder des Königs, Ferdinand von Braunfchweig, Marihall Keith, die Generale 
Schmettau, Winterfeldt, Golg, Regom und Prinz Schönaih. Schon konnte ihnen 
Prinz Heinrich feine Dispofition für den vom Könige angeordneten Aufbruch 
vorlejen. Die Nachricht von der verlorenen Schladt hielten die Generale ftreng 
geheim, nur Gerüchte liefen durch das Heer; die Truppen aber blieben un: 
gläubig, denn ihr König galt ihnen als unüberwindlih. Bis er am Nachmittag 
jelber durh das Lager dahergeritten fam, auf dem Pferde, das ihn jeßt jeit 
36 Stunden trug, nur von einem Pagen begleitet. Obgleich er fi vor Er: 
müdung faum im Sattel halten fonnte, zwang er fi doc zu einer guten 
Haltung; aber jein jonit jo helles Auge war zu Boden geſenkt und fchien wie 
von dichtem Nebel bevedt. Bor dem Pfarrhauſe zu Mile, feinem alten 
Quartier, erwarteten ihn die beiden jüngften Brüder, er trat in das Haus, dann 
ward Prinz Heinrich hereingerufen. Der König, noch ohne jein Gepäd, lag auf 
einem Strobjad, erihöpft an Leib und Seele, nicht mehr unter dem Zwang der 
mühſam geübten Selbitbeherrichung, tief bewegt und weich. Er fühte den Bruder, 


83 und von Stunde zu Stunde erregter harrten am 18. Juni in 
@ 


100 Sechſtes Bud. Tritter Abfchnitt. 


geitand ihm jeine Niedergeichlagenheit und jagte wiederholt, daß er fterben möchte. 
Mit der Fürſorge für den Abmarſch beauftragte er den Prinzen und genehmigte 
den Entwurf, den dieſer ihm vormwies; Sich jelbit bezeichnete er als jet zu allem 
unfähig, jchlehthin der Ruhe bedürftig: früh um 3 Uhr mußte er mit den 
Truppen marjdieren. 

Die militärifshe Begabung des Prinzen Heinrih trat in dieſer ſchweren 
Probe immer glängender zu Tage. Schon nad der Prager Schladht hatte der 
König gejagt: „Ich würde ihm noch mehr loben, wenn es nicht mein Bruder 
wäre.“ Dem Prinzen aber war es in feinem beißen Schmerz über das Ber: 
derben, dem er Heer und Staat ausgeliefert glaubte, eine Art ingrimmigen 
Troftes, dab der Miferfolg feines königlichen Bruders feinem eigenen Verdienft 
als Folie dienen mußte. Der engliihe Geſandte gewann den Eindrud, daß 
Heinrih den König haſſe, und wie ridhtig Mitchell jah, beweiſen des Prinzen 
eigenhändige Aufzeihnungen noch unwiderleglicher, als das gehälfige, von fort: 
laufenden Anklagen gegen Friedrih ſtrotzende Tagebuch jeines Adjutanten, des 
jungen Grafen Hendel. Längft war in des Prinzen Kreiſe vorausgefagt worden, 
daß die Belagerung der böhmiſchen Hauptftadt nicht glüden könne. est hatten 
die Beſſerwiſſer recht behalten. Der neue Cäſar hatte bei Prag Alefia nicht 
erneuert. „Seine Majeftät,“ fpottete Hendel, „thaten alles möglihe, um bei 
Prag, wie im Jahre 1744,') Ihren Ruhm abermals zu verlieren und um Prag 
ein für allemal zu den Säulen des Herkules feiner ferneren Unternehmungen 
zu ftempeln, und das nah der glorreihiten Schlacht, die jemals geichlagen 
wurde.” Der Prinz ſelbſt aber jandte der Prinzeffin Amalie ein jchadenfrohes 
Brieflein, das jeinem Schreiber zu Unehren den Deiterreihern in die Hände 
fiel: „Phaeton ift geftürzt, und wir willen nit, was aus uns werden wird. 
Der 18. wird für Brandenburg auf ewig unheilvoll jein. Phaeton bat für feine 
Perſon Sorge getragen und ſich zurüdgezogen, bevor der Verluft der Schlacht 
völlig entſchieden war.” Die leidenjchaftlihen Anklagen wegen des Angriffs 
verteilten fih auf den König felbit und Morik von Deflau. Der hätte, in diefem 
Krieg noch an feinem Treffen beteiligt, aus niedriger Eiferſucht auf den Herzog 
von Bevern, den Helden von Loboſitz, Neichenberg und Prag, ſtürmiſch zur 
Schlacht gedrängt, die Ungeduld und Lebhaftigfeit des Königs gemißbraudt und 
jeiner Eigenliebe unwürdig geſchmeichelt; Friedrich ſelbſt aber hätte in dieſer 
Eigenliebe ohnegleichen, in dem verberblichen Ehrgeiz, den ſchon jo oft befiegten 
Feind noch einmal zu beftegen, jein Heer nicht zur Schlacht, fondern zur Schlacht: 
bank geführt und die Kunſt entdedt, in jehs Wochen das Werk von 30 Jahren, 
dies ſchöne und umvergleichlihde Heer, die fiherfte Stüge von Preußens Größe, 
zu zeritören. 

Ohne zu bäßlihen Schmähungen fich hinreißen zu laſſen, verfihert doch 
aud der vertraute Berater des Prinzen Ferdinand von Braunſchweig, niemand 
int Heere habe gezweifelt, daß der König an der Spitze des von ihm verftärften 
Beobahtungscorps völlig im ftande geweſen fei, den ängftlihen, zaudernden Daun 
beliebig lange und beliebig weit von Prag zurüdzubalten, auch ohne ihm ein 


80.1, 238. 


Ton Kolin nad Zeuthen. 101 


Treffen zu liefern. Auch jpäter it oft ähnlich geurteilt worden. Die eingehende 
biftoriihe Unterfuhung, die nad 50 Jahren ein öfterreihiiher Offizier der 
Koliner Schlaht widmete, ilt zu dem Ergebnis gelangt, daß es für den König 
von Preußen darauf angelommen wäre, zwijchen Prag und dem öfterreidhiichen 
Heere eine gute Stellung zu wählen, an der Daun nicht vorbeigehen konnte, und 
dann den Angriff des Gegners abzuwarten; ſchon das nad) Friedrichs Urteil nicht 
hinreichend gededte Lager bei Kaurzim fei in Dauns Augen unangreifbar gewejen. 

Friedrih hat wiederholt Veranlaffung genommen, jeinen Entihluß zur 
Schlacht eingehend zu begründen. Er macht geltend, daß er nicht bloß die Wege 
nah Prag zu fperren, fondern auch die Magazine in Brandeis und Nimburg 
zu deden hatte, und daß die aus der Zernierungslinie entnommenen Negimenter, 
follte die Blodade nicht gefährdet werben, dort nur auf kurze Zeit gemißt werden 
fonnten. Dagegen führt der Herzog von Bevern, indem er ben König gegen 
die Tadler in Schuß nimmt, lediglich die Rückſicht auf den Kriegsichauplag in 
Niederiahien als NRechtfertigungsgrund an. Auch Friedrich hat diefe mehr poli: 
tiſche Rücicht ftark betont; in einem Schreiben an Podewils und Findenftein 
hat er die Minifter für die unglüdlihe Wendung mittelbar verantwortlich gemacht: 
fie, „unter uns gejagt”, hätten dazu beigetragen, daß er ein wenig zu überftürzt 
Daun die Schlacht geliefert habe; denn fie hätten ihn jo ſehr gedrängt, nad) 
Hannover und Hefjen zu detadhieren. Er glaubte Gefahr zu laufen, wenn feine 
Hülfe zu lange auf fi warten ließ, die weitdeutichen Verbündeten erliegen oder 
abfallen zu ſehen; er malte fi auf der andern Seite die großen und glänzen: 
den politifhen Wirkungen aus, die ein neuer Sieg nad fich ziehen würde: feine 
volle Ueberlegenheit über die Defterreiher, den tiefen Eindrud auf die Reiche: 
ftände, auf die Franzojen, Rufen und Schweden. reilih, das alles wäre ihm 
auch zugefallen, wenn er Daun in vorſichtig abgewarteter Deſenſivſchlacht befiegte, 
oder wenn Prag ohne eine zweite Schlacht überging. Aber wie hätte die Aus: 
ficht, fo großes mit einem Sclage, an einem Tage, zu erreihen, nicht ihren 
mädtigen Reiz auf einen Feldherrn ausüben jollen, der auf die Defenfivjchlacht 
jeine Truppen taktiſch und moraliſch nicht eingeihult hatte und der in Terrain: 
ichmierigfeiten ſchon feit Soor und Keſſelsdorf ein Hindernis des Sieges nicht 
mehr jehen wollte? So blieb das Enticheidende, dab Friedrich, wie Weftphalen 
es ausdrüdte, „nur nocd des Sieges gewohnt, die Schlacht zugleih als den 
fiherern und fürzeren Weg anzufehen geneigt war”. Der König auf der einen 
Seite und feine Kritifer auf der andern befanden ſich hier in jenem großen, 
durchgehenden Gegenfag der ftrategiihen Anfhauung, der während diejes Krieges 
noch fo oft hervortreten jollte, indem der eine bei den eigentümlichen VBorzügen 
jeines Heeres die Schlacht als das allemal am nächſten liegende Mittel der Ent: 
iheidung anfah, während fie von den anderen vielmehr als eine Verlegenheits: 
ausfunft betrachtet wurde, 

Hatten politiihe Beweggründe bei dem Entihluß zur Schlacht mitgewirkt, 
jo waren nun die Folgen der Niederlage auf dem Gebiete der Politik zunädjit 
faft empfindlicher als auf dem militäriihen. Denn bier war eine unmittelbare 
Gefährdung mit dem Tage von Kolin noch nicht eingetreten. Die Ausfiht auf die 
Einnahme von Prag und die Waffenftredung eines ganzen Heeres war verjcherzt; 


102 Sechſtes Bud. Tritter Abſchnitt 


fonft aber jhien in dem Augenblide, wo die bisher gegen die belagerte Feſtung 
eingejegte Streitmadht wieder zur freien Verfügung Stand, die Meberlegenheit im 
Felde den Preußen zurüdgegeben zu fein. Hat doch jener MWeftphalen fogar die 
Frage erörtert, ob man nicht troß der Niederlage die Einſchließung hätte fort: 
ſetzen können, 

Die Aufhebung der Belagerung, die Fortführung der Poſitionsgeſchütze und 
des Trojies, der Abmarſch der Truppen ging obne erhebliche Störung vor ſich. 
Nur auf der Kleinjeite hatte Keith bei feinem Rückzuge moldauabwärts gegen 
den lebhaft nahdrängenden Feind einen Berluft von etwa 1000 Mann an Toten, 
Verwundeten und Ueberläufern zu verzeichnen. Drüben dagegen erreichten die 
preußiichen Kolonnen völlig unbehelligt die Elbe bei Brandeis und die Verbin: 
dung mit bem auf Nimburg zurüdgegangenen geichlagenen Heere unter Prinz 
Morig. „Ih bin heute,“ jo Fündete der König am 20. Juni abends dem 
Defjauer feine Ankunft in Brandeis an, „obngeadtet des großen Unglüds des 
18, mit Elingendem Spiel und der größten Fiertät um 3 Uhr von Prag auf: 
gebroden . . . Bei unferm Unglüd muß unjere gute Contenance die Sache joviel 
möglidh reparieren . . . Das Herz ift mir zerrifien, allein ih bin nicht nieder: 
geichlagen, und werde bei der eriten Gelegenheit juchen, diefe Scharte aus- 
zuwetzen.“ „Nichts drängt uns bier,” jchreibt er zwei Tage jpäter an Keith. 
Ein guter Tag, eine gute Biertelftunde, jo hofft er, kann uns die Oberhand 
über unjere Feinde wieder verichaffen. Noch denkt er, daß das hier vereinigte Heer 
die Elblinie halten ſoll, um früheftens zum Winter nad Schleiien zurüdjugeben, 
falls nicht bis dahin ein guter Erfolg einen vollen Umjchlag herbeigeführt hat. 

Er hatte geglaubt, die Sieger von Kolin jhon zwifchen Prag und der 
Elbe auf jeinem Wege zu finden. Aber Daun hatte tags nah der Schlacht 
jein altes Lager bei Krychnow von neuem bezogen und nit einmal den 
preußifhen Fuhrpark wegnehmen lajlen, der bis früh um zehn Uhr, die Wagen 
im wirren Knäuel feitgefahbren, unter dem Schuße nur eines Bataillons noch 
binter Planian jtand. Erſt am 22. begann der Marſchall feinen Marſch in der 
Richtung auf Prag, am 24. verließen die Belagerten die Feitung, am 26. ver: 
einigten fich beide Heere, eine Streitmadt von faſt 100000 Mann, zwei Meilen 
öftlih von Prag bei Kolodej. Den Oberbefehl über das ganze große Heer über: 
nahm nicht der Sieger von Kolin, jondern der Beliegte von Prag. Die Freude 
im Heer und in allen öfterreihiichen Zanden war groß und geredt. Der Glaube 
an Friedrichs Unbejiegbarfeit war dahin. Die Kaiferin-Königin ftiftete Friege- 
riſchem Berdienite zu Ehren den Maria:Therefia-Orden und verlieh das erfte 
Sroßfreuz dem erjten Ueberwinder ihres gewaltigen Gegners; fie nannte nod 
nad Jahren dankbar ben 18. uni den Geburtstag der Monardie. In der 
befreiten böhmischen Hauptſtadt aber frohlodte ein frommer Sänger: 

Das ijt ein Werk nit unfrer Mächten, 
Der Höchſte hilft uns felber fechten, 
Gott und Johann von Nepomuk 
Trieb von der Stadt den Feind zurud, 
Die Vorbitt unſrer Lands: Ratronen 
Beſchützte Deiterreichs heilige Gronen. 


Bon Kolin nad Leuthen. 103 


Der König von Preußen war der Meinung, dab die Bewegungen der ver’ 
einigten Defterreiher dem Heere Keith gälten. Die Fühlung mit Keith über 
Melnik war verloren, da die Pontons auf dem Wege dorthin von Panduren 
weggenommen waren. So mußte die Verbindung über Yeitmerig bergeftellt 
werden. Mit 18 Bataillonen und 74 Schwadronen meldete fich Friedrih am 
23. Juni bei dem anderen Heere an. Für den all, daß es ihm glüden follte, 
den Feind zu ſchlagen und vor fi her zu treiben, hinterließ er dem Prinzen 
Morig den Befehl, jofort über die Elbe zu gehen und die Magazine von Deutſch— 
brod und Iglau zu überfallen, aljo die Aufgabe zu löfen, der Bevern vor Kolin 
nit gewachſen geweſen war. 

Hochgeſpannte Entwürfe, die ſchnell aufgegeben werden mußten. Keith 
hatte die trefflide Stellung bei Budin, in der ihn der König zu finden hoffte, 
bereits geräumt, in ber Furt, umgangen zu werden. Morig gab Liſſa und die 
Elblinie auf, ging nad Yungbunzlau zurüd und ſprach ſogar, was ihm eine 
nahdrüdliche Rüge zuzog, von der Notwendigkeit eines weiteren Rückzuges nad 
Zittau. Das feindliche Heer aber, mit dem Friedrich auf dem linken Elbufer 
zu jchlagen gedacht hatte, ward nicht fichtbar. 

Der König nahm nun an, daß die Gegner ji erit würden erholen wollen, 
womit er auch für die Heritellung des eigenen Heeres zwei bis drei Wochen oder 
gar die ganze Zeit bis Mitte Auguft gewonnen zu haben glaubte. Aber alle 
Pläne für die Kriegsführung in Böhmen Fonnte, wenn fie fich beftätigte, die 
Nachricht vereiteln, die er no auf dem Marjche nad) Leitmerig erhielt: es bie, 
daß die Franzoſen ohne Widerftand über die Weſer gegangen feien und durd) 
das Braunſchweigiſche vordrängen. In diefem Falle, meinte er, werde bes Ver: 
bleibens in Böhmen nicht mehr lange fein: „Wo die Franzoſen gegen Magde: 
burg kommen, fo ift es vorbei.” Das Gerücht ftellte fih als falſch heraus, und 
der König hoffte nun, daß der neue Feind jenfeits der Weſer bleiben würde, 
bis die NReichstruppen oder die Schweden auf dem Plan erjchienen; die einen 
wie die anderen aber erwartete er nicht vor der Mitte des Auguft. Damit ergab 
fih der Zeitpunkt, bis zu dem es galt, das nörbliche Böhmen zu halten. 

Eeit dem 27. Juni war das Hauptquartier zu Leitmerig im bifchöflichen 
Schloſſe. „Meine Zuflucht in meinem Schmerz,” ſchrieb Friedrih an den ge: 
treuen Marquis d'Argens, „Sind die tägliche Arbeit, zu der ich verpflichtet bin, 
und die unaufhörliden Zerftreuungen, die mir die Menge meiner Feinde ber 
reitet.” Da erjchütterte ein neuer Schlag jeine mühjam wiedergewonnene Faſſung. 
Am 28. Juni ftarb in ihrem Schloſſe Monbijou fiebzigjährig die Königin-Mutter 
Sophie Dorothea. Auf des Grafen Podewils jchonende Anordnung leate der 
Rabinettsrat dem Könige zunächſt die noch rot gefiegelten Familienbriefe vor, in 
der Vorausjegung, daß fie nur der Krankheit Erwähnung thäten; darunter 
aber befand fih aud das Schreiben der regierenden Königin, das ſchon den töd— 
lihen Ausgang meldete, jo daß der König am Abend des 1. Juli gang unvor: 
bereitet den Verluſt erfuhr. „Alle Unalüdsihläge treffen mich auf einmal,“ 
ichreibt er im erjten Schmerz an die Prinzeſſin Amalie, „o meine teure Mutter! 
D guter Gott, ich ſoll nicht mehr den Troft haben, dich mwiederzufehen. O Gott, 
o Gott, welch Verhängnis für mid.” Was war diefe Mutter ihm gewejen! Sie 


104 Schites Bud. Dritter Abſchnitt. 


hatte mit ihm gelitten, hatte all das bittere Herzeleid feiner jchweren Jugend 
mit ihm durchgefojtet. Sie hatte an ihn geglaubt, da der harte Vater ihn als 
verloren aufgab und ausftieß, und wer hätte nachher feiner Kraft und Tüchtig— 
feit, feines hell aufftrahlenden Ruhmes, feines Heldentums ſich ftolzer und inniger 
freuen fönnen als die treue Mutter? Der Gattin innerlich entfremdet, von den 
Geſchwiſtern erit mit jcheuer Ehrerbietung, ipäter mit tiefer Entfremdung be: 
trachtet, jelbit mit der Lieblingsſchweſter Jahre hindurch entzweit, war er der 
Mutter ſtets gleihermaßen ein lieber Sohn gemejen, ber gute Sohn, der in 
zarten Aufmerkjamfeiten und jinnigen Ueberrafhungen fich erichöpfte, um ber 
für Glanz und Schimmer jo empfänglihen Fürftin das zu erjegen, was fie in 
freudlojer Ehe lange hatte entbehren müſſen. hr hatte alljährlid das glän- 
zendſte Feſt des Hofes gegolten, ihr jandte der fieggefrönte Feldherr die eriten 
eiligen Botichaften von jeinen Schlachtfeldern. Nur Eines hatte ihren Lebens: 
abend zu trüben vermocht, die erneute Sorge um das Yeben des geliebten Sohnes, 
der herbe Echmerz der Trennungsitunden im vergangenen Herbft und zulegt am 
12. Januar: 

Als ich beim Abjchied dich mit meinen Thränen nebte, 

Verriet es mir das Herz, dies Scheiden war das legte. 

Noch hofft’ ich: Atropos wird mein Gebet belohnen, 

Zum Dpfer mid erfehn und meine Mutter fchonen. 

Doc nein, der harte Tod flieht mich und meine Bein 

Und hüllt dein teures Haupt in bleihe Zchreden ein. 


— jo Friedrichs rührende Totenflage. Eine Art Troft it ihm der trübjelige 
Ausblid: „Wielleiht hat der Himmel unjere gute Mutter abberufen, damit fie 
das Unglüd unferes Hauſes nicht mehr hauen follte.” Den Tag nad dem Ein: 
gang der Trauerfunde blieb der König dem Heere unjichtbar. Am dritten Juli 
berichtete Eichel an Podewils in treuherziger Teilnahme: „Die Betrübnis Seiner 
Königlihen Majeftät ift ehegeitern und geftern ſehr groß und heftig gemweien, 
hat fi) doch aber dadurd heute in etwas gemindert, da des Königs Majeität 
in Erwägung genommen, was Diejelbe’ in gegenwärtigen eritiquen Umftänden 
Sih, Dero Staat und Armee und Dero hödjitgetreuen Unterthanen ſchuldig find, 
wodurd dann, und durch die deshalb notwendig zu machende Dispositiones, der 
Chagrin etwas unterbroden worden, ob es gleich an jehr betrübten Moments und 
Intervalles nicht fehlet.“ 

Am Abend diefes Tages ließ der König den britiihen Gefandten rufen 
und behielt ihn mehrere Stunden bei jih. Mitchell hörte mit tiefiter Bewegung, 
wie er fich in jeinem Schmerze gehen ließ und feinem findliden Gefühl wärmiten 
Ausdrud gab. Es tröfte ihn, daß er dazu beigetragen habe, der Mutter den 
Schluß ihres Lebens ruhig und angenehm zu maden. Er erging fih in Jugend— 
erinnerungen; er erzählte dem Gejandten, wie jehr er den Mangel einer geeig- 
neten Erziehung empfinde; er eriparte feinem Vater diefen Vorwurf nicht, ge: 
dachte aber fein mit aroßer Pietät und Schidlichkeit. Er geitand den ganzen 
Leichtfinn feiner jungen Jahre ein, durch den er den väterlichen Zorn verdient 
habe, obgleidy der König von jeiner Leidenschaftlichkeit ſich zu weit habe hinreißen 


Ton Kolin nach Yeuthen. 105 


laften. Zulegt kam er wieder auf jeinen Berluft zurüd und auf alles, was er 
der Mutter danke; die Eintracht, die in feiner Familie herrſche, jei den Ge: 
ichwiltern anerzogen. 

Täuſchte ihn die weihe Stimmung diejes Augenblids darüber hinweg, 
daß die Eintracht in dem Föniglihen Haufe längft leerer Schein geworden war, 
io jollte jhon die nächite Zukunft unausgeſprochene Gegenjäge ſchroff zum Durch— 
bruch bringen. 

Gleich nad feiner Ankunft in Leitmerit hatte Friedrih den Thronfolger 
nah Jungbunzlau zu dem zweiten Heere entfandt, um den deflauiihen Prinzen 
im Oberbefehl abzulöjen. Der Prinz von Preußen hat nahmals behauptet, ſich 
um dieje Stellung nicht beworben zu haben; der König dagegen hat es fich zum 
Vorwurf gemadt, den Fürjprechern des Prinzen, denen er oft genug reinen Wein 
eingeſchenkt, endlich doch nachgegeben zu haben. Erinnern wir uns, daß er 1749 
jeinem Bruder für den Kriegstall den Oberbefehl gegen die Ruffen, mit Schwerin 
als Berater, zugedadht hatte!) Wenn nun 1756 nicht nur Schwerin, jondern 
auch Keith felbitändige Heere anvertraut erhielten, jo machte der Thronfolger 
gegen jeine Umgebung fein Hehl daraus, daß es ihn beleidigte, gleihfam auf 
die Stellung eines Volontärs angewieſen zu jein und höchitens auf Fleine Streif: 
züge ausgejandt zu werden. Seine Mißſtimmung wuchs von Tage zu Tage. 
Längit voll Bitterfeit gegen einen Bruder, der jchon daheim als König und 
samilienhaupt jeine Herzenswünſche gefreuzt hatte,“) befrittelte er jetzt die 
Heeresleitung und Friedrichs perjönlihe Haltung,?) nicht anders, als er die 
Politik verdammte, die zu diejem Kriege geführt hatte; jelbit den Franzoſen 
gegenüber hielt er mit feinem Verdammungsurteil nicht zurüd, die fi dann noch 
nah einem Menjchenalter, als der Sohn diefes Prinzen den preußiſchen Thron 
beftieg, erwartungsvoll an die franzöfiihen Sympathien des Vaters erinnert 
haben. Prinz Wilhelm bezeichnete ſich als das unglückliche Opfer des Syſtem— 
wecjels, denn feiner habe mehr zu verlieren als er; jchon ſah er ſich, wie er 
jeinen Vertrauten klagte, nicht ald mächtigen und gefürchteten König von Preußen, 
fondern als Kleinen Kurfürſten von Brandenburg; er erklärte, daß er nad einem 
ſchimpflichen Frieden die Krone nicht annehmen, jondern alle Rechte jeinem Sohne 
übertragen werde. 

Schwerin war Weltmann genug geweien, dem Prinzen jagen zu lajlen, 
dab er gern unter ihm als Zweiter dienen würde. Nun war der Marjchall 
aefallen. Als nah dem Abzug von Prag die Gejamtftreitmaht in Böhmen 
wieder in zwei ungefähr gleich ſtarke Heere zerlegt wurde, war bei allen Be: 
denfen, die der König hatte, die Wahl des Bruders nicht wohl zu umgehen, um 
jo weniger, als des Bringen Vordermänner in der Nanglifte, Feldmarſchall Keith 
und Markgraf Karl von Schwedt, bei weitem nicht Anjehen und Anſprüche eines 
Schwerin bejaßen. 

Das Heer an der Elbe bei Leitmerig zäblte jetzt 50 Bataillone und 
83 Schmwadronen, das des Prinzen an der Her 52 ſchwache Bataillone und 


) Bd. 1, 471. 
) Bd. 1, 484. 
’) Bgl. oben ©, 32, 


106 Sechſtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


80 Schwadronen; die 32 Bataillone, die bei Kolin im Feuer gewejen waren, 
hatten auf 14 eingeteilt werden müſſen. Bon den 110000, die Ende April in 
Böhmen eingedrungen waren, blieben faum noch 70000 verfügbar. Seine eigene 
Aufgabe jah der König in der Dedung der ſächſiſch-böhmiſchen Päſſe aegen die 
Defterreiher und in der Abwehr der Franzojen und der Neihstruppen. Dem 
Prinzen lag ob die Verteidigung der Lauſitz und Schleſiens. Böhmen follte er, 
wenn irgend möglih, nicht vor dem 15. Auguft räumen, und den Weg nad 
Schleſien eintretenden Falls durh die Yaufig nehmen. Außerdem wurde ihm 
vorgejhrieben, daß er in feiner rechten Flanke den Feind an einem Vorſtoß 
dur das Mittelgebirge in der Richtung auf Tetichen verhindern und daß er, 
wenn bie gejamte öfterreihifche Macht fih gegen das Heer des Königs nad) 
Leitmerig wandte, jih dorthin nachziehen follte. 

Gleich bei der Ankunft des Prinzen in Jungbunzlau ftellte ſich die Un: 
möglichkeit heraus, die dortige Stellung zu behaupten. Er ging auf Neuſchloß 
und am 6. Juli weiter auf Leipa zurüd. Des Königs unwirſche Bemerkung, 
daß das Heer auf diefe Art fich unverjehens bald mitten in Sachſen befinden 
werde, vermehrte noch das Gefühl der Unficherheit, in welchem der Prinz feine 
ſchwierige und fomplizierte Aufgabe übernommen hatte. Auf immer wiederholte 
Anfragen konnte ihm der König doch nur antworten, er möge nad den Um— 
jtänden handeln, da fih Vorichriften für Märjche und Stellungen nit aus der 
Entfernung geben ließen. In das Lager bei Leipa eingerüdt, wollte fich ber 
Prinz anheifhig machen, von hier aus alle Anſchläge des Feindes auf das 
Magazin in Zittau zu verhindern und im Augenblid der Gefahr leicht den nur 
zwei Meilen entfernten VBerbindungspunft Gabel zu deden; wenige Tage darauf 
aber fehlte es ihm an Entjchlojfenheit, der in Gabel angegriffenen Beſatzung zu 
Hülfe zu ziehen; die vier Bataillone mußten ſich nach zweitägigem heldenmütigen 
Widerftand ergeben, während der Prinz in einem ratlofen Bericht an den König 
es offen ließ, ob er die Bebrängten noch werde entjegen fönnen, oder ob er 
Zittau nun auf Nebenmwegen aufzufuchen habe oder gar fid) zu dem andern Heer 
nad) Xeitmerit werde retten müſſen. Den König verjegte der Bericht in Die 
größte Erregung. „ch will rein von der Leber weg ſprechen,“ jagte er zu 
dem Prinzen Heinrich, „ich habe meinen Bruder lieb, aber zum Kommandieren 
ift er nicht geichaffen.” Er mußte darauf gefaßt fein, von heute auf morgen 
diejen ;yeldherrn mit feinem ganzen Heere bei fih anfommen zu jehen. Dann 
war Zittau verloren, die Lauſitz, die Wege nah Schlefien und nad Berlin 
ſtanden offen, 

So ſchlimm fam es nidt. Der Prinz raffte fih zu dem Entſchluſſe auf, 
fein Heer auf dem Ummege über Rumburg nad Zittau zu führen. Er beging 
nun aber den neuen jchweren Fehler, daß er nicht die fürzeite Straße, den neu 
angelegten Weg über Georgenthal, einjchlug, jondern nah links über Kamnitz 
ausbog, um möglichit weitab vom Feinde zu marſchieren. Auf den engen, be: 
ſchwerlichen Gebirgswegen brauchte er für einen Mari von fünf Meilen fünf 
Tage, verlor Taufende durd Dejertion, mußte fait den ganzen Fuhrpark, 
Munitionswagen, Proviantkarren, Brüdengefäße und Feldöfen unterwegs ver: 
brennen und konnte doc vor Zittau nicht mehr verhindern, daß der Feind am 


Bon Kolin nah Leuthen. 107 


23. Juli von der beherrichenden Stellung des Cdartsberges aus die blühende 
Stadt und das große Magazin, Vorräte für 40000 Mann auf drei Wochen, 
dur feine Brandfugeln in Ajche legte. Mit ihren 80000 hätten Karl von 
Lothringen und Daun das auf 18000 Mann zufammengejchmolzene, tief ent: 
mutigte, durch jechstägigen Mari erihöpfte preußiiche Heer angreifen müſſen 
und vernichten können. Sie blieben unbeweglich. „Noch bat der Feind Reſpekt 
vor uns,” jagte Winterfeldst. In dumpfer Nefignation bielt der Prinz zwei 
Tage lang feine Stellung bei Herwigsdorf im Angefiht der Uebermadt. Am 
26. Juli trat er den Rüdzug nah Baugen an, ſchon in Gefahr, auch von dort 
abgejchnitten zu werden. Die Straßen nah Schlefien ftanden jetzt den Defter: 
reihern offen. 

Es war befannt, daß der Prinz dem Grafen Schmettau fein Vertrauen 
zumandte. Schmettau galt als fein „militärifches Wörterbuch” ; diefen Gehülfen 
hatte er fih bei Uebernahme des Oberbefehls ausprüdlih ausgebeten. So hat 
denn ber König für die mattherzige Art der Heeresleitung alsbald Schmettau 
verantwortlich gemacht, während diejer ſich darauf berief, daß der Prinz nichts 
gethan habe, ohne Winterfeldt zu Nate zu ziehen. Warnery, der auf dem ver: 
derblihen Nüdzug die Nahhut führte, tadelt Schmettau, ohne MWinterfeldt frei- 
zufpredhen; denn der ſei jeit feiner Bermwundung in der Prager Schladht nicht 
mehr der alte gewejen, er habe die Dinge mit angejehen und Geiftesgegenwart 
und Entichluß vermifjen laffen. Die Anhänger des Prinzen haben Winterfeldt 
zum Borwurf gemadht, daß er am Abend des 14. Juli, ermüdet von einem 
Streifzug nah Tetihen zurüdgefehrt, fi gemweigert habe, zu der Berfammlung 
zu kommen, in der wegen des Entjages von Gabel beraten werben follte: aber 
war der Prinz deshalb berechtigt, Kriegsrat und Beſchlußfaſſung, wo jede Minute 
fojtbar war, auf den andern Morgen zu verfchieben? Er hat fich beflagt, vier 
fo uneinige Generallieutenants zu Untergebenen gehabt zu haben, wie Winter: 
feldt, Schmettau, Fouqué und Colt, die aus Eiferfucht und Eitelfeit alles ver: 
fehrt und verdreht hätten. Nun hatte der Hader der Generale Schon 1756 dem 
Feldmarſchall Keith das Leben jchwer gemacht. Damals hatten die Verehrer des 
Prinzen gemeint, daß er durch feine Gegenwart „imponieren” und die Einigfeit 
wieder herftellen würde. Jetzt follten vielmehr die Recht behalten, welche ihm 
ſchon vor Jahren Unabhängigkeit, Selbftvertrauen, Entſchloſſenheit abgeſprochen 
batten.’) Ohne dieſe unentbehrlidhiten Eigenjchaften blieb der Prinz ein jchlechter 
Feldherr, troß feines guten militäriichen Blickes — denn Warnery hat ihm das 
Zeugnis gegeben, daß er die Sache zehnmal befier verftand, als alle die, welche 
er um Rat anging, und daß alles gut gegangen jein würde, wäre er feinen 
eriten Eingebungen gefolgt. Winterfeldt, wie immer fein eigenes Verhalten ge: 
wejen fein mag, traf den Kernpunft, wenn er endlich, nad dem Aufbruch von 
Zittau, dem Könige fchrieb: „Bei alle dem Kriegsrathalten fommt nichts heraus, 
fondern es muß einer allein mit Rejolution fommandieren;” feine Pflicht er: 
fordere, darum zu bitten, daß der König eine Aenderung bei dieſem Heer vor: 
nehme oder jelber komme. 





) 3b. I, 485. 


108 Sehftes Bud. Dritter Abichnitt. 


Der König hatte dieje Mahnung nicht abgewartet. Schon auf die Nach: 
riht von dem Berluft von Gabel entichloß er fih zum Marie nad der Laufig. 
Er ſandte einen Brief an den Bruder voraus, der an Härte und Hohn alles 
übertraf, was er je einem General gejagt hatte: „Sie willen nicht, was Sie 
wollen, no was Sie thun. Sie werden ftets nur ein erbärmlicher General 
fein. SKommtandieren Sie einen Harem, wohlan; aber jo lange ich lebe, werde 
ih Ihnen nicht das Kommando über zehn Mann anvertrauen. Wenn ich tot 
jein werde, jo mögen Sie alle Dummheiten machen, die Sie wollen; aber jo 
lange ich lebe, jollen Sie den Staat dadurch nicht mehr ſchädigen.“ Am 22. Juli 
brad er mit einem Teil feines Heeres von Leitmeritz auf: „wenn ich mich nicht 
beeile,“ jpottete er, „werde ich meinen Bruder nicht mehr treffen; ich glaube, fie 
werden bis Berlin laufen.” Keith folgte mit einer zweiten Abteilung zunädhit 
bis Pirna, um auf den eriten Befehl nad Bauten nahrüden zu fönnen. Die 
Obhut von Pirna und Dresden übernahm Prinz Morig mit 14 Bataillonen und 
10 Schwadronen. 

Am 29, vormittags erreichte der König mit den Gensdarmen und Gardes 
du Corps das Lager von Bauten. „Da ſah man die Prinzen und die Generale 
zittern,” erzählt Warnery; „fie hätten ficher vorgezogen, eine Brejche zu ftürmen, 
als jegt vor den König zu treten.” Als der Thronfolger mit den Prinzen von 
Bevern und Württemberg und der Generalität fi ihm nahte, wandte Friedrich 
jein Pferd und machte fih eine gute Viertelftunde lang mit den Fourierihügen 
zu jchaffen, die für jein Corps das Lager abiteden jollten. Als endlich der Prinz 
feine Meldung anbringen fonnte, zog der König kaum den Hut und entgegnete 
fein Wort. Nachher beichied er den Xeiter des Verpflegungsmwejens, General 
Goltz, zu fih und ließ dur ihn den Generalen jagen, fie alle verdienten die 
Köpfe zu verlieren. Schmettau erhielt bei der Parole den Befehl, das Lager zu 
verlaflen und nad Dresden zu gehen. Tags darauf bat der Prinz um Ent: 
hebung vom Oberbefehl, wegen feiner durch Strapazen und mehr noch durch 
Verdruß geſchwächten Gejundheit, und weil der geitrige Empfang und bie voran: 
gegangenen Briefe ihm genugſam gezeigt hätten, daß er nad) des Königs Meinung 
Ehre und Reputation verloren habe. Friedrich antwortete nur immer verlegen: 
der: „Sie haben dur Ihre ſchlechte Aufführung meine Angelegenheiten in eine 
verzweifelte Yage gebracht; wer mich zu Grunde richtet, find nicht meine Feinde, 
jondern Ihre ſchlechten Maßnahmen. Meine Generale find unentſchuldbar, ent= 
weder weil fie Ihnen jchlecht geraten oder weil fie Ihre ſchlechten Entſchließungen 
zugelafien haben. Ihre Ohren find nur an die Sprade der Schmeichler ge— 
wöhnt, Daun bat Yhnen nicht gejchmeichelt und Sie jehen die Folgen... Das 
Unglüd, das id) vorausjehe, ift verurfacht worden zum Teil dur Ihre Schuld. 
Sie und Ihre Kinder werden den Schaden mehr empfinden als ich.” 

Der Prinz ging nah Dresden. Seinen Aufenthalt in Berlin zu nehmen 
ward ihm mit der jchneidenden Frage unterfagt, ob er den fFeiglingen im Heere 
ein Beijpiel geben oder ſich demnächſt mit den Frauen zur Flucht in eine Feſtung 
veranlaßt jehen wolle. Entichuldigungsverfuche trugen ihm nur immer neue Vor: 
mwürfe ein: „Mangel an Entſchluß und Mangel an Haltung, ſowohl im Privat: 
leben wie an der Spite des Heeres,” dahin fahte der König feine Anflage 


Bon Kolin nad Xeuthen. 109 


zufammen. Die Erbitterung des unglüdlihen Prinzen war grenzenlos. Der 
engliihe Gejandte war entjegt, wie leidenfhaftlih und unvorfidhtig er jprad). 
Im Verein mit dem Markgrafen Karl von Schwedt und dem allgemeinen Ber: 
trauensmann Eichel ließ Mitchell nichts unverfucht, um ihn zu bewegen, daß er 
ſchweige und feiner Umgebung Schweigen auferlege. Vergebens; nur fo viel ward 
erreiht, daß der Prinz auf die Veröffentlihung einer Berteidigungsjchrift und 
jeines Briefwechſels mit dem Könige verzichtete; jo blieb in dem Augenblid der 
höchſten Gefahr dem Staate und dem Königshaufe ein öffentliches Nergernis er: 
part. Auch die Schweiler in Stodholm, die jelbft vom Scidjal jo ſchwer 
heimgefuchte Königin Ulrike, redete zum Guten. Sie verfidherte dem Lieblings: 
bruder, daß das auch in Schweden vielbeiprodhene Zerwürfnis nicht zu feinen 
Ungunften beurteilt werde, aber fie mahnte auch, daß es niemals eine Schande 
fei, jeinem Herrn, jeinem Könige nachzugeben: „Er iſt lebhaft, ſchnell und die 
Kümmerniffe, die er gehabt hat, haben dieje Erregbarkeit gefteigert, Sie willen, 
dab das unfer Familienfehler ift.” 

Die Brüder blieben unverföhnt. Ein gebrodhener Mann, fiehte Auguft 
Wilhelm von Stund an zuiehends und jchnell dahin. Friedrichs perjönliches 
Verhalten richtet ſich dadurch, daß er als Bruder dem Bruder eine Behandlung 
widerfahren ließ, wie er jelbit fie nicht einmal von dem Vater hatte hinnehmen 
wollen; denn wenn er fih aud nicht zu den Gewaltausbrühen Friedrich Wil: 
helms binreißen ließ, jo wirkte body fein ägender Hohn und jeine eifige Un: 
barmherzigkeit faum minder verlegend. Den PVertrauten des Prinzen galt es 
als ausgemadht, daß der König froh geweſen jei, jemand gefunden zu haben, 
dem er die Schuld für alles Unglüd babe zufchieben können. So hat ber. Prinz 
von Preußen in dem Andenken vieler als das Opfer ungeredhter Laune fort: 
gelebt. Aber feine Apologie mit ihren willfürlih ausgewählten Bemeisftüden 
vermag ihn doch nicht zu entlaiten. Sein Haupttrumpf, dab der König ihm 
verboten habe, von Böhmiſch-Leipa noch weiter zurüdzugehen, wird dadurd ent: 
fräftet, daß er jelbit die Stellung bei Leipa gerade unter dem Gefidhtspunft 
gewählt hatte, Gabel und die fürzefte Verbindung mit Zittau von dort aus alle: 
mal deden zu fönnen, und daß er dann doch abgejchnitten wurde. Andere haben 
den König getabelt, daß er an der am meilten gefährdeten Stelle nicht jelber 
den Befehl übernommen babe. Aber als Friedrih Ende Juni zu dem Haupt: 
heere zurüdging, jchien die Uebermacht des Feindes vielmehr dorthin fallen zu 
wollen; auch war die Verteidigung Sachſens, mit der Nötigung zu doppelter 
SFrontbildung zugleih gegen die Defterreiher und die Franzofen, an ſich die 
ichwerere Aufgabe. Vom Nebel war, daß Friebrih den Bruder nicht auf den 
Nat eines beftimmten Generals vorzugsweife oder ausichlieglih angewieſen bat; 
jein Kommando follte eben mehr jein als deforativer Schein, aber damit war 
der Selbitändigfeit des noch Unerprobten zu viel zugemutet. 

Mag die Schroffheit in der Form noch jo beflagenswert ericheinen, in der 
Sache hat Friedrich nur recht und königlich gehandelt, wenn er, im Gegenfaß zu 
der Schwäche fo vieler anderer Herricher, einen Anspruch hoher Geburt auf die 
Heeresführung nicht gelten ließ. Er war nicht zu Gunften feines Fleiſches und 
Blutes voreingenommen, aber auch nit zu Ungunſten. Denn wenn er jetzt den 


110 Sechſtes Bud. Dritter Abfchnitt. 


einen Bruder, bei offenfundiger Unzulänglichkeit, ſchnell wieder unter die Maſſe 
zurüdichob, fo hat er nahmals den andern, der echtes Verdienft bewährte, willig 
und dankbar als den hervorragendften aller jeiner Truppenführer anerkannt. 
Schon jegt ftellte er dem Prinzen Heinrich das Zeugnis aus, daß überall, wo 
er fich befinde, die Dinge gut gingen. In die Sorgen, Entwürfe und Entſchlüſſe 
der legten jchweren Wochen hatte er diefen Bruder, mit gefliffentlicher Hervor: 
hebung feines Vertrauens, fort und fort eingeweiht. 

Frriedrich war entichloiien, nach der Vereinigung jeiner beiden Heere „den 
legten Mann dranzufegen, um die Sache womöglich wieder in Ordnung zu 
bringen”. Nach Kolin hatte er den Vorſatz ausgeiproden, feine Schlachtfelder 
in Zufunft mit Vorſicht auszuwählen, da jeder Fehler Fapital werden könne. 
Jetzt jagte er, daß ihm nichts übrig bleiben werde, als gegen jeine Grundjäße 
zu handeln: zu jchlagen um jeden Preis. Zunächſt aber bedingte ein Vormarſch 
gegen den Feind umfaſſende und zeitraubende Vorkehrungen für die Verpflegung. 
General Retomw, der Yntendant, mußte diesmal, jo verlangte es der König, ſich 
jelbit übertreffen. Von den ſchleſiſchen Magazinen abgejchnitten, der großen 
Vorräte von Zittau beraubt, fonnte das Heer nur über Dresden feine Zufuhren 
beziehen. Während der Vorbereitungspauje liefen von neuem jchlimme Bot: 
ihaften ein, diesmal aus dem Lager des einzigen Verbündeten. 

Nach dreimonatlihem Stillitand der Regierungsmaſchine!) hatten fich die 
hadernden Häupter der herrichenden Bartei in den legten Tagen des Juni für 
die Neubildung des Kabinetts miteinander verftändigt. Pitt ließ fich herbei, unter 
dem unfähigen Newcaſtle als eritem Lord des Schafes zufammen mit Lord 
Holdernefie die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten zu übernehmen, und 
borgte fich, nach feinem bezeichnenden Ausdrud, für feine Politif die Majorität 
Neweaftles im Unterhaufe. Aber was der König von Preußen von dem neuen 
Minifterium erwartete, geihah nit. Man jandte feine Truppen nad) Hannover 
zur Befämpfung der Franzojen und Feine Schiffe in die Dftfee zur Einſchüchte— 
rung der Ruffen und Schweden, denn das Eine verbot fih durch die whiggiſtiſche 
Barteitrabition und das Andere durch ein einfaches Nechenerempel: „Wir müflen 
den Krieg als Kaufleute führen,” jagte Holdernefie, — als Kaufleute, die jede 
Störung ihrer Handelsbeziehungen zu Rußland jorgfältig zu vermeiden hatten. 
Man ließ aljo Flotte und Landungstruppen vielmehr nad Aranfreih an die 
Mündung der Charente fahren, um ſchließlich angefihts der Küfte des völlig 
überrafchten Feindes vor der Kühnheit des trefflich vorbereiteten Anjchlages auf 
Rocefort zurüdzufhreden. Dem König von Preußen bot man ftatt der Kriegs: 
ichiffe und der Truppen Geld, Subfidien, jo viel als man vom Parlament mit 
Anitand werde verlangen können. Mitchell überbracdhte ihm dies Anerbieten am 
27. Juli auf dem Marie nah Bauen. Friedrich ermiderte jehr verbindlich, 
daß er feine Antwort erteilen wolle, wenn in der Lauſitz die Entjcheidung ge: 
fallen jei; werde er geihlagen, dann bebürfe es einer Antwort allemal nicht, 
dann vermöge auch England ihn nicht zu retten. Daß der König unter Hinweis 
auf die früheren Verſprechungen das jegige, für den Nugenblid ganz wertloje 


) gl. oben ©. 61. 88. 


Ton Kolin nad) Leuthen. —111 


Anerbieten bitter als moutarde apres diner bezeichnete, vermerkte Mitchell nur 
in feinem Tagebuche, nicht in jeinem Berichte nah London. Seinem dortigen 
Geſchäftsträger hatte Friedrich tags zuvor geichrieben: „Sie verfihern mir immer, 
dak England entichlojfen fei, in allem mit mir vpranzugehen, während feit andert: 
halb Fahren England 3000 Schritt hinter mir zurüdfgeblieben it.” 

Eben in dieſem Augenblide erfüllte ſich das vorausgejehene Geſchick des 
Heeres in MWeitdeutichland. Die Fehler der engliſchen Politik rächten ſich an der 
Kriegsführung in Hannover. Der Herzog von Cumberland hatte, als die feind: 
lihen Maſſen ihm näher famen, feinen hochgemuten Vormarſch nad Paderborn !) 
ichnell bereut. Mitte Juni ging er bei Nehme über die Weſer zurüd. Noch 
zögerte Graf d’Etrees, unſchlüſſig wie immer, nachzudrängen; er begnügte ſich 
zunädit, von der oberen Ems aus zur Rechten und zur Linken Heerſcharen nad 
Ditfriesland und nad Heſſen auszujenden. Erſt nad einem vollen Monat führte 
er bei Corvey feinen Weferübergang aus. Cumberland jchmeichelte fih mit der 
Hoffnung, in einer jtarfen Verteidigungsſtellung die Nachteile, die ein Unglüds: 
tag für die Sache der Verbündeten von Weftminfter mit ſich gebradt hatte, an 
einem einzigen Glücstage wieder ausgleihen zu fünnen. Am 26. Juli nahm 
er bei Haftenbed, unweit von Hameln, die Schladht an. Den 74000 Franzofen 
hatte er nur 36000 Hannoveraner, Braunjchweiger, Helfen und Büdeburger 
entgegenzuftellen. Trogdem gab d'Etrées nad fünfftündigem Gefecht die Schlacht 
ihon verloren, da die beherrihende Stellung auf der Ohmsburg ihm wieder 
entrijjen wurde und ganze Brigaden bereits flohen. Inzwiſchen aber hatte 
Cumberland übereilt feinen Abmarjch eingeleitet, und d’Etrces bemerkte es noch 
rechtzeitig, um jeinen eigenen Rüdzugsbefehl zu widerrufen und fi auf dem 
vom Gegner geräumten Schladhtfelde als Sieger feitzufegen. Erft in feinen 
Nahwirkungen wurde der Tag von Haftenbed für den ganzen Feldzug in Nieder: 
deutichland entjcheidend. 

König Friedrid jchrieb dem engliihen Gefandten auf die Nachricht von 
der verlorenen Schlaht, damit feien feine Vorausfagungen eingetroffen: „Die 
Engländer wollen weder zur See ihre Sache kräftig durchführen, noch den Kon: 
tinentalfrieg; ich bleibe als der lekte Kämpe unferes Bundes zum Schlagen 
bereit, und müßte auf den Trümmern meines Vaterlandes gefämpft werden.“ 

Die Defterreiher hielten fih noch immer bei Zittau in dem am 24. Juli 
bezogenen Yager zwifchen dem Edartsberge und Klein-Schönau und nahmen ihre 
vorgeihobenen Bolten, bis auf die Befagung von Görlitz, nad) und nad auf 
das Hauptheer zurüd. „Es ift nicht ſchwer,“ fchreibt Friedrihd am 10. Auguft 
an Keith, „den kurzen und einfachen Schluß zu machen: der König von Preußen 
bat viele Feinde, er vereinigt feine ganze Streitmadht in der Laufiß, alſo er 
will jeine Kräfte noch gegen die unſern verjuchen, bevor er ſich gegen jeine andern 
Feinde wendet. Leopold Daun hat, ohne große Anftrengung und ohne ein großer 
Dialektifer zu fein, ſehr wohl dieje Kleine Anzahl von Ideen in feinem ſchweren 
Schädel zu kombinieren vermocht, und ich denke, daß er ſich unverzüglich daran 
machen wird, jeine Kanonen aufzuftellen, die wir ihn, wie ich hoffe, noch einige 


) Bal. oben S. 88, 


112 Sechſtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


Male umzuftellen nötigen werben . . . Prinz Karl it, trinkt, lacht und lügt; 
die Großſprecher da unten teilen fih in unfere Haut, und man ift in Wien 
nur noch wegen des Gefängniffes in Verlegenheit, in das man mich zu jteden 
haben wird. O wie füh fol es fein, diefe anmaßlide und hochmütige Brut 
tüchtig auszuklopfen.“ Gelinge 'es, den Feind zu ſchlagen und in das Gebirge 
zurüdzuwerfen, jo folle feine Niederlage eine volftändige werden und fein Ge: 
jhüß und der Troß ihm verloren fein. Am 14. Auguft — die Zwiſchenzeit 
war dem König im Lager von Weißenberg wie eine Emigteit erichienen — war 
das preußiiche Heer endlih mit Brot auf neun Tage!) verfehen, am 15. mar: 
ichierte man bis Bernſtadt, der zweite Tagesmarih führte die Avantgarde um 
die rechte Flanke des Feindes herum, die durch den langgeitredten, vielfach durch— 
ſchnittenen Grund von Wittgendorf gededt wurde. Ueber das Thal hin und ber 
begrüßten ſich die Parteien mit einer lebhaften Kanonade. Ganz vorn bei den 
Hujaren:Vedetten hielt der König, eine Karte in der Hand, neben ihm Winter: 
feldt. Aber da die Maſſe des Heeres hinter der Worhut eine Meile zurüd: 
geblieben war und erft um 6 Uhr abends auf der Höhe von Dittelsdorf ficht: 
bar wurde, nußte es den Preußen nichts, ihre Gegner überrafcht zu haben; ver 
Verſuch einiger Bataillone, fih in Wittgendorf feitzufegen, mißlang. 

Der König ſchlug fein Quartier in Dittelsdorf auf, unter einem Baume 
nahm er fein Nachtmahl ein und fagte zu den um feinen Tiſch berumftehenden 
Dffizieren, daß er morgen dieſe ....... Ichlagen werde. Aber die Stimmung 
der Seinen war jehr gebrüdt. Das Heer zählte faum mehr als 40000 Mann, 
der Feind war mindeitens doppelt jo ftarf. Prinz Heinrich beſprach fih mit 
einigen Generalen und machte fi dann bei jeinem föniglihen Bruder zu ihrem 
MWortführer. In des Prinzen Kreife war, im Gegenſatz zu der Auffaſſung des 
Königs, feit Wochen die Meinung herrichend, daß der Gewinn einer Schlacht 
dem Heere höchſtens für einige Tage Luft machen würde: und nun follte hier 
auf einem Kampfplat geichlagen werden, wo der Sieg überhaupt unmöglich 
ſchien. Der König nahm die Vorftelungen jeines Bruders nad) einigen erregten 
Einwendungen glimpflih auf und verſprach, nur das zu thun, wovon fich Erfolg 
erwarten lafie. Morgens um 3 Uhr ritt er mit ſämtlichen Generallieutenants 
zum Nelognoszieren aus. Der Feind hatte über Nacht in jeiner Stellung alle 
erforderlichen Aenderungen vorgenommen, den Poften von Wittgendorf no ver: 
ftärkt, und aud) den andern, jegt an die Neiße gelehnten Flügel trefflich gefichert. 
Jenſeits des Fluſſes ftand ein Nefervecorps; wenigitens diejes hoffte der König 
ichlagen zu können, wenn ſchon von dem Angriff auf die Hauptitellung abgejehen 
werden mußte. So ging Winterfeldt, während die beiden Heere unter ftrömen: 
dem Negen fih in Schlachtordnung gegenüberftanden, bei Hirichfeld mit einer 
Abteilung über die Neiße, ſah ſich drüben aber durd die Batterien des Feindes 
und die fumpfige Niederung des Kipperbades am VBordringen verbindert. 

Am 20. Auguft trat das preußifhe Heer den Rüdzug auf Oftrik an. 
„Daun will fih nicht mit mir jchlagen, jo will ih ein Epigramm auf ihn 
machen,” hörte man den König jagen. Gewiß durfte der Herzog von Lothringen 





) Bgl. Bd. I, 555. 


Von Kolin nah Keuthen. — 113 


in feinem Bericht nah Wien das einen Entſchluß nennen, der einem hochmütigen 
Geift habe hart fallen müflen. Aber wenn Friedrih mit dem Ausgang un: 
zufrieden war, jo war es Maria Therefia nicht minder, dba wiederum, wie vor 
vier Wochen, ihre Generale hier bei Zittau nicht gewagt hatten, die erdrüdende 
Ueberzahl in eine große Enticheidung einzufegen, troß aller Mahnungen des Kaifers, 
daß die Zertrümmerung des feindlichen Heeres der vornehmfte Gelichtspunft der 
Kriegsführung jein müjle. 

Nur ein Ergebnis, allerdings ein wichtiges, hatte der Vorſtoß der Preußen 
gehabt. Görlitz war zurüdgewonnen, die Verbindung mit Schlefien wieder her: 
geitellt. Sie aufrecht zu erhalten und dem feindlichen Heere, falls es den Krieg 
nah Schleſien trug, zu folgen, wurde die Hauptaufgabe des Herzogs von Bevern, 
dem der König am 25. August die größere Hälfte feines Heeres übergab, während 
er jelber jetzt nicht länger zögern durfte, den Operationsplan endlich aufzunehmen, 
den er im Frühjahr um eines großen Zwedes willen nicht ohne Bedenken einjt: 
weilen zurüdgelegt hatte. 

In diefem Augenblide ftanden außer den Defterreihern gegen ihn im 
Felde: die Nuffen, in einer Sollftärfe von 90 000 Mann unter Marſchall Aprarin 
und General Fermor, der nad) der Einnahme der Feitung Memel am 18. Auguft 
bei Inſterburg zu dem Hauptbeer ftieß; die Schweden, nah dem Voranichlag 
22000 Mann, bei Greifswald nod in der Verſammlung begriffen ;. die Reichs: 
armee, unter dem Herzog von Sahjen:Hildburghaufen, am 23. Auguft aus dem 
Sammellager bei Fürth nad Erfurt aufgebroden, wo fie bei ihrem Eintreffen 
33000 Mann zählte; das Heer des Fürften Rohan-Soubiſe, das am 16. Auguft 
Eiſenach erreichte, 20— 24000 Mann, zufammengejeßt aus den nad der Schlacht 
bei Prag im Elſaß aufgeitellten Regimentern !) und aus Abzweigungen bes fran— 
zöfifhen Hauptheeres, das nad) dem Siege von Haftenbed den Hannoveranern 
in das Herzogtum Bremen gefolgt war, aber bereits Streifpartieen nach dem Harze 
vorſchob. 

Der König von Preußen konnte ſein kleines Heer am Pregel gegen die 
dreifache Uebermacht der Ruſſen nicht verſtärken; er fonnte den Schweden ein 
Heer überhaupt nicht gegenüberftellen, jondern nur eilig zujammengeraffte Yand- 
milizen, ausrangierte Veteranen unter verabjchiedeten Offizieren, und Dazu Die 
nah der Koliner Schlacht in ihre pommerſchen Werbebezirfe heimgejandten 
Trümmer zweier Linienregimenter. Was fi) gegen die Deiterreiher entbehren 
ließ, führte er nah Thüringen, um den Franzofen „eins zu verjegen” und ben 
Reichsvölfern „das consilium abeundi” zu geben. Aber ftatt der 40000 Mann, 
mit denen er im März den Franzoſen aus feiner Zentralftellung entgegengehen 
wollte,?) fonnte er jegt wenig mehr als 20000 mit auf den Weg nehmen, und ftatt 
der 95000, die er damals zwiſchen Zwidau und der lauſitziſch-ſchleſiſchen Grenze 
zurüdgelafien haben würde, blieben dort nur 40000. Schon prophezeite er: 
„Als General habe ich den Feldzug angefangen und als Parteigänger werde ich 
ihn enden”. 


') Bol. oben ©. 87. 
2) Bgl. oben ©. 66. 
Kofler, König Friedrich der Große. II. 2. Aufl 8 


+ 


114 Sechſtes Bud. Dritter Abfchnitt. 


Am 29. Auguft fam der König auf feinem Mari dur Dresden. Der 
alte Eichel war hoch erfreut, feinen Gebieter, von dem er feit vier Wochen 
getrennt gemejen war, „ſowohl von Kopf als Gemüte als auch von Gejundheit” 
fo frifh und munter zu ſehen, wie nur je mitten im Frieden zu Potsdam. 
Friedrich gab das zu und hob fein treffliches Befinden auf den guten Schlaf, 
auf den er jegt rechnen fönne, fobald er fich zur Ruhe begebe. In dem Lager 
von Dittelsdorf war ihm dieſer feite Schlaf fait verhängnisvoll geworden: die 
Glut einer Kohlenpfanne hatte fein Gemah in Brand gelegt, halberftidt war er 
aus dem Bett ins Freie getragen worden. 

„Das feind ſchwere Zeiten, weiß Gott,” jchrieb er an den Herzog von 
Bevern zum Abjchied in feinem gebrochenen Deutih, „und ſolche beflummene 
Umftände, daß man ein graufam Gelüde gebraudht, um fich aus allem diejem 
durchzuwicklen.“ 


Dem neuen Feind, gegen den er jetzt ins Feld zog, hatte er doch bereits 
eine Friedensbotſchaft entgegengeſandt. 

„Man muß die Segel einziehen, wenn der Wind widrig bläſt“ — auch jetzt 
handelte er wieder nad dieſer ſeiner alten Klugheitsregel. Stolz hatte er 
fih beinahe. verfchworen, um die Gunft der hochfahrenden Franzojen nicht länger 
bublen zu wollen. Aber er war allzuſehr Staatsmann, als daß er einer Laune, 
einem Eigenfinn, nachgegeben hätte, und allzu ſanguiniſch, um nicht troß aller 
Bemweile von Frankreichs Uebelwollen gleihwohl von dieſer Seite noch Gutes 
zu erwarten. Und fo meit Einflüffe feiner Umgebung überhaupt für ihn be: 
ftimmend waren, machten fie ſich durchaus zu Guniten der Ausföhnung mit dem 
alten Verbündeten geltend. Wie hatten fih doch die Zeiten feit dem Anfange 
biefer Regierung gewandelt! Damals hatte auch in Berlin der Staat Ludwigs XIV. 
nod im Sinne der reichspatriotifchen Weberlieferung als der Erbfeind gegolten, 
und nur mit MWiderftreben und tief innerliher Abneigung waren die alten Be: 
rater der preußiichen Bolitif dem veränderten Kurs gefolgt. Im vorigen Jahre 
dagegen war von dem jüngeren Gejchlecht die Abmwendung von Frankreich nicht 
minder beflagt und verurteilt worden, ala 1741 von den Altväteriichen das 
franzöliihe Bündnis. Und nunmehr Ichien der traurige Verlauf des Krieges 
alle ihlimmiten Borausfagungen übervoll zu beitätigen. 

Unter dem Eindrud der Kritif, weldhe die Dinge und die Menfchen an 
feiner Abkehr von der alten Allianz übten, und in der Bitterfeit feines Herzens 
über die ſchlaffe, gleihgültige Unthätigkeit feiner neuen Verbündeten hat Friedrich 
vor dem Ausmarſch zu der im Auguſt geplanten Entſcheidungsſchlacht eine 
Denkſchrift aufgelegt, die für den Fall, daß ihn eine Kugel traf, zur Ehren: 
rettung jeiner Politik veröffentliht werben jollte. Den Kern dieſer jeiner 
„Apologie” bildet die Darlegung, er habe nicht vorausjehen können, weder daf 
England alle Erwartungen unerfüllt laſſen, noch daß frankreich fih mit ganzer 
Macht gegen ihn erklären würde. Er hatte im Januar 1756 beim Abſchluß der 
Weitminjtersflonvention nicht einmal angenommen, dab Frankreich deshalb fich 
von ihm abwenden würde; er hatte jechs Monate jpäter, als er das Schwert 


Von Kolin nach LZeuthen. 115 


309, zwar mit ber Möglichkeit gerechnet, daß Franfreih den Wiener Hof mit 
gewaffneter Hand unterftügte, aber in der That, wie er es jet verficherte, fich 
deſſen nicht verjehen, daß Frankreich gleih 150000 Mann marſchieren laſſen 
mwürde.!) Das aber darf nun aus diefer Apologie nicht herausgelejen werden, 
da Friedrih, wenn er im Sommer von 1756 folden Maſſeneinbruch galliichen 
Kriegsvolls geahnt hätte, fein ftille gejejlen und die Entſchließungen jeiner 
Widerjacher ergeben abgemwartet haben würde. Vielleicht, daß er von dem Weit: 
minfter-Bertrag abgejehen haben möchte, hätte er alle Folgen, alles was wider 
Erwartung ausblieb und alles was wider Erwartung geſchah, im voraus er: 
meilen fönnen; in der Lage aber, wie fie bis zum Auguft 1756 fich entwidelt 
hatte, würde er aller pſychologiſchen Wahricheinlichfeit nach durch jeden weiteren 
Einblid in die Tiefen der dräuenden Gefahr nur bejtärkt worden fein in feinem 
alten Grundjag, lieber zuvorzulommen, als ſich zuvorfommen zu lajien. 

Gleich dem Prinzen von Preußen?) ftand Prinz Heinrich mit jeinen politifchen 
Sympatbien, und nicht bloß mit diefen, ganz auf franzöfifcher Seite. Von dem 
Könige befragt, erklärte er ihm ſchon in den eriten Tagen nad) der Koliner 
Schladt, daß er nur in einem Bündnis mit Frankreich das Heil jehe, daß man 
ih den Franzoſen blindlings in die Arme werfen müſſe, und zwar ohne Zögern. 
Darauf hatte Frievrih am 25. Juni, zumal da ihn an demjelben Tage jenes 
vorzeitige Gerücht von dem Wejerübergang der FFranzojen?) ſtark beunrubigte, 
der Marfgräfin von Baireuth geichrieben, fie möge durch den Nitter Folard, 
Frankreichs Vertreter bei einer Anzahl oberdeutiher Füritenhöfe, der in den 
legten Monaten wiederholt feine guten Dienfte angeboten hatte, auf den Frieden 
binzumwirfen fuchen und ihm jagen: man wolle fi) gern dem franzöfiihen Schieds: 
fpruche anvertrauen und hoffe, daß Franfreih nod einen Reſt jeiner Freund: 
ichaft für die alten Verbündeten bewahren werde. 

Die Ausfichten für eine Unterhandlung waren, auch abgejehen von dem 
Umſchwung der militäriihen Lage, nicht eben günftig. Gleichzeitig mit der 
Neubildung des britiichen Kabinetts vollzog fih auch in Franfrei ein Minifter: 
wechſel. An Stelle des immerhin den Anjhauungen des alten Syſtems nod) 
nicht ganz entfremdeten Rouille wurde am 25. Juni der Vertraute der Pompabdour, 
das vornehmjte Werkzeug der Verträge von Berfailles, Abbe Bernis, zum 
Minifter der auswärtigen Angelegenheiten ernannt. Das Gebäude erhielt damit 
jeinen Schlußſtein. Gleihmwohl mußte der Verſuch gemacht werden, mit dieſem 
Manne anzufnüpfen. 

Friedrich hieß es deshalb mit Freuden gut, als die Markgräfin von Bai: 
reuth fich erbot, ihren Kammerherrn Mirabeau, einen Verwandten von Bernis, 
insgeheim nad Paris zu ſchicken. Dagegen lehnte er es am 15. Juli noch ab, 
dem Sendling eine Inſtruktion mitzugeben, alles habe im Namen der Marf: 
gräfin zu geſchehen, man dürfe den Franzoſen nichts vorſchlagen, jondern müſſe 
traten, fie zum Reden zu bringen: „Meine Anfiht würde fein, wenn man das 





') gl. Bo. 1, 580. 588. 586 und oben ©. 37. 38. 40. 
’) gl. oben S. 105. 
) Bgl. oben S. 103. 


116 Sechſtes Bud. Dritter Abichnitt. 


legte Wort aus ihnen herausgezogen hat, alles dem König von England mit: 
zuteilen, um zu sehen, ob es fih machen läßt, diefen Winter zu einem Ber: 
gleich zu gelangen.” 

Unmittelbar darauf erhielt er einen Brief des Neichsgrafen von Wied, 
der vor zweiundzwanzig Jahren in dem Kriege zwifchen Franfreih und Kaijer 
Karl VI. als Friedensvermittler zu einer gewiſſen Berühmtheit gelangt war; fein 
Bruder diente als General im preußifchen Heere. Ein franzöfifcher Oberft, angeblich 
ein Vertrauensmann von Belle-Isle, hatte fih in Neuwied eingefunden und 
dem Grafen die unveränderliche Ergebenheit Belle:Fsles für den König von 
Preußen gerühmt und auf Verlangen es fchriftlich wiederholt, daß der Marſchall 
fih werde bereit finden laffen, wenn der König Vorſchläge mahen wolle. Auch 
jet lehnte Friedrid das ab; er begnügte fih, dem Grafen Wied zu antworten, 
daf er nie fich auf Schimpfliche Friedensverhandlungen einlaffen werde, daß erftens 
feine Verbündeten in Deutichland miteinbegriffen werden müßten, und daß 
zweitens man fi weiter äußern möge. Inzwiſchen aber fiegten die Franzofen 
bei Haltenbed, und nun entſchloß ſich Friedrih, einen Offizier aus feiner näheren 
Umgebung, den Oberiten Balbi,’) nad Neuwied zu jenden, und bevollmädtigte 
ihn zu einem vorläufigen Abkommen auf der Grundlage: feine Abtretungen, 
ein Waffenftilftand, um mit den Verbündeten Abrede nehmen zu fünnen, Ein: 

ichluß der Verbündeten, Erneuerung der früheren Allianz mit Frankreich. Am 
14. Auguft reifte Balbi von Dresden ab. 

Zum Unglüd wurde die Antwort des Grafen Wied auf das Schreiben 
des Königs von ölterreihiichen Hufaren aufgefangen. Friedrich fam, als er am 
4. September das erfuhr, in peinlihe Verlegenheit. Wie, wenn die Botjchaft 
günſtig gelautet hatte? Dann konnte ein Zufammenftoß mit dem franzöfiichen 
Heere, dem er jetzt entgegenzon, alles verderben. Er veriprab fih von der 
Verhandlung um jo mehr, als die Markfgräfin ihm verficherte, Maria Therefia 
wolle feinen Finger breit von ihren Niederlanden an Frankreich abtreten. So 
ging er jekt noch einen Schritt weiter und wandte fi trog allem unmittelbar 
an die Franzoſen, und dod nicht bloß, um durch die Verhandlung die Ber 
wegungen ihrer Truppen aufzuhalten. Der Kammergerichtsrat v. Eiditedt, ein 
auf einer Nundreife an eine Anzahl deutiher Höfe jüngit erprobter Unterhändler, 
wurde am 6. September in das Hauptquartier des Herzogs von Richelieu ab» 
gefertigt; denn an diefen glängzendften aller Grandfeigneurs, das Schopfind des 
Glücks, den Eroberer von Minorfa, hatte der vem Hofe mißliebige d'Etrées troß 
des friichen Lorbeers von Haſtenbeck inzwijchen den Oberbefehl abgeben müffen. 
In einem überaus jchmeichelhaften Brief an den Herzog gab Friedrich der 
Veberzeugung Ausdrud, dab der Neffe des großen Kardinals ebenjo dazu ge: 
Ichaffen fei, Verträge zu unterzeichnen, wie Schlachten zu gewinnen, berief fich 
auf eine fechzehnjährige politiihe Verbindung, deren Spuren nicht ganz in den 
Gemütern vertilgt fein würden, und erſuchte um Mitteilung der auf dieſen 
Friedensantrag bezüglihen Weifungen, die der Marſchall entweder jhon haben 
werde oder von feinem Hofe einholen möge. 


ı) 3b. 1, 574. 


Bon Kolin nad Yeuthen. 117 


An diefem 6. September hatte der König zudem eine neue Unglüdstunde 
erhalten. Feldmarſchall Lehmwaldt, dur den Pregelübergang der Ruſſen in 
jeiner befeftigten Stellung bei Wehlau umgangen, war ihnen mit rafchem Ent: 
ihluß auf das linfe Ufer gefolgt, hatte am 30. Auguft das vereinigte ruffische 
Heer bei Großjägersdorf angegriffen, war nah anfänglichen Erfolgen gejchlagen 
worden und hatte fi unverfolgt Hinter die Alle zurüdgezogen. Der König 
bielt die Nahriht von der Niederlage vor dem Heere geheim, dem tapferen 
alten Feldmarſchall antwortete er auf jeine Meldung mit tröftenden Worten, 
indem er ihm vor allen Dingen anempfahl, fih die Sache nicht jo jehr zu 
Herzen zu nehmen, jondern als ein Unglüd zu betrachten, wie e& im Kriege 
eben vorfomme. Eine abgeſchlagene Attade ſei noch feine verlorene Bataille; 
damit ſolle er Offizieren und Soldaten neuen Mut mahen. Vor Einem warnte 
er ernftlich: fich in Königsberg mit dem Heere einschließen zu laſſen. Dann 
werde alles verloren jein, lieber jolle man den Feind von neuem angreifen. 

Ueber Pegau, Köfen, Braunsroda, wo der König am 12. September ein 
zweites Mal dur nächtliches Schabenfeuer aus dem Bette aufgeltört wurde, 
führte ihn jein Vormarſch auf die große Frankfurter Landftraße. Vom Feinde 
mward außer öfterreihiihen Hufaren und Panduren nichts fihtbar: „Die jran: 
zöfifhe und Reichsarmee ift für uns ein geiltiges Weſen,“ ſpottete Friedrich); 
„viele Leute behaupten, fie gejehen zu haben, aber trifft man nicht auch Leute, 
die Erjcheinungen gehabt haben wollen? Aljo würde ih an der Eriftenz diejes 
Heeres zweifeln, wenn anders ih Pferde hier zu Lande gefunden hätte; die aber 
gibt es nicht, ein Jemand muß fie fortgeführt haben, und diejer Jemand muß 
diefes unfichtbare Heer fein.” 

Seine Kriegsfahrt durch das thüringische Land glich einem Triumpbzuge. 
Der Jubel des treuberzigen Volks aller Orten galt dem Protejtantenfönig und 
dem Befreier von den Franzofen. Beim Durchzug burd das Weimarifche ver: 
ſchmähte Friedrid das ihm von dem Herzog zugerüftete Quartier und die ihm 
entgegengejandten Spenden für Kühe und Keller und begnügte ſich mit einer 
dürftigen Unterkunft zu Neumark; ganz Weimar ftrömte heraus, um den König 
zu jehen. Als er durd die Straßen von Erfurt ritt, umdrängte ihn eine un: 
gezählte Menge; wer konnte, füßte feine Hände, feinen Rod, fein Pferd. 

Vor Gotha erihienen die Preußen am 15. September, zwei Stunden, nad): 
dem bie öfterreihifhen und franzöfifhen Hufaren abgezogen waren. Auf die 
ganz unerwartete Kunde, daß der Kriegsherr jelber feine Vorhut führe, ver: 
jammelten fih im Scloßhof der Herzog und die Herzogin, umgeben von ihren 
Kindern und ihrem Hofitaat; immer voller brauften die Freudenrufe heran, und 
nun ſah man den König an der Spite des Dragonerregiments Meinede, von 
allem Wolf begleitet. „Die Beichaffenheit feiner Kleider und feiner Wäſche bes 
ftätigte,” erzählt ein Augenzeuge, „was der Ruf von ihm fagte, daß er im 
Felde fih im geringiten nicht mehr Bequemlichkeiten geitatte, als der legte jeiner 
Dffiziere.” Er begrüßte die Schloßherrſchaft auf das Artigite und bat um einen 
Teller Suppe, da er feit vier Tagen nicht regelrecht geipeift habe. Man jegte 
fih an die für die Offiziere des Feindes gededte Tafel, das Volk durfte zu: 
ihauen. Die geiftreihe Herzogin, die von ihrem ehemaligen Mißtrauen gegen 


118 Sechſtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


diefen König längit zurüdgefommen war,') ſchien jedes feiner Worte zu ver« 
fchlingen. Derweil ftudierten die Tiſchgenoſſen feine Phyfiognomie: „Das Feuer 
des Helden, die Bedachtſamkeit des Heerführers, die Verjchlagenheit des Staats: 
mannes, den Berftand des Weltweiſen, den Geift des Dichters, den Ernit bes 
Gehorſam heifhenden Herren, die Artigfeit des Gejellihafters, den Witz des 
Spötters: das Alles fanden wir unjerer Meinung nah in ben Zügen dieſes 
Gefihts, in welchem ein Paar der fchönften blauen Augen, voll Glanz und 
Lebendigfeit, eine gerade, ſcharf und wohl gebildete Nafe, ein überaus freund: 
liher und beim Sprechen von lauter Geift umfpielter Mund und jelbft die zwei 
bedenklihen Linien auf der Stirn zwiſchen den Augen, zulammen bas regel: 
mäßigfte und angenehmite Menjchenantlig ergaben, das man nur jehen kann.“ 
Nah zwei Stunden ward die Tafel aufgehoben, der König füßte der Herzogin 
die Hand und verließ die Stadt ohne Bededung, denn feine Reiter follten von 
bier aus den Feind beobadten; er jelbit ging zum Heere zurüd und bettete ſich 
für die Nacht auf dem Boden der Dorfſchenke zu Gamſtädt. Vier Tage ſpäter 
waren es die Feldherren der Verbündeten, Soubife und Hildburghaufen, die fich 
mit ihrem Stab als Mittagsgälte auf dem Gothaer Schloß anjagten. Aber 
Seydlig, den fie auf feinem vorgeſchobenen Poſten abzufangen gedachten, täufchte 
fie durch eine fede Kriegslift jo völlig über feine Zahl, daß die Generale ihr 
Mahl ftehen ließen und mit 9000 Mann vor 1700 Dragonern und Hufaren 
in ihr altes Lager bei Eifenah entwihen. Vom Balkon hatten die Damen des 
Hofes dem plöglichen Scenenwechſel lahend zugefhaut. „Nichts Ruhmvolleres 
fonnte meinen Truppen geſchehen,“ ſchrieb Friedrich ritterlid an die Herzogin, 
„als unter Ihren Augen und für Ihre Verteidigung zu fechten.” 

Entſchieden wurde durch ſolche Reiterftüdchen nichts. „Meine Devije ift,” 
ſchreibt Friedrih nah dem Gefeht von Gotha in abenteuerlichitem Latein: 
„Magnibus in Minibus et minibus in Maxsimus.* In der Vorausſicht, daß 
diefer Feind fich zur Schlacht nicht mehr ftellen würde, hatte er ſchon nad der 
Belegung von Erfurt feine kleine Schar in drei Teile zerlegt: Ferdinand von 
Braunjchweig ward zur Dedung des Fürftentums Halberftadt entjandt; Moritz 
von Dellau an die Mulde nah Wurzen, um den Waffenplag Torgau und die 
Kurmark gegen das bei Baugen erjchienene öjterreichifche Corps des Freiherrn 
v. Marſchall zu firmen; der König jelbit beabiichtigte, wenn der Feind fich 
wider Vermuten herausmwagte, an der Eliter bei Pegau ihn zu erwarten und 
dann den Deſſauer wieder heranzuziehen. 

Bereits hatten gegen einen der anderen Gegner die preußiſchen Waffen 
abermals eine Niederlage erlitten. Die Berbindung mit der Laufig war unter: 
broden, nur Gerüdte drangen durch. Am 14. September jchreibt der König 
an Winterfeldt: „Hier gehet alles nah Wunſch, es ift aber eine verflogene 
Zeitung aus der Yausnig gekommen, die mir in große Sorgen jeßet. Ich 
weiß nicht, was ih davon glauben fol. Aus Dresden jchreibt man mir, Er 
wäre tot, und aus Berlin, Er hätte einen Hieb über der Schulter. Aus diefem 
kann ich mir nicht vernehmen. Wende der Himmel alles zum Beſten!“ Wäh— 


8b. 1, 205. 


Von Kolin nad Leuthen. 119 


rend jeine Umgebung bereits klar jah, bielt der König noch an einer legten 
Hoffnung feit. Aber am 16. fam eine Meldung aus Berlin, die allzu beftimmt 
lautete, am 17. die unmittelbare Beftätigung durch einen Feldjäger mit Be: 
richten des Herzogs von Bevern: den 7. war Winterfeldt mit einem vorgefchobenen 
Corps von 10000 Mann vor Görlif beim Dorfe Moys von jeinem alten 
Gegner Nadasdy, dem er einit den Sieg von Landeshut abgewonnen hatte,') an: 
gegriffen worden; nad mehritündigem heißen Gefecht und nad jchwerer Ber: 
mwundung ihres Führers hatten die Preußen weichen müfjen, Tags darauf war 
Winterfeldt feiner Wunde erlegen. Der König erhielt die Nachricht, als er vom 
Zagerplage bei Erfurt in fein Quartier zu Kerspleben zurüdfam. Er vermodte 
feine Thränen nicht zurüdzuhalten. „Nie werde ich wieder einen Winterfeldt 
finden,” hörte man ihn jagen. Bor drei Wochen beim Abſchied hatte er den 
Freund umarmt, und bewegt zu ihm geſagt, faft habe er vergefien, ihm feine 
Inſtruktion zu erteilen: „Nur diefe weiß ih für Ihn: erhalte Er fih mir.” 
Friedrich betrauerte in Winterfeldt denjenigen feiner Generale, der feinem Herzen 
am näditen ſtand, vor allem aber im gegenwärtigen Nugenblide „den unentbehr: 
lichſten Mann im Heer des Herzogs von Bevern”, den Offizier, auf den er 
für die Verteidigung Schlefiens am meilten gerechnet hatte. 

Nah dem Tage von Moys hatte Bevern jein Lager bei Görlig verlafjen 
und ſich nah Schleſien gezogen. Eine Ehladht ſchien unmittelbar bevorzuftehen. 
Berlin war gegen eine Weberrumpelung durch die Defterreicher jegt nicht mehr 
gebedt, der Hof und die Behörden trafen ihre Vorbereitungen für eine Flucht. 
Auch von Norden her drohte der Hauptitabt bereits Gefahr. Am 13. September 
überſchritten die Schweden die preußifche Grenze und bejegten Anklam und die 
Fährſchanze an der Peene. Zugleich drangen die Vortruppen des franzöfifchen 
Hauptheeres in das Halberftädtiihe ein. Und meiter: es beftätigte fih, daß 
GCumberland, bis unter die Werke von Stade zurüdgedrängt, mit feinem Gegner 
Richelieu unter dänischer Vermittelung am 8. September einen PVergleih ge: 
ſchloſſen hatte, dur den Nichelieu volle Freiheit der Bewegung gegen bie 
preußiihen Lande erhielt: die Konvention von Klofter Zeven, die nur Glimpfes 
halber nicht als Kapitulation bezeichnet wurde. Cumberlands Heer löfte ſich auf, 
die Heſſen und Braunſchweiger wurden in ihre Heimat entlaflen, die hannöver: 
ſchen Truppen mußten teils in Stade und im Herzogtum Bremen, teils auf 
däniſchem Gebiet Quartiere nehmen; Herren im Kurfürftentum Hannover blieben 
bis auf weiteres Abkommen die Franzojen. 

Ale diefe Nachrichten trafen den König von Preußen binnen wenigen 
Tagen Schlag auf Schlag. In die Stimmung des Augenblids verjekt uns 
jein leidvoller Brief an die Markgräfin Wilhelmine vom 17. September, die 
lange „Generalbeichte”, die er der Schweiter ablegte. „Die Feftigkeit befteht im 
Widerftand gegen das Unglüd; aber nur Feiglinge entwürdigen fi unter dem 
Joche, ſchleppen geduldig ihre Ketten und ertragen ruhig die Unterbrüdung. 
Niemals, meine teure Schweiter, werde ih mich zu ſolchem Schimpf entichließen 
fönnen ... Hätte ih nur meiner Neigung gefolgt, fo hätte ich alsbald nad} der 


) 8b. 1, 256. 


120 Sechſtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


unglücklichen Schlacht, die ich verloren habe, mich davongemacht; aber ich habe 
gefühlt, daß das Schwäche fein würde, und daß es meine Pflicht fei, das Uebel 
wieder gutzumaden, das gefchehen war. Meine Hingebung an den Staat iſt 
wiedererwacht; ich habe mir gejagt: nit im Glück iſt es ſchwer, Verteidiger 
zu finden, jondern im Unglüd. ch habe einen Ehrenpunft darein gejegt, alle 
Störungen auszugleichen, und es iſt mir noch neulih in der Laufiß gelungen, 
aber faum bin ich hierher geeilt, um mich neuen Feinden entgegenzumwerfen, da 
wird Winterfeldt bei Görlig geihlagen und getötet, da bringen die Franzoſen 
in das Herz meiner Staaten ein, da blodieren die Schweden Stettin. Für mid 
gibt es nichts Gutes mehr zu thun; es find der Feinde zu viel. Selbft wenn ich 
jo glüdlih wäre, zwei Heere zu ſchlagen, das dritte würde mich jermalmen.“ 

Die Republifaner des Altertums, Brutus und Cato, jollen es den Fürften 
des achtzehnten Jahrhunderts an Hochſinn nicht zuvorthun. So gelobt es der 
Brief an die Markgräfin, jo bekräftigt es wenige Tage darauf ein Scheidegruß 
an den Marquis d’Argens, die poetiiche Paraphraje jenes Briefes: 


Fahr wohl, trugvoller Lorbeer, Heldenkrone, 

Zu teuer iſt der Nuhm der Weltgeſchichte: 

Ein flücht'ger Blid des Glüds wird dir zum Lohne, 
Und vierzigjähr'ge Arbeit wird zu nichte, 

Und hundert Gegnern dient dein Los zum Hohne! 


Lorbeeren, VBergnügungen und ſchon auch die Pflichten, jo lange heilig und 
jet unnütz, ſollen ihn nicht mehr zurüdhalten: die Lohe vom Scheiterhaufen 
der hochherzigen Heiden ſoll ihm den Pfad ins dunkle Todesland weifen: 


Mich Ichredt nicht das Phantom mit Elapperndem Geben; 
Das freundliche Aſyl fer mir der Sara, 

Das aus des Schiffbruhs Graus und Rein, 

Noms größte Söhne rettend barg. 


Tief erregt durch das jchmerzenvolle Schwelgen in feinen bunfeln Phan— 
tafien ließ Friedrich eines Abends — es war am 22. September — nod in 
fpäter Stunde feinen Vorleſer, den Abbé de Prades, rufen: „ch will Ihnen 
meine neueiten Verſe zeigen, vielleicht die legten, die ich in meinem Leben ge: 
macht habe.” Der Abbe las, bald entriß ihm der Verfafler das Gedicht, trug 
es mit Leidenschaft vor und nebte das Blatt mit feinen Thränen. Zu feiner 
Zeit hat Friedrih jo viel Verſe auf das Papier geworfen, wie in bdiejen 
ſchweren Sommer: und Herbſtmonden von 1757. „Oft möcht’ ich mich be— 
rauſchen,“ Hagt er, „um meinen Kummer zu ertränfen, aber da ich nicht trinken 
mag, jo zerftreut mich nichts als Verſemachen, und jo lange diefe Ablenkung 
währt, ſpüre ih mein Unglüd nidt. Das hat mir den Geſchmack für die 
Poefie wiedergegeben, und jo ſchlecht meine Verſe fein mögen, fie leiiten mir 
in meiner traurigen Lage den größten Dienft.” 

Am 24. September, jeit langer Zeit ein eriter Lichtblid: „So ſchön meine 
Epiftel ift, jo werde ich doch den darin ausgeſprochenen Vorſatz jekt nicht aus: 
führen,” jagt Friedrid zu de Prades. Lehmaldt hat gemeldet, daß die Rufien 


Von Kolin nad) Yeuthen. 121 


in Gewaltmärihen aus Preußen abziehen. Ein Gerücht jagt die Zarin tot. 
Zugleih fommt die ſehnlich erwartete Antwort von Nichelieu. 

Der Herzog hatte den preußiihen Emiſſär Eidjtedt in Braunjchweig em: 
pfangen und ſofort einen Eilboten nach Berfailles geſandt, zugleich freilih auf 
die doppelte große Schwierigkeit hingewieſen, die Kaiferin-Königin zu befriedigen 
und Sachſen zu entihädigen. In feinem Antwortichreiben auf Friedrichs Brief 
erklärte er artig, daß er, auf jedem Gebiete dem König weit unterlegen, 
immerhin befler fahren werde, wenn er, ftatt mit ihm fchlagen zu müſſen, 
mit ihm unterhandeln jolle. Alles hing nun von der Antwort aus Verfailles 
ab. Inzwiſchen ging der König den Franzoſen einen weiteren Schritt entgegen, 
wenn er in jeinem Erlaß an Eidjtedt vom 24. September jegt, nad dem Abfall 
der Hannoveraner, zum erftenmal das Wort Sonderfrieden fallen lieh. 

Und abermals einen Schritt weiter ging er, als er Tags darauf auch aus 
Neuwied von jeinem Kundjchafter Balbi gute Nachrichten über einen anjcheinenden 
Umſchwung der Stimmung erhielt, wie ihn Barbutt de Maufac, der geheime 
Agent des Grafen Wied, am Verfailler Hofe wahrgenommen haben wollte. Da 
hieß es, die Verhandlung würde jchnell zum Ziele fommen, wenn der König 
von Preußen fich entichließen wollte, das Fürftentum Neufchatel mit Valengin 
der Marquife von Pompadour für ihre Lebenszeit abzutreten. Schon im vorigen 
Winter hatte ein angebliher Vertrauensmann des franzöfiihen Hofes!) Diele 
Abtretung angeregt und fih darauf berufen, daß bereits früher darüber ver: 
handelt worden jei. Es foll das im Jahre 1754 geweſen fein; damals aber 
hätte König Friedrich, jo erzählte man fi, den Gedanken mit Entrüftung von 
fih gewiefen. Wie dem auch jei, im vorigen Winter waren nicht irgendwelche 
Sfrupel von feiner Seite, jondern nur der plößlihe Tod des Mittelamannes 
dazwifchen getreten. Um mie viel weniger hätte er jegt, im Drange der härteften 
Not, an dem von neuem vorgejchlagenen Ausfunftsmittel Anſtoß genommen. 
Er ermädtigte Balbi, feine Zuftimmung zu erklären, wofern die Marquije 
dahin wirken würde, daß die Friedensbedingungen für Preußen vorteilhaft oder 
wenigftens nicht läftig ausfielen: die MWiederherftellung des Zuftandes vor dem 
Kriege ſollte das legte Wort fein. 

Aber der „Hoffnungsihimmer” erloſch von heute auf morgen. „Ich hatte 
geglaubt, daß es uns in Franfreih würde glüden können,“ ſchreibt Friedrich 
bereit? am 29. September, „aber nad andern Quellen, die ich habe, jehe ich 
nicht mehr Tag.” Wenn Frankreich wirklih, was er bisher noch immer nicht 
geglaubt hatte, fih Flandern hatte abtreten laffen, und wenn man im Begriff 
war, den älteften Erzherzog der Kaiſerin-Königin mit einer Enkelin Ludwigs XV. 
zu verloben, wie durfte da die Auflöfung der Koalition erwartet werden? 

Der September, jo hatte er beim Aufbruch aus der Laufig erklärt, werde 
fein Schidjal für den Herbit und den Winter enticheiden. est war die Frilt 
verronnen, das Glück war nicht zurüdgelehrt, die Lage nur verſchlimmert. Am 
l. des neuen Monats jagt er fih: „Wir find zu Grunde gerichtet, aber ich 
falle den Degen in der Fauſt.“ 


) Bal. oben S. 49, 50. 


122 Sechſtes Bud. Dritter Abichnitt. 


Wie es ſchien, follte bei der Unterhandlung nicht einmal jo viel gewonnen 
werben, daß Nidhelieu mit feinem Heere ftille geftanden wäre. Herzog Ferdinand 
hatte das Halberftädtiihe von den franzöfiihen Vortruppen jchnell geläubert ; 
nun aber mußte er dem König melden, daß der Feind auf der ganzen Linie 
mit Macht gegen die Elbe vorrüde und durch die Altmark mit den Schweden 
Fühlung zu gewinnen ſuche. Friedrich glaubte nicht, daß es jo ſpät im Jahre 
nod auf die Belagerung von Magdeburg abgefehen jei, aber er fürdtete, daß 
Franzoſen und Schweden gemeinjfam die Feitung umitellen wollten. Und des: 
halb entichloß er fich jegt, fein drittes Heer herbeizuziehen, feine öftliche Außen: 
provinz, Preußen, wie ſchon vorher die weitlihen, aufzugeben; mit ſchwerem 
Herzen, zumal im Hinblid auf die gerade jegt dort eingetretene günftige Wendung, 
aber in der Weberzeugung, daß fonft, wie er an Lehwaldt am 2. Oftober 
ſchrieb, „ich faput und verloren fein würde”. Zu Anfang Dezember gedachte 
er mit Lehwaldt vereint den Epigonen TQTurennes und Torftenfons zu Leibe 
zu geben. 

Gleichzeitig mit Richelieu rüdten auch Soubife und Hildburghaufen aus 
Eifenah von neuem vor. Friedrich, ſchon am 27. September mit feinem Eleinen 
vorgejchobenen Corps von Erfurt auf Weimar zurüdgegangen, zog den Prinzen 
Mori nah Naumburg heran. Er hoffte von neuem auf eine Schlacht, wenn 
anders der „Narr“ Hildburghaufen fich dazu verleiten ließ. Aber nur zu bald 
mußte er als ein „Fabius wider Willen” fich überzeugen, daß er die Leute „zu 
nichts kriegen” könne: „wenn Hildburghaufen allein wäre, jo ginge es qut; aber 
die Franzofen fantonieren hinter Gotha, und die kann er nicht mitfriegen, 
alfo kann ich nichts ala Heine Bagatellen ausrichten.” 

„Wenn ich vorrüde,” jchreibt er am 6. Oftober ingrimmig, „fo flieht der 
Feind; gehe ich zurüd, jo folgt er mir, aber immer außer Schußmeite. Geb’ 
ih von bier fort und ſuche etwa den ftolzen Nichelieu irgendwo bei Halberftadt 
auf, jo wird der desgleichen thun, und bier dieje Feinde, augenblidiih ruhig 
wie die Steinbilder, werden ſich bald bejeelen und mich irgendwo bei Magde: 
burg wieder feitnageln. Wende ih mich nach der Laufig, dann nehmen fie mir 
meine Magazine in Leipzig und Torgau und gehen geradeswegs nah Berlin. 
Kurz, ic bin in Verzweiflung... Die Erperimente fönnen nit mehr lange 
währen, das muß binnen kurzem enden, auf eine oder die andere Weiſe.“ 

In diefen Tagen kam ein Schreiben aus Delices, Voltaires jchweizeriicher 
Einfiedelei. Troß allem, was zwiſchen ihnen vorgefallen war, unterhielt Fried: 
ri jeit dem vorigen Winter wieder einen Briefwechjel mit dem „Patriarden 
des Gefhmads”. Auch jeine Todesgedanken hatte er ihm anvertraut: „Man 
muß für fein Vaterland kämpfen und für fein Vaterland fallen, wenn man es 
retten fann, und wenn man das nicht kann, ift es jchimpflich, es zu überleben.“ 
Darauf entgegnete jegt Voltaire: „Erjchreden Sie nit, Sire, vor einem langen 
Brief, der einzigen Sade, die Sie erjchreden Fann.” Der lange Brief legte 
dar, daß Cato und Dtho Friedrihs Vorbilder nicht jein dürften, daß der große 
Kurfürft darum nicht geringer geachtet worden fei, weil er einige feiner Er: 
oberungen herausgegeben habe; daß auch nad Abtretungen dem König ftets 
genug Land bleiben würde, um einen ſehr hervorragenden Rang in Europa 


Von Kolin nach Yeuthen. 123 


zu behaupten. „Für mid) wird es ein Troit fein,“ ſchloß Voltaire, „beim 
Sceiden aus dem Leben einen philojophiihen König auf Erden zu hinter: 
laſſen.“ 

Friedrich kannte aus ſeinem Plutarch die berühmte Antwort Alexanders 
an Parmenion; ſie gab ihm die Anknüpfung für eine nicht minder berühmt 
gewordene Antwort: 


Glaubt mir, wenn ich Voltaire wär', 

Ein Menſchenkind, wie andre mehr, 

Säh' ich, mit fargem Los zufrieden, 

Vom flücht'gen Glück mich gern gefchteden, 
Wollt’ es verlachen, ganz wie er! . 

Dod andrer Stand hat andre Pflicht . 
Voltaire in feiner ftillen Klauſe, 

Im Yand, wo alte Treue noch zu Haufe, 
Mag friedfam um den Ruhm des Meifen werben, 
Nah Platos Mufter und Gebot. 

Ich aber, dem der Schiffbruch droht, 
Muß, mutig trogend dem Werderben, 

Als König denken, leben, jterben ! 


Volles Berftändnis fand diefe antife Anjhauung bei der Markgräfin von 
Baireuth. Friedrichs erſte Hinweife auf den rettenden Port, den er im Reiche 
der Schatten noch finden fünne, hatten ihr eine „Thränenflut” entlodt. Aber 
fie rühmte fi, diefe Schwäche überwunden zu haben; fie eröffnete dem Bruder 
ihren feiten Entſchluß, fein Los zu teilen, feinen Fall und den Niedergang 
der Dynaftie nicht zu überleben. Auch fie verfoht gegen Voltaires Einwürfe 
ihre und des Königs heroifche Denkart: „Ein Grab ift unjer Richtpunft; ob: 
gleich alles verloren fcheint, bleiben uns doch Güter, die man uns nicht rauben 
fol, die Feftigfeit und das warme Herz.” Fürmwahr, eine tapfere Frau, dieſe 
zarte Prinzejfin mit dem leidenden Ausdrud in dem fchmalen, unendlih an: 
ziehenden Antlig, mit jo viel Geift in dem großen Auge und der leijen Spur 
von Spott um den feinen Mund. Krank, aufgeregt, empfindlich, zur Ueber: 
treibung geneigt in ber Liebe und im Haß, für alle rührenden und erhebenben 
Eindrüde ebenjo empfänglih, wie nachgiebig gegen feindfelige und häßliche 
Regungen, ward fie jet von den leidenichaftlihen Schwingungen, in denen 
Friedrihs innerftes Weſen vibrierte, wie in Verzüdung mit fortgeriffen. Sie, 
die auf ihr ganzes Leben als auf ein ununterbrocdenes Martyrium zurüd: 
ihaute, wußte, was Leiden war, und litt alle Dualen des Bruders ſeeliſch und 
beinahe förperlih mit. Wenn fie für die einft im Elternhaufe erlittenen Un: 
bilden in den fragenhaft verzerrten Schilderungen ihrer Memoiren mit franf: 
haftem Nachzittern ſich ihadlos gehalten, wenn fie jahrelang in dem bitteren 
Gefühl unverdienter Kränfung und verfhmähter Hingebung auch diefem Bruder 
Ihmollend und fchmälend fich entfrembet hatte, jo lebte und mwebte fie jegt nur 
in einem Gefühle: fie jchwelgte in dem Stolz auf den Bruder, dem fie ſich eben: 
bürtig fühlte und der ihre zärtlihe Schweiterliebe mit rührendem Danke vergalt. 
Wer könnte den Briefwechfel der beiden Geſchwiſter ohne Ergriffenheit lejen? 


124 Sechſtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


Die Schwefter war dem gereiften Mann in der ſchwerſten Prüfung jeines Lebens 
wieder das geworden, was fie einft dem erbitterten und verftodten und doch fo 
liebebebürftigen, halb leichtfinnigen und halb ſchwermütigen Knaben gemweien war. 
Wir glauben ihm die oft wiederholte Verfiherung, daß er an dieſer einzigen, 
unvergleihlihen Schweiter ſich ftärfe und aufrichte. 

In anderer Weile war der Prinz Heinrich feit kurzem jein Vertrauter. 
In faſt täglihem Berfehr war der jüngere Bruder jeit dem Tage nad) ber 
Koliner Schladt der Zeuge aller der Stürme geweſen, welche die endloje Drangjal 
in der Bruft des Königs entfeflelte. Kein ftummer Zeuge: der Prinz hielt mit 
feinem felbftändigen Urteil, feinem Widerſpruch nicht leicht zurüd; verſchloſſen 
bielt er nur feinen Groll, dem das harte Gejhid des ihm in warmer Freund: 
Ihaft verbundenen Prinzen Wilhelm neue Nahrung gegeben hatte. Heinrich war 
von gröberem und einheitliherem Stoffe als Friedrich und Wilhelmine, ohne 
den Zufag von Empfindfamfeit und Ercentricität, ruhig, fühl, nüchtern, ftets 
bedächtig und abwägend, allen unvermittelten Jmpulfen unzugänglich, allem ver: 
mwegenen Ungeftüm abhold: jo als Menſch und jo als General und Politiker. 
Für den herben politifhen Idealismus, der alles an alles jegt und den Tod 
anftändiger achtet als ein entehrtes Leben, hatte er jo wenig Verftändnis wie 
Voltaire und führte in diefen peinlihen Geſprächen, während derer der König, 
feinen Hut zerfnitternd, wie ein Verzweifelter im Zimmer auf und ab ftürmte, 
ungefähr diejelben Gegengründe ins Treffen, wie jener in jeinen weltweifen 
Briefen. Am 12. Dftober jpeifte Friedrich zu Edartsberga jelbitviert mit dem 
Prinzen, Mitchell und Keith; er ſprach „nicht vier Worte” über Tiſch. Nah 
ber Mahlzeit behielt er den Bruder allein zurüd und Hlagte troftlojer denn je: 
der Zuftand, in dem er ſich befinde, ſei länger nicht zu ertragen und jchlimmer 
als der Tod. Heinrich entgegnete, daß er feinen Grund fähe, die Sade auf 
das Neußerfte zu treiben. Der König würde nicht der erite Fürſt fein, der ſich 
gezwungen jähe, eine Provinz abzutreten. Gewiß fei feine Lage eine jchredliche, 
aber er brauche ja nur ein Kleines Opfer zu bringen, um fi ihr zu entziehen, 
und die Standhaftigfeit im Unglüd beftehe nicht darin, eine verlorene Partie 
halten zu wollen, jondern in der Anmendung der geeignetiten Mittel, um dem 
völligen Ruin vorzubeugen. 
Der Markgräfin jchrieb Friedrich jelbigen Tages: „Weit entfernt, daß 

das Geſchick fich erweichen ließe, alle Nachrichten, die ich erhalte, alle Briefe, 

die ich öffne, vermehren nur das Gewicht meines Unglüds. Kurz, meine liebe 
Schweſter, es jcheint eine ausgemadte Sache: das Schidjal oder ein Dämon 
haben den Sturz Preußens beſchloſſen, und alles hat dazu zujammenwirfen 
müfjen: widernatürliche Allianzen, Haß, dem man feinen Nährftoff geliefert bat, 
untergeordnete Urfahen und wirkliche Unglüdsfäle. Ich geitehe, daß ich kaum 
zu jchreiben vermag, mein Gemüt ift jo gebrüdt, die Dinge ftehen mir jo nahe 
vor Augen, daß meine Anjtrengungen unvermögend find, fo ftarfe und graufame 
Eindrüde abzuſchwächen.“ Dieſen Abend konnte man von der Straße den König 
in feinem Gemad zu ebener Erde beobadten, wie er mit Xeidenjchaftlichkeit 
Nacines Mithridat deflamierte. 

Zwei Nadhrichten vor allem waren es, die ihn heute jo tief niederdbrüdten. 


Bon Kolin nad Leuthen. 125 


In Schlefien war Bevern vor den Dejterreichern hinter die Oder zurüdgemwichen. 
Aus Frankreich vermittelte die Markgräfin Stimmungsberidte, wonad von dort 
nichts Gutes mehr zu erwarten war. 

Die Antwort aus Berfailles, wie fie dann Richelieu am 13. Dftober zu 
Halberitadt Eidjtedt vorlas und wie Friedrich fie am 16. vernahm, lautete noch 
abweijender und hodhmütiger, als er gefürdtet: daß der König von Frank— 
reih ohne feine Verbündeten, die einzeln aufgeführt wurden, nicht in die Ber: 
handlung eintreten werde und daß die erforderlichen Beratungen nicht mit einem 
General, jondern nur mit den Miniltern des Königs von Frankreich und ber 
Raiferin: Königin gepflogen werden fönnten. Das hieß mit anderen Worten, der 
König von Preußen follte einen Vevollmädtigten nach Verſailles ſchicken und 
um Frieden bitten, wie denn Richelieu es als jeine perfönliche Anficht bezeichnete, 
daß Frankreich jet beftimmte Vorſchläge erwarte. Er fügte binzu, daß die 
Kaiſerin-Königin nie Frieden jchließen werde, ohne Schleſien wiederzuerhalten, 
und unterbrüdte die jpige Bemerkung nicht, daß der König zu viel verfchiedene 
Leute in diefer Sade angegangen habe, wie den Marjchall Belle:fsle — der 
Kichelieus politiiher Gegner war — und andere. 

Friedrichs Selbitgefühl war tief verlegt. Als ihm die Markgräfin in 
einem gleichzeitig eintreffenden Briefe von neuem dringend riet, einen beglaubigten 
Bertreter mit bejtimmten Friedensanträgen nad) frankreich zu Ichiden, erwiberte 
er in der erften Aufmwallung, nicht Krone noch Thron würde er durd eine 
Niedrigkeit erfaufen und lieber hundertmal verderben, als dazu fich herablafien. 
Wie jehnte er ſich danach, durch Thaten diefe Franzojen für ihre „Ungezogen: 
heit und Ueberhebung“ zu ftrafen; anders, fo nahm er fi vor, jollten fie feinen 
Namen nicht mehr nennen hören. Viel eher wollte er e& noch einmal mit den 
Engländern verfuchen, denen er in den legten Monaten jo oft ihre Unterlaſſungs— 
jünden vorgerechnet hatte. Noch an einem der legten Marichtage hatte er dem 
britiihen Gefandten, der an feiner Seite ritt, die bittere Wahrheit gejagt: jebt 
jhreie man in London über den Herzog von Gumberland und die Konvention 
von Kloſter Zeven, aber England und die engliihen Miniſter trügen jelbft die 
Schuld, weil fie feine Truppen nah Hannover gejendet hätten. Eine Erklärung, 
durh die das britiihe Kabinett nochmals Subfidien anbot und dagegen den 
Verzicht auf einen Sonderfrieden forderte, ſowie ein Schreiben Georgs II., das 
in gewundenen Ausdrüden die Konvention mißbilligte, aber nicht mwiderrief, 
waren beide bisher unbeantwortet geblieben, nicht weil er auf den Brief nichts 
zu jagen wußte, wie Friedrih gegen Mitchell ausweichend bemerkte, jondern 
weil er meinte, zwifchen Frankreich und England wählen zu müſſen und nicht 
mit beiden gleichzeitig verhandeln zu dürfen. Indem nun gleichzeitig mit der 
Abjage aus Franfreih am 16. Dftober aus Hamburg durch den englifchen 
Refidenten die Nachricht einlief, das dem ſchmählichen Abkommen Cumberlands 
in London die Ratififation verweigert werde, hielt Friedrih die Entſchließung 
nicht länger an ſich. Er erklärte fich bereit, auf den englifhen Antrag einzu: 
gehen, und forderte feinen königlichen Oheim nunmehr zu einem gemeinjamen 
Winterfeldzuge auf: Lehwaldts Heer und die Hannoveraner würden durch Ueber: 
rumpelung der Quartiere Nichelieus Niederfahien ebenjo vom Feinde fäubern 


* 


126 Schfted Buch. Dritter Abſchnitt. 


fönnen, wie Turenne im Winter auf 1675 das Elſaß ausgefegt hatte. Dem: 
nächſt empfahl er no, die an ber franzöfiihen Küfte nicht zur Ausfchiffung 
gelangten englifhen Truppen jegt an der Elbmündung aufs Land zu werfen 
und den Franzoſen in den Rüden marſchieren zu lafjen. Unerflärli blieb 
freilich, dab König Georg und feine britiihen Minifter trog aller Entrüftung 
über die Vorgänge in Hannover die hannöverifhen Geheimräte niht „im Zaum 
zu halten” verftanden. Nod immer verweilte einer von ihnen, der Großvogt 
Steinberg, in Wien als Gejanbter. 

Unter diefen Umftänden und bei dem furdtbaren Ernit der militärifchen 
Lage waren die wenigen Männer in ber Ilmgebung bes Königs von Preußen, 
die in politiichen Fragen zu Rate gezogen wurden, wenig einverftanden mit 
feiner Abficht, den Faden der franzöfiichen Unterhandlung ganz abzureißen. So 
Prinz Heinrid, der auch diesmal mit Freimut warnte, jo Eichel, der den Grafen 
Findenjtein für die Erreihung „des von allen jo jehr ermwünjchten Zwedes“ 
zum Helfer aufrief und als erfahrener Beobadter ſchon vorausſah, daß die erfte 
Hige verfliegen würde. „Ich habe,” vertraute er dem Minifter an, „bei der be: 
fannten Vivacite Verjchiedenes zu combattieren gehabt, und da durch jelbige 
orbinär wir mehrenteil® auf Extrema gehen, bald zu viel, bald gar nidhts 
boten, jo hoffe ih, Em. Ercellenz; werden nad Dero befannten Einſicht alle 
gute Temperaments darunter gebrauchen.“ Eichel täuſchte fih nit. Nach 
vier Tagen, am 20. Oftober, eröffnete ihm der König aus eigenem Antrieb, 
daß er feinen Gelandten am däniſchen Hofe, Häfeler, nah Paris zu jchiden 
gedenfe, unter dem Vorwand, daß dieſer Diplomat dort für feine zerrüttete Ge: 
ſundheit Heilung ſuchen follte. 

Dem englifhen Gejandten blieb nicht verborgen, daß zwiſchen dem Könige 
von Preußen und den Franzoſen etwas vorging. Aber er warf in jeinen Be: 
richten die Frage auf, ob der König getadelt werden könne, wenn er durch 
Unterwerfung unter Frankreich jeine Rettung ſuche, oder ob nit in Englands 
eigenem Intereſſe dies einer völligen Unterbrüdung Preußens durd Oeſterreich 
vorzuziehen ſei. Mitchells Anficht war, alle Hülfe aus England werde zu jpät 
fommen: „Ich fürchte, die Franzoſen und Defterreiher werden bis Weihnachten 
nicht bloß im Belige von Berlin, jondern des größten Teils der preußifchen 
Erblande jein. In diejer äußerft gefahrvollen Lage, was kann England für 
den König von Preußen thun? Franfreih, und Frankreich allein, fann ihn 
retten, und gleihmwohl, jo iſt nun fein Sinn und jo ftarf ift jeine Erbitterung, 
daß er entſchloſſen ſcheint, lieber jegliche Gefahr zu laufen, als fih von Frank— 
rei retten zu laſſen.“ 

Immerhin betrachtete Friedrih jeinen Feldzug gegen die Franzoſen im 
damaligen Augenblide als vorläufig beendet. Seine ganze Aufmerkſamkeit galt 
jegt wieder „unjerm größten Feind”, den Defterreihern, die ihm joeben eine 
jehr unliebjame Ueberraſchung bereitet hatten. Zuerſt am 11. Oftober wurde 
er gewarnt vor einem Anjchlag des in der Lauſitz zurüdgebliebenen öfterreihiichen 
Corps auf Berlin. Anfangs fnüpfte er an die Nachricht die Hoffnung, daß bei 
diejer Gelegenheit der öjterreichifche Uebermut gebrochen werben jolle, wenn Prinz 
Moritz, von Leipzig vorausgeeilt, den Feind „zwaden und aufhalten” fonnte, bis 


Ton Kolin nad Leuthen. 127 


er jelbit von der Saale her und Herzog Ferdinand von Magdeburg ihm in den 
Rüden fommen würden. Nun aber blieb das Corps des Freiherrn v. Marjchall 
bei Baugen ftehen, nur ein fliegendes Corps von nicht mehr als 3400 Mann 
unter dem verwegenen Parteigänger Hadik erſchien am Vormittag des 16. Oktober 
vor dem fchlefiichen Thore von Berlin, dem Prinzen Morig um einen ftarfen 
Tagesmarid voraus. So ſchwach und minderwertig die Bejagung der Haupt: 
ſtadt war, unter einem fähigeren und entjchloffeneren Kommandanten als dem 
General Rochow hätten dieſe Landmilizen, Garnijontruppen und Refruten das 
Eindringen des Feindes wohl verhindern können. Ueber die Köpenifer Vorjtabt 
it Hadif, während der Hof und die Minifter nad) Spandau flüchteten, allemal 
nicht hinausgelangt; er begnügte fi mit einer Brandfchagung von 215 000 Thalern 
und nahm ſich in unbegreifliher „Werblendung”, wie der Minifter Findenftein 
meinte, nicht die Zeit, die Hülfsquellen der preußifhen Landesverteidigung an 
ihrem Urfprung abzuſchneiden, die Tuchmanufafturen, das Arjenal und das 
Gießhaus, die Gewehrfabrifen und Pulvermagazine zu zerftören oder auszu: 
plündern. Schon beim Morgengrauen bes 17. verließ er Berlin, am Abend 
hielt Seydlig mit jeinem Küraffier-Regiment und den grünen Huſaren unter dem 
Jubel der Bevölkerung feinen Einzug in die befreite Stadt. 

Durh acht Gewaltmärihe ftarf mitgenommen, fonnten die preußijchen 
Truppen den eilends abgezogenen Feind nicht mehr einholen. Und da er aud, 
öftlich über Storfow und Lieberoje ausbiegend, dem von Torgau bis an bie 
ihwarze Elfter vorgerüdten Könige nicht auflief, jo entging Hadik dem ihm zu= 
gedachten Schidjal, mit feinen Truppen lebend oder tot abgefangen zu werden, und 
führte den „geraubten Plunder“ bis auf einen von Seyblig ihm wieder abgejagten 
Geldwagen glüdlih von dannen. Um den Hof und die Behörden nicht einem 
neuen Handftreih auszujegen — ſchon war im Norden der Mark der Schwede 
bis Prenzlau vorgedrungen — wies ihnen der König jet Magdeburg als Auf: 
enthaltsort an. Das aus Sachſen herbeigeeilte Heer erwartete bereits eine andere 
Aufgabe als der Schuß der Hauptitadt. 

Friedrihs Plan war, geradewegs auf Görlik zu marſchieren, wo die Defter: 
reicher ein Lazarett mit 4000 Kranken hatten, und dadurch den bei Bauten 
auf dem Wege ftehenden Freiherrn von Marihall zum Schlagen zu zwingen. 
War deſſen Corps über den Haufen geworfen oder hatte es ohne Rückſicht auf 
das Görliger Lazarett freimillig die Laufig geräumt, fo gedachte der König die 
Belagerung von Schweibnik zu ftören, zu der fich die Defterreiher eben an- 
ihidten, und im Zufammenmwirfen mit dem Herzog von Bevern das öfterreichiiche 
Hauptheer aus Schleſien hinauszubrängen. 

Da fam am 23. Oftober wider alles Vermuten die Nachricht, daß beide 
Corps des verbündeten Heeres, Soubife und Hildburghaufen, im vollen Marche 
jeien. „Hier ändert fi jehr viel in einem Tag,” jchreibt der König, noch aus 
dem Lager von Grochwitz an der ſchwarzen Elfter, dem Defjauer und befiehlt 
ihm, bei Torgau zu ihm zu ftoßen. Mit aller Lebhaftigfeit ergreift er die Hoff: 
nung, daß es nun doch nod mit diefem Feind zur Schladt fommen wird. An 
Bevern jchreibt er, das Ganze folle nur einen Auffhub von acht Tagen für 
den Zug nah Sclefien ausmahen. Am 28. waren feine drei feit Mitte Sep: 


128 Sechſtes Buch. Dritter Abfchnitt. 


tember getrennten Corps!) bei Leipzig vereinigt. Prinz Mori hatte von Berlin 
aus 23 Meilen in jehs Tagen zurüdgelegt. „Gottlob, des Königs Armee ift 
von dem beiten Mut und allem guten Willen,” bezeugt Eichel, „To daß ſolche 
durchgängig nicht fräget, wie ſtark der Feind, fondern nur, wo er ift, um 
rehtihaffen und brav gegen benjelben arbeiten zu fönnen.” Nad fait unaus: 
geſetztem Marjchieren murrten die Leute, daß fie zunächit in Quartiere gelegt 
wurden. Sie wollten gegen den nahen Feind lieber heute als morgen losge: 
lafjen werben. 

Das bisherige Verhalten der Franzoſen war wohlerwogen und ganz folge: 
richtig. Der dem Fürften Soubije vorgezeichnete Feldzugsplan bielt ſich von 
vornherein in bejcheidenen Grenzen. Genug, wenn ausreihende Magazine für 
den Winter und für den nächlten Feldzug angelegt und wenn bis zum Früh— 
jahr die Vorbereitungen für die Belagerung von Magdeburg getroffen wurden. 
Die Winterquartiere jollte Soubije an der Saale beziehen und von dort aus 
die Verbindung mit dem Deere Nichelieus unterhalten. Daß der König von 
Preußen fih nad Thüringen vorwagte, geihah den Franzoſen wider alles Er: 
warten. Bernis hatte es dem Wiener Hof zur Ehrenpflicht zu machen gelucht, 
das preußifche Heer durch zwiefadhe Uebermacht in Schach zu halten, und hatte 
durch den Botſchafter Stainville vor dem nadhteiligen moraliihen Eindrud ge: 
warnt, den ein preußiicher Vorftoß mitten ins Reich hinterlaſſen müſſe. Um: 
gekehrt ließen die Defterreiher durch Stainville dem franzöfiichen Feldherrn die 
Erwartung ausſprechen, daß er bei jeiner Ueberlegenheit an Zahl es fich nicht 
nehmen lafjen würde, den König von Preußen zu ſchlagen. Aber der Feldherr 
und jein Hof dachten ganz anders. Sehr richtig urteilte Belle-Jsle, daß die 
Verweigerung der Schladht den Gegner in die peinlichite Verlegenheit ſetzen 
müfe, und jo erhielt Soubije die gejcheite Weifung: „Der König ift über: 
zeugt, daß Sie zu viel auf Ihren Ruhm geben, um ohne Not fich dem zweifel— 
haften Ausgang einer Schlacht auszujegen.” Soubife zeigte für feine eigen: 
artige Aufgabe viel Verftändnis und traute fih das Geihid zu, feine paffive 
Kriegsführung jo wirkungsvoll zuzuftugen, dab doch auch die Gloire nicht zu 
kurz kommen follte; er jchreibt am 27. September, als Friedrich noch mitten 
in Thüringen ftand: „Das wichtigite ift, wenn der König von Preußen fih von 
Erfurt zurüczieht, daß wir den Augenblid wahrnehmen, ihn zu verfolgen, da— 
mit wir jagen können, wir jeien es geweſen, die ihn zum Rüdzug gezwungen.“ 

Nicht anders als Soubife verfuhr Richelieu; auch er war entidhloffen, einen 
Waffengang mit den Preußen zu vermeiden, und arbeitete jeit Anfang Dftober 
geradezu auf eine Art Waffenftillftand bin, um feiner Winterruhe in den be: 
jegten welfiſchen Gebieten deſto ungeftörter fich freuen zu können. 

Das Widerjpiel hielt der Thatenſcheu der Franzofen der Eifer des Be— 
fehlshabers der Neihötruppen.?) Prinz Joſeph Friedrih von Sachſen-Hildburg— 
haufen, öjterreihifcher und des heiligen römischen Reichs Generalfeldmarichall, 
damals fünfundfünfzigjährig, war trog feiner Miferfolge vor zwanzig Jahren im 


118. 
. 122. 


) Vgl. oben 
) Vgl. oben 


{v er 


Ton Kolin nad Yeuthen. * 129 


Türkenkriege durch die Gunſt der Kaiſerin-Königin nach langer Ruhezeit, „ver: 
roſtet“ wie er ſelbſt ſagte, wieder hervorgezogen worden, nicht zum mindeſten 
ſeiner altfürſtlichen Geburt halber, um dem Fürſten Soubiſe, der in dem ver— 
bündeten Heere ſich mit der zweiten Stelle begnügen mußte, die Unterordnung 
zu erleichtern. Nur mit ſchwerem Herzen drängte der Oberbefehlshaber fort 
und fort zum Vormarſch, und nur auf immer erneute Befehle aus Wien. Er 
ſei durch Kuriere, klagte er nachmals, „dergeſtalt zum Avancieren animieret,“ 
daß es wirklich den Anſchein gehabt habe, als ob an feiner Herzhaftigkeit ge: 
zweifelt würde. 

Die neuefte Bewegung der Verbündeten war veranlaft dur die Kunde 
von dem Aufbrud Hadiks nah Berlin und durch den in Wechſelwirkung er: 
folgten Abzug der Preußen von der Saale. Soubije war der Reichsarmee 
zögernd gefolgt. Hildburghaufens Abficht, fein jogenannter großer Plan zur Be: 
freiung Sadjens, war, dem Corps des Barons Marichall, der auf Geheiß der 
Kaiferin aus der Lauſitz berbeieilen jollte, an der Elbe die Hand zu reihen und, 
falls König Friedrich umfehrte und ſich ihm entgegenwarf, es auf eine Schlacht 
anfommen zu laſſen. 

Nun waren die Preußen unverfjehens da, und alsbald gingen die Meinungen 
ihrer Gegner wieder weit auseinander. Der deutjche General, zwiſchen Saale 
und Elfter bei Teuchern gelagert, wollte das gefamte verbündete Heer bei Lügen 
für den Kampf zufammenziehen; fein franzöfifher Sekundant zu Weißenfels 
weigerte fi, die Truppen feines Königs über die Saale zu nehmen und berief 
fih auf ein foeben aus PVerfailles eingetroffenes Verbot. So mußte auch Hild- 
burghaufen am 30. Dftober das rechte Ufer verlaffen und den Winkel zwifchen 
Saale und Unftrut unterhalb des Zuſammenfluſſes aufjudhen. Wäre der König 
von Preußen einen Tag früher von Leipzig aufgebroden, er hätte die ſchwache, 
elende Reichsarmee noch diesjeits fallen und erbrüden fünnen. Der Ruhetag, 
den er jeinen durch jo viel Gewaltmärſche ermüdeten Truppen gönnte, ließ ihn 
den Teilgewinn verfäumen zu Gunften eines baldigen ganzen und vollftändigen 
Erfolges: heute Sieger über Hildburghaufen, würde er den vorfichtigen Soubife 
ſchwerlich morgen oder jemals vor feine Klinge befommen haben. 

Bis die von den Verbündeten zerftörten Brüden bei Weißenfels, Merſe— 
burg, Halle wieder hergeftellt waren, vergingen mehrere Tage. Erft am 3. No: 
vember führten die Preußen an allen drei Punkten ihren Uebergang aus und 
vereinigten fi bis abends um 7 Uhr im Lager von Braunsdorf. Die Schiffe: 
brüde bei Weißenfels lieg der König, ein zweiter Ferdinand Cortez wie man 
im Heere jagte, abfahren, um dem Gegner die Möglichkeit zu nehmen, hier 
auszumeichen und wieder auf das rechte Saale:lifer zu gehen. 

Den Uebergang den Preußen zu verwehren oder zu erfchweren, hatten bie 
Gegner nicht verſucht; es jchien geratener, fi auf den Höhen bei Mücheln, die 
Front gegen Merjeburg, eng zujammenzufchließen und dort den Angriff abzu: 
warten. Auch Soubife, vor furzgem dur 20 Bataillone und 15 Schmwadronen 
aus dem Lager Richelieus verftärkt, glaubte jegt ehrenhalber im Angeficht des 
kleinen preußiichen Heeres nicht zurüdgehen zu dürfen. Die Parteien lagerten 


nur eine Stunde voneinander entfernt. 
Koſer, Aünig Friedrich der Große 11. 2. Auf, 9 


130 Sechſtes Buch. Dritter Abſchnitt. 


Am 4, November morgens um 4 Uhr marjchierten die preußichen Truppen 
linfs ab, um den Feind in jeiner rechten Flanke zu umfaflen. Es zeigte ſich, 
daß er jein geitern Abend von dem Könige perſönlich ausgekundichaftetes, unvor: 
teilhaftes Lager über Nacht gejchidt verändert hatte. Die neue Stellung, in 
der Rechten dur den Wald von Branderobe, in ber Linken bei Mücheln dur 
weichen Wiejengrund, in der Front durch einen tiefen Einjchnitt gededt, bot 
der Reiterei fein Angriffsfeld und fonnte auch von der Infanterie nur durch 
einen rontalvorftoß bezwungen werden, zu deſſen Durchführung die Heine Zahl 
der preußiichen Bataillone nicht auszureichen ſchien. Der König ging deshalb 
gegen 9 Uhr morgens über Schortau zurüd und bezog dem Feinde gegenüber 
ein neues Lager zwiſchen Roßbah und Bedra. m Heer der Verbündeten ver: 
breitete ji lärmender Jubel; bei allen Truppenteilen ward das Spiel gerührt, 
das Geſchütz donnerte den Abziehenden nah, als gelte es Victoria zu jchießen; 
man fonnte, jagt Friedrih, der frangöfifhen Fanfaronnade nur das deutſche 
Phlegma entgegenjegen. 

Lange konnte der heute jo ftolze Feind, von feinen Magazinen durd die 
Unjtrut getrennt, hier in Kälte, Blöße und Hunger nicht ausharren. Die Reichs: 
truppen waren jchon jeit mehreren Tagen ohne Brot und Fourage. Man 
mußte ſich zurüdziehen oder ſich fchlagen. In der gehobenen Stimmung bes 
Augenblid3 erhielt der Reichsfeldmarfhal von dem franzöfifhen General für 
den kommenden Tag die Zuftimmung zum Angriff. Und da das preußiiche 
Lager in ber Front unzugänglid war, entihied man fich für einen Rechts— 
abmarjch in der Richtung auf Merjeburg, durd den man den Preußen die linfe 
Flanke abzugewinnen gedachte. Soubife entjandte einen Kurier nach Berjailles, 
der unterwegs jhon im voraus verkündete, am 5. November jei der König von 
Preußen ficherlich total geichlagen worden. Die in unmittelbarer Nähe zu Klein 
Jena, Freiburg, Köjen befindlichen Truppenteile, ungefähr ein Drittel des ganzen 
Heeres, fajt 21000 Mann von 64000, verfchmähte man in dieſer Sieges— 
zuverficht heranzuziehen. Bon den 43000 im Lager waren drei Viertel Franzojen. 

Um 8 Uhr am nädften Morgen warb Generalmarſch geichlagen, aber da 
Soubije heute wieder jehr ſchwankend war, fam Mittag heran, ehe die legten 
Abteilungen fih in Marſch jegten. 8 Bataillone und 12 Schwadronen, unter 
dem Grafen St. Germain, und Loudon mit feinen Kroaten und Huſaren, im 
ganzen 6—7000 Mann, blieben auf den Höhen von Schortau und Gröft zur 
Beobachtung des preußijchen Lagers. 

Sein Fernrohr vor dem Auge beobachtete König Friedrich ſeit der achten 
Morgenitunde vom Söller des Roßbacher Herrenhaufes durch eine Deffnung des 
Daches — er hatte die Ziegelfteine herausnehmen laſſen — die Bewegungen jeiner 
Feinde. Der Gutsverwalter gab Auskunft über die Dertlichkeiten, Patrouillen 
braten widerjprehende Nachrichten. Es blieb unficher, ob die Verbündeten 
über die Unftrut abziehen oder ob fie nad der Merjeburger Seite fi ins offene 
Feld wagen würden, was Friedrich wünſchen mußte und doc für das Unwahr: 
ſcheinlichere hielt. Eine faljhe oder übereilte Bewegung von jeiner Seite, fagte 
er fich, konnte alles, was ſich vielleicht günstig vorbereitete, verderben. Endlich 
verließ er jeinen Beobadhtungspoften und ſetzte fich zu Tiihd. Da bradte ihm 


Von Kolin nad Leuthen. 131 


Kapitän Gaudi, es war 2 Uhr geworden, bie noch ungläubig aufgenommene 
Meldung, dab der Feind wahrhaftig anmarjchiere. Auf den Dachboden zurüd: 
geeilt jah der König, wie die Marjchlolonnen vor Pettſtädt am Obſchützer Wald 
nicht die Straße nad Naumburg einſchlugen, fondern fich nach Lunſtädt wenbeten, 
wo der das preußiihe Lager in der Front dedende Moraft jein Ende nahm. 

Sofort warb der Aufbruch befohlen. Die Pferde waren jchon gefattelt, 
binnen wenigen Minuten verfhwanden, zum Staunen des Feindes, die Zelte 
„wie eine Theaterbeforation”, nur einige Schwabronen Hufaren und Mayrs 
Freibataillon blieben, um dem Mari gegen diefe Beobachter den Rüden zu 
deden, auf dem Lagerplag zurüd. Für den Kampf waren nur nod) 26 Ba: 
taillone und 38 Schwadronen verfügbar, etwas über 20000 Mann. Um "23 Uhr 
wurde abmarjciert, in der Richtung des Höhenrüdens, der fih vom Lager nad 
dem janushügel hinzog. Man hatte nur die halbe Sehne des großen Bogens 
zu durchmefjen, in welchen die Gegner feit dem Morgen marjdierten, und konnte 
jiher fein, die Deffnung zwifchen Lunftädt und den Anhöhen bei Reichert: 
werben, durch die fie zu debouchieren gedachten, vor ihnen zu erreihen. Den 
für den Angriff beftimmten linken Flügel führte Prinz Heinrih, den rechten 
der ſich zurüdhalten und hinter dem Leibebah Dedung ſuchen jollte, Ferdinand 
von Braunfhweig; an Reiterei waren biefem Flügel nur die Feldwachen 
zugeteilt, die nun, um den Schein einer Dedung zu erweden, ein Glied hoch 
in langer, dünner Linie aufgeitellt werden mußten. Die gejamte übrige Kavallerie 
unter dem Befehl des jüngften Generalmajors, des jehsunddreißigjährigen Seyblit, 
jegte fih im Trab an die Spite des Fußvolfs; fie marſchierte am Fuße des 
Bergrüdens, durch die Höhe den Bliden des Feindes völlig entzogen. enjeits 
plänfelten nur einige Huſaren. 

Noch ſetzte die Reiterei der Verbündeten in zwei Iangen PBarallelfolonnen 
ahnungslos ihren Marſch fort, da faulen ihr vom Janushügel die Geſchoſſe 
einer unverjehens aufgefahrenen Batterie entgegen, und zugleid tauchen über 
der Höhe hinter Reihertswerben Mann und Roß auf, eine lange prädtige Front, 
15 Schwabronen, Dragoner und die Leibküraffiere, in zwei Gliedern. Den Säbel 
in der Fauft, mit verhängtem Zügel, „wie ein Blit”, jagen fie ben Hang hinab. 
> Schwadronen grüne Huſaren bredhen in der linfen Flanke des Anmarjches 
aus dem Hinterhalt hervor. Die enggeichlofienen Marſchlinien, die eine 16, die 
andere 17 Schwahronen tief, ſehen fi durch den ſtürmiſchen Anprall völlig 
überraſcht, eingewidelt, umgeftoßen. Nur bie Eaiferliden Kürajjierregimenter 
Pretlad und Trautmannsdorff und die württembergifhen und ansbachiſchen Dra— 
goner haben Zeit gehabt, in Schwadronen rechts und links auszuſchwenken, und 
fallen nun unter perjönlicer Führung bes Reichsfeldmarſchalls auf die Angreifer; 
Kopf an Kopf halten die Rofje gegeneinander, die Reiter hauen fi ins An— 
geficht, die Kaiſerlichen brechen durch. Schon aber find aus dem zweiten preußifchen 
Treffen 18 Schwadronen Küraffiere zur Stelle, von Seydlig jelber geführt, die 
Zurüdgewichenen ſchließen fi wieder an, „und jo geht alles, Küraflier, Dra- 
goner, Hufar, wie die Furien in den Feind hinein”, Die Neiter von der Reiche: 
armee find bereits unfichtbar geworden. Wohl greift jetzt der Herzog von Broglie 
mit 10 Schwabronen Franzofen in den Kampf ein, wohl ſprengt vom andern 


132 Sechſtes Bud. Dritter Abichnitt. 


Flügel der Naugraf mit 8 Schwadronen herbei — vergebens, alles muß den 
Kampfplag räumen und die Infanterie ihrem Schidjal überlafien. 

Sie war nicht überrumpelt worden, wie die Neiterei; denn die preußifchen 
Bataillone, im Marſch zurüdgeblieben, entwidelten ſich erft, als der Reiterfampf 
bereits tobte. In dem Augenblide, da das preußifche erite Reitertreffen wich, 
erboten ſich die franzöſiſchen Dffiziere gegen Hildburghaufen, mit dem Bajonett 
auf das preußifche Fußvolf loszugehen. Das erjte Treffen rüdt mit mehr Elan 
als Ordnung an, die Bataillone teils noch in Kolonne, teils ſchon zur Linie 
entwidelt, eine ungleichartige, ungelenfe Schlachtreihe; dahinter ftopft ſich wider 
alle Vernunft die Referve in den Zwiſchenraum zwijchen den beiden Treffen ein, 
wo bereits die ganze Artillerie fi in ftodender Enge feitgefahren hat. Bei 
den Preußen vollzieht fi der Aufmarſch um jo glatter, tadellos. In wohl: 
gegliederter Staffel jchieben fi die Bataillone des linken Flügels ſchräg auf 
ben Feind zu. Zwei Grenadierbataillone, zum Schuß des Angriffsflügels als Hafen 
vorgezogen, bringen ſich durch eine Rechtsſchwenkung in die Flanke des Feindes 
und nehmen ihn auf 50 Schritt unter ihr verheerendes Pelotonfeuer, eine Com: 
pagnie der Brigade Piemont wird fait ganz zu Boden geftredt. Um die Haltung 
diefer Infanterie iſt es gejchehen. 

Auch die anderen preußiihen Bataillone veriparen ihr Feuer bis auf 
nächſte Nähe. Dem Regiment Alt:Braunichweig reitet der König vorauf, etwa 
20 Schritt vor der Front. Ein breiter Graben kann die Vormwärtseilenden nicht 
beirren, die Behendeiten erflimmen die Böſchung und ziehen die Kameraden an 
den Armen nah; jchnell wieder gerichtet ftürmt die Linie weiter. „Water, aus 
dem Wege, daß wir jhießen fönnen,” rufen dann die Musfetiere dem Könige 
zu. Die frangöfifche Infanterie, deren Feuer man befommen hat, ift ſchon 
verſchwunden. Nun läuft ein Hohlweg dem Regiment quer entgegen und nötigt 
es, ih zu fpalten. In diefem Augenblide kommt Kavallerie angejprengt, 
mit Heftigfeit befiehlt der König, die Lücke zu ſchließen; al® das nit an- 
geht, ruft er den Burſchen einfach zu, fie jollen ihnen tüchtig unter die 
Nafe pfeffern. Eine mwohlvorbereitete Salve treibt die Reiter in die Flucht, ihr 
Führer fällt. 

Im ganzen find von den Preußen nur 7 Bataillone zum Schuß gelangt, 
und das Feuergefecht der Infanterie währte nicht über eine Viertelftunde; zu 
raſch löften fich bei dem Feinde alle Bande der Ordnung. Das Hintertreffen 
war zuerft geflohen, entweder weil es Seydlitz unter die Klinge zu kommen 
fürchtete, der jet Front gegen des Feindes Rüden bilden ließ, oder wirklich 
ganz ohne erfichtlihen Grund, wie nachher einer der franzöfiihen Generale be- 
hauptet hat. Als die zwiichen die beiden Treffen vorgerüdte Referve und das 
allein ins Feuer gekommene erfte Treffen dem jchlechten Beispiel folgten, blieben 
auf dem eilends geräumten Plane nur die Kanonen ftehen, alle Batterien des 
rechten Flügels und des Zentrums bis auf eine einzige, dazu faft fämtliche Ba— 
taillonsgeihüge. Wie hätte da die Reichsinfanterie, die fich links neben dem 
franzöfiichen zweiten Treffen formierte, ftand halten jollen? Die fränkischen 
und turbairiſchen Bataillone warfen das Gewehr weg, als die Preußen noch 
weit entfernt waren; in befjerer Ordnung traten nur das in kaiſerlichem Sold 


Von Kolin nad) Zeuthen. 133 


ftehende blaue Regiment Würzburg und das darmftäbtiiche Bataillon unter 
feinem Prinzen Georg den Rüdzug an. 

Wo auf der allgemeinen Flucht noch Widerftand geleiftet wurde, ging er 
von einzelnen Trupps aus. „Alles vermengte ſich,“ jagt ein franzöſiſcher Schladht- 
beriht, „und es war unmöglich, eine Ordnung wieberherzuftellen oder Einhalt 
zu thun, obgleih Soubife und alle Generale und Offiziere thaten, was thun- 
lid war. Die preußiihe Infanterie folgte der unfern, gab ihr Feuer ab, 
jobald einige Truppen fi zu ſammeln begannen, und ſchoß in ftetem Marſch, 
ohne daß ein einziger Mann aus Neih und Glied fam. Die Artillerie — auch 
die Pofitionsgefhüge folgten troß feiner eiligen Flucht dem Feinde nah — zielte 
ununterbrochen auf uns.” Hildburghaufen aber berichtete an den Kaifer Franz: 
„Wenn man meinte, eine Esfadron oder ein Bataillon bei einander zu haben, 
durfte nur eine einzige Stüdfugel dazwiihen fahren, da lief alles wie Schafe 
davon; unjer größtes Glüd war, Allergnädigfter Herr, daß es Nacht geworden 
ift, jonjten wäre, bei Gott, nichts davongefommen.” 

Auf den Höhen bei Freyburg zündeten die erften Flüchtlinge Feuer an, als 
Wegzeihen für die in der Dunkelheit Nachfolgenden. Alles ftrömte nun dorthin 
der Unftrutbrüde zu. Die ganze Naht hindurch wurden Truppen und Troß 
übergeführt. 

Als die Flucht ſchon allgemein war, erjchienen von Schortau her 5 Reiter: 
regimenter vom Corps bes Grafen St. Germain und hielten eine Zeit lang 
hinter Pettjtäbt, ohne angegriffen zu werben. Denn über das Schlachtfeld hinaus 
find die Gejchlagenen nicht verfolgt worden. Die preußifche Reiterei, die ſich 
zum Nachſetzen anſchickte, ftieß bei der ſchnell einfallenden Nacht in dem durch— 
ſchnittenen Gelände auf Hinderniffe; bei dem Verſuch, einen Graben zu nehmen, 
hinter dem fich eine dünne Anfanterielinie zeigte, ward Seydlig, wie vorher 
ihon Prinz Heinrich, verwundet. Auf der Höhe von Obſchütz angelangt, ließ 
der König das Ganze Halt machen. Die Leute würden, wie uns ein Offizier 
verjihert, beim beften Willen nicht weiter gefommen jein, da fie zwei jtarfe 
Stunden hindurch unausgejegt hatten traben müſſen. Unter freiem Himmel 
lagerte man fich, die Kälte war fchneidend, die Soldaten lafen die von ben 
Flüchtlingen weggeworfenen Gewehre auf und jchichteten die Schäfte für ihre 
Wachtfeuer zufammen. Ningsum, wohl aus jedem Negiment heraus, fliegen die 
jeierlihen Klänge ihrer Choräle zum nädtlihen Himmel empor. „Der hätte 
ein Unmenſch fein müfjen“, erzählt uns einer biejer gottesfürdhtigen Kriegsleute, 
„der da nicht hätte einſtimmen wollen.” Tiefen Eindrud machte dabei auf die 
Zufchauer die fromme Andacht des rauhen Prinzen Morig. 

Der König nahm fein Nachtquartier an der Saale in Burgwerben; bie 
Schloßherrin ließ er ihr Linnen hergeben, um den verwundeten Franzojen Ber: 
bandzeug zu ichaffen. Bon hier fertigte er einen Adjutanten mit ber Sieges— 
botichaft an die Königin nad Magdeburg ab. Der Markgräfin aber jchrieb er 
an dieſem Abend: „Nach fo viel Unruhen, wohlan, dem Himmel jei Dank, ein 
günftiges Ereignis, und es joll gejagt fein, da 20000 Preußen 50000 Fran: 
zojen und Deutihe geichlagen haben. Jetzt werde ih mit Frieden in Die 
Grube jahren, nahdem der Ruf und die Ehre meines Volfes gerettet iſt. Wir 


134 Sechſtes Buch. Dritter Abſchnitt. 


können unglüdlih fein, aber wir werden nicht entehrt fein. Sie, meine teure 
Schwefter, meine gute, göttliche, zärtlihe Schweiter, da Sie an dem Geidid 
eines Sie anbetenden Bruders teilzunehmen geruben, teilen Sie jegt auch meine 
Freube.” on 

Erft der nächte Tag offenbarte die ganze Größe des Erfolgs. Zunächſt 
war fein Feind zu fehen, aber die Straßen waren wie befät mit Hüten und 
Kürafjen und Reiterftiefeln, deren fih die Fliehenden entledigt hatten. Aus den 
Dörfern und Wäldern jchleppte das Landvolf die Verjprengten herbei und über: 
lieferte fie gegen ein Kopfgeld den preußifchen Soldaten. Bei Edartsberga er: 
blidte man endlich am Nachmittag den Feind, Reichstruppen, die eben ein Zager 
beziehen wollten. Sie waren an der Saale von 16 detadierten Bataillonen 
aufgenommen worben; jetzt genügte das Erjcheinen einiger Qufaren, um alle, die 
geichlagenen und die friſchen Truppen, durch die Hohlwege Reißaus nehmen zu 
lafien, und zwar, wie Graf Holnftein, der Führer des bairiihen Kontingents, 
klagte, „mit ſolcher Inquidtance, daß die hohe Generalität fih gezwungen ſah, 
fih ebenfalls nah der Retirade umzufehen“. Es war ein Laufen, „noch viel 
jchneller und Iuftiger anzufehen, als das nah der Haupt: und Gtaatsaftion 
jelbft”. Nur eins der fränfifhen Regimenter harrte in unbeſchreiblicher Kälte 
und bei dem jchärfiten Wind „mit zweitägigen nüchternen Mägen” bis in die 
Naht aus. Im Lager bei Weimar blieb man am 7. ungeftört, aber wieder 
ohne Stroh, Holz und Zelte. Raſttag wurde erft am 10. November bei Saal: 
feld gehalten. Am 15. überjchritten die Trümmer der Reichsarmee bei Lichten: 
feld den Main. 

Noch eiliger hatten es die Franzofen. Soubife hatte am Abend der Schlacht 
ih vermeflen wollen, die Unftrut:Zinie zu behaupten, nachher aber gönnte auch 
er fih erit am jechiten Tage Raſt, in Norbhaufen, wo Hülfe von Richelieu ihn 
erwartete. So waren bie Heere, die am 5. aus gemeinſamem Lager zur Schlacht 
ausgerüdt waren, am 10. um mehr als 15 Meilen voneinander getrennt. 

Wie richtig vermutete einer von den Reichiſchen voll Selbitironie, daß es 
nun einen großen Präcedenzftreit zwiſchen Deutfhen und Franzoſen geben werde, 
„wer am eriten und geſchwindeſten weggelaufen ſei“. „Unfere Dispofition war, 
wie ich meine, jehr gut”, jagt Soubife in einem vertrauligen Brief, „aber der 
König von Preußen hat uns nicht die Zeit gelafien, fie auszuführen. Vor allen 
Dingen gilt es jebt, ſoweit e& angeht, die Ehre der Nation zu retten und das 
Unglüd auf die Neihstruppen zu fchieben.“ Bergeblihes Bemühen! Hören 
wir Voltaire: er hatte jüngft gemeint, daß nur eine enorme öſterreichiſche oder 
frangöfiihe Dummheit feinen alten Schüler noch retten könne, und hatte das ſüße 
Rachegefühl gefoftet, „einen König tröften zu dürfen, der ihn mißhandelt habe.“ 
Roßbach war noch etwas mehr als eine „enorme Dummheit“. „Jetzt bat er 
alles erreicht”, jchreibt Voltaire enttäufcht, „was er immer ſich erjehnt hat: den 
Franzoſen zu gefallen, ſich luftig über fie zu machen, und fie zu ſchlagen ... 
Die Nahwelt wird immer ftaunen, daß ein Kurfürft von Brandenburg nad 
einer großen Niederlage gegen die Defterreiher, nad dem völligen Ruin feiner 
Bundesgenofien, in Preußen durch 100000 fiegreihe Ruſſen verfolgt, von zwei 


Von Kolin nah Yeuthen. 135 


franzöfiihen Heeren bedrängt, die gleichzeitig auf ihn fallen können, es fertig 
befommen bat, allen zu mwiderftehen, feine Eroberungen zu behaupten und eine 
der denkwürdigſten Schlachten diejes Jahrhunderts zu gewinnen. Ich verbürge 
mid dafür, daß er jegt den Klageliedern Epigramme folgen lafien wird. Für 
die Franzoſen im Ausland ift gegenwärtig feine gute Zeit. Man lacht uns ins 
Geſicht, als wären wir die Adjutanten des Herrn von Soubije geweien.” Eine 
treffende Kritik, fchneidender als alle Chanfons und Wibeleien der Barifer über 
diejen Soubije, der mit der Laterne erft das preußiſche Heer und dann jein 
eigenes ſucht und einen Mieter für fein Haus verlangt, weil er wieder die 
Kriegsſchule zu beziehen gedenft. 

Es war nicht anders: die bisher jo ftolzen und jo gefürdteten Franzoſen 
mußten jet mit der von ihnen ſelbſt veracdhteten Reichsarmee, der Reißaus— 
Armee, die Bürde der Lächerlichkeit zu gleichen Teilen tragen. In aller Mund 
war das Spottverslein auf die ganze Gejellichaft: 


Und fommt der große Friederich und Flopft nur an die Holen, 
So läuft die ganze Reichdarmee, Panduren und Franzoſen. 


Bei den Reichstruppen miſchte fih in das unabweisbare Gefühl der Be: 
ſchämung unverhüllte Schabenfreude über die Demütigung der Franzoſen, aber 
auch über die eigene Niederlage. Die fränkiſchen Kreisregimenter hatte Soubije 
ihon vordem als „ganz preußiſch gefinnt” bezeichnet — das war die Gefinnung 
der evangelifhen Truppen insgemein. Und wenn noch etwas gefehlt hatte, die 
Stimmung des proteftantiihen Volks gegen die Franzojen aufzubringen, fo 
waren es die kirchenſchänderiſchen Ausjchreitungen, die ſich der franzöfiiche Soldat 
in proteftantifhen Gebieten, auch den furfähliihen, die man befreien mollte, 
zu Schulden fommen ließ. Den preußiihen Sympathien ber unfreimilligen Gegner 
Preußens gaben die Feldbriefe getreuen Ausdrud, die der Sekretär oder „latei: 
nische Adjutant“ des Prinzen Georg von Heſſen, der witzige Elſäſſer Mollinger, 
nah Darmſtadt jandte: „Sch wollte,” jchreibt er während der großen Retirade, 
„dem heiligen Römiſchen Rei unterthänigft ohnmaßgeblihit anraten, daß es 
ih ja jo bald nicht wieder mit dem böſen Frige in ein Handgemeng einlafje, 
da er uns jo fräftiglich erwiefen hat, daß er das Kriegshandwerf gar viel befier 
als wir verftehe.” 

Dem heiligen Reiche zu um jo größerem Torte, und um die Lacher vollends 
auf die Geite des Königs von Preußen zu bringen, ward grade jett reiche: 
fundig, daß am 14. DOftober zu Regensburg der brandenburgiiche Reichstags: 
gejandte mit dem gerichtlihen Schergen des Reichshoffisfals nicht minder ſum— 
marifch zu Werfe gegangen war, als fein Gebieter am 5. November mit den 
bewaffneten Vollftredern der kaiſerlichen Mandate. Denn als der Notarius April 
ihm die faiferlihe VBorladung an den König von Preußen mit der geftrengen 
Schlußformel „Darnach weiß Er, Kurfürft, fih zu richten” hatte infinuieren 
wollen, war der hitige Herr von Plotho, nad des Notari eigener Schilderung 
in der jet der Deffentlichkeit übergegebenen Beſchwerdeſchrift, „in diefe Formalıa 
wider ihn ausgebrochen”: „Was, du Flegel, infinuieren?”, hatte bem Erfhrodenen 
ſothane Citation mit aller Gewalt vorwärts in den Rod geitoßen und gejchoben, 


136 Sechſtes Bud. Dritter Abfchnitt. 


ihn jelbit zur Thür hinaus gedrüdet und zween Bebienten zugerufen: „Werfet 
ihn über den Gang hinunter!” Bon nun an waren bie beiden in deutjchen 
Landen volkstümliche Geftalten, ſowohl 


der Rechtsanwalt April, 
Der zu Regensburg von der Treppe fiel, 


wie jein Bebränger, „der Heine gebrungene Mann mit den ſchwarzen Feuer: 
augen”, auf den fieben Jahre jpäter, als er in Frankfurt zur Kaiferwahl erfchien, 
aller Augen und vor allen die rohen Augen des jungen Wolfgang Goethe ge: 
richtet waren. 

König Friedrih ftimmte in den Chor der Spötter, denen fein Roßbacher 
Sieg jo dankbaren Stoff bot, mit grotesfen Scheibeliedern an die „parfumierten 
Helden”, die zerfchmetterten „Ecraseurs* ein, denn Voltaire hatte richtig voraus: 
geiehen, daß jegt die Zeit der Epigramme wiederfehren werde. Leber Weimar 
hinaus fonnte der Sieger, durch unabweisbare Aufgaben gewichtigerer Art ab: 
gezogen, die „Scheidenden” nicht verfolgen. Die Zahl der Gefangenen belief ſich 
bis zum 12. November auf 6000, dazu 250 Offiziere; an Siegeszeihen zählte 
man 15 Standarten, 7 Fahnen, 2 Paar Paufen. An Kanonen waren 72 er: 
beutet, mehr als zwei Drittel der gegnerischen Artillerie. Nicht einmal der Troft 
blieb den Befiegten, ihren Ueberwindern ein Feldzeihen abgenommen zu haben; 
denn die erbeutete Standarte, von welcher der Wiener Schlachtbericht erzählte, 
ftellte fich bei näherer Belichtigung als eine württembergifche heraus: die öfter: 
reichiſchen Hufaren hatten fie in der allgemeinen Verwirrung den eigenen Bundes— 
genoffen abgejagt und mußten fie naher „mit vielen höflichen Entſchuldigungen“ 
ihnen zurüdjenden. Den Preußen hatte diejfe „bataille en douceur* nur 
156 Tote und 376 Verwundete gefoftet. 

Die weitere Verfolgung der Franzojen, die eigentlihe Ausnugung bes 
glänzenden Sieges und des paniſchen Schredens, mußte für den Winterfeldzug 
in Niederſachſen vorbehalten bleiben, den Friedrih dem König von England 
ſchon vor der Schladt in Vorſchlag gebracht hatte. Jetzt ſei es Zeit für die 
Sannoveraner, erflärte er am 9. November zu Merjeburg ihrem General 
Schulenburg, die Maske fallen zu laffen und mit fliegenden Fahnen vorzugehen, 
ein mwohlapplizierter Tritt — — werde genügen, um von den Franzoſen für 
den nächſten Sommer nichts mehr zu hören. 

Ein Beobadhtungscorps brauchte er jegt an der Saale nicht mehr zurüd: 
zulaffen. So ward die Abteilung des Feldmarſchalls Keith für eine Diverfion 
nah Böhmen frei, durch die das öfterreichiiche Corps in der Lauſitz abgelenkt, 
an etwaigen neuen Anjchlägen auf die preußiiche Hauptftabt verhindert werden 
ſollte. Friedrich jelbit trat am 12. November von Yeipzig aus den jo lange 
geplanten Mari nah Sclefien an, mit 18 Bataillonen und 28 Schwadronen, 
nicht viel über 12000 Mann. Wohl war jept „das Eis gebrochen”, aber Roß— 
bad war immer nur „ein erfter Anfang vom Glüd” und verjchaffte dem „irren: 
den Ritter” gerade nur die Möglichkeit, neue Gefahren anderwärts aufzufuchen. 

In Wien wie in Verfailles hatte man von dem Prinzen Karl nad jeinem 
Einmarih in Schlejien erwartet, daß er der langen Unthätigkeit in der Laufig 


Von Kolin nad Yeuthen. 137 


jegt um jo entjcheidendere Schläge folgen laſſen würde. Er zittere für Karls 
Ruhm, bedeutete der Kaifer feinem Bruder, wenn es dem fleinen preußifchen 
Heer gelingen jollte, immer wieder zu entwilhen. Schritt für Schritt zurüd: 
weichend, hatte Bevern doch veritanden, durch jein zeitweiliges, dem Könige an: 
fänglih unerflärlihes Austreten auf das rechte Oderufer !) Breslau vor dem 
Feinde zu erreihen und ſich auf dem linken Ufer die ſtarke Stellung zwiſchen 
der Stadt und dem Lohefluß zu fichern. Dort ihn anzugreifen, hielten die 
öfterreichiichen Generale, jeit dem 3. Dftober im Yager von Liſſa, für bedenklich 
und ſchlugen der Raiferin vielmehr die Belagerung von Schweidnig vor. Maria 
Therefia willigte ein, unter der Bedingung, daß nah Schweidnig „dieies häß— 
lihe Breslau” an die Reihe fommen würde. Nabasby verließ das Hauptheer 
mit 30000 Mann und hielt jeit dem 13. Oktober Echweibnig eingeſchloſſen. 
Aller Welt zur Ueberrafhung fapitulierte die ftarfe Feltung, 16 Tage nad Er: 
Öffnung der erften Parallele, jhon am 12. November. 

König Friedrih erhielt die Nachricht von ber llebergabe am 19. noch in 
Sadjen, zu Großenhayn. Er tadelte aufs jhärfite den Herzog von Bevern, daf 
er jeinen Vorfat, während ber Belagerung das jo erheblich verringerte öfter: 
reihiihe Hauptheer anzugreifen, nicht ausgeführt habe. Auf die Annahme, daß 
Bevern das Berfäunte inzwiſchen, bevor Nadasdy wieder da war, nachgeholt 
haben würde, gründete ſich Friedrihs Plan: hatte jein General gejiegt, jo wollte 
er ſelbſt fih nah Hirfhberg und Landeshut wenden und Bevern jollte ihm den 
geichlagenen Feind durd eine nachdrückliche Verfolgung entgegentreiben; war bie 
Schlacht verloren, jo wollte Friedrih nad Glogau gehen und jeine gejchlagenen 
Truppen dort aufnehmen. Als nun aber tags darauf die Meldung kam, daß 
Bevern, nahdem Schweidnitz einmal verloren, den dem Heere für den 14. ſchon 
erteilten Angriffsbefehl zurüdgenommen hatte, änderte der König feinen Ent: 
ihluß und fündete dem Herzog jest jeinen Marſch nah Breslau an: „ch werde 
dem Feind gerade auf die Flanke gehen, da Ew. Liebden ihn dann en front 
attaquieren müjjen, jo daß wir mit Gottes Hülfe ihn gerade nad der Oder 
dringen und jagen wollen.” 

Am 24. November, nad) dem Uebergange über den Queiß, in dem Augen: 
blid, da jein Fuß das fchlefiiche Land wieder betritt, wird dem König bie Nach: 
riht zugetragen, daß Bevern die Defterreiher vorgeitern total geſchlagen hat. 
Mit ibrer ganzen Lebhaftigfeit bemächtigt ſich feine Phantafie der willfom: 
menen Neuigkeit und ihrer Tragweite. Dieſer Glückswechſel feit einem Monat 
dünkt ihm fchier unerhört. Nun joll der Krieg ein Ende haben; man wird dem 
geichlagenen Feinde den Rüdzug abjchneiden, ihn ganz und gar einjchließen, ihn 
vielleicht zwingen, das Gewehr zu ftreden, ihn vernichten. Keith erhält den 
Befehl, zu verſuchen, ob er nun fih in Böhmen behaupten, möglicherweife Prag 
dur einen Handftreid nehmen fann. 

Der ganze Tag verftreiht, auch die Nacht und der nächſte Morgen, ohne 
dab eine Beltätigung von Bevern fommt. Der König bejchwichtigt jeine Un: 
gebuld, indem er fich jagt, dab der Bote den Ummeg rechts von der Oder ein: 


') Oben S. 125. 


138 Sechſtes Bud. Dritter Abichnitt. 


geſchlagen haben wird. Endlih it der Kurier da. Eine Schlaht hat am 
22. November ftattgefunden, aber Bevern hat fie verloren. 

Der entichiedene Befehl der Kaiſerin-Königin, nad dem Fall von Schweibnit 
alsbald mit Breslau Ernft zu maden, hatte die Zagbaftigfeit der Generale über: 
wunden. Zu fpät bereute Bevern, nicht nad) jeinem erjten richtigen Gefühl den 
Feind während der Belagerung von Schweibnig aufs Geradewohl bei Liſſa an: 
gegriffen zu haben. Die preußiſche Stellung an der Lohe, obgleich ſtark be: 
feftigt, war viel zu ausgedehnt, um gegen den Angriff eines um das Doppelte 
überlegenen Heeres mit Erfolg verteidigt zu werden. Wohl hatte in der unge: 
dedten linken Flanke des Lagers, bei Kleinburg, Zieten feinen Partner von 
Kolin, Nadasdy, erfolgreich abgewielen, in der Front aber waren nad langem 
hartnädigen Kampf die vorgelagerten befeitigten Dörfer bis zur Dunkelheit den 
Preußen entrifien. Beverns Abficht, durch nächtlichen Ueberfall die Sieger über 
die Lohe zurüdzumerfen, mußte aufgegeben werben, da der Feldherr die über: 
mübeten Truppen nicht mehr in der Hand hatte. 

So ſchwer der Berluft der Schlaht von Breslau die preußiihe Sache 
traf, der König ward in feinem einmal gefaßten Entihluß feinen Nugenblid 
erſchüttert. Er befahl Bevern, die gejchlagenen Truppen ihm jenjeits der Oder 
nach Leubus entgegenzufhiden, jelber aber Breslau bis aufs Aeußerfte gegen 
eine Belagerung zu halten und einen Ausfall zu maden, wenn bas vereinigte 
preußiiche Heer die Defterreiher vor der Stadt angreifen werde. Auch jest 
noch hoffte er dem Feind die Schlaht mit verwandter Front aufzwingen, ihn 
von feiner Rüdzugslinie nah Böhmen abdrängen, auf die Oder treiben zu 
fünnen. 

Völlig durchkreuzt wurden jeine Entwürfe erft durch ein neues Ereignis, 
das ungleich verhängnisvoller war, als jelbit der Verluſt der Schladt. Am 
Morgengrauen des 24. November war Bevern auf einem einfamen Erfundungs: 
ritt den Kroaten in bie Hände gefallen und noch besjelben Tages hatte der greije 
General Leſtwitz, fajjungslos in der allgemeinen Verwirrung, Breslau über: 
geben. Nun war der Feind durch nichts in feinen Bewegungen gehemmt und 
fonnte fi ohne Beforgnis vor einem Ausfall in eben dem Lager hinter der 
Lohe verihanzen, das er am 22. in heißem Strauß ſich geöffnet hatte, und 
das, von einer Ueberzahl gegen eine Minderheit verteidigt, als uneinnehmbar 
gelten durfte. 

Und doch konnte nichts als eine Schladt, eine große Schlacht, ein großer 
Sieg die preußiſche Sache noch retten. Friedrich war zu allem entſchloſſen, und 
mochten feine Gegner „auf dem Gipfel des Zobtenberges” fich verſchanzt haben. 
jede neue Verfchlimmerung feiner Lage ward für die Ausführung des von An: 
fang an Beichloffenen nur ein Grund mehr. 

Am 28. November überihritt er zwei Meilen unterhalb des von den 
Defterreihern bejegten Xiegnig die Katzbach und lagerte jih bei Parchwitz. 
Durd die feit der Mitte des Monats andauernde milde Witterung begünftigt, 
hatte er in dreizehn, nur durch drei Ruhetage unterbrodenen Märjchen vierzig 
Meilen zurüdgelegt. Die Truppen, unterwegs neu eingefleidet und in Kantons 
nementöquartieren durd) die Hauswirte beſſer, als es jonft aus den Magazinen 


Ton Kolin nad Zeuthen. 139 


geſchah, verpflegt, waren guten Mutes und brannten darauf, jett auch den Defter: 
reihern ein Roßbach zu bereiten. 

„Eure Ercellenz,” jchreibt Eichel am 1. Dezember aus Parchwitz an Finden: 
ftein, „werben fi den Zuftand vorjtellen, in weldem unjer Herr nach fo viel 
Unglüdsihlägen fih befinden muß, die ihn bier in Schlejien binnen furzem 
getroffen haben, infolge der enormen Fehler, um nicht mehr zu jagen, einiger 
feiner Generale. Indeſſen, Gott ſei gelobt, ift er davon nicht niedergebrüdt, 
jein Herz ift zerriffen, fein Kopf bleibt friſch und gut, er denkt augenblidlich 
nur daran, das Glück zu forrigieren und die Fehler der andern wieder gut zu 
machen.“ Wie oft war der alte Mann in vergangenen Tagen und wieder jüngit, 
als fteter Gehülfe bei der Tagesarbeit, Zeuge erjchütternder Seelenfämpfe, jelbit: 
quälerifhen Grams und Zmweifels gewefen; jegt im härteſten Drange der Not, 
da die Braviten den Kopf verloren, gewahrte Eichel bewundernd, wie jein König 
„gewiß und wahrhaftig eine Feltigfeit zeige, die faft übernatürlih und, ohne 
Schmeichelei gejagt, eben nur ihm ſelbſt ähnlih und eigen fei”. In Friedrichs 
Briefen aus dieſen Tagen begegnet fein Zweifel, feine Klage mehr. Hatte ſchon 
der Tag von Roßbach ihm das innere Gleihgewicht und das alte Selbftvertrauen 
wiedergegeben, jo verichaffte ihm jegt fein unerjchütterliher Vorjag, ſich diesmal 
durch feinerlei Bedenklichfeit vom Schlagen zurüdhalten zu lafjen, die tröftliche 
Sicherheit, aus jeiner Bedrängnis in Fürzefter Friſt jo oder jo erlöft zu werben. 
Eine legtwillige Verfügung, am 28. November aufgejegt, Tieht die beiden mög: 
lichen Fälle vor: ging die Schlacht verloren, jo überlebte der König die Nieder: 
lage nicht, und für diejen Fall hatte er dem Erben einer verlorenen Sache, 
eines zuſammenbrechenden Staates nichts mehr zu raten. Fiel er als Sieger, 
jo jollte der Nachfolger troß des Sieges unverzüglich einen Friedensunterhändler 
mit Vollmadten nach Frankreich jenden. 

Die härtefte Probe blieb jeiner Feitigkeit allemal erjpart, denn der volle 
Umfang der Gefahr verhüllte fih ihm. Wie vor Kolin unterfchäßte er die Zahl 
des Gegners. Willig maß er dem Gerücht Glauben bei, welches die Verluſte 
der Deiterreiher in der legten Schlacht auf die Ziffer 24000 Hinauftrieb; den 
eigenen Berluft wollte er, viel zu niedrig, nur auf 3—4000 Mann anfchlagen. 
So ſchmeichelte er jich mit der Ausficht, nad) der Vereinigung feiner beiden Heere 
einem höchſtens 40000 Mann ftarfen Gegner in ungefähr gleiher Zahl ent: 
gegenzutreten. 

Am 1. Dezember traf auf dem Ummege über Glogau die Vorhut des 
ichlefiichen, jegt von Zieten befehligten Heeres ein, tags darauf die Hauptmafle. 
Mit Ungeduld hatten die jeither jo unglüdlih geführten Truppen diefe Ver: 
einigung berbeigejehnt; der gemeine Mann gab feiner Freude über die Gegen: 
wart des Königs lauten Ausdrud. Friedrich Hatte die an der ſchmachvollen 
Kapitulation von Breslau fchuldigen und mitſchuldigen Generale, Leitwig, Katte, 
Kyau, bei ihrer Ankunft in Glogau verhaften laſſen und kündete ihnen ein 
Kriegsgeriht an; das Heer aber empfing er, wie wenn bie Gefchlagenen als 
Sieger fümen. Die Mannfhaften wurden wegen ihres tapferen Verhaltens in 
der Schlacht belobt und erhielten reihlihe Verpflegung; von den Führern wurden 
drei Generalmajors zu Generallieutenants befördert, darunter des Königs jüngiter 


140 Sechſtes Buch. Dritter Abfchnitt. 


Bruder Ferdinand, der an der Yohe die Fahne in der Hand dem Kugelregen 

entgegengeitürmt war. Auf jede Art jollte der gejunfene Mut neu belebt werben. 

Denn das Meußerite wollte der Feldherr von der Truppe verlangen. Es galt 

nicht bloß, ein gejchlagenes Heer alsbald wieder an den Feind zu bringen; es 

galt, fich einer Stellung zu bemäcdhtigen, deren Stärfe jeder in diefem geichlagenen 

Heere aus eigener Anſchauung Fannte. 

Vor Zittau hatte der König dur die Warnungen jeiner Generale fich 
von dem beſchloſſenen Angriffe zurüdhalten laſſen.,) Diesmal ſollte jeder Ein: 
wand vorweg abgejchnitten werden, niemand burfte in Ungewißheit darüber 
bleiben, daß der Kriegsherr entjchloffen war, fein Heer bis auf den legten Mann 
einzufegen. 

So ließ er denn am legten Tage des Aufenthaltes zu Parchwitz die Generale 
“und Stabsoffiziere zufammenrufen, um mit feiner „veutichen Rhetorik“ auf fie 
“ einzumirfen. Durch jedes Band waren fie an ihn gefettet, feine Vaſallen, feine 

Offiziere, feine Kampfes: und Leidensgenoffen. Viele hatten jeit Monaten ihn 

nicht gejehen. Wie er nun in ihren Kreis trat, in feiner verſchliſſenen Uniform, 

gealtert, abgemagert, das große Auge ernit auf die erwartungsvoll Verfammelten 
gerichtet, und dann mit dem ganzen Wohlflang feiner weihen Stimme „in Kürze 
und mit Nachdruck“ ihnen jeine Notlage zu jchildern begann, da war der Ein- 
drud überwältigend. Jedem ift dieje Stunde unvergeßlich geblieben, den Wort: 
laut der Rede hätte niemand feftzuhalten vermodt. Er gedachte des Verluftes 
der Schlacht, des Berluftes von Schweidnig und Breslau, aber auch des glänzen: 
den Gieges über die Franzojen; er erinnerte einen jeden an eine ehrenvolle 
militärische Vergangenheit und fie alle an den Preußennamen und beifchte dann 
von ihnen Blut und Leben für den Tag, da Preußens Geſchicke ſich entſcheiden 
mußten. Dem aber, der die preußiihe Sache verloren gäbe und fih von ihm 
trennen wolle, ſagte er bier auf der Stelle den Abichied zu, ohne daß den Mann 
ein Vorwurf treffen jole. Es war das doch mehr, als eine nur auf die 
oratoriſche Wirkung berechnete Form. Wie viele von diejen freuzbraven Haudegen 
hatten nicht jeit dem Unglüdstage von Kolin ſich in die Vorſtellung hinein— 
geredet, daß es aus dem Verderben fein Entrinnen mehr gäbe. Schon ging 
bei dem Feinde die Rede, daß der König von Preußen von jeinen eriten 

Generalen und Verwandten verlafien werde; blieb doch der Prinz von Preußen 

dem Heere dauernd fern, und glaubte man doch im öfterreihifchen Hauptquartier 

zunächſt ganz feit, daß der Herzog von Bevern fich abfichtlih habe gefangen: 
nehmen laffen. Vor allem aber: der Tapferften einer, Mori von Deſſau, 
hatte vor kurzem, eingejhüchtert dur die Drohungen des Reichshofrats, feine 

Entlafjung aus dem preußiichen Kriegsdienft nachgeſucht und fol noch hier in 

Parchwitz zu einigen Offizieren gefagt haben, daß die Lage verzweifelt jei und 

leider in wenigen Tagen noch verzweifelter werden würde. Sept mag ſich fein 

Blid zu Boden gejenft haben, wenn auf jene Aufforderung des Königs der 

biedere Major Billerbed in die lautloje Stile mit dem Kraftwort hineinplagte: 

„Das müßte ja ein infamer Hundsfott jein, jett wäre es Zeit”. 


— — 


) Oben S. 112. 





Von Kolin nad Leuthen. 141 


Den Truppen ward fundgegeben, daß Seine Majeftät den Feind angreifen 
würden, wo Sie ihn fänden und zu Ihrer Armee das Zutrauen hätten, fie würde 
in eben der Abſicht, wie Seine Majeftät, dem Feind entgegenmarfchieren, zu fiegen 
oder zu fterben. Für jedes erbeutete Gefhüt wurde ein Ehrenlohn von 100 Du: 
faten zugefihert. Da und dort redete der König beim Nitt durch das Lager 
felber die Leute an und freute fich ihrer treuherzigen Entgegnungen und des 
jelbftbewußten Troftwortes, daß bei dem Feinde „keine Pommern“ jeien: „Du 
weißt ja wohl, was die können!” 

„Ich bofie noch alles wieder gutzumachen,“ fchreibt der König an dieſem 
3. Dezember an Ferdinand von Braunfchweig, „obgleich ich nicht leugnen kann, 
daß e& mir jehr viel Mühe often wird, und daß ich hier die fchwierigfte und 
gewagteite Unternehmung vor mir habe, die ich trogdem mit dem Beiftand des 
lieben Gottes zu bemältigen hoffe.” Es ift nicht das einzige Mal in diejen 
Parhwiger Tagen, daß Friedrich der Hoffnung auf eine höhere Hülfe Aus- 
drud gibt. 

Am nächſten Morgen ward das Lager aufgehoben, das Marjchziel war 
Neumarkt. Die kleine Stadt war von Kroaten bejegt, abgeſeſſene Hufaren 
— denn bie Infanterie war noch zurüd — fprengten das Stabtthor und er: 
beuteten die Feldbäderei des öfterreichiichen Heeres mit Brotvorrat für 40000 Mann. 
Zugleich aber erhielt man die frohe Kunde, daß der Feind feine feite Stellung 
hinter der Lohe verlafjen hatte und fogar ſchon über die Weiltrik vorgegangen 
war — ein großes, ungehofftes Ereignis. „Der Fuchs ift aus feinem Loche 
gekrochen,“ jagte der König vergnügt, „nun will ich feinen Uebermut ftrafen.“ 

Prinz Karl von Lothringen unterſchätzte den Gegner nicht, der ihn in vier 
Schlachten geichlagen hatte. Nur dur geringen Zuzug war das jüngit befiegte 
Heer verftärft, aber dem Einen unter den neuen Antömmlingen ging lähmender 
Shreden voraus wie dem zum Kampfe zurüdfehrenden Achill. In die leicht: 
fertigen Spöttereien über die Potsdamer Wachtparade, die in feinem Lager ge: 
hört wurden, ftimmte der öfterreichiiche Feldherr jo wenig ein, daß er noch joeben 
an jeinen faiferlihen Bruder gejchrieben hatte: „Ich fürchte, wenn unfere Herren 
Verbündeten, wie ich es mir vorftelle, nichts thun, und wenn die ganze Heeres: 
macht auf uns fällt, jo werden wir in jtarfe Verlegenheit kommen.” Aber er 
hatte aus Wien gemeſſenen Befehl nicht zwar eine Schlacht zu wagen, aber doc 
Liegnig zu behaupten. Und jo hatte er fi unter einftimmiger Billigung feines 
Kriegsrats entichlofien, den Preußen entgegenzugeben, ehe fih der König in 
jeinen Stellungen allzuſtark befeftigen fonnte; denn damit wäre es um die Rube 
der öfterreihifchen Winterquartiere in Schlefien geichehen gemweien. 

So nahe, wie die beiden Heere bei einander ftanden, mußte der 5. De: 
zember die große Entiheidung bringen. Um 4 Uhr in der Frühe traten die 
Preußen an, flügelweife, zwei Kolonnen zu Fuß zwifchen zwei Reiterfolonnen. 
Als es zu dbämmern begann, feste fih der Zug in Bewegung. In frommer 
Scheu ftimmten diefe mübhfeligen und beladenen Kriegsfnechte ihre geiftlichen 
Lieder an und ftärkten fich den Mut für ihr blutiges Tagewerf an den jchlichten 
Verſen, die vor mehr als hundert Jahren hier in der Nähe ein jchleftiiher Pfarr: 
herr wie für die feierlihe Stimmung diefer Morgenftunde gedichtet hatte: 


142 Sechſtes Buch. Dritter Abſchnitt. 


Gib, daß ich thu’ mit Fleiß, was mir zu thun gebühret, 
Mozu mich mein Beruf in meinem Stande führet; 
Gib, daß ich's thue bald, zu der Zeit, da ich foll, 

Und warn ichs thu', fo aib, daß es gerate wohl. 


Beim Dorfe Borna erfannte der Vortrab, 55 Schwadronen Huſaren und 
Dragoner und 9 Bataillone, im Dezembernebel eine Reitermaffe. Wie bei 
Lobofig konnte Zweifel entitehen, ob man das ganze feindliche Heer, ob nur 
eine Abteilung vor ſich hatte.!) Bald ergab fih, daß es nur 5 Negimenter 
waren, öfterreichiiche Hufaren und die 3 ſächſiſchen Chevaurlegers:Regimenter, 
die bei Kolin die Entfcheidung herbeigeführt hatten. An diefem Morgen war 
ihnen das Glück minder hold. Während fich die Kaiferlihen vor ber Ueber: 
macht noch rechtzeitig zurüdzogen, wurden die Sachſen nah anfänglidem Erfolg 
jo wuchtig in Front und Flanke gepadt, daß fie 3 Standarten, 550 Gefangene, 
darunter ihren jchwerverwunbeten Führer Noftiz, in den Händen der Sieger 
laſſen mußten. Nur mit Mühe fonnte der König feine Hufaren zurüdhalten, daß 
fie nicht mit verhängtem Zügel gerade auf das diterreichiiche Heer losſprengten. 
In Kanonenſchußweite vom Feinde jammelten fie fih dann zwiſchen Heidau und 
Frobelwig. 

Von einem der Hügel bei Heidau, jüdlih der nah Liſſa führenden Heer: 
ftraße, ließ fi der größere Teil der von Nord nah Süd auf eine volle deutſche 
Meile ausgedehnten öfterreihiichen Stellung jo überfhauen, daß man „jeden 
Mann hätte zählen können”. Nur der rechte, an das Dorf Nippern gelehnte 
Flügel war durch Wald und Hügel verdbedt. Das Zentrum ftand auf den mit 
Batterien gekrönten Höhen hinter Frobelwit und Leuthen, die mit Grenadieren 
belegten Dörfer hart vor der Front. Südlich von Leuthen ragte eine Kavallerie: 
linie vor, in der Richtung auf das Heine Dorf Sagſchütz. Bon dort bog fich 
die Schlachtordnung wieder zurüd bis zu dem Mittelteih von Gohlau und der 
fumpfigen Niederung, in der das Striegauer und das Schweidniger Waſſer zu— 
jammenfließen, jo daß die Erhöhungen bei Sagjhüt den Scheitel eines Dreieds 
und zugleich den am weiteften ausjpringenden Punkt der ganzen Stellung bildeten. 
Hier befehligte Nadasdy eine gefonderte Abteilung, bei der ſich auch die bairifchen 
und württembergiihen Hülfsvölfer befanden. 

An diefer Stelle beſchloß König Friedrich feinen Angriff einfegen zu laſſen. 
Als mehrfach benugtes Manöverfeld war ihm die Gegend mwohlbefannt. Es ent: 
ging ihm nicht, daß nach Ueberwältigung der vorgelagerten Höhen bei Sagihüt 
der linfe Flügel des Feindes, ohne Anlehnung im Rüden, allen Halt verlieren 
mußte. Ueberdies ftieß der Angriff dort in die natürliche Rückzugslinie der 
Deiterreiher; von hier verdrängt, verloren fie die fürzefte Verbindung mit 
Schweidnitz und fonnten die böhmiſche Grenze nur noch auf dem Ummege über 
Breslau erreichen. 

Unverzüglid wurde die Marſchrichtung des preußiichen Heeres dem An 
griffsplan entiprechend geändert. Waren bisher die vier Kolonnen, in benen 
die beiden Infanterie- und die beiden Kavallerieflügel daherzogen, gerade auf 


) Then 2. 30. 


Ton Kolin nad Leuthen. 143 


die feindliche Stellung anmarjdiert, jo galt es jegt, möglichit ſchnell und mög: 
lichſt unbemerkt, ihr parallel bis zu ihrer äußerften Linken heranzugleiten. Die 
Kolonnen brachen in der Mitte ab, die vier Vorderhälften ſetzten fich, mit einer 
Viertelſchwenkung nad rechts, hintereinander, die vier Enden besgleichen, fo daß 
nun die beiden neuen Marfchläulen, durch Reiterei eröffnet und geſchloſſen, je 
ein Treffen bildeten und durch einfaches Einfchwenken der Züge ſich binnen 
fürzefter Zeit in Schlachtordnung entwideln konnten, jobald die Spigen bie 
äußerjte Linfe des Feindes überragten. 

Solchen treffenweije ausgeführten Parallelmarſch) hatten die Defterreicher 
bei Prag und bei Kolin vom erhöhten Standort aus hinreihend genau beob— 
achtet, um ihre Stellung noch rechtzeitig ändern zu können.“) Auch heute wurden 
die Truppen bin: und hergeſchoben; aber da die anfängliche Richtung des preußi- 
ihen Marſches die Voritellung gewedt hatte, daß der Angriff dem rechten Flügel 
gelte, jo warb die verfügbare Nejerve dem dort fommandierenden General 
Luccheſi zugeteilt. Nachher verhüllte den Marſch der Preußen der Höhenzug, ber 
von Borna über Lobetinz nah Sagſchütz ftreidht, die Heeresfcheide, von der aus 
König Friedrih und feine Huſaren beim Anmarſch Freund und Feind überfahen. 
Defterreihifhe Plänkler wagten fi nicht mehr vor, nachdem joeben drei aus: 
erlejene Reiterregimenter zertrümmert worden waren, und jchließlich konnte ja 
das Ausbrehen der Preußen hinter Borna als Rückzug aufgefaßt werden, wie 
man fie bei Zittau unverrihteter Sache hatte abziehen jehen. „Die guten 
Leute paſchen ab,” joll Daun gejagt haben, „laſſen wir fie in Frieden ziehen.“ 

Als dann die Preußen im Angefiht von Sagſchütz mit unvergleichlicher 
Schnelligkeit und Genauigkeit aufmarjcierten, war es zu weiteren Gegenvorkeh— 
rungen zu jpät. Um allen Verftößen gegen die Grundidee feiner jhiefen Schlacht: 
ordnung vorzubeugen, wie fie bei Prag unnüte Opfer und bei Kolin den Verluſt 
der Schlacht verurſacht,“) hatte der König angeorbnet, daß die Bataillone des 
eriten Treffens nicht nebeneinander aufmarjchieren jollten, jondern ftaffelförmig 
im Abftande von je 50 Schritt; auf diefe Art fam das äußerfte Bataillon der 
nicht zum Angriff bejtimmten Linken auf eine Linie zu jtehen, die der Richtlinie 
des vorderften Bataillons vom rechten Flügel in einem Abftand von nicht weniger 
als 1000 Schritt parallel lief, und es war nicht wohl möglich, daß es abermals 
unverjehens zu einem Frontalangriff auf der ganzen Linie fam. Ye 2 Ba: 
taillone dedten die Flanfen zwiſchen den beiden Treffen. Die Neiterei ward 
teils auf die Flügel, teils als Rejerve hinter das zweite Treifen geftellt. Bon 
den I Bataillonen der Vorhut wurden 6 der Reiterei des Angriffsflügels zu: 
geteilt, zur Abwehr feindlichen Flankenfeuers, wie es bei Kolin den Reiter: 
angriff geftört hatte; mit den 3 andern jollte Oberſt Wedell, unterftügt durch 
10 aus Glogau herbeigeichaffte Zwölfpfünder, den eriten Angriff auf den Poſten 
bei Sagſchütz ausführen. 

Ausnahmsmweile waren es Musketiere, die diesmal dem Angriffe die Bahn 





) 3b. I, 547. 
2) Oben ©. 81. 93. 
) Oben S. 84. 9. 


144 Sechſtes Bud. Dritter Abfchnitt. 


zu brechen hatten, Kerntruppen aus der Hauptitabt, das Regiment Meyerind 
und das zweite Bataillon von Itzenplitz. Der König ritt an die äußerfte 
Rechte zu der Fahne der Leibcompagnie von Meyerind und bedeutete den 
Fahnenträger: „Junker von der Leibcompagnie, fiehet Er wohl, auf den Verbad 
ſoll Er zumarſchieren, Er muß aber nicht zu ſtark avancieren, damit die Armee 
folgen kann.“ Dann richtete er jelbit die Front und rief der Truppe zu: 
„Burjchen, jehet ihr dorten wohl die Weißröde? Die follt ihr aus ihrer Schanze 
mwegjagen, ihr müßt nur ftarf auf fie anmarjchieren und fie mit dem Bajonett 
daraus vertreiben, ih will euch aladann mit 5 Grenabierbataillons und ber 
ganzen Armee unterftügen. Hier heißt es fiegen oder fterben, vor eud habt 
ihr den Feind unb hinter euch die ganze Armee, daß ihr alfo auf feiner Seite, 
zurüd ober vorwärts, anders als fiegend Plat findet.“ 

Den Sagihüger Kiefernberg bielten Württemberger; hinter einem Verhau 
auf die Kniee geworfen empfingen fie die preußifche Linie mit ihrem Feuer, bei 
der zweiten Salve war die Sturmtruppe bereits unter ben feindlihen Kanonen, 
von denen einige dur die preußiichen Bataillonsftüde jofort zum Schweigen 
gebradht waren. Unter gemwaltigem Gejchrei, mit gefälltem Bajonett, fpringen 
die Angreifer über den Verhad, für die Württemberger ift fein Bleibens mehr, 
den MWeichenden wird fo kräftig nachgefeuert, daß ftellenweife 10—12 Mann tot 
tibereinander lagen. Nun galt es die Batterie auf ber Höhe jenfeits von Sag: 
fhüt zu nehmen. Mit Hülfe des Flügelbataillons aus dem erften Treffen ver: 
trieben Wedells 3 Bataillone den Feind, Württemberger, Baiern, Defterreicher, 
binnen einer PViertelftunde auch hier. 

Inzwiſchen hatte auh das Gros der Avantgarde, 1 Musfetier: und 
5 Grenadierbaillone, jeine erite Aufgabe ſchnell und glänzend gelöſt. Sie 
hatten den Kaulbuſch jüdöttlih von Sagſchütz von 2 ungarifhen Bataillonen 
geläubert, die dort der Reiterei ebenfo gefährlich werden fonnten wie die Kroaten 
im Eichwäldchen von Kretihorz, und dann die hinter dem Buſch hervorge: 
iprengten Schwadronen, die in wilden Ungeftüm die erfte preußifche Kavallerie: 
linie geworfen hatten, durch mwohlgezieltes Feuer zum Rüdzug gezwungen. Jetzt 
famen fie, von dem Prinzen Morik herangebolt, gerade zurecht, um im Verein 
mit der Brigade Wedell Nadasdys Truppen über Gohlau hinaus von Stellung 
zu Stellung zu jagen. In dem freieren Gelände hinter Gohlau fonnte nun 
auch die preußiiche Reiterei unter Zietens Führung zum Angriff übergehen; zu: 
nächſt noch durch Gräben gehemmt, erzielte fie beim zweiten Vorftoß einen vollen 
Erfolg, die Gardes du Corps und Genbarmen bewährten ihren Ruhm von 
Roßbach und hieben die Modena:-Dragoner zur Hälfte nieder, und als nun bie 
Zieten-Huſaren, an den Küraffieren vorbei, aus dem dritten Treffen vorftürmten, 
ward die Flucht des Nadasdyichen Corps allgemein; 2000 Gefangene fielen den 
Verfolgern in die Hände, ein Teil der Befiegten entrann in ber Richtung auf 
Liffa, eine andere Woge flutete auf die Hauptftellung nad) Zeuthen zurüd; einige 
beberzte Neitergefhwader zogen unter dem euer der preußiſchen Geſchütze eine 
Kette, hinter der fih der Verwirrung ſteuern und neuer Rat fchaffen ließ. 

Die öjterreihiihe Schladtlinie war durch den Berluft des ihrer linfen 
Flanke vorgelagerten Dreieds zwiſchen Leuthen, Sagihüg und Gohlau gleichſam 


Bon Kolin nad Yeuthen. 145 


eingefnidt. Indem jet der rechte Flügel um jo viel vorgezogen wurde, als 
der linfe zurüdgebrängt worden war, bildete jih, mit dem Dorfe Leuthen als 
Mittelpunft, eine neue Front in der Richtung von Nordweſt nad Südoft, welde 
am DOftausgang des Dorfes die urjprüngliche Stellung beinahe ſenkrecht durch— 
ſchnitt. 

Auf Leuthen richtete ſich jetzt der konzentriſche Angriff des Vortreffens und 
des rechten Flügels der Preußen. Der König wählte ſeinen Standort an dem 
Gehölz von Radardorf, wo er einen Augenblick nicht bloß von den öſterreichiſchen 
Batterien, ſondern auch aus ſeinen eigenen Geſchützen Feuer erhielt. Das ſtatt— 
liche Dorf Leuthen mit ſeinen zahlreichen geſchloſſenen Gehöften und eingezäunten 
Gärten lag in ſeiner ganzen Länge vor der Front der Angreifer. Das zweite 
und dritte Bataillon Garde und die Grenadiergarde ſtießen gerade auf die Mitte 
des Ortes, wo der hochgelegene Friedhof der katholiſchen Kirche, dicht mit Kanonen 
beſetzt, der Brennpunkt der Verteidigung wurde; in die feſte Steinmauer mußte 
förmlich Breſche geſchoſſen werden. 

Etwa eine Stunde währte der Kampf, bis Leuthen in den Händen der 
Preußen war. Hinter dem Dorfe erwartete ſie neuer Widerſtand. Vom rechten 
Flügel her waren die Grenadiercompagnien des Reſervecorps angelangt, auf der 
Höhe zwiſchen den Windmühlen die drei Hauptbatterien zuſammengezogen. Die 
preußiſche Linie war während des Einzelgefechtes in den Straßen und Gehöften 
auseinandergekommen, die Bataillone des zweiten Treffens mußten in die Lücken 
eintreten, ſchon auch Bataillone aus dem zurückgehaltenen linken Flügel. Dieſer 
ſelbſt hatte ſich in dem Maß, als der Kampf vorrückte, nad rechts dem Angriffs: 
flügel nachgeſchoben und war jo doch aud in den Bereich ber öſterreichiſchen 
Batterien gefommen: einige Abteilungen gingen in Unordnung zurüd, ein Bataillon 
aus dem zweiten Treffen, durch den Adjutanten Retzow, den Sohn des biejen 
Flügel fommanbdierenden Generals, vorgeführt, 309 durch fein Beifpiel die Wanfen 
den nad), und der ganze Flügel ging nun zum Angriff über. 

. Somit waren ſämtliche preußiſche Bataillone in die Feuerlinie getreten — 
eine bedenklihe Wendung, die den Abfichten des Feldherrn nicht minder wider: 
ſprach, als die bei Prag und Kolin beklagten Abweichungen vom Schladtplan, 
die aber hier durch die Achjenwendung des gegnerifhen Heeres unvermeidlich 
geworden war. Nod wehrt fich die öſterreichiſche Infanterie hartnädig: wird 
die Reiterei fie noch einmal heraushauen und auch die heutige Schlacht no im 
legten Augenblid wiederherſtellen? Luccheſi erjpäht fi die Blöße des ſchwachen 
linfen Flügels der Angreifer und ſchickt fih an, mit feinen noch friihen Schwa- 
dronen fie dort in der Flanke zu faſſen. Aber die preußiiche Kavallerie ijt heute 
anders am Plate, als am 18. Juni. Bei Radardorf hält, dem Auge des 
Gegners durch eine Bodenerhebung entzogen, General Driejen, nicht ein jugend: 
liher Held wie Seydlitz, faft ein Sechziger, unterjegt und ſchweren Leibes, aber 
warmblütig und lebhaft, far und entſchloſſen, jchon im Frieden als Führer hoch 
angejehen !) und jüngit bei Breslau an der Spike einer Brigade trefflich bewährt. 
Seine Batrouillen geben ihm von allem jchnelle Kunde, wie eine ungeheure Sturz: 


") Bb. 1, 535. 
Kojer, Adnig Friedrich der Große. IL 2. Aufl. 10 


146 Sechſtes Bud. Dritter Abfchnitt. 


welle türmt fich die fchwere Reitermafje über dem Hügelrand auf und brauft den 
Hang hinunter, an die fünfzig Schwadronen; auch der wadere General Krodom 
mit feinen Breslauer Küraffieren ift dabei, den fie mit feiner Fußwunde aus 
der legten Schlaht vom FFieberbett in den Sattel gehoben haben. Unfehlbar 
muß Luccheſi überflügelt werden, im Galopp jchwenft er in Schwadronen links 
ab, dem drohenden Gejchid zu entweihen. Vergebens, feine Reiter werden ein: 
geholt, in Front, Flanke und Rüden gepadt, der führer fällt; was den Pallaſchen 
der Preußen entrinnt, zeritiebt in alle Winde. 

Die Zeriprengung dieſes Kavallerietreffens wird für die Infanterie das 
Signal zur Fludt. Durch die feindlichen Reiter im Rüden bedroht, werfen die 
Leute haufenweije das Gewehr weg; die preußiiche Infanterie bricht mit gefälltem 
Bajonett ein und fchlägt den legten „mit den Kolben an die Ohren”. Ein 
paar Regimenter, die bei den Windmühlen noch jtandhalten, werden von den 
Baireuther Dragonern und den Leiblaradinieren überritten und in Mafje ge: 
fangen gemacht. 

Die Schlacht ift entichieden, auf der ganzen Linie. Schon bricht die Nacht 
herein. Der Verſuch der öfterreichijchen Generale, zwiſchen Frobelwig und Liſſa 
eine neue Linie zu bilden, mißlingt. Die Haufen der Gefangenen jchmwellen 
immer mehr an. Dod hat Nadasdy auf dem Schauplatz des eriten Schlacht— 
abichnittes die Neiterei des Siegers verhindern fünnen, flußabwärts nah Lifja 
durchzjudringen und die Brüden über die Weiftrig abzutragen. So gibt es für 
die Flüchtenden noch ein Entrinnen. 

Das Heer der Sieger ordnete fih, jo gut es in der Dunfelheit ging, 
zwifchen den Dörfern Guderwig und Leuthen, und blieb unter dem Gewehr, 
die Stätten feiner blutigen Triumphe im Nüden, die Meiftrig zur Necten. 
Mieder wie am Abend von Roßbach ward das Schlachtfeld die Stätte eines 
Gottesdienftes. Von Trupp zu Trupp pflanzte jich die fromme Weife fort, bis 
zulegt aus vieltaufendfachem Kriegermund das deutiche Tedeum ertönte: „Nun 
danfet alle Gott!” 

Der König war mit den Seydlit-Kürajlieren und einigen Kanonen auf 
der Straße nad Liſſa vorangeeilt; ein paar Grenadierbataillone folgten. Neben 
dem Pferde des Königs, am Steigriemen fich feithaltend, jchritt der Kretichmer 
aus der Dorfichenke von Sahra und machte mit feiner Laterne in der dichten 
Finfternis den Führer. Bon Zeit zu Zeit wurden Kanonenihülle abgegeben, 
um die Fliehenden nicht zu Atem kommen zu lafjen. Kurz vor Lila ward man 
von einem größeren Haufen Nachzügler mit Feuer begrüßt, ebenjo nachher im 
Städtchen aus den Fenſtern. Aber der König ließ fofort am jenfeitigen Aus: 
gang bei der Weiftrig:Brüde die Kanonen auffahren und ficherte ſich jo den 
Ort und für morgen den Flußübergang. Dann überraſchte er — es war gegen 
7 Uhr — auf dem Schloß des Freiherrn von Mudrah die abgejchnittenen 
öfterreichifchen Offiziere mit feinem: „Bon soir, Messieurs! gewiß find Sie mich 
bier nicht vermuten! Kann man bier auch noch mitunterfommen?” Das ganze 
Schloß war mit Berwundeten belegt, der König nahm ein dürftiges Nachtmabl 
ein und jchlief auf einer Streu, wie die Nacht zuvor unter demfelben Dad jein 
Gegner Karl. 


Von Kolin nad) Leuthen. 147 


„Gottlob, unfer Sieg iſt jo komplett, wie wir erbitten und wünſchen 
fönnen,“ fchreibt hier aus Liſſa nachts um 12 Uhr der Generaladjutant Wobers: 
nom an den in Glogau zurüdgebliebenen Kabinettsrat,; „der König iſt beftändig 
im größeiten Feuer gewejen; es war nicht möglih, ihn zurüdzuhalten, ob ich 
mich zwar alle erfinnlihe Mühe gegeben.” 

Zur größten Ueberraſchung hörte man, daß man an die 80000 fi 
gegenüber gehabt habe. Und wenn fi auch alsbald herausftellte, daß dieſe 
Angabe um faft 10000 Mann zu hoch gegriffen war — die Defterreidher hatten 
vor der Schlacht geflijjentlih ihre Zahl übertrieben —, jo find die Beftegten 
am Schlachttage doch immerhin doppelt jo ftarf gemwejen als die Sieger; denn mehr 
als 35000 Preußen werden am 5. Dezember nicht zur Stelle gewejen fein. 

Am Morgen nah der Schlacht jegte fih das preußiihe Heer um 6 Uhr 
in Mari, überfchritt die Weiftrig umd ftieß gegen 10 Uhr an der Lohe auf 
den Feind, deſſen Gejchübfeuer den Verfolgern den Uebergang auf das blut: 
getränkte Schlachtfeld des 22. November nicht zu verwehren vermochte. Mit 
Staunen laſen fie ſpäter in einem öfterreihiihen Bulletin, daß ihr König es 
auf eine neue Schlacht nicht habe anfommen lajjen. 

Während der König fich zur Belagerung von Breslau anjchidte, fette 
Zieten mit 55 Schwadronen und 11 Bataillonen dem geſchlagenen Heere nad; 
nicht jo unabläjfig, wie fein Gebieter es gewünscht hätte, aber doch erfolgreich 
genug, denn bis Weihnachten hatte er, zulegt von Glatz ber durch Fouque treff: 
(ih unterftügt, den Feind über das Gebirge zurüdgedrängt. Von den 35000, 
die nah Böhmen zurüdfehrten, war die Hälfte krank. Demnächſt jäuberte der 
Hufarenoberit Werner auch Oberjchlefien. 

Die Lifte der preußifhen Trophäen, wie fie, ohne die legten Ergebniſſe 
der Verfolgung abzuwarten, veröffentliht wurde, enthält 21500 Gefangene, 
307 gefangene Offiziere, 131 Kanonen, 51 Fahnen und Standarten, 4000 Ar: 
tilleries, Bagage: und Proviantwagen. Den eigenen Berluft gab der preußifche 
Schlachtbericht auf 500 Tote und etwa 2300 Verwundete an; genauere Zählung 
ergab bedeutend höhere Ziffern: 1141 Tote und Vermißte, 5018 Verwundete, 
85 Gefangene. 

Am 20. Dezember fapitulierte Feldmarfhalllieutenant Spreder von Bernegg 
mit der Feltung Breslau und 17635 Mann. Xiegnig übergab Oberſt von Bülow 
gegen freien Abzug der Beſatzung. Die Belagerung von Schweidnig blieb, da 
itarfer Froft eingetreten war, bis zum Frühjahr ausgejett. 

„Wenn jemals Preußen Anlaß gehabt hat, das Tebeum anzuftimmen, fo 
it es bei dieſer Gelegenheit,” jchreibt Friedrih am 19. an feine Minifter 
Podewils und Findenftein; „ih hoffe, Sie werden mit meiner Heerfahrt zu— 
frieden fein; niemals habe ich jo viele Hinberniffe angetroffen wie bei diejer 
Gelegenheit. Der Himmel fei gelobt, daß es uns geglüdt if.” Weihnachtsruhe 
aber durfte er fich nicht gönnen. Am 24. in der Frühe marfchierte er mit dem 
Belagerungscorps von Breslau ab, um im Gebirge nah dem Rechten zu jehen 
und die Poftierungsfette zum Schute der Winterquartiere zu bilden. So fam 
Neujahr heran, ehe Feldherr und Truppen ſich erholen fonnten. „Das nenne 
ih eine Campagne, die gleich dreien gilt,” jagt Friedrih am 26. in Striegau; 


148 Sechſtes Bud. Dritter Abfchnitt 


„ich kann nicht mehr, meine Körperfräfte nugen ſich ab, ih bin frank und habe 
jede Nacht viel von Koliten auszuftehen.“ Schon bald nad der Schlaht waren 
ihm Schlaf und Appetit plöglih untreu geworden. Aber er blieb guter Laune 
und trug Krankheit und Strapazen frohen Mutes; jo verfidhert er dem Prinzen 
Heinrih und bittet, ihm die beite Schere zu ſchicken, um dem zurüdgefehrten 
Glüd die treulojen Flügel abjchneiden zu können. 

Seine fühnften Erwartungen waren übertroffen. „Alles das geht viel 
weiter, als ich geglaubt hatte,” jchreibt er nah dem Fall von Breslau an 
Keith; „Sie fünnen darauf zählen, daß diefe Unternehmung dem Feinde mehr 
als 42000 Mann gekoftet hat, und wenn das nicht zum Frieden führt, jo werben 
feine Kriegserfolge ihn zu Wege bringen.” Wenn fih nun noch den Franzoſen 
zwifchen Elbe und Wefer und den Schweden ein entfcheidender Schlag verjegen 
ließ, wurde das Gefamtbild der Lage noch verheifungsvoller! Schon hatte 
Lehwaldt Schwediih: Pommern bis auf Stralfund und dazu Medlenburg in jeiner 
Gewalt. Friedrich berief den Grafen Findenftein nah Breslau, um ihm feine 
Gedanken für den allgemeinen Friedensſchluß darzulegen. Inzwiſchen warb und 
rüftete er raftlos; die Lücken, welche „ſieben rangierte Feldſchlachten“ in fein Heer 
gerifien hatten, mußten ausgefüllt werden. Er ſagte fih: „Es ift große Ausficht 
vorhanden, daß wir bei der Zerrüttung der Defterreicher im Frühjahr den Frieden 
haben werden, aber jelbfi wenn man deſſen fiher wäre, müßte man darum 
nicht mindere Anftrengungen maden, um fi in eine formidable Situation zu 
verjegen, da das Argument der Gewalt das einzige ift, mas ſich gegen dieje 
Hunde von Königen und Kaifern anwenden läßt.” 


Dierter Abſchnitt. 


Das Jahr 1758. 


„Heldin, den bezwingft du nicht! 
Gott fann Wunber thun! 
Schenk ihm Freundesangefidht, 
Bitte Frieden nun!” 


— jo rief Gleims preußijcher Grenabier „nad Wiedereroberung der Stadt 
Breslau” der Kaiferin-Königin zu. Leſſing erlaubte fih in jeiner Sammlung 
der Grenadierlieder das „bitte” zu ändern in „biete“. So darnieder lag troß 
Roßbach und Leuthen Defterreichs Sache nicht, daß Gleims Aufforderung an der 
Zeit geweſen wäre. 

Zunächſt allerdings wirkten die Erfolge der preußiichen Waffen betäubenb, 
überwältigend, jomohl auf die Heere und Höfe wie auf die öffentliche Meinung. 
Unter Zeihen und Wundern war das alte Jahr dahingegangen; jo jäh hatte 
nod nie das wanfelmütige Kriegsglüd fi) gewandt. Wer hätte vor wenigen 
Monden die Sahe des preußiihen Königs nicht verloren gegeben! Al fein 
Ruhm in Krieg und Frieden jei geborgt gewejen, jo verhöhnten die Gegner ben 
Beliegten von Kolin; wie mit Voltaire jeine Feder, jo habe er mit Schwerin 
feinen Degen verloren. Auf der Hofbühne zu Wien verherrlichte Metaftafio den 
Koliner Sieg in einem allegoriichen Feitipiel: Kyllene-Sadhjen jhaut im Traum, 
wie Atalante-Therefia den kalydoniſchen Eber tödlich trifft, und jo erheben fich 
die beiden Jägerinnen, von zwei anderen, Euadne-Rußland und Tegea-Frank— 
reich, geleitet, jiegesficher zum fröhlichen Jagen: andiamo, ruft Euadne: 


a rapir la vittoria, 
E a dar soggetto alla futura storia! 


In Venedig, wo die Terefiani und die Pruffiani in Sonetten und Knüttel- 
verjen fih auf das leidenfchaftlichite befämpften, hatte ein Dichter aus dem 
Volke, der Gondoliere Bianchi, den Preußenfönig den gottlojen Amaleliter ge: 
icholten, den der neue Joſua Daun zu Boden gefchmettert habe. Jetzt, nad 


150 Sechſtes Bud. Pierter Abſchnitt. 


den Tagen von Roßbach und Leuthen, nachdem „die hochmütigen Perrüden: 
macher, die da fiegen wollten”, bejiegt find und nachdem ihr Bezwinger, „ichneller 
als Perſeus und als Bellerophon auf dem geflügelten Begafus”, wie ein Wetter: 
ftrahl durch den winterlihden Aether dabingefahren ift, um auch den zweiten 
Feind vernichtend zu treffen, jet heißt Friedrich demjelben Poeten „der Heros 
des Jahrhunderts”, dem zu feinem Ruhme nur das noch fehle, daß Gott jein 
Keperherz rühren und ihn zu einem Hauptmann des triumphierenden Kreuzes 
maden möge. „Horatius Cocles auf der Brüde, ein einziger Mann gegen 
ganz Etrurien”, ift jest diefer König den enthufiaftiihen Venetianern geworden — 
der Löwe vom Kaufajus, der verwundet und ermattet, knirſchend nad ſchreck— 
fiher Rache, von dichten Scharen feindjeliger Raubtiere umringt, plötzlich ber: 
bricht und ein großes Blutbad unter ihnen anridtet. 

Gleich jäh hatte in Frankreich die Stimmung umgefegt. „Unſeren Pariſern,“ 
ſchreibt D’Alembert an Voltaire, „it jegt durch den König von Preußen der 
Kopf verdreht; fünf Monate ift e& ber, daß fie ihn in den Schmuß zogen, und 
das find alfo die Yeute, um deren Stimmen man wirbt.” b’Alembert wunderte 
fi nicht, daß die Pamphletiften, die diefen König nad jeinen Siegen nicht 
mehr ins Lächerlie zu ziehen mwagten, jegt über ihn und feine Encyklopädie 
berfielen. Roltaire antwortete: „Ich erkenne gar wohl meine teuren Landsleute 
an ber Begeifterung, in der fie fich jest für den König von Preußen befinden, 
ihn, den fie vor fünf bis jechs Monaten als Mandrin — den ärgften der 
Straßenräuber — betradteten. Die Pariſer bringen ihre Zeit damit hin, 
Statuen zu errichten und wieder zu zerbreden, fie vergnügen ſich mit Pfeifen 
und mit Händellatjhen, und mit weit weniger Geift als die Athener, haben fie 
deren . Fehler alle und find noch erzentriiher.” Wie hatte Voltaire auf die 
Defterreiher gehofft, daß fie Franfreih und vor allem ihn jelbit und jeine 
hyſteriſche Nichte!) an diefem Salomo des Nordens, dem gewaltigen Philiſter, 
rächen würden: „Die Defterreiher rächen und demütigen uns jchredlich,“ ſchreibt 
er zwifchen Genugthuung und Scham nah der Schlacht bei Breslau; ganze 
jeh8 Stunden habe der Kampf gewährt: „wir Schlingel von Franzoſen, wir 
find flinfer, unfere Affaire war in fünf Minuten abgemadt.” Und nun war 
er troß Daun und allen Defterreihern wieder obenauf, Voltaires „heros-poete- 
philosophe-guerrier-malin-singulier-brillant-fier-modeste*. Dem allgemeinen 
Gefühl ftaunender Bewunderung fonnte doch auch diejer Unverſöhnliche ſich nicht 
entziehen. Der Verfafler des „Siecle de Louis XIV* wirft die Frage auf: 
„Was würde Ludwig XIV. fagen, hätte er gejehen, wie der Marquis de Brande- 
bourg, befjer als er jelbft, drei Vierteilen Europas widerftanden hat!“ Wohl jei 
es an dem, daß er furzfichtige Augen und einen heißen Kopf habe; zugleich 
aber habe er das erfte aller Talente für das Spiel, das er fpiele, die Schnellig: 
feit: „Der Kern jeines Heeres iſt feit länger als vierzig Jahren geihult: num 
ermeßt, wie dieje gleihmäßigen, fraftvollen, Eriegsgewohnten Maſchinen fämpfen 
mögen, bie ihren König alle Tage jehen, die von ihm gefannt werden, und die 
er, Hut in der Hand, ermahnt, ihre Pflicht zu thun.“ Immer wieder aber 


1) 80. I, 524. 


Das Jahr 1758. 151 


fommt Voltaire auf Frankreichs nationale Schmach zurüd: „Es giebt ein Luft: 
jpiel vom Könige von Preußen, betitelt ‚Der Modeaffe‘;!) wir fönnten es jebt 
jehr gut aufführen, während er in Deutichland jo jchredlihe Tragödien in 
Scene ſetzt.“ 

Wenn ganz Paris den Landesfeind in den Himmel hob, um die eigenen 
Generale und Minifter deito lauter anflagen und verjpotten zu fönnen, wie 
hätte da einem Bernis bei feinem Ruhm als Champion des öſterreichiſchen Bünd— 
nifjes und des deutichen Krieges nicht bange werden jollen. Als eben ernannter 
Minifter des Auswärtigen hatte er fih bei Ludwig XV. mit der frohen Botjchaft 
von Kolin eingeführt; „er kommt mit feiner Siegesfünder-Miene”, hieß es feit- 
dem eine Zeitlang bei Hofe, wenn Bernis fihtbar wurde. Als die Niederlagen 
famen und verkündet werden wollten, war es um bad Anjehen und um bas 
Selbftvertrauen des großen Staatsmannes von geitern geichehen. Bernis trug 
Ihwer an dem Gefühl feiner Verantwortlichfeit. Zwar gegen den Grafen 
Starhemberg äußerte er fih auf die erſte Nachricht von Leuthen noch ziemlich 
gefaßt: „Begehen wir feine großen Fehler mehr, und ich zweifle nicht an dem 
glüdlihen Ausgang des Krieges,” und jo glaubte Starhemberg nad Wien 
berichten zu bürfen, daß man über die Standhaftigfeit des Hofes von Verfailles 
außer Sorge fein möge. An den Botihafter Stainville in Wien aber jchrieb 
Bernis ſchon nad der Schlacht bei Roßbach jehr ffeptiich über das Bündnis: 
„Die Vorteile, die fih für uns ergeben können, find ungewiß, unfere Unkoſten 
find reell. Wir jegen unfere eigenen Befigungen ein, um die unferer Verbündeten 
zu verteidigen.“ 

Einen Monat jpäter, als die ganze Größe ber öfterreihiihen Niederlage 
fih offenbart hatte, fährt Bernis in einem vertraulichen Briefe an den Bot: 
ſchafter mit jeinen peinlichen Betrahtungen fort: Der Wiener Hof habe in zehn 
bis zwölf Tagen drei Viertel jeiner Soldaten und Offiziere verloren, auf Ruß: 
land jei fein Verlaß — wer bleibe da auf der Bühne noch übrig? Die Kaiferin 
ohne Heer, und das zwiſchen den Preußen und SHannoveranern eingeflemmte 
Heer Franfreihs ohne Vorräte, ohne General, ohne Mannszucht. Die franzö: 
fiihe Flotte werde die Verlufte des Landkriegs nicht ausgleihen. Der Traum 
des Vorjahres jei Schön gewejen, aber es jei gefährlich, ihm fortzufegen. Der 
König von Frankreich werde alles thun, feine Verbündeten zu unterftügen; er 
aber, der Minifter, werde dem Könige nie dazu raten, feine Krone auf das 
Spiel zu jegen: „Ein Krieg gegen den König von Preußen, der ohne Widerrebe 
der größte Kapitän unjeres Jahrhunderts, das thatkräftigfte und unternehmenpfte 
Genie ift, der mit der Begabung für den Krieg die Grundfäße einer ausgezeich: 
neten Verwaltung, einer jharfen Zucht und einer nie einzufchläfernden Wach— 
jamfeit verbindet, der die beften Truppen von Europa hat und dazu die ficherfte 
und fertigite Methode, fie zu ergänzen und auszubilden, — ein derartiger Krieg 
verdient fürwahr eine Leitung durch gute Generale und einen aus den erleudh: 
tetjten und erfahreniten Kriegsleuten zujammengejegten Beirat. Weber der 
Wiener Hof noch Franfreih haben einen General, den man dem König von 


) 8». 1,509. 


152 —Sechſtes Bud. Vierter Abfchnitt. 


Preußen entgegenitellen könnte.“ Bernis erklärte jomit, an feinem Teil für 
den Frieden jtimmen zu müſſen. 

In jeder neuen Depeſche erging er fih in Anklagen gegen die eigene 
Kriegsführung, in Lobeserhebungen für den großen Gegner. Der weiſeſte Ent: 
ſchluß werde jein, jhreibt er am 14. Januar auf die Nachricht von dem Berluft 
von Breslau jchärfer als je, einen Plan für immer in den Aften zu vergraben, 
der im September nicht zu fehlen gewejen jei, wenn nicht Unwiſſenheit, blindes 
Selbftvertrauen oder böſer Wille die begründeten Hoffnungen auf Erfolg hätten 
ſcheitern laffen. Und fünf Tage ſpäter: „Es ilt gewiß, daß der König um 
nichts in der Welt fein Bündnis mit dem Wiener Hof preisgeben wird; aber 
ift es nicht ein verblendeter Mut, weldher der Kaiferin den Wunſch eingibt, im 
nächſten Feldzug noch einmal einen Verſuch zur Befiegung ihres Gegners zu 
maden? Was hat fie diefes Jahr mehr zu hoffen, als im vorigen? Die näm: 
lihen Menſchen leiten die Dinge. Der König von Preußen wirb immer ber 
gleiche jein, und die Minifter und die Generale, die ihm gegenüberftehen, werden 
ihm immer unterlegen fein... Der Winter verjtreiht, noch ift nichts verein: 
bart, und bermeil wühlt unfer Feind ganz Europa auf, ſetzt es in Eritaunen 
durch jeine Erfolge, in Schwankungen durch jeine Verhandlungen, in Schreden 
durch feine Drohungen. Die größten Mächte der Welt find bejtändig drauf und 
daran, ihre Heere angegriffen und beunruhigt zu ſehen.“ 

So tief niedergejhlagen war Bernis, daß er jchon von einem Friedens: 
ſchluß ſprach, der Sachſen „in der Unterdrüdung” gelafien haben würde, da 
niemand da zu fein ſchien, der dem Sieger über Defterreih und SFranfreih das 
Land wieder entreißen fönnte. Die Stimmung des franzöfiihen Hofes für 
Sachſen war von vornherein matt und geteilt gemwefen;') für König Ludwig 
ftand es ſeit lange feit, daß ein Kurfürft von Sachſen nicht wieder die polnische 
Wahlfrone erhalten dürfte, und Bernis perlönlih war voll Miftrauen und 
Widerwillen gegen Brühls „Heinlihe Jntriguen und Tracafjerien” und gab in 
diefem Augenblid jogar dem Argwohn Raum, dab Brühl, Arm in Arm mit 
Beſtuſhew, auf die preußiſche Seite übergeben wolle. 

Mußte weitergelämpft werden, jo war es die Abficht des Grafen Bernis, 
die eigenen militärifchen Xeiftungen wejentlib einzujchränfen. Er ließ dem 
Wiener Hofe von den deutſchen Truppen des franzöfiichen Heeres 30000 Mann 
anbieten, die, verſtärkt durch öfterreichiiche Reiter und Irreguläre, jowie durch 
14000 Baiern, Württemberger und andere beutiche Hülfstruppen Frankreichs, 
im Verein mit ben Schweden die Mark Brandenburg anzugreifen haben würden. 
10000 aus dem preußilhen Heere entwichene Sachſen und 6000 Pfälzer wollte 
Frankreich auf feine Koften zur Reichsarmee jtoßen lafien. Die franzöfiihen 
Nationaltruppen dagegen jollten, zwijhen Rhein und Weſer als Beobachtungs— 
heer aufgeftellt, auf die Aufgabe bejchränft bleiben, die Hannoveraner in Schach 
zu halten. Wenn fo die Franzojen nicht mehr tiefer in das Reich hineinfämen, 
jo würde Deutihland, meinte Bernis, fi nicht mehr über die Ausichreitungen 
der franzöſiſchen Truppen beflagen und die proteitantiihe Bevölkerung nicht 


3) Vgl. oben ©. 39. 40. 


Das Jahr 1758. 153 


mehr über ben ihrer Religion, ihren Kirchen, ihren Geiftlihen angethanen Un: 
glimpf. 

In Wien vertrat den franzöfiihen Hof feit dem vorigen Sommer !) ber 
2othringer Graf Stephan Franz von Stainvile. Vom Kaiſer Franz als alter 
Unterthan warm begrüßt, jeinem neuen Gebieter ein gemwichtiger Bürge für bie 
Ergebenbeit des lothringifhen Adels, Vertrauensmann der Marquiſe Pompadour, 
jeitdem er fie gegen jeine eigene Verwandte, die ihr beim Könige gefährliche 
Gräfin Choifeul, unterjtügt hatte, gejhworener Feind des Königs von Preußen, 
durfte der noch junge Diplomat — er zählte jett 38 Jahre — als die rechte 
Verförperung des Trugbündnitjes zwiſchen den nad jahrhundertelangem Zwift 
ausgejöhnten Höfen gelten. Die friedlihe Sprache des ihm vorgejegten Mini: 
fters, als deſſen lachenden Erben er fich vieleicht ſchon betrachtete, bereitete ihm 
aufrichtigen Schmerz, um jo mehr, als er nur zu gut wußte, daß der Kriegs: 
eifer auch der Kaiferin-Königin ohnehin ſtark abgekühlt war. Beim Neujahrs: 
empfang hatte Maria Therefia ihm tief bewegt gejagt, fie ſehe wohl, daß die 
Vorjehung fie dazu bejtimmt habe, ihr unglüdjeliges Geſchick in Geduld zu 
tragen. Sie wolle fi ihrem Verhängnis in Ergebung unterwerfen, nur bejorge 
fie, daß auch ihre Bundesgenofjen darunter zu leiden haben würden, und am 
meiften bedaure fie, daß ihr Unglüd fih auch auf den König von Frankreich) 
eritrede; für ihr Teil habe fie Schon ihren Entſchluß gefaßt und jei bereit, wenn 
es jein follte, jich zum Beten der gemeinen Sache zu opfern. 

Hätte Stainville jeinem Hofe getreuen Bericht abgeitattet, aller Wahr: 
icheinlichfeit nad würde man in Berjailles die Kaiferin beim Worte genommen 
haben. Aber Kaunig, dem jich der Botjchafter anvertraute, beeilte fi, die 
erregten Aeußerungen jeiner Herrin abzuſchwächen, und warnte jenen, jeinen 
Hof in unnötige Zweifel zu verjegen. Als dann Stainville wohl ober übel dem 
Wiener Hofe von dem inhalt, der Fleinmütigen Zufchriften von Bernis Kenntnis 
gab, hatte Maria Therefia, von Kaunig ermutigt, ihre alte Feſtigkeit bereits 
wiedergewonnen. Leidenjchaftlic erklärte fie dem Botjchafter am 28. Januar, 
die ganze Naht habe fie fein Auge geichloffen; nicht das Verlangen nad 
Schlefien reize fie zur Fortjegung des Krieges, lediglich für die Ruhe Europas 
und ihre eigene habe fie geftrebt, die Macht des Ungeheuers zu verringern, das 
fie unterdrückte; fie ftele es Gott anheim, fie an dem König von Preußen zu 
rächen, da die Menſchen nichts gegen diefen Fürften vermöchten. Nicht minder 
nachdrücklich ſprach Kaunitz. Jenen Vorſchlag, den großen Plan zu den Akten 
zu legen, fertigte er, der ſonſt ſtets Kühle, voll Zorn mit der hochfahrenden 
Erklärung ab, ſein Hof ſei nicht gewohnt, einen Vertrag zu ſchließen und ihn 
dann fallen zu laſſen. Ein Rückzug des franzöſiſchen Heeres an den Rhein 
gelte einem Sonderfrieden mit Preußen gleih. Man beitand auf der Entjendung 
des vertragsmäßigen Hülfscorps nad Böhmen und auf der Zahlung der rüd: 
ftändigen Subfidien. 

Noch ehe ſolche Antwort erteilt wurde, hatte der franzöfiiche Hof bereits 
eingelenft. Der 4. Februar war für die Hofburg ein Freudentag: gleichzeitig kam 


) Val. oben ©. 128. 


154 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt. 


ein Handſchreiben Ludwigs XV. an die Kaijerin mit der Zufage von 24000 Mann 
für den böhmischen Kriegsihauplag, und ein Brief der Pompadour an Kaunig mit 
der Beteuerung unveränderten Eifers für das Gelingen „des ſchönſten Planes der 
Welt“. Hatte die unternehmende Frau doch ſchon gleich nad der Schladt von 
Leuthen ihren Vorjak fundgegeben, diejen Attila des Nordens zu Staub zu zer: 
malmen: dann werde fie ebenjo zufrieden jein, wie gegenwärtig mißgelaunt. 
Gegen den Strom beabfichtigte Bernis nicht zu ſchwimmen. Er hatte fich weite 
den Rüden gededt, indem er Stainville eingeichärft hatte, die Kaijerin zwar 
auf die Gefahren der Lage binzumweiien, aber nicht unmittelbar zum Frieden zu 
ermahnen. Auch er fchrieb aljo jest an Kaunik und verficherte, dab Frankreich 
nur das wolle, wofür fich jein Verbündeter nach erniter und unbefangener 
Prüfung der Umstände entiheiden werde. Man glaubte ihm nicht ganz, wenn 
er ein anderes Mal erklärte, er babe eigentlih nur die Standbhaftigfeit des 
Kaiferhofes auf die Probe ftellen wollen. Vollen Beifall fand es in Wien, daß 
jest Richelieu von dem franzöfiichen Hauptheer — es mochte no an SU 000 Mann 
zählen — entfernt und dur einen Prinzen des fönigliden Haufes erſetzt wurde, 
den Grafen Glermont, den Enkel des großen Conde, den jtreitbaren Abt von 
St. Germain:des:-Pres, der mit Nachlaß vom Papit die Waffen tragen durfte, 
Weniger verjprad die Wahl von Soubije zum Befehlshaber der nah Böhmen 
beitimmten Abteilung. Aber den Mann von Roßbach hielt gegen die Mikaunft 
der Barifer das Vertrauen des Hofes; es ward ihm nadgerühmt, dab er 
Mannszuht zu halten veritehe, deren Bande fich unter Nichelieu, dem pere de 
la maraude, nur allzuſehr gelodert hatten. 

Am 14. Februar erihien Clermont im Hauptquartier zu Hannover; vier 
Tage jpäter begann der große Kehraus, der dem Bejuc der Franzoſen in Nieder: 
beutichland vorläufig ein Ende made. 

Das verbündete Heer war im Herzogtum Bremen bei einander geblieben, 
da der Vertrag vom Klofter Zeven weder von König Georg noch von König 
Ludwig ratifiziert worden war. Statt des Herzogs von Gumberland hatte am 
23, November auf Georgs Antrag ein preußiiher General zu Stade den Über: 
befehl übernommen, Prinz Ferdinand von Braunſchweig, der feine braunfchweis 
giihen Landsleute gegen den ausdrüdlichen Befehl des Herzogs Karl, jeines 
Bruders, beim Heere zurüdbehielt, dann noch vor Jahresſchluß die Franzofen 
bis zur Aller zurüdorängte und die Feſtung Harburg zur Uebergabe zwang. 
Verftärft durch 15 preußiihe Schwadronen von dem Lehmaldtihen Heere und 
unterftügt dur einen Vorſtoß von 8000 Preußen unter dem Prinzen Heinrich 
ins Braunſchweigiſche, fiel jegt Ferdinand mit 2600027000 Mann nad Furzer 
Winterruhe den Franzofen in ihre Quartiere und entriß ihnen Schlag auf Schlag 
Verben, Hoya, Bremen, Nienburg und Minden. Das hannoverſche Land war 
vom Feinde befreit und das weithin verteilte franzöfiiche Heer jo entmutigt, daß 
man im eiligiten Rüdzug auch Helfen, Weltfalen und Oftfriesland räumte. In 
den lebten Tagen des März und den eriten des April, genau ein Jahr nachdem 
die erften SFranzojen gefommen waren, gingen die Flüchtlinge in drei Haufen, 
zwiſchen Köln und Düffeldorf, bei Wejel und bei Emmerich, über den Rhein zurüd. 

„Dan muß es geitehen, wir haben nur noch den Hauch von einer Armee,“ 


Das Jahr 1758. 155 


hatte Clermont ſchon an der Wejer geklagt. Marſchall Belle-Isle, außer ſich 
vor Verdruß und Schmerz, jah das Demütigendite darin, daß der König von 
Preußen von der Zerrüttung und den Nöten des Heeres bis auf die Fleinften 
Einzelheiten unterrichtet jei. „Das feiſte fupferrote Antlig des Abbe Bernis“ ward 
immer ernfter. In einem Erlaß an Stainville vom 7. April berief er ſich 
darauf, daß mit Frankreichs Gelde bisher mehr als 400000 Dann zu Gunſten 
der Häufer Defterreih und Sachſen bewaffnet worden jeien; er gab die Zufiche: 
rung, daß jogar 30000 Mann nah Böhmen gehen würden, und verhieß, daß 
bis zum Juli ein Heer von 60000 Franzojen und 26000 Deutihen zum Schuge 
Weitfalens und des Mains verfammelt ſein jolle; aber er fuhr dann warnend 
fort, daß dies Frankreichs lette Anftrengungen feien, und daß er, falls nicht 
unerwartete Glüdsfälle einträten, auf Frankreichs weitere Beteiligung am Kriege 
nad dem nächſten Feldzuge feine Ausficht eröffnen könne: „Wir dürfen heute 
ben Krieg nicht mehr für unfere Vergrößerung führen, weil wir diejes Ziel nur 
durch einen langen Krieg erreichen könnten, den wir nicht auszuhalten vermögen. 
Der bevorftehende Feldzug muß aljo dem alleinigen Gefichtspunfte dienen, einen 
Frieden auf vernünftige Bedingungen zu erhalten. Unſere politiihe Lage 
wird jtets höchſt achtungsgebietend fein, wenn alle Teilnehmer an dem Bunde 
eng miteinander geeint bleiben, und der König von Preußen wird es nicht Darauf 
ankommen lafjen, gegen jo viel Mächte, denen ihre Fehler in Zukunft eine Lehre 
für geihidteres Verhalten jein werden, den Krieg zu erneuern... Graf Kaunig 
wird nichtödeftoweniger der große Staatsmann bleiben, der Urheber des Plans, 
daß eine halbe Million Streiter und der Bund der größten Mächte Europas dem 
Könige von Preußen das Geſetz vorzufchreiben hätten. Die Politik hat fich feinen 
Fehler vorzuwerfen, lediglih die Kriegsführung hat alles verborben, weil hüben 
und drüben niemand Krieg zu führen verftanden hat, als der König von Preußen, 
gegen den man ihn führte. Wenn aber in einem Uebermaß von Hartnädigkeit 
Graf Kauniß fich darauf verrennen jollte, den Krieg fortzufegen ohne die erforder: 
lihen Mittel und ohne Ausficht, das der Kaijerin Fehlende von ihren Bundes: 
genofien erjegt zu erhalten, dann wird er der Abſcheu der Defterreicher und bes 
ganzen Deutjchlands werden und fein in Europa gewonnenes Anjehen und feinen 
Auf als weifer und erleuchteter Mann verlieren.” 

Wie Bernis einen Frieden „unter vernünftigen Bedingungen” veritand, 
erläuterte Stainville dem Grafen Kaunig. Preußen würde Sachſen und Mecklen— 
burg den Landesherren zurüdgeben und Schlefien behalten. Wolle man abwarten, 
bis dieſer König neue Schlahten gewinne, jo werde man ihn zum Herrn 
Deutſchlands und zum Deipoten Europas machen. Und deshalb müſſe alsbald 
eine Verhandlung angebahnt werden, wozu der König von Franfreih, da er an 
dem Kriege gegen Preußen nur als Auxiliarmacht teilnehme, ohne fi etwas zu 
vergeben, die erften Schritte thun könne. 

Das unaufhörlide Schwanfen des leitenden franzöfiihen Staatsmannes 
gab dem Faijerlichen Botjchafter zu der Bemerkung Anlaß, nach feinen Berichten 
werde man in Wien glauben, er jei am Wechjelfieber erkrankt, da er heute die 
Verheißung und morgen den Widerruf zu melden habe. Maria Therefia glaubte 
anfänglich gar, fie fei verraten und der Rüdzug der Franzojen über den Rhein 


156 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt. 


jei ein mit Preußen abgefartetes Spiel zur Einleitung des Sonderfriedens. 
Ludwig XV. ſei ein guter Fürft, er babe ficher weder Kaifer Karl VII. noch 
den ftuartijchen Prätendenten im Stich laſſen wollen, und dennoch feien alle beide 
das Opfer der Politif geworden. Somit werde man operieren müjlen, als wenn 
die Franzoſen nicht auf der Welt wären, und die einzige Hülfe bei Rußland zu 
ſuchen haben. Kaunitz beeilte fih zum Guten zu reden; er jah bei dieſem Miß— 
trauen gegen Franfreih ſchon fein ganzes politiihes Syſtem erjchüttert. Die 
Franzoſen, verficherte er der Herrin, bejäßen bei allem Wanfelmute doch das, 
was man ehrenhafte Grundjäge in der Politif nenne: jei man nicht dem eigen: 
finnigen, herriſchen, jelbitjüchtigen England gegenüber jtets der Betrogene und 
Aufgeopferte gewefen? Kaunitz traf damit eine wunde Stelle. Die Abneigung 
gegen ben zu Preußen übergegangenen Verbündeten von ehedem war bei Maria 
Therefia zu entjchieden. Sie gewann es über jih, dem Grafen Stainville zu 
erklären, daß fie einem billigen Frieden feineswegs entgegen jei, und es dem 
Ermefjen des Königs von Franfreih anheimftellen wolle, ob der Friede ratjam 
und möglich ſcheine. So ganz wiederum wollte ihr Huger und Fühler Minifter 
auf Frankreich Herzenswünſche nicht eingehen. Und da der Verbündete noch 
einen Feldzug ja bereits zugeftand, jo fand Kaunig endlich eine Formel, die 
dem einen wie dem anderen Standpunkt geredht wurde. Die Kaiferin nahm in 
einer Ende April abgegebenen Erklärung die Zufage der Truppenjendung nad 
Böhmen danfend an und mwilligte in eine Herabjegung der vertragsmäßigen 
Jahresgelder von zwölf auf ſechs Millionen Gulden; fie verwahrte fich indefjen 
gegen das franzöfiihe Anerbieten zur Anknüpfung einer Verhandlung mit Preußen 
und wies zugleich auf die Ehrenpflicht der Verbündeten hin, für eine Entſchädi— 
gung der Sachſen zu jorgen. Von Abreden für die weitere Zufunft, für die 
Ausgeftaltung des gegenwärtigen politiihen Syitems nad dem Friedensſchluß 
oder gar für eine jpätere Wiederaufnahme der Entwürfe zur Niederwerfung 
Preußens, wollte Maria Therelia nichts hören; dem franzöfifchen Botjchafter, der 
fie mit diejer Perſpektive tröften wollte, antwortete fie jcherzend, jeit 17 Jahren 
mit dem Kriege befannt, habe fie ihn fatt und wolle ihre Augen in Frieden 
ſchließen, felbit wenn fie die Rolle der Republik Venedig jpielen müßte. 

Daß Maria Therefia damals von den Ruſſen weit mehr für fidh erhoffte, 
als von den Franzoſen, geſchah unter dem Eindrud politifcher und militärifcher 
Vorgänge, die dem Wiener Hofe gleich erfreulih waren. 

Als im vergangenen Herbit das ruffiiche Heer fur; nach dem Siege von 
Großjägersdorf das eingenommene preußijche Land bis auf Memel eilends wieder 
räumte!) hatte man in Wien jteif und feft an Verrat geglaubt. Aprarin und 
Beſtuſhew jollten in Vorausſicht eines baldigen Thronwechſels fich ganz an den 
preußiſch gefinnten jungen Hof angeichlojien haben und obendrein mit engliſchem 
und preußiihem Geld beftodhen fein. Der Verdacht war unbegründet. Der 
fchwere, beunruhigende Ohnmadtsanfall, der mit dem Rüdzug aus Preußen in 
urfählice Verbindung gebracht wurde, traf die Zarin erft, als der entjcheidende 
Kriegsrat im Lager bei Allenburg bereits abgehalten war. Und in biejem 





) Bgl. oben ©. 120. 121. 


Das Jahr 1758. 157 


Kriegsrat ift der Rückzug von allen Anwejenden einftimmig befchlofjen worden 
aus rein militärifhen Erwägungen: weil man ohne eine neue Schlaht nicht 
vorwärts konnte, weil der Ausgang einer ſolchen jehr unfidher ſchien, weil die 
eigenen Reihen von Tag zu Tag zujammenichmolzen, weil Verpflegung nur noch 
auf zehn Tage vorhanden und weil der Pferbebeftand völlig zerrüttet war. Das 
Kriegskollegium in Petersburg hat, widerſpruchsvoll genug, die Beweggründe 
des Rückzugs als gerechtfertigt anerfannt, zugleih aber mit Rüdficht auf die den 
Bundesgenofien erteilten Zufagen erneuten Vormarjch verlangt, den dann ber 
Kriegsrat mit Entjchiedenheit als unthunlich bezeichnete. Graf Fermor, dem: 
nächſt zum Nachfolger Aprarins beftellt, ift vor der Zarin mit Freimut für feinen 
Borgefegten und für die militäriihe Notwendigkeit des Rüdzuges eingetreten. 
Aber das Miftrauen der Defterreiher verlangte ein Opfer; Aprarin, obgleid 
Schützling der mädtigen Schumalows, fam vor ein Kriegsgeridt. 

Beſtuſhew feinerfeits, von den Schumalows, dem Bicefanzler, den Ver: 
tretern der verbündeten Höfe immer ftärfer befehdet, mit feinen Annäherungs: 
verſuchen abgewiejen, hielt zwar in diefer jeiner politiihen Vereinzelung die 
alte Fühlung mit England unter der erforderlichen Worficht feit, war aber um 
jeden Preis entichlofjen, fein Amt als Großfanzler zu retten. Er drängte des— 
halb den Feldherrn zur Wiederaufnahme der Dffenfive und fagte fi von dem 
alten Freunde, als die herrſchende Partei Aprarin fallen ließ, ohne weiteres 
los. So lag auch feiner Verbindung mit der Großfürjtin Katharina in Feiner 
Weiſe eine gemeinfame Hinneigung für Preußen zu Grunde. Nur gegen Eng: 
land zeigten beide fich erfenntlih, beide für empfangene Wohlthaten, und beide 
nur jo weit, al& es ohne ſich bloßzuftellen geſchehen konnte. Bon Vorliebe für 
Preußen war nur bei dem Großfürften-Thronfolger die Rede, deflen perjönliches 
Verhältnis zu der Gemahlin damals bereits ſcharf geſpannt war: während Peter 
die Großfürftin am liebften verftoßen hätte, um fi mit Eliſabeth Woronzom 
vermäblen zu fönnen, betrieb Katharina mit Beſtuſhew insgeheim den Plan, 
beim Tode der Zarin die Krone ftatt an den Gatten an den Sohn, den drei— 
jährigen Paul Petrowitſch, fallen zu laſſen. Nicht eine Mitfhuld des Kanzlers 
an dem Nüdzug Aprarins, wohl aber diefer Anſchlag gegen Peters Erbredt 
fam jeßt zu Tage, der Großfürft rief die Hülfe der Kaiferin an, und jo wurde 
Beſtuſhews Sturz, den Rufen, Defterreiher und Franzoſen bisher vergeblich 
eritrebt hatten, herbeigeführt dur den einzigen Mann, der an diefem Hofe 
preußiih gefinnt war. Am 25. Februar 1758 ward der alte Ränkeſchmied 
verhaftet, demnächſt feiner Nemter entfegt und zum Tode verurteilt, aber zur 
Verbannung auf eines feiner Güter begnadigt. Sein Nebenbuhler Woronzom 
ward jein Nachfolger. 

„Beſtuſhew war ein Schurke, aber fähig,” ſagte Maria Therefia,; „wer 
wird ihn erjegen fönnen?” Indeß freute fie fih der in Rußland eingetretenen 
Wendung um fo mehr, als ihr ganz unverhofft, noch mitten im Winter, auch bie 
zuffiiche Kriegsführung einen jehnlihen Wunſch erfülte. In den erften Tagen 
des Jahres rüdten von Memel aus 34000 Mann wieder in das jeit dem Dftober 
von Verteidigern entblößte Dftpreußen vor, am 22. Januar konnte Fermor der 
Zarin die Schlüfjel von Königsberg überfenden. Ohne Schwertitreid war, wie 


158 Sechſtes Bud. Vierter Abfchnitt. 


Kaunitz ſagte, „eine ganze Campagne gewonnen”. Er empfahl nun dem ruffifchen 
Kabinett dringend, ein Heer von 80000 Mann über die Weichjel zu ſchicken und 
zwiſchen MWarthe und Nege in ein feites Lager zu werfen, um von dort aus 
Brandenburg und Schlefien gleihmäßig bedrohen zu können. Entihloß ſich Ruß: 
land zu ſolchem Vorftoß gegen das Herz der preußiichen Monarchie, jo wollte der 
Wiener Hof auf die ſchon zugejagte Entjendung eines Corps von 30000 Mann 
zum öfterreichifchen Hauptheer verzichten. 

Die Berater der Zarin nahmen Berziht und Vorſchlag bereitwillig an, 
und Fermor erhielt noch den bejonderen Auftrag, nad der Ankunft an der Nebe 
die in Pommern weilenden preußifhen Truppen, Rußlands vorjährige Gegner, 
zu beobadten und von der Hauptmacht abzufchneiden. Schon ftand feit, dag 
man dabei auf die Mitwirfung der Schweden rechnen durfte, Es war ben 
preußifchen Generalen nicht geglüdt, jo gründlich mit ihnen aufzuräumen, wie 
ihnen der Braunfchweiger mit den Franzoſen das Beilpiel gab. Zu dem von 
dem König anbefohlenen Uebergang über das Eis nad Rügen hatten weder 
Lehwaldt noch Dohna den Entihluß gefunden. So behaupteten jich die Schweden 
auf der Inſel und in Stralfund, und die bei ſolchem Geldgeſchäft perjönlich 
intereflierten Senatoren in Stodholm gewannen den Mut, den Subfidienvertrag 
mit SFranfreih zu erneuern. Schweden verhieß, ſtatt 20000 Mann wie im 
Vorjahre, 30000 gegen den König von Preußen ins Feld zu fchiden. 

Bis zum Erfcheinen der Mosfomwiter an der neumärfifchen Grenze hoffte 
Maria Therefia, troß der furdhtbaren Berlufte ihres Heeres, ih im Verteidi— 
gungsfriege allemal behaupten zu fünnen. Mitte März wies die Standlifte des 
Heeres in Böhmen bereits wieder 63000 Köpfe an bienftfähiger Mannichaft 
auf. Ebenſo den Vorftellungen ihrer Verbündeten wie der Stimmung im eigenen 
Heere, am Hofe und im ganzen Zande, gab die Kaiferin nah, wenn fie jegt 
endlich fich entichloß, einen Wechjel im Oberbefehl eintreten zu laffen. Nachdem 
Kaijer Franz in zwei dringenden Borftellungen jeinen Bruder, den in ſechs 
Hauptſchlachten befiegten Feldherrn, vergebens zu freiwilligem Rüdtritt zu be— 
fimmen verfucht hatte, blieb der Kaiferin nichts übrig, als dem Schwager mit 
eigener Hand, dur ein von Kaunig in fchonendfte Form gefleidetes Schreiben, 
die Notwendigkeit darzulegen, ihn „der ungerechten Gehäffigfeit des Publikums“ 
zu entziehen. Zum Troft ward Karl als Sieger von Breslau mit dem Groß: 
freuze des Maria-Thereſia-Ordens geſchmückt. Nicht ohne Bedenken fette die 
Kaijerin an die Stelle des abtretenden Feldherrn jegt den Marſchall Daun, denn 
au zu dem Helden von Kolin hatte fie nah dem Leuthener Unglüdstage fein 
volles Vertrauen mehr. Hat fie doch einen Nugenblid zu Kaunigens Entiegen 
daran gedacht, fi in Verfailles den dort ausgemufterten Marſchall dD’Eftrees, den 
Sieger von Haftenbed, für die Führung ihres Heeres zu erbitten. 

Am 12. März übernahm Daun im Hauptquartier zu Königgräß den Ober: 
befehl. Es war ihm an das Herz gelegt, zugleih das Heer vor einer neuen 
Kataftrophe zu bewahren und die Feitung Schweidnik zu entjegen, wenn anders 
diefe Doppelaufgabe angefidhts eines Gegners wie des Königs von Preußen ſich 
löſen lieh. 


Das Jahr 1758. 159 


König Friedrich iſt über den Entſchluß jeiner großen Gegnerin, den Kampf 
fortzufegen, nicht lange in Zweifel geblieben. 

Unter den Oberften der in feine Hand gefallenen Breslauer Befagung 
befand fich Fürft Auguft Lobkowitz; er wurde von dem Könige mit den Kapitu- 
lationspunften in das Hauptquartier des Prinzen Karl und von dieſem alsbald 
weiter nah Wien geſandt. Dort machte er der Kaijerin eine Eröffnung über 
die Geneigtheit des Königs zum Frieden. Bald darauf braten die Zeitungen 
die aus Wien ftammende Mitteilung, daß ſich der faiferliche Hof von den durch 
Lobkowitz neichehenen Vorſchlägen feinen guten Erfolg babe veripreden fünnen, 
daß die Kaiferin für ſich die nötige Befriedigung und Sicherheit, für den 
König von Polen und andere Reichsſtände eine Schabloshaltung fordern müfle, 
und dab fie ohne Zuziehung ihrer Verbündeten in feine Verhandlung ein: 
treten werde. 

Friedrich jelbit wußte ſchon am 6. Januar, vielleicht durch Lobkowitz un: 
mittelbar unterrichtet, daß die Defterreicher „um jeden Preis“ noch einen Feld: 
zug machen wollten. Und ganz entiprehend der Kundgebung des Wiener Hofes 
auf das Anbringen von Lobkowitz lautete eine Mitteilung, die dem Könige nad) 
langer Pauſe Ende Februar aus Franfreih fam. Friedrich hatte nad) der 
Schlacht von Roßbach fich gegen die erneuten Mahnungen der Markgräfin von 
Baireuth, unverzüglich eine Verhandlung mit Frankreich einzuleiten, ablehnend 
verhalten. Genug wenn man, wie er einmal jagt, ab und zu etwas über bie 
Anjhauungen der Franzoſen hörte und fich für den Fall eines großen Unglüds 
eine Hinterthür offen hielt. Zu jolhem Behufe hatte einer der gefangenen 
franzöfiihen Generale, Graf Maily, Urlaub zu einer Neife in die Heimat 
erhalten und aus dem Munde des Prinzen Heinrich die Verfiherung mit auf 
den Weg genommen, daß der Prinz wie fein fönigliher Bruder aufrichtig die 
Verjöhnung mit Franfreih wünjchten. Darauf hatte nun König Ludwig dem 
General eröffnet, daß er, getreu jeinen Bundesgenoflen, jede Verhandlung, die 
ihnen Anſtoß geben fönne, vermeiden müſſe, aber im Verein mit ihnen einem 
Friedensihluß auf den Grundlagen der Billigfeit und der Sicherung des Land— 
friedens im Reiche nie entgegen fein werde. Diefe unbeftimmte und gefchraubte 
Antwort, jagte ſich Friedrih mit Recht, Ichlieft allen Verhandlungen bie 
Thür. Noch empfindlider als die Erklärung der Franzojen, von denen er 
etwas anderes faum nod erwartet hatte und die er feit dem 5. November 
als Gegner veradhtete, war ihm das MWiederauftreten der Ruſſen auf der 
friegerifchen Bühne. 

Somit blieb alles für ihn beim Alten: „Obgleich ich feine Luft habe, auf 
dem Seile zu tanzen, dieje Halunfen von Königen und Kaijern zwingen mid 
dazu, und es bleibt mir fein anderer Troft, als nad ein paar Kapriolen ihnen 
mit der Balancierftange eins auf die Nafe zu geben.” In immer neuen Ton- 
arten wandelt er in jeinen Briefen diejes Thema ab. „Wenn alle Welt die 
Dinge mit fo philoſophiſchem Auge betradjtete, wie wir beide” jchreibt er feinem 
Statthalter in Neufchatel, dem alten Freunde George Keith, jo würde der Friede 
längft hergeitellt jein; aber wir haben mit denen zu thun, die Gott verflucht 
hat, da fie von Ehrgeiz verzehrt werben; deswegen gebe ich fie zu allen Teufeln.” 


160 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt. 


Den gern mit klaſſiſchen Citaten prunkenden Algarotti erinnert er an die Gattin 
des Königs Latinus, der die Göttin der Zwietracht das Herz gegen Aeneas mit 
giftigem Haß erfüllt hat: „Sie ſehen, daß es nicht genügt, ſich zu ſchlagen, und 
daß es ſchwerer iſt, mit böſen Frauen fertig zu werden, als mit ſtreitbaren 
Männern... hätte ich die Wahl, ich würde vorziehen im Parterre zu ſitzen, als 
auf der Bühne aufzutreten.” Es war ein ſchwacher Troft, wenn Algarotti er: 
widerte: „Eure Majeftät jpielt zu gut, um nicht Acteur zu jein.“ 

Das Gerücht jagte ihn krank, „Ich bin nicht frank!” Tautete jein Dementi, 
„weder an Leib, noch an Geift, aber ih ruhe mich aus in meinem Zimmer.” 
Er verglih fi einem Manne, der lange Zeit auf hoher See geweſen fei und 
fi freue, während einiger Zeit im Hafen und am Ufer weilen zu fönnen. Die 
furze Pauſe diefer Breslauer Winterquartiere follte ihm dazu dienen, „in lieber 
Gefellihaft das wiederabzuftreifen, womit der jchredliche Feldzug die Sitten ver: 
roht haben mochte“. So lud er fih feine Schwefter Amalie und feine zwei 
Nichten von der Schwedter Linie, die Gemahlinnen feines Bruders Ferdinand 
und des Brinzen Friedrih Eugen von Württemberg, nad) Breslau ein, dazu den 
Marquis d’Argens; auch Findenftein, der engliihe Geſandte Mitchell und der 
ehemalige Vertreter am franzöfiihen Hofe Knyphauſen Ieifteten Gejellichait. 
Mitchell, nah der Schlacht bei Roßbach in Leipzig zurüdgeblieben, wurde noch 
am Abend feiner Ankunft in Breslau, am 8. Januar, von Friedrich zu Tiſch 
gezogen und fand ihn „zufrieden und glüdlih, aber nicht aufgebläht nah den 
großen und fait unglaublihen Erfolgen jeiner Waffen; er erzählte von dem 
5. Dezember und deſſen Folgen mit der Bejcheidenheit eines Helden, deſſen Hoch— 
finnigfeit weder durch das Lächeln noch durch das Stirnrunzeln des Glüds bes 
rührt wird”. Man trug fih mit einem Wort aus jeinem Munde: „ch babe 
nur etwas faltes Blut und viel Glüd gehabt.” Und indem er dem Prinzen 
Heinrih einen Riß des Schladtfeldes von Leuthen überjandte, verhieß er ihm, 
daß das jeine legte Erwähnung der Schlacht fein jolle, jonjt werde er in den 
Ruf fommen, ebenfo närriih wie Cicero zu fein, der unaufhörlih von jeinem 
Konjulat geiprohen habe. Auf des Bruders Glückwunſch zu feinem Geburts: 
tage entgegnete er, wenn das beginnende Jahr jo graufam fein follte, wie das 
verflofiene, jo wünſche er, daß es das lehte jeines Lebens fein möge. Doc war 
er in der Stimmung, anders als vor einem Jahre, fich laute Feier gefallen zu 
laſſen; wie einft in ben freubigen Tagen nad jeinem erjten Einzug in die 
ſchleſiſche Hauptſtadt!) Iud er Behörden und Bürgerfhaft, alt und jung, zu 
Tanz und Masferade. 

Und doch zürnte der König einem Teile feiner ſchleſiſchen Unterthanen. 
Den Feten gingen Strafgerichte zur Seite. Jetzt würden die Verräter, die vor: 
eilig fich jelbit verraten hätten, lange Gefichter machen, meinte der Minifter 
Schlabrendorff, als er nah der Schlacht von Leuthen fih zur Nüdfehr nad 
Breslau anſchickte. Die Beamten, die fi der Kaiſerin-Königin, die meilten 
nur dem Zwange gehorhend, durch Handichlag verpflichtet "hatten, wurden 
teils zu Feitungshaft, teils zu Geldbußen verurteilt; einige jchwerer bloßgeitellte 


) Bd. I, 64. 


Das Jahr 1758. 161 


traf Amtsentjegung. Die alten Generale, die nah der Schlacht an der Yohe 
ihrer Piliht gefehlt hatten, wurden Friegsrechtlich zu Feitungshaft verurteilt, !) 
Leftwig für die Uebergabe von Breslau auch zur Kaſſation. Wereinzelte pro: 
teftantifche Geiftliche, die am 27. November bei dem von den Delterreichern an: 
geordneten Sieges: und Dankfeſt in ihren Predigten Anjtoß gegeben batten, 
wurden dafür nicht zur Verantwortung gezogen; wohl aber jprad der König 
die Abficht aus, gegen den Fatholifchen Klerus, der ſchon zu Friedenszeiten ihm 
verdächtig geweien war, „ganz ſummariſche Prozeffe zu machen und Erempel zu 
ftatuieren“. Vorab zürnte er dem Fürſtbiſchof. 

Schaffgotih hatte während der erften Monate diefes Krieges fih durchaus 
tadelfrei gehalten, nach Kolin aber jcheint er, mit jo vielen anderen, die preußifche 
Sache als verloren betrachtet zu haben. Schlabrendorff gab ihn als verdächtig 
an, und der König erteilte ihm eine ernfte Verwarnung wegen feiner Unbe— 
fonnenheit. Daß er nah dem Einzug der Kailerlihen in Breslau nah dem 
Öfterreihiichen Schlefien auf fein Schloß Johannesberg verwielen wurde, fonnte 
ihm auf preußiicher Seite nah Lage der Dinge nicht verargt werden; aber als 
er dann zu den Kapuzinern nah Nifolsburg entwich und die Abjicht ausſprach, 
für die Dauer des Krieges nah Nom zu geben, ſah der Sieger von Leuthen 
die Verräterei des von ihm mit Wohlthaten überhäuften Kirchenfürften als er— 
wiejen an und erklärte das Bistum für erledigt. Die Häupter der Breslauer 
Kloitergeitlichkeit, zeitweilig in Haft genommen, famen mit einem Verweis davon; 
die Jeſuiten blieben bis auf weiteres aus der Stadt verbannt. Die anderer 
Orten eingeleiteten Verfahren gegen katholiſche Geiftlihe wurden dank der ruhigen 
Unbefangenheit der Unterſuchungsrichter gleichfalls bald niedergefhlagen. Nur 
in einem vereinzelten alle wurde ein Strafgericht vollzogen, ohne daß doch ein 
zwingender Schuldbeweis erbraht war: der Kaplan Faulhaber zu Glag wurde 
am 30. Dezember 1757 auf das unfichere Zeugnis eines dingfeft gemachten 
Dejerteurs wegen Begünftigung einer Fahnenflucht durch den Strang hingerichtet, 
wie es jcheint auf den dringenden Antrag des Kommandanten Fouque, der aus 
feinem grimmen Hugenottenhaß gegen alles, was fatholiih hieß, Fein Hehl 
machte. 

An die im Frieden von 1742 erteilte Zufage, den kirchlichen Beſitzſtand 
aufredhtzuerhalten, glaubte fich der König jegt nicht mehr gebunden; die Ver: 
pflihtung der Evangelifhen in Schlefien zur Zahlung der Stolgebühren an den 
katholiſchen Ortspfarrer”) wurde aufgehoben, nicht aber zugleich die allerdings 
in viel jelteneren Fällen vorhandene entſprechende Verpflichtung fatholifcher Orte: 
eingefejfener gegen einen proteſtantiſchen Geiftlichen. 

Indes traten dieje Dinge nur ganz vorübergehend in den Gefichtsfreis des 
Königs; nah dem Ausrüden in das Feld durfte ihn der Oberpräſident mit 
firhenpolitiihen Berichten überhaupt nicht mehr beläftigen, und ſchon vorher 
drängten die militäriichen, finanziellen, politifhen Vorbereitungen für den neuen 
Kampf alle anderen Regierungsforgen zurück. 





) Dben ©. 139. 
2) Bd. 1, 41l. 
Koier, Aönig Friebrih der Große. II. >. Aufl 11 


162 Sechſtes Bud. Vierter Abfchnitt. 


„Man jagt, daß wir einigen Ruhm haben,“ jchreibt Friedrich am 28. De: 
zember 1757; „falls dem fo ift, find wir nichtsdeitoweniger nur Bettelhelden.“ 
Selbjt näher Stehende haben gemeint, daß er in diefem Kriege um Geld nie 
in Verlegenheit geweien jei: daß er aus feiner gefüllten Schapfammer nad 
Gefallen hätte ſchöpfen dürfen, fie aber geihont und fich lieber mit zweifelhaften 
Künften gebolfen hätte. Nichts war irriger. Der jeit dem legten Kriege ges 
parte Schag war noch vor Ausgang des zweiten Feldzuges völlig erichöpft. 
Friedrich hatte früher gemeint, mit einem Vorrat von 20 Millionen vier Cam: 
pagnen hindurd austommen zu können. Nun hatte er, da er das Schwert von 
neuem 309, überhaupt nicht ganz 13'. Million im Schatze!) und davon war, 
trog der aus Sachſen gewonnenen Hülfsmittel, am Schluffe des Jahres 1756 
faum die Hälfte, 6", Million, noch verfügbar, und nad einem weiteren Viertel: 
jahr, bei Beginn des zweiten Feldzuges, nur nod 570,000 Thaler. Der regel: 
mäßige Zufluß des Schatzes verfiegte, da die Ueberſchüſſe der Staatsverwaltung, 
fo viel deren ſich noch ergaben, alsbald, ohne durd den Schag bindurd zu geben, 
den FFeldfriegsfajien zugeführt wurden. Aus einer außerordentlihen Einnahme: 
quelle, einer bei den Ständen der einzelnen Provinzen geheifchten Anleihe, floß 
dem Schab bis Ende 1757 nah und nah eine Summe von etwas über 
34: Million zu, die aber zu dem genannten Zeitpunfte jomweit bereits aus: 
gegeben war, daß fih im Schape bar nur no 1263151 Thaler befanden. 

Die unter befondere Verwaltung geftellten Geldleiftungen des Kurfürften: 
tums Sachſen endlih waren hinter dem Voranfchlage zurüdgeblieben. Der König 
von Preußen hatte aus dem occupierten Yande jährlih 5 Millionen bar ziehen 
wollen, ftatt der 6 Millionen, auf welche die Jahreseinnahme des ſächſiſchen 
Staates in Friedenszeiten berechnet wurde. Indes betrug die ganze Bareinnahme 
des preußiichen Oberfriegsdireftoriums zu Torgau in den vier Monaten bis Ende 
1756 gerade nur eine Million und bis Ende 1757 nur weitere 3 100000 Thaler. 
- Dazu famen allerdings noch anjehnliche außerordentliche Erhebungen im Gefamt: 
betrag von 1271808 Thalern, darunter eine zur vorläufigen Dedung der aus: 
ftehenden Nefte beftimmte Zwangsanleihe von einer halben Million bei der 
Stadt Leipzig und eine Kriegsfontribution der Hauptitabt Dresden von 40000 Tha— 
fern, und die Naturallieferungen beredinete man auf 1900000 Thaler. Seinen 
Beitand bezifferte der Präfivent der Torgauer Behörde, der rajtlofe und doch 
möglihft auf Schonung des unglüdlihen Landes bedachte Etatsminifter Friedrich 
Wilhelm v. Borde, beim ahresabihluß auf 455907 Thaler. 

Demnah trat der König in das neue Jahr mit einem Vorrat von noch 
nicht ganz 1° Millionen. 2 Millionen gedadte er an Kontribution aus dem 
jest von dem Feldmarſchall Lehwaldt eingenommenen Medienburg zu ziehen und 
für das fchlefiiche Heer zu verwenden; was in Schwediſch-Pommern einfam, 
jollte Yehwaldt für das dortige Heer behalten. In Sachſen wurden Ende Januar 
4 Millionen ausgeichrieben, die binnen eben jo vielen Monaten aufgebracht jein 
ſollten. Wielleiht ward die fnappe Friſt in der Erwägung geftellt, daß ſchon ein 
furzer Frühlingsfeldzug den ‚Frieden bringen und dann auch die Räumung Sachſens 


®b. I, 386. 387. 


Das jahr 1758. 163 


notwendig madhen würde. So hatte der König ſchon nah der Schlacht von 
Leuthen, als er den Frieden unmittelbar vor der Thür glaubte, auf fcharfe Ein: 
treibung der Nüdjtände gedrängt und dem Marſchall Keith empfohlen, gelegent: 
lich bei militäriiher Erekution feine „ruffiihe Politeſſe“ zu zeigen. 

Allemal ließ jih das Unmögliche nicht durchſetzen. Gegen den Ausgang 
der gejegten Frift, im April 1758, wurde den Sachſen ein Nachlaß in der Weife 
gewährt, daß an Steuern 1700000 Thaler, aus den Einkünften der Kammer: 
verwaltung eine Million, von der Ritterichaft ein aus dem Vorjahre rüdftändiges 
Donativ von einer halben Million, von der Stadt Dresden 235000 Thaler 
(einschließlich jener bereits gezahlten 40000) im Laufe des Jahres an das Ober: 
friegsdireftorium abzuführen waren, während auf Fouragelieferungen 286000, 
auf Armaturgelder 70000 Thaler angerechnet wurden. 

Auf folher Grundlage blieb der König finanziell zunächſt noch ſelbſtändig, 
ein Umitand, der nun auf den Gang feiner Verhandlungen mit dem britifchen 
Verbündeten nicht ohne Einfluß blieb. 

Nah Leuthen war der engliihe Gejandte darauf gefaßt geweſen, daß der 
König von Preußen, bei feiner ausgeiprodenen Abneigung gegen die Nolle eines 
Almojenempfängers, die im Augenblide der höchſten Not widerwillig in Anſpruch 
genommenen Subiidien jetzt im Glüde wieder zurüdweifen werde. Unermwarteter: 
weile blieb SFriedrih bei der Stange und ſprach jogar den Wunſch aus, das 
Geld auf einmal und zwar jofort, zum Jahreswechſel, zu erheben. Zugleich 
aber drängte er von neuem auf die Entjendung engliiher Kriegsschiffe in die 
Oftfee und englifher Truppen nad Weitdeutfhland. Als nun ftatt deſſen am 
23. Januar Mitchell im Auftrage feiner Regierung vielmehr ein preußiiches 
Hülfscorps für den mweitbeutichen Krieg forderte, das als Gegenleiftung für die 
Subfidienzahlung zu betrachten jein würde, genügte diejes Anfinnen, um den 
König auf feinen urfprünglichen Standpunkt zurüdzuführen. Noch am 22, hatte er 
fih zur Entgegennahme der Subfidien bereit und mit ihrer Verteilung auf zwei 
Zermine einverftanden erflärt, am 23. antwortete er auf Mitchells Antrag ftolz 
und nicht ohne Schärfe: da er bisher, den ganzen Krieg bindurd, von England 
feine Unteritügung gehabt habe, weder zu Mailer noch zu Lande noch auf diplo- 
matiſchem Wege, jo habe er geglaubt, das angebotene Geld als Schadloshaltung 
für einen Teil der feit dem Abichluß der MWeitminfterfonvention erlittenen Ber: 
Iufte betrachten zu dürfen; jetzt aber begehre man für dieſes Geld eine mili- 
tärifche Leiſtung von ihm, die er angefichts der Meberzahl jeiner Feinde nicht 
zu verbürgen in der Lage fei, und jo müfle er ohne Umjchweif erklären, die 
Subfidien nicht annehmen zu fönnen. Bol Schreden eilte der Gejandte zu dem 
erzürnten Fürften und juchte zu begütigen; er erreichte jo viel, daß der König 
jeiner Ablehnung am 25. Januar in einem Erlaß an den Gefhäftsträger in 
London eine alimpflihere Form, eine andere Begründung gab: es ſei jein Wunſch, 
den Verbündeten jo lange als irgend möglich nicht zur Laſt zu fallen. Auch 
mit Finckenſtein und Eichel beſprach fih Mitchell in feiner Not. Nach deren 
Meinung war der Unmut des Königs über beides, die Forderung wie die Weige— 
rung der Engländer, gefteigert worden durch die eben eingetroffene Nachricht von 
dem ruffifhen Einbrud in Dftpreußen, der ihm den Elaren Beweis lieferte jo: 


104 Sechſtes Buch. Vierter Abſchnitt. 


wohl für die ſchädlichen Folgen des englifchen Widerftrebens gegen eine Flotten- 
demonftration, wie für die bare Unmöglichkeit, ein Corps an die Weſer und den 
Rhein zu ſchicken. 

Bor allem aber hatte Friedrih noch immer!) fein rechtes Vertrauen zu 
der Perfönlichkeit und zu der Staatskunft Pitts; hatte ihm doc jein Londoner 
Vertreter noch vor wenigen Monaten diejen Mann als einen in Parteileiden- 
ichaft befangenen und bei glängender Beredjamkeit ziemlich einflußlojfen Nörgler 
bingeftellt. Wenn jept die Berichte des Gefchäftsträgers ganz anders lauteten 
und die hinreißende Begeifterung rühmten, mit der Pitt vor dem Parlament 
von dem König von Preußen, jeinen wunderbaren Erfolgen und feinen unver: 
gleihlihen Verdienften um die gemeine Sache aeiprodhen hatte, jo entaegnete 
Friedrich fühl, daß es nicht auf Komplimente, fondern auf Realitäten ankomme. 
Er bejorgte, daß jein Vertreter fich blenden und berüden ließ. „Ihre Berichte,“ 
jchrieb er ihm ungnädig, „And wie von einem Sekretär des Herrn Pitt und 
nicht wie von einem Gefandten des Königs von Preußen.” 

So ſchienen Louis Michel und Andrews Mitchell ihren Auftraggebern das 
Miflingen der Verhandlung entgelten zu jollen; denn auch Pitt und Holderneile 
klagten über die Ungeichidlichkeit ihres Unterhändlers und nahmen bereits jeine 
Ablöfung in Ausfiht. Pitt war durch die abweilende Haltung des preußiſchen 
Verbündeten auf das peinlichite überraicht; der eben erft ein wenig aufgebellte 
politiiche Himmel ſchien fih von neuem zu verfinftern. Noch vor kurzem war 
in Yondon die Gejamtlage als jo ernit angejehen worden, daß Pitt, um das 
Bündnis Spaniens für den Kampf gegen frankreich zu gewinnen, die Abtretung 
von Gibraltar angeboten hatte. In Amerifa war ort William Henry, das 
legte britiiche Bollwerf am XLorenzitrom, gefallen, und die Angriffsbewequngen 
gegen die Inſel Kap Breton waren ebenjo mißglüdt, wie in Europa die Unter: 
nehmung gegen Rocefort.?) Zwar in Indien war Kalfutta zurüderobert, Chan— 
dernagore den Franzoſen entrilfen und die Schlacht bei Plaſſey gewonnen; aber 
die Zuverficht der Nation hob doch nicht der eigene Sieg, nicht diefer Tag von 
Plafiey, der in feiner mwelthiftoriihen Bedeutung damals nod nicht gewürdigte 
eigentlihe Geburtstag der britiihen Herrihaft in Andien; der frohe und volle 
Umſchwung der Stimmung ward vielmehr ledialich den preußiſchen Waffentbaten, 
den Tagen von Roßbach und Zeuthen, gedankt. Die Begeifterung des englifchen 
Volfes für den preußiichen Heldenkönig hatte ihren Höhepunkt erreiht. Mit 
Einftimmigfeit — ein unerhörter Vorgang — bewilligte das Unterhaus dem 
Minifterium die neuen Geldforderungen für den Krieg. Und num zeigte Eng: 
lands jtreitbariter Bundesgenofje, der vergötterte Heros, jo offenbares Miß— 
trauen; wann war es den Söhnen Albions je geiheben, daß einer ihrer Wer: 
bündeten eine halbe Million Pfund einfah ausgeihlagen hatte! Mit bitterem 
Spott jchrieb Feldmarſchall Keith an feinen fchottifchen Landsmann Mitchell : 
„Es ſcheint, daß der Engländer, nahdem er an Friedrichs Geburtstage ein 
Dugend Flaihen Ale auf jeine Gefundheit getrunfen, alle Dienjte geleiftet zu 


') Bal. oben ©. 61. 
Oben &. 110. 


Das Jahr 1758. 165 


haben alaubt, die ſolch ein Verbündeter beanjprucden fann. Sie lieben mehr, 
mit ihrem Geld zu zahlen als mit ihrem Leben!” 

Wenn der König von Preußen bei jeiner Ablehnung verharre, erklärte 
Pitt dem preußiichen Geichäftsträger, fo jet Das ganze Syitem des gegenwärtigen 
Minifteriums aus den Fugen gebradt; denn die Vorlage wegen der Subfidien 
für das hannöveriſche Heer laſſe ih im Parlament nur vertreten, wenn fie als 
eine Folge und als ein Anhängjel des Vertrages mit Preußen ericheine. Wenn 
aber die Geldjpenden nah Hannover in Wegfall kämen, was bleibe dem König 
Georg als Kurfürſten anderes übrig, als jih um jeden Preis aus der Klemme 
zu ziehen? Der alternde Welfenfürft war feit dem Angriff der Franzojen auf 
jein Stammland in einem Zuftande jchmerzlidhiter Aufregung. „Ich fomme nie 
aus dem königlichen Kabinett, ohne daß mein Herz in Thränen ſchwimmt,“ be: 
fannte noch vor der Haftenbeder Schlaht der jüngere Mündhaufen, der Chef 
der Londoner deutihen Kanzlei. König Georg bat nad) dem Abſchluß der Kon: 
vention vom Klofter Zeeven den nah London zurücdgefehrten Gumberland 
vor dem ganzen Hofe gedemütigt, ja beichimpft, und er ſelbſt war e& doch geweien, 
der in der Berzweitlung über die Niederlagen von Kolin und Haftenbed diejen 
jeinen Sohn und zugleih den hannöveriichen Geſandten in Wien mit weiteiter 
Vollmacht für einen Vergleich ausgeftattet hatte. 

Erläuternd fügte Michel den Vorftellungen Pitts hinzu, daß das Mini: 
fterium fich gegen die Majorität und den ſehr maßgebenden Prinzen von Wales 
gebunden habe, Feine Nationaltruppen nah Hannover zu ſchicken; daß Pitts 
ganze Stellung, weit mehr als die von Nemcaitle oder Holderneſſe, auf diejer 
Borausjegung beruhe; dab bei entgegengejegter Haltung das Kabinett unver: 
meidlich zu Falle fommen müſſe, ohne die geringfte Wahrfcheinlichfeit, andere 
Minifter fih für die Truppenjendung ins Zeug legen zu jehen; vielmehr jei 
alle Gefahr vorhanden, daß England wie im Vorjahre in einen verderblichen 
Zuftand der Unthätigfeit und Spaltung verlinfe. 

Der Hinweis auf jolhe Möglichkeit blieb nicht ohne Eindrud. An Michel 
allerdings jchrieb König Friedrich am 18. Februar noch, daß feine Nuseinander: 
jegungen feineswegs überzeugend jeien, und daß er feine Bemühungen, Die 
engliihen Minifter von ihren Vorurteilen zurüdzubringen, fortzufegen habe. 
Aber ein gleichzeitiges Schreiben an Ferdinand von Braunjchweig zeigt, daß Fried: 
rich mit den gegebenen Berbältnijien zu rechnen begann. Indem er an der Hand 
der Berichte Michels dem Prinzen die Ausfichtslofigfeit des Antrages auf eng— 
liihe Nationaltruppen darlegte, machte er den Vorſchlag, Ferdinand jolle jein 
Heer nicht blos ergänzen, jondern nod um 10000 Mann ‘vermehren und die 
erforderlihen Geldmittel von England erbitten; das werde genügen, um dem 
Feinde während des nächſten Feldzugs gewachlen zu bleiben. An diefem Aus: 
funftsmittel hielt er nun feit und ließ es durch einen Erlaß vom 3. März, unter 
ausdrüdlihem Verzicht auf die engliihen Truppen, in Zondon unmittelbar be: 
antragen, nachdem inzwilchen Ferdinand feinen Siegeszug begonnen, der Hof 
von Verjailles dagegen dur jene Eröffnung an den Grafen Mailly jeden Ge— 
danfen an Verftändigung abgejchnitten hatte. Zugleich erklärte ſich Friedrich 
jett wieder bereit, die Sublidien zu nehmen, und forderte nur noch Kriegsſchiffe 


166 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt. 


für die Oftfee, nicht eine „Formidable” Flotte, aber doh ein „Promenaden”: 
Geſchwader, des moraliichen Eindrudes halber. Für den äußerftien Yall aber 
erflärte er, wieder drei Wochen fpäter, am 26. Mär; — noch ebe er Michelle 
Bericht über die Aufnahme feines Vorſchlages hatte — dab er auf die Schiffe 
ganz verzichten wolle. Außerdem war inzwiſchen, dem britiichen Verlangen ent: 
ſprechend, jene preußifche Reiterihar zu dem bannöveriichen Heere geitoßen, und 
Prinz Heinrich hatte feine Diverfion nach Hildesheim gemadt. Auch darin zeigte 
fih Friedrih den Engländern willfährig, daß er jet einen Gefandten von Rang 
und Geburt, den Freiherrn von Anyphaufen, feinen ehemaligen Vertreter in 
Frankreich, bei Georg II. beglaubigte. 

Knyphaufen und Michel haben dann am 11. April zu London mit den 
engliichen Miniftern die Konvention unterzeichnet, durch welche die Krone Eng: 
land die Zahlung von jährlid 670000 Pfund Sterling und der König von 
Preußen die Verpflichtung übernahm, diefe Summe zum Beiten der gemeinfamen 
Sade für Vermehrung und Erhaltung feiner Streitkräfte zu verwenden; beide 
Teile, und zwar Georg 11. jowohl als König wie als Kurfürft, gelobten, feinen 
einfeitigen Frieden oder Waffenftillitand zu ſchließen, und in einer Zuſatzerklä— 
rung verbieß der König von England im Einne der von Preußen geitellten 
Bedingung, 50000 Mann in Deutihland auf britiihe Koſten und meitere 
5000 Mann auf hannöveriiche zu unterhalten. Die Bewilligung der entſprechenden 
Summen durd das Unterhaus erfolgte wiederum jo gut wie einftimmig. 

Inſoweit aber blieb der König von Preußen auch jegt noch zurüdhaltend, 
als er Anftand nahm, das engliiche Geld fofort zu erheben. Seine Beweg— 
gründe deutete er Knyphauſen in einem Erlaß vom 21. Mai mit den Worten 
an: er wolle nicht geniert fein in Bezug auf die Vorteile, welche günftige Er: 
eigniffe ihm verſchaffen könnten. 

Der Gejandte glaubte den Gedanfengang feines Gebieters zu erraten. 
Offenbar wollte Friedrich freie Hand behalten, jederzeit mit dem Wiener Hofe 
Frieden zu jchließen, und beforgte wohl aud, daß er nah Empfang dieſer eng: 
liſchen Subfidien, die als Ausgleich für feine Kriegsfoften gedaht waren, mit 
minderem Fug und Nect eine Entihädiqung an Land und Leuten beanipruchen 
fönnte. Er war nicht ohne Sorge wegen eines Ueberreites der alten Vorliebe der 
Engländer für Defterreih und auch nicht ohne Zweifel wegen der Stellung, 
die Pitt zu einer derartigen ‚jorderung einnehmen möchte, denn auch jegt noch 
galt ihm der Staatsjefretär als jehr erregt und ſtark eigenfinnig, als von einer 
Art Koller beſeſſen. Nah beiden Richtungen glaubte Knyphauſen die Zweifel 
zeritreuen zu können: er verlicherte dem Könige in einem Bericht vom 27. Juni 
„politiv“, der Grundiag, auf dem Englands Verbindung mit Preußen berube, 
fei fie als Gegengewicht auf dem Kontinent gegen die Macht der Höfe von Ber: 
jailles und Wien zu benugen, folglich werde man fi einer Vergrößerung Preußens 
nicht nur nicht widerjeten, jondern betrachte fie als weientlih und notwendia 
zur Befeitigung des neubegründeten Syſtems. Zweitens aber werde England, 
wofern fih König Friedrih zu einem förmlihen Alliangvertrag verjtehen wolle, 
ihm anbeimitellen, nad freiem Ermeſſen auch ohne engliihe Beteiligung jeden 
beliebigen Vertrag mit dem Wiener Hofe zu jchließen, immer vorausgefeßt, daß 


Das Jahr 1758. 167 


in dem weiteren Kampfe gegen die Franzoſen Defterreich neutral bleibe, Preußen 
dagegen zum Entgelt für die Fortzahlung der engliihen Subfidien mit einem 
Hülfscorps auf dem Plan ericheine. 

In diefer Beziehung hatte Friedrich feinen Bundesgenofien unter behut— 
jamen Vorbehalten ſchon einen glänzenden Nusblid eröffnet. Im April war 
ihr bisheriger Gefandter bei den Generalftaaten im ſchleſiſchen Hauptquartier 
erihienen, Sir Joſeph Vorke, ein warmer Anhänger der preußiihen Sade;') 
zur Ablöjung von Mitchell?) bejtimmt, wurde er doch nad) einigen Wochen wieder 
abberufen, da der König jenen bei fih zu behalten wünjchte. Gleich in einer 
feiner erſten Unterhaltungen mit Norke betonte er die Notwenbigfeit, das neue 
politiihe Syftem auf die Dauer zu begründen, und erflärte, wenn er fo glücklich 
jein jollte, die Königin von Ungarn zu einem Sonderfrieden zu nötigen, fo fei 
er durchaus willens und begierig, feine Waffen gegen Franfreid zu fehren. Oft 
habe er über die wirkſamſte Art der Kriegsführung gegen die Franzojen nad): 
gedacht. Man dürfe nicht den Stier bei den Hörnern fallen und ihre Feſtungs— 
fette überwältigen wollen, denn da werde man auf dem halben Wege zum 
Ziel ſchon zu Grunde gerichtet; aber von Luremburg ber könne es nicht Schwierig 
fein, die Feftungen zur Seite laſſend, in Frankreich einzudringen. Er werde fi 
glüdlih preifen, wenn er noch einmal die Kriegsfadel nah Paris tragen und 
diefen Herren „Procédés“ lehren könnte. Das war ein Lieblingsgedanke von Pitt, 
auf den er immer wieder zu jprechen fam, den König von Preußen wie am 
Tage von Roßbach in Perfon gegen diefen Feind Fämpfen zu ſehen. Friedrich 
hoffte, daß ſolches Zulunftsbild die Engländer doch vielleicht noch beftimmen werde, 
ihre Nationaltruppen auf das Feſtland zu fchiden. Immer aber erflärte er, daß 
an die Ausführung fo großer Dinge nicht zu denfen ſei, ehe er die Ellbogen frei 
babe. Vorerſt habe er anderwärts allzu viel zu thun, die Deiterreicher jeien der 
erite Feind und der zweite die Ruſſen. „Vielleiht,” fagte er zu Morke, „kann 
ih gegen den Herbit mehr thun, aber bis dahin kann ih nicht das Geringite 
verſprechen.“ 

Wenn jomit das Verhältnis zu England ſich durchaus befriedigend geſtaltete, 
jo brauchte auch von hannöveriicher Seite ein grundfäglicher Widerſpruch gegen 
preußiihen Landerwerb nicht erwartet zu werden. Nahm doch das Ffurfürftliche 
Geheimratsfollegium auf eine Anregung aus Berlin die nad) der Koliner Schlacht 
zurüdgelegten territorialen Entwürfe?) jegt im April 1758 begierig wieder auf 
und gab zu erkennen, daß man Hildesheim und Dsnabrüd noch lieber nehmen 
würde als das Eichsfeld. Die preußiihen KHabinettsminifter Podewils und 
Findenftein bezeichneten das als einen „angenehmen Traum“ der Hannoveraner; 
der König aber entgegnete ihnen, im Begriff ins Feld zu rüden, am 23. April: 
wenn unjere Waffen erfolgreich find, jo fünnten die Träume und Chimären von 
heute jehr wohl in Zukunft Wirklichkeit werden. 

Er hatte ſchon im Januar, als ſich die Umvermeidlichkeit eines weiteren 





ı) BD. I, 598. 
») Oben ©. 165. 
Oben ©. 59. 88. 


168 Sehfted Bud. Vierter Abſchnitt. 


Feldzuges berausjtellte, dem Grafen Findenftein feine Abſicht eröffnet, bei 
gutem Glüd fih durd Landerwerb jchadlos zu halten. Damals rechnete er 
noch darauf, Rußland werde keine neue Diverfion mahen, Franfreih ganz lahm 
gelegt und Schweden zum Frieden genötigt jein; dann werde Maria Therefia 
allein ſtehen und vielleicht fogar, wenn etwa die Türken fich rührten, zwiichen 
zwei Feuer fommen. Von dieſen Annahmen war die erfte jchon nad wenigen 
Tagen hinfällig geworden, und wie die Ruſſen ſchickten fich ja auch die Schweden 
zur Fortiegung des Kampfes an. Aber wenigitens auf einer der Nebenbühnen 
war noch vor der Wiedereröffnung des Hauptfriegsichauplages eine jo ent: 
iheidende Wendung eingetreten, dab Friedrich im April fagen durfte, der 
Frauzoſen, deren Nähe ihm im vorangegangenen Fahre Feſſeln angelegt habe, 
jei er auf mindeſtens ſechs Monate entledigt. 

In diefem Punfte war jeine militäriihe Lage ohne Zweifel günftiger als 
1757. Damals hatte er fich lange beionnen, ehe er bei der Menge feiner Feinde 
gegen die Defterreicher ftrategiich die Offenſive ergriff; heute war ihm dieſe Offenfive 
feinen Augenblid zweifelhaft. Damals hatte er, um fich nicht zu weit von 
jeiner Zentralftellung zu entfernen, die Angriffsbewegung nur gegen Böhmen 
kehren zu dürfen geglaubt, das doc) jeiner auf böſen Erfahrungen aufgebauten 
militäriichen Theorie als eine unvorteilhafte Arena galt, und eben deshalb hatte 
er damals von der Dffenfive zunächſt ganz abjehen wollen. Heute ſchien ihn 
nichts zu hindern, die Operationsbajis von der ſächſiſchen Zentralitellung los: 
zulöjen und nah Oberfclefien zu legen, um von dort aus feine Waffen dahin 
zu tragen, wo nad jeiner alten Auffaffung') am eheſten enticheidende Erfolge 
gegen die öfterreihifche Macht fi erwarten ließen: nah Mähren. 

Der Grundgedanke feines Seldzugsplanes war wie im Borjahre, einen 
großen Schlag gegen den vornehmiten Feind zu führen, jo lange die Haupt: 
maſſe der preußifchen Streitkräfte beifammen war, um nachher, wenn andre Gegner 
fihtbar würden, nad) Gefallen gegen fie detadhieren zu fönnen. Die Ausführung 
dachte er ih in der Weile, daß er nad der Wiedereinnahme von Schweidnig 
mit ‚dem jchlefiichen Heere auf Olmütz losgehen, die Feitung zur Uebergabe 
zwingen und weiter die Deiterreicher durch ftarke Entjendungen nach Ungarn, wo 
Verbindungen mit der alten niurreftionspartei angefnüpit werden jollten, aud 
aus dem often von Brünn berausbringen und überhaupt nötigen wollte, alle 
ihre Streitkräfte an der Donau zufammenzuziehen. Alsdann ſollte Prinz Heinrich 
aus Sadhjen an der Spike eines zweiten Heeres, jo lange auf eine abwartende 
Stellung und die Beichäftigung der Neichsarmee angewiefen, in das von Ber: 
teidigern entblößte Böhmen einbreden und dur die Wegnahme von Prag dem 
Gegner den „Keulenjchlag” verjegen, von dem er fich nicht würde erholen fönnen. 
Inzwiſchen jollte Graf Dohna, der Nachfolger des alten Lehwaldt im Ober: 
befehl über das ehemals ojtpreußiiche Heer, den Schweden, obgleich die zur Be: 
jegung von Nügen geeignete Jahreszeit ungenügt verftrihen war, doch noch eins 
„anzuhängen“ verfuchen und weiter den Nuffen das Vordringen nah Pommern 
und in die Neumark verwehren. Sollten die Rufen nad Schlefien gehen 


1) Oben ©. 17. 64; Bd. 1, 556. 


Das Jahr 1758. 169 


wollen, jo glaubte der König, da ihre Ankunft dort vor Ende Juli nicht zu 
erwarten war, nad der Einnahme von Olmüb wohl im ftande zu fein, einen 
Teil des Hauptheeres gegen fie auszufchiden; wo er dann für den Fall einer 
gewonnenen Schlacht ji wie im Worjahre !) mit dem Gedanken trug, nad) 
einem Weichjelübergang in der Gegend von Warihau ihnen am Unterlauf des 
Stroms zwiſchen Thorn und Elbing den Nüdzug zu verlegen. 

Bon einem Marih und Angriff auf Wien fpricht Friedrich in diejen feinen 
Entwürfen nirgends. Und wenn er mit größter Beitimmtheit der Meinung 
Ausdrud gab, daß der Krieg in diefem Jahre auf eine oder die andre Art zu 
Ende gehen werde, jo läßt fchon diefer Umstand allein vorausfegen, daß er 
1758 die Einnahme der feindlihen Hauptitadt nicht in den Bereich feiner 
ſtrategiſchen Kombinationen ziehen wollte; denn wir wiſſen aus einer nach dieſem 
Kriege entitandenen Aufzeichnung, daß er für eine in Mähren beginnende Unter: 
nehmung, die mit dem Angriff auf Wien zu enden haben würde, nicht einen, 
jondern zwei Feldzüge in Anjchlag bradte. Maria Therefia hat damals ge 
jagt, habe fie nicht mehr 100000 Mann, fo blieben ihr nod 50000 oder 
25000, und verliere fie Böhmen, jo blieben ihr noch Ungarn und Oeſterreich: 
fo lange fie noh Waffen in der Hand habe, werde fie auch den Mut nicht 
verlieren. Wie heldenhaft feine große Gegnerin date, wußte Friedrich nad 
ihrem Verhalten in der Not des Herbftes von 1741 und hat es ihr nachgerühmt. 
Wollte er jchnell Frieden haben, jo durfte er fie mit feinen Bedingungen nicht 
auf das Aeußerſte treiben.*) Im übrigen blieb das Mehr oder Minder feiner 
Forderungen vorbehalten. Er vermöge nicht vorauszjujagen, jchrieb er am 
21. Mai in jenem Erlaß an Knyphauſen, wie weit jeine Anſprüche gehen 
würden, und alles müſſe von den Ereigniffen diejes Feldzugs abhängen. Daß 
des Königs alter Gedanke an Säkularifationen,?) wie fie ſchon einmal in ber 
deutichen Gejchichte nad einem großen Bürgerfriege dem Frieden die Thore ge: 
öffnet hatten, nicht vergefien war, läßt eine Neußerung der preußijchen Kabinetts— 
minilter erſehen: indem fie ihrem Gebieter über jene Abfichten der Hannoveraner 
auf geiltliches Land berichteten, machten fie geltend, daß das an preußifches 
Gebiet angrenzende Bistum Hildesheim für Preußen ebenjo begehrenswert fei, 
mie für Hannover. 

Dermeil war der Kampf an den Sudeten, von deſſen Verlauf alle 
politiihen Entwürfe abhingen, bereits in vollem Gang. 

Die Wiederergänzung des preußiichen Heeres war über Erwarten gut von 
Statten gegangen. Während der König nad dem Einrüden in die Winter: 
quartiere noch nicht zu jagen vermochte, ob fich mehr als S4000 Mann in 
Schlefien würden aufftellen laffen, fand ihm Anfang März feit, daß er unge: 
fähr ebenfo ſtark wie im Vorjahre ins Feld rüden würde. Doch fehlten dem 
Schlefifchen Heere an der Sollitärte von 96000 Ende April noh an 12000 
Kranke und Genejende. Die beiden Heere in Sachſen und in Pommern zählten 


1) Oben ©. 89. 
9) Vgl. oben S. 55. 89. 
2) Bol. Bo. I, 196. 


170 Sechſtes Bud. Vierter Abichnitt. 


jedes etwa 22000 Mann; dazu kamen die Garnifontruppen und die fünfzehn 
nah Weitialen abgegebenen Schwadronen. Tas Nefrutenmaterial batten teils 
die Kantons, teils Zwangsaushebungen in Sachſen, Anhalt, Medlenburg, 
Schmwediih: Pommern und felbit in den pfälzifchen und kurkölniſchen Gebieten 
geliefert; viele Deferteure hatte wie gewöhnlich ein Generalpardon zurüdgelodt ; 
auch Leberläufer aus den fremden Heeren und ein Teil der Kriegsgefangenen 
balien die Yüden füllen, Aber auch Freiwillige kamen haufenweiſe, dur den 
heller denn je ftrahlenden Ruhm der preußiichen Waffen angezogen. Auf dem 
Werbeplag des neu errichteten Bellingichen Sularenbataillons zu Yeipzig war 
der Zulauf ungeheuer, denn die Hufaren vor allem — ihre Regimenter wurben 
jest auf 1300 Pferde gebracht — hatten ſich weit und breit berühmt gemacht: 
in Jena verjchworen fich die Burfchen der großen Mofellaner Landsmannſchaft, 
in des Königs von Preußen letter Not feine Hufaren zu wersen, um ihm alles 
Land bis zur Mojel erobern zu helfen. Dieie Bellinafhen Hufaren und zwei 
Freiregimenter, das eine fait ganz aus Franzofen gebildet, waren die einzigen 
Neuformationen diefes Jahres; dagegen blieben von den 1756 errichteten zehn 
ſächſiſchen Negimentern nur drei noch beftehen. 

Auf vorichriftsmäßige oder nur gleihförmige Einkleivung der Neulinge 
durfte fein Gewicht aelegt werden. Wo es an Montierungsitüden fehlte, befahl 
der König „ih durdyzubelfen und die Mode vom dreißigjährigen Kriege zu 
erneuern”. Das neue Hufarenbataillen rüdte im April aus Leipzig in zwei 
Kolonnen aus, die eine mit Sätteln und voller Montur, die andere ohne Uniform, 
in „Trauermänteln“, mit Schabraden auf den bloßen Pferden. So fehlte überall 
noch viel, aber da fih bei dem Feinde noch größere Unfertigfeit vorausiegen 
ließ, meinte der König losgehen zu dürfen. 

Zunächſt alio galt es, den Tefterreihern den Stützpunkt zu entreißen, 
von dem aus fie fich in Schlefien auszubreiten gedadten. Um die Belagerung 
von Schweidnig einzuleiten, begab ſich Friedrich am 15. März, drei Tage nad 
der Ankunft Dauns zu Olmüs, von Breslau in das Gebirge nah Klofter 
Grüffau, einem Hauptquartier „wie in Yappland“; noch war man durch „Eis: 
barrieren” vom Feinde getrennt. Am 30. wurden vor Schweidnig die Lauf: 
gräben eröffnet; feine Artilleriften thaten dem Könige nicht genug; er ſchalt 
ihre Oberften „Erzignoranten” und „Erzdröhmer”. Um abzufürzen, ließ er in 
der Naht auf den 16. April das Galgenfort mit ftürmender Hand nehmen; 
darauf ergab fih die Feſtung noch ſelbigen Tages, 3200 Mann und 250 
Difiziere wurden friegsgefangen. 

Am 19. April verließ der König Grüffau, um auf einem Umweg über 
Glatz nad Neiße zu geben, wo das Heer fich verfammelte. Er hatte das Gerücht 
ausiprengen laſſen, daß der Feldzugsplan des Vorjahres wieder aufgenommen 
jei; die Abiicht war, Daun, der inzwiichen jein Sauptquartier nah Sfalig 
verlegt hatte, zum Werbleiben in Böhmen zu veranlaffen, um vor ihm bei 
Olmütz zu fein. Denn davon ſchien alles abzubängen: „in fünf Tagen werde 
ih Ahnen jagen können, ob ih glüdlich oder unglüdlih jein werde”, ſagte 
Friedrich am 23. in Münfterberg zu einem feiner Begleiter. Am 27. brad er 
von Neiße auf und war am 29, in Troppau, mit einem Vorſprung von neun 


Das Jahr 1758. 171 


Tagen, wie er ausrechnete, vor dem getäufchten Daun. Feldmarſchall Keith 
führte die zweite Kolonne über Yägerndorf. Bei Giebau und bei Sternberg 
traten die Preußen am 3. Mai in die mähriſche Ebene ein, am 4. ftand der 
König mit der Vorhut bei Yittau auf der Straße von Olmüs nah Böhmen, 
Daun war von der Feltung abgeichnitten. 

s Während Keith mit einem Teil des Heeres die Belagerung begann, wählte 
der König zu ihrer Dedung eine Stellung füdweitlih von Olmütz bei Proßnig, 
wo eine zweite Straße aus Böhmen mit der von Brünn fommenden zufammen: 
lief. Er freute fih, mit feinen Truppen aus den für die Rufen beitimmten 
Zöpfen eſſen zu dürfen. 

Seine Stimmung während der nächſten Wochen, in, den elenden Dorf: 
quartieren von Schmirfig und Klein-Latein, war hoffnungsvoll und glüdlid. In 
feiner Umgebung befand fich feit kurzem der junge Schweizer, den er vor brei 
Jahren mwährend jenes Ausfluges nah Holland auf jo abenteuerlihe Weiſe 
fennen gelernt hatte.) Henri de Gatt war im März 1758 als Borlejer in 
jeine Dienjte getreten, nachdem ber Abbe de Prades,?) der Zeuge der Zweifels- 
qualen des Herbites von 1757, nah der Schlacht bei Roßbach wegen eines 
verräteriichen Einverftändnilles mit den Franzoſen auf die Feſtung Magdeburg 
geihidt worden war. Die Kriegstagebüher des neuen Vorleſers mit ihren 
fnappen abgeriffenen, ohne jede jchielende Rückſicht aufgezeichneten Vermerfen, 
find unverdächtige Zeugniffe des Zaubers, mit welchem die Perlönlichkeit des 
Königs in ihrer Größe und zugleich in ihrer Liebenswürdigfeit den jugendlichen 
Sinn des Begleiters gefangen nahm. „Je mehr ich diefen Fürften fehe, um 
jo mehr Gründe finde ih, ihn zu lieben und zu verehren“, jchreibt Catt während 
des Marſches nah Mähren, und als Friedrih ihm in Schmirſitz eines Tages 
vom Tode Ipricht und von der furzen Lebensdauer, die er bei zunehmender An: 
fälligfeit fih nur noch beichieden glaubt, wird das weiche Herz des Zuhörers fo 
traurig geitimmt, daß er für alle weiteren Neuerungen die Aufmerkſamkeit ver: 
liert. Vorwiegend aber waren damals die Eindrüde, die er aus dem Quartier 
des Königs bier vor Olmütz beim Nachhauſegehen mitnahm, hell und freund: 
ich. Friedrich hatte jein Gefallen an dem gewandten und unterrichteten und 
dabei bejiheidenen und taftvollen Gefellichafter; denn nicht Sowohl zum Vorleſen, 
als zur Unterhaltung ließ er ihn gegen Abend auf eine oder mehrere Stunden 
zu jih fommen, wo dann über die verfchiedenften Dinge, die franzöfifche Litte: 
ratur, die jchriftitelleriichen Arbeiten des Königs, Perjönlichkeiten, Erlebniſſe, aber 
auch über die militärischen Ereignifie des Tages geplaudert wurde; oder Friedrich 
trällerte Arien aus den in Berlin aufgeführten Opern und mweihte feinen Bor: 
lejer in die Grundbegriffe der Tanztunft ein, um dann beluftigt auszurufen: 
„Welch Schaufpiel für Daun und den Prinzen Karl, jähen fie ihren Befieger 
von Liſſa bier in einer Bauernitube Entrechats machen und Herrn Catt graziöfe 
Bewegungen beibringen.“ 

Seine glüdlihe Yaune wurde noch gejteigert durch erfreuliche Nachrichten 





) 3b. I, 574. 
2), Oben S. 120; Bb. I, 526. 


172 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt. 


von den anderen Heeren. Prinz Heinrich hielt die jet von dem Prinzen von 
Zweibrüden geführten Neichstruppen durch empfindlihe „Nafenftüber” jo in 
Chad, daß fie jih aus der Nordweitede von Böhmen nicht bervortrauten, und 
ließ durd ein fliegendes Corps unter Drieſen, dem Helden von Leuthen, die 
Gebiete von Bamberg und Würzburg brandihagen. Prinz ‚Ferdinand folgte in 
der Nacht vom 1. auf den 2. Juni bei Tollbuys unterhalb von Emmerich ‚ben 
Franzojen über den Nhein, im Sinne der ihm erteilten draftiihen Mahnung, 
fie auf dem ihren Verfolgern zugewandten Körperteile mit den nitialen des 
Meftfälifchen Friedens zu zieren. Einem neuen Manifelt, das fie als Garanten 
diejes Friedens dem Vernehmen nad zu veröffentlihen gedachten, durfte Friedrich 
jegt mit Ruhe entgegenjehen: „Sie reden diejelbe Sprache, wie unter Ludwig XIV., 
aber fie haben feine Turennes und feine Condés.“ 

In dieſen erjten Junitagen war feine Zuperfichtlichfeit auf ihrem Höhe— 
punfte. Die Franzoſen, fo verfichert er dem Prinzen Heinrich, werden kriegs— 
müde und die Oeſterreicher flügellabm, und die Ruſſen ſchöpfen Mißtrauen. 
„Aus guten Gründen” erfucht er den Bruder, in Sachſen das Gerüdt auszus 
fprengen, man dürfe ſich darauf verlaffen, daß Preußen den Frieden nicht ans 
nehmen werde, ohne eine eflatante Genugthuung für den ihm aufgenötigten 
Krieg, und jollte diefer Krieg no vier Sabre währen. Auch Pitt ließ er, zu 
feines alten Kabinettsrats leiiem Echreden, auffordern, joldy hohen Ton anzu— 
Ihlagen. Eine nähere Erläuterung gab er beim Abjchied dem Briten Morke, der 
am 10. Juni aus dem preußiichen Feldlager auf feinen Haager Gefandtichafte- 
pojten zurüdfehrte: „Wir müjlen alle Anträge als an uns gemeinfam gerichtet 
behandeln; wir müfjen feine Begierde nad) Frieden verraten, aber aud die uns 
gemachten Anträge nicht hochfahrend zurückweiſen.“ Dabei betonte er die Not: 
wenbdigfeit, nur einen Frieden, der Dauer verfpräde, zu fließen: „Meine Lage 
und meine Umftände erlauben mir nicht, Tag für Tag ins Feld zu ziehen und 
einen Waffenftillftand ftatt eines Friedens zu fchließen. Mein Verluft an Leuten 
und an Einkünften ift zu fchwer für ein foldes Syftem, und eben deshalb 
made ich alle Anftrengungen, um den Krieg abzufürzen, indem ich unjeren 
Feinden Abbruh zu thun ſuche, foviel ih nur kann. Die Kaiferin ift mit 
Franfreihs Betragen nicht zufrieden und befonders nicht mit dem von dieſer 
Macht in Wien geitellten Anerbieten, die Friedensvermittelung zu übernehmen. 
Das ift für die Kaiferin feine angenehme Ausfiht — der König zeigte fi hierin 
ſehr zutreffend unterrichtet — und wird fie möglicherweife einem Sonderfrieden 
geneigt machen, auf den ich gern eingehen werde. ch habe fein Verlangen, 
mit dieſer Fürftin in Zwift zu leben, vorausgeießt, daß fie fein zu großes 
Uebergewidt erlangt; auf dem Fuße der Gleichheit will ih von Stund an ihr 
Freund fein.“ j 

In eben diefen Tagen regten fih ihm nun doch die eriten Bedenken wegen 
des Ausgangs feiner großen Unternehmung. Alle militäriihen Aufgaben, welche 
Zeit erforderten und die Heere fefthielten, hatten in diefem Feldzuge grundiäß: 
lih vermieden werden follen: hatte man ji bier vor Olmüß gleichwohl auf 
ſolche Aufgabe verjeffen? Wie vor Pirna und wie vor Prag ſah Friedrih den 
Termin für das Ende von dem anfänglich angenommenen 15. Juni in immer 


Das Jahr 1758. 173 


weitere Ferne entweichen. In der Nacht zum 28. Mai waren die Laufgräben 
eröffnet worden, in viel zu großem Abftand von der Feſtung. Hatte der König 
vor Schweidnig auf jeine Artilleriften geicholten, fo galt fein Tadel hier den 
Ingenieuren, die fich To verrechnen Fonnten. Wenn Goehoorn und Vauban 
auferitehen fönnten, jo würden fie, jpottete er, ihren ungefchicdten Epigonen 
Mützen mit Eielsohren verehren ftatt der Mauerfronen. „Wir verlieren Menſchen, 
wir verpuffen unjer Pulver auf Spaten, wir verzehren alle Fourage, und der 
beträchtlichite Verluft von allen ift der Zeitverluft, und ſchließlich wird der Feind 
fih in gewaltigen Stand jegen infolge unserer unverzeiblihen Langſamkeit.“ 

König Friedrih hat oft geiagt, dab man als Feldherr das thun müſſe, 
was dem Feind am unerwünschteiten fein werde, In Wien fürdtete man Anfang 
Mai 1758 nichts mehr, als da die Preußen entweder gradenwegs an bie 
Donau marjhieren oder das Heer des Marſchalls Daun in einer Schlacht zu 
Paaren treiben fönnten. Schon ließ das durch Flüchtlinge aus Mähren ver: 
breitete Gerücht das Corps des Feldmarſchall-Lieutenants de Ville geichlagen 
fein; die Zufammenziehung von Truppen bei Schwechat zur Verteidigung des 
Donauüberganges, ja die Verlegung des Hofes nah Graz wurden in Vor: 
Ichlag aebradt. Daß Mähren von Truppen entblößt jei, wurde Icharf getadelt, 
und die abgetretenen Feldherren, der Prinz von Hildburghaufen und der Loth: 
ringer, die Männer von Roßbach und von Leuthen, fühlten fih jest berufen, 
über die Unzulänglichfeit der getroffenen Vorkehrungen, die Fehlgriffe der Heeres» 
leitung zu Gericht zu figen. Maria Therefia glaubte ihnen nicht unrecht geben 
zu können. Sie geitand, vor den Zuſtänden im Inneren mehr in Sorge zu 
fein, als „vor dem Preußen ſelbſten“ — „mwiewohlen”, jo ſetzte fie hinzu, „ihme 
gar nicht verachte”. Sie entzog fich den Bliden ihres Hofes, verftedte, wie ihr 
Ausdrud it, ſich täglich mehr, damit niemand ihre tiefe Niedergeichlagenheit 
gewahre. Schwere Zweifel peinigten fie; nur zweien ſchüttete fie ihr Herz aus, 
ihrem alten Kabinettsſekretär Koh und dem bei ihr tro& allem noch bochange: 
fehenen Hildburghausen: ihr Innerliches, Schrieb fie ihm, fonfundiere fie, „mweillen 
an alle jelbiten Schuld bin, mithin auch vor Gott und in mein Gewiſſen nicht 
rubig fein fann“. 

Man atmete auf, als die Nachricht fam, daß die Preußen fih vor Olmütz 
feftlegten. Raunig trug die größte Zuverficht zur Schau; der franzöfiihe Ge: 
jandte fchrieb nah Haufe, der Staatöfanzler ſehe das Verderben des Königs 
von Preußen als gewiß an. Daun erhielt den Befehl, zum Entjag von Olmüt im 
erforderlihen Augenblide eine Schlacht zu wagen, und zwar unter dem Geſichts— 
punft, daß er nad) dem Falle der Feſtung doch jedenfall werde jchlagen müſſen, 
weil dann felbft eine Niederlage nicht nachteiliger wirken könne, als ein Rüdzug 
ohne Widerftand bis an die Donau. 

Friedrich ſagte ſehr richtig bei Beginn diefes Feldzuges, daß jeine Stärke 
in der jchlehten Berfajlung des Feindes beruhe, daß aber dieſer Zuſtand fich 
ändern werde. Er hatte drum auch anfänglih auf eine Schlacht gerechnet: 
mit dem Marich nad Olmütz überholt, jo hatte er am 25. März kombiniert, werde 
Daun ſich hoffentlich zum Kampf veranlaßt jehen und hoffentlich alsdann ge: 
ihlagen werden. Bald aber entſchied er fich für eine andere Methode. In 


174 Sechſtes Buch. Vierter Abſchnitt 


ber vor Olmütz gemählten Stellung glaubte er es völlig in feiner Hand zu 
haben, eine Schladht anzunehmen oder nicht, und rechnete num darauf, die 
Feſtung zu nehmen auch ohne eine Schlacht. Offenbar dachte er an Kolin; 
das Schidjal der Belagerung jollte nicht wieder von dem unficheren Ausgange 
des eifernen Würfelipiels abhängig gemacht werden. Falls Daun, wie jest vor 
zwölf Monaten, wieder Befehl erhielt, alles an alles zu ſetzen, jo wollte 
sriedrih ihm nicht wie damals den Gefallen thun, ihn in befeftigter Stellung 
aufzufuchen. Daun ſelbſt mochte einmal angreifen. Und zwar follte ihm die 
Möglichkeit dazu nur bei Proßnig geboten werden, wo das Gelände eine aus: 
giebige Verfolgung des abgeichlagenen Angreifer erlaubte und wo man im 
ftande war, binnen drei Stunden die Truppen aus ihren Stellungen zur 
Schlachtordnung zuſammenzuziehen. 

Entſchloſſen, nur im Augenblicke der höchſten Not zum Angriff überzu— 
gehen, hielt ſich Daun nach ſeiner Ankunft in Mähren einſtweilen regungslos 
in der feſten Stellung zu Gewitſch, vier bis fünf Meilen nordweſtlich von 
Proßnitz. Um ſo thätiger waren ſeine „großen Canaillen“, wie Friedrich die 
überall ausſchwärmenden Corps der Irregulären betitelte, und die „kleinen 
Ganaillen in Duodez“, die den preußiſchen Patrouillen in den Wäldern und 
Schluchten, wahren „Mördergruben”, auflauerten. Seit Anfang Juni wurden 
die Preußen auch in ihren Uuartieren beläftigt. „Wir find an feiner Stelle 
ſtark,“ warnte der König jeine Generale, „aber die Betriebjamfeit ift eine große 
Stärke für die Schwachen.“ Kür den 18., den Jahrestag von Kolin, glaubt 
er mehr als fonft auf der Hut fein zu müſſen, „weil Daun fich einbilden wird, 
daß der Tag ihm favorabel iſt“. Aber ſchon in der Nacht auf den 17. wurde 
ihm eine böſe Begrüßung zu teil durch einen Weberfal auf die Quartiere der 
Baireuther Dragoner am linfen Marhufer, die an 400 Reiter und Pferde 
und ihre Pauken einbüßten. 

Ein Glück, dab noch die Ruſſen nichts von fich hören ließen. So konnten 
acht in Schlefien zurüdgebliebene Bataillone mit 1700 Reitern nachgezogen 
werben, denen ein großer Trupp Refruten, Ausgebeilte und vertaufchte Kriegs: 
gefangene, ſowie an 3000 Meblfuhren, Munitionswagen, Marfetenderfarren, 
auch 46 Magen mit Geld, fih anichloffen. Eine frühere Zufuhr war Anfang 
Juni unbehelligt vor Olmütz angelangt; auch diejer zweite Nahihub war am 
28, durch Zieten mit 3 Bataillonen und 20 Schwadronen bei Giebau aufge: 
nommen worden und Bieten batte einen Angriff Yaudons in bigigem Gefecht 
glüdlich abgewiejen. Aber am 30. wurden die Preußen, etwa 12—13 000 Mann, 
von dem inzwiſchen auf 15000 Mann verftärkten Feinde bei Domitadtl ge: 
ihlagen und nad Troppau abgedrängt; von dem Wagenzug erreichte das Yager 
vor Olmütz nur ein Eleiner Teil, darunter der Geldtransport. 

Der König hat niemandem wegen des Unglüds einen Vorwurf gemadt. 
Er erinnerte jih des alten Spridworts: „convoi attuque, convoi battu.“ Am 
1. Juli hatte er volle Gewißheit. Fünf eigenhändige Briefe an Keith von 
biefem einen Tage geben ebenfoviel lebendige Augenblidsbilder. Er war un: 
verzüglich entihloffen, die Belagerung, für die es jest an Schießbedarf fehlte, 
aufzugeben und aus Mähren abzuziehen: nicht nah Schlefien — denn ſchon 


Das Jahr 1758. 175 


machte Daun eine Bewegung in der Nihtung auf Prerau, um die Strafe nad 
Troppau zu fperren — jondern nad) Böhmen. 

Allen Offizieren ließ er bei Feltungsitrafe und Kaſſation gebieten, niemand 
jolle Entmutigung merken oder fi verlauten laſſen, daß alles verloren ſei; 
jedermanns Pflicht jei, gute Miene zu madhen und den Mannſchaften Mut 
zuzuſprechen. 


Die Wirkung des großen Fehlſchlages von Olmütz war mit einem Worte, 
nach Friedrichs eigenem Geſtändnis: „Ich habe die Ueberlegenheit verloren, die 
ih im vorigen Herbſt und Winter über die Defterreiher gewonnen hatte.” 

Wenn er auf dem Marie nah Böhmen den enaliihen Geſandten ſah, 
flagte er immer von neuem, daß die Ausficht auf Frieden jegt in die Ferne 
gerüdt fei. Doc meigte er bald wieder der Meinung zu, wenn man bdiejen 
Feldzug noch durchhalte, jo werde im Winter der Feind, ermüdet und erichöpit, 
als der erite die Hand zum Wergleich bieten. Seinen Miniftern ſchrieb er: 
„Wir müflen Geduld haben und die Monate Auguſt, September, Dftober, 
November, Dezember abwarten.” 

Obne eine Schlaht verloren zu haben, aber nad abermaligem Scheitern 
einer großen Belagerung, mußte er fih auf einen Sommer: und Herbſtfeldzug 
„ungefähr wie im Vorjahre” gefaßt machen: „Vergegenmwärtigen Sie Sich unfere 
Lage in Erfurt,“ ') jchrieb er an Ferdinand von Braunſchweig; „ih babe fünf 
Heere gegen mid, und zwar von allen Seiten” — die Defterreicher unter Daun 
in Böhmen und unter de Bille in dem jet nur dur die Feſtungen gedeckten 
Oberſchleſien; die vereinigten faiferlihen und Reichstruppen in Sachen, die 
Schweden und die Rufjen. 

MWenigftens nötigte er vorerft noch den unmittelbar ihm gegenüberjtehenden 
Feind, fi) ganz nad den Bewegungen der Preußen zu richten. Ihr Abmarſch 
nah Böhmen, unter fühner Preisgabe der bisherigen Dperationslinie, fam dieſem 
‚Feinde ebenfo unerwartet wie unerwünſcht; man war auf dem eingeicdhlagenen 
Wege dem öjterreichifchen Heere um zwei Tagesmärjche voraus, und fonnte den 
gewaltigen Troß, das Belagerungsgeihüs, an 2000 Kranke und Berwundete, 
einen Fuhrpark von mehr als 4000 Wagen, ohne ernite Störung abführen. 
Außerdem blieb der Ariegsichauplag auf öfterreihiichem Boden, man zebrte aus 
den vom Feinde aufgehäuften Vorräten. 

Am 11. Juli war Königgräb erreicht, die öfterreichiiche Beſatzung wurde 
Ichnell verjagt. Die hemmende Wagenburg fonnte jegt nah Glatz zurüdgeichidt 
werden. Ihre Abfahrt auf der Nachoder Straße zu deden, jtellte fi der König 
mit einem Beobadhtungstrupp bei Opotſchno auf; das Hauptheer lagerte am 
Zufammenfluß der Elbe und des Adlers. 

Hier bei Königgräg erhielt Friedrich zwei wichtige Nachrichten. Bon dem 
Herzog Ferdinand eine Siegespoft: die nah ihrer großen Netirade allmählich 
wieder zu Atem gekommenen Franzofen unter Clermont, aus Berjailles zur 


176 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt 


Offenſive gedrängt, waren am 23. Juni bei Krefeld geſchlagen und auf Neuß 
und Köln zurückgeworfen worden. Um ſo unwillkommenere Kunde kam von der 
Oder: ein ruſſiſcher Heerhaufen hatte die pommerſchen und neumärkiſchen 
Grenzen, ein anderer bei Guhrau das ſchleſiſche Gebiet heimgeſucht, und nun 
zogen die Ruſſen ihre ganze Streitmacht bei Poſen zuſammen. Wohin ſie ſich 
wenden würden, blieb ungewiß. 

Noch glaubte der König, ſie dem Grafen Dohna überlaſſen zu dürfen, 
der Mitte Juni die Kantonnementsquartiere vor Stralſund geräumt und ſich an 
die Oder nah Schwedt gezogen hatte. Friedrich begnügte fih damit, ihm zur 
Verftärkung neun Bataillone aus Schleſien zu ſchicken, die während des mähriſchen 
Feldzuges dort bei Yandeshut die Gebirgspäfle beobachtet hatten, dazu zwei 
Regimenter Küraffiere aus Sachſen. Zugleih erhielt Dohna den Befehl, den 
Feinden, falls fie nah Frankfurt oder Kroffen fämen, „auf den Hals zu gehen“ 
und dabei fich und feinen Offizieren die Vorftelung aus dem Kopfe zu Schlagen, 
„als ob die Ruſſen in einem inattaquablen Lager ftünden“. 

Die Wahl inattaquabler Stellungen war das Geheimnis und die Stärfe 
nicht der rufliichen, wohl aber der öfterreihiichen Yagerfunft. Gerade jept follte 
Friedrih das von neuem erfahren. Daun war von Olmüg anfangs mit vor: 
fihtiger Langſamkeit gefolgt. Erft am 17. Juli ging er bei Bardubig über die 
Elbe und ichob demnächſt fein Grenadiercorps auf die Höhe von Chlum vor. 
„Run kommt es darauf an,” ſagte Friedrich, „wie man die Sache am beiten 
anftellet, den Feind zur Bataille zu bringen“; er berief fih auf die legten Worte 
des alten Schwerin: „Friſche Eier, gute Eier.”!) Das Gelände war bier 
minder jchwierig, als jonit in Böhmen. Der Gewinn der Schladht fonnte, ab» 
geiehen von dem moraliihen Eindrud auf die im Anmarſch beariffenen Ruffen, 
dem ganzen Feldzuge eine neue Wendung geben, vielleicht jogar dem Prinzen 
Heinrih für die früher ihm als Aufgabe geitellte Unternehmung gegen Prag 
doch noch freie Bahn ſchaffen; der Verluft der Schlacht ſchien feinen weiteren 
Nachteil mit fich zu bringen, als den jegt ohnehin gebotenen Rüdzug nad 
Schlefien. Am 23. Juli marjdierte der König mit feiner Abteilung von 
Opotſchno zu dem Hauptcorps an die Elbe nad Liberſchitz. Alle Vorbereitungen 
zum SFlußübergange waren getroffen. Die Heere ftanden einander fo nabe, daß 
man deutlich die Compagniegaſſen im! öſterreichiſchen Lager unterfcheiden Eonnte. 
Aber Daun ließ Schanzen über Schanzen aufwerten, der Anariff ſchien un— 
thunlihd. So fand auch der Tag von Zittau?) in der Gefchichte dieſes Feld: 
zuges fein Seitenſtück. 

Am 25. Juli traten die Preußen ihren Marih nah Schlefien zunächſt nad 
Stalit, von da auf getrennten Straßen über Politz und über Starkitadt an. 
„Eine ſchreckliche Prüfungszeit für unjere arme Familie und alles, was preußifch 
beißt,“ jchreibt Friedrih während dieſes Nüdzuges an den Prinzen Heinrich; 
„wenn das andauert, muß man jich mit einem Herzen von Stahl mwappnen, 
um zu widerſtehen. Aber troß allem, was in mir vorgeht, mad’ ich gute Miene 


Das Jahr 1758. 177 


zum böfen Spiel und verfuche, joviel an mir ift, Leute, denen man als Heer: 
führer Hoffnung und edles Selbitvertrauen einflößen muß, nicht zu entmutigen.“ 
Am 9. Auguft war das Heer zwifchen Grüffau und Landeshut wieder vereinigt. 

Nicht Daun hatte den König von Preußen, wie vor vierzehn Jahren Feld— 
marſchall Traun mit feiner überlegenen Strategie, ') zur Näumung von Böhmen 
genötigt; Friedrich ging lediglih, wie er an den Oberpräfidenten Schlabrendorff 
ichrieb: „weil fie mir foviel wegen der Ruſſen in die Ohren jchreien.” Drei 
oder vier Schladten bis Ende Auguft, von Heinrih, von Ferdinand und von 
ihm jelber gewonnen, das war es, was er fich jet wünjchte. 

Noh aus Böhmen hatte er dem Grafen Dohna jein Kommen angemelbet. 
Am 10. Auguft übertrug er im Grüſſauer Klofter dem Markgrafen Karl — 
Feldmarſchall Keith juchte in Breslau Heilung für feine angegriffene Gefundheit 
— den Oberbefehl über das zurüdbleibende Heer von 51 Bataillonen und 
75 Schwadronen, mit jehriftlihen Verhaltungsmaßregeln für die verfchiedenen 
Möglichkeiten, jei es, daß der Markgraf bier bei Landeshut angegriffen wurde, 
fei e8, daß Daun durch die Laufig entweder an die Elbe oder an die Oder 
vordrang: in dem einen Falle jollte Karl ihm an die Dueis, in dem anderen 
nad Bunzlau nahrüden. Am Abend des’ 10. Auguſt begab ſich der König nad 
Zandeshut; in der Nacht trat er mit 14 Bataillonen und 38 Schwabronen den 
Mari an. 

In der Annahme, daß das Ziel der ruffiihen Bewegungen die Laufig 
und ihr Zwed die Vereinigung mit den Defterreichern ſei, beabfichtigte der 
König, zwiſchen Grüneberg und Zülihau über die Oder zu gehen und auf 
jenem Ufer entweder fi mit Fermor zu jchlagen oder ihm, wenn er über bie 
Warthe zurüdwih, das große Pojener Magazin und damit die Möglichkeit zu 
weiterem Vorgehen zu nehmen. Da erhielt er am 16. hinter Grüneberg, zu 
Deutſch-Wartenberg, die Nachricht, daß Fermor fih nad Küftrin gewandt hatte. 
Dur eine Beſchießung, bei der faft jede Kugel zündete, waren die Stabt, das 
Zeughaus, die Magazine in Ajche gelegt, die Feſtungswerke hatten feinen Schaben 
gelitten, der Verluſt des Plages war nicht zu befürdten. Was den König be- 
unrubigte, war, daß die Rufen in Uebermacht dort über den Fluß famen und 
das Dohna’ihe Corps erdrüdten. Für den Fall einer Niederlage wurde Dohna 
beauftragt, fich bei Frankfurt, wenn es irgend ging, bis zur Ankunft des Ent: 
jages zu halten. Stromabwärts ſetzte jegt der König feinen Eilmarſch fort. 
Aber die Rufen blieben auf dem andern Ufer, Fermor bei Küftrin, ein ab: 
gezweigtes Corps unter Rumjanzow bei Schwedt. Am 21. in ber Frühe ritt 
der König mit einer Schwadron Zieten-Huſaren in Dohnas Lager bei Gorgaft 
ein, tags darauf vollzog fi die Vereinigung ber beiden Heerförper. „Ihre 
Leute,” Toll der König zu Dohna gejagt haben, „haben fich außerordentlich ge: 
pußt; die ich mitbringe, jehen aus wie die Grasteufel, aber fie beißen.” Binnen 
zwölf Tagen, in zehn Märſchen, hatten diefe Braven 33 Meilen zurüdgelegt, 
bei erdrüdender Hitze, und die legten Tage durch den tiefen Sand; aber die 
Stimmung der Truppen war vortrefflich geblieben. 





1) 3b ], 235. 236. 
Avier, Hönig Arriebrih der Grohe. TI. 2. Auf, 1? 


178 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt. 


Noch am Abend des 22., von zehn Uhr ab, ward weitermarſchiert bis zu 
ber Stelle, wo gegenüber von Güftebiefe das neu ausgegrabene Flußbett fich 
von der alten Oder trennt. „Meine Devife ift fiegen oder jterben,” hatte Friedrich 
noch aus Sclefien an Dohna geichrieben, zur Nachachtung für die Offiziere alle; 
„und wer nicht ebenfo denkt, joll nicht über die Oder gehen, jondern fi zu 
allen Teufeln fcheren.“ Am Morgen, während die Brüde geichlagen wurde, 
ließ fi der König mit der Infanterie der Vorhut und einer Schwadron Bieten: 
bufaren in großen Kähnen überjegen. Ein Umritt ergab, daß fein Koſak zu 
jehen war. Als der König auf einer Anhöhe halten blieb, um dem Uebergang 
zuzufchauen, drängten fi die Bauern mit Weib und Kind in hellen Haufen 
ichier ungeftüm heran, denn jeder hätte dem „Vater und Befreier” den Rod: 
zipfel füllen mögen. 

Die Preußen lagerten ſich zwilchen Kloſſow und Zellin. Der Uebergana 
war inmitten zweier ruſſiſchen Heere völlig ungehindert von ftatten geaangen. 
Der König beglückwünſchte fih, die großen Detadhements von dem Hauptheere 
abgeihnitten zu haben, und nahm an, daß er Fermor erft bei Yandsberg, fünf 
bis jehs Meilen von Kültrin, zum Stehen bringen werde. 

Der ruſſiſche Feldherr hätte durch einen Marich nad Landsberg die Mög: 
lichfeit gewonnen, fi mit der Divifion Rumjanzow zu vereinigen; aber es 
fcheint, daß er fürdhtete, während des Marjches von den mit „unerhörter” Ge: 
jhmwindigfeit vorrüdenden Preußen zur Schlacht geitellt zu werden. Die Auf: 
regung im ruffiichen Lager war groß. Fermor hatte zum mindeiten fi an: 
heiſchig gemacht, den Gegner nicht ohne empfindliche Verlufte über den Fluß 
fommen zu laffen; er hatte bis zulegt den Uebergang nur entweder bei Küftrin 
oder bei Schwedt erwartet. Er felbit und jeine Stellung im Heere wurden 
immer unficherer, nad diefem unleugbaren Nechenfebler und unter dem lähmenden 
Drud der unmittelbaren Nähe des großen Schladhtenhelden. Viel Vorficht und 
wenig Entihluß waren die Eigenichaften, die diejen ruſſiſchen Feldherrn kenn— 
zeichneten. Er jcielte nur immer nach Petersburg und fühlte ich erit wohl, 
wenn er fih blind den von dort erteilten dedenden Vorjchriften unterwerfen 
fonnte, Bom Hofe ermwartete er jein Heil; dem Heere war er, der Deutſche, 
der noch unbemwährte General, der fünf Vordbermännern, darunter vier National: 
rufen, vorgezogen war, mißliebig, ja als Führer gegen den deutichen Gegner 
verdächtig: feine Krähe hadt der anderen die Augen aus, ſagten die Soldaten 
ſehr anzüglid. 

Fermor bielt es für das geratenfte, nach Aufhebung der Belagerung 
unverzüglich eine möglichit gededte Stellung aufzufuchen. Früh am 24. Auguſt 
marjchierte er in dem Ed zwiſchen Oder, Warthe und Miegel durch den Küftriner 
Forit und wählte ein Lager zwilchen Onartfchen und Sicher, mit der front nach 
der jumpfinen Niederung der Miegel — nicht die ihm von dem öfterreichiichen 
Militärbevollmächtigten empfohlene Stellung an der Straße nad) Yandsberg, auf 
den mehr jüdlid nad) der Warthe zu aelegenen Höhen von Groß-Kammin; nur 
den Troß ſchickte er dorthin voraus. Offenbar wollte er den Uebergang über 
die Miegel, das einzige Terrainhindernis zwifchen den beiden Heeren, den Preußen 
nicht freigeben. Die Brüden über den feinen Fluß wurden abgeworfen. Nach: 


Das Jahr 1758. 179 


mittags ftieß das aus Landsberg herbeigerufene Beobahtungscorps unter Browne 
zu der Hauptmadht. 

Das Ruſſenheer lagerte in einem langen, unregelmäßigen Karree, mit den 
Kochkeſſeln, der Feldfanzlei und der Kriegsfafle in der Mitte. In diefer Stellung 
erblidten es die Preußen am Abend des 24. Auguft, als fie, nachmittags aus 
dem Lager von Zellin aufgebroden, äußerſt ermüdet an die Miegel famen. Der 
König ftieg in der Dammmühle ab, eine flarfe Meile oberhalb von Quartichen, 
am Rande des Waldes von Maſſin. Hier verjammelte er jeine Generale und 
eröffnete ihnen feine Abfiht, morgen nad) jeinem Mari durd den Wald die 
rujfiihe Stellung in ihrer rechten Alanfe zu umgehen. Auch der britifche Ge: 
fandte fand ji ein und bat, der Schlacht beimohnen zu dürfen, und Friedrid) 
ſcherzte: „Sie fönnten getötet werden, und das würde Herrn Pitt Vergnügen 
maden;') aber wer foll dann die Siegesbotichaft melden?” Mitchell antwortete: 
„Der Sieg wird für fich jelbit jprehen, und es bleiben genug brave Leute, die 
entzücdt jein werden, ftatt meiner um Euere Majeftät fein zu dürfen.” Der 
König ſchien ihm feiner Sade völlig fiher, „in high spirits“. Zu feinem Vor: 
leſer Eatt, der ihn erft um elf Uhr verlieh, ſagte Friedrich: „Finden Sie mid 
nicht ruhig? Ein jchredliher Tag, ſolch ein Schlachttag. Ich babe meine An: 
ftalten jo getroffen, daß ich nicht viel Leute verlieren werde, und daß der Feind 
fortgejagt werden wird; aber vielleiht werden Sie es jehen: ein Nichts wird 
alles verändern und wird dem Führer in Rechnung ftellen, was fein Fehler 
nicht iſt.“ 

Ueber Naht wurden Brücken geichlagen, noch vor Tagesanbruch begann 
man den Marſch durch den Wald, treffenweiſe, die Infanterie von der Mühle 
aus in zwei Kolonnen, die Kavallerie, dreiviertel Meilen Hußaufwärts auf der 
Keritenbrüde übergejegt, in einer Kolonne. Beim Austritt aus dem Walde bei 
Batzlow wurde die Avantgarde als vierte Kolonne dem eriten Infanterietreffen 
vorgelegt und jo der Mari, parallel der umgangenen Stellung des Feindes, 
in der Richtung auf Zorndorf noch fortgeiegt. 

Die wellige Fläche, auf der jet die beiden Heere fich gegenüberftanden, eine 
große Lichtung zwifchen der Maſſiner Heide und dem Küſtriner Wald, fällt von 
den Höhen bei Groß: und Klein-Kammin, Wilkersdorf und Zorndorf nad Süden 
zur Warthe, nach Nordweften allmählicher gegen Zicher, Darrmietel und Quartſchen 
und zu dem Wald: und Sumpfgebiet der Miegel ab. Sie wird in vier Quer— 
itreifen zerjchnitten durch drei in das Mietzelbruch ablaufende Waſſerrinnen, 15 bis 
20 Fuß tiefe Senfungen mit jumpfiger Sohle und teilweiſe jehr fteilen Rändern. 
Der öftlichite, der gegabelte Doppelarund, weſtlich des langgeitredten Dorfes 
Zicher, wird nach Darrmiegel zu fortgelegt durch das breite, damals mit dichtem 
Geftrüpp bewachſene und ganz unwegſame Hofebruch. Weiter weitlich liegen, in 
der Richtung von Zorndorf auf das Vorwerk Uuartichen, in deiien tiefer Nie: 
derung fie fich vereinigen, der Galgenarumd und in einigem Abitand von dem 
Saum des Küftriner Waldes der Zabergrund, zu beiden Seiten des heute Fried— 
rihsberg gebeißenen Fuchsberges, der höchſten Erhebung des ganzen Geländes. 


') Bgl. oben ©. 164. 


180 Sechſtes Bud. Vierter Abjchnitt. 


Das ruſſiſche Heer ftand quer über dem Galgengrund, mit dem einen 
Flügel an der Lehne des Yabergrundes, auf den Fuchsberg geftügt, mit dem 
anderen noch über den Doppelgrund ausgreifend. Wie wenig Fermor die Um: 
gehung dur die Maffiner Heide vorausgejehen hatte, beweiſt die Sorglofigkeit, 
mit ber er, wie erwähnt, feinen Wagenpark gerade in diefer Richtung hatte 
voranfahren lafjen. Den Preußen das Debouchieren aus dem dichten und teils 
weiſe moraftigen Walde zu erfchweren oder gar ihren Spiten eine fertige Schladt: 
linie entgegenzumwerfen, wie König Friedrich es als richtig betrachtet hätte, daran 
wagte ber ruffifche Feldherr nicht zu denken. Er begnügte fih, durch Bewegungen 
auf der Stelle, mittelft Contremariches der Regimenter, das zweite Treffen zum 
eriten und ben rechten Flügel zum linfen zu machen und zugleich aus der bis- 
herigen Karreebildung eine regelrehte Schlachtordnung herzuftellen, mit der Front 
gegen Wilkersdorf und Zorndorf, in zwei Treffen: zwiſchen beiden die im ruſſi— 
ſchen Heere üblihen Regimentörejerven, beftimmt, Flüchtlinge aus dem eriten 
Treffen niederzuftoßen. Die Enden der Flügel wurden zurüdgebogen, um den 
Abſtand zwifchen den Treffen zu deden. Hinter den Infanterietreffen erhielt die 
Reiterei, in einem Treffen gegliedert, ihren Plag, fo daß im ganzen vier Linien 
fih ergaben. Die Artillerie fuhr vor der front auf. 

Sobald die Spigen der preußiihen Marjchjäulen in der Höhe von Zorn: 
dorf den nunmehrigen rechten Flügel des Feindes überragten, ließ der König 
aufmarſchieren. Der Angriff follte vor fich gehen wie bei Leuthen, unter Zu: 
rüdhaltung des rechten Flügels, nur durch den um die Avantgarde von acht Ba: 
taillonen zu brei Treffen verftärkten linfen, deſſen Bataillone wieder in ftaffel- 
förmigen Abftänden, je zwei und zwei, in die Angriffslinie einzurüden hatten. 
Die Reiterei follte erft einbauen, wenn der Feind wid. 25 Schwadronen 
Dragoner und 3 Kürajlierregimenter itanden als Reſerve hinter dem Angriffe: 
flügel, 31 Schwadronen ftellten fih ihm zur Seite jenjeits des Zabergrundes am 
Waldrande auf. Nur 12 dedten anfänglich bei Wilfersdorf die rechte Flanke, 
fie mußten bald durch die 3 Küraffierregimenter der Neferve veritärft werden. 

Zur Vorbereitung des Angriffs begleiteten das Vortreffen zur Linken und zur 
Rechten zwei Batterien von 20 und von 40 ſchweren Geſchützen, mit der Doppel: 
aufgabe, den Rufjen die „Contenance* zu rauben und ihre Artillerie zu demon— 
tieren, Eben duch dieſe Veranitaltung dachte der König, wie er geitern abend 
gejagt hatte, jeinem Heere ſchwereren Verluft zu erjparen. Er verhehlte ſich 
nicht, daß feit der Schladht von Breslau jeine Leute Kanonenfurdt hatten; aber 
bei Leuthen hatten jeine jchweren Stüde die des Gegners übertrumpft, und 
beute jollte desgleihen geſchehen. 

Das ſchwere Geſchütz trug auf 5400 Schritt; auf 300 wurden Kartätjchen: 
ladungen abgegeben. Nach zweiftündiger Kanonade, die eine wenig wirkſame 
Ermwiderung fand, war gegen elf Uhr der rechte rujfiiche Flügel erichüttert, aber 
nicht gebroden. Als die preußiiche Infanterie endlich zum Angriff jchritt, ſtieß 
fie noch auf unerwartet hartnädigen Widerftand. Und nun wiederholte fich einer 
ber Fehler von Kolin. Der linfe Flügel fam neben die Avantgarde zu jtehen, 
ftatt zu ihrer Unterftügung hinter ihr zu bleiben — wie e& heißt, weil General 
Kanig Fühlung mit der refufierten Rechten behalten wollte. So entbehrte das 


Das Jahr 1758. 181 


Vortreffen des Nüdhalts, als feine dem zurüdweichenden Feinde allzu ftürmifch 
folgenden Bataillone fih plöglih von Kavallerie angegriffen und zur Umkehr 
genötigt jahen. Das Beijpiel wirkte verhängnisvoll: in einer bei den Preußen 
bisher unerhörten Panik wandte fih die ganze nfanterielinie des Angriffe: 
flügels zur Flucht nad Zorndorf und Wilkersdorf; die Schredhafteiten liefen 
bis in den Wald zurüd, aus dem man am Morgen hervorgefommen war. Bon 
den Kanonen gingen 26 verloren, auch einige Fahnen wurden die Beute der 
Rufen. 

Damit wurde der Reiterei eine andere Aufgabe geitellt, als ihr in der 
Dispofition zugedaht war. Mori von Deſſau warf fi mit den Dragonern 
der Rejerve den verfolgenden Reitern entgegen, und jchon waren auch die jenfeits 
des Zabergrundes aufmaridierten Regimenter herüber und am Plag: in drei 
Kolonnen brach Seydlig mit jeinem Küraffierregiment und den Huſaren von 
Bieten und Malachowski von vorn in das ruſſiſche Fußvolf, während gleichzeitig 
die Gendarmen und Gardes du Corps in der Flanke angriffen. Bald ſchwärmte 
der ganze rechte Flügel des FFeindes umber „wie die Bienen“ ; zwei Waffen hatte 
er widerjtanden, der dritten erlag er. Erft der Galgengrund jegte dem preußi— 
ihen Reiterangriff ein Ziel. 

Die Shlaht war zum Stehen gebradt, aber nicht gewonnen. Die größere 
Hälfte des preußiihen Fußvolfes war vom Schladhtfelde verdrängt, die Haupt: 
maſſe des rujfiihen Heeres nod unberührt; fie ſchickte eben fih an, zum Angriff 
überzugehen. 

Der König fonnte mithin nit etwa daran denken, die Schlacht abzu— 
breden. Vielmehr mußte er jet wohl oder übel den ganzen Reft feiner Truppen 
in die Entiheidung einjegen, entgegen jeinem Grundſatz, ftets den einen Flügel 
in Rejerve zu behalten, zur Dedung des Rückzugs, wenn der andere geichlagen war. 

So mag jehwere Sorge ihn erfült haben, als er gegen ein Uhr zu dem 
bisher zurüdgehaltenen rechten Flügel fam. Bor der Front empfing ihn ber 
ſchon vorausgeeilte Deflauer mit Hutſchwenken und Siegesgejchrei, die Truppen 
ftimmten ein und der engliſche Gejandte glaubte darauf feine Glückwünſche an— 
bringen zu dürfen. Der König nahnı fie artig entgegen, er zeigte völlige Ruhe, 
aber als jie weiter ritten, flüfterte er Mitchell zu: „Mein Freund, die Saden 
ftehen ſchlecht ſauf der Linken, ich werde Ordnung ſchaffen, aber folgen Sie 
mir nicht.” 

Um den Rufjen eine einigermaßen ausgedehnte Front zu bieten, mußten 
die Bataillone des zweiten Treffens mit in das erite treten: ein Flügel in 
einem Treffen, jo völlig mußte jett alles auf eine Karte gejegt werden. Erjt 
allmählich jammelte fih das geflohene Fußvolk des linken Flügels und ſchloß 
fih wieder an — diesmal, wie es jcheint, auf der Nechten, am langen Grund. 
Die ganze Linie jchwenfte während des folgenden Angriffs immer mehr linke, 
jo daß die Front die anfängliche Aufftelung Ichließlich freuzte und in der Längs— 
richtung jener großen Bodeneinſchnitte hinlief. 

Voran fuhren wieder zwei jchwere Batterien, die eine linfs, die andere 
rehts vom langen Grunde. Auf die linfe und auf die beiden fie flanfierenden 
Bataillone ftürzte ſich der Angriff der Küraffiere des Generals Demikow, das 


182 Sechſtes Bud. Pierter Abſchnitt 


Fußvolf wurde über den Haufen geritten, erit ein drittes Bataillon erwehrte ſich 
durch fein Feuer des Ueberfalls; dann kamen Dragoner und Kürajliere vom 
linten Flügel, die Sieger von vorhin, und leuchteten den ftürmifchen Angreifern 
heim. Ein ähnliher Vorgang fpielte fi bei der anderen Batterie ab; bier 
erihienen als Netter Schwadronen vom rechten Flügel, Normann:Dragoner, 
Breußen:Küraffiere und SKarabiniere, und trieben die Koſaken, Hujaren und 
Dragoner in den Moraſt bei Zicher. 

Schon war auch die nfanferie aneinander gefommen. Wie am Vormittag 
beſchränkten ſich die Nuffen nit auf die Abwehr, wiederholt drangen fie mit 
dem Bajonett auf die Preußen ein, und dem entſchloſſenen Angriff fehlte Die 
Wirfung nicht. Wader hielten fih die neun Bataillone, die der König aus 
Schlefien mitgebracht hatte, die vier märfifhen Regimenter Forcade, Afleburg, 
Prinz von Preußen und Kalditein und das Grenadierbataillon Wedell; der 
König, der in einem der bedenklichiten Augenblide mit eigener Hand eine Fahne 
ergriff und vorantrug, hat ihnen reiches Yob gejpendet. Aber die Truppenteile, 
die ſchon vorhin ihre Schuldigkeit nicht getban hatten, wandten fih von neuem 
zur Flucht: die DOftpreußen, aber auch die nad ihren furdtbaren PVerluften von 
Kolin nicht wieder zu ihrer alten Treftlichfeit gelangten pommerihen Regi— 
menter Bevern und Fürſt Moritz. Damit trat die Wendung ein, von welder 
der König nachher ſagte, daß fie das Heer einer völligen Niederlage nahe ge: 
bradt habe. Eine Kataftrophe wie bei Kolin wäre hereingebroden, hätte nicht 
heute die Reiterei, jo oft fie nur gebraudt und befohlen wurde, fich jedesmal 
gleich glänzend bewährt: faſt jedes Kavallerieregiment durfte fih rühmen, in 
das ruffiiche Fußvolk eingehauen zu haben. Die beiden litauifchen Dragoner: 
tegimenter Plettenberg und PBlaten zogen ſich durh das Fußvolk hindurch und 
bemmten die Verfolgung, bis größere Neitermaffen, von Seyblig geführt, zur 
Stelle waren. 

Und jest erſt erreichten die Greuel diejes blutigen Tages ihre Höhe. Das 
ftundenlange Hin: und Hermogen des Nachmittagsfampfes hatte das Gefüge der 
bisher jo ungeftümen Rufen gelodert, unter den Klingen der preußiihen Reiter 
janfen fie in ganzen Schwaden dahin, ihr linfer Flügel wurde zerrifien, nidht 
anders als am Morgen der rechte. Das Auffliegen der Pulverwagen vermehrte 
die Verwirrung und den Schreden. Die Hartnädigften flammerten fih in der 
allgemeinen Auflöjung an die Geihüse und ließen fih in Stüde hauen; viele 
gerieten in die Sümpfe des Hofebruches; viele, darunter mehrere Generale, 
Hücdhteten dur die Wälder oder fetten dur das Wafler der Miegel, fo mit 
Verluſt mehrerer Pferde der öfterreichiiche Feldzeugmeilter St. Andre und der 
jähfifhe Prinz Karl. Andere, die nicht entrinnen fonnten, fielen über die eigene 
Bagage und die Branntweinfäffer ber, und die Truntenheit löſte die legten 
Bande der Unterordnung. „Sie betrugen ſich wie die Raſenden,“ bezeugt ein 
Zufhauer, der Schwede Armfelt; „Freund und Feind war ihnen gleih, fie 
ihoffen auf jeden, der ihnen entgegenfam.” 

Die Preußen waren jest von Wilfersdorf und über den langen Grund dem 
Galgengrunde ganz nahe gekommen, wie am Vormittag auf der weitlichen Seite 
von Zorndorf und über den Zabergrund ber. Den letten Widerftand leifteten 


Das Jahr 1758. 183 


in dem Gehölz bei Quartſchen, noch in leibliher Ordnung, einige Regimenter des 
feindlihen Zentrums. Brandenburgiiche und Ichlefiihe Bataillone ſchickten ſich 
zum Angriff an. Wiederholt zurüdgewiejen, drangen fie endlih in den Buſch 
ein; dann aber ftodte die Bewegung von neuem: jtatt den Erfolg auszunugen, 
hielten fih die Leute, auch fie jegt außer Rand und Band, mit dem Plündern 
der rujliichen Kriegskaſſe auf. Und nicht bloß mit der Mannszuht, auch mit 
der Munition war es zu Ende bei den wenigen zujammengeichnolzenen Ba: 
taillonen, die jo weit vorgeftoßen waren. Die Neiterei aber war nad) ihren 
ebenjo glänzenden wie aufreibenden Xeiltungen zum größten Teil davongeritten 
und deckte da und dort das maflenhaft eroberte Geihüg gegen die herumſchwär— 
menden Koſaken und Kalmüden: noch in jpäter Stunde waren bei Groß:Kammin 
an 2000 friſche Koſaken angelangt. 

Alſo blieb die legte Stellung der Rufen unbezwungen. Die Preußen 
jtellten den Kampf ein und gingen — ſchon war die Naht eingebrochen — bis 
an den Doppelgrund zurüd; die Kavallerie lagerte auf dem linken Flügel ; hinter 
diefem Grunde jammelten jih bei Zicher die Trümmer der geflüchteten Regi— 
menter. Won zwei Uhr früh bis zum Einbruch der Nacht hatten die Truppen 
an dem glühend heißen Augufttage feinen Augenblid Ruhe gehabt. „Ein Glüd 
für uns,“ meinte nachher der engliſche Gefandte, „daß die Ruſſen unjeren Zu: 
ftand, die Auflöjung unjerer Infanterie, unſeren Munitionsmangel nicht kannten; 
hätten fie uns in der Naht oder am Morgen angegriffen, fie würden ein jehr 
leichtes Spiel gehabt haben.“ 

Nichts lag der ruffischen Heeresleitung ferner. Auch Fermor nahm, als 
der preußiiche Angriff aufhörte, jeine Truppen zurüd und lagerte fie hinter dem 
Galgengrunde, ja zum guten Teil hinter dem Zabergrunde. Das ruffiihe Heer 
war durd den Gang der Nahmittagsichlacht auf den am Morgen von ihm ein: 
gebüßten mweitlihen Abjchnitt des Schlachtfeldes zurüdgeichoben worden; die ent— 
gegengelegte „Ede“ beherrihten die Preußen; das Mittelfeld gehörte den Toten — 
fo ichrieb einfach und ergreifend unter dem friihen Eindrud eines grauenvollen 
Bildes der englijche Gejandte. Minder ftimmungsvoll, aber gleichfalls treffend 
war der demnächſt von einem Mitglied des Wiener diplomatifchen Corps an— 
geitellte Vergleih der Zorndorfer Schlacht mit einer ftarfen Obrfeige, „da fi 
einer rund umdrehet, aber ſtehen bleibet“. 

Am Morgen des 26. Auguft ließ der König von Preußen jeine über Nacht 
gejammelten Regimenter in Schlachtordnung antreten und von neuem in der 
Rihtung auf den Galgengrund und Zorndorf vorgehen. Die Ruſſen, gleichfalls 
neu geordnet, rüdten ihm entgegen, eine Linie mit zurüdgebogenen Flügeln; es 
ſchien zur Fortjegung des Kampfes kommen zu jollen. Auf einem Erfundungs: 
ritt geriet der König unverjehens unter die Geſchoſſe einer bis zum legten Augen: 
blick durch Kavallerie verhüllten Batterie. Der Artilleriefampf wurde dann 
allgemein, bis gegen Mittag die Ruſſen wieder hinter den Zabergrund gingen. 

Nunmehr mochten ſich die Preußen als Herren des Schlachtfeldes bezeichnen: 
ein noch vom 25. datierter Antrag des ruſſiſchen Feldherrn auf zwei: bis drei: 
tägige Waffenruhe, damit man die Toten begraben und die VBerwundeten warten 
fönne, wurde vom General Dohna mit der Erklärung abgelehnt, daß jein könig— 


154 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt. 


liher Herr das Schlachtfeld inne habe und deshalb auh für die Toten und 
Berwundeten beider Parteien Sorge tragen werde. Zu einem legten entjcheidenden 
Vorftoß gegen das ruſſiſche Heer und feine noch zahlreihe Artillerie fehlte es 
vor allem an Munition. Sobald man den Bedarf ergänzt haben werde, jchrieb 
aus dem Hauptquartier der Kabinettsjefretär Cöper an den Miniſter Finden: 
ftein, werde es zu einer neuen Schlacht fommen. 

Der eigene Berluft ftellte fich als viel ftärker heraus, als man unmittelbar 
nad der Schlacht angenommen hatte. Bon der Gejamtzahl von 36000 Strei- 
tern gingen nicht weniger als 11337 ab, darunter über 3500 Tote und über 
1400 Bermißte. Bon allen Gefallenen betrauerte der König feinen jchmerz: 
licher, als jeinen Flügeladjutanten Oppen, dejien Leiche erit am dritten Tage 
mit mehr als 40 Wunden auf dem Scladtfelde aufgefunden wurde. „Ich 
hatte ihn erzogen, er hatte ſich ganz an mich angeſchloſſen,“ klagt Friedrich jeiner 
Baireuther Schweiter, „id vermag mich nicht zu tröften, fo bin ich nun.” 

Ohne die Reiterei, das ſprach der König offen und wiederholt aus, wäre 
die Schlacht verloren geweſen; diefe Waffe babe fait alles gethan, den Staat 
gerettet. Ein Augenzeuge hat uns geichildert, wie Friedrich die Reiter, um ihnen zu 
danfen, antreten ließ, den einen umarmte, dem anderen auf die Schulter Eopfte, 
alle lobte. Bon den drei Nittmeiltern der Gardes du Corps wurde Wadenit 
zum Oberftlieutenant, die beiden anderen zu Majors befördert. Das Beite aber 
hatte Seydlitz gethan: ohne den würde es Ichlecht ausgelehen haben, hatte der 
König am Abend der Echladht auf den Glückwunſch des enaliihen Gejandten 
erwidert. Der tolle Page, der am Hofe des Markarafen von Schwedt durch die 
faufenden Flügel der Windmühle geiprengt war, der Trebniger Schwadronscher, mit 
deſſen Namen fich die Erinnerung an fo manden luftigen Qujarenftreich verknüpfte, 
ber Offizier, an dem nichts zu verbeffern war, als der Seydlig vor 13 Jahren 
einem Winterfeldt gegolten — er hatte fich jest zu dem unbeftritten größten 
Neiterführer des preußiichen Heeres entwidelt. Für feine heldenhafte Haltung 
bei Kolin war er mit dem Generalspatent und dem Berdienftfreuge und für 
den Roßbacher Sieg, nur vier Monate jpäter, noch als Generalmajor!) mit dem 
Schwarzen Adlerorden und gleich darauf mit der Beförderung zum Generallieute: 
nant belohnt worden: jet überftrahlte den heiteren Glanz; der „bataille en 
douceur“ ber blutige Glorienihein von Zorndorf. Einen Orfan zu Roß hat 
ihn einer der von ihm befiegten SFranzofen genannt. Nadeinander Küraffier, 
Huſar, Dragoner und wieder Küraſſier, hatte er, wie jein älteiter Biograph ihm 
nahrühmt, die jchwere Neiterei gelehrt, Behendigkeit und Kedheit nicht als 
Vorrecht des Hufarenpeljes zu betradhten; er hatte das deal verwirklicht, das 
dem Könige für die, einft fo fchmerfällige preußiiche Ravallerie vorgejchwebt 
hatte. Seine Untergebenen, Offiziere und Gemeine, vergötterten ihn: „Man 
fagte reiten auf Seydligifch,” erzählt ein Kampfaefährte, „Tein Hut, fein Koller, 
feine Stiefel, feine Hofen wurden nachgemacht,“ die ganze Reiterei „jauchzte ihm 
zu, wenn fie ihn nur ſah,“ und fchaute mit Bewunderung, Verehrung und Nach: 
eiferung auf diefen jüngiten der Generale, der vor dem Feinde abwartende Rube 


) Ral. Bd 1, 509. 


Das Jahr 1758. 185 


und zugreifende Vermwegenheit ebenio glüdlih verband, wie im Garnifonleben 
peinlihen Dienfteifer und überichäumende Lebensluft und im Kreife der Kame— 
raden wortfarge Gemeflenheit und ſchlagenden Wit. Meiſter aller Reiterfünfte 
und Spiegel jeder Reitertrefflichkeit hat Seydlit nad dem gewichtigſten Zeugnis, 
dem zurüdihauenden Endurteil jeines Königs, durch eine Eigenihaft vor allen 
den höchſten Nuhmestitel ih gefichert: durch jene Entſchloſſenheit, welche die 
Gunſt des Augenblids jicher zu ergreifen verſteht. 

Iſt für die preußiiche Reiterei der 25. Auguſt 1758 ein unvergänglicdher 
Ehrentag geworden, jo hatte bei den Rufen vornehmlih das Fußvolk in An: 
griff wie in Abwehr eine glänzende Probe abgelegt. Um jo rühmlicher war 
diejer hartnädige, immer von neuem aufgenommene Wideritand, als thatfächlich 
das ruffiihe Heer bei Zorndorf nur wenig zablreiher als das preußiiche ge: 
weien ift; denn nicht 60000— 70000 Rufen, wie drüben angenommen wurde, 
fondern höchſtens 42000 find auf der Wahlftatt zugegen gewefen. Mehr als 
die Hälfte war außer Kampf geſetzt. Der amtliche Bericht nannte 10886 Tote 
und Bermißte und 12785 Verwundete; doch follen ih nachher an 5000 Ber: 
jprengte wieder eingefunden haben. Da 2400 Mann mit 6 Generalen md 
76 anderen Difizieren in Gefangenjchaft geraten waren, würde die Zahl der 
Toten, die Genauigkeit der Liſten vorausgeiegt, verhältnismäßig Hein, nicht ganz 
jo groß wie bei den Preußen, geweſen jein. Bon der aus 60 Feld: und 
190 Regimentsgeichügen zufammengeiegten Artillerie waren 103 Stüde verloren, 
dazu 24 Fahnen und Standarten. 

Von jeinen Verbindungen abgedrängt, mit der Oder und der Feltung 
Küftrin im Rüden, war das gelichtete ruſſiſche Heer fiherem Verderben aus: 
geſetzt, wenn es Fermor nicht gelang, einen Ausweg aus dieſer Sadgafje zu 
finden. Indem der König von Preußen feine Kavallerie von Wilfersdorf nord: 
wärts nach Zicher zog, gab er den Gegnern die Nüdzugsitraße nah Landsberg 
und zunächſt nach der Wagenburg bei Groß:Kammin frei: wie es fcheint, beab— 
fihtigte er, den Abziehenden in die Flanke zu fallen. Er hat nad Zorndorf 
die umerjchütterliche Zähigfeit des rujfiihen Soldaten rühmend anerkannt, für 
die rujfiiche Heeresleitung aber der verädhtlihen Worte nicht genug finden fönnen. 
Gleihwohl hat Fermor in der Nacht vom 26. auf den 27. Auguft in unmittel: 
barer Nähe des preußifchen Heeres ein ftrategiiches Meifterftüd ausgeführt. 
Dinter dem doppelten Schleier der Dunkelheit und feiner leichten Gefchwader 
gelang es ihm, fein Kriegsvolf unbehbelligt an der preußiihen Stellung vorbei 
auf die Höhen von Groß: und Klein:Kammin zu führen, wo man fich unver: 
züglih binter ſtarken Erdwerken verſchanzte. 

Beim Anmarſch zur Schlacht am Morgen des 25. war König Friedrich, 
entgegen den berrichenden ftrategifhen Anſchauungen, dem großen rujliichen 
Fuhrpark mit ftoljer Verachtung vorbeigegangen, weil das feindliche Heer, das er 
in feine Hand gegeben glaubte, ihm in jenem Augenblide als der wichtigfte, allein 
verlohnende Angriffsgegenftand erſchien. Fett, da der Sieg allzu unvollftändig ge: 
blieben war und er mit einer neuen Schlacht zu viel gewagt haben würde, erinnerte 
er fih der methodijchen Lehre, daß die Schladt nur ein Mittel unter mehreren fei, 
und jo jollte jett der Leberfall auf die nunmehr nad Landsberg abgefahrene 


4 


186 Sechſtes Bud. Bierter Abſchnitt. 


Wagenburg nachgeholt werden. „Das iſt ihr rechtes Magazin,“ jo redhnete 
Friedrich, „auf die Wagens haben fie vier Monat Lebensmittel. Laſſe ich die 
verbrennen, jo muß die Armee Hals über Kopf zurüde laufen und bin ich fie gewiſſe 
08 ... das ift bejjer als eine Bataille.” Nun aber fehrte die Gelegenheit von 
vorhin nicht wieder, die Rufen waren auf der Hut, der Anſchlag fonnte nicht 
ausgeführt werden. 

Die Lage wurde jeden Tag peinliher. Aus der Laufig fam Kunde vom 
Vordringen der Deiterreiher; am Tage von Zorndorf hatten die braven In— 
validen, welche die Bejabung der Kleinen Feſtung Peit bildeten, gegen freien 
Abzug fapituliert. Während die Nullen das Corps von Rumjanzow, 12000 Mann, 
zur Verftärfung beranzogen, mußte das preußiiche Heer ſich ſchwächen: ſechs 
Bataillone und die Zietenbufaren wurden zum Schutze der Kurmarf entiandt. 

Endlich löfte fih die Spannung. Am 31. Auguſt trat Fermor den Nüd: 
zug nad) Landsberg an. Der Flankenmarſch der Preußen zu feiner Verfolgung 
wurde durch Wald und Sumpf gehemmt. Aber daß die Gegner zurüdfommen 
würden, war unmwahricheinlih. jedenfalls war anderwärts die Gefahr jekt 
dringender als hier. Am 2. September zog der König von dannen, mit ihm die 
aufs neue erprobte, auserlefene Gefolgihaft, mit der er vor 14 Tagen an der 
Oder eingetroffen war. Dohna übernahm den Beobahtungsdienft gegen bie 
Ruſſen, der vor diefer männermordenden Schlacht, der großen Wettericheide des 
ganzen Feldzuges, zu ſchwer auf ihm gelaftet haben würde. 


Der ruffiihe Feldherr hatte in den Lager bei Groß-Kammin Biltoria 
ſchießen lajjen. Maria Therefia, durh ihren Vertreter in Fermors Hauptquartier 
über die wahre Sachlage unterrichtet, meinte mit jtillem Spott, die Berichte 
aus Berlin würden die Anzahl der ruſſiſchen Gefangenen und verlorenen 
Kanonen bald ergeben. Sie jah völlig richtig voraus, daß ihr ftets ſchnell ent: 
ſchloſſener Gegner ſich jegt um die Rufen nicht mehr viel fümmere, jondern 
unverzüglich wiederum ihr ſelbſt die Stirn bieten werde. In diefem Endergebnis 
wenigftens war Zorndorf die zweite Auflage von Roßbach. 

Unter Billigung feines Hofes war Daun nad dem Abmarſch des Königs 
von Preußen an die Oder nicht, wie er es urſprünglich beabjichtigt hatte, durch 
die Niederlaufig nakhaerüdt, jondern von Görlitz an die Elbe abgeſchwenkt, um 
in Verbindung mit der Reihsarmee dag Heer des Prinzen Heinrid durd vier: 
fahe Uebermadt, 80000 gegen 20000, zu erprüden. In Wien hatte man 
Dresden und ganz Sadien bereits als fidhere Beute anfehen wollen. Aber 
mit dem Hin: und Herreiten der Kuriere zwiſchen Hauptquartier und Haupt: 
jtabt ging fo viel fojtbare Zeit verloren, daß Daun erit am 2. September ſich 
Meißen näherte, wo er über die Elbe zu gehen gedachte. Wieder verrann Tag 
auf Tag, che mit dem Reichsfeloherrn ein Angriffsplan feitgeitellt war. Endlich 
fam man überein, daß Daun oberhalb Dresden bei Pillnis überjegen und daß 
gleichzeitig die Neichstruppen aus dem Pirnaer Lager zu gemeinfamenm Angriff 
auf die preußiiche Stellung bei Gamich, zwiihen Maren und Gommern, vor: 
brechen würden. Das follte am 11. September geſchehen: da hieß es am 10, 


Das Jahr 1758. 187 


der König nahe, und jofort jtand es für Daun feit, daß er fi in feinem Xager 
bei Stolpen ftreng auf die Verteidigung zu bejchränfen habe. 

„Die große Perüde läßt uns Zeit, aber ſpäter hätten wir doch nicht fommen 
dürfen,” ſchreibt Friedrih auf jeinem Marſch von der Oder zur Elbe am 
5. September aus Lübben. Vier Tage fpäter vereinigte er fih zu Großenhain 
mit dem am 20. Auguft von Landeshut aufgebrodhenen Corps des Markgrafen 
Karl. Am 11. war er in Dresden und beiprad ſich mit dem aus feinem Lager 
‚ in die Stadt gelommenen Prinzen Heinrich. Es war das erfte Wiederjehen 
der Brüder feit den Tagen der Roßbacher Schlacht. „Ich Tage Ahnen taufend 
Dank”, jchreibt Frievrihd nah der Begegnung, „für den angenehmen Tag, den 
Sie mich geitern haben verleben laffen; den Augenblid ausgenommen, wo id 
meine Schweiter Amalie gejehen habe” (die Prinzeſſin hatte den König während 
des Marfches durch die Mark in einem Dorfe bei Beesfow begrüßt), „it mir 
feit ſechs Monaten nichts begegnet, was mir jo viel Vergnügen bereitet hätte.” 

Friedrih war nah der Zufammenziehung feiner Corps jebt bereit und 
entihlojfen zu jchlagen, „vorausgejegt, daß die dicke Ercellenz von Kolin den 
Kragen bergiebt.” Binnen wenigen Tagen, hoffte er, würde es zur Entſchei— 
dungsſchlacht kommen: „Ih fange an zu glauben, daß uns alle vierzehn Tage 
eine Schlacht vonnöten ift, nicht anders als man einen ſchwammigen Körper 
regelmäßig purgiert. Aber, großer Gott, welh Blutvergieken, und noch dazu 
wie foftbar diejes Blut! Meine Schuld ift es nicht; jobald man den Krieg 
anders nicht enden kann, muß man freilih zu ſolchem Mittel greifen.“ 

Die Heere ftanden einander fo nahe, dak man fie von den Höhen an der 
Elbe alle vier zugleich jehen konnte: am rechten Ufer den König und Daun, am 
linfen die Reichsarmee und den Prinzen Heinrih. Aber „Monsieur Leopolde* 
war zu einem Waffengange nit zu bewegen. „Sein Poften bei Stolpen ift 
zu vorteilhaft, als daß ich mir die Naſe daran einftoßen möchte,“ jchreibt Friedrich 
am 14. „Man follte annehmen, daß der Kaukaſus, der Pic von Teneriffa oder 
die Cordilleren die Heimat der öfterreihifchen Generale wären: jobald fie einen 
Berg ſehen, find fie oben; fie find in die Felfen und Schluchten verliebt bis 
zur Narrheit.“ 

So hatte man unfreiwillige Muße. Vierzehn Tage ftand der König unter 
den Augen Dauns im Lager von Schönfeld, anderthalb Meilen von Dresden: 
„Ich beginne mich zu beruhigen,” jchreibt er von bier nah einem Scharmügel 
ber Prinzeffin Amalie; „es ift noch feine geficherte Ruhe, aber ih bin wie das 
Meer nad einem heitigen Sturme: die Wogen find noch in Erregung, obgleich 
die großen Fluten fich gelegt haben. Wir haben hier einen gewiſſen Laudon 
geihlagen, dem Fabius Marimus vor der Nafe, der, um diefen Titel voll zu 
verdienen, ihn bat jchlagen laflen, ohne fi aufzuregen. Eine jchöne Helden: 
that! werden Sie jagen. Was wollen Sie, liebe Schweiter, das ift die Farce 
nah der Tragödie.” 

Körperlihe Beſchwerden, Unterleibsfrämpfe, Augenichmerzen, trugen dazu 
bei, jeine Stimmung herabzudrüden, und wiederum die quäfenden Sorgen ließen 
den Körper ſich nur langſam erholen: „Es iſt ſchwer, wohlauf zu fein, wenn der 
Geiſt ſich unpaß fühlt und fortwährend in Aufregung bleibt.” Dem Bruder 


188 Sechſtes Bud. Vierter Abſchnitt. 


ſchüttet er einmal fein Herz aus: „Wäre es nicht der point d’honneur, ich 
hätte längft gethan, was ich Ahnen vorig Jahr oft gefagt habe.) Nun, Hiob 
und ich find verpflichtet, Geduld zu üben; dermweil verjtreicht das Leben, und 
alles betrachtet und erwogen, ift es nichts als Not, Mühfeligfeit, Sorge und 
Trübjal geweſen. Verlohnte es die Mühe geboren zu jein? Ih will Ihre 
Phantafie nicht no trüber maden; ich glaube, fie ift traurig genug, auch ohne 
daß mein Kummer mit dem Ihren fich zufammenthut und ihn vergrößert.“ 


Am 26. September verließ er das Schönfelder Yager und marfjdierte nah _ 


Bilhofswerda und demnächſt nah Bauten, un die Verbindung mit Böhmen 
über Zittau, dem Worratsplag der Defterreicher, zu jperren und dadurch Daun 
zum Schlagen oder zur Näumung von Sachſen zu nötigen. Der Mari hatte 
injoweit die beabfichtigte Wirkung, ald Daun am 5. Oftober das Yager von 
Stolpen aufhob. Aber es gelang ihm, durch eine Parallelbewegung über Neu: 
ftadt und Scirgiswalde, fih am 7. in dem durchſchnittenen Höhenland zwiſchen 
der Bergfette von Hodlirh und dem Löbauer Waſſer den Preußen vorzulegen, 
da ihre Vorhut unter General Nekow verfäumt hatte, die das ganze Plateau 
beherrihende Beraipige, den Stromberg bei Weißenberg, zu bejegen. Friedrich 
hatte gehofft, die Deiterreiher Ihon bei Neuftadt nah Böhmen übergehen zu 
jehen, und nahm jest an, daß fie bei Zittau austreten wollten. Wider Er: 
warten traf er fie, als er am 10. mit dem Heere bei Hodfirh anlangte, noch 
in ihrem Lager am Stromberg. Sein erfter Gedanke war, fie hier anzugreifen; 
tags darauf erwies ſich bei näherem Zuſehen ihre Stellung wieder als zu vor: 
teilhaft. So bejchloß er, durch eine Umgehung in der rechten Flanke fich zwiſchen 
den Feind und Görlig zu ſchieben, um eine Thür nad Schlefien offen zu haben, 
wo das Corps des Generals Hari foeben Neiße zu berennen begann. Aus 
Berpflegungsrüdiichten wurde der Marjch erjt auf den 13., dann auf die Nacht 
zum 15. ausgelegt. Um die Richtung der beabjichtigten Bewegung nicht zu ver: 
raten, und nicht aus irgend einer bizarren Zaune, ließ der König das Heer 
derweil im Xager von Hodfird). 

Das Lager wurde in der Front und in den Flanken gebedt durch zwei 
jteil und tief zu Sumpf und Bad abfallende Thäler, der rechte Flügel auf den 
Höhen von Hochkirch, Pommrig und Rodewig durch den Grund von Niethen, 
der in der Richtung auf Weißenberg ausbiegende linfe dur den Tſchornaer 
Grund. Die Stellung litt an drei Gebredhen: fie war in fi nidht zuſammen— 
bängend, da die Fortſetzung des Niethener Thales den linken Flügel vom rechten 
abſchnitt; ſie konnte aus dem feindlihen Lager eingejehen werden; fie wurde 
in der rechten Flanke umfaßt dur das Hochkirchner Waldgebirge, in welchem fich 
der unternehmende Yaudon mit feinen leichten Völkern eingeniftet hatte. So 
bildeten die Preußen, wie Feldmarſchall Keith warnend bemerkte, die Sehne, 
die Defterreicher den Bogen. „Laſſen fie uns hier in Nube, jo verdienten fie ge— 
hängt zu werden,” joll er zum Könige gejagt haben, und die Antwort wäre ge— 
weſen: „Wir müjlen hoffen, daß fie fih mehr vor uns, als vor dem Galgen 
fürdten.“ Der bedächtige Eichel war jchon feit langem in Sorge, dab die Deiter: 





) Bgl. oben ©. 124. 


u. ——— 


Das Jahr 1758. 189 


reicher einmal die berausfordernde Gleichgültigfeit, mit der man fie behandelte, 
beitrafen würden: „Man muß es in der That der göttlichen Vorſicht zufchreiben, 
wenn man fiehet, was dergleichen Leute des Königs Majeltät und Dero Affaires 
zuweilen vor vieles Böſe ohne Risque noch ſonſtige Umſtände hätten zufügen 
fönnen, wenn fie nicht ganz geblendet gewejen wären.” 

Daun hatte aus Wien nur den Auftrag, Görlis und dadurch mittelbar 
die Belagerung von Neiße zu deden. Aber, von fühneren Geiftern, einem Lacy 
und einem Laudon, beraten, entſchloß er fich zu einer großen That, als er fich 
überzeugt hatte, daß ſich der preußiſche rechte ‚Flügel „umgeben und von binten 
nehmen” ließ. Der Ueberfall im Rüden, von Steindörfel ber, wurde Laudons 
Aufgabe; gleichzeitig, eine halbe Stunde vor Tag, ſollten drei Kolonnen, bei 
Naht durd die Wälder herangeführt, Hochkirch im Sturm nehmen; ein dritter 
Angriff hatte fih gegen die preußiiche Linke zu richten, aber erft wenn Hochkirch 
übermältigt fein würde; ein vierter gegen das Corps von Retzow bei Weißenberg. 

Der fünfte Glodenidhlag vom Turm der Dorffirde gab für den Kampf 
bei Hodhfirh das Signal. Der erfte Anprall nad lleberwältigung der Feld— 
wachen galt den beiden Freibataillonen im Birkenbuſch unterhalb des Dorfes und 
drei Ichnell zufammengetretenen Grenadierbataillonen. Enticheidend aber wurde, 
daß Laudon mit überlegener Macht fi bei der Schlofjerfchenfe die Straße von 
Steindörfel nah Hochkirch öffnete. Die hier lagernden Leib-Huſaren und 
Gzettriß:Dragoner waren jchnell im Sattel, fonnten aber in dieſer Drangjal 
nichts anderes thun, als dem Stoße ausweihen. So waren die Preußen vom 
eriten Anfang an umfaßt. Im Beginn fchlichen nur vereinzelte Kroaten zwiſchen 
den verlafienen Zelten vor und fuhren den Kämpfenden ins Genid: mährend 
er jein Gejhüß lud, ward der Unteroffizier Tempelboff, der nachmalige Ge: 
ſchichtsſchreiber dieſes Krieges, durch einen Kolbenſchlag binterrüds niedergeitredt. 
In der Folge aber Huteten aus dem Hinterhalt von Steindörfel immer neue 
Haufen heran und madten alle Anftrengungen der Preußen zu Schanden. 

Zunächſt tobte der Kampf nur in und bei dem Dorfe Hochkirch. Ein regel- 
rechtes Feuergefecht konnte fih im Morgennebel und in der Enge faum ent: 
wideln; da und dort fam es zum wildeften Handgemenge, Bajonett und Kolben 
leifteten die Mordarbeit, und Blechkappe und Bärenmüse wurden die Erkennungs— 
zeichen, nad) denen die Ringenden in der Finſternis griffen. 

Auf der Höhe von Rodewitz in der Mitte des Lagers waren, als bie 
Schüſſe von Hochkirch her durch die Nacht ertönten, Offiziere und Soldaten, die 
bei vielen Regimentern in den Kleidern geblieben waren, vor die Zelte gelaufen 
und bald aud in Reihe und Glied getreten. Der König fam zu Fuß aus 
feinem Quartier und jchritt die Front des Regiments Wedel ab. Meldungen aus 
Hochkirch fehlten, noch ungläubig rief er den Leuten zu: „Burfche, geht nad 
Lager, das find Panduren.” Aber das Schießen wurde heftiger, und während 
noch der König mit den Offizieren den verdächtigen Vorgang beſprach, famen 
Ihon die zwölfpfündbigen Kugeln geflogen, die der Feind aus der eroberten 
Batterie jegt über das Lager ausfchüttete. „Burſche, nehmt das Gewehr in der 
Hand,” rief der König; er verlangte nad) feinem Pferd und befahl, daß drei 
Brigaden auf den gefährdeten rechten Flügel marichieren follten. 


190 Sechſtes Buch. Bierter Abfchnitt. 


Es war auserleienes Volk, was bier in die Finſternis und das Verderben 
‚ausgejendet wurde, die märfiichen Kernregimenter, das Beite, was das preußifche 
Heer an Mannschaften hatte, und Feldmarſchälle und Prinzen übernahmen die 
Führung. Aus der Ferne gab das in Flammen aufgehende Hochkirch, ein Fanal 
von trüber Glut, dem Marjche die Richtung; in der Nähe verdichtete fich der 
nafje Nebel mit dein Bulverdampf und dem Qualm der Feuersbrunft zu einem zähen, 
alles verbülenden und einwidelnden Schleier. Und da der vornehmite Gegen: 
itand des Angriffs das Dorf war, jo ward zunächſt nicht daran gedacht, ihn in 
Schlahtordnung auszuführen; einzeln gingen die Bataillone und Compagnien 
von Forcade, Juenplig und Prinz von Preußen in immer wiederholtem Anlauf 
vor, bald geraden Weges mitten hinein in die Dorfſtraße, die Schredensvolle Gaſſe 
des Todes, bald Links oder rechts um den Ort herum. Die überrumpelten 
Bataillone des rechten Flügels ſchloſſen fich den frifhen Truppen an. Mark: 
araf Karl, von feinem treuen Mohren Pietro begleitet, führt mit dem Rufe 
„Pietro und brave Preußen ſcheuen fein Feuer!” das erite Bataillon Kannader 
wieder vor. Mori von Deflau, der im Nebel auf zwanzig Schritt an den 
Feind heranreitet, erhält zwei Schüjle in den Leib und muß vom Kampfplag 
fortgeichafft werden. Dicht am Eingange des Dorfes wird Feldmarſchall Keith, 
bereits vorher verwundet, durh eine Stüdfugel vom Pferde gerifien, die Leiche 
wird vom Feinde geborgen. Bei der Attade des Negiments Prinz von Preußen 
findet Franz von Braunſchweig, der jüngite Bruder der Königin, jehsund: 
zwanzigjährig den Heldentod, wie vor vierzehn „jahren fein Bruder Albrecht 
am Morgen von Soor. Wo eine Truppe durd die Wucht des Vorftoßes den 
„Nachtgeſpenſtern“ Raum abgewinnt — und zeitweile waren Dorf und Batterie 
ihnen wieder entriffen — büßt fie doch den Vorteil bald wieder ein, von Fuß: 
volf und Reiſigen bald in der Flanke, bald im Rüden gepadt oder unter das 
Kreuzfeuer der Batterien genommen. Zuletzt gebt auch der Kirchhof verloren, 
den Major von Langen mit dem zweiten Bataillon Markgraf Karl ftundenlang 
mit der größten Hartnädigfeit gehalten hat. Wohl thun auch die preußiichen 
Reiter, als es heller wird, ihre volle Schuldigfeit, wiederholt. brechen unter 
Zietens und Seydligens Führung die Leib-Huſaren und die Schönaich-Küraſſiere, 
die Normann: und die Gzettriß:Dragoner, die Gendarmen, Karabiniere und 
Gardes du Corps in die öjterreichiiche Linie ein, richten ein „terribles Maflacre“ 
an und machen Gefangene zu Hunderten; aber auch fie müfjen fi zur Flucht 
fehren und ihre Beute fahren laſſen, fobald Laudon feine Zwickmühle öffnet und 
aus dem Hinterhalt von Steindörfel jeine Meute auf fie losläßt. 

MWeitlih von Hodhfirh hat nunmehr der König aus den Regimentern 
Wedel und Bornitädt, dem zweiten Bataillon Garde und der Grenadiergarde 
eine Linie gebildet, die zum Angriff gegen die bewaldeten Höhen vorgeht. Er 
jelbit hält hinter dem zweiten Bataillon Wedel. Die meilten der aus dem 
Walde wohlgezielten Schüſſe treffen Kopf und Bruft, dem Major Haugwitz wird 
neben dem König der Arm durchſchoſſen. Major v. Schmelinsfi fommt beran: 
geritten und wagt eine Xorftellung: „Ew. Majeftät, ich bitte Ihnen um alles 
in der Welt, ſchonen Sie Ihre höchſte Perion und reiten mwenigitens aus dem 
fleinen Gewehrfeuer, ſehen Sie, wie die Yeute neben ihnen fallen.” „Ib will 


Das Jahr 1758. 191 


⸗ 


nur erſt ſehen, wie dieſe Bataillons vor uns vertrieben werden,“ erwidert der 
König, und jener fährt fort: „Ich bitte Ihnen um Gottes Willen, ſchonen Sie 
Ihre hohe Perſon, Hochkirch ift verloren und der Feind fommt uns am Ende 
im Rüden — Ew. Majeftät Pferd ift bleſſiert.“ „Ich?“ fragt der König. — 
„Das Pferd, es wird ſich verbluten und umfallen.” Nun reitet der König zum 
Sattelplag, mwecjelt das Pferd und reitet dann vom Kampfplag auf die Höbe 
zwiihen Pommrig und Rodewitz zurüd. 

Dort richtet er einige noch nit an den Feind gefommene Bataillone zu 
einer neuen Schladtordnung: in der Mitte das Regiment Alt:Braunfchweig, 
zur Sicherung der rechten Flanfe auf fteilem Bergeshbang über dem Wiejengrund 
von Drehſa das dritte Bataillon Garde, links über dem Einſchnitt von Niethen 
zwei Grenabdierbataillone. Die Trümmer der geichlagenen NRegimenter werden 
binter die neue Linie aufgenommen und notdürftig geordnet. Vom zweiten 
Bataillon Wedell fommt Lieutenant v. Barjewiih, bringt eine Handvoll Leute 
und drei Fahnen — die beiden anderen Gompagniefahnen waren verloren, als 
eine Kitrajfierattade über die gelichtete und erihöpfte Schar binmwegbraufte. 
„Wo feint die andern?” fraat der König. — „Hier bringe ich die Fahnen, To 
gerettet, die andern jeint gefangen, und dieie 15 Mann feint die legten.” — 
„Gebe Er die Fahnen an Unteroffiziers,” Tagt der König. „Emw. Majeftät, ich 
babe nicht einen mehr.” „So gebe Er fie an Soldaten und ftelle Er die 
Leute in Glieder” — von dem ganzen Regiment finden fich allmählich etwa 
150 Mann ein. 

Während alle Aufmerkſamkeit der Heeresleitung auf den Kampf bei Hoch— 
firch gerichtet war, hatte auch der linke preußiiche Flügel, zwiſchen Rodewitz und 
Kotig, eine empfindlide Schlappe erlitten. 

Hier begann der Herzog von Aremberg feinen Angriff, der Dispofition 
entipredhend, erft um acht Uhr. Obgleich alfo die Preußen jeit mehreren Stunden 
durch die bei Hochkirch wogende Schlacht zu erhöhter Vorliht veranlaft wurden, 
vermocdhten fie in dem dichten Nebel fih doch auch hier nicht gegen eine Weber: 
rumpelung zu ſchützen. Won den Vortruppen mwurde das Grenabierbataillon 
Kleiſt bei Alt-Kotitz abgeichnitten und zur Warfenftredung gezwungen, während 
die Fußjäger, durch ihr wohlgezieltes Feuer auf die nachjegende Kavallerie und 
dank dem rechtzeitigen Eingreifen der Krodow-Dragoner,-fih glücklich durchſchlugen. 
Der erbittertite Kampf galt den 22 jchweren Gefchügen, die vor dieſem Flügel 
eingejchanzt waren: fie gingen endlich verloren, mie die große Batterie von 
Hochkirch; auch hier wichen die geichlagenen Truppen, lauter Grenadierbataillone, 
auf die Hauptitellung zurüd, etwa um neun Uhr; auch bier unverfolgt; vor dem 
Niethener Grund hielten die Angreifer ein. 

So waren die preußiichen Abteilungen aus dem weitläufigen Yager jest 
auf engem Raum vereinigt und zur Abwehr und gegenſeitigen Unterftügung 
um jo mehr im ftande, als mittlerweile aud das ſehnlich erwartete abgezweigte 
Corps des Generald Retzow auf dem Plan eridien. 

Retzow hatte bei Weihenberg mit befierem Glück gekämpft als die beiden 
Flügel des Hauptbeeres. Dreimal warf er den aufflimmenden Feind, die 
Truppen des Prinzen von Baden:-Durlah, vom Bergeshang in die Tiefe zurück 


192 Sechſtes Bud. Bierter Nbichnitt. 


und trat dann unbehelligt jeinen Marih nah dem Schladtfelde an. Sein 
Neitervortrab unter dem Prinzen Friedrih Eugen von Württemberg fam über 
das Kobauer Waller gerade zur rechten Zeit, um ſowohl die Küraffiere des 
rechten öfterreichiichen Alügels bei Nechern an weiterem Vordringen zu hindern, 
als auf der anderen Seite die von Steindörfel her die preußiihe Rückzugs— 
linie bedrohende Kavallerie Yaudons zu veriheuchen. Die Maſſe des Retzow'ſchen 
Corps nahm nad dem Flußübergang eine Aufitelung zwiihen Cannewitz und 
Wurichen. 

Der Nebel war gewihen, im hellen Sonnenſchein lag das blutgetränfte, 
mit Leichen und Bermwundeten bejäte Gefilde, aus elf Ortichaften loderten 
Flammen auf. König Friedrih mit dem Markgrafen Karl und dem General 
Seydlitz hält auf der Höhe bei dem Regiment Alt-Braunſchweig und betrachtet 
mit feinem Glaje den Schauplatz des nächtlichen Kampfes und die feindliche 
Stellung. Unter dem Feuer der preußiihen Geihüge find in dem Einjchnitt 
zwiſchen Hodfirh und Pommrig die öfterreihiichen Offiziere noch beichäftigt, 
ihre ftarf durcheinander gefommenen Xeute, ohne Rüdfiht auf Truppe und 
Regiment, wieder in Reihe und Glied zu bringen. Oberſtlieutenant v. Saldern 
ichiet feinen Adjutanten Kliging und läßt fragen, ob er mit feiner Brigade 
— fünf Bataillone waren auf diefem Flügel noch nicht an den Feind ge: 
fommen — von neuem angreifen ſolle. Schweigend fieht der König den Mar: 
grafen und Seydlig an, beide bleiben ftil. Nach kurzem Befinnen jagt er zu 
Kliging: „Der Angriff muß ja noch nicht erneuert werben, ſehe Er bier, da 
liegt Bauten vor uns, ich werde auf die Anhöhen marſchieren, dahin foll mir 
Saldern langjam folgen und jenjeits des Baches ftehen bleiben.” 

Der Rüdzug ſelbſt, jeine mufterhafte Anordnung und völlig ungeftörte 
Durdführung, die ftolze Ruhe, mit der angefichts des fiegreichen Heeres das 
neue Lager auf den Höhen von Doberihüg bei Bauten, nur drei Biertelmeilen 
vom Scladtfelde, abgeftedt und bezogen wurde — alles das ftellte eine 
moraliſche und taftiiche Leitung dar, die dem Feinde volle Bewunderung ab: 
nötigte. Der König trug in Blid und Miene volle Sicherheit, ja Heiterfeit zur 
Schau, um den ermübeten, entmutigten, entblößten, ihrer dürftigen Habfeligfeiten 
beraubten Truppen eine Zuverficht wiederzugeben, die er jelbft doch nur ſchwer 
bewahrte. „Kanoniers, wo habt Ihr Eure Kanonen gelaſſen?“ fragt er beim 
Abzuge ſcherzend und erhält die prompte Antwort: „Der Teufel bat fie bei der 
Nachtzeit geholt.” „So wollen wir fie ihm bei Tage wieder abnehmen,” er: 
erwidert er und darf num darauf rechnen, daß das tapfere Wort im Heere 
die Runde madt. Einem der erprobteften Waffengefährten, feinem General: 
abjutanten Wobersnom, der augenblidlich dem Dohna'ſchen Heere zugeteilt war, 
ließ er beftellen: „Ich hätte bier eine tüchtige Obrfeige befommen, da ich bei 
Nacht wäre attaquieret worden; ich würde fie aber nah alter Gewohnheit in 
wenig Tagen auswiſchen.“ 

67 ſchwere Gejhüße und Haubigen, 35 Bataillonsftüde, 28 Fahnen und 
2 Standarten, der größte Teil der Zelte und des Gepäds, über 9000 Mann 
an Toten, Verwundeten und Gefangenen waren verloren: nahezu der vierte 
Zeil des mit der Retzow'ſchen Abteilung bisher etwas über 40000 Mann ftarken 


Das Jahr 1758. 195 


Heeres, mehr als ein Drittel der gefamten Infanterie; die Verlufte der Reiterei 
waren gering. Die Sieger hatten auf eine Gejamtitärfe von etwa 70000 
Mann einen Abgang von mehr als 6000. Den Helventod des Feldmarſchalls 
Keith beklagte der König als einen Verluſt „für das Heer und die menschliche 
Gejellichaft”; er widmete dem Gefallenen eine Elegie und nah dem Frieden 
ein Standbild. Der Feldmarſchall, der ihm die Schlacht bei Leuthen hatte ge 
winnen helfen, Prinz Morig, war mit jeinen Wunden beim Verlaſſen des 
Schlahtfeldes den Panduren in die Hände gefallen. 

Im Gegenfag zu feiner anfängliden Gefaßtheit erſchien der König feinem 
teilnahmsvollen Begleiter Catt bei den abendlihen Unterhaltungen der nächiten 
Tage gedrüdt, ja Fleinmütig. „Ich kann die Tragödie enden, wenn ich will,” 
fagte er dumpf; er zeigte dem Vorleſer die jegt vor einem Jahr entitandene 
Apologie des Selbſtmordes!) und das Gift, das er feit langem bei ſich trug. 

Und nun traf ihn eine neue Heimſuchung: eim neuer Todesfall in der 
Familie, der dritte feit Beginn des Krieges, der zweite in biefem Jahre. 

Mit der verhängnisvollen Epoche von Kolin verknüpfte ſich in feiner Er: 
innerung der Verluft der Mutter; in den ſorgenſchweren Tagen, die dem Abzug 
von Olmütz vorausgingen, hatte ihn die Nachricht von dem Ableben des Prinzen 
von Preußen um jo mehr erjchüttert, als fie alle die peinlihen Eindrüde des 
vorigen Sommers?) noch einmal wad rief. Jetzt häufte fih auf das Unglück 
von Hochkirch die Trauerfunde aus Bairenth: am Morgen des 14. Oktober, in 
der Stunde, da das preußiſche Heer geihlagen wurde, war die Markgräfin 
Wilhelmine ihrem beldenhaft getragenen Leiden erlegen. Der Bruder hatte den 
Gedanken an diefen jchon lange vorauszujehenden Ausgang bisher gewaltiam von 
jich gewieien. „Ih beihwöre Sie,” hatte er noch jüngft dein Prinzen Heinrich 
geichrieben, „rauben Eie mir nicht die Hoffnung, den einzigen Troft der Un: 
glüdlihen. Bedenken Sie, daß ich mit meiner Schweiter geboren und erzogen 
bin, daß diefe eriten Bande unlösbar find, daß zwiſchen uns beiden bie innigite 
Zärtlichkeit nicht die geringite Abſchwächung erlitten hat, daß wir getrennte 
Körper, aber nur eine Seele haben. Bedenken Sie, daß nad jo vielen Une 
glüdsichlägen aller Art, die mir das Leben verleiden müffen, gerade noch diejer 
Schlag mir zu fürchten übrig bleibt, um mir das Dafein unerträglich zu machen.“ 
Der in Dresden zurüdgebliebene Eichel, der verſchwiegene Zeuge jchon fo mancher 
erſchütternder Auftritte, jchrieb dem Minifter Findenftein, „diefer Todesfall em: 
barrajiiere ihn wegen des Königs mehr als alle Kriegsoperationes” ; der zweite 
Kabinettsbeamte, Kriegsrat Cöper, dem nun die jchwere Pflicht oblag, dem Ge: 
bieter nach jchonender Vorbereitung die ganze Wahrheit zu offenbaren, nannte 
die Wirkung unbeſchreiblich: er glaube nicht, daß ein Schmerzausbruch noch 
weiter gehen könne. 

Gegen Gatt äußerte der König in diefen Tagen: „Nicht der Berluft einer 
Schlacht vermag einen Kriegsmann und Kapitän zu erichüttern, aber der Tod 
einer Schweiter iſt unerjeglich.” Und doch mußte er Sich jagen: „Ich habe feine 


) Chen S, 120. 
2) Then 3. 105— 110. 
Aovier, Hönig Friedrich der Droge. IL 2, Auf 13 


104 Schftes Bud, Vierter Abſchnitt. 


Zeit, den Tod meiner Schweiter zu beweinen. . . . Jh will von all unjerem Un: 
glück erft wieder iprehen, wenn der Winter da fein wird, und jet nur an das 
denfen, was ich zu thun habe... . Die Menge unferes Unglüds ftumpft ſchließlich 
die Empfindung ab, und ich glaube, es fünnte der Himmel die Erde erbrüden 
und der Boden unter meinen Füßen einfinfen, ohne daß ich des achten würde.“ 

Troß feiner Niederlage beharrte er bei dem vor der Schlacht gefaßten 
Plan, nad Görlig zu gehen, ſofort entihloffen, jih den Meg, wenn es galt, 
dur eine neue Schlacht zu öffnen. Wer zweifelte noch auf ölterreichiicher Seite, 
daß der Sieger den Beſiegten nicht an ſich vorbei lalien werde: Daun ſandte 
Botihaft an das vor Neiße liegende Heer und verbürgte ſich, jeden Entſatz— 
verjuh zu verhindern. König Friedrich zog, um jeine Verluſte einigermaßen 
auszugleihen, ven Prinzen Heinrih mit acht Bataillonen und fünf Schwadronen 
an fich, umging Dauns Stellung durd einen meilterhaften Mari und beiekte 
am 25. Oktober Görlit; nicht mehr er, jondern der Sieger von Hochkirch war 
jegt von Schleſien abgejchnitten. An der Fortſetzung des Marjches hätte Daun 
ihn nur durd) einen Angriff hindern können, den Friedrich erwartete und wünſchte; 
denn der Verluſt einer Schlacht würde jenen zum Abzug nad) Böhmen genötigt 
haben. Statt deifen verichanzten fih die Defterreiher auf der Landskrone. 

Eo mußte der König aud diesmal, wie im Juli, ohne vorherige Abrechnung 
weitermarjdieren und Sachſen, ja die Marten, fait entblößt von BVerteidigern 
hinter fich laffen. Im Lager am Gamighügel bei Dresden befanden fih nur 
noch 18 Bataillone, Prinz Heinrid hatte die Verantwortung des Oberbefehls 
über ein fo geſchwächtes Corps nicht länger auf fih nehmen wollen, dem nun: 
mehrigen Führer, Generalmajor Find, fonnte der König nur die Mahnung 
binterlaffen, vigilant und aktiv zu fein, „damit ich nicht glauben mühe, Ihr 
hättet nicht Luft, etwas zu thun: Eijen, Trinken und Nichtsthun ift die Deviſe 
der Mönche, aber nicht der Soldaten.” „Ich ſehe mich zu feltfamen Schritten 
genötigt,” fchrieb er nach Berlin, „aber in meiner Lage muß man den Stamm 
retten und nicht die Zweige.” Um die Hauptitadt, eintretenden Falls aber auch 
die Pläge an der Elbe gegen die Defterreicher oder Neihsvölfer zu deden, wurden 
Dohna und Wedel vom rechten Oderufer und aus der Udermarf berbeigerufen, 
auf die Gefahr hin, die Ruſſen und die Schweden von neuem vordringen zu 
jehen, gegen die nur ganz Keine Abteilungen zurüdblieben. 

Mährend der König mit einem Teil des Hauptheeres den Weg über Jauer 
und Schweidnig einichlug, veriperrte Prinz Heinrich bei Landeshut die Gebirge: 
trage. Der König war bis Münfterberg gefommen, als die Nachricht eintraf, 
daß ſich die Belagerungstruppen in der Nacht vom 5. auf den 6. November 
eilends von Neiße fortgehoben hatten. Gleiche Kunde fam bald darauf von 
Kojel. Oberſchleſien war gerettet, das Entſatzheer durfte zurüdfliegen. 

Daun hatte die Muße, die ihm der Abmarjch der Preußen nah Echlefien 
gewährte, benugen wollen, um im Verein mit der Neichsarmee das Corps an 
der Elbe über den Haufen zu werfen und ſich für Neiße mit Dresden, Torgau, 
Leipzig Shadlos zu halten. Aber General Find wich geihidt aus und wählte bei 
Kefielsdorf eine Stellung, in der fein Kleines Heer nicht nur jelbit treiflich ge: 
dedt war, fondern aud die Verteidigung von Dresden unterftügen konnte, und 


Das Jahr 1758. 195 


der Kommandant Schmettau jicherte jich gegen eine Ueberrumpelung, indem er 
in rücfichtslofer Entihloffenheit am 10. November einen Teil der Vorftädte 
nieberbrennen ließ. Auch in Torgau und Leipzig, al8 der Feind vor den Wällen 
erſchien, jchidten fich die tapferen und umfichtigen Kommandanten zu nachdrück— 
liher Gegenwehr an. Und ſchon fam von allen Seiten den Bebrängten Hülfe. 
Am 12. November traf Webdell vor Torgau ein, am 14. ftieß Dohna zu ihm, 
am 16. 309 Daun von Dresden ab, auf die Kunde von der Rüdfehr des Könige, 
der an diefem Tage bereits wieder in Görlig war. Die Defterreiher nahmen 
in Böhmen, die Neihstruppen im fränfifhen Kreife ihre Winterquartiere.. Am 
20, ritt der König in Dresden ein, umarmte vor allem Volk den Komman— 
danten der ihm geretteten Stadt, dem er feit dem Vorjahr gezürnt hatte,‘) und 
bezog diesmal?) die Zimmer des Königs Auguft im Schloffe: „Wohlen, mein 
Lieber, bald in den Hütten der Armen und bald in den Palälten der Könige,” 
jo empfing er am Abend feinen Borlejer; „bier it, glaub’ ich, noch nie eine 
Tragödie gelefen worden.“ 

Während jo der Ausgang des Feldzugs die drei Heere, die der König im 
Frühjahr an der Neiße, der Pleiße und der Peene aufgeftellt hatte, auf ſächſiſchem 
Boden zufammenführte, verftanden die Schweden und die Rufen nicht, von der 
zeitweiligen Abweſenheit der zu ihrer Beobachtung bejtimmten Truppen Nuten 
zu ziehen. 

Die Schweden, zuerft von dem Schotten Hamilton, ſpäter von dem Liv— 
länder Lantingshaujen geführt, waren in den Tagen ber Zorndorfer Schlacht 
durch unverteidigtes Gebiet bis zu den hiftorifhen Stätten von Fehrbellin vor: 
gedrungen, dann bei Wedells Ankunft klug in die Udermarf zurüdgegangen. Sie 
fanden nad Wedells Fortgang nicht den Mut, bei Prenzlau die unter Manteuffel 
zurüdgebliebenen 5000 Preußen anzugreifen, jondern entwichen weiter bis zur 
Peene. Nun, da Dohna fi ihnen wieder widmen fonnte, war ihr Schidjal 
für den Winter befiegelt: fie blieben auf Stralfund und Rügen beichränft wie 
im Vorjahre, die Bejagungen in Anklam und Demmin, 2700 Mann, mußten 
fapitulieren. 

Die Ruſſen hatten nad) dem Fortgang des Königs von Warthe und Oder 
unbeweglich in ihrem Lager bei Yandsberg geitanden, bis endlich Mitte September 
die nad) der Schlacht erbetenen Berhaltungsmaßregeln aus Petersburg eintrafen. 
Sie erlaubten dem General Fermor, zu thun, was er für das Richtige halte, 
und Fermor, ohne Nachrichten über die Bewegungen der Defterreiher und 
Schweden, war darauf nah Ponmtern in der Rihtung auf Stargard ab: 
marjchiert, von Dohnas Corps begleitet. Ein weiterer Erlaß vom Hofe tadelte 
den imaginären Sieger von Zorndorf jcharf, daß er nad des Königs Abzuge 
nit Dohna angegriffen hatte; Fermor aber jah feine Aufgabe nur noch darin, 
die von feinem Untergeneral Palmenbach begonnene Belagerung von Kolberg 
zu deden, und ging Mitte Oftober nah Dramburg und weiter nach Tempelburg 
zurüd. Dort erreichte ihn Anfang November der Befehl, die MWinterquartiere 


') Oben ©. 107. 
) Bal. oben ©. 50. 


196 Schftes Bud. Vierter Abichnitt. 


hinter der Weichjel aufzufchlagen. Inzwiſchen hatte der von Dohna entjandte 
General Wobersnow dem von der Bürgerjchaft hingebend unterftügten Vertei— 
diger von Kolberg, einem Invaliden von Hohenfriebberg, Major von der Heyde, 
rechtzeitig Hülfe gebradt: am 29. Oktober mußten die Belagerer abziehen. 

„Alſo ſechs Belagerungen fait zu gleicher Zeit aufgehoben!” triumphierte 
der König in feinem Bulletin über den Schluß des Feldzuges; „Neiße, Kojel, 
Dresden, Torgau, Leipzig und Kolberg. Von all den furdtbaren Heeren, die 
während biejes Jahres das Feld gehalten haben, fann man jagen: 


„La montagne en travail enfanta un souris.* 


Die vorfihtigen Kabinettsminifter hielten es für zwedmäßig, im Drud 
diejes Kriegsberichtes das anzüglihe Citat aus Lafontaine zu unterſchlagen. 

Das militäriihe Gefamtbild ward durch das diesjährige Ergebnis der 
franzöſiſchen Kriegführung nicht verändert. In Amerika war den Franzoſen 
Louisburg, der Schlüfjel des Yorenzitromes, jebt doch verloren gegangen, dazu 
ihr Stützpunkt im Obiothal, das von nun an Pittsburg genannte Fort Dugquesne. 
In Afrika entriffen die Engländer ihnen Senegambien. In Deutichland hatte 
Herzog Ferdinand ſechs Wochen nad) feinem Krefelder Siege, am 9. und 10. Auguft 
über den hoch angejchwollenen Rhein zurückgehen müfjen, aber nicht unter dem Drude 
jenes bisher ftets vor ihm gewichenen Heeres, das jett der Generallieutenant 
Contades, der dritte Feldherr jeit Beginn bes Jahres, führte, jondern weil das 
zweite, uriprünglid nah Sadjen beftimmte Heer, unter Soubiſe, lahnauf: 
wärts durch Heſſen vorgedrungen war und ihm die NRüdzugslinie bedrohte. 
Als fih der Dann von Roßbad am 10, Oktober bei Lutternberg zwischen Caſſel 
und Münden durch feinen Sieg über ein vorgeichobenes heſſiſch-hannöveriſches 
Corps den Marſchallſtab verdient hatte, wußte doc Ferdinand, inzwiichen end— 
lih durdh 12000 Engländer verltärkt, bei Soeft eine jo vorteilhafte Aufitellung 
zu nehmen, daß die Nereinigung der beiden franzöfiihen Heere und ein Vor— 
dringen von Soubije gegen Hannover verhindert wurde. Die Winterquartiere 
nahm Soubije am Main, Contades am linten Rheinufer. 

Sclefien und Sachen, Vor: und Hinterpommern, die Marken und Mecklen— 
burg, Hannover, Helfen und ganz Weftfalen waren vom Feinde geläubert. 
Mas der franzöfifche Kriegsminifter vor Hochkirch vorausgefagt hatte: der König 
von Preußen werde fih am Ende bes Feldzugs in einem Zuftande befinden, 
der gegen jeine Lage zu Beginn des Jahres ſich um nichts verjchlimmert hätte 
— es war in Erfüllung gegangen nah Hochkirch und trotz Hochkirch. 

„Ich bin wie Jemand, der den Schluß eines Epigramms ſucht und ihn 
nicht findet,“ hatte König Friedrich nad Hochkirch aelagt: „ich jehe nicht, wie ich 
das Ende meines Feldzugs finden jol.” Der Schluß des Epigramms war 
jegt gefunden, aber ohne ein Roßbach und ein Yeuthen. Und darum war das 
Ende des Feldzugs nod) nicht das Ende des Kriegs. Statt des Friedens bradte 
der Winter den dritten Vertrag von Verjailles, das neue Kampfesbündnis 
zwijchen Frankreich und Delterreih vom 51. Tezember 1758. 





Siebentes Bud. 


Bier Defenfivfeldzüge, 789 - 762. 


Erjter Abjchnitt. 


Jeldzug von 1759. 


gang des Feldzugs von 1758 der franzöſiſche Militärbevollmädtigte im 

öfterreihiihen Hauptquartier, General Montazet, die Art, wie der König 
von Preußen Krieg führe, mehr als tollfühn nennen zu ſollen. Ein bloßer 
Haudegen, deſſen Stärke ausſchließlich in feinem Heere liege, jete er ſich fort: 
während den größten Wagniffen aus, wo dann ein geglüdter Streich das kaiſer— 
liche Heer ihm preisgebe. Mit ftrategiichen Bewegungen und Eunftvollen Plänen 
jei gegen folden Gegner nichts auszurichten; nur durch den Angriff auf fein 
Heer in offener Schlaht werde man ihn außer Kampf jegen, ober der Krieg 
werde zehn Jahre währen. Zu feinem Trofte hielt es Montazet für unmwahr: 
iheinlih, daß Friedrihs Kühnheit und andererjeits die ANengftlichfeit der Deiter: 
reiher in dem Maße zunehmen würden, als jeine Kräfte dahinſchwänden. 

Dem Könige von Preußen würde der Uebergang der Dejterreidher zur 
taktiihen Offenfive, wie ihn diefer franzöfiihe Beobachter empfahl, nur will 
fommen gemwejen jein, da er in der That die Schlahtentüdhtigfeit feiner Truppen 
noch immer als jeine jtärkfte Waffe betrachtete. Daß feine Kräfte dahinſchwanden, 
fühlte er jelbit am beiten. Er verhehlte ſich nicht, daß er feine Kühnbeit mäßigen, 
feiner Kriegsführung beſcheidenere Aufgaben ftelen, die Anlage des nächſten 
Feldzuges in engeren Grenzen halten müſſe. 

„Wir werden uns glücklich zu Ihägen haben, wenn wir unfere Feldzüge 
fo führen, wie den legten zum Schluß,” jchrieb er an den Herzog Ferdinand. 
Und an den König von England: „Bei der Zahl und Ueberlegenheit der Feinde 
ift es gewiß, daß auf dem Feſtlande al unjere Anftrengungen nur zureichen, 
uns gegen bie Feinde gerade zu behaupten. Prinz Ferdinand ift genötigt ge: 
wejen, zwei ftärferen Heeren die Stirn zu bieten, ich habe vieren wiberftehen 
müſſen, und ich würde Eure Majeftät gröblich hintergehen, wollte ic Sie damit 
ſchmeicheln, daß wir im nächſten Feldzug größere Fortichritte machen fönnten. 


J Rückblicke auf den bisherigen Verlauf des Kampfes glaubte zu Aus— 


200 Siebentes Bud. Erfter Abſchnitt. 


Es bedarf im Kriege notwendig eines Verhältniſſes der Stärke, zufällige Er: 
eigniffe können Ausnahmen jchaffen, aber feine Regeln.“ 

So ergab fih ihm für dem nächiten Feldzug eine Strategie, wie fie ihm 
ſchon vor zwei Jahren, damals aber nur für den Anfang des Feldzuges, als zwed: 
mäßig vorgeihmwebt hatte:!) die ſtrategiſche Defeniive, die auf einen Vorftoß in 
Feindes Land, auf die Nebermwältigung weiter Gebietsitreden verzichtet und ihr 
Heil in dem Vorteil der inneren Operationslinie jucht: „Meine Lage ift derart, 
daß ich nur auf die Defenfive ausgehen fann, da ich den Feind von vier oder 
fünf Seiten habe. . . . Ich gedenfe alle meine Schritte nach denen des Feindes 
abzumefjen.” Oder, wie fein bezeichnender Ausdrud it: „ich bilde die Reſerve 
der Armee, bereit, dahin mid) zu fehren, wo die dringendite Gefahr mich hin: 
ziehen wird.“ 

Nicht ohne Grund nahm er an, daß feine neue Methode den Feind, der 
feit je Difenfivftöße an ihm gewohnt war, unficher maden, „deroutieren“ werde. 
Aber er ſagte fich zugleih, daß diejer Vorteil nur ein erites Mal zu erhoffen 
jei, daß das „Stratagem” fich nicht wiederholen laffe; denn der Feind werde 
bald lernen, ſich danach einzurichten, und dann werde es fehr böje Tage geben. 
Er vermaß ſich alfo nicht, bei feinen beichränften Kräften von feiner Defenfive 
die Mirkungen einer Crmattungsitrategie im Stile des Fabius und im Einne 
der Darlegungen des Antimachiavel ?) zu erwarten. Im Gegenteil: je mehr 
er wußte, daß gerade fein Gegner, diefer unerträglich langweilige Daun, ſich 
in der Nolle des Fabius ftarf fühlte, um jo mehr mußte er danach tradten, 
auch in der ftrategiichen Defenfive taftiih die Offenfive feitzuhalten und mit 
dent Feinde zu jchlagen, wo irgend die Gelegenheit fi bot: „ch warte auf 
einen Augenblid, um das wenige Del zu nutzen, das ih noch auf meiner 
Lampe habe.“ 

Allerdings verhehlte er fich nicht, dab die erjehnte Gelegenheit fi immer 
jeltener einitellen werde. Die unverfennbaren Fortichritte, welche die „modernen 
Defterreicher” in der Kriegskunſt gemadt hatten, erheiſchten — jo erflärt er in 
einer zu Ausgang des alten Jahres für einige feiner Generale aufgejegten 
Denkſchrift — aud für die Preußen Nenderungen in der bisherigen Taktif. Die 
Defterreiher haben es in der Verteidigung zur Meifterichaft gebracht, Durch ihre 
Lagerkunft, ihre Marſchtaktik, ihr Artilleriefeuer. Bon unendlichen Geſchützmaſſen 
umgeben und unteritüßgt, jtehen fie. regelmäßig in drei Linien: bie erſte am Fuß 
des Abhangs, gleichfam auf einem Glacis; die zweite auf der Höhe fo verichangt, 
daß hier erit der ſchwerſte Kampf entbrennen wird; fie ift mit Kavallerie ver: 
miſcht, die bei dem eriten Wanfen des Anareifers alsbald vorbreden und ein: 
hauen wird; die dritte Linie ift beftimmt, den Punkt zu veritärfen, auf den der 
Angreifer feine Hauptkraft richtet. Kavallerieangriffe, wie fie noch vor kurzem 
für die Einleitung der Schlacht die Negel bildeten, erjcheinen angeſichts Jolcher 
Stellungen und folder Artilleriemaffen als ganz unthunlich; die Neiterei it 
vielmehr zunächſt zu „refuſieren“ und erft für die legte Enticheidung und für 


Oben 5. 64. 
Oben ©. St. 


De 
— — 


Feldzug von 1759. 201 


die Verfolgung einzujegen. Das Schidjal der Staaten hängt von den Ent: 
iheidungsichladten ab, eine einzige faliche Bewegung, das Mißverſtändnis eines 
Unterführers fann alles verderben ; jo löblich es tft, eine Affaire herbeizuführen, wenn 
man feine Vorteile findet, ganz ebenio muß man fie vermeiden, wenn das Riſiko 
den zu erhoffenden Gewinn überfteigt. „Es giebt,” jagt Friedrih aud in diefem 
Zufammenhang,!) „mehr als einen Weg, der zum Ziele führt; man wird fi 
darauf legen müſſen, den Feind ſtückweiſe in die Pfanne zu hauen, feine Detache— 
ments zu Grunde zu richten, die er oft und nicht immer mit gleicher Vorſicht 
ausjendet.” 

„Große Vorteile” ließen fich dabei freilich nicht erhoffen. Ganz anders 
wurde das Bild, wenn der Feind einmal von jeinen Höhen herunterfam. „So: 
bald wir ihn feiner Berge, feiner Wälder und Cinjchnitte, deren er ſich mit fo 
großem Nuten zu bedienen weiß, berauben können, werden jeine Truppen den 
unferen nicht zu mwibderftehen vermögen.” Aber wo diefe Ebenen finden? Nicht in 
Mähren und Böhmen, nicht bei Görlig, Zittau oder Freiberg, aber in Niederſchleſien. 
„Und das unerjättliche heiße Verlangen, womit der Wiener Hof diejes Herzogtum 
wieder zu erobern trachtet, wird ihn früher oder jpäter beitimmen, dorthin feine 
Truppen zu entjenden. Und dann, wenn fie genötigt find, ihre feften Stellungen 
zu verlajien, wird die Stärke ihrer Schlachtordnung und der gewaltige Aufwand 
ihres Geihüges wenig ausmahen Wenn ihr Heer zu Anfang eines Feldzuges 
in die Ebene eintritt, kann ihre Verwegenheit ihre völlige Vernichtung nad) 
fich ziehen” — wie fie nad) Leuthen nur durch die vorgerücte Jahreszeit hintan— 
gehalten wurde. 

Dieſe Hoffnung, die Teiterreiher in feinen Gefilden als Gäſte zu begrüßen, 
hat ihm durch die ganze erite Hälfte des neuen Jahres begleitet. Eine gewonnene 
Schlacht in Schlefien wurde die Vorausjegung aller weiteren ftrategiihen Ent: 
würfe. Nur wenn er die Deiterreiher zuvor geichlagen hat, wird er ohne zu 
großes Wagnis fih gegen jeine anderen Feinde wenden fünnen. „Haben wir 
eine auch nur leidlich vorteilhafte Schlacht hier zu Lande, jo habe ich zu ber 
Annahme Grund, daß der Reit des Feldzuges eine vorteilhafte Wendung nehmen 
wird.” Sein Fouqué wünſchte ihm ein zweites Leuthen; er jelbit erklärte, zufrieden 
fein zu wollen, „wenn e& auch nicht etwas ganz Großes, jondern nur etwas wäre”. 

Seit dem 14. Dezember 1758 weilte er wie im vorigen Winter in Breslau, 
aber diesmal ganz ftill und zurüdgezogen, „als Karthäuſer“. „ch ſpeiſe allein, 
ih bringe den Tag mit Leſen und Schreiben hin und ich joupiere nit. Wenn 
man traurig ift, jo fällt es auf die Dauer zu jchwer, unaufhörlich feinen Schmerz 
zu verheimliden, und es ift beijer, allein zu trauern, als feinen Kummer in 
die Gejellihait mitzubringen. Nichts hält mich aufrecht, als die ftraffe und ftete 
Anipannung bei der Arbeit. Dieſe Zerftreuumg zwingt, jo lange fie dauert, 
die verdrieflihen Vorftellungen fernzuhalten; aber leider, jobald das Werf 
gethan iſt, kehren die finfteren Gedanfen wieder, und zwar ganz mit der Leb— 
haftigkeit ihres erften Eindruds.” Kein Tag verging, wie der Vorleſer bezeugt, 
ohne daß er von dem Tode der Markgräfin von Baireuth geiprodhen hätte. 


') 3b. I, 551. 


202 Siebentes Bud. Erfter Abichnitt. 


Der engliihe Gejandte bemerkte mit Kummer bei mehr als einem Bor: 
fommnis bie Veränderung, bie jeit der Zorndorfer Schladht mit ihm vorgegangen 
war; feine gute Laune war dahin, er zeigte ſich herbe und verlegend. Seine 
Arbeitslaft war groß, aber ſehr vereinfadht. Der im Frieden jo ausgedehnte 
Schriftwechſel mit den Verwaltungsbehörden!) ftodte fait ganz. Die Geltung 
des Zivilbeamtentums war geringer denn je; einem feiner Generale, der ſich 
von den Miniftern nicht wirkſam genug unterftügt glaubte, jchrieb der König: 
„Ihr müſſet Euch beileibe an die Faren der General:Directorii nicht kehren, 
jfondern ihnen antworten, daß Ihr Euer Metier verltündet und danach thun 
würdet.” So ausſchließlich galt jegt jeine Sorge dem Kriege: der Ergänzung 
und Zurüftung des Heeres, den Finanzen und der Politik. 

An eine volle Ergänzung des Heeres bis zu der Zahl der beiden legten 
Jahre?) konnte er nicht mehr denfen. Auch wenn die Rekrutierung gut von jtatten 
ging, glaubte er nur 110000 Mann — die Bejagungen rechneten wieder für 
fih — ins Feld jtellen zu können; und in der That iſt diefe Zahl wohl nicht 
überjhritten worden. Bei dem Hauptheere waren zu Beginn des Jahres Die 
Reiterregimenter nur zur Hälfte gefüllt, 5000 Pferde mußten ihnen neu beihafft 
werden; im ganzen fehlten diefem Heere 22000 Mann. 

Den beiten Erſatz bot nah wie vor die Aushebung im eigenen Lande. 
Dabei bewährten fi die im Sommer 1757 von den einzelnen Provinzen auf 
eigene Koften aufgeltellten Landwehren, anfänglid 16000, jpäter nod etwa 
9000 Mann Stark, in treifliher Weiſe als Erjagcadres. Dieje Landbataillone 
nahmen neben abgedankten Veteranen und ungedienten Bauern oder Bürgern 
zahlreiche Enrolierte aus den Kantons der Feldregimenter auf, zum Teil halb: 
wüchſige Burjhen von 16 oder gar 15 Jahren, Wenn die nun von ihren Bor: 
geiegten, zumeift bejahrten Cdelleuten, die ehedem den Sponton getragen 
hatten, und halbinvaliden aftiven Offizieren, notdürftig ausgebildet waren, jo 
wurden regelmäßig zu Beginn des neuen Jahres die Größten, die „Zehn: bis 
Vierzölligen” , an die zuftändigen Regimenter abgegeben und in der Landwehr 
durch neue Nefruten aus den Kantons abgelöft. Wie ganz der König auf feine 
jungen Bauernburfchen rechnen durfte, das hatte im vorigen Sommer der Helden: 
mut bewiejen, mit dem die Nefruten des Ruppiner Füftlierregiments im Gefecht 
von Domitadtl?) in den Tod gegangen waren. Neben diefem grünen Holz 
das dürre: die erzwungene Refrutenlieferung der unterjohten Nachbarſtaaten. 
Die in Sadjen Gepreßten wurden zum Grafen Dohna nah Pommern, die 
Medlenburger umgefehrt zum Prinzen Heinrih nah Sadjen geihidt. Nicht 
die ſchlechteſte Aushülfe gewährten die Ueberläufer; aus defertierten Ungarn 
fonnten bei den Huſaren ganze Schwabronen errichtet werden. 

Ließ ih die alte Zahl nicht mehr voll maden, jo war die alte Trefflich- 
feit ſchon gar nicht zu erjegen. „Unjere Verlufte und unfere Siege,” Elagte der 
König, „haben die Blüte unjerer Infanterie binweggerafft, die dieje Warte ehe— 


) Bgl. Bd. I, 316. 349 Mi 
| Oben ©. 63. 169, 
s, Oben ©. 174. Bgl. Bb. I, 541. 


Feldzug von 1759. 203 


dem jo glänzend machte.“ Ten oftpreufiichen Bataillonen rüdte er ihre fchlechte 
Haltung in der Zorndorfer Schlacht bei jeder Gelegenheit vor; ein Teil diefer 
Negimenter ſchien ihm nicht mehr vertrauensmwürdig genug, um ins erite Treffen 
geitellt zu werden. Inter dem unmittelbaren Eindrud diejer üblen Erfahrung 
hatte er dem Prinzen Heinrich empfohlen, bei jeinem Heere dem Stod zu Ne: 
jpeft zu verhelfen; jegt während der Winterquartiere erging für die General: 
majore von der Infanterie eine neue Inſtruktion, in der e8 zum Schluß hieß: „Weil 
Ich auch gejehen, daß die Burfche aus VBärenhäuterei, wenn fie eine Weile im 
Feuer gewejen, vorgeben, fie haben ſich verfchoflen, fo foll den Burſchen angejaget 
werden, daß der erjte, jo in ber Bataille Patronen wegſchmeißen wird, mit 
36mal Spießrutenlaufen gleih darauf beftrafet werden jol, und wenn die 
Batronenwagen fommen und die Burjche feine nehmen wollen, jo foll derjenige, 
welder davon überführet wird, jogleidh bei dem Negimente arquebufieret werden, 
der Kerl habe ſechs Fuß oder ſechs Zoll.” Wie im Gegenjag dazu bei einer Truppe 
von altem Schrot und Korn der Patronenwagen in der Schlacht begrüßt wurde, 
hat uns für Hohfich ein Offizier vom Regiment Wedell!) geſchildert: „Der: 
jenige, jo in feiner Schlacht geweien, fann ſich gar nicht vorftellen, wie will 
fommen ein Patronenwagen in fol einem Moment ift. Ein Wagen mit lauter 
Gold wäre bei weitem nicht fo angenehm gemweien.“ 

Das Gebot an die Infanterie, in der Schlaht beim Angriff nicht zu 
feuern, dieſe äußerfte Zumutung an die Kaltblütigkeit und AZuverfichtlichleit des 
gemeinen Mannes, war jchon nach den Erfahrungen von Prag?) nicht wieder: 
holt worden. „Mit dem gefällten Bajonett und ohne zu ſchießen kommen wir 
nicht durch,” hatte damals Winterfeldt dem Könige warnend vorgeftellt. 

Nach dem erſten Feldzuge diefes Krieges foll der ölterreichifche Heerführer 
gejagt haben, daß jeder, der feindliche Länder richtig zu behandeln lernen wolle, 
bei Schwerin in die Schule gehen mülle, und daß die Schonung und Uneigen: 
nüßigfeit, die Schwerin und Keith an der Spite ihrer Heere gezeigt, den Ein: 
wohnern von Böhmen unvergeklich jein werde. „Der Bauer aderte neben dem 
preußiichen Lager, alle Dörfer trieben ihr Vieh unbeforgt auf die Weide.” Und 
noch zu Anfang des Feldzugs von 1758 fahen die Einwohner von Troppau die 
preußiihen Truppen wegen ihrer guten Mannszucht lieber als die eigenen. 
Schon aber begannen die öfterreichifchen Offiziere fich zu rühmen, daß im preußi— 
ihen Heere die alte ſchöne Disziplin nicht mehr herrſche, daß jett fie darin 
ftrenger jeien und ihre Packknechte und Marketender jchärfer zu halten wüßten. 
Den Freibataillonen war das Beutemadhen und Plündern in Feindes Land aus: 
drüdlich nachgegeben; dabei blieb diefe irreqguläre, zum großen Teil aus Weber: 
läufern zufammengefette Truppe unter tapferen und entichlofjenen, aber nicht 
jelten etwas anrüdigen, „liederlihen”, bei guten Regimentern unmöglichen 
Offizieren eine unzuverläffige Gejellichaft, welche die Generale nicht weithin aus: 
zujenden wagten, und welche deshalb dem Aufllärungsdienft und der Aufgabe, 
das Yager zu deden, nur unzureichend gerecht wurde. 


'), Barlewiih. Bgl. oben ©. 191. 
2) Vgl. oben S. 82 und Bd. I, 549. 637, 


204 Siebentes Bud. Erſter Abichnitt. 


In dem Offiziercorps, in der Generalität wurden die Yüden, die ber 
Krieg riß, von dem Kriegsherrn faſt noch jchwerer empfunden als in der Truppe. 
„Man follte jagen,“ jchreibt er 1750 anläßlich eines neuen Verluftes, „daß die 
Dejterreiher unsterblich find und nur unfere Leute von binnen müfjen. Meine 
Generale nehmen den Acheron im vollen Galopp, bald wird fein Menſch mehr 
übrig fein.” Lobofit hatte dem preußiſchen Heere vier Generale gefoftet, Prag 
mit dem Feldmarfhall Schwerin ebenfoviel, Kolin und Moys je einen, Breslau 
drei, Leuthen zwei, Zorndorf und Hochkirch je drei. Darunter wieder einen Feld— 
marſchall: Keith fam einem Schwerin und einem Winterfeldt nicht gleih, er 
hatte gleich zu Anfang des Krieges die erforderlihe Entichiedenheit vermifien 
lafien, und der König hatte ihm für einen ſelbſtändigen Oberbefehl 1757 erft 
den Prinzen von Preußen und dann den Herzog von Bevern und 1758 den 
Prinzen Heinrich vorgezogen. Aufgaben zweiten Nanges aber war der friegs- 
erfahrene Fremdling immer gerecht geworben, jein Nüdzug von Prag und wieder 
der von Olmütz galten als muſterhaft. 

Andere Generale waren dur Krankheiten dahingerafit. So Driejen, der 
Held von Leuthen, und der alte Pennavaire, der nad) jeinem Koliner Fehlſchlage 
ih in der Breslauer Schlaht an der Spitze feiner Schwadronen rühmliche 
Wunden geholt hatte; Retzow, ber als Intendant noch immer für die Verpflegung 
Nat geichafft hatte, und Mayr, der verwegene Freiſcharenführer, beide dem Könige 
in ihrem Bereich unerjeglid. Schon war auch Moris von Deſſau unheilbarem 
Siechtum verfallen, dem tüdifchen Krebsleiden, dem er binnen furzem, achtund— 
vierzigjährig, erliegen ſollte — der Yieblingsjohn des alten Deffauers, deſſen 
Bild er wie ein Amulet auf der bloßen Bruſt mit fich herumtrug, der goites: 
fürdtige Haudegen, der wortfarge, ftotternde „Naturmenſch“: von den preußi- 
jchen und braunfchweigiihen Prinzen als abjchredendes Beiipiel des ungebildeten 
Offiziers verfpottet und als Nebenbubler gehaßt,) von dem Könige in Krieg 
und Frieden, im Lager und in der Schlacht als umfichtiger und peinlich genauer 
Gehülfe, als Treftenführer, als der richtige Mann, „die Karre aus dem Dred 
zu ziehen“, ausnehmend geihägt, am Abend von Leuthen mit den Ichmeichelhafteften 
Worten zu der höchſten militärifchen Würde erhoben, mit den höchſten Aufgaben 
des Feldherrn aber doch ebenjomwenig betraut wie Keith. Einftweilen war er noch mit 
jeinen Hochkirchener Wunden Gefangener der Defterreicher, die da erklärten, Fürft 
Moritz könne nur gegen 3000 Köpfe, Offiziere und Gemeine, freigegeben werden. 

Dagegen war der Herzog von Bevern jhon im Sommer 1758 aus der 
Gefangenschaft zurücgefehrt, die er nad des Königs dod wohl unzutreffender 
Auffaffung freiwillig geſucht haben jollte;?) er erſchien aber zunächit nicht beim 
Heere, fondern blieb auf feinen Gouverneurpoften in Stettin beihränft. Beverns 
Gefährten aus den Breslauer Unglüdstagen, Leitwig und Katte, fanden nad 
Abbüßung ihrer Feitungsftrafe überhaupt feine dienitlihe Verwendung mehr; 
der dritte der 1758 friegsrechtlich verurteilten Generale, der erit fünfzigjährige 
Kyau, ſtarb Schon im Frühling 1759, auf feinem legten Kranfenlager noch durch 


'; Oben S. 100. 
2) Bgl. oben S. 138. 


Feldzug von 1759. 205 


einen teilnehmenden Beſuch des nicht mehr zürnenden Gebieters erfreut. Ciner 
der Kriegsgefangenen von Schweidnig, Oberſt Warnery, dem eine glänzende 
Zukunft als Hujarenführer vorausgejagt worden war, nahm nach jeiner Wieder: 
einlöjung den Abjchied, dem Könige mißliebig geworden und durch böje Nachrede 
mißmutig gemadt. Geßler und Otto Martin von Schwerin hatten bei Lobofit 
ihren Ruhm von Hohenfriedberg nicht erneut und waren ſchon nad) dem erjten 
Feldzug zurüdgetreten. Nur feines hohen Alters wegen, in allen Gnaden, war 
Feldmarſchall Lehwaldt von dem Oberbefehl über fein nicht glücklich, aber auch 
nicht unrühmlich geführtes Heer entbunden worden. 

Neue militäriihe Talente, wie fie drüben in den Daun, Lacy, Yaubon, 
Hadif entdedt wurden, hatte auf preußiſcher Seite der Krieg, der jo manchen 
alten Ruhm fterben oder verderben ließ, doch nur wenige emporgebracht. Zieten 
und vor allen Seydlitz glänzten als Neiterführer, famen aber für den Ober: 
befehl über ein ganzes Heer nicht in Betracht. Fouqus hatte ſich in engerem 
Bereich als wahjamer Grenzhüter in den ihm jeit langem vertrauten ſchleſiſchen 
Bergen bewährt: „Ich beglückwünſche Sie als Freund zu der Gerechtigkeit, die 
ih Ahnen als König habe zu teil werden laſſen,“ ſchrieb ihm Friedrich am 
1. Diärz 1759 nah der Beförderung zum General der Infanterie. Den höchiten 
Anſprüchen des Kriegsherrn genügte fein Bruder Heinrih. In ihm war 
der große Feldherr geboren, deſſen Beihülfe auf dem Nebenfriegsihauplage 
dem Führer des Hauptheeres umd der Hauptichläge unentbehrlih war. Mit 
jeinen 33 Jahren nahm der Prinz im Heere ſchon jebt die Stellung ein, die 
in den beiden erften Kriegen der alte Fürjt Leopold neben dem Könige be: 
bauptet hatte. Auf die Führung des zweiten Heeres hatte er nach feinem um: 
fihtigen Feldzuge von 1758 Anjprud ohne Mitbewerber. „Europa,“ ſchrieb Fried: 
rich jegt beim Wiederbeginn des Kampfes dem Bruder, „wird Sie nicht bloß als 
einen liebenswürdigen Prinzen, fondern noch mehr als einen Dann fennen lernen, 
der den Krieg zu führen verſteht und der fich in Reſpekt jegen muß. Und das 
fann, bei all meinem ſonſtigen Kummer, nicht verjehlen, mir eine wirkliche 
Freude zu bereiten, und war jehr zu wünfchen zum Belten des Staates und vor 
allem zum Beiten der armen Waijen (der Söhne des veritorbenen Thronerben), 
die mir anvertraut find. Fahren Sie fort, mein lieber Bruder, wie Sie an: 
gefangen haben; Eie können zwar die Hochachtung und Freundichaft, die ic) 
für Sie hege, nicht vermehren, aber wenn ich nichts als ein einfacher Staate: 
bürger wäre, wollte ih Ihnen meine Erfenntlichfeit erzeigen für die guten und 
hervorragenden Dienfte, welde Sie dem Vaterlande leiſten.“ 

Mehr zunächſt noch als diefer preußiihe Prinz 309 der Braunichweiger 
Ferdinand, der Sieger von Krefeld, die Augen der Welt auf feinen jungen 
Feldherrnruhm. „Nil Claudiae non efficient manus,* citierte William Pitt 
aus jeinem Horaz, indem er vor dem Unterhaus die Thaten Friedrihs und 
Ferdinands, der nahverwandten Fürſten, pries. Der König ernannte feinen 
Schwager nah dem Feldzug von 1758 zum Generalfelomarihall und begrüßte 
den Befreier des deutſchen Nordweitens als den neuen Arminius; dem preußiichen 
Heere aber, das des Erſatzes für Lehwaldt bedurfte, blieb der neue Feldmarſchall 
durch diefe feine Arminiusaufgabe entzogen. 


206 Siebentes Bud. Erſter Abichnitt. 


vehwaldts Nachfolger im Oberbefehl des dritten Heeres, Graf Chriftoph 
Dohna, war aus der Schule des alten Defjauers hervorgegangen, in deſſen Regis 
ment er binnen 22 Jahren fih vom Fähnrich bis zum Oberſten beraufgedient 
hatte. Ihr Landsmann, wie jein Vorgänger, war er den feiner Führung über: 
gebenen oftpreußifhen Regimentern ein willfommener General. Daß jeine 
Truppen bei Zorndorf sich jchlecht hielten, dafür it der Feldherr nicht perſönlich 
verantwortlich gemacht worden. Tadel aber fand ſein unficheres Auftreten nad) 
dem Fortgang des Königs von der Oder, und jegt für den Feldzug von 1759 
wurde ihm in ber Perſon des föniglihen Generaladjutanten Wobersnow ein 
Berater beigejellt, deilen Wort im gegebenen Falle ebenfo angejehen werden 
jollte, ala wenn der Befehl in des Königs Namen jelbit erfolate. 

Wobersnow und die Generale Wedel und Find galten als die Männer 
der Zukunft; allen dreien follte diejes Jahr verhängnisvoll werden. 

Medell und Find, die zu den jüngsten Generalmajors zählten, wurden jegt 
außer der Neihe zu Generallieutenants befördert, wie denn der König jhon im 
vorigen Sommer bei der Parole hatte verkünden fallen, daß er bei den Ernen= 
nungen vom Oberit ab ſich in Zufunft an das Dienftalter nicht binden werde. 
Daß nun ein Prinz von Bevern und der Generalmajor Schönaich übergangen 
feinen Dienft verließen, befümmerte ihn wenig: er äußerte, wenn er einen 
Fähnrih in feinem Heere wüßte, der die Qualitäten des Prinzen Eugen von 
Savoyen befäße, fo würde -er ihn flugs zum Generalfeldmarſchall befördern. 

Am Ziele feiner diesjährigen Nüftung, war er mit dem Ergebnis doch 
nicht unzufrieden. „Meine Armee it nicht admirabel,” jchrieb er dem Prinzen 
Heinrich, „aber doch viel paljabler als legtes Jahr.” Auch mit Kleidern, Zelten, 
Kochgeichirren war feine Infanterie nad) den Einbußen von Hochkirch jet wieder 
verjehen. Großer Aufwand war von neuem für die Vermehrung der Artillerie 
gemacht. Bei den drei preußiichen Heeren befanden fich jegt außer den Bataillons- 
jtüden im ganzen 536 ſchwere Geichüge und Haubigen, bei dem Hauptheere 
214 gegen die 360, die Daun nach preußiiher Annahme zur Verfügung hatte. 
„Wenn diefe Mode noch einige Jahre anhält,” meinte Friedrich unwirſch, „Io 
wird man fchließlih Detahements von 2000 Mann mit 6000 Kanonen mar: 
ſchieren laſſen.“ 

An Geld war noch fein Mangel. Der Subſidienvertrag mit England 
wurde erneuert, die zunehmende Zerrüttung des Ztaatshaushalts, der völlige 
Ausfall der Einnahmen aus den vom Feinde beiegten Provinzen wurde dadurch 
auszugleichen gefucht, daß von Sachſen und Medlenburg noch höhere Leitungen 
als bisher gefordert wurden, und endlich war mit der Nusprägung minder: 
wertiger Münze eine Bahn betreten worden, an deren tiefiten Punkte man, 
wie wir hören werben, noch lange nicht angefommen war. 

Was aber werden alle neuen Vorkehrungen, alle neuen Anftrengungen 
frommen? Nur ein Deus ex machina, jo meint Friedrich, kann unjerem Stüd 
noch eine gute Yöjung bringen. „Wir haben der Feinde zu viel, um eine Leber: 
(egenheit zu gewinnen, die fie zum Frieden zu zwingen vermöcdte. Ganz Europa 
ftürzt fih über uns ber, es ſcheint, daß es Mode iſt, unſer Feind zu fein, und 
ein Ehrentitel, zu unierem Untergang beizutragen. Und das Ende von alledem? 


Feldzug von 1759. 207 


Wir werden no einige Streide, die man uns verjegen will, parieren und 
zum Schluß unterliegen!” 

Das englifche Minifterium fam mit diefem und jenem gut gemeinten Vor: 
ihlag: man gewinne den neutralen König von Spanien als Friedensvermittler; 
man empfehle ben Höfen von Neapel und Turin eine Schilderhebung und einen 
Teilungsvertrag auf Koften Defterreihs, wobei dem Haufe Bourbon Toskana, 
dem Haufe Savoyen Mailand zufallen mag. Um nichts unverjucht zu laſſen, 
entjandte Friedrich insgeheim nah Madrid George Keith, der lange in ſpani— 
ſchen Kriegsdieniten geftanden hatte, und nad Turin den Hauptmann von Cocceji. 
An einen Erfolg diejer Verhandlungen wagte er doch ebenfowenig zu glauben, 
wie an den Eintritt däniſcher Bermittelung. Anbaltend dagegen beichäftigten 
fi jeine Gedanken und Hoffnungen mit einem Türfenfriege; in Yondon und 
in Konitantinopel jelbit ließ er voritellen, daß er ohne türfifhe Hilfe in dem 
neuen Feldzuge notwendig erliegen werde. Aber wie entfernt und unficher blieb 
auch diefe Ansicht ! 

Ale Anzeihen, auch die leijeften Spuren, von einem Zerfall, von der 
inneren Zwietracht des großen zu feinem Berderben gejchloffenen Bundes, 
jammelte und deutete er fih unermüdlich, bald mit trübem Zweifel, bald mit 
auffladernder Hoffnung. Dur verjchiedene Kanäle wurde unter ber Hand eine 
Einwirkung auf den Warjchauer Hof verſucht, mit dem Hinweis auf die Nöte 
des fähfiihen Erblandes, denen der König-Kurfürſt ein Ende machen fönne, 
wenn er die Franzojen zum Frieden umjtimmen wolle Immer aber blieb 
Friedrichs Taftif, daß die anderen fommen jollten, zuerit reden jollten — wie 
er ſchon im vergangenen Eeptember, den Franzoſen zur Nachachtung, an den 
von ihnen ausgehorhten und vorgeihobenen Marfgrafen von Baireuth ge: 
ichrieben hatte: „Ich gebe Ihren auten Abfichten meinen vollen Beifall, aber 
ih muß Ihnen jagen: ich bin jtumm wie ein Karpfen. Wenn die Franzoſen, 
Defterreiher und Ruſſen mir etwas zu jagen haben, jo haben fie nur zu 
ſprechen; ich für mein Teil bejchränfe mich darauf, fie zu jchlagen und zu 
jchmweigen.” 

Der verfhämte Annäherungsverfuh war die Veranftaltung des Abbe 
Bernis geweien. Am Neujahrstage erfuhr der König von Preußen, daß Bernis 
in die Verbannung geihidt war. Fortan, das erkannte er jehr bald, war an 
Frieden nicht mehr zu denken: „Seine unflugen Handlungen hatten ihn erhöht, 
jeine verftändigen Abſichten ftürzten ihn,” jo lautete Friedrichs Epitaph für den 
ichnell allgemein vergeſſenen Mann. 

Bernis hatte vorlängit überlegt, ob er nicht freiwillig zurüdtreten jolle, 
dann aber doch gemeint, feinen Herrn und jein Vaterland in der Not nicht ver: 
laſſen zu dürfen. Er hatte Rettung nur nod) in einer „Verſchwörung der quten 
Bürger” zur Erhaltung einer auseinander fallenden Mafchine jehen wollen und 
hatte jein Sinnen und Tradten, mit Ehren aus diefem Kriege berauszufommen, 
jo wenig verhehlt, daß der faiferlihe Botjichafter zu Beginn des vorigen Feld— 
zugs bei diefer Sachlage und bei der Zerfahrenheit der franzöfiichen Kriegs: 
führung auch feinerjeits dem Frieden bei feiner Gebieterin das Wort reden zu 
müſſen glaubte. Von der noch einmal verabredeten Entjendung eines Corps 


208 Siebentes Bud. Erſter Abſchnitt. 


nah Böhmen!) war der König von Frankreich nad der Niederlage von Krefeld 
dur die Kaiferin:Königin förmlich losgejprodhen worden. Damals bevauerte 
man in Berfailles, dab Daun, der Befreier von Olmütz, nicht gleichzeitig in 
Mähren und am Rhein Krieg führen könne; aber ald Daun nah Hochkirch mit 
jeinem mageren Lorbeer nad) Böhmen zurüdging, ohne die Echlüfel von Dresden 
oder von Neiffe, Elagte jelbit Stainville, der eifrigfte Freund Defterreihs: wer 
einen glänzenden Erfolg jo wenig auszjunügen wiſſe, der werbe nie dem König 
von Preußen Schlefien entreißen. Auch Bernis hatte angenommen, dab Sachſen 
nah Hochkirch den Beſiegten verloren gehen werde; mur unter diefer Voraus: 
ſetzung hatte er noch zu einem weiteren Feldzug raten wollen; nicht ohne die 
Bejorgnis, Maria Therefia werde auch nad einem vierten Kriegsjahr ihren 
Gegner entweder noch immer zu ftarf oder wiederum jo ſchwach finden, dag man 
im einen wie im anderen Falle das Werk feiner Vernichtung noch fortſetzen 
müſſe. Um die von ihn geichloiienen Verträge nicht mit eigener Hand zerreißen 
zu jollen, kam Bernis auf den Gedanken, fid in die Leitung der auswärtigen 
Angelegenheiten mit dem friegsluftigen Stainville zu teilen; er wußte nicht, daß 
der von ihm Empfohlene mit der Gunjtdame ſchon bei dem Könige auf feinen 
Sturz binarbeitete. Statt jein Mitarbeiter, wie Bernis es vorichlug, wurde 
Stainville, kurz zuvor zum Herzog von Choifeul ernannt, am 9. Dftober 1758 
fein Nachfolger, und zwei Monate jpäter folgte die Verbannung. König Yudwig 
verbot, dab man ihm von einem Syitemwediel aud nur rede. 

Das Werk des neuen Minijters war jener neue Vertrag mit dem Wiener 
Hofe. Bernis hatte dem Abſchluß entfchieden widerſprochen. Von der Wieder: 
eroberung Schlejiens als unerläßlicher Bedingung des Fünftigen Friedens war 
nicht mehr die Nede, der Vertrag vom 1. Mai 1757 ward feierlih für null 
und nichtig erflärt. Damit entfiel für den Wiener Hof, aud wenn Schleſien 
und Glag wirklih noch unter das öfterreihiiche Zepter zurüdfehrten, die Ver: 
pflichtung zur Abtretung der Niederlande. Frankreich dagegen ward der jähr— 
lihen Subjidienzahlung in der Höhe von 12 Millionen’) Gulden quitt und 
verpflichtete fih nur, die Rüditände, 7"; Million, nah dem Frieden nachzu— 
zahlen und für 1750 die Stellung der in dem Defenfivvertrag von 1756 zu: 
gelagten 24000 Mann mit einer Geldzahlung von monatlid 253000 Gulden 
abzulöjen; auch veriprady es, den Krieg mit 100000 Mann fortzufegen, und 
nahm die Subfidienzablung nad Stodholm und die Unterhaltung der ſächſiſchen 
Truppen allein auf fih. Alles in allem glaubte Kaunitz jagen zu dürfen, daß 
bei diefem Abkommen der Vorteil auf öfterreihiicher Seite „merklich vorwiege“. 

Im übrigen meinte Maria Therefia, fih von der Kriegsführung der ran: 
zojen gar nichts mehr verfpreden zu dürfen. Nach wie vor?) jchien ihr der 
Erfolg des Kampfes von Rußland abzuhängen. An dem Eifer der Zarin beitand 
fein Zweifel; immer von neuem erflärte Elifabeth, nicht eber ruhen zu wollen, 
als bis der König von Preußen gedemütigt jei. Ihr großes Wort, dei legten 


1 Dben ©. 150. 
*, Oben S. 43. 15%. 
3, Then ©, 156. 


Feldzug von 1759. 209 


Mann und den legten Rubel daran jegen zu wollen, hatte auf König Ludwig XV. 
fo tiefen Eindrud gemadt, dab auch er den Entihluß ausſprach, er werde eher 
ven legten Sou und den legten Mann aufwenden, als ſich von feinen Ber: 
bündeten trennen. 

Den allerchriſtlichſten König deito feiter an die gemeine Sache zu fetten, trat 
jest aud die Kurie in einer eindringlihen Kundgebung mit Lobſpruch und 
Mahnung an ihn heran. Am 3. Mai 1758 war nah achtzehnjährigem Pontififat 
Benedikt XIV. geftorben; der milde und weltmänniſche Herrſcher hatte zwar nach 
den Ausbruch des Krieges ſich mit feinen Sympathien jo ganz auf die Seite 
der Gegner Preußens geitelt, daß feine Umgebung ernftlic für feine Gejund: 
heit bejorgt war, wenn ein preußiicher Sieg ihm gemeldet werden mußte; offene 
Parteinahme aber hatte er vermieden. Sein Nachfolger, der Venetianer Nez: 
zonico, der fi Klemens XIII. nannte, nahm noch im Jahre feiner Erhöhung 
die Schlacht bei Hocdhfirh zum Anlaß, um dem Könige von Frankreich feierlich 
jeine Freude auszufpredhen über das von feinen Vorgängern fo fehr erjehnte, 
endlih zumege gebradte und von Gott jüngft durch glückliche Waffenerfolge 
gejegnete Bündnis der beiden großen Fatholifchen Höfe. Gleichzeitig forderte er 
in einem anderen Breve den Kailer auf, des Amtes als Schirmvogt der Kirche 
gegen die Afatholifchen zu warten und die Nechte der Religion und des heiligen 
Neihes zu ſchützen und mwiederherzuftellen. Die Kaiferinflönigin und andere 
fatholiiche Yandesherrihaften ermächtigte er für die Zwede des guten Krieges 
zu einer außerordentlichen Beitenerung des geiftlichen Gutes. 

Nicht lange darauf, jeit Anfang März 1759, ging dur die Zeitungen, 
zunächſt durch die holländiihen, eine angeblih aus Wien ftammende Nachricht, 
daß dem Feldmarſchall Daun ein Degen und ein Hut, beide vom Papſt geweiht, 
zugedacht jeien, geiſtliche Ehrengeſchenke, wie fie zulegt dem Prinzen Eugen für 
feine Siege gegen die Ungläubigen verliehen worden waren. König Friedrich 
hörte von der ihn fehr beluftigenden Sache erſt Ende April. „Der Papit hat 
Daun ich weiß nicht was für einen Hut verliehen; er beträgt fich ſehr unſchicklich 
gegen mich,“ fchrieb er an d'Argens. Der riet, die Sade ins Lächerlihe zu 
ziehen, zugleih aber eine Broſchüre über die dem Protejtantismus drohenden 
Gefahren zu veröffentlichen. Friedrich erwiderte, das jeien verbraudte Warten; 
niemand, jelbit nicht mehr die Frauen, laſſe ſich noch fanatifieren, weder für 
Luther nod für Calvin. Mehr jagte ihm der ‚andere Vorfchlag zu. Er ent: 
warf unter ftärffter Auftragung der Farbe ein päpftliches Verleihungsbreve für 
Daun, der da berufen jei, nah dem Worbilde des heiligen Karl den Norden 
Deutihlands durch Schwert, Feuer und Blut zu befehren, und fandte die Satire 
zur Veröffentlihung an d'Argens, der eine lateinifche Ueberjegung binzufügte. 
Harmloje Gemüter nahmen den fauftdiden Hohn als bare Münze auf, der Wiener 
Hof aber ſah fi endlich veranlaft, Anfang Auguft 1759, die vielerörterte Ver: 
leihung der geweihten Gegenttände in feiner amtlihen Zeitung in Abrede 
zu Stellen. 

Das war unverkennbar, daß troß der gegenteiligen Behauptung des Königs 
von Preußen Deutihland nod immer ein fruchtbarer Boden für fonfeffionelle 
Leidenfchaft war, und daß tro& der rein politiihen Anläſſe des — trotz 


Koſer, König Friedrich der Große II. 2. Aufl. 


210 Siebentes Bud. Erſter Abichnitt. 


der Bemühungen des Kaijerhofes, den Kampf fein religiöfes Anjehen gewinnen 
zu laffen,') der Gegenjag zwiſchen den Glaubensparteien eine neue Schärfe 
erhalten hatte. In die jeit der Schlacht von Kolin wieder ftodenden Verhand— 
lungen wegen Bildung eines evangelifhen Sonderbundes?) im Reihe fam in— 
folge der veränderten Haltung Roms neue Bewegung. Vollends der gemeine 
Mann wußte nicht anders, als daß es in diefem Kriege um die Religion gehe. 
Dem Volke in den Fatholiihen Gegenden waren Preuße und Ketzer gleichgeltende 
Begriffe; um jo mehr getröftete man fich dort des endlichen Sieges: 


Laßt halt aut fein, mein Herr Preuße, und den Pfaffen mir in Ruh, 
Wer dem Papit thut Ehr' erweilen, den bevrüdet nie fein Schuh. 
Und wer's mit der Kirche hält, niemals auf die Nafe fällt! 


Durch ihr kirchenſchänderiſches Treiben in dem proteftantiihen Kurſachſen 
vor der Schlacht bei Roßbach“) machte ſich die Rotte der franzöfifchen Befreier 
ebenjo verhaßt, wie einit an denfelben Stätten die jpanifhe Armada Karls V. 
im Schmalfaldiihen Kriege; der Kaiferhof ſah ſich zu dringenden Vorftellungen 
an bie verbündete Macht genötigt. Aber waren nicht die faiferlihen Truppen 
jelbft nur zu geneigt, den unglüdlichen, von Feind und freund gedrüdten Sadien 
ihren lutheriſchen Glauben entgelten zu lajien? Defterreihiihen Offizieren wurde 
das Mort nachgeſagt, man werde den Sadhjen als fegeriihen Hunden nichts 
als die Augen im Kopfe lafjen, auf daß fie ihr Elend jelbit jehen könnten. 

Hingegen ließ fi die proteftantiiche Bevölkerung, wo die Obrigkeit zu 
Oeſterreich hielt, hier und da zu offener Widerjeglichfeit hinreißen;*) der Reichs— 
feldherr klagte, daß er fih höchſtens auf die fatholifhe Mannſchaſft verlaſſen 
fünne; unter den Bürgern und Bauern in Franken war die Kreistruppe ver: 
haßt und der König von Preußen geehrt, und feine gepreßten medfenburgiihen 
Refruten durfte diefer König auch jegt im Kriege’) als fihere Leute betrachten, 
weil fie evangeliih waren. Die katholiſchen Bruchteile der preußiichen Regi— 
menter beeinträdtigten ben proteftantiihen Gejamtcharafter des Heeres nicht. 
Wie Frundsbergs Landsfnechte auf den Gaſſen der ewigen Stadt den Papft ver: 
böhnt hatten, jo liegen ih in König Friedrichs Feldlager die Soldaten zu ihrer 
Kurzweil das firhenpolitiihe Tagesereignis nicht entgehen und gaben auf im: 
provifierter Bühne ein Zwiegeipräh zwiichen Harlefin und Daun über die Ber: 
leihung des gemeihten Hutes zum beiten. Diejelben Leute aber fangen auf 
dem Mari ihre evangeliihen Kirchenlieder mit einer Andacht, daß ein warm: 
herziger Offizier wie Ewald von Kleift oft zu Thränen gerührt wurde. Bon 
neuem, wie einft in den Tagen der Glaubensfriege, ſtärkte das alte Streitlied 
des Proteftantismus: „Ein feite Burg ift unjer Gott” Taufenden von Kämpfern 
den Mut. Und jene unangejagten Danfgottesdienite auf den nadhtbededten 


'; Eben ©. 47. 

:, Oben ©. 48, 87. 

2) Oben ©. 135. 152. 153. 
ı Chen ©. 37. 

Bgl. Bd. I, 540. 


Feldzug von 1750. 911 


Siegesfeldern, fie haben nachkommenden Geſchlechtern mit Recht als der ergreifendfte 
Ausdrud jchlihter joldatiiher Frömmigkeit gegolten. „Sit es nicht gerade lwie 
bei Leuthen!” rief Gneifenau am Abend von Belle:Alliance, als wieder die fieg- 
gefrönten Preußen ihr „Nun danket ale Gott” anjtimmten. 

„Sottesdienft und Betitunden,” fo jchrieb in einem vergleihenden Rückblick 
auf den Siebenjährigen Krieg nad einem Menfchenalter ein preußifcher Feld— 
geiftliher, „waren immer im Gange und durften jo wenig wie die Löhnungs— 
tage fehlen. Damals war der Feldprediger einer der Unentbehrlichſten bei dem 
Regiment.” Die treuen und tapferen Hirten waren um jo mehr die Vertrauens: 
männer der Soldaten, als fie, der alten Yeldpaftoralregel eingedenf, nicht bloß 
durch die Predigt vor der Trommel — dem aus zwei großen Trommeln bergeitellten 
Feldaltar, — ſondern durch ihren ganzen Wandel und im täglichen unmittel- 
baren Verkehr auf die Mitglieder ihrer friegeriihen Gemeinde einwirkten, und 
dazu am Tage der Schlaht wenn es galt aud beim Angriff nicht fehlten, wie 
ein Balf bei Roßbach, ein Küfter bei Hohfirh und mand) anderer Feldprediger.) 
„ob er aud ein Herz habe und unter Umftänden aud wohl ein Pelotonfeuer 

aushalten könne?“ fragte der König den nachmaligen Feldpropft Kletichfe bei 
der Ernennung zum Seeljorger der Garde. 

In dem religiöfen Vorftellungskreife des gemeinen ae ward aus dem 
Könige, ald dem Muſter aller joldatiihen Tugenden, geradezu ein Gottesitreiter. 
„Wohl von Berlin ein tapferer Held regiert nebſt Gott jet in der Welt,” 
fangen die Soldaten, und noch bezeichnender in einem anderen Liede: 


König Friedrich, du mußt ftegen, 
Weil dein Gott ſtets mit dir iſt. 
Wer follte fich vor dir nicht ſchmiegen! 
Du kämpfeſt als ein Held und Chrijt. 


Und die Sieger von Leuthen wollten fich nicht ausreden fallen, daß während 
der Schlacht da, wo der König hielt, ein heller Glanz über dem Felde gelegen 
hatte: die Klarheit des Himmels, die den Erwählten des Herrn in der Stunde 
der Gefahr umleuchtet habe. 

Der König, der in dieſer Weiſe von feinen gläubigen Kriegern verherr: 
licht wurde, war dem Glauben jeiner Väter innerlich ebenjo entfremdet, wie feiner 
Politik deutichenationale Antriebe und Rüdfichten fern lagen. Und doch wurden 
auch in ihm die Geiſter des Schmalfaldifhen Krieges wieder lebendig: unwill— 
fürlih trat er in den Bann der eigentünlihen Verbindung von religiöfem, 
politiihen und nationalem Proteftantismus, in der fi die Altvordern gegen 
die römische Hierardie des Papſtes und den ſpaniſchen Dominat des Kaijers 
aufgelehnt hatten. Die Worte, die während diejes Krieges in der preußifchen 
Hauptitadt von der Kanzel gehört wurden: „Deutichland, deine Fefleln waren 
bereits gejchmiedet, deine bürgerlihe und Gewijlensfreiheit wäre mit uns zugleich 
das Opfer von Wien und Rom geworden” — fie umfchrieben nur des Königs 


1) Vgl. Bd. I, 109. 


212 Siebentes Bud. Erſter Abſchnitt. 


eigenes, in jenen Jahren jo oft wiederholtes Gelöbnis, der Schirmer ber 
deutihen Freiheit fein zu wollen, und feine gelegentlihe Bemerkung gegen 
d'Argens, daß zugleich mit ihm es auch um bie proteitantiiche Religion geſchehen 
fein werde. 

Eine gegneriihe Flugſchrift, die von einem proteftantiihen Echweizer 
herrühren wollte, jpottete über den „neuen Gujtav Adolf”, den Beſchützer, „der 
uns beſchützt, ehe wir noch angegriffen waren”, und Voltaire wagte es, in einem 
Brief an Friedrih den Spieß umzudrehen und ihm ins Geficht zu jagen, daß 
niemand ihn als einen Märtyrer der Freiheit betrachten werde, daß vielmehr 
jein Einfall in Sachſen an den meiften Höfen als eine Verlegung des Völker: 
rechts gelte. 

Gewiß hatte das Schlagwort „Deutiche Libertät” jeit Jahrhunderten un: 
gezähltemal als Dedmantel eigennügiger Politik dienen müſſen; es war gebört 
worden, fo oft irgendwo im beutichen Landen gegen das Neihsoberhaupt ein 
Banner aufgepflanzt wurde. Und immer hatte das Wort einen gewiſſen Zauber 
auf die Gemüter ausgeübt, wie denn eine Neigung ber kaiſerlichen Regierungs— 
gewalt zu Webergriffen, zu Verlegung der läftigen, von Kur zu Kur enger ge: 
zogenen Schranfen der Wahlfapitulation begreiflicherweife ftets vorhanden und 
unſchwer an Einzelfällen nachzuweiſen war. Auch jegt war der Faijerliche Hof, 
wie einſt nah den großen Erfolgen Karls V. und Ferdinands II., auf dem 
beiten Wege, ſich der Feſſeln des Staatövertrages zu entledigen: es war bis in 
den Sommer von 1759 hinein die Abficht, wider den Geiſt und Buchſtaben ber 
Kapitulation, wider bie durd den Neligionsfrieden verbürgten Sonderredhte ber 
Evangelijchen, durch Mehrheitsbefhluß des Neichstages die Acht über den König 
von Preußen verhängen zu lalfen. Dem entgegen eröffnete diefer feinen Minijtern 
feinen unabänderlihen Entſchluß, in ſolchem Falle den faiferlihen Thron für 
vakant zu erklären und die Kurfürften „zu felter Beibehaltung derer Reichs: 
verfafjungen, Prärogativen und Freiheit derer Stände des Reichs“ zu einer 
Neuwahl einzuladen. 

Aber noch in einem weiteren und höheren Sinne nahm Friedrich in jenem 
Zeitpunkte den Ruhm, der Verteidiger deuticher Freiheit zu fein, für ſich in 
Anſpruch, und er durfte das jedenfalls mit beſſerem Nechte als einft die deutſchen 
Bundesgenofjen Heinrichs II. von Franfreih, die Neichsland an die Fremden 
verichrieben. Denn jet waren es andere, die ſolches thaten, während er felbit 
heute gegen die Franzofen und morgen gegen bie Rufen zu Felde zog. Aus: 
Ihließlih erfüllt von preußifher Staatsgefinnung, national an ſich völlig in: 
different, vol Verachtung gegen das Elend der deutichen Kleinftaaterei, gegen 
die politiide Starre der Glieder, voll Trog und Eiferſucht gegen die dynaſtiſche 
Anmaßlichfeit des Hauptes, |pürte er doch bei feinen Siegen über jene Fremden 
im Herzen eine fräftige Negung des nationalen Stolges, den das deutiche Volk 
in feiner Gejamtbeit erſt wiedergewinnen mußte: 

Bis in feine tiefite Quelle 
Schäumt der alte Rhein vor Groll, 
Flucht der Schmach, daß feine Welle 
Fremdes Noch ertragen foll! 


Feldzug von 1759. 213 


tief er jegt zürnend, ganz im Tone der überlieferten reichspatriotiihen Ent: 
rüftung gegen den Erbfeind, jeinen ehemaligen Verbündeten zu, und den ruffischen 
„Barbaren“ galt fein frommer Wunid: 


D mödten fie in das Schwarze Meer mit einem Sprunge fi) verfenfen 
Köpflings, den Hintern hinterher, ſich felber und ihr Angedenken. 


Noch im März verjammelte fih im Königgräger Kreife das öfterreichifche 
Hauptheer. Nicht gegen Sachſen, wie im vorigen Herbit, jondern ausſchließlich 
gegen Schleſien jollten fid) die Bewegungen richten. So wünſchte es die Kaijerin 
perjönlih, und jo erheiſchte es die Rüdficht auf das Zuſammenwirken mit den 
Ruffen. An der Oder wollte man die Vereinigung ſuchen. Zuerſt wurbe an 
einen Punkt zwiſchen Breslau und Glogau gedacht, nachher fam von diter: 
reihiicher Seite Kroffen, von rujfiiher Garolath in Vorſchlag. Vor dem 25. Juni 
aber, jo erklärten die Rufen, würden jie von Poſen nicht aufbrechen fönnen. 
Bis dahin wollte es den Defterreichern rätlih jcheinen, einer Schladht auszu— 
weichen, jo ſehr auch Kaunig immer von neuem die „Moral prebigte”, daß man 
dem Könige von Preußen gerade auf den Leib rücken müſſe. 

An der Spike ihrer Heere ließ die Kaiſerin-Königin den Grafen Daun. 
Sie gab zu, daß Daun furdtiam, langſam, unentjchieden jei und daß ihm jonft 
noch vielerlei fehle; fie erflärte, nachdem fie vor einem Jahr nad) dem jchwerften 
Kampfe mit fich jelbit den Prinzen Karl geopfert habe, würbe fie jenen gewiß 
nicht ichonen, wofern fie nur einen Feldherrn wüßte, der geeigneter wäre. 

Dagegen wurde die Führung der ruſſiſchen Truppen abermals in andere 
Hände gelegt. Mit Rüdjicht auf die Stimmung des Heeres entichloß ſich die 
Zarin, Fermor vom Oberbefehl zu entheben, ohne zunächſt einen Nachfolger zu 
bezeichnen. Elifabeth bedenke ſich zwei Jahre, ehe fie fih zwiſchen zwei Kleider: 
ſtoffen enticheide, jpottete Eiterhazy: wie jolle jie bei der Auswahl eines Generals 
jo bald zum Entſchluß fommen! Schneller als man geglaubt, fiel dann die Wahl 
auf den Grafen Peter Sfaltyfow, der, bei den Generalen gefürdtet, von den 
Soldaten als ihr „leibliher Vater” verehrt wurde. 

Ein ruffisches Nebenheer jollte in Pommern eindringen und den Schweden 
die Hand reihen, ein kleineres öfterreichijches Heer fih in Sadjen mit den 
Reichötruppen vereinigen. Frankreich verfagte die Mitwirkung auf dem ſächſiſchen 
Kriegsihauplage nach wie vor und machte ſich zunächſt nur anheifchig, von 
Frankfurt und von Düffeldorf her die Wejerlinie zurücdzugewinnen; am Main 
übernahm Broglie, am Rhein wiederum Contades den Befehl. 

Zur ftrategiihen Defenfive entichlofien, aber des Grundbfages eingedenf, 
daß die Defenfive fih mit allen Attributen der Offenfive „befleiden und ver: 
hüllen“ müſſe, ſah der König von Preußen jeine nächſte Aufgabe darin, den 
noch unfertigen Gegnern durch Vorftöße gegen ihre Operationsbajen das Konzept 
zu verrüden; denn er ſagte fih: „Wenn wir nicht alles verfuchen, was menfchen: 
möglih it, um uns jegt, da wir noch Zeit haben, eines der Feinde zu entledigen, 
welche uns gegenüber ftehen, jo werden wir uns durch ihre Ueberzahl über: 


214 Siebentes Bud. Erſter Abſchnitt 
wältigt jehen, wenn fie ihre Operationen alle auf einmal beginnen.” Die 
methodiihen und hiſtoriſchen Bedenken des Prinzen Heinrih gegen ſolche weitab 
führenden Vorftöße ſchnitt er kurz ab: „Abftrahiert von den alten Kriegen, die 
mit den unjeren nicht zufammenpafjen.“ 

Die im Vorjahre geplante Unternehmung gegen Schweden, der Anſchlag 
auf Rügen, verbot fi in dem heurigen weihen Winter von jelbft. Sonjt aber 
ging man auf der ganzen Linie vor. Wie Wobersnow ſchon im Februar gegen 
die ruffiihen Magazine im Poſenſchen einen Handitreih ausgeführt hatte, To 
ftatteten einige Wochen fpäter Fouque von Glatz her, Prinz Heinrih aus Sadjen 
und Herzog Ferdinand wejerabwärts ihren Gegnern unerwartet einen früh: 
zeitigen Beſuch ab. 

Nur Prinz Heinrih war von den dreien glücklich. Er entführte oder 
zerftörte die Magazine von Lobofig, Leitmerig, Budin, Saatz. „Das würde für 
einen anderen ausgezeichnet fein, iſt aber noch nicht hinreichend für Sie,“ ſagte 
der König, und der Prinz ging nad einigem Sträuben nun aud nad Franken 
und that desgleihen: aud die Neihsarmee war in ihren Vorbereitungen gründ: 
lich gejtört, ihrer Vorräte beraubt, für Wochen oder Monate lahmgelegt. Einen 
um jo entichiedeneren Mißerfolg hatte Herzog Ferdinand; er wurde vor Frank: 
furt beim Dorfe Bergen am 15. April von den Franzofen unter Broglie in 
einem blutigen Treffen geſchlagen, und Friedrich konnte ihn nur mit dem Nat 
tröften, die Sache als Bagatelle zu behandeln: dann werde fie das wirklich 
werden. Auch Fouqué verfehlte an der Morawa jein Ziel; ohne Verlufte zu 
erleiden, fonnte er doch den feindlihen Magazinen nicht beifommen. Und nicht 
ergebnisreiher war ein num vom Könige jelbft geführter Vorftoß gegen Zudmantel. 

Dem bewegten Vorjpiel des Feldzugs folgte ein jtiler eriter At, noch 
länger und langweiliger als Friedrid es vorausgejehen hatte. Zum erftenmal 
in diefem Kriege follte den öfterreihiichen Feldherren die Snitiative gelaſſen 
werden: war es ein Wunder, daß Daun, Ianglamen Entichluffes und von Wien 
ber wie von feinen Unterführern mit den verjchiedenartigiten Vorſchlägen über: 
jchüttet, in diefe ungewohnte und jeinem eigenen Gejtändnis nah unerwünſchte 
Lage fich nicht jo ſchnell hineinfinden konnte? Unbeweglich ftand er im Lager von 
Mündengräg und drillte feine Nefruten; jenjeits der Berge bei Landshut lagerte 
der König von Preußen und verzehrte fich bald in Ungebuld. „Das find die 
Folgen eines Defenfivfrieges,” jo klagte er jegt fich felbit an wegen feines Ent: 
ſchluſſes; „bier ftehen wir wie die Hammels gegeneinander, feiner will beißen.“ 
Im Mai hoffte er no, daß die Miferen, Detachements und Bagatellen nur bis 
zum Juni ihre Zeit haben würden; aber der Juni fam und ging, ganz jo ges 
räuichlos wie der Mai. „Ih hatte mir,” fpottet Friedrich, „20 Pfund Blei 
binterwärts beigeitedt, um den Feind zu deroutieren mit einer gegen die Vorjahre 
ganz veränderten Haltung, aber Daun bat 60 Pfund figen, denn er fadelt ent: 
jeglih mit mir herum.” And dabei hatten die Defterreiher einen frübzeitigen 
Beginn der Operationen angekündigt. Friedrichs Erklärung für den Verzug 
lautete: „Ich babe mit einem Mann zu thun, auf dem der päpftlihe Segen 
ruht und den der heilige Geiſt langſam inipiriert; feine frühreife Campagne 
wird darauf hinausfommen, dem Monat Auguſt um einige Wochen vorauszu— 


Feldzug von 1759. 215 


eilen,” in neuer Anwendung des kaiſerlichen Wahlipruds: Semper Augustus. 
Diefe Spötteleien über den „päpftlihen General”, die „gemweihte Kreatur“, nahmen 
fein Ende! „Er verfteht die Kunft, feine Ueberlegenheit nicht auszunugen; er 
fteht zwiichen hier und Troppau mit 103000 Mann, und glaubt nichts wagen 
zu dürfen, wenn nidt 60000 Nuffen mit von der Partie find.“ 

Friedrihs Stimmung verbüfterte fich immer mehr. „Jh bin alt, traurig, 
verbrießlih,” klagt er dem Marquis d’Argens; „ein matter Schimmer meiner 
alten guten Laune findet fi von Zeit zu Zeit wieder ein, aber es find nur 
Funken, die erlöfhen müffen, in Ermangelung der nährenden Glut — Strahlen, 
die durch finfteres Gewölk zuden. Ich rede wahr: wenn Sie mich fähen, würden 
Sie nur noch die Spuren befjen erfennen, was ich ehedem war. Sie würden 
einen ergrauenden, der Hälfte feiner Zähne beraubten Greis fehen, ohne Freudig— 
feit, ohne Feuer, ohne Einbildungsfraft — die Wirkung weniger der Jahre, als 
des Kummers.” Schon vor einem Jahre hatte Catt beim erften Wiederjehen 
in Breslau ben Friedrih von 1755 nur an dem Feuer ber Augen wieder er: 
fannt, jo war er damals bereits gealtert, abgemagert. Jetzt zeigte er dieſem 
Gefährten feines Lagerlebens, wie die nad Zorndorf angelegte neue Uniform 
ihm abermals viel zu weit jaß. 

Endlich, in den legten Tagen des Juni, jeßte Daun ſich über Reichenberg 
nah dem Dueiß zu in Bewegung, auf gemeflene Befehle aus Wien. Die 
Preußen verließen darauf am 5. Juli die Stellung zwiſchen Landshut und 
Neihhennersdorf und rüdten am 10. in das Lager bei Schmottjeifen, das die 
Straßen aus der Laufig nah Sclefien beherrſchte. Dem Könige jhien es jegt 
feinem Zweifel zu unterliegen, daß die Defterreiher in Schlefien eindringen 
wollten und daß es „folglih” in wenigen Tagen zur Schlaht fommen würde, 
Dit 44000 Mann glaubte er 77000 gewachſen zu fein. Nun aber jchanzte 
der Feind am Queiß fi feit ein: „Daun bat geitern Trandheen eröffnet, um 
Schleſien zu belagern,” jchreibt Frievrih am 15. Juli. Man war jo weit, als 
wie zuvor; es jchien eine „dumme Campagne”, eine „marode Campagne” bleiben 
zu jollen, verlohnend nur für die Streifpartien. 

Nur zu bald follte diefer Feldzug ein gar anderes Ausſehen gewinnen. 

Dauns Schanzthätigfeit hatte ihren guten Grund. Der moderne Fabius 
war von den bei ihm vorausgejegten Offenſivabſichten vorerft weit entfernt. 
Die verabredete Frilt für die Vereinigung mit den Ruſſen war bereits ver: 
firihen, der ganze Plan erſchien längft dem öfterreichiichen Feldherrn unaus: 
führbar; denn wie wollte er an dem preufifchen Heere vorbei die Oder erreichen? 
Genug, wenn er den König davon abhielt, fih wie im Vorjahr den Rufien 
entgegenzumwerfen. Und dieſen Zwed glaubte er mit der beobachtenden Stellung 
an der niederfchlefiichen Grenze zu erreihen. Seine Erbwerfe gaben ihm das 
Gefühl der Sicherheit; er konnte wagen, zwei größere Corps von jeiner Streit: 
macht abzuzweigen. Hadik mit etwa 25000 Mann jollte an der Oberipree den 
Prinzen Heinrich ebenſo in Schad halten, wie Daun hier am Queiß das 
preußiihe Hauptheer, Laudon derweil mit 20000 Mann den Ruſſen ent: 
gegenziehen. 

König Friedrich befand fich den Ruſſen gegenüber noch immer in der ge: 


916 Siebentes Bud. Eriter Abſchnitt. 


mifchten Empfindung, daß er fi für die Gejamtanlage des Feldzugsplanes auf 
das äußerſte durch fie behindert fühlte und fie dabei, auch nad Zorndorf, als 
Stümper in der Kriegsfunft gründlich, weit über Gebühr, veradtete. Sſaltykows 
Ernennung zum fommandierenden General begrüßte er mit dem Spott, das jei 
dem Vernehmen nad) gröbliher und thörichter als alles, was Rußland Bäurifches 
je hervorgebracht. In dieſer Unterihägung des Gegners wollte er es für ein 
(eihtes halten, durch geichidte Handitreihe die Ruſſen in ihren Anftalten, ihrem 
Anmarjch, ihrer Verfammlung derart zu ftören, daß fie fih womöglich für das 
ganze Jahr nicht jollten rühren können, ‚jene Zeritörung einiger Magazine im 
Februar hatte nit viel zur Sade gethan, es war zu früh gemweien, ven 
Ruſſen blieb reihlih Zeit, die Vorräte zu eriegen. Im Juni regte das Haupt: 
quartier des Dohna’ihen Heeres eine Wiederholung an: einen Vorftoß in der 
Richtung auf Thorn zur Bedrohung der ruſſiſchen Rüdzugslinie und der Magazine 
jenfeits der Weichſel. General Wobersnow veriprad fi die Wirfung, daß der 
Feind aus feiner feiten Stellung bei Pojen zurüdgehen würde, wo man ihn 
dann im offenen Felde angreifen müſſe. Der König ging mit Lebhaftigfeit auf 
den Vorſchlag ein, die ruffiichen Heerhaufen waren noch weit voneinander ge: 
trennt, er ſah fie im Geift jchon einen nah dem andern geſchlagen. „Mit 
rechter Vivacite pouſſiert,“ jchien ihm der Plan „für diefes Jahr und vielleicht 
für alle Zeit” diejen ‚Feind bejeitigen zu können. Aber die Nufjen waren auf 
ihrer Hut und alsbald in Bewegung. Am 29. Juni, ſechs Tage nad) dent 
Aufbruch des Grafen Dohna von Landsberg, hatten fie bei Poſen ihre Ver: 
jammlung vollendet, und Dohna und Wobersnow nahmen nun Anitand, über 
die Warthe hinaus ihre Bewegung fortzufegen. Sie plänfelten fünf Tage mit 
dem ruſſiſchen Heere, nach deſſen Aufbruch von Poſen, gingen am 14. Juli aus 
Mangel an Verpflegung auf Meferig zurüd, zogen aber ſchon am 18. wieder 
gegen den inzwijchen nach der Oder vorgerüdten Feind aus und legten ſich ihm 
am 20, bei Züllihau in den Weg. Mit einer aus Sachſen eingetroffenen Ver: 
ftärfung von 10 Bataillonen und 23 Schwadronen zählte das preußiſche Heer 
jegt ungefähr 27000 Mann, von den Ruſſen waren an 40000 zur Stelle. 
Der König war auf das äußerſte unzufrieden mit jeinen Generalen. 
Mobersnow befam zu hören, daß „ein mebiocrer General, der betrunfen, die 
Armee nicht toller fommandieren könnte”; Wobersnow habe alle Sottiien ge: 
than, die im Kriege nur denkbar wären; die Geſchichte feiner polniſchen Cam— 
pagne verdiene zum ewigen abjchredenden Beiſpiel gedrudt zu werden. Dem 
Grafen Dohna ward anheim gegeben, jeiner Gejundheit wegen das Heer zu 
verlaffen; auf alle Fälle wurde er den Befehlen des Generallieutenants Medell 
untergeordnet, der am 20. Juli aus dem Hauptquartier des Königs zu dem 
Tohna’ihen Heere abging, um dort das zu fein, „was ein Diktator bei der 
Römer Zeiten voritellete,” — eine eindringlihe Mahnung zur Subordination 
an die vier überjprungenen älteren Generallieutenants Dohna, Manteuffel, 
Kanit und Hüljfen. Der König gab Wedell den Auftrag, Ordnung zu ſchaffen 
und „den Feind erftlih durch eine gute Pofttion aufzuhalten, alsdann nad) 
meiner Manier — d.h. nur mit einem von beiden Flügeln — zu attadieren.” 
Durch einen dem Diktator am 24. Juli nadhgelandten Befehl — die Ant: 


Feldzug von 1759. 217 


wort auf Wedells erjten aus dem Züllihauer Lager abgeitatteten Beriht — er: 
flärte fih der König damit einverftanden, daß der Angriff unter Umftänden zu 
unterbleiben habe: „Sollten die Rufen jo ftehen, daß man fie nicht attadieren 
fann, jo thut Ihr ganz recht, fie da ftehen zu laſſen.“ 

Der Beiheid war faum abgegangen, als am Abend des 24. ein Offizier 
vom Dohna'ſchen Heere die Meldung bradte, dag Wedell geitern Nachmittag 
den Feind bei Kay angegriffen hatte und gejchlagen war. Wobersnow hatte 
auf dem Schladhtfelde den Tod gefunden. 

Catt war zugegen, als der König den Offizier ausfragte. Er war ganz 
ruhig; feine Miene verriet feine Erregung; er ſprach leile, jo daß Catt den 
Zufammenhang nur mutmaßen fonnte. 

Den gejchlagenen Feldherrn traf fein Wort des Tadels. „Mir hat es 
geahnt,” jchrieb ihm der König, „das Ding würde jchief gehen, ich habe es Ihm 
aud gejagt, denn die Leute waren verblüfft. Nun nur nicht mehr daran ge: 
dacht, jondern wo der Euccurs am erſten zuftoßen fan, um von neuem brauf 
zu gehen; es ift Seine Schuld nicht, dab die Schurfen jo ſchändlich davon- 
laufen.” 

Sein Entihluß ftand fofort feſt. Noch geitern hatte er beabſichtigt, im 
Falle einer Niederlage ben Prinzen Heinrich zu einer neuen Schlacht gegen die 
Austen auszufenden. Sept hielt er es für erforderlih, jelbit den Oberbefehl 
gegen biejen Feind zu übernehmen. Am 29. Juli lölte ihn der Bruder im 
Sager von Schmottjeifen ab. Tags darauf brach der König mit Heinrichs bie: 
herigem Corps, 21 Bataillonen und 31 Schwadronen, von Sagan zur Ober auf. 

Ein einziger glüdliher Tag, damit tröftete er die Seinen und fich felbit, 
kann alles in Ordnung bringen. Es war fein Vorjag, „die Affaire mit den 
Rufen abjolut decifiv zu machen“. „Halte Er fi nur unbeſchädigt,“ jchrieb er 
an Wedell, „bis wir heran find; dann joll Zahlwoche gehalten werden und der 
Feind ſich nit lange feines Glüdes zu freuen haben.” 

Von einer Unterſchätzung des Feindes, gegen den er ausjog, war er jet 
bod) frei. Am 4. Nuguft erhielt er auf dem Mari, zu Müllrofe am Friedrich 
Wilpelms:Kanal, die Nahriht von dem glänzenden Eiege, den der Braun: 
ſchweiger am 1. bei Minden über die Franzofen errungen hatte. „Ich wünjche 
von ganzem Herzen,” fchrieb er nah Berlin an Finckenſtein, „Ihnen demnächit 
eine ebenjo qute Nachricht geben zu können; aber meine Urjomanen find feine 
Franzofen, und Sfaltyfows Artillerie ift hundertmal mehr wert, als die von 
Contades ... Jh muß vorlihtiger und zugleich unternehmender fein denn je, 
binnen kurzem werbet hr entweder ein De profundis oder ein Te Deum 
fingen.“ 

Und wenn nun obenein diefen unheimlihen Rufen es glüdte, öfter: 
reichiſche Verftärfung an Sich zu ziehen? Hadik follte, wie wir hörten, dem 
jest von dem Könige geführten Heere den Weg zur Oder verlegen. Das ver: 
mochte er nicht; aber wiederum gelang es den Preußen nicht, das zweite ölter: 
reihiihe Detahement, die „LZaubonnerie” einzuholen und zu Schlagen oder 
menigitens Laudons Infanterie abzufangen, Nah „graufamen und terriblen“ 
Märichen dur den märkiihen Sand — jehs Nähte hindurch hatte Friedrich, 


218 Siebentes Bud. Erfter Abſchnitt. 


nervös völlig abgeipannt, feinen Schlaf gefunden — erhielt er doch die leidige 
Gewißheit, daß Laudon fih mit den Ruſſen bei Frankfurt vereinigt hatte. 

Schon vorher war General Find, der mit 9000 Mann Habif hatte be: 
obachten jollen, heranbefohlen worden. Sachſen und Berlin ftanden damit dem 
Feinde offen; aber dem König galt mit Recht: „Was bier wird becibiert werden, 
ift von der größten Importance und kann alfo nicht mit genuger Force ans 
gefangen werben.” 

Auh das ftörte feine Entwürfe, daß die Verbündeten ihm nicht auf das 
linfe Oderufer entgegenfamen. So empfindlid ihm die Vereinigung Laudons 
mit Sſaltykow war, jo wenig war dieſer damit zufrieden, nur Yaudon und 
nit, wie verabredet war, das Hauptheer an der Oder eintreffen zu jeben. 
Sſaltykow, Fermor, die ruffiihen Generale alle weigerten ſich einftimmig, über die 
Oder zu geben, ehe Daun ihnen die Hand reihen werde. Laudon gewann ben 
Eindrud, daß fie an die Weichjel zurüdgehen, aljo den Feldzug für dieſes Jahr 
endigen wollten. 

Die große Entjheidung, die er ſuchte und der jein Gegner gern aus— 
gewichen wäre, verzögerte fich jomit für den König unwillkommenerweiſe um die 
für den Oberübergang erforderliche Frit. Am 6. nahm er, noch bei Müllrofe, 
das bei Schiblow über den Fluß gelommene Wedellihe Heer auf, dem ber 
Tag von Kay 7000 Mann gefoftet hatte. Am 9. traf Kind ein. Nah ben 
Tageslilten zählte die vereinigte Streitmadt jegt 53 121 Mann mit 114 Ges 
ſchützen, außer den Bataillonsftüden. Abgezweigt wurden 9 Bataillone und 
5 Schmwabdronen, teild um das an der Oder zurüdbleibende Gepäd und die 
Brüden zu deden, teils um während der Schlacht dem Feind den Rückzug auf 
das linfe Ufer zu verjperren. Dit der Hauptmaſſe ſchickte fi der König für 
die Naht vom 10. auf den 11. zum Uebergang an. „In zwei Tagen,“ fchreibt 
er am Abend, wieder an Findenftein, „werdet Ihr eine Heine Hymne an Fortuna 
richten müffen. Ich glaube, daß Hadif es auf Berlin abgejehen hat, und ich 
bin genötigt, mich hier zu beeilen, um jeinen Streich beizeiten zu parieren. 
Ein Verdammter im Fegefeuer ift in feiner abjcheulicheren Lage, als jett ich.“ 

Ungehindert bei Detfcher über den Fluß gelangt, lagerte fi) das Heer ohne 
Zelte zwiihen den Dörfern Leiſſow und Bifchofsfee. Von den Höhen bei Trettin 
hatte man den Einblid in die feindliche Stellung jenfeits der von dem Hühner: 
fließ durchſchnittenen ſumpfigen Einjenfung. 

Die Verbündeten hielten den 6—7000 Fuß langen, ſchmalen Höhenrüden 
bejegt, der die im Often und Eüden von Wald begrenzte Feldmarf von Kuners- 
dorf nad) Nordweit abjchließt und fich dort zu dem fteilen Thalrand der Oder 
ſenkt. Die Front des Lagers war den Strom zugefehrt, die Sümpfe des 
Hänckerbuſches und des großen Elsbuſches machten fie fait in ihrer ganzen Aus— 
dehnung unzugänglid. Mehrere, durch tief eingeichnittene Schluchten vonein— 
ander getrennte jandige Erhöhungen, fübweitlich die Judenberge, in der Mitte 
der große Spihberg, nad Norboft, den Trettiner Höhen gegenüber, der Mühl: 
berg jprangen, mit Batterien gekrönt, nad) der anderen Seite als Baftionen 
vor und waren durch Erdwerke und Zaufgräben verbunden. Nah dem Er: 
fcheinen der Preußen auf dem rechten Oderufer ließ Sſaltykow, wie Fermor bei 


Feldzug von 1759. 219 


Zorndorf, das Heer Kehrt mahen und brannte vor feiner nunmehrigen Front 
die Gehöfte von Kumersdorf nieder. Die Truppen ftanden in zwei Treffen auf 
dem Höhenzuge, die Reiterei und die rregulären am Fuße der Yudenberge, 
die Defterreiher teil® ebendort in der jeither Laudonsgrund geheißenen Ein: 
fenfung, teil® auf der Höhe im zweiten Treffen des rechten Flügels. Der 
Wagenparf war auf das jenfeitige Ufer geſchafft. Die ruſſiſchen Schladhttruppen 
beliefen fih auf etwa 40000 Mann, ihre Srrequlären auf 10000. Die Oeſter— 
reicher zählten 18—19000, einjchließlid etwa 6000 Kroaten. 

Den Schlüſſel der Stellung bildeten die Judenberge. Wurde diejer Punkt 
bezwungen, jo war nicht bloß das ganze Lager dem Feuer des Siegers aus: 
gejegt, den Beliegten war dann aud der Rüdzug abgeihnitten. Cs hat indes 
wohl von vornherein nicht in der Abficht bes Königs gelegen, fih wie bei Prag 
und Kolin, Leuthen und Zorndorf an die ihm am weiteften abliegende Flanke 
des Feindes heranzufchieben, wo überdies im vorliegenden Falle der bis auf 
300 Schritt an die Schanzen ber Judenberge herantretende Wald der Artillerie 
eine wirkſame Vorbereitung des Angriffs unmöglich gemacht hätte. Friedrichs 
Augenmerk fcheint fi vielmehr fofort auf die ihm zugemwandte Flanke, den 
Mühlberg, gerichtet zu haben: wenn er am nächiten Morgen für den Anmarfch 
zur Schladht den Umweg durch die Neuendorfer Heide einihlug, jo geihah das 
feiner Angabe nah, weil er in gerader Richtung von Trettin aus ſich dem 
Mübhlberge nur auf zwei ſchmalen, dem ruſſiſchen euer ausgejegten Dämmen 
hätte nähern Fönnen. 

Zum Schuße der Batterien, die von den Trettiner Höhen aus die ruffische 
Flanke beitreichen jollten, blieb General Find mit 8 Bataillonen und 21 Schwa- 
dronen zurüd, während das Heer Jeit der zweiten Nachtſtunde in zwei Kolonnen 
über das Hühnerfließ dur den ſandigen Forft vorrüdte, bis eine langgeitredte 
Sumpfniederung, die jüdliche Fyortjegung des Seenbedens von Kunersborf, dem 
Marſche Einhalt gebot. Noh im Walde, da fein Unterholz hemmte, wurde 
aufmarichiert; der linfe Flügel, hinter dem faft die ganze Reiterei ftand, wurde 
zurüdgehalten, der zum Angriff beftimmte rechte lehnte fih an das Hühner: 
fließ; voran rüdte ein Vortreffen von 8 Bataillonen bis hart an ben vor dem 
Mühlberg liegenden, zu dem Bädergrunde abfallenden Ausgang des Waldes, 
Auf zwei Waldhöhen am Saume, jowie auf dem Heinen Spitberg bei Kuners— 
borf wurden Batterien errichtet. 

Erit eine halbe Stunde vor Mittag, denn der beichwerlihde Marih und 
Aufmarih im Holze hatte unendliche Zeit erfordert, eröffneten die Batterien 
aus 60 Geſchützen das Feuer gegen den Mühlberg. Bald glitten die Grenadiere 
des Vortreifens aus ihrem Waldverſteck in den Bädergrund hinab und Fletterten 
jenjeitö empor, auf 100 Schritt aus den ruffiihen Verſchanzungen mit Klein: 
gemwehrfeuer und SKartätichen begrüßt. Sie antworteten mit einer Salve und 
überftiegen mit gefälltem Gewehr die Erdaufwürfe und das in hellen Flammen 
ftehende Verhad. 15 ruſſiſche Bataillone wandten fih zur Flucht, der Mühl: 
berg mit 40 Geſchützen gehörte den Preußen, die Erftürmung hatte ihnen nur 
etwa 200 Tote und Verwundete gefoftet. 

Mit der glänzenden Einleitung der Schlacht war für die Angreifer fo viel 


220 Siebentes Buch. Erfter Abſchnitt. 


gewonnen, wie am Tage von Yeuthen durch die Uebermwältigung der Höhen von 
Sagihüg. Aber wenn damals der geichlagene Flügel des angegriffenen Heeres 
baltlos bis auf die Zentralitellung zurüdgeroft war, jo bot heute den Rufen 
für die verlorene Flankendeckung jchnell eine jener tiefen Falten des Geländes 
Erjat und hemmte die Edhritte der mit Siegesgeihrei von dem eritürmten 
Mühlberg her andrängenden Verfolger: der Kubgrund, durch den vielleicht ehe: 
dem der Kunersdorfer Dorfteih und die beiden oberhalb des Ortes liegenden 
Gewäſſer, der blanke und der faule See, ihren Abflug zum Oderthal genommen 
haben, eine etwa 400 Schritt lange, ftellenweije bis zu 40 Fuß tiefe Schlucht 
mit breiter Sandjohle, an den fteilen Rändern mit kurzem, glatten Raſen be— 
kleidet. Hinter diefem Einjchnitt bildete der Feind aus friihen Truppen, auch 
öfterreihiichen, mehrere Linien, während zugleich inmitten der Trümmer des an 
den Grund anftoßenden Kunersborf der ummauerte Kirchhof ftark beſetzt wurde. 

Wäre auf preußifher Seite Reiterei zum Einhauen und Artillerie zum 
Nachfeuern glei in größerer Mafle zur Hand geweien, jo würde die Verwirrung 
unter den Ruſſen viel verheerender um ſich gegriffen haben. Vor allem aber 
fehlte es der glänzenden Attade der Grenadiere auch an jofortiger Unterftügung 
durch friihe Infanterie. Zwar auf der jchmalen Plattforın des Mübhlberges 
bäuften fi die Bataillone der Art, daß der Feind vom Epitberg aus eine 
einzige dichte Kolonne zu erbliden glaubte; aber jtatt nun dem Bortreffen nad: 
zurüden, verirrten ſich die Bataillone des rechten Flügels jo weit nad) rechts, 
daß fie in das Elsbruch hinunterfamen und erft nad) anderthalbitündiger Ver: 
jpätung wieder oben und zur Ablöjfung des Vortreffens bereit waren. 

Inzwiſchen mühten fi) die braven Grenadiere vergebens damit ab, wie 
den Mühlberg fo auch den fteilen jenfeitigen Hang des Kuhgrundes zu erflettern; 
wer fi) emporarbeitete, ward hinuntergeftoßen. „Das Würgen,“ erzählt ein 
Augenzeuge, „war auf beiden Seiten entjeglih, weil die Truppen an manden 
Orten nicht fünfzig Schritt auseinander ftanden und das fleine Gewehr in 
feiner vollen Etärfe wirkte.” Unter diefen Umſtänden beichränften fich die 
Grenabdiere, ohne Unterftügung gelafien, bald auf ein Schügengefedt. 

Was dem Frontalangriff nicht gelang, wurde endlich durch Bedrohung der 
feindlihen Flanken erreiht. Zur Rechten des Grenabiercorps drang durch bie 
Niederung des Elsbujches die Abteilung des Generals Find vor, der, durd bie 
Batterien des Mühlbergs nicht mehr gehemmt, von Trettin her über die Dämme 
herangekommen war; zur Linken ftürmte das Regiment Knoblod vom rechten Flügel 
den Kunersborfer Kirchhof und öffnete dadurch fih und den Nahbarregimentern 
zwijchen dem Dorffee und dem Kuhgrund ein Angriffsfeld. 

Die feindlihen Truppen räumten den jo lange hartnädig behaupteten 
Thalrand und wurden hinter die neue DVerteidigungsitellung zurüdgenommen, 
welche die Heeresleitung inzwiihen ausgewählt und hergerichtet hatte: eine etwa 
1000 Schritt lange, an beiden Enden durch jtarfe Nedouten eingefaßte Quer: 
linie im Zuge der VBodenwelle, die fi) von dem großen Epigberge bis zum 
tiefen Grunde, ber hinter dem Kubgrund in das Elsbruch fallenden Schlucht, 
allmählich abjenft. 

An diefer Schranfe und injonderheit an dem Bollwerk des großen Spitz— 


Feldzug von 1759. 221 


berges find alle weiteren Angriffe der Preußen, deren jchwere Geihüte nicht in 
genügender Anzahl zur Stelle geichafft werben konnten, geicheitert. 

Auf der äußerften Rechten, im Elsbrud, famen Finde Bataillone, zwiſchen 
dem Kubgrund und dem tiefen Grund, unter die Kartätſchenladungen der auf 
der Höhe aufgeitellten Batterien und das Gewehrfeuer immer neuer Gegner. 
Hier fiel beim Regiment Haufen der Major Ewald v. Kleift, zum Tode ver: 
wundet, in die Hände der Koſaken. Den von Kunersdorf berbeigerufenen Neitern 
des Prinzen Friedrih Eugen von Württemberg gelang es, aus der Niederung 
auf die Hochfläche zu kommen; fie ritten ein Musfetierregiment über den Haufen 
und bedrohten jchon die eine der großen Batterien, als zwei ruſſiſche und ein 
ölterreihiiches Neiterregiment fie anfielen und von ben Höhen binunterwarfen. 
Dei einem neuen Angriffsverfuh wurde der Prinz verwundet. 

Ebenſo ergebnislos verlief das Gefecht auf der Kunersdorfer Seite. Vom 
Dorfe her ftrebten die Negimenter Anobloh, Prinz Heinrih, Find dem großen 
Epigberg zu, und zeitweile ift die Höhe, aber noch nicht die große Redoute, in 
ihrem Belig geweien: ber König gedenkt eines Augenblides, in welchem fein 
Außvolf von der jchon verlafienen Batterie nur noch 150 Schritt entfernt ge 
mejen jei, als Laudon, mit Rejerven berbeieilend, den Preußen einen Voriprung 
von wenigen Minuten abgewonnen und dann das Kartätichenfeuer aus nächiter 
Nähe auf die Angreifer gegeben babe. 

Der zurüdgebaltene linke Flügel des preufiihen Heeres hatte bisher hinter 
der fait eine Viertelmeile langen Linie der Sümpfe und Seen oberhalb von 
Kunersdorf geitanden. Es fam die Stunde, da auch er eingejeßt werden mußte. 
Als er zum Kampf anrüdte, follen von den mehr als 30 bisher ins Feuer ge: 
Ihidten Bataillonen kaum noch 21 gegen den Feind gefianden haben. 

Nah Friedrihs Theorie follte die „Nefufierung” des einen Flügels vor 
allem dem Zmwede dienen, bei einem Miperfolg des Angriffsflügels dem Heere 
den geordneten Nüdzug zu fihern. An dieſem 12. Auguſt ftellte der König 
wieder wie bei Leuthen und Zorndorf!) dem aufgeiparten Flügel fchließlich eine 
andre Aufgabe, die Fortführung des fiodenden Angriffs, und jegte ſich damit 
über die Sorge um den NRüdzug gänzlich hinweg. Im preußiſchen Offiziercorps, 
unter den Mitjtreitern von Kunersdorf, pflanzte fi die von Gaudi aufgezeichnete 
Veberlieferung fort, dat nad der Wegnahme des Kuhgrundes, als zwei Drittel 
bes vom Feinde vor der Schlacht bejesten Bodens erobert waren, General Find 
dem Könige geraten habe, fich ferneren Angriff zu erjparen, „da die Bataille 
völlig gewonnen fei, unjere Infanterie viel gelitten hätte und der Feind gewiß 
nur die Nacht abwarten würde, um ſich längs der Oder durd die Wälder zurüd: 
zuziehen”. Der König fol geantwortet haben: der Feind babe gar feine Retraite, 
wenn er in das Obderthal geworfen würde; man müſſe die Ruſſen dergeftalt in 
Schreden jegen, daß ihnen die Luft vergehe, künftig die preußiichen Staaten zu 
betreten. Andere wollten willen, daß aud Seydlik, ja alle Generale, den 
einzigen Wedell ausgenommen, die erlangten Vorteile als ausreichend angejehen 
hätten; ja es it behauptet worden, daß man ſchon nad der Bezwingung bes 





) Bal. oben ©. 145. 181. 


992 Eiebentes Bud. Erſter Abfchnitt. 


— — — 


Mühlberges hätte einhalten können oder müſſen — eine Meinung, auf bie 
Tempelhoff treffend erwidert hat: das heiße, der König hätte gerade in dem 
Augenblid Halt machen follen, da er ale Wahrfcheinlichkeit auf jeiner Seite 
hatte, den vollfommenften, enticheidenditen Sieg zu erringen. Ob in irgend einem 
jpäteren Zeitpunkt, etwa nad) Erſchöpfung des rechten Flügels, der Kampf zweck— 
mäßig abgebroden worden wäre? Der in der Schlacht verwundete General 
Hülfen hat bald darauf erflärt, daß aud er als Feldherr die legte Stellung des 
Feindes angegriffen haben würde; daß der König Tadel verdient hätte, wenn 
er es hätte unterlajjen wollen. Und jchon fünf Tage nad) der Schladt ſchrieb 
der Neitergeneral Platen an den Prinzen Heinrich, er fönne den Vorwurf, daß der 
König nad) der Wegnahme des Dorfes nicht eingehalten habe, nicht als ber 
rechtigt anerkennen; nur war Platen der Meinung, daß es fi) in dem bezeich- 
neten Zeitpunkt enıpfohlen haben würde, nunmehr mit dem linken Flügel die 
feindlihe Stellung in ihrer rechten Flanfe zu umfaſſen. Die ihn wegen feiner 
Vermwegenheit und Ungenügjamfeit geicholten haben, und Friedrich jelbit, haben 
dabei immer angenommen, daß das Hindernis, an dem der Angriff fih brach, 
ber große Spigberg, bereits das legte Bollwerk des Feindes, d. h. der Judenberg 
oder gar ber ganz nahe an Frankfurt gelegene Judenkirchhof geweſen jei, und 
dieje irrige Annahme hat die Tadler in ihrer VBoritellung von der Zulänglichfeit 
des eritrittenen Teilerfolgs, den König aber in feiner Tendenz auf völlige Ber: 
nidtung des Gegners beſtärkt. In Wirklichkeit hätten die Verbündeten auch 
nach Verluſt des großen Spitbergs immer nod eine Zuflucht hinterwärts ge: 
junden und würden jo den legten Abichnitt des Schlachtfeldes behauptet haben, 
obgleih die auf dem Judenberge aufgeitellte Neferve ichließlih, in dem 
Maße, als der preußiihe Angriff Zug um Zug ihre Abberufung erheifchte, 
bis auf ſechs öſterreichiſche Bataillone und drei Öufarenregimenter zuſammen— 
ſchrumpfte. 

Die Tadler, denen des Königs zähes Feſthalten an dem lockenden Bilde 
eines Vernichtungsſchlages ein Aergernis oder eine Thorheit geweſen iſt, waren 
dieſelben, die ſein kühnes Bataillieren von vornherein verurteilten. Oft mit 
ihren Ausſtellungen einverſtanden, hat ein ſpäterer Kritiker, der Franzoſe Jomini, 
für die Beurteilung des Entſchluſſes von Kunersdorf doch das richtige Wort 
gefunden: es ſei lächerlich, einem General nachträglich vorzuwerfen, daß er den 
Sieg habe verfolgen wollen — wie dürfe man einen großen Mann tadeln, wenn 
er die Hälfte eines verjchanzten Yagers in jeine Gewalt gebradht, daß er den 
Reit über den Haufen zu rennen gefucht habe? Und vergeffen wir nicht, daß 
dem Könige, als fein rechter Flügel erlahmte und wid, noch 20 unberührte 
Bataillone, deren Mehrzahl allerdings in der Schladht bei Kay gelitten hatte, 
und die große Maſſe feiner Neiterei zur Verfügung ftanden. 

Es bleibt dahingeftelt, ob es möglich gewejen wäre, wie Platen und 
Spätere es gewünjcht hätten, dieje friihen Bataillone durch die Seenniederung 
bindurchzuziehen und zu einer Umfaſſung der feindlichen Stellung von der Süd— 
jeite her zu verwenden. Genug, dab ſich der König dahin entſchied, feinen 
Angriff immer wieder auf denfelben Punkt zu richten und alſo auch den linfen 
Flügel auf dem beengten Raum rechts vom Dorfteihe gegen den großen Spitz— 


Feldzug von 1759. 298 


berg lositoßen zu lafjen: zu dem Behuf mußten die Bataillone erit längs der 
Ceenlinie bis zu dem Kunersdorfer Kirchhof herabmarichieren. 

Auf dem Gelände ſüdlich des Dorfes blieb ſomit nur die Neiterei. Sn 
halber Zugbreite waren die Schwadronen auf dem etwa 200 Schritt mefjenden 
Thalboden zwiſchen dem Dorfteih und dem blanfen Eee hindurch gegangen und 
hatten ſich unter dem Schuß einer Bodenanfhwellung formiert. Seydlit, der 
den Verlauf des Kampfes anfänglid von dem kleinen Spitberg bei Kunersdorf 
überfhaut hatte, war auf den rechten Flügel zu dem Könige geritten, um ihm 
vorzuitellen, daß die Kavallerie auf dem vor ihr liegenden Felde nicht wohl an— 
greifen fünne. Auf dem Standort bes Königs wurde ihm durch eine Kugel der 
Degengriff in die Hand hineingetrieben; er mußte fih vom Kampfplage fort: 
ſchaffen laſſen wie vorher der andere Neitergeneral, der MWürttemberger. An 
den Attaden diejes Tages hat der Sieger von Zorndorf jomit feinen Teil gehabt. 

Nicht in Mafje, nur truppmweife, gleichſam taftend, ſchickten fich die Reiter 
zum Angriff an. Die preußiichen Pallaſche verjtanden vortrefflich, unter ge: 
loderter Infanterie aufzuräumen; fie hatten im freien Felde auch ſchon Batte— 
rien genommen; bier aber, bei dem Angriff auf ein befeftigtes Lager, trennten 
den Angreifer von den Feuerſchlünden, die ihn jegt mit Kartätichen überjchütteten, 
Schanzen und Wälle, Palliſaden und Wolfsgruben. Der Angriff brach fih und 
flutete zurüd. 

Generallieutenant v. Platen, der das zweite Neitertreffen führte, er: 
fannte, daß hier das Spiel zu hohen Einſatz erheiſche. Er 309 fich mit der 
ganzen Kavallerie diejes Flügels nad links, jo daß er die Verjchanzungen des 
Spigberges nun zu feiner Rechten hatte, und ließ dur die Dragoner von 
Schorlemer ausipähen, ob die Redoute von hinten zu umgehen fei. Dort aber 
zeigten ſich große KRavalleriemafjen, die Batterien dedend und von ihnen gededt. 

Es war fünf Uhr vorüber. Das Feuer des kleinen Gemwehrs hatte bisher 
ununterbrochen angedauert. Sämtliche Bataillone aud des linken preußifchen 
Flügels hatten der Reihe nad ihre Kraft an den feindlichen Schanzen verfucht, 
ſämtlich vergebens: der Feind hat, jo bejagt der öfterreihiihe Schlachtbericht, „bei 
jeiner wenigftens fiebenmal erneuten Attade jedesmal mit friichen Truppen 
fämpfen müſſen“. Dieſe abgearbeitete, todmüde Infanterie war für den Gnaden— 
ſtoß reif. Mit vier Compagnieen reitender Grenadiere und im zweiten Treffen 
mit zehn Schwadronen Dragonern brach Laudon am Händerbufch quer durd die 
eigenen Bataillone aus Staub: und Rauchwolken jählings in die preußifche Feuer: 
linie ein. hr legter Zuſammenhalt löfte fih, was noch jtand und zum Teil 
nod) avanciert war, flüchtete nach Kunersdorf und über den Kuhgrund zurüd, Die 
Entſcheidung war gefallen. 

Vom Kuhgrund bis auf den Mübhlberg, in bem in den erjten Nachmittags- 
tunden erfämpften Teil des rujfiihen Lagers, ftauten fi die Trümmer aller 
an diefem blutigen Sonntag im Feuer gewejenen Bataillone und bargen fi in 
den Bodenfalten gegen den Traubenhagel der berühmten weittragenden Haubiten 
von Peter Schumalows Erfindung. Seit fünfzehn Stunden auf den Beinen — 
auf dem Mari, während des Halts und im Kampf dem Sonnenbrand eines 
erdrüdend heißen NAugufttages ausgelegt, war die Truppe jegt völlig verbraucht; 


224 Siebenteö Bud. Erfter Abichnitt. 


auch die Gegenwart und das Beifpiel des Königs fruchtete nichts mehr. „Der 
König,” berichtete ein jchlichter weſtfäliſcher Musketier nad der Schlacht in die 
Heimat, „it allzeit vorn geweſen und hat gejagt: Kinder, verlaft mid) nicht, und 
bat noch zulegt eine Fahne von Prinz Heinrihs Regiment genommen und gejagt, 
wer ein braver Soldat ift, der folge mir! Wer noch Patronen hatte, ging ge: 
troft. Zulegt fol er ſelber Rechtsum! kommandiert haben und gejagt: Ziehet 
euch zurüd, Kinder!” 

Zwei Pferde waren ihm unter dem Leibe zufammengefchoffen. Eine Flinten: 
fugel, die ihm den Tod hätte bringen müſſen, prallte an dem goldnen Etui in 
feiner Taſche ab, nachdem fie es plattgedrüdt. Die Beihwörungen jeiner Bes 
gleiter, fich dem Feuer zu entziehen, wies er mit den Worten ab: „Wir müſſen 
bier alles verjuhen, um die Bataille zu gewinnen, und id muß bier wie jeder 
andere meine Schuldigfeit thun.“ 

Erit auf dem Mühlberg gelang es ihm, mit den beiden Bataillonen des 
ſchleſiſchen Regiments Leitwig und einiger Neiterei unter dem Schutze einer 
jehöpfündigen Batterie eine neue Front zu bilden, worauf, wie ein ruſſiſcher 
Bericht jagt, „Seine Attade unter entjeglihem Artilleriefeuer den Anfang nahm 
und eine jolde Wirkung that, daß unjere Truppen, welche ſich zum Teil ver- 
ſchoſſen hatten, wieder zu pliieren anfingen“. 

Hier hätte eine ftarfe Kavalleriereferve die völlige Niederlage nod wen 
den mögen. Der König hat fi nachher beklagt, daß zwei Stunden vor Aus: 
gang des Kampfes feine Neiterei mehr fih habe jehen laſſen. Auf dem Linken 
Flügel war Platen in feiner dem eigentlihen Schladhtfelde weit entrüdten ab: 
wartenden Stellung plöglih von öfterreihiichen und ruffiiden Schwabronen an: 
gefallen worden. Zwei Angriffen hielt er ftand, dann aber kam feine Neiterei 
in volle Unordnung und flüchtete an Kunersdorf vorbei den Wäldern zu, durch 
die man am Morgen gefommen war; bei ben Kumersborfer Kohlgärten lagen 
die toten Küraffiere mit ihren großen ſchwarzen Pferden ganz dit. Auf der 
Dderjeite waren immerhin noch einige Negimenter zur Stelle. An der Spite 
feiner weißen Huſaren fand General Ruttfamer den Heldentod; zwei Schwa— 
dronen Zeibfüraffiere bieben in das Anfanterieregiment Narwa ein, wurden aber 
von den Tihugojhom:Kojafen in den Sumpf gedrängt und verloren ihren Kom: 
mandeur als Gefangenen und eine Standarte. Nachher befamen die Krodomw: 
dragoner mit den Koſaken „alle Hände voll zu thun“, bis fie ihnen durch Ans 
zündung eines Verhads den Weg fperrten. 

Der Widerftand des Königs und feiner legten Getreuen am Mühlberg 
gab dem gejchlagenen Heere eine knappe Frift für den Rüdzug über die Dämme 
nah Trettin. Nun aber wurde es aud für die Fleine Schar dort oben hohe 
Zeit zum Abzug. Schon wurde in ihrem Rüden das Regiment Pioniere, das 
während der Schladht die Batterien am Dorfe gededt hatte, umzingelt und zum 
größten Teil gefangen. Als einer der lebten verlieh den legten Rampfplat 
der König; ftarren Auges, wie in Betäubung verjunfen. „Kann mid denn 
feine verwünſchte Kugel treffen?” hörte man ihn fagen. Hart hinter ihm ber 
fommen Kofafen angeiprengt, ein Entrinnen ſcheint nicht mehr möglih. „Prittwig, 
ih bin verloren,” ruft der König dem Rittmeifter von den Leibhufaren zu, der 


Feldzug von 17509. 225 


nit einem Kommando von feinem Negiment die Stabswade bildet. „Nein, 
Ihre Majeität, das ſoll nicht geihehen, jolange noch ein Atem in uns ift,“ 
antwortet Prittwig und ſchlägt mit jeinem Häuflein in wiederholtem Angriff die 
Verfolger ab. Nie hat ein Regiment des Ehrennamens einer Leibtruppe ſich 
in eigentliherem Sinne wert gezeigt, und nie hat der König feinem Netter 
diejen Dienft vergeilen. 

In dem Lager von gejtern, wo die in verihiedenen Richtungen Geflüdhteten 
wieder zufammentrafen, war ihres Bleibens nicht lange. So groß war ber 
Schreden der Mannihaft, dab gegen zehn Uhr in der Nacht auf den blinden 
Lärm vom Nahen der Koſaken alles weiter lief, während doc der Feind vom 
Verfolgen jehr bald abgelaſſen hatte. Erſt in dem Winkel zwiſchen Warthebrud) 
und Oder vor den Brüden bei Oetſcher fam die Flucht zum Stehen. Niemand, 
der nicht verwundet war, wurde herübergelaflen. Da das ganze Dorf mit Ver: 
wundeten überfüllt war, nahm der König feine Unterkunft am Ufer im Fähr— 
bauje. Eine kurze Mitteilung von dem Geſchehenen an Findenftein ſchloß mit 
den Worten: „Won einem Heer von 48000 Mann babe ich nicht mehr 3000, 
In dem Augenblid, da ich dies ſchreibe, flieht alles, und ich bin nicht mehr Herr 
meiner Leute. Man wird in Berlin wohl daran thun, an jeine Sicherheit zu 
denken. Es iſt ein graufamer Schlag, ich werde ihn nicht überleben, die Folgen 
der Affaire werden jchlimmer jein, als die Affaire jelbit. Ich habe fein Hülfs— 
mittel mehr, und, um nicht zu lügen, ich glaube alles verloren. Ich werde den 
Untergang meines Baterlandes nicht überleben. Adieu für immer!” 


Auf dem Ufer an der Schirfsbrüde lag alles wirr und wüſt durcheinander. 
„Während der Nacht famen Adjutanten,” erzählt ein Augenzeuge, „nahmen immer 
ganze Klumpen zufammen und führten fie auf die Heinen Höhen von Detjcer, 
wo den Morgen darauf Bataillone und Regimenter formiert wurden, jo gut es 
angehen wollte.” Gegen Mittag ſtand das gefchlagene Heer, foviel ſich wieder 
eingefunden hatten, in Schladtordnung unter dem Gewehr; um 4 Uhr ging 
man über den Fluß zurüd, in ſteter Sorge dabei angegriffen zu werben. 

Der König nahm jein Hauptquartier im Schloſſe zu NReitwein. Er berief 
den leicht verwundeten General ‚ind und übertrug ihm den Oberbefehl — 
„weilen Mir eine ſchwere Krankheit zugeitoßen,” heißt es in der Vollmacht, durch 
welche er die Stellvertretung „bis zu feiner Beſſerung“ anordnete. Die eigenhändige 
Inſtruktion, die Find erhielt, geht doch von einer anderen Vorausjegung aus: 
„Der General Fink frigt eine Schwehre Comission. Die unglüflihe armée 
So id ihm übergebe, iſt nicht mehr im Stande mit die Hufen zu Schlagen, 
Hadek wirdt nad) Berlin Eillen, villeiht Yaudon auch, gehet der general Finf 
dieße beide nah, So kommen die Rufen ihm im Nüfen, bleibt er an der Oder 
Stehen, So frigt er den Hadef dig Seit, in deben So glaube das wen Laudon 
nah Berlin wolte, Solden könte er unterwegens attaquiren und Schlagen, 
Soldes, wohr es guht gehet, gibt dem ungelüf einen anftandt und hält die 
ſachen auf, Zeit gewonnen it Sehr vihl bei diehjen Desperaten Umſtände.“ 


Der König erwähnt no, dab er den Prinzen Heinrich zum Generaliffimus er: 
Roier, Adnig Yyriedrih der Grohe II 2. Aufl 15 


226 Siebentes Buch. Erſter Abichnitt. 


nannt hat und daß das Heer dem jungen Prinzen Friedrich Wilhelm, dem 
Thronfolger, ſchwören ſoll, und ſchließt dann: „Dießes iſt der eintzige raht den 
ich bei denen unglüklichen Umbſtänden im Stande zu geben bin, hette ich noch 
resourssen So wehre ich darbei gebliben.“ 

Zuſammengehalten mit dem Schluß jenes Briefes vom Abend der Schlacht, 
laſſen die ergreifenden Worte nicht wohl einen Zweifel übrig. War weiterer 
Widerſtand ausfichtslos, ein ehrenvoller Friede ausgeichloffen, dann ſchien dem 
darniederliegenden Ringer der fo oft jchon als unvermeidliches Ziel und Ende 
vorausgejagte Augenblid gelommen, den Tod, den er auf dem Schladtfeld nicht 
gefunden, fich felbit zu geben. Nach dem Webermaß der förperlichen Anftren: 
gungen diefer legten Wochen, nad) dem jteten peinvollen Sin: und Hertreiben 
zwiichen Sorge und Hoffnung, nad) dem jähen Uebergang von ftolzer Vorfreude 
über den jcheinbar unentrinnbaren Siena zu der vollen Bitternis der Niederlage 
und der Hülfs- und Hoffnungslofigfeit, nad dem gemwaltigiten Aufruhr aller 
jeiner Nerven war er jeßt dumpfer, teilnahmlofer Abjpannung verfallen. Sein 
Sefretär Cöper ipridt von dem Abattement, das die Umgebung in die pein- 
lihite Sorge verfeße: der König ſehe die Dinge, die doch vielleicht noch nicht in 
der äußerſten Krifis jeien, als verzweifelt an und verhalte ſich demgemäß. 

Aber nur für eine furze Spanne Zeit zahlt der ermattende Held der 
menſchlichen Schwachheit feinen Zol. Er gewinnt fich jelbit wieder. Mit ge: 
waltigem Entſchluß richtet er fi von neuen auf an jenem Ehr: und Pilicht: 
gefühl, von welchem er vordem erflärt hat, das allein verleihe ihm die Kraft 
zum Ausharren. Er nimmt den Kampf wieder auf gegen feine Feinde, gegen 
jeine Xeiden, gegen ſich ſelbſt und jeine Kampfesmübdigfeit und Todes— 
ſehnſucht. 

„Im Augenblick, da ich Ihnen unſer Unglück ankündigte,“ ſchreibt er am 
16. Auguſt dem Prinzen Heinrich, „ſchien alles verzweifelt; das ſoll nicht heißen, 
daß die Gefahr nicht noch ſehr groß wäre, aber rechnet darauf, jo lange ich 
die Augen offen haben werde, dab id für den Staat einftehen werde, wie 
es meine Pflicht it. Ein Etui, das ich in der Taiche hatte, hat mein Bein 
vor einer Kartätſchenkugel geihüst, die das Etui zerdrüdt hat. Wir find alle 
zerfegt ; niemand, der nicht zwei oder drei Schüſſe in den Kleidern oder im Hut 
hat. Wir würden gern unfere Garderobe opfern, wenn es nur das wäre... 
Glüdlih die Toten! Sie find über den Gram und alle Unruben hinweg.“ 

An diefem Tage führte der König durh einen Mari in ſüdweſtlicher 
Richtung fein Heer über Lebus in die Niederung der Epree nah Madlig, 
um dem bei Müllrofe eingetroffenen Hadik den Meg nad Berlin zu iperren. 
Da gleichzeitig Sialtyfow und Laudon Tüdlih von Frankfurt über die Oder 
gingen, ftanden die Heere jegt wieder ganz nahe bei einander. Am 17. drängte 
ein feindliches Neitercorps die preußischen Feldwachen auf das Lager zurüd und 
wurde dann durch Kanonenfeuer abgemwiefen. Am 18. verlegte der König fein 
Lager nad) Fürftenwalde und hatte fich ſomit feiner Hauptftadt auf ſechs Meilen 
genähert. „Ich babe mich hier auf ihren Meg gelegt,” Ichreibt er am 19. an 
den mit dem Hofe und den Behörden nad) Magdeburg geflüchteten Findenttein; 
„id weiß nicht, ob fie heute oder erft morgen fonımen werden; aber obgleich 


Jeldzug von 1759. 397 


die Ruſſen durch Hadif verjtärft find, werde ich mich jchlagen, weil es fürs 
Vaterland gilt. Betrachten Sie diefen Entihluß als den legten Haud unserer 
Macht und Kraft; ich wage nicht, für den Ausgang irgend etwas zu verjprechen, 
das wäre zu verwegen; aber ich ſchwöre Ihnen, daß man nicht mehr aufs 
Epiel jegen fann, als ich thue.” 

Das geihlagene Heer hatte die während der Schlacht auf dem linfen Oder: 
ufer zurüdgebliebenen Abteilungen allmählich wieder an ſich gezogen, dazu fanden 
ih noch täglich Veriprengte in Fleinerer oder größerer Zahl ein. Schon im 
Lager von Madlig ergab die Tageslifte 27848 Mann, immerhin nicht viel über 
die Hälfte von den 53121, die vor einer Woche am Tage bes Oderüberganges 
gezählt worden waren. „Koſtet alfo der Tag der Bataille,” jo 309 General 
Find in einer eigenhändigen Aufitellung die Summe, „an Toten, Bleffierten, 
Gefangenen und Vermißten 25273 Köpfe.” Und da etwa 6000 Mann nicht 
mit über den Fluß gegangen waren, fo hatte thatfächlich dem Heere feine Nieder: 
lage mehr als die volle Hälfte des Beltandes geraubt. Dazu waren 26 Fahnen, 
2 Standarten und, was jegt bejonders empfindlid war, 172 Gefüge verloren 
gegangen; Erjat an Artillerie wurde aus Berlin herbeigeihaftt. Bei manden 
Negimentern waren nur ein oder zwei Offiziere unverlegt; von den Generalen 
war die Mehrzahl verwundet. 

Der Mangel an Offizieren war um jo ftörender, je weniger der König 
zu der Mannihaft noch Pertrauen hatte. „Die Offiziere und ich find ent: 
ſchloſſen zu fterben oder zu fiegen,” jchreibt er in der Ausficht auf die neue 
Schlacht, „wolle der Himmel, daß der gemeine Soldat ebenjo denkt”; aber er 
erklärt in der Bitterfeit feines Herzens, daß er „leine Truppen mehr fürchtet 
als den Feind'. Waren die Verwünſchungen an jein Ohr gedrungen, die am 
Abend der Niederlage im Gewühl der Flüchtenden ausgeftoßen wurden? Was 
ih thun ließ, um den Geift der Truppe wieder zu beben, geſchah; bei dem 
Regiment Leitwig, das bis zulegt ausgeharrt batte, erhielt jeder Soldat acht 
Groſchen Douceur; auch andere Regimenter wurden belobt und belohnt. Minder 
entmutigt als die Infanterie, die erft almählih von ihrem Schreden ſich erbolte, 
war die von weit geringeren Berluften betroffene Kavallerie. 

Gegen die Erwartung jhritt der Feind weder am 19. no am 20, zum 
Angriff. Wohl aber fam die Nachricht, da aud Daun im Anmarſch und fchon 
bis Kottbus gelangt jei. Friedrichs eriter Gedanfe war, mit feinem zerrütteten 
und Heinmütigen Heer die Ruſſen, ehe e& zu ihrer Vereinigung mit Daun kam, 
anzugreifen; dann jollte Branntwein vor der Schladht den Truppen Courage 
madhen. Aber die Rufen hatten zwifchen Müllroſe und der Oder ein fo jtarfes 
Lager bezogen, daß der König feine Abjiht aufgeben mußte. Nun fchien alles 
Weitere davon abzuhängen, ob Prinz Heinrich mit dem fchlefiichen Heere Daun 
bart aenug auf den Ferien war, um dem Zujammenihluß der gegneriichen 
Heere jeine Ankunft bei dem Corps des Königs unmittelbar folgen zu lafjen. 
„Wir werden uns zu vereinigen juchen, jo gut wie die anderen; wenn ich Glüd 
genug habe, dieſen Anſchluß rechtzeitig herbeizuführen, dann werden wir uns 
mit einiger Ausfiht auf Erfolg gegen die geſamten Streitfräfte unferer Feinde 
ichlagen können. Aber es gibt der Wenn jehr viele, che wir alles das in 


228 Ziebentes Bud. Erfter Abichnitt. 


Drdnung haben. Dieſe Schlacht wird über unjer Geihid, über den Feldzug 
und vielleicht über den Frieden entſcheiden.“ War der Prinz nicht rechtzeitig 
zur Stelle, dann meinte Friedrich fi zermalmen lafjen zu müflen; er werde 
dann ſich nicht ſowohl in einiger Hoffnung auf Erfolg ſchlagen, als um feine 
Pflicht zu thun bis ans Ende. 

Da geihah das Unermwartete. „Ich verfünde Ihnen das Mirafel des 
Hauſes Brandenburg,” ſchreibt Frievrihd am 1. September an jeinen Bruder 
mit Beziehung auf die in der Gefchichte verzeichneten wunderbaren Errettungen des 
Haufes Delterreih; „in der Yeit, da der Feind nad) dem Uebergang über die 
Oder dur den Entſchluß zu einer zweiten Schlacht den Krieg beendigen konnte, 
it er von Müllrofe nad Lieberoje marichiert!” Der Mari auf Berlin war 
damit augenicheinlih aufgegeben. Der König entiprah der Bewegung der 
Nuffen, indem er gleichfalls in die Lauſitz einrüdte und eine vorteilhafte Stellung 
bei Waldow, zwiſchen Xieberofe und Lübben, wählte. 

Wie war das Mirafel zu Wege gebradt? Drei Tage nad der Cchladht 
war Yacy aus Dauns Hauptquartier im Lager der Sieger eingetroffen, Glüd 
zu wünjchen und Vorſchläge zu mahen: daß die Rufen, durch Hadif veritärkt, 
entweder nad) Berlin gehen, oder daß fie in feiter Stellung, das Corps des 
Königs von Preußen bedrohend und feithaltend, an der Oder bleiben jollten, 
wo dann die Deiterreiher entweder den Zug gegen Berlin auf ſich nehmen oder 
fih nah Schlefien wenden würden, um dort eine der Feſtungen zu erobern und 
fih die Winterauartiere zu fihern, In ihrem alten Mißtrauen gegen die Ver: 
ftodtheit und den Eigennuß des Bundesgenofien hörten die Rufen aus dieſem 
Anbringen nur das heraus, dab die Delterreiher es auf Schlefien und ihre 
Winterruhe abgejeben hätten. Sſaltykow entließ den Unterhändler ohne be: 
ftimmten Beicheid und [ud Daun zu perlönliher Nüdiprade ein. 

Daran blieb fein Zweifel, das die Rufen nicht gewillt waren, nad) zwei 
blutigen Schlabten noch weitere Opfer zu bringen. Daun habe es leicht, To 
ward den öfterreihiichen Offizieren im ruſſiſchen Lager bemerkt, Vorichläge zu 
madhen und die Ausführung den Rufen zu überlaifen; jest jei das öſterreichiſche 
Heer an der Reihe, feine Haut zu Markte zu tragen, die Ruffen würden ich 
nicht mehr zur Schlachtbank führen laffen. Und als Laudon wenigſtens um eine 
bejchränfte Anzahl rujfiiher Truppen bat, um mit ihnen und feinen eigenen 
Leuten fi den Preußen an die Ferſen zu hängen, rief Sſaltykow, er fünne und 
wolle mit dem Feinde nichts mehr zu thun haben. Wenn er am 16. Auguit 
fi zum Uebergang über die Oder entichloß, jo geſchah es nur, weil ihm die 
eritidenden Ausdünſtungen des Totenfeldes aus dem alten Lager vertrieben. 

Der ruffiihe Feldherr fonnte fih darauf berufen, daß ihm der Sieg von 
Kay an 5000 Mann, der Sieg von Kunersdorf 13—14000 Mann gefoftet 
hatte. Die Thatfache blieb doch beſtehen, daß das ruifiihe Heer am 12. ges 
Ichlagen geweſen war, als im legten Aunenblide eine ungeahnte Wendung das 
innere Gefüge aud des angreifenden Heeres auflöfte. Daß trogdem Sjaltyfom 
mit jeinen erichütterten Truppen bei fräftigerem,.Entihluß und beſſerem Willen 
mehr zur Ausnügung feines unverhofiten Sieges hätte thun können, lehrt ein 
Vergleih mit dem Verhalten Fermors nah Zorndorf: auch nur mit einem Teil 


Feldzug von 1759. 224) 


der feiten und gewandten Bewegungen, die dort das geichlagene ruffiiche Heer 
ausführte, hätte fich der Sieger von Kunersdorf zum Meiiter über das Gejchid 
der Befiegten machen können. Aber die Not des Augenblids, die damals zum 
Entjichlufe und zum Handeln zwang, fie drängte heute nicht. Sſaltykow hatte 
feinen Lorbeer, jeine zwei Siege, die volle Dedung zugleih dem Feinde und 
jeiner Gebieterin gegenüber, er hatte die Erlöjung von jchwerer Sorge, ‚die 
Errettung vom Untergang: warum jollte er jein Heer und jich jelbit, feinen 
Feldherrnruhm und jein Anjehen bei Hofe wieder aufs Spiel jeßen? Und in 
der That, nahdem die Gunft des erften Augenblids verjherzt war, würde der 
König von Preußen, jo grimmig wie er fich jegt wieder in Politur jegte, die 
Feldherrnkunſt diefes jüngſten Siegeshelden noch auf eine harte Probe geitellt 
haben. Zur Verfolgung war es ſchon zu jpät geworden, nur in neuem beißen 
Kampfe hätte fi das Werk von Kunersdorf noch frönen laſſen. 

Das aljo war die Lage, als Sfaltyfom und Taun am 22. Auguft zu 
Guben fih beſprachen. Keiner von beiden bradte die Neigung mit, quer durch 
das von Friedrich angeführte Heer fi den Weg nad) Berlin zu eröffnen. Daum 
gab die Erklärung ab — eine offenbare Ausfluht — daß er auf den Marich 
von jeinem Hauptquartier Triebel bis nah Berlin, einen Weg von fünfzehn 
Meilen, mindeitens 21 Tage rechnen müſſe; nachher aber werde die Wegnahme 
der preußifchen Hauptitabt einen wirklichen Gewinn nicht bedeuten, bei der Un: 
möglichkeit, in der ausgelogenen Mark Winterquartiere zu beziehen. Die Feld: 
herren famen überein, vorerit in Beobadtungsitellungen, Sialtyfow am Friedrich— 
Wilhelms:Graben und Daun in der Niederlaufig, zu verbleiben, um bier dem 
Prinzen Heinrih und dort dem Könige Entjendungen an die Elbe unmöglich zu 
machen. Werde Dresden gefallen fein, jo würben beide Heere ih nad Schlefien 
zu wenden haben; auch jprah Daun davon, fein Nugenmerf auf die Zertrümme: 
rung der Armee des Prinzen richten zu wollen. 

Maria Therefia erklärte jid mit dem Ergebnis der Gubener Beſprechung 
durchaus einverftanden. So gern fie die Eroberung der feindlihen Hauptitadt 
geſehen hätte, fie erkannte dod an, daß es den Ruſſen nad) zwei mörberijchen 
Schlachten nit zu verbenfen fei, wenn ſie „mehrere bergleihen blutige Ge: 
legenheiten” vermeiden wollten. Den Plan zum Einmarſch in Sclefien und 
zur Bedrängung des Prinzen Heinrich bezeichnete fie als den vergnügliditen, der 
überhaupt hätte gefaßt werden fünnen. Dabei jchärfte fie für das dem Könige 
gegenüberftehende Beobahtungsheer die äußerite Worfiht ein. So notwendig 
es jei, dem Prinzen eine Schlacht zu liefern, jo unbedingt müfje fie gegen ben 
König vermieden werden. Ihn eng in Shah zu halten, jei die ausschließliche, 
eine wichtige und jchwierige Aufgabe. Die Kaiferin ſprach ihr Bedauern aus, daß 
Daun fi nicht teilen fönne, um in Perſon gleichzeitig da und dort zu fein. 

Minder zufrieden zeigte fih der ruffiihe Hof mit dem Verhalten feines 
Feldherrn; man tadelte, dat Sſaltykow nad dem Siege verabfäumt habe, das 
geichlagene Heer Fräftig zu bedrängen. 

Inzwifchen hatte diejer, da die Ausfiht auf den in Guben als fiher und 
als Grundlage für alles Weitere angenommenen Fall von Dresden zu jchwinden 
jhien, am 26. Auguſt doch noch Daun zu einem gemeinjamen Angriff auf das 


230 Siebentes Bud. Erſter Abichnitt. 


Corps des Hönigs aufgefordert. Daun antwortete mit Hinweis auf die Gubener 
Verabredungen ablehnend: man müſſe abwarten, was mit Dresden geſchehen 
werde. Und dort war wider Sfaltylows Vermuten das Glüf den Gegnern 
Preußens hold. 

Die Neihsarmee erhielt Gelegenheit zu ihrer größten That. Sie hatte 
fh nah den zu Beginn des Feldzuges erlittenen Unbilden bis Ende Juli jo 
weit erholt, um im Verein mit einem öfterreihiichen Corps den Einmarſch in 
das von preußifhen Truppen augenblidlih fat ganz entblöjte Sachſen zu 
wagen.) Die Heinen Bejagungen in Leipzig, Torgau, Wittenberg kapitu— 
lierten gegen freien Abzug. Am 26. Auguſt erſchien der Neichsfeldherr, auch 
in diefem Jahr Friedrich Michael von Pfalz: Zweibrüden, mit 27000 Mann vor 
Dresden. Der Kommandant, der vor neun Monaten die Stadt jo entihlofien 
verteidigt hatte, Grat Schmettau mit jeinen 3700 Mann, ftand diesmal vor 
einer ſchwierigen Enticheidung. Unter dem erjten Eindrud der großen Nieder: 
lage hatte ihn der König durch ein Schreiben vom 14. Auguſt ermächtigt, wenn 
er fich nicht halten könne, eine vorteilhafte Kapitulation abzujchliegen, um die 
Garnijon, das Lazareth, das Magazin, die Kalten — fie enthielten über 5°: 
Million Thaler — zu retten. Inzwiſchen aber wußte Friedrih Nat zu ſchaffen 
für ein Entfagcorps; General Wunsch, durch vier Bataillone aus Pommern er: 
jest, verließ am 21. Auguſt mit feinem Freiregiment das Lager des Königs, 300 
unterwegs einige gleichfalls aus Pommern heranmarſchierende Truppenteile und 
die Beſatzungen der geräumten Plätze an fih, gewann Wittenberg und Torgau 
zurüd und erihien am 5. September mit 4—5000 Mann vor der Neuftadt 
Dresden. Am Abend zuvor hatte Schmettau die Stadt dem Feind übergeben! 

Ter König hat dem Kommandanten den ohne Frage übereilten Schritt 
nie verziehen, um jo weniger, als ihm diejer General unmittelbar nad dem 
verhängnisvollen Ereignis in ſehr beitimmter Anklage als Verräter verbädtigt 
wurde. An Beitehungsverfuhen hat es allerdings nicht gefehlt, aber Schmettau 
ift ihnen nicht. erlegen; auch hat er fich wegen der Uebergabe von Dresden 
friegsrechtlid nicht zu verantworten gebraucht, der Befehl des Königs dedte ihn 
formell. Aber dienjtlihe Verwendung fand er nicht wieder, und nad den Kriege 
wurde er mit einem fargen Ruhegehalt verabjciedet. 

Chen hatte ;jriedrih ein wenig aufzuatmen begonnen. „Sie werben be: 
urteilen können,“ jchreibt er am 5. September feinem jüngiten Bruder, „wie ich 
während der legten drei Wochen, erregbar wie ich bin, das Martyrium ertragen 
habe. Unjere Lage iſt weniger verzweifelt als vor acht Tagen, aber ich jehe 
mid umringt von Klippen und Abgründen, meine Aufgabe it ſehr ſchwierig, 
und ohne ein Mirakel oder die göttliche Efelei meiner Feinde wird es unmöglich 
fein, den Feldzug zu Ende zu bringen.“ Zwei Tage jpäter erfährt er gleich: 
zeitig, daß Dresden gefallen ift und daß die Schweden, nad) dem Abzug ber 
legten preußiichen ‚Feldtruppen aus Pommern, die Uckermark überziehen. „Diejer 
Feldzug,” klagt er, „it um jo fchredlicher, ald meine eignen Leute mir ebenio: 
viel und mehr Not machen, als meine Feinde. Unſere Sachen hängen Tag für 


Bol. oben ©. 218. 


Feldzug von 1759. 231 


Tag an einem Haar. Die Zahl unjerer Feinde erbrüdt uns, weil unjere Braven 
im Kriege umgelommen find und ich nur noch Kujone zu fommandieren habe.” 
„Hätte ich 10 Bataillone von 1757”, ruft er ein andermal, „jo würbe ich mid) 
vor nichts fürdten, aber der graufame Krieg, den man gegen uns führt, hat 
unsere beiten Verteidiger umlommen laſſen, und was uns bleibt, kann ſich nicht 
einmal mit dem Schledteiten, was wir früher hatten, vergleichen.” 

Dod rechnete der König bejtimmt darauf, Dresden binnen kurzem wieder 
in jeiner Hand zu haben, und zwar um fo mehr, als jegt überall die preußiiche 
Strategie ihre Ueberlegenheit von neuem offenbarte. 

Gegen die Schweden, dieje Hottentotten, wie man fie verädhtli nannte, 
zog General Manteuffel, von feiner bei Kay empfangenen Wunde faum genejen, 
mit vier Bataillonen und zehn Echmwadronen zu Felde und drängte fie, wie im 
Vorjahre, bis zur Peene zurüd. Freilich die im Haff ausgerüftete Kleine Flottille 
von acht armierten Kauffahrern und vier dedlojen Barkaſſen erlag unter dem 
Befehl des ald Kommodore eingefleideten Hauptmanns von Köller nach rühm— 
liher Gegenmwehr dem Angriff von vierzehn ſchwediſchen Galeeren; aber 150 Ge: 
fangene aus diefer Seeſchlacht überwältigten auf ihrer unfreimwilligen Ueberfahrt 
nad Karlsfrona ihre Schwedischen Begleiter und führten das Schiff im Triumph 
nad Kolberg. 

Gegen Daun, der ihn zerjchmettern wollte, operierte Prinz Heinrich an der 
Spitze des Schönen und unverjehrten jchleiiichen Heeres mit jeinem ganzen, bis: 
ber nur gegen untergeordnete Gegner bewährten Geſchick. Bis zum 25. Auguft 
war der Prinz im Lager von Schmottjeifen ohne fichere Kunde von dem 
Kunersdorfer Creignis gewejen. Am 4. hatte er überhaupt die legte Nachricht 
vom Könige erhalten. Als er nın Daun aus dem Lager von Marklijia nad) 
der Niederlaufig aufbrehen ſah, folgte er ihm zunächit bis Sagan, warf ſich 
dann nad Görlitz, ließ in Böhmen die öfterreihiihen Magazine zu Friedland und 
Gabel wegnehmen und veranlafte dadurch Daun, der nad) dem Fall von Dresden 
doch noch eine Unternehmung auf Berlin geplant hatte, zu eiliger Umfehr nad) 
Baugen. Für einen weiteren Plan noch nicht entjchieden, wurde dann der 
Prinz dur jeinen föniglichen Bruder auf die Elblinie und Torgau hingemwiefen, 
wo General Wunſch, aud nad) feiner Vereinigung mit einem durd Find herbei— 
geführten Detachement von dem Corps des Königs, gegen die Neichsarmee noch 
zu Ihwadh war. Am 23. September trat der Prinz aus dem Lager bei Görlik 
jeinen vielbewunderten Zug an die Elbe an; zur Dedung von Schleiien ließ er 
einen Teil feiner Truppen bei Schmottjeifen unter Fouqué zurüd. Daun, überlijtet 
und umgangen, war auf das äußerfte verwundert. Um Dresden zu retten, zog 
er von Baugen den preußiichen Prinzen eflends nad; damit aber war er in die 
Defenfive gebradht und von dem großen jchlefiihen Plan völlig abgelenft. 

Immerhin war es ihm vor dem Aufbruch von Bauten noch gelungen, 
12000 Mann zu dem ruffiichen Heere, das ſich inzwiſchen von Lieberoje über 
Buben nad) Chriſtianſtadt gezogen hatte, ſtoßen zu laffen. Ohne dieje Veritärkung 
würde Sſaltykow fi troß früherer Zujagen fchwerlih auf neue Unternehmungen 
eingelafien haben. So aber fand er ſich bereit, einen Anfchlag auf Glogau zu 
versuchen. König Friedrih war feit entichlojien, eine Belagerung der Feſtung 


232 Siebentes Bud. Erfter Abichnitt. 


nicht zu dulden. Ueber vierzehn Tage hatte er im Yager von Waldow unbe: 
weglich, lediglich beobachtend geitanden. Jetzt zog er den Ruſſen über Kottbus, 
Forft, Sorau und Sagan nad) und hatte die Senugthuung, am 24. September 
die Oder hinter Neuftäbtel vor ihnen zu erreihen. Er erwartete für den nädjiten 
Tag die Schlacht, mit 21000 Mann gegen 50000, Morgens um 6 Uhr be: 
gannen die Feinde zu refognoscieren. „Dieſe Herren,“ meinte der König, 
„müſſen uns noch jür fürchterlich halten.” Nachdem er fich überzeugt hatte, dat; 
fie ihn nicht anzugreifen wagten, jehrieb er dem Prinzen Heinrich, er halte die 
Campagne hier für beendet; jobald der erite Reif falle, würden die Verbündeten 
für ihre Pferde keine Weide mehr finden und nad Haufe ziehen müllen; zum 
10. oder 1.4. Oftober glaubte er fih aljo dem Bruder zur Verfügung ftellen 
zu fönnen. 

Der Feind hielt dann am rechten Oderufer noch etwas länger aus, nur 
ehrenhalber, ohne an Angriffsbewegungen zu denfen, und jo mußte auch Friedrich 
an der Oder bleiben, denn er wollte Schleiten „nur unter guten Zeichen” ver: 
lajjen. Der Ausgang Stand vorweg feit. Der Kanzler Woronzow hatte dem 
öſterreichiſchen Botjchaiter erklärt, blutige Thränen weinen zu wollen, wenn die 
Heere nicht gemeinfam in Schlefien Winterguartiere fänden. Aber am 26. Oftober 
mußte geichieden fein. Die Rufen zogen nad der Weichjel ab, Laudon, nad 
dem ihm von Friedrich verliehenen Titel des „heiligen Römiſchen Reichs Erzbären: 
führer”, ſah ſich genötigt, da die Straße durch Schleſien geiperrt war, den Rückweg 
nah Ungarn über Kaliih und Krakau wie ein veriprengter Freibeuter zu nehmen. 

Sialtyfom und Daun, fo jchrieb Friedrich feinem Gefandten in London, 
einer dort gemachten Bemerkung zuftimmend, hätten ihre Operationen jo auss 
geführt, als wären fie beraufcht geweſen. Der eine war jegt abgefertigt, dem 
andern mußte der Laufpaß noch gegeben werden. 

Sachſen vom Feinde zu befreien, Dresden wiederzugewinnen, wünſchte 
Friedrich nicht bloß aus allgemeinen militäriihen Rüdfichten und wegen feiner 
Winterguartiere, fondern nod aus einem befonderen Grunde politiiher Art. 
Es lagen Anzeichen dafür vor, daß Frankreich und England fi wegen des 
Friedens verftändigen würden. Der König hatte jchon vor Kunersdorf bei feinen 
britiihen Verbündeten dem Frieden das Wort geredet. Er hoffte nicht bloß in 
den Frieden eingeichloflen zu werben, er hoffte fogar wie im Norjahre auf eine 
Kriegsentihädigung an Land und Leuten und war eben im Begriff, feine Anz: 
iprüche anzumelden. Um jo notwendiger war es, den Feldzug nicht mit einem 
territorialen Deficit abzuschließen. MWiederheritellung des militäriihen Beſitzſtandes 
vom vorigen Winter war das Schlagwort, das Friedrich in dieſem Herbit zu 
ungezählten Malen wiederholte. Tas Ziel, das militärifche wie das politiiche, 
icheint ihm nicht mehr zu verfehlen: „it der Feind einmal aus Sadien aus: 
getrieben, fo wird der Neft nur einige Federftriche foiten, das wird ſehr ſchnell 
gemacht fein.” 

„Die Lage der Dinge iſt bier nicht fo, wie ih wünſchen möchte”, ſchrieb 
damals aus dem Hauptquartier des Prinzen Heinrich der engliihe Geſandte; 
„indeß, der König von Preußen lebt, und fo lange er lebt, wird er fortfahren 
Wunder zu thun.“ 


Feldzug von 1759. 233 


Seit Mitte Oktober ſchwer von der Gicht geplagt, an der linfen Hand, dem 
rehten Fuß und Anie völlig gelähmt, immer wieder von ſtarken SFieberichauern 
heimgejucht, mußte Friedrich ſich entichließen, jelber in Glogau zurüdzubleiben und 
das nah Sachſen beitimmte Corps von 18 Bataillonen und 30 Schwadronen 
dem General Hülfen anzuvertrauen. Aber länger als bis zum 7. November 
litt es ihn nicht auf feinem Schmerzenslager. Als „lahmer Krüppel” ließ er 
fih von Ort zu Ort jchleppen: „Ich werde zu Ihnen fliegen,” fo meldet er ſich 
dem Prinzen Heinrid an, „auf den Flügeln der Vaterlandsliebe und der Pflicht, 
aber Sie werden bei meiner Ankunft nur ein Skelett angefüllt mit gutem Willen 
ſehen; mein Geift wird den ſiechen und ſchwachen Leib geben heißen.“ Er nennt 
fih ein Impedimentum des Heers und erinnert ſich an Philipp II., dem feine 
Generale ichrieben, er möge nicht als läftige Bagage ins Lager fommen, fondern 
als nüsliches Glied, 

Am 13. November traf der König, feiner Glieder wieder mächtig, aber 
noch vom Schlaf gemieden, matt und jehr blaß und abgezehrt, zu Hirichftein 
bei Meißen ein und nahm aus den Händen des Prinzen den Oberbefehl zurüd 
über das jegt in Sachſen vereinigte Heer von nahezu 50000 Dann. „Sie jehen 
einen Mann, der vom Unglück und vom Schmerz geichlagen, aber nicht nieder: 
geworfen iſt,“ ſagte er beim Wiederjehen zu feinem ſeit Ende Juli von ihm 
getrennten Vorlejer Catt. 

Prinz Heinrich erntete aus des Bruders Munde reiches Lob für die Feld— 
herrnkunſt, mit der er ein ganzes Vierteljahr hindurh Tauns großes Heer in 
Chad gehalten hatte. In den Gefechten von Hoyerswerda und Torgau, Korbit 
und Pretzſch hatten Heinrih, Find und Wunſch ſich den Defterreihern und 
Reihötruppen jedesmal überlegen gezeigt. Völlig genügt hatte der Prinz den 
Ansprüchen des Königs allerdings nicht. Friedrich Hätte gewünſcht, dab Heinrich 
auf den Ebenen bei Torgau oder Leipzig die Delterreiher zur Schlacht geftellt 
hätte, und es war darüber in dem Briefwechfel zu einer ſcharfen Auseinander: 
fegung gefommen. Friedrich hatte geichrieben, wer niemals etwas riskieren 
wolle, werde auch nichts thun fünnen, und Heinrich hatte gereizt geantwortet: 
„Ih bin jehr ruhig, ich bemühe mich meine Pilicht zu thun, ich babe zu viel 
Zeugen, um die Ungerechtigkeit zu fürdten, und Mut genug, um die Verleumdung 
zu verachten.” 

Jetzt war Daun aus der Ebene entwichen und hatte in dem durchichnittenen 
Gelände auf dem linken Elbufer bei Dresden die Stellungen, wie er fie liebte, 
zur Auswahl. Daß er zum Winter Sachſen würde räumen müſſen, nahm man 
im preußiichen Hauptquartier als fiher an. Ließ er dann in Dresden eine 
Beſatzung zurüd, jo wollte Friedrich die als ein Geſchenk betrachten, da die 
Stadt bald würde fapitulieren müſſen. 

Aber auch Daun jelber follte ihm, jo war jein Vorſatz, nicht ungezauft 
entrinnen, wenn diefer Jauderer auch der Schlacht wiederum auswich. Friedrich ſann 
auf Mittel, den Nüdzug des Feindes zugleich zu beichleunigen und verluftreich 
zu machen: „Verwirrung, Beltürjung und den Geift des Jrrtuns und Taumels 
in den Natjchlag und die Entichliehungen der feindlichen Heerführer hineinzu— 
tragen.” Als geeignete Maßnahmen erichienen ihm: Weberrumpelung der Maga: 


234 Ziebentes Bud. Erſter Abſchnitt. 


zine in Saat, Teplig, Auſſig — der Anſchlag, den Oberft Kleiſt mit feinen 
grünen Hufaren erfolgreid ins Werk jegte, Verwandlung der feindlihen Rück— 
zugsftraße in eine „Mördergrube“ durch Entjendung eines Detahements in den 
Nüden der öfterreihifchen Stellung, gegen Dauns „Subdelegierte” — die Auf: 
gabe, die dem General Find zufiel; endlih ein Nachhutsgefecht, in das der 
König jelber das abziehende Heer zu verwideln gedachte, „auf daß diefer Mann, 
der auf fein Haupt alle Symbole menjchlicher Eitelkeit (den geweihten Hut) 
gehäuft hat, Sachſen nicht verläßt, ohne feierlich mit großen Tritten vor fein 
Hinterteil hinausgeleitet zu fein“. 

Der Plan, den Feind durh einen Flankenmarſch nad Freiburg und 
Dippoldiswalde zu beunruhigen, war bereits durch den Prinzen Heinrich ent: 
worfen und eingeleitet worden. Am 5. November legte er feine Abjicht dem 
noch in Glogau weilenden Könige dar und fand deſſen vollen Beifall. Schon 
am 4. war General Find über die Mulde gejandt worden; als der König an- 
fam, ftand Find, nach und nad) verftärft, bei Noffig. Friedrich befahl ihm 
alsbald, bis Dippoldiswalde vorzugehen und von dort ſtark nach Maxen zu 
detadhieren. Die Aufgabe war, auf der Lauer zu liegen, den Troß, wenn er 
vorausgeſchickt wurde, abzufangen, Heine vorbeifommende Trupps zu überfallen, 
ftärfere und wohlgeordnete Abteilungen aber ziehen zu laſſen. Am 13. erbielt 
Find den Befehl, mit feinem ganzen Corps nad) Maren zu geben, um die Vor: 
truppen dort nicht einem Ueberfall ausjujegen und die von Dresden aufge: 
brochene Neichsarmee, wenn fie des Weges fam, „in Empfang zu nehmen“. 
Noch denjelben Abend aber teilte ihm der König einen Bericht Zietens mit, wo: 
nah ein öfterreichiiches Corps auf Tippoldiswalde, ein anderes nah Maren 
zu marjciert jei; Find habe danach jeine Anftalten zu treffen. Zur Veritärfung 
wurde General Hülfen mit 7 Bataillonen und 31 Schwadronen nad Dippoldis— 
walde gelandt. Der Hauptmacht des ;Feindes war der König von Meißen bis 
hinter Keffelsdorf und an den Plauenſchen Grund auf den Ferfen gefolgt; er glaubte 
fie feftzubalten. Er war feiner Sade völlig fiber. „Wir haben gewanft und 
waren im Begriff zu fallen, aber trotz aller unjerer Unglüdsfälle ftehen wir wieder 
aufrecht da und befinden uns am Ende eines von Gefahren ftarrenden Feldzugs, 
und zwar in derjelben Lage wie vor einem Jahre. Diejes Wunder wird ledig: 
lih dem Ungejhid und al den groben Fehlern unferer Feinde gedankt.“ Er 
fündete Boltaire feinen nächſten Brief für den Zeitpunkt feines Einzugs in 
Dresden an. Und noh am 21. November meinte er, Daun werde jenfeits der 
Elbe über Zittau nad Böhmen gehen müfjen, bis zum 25. werde Sachſen vom 
Feinde gereinigt fein. 

An diefem 21, war jein Hauptquartier bereits in großer Erregung und 
Sorge. Dunkle Gerüchte ſchwirrten durd die Luft, dem Könige wagte niemand 
davon zu Sprechen. Endlich wurden zwei Bauern zu ihm geführt; fie fagten 
aus, daß Find mit allen jeinen Leuten in Gefangenihaft geraten fjei. „Mein 
Gott,” rief der König, „it es möglich! joll ich denn mein Unglück mit mir nad 
Sachſen gebradht haben!” Noch blieb die Schreckensnachricht unbeglaubigt; auch 
am nächſten Tage wußte man noch nichts Beitimmtes, bis Finde eigener Bericht 
alles beftätigte. 


Feldzug von 1750. 235 


Der König antwortete ihm: „Es ilt bis dato ein ganz unerhörtes Erempel, 
daß ein preußiiches Corps das Gewehr vor feinem Feind niedergeleget, von 
deraleihen Vorfall man vorhin gar feine Idee gehabt. Bon der Sade felbft 
muß Jh annoh Dein Judieium juspendiren, weil Ich die eigentlihen Um: 
ftände, jo dabei vorgegangen, noch gar nicht weiß.“ 

In Wien urteilte Kaifer Franz: „Es it unbegreiflih, daß ein ſolches Corps 
mit allen feinen Generalen ſich auf die Art ergeben hat; das it höchſt ſchimpflich 
für fie und gleicht nicht den Preußen von früher.” 

Mit dem Corps, das am 21. November 1759 die Waffen geftredt bat, 
verlor das preußiiche Heer falt 15 000 Mann, dazu 70 Gefüge, 96 Fahnen 
und 24 Standarten. Der unglüdlihe General bat fi darauf berufen, daß 
er mit feinen Bedenken genen den Vormarſch in die ausgefegte Stellung bei 
Maren nicht zurüdgehalten habe, vom Könige aber mündlich ungnädig angelafjen 
und durch fchriftliche Befehle fort und fort vorgedrängt worden ſei. Find hat 
auch der Meinung Ausdrud gegeben, daß jeine Napporte, von denen er Ab: 
ſchriften nicht zurücdbehalten hatte, ihn gewiß noch mehr rechtfertigen würden: 
das trifft indes nicht zu. Seine Berichte noch aus den legten Tagen jeines 
Kommandos zeigen, daß er jehr zuverfichtlich war, daß er fich eines Angriffs nicht 
verfah. Und auch als das Nahen ftärkerer Maſſen ihm gemeldet wurde, hat er weder 
durch einen Rüdzug nad) Dippoldiswalde ſich jeine Verbindung mit dem Dauptheere 
oder für den äußerſten Fall einen Ausweg in jüdliher Richtung geiichert, noch aud) 
die vorgeichobene Abteilung des General Wunſch aus Dohna wieder an fich gezogen. 
Schon abgeichnitten, zeriplittert, hat er dann immer nod) geglaubt, nicht ange: 
griffen, jondern nur eingeſchloſſen und alsbald entjegt zu werden. Er bat unter 
diefer Vorausfegung nicht einmal daran gedacht, ſich hinter die Schludt von 
Reinhardsgrimma zu jegen, wo er ftärkite Dedung und allemal eine Nüdzugs: 
ftraße gehabt haben würde. Dabei waren alle diefe Stätten den preußiichen 
Truppen und injonderbeit dem General Find perſönlich aus den vorangegan- 
genen Feldzügen genau befannt. So erlag der bis dahin trefflih bewährte, ge: 
priejene General, umjtellt und überraicht, dem von Daun felber aeleiteten An: 
griff. Und nicht eine Uebermacht von 50000, wie Find annahm, hat ihn 
erdrüdt; nur etwa 25000 Gegner waren zur Stelle, einfchließlid der im Rüden 
der Preußen erjchienenen und wie immer nicht gerade nachdrücklich vorgehenden 
Neihstruppen. 

Als Finck am Morgen nah dem Kampfe fi ergab, will er außer den 
1800 Mann des General Wunſch, die er in die Kapitulation mit einſchloß, nur 
noch 5071 Dann bei einander gehabt haben. Vom Standpunkt der militäriichen 
Ehre bleibt die Zuftimmung zu einer fürmlihen Waffenftredung der dunkelſte 
Fleck an jeinem Verhalten. Mit Necht ift ihm ipäter von feinen Richtern vor: 
gehalten worden, daß auch ohne Kapitulation das Corps fein härteres Schidjal 
als die Kriegsgefangenichaft hätte treffen fönnen: „wobei ftatt defien, daß ein 
ganzes Corps im freien Felde die Waffen auf eine deshonorierende Weiſe nieder: 
geleget, die Ehre der Waffen conjervieret und ein Erempel zu übler Nadyfolge ver: 
mieden jein würde.“ Daß die Kapitulation den Offizieren den Befit ihres Gepäcks 
zugeltand, das ließ den traurigen Vorgang nur um jo anftößiger ericheinen. 


230 Siebentes Bud. Erfter Abschnitt. 


Der König und fein General haben beide, troß der Erfahrung von Hoch— 
firh, dem Feinde nicht den Grad von Entichlofjenheit zugetraut, den Daun, 
von mutigen Gehilfen beraten, am 20. November 1759 wiederum wie am 
14. October 1758 gezeigt bat. Und in dieler Beziehung bat Find zu feiner 
Entlajtung nicht unzutreffend geltend gemacht, daß wenn der König mit dem 
Hauptheer durd eine fräftige Diverfion auf Dauns Front hätte wirken wollen, 
diefer die Unternehmung auf die in feinem Rüden erjchienenen preußiſchen 
Streitfräfte ichwerlid gewagt haben würde. 

Das nah dem SFriedensihluß unter Zietens Vorſitz zufammengetretene 
Kriegsgericht hat den General Find zur Kaſſation und zu einjähriger Feſtungshaft 
verurteilt, weil er, ohne des Verrats oder einer ehrverlegenden Handlung ſchuldig 
zu fein, es an Umficht und Rejolution habe fehlen laſſen. Ueberwiegend aber blieb 
im Heere und in der litterariichen Leberlieferung die Meinung, der fih im Haupt: 
quartier unmittelbar nad) der Kataftrophe auch unvoreingenonmene Beurteiler an: 
ſchloſſen. „Find it unglüdlih und anjcheinend unschuldig”, ſchrieb Eichel an 
den Miniſter Findenftein, während Prinz Heinrich in jeinem Haß gegen den 
Bruder fih ungleich ſchärfer und deutliher auslieh: „Von dem Tage an, da 
er zu meinem Heere geftoßen ift, hat er Unordnung und Unglüd verbreitet; all 
meine Mühe in dieſem Feldzug und das Glüd, das mich benünftigt hat, alles 
it verloren durch Friedrich.“ Mit einem giftigen Ausfall gegen den „wider: 
jpruchsvollen, unzuverläffigen Charakter” des Königs wiederholte der Prinz jeine 
alte Behauptung: „Er hat uns in diejen graulamen Krieg bineingeworfen, die 
Zapferfeit der Generale und Eoldaten fann allein uns herausziehen.” 

Noch niemals meinte der engliſche Gejandte, der allerdings bei Kuner&dorf 
nicht zugegen gemweien war, den König jo bekümmert und niedergedrüdt geſehen 
zu haben. Das neue Unglück lie die peinlichiten Erinnerungen feines ganzen 
Yebens wieder auflteigen. „Sehen Sie, wie ih von je unglüdlich geweſen bin,” 
jagte er zu Catt; „von meinem Vater gemißhandelt, drei Monate lang allein 
eingeiperrt . . . Das Unglüd hat mich immer verfolgt, ih bin glücklich geweſen 
nur in Rheinsberg. Ich liege wie auf Kohlen, id habe Anwandlungen von 
Ungeduld, Entrüftung und Zorn, ih babe das Gefühl, als ob ich Ketten 
trüge und fie zerreißen wollte.” Dem Marquis d'Argens hatte er vor acht 
Tagen einen fiegesgewilfen Brief mit einem übermütigen Spottgebicht auf Daun 
geſchickt; jett Ichrieb er ihm: „Die fleine Hymne an Fortuna, die ih Ahnen 
mitgeteilt habe, war vorſchnell gemadt; man joll nicht Viktoria fingen, ehe man 
geitegt hat.” Und in einem zweiten Brief aus diefen Tagen: „Seit vier Jahren 
mache ich mein Fegefeuer dur; wenn es ein anderes Xeben gibt, jo wird ber 
himmliſche Vater mir das, was ih in dieſem Leben gelitten babe, zu gute 
halten müſſen. Jede Stellung, jede Yebenslage hat ihre Widerwärtigfeiten und 
Mißgeſchicke; ih muß meine Laſt, jo ſchwer fie drüdt, tragen wie ein anderer, 
und jage mir: das wird vorübergehen, wie unjere Vergnügungen, unfere Neis 
gungen, unſere Plagen und unſere glüdlichen Loſe.“ 

Friedrichs Gegner verrechneten fich in feiner Standbaftigfeit, wenn fie meinten, 
daß er Sachſen jebt räumen müßte. Ihre Enttäufhung war groß, und doch war nad 
dem Zeugnis des venetianischen Botichafters ganz Wien von Bewunderung erfüllt, 


Feldzug von 1759. 237 


als ſich herausftellte, dat; der König feinen Fuß breit vor den Siegern von Maren 
zurückzuweichen entjchloffen war. „Das legte Bund Stroh und der legte Bifjen 
Brot Sollen darüber enticheiden, wer von uns beiden in Sadjen bleiben wird!” 
erklärte er trogig. Noch immer glaubte er, da Daun aus Mangel an Ber: 
pflegung nad) Böhmen abziehen würde. 

Die erften Tage des Dezember braten einen neuen Unfall. Bei Meißen 
geriet General Dieride mit 1500 Mann, durd den Eisgang der Elbe am recht: 
zeitigen Rüdzug gehindert, nach heldenmütigem Widerftand in öſterreichiſche Ge: 
fangenihaft. Wollte der König den Feldzug noch fortjegen oder gar wieder 
zur Offenſive übergehen, jo brauchte er nach feinen empfindlichen VBerluften Ver: 
ftärfung. Er wandte fih an den Herzog Ferdinand und bat um 5—6000 Mann 
von dem wejtdeutichen Heere. 

Ferdinand hatte die Scharte von Bergen dur den Sieg von Minden 
und Gobfeld über die vereinigte Streitmacht von Contades und Broglie am 
1. August!) rühmlich ausgewegt. In Berlin wollten es die gefangenen franzöſiſchen 
Dffiziere nicht für ſchimpflich halten, bei Roßbach von einem Helden geichlagen 
zu fein, aber bitter empfanden fie es, jegt auch von einem Heere, das fie chedem 
befiegt und veradtet hatten, geihlagen zu werden. 

Von Weitfalen abgedrängt, hatten die franzöliihen Generale ihren Rück— 
zug durch Helfen genommen und erft zwiiden Gießen und Weglar in einem 
verſchanzten Lager hinter der Lahn Halt gemadt. Anfang Dezember bezogen 
fie am Main und Rhein die Winterquartiere. In Weltfalen ging ihnen am 
Tage der Kapitulation von Maren ihr Waffenplatz Münfter nach längerer Be: 
lagerung verloren. So beherrſchte Ferdinand wieder den ganzen Bereich, den 
er im vorigen Winter inne gehabt hatte?). Er konnte dem Verlangen des Königs 
willfahren und jandte ihm 13 VBataillone und 19 Schwadronen, Hannoveraner, 
Braunfchweiger und Heilen. Ihre Führung übernahm der junge Prinz, der 
feit dem Tage von Haltenbed bei zahlreihen Gelegenheiten feine hervorragende 
militäriihe Begabung und feinen perfönlihen Mut bewährt und noch jüngft bei 
dem Ueberfall von Fulda dem Herzog von Württemberg übel mitgejpielt hatte: 
Erbprinz Karl Wilhelm Ferdinand von Braunſchweig. Nicht umſonſt hatte ihn 
die preußiihe Mutter vor dem eriten Ausrüden in das Feld mit den Worten 
entlaffen: „Sch verbiete Euch, wieder vor meine Augen zu treten, wenn Ihr 
nicht Thaten gethan habt, die Eurer Geburt und Eurer Berwandtichaft würdig find.“ 

König Friedrich erwartete jeinen Neffen mit Ungeduld. Sein Plan war, 
nad der Ankunft der Verftärfung entweder ein Streifcorps nah Böhmen zur 
Aufhebung der Magazine zu entienden oder den Poſten bei Dippoldiswalde zu 
ftürmen; in einem wie in dem andern Falle würde Daun, fo meinte er, Sachſen 
verlajfen müſſen. Prinz Heinrich äußerte gegen den Angriff auf Dippoldis- 
walde jeine Bedenken, den Streiizug nah Böhmen ſah er als ausführbar an. 
Ter König betonte die Notwendigkeit, die fremden Hülfstruppen zu benügen, 
folange fie zur Stelle waren. Am 6. Dezember hatte er, um dem entjchei: 


) Dal. ober ©. 217. 
) Oben ©. 1%. 


258 Eiebentes Bud). Erfter Abichnitt. 


denden Punkte näher zu fein, das Hauptquartier nach Freiberg verlegt. Dort 
begrüßte ihn am zweiten Weihnadhtstage der Erbprin;. 

Zwei Tage darauf meldete ein Kundſchafter aus Dresden: „Die Defter: 
reiher jagen, fie verliefen Dresden nicht, es koſte was es wolle.” Friedrich 
tröftete fih damit, es ſei beifer, „eine unangenehme Wahrheit als eine an: 
genehme Lüge zu erfahren”; nun bleibe nichts anderes übrig, als es „mit 
der Schärfe zu probieren”. Bon dem Erbprinzen begleitet, jeßte er fih am 
29. Dezember in Marſch, doch ſchon in dem peinlichen Vorgefühl, dab er feine 
Ausficht habe, den Feind mit Erfolg anzugreifen: „Ich denke mehr an den Nüd: 
zug, als an den Sieg.” Die öfterreichifchen Vortruppen wurden zurüdgetrieben, 
aber die Hauptitellung bei Dippoldiswalde hatte Daun funftgerecht in Verteidigungs- 
zuftand gejegt und dicht mit fchnell herangezogener Verftärkung belegt. Der 
Verfud, den Poſten auf den tief verichneiten Gebirgswegen zu umgehen, mußte 
aufgegeben werden, da fein Geihüt vorwärts zu bringen war. 

Damit war es entichieden, daß der König und jeine Truppen nad einem 
unerhört angeftrengten Feldzuge ordentlihe Winterguartiere nicht haben würden. 
Den Glückwunſch feiner Gemahlin zum neuen Jahre beantwortete der König am 
1. Nanuar aus dem elenden Dorfquartier zu Prebichendorf mit der Mitteilung: 
„Unfere Lage ift nicht anmutig und hat nicht den Anschein, e8 zu werden. Wir 
werden genötigt fein, den ganzen Winter einen Juß im Steigbügel zu behalten, 
und folglich nicht ausruhen können.” 

Die Kälte wurde immer ftrenger. Am 10. Januar führte der König die 
Truppen nad) Freiberg zurüd und ſchlug dort für den Reit des Winters das Haupt: 
quartier auf. Das Heer wurde in engen Kantonnements auf die Dörfer zwiſchen 
Freiburg und Meißen verteilt. Täglich zogen 6 volle Bataillone zwiſchen Wils: 
druff und Keffelsdorf auf die Wade, um einen Weberfall zu verhindern. Aber 
die Dejterreicher rührten fich nit, Sie lagen, noch gebrängter als ihre Gegner, 
in den Ortichaften hinter vem Plauenſchen Grund und dem Tharandter Wald. 
Durch Schanzen und Verhaue gab Daun feiner an fich ftarfen Stellung „das 
Anjehen einer unüberwindlichen Feſtung“. Alles was fein Heer brauchte, mußte, 
da die Elbe zugefroren war, zu Wagen aus Böhmen herbeigeihaftt werden. 

Nah allen Schrednifien, die das legte Jahr ihm gebracht, wollte Friedrich 
an den nächſten Feldzug nur „mit Zittern” denken. Um jo ſehnlicher harrte er 
des Friedens. Aber ſchon gewann es zu feiner ſchmerzlichen Enttäufchung den 
Anſchein, als ob bei den Verhandlungen, die er eingeleitet hatte, das Glüd ihm 
ebenjo abhold jein würde wie vorher im Kampfe. 


Zweiter Abichnitt. 


Iriedensberhandlungen. Feldzug bon 1760. 


König Friedrih in einer langen Unterredung dem englifchen Gejandten 

ebenjo orfenherzig wie dringend fein Verlangen und jein Bedürfnis nah 
srieden geihildert. „Es war ein Wunder,” fagte er, „daß die Sachen bisher 
nod) jo gut gegangen jind.“ Zum Schluß der lebhaften Darlegung fam die Frage: 
„Aber können denn Ihre Minifter Frieden ſchließen?“ Mitchell antwortete, er jei 
überzeugt, fie wünjchten den Frieden; der König fiel ein: „ch hoffe, ich werde 
nicht vergeſſen werben,” und jegte, che jener etwas erwidern konnte, Schnell Hinzu: 
„Nein, ih bin in feiner Gefahr, Herr Pitt ift ein Ehrenmann und feit, meine 
Intereſſen find in feiner Hand ficher.” 

In derjelben Beiprehung eröffnete er dem Gefandten, daß er bei Fort: 
dauer des Krieges nur noch die eine Rettung für fich ſähe: ein Waffenbündnis 
mit der Pforte). Seit dem Herbit 1757 herrſchte im Serail ein neuer Sultan, 
Muftapha II. Wie jein geheimer Agent dem Könige aus Konftantinopel be: 
richtete, waren die Türfen dem Abſchluß jett geneigter, aber jie wünfchten ben 
Beitritt oder doc die Bürgichaft Englands. Friedrich richtete durch feine Ver: 
treter in London, Knyphaufen und Michel, einen entipredhenden Antrag an das 
engliihe Minifterium, lie aber zugleich erklären, auf den Vertrag mit dem 
Sultan verzihten zu wollen, wenn England fi anheiſchig machen könne, im 
Laufe diejes Jahres einen „allgemeinen, ehrenvollen und fiheren” Frieden herbei: 
zuführen. 

Nah Ablauf eines Monats lag der Bericht jeiner Gejandten ihm vor. 
Er ſah beitätigt, was er jhon aus Mitchels Andeutungen entnommen hatte. 
Offenbar hatten die engliichen Minifter ihre Bedenken. Ohne rund heraus nein 
zu jagen, wollten jie do aus dem Vertragsentwurf gerade die Beltimmung 
jtreihen, auf welche die Türken begreifliherweife vor allem Wert legen mußten: 
den Verzicht der Parteien auf einen Sonderirieden. 


HD: Monate vor der Kumersdorfer Niederlage, am 19. Mai 1759, Hatte 


j Shen ©. 207. 


240 Siebentes Buch. Zweiter Abſchnitt. 


Je weniger Ausfihten fih demnach für erfprieglihen Fortgang diejer Ver: 
handlung boten, um jo mehr juchten Anyphaujen und Michel ihren Gebieter 
in feinen Friedensgedanken zu beftärfen. Ihre Darlegung ging davon aus, daf 
der alte Gegenjag innerhalb des britiichen Rabinetts!) noch in voller Echärfe 
beftand. Die Eiferfucht des Herzogs von Nemwcaftle auf Pitt wuchs in dem 
Maße, als der jüngere Staatsmann, dank jeiner Qalente, feiner fittlichen 
Integrität und jeiner Erfolge, an Vertrauen bei der Nation und anſcheinend auch 
an Einfluß auf den Monarden gewann. Newcaitle jage fih, daß das Anjehen 
und die Volfstümlichkeit Pitts im Krieg und durch den Krieg nur noch immer 
wachſen werde, dab ihm jelbit dagegen im Frieden und in dem herfömmlichen 
Getriebe der Betterihaftsmahenichaften und Parteiintriguen die Führerrolle von 
felbjt wieder zufallen müſſe. Die Befürchtung der preußiſchen Gejandten war, dab 
das alte Parteihaupt mit jeinem noch immer großen Anhang entweder beim eriten 
milttärifchen Mißerfolg die Nation zu einem überftürzten Frieden hinreiße, oder den 
König noch einmal zu einem geheimen Sondervergleihe beitimme, oder wenigſtens 
dem Nachdruck der bisherigen Kriegsführung durch feine Umtriebe Abbruch 
bereite. Allen diefen Gefahren konnte König Friedrich nah der Meinung feiner 
Vertreter vorbeugen, wenn er fich entichloß, je eher je lieber ein eigenbändiges 
Schreiben an den König von England zu richten, um ihn aufzufordern, nad) neuen 
Warfenerfolgen den Gegnern die Eröffnung eines Friedensfongreiies vorzufchlagen. 

Dit diefem Nat verbanden Knyphaufen und Michel noch einen zweiten. 
Sie empfahlen dem Könige, jeinem königlichen Oheim gegenüber ſolchen Antrag 
ausſchließlich mit der Prliht gegen die beiderjeitigen Unterthanen und Lande zu 
begründen, nicht aber mit einem Hinweis auf die Erihöpfung des preußiichen 
Staates und feiner Finanzen. Denn ſonſt würden die Gegner, die er in Eng: 
land habe, nicht verabiäumen, ihn als einen der britiihen Nation nur zur Zait 
fallenden Bundesgenoffen hinzuftelen, mit weldem man nichts erreihen könne 
und welcher der Krone England nur Verlegenheiten bereite. Vor allem baten 
fie ihren Herrn dringend, nie wieder dem engliihen Gejandten gegenüber von 
der Ermattung und Erihöpfung Preußens zu jprechen, denn ſonſt möchte dieſer 
Berichteritatter, ohne Kenntnis von den Anjägen neuer Parteigruppierungen, bei 
reblihitem Willen jehr großen Schaden anrichten. 

Eigenhändig fügte Anyphaufen dem mit feinem Kollegen gemeinſchaftlich 
abgeftatteten Berichte Hinzu: „Ich bitte und beihwöre Ew. Majeftät, dieſer 
Depeſche die erniteite Aufmerkiamfeit zu ſchenken und überzeugt zu fein, daß 
der zur Erwägung gegebene Schritt unumgänglich notwendig ift für das Wohl 
der gemeinen Sade und für Ihre eigenen Intereſſen insbejondere, und dab, wenn 
Ew. Majeität Sih darauf einzulaflen geruhen, Sie die größten Vorteile erzielen 
werben.” 

König Friedrich befolgte den jo nachdrücklich befürworteten Vorjchlag der 
beiden einfichtigen Ratgeber. Wie völlig richtig fie die inneren Zuſtände Eng: 
lands beurteilten, wie feit For, der Herzog von Bedford und ihre Freunde mit 
Nemwcaftle gegen Pitt zufammenbielten, das fonnte Friedrich nicht ermeſſen; er war 





I; Oben ©. 61. SS. 110. 1065. 


Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 241 


der Meinung, daß die Gefahr, den Bundesgenoffen dur Nemwcaftles Umtriebe 
zu verlieren, nicht fo nahe jei; er hatte im Gegenteil früher einmal die Bes 
fürdtung ausgeiproden, daß England an der Fortjegung des Krieges ebenfo viel 
Sinterefje haben möchte, wie Preußen wenig. Gleichwohl jchrieb er am 20. Juni 
1759 an feinen föniglihen Obeim ganz im Sinn jenes Vorjchlages und freute 
fih, daß die Antwort zuftimmend lautete; er glaubte damit der Sorge wegen 
eines britifhen Sonderfriedens überhoben zu fein. 

Die erfolgreihe Verteidigung von Madras, die Eroberung von Guade— 
loupe und Fort Niagara, die Fortichritte der Blofade von Duebec, die Nieder: 
lagen ber franzöfiihen Flotte an der portugiejiichen Küfte bei Yagos und des 
franzöfifchen Landheeres am Weſerſtrande — jo viele glänzende Warfenerfolge 
beftärften die britiiche Regierung in der Hoffnung auf das Gebeihen des Friedens: 
werfes, und die ruffiihen Siege von Kay und Kunersdorf drüdten dieje er— 
wartungsvolle Stimmung nicht allzufehr herab, da die preußifchen Vertreter, 
ihrer wohlerwogenen Taktik getreu, ſich Faltblütig und zuverfichtlich zeigten und 
wohl hüteten, in diefem für ihren König jo drangvollen Augenblid auf fofortige 
Einleitung der in Ausfiht genommenen Verhandlung anzutragen: eine nad) 
Kunersdorf „im erften Schredensichauer” an fie ergangene verzweiflungsvolle 
Aufforderung des Minifters Findenftein, jest Pitt als legten Retter und als 
Friedensftifter aufzurufen, ließ Knyphauſen auf eigene Verantwortung unaus: 
geführt. Sein Standpunkt war, daß, wenn die Lage wirklich verzweifelt war, 
auch ein Friedensfongreß Preußen nicht mehr retten fünne: überwinde aber ber 
Kranke dank feiner guten Konftitution die Krifis von jelbft, dann werde es Zeit 
fein, zu feiner völligen Wiederherftellung die jetzt aufzujparenden Stärfungs: 
mittel anzumenden. 

Die preußiſchen Diplomaten ließen alſo einen vollen Monat verftreicdhen, 
ehe fie die Erörterung über den Kongreßvorſchlag offiziell wieder aufnahmen. 
In der Konferenz, zu der fie am 26. September mit Nemwcaftle, Pitt und Holder: 
neſſe zufammentraten, wurde dann vereinbart, für die Kundgebung an die Höfe 
von Verſailles, Wien und Petersburg den Ausgang des Feldzuges in Amerika, 
die Entſcheidung über Quebec, abzuwarten. 

Die Krifis war von dem „Kranken“ glüdlich überwunden, als König Friedrich 
Mitte Oktober das Protokoll diejer Konferenz erhielt. Vol Selbitgefühl über 
die Erfolge jeiner Defenfive gegen die Sieger von Kunersdorf, der grundfäß- 
lihen Zuftimmung Pitts zu einem Anſpruch auf Kriegsentihädigung feit dem 
Vorjahre vergewiliert,') von feinen Gejandten noch jüngft aufgefordert, dem 
britiihen Bundesgenofien gegenüber breifte Sicherheit zur Schau zu tragen, 
glaubte Friedrich es nicht unterlafjen zu jollen, feinen Eugen Anyphaufen für 
alle fälle über das, was ihm begehrenswert erichien, zu unterrichten. Und nod 
ein bejonderer Anlaß mußte ihn darin beftärfen. Im franzöſiſchen Heere diente 
als Generallieutenant Prinz Xaver von Sachſen, der zweite Sohn des Königs 
von Polen; ein Teil feiner Feldkanzlei war nad der Schlacht bei Minden von 
den Truppen Ferdinands erbeutet worden, darunter ein Entwurf, das auf Koften 


) Dben 5. 166. 167. 
Kofler, König Friedrich der Grobe. II, 2. Aufl 16 


242 Siebentes Bud. Zweiter Abjchnitt. 


Preußens zu vergrößernde Sachſen zum Königreich zu erheben und den Prinzen 
Xaver jelbit, falls jeine fortgejegten Bemühungen um die Nachfolge in Polen!) 
Icheitern jollten, zum Troſt mit Gebieten am Rhein, auch preußifchen, auszu— 
ftatten. Aus London ihm mitgeteilt, kam diejer Entwurf genau gleichzeitig mit 
jenem Sonferenzprotofoll in ;Friedrihs Hand. Daß Gebietsabtretungen beim 
Frieden ihm nicht zugemutet werben durften, ftand ihm unabänderlich feit; es 
empfahl fich, die Jlufionen der Gegner durch Aufftellung einer Gegenrehnung 
von vornherein zu zerftören. 

„Wir brauchen,” fchreibt Friedrih an Knyphauſen am 12. Oktober, „eine 
Salbe für unjere Brandwunde, wenn es fein fann. Und da fann man folgendes 
thun: entweder vorichlagen, daß jeder bebält, was er beim Frieden beſitzt; oder, 
wenn man wiebereintaufchen will, da Preußen und meine Befigungen am Rhein 
bei weitem nicht Sachſen werth find, jo müßte man an Ausgleihsgegenitände 
denken, jei e& daß man uns die Niederlauig läßt und den König von Polen 
mit Erfurt entjchädigat, fei es dab man mir für den Tod des Königs Polniſch— 
Preußen verbürgt, oder endlich, daß man irgend ein anderes Land ausfindig 
macht, gleichviel welches, wofern es nur als Salbe für die Brandwunde gelten 
fann. Im jchlimmiten Falle wird es heißen, die Dinge in den Status quo, wie 
fie vor dem Kriege lagen, zurüdzuveriegen.” 

Eichel und Findenftein, dur deren Hände der Erlaß an Knyphauſen ging, 
beide in jenem Augenblid von dem Könige getrennt, der Kabinettsrat in Torgau 
und der Miniiter mit dem geflüchteten Hofe in Magdeburg, fie erichrafen über 
den Optimismus ihres aus dem wildeſten Strudel eben erit wieder „über 
Waſſer gelommenen” Gebieters. „Gebe der liebe Gott nur,” jeufzte Eichel in 
einem Briefe an den Minifter, „daß der König die zur Zeit unerläßliche Selbit: 
beherrihung gewinnen und dem Rachgefühl gegen jeine Feinde weniger nad: 
geben möge, obgleich fie wahrlih unmwürdig gegen ihn gehandelt haben. ch 
ſchmeichele mid, daß die BVoritellungen des Herrn von Anyphaufen ihm jeden 
Gedanken an Entihädiqgungen und Erwerbungen, als unter den gegenwärtigen 
Umftänden illuforiich, aus dem Sinne ſchlagen werden.” Finckenſtein hatte ſchon 
vorher jeine Bedenken mit Freimut dem Könige dargelegt: nur bei ganz ent: 
fcheidenden, das Ausjehen der Dinge umgejtaltenden Erfolgen zu Ausgang des 
Feldzuges wollte er die Verwirklihung der an fich lodenden dee für möglich 
halten; daneben ſprach er die Befürchtung aus, daß der Londoner Hof, der bei 
den großen von ihm erzielten Vorteilen vielleicht gern den Krieg noch um einige 
Beit verlängern werde, den preußiichen Anſpruch auf Entihädigung zum Vor— 
wand nehmen fönnte, um den Frieden hintenanzuhalten und in bie Ferne 
zu rüden. 

Der König antwortete ihm: „Sie jagen mir fein Wort, das id nicht ebenjo 
gut wüßte wie Sie; aber man muß das Glück auf die Probe ftellen, und 
der ganze Unterfchied dabei wird fein, daß der Friede um jehs Moden auf: 
gehalten werben fann. Denn im Falle, daß nichts zu machen ift, gehe ich 
immer auf den Status quo herab.“ 


1) Bgl. Bo. I, 265. 


Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 243 


Es war diejelbe Taktif, die im zweiten jchlefiihen Krieg eine Zeit lang 
von ihm befolgt worden war, bis er dem Gedanken an Gewinn ganz entjagt 
hatte.!) Augenblidlih ging er ganz in der Vorftellung auf, daß die Franzofen, 
vom Unglüd verfolgt, fih „an Händen und Füßen gebunden” den Engländern 
ergeben müßten, daß dieje den Frieden nicht bloß den Franzoſen, jondern der 
ganzen Koalition diftieren fönnten. „Einige Federſtriche“ jchienen ihm alles 
binnen furzer Frift regeln zu können — immer vorausgejegt, daß es ihm ge: 
lang, die Defterreiher wieder ganz aus Sachſen zu vertreiben. 

Wie unabläffig ihn diefe Entwürfe in jenen Tagen beichäftigten, läßt ein 
weiteres Schreiben an Findenjtein, vom 30. Oftober, erjehen, mit einer ganzen 
Blumenleje von Kombinationen. Friedrich denft an die Säfularifation von 
Münfter und Dsnabrüd für Hannover, von Hildesheim für Preußen, mobei 
ihm als geeigneter Zeitpunft der Todestag des derzeitigen Inhabers der drei 
Stifter, des Kurfürſten von Köln, erfcheinen will. Er denft an einen Austaufch 
des Herzogtums Kleve, der Grafihaft Mörs und des preußiichen Anteil® von 
Geldern gegen Medlenburg, an die Erwerbung der NReichsitadt Nordhauien. Er 
fommt zurüd auf den jchon geäußerten Gedanken, dem Kurfürjten von Sachjfen 
für die Niederlaufig Erfurt und das Eichsfeld anzumweilen. Er gibt dem Plan 
zur Erwerbung des polniihen Preußens eine Erweiterung dahin, daß aud Ruß: 
land das Stüd von Polen nehmen wird, deſſen es zur Verteidigung gegen bie 
Türfen zu bedürfen behauptet. Er ſpricht aud von der Säfularijation des 
Bistums Ermland. Er iſt „weit davon entfernt zu denken, daß dies alles aus: 
führbar jein möchte”, aber er meint, daß man jehr wohl die englifhen Minijter 
und die zum Frieden geneigten Mächte über diefe Punkte aushorchen kann: 
Sindenftein fol die Materie „verbauen und zubereiten”, auch durch die dritte 
Hand einige diefer Projekte als Fühler ausitreden. 

„Licet injusta petere, ut justa obtineamus*, ſchrieb Eichel gleihjam ent: 
ihuldigend an Findenftein. Aber er beruhigte fich einigermaßen, als er ben 
König am 11. November mwiedergejehen und aus jeinem Munde nähere Er: 
läuterungen erhalten hatte. „Ich habe alsbald bemerkt,” vertraute er dem Minifter 
an, „daß Seine Majeität von den Ideen, über die Ew. Ercellenz Herrn von 
Knyphaufen hat unterweifen müſſen, noch ganz erfüllt ift; aber was mid) 
jehr getröftet hat, ift, daß ich, jomweit ich habe veritehen können, mich ſchmeicheln 
darf, dab alle diefe Aeußerungen jozufagen nur Probleme find, die der König 
den Engländern hinwirft, eritens, um zu ſehen, wie fie denken, und ob es nicht 
möglich it, mwenigitens irgend etwas, Kopf oder Kragen, zu erwiſchen, und 
zweitens um glei von vornherein jeden Gedanken an eine dem Könige zuzus 
mutende Abtretung abzujchneiden. Drittens jollen es feine Forderungen fein, 
die der König hartnädig feithalten wird; er wird auch viertens den Frieden 
nicht davon abhängen lafjen; vielmehr wird fünftens, wenn nichts von alle dem 
durchzufegen ift, des Königs Ultimatum fein, daß er in feine Abtretung von 
jeinen alten Befigungen willigt, fondern daß alles auf dem Fuße wie vor dem 
Kriege bleibt.“ 


1) Bgl. Bd. I, 239. 268. 


244 Siebentes Buch. Zweiter Abfchnitt. 


Zeitweife war Friedrich der Anficht gewejen, daß England, in der glän— 
zendften Lage, in der fi eine europäifhe Macht nur befinden fönne, fih mit 
der Verhandlung nicht übereilen jolle, ja daß man von der beabfichtigten Er: 
Öffnung an die Gegenpartei befjer ganz abjehen werde; denn bald würben bie 
Franzoſen genötigt fein, das, was man ihnen anbieten wolle, ihrerjeits zu er: 
bitten. Er gab indes dieſe Auffaffung jofort auf — es war am 17. No— 
vember — als Pitt ihm mitteilen ließ, daß jchleuniges Vorgehen auf der vor: 
gezeichneten Linie die einzige fichere Bürgichaft biete gegen die fortgejegten 
Umtriebe Newcaftles, gegen die Gefahr eines einfeitigen Abjchluffes mit Frank— 
reich, zu dem König Georg nur zu geneigt fcheine. 

Für die Weberreihung der engliſch-preußiſchen Deklaration wurde der neu: 
trale Boden Hollands auserjehen. Ein der Sade der beiden proteftantifchen 
Mächte aufrichtig ergebener deuticher Prinz, der Vormund des oraniſchen Erb: 
ftatthalters, Yudwig von Braunfchweig, fand ſich bereit, die ‚Friedensbotichaft den 
im Haag beglaubigten Vertretern Franfreihs und der Kaijerhöfe zuzuitellen. 
An hiſtoriſcher Stätte, auf dem Schloffe zu Ryswijf, in demjelben Zimmer, in 
welhem vor 62 Jahren ein europäiicher Friedensvertrag unterzeichnet worden 
war, verlas der Prinz am 25. November dem Grafen d'Affry, dem Baron 
Neiihah und dem Grafen Golowlin die Urkunde, laut deren die Könige von 
Großbritannien und von Preußen fich bereit erklärten, Bevollmädtigte an einen 
zu vereinbarenden Ort zu entjenden, um in Gemeinihaft mit den Vertretern 
der anderen friegführenden Mächte über Mittel und Wege zur Herbeiführung 
eines allgemeinen und dauerhaften Friedens zu beraten. 

Der Deklaration war auf das trefflichite vorgearbeitet worden durch Die 
große Entiheidung in Kanada, die Mitte Oftober nad) Europa gelangte Poit 
von der am 13. September erfolgten Uebergabe von Quebec an die Engländer. 
Die Ausfihten des Friedensvorſchlages wurden noch erheblich vermehrt durch 
die weitere Kunde, die unmittelbar nah dem Ryswijker Staatsafte von der 
Weſtküſte Frankreihs fam: am 20. November war das aus Breft ausgelaufene, 
zur Landung in Schottland beftimmte Geſchwader, Frankreichs legte Kriegsflotte, 
vor der Bilaine-Mündung bei Quiberon durch Aomiral Harfe zertrümmert worden. 

Uber der Tag von Quiberon war auch der Tag des Kampfes bei Maren. 

Lediglih unter dem Eindrud von Maren, jo urteilte der engliſche Ge: 
fandte Keith, geſchah es, daß der rujliihe Großfanzler ibm am 12. Dezember 
als vorläufige Antwort auf die Haager Deklaration eine mit beleidigenden Aus: 
fällen gegen den König von Preußen angefüllte Note übergab. Der Wiener 
Hof feinerfeits begnügte fi vorerit damit, dem Prinzen von Braunihweig eine 
einfache Empfangsbeicheinigung auszuftellen. 

Um jo angelegentliher, das trat offen zu Tage, Juchte Franfreich den 
Frieden. 

König Ludwig hatte jhon im September 1759 die Friedensvermittlung 
des ſtammverwandten Königs von Spanien !), des am 10. Auguft feinem 
Bruder Ferdinand VI. gefolgten Karl IIT., angenommen, und als jest die fühle 


i) Dal. oben ©. 207. 


Friebensverhandlungen. Feldzug von 1700. 245 


Zurüdhaltung der beiden Kaiferhöfe für den Zufammentritt des Kongrejjes nur 
geringe Hoffnung ließ, nahm Spanien um jo mehr VBeranlaflung, den Kronen 
England und Frankreich feine guten Dienjte für einen Sonderfrieden anzubieten. 
Auf Pitts Antwort, daß Frankreich fih offen über jeine Abjichten erflären möge, 
beauftragte Ehoijeul den Gejandten im Haag, mit dem dortigen Vertreter Eng: 
lands, es war noch immer Sir Joſeph Yorke,) in Verbindung zu treten. Pitt 
betradhtete die Stimmung der Franzojen als fo günftig, daß er dem Könige 
von Preußen raten ließ, eine unmittelbare Anknüpfung mit dem Hofe von Ber: 
jailles zu juchen, und Friedrich entjchloß fich, diefer Anregung Folge zu geben. 

Auf Umwegen ftand man miteinander bereits in Kühlung. Im vorigen 
Frühjahr hatte der geichäftige Voltaire mit einer gelegentlihen Erwähnung feines 
Anteils an jenen Vermittlungsverjuchen der Markgräfin Wilhelmine ſich als Unter: 
händler in empfehlende Erinnerung gebradt. Friedrich hatte zwiſchen Spott 
und Ernit geantwortet: „Sie eifern für den Frieden, es würde Ihnen mehr 
geziemen, mit diefer edlen Impertinenz, die Ihnen fo wohl anfteht, gegen die 
zu fhreiben, welche den Friedensſchluß verzögern, gegen alle diefe Leute, die 
fih in Konvulfionen und im Delirium befinden. Es wäre für die Gejchichte 
ein eigenartiger Zug, wenn man im neunzehnten Jahrhundert erzählte: dieſer 
berühmte Voltaire, der zu jeiner Zeit jo viel gegen die Buchhändler, gegen die 
Fanatifer und gegen den ſchlechten Geſchmack geſchrieben, er habe mit feiner 
Feder den Fürften ihren Krieg jo nachdrücklich verwiejen, daß er fie zu einem 
Frieden beftimmt und die Friedensbedingungen biftiert habe. Birgil begleitete 
den Mäcenas auf der Reife nach Brundifium, wo Auguft jeinen Frieden mit 
Antonius Schloß, und Voltaire, wird man jagen, wurde der Lehrer der Könige 
wie der Xehrer von Europa, und zwar ohne daß er zu reifen braudte.” Auf 
ſolche Vollmacht hin ſtellte der Einfiedler von Ferney nunmehr auch dem Herzog 
von Choijeul jeine diplomatiichen Talente zur Verfügung; die aufmunternde 
Antwort, die er aus PVerjailles erhielt, gab er an Friedrich weiter mit einer 
niedlihen Nußanwendung der Fabel von der Maus, die den Löwen aus der 
Schlinge errettet. Der Löwe antwortete — es waren ſechs Wochen jeit der 
Schlacht von Kunersdorf vergangen —: „Meine Lage iit nicht jo verzweifelt, 
wie meine Feinde es ausiprengen. ch werde meinen Feldzug noch jehr gut 
zu Ende bringen, mein Mut liegt nicht darnieder, aber ich jehe, dab von Frieden 
die Rede ift. Alles, was ich Ihnen pofitiv über diefen Artikel jagen fann, iſt, 
dab ih Ehre für zehn habe, und daß ich, welches Unglüd mir auch zuftoßen 
mag, mich unfähig fühle eine Handlung zu begehen, welche aud nur im ge: 
ringiten diefen Punkt verlegen könnte, der für einen Mann, welcher als waderer 
Ritter denkt, jo empfindlich und jo zart iſt und jo wenig geachtet wird von 
diefen ehrlojen Bolitifern, die als Krämer denken.“ 

Auf Veranftaltung Choileuls richtete dann Voltaire einen weiteren Brief 
an Friedrich mit einem Ausblid auf die Geneigtheit Frankreichs, nah Auf: 
lafjung Sadiens an König Auguft in den Fünftigen Frieden mit England auch 
Preußen einzufchließen. Friedrih antwortete mit dem Hinweis auf die damals 


) Oben ©. 165. 


246 Siebentes Bud. Zweiter Abichnitt. 


in nächſter Nähe bevoritehbende Haager Deklaration: „Die Thür iſt geöffnet; 
fann, wer da will, ins Sprechzimmer eintreten. An den Franzofen, die von Natur 
berebt find, ift es, zu ſprechen; uns ziemt es, fie mit Bewunderung zu hören 
und in fchlehtem Kauderwelſch, jo aut wir e& vermögen, zu antworten.” 

Aber ſtatt fich deutlicher vernehmen zu laflen, verftummie nah dem Tage 
von Maren Voltaires Verſailler Orakel zunächſt völlig. Und da dem Könige 
die Zmwijchenträgerei diefes unzünftigen Diplomaten ohnehin aus guten Gründen 
nicht ganz geheuer eridhien, jo begrüßte er es mit Freuden, als die Herzogin 
von Gotha ibm in dem jungen Freiherrn v. Edelöheim eine vertrauenswürdige 
Perfönlichkeit für eine Sendung nach Frankreich empfehlen konnte. Eine In— 
ftruftion vom 18. Februar 1760 wies den „jungen Merkur” — er zählte that: 
fählih erit 19 Jahre — an den Botſchafter des Maltheierordens in Paris, 
ben Bailli de Froullay, der dem Könige feit einem Beſuche zu Potsdam in 
freundlicher Erinnerung ftand. Ein eingehendes Schreiben an Froullay aipfelte, 
ohne beitimmtere Vorjchläge, in dem Sage: „Frankreich kann fi mit Ehre und 
Vorteil aus feiner verdrieklihen Lage herausziehen, wenn es mit uns, Eng: 
land und unferen Verbündeten einen Sonderfrieden jchließen will. Wenn Franf: 
reich darein willigt, das Gleichgewicht in Deutichland aufrecht zu erhalten, und 
im Verein mit England jeine Verbündeten zur Fügſamkeit bringt, jo wird es 
auf viel günftigere Bedingungen rechnen fünnen, als in jevem anderen Falle.“ 
Der Bailli vermittelte dem Ueberbringer des Briefes eine Zuſammenkunft mit 
Choiſeul, ja eine Audienz bei Ludwig XV. Aber der Beſcheid, den Edelsheim 
endlih durch Froullay erhielt, war recht nichtsjagend, indem der König von 
Preußen im wejentlihen auf die Fürſprache Englands hingewieſen wurde. Beim 
Abſchied bemerkte Froullay noh, man würde bier gern jehen, daß Seine 
Preußiihe Majeltät an eine Entihädigung für den König von Polen denfen 
mödte; wenn aber von einem Friedensplan auf Grund von Säfularijationen die 
Rede geweien jei, jo wünſche Franfreih davon nie etwas zu bören. 

Am 27, März eritattete Edelsheim im Freiberg dem Könige mündlich 
feinen Bericht. Frievrih war angenehm berührt dur die artige Aufnahme, 
die jein Sendling gefunden hatte, und war geneigt, den Beſcheid fih günftig zu 
deuten. Er jandte jegt diejen feinen Galopin nad England zur Berichteritattung 
an Pitt; er ging fo weit, feine Vertreter in London zu der Erklärung zu er: 
mädtigen, daß er bei dem offenbaren Widerftreben Franfreihs gegen eine uns 
mittelbare Verhandlung mit Preußen bereit fei, auf diefe Formalität zu verzichten. 

Da aber warnte Pitt. Er war im hohen Grabe befriedigt geweien, als 
jih König Friedrich ohne weiteres zu der Erklärung erboten hatte, Sadjen 
beim Frieden an König Auguft zurüdgeben und auch einer territorialen Ent— 
Ihädigung für Sachſen, wofern fie nicht auf Koften Preußens erfolgen jollte, 
nicht entgegen fein zu wollen. Ein Mehreres aber an Zugeſtändniſſen von 
preußifcher Seite jchien dem britifchen Staatsmanne vom Uebel zu fein. Er 
fand den franzöfiihen Beſcheid hinterhaltig, verfänglih; preußiicher als der 
preußiſche König felbit, beitand er darauf, dab eine unzweideutige Beitimmung 
über den Einfluß Preußens in den Frieden zwiſchen England und Frankreich 
für die Präliminarien Ausgangspunft und Grundlage zu bilden habe; beginne 


Ariedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 247 


man die Verhandlungen ohne diefe Vorbedingung, jo ſei Gefahr vorhanden, 
daß Frankreich mit lodenden, für England jehr vorteilhaften Vorſchlägen fomme, 
denen gegenüber er, Pitt, feftbleiben werde, während doch die anderen Minifter 
und die Nation leiht der Verſuchung erliegen möchten. Friedrich wurde von 
Pitts Gründen völlig überzeugt und ließ dem jcharfiichtigen und loyalen Staats: 
manne in wärmften Worten feinen Dank ausipreden. 

Wie in Frankreich verfuchte es König Friedrih auch in Rußland mit der 
Entiendung eines geheimen Agenten, nachdem bereits die Verhandlungen wegen 
Auswechfelung der Kriegsgefangenen benugt worden waren, um durch den 
General Wylih bei dem rujfiihen Bevollmächtigten, General Jakowleff, den 
Frieden eindringlich zu befürworten; nad der Berficherung des engliichen Ge: 
fandten Keith dachte der Großkanzler Woronzow verjöhnlih. Die Anregung zu der 
geheimen Miffion nah Petersburg gab dann einer der Gefährten der Nheins- 
berger Tage, der Hamburger Bielfeld,') der damit noch einmal in den Gefichts- 
kreis feines ehemaligen Gönners trat. Des Großfürften Peter Gejandter im 
niederfähftihen Kreife, ein Freiherr v. Rangſtädt, empfahl an Bielfeld einen 
jhleswigihen Edelmann und früheren Offizier des Großfüriten, Pechlin von 
Löwenbad, als den geeigneten Mann zur Bearbeitung des ruffiihen Hofes, an 
welhem alles ebenjo fäuflich jei wie in der Türfei. König Friedrich trat dem 
Vorichlage näher; er ließ Anfang März an Pechlin 4000 Dukaten als Reife: 
geld à fonds perdu auszahlen und benadrichtigte den engliichen Gejandten von 
der bevorftehenden Ankunft diefes Emifjärs in Petersburg. Er meinte, daß 
man in verzweifelter Lage feinen Verſuch verfäumen dürfe; einen Erfolg ver: 
iprad er fih von vornherein faum: denn wer wußte, ob Pechlins Einfluß über 
die Sphäre der „Eleinen Sefretäre, Commis, Kammerdiener und Kammermädchen“ 
binausging? Sollten fih aber wirklich die maßgebenden Perjönlichkeiten für 
den Frieden gewinnen laffen, dann war Friedrich willens, bis zu einer Million 
Thaler für feinen Zmwed zu opfern. Doh es fam, wie er es vorausgejehen 
hatte: Pechlin wurde im Sommer 1760 nad jeiner Ankunft in Petersburg 
gleih auf die eriten Andeutungen ſchroff abgewiejen. 

Inzwiſchen hatte die offizielle Friedensverhandlung längſt ihren Abichluf 
gefunden durch die Gegendeflaration, welde die Vertreter der drei zum Kongreß 
eingeladenen Mächte am 3. April im Haag dem Prinzen Ludwig in form 
identiicher Noten zugeltellt hatten. Frankreich gab jeine Bereitwilligfeit zu er: 
fennen, jeinen Zwiſt mit England unter ſpaniſcher Vermittlung durch einen 
Sondervergleich zu jchlichten. In Bezug auf den Krieg mit Preußen erklärten 
die drei Höfe, ohne Mitwirkung ihrer Verbündeten fih auf nichts einlaffen zu 
fönnen, und gaben deshalb lediglih anheim, die Einladung zum Kongreß aud 
auf diefe auszudehnen, injonderheit auf den König von Polen und Kurfürften 
von Sachſen und auf den König von Schweden. 

„Entweder täufche ich mich oder dieje Schrift iſt von Kaunit diktiert,“ ſchrieb 
König Friedrih an den Vermittler; „dieje Yeute find geihmwollen von ihren Er: 
folgen und wollen den Frieden nicht.” 


8b. I, 311. 


248 Siebented Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Sein Urteil über das, was hinter den Kuliffen vorging, ſowohl in Ber: 
failles, wie in Wien und in Petersburg, traf im weſentlichen zu. Nicht ganz 
ohne Grund jeßte er bei ‚Frankreich Neigung zum Frieden nicht bloß mit Eng: 
land, fondern auch mit Preußen voraus. Die militäriihen Mißerfolge, die 
finanziellen PVerlegenheiten wurden in Xerfailles immer peinlicher empfunden. 
König Ludwig ſchickte Silbergerät in die Münze und forderte jeine Unterthanen 
feierlich auf, desgleihen zu tun. In den Paläften der Großen bevedten ſich 
die Tafeln mit Thongeſchirr, bis man der patriotifhen Mode überdrüjjig wurde; 
auch der faiferlihe Botichafter Starhemberg fpeifte von Fayencetellern — für 
Frankreich, fagten die Spötter, fein zureihender Gewinn aus der öfterreihiichen 
Allianz. Wenn Starhemberg geltend machte, in jedem neuen Kriegsjahre werde 
man die anfängliden Fehler der Kriegsführung mehr und mehr abitellen und 
auf diefem Wege endlich zu dem entjcheidenden Feldzuge gelangen, jo antwortete 
ihm der Herzog von Choifeul mit höchſt erftauntem Gefiht: mit ſolchen Anz: 
ſchauungen fünne man 100 Jahre Krieg führen. „Der Charakter des Kriegs 
bat ſich verändert,” fchrieb der franzöfiihe Minifter nah Wien; „wir haben 
ihn als Eroberer begonnen, es ift uns nicht geglüdt, wir müſſen einhalten und 
veränderte Umftände abwarten: fo wird es weile jein.” Er verfocht den Sat, 
daß es für Frankreich fein Unglüd jei, wenn Preußen nicht „zerfchmettert” 
werde. Wie vor drei Jahren die Gegner des öfterreihiihen Bündniſſes, 
empfand auch diejer eifrigite Freund Deiterreichs allmählich Bellemmungen ob 
des Anjchwellens der faiferlihen Macht im deutichen Reihe. Der franzöfiiche Bot: 
ſchafter in Wien, jetzt des Herzogs Vetter, Graf Choifeul, wollte nit an das 
Gerücht glauben, daß Oefterreih beim Ausfterben des bairishen Kurhaujes — 
der lette bairiihe Wittelsbacher, Kurfürft Marimilian Joſeph, war ohne Leibes- 
erben — es auf die Erwerbung von Baiern abgeſehen habe; aber er verfannte 
nicht, daß nach der Vernichtung des Königs von Preußen die Kaijerin:Königin 
fih im Reiche alles werde erlauben dürfen: dann werde fih ganz Europa gegen 
den Wiener Hof mit Frankreich verbünden müſſen. Nicht minder aber als die 
alten Schüglinge Frankreichs im Reiche durch das Uebergewicht der Faiferlichen 
Macht, jchienen die hiftorifchen Verbündeten im Norden und Oſten Europas, Polen, 
Schweden, Dänemark, gefährdet, wenn die Rufien dur dauernde Bejegung des 
preußiihen Küftenlandes einjchließlih der Weichjelmündung noch weiter am 
baltiihen Meere um fich griffen. 

Schon hatte Choifeul — nit einmal Frau v. Bompadour hatte wider: 
ſprochen — nad) London Präliminarartifel für einen Sonderfrieden mitteilen 
laſſen, nad) deilen Abjchluß beiden Teilen, Engländern wie Franzofen, die Weiter: 
beteiligung an dem Kriege in Deutichland unterjagt, die Fortzahlung von Sub: 
fidien nah Berlin wie nad) Wien aber geitattet fein jollte. Choiſeul gab den 
Entwurf dem Wiener Hofe zur Kenntnis und war auf die beftigiten Vorwürfe 
gefaßt. Aber Kaunig nahm in Eluger Berechnung die Mitteilung mit voller 
Ruhe auf: die Antwort des Wiener Hofes vom »0. Januar 1760 erfannte 
das Sriedensbebürfnis Franfreihs an und erhob nur dagegen Einjprud, daß 
England feine Geldzahlungen an Preußen follte fortfegen dürfen. Perſönlich 
ſchrieb Kaunig an Choileul: „Sie find ein Ehrenmann, find gut und weile; 


‚sriedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 249 


ih gründe meine Hoffnungen auf jo große Eigenihaften und jchmeichle mich, 
daß der König von Preußen und Herr Pitt nicht geichidter jein werden, als 
wir.” Solde Taktit ſchlug durch. Frankreich ſtrich aus den vorgejchlagenen 
Präliminarien die in Wien beanitandete Klaufel und mutete alſo dem britifchen 
Kabinett zu, Preußen fallen zu laffen. Bei Pitts Feſtigkeit war die Fortdauer 
des Krieges damit entichieden. Trotz allen Sträubens hatte Franfreih ſich 
abermals zu der öfterreihiihen Auffafiung bequemt: daß der Krieg in Deutſch— 
land bisher zwar nicht glüdlich genug geführt worden fei, um einen vorteil: 
haften Frieden zu erhalten, viel zu glüdlih aber, um einen nadteiligen hin: 
nehmen zu müſſen. 

Anderer Art waren die Schwierigfeiten, die der Wiener Hof während 
diefes Winters in Rußland zu überwinden hatte. Hier war nad) dem großen 
Greignijje von Maren Neigung zur Fortfegung des Krieges vollauf vorhanden: 
ber noch vor furzem vielgejhmähte Daun war augenblidlih in Petersburg der 
Held des Tages. Um fargen Lohn aber wollten die Ruſſen bei aller Kriegsluft 
doch nicht weiter Heeresfolge leiften. Offen und dringlich begehrten fie jegt Oft: 
preußen für jih, das mach der bisherigen Vorausjegung!) der Republif Polen 
zufallen jollte, zum Erſatz für die an Rußland abzutretenden polnischen Gebiete. 
Aus denjelben Gründen, die den Franzoſen ein weiteres Vordringen der ruſſi— 
ſchen Macht bedenklich ericheinen ließen, widerſtrebte Maria Therefia ſolchem 
Verlangen. Und hatte fie doch jelbit zu Beginn des Krieges Oftpreußen für 
ihr Haus zu erwerben gewünſcht. Aber Rußland blieb unerjchütterlich und Ruß— 
land war nicht zu entbebren: allzu deutlih war die Weigerung der rujfiichen 
Staatsmänner, wegen des Plans für den fünftigen Feldzug eher zu verhandeln, 
als die Gebietsanjprüdhe der Zarin anerkannt fein würden. So gab Eiterhazy 
nad und unterzeichnete, ohne im Befig einer bündigen Vollmacht zu fein, am 
1. April 1760 den von den Ruſſen verlangten Vertrag. Kaifer Franz und bie 
Kaiſerin⸗Königin waren, wie Kaunig dem franzöfiichen Botſchafter beteuerte, vor 
Staunen ftarr, als jie die Unterjchrift ihres Vertreters unter dem Abkommen 
fahen. Da indes Franfreich gegen die vollendete Thatſache feinen Einfpruch erhob, 
fondern nur jeinen Beitritt zu dem als höchſt bedenklich bezeichneten Vertrage 
verweigerte, jo entihlo& ſich Maria Therefia zur Natififation. Nur fnüpfte fie 
ihre Zuftimmung zu der Ermwerbung von Oftpreußgen durch Rußland an den 
Vorbehalt, daß fie jelbit beim Friedensſchluß in den wirklichen Beſitz von ganz 
Schleſien und Glat gelangen werde. 

Eine peinlihe Enttäufhung für den Wiener Hof, daß nach feinem großen 
Zugeftändnis die Nufjen jich gleichwohl mweigerten, ein Corps zur Bereinigung 
mit einem öfterreihiihen Heere nah Oberichlefien zu entjenden. In Wien 
wünjchte man das dringend, weil Laudon der Meinung war, 20— 30000 Ruſſen 
würden an der Seite öfterreihiicher Truppen ungleih mehr nügen, als 60000 
auf ſich allein geitelt. Gerade "darauf aber legte man in Petersburg entichei- 
denden Wert, die Truppen bei einander und zu völlig freier Verfügung zu bes 
halten. Dean beichränfte ſich alfo auf die Zulage, das Heer — den Oberbefehl 


!) Oben ©. 45. 


250 Siebentes Buch. Zweiter Abfchnitt. 


behielt Sſaltykow — bis zur Oder zu ſchicken, und madte alles weitere 
davon abhängig, ob Daun mit dem öfterreihiihen Hauptheer die Offenfive 
ergreifen würde. 

Zu foldem Beginnen war Daun auch in diefem Jahre an ſich wenig ge: 
neigt, und fein Generalquartiermeifter Yacy übertraf ihn no in Mangel an 
Unternehmungsgeift und in Scheu vor Verantwortung. Denn Lacys Operations: 
plan fam darauf hinaus, daß man fi, bis die Rufen nahen würden, an der 
Elbe auf die Defenfive zu beſchränken habe: nachher würde es den Verſuch 
gelten, den König von Preußen aus Sachſen zu verdrängen und in Sclefien 
— eine Aufgabe für die Rufen — Breslau zu erobern und dadurch die Winter: 
quartiere in diefer Provinz ſicher zu ftellen. Lebhaften Widerfpruch erhob gegen 
fo mattberzigen Natichlag wiederum Kaunig.!) Der Diplomat bedeutete die 
Kriegsmänner, daß die Grundlage aller Unternehmungen das Beftreben bilden 
müjle, die feindlihe Streitmadht zu vernichten. jede andere Art der Kriegs: 
führung, wenn auch nad den beften Negeln der Defenfive angelegt, widerſpreche 
dem Zwecke diefes Krieges. Wenigftens einer von den Generalen vertrat mit 
allem Nahdrud die gleihen Anſchauungen, Laudon. Der machte geltend, daß 
auch der etwaine Verluſt einer Schlacht nicht allzufehr zu fürchten jei; zudem 
aber jeien die Ausfichten auf den Sieg in der Schlacht jett günftiger als ehe: 
dem. Wohl habe Lacy reht, dem Heere des Gegners an Kriegstücdhtigkeit 
noch den Vorzug vor dem öfterreihiichen zu geben, immerhin aber fönnten die 
preußifhen Truppen von heute nicht mehr mit dem verglichen werden, was fie 
früher geweſen. 

Die fräftigere Meinung fiegte ob. Im Rate der Kaiſerin-Königin warb 
grundſätzlich beſchloſſen, nahdrüdliher Offenfive den Vorzug zu geben und die 
Schlacht nicht zu vermeiden, ſondern eifrig zu ſuchen. Allerdings mit dem 
Hauptheer in Sachſen jollte Daun fich vorerft noch in der Defenfive halten, bis 
der König von Preußen ſich durch Entſendungen geſchwächt haben würde; gegen 
Schleſien aber jollte Laudon mit 40000 Mann alsbald zum Angriff übergehen, 
und zwar, wie er ſelbſt vorichlug, von der Lauſitz aus. 

Daß nun die Nuffen ihre Mitwirkung für den jchlefiihen Kriegsſchauplatz 
verfagten, war eine erite empfindliche Störung. Der Anmarſch durd die Laufig 
erichien jett jelbit dem unternehmenden Laudon allzu gefahrvoll; nur einen 
Heereszug dur die Grafihaft Glatz nach Oberfchlefien glaubte er noch verant: 
worten zu fönnen. 

Ganz außer Betracht blieb Für die öfterreihiiche Kriegsführung auch in 
diefem Jahre?) ein Zujammenwirken mit den Aranzofen. Die Streitmacdht, die 
König Ludwig ins Feld jchidte, war noch größer als bisher, das Ziel aber 
ftedten fih feine Strategen nad jo viel vergeblichen Anläufen noch niedriger. 
100000 Mann jollten vom Main ber in Heilen, 30000 vom Niederrhein in 
Weitfalen vordringen. Die in franzöſiſchem Solde ftehenden Württemberger und 
Sadjen wurden in der rechten Flanke des Hauptheeres auf Thüringen binge: 


) Bal. oben ©. 213. 
2) Bal. oben S. 156. 208. 


Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 251 


wiejen, ohne dab an einen Vorſtoß bis an die Elbe und an ihre Vereinigung 
mit ber Neichsarmee gedadht wurde. Den Oberbefehl erhielt zum Lohn für 
jeinen Sieg von Bergen Graf Broglie. 


So wenig die Reihen der Gegner Preußens ſich lodern oder lichten wollten, 
ebenjowenig glüdte es dem Könige, für die unvermeidliche Fortſetzung des 
Kampfes Verftärkfung, neue Bundesgenofjen zu finden. 

Die Verfuhe in Konftantinopel wurden fortgejegt, ohne Rüdfiht auf die 
Möglichkeit, daß Frankreich aus der großen Koalition ausfchied. Denn auch in 
diefem Falle blieb die Macht der beiden Kaijerhöfe fo beträchtlich, daß erft eine 
Diverfion des Großherren das Gleichgewicht zwiſchen den Parteien bergeftellt 
haben würde. Allzu hoch ſchlug Friedrich die Kriegstüchtigfeit der Türken ohnehin 
niht an: 50000 Defterreicher, fo meinte er, würden auf dem Schladhtfelde mit 
100000 Türfen allemal fertig werden. Mitunter einem Abſchluß jcheinbar ganz 
nahe, geriet diefe Verhandlung dod immer von neuem in bas Ungewifle. 

Einen Augenblid jhien es, als ob Dänemark zu gewinnen jei. Der 
Minifter Bernftorff ließ Aeußerungen fallen, die jein Unbehagen über die von 
Rußland beabfichtigte Einverleibung von Dftpreußen deutlih erfennen ließen. 
Darauf ließ Frievrihd dem Kopenhagener Hofe für die Stellung eines Truppen- 
corps Subjidien in der Höhe von 400000 Thalern anbieten und wäre aud 
bereit geweſen, die dänischen Abfichten auf den gottorpiichen Anteil von Holitein, 
das Erbe des Großfürften-Thronfolgers, zu begünftigen; denn er wollte es als 
das geringere Uebel betrachten, wenn Holftein däniſch wurde, als wenn es in 
ruffiihe Hände fam. 

Weder in Konftantinopel noch in Kopenhagen hatte ih die preußifche 
Diplomatie einer Unterftügung durch den britiichen Bundesgenofjen zu erfreuen. 
Am goldenen Horn that Sir James Porter den Bemühungen des preußijchen 
Agenten Rexin, wie diefer bitter Hagte, mehr Abbruch, als jelbft die Vertreter 
Defterreihe, Rußlands und Frankreichs; und im Sunde zeigten fich die britiſchen 
Kriegsichiffe nicht, deren Ausfendung nicht bloß der König von Preußen immer 
von neuem,!) fondern jegt auch der däniſche Hof beantragte; denn nur wenn 
England diefen Schuß bot, glaubte man in Kopenhagen fih rühren zu dürfen. 

König Friedrich hat damals der englifhen Politik ihre Keinen Wunderlich: 
feiten und ihre Unterlaffungen zu gute nehalten gegen ihre loyale Haltung in 
der Hauptjahe. Vorübergehende Verftimmungen überwog bei ihm das Gefühl 
aufrichtiger Anerkennung und Dankbarkeit gegen Pitt. „England,” jagte er, „hat 
lange in ſchweren Wehen gelegen, aber endlich hat es einen Mann geboren.” 
Friedrih hatte allen Grund, diefen Mann zu rühmen; nur zu bald jollte es 
dahin kommen, daß feine Sache in England allein auf diejen zwei Augen jtand. 
Die Zeiten waren vorüber, da Horace Walpole befannte: „Es iſt unglaublich, 
wie populär König Friedrich ift; außer einigen Leuten, die ihn und Pitt für 


') Oben S. 62. 110. 163 fi. 


252 Siebentes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


ein und diefelbe Perfon halten, ift er auch dem Geringften bei uns befannt.” 
Die Begeifterung bei Hoch und Niedrig fühlte fih ab, als neue Siegespoiten 
aus dem preußifchen Hauptquartier auöblieben. Die den König von Preußen 
aufrichtig verehrten, wie Lord Cheiterfield, veritummten allmählich; die ihm von 
je gram waren, aber in den Tagen des preußiihen Glüds im Chorus mit: 
gejubelt hatten, kehrten jegt ihr wahres Geficht wieder hervor. Jener Walpole 
fpottete nach Kunersdorf, Friedrich ſei durch diefe Niederlage zu einem König 
von Küftrin herabgelunfen und werde im nächſten Winter in Somerjethouje ein 
Abfteigequartier oder eine Apanage am Obio angewiefen erhalten, und nad 
Maren hielt der Hämiſche fih darüber auf, dab das Parlament gutmütig neue 
acht Millionen für den deutihen Krieg bewillige, während diejer König von 
Preußen durch jeine Tollfühnheit alle Kriegs: und Siegeshoffnungen Englands 
völlig vernichtet habe. 

Auf Grund diefer Geldbewilligung wurden für 1760 die Subfidien an 
Preußen in demjelben Betrage wie in den beiden vorangegangenen Jahren 
weiter bezahlt, die Höfe von Braunſchweig und Kaſſel erhielten jogar größere 
Summen als bisher und verftärkten dafür ihre Kontingente. Es galt das Heer 
des Prinzen Ferdinand auf 98000 Mann zu bringen. Hannover jtellte 37 000, 
Braunſchweig 9300, Helen 23200, Schaumburg:£ippe 1190; den Reit über: 
nahm England jelbit. Schon 1758, jo hoch wie damals die Begeifterung der 
Nation für den deutichen Krieg ging, hatte Pitt wagen dürfen, entgegen den von 
ihm jelbit früher jo eifrig vertretenen Anjchauungen,!) britiihe Truppen nad 
Deutjchland zu ſchicken, im ganzen nah und nah an 9000 Mann. 1759 war 
dieje Zahl nur um ein Geringes erhöht worden, jet aber, da Frankreich immer 
färfere Heeresmaffen über den Rhein ſchickte und da für Englands Küften irgend 
eine Gefahr nicht mehr drohte, wurde das britiihe Corps in Deutjchland auf 
die ftattlihe Höhe von 22—23000 Mann gebradt. 

Für feine eigene Streitmadt gab fi der König von Preußen anfänglich 
ber Hoffnung hin, mit 120000 Feldjoldaten und 40 000 Mann Garnifontruppen 
den Feldzug eröffnen zu können. Bejondere Schwierigkeiten bot die Wieder: 
aufftellung der bei Maren in Gefangenschaft geratenen Truppenteile. Doch 
waren bei der Infanterie des Finckſchen Corps einige Regimenter nah ihren 
Verluſten von Kay und Kumersdorf nur auf Bataillonsfuß formiert gewejen, 
und jo waren in den Nefonvalescenten aus den Ruſſenſchlachten jest Stämme 
für die Neubildung vorhanden. Statt der etatsmäßigen Stärke von 1800 wurden 
dieje Negimenter freilich nur zu 1000, wenn es hoch fam, zu 1200 Köpfen auf: 
geitellt, und noch lüdenhafter waren ihre Offiziercorps: einige zählten 15 oder 
18 Offiziere ftatt 42. Won den zur Waffenftredung genötigten 35 Schwadronen 
fonnten nur 10 erjegt werden, jo dab das Negiment im Durchſchnitt nur 
140—150 Pferde zählte. Der König ſah ſich deshalb veranlaßt, die beiden Dra— 
gonerregimenter, welche die Feldzüge von 1758 und 1759 bei dem weftdeutichen 
Heere mitgemacht hatten,?) wieder an fich zu ziehen; nur die fünf Schwadronen 


1) Oben ©. 62. 110. 165. 167. 
2) Oben ©. 154. 


Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 253 


Ihwarze und blaue Hufaren und etwa 1000 Mann Freitruppen ließ er nod 
dem Prinzen Ferdinand. 

Auch die alten Negimenter Fonnten nicht mehr zur vollen Stärfe ergänzt 
werben. Mitte Mai bezifferte der König die Gejamtzahl feiner Feldtruppen, 
vielleiht noch zu hob, auf 110 000 Mann. 60000 wurden auf das Heer in 
Sadjen gerechnet, 10000 auf das Corps Fouqués bei Landshut, 35000 auf 
das Heer des Prinzen Heinrich an der Oder, 5000 auf die in Vorpommern 
aufgeftellte Abteilung unter General Stutterheim, dem Nachfolger des von den 
Schweden während des Winters in Anklam durch einen Handftreich aufgehobenen 
Manteuffel. Das pommerjche Häuflein galt als Detahement vom Heere des 
Prinzen, Fouqués Abteilung als Detahement vom Hauptheere. 

Ueber die Beſchaffenheit feiner Truppen urteilte der König ſehr ungünftig. 
Ein Teil ſchien ihm höchitens geeignet, dem Feinde „von weitem“ gezeigt ober 
in Miſchung mit anderen NRegimentern verwendet zu werben; andere, an fi 
bejiere Negimenter, ftanden noch unter der Nachwirkung des Schredens von 
Kunersdorf. Der neue Feldzug follte beweilen, daß die Meinung des Kriegs: 
herren von feinen Truppen zu gering war; ſchon im erften Anfang bewährte 
in Oberſchleſien eins der pommerihen Musfetierregimenter, indem es fich durch 
Laudons überlegene Kavalleriemaſſen durchſchlug, feinen einſt bei Soor gezeigten 
Heldenmut in glänzendfter Weife und nötigte dem Könige die Anerkennung ab, 
daß dies die „alte preußische Art” fei, „ſich auch gegen einen überlegenen Feind 
mit Succeß zu defendieren”: „fie haben nad unjerer alten Art agieret, wo Ehre 
bei ift, und nicht nach denen modernen infamen Exempels, die ich leider zur 
Schande von der Nation und der Armee habe erleben müſſen.“ 

Für die ftrategiiche Anlage des nächſten Feldzuges ließ ſich eine Ent- 
ſcheidung zwiſchen Dffenfive und Defenfive diesmal nicht von vornherein treffen. 
Noch gab ja die Diplomatie ihre Sache nicht ganz auf: Friedrich verglich die 
Verhandlungen mit einer Glut, die dem Erlöfchen nahe fcheint und doch von 
Zeit zu Zeit noch eine Flamme emporzüngeln läßt. „Es gibt nur fehr Gutes 
oder jehr Schlimmes für uns zu gemärtigen, dazwiſchen nichts,” jo ftellte er das 
politiihe und militärifche Horojfop für das neue Jahr. Sehr Gutes, wenn die 
Franzofen von der Koalition abfielen und wenn die Türken losbrahen. Blieben 
aber jene auf dem Plan, dann fonnte Ferdinand ihm nicht zu Hülfe kommen, 
es mußte benn jein, daß der den Siegen von Krefeld und Minden eine völlige 
Vernichtungsſchlacht wie bie von Höchſtädt folgen ließ. Einftweilen empfahl 
Sriedrih dem Herzog, beizeiten eine Grabjchrift für ihm zu entwerfen: die 
Hauptnot werde allerdings erit im Juli fommen, dann aber werde au alles 
rettungslos verloren jein: „Ende Juli wird die Maſchine zu wadeln anfangen 
und im Auguſt oder September zuſammenklappen.“ Auch bei d’Argens beitellte 
er ji fein Epitaph und kündete ihm „als Kaflandra” das Hinfinfen Trojas an. 

Anfänglih hatte er beabfichtigt, die Führung des ſchleſiſchen Heeres jelber 
zu übernehmen, um den Rufen in Schlefien oder Pommern, je nad) der Richtung 
ihres Anmarjches, eine Schlacht zu liefern; er ließ alle Vorbereitungen für den 
Marih von Glogau nad Kolberg treffen. Nachher entichied er fi) doch dafür, 
in Sadjen bei feinem anderen Heere zu bleiben, um mehr im Mittelpunkt des 


254 Siebentes Bud. Zweiter Abichnitt. 


Kriegsichauplages zu jein und unter Umständen, wenn Frankreich noch Frieden 
fchloß, im Verein mit dem weſtdeutſchen Heere zur Offenfive übergehen zu können: 
dann jollte Ferdinand über Eger in Böhmen einbreden, während er jelbit elb: 
aufwärts vorzudringen gedadte. Griffen gar noch die Türken in den Krieg ein, 
jo ſollte auch Fouqué aus Oberjchlefien in Feindesland, nah Mähren, einrüden. 

Nah den Entichliegungen der Türken jollte fih dann auch das Verhalten 
bes Prinzen Heinrih an der Spige des ſchleſiſchen Heeres richten. Nahten ſich 
bie Rufen, was vor dem Yuni nicht zu erwarten ftand, jo war es dem Könige 
an fich wünjchenswert, ſchnell eine Enticheidung herbeizuführen, damit das jchlefijche 
Heer naher für andere Aufgaben zur Verfügung ftand. In dem Fall aber, 
daß die Türken ihre Diverfion ausführten, ſchien es nicht erforderlih, das 
Schladhtenglüd gegen die Ruſſen zu verjuhen. Im übrigen empfahl der König 
feinem Bruder, wie in den früheren Feldzügen den Yehwaldt und Dohna, vor 
der Verfammlung der Ruſſen eine ihrer Marſchkolonnen zu überfallen und da— 
durch ihren ganzen Feldzugsplan zu jtören. 

Am 25. April begann der König den Feldzug, indem er das von ihm 
jelbft geführte Heer bei Meißen, hinter dem Kleinen Fluß Triebiche, zulammen: 
zog. Eine während des Winters in ftarfen Verteidigungszuftand gejegte Stellung, 
jein „Porzellanlager”, wie Friedrih wegen der Nachbarſchaft der berühmten 
Manufaktur jagte, jollte für die Truppen nad) den Unbilden des legten Winters 
ein Erholungslager!) jein. Der König felbit fühlte fich körperlich wenig wider: 
ftandsfähig. „Jh bin jehr ermattet,” ſchreibt er unmittelbar nad der Ankunft 
im Lager; „ih ſpüre das Alter und jeine Schwächen, die mich ganz anders 
beläftigen, als ehedem. Der Krieg darf einen alten Kopf voll Erfahrung in 
Verbindung mit einem jungen und fräftigen Körper verlangen; wenn dies Leben 
fo weiter geht, werde ich binnen kurzem weder das eine noch das andere 
haben.“ 

Was ihn und den Truppen an Strapazen bevoritand, fonnte er ſich un: 
gefähr vorausfagen: „Der ewige Nude, wenn er je gelebt hat, hat nicht ein jolches 
Landjtreicherleben geführt wie ih. Man wird jchließlich wie die Dorfichaufpieler, 
die nicht Haus noch Herd haben; wir ziehen hin in alle Welt, um unfere blutigen 
Tragödien aufzuführen, wo es unjeren Feinden gefällt, die Bühne aufzufchlagen.“ 
Er eröffnete feinen Generalen, „daß er in dieſem Jahre mehr als gewöhnlich 
genötigt fein würde, ſtarke Märjche zu machen, um den Feind zu einem Treffen 
zu nötigen.“ Den Truppen follte das mit der Aufforderung mitgeteilt werden, 
„die dabei zu erwartenden Bejchwerlichkeiten mit Geduld und Standhaftigfeit zu 
ertragen und ſich bei allen Gefechten und anderen Vorgängen des preußijchen 
Namens würdig zu zeigen.“ 

Im gegnerifhen Lager wollte man wiſſen, der König von Preußen habe 
dem verbündeten englifchen Hofe verſprochen, in diefem Jahre vorfichtiger, weijer 
zu fein. Friedrich war nad der Erfahrung von Kunersdorf weniger als je 
gemeint, der Schlaht unbedingt das Wort zu reden. In der bald nad) der 
großen Niederlage verfaßten Schrift über die militäriihen Talente und ben 


— — — 


') ®gl. Bd. I, 138. 


‚sriedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 355 
Charakter Karls X11.’) tadelt er den Schwedenkönig, weil er jo oft zwedlos 
geihlagen habe, weil er mit dem Menfchenblut nicht haushälterischer umgegangen 
jei; er bemerkt in diejfem Zuſammenhange, ganz übereinftimmend mit der Schul: 
meinung, daß die Mehrzahl der großen Batailleurs diefe Auskunft nur mangels 
anderer Hülfsmittel gewählt hätten: „weit davon entfernt, ihnen das als Ver: 
dienit gelten zu lajien, muß man vielmehr ein Zeichen der Dürftigfeit ihres 
Genius darin jehen.” Aber gleihmwohl, in feiner jetigen Zage frommte ihm fein 
Hinhalten, bei dem man jchlieglih „ch auszehren und lebendigen Leibes ver: 
dorren” mußte, feine Ermattungsitrategie, jondern allein Schlacht und Sieg. 
Diefer Heberzeugung gab er im brieflihen Meinungsaustaufch mit dem auch jett 
mehr zum vorfichtigen Lavieren geneigten Bruder immer von neuem Ausdrud. 
„Wenn es nicht Frieden gibt,” erklärte er ſchon im Februar, „jo wird es ficher 
zu einem Kampf fommen, der über das Geſchick der Staaten eine erfledliche Ent: 
iheidung bringt.” Er jagte fih, daß die Schladt von Denain Frankreich nad 
den in zehn aufeinander folgenden Unglüdsjahren erlittenen VBerluften wieder 
emporgehoben habe. Er itellte fich freilih aud die Gegenfrage: „Wenn wir 
nod eine Schlacht verlieren, was wird aus uns?” Aber er fam doc immer zu 
dem Ergebnis, daß ihm dann genau nur dasjelbe Unglüd zuftoße, dem er auch 
beim Verharren in der Unthätigfeit endlich nicht entrinnen könne. Es gilt ihm alſo 
die Kräfte nicht zu zeriplittern, beträchtlihe Mafjen an einem Punkte anzuhäufen 
und fie zu benugen, „um fich des einen Feindes zu entledigen und dann eilends 
dem anderen entgegenzutreten, wie dies mir oft geglüdt ift. Und wenn ein 
Unglüd gejchieht, jo ift man gleich mit einem Schlage niedergeitredt, ftatt daß 
man, hätte man nichts gewagt, vier Monate jpäter zu Grunde gegangen wäre.” 

Die eriten Wochen nad) dem Einrüden in das Yager verliefen völlig ruhig: 
erit Ende Mai verjammelten ſich die Kaiferlihen und bezogen mit der Haupt: 
macht wieder das Yager hinter dem Plauenihen Grund. So lange glaubte 
Friedrid) ſich nicht rühren zu follen, zum Teil ſchon aus politiihen Gründen, mit 
Rüdfiht auf die Verhandlungen mit Franzoſen und Türfen, bejonders aber um 
den Feind fiher und anmaßlih zu mahen und um feinen falichen oder vor: 
eiligen Schritt zu thun. Sein Gedanfe war, zunädit ein abgezweigtes Corps, 
wenn fi die Gelegenheit bot, anzugreifen, etwa die Neihsarmee, wenn fie aus 
dem Thüringer Wald hervorfam, oder den rechts von der Elbe ſich vorjchieben: 
den Yacy. 

Seine Aufgabe war ähnlich der im Herbit von 1758 ihm geftellten. Wieder 
galt es, einmal dem feindlihen Heere gegenüber in Sachſen das Feld zu halten 
und die eigenen Stammlande zu deden und zugleich die ſchleſiſchen Feſtungen gegen 
Laudon, den er auf den Monomatapa wünſchte, nicht ohne Entjag zu lafien. 

Eben aus diefer Vielfältigkeit des Problems ergab ſich die Notwendigkeit, 
mit dem Feind gründlich abzurechnen. „Nah Schleſien kann ich nicht eher 
fommen,” jchrieb der König am 6, Juni an Fouqué, „als ich mich mit ben 
Defterreihern geichlagen. Sie hier jtehen zu laſſen, gehet gar nicht an, und 
würde id auf der einen Seite verderben, was id) auf der anderen gut mache.” 


) Vgl. oben ©. 6. 


256 Siebentes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Er nahm an, dab Daun fi diesmal zur Schlacht herbeilafien werde, 
denn es ſchien ihm unzweifelhaft, daß die Feinde, wenn er ſich zum Abmarſch 
nah Schleſien anjchicte, ihm den Weg verlegen würden. Er wog die Chancen 
ab, Die Reichstruppen noch nicht zur Stelle, Yeipzig und Halle alfo no un: 
gefährdet; blieb der im letzten Feldzug als felbftändiger Führer bewährte Hüllen 
mit 16 Bataillonen und 24 Schwadronen in den Schanzen bei Meißen zurüd, 
fo behielt er jelbit noh 33 Bataillone und 70 Schwadronen für die Schlacht; 
angenommen, dat Daun von feinem auf 61 Bataillone und 130 Schwadronen 
geſchätzten Heere 24 VBataillone und 40 Schwabronen bei Dresden ließ, fo ergab 
fih ein Zahlenverhältnis, günftiger als e& während des ganzen Krieges je fich 
den Preußen geboten Hatte. Wurden die Defterreiher geidhlagen, jo konnte 
Friedrich zu Fouqué ftoßen, Neiße entiegen, Schlefien vom Feinde befreien; ging 
die Schlacht verloren, jo wollte der König immer damit fi tröften, nur das 
gethan zu haben, was „Pflicht und Dienit und Kriegsraifon und das Wohl des 
Baterlandes” erheifchten. 

Die Naht vom 14. zum 15. Juni war zum Uebergang über die Elbe 
beitimmt. Da fan am 12. unerwartet die Nahriht, dab Laudon aus jeinem 
Lager von Franfenftein in das Glagifche zurücdgegangen war. Was fonnte ber 
Grund fein? Waren die Türken auf dem Marihe und den Dejterreichern 
bereits angemeldet? „Bis dato,” fchrieb Eichel an Findenftein, „ändert fi der 
Barometer bei uns noch täglich, wo nicht zuweilen ſtündlich.“ Er hatte die Genug: 
thuung, binzufügen zu fönnen, daß der König der von dem Minifter immer 
vertretenen Anficht ſich jegt anichließe und erft zum Ausgang des Monats auf 
eine Klärung der politiihen und militäriihen Lage reine. So lange mochte 
no zugewartet werden. Der König führte den Flußübergang aus, aber nur, 
um am rechten Ufer, in dem Lager von Proſchwitz, für alle Fälle jchneller zur 
Hand zu fein; „große Abenteuer,“ die Schlaht, veriprah er vorerft nur im 
Falle der unbedingten Notwendigkeit ſuchen zu wollen. 

Aber diefer Fall ergab ſich fofort. Es hieß, die Reichsarmee fei im Marſch 
auf Dresden und werde ſchon am 21. eintreffen. Dann konnte Daun ihr den 
feiten Bolten dort überlaffen und den Preußen auf dem rechten Ufer mit um 
jo ftärkerer Uebermacht entgegentreten. Soldem glaubte nun Frievrih durd 
einen unverzüglihen Angriff auf die Stellung Lacys zwiſchen Radeburg und 
Morigburg zuvorfommen zu müſſen. Und da Daun wirklich bereits marjdierte, 
jo zog aud Frievrih den größten Teil des auf dem anderen Ufer zurüd: 
gebliebenen Corps an ſich und fchrieb dem nunmehr auf ein Kleines Häuflein be: 
Ichränften Hülſen, wenn die Sachen jchlecht gingen, jo jei feine „Boutique” — 
die Stellung bei Meißen — ohnehin verloren. „Das wird fiher da® Va Banque,” 
meinte Eichel jorgenvoll; „alles wird gewonnen oder alles verloren jein, Gott 
wolle uns den König erhalten!” 

Am 19. Juni bei Tagesanbrud brach das Heer zur Schlaht auf. Man 
ftieß auf das leere Net. Lacy war bei nächtliher Weile auf das Hauptheer 
zurüdgegangen. Die Schuld wurde der Neiterei des Vortrabs beigemefjen, die 
fih am vorangehenden Abend zu weit vorgewagt und dadurd den Anichlag ver- 
raten hätte, jonft würde, ſagte man im preußischen Lager, Lacy fein Maren ge: 


Ariedenäverhandlungen. Feldzug von 1760. 257 


funden haben. „Ach hätte Luft, mich aufzuhängen,” ſagte der König am Abend 
zu Gatt; „haben Sie nie diefe Luft gefpürt? Sehen Sie mein Pech, es ver: 
folgt mich überall!” Er ftieß einen tiefen Seufjer aus und entließ dann den 
Vorlejer lächelnd mit den Worten: „Bringen Sie mir morgen einen Strid mit.“ 

Schon jah er im Geifte feine Gegner auf jenen Felien von Etolpen, auf 
denen fie im Herbſt 1758 feine Geduld einer jo harten Probe unterworfen 
hatten. PVielleiht aber überließ Daun jet Dresden dem Schuß der Reiche: 
völfer und ging nah Schlefien. In diefem Falle wollte Friedrih ihm folgen, 
zu Fouque ftoßen und dort auf bequemerem Gelände Daun zur Schlacht zwingen. 

Noch einmal gab eine politiihe Erwägung jeinen Gedanken für ein paar 
Tage eine andere Richtung. Aus Konftantinopel ſchrieb Rerin unter dem 8. Mai, 
daß nur die türfiiche Faſtenzeit die Unterzeihnung des Vertrages noch hinten- 
angehalten habe, am Beiramsfeſt hoffte er das Werk abzuſchließen; dann würde 
die Fahne des Propheten unverzüglich entfaltet werden, der Sultan in Perſon 
nad Aorianopel gehen, um die Führung des Heeres zu übernehmen. Wurde 
das wahr, jo blieb für Schlefien nichts mehr zu fürdten, und man konnte an 
die ſtrategiſche Dffenfive denken: „Wir müſſen,“ jchrieb der König auf dieſe 
Nahriht am 23. Juni an Fouque, „zulammen bier vornehmlich davor forgen, 
daß uns zwifchen bier oder dem 10. oder 12. Julius feine Feftung verloren gehe.” 

Schlimmeres geſchah. An dem Tage ſelbſt, da der König diefe Worte 
ihrieb, wurde Fouquss ganzes Corps, 10—11000 Mann, bei Landshut von 
mehr als dreifaher Uebermacht zertrümmert; nur die Reiter, 16 Schwadronen, 
konnten ſich durchhauen. 

Prinz Heinrich hatte zu Anfang des Monats fich erboten, im Verein mit 
Fouqué Laudon aus Schlejien zu verjagen. Der König hatte es für dringlicher 
erachtet, daß der Prinz den Ruſſen entgegenzog. Friedrich betrachtete die Unter: 
ftügung des Fouquéſchen Corps, des Detahements von feinem Heer,') als jeine 
eigene Aufgabe. Er unterfhägte Laudon, feinen Unternehmungsgeift, jein Feld: 
berrntalent. Fouque ging, als Laudon feinen eriten Vorftoß machte, in der 
Richtung auf Breslau zurüd; dem Könige galt diejer Abmarfh von Landshut 
als vorzeitig, überftürzt, er verlangte gebieteriich und mit verlegender Schärfe, 
daß jein General ihm den Bolten von Landshut wiederfchafte. Befehle, die 
einen freieren Spielraum ließen und den Rückzug nach Breslau nicht bloß frei: 
ftellten, jondern unter bejtimmten Borausjetungen fogar empfahlen, waren 
zu jpät gefommen. 

In der eriten jchmerzlichen Erregung über den neuen furdtbaren Scid: 
jalsihlag wollte der König für den Verluſt von 15 Bataillonen und 68 Ge: 
Ihügen dem fommandierenden General die Schuld beimeſſen; bei ruhigerer 
Ueberlegung wurde er dem Manne, der in voller Vorausficht feines Schidjals 
als echter Soldat das Opfer eines blinden, buchjtäblichen Gehorfams geworden 
war, gerechter und fühlte jich feinem Jugendfreunde, dem Großmeifter des Rheins— 
berger Bayardordens,?) zu warmem Dank verpflichtet, weil Fouqus, hochfinniger 

1) Oben ©. 258. 


?) Bol. Bd. I, 489; „Friedrich der Große ald Kronprinz” ©. 131. 
Koier, König Friedrich ver Große. 11. 2. Aufl, 17 


258 Siebentes Bud. Zweiter Abichnitt. 


als Find bei Maren, die Ehre der preußiſchen Warten gerettet hatte; er feierte 
den mit fchweren Wunden in die Hände der Sieger Gefallenen als den preußiſchen 
Leonidas. Keine Kapitulation war abgeſchloſſen worden, in adhtitündigem Kampf 
hatte fi) das Feine Heer nad) dem Zeugnis feines Ueberwinders Yaudon, „in 
der beiten Ordnung, unter beftändigem feuern und nicht anders als Schritt vor 
Schritt” von Höhe zu Höhe zurüdigezogen, bis zuletzt die auseinander geiprengten 
Truppenteile in ihren Karrees einzeln überwältigt worden waren. 

Nun war Schlefien von Verteidigern entblößt, bis auf die ſchwachen Be— 
jagungen der feften Plätze. Eine Wahl ſchien nicht mehr zu bleiben. Friedrich 
mußte nah Schlefien gehen, auf die Gefahr hin, daß Hülfen, der bei Meißen 
zurüdblieb, dort ebenfo über den Haufen gerannt wurde wie joeben Fouqué. 
Denn auch wenn Daun mit dem Hauptheer nad Schleſien nachzog, blieb den 
Gegnern in Sadjen noch eine erdrücdende Uebermadt. Daun hoffte der König 
unterwegs nicht bloß zur Schladt ftellen, fondern trog des Mißverhältniſſes der 
Zahl auch fchlagen zu können; war aber das Schlachtenglück den Preußen un: 
günftig, dann war er entichlofien, fi auf der Walftatt zufammenhauen zu laffen 
wie Fouque. 

Friedrich marſchierte am 2. Juli in der Richtung auf Bauten ab, Daun 
zog vor ihm ber, Lacy blieb dem preußiichen Heere zur Rechten. Daun gewann 
fchnell einen jo ftarfen Vorfprung, daß er nicht wohl fih noch fallen ließ. Um 
jo ficherer hoffte Friedrich jet mit Lacy abrechnen zu fünnen. Aber mit der 
größten Geichmeidigkeit entglitt ihm jein Widerpart von Stellung zu Stellung 
bis nad) Dresden, ging dann durd die Stadt auf das linfe Ufer, räumte dort, 
als Friedrich gleichfalls über die Elbe ſetzte, ſogar den jo lange feitgebaltenen 
Plauenihen Grund!) und nahm jeine Zuflucht zu der geficherten Stellung zwischen 
Seblik und Pirna. 

Alfo jah der König ganz unerwarteterweile das Glacis von Dresden 
überall frei. Die Gelegenheit war lodend, er konnte der Verſuchung nicht 
widerftehen, die Stadt zu berennen. „Sie werden ohne Zweifel denfen, daß 
ih Ihnen Träume erzähle, wenn ich Ihnen fage, daß ich mit dem Heer vor 
Dresden liege,” ichrieb er am 13. Juli dem Prinzen Heinrih — jo ganz aus 
dem Stegreif hatte fich diefe neue Scene ergeben, 

Friedrich jagte fi, da die Einnahme der Stadt nur einen jehr bedingten 
Wert habe, daß Lacy Dresden vielleicht zurüdgewinnen werde, wenn er jelbit 
fih nah Schlefien wenden mußte. Gleichwohl wollte er auf einen Erfolg, den 
er in zwei bis drei Tagen erringen zu fönnen meinte, nicht verzichten, ſchon 
des moralifhen Eindruds wegen, den der Fall von Dresden, wie er meinte, 
zumal auf die Franzoſen machen würde. Er hatte ohne die Standhaftigkeit der 
Verteidiger gerechnet. Nicht geichredt dur ein Bombardement, das ganze 
Straßen in Ajche legte und die Kreuzkirche unter den Trümmern ihres Turms 
begrub, verweigerte der Kommandant Graf Maquire die Uebergabe; er wußte, 
da Daun am Bober umgekehrt war und Entja bradte. Am 23. Juli mußte 
Friedrich befennen, dab fein Schlag fehlgegangen jei; am 29. 309 er von 


Oben ©. 238. 


Nriedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 


ID 


99 


Dresden nad Keſſelsdorf ab. Zum drittenmal in diefem Kriege war eine Be: 
lagerung ihm mißlungen. 

Noch vor Dresden erfuhr er, daß am 26, jeine Oberften D’O und Quadt 
die alte und die neue Feſtung Glat nad nur fünftägiger Belagerung an Laudon 
übergeben hatten. In Wien trug man fi mit ben freubigiten Hoffnungen. 
Laudon hatte ſich anheiſchig gemacht, auch Breslau binnen furzem zu nehmen 
und dadurch den Rufen einen Stützpunkt an der Oder und die Verbindung mit 
dem öfterreihiihen Heere zu fihern; dann jollten Schweidnig und Glogau an 
die Reihe fommen. „So madhen wir,” jchrieb Kaunig triumphierend an Laudon, 
„noch eine glänzende Gampagne, und der König dürfte jeinen Mari nad) 
Drespen bitter bereuen.” 

Faſt täglich ſprach jet Friedrich zu feinem Catt von der Unvermeidlichkeit 
des IUlnterganges. „Im Anfang meiner Drangjale war ich troftlos, aber im 
Leiden wird man Philoſoph, und das ift die befte Philoſophie. Sie geben mir 
zu, daß wir jegt jeit jehr langer Zeit ringen. Das wird nod einen Monat jo 
gehen, und dann werde ich den Purzelbaum ſchlagen.“ Er erzählte, daß er 
Memoiren binterlafje; daraus jolle jeine Familie die Gründe feines Handelns 
entnehmen; man werde viel von ihm reden. „Wenn ich Fehler gemacht habe, 
jo bin ih eben ein Menih. Um über einen Menichen richtig zu urteilen, muß 
man fich die ganze Lage, in ber er ſich befindet, wohl vergegenwärtigen: man 
wird viel gelten laffen, man wird viel verzeihen.” Er geftand, daß er von 
Natur zur Bequemlichkeit neige; aber wenn es wie jegt gelte, fich zu tummeln, 
jo veritehe er von einem Ertrem ins andere zu fallen. 

„I habe heute den ganzen Tag gegrübelt,” jagte er tags nad) dem Ab- 
marſch von Dresden; „wenn ich mich nicht an meiner Pflicht feithielte, jo würde 
ich alles preisgeben. Ich würde glüdlicher leben als einfacher Privatmann. Ich 
bin am Rande des Abgrunds; ich rede mir nichts vor, dabei kann id nur ge: 
winnen, es fann mir nichts Schlimmeres geſchehen, ald das, was ich vorausfehe; 
bin ich glücklich, jo werde ich mit einer angenehmen Ueberraſchung abjchneiden. 
Hätte alles von mir abgehangen, ich hätte viel darum gegeben, in Frieden zu 
leben, aber nun muß getanzt fein.” 

Gatt empfand das tieffte Mitleid mit feinem Gebieter. „Es ift wahr,” 
bemerkte er nachträglich in feinem Tagebuh, „daß der König feit einiger Zeit 
das qualvollite Leben führte. Die Art, wie er jein Unglüd trug, jeine Auf: 
merkfiamfeiten für feine Umgebung, feine geringe Eorge für feine Gejundheit, 
jeine Aufregungen: alles das ſchien einen Erfolg zu verdienen.” 

In diefen Tagen erhielt der König die Nahriht von dem am 29. Juli 
erfolgten Ableben feines alten treuen Mitarbeiters, des wiederholt dur Schlag: 
anfälle heimgeſuchten Podewils. „Ich bedaure jehr den armen Grafen Pode— 
wils,“ jchrieb er an Findenftein, den Kollegen des Verſtorbenen; „das war ein 
Ehrenmann und ein guter Staatsbürger; aber inmitten aller der Verlufte, die 
wir erleiden, wird man, wie es jcheint, unempfindlich gegen alles.” Ein anderer 
Brief an Findenftein erfüllte den Empfänger mit tiefem Kummer: „Alle An: 
jtrengungen,” jchrieb der König, „die wir gemacht haben, um den Sturm zu 
beſchwören, haben ſich als eitel und nuplos erwielen. Ich habe von dem, mas 


250 Siebentes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


in der Politif und in der Kriegsführung wünfchenswert wäre, nichts zu erhoffen. 
Es bleibt mir alfo nur das Los der Waffen, aber alles das fommt bei uns nur 
darauf hinaus, ob wir vier Wochen früher oder vier Wochen jpäter untergehen 
ſollen, und da, denfe ich, gelten Auguft, September und Oktober jehr gleich.“ 
Findenftein jchrieb an den Kabinettsrat, er gewahre in diefem Briefe Spuren 
einer jo ausgeprägten Verzweiflung, daß es ihm das Herz zerreiße, und Eichel 
antwortete, der Minifter durchſchaue die Stimmung nur zu richtig: „Die vorige 
Erfahrung hatte mich ſchon gelehret, wie ſchwer es ſei, Unglück zu ertragen, 
ohne fih einem gewiſſen Deseipoir zu ergeben. Ich thue, was in meinen 
Kräften ftehet, um diejes zu mildern, aber Ew. Ercellenz kennen die Delicatefie, 
deren man fich deshalb zu bedienen hat, und diefer Point macht meine Situation 
höchſt betrübt und fonjumieret mir bei allen anderen Sorgen Kräfte und Leben.” 

Das Dresdener Zwiſchenſpiel hatte dem Könige fait drei Wochen gefoftet. 
Er war Anfang Auguft nicht weiter, als Anfang Juli, die Bilder des vorigen 
Monats kehrten ganz unverändert wieder. Am 1. Auguft ging er unterhalb 
Meißen zwiſchen Zehren und Hirfchftein über die Elbe, wieder blieb Hüljen bei 
Meißen zurüd, wieder machten die Kaiferlihen den Mari der Preußen mit. 
Drei Heere, ein preußiiches und zwei öfterreichiiche, zogen in der gleihen Rich— 
tung dahin, der jchlejiichen Grenze zu. Wer fie marjdieren ſah, jagte Friedrich, 
konnte fie für ein einziges Heer halten, Dauns Völker für den Vortrab, die 
Preußen für das corps de bataille, den jegt wieder zum Vorſchein gefommenen 
Lacy für die Nahhut. Immer wichen die Öfterreihiihen Generale allzu naher 
Berührung vorfihtig aus. 

Am 7. Auguft erreichte man den Bober, Daun bei Yömwenberg, die Preußen 
zwei bis drei Meilen abwärts bei Bunzlau. Sie mußten Schweidnig oder 
Breslau zu erreihen juhen, Daun aber legte fih ihnen an der Katzbach in 
den Weg und ftellte feine Verbindung nicht bloß mit Yacy, fondern aud mit 
Laudon her. 

Laudon hatte nach der Einnahme von Glatz fünf Tage, vom 31. Juli bie 
4, Auguft, vor Breslau gelegen, aber diefen Platz verteidigte diesmal jener 
Tauengien, von dem fein Sefretär Gotthold Ephraim Leſſing gelagt bat: „Wäre 
der König jo unglüdlich geweien, feine Armee unter einem Baume zu verjammeln, 
General Tauenkien hätte gewiß unter diefem Baume geitanden.” So blieb 
Breslau dem Könige erhalten, danf ber Feitigfeit des Kommandanten, dank aber 
auch der Pünktlichkeit, mit der Prinz Heinrih aus der Neumark zum Entjag 
berbeigeeilt war. 

Gemäß den ihm erteilten Befehlen ’) hatte Heinrich zuerit bei Landsberg 
an der Warthe, feit Mitte Juli aber in einer Stellung hinter der Obra den 
Anmarſch der Ruſſen beobadtet. Als Sialtyfom von Poſen aufbrad, feste 
auch der Prinz, zunächft längs der Obra, fi in Bewegung. Anfangs unficher, 
jeinem föniglihen Bruder nicht entfchloffen genug, bewährte er doch angefichts 
der gefteigerten Gefahr ebenjoviel Kühnheit wie Umſicht. Statt ſich weiter mit 
den Ruſſen zu beichäftigen, marfchierte er über Zülidau und Glogau geraden: 





ı Oben ©. 254. 


Friebensverhanblungen. Feldzug von 1760. 261 


wegs dem jegt am meilten gefährdeten Punkte, der jchlefiichen Hauptſtadt zu, auf 
die Gefahr Hin, zwifchen zwei Feuer zu fommen, wenn die beiden Heere, deren 
jedes, das ruffiiche wie das von Laudon, für ſich allein ihm überlegen war, ihn 
gleichzeitig angriffen. Das Glück belohnte den mutigen Entſchluß. Laudon hielt 
es für ficherer, jeßt zu Daun zu ftoßen, die Ruſſen aber glaubten bei ihrer 
Ankunft an der Oder von neuem, fich über die Unzuverläffigfeit und den Eigen: 
nuß ihrer Verbündeten bejchweren zu dürfen, und hüteten ſich wohl, auf eigene 
Hand mit dem Prinzen Heinrih anzubinden. Allemal war ihre Gegenwart 
überaus peinlich für die preußiiche Kriegsführung: fie verjperrten auf dem rechten 
Oberufer dem Könige die Verbindung mit Breslau und mit dem Prinzen, wie 
Daun und feine „Afolythen” auf dem linken, und fie waren in der Lage, den 
Defterreihern über die Ober bie Hand zu reihen. Nach einigen Bedenklichkeiten 
fieß Sſaltykow bei Auras Brüden jehlagen, erklärte aber zugleich, daß er zurüd: 
gehen werde, wenn die Bereinigung zwiſchen den Ruſſen und Defterreidhern nicht 
unverzüglid vor ſich gebe. 

Schon jet, noch ohne die Rufen, hatten die Defterreiher eine dreifache 
Uebermadt zur Verfügung, 90000 gegen 30000. Die Kaiferin-Königin ver: 
langte entichieden eine Schlacht und ſprach, wie bei früherem Anlaß !), Daun 
von jeder Verantwortung vorweg frei. Laudon erhielt den Auftrag, den Feld: 
marſchall zur That zu drängen. Jetzt oder nie, Daun mußte ihm darin recht 
geben, war die Stunde da, einen großen Schlag zu führen. 

König Friedrich Jeinerfeits konnte, nachdem die Bereinigung der drei Heere ſich 
nicht hatte verhindern laffen, die Schlacht jegt nicht mehr wünſchen. Seine Lage 
wurde um jo jchwieriger, als die Vorräte des Heeres zu Ende gingen. Inter 
den Dffizieren ging die Rede, daß ein neuer Tag von Maren vor der Thür 
ftehe, falls fich der König nicht jchleunigft forthebe. Aber gab es überhaupt 
noch eine Möglichkeit, der Umklammerung fi zu entziehen? Alle Verfuche, die 
feindlichen Stellungen zu umgehen und die Straße nad Jauer und Schweidnik 
zu gewinnen, jcheiterten. Daß die Dejterreiher ihn angreifen wollten, konnte 
Friedrich aus ihren Anftalten ungefähr entnehmen. Durd wiederholten Wechſel 
des Lagers, durch Bewegungen im Gtile eines Parteigängers, fuchte er den 
‚Feind unficher zu machen. 

Das Yager, welches das preußiiche Heer am 13. Nuguft, zum zweitenmal 
binnen vier Tagen, bezog, eritredte fich oberhalb von Liegnik, auf den Höhen 
am nördlichen Ufer der Katzbach, vom Dorfe Schimmelwig bis unmittelbar an 
die Vorſtadt Dänemark. Durch den Fluß von den Preußen getrennt, lagerte 
fih das öfterreihiihe Hauptheer zwiſchen den Dörfern Hochkirch und Nieder: 
Krain; die Vorpoften jtanden nicht einen Kanonenſchuß voneinander entfernt. 
In Dauns linker Flanke dehnte jich Lacys Corps von Nieder-Krain bis Goldberg 
aus; unterhalb von Liegnig, auf demjelben Ufer wie jeine Kameraden, ftand 
Laudon zwiihen Koiihwig und Jeſchkendorf. 

Man kam überein, daß in der Frühe des 15. Auguſt Daun in der Front, 
Lacy in der rechten und Laudon in der linfen Flanke die preußiſche Stellung 


1, Oben &. 92. 


262 Siebented Buch. Zweiter Abichnitt, 


gleichzeitig angreifen follten; zu dem Behuf mußten Lacy bei Goldberg und 
Laudon unterhalb von Liegnitz über die Katzbach gehen. 

Die Stadt Liegnig ift in den Winfel zwiſchen der Kabbah und dem von 
Nordweiten zuftrömenden Schwarzwaſſer bineingebaut, die dicht hinter der Stadt 
ineinander laufen. In dem gegenüber liegenden Winfel gelangt man aus der 
Vorftabt Töpferberg durch Pfaffendorf auf eine zum Teil mit Wald bededte 
Hochfläche, die nah Weiten zum Schwarzwajler, nad Süden und Süboften zu 
dem Wiejengrund abfällt, durch welchen die Katzbach nad Aufnahme des Schwarz: 
waſſers an den Dörfern Panten, Bienowig und Pohlſchildern vorbeifließt. Leber 
dieje Hochflähe mußte Laudon marfchieren, wenn er auf die preußifche Stellung 
ftoßen wollte. 

König Friedrich that feinen Gegnern nicht den Gefallen, ihren fonzentrijchen 
Angriff in jeinem feineswegs vorteilhaften Lager abzuwarten. Schon die Rüd- 
fiht auf die Verpflegung mußte ihn beftimmen, von bannen zu ziehen. Bon 
Schmweidnig abgefchnitten, entichied er fi für den Marſch an die Oder. Noch 
am 13. fündete er dem Prinzen Heinrih an, daß er den Verſuch machen werde, 
fih über Wohlau ihm zu nähern, wofern die Ruffen oder Daun ihm nicht einen 
Uuerftrih machen würden. Die Marjchbejehle waren ſchon ausgegeben, als am 
14. nachmittags ein Ueberläufer es verriet, daß Daun und Lacy morgen an- 
greifen würden; von der dem dritten der Triumpirn übertragenen Rolle erfuhr man 
nichts. Die Nachricht konnte den König lediglih in feinem Vorhaben beftärfen. 

Abends um 8 Uhr begann der Abmarih an Liegnig vorbei nad Pfaffen— 
dorf. Hufarenpifetts blieben bis "22 im Lager und unterhielten zur Täuſchung 
des Gegners die Wachtfeuer, von Bauersleuten unteritügt. Nach der Marſch— 
dispofition jollten die Truppen, auf der Höhe angelangt, raften und erit bei 
Tagesanbruch fich wieder in Bewegung jegen. Der Aufmarſch auf dem Halteplag 
ging in der Dunkelheit nicht ohne einige Verwirrung vor fih. Front wurde gegen 
Liegnik gemacht, weil nur von diefer Seite ein Angriff erwartet wurde, wofern 
Daum unverzüglich nadhrüdte. Der linfe Flügel hatte das Dorf Panten links 
vor ſich, der rechte eritredte fich längs dem Schwarzwafler bis zum Dorf Hummel. 
Während die Generale nody mit der NAufitellung bejchäftigt waren, ſtieg der 
König hinter Pfaffendorf vor dem Grenadierbatailloen Rathenow vom Pferde 
und ftredte ih am Wachtfeuer zur Ruhe nieder, in feinen Mantel gehüll. 
Starfe Patrouillen der Zietenhufaren ftreiften bis zur Thaljohle nad Bienomwig 
und Pohlſchildern. Major v. Hundt fommt angefprengt und fragt nah dem 
König: feine Vedetten find alle zurüdgeworfen, der Feind it da, in großen 
Malen, da wo man ihn nicht erwartet bat, ftromabwärts, es fann nur Laudon fein. 

Die Preußen müfjen fih auf einen Kampf mit doppelter front einrichten. 
Dem General Zieten giebt der König den Befehl, mit dem redten Flügel auf 
der Stelle zu bleiben und dem öfterreihiichen Hauptbeer, wenn es zum Vorjchein 
fommt, den UWebergang über das Schwarzwailer und den Aufitieg von der 
Liegniger Seite zu verwehren. Er jelbit fest fih auf dem linken Flügel mit 
dem General Schendendorff an die Spige der Grenadierbataillone Rathenow 
und Nimſchewsky und marſchiert mit linksum ab, um dem unvermuteten Angriff 
eine Flanke entgegenzumwerfen. Cine Anhöhe oberhalb von Bienomwig, der Reh— 


Friedensverhandlungen. Feldzug von 1700. 2063 


berg, wird den Bataillonen als Stüßpunft angewiejen, eine fchwere Batterie 
begleitet fie, der ganze linke Flügel jchiebt ſich nad. 

Freund und Feind waren einander jo nahe, dab man fich fofort mit 
Kartätihen beſchießen konnte. Eine Viertelftunde jpäter oder eine Viertelftunde 
früher aufmarjchiert, fo urteilte der König nachher, hätten die Preußen auf einen 
Sieg nicht zu rechnen gehabt: im eriten Falle wären fie überrannt worden, im 
anderen hätte Laudon noch zuletzt einhalten und die Schlacht vermeiden fönnen. 

Auch diejer war völlig überrajcht. Um jeinen Ueberfall deſto ficherer bis zu— 
legt zu verheimlichen, war er ohne Vorhut marſchiert und ftieß nun ftatt auf das 
preußiiche Gepäd auf das preußifche Heer. Immer mochte er ſich der Hoffnung 
bingeben, von Daun jchnell unterftügt zu werden. 

Die öfterreihifhe Neiterei marjchierte zur Rechten der Anfanteriefolonnen. 
Auf der Straße von Pohlſchildern nah Schönborn bereits bis zur Höhe gelangt, 
formierte fie fih in der Flanke der noch im Aufmarjch begriffenen preußijchen 
Infanterie und warf die ihr entgegenfprengenden Krodow:Dragoner zurüd, Aber 
im Buſch bei Krummelinde hatte fih die vor furzem aus diefem Regiment aus: 
gefonderte leihte Schwadron in den Hinterhalt gelegt und fiel nun den inzwifchen 
unter nfanteriefeuer genommenen feindlichen Reitern in den Rüden, während 
General Krodom mit den XYeibfüraffieren und den NRegimentern Seydlitz und 
Markgraf Friedrich ihnen von vorn entgegenfuhr. 

Inzwiſchen hatte Laudon mit der dem Heere voranziehenden und ſchon ent: 
widelten nfanterierejerve auf den Höhen über Bienowig feiten Fuß gefaßt; 
er verlor feine eriten Erfolge, als die preußiſchen Bataillone des linken Flügels 
eines nad dem anderen in die Schladhtlinie einjchwenkten. Bei jeiner großen 
Ueberlegenheit an Zahl jedoch bereitete er den Preußen noch harte Arbeit, indem 
er entichloffen und zäh ſofort jein erftes und nachher aud fein ganzes zweites 
Treffen den Kampf fortfegen ließ. Ohne die wirffame Unterjtügung jeitens der 
Reiterei, die zu wieberholtenmalen, jo oft der Feind irgendwie eine Blöße bot, 
einhieb, würden die allmählich aufmarjchierten 13 preußischen Bataillone ſich des 
immer erneuten Angriffs ſchwerlich ermwehrt haben. 

Indem ſich die preußiiche Linke beim Aufmarſch und im Gefecht immer 
weiter nad lints biegen mußte, geſchah es, daß die beiden Flügel in einem 
ftumpfen Winkel fait Rüden gegen Rüden ftanden und daß im Scheitel des 
Winkels, dem Dorfe Panten gegenüber, eine weite Lücke Haffte. Die dort über 
den Fluß kommende öfterreichiiche Kolonne hatte das ſchönſte Spiel in der Hand. 
Ein vereinzeltes preußijches Peloton war auf feinem verlorenen Posten durch 
einen Vorſtoß bes Feindes Ihon überwältigt worden. Hier bei Panten war e&, 
wo Graf Karl zu Wied mit den NRegimentern Wedel und Altbraunichweig ſich 
des Königs Dank erwarb; im dichten Kugelregen auf und nieder reiten fpornte 
Wied den Ehrgeiz feiner Märker und Magdeburger an; dem geſchickten Bombardier, 
der mit wenigen wohlgezielten Schüffen eine feindlihe Batterie zum Schweigen 
brachte, jpendete General Saldern auf der Stelle drei Louisdor. Als das dritte 
Bataillon Garde unter Führung des Oberftlieutenants v. Möllendorff und des 
Majors Rohdih in Panten eindrang und das Dorf in Brand ftedte, war dem 
Kampfe hier ein Ziel gejekt. 


964 Siebented Bud. Zweiter Abichnitt. 


Etwas fpäter gaben die Deiterreiher auch bei Bienowig die Partie auf. 
Laudon ließ eine Batterie auffahren und nahm unter ihrem Schute die Truppen 
über die Katzbach zurück. Noch zulegt jegte fich ein Major von Laudons eigenem 
Sinfanterieregimente an die Spike einer Reiterihar und brad in die beim Ver: 
folgen aus ihrem Gefüge gefommenen Regimenter Anhalt und Prinz Ferdinand 
ein; die Säbelhiebe fielen dicht, aber au jo mancher Reitersmann wurde durd 
bie preußifhen Bajonette aus dem Sattel gehoben. 

Ueber das Wafler folgten die Preußen dem geichlagenen Feinde nicht. 
Denn jchon zeigten fi auf der anderen Seite des Schladhtfelds die Spiten ber 
Heere von Daun und Lacy. 

Daun hatte, als feine Patrouillen nachts gegen 2 Uhr das alte preußiiche 
Lager leer fanden, Liegnig bejegt und bereitete, um ſich den abziehenden 
Gegner nicht entgehen zu laflen, den Uebergang über das Schwarzwajler vor. 
Der Reitervortrab wurde von den Preußen ungehindert herübergelafien, dann 
aber nad fräftiger Begrüßung aus dem fchweren Geihüt durch 20 Schwadronen 
Dragoner und Hujaren zurüdgejagt. Daun ftugte und überlegte. Bald fam 
ein Offizier geritten und bradte die Kunde von dem, was mit Laudon eben 
geihehen war, und nun hielt es Daun für geraten, über die Katzbach in fein 
Lager zurüdzugehen. Auch vom Lacyſchen Corps fam eine Neiterabteilung, 
über das Schwarzwafler, weiter aufwärts; ihr Verfuh, das bei Hümeln aufge: 
fahrene Gepäd der Preußen wegzunehmen, wurde dur die Grenadiercompagnie 
des eriten Bataillons Garde vereitelt. 

Solch ein Sommermorgen war dem preußiichen Heere feit Hohenfriedberg 
nicht angebroden, und etwas von der Stimmung von Hohenfriedberg lag über 
dem Siegesfelde. Der König war nah jo mandem harten und ungerecdhten 
Sceltwort mit feinen Truppen ausgejöhnt: „heute hätte er gejehen, daß er noch 
feine alte tapfere Infanterie in der Armee habe,” rief er den Bataillonen zu, 
und die Neiterei erhielt gleiches Lob. Hatten die Truppen fchon auf den un: 
erträglich heißen Märjchen diefes Sommers ihre Tüchtigkeit und ihren guten 
Willen gezeigt, ſo entiprachen die heutigen Leiftungen im Kampf den glänzendften 
Ueberlieferungen diejes tapferen Heeres. Das Negiment Anhalt hatte fich bei 
dem Nüdjug von Dresden, wohl unverdient, eine empfindliche Kränfung zu: 
gezogen: Gemeine, Unteroffiziere und Offiziere, ohne Ausnahme, hatten das 
Seitengewehr ablegen müſſen und die Huttrefien verloren. Heute gewann ber 
Heldenmut diefes alten Regiments ihm die Zufriedenheit des Kriegsherren und 
ale Ehren und Abzeichen zurüd. Als Friedrich einen der Veteranen des Regi: 
ments, der noch unter dem alten Defiauer gedient, mit einem Lobſpruch ans 
ſprach, antwortete der brave Musfetier: „Wie follten wir nicht? wir fämpfen für 
die Religion, für Euch, für das Vaterland!” Dem Könige traten die Thränen 
in die Augen, und die Rührung übermannte ihn von neuem, als er naher von 
dieſer Scene erzählte. 

Er nannte die Schlacht von Liegnig die zweite Auflage von Roßbach, als 
ein Nencontre zwifchen zwei auf dem Marjch befindlichen Heeren und wegen der 
verhältnismäßig geringen Verlufte, deren Umfang allerdings die anfängliche 
Schätung übertraf: von den 16000 Mann, die Laudon in Empfang nahmen, 


Friebensverhandlungen. Feldzug von 1760. 205 


waren 775 gefallen, nicht ganz; 2500 verwundet, 252 wurden vermißt. Laudon 
hatte von 32000 Mann fait das Drittel, an 10000 Mann, darunter 4000 Ge: 
fangene eingebüßt, dazu 83 Kanonen. yeldzeihen waren im Handgemenge 
hüben und drüben verloren gegangen. 

An d'Argens jchrieb der König: „Gott iſt in den Schwachen mächtig: dieſe 
Worte wiederholte uns der alte Bülow !) jedesmal, wenn er uns die Schwanger: 
ſchaft der Kurpringeffin von Sachſen anfündigte, und ich wende dieſes jchöne 
Diktum auf unfere Armee an.... . Fürwahr, ein großer Vorteil, den wir uns 
nicht verfprehen durften. Mir find der Nod und meine Pferde verlegt, ich jelbit 
bin bis jest unverwundbar. Niemals haben wir größere Gefahren beitanden, 
niemals ärgere Strapazen gehabt.” 

Den engliihen Gejandten rief er auf dem Schlachtfelde, als Mitchell ihm 
Glück wünjchte, zum Zeugen dafür an, wie jehr er jich, aber ftets ohne Erfolg, 
bemüht habe, das zu Wege zu bringen, was jegt der Zufall habe alüden laſſen: 
diefen Sieg verdanfe er ganz allein der Tapferkeit der Truppen. So unvoll- 
fommen jei alle menſchliche Vorſorge. Mitchell, der jchon oft mit dem Könige 
das Problem der göttlihen Vorſehung erörtert hatte, erwiderte: ihm ſei es Kar, 
wenn die Vorſehung Seiner Majeftät nicht ein beileres DVerftändnis verliehen 
hätte, als feinen Feinden, jo würde diefer Tag fein Tag des Sieges fein. Der 
König lächelte: „Ich ehe, daß wir in diefem Punkte nicht völlig einig find, aber 
da Sie es wollen, jo mag dem jet aljo fein.” 

Sein Vorjehungsglaube war allzu jtarf erjchüttert, die Ueberzeugung zu 
feit bei ihm eingewurzelt, daß der Himmel um die Händel diefer Welt fich nicht 
fümmere. Er ſprach jest gern von „Seiner Majeität dem Zufall” und befannte, 
von dem Vorurteil nicht zurückkommen zu können, daß Gott im Kriege bei den 
ftarfen Schwadronen jei, und die jeien bis jegt leider auf der Gegenfeite. 


Die Schlacht bei Liegnig ift in der Geſchichte des Feldzugs von 1760 bas 
entjcheidende Ereignis. Hatten ſchon vorher die öfterreihifchen Feldherren, troß 
ihrer Weberlegenheit an Zahl, fih Zug um Zug nad den Bewegungen ihres 
großen Gegners gerichtet, jo waren nitiative und die Neigung zum Schlagen 
in Daun jett vollends erftidt. Daraus zogen aber auch die Ruſſen, wie fie 
ed vorher angefündigt hatten, alsbald die Nutanmendung für ihre eigene Kriegs: 
führung. 

Immerhin, unmittelbar nah der Schlacht trat für die Sieger nod) ein 
fritiijcher Augenblid ein, den Friedrich ſpäter als den unangenehmiten und aufs 
regenditen des ganzen Feldzugs bezeichnen zu jollen glaubte. Als er, noch am 
Schlachttage jelbit, bei Parchwitz den fo lange ihm bejtrittenen Uebergang über 
die Katzbach vollzog, gingen zwar die hier aufgeitellten öjterreichiichen Abteilungen, 
dur das Laudonſche Heer nicht mehr gededt, ſchnell zurück; zugleih aber erfuhr 
man, daß ein Corps Ruffen unter General Tſchernyſchew jchon diesſeits der 


1) Bat. Bo. I, 545. 


2650 Siebentes Buch. Zweiter Abfchnitt. 


Der ftand, und tags darauf gewahrte man während des Marſches nad Neu- 
markt zur Rechten in einer Entfernung von drei Viertelmeilen das ganze öfter: 
reihifhe Heer. Wieder waren die Preußen in Gefahr, zwiichen zwei euer zu 
fommen, und das in einem Augenblide, da ihre Marſchkolonnen mit jo vielen Ge: 
fangenen und über 1000 Verwundeten belaftet waren, während ein Heiner Vorrat 
von halbverjhimmeltem Brot nur no für einen Tag zureihte. Schnell aber 
wurde man über die Abfichten der Feinde völlig berubigt. Kaum hatte Ticher: 
nyſchew von Laudons Niederlage gehört, als er mit feinen 20000 Mann eilends 
über die Oder zurüdging; es bedurfte dazu nicht noch der Kriegsliit, mit der 
Friedrich dem ruffischen General einen die öfterreihiichen Verlufte ftarf übertreiben: 
den Schladhtbericht in die Hände ipielte. Wie hätte es nun die Defterreicher 
nad diejem, wie Daun fi ausdrüdte, unerwarteten Nüdzuge der Ruſſen nod 
in der gefährliden Nahbarichaft des preußiichen Heeres gelitten! Ihre ſämt— 
lihen Corps marjcierten in der Richtung auf das Gebirge ab, und der König 
ftellte am 18. ungehindert feine Verbindung mit Breslau und dem Heere des 
Prinzen Heinrich ber. Die Truppen batten herrliche Tage, denn die vom Feinde 
erreiteten Einwohner der ſchleſiſchen Hauptitadt brachten ihnen Bier, Branntwein, 
Fleiſch und Tabak im Weberfluß in das Lager. 

„Dan bat gut reden, daß der König von Preußen ſchon halb zu Grunde 
gerichtet iſt, daß feine Truppen nicht mehr diefelben find, daß er feine Generale 
bat: alles das kann wahr fein, aber jein Geift, der alles belebt, bleibt immer 
derjelbe, und unglüclicherweife bleibt der Geift bei uns auch immer derſelbe.“ 
So ſchrieb drei Tage nah Lieanig aus Dauns Hauptquartier der Franzose 
Montazet. Das Bild, das die Koalition in diefem Augenblide gewährte, war 
trüber denn je: allgemeine Niedergeichlagenheit und Unluft, Mißtrauen aller gegen 
alle, offener Streit, bittere gegenfeitige Anklagen. Auf Daun jchalten nicht 
bloß die Ruſſen und Franzofen, jondern vor allem Laudon; er jprad in einem 
Briefe an feinen großen Gönner Haunig unummunden die Anklage aus, daß 
er „hintergangen” worden jei. Kauni antwortete, lediglih Unentſchloſſenheit 
falle Daun zur Laſt, von Böswilligfeit fei feine Rede; aber eine Zeit lang 
wurde Laudons Auffaffung in Wien ziemlich allgemein geteilt. Auch an Spott: 
bildern und Pasquillen auf Daun fehlte es nicht. Wenn nun aber die Kaiferin- 
Königin auch jest wieder!) beftürmt wurde, den Zauberer vom Überbefebl zu 
entheben, jo erinnerte fie fih zu dankbar der drei Siege von Kolin, Hochkirch 
und Maren, und war vielmehr geneigt, die Schuld für die legte Niederlage der 
Unvorfichtigfeit Laudons beizumeſſen. 

Am ärgerlichſten blieb, daß die Vereinigung mit den Ruſſen, die ſchon 
als völlig geſichert gegolten hatte, für dieſen Feldzug ſich nun nicht mehr hoffen 
ließ. Ihr Feldherr war nicht zu erweidhen, er war feſt entichloffen, ſich einem 
Angriff dur den König von Preußen nicht auszujegen. Wenn Daun, jo lieh 
Sſaltykow fih vernehmen, feinem Waffengefährten Laudon auf anderthalb 
Stunden Entfernung feine Unterftügung gebracht babe, wie dürfe man fich ver: 
ſprechen, daß er den König verhindern werde, mit aefamter Macht fih raſch 





) Bgl. oben ©. 158. 213. 


Ariedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 267 


auf die Ruſſen zu werfen. Sſaltykow jah feine Aufgabe jest lediglich darin, 
durch kleine Märfche oderabmwärts das Heer des Prinzen Heinrih nad fich zu 
ziehen: dadurch werde Daun wieder eine beträchtliche Nebermadt über den König 
gewinnen und jeine Operationen in Schlefien ungehindert fortjeten fünnen. 

Wie Sſaltykow annahm, war Prinz Heinrih allerdings der Meinung, 
baß er den Ruſſen nadzurüden habe. Der König entſchied anders. Er beabſich— 
tigte, die längit erfehnte große Entiheidung gegen das öſterreichiſche Hauptheer jetzt 
bier in Schlefien herbeizuführen. Er verftärfte deshalb jein eigenes Corps durch 
die Hauptmafle des zweiten Heeres auf etwa 50000 Mann. Er nahm nicht 
an, daß die Rufen noch einmal umkehren würden; er glaubte fie einem Be: 
obadtungscorpe von 10—12000 Mann überlaffen zu dürfen. Den Befehl 
über dieſe Abteilung erhielt Generallieutenant v. d. Golg, während der Prinz 
fih mit Berufung auf feine angegriffene Gejundheit verftimmt vom Heere 
zurüdzog und feinen Aufenthalt in Breslau nahm. 

Auf Daun übte die Zufammenziehung der preußiichen Streitkräfte die 
Wirkung aus, daß er die den Ruſſen erteilte Zufage, fie durch Laudon bei der 
Belagerung von Glogau zu unterftügen, fofort zurüdzog; nur zögernd erneute 
er fie jpäter. Sein Hof trieb ihn immer dringender zur That. In einem auf: 
gefangenen Briefe des Königs von Preußen las man mit Genugthuung jehr 
trübjelige Betrachtungen und das Eingeftändnis, ehedem würde ein Tag wie der von 
Liegnig einen Feldzug entſchieden haben, jett jei fol eine Aktion nur wie eine 
leihte Schramme. Unter dem Vorſitz der Kaiferin trat ein Kriegsrat zufammen, 
die in der Hauptitadt befindlichen Feldmarſchälle gaben ihr Gutachten dahin ab, 
daß es ganz umerläßlich ſei, den kurzen Reit des Feldzugs noch zu enticheidenden 
Unternehmungen auszunugen. Der Staatsfanzler beihwor Laudon, dem Ober: 
feldherrn zu „großen, herzhaften und vigoureuſen“ Entjchlüffen den Mut zu 
ſtärken. Wenn aber die Kaiferin wie ftets erflärte, die Verantwortung für den 
Verluſt einer Schlacht auf fih nehmen zu wollen, jo antwortete ihr Daun, daß 
er bei einem in augenscheinliher Vorausficht des Miflingens unternommenen An: 
griffe doch allemal verantwortlich bleibe für das Blut jo vieler dabei frevelhaft 
aufgeopferter tapferer und treugefinnter Soldaten. Daß „decifive Operationes“ 
von Nöten feien, erfannte er an und beteuerte: „Gott weiß, daß ih Tag und 
Nacht danach ftrebe; mithin wolle nur feine Barmherzigkeit mid) mehrers als 
bishero dazu erleuchten, wozu ih Tag und Nacht feine Allmacht anrufe.” 

Am 30. Auguft brach König Friedrih aus feinem Lager bei Breslau auf, 
näherte fih durch zwei Märjche, die ihn links am Zobtenberg herumführten, der 
Feltung Schweidnig und bezog am 3. September ein Lager zwiſchen Bunzel- 
wit und Striegau. Er hatte anfänglich wieder gehofft, in vier oder fünf Tagen 
am Ziele zu.fein, wenn nämlid Daun, um ihn von Schweidnig fernzuhalten, 
die Schladht annahm: „Seit unferem Aufbruch,” berichtete Graf Hendel an den 
Prinzen Heinrih, „haben wir keinen Marſch gethan ohne die Erwartung, eine 
Schlacht zu engagieren.” est follte ein Vorftoß in das Gebirge, eine Be: 
drohung der Zufuhritraßen den Feind abermals vor die Wahl ſtellen, entweder 
ih zu fchlagen oder „wenigitens” den Rückzug fortzufegen, diesmal bis nad) 
Böhmen. Aber der Nerfuh, die Defterreiher in ihrer Stellung hinter Hohen: 


268 Siebentes Bud. Zweiter Abichnitt. 


friedberg zu umgehen und von Landshut abzufhneiden, wurde durd die Wach— 
famfeit Laudons vereitelt. Das Lager bei Baumgarten, das die Preußen jett 
zwifhen den Bergen bezogen, bradte die djterreichiihen Generale von neuem 
auf den Gedanken an einen Ueberfall, wie er bei Hochkirch geglüdt und bei 
Liegnit nicht zur Ausführung gefommen war. Aber dem Könige entgingen 
weder die Vorbereitungen des Feindes noch die Mängel jeiner eignen Stellung, 
er wollte auf diefem Platz, von dem es im Falle einer Niederlage fein Entrinnen 
gab, das Glück nicht auf die Probe ftelen; er brad am 16. abends aus dem 
Lager auf und wählte eine neue Stellung in unmittelbarer Nähe von Schweibnig 
bei Hohengiersdorf. Nun klagten Daun und feine Mitfeldherren ihrerjeits, wenig: 
itens in ihren Berichten nah Wien, daß der König alles jorgfältig vermeide, 
was zu einer Entſcheidung führen fünne, befannten aber zugleih, daß fie unter 
diefen Umſtänden in Sclefien nidts mehr zu erreihen vermödten. Nicht 
einmal an die Belagerung von Schweidnit durfte noch gedacht werden, die man 
in Wien bisher immer als etwas allzu Geringes bezeichnet hatte. 

In dem bdrüdenden Gefühl, mit feiner Heerführung auf einem toten 
Punkte angelangt zu jein, nahm Daun mit Erleichterung einen erlöjenden Vor: 
ichlag aus dem ruffiihen Hauptquartier zu Carolath auf: ruſſiſche und öfter: 
reihiijhe Truppen sollten fi zu einer Unternehmung gegen Berlin vereinigen. 
Prinz Heinrich hatte recht behalten, wenn er mit dem Abzug der Ruflen von 
Breslau ihren diesjährigen Feldzug noch nicht als beendet anjehen wollte. Von 
der Oder her festen fih 23000 Auffen unter Tottleben, Tichernyfhew und 
Panin in Bewegung, aus den fchlefifchen Bergen 18000 Defterreider unter 
Lacy; denn ihm und nicht dem verhaßten Yaudon, wie e& die Rufen gewünjcht 
hätten, wollte Daun die Ehren diejes Zuges gönnen. 

Zuerft war Tottleben am Ziel mit jeinen 6000 Grenadieren, Kojafen und 
Huſaren; am 3, Oftober zeigte fih jein Vortrab auf den NRollbergen vor dem 
Kottbufer Thor. Dem ſchwachherzigen Kommandanten der Reſidenz, jenem jchon 
1757 hinter feiner Aufgabe zurüdgebliebenen Rochow,!) ftanden diesmal Männer 
von allerbeftem Sclage zur Seite, der feine Kunersdorfer Wunde ausbeilende 
Seydlitz und als Ehrengouverneur der alte Feldmarſchall Lehmwaldt,*) der es 
mit feinen 75 Jahren jegt angefichts der Gefahr als feine liebte Prlicht bes 
zeichnete, „für die gute Stadt Berlin und das Beite Sr. Königl. Majeftät den 
Reft meiner alten Tage daranzufegen, die mir jonft fein rechtes Fortkommen mehr 
erlauben wollen“. Sie wiejen den Gedanken an Uebergabe weit ab und jhlugen 
mit drei ſchwachen Garnifonbataillonen und 40 Stadthufaren am Halliſchen 
und am Kottbujer Thor den Sturm der Rufen ab; das Bombardement in der 
monbhellen Naht auf den 4. Oktober äfcherte doch nur wenige Häufer ein. Der 
Hof und die oberiten Staatsbehörden waren jchon im Frühjahr wieder nad 
Magdeburg übergefiedelt. Die Bürger von Berlin glaubten ſich gerettet, als 
von Nord und Süd Entjag heranfam: vom pommerſchen Kriegsihauplag am 4. 
Prinz Friedrih Eugen von Württemberg, von der Elbe am 7. das Hülſenſche 


) Dben ©. 127. 
2, Chen S. 223. 


Ariebensverhandlungen. Feldzug von 1760. 2659 


Corps, das durch die überlegenen Streitkräfte der Defterreiher und des Reihe 
von Torgau und Wittenberg abgedrängt worden war. An 16000 Mann waren 
damit in und bei Berlin vereinigt. Aber Zug um Zug trafen auch die feind: 
lihen Abteilungen ein: am 5. Tſchernyſchew, am 8. Panin und, den Verteidigern 
völlig unerwartet, die Defterreiher unter Lacy; die Zahl der Bedränger war 
auf mehr als 40000 geftiegen. Und aus der Udermarf waren bie Schweden 
im Anmarſch, bei Treuenbriezen ftand die Reichsarmee, bei Landsberg an der 
Warthe das ruffische Hauptbeer. 

So ſchien feine Ausfiht zu bleiben auf Errettung einer Stabt von dem 
Umfange dreier Meilen, die nur füdlih der Spree mit einer Mauer und 
ſchwachen Erdwerken, im Norden nur dur einen Pallifadenzaun umgeben war. 
Um die Truppen dem Könige zu erhalten, zogen die Generale in der Nacht 
auf den 9. nad Spandau ab, der Kommandant übergab die Stadt dem General 
Tottleben, die Bürgerihaft übernahm die Zahlung einer Kontribution von 
2 Millionen Thalern, deren Betrag in der folge von dem Könige erfegt wurde. 
Die Defterreiher wurden von ihren Verbündeten gleihjfam nur als Zuſchauer in 
der Stadt geduldet, und da den ruffiichen Generalen nichts peinliher war, als 
wenn fie Barbaren geicholten wurden, fo hielten ihre Truppen bier in ber 
Hauptitadt weit ftrengere Mannszucht, als auf ihren Verheerungszügen burd) 
das platte Land. Ebenfo erlaubte in Potsdam Graf Efterhazy feinen Deiter: 
teichern Feinerlei Ausfchreitungen. Um jo mwültere Vorgänge fpielten fich im 
Schloſſe der Königin zu Schönhaufen, zumal aber im Charlottenburger Schloſſe 
ab, wo Zimmerausftattung, Silberſchmuck und Kunftgegenftände, die Bilder von 
Watteau und Lancret und die Antilen aus der Polignacſchen Sammlung!) 
unterjchiedlos der Raubluft oder der Zeritörungswut der Kojafen und der öfter: 
reichiſchen Huſaren, und zwar unter den Augen der Offiziere, zum Opfer fielen. 

Nur wenige Tage währte der jchredensvolle Beſuch. Schon am 11. Dftober 
zogen die Deiterreicher aus Berlin ab, am 12. und 13. die Rufen; denn der 
Ruf eriholl, daß der König nabe. 

Friedrid war am 7. Dftober aus ſeinem Lager bei Waldenburg ab: 
marſchiert; er ermaß, dab die Campagne noch „jehr ernithaft“ werden würde. 
Den Schuß der jchlefiichen Feitungen gegen Laudon übernahm Goltz, der noch 
bei Glogau ftand. Wieder König vorausgejeht hatte, 309g Daun hinter ihm 
bee. So wurde die Hauptbühne an die Elbe zurüdverlegt. Am 22, Oktober 
vereinigten fih Daun und Lacy unweit Torgau, am 26. der König und Hülfen am 
Zujfammenfluß der Elbe und Mulde bei Roßlau. Die Neihsarmee war jchnell 
veriheudt, von der Verbindung mit Daun abgedrängt. 

In diefem Flachland, das er vor einem Yahr dem Bruder als ein zur 
Schlacht einladendes Gefilde bezeichnet hatte”), wollte Friedrich jegt unter allen 
Umftänden dem Feinde die Entiheidungsichladht aufzwingen. „Ziehen wir ben 
Krieg in die Länge,” ſagte er fih, „und juche ich nicht eine entjcheidende Affaire 
herbeizuführen, jo wird der Friede im Minter uns im Stiche laſſen, und in 





') 8b. I, 473. 
2) Oben ©. 233. 


270 Siebentes Buch. Zweiter Abſchnitt. 


einem weiteren Feldzuge würden unfere Angelegenheiten noch ſchlimmer ftehen, 
als bisher.” Dazu kam, daß Winterquartiere für die Truppen, Geld und Re: 
fruten für Fortſetzung des Krieges fi nur in bem jest fait ganz von den 
Defterreihern bejegten Sachſen bejchaffen ließen. 

Aber wird der fo oft vereitelte Vorſatz fich diesmal ausführen laſſen? „Wir 
ermangeln nicht des Wollens noch des Muts, wir erjehnen uns nur Gelegenheit 
und Glüd.“ Matt und abgeipannt, wie er ich in diefen Tagen fühlte — er 
bezeichnet fich als frank und juchte fih durch einen Aderlaß zu helfen —, jah er 
die Dinge wieder nur ſchwarz und wollte an das erjehnte Glüd nicht mehr 
glauben. „Denkt nicht,” jchreibt er am 24. Oftober an d'Argens, „dab id 
nicht flar jehe durch den Wolkenſchleier, mit dem Sie thatjählihe und er: 
drüdende Unglüdsjchläge verhüllen wollen. Das Ende meiner Tage ift ver: 
giftet, und der Abend meines Lebens ebenjo jchredlich wie jein Morgen war. 
Was ih auch thun mag, bei der Menge meiner Feinde jehe ich voraus, daß 
ih, wenn ich bier wiberftehe, dort unterliegen muß; ich habe nicht Hülfe, noch 
Entjag, nod Frieden, ich habe nichts in der Welt zu hoffen.” 

Als d'Argens noch weiter tröften wollte, antwortete ihm Friedrich am 28. 
ſchneidend: „ch jehe, dab wir uns in unferen Gedanken nicht begegnen und daß 
wir von fehr verjchiedenen Grundjägen ausgehen. Sie legen auf das Leben 
Wert als Sybarit; ih für mein Teil betradhte den Tod als Stoifer. Niemals 
werde ich den Augenblid erleben, der mid zwingen fol, einen unehrenbaften 
Frieden zu jchließen; feine Ueberredung, feine Beredſamkeit fönnen mich dahin 
bringen, meine Schande zu unterzeichnen. Entweder werde ich mich begraben 
laffen unter den Trümmern meines Vaterlandes, oder, wenn dem Unglück, das 
mich verfolgt, diefe Tröftung noch zu ſüß erjcheint, jo werde ich jelber meinen 
Leiden ein Ziel jegen, wenn es nicht mehr möglich jein wird fie zu ertragen. 
Ih habe gehandelt und werde zu handeln fortfahren nach diejer inneren Stimme 
und dem Chrgefühl, die alle meine Schritte lenfen; mein Verhalten wird zu 
jeder Zeit mit diefen Grundfägen übereinftimmen. Nachdem ich meine Jugend 
meinem Vater, mein reiferes Alter meinem VBaterlande geopfert habe, glaube 
ich das Recht erworben zu haben, über mein Alter frei zu beftimmen, Ich habe 
es Ihnen gejagt und wiederhole es: nie wird meine Hand einen demütigenden 
Frieden unterzeichnen. Und jo will ich diefen Feldzug beenden; entichlofien, 
alles zu wagen und die verzweifeltiten Dinge zu verſuchen, um zu fiegen oder ein 
Ende mit Ruhm zu finden.” — 

An der Mulde aufwärts marjchiert gelangte das preußiihe Heer am 
30, Oktober nad Eilenburg. Ueber die Stellung des Feindes war nichts Sicheres 
zu erfunden. Am 2. November hoffte man ihn bei Schildau zu treffen, aber 
durch Dejerteure erfuhr man, daß er zwiſchen Großwig und Torgau auf den 
Süptiger Höhen lagere. 

Dieje Hügelfette wurde zu den unangreifbaren Poiten gezählt. Prinz 
Heinrich hatte fie 1759 gegen Daun, und Hülfen vor kurzem gegen die Reichs— 
armee inne gehabt, ohne von der Weberzahl angegriffen zu werden. König 
Friedrih ſah die Schwäche der Stellung in ihrem Mangel an Tiefe: bei einem 
gleichzeitigen Angriff in der Front und im Rüden ſchien fie ihm unvermeidlicher: 


Sriedenäverhandlungen. Feldzug von 1760. 271 


weile auseinanderbredhen zu müjlen, wo dann die Trümmer aufgerollt und in 
die Elbe gefegt werben follten. 

Am 3. November in der Frühe um 7 Uhr verließ das Heer das Lager 
von Schildau und Langen-Reichenbach. Die Infanterie bildete zwei Kolonnen, 
in der dritten, die bei dem beabiidhtigten Umgehungsmaric durch die Dom: 
mitzſcher Heide die Peripherie des Halbfreifes zu bejchreiben hatte, marjchierte die 
Kavallerie unter dem Prinzen Georg Ludwig von Holftein:Gottorp; jeder Kolonne 
ritten Hularen voran. Nachdem eine gute Meile zurüdgelegt war, mußten die 
Enden der Kolonnen Halt mahen, 21 Bataillone und 55 Schwadronen, etwa 
der dritte Teil der Infanterie und die Hälfte der Kavallerie, an 18000 Mann 
von den 44000, die für die Schladht verfügbar waren. General Zieten, dem 
diejes Corps anvertraut wurde, erhielt die Weifung, fih im Walde an der Heer: 
frage von Leipzig nah Torgau zu halten, bis der König nad feinem Um: 
gehungsmaricd den Angriff auf den nah Torgau zugewandten Flügel des Feindes 
beginnen würde; alsdann jollte Zieten bei Großwig auf den entgegengejegten 
Flügel fallen. „Wir festen voraus,” jo erläuterte nad der Schlacht der Major 
Gaudi dem Prinzen Heinrich diefen Entwurf, „daß der Feind in der Ueberrafchung 
über ein jo unerwartetes Manöver in furchtbare Unordnung geraten würde, 
wenn er jeine Negimenter ummenden, jeine Schlachtordnung und feine Batterien 
ändern mußte in dem Augenblid, da wir ihn von fo verſchiedenen Seiten an: 
griffen.” 

Zietens Aufgabe erforderte in ungewöhnlihem Mae ſowohl Urteil wie 
Entihluß; das ſchwerſte Tagewerk feines Lebens ſtand vor dem jet einund— 
jechzigjährigen Hufarenvater. Wie wechjelvoll hatte diejes Leben jeinen Lauf ge: 
nommen. Als nfanteriefähnrich wegen Kleiner Geitalt und „ſchwacher Stimme 
für das Kommandieren“ dimittiert, jpäter ald Dragonerlieutenant wegen eines 
Ehrenhandels mit jeinem nächſten Vorgeſetzten kaſſiert, hatte der noch nicht 
Dreißigjährige jeine Soldatenlaufbahn als abgeſchloſſen betrachten müſſen, als 
König Friedrih Wilhelm nah Jahr und Tag bei der Errichtung einer Frei— 
compagnie Hujaren ihm ein drittes Mal den Eintritt in das Heer geitattete. 
Sein Anjehen war dann jtetig gewachſen mit dem Anjehen der Truppe, die 
ihre Art und Kunft nicht zum mindeften ihm, dem quten Führer und dem guten 
echter, verdankte und die den Ehrgeiz mit ihm teilte, nicht weniger, fondern 
mehr zu leilten als die älteren und zur Zeit noch als vornehmer geltenden 
Reitergeihwader. Schon in Friedrihs eriten Kriegen war der Nuhm der preußi: 
ichen Huſaren und der Name des unanjehnlichen, wortfargen Zieten in aller 
Munde. Bor dem Feinde zum Generalmajor ernannt, fonnte Zieten mit den 
dienjtlihen Aufgaben der folgenden Friedenszeit fich nicht recht abfinden. Durch 
jeine Empfindlichkeit, jeine Eiferfucht auf diejen oder jenen Günftling des Könige, 
feine Eiferfucht insgemein auf die Kürafjiere und Dragoner, denen er troß feines 
ſchnellen Avancements ſich hintenangeſetzt glaubte, durch allerhand fonftige Grillen 
bereitete jih der Wadere mande ſchwere Stunde: „Sn der Garnijon taugt 
Bieten den Teufel nicht,“ fol der König gelagt haben, „und jeinetwegen fann 
ich feinen Krieg anfangen.“ Der neue Krieg zeigte ihn dann auf der alten Höhe. 
Bei Prag, Kolin, Breslau, Leuthen, Hochkirch, in zahlloien Kleinen Gefechten, 


272 Siebentes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


überall war Zieten dabei gemweien, nicht überall gleih alüdlih, aber immer um— 
fihtig und vor allem immer unerfchroden. Bei Liegnik hatte er zum erftenmal 
einen ganzen Flügel fommandiert und fih das Patent als General der Ka— 
vallerie verdient. Heute aljo mußte er noch mehr auf ſich nehmen, er jollte ein 
ganzes Corps jelbitändig zum Kampfe führen und doch feine Entſcheidungen 
wieder einem ftrategiihen Entwurfe anpafien, deſſen räumliche und zeitliche 
Vorausjegungen den größten Zufälligfeiten ausgefegt waren. 

So erlitt aleih der Marich des Königs durch die fandige Kiefernheide 
unvorbergejehenen Zeitverluft dur Gefechte mit feindlichen Abteilungen und 
das dadurch veranlafte Nusbiegen und Zufammenftoßen der Kolonnen. Als um 
121 Uhr die erfte Kolonne aus dem Wald in die kleine Ebene eintrat, die ſich 
bei den Dörfern Elsnig und Neiden zwiſchen den Wald und die von den toten 
Nebenläufen des Stromes durchſetzte Elbniederung legt, gingen die Vortruppen 
Dauns eilig zurüd und gaben ſomit den Uebergang frei über den zwijchen 
beiden Dörfern die Ebene durchſchneidenden ſumpfigen Striemühlenbah: ein 
ftarfes Corps an diefem Defile aufgeitellt, würde ihm, fo meinte der König, 
die Schlacht unmöglich gemacht haben. 

Er gewahrte, daß die Stellung der Gegner nicht jo nahe, wie er voraus— 
geiegt hatte, an Torgau heranreichte; er überzeugte ſich zugleich, dab fie, durch— 
weicht wie in biefer Jahreszeit das Gelände nad der Elbe zu war, von dieſer 
Seite, von Nordoit, nicht umfaßt werden fonnte. Er mußte fi aljo, gegen die 
Dispofition, für den Angriff aus Nordweſten auf den an die Süptiger Höhen 
gelehnten linken Flügel entjcheiden. 

Daun hatte den Angriff ausichlieflih von Süden ber erwartet, aber 
während des Umgehungsmarſches der Preußen dur die Dommitzſcher Heide hatte 
er reichlich Zeit gehabt, feine Stellung für den Kampf mit zwei Fronten einzu— 
richten. Er ließ das erite Treffen gegen Norden, das zweite nah Süden — 
denn Zietens Verbleiben war feiner Kenntnis nicht entgangen — gegen Süptit 
und den Nöhrgraben Front machen; auf dem jchmalen weftlihen Rande des 
Höhenzuges, an einer Schanze oberhalb des zwiſchen den Scafteihen empor— 
führenden Dammes, ſchloß den Raum zwiſchen den beiden Treffen eine Flanke 
von drei Bataillonen, nah Oſten, gegen Zinna, blieb das Viered offen. Die 
Eüdfront verlängerte in einem nah Südoften ausfpringenden Hafen, durch 
Zinna von dem Hauptheer getrennt, das Corps Lacys, in der Stärke von 
17000 Dann. Quer über die Leipzig: Torgauer Straße geftellt, mit dem großen 
Teich in der Flanke, dedten diefe Truppen Torgau, die Nüczugslinie und die 
über die Elbe gelegten Schiffsbrüden gegen eine Gefährdung durd das Corps 
von Zieten. Nah Abzug jener 17000 Mann blieben in der Hauptftellung 
33000 Defterreiher, etwa 25000 nad Norden, der Neit gegen Süptig ge 
richtet. 

Das Hin: und Herwogen des in die Schlachtordnung einrüdenden Feindes, 
jowie der Umstand, daß zahlreiche Gepädwagen fiber die Brüde auf das rechte 
Elbufer abjuhren, legten die Vermutung nahe, daß Daun, wie fo oft, ber 
Schlacht ausweihen wolle. Ein auf Kundſchaft ausgefandter Adjutant beftärkte 
den König in diefer Annahme Dann durfte fein Augenblid verloren werben, 


Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 273 


um fo weniger, als der ftarfe Südwind einen Geihügbonner herübertrug, der 
dahin gedeutet wurde, daß Bieten bereits am Werfe war. 

Der König ließ das zum erjten Angriff beitimmte Grenadiercorps über den 
Striebach gehen, durch das Neidener Holz fich rechts ziehen und noch im Walde 
aufmarjchieren, obgleich die Kavallerie noch über eine Meile vom Schlachtfeld 
entfernt war und auch die Pofitionsgeihüte im aufgeweihten Waldgrund dem 
beichleunigten Schritt der Infanterie nicht folgen konnten. Schon war man im 
Bereich der feindlihen Batterieen; die einichlagenden Geſchoſſe vervielfältigten 
fih durch die Splitter der zerjcehmetterten Bäume; ber zu Boden krachende Aft 
einer Eiche erjchlug hart neben dem Könige zwei Grenadiere. Friedrich ftieg 
vom Pferde und führte die Bataillone aus dem Walde heraus in die janft an— 
fteigende, nur etwa 1000 Schritte breite Ebene, die, vom Walde und links durd 
den tiefeingefchnittenen Zicheitichfengraben halbkreisartig umſchloſſen, die Angriffs: 
linie von der öfterreihiichen Stellung noch trennte. 

Es war um 2 Uhr; in der legten halben Stunde hatte fi der Wind zu 
einem von dichtem Schneeregen begleiteten Sturm gefteigert, aber die hundert 
Feuerſchlünde der feindlihen Batterien überbrülten den Aufruhr der Natur. 
Das Gefechtsfeld lag zunächſt ganz in Dunkelheit gehüllt; als fich der Himmel 
wieder aufflärte, ſahen die Grenadiere ihren Gegner fon ganz nahe; aber 
immer furdtbarer lichteten fich ihre Reihen. Zu den Verwundeten zählten die 
beiden Brigadeführer, Syburg und Stutterheim, und von den Kommandeuren 
der zehn zu diefem Angriff vereinigten Bataillone drei; ein vierter fiel zum 
Tode getroffen, der Flügeladjutant Graf Wilhelm von Anhalt. Der König 
befand fih unmittelbar hinter der Angriffslinie, neben ihn bes Gefallenen 
Bruder, Graf Friedrih: „Alles geht heute ſchlecht,“ ruft der König ihm mit 
Ichmerzlier Bewegung zu, „meine Freunde verlaffen mich, eben meldet man 
mir den Tod Ihres Bruders.” 

Der Angriff der Grenadiere iſt abgeichlagen, ehe die Truppe zum Schuß 
gefommen ift; dieſe Blüte der preußiichen Infanterie ift nahezu vernichtet. 
Dreizehn Bataillone vom erften Treffen löjen die Avantgarde ab; auch die Bat: 
terien find jegt aufgefahren und fünnen den neuen Angriff unterftügen. Er 
führt weiter als der erfte, die Preußen werfen den beim Verfolgen bes Vor: 
treffens in Unordnung geratenen Feind zurüf, dringen in die öfterreichiiche 
Stellung ein und behaupten fi oben hartnädig, durch drei friſche Grenadier— 
bataillone unterftügt. Aber Daun zieht Veritärfung beran, Fußvolf und zumal 
Neiter. Der preußiſchen Infanterie fehlt noch immer die Unterftügung der 
Schweiterwaffe, die Angreifer werden von der Anhöhe heruntergetrieben und bis 
an den Wald zurüdgebrängt, wo das zweite Treffen, elf Bataillone, fie auf: 
nimmt und bie Verfolger abweilt. 

Und jest endlich ift auch die eigene Neiterei in Sit. Ueber ihr langes 
Ausbleiben ift der König aufs äußerfte aufgebracht, er jchilt auf das Phlegma 
ihres prinzlihen Führers und fchidt ihm feine Adjutanten entgegen, und Graf 
Friedrich von Anhalt richtet dem Prinzen feine Botſchaft in jehr unehrerbietigen 
Worten aus. Das Marjchtempo der Kolonne ift beim Austritt aus dem Walde 


in geftredten Galopp übergegangen, der Prinz ift im beten Begriff, an ber 
Roier, König Friedtich der Große II. 2. Aufl. 18 


274 Siebentes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Stätte der Gefahr vorbeizufprengen, als der Generaladjutant Krufemard fommt 
und zwei Küraffierregimenter und die Baireuther Dragoner aus der Kolonne 
herausnimmt. Unter den Augen des Königs werfen dieje Regimenter — es war 
nah 3 Uhr — die öfterreihifhe Neiterei und bauen dann jofort in das Fuß: 
volf ein. Bataillon auf Bataillon — die Baireuther erinnern fih an Hohen: 
friedberg — wird über den Haufen geritten und zeriprengt, bis Kavallerie in 
Ueberzahl heraneilt und die im Handgemenge auseinandergefonmenen preußiſchen 
Reiter zurüdtreibt. Dem Verſuch des Prinzen von Holftein, mit dem Reit der 
Kavallerie von Neiden her in den Kampf einzugreifen, ftellt fich der Zicheitichken: 
graben als Hindernis entgegen, und als dann von Zinna ber öfterreichiiche 
Schwabronen dem Prinzen in die Flanke fallen, muß auch er zurüdgehen. Nicht 
glüclicher find während der Neitergefechte die elf Bataillone des zweiten Treffens 
gewejen, fie haben troß heißen Ringens und nad wedielndem Erfolg dem 
Feinde jchlieglich feinen Fuß breit Erde abgewonnen. 

Als jegt die vier legten Bataillone — fie waren hinter der Kavallerie: 
folonne hermarjchiert — aus dem Walde hervorrüdten, zog fich die öſterreichiſche 
Kavallerie alsbald jo weit zurüd, daß fie ihnen aus dem Gefichtsfreis fam; 
auch feindliche Infanterie jahen fie nicht, und fein Geſchütz ſandte ihnen einen 
Gruß entgegen; nur Tote und Verwundete und verlaflene Kanonen bededten 
das Feld. Die vier Bataillone marjdierten an der Neidener Waldede auf 
und vereinigten ſich mit der rechts und links anſchließenden Kavallerie zu einer 
neuen Linie, hinter der fi die geichlagenen Bataillone notdürftig wieder ordnen 
fonnten. 

Der König hatte fih während des ganzen Kampfes dem Feuer rüdfichtslos 
ausgejeßt. Die Offiziere feiner Umgebung und feine Pagen waren zumeiſt ver: 
wundet, drei Pferde ihm unter dem Leibe zuſammengeſchoſſen, eine Kanonenfugel 
flog hart an ihm vorbei, eine Kartätichenfugel traf feine Bruft: betäubt ſank er 
zufammen, zwei Adjutanten riffen feine Kleider auf, der Pelz und das Samt: 
futter des Rockes hatten die Wirkung abgeſchwächt, die Kugel war am Körper 
abgeprallt: „Ce n'est rien,“ fagte er, jchnell feiner Sinne wieder mächtig. Er 
fonnte den Oberbefehl fortführen. 

Jetzt, da die Dunkelheit hereingebrodden war und die Truppe völlig erjchöpft 
ihien, glaubte er von weiteren Verſuchen abjehen zu müſſen. Er befahl dem 
General Hüljen, das Defile die Nacht über zu halten; der Feind, feste er hinzu, 
babe gleichfalls ungemein viel verloren, und da Bieten ihm noch im Rüden 
ftünde, jo würde er nicht wagen, in feiner Stellung zu bleiben, fondern ſich in 
der Nacht über die Elbe zurüdziehen, alsdann fei die Bataille dennod für uns 
gewonnen. 

Gleih darauf fonnte der König fich überzeugen, daß die gejchlagene In— 
fanterie noch nicht fo verbraucht war, wie es zuerit den Anjchein hatte. Dem Major 
Leitwig vom Regiment Altbraunfchweig, dem Oberſten Nimſchewsky und anderen 
Stabsoffizieren war es gelungen, aus der Mannjchaft verichiedener Truppenteile 
drei anſehnliche Bataillone zufammenzubringen; Leftwig erntete aus dem Munde 
des Kriegsheren reiches Lob. Schon war die eingetretene Stille wieder unter: 
brochen worden. Lebhafter Kanonendonner, ein Beweis, daß Zieten jest endlich 


Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 275 


am Feinde war, gab das Signal zu neuem Angriff. Auch Hülfen und fein 
Adjutant Gaudi verftanden die Sprade diefer Gefhüge und ließen die Pommern 
vom Regiment des jüngſt verftorbenen Prinzen Mori!) zu der von Leitwig 
gefammelten Schar jtoßen. Die Kürajfierregimenter Epaen und Markgraf 
Friedrih, ein Dutzend Kanonen und einige Haubiten jchloffen fih an. Der alte 
Hüljen, durch einen Sturz mit dem Pferde verlegt, ließ fih auf einem der Ge: 
ſchütze nachfahren. Unter dem Schuß der Dunfelheit gewann man eine vom 
Feind verlaffene Höhe, die feine Stellung beherrſchte. Was fih von Geihüg 
irgend herbeiſchaffen ließ, fuhr bier auf und fchüttete ein furchtbares Feuer auf 
den überrajchten Feind. Er ermwiderte die Begrüßung, aber nur aus den Feld— 
aeihügen; bei dem am jenjeitigen Hange emporleuchtenden Flammenjchein ber 
in Brand geltedten Häufer von Süptit gewahrte man, wie die ſchwere Artillerie 
in der Richtung nad) Torgau abfuhr. Einige Grenadierbataillone vom Lacyichen 
Corps, ganz frifhe Truppen, eilten herbei, aber das Feuer der preußijchen Ge: 
Ihüge und alsbald auch ein Bajonettangriff der Musketiere von Morik und 
Markgraf Karl zwangen fie zur Flucht. 

So fam in legter Stunde der Grundgedanfe des Schlachtplans endlich zur 
Ausführung: zwei Angriffe wirkten zufammen und feßten fich gegenjeitig durch. 
Denn in der That, wie man es unten im Neidener Walde angenommen hatte, 
auch Zietens Bataillone faßten jet auf dem Bergrüden Fuß. 

Bieten war am Vormittag auf dem Mari durch den fühlih von Süptig 
gelegenen Wald an der roten Furt durch Warasdiner und Hufaren aufgehalten 
worden, hatte fih dann mit der Artillerie Lacys in den Feuerkampf eingelafjen, 
welden man zwiſchen 1 und 2 Uhr bei Neiden hörte, und war hinter dem 
Röhrgraben in einer Stellung aufmarjchiert, aus der er ſowohl gegen Lacy wie 
gegen bie öfterreihifhe Hauptmacht vorgehen konnte. Offenbar ftörte ihn diefe 
unerwartete Flanfenftelung Lacys. Die dann eintretende Paufe, ein unficheres 
Hin: und Herziehen, „Pouſſieren und Repouffieren”, brachte bei Zietens Dffi- 
zieren die irrige Meinung auf, daß der König befohlen habe, den Angriff bier 
erit dann zu beginnen, wenn man den Feind in Unordnung jehen würde. Erft 
der Zwang der Not, die Erwägung, daß unter allen Umftänden — unb wenn 
der König geihlagen war vollends — die Verbindung mit dem Hauptheer her: 
geftellt werben mußte, hat dann, wie es fcheint, Zieten und feine Berater in 
vorgerüdter Stunde zum Entihluffe und zur Eröffnung des nfanterieangriffs 
veranlaft. An fteiliter Stelle, gegen die Weinberge oberhalb von Süptig unter: 
nommen, hätte der Angriff ſchwerlich Erfolg gehabt, wenn nicht die Entdedung 
des Dammes zwiichen den beiden Schafteichen andere Bataillone in die Flanke 
des Feindes gebradt hätte, und wenn nicht diefe Flanke dadurch entblößt gewejen 
wäre, daß die Defterreiher nad) ihren Berluften ſich nad der Mitte zufammen: 
gezogen hatten. Aber auch jo blieb der Widerftand überaus fräftig; die über 
den Damm emporgeltiegenen Truppen wurden auf der Höhe mit jo mörderiſchem 
Feuer empfangen, daß fie die jchmwerften Verlufte zu beflagen hatten. Auch 
geſchah es in der Dunkelheit, daß Preußen auf Preußen feuerten, als jegt von 


') Bal. oben ©. 204. 


276 Siebentes Bud. Zweiter Abichnitt. 


hüben und drüben die Sturmfolonnen fi einander näherten. Da ſchlugen bie 
Tambours nod einmal an, und die Wirbel der wohlbefannten Märfche ver: 
fündeten den zu Tode ermatteten Truppen, daß die beiden Heere auf dem 
Siegesfeld ihre Vereinigung gefunden hatten. Die Garnifonen von Berlin, 
Spandau und Potsdam waren es injonderheit, die hier auf den Süptiger 
Höhen fih ein mächtliches Rendezvous gaben: die jo oft erprobten Braven von 
Forcade, Markgraf Karl und Prinz von Preußen, die Garde und Grenadier: 
garde. Gegen 8 Uhr gab der Feind den Widerftand auf, wenn aud da und 
dort noch einige Schüſſe gewechjelt wurden. 

Der König hatte den Ausgang des von neuem entbrannten Kampfes noch 
abgewartet, erft um 9 Uhr verließ er das Schlachtfeld. Er hielt vor der Thür 
des Pfarrhaufes zu Elsnig, aber die Räume waren mit verwunbeten Offizieren 
belegt. So ließ er fi in der Kirche eine Streu herricten und ein wärmendes 
Feuer anzünden; Auf der unterften Altarftufe figend jchrieb er beim Schein ber 
Kirchenkerzen die Siegesbotfhaft an den Minifter Findenftein: „Wir haben Daun 
und die Defterreicher aeichlagen, die Nacht ift eingefallen, jonft würde ich mehr 
Umftände melden fönnen. Wir haben viel Gefangene gemadt, id weiß die 
Zahl nicht, aber begnügen Sie Sich mit der Nachricht, jo wie ich fie Ihnen gebe, 
morgen werden Sie die Einzelheiten erfahren.“ 

Noch vor Tagesanbrud war der König wieder bei ben Truppen, ritt die 
ganze Linie ab, umarmte Zieten und trat dann an die Wacdhtfeuer der Garde 
heran, von den Truppen mit Jubel und treuberzigen Fragen begrüßt. Als es 
heller wurde, gewahrte man, daß der Feind jeine Stellungen vollftändig geräumt 
batte; auch Torgau war verlajien und wurde unverzüglid von den Preußen 
beſetzt. 

Daun hatte geſtern mit einer Schußwunde im Beine ſich im Sattel ge— 
halten, bis er den Sieg völlig entſchieden glaubte; erſt um 27 hatte er ſich 
auf einem Pulverkarren nah Torgau ſchaffen laffen. Kaum war ihm ein Ber: 
band angelegt, als jeine Generale Yacy und D’Donnell ganz verftört in jein 
Zimmer traten und den Berluft der Höhen eingeitanden. Dauns Rüdzugsbefehl 
rettete das Heer vom Verderben, dem es verfallen wäre, wenn es den Ueber: 
gang über die Elbe nicht mehr unter dem Schuße diefer Nacht ausführen konnte. 
Ueber 7000 Gefangene, 30 Feldzeihen, 40 Kanonen blieben in den Händen ber 
Sieger zurüd; der öfterreihiiche Gefamtverluft belief fih auf 16000 Mann, fait 
den dritten Teil des Beitandes. König Friedrich bewies feinem zum eritenmal 
bejiegten Gegner die Artigfeit, in feinem Schlachtbericht öffentlich auszuiprechen, 
dat die VBerwundung Dauns den Preußen ihren Sieg erleichtert habe. 

Die Shlaht war gewonnen. Aber nit die Vernichtungsſchlacht, die der 
König geplant hatte. Und die eigenen Verluſte ftellten fich bald als jo jchmerz: 
lih hodh heraus, daß der König feinen Adjutanten bei ftrenger Ahndung bie 
Geheimhaltung der wirklihen Ziffern anbefahl. Mehr als das volle Drittel 
fehlte dem Heere, fait 17000 Mann, 920 bei der Stavallerie, 15900 bei der 
Infanterie. 

„Betrachten wir,“ ſchreibt Friedrich drei Tage nach ſeinem Siege, „den 
3. vielmehr als ein Ereignis, das uns vor großem Unglück bewahrt hat, denn 


Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 977 


als einen Triumph, der uns den Weg der Eroberungen und glänzenbiter Erfolge 
erſchlöſſe“ Immerhin hoffte er damals und während der nächften acht Tage 
noch, als Frucht jeines Sieges Dresden zurüdzugewinnen. Aber es gelang den 
Defterreihern, fih vor der Ankunft ihrer Verfolger im Plauenihen Grund!) 
feftzufegen, in diejer Stellung, die fih nad allgemeiner Anficht nicht über: 
mwältigen ließ, aud wenn fie, wie Friedrich fagte, „nur von Schorniteinfegern” 
beſetzt geweſen wäre. 

Derweil entſetzte in Schleſien Goltz die Feſtung Koſel. Vor Kolberg hatte 
ihon im September General Werner mit 7 Huſarenſchwadronen und 3 Ba: 
taillonen durch fein bloßes Erſcheinen ein ruflisches Belagerungscorps vertrieben 
und fogar die Kriegsihiffe der Rufen und Schweden zur Abfahrt veranlaßt. 
Dann hatten Werner und Belling an der Uder ben erit im Auguft ins Feld 
gerüdten Schweden die Stirn geboten, bis dieſe Ende Oftober wie alljährlich 
auf Straljund zurüdgingen. Die Rufen nahmen ihre Winterquartiere wieder 
binter der Weichjel. 

Das preußiiche Heer hatte in dieſem Feldzuge, wie der König anerfannte, 
mehr geleiftet, als er erwartet hatte. Er befand ſich jet am Schluffe „wieder 
ungefähr in derjelben Lage wie bei der Eröffnung“ und glaubte ſich dazu be— 
glückwünſchen zu müflen. Eine Gnabenfrift, jo faßte er es auf, von 7 Monaten 
war mit dem Einzug in die Winterquartiere eröffnet. Torgau dünfte ihm „der 
legte Funfe des verglimmenden Feuers”, und er citierte das Sprichwort: „Der 
Krug geht jo lange zu Waſſer, bis er bricht.“ 

Auf dem weftlihen Kriegsichaupla war e8 zu einer Hauptichlacht in diefem 
Jahre nicht gekommen, fo jehr auch der König von Preußen den Prinzen 
Ferdinand darauf bingedrängt hatte. Bei Eleineren Zujammenftößen glüdlich, 
batte der Prinz doch nicht verhindern können, dab Broglie, der unter den fran— 
zöfifchen Generalen immer mehr fih als der fähigfte und gefährlichite erwies, 
ganz Hefjen in feine Gewalt befam. Ein Heerhaufen unter dem Erbprinzen von 
Braunſchweig hatte das zweite franzöſiſche Heer über den Rhein zurücgedrängt, 
mußte aber nach dem unglüdlihen Gefecht bei Klofter Campen die Belagerung 
von Weſel am 18. Oftober aufheben. 

Es fehlte viel daran, daß die Franzoſen durch diefe doch nur bejcheidenen 
Erfolge der Fortfegung des Kampfes geneigter geworben wären. In Oftindien 
verloren fie zu Beginn des Yahres die Schlaht bei Wandewaſch, nad) der aud) 
der Fall von Pondichery, ihrem letzten Waffenplag, umabmwendbar war; in 
Amerika vollendeten die Engländer die Eroberung von Kanada mit der Einnahme 
von Montreal. Immer unrubiger und mißlauniger ſah Choijeul dem Gang ber 
Ereigniffe zu, und der öfterreichiiche Botichafter hatte unter der „Lebhaftigfeit, 
Ausgelaflen: und Bosheit diejes ſo gefährlihen Mannes” jchwer zu leiden. Das 
Feuer Ihürten die Berihte aus dem Daunſchen Hauptquartier, die hochmütigen 
Krititen jenes Montazet, von dem Maria Therefia jagte, daß er fich der aller: 
weijelte unter den Zeitgenofjen dünfe, fo daß man wünjchen müßte, das Kom: 
mando jämtlicher vor dem Feinde ftehenden Armeen ausichließlih ihm anzuver: 


') Dal. oben ©. 258. 


278 Siebentes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


trauen. Die Schlacht bei Liegnig gab dem Herzog von Choifeul bei der eriten 
Begegnung mit Starhemberg zu der Erklärung Anlaß, der König von Frank: 
reich ſei feit entichloffen, diefen Feldzug den legten fein zu laffen: „Wir haben 
fein Geld, feine Hülfsmittel, feine Marine, feine Soldaten, feine Generale, feine 
Köpfe, feine Minifter.” Und in Wien ließ Choifeul demnächſt eine Denkſchrift 
übergeben, die unter dem Hinweis auf den Fall, daß Ruſſen, Schweden und 
Franzoſen ihre Beteiligung an dem Kampfe einzuftellen genötigt wären, die anzüg: . 
liche Frage aufwarf, ob man dann in Wien fih nicht Gefahren ausgeſetzt jehen 
würde, vor denen nad dem Urteil von ganz Europa die Talente des Grafen 
Daun das Haus Deiterreih nicht zu bewahren vermödten. Die Kaiſerin-Königin 
war über diefe Sprade in dem Grade aufgebradt, daß fie dem frangöfifchen 
Botichafter erflärte, es dürfte ihr jomit nichts übrig bleiben, als die Allianz und 
das Einvernehmen mit dem König von Preußen. 

Nun war noch der Schlag von Torgau hinzugefommen, der in Wien um 
fo jchmerzlicher empfunden wurde, als die von Daun voreilig abgefertigte Sieges- 
botichaft Hof und Stabt mit hellitem Jubel erfüllt hatte. Ein Kriegsgericht zur 
Unterfuhung der Urfahen des unglüdlihen Ausganges, wie die Kaijerin es 
anregte, widerriet Daun entihieden, denn es würde ein „Hexenprozeß“ daraus 
entitehen: „Gott hat es abfolute jo haben wollen, jonften wäre es nicht möglich, 
dat es jo unglüdlich hätte endigen können; Gott ift geredht.” Daun erbot ſich, 
der SKaijerin alle ihm befannt gewordenen Umftände mündlich vorzutragen, 
„wenn Ew. Majeftät noch ein jo unglüdjeliges Tier, wie ich bin, vor Ihren 
allerhöchften Augen werden ertragen oder leiden können”. Bon den Verbündeten 
ward der geſchlagene Feldherr jegt alimpflicher beurteilt, als jener Daun, der 
ih nie hatte Schlagen wollen; aber das Vertrauen auf die militäriſche Leiſtungs— 
fähigfeit der Defterreiher war den Franzojen nunmehr ganz geſchwunden, und 
ChHoifeul forderte dringender als je den Frieden, und zwar fo bald als nur irgend 
möglid. 

Zu klar legte ſich Kaunig über die gegebenen Thatſachen Rechenſchaft ab, 
als daß er dem Verlangen Frankreichs ein jchroffes Nein entgegengejegt hätte. 
Schon nad) Liegnig hatte er auf Grund der bisherigen Ergebnifje der Kriegs— 
führung methodiih und umftändlidh für die Bedingungen des fünftigen Friedens 
eine gleitende Ecala in fünffadher Abftufung aufgeftellt. Als der befte Friede 
ericheint ihm der, welcher feiner Kaiferin ganz Schlefien und Glatz, ohne Ab— 
tretung eines Nequivalents an Franfreih, und den Bundesgenofien gleichfalls 
hinlängliche Entihädigungen auf Koften Preußens verjhafft; aber aud wenn 
den Franzoſen ihr Nequivalent in den öfterreihiihen Niederlanden gewährt 
werden muß, wird der Friede auf jener Grundlage immer noch als qut gelten 
fönnen. Sollte ſich für die Kaiferin nur ein Teil von Schlefien, für die Bundes: 
genofien nur unerheblihe Entihädigung gewinnen lafjen, jo wird der Friede als 
mittelmäßig gelten müjlen, und als jchleht, wenn die Gewinnloſe nod Kleiner 
ausfallen. Der jchlechteite Friede aber bleibt der, welcher den Beſitzſtand, wie 
er vor dem Kriege war, einfach wiederherſtellt. Nach Torgau gab fi doch 
Kaunig erniten Zweifeln darüber hin, ob es möglich jein werde, aud nur die 
Grafichaft Glag dauernd zu behaupten. Indes riet er der Kaiferin, bei Beginn 


Friedensverhandlungen. Feldzug von 1760. 2709 
der Friedensverhandlungen mit dem Anſpruche nicht fofort zu tief berabzugehen; 
fie möge einftweilen unbeftimmt erklären, daß man nicht ganz Schlefien, jondern 
nur einen Teil verlange. 

Alſo erklärte fih endlih der Wiener Hof zum Vergleih grundſätzlich 
bereit. Zum Zwede reifliher Abwägung aller Anſprüche und Intereſſen empfahl 
Kaunig die Einberufung eines Kongreſſes. Nach einigem Zögern ging Choifeul 
auf den Borichlag ein; fein Gegenantrag, jeitens der Parteien ausschließlich 
Franfreih und England mit der Führung der gefamten Verhandlungen zu be: 
trauen, wurde in Wien mit Lebhaftigkeit zurückgewieſen. Bis die Höfe von 
Petersburg, Stodholm und Warſchau ihre Zuftimmung erklärt hatten, verging 
noch geraume Zeit; dann wurde am 26. März 1761 im Namen fämtlider Ber: 
bündeten, anfnüpfend an die englifch-preußifche Erklärung vom 25. November 
1759, die Einladung zum Kongreß durch den ruffiihen Botjchafter in London 
dem britiſchen Kabinett zugeftellt. Die dortigen Vertreter Preußens waren mit 
Weifungen bereits verjehen; am 23, April erfolgte die Antwort, die Zufage 
Englands und Preußens. Als Verfammlungsort des Kongrejles wurde Augs— 
burg, als Zeitpunft für den Zufammentritt die erfte Hälfte des Juli in Ausficht 
genommen. 





Dritter Abjchnitt. 


Das Jahr 1761, 


nmittelbar nach der Torgauer Schlacht hatte König Friedrich die Kunde 
von einem Ereignis erhalten, deffen Tragweite für das Bündnis zwijchen 

/ Breußen und England fih nur zu bald herausftellen jollte Am 
25. Oktober 1760 ftarb zu Kenfington fiebenundfiebzigjährig König Georg II.; 
die Kronen von Großbritannien und Irland fielen an feinen zweiundzwanzig- 
jährigen Enfel Georg II. Die kräftige, unüberwindlihe Abneigung Friedrid 
Wilhelms I. gegen jeinen welfiihen Schwager hatte einft der Kronprinz Friedrich 
als Erbteil vom Vater übernommen; die perlönlihe Spannung zwiihen Obeim 
und Neffen hatte fi noch verjchärft durch die politiihe Gegnerihaft während 
des öfterreihiichen Erbfolgefriegs und wieder nach dem Nachener Frieden. Erſt 
die Waffenbrüderjhaft in dem großen Kriege gegen Frankreich hatte die beiden 
Fürſten den alten Groll vergefjen laffen. Friedrih nahm die Trauerfunde nicht 
ohne Bewegung entgegen; er hat in feiner Gejchichte diefes Krieges die heroiſche 
Syeftigkeit des alten Welfen, feine volle Zuverläſſigkeit als Bundesgenoſſe viel: 
leicht zu ſtark gerühmt, und er hat, als er jpäter die Darftellung feiner erften 
Kriege umarbeitete, da, wo von Georg II. die Rede ift, die Schärfen gemildert, 
den Spott getilgt. 

Ein eigener Zufall, daß nicht lange vor des greifen Fürſten Tode die 
Schatten der längſt vergrabenen Zwiſte noch einmal emporftiegen. Wie in der 
erften Fallung jeiner Denfwürdigfeiten hatte Friedrich aud in jener nur in 
ganz wenigen Abzügen gedrudten Sammlung feiner Gedichte,!) den „(Euvres du 
Philosophe de Sanssouei*, feinen Oheim von England nit geihont. Im 
Winter auf 1760 waren nun von dieſer jorgfältig gehüteten Koftbarfeit unab— 
bängig voneinander zwei Nahdrude erſchienen; der Verfaſſer war über ben 
hier vorliegenden VBertrauensbruh in mehr als einer Beziehung peinlich berührt; 
er war unficher, wo er den Verräter juchen jolte, er jah fi wider Wunſch 


') Vgl. Bd. 1, 496. 


Das Jahr 1761. sl 


und Willen vor den Augen der ganzen Welt als Poeten entlarot, er jah im 
Gefolge diejer Veröffentlihung politiihe Nackenſchläge voraus. 

Wir willen heute, daß der Herzog von Choifeul das litterarifch:politifche 
Zwijchenipiel zwar nicht veranlaßt, aber begünftigt hat, daß nämlich die in Paris 
veranjtaltete Ausgabe unter jeinen Augen entitand und dabei Fleine Aenderungen 
und Auslaffungen erlitt, die das Nergernis immerhin zu verringern beftimmt 
waren. Es war dem franzöfiichen Minifter nicht unerwünſcht, an dem erlauchten 
Poeten eine Eleine Rache üben zu können. Friedrichs Feder war die Jahre 
daher faum minder gejchäftig geweien, als fein Schwert. Das Breve des Papites 
für den Marjchall Daun!) war nur eine Satire unter vielen; das Unglüd 
fei, jcherzte Friedrih, daß diefer Krieg nicht durch Federſtriche, jondern durch) 
Schwertftreihe entichieden werde: „gälte es nichts weiter als zu jchreiben, fo 
würden wir binnen furzem Oeſterreicher, Rufen, Reichsfreife und Schweden auf 
den Sand geſetzt haben.” So aber vermöchten diefe Krigeleien, feine Verfe und 
Flugiriften, nur den Dienft zu leiten, ihm die Zeit zu vertreiben ?) und ihn 
über feine Nöte hinwegzutäuſchen: „Wiegenlieder, mit denen ich mein Kind am 
Schreien verhindere und einſchläfere.“ d’Argens, fein litterarifcher Vertrauter, 
warnte: jedermann müſſe den Verfaſſer diefer Flugichriften erfennen, der König 
babe nur die Wahl, entweder nicht mehr zu jchreiben, oder von allen mit Unter: 
iheidungsvermögen begabten Leſern jofort erfannt zu werden. Friedrich ant: 
wortete, er glaube nit, daß fein Stil jo ohne weiteres zum Verräter werben 
müſſe, es fei denn dur gewiſſe Solöcismen; wie werde man überhaupt auf den 
Gedanken fommen, daß er, der mit wichtigen Dingen nur allzufehr befchäftigt 
fei, jeine Zeit mit joldhen Narreteien vergeuden werde? „Nicht mein Schreiben 
der Frau von Pompadour an die Königin von Ungarn ift es, was den Krieg 
ewig werden läßt; die Pompadour hat feine Ahnung davon, dab ih der Ver: 
faffer bin, und niemand in Paris hat mid im Verdacht.“ 

Es fteht dahin, wie viele oder wie wenige diejer litterarifchen Angriffe von 
den Gegnern auf Friedrihs Rechnung gejegt wurden; in einem Falle wenigitens 
war Choifeul jehr genau unterrichtet. Friedrichs nicht für die Veröffentlihung 
beitimmte Ode an Prinz Ferdinand von Braunjchweig mit ihren jtarfen Aus: 
fällen gegen die Franzojen insgefamt und König Ludwig und jeine Bompadour 
insbefondere war dem franzöfiihen Minifter in die Hände gejpielt worden und 
hatte feinen ganzen Zorn gewedt. Voltaire, dem Friedrich eine Abjchrift mit: 
geteilt hatte, war der Verräter gewejen, während er dem Verfaſſer beteuerte, daß 
er das gefährliche Stüd, alsbald nad Empfang, dur Feuer vertilgt habe. Es 
iſt nicht wahrſcheinlich, daß Voltaire nun auch bei der Veröffentlichung der „(Euvres 
du Philosophe de Sanssouci* — denn er war einer ber wenigen, die von dem 
Verfafler ein Eremplar?) erhalten hatten — dieje Judasrolle geipielt hat. Nur 
jo viel fteht jet, daß er fehr früh den Nahdrud in den Händen hatte und daß 
er in Briefen mit Schadenfreude fi ausmalte, wie Katholifen, Lutheraner und 
Kalviniſten die freigeiftigen Verſe des königlichen Dichters aufnehmen würden. 





) Oben ©. 209. 
2) Val. oben S. 120. 
) Bol. Bd. 1, 523. 


282 Siebentes Bud. Dritter Abjchnitt. 


Friedrich jedenfalls witterte Unrat, beichränfte fi indes in einem Briefe an 
Voltaire auf die Andeutung: „Man begnügt fi nicht damit, den König in mir 
zu verfolgen, man verfolgt auch den Autor; der, welcher meine Werfe veröffent: 
licht hat, verrät damit feine ehrlofe Gefinnung. Ich lage niemanden an, aber 
der Schuldige verdient die Strafe der Heiligtumsfchänder.“ 

Der König ließ in Berlin unter dem anjpruchslofen Titel „Po&sies diverses* 
eine offizielle Ausgabe veranftalten; zahlreihe Verſe enthielten eine veränderte 
Lesart oder waren ganz durch neue erſetzt; alles, was die Engländer oder Die 
Ruſſen verlegen konnte, war getilgt; alle anderen Terte wurben als apokryph 
bezeichnet. Auch dem engliihen Gejandten wurde ein Eremplar der gereinigten 
Ausgabe zugeftellt, und der König nahm PVeranlaffung, ihm mündlich die Er- 
läuterungen zu geben, die ihm mit Rückſicht auf die Engländer erforderlich 
ihienen. In London wußte man, an welden der Terte man ſich zu halten 
hatte. In den Kreifen der britiichen Negierung wurde der Sade eine Bedeutung 
nicht beigemefien, aber die öffentlihe Meinung nahm jchweren Anftoß an dem 
Anhalt des echten Werkes. „Diejer Philofoph von Sorgenfrei,” eiferte Horace 
Walpole, „oder vielmehr diefer Mann, der kein ‚Rhilofopb‘ ift und mehr ‚Sorgen‘ 
bat als irgend ein Menſch in Europa, begeht die Thorheit, jeinen Widerwillen 
gegen England öffentlih fund zu geben, und zwar gerade zu der Zeit, da Eng: 
land fih für ihn aufgeopfert hat.” Noch andere Gründe zum Wergernis hatten, 
wie Voltaire vorausgejagt hatte, alle Frommen in dem jtreng kirchlichen Lande. 
Genug, die Zahl der Freunde Preußens in der britiihen Nation lichtete ſich 
immer ftärfer.') Vor wenigen Jahren als „Heldenfönig“ in den Himmel erhoben, 
hieß Friedrih ſchon 1760 ein Abenteurer, ein Wagehals; mit dem Sieg bei 
Liegnig, den er noch ergattert hat, wird er nah Walpoles Meinung nur feinen 
Sarg vergolden, da der Totengräber Daun fein Begräbnis bald bejorgen wird, 
und obgleih dann für den Sieg von Torgau im St. James Parf Viktoria ge 
ſchoſſen wurde, jo meinte doch wieder Walpole, es fönne für England, auf daß 
fih ein Ausweg aus dem läftigen, deutichen Kriege eröffne, nichts Vorteilhafteres 
geichehen, als wenn dem Sieger von Torgau der Kopf abgeſchoſſen würde. 

Zunächſt aber jchien der Thronwechſel vom 25. Oktober 1760 eine Ber: 
änderung in den Beziehungen Englands zu Preußen noch nicht herbeiführen zu 
wollen. Die Eubfidien für die deutihen Verbündeten wurden auch für das 
fommende Jahr vom Unterhaus anitandlos bewilligt. Von einem Syſtemwechſel 
war nicht die Nede; zwar überließ Lord Holderneſſe fein Amt als einer der 
Staatsjefretäre des Auswärtigen dem perfönliden Vertrauensmann des neuen 
Königs, Lord Bute, und Nemwcaitle und fein Anhang gaben fi der Hoffnung 
bin, durch diefes Zugeltändnis dem unbequemen Pitt in der Gunjt Georgs 11. 
einen Vorſprung abzugemwinnen; aber Pitt hatte jeit Jahren perjönliche Be: 
ziehungen zu dem jungen Hofe unterhalten und hatte in der Krifis von 1757? 
ſich der Unterſtützung Butes zu erfreuen gehabt. Er ließ ſich aljo trog mancher 
Bedenken den neuen Amtsgenoiien gefallen. 





') Del. oben ©. 252. 
*) Oben ©. 51. 68. 110. 


Das Jahr 1761. 283 


Wie im vorigen Winter empfahl der König von Preußen dem englifchen 
Minifterium dringend, den Franzofen einen Sonderfrieden zu gewähren, immer 
unter der Borausfegung, daß Frankreich fich verpflichten jollte, für die Sort: 
ſetzung bes Krieges gegen Preußen nur nod das in dem Berteidigungsbündnis 
von 1756 dem Wiener Hofe zugelagte Hülfscorps von 24000 Mann zu ftellen, 
und daß dann England mindeitens 30000 Mann von jeinen bisherigen deutſchen 
Hülfstruppen zu Gunften Preußens im Felde lafjen würde. In London fchien 
man geneigt, dieſem Vorichlag näher zu treten, ſtieß ſich dann aber an der 
Höhe der Summe, die Friedridh als zum Unterhalt diefer Hülfstruppen erforder: 
lich bezeichnete: er bezifferte fie auf 5 Millionen Thaler. Und da inzwiichen 
der Friede mit Frankreich wieder in weite Ferne rüdte, jo ließ man von eng: 
lifcher Seite diefe Verhandlung mit Preußen Ende April 1761 ganz fallen. 

War Friedrih ſchon aus dieſem Anlaß einigermaßen verftimmt, fo berührte 
ihn noch peinlicher eine völlig unerwartete Eröffnung, die man feinen Vertretern 
einige Wochen fpäter madte. Mit dem Hinweis auf den allerieits in Ausficht 
genommenen Kongreß und auf neue Beiprehungen mit dem in London er: 
jhienenen franzöfiichen Unterhändler Buffy ftellte Pitt die Frage, wie der König 
von Preußen über die Anfprüche der Höfe von Wien und Dresden denfe. Er 
wifle, daß der König entichlojjen jei, jede Gebietsabtretung zu verweigern; aber 
wenn diefe Gefinnung allgemein befannt werden follte, jo jeien bie übeljten 
Folgen zu befürdten, da feine und Friedrichs Feinde in England daraus Anlaß 
nehmen würden, der Nation begreiflich zu machen, daß fie unter diefen Umftänden 
nie zum Frieden gelangen fönne. Pitt bat jomit um eine beitimmte Erflärung. 

König Friedrich erteilte fie jo bündig wie möglich. Er befahl feinen Ver: 
tretern am 23. Juni, dem Herrn Pitt zu erwibern, daß der König es ſich nimmer: 
mehr gedacht haben würbe, ſolche Reden von ihm zu hören. „Sch hätte den 
Krieg bisher mit Ehren geführt und wollte ihn nicht mit Schande fortjegen, und 
jei, Dank dem Himmel, noch nicht jo weit heruntergebradht, um meinen Feinden 
nit die Stirn bieten zu können.” Friedrich berief fich darauf, daß der zwijchen 
ihm und England beftehende Vertrag gerade die gegenfeitige Verpflichtung zur 
Aufrehterhaltung des Beſitzſtandes ausſpreche. In einem zweiten Erlaß fügte 
er hinzu: „Sie müſſen wachſamer fein denn je, um dieſe Leute zu beobachten, 
die, wie mir jcheint, anfangen fi zu winden und neue Grundjäße anzunehmen. 
Die meinen werden immer diefelben fein und erft mit dem Ende meiner Lebens: 
geifter fih wandeln.” 

Angefichts diefer nahdrüdlichen Erklärungen, und da die Ausficht auf den 
Kongreß immer unfiherer wurde, ſah das engliihe Kabinett einftweilen davon 
ab, weiter auf den König von Preußen einzureden. 

Friedrih hatte im Frühjahr „zehn gegen eins wetten wollen”, daß die 
Franzoſen noch vor Beginn des Feldzugs fich zum Frieden bequemen würden. 
Er jah im Geifte auch ſchon die Schweden und Ruſſen vom Kriegsichauplag ver: 
Ihwinden. Nun war alles beim alten geblieben. 

Auch feine Verhandlung mit den Türken war nicht vom Flecke gefommen. 
Zwar unterzeichnete fein immer hoffnungsvoller Agent Rexin am 2. April mit 
dem Großvezier einen Freundſchafts- und Handelsvertrag, aber der König wußte 


>84 Siebentes Bud. Dritter Abjchnitt. 


jehr wohl, wie wenig diejes Ergebnis bedeutete, und richtete fich bei den üblichen 
Gefchenten für die türkifhen MWürdenträger nad) dem Grundjag, „daß es genug 
fei, vor fupfern Geld fupferne Seelenmeſſen zu halten,“ wenn er auch vor ber 
Außenwelt, vor feinen Gegnern, von dem Abkommen ein wohl berechnetes Auf: 
heben madhte. 

Wie er jelbit hatten auch feine Gegner ohne Rüdficht auf die ſchwebenden 
SFriedensverhandlungen — der Kongreß iſt wirklich nicht zu ftande gelommen — 
in ihren militärifchen Vorbereitungen feinen Augenblid eingehalten. Es galt, 
ichrieb Kaunig nah Paris, „Jozufagen den legten Verſuch, den großen End: 
zweck zu erreihen”. Die Franzoſen ftellten in Helfen unter Broglie an 60 000, 
unter Soubife am Rhein 80000 Mann auf. Wider die Erwartung des Wiener 
Hofes fanden die Ruſſen ſich bereit, den für den vorigen Feldzug aufgeitellten 
Dperationsplan wieder aufzunehmen. Sie beitimmten ein Corps für die Be: 
lagerung von Kolberg und das Hauptbeer, über das noch im vorigen Herbit an 
bes erkrankten Sjaltyfow Stelle der Feldmarfhall Buturlin den Befehl über: 
nommen hatte, für einen Zug nad Schlelien, unter der Vorausſetzung, daß die 
Defterreiher dort mit anjehnliden Streitkräften angriffsweile vorgehen würden. 
Das war ohnehin in Ausfiht genommen, und Laudon, der den Ruſſen vorzugss 
weiſe genehme General, ſchien mit jeinen von Maria Therelia ihm nadhgerühmten 
Eigenſchaften, „reinem Dienfteifer, Berträglichkeit, guter Einficht und unerfchrodenem 
Mute“, der geeignetite Mann für dieje offenfive Aufgabe. Dagegen hatte Daun, 
dem dringenden Wunjche der Kaiferin nacdgebend, das Kommando über das 
Hauptheer in Sachſen nur unter der Bedingung noch einmal übernommen, daß 
man von ihm feine Eroberungen verlangen würde. Er erwartete, den König 
in Perſon fich gegenüber zu ſehen, und nicht ohne Grund bezeichnete der Franzoſe 
Montazet als die Wurzel alles Uebels „la peur extröme qu’on a du roi de 
Prusse‘. Dauns linfen Flügel follte die Neihsarmee bilden, an deren Spike 
jegt ein öfterreichiicher General, Graf Serbelloni trat, denn der bisherige reiche: 
fürſtliche Feldherr, der Prinz von Pfalz: Zweibrüden,') war nad dreijährigen 
Erfahrungen feines undanfbaren Kommandos ebenjo überdrüffig, wie fein er: 
lauchter Vorgänger, der Prinz von Hildburghaufen, nad) dem Tage von Roßbach. 


König Friedrich freuzte die Entwürfe feiner Gegner zunächſt ſchon dadurch, 
daß er ſich dafür entichied, in diefem Jahre den Oberbefehl in Schlefien von 
vornherein jelber zu übernehmen. Mitte März Fündete er feinen dortigen 
Seneralen feine Ankunft für den Beginn des Mai an. 

Der Winteraufenthalt in Leipzig hatte ihm größere Ruhe und Bequem: 
lichkeit geboten, als der vorjährige zu Freiberg. Er hatte fi alsbald den 
Marquis d'Argens aus Berlin eingeladen: „Jh kann nicht leugnen, daß es mir 
ein lebhaftes Vergnügen fein fol, Sie wiederzufehen und mich über unzählige 
Dinge mit Yhnen zu unterhalten. Ach werde einem Karthäufer gleichen, dem 


i) Bal. oben S. 172. 


Das Jahr 1761. 285 


jein Oberer die Erlaubnis zu ſprechen erteilt. Ich habe in Schweigjamfeit und 
Adgeichlofienheit gelebt. Machen Sie fih auf eine Ueberſchwemmung mit Ge 
plapper gefaßt und auf alles, was das Gelüft einer lange durch den Schmerz 
und durch die Stille der Einſamkeit gefeilelten Zunge vorzubringen vermag.” 
Auch jeine beiden Neffen, der jechzehnjährige Thronfolger und der um drei 
Jahre jüngere Prinz Heinrich, leifteten dem Könige mehrere Wochen hindurch 
angenehme Gejellihaft. Wiederholt wurden die Profefjoren der Univerfität 
zur Unterhaltung herangezogen; Gellert fand Anerkennung für jeine Fabeln, 
Gottſched, den der König vor drei Jahren bei feinem erften Aufenthalt in Leipzig ') 
ausgezeichnet hatte, verbarb es diesmal durch feine anfpruchsvolle Geſpreiztheit. 
Alabendlich fpielte die aus Berlin herbeigerufene Kapelle, Friedrich beteiligte 
fih mit feiner Flöte, aber das Blaſen wurde ihm ſchwer; wie ganz verändert 
eridien den Muſikern ihr früher jo fröhlicher Gebieter, ernit, melandolifch, weit 
über jeine neunundovierzig Jahre gealtert. Seiner mütterlihen Freundin, ber 
vierundfiebzigjährigen Gräfin Camas, ?) fchrieb Friedrich in diefem Winter: „Ich 
ſchwöre Ihnen, es ift ein Hundeleben, wie es, den Don Duirote ausgenommen, 
niemand außer mir geführt hat. Dies ganze Treiben, diejer unaufhörliche Wirr: 
warr hat mic) fo alt gemacht, daß Sie Mühe haben würden mich wiederzuerfennen. 
An der rechten Seite ift mein Haar ganz grau, meine Zähne breden ab und 
fallen aus, mein Geficht hat Runzeln gleich den Falten eines Weiberrods, mein 
Rüden ift gekrümmt wie ein Bogen und mein Sinn traurig und niedergejchlagen 
wie ein Trappiftenmönd. Sch bereite Sie auf alles das vor, damit Sie, falls 
wir uns in Fleiih und Bein wiederjehen ſollten, über meinen Anblick nicht zu 
entjegt find. Nur das Herz hat fich nicht verändert und wird, folange ich 
atme, die Gefühle der Verehrung und einer innigen Freundfchaft für meine 
gute Mama bewahren.” 

Am 17. März 1761 verließ der König Leipzig und verfammelte wie im 
Vorjahre die Truppen in dem Lager von Meißen. Die Ergänzung des Heeres 
war „a la merveille* von ftatten gegangen; bei dem Heere in Sachſen fehlten 
Ende März nur nod 1600 Mann. Insgeſamt konnten doch noch über 100 000 Mann 
ins Feld geitellt werden, ohne die Garnifontruppen. Neben Sachſen, Medlen: 
burg und den anhaltijchen Fürftentümern wurden diesmal auch alle thüringifchen 
Lande bis zur Werra zu Soldatenlieferungen herangezogen, die Streifzüge des 
Oberiten von Lölhöffel nad Langenjalza, der Generale Syburg und Schenden: 
dorff nah Saalfeld ftörten nicht bloß gründlich die Winterruhe der Reichsarmee 
und der Franzoſen, jondern füllten auch die Magazine, Kaflen und Cadres bes 
preußiihen Heeres; Gefangene, Ueberläufer und friſche Nefruten wurden zu 
gleihen Teilen eingebradht und untergeftedt. Not kennt fein Gebot: Einwände 
ließ der König nicht gelten. Einem feiner Generale ſchreibt er: „Erinnern Sie 
fih, mein Lieber, daß man ohne Menfchen und ohne Geld nit Krieg führt.” 
Nur ausnahmsweiſe nahm der König von einigen ber kleineren Reichöftände wie 
den Grafen von Reuß ftatt Refruten eine Geldzahlung an. Die Zahl der Landes: 


') Oben S. 123. 129. Bgl. Bb. I, 518. 
2) Dal. Bb. I, 278. 


286 Siebented Bud. Dritter Abichnitt. 


finder bei den Negimentern betrug jest der Negel nah nur noch die Hälfte der 
Ausländer.) An Hinterpommern ftörten Einfälle der Rufen die Rekrutierung, 
in Oberjchlefien zeigte fih die fatholifche VBevölferung immer widerjpenftiger, 
während die Niederichlefier ihre Zuverläffigfeit wie überall jo auch bei ber 
Rekrutenftellung bewährten; wider das Erwarten des Königs vermochten auch 
die nicht fantonpflichtigen Gebirgsfreife eine ftattlihe Zahl aufzubringen. Und 
wahrhaft antifen Sinn zeigten jene treuen Bauernſchaften am preußiſchen Nieder: 
rhein und im Ravensbergifchen, die, als einzelne Gemeinbefinder fahnenflüchtig 
heimfehrten, diefe entarteten Söhne nit mehr im Dorfe duldeten. 

Für die Winterquartiere hatte der König fleißiges Ererzieren anbefoblen, 
„damit die Kerls auf das Frühjahr nicht fo Bauers find”. Daß feine Infanterie 
nicht mehr das war, was fie früher geweſen, mußte er fich zu feinem Leidweſen, 
troß des ihr bei Liegnig geipenbeten freudigen Lobes, immer von neuem jagen. 
Geringere Einbuße an innerem Wert hatte bei ihren viel leichteren Gefedhts- 
verluften die Reiterei erlitten, und befonders die Huſaren hatten fih im Laufe 
des langen Krieges nur vervollfommnet; fie remontierten fih regelmäßig und 
ohne jede Schwierigkeit mit Beutepferden, deren jedes der König dem Gewinner 
mit 30 Thalern bezahlte; jegt wurden ihre Regimenter auf 1500 Pferde gebradt. 
Die Freitruppen wurden um 8 Bataillone und 10 Schwahronen vermehrt. Sie 
hatten Sammelpläge in Oftfriesland, den Kern bildeten Schweizer, Dejerteure 
von dem Deere des Herzogs Ferdinand — denn auch zwijchen den verbündeten 
Barteien liefen die Nusreißer, um neues Handgeld zu verdienen, bin und ber!) — 
durften nur, ſoweit fie aus Holland famen, angenommen werden. Ein von einem 
ehemaligen ruſſiſchen Oberſt angeworbenes, ganz aus franzöfiichen Deferteuren ges 
bildetes Freibataillon meuterte alsbald und lief auseinander. Mit dem feit 
Maren in Gefangenschaft befindlichen General Wunsch fehlte der ftrenge und doch 
populäre Zuchtmeifter, der aus folhen zufammengelaufenen Taugenichtjen brauch: 
bare Soldaten zu formen veritanden hatte. 

Aber nicht bloß dieſe Kreitruppen liefen Mannszucht vermiſſen. Ueberall 
fah man den Soldaten Ausichreitungen nah, die man ehedem jcharf geahndet 
hätte. Da die ſächſiſchen Lande und zumal die Laufigen immer abwechſelnd 
bald von den Preußen, bald von den „Befreiern”, den Defterreihern und Ruſſen, 
bejeßt waren oder durchzogen wurden, jo begründete man alle Requifitionen, 
auch die härtejten, mit der einfahen und unbarmberzigen Logif, dag man den 
Nacfolgern, dem Feinde, nichts zu futtern, baden und ſchlachten übrig laſſen 
dürfe. Als im Oftober 1760 die Preußen durch die Niederlaufig marfchierten, 
beriefen ſich die Offiziere für diefes Wegſchleppen aller Vorräte auf den aus: 
drüdlichen Befehl des Königs, der foeben die Kunde von den Vermwüftungen ber 
Feinde in der Mark und bei Berlin erhalten hatte. Im Januar wurde dann, 
den Bejten im preußiihen Offizierscorps zum ſchweren Nergernis, durch eines 
der beuteluftigen Freibataillone Hubertusburg ausgeplündert, König Augufts 
Lieblingsfig, zur Vergeltung des im Schloffe von Charlottenburg geübten 
Bandalismus. Sonſt aber hatte der König bei Verlegung der Truppen in die 


) Bal. Bo. I, 539. 


Das Jahr 1761. 287 


Winterquartiere jtrengen Befehl gegeben, daß die eingeriljene Unordnung ab: 
geftellt, die willfürlide Verpflegung und Fouragierung in den von den preußiichen 
Truppen dauernd bejegten Teilen von Sachſen unnadhfichtlidh beitraft werden jollte. 

Je zweifelhafter der Wert der neuen Beftandteile des preußiichen Heeres 
war, um jo mehr bedauerte der König, daß die Auswechfelung der Kriegs: 
gefangenen zwijchen Preußen und Defterreich, wie fie früher vereinbart, feit Ende 
1759 ftodte, denn Daun hatte bei der Kaijerin geltend gemacht, daß der König 
von Preußen bei dem Kartell nur gewinne, weil feine Eoldaten, Offiziere unb 
Generale mehr wert ſeien als die öfterreichiichen. 

Die Ergänzung des DOffigiercorps begegnete, der Natur der Sahe nad, 
noch größeren Schwierigkeiten als die Rekrutierung der Truppen. Die Offiziere 
der Freiſcharen wurden überhaupt nur für die Dauer des Krieges angenomnten, 
und wohl jeder Chef hatte allzeit einige dunkle Ehrenmänner auf Vorrat, die, wie 
Friedrich fih ausdrüdte, würdige Kandidaten zum Yortjagen waren. „Seine 
Dffizierd haben wie die Naben geftohlen,” hat der König nad) dem Striege einem 
diejer Häuptlinge vorgehalten. Rühmliche Ausnahmen, wie jener L'Homme be 
Courbiere, der, als Freifcharenführer eingetreten, der preußiihen Armee nad) 
einem halben Jahrhundert einen ihrer ſchönſten Ehrenfränze gewonnen bat, be: 
ftärften nur die Regel. Die alten Feldregimenter hielten fih von anrüchigem 
Nachwuchs im ganzen rein; hier traten Offiziere von den Garnijonregimentern 
in die Lüden ein, au wohl Studenten, zumal aber blutjunge, faum aus den 
Kinderihuhen getretene Kadetten und jonftige Junfer: ein Archenholg hatte noch 
nicht das vierzehnte Fahr erreicht, als er im Dezember 1758 mit 39 Kameraden 
aus dem SKadettenhaus nad Breslau in das Hauptquartier fam und von dem 
Könige ſelber dem ſtolzen Regiment Forcade zugeteilt wurde. „Er ift noch jehr 
jung, find Seine Ohren ſchon troden,” fragte der König im Lager von Meiken 
einen jeiner jüngiten Junker und erhielt, wie er mohlgefällig wiedererzählte, 
die jchlagfertige Antwort: „Ih bin jung, Majeftät, aber mein Mut ift alt.” 
Eben in diefen Lager erblidte der König unter den Fenſtern feines Quartiers 
Offiziere bei fnabenhaftem Spiele. „Mit diefem Zeug muß ich mich behelfen,” 
tief er und citierte die Verſe aus der Athalie: 


Voilä done quels vengeurs s’arment pour ta querelle: 
Un vieillard, des enfants, ö sagesse eternelle! 


Seinen Generalen warf er vor, daß bei dem bloßen Worte „Detachement“ 
jeder zittere — die Nahmirfung des Trauerjpiels von Maren. Wiederum, 
wenn nun ein General gegen den Feind ausgelandt war, jo wurde nad) des 
Königs Beobadhtung viel zu oft eine „unzeitige Fermets“ gezeigt, um „das 
Terrain zu foutenieren”, wo es vielmehr gegolten hätte, einer Uebermacht mit 
Vorfiht und Geſchick auszumeihen. Diejes „ContenancesHalten” war für junge 
und alte Offiziere das A und das D ihres ungefchriebenen Ehren-Koder. „Meine 
Herren, nehmen Sie eine Priſe Contenance,” jagte bei Hochkirch der Lieutenant 
v. Hergberg, die Tabaksdoje in der Hand, zu den Kameraden vom Negiment 
Wedell, da fuhr ihm eine Musfetenfugel in die Stirn. Und in einem Vor: 
poitengefeht in Schlefien hielt General Saldern auf feinem Schimmel zur all: 


288 Siebented Bud. Dritter Abjchnitt. 


gemeinen Bewunderung unbemweglih, obgleich die Kroaten ihre Kanone auf ihn 
richteten; exit als der zehnte Schuß ihm die Piftole am Sattel jtreifte, ver: 
änderte diejes Mufterbild der Contenance den Standort. — 

Der Zeitpunkt für den Marih nah Schlefien rüdte jett näher. „Ich 
habe die jchwierige Aufgabe, die ich erfüllen fol, ohne Unterlaß vor Augen,” 
Schreibt Friedrih an d’Argens; „ich habe nichts als einen großen fonds von 
gutem Willen und eine unzerftörbare Ergebenheit für den Staat, das find alle 
meine Waffen. Kurz, ich ftürze mich mit geichlofjenen Augen in ein von allen 
Winden gepeitichtes Meer, und weiß nicht, wo ich ans Land treiben werde.” 

Zum Schutze von Sachſen gegen das Heer Dauns und die Neichsarmee 
fonnten nur etwa 30000 Mann zurüdbleiben, zu mehr als einem Drittel Frei— 
truppen. Zur Führung fand fich endlich wieder Prinz Heinrich bereit. Er hatte 
den ganzen Winter in Glogau geweilt, mißvergnügter denn je, unzufrieden auch 
mit feinem förperlihen Zuftand, der ihm doch wieder einen nicht unmwilllommenen 
Vorwand gab, fich fortgefegt beifeite zu halten. Schon im Herbit, als ber 
König Schlefien verließ, hatte er den Bruder dringend und mit den jchmeichel: 
bafteften Worten erjucht, dort den Oberbefehl zu übernehmen: er habe ſonſt 
niemanden, dem er das zweite Heer anvertrauen könne. Der Prinz war damals 
allen Vorſtellungen unzugänglich geblieben. Der Briefwechſel wurde, wenn auch 
nicht jehr rege, in ſcheinbar unbefangener Weife fortgejegt, aber es war offenes 
Geheimnis, daf die Brüder miteinander zerfallen waren, und weder in ber Um: 
gebung des Prinzen noch im föniglichen Hauptquartier fehlte es an Leuten, Die 
Del ins Feuer goffen. „Die Menſchen find ſeltſam,“ jo beobachtete Catt, „es 
bereitet ihnen ein Vergnügen, den König berabzufegen, um den Prinzen in die 
Höhe zu heben, und umgekehrt.” Eichel glaubte in einem vertraulihen Briefe 
an Findenftein von Leuten reden zu dürfen, die des Königs Sade jchon lange 
als verloren angefehen hätten und jegt ſich geichmeichelt fühlten, daß ihre Vor: 
ausfagung recht behielte. Daß der engliſche Gejandte ganze Moden in Glogau 
weilte, dünfte dem Kabinettsrat jehr verdächtig, während jener ſich doch redliche 
Mühe gab, den Prinzen verföhnlicher zu ftimmen: Mitchell erlaubte fich mit 
Freimut, ihm eine Begegnung mit dem Könige als „unbedingt erforderlich für 
das Mohl des Staates” zu empfehlen, damit den in Berlin und anderwärts 
umlaufenden „schädlichen und böswilligen Gerüchten” der Boden entzogen werde. 
Der Prinz antwortete ausweihend — ed war furz vor Weihnachten —, es jei 
ohne Zweifel feine Pflicht, fich für das Vaterland zu opfern, aber man müſſe 
doch, wo nicht die Gewißheit, jo doch wenigftens die Wahricheinlichkeit dafür 
haben, daß das Opfer nicht nuglos jei. Dann bat er den König, für einige 
Zeit nad) Spandau geben zu dürfen. Friedrich wollte davon nichts willen, weil 
biefer Aufenthalt wie eine Verbannung ausjehen könne; Heinrich antwortete, 
über jo graufamen Verdacht werde der König bei jedermann erhaben jein; ihm 
jei es nur darum zu thun, irgendwo in Zurüdgezogenheit und Zwangloſigkeit 
fih zu vergewillern, ob fein Gefundheitszuftand ihm erlauben werde, dem Könige 
feine Dienfte wieder zur Verfügung zu ftellen. 

Damit hatte er nah langem Schmollen ſacht mwiebereingelenft; einige 
Moden jpäter, am 15. März, bat er, für den Fal feiner Wiederverwendung 


Das Jahr 1761. 289 


ihn rechtzeitig zu benachrichtigen. Der König nahm freudig das Anerbieten an 
und ſchrieb zurück, förperlihe Bewegung würde die bejte Arznei für ihn fein: 
„Wie wir bisher gut ftandgehalten haben, fo gilt es jegt, das Werf zu Erönen 
und biejes Stüdchen Feldzug noch den fünf hinter uns liegenden hinzuzufügen; 
ih hoffe alfo, daß Sie als guter Patriot an Ihrem Teil Ihre Kräfte einjegen 
werden für die Herbeiführung des Friedens.” Klang das dem Prinzen wieder 
zu fanguiniih, zu übermütig? Bon neuem begann er über feine Gejundheit 
zu Hagen und alles zweifelhaft zu lafjen. Aber er fam doch. Am 21. April, 
wenige Tage nad) feiner Ankunft in Meißen, empfing er jeine Inſtruktion. 

Sie wies ihm eine rein defenfive Aufgabe zu: die Dinge in Sadjen auf 
ihrem gegenwärtigen Fuß zu erhalten. Für den Fall, daß Daun nad Schleſien 
ging, jollte der Prinz mit der größeren Hälfte jeines Corps ihm folgen und dann 
die Dedung wieder dem alten Hülfen überlaflen, dejien nachlaſſendem Gedächtnis 
der Generalmajor von Linden als Berater zu Hülfe fommen jollte. 

Gleichzeitig traf der König die Anordnungen für den Schuß von Hinter: 
pommern gegen die Rufen. Zu dem im Winter dort verbliebenen kleinen Corps 
des Hujarengenerals Werner ftieß jegt aus Medlenburg der Prinz von Württem: 
berg; beide Abteilungen beliefen fih zujammen auf 12—13000 Mann. Ein 
verihanztes Lager bei Kolberg gab ihnen einen Stüßpunft. In Vorpommern 
blieb gegen die Schweden nur Oberft Belling mit feinem Hufarenregiment und 
zwei Freibataillonen zurüd. 

In Shlefien erwartete den König General Golg mit feinem Corps in 
einer Stellung bei Schweidnig, und da Laudon bereits aus den Bergen vor: 
drängte, jo war, bis der Zuzug aus Sadjen zur Stelle war, feine Aufgabe 
nicht leiht. Der König empfahl ihm, fich inzwiſchen auf feine „General: und 
Decifivaffaire” einzulaffen und im übrigen „feine fünf Sinne zufammenzu: 
halten”. 

Am 4. Mai von der Elbe aufgebroden, volljog der König nad völlig 
ungehindertem Marſch feine Vereinigung mit Golg am 13. zwiſchen Striegau 
und Hohenfriebberg. Er verfügte jetzt hier in Schlefien über nicht ganz 60 000 
Mann, 66 Bataillone und 108 Schwabronen, die beften und verhältnismäßig 
vollitändigiten Negimenter des Heeres, wie Prinz Heinrich nicht ohne Neid be: 
merkte. Während Laudon im Gebirge blieb, ftand Frievrih 7 Wochen hindurch, 
vom 16. Mai bis 6. Juli, im Lager von Kunzendorf, weitlih von Schweibniß, 
in einer Stellung, die ihm für alle Fälle größere Freiheit der Bewegung gab, 
als die an fich ftärferen Poſten von Friedland ober Landshut; er fonnte bier 
feine Detachements, wenn es galt, binnen drei Stunden an fi ziehen. 

Die militäriſche Gefamtlage, das konnte er fid nicht verhehlen, war jo: 
wohl für die Preußen wie für das Heer Ferdinands ſchlechterdings ungünftiger 
als im Vorjahre, „wo wir ſchon genug Mühe hatten, uns zu behaupten”. Er 
ſprach von der Unmöglichkeit, einen „geometrifch eraften” Feldzugsplan zu ent: 
werfen: „unfere Schwäche und die Unzulänglichfeit unferer Mittel entpuppt ſich 
überall.” Von den Defterreihern nahm er an, daß fie in der Vorausfiht, Frank: 
reih& Bundesgenoflenichaft zu verlieren, in diefem Feldzuge alles an alles jegen 


würden: mit einem großen Siege konnten fie Preußen zermalmen, während dur 
Rofer, König Frievrih ver Große. II. 2. Aufl 19 


2090 Siebented Bud. Dritter Abichnitt. 


eine große Niederlage ihre eigene Sache politiſch nicht verſchlimmert werden würde. 
Seinem Bruder, mit dem er fort und fort die Ausfihten und Möglichkeiten der 
Kriegsführung erörterte, gelobte Friedrich äußerfte Vorfiht. Die Ueberzahl des 
Feindes und die ſchlechte Beichaffenheit der eigenen Truppen war ein doppelter 
Grund gegen eine Schlacht. Angriffe auf „Poſten“, befeftigte Stellungen, jollten, 
fomweit e8 irgend ging, vermieden werben: dieſer ſchon vor zwei Jahren auf: 
geftellte Grundſatz erhielt durch die inzwiſchen bei Kunersborf und Torgau ge: 
machten Erfahrungen verftärfte Gültigkeit. Den Friedensverhandlungen durch 
eine gewonnene Schlaht Nahdrud geben zu können, wie es ihm 1742 und 1745 
geglüdt war, traute Friedrich bei jeiner jegigen Schwäche ſich nicht mehr zu; 
im Gegenteil, er jprad) es aus, daß am Vorabend des Kongreſſes ein weiterer 
Grund vorliege, einen Zufammenftoß zu vermeiden, wegen der Möglichkeit einer 
Niederlage. So ganz hatten ihn die veränderten Umitände auf eine Ermat: 
tungöftrategie geführt, die ihm ehedem bei der Natur jeines Staates als unan- 
wendbar erſchienen war und in der er noch im vorigen Jahre ein Verdorren 
an lebendigem Leibe hatte jehen wollen.) Dod bielt er es für unwahrſchein— 
(ih, daß die Schlachtentſcheidung ganz zu „vermeiden“ fein würde; zwei 
Schlachten glaubte er vorausfagen zu Sollen. Und als der Zeitpunkt näher 
rüdte, zu dem auch die Rufen in Schlefien zu erwarten waren, fam er troß 
aller Warnungen des Bruders doch wieder auf feinen alten Sat zurüd, daß 
e& gelte, den einen Feind, den nächſten und läftigiten, „mit bem ganzen 
Klumpen” anzufallen und fih dann gegen den andern zu wenden. Prinz 
Heinrich machte geltend, die Vorteile eines Sieges ftünden nicht im Verhältnis 
zu den Nadteilen einer Niederlage. Der König antwortete etwas gereizt: „Jh 
fenne nicht die Kunft, viele Feinde fih vom Halſe zu ſchaffen, ohne ſich von 
dem einen mit Gewalt loszumadhen, und die, welde es zu irgend einer Ent— 
ſcheidung nicht kommen laſſen wollen, haben dasjelbe Gejhid, wie der Herzog 
von Gumberland oder der Herzog von Bevern.?) Ich kenne alle Fährlichkeiten 
der Schladten; trogdem können Sie ficher darauf rechnen, daß ich dem Feinde 
nie erlauben werde, mich nad) Gefallen einzuwideln, jondern daß ich ihn viel: 
mehr überall auffuchen werde, wo ich ihn finden werde.“ 

Einitweilen hatte er gegen die Ruſſen wieder den trefflihen Golg auf die 
Wacht geftellt, als den für ein jelbitändiges Kommando am meilten geeigneten 
General bei dem in Schlelien vereinigten Heere. Goltz jtand bis zur legten 
Woche des Juni bei Glogau mit 11000 Mann; dann verftärkte ihn der König 
auf 16—17000 und übertrug ihm dieſelbe Aufgabe, die Jahr für Jahr für 
biefen Teil des Kriegsichauplages geitellt worden war.“) Prinz Heinrich jagte 
nad) jeinen eigenen Erfahrungen im Vorjahre es voraus, Golg werde weder 
das Magazin in Pojen nehmen noch das rufiiihe Heer auf dem Marjche an: 
greifen können; er riet, daß Goltz in unnahbaren Stellungen fi den Ruffen 
vorlegen, durch geſchickte Manöver fie aufhalten fole; zum Schlagen werde es 





') Oben ©. 255. Bol. Bd. I, 552. 558. 
?, Chen ©. 119. 138. 
’) Dben ©. 176. 177. 216. 254. 260. 


Das Jahr 1761. 291 


gegen Ende des Feldzuges noch Zeit fein, wo der Feind einen etwaigen Sieg 
nit mehr voll ausnügen fünne. Auch hier ließ fich Friedrich nicht überzeugen. 
„Es iſt gewiß,” antwortete er am 27. Yuni, „daß in jedem Striege, der mit 
gleihen Kräften geführt wird, Ihr Syftem, als das ficherfte, vor dem meinen 
den Borzug verdient, aber der Fall, in welchem wir uns befinden, liegt 
anders. Wir haben nur zwei Heere, und haben vier gegen uns. Alſo, da 
dem jo ift, müfjen wir uns höchſt notwendig des einen entledigen, um gegen 
die anderen anlaufen zu fönnen, und vor allem die Zeit abmejjen, damit 
jedes unjerer Heere zeitweije doppelt erjcheinen fünne, ein jedes für feine Aktion 
gegen zwei,” 

Der Verlauf der Unternehmung gab dem Prinzen recht. PVielleiht, daß 
fie geglüdt wäre, wenn nicht im Augenblide des Aufbruchs den General Goltz 
ein plögliher Tod binweggerafft hätte. Der König erfegte ihn durch Zieten; 
Verzug aber war unter diejen Umftänden unvermeidlich; wie ftets bisher konnten 
die ruffiihen Marjchkolonnen ihre Vereinigung ungeftört vollziehen. Einer ihrer 
Generale, Graf Tottleben, hatte dem Könige Spionendienfte in Ausficht geſtellt; 
aber ehe er in die Lage kam, fich nütlich zu maden, war er jchon als verdächtig 
vom Heere entfernt. 

Die weitere Nihtung ihres Marjches blieb ungewiß. Der König verlegte 
am 6. Juli fein Lager auf die andere Seite von Schweibnit, nach Pilzen, um 
an der großen Heeritraße nad Frankenftein jebe erforderliche Bewegung um fo 
leichter ausführen zu fönnen. Er blieb entjchloflen, jich der Bereinigung der 
Defterreiher und Ruffen durch eine Schlaht zu widerjegen, und zwar durd 
eine Schlaht gegen Laudon, nur gegen Laudon: wolle der darauf warten, daf 
man die Rufen angreifen werde, jo jolle er lange warten. Friedrich rechnete 
fo: nad einer Niederlage der Defterreiher würden die Ruſſen ohne weiteres ab: 
ziehen, nad einer Niederlage der Rufen dagegen würden jene ihren Feldzug 
gleihwohl fortiegen. Das die feiner Anficht nach „triftigen Gründe”, die ihn 
fih „darauf jteifen” ließen, nur mit Laudon zu jchlagen. 

Noch immer ftand Laudon in feinem Lager bei Braunau unbemweglid. 
„Unſere Soldaten werden fett bei der Faulenzerei,” fagte der König — es fam 
faft, wie er es vorausgejagt, daß der Feldzug nicht vor dem Auguft beginnen 
werde. Endlih am 19. Juli feste fih Laudon mit ungefähr 60000 Mann in 
Mari, um durch Oberſchleſien den Rufen entgegenzuziehen. 

Sofort marjcierten auch die Preußen. „Wir haben 83 Tage vor uns,” 
ſchreibt Friedrich am 27. Juli, „die ſchwierig und peinlich fein werden; ich 
zähle fie an den Fingern ab, ich hwite und plage mich.” In drei Märjchen 
hatte Laudon die Oder und die Ruſſen erreichen wollen. Aber als die Preußen 
fih ihm in den Weg ftellten, wagte er doch nicht fie anzugreifen, fondern ging 
ihnell in die Berge zurüd. So Heinmütigen Entſchluß hatte Friedrich nicht 
erwartet, er meinte jest, daß diejer Feldzug nicht jehr blutig werden würde, 
daß die gefährlichſten Streihe ſchon pariert feien; er nannte Laudon einen jehr 
ſchlechten General, der fein Heer wie einen Haufen PBanduren geführt habe, 
Aber auch Laudons Gegner im eigenen Lager zudten die Achſel: „Wenn ich 
der Auserwählte des Minifters gemwejen wäre,” jchrieb Lacy Ipöttiih an Daun, 


292 Siebentes Bud. Dritter Abjchnitt. 


„jo würde ich beflifien gemwejen fein, meine beicheidenen Bedenken vorher geltend 
zu machen; hätte ich aber einmal Hand ans Werk gelegt, jo würde ih aud 
nur noch darauf gedacht haben, die Bahn bis ans Ziel zu durchmeſſen und die 
Hindernifjfe zu nehmen.“ 

Laudon [ud nun die Ruffen nad Niederfchlefien ein, und dort glüdte ihm, 
was in Oberſchleſien fo kläglich mißlungen war. Buturlin ging bei Klofter 
Leubus über die Oder, Laudon rüdte längs der Berge bis Striegau und Jauer 
vor, Friedrich folgte ihm von Strehlen durch einen Parallelmarih über Kanth 
und zog unterwegs das Zietenſche Corps an fih. Noch ftanden die Preußen 
zwifchen den Heeren der Verbündeten; ein Detachement unter der perjönlichen 
Führung des Königs machte Front gegen die Ruſſen, die man nad langem Um: 
hertaften endlich in einer feiten Stellung ſüdlich von der Katzbach bei Koiſchwitz 
entdedte; mit dem Hauptheer beobachtete Markgraf Karl die Defterreicher. Der 
König hoffte, dab dieſe Fi zum Angriff veranlaßt jehen würden; die Ruflen 
anzugreifen beabjichtigte er nicht, dem einmal aufgeitellten Grundjage gemäß, 
und nahm auch nicht an, daß fie ihrerjeits angreifen ober auch nur die Ver: 
bindung mit Laudon ſuchen würden; er beurteilte fie nad ihrem Verhalten im 
vorigen Sommer. Aber dur einen nächtlichen Mari in der Richtung auf 
Liegnig hatte ih Buturlin am Morgen des 19. Auguft den Defterreichern 
jo weit genähert, daß die jo mandes Fahr vergeblich erftrebte Bereinigung der 
verbündeten Heere nunmehr wirklich als erreicht gelten konnte, 

Sein Hauptaugenmerk richtete der König von Preußen in biejer Krifis 
darauf, die Verbindung mit Schweidnig und feinem großen Magazin aufrecht 
zu erhalten. Die Stellung bei Kunzendorf zwiſchen Schweidnig und Freiburg, 
welde die Gebirgsitraßen beherrihte und ſomit die Zufuhrlinie des Feindes 
durhichnitt, erreichte diejer einen Tag vor dem preußiichen Heere; Friedrich 
wählte jegt wieder!) das Lager von Bunzelwis. Mit Beftimmtheit mußte er 
darauf rechnen, hier angegriffen zu werden; denn würden fich feine Gegner nur 
vereinigt haben, um unverrichteter Sache alsbald wieder voneinander zu ſcheiden? 
Durch Schanzarbeit wurde das an fich ſtarke Lager ſchnell in eine Art Feftung, 
mit dem Würbenberg als Zitadelle, verwandelt. Mit der größten Zuverſichtlich— 
feit jah der König ber weiteren Entwidelung entgegen; es fchien ihm „fait io 
fiher wie ein mathematiicher Beweis”, daß die Gegner platt zu Boden ge: 
Ihlagen werden mußten, daß fie bei ihrem Angriff 30000 Mann Infanterie 
würden einbüßen fünnen. Und dann war die Vereinigung der beiden Heere 
fogar ein günftiges Ereignis gemeien. 

Des Königs Zelt war im Nohlandsholze zwiichen Zeblig und Neudorf auf: 
geihlagen, da wo heute die Eifenbahnlinien von Freiburg nah Breslau und 
von Schweidnit nach Jauer jich ſchneiden. Jeden Abend aber begab fich Friedrich 
in die große Schanze auf dem Pfaffenberg bei Jauernid und begnügte fih für 
die Nachtruhe mit einem Strohlager unter freiem Himmel, wie er es dem 
Marquis d'Argens in einer poetiichen Beichreibung des Bunzelwitzer Lagers 
ſchilderte: 





ij Bgl. oben S. 267. 


Das Jahr 1761. 293 


Ein Berg, von Schanzen rings umfaßt, 
Ward unfer prunfender Palaſt, 

Mo unter hohem Himmelszelt 

Ein Bündel Stroh vom nahen Feld 
Auf nadtem Boden auägeitreut 

Gar fanftes Bett dem Leibe beut. 


Die Truppen traten, jobald es dunfel wurde, in Schladhtorbnung unter das 
Gewehr; bei Tage fehrten fie zu ihren Zelten zurüd. 

Die Preußen zählten etwa 55000 Mann, Rufen und Defterreidher ver: 
fügten zufammen mindeitens über die doppelte Stärfe. Sie ftanden im weiten 
Bogen von Kammerau, eine halbe Meile weftlich von Schweidnig, über Striegau 
bis Edersdorf und Kallendorf, eine Meile nörblih von der Feſtung. Den 
DOberbefehl über beide Heere hatte Buturlin übernommen; fein perjönliches Ver: 
hältnis zu Laudon fcheint ſich bald jehr unfreundlich geftaltet zu haben. Dem 
eigenen Hofe gegenüber hat nachher jeder der beiden Feldherren die Schuld an 
dem unrühmlichen Ausgang der gemeinfamen Unternehmung auf den Waffen: 
genofien geihoben. Sicher ift, daß Laudon für die Frühftunden des 3. Sep: 
tember die Dispofition zum Ueberfall ausgegeben hatte; aber um Mitternacht 
wurden bie ſchon ausmarſchierten Truppen wieder zurüdgezogen, angeblich weil 
Buturlin im legten Augenblick die zugeficherte Unterftügung verlagt hatte, Nach 
der ruſſiſchen Lesart hat dagegen Laudon ſchon am 2. September in Buturlins 
Hauptquartier ſowohl die großen Schwierigkeiten des Angriffs, wie die Unmög— 
lichkeit, für beide Heere Fourage zu ſchaffen, geltend gemadt und deshalb bie 
Trennung vorgejchlagen. 

Am 9, September riefen die öfterreihiichen Vorpoften den preußijchen zu, 
dab die Ruſſen abmarjchieren würden. Der Aufbruch nad Jauer erfolgte ſchon 
in der näditen Nacht; das Corps unter Tihernyichew, welches zurüdgelafien 
wurde, belief fih auf 12000 Mann. Um Buturlin nicht unbeobadhtet zu lafjen, 
entjandte der König den General Platen mit 14 Bataillonen und 26 Schwa— 
dronen auf dem fürzeften Wege an die Oder. Die Preußen erftürmten auf dem 
heiligen Berge hinter dem Philippinerflojter bei Goftyn mit gefältem Bajonett 
die große rujfiihe Wagenburg, zerftörten die Magazine in Kaliſch, Schrimm, Pofen 
und erreihten am 22. September, nachdem fie in zehn Tagen 50 Meilen zurüd: 
gelegt hatten, Landsberg an der Warthe. Buturlin, durch diefen Streifzug des 
Feindes in feinem Nüden beunruhigt, entjagte jest troß der ihm aus Petersburg 
zugehenden Weifungen allen Anſchlägen auf Glogau oder auf Berlin und 
marjchierte in Eilmärſchen nad Hinterpommern. 

Bis jegt war alles gekommen, wie es Yacy in feiner Eiferfucht auf Laudon 
Ihadenfrob vorausgeiagt hatte: „Es jcheint nach dem Gange der Dinge in 
Schleſien wirklich, daß Europa feine Veranlaffung haben wird, über den Glanz 
und die Wichtigkeit der Ereignifie auf diefem Schauplat zu ftaunen.” Ebenſo 
wenig aber hatte in Sachſen Lacys großer Daun geleiltet. Der König wollte 
Ende September den Feldzug bereits als abgeſchloſſen betradhten: es handle 
fh nur noch um ein paar weder jchwierige noch gewagte Märſche. Sie 
follten das Heer, weil bie Vorräte in Schweibnig nahezu erichöpft waren, 


204 Siebentes Bud. Dritter Abſchnitt. 


dem Magazin von Neiße nähern und zugleich den Feind für Glak und Mähren 
beforgt machen und jo aus dem Gebirge berausloden. Aber faum hatte ber 
König Schweidnig den Rüden gekehrt, jo erftürmte Laudon in der Nacht auf 
ben 1. Dftober die Feſtung Schweidnig durch einen gleichzeitigen Ueberfall ſämt— 
liher Außenforts und ſchloß durch diefen glänzenden Erfolg feinen Neidern und 
Anklägern den Mund. 

Durd den völlig unerwarteten Verluft diejes Schlüffels von Niederfchlefien 
auf das jchwerfte getroffen, hatte der König zunächit feinen anderen Gedanken, 
als die Feſtung noch diefen Herbft „conte que coüte* wiederzunehmen; nur bie 
Nüdkehr Platens wollte er abwarten, um alsdann jofort die Belagerung zu 
beginnen. Derweil aber gewannen die Ruffen gegen Platen und den Prinzen 
von Württemberg ein entichiedenes Uebergewicht. Zwar entrann der Prinz, bei 
Kolberg eingeihlofien, dank dem rechtzeitigen Anmarſche Platens dem Schidjal 
der Aushungerung; aber nur das Truppencorps, nicht aud die Feitung wurde 
gerettet; nachdem die preußifchen Generale vor der ruffiichen Uebermadt an die 
Der zurüdgegangen waren, mußte ſich Kolberg, von Mundvorrat und Schieß— 
bedarf völlig entblößt, am 16. Dezember den Rufen ergeben. 

Mit dem Fall von Schweidnik und Kolberg war der bisher jo zähe be: 
bauptete militärische Befigitand Preußens gegen die VBorjahre ganz erheblich 
eingefhränft. Zum eritenmal konnten die Defterreiher in Schlefien, die Ruflen 
in Bommern ihre Winterquartiere nehmen. 

Glüdliher als König Friedrih hatte Herzog Ferdinand ſich behauptet. 
„Sie haben,” jchrieb ihm jener zum Schluſſe des Feldzuges, „alle Ihre Ber: 
(ufte wieder gutgemacht, ich bin leider weit davon entfernt, dasjelbe jagen zu 
fönnen.” Wiederholt von den übermächtigen Gegnern arg in die Enge getrieben, 
hatte Ferdinand fie immer wieder die Ueberlegenheit jeiner Kriegsfunft fühlen 
laſſen. Die Vereinigung von Broglie und Soubiſe an der oberen Lippe hatte 
er in einem Anfall von Unentſchloſſenheit geſchehen laſſen, und fie jchien ihm 
verderblich werden zu müſſen, aber in der Schlacht bei Vellinghaufen ſchlug er 
am 15. und 16. Juli ihre Angriffe fiegreih ab. Als fi die Marſchälle dann 
wieder trennten, vermochte er nicht bloß die Refidenzen Hannover und Braun: 
ſchweig gegen die Anſchläge Broglies zu deden, jondern ſchließlich fogar zur 
Dffenfive überzugehen und Broglie nach Heilen zurüdzubrängen. Und da aud 
in Weitfalen ihre Verjuhe auf Münfter und Hamm dur den Erbprinzen von 
Braunfchweig vereitelt worden waren, jo mußten ſich die Franzoſen mit den 
Winterquartieren des vorigen Jahres begnügen: „fie find felber ihre ärgften 
Feinde“, ſagte man in Wien angefichts ihrer „erbärmlichen“ Kriegsführung. 
Sn Oftindien war ihnen mit Pondichery nunmehr alles verloren gegangen, in 
Weftindien Dominifa und an ihrer heimifchen Hüfte das Felfeneiland Belle-Jole. 


Trotz aller militärifjhen Mißerfolge war es in dieſem Zeitpunkt ber 
franzöfifche Hof, der innerhalb des großen Kriegsbundes die ftärkfite Kampfesluft 
zeigte. Die Verhandlungen mit England wurden im Dftober 1761 abgebrochen, 


Das Jahr 1761. 295 


und Choifeul erflärte dem öfterreihiichen Botſchafter: „Da ich den Frieden nicht 
zu ftande bringen fonnte, will ich den Krieg führen;” er hatte Schon zu Beginn 
des Jahres nad dem Tode bes alten Marihalls Belle-Isle das Kriegsminiſterium 
übernommen und wurde jetzt auch Marineminijter, während ihn im auswärtigen 
Amt fein Vetter, der bisherige Botjchafter in Wien, Graf Choiſeul-Praslin, 
ablöfte. Was den Franzofen den Mut noch einmal bob, war die Hoffnung auf 
die Hülfe Spaniens. In dem Familienvertrag vom 15. Auguft 1761 fettete 
fih König Karl III. ganz an die Sache der bourbonifchen Hauptlinie und ge: 
lobte, falls Franfreih und England nicht Frieden fhlöffen, bis zum 1. Mai 1762 
die Waffen zu erheben. Nach einem Grund zur Kriegserflärung braudte man nicht 
lange zu ſuchen; er lag vor in den engliichen Kapereien, unter denen auch der 
ſpaniſche Handel ſchwer zu leiden hatte, und in anderen Uebergriffen der jeßt 
alle Deere beberrichenden Seemacht. Anfänglih nur jehr beſcheiden vorgebradt, 
eine Zeit lang ganz eingeftellt, wurden jet die ſpaniſchen Beſchwerden um jo 
ftolzer und herausfordernder erhoben; von dem Marcheje Grimaldi jchlecht be— 
raten, batte König Karl fich die Voritellung angeeignet, daß die Finanzen des 
Gegners erichöpft feien und daß Englands Klientelftaat und Stapelftätte 
Portugal eine bequeme Beute für die bourbonifchen Heere fein werde. Noch 
ehe das alte Jahr zu Ende ging, fam es bei diejfer Haltung Spaniens zum 
offenen Bruch. 

So ganz hatte das Blatt fich gewandt, daß man in Wien diefe plößlichen 
kriegeriſchen Regungen der bourbonifhen Politik nur unter Vorbehalt gutbieß. 
Ohne Frage, Defterreich verlangte in diefem Augenblide fehnliher nad Frieden, 
als Franfreid. Daß Choifeul nah Abbruh der Sonderverhandlungen mit 
England aud von dem allgemeinen Friedenskfongreß nichts weiter hören wollte, 
bedauerte Kaunitz lebhaft. „Die innerlihen Kräfte,” geſtand er dem Botſchafter 
in Verjailles in einem vertraulihen Erlafle vom 31. Dftober 1761, „wollen 
nit mehr zureihen, die ungeheuer großen Kriegserfordernifje länger zu be: 
ftreiten; die bisherigen militärifchen Operationen find mit der wahrſcheinlichen 
Hoffnung nicht übereingefommen.” Die Waffenbülfe Rußlands fchlug er bei 
den, wie ihm ſchien, unheilbaren Gebredhen der ruffiihen Heereseinrichtungen 
jehr gering an, und wenn bie franfe Zarin von heute auf morgen ftarb, kam 
aller Vorausfiht nah auch diejes geringe Maß an Beiftand in Wegfall, wogegen 
eine Kriegserflärung der Pforte nicht ausgefhloffen war. Die Steuerfraft der 
Erblande — nur die Gebiete der Stefanstrone waren ausgenommen — war durch 
außerordentliche Kriegsauflagen jegliher Art, Vermögens, Einkommen-, Kopf:, 
Erbſchafts- und Lurusfteuern allmählich erihöpft; auch der öffentliche Kredit 
verjagte, nachdem bei einer Jahreseinnahme von 24 Millionen Gulden die Staats: 
ſchuld ſeit 1756 von 49 Millionen auf 136 gejtiegen war. So ratlos war die 
Finanzverwaltung den Bedürfniffen des Heeres gegenüber, daß fie jet mitten 
im Kriege eine Verringerung der Truppenteile beantragte und troß des lebhaften 
Einſpruchs der Generale, des Kaijers, des jungen Kronprinzen Joſeph, bei der 
Kaiſerin-Königin durchſetzte: bei jedem Regiment wurden nun zwei Compagnien 
in der Weije aufgelöft, daß die Mannſchaften zum Erjag für den jonftigen Ab: 
gang bes Heeres verwendet wurden. 


2096 Siebentes Bud. Dritter Abfchnitt. 


Lacy warnte: man habe mit einem Feinde zu thun, dem man nie genug 
Truppen gegenüberftellen könne. Das ließ fih füglich nicht beitreiten; indes 
hatte das „Mirakel von Schweidnitz“ das Selbftvertrauen des Wiener Hofes 
geftärft, die Zuverfichtlichften dachten jogar wieder an die Eroberung des ganzen 
Sclefiens, während Kaunig, minder hoffnungsvoll, ven Hauptwert auf den baldigen 
Schluß des Krieges legte und deshalb geneigt war, mit einem „wo nicht ganz 
glücdlichen, fo doch erträglichen” Frieden vorliebzunehmen. Mehr als von der 
eigenen Kraft verjprah man fi von der Erihöpfung des Gegners; in Wien 
wie in Berjailles war jet die Meinung vorherrſchend, daß es der Offenfive, 
zu der offenbar die öfterreihiichen Feldherren nicht geſchickt waren, nicht 
mehr bedürfe, daß man den König von Preußen bei dem allmählichen Ber: 
fiegen feiner Hülfsmittel an Mannichaft und Geld auch in der Defenfive matt: 
ſetzen könne. 

Eben diefen Auszehrungstod fürchtete Friedrih am allermeiften. 

Seine Feldtruppen waren auf 60000 Dann, den halben Beitand, zufammen 
gefhmolzen. Die erdrüdende Enge der diesmaligen Winterquartiere, zwijchen den 
Defterreihern in und bei Schweibnig und den Rufen von Poſen bis Kolberg, 
gab ihm einen Vorihmad des Lojes, das man ihm bereiten wollte. „Jedes 
Bündel Stroh, jeder Schub Nekruten, jede Sendung Geld, alles was an mid 
gelangt, ift oder wird eine Gunft meiner Feinde oder ein Beweis für ihre Nach: 
läſſigkeit, da fie eigentlich alles wegnehmen fünnen. In Sachſen ſind bie Deiter: 
reicher Meifter der Berge, Thüringen beherrichen die Kreistruppen, die Franzoſen 
find bis Mühlhauſen vorgerüdt. Alles das ſchnürt uns jo ein und gibt unjern 
Feinden jo große Vorteile, daß ich, wenn fie auch nur mit halber Kraft handeln, 
nicht abjehe, wie wir unfern Untergang noch hinausſchieben fönnen. Hier in 
Schleſien find alle Feitungen den Unternehmungen des Feindes ausgefegt, Stettin, 
Küftrin und felbit Berlin find dem Belieben der Ruſſen preisgegeben, in Sadien 
it mein Bruder fozulagen bei der eriten Bewegung Dauns über die Elbe 
zurüdgemworfen. Alles das ift jehr reell, es find nicht etwa Vorausſagungen 
eines hypochondriſchen und milanthropiichen Sinnes, fondern unglüdlicherweije 
notwendige Wirkungen der von unfern Feinden wohl vorbereiteten Urjachen.“ 

So Friedrichs trübjelige Rundſchau und Ausihau am 10. Dezember 1761, 
unmittelbar nad) feiner Ankunft in dem dur die Beſchießung von 1760 ver: 
wüſteten Stadtihloß zu Breslau, nachdem er fur; zuvor im Sauptquartier 
Woiſelwitz bei Strehlen, nicht weit von den Stätten, wo man ſchon einmal ihm 
nachgeitellt hatte,!) dem Anfchlag glüdlich entgangen war, den Laudon im Ein: 
verftändnis mit einem verräteriichen ſchleſiſchen Vaſallen, dem Freiherrn von 
Warkotſch, und einem Fatholiihen Geiitlihen gegen die Perjon feines großen 
Gegners geplant hatte: nach Friedrichs Anficht unter ftärferer Bethätigung feines 
böſen Willens als jeiner militärifchen Einfidht. 

„Ich wohne hier in meinem Haufe,” jchreibt Friedrich aus Breslau, 
„zwiſchen Schutt und Trümmern, einige Zimmer find wieder hergeftellt, in den 
andern das Oberite zu unterft gekehrt.“ Der Leipziger Karneval vom vorigen 





') 8.1, 9. 


Das Jahr 1761. 297 


Winter?) dünkt ihm glänzend im Bergleih zu dem diesjährigen; Gäſte wie 
damals ladet er ſich nicht ein, er bleibt ausſchließlich auf fich jelbit, „alfo auf 
recht Schlechte Gefelichaft”, angewieſen; er lieſt viel, er „verjchlingt” feine Bücher, 
und fie geben ihm „heilfame Ablenkung”; wenn er diefe Bücher nicht hätte, 
würde er fürchten, daß feine Hypochondrie ihn in das Irrenhaus brädte: „Sch 
babe ohne Zweifel jehr jtarfes Reifen am Kopf, das mir den Schlaf nimmt, 
zufammengefegt aus ruſſiſchen, öfterreihiichen, galliihen und ſchwediſchen 
Schmerzen — genug, um einen Ochjen zu töten, und wäre es Gott Apis ſelbſt.“ 

. „Die Schule der Geduld, die ich durchlaufe, ift hart, lang, graufam, ja 
barbariih. Ich habe mich meinem Geſchick nicht entziehen können; alles was 
die menſchliche Worausfiht an die Hand zu geben vermodte, ift angewandt 
worden, und nichts ift geglüdt. Wenn Fortuna fortfährt, mich jo unbarmherzig 
zu behandeln, werde ich unzweifelhaft unterliegen; nur fie kann mich aus meiner 
jegigen Lage berausziehen. ch rette mich aus alledem, indem ich die Welt im 
großen und wie von einem entfernten Planeten aus betradhte; dann erjcheinen 
mir alle Gegenftände unendlich Klein, und ich bemitleide meine Feinde, daß fie 
fi jo viel Mühe um fo geringes Ding machen.” 

„Man erzählt,“ jchreibt er ein andermal dem Marquis d'Argens, an den 
alle diefe Befenntnifje gerichtet find, „daß ein geihidter Mufifer gefragt wurde: 
‚Würden Sie auf einer Geige mit nur drei Saiten jpielen fünnen?‘ Er jpielte, 
fo gut e& ging. Darauf zerriß man ihm nod eine. Er jpielte, aber weniger 
gut. Nun zerriß man die beiden legten Saiten und wollte, daß er jeinem 
Inſtrument nod Töne entlodte!” 

Den großen politiihen Wendungen, welche dieſer Herbit brachte, maß er 
für feine verzweifelten Umftände feine Bedeutung bei. Am 5. Oftober hatte William 
Pitt fein Amt niedergelegt, freiwillig, weil er die in richtiger Vorausficht der 
fommenden Ereignifie geforderte Kriegserflärung gegen Spanien bei jeinen Amts— 
genoffen und dem jungen Könige nicht durchſetzen fonnte. Friedrich verhehlte 
fih nicht, daß mit dem „großen Commtoner“ der einzige Mann aus dem britifchen 
Minifterium ſchied, der Feitigkeit und Fähigkeit miteinander verband, und zugleich 
der einzige Engländer, auf den er beim Friedensſchluß rechnen durfte; aber da 
jest nicht mehr von Verhandlungen, fondern nur noch von Krieg die Rede war, 
jo jah er von dem Minifterwechjel unmittelbare Folgen für feine Sache nicht 
voraus. Und als dann, wie Pitt vorausgejagt hatte, die Kriegserflärung 
Spaniens erfolgte, meinte Friedrich, daß er dieſes Ereignis, wenn feine 
eigene Lage gut und vorteilhaft wäre, als einen jehr unbequemen Querſtrich 
empfinden würde; jo aber wollte er den neuen Krieg mit völliger Gleichgültigkeit 
betrachten. 

Ein einziger Hoffnungsftrahl brad durch jeine Nacht, ein fernes, unficheres 
Aufleuchten. Noch einmal verkündete aus Konftantinopel jener ſchon fo oft als 
falſcher Zeichendeuter überführte Nerin, daß große Dinge bevorftünden, daß die 
Kriegsrüftungen für den nächſten Frühling im vollen Gange wären, daß 
120000 Mann in Ungarn einbreden, 80000 gegen die Nuffen marſchieren 


) Bgl. oben ©. 184. 


298 Siebentes Bud. Dritter Abfchnitt. 


würden. Der König erinnerte jeinen Sendling daran, wie wenig vor zwei 
Sahren der Sommer gehalten habe, was der Winter veriproden; er jelbit 
flammerte fih doch an diefe Möglichkeit mit der ganzen Zebhaftigfeit jeiner Ein— 
bildungsfraft und der ganzen Stärfe und Zähigkeit feines Wollens, troß aller 
Einwände feines Bruders, der an diejes Heil, das von den Mufelmanen fommen 
follte, noch nie hatte alauben wollen. 

Des Königs Zuverficht ftieg, als aus der Krim ein Abgejandter des Chang 
der Tataren im Hauptquartier erihien und verfündete, daß fein Gebieter, 
Kerim Gerai, 30000 Mann über die ruffiihe Grenze und 6000 zur Bereini: 
gung mit dem preußiſchen Heere nad Oberſchleſien ſchicken wolle. Diele Ber: 
handlung mit den Türken und Tataren wurde jegt „der einzige Barometer“ 
der preußiichen Bolitif. „Ob die Engländer uns unterftügen oder uns ver: 
laſſen,“ jchreibt der König am 10. Dezember an Findenftein, „wird im gegen: 
wärtigen Augenblid gleihgültig, nicht aber ob die Türken neutral bleiben oder 
handeln. Mit einem Wort, wir find verloren ohne ihren Beiftand, und mit 
ihrer Hülfe werden wir uns nicht bloß wieder aufrichten, fondern vielleicht jogar 
Balſam für jo viele fchmerzlihe Wunden finden.” 

Schon ftand ein glänzendes Bild vor jeinem Auge, eine ftolze Offenfive, 
ein Feldzugsplan nah dem Mufter der Entwürfe von 1758.) Er nahm an, 
daß die Defterreiher die Hälfte ihrer Truppen, 60000 Mann, nah Ungarn 
werfen, daß die Ruſſen nicht mehr als 12—15000 Mann an der Weichſel und 
das Feine Hülfscorps in Schlefien laffen würden. Dann hatte er mit SO000 Mann 
in Schlefien und 50000 in Sachſen die Meberzahl für fih und fonnte nad der 
Wiedereinnahme von Schweidbnit und von Dresden zugleih in Mähren und in 
Böhmen eindringen. 

Prinz Heinrih, dem er diefe hochflienenden Gedanken eröffnete, hatte jchon 
1758 den DOffenfivvorftoß nah Mähren nicht gebilligt. Er warf jegt fühl und 
wortfarg nur die Frage auf, welche Mafregeln der König für den Fall 
zu ergreifen gedenfe, daß die Drientalen ihre Diverfion nicht ausführten; 
denn es jei dringend notwendig, auch für diefe Möglichkeit alle Vorkehrungen 
zu treffen. 

Der König geitand, dann jehe er nit ab, wie man den Untergang 
binausjchieben oder beſchwören ſolle; doch glaube er, daß in der legten Not 
noch das beite fein werde, alle Streitkräfte zufammenzuraffen und mit der 
ganzen Maſſe den Feinden der Reihe nach zu Leibe zu gehen; das eine ihrer 
Heere erdrüdt, werde man mit den beiden anderen befleres Spiel haben, 
und unter allen Umftänden gelte es gleich, zubauf oder ftüdmweife zu Grunde 
zu geben. 

Wieder meinte der Prinz, diefer Ausweg ericheine ihm als der allerver: 
zweifeltite; denn mit ſolcher Zufammenballung aller Streitfräfte gebe man 
überall, wo man ben Rüden fehre, Magazine und Provinzen dem Feinde preis. 
Auch Tehre die bisherige Erfahrung, daß man ein Heer nicht jo ohne weiteres 
zermalme. Müſſe geitorben fein, jo komme es ledigli darauf an, feitzuftellen, 


1) Vgl. oben ©. 168. 


Das Jahr 1761. 299 


welder Tod der langſamſte jei, um die Gunst unvorhergejehener Zwiſchenfälle 
nicht zu vericherzen. 

Nun erinnerte Friedrid den Bruder nur noch an die beiden Aerzte in der 
franzöfifhen Fabel, den Doktor Tant pis und den Doktor Tant mieux, die 
unter den gleihen Hut zu bringen unmöglich jei: „Ich habe einen Kranken zu 
behandeln, der im higigen Fieber liegt, im verzweifelten Falle verorbne ih ihm 
eine Gewaltkur, Sie wollen ibm Palliativmittel geben.“ 

Eines verfchwieg er dem Bruder. Denn nod an einen anderen Ausweg dachte 
er. Se weniger er jelbit im Innerften an einen Erfolg der von dem Prinzen 
als verzweifelt bezeichneten Strategie glaubte, um fo mehr nahmen ihn jeßt 
die finfteren Gedanken wieder gefangen, die ihn ſchon jo oft in Verſuchung ge: 
führt hatten. 

„Konmen die Türken nicht,” eröffnet er am 6. Januar jeinem Kabinetts- 
minifter, „dann läßt uns unjere unglüdliche Lage nicht mehr die Hoffnung, durch 
unfere Tapferkeit und den Einſatz unjerer eignen Kräfte unjere Sache wieder 
ins Gleiche zu bringen oder auch nur den nächſten Feldzug durchzuhalten.“ 
Dann wird alfo nicht mehr Kampf, fondern Verhandlung die Loſung fein; es 
wird gelten, durch geeignete Schritte in London oder bei dringender Not auch 
in Berjailles, Wien oder Petersburg von den Trümmern des Staates jo viel, 
als fih der Habgier der Feinde entreißen läßt, zu retten. Zu retten für bes 
Königs jungen Neffen. Friedrich ſelbſt beharrt bei der Meinung, daß in einem 
verftümmelten Preußen für ihn jelber fein Raum mehr ift. Nur wenige Wochen 
trennen ihn noch von der Gewißheit, der guten oder ſchlimmen, von der letzten 
Entſcheidung. „Bis zum 15. oder 20. Februar muß fich,” jo erklärt er, „ergeben, 
ob die Türfen ins Feld rücken“ — darum will er fich jegt mit England wegen 
defien, was im neuen Jahre zu geichehen hat, no nicht ins Einvernehmen 
jegen. „Wäre ich der Türken ſicher, fo würde ich ohne Zweifel die Engländer 
zum Kampf ermuntern; aber mwenn meine Anftalten in SKonitantinopel fehl: 
Ihlagen, wie ganz mit Recht würden fih die Engländer über mich beklagen 
dürfen, wenn ich ihnen jegt die ſchönſten Hoffnungen gäbe und mein Neffe ge: 
nötigt wäre, dieje Hoffnungen nad) vier Wochen Lügen zu ftrafen?” 

Eine weitere Erläuterung zu der „ſeltſamen Alternative”, vor welcher der 
König ih ſah, geben feine Briefe an d’Argens: „Wir find noch nicht ver: 
Ihlungen, man will fogar noch einen Hoffnungsftrahl erfennen, ich jpreche nicht 
davon; vegetieren wir diefen Winter, wie wir eben können, und wenn alles gut 
geht, verſpreche ich Ihnen zum Frühling eine ſchöne Ode; wo nicht, To halten 
Sie Sih an das, was Cato Ihnen jagen wird.” Das Leben Catos und das 
Leben Kaijer Othos im Plutarch find wieder fein bevorzugter Leſe- und Lern: 
ftoff gemorden.!) „ch finde da lehrreidhe Ereignifle jeder Art, für jedermann 
beachtenswert, ber jeine Pilgerfchaft durch dieje Hölle, genannt Welt, zurüdlegt. 
IH denke wie diefe großen Männer des Altertums, und ich finde, wenn man 
ihr Verhalten prüft, jo kann man ihnen nur Beifall zollen. Mögen hohle 
Schreier in ihrer Schulweisheit anders gedacht, mögen fie über diefe Frage 


) Bgl. oben ©, 120. 122. 


300 Siebented Bud. Dritter Abſchnitt. 


abjurde Paraboren aufgeftelt haben, daran braucht man fich nicht zu halten; 
und fidher wären bie verftändigen Leute zu bedauern, wollten fie fi in ihrem 
Urteil nach diefen Schulpebanten richten, welche die fchöniten Handlungen und 
den erhabenften Seelenadel der Alten herabzufegen verjucht haben.“ 

Der 20. Februar joll enticheiden, jo fündet er es auch dem treuen d'Argens 
an. Gnticheiden für den Staat zwifhen Kampf und Verhandlung und für den 
König zwiſchen Leben und Tod: ob er es „mit Cato halten” oder ob er „Cäſars 
Kommentare zur Richtſchnur nehmen” wird. 

Die Entſcheidung fiel früher, und fie fam aus anderer Richtung, als Friedrich 
es erwartet hatte. 





Dierter Abjchnitt. 


Siebenter Feldzug und Jriedensſchlüſſe. 


der König das große Ereignis, defjen er feit Jahren geharrt hatte, jeßt, 

da es eintrat, zunächſt auffallend Fühl und Eleingläubig aufgenommen. 
Am eriten Feittage der rujfiichen Weihnachten, dem 5. Januar 1762 abendländifchen 
Stils, erlag die Tochter Peters des Großen, Kaijerin Elifabeth von Rußland, im 
dreiundfünfzigiten Lebensjahre den Folgen eines Blutjturzes; an ihre Stelle trat 
fraft der von ihr aufgerichteten Erbordnung !) ihr Schweiterfohn, der Herzog 
von Holitein:Gottorp, Kaifer Peter III. 

König Friedrich erhielt die Todesnahriht am 19. Januar aus Warjchau. 
„Ein großes Ereignis,” jchrieb er an den Grafen Findenftein, „das vielleicht 
auf geringe Wirkung hinausfommen wird. Sie willen, was uns ber Tod des 
Königs von Spanien eingetragen hat.“) Ich fürchte, daß dies die zweite Muflage 
davon wird.” Und einen Glüdwunfdh des Marquis b’Argens zu dem Um: 
ihwung der Dinge beantwortete er ſchwermütig: „Ich bin in diefem ganzen 
Kriege jo unglüdlicd gewejen, mit dem Schwert und mit der Feder, daß mir 
das bei jedem Anlaß großes Mißtrauen einflößt und ich nur noch meinen Augen 
und meinen Ohren traue. ... O, was ilt die Erfahrung für eine ſchöne Sadıe. 
Ich, der ih unbändig war in meiner Jugend, wie ein Füllen ohne Zaum, das 
fih auf der Weide tummelt, bin jest langjam geworden wie der alte Neftor; 
aber dafür bin ich auch grauföpfig, von Kummer zernagt, von Gebreften ge: 
ichlagen, mit einem Wort: gut, den Hunden vorgeworfen zu werben.” 

Wer gab ihm, jo fragte er ſich, eine Bürgichaft dagegen, daß nicht feine 
Feinde „durch Kunftgriffe und jchmeichleriihe Einflüfterungen“ dem neuen 
Zaren die Fortſetzung des Krieges abgewannen? Perfönliche Verbindung zwijchen 
ihm und Peter war ſeit Jahren völlig unterbroden. Mehr als von dem 


SE erfüllt von feinen auf die Türkenhülfe geitellten Entwürfen bat 


ı) 3b. I, 202. 
2) Dben S. 207. 244. 295. 


302 Siebentes Buch. Vierter Abfchnitt. 


Kaifer fcheint er fih im eriten Augenblid von der Kaijerin Katharina ver: 
fproden zu haben; an fie vor allem follte fih nad jeinem Dafürhalten und 
Wunſch der engliihe Gejandte Keith wenden, um das aufrichtige Verlangen 
Preußens nad friedlihem Ausgleidh mit Rußland zum Ausdrud zu bringen. So 
wenig hatte er bisher den Großfürften-Thronfolger als perfönliden Faktor in 
die politiihe Nechnung eingeftellt, day er, wie wir jahen, geneigt gewejen war, 
Dänemarks Beitritt zur preußiicheengliihen Partei auf Koften ber ſchleswig— 
holſteinſchen Anſprüche Peters zu erfaufen.!) Auch jegt ſchien es ihm nicht aus: 
geihloffen, daß fein einziger Gewinn aus dem ruffiihen Thronwechſel in einer 
Schilderhebung Dänemarks beitehen werde. So ſchwebte noch immer eine 
europäiiche Kombination ihm vor, in der Rußland zu der Gegenpartei zählte. 
Eben auf diefer Vorausfegung berubte auch jene Verhandlung mit der Pforte. 
Noh vor wenigen Wochen hatte er den Vorſchlag, abermals ?) in Petersburg 
mit Hülfe eines wohlgejinnten Holfteiners aus der Umgebung des Großfürften 
auf den Frieden hinzumwirfen, mit der Begründung von der Hand gewiejen, daß 
bei der Eriegeriichen Haltung der Türken kleine Chipoterieen mit den Ruffen 
jest nicht an der Zeit jeien. 

„In meiner gegenwärtigen Lage bin ich genötigt, ſehr gemeſſenen Schrittes 
zu gehen, um meine Angelegenheiten nicht zu verjhlimmern ftatt fie zu ver: 
bejjern.“ Das die allgemeine Richtſchnur, die der König feinem Kabinettsminifter 
unter dem eriten Eindrud der Todesnadhricht erteilte. Drei Tage ſpäter, am 
22. Januar, ftand jeine Politif noch ganz im Zeichen des Halbmonds: „Wenn 
meine Sade in der Türfei den Erfolg bat, den ih mir veriprede, jo 
werden wir dann aud Dänemark an uns heranziehen müſſen. Wenn es mir 
mit den Türken nicht gelingt, und wenn der neue Kaifer von Rußland, nad 
den ehedem ihm beigemeilenen Gefinnungen, uns vielleicht auf geheimen Wegen 
wegen eines Ausgleichs jondieren läßt, jo werden wir in diefem Fall nur no 
zu ſehen haben, was ſich mit den Ruffen maden läßt; und dann würden wir 
nicht umhin fönnen, obgleich gegen unfer Intereſſe, dem Großfürften den Beſitz 
von Holftein und vielleiht noh von Schleswig zu verbürgen, was wir nicht 
thun fönnten, wenn wir uns gegen Dänemark die Hand gebunden hätten — 
fo daß, alles wiederholt und zufammengefaßt, alle meine Entſchließungen von 
dem Ausgang meiner Verhandlung in der Türkei abhängen, über den wir, 
wie ih mir ſchmeichle, alleripäteitens gegen Mitte Februar unterrichtet jein 
werben.” 

Nun aber geſchah es, daß die Enticheidung aus Petersburg eher fam, als 
die aus Konftantinopel, welder alles andere untergeordnet werden jollte. 

Am 27. Januar traf die Nachricht in Breslau ein, daß ein Senbbote des 
Zaren unterwegs fei. Vier Tage lang erwartete man jeine Ankunft im Haupt: 
quartier ftündlih, bis am 31. ftatt des Ruſſen ein Courier aus Magdeburg 
anlangte, wo der Hof und die Minifter noch mweilten.’) Dorthin und nit nad 


) Dben ©. 251. 
?) Bl. oben ©. 247. 
2) Val. oben ©. 208. 


Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 303 


Breslau war der ruffiihe Oberft Gudowitſch gegangen; fein eigentliches Reiſeziel 
war Zerbit, die Reſidenz des Bruders der Kaiferin Katharina. Er hatte dem 
Grafen Findenitein des Zaren offizielle Anzeige von feinem Negierungsantritt 
eingehändigt und dazu einen Begleitbrief des Großfanzlers Woronzom. Auftrag, 
bei dem Könige felber fih zu melden, hatte Gudowitſch nur für den Fall, daß 
fein Weg ihn über die augenblidlihe Stätte des Hauptquartiers führen würde; 
er erklärte fich indes bereit, nad Breslau zu gehen, falls der König dies aus: 
drücklich wünſchen follte. Gleichzeitig hatte Sir Robert Keith) aus Petersburg 
geichrieben, daß die Gefinnungen des neuen Herrichers jo günjtig wie möglich 
feien: die ruſſiſchen Generale hätten Befehl erhalten, zu feinen Feindſeligkeiten 
gegen die Preußen zu jchreiten, und Tſchernyſchew insbejondere, ji von den 
Defterreichern zu trennen und nad Polen zu marjcieren. 

Der König ließ den ruffifschen Oberſten angelegentlid) einladen. „Sie willen,“ 
jhrieb er an Findenjtein, „dab nichts dringender ift, als jchleunigite Aus» 
föhnung mit Rußland, um uns vom Rande des Abgrunds zu entfernen.” Eigen: 
händig jegte er hinzu: „Der erfte Lichtftrahl, der fi zeigt! Der Himmel fei 
gefegnet! Man muß hoffen, daß den Stürmen jegt die fchönen Tage folgen, 
Gott wolle es!” 

Er betrachtete den Frieden mit Rußland bereits als gelichert und meinte, 
daß dies große Ereignis unfehlbar auch den Frieden mit Schweden nach ſich 
ziehen werde. „Alſo, Dank dem Himmel, unjer Rüden frei,“ ſchrieb er feinem 
Bruder und jprad) die Hoffnung aus, daß diefe Nachrichten ihn in gute Laune 
zurüdverjegen würden. Noch ehe Gudowitſch, von Friedrich der Taube verglichen, 
welche den Delzweig zur Arche bradte, in Breslau eintraf — die Ankunft ver: 
zögerte fich bis zum 20. Februar —, jandte der König den aus diefem Anlaß 
zum Oberften und Flügeladjutanten ernannten Legationsrat v. d. Golg, den 
Sohn jeines trefflihen, 1746 verftorbenen Freundes, ’) mit einem Glückwunſch— 
jchreiben an den Zaren und mit einer Unterweifung für bie Friedensverhandlung 
nad Petersburg. 

Wenn nun faft gleichzeitig mit der Ankündigung des Bejuches von Gudowitſch 
der mit Sehnſucht erwartete Bericht aus Konftantinopel eintraf, nad welchem 
die friegeriiche Stimmung dort nicht bloß andauerte, ſondern noch geitiegen war, 
jo jegte das die politiihen Gehülfen des Königs freilich in einige Berlegenheit. 
Sindenftein gab in einem vertraulihen Briefe an den Kabinettsrat feiner Be: 
unruhigung Ausdrud über den höchſt gefährlichen Kontraft „zwiſchen unſeren 
orientaliihen Verhandlungen und der neuen ruffiihen Negociation”, und Eichel 
beteuerte dem Minifter am 4. Februar, daß er es feinerfeits „gehörigen Orts“ 
an Warnungen nicht fehlen laſſe, hob aber zugleich hervor, wie leicht man Ge: 
fahr laufen fünne, fi „zwifchen zwei Stühle zu ſetzen“; wie dürfe man unreines 
Waſſer ausgießen, ehe reines ficher zu Hand jei? 

Um gegen Rußland loyal zu handeln, ließ der König feinem Refidenten 
Boscamp in Baktſchiſarai die Weiſung zugehen, die Angriffsgelüfte des Tataren: 
hans von den ruffiichen Grenzen ab: und vielmehr gegen Ungarn zu lenken; in 


) 8b. I, 486. 


304 Siebentes Bud. Vierter Abſchnitt. 


Konftantinopel hatte die Abliht, auch mit Rußland zu breden, immer nur in 
zweiter Linie geitanden. Allemal blieb zweifelhaft, wie Rußland einen Angriff 
feiner Erbfeinde gegen das bisher ihm fo engverbündete Deiterreih aufnehmen 
würde, Da gab der Zar Anfang April die Erklärung ab, er wolle weder ben 
Türken noh den Tataren entgegen fein, wenn fie den Wiener Hof mit Krieg 
tiberzieben würden. So hatte ſich diefe Schwierigkeit unerwartet glatt gelöft. 

In der That, der ruſſiſche Monarch ging im Sturmichritt vor. Noch ehe 
der Bevollmädhtigte des Königs von Preußen bei ihm erjchienen war, gab Peter 
durch die engliihen Gejandten Keith und Mitchell feinen Wunſch zu erkennen, 
in den Belik des Schwarzen Nolerordens zu gelangen. König Friedrih war 
begreiflicherweife überraicht, noch während des Kriegs ſolches Begehren zu ver: 
nehmen; aber er beeilte fih, Kreuz und Stern feinem Gejandten Gol& zur 
Ueberreihung an den Kaifer zuzuftellen, und jchrieb jcherzend an Mitchell, das 
fei ein fonderbarer Ritter, der SO000 Mann auf preußifche Koften jpeife, der 
einzige feiner Ritter, der fich dieje freiheit berausnehme: „Wenn jeder Hoſen— 
band-Nitter desgleihen thun wollte, jo würde hr England, das ganze England 
wie e& da ilt, verſpeiſt werden. Ich bitte Sie, meinen Ritter gelehriger zu 
maden und ihm beizubringen, daß es gegen das Ordensitatut ift, wenn ein 
Ritter feinen Großmeifter verjpeift.“ 

Der König hatte Golg für verſchiedene Möglichkeiten mit Verhaltungs— 
maßregeln verjehen. Wollten die Ruſſen Oftpreußen bis zum allgemeinen Frieden 
befegt halten, jo durfte der Gefandte das ohne weiteres zugeftehen. Sollten fie 
die feit vier Jahren von ihnen verwaltete Provinz überhaupt nicht herausgeben 
wollen — ein Fall, der immerhin nicht ausgeihloffen war —, jo jollte Golg 
unter allen Umjtänden einen Entihädigungsaniprud anmelden und entiprechende 
Vorſchläge in Ausficht ftellen. Außerdem war er ermächtigt, eine Gemährleiftung 
für den gottorpiichen Beſitz in Holftein, womöglich gegen eine wechlelfeitige Bürg— 
ſchaft Rußlands für Schlefien, zuzufagen, ſowie die preußifche Neutralität für 
den Fall eines ruffiihen Krieges gegen Dänemark. Als Golg nun am 4. März 
in Petersburg eintraf, fand er die Lage zu feiner freudigen Ueberraſchung da: 
durd) völlig geklärt vor, daf der Zar am 23. Februar durch gleidhlautende Noten 
den am Kriege beteiligten Mächten unter warmer Empfehlung des Friedens feine 
Abſicht kundgethan hatte, auf die durch die ruffifhen Waffen gemachten Erobe: 
tungen zu verzichten. 

Der preußiihe Unterhändler hatte nach diefer Erklärung leichtes Spiel. 
Der Kaifer überhäufte ihn mit Beweiſen feiner Gunft und feines Pertrauens 
und mit Beteuerungen feiner Verehrung und Bewunderung für König Friedrich. 
Dagegen wußte Golg, daß er fi von ber Kaiſerin Katharina Förderung nicht 
zu veriprechen hatte. 

Am 5. Mai wurde duch Golk und Woronzow die Friedensurfunde unter: 
zeichnet, Eraft welcher der Kaifer von Nußland das eroberte Oftpreußen und 
Hinterpommern dem Könige von Preußen zurüdgab und binnen zwei Monaten 
zu räumen verſprach, allerdings mit dem Vorbehalt, daß diefe Frift unter Um: 
ftänden verlängert werden follte. In einem Sonderartifel wurde der Abſchluß 
eines Bündnifjes in Ausficht genommen. 


Siebenter Feldzug und FFriedensichlüffe. 305 


Der König ſpendete jeinem jugendlichen, erſt jehsundzwanzigjährigen Unter: 
händler reiches Lob: „Ihre Erſtlingsverſuche, mein Lieber, find Meifterftüde. 
Welch eine Ehre für einen Unterhändler Ihres Alters, einen Friedensvertrag 
und eine Allianz in weniger als ſechs Wochen zu ftande gebracht zu haben.“ 

Wenn der Zar in dem Friebensvertrage feine guten Dienfte für die Her: 
ftelung des Friedens auch mit den Schweden verhieß, jo bat es dieſer Ver: 
mittelung nicht mehr bedurft. Schon hatten in Hamburg die Verhandlungen 
zwiichen dem dortigen preußifhen Reſidenten Heht und dem ſchwediſchen Be: 
vollmädtigten Dlthoff begonnen, nachdem die jchwergeprüfte Königin Ulrike die 
Genugthuung gehabt hatte, von ihren bisherigen Widerfachern !) um ihre Unter: 
Ihrift zu dem Schreiben an den König von Preußen angegangen zu werden, durch 
das von Stodholm aus der Antrag auf Frieden geftellt wurde. Der ſchwediſche 
Stolz verjagte fich nicht, zunädhit die Abtretung der Inſeln Uſedom und Wollin 
und eine Sandelsiperre für die Smwinemündung ?) zu fordern; das eine wie das 
andere wurde ohne weiteres abgejhlagen, und da nun Rußland vom Kampf: 
plat endgültig zurüdtrat, jo nahm aud Schweden am 22. Mai ben Frieden auf 
Grund des alten Befisftandes an. „ch hoffe,” meinte der König nad) dieſen 
beiden Friedensſchlüſſen, „ich werde jegt in politifher Beziehung nicht mehr wie 
ein Ausfähiger, deſſen Berührung man vermeiden muß, betrachtet werden.” 

Eben zu dem Zeitpunkte, da Friede und Freundſchaft zwiichen Preußen 
und Rußland Geftalt annahmen, zerriß das alte Bündnis mit England. 

Schon vor Jahresfriſt hatte Pitt die preußifhen Vertreter in London 
darauf hingewieſen, daß jept au die Stimmung der Nation. — nicht bloß wie 
bisher ?) einzelner Staatsmänner — der Fortfegung des Krieges entgegen jei; 
in einer Unzahl von Flugfchriften trete diefe Friedensneigung unverkennbar zu 
Tage. Thatiahe blieb, daß England 1760 den Frieden mit Franfreid, der 
einzigen Macht, mit der man im erflärten Kriegszuftand ſich befand, hätte haben 
fönnen, wenn die durch den Vertrag vom 11. April 1758 gebotene Rückſicht auf 
Preußen nicht dazwiichengetreten wäre.!) Pitt hatte unbedingt ſolche Rüdjicht 
walten lafjen, denn er vergaß nicht, was fein Staat diefem Verbündeten dankte, 
und daß erit der Sieg von Roßbach feine Landsleute aus tiefer Mutlofigfeit 
aufgewedt hatte; er erinnerte fie immer von neuem daran, wie England jeine 
Erfolge in Amerifa nur dem Umſtand verdanfe, daß Franfreihs Kraft auf 
Deutihland abgelenkt geweien jei — und wem galten diefe deutichen Kriegszüge 
ber Franzojen anders, als dem Könige von Preußen? Pitt fühlte fih gebunden, 
nicht bloß durch den Buchſtaben des Vertrages, jondern vor allem durch diele 
ganze Reihe feierliher Erklärungen, die er Jahr für Jahr vor dem Parlament, 
vor Europa abgegeben hatte: daß jolange er im Amte ſei, er niemals dulden 
werde, Englands Verbündete die Opfer ihrer Verbindung mit England werben 
zu laſſen; daß er fie im Frieden nicht um ein Jota verkürzen lafjen werde, 


i) Oben ©. 46. 
2) Bol. Bo. ], 441. 442. 
®) Bal. oben S. 240. 
Oben ©. 249. 
Koier, König Friedrich der Große. 2. Aufl 9 


306 Siebentes Bud. Vierter Abſchnitt. 


britifhen Sonderinterefien zu Liebe, daß er feinen neuen Frieden von Utrecht 
dulden wolle; daß man ihm eher die Hand abichneiden jolle, ehe er einen 
Frieden unterzeichnen werbe, der ben zwifchen England und Preußen beftehenden 
Verpflichtungen und ihren gegenjeitigen Intereſſen nicht gemäß jei. 

Aber ſelbſt ein Pitt hatte im vorigen Sonmer, wenn auch zjögernd und 
iheu, jene Frage geftellt, die dem König von Preußen den Gedanfen an Land» 
abtretungen nahelegen follte und eine jo entichievdene Zurüdweilung erfahren 
batte.') 

Nicht aus dem Verhältnis zu Preußen hatte ih alsdann für Pitt der 
Anlaß zum Nüdtritte ergeben, fondern, wie wir jahen,?) aus der jhmwächlichen 
Haltung, mit der die Friedenspartei im britiichen Kabinett die Herausforderungen 
ber Spanier aufnahm. 

Durch die offene Schilderhebung Spaniens endblih unfanft aus ihren 
Friedensträumen aufgerüttelt und für ihre Kurziichtigkeit empfindlich beitraft, 
jegten die Erben Pitts mit ihrer Friedenspolitif doch ſofort an einem anderen 
Punkte an. Bon den bourboniihen Höfen mit Hohn zurüdgeftoßen, richteten 
fie ihre Blide und Hoffnungen jest nah Wien. Der Herzog von Nemwcaitle, 
als erfter Lord des Schates nad wie vor an der Epite des Kabinetts, war in 
den Anſchauungen bes alten Syitems, den Ueberlieferungen der Freundſchaft 
und Waffengenoffenihaft mit Defterreih emporgelommen und grau geworben;?) 
er hatte vor dem Vertreter der auswärtigen Politif, dem Neuling Bute, eine 
über mehr als ein Menichenalter zurüdreichende diplomatiiche Erfahrung voraus, 
die fich gleichſam von felbft zur Geltung bradte. Hatte Lord Chefterfield das 
Zwiegeipann Newcaftle und Pitt mit einem zanfenden Ehepaar verglichen, das fi) 
doch aus beiderfeitigem Intereſſe nicht jcheiden wolle, jo ſchien jegt die Ver: 
bindung des Aldermanns der Whig:Ariftokratie mit dem perjönlihen Günftling 
des Monarchen die Probe nicht übel zu beftehen. Newcaftle mag wirklich, mie 
ihm nachgeſagt wurde, gemeint haben, durch Pitts Sturz ſich feine Stellung 
für weitere dreißig Jahre zu fidern. Und das im Sommer neu gewählte Unter: 
haus ftand dem Kabinett unbedingt zur Verfügung. 

Im Einveritändnis mit Bute eröffnete Nemweaitle die neue Politif am 
8. Januar 1762 durd ein vertrauliches Schreiben an Yorke, den Gejandten im 
Haag. Er jprad von der Schwierigkeit, neben dem Krieg gegen Spanien aud 
den alten in Deutichland zu führen, überall militäriſch in der Minderheit und 
mit einem „zu Grunde gerichteten, erjchöpften, unvernünftigen und verzweifelten“ 
Bundesgenofjen wie dem Könige von Preußen. Und doch fünne man Deutid: 
land nit einfah den Franzofen preisgeben. So gelte es den Verfuh, den 
Wiener Hof angefichts des erflärten Bündnifjes der bourboniichen Kronen zum 
Wiederanihluß an das „alte Enftem” zu beitimmen; und um ihm den für feine 
eigene Ehre und fein wirkliches Intereſſe richtigen Entſchluß zu erleichtern, werde 
man in Bezug auf Schlefien zu einer für Defterreich befriedigenden Regulierung 
ſchreiten, auch Anftalten treffen, um alle Bourbonen aus Italien zu vertreiben. 

ı) Oben ©. 283. 


2) Chen ©. 297. 
) Oben ©. 58. 


Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe 307 


Prinz Ludwig von Braunfchweig, der Unterhändler von 1759,!) erſchien bem 
britiichen Kabinett auch bei diefem Anlaß als geeigneter Mittelamann. Durd) 
einen Erlaß Butes wurde Yorke vier Tage ipäter amtlich beauftragt, unter der 
erforderlichen Borfiht und Zurüdhaltung mit dem Prinzen und durch biefen 
mit dem faiferlihen Gejandten Grafen Reiihah anzufnüpfen. 

Als dann die Nahriht von dem Ableben der Kaiferin Elijabeth nad 
London gelangt war, fand am 6. Februar eine denfwürdige Beiprehung zwifchen 
Bute und dem ruſſiſchen Botjchafter Galizin ftatt, über die jener noch am ſelben 
Abend dem Herzog von Newcaftle eine kurze Mitteilung gab. Der Ruſſe lebte 
noch ganz im alten Gedankenkreiſe. Er wollte nicht an den Erfolg von Friedens: 
unterhandlungen glauben, wenn man nicht Preußen auf den Beſitz von Branden- 
burg beichränfen werde; er bezeichnete es als unmöglid, daß fein Hof feine jo 
lange begehrte Eroberung aufgeben follte. Bute erflärte, daß England ehren: 
balber in eine fait völlige Aufteilung der preußifhen Provinzen nicht willigen 
fönne; wohl aber habe man bereits dem Könige von Preußen ernithaft die 
Notwendigkeit vorgehalten, an den Frieden, ob immer unter Darbringung einiger 
Opfer, zu denken. Daß die ruffifhen Truppen zurüdberufen werben würden, 
ftellte Galizin in Abrede. Nach jeinem dem Kaijer erftatteten eingehenden Bericht 
über diefe Unterredung, in welchem er feine eigenen, der preußiſchen Sache fo 
feindfeligen Neußerungen aus naheliegenden Gründen unterdrüdte, hätte ihm 
Bute eröffnet, daß der Londoner Hof, jo jehr er den Frieden erfehne, nicht 
wünjchen fönne, die ruffiihen Truppen zurüdgezogen zu jehen; denn bas würde 
nicht Beichleunigung des Friedens, fondern Verjchleppung des Krieges bedeuten, 
während England zwar den König von Preußen vom völligen Untergang retten, 
aber doch zugleich zu angemefjenen Abtretungen veranlaffen wolle. 

Dann famen Keiths Meldungen aus Petersburg über den mehr und mehr 
zu Tage tretenden Umſchwung ber dortigen Politif, und Bute handelte von 
feinem Standpunkt aus nur folgerihtig, wenn er am 26. Februar in einem 
Erlaß an diefen Gefandten der Beſorgnis Ausdrud gab, daß Peters zu große 
Freundſchaft für Friedrih den ruffiihen Hof zu Maßregeln verleiten werde, 
welche diefen friegerifhen und ehrgeizigen Fürften zur Fortjegung der Feind» 
jeligfeiten ermutigen fönnten. 

Die Bute und Newcaftle falvierten ihr Gewiſſen damit, daß fie den bisher 
aljährlih erneuerten Vertrag vom 11. April 1758 mit der Garantie des beider: 
feitigen Beligftandes und dem Verbot getrennten Friedensſchluſſes für das neue 
Fahr nicht verlängert hatten, und daß nad ihrer Ueberzeugung, wie fie jedem, 
der es hören wollte, fagten, für den König von Preußen „ohne beträchtliches 
Nachgeben“ Friede nun einmal nit zu erhoffen war. Zu dieſer Leberzeugung 
auch ihn jelbit zu bringen — ein Unterfangen, mit dem die großen Kontinental: 
mächte, die Waffen in der Hand, feit ſechs Jahren fich vergeblih abmühten —, 
verſuchten fie alfo fühn mit den Künften ihrer Diplomatie. Was fie jegt gegen 
ihn, und nad ihrer Auffaffung ja lediglich zu jeinem Heile, planten, war genau 
dasjelbe Verfahren, welches England 1742 und in gewiſſem Grade auch 1745 


) Oben S 244. 47. 


308 Siebentes Buch. Vierter Abſchnitt. 


und 1748 gegen Maria Therefia, ihr zur bitterften Klage, angewandt hatten: ?) 
die Nötigung des Bundesgenofien zu Landabtretungen nah dem Gefallen und 
ben Bedürfniffen der britifchen Politif. Daß Friedrich mit der von ihnen ge— 
wünjchten Erklärung über feine Lage und feine Abfichten aus Gründen, die wir 
fennen gelernt haben,*) zurüdhielt, betrachteten fie als einen neuen Beweis jeiner 
Herzenshärtigkeit und feines Abenteurerfinnes. Und ihre Gereiztheit verichärfte 
ih, als fie in einem chiffrierten Erlaß des preußijchen Königs an feine Gefandt: 
fhaft, den fie berfümmlicherweiie auf ihrem Poftamt anhalten und entziffern 
ließen, das unwirſche und freilich nicht ſchmeichelhafte Wort laſen: die jegigen 
engliſchen Minifter gehörten ins Tollhaus! 

Dei alledem war das britifche Minifterium bereit, die Hülfsgelder an Preußen 
weiter zu zablen, wofern nur die läftigen politifhen Klaufeln des bisherigen 
Bündniſſes nicht von neuem ausgejprodhen wurden. Ya, Anyphaufen und Michell 
gewannen den Eindrud, daß man fogar einer Erhöhung des früheren Betrages 
bis auf fünf oder ſechs Millionen deutſcher Thaler feine Schwierigfeit entgegen- 
ſetzen werde. 

König Frievrihd war zunädhft der Meinung, daß er die Subfidien nicht 
miſſen fünne. Es war ihm peinlih genug, daß die britifhen Minifter jegt 
gleihjam „mit dem Stod in der Hand” verhandelten, aber er entſchloß ſich 
zu „dijjimulieren“, feine Empfindlichkeit zu verbergen. Nun aber famen Mitte 
Januar, unmittelbar nah Einleitung jener Verhandlung im Haag, Bute und 
Newcaitle ganz offen mit dem Anfinnen, der König von Preußen möge Ver: 
handlungen mit dem Wiener Hofe anknüpfen; das fei das einzige Mittel, um 
in Deutichland, welches man bier zwar nicht preisgeben wolle, aber auch nicht mit 
Erfolg verteidigen könne, eine befiere Lage herbeizuführen. Friedrichs eigene 
Vertreter nahmen ſich die Freiheit, ihren Gebieter „ehr ebrfurdtsvoll zu er: 
mahnen“, er möge auf die Gefichtspunfte Englands eingeben; ſchon oft babe 
man ihnen zu verjtehen gegeben, daß die größten Mächte ich zu Opfern hätten 
bequemen müſſen, dab fein Fürſt erflären könne, er wolle nie und um feinen 
Preis Opfer bringen. Der König fuhr auf; er hatte in einem früheren Fall’) 
Knyphauſens Ratſchläge willig befolgt; jet erhielten die Gejandten am 4. Februar 
einen firengen Verweis, und eigenhändig fügte Friedrid bei der Unterichrift die 
Worte hinzu: „Lernen Sie beffer Ihre Pflicht, und merken Sie ſich, daf es Ihnen 
in feiner Weiſe zufteht, mir fo thörichte, jo impertinente Ratſchläge zu erteilen, 
wie die, welche Sie fich einfallen laſſen.“ Nur die Thatſache, daß die Gejandten 
damals um den Tod der Kaiferin von Rußland noch nicht gewußt hätten, wollte 
er als mildernden Umftand gelten laſſen. Noch härter wurde Anyphaufen wegen 
feiner zu weit gehenden Anpafjung an den britiſchen Standpunkt einige Wochen 
jpäter getadelt. Daß fein Vater, der Habinettsminifter, vor 32 Jahren im Zu: 
jammenbange des dem Kronprinzen Friedrich gemachten Prozejies als der Hin: 
neigung zu England verdächtig verabjdiedet worden war,*) trug jekt von dem 
Bd. I, 171. 269. 473. 

Oben S. 2, 
’, Oben ©. 241. 
) Val. „Sriedri der Große als Kronprinz” S. 58. 234. 235. 


— 


7 
— 


Siebenter Feldzug und Friedensſchlüffe. 309 


Könige Friedrih dem Sohne den graujamen, völlig ungerechten Vorwurf ein: 
„Ihr Water, Anyphaufen, hatte Geld von Franfreih und England genommen, 
weshalb er fortgejagt wurde; jollte er dieje Gewohnheit Ahnen zum Erbe ver: 
madt haben?” 

Als Friedrih am 25. März diefe Worte jchrieb, war er bereits entſchloſſen, 
lieber auf das engliihe Geld ganz zu verzichten, als fich entwürdigende Neben: 
bedingungen auferlegen zu laflen. Da feine Erklärungen Bute nicht genügten, 
und da es doch unmöglich fei, den Frieden aufs Geratewohl, „a la hurlu-burlu*, 
zu Schließen, jo müfle man ruhig abwarten, bis fih Bute von jelbit wieder 
melde, auf die Gefahr hin, daß man diefes Jahr Feine Subfidien erhalte. So 
hatte er feine Geſandtſchaft am 17. März unterwiejen. 

Unmittelbar darauf, am 23. März, erhielt der König aus Petersburg eine 
Mitteilung, unter deren friihem Eindrud feine Entrüftung über das englifche 
Minifterium fih auf feine Vertreter in London übertragen und in jenem 
Donnerwort gegen Knyphaufen entladen zu haben jcheint. Kaiſer Peter ließ ihm 
als Beweis für die Treulofigfeit Englands einen Auszug aus dem Berichte mit: 
teilen, den Galizin über jene Unterrebung mit Bute vom 6. Februar erftattet hatte. 

Und nad weiteren vierzehn Tagen erfuhr der König durch Knyphauſen 
und Michel auch von der feinen Intereſſen fo ganz zumiderlaufenden Anfrage 
des britiichen Kabinetts an den Wiener Hof, die inzwiſchen, zum Glüd für Preußen, 
durch Kaunig eine fühle, beinah ironiihe Ablehnung erfahren hatte. Die preußi- 
Shen Diplomaten nahmen Beranlafjung, die engliihen Minifter auf diefen 
Zwifchenfall hin anzureden und das Vorgehen als, wenn auch gut gemeint, jo 
doch „unregelmäßig” zu bezeichnen. Nemcaftle geriet in jichtbare Verlegenheit; 
Bute jpielte den Gefränften und las den Preußen den vorfichtig, wie für ein 
Blaubuch, zugeftugten offiziellen Erla an orte vor, mwohlweislih aber nicht 
das vorangegangene vertraulide Schreiben des Herzogs von Nemwcaitle vom 
8. Januar.!) An dem durch die Verhandlungen mit Defterreich gegebenen Nergernis 
follte jegt lediglih ein Mißverſtändnis oder eine Auftragsüberfchreitung des 
Vermittlers, des Prinzen Ludwig von Braunjchweig, Tchuld fein, wie an dem 
anderen noch größeren Nergernis, dem Cinwirfungsverfuh auf Rußland, ein 
Mißverſtändnis, wo nicht eine Entitellung Galizins. 

Wegen der Subfidien, die der König von Preußen gar nicht mehr begehrte, 
ift es dann zwifchen Bute und Newcaſtle zum offenen Streit und zum völligen 
Bruch gelommen. Nemwcajtle wollte aus politifhen Zweckmäßigkeitsrückſichten 
die nochmalige Bewilligung beim Unterhauje beantragen, Bute widerſprach jetzt 
und erreichte damit, daß Newcaſtle, über die herrifhe Art des jüngeren Amts: 
genoſſen verftimmt, den Kampf aufgab und jeine Entlaffung einreichte. Statt 
feiner übernahm jest Bute felbit die Leitung des Minifteriums als erfter Lord 
bes Schatzes. 

Der König von Preußen war von dem Belieben der Engländer unab— 
bängig, weil er, wie bisher immer, die Koften des bevorftehenden Feldzuges 
fhon zu Beginn des Jahres gededt jah. 


1) Oben S. 306. 


310 Siebentes Bud. Bierter Abichnitt. 


So bo wie 1757, auf 12 Millionen Thaler alten Geldes außer dem 
Bedarf des Heeres in Friedenszeiten, find dieje Koften in den folgenden Jahren 
nicht geftiegen. Andrerfeits gingen infolge der Kriegsläufte und des Verluſtes 
ganzer Provinzen die ordentlihen Staatseinnahmen immer mehr zurüd. Die 
Generaldomänentafje hatte ihren Jahresbeitrag für den Staatsihat; ') ſchon im 
erften Kriegsjahre nur zu zwei Siebenteln, jpäter aber überhaupt nicht mehr 
geleitet; ihren Zufhuß für den Friedensetat der Heeresverwaltung ?) hat fie an 
die Generalfriegsfafje bis zum Rechnungsjahre 1759,60 in der vollen Höhe von 
1% Millionen, im folgenden Jahre noch zu zwei Dritteln abgeführt; in den 
beiden legten Kriegsjahren mußte fie den Betrag jchuldig bleiben. Dazu kam 
der beträchtliche Ausfall der Generalkriegskaſſe an ihren eigenen Einnahmen, ber 
Kontribution und Acciſe. Ueberraſchend nünftig waren dagegen die Ergebnifje 
der jchlefiihen Verwaltung. Der Oberpräſident Schlabrendorff ſetzte einen 
Ehrenpunkt darein, den zur Friedenszeit gemachten Voranſchlag der Einnahme 
troß des Krieges zu erreihen, und hat im legten Kriegsjahr ſogar einen Ueber: 
ihuß von beinah 300000 Thalern erzielt. 

Mit Einführung neuer Steuern oder einem Zuſchlag zu den beftehenden 
blieben die ausnahmslos von feindlichen Einfälen und Einlagerungen jchwer 
heimgefuchten preußiihen Provinzen verfhont. Nur für die Unterhaltung der 
Zandmwehrtruppen ®) legten die ergebenen Provinzialftände einen Yandmilizimpoft 
um, der bis zum Ende des Krieges alles in allem etwas über 11. Million 
eingetragen hat. Eine Anleihe ift nad 1758*) nicht wieder aufgenommen 
worden. Wenn vom November 1757 bis Ende Mai 1762 ein Teil der Be: 
amtengehälter und Gnadengelder nicht bar, fondern in bald ftarf entwerteten 
Kafienscheinen zur Auszahlung kam, fo ift durch diefe Maßregel, wie es Icheint, 
nicht viel über eine halbe Million erſpart worden. Viel bedeutender waren 
die Summen, die aus Feindesland gezogen wurden. Medlenburg wurde an: 
fänglid mit 2 Millionen, fpäter jährlihd mit 1 Million an Kontribution ver: 
anlagt, ohne daß ſich die Höhe der thatjächlich eingetriebenen Summen feftitellen 
läßt. Nach einer von dem Herzog von Medlenburg: Schwerin aufgeitellten Be: 
rechnung joll der Krieg jeinem Lande im ganzen, an Barzahlungen und an 
Lieferungen, volle 8 Millionen gefoftet haben. Dem Kurfürftentum Sadjen 
wurden — nad) einer Ausbeute von 1004912 Thalern für 1756, 3094691 
Thalern für 1757, 49447 Thalern für 1758 — auf das Jahr 1759 
db Millionen abgefordert, jeit 1760 aber nicht weniger als jährlid 12450 000 
Thaler, und wenn nun auch diefe Summe wieder bei weitem nicht voll einfam, 
jo find doch 1761 mehr als 8 Millionen, 1762 mehr als 7 beigetrieben worden, 
allerdings nur in der neuen jchledhten Münze. 

Denn das war freilich eine unvermeibliche Wirkung der während des Krieges 
zu immer größeren Umfange gelangten Ausprägung minderwertigen Geldes, 
daß auch die Einnahmen des Staates entjprehend an Metallwert verloren. 





) Bd. I, 385. 
) Bd. I, 334. 
’) Oben ©. 202. 


+ Oben S. 162, 


Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 311 


Gelegentliche Münzverſchlechterung war ſeit den Tagen des Mittelalters in den 
europäiſchen Staaten ein beliebtes Hausmittel urväteriſcher Finanzkunſt; in Frank— 
reih waren in den beiden legten Kriegen Ludwigs XIV. an die vierzig Münz- 
veränderungen erfolgt. Zumal aud in den Zoll: und Handelsfämpfen zwiſchen 
den Staaten wurde die leichte Münze wie nad ftillfehweigender gegenfeitiger 
Uebereinfunft als eine Waffe benugt. Der König von Preußen hat den erſten 
Schritt auf einer abſchüſſigen Bahn noch zur Friedengzeit gethan, als er im 
Herbit 1755 der Firma Her Mofes Gompert erlaubte, für die Zwede des 
ausländifchen, injonderheit polnischen Handels gegen einen beträchtlichen Schlag: 
ihat die jogenannten neuen Friedrichsdor zu einem Fuße ausjuprägen, nad 
welhem auf die feine Mark Gold ftatt 186 Thaler 274 famen. Im Jahre 
1757 gewährte er dann anderen Unternehmern, dem Konfortium Veitel Ephraim 
Söhne und Daniel Jia, einen Vertrag, kraft deilen fie in den Münzftätten zu 
Dresden und Leipzig ſächſiſche Drittelthaler nah dem Fuße von 19% Thaler 
auf die feine Mark Silber, ſowie Auguftsbor in ber Legierung jener neuen 
Friedrichsdor prägen durften. Bei Erneuerung des Vertrages wurden dieſen 
Münzpächtern vom 1. März 1759 ab für die Gilberprägung aud die branden: 
burgiſch-preußiſchen Münzitätten übergeben, und ftatt der bisher geſetzlichen 
14 Thaler durften nunmehr auch hier 19% in Drittelftüden aus der feinen 
Mark Silber geprägt, die „Ephraimiten”, von denen der Volksmund Fündete: 


Von außen Schön, von innen ſchlimm, 
Von außen Friederich, von innen Ephraim. 


Für die ſächſiſchen Münzitätten aber mußte der König feinen Geldmännern gleich: 
zeitig nachlaflen, die Mark in Drittelftüden gar zu 30 Thalern und in Fleineren 
Münzen, jowie polniihen Timpfen, zu noch geringerem Korn auszubringen, 
während der Feingehalt des Auguftspor noch einmal und zwar glei um die 
Hälfte verringert wurde. Und wiederum ein Jahr jpäter, am 28. Auguft 1760, 
mußte er, da die Unternehmer anders zur Erneuerung des Vertrages nicht zu 
beftimmen waren, den ſächſiſchen Drittelftüden den Zugang zu ben preußijchen 
Staatsfajjen öffnen. Von diefem Augenblif an wurden die preußifhen Münzen 
von altem Schrot und Korn, aber auch die leichteren von 1759, durch die fort 
und fort maffenhaft ausgeprägten ſächſiſchen völlig aus dem Verkehr verdrängt; 
jüdiſche Haufierer zogen von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf, um 
die beſſeren Münzen gegen ein möglichit niedriges Agio aufzufaufen und ihren 
Herren und Meiftern den Großunternehmern, zur Umfchmelzung abzuliefern. Die 
Münzverwirrung erreichte ihren Gipfel, als nun aud die Nachbarſtaaten ihre 
leichten und leichteften Münzen, und zwar zum Teil unter fremdherrlichem, ge: 
fäljchtem Stempel, jchlugen und in Verkehr bradten. Die Unterbringung der 
von ihnen geprägten Münze war Sade der Unternehmer; eine jehr bedeutende 
Summe, die Unmafje der polnischen Timpfe, floß nad Polen ab, teils durch 
Vermittelung ber Armeelieferanten, die dort ihre Ankäufe für die Magazine 
machten, teils auch in diefem Falle dank der Betriebjamkfeit der die ſchwereren 
Münzſorten auffaufenden Haufierer. Die Unternehmer rühmten dem Könige 
Anfang 1761 die Findigfeit, mit der fie aus Polen, Ungarn, Rußland „vor 


312 Siebentes Bud. Bierter Abſchnitt. 


leicht Geld” jchon mehr als 50 Millionen Gold gezogen und „aljo gemwifler: 
maßen biefe Yänder in SKontribution gejegt” hätten. Bis zu den feindlichen 
Heeresverwaltungen reichten, durch Vermittelung ihrer Prager und Warjchauer 
Geſchäftsfreunde, ihre Verbindungen, und da man im öfterreidhiichen und im 
ruffiihen Lager die neue ſächſiſche Münze als bequemftes und billigftes Klein: 
geld: Zahlungsmittel ſchätzen lernte, jo lieh fie fih auch auf diefem Wege in gutes 
öfterreichifches und ruſſiſches Gold umſetzen, das dann behufs der geihäftsmäßigen 
Vervielfältigung wieder in den nie feiernden großen Münztiegel wanderte. 

Der an den Staat gezahlte Schlagjcha belief fi bis Anfang 1761 im 
ganzen ungefähr auf 12 Millionen Thaler, für 1761 aber auf nicht weniger 
als 6 Millionen. Für 1762 verpflichteten fih die Unternehmer, 850000 Mark 
Silber gegen einen Schlagihag von 4100000 Thalern unter den bisherigen 
Bedingungen auszuprägen, mit dem Verſprechen, wenn irgend möglich die Aus- 
prägung unter entiprechender Erhöhung des Schlagihates jo zu fteigern, daß 
wie im Vorjahre der Gewinn des Staates 6 Millionen betragen würde. Die 
im Sommer 1762 wiederhergeftellte Münze in Königsberg nahmen fie gegen 
einen Schlagihag von 200000 Thalern in Betrieb. 

Die Ausprägung ber engliihen Hülfsgelder hat der König von vornherein 
wenigftens teilweife auf eigene Rechnung, ohne Zuziehung der Münzpächter, vor: 
nehmen lafjen; zulegt unter. jo ftarfer Kupferlegierung, daß aus einer Million 
zwei wurden. 

So bedenklich und für Handel und Wandel jhädlich diefe Finanzerperimente 
waren, fie leifteten dem Könige in feiner Bedrängnis doch den Dienft, daß in 
feinem Sädel niemals Ebbe eintrat. Wir hörten, daf er bereit war, den Dänen, 
wenn fie. mit ihm ins Feld zogen, Subfidien zu zahlen, ') und den Türken wollte 
er eine Million zur Verfügung ftellen. Und wie er der Hauptitabt Berlin 
nah der feindlichen Einlagerung ihre Brandihagung erfegte, jo hat er auch 
andere Städte und Teile des platten Yandes nod inmitten bes Krieges mit 
nicht unbeträdhtlihen Spenden unterftügen können. 

Finanziell alſo den Anfprücden des bevorftehenden Feldzuges gewachſen, 
erhielt König Friedrich nun aud die erjehnte militärische VBerftärfung duch das 
‚am 19. Juni endlih zum Abſchluß gelangende Bündnis mit Rußland. Der 
Preis des Bündniſſes, das Eintreten Preußens für die gottorpifchen Anſprüche 
auf das zu Anfang des Jahrhunderts dem Water Peters III. entriffene jchles- 
wigſche Gebiet, fonnte jehr unbequeme Weiterungen für König Friedrid in fih 
fließen, denn jenes Gebiet war der Krone Dänemark im Frieden von Friedrichs: 
burg von 1720 durd England und Frankreich verbürgt worden, und ohnehin war 
dem König eine Erweiterung des ruffiihen Beliges auf der cimbrifchen Halbinjel 
fein willfommener Gedanfe.?) Aber alle entgegenjtehenden Bedenken überwog die 
Erkenntnis, daß Widerrede oder aud nur Einrede gegen diefe Anmwandlungen 
gottorpifcher Revanche- und Reunionspolitif den fofortigen Bruch mit dem Zaren 
herbeiführen würde, und anderjeits die Ausfiht, 20000 Ruſſen unmittelbar 


i) Oben ©. 251. 
1, Dben S. 251. 


Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 313 


und jofort in den Kampf gegen Defterreich eingreifen zu fehen, während Preußen 
zur Stellung eines gleich ftarfen Hülfscorps gegen Dänemark für die Dauer 
jeines eigenen Krieges nicht verpflichtet fein ſollte; nur das Bellingſche Huſaren— 
regiment erbat jih der Zar zur Unterſtützung. Einftweilen unterzog ſich der 
König von Preußen auf Peters Aufforderung dem Verſuch einer Wermittelung 
zwifchen Rußland und Dänemark; in Berlin jollte zu dieſem Behuf ein Kongreß 
zufammentreten. 

„Eine ſüße Stille lebt in meiner Seele wieder auf,” hatte Friedrich feinem 
d’Argens ſchon nad der Unterzeihnung des Petersburger Friedens befannt; 
„Hoffnungsregungen, deren Gewohnheit ich jeit ſechs Jahren abgelegt hatte, 
tröften mich für die vergangenen Unruhen. . . . Im Grunde meines Herzens fage 
ih mit dem Weiſen: "Eitelfeit der Eitelfeiten, es ift alles ganz eitel. Politifche 
Thorheiten, die Thorheiten des Ehrgeizes, die Thorheiten des Eigennußes, alles 
das jollte die Seele jo wenig dauerhafter Weſen, wie wir es find, nicht erregen. 
Aber Vorurteile und Einbildungen regieren die Welt, und obaleih wir wifjen, 
daß unſer Leben eine kurze Pilgerjchaft ift, bleibt doch in unferem Innern ein 
Reft Ehrgeiz, der für ben Ruhm empfänglid macht.“ Jetzt auf der Höhe jeiner 
Hoffnungen wollte er doch nicht vergeflen, daß alles, was politiſche Konjeftur 
heiße, nichts als Schaum fei: „Wer kann davon befjer jprechen, als ich, der ich 
mich jeit jechs Jahren von allen politiihen Stürmen Europas gepeiticht fehe, 
immer dem Schiffbruch ganz nahe, bisher wie durch ein Wunder gerettet, und 
gleihmwohl immer in neuen Gefahren. Alles, was in Rußland vor fich geht, 
fonnte von Kaunig nicht vorausgejehen werden, und alles, was fi in Eng: 
land zugetragen hat, fonnte in meine politifchen Kombinationen nit auf: 
genommen werben.” 


Auf das Zufammenmwirfen nicht bloß mit den Ruſſen, ſondern aud) den 
Türfen und Tataren — denn noch lauteten die Nachrichten aus dem Orient 
andauernd günftig — legte der König feinen Feldzugsplan an. Nach drei De: 
fenfiofeldzügen glaubte er jegt zur Offenfive zurüdfehren, den Kriegsihauplag 
wieder jenjeits der öfterreihiichen Grenzen aufichlagen zu fönnen. Das gute 
Ende des Krieges, fo hoffte er, jollte jetzt nachkommen. 

Vorerft mußte Schweidnig wieder gewonnen werden. Die Aufgabe war 
ſchwieriger als 1758, weil jegt ein ftarfes Heer, das öſterreichiſche Hauptheer 
unter Daun, bie Feitung dedte. Friedrich ſchätzte die feindliche Streitmacht bier 
auf 82000 Mann; er ſelbſt hatte in Schlefien nad Abſchluß feiner diesjährigen 
Rüftungen 76000 eigene Truppen zur Verfügung. Entjendungen nad Ober: 
ſchleſien ſollten Daun zur Teilung feiner Truppen nötigen. General Werner, 
im Kampfe gegen Rufjen und Schweden als Detahementsführer bewährt, rüdte 
nit 10 Bataillonen und 15 Schwadronen ins öfterreihiiche Schlefien ein; feine 
weitere Aufgabe war, bei Kaſchau die Tataren in Empfang zu nehmen, denen 
der Quartiermeijterlieutenant von der Golg nad Jaſſy entgegengefandt worden 
war, um im Verein mit ihnen das feindliche Gebiet zu brandfchagen und zu 
plündern. Mit einem anderen Detachement, 14 Bataillonen und 35 Schmwa- 


314 Siebentes Bud. Vierter Abfchnitt. 


dronen, jollte der Herzog von Bevern, auf feinem Stettiner Gouverneurpoften !) 
jest entbehrli, die mährifhen Grenzen bedrohen. Der König nahm an, daß 
Daun mindeitens 30000 Mann dem Tatareneinbruh, mindejtens 10000 Mann 
dem Herzog von Bevern entgegenwerfen werde; alsdann und nad Ankunft der 
20000 Ruſſen glaubte er jelbit fich ftarf genug, Daum auch in beiten vorteil 
bafter Gebirgsftellung zu Leibe zu gehen, ihn zu verjagen und Schweidnitz zu 
nehmen. 

Im zweiten Abihnitt des Feldzugs mußte dann aud die Diverfion der 
Türken zur Geltung fommen. Die Hälfte der öſterreichiſchen Gefamtmadht, 
60000 Mann, würden vorausfichtlih, jo rechnete Friedrih, aus der gegen die 
Preußen umd Rufen gerichteten front verſchwinden. Er ließ den Türken bei 
feiner geringen Meinung von ihrer Kriegstüchtigfeit wiederum empfehlen,*) das 
Schladtenglüd nicht zu verfuhen; der preußiihen Kriegsführung glaubte er 
Dresden, Prag, Olmüs, als fihere Beute verheifen zu dürfen, wenn in Mähren 
ihm jelbft nicht mehr als 40000, in Sachſen dem Prinzen Heinrich und feinen 
44000 Mann nicht mehr als 20000 Widerſacher gegenüberftanden. 

Der Beginn der Unternehmung gegen Schweibnig wurde auf die erften 
Tage des Juli feftgefeßt, weil erit zu diefem Zeitpunkt die Ankunft der Ruſſen 
angemeldet war. Derweil bielt fih der König unweit von Breslau in einem 
Lager an beiden Ufern der Lohe, mit dem Hauptquartier in Bettlern. Das 
öfterreihifche Heer ftand zwiihen dem Zobten und dem Pitjchen:Berg, quer 
über dem Schweidnitzer Waſſer. 

Am 30. Juni festen die Ruſſen bei Auras über die Ober, tags darauf 
begann der Vormarſch der vereinigten Heere. Da Daun jeine Stellung un: 
verzüglih räumte und auf Schweidnig zurüdging, jo war die Handlung wieder 
auf den Schauplag der Funftreihen Schachzüge von 1760 und 1761 verlegt. 
Daun wählte zunächſt den Ausfallpoften von Kunzendorf,?) der König fein altes 
Bunzelwiger Lager,) und als die Preußen fih von bier aus in den Rüden 
des Feindes bis Seitendorf vorſchoben, bejegte Daun, um zugleih mit Schweibnig 
in Verbindung zu bleiben und den Rüdzug nah Böhmen offen zu behalten, 
die Höhen auf beiden Seiten des oberen Weiitrigthales zwiſchen Tannhauſen und 
Burkersdorf. Um ihn zu weiterem Rüdzug zu beftimmen, brad ein preußiiches 
Corps unter General Wied, nah einem mißglüdten Vorſtoß gegen Adelsbach, 
über Schatzlar und Trautenau in Böhmen ein; die an dem Streifzuge beteiligten 
Koſaken ließen jet die Untertanen Maria Therefias die Schredniffe often, 
mit denen fie die Jahre daher die preußiihen Provinzen heimgeſucht hatten. 

Im Hauptquartier zu Seitendorf erhielt der König am 14. Juli eine be: 
unrubigende Nachricht, die um jo ftärfere Beachtung verdiente, als fie von einem 
der ergebenften Anhänger des Zaren fam. Der Konferenzrat von Saldern, ein 
Holiteiner, als Bevollmädhtigter für die Verhandlungen mit Dänemark aus Peters: 
burg in Berlin eingetroffen, hatte dem Grafen Finckenſtein anvertraut, er babe 

) Oben 5. 204. 

) Bol. oben ©. 251. 

) Dben ©. 289, 202. 

* Oben S. 267. 292. 295. 


Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 315 


am ruſſiſchen Hofe zu viel beobachtet, um nicht für die Zeit der Abwejenheit 
bes Zaren — Peter ftand im Begriff, für den dänischen Krieg zu feinem Heere 
nad Deutichland zu gehen — eine Staatsummälzung beforgen zu müffen: nicht 
Prinz Iwan, der 1741 entthronte Kaiſer,) jei zu fürchten, denn mit ihm rechne 
niemand mehr, wohl aber die Kaijerin Katharina, der größte Feind, den ihr 
Gemahl und der König von Preußen in Rußland hätten. Und hinter der Kaiferin 
ſtehe eine ftarfe Partei, die fih täglich vergrößere. 

Entgegen dem ruſſiſchen Herfommen hatte Peter bei jeinem Negierungs- 
antritt feine Projfriptionglifte aufgejegt, vielmehr die Opfer der Staatöftreiche 
und Staatsprozeffe aus den Zeiten Jwans und Elifabeths begnadigt und wieder 
an den Hof gezogen, bie Nebenbuhler Biron und Münnich nicht anders als ihren 
gemeinfamen Gegner Leſtocq.)) Nur der alte Beſtuſhew mar von ber Gnade 
ausgeſchloſſen geblieben, als Bertrauensmann der jegigen Kaiſerin.“) Der Günft: 
ling Elijabeths, Iwan Schumwalow, von tiefer Feindſchaft gegen feinen neuen 
Herrn erfüllt, fah fih von dem Vertrauensfeligen mit Gunſtbeweiſen überhäuft. 
Der behutfame, in allen Sätteln gerechte Großfanzler Woronzow jah ih in 
feinem Amte betätigt, ebenjo der Staatsrat Wolkow, bisher ein entjchiedener 
Anhänger und nütlicher Helfer des Wiener Hofes, während in die Stellung des 
Vizefanzlers jener Galizin berufen wurde, ber bisherige Botſchafter in London, 
der aus feiner Feindfeligfeit gegen den König von Preußen fein Hehl machte. 
So wenig fannte der Zar die Menſchen; diefe in Ränfen und Beritellungs- 
fünften ergrauten Minifter, Hofleute und Generale mwähnte er voll harmlofer 
Selbftüberhebung als willenloje Werkzeuge in feiner Hand zu halten. In feiner 
Vertrauensjeligfeit löfte er jogar die geheime Polizei auf. 

Der König von Preußen hatte es an Warnungen nicht fehlen lafien, und 
fein vertraulicher Briefwechjel mit feinem „deus ex machina“, mit dem „Schuß: 
geiit Preußens”, als den er den bejchränften, für überſchwengliche Freundſchafts— 
beteuerungen jo empfänglihen Fürften pries, gab ihm unmittelbare und un— 
gezwungene Gelegenheit zu einem offenen Worte. Er erinnerte den Zaren an 
den Regierungsanfang des Grofvaters, an die Verſchwörung, die während einer 
Abweienheit im Ausland Peters des Großen Thron gefährdet hatte; er beſchwor 
den Zaren, nicht zum Heere abzugehen, ehe er dur die Krönung feiner 
Negierung erhöhte Weihe und ftärkere Feltigkeit gegeben haben werde: „Ich 
bin mit Leib und Seele beteiligt an Ihrer Erhaltung, und wie follte ih dem 
nicht taufendfaches Glück wünſchen, der allein in ganz Europa mir eine hülfreiche 
Hand in meinem Unglüd gereicht hat, und der fih als mein Freund erklärt, 
da meine Bundesgenojjen mich verraten?” Peter hatte leichten Herzens geant— 
wortet: „Wenn die Ruffen mir ein Leid zufügen wollten, jo hätten fie es 
Ihon lange thun können, da fie jehen, daß ich feine Wache um mich habe, mich 
immer der Hut Gottes anvertraue, allein zu Fuß auf der Straße gehe, wie 
Golg es bezeugen kann. Ich kann verfihern, wenn man die Ruffen zu nehmen 
weiß, jo kann man ihrer auch ficher fein, und, Eure Majeftät, was würden bieje 


) Bgl. Bo. I, 154. 155. 208. 
2) Val. Bd. I, 92. 202. 467. 
2) Oben ©. 157. 


316 Siebentes Bud. Vierter Abichnitt. 


jelben Ruſſen von mir denfen, jähen fie, daß ih im Zimmer bliebe zur Zeit 
eines Krieges in meinem Heimatslande, fie, bie ftets nur gewünscht haben, unter 
einem Herrn zu ftehen, und nicht unter einer Frau.” Der unglüdliche Herrſcher 
fah nicht, in welchem Grabe er bereits die nationalen Empfindlichfeiten, Bor: 
urteile und Leidenſchaften erregt und geradezu alles gegen ſich aufgebracht hatte: 
das Heer und infonberheit die Garden durch die Nahahmung des preußiichen 
Dienftes, die Geiftlichfeit durch feine Nichtachtung der orthodoren Religion und 
feine Anſprüche an das Kirhengut, den Anhang der Kaiferin durd feine Ge: 
ringihägung und Roheit gegen die Gemahlin und feinen Zweifel an der echten 
Geburt des Großfüriten Baul, die Nationalruffen insgemein und voran bie 
MWürdenträger durch feine Bevorzugung der Holiteiner. Hatte der öfterreichifche 
Botichafter, jegt Graf Mercy d’Argenteau, im April noch geklagt, daß in Ruf: 
land der Dejpotismus jedes Vaterlandsgefühl erftide, fo konnte er Ende Mai 
ſchon frohloden, daß alles vom Höchſten bis zum Geringiten über des Zaren 
tolle Regierung mißvergnügt fei, wenn man aud ſich no ruhig verhalte. 

König Friedrid wollte jene Befürdtungen Salderns am 14. Juli no für 
übertrieben halten. Aber ſchon vier Tage darauf erfuhr er die Abſetzung und 
am 31. Juli den Tod des unglüdlichen Zaren. Nach der amtlihen Mitteilung 
des rufliichen Gejandten hätte eine heftige Kolif dem Leben des entthronten 
Kaijers ein Ende gemadt. „Es wird Ahnen, glaube ich,” jchrieb Friedrich an 
Findenftein, „nicht jchwerfallen, zu ergründen, welcher Art diefe Kolik geweſen 
ift.” Er ſprach von den Semiramis, die ihren eigenen Gatten den Garaus machen. 

Katharinas Werf ift die an frühere Entwürfe !) anfnüpfende Verihmörung 
gewefen, bie am 9. Juli, dem Vorabend feines Namensfeftes, dem Kaiſer den 
Thron foftete, aber fie hat feinen unmittelbaren Anteil gehabt an dem, was 
folgte, an der Blutthat des 17. Juli. Ohne Vorwiſſen Katharinas, ja, wie es 
Icheint, au ohne Vorbedacht der Thäter, ift Peter beim Gelage, als man in 
der Trunfenheit vom Wortitreit zu Thätlichfeiten fam, von den Bariatinsfi und 
Orlow, den Gehülfen des Staatöftreiches, elend erwürgt worden. 

Das gedrudte Manifeft der neuen Herriderin an ihre Untertbanen vom 
Morgen des 9. Juli, das die Farben nicht ftark genug auftragen fonnte, zählte 
unter den Verbrechen des entthronten Raifers auch den mit dem „Todfeind“ 
geichloffenen Frieden auf, durch den das ruhmreihe Rußland unter das Joch 
gebracht worden fei. Aber jhon in dem am Abend desielben Tages den fremden 
Geſandtſchaften zugeitellten Tert war diefe Stelle weſentlich abgeſchwächt, wie 
denn aud in dem Konzept die herausfordernden Worte nicht geitanden hatten. 
Nicht der Friedensihluß an fih war der Nation ein Aergernis gewefen. Man 
begehrte feinen neuen Krieg gegen Preußen; aber noch weniger wollte man den 
Krieg gegen Defterreih für preußifche Intereffen, und am wenigjten den Krieg 
gegen Dänemark für holfteinifhe. Und Katharina felbit ermaß, wie dringend 
fie des Friedens bedurfte, um geordnete Zuftände im Innern berzuftellen. Wenn 
Sfaltyfow in Königsberg an der Spige der ruſſiſchen Truppen, um feinen Eifer 
für die neuefte Ordnung der Dinge zu befunden, in eigenmädhtiger Deutung 


1) Rat. Bo. 1, 590. 


Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 317 


jener Worte des Manifeftes den Kriegszuitand wiederheritellte, jo wurde dieſer 
Schritt von dem Hofe alsbald verleugnet; aber ihre innerfte Serzensmeinung 
offenbarte die Kaiferin, wenn fie am 22. Juli den offiziellen Erlaß an Sſaltykow 
mit der vertraulichen Erläuterung begleitete: „Seien Sie indes verliert, daß 
ſowohl ich als alle treuen Söhne des Waterlandes außerordentlich zufrieden ge: 
weſen find. Vielleicht hilft Gott, dieſen unerträgliden Frieden in unferem 
Sinne zu wenden.” Es gelte Vorſicht, denn vorerit müſſe es fich noch zeigen, 
ob der König von Preußen den Grafen Tihernyicher willig ziehen lafjen werde. 
So hatte dieſer felbit unverzüglih den Befehl erhalten, fich mit feinem Corps 
jofort von den Preußen zu trennen, in dem Falle aber, daß der König ihn 
daran hindern follte, ſich jofort „auf die füglichfte Art” mit den Oeſterreichern 
zu vereinigen. 

Tſchernyſchew meldete feinen Abmarſch ſofort am 18. Juli, als er die 
Anzeige von dem Thronwechſel eritattete, erklärte ſich aber zugleich bereit, den 
Aufbruh um vier Tage zu verfchieben, bis preußifcherjeits die Anftalten für 
feine Verpflegung getroffen fein würden. Erit zwei Tage fpäter war er in ber 
Lage, die feierliche Erklärung abzugeben, dab Rußland den Frieden aufrechtzu: 
erhalten gedenke. 

Der König war um fo peinlicher berührt, als er inmitten der Vorberei— 
tungen zu einem Sclage gegen die Oeſterreicher ſtand. 

Daun hatte jih durd das Erjcheinen preußiiher Truppen in Böhmen 
nicht beunruhigen laſſen, da er fein großes Magazin in Braunau hinreichend 
gebedt wußte. Diefes Manöver aljo hatte verfagt. „Meine Devije iſt festina 
lente!” jchreibt der König am 17. Juli; „ich fomme langjam vom led, aber 
ih habe einen noch langjameren und unbewegliheren Mann mir gegenüber, und 
mein Glaube ift nicht lebendig genug, um Berge, Kanonen und vor allem den 
Marihall Daun zu verfegen.” Schon jeit dem 13. trug er ſich nunmehr mit 
dem Plane, Daun dur einen Angriff in feiner Rechten auf die vorgeichobenen 
Roften von Burfersdorf und Leutmannsdorf, welche die Verbindung des öfter: 
reichiſchen Heeres mit Schweidnig heritellten, von der Feitung abzudrängen. 
Das Wiedſche Corps, das nad der Rüdkehr aus Böhmen jekt ſüdweſtlich von 
Schweidnig zwiihen Friedland und Gottesberg ſtand, erhielt zu jenem Behufe 
ven Befehl, im weiten Bogen nördlid um die Feltung herum, binter der 
preußiichen Hauptitellung vorbei, fih nad Grädi und Faulbrück hinzuſchieben. 
Der Angriff wurde auf den 21. Juli angeſetzt. In drei Nachtmärſchen, vom 
17. bis zum Morgen des 20., löfte Graf Wied, vom Feinde unbemerkt, feine 
Aufgabe. Andere Abteilungen nifteten ſich im Weiſtritzthale zwiſchen Burkers— 
dorf und Schweidnig ein. Zur Sicherung der Umgehungstruppen wurden nad) 
der ſchmerzlichen Erfahrung von Maren weitgehende Vorfihtsmaßregeln getroffen ; 
den mit Sturmpfählen und Ballifaden bewehrten Schanzen des Feindes wurden 
in der legten Nacht Batterieen mit befeftigten Verbindungsmwegen, eine regel: 
rechte Barallele, entgegengeitellt; andererfeits jollte das Hauptbheer am Tage des 
Kampfes vor Dauns Front in Schlachtordnung aufrüden und durch Schein: 
vorftöße den Feind bier in Schach halten und feine Aufmerkſamkeit von ben 
Stätten des ernithaften Angriffs ablenken. 


318 Siebentes Buch. Vierter Abfchnitt. 


An diefen Scheinbewegungen jollten nad der jhon vor dem 18. bis ins 
einzelne feitgeftellten Dispofition nun auch 2—3 ruſſiſche Bataillone fi be: 
teiligen. An fi unbedeutend fonnte der Anteil der Ruſſen leicht von ein paar 
preußiihen Bataillonen übernommen werden. Indes jtanden dem Könige, da 
32 Bataillone für den Angriff entiandt waren, vor der Hauptfront des Feindes 
ohne die Nuffen im ganzen nur no 14 Bataillone zur Verfügung, und es war 
ihm deshalb im hödjften Grade erwüniht, daß Tihernyihem zu jenem Auf: 
ſchub fich beftimmen ließ. So ficherte fih der König für den entſcheidenden 
Augenblid wenigſtens die paffive Aififtenz feiner flüchtigen Sommergäfte; es 
bedeutete etwas, daß Daun die Gegenwart diefer 20000 Mann mit in Anſchlag 
bringen mußte. 

Unter den Augen des Königs, der ſich nächtlicherweile aus jeinem Haupt: 
quartier Bögendorf zu den detadhierten Truppen begeben hatte, iſt dann am 21. 
von ber vierten Morgenftunde an der preußiihe Angriff dem Entwurfe gemäß 
von jtatten gegangen. Der ſonſt jo wachſame und umjichtige Daun hatte, da 
er das Wiedſche Corps noch in feiner linken Flanfe glaubte, eine Bedrohung 
feiner Rechten ganz außer Betracht gelafien. Aus dem Peilauthal auffteigend, 
erftürmten Graf Wied, Prinz Franz von Anhalt:Bernburg und Oberft Lottum 
mit dem Regiment Anhalt und 16 weiteren Bataillonen die Schanzen bei Lud— 
wigsdorf und Leutmannsdorf, während im Weiſtritzthal General Möllendorf mit 
der Garde und dem Negiment Prinz von Preußen unter gejdidter Benugung 
einer unbejegten Schlucht den Poſten von Burfersdorf umging und übermältigte. 
Ein Ausfall der Beſatzung von Schweibnig wurde von Bögendorf durch vier 
Kürajiierregimenter zurüdgeworfen. Der Sieg foftete den Preußen 760 Tote 
und Vermißte und an 850 Vermwundete; die Deiterreicher verloren 2—3000 Mann, 
darunter 550 Gefangene, und 7000 Ueberläufer. 

Tags nad dem Kampfe, noch in der Dämmerung, verließ Tſchernyſchew 
mit feinen Rufen das Lager, von dem Könige mit einem goldenen, reich mit 
Diamanten bejegten Degen und mit 15000 Dufaten bejchenft. Aber aud) 
Daun hub fich nach Verluft feiner Außenpoiten von dannen und lagerte fi, an 
die Hohe Eule gelehnt, zwiihen Tannhaujfen und Königswalde hart an ber 
böhmijchen Grenze. Er hatte noch vor furzem gemeint, daß Schweidnig, mit 
10000 Mann Belagung und einem Heere in der Nähe, faum belagert und noch 
weniger weggenommen werden fünne, indem er jebt bie Verbindung mit der 
Feitung aufgab, fam die Wirfung der Poftengefehte vom 21. für die Sieger 
dem Gewinn einer Schladht aleih. Die Belagerung fonnte begonnen werden, 
am 7. Auguft ließ der König die Laufgräben eröffnen. 

Seine großen Offenfivpläne aber traten immer mehr in den Hintergrund, 
und zwar in dem Maße, als es in Konftantinopel ftil und ftiller wurde. Die 
eriten Zweifel waren ihm ſchon im Juni aufgeitiegen; er argwöhnte, daß fein 
Friede mit Rußland der preußiichen Sade bei den Muſelmanen geichadet habe. 
Mitte Juli wagte er wieder zu hoffen, denn die Pforte jchien geneigt, in dem 
abzufchließenden Bündnis Rußland auszunehmen und den Krieg auf Deiterreich 
zu beihränfen. Anfang Auguft vollends betrachtete er frohen Mutes die Kriegs: 
erklärung als unmittelbar bevorftehend und meinte nun, daß man außer 


Siebenter Feldzug und Friedensidlüffe. 319 


Schweidnig noch Dresden, vielleicht auch) Prag nehmen, wenigitens aber Winter: 
quartiere in Böhmen und Mähren gewinnen werde. Prinz Heinrih, wie immer 
fühl, erklärte, jeine Hoffnung vielmehr auf das ſchwere Gefjhüg vor Schweidnig 
als auf die Türken jegen zu wollen; der König gab ihm zu, daß jeder fi 
felber der bejte Alliterte jei, aber Pfliht und Klugheit erheiihe, die Bürde, 
joweit es nur irgend möglich jei, leichter zu machen; werde nun auch diesmal 
jene Hülfe ausbleiben, dann werde er allerdings geitehen müfjen, daß mit 
den Drientalen nichts zu machen jei. In der That, es blieb bei dem „alten 
Lied“, und Anfang September entiagte er endgültig jeiner Hoffnung, die 
Türken in diefen Feldzug eingreifen zu ſehen. Wergebens hatte Rerin „pferde: 
mäßig“, wie er fih ausprüdte, „Tag und Naht fih abgemüht”, ohne Scheu 
vor „Reit, Feuer, Waſſer, Vergiftung und Meuchelmördern“. Streng unter: 
fagte ihm der König, auch nur einen Grojhen noch an die Türken wegzu— 
werfen, und erinnerte ihn daran, wie Jahr für Jahr der Großvezier im 
Winter ftets alles verfproden habe, um dann im Sommer immer neue Aus: 
flüchte zu finden. 

So ftodte denn auch der Vormarſch der Tataren. Der Chan madıte 
im Auguft in der Nähe von Bender Halt und erflärte, Befehle aus Kon: 
ftantinopel abwarten zu müfjen, die nicht kamen; der Refident Boscamp aber 
jchalt den „Nachfolger des Mithridates”, wie Friedrich den Chan nannte, in 
feinen Berichten einen Schurken und Hafenfuß, der es nur auf jchnöden Geld— 
gewinn abjehe. 

Friedrichs Troft war, daß das Sriegsfeuer jetzt gleichwohl erlöjchen 
werde, auch ohne große Entſcheidungsſchläge. Hatte er ſolche zu einer Zeit, 
da er den Gegner friegsluftig, überlegen, zuverfihtlih wuhte, als unerläßlid 
bezeichnet, herausgefordert, herbeigefehnt, jo itellte er jegt, da auch der Gegner 
offenbar des Kampfes müde war, die Negel auf, daß dem Zeitpunfte, in 
welchem ein Krieg zu Ende gehe, angemefjen jei, „deciſive Affairen zu ver: 
meiden”. In ähnlihem Sinne hatte er jhon in feinen „Generalprinzipien 
vom Kriege” an die Feldzugspläne im vorgerüdten Stadium eines Krieges 
geringere Anforderungen ftellen wollen, als an die Entwürfe für die Anfänge 
eines Krieges. 

Auh Daun dachte nit an eine große Schlaht um Schweidnitz' willen. 
Sein Verſuch zur Rettung der Feitung beichränfte fih, ein Gegenftüd zu Burfers- 
dorf, auf den Angriff gegen einen Außenpoften des preußiichen Heeres. 

Der König hatte in der Meinung, zum Schuge jeiner Belagerung nie 
Dedungsmannihaiten zuviel aufftelen zu können, die nach Oberſchleſien ent: 
jandten Truppen an fi herangezogen. Der Herzog von Bevern jperrte vor 
Neihenbah die Straße nad Frankenſtein, der König ſelbſt beobachtete mit dem 
Hauptheer zwijchen Peterswaldau und Bärsdorf das Lager Dauns, ein Kavallerie: 
corps hielt auf der Straße nad Landshut Wacht. Hinter diefer lebendigen 
Mauer leitete General Tauengien die Belagerung. 

Feldmarſchalllieutenant Bed, derjelbe Gegner, deſſen Gefangener vor fünf 
Jahren der Herzog von Bevern geworden war, übernahm die Aufgabe, das 
Corps bei Reichenbach zu umgehen, während Lacy und O’Donnell in der Front 


320 Siebented Buch. Vierter Abjchnitt. 


vorrüden follten. Die Umgehung gelang, gegen 5 Uhr nachmittags am 16. Auguft 
fah fich Bevern im Rüden und von vorn von ftarker Uebermadt angegriffen. 
Aber der Fal war vorgejehen; ſchon nad einer Stunde fam von Peterswaldau 
der König auf ſeinem Rotſchimmel Cäſar an der Spitze des braunen Huſaren⸗ 
regiments im ſcharfen Galopp angeſprengt, 20 weitere Schwadronen und 
9 Bataillone folgten. Unverzüglich warf ſich Oberſt von Loſſow, in welchem ber 
König einen neuen Seydlig heranwachſen jah, mit den Hufaren und den Gzettrig: 
Dragonern auf O’Donnells Schwadronen, wirkſam unterjtügt von den Dragonern 
des Herzogs von Bevern unter Führung des Generals Lentulus und durch 
eine neue, hier zum erſtenmal einem Reiterangriff beigeſellte Waffe, die reitende 
Artillerie; nach wiederholtem Stoß und Gegenſtoß wurde die öſterreichiſche 
Reiterei geworfen, ohne daß die preußiſche Küraffierreferve zum Einhauen ges 
langt war. Seine Infanterie hatte Daun auf die Kunde, daß der König unter: 
wegs ſei, das Gefecht alsbald abbrechen laſſen. So verlief binnen zwei Stunden 
„bas eigentümlichfte Gefecht des ganzen Krieges”, wie Friedrich dieſe „kleine 
Schlacht“ — das letzte Treffen, das er einem Feinde geliefert hat — nannte. 
Auch das war eigentümlich, daß nicht bloß der Sieger, ſondern auch Daun nach 
dieſem Treffen Victoria ſchießen ließ und doch zugleich der Kaiſerin berichtete, 
es gebe nun kein Mittel mehr, Schweidnitz zu retten. Er zog ſich zur großen 
Verwunderung des Königs in die Grafſchaft Glatz zurück und überließ die Be⸗ 
obachtung des preußiſchen Heeres ſeinen Vortruppen, dachte auch nicht etwa an 
eine Belagerung von Neiße. 

Dem entiprad, daß Graf Guasko, der Kommandant von Schweibnig, jetzt 
den Befehl erhielt, die Feftung zu übergeben. Aber er forderte für Die Bejagung 
freien Abzug, und der König hielt es für bedenklich, das öſterreichiſche Heer jih um 
diefe 10000 Mann verftärken zu laſſen. So wehrte ſich die Feltung bis aufs 
äußerfte und mit gutem Erfolg, da der dem Kommandanten zur Seite ftehende 
ausgezeichnete Geniegeneral Gribeauval feinem franzöfiihen Landsmann, dem 
preußiichen Ingenieur Zefebore, an Kunft überlegen war. Der König vermißte 
an Lefebure Ruhe und Feftigkeit und Hagte ungeduldig: „Wir brauden jede 
Wochen, um einen Platz wiederzuerobern, den wir in zwei Stunden verloren 
haben. . . Es gibt Feine jchöne Helena in Schweidnig, und bei uns feinen Achill.“ 
Erſt am 9. Oktober ergaben ſich Feſtung und Beſatzung — „trotz Bute und 
aller ehrloſen Schurken, die wie er denken,“ ſo teilte Friedrich ſeinen Vertretern 
in London das Ereignis mit. 

Bei Beginn der Belagerung hatte er es offen gelaſſen, ob er nad ihrer 
Beendigung in Mähren einrüden oder nah Sachſen, um Dresden wieberzu: 
gewinnen, detahieren würde. Der mähriſche Plan fiel weg, ſeitdem feftitand, 
daß die Türfen nicht kamen, ohne deren Mitwirkung ein Offenfivvorftoß zu 
nichts führen Eonnte, auf eine „elende Pointe“ hinaus fommen mußte. 

Was die Aufgabe in Sachſen anbetraf, jo bat der König vorübergehend 
daran gedacht, in Perſon dort den Oberbefehl zu übernehmen, da ihm die dies: 
jährige Kriegsführung jeines Bruders nicht Genüge that. „Wenn ich nicht jelbit 
nah Sachſen gebe,” äußerte er am 18. September, „jo jehe ih voraus, daß 
nichts dabei herausfommen wird.” 


Siebenter Feldzug und Friedensichlüffe. 321 


Die Zweifel an der Entjchlofjenheit des Prinzen Heinrich, die Schon früher 
dann und warn dem Könige aufgeftiegen waren, ') hatten durch neue Mißhellig: 
feiten zwiſchen den Brüdern neue Nahrung erhalten. Der lange zurüdgehaltene 
Groll des Prinzen war zu Anfang diejes Feldzugs zum Durchbruch gefommen in 
einem Briefe, der in dem Vorwurf gipfelte, der König gefalle fi darin, für 
fein Unglüd ihn, den Prinzen, verantwortlic zu machen: dieſe Behandlung Lafje 
ihn wohl ermefjen, für welches Schidjal er diefe ſechs Feldzugsjahre geopfert 
babe. Der König hatte geantwortet: „Eriparen Sie, Monfeigneur, Yhrem Diener 
Ihren Zorn und Ihre Entrüftung; Sie, die Sie Nachſicht predigen, mögen fie 
felber üben gegen Perjonen, welche nit die Abjicht haben, Sie zu verlegen 
oder es an Ehrerbietung gegen Sie fehlen zu laflen, und geruben Sie, mit mehr 
Güte die unterthänigen Vorftellungen aufzunehmen, zu welden die Umftänbe 
mid bisweilen nötigen.” Darauf erflärte der Prinz, mit Rüdjiht auf feine 
geſchwächte Gefundheit, und da es an jeder Ausficht auf enticheidende Erfolge 
fehle, den Oberbefehl in Sachen niederlegen zu müſſen; der König aber ant: 
wortete ihm jchroff, feine Ehre, fein Ruf und feine Pflicht gegen den Staat müßten 
ihn von jelbft von diefem Entſchluß zurüdbringen. Der Prinz berubigte fich 
noch nicht und ſchlug Seydlit zu feinem Nachfolger vor. Der König fragte, 
wie es, von anderen Unzuträglichfeiten abgejehen, um die Eintracht unter den 
Generalen beftellt jein werde, wenn Seyblig der Vorgejegte feiner Vordermänner 
fein folle? Er hatte dann die Erörterung am 22. April mit einem ganz kurzen 
Briefe geſchloſſen: „Das bißchen Erfahrung, das ich in der Welt habe, hat mich 
gelehrt, daß die Aufrichtigfeit oft zum Schlechten ausihlägt und daß das 
Schweigen vorzuziehen ift. Aus diefem Grunde aljo jchreibe ich Ihnen nur das, 
was zwingende Rüdfiht auf die Geichäfte mich unbedingt verpflichtet, Ihnen 
mitzuteilen; Sie werden das nicht übel vermerken; im Gegenteil, Ihre Leb: 
baftigfeit wird meiner Geduld, die Sie auf ſeltſame Proben Stellen, Dant 
wiſſen.“ 

Durch einen Ueberfall auf die feindliche Stellung an der Mulde bei 
Döbeln hatte der Prinz am 12. Mai ſeinen Feldzug ſehr glücklich eröffnet. Er 
folgte feinem Gegner Serbelloni, der in diefem Jahre jowohl die Deiterreicher 
wie das Neichsheer befehligte, bis über Freiberg hinaus; 60000 Defterreicher 
und Reichstruppen ganz aus Sachſen zu verdrängen, dazu reichte fein nur zur 
Hälfte vollzähliges, faum über 30000 Mann ftarkes Heer nicht aus. Cine nad) 
Böhmen ausgejandte Abteilung wurde am 2. Auguft bei Teplig zurüdgeichlagen, 
obgleih ein Seydlitz und der erprobteite aller Barteigänger, der „grüne“ Kleift, 
den Zug leiteten, die beide freilich nicht im beften Einvernehmen fanden. Und 
am 15. Oktober brachte Hadik, Serbellonis fähigerer Nachfolger, dem Prinzen 
felber bei Brand in der Nähe von Freiberg eine empfindliche Schlappe bei. 

Schon war nun nad dem Falle von Schweidnig Graf Wied mit 20000 
Mann auf dem Marie nad Sachſen: da entjchloß fich der Prinz noch vor der 
Ankunft diefer Verſtärkung den Feind, der gleichfalls Zuzug erwartete, anzu: 
greifen. So lieferte er am 29. Oktober bei Freiberg feine erſte Feldichlacht 


') Oben ©. 233. 260. 
Rojer, Aönig Friedrich der Große. 2 Aufl. 2 


322 Siebentes Bud. Vierter Abichnitt. 


und bereitete dem durch öſterreichiſche Negimenter verftärkten Neichsheere unter 
dem Prinzen von Stolberg-Gedern eine volle Niederlage. 

Der König beglüdwünjchte den Bruder zu feinem Siege in den jchmeichel- 
bafteften Ausdrüden: diefe Nachricht habe ihn um zwanzig Jahre verjüngt, 
diefer dem Staate geleiftete Dienst jei jo jchwerwiegend, daß er feine Erfennt: 
lichkeit nicht genug beweijen fünne. Er fchenfte dem Sieger demnächſt zwei Herr: 
Ihaften im Halberftädtifchen und zeichnete die Adjutanten des Prinzen durch 
Beförderung aus. 

Am 7. November traf der König aus Sclefien in Torgau ein. Noch 
trug er fi mit dem Lieblingsplan gegen Dresden, wenn nicht zu viel dabei 
aufs Spiel gejegt wurde. Er meinte, Dresden für die Friedensverhandlung zu 
brauchen, als Austaufchobjeft für Glatz. 

Aber ſchon am 9. jagte er fih in Meißen, dab er fi feine Hoffnung 
auf Dresden mehr machen dürfe. Der Feind hielt die Stellung hinter dem 
Plauenſchen Grund trog Freiberg ebenfo feit, wie vor zwei Jahren trog Torgau. 
Alfo entſchloß fi -der König, den Feldzug in Sachſen als beendet zu betrachten. 
Demnädft wurde mit den Defterreihern ſowohl in Sachſen wie in Sclefien 
für die Zeit der Winterquartiere eine Waffenruhe vereinbart. 

Ausgeihloffen von diefer Abkunft blieb das Reichsheer. Die NReichsfreife 
lagen den preußiihen Waffen jegt ebenfo offen wie nad ber Schlacht bei 
Prag.) Mit 6000 Mann fiel der grüne Kleift in Franfen ein und brands 
ihagte die Lande des Biihofs von Bamberg und Würzburg und die Reichsftäbte 
Nürnberg, Rothenburg, Windsheim; andere Truppen lagerten fih in den thüs 
ringifhen Befigungen des Erzbifchofs von Mainz und im Bistum Fulda ein. 
Allen Reihöftänden, die fih von der Sache Deiterreihs trennen wollten, ließ 
der König durch feinen Gelandten in Regensburg eine Neutralitätsfonvention 
anbieten, wie fie dem Herzog von Medlenburg: Schwerin Schon aus Anlaß des 
Friedens mit Schweden gewährt worden war. So fchloflen fie der Reihe nad 
ihren Vergleih, voran die Kurfürften von Bayern, von der Pfalz, von Köln 
und der Herzog von Württemberg, zum Verdruß des faiferlichen Hofes, der dieie 
Verhandlungen unter feine Aufpizien zu nehmen gewünſcht hätte. 

So wenig wie das Neichsoberhaupt fonnte die Neichaftände jene aus: 
wärtige Macht ſchützen oder vertreten, weldhe als Bürge bes Weitfälifchen 
Friedens in dieſen Krieg eingetreten war und eine Anzahl deutſcher Höfe durd) 
Subfidienverträge an fich aefeilelt hatte. Frankreich hatte im legten Jahr noch 
einmal 140000 Mann nad Deutihland geworfen, nicht wieder unter dem durch 
Hofumtriebe geftürzten Herzog von Broglie, jondern unter Eitrees und Soubife, 
dem Sieger von Haftenbed und dem Beftegten von Roßbach. Herzog Ferdinand 
zeigte fi mit 70000 Mann ihnen überlegen. Er ſchlug fie in der Nähe von 
Kafjel am 24. Juni bei Wilhelmsthal und am 23. Juli bei Lutternberg. 
„Sott fegne Soubife!” jpottete König Friedrih; „ob, wie billige ih die Wahl 
der Pompadour.“ Die Franzofen gingen in der Richtung auf Frankfurt hinter 
die Ohm zurüd, Ferdinand Fonnte Kaffel belagern. Am 1. November öffnete 


') Vgl. oben ©. 87. 


Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 323 


ihm die heſſiſche Hauptitadt die Thore; wenige Tage ipäter traf die Nachricht 
auf dem Kriegsihauplage ein, dab am 3. zu FFontainebleau die Friedens: 
präliminarien zwijhen England und Frankreich unterzeichnet worden waren. 

Die Verhandlungen waren jhon jeit Beginn des Jahres geführt worden, 
zuerft durch Vermittelung ſardiniſcher Diplomaten, dann, jeit dem September, 
durch offizielle Bevollmäcdtigte, in Paris durd den Herzog von Bedford, in 
London durch den Herzog von Nivernais, der für den Mißerfolg feiner Berliner 
Miffion von 1756 durch diefen Vertrauensauftrag entichädigt werden follte. 

Wie wenig hatten fi die Erwartungen erfüllt, die ſich für Frankreich vor 
einem Jahr an die Erhebung der jpaniihen Waffen gefnüpft hatten. In 
Portugal behaupteten fih unter einem deutſchen Feldhauptmann, dem Grafen 
Wilhelm von Schaumburg=Xippe, 15000 Portugiefen und Engländer gegen 
40000 Spanier; in Afien fojtete der leichtfertig heraufbeichworene Krieg den 
Spaniern die Philippinen, in Amerifa Havana, während die Franzojen jebt 
noch Martinique verloren. Und doch träumte Karl III. nod von der Er: 
oberung Portugals. Choiſeul ſagte fih, daß man ohne das Spanische Bündnis 
bei den friedfertigen Gefinnungen Lord Butes bereits im Hafen fein würde. 
So aber ftörte die Zirkel feiner Friebenspolitif ſowohl diefer impotente Ehrgeiz des 
jpanifchen Königs, über deſſen „Eifenfreffer-Miene” Choijeul fpottete, wie die 
dur die fpanifhen Verluite neu angefachte Kriegsluſt der engliihen Nation. 
Nah dem Fall von Havana war Bute im Minifterium der einzige, ber dieſe 
Eroberung herauszugeben geneigt war: in England, jagte Choiſeul, gehöre jegt 
faft ebenjoviel Mut dazu, Frieden zu ſchließen, wie Krieg zu führen. 

Aber Bute ließ es darauf anfommen, ob jeine Friedensverhandlung ihn 
zu Falle bringen würde, da er bei Fortdauer des Krieges jeinen Sturz ohnehin 
vorausjah; ohne den Frieden, jagte er mit deutlicher Beziehung auf die whig— 
giſtiſchen Gegner, fünne der junge König feine Ketten nicht löjen und feine 
Herricherrechte nicht wahrhaft ausüben. Seine vornehmfte Sorge war jett alſo, 
wie er den bourbonijhen Kronen, um ihnen ben Frieden zu erleichtern und zu 
ermöglichen, mit gutem Anftand einen Teil der ihnen abgenommenen Spolien 
zurückgeben fönne. Eben deshalb wünſchte er, daß Hellen als Wertgegenftand 
für die jchließlihe Aufrechnung im militärifchen Befig der Franzoſen bleiben 
jollte. Aus London über Paris erhielt die franzöfiihe Heeresleitung ihre Ver: 
haltungsbeiehle! Nach der Schlacht bei Wilhelmsthal jchrieb Choijeul an 
Soubife, laut einer Mitteilung aus London fei das britiihe Minifterium über 
diefe Affaire ebenſo überrafcht wie verftimmt. Bute habe nicht gewagt, dem 
Führer der englifhen Nationaltruppen den Befehl zur Einftellung der Feind: 
jeligfeiten zu fenden, aus Furcht, daß der König von Preußen davon unter: 
richtet werden könnte: „Er ſcheint mir in jeinem Briefe wütend auf Seine 
Preußiſche Majeftät, die in der That fein perjönlicher Feind ift, und ermahnt 
uns, dem Prinzen Ferdinand fräftigen Widerſtand entgegenzujegen, damit er, 
Bute, nit durd die preußiiche Partei, d. 5. dur die Partei Pitts, erbrüdt 
wird.... Sie ermefjen die Kritif und die Vorwürfe, darin fi) der König von 
Preußen gegen die englifhen Minifter ergehen würde, wenn fie das, was wir 
fhon verloren haben, als Kompenfation annähmen.” 


324 Siebentes Buch. Bierter Abfchnitt. 


Je länger die Verhandlungen fi hinzogen, um jo gefährdeter erſchien 
Yutes Stellung. „Wenn das Parlament vor Abſchluß der Präliminarien zu: 
jammentritt,“ jchrieb der franzöſiſche Bevollmächtigte Nivernais am 9. Dftober 
an Choifeul, „jo habe ih feine Hoffnung mehr.” Da gelang es mit dem Vor: 
frieden noch kurz vor Thoresichluß. 

Frankreichs Kriegsmarine war völlig vernichtet, fein überjeeiiches Gebiet 
zum allergrößten Teil verloren, feine Kriegsführung zu Lande jo untüchtig, daß 
Choifeul im Geifte den Feind jhon auf franzöfiihem Boden jah: „Unfere 
Generale,” jeufzte er, „werden im Elſaß nicht befier jein als in Heſſen.“ 
Franfreih hatte ald Gewinn nur Minorca, das in der Verluſtmaſſe durch 
Belle-Isle aufgewogen wurde,!) und die preußifchen Lande am Rhein aufzu- 
weijen, Kleve, Mörs und Geldern. Nun gab Lord Bute mit vollen Händen den 
Befiegten aus dem AZufammenfturz ihres Kolonialbefiges Eoftbare Bruchſtücke 
zurüd: in Oftindien an der Malabar: und Koromandelfüfte alles, was Frank: 
reich zu Beginn des Jahres 1749 bejeflen hatte; in Afrifa zwar nicht den 
Senegal, aber die Anfel Gorea; dazu die meilten Berlufte in Weftindien. 
England legte ben enticheidenden Wert auf die Begründung feiner Alleinherrjchaft 
in Nordamerika. Hier begab fih Franfreih des Belites von Kanada und der 
Anſprüche auf Neufhottland, Neufoundland und das Obio-Beden; nur die 
fleinen Inſeln St. Pierre und Miquelon blieben ihm als Stationen für bie 
Fiſcherei. Indem Frankreich endlich in der ebenjo vornehmen, wie übelange- 
bradten Großmut und Selbitlofigfeit, weldhe die Haltung Ludwigs XV. jeinen 
Bundesgenofien gegenüber während diejes Krieges Fennzeichnete, an Spanien 
zum Erjaß für deffen Verlufte Louiſiana abtrat, zog es den Fuß völlig vom 
norbamerifanifchen Feltlande zurüd. Und dod war auch Spanien, wie Frank: 
reich jelbit, mit einem viel glimpflicheren Frieden Davongefommen, als beide ihn 
nad dem offenen Geftändnis der bourbonifhen Staatsmänner aus Pitts harter 
Hand je erhalten haben würden, denn Spanien trat in den Belit von Cuba 
und den Philippinen zurüd und mußte dem Ueberwinder nur Florida abtreten. 

Butes Wagen wurde in den Straßen von London vom Pöbel mit Steinen 
und Kot beworfen, aber das Parlament beugte ſich vor der vollendeten Thatſache 
und beſchloß Danfadrejien. Vergebens unterzog Pitt am 9. Dezember in viert: 
balbitündiger Rede die Präliminarien fchonungslojer Verurteilung, zumal den 
Verziht auf Cuba und das Verfahren des Minifteriums gegen den König von 
Preußen, den man „binterliltig, trugvoll, gemein und verräteriſch“ von dieſem 
Frieden ausgeichloffen habe: und doch ſei Amerifa in Deutfchland erobert 
worden. Und in der That, auch nur mit einem Teil der Qunderttaufende von 
Kriegern, die Frankreich lediglih dem Wiener Hofe zuliebe und aus Haß gegen 
ben König von Preußen Jahr für Jahr nad Deutichland ausgefandt hatte, würde 
ed Kanada allemal behauptet haben. 

Das Verhältnis zwifhen England und Preußen war ein offen feindjeliges 
geworden. Bute, der in feinem ſchwarzen Kabinett den Schriftwedhiel der 
preußiihen Geſandten mit ihrem Könige Zeile für Zeile durchmuftern lieh, 


1) Oben ©. 13. 294. Dal. auch S. 110. 164 241. 244. 277. 


Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 325 


wußte, daß fie mit Pitt unausgeſetzt in Verbindung ſtanden und nichts ſehn— 
liher wünjchten, als ihn jelbft durch Pitt geftürzt zu jehen. König Friedrich 
hatte felber ehedem zu zwei Malen ji einem Kriegsbündnis durd) einen Sonder: 
frieden entzogen, und wir erinnern uns, daß jeine Vertragstheorie eine vis 
major, die Erjchöpfung der eigenen Hülfsmittel, als triftige Rechtfertigung 
jolden Schrittes betrachtete. ') Aber diejer Fall lag bier nit vor. „Gewiß,“ 
fagte Friedrich, „wenn die Sache fich jo verhielte, daß England feinen Frieden 
Schließen müßte infolge eines unglüdlihen Krieges, dann würde man folchen 
Schritt mit dem Zwang der Not entjchuldigen können; aber daß man unter ben 
gegenwärtigen Umitänden, da die Waffen Englands zu Wafler und zu Lande 
überall glücklich geweſen find, die Intereſſen feiner Freunde und Berbündeten 
leichten Herzens preisgibt, das ilt ein Ding, weswegen man lediglich den böjen 
Willen einiger Leute anzuflagen hat, die fi ein ganz anderes Syitem der 
Rechtskunde und des Völferrechts erdacht haben, als bisher gefannt und gebilligt 
wurde.” 

Nicht den Friedensihluß an fi machte er feinen bisherigen Verbündeten 
zum Vorwurf, fondern die ihn auf das tieffte verlegende Thatſache, daß bei der 
Aufzählung der deutfchen Bundesgenoffen, denen Frankreich ihre Lande wieder: 
einzuräumen verſprach, er allein gefliffentlich übergangen war. Zwar mußten 
Kleve, Mörs, Geldern von den Franzoſen geräumt werben, aber dieje Ver: 
pflihtung war fo gefaßt, daß fie ihnen erlaubte, ihre eigenen Beſatzungen durch 
Öfterreihiiche ablöfen zu laſſen. 

So ſchlimm dieſe Abkunft gemeint war, ihren Zwed verfehlte jie völlig. 

Der Wiener Hof hatte gegen den franzöfiichengliihen Friedensfhluß um 
jo weniger etwas eingewendet, ald Frankreich weitere Subfidienzahlungen ?) für 
die Dauer des Krieges zwiſchen Defterreih und Preußen und außerdem all: 
mäbliche Abtragung aller Rüditände verſprach. Und den Vorjchlag, öfterreichiiche 
Truppen in die preußifchen Rheinlande einrüden zu laſſen, nahm man zunächft 
in Wien mit lebhafter Freude an. Sehr bald aber geitand Maria Therefia 
ihrem Staatsfanzler: „Wir werden niemals zurechtlommen, diefe Länder gnug: 
fam zu bejegen.” Schon marſchierten preußiihe Truppen durch Weftfalen dem 
Rheine zu, die Kaiferin begann für die Sicherheit ihrer Niederlande zu fürchten 
und verzichtete deshalb darauf, jene von England preisgegebenen, von Frankreich 
ihr angebotenen preußifchen Gebietsteile als ein Faultpfand in Beſitz zu 
nehmen. 

Die Kaiferin fonnte jest faum erwarten, ben Frieden, „den wir alle nötig 
haben”, abgejchlofien zu ſehen; und wenn die Nachrichten aus Konftantinopel neuer: 
dings für fie ebenjo beruhigend lauteten, wie für Preußen ungünftig, jo vermochte 
biefer Umihwung do ihre Stimmung nicht mehr zu wandeln. Um jo weniger 
ald Daun nad dem Falle von Schweidnig in einer dunfeln Schilderung ber 
Zuftände beim Heere und zumal des Geldmangels und der Verpflegungsichwies 
rigfeiten zu dem Ergebnis fam: „Wenn aus den Präliminarien nichts werben 


1) Bgl. Bo. I, 180. 181. 
?) Bal. oben S. 208. 


326 Siebentes Bud. Vierter Abſchnitt. 


follte, folglich fein Friede zu hoffen, jo ſehe ich nicht, wie Ew. Majeftät den 
Krieg werden fortführen können, da nad den obwaltenden Umftänden ſehr zu 
beforgen, daß die Armee nicht einmal mehr den Winter hindurch zu erhalten 
fein wird.” 

Wie aber jollte der erite Schritt zum Frieden geichehen? Rußland bot 
jeine Bermittelung an; aber mißtrauifch gegen alles, was jegt von bort ber 
fanı, ließ Maria Therefia — es war noch im Auguft — ausweihend ant- 
morten, daß man ſchon die Bemühungen Franfreihs und Englands in Aniprud 
genommen babe und dieſe Mächte nicht durd Mangel an Folgerichtigfeit ver: 
legen dürfe. Und dod wußte man ſehr wohl, daß beide gar nicht in der Lage 
waren, ſich nügli zu maden. König Friedrid würde, jo wie jegt die Dinge 
lagen, die Bermittelung der Pompadour mit Hohn, die Butes mit Entrüftung 
zurüdgemwiefen haben. Und jo war Maria Therelia Mitte November nahe daran, 
jo hart es ihrem Stolze anfam, fi unmittelbar an den verhaßten Gegner um 
Frieden zu wenden, dba erjparte ihr diefe Demütigung der Staat, deſſen trauriges 
208 es jeit 1745 nun einmal war, immer wieder für Defterreih „die Kaftanien 
aus dem Feuer zu holen“. 

Um auf baldigen Friedensſchluß zu drängen und feines Hofes gute Dienfte 
dazu anzubieten, erſchien in Wien der ſächſiſche Geheimrat von Saul, derjelbe 
Diplomat, der vor achtzehn Fahren zwiſchen Sachſen und Deiterreih den für 
fein Land jo verhängnisvollen Vertrag zur Aufteilung preußiicher Provinzen !) 
zu ftande gebradt hatte. Als vollendeter Meifter in jeinem Fache ermaß Kaunig 
auf den erſten Blid den dreifahen Gewinn, der ſich bier bot: überhaupt einen 
Mittler gefunden zu haben, von dem Mittler, da er ohnmächtig war, feine 
herriſche Anmaßlichkeit befürchten zu müſſen, und obendrein gegen diefen Mittler, 
da er jelber den Frieden geradezu um jeden Preis verlangte, der io oft erteilten 
Verheigung quitt zu werden, daß Sachſen beim Frieden jeine Schabloshaltung 
finden follte. Bon dem eigenen Friedensbedürfnis des Wiener Hofes war in 
der Konferenz, zu der Kaunig am 4. November mit Saul und dem ftändigen 
ſächſiſchen Gejandten Flemming zujammentrat, mit feinem Worte die Rede. 
Defterreich ſei im Begriff, jo erklärte der Staatsfanzler den beiden Sadjen, mit 
verboppeltem Kraftaufwand die Vorbereitungen zum nächiten Feldzuge zu treffen: 
„bloß und hauptjählih“ dur die Rüdfiht auf die Bedrängniffe Sachſens fühle 
fih die Kaiferin bewogen, an die baldige Herftellung des Friedens zu denken. 

In Dresden hatte, während König Auguft zu Warfhau im Eril weilte, 
ununterbrochen eine ſächſiſche Hofhaltung ihren Sit gehabt. Die Königin Maria 
Sojepha, die Habsburgerin, die geſchworene Feindin des Königs von Preußen, 
hatte inmitten der feindlichen Einlagerung bier ausgeharrt, bis der preußifche 
Sieg bei Roßbach ihr das Herz brach; nad ihrem Tode hatten von Dresden 
aus der Kurprinz Friedrich Chriftian und die Kurprinzeffin Maria Antonie, die 
Wittelsbaherin, die Tochter des durch Friedvrih auf den Thron erhobenen 
bayriihen Kaifers, jchon zu wiederholten Malen für den Frieden zu wirken 
geſucht. 





) Bd. 1, 269. Bgl. ebenda ©. 280. 


Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 327 


Man kam jept überein, daß der Kurprinz einen dem König von Preußen 
ſchon befannten ehemaligen jähfifhen Beamten, den Freiheren von Fritich, mit 
einem eigenhändigen Schreiben in das preußiiche Hauptquartier jenden würde, 
offiziell mit dem Auftrage, für das jähfiihe Land Erleichterung feiner Laften 
zu erbitten. Das weitere mochte die Gunit der Stunde ergeben. 

Fritſch wurde am 29. November in Meißen von dem Könige empfangen, glitt 
von dem einleitenden Teile jeiner Aufgabe bald zu feinem eigentlihen Gewerbe 
über und übergab im Laufe der Unterredung eine ihm von dem Kurprinzen 
erteilte oftenfible Inſtruktion und weiter einen Notenmwechjel zwiſchen Kaunig 
und der ſächſiſchen Gejandtihaft in Wien, aus dem die Bereitwilligfeit der 
Kaiferin:Königin zum Abſchluß eines „billigen und anftändigen” Friedens ber: 
vorging. Der König verſprach eine jhriftliche Erklärung, verlangte aber Be- 
denkzeit: da er die hergebradhte Art des Wiener Hofes zu gut kenne, aud 
bereits das fünfzigite Jahr überjchritten und mithin Lehrgeld genug gegeben 
babe, jo müſſe man ihm etwas Zeit laſſen, damit er alles richtig und genau 
ausdrüden fünne Die Antwort, die dann Fritih am näditen Tage für den 
Kurprinzen erhielt, begann mit einem beißenden Ausfall gegen einen Sat ber 
öfterreihiichen Erklärung, aus dem König Friedrich mißverftändlih die Be: 
bauptung berausgelejen hatte, daß der Wiener Hof ihm bereits vergeblid Er- 
Öffnungen gemadt habe; alsdann wurde lediglich Auskunft Darüber erbeten, was 
man unter einem „billigen” Frieden in Wien verftehe, 

Inzwischen nahm die allgemeine politifche Lage eine dem preußiſchen Könige 
jehr unerwünſchte Wendung: die rujfiihe Vermittelung gewann eine unvorher: 
gejehene Tragweite. Friedrich hätte, nicht anders als der Wiener Hof, dieſe 
Vermittelung am liebiten, wenn es ohne Kränfung der Zarin geſchehen fonnte, 
ganz umgangen. Als dann Rubland vorihlug, daß zur Einleitung der 
Friedensverhandlung vorab ſowohl die preußiihen wie die öſterreichiſchen Truppen 
aus Sachſen abziehen jollten, hielt er das zunädit für ein Scheinwerf, womit 
die Zarin dem ſächſiſchen Hofe ihren guten Willen zeigen wolle. Nun aber 
batte jih Defterreih mit dem Vorſchlag einveritanden erklärt, und die ruſſiſche 
Diplomatie wurde immer dringender, ohne daß Fürft Nepnin, der jeit dem Juli 
im preußiihen Hauptquartier weilende Gelandte, einen Schritt weiter fam. 
„Der König,” berichtete er der Zarin, „unterbricht mich, jobald ich dieſe Frage 
nur berühre oder überhaupt von der Heritellung des Friedens ſpreche, und 
wendet fich ärgerlich von mir weg.” Der Gejandte fahte feine Anficht dahin 
zufammen, daß man durch Verhandlungen nichts erreichen werde, wofern man 
dem Könige nicht die Beligungen, die er vor dem Kriege gehabt habe, laſſen 
werde; wolle der Wiener Hof irgendweldhe Vorteile erlangen, fo müſſe er fie 
fih mit den Waffen in der Hand erfämpfen; ja es jei zu fürchten, daß der 
König ſchließlich noch jelber Entihädigungen fordern werde. 

Da verfuchte es num die Zarin am 28. November mit einem eigenhändigen 
Brief, dem eriten, den fie nad) ihrer Thronbefteigung an den König richtete. 
Zwiſchen jehr artige Wendungen und die Beteuerungen der Freundichaft und 
Dffenberzigfeit waren unzmweideutige Drohungen eingeftreut. Katharina berief 
ih darauf, daß fie die Ergebnifle der Kriegsführung geopfert habe aus ‚Friedens 


328 Siebentes Bud. Vierter Abſchnitt. 


liebe: „Ich hätte anders handeln fönnen, ich hatte die Mittel dazu in der Hand, 
ih habe fie noch.” Sie ſchloß: „Ich weiß, daß der Wiener Hof zum Frieden 
geneigt iſt. Ich könnte Ihnen Eröffnungen übermitteln, wenn ich jolde von 
jeiten Eurer Majeftät erwarten fönnte, aber unglüdliherweife haben Sie Si 
defien gemweigert, und ich fürdte jehr, daß meine beiten Abfichten vereitelt 
werben und daß ih mich auf Erwägungen hingebrängt jehen werde, die meinen 
Wünfhen und Neigungen fehr entgegen find.” 

Der König vergalt in feiner Antwort vom 22. Dezember die Artigfeiten 
mit boppeltem Maß, den fo deutlich erneuten Vermittelungsantrag aber nahm er 
nicht an: es fei feine Abficht geweſen, die Vermittelung anzurufen, jobald ſich 
das Schickſal feiner rheinifhen Beligungen klar entichieden haben würde, das 
fei auch heute noch nicht der Fall, und jo müſſe er den Schritt verjchieben. 
Und beftimmt genug lauteten die Worte: „Ich habe einige Vorteile gehabt, bie 
mich jegt bejier als ehedem in den Stand jeken, zu verhandeln.” Im übrigen 
erinnerte er die Zarin an ihre beim Regierungsantritt abgegebene Erklärung, 
dem Kriege zwilchen Preußen und Defterreich fern bleiben zu wollen, und bat, 
ihr die Frage vorlegen zu dürfen, wer mehr den Frieden liebe, ein Deiter: 
reiher, der Eroberungen machen wolle, oder ein Preuße, der nur das begehre, 
was ihm gehöre. Mehr vielleicht als irgend eine andere der friegführenden 
Mächte zur Forderung von Entſchädigungen berechtigt, beichränfe er fih doch 
darauf, die Wiederherftellung feines Beſitzes zu fordern. 

Das von dem Könige unverzüglich beantwortete Schreiben Katharinas war 
an demjelben Tage, dem 19. Dezember, in Leipzig angelangt, an weldem er 
dort ben Freiherrn von Fritich zum zmweitenmal empfing. 

In Warſchau wie in Wien hatte man die Bereitwilligfeit des Königs zum 
Eintritt in die Friedensverhandlung mit großer Befriedigung vernommen. Da 
wie bort rechnete man auf einen, wenn aud nur befcheidenen Gewinn. Ge: 
nugthuung für die Unbilden der preußifchen Einlagerung war nun feit Jahren 
das Loſungswort der Sachſen geweien, und die großen Mächte hatten dieſen 
Entihädigungsanfpruch allzeit anerfannt; noch jüngst hatte ver Wiener Hof feine 
Zuftimmung zu ber Friedensverhandlung Franfreihs mit England unter dem 
ausdrüdlichen Vorbehalt erteilt, daß ihm jelbft die Grafſchaft Glag und den 
Sachſen „einige Genugthuung” zu teil werde. Als Kaunig im Sommer 1755 
den großen Plan entwarf, nah weldhem Preußen in Trümmer geſchlagen werben 
follte, war den Sadjen für ihre Beteiligung an dem großen Kefjeltreiben das 
Herzogtum Magdeburg zugedaht worden; zu dem Zeitpunkt, da die Hoffnungen 
ber Verbündeten am höchſten geipannt waren, in den Tagen nad der Schlacht 
bei Kolin, hatte Graf Brühl jogar einen Teil von Schlefien in Wien fordern 
zu bürfen geglaubt, während nach einem anderen jeiner Iuftigen Projekte von 
damals Oftpreußen dem ſächſiſchen Prinzen Karl zufallen follte, der dann auf 
das ihm durch der Zarin Gnade veriprochene Herzogtum Kurland zu Rußlands 
Gunſten verzichtet haben würde. Seitdem hatten der landflühtige König-Kur- 
fürft und fein ihn noch immer beherrſchender Minifter viel Waſſer in ihren 
Wein gießen müflen. Was man jegt noch für allenfalls erreihbar hielt, war 
etwa die Erwerbung von Erfurt, oder der Gewinn der preußiſchen Enclaven 


Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 329 


in der Lauſitz, oder Preußens Beihülfe zur Sicherung einer Landausftattung für 
ben einen oder den anderen ſächſiſchen Prinzen, fei es daß dem inzwifchen in 
Kurland wirflih zum Herzog gewählten, aber nad) dem Tode der Kaiferin 
Elifabeth wieder verdbrängten Prinz Karl die rujfiihe Anerfennung von neuem 
erwirkt, oder dab Prinz Clemens bei der Bewerbung um ein deutſches Bistum 
begünftigt würde. Noch jchmeichelte man fi dabei mit der Hoffnung, daß 
Defterreih den ſächſiſchen Entſchädigungsanſpruch als Ehrenſache betrachten und 
als conditio sine qua non bezeichnen werde. 

Davon war man in Wien, wo verächtlich von den ſächſiſchen „Betteleien” 
geſprochen wurde, freilich weit entfernt. Der König von Preußen aber zerftörte 
alle trügerifchen Einbildungen mit einem Furzen Worte, indem er dem Freiherrn 
von Fritih an jenem 19. Dezember auf die wehleidige Frage: „Was machen 
Em. Majeftät aber mit uns armen Sachſen?“ einfach antwortete: „Ich gebe 
euch euer Land wieder.“ Weitere Vorftellungen wurden mit der Ankündigung 
abgeichnitten: „Rechnet ja nicht darauf, ein Dorf oder einen Groſchen von mir 
zu befommen.” Als der König den Sachſen tags darauf nad der Mittagstafel 
entließ, erflärte er ihm mit ftarfem Nahdrud, daß an Räumung des Kurfürften- 
tums oder an bie geringfte Linderung der Laften nicht zu denken ſei, ehe ber 
Friebe geſchloſſen und ratifiziert fein werde. Dabei händigte er dem Unterhändler 
geheimnisvoll für die Reife „eine ſchöne Piece zur Unterhaltung” ein, aus der jener 
lernen möge, „wie man Länder evafuiere”; als Fritſch das Schriftitüd nachher 
entfaltete, las er zu feiner fchmerzlihen Weberrafhung einen Schriftwechſel 
zwiſchen der preußifchen Regierung zu Kleve und dem franzöfiichen Kommiſſar, 
der da rund heraus erklärte, daß die Fleviichen Lande ihre Kontribution für das 
Jahr vom 1. Mai 1762 bis 1. Mai 1763 als ein Ganzes, ohne Nüdficht auf 
den Zeitpunft des Abzugs der franzöfiihen Bejagung, zu entrichten hätten. 

Ganz joweit ift Friedrih dem Kurfürftentum Sachſen gegenüber nicht ge: 
gangen; das aber war allerdings jeine Abficht, die Verfügung über die Erträge 
des Landes, das aus früheren Jahren große Nüdjtände !) fchuldete, bis Ende 
Februar in feiner Hand zu behalten, während er anderjeits den Abſchluß des 
Friebens nicht über den 1. März hinaus verzögert zu jehen wünſchte. 

Diefem Intereſſe Preußens an einer gemeſſenen Gangart der Friedens: 
verhandlung fam nun in willfommener Weije entgegen die Umftändlichkeit, ja 
Schwerfälligfeit des öfterreihiihen Bevollmächtigten, jo daß vorübergehend auf 
preußiicher Seite jogar befürchtet wurde, feine übergroße Langſamkeit könne das 
Merk allzujehr in die Länge ziehen. Es traf fich nicht glüdlich für den Wiener 
Hof, daß der zunächſt zum Unterhändler auserjehene Hofrat von Kannegießer, 
der 1742 bei den Verhandlungen in Breslau?) das Intereſſe feiner Gebieterin 
in jehr geſchickter Weiſe wahrgenommen hatte, im letzten Augenblide erfranfte; 
als Erfagmann trat nun der offenbar viel weniger geeignete Hofrat von Collen— 
bad die Reife nad) Sachſen an. 

Gleich zu Beginn ſah er ſich vor eine ihm gar bedenkliche Etifettenfrage 





') Bel. oben ©. 310. 
) 8b. I, 173—175. 


330 Siebentes Bud. Bierter Abſchnitt. 


gejtellt. Der König hatte mit Fritſch verabredet, dab die Verhandlungen unter 
feinen Augen in Leipzig geführt werden würden. Collenbads Inſtruktion wies 
ihn nach Dresden. Durch die Vorftellungen des Kurprinzen und der Kurprinzeſſin 
ließ er fih dort zwar beftimmen, am 23. Dezember mit Fritſch nach Leipzig 
aufzubrehen; aber ald er bei der Weberfahrt über die Elbe auf der Meißener 
Fähre die Worte hörte: „Da kommen die Wiener, die gehen zum Könige,” er: 
wachten von neuem feine diplomatiihen Skrupel und jein öfterreihiicher Stolz. 
In Wermsdorf, wenige Meilen vor Leipzig, erflärte er kurz, feinen Schritt 
weiter fahren zu wollen, und fand dann für feinen tapferen Entihluß in Wien 
um jo mehr Berftändnis und Zuftimmung, als man dort über die anfängliche 
Bereitwilligkeit des Gejandten zur Reife in das preußiſche Hauptquartier wahr: 
baft erichredt geweien war; den König damit vor den Augen von ganz Europa 
als „Friedensdiktator” anzuerkennen, das erſchien als unverträglid mit ber 
eigenen Ehre. Ihm jelbit wagte man diejes grundfägliche Bedenken freilich nicht 
mitzuteilen, jondern machte nur den einigermaßen gejuchten Einwand geltend, 
daß das Geheimnis der Verhandlung fi in Hubertusburg, dem bei Wermsdorf 
gelegenen Luſtſchloß, bejjer wahren lafjen werde, als in Leipzig. Da Friedrid 
von vornherein erklärt hatte, die Wahl des Ortes gelte ihm völlig gleih und 
er fei bereit, wenn e& gewünjcht werde, einen Botſchafter nad Wien zu jchiden, 
jo zeigte er fi mit Hubertusburg ohne weiteres zufrieden. Doch ernannte er zu 
feinem Bevollmächtigten jegt nicht, wie er beabfichtigt hatte, den Kabinettsminifter 
Findenftein, den er bei fi zu behalten wünjchte, jondern den eriten vortragenden 
Nat des Kabinettsminifteriums, den Geheimen Legationsrat von Hergberg. 

Am 30. Dezember hielten Her&berg, Collenbah, Fritih in dem ver: 
ödeten !) Hubertusburg ihre erfte Sigung ab. Sofort fiel die entſcheidende 
Forderung: Oeſterreich begehrte die noch in jeiner Gewalt befindliche Grafichaft 
Glatz. Da auch von diefer Seite ausprüdlih der Grundjag anerfannt worden 
war, daß fein Teil durch den ‚Frieden einen „reellen Verluft” erleiden jolle, jo hätte 
diefer diplomatiihe Kampf um Glag füglic nicht aufgenommen werden dürfen. 
Aber man begründete die Forderung mit dem „Intereſſe eines dauerhaften 
Friedens”, welches geichädigt werden würde, wenn dieſe nad Böhmen herein— 
tragende Gebirgslandichaft in preußifchen Beſitz zurüdfehren jollte; man bot, 
um den „reellen Verluſt“ auszugleichen, für die Erträge von Glag eine Geld: 
entichädigung. Preußifcherjeits wurde eingemwendet, daß nad dem Urteile bes 
Feldmarſchalls Daun Glatz ein Bollwerk für Schlefien, nit ein Ausfallsthor 
gegen Böhmen ſei, für Preußen alſo ein defenfiver, für Defterreich ein offenfiver 
Pag. Eilboten zwiihen Hubertusburg und Wien gingen hin und ber, ber 
Wiener Hof, mit jeinem Geldanerbieten abgewieſen, wollte nun den 1742 öfter: 
reihijch gebliebenen Teil des Fürftentums Neiße gegen Glatz eintaufhen, knüpfte 
alsdann die Wiebereinräumung von Grafichaft und Feſtung an den Vorbehalt, 
daß die Werke von Glatz gejchleift werden jollten, und ſprach erit, als aud) 
dieſe Klauſel Schroff abgelehnt wurde, den bedingungslojen Verzicht aus. Dar: 
über war der 31. Januar berangefommen. 


) Val. oben S. 236. 


Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 331 


Die weiteren Schwierigfeiten wurden dann verhältnismäßig jchnell aus 
dem Wege geräumt. Der Bevollmächtigte des Wiener Hofes erreichte durch feinen 
entichiedenen Widerſpruch, daß die für die öfterreihiiche Induſtrie unerträgliden 
bandelspolitiihen Beftimmungen des Dresdener Friedens ') nicht wiederholt 
wurden. Ebenſo entſchieden verweigerte der König eine Zuſage, beim Ausfterben 
der brandenburgiihen Nebenlinien in Ansbah und Baireuth dieje fränkiſchen 
Lande nicht mit dem preußiihen Staat zu vereinigen, jondern als Sekundo— 
genitur wieberauszugeben. Ohne MWiderrede dagegen verhieß er dem Erzherzog 
Sofeph jeine Kurftimme für die Kaiſerwahl,“) „aus Gefälligfeit und um die 
Gemüter zu bejänitigen”. Die ſächſiſchen Kontributionszahlungen jollten mit 
dem 10. Februar (einen früheren Termin hatte der König unter feinen Um: 
ftänden zugeftehen wollen) aufhören, eine Anzahl Wechjelbriefe und jonitige 
Bahlungsverfprehungen ausgenommen. 

Sp wurden am 15. Februar die Friedensurfunden unterzeichnet. Tags 
darauf verließen Collenbach und Fritih Hubertusburg, und am 17. begrüßte 
dort der König feinen Unterhändler auf der Fahrt von Leipzig nad Meißen. 
„Es iſt doch ein gutes Ding um den Frieden, den wir abgeſchloſſen haben,” 
fagte er zu Hergberg, „aber man muß fich das nicht merken lafjen.“ 


„Diefer Krieg ift entbrannt,“ jo fchrieb zu Ende des vierten Kriegs— 
jahres in dem neutralen Kopenhagen der dänifche Minifter Bernftorff, „nicht 
um ein mittelmäßiges oder vorübergehendes Intereſſe, nit um ein paar 
Waffenpläge oder Heine Provinzen mehr oder weniger, jondern um Sein ober 
Nichtiein der neuen Monarchie, die der König von Preußen mit einer Kunjt und 
einer Schlagfertigfeit in die Höhe gebracht hat, welche die eine Hälfte von Europa 
überraiht und die andere getäuſcht haben; der Krieg ift entitanden, um zu ent: 
jcheiden, ob dieje neue Monarchie, zujammengejegt aus verjchiedenen Beſtand— 
teilen, nod ohne die ganze für fie notwendige Feltigkeit und Ausdehnung, 
aber ganz und gar militäriih und mit der ganzen Begehrlichkeit eines jugend— 
lihen, mageren Körpers, beftehen bleiben wird; ob das Reich zwei Häupter haben 
und der Norden Deutſchlands einen Fürſten behalten joll, der aus jeinen 
Staaten ein Lager und aus jeinem Volf ein Heer gemacht bat und der, wofern 
man ihm Muße läßt, jeine Staatsgründung abzurunden und zu befeftigen, als 
Schiedsridhter der großen europäiihen Angelegenheiten dajtehen und für das 
Gleihgewiht zwiihen den Mächten den Ausichlag geben würde,“ 

Wie ganz fiher hatte man zu Wien im Sommer 1756 diefe neue Macht 
zertrümmern zu Fönnen geglaubt. Das Schidjal Heinrichs des Löwen wollte 
Kaunig dem preußiichen Könige bereiten, und der Jeſuit Michael Denis, der 
öfterreihifche Barde, hatte beim Ausbruch des Krieges „dem kühnen Fürften“ 
zugerufen: „Das Grab, das du gräbit, ift dir beftimmt, du ſucheſt deinen 


8b. I, 445—447. 
) Val. Bd. I, 562. 563. 


332 Siebented Bud. Vierter Abfchnitt. 


Sturz.” Aber jhon jeit 1760 hatten Maria Therefia und Kaunik ihre Hoff: 
nungen bis auf die Erwerbung von Glaß zurüdgeichraubt.!) Und zu Beginn des 
folgenden Jahres fragte der junge Erzherzog Joſeph in der erften aus jeiner 
Feder erhaltenen politiihen Denkſchrift: „Welchen Frieden dürfen wir hoffen? 
Der vorteilhafteite wird ohne Zweifel der fein, der den König von Preußen in 
den Grenzen hält, die er vor dem Kriege inne hatte. Vordem war man von 
der Ueberlegenheit der heute verbündeten Mächte, Frankreichs, Rußlands, 
Schwedens, des Reiches, Defterreihs, fo überzeugt, daß fie nur zu drohen 
brauchten, ohne erft das Schwert zu ziehen, um Genugthuung von ihren Nad: 
barn zu erhalten. Heute hat der König von Preußen ganz Europa gezeigt, 
woran er jelber nicht geglaubt hat, daß er nit nur im ftande ift, ihrer ver: 
einten Macht zu trogen, jondern fie fogar zu zwingen, einen nadhteiligen Frieden 
zu fuchen.* Jetzt war es gefommen, wie es der Thronerbe vorausgejagt hatte. 
Die Kaiferin:Königin ftellte den Kampf ein, obgleich fie dem Fortbeſtand ber 
preußiſchen Monarchie in dem bisherigen Umfang nah wie vor als jchädlidh 
bezeichnete, nicht nur für Wohlfahrt, Aufnahme und Sicherheit des Erzhaufes, 
fondern aud für die fatholifche Kirche und die deutiche Reichsverfaſſung. Das 
ber Gegner dem Erzherzog Joſeph zur Nachfolge im Reich verhelfen wollte und 
in der handelspolitiihen Frage nachgegeben hatte, war nur ein geringer Troft: 
der Friede blieb „der ſchlechteſte“ nah der Kaunitzſchen Stufenleiter. ?) 

Wie Friedrihs Feinde, jo hatten auch feine Bewunderer feinen endlichen 
Untergang als unvermeidlich betrachten wollen. „Wenn irgend ein anderer 
Mann in folder Lage wäre,” ſagte Lord Chefterfield im dritten Kriegsjahre, 
„ich würde ihn ohne weiteres verloren geben, aber Er ift fol ein Wunder von 
einem Mann, daß ih nur jagen will: ich fürchte, er ift verloren.” Gelte gleich 
von ihm wie nie bisher von einem Sterblidhen das ſtolze Wort „nec pluribus 
impar*, jo müfje doch auch Tapferkeit und Gemwandtheit zulegt erliegen, wenn 
die plures bis über einen gewiſſen Grad fich vermehrten. Und Friedrich jelbft 
hatte, als er die Waffen erhob, wohl gehofft, die Gegner einſchüchtern, zur 
Ueberlegung bringen, alsbald von der Ausfichtslofigkeit ihrer Anſchläge überzeugen 
zu fönnen; daß er aber in jahrelangem Kampf gegen eine große Koalition fich 
zu halten vermöchte, das hatte er felbit ehedem als unmöglich bezeichnet. °) 

Die Strategie, die er für ſolchen Verzweiflungskampf gegen eine Mehrzahl 
mächtiger Gegner in der Theorie fich vorgezeichnet hatte, „dem einen Feind eine 
Provinz preiszugeben und inzwifchen mit der gefamten Streitmadht gegen den 
anderen zu marjdieren, ihn zur Schlacht zu nötigen, ale Anftrengungen zu 
madhen, um ihn zu vernichten” — er hatte fie in diefen drangvollen Jahren, 
foviel an ihm war, in die Praris zu überfegen geftrebt. Er, der den Wert 
des Manövers neben der Bedeutung der Schladt fehr wohl zu ſchätzen wußte, 
der, wenn es galt, fih auf das Manövrieren und Ausweichen ebenfogut ver: 
ftand wie die großen Methodifer Heinrih und Daun, er hat doch in ber 


Siebenter Feldzug und Friedensſchlüſſe. 333 


Kriegsführung ebenſowenig wie in der Politik fih auf das Hinhalten und Ab: 
warten, das ſchwächliche beneficium temporis, ') die unvorhergejehene Zwiichen- 
fälle verlaffen wollen, ſondern das Schidjal wieder und wieder zur großen 
Entidheidung herausgefordert und dabei nur immer beflagt, daß er nicht das 
Elirier befaß, dem Gegner jedesmal, wenn er es wollte, die Schlachtenticheidung 
aufzundtigen. 

Wenn Prinz Heinrih in feiner Bevorzugung des Manövers und ans 
gefichts jeiner meiſt defenfiven Aufgaben fi geringerer Fährnis ausfegte, die 
Schlappen feines föniglihen Bruders glüdlih vermied und deshalb wohl ge: 
neigt war, fih für den trefflieren Feldherrn zu halten, jo unterfchägte er 
das ungeheure moralijche Uebergemwicht, welches Friedrihs Wagemut, Schlachten: 
froheit und Kampfesschredlichkeit den preußifhen Waffen in einem Grabe 
verichaffte, daß die Gegner nad den eriten jchlimmen Erfahrungen einen 
politiihen Offenfiofrieg, widerfinnig genug, andauernd in der taktiihen Defen: 
five führten. Vor dem Urteil der Gefchichte hat nicht der Prinz recht behalten, 
der da meinte, daß das Heer die Fehler des Königs wett machen müßte, ?) 
fondern vielmehr Napoleon, wenn er jagte, nicht das Heer habe fieben Jahre 
hindurch Preußen gegen die drei größten Mächte Europas verteidigt, aber Friedrich 
der Große, 

„Sie find nit der König,“ fchreibt Friedrich während des Kriegs einmal 
feinem d’Argens, „Sie haben weder ven Staat zu verteidigen, noch Verband: 
lungen zu führen, noch für alles Rat zu ſchaffen, noch die Verantwortlichkeit für 
den Ausgang zu übernehmen; mir, der ich unter diefer Laſt erliege, mir ziemt 
es, die Dual allein für mich auszuftehen.” Wer fo, ganz erfüllt von einem hohen 
Beruf, in ftolzer erhabener Einſamkeit fieben Jahre hindurch fein Joch getragen 
und Tag für Tag, inmitten immer neuer Widerwärtigfeiten und Enttäuſchungen, 
nur bei fich ſelbſt Rat und fchnellen, tapferen Entſchluß gefunden hatte, der durfte 
nahmals ohne Ueberhebung ih rühmen, dat zwei Verbündete in diefem Kriege 
ihm zur Seite geblieben feien: Mut und Beharrlichleit. Wir find Zeugen ge: 
worden, wie dieje Begleiter, auch wenn fie in dunfelfter Stunde feinem Blid 
entihmwanden, ſich immer wieder zu ihm gejellten; wie er, reizbar, aufgeregt, 
nicht geichaffen, das Unglüd mit Gelafjenheit zu ertragen, doch die Zweifel feines 
zagenden Menjchenherzens fieghaft in feiner Königsbruft niederzufämpfen und 
allen Verfuhungen zur Flucht aus einem anfcheinend hoffnungslofen Leben zu 
wiberitehen vermodte, bis endlich ein errettender Zwilchenfall feine Standhaftig: 
feit belohnte, jenes beneficium temporis, das er bei feinen Entſchlüſſen nicht 
batte in Anja bringen wollen. 

Auf feinen früher wiederholt zum Ausdrud gebrachten Wunſch, den Staat 
für die ſchweren Opfer des Krieges durch eine Landerwerbung zu entichädigen, hatte 
der König bei der Friedensverhandlung Verzicht geleiftet. „Hätte der Staat eine 
Provinz fih anglievern können,“ jchrieb er am 19. Februar an den Prinzen 
Heinrich, „jo wäre das ohne Zweifel ſehr gut geweien; aber da das nicht von 


1) Bl. Bo. I, 599. 
2) Dben ©. 236. 


334 Siebentes Bud. Vierter Abichnitt. 


mir, fondern vom Glüd abgehangen hat, jo ftört diefer Gedanfe meine Ruhe 
in feiner Weiſe.“ Eroberungen auf Defterreihs Koften, das hatte Friedrich fich 
vordem gejagt und ber Verlauf dieies Krieges hatte es beftätigt, ließen ſich nicht 
erhoffen, wenn fich nicht eine verbündete Macht an der militäriihen Offenfive 
unmittelbar beteiligte. An der Seite der Rufjen und in Erwartung ber Türfen 
hatte er im Sommer 1762 nod einmal daran denken können, ji eine „Salbe 
für die Brandwunde” ) zu verihaffen; aber wie befcheiden hatte er fih nad dem 
Wegfall jener umfafienden Kombination das Ziel des legten Feldzugs fteden 
müfjen. Zur Säfkularifation geiitlihen Gutes zu Gunften der am Kriege be: 
teiligten deutſchen Staaten, wie fie früher geplant worden war,?) hätte fi 1761, 
beim Tode des Kurfürften Clemens Auguft von Köln, an ſich günftige Gelegen: 
heit geboten, denn damit war defien große territoriale Nachlaßmaſſe, die Gejamt: 
beit der nordweſtdeutſchen Hodhitifter, verfügbar geworden, und jelbit Choijeul 
trat damals in den Spuren feines großen Vorgängers Mazarin dem ein Jahr 
zuvor ®) von franzöfiicher Seite abgelehnten Säfularifationsgedanfen näher. Auch 
hatten England und Preußen zunächſt verabredet, den Kapiteln der Bistümer 
Münfter, Paderborn und Hildesheim (auf den erzbifchöflihen Stuhl von Köln 
wurde ein von dem failerlihen Hofe beaünftigter Reihsgraf erhöht, zum eriten: 
mal jeit faft 200 Jahren fein Wittelsbacher) eine Neuwahl nit zu geftatten, 
jolange der Krieg währen würde. Aber dem dritten Georg lag die welfiſche 
Hauspolitik feines Großvaters mit ihren Abrundungsplänen für das Kurfürften: 
tum Hannover ganz fern, und jo ließ England die Wahl in Münfter fhon im 
Frühjahr 1762 zu und gegen Ende des Jahres, nah Abſchluß der Präliminarien 
von Fontainebleau, aud die Wahl in Paderborn und in Hildesheim. So blieb 
die Fortſetzung der Eäfularifationsarbeit des Weftfälifhen Friedens bis zum 
Beginn des neunzehnten Jahrhunderts ausgefegt. Seine „Wundfalbe” aber er: 
hielt der preußiiche Staat do viel früher. Der König konnte beim Abſchluß 
des Friedens nicht vorausfehen, dab ſchon binnen wenigen Jahren, mitten im 
Frieden, eine Provinz ihm zufallen würde, deren Erwerbung er doch nur diejem 
Kriege, infofern der Krieg feine Madhtftellung in Europa zu unbedingter An: 
erfennung bradte, zu danken gehabt hat: jein Gewinn aus dem fiebenjährigen 
Kriege wurde Weſtpreußen. 

Einen anderen Kampfpreis trug der Held bes fiebenjährigen Krieges für 
jeinen Staat und jein Volk unmittelbar und jofort davon. Nach diefem Kriege, 
jo hat er während des Kampfes einmal gejagt, werde man den Preußen Stolz 
nicht erft zu predigen brauden. Sein Wunſch, daß alle feine Unterthanen fi 
als Preußen fühlen jollten, war jet erfüllt. Ein preußiſches Selbftbewußtiein, 
getragen dur) das, was Goethe „Wert, Würde und Starrfinn der Preußen” 
nannte, hatte fich Eräftig entwidelt, und wenn die Art der „überftolzs gewordenen 
Preußen” die Landsleute „draußen im Reich“ oft abitieß und verlegte, fo iſt 
der Stählung des in den Zeiten des politiichen Niedergangs allzufehr ins Weiche 





— 


VBgl. oben ©. 242. 
Oben S. 59. 88. 167. 169. 243. 
Oben S. 246. 


.. 
— 


3 


— 


Siebenter Feldzug und Friedensichlüffe. 335 


umgeichlagenen deutihen Volkscharakters das rauhe preußifhe Mufter in der 
Folge doch zu gute gekommen. 

Der König felbft hat fich feines endlichen Sieges, feines reihlihen Ruhmes 
nicht voll zu freuen vermocht. „Unjer Kriegsruhm,” jo befannte er, „ift jehr jchön 
aus der Ferne angejehen; aber wer Zeuge ift, in welchem Jammer und Elend 
diejer Ruhm erworben wird, unter welchen förperlichen Entbehrungen und Ans 
ftrengungen, in Hite und Kälte, in Hunger, Schmut und Blöße, der lernt über 
den Ruhm ganz anders urteilen.” „Alt, fait findiih, grau wie ein Maultier, 
tagtäglih einen Zahn einbüßend, von der Gicht zum halben Krüppel gemacht,” 
meinte er nur noch auf einen Plag im Invalidenhauſe Aniprud zu haben. Er 
wolle den Berlinern, jchrieb er noch aus Sachſen an d’Argens, ihren Jubel über 
den Frieden gönnen, aber „was mich anbetrifft, mich armen Greis, fo fehre 
ih in eine Stadt zurüd, von der ih nur noch die Mauern fenne, wo ich 
niemand von meiner alten Belanntihaft mehr vorfinde, wo unermeßliche 
Arbeit mich erwartet, und wo ich binnen kurzem meine Gebeine einer Zu: 
fluchtsftätte übergeben werde, die nicht mehr gejtört werben foll, weder dur) 
den Krieg, noch durch die Unglüdsichläge, noch durch die Schledtigfeit der 
Menſchen.“ An Sansfouci wollte er gar nicht denken, denn welcher Vergleich 
bot ſich „wiſchen dem glüdlihen Zuftand, in weldem wir vor dem Kriege dort 
weilten, und unſerem gegenwärtigen Elend, zwiichen dem erlefenen Kreife, der 
bort fi verfammelte, mit der Einjamfeit oder ſchlechten Gejelihaft, die uns 
übrig bleibt”, 

Er fehrte gealtert zurüd in eine ſich verjüngende Welt. Ein neues Zeit: 
alter brach an. Während diejes Krieges hatten die Phyfiofraten ihre Programm: 
ihriften und Roufjeau feinen Emile und den Gejellichaftevertrag veröffentlicht, 
und bald wurde auch Deutichland von der Einwirkung Roufjeaus und vom Sturm 
und Drange erreicht. Die Jugend ftürmte über den „alten Fritz“ hinaus, er felbft 
ging feinen eigenen Weg weiter, handelnd, jchaffend, vollbringend, feine Welt 
formend nad feinem Bilde. 

Die „unermeßliche Arbeit”, vor die er fich geftellt jah, fie begann noch vor 
jeiner Rüdfehr in die Hauptftadt. Es galt den Finger in die Wunde zu legen, 
dem großen allgemeinen Elende unerjchroden ins Auge zu jehen, die Spuren 
des Krieges, der Verwüſtung zu verwilchen und zu tilgen, und zwar ohne ben 
geringften Zeitverluft. Einer Fahrt durch Schlefien, die er im März von Sadjfen 
aus antrat, beabfichtigte er nad) kurzer Rait am heimijchen Herde den Beſuch 
der anderen Provinzen, denn ausnahmslos hatte jie der Krieg zertreten, folgen 
zu laſſen — „eine reizende Erholung,“ meinte er, „auf die ich gern verzichten 
würde, wenn es von mir abhinge.” Aber er weiß es nicht anders: „Der 
Menih muß arbeiten, wie der Ochs pflügen muß.” Wenn er das Münzwejen 
verbefjert, die Kriegsfchulden abgetragen haben wird, dann, jo erklärt er, wird er 
ruhig fterben fünnen; und wenn er das ganze Wiederherftellungsmwerk nicht mehr 
vollbringen kann, fo will er feinen Nachfolgern wenigjtens die Wegrichtung ge: 
wieſen haben, in der fie fortfahren können, falls es ihnen belieben wird. 

Inmitten aller neuen Arbeitsjorgen hofft er, den Geſchäften doch jo viel 
Muße abzugewinnen, um feiner „biefen ganzen Krieg hindurch unaufhörlich durch 


336 Siebentes Bud. Vierter Abfchnitt. 


gewaltjante und ftürmifche Eindrüde aufgewühlten Seele” ihre Ruhe wiederzugeben, 
um „Einkehr bei fich zu halten, über ſich felbit nachzuſinnen“ und dabei fid 
der Repräjentation zu entziehen, die ihm von Tag zu Tag unerträglider dünft. 
Sein Kinderipieljeug aber im Greifenalter, jo gelobt er ſich, ſollen die geliebten 
Studien bleiben: „Mit ihnen will ich mich vergnügen, bis meine Lampe erliſcht: 
fie mildern den Sinn und bewirken, daß die Strenge der PBergeltung, die 
Schärfe der Strafen, fur; alles, was die Herrichergewalt an Härte mit fi 
bringt, ſich mit Pbilojopbie und Duldfamleit zu der Miſchung paart, deren es 
bedarf, wenn man Menſchen regieren joll, die nicht vollfommen find, und wenn 
man felbit dabei nicht vollkommen ift.“ 





Adıtes Bud. 


Viederauſnahme der Friedensarbeit und neue Gebiefserweiterung. 


Kofer, Aönig Mriedrih der Große, II. 2. Aufl 


— 
1 


Erfter Abjchnitt. 


Das Retablilfement. 


SLR abe ich mich gut gehalten? jo will König Friedrid feinen Vater im 
nädtliden Traume gefragt haben, der ihn inmitten der heißeften 
Drangiale des Siebenjährigen Krieges in die Tage jeiner bewegten 

Jugend zurüdtrug. 


Wie oft hat Friedrih Wilhelm I, wenn er ſich von jeinen Verbündeten -, . 


mißachtet glaubte, zornig gejagt, er wolle nicht ihr Beiläufer, ihr Galopin, ihr 
Mietsgaul fein. Jetzt hatte jein Staat die großen Mächte, die vormals als Bundes: 
genojjen ihn ihr überlegenes Gewicht hatten fühlen laffen, als Gegner vor ſich 
auf dem Plane gehabt. Am Kampfe gegen die furdtbarfte Koalition, die Europa 
je geichaut hatte, an dem erften allgemeinen europäifchen Kriege war der König 
von Preußen wahrlich nicht als Nebenfigur, als „Beiläufer”, auch nicht mehr 
als Zweiter an der Seite eines Größeren beteiligt gemwejen, wie nod in feinen 
beiden eriten Kriegen, ſondern als der Hauptkämpe, der jtarfe Gemwaltige, der 
Held des blutigen Stüds. Die Meinung war gründlich widerlegt, daß Preußen 
Erfolg und Gewinn nur einem breiften Spiel, dem Zufall, feiner Gefchidlichkeit, 
andere für fi arbeiten zu laffen, zu danfen gehabt habe. Als der Mann bes 
Jahrhunderts ging der König, als der Staat der Zukunft fein Königreih aus 
dem ungeheuren Ringen hervor. 

Unter den Militärmächten Europas nad) diefer Kraftprobe unbedingt als die 
. erfte anerkannt, befand fich Preußen troß jeiner fnappen Hülfsmittel zwiſchen 
ben Großjtaaten jetzt auch finanziell in nicht ungünftiger Lage. So überrajchend 
e& Klingen mag, Friedrih war der Meinung, daß jein Staat, der die Kriegs: 
ſchulden jofort hatte abtragen und den Staatsſchatz jofort hatte auffüllen können, 
- finanziell leiftungsfähiger aus dem Kriege hervorgegangen jei, als England, 
Frankreich oder Dejterreih. Er glaubte das eigentümliche Verhältnis feititellen 
zu fönnen, daß dort die Regierungen mit Schulden überlaftet und fait ohne 
Kredit jeien, die Völker dagegen nur an dem höheren Steuerbrudf den Krieg 
empfunden hätten, mährend in Preußen das Land durch die feindlichen Sn: 


340 Achtes Bud. Erfter Abichnitt. 


vafionen ausgejogen, die Regierung aber im Beſitz hinlängliher Geldmittel ge: 
blieben jei. Solange die Geldbeutel der Großftaaten leer find, folgerte er, 
folange werden wir in Ruhe und Sicherheit leben; und er geftand, daß biefe 
Ebbe in den Kaſſen ihm als ein zureichenderer Grund für die Friedensliebe 
feiner bisherigen Feinde erjcheinen wolle, als ihre Humanität. 

So war Preußens Finanzlage beim Ausgang des Krieges eine durdaus 
andere als in der Epoche nah dem Frieden von Dresden, in ber ein Staats: 
ſchatz erſt almählih wieder gefammelt werden mußte. Schon nad wenigen 
Jahren durfte fich der König mit dem Gedanken beſchäftigen, Schwediſch-Pom— 
mern und Stralfund bei den Geldverlegenheiten der Krone Schweden durch 
Kauf in preußifchen Befig zu bringen. Und als Rußland demnäcft feinen Krieg 
„gegen bie Pforte führte, war Preußen ohne weiteres im ftande, die Subfidien 
zu bezahlen, die es in feinem Bündnis mit Rußland für den Kriegsfall ver: 
heißen hatte. 

In diefem Bündnis mit dem nordifhen Nahbarn lag ein weiteres Mo: 
ment der Stärfe und Sicherheit Preußens nad dem Siebenjährigen Kriege. 

Um das Bündnis mit Rußland, als der Macht, gegen die Preußen im 
Kampfe nichts gewinnen, jondern nur verlieren könne, hatte der König in ben 
Anfängen feiner Regierung eifrig, aber erfolglos geworben. Aus gewichtigen 
Gründen hat dann die legte der vier fürftlichen Frauen, die zu Friedrichs Zeiten 
die Geihide Rußlands gelenkt haben, die Freundſchaft Preußens der öfter: 
reihiichen vorgezogen; ſchon machte der Gegenjaß fid geltend, der in ihrem Ver: 
bältnis jomwohl zu Polen wie zu der Pforte zwifchen den beiden im Sieben: 
jährigen Kriege verbündeten Kaiferhöfen beitand. Die damaligen Abwandlungen 
der Geichide Polens hat das preußifch-ruffifhe Einvernehmen überdauert; das 
neue Problem der orientaliichen Frage hat zu der Auflöfung des Bündnifjes 
geführt, die den König von Preußen am Abend feines Lebens nötigte, noch 
einmal nad neuen Verbündeten Umſchau zu halten. 


Als König Friedrih am 15. Februar 1763 zu der ruhmreichen Beendigung 
des Krieges mit dem Worte beglüdwünfcht wurde, diefer Tag werde der ſchönſte 
feines Lebens fein, entgegnete er: „Der fchönfte Tag im Leben tft der, an dem 
man es verläßt.” In diefer weltmüden Stimmung hatte er während des Krieges 
gern von feinem Plane geſprochen, beim Friedensihluffe die Regierung nieder: 
zulegen, da man zwiſchen all den Wirrwarr und das letzte Stündlein eine 
Ruhepauſe einjchieben müſſe: da wolle er dann ohne jeden Zwang auf dem 
Zande leben, in einem einfahen Haufe, deſſen Zeichnung er fi ſchon entworfen 
hatte, 100000 Thaler jährlich von den Staatseinfünften ſich vorbehalten, 12000 
für feine Tafel, 20000 für Liebhabereien verwenden, den Net als Jahrgelder 
unter feine Gefährten verteilen; jeder Fremde von Geift und befanntem Namen 
folle willkommen jein, bis auf die lediglich durch ihre Neugierde herbeigeführten 
Gaffer; das heiße fich die legte kurze Strede des Lebenspfades mit Blumen 
beftreuen. 


Das Retabliffement. 341 


Mit einem ähnlichen Plan zur Weltflucht und zu beſchaulichem Stillleben 
hatte auch ſein Vater geſpielt, und noch manch anderer Fürſt und Staatsmann 
hat unter des Tages Laſt und Hitze beteuert, ſich nach voller Ruhe zu ſehnen. 
Aber wem eine Herrſcherſeele und die Herrſcherkunſt zum Erbteil gefallen find, 
dem bleibt doch, hoch über allen Anwandlungen der Müdigkeit, „zu jeiner Kunft 
die ewige Leidenſchaft“, und er wird mit Willen nie der ſtarken und ftärkenden 
Gewohnheit des Befehlens, des Wirkens entjagen. Der ruhige Genuß wäre feiner 
Herrenart zuwider. 

Zudem aber vergaß eine Herrihernatur wie König Friedrih nie, daß 
Herrihaft Dienst ift, und daß des Staates erfter Diener, als den er vorlängft 
fich bezeichnet hatte, durch feine Dienftpflit an den Staat gefettet blieb. 

Vorab galt es, das Verſprechen einzulöfen, das er 1760 inmitten der 
größten Echrednifje des Krieges in einem Erlaß aus jeinem Hauptquartier 
niebergelegt hatte: „daß er hiernächſt als ein redhtjchaffener und treuer Landes— 
vater alles ihm auf der Welt nur mögliche thun werde, was zum Soulagement 
feiner getreuen, durch die feindliche Invaſion betrübten und verunglüdten Unter: 
thanen geſchehen könne.“ 

Friedrich hatte in ſeiner brandenburgiſchen Geſchichte ſeinem Urgroßvater, 
dem Großen Kurfürſten, nachgerühmt, daß er in der allgemeinen Auflöſung am 
Vaterlande nicht verzweifelt habe. „Am Baterlande nicht verzweifeln, jondern 
dem Verderben den Mut entgegenwerfen,” das wurde jet feine eigene Loſung 
für die Wiederaufrichtung des zu Boden getretenen, aus taujend Wunden blu: 
tenden Staates. Der troftlofe Zuftand feiner meilten Provinzen erinnerte ihn 
nur zu lebhaft an die Zerrüttung Brandenburgs beim Ausgang des Dreißig- 
jährigen Krieges. Damals war der Landesherr nicht reich genug gewejen, zu 
helfen, zu beilen, aufzubauen, und fo war nach Friedrichs zutreffender Bemerkung 
ein volles Jahrhundert verjtrichen, ohne daß die Spuren der großen Verwüſtung 
ganz verwiſcht waren. Eben dieje Erfahrung bejtärfte ihn in dem Entichluß, 
jegt mit voller Hand überall jeine Hülfsfpenden auszuteilen. 

Aber nicht lediglich) die Heilung der Kriegsfhäden, nicht die einfache Her- ' 
ftellung des früheren Zuftandes wurde angeftrebt. Große Kulturaufgaben, die 
vor dem Kriege entweder ganz hintenangejegt oder nur ungenügend geförbert 
und noch durch Hindernifje aufgehalten worden waren, fie wurben jegt inmitten 
des allgemeinen Verfalls mit friidem Antrieb ergriffen, als fjollten nad dem 
langen Stoden der Verwaltungsthätigfeit die fieben verlorenen Jahre jegt in 
ſchnellſtem Anlauf wiedereingebracdht werden. Hebung der Volksschule, Beſſerung 
der Lage des Bauernitandes, Schaffung der noch fehlenden Manufakturen, das 
waren drei große Ziele, die alsbald nach der Unterzeihnung des Friedens ben 
beteiligten Behörden mit Nahdrud gemiejen wurden. 

Des Königs eriter Befuch galt nad dem noch im Leipziger Hauptquartier‘. ı 
feftgeftellten Reifeplane der Provinz, um die all die unermehlichen Ströme Blutes - 
gefloffen waren und die feine Gewalt auf Erden ihrem Beliger zu entreifen ver: 8 
mocht hatte. Eben hatte Schleſien allerorten das Friedensfeſt gefeiert, jett 
ſchmückte ſich Stadt und Land aufs neue zur Begrüßung des ſieggekrönten 
Herrſchers. Eine jede dieſer in den Kriegsnöten verarmten Bürgerſchaften leiſtete 


342 Achtes Buch. Erfter Abſchnitt. 


an Feſtlichkeiten, was ihr möglih war, und der König ließ ſich die von Herzen 
gut gemeinten, aber einigermaßen ermüdenden Huldigungen geduldig gefallen, 


auch wenn bei der Fahrt durch die feftlich beleuchteten Straßen von Breslau 
die dichtgedrängte Menge feinen Wagen immer von neuem zum Halten nötigte. 
Daß er auf reihe Abwechſelung nicht rechnen durfte, gewahrte er glei in 
Lömwenberg, dem Grenzftädthen am Bober, wo er bei der Ausfahrt aus der 
Stadt den ihm ſchon unter der Ehrenpforte am Eingangsthor vorgeführten 
lebenden Stanbbildern, Knaben in römisher Tradt und Schäferinnen, wohl: 


, ; gelaunt zurief: „Kinder, feid ihr ſchon wieder da?” Was äußerlid einem 


Triumpbzug gli, war feinem Zwede nah eine Dienftreife und Erfundungs: 


. j fahrt. Nicht um der Schauftellung willen fam der Yandesherr, das Elend wollte 


er mit eigenen Augen ſehen. Ueberall mußten Berichte und Zahlen vorgewielen 
werden, als Unterlagen für die Bemefjung der überall unentbehrliden Spenden 
an Geld, an Ausfaat und Brotforn, an Vieh und Bauftoff. 

Zum 30. März meldete ſich Friedrih in Berlin an. Die Straße aus 
Schlefien führte ihn an dem Kunersdorfer Schlachtfeld vorbei. Der Beſuch 
diefer Echidjalsftätte am Morgen des 30. war gleihjam der legte Abjchied vom 


x Kriege vor der Nüdfehr in die Hauptftadt. Auch ſonſt gab e& unterwegs aller: 


band Aufenthalt. Zu Taßdorf, fehs Meilen vor Berlin, begrüßte den König 
während des Pferdewechſels der Landrat v. Nüfler von Niederbarnim und 
jchilderte ihm den Notftand der Kreisinfaflen in Gegenwart einer großen Menjchen: 
menge — denn überall auf den Borjpannplägen war viel Volf aus der Um— 
gegend zufammengeftrömt. Der König beichied ihn für den zweitnächſten Tag 
nad Berlin auf das Schloß; dort werde er mit allen Landräten der Kurmarf 
beiprechen, wie er dem Lande helfen könne und wolle. 

So wurde erft in jpäter Abendftunde, zwifhen 8 und 9 Uhr, die Haupt: 


ſtadt erreicht; feit Stunden erwartungsvoll auf dem Plage, hatten die Bürger 


fih noch eben mit Fadeln verfehen. Unter der Ehrenpforte am Frankfurter 
Thor nahm der König die Glückwünſche des Magiftrats entgegen; ben ihm von 
der Stadt dargebotenen Prunfwagen mit den „goldbehängten Roſſen“ beftieg er 
nicht, fondern lenkte mit feinem Reifegeipann, weiteren Huldigungen ausmweichend, 
durch abjeits gelegene Straßen dem Sclofje zu, wo die Königin mit den Prinzen 
und Prinzejfinnen und dem ganzen Hofftaat ihn erwartete. Am Morgen famen 
die einzelnen Abordnungen mit ihren geitern abend nicht überreihten Glüd: 


wunſchgedichten zu ihrem Recht: die Kaufmannſchaft, die franzöfifche Kolonie, das 


Schlädhtergewerfe als die vornehmfte Innung, die Schügengilde. Ihrem Em: 
pfang jchloß Ti gegen Mittag eine große Cour an; dann zeigte ſich der König 
der jubelnden Bevölkerung auf einer Umfahrt durd die Straßen nadträglid in 
dem Einholungswagen, ihrem Geſchenk. Eine allgemeine Jllumination und mehr: 
fache Hoffeftlichkeiten blieben für die nächſten Tage aufgefpart. 

„3% befinde mich in einer Stabt,” fchreibt Friedrich kurz nad feiner An- 
funft an feine Schwefter Ulrife nah Stodholm, „wo id die Mauern kenne, 


. aber wo ih die Perfonen, die der Gegenftand meiner Ehrfurcht oder meiner 


Freundſchaft waren, nicht wiederfinde. Ich bin fremd hier, meine liebe Schweiter, 


. biefe fieben Kriegsjahre haben die ganze Stadt verändert, es bleiben wenige 


Das Retabliffement. 343 


übrig von meiner Bekanntſchaft, und wenn id) von den Gebäuden abjehe, würde 
ich hier fo fremd fein, als ob ih in London wäre.” 

Die Landräte waren am 1. April pünktlih zur Stelle. Nüßler führte ’ 
das Wort, lebhaft und eindringlih. Der König unterbrah ihn: „Sei Er ftille 
und lafje Er mid; reden. Hat Er Crayon? — Nun, ſo jchreibe Er auf: die 
Herren jollen aufjegen, wie viel Roggen zu Brot, wie viel Sommerfaat, wie "- 


viel Pferde, Ochfen und Kühe ihre Kreife höchſt nötig brauchen. Ueberlegen 5 
Sie das recht, und kommen Sie übermorgen wieder zu mir.” In der Zwiſchen- 


zeit führte der alte Eichel mit einigen Vertrauensmännern die Beiprehung fort; 
er zeigte ihnen „ganze Bände” von Unterftügungsgefuhen. Nicht alle Bitten 
ließen fih erfüllen, aber wenigitens jo weit fonnte der Not ‚gefeuert werben, daß, 
wie Nüßler anerkannte, „fein Unterthan zu Grunde ging“. 

Die Arbeit chien fein Ende nehmen zu wollen. Auch im Eleinen und ; 
Heinften wurde das Eingreifen des Königs verlangt, feine Geduld wurde bis: 


weilen auf eine harte Probe geftelt. „Sie ſchreiben mir von Wahslihtern,“, 


antwortet er am 14. April dem Marquis d’Argens, „und bier ſpricht man mir 
von Heringen. In der That, darum verlohnte es fih, Krieg zu führen, daß 
ih auf meine alten Tage zum Krämer werden joll. Ich gehe auf das große 
‚Ganze, mein Lieber, ih orbne den Münzfuß und andere Dinge von größerer _ 
5, Bedeutung für den Staat; Brot und Fleiſch gehören zu diefer Kategorie, aber. 
Heringe, Stiefeln und Wachslichter werden von jelbft in Ordnung kommen, 
‚wenn bie Hauptfache geregelt if. Adieu, mein Lieber, ih habe den ganzen 
fangen Tag gerechnet, ih bin müde.” 

Ende April war die Mafje der dringendften Gefchäfte jo weit aufgearbeitet, 


daß er fi bei dem ſchönen Frühlingsmetter ein paar Erholungstage in Sant: ,, 


ſouci gönnen durfte. „Wirklich,“ ſchreibt er dort am 12. Mai „jeht ift die Zeit, 


da es auf dem Lande am ſchönſten ift, wenn man jeden Tag Knofpen und Blüten 5 


und das Fortſchreiten aller Schöpfungen der Natur jchaut, die miteinander zu 


wetteifern jcheinen, um ihren Nährboden und alle Fluren zu ſchmücken. Ich “ 


ſpreche mit Entzüiden davon, da ich ſchon feit acht Tagen dies reizende Schau: 
jpiel Hier genieße.” Er fegne den Himmel, gefteht er einige Wochen fpäter 
dem Prinzen Heinrih, daß er jegt nur dummes Zeug als Stoff für feine Briefe 
babe: „das ift mehr wert als Feldzugspläne im Vorrat für drei oder vier vor- 
auszujehende Berzweiflungsfälle.” 


Längere Ruhe durfte er erft nad Beendigung der Rundreiſe dur die... 


Provinzen — nur DOftpreußen erhielt feinen Bejuh — erhoffen. Das nächſte 
Biel war Pommern. Stargard, Greifenberg, Treptow, Kolberg wurden befidhtigt, 
in Kolberg mit bejonderer Aufmerkſamkeit die Stätten ber wieberholten rühm- 
lihen Berteidigung. „Ich habe,” jchreibt der König am 26. Mai nad der -- 
Wiederanfunft in Berlin, „die vom Kriege am jchwerjten geichäbigten Gegenden ° 
durdeilt und babe gethban, was von mir abbing, um ihnen wiederaufzubelfen. 
Obgleich mande Landftrihe ſehr gelitten haben, ift das Unheil nicht fo groß, wie 
es die Uebertreibung gemacht hat, und ich jchmeichle mich, daß Pommern in zwei 
Jahren bevölkerter und befjer im ftande fein joll, als vor dem Kriege. Die Neu: 
marf ift in voller Thätigfeit, alles regt fich, ein jeder legt die Hand ans Werf.“ 


344 Achtes Bud. Erfter Abfchnitt. 


An der Fahrt durch die weitlihen Provinzen im Juni beteiligte fih Prinz 
Ferdinand von Braunfdhweig; er durfte dem Könige feine Siegesfelder von 
Minden, Bellinghaufen und Krefeld zeigen. Auf feinem Landfig bei Kleve wurde 


ein alter Jugendfreund befucht, jener Spaen, der einft in die Fluchtpläne des 


Kronprinzen eingeweiht gewejen war und dann in holländifhen Dienften es zum 
General gebracht hatte. Auch bier gab es zwifchen den Empfängen und Feſt— 
lichkeiten aller Orten ernfte und anftrengende Arbeit; auch bier jahen fidh die 


Beamten mit jener in medias res führenden Frage: „habt Ihr Crayon?“ bes 
‚grüßt; Berichte, Liften und Anträge wurden eingeforbert und alsbald, noch an 
‚Ort und Stelle, genau geprüft und mit eingehenden Beſcheiden verjehen. 


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Hr } % 
Sp war das. Sietablifement überall in die Wege geleitet; die Früchte 


r mußten abgemwartet werden. Erſt jegt durfte der König an ſich felbft, an das 


Retablifiement feines eigenen Heims, feiner „Penaten“, denken. Der alte Kreis, 


die klaſſiſche Tafelrunde von Sansjouci, war zeriprengt. Sollte es gelingen, 


noch einmal einen ſtarken Helden im Reiche der Geifter zu gewinnen, der die 


‘ anderen um Haupteslänge überragte, ber einen Voltaire und defjen feit vier Jahren 


zu den Toten entbotenen Widerpart Maupertuis erfegen mochte? Wie vor 23 Jahren 
Maupertuis, begleitete den König auf der Nüdjahrt vom Rhein nad Potsdam 
Jean Le Rond d'Alembert, das Haupt der Encyflopädiften, der Mann, auf den 
ih jegt Friedrichs ganze Hoffnung ſowohl für ſich perſönlich wie für jeine Afa: 
bemie richtete. 

D’Alembert wurde von bem Augenblid an, da er am 11. Juni in Geldern 
zu dem föniglihen Reifezuge ftieß, von Friedrih mit warmer Herzlichfeit wie 
ein alter Freund, von allen anderen mit ehrerbietiger Auszeihnung behandelt. 


Beim Beſuch der braunſchweigiſchen Verwandtſchaft in Salzdahlum waren er 


und Graf Borcke, der Oberhofmeiſter des Prinzen von Preußen, die einzigen 
nichtfürſtlichen Teilnehmer an der Familientafel, und d'Alembert mußte ſich da— 
für gefallen laſſen, an dieſem Hofe von jedermann als Marquis angeredet zu 
werden. Mehr Zeit als unterwegs konnte Friedrich ſeinem berühmten Gaſte in 
Potsdam widmen, an der Mittagstafel, die ſtatt einer Stunde in dieſer Geſell— 
ſchaft mehr als zwei währte, beim Souper, das ſich bis gegen Mitternacht aus— 
dehnte, im Konzert, bei den Spaziergängen ſelbzweit im Park von Sansſouci, wo 
der König eine Roſe pflückt und ſie dem Begleiter mit den Worten reicht: gern 
gäbe er ihm Beſſeres. So zeigte er ſich andauernd in fröhlichſter Stimmung, 
von der liebenswürdigſten Seite; glaubte doch d'Alembert einer vertrauten 
Freundin nach Paris ſchreiben zu dürfen, niemand könne weniger zur Medi— 
ſance neigen, mehr bereit ſein, alle Dinge von ihrer guten Seite zu ſehen: 
„Seine Art zu unterhalten iſt von eignem Reiz, heiter, mild, lehrreich.“ Ueber— 
raſcht war der Franzoſe trotz allem, was ihm vorher geſagt worden war, von 
der Vertrautheit dieſes deutſchen Fürſten mit der franzöſiſchen Litteratur, als 
hätte er ſein ganzes Leben auf ihre Lektüre verwandt: „Ich kann ihm keine 
bedeutende Stelle anführen, zumal aus unſeren Dichtern, ohne daß er ſie eben— 


Das Retabliffement. 345 


fogut kennt, als ih.” Friedrich zeigte ihm mit Behagen und eingehend jeine 
auserwählte Heine Büherfammlung im Turmzimmer von Sansjouci und führte 


ihn zwei Stunden lang in der Bildergalerie herum, „ebenjo beredt über Malerei, » 


wie über Kriegsführung oder Politit”. Weniger erfreulich war dem Ga der 


Aufenthalt in Charlottenburg; die Unterkunft in dem fahlen, noch alle Spuren 


der feindlichen Plünderung tragenden Schloſſe jehr unbehaglich, die Mahlzeiten, -- 


zu denen hier Generale und Staatsbeamte Einladungen erhielten, fteif und 
langweilig: alle diefe Herren ſcheinen ihm Mönche aus La Trappe zu fein, fie 
iprehen fein Wort und begnügen fih dann und wann zu dem, was fie hören, 
pflihtichuldigft zu laden. D’Alembert wohnte in der Charlottenburger Schloß: 
fapelle mit dem Könige jener Aufführung des Graunſchen Tedeum bei, der 
nahmals die Sagenbildung fi bemächtigt hat; er wurde in Schönhaufen der 
Königin vorgeftellt und befuchte in Berlin am 14. Juli die Sigung der Afademie. 


Damit war die enticheidende Stunde gekommen. Bedeutungsvoll fragte /, 
ihn der König, was fein Herz ihm ſage — ſchon in Potsdam hatte er die An- 
jpielung gemadt: ob d’Alembert nicht mit den armen Waiſen Mitleid haben 1. r 
würde. Der Philofoph war feit lange vorbereitet. Schon 1752, während einer 


jhweren Erfranfung Maupertuis’, war ihm die Anwartihaft auf den Vorſitz 
in der Akademie angeboten worden; jeßt galt in Frankreich feine Ernennung 
ihon als vollzogen. Aber d’Alembert jcheint feinen Augenblid zweifelhaft ge: 


weſen zu fein. Er erklärte, daß er feſt entichloffen fei, auf fein Vaterland nicht 49 
zu verzichten, und Friedrich entgegnete, er wolle warten und jeine „iträflihen” 


Wünſche zurüddrängen. Es hatte wohl nicht erft der Warnungen des unver: 


jöhnten Voltaire bedurft, der untröftlid gewejen wäre, wenn es jeinem ver: , 
baten nordiſchen Salomo gelungen wäre, für ihn, den Verſtoßenen, Erjag zu 


Ihaffen. Freiheitsfinn und Heimweh waren zwei gleich ftarfe Antriebe für 
d’Alembert. Während diejes zweimonatlihen Aufenthaltes an einem Hofe, der 
ein Hof eigentlih nicht war, ergaben ſich doch jofort für feine Lebensgewohn— 


heiten eine Anzahl von Störungen, die ihm auf die Dauer unerträglich ge: 


wejen wären. Und diejes Preußen blieb ihm ein Land, „wo bie Gejellichaft 
weder gut noch ſchlecht iit, weil es überhaupt feine gibt”. Der König erjcheint 


ihm als der einzige Menſch im Königreih, mit dem man Konverjation führen 
fann, d. h. „die Art von Konverjation, die man nur in Frankreich fennt, und U, 


die unentbehrlich wird, wenn man fie einmal fennt”. Er bedauert deshalb 
diefen König, „ber, in jeder Beziehung jo groß und liebenswürdig, inmitten 
feines Ruhms das eine große Unglüd bat, allzu hoch über dem ganzen Reft der 


— 


Nation zu ſtehen und niemand zu haben, weder zur Hülfe bei feiner großen 


unendlihen Arbeit, noch zur Erholung nad der Arbeit für die Konverfation“, 
Friedrich jelbit jcheint beim Scheiden eine Empfindung dieſer Art gehabt 
zu haben. D’Alembert ihue jeiner Seele wohl, jagte er ihm; er werde ſich 


naher jehr verwahrlojt fühlen. Ueber dem legten Souper am 25. Auguft lag — 
eine gedrückte Stimmung. Und in einem Abſchiedsbriefe ſagte Friedrich: „Ich 


werde nie das Vergnügen vergeſſen, einen wahren Philoſophen geſehen zu haben. 
Ich bin glücklicher geweſen als Diogenes, denn ich habe den Menſchen, den der 
ſo lange geſucht hat, gefunden — aber er geht.“ 


346 Achtes Buch. Erfter Abſchnitt. 


Der Präfidentenftuhl in der Akademie, jo erflärte Friedrich, follte unbe: 
‚ Test bleiben, bis d’Alembert zurüdfehren werde. Aber man war auf Nimmer: 
wieberjehen geſchieden. Nur aus der Ferne mwurbe der Verkehr fortgejegt, in 
einem Briefmechjel, der fih uns als das mertoollfte Zeugnis für Friedrichs 
Stellung zu dem geiftigen Zeben diefer Epoche bewähren wird. 

Die Einfamkeit und Einförmigkeit des Potsdamer Lebens, die den Gaſt 
aus Paris fo ſeltſam berührte, jchloß für Friedrich doch Feine Entbehrung ein. 
„Ih führe hier,” jo oder ähnlich äußert er fich oft, „das allereingezogenfte und 
ftillfte Leben, wie e8 meinem Alter und meiner Anſchauungsweiſe entipridt.... 
Ich lebe mit der Welt in Ehefcheidung und trenne mich von ihr, ehe fie mich 
verläßt.” Doc beneidete er d'Alembert und jeden andern, der über die Alpen 
reifen fonnte; „das alte und das moderne Italien“ war von je das Land jeiner 
Sehnſucht gewejen: ') „Ich würde glei von der Partie jein, wenn die Geiß 
nit grafen müßte, wo fie angebunden ift.” Sehr jelten, meinte er, fönnten 
‚ Souveräne ſolche Vergnügungen fi gewähren: „entweder haben fie feine Zeit, 
oder fie werden durch andere Rüdfichten verhindert.“ 

Vielleiht hätte ih um d’Alembert, wenn er geblieben wäre, eine neue 
Kolonie franzöſiſcher Gelehrter und Schöngeifter gejammelt. So aber ver: 
ſchwanden die Franzoſen allmählih aus Friebrichs Umgebung; man meinte in 
Berlin in ihren Kreifen, daß der König über die franzöfiihe Bildung jekt ge: 
fliſſentlich abihägig urteile, ja daß thatfächlic eine innere Entfremdung einge: 
treten ſei, zum Teil in Erinnerung an die Zänfereien, die ſich unter feinen 
Augen abgefpielt hätten. Letzter Vertreter der alten franzöſiſchen Zeit war 
Marquis d’Argens, von dem b’Alembert fagte, daß er in der Unterhaltung be: 
beutend mehr wert jei, als in feinen Schriften. Eigentlih erft während bes 
Krieges war er dem Könige recht nahe getreten, als ber Einzige, dem Friedrich 
in Briefen, welche doch vielmehr Selbſtgeſpräche waren, jeine ſchmerzlichen Beichten 
abzulegen wagte. Daß diefer den Verkehr jetzt wieder auf einen leichteren Ton 
ftimmte und den alten Scherzen über b’Argens’ eingebildete Krankheiten und 
fonftige Schrullen wieder weiten Spielraum ließ, verbroß den treuen Ge: 
fährten, der für feine Behandlung, je älter die Freundichaft geworden war, auch 
um fo zartere Rüdficht beanſpruchte. Man wußte fich in das erneute Zufammen: 
fein nicht mehr ganz zu ſchicken; d'Argens, immer hypochondriſcher, begann ſich 
nad jeiner warmen provencalifhen Sonne zurüdzufehnen, und nun glaubte 
wieder Friedrich, fich beklagen zu dürfen, da er argwöhnte, daß fein Iſaak eine 
Fahnenflucht vorbereite. 

Aus der Zahl der anderen alten Freunde war Graf Gotter, der Ritter 
vom Orden der vergnügten Einfiebler — hermites de bonne humeur — im 
legten Kriegsjahr geftorben, am Abend feines Epikureerdafeins ſchwer von Gicht 
und Waſſerſucht heimgeſucht. Algarotti weilte feit 1753 beharrlih in jeiner 


* italieniſchen Heimat; er hatte zu allen preußiſchen Siegen in artigen, mit latei— 


niſchen Citaten verzierten Briefen Glück gewünſcht, ebenſo dann zum Friedens: 
ſchluß nach einem Kampfe, in welchem ſein Held nicht wie Scipio, Cäſar und 


') Bd. 1, 479. 


Das Retablifjement. 347 


Alerander immer nur einen Feind, fondern faft ganz Europa beitanden habe. 
Friedrich bat ihn auf diefen Glückwunſch, nun auch feinerjeits mit feiner kranken 
Lunge Frieden zu fließen, wie Preußen mit Defterreih, aber ſchon nad Jahres— 
frift erlag Algarotti zu Piſa feinen Leiden, und der König von Preußen mweihte 


sur 


dort im Campo santo dem „Schüler Newtons und Nacheiferer Ovids“ das ; 


ſchöne Denkmal mit der Inſchrift „Algarottus non omnis“. 
Ein neuer Trauerfall in der königlichen Familie im November 1765, 


der Tod feiner Schweiter Sophie, der Markgräfin von Schwedt, führte den cu" ke 


Bruder in einem Brief an die jetzt achtzigjährige Gräfin Camas auf die fchmerzliche 
Betrachtung: „Unfere Familie ſcheint mir einem Walde gleih, deſſen ſchönſte 
Bäume der Orfan gebrochen hat, hier und da fieht man noch eine abgeäftete Tanne, 
die ih mit den Wurzeln noch feftllammert, nur um den Zufammenfturz der 
Gefährtinnen, die Opfer und den Raub des Windbruchs, zu betradten. ch 
wünjche, meine liebe Mama, daß diejes Wehen des Todes Ihnen fernbleibe, daß 
wir Sie noch lange behalten, und ich Ihnen noch oft die Verfiherung meiner alten 
und treuen Freunbjchaft wiederholen kann.” Ein halbes Jahr jpäter betrauerte 
Friedrich auch diefe feine mütterliche Freundin. „Könnte ich fie auferweden,” 
ihrieb er an die Königin, „ich thäte es auf der Stelle. Ihr Tod ift ein wirklicher 
Verluſt, ſowohl wegen ihres BVerbienftes und ihrer großen Eigenidhaften, wie 
wegen biejes Bannes von Würde und Schidlichkeit, den fie dem Hofe auferlegte.” 

Aufrichtige Freude bereitete ihm nah jo mandem ſchmerzlichen Verlufte 


das Wiederjehen mit George Keith, dem Lord-Marſchall von Schottland. Nach | 


Abſchluß des preußifch:engliihen Bündnifjes von feinem Landesherrn, König 
Georg II., begnadigt, hatte der alte Jakobit 1763 nad fait fünfzigjähriger Ver— 
bannung den heimatlihen Boden nod einmal betreten dürfen, und Friedrich 
ſprach ihm fein Bedauern aus, daß feine Elbfähne zu einer Landung in Schott: 
land, um den Lord aufzuheben und mwegzuführen, allzumenig geeignet ſeien; er 
verficherte dem Freunde, daß er ihn im Sommer und im Winter, bei Tag und 
bei Nacht, al’ Zeit und Stunde, mit offenen Armen aufnehmen werde. Lord 
Marihall fam und lebte noch vierzehn Jahre an Friedrichs Seite in dem be: 
baglihen Haufe, das ihm in unmittelbarer Nähe von Sansfouci eingerichtet 
wurde, und als er, vom Alter gelähmt, nach feiner Selbftichilderung neuer Augen, 
neuer Ohren, neuer Beine und eines neuen Magens bebürftig, des Königs 
Tiihgenoffe nicht mehr fein konnte, da ging ber König durd feinen Schloß: 
garten fleißig zu dem „Nachbar Ameife”, um fich des Geſprächs mit dem Alten, 
feiner Munterfeit und feines „attiſchen Salzes” zu freuen. D’Alembert hat uns 
das gute Wort aufbewahrt, das Friedrichs Freundſchaft für Lord George fenn: 
zeichnet: „Sch habe Treulofigkeit, Undank und Schlechtigkeit der Menfchen jo viel an 
mir erfahren, daß ich vielleicht zu entjchuldigen wäre, wenn ich nicht mehr an Tugend 
glaubte, aber der gute Lord hat mich wieder zu diefem Glauben gezwungen.“ 


Noch ältere Anſprüche als Lord Marihall hatte Fouqus, neben dem ' 


gihtbrüdigen, allzeit in alter Gunft ftehenden General Wylich der legte der 
Augendgenofien aus ber Rheinsberger Zeit. Der Held von Landshut!) fehrte 


) Bgl. oben ©. 257. 


348 Achtes Bud. Erfter Abichnitt. 


aus der Kriegsgefangenihaft zu Karlftadt nicht zu feinem Regiment nah Glatz 
zurüd, jondern nahm Wohnfig in Brandenburg als Domherr des dortigen 
Kapitels. Er kam während der nächſten Jahre, bis förperlihe Gebrechlichkeit 
ihn unbeweglih machte, wiederholt zum Beſuch nad Potsdam, noch häufiger 
aber lud fid) der König bei feinem älteften Freund zu Gafte: „ich beaniprude 
nichts”, fo meldete er fich einmal an, „als eine gute Suppe und eine Schüfjel 
‚ Salat, des Wirtes freundlihe Miene, und daß ih Sie bei guter Gejundbeit 


antreffe.“ Friedrich hat nit nur die „Breſchen“ des Fougusihen Vermögens 


mit freigebiger Hand ausgefüllt und ihm den Berluft feiner fahrenden Habe 
durch eine „Fürftliche” Wohnungseinrihtung, filbernes Tafelgerät und die fchnell 
fih fteigernden Kunitleiftungen der Berliner PBorzellanmanufaftur erfegt, er 
war auch in jenen Kleinen Aufmerkjamfeiten und Geſchenken unerihöpflid, die 
nah dem Sprichwort die Freundſchaft erhalten: er labt den franfen Freund 
mit Rheinwein von 1684 oder der legten Flaſche Ungarwein aus dem Vorrat 
König Friedrichs J., er Shidt ihm Trüffeln von Perigord und Früdte aus 
den Potsdamer Gärten, Mekkabalſam aus Konftantinopel und türkiſchen Kaffee; 
bald gibt der Gedenktag der Schlacht von Prag, aus der Fouqué rühmliche Narben 
trug, zu einem Gefchent Anlaß, bald das Ehriftfeit, denn „es ift Braud, daß 
Verwandte fih zur Weihnacht beſchenken, und ich betrachte Sie als Familien: 
mitglied, ſowohl in Ihrer Eigenſchaft als ehrenfeiten und waderen Ritter ohne 
Furcht und Tadel, wie in der meines alten Freundes“. 

Bon ben anderen großen Kriegeshelden lebte Prinz Heinrich ſtill in Rheins: 
berg und erſchien bei Hofe nicht öfter, als unerläßlich war. Ferdinand von 
Braunfchweig, vor dem Kriege einer der täglichen Gefährten und der beſcheidene 


—Zögling des Königs, war von feinem weſtdeutſchen Kriegsihauplag, an Siegen 


reich, mit berechtigtem Selbſtbewußtſein zurüdgefehrt, und wenn er während des 
großen Ringens manch' jcharfem Wort gegenüber jeine Empfindlichkeit hochherzig 
zurüdgebrängt hatte, jo war er jet, im Frieden, auf feinem Magdeburger Gou: 
; verneurpoften weniger geneigt, Selbftverleugnung zu üben: anläßlich eines ver: 
* brießlihen Vorganges bei der Revue von 1766 erbat er feinen Abſchied und 
zog ſich auf fein braunſchweigiſches Landgut Vechelde zurüd, ein neuer Cincin: 
natus, wie fein getreuer Wejtphalen rühmte, ein neuer Belifar, wie Friedrid 
verjtimmt jpöttelte. Seydlitz fam in den erften Friedensjahren aus feinem Stand: 
quartier Ohlau noch wiederholt nah Potsdam; zu den Vertrauten zählte er 
nicht; es bieß, daß der König fich mit feinen ſarkaſtiſchen Einfällen und kleinen 
Nedereien einem Manne gegenüber zurüdhielt, dem es unter Umftänden nicht 
darauf anlam, mit gleicher Münze zu dienen. Mit ausgeiprohenem Wohlwollen 
wurde Zieten behandelt, aber doc mehr als ehrwürdige Ruine, als überitändiger 
Veteran, auf den für den Felddienſt nicht mehr gerechnet wurde. Als der Vier: 
undjechzigjährige zu Ende des erften Friedensjahres nah jahren des Witwer: 
ftandes einer jehsundzwanzigjährigen Nichte die Hand zum Chebunde reichte, 
wünjchte ihm der König „alles Glüd und Vergnügen, jo Ihr nur dazu 
wünjchen und verlangen möget, wie Ich denn, wenn Jh wüßte, wo Ihr Euer 
Hodhzeitsfeft celebrieren werdet, jelbjt dabin fommen würde, um auf jelbigem 
zu tanzen”. Dem eriten Sprößling aus der neuen Ehe legte fein königlicher 


Das Retabliffement. 349 


Pate ein Kornettspatent und die Anmweifung auf ein Lieutenantstraftament in 
die Wiege. 
Zum ftändigen militäriichen Gefolge gehörten noch aus der alten Zeit 


Hans Friedrih von Krufemard und Rupert Ecipio von Lentulus. Kruſemarck 


acht Jahre jünger als Friedrich, bereits 1747 als junger Gendarmenlieutenant 
zum Flügeladjutanten ernannt, feit 1759 an Stelle des bei Kay gefallenen 
Wobersnow erfter Generaladjutant, war fait während des ganzen Krieges des 
Königs Begleiter gewefen. Ein Mann von unermüdlicher Arbeitskraft, aus: 
gezeichneter Kavallerift, ala Vorgefegter ftreng und, wenn es jein mußte, ſchroff; 
als er einige Jahre nad) dem Friedensſchluß Chef der Gendarmen wurde, that 
er das Seine, um die ftugerhaften Auswüchſe in dem vornehmen Dffiziercorps 
nah Möglichkeit auszurotten; einem Offizier, der ſich der Kleiderordnung nicht 
fügte, ließ er bei der Parade durch einen jchnell herbeigeholten Schneider furzer 
Hand die vorfhriftswidrigen Rockſchöße abjchneiden. Der „ſchöne“ Lentulus, jet 
Chef der Leibküraſſiere, Schweizer von Geburt und Sohn eines öſterreichiſchen 


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Feldmarſchalls, hatte die Aufmerkjamkeit des Königs von Preußen auf ſich ge: 
lenft, als er 1744 nad dem Falle von Prag im Unmut über die Waffenitredung 


der Deiterreicher feinen Degen lieber zerbrach, als daß er ihn den Preußen ein: 
gehändigt hätte. Schnell hatte es dann die beftridende Huld des Siegers dem 
jungen Kriegsgefangenen angethan; nad dem Frieden von Dresden nahm er 
preußiihe Kriegsdienite, der König zog den weltmännifch gebildeten, vielgereiiten, 
liebenswürdigen Kavalier in jein Gefolge und widmete 1748, als Lentulus fich 
mit einem Fräulein von Schwerin vermählte, dem Brautpaare ein jcherzhaftes 
Poem über die nationalen Eigentümlichfeiten des SFreiersmannes, des „Schult: 
beißen” Zentulus, wie ihm das Berner Patrizierfind ald Mitglied des großen 
Rats feiner Vaterftadt hieß. Bei Leuthen und bei Zorndorf hatte er als Bri: 
gadegeneral die Gendarmen und Gardes du Corps zum Siege geführt und bei 
Reihenbah unter des Königs Augen den lekten großen Neiterangriff dieſes 
Krieges fommanbdiert. 


Einen neuen Günftling hatte der Krieg in dem Generaladjutanten Heinrich , 
Wilhelm von Anhalt emporgebradt. Friedrich jah in dieſem Entel bes alten / 
Defauers einen „neuen Turenne“ fommen und bezeichnete ihn als den beiten 


Offizier feines Heeres nähft dem Prinzen Heinrih, als den geborenen Heer: - 


führer, den man in einem fünftigen Kriege vorzugsweiſe zu verwenden haben 
werde, troß der Fehler, mit denen er font behaftet fei. In den Streifen feiner 
zahlreichen Gegner galt Anhalt als der Mann, der das „ſchwärzeſte Herz mit 
dem beiten militäriichen Kopf verbinde”, als der „Tyrann der Armee”; er war 
gleihlam der Erbe des Hafles, der fich früher auf einen Winterfeldt entladen 
hatte; dem Herzog Ferdinand, jo wurde behauptet, fei der preußifche Dienft vor 
allem durch diefen Mann unleidli geworden. 

Durch häufige, oft geradezu dringende und ftets jehr jchmeichelhafte Ein- 
ladungen an das Hoflager wurde der Pommer Anton von Krodom ausgezeichnet, 
Chef des Dragonerregiments zu Lüben in Schlefien. Wie ehedem Graf Rothen- 
burg, war Krockow bei Beginn des legten Krieges aus dem franzöſiſchen Heere, 
dem er 23 Jahre hindurch angehört hatte, in den Dienft feines Landesherren 


fe na 


350 Achtes Bud. Erfter Abſchnitt. 


übergetreten und vor dem Feinde jchnell vom Oberften zum Geuerallieutenant 
emporgeftiegen. Dem Könige war biejer Altersgenofjie — Krodow war nur 
zwei Jahre jünger als Friedrich — an feiner Tafelrunde als wißiger Unter: 
halter, als „angenehmer Barleur” willlommen; wiederholt hat er ihn ge 
beten, unbeſchadet des Dienfteifer® für das Regiment dem Potsdamer Auf: 
enthalt no ein paar Tage zuzulegen; anderen war Krodom als böje Zunge 
verdächtig. 

Zu den Auserwählten des engeren Kreifes gehörten auch die beiden Offiziere, 
die dem Könige in den ſchwerſten Stunden jeines Kriegslebens unvergehliche 
Dienfte geleiftet hatten: Prittwig, einer der erften Schlefier, die in das preußiſche 
Heer eingetreten waren, der Lebensretter von Kunersdorf, jet unter Zieten Kom: 
mandeur der Leibhuſaren, und der in elf Schlachten erprobte Leſtwitz, bei Tor: 
gau zu höchſtem Ruhme gelangt, im legten Kriegsjahr zum Kommandeur eines 
der Berliner Infanterieregimenter und demnächſt zum Chef der Potsdamer Gre: 
nadiergarde ernannt. Beide hatte Friedrich zum Lohne ihres Verdienftes in 
reicher Weiſe mit Grundbefig ausgeitattet: LZeftwig hat den Staat und Prittwig 
den König gerettet, pflegte er wohl zu jagen. Er meinte, daß Leitwig das Zeug 
babe, ein großer General zu werden, und nannte Prittwig einen hervorragenden 
Offizier, der zu allem befähigt jei, wozu man ihn aud gebrauchen möge. Als 
Gejellihafter waren fie ihm in ihrer jebigen dienftlihen Stellung ſtets ſchnell 
erreichbar. 

Eine der eigenartigſten Rollen ſpielte in Potsdam der gelehrte Offizier, 
den der König im Feldzug von 1759, bald nach ſeinem Eintritt in das preu— 
ßiſche Heer, nach einer Disputation über die Geſchichte der Pharſalus-Schlacht 
Duintus Feilius getauft und unter diefem Namen beim Parolebefehl dem ihm 
anvertrauten Freibataillon vorgeftelt hatte. Der Vorgang kennzeichnet die Stel: 
lung des Mannes; er gehörte zu den Opfern, an denen Friedrih bei allem 
Wohlwollen beftändig feinen Wit übte, da fie für die Abwehr weder das An: 
jehen noch die Schlagfertigfeit eines Seyblig hatten. Bald famen über dieje fleinen 
Drangjale des lateinifchen Dffiziers eine Fülle von Geſchichtchen im Umlauf, 
wahre und erfundene. Kind der Pfälzerfolonie in Magdeburg, Sohn nicht, wie 
erzählt wurde, eines Töpfers, jondern eines Beamten, hatte fih Karl Theopbil 
Guiſchard auf deutfhen und holländiſchen Univerfitäten feine klaſſiſche Bildung 
verihafft und war jpäter als Offizier der Generalftaaten mit einem gelehrten 
Werk über die Kriegsführung der Griehen und Römer an die Deffentlichfeit ge: 
treten. So machte er fi nach dem lebertritt in den preußiichen Dienſt dem 
Könige nit nur als Freifcharenführer nüglih, fondern aud als Orakel für 
friegsmwifjenihaftliche Antiquitäten, ohne daß er mit jeiner Gelehriamfeit den 
Gebieter jedesmal glüdlic beraten hätte: Beweis die auf Duintus’ Vorſchlag 
zurüdgehende Inſchrift Nutrimentum spiritus über der Berliner Bibliothek, 
die allzu wörtliche Meberjfegung des „Nourrissement de l’Esprit*, das dem König 
als Bezeihnung für eine Bibliothek aus dem einft mit vielem Vergnügen ge: 
lefjenen Sethos, dem ägyptiihen Roman des Abbe Terraffon, in Erinnerung 
geblieben fein wird. Faſt jcheint es, daß Friedrich in feinem Lateiner weder 
den Offizier noch den Gelehrten ganz für voll anſah; fein abſchätziges Urteil 


Das Retabliffement. 351 


über bie Freitruppen und ihre freibeuterifchen Offiziere!) hat er ihm nicht vor: ——— 
enthalten, und als Quintus zu ſeinem Sitz in der Akademie der Wiſſenſchaften 


auch ein Gehalt erbat, wurde er mit der Belehrung abgewieſen: „Die Aca- 


demie nimmt nicht Leute an, deren Bücher jo ſchändlich wie Seine feind Fkriti- - 


fi 


fieret worden.” Auch haben feine Machenichaften bei Gründung der Berliner 
Bank, feine Geichäftsverbindungen mit allerhand verbädtigen Glüdarittern 
jeinem Anjehen offenbar geſchadet. Eine Zeit lang hat Quintus nah einem 
ſcharfen Zuſammenſtoß fih jhmollend zurüdgezogen, aber der König that dann 
das Seine, den Gefräntten zu verjöhnen, und der Stellung des Seigneur de 
Wassersuppe, wie Guiſchard in feinen legten Lebensjahren nad feiner havel: 
ländiſchen Befigung betitelt wurde, iſt der Zwiſchenfall nur zu gute ges 
fommen. 


Das junge Geſchlecht vertraten des Königs Neffen, die beiden Söhne des ’ 


verjtorbenen Prinzen von Preußen und die Prinzen Friedrich und Wilgelm von 
Braunſchweig. Die jungen Welfen zählten 1763 bei ihrem Eintritt in das preu: 
Biihe Heer 23 und 18 Jahre — der ältere Bruder hatte jih 1761 durch die 
Wiedereroberung von Wolfenbüttel bereits einen geadhteten Namen als Truppen: 
führer gemadt. Friedrich war bei näherer Bekanntſchaft „entzückt“ von dem 
Eifer, dem Wiffensdrang, der Beicheidenheit jeiner beiden Schweiterföhne, er 
nannte jie die wohlerzogenften Kinder, die fich denken ließen, und widmete den 
„ungen Helden” eine launige, poetiihe Epiftel über die Vorzüge der glüdlichen 
„jugend vor dem freublofen Alter. 

Dann und wann jah Potsdam auch Damen als Gäfte. „Ich erwarte bier 
in den nächſten Tagen,“ ſchreibt Friedrih am 14. Auguft 1763, „einen ganzen 
Schwarm von Neffen und Nichten; ih bin im Begriff, der Onfel von ganz 
Deutihland zu werben, wie ich ehedem ein Fräulein von Sonsfeld fannte, melde 
die Tante von aller Welt war. Wenn man nicht Großvater ift, fann man 
doch Großonfel werden und durch fein Gefajel den Großneffen zum Kinderjpott 
dienen; das ift der fünfte Aft des Stüdes, und zum Schluß wird man aus: 
gepfiffen.” Bei ſolchem Verwandtenbeſuch jchwelgte dann Friedrich gern mit den 
Schweitern in alten Erinnerungen aus „fait fabelhaften” Tagen — „wie bie 
alten frangöfifchen Oberftlieutenants fi von ihren einftigen Waffenthaten unter: 
halten“. Für das Vergnügen der jungen Nichten ließ fich freilich ſchwerer jorgen: 
„Ne brauchen einen Ball, e8 fehlt uns an Damen, man wird es vielleidht ins 
Intelligenzblatt einrüden müflen, daß jede mittanzen fann, die da will“. 

Friedrich felbft zog fih von allem, was Feitlicfeit, Repräjentation und 


Zeremonie hieß, immer mehr zurüd, anders als der „alte Baron”, der ewig — 


jugendliche Pöllnitz, der noch ganz wie ehedem „in der Zeremonie lebte und 
webte“. Auch der Winteraufenthalt in Berlin anläßlich des Karnevals?) wurde 
immer mehr eingefchränft. Friedrich zog vor, die Nüdfehr des Frühlings zu 
Fotsdam „in feinem Loch“ abzuwarten: „Wir Greife leben erft im Frühling 
wieder auf und find lebendig nur im Sommer; der Winter ift gut nur für die 





') Bgl. oben ©. 236. 287. 
) Val. Bd. I, 545. 


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19 


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4* 


352 Achtes Bud. Erſter Abjchnitt. 


beige, ftürmifhe Jugend, die fih mit Schlittenfahrten und Schneebällen ab: 
fühlt.” Ab und zu beifchte ein großes Familienfeſt die Mitwirkung des Ober: 
bauptes. Im Juli 1765, als die Vermählung des Thronerben mit Elifabeth 
von Braunfchweig gefeiert wurde, glich der Berliner Hof nah Friedrichs Schil— 
derung „einer allgemeinen Reihsverfammlung des heiligen Römijhen Reichs”: 
„wir find umgeben von dreißig Prinzen und Prinzeffinnen, und im übrigen ver: 
hindern mich meine Gebrefte, an allen Gelagen teilzunehmen. Ich finde mich zu 
den großen Solennitäten ein und verfuhe, in den Paujen etwas Erholung zu 
finden, Der alte Baron verhöhnt meine verfrüppelten Beine, er ift mit dem 
Prinzen Friedrih um die Wette gelaufen: ih, der ih mich als Hinfebein hin: 
fchleppe, ungefähr wie eine Schildfröte, betradhte ihren ungeftümen Lauf wie ein 
Gelähmter, der fi ein Ballett anfieht.” 

„Das Leben, mein lieber Darget,” fchreibt er zu Neujahr 1768 an jeinen 
alten Vorleſer,) „ift eine hundsföttiſche Sade, wenn man alt wird. Entweder 
muß man fi entfchließen, auf der Stelle umzukommen, oder fih Stüd für 
Stüd dahinfterben zu jehen. Aber bei alledem gibt e& eine Art, glüdlich zu 
fein: man muß fi ideell verjüngen, von feinem Körper abjehen und ſich bis 
zum Ende bes Stüds eine innere Heiterkeit erhalten und die legten Schritte des 


Pfades mit Blumen betreuen.” Zum Glüd plagte die Gicht nit immer. a, 


nah dem Beſuch des Landeder Bades im Sommer 1765 wollte er ſchon glauben, 
die Gicht nie gehabt zu haben; nur hatte ihm die Kur an ſich wenig behagt, und 
er erklärte, fich im Wafjer „deplaciert” zu fühlen und das Element der Thales 
und Buffon den Aalen, Butten, Hechten und Enten überlaffen zu wollen. Freund 
Fouqué empfahl zur Erhaltung der Geſundheit das Nezept des alten Deſſauers: 
Ererzieren, Manövrieren und bisweilen etwas Aerger. „Sie denken,” antwortete 
Friedrih, „daß ich noch fo lebhaft wie ehedem bin, aber Sie täufhen fi, ich 
habe Wafler in meinen Wein gethan“; beim Ererzieren helfe er wohl noch, aber 
ohne fich aufzuregen. Vor der Front ſchien fein Körper noch die ganze Zähig— 
feit und Spannkraft ber vergangenen Tage zu befigen: „zu Pferde würde man 
ihn für einen Gentauren halten,“ meinte der Franzofe Guibert, als er den König 
1773 bei der Parade ſah. Und in feinem Reiſewagen troßte er bei der Fahrt 
über Stod und Stein oder durch den fußhohen Sand allen Unbilden jeiner 
Landſtraßen. 

Mit dieſen unermüdlich fortgeſetzten anſtrengenden Rundfahrten, dieſen 
„tumultuariſchen“ Unterbrechungen ſeines „Klausnerlebens“, kehrten Jahr für 
Jahr, meiſt zu denſelben Zeiten, für die Provinzen die Tage ſcharfer Prüfung 
und genauer Abrechnung wieder. „Ich reiſe viel,“ ſagt er einmal, „und bei meinen 
Reiſen erfahre ich manches.“ Die erſte Frage des Gebieters aber galt jetzt immer 
den Fortſchritten feines „Retabliſſements“. 


Was man in der zweiten Hälfte dieſer Regierung amtlich unter Retabliſſe— 
ment verſtand, beſchränkte ſich nicht auf die unmittelbar nad dem Friedens— 


ı) Bd. I, 202. 


Das Netablifjement. 353 


fchluffe zur Heilung der ſchwerſten Kriegsſchäden ergriffenen Maßnahmen, jon: 
dern ſetzte fich in einer langen Neihe großer, auf Staatskfoften auszuführender 
Kulturarbeiten fort, die aber doch nicht ins Unendliche ausgedehnt werben, jon- 
dern an einem beftimmten Ziele einhalten follten: Urbarmahung und Befiedelung 
von Wiüfteneien und insgemein Heranziehung von Einwanderern, Hebung ber 
Bodenkultur und Vermehrung des Viehftandes, Gemeinheitsteilungen und Anlage 
neuer Bauerngüter, Verbeſſerung der bäuerlichen Rechts: und Befigverhältniffe. 
So erflärte er dem Minifter Derfhau 1775 für das „Retabliffementswefen“ der 
Kurmarf, es fei jeine Abficht, mit den Verbefjerungen fortzufahren, „bis die ganze 
Provinz in Ordnung ift und nichts mehr zu thun übrig“. 

Von den Barbeftänden der Feldfriegsfaflen, der Königlihen Dispofitions- 
kaſſe und des großen, für die Zwede der Kriegsführung gebildeten Zentralfonds 
ift für_das Retablifjement nur ein verhältnismäßig geringer Teil _aufgewendet . 
worden, alles übrige wurde Jahr jür Jahr aus den Ueberſchüſſen der laufenden . 
Verwaltung beftritten. Jene Beſtände betrugen nad einer dem Sönige bei 
der Rüdfehr aus dem Felde vorgelegten Abrechnung nicht weniger als 29430814 
Thaler, —— u die Koſten zweier weiterer Feldzüge zu dechen. An Bürg- 
f&haften für die Landesverfeibigung wurde nun aud) in erfter Linie gedacht. Für 
die Ergänzung der Waffen, Uniformen und Feldausrüftung wurden 7 Mil: 
lionen, für Gejhüge 250000, für das Fuhrweſen 193000 Thaler angewieſen, in 
den Kriegsihag 14" Million, in die Mobilmadungstafje 700000 Thaler ge: 
legt. Die bei den Ständen der einzelnen Provinzen aufgenommene Anleihe und 
ein von der märkiſchen Landſchaft geborgter Vorſchuß im Betrage von insgefamt 
4 Millionen in altem Golde wurden jchon im März 1763 mit 5413586 Thalern 
nah dem Münzfuß von 1758 zurüdgezahlt. 

Der geringe Gehalt der während des Krieges ausgeprägten Münze ver: 
minderte nun allerdings den Metallmert des neu aufgefüllten Trejors jehr er: 
heblih. Mehr als 6’. Million Thaler lagerten bier in Sorten jchledhtefter 
Währung, d. h. in den jogenannten neuen Auguftdor, deren Gehalt nicht viel - 
über ein Drittel des Nennmwertes betrug, und in den noch berüdhtigteren Bern: 
burger Münzen. Zur Wiederanbahnung eines gefunden Münzmwejens, wobei 
Härten und Aergerniſſe freilih unvermeidlih waren, wurde durch zwei Edikte 
vom 21. April und 18. Mai 1763 angeordnet, daß für die Zeit vom nächſten 
Trinitatistermin ab nur_nod das nah dem Münzfuß von 1758 geprägte Gelb, 
das jogenannte brandenburgijhe Mittelgeld, als gejeglihes Zahlungsmittel 
gelten jollte, jene Münze, von der 19°, Thaler auf die feine Mark Silber 
famen.!) Für die Abtragung der in den verjchiedenen Abjchnitten der Kriegs: 
zeit eingegangenen Zahlungsverbindlichkeiten, für die Einlöfung der einjtweilen 
noh im Umlauf befindliden geringeren Münzjorten und für die Bezahlung der 
nad dem alten Wert einzuziehenden Steuern und Amtspachten wurden genaue 
Umrehnungsfäge befannt gegeben. Bereits aber war es die Abficht des Könige, 
zu dem Münzfuße von 1750 zurüdzufehren, die Mark Silber wieder zu 14 Thalern 
ausbringen zu Lafjen und die Prägung nicht durch Unternehmer, fondern auf Rechnung 

















1) Oben ©. 311. 
Koier, König Friedrich der Große. II. 2. Aufl. 23 


354 Achtes Bud. Erſter Abſchnitt. 


des Staates vornehmen zu laſſen, „ohne mit Juden oder Chriſten weiter melieret 
zu ſein“ — fo eröffnete er am 29. Mai 1763 feinem jetzigen Berater in Münz— 
angelegenheiten, dem General Tauengien, indem er die Abficht ausſprach, zunächſt 
drei Jahre hintereinander je 12 Wilionen nad be —— zu 
lajien. Das _Münzedift vom 29. März 1764 hat dieſen dann wieberhergeftellt. 


Außer den Millionen in den Kriegskaffen lagen beim Friedensſchluß in 
ben Magazinen reihe Vorräte an Korn, Mehl und Rauhfutter für die Fort: 
jegung des Krieges bereit, und das Heer hatte im legten Winter durch Werbung 
und Aushebung, feine Lücken ergänzt; allein Oftpreußen hatte nah dem Abzug 
. ber Ruffen 15 000 Refruten gejtellt. Die Regimenter waren wieder „vollzählig 
nad dem großen Kriegsffuß“. Durch Entlaffung von 30780 Landesfindern 
wurden den Provinzen die Arbeitskräfte, deren zumal der Landbau dringend be: 
durfte, zurüdgegeben, und da die Huſaren 400 Mann auf das Regiment, die Küraf- 
fiere und Dragoner je 150 Mann ausmufterten, da die Artillerie und der Train 
ihre Gejpanne fait ganz abgaben,') jo fonnten 35000 Pferde im Lande verteilt 
werden. An Roggen und Mehl wurden 25000, an Hafer 17000 Wifpel aus 


-- den Magazinen geipendet. So wurde, wie Friedrich jagte, dem Volk vorerit ein- 


mal Mut gemacht, wieder an die Arbeit zu gehen; denn die wirffamfte Hülfe 
blieb allemal der eigene Fleiß. 

Nah Pommern war ſchon im April 1762, jobald der Friede mit Rußland 
und Schweden gefichert erfchien, der Geheime Finanzrat Schönberg von Brenden: 
hoff geichidt worden, ein joeben aus anhaltifchen Dienften übernommener Be: 
amter, deſſen Thatkraft und Findigfeit der König während des Krieges bei mehr 
als einer Gelegenheit Sägen gelernt hatte. Brendenhoff jollte Vorſchläge machen, 
wie Land und Leute „wieder auf die Beine zu bringen feien”. In Danzig 
lagen 6000 Wifpel Roggen und 2000 Wifpel Hafer bereit, die jegt in Pommern 
zur Verteilung famen; mit barem Geld wurbe ber Kommiſſar reichlicher erft 
ausgeftattet, als die Friedensverhandlung zu Hubertusburg dem Abſchluß nahe 
war. Bis zum Juni 1763 waren der pommerjchen Retablifjementsfaffe 1202920 
Thaler zugeflofien, eine halbe Million aus dem großen Dispofitionsfonds des 
Königs, das übrige aus den pommerſchen Einkünften. Ausgegeben waren ba- 
mals für den Ankauf der im Lande zu verteilenden Pferde 109135 Thaler, für 
Ochſen 311650, für Schafe 230367, für Brot, Getreide, Mehl und Seefrachten 
240898 Thaler. 22000 erhielten die Domänenämter für Sommerjaat, 5000 
der Magiftrat von Kolberg für die Herftellung feiner Vorwerke. Zu dem Reit 
von 283870 Thalern wurde für das nächſte Rehnungsjahr die gefamte pom: 
merſche Einnahme mit 593488 Thalern gefhlagen. Nun ging es an den Ans 
fauf von Kühen; mehr ald 50000 fehlten; wenigftens der jechfte Teil jollte be: 
jchafft werden, 8766 Stüd, die Kuh zu 25 Thalern gerechnet, was 220150 
Thaler ergab. Nochmals wurden für Pferde 30 000, für Ochfen 50 000, für Brot: 
und Saatlorn 40000 Thaler angewiefen. Die Städte erhielten als Beihülfe 
200000 Thaler, die bedürftigften bäuerlihen Wirte 48065 Thaler; man rechnete 
50 Thaler für den abgebrannten Hof, ausichließlich des freien Bauholzes. Zur 


2) Bl. Bo. I, 550. 


Das Retabliffement. 355 


MWiederaufführung der Gebäude auf den Nemtern wurden 134000 Thaler aus: 
geworfen; die Domänenpächter berechneten ihren Kriegsichaden an verlorenen Vieh 
und Inventar und an „feindlichen Erpreſſungen“ auf 372695 Thaler; um ihnen 
aufzubelfen, wurden ihnen ihre Pachtrückſtände erlaflen und ihre Kontrafte ver: 
längert. In den Dörfern der Provinz lagen 1256 Häuser, Scheunen und Ställe 
in Trümmern. Die bäuerlide Grundfteuer blieb einigen Kreifen bis zum 1. Sep: 
tember 1763 erlaſſen, anderen auf ein oder zwei weitere PVierteljahre, den am 
härtejten heimgejuchten Gegenden, dem Fürftentum Kammin, den Kolberger Ka: 
piteldörfern, der Staroftei Draheim, bis zum 1. September 1764. 

Auch auf die Neumark erftredten ſich Brenckenhoffs Vollmachten. Hier 
waren allein auf dem platten Lande 1974 Häufer eingeäjchert; die Hauptitabt 
Küftrin war dur die Beſchießung von 1758 völlig zerftört. Für den Wieder: 
aufbau dieſes Plages hatte der König gleich damals 200 000 Thaler angemwiefen, 


im ganzen wurden für folden Zwed 683000 ausgegeben. Frankfurt, Kottbus, j 1 


Kroſſen Hatten während des Krieges zuſammen 144000 Thaler an Unterſtützung 
erhalten. Auf das Netablifjement des platten Yandes wurden jegt 768149 
Thaler verwendet, und neben 6342 Zugpferden kamen bier, wo ein großer Teil 
der Einwohnerihaft von der Wollfpinnerei und Tucherei lebte, 68866 Schafe 
zur Verteilung. 

Die Kurmarf hatte 1760 nah dem Einfall der Ruſſen und Oeſterreicher 
eine Unterftüßung von 400000 Thalern erhalten und außerdem hatte der König , 
der Stadt Berlin ihre Kriegsfontribution von 2 Millionen gededt und 12000 Thaler 
an die Armen von Berlin, Potsdam und Charlottenburg verteilen laffen. Frei— 
lih berechnete damals die Provinz ihren Schaden auf 6218896 Thaler, ein- 
ichließlich des Wertes der verlorenen Tiere: fait 25000 Pferde, 17 000 Ochſen, 
20 900 Kühe, 121000 Schafe, an 35 000 Schweine. Was jegt noch an Gnaden— 
gaben angewiejen wurde, fam wieder nur den Bebürftigiten zu gute. Die ab- 
gebrannten Bauern, Kofläten und Spinner im Kreife Lebus erhielten 22000, 
ein Dugend bejonders hart betroffener Edelleute insgefamt 39000 Thaler. Zum 
Ankauf von 4000 Pferden, 3053 Ochſen, 3373 Kühen wurden 379050 Thaler 
beftimmt, von den Magazinjpenden entfielen auf diefe Provinz 1777 Wifpel 
Roggen, 1587 Wifpel Hafer, 1289 Wifpel Gerfte. 100000 Thaler wurden an 
die Kreije Ober: und Niederbarnim, Teltow, Zauche, Beeskow-Storkow, Lebus 
verteilt, zu Gunften der am ärgiten gejchädigten Bauern. Doc haben die nieder: 
barnimjhen Kreisftände nur die Hälfte der Summe zur Verteilung gebradt, mit 
ber anderen Hälfte die Ausfälle der Kreiskaſſe gebedt, und überall war der An: 
teil des Einzelnen nur gering: jo erhielten im Kreiſe Beeskow-Storkow die 
Bauern, deren Bedürftigfeit überhaupt anerfannt wurde, Spenden von 3—24 
Thalern. 

Die Provinz Preußen war von den Rufen weit glimpfliher behandelt 
worden als Pommern, die Marken und Sclefien. Betradhteten fie doch diejes 
Land bereits als ihr eigenes, und jo benugte man bier flug die Gelegenheit, 
der harten Behandlung Sahjens durd die Preußen ein leuchtendes Beiſpiel 
entgegenzuftellen. Der Landesherr wies für die vom Feinde geräumte Provinz 
aus der Einnahme des Rechnungsjahres 176253 700000 Thaler zu Ent- 


356 Achtes Bud. Erfter Abſchnitt. 


Ihädigungen an. Diejer Betrag wurde indes zu anderen Zweden, vor allem 
für Naturallieferungen an das Feldheer und zur Bezahlung der nad) Pommern 
beftimmten Getreidevorräte, fowie der den Ruſſen abzufaufenden Magazine 
verwendet. So mußten die Retabliffementsgelder aus anderen Fonds flüſſig 
gemacht werden, und die Abmwidelung des Entichädigungsgejchäftes zog ſich 
bier jahrelang Hin. 

In Schlefien waren auf dem platten Lande 3323 Häufer, 2225 Scheu: 
nen, 3495 Ställe abgebrannt oder fonit in Verfall geraten, in den Städten 
2917 Häufer, 399 Scheunen, 1380 Ställe. Bereits im September 1764 waren 
4371 Häufer neu errichtet, 1325 im Bau begriffen; im Laufe des Jahres 1766 
wurden auf den Dörfern die Erjatbauten zu Ende geführt; in den Städten 
waren Ende Auguft 1766, nachdem inzwiichen 519 weitere Häufer durch große 
Feuersbrünſte zerftört worden waren, noch 644 Häufer, 95 Scheunen, 829 Ställe 
zu bauen. An Bferden jollen in diefer Provinz 17000 Stüd verteilt worden 
fein. Als der Minifter Schlabrendorff im Mai 1764 O:berfchlefien bereifte, fand 
er den ganzen Landftrih von Neiße über Neuftadt, Leobſchütz, Ratibor, Oder: 
berg bis nad Pleß „in recht guten, fultivierten Umftänden”: „Die Leute haben 
einen fo guten Pferde: und Viehftand wie vor dem Krieg und haben ihre Wirt: 
ichaft recht gut eingerichtet, da man ihrem Fleiß das billige Lob nicht ver: 
jagen Tann.“ 

Ein ſchleſiſcher Schriftiteller, der Pfälzer Klöber, ſchrieb 14 Jahre nad 
dem Kriege, daß Schlefien unter öfterreichifcher Herrihaft die Spuren des Drei: 
Bigjährigen Krieges no 100 Jahre lang getragen, von den Nachwehen des 
Siebenjährigen Krieges überraſchend jchnell fi erholt habe. Und der König 
jelbft hat nad feinen Reifen wiederholt feine Befriedigung über die guten Fort: 
jchritte der Heilung ausgefproden. „Ich bin bier in einer Provinz,” jchreibt 
er am 1. September 1766 aus Breslau an Voltaire, „wo man bie Phyſik der 
Metaphyfif vorzieht. Man beftellt die Felder, man hat 8000 Häujer wieder: 
aufgebaut und man zeugt alljährlih Taufende von Kindern, um die zu erjegen, 
welche die Raferei der Politif und des Krieges dahingerafft hat.” „Wenn Sie 
nad der Gejamtzahl der Verwüftungen wißbegierig find,“ fügt er im nädjiten 
Briefe hinzu, „jo vernehmen Sie, daß ich im ganzen in Schlefien 3000 Häuſer 
wieberaufgebaut habe, in Pommern und in der Neumarkt 6500, madt nad) 
Newton und d’Alembert 14500.” Doch klagt er noch nad) Jahren, daß die 
Wunden noch immer bluten, baß viel Werf gethan ift, aber noch fehr viel zu 
thun übrig bleibt. 

Großes Aufjehen erregte allerorten der foitipielige Bau bes „zweiten Sans: 
fouci”, des fogenannten Neuen Palais, der nad dem ſchon im Frühjahr 1756 
feftgeftellten Entwurfe unmittelbar nach dem Kriege, im Mai 1763, begonnen 
wurde, Der Prinz von Preußen fagte zu dem öfterreihijhen Gejandten, das 
neue Schloß werde. ‚größer als das Berliner, rt, und diefer berichtete feinem Hofe, 
des Königs vorherrfchende Leidenschaft fei ohne Widerrede der Ruhm; nicht zu: 
frieden mit dem im Kriege durch fein Talent und fein Glüd erworbenen, wolle 
er_jegt Ludwig XIV. und Verſailles nahahmen. Die Zeitgenoffen fabelten, 
daß der Bau 11 Millionen gekoftet habe und die innere Einrihtung ebenfoviel. Die 








Das Retabliffement. 457 


Annahme griff vielleiht um das Zehnfache zu hoch; beträchtlich aber blieben im 
Gegenjag zu der jonftigen Sparjamfeit der Hofhaltung die Aufwendungen unter 
allen Umjtänden; nachmweislih find in den beiden Jahren der ſtärkſten Bau: 
thätigfeit je 200000 Thaler für den Bau jelbit und je 100000 Thaler für 
Möbel ausgegeben worden. Friedrich hat nachmals gejagt, diefer Bau unmittel- 
bar nad dem Kriege ſei eine „Sanfaronnade” gewejen. Aber er hat auch ein: 
mal jeinem Minifter von der Horft erklärt, das Bauen jei ein vortreffliches Ding, 
jelbft wenn die Bauten unnüß jcheinen möchten; denn jeder Künftler und jeder 


Zagelöhner finde dabei Arbeit, jobald er fie verlange. Ueberſehen wir vor allem 
nit, daß die gewinnbringenden Aufträge für die prunkvolle Ausftattung der 
Gemäder den einheimifhen Fabriken zu gute famen und daß ohne dieſe Be: 
ftelungen die Berliner und Potsdamer Lurusinduftrien, zumal die junge Seiden: 
manufaltur, in jchweren Jahren eines geſchäftlichen Stillitandes und Nüdganges, 
der ſich nicht auf Preußen beſchränkte, ſich kaum würde aufrecht gehalten haben. 

Die wirtjhaftlihe Krifis, die jeit dem Hochſommer von 1763 auf einen 
Zeil von Europa drüdte, begann mit dem Bankbruch eines der größten Häufer - 
von Amfterdam, der Brüder de Neufville. Der Amſterdamer und der Ham— 
burger Geldmarkt hatten mit den’ peinlihften Schwierigkeiten zu kämpfen; in 
der Hanjaftadt ftellten 95 Firmen ihre Zahlungen ein. „Woher kommen alle 
Refiventen; „feit ih auf der Welt bin, habe ich nichts dergleichen gehört.” Er 
glaubte zunächſt, eine Kabale beftimmter faufmänniicher Kreife annehmen zu 
jollen. Nur zu bald famen auch Berlin, Magdeburg und andere preußiiche Städte 
an die Reihe, als der erfte in der Hauptftadt Gotzkowsky. Bon dem Könige 
wegen jeiner Erfahrung und Findigkeit in Handelsangelegenheiten geſchätzt und 
jeit lange vielfach verwendet, hatte diefer unternehmende Mann während bes 
Krieges durch umfangreiche Lieferungen und mweitausgreifende Wechſelgeſchäfte 
große Summen verdient, zugleich aber allzuviel gewagt und gemettet, als daß 
er jegt in dem großen Zufammenbruch hätte beftehen fünnen. Der König mußte 
fih bald überzeugen, daß das Verhängnis nicht zu wenden war; er verjuchte 
dann, dem Banferotten wieder aufzubelfen; aber nah > Jahren war Gotzkowsky 
abermals zahlungsunfähig. 

Die allgemeine Erjhütterung der Kreditverhältniffe, im Verein mit anderen 
Kalamitäten, Viehfterben und mehreren Mifernten, lähmte aljo das Geſchäft auf 
Jahre hinaus; viele Berliner Kaufleute glaubten, ihre Kapitalien im Auslande 
unterbringen zu müfjen. Abhülfe verſprach fi der König von der Gründung 
einer Bank. 

Projekte dazu waren ſchon dem erften preußiichen Könige von unter: 
nehmungsluftigen Fremdlingen vorgelegt worden. Dann hatte der Münzdirektor 
Graumann 1752 die Gründung unter dem Gefihtspunft empfohlen, das preu- 
ßiſche Kommerzium von der Willkür und Bedrüdung der Hamburger Börfe 
unabhängig zu maden. König Friedrich hatte damals den Vorſchlag als eine 
der „allerinterefjanteiten” Angelegenheiten und die Gründung bereits als „be: 
ichlofjene Sache” bezeichnet. Aber von anderen Projeftenmadern und der Ber: 
liner Kaufmannſchaft gleihmäßig befämpft, war Graumanns Plan nicht zur 


358 Achtes Bud. Erfter Abſchnitt. 


Ausführung gelangt. Auch jegt ergaben fih Schwierigkeiten ohne Ende. Be: 
vater des Königs war diesmal ein dunfler Ehrenmann aus ber Haffiihen Heimat 
des Mechfelgefhäfts und der Finanzkünftler, Calzabigi aus Livorno. Den Deut: 
jchen fehlte e& für das Bankweſen noch allzufehr an Erfahrung und an Ver: 
ftändnis. Die ſtaatswiſſenſchaftliche Litteratur in der erſten Hälfte des 18. Jahr: 
bunderts predigte nad) den blendenden Erfolgen der 1694 begründeten Zon: 
doner Bank die Nachfolge als ficherites Mittel der Volksbeglüdung, ohne das 
Problem wiffenfhaftlih zu prüfen und vom Wejen und den Borausjegungen 
des Bankverkehrs eine klare Vorftellung herauszuarbeiten. Die Praktiker, die 
Kaufleute, die Bankiers verbielten fich faſt durchweg ablehnend, in einem Grabe, 
daß ein preußiicher Beamter endlih ungeduldig meinte, man dürfe nicht in bem 
Wahn begriffen bleiben, „daß alle neuen Saden nichts taugen“. Doch teilte im 
allgemeinen das Beamtentum, bei voller Unkenntnis der Aufgabe, Unluft und 
Mißtrauen der Kaufmannſchaft. Der vom König zur Leitung der Bank zunädjit 
in Ausficht genommene YJuftizminifter Graf Reuß äußerte entfagungsvoll, er ge: 
lange zur Direftion, wie der Unfchuldige zur Ohrfeige. Wieſen die Enthufiaften 
auf London, jo beriefen fi die Gegner bes Neuen auf das abſchreckende Bei: 
fpiel des Lawſchen Bankſchwindels in Franfreih, auf die Mißerfolge der Banken 
von Kopenhagen und Stodholm. Das von vornherein reihlih vorhandene 
Mißtrauen der gewerblihen und Handelsfreife erhielt dadurch weitere Nahrung, 
daß nad) Calzabigis Plan die Bank Handelsgeſchäfte veridhiedenfter Art mit mweit- 
gehenden Borrechten an fich nehmen jollte. Davon wurde nun bald abgejehen, 
gleichwohl aber blieben die Zeihnungen des Privatkapitals, auf die man für bie 
Beihaffung des Stammvermögens gerechnet hatte, jo gut wie ganz aus. 

Es blieb nichts übrig, als die Bank auf Staatskoften mit Betriebsmitteln 
und Bürgichaftsftod auszuftatten. Die Verordnung vom — —— 


dete unter Hinweis auf die noch nicht geheilten Wunden, die der Krieg dem 


Staat geſchlagen habe, die Eroffnung einer Giro⸗ Diskonto⸗ und Leihbank in 


lauf des Geldes in allen — und Handelsgejchäften das Kommerzium blühend 
zu machen“. Alle Unkoſten der Errichtung und Verwaltung übernahm ber 
König, erklärte aber zualeih, daß die Bank von den Staatsbehörden völlig un: 
abhängig fein ſolle, daß „lediglih und allein“ er perfönlih fi vorbehalte, 
„von dem Zuftand der Bank, nad) Unferem hohen Gefallen und Belieben, Wiffen: 
Schaft einzuziehen“. Als [8 Grundfapital jollten der Bank 8 Millionen aus dem 
Staatsſchatz dienen, doch wurden zunächſt nur 400000 Thaler eingefchoffen, ſpäter 
weitere 900 000 niedergelegt. 

Die Anfänge des Gejchäfts ließen ſich günftig an. Aber bie tiefe Ab: 
neigung ber am meiiten beteiligten Streife war um fo weniger zu überwinden, als 
die erften Leiter ſchwere Fehlgriffe, ja, wie es jcheint, Untreue ſich zu fchulden 
fommen ließen. Die_Geihäfte der Bank kamen jomit nit in Fluß, und 
nah einem Jahr erflärten dem Könige ber Großfanzler der Juſtiz und das 
Generaldireftorium, der auswärtige Kredit jei infolge ber Banfgründung nod 
mehr gejunfen, indem faft jedermann fürchte, ftatt baren Geldes zulegt Papier 
zu_befommen. Unftreitig fei, daß der früher in Berlin und Breslau betriebene 


Das Retablifjement. 359 


ausländifche Wechjelhandel jih nach Leipzig, Braunſchweig, Frankfurt aM, 


Prag gezogen habe. Ein neuer Entwurf des betriebfamen Calzabigi, der den 


Miperfolg des erſten Verſuches nicht leugnen konnte, wurde von den Miniftern 


zum großen Verdruß des Monarden einer Kritif unterzogen, die in den Morten 
gipfelte: „Wir find vollfommen überzeugt, daß bie Feinde von Em. Königl. 
Majeſtät höchſten Perfon und Haufe fih freuen würden, wenn diefer Plan pus 
blizieret und zur Erefution gebracht würde.” Der König antwortete fehr un: 
gnädig, aber Calzabigis Rezept, das die Bank zu einer Zmwangsanitalt für jeg: 
lihen Geldumſatz in der Höhe von mehr als 150 Thalern machen wollte, wurde 
preisgegeben, und ebenjo aus dem erften Statut eine Anzahl als ftörend erfannter 
Vorjhriften. Dagegen erhielt jett die Bank, gleichzeitig unter ſchärfere Aufficht 
geitellt, das Recht zur Ausgabe von Noten; fie gewannen fih Vertrauen und 
wurden jhon Anfang 1768 in Hamburg um_ein Drittel Prozent teurer als gute 
Wechſel bezahlt. Bon entjcheidender Bedeutung wurde aber erft die Verfügung 
an bie Gerichte vom 18. Juli 1768, alle Mündelgelder und fonftigen Depofita, 
joweit fie nicht gegen hypothekariſche Sicherheit untergebracht werden fönnten, 
zinsbar bei der Banf anzulegen. Nun flofien die Gelder ihr oft allzu reichlich 
zu, fie wurde lebensfähig und erfüllte vollauf ihren Zweck, durch Aufrechterhaltung 
des Wechſelkurſes den Handel zu ſtützen und zu beleben, bis ſie gegen Ende des 
Jahrhunderts ihren Schwerpunkt in das Depoſiten- und Hypothekengeſchäft verlegte. 
Der Umſatz fteigerte fih von Jahr zu Jahr, der dem Staat zufallende Reingewinn 
wuchs von den 22289 Thalern des Nechnungsjahres 1767/68 im nächſten Jahr 
auf 46739 und bis 1785/86 auf 216166. Der König war ſchon nad) wenigen 
„Jahren zufrieden, und voll Lobes für den Minifter Hagen, ber endlich der Bank 
auf den Weg geholfen habe. 





pet 


Schwer lafteten auf den Städten die zur Beftreitung feindlicher Brand: ER 


ihagung aufgenommenen Jnvafionsihulden. Der Regel nad} blieb ihre Tilgung 
Sade ber Gemeinde. So ordnete Schlabrendorff für Schlefien an, daß bie 


Bürgerfhaften die Schuld allmählig an diejenigen abzutragen hätten, „melde 


ihren Kredit zu folder erpreßten Kontribution employieret“. Nur in den drin: 
gendften Fällen trat der Staat dazwiſchen: Landshut erhielt 200000 Thaler, 
Striegau 40000, Halle, das feinen Schaden auf 520000 Thaler berechnete, 
30.000, Krofjen und Reppen in der Neumark 24000 und 6000, Minden 20000, 
Bielefeld 15000. Die Stände von Halberftadt 40000, die von Hohnitein 13000. 
Aber auch fonft empfingen die Städte in zahlreichen Fällen außerordentliche Zu: 
wendungen, zumal für Bauzwede, jo die fchlefifhen Städte 1774 eine Summe 
von 56000 Thalern und 1777 eine Anweifung auf 288 000 Thaler. 


Vielleicht noch ſchwerer als die Städte litt unter den Nachwehen des Krieges : 


der adeliche Grundbefig. Die Rittergüter waren tief verſchuldet; die Moratorien, 
die den Beligern von Gerichts wegen auf zwei Jahre gewährt wurden, hatten, 
wie Friedrih jagt, nur die Wirkung, den Kredit des „erften und glänzendften 
Standes” vollends zu zerftören. Die Lage der Schuldner war um fo ſchwieriger, 
als die Veräußerung von Rittergütern an Bürgerliche,) während der Kriegs: 


') Dal. Bb. I, 369. 


360 Achtes Bud. Erfter Abfchnitt. 


läufte häufiger vorgenommen, nad dem Friedensſchluß alsbald wieder auf das 
Heußerite erſchwert und fchließli ganz verboten wurde. Sollte ein allgemeiner 
Zufammenbrud abgewendet werben, jo mußte der Staat eintreten. 

Der König half auf zweierlei Weiſe, mit unmittelbaren Geldjpenden und 
dur die Schöpfung landbwirtfchaftliher Kreditverbände. Ein jegensreiches Wert 
von unendlicher Tragweite wurde eingeleitet, ald am 12. Januar 1767 der Groß: 
fanzler der Juſtiz den Auftrag erhielt, die Befigverhältniffe des Adels in Pommern 
und ber Neumark zu ermitteln: den Wert jedes Gutes, die Höhe feiner Schul: 
den, den Ueberfchuß der im Landbuche eingetragenen Hypotheken über die Hälfte des 
Wertes, eine Abſchätzung der Kriegsihäben der einzelnen Güter. In einer be: 
fonderen Rubrik folten die „ganz armen und durch ben Krieg vorzüglich mit: 
genommenen Ebelleute” aufgeführt werden. Schon Friedrich Wilhelm I. hatte 
für Oftpreußen an die Gründung einer Landeskreditkaſſe zum Beiten des ver: 
ichuldeten ländliden Grundbefiges gedacht. Wie es jcheint, folgte Friedrich II. 
jeßt einer Anregung bes Berliner Kaufmanns Büring, defien „Plan zu einer all: 
gemeinen Leihbank auf liegende Gründe und Häufer” darauf hinausging, daß 
jedes Rittergut abgeihägt und zur Hälfte oder zu zwei Dritteln des Wertes 
Darlehen aus der landichaftlihen Kaſſe zur Befriedigung der Gläubiger er- 
halten jollte. 

Das erfte Ergebnis wurde in Schlefien erzielt. Der Staat bezahlte bier 
von den Schulden des Adels 300000 Thaler; der Gejamtbetrag der Schuld 
wurde auf 25 Millionen geſchätzt, der Wert des adelichen Belites auf 60 Mil: 
lionen. Der Freiherr von Garmer,!) ſoeben zum Chefpräfidenten ſämtlicher 
jchlefifcher Oberamtsregierungen ernannt, wollte dem Notitand durch Begründung 
einer ſchleſiſchen „Sejelihaft zur Beförderung der Landesöfonomie, des Handels 
und der Fabriken“ fteuern, aber nah Rüdipradhe mit dem Könige wurde der Plan 
auf eine Organijation des Großgrundbefiges eingeſchränkt. armer hat erzählt, 
wie der König in einer erften Audienz mit feinem Worte eine eigene Meinung 
ausgeſprochen, ihn lediglich befragt habe: über Pfandrecht, Hypothekenweſen und 
verwandte Rechtsgegenftände. In der zweiten Audienz feien die Rollen gleichjam 
vertaujcht geweien, und ber König babe mit voller Sachkunde und Beitimmtheit 
die Grundfäge der zu errichtenden Pfandbriefanftalt aufgeftellt. Gerade den 
Schlefiern war eine derartige Einrihtung nicht neu; denn in den Fürſtentümern 
Schweidnig und Jauer hatte man ehedem die „ledernen Briefe“ gefannt, Per: 
gamentverjchreibungen, die, über den halben Kaufpreis eines Landgutes ausgeitellt, 
im Handel mit Grund und Boden fi großer Beliebtheit erfreut hatten. Cine 
Flugſchrift „Gedanken eines Patrioten über den Entwurf zur Wiederherſtellung 
des allgemeinen Kredits des jchlefifchen Adels“, die Arbeit des 23jährigen Re: 
ferendars Suarez, befämpfte mit Geſchick die Einwände „eigennüßiger, unpatrio: 
tiſcher Wucherer und Makler”. Ein allgemeiner Landtag des fchlefiichen Adels 
im Sommer 1770 machte fih den Entwurf zu eigen: der Adel als Genofjen- 
Ihaft handelte die erforderlihen Gelder gegen Piandbriefe auf feinen Kredit, 
jegte den Gläubigern fein gejamtes Vermögen zum Unterpfande und erhielt 


1) 8b. I, 341. 


Das Retabliffement. 361 


feine Rüdfiherung durch die befondere Verpfändung derjenigen Güter, auf welche 
die Darlehen gejucht worden waren, nahm aber Hypotheken nur bis zum halben 
Tarwert des Gutes an. Die Heineren Pfandbriefe follten jederzeit, die größeren 
auf halbjährige Kündigung einlösbar fein. Um die unauffhiebbaren Zahlungen 
zu fihern, überwies der Staat der fchlefiichen Landihaft ein Kapital von 200000 
Thalern gegen zwei Prozent Zinfen. In Anlehnung an die neue Schöpfung 
nahm nun auch Garmers „Patriotifhe Geſellſchaft“ Geftalt an. 

Sechs Jahre nah der Begründung der jchlefiihen Landſchaft empfing der 
König in Potsdam am 18. Januar 1776 vier Bertreter der furmärfiichen 
Stände. Er mies fie auf das Vorbild der Nachbarprovinz hin: „Das müſſen 
Sie imitieren, e8 gehet exzellent.” Er wollte den Einwand nicht gelten laſſen, 
daß eine ganze Provinz ruiniert werden könne, etwa wie im Dreißigjährigen 
Kriege, und daß dann bei der folidariihen Haftpflicht der Landſchaft jeder ein: 
zelne Befiger dem Unglück mitverfallen jei: „Darauf müſſen Sie gar nicht re 
Heftieren, das ift nur lächerlih; denn wenn der Himmel einfällt, jo find alle 
Vögel gefangen, und wenn der jüngite Tag fommt, fo machen wir alle Banferott. 
Und wenn aud) eine Provinz ruiniert würde, jo muß alsdann der Herr zutreten, 
denn diefer und die Stände machen nur eins aus.” Die „Krebitfozietät” für 
die Kur: und Neumark ift dann im folgenden Jahre, vom Staate wieder mit 
einem Stammlapital von 200000 Thalern ausgeftattet, auf der Grundlage zu 
ftande gekommen, daß bier nur die Befiger der mit Pfandbriefen belafteten Güter 
als Teilnehmer beitraten und nad Ablöſung der Briefe jederzeit ausjcheiden 
konnten, eine Abweichung von dem jhlefiihen Mufter, die Carmer als „verun: 
glüdt” betrachten wollte. 

Inzwiſchen hatte in der Neumark und in Pommern die Ritterfhaft jehr 
anſehnliche Unterftügungen vom Staate erhalten: die neumärkiſche zur Schulden: 
tilgung ein unverzinslihes Gnabengefhent von 154000 Thalern, und zu 
Meliorationszweden weitere 100000 Thaler, deren zmweiprozentige Zinjen in der 
Höhe von 2000 Thalern zur Unterflügung armer adeliher Witwen dienen 
jollten; die pommerjche zu denjelben Zweden 381000 Thaler zinsfrei und über 
eine halbe Million gegen zwei Prozent Zinfen. Summen, die fi in ben legten 
Negierungsjahren noch um eine ganze Million für Bommern und faft eine halbe 
für die Neumark erhöhten. Als dann die Pommern aus eigenem Antrieb um 
eine Kreditanftalt baten, fam ihnen der König bereitwillig entgegen und erflärte 
ihren Vertrauensmännern mit warmen Worten: „ch will Ihnen gerne helfen, 
denn ich liebe die Pommern wie meine Brüder, und man fann fie nicht mehr 
lieben, als ich fie liebe; denn fie find brave Leute, die mir jederzeit in Ver: 
teidigung bes Vaterlandes, ſowohl im Felde als zu Haufe, mit Gut und Blut, 
beigeitanden haben, und ich müßte fein Menſch fein oder fein menfchliches Herz 
haben, wenn ih Ahnen bei diefer Gelegenheit nicht meine Dankbarkeit bezeigen 
wollte.” So erhielt auch Pommern 1780 fein Kreditwerk. Die anderen Pro: 
vinzen folgten vorerit noch nicht, aber für den ganzen Staat wurde am 
20. Dezember 1783 die allgemeine Hypothefenordnung erlafen, die in anderen 
deutichen Territorien lebhafte Beahtung und vielfahe Nachfolge fand. 

Die beiden uns überlieferten Anſprachen an die märfifhen und die pom— 


362 Achtes Bud. Erfter Abichnitt. 


merfchen Abgeordneten kennzeichnen Friedrichs perjönliches Verhältnis zu feinem 
Adel. Wir erinnern uns der Zeugniffe, die das politifche Teftament von 1752 
den Edelleuten der einzelnen Provinzen ausgeftellt hatte.) Als Frievrih 1768 
diefes Teftament umarbeitete, hat er feine Urteile bier und da etwas umge- 
prägt und die Charafteriftif diesmal aud auf die breite Mafje der Bevölkerung 
ausgedehnt. Nach wie vor erhalten die Bewohner und injonderheit die Ebel: 
leute des Herzogtums Kleve die fchlechtefte Note: es find diejenigen Untertbanen, 
von denen man fih am wenigiten Vorteil verſprechen kann. Aud die geringe 
Meinung des Königs von den Brandenburgern ijt unverändert geblieben: der 
Adel gilt ihm als verſchwenderiſch und leichtfinnig, es gibt nur wenige, die man 
mit Erfolg gebrauden kann; das Volk ift auf jeine Meinung verjejlen, ge- 
ichworener Feind alles Neuen, fie verabjcheuen jogar die Fremden, find aber 
nicht bösartig. Das günftige Urteil über die pommerſchen Edelleute erhält eine 
Einſchränkung: fie würden nicht ohne Geift fein, wenn fie mehr Bildung hätten; 
der gemeine Mann ift argwöhniſch und eigenfinnig, ſelbſtſüchtig, aber nicht 
graufam oder blutdürftig, vielmehr gutmütig. Man bedarf alfo keiner Strenge, 
um fie zu regieren, fie geben gute Dffiziere und vortreffliche Soldaten ab. Die 
Magdeburger und Halberftädter zeichnen fi) gegen die benachbarten Märker 
durch feineren Schliff aus; felbft der gemeine Mann zeigt Ehrgefühl; die edle 
Bereitwilligkeit wirb gerühmt, mit ber die Magdeburger während bes Krieges 
ben von den Rufen ausgeplünderten Pommern 10000 Thaler geihidt — ein 
Seitenftüd zu der Opferfreubigfeit, mit der die Provinzen Magdeburg und 
Halberftabt auf die Anregung des Kammerpräfidenten Blumenthal dem König 
nah der Schlacht bei Kolin 4000 Pferde geitellt hatten, um ben Reiterregi: 
mentern ihren Berluft zu erfegen. Gleiches Lob wird der Gefinnung der Be: 
wohner von Minden und Navensberg geipendet: „Während des lekten Krieges 
haben fich die Bauern freiwillig gemeldet, um für das Vaterland zu fämpfen;?) 
was haben die alten Römer jchöneres gethan?“ Hier ift „das befte Wolf der 
Welt”, Hug, arbeitfam, gewerbsthätig und treu. In Schleſien unterjcheidet der 
König. Die Niederjchlefier erhalten kein unvorteilhaftes Zeugnis: fie wiſſen ſich 
zu benehmen, jelbft der Bauer; der Adel befigt Geift, und wenn man jeine 
Oberflächlichkeit befämpft, kann man in Heer und Verwaltung vortrefflihe Dienfte 
von ihm erwarten. Auf Oberjchlefien aber ift wenig zu rechnen: die Grafen 
meift mit Defterreihern verwandt, zum Teil in Mähren und Böhmen begütert; 
der gemeine Mann jtodfatholiih, jchaudert vor dem Worte Ketzer und wird 
durch feine Priefter und durch feine religiöfe Voreingenommenheit an das Haus 
Deiterreich gefefjelt — wie denn das gefamte „Mönchsgezücht“ und die Breslauer 
Domberren während des Krieges ihre wahre Gefinnung offenbart hätten. °) 
Den Dftpreußen zürnte ber König, jeit er fie bei Zorndborf hatte fliehen 
jehen. Er machte in dem Teftament dem Adel den Vorwurf, daß er während 
der fünf Fahre der ruffiihen Einlagerung mehr ruſſiſch als preußiih gefinnt 


'!) 3b. I, 368. 
?) Oben ©. 286. 
®) Oben ©. 160. 161. 236. Bd. I, 391. 407 ff. 413. 414. 


Das Retabliffement. 363 


gewejen fei, aber er erflärt zugleih, daß er alles vergejlien habe, nachdem er 
fie ihr Unrecht und feine Unzufrievenheit habe fühlen lafjen. Unverfennbar 
haben fih Spuren diefer Unzufriedenheit doch auch jpäter gezeigt, und eine ge: 
wiſſe Abneigung der oſtpreußiſchen Junker gegen den Dffiziersbienft, auf die er 
mehrfach ftieß, gab immer erneuten Anlaß zum Tadel. Noch 1781 erwiberte 
er auf eine Eingabe der Nitterfhaft von Samland, Nautangen und Oberland: 
fie mödten ſich „hübſch daran zurüderinnern, wie fie fih im Kriege 1756 be: 
tragen haben“; fie hätten Feine Liebe zum Vaterlande und fönnten mithin nicht 
verlangen, daß der König Liebe für fie haben follte. Indes war es fein leeres 
Mort, wenn er in feinen Denkwürdigkeiten jchrieb, er habe nicht gewollt, daß 
diefe Provinz den anderen nachſtehen ſolle. Spenden aus dem Staatsjädel hat 
er mit freigebiger Hand aud ihr zufließen laſſen. 

Die Höhe der den einzelnen Provinzen zu teil gewordenen Beträge und 
ihre Gejamtziffer laſſen fih rehnungsmäßig nicht mehr feitftelen. Der König 
nennt zum Schluß jeiner Gefhichte des Siebenjährigen Krieges, die er Anfang 
März 1764 vollendete, die Summe von 6 Millionen Thalern bar, von denen 
drei auf Sclefien, 1400000 auf die Neumark und Pommern, 700 000 auf die 
Kurmark, 100000 auf Kleve, 800000 auf Preußen entfallen jeien. Offenbar 
find in dieſen Poiten einzelne Titel enthalten, die teild jchon während bes 
Krieges ausgezahlt, teils aber, wie die Gelder für Oftpreußen, vorerft nur an- 
gewiejen waren. Zehn Jahre jpäter, in feinen Denfwürdigfeiten über die Periode 
nad dem Hubertusburger Frieden, beziffert der König den Gejamtbetrag der 
Spenden auf 20389000 Thaler, und diesmal find darunter aud Ausgaben ver: 
ftanden, die nicht für die Heilung der Kriegsfchäden unmittelbar, ſondern für 
das Retablifjement im weiteren Sinne geleiftet worben waren. Im Jahre 1768 
berechnete er die Summe, die jährlich für „Meliorationen und Fortifikationen“ 
verfügbar bliebe, auf 1400000 Thaler, d,_h. ungefähr den zehnten Teil_der 
damaligen Staatseinnahme; im Laufe des nächſten Jahrzehnts ftieg der fo 
verfügbare Betrag auf 3700000 Thaler; im Jahre 1774, aus dem ein eigen: 
händiger Voranſchlag des Königs vorliegt, find für Kulturzwede aus dieſem 
Dispofitionsfonds 1976000 Thaler angewiejen worden, für militärifhe Aus: 
gaben 1040000, für die Subfidienzahlung an Rußland ') 480000. Nach den 
Berechnungen, die der Minifter Hergberg für Friedrichs legte Negierungsjahre 
auf Grund eines heute nicht mehr erhaltenen Materials angeftellt bat, betrug 
die Ausgabe des Dispofitionsfonds zur Förderung der LZandeswohlfahrt 1782/83 
2118000 Thaler, im folgenden Jahre 2070000, in den beiden legten 2236156 
und 2900000; wie denn Herkberg in feiner Feſtrede vor der Afademie der 
Wiſſenſchaften am 25. Januar 1785 die Gefamtfumme der jeit 1763 gewährten 
außerordentlihen Unterftügungen auf mehr als 40 Millionen annahm. 

Der König konnte freigebiger jpenden in dem Maße, als die allgemeine ha 
Finanzlage des Staates, wie wir es noch verfolgen werden, ſich günftiger ge mar ms: 
ftaltete. „Ich laſſe eine oder anderthalb Millionen mehr im Trefor oder nicht, \ 

(ms iſt gle ichviel, und beſſer, wenn ich noch bei meinem Leben Gutes damit 





ı) Oben ©. 340. 


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in Pomarzmnt; 


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364 Achtes Bud. Erfter Abfchnitt. 


ftifte” — fo erklärte er jener Abordnung der pommerfchen Nitterfchaft. Jeder 
Provinz maß er alljährlih den Betrag zu, den fie im Ertraordinarium er: 
balten jollte, dem war dann der Umfang ber auszuführenden Arbeiten anzu— 
paflen. Erft ſeit dem Anfang der achtziger Jahre wurden jolde Meliorations- 
pläne, Jahresvoranjhläge auch für das Fabrifwejen ausgearbeitet, deſſen Förde— 
rung im übrigen als eine Aufgabe für fi, außerhalb des Retablifjements, 
betrachtet wurde. 

Ein allgemeiner Grundjag war, die vorausfichtlich einträglichiten Meliorationen 

\ zuerft vorzunehmen: „mo aber der wenigfte Vorteil babei herausfommt, das laſſen 
wir alles bis zulegt”. Deshalb wurde in allen Provinzen mit der ein jchnelles Er: 
gebnis verjpredhenden Verbeflerung der Wiefenwirtichaft der Anfang gemadt. Ein 

‘anderer Grundfag: die verfügbaren Mittel jollten nicht in zu kleine Beträge zer: 
‚fplittert werden: „Wir müflen uns in acht nehmen, da wir vielen Menjchen 
helfen wollen, e& nicht geichehe, daß wir feinen helfen.” 

Wenn der König im Juni, zu Beginn des Etatsjahres, ſeine höchſten Ver— 
waltungsbeamten zur Beratung und Abrechnung, zur „Minifterrenue”, ver: 
jammelte, jo wurden regelmäßig auch die Retablifjementsfragen erörtert, alte 
Wuünſche in Erinnerung gebradt, neue Aufgaben bezeihnet. Dann pflegten zur 
Weihnachtszeit die inzwifchen ausgearbeiteten Pläne vorgelegt und geprüft zu 


, werben, mündlich mußten die einzelnen Minijter des Generaldireftoriums, bis: 


weilen aud der aus Breslau herbeigerufene fchlefiihe Provinzialminifter, ihre 
Anſchläge erläutern, und um die Entwürfe deito eingehender mit ihnen beſprechen 
zu können, eröffnete ihnen der König Ende 1775, daß er fie fünftig nicht alle 
auf einmal, jondern je zwei und zwei empfangen werbe. Oder er lub fidh die 
Minifter zur Tafel und unterhielt fie während und nah der Mahlzeit über 
wirtichaftliche Gegenftände und Aufgaben aler Art, jo daf fie wohl das Merk: 
würdigfte von dieſen Tiſchgeſprächen nachher eilig zu Protofoll nahmen, „um 
die Königlichen Abfichten nicht zu verfehlen, vielmehr darnah ein und anderes 
Notwendiges allenfalls zu verfügen“. 

In dem damaligen Regierungsiyitem lag es, daß von dem großen Werk 
des Auf: und Ausbaues erhebliche Teile nicht der oberiten Verwaltungsbehörde 
zugewiejen, fondern durch bejondere Aufträge an Vertrauensperjonen erledigt 
wurden. Der unermüdliche Wohlthäter Pommerns und der Neumark, Brenden- 

hoff, war weder Minifter noch Kammerpräfident; als Geheimer Finanzrat und 


“ vortragender Rat im Generalbireftorium, ging er mit außerordentlihen Voll— 


machten in die feiner Fürforge und Thatkraft anvertrauten Provinzen und 
bildete dort eine Macht für fih, in den midtigiten Dingen nur dem Könige 
zur Rechenſchaft verpflichtet, nur an des Königs Befehle gebunden. Nah Brenden: 
hoffs Tode jegte ein Geheimer Finanzrat Schüg in ähnliher Ausnahmeftellung 
das Werf fort. Auch die Kammerpräfidenten untermwies der König in Meliora: 
tionsangelegenheiten mit Vorliebe unmittelbar aus dem Kabinett. Und fuhr er 
durch die Lande, jo war es ihm gerade recht, wenn er, unerwartet eingetroffen, 
bei den neuen Anlagen gelegentlih nit die Spitzen der Behörden antraf, 
jondern etwa, wie am 13. Juli 1775 im Holmer Bruch, nur einen biederen 
Grabenmwärter, aus dem fich allerlei Lehrreiches herausfragen ließ und der fich 


Das Retablifiement. 369 


dann für jeine Wiſſenſchaft und Auskunft duch ein Geſchenk von 7 Thalern zu 
neuen Waflerftiefeln belohnt jah. 
Wenigftens ein Paar von den eigenhändigen franzöfifhen Notizblättern ’r 2 > 
\ haben fi erhalten, auf denen Friedrich während oder nad der Neife zu ver: Ki Ad 
merfen pflegte, was es zu verbeijern oder neu zu jchaffen gab. Anläßlich feines haarı - md 
Beſuches in Schlefien im Herbft 1780 zeichnet er 14 Punkte auf, ſorgſam mit .-, 14 —E 
fortlaufender Zählung verſehen: „Auf den Gütern des Grafen Wallis ver: „, I, ses: 
) faufen fie ihren Flachs nah Böhmen; warum jpinnt und verarbeitet man ihn 
nicht in der Grafihaft Glatz? — Die Stadt Striegau beflagt fi, daß fie feine 
Manufakturen und nichts, was fie bereichert, hat; ich jehe nicht, wie ihr zu helfen 
it, wofern man nicht irgend eine neue Manufaktur dort anjegen fann, irgend 
eine Zubereitung von Bitriol oder ähnliche Dinge. — Den Städten Schweidnig 
und Neiße fehlt es noch vielfah an Ziegeldähern, Notabene, woran man zu 
denken haben wird. — Der Nıntmann des Grafen Wallis hat mir gejagt, dab 
' fie eine Kolonie von 30 Familien anjegen fünnen; prüfen, ob bas geht, und 
| wie es zu maden. — Notabene, für den Katafter von Glag muß man einen 
Unterſchied maden zwijhen den guten und ehrenmwerten Edelleuten und den 
Fremden. — Wenn im Glatziſchen ein Bauer oder Bauernjohn ausmwanbert, 
werde jein Gut fequeitriert. — Klagen der Schmiedeberger, die behaupten, daß 
die Kaufleute fie erbrüden; die Sache prüfen und mir einen Bericht erftatten. — 
Von einigen Edelleuten, die noch Koloniften im Gebirge anjegen wollen. — 
Dan könnte mehr Schafe im Glagifhen halten, wenn man fie in den Wäldern, 
die auf den Bergen find, meiden ließe; aber die Frage, ob ihre Wolle gut iſt 
ober nicht; mindeftens wäre das eine Hülfe für den armen Landmann, der von 
der Schafmilch ſich nähren fünnte. — Ich gebe 1000 Thaler für jeden der beiden 
Eoelleute, Arnold und den anderen, deſſen Namen ich vergellen habe, bie 
zwiſchen Kroffen und Glogau durch die Ueberſchwemmung ber Oder gelitten 
| haben. — Noch etwas Geld für Neuftädtel, für die Vorſtädte. — Dienftregle: 
ment jür Oberjchlefien jenjeits der Oder. — Ob man mehr kleines Geld nad 
Polen einführen fönnte oder nit. — Der neue Weg für die Porzellanerbe, 
Pfau — ein Ingenieuroffizier — hat die Zeichnung.” Zum Schluß folgen 
einige Vermerke über anzumweijende Gelber. 
Wenn jo der Aufmerkjamfeit des Gebieters nichts zu gering erſchien, jo 
hatte der jchlefiiche Provinzialminifter vollen Anlaß, jeine Veranftaltungen zu 
treffen, daß alles und jedes, was der König bei einer Fahrt durch Schlefien ge: 
äußert hatte, ihm ſofort getreulich berichtet wurde. 
Am dringenditen nötigten verheerende Naturereignifle, Feuersbrünite und: —** gr a 
Ueberihwenmungen, immer von neuem den Staat zu außerordentlicher Hülfe- 
leiftung. „Es ſchien“, jchreibt Friedrih im Jahre 1773 in feinen Memoiren, 
„ale ob das Unglüd, das die Preußen verfolgte, fih noch nicht erfchöpft 
hatte“; er zählt die Städte auf, die bald nach dem Kriege, Königsberg fogar 
zweimal, durch ſchweren Brandſchaden heimgejucht wurden. Von den 130 Städten 
und Marktfleden Schlefiens pflegten durhfchnittlih in jedem Jahre zwei ganz 
oder teilweiſe abzubrennen. Die größte Hochwaſſernot brachte das Frühjahr 7% .b: 
1785 im Flußgebiet der Oder, Spree und Elbe; der König gab damals für die 





— — 


3606 Achtes Buch. Erfter Abichnitt. 


Marken und das Herzogtum Magdeburg 655 000 Thaler, für Schlefien 100 000, 
'» alſo dreiviertel Millionen, etwa den breißigiten Teil der Jahreseinnahme des 
a make en Staates. Der Schaden der Schlejier war auf 150000 Thaler abgejchägt 
worden; wenn ihn nun der König zu zwei Dritteln gebedt hatte und gleihwohl noch 
Klagen aus diefer Provinz an ihn famen, jo durfte er mit Recht die Frage 
aufwerfen: „Welcher Zandesherr in der Welt wird das thun? Damit follten 
fie alfo doch wohl zufrieden jein.” 
r In Zeiten des Mißwachſes wurde, wie es gleih nach dem Friedensſchluſſe 
I Aarıtsb:geichehen war, Saat und Brotkorn unentgeltlich an Hülfsbedürftige überwieſen, 
und der König war jehr entrüjtet, als die Kurmärkiſche Kammer einige Jahre 
nad der Teuerung von 1772 die Bauern zur Erftattung des Gelbbetrages ver: 
anlafien wollte: „Wie könnt Ihr der Kammer das zugeben?“ fragte er den 
vorgejegten Minifter, „und wie fann dieſe ſich unterjtehen, wenn ich den armen 
Unterthanen einmal was geſchenket habe, ihnen nachher jolches wieder abzunehmen ? 
Das ift ganz unverantwortlich und ganz und gar gegen meine landespäterliche 
Gefinnung.” 
Für die fortdauernden Arbeiten wurde am 21. Dftober 1774, zunächſt 
f für die Kurmark, ein zufammenfaffender Plan aufgeftelt. Die Vorfchrift lautete: 
ns die kleineren Flüffe, zu beſſerer Kultur der anliegenden Wieſen und Aeder, in 
Kanäle zerlegen und zum Zeil ſchiffbar machen, die größeren mit Bewallungen 
einfaffen; die noch vorhandenen Brüche und ber Ueberſchwemmung ausgejegten 
Niederungen durch Gräben urbar oder nugbarer maden; auf das jo gewonnene 
Land Bübner anfegen, zur Vermehrung der Zahl der Tagelöhner und Hand» 
arbeiter. 

Auf den Rittergütern wurden die Meliorationen, die der Staat veranlafte 
und mit feinen Geldvorſchüſſen beftritt, auch unter der Auffiht von Staate- 
beamten ausgeführt. Wer als fiher galt, erhielt beim Beginn der Arbeiten einen 
Teil der ausgefegten Gelder, den Reſt beim Abſchluß; anderenfalls erfolgten 
alle Zahlungen nicht durch den Gutsbefiger, jondern durch die Kammer. 

| kalt Für das Netabliffement der furmärkijhen Städte wurde in einem Ent» 
Hr wurf vom 29. Januar 1770 die Wiederbebauung der „wülten Stellen” in Aus» 
as ficht genommen. Solder Bauftellen wurden in der Kurmark nad einer Tabelle 
a gi‘ vom 18. Dftober 1770 nicht weniger ala 447 ermittelt, die zum Teil noch feit dem 
Dreißigjährigen Kriege ungenugt balagen, die meiften, 200 an der Zahl, in 

Stendal, wo damals ganz neue Straßen entitanden. Wohl ergab fih, daß 

über 100 von diejen 447 Stellen zur Bebauung fich nicht eigneten; immerhin 

waren bis Ende 1775 in Ausführung des Planes 276 Häufer errichtet und 

mit 487 Familien bejegt, darunter 40 Häufer für die jogenannten Kreisgärtner, 

"raus f ar Amerdie, zumeift aus Süddeutſchland berufen, in den einzelnen Kreifen der Kurmark 
“ die Lehrmeifter der Gartenkunſt werben jollten. Zur Hebung des ſtädtiſchen 
Aderbaues verfügte der König, daß in ſämtlichen Aderftäbten bei der Wahl des 
Magiftrats darauf Bedacht zu nehmen fei, allzeit wenigitens einen „tüchtigen 
Delonomieverftändigen” in ber Stabtverwaltung zu haben. Gern hätte ber 
König den ftäbtiichen Handwerkern die Landwirtſchaft gänzlich unterjagt, da fie 
davon nichts verftünden und ihre Lehrlinge nicht auf dem Felde, jondern in der 


Ih ume — 


Das Netabliffement. 367 


Werkitatt zu bejchäftigen hätten. Ein dahin zielendes Edikt vom 25. Auguft I 
1763 wurde am 19. September 1765 dur ben Befehl verfhärft, daß die, 
„Profeſſioniſten“ die in ihrem Beſitz befindlichen Weder verkaufen ober ver: =; nn ze 
pachten follten. Nun aber erflärten in den Ffleineren Städten zahlreiche Hand: 

werfer, daß fie allein von ihrer Profeifion nicht leben fönnten, und die Kammern 

fahen ſich deshalb genötigt, es mit der Ausführung des Edikts nicht allzu genau 

zu nehmen. 

Zur Verfiherung gegen die verheerenden Fenersbrünfte wurden nach den unrcı/- 
Vorgang bes Feuerjogietätsvereins für die jchlefiihen Stäbte von 1748 und der <,_ lm : 
turmarkiſchen Generallandfeuerjozietät von 1765 überall Verbände auf Gegen: 
jeitigfeit geftiftet. Feuerlöfhorbnungen erhielten die einzelnen Städte nad dem 
Mufter der Berliner. Wo Truppen in der Stadt lagen, hatte ber Komman— 
beur die Leitung der Löfchanftalten; jür die jchlefifhen Städte ohne Garnifon 
betellte der König bejondere Beamte, die im Nange unmittelbar hinter dem 
Bürgermeifter ftehen, den vom Könige jelber gewählten Titel Feuerbürgermeifter 
führen und die Stadt „Ichlechterdings” niemals verlajjen follten. Wo ber 
König dur die Städte fährt, fällt fein Blick jofort auf die baufälligen und 
feuergefährlihen Häufer. „Zu Neiße”, jchreibt er 1780 dem ſchleſiſchen Pro: 
vinzialminifter, „find noch 14 Häufer, die jehr jchlecht find, dem General von 
Rothkirch habe ich fie gezeigt.“ Zu Landshut bemerkt er das Jahr darauf einige 
ichlehte baufälige Häufer glei am Thore, von lauter Holz: „wenn da mal 
Feuer ausfommt, jo ift fein Retten”. Zr 

Ihre glänzenditen Erfolge erzielte die Meliorationsarbeit des Staates im Ira «m — — 

Kampfe mit Sumpf und Moor. Brenckenhoffs Urbarmachung des neumärkiſchen fr: 
Nege: und Warthebruches von Driefen und Friedeberg über Zantoch und Lande: 
berg bis nah Sonnenburg, die Ausführung eines vorlängft von dem Könige 
geplanten Werkes,) das glänzende Seitenftüd zu der Trodenlegung der 
Oderbrüche, wurde das Vorbild für andere größere Unternehmungen dieſer Art. 
Hierher reiften zu ihrer Belehrung die Beamten aus anderen Provinzen, wie der 
jchlefiihe Provinzialminifter, dem der König nad einem Beſuche ſchrieb: „Ihr 
werdet dajelbft jehr viele gute und nüglihe Sachen gejehen haben”. Auf einem 
Gebiet von mehreren Duadratmeilen, wo bisher nur Raubzeug und Schlangen: 
brut gehauft und feine andere Nugung ftattgefunden hatte, als daß man bei 
ſtrengem Froft das Gefträucd zur Feuerung abholzte, wurden Feldmarfen aus: 
gemeſſen, und Dorf reihte fih an Dorf. Ende 1775 war an ber Nee, wie der 
König anerkannte, wenig, mehr zu thun, und Brendenhoff erhielt den Befehl, 
nunmehr aud in Pommern „alles in guten Stand und Ordnung zu bringen”. 
Schon in den vorangegangenen Jahren waren hier am Madüefee, dem „pommer: 
ſchen Meere”, über 14000 Morgen dem Wafler abgewonnen und die Brühe auf 
der Injel Uſedom trodengelegt worden. An der Plöne und der Ihna, am 
Lebaſee und bei Kammin wurden die. Entwäfjerungsarbeiten fortgejett. Noch 
heute heißt dem Bolfe in Pommern ein Abzugsgraben mit Vorliebe Brenden- 
hoffskanal. 





) Vgl. Bd. I, 376. 627. 


368 Achtes Bud. Erſter Abſchnitt. 

So oft der König von Potsdam nach Berlin fuhr, verdroß ihn das 
ſumpfige, mit Gebüſch beſtandene Hopfenbruch, das ſich zur Linken der Land— 
ſtraße von Schöneberg und dem Botaniſchen Garten bis nach Charlottenburg 
erſtreckte. Bei der „Miniſterrevue“ von 1774 brachte er den vernachläſſigten 
Zuſtand dieſes Geländes zur Sprache: trocken gelegt, mit Gräben durchzogen, 
werde es den Eigentümern weit größeren Ertrag bieten, als jetzt durch Holz: 
nugung und Viehweide. Nun aber famen die Schöneberger Bauern mit gar 
tläglihen Vorftellungen, daß fie in ihrer Armifeligkeit die Koften der Urbar— 
madhung nicht erfchwingen könnten. Der König ließ deshalb die erforder: 
lichen Arbeiten für 6038 Thaler und 4 Groſchen von Staats wegen ausführen. 


Zuwiſchen Mittenwalde und Saarmund an der Notte und Nuthe, an der Havel 


zwiichen Werber und Brandenburg, am Rhyn und an der Doffe, auf der Wiſche 
bei Stendal, an der Biefe und Milde in der Altmark, in Fienerbruch bei Ziejar, 
überall wurden hier Wiefen und Weiden, dort Aeder und Anfiedelungen aus 
dem Sumpfe hervorgezaubert, wo bis dahin weber Menſch noch Bieh Hatte 
den Fuß jegen können. Die unter den Augen der Königs entitandenen Anlagen 
in den Havelniederungen erwiefen ſich in der Folge als folider, als die anfäng- 
(ih jo gepriefenen Brendenhoffihen Schöpfungen im Warthebrud. Seit 1776 
war man in der Altmark mit der Austrodnung des Drömling beſchäftigt, diejes 
6 Meilen langen, 3 Meilen breiten toten Waldmoors. Gern hätte man die 
benahbarten Staaten, Braunfchweig und Hannover, zur Beteiligung an dem 
großen Werfe herangezogen; aber Friedrich überzeugte fih bald, daß daran 
„nicht zu denken” ſei. Preußen mußte allein vorgehen. Hier wurden binnen 
wenigen Jahren durch angeftrengte Arbeit 90000 Morgen für eine ergiebige 
Wieſen- und Waldwirtfhaft und für neue Anweſen gewonnen, und im Jahr: 
zehnt nad Friedrichs Tode hat ſich diefes urbar gemachte Gebiet bis auf 176000 
Morgen vermehrt. 

Für Oftfriesland wurde 1765 die Anlage von Moorkolonien gefordert, 
für das Herzogtum Kleve 1774 die Urbarmadung „der vielen noch vorhandenen 
wüften und Haidengründe” angeordnet. In den Graffhaften Tedlenburg und 
Lingen wurden die bis dahin unangebauten Grenzftrihe mit Anfiedlern bejegt. 
Für Dftpreußen und Litauen wurden 1777 Erhebungen über die noch unge: 
nügten Bruchländereien veranlaft. Große Flähen an Unland und Urwald 
wurden bier der Kultur näher gerüdt, als man von 1764—1766 zur Ber: 
bindung der majurifchen Seeen mit dem Pregel die große Waſſerſtraße aus- 
baute, die von Fohannisburg und dem Niederjee in einer langen Kette von 
Kanälen und Seeen bis zur Angerap führte, zunächſt für die Zwecke ber Holz- 
flößerei, weiter aber in der Abficht angelegt, den polnifchen Handel auf diefem 
neuen Sciffahrtswege nad Königsberg zu ziehen und von ber Weichjel abzu— 
lenken. 

Zur Siedelung ohne vorangehende Urbarmadung hatte der Staat auf 


ſeinem reichen Domanialbefig weiten Spielraum. Die meiften Wemter umfaßten 


neben dem Haupthofe mehrere Vorwerke. Man machte jetzt Ernft mit dem, 
was vor dem Kriege nur in vereinzelten Fällen gefchehen war, indem man zahl: 


reihe Vorwerke, vorzugsmweife die Hleineren und vom Haupthofe entlegenen, in 


Das Netablifiement 369 


—— 
Bauerngüter zerſchlug und in Erbpacht austhat und ſo aus dem Vorwerk ein / | 


Dorf ſchuf. Daf; der finanzielle Ertrag dabei Heiner und weniger fiher wurde, un 
beirrte den König nicht. Er rechnete, daß mandes alte Vorwerk nicht mehr ale —' 7 —— 
ſechs Leute beſchäftigt habe — außer den zum Frondienſt verpflichteten Bauern 

aus den anliegenden Ortſchaften — daß die neue Anſiedelung dagegen mindeſtens 

25—30 Einwohner vereinige. Er gibt an, daß bis 1779 mehr als 150 Vor: 

werfe in Bauerndörfer verwandelt worden jeien, und bis 1785 war die Zahl 

auf mehr als 300 geitiegen. 

Hier auf den Vormerken wurde nun auch das Beifpiel gegeben für in Diem ? 
andere wirtihaftlih ungemein wichtige Neuerung: man begann bier mit den“ nun" 
Gemeinbeitsteilungen oder Separationen, d. h. mit einer neuen Aufteilung der — 
bisher im Gemenge durcheinander geworfenen Wieſen und Ackerſtücke, bei der — 
jeder Beſitzer ſeine Hufen und Hütungen auf geſondertem Fleck, in geſchloſſenem — — 
Loſe, angewieſen erhielt. Für die im Gemenge mit bäuerlichen Grundftüden 7 cr Amcyr) 
liegenden Aeder der pommerſchen Domänen ſchon 1752 angeordnet, jollte dieje (et, , 
Mafregel nah dem Kriege verallgemeinert werden — in der Minifterfonferenz + 
vom 11. uni 1765 erklärte der König feinen Entſchluß dazu und erteilte zu: 
gleich eine Anzahl vorbereitender Weifungen. Eine jpätere Verordnung fcheibet 
die zu zerlegenden Gemeinheiten in zwei Klaſſen: „Die raumen Gemeinweiden, | 
Haiden, großen Brüder und großen Anger”, und die in den Gemeinden unter 
fih, mit oder ohne Teilnahme der Herridhaften, auf den Feldmarken, der Brade, | u 
den Stoppeln und Wiejen eingeführten Hütungen. Teilungsfommiffionen wurden ER 
beftellt, Landmeſſer und Ingenieure jollten den Grund und Boden aufnepmen | Pr 
und die Güte der einzelnen Yagen feſtſtellen, „ebhrlihe und verftändige Kamera: WA 
liften und Defonomen“” die neue Auslegung vornehmen, Vertreter der Landes: | 
juftizbehörden für gerechte Bemeſſung der neuen Anteile jorgen und jede Be: | 
drüdung und Webervorteilung der geringen Leute verhindern; auch aus dem 
Bürger: und Bauernftande jollten Vertreter, „Defonomiefommifjare”, herangezogen 
werden und in voller Freiheit ihre Meinung jagen dürfen, und wo fie etwa 
mit dem Ausdrud ſich nicht zurechtfinden würden, jollte man ihnen darin zu 
Hülfe fommen. 

Die wirtihaftliden Vorteile lagen auf der Hand, und unermüdlich wies 2 PEOR ARTE 
der König die Anhänger des beitehenden Zujtandes immer von neuem darauf 
hin. Die Gemenglage bedingte den Flurzwang, die Nötigung zu gleichzeitiger 
und gleihartiger Beltellung und Aberntung der Schläge; vor allem aber, und 
dieje Seite betonte der König am ftärkjten, das häufig jehr ausgedehnte gemein: + ) 
jame Weideland wurde in höchſt unwirtichaftlider, unverftändiger Weife der 
intenjiveren Ausnügung entzogen, auf die ein Einzelbeliger durch das eigene 
Intereſſe fofort geführt werden mußte. Erweiterung des Aderbaues und Ber: EZ 
mehrung der Viehzucht, das war der doppelte Vorteil, den der König fi und 
den Landwirten von der geplanten Neform verſprach. Die Kammerprälidenten 
erhielten den Befehl, „durch gütlihe und gründliche Voritellungen” alle Beteiligten, 
vorab die Departements:, Land» und Steuerräte und die Magiltrate, über dieje 
jeine Ziele und Gefichtspunfte aufzuklären. Um nod unmittelbarer nachzubelfen, 


verfügte er nad einigen Fahren, daß ein „ganz platt Büchelgen“, das die Bauern 
Kofer, König Friedrich der Große. 1] 2. Auf 24 


370 Achtes Bud. Erſter Abichnitt. 


wie den Kalender für wenige Pfennige kaufen könnten, gedrudt und in jedem 
Aynalım » Dorfe und jeder Stabt verbreitet werben follte. Aber nicht bloß der Bauers- 
TE mann fonnte ji mit der Neuerung nicht befreunden, auch die Behörden, die 
Vertrauensmänner ber Ritterſchaften, ſchließlich ſelbſt die Minifter kamen mit 
Bedenken und Einreden. Der König wurde ungeduldig, ungnädig. Die hinter— 
pommerſchen Landſtände bedeutete er auf ihr Widerſtreben, ſie ſähen ſeine landes— 
väterliche Fürſorge nicht ein und ließen ſich durch Eigenſinn, Neid und Mißgunſt hin— 
reißen. Und den Miniftern vom Generaldireftorium gab er in einer Rückſprache 
am Weihnachtsheiligabend 1769 feine Unzufriedenheit über die Vernadläffigung 
einer ihm jo wichtigen Sache in recht empfindliher Weife zu erfennen: er be: 
rief fih auf das Beifpiel der Schweiz und zumal Englands; das jei ein freies 
Sand, und doch ſei die Sache dort durchgefegt worden; nur hier zu Lande fünne 
er es nicht dahin bringen, weil die Leute jo dumm wären, daß fie ihren eigenen 
Vorteil nicht verftehen wollten. Aber er werde die Sadhe gewiß nicht fallen 
lafien, es könne gejchehen und müſſe geſchehen, und möchten die Leute bis zum 
jüngften Tage ſchreien — Gewalt und Unrecht freilich dürfe ihnen nicht angethan 
werden. Von nun an mußten die Minifter regelmäßig alle drei Monate ein 
Verzeichnis über den Fortgang der Auseinanderjegungen vorlegen. 

Soviel ift danf der Entſchiedenheit und Beharrlichfeit des Königs nod) 
bei jeinen Lebzeiten erreicht worden, daß ein fehr beträchtliher Teil des ritter- 
ſchaftlichen Beliges aus der Vermengung mit Bauerngrundftüden gelöft wurde, 

r? während die Bauern unter fih vorwiegend nod an der alten Flurordnung 

.f — ai /feſthielten. Vollftändig ift die Ausführung des Scheidungsverfahrens erit um die 

a: At Mitte des neunzehnten Jahrhunderts erzielt worden, und zwar it die Ausein: 

Ef A anderjetung bis zulegt nicht bloß den von Friebrich aufgeitellten Leitſätzen, 

fondern auch den Einzelbeitimmungen jeiner anfänglih mit jo lebhaften Miß— 
trauen befämpften Erlaſſe gefolgt. 

Zähelter Gegner der auf die Hebung der Bodenkultur gerichteten Be: 
ftrebungen war der märfifhe Sand. Ihn zu befämpfen, entlieh jih Friedrich 
Waffen aus England. Er verfuchte es in ausgedehntem Maße und beharrlich 
mit der Anlegung künftliher Wiefen, dem Anbau der von den engliichen Land— 

wirten erprobten Futterpflanzen, Zuzerne, Eſparſette, ale“ Turnips, zu denen 
er jpäter noch die aus Stalien verjchriebene Lupine treten ließ. Gleih nad 
dem Krieg hatte er mehrere junge Leute, die Söhne märkiſcher Domänenpädhter, 
er die englifhe Landwirtihaft an Ort und Stelle ftudieren laſſen; er ging ihre 
: ‚+; » \tagebuchartigen Berichte auf das Genauefte durch und begann dann mit Hülfe 
— eines ſachkundigen Engländers auf den Domänen in der Mark, ſpäter auch in 
anderen Provinzen, dieſe Erfahrungen nutzbar zu machen, ganz ohne Erfolg 

wohl nur in der Niedergrafſchaft Lingen. Rittergutsbefiger, die dem Beifpiel mit 

eigenen Anlagen nachfolgten, erhielten Staatsunterftügungen. Neben der Ber: 

befierung des Sandbodens galt es der allgemeineren Einführung der Stall: 

fütterung mit ihrem doppelten Vorzug reicheren Mildertrages und jparfamer 
Auffammlung des Düngers. Der König nahm an diefen Dingen andauernd 

jo lebhaften Anteil, daß fie ihm nicht zu gering jchienen, Voltaire einen Bericht 

darüber zu eritatten: „Ich geftehe”, jchreibt er am 10. Januar 1776, „daß, 


Das Retablifjement. 371 


Libyen ausgenommen, wenige Staaten ſich rühmen können, im Punkte des “ 


Sandes uns gleichzufommen. Indes bauen wir diejes Jahr 76000 Morgen 
MWiejen an; diefe Wiejen nähren 7000 Kühe, deren Miſt wird unjeren Sand 
düngen und verbeflern, und die Ernten werden mehr wert jein. Ich weiß, daß 
es den Menjchen nicht gegeben ilt, die Natur der Dinge zu ändern, aber id 
denfe, daß man dur viel Fleiß und Arbeit dahin gelangt, unfruchtbares Land 
zu verbejjern, und daß man es wenigftens in mittelmäßigen Boden verwandeln 
fann. Und bamit dürfen wir uns begnügen”. Einem VBerfuchsfeld mit der Kultur 
der Futterrüben oder Turnips, das er in der Nähe von Sansjouci anlegen 
ließ, galt eine Zeit lang fait täglich jein Spaziergang. 


Da, wo nicht re mal unter der Sandoberfläce Lehm Tagerte, ließ ſich 
ine Umſchüttung und Verbeſſerung des Erdbodens zu 


hoffen, durch Aajolen “ 


erzielen. Nach den erſten Verſuchen in diefer Richtung verfügte der König im \.-... 


Herbit 1779 an die furmärkiiche Kammer: „Nun jehen Se. Königl. Majeſtät 


da wohl, daß das feine Operation vor Edelleute ift, vor die ift das viel zu «- 


foftbar, die können da nichts präftieren; aber vor Se. Königl. Majeltät ift das 
eher eine Sache“. Er beabfidtigte, in größerem Maßſtabe dieje Arbeiten dann 
ausführen zu laffen, wenn man mit der Austrodnung der Brüde fertig 
jein werde. 

Wo aber der Sandboden allen Bekehrungsverſuchen unverbeſſerlich troßte, 
da jollte Kiefernfamen ausgejät werden; wenn dann aud nur elendes Krumm— 
holz anwuchs, jo erhielt doch der Sand jo viel Halt, daß er nit mehr vom 
Winde auf fruchtbares Land verweht wurde, und als Brennholz war das Ge: 
ftrüpp immerhin zu verwerten. Nach einer Ueberfiht aus dem Jahre 1782 
waren in den legten ſechs Jahren nicht weniger als 20000 Morgen lojer Sand: 
ihollen mit Kiefern bejät worden. 

In weldem Maße die Forftwirtihaft während des großen Krieges in Ber: 


fall geraten war, hat Friedrich in feinen Memoiren mit lebhaften Farben ge: ...... 
ſchildert. Ungetreue Beamte, die den Staat für rettungslos verloren und ſich 


jelbjt jpäterer Verantwortung überhoben glaubten, hatten durch räuberijche Ab- 
bolzungen weite Waldreviere verwültet; Pommern und die Marken, die vor dem 
Kriege der Generaldomänentafje bisweilen eine Jahreseinnahme von mehr —F 
150000 Thalern aus ihren Wäldern zugeführt hatten, mußten jetzt peinlich ge: 
ſchont, gleihjam neu aufgeforftet werden. Auch die Foritwirtihaft der Ritter: 
güter und der Stabtgemeinden wurde von Staate unter genaue Auflicht 
genommen. Kein Waldeigentümer, jagt ein Edikt vom 24. Mai 1764, joll ver: 
geſſen, was er fih, der Nachwelt und dem Staate ſchuldig ſei; alle „unorbent: 
lichen und übermäßigen” Holzfällungen jollen deshalb durch die Föniglichen 
Förfter jofort der Kammer angezeigt und mit Bußen von 50 bis 1000 Thalern 
belegt werben. Wohl war es einigermaßen jchwierig, bei dem Grundſatz äußerfter 
Schonung des Baumbeftandes den Anjprüchen an „Freiholz“ gerecht zu werden, 
die nad) dem Friedensihluß die gefteigerte Bauthätigfeit ſtellte, wenn den 
Unterthanen ihre zerſtörten Häuſer wieder hergeſtellt und den zugewanderten 
Koloniſten neue erbaut werden ſollten. Um ſo mehr drängte der König darauf, 
daß in den Forſten „kein Fleck unbeſät, und kein Platz, wo ein Baum ſtehen 


Jene 
7; 


4 LEW, 


J 


372 Achtes Buch. Erfter Abſchnitt. 


fann, unbepflanzt” bleibe. Wenn er auf feinen Reifen gewahrt, „daß nod 


greuliche Diftrifte öde find“, die nach den Tabellen ſchon zehnjährige Stämme 
' tragen müßten, jo jcheint ihm feine andere Erklärung möglich, als daß die von 


den Oberförftern vorgelegten Xiften „nad Jägerart jehr lügenhaft und falſch 


verfaſſet find“. Er droht den „nachläſſigen und incorrigiblen” Förftern mit der 


Feſtung, den Oberforftmeiftern, wenn fie nicht beſſere Veranftaltungen treffen 
werden, mit Kafjation; er greift endlich zu einem aud in anderen Bereichen der 
Zivilverwaltung gelegentlih angewandten Zmangsmittel, indem er die Forften 
durch einen feiner Offiziere, den gefürchteten Generalmajor von Anhalt, bereifen 
läßt und deſſen Vorjchläge 1773 einer neuen Dienftanweifung zu Grunde legt. 
Auch diefe Waldverbefjerung wurde durh Zufhüffe aus dem Retabliffements: 
fonds gefördert; noch fur; vor jeinem Tode mies der König von neuem eine 
größere Summe, 150000 Thaler, für Anpflanzungen an. Am wertvolliten 
waren die Forſten der Kurmark; fie trugen faft dreimal jo viel ein wie die an 
zweiter Stelle jtehenden pommerſchen; dann folgten in Abftufung nad unten 
die Kammerbezirfe Neumarkt, Magdeburg, Königsberg, Litauen, Kleve, Halber: 
ftadt; ganz unbedeutend waren die weitfäliijhen und oftfriefiihen Foriten. 

Den fiherften Maßſtab für die Fortichritte feines Netabliffements wollte 


5 — der König allemal in der Zunahme der Bevölkerung ſehen. In jenen dem 


IM 


Friedensſchluß folgenden Zeiten ftarfer Bauthätigfeit hat er der mit ihren Ge: 
bäubeliften prunfenden pommerjhen Kammer einmal erklärt, daß ihm mehr 
‚an Menihen, als an leeren Häufern gelegen jei. Im ganzen durfte er mit 
„den Ergebnijien der Bolkszählungen zufrieden fein. Die durh den Krieg um 
? mehr als ein Viertel der Bevölkerung, von 213467 Seelen auf 156439 zurüd: 
gebrachte Neumark hatte von 1762 auf 1763 jofort um faft 30000, bis Ende 
1765 um weitere 25000 Einwohner zugenommen und damit den Verluft bis 
auf 3449 erjegt, und 1777 wurden hier 28843 mehr gezählt als 1756. Nächſt 
der Neumark hatte Pommern den ftärkiten Menfchenverluft zu beklagen gehabt, 
mehr als 72000 von fait 370000 Einwohnern. Hier gli fih der Abgang 





nach anfänglicher Schneller Zunahme (faft 17000 von 1762 auf 1763) jchwerer 


nu, Aus: er betrug 1764 noch 44380 Seelen, 1765 noch 37859. Aber 1774 war 
...s. Die Zahl von 1756 jhon um 15000 überfchritten. Schlefien erreichte feinen 


Tiefſtand erſt im zweiten Friedensjahre, nahdem 1763 im fait umgekehrten 
Verhältnis zu dem ftatijtifchen Durchjchnittsergebnis auf 47259 Geburten 62393 
Todesfälle gefommen waren. So zählte die Provinz 1111961 Einwohner ftatt 
der 1162355 von 1756, und nod Ende 1765 betrug das Minus 37300. 
Aber ſchon das folgende Jahr brachte gegen 1756 ein Mehr von 21000, umd 
die Einwohnerzahl iſt dann bis 1785 auf 1680932 geitiegen. Am wenigften 
von allen Provinzen dur die Kriegsbrangjale erreicht, wies das Herzogtum 
Magdeburg ſchon 1765 eine um 1468 Seelen ftärkere Bevölkerung auf, als bei 
Beginn des Krieges. In Oftpreußen und Litauen ergab die während der ruſſi— 
ihen Zwifchenregierung 1750 veranftaltete Zählung gegen die Ziffer 625749 
von 1754 eine Werminderung der Bevölkerung auf 521223 Berjonen; 1775 
wurden 775329 gezählt. Für die Kurmark, wo die Zählungen ſtarke Schwan: 
fungen aufwiejen, wurde das Generaldireftorium zweifelhaft, ob die Zahl von 


Das Retabliffement. j 373 


1756 — 576000 Einwohner — eine zuverläffige Grundlage biete; wie es 
ſcheint, war doch auch hier der Kriegsverluft nach wenigen Jahren erjegt. 

Aus dem Jahre 1775 Liegen zwei voneinander unabhängige Bevölferungs: -:,:%,*" 
liften vor, von denen die größere die ganze Militärgemeinde einjchließt, während _ .:-: °, 
die kleinere nur die auf das platte Land entlafjenen Urlauber jamt ihrem Haus °,... 
ftand mitberüdfihtigt. Die eine zählt für die ſchon 1756 unter preußifchem 
Zepter vereinigten Provinzen 4308840 Seelen, die andere 4480171 — gegen 
das Jahr 1756 mit einer Gejamtziffer von etwa 4100000 Einwohnern, unter kanal 
allen Umftänden eine jehr erheblihe Zunahme. Weder die Nachbarländer Kur: ER 


jadhjen und Hannover, noch irgend einer von den größeren europäifhen Staaten ae . aaa le 


bat im achtzehnten Jahrhundert einen gleich ftarfen Bevölkerungszuwachs aufzu: ven — 
weiſen gehabt. age, 
Der Ueberfhuß der Geburten über die Todesfälle erreichte im Jahre 1784 
mit der Zahl 59162 den Höhepunkt. Indes ift ein fehr ftarfer Bruchteil des «- .... cr: 
Bevölkerungszuwachſes nit auf Rechnung diefer natürlihen Bermehrung zu h au. 
jegen, fondern auf die der Einwanderung. Für die Kurmarf hat man be: ,, ,.. AST, 
rechnet, daß in den Jahren 1763—1786 der Zuwachs von 163614 Seelen ſich 
auf 78656 Mehrgeburten und 84958 Einwanderer verteilt. — 
Die innere Koloniſation, deren kräftige Anfänge und deren Formen wir 
kennen gelernt haben,“) wurde alsbald nah dem Kriege mit Nachdruck wieder 
aufgenommen. Schauplag der Dorfgründung im großen Stile wurden jegt die‘),,, — 
Neumark und Schleſien. Dort bedeckten ſich vor allem das trodengelegte Warthe: , 
und Nekebruh mit Kolonien. Eine Lifte von 1779 weiſt ihrer 110 auf, dazu 
19 dur den „Abbau” von Vorwerken?) entitandene Niederlaffungen, und Herp: 
berg hat die Gefamtzahl der Ortsgründungen in der Neumark für die Negierungs: 
zeit Friedrihs II. auf 152 mit 3643 Familien angegeben. Für Sclefien wurde 
das große Werk durch das grundlegende Edikt vom 28. Auguft 1773, bei einem 
Beſuch des Königs in der Hauptitadt Breslau, angeordnet. Bis dahin waren 
in diefer Provinz jeit 1743 72 Dörfer angelegt worden. et wurde bie 
Gründung von nicht weniger als 200 vorgefehen, und zwar auf den adelichen 
Domänen; für jede Katafterftelle verjprady der König dem Grundherrn eine Ber: 
gütung von 150 Thalern. Schon zu Anfang 1777 war die Aufgabe im wejent: 
lichen erfüllt. Nur in Oberichlefien fehlten noch 26 Dörfer, jIchon errichtet 
waren 128 bier und 46 in Niederfchlefien, mit einer Staatsunterftügung von 
348702 Thalern, einer Summe, die fi in den nächſten Fahren durd weitere 
Aufwendungen auf eine halbe Million erhöhte. Nach einer neueren Berechnung 
müflen in Schlefien von 1742 bis 1786 mindeftens 61000 Koloniften angejegt 
worden fein, und zwar zu vier Fünfteln nach dem Siebenjährigen Sriege. 
Freilich frifteten viele der neuen Dörfer, zumal in den unmwirtliden Gegenden 
Oberfchlefiens, ihr Dafein nur kümmerlich. 
An Pommern und in der Kurmark wurden jegt im Gegenjag zu den 
masienhaften Dorfgründungen der Zeit um 1750 neue Ortidaften, abgejehen 


) Bd. I, 374 ff. 
?) Then ©. 368. 


374 Achtes Bud. Erfter Abichnitt. 


von dem Abbau der Vorwerke, nur noch vereinzelt angelegt. Erft 1782 ent: 
Schloß fih der König für die Kurmark zu einem neuen großen Anlauf. In 
“einer Audienz, die er dem kurmärkiſchen Provinzialminifter von Werder am 
79, Dftober erteilte, entwidelte er ihm feinen Plan: „Mitten rum, wo die Dörfer 
weit auseinander liegen, geſchieht die Anlane eines neuen Dorfes, zu deſſen Be: 
,..  jebung dann aus jedem umberliegenden Dorfe ein oder zwei Bauernföhne ge: 
nommen werden. Ein jeder befommt etwa drei Kühe und was jonft erforder: 
lid ift, die ich dann auch das erfte Jahr ernähren muß, weil fie noch nichts 
gewinnen fönnen. Was dann die Anlegung eines folden Dorfes in allem 
koftet, dazu gebe ich das Geld, und die Leute verbleiben unter eben der Herr: 
ſchaft, wohin fie vorhin gehört. Ihr werdet fehen, wieviel ein dergleichen Dorf 
anzulegen fojtet, und alsdann werde ich jehen, wieviel neue Dörfer ich ein Jahr 
nah dem anderen anlegen und erbauen lafjen kann.“ Die Feldmark jollte auf 
Unland ausgelegt werden, foweit fid) dies durch jene Kultur künſtlicher Wieſen!) 
anbaufähig machen ließ. Nach drei Jahren der Vorbereitungen wurde im Of 
tober 1785 ein Entwurf feitgeftelt, wonah im ganzen 208 Dörfer, jedes für 
zwölf Familien, gegründet werden follten. „Wenn ich mit der Zeit,“ jchrieb der 
König am 30. Oftober 1785, „jährlid ein paarmal 100000 Thaler dazu 
bergebe, jo muß binnen zehn Jahren doch jchon etwas dabei herauskommen.“ 
Die Gejamtkoften wurden auf 3120000 Thaler veranlagt. 

In den dichter bevölferten Gebieten von Magdeburg und Halberitabt war 
immerhin noh Raum für eine in den Jahren 1772—77 als einheitlihe Maß: 
regel durchgeführte Anjegung von 1200 Familien. Oſtpreußen mit Litauen 
endlich jol nach Friedrichs eigener Angabe in der Zeit von 1740—1774 einen 
Zuwachs von 13000 Familien erhalten haben; in den Aften find Spuren einer 
jo umfafjenden Einwanderung bisher nicht feitgeftellt worden, mit Sicherheit 
laffen fich vielmehr nur etwa 15000 Koloniften für diefe Provinz nachweiſen. 

— Bleibt es unmöglich, genaue Zahlen für die einzelnen Provinzen feſtzu— 
> stellen, jo dürfen wir dod der Schätzung uns anſchließen, nad der im ganzen 
während der 46 Jahre diefer Regierung 300000 Einwanderer mit „Koloniften: 

— — in Preußen, damals „dem einzigen europäiſchen Staate mit ſtarker 
‚ * | Einwanderung und ftaatlih gelenkter innerer Kolonifation”, angejegt worden 
ind, jo daß ein Sedjftel oder gar ein Fünftel der im Jahr 1786 Tebenden 
"Einwohner des Staats Koloniften und Abkömmlinge von Koloniften geweien 
find. Andauernd waren die verjchiedenften Stämme an dieſer Mafleneinwan: 
derung beteiligt, Medlenburger und Kurfadhien, Pfälzer, Schwaben und Defter: 
reicher, Böhmen und Polen. In den Hungerjahren 1771 und 1772 ſollen an 
20000 Böhmen und ebenfoviel Sachſen ein Aſyl in den preußiihen Landen 
gejucht haben. Stoff und Art der Zuwanderer blieb fehr ungleih.‘) Die Be: 
amten klagten über das nicht zu bejchreibende unruhige Weſen dieſer Leute; 
viele waren untauglich, träge, lieberlih, jo daß nicht viel daran gelegen war, 
wenn fie fortliefen, oder, wie es mit militärifhem Ausdrud hieß, defertierten. 


> 


') Oben ©. 370. 
2) Bgl. Bd. I, 378. 


Das Netablifjement. 375 


Viele aber zeigten fich zuverläffig, gefcheit, gewandt, dem Durchſchnitt der Ein: 
geborenen geiltig und fittlih überlegen. Ausdrücklich erklärte der König, in 
Oberſchleſien nur „vernünftige und gefittete” Anfiebler aufnehmen zu wollen, 
die durch ihr Beiſpiel das Volk dort zu Land aus feiner „Dummheit und Blind: 


beit“ reißen könnten. Im ganzen bat fidh dieje Kolonijation Friedrichs des 


Großen ebenfo bewährt, wie unter jeinem Vater der Zuzug der Salzburger. 
Auch über das Vermögen an Bargeld und Haustieren, das die Zuwan— 


derer einbrahten, wurde Buch geführt. Die wieder nur lüdenhaft erhaltenen I-« ‘ 
Liften weifen auf: 2079601 Thaler, 150 Dufaten, 22440 Gulden, 6392 Pferde, 
7875 Stüd Nindvieh, 20548 Schafe, 3227 Schweine. Auch diefe vierfüßigen ..... 


Zuwanderer begrüßte der Landesherr bei feinen auf die Vermehrung des Vieh: 
ftandes gerichteten Beitrebungen als werte Gäfte. Der damalige Zuftand der 
Schäfereien wird uns noch in anderem Zufammenhange beichäftigen.!) Die 
Rindviehzuht genügte vorerit wenig. Fort und fort gab der König durch die 
Kammern Anmweifungen für die zwedmäßigite Art der Fütterung, für die Be- 
fämpfung von Seuden, für die Auswahl und Behandlung der Zuchttiere. 
Wo neues Wiefenland gewonnen wurbe, ſchenkte er den ärmeren Anwohnern 
einen Teil des PViehs, das fie nunmehr halten fonnten. So 1781 nad 
Trodenlegung des Schmolfiner und Kamminer Bruclandes in Hinterpommern 
ein Drittel der neu anzufhaffenden 3400 Kühe; er meinte: „wenn die Leute 
die Kühe ſich jelbit faufen jollen, wird es lange dauern und aud wohl gar 
nicht geſchehen, und das viele Geld, jo auf die Urbarmahung der Brücher 


verwendet worden, wäre vergebens und weggeworfen“. Doch jollte jeder Land» 


wirt das Vieh jelber ausfuhen und anfaufen und nachher das von Staats wegen 
angemwiejene Geld ausgezahlt erhalten: „Die Leute werden immer mit jolchen 
Kühen, die fie fich ſelbſt angekaufet, mehr zufrieden fein”. Noch immer brauchte 


der Ader mehr Dünger, der Markt mehr Schladtvieh und mehr Butter; zumal ‘ ' 


der Markt der Hauptitadt war für die jchnell anwachſende Bevölkerung auf 
Vieh aus Polen und auf ſächſiſche und holſteinſche Butter angewiejen. Der 
König ließ es dem Berliner Schlädhtergewerf nahelegen, Auffäufer nah Pom: 
mern zu jhiden, um das Maftvieh an Ort und Stelle zu erhandeln. Für die 
Molkerei blieben die Holländer die Lehrmeiſter; der König hielt es deshalb für 
erforderlih, noch mehr holländische Familien auf Staatskoften fommen zu lafien. 
Auf dem Domänenamte Königshorft wurden Lehrgänge für Milchwirtſchaft ein: 
gerichtet: der nftruftor, jo verfügt der König an den kurmärkiſchen Provinzial: 
minijter, joll den Leuten weifen, „wie die Gefäße und Mafchinen zum Butter: 
machen beſchaffen jein und wie ſolche propre gehalten werden müſſen, und wie 
die Butter gemacht wird, daß fie fich hübſch confervieret, und daß die Butter, 
die zu den Speijen gebraudt wird, ſich beſſer hält und nicht jo leicht verdirbet, 
wie die jetzige; das macht, weil die Butter nicht reinlich genug ausgewaſchen 
wird und die Gefäße und Majchinen nicht recht propre gehalten werben”. Die 
jo bis ins Hleinfte gehenden Bemühungen blieben nicht ohne Erfolg. Die Summe, 
die aus der Kurmark für Butter über die Landesgrenze ging, verminderte jich 


) Unten S. 420. 421. 


m 


376 Achtes Bud. Erfter Abſchnitt. 


von Jahr zu Jahr, von 257053 Thalern im Jahre 1775 auf 146000 im 
Jahre 1780. 
Auh der Berliner Eiermarft war noch vom Ausland abhängig. Eine 
dur den König veranlaßte Zählung ergab in der Kurmark 1780 einen Beftand 
a von 324175 Hühnern; es fehlten, um ben Bedarf zu deden, 36300. „Was 
i * will es ſagen“, fragte der König, „wenn jeder Bauer auf dem Lande 10 bis 
* 128 Hühner mehr hält? Das Futter koſtet ja da nicht viel, und überdem finden 
0. die Hühner ihr Freffen meiftens in dem Stroh und Mift auf den Höfen“. Ein 
inteygune iur, Verbot der Einfuhr fremder Eier ließ den Marktpreis fteigen; die Minifter 
äußerten die Bejorgnis, daß der Bedarf fich nicht deden lafjen werde; der König 
u... antwortete: „Es ift nur ber Fehler der Pachters und Bauern, daß fie fi nicht 
un Hdarauf legen. 42 Jahr habe ich darauf gearbeitet, um ſolches einzuführen. 
Wenn die Herren Miniſters Eier eſſen wollen, ſo geben ſie ſich mehr Mühe mit 
die Kammern, ſolches zu bewirken, der Verbot bleibet vor ausländiſche Eier vor 
wie nach“. Nur für ſechs Monate wurde ſpäter eine Unterbrechung gewährt, 
um den neuen Veranſtaltungen, zumal dem 1780 eingerichteten Kärnerhandel 
mit Eiern, Butter und Käſe, eine Friſt zur Entmwidelung zu gönnen. 
Berühmt wurde in der Mitte des Jahrhunderts die oftpreußiiche Pferde: 
zucht, jeitdem der Kriegs: und Domänenrat Domhardt bei der Ausgeitaltung des 
- in Verfall geratenen Stutamtes zu Trafehnen das bedeutende Verwaltungstalent 
offenbart hatte, das fi in der Folge bei größeren Aufgaben bewährte. Nach 
dem Vorgange des Domhardtſchen Stalles auf dem Gute Worienen legten num 
aud anderwärts in biefer Provinz Edelleute und Domänenpädter, durd eine 
Kabinettsordre vom 13. November 1766 dazu ermuntert, Privatgeftüte an. 


Wie ſchon in der Periode vor 1756, wurden auf dem platten Zande die 

Kuna k Koloniften der Negel nad als Erbzinsleute angejegt, zu dent beiten bäuerlichen 

where one, Rechte, das in den mittleren Provinzen ber Monarhie befannt war, zu dem 

er: Recht, deſſen der König gern die ganze bäuerlihe Bevölkerung teilhaftig ge— 
x macht hätte. 





fnüpfte, daß ſie die Leibeigenihaft auf ihren Gütern abſchaffen ſollten: ſonſt 
——“' — — “würden fie „weder jegt noch jemalen einige Hülfe oder Aſſiſtenz zu gemärtigen 
> haben und deſſen ohneradhtet dazu angehalten werden, ihre Güter gleich zu 
retablieren und mit der gehörigen Anzahl Unterthanen wieder zu bejegen”. 
— f. So ſprach e& die Inſtruktion vom 20. April 1762 aus, bie Brendenhoff nach 
ae Pommern mitnahm, und jo wiederholte es der König mündli im folgenden 
‚Jahre am 23. Mai bei dem Beſuch in Kolberg: es jollten alle, die ſich wider: 
jeßen würden, mit Güte oder Gewalt dahin gebracht werden, „daß dieje von 
‚Sr. Majeftät jo feitgejegte Jdee zum Nugen der ganzen Provinz ins Werk ge: 


L richtet werde“. 





Das Retablifjement. 377 


Vertrauensmänner der vorpommerjhen Nitterichaft, die bald darauf zu — Frmanann 
Demmin zujammentraten, überfandten dem Könige eine Gegenvorftellung. Man i 


wies darauf hin, daß die Leibeigenſchaft in Vorpommern lediglich in dem Sinne 
von Gutspflichtigkeit bekannt ſei, ja daß ſelbſt der Name ſeit unvordenklicher 
Zeit nicht mehr gebraucht werde. So ſei man gern damit zufrieden, dieſe ohne— 
bin bier zu Lande unbelannte Leibeigenſchaft, auf Grund deren der Herr ben 
Zeibeigenen verfaufen, verjchenten und vertauſchen und alles von dem Leib: 
eigenen Erworbene für ſich beanjpruchen bürfe, ausbrüdlich aufgehoben zu jehen. » 


tigen, jo unterliege das den ſchwerſten Bedenken. Die Gutspflichtigfeit verbinde ar 


den Bauern, nicht ohne der Herrihaft Einwilligung das Gut und feinen Hof - 


zu verlafjen und feine Kinder, wenn fie als Knecht oder Magd dienen, vorzugs: 7 


weile dem Gutsherrn „gegen den Lohn, jo einem freien Menfchen gegeben 
wird“, zum Dienft zu ftellen. Aufhebung diejes Verhältniffes, völlige Freiheit Z 
werde unvermeidlich zur Entvölferung des Landes führen. Die Bauern würden 
zum ım Teil fortziehen, zum anderen Teil nicht im ftande jein, die VBorausfegung 
für die Entlaffung aus der Gutspflichtigkeit zu erfüllen, nämlich dem bisherigen 
Grundherrn den Hof zu bezahlen und fich jelbft mit Vieh, Adergerät und an: 
deren Bedürfniffen zu verfehen. 

Der Hinweis auf die Gefahr einer „Depeuplierung”, des Austrittes zahl⸗ 
reicher Bauern, berührte die jchwierigite Seite des ganzen Problems, die Frage, 
wie weit die perjönliche Freiheit mit der Erhaltung des Bauernitandes und des 
Bauernlandes fi vertrug, und ob es Mittel gab, das bäuerliche Anwejen, das 
der Inhaber verließ oder veräußerte, für den Kleingrundbefis zu retten. Die 
Geſetzgeber des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts jind an dieſer Frage, 
dem Dogma des „Sreihandels im Grundbeſitz“ huldigend, allzu jorglos vorüber: | 


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Sei aber des Königs Meinung, aud die "Gutspflichtigkeit der Bauern zu bejei: BE 


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gegangen, und die Folge war ein gemaltiges Anſchwellen des Großgrundbeſitzes, ta 


eine ftarfe Verminderung ber bäuerligen Wirtichaften. Friedrih dem Großen 
war die Unantajtbarkeit der ländlichen Befigverteilung oberjter Leitiag aller 
agrariihen Sozialpolitif: vergrößert durfte die Gejamtflähe des Bauernlandes 
werden, verkleinert nie. Mit Strenge hatte er bisher darauf gehalten, daß jede 
ledig gewordene bäuerlihe Stelle wieder mit einem Bauern bejegt wurde. Wie 
aber ließ ſich die läftige Pfliht, einen Erjagmann herbeizuſchaffen, dem Edel: 
mann weiter auferlegen, wenn für den Bauern der Zwang wegfiel, der ihn 
verhinderte, jeinen Hof aufzugeben? Frievrih Wilhelm J., als er 1718 den 
oftpreußiichen. Domänenbauern den erb: und "eigentümlicjen Beſitz ihrer ‚Hufen 
verlieh, hatte ſie durch einen förperlichen Eid verpflichten lafien, die Höfe nicht || 
anders als mit dem Tode zu verlaffen: das war nur eine andere Art der Ge: } 
bundenheit an die Scholle, eine Verlegenheitsauskunft. 








0? Ale 
— 


— 77: 


Auch König Friedrich fand eine befriedigende Löfung nicht. Der Einwand "o »* * 


der vorpommerſchen Ritterſchaft blieb nicht ohne Eindruck. Nicht aus blinder‘ 
Vorliebe für den Adel oder aus Schwäche hielt er auf der beſchrittenen Bahn 
inne, fondern in der Weberzeugung, daß die Gewährung voller Freiheit an den | 
Bauer die beftehenden Grundlagen der ländlichen Gejellihaftsordnung, auf denen 
das Steuerwejen und die Heeresverfafjung des Staates beruhten, erjchüttern 


2 


„de 
ee 


u... vom 30, Dezember 1764, 


378 Achtes Buch. Erfter Abfchnitt. 


mußte. Er ließ die Erklärung gelten, daß Leibeigenfhaft im juriftiichen Sinne 


‚nicht mehr beitehe, was aud für Hinterpommern zutraf, und er eritredte jeine 


riegserflärung gegen die Leibeigenichaft auf die Gutspflichtigfeit oder Erbunter: 
thänigkeit nit. Eben deshalb hatte er in den Provinzen, wo er nur Erbunter: 
thänigfeit und feine Leibeigenichaft vorausjegte, zum Einjchreiten ſich überhaupt 
nicht veranlaßt gefehen. Daß er an fich gern weiter gegangen wäre, läßt bie 
uns ſchon befannte Stelle!) aus einer ftaatsphilojophiichen Schrift von 1777 
erfehen. So aber beſchränkte er fich darauf, innerhalb des Bereichs der Erb: 
unterthänigfeit zu reformieren, dur Ausrottung von Mißbräuchen, dur Ber: 
befierung des Befigrechtes, durch Erleihterung der Dienfte und Laſten. 
Unter diefem Gefichtspunft entftand zunächſt, ein bejcheidener Abſchluß des 
jo nahbrüdlih angekündigten Reformwerkes, die pommerjhe Bauernordnung 
eine Umarbeitung der alten Bauern, Schäfer: und 
Gefindeordnung von 1616. Den von den Ständen vorgelegten Entwurf hat 
Brendenhoff dem Könige in mündlihem Vortrag erläutert. Die Ordnung ftellt 
den Sat auf, daß die Bauern in Pommern feine leibeigenen Sklaven find, die 
verſchenkt, verfauft oder als res in commercio traftiert werden fönnen, und dab 
alles, was fie erwerben, ihr freies und vererbbares Eigentum wird; fie betont 
aber zugleih, daß Aeder und Hofwehr der Gutsherrf&haft gehören, und daß, 
fomeit nicht in einigen Dörfern ein anderes ausdrücklich feſtgeſeht ift, die Bauern 
feine Erbzins: oder Pachtleute, jondern des Guts eigenbehörige Unterthanen und 
glebae adseripti find. Sie ſchützt den Bauer vor ungerechter Vertreibung von 
Haus und Hof und erleichtert feinen Söhnen den Eintritt in eine ftädtifche 
Handwerkerzunft. Daß fie andererjeits mit der Forderung des gutsherrlichen 


- Ehefonjenjes die alte Ordnung geradezu verichärfte, war von der Staatsbehörde 


zunächſt überjehen worden; erft durch eine Zujagverordnung vom 30. Mai 1766 
wurde den „ledigen Weibsperjonen“ geitattet, fih in das Gebiet einer anderen 
Gulsherrſchaft ohne Konſens zu verheiraten. 

In ähnlichem Sinne wurde durch die Verordnung vom 8. November 1773 

das Verhältnis zwiſchen Gutsherren und Bauern für Preußen, die alte wie die 
damals neu erworbene Provinz, geregelt. Die Verordnung geht davon aus, 
daß in Oſtpreußen die ehemalige Leibeigenſchaft ſchon längſt, in der Zeit von 
1719—1724, in Weſtpreußen durch das Beſitzergreifungspatent aufgehoben worden 
fei. Damit ſeien aber die e Domänenbauern nicht derjenigen Unterthänigfeit ent: 
ledigt, „womit ſie dieſem oder jenem unſerer Domänengüter verpflichtet ſind und 
dazu als glebae adscripti gehören”; und dasſelbe gelte von den Unterthanen 
adelicher oder jonjtiger Güter. So wird auch der Geſindedienſtzwang der Kinder, 
„„Hogar für Dftpreußen, wo er früher ſchon abgejhafft worden war, als zu Recht 
bejtehend anerkannt, wenigjtens in der Ausdehnung auf je fünf Jahre Zum 
Schutze des Bauern werben die Fälle aufgeführt, in denen feine Loslaſſung er: 
folgen kann und muß. 

Obgleich alfo die Refornpolitif fih nunmehr vorbehaltlos auf den Boden 
der Erbunterthänigfeit ftellte, ftieß fie doch auch in diefer Selbſtbeſcheidung aller: 





’) Bel. Bd. I, 871. 


Das Retablifjement. 379 


orten auf einen zähen paſſiven Widerftand, der die Ergebniffe jehr verküm— 
mert bat. 


dem 1748 aufgeftellten Grundjag feft, daß nirgends mehr als höchftens an drei 
oder vier Tagen in der Woche Hand: oder Spanndienite geleiftet werden jollten; 

ja in dem politijchen Teftament von 1752 gibt er feiner Genugthuung darüber 
Ausdrud, daß diefe Beſchränkung überall Pla gegriffen habe. Gleichwohl ift 
der Befehl des Monarchen keineswegs durchgehend ausgeführt oder menigitens 
nicht auf die Dauer gleihmäßig beachtet worden, vielmehr je länger deſto 
öfter ſtillſchweigend übertreten. Der Domänenetat jollte feine Ausfälle auf: 
weifen: da waren die Kammern in Perlegenheit, wie fie die Pachtverträge 
in der alten Höhe abſchließen follten, wenn den Pächtern der Anſpruch auf die 
Bauerndienfte jo erheblich verkürzt wurde. Um auszugleichen, iſt der König 
1774 auf einen Gedanken zurüdgelommen, mit dem man zwanzig Jahre früher 
in Litauen Verſuche gemadt hatte: die Dienfte nicht nad) Arbeitstagen, jondern, 


Sseumesir- 
Was die Fronden anbetrifft, jo hielt der König für_die Domänen an, /, 


24 
* *4 


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nach beftimmten Leiftungen, als „Stüd- oder Morgen-Scharwerk“, abzumefien. A ur... 


Aber damit geriet man vollends ins Unberehenbare. Was auf den Kron— 
gütern fo vielen Hemmnifjen begegnete, wie hätte das für bie ritterihaftlichen 
Bauern erreihbar werden jollen? In Schlefien forderte unter dem friichen 
Antrieb, den der Friedensihluß gab, ein Runderlaß des bauernfreundlichen 
Minifters Schlabrendorff vom 15. Mai 1763 die Landräte auf, bei den Edel: 
leuten die Beihränfung der ungemeljenen Dienfte auf eine beftimmte Anzahl 
Tage zu betreiben. Der Verſuch, trog wiederholter Erinnerungen und Rügen 
bes Königs, hatte feinen beiieren Erfolg, als die 1751 der pommerſchen Ritter: 
ſchaft gegebene Anregung: die hinterpommerihen Stände hatten damals in 
einer langen Denkſchrift beweifen wollen, daß nicht die Hofdienite Urſache ber 
bäuerlihen Armut feien und daß die Nittergutsbefiger ohne dieſe Dienfte nicht 
mehr beftehen fünnten. Und dieſe VBorjtellung hatte in Berlin an den Miniftern 
Podewils und Gocceji, die beide der pommerſchen Ritterſchaft angehörten, rüd: 
balteloje Fürjpredher gefunden; denn die wenigiten unter den hohen Staats: 
beamten dachten über die Bauernfrage fo vorurteilsfrei und human, wie der 
Märker Schlabrendorfi. Es galt auch in diefen Regionen als ausgemacht, 
daß durch bie Herabjegung der Frondienſte, für die Cocceji mit freigebigem 
Anahronismus ein mehr als taufendjähriges Alter in Anſpruch nahm, der 
Adel ruiniert und den Bauern nicht geholfen werden würde. 

Wie nun aber der König immer wieder auf diefe ihm aufrihtig am Herzen 
liegende Sache zurüdfam, jo that der Großfanzler der Juſtiz, Coccejis Nach: 
folger Fürft am 8. Juli 1774 endlich einen neuen Schritt, indem er jämtlihen 
Landesjuftizböfen aufgab, eine den allerhöchiten Abfichten entiprechende Verän— 
derung des Dienftwejens in Ueberlegung zu nehmen und allgemeine Grunbjäge 
dafür ausfindig zu madhen, ohne den beftehenden Rechten zu nahe zu treten. 
Damit war diefer Teil der Neform_durd die Bureaufratie zunächſt rettungslos 
in das Stadium der ſchwebenden Erwägungen geleitet. Erft zehn Jahre jpäter 
kam die Sade dadurh noch einmal in Fluß, daß der König befahl, in der 
ganzen Monardie Urbarien anzulegen, wie fie in Schleſien aus öſterreichiſcher 


Sıleı — 


Im Ainilk : 


rin tert 


mmlasrel : 


380 Achtes Bud. Erſter Abſchnitt. 


DENE Zeit noch vorhanden waren, um „Dienite, Pflichten, Schuldigkeiten und Ge— 
— rechtſame“ der bäuerlichen Bevölkerung genau feſtzuſtellen. Das gleiche war 
ſchon 1773 für Oſt- und Weſtpreußen angeordnet worden. Dabei wurde als 
billig bezeichnet, daß dem Bauern nicht mehr Dienſttage abgefordert werden 
ſollten, als mit dem Gedeihen ſeiner eigenen Wirtſchaft verträglich ſeien. Alle 
ungemeſſenen Dienſte ſollten in gemeſſene verwandelt werden. Das Landvolk 
nahm die Thätigkeit der Urbarienkommiſſionen vielfach mit Mißtrauen auf; man 
fürchtete, daß bei dem neuen Schreibwerk nur neue Laſt und Plage heraus— 
kommen werde. Da und dort führte die Aufregung zu Ausſchreitungen. Der 
Juſtizminiſter für Schleſien empfahl, wieder ſehr bezeichnender Weiſe, die Maß— 
regel vorläufig aufzuſchieben, aber der König entſchied, daß fortzufahren ſei: 
möchte die Angelegenheit auch, weitläuftig ſein und viel Zeit koſten, bei dem 
Nutzen, den ſie dem ganzen Lande bringen werde, ſei ſie der Mühe Wert; mit 
den durch falſche Vorſpiegelungen aufgewiegelten Kerls werde man ſchnell fertig 
werden. 
on Mit den Bemühungen um ein befleres Erbredht der Bauern wurde an 
raum * den im legten Friedensjahr in Oberjchlefien gemachten Verſuch wieder angefnüpft. 
Der ſchon erwähnte Runderlaß an die jchlefifhen Landräte vom 15. Mai 1763 
erklärte, daß diefe „wegen der Kriegsunruhe liegen gebliebene Sache“ ohne 
Widerrebe jetzt zu verwirklichen fei. Ein Bericht Schlabrendorffs vom 20. Januar 
1765 nannte dem Könige als die Gefamtzahl der Bauernhöfe in Schlefien 42219, 
als die der Gärtnerftellen 76955, der Häuslerftellen 54276. Darunter jeien 
nicht erblih: 3263 Bauern, und zwar im Glogauer Kammerbezirt nur 45; 
9592 Gärtner, 8418 im Breslauer, 1174 im Glogauer Bezirk; 2074 Häusler, 
bis auf 109 fämtlih im Breslauer Bezirk. Anjcheinend nahm nun die vom 
Könige verlangte Ummandlung einen jehr günftigen Verlauf. Im Herbit 1766 
berichtete Schlabrendorff, daß nur nod 35 Bauern, 259 Gärtner, 157 Häusler 
nicht im Beſitz des Erbrechtes feien, und 1775 wurde verfichert, daß die Maß— 
regel vollitändig durchgeführt jei. Aber viele diefer Landleute legten auf die 
Erblichkeit des Beliges gar feinen Wert, denn der erbliche Lajfit verlor mande 
Vorteile und Anſprüche des unerblihen, dem der Grundherr die Gebäude im 
Stand halten, Berlufte am Vieh erfegen und Nüditände an Staatsfteuer decken 
mußte. Und jo fam es, daß die Zahl der unerbliden Wirte in Schlefien gegen 
den Ausgang des ‚Jahrhunderts wieder auf 38918 ftieg. 
Pan mn Der pommerſchen Nitterfchaft gegenüber wurde von dem Berjuhe, ihren 
; > Bauern das Erbrecht zu erwirken, von vornherein abgeiehen. Zwar beteuerten die 
en vorpommerfchen Herren, da ſie den erledigten Bauernhof der Negel nah einem 
er N der Söhne des verftorbenen Bauern, jofern unter ihnen ein guter Wirt jei, 
rer: übertrügen; in der Bauernordnung von 1764 aber wurde ausdrüdlich anerkannt, 
daß den Bauern feine Erbgerechtigfeit, „nec ex contractu emphyteutico nec 
libellario nec censuali“, zuftehe. In den anderen Provinzen ließ der Staat 
diefe Frage in Anjehung der Privatbauern unberührt. Für die Domänenbauern 
— Inc „galt die ihnen ſchon unter der vorigen Regierung zuerkannte Erbfähigkeit der 
in Söhne als allgemeiner Grundjag. Friedrich Wilhelm I. hatte diejem Fortichritt. 
— mit Recht die größte Bedeutung beigemeſſen und die Einführung der Erblichkeit 


M 





— 


.7 


Das Retablifjement. 381 


ſchlechthin mit Aufhebung der Leibeigenſchaft gleichgeſetzt. König Friedrich ging - I. 2 ea 
in Anerfennung des Erbanſpruchs jo weit, dab er ihn nicht_bloß dem Sohn, u °,4 2:5 <> 
fondern auch der Tochter zugeitanden wiſſen wollte. Als auf einem pommeriden (-ire ch Fr 
Domänenamt einer Bauerntochter der väterlihe Hof abgenommen murbe, den —* 4 
fie doch nad) Ausfage aller Zeugen „recht ordentlich“ bewirtichaftet haben jollte, 

verfügte er am 20. Februar 1777 fofortige Wiedereinjegung und ſprach es bei 

diefem Anlaß als durchgehende Negel für alle Provinzen aus, daß alle unter 

den Nemtern ftehenden Bauerngüter den Unterthanen erb: und eigentümlich zu 

übergeben, von den Eltern auf die Kinder zu vererben jeien. 

Der König hat ſich feiner Täufhung darüber hingegeben, daß er im ganzen — Hrrak - 
mit feinem Bemühen um das Wohlergehen ber Bauern nicht weit vorwärts 
fam. So hat er ſich in feinen Memoiren barauf beſchränkt, von allen diejen 
Anläufen. nur den einen zu erwähnen, der von unbeftreitbarem Erfolg be egleitet 
war: es gelang, die Nuffaugung bes Bauernlandes durch den Großgrundbefig +" 
zu verhindern, durch die in jenem Jahrhundert in Medlenburg und Schwediſch— — 
Pommern die Reihen der Bauern ſo furchtbar gelichtet wurden. Die beiden — 
Geſetze von 1749 gegen das Bauernlegen, das Hineinziehen von Bauernhöfen 
in das Areal des kit nd wurden im Juli 1764 dahin erweitert, dab die 


Für Schlefien she dabei auf das Jahr 1723 zurüdgegriffen, in welchem ber 
bäuerlihe Beſitzſtand durch eine allgemeine Landesaufnahme genau feitaeftellt 
worden war, für die anderen Provinzen auf das erſte Kriegsjahr 1756. Der 
König hatte verlangt, daß die in Betracht kommenden „wüſten Stellen“ in 
Sclefien binnen Jahresfriſt neu bejegt fein jollten; der Minifter wies auf die 
Schwierigkeit hin, in jo furzer Zeit geeignete Wirte zu beichaffen, und ließ dafür 
die Zahlen einer DVerluftlifte fprehen: von 1723—1749 waren 1500 Stellen 
dem Stleinbefig der Bauern, Gärtner und Häusler entzogen worden, feit 1749 
weitere 1187 Stellen. Dod gelang es Jahr für Sahr, durch diejes „Neta- 
bliffement” den Sleinbefig nicht unanjehnlid zu vermehren, vorzugsweife aller: 
dings nur durch Häuslerftellen, deren von 1763—1779 in Schleſien 3539 ge: 
ihaffen worden find. Und völlig erreiht wurde das andere, ein gewiß ſehr 
bedeutendes Ergebnis: für die Zufunft war der Berkleinerung der Bauern: 
ftellen und der Bauernzahl ein Ziel gejekt, das Bauernland, aud das nicht! 
erbfähige, jedem Eingriff und Abftrich entzogen. 


Nom iſt nicht an einem Tage gebaut worden, mit dem Dingen geht es 
nicht io schnell wie mit den Gedanken — das waren die Sentenzen, mit denen 
Friedrich die Ungeduld anderer und jeine eigene zu bejchwichtigen pflegte. Er 
wußte, daß auch in der inneren Politik, wie in der Diplomatie und in der 
Kriegsführung, Mißerfolge nicht ausbleiben konnten, Teilerfolge für voll ge: 
nommen werden mußten. Mit der impulfiven Lebhaftigfeit, die ihm auch 
im Alter blieb, verband er eine zähe Beharrlichkeit, die nichts ermüdete 
und nichts langmweilte, die nicht abiprang und nicht ausipannte. Alles in 
allem gewahrte er doh mit Genugthuung und fliller Freude, wie von Jahr 


— 


—— 


382 Achtes Buch. Erſter Abſchnitt. 


zu Jahr die lange, mühſelige Arbeit vorſchritt, wie das Ziel, das er ſeinem 
Retabliſſement geſteckt hatte, näher rückte. Indem er ſich einmal berechnet, 
daß er binnen zehn Jahren allein für die Kurmark 2700000 Thaler an 
außerordentlichen Spenden aufgewendet haben wird, ſo dünkt ihm das „etwas 
fehr anſehnliches, wovon die Leute ſchon zufrieden fein können“. Mit Vorliebe 
nennt er jeine wirtjchaftlihen Entwürfe und Arbeiten, Sorgen und Freuden das 
Kinderipielzeug jeines Alters. Aber wie viel mehr war das, als Zeitvertreib 
und Liebhaberei! , Als d’Alembert ihn nad einem Krankheitsanfall mahnte, jeine 
Gejundheit zu ſchonen, um fich feinen Unterthanen, der Philofophie und den 
Wiffenichaften zu erhalten, antwortete er: „Sie erraten richtig meine Abficht, 


. ..| meinem VBaterlande und meinen Zeitgenoflen nüglich zu jein während der wenigen 
Zeit, die ich zu leben haben werde; die Pflicht des Menſchen ift, ſeinesgleichen 

| zu unterftügen in allem, was von ihm abhängt; das ift der Kern aller Moral, 
‚ und ein Herz am richtigen Flede wird mit ſich ſelbſt unzufrieden jein, wenn es 
dieſe Pflicht nicht erfüllt.“ 


Daß bier etwas Großes geleiltet wurde, konnte jelbft ein jo mißgünftiger 
Beurteiler nicht ganz leugnen, wie jFrievrihs ehemaliger Flügeladjutant Retzow, 
der feine „Charakteriftit der wichtigiten Ereigniffe des Siebenjährigen Krieges“ 
mit der Bemerkung ſchloß: Einen Teil der ungeheuren Summen, die infolge neuer 
Sinanzeinrihtungen dem Schate nah dem Kriege zugefloſſen jeien, habe der 
König zu Zweden der Yandeswohlfahrt verausgabt und dadurch den Schmerz, den 
jene Einrichtungen verurfadht, „gewillermaßen betäubt”. In Wirflichfeit lag 
das Verhältnis jo, daß die Mehrerträge der 1766 gefchaffenen Zoll: und Acciſe— 
verwaltung, der Regie, wohl ganz auf gemeinnüßige Veranitaltungen aufgewandt 
worden jind: „Sie wifjen,” erklärte der König dem Direktor der Regie, „daß 
ih von dieſen Einnahmen nichts ſammle.“ 


Zweiter Abichnitt. 


Derwaltungsteformen und Schuß der nationalen 
Arbeit. 


von feiner Umgebung eindringlich die Rückkehr zu den Negierungsgrund: sl emeı 

lägen und Verwaltungseinrihtungen jeines Großvaters, König Friedrih „/. * 
Wilhelms J., empfohlen worden. In einer der Denkſchriften über Aufgaben der. „___5 7 
inneren Politik Preußens, die jein nahmaliger Minifter Wöllner für den Thron: „/_,. 
folger ausgearbeitet hat, wird zumal für die Finanzverwaltung die Forderung — 
aufgeſtellt, daß „die Staatsmaſchine der Hauptſache nach gerade jo wieder montiert / 
werde, als fie Friedrich Wilhelm 1. eingerichtet hatte, wo alles einfach, kurz und, 
der er Sandesbeichaffenheit angemejjen war.‘ 

Sollten die einfachſten Formen der Verwaltung allemal aud die beften < 
jein, dann allerdings hätte eine Verwaltungstunft und Berwaltungswifienihaft / "7 
ih nie zu entwideln gebraudt. Die Erfahrung eines weiteren Jahrhunderts rn 
bat gelehrt, daß überall die Aufgabe der Verwaltungspolitit nur immer künſt— 
liher und verwidelter geworden ift, immer jchwieriger das Problem, die An: 
iprüche und Lebensbedingungen der großen produftiven Erwerbszweige, der In— 
duftrie, des Handels und der Landwirtſchaft mit einander in Einklang zu bringen, 
ein Problem, um defjen Löjung, wie wir jehen werden, auch Friedrich der Große 
an jeinem Teile fi gemüht hat. 

Er jelbit hatte Grundfäge und Syſtem feines Vaters vordem als unan— en A 
taftbar betrachten wollen.) Aber wie hätte er die Bedingtheit verfennen jollen, 
der das fonjervative Prinzip allzeit unterworfen bleibt? Es ift lediglich ein Be- 
weis für Friedrichs ftaatsmännifche Größe, daß er nad fünfundzwanzig Jahren Ze 74 
für die fortichreitenden Bedürfniſſe feines Staates auf Umformung und Ber: «Aulsem = 
jtärfung des Triebwerfes dachte. So ift er in der zweiten Hälfte feiner Re: nn Kr 
gierung in viel ausgebdehnterem Maße als früher zu Neuerungen geſchritten, die 


Y 8b. I, 314. 


I: Nachfolger Friedrichs des Großen ift an der Schwelle jeiner Regierung 





384 Achtes Bud. Zweiter Abfchnitt. 


zwar die Grundlagen unberührt ließen, die Gliederung und den Gang der Ver: 
waltung aber nicht unmwejentlic veränderten. 
Die einfchneidendite adminiftrative Umgeftaltung wurde im Zufammenhange 
mit einer Reform des Steuerwejens herbeigeführt. 
Ar u rfmn Dem König ftand ein hohes deal vor Augen. Soziale, abminiftrative, 
am: fistaliſche Zwecke ſollten gleichzeitig erreicht werden. Durch Vereinfachung der 
Verwaltung, durch größere Ueberfichtlichfeit der Erhebung jollte ein befieres 
finanzielles Ergebnis angebahnt, zugleich aber die Möglichkeit geſchaffen werden, 
die Armut zu entlaften, den Reichtum zu ftärterem Beitrag heranzuziehen. 

Seit lange beſchäftigten ihn biefe Gedanken. Schon 1743 hatte er dem 
Generaldireftorium bezeichnet, was ihm an dem beitehenden Syitem der indirekten 
cz ne, Steuern mißfiel: „das zu große Detail bei der Accije“, das den Handel über 
—— — 1 Gebühr beläftige; die willfürliche Berechnung der Abgaben, die Chifanen, die 





rise m 


— der Steuerbeamte ſich erlaube. Der König wies damals ein ganz beſtimmtes 
—* Ziel: von jedem Gegenſtand ſoll nur einmal, nur an einem Orte, Acciſe erhoben 


und der Tarif ſoll ſo eingerichtet werden, daß jeder Kaufmann den Betrag der 
Abgabe im voraus genau wiſſen kann. Wie das zu erreichen ſei, das wurde 
dem Generaldirektorium zur Erwägung anheimgegeben. Und wieder 1748 hatte 
er dem Minifter Boden eröffnet: „Meinen Principiis nad ift allemal darauf 
zu denfen, auf was Art die Armut und der geringe Handwerksmann und Fabri- 
quante in denjenigen Stüden, fo jelbige zur Erhaltung ihres Lebens unum— 
gängli nötig haben, joulagiert werden, und müſſen daher billig auf das Bier, 
Brot und Fleiſch, wovon die Armut leben muß, nur jehr geringe Taren und 
— Impoſten gelegt werben“. 
Im, Divech Das Generaldireftorium unterließ nicht, ſich auf diefen Befehl zu berufen, 
ar na fobald in der Accife Ausfälle bemerkbar wurden. Mit den ihr ans Herz ge: 
rer: legten Erwägungen kam bie hohe Behörde nicht vorwärts. Während des Krieges 
r ftarben von den fünf Departementschefs nicht weniger als vier: Happe, Katte, 
Adam Ludwig v. Blumenthal, Boden; der einzige Ueberlebende, der Nachfolger 
7 des ſchon vor dem Kriege zurücgetretenen Viered, Friedrih Wilhelm v. Borde, 
deſſen Leiftungen bei der Verwaltung der kurſächſiſchen Kontribution nicht genügt 
hatten, nahm Anfang 1764 feinen Abſchied. Friedrich hat oft geklagt, daß es 
ſchwer jei, geeignete Männer für die Minifterftellen zu finden, was er forderte, 
war, wie er einem feiner Minifter bei Gelegenheit erklärt hat, die Verbindung 
von adeliher Geburt mit Fachkenntnis und einer auf Neigung und Geſchmack 
. beruhenden Hingebung an das Amt. Sebt erſetzte er den alten Stamm durch 
u —— "zwei Kammerpräſidenten, Valentin v. Maſſow aus Minden und den in Magdeburg 
trefflih bewährten Joachim Chriftian v. Blumenthal, und durd den jungen, 
hervorragend befähigten und außerordentlich arbeitfamen Geheimen Finanzrat 
Ludwig Philipp v. Hagen.') Als die neuen Minifter im dritten Friedensjahre, 
am 10. Juni 1765, zur alljährlihen Etatsberatung in Potsdam verjammelt 
waren, erörterte der König die Notwendigkeit, die Staatseinnahmen zu erhöhen. 
Da jol, wie man ſich nahmals in Beamtenkreiſen erzählte, Maflow, der die 





’) Dal, oben ©. 35%. 


Berwaltungsreformen und Schuß ber nationalen Arbeit. 335 


Kaffenverwaltung leitete, erflärt haben, daß dazu das Land infolge des Krieges Massour. 
zu erfchöpft ſei. Maſſow hatte fi vor 20 Jahren als Kammerpräfident harten 

Tadel zugezogen; ') feine Berufung in das vermwailte Generaldireftorium mag 

alſo eher eine Verlegenheitswahl geweſen fein, als daß ein großer Staatswirt 

und Rechenmeiſter in ihm gejehen worden wäre; immerhin, nach feinem Tode 

im Jahre 1775 hat der König feine „Gejchidlichkeit” und feinen „Patriotismus“ 

anerkannt, und aud unmittelbar nad} jener mündlichen Beratung hat er im Herbit 

1765 mit Maſſow die Frage der Tarifreform einer eingehenden jchriftlichen 
Erörterung unterzogen. 

Zugleih aber hatte er alabald nad dem Minifterrate Vorbereitungen ge: /, — 
troffen, um ſeine Steuerreform ohne ſeine neuen Miniſter durchzuführen. Er A: ——— 
hatte ſich offenbar abermals in der Meinung beſtärkt, auf die er ſchon durch 
frühere Wahrnehmungen geführt worden war: daß ſeine „großen Perrücken“, 
wie er die Miniſter gern nannte, lediglich eingeſchulte, im alten Gleiſe einher: 
ſchreitende Verwaltungskünftler jeien, feine Männer von weitem Blid und ſchöpfe— 
tiichen Gedanken oder auch nur von Anpafiungsvermögen. Selbft von jenem 
Boden, den er ehedem fo hoch geihätt hatte, jagte er während des Krieges, 
daß diefer Mann vom Handel, der hohen Finanz und dem MWechjelverfehr nicht 
die geringfte Vorftellung noch Kenntnis habe. Das ſchloß nicht aus, daß er die 
Zeiftungen einzelner von diejen Minijtern in ihrem geſchloſſenen Wirkungsfreije , 
hoch angejhlagen und warm anerkannt hat. Als Hagen nad fiebenjähriger ragen ⸗ 
Amtsthätigkeit 1771 ſtarb, nannte ihn der König in einem Erlaß an das General— net. —— 
bireftorium „einen Miniſter, dergleichen Seine Königliche Majeſtät Sich wohl viele *27 3 
wünſchen, aber leider wenig haben“; er verfügte, daß ein von ihm geſtiftetes Bild 
des Verſtorbenen im Audienzſaal der Behörde, den bisher ausſchließlich das Bild 
König Friedrich Wilhelms I. ſchmückte, „bei voller Verſammlung und offenen 
Thüren” jeierlih aufgeftelt werden follte „zum immermwährenden Gebädtnis 
diejes rechtichaffenen Dieners des Staates”. 

Nun war ein Vierteljahr vor jener Minifterfonferenz der franzöfiiche Arzt / hr PR 
Helvetins zu mehrwöchentlichem Beſuch in Potsdam eingetroffen, von d'Alem— 
bert warm empfohlen, dem Könige als Schriftiteller bereits befannt und troß 
grundjäglier Vorbehalte als Mann von Geift, Welt und Geihmad und als Ber: 
folgter willlommen. Willlommen aber aud) als erfahrener Finanzmann. Denn —W— 
Helvetius hatte ſeinen Reichtum als Teilhaber einer der großen franzöſiſchen et 
Steuerpächtereien erworben, und Friedrich war längit begierig, über dieſes fran: 2 Inner * 
zöſiſche Pachtſyſtem etwas Näheres zu erfahren, von dem ihm, wie e& heißt,‘ Jemenal : 
Krodow und Quintus?) allerhand erzählt hatten. Er entichloß fi nach Helvetius’ “ 

Adreife zu einem Berjuche und ließ durch d’Argens, der jpäter allerdings jeine ., uhr ern 
Beteiligung leugnete, jenen auffordern, ihm aus Frankreich Fachleute, einen _,,. 
Obmann und fünf Hilfsarbeiter, zu ſchicken, um bis zum nächſten Rechnungs: 
jahre alles Erforderliche vorbereiten zu können. 

So erſchien Anfang 1766 der Mann am preußiichen Hofe, der während 


24 — 


') Bd. J, S. 360. 
2) Oben S. 349. 350. 
Kojer, König Friedrih der Große. II. 2, Auf 


=) 


386 Achtes Buch. Zweiter Abſchnitt. 


. ber nächſten zwei Jahrzehnte alle einheimiſchen Finanzgrößen in ben Schatten 
ftellte, de La Haye de Launay, von Friedrich als der Jupiter begrüßt, der ein 


Chaos entwirren werde. 

Des Königs Abfiht war uriprünglih, für die Erhebung der Zölle und 
Acciſen einfah die Generalpaht nah dem franzöfiiden Mufter einzuführen. 
Bereits verhandelte er durch de Launay mit einer Gefellihaft Pariſer Kapi: 
taliften. Es ftellte fich heraus, daß de Launays Hintermänner nicht im flande 
waren oder nicht Neigung hatten, die 300.000 Thaler, die als Vorſchuß für die 
Einrihtungstoften, vieleicht aud als Kaution, gefordert wurden, zu hinterlegen. 
Sehr erflärlich, daß nun der König es von der Hand wies, fih von Paris aus 
durch einen „Areopag von Bettlern” in feine Angelegenheiten einreden zu laſſen. 
Er machte endlid de Launay, als dem einzigen, der ihm Vertrauen einflößte 
und ber ihm ernfthaft bei der Sade zu jein jhien, den Vorſchlag, ibm und 
vier Gehülfen gegen feites Gehalt und einen Anteil an dem Neingewinn die 


» Verwaltung zu übertragen. Am 14. Juli 1766 wurde auf diefer Grundlage 


ein Vertrag auf ſechs Jahre, bis zum 31. Mai 1772, abgeſchloſſen. Die 


: Regiffeure übernahmen unter der Auffiht, nit unter der Leitung, eines der 


Minifter die Verwaltung der indireften Steuern, gegen Gehälter im Gejamt: 
betrage von 60000 Mark und fünf Progent an Tantieme von dem, was über 
die Erträge des Rechnungsjahres 1765/66 einfommen würde. 

Schon vor diefer Umgeftaltung des Verwaltungsbetriebes hatte der König 
mit jeinem neuen Vertrauensmann über die Grundfäge der anzuftrebenden 


J need f- —* -PTarifreform verhandelt. 


X Leni Fr 
— —⸗ñ u. 
⸗ 


* 


In einem eigenhändigen Beſcheid, den er am 16. März 1766 auf die Vor— 
ſchläge de Launays erteilte, ſteht im Vordergrunde die ſozialpolitiſche Tendenz 
des Reformplanes: die e unentbehrlichſten Lebensmittel ſollen ſteuerfrei bleiben 
oder doch möglichſt geringe Abgaben erleiden, alle Luxusgegenſtände ſtart be: 


— laſtet werden. Daß das Brot in Zukunft nicht zu beſteuern iſt, ſteht von vorn— 





herein feſt. De Launay will, um den Ausfall zu deden, Fleiſch und Bier ſtärker 
als bisher heranziehen; der König aber kürzt bie vorgeſchlagenen Sätze, weil 


3 fie ihm für das Volk zu drückend erſcheinen. Er will für Fleiſch und ein— 


4%) 


heimifches Bier nur eine ganz geringe Erhöhung zulaffen und gibt dafür preis 
alle fremden Biere, alle Weine und den franzöfiichen Likör, dazu Pfeifer, Zimmt, 
Gewürze, mit einem Worte „alles, was zum Lurus gehört” — „da ift nicht der 
Arme der Zahler, nicht der Handarbeiter und der Soldat, denn die find es, 
als deren Anwalt ih mich erkläre und deren Sache ich führen muß“. Für den 
Soldaten, der fein Brot in Friedenszeiten damals jelber zu faufen hatte, be 
deutete die Aufhebung der Mahlfteuer die allergrößte Erleichterung. 

Denfelben Gefichtspunft entwidelte vier Wochen fpäter das „Deklaration: 
patent” vom 14. April 1766, das die Notwendigkeit der Reform begründete 
und bie Einjegung einer Kommiffion zur Ausarbeitung eines neuen Tarifs an— 
kündigte. Bereits jetzt aber wurde im Sinne der zwiſchen dem Könige und 
ein geringfügiges, lediglih behufs Verhütung der Unterjchleife eingeführtes Viſi⸗ 
tationsgeld von zwei Pfennig für den Scheffel. Dagegen wurde zur Dedung des 


Verwaltungsreformen und Schub der nationalen Arbeit. 387 


Ausfalls die Branntweinaccife erhöht, desaleihen und zwar erheblid die vom m 
Weine, die vom Biere um einen Pfennig für das Quart, die vom Fleiihe um ne 
einen Pfennig für das Pfund, eine Erhöhung, von der das Schweinefleijch, als 7 
die Nahrung der Armen, nicht betroffen wurde. Als Zwed der Reform wurde — —— 
bezeichnet, daß die Staatseinkünfte auf einen feſten und beſtändigen Fuß ge— 
bracht werden ſollten, ohne dabei eine übermäßige Vermehrung der Abgaben zu 
erſtreben. Daß es an ſich auf eine Vermehrung abgeſehen ſei, daraus wurde alſo 
kein Hehl gemacht. Aber der Vermehrung der Steuern ſollte ausgleichend zur Seite 
gehen ihre gleichmäßigere und gerechtere Verteilung. Der König erklärte hier 
öffentlich, er ſei ſeit dem Kriege unabläſſig darauf bedacht geweſen, den Unter— 
thanen wieder aufzuhelfen und dadurch Erleichterung zu ſchaffen, daß ihre Laſten 
„auf einen billigen und proportionierten Fuß geſetzet und durchgehends mit 
gleichen Schultern und nach Vermögen der Kontribuenten getragen werden mögen“. 
Es iſt der Grundgedanke der Weifungen von 1743 und 1748, und ber: 6: - J 
ſelbe, den Friedrich 1768 in ſeinem neuen politiſchen Teſtamente ausgeſprochen L 
hat: „Bei der Verwaltung der Finanzen müſſen Billigkeit und Menjchenfreund: — — 
lichfeit mitſprechen; die Menſchenfreundlichkeit muß den Vorſitz führen und die ———— 
Art der Auflagen vorſchreiben; die Billigkeit verlangt, daß niemand dem Staate Bay: 
über jeine Kräfte Steuern zahlt und die Abgaben verhältnismäßig bleiben: wer 
nur 100 Thaler zu verzehren hat, darf nicht mehr als 2 entrichten, während | 
der, welder ein Einfommen von 1000 Thalern hat, ohne Beſchwer 100 zahlen) 
fann. Die Auflagen dürfen weder den Arbeiter, noch den Soldaten, noch deni 
Armen treffen, jondern nur den wohlhabenden und reihen Bürger.” 
Wer wollte verfennen, namentlid auch im Hinblid auf die Grundlagen 
der direften Beſteuerung in dem —— Preußen, daß hier eine Bertiäait 4 ——— 


bringen ringen blieb hinter dem Wunſchen * Wollen weit zurüd, Der Verſuch zu einer 

materiellen n Reform der Acciſeverfaſſung ſcheiterte. Zu gebieteriſch ſprach das 

Bedürfnis dee des Staatshaushalts. Die für die Ausarbeitung neuer Tarife im? — 
Sommer 1768 berufene Immediatkommiſſion, übrigens aus Vertretern des alten _ 
Beamtentums zujammengejeßt, führte gegen die neue Regie mit klarem Verftänd: 

nis und großer Sadfunde eine Neihe von Vorjchlägen ins Treffen, denen die rs ⸗ 9— 
Franzoſen regelmäßig die Befürchtung entgegenhielten, daß dadurch der Fiskus V * 
Schaden leiden werde. Der König verließ ſich für die ſteuertechniſchen Einzel— 

heiten auf de Launay, und ſo fiel dieſem der Sieg zu. Indem am 21. De— 

zember 1768 verfügt wurde, daß bei allen fremden Waren die bisherigen Säße ———— 


—* 


in Kraft bleiben ſollten, war das Geſchick des ſozialpolitiſchen Programms, ohne , °. 
daB jein Urheber diefe Nachwirkung ermaß, im wejentlihen ſchon entichieden, (7 2 
denn nur dur Erhöhung jener Säte hätte fi die beabjichtigte Mehrbelaſtung hr 
der er Wohlhabenden erzielen lajien. So aber mußte aud an jenem vorläufigen uch: 
Tarif, der inneren DVerbrauchsftenern, die vorzugsweile die Aermeren trafen, , 2 
dauernd feftgehalten werden. Soweit das Deflarationspatent von 1766 pofitive —— > 
Beitimmungen enthielt, die doch nur als Uebergangsrecht gedacht worden waren, | 
blieb es eine dauernde Ordnung; ſoweit es allgemeine Grundjäße ausſprach, 
blieb es unausgeführt. Es war nicht anders, als wie die Kommiſſion es der 





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En 


were: 


388 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Regie zum Vorwurfe machte: gegen früher blieb die Bieraccife um das Doppelte, 
die Branntweinaccife um bie Hälfte erhöht. 
Daß damit die Nahrungsmittel des gemeinen Mannes zu hoch beiteuert 
. feien, wollte der König nicht anerkennen. Faſt ericheinen gegen die Diskufjion 
en ri de Launay vom Fahre 1766 die Rollen vertaufcht, wenn ſechs Jahre jpäter 
permaneuF: einer der Kammerpräfidenten dringend die Abſchaffung des Steuerzuihlages auf 
Bier, Branntwein und Fleiſch befürwortet, der König aber das „irrige und höchſt 
gefährliche Finanzprinzip” abweift, „woburd die Revenuen des Staats, die ihre 
Sicherung und Gemißheit nur in den erften Bebürfnifien des Menichen finden 
können, der Willkür und Caprice ſchlechterdings überlafien bleiben“. 
Ohne Frage alfo führte der Accijetarif, mit dem die Negie arbeitete, eine 
Mehrbelaftung herbei, die auf das bitterfte empfunden wurde. Den Wegfall 
der Kornaccije brachte man nicht in Anjchlag, man beadhtete nur das Plus, das 
beim Fleiſch und Getränk fih ergab. Die jozialpolitiihe Abfiht der Reform 
alfo blieb im weſentlichen unerfült und jedenfalls ganz ohne Anerkennung, 
ganz ohne Dank. . 
- Friedrich ſelbſt betrachtete als das befte, was bei der Acciſereform heraus: 
d * er u) fam, die Einſchränkung des Schleihhandels. Eine Bewachung der Grenzen hatte 
im Reiche des „roi_des lisieres“ !) bisher ganz gefehlt, alles hatte die Zollviit: 
tation an ben Stadtthoren leiften und verantworten jolen. Jetzt wurden Grenz: 
bureaur eingerichtet und eine zum Teil berittene Grenzwacht aufgeftellt, die jo- 
genannten Brigaden. Urjprungszeugnijie und Begleiticheine mußten vorgewieien, 
Plomben beim Durhgangshandel angelegt werden — techniſche Schugmaßregeln, 
welche die franzöfifchen Beamten aus ihrer Heimat als jelbitverftändlich mitbradhten. 
reilich fehlte viel daran, daß nun der Schmuggel ganz eritidt worden wäre; 
von einem wirklihen Grenzzolliyitem, wie es 1818 geſchaffen worden ift, blieben 
die Anläufe von 1766 doch nod weit entfernt; ja, ein neuerer Forſcher iſt ge: 
neigt, „fait alle Härten, alle über das Ziel hinausgehenden Wirkungen” der 
fridericianifhen Zoll: und Handelspolitif auf die noch immer erheblichen tech— 
nifhen Mängel der Accifeverfaffung zurüdzuführen. Verglichen aber mit den 
Zuftänden im damaligen England, müfjen die preußifchen nod als günftig er: 
jcheinen; denn man nahm an, daß vor den jeit 1784 durchgeführten Finanz: 
reformen des jüngeren Pitt die Hälfte der englifchen Bevölkerung am Schmugael 
beteiligt war, daß 5'. Million Pfund Thee jährlich verzollt, 7%. Million aber 
eingejhmuggelt wurden. 
Dis, A Der größte adminiftrative Fortjchritt lag darin, daß die gefamte Verwal: 
— — tung der indirekten Steuern jetzt einheitlich zuſammengefaßt wurde — nur die 
rheiniſch-weſtfäliſchen Provinzen erhielten eine Ausnahmeſtellung, indem ſie ſich 
von der Acciſe durch ein „Abonnement“ loskauften. Im Laufe der Zeiten nad: 
einander ausgebildet, waren die einzelnen Gefälle bisher an einem und dem: 
jelben Orte von verjchievenen Beamten verwaltet worden: die urväteriſchen Zinjen 
und Zölle, die Licenten, d. h. Hafenzölle aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, 
die jeit der Negierung des großen Kurfürften eingeführte Accife, und als Steuer 


1) Bgl. Bo. I, 88. 


AR ER: 





Vermwaltungäreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 389 


jüngfien Datums!) der Tranfito-Jmpoft. Wiederum zeriplitterte ſich an der /- 2 
Zentralſtelle die Verwaltung der Steuern auf die vier Provinzialdepartements des /- 7... 
Generaldireftoriums. Jetzt wurden Provinzialdireftoren mit einem Stabe von a 
Gehülfen und Unterbeamten zur ausjchließlihen und einheitlihen Verwaltung der 
indireften Steuern_beftellt, jo daß die Kriegs: und Domänentammern durch diefe 
neuen Behörden von allen einfhlägigen Geichäften entlaftet wurden. Und 
ebenjo hatten im Generaldireftorium bie Chefs der vier alten Departements mit 
den indirekten Steuern nichts mehr zu jchaffen, fie hatten in diefem Bereiche ab: 
zudanfen zu Gunften des Zoll und Accijedepartements mit feinen franzöfiichen 
Regifjeuren unter einem deutſchen Minifter, aljo eines neuen, alle Provinzen - 
umfjpannenden Realdepartements, wie ein _folches 1740 für Kommerzien und. 
Fabrifen, 1746 für bie Heeresverwaltung errichtet worden war. Die damals u): 
betretene Bahn wurde weiter verfolgt. Mit den laufenden Verwaltungsgeichäften x " 
nicht befaßt, vermittelte doch der dirigierende Minifter der Accifeabteilung alle 
Beziehungen, die ih zwiihen den Aufgaben der Regie und dem Gange der 
allgemeinen Staatöverwaltung ergaben, und eritattete vor allen grundjäglichen 
Entſcheidungen dem Könige fein Gutadten. 

Dem Grundgedanken, aus dem heraus das ganze Gebiet ber indirekten 
Beiteuerung eigene Organe und einheitliche Zeitung erhielt, gehörte die Zukunft. 
Die Arbeitsteilung innerhalb des Verwaltungsförpers war immer mehr Grund: 
fat und Notwendigkeit geworden. Gleichwohl haben fi in der Praris bei der 
1766 gejhaffenen Ordnung ftarfe Mißitände ergeben. Dem unleugbaren ver: 
waltungstehnifchen Fortichritte, der in der einheitlichen Geitaltung des gefamten « — 
indirekten Steuerweſens lag, ſtand der Nachteil gegenüber, daß durch die neue * 
Einrichtung die Finanzverwaltung des Staates als Ganzes noch mehr den Zu— 
ſammenhang verlor als bisher. Wie bereits früher eine ganze Provinz, das v) 
große Schleſien, jo wurde jetzt ein ganzer Verwaltungszweig dem eigentlichen -v;« — * 
Finanzminiſterium entzogen. Denn nicht bloß mit der Verwaltung und Erhebung % L 
ber indirekten Steuern, d. 6. ungefähr des dritten Teiles der gefamten Staats: — 
einnahmen, auch mit ihrer Verrechnung hatte das Generaldirektorium nichts mehr 
zu thun. Der ganze Mehrertrag der Acciſeverwaltung, der nach Abführung des 
Paufhquantums an die Generalfriegsfafje verblieb, wurde in den Staatshaus: 
halt überhaupt nicht eingeftellt, jondern dem Königlichen Dispofitionsfonds über: 
wiefen, und zwar fo, daß das Generaldireftorium nicht einmal die Höhe der 
Summe erfuhr. 

Weiter aber: zum Schaden der Sache begannen nun von neuem zwijchen 
den Reſſorts die Neibungen und Kämpfe, die an die Zeiten unmittelbar vor der * — —— 


277 





— 


ne Duff 
Gründung des Ge Seneralbireftoriums erinnern. ?) Die organijche Einheit der LefarYamaiiz : 
inneren Verwaltung, die Treffiicherheit des ‚ Apparats ging wieder verloren. Das 

Ganze wurde lediglich durch die Kabinettsregierung, die unmittelbaren Entidei: - r En F —— 


dungen des Königs ſtreng, aber doch nur notdürftig und außerlich zuſammen⸗ 
gehalten. Friedrich machte ſeinen Kammerkollegien insgemein den Vorwurf, daß 





) Bd. I, 443. 
) Bd. I, 350. 


ti 


"Preußen in allen Städten und alle Tage von den Franzojen geihlagen. Die 


390 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


fie Umtriebe machten, um „feine guten Negie-Einrihtungen rüdgängig zu machen 
und über den Haufen zu werfen“. 

ai Und die Reſſorteiferſucht wurde getragen und geſchärft durch den nationalen 
Gegenfag. Der Einbruch des Franzofentums in bie Nccifeverwaltung bat nicht 
den Umfang gehabt, auf den die erregte öffentliche Meinung ihn ſchätzte. Von 
den 2000 in Betracht fommenden Stellen find nur etwa 175—200 mit ran: 
zoſen befegt worden, Gleichviel, dieje unter franzöſiſcher Leitung ſtehende, nach 
franzöſiſcher Regel arbeitende Verwaltung blieb als Fremdherrſchaft dem ein: 
heimischen Beamtentum wie der Bevölkerung gleihmäßig verhaßt. Dem eng: 
‚lichen Gejandten Mitchell wurde das Wort zugeichrieben: die Franzoſen find 


einmal bei Roßbach von den Preußen geſchlagen worden, dafür werden num die 


Beiten der Vorliebe für franzöfiihe Art und Bildung und für franzoſiſchen Be⸗ 
ſuch waren vorüber. Roßbach und das Auftreten Leſſi 

dem Umſchwunge beigetragen. Selbft einem d’ Alembert, der mit der ausgeſuch— 
teften Nrtigkeit in der Berliner Gejellihaft aufgenommen mwurde, entging es 
nicht, wie im allgemeinen die Stimmung gegen feine Landsleute war; er be: 
trahtete das ihm gemachte Kompliment, einen Franzofen wie ihn habe man hier 
noch nicht Fennen gelernt, als ebenjo fchmeichelhaft für fich jelbit wie bedenklich 
für feine Nation. 


2 Dem König ſelber fonnten auf die Dauer die der neuen Einrichtung an: 


7 ä 
PL? da 
* 


— 


f zimmer 8 


Ainamys Ren 
NE 3 2, : 


— Haftenden Gebrechen nicht entgehen. Zwar bemwahrte er dem Generalregifieur 


fein Vertrauen und hielt ihn und die Regie gegen alle Angriffe und Anlagen. 
Aber er wies doch in feinen letzten Lebensjahren die Kritif nicht mehr fo furzer 
Hand zurüd, wie er es früher gethan hatte, und ließ de Launay keineswegs 
frei Schalten und walten. Vor allem aber Elagte auch er jegt über die Un— 
zuverläffigfeit der Franzojen und begann von de Launay zu fordern, daß zur 
Erledigung gelangende Stellen, wie die des 1781 wegen Betrügereien abgejegten 
Stettiner Accijedireftors, mit Deutjchen wiederbejegt werden jollten. Die zwei 
Fahre hindurch wiederholten Klagen führten endlih in einem Schreiben an 
de Yaunay vom 28. Februar 1783 auf die verallgemeinernde Nukanmwendung: 
„Sp ift nun die Mehrzahl der Franzojen: zu Haufe fortgejagt, ſetzen fie hier 
ans Land, erhalten die erjten Stellen in der Regie, plündern die Provinzen und 
gehen, wenn fie ihr Geld im Beutel haben, nad Frankreich zurüd. d_mwill 
infolgedefien nicht mehr, daß Sie Franzojen für bergleihen Stellen nehmen.” 
Auch das verdroß ihn, daß troß aller Einjchränfungsverjuhe die Betriebe: 
fojten der Regie jehr hoch blieben. Sie verſchlangen q andauernd mehr als ein 
Zehn hntel der Bruttoeinnahme, während fie unter der alten Nccifeverwaltung noch 
nicht den fünfzehnten Teil beanſprucht hatten. Allerdings waren damals die 
Vorkehrungen für die Grenzbewahung unvollkommener und deshalb weniger koſt— 
ipielig geweſen. Das finanzielle Gejfamtergebnis ſchwankte. Die an die General- 
‚ riegetafl e zu zahlende Abſchlagsſumme, die jogenannte Firation, betrug anfäng: 


| lich, entſprechend den Erträgen der alten Verwaltung im Rechnungsjahre 1765,66, 


‚4662210 Thaler; fie wurde 1772 bei Ablauf des erften Vertrages im Zus ı 


\Tammenhange mit anderen Nenderungen auf 4395957 Thaler herabgejegt, womit 


Berwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 391 


fih der an die Königliche Dispofitionsfafle gelangende Ueberſchuß entipredend }, — 


4 


ſtiegen, nachdem inzwiſchen eine neue Provinz dem Staate zugefallen war. Laſſen 7944-5. 
wir deren Erträge außer Betracht, ſo wird der Ueberſchuß, der in dieſen 

et Tree BON erzielt worden ift, nad einer 

‚ neuerdings angeftellten Berehnung im ganzen auf 23". Millionen veranſchlagt 

werden dürfen. Die Gegner der Regie haben ſchon damals nicht mit Unrecht 

darauf hingewieſen, daß aud ohne die franzöfiiche Verwaltung die Accijeerträge 

mit dem zunehmenden Wohlitand ji erhöht haben würden. 

Während bei der Einführung der Regie der fisfaliihe Geſichtspunkt erit 
in zweiter Linie ftand, war er bei einigen anderen abminiftrativen Reformen 
das Enticheidende. 

Ganz nad dem Mufter der Regie erhielt 1766 das Koftweien eine Neu: Ant 
ordnung: ein Generalintendant übernahm die Verwaltung der _Poften gegen Ab: y: ln 
lieferung eines felten Betrages in der Höhe —— — ee 
führte den Ueberſchuß, nach Abzug einer Tantieme für die Beamten, an die 746 
Königlihe Dispofitionsfafle ab. Auch Hier richtete ein Franzoſe, Jacques Marie 
Bernard, den neuen Betrieb ein, wurde aber ſchon 1769 durd einen deutſchen 
Generalpoftmeifter erſetzt, nachdem er einem Strafprozeß durch Flucht aus dem 
Wege gegangen war. = 

Für die Ausübung des 1765 eingeführten jtaatlihen Tabafınonopols wurde Iebace m 
im Frühjahr 1767 die Generaltabatadminiftration eingejegt; ein Verſuch, das mr Ari, : 
Monopol zu verpadten, war mißglüdt. Die Tabafverwaltung ftand unab: 
bängig neben der Regie, jo jedoh, daß derjelbe Minifter die Aufficht über 
beide führte. Das finanzielle Ergebnis war durchaus günftig, der jährliche Rein- 
gewinn ftieg, troß einer ſchweren Krifis zu Anfang der achtziger Jahre, bis zum 
Ende der Regierung auf 1624711 Thaler. Der König war unabläffig bemüht, 
die Erträge durch Verbefjerung des im Lande gewonnenen Rohſtoffes zu fteigern; 
während des amerifanijchen Unabhängigfeitskrieges, als die Zufuhr aus Virginien ,, , L 
ftodte, gewann der einheimiſche Tabakbau eine beträchtliche Ausbreitung, die ſich 77a * et / 
bald als ſtarke Ueberproduftion herausitellte. Viel hätte der König darum ge: «« α Ins; 
geben, wenn e& gelungen wäre, bie virginiihen Blätter für die Fabrikation voll: 
wertig zu erjegen. Er habe die dee, ſchrieb er am 16. Januar 1780 an den 
Chemiker Ahard, „ob es möglich fei, eine ſolche Sauce zu erfinden, die auf 
feine Weiſe ſchädlich iſt und dennoch den hieſigen Landblättertabat dergeitalt 
verbefjern kann, daß ſolcher dem virginifchen, wo nidht in totum, jo doch in 
tantum an Bonite gleihlöümmt”. Aber das Ergebnis der angeftellten Verſuche 
bereitete ihm eine große Enttäufhung. Nach einem Bericht der Generaltabaf- 
abminiftration vom 27. Juli 1782 hatten von 1180 eingefandten Proben außer 
34 alle übrigen feinen Vorzug vor dem ordinären Zandtabaf, und die 34, „ungeachtet 
fie dem äußeren Anſehen nad gute Miene machten“, ſchienen doch nicht geeignet, 
ohne Nachteil des Abjates unter die aus virginiihen Blättern hergeftellte Ware 
gemiſcht zu werben, „weil fie zum Teil den jchlehten Landblättergeruch, teils einen 
ihnen eigenen Geruch hätten, der mit dem virginifchen gar nicht übereinfäme”. 





392 Achtes Buch. Zweiter Abfchnitt. 


ä H L Erit 1781 wurde als Seitenftüd zu der Tabafabminiftration die jtaatliche 
ug 70 Rafjeeregie geichaffen. In diefem alle bezwedte das neue Monopol aus: 
geiprodenermaßen, einen erft feit einem Menſchenalter zu größerer Verbreitung 
‚JL.ÄAs 7 ‚gelangten Zurusgegenftand, eine „dem Vorteil des Staates höchſt ſchädliche 
Delikateſſe“, ſtracks zu bekämpfen: „daß nicht alle Maurer, Mägde und der— 
gleichen von ihrer Hände Arbeit ſich nährende Perſonen Coffée trinken ſollten“. 
— Nicht genug, daß eine Summe von mindeſtens 700000 Thalern jährlich aus 
dem Lande gehe, werde auch die heimiſche Bierbrauerei durch dies neumodiſche 
Genußmittel „abſcheulich heruntergebracht“. „Se. Majeſtät find Höchſtſelbſt in 
Bar rn Dero Jugend mit Bierjuppe erzogen, mithin können die Leute dorten ebenjogut 
mit Vierjuppe erzogen werben, das ift_viel gefunder als ber Coffee”, fo beſchied 
der König die pommerjhen Stände auf ihre Vorftellung gegen die fisfalifche 
Verteuerung des ſchwarzen Naſſes. Die Errichtung ftaatliher Kaffeemagazine 
und Brennereien, die Beitimmung, daß niemand ohne befondere, nur den Standes: 
perionen erreihbare Erlaubnis rohe Bohnen faufen und felber brennen durfte, 
Mk fund endlich die Feitjegung des ſchier unerſchwinglichen Preifes von einem Thaler für 
das 8 Pfund, das waren die Waffen, mit denen der Kampf zugleich gegen ben 
Konfum und gegen die Rontrebande aufgenommen wurde. Vielleicht würde auf 
diefem Wege der Kaffee aus der Haushaltung des gemeinen Mannes und des 
Mittelftandes bald ganz verdrängt worden fein, um durch jchauerlihen Sud er: 
jegt zu werden. Dabei aber hätte nun wieder der Staatsjädel feine Rechnung 
nicht gefunden; ſchon flagten de Yaunay und feine Leute über den Nüdgang 
ihrer Einnahme aus dieſem Zweige der Beiteuerung. So ſetzten fie zweimal 
eine Ermäßigung des Tarpreijes durch, bis das Pfund nur nod einen Drittel: 
thaler foftete. Nun ſtieg die Einnahme, aber der allgemeine Hab gegen die 
ganze Einrihtung und ihre Werkzeuge, die in alle Küchen und alle Töpfe hinein— 
ihnüffelnden Aufpafler, blieb, und nichts hat der Verwaltung des Königs 

foviel Mißgunſt eingetragen, wie diefe „Kaffeeriecherei“. 


⸗ 4 
Lech a' 





Fr Die Errihtung einer Lotterie hatte Friedrich ſchon vor dem Siebenjährigen 
ur 4 2 Kriege ins Auge gefaßt, um den Gewinn, der durch die Einſätze preußifcher 
rg: Unterthanen auswärtigen Auslofungen zufloß, in bie eigenen Kaſſen zu Ienten. 


Unmittelbar nah dem Kriege nahm der Plan Geitalt an. Auf den Vorjchlag des 
uns ſchon befannten Livorneſen Calzabigi,') nad dem Borbild des in Italien und 
den öſterreichiſchen Landen eingebürgerten Zablenlotto geichaffen, demnächſt mit der 
noch heute beitehenden Klafjenlotterie holländischen Mufters verbunden, anfangs 
vom Staate in Selbitverwaltung betrieben, dann an Galzabigi und Genoſſen, und 
nad) deren Rüdtritt an die Etatsminifter Graf Reuß und Graf Eidjtedt verpachtet, 
trug dies Unternehmen dem Staate zu Ende der Regierung einen Pachtzins von 
75000 Thalern ein, gegen den anfänglichen Betrag von nur 25000 Thalern. 
Mit der Einrichtung einer bejonderen Behörde für die Zoll: und Aceiſe— 
verwaltung und mit der Abzweigung der Tabafadminiftration, der Kaffeeregie 
und der Lotterie von der allgemeinen Finanzverwaltung, ift die Zahl der organi- 
‚Tatorifchen Aenderungen der Periode nah 1763 noch nicht erſchöpft. 


) Oben ©. 358. 


Verwaltungsreformen und Schub der nationalen Nrbeit. 393 


Die alten vier Provinzialdepartements?) verringerten fi auf drei, als Claes — 
der König 1766 dem von ihm jo hoch gejhägten dirigierenden Minifter des »,,.,. u... 
dritten Departements, Hagen,”) zu feinem die weſtdeutſchen Landesteile Kleve, ;, une: 
Mark, Geldern, Mörs und Dftfriesland umfaſſenden Sprengel noch das vierte 
Departement mit Halberftadbt, Minden, Ravensberg, Tedlenburg, Lingen zu: 
teilte. 1771 wurde aud) das Herzogtum Magdeburg, bisher mit der Kurmarf 
verbunden, zu diefem nunmehr alle linfselbifchen Provinzen außer der Altmark 
vereinigenden Departement geſchlagen; nach Hagens frühzeitigem Tode folgte ein 
früherer Offizier, jener Freiherr v. Schulenburg:Ktehnert, der, lange Zeit hoch: 
angejehen, 1806 durch feinen Anſchluß an die fremden Ueberwinder ſchweres 
Aergernis gegeben hat. Inzwiſchen war die alte Vierzahl 1769 wiederhergeftellt 
worden: das erjte Departement wurde in der Weiſe zerlegt, daß der Miniiter 
Blumenthal nur Pommern und die Neumark behielt, die Kammerbezirte Königs: 
berg und Gumbinnen dagegen Maſſow übernahm, der dafür fein bisheriges 
Departement, das kurmärkiſche, an Friedrich Wilhelm v. Derihau abgab. 

An der damit eingetretenen Verteilung der Provinzen ift zu Friedrichs 
Lebzeiten nichts mehr geändert worden. Das preußiſch-litauiſche Departement 
erhielt nah Mafiowms Tode der Magdeburger Kammerpräfident v. Gaudi, wieder 
ein ehemaliger Offizier, das furmärfifhe in Verbindung mit der Salzvermaltung 
und dem Generalpoftmeifteramt nah Derihaus Tode 1779 Friedrich Gottlieb 
Michaelis, der als Ariegsrat in Breslau, dann als Direktor der kurmärkiſchen 
Kammer und zulett als Geheimer Finanzrat zahlreihe Sonderaufträge zu des 
Königs großer Zufriedenheit gelöft hatte, der einzige bürgerliche Minifter Friedrichs 
des Großen. Als Michaelis jhon nad zwei Jahren ftarb, berief der König 
einen Landrat aus dem Magdeburgiichen, der ihm auf jeinen Befichtigungsreifen 
gefallen hatte, den nachmals als Freund Wöllners ftarf angefeindeten Minifter 
v. Werder. In den beiden anderen Provinzialdepartements haben die 1763 und 
1771 ernannten Minifter Blumenthal und Schulenburg ben König überlebt. haus Beford- 

Neue Realdepartements entftanden, außer dem für Acciſe und Zölle, 1768 * 
für_das Bergwerfs: und Hüttenwefen, zunächſt unter Hagen, dann unter Waityr, nr: 2 
v. Eſchen) und zulegt unter dem Freiherrn v. Heinig, jowie 1770 für die Forft- 
verwaltung unter dem eben genannten Freiherrn von der Schulenburg:Kehnert. Inf 
Wie das Accifedepartement, erftredte fi auch die neue Bergwerfsverwaltung 3: becrt 
über die ganze Monarchie einſchließlich Schleſiens. Heinig befürmwortete die 
gleiche räumliche Erweiterung für das ältefte der Realdepartements, die Abteilung \ 
für Manufafturen und Kommerzien; hier aber wie in der Salzverwaltung ließ 
der König die Scheidung zwiſchen Alt- und Neuland beſtehen. 

Dieſes älteſte Realdepartement, amtlich ſtets als das fünfte Departement Tr. mer 2 * 
des Generaldirektoriums bezeichnet, trat Ende 1767 noch mehr als bisher aus 2, une 
dem Rahmen der Gejamtbehörde heraus, indem der König verfügte, daß die 
Manufaktur: und Fabritenangelegenheiten überhaupt nicht mehr vor das Plenum 





') 8b. I, 350. 
’) Dben ©. 359. 384. 
) Bal. Bd. I, 437. 


Ne — V 


394 Achtes Buch. Zweiter Abſchnitt. 


gebracht werden ſollten. Doch wurde für gewiſſe Fälle der Zuſammenhang mit 
dem Geſamtkollegium wiederhergeſtellt, für andere blieb er immer erhalten. 
Jahrelang unter der perfönliden Einwirkung des Königs von einem „dirigieren: 
den” Geheimen Finanzrat, dem Schweizer Fäſch,) verwaltet, wurde jegt dieſes 
fünfte Departement wieder einem Minifter anvertraut, demjelben Freiherrn von 
der Horft, der im Accifedepartement den Vorfig führte. Ihm zur Seite ftanden 
mit Befugniffen, die über die Stellung eines vortragenden Rats hinausgingen, 
für Fabrikſachen noch jener Fäſch, und als commissaire general de commerce 
der uns ſchon befannte Freiherr v. Anyphaufen, dem für dieſe Aufgabe die auf 
den Gejandtfchaitspoften zu Paris und London gefammelten Erfahrungen zu 
gute famen. Beide traten zurüd, als Horfts ebenjo unbedeutender und unzu— 
verläffiger wie anfpruchsvoller Nachfolger, der Sohn des alten Minifters Görne, 
jeine Gehülfen ſich ftraffer unterzuorbnen juchte. Diefer Görne nahm ein Ende 
mit Schreden, er wurde abgejegt und wegen Veruntreuung öffentliher Gelder 
zu Feftungshaft verurteilt. Aber auch feine Mitarbeiter verdienten fih feinen 
Dank. Die Anftellung eines neuen vortragenden Rats lehnte der König 1776 
mit dem ungnäbigen Beicheide ab: „ch babe noch nicht gejehen, was alle die 
Rats des ganzen fünften Departements fonderliches geleiftet haben.“ Und noch 
1782 wiederholte er die Klage, daß er mit dem Gejchäftsbetrieb bei diefer Be- 
börde gar nicht zufrieden jei. 

Die aus inneren Gründen gegebene Perjonalunion zwiſchen dem vierten 
und fünften, dem Accife: und dem Fabrifendepartement, die unter Horſt ge: 
ſchaffen und unter feinen Nachfolgern Görne, Bismard und Heinig beibehalten 
wurde, verlor dadurd an Bedeutung, daß in der Hccifeverwaltung der Minifter, 
wie wir fahen, einen wirklihen Einfluß auf die Regieangelegenheiten nicht hatte, 
jondern bier im wejentlihen nur mit ber Beſchaffung handelsitatiftiicher Nad- 
richten und Verfehrstabellen und mit der Aufftellung der Handelsbilanz befaßt war. 
Doch hat Horft noch verftanden, fich dem herriſchen und geichäftsfundigen Regie: 
direftor de Launay gegenüber einigermaßen zu behaupten. Horſt bejaß die per: 
ſönliche Gunft des Monarchen und wußte fie ſich durch eine eigentümlihe Miſchung 
von Gejchmeidigfeit und Freimut zu erhalten; er erzählte gern, daß der König 
einmal von ihm gejagt habe: „Horit ift ein ganz eigentümlicher Mann, wenn 
ih ihm den Kopf gewafchen habe, fordert er eine Audienz.“ Auch als er 1774 
jein Amt niederlegte und fi auf fein weitfäliihes Gut zurüdzog, blieb er 
in Gnaben fund ward noch wiederholt als Gaft und Tiihgenofie in Potsdam 
gejehen. Im Gegenfag zu den fisfaliihen Geſichtspunkten de Launays, der aus 
Bejorgnis vor Ausfällen an der Accife den Ausschluß weiterer fremder Fabrikate 
von dem heimifchen Markt oft ungern ſah, vertrat Horfts Departement zu 
Gunften der Induſtrie die rüdjichtslofe Schußzolltendenz. Zwiſchen beiden Rich: 
tungen vermittelte der König, wie uns gejagt wird, „immer mehr im Sinne 
des Gewerbeſchutzes, ala der Fisfalität”. 

Als zu Beginn der achtziger Jahre Heinig zweimal auf fürzere Zeit ver- 
tretungsweife das vierte und fünfte Departement leitete, verfuchte er, die handele: 


) 8b. I, 427. 


Berwaltungsreformen und Schutz der nationalen Arbeit. 305 


politiihen Gefichtspunfte gegen de Launay ftärfer zur Geltung zu bringen. Aber 
dieſes Mannes Stellung hatte ſich inzwifchen jo befeftigt, daß der König bei 
der „Minifterrevue” am 16. Juni 1783 mit Heinig über die Angelegenheiten 
des Nccifedepartements überhaupt nicht ſprach, um, wie Heinig meinte, den 
Negiedirektor nicht zu verlegen; der Minifter erlaubte fich deshalb tags darauf 
in einem jchriftlihen Bericht die Bemerkung: „Die gegenwärtige Arbeit des 
Minifters von vierten Departement befteht eigentlih nur darin, Eurer Majeftät 
alljährlich die Ertrafte und Rechnungsberichte vorzulegen.” 


Wie König Friedrih die Aufgabe des Induſtrieſchutzes auffaßte, hat er 
feinem franzöſiſchen Regiechef, als de Launay wieder einmal im Intereſſe feiner 
Aecifeeinnahmen vor prohibitivem Webereifer warnte, eingehend dargelegt: „ch 
probibiere, jo viel ich kann, weil dies das einzige Mittel ift, dab meine Unter: 
thanen ih dasjenige jelbft maden, was fie nicht anderswoher befommen können... 
Wollte ih meinen Unterthanen geftatten, fremde Fabrikwaren, die freilich Tehr 
nah ihrem Gejhmad fein würden, einzuführen, was würde in kurzer Zeit aus 
ihnen werden, da der Luxus in allen Ländern überhand genommen bat und 
heutzutage die geringite Magd einen Seidenfaden an ſich haben will? Sie 
würden bald alles Bargeld ausgegeben haben, was ſie für Wolle, Leinwand 
und Holz, unſere einzigen Ausfuhrartikel, einnehmen.” Aber dieſer der merkanti— 
liſtiſchen Schulweisheit entnommene Grundſab, daß man das Geld nicht außer 
Landes gehen laſſen dürfe, leitete ihn nicht ausſchließlich; es entging ihm nicht, 
welchen Segen, welche befruchtende Wirkung und ſchöpferiſche Kraft die Arbeit 
als ſolche in ſich birgt. Durchs Arbeiten, war ſeine Rede, lernt man Geld ver— 
dienen, Geld behalten und macht ſich dem Gemeinweſen nützlich. Der Wert 





der Arbeit ſollte den Mangel an natürlichem Reichtum erſetzen, in dieſem Lande, 


deſſen Kargheit der Monarch ſeinem Regiedirektor in den lebhafteſten Farben 
ſchilderte: in dieſem Lande ohne Gold- und Silberminen, mit ſeinem ſandigen 
Boden und ſeiner tnappen U Weide, mit ſeinem kleinen, mageren Vieh und ſeinem 
geringen Wachsſstum ſauren Landweines. „Mein Volk muß arbeiten und würde 
faul werden, wenn die Induſtrie feinen geficherten Abjag hätte... Wir wollen 
uns beide beeifern, meinen Unterthanen die doppelte Kunſt zu lehren: ihr Geld 
zu jperen und Geld zu verdienen.” Er ſprach von der „Lehrzeit” (apprentis- 
sage) jeiner Unterthanen, während der es gelte, ihnen zu Hülfe zu kommen. 


Er gab zu, daß die Leiftungen zunächit noch gering feien, aber „Zeit, Gewohn— 
heit und das eigene Intereſſe, es beffer zu machen”, würden nachhelfen. Er be: 
rief fih darauf, daß ein einziger Fabrifant_ 1200 Menſchen in Nahrung jegen 
fönne, ein Handelsmann faum zwölf. | 5 
In dieſem Sinne fagte de Launay nad) des Königs Tode kurz und richtig: 
„Friedrich der Große hat die Induſtrie beſchützt, weil ſie ſeinem Volke Be— 


ihäftigung gab.“ 





Wir kennen bereits die wichtigſten Zweige der damaligen preußifchen Sn: - 


duftrie. Alle hatten fie unter den Stürmen der Kriegszeit gelitten, alle galt 
es nicht bloß wiederaufjurichten, jondern, wenn es anging, zu erweitern und zu 


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396 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


vermehren.!) Auch die Accifereform von 1766, unter anderen Gefichtspunften in 
Angriff genommen, jollte mit ihrer jchärferen Grenzhut nebenbei auch dem In— 
duſtrieſchutz dienen. 

Wenn bald nah dem FFriedensichlufie eine Statiftif des Beftandes an 
Fabrifen aufgenommen worden war, ?) jo wurde nun fort und fort auf die 
Ausfüllung der Lüden Bedacht genommen. Der Blid des Monarchen umipannte 
das Größte und das Kleinſte. Eine Papierfabrik joll angelegt werden, und es 
ericheint fraglid, ob der erforderliche Vorrat an feinen Lumpen aufzutreiben jein 
wird. Friedrich verfügt: „Bier im Lande ift der üble Gebraud, daß die Dienit- 
mägde jowohl in den Städten als auf dem platten Lande die beften Zumpen 
zu Zunder verbrennen, um Feuer anzumadhen; hiervon muß man fuchen, die 
Leute zu entwöhnen, und müfjen in der Abficht diejenigen, jo die Lumpen ein: 
jammeln, mit S Shine en verjehen fein, die fie den Mägden vor Lumpen geben, 
womit fie ebenjogut ald mit dem Zunder Feuer anmadhen können.” Die Be: 
gründung einer neuen Fabrik für Baummollenftoffe und oſtindiſche Tücher wird 
ihm vorgeichlagen; der König entgegnet, der Baummollenfabrifen würden zum 
Schaden der eigenen Zandesprodufte bald zu viel werden, und wirft die Frage 
auf: „Und wozu find auch oftindifhe Tücher nötig? Die Leute haben fich fo 
lange mit leinen Schnupftüchern beholfen, und das gereicht doch zum beiten 
unjerer Zeinenfabrifation.” Er beobachtet, daß kleine Heiligenbilder bei dem 
fatholifhen Volk jehr begehrt find, und befiehlt deshalb, ſolche möglichit wohlfeil 
berzuftellen, zuvor aber Erfundigung darüber einzuziehen, „welche Heiligen die 
Leute am liebiten hätten, die müßten am meiften gemadt werden”. 

Da wo das Privatlapital für Anlage und Betrieb neuer Fabrifen nicht 
zureichte, half der Staat mit Prämien oder unmittelbaren Geldzuſchüſſen aus, 
die man treffend mit den Bürgjchaften gegen etwaigen Zinsausfall verglichen 
bat, wie fie in einer jpäteren Periode von Staats wegen bei der Anlage der 
eriten Eifenbahnen gewährt wurden. „Man weiß doc ein für allemal,” erklärte 
der König im Sommer 1779 dem Minifter Michaelis, „daß, wenn in meinen 
Staaten etwas die Kräfte meiner Unterthanen überjteigt, e& mir obliegt, die 
Koften zu übernehmen, und fie weiter nichts zu thun haben, als die Früchte 
einzufammeln.” Es war die Zeit, von der Friedrich Nicolai zurüdblidend ſagte: 
Jeder Unternehmer nüglicher Fabrifen und Manufakturen konnte fih den er: 
ſprießlichſten Beiſtand verfprechen. 

Mittelpunkt aller induſtriellen Anlagen blieb die Hauptſtadt. Anderwärts 
pflegte der König für den Bau von Fabriken nur Unterſtützungen zu bewilligen; 
in Berlin und in Potsdam baute er ſie durch das Hofbauamt auf Staatskoſten 
und jchenkte fie dann den Fabrikanten. Nicht weniger als neun Millionen 
Thaler find für dieſen Zwed von 1763—1786 in Berlin aufgewendet worden, 
obgleich die Koſten im einzelnen Falle 6—7000 Thaler nicht überiteigen jollten, 
denn der König erklärte, „daß es meine Intention nicht ift, den Fabriken-Entre— 


geneurs jozufagen Palais bauen zu lajjen“. Die Zahl ber Berliner Gewerbe: 





!) Val. Bd. I, 429—438. 
?) Oben ©. 378. 


Berwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 307 


treibenden betrug vor dem Kriege 18709; 1765, nachdem die Unbilden der Amt: 
Kriegszeit ſchon einigermaßen :verwunden waren, 18411; aber die Zahl der 
jelbitändigen Betriebe war von 10062 auf 8866 zurüdgegangen, während die 
der abhängigen Arbeiter von 8647 auf 9545 geitiegen war. Um die Wende at op y 
bes Jahrhunderts war faſt jeder vierte Berliner ein Gewerbetreibender, während m 
729 exit auf 9—10 Einwohner ein folder gefommen war; jo ganz hat Berlin 
in diefen 70 Jahren den Charakter der Ackerſtadt abgeftreift. Man berechnete RB AU) 
im „Jahre 1786, daß von der Warenerzeugung der Monarchie dem Werte nad — 
faſt ein Drittel auf die Hauptſtadt entfalle. 

So ſehr der Siebenjährige Krieg im allgemeinen den Gewerbefleiß lähmte, a) 
bat er doch eine einzelne Induſtrie, die in der Folge zu großer Blüte gelangte, Arcellaru 
neu entitehen laſſen. Die 1751 angelegte Porzellanfabrit von Wegely batte 
ihren Betrieb nod während des Friedens wieder eingeſtellt. Nun bot fi 
während der Beſetzung von Sachſen Gelegenheit, den Meifnern ihr Geheimnis 
abzujehen. Der_raftlofe Gotzkowsky errichtete in Berlin jeine Fabrik am Ende 
der Leipziger Straße und fonnte ſchon während des Winters auf 1762 einige 
Probeitüde im föniglihen Hauptquartier vorlegen. Bald nach dem Friedens— 
ihluffe faufte der König von dem Begründer anläßlich feines Bankbruches) die 2 
neue Anlage für 225000 Thaler und wandte ihr nun feine unausgejeßte per: — 
ſönliche Aufmerkſamkeit zu; wie oft, wenn er aus Potsdam in die Hauptſtadt 
fam, hat er nicht feiner geliebten Fabrik einen Beſuch abgeltattet. Im Frühjahr 
1764 bejchäftigte fie bereits 507 Arbeiter und übernahm Aufträge aus Holland 
und Rußland, und der König glaubte in der Freude über das Gelingen ihren 
Erzeugnijlen vor dem Meißner Porzellan den Vorzug geben zu ſollen; Fremde 
freilih bemängelten den bläulihen Ton der Berliner Ware. Zur Erhöhung 
des Abſatzes diente das über ausländiiches Fabrikat verhängte Einfuhrverbot, der 
reihlihe Gebraub, den der König zu Gejchenfszweden von diefem Gegenitande 
machte, und die den Juden auferlegte Verpflihtung, bei Eheſchließungen Berliner 
Porzellan in bejtimmtem Betrage abzunehmen. 

In dem wichtigſten ber älteren Jnduftrien, der_Tucfabrifation, in der — Aeik: 
mit der Reſidenz die Landftädte, voran die neumärlifchen, mwetteiferten, wurde 
ihon im erſten Kriegsjahr über den Stillſtand des Geſchäfts und die Nötigung 
zur Herabjegung der Löhne und zur Entlaſſung von Arbeitsfräften geklagt. 
1765 waren in Berlin 3683 felbftändige Betriebe im Gange, gegen 5251 von 
1755; die Zahl der abhängigen Arbeiter war von 2964 auf 3448 geftiegen. 
Das Wieberaufblühen dieſer Induſtrie in den Friedenszeiten läßt die Berliner 
Berufsitatiftit von 1786 _erfehen: fie verzeichnet 7683 Meifterbetriebe mit 6014 
abhängigen Arbeitern. In der Neumark waren 1779 31000 Wollarbeiter thätig, 
in Rommern dagegen nur 800. Im m Magdeburgiſchen galt jhon 1760 der Zu: 
ſtand der Wollfabrifen wieder als ‚befriedigend; im folgenden Jahre wurden 
dann noch 100 deutiche und polnische Tuchmaderfamilien in diefer Provinz an: 
geliedelt. In Schlefien hatte jich im Kriege die Zahl der Meilter von 3519 auf 
3090 verringert; an vielen Orten war, wie der König 1763 auf jeiner Rund- 








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') Oben ©. 336. 


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308 Achtes Buch. Zweiter Abichnitt. 


reile feititellte, faum die Hälfte der Tuhmader von 1756 noch vorhanden; er 
machte es den Behörden dringend zur Pflicht, Fabrifanten aus Sadjen und Ar: 
beiter aus Defterreih und Polen heranzuziehen, und Schlabrendorff als Haupt 
der Provinz ließ es an Eifer nicht fehlen. Ihm vor allem hat in dieſem Lande, 
deiien Bewohner lange Zeit fih in das aus jchlefiiher Wolle zu Aachen oder 
Leiden gefertigte Tuch gekleidet hatten, die Wollenmanufaltur ihren Auf: 
ſchwung zu danfen gehabt; auf jeine Anordnung wurden jet Spinnſchulen ein: 
gerichtet, die Knechte auf dem Lande jollten nicht heiraten dürfen, ehe fie jpinnen 


fönnten, und feine Erfahrungen aus Pommern jagten ihm, daß es des Zwanges 
nicht lange bedürfen werde. Das jetzt aud auf Schlefien ausgedehnte Verbot 


/4j der Wollausfuhr und Wolldurhfuhr verfehlte feine Wirkungen auf die öfter: 


reichiſchen und ſächſiſchen Fabriken nicht. Das Tuchreglement für Schleſien und 


re) Glatz von 1765 verband den Hauptinhalt der alten Innungsartikel mit tech— 


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niſchen Anleitungen und Vorſchriften für die Fabrikation. Erſt jetzt begann in 
dieſer Provinz ein Betrieb modernen Stils, indem leiſtungsfähige Häuſer zur 
Anlage größerer Fabriken nach dem Muſter der Berliner und Potsdamer an— 
gehalten wurden ; bisher hatte der ſchleſiſche Kaufmann, wie Schlabrendorff ſchalt, 
in der Tuhmanufaltur nichts anderes gethan, „ald nur darauf zu raffinieren, 
wie man dem armen Tuchmacher jeine Tücher abpreiien und faum das liebe 
Brot darauf laſſen möge”. 

Dank den Bemühungen des Königs und des Minifiers ftieg der jchlefiiche 
Tucderport von 1763— 1769 von 49143 Stück auf 07290, Nach weiteren 
act Jahren beziffert Friedrich in einem Briefe an Voltaire den Wert diejes 
Ausfuhrzweiges für Sclefien auf 1200000 Thaler, und an nahm 1783 
1234 000 Thaler an. Den Wert der Leinenausiuhr, w es ganzen 
Staates, bemaß der König 1777, allerdings zu hoch, F 5 —* Für 
Sclefien allein berechnete Heinitz 1783 vorfihtig nur 3418000, während die 
offiziellen Aufitellungen Jahr für Jahr rund 4 Millionen, für 1785 ſogar 
4:2 Millionen ergaben. Beide Ausfuhrartifel betrachtete der König als die einzigen, 
die in nennenswerter Weile die Gefamthandelsbilang des Staats günftig geitalteten. 

Daß er die jchlefiihe Leinwand noch immer als jein Peru‘) anjah, be: 
weilt jein Wort: er werde in den Bezirken der Leineninduftrie feinen Bergbau 





° dulden, felbit_feinen Bau auf Gold, damit den Bleihen nicht das Holz entzogen 


werde. Um die Lüden des Weberheeres auszufüllen, die der Krieg geriſſen 
hatte, wurde im Auslande faum minder eifrig geworben, als für die Rekrutie— 
rung der Regimenter, und jeder zumandernde Weber erhielt einen Werkituhl ge: 
ſchenkt. Leider blieb das Xos diejer jchlefiihen Leineweber, diefer in allen 
deutihen Landen jo gedrüdten, auch im Volkslied ale armjelig veripotteten 
Zunft, überaus färglih, und es mag ſchwer zu entideiden fein, ob das Ver— 
hältnis der Gutsunterthänigkeit, in der fich die Mehrzahl befand, ungünftiger 
wirkte, oder die Art des Betriebes, die feinen Zuſammenſchluß fannte, jondern 
den einzelnen Weber ohne Kapital und ohne Jntelligenz zum Fabrifanten machte 
und allen Gewinn dem Händler zufallen ließ. 


Bgl. Bo. 1, 430. 


Verwaltungäreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 399 


Sehr nahdrüdlih machte der König in Schleiien den Wunſch geltend, daß 
die adelihen Grundherren und die fatholiihen Stifter Fabriken einrichten jollten. 
Einige Standesherren gingen mit gutem Willen voran, ohne viel Nachfolge zu 
finden, und die unbebeutenden induftrielen Unternehmungen einzelner Klöjter 
erwiefen fi) doch bald als verfehlte Anläufe, die man nur dem Herricher zu 
Gefallen ihr kümmerliches Dafein von Jahr zu Fahr binjchleppen ließ. ’ se { 

Das Schoßkind der ftaatlihen Fürforge und Nachhülfe blieb bie unge 9 ; 
Seiden: und Sammetinduftrie. Man hat berechnet, daß Friedrich während feiner 
Regierung für_diefe Jnduftrie_in runder Summe 2 Millionen Thaler ausge: 2,000, 
geben hat, das Vierfache der den übrigen neuen Fabrifanlagen in der Kurmarkt SAuıt. 
zugewandten Unterjtügungen. Der Krieg batte aud bier feine vollitändige 
Stodung, jondern nur eine zeitweilige Einfchränfung der Produktion eintreten 
laffen. Gleich im eriten Friedensjahre entitanden einige neue Unternehmungen, 
darunter die beiden erjten Anlagen, die an bie Stelle der Hausinduftrie den 
fabrifmäßigen Betrieb fegten: die Taffetfabrifen zu Frankfurt a. DO. und Köpenit. 
Berlin zählte 1766 ſchon wieder an 500 Stühle, ftatt der 400, die zehn Jahre 
vorher gearbeitet hatten. Aber da der Abjag ſich nicht in gleihem Maße 
fteigerte, jo führte das genannte Jahr eine ſchwere Krije herauf, in der nur 
das Eingreifen des Staates retten fonnte, Unterftügung der brotlos gewordenen 
Arbeiter aus öffentlihen Mitteln, und eine Reihe von Maßnahmen zur Be: 
lebung des Geſchäfts: eine nicht unerhebliche Erhöhung der ſchon bisher ge: 
währten Bonififationen; eine außerorbentlihe Prämie von zehn Prozent auf 
größere Verkäufe, welche die Fabriken in den Stand jegte, den Abnehmern einen 
entiprechenden Rabatt zu gewähren und fo die aufgeitauten Lager leichter zu 
räumen; endlich die nach erhebliden Schwierigkeiten geglüdte Einrichtung eines 
Seidenmagazins, das bei wachjendem Umjat mit erhöhten Mitteln ausgeftattet 
wurde, den Fabriken den Bezug des Rohſtoffes erleichterte und Preisſchwan— 
fungen vorbeugte. Diefer Reform folgte, von einem vorübergehenden Nüdichlage 
im Jahre 1775 abgejehen, ein andauernder Aufſchwung. Mit der Zunahme 
des Umſatzes fonnten die Bonififationen allmählich; wieder berabgejegt werben. 
1785 erzielten in Berlin und Potsdam 2935 Stühle einen Ertrag von rund 
2 Millionen Thalern; ungefähr der dritte Teil der Ware wurde in die Fremde 
abgejegt. Bon dem zur Verarbeitung gelangenden Rohmaterial wurde im eigenen 
Lande jegt mehr als ein Siebentel gewonnen: 1784 13500 Pfund im Wert 
von etwa 54000 Thalern, freilich nur zur Verwendung in gröberen Geweben 
völlig geeignet. Vor allem aber: ein umfichtiger, Euger, leiftungsfähiger Unter: 
nehmerftand, eine fleißige, geſchickte, ſtrebſame Arbeiterihaft waren gerade in 
der Schule der Seideninduftrie herangebildet worden. Dieje Berliner Induſtrie 
war darauf vorbereitet, im nächſten ‚Jahrzehnt, als in dem altberühmten Lyon | 7 
unter dem Schrecken der Jakobinerherrſchaft Betrieb und Geſchäft darniederlagen, / 
vorübergehend den Weltmarkt zu bedienen. Schon jest war die Konkurrenz der) 
ſächſiſchen Seidenfabrifen zurüdgedrängt, die der hamburgiiden aus dem Felde 
eſchlagen. 

Auch gegen den Wettbewerb der älteren einheimiſchen Seideninduſtrie 
wurde den Berliner Unternehmern von Staats wegen Schutz gewährt. Bald 


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400 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


nah Einführung der Negie wurde 1768 in den mittleren und öſtlichen Bro: 
vinzen der Monardie die Einfuhr von Maren aus den Gebieten wejtlich der 
Weſer allgemein verboten. Den Anlaß gab die Unmöglichkeit, auf anderem 
Wege die Einfhmuggelung franzöfifher und holländiſcher Seidenftoffe, die ſich 
als Krefelder Fabrikat aufipielten, zu verhindern. Ueberhaupt aber ergab fi 
dies Verbot folgerichtig aus einem Wirtſchaftsſyſtem, das die geographiich zu: 
jammenhängenden mittleren Provinzen als ein abgejchloflenes, einheitlich zu be: 
bandelndes Zollgebiet, ) die abgeiprengten Borlande dagegen als Zollausland 
betrachtete. Die Krefelder Seidenindujtrie ging zwar nicht zurüd, wurde aber 
durch den reißenden Fortſchritt der hauptſtädtiſchen erheblich überholt, *) ber 
Wert der Berliner Produktion war gegen das Ende diefer Regierung dreimal 
größer. Krefeld blieb im wejentlihen auf den Abjag nach dem Auslande, zu: 
mal nad Holland und über Holland nad) Amerifa angewieſen; und um den 
Nachbarn nicht zu Netorfionen Anlaß zu geben, wurde der Zolihug bier in 
diefem abgetrennten Wirfchaftsgebiet der weitlihen Provinzen grundfäglic auf 
mäßiger Höhe gehalten. 

Dagegen follte Oftpreußen, das eine jelbftändige Induftrie no nicht ent— 
widelt hatte, ſich durchaus als Abſatzgebiet für die mittleren Provinzen betradten. 
Daß die Königsberger Kaufleute fich fträubten, Tücher und Wolwaren aus den 
Landesfabrifen zu beziehen, tadelte der König ala ein „Lieblojes” Verfahren und 
unterwarf deshalb den Einfauf ausländifcher Erzeugnifje immer ftärferen Ein: 
ſchränkungen. „Obngeledte Bären find fie noch ein wenig in Stäbtefahen und 
in Manufalturen und Induſtrie gegen polizierte Provinzen,” ſagte er 1780 
von den Djtpreußen. Die Tuchfabrifen in Wormbitten und einigen anderen 
Städten vermodhten nur gröbere Sorten berzuitellen; durch die Hausinduftrie 
der Zeinenweberei wurde nah Mirabeaus Urteil doch jo viel erreicht, daß bier 
nicht wie im benadhbarten Polen drei Viertel der Einwohner ohne Hemd einher: 
gingen. Ein Beifpiel gab der Provinz der Oberpräfident Domhardt, der auf 
feinen Gütern eine Bapiermühle nah Holländer Art und Hammerwerke ſchuf; 
auf die Vermehrung der Ziegelbrennereien, die Anlage von Segeltuchfabriken 
im Intereſſe bes Schiffsbaus wies ihn der König 1781 nachdrücklich hin. 


Memel und und Pillau wurden gegen Ende der Regierung jährlich etwa 20 Schiffe 


vom m Stapel gelafjen. Mittelpunkt diefer Induſtrie war vielmehr Stettin. Aus: 
wärtige Schiffsbaumeilter begannen hier zu Anfang der fünfziger Jahre größere 
Seeſchiffe nah den Negeln der holländiihen Kunft zu bauen. Nah dem Kriege 
wurde an dieje Anfänge wieder angefnüpft. 1765 ftanden 21 Schiffe auf dem 
Stapel, darunter einige nad) Holland und Frankreich zu liefernde große Indien: 
fahrer. Die Werft des Schiffsbaumeifters Duantin auf der „Laftadie” erhielt 
nun zahlreiche Aufträge für auswärtige Rechnung ; bald wurden auch auf Staats: 
foften große Handelsfregatten zum Verkauf an das Ausland erbaut, und feit 
1772 — die neugegründete Seehandlung die Stettiner Werften mit 


) Bd. I, 438. 
) Bd. I, 434. 


Berwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 401 


ihren —— Das — —— ſeine höchſte Blüte während des 
laͤhmte; damals herrſchte — den Heine pommerjchen Werften, zumal in 
Rügenmwalde, lebhafte Thätigfeit. 1782 wurden in ganz Pommern, an 21 Orten, 

99 Schiffe im Gejamtwert von 1 Million Thaler fertiggeitellt; ins Ausland ver: 

kauft wurden binnen ſechs Jahren 113 Seeſchiffe für 872970 Thaler. — 

In einer für die ganze Monardie mit Ausnahme von Schlefien auf: Hemi ha 
geftellten Induſtrie-Statiſtik, die Heinit 1783 dem Könige übergab, erjcheinen die — — 
Seidenfabriken mit 5055 Arbeitern und einem inländiſchen Abjat von 1356702 , 778: 
Thalern, einer Ausfuhr von 531026. Das MWollgewerbe bejchäftigte 39367 Ar:“ 
beiter und jegte im Inland für 3344166, nah dem Ausland für 1601305 
Thaler Ware ab. Die Leinenweberei mit 22523 Arbeitern weiſt als ent: 
ſprechende Abjatjahlen 373506 und 897757 Thaler auf, die Lederfabrifation 
mit 3595 Arbeitern 996614 und 399986 Thaler, die Baummolleninduftrie mit 
4503 Arbeitern 540056 und 106765 Thaler, die der Glas: und Eijenwaren 
mit 8373 Arbeitern 2126675 und 1053844 Thaler. Alle diefe Manufakturen 
mit ihren 83416 Arbeitern und ihrem Abſatz von 13. Millionen verarbeiteten 
einheimifhen Rohſtoff im Werte von 4729660, eingeführten im Werte von 





3470479 Thalern 

Wenn der Minijter Herkberg in der Akademie der Willenjchaften 1785 Haren, . 
am Königs:-Geburtstage den jährlihen Gejamtertrag der preußiſchen Fabrifate 
auf 15 Millionen angab, fo griff er zu niedrig. Die e Zahl von 30 Millionen, } J 
die er im nächſten Jahre an derjelben Stelle nannte, Ta als ſtarke Ue Uebertreibung 
verdädtigt worden, weicht aber, genauer geprüft, von n dem Ergebnis, zu dem 
Heinig unter Ausihluß Schleſiens mit 131. Millionen gelangte, nit allzu er: 
heblich ab; denn von Hergbergs Summe entfallen einmal ganze 11 Millionen 
auf Schlefien, und weiter 4. Millionen auf verjchiedene Fleinere, von Heinit 
nicht herangezogene Induſtrieerzeugniſſe: Tabak, Zuder, Porzellan, Papier, Gold: 
waren, Seife, Talg, Del. 

Die preußifche Induſtrie, jo rühmte Herkberg in der Rede von 1786, 
reihe fi auf ihrer gegenwärtigen Stufe vielleiht unmittelbar der Induſtrie —D 
Frankreichs, Englands, Hollands an, der Mächte, die jeit zwei Jahrhunderten ./ | 
nahezu das Monopol für Manufakturen, Handel und Schiffahrt gehabt hätten: — 
„Wir haben faſt alle erdenklichen Fabriken und Manufakturen, ſowohl für die 
Gegenſtände des notwendigen Gebrauches, wie für die Annehmlichkeiten und den 
Luxus.“ Tuch- und Leineninduſtrie nannte der Redner als die am meiſten zur 
Vollkommenheit gelangten Zweige; die anderen Induſtrien ſeien der Mehrzahl 
nad vorerjt mittelmäßig, würden fich aber mit der Zeit vervolltommnen fönnen, 
wenn man fortfahre, ihnen Aufmerkfamfeit, Hülfe und Schuß jo zuzumenden, 
wie es die Regierung mit wahrhaft verſchwenderiſcher Hand bisher gethan habe. 

Unberüdfichtigt ließen ſowohl Hertberg wie Heinig in ihren Aufftellungen 
die Montaninduitrie, das Gebiet, das durch Heinig für die preußiſche Induſtrie 
erit erobert worden ift. 

Der Freiherr _v. Heinig ift einer der vielen hervorragenden Männer, die 


der preußifche Staat, danf feiner Anziehungskraft auf große Talente und ftarfe 
Kofer, König Friedrich der Große, II. 2. Aufl. 26 

















Hr: ni, » 


402 Achtes Bud. Zweiter Abfchnitt. 


Charaftere, aus der Fremde gewonnen hat. 1725 in Kurſachſen geboren, hatte 
er den Grund zu der vielfeitigen Bildung, die ihn nahmals für die Stelle eines 
Kurators der Berliner Akademie empfahl, zu Zchulpforta gelegt; er hat dann 
in Braunſchweig und in jeiner Heimat, wo er der Schöpfer der Freiberger 
Bergakademie wurde, ſich zum praktiſchen Bergmann ausgebildet und als tüch— 
tiger Berwallungsbeamter bewährt und damals auf Dienftreilen die Bergwerke 
von Schweden und Ungarn bejudt. Nach jeinem Austritt aus dem jächfifchen 
Staatsbienfte benugte er einen längeren Aufenthalt in Frankreich zum theo: 
retijhen Studium der Volkswirtihaft und ſchaffte ſich durch eine Reiſe nad 
England eingehende Kenntnis der dortigen Grundjäge und Veranſtaltungen für 
Bergbau und Hüttenbetrieb. Der König von Preußen jcheint dur die Minifter 
Waitz v. Eichen und Valentin v. Maffow, die beide mit Heinig jeit jeiner braun: 
ſchweigiſchen Zeit in perfönlihen Beziehungen itanden, auf ihn aufmerkſam ge: 
worden zu jein; nad dem Tode des Heilen Waig übertrug er das Bergwerfe- 


— 2 


departement am 7. September 1777 dieſem Kurſachſen. Heinitz gehört zu den 
ſelbſtändigeren Naturen unter den Beratern Friedrichs des Großen. Der junge 
Freiherr vom Stein, der unter ihm, der Nichtpreuße unter dem Nichtpreußen, 
ſeine Schule als preußiſcher Beamter und Bergmann durchmachte und ſeine Ge— 
ſchicke von Heinitz mit „Liebe, Ernſt und Weisheit“ geleitet ſah, hat ihn dank— 
bar als einen der vortrefflichſten Männer ſeines Zeitalters und als das Gegen— 
teil eines mittelmäßigen, ſteifen, in Förmlichkeiten befangenen Vorgeſetzten ge— 


ie, er fon peühmt: „Tiefer religiöfer Sinn, ernftes anhaltendes Streben, fein inneres zu 


” 


| Verebeln, Entfernung von aller Selbitiucht, Empfänglichkeit für alles Edle, Schöne, 
unerſchöpfliches Wohlwollen und Milde, fortvauerndes Bemühen, verdienftvoll 
‚ füchtige Männer anzuftellen, ihren Verdieniten zu buldigen und junge Leute 

| auszubilden, waren die Hauptzüge diejes vortrefflichen Charakters und brachten 

| die jegensreihiten Früchte in dem jeiner Verwaltung anvertrauten Geſchäfts— 
freife.” 

Heinig hat es als jtellvertretender Leiter des Fabrikendepartements mit feinen 
jelbftändigen Ideen bei dem Könige nicht getroffen; in der Bergvermaltung ward 
ihm freierer Spielraum gelajien und dauerndes Vertrauen entgegengebradt. Der 
vornehmfte Schauplat aber feines Wirfens für dieſe Verwaltung, die er nad) 
Steins Ausdrud aus dem Nichts erhob, wurde Schlefien, die Provinz, in der 


« nicht weniger als 24 verſchiedene Mineralien der Verwertung harrten und für die 


der König dur eine Inſtruktion vom 15. Juni 1779, als Heinit dort feinen 
erſten Beſuch abitatten wollte, dem neuen Minifter „alle möglichen Verbeſſerungen“ 
zur Pfliht machte. 
Anlaß zur Errichtung der eriten jtaatlihen Hochöfen in _Schlefien hatte 
753 nicht bloß der Wunſch gegeben, aud in diejer Provinz die Ergänzung 
a zu fihern, fondern zugleich die Notwendigkeit, angelichts 
des öfterreihiichen Prohibitiviyitems den Kampf gegen die alte Eifeninduftrie 
des Nachbarreiches aufzunehmen. „Die Werke jeien nicht dazu da, um ewig 
Bomben zu gießen,“ erflärte der König gleih anfangs; er ſprach die Hoffnung 
aus, daß mit der Herftellung von Guß- und Schmiedewaren, Stahl, Draht und 
Blech der Gewinn ſich erheblich fteigern werde. Der Krieg mit dem vermehrten 


Verwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 403 


Munitionsbebürfnis jhaffte den Werfen zwar große Aufträge, hemmte aber im Z,%. — 
ganzen doch ihre Entwickelung; während der ganzen ſieben Jahre haben die 


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Zeit ſowohl die Anwerbung geeigneter Meiſter, wie die Beſchaffung des Rohſtoffs, 
bis ſeit 1768 ergiebigere Erzlager entdeckt wurden. Bald nach dem Kriege fühlte 
man ſich ſtark genug, um die Einfuhr von Roheiſen und Rohſtahl aus Oeſter— 
Eingangszoll von 30 Prozent des Wertes gelegt; ſie ganz auszuſchließen, konnte 
man noch nicht verſuchen, da die von dem Grafen Poſadowsky 1764 zu Peis— 
fretiham bei Toft angelegte Senjenfabrif nicht in die Höhe kam. 

Zweifellos fehlte es den jchlefifchen Hütten anfänglich an geeigneter Lei: 
tung. Der Oberforjtimeifter Rehdang, der in die Breſche treten mußte, klagte 
nahmals, er habe Baumeifter und ingenieur, Artillerift und Mechanikus, Schmelzer 
und Förmer, Bergmann und Kohlenſchwehler in einer Perſon fein müſſen. Der 
enticheidende Umſchwung erfolgte erit, als die Hütten auf Heinigens Veranlaſſung 
der Ichlefiichen Kammerverwaltung entzogen und dem Berg: und Süttenbeparte: Hana 
ment übergeben wurden, und als der Freiherr v. Reden an die Spite des 
Breslauer Bergamtes trat. Heinig ftellte dem König auf Nedens Gutachten vor, 
daß die Eifenerze Oberfchlefiens mächtig genug ſeien, um ſämtliche Werke der 
Monarchie auf unabjehbare Zeiten mit Schmelzmaterial zu verjehen, und der 
König genehmigte, daß die Mark und Pommern aus einem in Berlin anzu— 
legenden Haupteifenmagazine ausschließlich mit ſchleſiſchem und Harzer Eifen ver: 
ſorgt werben follten. Die Einfuhr ſchwediſchen Eifens wurde am 4. November 1779 


verboten ; me die Druning Breuben Sich Hm aafae. die wegen ihrer Ent: 
fernung den Eifenbedarf aus Schlefien ſchwer beziehen fonnte und ohnehin mit 
ihrer Ausfuhr an Korn und Holz eine günftige Handelsbilan; im Werfehr mit 
Schweden erzielte. Das alte Vorurteil gegen die Feſtigkeit des jchlefiichen Eifens 
wurde endlich überwunden. Verſuche vor den Augen von Artillerie-Offizieren er: 
wieſen, daß die ſchleſiſchen Barren ſchwerer fich zerreißen ließen als die ge: 
rühmten ſchwediſchen: hatten doc die Potsdamer und Spandauer Gewehrfabrifen 
bisher ausjchließlih ſchwediſchen Stahl verarbeitet. Nun forderte der König RER 
von den Xelteften der Breslauer Kaufmannſchaft die Anlage einer Stahlfabrit, At Fa m 
„um dem Lande die dur die Einfuhr fremder Stahl: und Eijenwaren er⸗ . 
wachſenden Nachteile zu erſparen“. So entſtand ſeit 1785 an der Malapane 
die Tabrik Königsfeld mit ihrer großen Zukunft — aus Eleinen Anfängen, denn 
der König mahnte die Unternehmer, „die Sade nicht mit eins jo groß zu bes, 
treiben und fo reinzuplumpen, jondern nur ganz ins feine damit anzufangen) 
und erit zu ſehen, wie die Sache reüjfieret”. 

Heinig berechnete 1785 den Gewinn der Handelebilanz jeit dem Verbot 
des ſchwediſchen Eijens im ganzen auf 507786 Thaler, obgleich zunächſt noch 
Einfuhrpäfje für diejes Material erteilt wurden, um der von den Privathütten 
verjuchten Steigerung des Eifenpreijes entgegenzuwirfen. In dem lange gering 
geachteten Oberichlejien waren damals bereits 47 Hochöfen und 185 Eifen- | 
hämmer im Betrieb; man berechnete ihre Produftion, im Gejamtmwerte er 


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404 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


532000 Thalern, auf 21819 Zentner an Gußeiſen, 123840 an Schmiedeeiſen, 
2000 an Stahl, 200 an Citenbrat, 1200 an Eiſenblech. 

in br Rute bei Tarnowig. Gier ftellte der König aus Staatsmitteln 
das Betriebsfapital zur Verfügung, um einen Zweig des Bergbaus wieberzu: 
gewinnen, der jeit 1754 nad der Erihöpfung ber Silberberger Bleiminen ganz 
fehlte. Die Mächtigfeit des Lagers erwies fih als fo ſtark, daß Heinig nicht 
bloß den ganzen inländifchen Bedarf zu deden hoffte, fondern fich noch eine ge: 
winnbringende Ausfuhr verſprach. Ueber die Bedeutung der großen Erfindung 
eines james Watt durd die Berichte feiner nah England gelandten Techniker 
hinlänglich unterrichtet, gab der König bei diefem Anlaß für das Tarnomwiger 
Werk jeine Zuftimmung zum Bau einer „Feuermaſchine“; eine andere wurde am 
23. Auguft 1785 im König-Friedrihsihacht bei Hettftätt im Mansfeldiſchen in 
Betrieb geſetzt; weitere Dampfmafginen erhielten dann die Berliner Porzellan: 

Salinen zu S F und Unna. — 

Lag bei der neuen jchlefiihen Montaninduftrie der Schwerpunft nod in 
der Förderung des Rohmaterials, jo übertraf im Brandenburgiihen der Wert 
der Fabrifate den der Stoffproduftion um ein Erhebliches; aber Heinig beflagte 
das hier geltende Monopol der Splitgerberiden Stahlwarenfabrifen zu Cbers- 
walde, weil das Kabrifat an Schärfe hinter dem weitfälifhen weit zurüditand. 

Die reich entwidelten weſtfäliſchen Induftriebezirfe nahmen das Anterefie 
des Minifters, der im Generaldireftorium zugleih dem Provinzialdepartement 
für diejen Teil der Monarchie vorftand, in hervorragendem Maße in Anfprud. 
Er ſchätzte den jährlihen Wert der weitfälifhen Eifeninduftrie auf 600 000 
Thaler und glaubte das Sauerland ſchon mit den glänzenden Vorbildern von 
Sheffield und Birmingham vergleichen zu dürfen, deren induftriele Anlagen er 
durch feine Bergräte an Ort und Stelle prüfen ließ. 

Auf den oft und dringend ausgefprodenen Wunſch des Königs juchte 
Heinig überall den Steinfohlenbau zu fördern. Mit Sorge betradhteten König 
und Miniſter die Abnahme bes Walhheitandes, das Steigen ber Holzpreife, zu: 
mal nah der Vermwüftung der Forſten im Siebenjährigen Kriege; ja ſchon vor 
dem Kriege hatte der König für die Heizung der Kaſernen in Schlelien die Stein: 
kohlen empfohlen. In der Grafſchaft Mark ift der Ertrag diejer Kohle in dem 
halben Jahrhundert ſeit 1737 von jährlid 467874 auf 1707461 Scheffel ge: 
ftiegen. Im übrigen preußischen Weitfalen wurden 1785 jäbrlih 172940 Scheffel 
gehoben, wovon ein Teil die angrenzenden geiftlihen Gebiete jpeifte, im Saal: 
freis bei noch ſehr unbeholfenem Betriebe nicht viel über 100000 Scheffel, die 
gerade nur zur Verforgung der Salinen des Herzogtums Magdeburg zureichten. 
Der ftellenweije in diefer Provinz gefundenen, aber faum angebrodenen Braun: 
fohle jagte Heinik ihre große Zufunft voraus. In Oberjchlejien fehlte es für 
den Kohlenreihtum an Abjag, da hier Holzmangel fih ausnahmsmeife noch nicht 
fühlbar machte und zur Ausfuhr die Verkehrsmittel nicht binlangten; jo wußte 
Heinig für die Steinfohlen von Pleß kaum eine andere Verwendung ala zur 
Herftellung von Ruß für die Schwärzung der Wachsleinwand; doch dachte er ſchon 
an ihre Xerfrahtung nad Magdeburg, indem er annahm, daß troß der Ent: 


Verwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 405 


fernung ihr Preis fich dort nicht höher als der des Holzes ftellen würde. Da— 
gegen ftieg im Fürftentum Schweidnig der Verbrauch der hier geförderten Stein: 
fohle binnen drei Jahren um das Dreifahe, d. h. auf nicht weniger als 
415 742 Scheffel im Jahre 1785, da ſchon zahlreiche gewerbliche Anlagen dieje 
Feuerung zu jhäßen wußten: e& war das mehr als der zehnfache Betrag deſſen, 
was 1740 in ganz Schlefien an Steinfohle gewonnen worden war. 1786 wurde 
der Verbraud im Schweidniger Yand auf 500 000, im Glagifchen auf 100000, 
in Oberjchlefien auf 50000 Scheffel berechnet. Hätte das jchlefiiche Bergamt, jo 
urteilte der Breslauer Kammerdireftor v. Klöber in feinem noch bei Friedrichs 
Lebzeiten erſchienenen Buche „Von Schlejien vor und jeit 1740”, auch feine an: 
dere Aufgabe als die Beihaffung billiger Feuerung durch den Steinfohlenbau, 
„ſo würde jelbiges dadurh dem Lande jchon mehr nüten, als dur den Bau 
von Gold: und Silberminen“. 

Was für Sclefien und Weitfalen die Steinkohle leiftete, jollte anderen 
Provinzen ein gejteigerter und verftändigerer Betrieb der Torfgräberei eriegen. 
Nah Pommern wurden zu diefem Behuf Sachverſtändige aus Oftfriesland ges 
zogen; die Torfftihe im Magdeburgiihen und Halberftädtiichen hatte man bis 
zum Ende diejer Regierung auf den vierfahen Ertrag gebracht; für Ditpreußen 
und die Marken wurde entiprechendes angeitrebt. 

Mit dem rajchen Aufblühen der Montaninduftrie hielt die Entwidelung sach: 
eines alten Betriebes, des Salinenwejens, nicht gleihen Schritt. Zwar ließ der 
König von 1769—1774 dur den für dieſen Verwaltungszweig als Minifter 
in das Generaldireftorium berufenen Kleviihen Kammerpräfidenten v. Derſchau 
Reformen ſowohl in der Verwaltung der Generaljalzkajje wie in den Grundjäßen 
für Verpachtung und technijche Leitung der Siedereien durchführen, und die Sa: 
(ine Schönebed ftand gegen Ende der Regierung nad wiederholtem Umbau mit 
einer Zeiltungsfähigfeit von 17500 Xajten und einer Schar von etwa 840 Ar: 
beitern als die größte in Deutichland da. Aber über die Güte des gewonnenen 
Salzes wurde nicht ohne Grund geklagt; die Päcdhterinnen der großen Staats: 
jalinen, zwei abelihe Damen, waren einjeitig auf ihren Vorteil bedacht, die 
Wirtihaft war durchaus nicht muftergültig. Wandel hat bier wieder erjt Heinig 
geihaffen, als er unter Friedrichs Nachfolger das Salzdepartement übernahm. 


Heinig yeinig berechnete 1785, daß von der Bevölkerung der Monardjie di ber r fechite |”, hohen 


Teil das Mineralreich gerichteten Jnduftrieen bethätige. Das ges Ei „Lt 
— ihm noch nicht, wenn er in England ein Drittel, in Schweden, Sachſen, & —— 


Oeſterreich drei Achtel der Einwohner von dieſen Erwerbszweigen leben ſah. — 
In den Verfügungen, die der König in Gewerbeangelegenheiten an die 
Miniſter, Kammerpräſidenten ergehen ließ, begegnet uns immer wieder die Mah— 
nung zu erhöhtem Eifer, eine gewiſſe Ungeduld, der die Erfolge nicht ſchnell 
genug fich einftellen, oft jcharfer Tadel, ja verlegende Drohung. Wenn aber 
der ftrenge Gebieter das Gejamtergebnis jahrzehntelanger Arbeit in diefem Be: 
reihe mufterte, jo erklärte er ſich doch auch hier mit dem Fortjchritt zufrieden 
und befannte, daß alles in jeinem Staate Nerv jei und daß jeder an jeinem 
Mat auf Vervollkommnung binarbeite. Er betrachtet jeine Regierungszeit als 
die Epoche des Aufblühens der preußifchen Induſtrie; durch die Begründung 


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406 Achtes Buch. Zweiter Abſchnitt. 


ſeiner neuen Manufakturen, ſo ſtellt er ſich in einer Denkſchrift aus dem 42. Jahre 
ſeiner Herrſchaft das Zeugnis aus, habe er die paſſive Handelsbilanz der voran— 
gegangenen Regierung zu ſehr bedeutendem aktiven Ueberſchuß emporgetrieben. 
Voltaires Wort: „Le siecle de la Prusse est à la fin venu* — die Selbft: 
variation eines Verjes aus dem Mahomet — galt auch für Preußens In— 
buftrie. 

So urteilte au) der Hamburger Büſch, deffen von 1759— 1800 erſchienene 


‚ nationalöfonomifche Schriften in unferen Tagen als die wohl lehrreichite zeit: 


genöſſiſche Kritif der preußifchen Verwaltung bezeichnet worden find: „Friedrichs 
des Großen Meilterwerk war, daß er feinen Staaten, welchen die Manufafturen 
bis dahin fo jehr fehlten, einen fo großen Erwerb durch das von ihm ge- 
ſchaffene Manufakturgewerbe gegeben hat.” Nicht jede Manufaktur lafle ſich 
überall einführen, wahr aber bleibe: „Es gibt Manufafturen, die ein jedes Volf 
muß haben können, wenn es fie haben will.” Büſch kannte als Hamburger alle 
die Klagen feiner Landsleute über die Schädigung ihrer Interefien durch die 
preußiihe Wirtfchaftspolitif, er betrachtete viele Maßnahmen dieſer Politif als 
verfehlt und tabelte andere jehr icharf; aber er ftellte die Thatſache feit, daß 
trog aller Prohibitionen und Erjchwerungen der Zwiſchenhandel Hamburgs mit 
den brandenburgifchpreußifchen Staaten infolge ihres wirtſchaftlichen Aufblühens 
jest bei_meitem größer als vordem geworden jei, ſodaß es jehr thöricht jein 
würde, die Mark Brandenburg in ihren ehemaligen „betrübten und fümmerlichen 
Zuftand” zurüdzumünjchen. 


Ohne Frage blieb lieb hinter den Erfolgen. der Induſtrie die Entwidelung des 

Handels zu zurück. 
Deutſchlanden mehr geſchadet, Ir die Fremden glauben. Man bat zuerit mit dem 
Landbau wieder anfangen müfen, dann mit den Manufakturen, endlich mit einem 
ſchwachen Handel.” Dieje im Wahstum zurüdgebliebene jüngfte Schweiter war 
einitweilen noch das Aichenbrödel; ihre Anſprüche wurden den Bedürfniſſen bes 
Smduftriefhuges, der im Mittelpunkt der ftaatlihen Wirtſchaftspolitik ftand, faft 
unbedingt untergeordnet. 

Es fam hinzu, daß da, wo die Umftände an fi eine Begünftigung des 
Freihandels nahe legten, wie im Verkehr zwiſchen Sclefien und den öfterreidhi- 
fhen Landen, nun wiederum das Induſtrieſchutz Syſtem der Nachbarmacht zur 
Gegenwehr, zu Sperrmaßregeln nötige 

Der Rechtsanſpruch auf Aufrechterhaltung des alten freien Handels an der 
ſchleſiſchen Grenze, den Preußen durch die Friedensſchlüſſe von 1742 und 1745 
bis zu gewiſſem Grade gewonnen hatte, war bei den Verhandlungen von Hubertus— 
burg, wie wir fahen,") preisgegeben worden. Der dreizehnte Artikel des Friedens 
von 1763 erhielt den ausdrüdlihen Zuſatz, daß bis zu dem zu erftrebenden Ab: 
ſchluß eines Handelsvertrages jeder der beiden Staaten alles auf den Handel 


!) Oben ©. 331. 


VBerwaltungäreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 407 


Bezüglihe „selon sa volonte* einrihten werde. So hatte bald nad der Ein 7-- u, 
ftellung bes Kampfes mit den Waffen der Zollfrieg von neuem begonnen; in — 
Wien aber glaubte man die ſchädliche Wirkung der Kampfzölle leichter tragen zu... Accı Ar . 
fönnen, als der Gegner. Der dur die öfterreichiichen Einfuhrverbote vom 
24. März 1764 wiebereröffnete Kampf galt injonderheit den preußiichen Seiden: 
waren, Wollzeugen und Tüchern, auch den Hüten und Strümpfen; für Preußen 
war neben zahlreichen, jeit dem Mai 1764 erlafjenen Einfuhrverboten das wirf: 
ſamſte Kampfmittel jene Sperre der Wollausfuhr,') wodurh man die mühſam 
ſich heraufarbeitenden öfterreihiichen Fabriken zu bedrängen hoffte. 
Nicht anders das Bild an den preußiſch⸗ſächſiſchen Grenzen. Ein Boll: Ro, Jaum: 
ausfuhrverbot, vorübergehend ſchon 1755 als Waffe angewendet, dann 1761 er: 
neut, wurde 1763 durch eine Sperre der Durchfuhr polnischer Wolle erweitert. 
Den vollftändigen Bruch führte das Dresdener Edift vom 27. März 1765 herbei, 
das alle preußiichen Fabrifate aus Sachſen ausſchloß. Ein preußiiches Edift vom 
nädften 7. Mai vergalt Gleiches mit Gleihem in Bezug auf alle ſeidenen, wollenen, 
baummollenen, leinenen Waren, Gold: und Silbergerät und Porzellan. Nah 
wiederholtem Austaufh von Beichwerden und Anklagen benugte gegen das Ende s 
des Jahres die Kurfürftin Marie Antonie den eigenhänbigen Briefverfehr, ven Le Ares 
fie jeit dem Kriege mit dem Könige von Preußen unterhielt, zu dem Verſuch einer Im 
perjönlihen Friedensvermittelung. rd he- 
Eine ganz eigenartige Diskuflion begann. An eine Betrachtung über die 9... / 
Notwendigkeit, durch Induſtrie und Handel die Wunden, die der legte Krieg ge: 
ſchlagen, zu heilen, fnüpfte die Kurfürftin ihr Bedauern über die eingetretenen RE ADS, 
handelspolitiihen Mißhelligkeiten: „Sie find jo erleuchtet, Sire, Sie kennen die WEL 
geſunden Grundjäße, ih muß notwendig annehmen, da Eurer Majeftät ſchlecht 
begründete Berichte, gehäſſige Inſinuationen vorliegen. Glauben Sie mir, Sire, 
ich kenne ein wenig unſere Geſchäfte, obgleich ich nicht am Ruder ſitze. Unſer 
großes Prinzip iſt die Freiheit des Handels und die Gegenſeitigkeit. Wenn 
Eure Majeſtät dieſes Syſtem ſich zu eigen machen will, mit den Einſchränkungen, 
die das innere Bedürfnis jedes Staates notwendig machen mag, ſo werden Sie 
uns zu allem bereit finden, was zu dem gemeinſamen Wohl beider Staaten bei— 
tragen kann.“ Der König antwortet mit dem Hinweis auf das ſächſiſche Edikt, 
durch das er erſt zu Repreſſalien genötigt worden ſei, und bemerkt dann aus— 
weichend, die ganzen Streitigkeiten, dieſe kleinen Erbärmlichkeiten, gingen nur auf 
die Miniſter, die großen Perrücken, zurück, die überall von demſelben Schlage 
ſeien, in Sachſen wie in Preußen: „Vorausgeſetzt, daß dieſe Herren nicht den 
Verkehr, den Sie, Madame, mit mir zu unterhalten geruhen, verbieten, verzeihe 
ich ihnen den Reſt.“ Aber ſo läßt ſich die Fürſtin nicht abfinden; ſie ſtellt jetzt 
gleichſam die Vertrauensfrage; ſie bittet um eine direkte Verhandlung, bei der 
man viel ſchneller zu einem erſprießlichen Handelsvertrag kommen werde, als 
wenn man die großen Perrücken, die Feder in der Hand, in Schlachtordnung auf— 
ſtelle; fie gibt noch einmal ihre Loſung aus: „Liberté et réciprocité*. Friedrich 
bekennt bewundernd, daß die Kurfürſtin in einer Handelskammer oder an der 


Ak + 


1) Oben ©. 398. 


408 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Seite eines Richelieu ebenſo an ihrem Plage fein würde, wie als KRunftrichterin 
0, auf dem Parnaß; er ſeinerſeits kenne zu gut feine Schwäche, um nicht zu willen, 
Es verl, "wie jehlecht er fich als Unterhändler ihr gegenüber behaupten werde. Erniter fährt 
er dann fort: „Seit einem halben Jahrhundert, jeit Europa anfängt, ſich über 
die Interefien jeines Handels aufzuflären, gibt es feinen Staat, wo eine völlige 
Handelsfreiheit beiteht, und was zwiſchen Nachbarn geſchehen kann, bejchräntt 
ih auf eine Webereinfunft über gewiſſe, beiden Teilen gleihmäßig vorteilhafte 
Punkte, was immer eine Beihränfung der Einfuhr vorausſetzt.“ Er jchlägt 
dann die Ernennung von Kommifjaren vor, denn nur fie, mit voller Kenntnis 
des unermeßlichen Details, feien folhen Verhandlungen gewachſen. Die Kur: 
fürftin dankt für das Entgegenfommen, der König jchließt: „Wir werden alſo 
große Perrüde gegen große Perrüde loslajjen, und fie werden Wunder thun. 
Aber eine innere Stimme jagt mir: ‚Verrate nicht die Intereſſen des Volkes, das 
dir anvertraut ift,‘ und eben nach diefer inneren Stimme wird meine große Perrüde 
ihre Inſtruktionen erhalten.” 
Und fo geichah es. Friedrich bedeutete jeine Minifter, daß ber einzige Punkt, 
‚der bei den Konferenzen zur Beratung kommen dürfe, ein Abfommen für den 
Meßverkehr in Frankfurt a. O. und Leipzig jei: „von allen übrigen Saden, 
die ih ſchon auf einen feiten Fuß eingerichtet habe, wird nicht mehr die Rede 
ſein können“. So hielt fi das Ergebnis der Beratung in beſcheidenſten Grenzen. 
Die ſtärkſte Waffe in der Hand des preußiichen Königs war für dieſen 
wirtſchaftlichen Kampf fein Syftem der Durchgangszölle. Zum Unglüd für die 
Zeitgenofjen, klagte jener Hamburger Büſch in feiner jechs Jahre nad) Friedrichs 
Tode erjchienenen „Darftellung der Handlung“, habe die geographiiche Lage feines 
Staates diefen König zum Meifter von fünf der größten Flüſſe und von den 
vorzüglichiten Handelsftraßen in Europa gemadht. Immerhin war diefe Waffe 
I) zweilchneidig; eine gewiſſe Schädigung bes eigenen Handels mußte mit in den 
ꝰKauf genommen werden. Zunächſt allerdings hatte, nad der Einführung des 
Tranfitzolles in den vierziger Jahren, !) der Magdeburger Handel einen großen 
Aufihwung genommen, und jo glaubte der König 1765, zu dem bisherigen Durch— 
gangszoll unbedenklich noch einen Aufſchlag erheben zu können. Der Erfolg 
ſprach dagegen. Die Einnahme aus den Tranſitogefällen ging im Rechnungs— 
jahr 1766/67 von 118000 Thaler auf 40000 herunter, zwiſchen Hamburg 
und Leipzig lenkte der Verkehr den preußifchen Straßen aus und jcheute nicht 
den Ummeg durch das Hannöveriſche, weitlih um den Harz herum. Der 
König jagte fih, daß er zu viel verjucht hatte, und erließ am 20. Januar 1768 
eine neue, zu etwas niedrigeren Sägen zurüdtehrende und vor allem weſentlich 
vereinfachte Zollordnung; durch Einzelbeftimmungen ergänzt, ift fie während ver 
beiden nächſten Jahrzehnte in Kraft geblieben. Nun hoben ſich die Zolleinnahmen 
wieder und überfchritten allmählich den bis 1765 eingefommenen Betrag nicht 
unerheblich. Das legte Ziel freilich, die Abficht, den ganzen Zwiſchenhandel den 
Magdeburgern in die Hände zu jpielen, wurde nicht erreicht, obgleich die Abgaben 
wejentli geringer waren, wenn die nad) Mitteldeutichland beitimmten Waren 





———— 


) Bd. I, 448. 


Bermwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 409 


nicht einfach durchgeführt, fondern auf den Padhöfen zu Magdeburg oder Halle 
abgelaben wurden. 

Dieſes vornehmlih gegen den ſächſiſch-hamburgiſchen Handel gerichtete 
Magdeburger Durhgangszoliyftem wurde feit 1765 mit einigen Abwandelungen 
auf Schlefien und den jähftfch:polniihen Handel ausgedehnt. Der Zoll wurde 
bier jchlieglih auf Säge gebradt, die hoch genug waren, um den Wettbewerb 
der Jächliichen Fabrifate zurüdzuhalten, und noch gerade niedrig genug, um ben 
jähftich-polnifhen Handel mit Tüchern, Wachs, Garn, Wolle, Rohleder, Vieh und 
Getreide nit auf den Umweg durch das öſterreichiſche Gebiet zu drängen. 

Die Magdeburger Kaufleute bezeichneten es bei ihren Klagen über den 
Tranfitzol als das Beichwerlichite, „daß man jo viele Formalien introduziert 
habe, die Erpedition der Waren durd die vielen Anmweifungen und Inſtanzen 
aufhalte und den auswärtigen Fuhrmann, der weder lefen noch jchreiben fünne, 
durch die vielen Zettel in Verwirrung ſetze“. Man gemöhnte fi allmählih an 
die Neuerungen, zumal als jeit 1773 nad den manderlei Schwankungen ein 
Zuftand eintrat, an dem nichts Wefentliches mehr geändert wurde. Als jpäter 
nah dem Thronwechſel die Abänderung diejer Zollverfallung in Erwägung ge: 
zogen wurde, gab diejelbe Magdeburger Kaufmannichaft, die bei der Einführung 
der Zölle den völligen Ruin des Elbhandels vorausgejagt hatte, ihre Stimme 
dahin- ab, daß man tiefer eingreifende Ummandlungen nicht vornehmen jolle. 


Sehr gering war ber Ertrag der legten noch bejtehenden Binnenzölle. Der 


König betrachtete fie vornehmlich als eine Kontrolle gegen den Schmuggel, nicht 
als Geldquelle. Bor der wiffenichaftlichen Kritik fanden fie längft feine Gnade mehr. 

Auch die großen politiihen Umgeftaltungen der Landkarte übten immer 
von neuem ihre ftörende Wirkung aus, indem alte Handelswege durchſchnitten, 
alte Abjaggebiete veriperrt wurden. Für den jchlefiichen Handel, insbefondere 
den Viehhandel nah dem Gebiet der unteren Donau war es ein jchwerer Schlag, 
als Galizien öfterreihifch wurde und ſich mit Zollgrenzen umgab. Und Rußland 
batte von jeinem Anteil an Polen faum Befig ergriffen, jo legte man ber Ge: 
treideausfuhr nah Preußen Erſchwerungen auf, die der Königsberger Kaufmann: 
ihaft bange Sorge bereiteten. 

Den nadteiligen Wirkungen, welche die zum Schuge der heimiſchen In— 
duftrie geführten Zollfriege auf den Handel ausübten, juchte der König, wie jchon 
vor dem Siebenjährigen Kriege, !) vornehmlich durch zwei Mittel pojitiv entgegen: 
zumirfen: durd die Anbahnung von Handelsverträgen und durch die Begünftigung 
fapitaliftiicher Unternehmungen. 

Einer feiner Minifter hat ihm vorgeftellt, es jei in der Handelspolitif eben: 
jo nötig, ſich Nahbaren wie fih Kolonien zu erhalten — damals hatten bie 
Engländer die ihren in Nordamerifa gerade verloren. Der Rat war trefflic, 
aber im Zeitalter des ftarren Merfantilismus, wo eben jeder Staat ſich mit Zoll: 
ſchranken umgab, war es freilich jchwer, die Vorausfegungen für einen Handels: 
vertrag zu finden. Das vor dem Kriege mit Mühen erlangte Ablommen mit 
Frankreich hätte Preußen gern erneuert, aber der Wind wehte nicht mehr, der 


', 8b. I, 447— 456. 





410 Achtes Bud. Zweiter Abfhnitt. 


f ——— 1753 der Verhandlung die Segel geſchwellt hatte; bei der zwiſchen den beiden 


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Höfen andauernden Spannung führten die Handelsfonferenzen der Jahre 1768 — 69 
zu feinem Ergebnis. Um jo mehr wurde eine Verhandlung mit Polen durch die 
politiihe und fommerzielle Konjunktur begünftigt. Als dieſes Nahbarland durch 
die Ereignifje des Jahres 1772 von der See abgeichnitten war, erklärte de Launay 
dem Könige: „Eure Majeftät dürfen nur den Schlagbaum zubalten, um Ihren 
Staaten den ganzen Zwifchenhandel mit Polen zu fihern.” Nach einigem Sträuben 
nahm man dort die preußifchen Anträge an, um nur etwas Gemijjes zu haben, wie 
in der Delegation des Neichstages gejagt wurde, und nicht ganz von der Willkür 
des Nachbarn abzuhängen. Der Vertrag vom 19. März 1775 errichtete an den 
preußijch:polniihen Grenzen Differenzialzölle für die Waren der beiderfeitigen 
Unterthanen und die Waren jedes dritten; dieſe wurden mit einer Abgabe von 
zwölf Prozent des Wertes belegt, jene nur mit einer zweiprozentigen. So hoffte 
Preußen fih den polniichen Markt für feine Fabrikate zu erobern, den fremden 
Wettbewerb matt zu jegen und zugleich den polnischen Kornhandel nah Königs: 
berg, Pillau, Elbing und Stettin zu ziehen, auf Koften Danzigs, das, noch pol: 
niſch, jett doch als Zollausland behandelt und unter den erhöhten Zoll von 
zwölf Prozent einbegriffen wurde. Der Vertrag, von dem Könige als großer 
Gewinn betrachtet, wurde von einem Teil der preußiichen Kaufleute, zumal von den 
ſchleſiſchen, mit fcheelen Bliden angejehen. Man klagte, daß der jchlefiiche Durch— 
gangshandel jetzt den Gnadenftoß erhalte, und wies die Vertröftung ab, daß bald 
der Stapel: und Speditionshandel um jo größeren Aufſchwung nehmen werde. 
Auch Heinik hatte Bedenken, de Launay glaubte fie widerlegen zu können. Der 
König berief eine Kommiffion zur Prüfung, fie hielt zu Heinik, aber der König 
entichied für de Launay und die Beibehaltung des Tarifs von 1775. 

Einen widtigen Erfolg bedeutete der Handelsvertrag mit Spanien von 
1782: die fchlefifche Leinwand, fortan beim Eingang nicht höher beiteuert als 
die franzöſiſche, vermochte jet troß des weiteren Weges jene auf dem ſpaniſchen 
Markte zu unterbieten und zurüdzudrängen. Als damals jenjeits des Welt: 
meeres eine neue Republik entftand, beeilte fih König Friedrich, dort Handels: 
beziehungen anzufnüpfen, um Tuche, Wollftoffe und Yeinwand, Eijenwaren und 
Porzellan gegen Reis, Indigo und virginiihen Tabak umzujegen. Der Meift: 
begünftigungsvertrag zwiſchen Preußen und den Vereinigten Staaten von Amerika 
vom 10, September 1785 hat dann freilihd den von beiden Teilen an ihn ge 
fnüpften Erwartungen nur wenig entiprodhen, da noch auf lange hinaus die 
maritim und fapitaliftiich leiftungsfähigeren Engländer im Welthandel die Ver: 
mittler zwiichen biefen abtrünnigen Kolonien und der alten Welt blieben. 

Nichts ift den Fanatifern eines neuen national:öfonomiihen Dogmas an 
der Wirtihaftspolitif Friedrichs des Großen jo anitößig, fo verdammensmwürdig, 
jo unbegreiflih erjchienen, al& feine Monopole. Ein Mirabeau erklärte, daß er 
den Urfprung diejer Vorliebe für erflufive Privilegien, den Grund der Ber: 
blendung Friedrichs gegen ihre verderblihen Wirkungen nicht babe entdeden 
können; als Vermutung ſprach er aus, daß neben dem rein fisfalifchen Geſichts— 
punkte — denn anfcheinend feien diefe Monopole den Staate für jchweres Geld 
abgefauft worden — die Hoffnung mitgewirkt habe, dem Schmuggel Abbruch zu 








Verwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 411 


thun, da natürlicherweife die Furcht vor der Einziehung der Freibriefe die In— 
haber zu um fo genauerer Beahtung der Jollgefege angetrieben habe. 


Wie völlig griff jolhe Vermutung fehl! Friedrich hatte über das Monopol: — 


weſen ſeine eigene Theorie. Er betrachtete es als ein notwendiges Uebel, als 





ein Aushülfsmittel, als eine Uebergang: ingsform des ‚ volfswirtichaftlichen 3 Betriebes. ” 





Erflufivprivilegien wurden deshalb an Fabrifanten grundſätzlich nur verlieben, 
um die Einführung eines neuen Artikels zu erleichtern, zumal wenn es galt, 
einen Großbetrieb zu ermöglichen und jchnell in die Höhe zu bringen, gleihjam 
als ein Patent, um für Koften und Gefahr dem Unternehmer einen Borfprung 
zu fihern. Grundſätzlich erfolgte jomit die Verleihung auh nur auf befriftete 
Zeit und wurde nicht erneut, wenn die Unternehmung Kraft gewonnen hatte, auf 
eigenen Füßen zu ftehen. Es verfteht fih, dab es dabei bisweilen ſchwer 
war, den entjcheidenden Zeitpunkt genau zu beitimmen. Den Berliner Unter: 
nehmern die Tucdlieferungen für die Regimenter zu Gunjten der neuen weit: 
preußifhen Manufakturen zu verfürzen, wollte fi) der König nicht entſchließen: 
„Man muß nit Paulum ausziehen, um Petrum zu befleiden,” jo verfügte er 
eigenhändig. Es blieb nicht aus, daß fortbeftehende Alleinrechte ihre Berechtigung 
im Sinne der Theorie doch ſchon verloren hatten und nur noch jchädlich wirkten, 
wie nah Heinigens Auffafiung jenes Privilegium der Splitgerberihen Stahl: 
waren.!) Der König jelbit leugnete ſolche ſchlechten Erfahrungen nicht und Fargte 
deshalb jpäter mit der Bevorzugung Einzelner, wie das andererjeits auch die folge- 
richtige Wirkung der Zunahme des Nationalreihtums und der allgemeinen Leiftungs- 
fähigfeit war. „Ein Monopolium wollte ih nicht gerne haben, denn das hat immer 
einen üblen Erfolg,” jo erflärte er in jeinem legten Lebensjahre dem jchlefifchen 
Provinzialminifter, als es ih um die Begründung der bortigen Stahlwaren: 
fabrif *) handelte; „der Monopolift wendet feinen rechten Fleiß und Betrieb: 
jamfeit an auf die Sade, ı weil er niemanden neben fi hat, der ihm nadeifert; 
daraus fommt denn, daß er feine Arbeit negligieret und ſchlechte Ware macht.“ So 
ganz wußte Friedrich die Bedeutung der Konkurrenz für den gewerblichen Fortichritt 
zuwürdigen. Und als Daniel Itzig 1781 für feine neu zu begründende Luxus— 
lederfabrif wünschte, daß die Schlächter angehalten werden jollten, ihm jährlich 
eine Zahl roher Rindshäute nah feiter Tare zu liefern, verfügte der König: 
„Das geht nit an! Freilich können fie an ihn verkaufen, foviel fie wollen; 
allein fein Zwang muß dabei fein.” 

Auch mit den Beihülfen für neue Fabrifanlagen war er zulegt zurückhaltender 
geworben. Als er 1781 um 6000 Thaler Zufhuß für die Gründung einer 
Segelluchfabrik in Oftpreußen angegangen wurde, antwortete er dem Oberpräft: 
denten Dombarbt jehr unwirſch: „Ihr ſeid nicht gefcheidt, das iſt nichts. Die 
Leute müflen das für ihr eigenes Geld thun, denn fie haben ja den Profit da: 
von. Warum joll id das Geld geben? Das wird dann nur verzehrt, und aus der 
Fabrif wird nachher nichts. Wenn die Leute diefe Saden für ihr eigenes Gelb 
machen, jo wenden fie auch mehr Fleiß darauf und geben fih mehr Mühe darum.” 





1) Oben ©. 404. 
2) Oben ©. 408. 


in. 


1 


—ñ ni 


412 Achtes Buch. Zweiter Abſchnitt. 


In dem Maße nun, als Handelsunternehmungen, zumal überſeeiſche, größerem 
Riſiko ausgeſetzt waren als induſtrielle Anlagen, erforderten ſie auch ſtärkere und 
vor allem längere Unterſtützung durch Monopole. Die Bildung großer kapital— 
kräftiger Handelsgejellichaften hatte ſchon der Lehrmeifter des Kronprinzen Friedrich, 
der Kammerbireftor Hille, in jener Denkſchrift von 1725!) gefordert, aber nod) 
immer galt jeine Klage, daß der Kaufmann, reich geworden, ben Handel lieber 
aufgebe und Grundbeiik erwerbe. „Statt dab die Bürger ſolche Sachen machen 
und ihre Gelder anlegen follten,” jchreibt der alte König 1780, „wollen fie 
Güter kaufen.” So fand aud fein Beftreben, ven Magdeburger Eigenhandel 
auf Koften der Nahbaren in die Höhe zu bringen, bei der Kaufmannfchaft ge: 
ringes Entgegenfommen. Und in Breslau flagte die Kammer fort und fort 
über die ſchlaffe Bequemlichkeit der Kaufleute, die „nah ihrem befannten Genie“ 
die Waren von den fremden abholen ließen, ftatt fie jelber auf die auswärtigen 
Märkte zu führen. Ein Fachmann endlid, der unternehmendite Kaufmann des 
damaligen Sclefiens, der aus Weftfalen zugewanderte Peter Hajenclever, warf 
jeinen neuen Zandsleuten vor, daß fie für gemeinnütige Veranftaltungen nie 
Geld hätten, nie daran dädten, auf gemeinfame Koften Sadverftändige ins 
Ausland zu ſchicken, „um Fabriken und Handelsgeheimniffe zu erforſchen“, daß 
die Landshuter Kaufmannsinnung im Laufe von elf Jahrzehnten noch nicht einen 
Groſchen für einen kaufmänniſchen Fonds gefammelt hätte, und daß es in Hirſch— 
berg nicht beſſer ftünde. 

So verftehen wir, dab der König troß feines Mißtrauens gegen ber: 
gelaufene Projeftenmader °) fih zu dem Grundfate befannte, bei Begründung 
von Handelsgejellihaften oder neuen Induſtrieen Ausländer aus den Staaten heran: 
zuziehen, in denen diejer Handelszweig oder jene Manufaktur fhon in Blüte 
ftehe. Wenn er dann auch einmal an einen Betrüger fomme, jo ärgere und 
entmutige ihm das doch nidt. Ein Kleeblatt dieſer Schmaroger — Messieurs 
les Ecornifleurs — hat er in beißenden Spottverjen verewigt. 

Als eine Handelsgejellihaft im größten Maßftabe und mit den mannig- 
fachſten Aufgaben war urjprünglich die preußifche Bank gedacht worden :°) fie jollte 
neben den eigentlihen Banfgeichäften und der Münze den gefamten auswärtigen 
Holzhandel, den jchlefiihen Leinenhandel, das Geihäft nah Rußland, Polen und 
Sfandinavien, nah dem Mittelmeer und China an fich nehmen und endlich auch 
als Gejellihaft zur Schiffsverfiherung wirken. Wenn nun eine jo gewaltige Grün— 
dung fich jofort als unausführbar herausgeftellt hatte, jo wurden doch die Stüde 
dieſes zerfchellten Riefenentwurfes fämtlich feftgehalten und der Reihe nad einzeln 
; verwirklicht. 

Die SeeafjeturanzGejellicaft, am 31. Januar 1765 zu Berlin mit einem 


— — — — — 








— Stammkapital von einer Million Thaler zu 4000 Aktien gegründet, hatte an— 


fangs, wie die Bank jelbft, mit dem hartnädigiten Mißtrauen zu kämpfen; bie 
Stettiner Kaufleute weigerten fi, fie zu benugen, da fie in Amfterdam oder 
Hamburg ihre Schiffe billiger und bequemer verfichern konnten. Erit ganz all: 


i) Bd. I, 424. 
2) Bd. I, 458. 
Oben ©, 358. 


Verwaltungdreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 413 


mählich gewann die einheimiiche Anftalt in den preußiſchen Hafenftädten Boden. 
Eine Brennholzgejellihaft zur Verjorgung der Nefidenzitädte Berlin und ots: 
dam, die beim Verfauf eine Tare nicht überfchreiten durfte, jollte der willkür— 
lihen und wucherifchen Berteuerung des Holzes vorbeugen; eine Nupholzgefell: 
ſchaft war in eriter Linie bejtimmt, den Elbhandel nah Hamburg einheitlich zu 
organifieren und erhielt zu diefem Zweck das ausſchließliche Recht zur Ausfuhr 
des Schiffs-, Stab: und Kaufmannsholzes aus den Staats: und Kämmereiforiten 
der Kurmarf und des Herzogtums Magdeburg und das Vorfaufsrecht auf alles 
zur Ausfuhr beitimmte Nutzholz aus den Privatforiten. Beide Gejellichaften, 1766 
gegründet, gaben in der Folge ihre Gejhäfte an eine ftaatlihe Verwaltung ab. 

Erfolglos war, zum Teil wegen ungeeigneter Xeitung, die 1765 ins Leben 
getretene Levantiſche Kompanie, eine Aktiengejellihaft mit dem Monopol, bie 
bisher auf dem Landwege über Trieft und Wien bezogenen Waren, macebonijche 
Baummolle und türfifches Garn, Kameelhaare, Del und Südfrüchte zur See ein: 
zuführen. Sie mietete fremde Schiffe, da den preußifchen die zum Schuge gegen 
die jeeräuberifhen Barbaresfen unentbehrlihen Türkenpäſſe fehlten, mußte aber 
ihon 1769 ihre Zahlungen einftellen, als der Hauptunternehmer, der Hofbanfier 
Clement, ein Holländer, fih in den Bankfbrud eines Amijterbamer Haufes ver: 
mwidelt jah. Für das Geſchäft nah Rußland erhielt 1766 das Schweiggeriche 
Bankhaus gegen die Verpflichtung, jährlih für 15000 Thaler Porzellan aus der 
Königlihen Manufaktur abzufegen, ein gewichtiges Vorzugsreht: alle Waren 
aus Rußland, die nit auf Rechnung feines Petersburger Kontors gingen, 
unterlagen in Stettin einer Zollerhöhung von zwei Prozent des Wertes; gleich: 
zeitig wurde auf alle ruffiihen Ausfuhren, die nicht auf Nechnung preußiicher 
Unterthanen gingen, ein Zuſchlag von fünf Prozent in Stettin und von acht Pro: 
zent auf der Elbe gelegt. Der König dachte damit die ruffiihe Durchfuhr durch 
preußifches Gebiet fremden Zwilchenhändlern zu entziehen und zugleih mehr und 
und mehr von Hamburg nad Stettin zu lenfen;?) er hielt deshalb die neue Orb: 
nung jowohl gegen die diplomatifchen Vorftelungen der Zarin, wie gegen bie bes 
weglihen Klagen der Breslauer Kaufmannſchaft mit Entichiedenheit aufrecht. 

Unerfült blieb zunächſt jein Wunſch, den unmittelbaren Handelsverfehr 
mit t Dftafien J— wieder aufgenommen zu ſehen. Erſt in ſeinen 1 legten Regierungs: 
jahren | jandten die Emdener Handelsherren abermals Schiffe nad Bengalen, 
Batavia und China, nachdem ihnen ihr einträglicher Gabotagehandel während des 
neuen Seekriegs zwiſchen England und Franfreih friſchen Unternehmungsgeift 
eingeflößt hatte. Erfolgreich trat ſeit 1769 die Heringsfompanie von Emden 
dem Wettbewerb der Dänen, Schweden und zumal der Holländer entgegen. Mit 
6 Schiffen anfangend, ließ fie 1782 fchon 32 in See gehen, und in dem Maße, 
als fie ihren Betrieb erweiterte, konnten ihr immer neue Provinzen zur aus: 
fchlieglihen Verforgung überwiejen werben, aber mit der Beichränfung, daß der 
Preis gegen den in ihrem Gründungsjahr für die holländiſche Ware markt: 
gängigen nicht erhöht werden durfte. 








Bgl. Bo. I, 441 ff. 
2) 3. I, 453. 


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414 Achtes Bud. Zweiter Abfchnitt. 


Alle diefe Unternehmungen übertraf und überbauerte die Seehandlungs: 


3 geielihaft von 1772, die nad) Erwerbung einer neuen Provinz Anläffen, welche 


— — 


uns noch 5 beichäftigen werden, ihre Entftehung verbantlte. 
Sorgjam fortgefegt wurden die im „jahre 1747 eingeführten Handels: 
tabellen. Mirabeau, der von feinem freihändleriihen Standpunft aus die Auf: 


ſtellung einer Handelshilanz überhaupt für „unnüg und illuſoriſch“ erklärte, hat 


über die Zahlen der amtlihen preußiſchen Handelsſtatiſtik jehr abſchätzig ge- 
urteilt. Er_verwarf das Bild, das Hergberg danad zeichnen zu können meinte, 
als „ein abfolut faljches, ohne Grundlage, ohne Wirklichkeit, ohne Scheinbarfeit, 
ohne Möglichkeit". Nach den richtigeren Ziffern, über die Mirabeau zu ver: 
fügen glaubte, würde die preußiſche Handelsbilanz ſich vielmehr jo geitellt haben, 
daß aus ihr nur der Schluß übrig blieb, Preußen eile mit Riejenichritten jeinem 
Ruin entgegen. 

Richtig ift, daß dieje Tabellen einen unbedingten Wert nicht für ſich be: 
anſpruchen fonnten. Eine neuerdings für die jchlefifhen Lilten angeftellte Prü— 
fung bat ergeben, daß von den drei Rubrifen „fabrizierte, im Lande verhandelte, 
ausgeführte Waren” nicht jede die gleihe Glaubwürdigkeit verdient, und ſchon 
Heinig hat den Fehlerquellen dieſer bei den Provinzialiteuerdireftionen aus: 
gearbeiteten Zufammenftellungen nachgeforiht. Er hat nad einem Beſuch der 
Frankfurter Meile die Mepberichte der Kriegs: und Domänenfammer einer 
ſcharfen Kritik unterworfen und feinerjeits, jtatt bes offiziell angenommenen 
Umfages von 2’ Million Thalern für eine einzige Meffe, nur im ganzen 3 Mil: 
lionen für drei Mefien herausgerehnet. Als Reflortminiiter in der Lage, 
die ftatiitiichen Grundlagen genau zu prüfen, als NReformminifter, der er für 
das fünfte Departement werden wollte, nachdrücklich beitrebt, fie jehr jcharf zu 
prüfen, wird Heinig für die Nachweile, die er uns der offiziellen Statiftif gegen: 
über als berichtigte gibt, bejondere Beadhtung beanipruchen dürfen, größere als 
Hergberg für die feinen, der biefer Minifter in einem abjeits liegenden amt: 
lihen Wirfungsfreife nicht aus den tiefiten Quellen ſchöpfen konnte. 

Heinig berechnete für das Jahr 178182 für das „Pflanzenreih“ ben 
Wert der Ausfuhr auf 8586 223, den der Einfuhr_auf 3069328 Thaler, für 











‚ das Tierreich“ dieſelbe Bilanz auf 4648178 gegen 3648808, für das „Mi: 


— 


“ neralreih” auf 843495 gegen 709447, für die allen drei Reichen angehörigen 


Erzeugnifie auf 519098 gegen 1759791 Thaler, während für die eigentlichen 
Lurusartifel, Wein, Thee, Kaffee, Schofolade, Zuder u. j. w., fih eine überaus 
ftarfe Baffivbilanz ergab, mit dem Ausfuhrmwert von 270872 gegen eine Ein: 
fuhr von 2675011 Thalern. Insgeſamt übertraf nach diejer Berechnung der 
Wert der Ausfuhr (14867516) den der Einfuhr (11834691) um 3032825 
Thaler. Der ganze Umjag, Ein: und Ausfuhr zufammen, betrug aljo 26 bis 
27 Millionen, während die Aus: und Einfuhr Großbritanniens 1786 auf fait 
32 Millionen Pfund Sterling, die Franfreihs 1780 auf 377%: Millionen Livres 
berechnet wurde. 

Unter den Provinzen erzielten Oftpreußen und Pommern mit ihrer für den 
Handel günftigen Küftenlage nad der amtlichen Statiftif eine Aktivbilanz von 
faft 500009 und 400000 Thalern; die neue Provinz Weftpreußen gewann im 


Berwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 415 


Handel 150000 Thaler; die Neumark dank ihrem Tucherport 180000; Schlefien 
über 1700000 vornehmlih durd feine Woll- und Leinenwaren; Magdeburg 
und Halberitabt 168000; Kleve, Mörs und Geldern zufammen 110000; bie 
Srafihaft Mark dur ihre Metallmarenausfuhr fait 500000; Minden, Ravens— 
berg und Lingen 356000; Oftfriesland 316000. Die einzige Provinz mit einer 
Paifivbilang war die Kurmarf; fie verlor beim Austaufh nahezu eine halbe 
Million, bei dem großen Bedarf der Refidenzitädte Berlin und Potsdam an 
Nahrungsmitteln, an Rohſtoffen für die Fabriken und an Lurusgegenftänden. 

Die Zahl der Seeſchiffe betrug nach den Erhebungen von Heinig 1782 in Sk — 
Preußen und Litauen 90 mit 816 Matroſen; in Pommern 303 mit 2235; in At: 
Dftfriesland 892 mit 5395. Von den preußifchen und pommerjchen — 
waren nicht weniger als 25 dort und 89 hier während der beiden legten Jahre 
1780 und 1781 gebaut worden, denn durch den Anſchluß an das internationale 
Syſtem der bewaffneten Seeneutralität hatte Preußen in dem großen Seefriege 
Englands gegen Franfreih, Spanien und Holland ſich die Unverleglichfeit feiner 
Handelsflagge gefihert und damit einen jtarf gefteigerten Handelsverfehr nad) 
und zwiſchen den Häfen der Gegner Englands gewonnen. So hat ſich bie 
Stettiner Reederei, die 1751 erft 79 Schiffe mit 3899 Laften zählte, bie 1784 
auf 165 Schiffe mit 21791 Laften vermehrt. Hatte fih die Gejamtzahl der 
aus: und einlaufenden Schiffe gegen die Zeit vor dem Siebenjährigen Krieg!) 
verringert, jo waren doch die einzelnen Schiffsgefäße jest ungleich größer: 1751 
bejaß Stettin nur 2, 1786 78 Schiffe über 100 Laſten. Ein: und Ausfuhr 
Stettins betrug 1739 zujammen 300000 Thaler, 1786 4'» Million. 

Aus der allgemeinen Klage der Kaufleute, daß der Handel unter bem In €. 
doppelten Drude der Schugzölle und der Regie erftidt werde, nahm Heinig Ber: ++ >‘ era 
anlafjung, feine Berechnungen für Schlefien aus den Jahren 1768 und 1782 97885 - 
mit einander zu vergleihen. Er fonnte feftftellen, daß zwar der Wert des ’/rı 
Tranfits von 1766875 Thalern auf 1239875, der ber Einfuhr minder jtarf 
von 2231279 auf 2177040 zurüdgegangen, daß dagegen der Wert der Aus— 
fuhr fat um eine Million, von 2819730 auf 3746813 Thaler geftiegen 
war. Er fand es ungeredtfertigt, unter dieſen Umſtänden von einem Verfall 
des jchlefiihen Handels zu ſprechen, und ſah nur die Wahrheit des Sapes be: 
ftätigt, daß man fi ganz fihere Kenntnifie über das Ganze verihaffen müſſe, 
ehe man über Grund oder Ungrund der Klagen entſcheiden könne. Zu dem: 
jelben Ergebnis wie Heinig für den ſchleſiſchen, kam damals eine von privater 
Seite an : angeftellte Berechnung für_den preußiſchen Oſtſeehandel. 

Blieben die Schlußergebniſſe trotz aller ſchonungsloſen Umrechnungen, die be 
Heinig in den offiziellen Liften vornahm, doch noch günftig im Sinne einer 57,“ , Mes 
ftarfen „Aktivität“, jo durfte er hoffen, den König von der irreführenden Schön: 
färberei der herfömmlichen Statiftif zu überzeugen. In der That gab Friedrich 
bei der gemeinjamen Prüfung der Handelsbilanz für 1781/82 dem Minifter zu, 
daß fie offenbare Irrtümer, Verwechſelungen, Doppelanfäge enthalte, und ſtrich, 

Heinig zur Genugthuung, allein bei den zwei Titeln Wolle und Seide faſt zwei 





) Bgl. Bd. I, 442. 


416 Achtes Buch. Zweiter Abichnitt. 


Millionen. Daraufhin jegte ihm Heinig auch im nächſten Jahre bei Vorlegung 
der diesmal bejonders günftigen Bilanz eingehend die Gründe auseinander, aus 
denen man fi auf den angegebenen Gewinn von 5423010 Thalern nicht ver: 
laſſen dürfe; er betonte namentlih, daß durd die Kontrebande ein beträchtlicher 
Teil des berechneten Aktivüberichufies verloren gehe. Der König verfügte auf 
den Beriht: „Ih rechne auf 4 Millionen”. Er machte eben jelber recht er: 
hebliche Abftrihe von der offiziellen Statiltif, wie er denn zu Heinig einmal 
gejagt hat, es jei fein Schade, derartige zu glänzende Tableaur zu haben, wenn 
nur die, weldhe davon Gebrauch zu machen hätten, das Wahre und das Falſche 
zu unterjcheiden wüßten. Aber unvertennbar iſt er doc immer jehr geneigt 
gemeien, das zu glauben und anzunehmen, was feinem Herzen wohl that, und 
Heinig täufchte fih, wenn er meinte, daß der König den „nationalen Gewinn“ 
wirflih nur auf 3 Millionen jährlich berechne. Friedrichs eigenhändige Aufzeich: 
nungen von 1777 und 1782 ergeben vielmehr, daß er ihn das erfte Mal auf 
tete er die Statiftif des Auslandes gern durch ein Verfleinerungsglas; einer 
ſeiner Tifchgenofien gemwahrte zu feiner Vermunderung oft, wie der alte König 
„Uber die Bevölkerung, die Staatseinfünfte und Aehnliches in den fremden Län— 
dern fich abfichtlih zu geringe Vorftellung machte und feitbielt”. 


Wenn der König berechtigte oder unberechtigte Klagen über den Rüdgang 
des Handels hörte, hat er wohl abweiſend geäußert, die Kaufleute jeien mie die 
Landwirte, denen es der liebe Gott niemals recht machen könne. 

Vor dem Nichterituhle der neuen Theorie fand feine Agrarpolitik noch 
. weniger Gnade als jein Syitem des Jnduftriefhußes und der Handelsbalance. 
„Er bat ftets,” jchalt Mirabeau, „die Landwirtſchaft erbrüdt, um die Fabriken 

zu heben.” Nun haben wir gehört, mit wie bedeutenden Spenden Friedrich der 
Landwirtſchaft zu Meliorationszweden und für die Negelung der Schuldverhält: 
niffe zu Hülfe gekommen ift.‘) Aber dab er den Kornhandel unter ſtaatliche 
| Aufficht nahm und die Wollausfuhr verbot, das waren in den Augen dieſer 
Doktrinäre feine beiden großen Verbrechen gegen den Landmann. 

Bon den preußiihen Provinzen erzielten das Herzogtum Magdeburg und 
das Fürftentum Halberftabt, mit ihrem fetten Boden den übrigen landwirticdhaft: 
ih weit voraus, einen Ueberſchuß und hatten deshalb in früheren Zeiten einen 
einträglihen Ausfuhrhandel mit Roggen und Weizen nah Hamburg betrieben. 
Die Marken, Pommern und Sclefien erzeugten im allgemeinen nur das, was 
der eigene Bedarf erforderte; das Herzogtum Preußen erntete wieder mehr. 
Kornausfuhrländer waren im damaligen Europa England, deſſen Getreidebau 
in der erften Hälfte des Jahrhunderts dur hohe Ausfuhrprämien neuen Anz 
trieb erhalten hatte, und Polen, das gewaltige Maffen an Weizen und Roggen 
über Europa ausſchüttete. Das ojteuropäiihe Korn war billiger, Jchwerer, zum 
Verſchiffen geeigneter als das deutiche; es beherrichte den Weltmarkt für Ge: 





!) Oben ©. 359 ff. 


Verwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 417 


treide, deſſen Mittelpunkt damals noch Amſterdam bildete; es hatte zeitweilig 
jelbft den inländiſchen Getreidemarkt des brandenburgiich : preußiichen Staates 
ernftlich bedroht, bis Friedrih Wilhelm I. den Kornhändlern die Einfuhr aus 
Polen verbot, und nur noch die Durchfuhr nach Königsberg und Stettin für 
den überfeeifchen Handel geftattete. 

Für ſeine eigenen Einkäufe, für die Ergänzung feiner Magazine hielt 
fih der Staat den polniſchen Markt dagegen offen, und eben deshalb ſprachen bie 
Gegner feiner Wirtjchaftspolitif von Verftaatlihung des Kornhandels, von dem 
Getreidemonopol des Königs vom Preußen, des größten SKornhändlers in 
feinem Reiche. 

Auch hier beruhten die Anklagen zum weſentlichen Teile auf Unkenntnis ], = ‘ , 
der Berhältniffe und der leitenden Gefichtspunfte. Friedrichs Getreidehandele: 2. he’ 
politik fennzeichnet fi, wie neuere Forſchungen es überzeugend dargelegt haben, /.... +. 
als der erfolgreiche Verfuh zu einem Ausgleich zwiſchen den Anſprüchen . der 
Landwirtfhaft und der Induſtrie, der aderbauenden Bevölkerung, die fih hohe 
Kornpreife erjehnt, und der Eleinen Leute in der Stadt, die billiges Brot brauchen. 
„Dem Fürften liegt es ob,” erklärt er in dem Teftament von 1768, „in ben‘ 
Getreidepreiſen die jcharfe Richtfchnur und Mittellinie zu ziehen zwifchen ben 
Sinterefjen des Edelmanns, des Domänenpädhters und des Bauern auf der einen | 
Seite und den Interefien des Soldaten und des Arbeiters auf der anderen.” Die 
Getreidepreife auf einem Durchſchnittsmaß zu halten war deshalb das Ziel aller 
feiner Beitrebungen, der Grundgedanke eines Syitems, das nad) dem Sieben: 
jährigen Kriege feine volle Ausbildung erhielt. Der Preis follte nicht unter den 
Betrag der Produktionskoſten finken, und für diefe gab es einen feiten Maßitab 
an ber Kammertare, d. h. an dem von den Kriegs: und Domänenfammern zum 
Zwede der Aemterverpachtung aufgeftellten Anfage für ben mutmaßlichen Erlös des 
auf ven Pachtäckern geernteten Kornes, einem Sate, der in den weftlihen Provinzen 
höher, in den öftlichen niedriger war und gemöhnlid von dem Marftpreife über: 
troffen wurde. Im Jahre 1752 betrug die Kammertare in der Kurmarf 16 Groſchen 
für den Sceffel Roggen, in Pommern 14, in Oſtpreußen 12 Groſchen. sah, 

Das doppelte Ziel dieſer Politif ließ fich erreihen mit Hülfe der großen’ " 
ftaatlichen Kornmagazine, die, allzeit zugleich aufnahmefähig und abgabefähig, 
dem Staat in Friedenszeiten e8 ermöglichten, ald Abnehmer oder als Verkäufer, 
in fetten Jahren durch feine Nachfrage und in mageren durch fein Angebot, den 
Preis auf ungefähr gleihmäßiger Höhe zu halten. Solche großen — 
hatte Friedrich Wilhelm J. in der Hauptſtadt und in den Landesfeſtungen er— 
richtet: zu Spandau, Küſtrin, Peitz, zu Magdeburg, Stettin, Kolberg, zu Minden 
und Weſel, und beſonders zahlreich in Oſtpreußen: zu Königsberg, Pillau, Memel, 
Ragnit, Inſterburg, Preußiſch-Holland, Johannisburg, Marienwerder. Friedrich 
der Große fügte in Schleſien die alten öſterreichiſchen „Kornhäufer” zu Brieg 
und Glogau dem preußiihen Eyftem ein und errichtete neue Magazine in 
Schweidnig, Glag, Neiße, Koſel und Hirfhberg, außerdem in der Mark zu, 
Zehdenid, Havelberg, Tangermünde und Franffurt. Endlich wurden nad dem 
Siebenjährigen Kriege die beiden fogenannten Friedens: oder Stabtmagazine in 


Berlin und in Breslau angelegt. 
KRojer, König Friedrich der Große. II. 2. Aufl. 97 


418 Achtes Buch. Zweiter Abſchnitt. 


Grundjag für alle weiteren Maßnahmen des Staates auf diefem Gebiet 
blieb die Weifung, die der König 1748 dem Minifter Katte für die Magazin: 
verwaltung erteilt hatte. Der Roggen jollte fih in der Kurmark nicht unter 
18 Grofhen und nicht über einem Thaler verkaufen, bie Preisſchwankung 
aljo in einem Spielraum von 6 Grofchen gehalten werden. Sobald in einer 
Provinz der Marktpreis die Thalergrenze überftieg, jollten die Magazine fi 


öffnen und den Noggen zu 20 Grofhen anbieten; ſank irgendwo der Preis bis 


unter die Kammertare, jo jollten die Magazinverwaltungen an Ort und Stelle 
durch Auffäufe ihn wieder in die Höhe bringen, „damit Jolchergeftalt die Korn: 
preife beftändig dahin balancieret werden, daß der Bürger, Bauer, Beamte und 
Edelmann mit einander dabei beftehen können“, 

Gleich nad zwei Jahren gab die überall jehr reihe Ernte des Sommers 

von 1750 dem Könige Veranlafjung, „zum Soulagement des Landmanns” in 
jämtlichen öftlihen Provinzen umfangreihe Einkäufe zu machen. Aud in den 
folgenden durchweg guten Jahren würde in Schlefien der Ueberfluß feinen Ab- 
nehmer gefunden haben, wenn nicht der Staat zu den Sätzen der Kammertare 
feine Ankäufe fortgejegt hätte. Unmittelbar darauf wurde Pommern durch wieder: 
holte Mikernten heimgeſucht, und nun fonnten wieder die Magazine mit ihren 
Vorräten ausgleihend und rettend dazmwifchentreten, 
Das große Hungerjahr des achtzehnten Jahrhunderts war das Jahr 1771, 
der Höhepunkt einer Teuerung, die 1770 begonnen hatte und nad) dem nod: 
maligen Mißwachs des Sommers 1772 bis 1774 anbielt. Inmitten der bitteren 
Not der angrenzenden deutſchen Gebiete, die zahlreihe Opfer dem Hungertod ver: 
fallen ließ, erfreuten fich die preußiſchen Provinzen ber mwohlthätigen Wirkungen 
des ftaatlihen Schutzes. Das Magazinfyftem beitand bei diefem Anlaß die Probe 
glänzend und gewann dem Staate jene Taufende neuer Anfiedler, die der Hunger 
aus Sachſen und Böhmen über die Grenzen trieb. Das freilich erreichte man in 
Preußen damals nicht, den Roggenpreis, wie der König es wünſchte, auf der Höhe 
von 1! Thaler zu halten. Denn die Not war jo allgemein, daß man mit einer 
Erihöpfung der Staatsmagazine rechnen und deshalb die Berfäufe in gewiſſen 
Grenzen halten mußte. So ftieg 1771 bier und da aud in Preußen der Preis 
auf 2 Thaler und darüber hinaus; aber auf eine Klage aus Hinterpommern über 
diefe unerhörte Teuerung konnte der König darauf hinweifen, daß der Roggen 
jegt in Sachſen 2", in Mähren 3's, in der Gegend von Augsburg 7 Thaler 
foftete. 

Erft diefe Notjahre lenkten die Aufmerffamfeit der Fremden auf die 
preußifhen Schutzeinrichtungen; ein ſächſiſcher Schriftfteller empfahl ihre Nach— 
ahmung. Friedrich jelbft aber urteilte nah ben Erfahrungen jener Jahre: 
„Jeder Herricher, ber auf das öffentliche Wohl bedacht ift, hat die Pflicht, fich 
mit reichlich gefüllten Magazinen zu verjehen, um eine Mißernte auszugleichen 
und der Hungersnot vorzubeugen.“ Es gelte, eine genaue Berehnung zur Hand 
zu haben über den Ertrag der verjchiedenen Getreibearten in guten, mittleren 
und jchlehten Jahren, den Konſum damit zu vergleihen und auf diefem Wege 
feftzuftellen, in weldem Umfang die Ausfuhr zu erlauben jei oder eine Er- 
gänzung einzutreten habe. 


Berwaltungsreformen und Schuß der nationalen Arbeit. 419 


Bald war infolge der vier _gejegneten Ernten von 1777—80 die Markt: 
lage wieder dahin umgeſchlagen, daß die Landwirte bei den niedrigen Preifen 
nicht beftehen zu können meinten, und wieder brachte nun der Staat durd) feine 
PMafjeneinfäufe den Preis in _die Höhe. 

Fisfalifhe Abfichten wurden mit diejen ftaatlihen Käufen und Verkäufen 
nicht verbunden, nur ſoziale. Wenn thatfählih das Magazintorn in Notjahren 
etwas teurer abgefegt wurde, als es in den Zeiten des Weberflufies eingekauft 
worden war, fo mochte der Unterjchied gerade nur den Zinsverluft deden. „Ich 
will”, jo erklärte der König jhon 1748 dem Minifter Katte, „bei diefem An- 
kauf und Verkauf nicht das geringite für mich verdienen, jondern nur durch 
diefen Umſchlag die Armut und den gemeinen Mann durch einen leiblichen Korn- 
preis joulagieren.“ Vorteil erzielte der Staat nur bei den Getreibeeinfäufen in 
Polen. Die preußiide Magazinverwaltung konnte das polniſche Getreide fehr 
billig, zu Zeiten den Scheffel Roggen für 6 bis 8 Groſchen, eritehen und be: 
wirkte jomit ihre Anſchaffungen vorzugsweife dort — ſobald nicht beim Sinfen 
der Preife auf dem Binnenmarfte die Rückſichten auf die heimische Landwirtichaft 
ein anderes erheijchten. 

Die Geſamtwirkung diefer Getreidehandelspolitif läßt eine im General: 
direftorium ausgearbeitete Tabelle mit den Durhichnittspreifen des Roggens in 
der Marf, in Pommern und im Magdeburgiihen für die 23 Jahre von 1763 
bis 1787 erfennen. Die Schwankungen waren, von den bezeichneten Hungerjahren 
abgefehen, jehr gering. In Berlin bat der Roggen in 16 von dieſen 23 Jahren 
genau oder fait genau auf dem Mittelpreife, 30 bis 31 Groſchen, geftanden, 
in fünf Jahren entfernte er fich nach oben oder unten um 8 bis 9 Groſchen, nur 
1771 und 1772 jchnellte er um 22 bis 24 Groſchen in die Höhe. Noch geringer 
waren die Schwankungen in Stettin, ftärfer dagegen in Halle, wo ein ftaat: 
lihes Kornmagazin fehlte. 

Abgejehen von feiner allgemeinen Bedeutung für die Regulierung des 
Marktpreijes gab_das Magaziniyften die Möglichkeit zu unmittelbarer Unter: 
ſtützung der Landwirte bei dringender Not. Saatforn wurde 1772 vielfah um: 
jonft gefpendet, und ungezählt find die Fälle, in denen der König einen Ein: 
zelnen oder eine Gemeinde aus den Staatsvorräten gegen billigftes Entgelt 
geſpeiſt hat. 

Für den Getreidehandel der Privaten blieb allemal noch Spielraum. Die 
Einfuhr polnifhen Getreides war, wie ſchon unter der vorigen Regierung, an 
der pommerjhen und märkiſchen Grenze verboten, an der fchlefifchen war fie 
einem Zol unterworfen. Eine noch höhere Auflage traf dort die Einfuhr von 
Getreide aus Defterreih. Je nad) der Lage des Marktes wurde in Schlefien der 
Verkehr mit ben Nahbarländern bald erleichtert, bald erfchwert oder ganz ge: 
ſperrt. Die Ausfuhr von Getreide aus dem Magdeburgiihen und Ponmern 
wurde nach dem GSiebenjährigen Kriege nur noch gegen Päfle, die der König 
eigenhändig vollzog, geftattet. Oftpreußen behielt feine freie Ausfuhr und das 
Recht, das auszuführende Getreide aus Polen zu beziehen; ber Landwirt dort 
zu Zande Flagte, daß für das einheimifche Korn infolgedeflen fein Abjag fei, 
und ber König gab zu, daß er mit Magazinfäufen allein nicht helfen könne, 


Gurt uch. 


420 Achtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


wenn die Kaufleute im Inlande nicht kaufen wollten. Trotz des neuen Wett: 
bewerbs der ruffiihen DOftfeehäfen!) wurden aus Königsberg 1784 noch an 
48000, 1785 an 42000 Wifpel ausgeführt. Der Magdeburger Kornhandel 
blieb troß aller Erſchwerungen der Ausfuhr und Durhfuhr?) ftets von großer 
Bedeutung, da für die Verminderung des Abjages nah dem Auslande Die Ver: 
forgung der Hauptftadt Berlin mit Brotforn einen Ausgleih bot. Um den 
Getreivehandel auf der Elbe und Oder zu heben, empfahl der König wieder die 
Bildung von Aftiengejelihaften: als er am 27. Dezember 1769 die Minifter 
vom Generaldireftorium an feiner Tafel vereinigt ſah, entwidelte er ihnen 
während des Mahles eingehend jeine Gedanken über die zwedmäßigite Art, wie 
Rittergutsbefiger und erfahrene Kaufleute ſowohl auf der Elbe wie auf der Oder 
den Korn: und Holzhandel betreiben könnten, zumal um den Hamburgern den 
Zwiſchenhandel zu entreißen; den Edelleuten, die dadurch die Einfünfte ihrer 
Güter merklich verbeffern würden, könne die Beteiligung an folder Handlungs: 
focietät „zu feiner Verkleinerung“ gereihen, „indem nicht abzujehen, warum fie 
nicht auf die beite Weife aus ihren Denrdes den beiten Nugen ziehen jollten“. 
Schnell nahm der Plan Geltalt an; am 5. Februar 1770 erhielten die Magde— 
burger Kompanien ihre Freibriefe: das Recht zur Ausfuhr einheimifchen Ge: 
treides, foweit der Roggen auf den Märkten von Berlin und Magdeburg unter 
einem beftimmten Preiſe bleiben würde, und das ausichließliche Recht zur Durch— 
fuhr fremden Getreides aus Anhalt und Sadien. Dagegen ift die für den 
Oderhandel geplante Gejelihaft nicht zu ftande gefommen. 

Nicht anders als um die Einjchränfungen des Getreidehandels ftand es 
um das Verbot der Wollausfuhr. nn beiden Fällen entſchädigte die wachſende 
Aufnahmefähigfeit des inländiihen Marktes den Landwirt für den Verluft aus- 
wärtiger Abfaggebiete. 

Die Klagen und Befürdtungen, zu denen 1719 den Schäfereibefigern bas 
Ausfuhrverbot Friedrih Wilhelms 1.) Anlaß gegeben hatte, fanden einen Wieder: 
ball in Sclefien, als jeit 1754 die Sperrmaßregeln, im Zuſammenhang der 
zollpolitiichen Maßregeln gegen die Nachbarn, auf dieje Provinz ausgedehnt 
wurden. Die Schafzucht ftand in Schlefien in hohem Flor. Man wandte ihr 
bier eine Sorgfalt zu, die anderwärts noch unbelannt war, in Auswahl der 
Zudtböde, der Weidepläge, des MWinterfutters, der Streu. Die ſchleſiſche Wolle 
aus der Gegend um Namslau und Dels wurde auf dem —— — 
faum geringer als die ſpaniſche geſchätzt; nach Holland wurde zu Anfang des Jahr: 
bunderts, ehe die öfterreihiiche Regierung die Ausfuhr mit einem Zoll belegte, 
ſchleſiſche Wolle für eine ee a nn Zehaler verkauft, um in Leyden zu Tüchern 
im Werte von 2! Million verarbeitet zu werden, während daheim die Tuch: 
wirfer für ihre damals noch gröbere Ware die Mittelmolle bevorzugten. Nah 
Deiterreih ging um 1750, vor dem Beginne des Zollfriegs, ſchleſiſche Wolle 
jährlih im Durdichnittswerte von 99000 Thalern, und aud die fächfifchen 


) Bgl. oben ©. 213. 
2) Vgl. oben ©. 6. 
” 96.1, 429. 


Verwaltungäreformen und Schuh der nationalen Arbeit. 421 


Tudfabrifen bezogen einen jehr großen Teil ihres Rohftoffes aus Schlefien, im 
Werte von jährlich 120000 Thalern. Trotzdem waren bei der Größe des Schaf: 
beftandes die Wollpreife in Schlefien niedriger als in der Mark; fie fielen im 
Jahre 1755 infolge der neuen Prohibitivpolitif noch um ein beträchtliches, 
und das 1755 ausgeiprochene Verbot der Ausfuhr nad Sachſen wurde deshalb 
bald durd einen mäßigen Ausfuhrzoll erfegt. Gleich darauf kam der Krieg und 
brachte die Wollpreife auf unerhörte Höhe, indem er aller Orten, in Schlefien, 
in Sachſen, in der Mark, furdhtbare Verheerungen unter den Schäfereien an- 
richtete. Zwar wurde wenigftens in Schlefien der Abgang auffallend jchnell 
erjegt, denn 1765 war hier bereits wieder der Schafbeftand von 1763 erreicht; 
aber inzwiſchen hatten biejelben Behörden, die vor dem Kriege fich im Intereſſe 
der Landwirtſchaft gegen das Ausfuhrverbot ausgeiproden hatten, jegt im Intereſſe 
ber Induſtrie dies Verbot gefordert, und jo war Anfang Oktober 1761 die Woll: 
ausfuhr aus Schleſien geiperrt worden. 

Die Folge bat dann gezeigt, daß bei dem Aufblühen der Tucinduftrie 
die Wollpreife troß des Ausfuhrverbotes auf einer Höhe blieben, bei der, wie 
der nachmalige preußiiche Minifter Strumfee in einer feiner ftaatswirtichaftlichen 
Abhandlungen hervorhob, ſowohl der Landmann als der Fabrifant beftehen 
fonnte. Nur vorübergehend hatte „die Noblefje”, der Stand der Gutsbefiger, Art wi 
wie es 1755 vorausgefagt worden war, ein Opfer bringen müfjen. 1756 waren 1758: gehen, RR 
in n ben öftlichen und mittleren Provinzen über 5612362 Schafe vorhanden, davon 
etwas über eine Million in der Kurmarf, ungefähr eine halbe in der Neumart 
und im Magdeburgiſchen, 2200000 allein in Schlefien. Cine Zählung vom 
Dezember _1783 ergab für die ganze — 6808 089 Stück, während ala 753: 694: 
Schafbeftand des damaligen Englands 12 2 Millionen ‚gerechnet wurden. Damit 
war in Preußen ein Höhepunft — Die nächſten Jahre brachten ein 
großes Schafſterben, aber auch ſonſt verringerten, wenigſtens in Schleſien, bie 
Beſitzer ihre Herden, trotz hoher Wollpreiſe. 

Unter allen Umſtänden konnten gegen das Ende der Regierung die 
preußiſchen — —— die da gefürchtet hatten, an dem Ausfuhrverbot zu 




















Nach der —— von Heinitz mußte jährlich für etwa 350000 „Thaler 7  Shemes h / 
Wolle aus Spanien, Polen und Medlenburg eingeführt werden. Teilweije aller: ars Pi 
dings war dieſer fremde Rohitoff den Fabriken wegen feiner Eigenart unent: 
behrlich; die ſchleſiſchen Zeugmacher bezogen für ihre Rammarbeit einfchürige 
Wolle aus Polen, da die zweiſchürige jchlefifhe nur für Tuche verwendbar 
war. Für die feinften Stoffe aber blieb man noch immer auf ſpaniſche Wolle 
angewiejen. Daß Spanien um 1750 die Ausfuhr feiner edlen Zucdttiere bei 
Tobesjtrafe verboten hatte, gereichte dem König von Preußen zum jchweren 
Kummer. Erft 1785 wurbe das Verbot aufgehoben, und nun wurde nad 
dem Vorgang von 1748 alsbald wieder eine Herde Böde und Mutterjchafe 
„tief in Andalufien” aufgekauft. Was fi dur Veredelung der Zucht nod 
erreichen ließ, lehrte ein Vergleich mit den Ergebnifjen der Mufterwirtihaft in 
England. Dort erzielte man einen Zentner Wolle von 30 Schafen und ver: 
faufte ihn für 110—170 Thaler, in Preußen aber trugen erit 50 Schafe 


2 G 


422 Achtes Buch. Zweiter Abfchnitt. 


einen Zentner ein und der Zentner pommerfcher und märkiſcher Wolle wurde 
nur mit 27% Thaler, der feinfter ſchleſiſcher Wolle mit 64 bezahlt. 


Die Kritik, die über die preußifche Wirtihaftspolitif, ala der große König 
faum die Augen geichloffen hatte, ein vollftändiges und grundjägliches Ber: 
dammungsurteil abgab, hat ſich bei Friedrichs Lebzeiten no im Hintergrund 
gehalten. 

Allerdings ift er bei feinen Miniftern, und zwar feineswegs jelten, mit 
feinen Anordnungen und Entwürfen auf Einwände und Widerſpruch geftoßen, 
und wenigftens in einem ‘alle bat ber Widerſpruch geradezu eine heraus: 
fordernde Form angenommen. Es war im Herbit 1766. Eben hatte der 
König feine neuen Schöpfungen ins Leben gerufen, bie franzöfifche Regie des 
Boll: und Nccifewejens, das ftraffere Tronützolliyitem, die Tabafsadminiftration, 
bie Bank, die Handelsgefellihaften. Die allgemeine wirtichaftliche Lage wollte 
fih noch nicht beſſern, der Großkanzler Jariges empfahl deshalb eine Unter: 
ſuchung über die Urfahen des Verfalls von Handel und Induſtrie. Der König 
entgegnete, die Urſachen feien ihm mwohlbefannt, und wies vor allem auf die 
„Caprice“ der Kaufleute gegen feine neuen Einrichtungen bin; indes forderte er 
vom Generalvireftorium einen eingehenden Bericht ein, wie ihn der Großfanzler 
wünfchte. Diejen Auftrag nun benugten die Minilter zu einem ſchonungsloſen 
Vorftoß gegen das ganze Gefüge jener neuen Beranftaltungen. Der König 
war über ihre „impertinente Relation” entrüftet, er argwöhnte eine Beitechung. 
Mit Hohn erklärte er, die Minifter, die den Bericht unterzeichnet hatten, „mit 
ihrer Ignoranz“ entjhuldigen zu wollen; aber die „Malice und Korruption” 
des Konzipienten müſſe eremplarifch beftraft werben: „jonften bringe ich bie 
Kanaillen niemals in die Subordination”. Der Berfafler, ein Geheimer Finanz: 
rat Urfinus, hatte früher bei dem Könige einiges gegolten, aber er fand feine 
Gnade und wurde, da bei der Unterjuhung fleine Unregelmäßigfeiten jeiner 
Amtsführung fih ergaben, zu einjähriger Feltungshaft verurteilt. Seitdem 
legten jih die Minifter, wenn fie Bedenken geltend zu machen hatten, große 
Vorfiht auf, wie Heinig mit feinen Angriffen auf die Regie, mit denen er doch 
nicht zum Ziele fam. 

Schärfer oder behutiamer zum Ausdrud gebradt, galten aber diefe Ein— 
wände immer nur der Ueberjpannung des Syftems, nicht dem Syſtem jelbit. 
Sowohl Urfinus, das Opfer von 1766, wie Heinig waren gemäßigte Merkan— 
tiliften, gingen aljo von berjelben Grundanfhauung aus wie der König. 
Grundjäglide Anhänger des Freihandels, wie etwa der Kriegsrat Bertram in 
Königsberg, der den Xccijetarif für feine Provinz gern in feinem Sinne aus: 
geftaltet hätte, gab es in dem damaligen Preußen gewiß nur in fehr fleiner 
Zahl. Indem alſo der Gegenfag der Prinzipien, des alten und eines neu 
aufiteigenden Syitems, bei den Meinungsverfchiedenheiten zwifchen dem Könige 
und jeinen Beratern noch nicht in die Erfcheinung trat, war Friedrich geneigt, 
fih dem Widerſpruch gegenüber ftets als Reformer, als den Vertreter des 
Bortihritts zu betrachten. „Die Menſchen,“ Elagt er in dem Teftament von 





Bermwaltungdreformen und Schu der nationalen Arbeit. 423 


1768, „bewegen fi, wenn man fie antreibt, und halten ftill, jobald man einen 
Augenblid aufhört, fie zu ftoßen. Jedermann hält nur die Gebräuche feiner 
Väter für gut. Man lieft wenig, man hat feine Zuft, fi) darüber zu unter: 
ridten, wie man etwas anders maden kann, und von mir, ber ich immer 
nur Gutes gethan, denken jie, daß ich ihnen das Mefler an die Kehle jegen 
will, jobald es fih darum handelt, eine nügliche Verbefferung oder überhaupt 
eine Aenderung einzuführen. Ich babe mich in ſolchen Fällen auf meine red: 
lihen Abfihten und auf mein gutes Gewiſſen verlaffen, ſowie auf die Kenntniffe, 
die ich mir verfchafft habe, und bin ruhig meines Weges gegangen.” 

Einige Jahre jpäter gewahrte er wohl, daß ein Streit um die erften 
Vorausfegungen begonnen hatte, daß jenjeit der Landesgrenzen eine neue 
Auffaffung von den Bedingungen und Anſprüchen des ftaatlihen, fozialen und 
wirtichaftlihen Lebens fih Bahn brach. Aber er verließ fih darauf, daß feine 
alte Praris mehr wert jei, als die neue Theorie. „Die Herren Encyklopädijten,” 
ſchreibt er am 5. September 1777 an Voltaire, „werben vielleicht nicht immer 
meiner Meinung fein; ein jeder fann die feine haben. Allemal, wenn bie 
Erfahrung von allen Führern der ficherfte ift, jo wage ich zu jagen, daß meine 
Sätze einzig allein auf das ſich gründen, was ich gejehen und was ich über: 
legt habe.” 


Dritter Abjchnitt. 


Bündnis mit Rußland und erfie Teilung Polens. 


ganz auf den Gegenſatz zwiſchen Franfreih und England geftellt. Als 

jo unverföhnlich galt ihm dieſer Gegenfag, daß er ſicher glaubte, unter 
allen Umftänden bei der einen oder bei der anderen biejer beiden europätfchen 
Vormächte ein Bündnis zu finden. So rein und rejtlos jchien ihm die Rechnung 
aufgehen zu müflen, daß er feinen erjten Krieg gewagt hatte, ohne vorher einen 
Kampfgenofien fich gefihert zu haben. 

Später hat er an fich felber erfahren, daß der Verſuch, es mit Frankreich 
und England zugleich zu halten, unmöglid war, daß zwijchen beiden gewählt 
werden mußte. Als er im Januar 1756 mit England den Weftminftervertrag 
ſchloß, verließ ihn der Gefährte feiner beiden erjten Kriege tief verlegt und 
ſchloß fih in dem dritten jchlefiihen Kriege Preußens Gegnern an. 

Der Gegenfaß zwiſchen den beiden großen Weſtmächten beitand auch nad) 
den Friedensihlüffen von 1762 und 1763 in aller Schärfe fort. Ein enges 
Bündnis zwiſchen Franfreih und Englands altem Gegner Spanien, der Familien- 
vertrag zwiſchen den beiden bourbonifchen Kronen und Streitigkeiten zwiſchen 
Spanien und England jenjeit des Weltmeeres bradten jchon nad) wenigen 
Fahren neuen Krieg in Sicht. Und bald beobachteten Englands europäijche 
Widerfaher mit Schadenfreude Beginn und Berlauf des verberbliden Kampfes 
zwiſchen dem britifhen Mutterlande und den amerifanifchen Kolonien, an dem 
die Macht, welche im Siebenjährigen Kriege ihren ftolzen Erbfeind gedbemütigt 
hatte, in neuen fieben Kriegsjahren fich erjchöpfte. 

Der Gegenſatz zwiſchen Frankreich und England beftand fort, aber er 
brachte feinen Vorteil mehr für Preußen. Die franzöfiiche Politik hielt ihm ihr 
Antlitz beharrlich abgewandt. Andere politifche Kombinationen, andere Allianzen 
famen und gingen, das Bündnis der Höfe von Berjailles und Wien hat von 
1756 bis zu ber großen franzöfiihen Staatsummälzung unerfchütterlih an: 
gedauert, der einzige feite Pol in der damaligen europäifhen Staatenwelt. 


X den Anfängen feiner Regierung hatte Friedrich der Große feine Politik 


Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 425 


Nicht mehr die Wahl zwiſchen Frankreih und England blieb dem Könige von 
Preußen, nur nad der engliihen Seite bot ſich ihm noch die Möglichkeit zum 
Anſchluß. Aber wenn das franzöfiihe Bündnis nicht erreihbar war, jo 
erihien das engliſche micht begehrenswert. König Friedrih hielt fih nad) 
den beim Ausgang des letzten Krieges gemadten Erfahrungen an ben oft 
wiederholten Grundjag: Man könne zwar mit einem engliſchen Minifterium ein 
Bündnis ſchließen, aber nit mit der engliihen Nation; denn fobald das 
Minifterium eine Nenderung erleide, würden die von ihm eingegangenen Ber: 
pflichtungen als nichtig und ungefchehen betrachtet, wofern fie für die neuen 
Minifter unbequem wären. In ber gleihen Auffaffung von dem Werte eines 
Bündnifjes mit England hat genau hundert Jahre nah dem Abſchluß des 
Weitininftervertrages Dtto von Bismard in der berühmten Denkſchrift vom 
26. April 1856 zurüdihauend warnen zu follen geglaubt: „Die infularifche 
Sicherheit macht es England leicht, einen fontinentalen Bundesgenoffen je nad 
dem Bebürfnis der britiihen Politik zu halten oder figen zu laſſen, und ein 
Minifterwechjel reicht zur Bewirkung und Rechtfertigung des Nevirement hin, mie 
Preußen das im Siebenjährigen Krieg erlebt hat.” 

Heußerlih ftand man mit dem bisherigen Bundesgenojjen ein wenig beiler, 
als mit dem bisherigen Feinde; denn die diplomatiihen Beziehungen zu England 
wurden, troß einiger Paufen bei der Ablöfung der Gefandten, immer aufrecht 
erhalten, während die zu Frankreich nach dem Kriege noch Jahre hindurd ganz 
ausgejegt blieben. Wie man Krieg geführt hatte ohne vorangegangene Kriegs: 
erflärung, fo war auch fein Friede förmlich geichloffen worden. König Friedrich) 
machte aus jeiner Gleichgültigfeit gegen Frankreich fein Hehl. Als im Frühjahr 
1763 ein nad Stodholm beitimmter franzöfifher Diplomat auf der Durchreife 
durh Berlin um eine Audienz erfuchte, wurde ihm anbeimgeftelt, fih zu 
gedulden, bis der König das nächſte Mal aus Potsdam fommen werde; es 
war darauf abgejehen, daß der Franzoje ſich langweilen und weiterreijen follte, 
was dann auch bald geihah. Die Wiederheritellung einer diplomatifhen Ber: 
tretung wurde zwar im erften Friedensjahre mehrfach erörtert. Aber der zunächſt 
für den Berliner Poſten in Ausficht genommene General Montazet wurde von 
preußifcher Seite als nicht genehm bezeichnet, weil er ſich während bes ganzen 
Krieges im öfterreihifchen Hauptquartier befunden habe. Mit der Perjönlichkeit 
des nunmehr vorgeichlagenen Grafen Mailly, eines der Kriegsgefangenen von 
Roßbach, erklärte fih König Friedrich einverftanden; aber da feine Ernennung 
dann ſtillſchweigend unterlaffen wurde, jo ging auch ber bereits deſignierte 
Baron von der Golg, der Unterhändler des preußiſch-ruſſiſchen Friedens, nicht 
nah Paris ab. Am dritten Ort hatten fih die preußiichen Diplomaten gegen 
die franzöfifhen Kollegen auf fühle Höflichkeit zu bejchränfen. 

Bei diefer Spannung zwiſchen Preußen und den beiden Weltmächten 
gewann derjenige Staat für die preußifche Politik entjcheidende Bedeutung, der 
zwar nie unterſchätzt, aber bisher doch nur als Nebenfaltor in bie politische 
Rechnung eingeitellt worden war. 

„Bon allen Nahbaren Preußens,” fo hatte Friedrih im Jahre 1746 
geichrieben, „it das ruffiiche Reich der gefährlichite, ſowohl durch jeine Macht, 


426 Achtes Buch. Dritter Abjchnitt. 


wie durch feine örtliche Lage. Die, welde nad) mir unjer Land regieren werben, 
haben Anlaß, die Freundfchaft diefer Barbaren zu pflegen, da fie im ftande 
find, dur die ungeheure Zahl ihrer leiten Truppen Preußen von Grund 
aus zu verwüften, während man ihnen den Schaden, den fie anrichten fünnen, 
nicht vergelten fann, wegen der Armjeligkeit ihrer an Preußen angrenzenden 
Landſchaften.“ Galt ihm Franfreid als begehrenswerter Bundesgenofje für bie 
Dffenfive, für einen Eroberungsfrieg gegen Defterreih, war England 1742 
und 1745 mit Erfolg als Vermittler des Friedens angerufen worden, jo hatte 
er von Rußland vordem nur paflive Affiftenz begehrt, jchon zufrieden, wenn 
diefe Macht ihm während eines Waffenganges nicht in den Arm fiel; vor Beginn 
jeines erften, feines zweiten Krieges hatte er fich jedesmal die Frage vorgelegt, ') 
ob er Ausfiht habe, den Rüden gegen Rußland frei zu behalten. Wiederum 
war ed nach dem zweiten jchlefiichen Kriege feine Anficht, daß Defterreih ohne 
die Beteiligung Rußlands einen Angriffsfrieg gegen ihn nidt wagen würde, 
und beshalb hatte er im Januar 1756 fein Bündnis mit Frankreih aufs Spiel 
gejegt, um mit Englands Hülfe Rußland von der für Preußen bebrohlichen 
Verbindung mit Defterreich abzuziehen. 

Hatte er bei diejer Hoffnung, feine Beziehungen zu Rußland nad dem 
Verhältnis zu England regeln zu können, die politifhe Selbftändigfeit des 
nordiſchen Reiches in verhängnisvoller Weife unterfhägt, jo übertraf auch die 
militäriſche Leiftungsfähigkeit diefes Staates, wie fie fih im Siebenjährigen 
Kriege offenbarte, alle bisherigen Annahmen um ein Erheblides. Ein Grund 
mehr für Preußen, fih um die Wiederheritelung der guten Beziehungen zu 
bemühen, die einjt zwiſchen Peter dem Großen und Friedrihd Wilheln I. be 
ftanden hatten. Aber das dem rein perfönlihen Antriebe eines unfähigen 
Herrichers entiprungene, den Ruſſen durhaus mißliebige Bündnis vom Früh: 
jahr 1762 war, noch ehe es ratifiziert werden konnte, mit feinem Urheber in 
das Grab gelegt worden. Und für die Wiederanfnüpfung der jo jchnell zer: 
riffenen Bande konnte es nicht förderlich fein, daß der König von Preußen 
die den Ffriegführenden Teilen recht dringlich angebotene ruſſiſche Friedens— 
vermittelung artig, aber entichieden zurückgewieſen hatte. 

Als Gefandter der Zarin ging bald nah ihrem NRegierungsantritt der 
Kurländer Graf Keyferling nah Warſchau, deſſen wohlmeinende Gefinnung 
in Berlin, wo er früher einige Jahre hindurch feinen Hof vertreten hatte, be: 
fannt war.?) Bor feiner Abreife aus Petersburg äußerte er im Auguft 1762 
zu dem preußifchen Gejandten Bolt, es liege zwar nicht im Intereſſe Rußlands, 
mit feinen Nahbaren Bündnifje zu jchließen, durch die man mur zu leicht in 
fremde Händel verwidelt werde; gleichwohl werde feiner Anficht nach die Kaijerin 
nicht abgeneigt fein, mit Preußen eine engere Berbindung für die Behandlung 
der polnischen Angelegenheiten einzugehen. König Friedrich, der damals nod 
Schweidnitz belagerte, beſchied feinen Gefandten nicht ablehnend, aber aus: 
weichend. Vorerſt müſſe er aus dem Labyrinth diejes Krieges binausgelangt 





2) Bd. I, 48, 49, 91 ff., 201 ff. 
2) Bd. 1, 560, 


Bündnis mit Rußland und erjte Teilung Polens. 4927 


fein; ſonſt aber werde fih ein Abkommen wegen Polen leicht erreichen laflen, 
da er felber nichts anderes fordere, ald daß ein Prinz aus dem Haufe 
Deiterreih unbedingt von der Wahl ausgeichloflen bleibe; jeder andere Kandidat 
des ruſſiſchen Hofes, auch ein fächlifcher Prinz, werde ihm genehm fein. Er 
erinnerte fich wohl jenes alten, in Wien thatfächlih noch nicht vergeffenen 
Planes, dem Schwager Maria Therejfias, dem Prinzen Karl von Lothringen, 
die polniihe Krone zuzumenden. 

Keyferling war ſehr dienfteifrig. Auf der Durchreiſe durch Königsberg 
ftellte er dem Kammerpräfidenten Domhardt vor, Preußens Intereſſe erheifche 
einen Freundſchaftsvertrag, wohl aud einen Hanbelsvertrag mit Rußland, aus 
dem fich jpäter vielleicht ein Schukbündnis entwideln werde. Aus Ergebenbheit 
für ihre beiden Höfe werde er mit Freuden und mit den zwedmäßigiten Nat: 
ſchlägen dazu helfen; aber der König möge zu einer geheimen Verhandlung den 
geeigneten Mann nad Warſchau ſchicken, denn auf die Verfchwiegenheit des 
dortigen preußifchen Geſandten Benoit — Keyſerlingk kannte ihn von feiner früheren 
Warſchauer Miffion her — wolle er fich nicht verlaffen. So entjandte Friedrich 
einen oftpreußifhen Edelmann, der vor zwanzig Jahren vorübergehend im 
diplomatiſchen Dienit verwandt worden war und jüngſt nach dem Friedensſchluß 
mit Rußland bei den Ausführungsverhandlungen mitgewirkt Hatte, den Geheimen 
Zegationsrat v. Korff. Am 22. Januar 1763 erftattete Korff feinen erften 
Beriht. Keyſerling bezeichnete als die beiden Ziele der polniſchen Politik 
feiner Gebieterin: Aufrechterhaltung der Wahlfreiheit und Wahl eines Piaften. 
Bald darauf war er zu der Erklärung ermächtigt, die Kaiferin fei bereit, mit dem 
Könige über die politiiche Frage in unmittelbaren Briefwechfel zu treten, wünſche 
ihn aber von preußifcher Seite eingeleitet zu jehen. Doc kam fie gleichzeitig 
ihrerjeits dem Könige um einen weiteren Schritt entgegen. Am 14. Februar 
erfuchte ihn ihr Gejandter Fürft Dolgorufi im Hauptquartier zu Leipzig im 
offiziellen Auftrage um Aufflärung über feine Abfichten für Polen und regte 
ein gemeinfames Vorgehen an. Und nun teilte ber König ber Kaijerin am 
folgenden Tage eigenhändig den in diefem Nugenblid erfolgten Abſchluß jeines 
Friedens mit und knüpfte daran die Bemerkung, das ficherfte Mittel zur 
Beieftigung des glüdlih vollbrachten Werkes werde in der Befolgung der geftern 
ihm durch Dolgorufi dargelegten Ideen liegen, auf daß nicht beim Tode des 
nad den neueften Nachrichten bedenklich erkrankten Königs von Polen das Kriegs: 
feuer von neuem entbrenne. Von allen Bewerbern um die Krone erklärte er 
nur die Prinzen vom Haufe Oeſterreich ausſchließen zu müffen, nach den Geſetzen 
einer gefunden Politik, aber wohl auch im eigenen Intereſſe Rußlands; mit jedem 
anderen, den die Kaijerin vorjchlage, werde er einveritanden fein, doch jcheine 
ihm ihrem gemeinfamen Intereſſe am beften ein Piaft zu entiprechen. 

Katharina antwortete am 4. März, fie willige gern in den Ausſchluß eines 
Oeſterreichers, wofern der König jedem von Frankreich unterjtügten Bewerber 
gegenüber das Gleihe thun wolle. Auch fie erklärte fih für einen Piaften, 


aber für einen Piaften, der nicht am Rande bes Grabes und nicht im Solde 


einer fremden Macht ftehe. 
Jetzt erft hielt Frievrih den Augenblid für gefommen, die Bedingung 


“ 


428 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


auszuſprechen, auf die er den enticheidenden Wert legte. In feinem Briefe vom 
5. April, foeben in feine Hauptitadt zurüdgefehrt, bezeichnete er der Zarin als 
das wirfjamfte Mittel zur Erhaltung bes Friedens die Vereinbarung „eines 
Vertrages und gewiffer Garantien, die denjenigen Mächten, welche ehrgeizige 
Abſichten hegen, die Luft, fie in Ausführung zu bringen, nehmen würden.” 
Gemeint war, was Katharina fofort verftand, die ruffiihe Garantie für den 
preußiihen Befigitand einſchließlich Schleſiens. 

Damit war Katharina vor die Entjcheibung geftellt. Eine Abrede für 
ben einzelnen Fall, für die polnifhe Wahl, wollte Preußen erweitern zu einem 
politiiden Syftem: Rußland ſollte zwiihen Preußen und Deiterreih wählen. 
Lieber, das jcheint Katharinas eriter Gedanke gemwejen zu fein, verzichtete fie 
auf das befondere Abkommen ganz. Oder fie machte den Verſuch, den bis: 
berigen Meinungsaustauſch jo auszulegen und zufammenzufafien, als jei man 
in der polnifchen Frage bereits einig und gegenfeitig gebunden. Denn dahinaus 
geht das ebenjo artige wie ſchlaue Brieflein, das fie am 7. Mai dem Könige 
von Preußen zur Antwort jandte: Da fie alle beide jegt mit den inneren Ans 
gelegenheiten ihrer Staaten voll beihäftigt jeien, fürchte fie fait, durch ein Schreiben 
läftig zu fallen; andererjeits würde Stillſchweigen als Gleihgültigfeit oder Kälte 
erſcheinen, angefichts des Inhalts des an fie gerichteten Briefes: „ch bin von 
dem, was Eure Majeftät mir darin fchreibt, überzeugt: daß unſere gegenjeitigen 
Intereſſen intimere Bande erheifhen. Aber ich glaube auch, daß, da wir fie 
beiderjeit8 mwünjhen, fie von uns abhängen. Sie find jchon da, obgleich die 
gewöhnlichen Formalitäten nicht angewandt worden find. Was bie polnijchen 
Angelegenheiten anbetrifft, jo verlafje ih mich darin vollflommen auf das Wort 
Eurer Majeftät und danke Ihnen aufrichtigit für die freundſchaftliche Art, womit 
Sie dem, was ich vorſchlug, zugeftimmt haben.“ 

So leiten Kaufs aber wollte Friedrich fih nicht ergeben. „ch werde 
den Augenblick abwarten,” antwortete er am 23, Juni, „wo die gewichtigen 
Dinge, die Sie befchäftigen, Ihnen Zeit laffen werden, präcijer auf das zu 
antworten, was ich die Ehre gehabt habe, Jhnen zu jchreiben.” 

Gewiß ftellte die Kaiferin von Rußland feine Geduld auf eine harte 
Probe. Aber ihr Zaubern hatte ſchwerwiegende Gründe. 

Die Meinung Keyferlings, daß Rußland nicht wohl daran thue, ſich 
durch eine Allianz die Hände zu binden, ſcheint damals unter den ruſſiſchen 
Staatsmännern in der That die vorherrichende gewejen zu fein. Das Bündnis 
mit Defterreich, jo rechnete man der Kaiſerin vor, habe ihren Reiche 60 Millionen 
gefoftet, außer ungezählten Menjchenopfern. Als der öfterreihiihe Geſandte 
Graf Mercy D’Argenteau den ehemaligen Groffanzler, den aus der Verbannung 
zurüdberufenen greifen Alexei Beftufhew, für die Wiederherftellung des alten 
BVerhältnifes zu dem Wiener Hofe zu gewinnen fuchte, meinte dieſer erfahrenfte 
und verighlagenfte aller ruffiihen Staatsmänner, offenbar aufrihtig, er würde 
feiner , falls fie ihn um feine Meinung anginge, den Rat geben, niemals 
ein Bündnis zu Ichließen, weder mit dem Wiener noch mit dem Berliner Hofe. 
Vor die Wahl geftellt, würde aber der alte Widerjacher Preußens, obgleich er 
ſchließlich durch einen Liebesdienft der öfterreihifhen Diplomatie zu Fall ge: 


Bündnis mit Rufland und erfte Teilung Polens. 429 


fommen war,!) fi auch jegt noch entjchieden mehr der öſterreichiſchen als ber 
preußiihen Sache zugeneigt haben. Wollends Woronzow, der no immer Groß: 
fanzler war, der eigentlihe Träger der Politif des Siebenjährigen Krieges, 
mußte einem Bündnis mit Preußen im Innerſten entgegen fein. Auch Orlomw, 
ber Mörder Peters III, der erklärte Günftling, galt als öfterreichifch gefinnt, 
und mit Sorge hörte König Friedrih von dem Gerücht, da diefem Manne in 
Wien die Reihsfürftenwürde zugevaht werde. Der von der Kaiferin je länger 
je mehr zu ben auswärtigen Angelegenheiten herangezogene Nifita Panin, 
durch feine politiihe Vergangenheit nicht gebunden, wurde von preußifcher 
Seite eifrig ummorben, wahrte aber vorerft abwartende Zurüdhaltung. Katharina 
felbft befannte in einem vertrauliden Schreiben an Keyſerlingk, ihr Ziel fei, 
zu allen Mächten im freundfchaftlihen und fogar in einem Defenfivverhältnis 
zu ftehen, um fich ſtets auf die Geite der Vergemaltigten ftellen zu fönnen und 
dadurch der Schiedsrichter von Europa zu fein. 

Das Bedenklichite war, daß ein Bündnis mit Preußen jofort eine peinliche, 
gefährlihe Erinnerung weden mußte. Was der Thronummälzung von 1762 
und der angemaßten Krone ber landfremden Tochter eines fleinen und ver: 
armten deutſchen Fürftenhaufes in den Augen ihrer ruffiihen Unterthanen 
eine Sanftion gab, war vor allem die Abmwendung der neuen Herrin von 
der Politik Peters III. Wenn fie jet den leitenden Gedanken dieſer Politik 
wieder aufnahm, ihr nachträglich eine Rechtfertigung erteilte, jo konnte das ben 
noh ſchwankenden Grundlagen ihrer Stellung den verhängnisvollen Stoß geben. 
Der preußifhe Gejfandte machte die Wahrnehmung, daß in Petersburg fall 
allgemein ihrer Herrihaft nur kurze Dauer vorausgefagt wurde. Er ſah bie 
Urſachen der Unzufriedenheit mit der Regierung Katharinas in ihrem über: 
triebenen Reformeifer, in der wenig glüdlihen Auswahl der Berater, in der 
leidenfhaftlihen Zuneigung der Zarin für den Favoriten Orlow. eben Augen: 
blid fonnte ihr eigener Sohn als Gegenkaifer auf den Schild erhoben werben: 
hielten doch viele dafür, daß die Herrſchaft der Mutter nur eine Art Zwiſchen— 
reich fei, bis der beim Tode des Vaters fiebenjährige Großfürft Paul zu feinen 
Jahren gekommen fein werde. Und weiter: nad der Ermordung Peters III. 
lebten in Rußland zwar nicht mehr drei Kaifer, wie in der Woche nah Peters 
Sturz, aber immer noch zwei: neben Katharina der unglüdliche Iwan Antono: 
witſch, der nad) einjähriger Negierung als einjähriges Kind entthronte Zar und 
Enfel eines Zaren, der Gefangene von Schlüſſelburg. 

So ſprachen die ftärfften Bedenken gegen eine neue Verbindung mit dem 
in Katharinas erften Manifeit als „Todfeind”?) angeklagten Könige von Preußen. 
Und doch erheiſchte die Lage der polnifhen Angelegenheiten einen fchnellen 
Entihluß. Der Tod König Auguſts durfte von heute auf morgen erwartet 
werden; aljo ftand nad den Erfahrungen von 1733 ein Bürgerkrieg vor ber 
Thür und im AZufammenhang damit vielleiht eine bewaffnete Einmiſchung 
fremder Mächte. Unmöglich fonnte Rußland abjeits bleiben. Aber es war 


ı) Oben ©. 157. 
2) Oben S. 316. 


430 Achtes Bud. Dritter Abfchnitt. 


gefährlich, für fih allein, ohne das Einverftändnis mit wenigftens einer Macht, 
vorzugehen. Katharina, die im Juli 1763 ein ruſſiſches Corps nah Litauen 
geihidt hatte, mwiegelte einen Monat jpäter ſtark ab: indem fie ihre Anhänger 
in Polen vor unvorficdhtigen Schritten, vor einer übereilten Scilderhebung 
warnen ließ, wies fie zumal darauf hin, daß fie noch feine Allianz habe; fie 
arbeite erft daran. 

Noch immer jeit hundert Jahren Hatte bei jeder Königswahl der König 
von Franfreih, um die Republit Polen für fein europäiiches Föderativiyitem 
zu gewinnen, einem Manne feines Vertrauens, einem feiner Verwandten die 
Krone auf das Haupt zu fegen geſucht. Ludwig XIV, hatte 1669 und 1674 
für den großen Conde, 1696 für den Prinzen von Gonty die franzöfijche 
Diplomatie und das franzöfiihe Gold arbeiten laſſen und Ludwig XV. zu 
Gunften feines Schwiegervaters Stanislaus Leszezyunsfi ein Heer an der 
Weichjelmündung auf polniihen Boden geſetzt. Damals hatte Rußland die 
franzöfiihe Intervention im Bunde mit Defterreih befämpft, indem fich die 
Kaiferin Anna nah dem Borgange Kaifer Karls VI. für den Kurfürften von 
Sadjen erklärte. Wieder war es um 1750, als von neuem ein Gonty um 
die dereinftige Nachfolge des Sachſen ſich bemühte, zu einem Einverftändnis 
zwiſchen ben beiden Kaiferhöfen gegen den franzöfiihen Bewerber gekommen, 
diesmal zu Gunften des Schwagers der Kaiferin Maria Therefia.') 

Aber war es denn möglich, auch heute noh mit dem Bundesgenofjen 
von damals, dem Ktampfgefährten aus dem Siebenjährigen Kriege, in Polen 
zufammenzugehen ? 

Vor dreißig Jahren hatte Rußland den ſächſiſchen Bewerber, der ſich die 
öfterreihifche Unterftügung durch feine Garantie der pragmatiichen Sanktion 
Karls VI. gefihert hatte, um fo eher fich gefallen laſſen, als diefer Bewerber 
dem damals am Zarenhofe allmädtigen Grafen Biron die Belehnung mit dem 
Herzogtum Kurland in Ausfiht ſtellte. Jetzt aber lagen die Verhältniſſe 
völlig anders. Rußland hatte feine eigene Partei in Polen, eine gejchlofjene, 
zahlreiche, mächtige Partei, deren Wünfche die Zarin berüdfidtigen mußte, wenn 
fie ihrer ficher bleiben wollte. 

Den Kern diefer ruffiihen Partei bildete die weitverzweigte Vetterichaft 
des dem alten litauiichen Regentengejchlehte verwandten Haufes der Czartoryski. 
Bezeichnenderweile nannte man die Partei allgemein „die Familie”, eine 
FJamilie, gegen die feine andere im ganzen Land auffam, die Familie ſchlechthin. 
Neben dem Kanzler von Litauen, Fürft Michael Ezartorysfi, dem 1696 ge: 
borenen Senior des Gefchlechtes, ftanden feine Brüder Theodor, der Biſchof 
von Pojen, und Auguſt, der Woimode von Klein-Rußland, der durch eine 
Fuge Heirat den gewaltigen Reichtum der Familie begründet hatte, dann deſſen 
Sohn Adam, der Hetman von PVodolien, vier Vettern aus dem Haufe Ponia— 
towski und andere Vettern aus den Sippen der Maflalsfi, Oginsfi, Yubomirski. 
Der ruffiihe Gejandte verglich die Familie mit einer Heinen, in vortrefflider 
Ordnung regierten Republif innerhalb der großen, auf das fchlechteite regierten. 


') Oben ©. 427; Bd. I, 5683. 


Bündnis mit Nußland und erfte Teilung Polens. 431 


In den Thronftreitigkeiten zu Anfang des Jahrhunderts hatten die Czartorysfi 
auf Seiten des Schwedenkönigs und feines Schützlings Leszezynski gegen 
Auguft den Starken gefämpft, dann mit dem Sieger ihren Frieden gejichloffen, 
bei der zmwiejpältigen Wahl von 1733 abermals zu Leszcezynski gehalten und 
nad) deflen Verdrängung abermals die Partei gewechſelt. Zwanzig Jahre 
hindurch die kräftigſte Stüße des jähfiihen Hofes, trennte fi die Familie im 
Sahre 1754 von Auguft III. anläßlih eines ſchweren Zerwürfniſſes mit dem 
Günftling Brühl und übernahm die Führung der parlamentarifhen Oppofition, 
während ber Hof fich jegt mit der Partei der Potodi verſöhnte und verbündete, 
denen fich der Sohn des Grafen Brühl verſchwägert hatte. Die Beziehungen zu 
Nufland aber pflegten die Ezartorysfi und Poniatowski weiter. 

Alfo ſah fih Katharina II. von vornherein auf diefe Partei angewiejen 
und gegen die ſächſiſche Dynaſtie geftelt. Beſondere Anläffe führten beide 
Teile noch näher aneinander. Bon der Ritterfchaft Kurlands war 1758 Prinz 
Karl, der dritte Sohn des Königs von Polen, zum Herzog gewählt worden, 
dem Hofe zu liebe, aber gegen bie furiichen Landesgejege, die einen Katholiken 
von der Herzogswürde ausjchloffen. Als vier Jahre darauf der alte Biron, 
aus der Verbannung zurüdgefehrt, fein Herzogtum heimforberte, erklärte fi 
Rußland für ihn, und ebenfo im polniihen Senat Michael Czartoryski, zu 
Katharinas lebhafter Genugthuung. Der ſächſiſche Prinz wurde im April 1763 
durch ruffiihe Truppen aus Mitau verdrängt, der offene Bruch zwiſchen der 
Zarin und bem polnifhen Hofe war da. Ueberdies, ſchon war Katharina 
entfchloffen zur nachdrücklichen Unterftügung der Diffidenten in Polen, zumal 
der Griechiſch-Gläubigen, gegen die Unduldfamfeit der katholiſchen Staatskirche 
Polens. Der Abt des Heiliggeift:lofters zu Wilna, Theophan Leontowitich, 
hatte ihr in wiederholten Unterredungen die gedrüdte Lage jeiner und ihrer 
Glaubensgenofien gefchildert und auf ihre gerade aufs Ziel losgehende Frage, 
welchen politiihen Vorteil Rußland aus dem Schuß der ruſſiſch-griechiſchen 
Belenner in Polen ziehen fünne, den lodenden Ausblid eröffnet: „Unfer 
ruffiiches Neih wird 600 Werft des allerbeften, fruchtbariten Landes mit einer 
ungezählten Menge redhtgläubigen Volkes gerecht und gejeglich vor der ganzen 
Melt an fih nehmen fönnen.” Und wie mußte nicht eine foldhe zugleich 
religiöje und nationalsruffiihe Propaganda Katharinas Stellung im eigenen 
Lande befeftigen. Bisher, jo lange feine polnifhe Politif auf der Verbindung 
mit der fatholifchen Hofburg und dem Konvertitenkönig beruhte, hatte Rußland 
für die Klagen der griechiſch-katholiſchen Polen nur ein halbes Ohr gehabt und 
das aus einem Vertrag von 1686 ihm zuftehende Schutzrecht nur in ſehr 
bejcheidenem Maße geltend gemadt. Katharina nahm die doppelte Forderung 
in ihr politifhes Programm auf: Schuß der Diffidenten für die Zukunft und 
Erjat des in der Vergangenheit ihnen entrifjenen Befites. Auch das fonnte fie 
nur erreihen, wenn fie der fähliihen Herrihafit in Polen ein Ende machte 
und einem ihrer Anhänger, einem Mitgliede der „Familie“, auf den Thron half. 

Katharina entichied fi für den Neffen der Familienhäupter, den jungen 
und ſchönen, aber unbedeutenden Grafen Stanislaus Poniatowsli, dem fie 
vor einigen Jahren, als er die Republik Polen in Petersburg vertrat, feine 


432 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


Gunft verfagt hatte. Die Sendung Keyierlingts nah Warſchau, jo fchrieb fie 
ihrem Auserforenen glei nach ihrer Thronbefteigung, bezwede, ihn nad dem 
Tode Auguſts II. auf den Thron zu erheben; felbitbewußt jeßte fie hinzu: 
„Wenn es meinem Gejandten nicht gelingt, Sie zum Könige zu maden, jo 
will ih, daß Adam zartorysfi König wird.” Wie es heißt, ift Keyferlingf 
es gemwejen, der ihr geraten hat, nur im Notfall fi für den reihen, Eugen, 
thatfräftigen Czartoryski zu erklären, den glühenden polniſchen Patrioten, den 
Vorfämpfer für eine politiide Berjüngung und innere Erftarfung feines 
Vaterlandes. 

Die Entſcheidung für die „Familie“, für Poniatowski, ſchloß noch nicht 
die Entjcheidung für das Bündnis mit Preußen ein. Wenn es gelang, wie 
vorläufig von Preußen felbit, fo auch von den anderen an ber polniichen 
Thronfrage unmittelbar beteiligten Mächten die Zuftimmung zu dem ruffiichen 
Plane zu erzielen, jo fam Katharina über die von preußifcher Seite geftellten, 
ihr bedenklihen Bedingungen hinweg. König Friedrich Hat es nicht erfahren, 
daß fie in Berjailles und in Wien, in ganz ähnlicher Weife wie bei ihm 
jelber, eine Berftändigung wegen der Wiederbeſetzung des polniſchen Thrones 
geſucht hat. 

In Frankreich wurde ihre Annäherung kühl, faft unfreundlih abgewiefen. 
Der Wiener Hof nahm den Verfuh mit Ueberraihung und entfchiedenem 
Miktrauen auf. Man argmwöhnte, daß Rußland bereits mit Preußen im Ein: 
verftändnis jei. Und wie ber König von Preußen die Zarin zu einem Vertrage 
zu bewegen fuchte, der vor allem ihm Schuß gegen Deiterreih gewähren follte, 
jo betradjtete man umgefehrt in Wien jedes Abkommen mit Rußland für unnüß, 
wo nicht läftig, das nicht auf Sicherung gegen Preußen hinausfam. Die 
öfterreichifche Antwort beichränfte ſich ſomit auf Allgemeinheiten, ließ aber 
immerhin deutlich erfennen, daß man der Fortdauer des ſächſiſchen Königtums 
in Polen vor jeder anderen Löjung den Vorzug gab. 

Angefichts diefer Zurüdhaltung der verbündeten Höfe von Wien und 
von Verfailles ließ fih die Zarin nun endlich herbei, am 20. Juli in einem 
Briefe an den König von Preußen den Entwurf zu einer Vertragsurfunde zu 
erbitten. Unverzüglich fandte ihn Friedrih ihr am 6. Auguft zu, mußte aber 
zu feiner Befremdung bemerken, daß man fih in Petersburg mit der Aus: 
arbeitung eines Gegenentwurfs nicht gerade beeilte. Woche auf Woche verging, 
alle Vertröftungen Panins auf baldige Antwort blieben ohne Erfüllung, und 
als die Kaiferin ihm im Oktober Wafjermelonen aus Aftrahan für feine Tafel 
ſchickte, geſtand Friedrih feinem Gejandten, jegt dem Grafen Solms-Sonnen: 
walde, ein Allianztraftat würde ihm lieber jein. 

Es unterliegt feinem Zweijel: Katharina Hatte die Hoffnung noch nicht 
aufgegeben, Defterreih für die Thronfandidatur ihres polniſchen Schüglings 
gewinnen und dann von einem Bündnis mit Preußen abjehen zu fönnen. 
Die Entſcheidung mußte fallen, ale am 5. Dftober König Auguft III. einem 
Schlaganfall erlag, nur ſechs Monate nad) der Rückkehr in feine ſächſiſche Reſidenz— 
ſtadt. „Lachen Sie mi nicht aus,” jchrieb Katharina an Panin, „daß ich vom 
Stuhl aufgejprungen bin, als ich die Nahridt vom Tode des Königs von 


Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 433 


Polen erhielt; der König von Preußen ift vom Tiſch aufgeiprungen, als er es 
hörte.” An einem und demfelben Tage, dem 17. Dftober, richtete fie eigen- 
bändige Briefe an Friedrih und an Maria Therefia. Dieſer ſchrieb fie, ver: 
trauensvoll wolle fie ihr nicht länger verhehlen, daß fie auf einem gejegmäßigen, 
freien und regelrechten Wahltage der Wahl eines Piaſten nicht entgegen fein 
werde; jeien dieſe Abfichten ihr annehmbar, jo möge die Kaiferin:Königin ihren 
Minifter in Warfhau anweiſen, mit dem Vertreter Rußlands zufammenzugehen. 
Dem König von Preußen durfte fie nach den vorangegangenen Verhandlungen 
jest ohne weiteres den Namen ihres Auserforenen nennen: obwohl nicht reich: 
begütert, werde Stanislaus Poniatowsfi doh an dem Familienintereſſe der 
Gzartorysfis eine Stübe finden. In beiden Briefen wurden die ruffifchen 
Truppenbewegungen an ber polnifhen Grenze mit dem Intereſſe Rußlands an 
der Wahlfreiheit und an dem NRuheftande Polens begründet. 

Maria Therefias Antwort war gewunden, verflaujuliert, vieldeutig, fie 
jollte nach Raunigens Abſicht durch diefe ihre Faflung den Ruſſen zu denten geben. 
Maria Therefia erklärte fih in erfter Linie für die Wahl des Kurfürften von 
Sadjen, wollte aber auch der Wahl eines polnifhen Magnaten nicht entgegen 
fein, wenn nur das polnische Staatsgebiet unangetaftet und die Wahlfreiheit 
unverlegt bliebe; militärijhe Demonftrationen empfahl fie zu unterlaffen. Fried: 
rih antwortete unbedingt zuftimmend. Und ſchon unmittelbar nad dem Eintritt 
des Interregnums hatte er aus eigenem Antrieb der Zarin geichrieben, ein 
Wort von ihr würde genügen, um den ſächſiſchen Kurprinzen von feiner 
Bewerbung abftehen zu laſſen. 

Katharina konnte nicht mehr zweifelhaft fein. Auf einem Hoffeſte im 
November drüdte fie dem preußifchen Geſandten ihre Freude über die Antwort 
feines Gebieters aus: allen Scheelfühhtigen zum Troß werbe fie alfo die Genug: 
thuung haben, in gutem Einvernehmen und als Freundin mit dem Könige zu 
leben; als fie im Verlauf des Abends den Gejandten in der Nähe ihres Spiel: 
tiiches bemerkte, ſprach fie ihn noch einmal an: fie jei heute jehr guter Laune, 
fie hoffe, er werde die Urſache erraten. 

Gerade jet hatten die Gegner Preußens in Katharinas Umgebung nod 
einen Verſuch gemacht, fie mit Mißtrauen zu erfüllen. Den Anlaß bot das 
Erſcheinen eines türfifhen Gefandten in Berlin, des erften Vertreters, den bie 
Piorte am preußiſchen Hofe beglaubigt hat. Das Schredgeipenft eines Bünd— 
nifjes zwifchen dem Könige von Preußen und dem Großherren wirkte jo beun: 
ruhigend, daß Katharina in Wien vorftellen ließ, ein ſolcher Vertrag würde 
jowohl für Rußland wie für Defterreich bedenklich, gefährlich fein; man müfle 
gemeinfam in Konftantinopel den Plan befämpfen. Aber es gelang dem König, 
die Zarin von der Thatſache zu überzeugen, daß er feine freundlichen Beziehungen 
zu der Pforte dahin ausnußte, fie für die polnische Politif Rußlands günftig 
zu jtimmen. 

Es bleibt dahingeftellt, wie weit diefer Zwiſchenfall mit im Spiele war, 
wenn die Erklärung auf den preußiſchen Bündnisantrag vom vorigen Sommer 
noch immer auf fih warten ließ. Katharina beharrte bei ihrer Taktik, die 


Sade fo binzuftelen, als ſei bereits alles abgemadt; in bdiefem Sinne hatte 
Kojer, König Friedrich der Große. II. 2 Auf. 98 





434 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


fie in jenem glei nach dem Tode Augufts III. an Friedrich gerichteten Briefe 
die verfängliche Wendung gebraucht, daß damit der Fall des „Konzerts“ gegeben 
jei. Graf Panin, feit dem November 1763 offiziell mit der Leitung der aus: 
wärtigen Angelegenheiten betraut, ließ ſich zunädft nur angelegen jein, in 
wiederholten Beiprehungen mit dem Grafen Solms zu ergründen, zu welchen 
Leiftungen der König fi für die polnifhe Wahlcampagne, an die der preußijche 
Vertragsvorichlag noch nicht gedacht hatte, wohl verftehen würde. Er legte dem 
Geſandten den Entwurf zu einer Erflärung vor, dur die Rußland allen Polen, 
weldhe einer Königswahl einen SGonderbund, eine Konföderation entgegenzufegen 
verjuden mwürden, mit feuer und Schwert zu drohen gebadhte; er jprad die 
Erwartung aus, daß Preußen dieje Erklärung durch eine zwar nicht gleichlautende, 
aber immerhin nahdrüdlihe Kundgebung unterftügen werde. Er ließ feinen 
Zweifel darüber beftehen, daß Rußland auf „reelle Affiftenz” rechne, falls die 
Kaiferin fi veranlaßt jehen jollte, ihre Truppen in Polen einrüden zu laffen; 
der König von Preußen dürfe fih, wenn er einmal die Erjprießlichfeit eines 
nocd zu vereinbarenden Planes anerkannt haben würde, nicht weigern, der Aus— 
führung allen möglihen Vorſchub zu leiften. 

König Friedrich faßte diefe Aeußerungen jo auf, als wolle man ihn noch 
vor Abſchluß des Bündniffes zum Handeln, zum Eingreifen in die polnifchen 
Wirren drängen. Er war feit entichloffen, nur Zug um Zug vorzugehen. Er 
wies darauf hin, daß Rußland nad feinem Bündnis mit der Republik — kraft 
der Bürgfchaft, die Peter der Große 1716 für die polnifche Verfaffung über: 
nommen hatte — beredtigt jei, unter Umſtänden feine Truppen in Polen eins 
rüden zu laffen, daß dagegen Preußen dur nichts zu dem gleihen Schritte 
ermächtigt werde; zur Einmifchung werde ihm vielmehr erft das PVerteidigungs- 
bündnis mit Rußland unter Umjtänden einen Redtstitel bieten. 

Banin ließ eine Neußerung fallen, die, wie es ſchien, einen lodenden 
Ausblid eröffnen follte. Indem er furz vor Neujahr in einer der Beiprehungen 
mit Solms dringender denn je die Notwendigkeit betonte, auch preußifche Truppen 
an den Demonftrationen zu beteiligen, jeßte er bedeutſam hinzu, der König 
werde es nicht zu bereuen haben, Verpflichtungen gegen den ruffiihen Hof ein: 
gegangen zu fein; denn wenn wider alles Erwarten die Dinge zum Aeußerften 
fommen follten, jo ftehe er, Panin, dafür, daß Preußen feine Mühe belohnt 
finden werde, ebenjo wie Rußland: man werde nicht umjonjt gearbeitet haben. 
Es jei das eine Sade, die er im voraus eingeleitet habe, über die er fih aber 
zur Zeit noch nicht näher auslaffen könne. Aber der König ließ einfach ant— 
worten, troß feiner aufrichtigen und ftetigen Abficht, der Kaiferin alle von ihm 
abhängenden Gefälligfeiten zu erweiſen, jei es ihm unmöglih, feinen Staat in 
gefährlihe Dinge zu verflehten ohne vorherigen Abſchluß eines Bündniſſes. 
Seinem Gejandten geftand er: „Ich glaube zu durchſchauen, daß diejer Minifter 
vafte Abfichten auf das Königreich Polen hat, die er einftweilen noch verbirgt.” 

Je mehr Zeit ins Land ging, um fo verftimmter und mißtrauijher wurde 
Friedrich. Schon äußerte er gegen Solms den Verdacht, daß die Rufen ihn 
mit der Perſpektive eines Bindniffes jo lange „amüſieren“ wollten, bis fie mit 
feiner Hülfe in Polen am Ziele fein würden, um dann das Bündnis auf fi 


Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 4435 


beruhen zu laſſen. In einem Brief, den er am 14. Januar anläßlich jener 
Verhandlung mit dem Sultan an die Zarin richtete, ſchwieg er von dem ange— 
tragenen Bündnis ganz. „Ich will ſehen,“ ſo erläuterte er ſeinem Geſandten 
ſeine neue Taktik, „ob dieſe Leute mehr Empreſſement, zum Abſchluß zu kommen, 
zeigen werden, wenn ich meinerſeits keines zeige.“ 

Derweil hatte in Polen der Wahlkampf begonnen. Die Bewerber traten 
in die Schranfen. Das eine ergab ſich fofort, daß der lebhafteſte Widerſtand 
gegen den ruffifhen Kandidaten von dem Kurhaufe Sachſen ausging. 

Die preußische Politit ftand der ſächſiſchen Bewerbung mwefentlih anders 
gegenüber ald vor dreißig Jahren. König Friedrich hat den Rufen rund heraus 
erflärt, daß an ſich die Fortdauer des ſächſiſchen Königtums in Polen das 
preußiſche Intereſſe nicht berühren würde; denn die Regierung Augufts II, 
deſſen Wahl Friedrih Wilhelm I. 1733 als eine empfindlihe Schädigung Preußens 
betrachtete, hatte zwar gewiſſe Unbequemlichfeiten mit ſich gebracht, aber in zwei 
Kriegen, die Preußen gegen Sachſen geführt hatte, war Polen trog der Perfonal: 
union neutral geblieben. Seit dem letzten Friedensjchluffe, jeit jener Begegnung 
in Morigburg gab fich das ſächſiſche furprinzlide Paar der Hoffnung hin, bei 
einer Bewerbung um die polnifhe Krone preußifcher Unterftügung teilhaftig zu 
werden; ja die nunmehrige Kurfürftin Maria Antonie glaubte fi in dem Briefe, 
den fie unmittelbar nad ihres Schwiegervaters Tode an ben König von Preußen 
richtete, auf ein „Verſprechen“ berufen zu dürfen. Solde Hoffnung ſchnitt 
Friedrich num freilich unverzüglid ab. Das Schreiben der Kurfürftin teilte er 
zur Kennzeichnung der Lage der Kaiferin von Rußland mit — wie fi ver: 
fteht ohne die auf das angebliche Verſprechen bezüglihe Stelle; der Schreiberin 
aber antwortete er jehr deutlih: er fürdte, daß Rußland ihrem Plan mehr 
entgegen jei, als fie annehme, und daß er jeinerjeits genötigt ſei, auf Rußland 
Rückſicht zu nehmen. Dabei blieb er au in allen folgenden Briefen an Maria 
Antonie. Er fönne für Sachſen nichts thun, da mehr als ein Beijpiel zeige, 
daß man bei dem Verſuche, ed zwei Perfonen zugleich recht zu machen, es mit 
allen beiden verderbe. Rußland habe fich entjchieden für die Wahl eines Piaften: 
„ich geitehe Ihnen ganz unbefangen, daß ich mich mit der Kaiferin von Rußland 
nicht überwerfen möchte. Eure Kurfürftlide Durchlaucht weiß, daß die Hänbel 
der großen Fürſten nicht vor die Eivilgeridhte fommen, wie die der Privatleute. 
Die Jurisprudenz der Souveräne it für gewöhnlih das Necht des Stärkeren, 
und der Schwädhere, wenn er Hug ift, darf fih auf einen Kampf, in welchem 
er unterliegen muß, nicht einlafjen.” Friedrih hätte die Kurfürftin an das 
Schickſal ihres wittelsbachiſchen Vaters, Kaifer Karls VII., erinnern können. 

Es war ein fchwerer Schlag für die ſächſiſche Sache, daß am 17. Dezember 
1763 der milde und wohlmeinende Kurfürft Friedrich Chriftian nad vierund: 
fiebzigtägiger Negierung durd die Blattern dabingerafft wurde. Sein dreizehn: 
jähriger Sohn, Kurfürft Friedrih Auguft, fonnte nicht daran denken, in den 
Wettbewerb um die polniihe Krone einzutreten; er überließ die Anſprüche des 
wettinifhen Haufes feinem Obeim und Vormunde, dem Prinzen Xaver. Für 
ihn, den Schwager, warb jett Maria Antonie ebenfo eifrig, wie bisher für den 
Gatten; für ihn, den Lieblingsbruder, wirkte am franzöfiichen Hofe die Dauphine 


436 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


Maria Joſepha, und in Polen gab es unter der ſächſiſchen Partei viele, die 
für dieſen nicht regierenden Prinzen lieber als für den Träger des Kurhutes 
ftimmen wollten. 

Hätte der König von Frankreich fich entſchloſſen, offen und entichieden die 
Bewerbung Tavers zu unterftügen, der Sachſe wäre dem ruffiihen Kandidaten 
ein gefährlicher Gegner geworden. Aber Ludwig XV. hatte auf die wiederholten 
Anfragen feiner Bunbesgenoifin, der Kaiferin Maria Therefia, ob er bereit jei, 
mit Geld und Truppen für Xaver einzutreten, nur ablehnende Antworten. Die 
franzöfifche Politik lieh nicht einmal klar erfennen, ob fie dem ſächſiſchen Prinzen, 
ob dem Prinzen von Conti den Vorzug gab. Man bebarrte in Verjailles bei 
dem Programm des Herzogs von Choifeul: „Wir haben in Bezug auf Polen 
ein Syſtem der Indifferenz und Neutralität angenommen, von dem wir uns 
nicht entfernen wollen.“ Am wenigften durfte, das ſprach Ludwig jelber mit 
voller Ueberzeugung aus, um Polens willen ein neuer Krieg gewagt werben. 
Und wenn das Gerücht auftrat, Rußland und Preußen trügen fih mit der 
Abficht, polnifches Gebiet an fich zu reißen, jo tröftete man fih mit der Er: 
mwägung, dab die gegenfeitige Eiferjucht der Nachbarn Polen ausreihend gegen 
eine Zergliederung ſchütze. Man beichränfte fich aljo ichlieglih auf die ebenſo 
bochtönende wie unaufrichtige Erflärung, daß der König von Frankreich die 
Republif Polen mit allen ihm zur Verfügung ftehenden Mitteln unterftügen 
würde, falls die Wahlfreiheit gefährdet werden follte. 

In ganz unbeitimmten, überaus vorfichtigen Ausdrücken trat eine Kund— 
gebung des Wiener Hofes für den Grundjag der freien Wahl ein. Kam es 
doch dem Fürſten Kaunig nad) feiner in vertrauliden Schriftftüden oft wieder: 
holten Formel vor allem darauf an, fih mit Ehren und Anftändigfeit aus der 
peinlihen Lage berauszuziehen. Mit Genugthuung, obgleih nicht gang mit 
Beruhigung nahm man deshalb in Wien von den Erklärungen Kenntnis, durch 
die der preußifche und der ruffifche Hof die ihnen untergejhobenen Teilungs— 
gelüfte nachdrücklich in Abrede ftellten. 

In ber Weberzeugung, zur Stunde der Entjcheidung weder von Defterreich 
noch von Frankreich ernfthafte Unterltügung zu erhalten, ift Prinz Xaver im 
Februar 1764 von jeiner Bewerbung zurüdgetreten. Der Dresdener Hof ließ 
fih nunmehr das Feldgeihrei „Piaſt gegen Piaſt“ gefallen und erflärte fih für 
den Krongroßfeldherrn Branidi, immer mit dem Vorbehalt, nad dem Tode 
diefes hochbetagten Magnaten den Prinzen Xaver von neuem vorzufcieben. 

Die einheimiihen Geaner der Ezartorysfi ließen es an tapferen Vorſätzen 
und großen Worten nicht fehlen. Branidi machte fih anheiſchig, das Kronheer 
auf 20000 Mann zu bringen, das Haus Potodi und Fürft Karl Rabziwill, der 
Woiwode von Wilna, verjpraden, je 10000 Streiter aufzuftelen. So hoffte 
man, den Ruſſen im Felde gewachjen zu fein, wenn aus Defterreih und Frank— 
reich mwenigftens Geld fam, ohne welches man die Truppen allerdings nicht bei 
einander zu halten vermochte. 

Die Kaiferin von Rußland konnte nicht willen, wie wenig Ernft e8 ben 
beiden verbündeten Höfen von Wien und BVerfailles um ihre Bekämpfung der 
ruffiihen Kandidatur war. Es war für Rußland fein Kleines, den Bund der 


Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 437 


beiden Mächte diesmal gegen fih zu haben, deren Zerwürfnis während des 
legten polniihen Interregnums die Entſcheidung in die Hände der bamaligen 
Zarin gelegt hatte. Katharina mußte fih auf den Kampf mit ihnen und viel: 
leiht auch mit den Türken einrichten, wenn es nicht gelang, dieſe Mächte durch 
eine verftärfte politiiche Aufftellung einzuſchüchtern. Und jo entichloß fie fi 
endlich, das preußiihe Bündnis anzunehmen. 

Am 26. Januar 1764 war Graf Solms in der Lage, das vor einem 
halben Yahre verheißene ruffiihe Gegenprojeft feinem Hofe einzujenden. Am 
7, Februar war das Schriftftüf in des Königs Hand. Friedrich ſandte es 
umgehend zurüd; er hatte, wie er der Zarin am 15. Februar fchrieb, „nur ein 
paar leichte Klarftellungen” hinzuzufügen gehabt. 

Der rufliihe Gegenentwurf, wie er demnach im mejentlihen dem am 
11. April unterzeichneten Bertrage zu Grunde gelegt wurde, erhielt fein Gepräge 
dur die der Haupturfunde angehängte Konvention wegen ber polnifchen Königs: 
wahl mit dem Zwed, gemeinfam dem Stolnif von Litauen, Stanislaus Ponia: 
towsfi, in fräftigiter Weile durch gute Dienfte und Bemühungen die möglichite 
Einftimmigfeit zu verfhaffen und ihn auf den Thron zu heben. Die Kaiferin 
nahm es auf fi, das Feuer einer gegen feine Wahl gerichteten Konföderation 
mit ihren alleinigen Kräften zu dämpfen, der König jollte dazu vorerjt nur 
durch militärifshe Demonftrationen an der Grenze und durch Berhandlungen 
mitzuwirken verpflichtet fein, durch unmittelbare Beteiligung am Kampf erft 
dann, wenn ein fremdes Truppencorps thatfählih in Polen eingedrungen fein 
würde, und zwar in jolhem Falle durch Entjendung von 20000 Mann — auf 
diefe Ziffer drüdte Friedrich die ruffiiche Forderung von 20— 30 000 herab. Sollte 
die eine der beiven Vertragsmächte in den eigenen Grenzen von einer feindlichen 
Macht angegriffen werden, jo war der andere Teil zur Stellung von weiteren 
20000 Mann verpflichtet. Eine an die Polen zu richtende Erklärung, gegen 
deren Beröffentlihung jest, da das Bündnis Geftalt annahm, auf preußifcher 
Seite feine Bedenken mehr beftanden, wollte Friedrih möglichſt abgeſchwächt 
wiſſen; denn niemand folle zu jagen berechtigt jein, daß man mit Gewalt vor: 
gehe. Es wurde dann in der Konvention für dieſe Kundgebung die Form 
vorgejehen: „Falls Angehörige der polnischen Nation die Ruhe der Republif 
jtören und eine Konföderation gegen den rechtmäßigen König ſchließen jollten, 
jo würden die Kaijerin und der König ihre Truppen in Polen einrüden lafjen 
und ohne Schonung alle Härten des Krieges gegen die Perjonen und ihren 
Befig ausüben.” 

Die Nebenkonvention jollte geheim bleiben, der Hauptvertrag war bis auf 
vier Zujaßartifel für die Deffentlichkeit beftimmt. Und bier alfo erzielte König 
Friedrich in dem zweiten Artikel, in welchem die beiden Mächte fich den Belik 
ihrer in Europa gelegenen Bejigungen verbürgten, den großen Erfolg, daß 
damit Rußland fih vor aller Welt zur Verteidigung desjelben Schlefiens ver: 
pflichtete, deſſen Losreißung von Preußen der vornehmite Zwed der brei mit 
Defterreih geſchloſſenen Verträge von 1746, 1757 und 1760!) geweſen war. 


') 8b. I, 305 (2. Aufl). Bd. II, 45. 249. 


438 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


Die dem angegriffenen Teile zu leiftende Bundeshülfe wurde im dritten Artikel 
zunächſt zwar nur auf 10000 Mann zu Fuß und 2000 Reiter feitgefegt, aber 
im vierten Artikel verhießen beide Staaten einander im Bedürfnisfalle Unter: 
ftügung mit ihrer gefamten Macht. Der erite ver Geheimartifel beitimmte, daß 
die Truppenftellung mit Geld abgelöft werden fonnte, wenn Rußland von jeiten 
der Türken und wenn Preußen in feinen weſtlich der Weſer gelegenen Gebieten 
angegriffen würde, eine Erleihterung der Bundespflichten, die, bei der Unmahr: 
jcheinlichfeit eines Krieges im nordweitlihen Deutichland, wejentlih dem Könige 
von Preußen zu gute fam. Im zweiten Geheimartifel verpflichtete man fich 
— ein Zugeftändnis an den ruffiihen Standpunkt — zur Aufredterhaltung der 
in Schweden beftehenden Verfaſſung; im dritten verbürgte Preußen dem Groß: 
fürften Paul den Befig des gottorpijchen Anteild am Herzogtum Holitein; der 
vierte ftellte Verfaflung und Wahlfreibeit der Nepublif Polen unter den Schuß 
der beiden Mächte, und ein „Article séparé“ nahm ihr gemeinfames Vorgehen 
zu Gunften der polnifchen Diffidenten in Ausficht. 

Der König verhehlte fih nicht, dab das Bündnis ihn, der joeben aus 
einem Kampfe auf Tod und Leben hervorgegangen war, jofort in einen neuen 
Krieg verwideln konnte, deſſen Anläffe ihn im Grunde nidts angingen; denn 
e8 war für Preußen in ber That an fi gleichgültig, ob der neue König von 
Polen Poniatowski oder Branidi oder Xaver von Sadjen hieß. Seinetwegen, 
äußerte König Friedrih im Hinblid auf die im Hubertusburger Frieden verein- 
barte und eben jet erfolgte Wahl des Erzherzogs Joſeph zum römiichen Könige, 
möge man noch zehn Könige der Römer zu Frankfurt und zwanzig Könige von 
Polen zu Warſchau frönen. Er berubigte fih damit, daß ein Krieg um die 
polnische Thronfolge nicht mwahrfcheinlich fei: „Das beite ift,“ ſagte er im 
Augenblid der Unterzeihnung des Bündniffes, „daß man zu ber Annahme 
Grund hat, den casus foederis nie eintreten zu ſehen; ſonſt würde ich eine 
große Dummheit begangen haben, mid in dieſe Dinge einzulaffen, gegen meine 
wahren Intereſſen und ohne die Hoffnung, einen Vorteil daraus zu ziehen.“ 
immerhin famen ihm von Zeit zu Zeit „Kleine Skrupel“. Doch wiederholte er 
ih dann, daß gerade die vollendete Thatſache des preußischruffiihen Bündniſſes 
eine Friedensbürgichaft fei, daß Dejterreih gegen Rußland und Preußen zugleich 
den Kampf nicht aufnehmen werde, daß Defterreih den Frieden ebenjo nötig 
habe, wie er jelber. 

Die Ereigniffe jollten ihm recht geben. Das einzige, was die Höfe von 
Wien und Berjailles gegen die Bewerbung Poniatowskis jegt noch unternahmen, 
war der Verſuch, die Türken gegen Rußland vorzufchieben. Dur den franzö— 
ſiſchen Gejandten Vergennes aufgereizt, erklärte Muftapha III. zwar jeine Zu: 
ftimmung zu dem von Rußland und Preußen aufgeitelten Grundfaß, daß nur 
ein Piaft die polniſche Krone tragen jolle: Stanislaus Poniatowsfi aber jei zu 
jung, zu unerfahren und vor allem noch unvermählt; jo werde er vielleicht nach 
feiner Krönung durch eine Heirat feine Macht auf Koften der polniſchen Libertät 
und zum Schaden der Nachbarn vergrößern wollen. Nicht ohne Erfolg hatten 
die Feinde der Zarin das Gerücht ausgefprengt, dab fie ihrem Geliebten von 
ehedem alsbald nach feiner Wahl zum Könige die Hand zu reichen gebenfe. 


Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 439 


Nun gebot Katharina, um den türfifhen Gegenzug abzuwehren, ihrem Schüb: 
ling ſehr einfah, fih noch vor der Königswahl zu verheiraten oder doch zu 
verloben. Schon feine Verwandten hatten ihm das geraten. Stanislaus weigerte 
fih, gelobte aber demnächſt in jeiner Wahlfapitulation, feine Ehe ohne Zuftim: 
mung von Reihstag und Senat zu ſchließen, nur eine römische Katholifin zu 
wählen und den Vorzug allemal einer Polin zu geben. 

Inzwiſchen hatten jeine Anhänger mit ruffiicher Hülfe fich freie Bahn 
geſchaffen. Am 7. Mai 1764 wurde zu Warſchau der Konvolationsreichstag 
eröffnet, der die Vorbereitungen für den Wahltag zu treffen hatte, nachdem bei 
den Wahlen der Landboten auf den ftürmifchen Palatinatsverfammlungen dies: 
mal zur allgemeinen Ueberrafhung im ganzen nur zehn Edelleute totgejchlagen 
worden waren. Die Landboten von der Patriotenpartei, wie fie fih nannten, 
von Branidi geführt, zogen unter Einfprud gegen die Anwejenheit ruſſiſcher 
Truppen alsbald von Warſchau ab. Aber Branidi und Radziwill hatten noch 
feine 10000 Mann unter den Waffen. Am 26. Juni wurde Radziwill in Litauen 
bei Slonim von den Ruſſen geichlagen und flüchtete auf türfifches Gebiet. Die 
Wahl Poniatowelis war entichieden, zahlreiche Gegner traten in jein Lager 
über. Als der Wahlreihstag Ende Auguft zufammentrat, waren nur Partei: 
gänger Rußlands erihienen. Einftimmig wurde Poniatowsfi am 7. September 
gewählt. „Sch gratuliere zum König, den wir gemacht haben,” ſchrieb Katharina 
an PBanin. Und König Friedrich beglüdwünfchte feine Bundesgenoflin in dem 
blühenden Stile, deffen er fih in feinen eigenhändigen Briefen an Katharina 
jegt zu bedienen pflegte: „Nichts Jcheint mir bewunderungswürdiger, als daß 
Eie jo viele große Dinge ſozuſagen ohne Anftrengungen und ohne Anwendung 
von Zwang oder Gewalt ausgeführt haben. Gott jprah: Es werde Licht, und 
es ward Lit. Eure Kaiferlihe Majeität zwingt alle Welt bis zu der Hohen 
Pforte, die Trefflichfeit Jhres neuen Syftems anzuerkennen. Sie ſprechen, und 
die Welt ſchweigt vor Ihnen.“ 

Immerhin berechnete man, daß die Unfoften der polniihen Königsmwahl 
fih für Rußland auf drei Millionen Rubel beliefen, die Ausgaben für die Ver: 
pflegung der ruffiihen Truppen ungezählt. 


Das polnifhe nterregnum war ohne Krieg zu Ende gegangen, das neue 
Bündnis mit Rußland für Preußen nicht gefährlich geworden. 

Aber troß aller Beteuerung der Freundichaft, Verehrung und Bewunderung 4; ehrsk 
in feinen Briefen an die Zarin, troß aller Ueberihwenglichkeiten in Katharinas „Ir lare 
Antworten gewann der König von Preußen an diefem Bündnis feine Freude. ya Bassın 
„Der reelle Vorteil der Verbindung mit Rußland,” jagte fein Minifter Finden: „Leulce : 
ftein einmal, „iſt diefe anjcheinende Intimität, die dem Wiener Hofe imponiert.“ 

Und damit tröftete fih auch Friedrich jelber, jo oft ihm an jeinen Verbündeten 
etwas verdroß: „So lange ih im Bunde mit Rußland bin, werde ih mich um 
die üble Laune des Wiener Hofes wenig kümmern.” 

Den näditen Anlaß zu einer von den Gefihtspunften der ruffiichen Politik 
abweichenden Haltung gab dem König der Wunſch und Antrag Katharinas, das 


440 Achtes Buch. Dritter Abſchnitt. 


F Bündnis mit Preußen zu erweitern zu einer großen nordiſchen Koalition, deren 

Pan 3 plan weitere Teilnehmer in erfter Linie England, in zweiter, al& mehr „paffive 
/ a Del Mitglieder”, Schweden, Dänemark, die Niederlande und einige deutſche Staaten, 
Aecordt wie Sadjen, jein jollten. . 

— Schon während der dem Abſchluß mit Preußen vorausgehenden Verhand— 
er 34 obyechesstungen hatte Banin der Aufnahme Englands in das Bündnis das Wort geredet, 
„ch # on und wieder und wieder fam er auf fein nordifches Syſtem zurüd. Friedrich 
Aartrertar berief fi demgegenüber zunächſt auf feine Erfahrungen mit England im legten 
7 — Kriege, auf die Inkonſequenz der engliſchen Politik, auf die Unzuverläſſigkeit 

der Miniſter vom Schlage Butes, auf die für ihn vorliegende moraliſche Un— 
möglichkeit, vor einem gründlichen Syſtemwechſel dort wieder Verbindungen 

anzufnüpfen. 
Stärfer noch fiel ein zweiter Grund ins Gewidt. Ausgangspunft des 
Fangen 4 ruſſiſchen Vorſchlags war die Erwägung, daß ein Gegengewicht gegen die katho— 
2 ——— — liſche Allianz der bourboniſchen Höfe und Oeſterreichs geſchaffen, gegen den 
ſudeuropäiſchen Bund ein nordeuropäiſcher geſtellt werden müſſe. Friedrich aber 


au Man wollte e& gerade vermeiden, in die Streitigkeiten der Briten mit den bourbonifchen 
erlomınt Kronen abermals, wie 1756, verwidelt zu werden. Er gab den Ruſſen ihre 
uran: Theje nicht zu, daß die in Amerifa anhebenden Kriege regelmäßig und notwendig 


ihre Fortfegung in Europa zu finden hätten. Die Engländer, fo legte er den 
Ruſſen im März 1766 die Grunblinien feiner Auffaffung dar, „haben fid von 
den Franzofen und Spaniern alles zu gewärtigen; mit ihnen in dieſer Lage 
ein Bündnis jchließen, heißt fich leichten Herzens in einen neuen Krieg ftürzen, 
an deſſen Gegenitand Preußen fein Intereſſe hat“. Nur dann jei für ihn eine 
Verbindung mit England denkbar, wenn ihr jede Verpflichtung fern bliebe, aus 

der eine Störung des Ruheſtandes in Deutihland folgen könne. 
u’ shyrche Noch weniger Gnade fanden in Friedrihs Augen die von Rußland als 
(5 ta heil: paljive Teilnehmer gedachten Staaten. Bon den Niederlanden, der „Republif 
der Kaufleute”, fagte er wegwerfend: „hr Handel ift ihr Gott und ihr alles.” 
Und der holländische Handel gravitierte nad Ssranfreih und gewann, wenn bie 
Republik in einem europäiſchen Kriege neutral bleiben konnte. Ein Ablommen 
2 mit den Dänen, den Schweden kennzeichnete Friedrich lediglich als eine 
ee Geldfrage; doch verlohne es nicht die Mühe, der ganz heruntergefommenen 
nr Sande: ſchwediſchen Macht Anträge zu machen. Sachſen endlih mußte nah jeiner 
Auffaffung ganz außer Betracht bleiben bei der engen Verbindung, die ber 
Dresdener Hof mit dem Wiener und dem Gejamthaufe Bourbon noch immer 
— unterhalte. Friedrich erklärte offen, daß er die Sachſen zu gut kenne, um ihnen 
— jemals zu trauen. Er glaubte zu bemerken, daß die ſächſiſche Diplomatie ſeinen 
Intereſſen am Hofe Katharinas ebenſo entgegenarbeite, wie vor dem letzten 
Kriege am Hofe Eliſabeths und an dem damals mit Preußen verbündeten 
franzöſiſchen Hofe. Der „Geiſt des Grafen Brühl“ ſchien ihm wieder aufzu— 
leben, Einen beſonderen Grund, den er noch gegen eine Allianz mit Sachſen 
hatte, verſchwieg er den Ruffen: denſelben Grund, aus dem er früher nichts 
von der Aufnahme der Sachſen in fein Bündnis mit Franfreih hatte hören 
wollen. Er war entichlofjen, wenn es noch einmal zum Bruch zwijchen Preußen 


> 


* 


Bündnis mıt Rußland und erfte Teilung Polens. 441 


und Deiterreih fam, wieder wie 1756 zu verfahren, das ſächſiſche Gebiet zur 
Dperationsbafis zu maden und als Kornfammer, Goldmine und Aushebungs: 
revier auszunußen. 

Unausgejprodhen blieb den Rufen gegenüber auch die Erwägung, daß es 
dem Könige vorteilhafter fhien, wenn die Zarin auf das Bündnis allein mit 
Preußen angemwiejen blieb, als wenn fie fih ein großes füberatives Syſtem 
ausbaute, in welchem Preußen unter Umftänden entbehrt werden konnte. 

So leicht indes ließen fih die Auffen mit ihrem großen Plan nit ab: &eder.— 
weifen. Als im Frühjahr 1766 der holſteiniſche Konferenzrat v. Saldern als — Bart 
ruffiiher Gejandter nach Kopenhagen ging, jegte er auf der Durdreife dur 77%“. 
Berlin alle Hebel an, um die preußifchen Bedenken zu überwinden. Der König 
empfing ihn wiederholt unter vier Augen. Gründe und Gegengründe wurden 
ausgetaufcht. Saldern bemerkte, wie der König fich verfärbte, als die Rede auf 
Sadjen fam, und zum Schluß einer längeren Auseinanderjegung über England 
trat Friedrih ganz nahe an den Geſandten und flüjterte ihm ins Obr, als wären 
Zeugen zugegen, die es nicht hören dürften: „Les Anglais sont des miserables.“ 

Rußland mußte jhließlih auf feinen Wunſch verzichten; die aufdringlide Z „m 4% ) 
Art aber, mit der Saldern ihm die große Allianz empfehlen wollte, hatte auf_/ Pau 
den König einen peinlihen Eindrud gemadt. Die „diktatoriſche“ Sprade dieſes udn 
Diplomaten erinnerte ihn an einen gern von ihm als klaſſiſches Beifpiel benugten „. /r zw), - 
Vorgang aus der römischen Geihichte, das Auftreten des Popilius Länas vor 
Antiohus von Syrien. Er fand die Klage feines Gejandten Solms beftätigt, 
daß die ruffiihen Minifter geneigt feien, gegen die Vertreter befreundeter Staaten 
im Tone der Ueberhebung zu ſprechen. 

Am meiften verdroß ihn ein Verfuh Rußlands, in die inneren Angelegen= 
heiten Preußens einzureden. Die Vorrechte, die das Berliner Bankhaus „„A .. r#- 
Schweigger für den ruffiihen Handel erhalten hatte '), wurden in Petersburg za.) /s 
beanftandet, und eine Erhöhung des preußifchen Poittarifs gab den Rufen Aarssrarı 
zu der Forderung Anlaß, daß diefe „ohne vorgängige Unterhandlung und rezi: Zu, 
profes nachbarliches Einveritändnis” getroffene Maßregel wegen ihrer finanziellen 
Nachteile für Rußland aufgehoben werde. Friedrih fuhr auf: das ſei die 
Folge davon, daß man die ruffifhen Minifter durch allzuviel Gefälligfeit ver: 
zogen habe. Er verkündete e& feinen Kabinetsminiftern als jeinen feiten und 
unmwiderruflihen Grundjag, daß er einen erften Schritt „diefer Leute” zur Ein: 
miſchung in feine Angelegenheiten nicht dulden werde, möge gefhehen, was da _ 
wolle; jonft werde er von Rußland abhängig werden, wie Polen und Schweden, Is decl. 
oder wie der Hospodar der Waladei den Türken gegenüber. Unter einen ber much her - 
Erlaſſe an feinen Gejandten, die, wie er wußte, unterwegs von den Rufen Asmce_- 
regelmäßig geöffnet wurden, fchrieb er eigenhändig: „Ich fange an, des Joches, 








i) Bgl. oben ©. 413. 


7 jhs —— — ia when . al. rn. 


4 Asıf per ccrhe ee Art. we: ’ke ec Toy and) 
t /[- — war want a 2 KATZ 


* — =, es fetter nf — — 
PIE ER cn * a , (rn 37 


Der Geichidlichkeit des — gelang es, die — von a Ans 
ws finnen zurüdzubringen. 
Den innerften Widerfpruch, unter dem das preußiſch-ruſſiſche Bündnis litt, 
3 X bat Friedrich ſich nicht verhehlt: daß es ganz gegen das Intereſſe ſeines Staates 
alıem I " war, wenn er jegt wohl oder übel die Herrihaft Rußlands in Polen aufrichten 
(a me rs- half. Altbrandenburgiiher Grundfag war, daß die im Niedergang begriffene 
en ꝓ„volniſche Macht nicht wieder erſtarken dürfe, ſie, die auf die Mark und auf 
— 7 Rommern brüdte, das Herzogtum Preußen von allen Seiten umſchloß und von 
den brandenburgiihen Kernlanden trennte und aud der neueiten Erwerbung, der 
Provinz Schlefien, in ihrer ganzen Yänge vorgelagert war. Die Bedrohung, 
der man von einem jtarken Piaftenreich fich verfah, wurde aber ungleich gefähr: 
liher, jobald ‘Polen ein ruffiiches Nebenland und der ftändige Yagerplag ruſſiſcher 
Heere wurde und Rußland derart auf eine Grenzlinie von mehreren hundert 
Meilen in unmittelbare Berührung zu dem preußiichen Staate trat. 
Pr HH L- Wenn nun in Wien das Vordringen der ruffiihen Macht nad Weſten 
nl nicht minder mit Sorge betradtet wurde, jo lag die Frage nahe, die Friedrich 
* ge jegt ab fi immer von neuem vorgelegt hat: ob nicht einmal der Tag 
7 Pad LAtommen werde, an dem der gemeinfame Gegenjag gegen den Nachbar im 
Eu 7 — die beiden deutſchen Mächte nad fo viel Blutvergießen wieder zuſammen— 
führen werde. 
Zunächſt freilid war zwijchen ihnen glei wegen der Ausführung der 
Friedensbeſtimmungen neuer ärgerlicher Streit entbrannt. Einer der Artikel von 
Fan 16 Hubertusburg befagte, daß die beiderfeitigen Unterthanen, die während des Krieges 
tschange zum Eintritt in die Dienfte des anderen Staates gezwungen worden feien, aus: 
ern: geliefert werden jollten. Friedrich erbot fih, 3085 in fein Heer eingereihte 
, £.. Deiterreiher nah Haufe zu jenden gegen Freilafjung einer annähernd gleichen 
Zahl von Preußen. Nun aber fand es Maria Therefia vom militärifhen Stand: 
punkt aus bedenflih, bei den Negimentern, wie Kaunig es für richtig bielt, 
kundmachen zu laflen, daß den preußiſchen Unterthanen auf Verlangen der Ab: 
ſchied erteilt werden würde; denn dann werde man, ſagte die Kaijerin, wenig: 
tens noch 6000 auserlejene Mann entlajjen müfjen, zu den 1200, die man 
— auszuliefern bereit war. So wurde von öſterreichiſcher Seite die Verhandlung 
A. abgebrochen. 
Bald aber begannen die Beziehungen zwiſchen den beiden Höfen fich wenig: 
jtens äußerlich etwas freundlicher zu geftalten. 
Am 18. Auguft 1765 ftarb im Alter von 57 Jahren Kaifer Franz I., von 
Dr. K — jedermann bald vergeſſen, nur von feiner Gattin, die ihm ſechzehn Kinder ge— 
Aarncc, ſchenkt hatte, als der „volllommenfte und liebenswürdigite Herr“, „ihr Troft in 
allem in einem harten Lebenslaufe”“ ſchmerzlich, ja leidenſchaftlich betrauert. 
Mitregent in den öfterreihifhen Erblanden an feines Vaters Statt wurde der 
vierundzwanzigjährige Erzherzog und römiſche König Joſeph, nunmehr römiſch— 
deutjher Kaifer. Ob auch er ſich damit begnügte, nur ein „Gaſt bei Hofe” zu 
jein, als den fein Vater in einer Miihung von Scherz und Verdruß fich be: 
zeichnet hatte? Oder 309 eine neue Nera der öfterreihiihen Politik mit dem 
jungen Kaifer herauf? Den König von Preußen beichäftigten diefe Fragen leb— 


N 


Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Bolens. 443 


haft. Sein Gejandter Rohd fchilderte ihm Joſeph als friedfertig und als —— A 
ſam, und Friedrich ſprach die Hoffnung aus, daß es bei ſolchen Geſinnunge EB 
zu befjerem Verftändnis zwiichen ihm und dem Wiener Hofe fommen, daß man 76S- ’750 
es wenigitens nicht mehr nötig haben werde, jeden Augenblid zum Kampf bis 
aufs Mefler bereit zu fein. Ja, jenem ruffiihen Diplomaten Saldern ſagte er 
von Joſeph mit leicht verftändlicher Abſicht: „Ein guter und friedlebender Fürft, 
der die Franzoſen verabjcheut; er wird fich niemals in gefährliche oder zwei: 
deutige Dinge einlaffen, dafür jage ih gut.” [7 

Fürft Kaunig galt, wie es den Anfchein hatte, bei dem Sohne weniger 7 h 
als bei der Mutter. Daß der Staatsfanzler, über die Bevorzugung feines . 
Gegners Lacy dur Joſeph, wohl aud über des Kaifers jehr bald bemertharef Far 
Selbitändigfeit verftiimmt, im Juni 1766 der Kaiferin:Königin ein mit Leb— test: 
baftigkeit zurüdgemwiejenes Entlafjungsgefuh eingereiht hat, blieb dem Könige 
von Preußen nicht unbefannt; als ſchon früher ein Gerücht über den bevor: 
ftehenden Rüdtritt umlief, meinte er, der Wiener Hof jolle feine Dummheit 
begehen, denn Kaunig jei ohne Frage der beite Kopf, über den man dort ver: 
füge. Kaunitz ſelbſt jprach ſich gegen ben preußiſchen Gefandten jetzt gern in 
dem Sinne aus, daß ihm für die Ruhe Europas nichts wünfchenswerter er: 
ideine, als ein gutes Einvernehmen zwifchen feinem jungen Herrn und dem 
Könige von Preußen. Mit dem Freimut, auf den er ſich etwas zu gute thue, 
geftehe er offen, daß er dem Könige vordem viel Böſes habe zufügen wollen, 
darüber aber müſſe man den Schleier ziehen, und wie jein Einfluß auf die 
Staatsgeihäfte ja nicht unbefannt jei, jo fünne er als Ehrenmann verfichern, 
daß Schlefien in Wien jegt vergefjen ſei und in Zukunft nicht mehr zum Eris— 
apfel werben jolle. Schon wagte Kaunit mit fleinen Geſchenken aufzumarten: 
mit einer Trüffelfendung, mit Defen nad) einem von ihm ſelbſt erfundenen Modell. 
Friedrich maß diefen Annäherungsverfuchen feine übertriebene Bedeutung bei, 
aber er wies feinen Gejandten an, dem Staatsfanzler Artigfeiten zu jagen, wo 
nur immer die Gelegenheit fich biete. Und als Kaunit angelegentli ven Wunſch 
äußerte, für feine auserlejene, ihm ſehr am Herzen liegende Gemäldefammlung 
ein getreues Bild des Königs zu befigen, verfprac Friedrich fofort, daß er gegen 
feine fonjtige Gewohnheit fih malen laffen werde, und ließ ihm durd den 
Gejandten jagen: „Wenn Kaunitz eine ſchöne Frau wäre, würde ih mich hüten, 
ihm das Porträt eines hinfälligen Greifes zu jchiden, aber in feiner Eigenfchaft 
als Minifter wird er es, wie ih mir jchmeichle, nicht jo genau nehmen.” 

Auf ernitere Proben durfte die neue Eintradht, die man im Munde führte, 2, 4, ,. | 
freilih nicht geftellt werden. Als Kaifer Yojeph im Juni 1766 an eine Reiſe 
nah Böhmen einen Bejuh des Dresdener Hofes und eine Belichtigung des EM _ 
Torgauer Schlachtfeldes zu Enüpfen fi vornahm, glaubte Friedrich nach gewiſſen E 
Andeutungen, die man in Wien feinem Geſandten gemacht hatte, eine Neußerung — * 
des öſterreichiſchen Geſandten Nugent als Aufforderung zu einer Zuſammenkunft —* .- 
auffaſſen zu ſollen. Schon hatte er alles zur Reife vorbereiten laflen, einer /766 
unmittelbaren Einladung gemwärtig. Aber Nugent, der zur Begrüßung jeines 
Gebieterd nad; Dresden gegangen war, beſchränkte fih unerwarteterweije darauf, 
in einem Brieflein vom 24. Juni an den Minifter Findenftein einfach mitzu— 


444 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


teilen, daß der Kaiſer am 28. in Torgau fein werde und noch denjelben Abend 
in Bautzen Nachtquartier zu nehmen gedenfe. Nun genügte die Entfendung eines 
Vertreters zur Begrüßung des hohen Reiſenden. Friedrich war äußerft be: 
treten und blieb verftimmt. „Wir find,” ſchrieb er feiner ſchwediſchen Schweiter, 
„bei KRomplimenten, Aufmerkſamkeiten, Höflichkeiten ftehen geblieben; der Teufel 
wird nichts dabei verlieren, denn e& fteht gefchrieben im Bude des Schidjals, 
dag Rom und Karthago nicht neben einander beftehen können.” Er erging ih 
in Vermutungen über die Gründe des befremdlichen Verhaltens der Deiterreicher; 
er witterte den Einfluß Kaunigens oder bes Feldmarſchalls Lacy, der den Kaiſer 
begleitete. Ober war es bie Bejorgnis der Kaiferin-Rönigin geweſen, ihren 
— * PAD Sohn durch diefe Begegnung berüdt, verführt zu jehen? Oder etwa die Rückſicht 
auf den franzöfiichen Hof? Thatſächlich hatte Maria Therefia von vornherein 
— * Umgebung keinen Zweifel darüber gelaſſen, daß es ihr ungemein leid thun 
ürde, wenn dieſe Zuſammenkunft ſtattfände. Und Kaunitz, an ſich dem Plane 
— geneigter, wollte doch unter allen Umſtänden den Schein vermieden wiſſen, als 
mel. ob die Anregung von Joſeph und nicht von Friedrich ausgehe. So hatte der 
junge Fürft wohl oder übel darauf verzichten müflen, einen Mann zu jehen und 
zu ſprechen, der, wie er feiner Mutter nachher freimütig geitand, feine Neugierde 
außerordentlich gereizt hätte. Die Kaiferin aber frohlodte: „Die Zufammentunft, 
bie er und der König wünjchten, ift nicht zu ftande gelommen, „weil die Vor: 
jehung es es nicht jo wollte.” 

Ausfichtslos von vornherein war ein Einfall, den Kaunik in demſelben 
— Jahre geſprächsweiſe vorbrachte. Zu ſeiner großen Ueberraſchung hörte der 
junge preußiſche Legationsrat Edelsheim, der den beurlaubten Rohd im Herbſt 
35 „für einige Zeit vertrat, eines Tages aus dem Munde des Staatskanzlers einen 
— längeren moraliſch-politiſchen Vortrag über die Schäden, die Vorurteil und Ehr— 
— geiz der Menſchheit zufügten. Religiöſes Vorurteil führe den Klöſtern, politiſcher 
Ehrgeiz den großen Armeen fortgeſetzt Scharen von Staatsbürgern zu und mache 
fie zu unnützen Gliedern der menſchlichen Geſellſchaft. Wozu einen verſteckten 
Krieg führen mitten im Frieden? Sei es denn nicht möglich, ſich über eine all— 
gemeine Abrüſtung zu einigen, etwa nach dem Maßſtabe, daß jeder Staat drei 
Viertel der Streitkräfte, die er im Zeitpunkte der Friedensſchlüſſe von 1763 
unter den Waffen gehabt habe, entlaffe und daß man durch Bevollmädtigte die 
gewiſſenhafte Ausführung diefer Vereinbarung gegenfeitig überwadhe? Der König 
w. von Preußen eröffnete feinem Vertreter, er habe jehr wohl gethan, ſich auf 
diefen Gegenftand nicht einzulaflen. Sollte Kaunig darauf zurüdfommen, jo 
j möge Edelsheim ihm bemerken, daß diejes Projekt ein wenig nad den Ideen 
ChrSsr des Abbe St.-Pierre jchmede, des bereits vor mehr als zwanzig Jahren von 

—— Friedrich unſanft abgewiejenen!) Schwärmers für den ewigen Frieden. 
tan Wenige Monate nah diefem verfhämten Abrüftungsantrage fahen ſich 
ad die beiden Mächte zu neuen Kriegsvorbereitungen gegen einander veranlaßt. 
— AN: . Polen hatte fi wiederum Zündftoff aufgehäuft für einen europäijchen 

ran 








’) Bol. Bb. I, 178 (2. Aufl.). 


Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 445 


Katharina II. hatte mit Hülfe der Familie Czartorysti die Wahl des ihr urk> . 
genehmen Königs kaum erzwungen, als ſchon ihre bisherige Partei von den Ingra 
Wegen Rußlands abzulenten begann. Beide, die Zarin und bie Czartoryafis, Pat ud, 
wollten das Königtum Poniatowstis als Werkzeug für ihre bejonderen Zwede au. > [- R 
benugen. Katharinas großes Ziel blieb _ die erfelung. ber 
Parität, die Czartorysfi glaubten die Stunde für ihre Berfaljungsreform ge: 
fommen. Auf dem Konvofationsreihstag von 1764 hatte Rußland die Reform: 
partei, um ihrer Unterftügung im Wahlkampf fiher zu bleiben, bis zu gewiſſem i 
Grade gewähren laſſen. Mit den dort eingejegten ftändigen Kommiſſionen für 'ho Shan? 1 
Rechtspflege und Finanzen, Heerweien und Polizei waren als Gegengewicht Cam mustı 
gegen die Willfür und Mißmwirtihaft der großen Kronbeamten Verwaltungs: Ö dis 
körper geichaffen worden, die als Anfäge für die Ausgeftaltung einer fejteren 
Staatsordnung dienen mochten. Auf dem Krönungsreihstag im Herbit 1764 
waren dann die Gegenjäge ſchon auf einander geftoßen, ohne daß von hüben 
und drüben der Kampf offen aufgenommen wurde. Der König und die Reform: 
partei beugten fih dem Machtgebot Rußlands, indem man an die Ausrottung 
des Grundübels, die Abjchaffung des Liberum Veto, für diesmal nicht heran: 
ging, und einen Gejegentwurf zur Anerkennung der Religionsfreiheit der Diſſi— 
benten vor den Reichstag bradte; Katharina aber nahm es bin, daß dieſe Vor— 
lage von den Landboten unter wilden Toben, ohne aud nur zur Verleſung zu 
gelangen, totgejchrieen mwurbe. 

Als zwei Jahre jpäter der gefekliche Zeitpunkt für die Einberufung des Pat — 
erſten ordentlichen Reichstages gekommen war, hatte die Gnade Katharinas ihren “* 7b6-]. 
ehemaligen Schüßlingen fich bereits ganz abgewandt. Rußland war entichlojjen, 
jeine Baritätsforderung mit Waffengewalt durchzufegen und unterjagte anderer: j 
jeits jede Reformpolitif. Dadurch werde ihm, jchrieb König Stanislaus beweg⸗ Su, .t., 
ih nad Petersburg, jein Königtum zum Nefjushemd; er jehe fi vor die Wahl ,,,, —— 
geſtellt, entweder zum Reichsverräter zu werden, oder ſich von der Kaiſerin los— sub F GA 
zufagen. Er entſchied fi für das Zweite. Er wagte, in der Religionsfache 
den Kampf gegen Rußland aufzunehmen. Indem er für die Vorrechte des 
fatholifchen Belenntniffes zu der überwiegenden Mehrheit der Nation ftand, hoffte unfpel 
er, daß fie ihm ihrerjeits auf der Bahn der Reform folgen werde. Aber der, for 
Reichstag ließ den König in der Verfajjungsfrage im Stich. Zugeſtändniſſe zu —5 Inf. 
Bunften der Diffidenten wurden abgelehnt, aber auch die von Stanislaus em: 
pfohlenen politifhen Reformen. Durch feierlihen Beihluß wurde die Fortdauer 
des Liberum Veto ausgejproden; nur für die Wahl zum Reichstage und zu 
den Gerichtshöfen jollten Mehrheitsbeſchlüſſe gelten. 

Verlauf und Ergebnis diejes Reichstags von 1766 offenbarten, wenn es 
defien noch beburft hätte, die ganze Zerfahrenheit und Fäulnis der öffentlihen. 9,4 
Zuftände in Polen. Parteihader, Unbeftändigfeit und Eigennuß hatten ſich 
ftärfer ermiefen, als jede andere Regung und Nüdfiht. Das Liberum Veto 
wurde doch deshalb vor allem als ein Palladium der polniſchen Freiheit be- 
trachtet, weil es bei der allgemeinen Beftechlichfeit für jeden einzelnen ein nutz— 
bares Recht war. Die Einführung des Majoritätsprinzips wäre den Schlachtizen 
an den Geldbeutel gegangen. Das Wort des Königs von Preußen an jeinen 








— 


446 Achtes Bud. Dritter Abfchnitt. 


Gejandten in Warſchau traf völlig zu: „Sie wiffen doch, daß man in Polen 
mit Geld alles macht.“ 

j Bei der Käuflichkeit der Kleinen wie der Großen, bei der unbezähmbaren 
area Eiferfucht zwiihen den Parteihäuptern durfte die Zarin fich jagen, daß ſie ftets 
am Pr) die eine Hälfte der Nation für die ehrgeizigen Pläne Rußlands zur Verfügung 
Hrn “arhaben werde; daß die, welche geitern noch Rußlands Gegner geweſen waren, 
an Plan) morgen diejer auswärtigen Macht zum Sinappendienft bereit ftanden, jobald die 
Ausficht ſich bot, die einheimischen Rivalen aus dem Regiment, aus den gewinn: 
bringenden Nemtern zu verdrängen. Die Gegner Rußlands von 1763 und 1764, 
die Ueberbleibjel der alten ſächſiſchen Partei, alle endlich, die aus irgend einem 
Grunde mit der Regierung des Poniatowski und der Hegemonie der Czartornsfis 
unzufrieden waren, hatten zur Zeit die Augen auf Rußland gerichtet, ſchon ganz 
bereit, in der joeben noch als Gewiſſensſache bezeichneten Frage der Diffidenten: 
rechte Zugeftändniffe zu machen. So fonnte Rußland ſich anjhiden, das was 
auf dem Reichstag ihm mißglüdt war, nad dem Neihstag und ohne den Reiche: 
tag auszuführen. Hatte fih der Reichstag der ruffiihen Politik verfagt, To 
hatte fie noch einen ftärferen Hebel anzufegen: den organifierten Bürgerkrieg, 
die Konföderation. 

* Eine polnische Konföderation, der wildeite Auswuchs der chroniſchen Anarchie, 
zu welcher in diefem unglüdlihen Lande der völlige Bankbruch des Parlamen: 
tarismus geführt hatte, fennzeichnete fih als ein gleichſam völferrechtliher Bund 
der jouveränen Edelleute beim Verfagen der ftaatsrechtlihen Organe des nationalen 
Lebens. „Zum Beften des Königs und der Republik“ verpflichteten fih die Mit: 
glieder auf ein Bundesprogramm und feine gewaltfame Durhführung, erklärten 
ih als die zeitweiligen Inhaber der öffentlichen Gewalt und hielten ſich für 
befugt, der Republik während diefes Ausnahmezuftandes auf einem Konföberations: 
reihstage ihre Bundesartifel nah dem fonft durch die Gefchäftsordnung aus: 
geichloflenen Mehrheitsprinzipe als gültige, dauernde Geſetze aufzuerlegen. Des: 
halb hat Jean Jacques Rouffeau in dem Weſen der polniſchen Konföderation 
die altrömiſche Diktatur wiedererfennen wollen. Durch den Reichstagsbeſchluß 
von 1716 verpönt, war der Konföderationsunfug während der Zwilchenreiche 
von 1733 und 1764 doch wieder aufgelebt, und jet hatte die Zarin den Triumph, 
nit eine Konföderation, jondern zwei für ſich aufzubieten. 
uf dsyalo, Die Häupter der Proteftanten und der Griechen fonföderierten fi unter 
a 1766  Nührung des Grafen Golg und des Generals Grabowski, die fatholifchen * 

Gegner des Hpfes, darunter auch zahlreihe Prälaten, erwählten zu ihrem Mar: 
ihall denfelben Karl Radziwill, der 1764 ein Heer gegen die Ruſſen geführt 
hatte; jest hatten ihn die Ruſſen fich mit ihren Rubeln verpflichtet und aus jeinem 
Dresdener Eril zurüdgerufen. Genugthuung für die Dijfidenten und Abſchaffung 
aller jeit 1764 eingeführten Reformen war die gemeinfame Loſung aller Kon: 
. föderierten: die Zarin durfte zufrieden fein. 
ER i Der König von Preußen jah biefer neuen Wendung mit geteilten Em: 
pfindungen zu. Der Kampf aegen die Verfaffungsreform, die Bewegung für 
das Liberum Veto hatte durdhaus feine Billigung; denn mit feinen Miniftern 
befannte er ſich ohne Einſchränkung zu dem von den Vätern ererbten Grundjage, 


emfedırahen 


Iwan) Yrlam - 
oa ae Pla) 


Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 447 


daß jede Aenderung der polniihen Verfaſſung, jeder Verſuch zur Bejeitigung 

der „Anarchie“, jede Erftarfung Polens als eine Gefahr für Brandenburg zu 

betradhten fei. Unter dieſem Gefichtspunft war er anfänglih, als Katharina 

und Panin des neuen polniihen Königs noch fiher zu jein glaubten und bes: AD 78 Har- 
halb eine Stärkung feiner Regierungsgewalt noch für nüslich hielten, viel ent: Mack 
jchiedener als Rußland für das Liberum Veto eingetreten; er hatte dringend * rss E 
vor Neuerungen gewarnt, deren politiihe Tragweite fich nicht abjehen ließ. — 
Andererſeits hatte er allzeit, nach erfolgter Königswahl nicht minder als während Busen ein 

des Zmwijchenreiches , der Zarin Mäßigung an das Herz gelegt, fi immer von Ir Tam- 
neuem gegen die Anwendung von Zwang und Waffendrud ausgeiproden. Er Re, „ro we. 
fürdtete, daß dieje unverhüllte Herrſchſucht und Gemwaltthätigfeit, die immer "er G < 
wiederholte Einlagerung ruſſiſcher Truppen auf polniſchem Boden, die militärische her Abi 
Aſſiſtenz Rußlands bei allen Staatsakten der Republik doch endlich einmal die «ga cm : 
Nachbarn, die Defterreiher vor allen und vielleiht auch die Türken, in den 

Harniſch bringen würde. Dann war doch ber casus foederis für ihn da, dem 

er vor drei Jahren glüdlih entgangen war. 

Mittelsmann zwiſchen der Hofburg zu Wien und dem Königsſchloſſe zu 4, — — 
Warſchau war, was dem Könige von Preußen nicht unbemerkt blieb, Fürſt, — 
Andreas Poniatowsfi, der Bruder des Königs Stanislaus, Generalfeldwacht— RN EN sa 
meijter in öfterreichiichen Dienften. Durch ihn ließ Kaunig dem Könige und " 
den Gzartoryskis raten, angefichts der Drohungen Rußlands und Preußens den 
Mut nicht zu verlieren, jondern mit Adel und Geiftlichkeit feit zum Schute des,e,, mu 
Glaubens zujammenzuitehen. Zugleich rief man den Bundesgenojjen in Berjailles 
zu gemeinfjamem Vorgehen auf, um dem König von Polen zu größerer Selb: 
tändigfeit zu verhelfen und ihm ein Bündnis mit der hohen Pforte zu ver: 
mitteln. Und doch konnte fih Kaunig des Zweifels nicht erwehren, ob nicht 
etwa Stanislaus und Katharina insgeheim einverftanden waren. leichviel, 
man bielt es für erforderlich, fih den Anjchein zu geben, daß Deiterreih, wenn 
die Dinge in Polen auf die Spige getrieben würden, ſich zu enticheidenden — 
Gegenmaßregeln zu entſchließen vermöge. Dem engliſchen Geſandten erklärte — 
Maria Thereſia um die Jahreswende mit der Haltung und dem Blicke, die ihr REN 
bei ernten Eindrüden und in Augenbliden der Erregung eigen waren: „Ich will 
offen mit Ihnen reden und Sie werben es nerfiehen, wenn wir nicht mit ge: 
freuzten Armen zulafien fönnen, daß ein Fürſt, mit dem wir in Freundſchaft 
leben, leben, freventlich unterdrüdt wird.” Man _rüftete alfo und rüftete eifrig. Be: 


fehle er ergingen zur Zufammenziehung größerer Truppenmafjen und zur Anlegung re bbısa bon 
von Magazinen in Böhmen und in Mähren, und General Laudon wurde nach⸗ —— 
Wien berufen, wie es hieß zur Feſtſtellung des Feldzugsplanes, deſſen Ausführung * 

ihm obliegen würde. 


Nah Berlin — die een N vr über öfterreichijche ya ‚700-] 








Anzeichen. cz — te feine Augen und Ohren überall; er rühmte ſich, daß 
nicht der Heinfte Vorgang in den Erblanden der Kaijerin:Königin ihm entgehen 
fole. Wie vor elf Jahren jtellte er fi die von allen Seiten, aus Wien, von 


448 Achte Bud. Dritter Abjchnitt. 


use „di. den ichlefiichen Grenzen, aus Dresden, aus dem Haag einlaufenden Berichte zu- 


by ma Wr 
— 
— —— 


‚Ss Ib. 767. 


fammen, verglich fie miteinander, teilte fie feinen Gejandtichaften mit zur Be: 
gutahtung und zur Prüfung und als Anhaltspunkte für ihre eigenen Beob- 
ahtungen, übermittelte fie zur Warnung dem ruffiihen Hofe. Freilich konnte 
er fich die politifche Rechnung der Defterreiher nicht wohl erklären. Eine Ein- 
wirkung von franzöfifher und ſpaniſcher Seite, vom allgemeinen katholiſchen 
Standpunkte aus, erihien unwahricheinlid, und ebenjo, dag man in Wien feine 
Hoffnung auf die Türken geftellt haben ſollte. Bielleiht, daß man durch diefe 
militäriijhen Demonftrationen Rußland einihüchtern zu fönnen hoffte. Eine 
vierte Möglichkeit, die Friedrih in Erwägung zog, beunruhbigte ihn am meiften: 
arbeitete man etwa von Wien aus auf eine Palaftrevolution bin, auf den Sturz 
Katharinas? Nach feinem Grundfag, daß Vorſicht die Mutter der Sicherheit fei, 
ſetzte auch er fih in Pofitur. „Da id meine Vorbereitungen den ihren pro: 
portioniere,” jchreibt er am 12. Februar dem Prinzen Heinrih, „ſoll mid die 
Königin von Ungarn nicht unverjehens erwilhen, was auch ihre Abfichten fein 
mögen. Die Armeen find jchon eingeteilt, die Märfche geregelt und fehr viel 
Werk und Arbeit vorausgetban. Wir fönnen zum Beginn 140000 Mann ins 
Feld ftellen und dieje Zahl wird fih im zweiten Feldzug um 30000 Mann ver: 


mehren laſſen.“ „Ich laſſe diefe Leute,” jchreibt er drei Tage jpäter, „ruhig 
thun, was fie beſchloſſen haben, und _wenn es zum Neußerjten fommen muß, 
ol man uns früher fertig finden, als man benft.” 

Die Vorfrage war ihm feinen Augenblid zweifelhaft. Unbedingt war er 
entichlofien, wenn die Rufen und Defterreiher wegen der polniihen Wirren 
bandgemein wurben, feine Verpflichtungen gegen den Bundesgenofien zu erfüllen. 
So hart es ihn anfommen modte. Denn nicht damit genug, daß er für Ruß- 
land fi in neuen Krieg ftürzen jollte, mußte er fi auch jagen, daß er durch 
jeine Waffenhülfe wiederum dazu beitrug, die ruffiihe Macht zu vermehren, bie 
ruffiihe Anmaßlichkeit zu fteigern, die Unterjohung Polens unter die ruſſiſche 
Herrſchaft zu befiegeln. „In ganz Europa,” fchrieb er feinem Gejandten Solms 
am 12. Februar 1767, „ſagt man frei öffentlih, da& die Kaiferin Polen auf 
kurländiſchen Fuß binabdrüden und einen König haben will, der das Land 
unter ruffiiher Leitung regieren und nichts ohne der Kaiferin Erlaubnis thun 
joll.” Er madte es diefem Gejandten zum Vorwurf, daß er die ruffiiche Politif 
beſchönige, über die ruffiihe Herrichfucht den Schleier ziehe. Aber trog allem 
fam er zu dem Ergebnis: „Man muß die Prozeduren der Rufen in Polen 
ertragen, weil wir wenn fie mit dem Wiener Hofe im Bunde ftünden, bieje 
Prozeduren ebenjo dulden müßten.” Die Defterreicher, äußerte er in demſelben 
Gedankengange, würden jest zu fpät gewahr, daß fie ehebem den Ruſſen allzu: 
viel Gelegenheiten geboten hätten, ihren jegigen großen Einfluß auf die euro: 
päilchen Angelegenheiten zu gemwinnen. 

Entſchloſſen, troß folder Bedenken das Bündnis mit Rußland inmitten 
der neuen Wirren feftzuhalten, hielt König Friedrih es doch für geboten, ſich 
für den Kriegsfal den Anfprud auf Entfhädigung, und zwar auf Landgewinn 
zu fihern. Die Aeußerung Panins aus dem Dezember 1763, daß Preußen, 
wenn die Dinge zum Aeußerſten fämen, nicht umſonſt gearbeitet haben 


Bündnis mit Rukland und erite Teilung Polens. 449 


ſollte, ſie war, damals anſcheinend überhört, nicht vergeſſen worden. Friedrich ließ 

den ruſſiſchen Staatsmann jetzt an jene Worte erinnern, als er am 19. Februar, 

nach wiederholter Beratung mit ſeinen Kabinetsminiſtern, den Entwurf zu 

einem neuen, den Zeitläuften angepaßten Vertrag nad Petersburg ſandte. Dort G 4 Mm 
ging man gern und ganz und diesmal aud raſch auf einen Vorſchlag ein,, £ — rt 
deſſen unmittelbare Borteile durchaus auf ruffiiher Seite lagen. Das am a gA — 








eine Diverſion gegen die Erblande der Kaiſerin-Königin zu machen. Rußland 


übernahm, ihm gemäß dem Bündnis von 1764 mit einem Hüliscorps, erforder: 


Auf Wunſch der Ruſſen wurde noch ein Artikel aufgenommen, wonach es freier 

Vereinbarung vorbehalten blieb, den Gelobeitrag, den Preußen 1764 für den % 

Fall eines ruſſiſch-türkiſchen Krieges zugefagt hatte, in Truppenhülfe zu verwandeln. 4 5 parken 
Preußen hatte jegt diplomatijch und militärifch feine Aufitellung genommen... 75% #167 

Wäre es damals zum Bruche gefommen, jo hätte der Krieg, allem Ermeſſen (eu bare): 

nad, dem Könige nur Gewinn bringen fünnen. Seine Lage war in Anbetracht 

jeiner Stellung zu Rußland und bei der Lethargie Frankreichs ungleich günftiger 

als 1756. est wie damals wurde in beiden Lagern gerüftet, in Preußen wie 

in Defterreih. Jetzt wie damals war der König von Preußen entichlofjen, wenn 

es jein mußte, vom Leder zu ziehen, zugleich aber entichloffen, den äußerſten 

Notfall, einen wirflihen Zwang abzuwarten. Jetzt wie damals verfolgten jeine 

militärifchen Maßnahmen den Nebenzwed, über die Abfichten des Gegners Klar: 

beit zu gewinnen. Und die Klärung wurde herbeigeführt, damals wie jegt; aber 

diesmal in entgegengejegter Richtung. Weit davon entfernt, die preußiichen 

Rüftungen als willkommenen Vorwand für die Fortfegung der eigenen zu be— 

nußen, wie 1756, lenkte man in Wien ein, wie 1749,!) und ließ beſchwichtigende 

Erklärungen abgeben. Im Auftrage des Fürften Kaunig eröffnete Nugent ſchon 

Anfang Februar 1767 dem Grafen Findenftein anläßlih der Gerüchte über 

öfterreihiiche Rüftungen, alles, was in Wien geſchehe, gelte einzig und allein 

dem Plane des Kaijers zur Verbefferung jeines Heerwejens. Findenftein ent: 

gegnete, auch die preußiichen Vorkehrungen bezwedten nichts anderes, als die 

Reiterei auf den kompletten Friedensfuß zu bringen. „Die Neiterpferde, die 4, rauch, few 

wir faufen lafjen, haben ihnen den Floh ins Ohr gejegt,” folgerte der König; phsace ev wen! 

„Ne haben begriffen, daß wir mit Rußland im reinen find.” Er erklärte, jet 

die weitere Entwidelung ruhig abwarten zu wollen: „Ih bin auf alles gefaßt. 

Muß Krieg geführt fein, jo werde ich ihn führen, und muß Friede gehalten 

werden, jo werde ich ihn halten. Und offen gejagt, nad den Unglüdsichlägen, 

die legthin den Staat getroffen und erjchüttert haben, wäre es zu wünjchen, 

daß wir noch einige Jahre hätten, um ihn fich erholen zu laflen und zugleich 

ftreitbar zu machen.“ 


Bal. Bd. T, 473 ff. 
Kofler, König Äpriedrih der Große. II. 2 Aufl 29 


ch (Bi — af: er nt: I au in ( Lu Ie— 
un '767(oc.). 


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1 
450 Achtes Buch. Dritter Abſchnitt. 


as al, a Es zeigte fih dann immer deutlicher, daß die öſterreichiſchen Rüftungen in der 
That nur, wie Friedrich es vermutet hatte, als Demonftrationen gemeint gewejen 
i waren, auf die man einen jtärferen Trumpf nicht folgen zu laſſen beabjichtigte. 
meh “ Am Juni 1767 urteilten der König von Preußen und Graf Panin überein: 
Auf . ftimmend, daß der Wiener Hof angefichts der engen Berbindung zwiihen Ruß: 
land und Preußen jetzt auf jeden Einſpruch verzichtet habe. Die Vorſicht des 
Staatsfanzlers begegnete ſich mit der tiefen Abneigung der Raiferin gegen neuen 
Krieg. Sie fhaudere, hat Maria Therefia einige Wochen jpäter dem päpftlichen 
Nuntius gelagt, wenn fie daran denke, wieviel Blut während ihrer Regierung 
gefloffen jei. Nur die äußerite Notwendigkeit werde fie dahin bringen, daß 
um ihretwillen noch ein Tropfen vergoffen werbe. 
wu) 9.2 „F So verlief das Fahr 1767 ruhiger, als ihm an jeiner Schwelle voraus: 
GI 75 Helagt worden war. Aud in Polen fam es nicht zum offenen Bürgerfriege, zu 
ul, u lz einer Erhebung gegen die ruffiichen Unterdrüder. Rußland beherrichte, wie es 
p ihien, mit dem unter feinem Schirm zufammengetretenen Sonderbunde bie 
f,, Lage völlig. 

Allerdings mußte diefe Konföderation bejtändig unter eiferner Rute ge- 
halten werden. Zwei Gemaltafte des ruſſiſchen Geſandten Repnin bezeichnen ihre 
Geſchichte. Als zu Radom in Kleinpolen Anfang uni die Einzelfonföberationen' 

g Tas - [ n fih verfhmolzen, gelangte die Bundesafte der Generallonföderation in dem von 
ent Am fed- 


—X 


Repnin vorgeſchriebenen Wortlaut doch erſt zur Unterzeichnung, als ruſſiſche 
ur. ASoldaten das Verſammlungshaus umſtellten und ihre Kanonen auffuhren. Und 
gen . als am 3. Oktober der von den Konföderierten verlangte außerordentlihe Reichs: 
Enafe Ierctim tag zulammengetreten war, konnte Nepnin nicht anders zum Ziel fommen, als 
st Bin daß er die Wortführer der Gegenpartei, die Biſchöfe von Krafau und von Kiew 
u deh. ‚767 und drei weltliche Würdenträger, verhaften und in die Gefangenfchaft nah Ruß: 

“ land abführen ließ, unter dem Vorwand, daß fie fih gegen die Majeftät der 

Zarin vergangen hätten. „Alles iſt verloren,” meldete damals der päpftliche 
kat — fruh Nuntius nah Rom. Die vom Reichstag eingejegte Kommiſſion beſchloß nun 
aha >. wie Nepnin es verlangte; fie mußte fih von dem Biſchof von Kujavien die 
ur höhniſche Frage gefallen laflen: ob fie denn auch den Koran angenommen haben 
/ + A ) würde, wenn Repnin es geboten hätte. Das große Ergebnis war, daß die 

i Kommiffion und demnächſt der Reichstag die ftaatsbürgerlihe Gleichitellung der 
Katholifen und der Diffidenten, ſowohl der nichtunierten Griehen wie der Pro: 

teftanten ausjprah und den nicht Fatholifhen Edelleuten den Zutritt zu allen 

? Aemtern und Würden, allein die Königsfrone ausgenommen, eröffnete. Für bie 
Ya, er car Beihäftsordnung hatte Rußland den Reformfreunden fo viel nachgegeben, daß 
fr Brian: während der drei erften Wochen eines Reichstages für die Erledigung der 

Rinanzvorlagen Mehrheitsbeihlüffe Platz greifen ſollten. 

Am 5. März 1768 Löfte die Konföderation fih auf, bie ruſſiſchen Truppen 

begannen das Gebiet der Republik zu räumen. 
Cohen 4 Der König von Preußen freute ſich der politiſchen Windſtille: Europa 
— “ endlich einmal nicht angefüllt „von Faktionen, Negociationen und Intriguen“, 
7% oem): nicht in ben „Geburtswehen eines neuen Krieges“. „Ich bin viel zufriedener,“ 
joreibt er am 20. Januar 1768 an den Gejandten in Wien, „wenn Sie mir 


Bündnis mit Rufland und erfte Teilung Polens. 451 


über Opern, Schlittenfahrten und ähnliche Vergnügungen von dort berichten, 
als wenn Sie mir politiſche Verwickelungen anzukündigen haben.“ Und an den 
Prinzen Heinrich nach Rheinsberg am 1. Februar: „Die beſte Nachricht, die ich 
Ihnen von hier ſenden kann, iſt die, daß es keine gibt.“ 

Aber ſchon Jam 12. März meldete ihm ſein Geſandter in Warſchau, daß „Lt rn 
in der polniſchen Ufraine eine neue Konföberation im Entitehen war. Friedrich Yasrıe 
beflagte den Zwiſchenfall als höchft ungelegen, da er den Auflen einen Vorwand (,,_ fa BR 
bieten werde, ihre Truppen in Polen zu lafjen. Die Bewegung griff weiter um „/ Zar 
ih. Was anfangs ein „Strohfeuer” ſchien, fennzeichnete ſich dem König von, zu... 7 75 * 
Preußen nach zwei Monaten als „ein Aufſtand des ganzen Königreichs gegen 
das Ergebnis des letzten Reichstags”. Die Stadt Bar in Podolien war der 
Ausftrahlungspunft. Die Religion gab das Panier. Die Konföderation nannte 
fi die heilige, Lutheraner und Calviniften, getaufte Juden und _nichtunierte 
Griehen wurden von dem Bunde ausgeihlojien. Die große Gegnerichaft der 
Czartoryskis, in ihrer Hoffnung den König Stanislaus geftürzt zu ſehen durch & ar- 
die Ruſſen getäuſcht, trat jenem Bündnis wider Rußland bei, wie vor andert:., ., ff 
halb Jahren dem für Rußland. Der Kleinkrieg mit allen jeinen Schreden begann. —— 
Kaum mehr als 10000 Ruſſen ſtanden noch auf polniſchem Boden. Man über 
fiel fie in ihren Quartieren, ermordete oder verftümmelte fie; man goß ben ge: 
fangenen Koſaken fievendes Peh in den Hals. Nun fannen die Rufen, wo 
Konföderierte in ihre Hände fielen, auf noch ſcheußlichere Martern. 

Wie König Friedrich jofort zutreffend vermutete, wurde die Bewegung ge «DL md; 
ſchürt und ermutigt durch den franzöfiichen und den ſächſiſchen Hof. Prinz A Sony r3 
Karl von Sadjen verhieß 4000 Mann aufzubringen, Franfreih fandte Gelder — ——— 
und Offiziere. Freilich waren die Wahrnehmungen, die Oberſt Dumouriez im 
Lager der Konföderierten alsbald über die Zuchtloſigkeit der Truppen, über den 
Leichtſinn und die Liederlichkeit der Führer, ihre Eiferfucht und ihre Zänkereien 
madte, jo niederdrüdend wie möglich für die fremden Gönner. 

Mehr als von den Polen erwartete man in Berjailles von den Türfen. deck] war. 
Die franzöfiihe Diplomatie am goldnen Horn ließ es nicht an ſich fehlen. Eine hy a 
Verlegung der türkischen Grenze bei Balta durch die Rufen im Juli 1768, { EIER 
bei Verfolgung pobolifher Konföderierten, gab der Kriegspartei im Divan das = ) 
Uebergewidt. Nah dem Sturze des friebliebenden Großveziers wurde Anfang 
Dftober der Krieg gegen Rußland beichlofien, der ruſſiſche Geſandte Obreskow 
als Staatsgefangener in das Verließ der fieben Türme gemorfen. 

Bis zulegt hatte König Friedrih nah dem Ereignis von Balta gehofft, 
daß troß der Gärung, in welde die europäische Politik, einer fiedenden Flüffig: L, 4 FE 
feit gleich, geraten fei, der ;jriede gewahrt bleiben werde. Jetzt Jah er im Ge „x, 0 
folge des ruffiichtürfifhen Zufammenftoßes den allgemeinen Krieg fommen, „pie 
Frucht der ntriguen Frankreichs”, falls das nicht der Penetration des Herzogs 
von Choifeul allzuviel Ehre ermeiien heiße. „Umgeben von jo viel Mächten,” 
Ichreibt er am 28. November 1768, „die ſchon in Aktion find oder dicht vor 
ihr ftehen, werde ih nicht mit gefreuzten Armen jtehen bleiben können; man 
muß fein Wörtchen mitſprechen wie die anderen.” 


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452 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


Huf dem Reichstage von 1662 hat König Johann Kafimir von Polen 


Sehe 
einen Landsleuten ihr Schidjal vorausgefagt. Gott möge ihn einen faljchen 


Propheten fein laffen, rief er ihnen zu, aber er fürdte, daß dank ihrem melt: 
berühmten Recht der freien Königswahl dereinft noch der Mosfomwiter, ber 
Brandenburger und der Delterreiher die Republif Polen unter fi teilen 
würden. 

Zu jener Zeit hat der große Kurfürft im Marienburger Vertrag von 1656 
von dem ihm verbündeten Schwedenfünig ſich als Erjak für die Kriegskoſten 
den Beſitz der vier Palatinate Kaliih, Poſen, Sieradz und Lenczyca, d. h. fait 
des ganzen Großpolens, zufihern lafien, dann aber diejer verlodenden Ausficht 
mit der Abkehr von dem jchwediichen Bündnis entfagt. In dem großen nordi— 
ſchen Kriege zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts hat der König von Polen 
jelber eine Teilung des polniſchen Staatsgebiets angeregt, bei der er ein Los an 
das fiegreihe Schweden, ein zweites an Brandenburg: Preußen überlaffen und 
ben Neft für fein jächfiiches Kurhaus als Erbfönigreich behalten wollte, und 
nad dem Altranftädter Frieden hat derjelbe König Auguft, um die polnijche 
Krone für ſich wieberzugewinnen, den Nachbarn nochmals Stüde von Polen 
angeboten. Der erfte König von Preußen ift 1710 auf diefe Entwürfe mit 
Eifer eingegangen, er begehrte das polnische Preußen, Ermland und Camogitien, 
auch die Anwartſchaft auf Semgallen und Kurland; aber nad der Vernichtung 
des ſchwediſchen Heeres bei Pultawa fühlte fich Peter der Große fo jehr als 
Herr der Lage im europäifchen Dften, daß er von der Teilung eines Landes, 
welches jegt ganz in feine Hände gegeben war, nichts hören wollte. Nach der 
zwiejpältigen Königswahl von 1733 hat fowohl Franfreih im Namen feines 
Schützlings Stanislaus Leszeaynsfi, wie die Zarin Anna als Patronin des 
wettinifhen Gegenfönigs dem Berliner Hofe einen Streifen Landes zur Ver— 
bindung zwifhen Pommern und Oftpreußen angeboten. Aber Friedvrih Wil: 
heim I. fand nit den Entſchluß, für die eine oder die andere Sache offen 
Partei zu nehmen, obgleih er einmal geäußert hat, er wolle für Marienburg, 
PBelplin, Stargard und Mewe — die Stationen auf jeinen Fahrten nad Königs: 
berg oder Marienwerder — mit Vergnügen feine Anfprüde auf Jülich und 
Berg drangeben. 

So hat au der Kronprinz Friedrich in dem territorialen Zukunftsbild des 
preußiichen Staates, das der Gefangene von Küftrin 1731 mit feder Feder ent: 
warf, Polniich: Preußen als ein unentbehrliches Bindeftüd eingezeihnet. Er hat 
in den „Politiihen Träumereien” bes Teftaments von 1752 nochmals auf dieje 
Erwerbung bingewiefen, und wieder als der Krieg mit Rußland fam, hat er 
zu Zeiten an fie gedadht.') 

Eben in den Herbittagen von 1768, bei denen unfere Erzählung angelangt 
ift, am 7. November, bradte Friedrich eine Umarbeitung feines „Politiſchen 
Teitaments“ von 1752 zum Abſchluß. Wieder ergeht er fih in „Politiihen 
Träumereien” ; wieder fieht er im Geiſte dereinft Sachſen, Schwediſch-Pommern, 


') Val. Friedrich der Große als Kronprinz (2. Aufl.) S. 195, 265 und oben Bd. I, 299, 
Bd. II, 56, 248. 


Bündnis mit Rufland und erfte Teilung Polens. 453 


Bolnijh: Preußen in die Grenzen jeines Staates einbezogen. Dann werde man 
nad Befeitigung einiger Weichjelpläge DOftpreußen gegen ruffifche Anjchläge 
verteidigen können. Aber er jagt fi zugleich, da eben Rußland diejenige Macht 
jei, bei der man wegen des polniihen Preußen das größte Hindernis finden 
würde. So werde es vielleicht beſſer fein, jenes Land durch Verhandlung ſtück— 
weile zu gewinnen, als durch das Recht des Krieges. Vielleiht werde Rußland 
in einem Falle, da ſich ihm der preußiiche Beiltand als ein dringendes Bevürf: 
nis ergäbe, geneigt fein, Thorn, Elbing und eine Bannmeile an Preußen zu 
überlaffen, zur Verbindung von Pommern mit der Weichjel. 

An fih Fonnte die Lage Preußens in Europa zu jenem Zeitpunft für die 
Aufnahme großer Entwürfe günftig erjcheinen. König Friedrich, mit feinem 
Rüdhalt an Rußland, ſah fih von den ſeit fürzerer oder längerer Zeit ihm 
entfremdeten oder verfeindeten Mächten auf einmal angelegentli ummorben. 

Sranfreih, jein Bundesgenofje von ehedem, nahm damals einen großen 
Anlauf, fein durch den Ausgang bes legten Krieges ſtark erichüttertes Preftige 
wieberherzuitellen. Im Sinne feiner alten ofteuropäiihen Politif, die als eine 
ihrer vornehmften Aufgaben die Unterftügung Polens betrachtete, hatte Frank: 
reih die Türken zu ihrer Kriegserflärung gegen Rußland gebradt. Und den 
Engländern zum Tort riß man im Mittelmeer ein jtarfes Außenwerk an fi: 
durch Kauf erwarb man von der Republif Genua die Inſel Korfifa, auf bie 
Gefahr hin, daß England darob zu den Waffen ariff. Im Zufammenhang 
diefer Politik hielt e& der Herzog von Choiſeul nicht nur für angezeigt, bie 
diplomatiihen Beziehungen zu Preußen wieder aufzunehmen, jondern empfahl 
Ihon im Herbit 1767 dem Wiener Hofe, gleichfalls eine Annäherung an Preußen 
zu ſuchen, um diefe Macht aus der engen Verbindung mit Rußland herauszu: 
ziehen und damit deffen Stellung in Polen zu ſchwächen. 

Defterreih ging nah anfänglihen Bedenken auf diefe Anregung ein. 
Kaunig, bei dem die Neigung für fünftliche politiihe Kombinationen mit den 
Jahren zunahm, jchwelgte in weiten Nusbliden. Er hielt einen gegen Rußland 
gerichteten Dreibund zwiſchen Defterreihern, Preußen und Osmanen nit für 
unmöglich, ja er ſah bereits Schlefien unter das öfterreihifche Zepter zurüd: 
fehren, indem er annahm, daß Preußen zwar nicht jofort, aber in der Folge, 
etwa beim Erlöfhen des auf wenigen Augen ſtehenden Mannesftammes der 
Dynaftie, fich bereit finden könne, Schlefien gegen Kurland und einen Teil von 
Bolnifh: Preußen umzutaufhen. Wohl möge fein Gedanke, meinte er, aben: 
teuerlich ericheinen. Aber habe man nicht auch feinen großen Plan, Frankreich 
für Oefterreich zu gewinnen, 1749 als chimäriſch bezeichnet? Und doc habe der 
1756 Geftalt angenommen. Die Jugend urteilte in diefem Falle nüchterner 
als das Alter. Der junge Kaiſer unterjog bes alten Kanzlers „Projeft zu einem 
neuen politiihen Syftem” einer einfchneidenden, abweijenden Kritit, und die 
Kaijerin-Königin flellte fih auf die Seite ihres Sohnes. Darin aber waren 
alle drei einig, daß eine Verftändigung mit Preußen augenblidlih wünſchens— 
wert fei und daß man den Verfuch machen müſſe. In einer Audienz, die Maria 
Therefia am 4. September 1768 zu Schönbrunn dem preußiſchen Gefandten 
erteilte, fam der Gedanfe offen zur Ausipradhe, daß Defterreih und Preußen 


454 Achtes Buch. Dritter Abſchnitt. 


in den Wirren des Oſtens dur ihr Einverftändnis den Ton angeben könnten. 
Maria Therefia ftellte weitere Eröffnungen in Ausſicht. 

In London, wo das Vorgehen Franfreihs im Mittelmeer zwar ohne Ein: 
ſpruch, aber mit großem Unbehagen aufgenommen wurde, hatte der Staatsſekretär 
Rochefort gegen das Ende des Jahres ein Geipräh mit dem preußiichen Ge: 
fandten Maltan über die allgemeine politiihe Lage und ſprach ſchließlich die 
Bereitwilligkeit Englands zu Subfidienzahlungen an Preußen aus; zwar werde 
das Parlament in Friedenszeiten Hülfsgelder nicht bewilligen wollen, aber im 
Kriegsfal könne man fie doppelt reichlich bemefien. 

Auch Rußland begann wieder, dem preußifchen Verbündeten eine engere 
Verbindung mit England zu empfehlen. Im übrigen beihränfte fihb Panin 
gegen den Grafen Solms nah dem Bruch mit der Türkei auf die allgemeine 
Bemerkung, daß man jet Preußen als Freund in der Not zu erproben hoffe. 

Wie jollte der König von Preußen zwiſchen den entgegengelegten Inter— 
eſſen, Anjprüden und Anträgen der vier großen Mächte Stellung nehmen? 

Den Weftmähten gegenüber war fie leicht gefunden. Friedrich war feſt 
entjchloffen, fi ihren Händeln völlig fernzuhalten und deshalb weder mit Eng: 
land nod mit Frankreich eine nähere Verbindung einzugehen. 

Bei der Wiederanfnüpfung mit Frankreich, zu der er ſich bereit fand, ging 
er wefentlih von dem Wunſche aus, Handelsvorteile zu gewinnen, und vermied 
alles, was die Ruſſen mit Mißtrauen erfüllen und bei ihnen den Anfchein 
erweden fonnte, alö wenn er die Franzoſen vielmehr juche, als fih von ihnen 
juchen laſſe. Das dürfe ihm, fagte er dem Minifter Findenftein, nicht als 
jpießbürgerlihe Eitelfeit gedeutet werden. 

Das Subfidienangebot der Briten wies er ftolz und ſchroff zurüd. „Eng: 
land jcheint ſich einzubilden,“ fchrieb er jeinem Gefandten, „daß es fich mit 
feinem Gelde beliebig viel Bundesgenoffen verfhaffen kann. England täufcht 
fih indejlen furdtbar, wenn es fich jchmeichelt, mich durch diejen Köder in feine 
Allianz hineinzuzerren. Nach den Werrätereien, die ih von jeiner Seite zu 
Ausgang des legten Kriegs erfahren habe, werde ich ficher weder jein Gold noch 
jeine Freundſchaft ſuchen. Der König von Preußen nimmt Subfidien nur, 
wenn ganz Europa gegen ihn verbündet ift und man ihm an die fieben Pro: 
vinzen auf einmal entriijen bat. Und wenn fie mir Taufende an Subfidien 
anböten, ich werde nidht wieder ihr Verbündeter werden, es jei denn unter dem 
Zwang des äußeriten Unglüds.“ 

Ganz anders Friedrichs Verhalten gegen die Defterreiher. Nach jenem 
huldvollen Empfange feines Gejandten dur die Kaiſerin-Königin wies er diefen 
jofort an, geſprächsweiſe auf die Zweckmäßigkeit eines Abkommens für den 
Ruheſtand des deutichen Reichs hinzumweilen. Der Gedanke fiel in Wien auf 
fruchtbaren Boden. Im November kehrte Graf Nugent, der kaiſerliche Gejandte, 
mit eingehenden Inſtruktionen von einer Urlaubsreije nad) Berlin zurüd. Am 15. 
empfing ihn der König in Potsdam. Nugent hatte zu verfichern, daß die failer: 
lihen Majeftäten, jo wenig fie einen neuen Krieg jcheuen würden, „bie Bei: 
behaltung der allgemeinen Ruhe, wenigstens in Deutihland”, zum erften und 
größten Endzwed ihrer Politif gemacht hätten. Der König ftimmte mit Leb— 


Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 455 


haftigfeit ein: „Wir find Deutfhe, was liegt uns daran, ob in Kanada und 
auf anderen amerilanischen Inſeln die Engländer und Franzoſen fich zufammen 
herumſchlagen? Ob der Paoli den Franzofen wegen Korlifa die Hände voll zu 
Ichaffen gibt? Ob die Ruffen und die Türfen fich einander in die Haare fallen? 
So lange wir zwei, das Haus Defterreih und ich, uns wohl einverftehen, hat 
Deutſchland von Kriegsunruben wenig zu befahren. Die Kaijerin:Königin und 
ih haben lange verberblihe und Eoftjpielige Kriege wider einander geführet, und 
was haben wir endlich davon?” Nugent ſchlug nun vor, da der Abfhluß von 
Verträgen unliebfames Aufjehen zu erregen pflege, fo möchten die Monarchen 
brieflich fi bindende Zujagen geben, oder aud von Mund zu Mund bei einer 
Zufammenfunft. „Sie haben recht,“ ermwiderte der König, „wir werden uns 
Kavaliersparole geben, wie Franz I. und Karl V., das wird ficherer jein, als 
alle Verträge.” 

Man nahm eine Zufammenkunft für dem nächſten Herbit, die Zeit der 
ſchleſiſchen Revuen, in Ausfiht. In weiteren Verhandlungen, bei denen es 
nicht an vorübergehenden Mikverftändniffen fehlte, wurde verabredet, daß der 
Kaiſer Anfang September zum Beſuche des Königs nah Neiße kommen würde. 

Eine Neutralitätserflärung für Deutihland hatte dem König von Preußen 
vor zwölf Jahren die Freundſchaft feines damaligen Verbündeten gefoftet. Graf 
Findenftein mahnte zur Borficht: vielleicht lege e& der Wiener Hof nur darauf 
an, Preußen und Rußland auseinanderzubringen. Der König ermwiberte, die 
Ruſſen würden aus feiner Haltung jehr wohl entnehmen, daß er fich von der 
Allianz nicht ablenken lajje; denn er erfülle alle Vertragspunfte und beabfihtige 
außerbem, die Erneuerung des Bündniſſes zu beantragen. 

In der That begann Preußen demnädhft ohne Weigern mit der Zahlung 
der 1764 ausbebungenen Hülfsgelder für den Türkenkrieg, jo ſchmerzlich es 
dem Könige anfam, diefe 400000 Rubel jährlih ins Ausland geben zu laſſen. 
Die Erneuerung des Bündnifjes aber, von deſſen acht Jahren fait fünf bereits 
abgelaufen waren, wünjdte er jowohl an ſich, weil die Verlängerung von größter 
Wichtigkeit für feine Machtitellung in Europa war, wie in der Hoffnung, im 
gegenwärtigen Augenblide günftigere Bedingungen zu erzielen, um für fein teures 
Geld nicht das leere Nachſehen zu haben. 

Unter dem Gefichtepunft, daß neue Schwierigfeiten, türkiſche Schmerzen 
zu ben bereits reichlih vorhandenen polnischen, die Ruſſen den Intereſſen 
Preußens zugänglicher machen würden, hätte er das Eingreifen der Türken in 
die polnifche Frage fih ſchon genehm fein lafjen, wenn nicht ganz entichieben 
die Befürchtung überwogen hätte, daß aus diefem orientalifhen Krieg ein all: 
gemeiner Brand entitehen könnte. „Guter Gott,” jo jeufzte er, „warum hat 
man fi nicht darauf beichränft, die polnische Königswahl zu machen? Alles 
ging wunderſchön, aber diefe unglüdlihe Dijfidentenfahe hat alles verborben.” 

Was begehrte er nun aber von Rußland am Vorabend dieſes orientalifchen 
Krieges als Preis für die Erneuerung des Bündniffes und als Balfam für das 
jchmerzlihe Geldopfer? Weberrafchend wenig. Nichts anderes als die ruffiiche 
Bürgihaft für den Erbaniprudh der fönigliden Linie feines Haufes auf bie 
Markgrafentümer Ansbah und Baireuth — einen Wechſel auf vorausfichtlich 


456 Achtes Bud. Dritter Abfchnitt. 


ferne Zufunft, der allen Wert verlor, wenn der Erbfall nicht mehr während der 
Dauer dieſer Allianz eintrat. Er weihte am 2. November Findenftein in dieje 
jeine Abjichten ein; er nahm fich zugleih vor, die Ruſſen kommen und einjt: 
weilen fein Wörtchen von einer Verhandlung laut werden zu laſſen. Gleihwohl 
that er dann in einem Briefe an die Zarin vom 15. Dezember feinerjeits ben 
eriten Schritt und bot ihr nicht bloß die Verlängerung des Bündniſſes an, 
jondern machte auch zugleich eine Andeutung über feine Hauptbedingung, „die 
jein Haus ſehr interefiierende Angelegenheit”. 

Denn daß er in der That nur Ansbah und Baireuth dabei im Sinne 
batte, läßt mit aller Deutlichfeit fein nächfter Schritt erjehen. Am 21. Januar 
1769 überjandte er auf Katharinas Erjuchen einen Entwurf zu dem neuen 
Vertrage: der eingefügte Artifel wegen der fränkiſchen Erbfolge offenbarte jegt 
den Ruſſen, wie billig die Verlängerung des Bündniſſes zu haben war. 

Im politiihen Meinungsaustaufh mit dem Prinzen Heinrihd hat der 
König ſpäter jelber zugeftanden, daß diefe Bürgſchaft für Ansbah und Baireuth, 
jein einziger Gewinn aus dem Bündnis mit Nußland, nicht viel bedeute; aber 
er vertrat dem Bruder gegenüber die Anfiht, dab einen Landzuwachs nad) der 
polniſchen Seite weder Rußland noch Defterreih ihm gönnen würden. Heinrich 
nahm im Gegenteil an, daß beide fich in diefen ſchweren Zeitläuften wohl dazu 
würden bequemen müſſen. „Jh will Sie als Herrn der Ufer des Baltiichen 
Meeres jehen,” ruft er dem Könige einmal zu. Ermwerbung eines guten Stüdes 
von Polen wurde allmählich des Prinzen ceterum censeo, 

Vielleicht ift Heinrich ſchon Anfang 1769 beteiligt geweien, wenn der König 
damals, vierzehn Tage nad der Ueberſendung jeines Vertragsentwurfes, fich 
nachträglich entſchloß, mit aller Vorfiht einen Fühler auszuftreden. Einem 
Erlaß an Solms vom 1. Februar fügte er eigenhändig eine Nachſchrift hinzu, 
einen kleinen Roman: der Graf Lynar jei nad Berlin gefommen zu einem 
Hodhzeitsfeit, derjelbe, der die Konvention von Klofter Zeven abgeſchloſſen habe, 
ein großer Politiker, der aus dem nnerften des Dorfes — Lübbenau im Spree: 
wald —, auf das er ſich zurüdgezogen habe, noch Europa regiere. Diejer 
Graf Lynar habe eine ziemlich fonderbare dee, um alle politifhen Intereſſen 
zu vereinigen und den Dingen in Europa auf einen Schlag ein anderes Aus— 
jehen zu verleihen: „er will, daß Nußland dem Wiener Hofe für feinen Bei: 
ftand gegen die Türken Yemberg mit Umgebung anbiete, uns Polnisch: Preußen 
mit Ermland und dem Schugrecht über Danzig gebe und fich felber als Kriegs: 
foftenentichädigung einen ihm zufagenden Teil von Polen angliedere.” 

Der König überließ es feinem Geſandten, ob er von diejer „dee“ mit 
dem Grafen Banin jpredhen wollte oder nit. Solms bradte nach einigem 
Zaudern feinen Wechſelbalg zum Vorſchein. Panin durfte, da er Preußens 
Bedingung für die Erneuerung des Bündnifjes bereits kannte, ſich auf eine rein 
akademiſche Betrachtung bejchränfen. Aber bezeichnend bleibt die Wendung, die 
er fofort der „Idee“ gab. Es würde ſich nicht verlohnen, drei jo große Mächte 
in ein Bündnis zufammenzufaffen einzig und allein um die Türfen über den 
Dnjeftr zu werfen; joldh ein Bund müßte nichts Geringeres bezweden, als fie 
ganz aus Europa und einem guten Stüd von Aſien zu vertreiben. Und ale 


Bündnis mit Rufland und erite Teilung Polens. 457 


dann könne Deiterreich mit türkiſchem Gebiet, nicht aber in Polen, ſich ent: 
ſchädigen, und Preußen werde in diejem Falle allerdings das polnische Preußen 
und Ermland beanipruchen dürfen. Rußland jelbft, erwiderte Panin auf eine 
Frage des Grafen Solms, befite bereits mehr Land, als man regieren könne 
und werde ſich deshalb allemal mit einigen Grenzfeftungen begnügen. 

Friedrih bemerkte feinem Gejandten lafoniih, er zweifle, ob der Plan 
Panins jo leicht auszuführen als zu entwerfen jei, in Wien werde man große 
Schwierigkeiten mahen. Bon dem Pſeudo-Lynarſchen Projeft ward nun nicht 
weiter geſprochen. Erflärten fi doch die Ruſſen nicht einmal mit dem bes 
icheidenen preußiſchen Vertragsentwurf ohne weiteres einveritanden. Die Forde: 
rung der Bürgſchaft für die fränkiſche Erbfolge begegnete Einwänden. Wie 
1763 jchleppte fich die Verhandlung endlos hin. Rußland hatte den Vorteil, daß 
der beitehende Vertrag noch auf drei Jahre lief, während derer man aljo im 
ungeftörten Genuß der preußiihen Subfidien blieb. Schon war der Auguft 
herangefommen, und nunmehr eröffnete König Friedrid dem Minifter Finden: 
ftein feine Abficht, die Verhandlung jest jeinerjeits binzuziehen. Die für die 
Begegnung mit Joſeph II. verabredete Zeit war gefommen. „Sch bin neugierig, 
zu hören,” meinte Friedrih, „was der Kaifer mir fagen wird. Sollten wir 
jehr vorteilhafte Anträge erhalten, jo müßte man fie zurüdweifen, wenn wir 
die Unvorfichtigfeit gehabt hätten, uns vorfchnell zu binden; während, wenn der 
Kaifer nichts Intereſſantes jagt, es noch immer Zeit fein wird, unjeren Vertrag 
mit den Rufen abzuſchließen.“ 

In der Frühe des 25. Auguſt traf der König in Neiße ein und flieg in 
der biſchöflichen Reſidenz ab, begleitet von dem jest fünfundzwanzigjährigen 
Thronfolger und jeinen Kriegsgefährten, dem Prinzen Heinrich, Seyplig, 
Tauengien. Um die Mittagsftunde fam der Graf von Falkenftein, denn unter 
diefem Namen reilte Kaifer Joſeph, mit feinem Schwager, dem Herzog Albert 
von Sachſen-Teſchen, und den beiden nah Dauns Tode angejeheniten Führern 
feines Heeres, Lacy und Laudon. Der Beſuch mwährte drei Tage. Der Kaifer, 
der fein Inkognito ftreng feithielt, wohnte im Gafthofe zu den drei Kronen und 
war des Königs Gaft nur an der Tafel, auf der in den Augen der Defterreicher 
die Weine und das Obſt mehr Anerkennung fanden, als die „militärifche Aus: 
wahl” der Speifen. Das Wort führten bei Tiſch ausſchließlich die beiden 
gefrönten Häupter. Die Vormittagsitunden waren der Befichtigung der Truppen, 
die Abende der italienischen Oper gewidmet. Für die politifchen Gejprädhe war 
Joſeph von Kaunig mit einer jehr ausführliden Denkſchrift ausgerüftet. Er 
fand feine Gelegenheit, über die fünftige Regelung der Erbjolge in Preußen 
fih auszulafjen, die Kaunik in der Weite ſich dachte, daß für die öfterreichiiche 
Anerkennung des weibliden Erbrechtes im preußiihen Hauje der König der 
Nachfolge in Ansbah und Baireuth entfagen follte. Auch ging Friedrih Er: 
örterungen über das Verhältnis Defterreichs zu Frankreich und jein eigenes zu 
Rußland möglihit aus dem Wege. Er geltand indes ein, daß das Bündnis 
mit Rußland ihm bisweilen unbequem fei, und daß, wenn nicht heute, fo doch 
vielleicht in zwanzig Jahren ein Aufammenichluß zwiſchen Defterreih und 
Preußen, das deutſch-patriotiſche Syſtem, wie er ſich ausdrüdte, erforderlich 


458 Adıtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


werden fönne, um den Herrichgelüften, dem Deipotismus Ruflands zu fteuern. 
Seinen Wunſch, mit dem Wiener Hofe qute Freundſchaft zu halten, betonte er 
ftarf. Und als Joſeph von reiflihen Erwägungen ſprach, die voranzugeben 
haben würden, entgegnete Friedrich mit Lebhaftigfeit: „Nein, fangen wir gleich 
heute an. Als ih jung war, war ich ehrgeizig; ich bin heute nicht mehr der— 
jelbe, nein, nicht mehr derfelbe. Ahr haltet mich für unzuverläffig, ich weiß 
ed, ich habe es ein wenig verdient, die Umftände verlangten es, aber das hat 
fih geändert.“ 

Das Ergebnis der Verhandlungen von Neiße war, dab Joſeph das Ber: 
ſprechen unbedingter Neutralität für alle Eriegeriihen Verwidelungen, das er 
haben wollte, von dem Könige doch nicht erhielt. Sole uneingeichränfte Zujage 
ftand in dem aus Wien von ihm verlangten Entwurfe zu den Briefen, die ver: 
abredetermaßen zwiſchen den beiden Herrjchern ausgetaufcht werden jollten. Aber 
Friedrich veritand fih nur bazu, für den Fall eines neuen Krieges zwiſchen 
Franfreih und England die Nidhteinmiihung unbedingt zu geloben. Für alle 
anderen Fälle veriprah er nur, den Kaifer nicht in feinen eigenen Befigungen 
mit Krieg überziehen zu wollen. Diefe Zulage konnte injofern unbedenklich 
erteilt werden, als Dejterreih auf eine bewaffnete Einmifhung in die polnischen 
Händel längft völlig verzichtet hatte und ſomit nicht zu erwarten ftand, daß ber 
casus foederis des preußiich:rujfiihen Abkommens von 1767 nod eintrat, das 
ja den König unter Umftänden zu einem Angriff auf die öfterreidhifchen Erb: 
lande verpflichtete. Dagegen behielt Friedrih dur die Verflaufulierung dieles 
Reverjes von Neiße völlig freie Hand, wenn es wegen der Türken zum Bruch 
zwiichen Defterreih und Rußland fam, der Zarin fein vertragsmäßiges Hülfs- 
corps zu ftellen. 

Und deshalb hielt der Kaifer den politifchen Ertrag der Zujammenfunft 
für wenig befriedigend: die ausgetaufhten Zujagen, jo wie der König fie ver: 
flaufuliert habe, jeien ohne Bedeutung. Kaunig urteilte, Friedrich halte offen: 
bar die Rufen für weit weniger furdtbar, als er fie binftelle, und fürchte in 
Wirklichkeit nur das eine, daß der Wiener Hof fie früher oder jpäter ihm 
abipenftig made. Verſtimmt über den Ausgang ber eriten von ihm geführten 
Verhandlung und zugleich offenbar von dem Wunſche bejeelt, fi der Mutter 
als den Unbeftohenen, Unverführten zu zeigen, fennzeichnete Joſeph ihr ihren 
großen Feind: „Ein Genie und ein Mann, der bewundernsmwert jpricht, aber 
jede feiner Neußerungen verrät den fourbe.” 

Der alte König hat den jugendlichen Fürften, der diefe Schilderung von 
ihm entwarf, damals jehr günftig beurteilt. Er war, fo lefen wir in der 1775 
entitandenen fFortfegung der Histoire de mon temps, „von ber liebenswürdigften 
Zauterfeit und Offenheit, vol Lebhaftigkeit und Frohſinn. Eine ſchöne Seele, 
reine Abfichten verbanden fich mit einem unermeßlichen Verlangen, fi zu unter: 
rihten, und dem edlen Ehrgeiz, feinen Vaterlande nüblich zu fein. Bei einem 
jolden Charakter knüpften die Bande der Hodhadtung und Freundichaft fi 
zwischen den beiden Monarden jchnell.” In einem Briefe an d’Alembert nannte 
er gleih nad) der Zujammenfunft Joſeph II. den beiten Kaifer, den Deutjchland 
jeit lange gehabt habe. Er glaubte in der That damals, auf dem beften Wege 


Bündnis mit Rußland und erjte Teilung Bolens. 459 


zu fein zur allmählihen Heritellung eines Einvernehmens, das gegen den Ehr: 
geiz Rußlands ein Gegengewicht bilden mochte. Allerdings, als Prinz Heinric) 
ihn zu der Ausſicht beglückwünſchte, daß Friedrih und Joſeph dereinit das 
römische Reich unter fih aufteilen würden wie Dctavian und Antonius, Da wies 
er ſolchen Optimismus zurüd: nicht er mehr werde die Verföhnung erleben. 

Jedenfalls hatte für jet der Kaifer dem Könige nichts „Intereflantes” in 
jenem Sinne eröffnet oder vorgefhlagen, daß danach die Erneuerung des 
Bündnifjes mit Rußland entbehrlih oder gar unzwedmäßig erjcheinen Fonnte. 
Andererfeits liefen unmittelbar nad der Zuſammenkunft, und offenbar im inneren 
Zufammenhang mit ihr, Erklärungen aus Petersburg ein, die dem preußiichen 
Standpunkt durchaus entgegenlamen. Denn man war nunmehr dort bereit, den 
Artikel wegen Ansbah und Baireuth ohne Vorbehalt anzunehmen, und ver: 
zichtete zugleih auf eine jtärkere Bindung Preußens in der ſchwediſchen Frage 
und auf die Hereinziehung Englands in das Bündnis. So ftand dem Abſchluß 
nichts mehr im Wege. Am 23. Dftober 1769 wurde die neue, den alten Vertrag 
bis Ende März 1780 verlängernde Urkunde in Petersburg unterzeichnet. 

Die Ruſſen hatten in ihrem Kriege gegen die Türken diefes erfte Fahr 
erit gegen das Ende des Feldzuges mit der Einnahme der Feſtung Chotzim und 
dem Einmarſch in die Moldau einen Erfolg erzielt. Den Generalen Katharinas, 
Ipottete Friedrih in feiner alten Geringſchätzung der ruffiihen Kriegstunft, ') 
fehle es in der Taktif und Lagerfunde an den einfachſten Grundbegriffen, aber 
die Generale des Sultans feien noch unwiſſender. Das Jahr 1770 bradte 
größere Entiheidungen. Die Zarin entiandte ihre Oftfeeflotte ins Mittelmeer, 
um den Inſelgriechen die Freiheit zu erfämpfen. In der Bucht von Tichesme 
gegenüber Chios wurde am 5. Juli die türkiſche Seemacht vernichtet, wenige 
Wochen jpäter überwältigte in Beffarabien General Rumianzow an zwei Schladt: 
tagen zuerft das Aufgebot des Tatarendhans und dann das Heer des Groß: 
vezierd. Die Pforte rief die Vermittelung Defterreihs und Preußens an. 

Unter jo veränderten Aſpekten hatte der zu Neiße dem Kaijer zugejagte 
Gegenbefuh des Königs von Preußen ftatt. Am 3. September traf Friedrich 
mit dem Thronfolger, feinem Bruder Ferdinand, dem Erbprinzen von Braun: 
ſchweig und dem General Lentulus zu Mährifch:Neuftadt ein. Seine Erwartung, 
auch die Kaijerin:Königin bier zu treffen, erfüllte fich nicht. Wohl aber hatte 
der Staatslanzler den Kaifer diesmal begleitet — 40 jahre waren verfloffen, 
jeit Friedrih den jungen Grafen Kaunig im ſächſiſchen Luftlager bei Mühlberg 
zuerft geſehen hatte.”) Die Preußen waren in weißen Waffenröden gefommen, 
um ihren Gaftfreunden den Anblid des ihnen aus den Kriegen ſattſam befannten 
Blau zu eriparen, und als fein Rod bald die Spuren des Schnupftabafs zeigte, 
ſcherzte der König: „Ich bin nicht reinlih genug, um Ihre Farbe zu tragen.” 
Das Gefolge hatte den Eindrud, daß Kaiſer und König „ohne alle Prätenfionen 
und Reſerven“ miteinander verfehrten; die Unterhaltung während den Mahl: 
zeiten war jo heiter und anregend wie nur möglid. Mit feinen Schmeicdheleien 


) Bgl. oben ©. 216. 
) Dal. „Friedrich der Große ald Kronprinz" ©. 36 (2. Aufl.). 


460 Achtes Buch. Dritter Abſchnitt. 


fargte Friedrid nicht. Indem er ſich einmal den General Yaudon als Tiid: 
nachbar ausbat, jegte er hinzu: „ch habe ihn lieber an meiner Seite, als mir 
gegenüber,” und als Laudon fich veripätet hatte, bemerkte Friedrih: „Sonft ift 
er oft genug früher als ich zur Stelle geweſen.“ Nach einer der militärifchen 
Belihtigungen äußerte er artig: „Wenn Gott Mars fih eine Leibgarde aus: 
fuhen müßte, jo würde ich ihm raten, die faiferlihen Grenadiere zu wählen.” 
Daß die öfterreichifche Infanterie gegen früher jehr gewonnen habe, befannte er 
auch jeinen eigenen Leuten, meinte aber, er wolle nicht taufchen; die Artillerie 
ihien ihm jehr aut, die Neiterei erbärmlid. Am dritten Tage der Zuſammen— 
funft richtete ein Wolkenbruch furdhtbare Verheerungen unter dem Yagerzeug und 
Gepäd der Defterreicher an; Friedrich jelbft mußte ftundenlang in feinen Mantel 
gehüllt am Herdfeuer jtehen, während Rod und Beinkleider zum Trodnen auf: 
gehängt waren. Er jprad) jein Bedauern aus, daß die Truppen ihn vermaledeien 
würden, diefen Teufelsferl, der jelbit jegt im ;rieden ihnen Not made. Und 
in der That entlodte diefer überaus ftörende Zwifchenfall feinem Geringeren 
als dem Kaifer jelber den Stoßjeufzer: „Es fcheint, daß uns dieſer Menich 
überall Beh bringt.” 

Bei den Verhandlungen führte diesmal Kaunig für jeinen Hof das Wort. 
Er hatte fih in feiner methodiſchen Umftändlichfeit auf das jorafältigfte vor: 
bereitet, den Gang, den er den Unterredungen zu geben wünjchte, genau über: 
legt. An Friedrichs fpringender Art das Geſpräch zu führen vermißte er logiiche 
Folgerichtigfeit; ja er glaubte in einem Falle von des Königs „kindiſchen“ Ideen 
iprehen zu dürfen, die er einem Manne von foviel Geift nit zugetraut habe. 
Mehr Klarheit in diefes Mannes verworrene Worftellungen zu bringen, ihn 
weiter und jchärfer bliden zu lehren, bejwedte nad Kaunigens ausgeiprochener 
Abfiht der einftündige politifche Vortrag, den er am 4. September dem König 
hielt, nahdem er vorher ausdrüdlich gebeten hatte, ihn nicht zu unterbrechen. 
Kaunitz entwidelte hier mit eingehender Begründung die Gefihtspunfte, die beide 
Höfe zu befolgen haben würden, um Mißtrauen und Eiferfucht aus ihrem Verkehr 
miteinander völlig zu bannen. In einem Schriftitüd, das er feinen politiſchen 
Katehismus nannte, hatte er diefe Regeln auf zehn Paragraphen gezogen — 
was lag näher als von Kaunigens Defalog zu jprehen? Die neuen zehn Gebote 
waren zum Teil ſehr allgemeiner Natur. Greifbare Bedeutung batte der Vor: 
ihlag, daß weder Deiterreih in Petersburg, noch Preußen in Verjailles An: 
näberungsverfuhe machen jolle, und daß man etwaige Bündnisanträge der 
Franzofen an Preußen oder der Ruſſen an Deiterreih mechjelfeitig ſich mit- 
teilen möge. Auch empfahl der Katechismus, einer ſolle des anderen Vorteil 
nicht hindern, jobald es fih nur um geringe Dinge handle; wo Größeres vor: 
liege, folle man ein auf Gegenjeitigfeit beruhendes Abkommen anitreben. 

Seine mohlgejegte Rede trug dem Staatslanzler eine Umarmung und 
reiche Lobſprüche ein. Offenbar galt des Königs Befriedigung mehr nocd der 
Endihait des Vertrags, als dem Anhalt. Er erbat fi eine Abjchrift des 
Katechismus und erklärte, die allgemeinen Leitſätze fi ohne weiteres aneignen 
zu können. Aber die gegenwärtige Lage ftöre und beunrubige ihn: dieſer „ver: 
fluchte Türfenfrieg”. 


Bündnis mit Nußland und erfte Teilung Bolens. 461 


Es war ihm nun nicht unerwünſcht, daß man ihn bevollmächtigte, den 
Hufen eine Mitteilung darüber zugehen zu laſſen, daß Defterreih unter Um— 
ftänden fih zu Gunften der Pforte den ruffiichen Fortichritten und Anſprüchen 
mit bewaffneter Hand entgegenftellen werde. Danach hofite er, für den Sultan 
milde Friedensbedingungen zu erlangen, diejen fich wohlgefinnt zu erhalten und 
einen Krieg aus der Welt zu jchaffen, der jo leicht allgemeine Ausdehnung ge 
winnen fonnte. 

So jhied man aus Neuftadt beiderfeits zufrieden. Friedrich wiederholte 
jein mwohlmwollendes Urteil über Joſeyh und nannte Kaunitz einen Mann von 
viel Geift, der fi) defien aber auch bewußt jei und einige Huldigung verlange. 
Kaunig wiederum, für den ihm geipendeten Weihrauch jehr empfänglih, glaubte 
den König befehrt zu haben. Er werde mit anderen Empfindungen über und 
für die Defterreicher von bannen gezogen jein. „Ich babe Grund zu glauben,” 
jagte Kaunig, „daß er uns nun fünftiabin trauen wird, ſoweit es ihm möglich 
ift, jemand zu trauen, und daß auch wir ihm mehr trauen dürfen, als es bisher 
vernünftig geweſen wäre.“ 

Alles kam nun darauf an, wieviel fih unter dem Eindrud der Neuftädter 
Tage zu Gunſten der Türfen, der gemeinfanen Schüglinge von Preußen und 
Defterreih, bei ihren Ueberwindern erreihen ließ. Im einem eigenhändigen 
Schreiben an Katharina II. vom 14. September legte ihr König Friedrich Die 
Frage vor, ob die Vermittelung der beiden Mächte ihr genehm fein werde; er 
babe Kaunig maßvoller gefunden, als er erwartet. Zur Erläuterung ließ er 
dur feinen Gejandten den Ruffen jagen, Defterreih werde vorausfichtlich ſich 
rubig halten, wofern nur Moldau und Walachei unter türkischer Herridaft 
blieben. Auch bat er im Einverftändnis mit dem Wiener Hofe um einen Plan 
zur Beilegung der polniſchen Wirren. 

In Petersburg hatte man die zweite Zuſammenkunft der beiden deutichen 
Fürſten mit gefteigerter Eiferfudht und Sorge ſich vorbereiten und abjpielen 
jehen. Ein jo merkwürbiges Phänomen wie diefe Annäherung zwiſchen zwei 
Gegnern, die aller Welt als unverföhnbar gegolten hatten, machte es ber Zarin 
wünjchenswert, ihr Verhältnis zu Preußen gleichfalls perjönlicher auszugeftalten 
und im Lichte der Vertraulichkeit und Freundichaft erftrahlen zu laffen. Der 
Anregung zu einer Zuſammenkunft zwiſchen Zarin und König war Friedrih im 
Torjahre ausgewihen. Nunmehr hatte Katharina bereits im Juli den Prinzen 
Heinrich eingeladen, jeinen brüderlichen Beſuch in Stodholm bei der Königin 
Ulrite auf Petersburg auszudehnen, und der König hatte feine Zuftimmung zu 
der Reije erteilt. 

Heinrich erreihte Petersburg am 12. Dftober. Nach den Unbilden einer 
langen ſtürmiſchen Seefahrt ſah er ſich alsbald in den Strudel der ihm zu 
Ehren veranitalteten Feitlichkeiten und Vergnügungen hineingerifjen. Aber troß 
des ebenjo glänzenden wie herzlichen Empfanges mußte er ſich bald überzeugen, 
wie jhwierig der ihm mit auf den Weg gegebene Auftrag war, diefen Hof zur 
Mäpigung und Nachgiebigkeit jowohl den Türken wie den Polen gegenüber zu 
beitimmen. Bon Woche zu Woche war der preußifche Prinz Zeuge der beraufchenden 
Wirkung, welche die rafch fih folgenden Triumpbpoften vom türkiſchen Kriegs: 


462 Achtes Bud. Dritter Mbichnitt. 


ihaupla auf die hauptitädtifche Bevölkerung, den Hof, die Kaiferin ausübten. 
In voller Siegeszuverfiht jehienen ihm die Rufen ganz von dem Gedanken be: 
jeelt, ihre militäriſchen Erfolge politiich möglichit vollitändig auszunügen. Dabei 
ließ Graf Panin immer von neuem durchblicken, daß es leicht jein werde, die 
Oefterreicher, mit denen doch Preußen die Rufen ſchrecken wollte, durch Zu: 
fiherung eines Anteils an der Beute in diefen heiligen Krieg mithineinzuziehen. 
Andeutungen, die den Prinzen veranlaßten, feinerjeits zu bemerken, daß öiter: 
reihifche Erwerbungen an türfiihem Gebiete dem König von Preußen in anderer 
Weiſe zu Gute geichrieben werden müßten. Aber er glaubte Grund zu ber 
Vermutung zu haben, daß man bier fich jehr ſchwer dazu herbeilafjen werde, 
Preußen einen Gewinn nah der polniihen Seite hin zu gönnen; gegen Er: 
werbungen in Deutihland werde man nichts einzuwenden haben. 

Schon kurz vor der Ankunft des Prinzen Heinrich hatte die Zarin am 
9. Oktober die Vermittelung der anderen deutſchen Mächte abgelehnt, da fie 
fonft auch England zu diefer Vermittelung binzuziehen müſſe. Nur „gute 
Dienfte”, die Schonendfte Form diplomatiſcher Dazwiſchenkunft, mwollte fie ſich 
gefallen laſſen, erteilte aber alsbald ihrem General Rumianzow den Befehl, 
durch unmittelbare Verhandlung mit dem Großvezier einen Verſuch zur Heritellung 
des Friedens zu madhen. Der VBerfuh mißlang. Bis man darüber klar ſah, 
mußten bie fich herandrängenden Friebensitifter hingehalten werden. Erfi Anfang 
November übergab Panin dem Prinzen Heinrich einen Entwurf zur Herftellung 
des Ruhezuftandes in Polen mit einigen Zugeftändnifjen in der Diffidentenfrage; 
erit am 20. Degember ließ die Zarin eine Mitteilung über die von ihr be- 
abfichtigten Forderungen an die Pforte nach Berlin abgehen. 

Sie begehrte: es jollten Moldau und Walachei, gerade die Gebiete, die 
der Wiener Hof als unantaftbar betradhtet willen wollte, entweder ala Ent: 
Ihädigung für die Kriegsfoften auf 25 Jahre in ruffifchen Befig übergehen oder 
in unabhängige Staaten verwandelt werden; die große und die Eleine Kabardei 
am Nordabhang des Kaufajus, jamt Aſow und einer Inſel des griedhiichen 
Archipels, unmittelbar an Rußland fallen. Es follte den Tatarenftämmen vom 
Dinepr bis zur Krim die Unabhängigkeit gewährt und dem ruffiihen Handel 
und der rufliihen Schiffahrt das Schwarze Meer geöffnet werben. 

Prinz Heinrich riet jeinem königlichen Bruder, den Widerftand gegen dieſes 
Friedensprogramm dem Wiener Hof und der Pforte zu überlaflen. Damit werbe 
er fih bis auf weiteres freie Hand wahren. Andernfalls laufe er Gefahr, die 
ruſſiſche Allianz zu verlieren. 

König Friedrich faßte die Lage und feine Aufgabe anders auf. 

Er hatte den ganzen Herbft hindurch in feinen Briefen an den Bruder 
und in jeinen Erlailen an den Gefandten immer von neuem den Ruſſen 
Mäpigung gepredigt. Panins Hoffnung auf einen Bund mit Defterreih ſchien 
ibm „abfolut unpraftifabel”, denn nie und nimmer werde Kaunit mit den 
Türken, den Freunden jeiner franzöfifhen Freunde, brechen wollen, um den 
Kuchen mit den Ruffen zu teilen. Die Zarin, jo warnte er, ftehe am Rubifon. 
Sie fünne den Krieg nicht fortjegen, ohne einen allgemeinen Brand zu entfejleln. 

Er hatte ſchon die Zurückweiſung feiner Vermittelung, noch mehr aber die 


Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 463 


mit unverhüllter Beziehung auf jein Anerbieten eingeleitete direkte Verhandlung 
mit dem Großvezier den Rufen jehr verdadt. „Die Leute fünnen uns als 
Vermittler annehmen oder ablehnen, aber fie follen jich nicht offen über uns 
mokieren,“ ſchalt er damals. Jetzt, am 2. Januar 1771, fchrieb er dem Prinzen 
Heinrih: „Mir find Hörner gewachſen, als ich die Friedensbedingungen erhielt!” 
Das jei eine Kriegserflärung, nicht geeignet in Wien vorgelegt zu werden; das 
jei zu ftarf, für alle europäiihen Mächte unerträglihd. Alle Gefälligfeit für 
einen Bundesgenoifen habe ihre Grenzen, die Staaten lenfe das eigene Antereife. 
Mas auch die Folge fein möge, ihm ſei es unmöglich, in diefem Augenblid zu 
dijfimulieren, e& gelte deutlich zu reden. Er antwortete dann der Zarin un: 
ummunden, daß er wohl für Ajow, die Kabardeien und die Schiffahrt auf dem 
Schwarzen Meer die Zuitimmung Defterreihs zu erwirfen hoffen fönne, für den 
Reit der Bedingungen nidt. 

Ehe dieſe Antwort in Betersburg einlief, war dort eine Wendung erfolgt, 
die den preußifhen Gaſt feiner Bejorgnis überhob, anläßlich dieſer Friedens: 
bedingungen einen Bruch zwiſchen den beiden verbündeten Höfen eintreten zu 
ſehen. Der Wiener Hof jelbit leiftete der ihm fo ärgerlihen preußiſch-ruſſiſchen 
Allianz den Dienft, einen Ausweg aus den Fährniffen zu weilen, die ihren 
Beitand bedrohten. 


Im polnifhen Grenzgebiet nah Ungarn zu hatte ſich feit dem Sommer 
1769 geräufchlos eine Öfterreichiiche Occupation vollzogen. Den erften Anlaß 
gab das Erfuchen des Königs Stanislaus an den Wiener Hof, in dem polnischen 
Teile der Zips, dem nad Ungarn vorfpringenden, durch die hohe Tatra von 
Polen getrennten Bezirk der dreizehn Fleden, den Ausſchreitungen der polnischen 
Konföderierten zu wehren. Bereitwillig famen die Defterreiher diefer Auf: 
forderung nad, nahmen aber nun alsbald Veranlaffung, in der ganzen Ge: 
marfung die faiferlihen Adler aufzupflanzen, um einen alten Rechtstitel der 
Krone Ungarn in Erinnerung zu bringen, denn die dreizehn Fleden waren vor 
mehr ala 300 Jahren, in dem Jahrhundert höchſter Entfaltung der Jagellonen— 
madt, damals als auch Weftpreußen an Polen verloren ging, durd König 
Sigmund von Ungarn an Wladislam II. verpfändet worden. Im Friedensſchluß 
von 1589, nad) der Niederlage der habsburgifchen Waffen in der Schlacht bei 
Pitihen, hatte Kaifer Rudolf auf die Wiedereinlöfung des Pfandes Verzicht 
geleiftet. Aber man beſann ſich jet darauf, daß diefem Vertrage noch die Bes 
ftätigung der ungarifhen Stände fehle, man machte die weitere Entdeckung, daß 
das verpfändete Gebiet im Augenblid des Uebergangs an Polen weit umfang: 
reicher geweſen fei, als der jpätere Dreizehnfledenbezirkt, und ber Präfivent des 
Hofkriegsrats erhielt deshalb im Juli 1770 Befehl, die Truppen und die Grenz: 
zeichen jo weit vorzufchieben, daß nunmehr auch Teile der Starofteien Neu-Sandek, 
Neumarkt und Czorßtyn in ben Bereich der Decupation fielen. 

Sofort erhob der polniſche Großfanzler auf Befehl feines Königs Einſpruch. 
Er erhielt die Antwort, daß die Kaiſerin-Königin zu einer gütlihen Beilegung 
der ftreitigen Grenzfragen gern die Hand bieten werde. Eine neue Verwahrung 


464 Achtes Buch. Dritter Abſchnitt 


blieb nicht aus, und Kaunitz, der von Anfang an Bedenken gegen die Beſetzung 
der drei Starofteien geltend gemacht hatte, bekannte ſeiner Gebieterin, er könne 
nah dem was er von den verjchiedeniten Seiten über ben Wert der Anſprüche 
höre, zu feinem Bedauern fih des Eindruds nicht erwehren, daß man nur allzu 
fehr recht habe, das Gefchehene einfah eine Eroberung zu nennen. Maria 
Therefia erwiderte — es war Ende Oktober 1770 —: „ch habe eine jehr ge: 
ringe Meinung von unferen Anfprüden.“ Schon aber hatte die öfterreidhiiche 
Verwaltung in den umjtrittenen Zandesteilen ſich häuslich eingerichtet. Eine 
dritte Beichwerde des polniihen Großfanzlers ftellte die Thatfache feit, daß der 
Adminiſtrator Török den Adel der Staroftei Neu-Sandef jhriftli befragt habe, 
ob er die Raiferin als Erbherrin anerfenne, und zumal das Amtöfiegel der öfter: 
reihifhen Behörde mit feiner Umſchrift „Sigillum administrationis terrarum 
recuperatarum* gab den Polen jchweres Nergernis. 

Wie hätten fich die Nuffen dieſe Blöße ihrer Gegner entgehen laſſen follen? 
Als Prinz Heinrih am 6. Januar 1771 von einem NAusfluge nah Moskau 
wieder in Petersburg eintraf, ſtand die Kunde von dem Streit um die Starofteien 
im Mittelpunkt des politiichen Tagesgeiprähs. Am 8. Januar abends war der 
Prinz in Heiner Gefellichaft Gaft der Kaiſerin. Im ſcherzenden Tone erzählte fie 
ihm das Vorgehen der Dejterreiher und fügte hinzu: „Aber warum jollte alle 
Welt nicht auch zugreifen?” Der Prinz antwortete, der König, fein Bruder, 
habe in Polen zwar einen Kordon gegen die Pet ziehen lafien, aber feine 
Starofteien occupiert. „Aber warum nicht occupieren?” ſagte die Kaijerin 
lahend. Bald darauf trat Graf Zacharias Tſchernyſchew, der als ein Wort: 
führer der Kriegspartei im Staatsrate galt, auf den Prinzen zu, bradte das 
Geſpräch auf denjelben Gegenftand und ſchloß: „Aber warum nicht das Bistum 
Ermland wegnehmen? Denn jchließlih muß doch jeder etwas haben!” 

Das Eis war gebrodhen. Man bot in Petersburg, was man bisher jorg- 
ſam vermieden hatte, den Preußen ein Stüd polnijhen Landes an. In den 
Woronzowſchen Palaft an der Gartenftraße, fein Abfteigeguartier, zurückgekehrt, 
entwarf der Prinz noch in der Nacht einen Beriht an den König über das, 
was er joeben gehört hatte: „Obgleich das nur wie im Scherz hingeworfen war, 
it e& doch ficher nicht um nichts und wieder nichts gefaat, und ich bin feft über: 
zeugt, dab es jehr wohl möglich jein wird, von diejer Gelegenheit Nuten zu 
ziehen.“ Der Prinz fchloß feinen eiligen Brief mit der Ankündigung eines 
weiteren Berichtes über eine Unterredung, zu der ihn für morgen Graf Panin 
aufgefordert habe. 

Dieje Verhandlung des nächſten Tages galt der Haltung Defterreichs gegen: 
über den ruffiichen Anſprüchen an die Pforte. Der ruſſiſche Minifter wollte die 
Lage nicht jo ernit auffafien, wie der König von Preußen. Ueber die Beſetzung 
der Starofteien äußerte er ſich nicht gerade zufrieden, von Ermland fagte er 
fein Wort. Im Geipräh mit dem preußiichen Gejandten Solms meinte Panin, 
Rußland und Preußen müßten Defterreihs Vorgehen in Polen eher hindern, 
als feinem Beilpiel folgen; jo werde er es der Kaijerin raten. Gleichwohl blieb 
der Prinz, wie er an den König ſchrieb, der Meinung, daß man nichts aufs 
Spiel jeße, wenn man unter einem plaufiblen Vorwande fih Ermlands be: 


Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 465 


mächtige, vorausgefegt, daß die Oeſterreicher die Stafofteien, auf die fie dem 
Bernehmen nad) Rechtötitel geltend machten, wirklih genommen hätten. 

In eben diefen Tagen fagte der ruffifche Botſchafter Wolkonski in Warſchau 
zu dem preußiichen Gejandten Benoit, er wünjche lebhaft, daß der Wiener Hof 
bei feinem Entſchluſſe beharren möchte, und daß Preußen und Rußland überein: 
fämen, ebenjo zu verfahren, und zwar für ein bedeutend größeres Stüd Land, 
das die Mühe verlohnen würde. Offenbar waren die Anfichten in den ruffifchen 
Regierungsfreifen geteilt. Panin hielt feft an dem wiederholt feierlich verfündeten 
Grundjag, daß Rußland eine Zerftüdelung Polens nicht dulden dürfe. Das 
war ehrenvoll für die Zarin und bradte Gewinn: den Vorteil, daß Polen aus: 
ihließlih dem ruffiigen Einfluß unterworfen blieb. Andererfeits beunruhigte 
das Vorrüden der Defterreicher über die polniiche Grenze. Solchen Entſchluſſes 
hatte man von diejer Seite ſich wohl nicht verfehen: was war dahinter zu juchen ? 
Rußland befand fi in einem heiflen Dilemma. That man nichts, um Preußen 
bei guter Laune zu erhalten und an das ruffiihe Bündnis zu feffeln, jo war 
die Gefahr vorhanden, daß Deiterreih, im Rüden frei geworden, zu Gunften 
der Türken losihlug; bot man die Hand zu einer Vergrößerung Preußens, jo 
war vielleicht noch mehr zu befürdhten, daß Oeſterreich losſchlug, um dieje Ver: 
größerung feines alten Widerſachers zu verhindern. 

Als König Friedvrih den Brief feines Bruders vom 8. Januar erhielt, 
ftand er noch ganz unter dem peinliden Eindruck der Mitteilung über die 
Friedensbedingungen, die jeine Bundesgenoſſen ſich erzwingen wollten. Wohl 
hatten die Andeutungen, die man dem Prinzen Heinrih in Petersburg gemacht 
hatte, äußerlich einen Berührungspunft mit Friedrichs eigenen Wünfchen. Aber 
der Grundgedanke jeines Pſeudo-Lynarſchen Projektes war die Erhaltung des 
Friedens, der Ausgleich zwiſchen Rußland und Defterreih auf Koften Polens 
geweſen, und Preußen hatte jeinen Anteil am Gewinn ohne Blutzoll, als Maler: 
lohn, einheimjen follen. est dagegen war dem Anjchein nad diejer Gewinn 
nur ald Kampfpreis zu haben. Denn fo fcharf, wie ſich der Gegenfat zwijchen 
den beiden Kaijerhöfen neuerdings zugeipigt hatte, ſchien der Verſuch ganz aus: 
fihtslos, Defterreih als dritten im Bunde zu gemwinnen. 

Friedrich war überdies nicht der Meinung, daß Oeſterreich die befegten 
Starofteien behalten wollte. In dem Kriege, den er erwartete, werde es ſich, 
jo urteilte er, um ganz andere Dinge handeln, als um Grenzregulierungen in 
Polen. Er jah alfo in dem verjtedten Angebot Rußlands nur den feden Ber: 
ſuch, ihn mit einem recht bürftigen Köder für den Krieg gegen Defterreidh ein: 
zufangen: Ermland ſei nicht wert, ſechs Sous dafür auszugeben. Biel geratener 
ſchien, neutral zu bleiben und die Gelegenheit abzuwarten. Jeder Augenblid, 
um den ber Frieden ſich verlängerte, gab dem Staate neue Kräfte, dermeil 
Rußland und Defterreih fih im Kampf miteinander erjhöpfen modten. So 
jhrieb er dem Prinzen Heinrih am 24. Januar, und am 31. wiederholte er: 
„Was die Bejignahme von Ermland anbetrifft, fo habe ich davon abgejehen, 
weil das Spiel die Kerze nicht wert ift. Die Portion ift fo winzig, daß fie 
das Gejchrei, das fie veranlafien würde, nicht lohnen würde. Bolnifch: Preußen 


wäre ber Mühe wert, jelbit ohne Danzig, denn wir erhielten die MWeichjel 
Koſer, König Friedrich der Große 11, 2. Aufl. 30 


466 Achtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


und bie freie Verbindung mit dem Königreih, eine wichtige Sade. Handelte 
es fih darum, Geld daran zu wenden, fo wäre es der Mühe wert, jogar reich: 
lich zu geben. Aber wenn man fi nad) Kleinigkeiten reißt, jo macht das den 
Eindrud der Habſucht und Unerfättlichfeit, und ich möchte niht, daß man mir 
noch mehr von diefen Eigenfhaften zumißt, als man es ohnehin in Europa thut.” 

Aljo auch für Volnifh: Preußen, aud für den größeren Gewinn, wollte er 
nur Geld einjegen, nicht Gut und Blut. Er fei entſchloſſen, eröffnete er am 
7, Februar dem Minifter Findenftein, an feinem Neutralitätsplan abjolut und 
um jeden Preis feflzubalten: „Das ift eine Erwägung, die wir im Lauf dieſer 
Unterhandlung beftändig vor Augen haben müffen, und ich verftändige Sie darüber 
vorweg, als über einen Grundjag, von dem ich mich niemals entfernen werde.“ 

In diefen Anſchauungen und Vorſätzen trat ein Umſchwung ein mit der 
MWiederankunft des Prinzen Heinrih. Ihn erwartete der folgenreichſte Augenblid 
jeines politiihen Zebens; er gewann auf den entſcheidenden Entſchluß feines 
föniglihen Bruders einen Einfluß, wie Friedrih ihn ſonſt wohl niemals einem 
jeiner Gehülfen vergönnt hat, 

Noch am Morgen des 17. Februar, an dem ber Prinz abends in Berlin 
wieder eintraf, hatte der König in einem Erlaß an den Gejandten in Wien 
die von den Defterreichern befegten polnifhen Landſtriche als „Eleine Parzellen“ 
bezeichnet. Tags darauf fam Heinrich nach Potsdam und blieb bis zum 24. 
Auch Findenftein wurde zu den Beratungen bingezogen. Eine Niederjchrift 
über ihren inhalt liegt nicht vor. Aber aus allen vorangegangenen und allen 
folgenden Briefen des Prinzen an den König läßt ſich leicht abnehmen, mit 
welchen Gründen er feine Sache geführt hat. Er wird noch einmal gewarnt 
haben, durch eine übellaunige Kritik der ruffiihen Anfprüche, durch eine Drohung 
mit dem Rückzug auf die Linie der gleihgültigen Neutralität das Bünbnis mit 
der Zarin zu verjcherzen; er wird feiner Meberzeugung Ausdrud gegeben haben, 
daß Rußland angefichts der ftreitbaren Haltung des Wiener Hofes zu Zugeftänd- 
niffen an Preußen fich bereit finden, Defterreih aber vor einem Kriege am 
legten Ende zurüdichreden werde. „Sie halten die Wage zwifchen Oeſterreich 
und Rußland,“ fo fchrieb er dem Bruder recapitulierend bald nad dem Beſuche 
in Potsdam; „Rußland wird fih ſchließlich dazu bequemen müſſen, für die Vor: 
teile, die Sie ihm verfhaffen, Ihnen einen Vorteil zuzugeftehen; wenn das bie 
Defterreicher ſehen, werben fie ebenfalls einen Vorteil Juden, und jo werden die 
drei Mächte über ihre wahren Vorteile zu einem Vergleich auf Gegenfeitigfeit 
gelangen.” 

Die Frucht der Beratungen im Potsdamer Stadtſchloſſe, der enticheibende 
Erlaß an den Grafen Solms vom 20. Februar 1771, wurde von Findenftein 
entworfen und von Heinrih, wie der König verbindlih fagte, „approbiert“. 
„Wenn unfere Eleinen Acquifitionsprojefte glüden,” fchrieb er dem Prinzen einige 
Wochen jpäter, „jo werden fie Ihnen, mein lieber Bruder, ausſchließlich gedankt 
werden.“ 

Der Erlaf an Solms geht davon aus, daß die Defterreiher ein Gebiet, 
zwanzig Meilen lang, vom Saroſcher Komitat bis zur fchlefiichen Grenze ge— 
rechnet, mit mehreren Städten und an 97 Dörfern in ihren Korbon hinein: 


Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 467 


gezogen und die Bejchwerde der Republik Polen ausweihend beantwortet hätten, 
jo jedoch, daß ihre Abfiht, alte Anfprüche geltend zu machen, deutlich werde. 
Auch Preußen habe derartige Anfprühe. Der König beabfidhtige, das Beifpiel 
der Defterreicher zu befolgen und fih in den Beſitz einer Heinen polnifchen 
Provinz zu jeßen, um fie herauszugeben, wenn jene von ihrem Unternehmen 
abftehen würden, oder fie zu behalten, wenn jene ihre angeblihen Anfprüche 
geltend machen wollten. Es Handle fih nicht mehr darum, Polen in feinem 
Gefamtumfang zu erhalten, da die Defterreicher einen Teil abgliedern wollten, 
iondern es gelte zu verhindern, daß diefe Abgliederung das Gleichgewicht zwiſchen 
der öfterreihifchen und der preußiſchen Macht beeinträchtige, deſſen Erhaltung jo 
erheblih für Preußen und jo wichtig für Rußland felbft jei. 

Mit welchem Eifer der König im Gegenjag zu feiner bisherigen Zurüd: 
haltung dieſe Idee jegt ergriffen hatte, läßt ein zweiter Erlaß von bemfelben 
Tage erjehen, in welchem er den Gefandten anfpornte, die Gelegenheit, jeinem 
Gebieter einen hervorragenden Dienft zu leiften, wahrzunehmen. Ob größer oder 
kleiner, werde die Erwerbung den Staat allemal für die an Rußland gezahlten 
Subfidien entihädigen. „Salbe für die Brandwunde!” jegte der König eigen: 
bändig unter die Ausfertigung; „Ihre Aufgabe wird es fein, zu jehen, wie Sie 
die Sache glüden laſſen.“ 

Als Hequivalent für feine Subfidien aljo war die Erwerbung gebadt; 
nicht ala Lohn für eine noch zu leiftende Waffenhülfe. Noch immer aljo hielt 
der König daran feit, daß aus dem türkiſchen Kreuzzuge der Ruſſen fein all: 
gemeiner Kampf, feine Beteiligung Preußens am Kriege folgen folle, folgen 
dürfe. Die Kombination, die ihm vorjchwebte, tritt uns ganz erft aus einem 
dritten Erlaß entgegen, der am 27. Februar an Solms abging. Panin hatte 
dem preußiſchen Gejandten, ala Prinz Heinrich ſchon abgereift war, gejagt, wenn 
Rußland auf ale Vorteile aus feinem Kriege gegen die Pforte verzichten jolle, 
jo müfle man darauf denken, ihm eine Entfhädigung für ſolchen Verzicht zu 
verfchaffen. Eben das war des Königs Meinung. Rußland möge do, fo 
ihrieb er an Solms, feine Entfhädigung in Polen fuhen. Dann entfiel für 
Deiterreih, fo ergänzte fih die Gedanfenreihe, der Anlaß zur Einmifhung in 
den Türfenfrieg und dann wiederum für Preußen die Pflicht zur Truppen: 
jtelung an Rußland. 

Noch war alles unfiher. Der König bezeichnete die dem Grafen Solms 
aufgetragene Unterhandlung ala ebenjo wichtig wie jhwierig. Ob Rußland auf 
ven Plan eingehen werde, war durchaus noch nicht abzufehen, wenn auch Friedrich 
daran erinnern ließ, daß mehrere Perjönlichkeiten am Petersburger Hofe bereits 
auf denjelben Gedanken gefommen jeien. 

Um die Mitte des März entledigte fih Solms in wiederholten Beiprehungen 
mit Panin feines großen Auftrags. Der ruffiihe Minifter verhielt ſich nicht 
fo ablehnend, wie jener gefürchtet hatte. Wohl bezeichnete er es als überaus 
ſchwierig und peinlih, daß Rußland nad jo vielen feierlichen Erklärungen zu 
Gunften der Unverleglichkeit des polnifhen Beſitzſtandes dieſen Grundſatz jetzt 
verlafjen jolle; aber Solms gewann ben Eindrud, daß Panin ſich der Mehrheit 
im Staatsrat werde fügen müflen Bor jedem weiteren Schritte hielt es Panin 


468 Achtes Bud. Dritter Abichnitt. 


für erforderlih, eine Aeußerung ber Kaiferin-Königin über die öfterreihifchen 
Rechtsanſprüche auf die polniichen Grenzgebiete herbeizuführen, und ließ den 
König von Preußen auffordern, die entſprechende Anfrage nah Wien zu richten, 

Inzwiſchen hatte ber Wiener Hof in richtiger Vorausfiht der Deutungen 
und Nußanwendungen, benen feine eigenmäcdtige Grenzichiebung ausgejegt war, 
bereits bie Formel für die öffentlihe Vertretung feines Vorgehens gefunden 
und fi zugleich für alle Fälle eine Rüdzugslinie gefichert. Schleunigft änderte 
man bie verbächtige, verräteriihe Amtsbezeihnung, die der Abminiftrator ber 
„wiedererworbenen“ Provinzen bisher geführt hatte, in einen minder vorgreif: 
lihen Titel. Und in einem Schreiben an den König von Polen vom 26. Januar 
1771 erklärte Maria Therefia ſich bereit, freundichaftlich über „Arrangement und 
Determination der notoriſch feit jeher ungewiſſen und ftrittigen Grenzen zwiſchen 
Ungarn und Polen“ verhandeln zu wollen — jobald der Friebe zwifchen Ruß— 
land und der Pforte geichloffen und das Königreih Polen zu befeftigtem Ruhe— 
ftand zurüdgeführt fein werde. Schon jet aber müſſe fie erflären, daß fie 
unabhängig von diefer Grenzverhandlung den unter dem Namen der Zipfer Städte 
befannten Diftrift ihres Königreichs Ungarn wiedereinzulöfen beabfihtige. Daß 
man im ftillen hoffte, bei der freundichaftlichen Verhandlung ſchließlich auch die 
drei Starofteien zu gewinnen, erhellt aus dem Vorſchlag, den Kaunig am 18. April 
der Raiferin-Königin machte: man folle eine Verjtändigung mit dem König von 
Polen auf der Grundlage ſuchen, daß man feinem Bruder Andreas Poniatowski 
die ihm zuftcehenden Einkünfte aus den Starofteien auf Lebenszeit ließe oder eine 
gleihe Summe andermeit auswürfe. 

Genau im Sinne des Schreibens an den Polenkönig war nun aud die 
Erklärung gehalten, die der Gejandte van Swieten am 27. April in der Audienz 
abgab, in der König Friebrih, um gemäß der Verabredung mit Rußland die 
Anfiht des Wiener Hofes zu erfunden, ihm vorftellte: das Zwedmäßigfte für 
die Erhaltung bes Friedens werde fein, wenn Rußland fidh für die Koften feines 
Türfenkrieges nicht mit türkiſchem, jondern mit polniſchem Gebiet entihädige, 
wenn Defterreih den in Befig genommenen Grenzitrich behalte und auch Preußen 
dann feine Konvenienz in Polen juche. 

Schon aus diejer Unterredung und mehr noch aus einigen Gejpräden 
Findenfteins mit dem öfterreihiihen Gejandten gewann Friedrich den Eindrud, 
daß Deiterreih dem Teilungsplar doch nicht entgegen fein werde. Zwar be: 
teuerte jener, daß es mit ber Gefinnung ber Raijerin-Königin nit in Einklang 
ftehe, in Polen mehr zu nehmen, als fie von Rechts wegen fordern bürfe; aber 
er ließ doch die Neußerung fallen, wenn es nicht glüde, die Türken zu ausreichen— 
den Abtretungen an Rußland zu beftimmen, werde allerdings Polen herhalten 
müflen. Und wenn er bei Erörterung der Ginzelheiten des Plans bemerkte, 
daß ber für Oeſterreich beftimmte Anteil mit dem den Rufen zu überweifenden 
nicht zu vergleichen jei, jo zogen der König und Finckenſtein den freilih unzu— 
treffenden Schluß, daß Defterreihs Bedenken nit dem Teilungsplan an fich, 
jondern nur der Kleinheit der Portion gälten, daß nur Neid und Eiferſucht 
noch im Wege ftünden. 

Nah Petersburg meldete der König tags nad ber Audienz bes öfterreichi- 


Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 469 


ihen Gefandten als vorläufiges Ergebnis, daß die Kaiferin-Königin feiner 
Meinung nach das occupierte polniiche Gebiet behalten, nie aber in eine Ab: 
trennung ber Moldau und ber Walachei von ber Türfei willigen werde. 

Wenigftens in dem zweiten Punkt traf Friedrich das Richtige. Davon 
überzeugte fih Panin am 31. Mai in einer Unterredung mit bem öfterreichifchen 
Geſandten Lobkowitz. Panin teilte ihm offiziell, in Gegenwart des preußischen 
Vertreters, das ruſſiſche Friedensprogramm mit, in welchem jegt die Erwerbung 
der beiden Kabarbeien geftrihen war und jtatt der ruffiihen Sequeftration der 
Donaufürftentümer nur deren Zostrennung vom türkiſchen Staatsförper geforbert 
wurde. Panin jeßte hinzu, eine Andeutung des Teilungsplanes: es fcheine, 
daß man fih in Wien für die Koften der Rüftung mit polnischen Gebieten, 
auf die man Rechtsanſprüche habe, ſchadlos halten wolle; aud Preußen werde 
dann vermutlich derartige Anſprüche gegen Polen erheben; dafür könne man 
Polen entihädigen durch die Moldau und die Walachei. Lobkowitz verlas darauf 
einfah den Sat feiner Snftruftion, der es als mit den Intereſſen Defterreichs 
unvereinbar bezeichnete, diefe Fürftentümer von ber türkiſchen Herrichaft befreit 
zu ſehen. 

Dem leitenden ruffiiden Staatsmann hätte viel daran gelegen, eine Ber: 
ftändigung mit Defterreich zu erzielen. Vertraulich hat er Lobkowitz gewarnt: 
das Vorrüden der Defterreiher in Polen könne einen unruhigen Nachbar ver: 
leiten, das gleiche zu thun, was ben Ruſſen keineswegs erwünſcht jein würde. 
Eine Neußerung, die in Wien ſehr beachtet wurde und wohl annehmen läßt, 
daß Panin eine andere Löfung, im Einverftändnis mit Defterreih auf Koften 
der Türken herbeigeführt, dem Ausgleich auf Koften der Polen im Einverftändnis 
mit Preußen allemal vorgezogen haben würde. Bei ber ablehnenden Haltung 
des Wiener Hofes blieb aber jest nichts übrig, als einfeitig mit Preußen ſowohl 
die Friedensverhandlung mit der Pforte wie den polnischen Teilungsvertrag zum 
Abſchluß zu bringen, um dann vor den fertigen Thatfadhen von den Defterreichern 
ihr letztes Wort zu heiſchen. Unmittelbar nad) der Konferenz mit Lobkowitz er: 
öffnete alfo Banin dem Grafen Solms, daß er von feiner Gebieterin beauftragt 
fei, die Verhandlung wegen ber beiberfeitigen Erwerbung polnifchen Gebietes 
mit Preußen in die Wege zu leiten und demgemäß um einen Vertragsentwurf 
zu bitten. 

Dem Könige von Preußen war es an fi nur recht, daß bie beiden Kaifer: 
höfe auf dem Wege direkter Verhandlung einander nicht näher gefommen waren. 
Um jo mehr, als er fich jegt ganz der Meinung des Prinzen Heinrich angeſchloſſen 
hatte, Defterreih werde ſich fchließlich allem fügen, zumal wenn die Mufelmanen 
inzwijhen die Waffen niederlegten. Als demnähft der Wiener Hof auf bie 
ruſſiſchen Eröffnungen vom 31. Mai eine förmliche Ablehnung nad Petersburg 
ſandte und fie nad) Berlin mitteilte, fagte Frievrih zu Swieten in einer langen 
Audienz am 13. Auguft: „Es thut mir leid, daß mein Projekt nit den Beifall 
Ihrer Kaiferlihen Majeftäten gefunden hat. Es war eine Verftändigungsidee, 
die mir gefommen war und die ich vorgefchlagen hatte, weil ih ein Mittel 
finden wollte, eine Sache, die zu weit gehen fönnte, ins Gleiche zu bringen; ich 
werde noch nach zwanzig anderen Ideen fuchen, wenn ich kann, und fie Euch 


470 Achtes Bud. Dritter Abfchnitt. 


vorſchlagen; vielleicht findet fi} eine, die Ihr Euch zu eigen machen könnt. Sehen 
Sie, ih bin alt, mein Hirn ift verbraucht, daher fommen mir nur hohle Jdeen, 
aber Ihr follt fie prüfen und beurteilen. Webrigens bin ih in der Politik nur 
eine Novize im Vergleih zu dem Fürften Kaunitz.“ Eine neue Variation der 
in Neuftadt dem Staatslanzler bargebradten Huldigungen. 

Meder am preußiihen noch am ruſſiſchen Hofe ahnte man, daß inzwiſchen 
Kaunig in aller Stille einen Gegenzug gethan hatte, ber folgerichtigermeife 
hätte zum Bruch führen müffen. In der Naht vom 6. auf den 7. Juli 1771 
wurde zu Konftantinopel im tiefften Geheimnis zwiſchen bem öfterreidiichen 
Internuntius Thugut und den Bevollmächtigten bes Großherrn ein Bündnis 
unterzeichnet. Defterreich verpflichtete fi, einen Uebergang der Ruſſen über die 
Donau als Kriegsfall zu betrachten, und verfprad der Pforte feine Beihülfe zu 
einem Frieden entweber auf der Grundlage des Belgraber Vertrags von 1739 
ober unter anderen, nad) Zeit und Umftänden annehmbaren Bedingungen. Dafür 
ließ man fi die Abtretung der Fleinen Walachei, meftlih von ber Aluta, 
und Hülfsgelder in ber Höhe von 114 Millionen Gulden, zahlbar zum fünften 
Teil jofort, zu vier Teilen binnen acht Monaten, von den Türken zufihern, troß 
der Abneigung Maria Therefias gegen ſolches Geldgefhäft: „Ich nehme nicht 
gerne Geld von diefen Leuten,” fchrieb fie nah Abſchluß des Vertrages an 
Kaunig. Sie hatte fih aus Gewiſſensbedenken erit nad langem Sträuben auf 
diefe Verbindung mit den Ungläubigen eingelajjen. 

Der Staatsfanzler hatte fich ſchon zu Anfang des Jahres zu feiner Sicher: 
beit von ber Kaiferin- Königin ein Handjchreiben ausfertigen laflen, des Inhalts, 
daß fie ſich nad reifliher Weberlegung feit entihlofien habe, die Erfolge Ruß: 
lands nicht mehr mit der bisherigen Gleichgültigkeit zu betrachten. Zugleich 
hatte fie die Zufammenziehung eines Heeres von 60000 Mann angeordnet. 
Durch diefe Veranftaltung und durch die nunmehr in Petersburg abgegebene 
Erklärung, daß Defterreih einen Donauübergang der Ruſſen als Kriegsfall be- 
traten würde, glaubte Kaunig die Lage zu beherrſchen. Wirklih Krieg zu 
führen, hielt er für bedenklich, fals nicht, was jet faum noch anzunehmen war, 
Preußen neutral blieb; ja, Kaiſer Joſeph hatte feine Stimme jogar dahin ab- 
gegeben, daß man nur mit Preußen im Bunde die Waffen gegen Rußland 
kehren dürfe. Gleichviel, der Staatsfanzler verließ fich feft auf ben tiefen Ein: 
drud, den feine Rüftungen machen würben; des preußifchen Königs „Furcht vor 
einem Kriege” war der, wie er meinte, unanfechtbare Anſatz feiner politifchen 
Rechnung. So fchmeichelte er ſich mit der „wohlbegründeten Hoffnung”, bie 
Kaiferin-Königin „nit nur mit Wahrung ihres Ruhmes und ihrer Sicher: 
heit, jondern au ohne Wagnis und Gefahr und fogar mit einigen wirklichen 
Vorteilen“ aus allen Wirren hervorgehen zu laffen. Ober, wie Joſeph es ein: 
mal zufammenfaßte, es galt: Rußland mit „einigen mäßigen Vorteilen” zu 
befriedigen; die Türken aus Defterreihs Händen einen leidlihen Frieden ent: 
gegennehmen zu laſſen; für das Erzhaus die kleine Walachei einzuheimjen und 
die dreizehn Zipfer Städte ſamt der Herrfhaft Lublo „wiebereinzulöfen”; durch 
Verzicht auf den ganzen Reft des bejegten polniſchen Grenzgebiets Rußland dafür 
zu gewinnen, baß es in Gemeinfhaft mit Defterreih eine Teilung Polens 


Bündnis mit Rufland und erfte Teilung Polens. 471 


verhinderte; den König von Preußen endlih, und zwar ihn allein, leer aus: 
gehen zu laſſen. 

Für nit weniger als dreizehn verjchiedene Fälle hat Kaunitz damals in 
einer feiner großen Denkfchriften vorgebaut. Zwei Umftände aber ließ er außer 
Betracht: daß Rußland fich feineswegs mit „einigen mäßigen” Vorteilen zu begnügen 
gedachte, vielmehr jetzt feſt entichlofjen war, fich für jeden Verzicht nad} der türkischen 
Seite reichlich auf der polnischen zu entichädigen, und daß des preußiſchen Königs 
„Sucht vor einem Kriege” eben nur in der Einbildung von Kaunitz beftand. 

Friedrich ſah feit Mitte Auguft feine Hoffnung mehr und mehr ſchwinden, 
dur den polnischen Teilungsplan zugleich den Krieg abzuwenden und fi Gewinn 
zu fihern. Er bezeichnete den Krieg zwifchen Rußland und Defterreih ſchon als 
unvermeiblich, e8 müßte denn fein, „daß der Beichtvater das Gewiſſen der Raijerin- 
Königin erweichte wegen bes für bie Türken zu vergießenden Chriftenblutes”. 
Er beabfihtigte nicht mehr, wie im vorigen Winter, dann neutral zu bleiben. 
Auch er rüftete. Er „bereitete ſich auf alle Rollen vor, ohne den Krieg zu wünfchen 
und ohne ihn zu fürdten“. 

Aber wenn er einerfeits fih durch die Rüftungen der Defterreiher nicht 
einfhüctern ließ, jo verlangte er andererfeits von ben Ruffen, daß fie fein 
Mittel zur Verftändigung mit jenen unverfucht ließen. Noch fchwebte die Streit: 
frage, in welcher der König von Anfang an den fpringenden Punkt erfannt 
hatte; von ihrer Erledigung in feinem Sinne ließ er die Zuſage jeiner Waffen: 
hülfe abhängen. „Panin,” ſchreibt er am 14. Auguft an den Prinzen Heinrich, 
„muß fich entfcheiden über Moldau und Walachei, darin liegt der Knoten.” Bei 
der Verhandlung über den polnifhen Teilungsvertrag machte er nunmehr, am 
30. September, die Fortdauer der türkiſchen Oberherrſchaft über bie beiden 
Fürſtentümer ausdrücklich zur Bedingung. 

Damit wollte er ben Defterreichern ihren Rüdzug erleichtern. Hatte er 
doch foeben gehört, wie Maria Therefia im Grunde ihres Herzens dachte. In 
einer langen Unterredung mit dem preußifchen Gejandten Rohd hatte fie am 
5. September appelliert an die freundfhaftlihe Gefinnung feines Königs: in 
Friedrichs Hand liege es, die Ruſſen zum Verziht auf die Donaufürftentümer 
zu beftimmen und dann bie Türken zur Annahme der fonftigen ruſſiſchen Be: 
dingungen geneigt zu machen. Friedrich war aufrichtig erfreut. Er las ben 
Bericht feines Gefandten dem Defterreiher van Swieten vor, der fich „ein wenig 
deroutiert” fühlte, er braudte beftändig den Ausbrud „das Ultimatum bes 
Wiener Hofes” und gab feine Befriedigung in beinahe ftürmifcher Weiſe zu er: 
fennen. „Seine Lebhaftigkeit,“ berichtete Smwieten nah Wien, „und fein Eifer 
für den Frieden waren außerordentlih; meine Arme, Schultern und Hände 
haben zum öfteren den Drud feiner Geften zu jpüren befommen.” 

Auch Kaunig fühlte fih durch die Offenherzigkeit feiner Gebieterin „de 
routiert“. Er beflagte ſich bitter, durch die Erklärung der Kaiferin das Wert 
dreier Jahre zerftört zu fehen,; denn niemand werde jegt mehr an den Ernit 
der öſterreichiſchen Kriegsvorbereitungen glauben. Er beeilte fi, durch den Ge: 
fandten in Berlin die Neußerungen ber Kaiferin abſchwächen zu lafjen, und dort 
fegte man deshalb die eigenen Rüftungen einftweilen fort. 


472 Achtes Buch. Dritter Abfchnitt. 


Enblih, erft in den Weihnachtstagen, erhielt König Friedrich von ber 
Zarin die bindende Erklärung, daß fie, fo ſchmerzlich es ihr fei, chriſtliche Pro: 
vinzen unter das Joch der Ungläubigen zurüdtehren zu lafien, die Donaufürften- 
tümer herausgeben wolle. Und nad einem weiteren Monat gab van Swieten 
dem preußiſchen Hofe Kenntnis von der nad Petersburg gefandten Erklärung 
feiner Regierung, daß Defterreih nad Befeitigung jenes Streitpunftes den Reſt 
der ruffiihen Vorſchläge in Konftantinopel unterftügen werde und zugleich bereit 
fei, fih über die Erwerbung polniſchen Gebietes mit Rußland und Preußen zu 
verftändigen. 

Die Entſcheidung in Wien war erfolgt unter dem doppelten Eindrud neuer 
türkischer Niederlagen und der Erkenntnis, dab Rußland und Preußen in ber 
polnijchen Frage bereits hanbelseins geworben jeien. Noch immer aber wünſchte 
man das Odium der Vergewaltigung Polens auf die beiden anderen Mächte 
allein abzuwälzen. Sieben verſchiedene Projekte hatte Kaunitz wieder ausgeflügelt, 
alle darauf berechnet, dem Erzhauje ftatt polnifhen Gebiets Landgewinn ander: 
wärts zu verfchaffen. Unter allen Löſungen die liebfte wäre ihm geweſen, ftatt 
der polniſchen Teilung eine Teilung der europäifhen Türkei zwiſchen den beiden 
Raiferhöfen, mit Wiederherftellung ihrer alten Allianz und Abkehr Rußlands 
von Preußen. Nie aber hätte Maria Therefia zu folhem Verrat an ihren 
islamitiihen Verbündeten die Hand geboten. Dagegen war fie ganz bamit ein: 
verstanden, daß noch ein Verſuch gemacht wurde, dur ein Tauſchgeſchäft mit 
Preußen um die polnifhe Erwerbung herumzukommen. 

Dan Smwieten wurde mit ben erforberlihen Vorfchriften verfehen. Am 
4. Februar 1772 entlebigte er fi vor König Friedrich feines heiflen Auftrages. 
Er begann damit, daß fein Hof geneigt fein würde, durch das ihm zugebadhte, aber 
nicht eben zuſagende Teilftüd polnifchen Landes den für Preußen beftimmten 
Anteil zu vergrößern. „Aber,“ fragte der König, „warum wollt Ihr, daß ich 
Eure Portion nehme? Ich verftehe nicht.” Nun gab jener die Erläuterung: 
„Sure Majeftät könnte uns die Grafihaft Glag und ein Stüd von Schleſien 
abtreten.” — „Comment! Comment!“ rief der König mit Lebhaftigfeit. 
Ban Smieten bot feine ganze Beredſamkeit auf, um den Vorſchlag einleuchtend zu 
maden, bis der König ihm bedeutete: „Aber der Kaiſer hat mir jelbit verſprochen, 
daß er niemals daran benfen würde, Schlefien oder Glaß wiederzuhaben, und 
Fürft Kaunig hat es mir jehr förmlich und feierlich wiederholt.” 

Drei Tage nad diefer Unterredung jchrieb Friedrih an Findenjtein: „ch 
merfe, wie Kaunig ſich bevrüdt fühlen muß, feinen Plan gejtört und fich ge 
nötigt zu jehen, den Umftänden zu weichen. Aber was auch die Projekte fein 
mögen, die er in feinem Haupte wälzt, jo glaube ich doch hinreichend wahrzu— 
nehmen, daß er nicht vom Leber ziehen will, und dieſe Ueberjeugung genügt 
mir, um mich zu beruhigen und um für den Verlauf unjerer Angelegenheiten 
das Belte zu hoffen. In der That, vorausgejegt, daß wir feithalten, Rußland 
und id, und daß mein Vertrag mit diefer legteren Macht gezeichnet wird, wird 
der Wiener Hof wohl ſich fügen und fidh jchließlich gern oder ungern mit ber 
Portion begnügen müſſen, die ihm von Polen angewiefen werben wird.” 

Inzwiſchen war der preußifcheruffiihe Teilungsvertrag am 15. Januar zu 


Bündnis mit Rußland umd erfte Teilung Polens. 473 


Petersburg in ber That unterzeichnet worden. Ein Zuſatzartikel betraf den Fall, 
daß die beiden Mächte aus diefem Anlaß Krieg mit Deiterreich befamen. Aber 
am 5. Auguft 1772 hat der Wiener Hof fi dem Abkommen angeſchloſſen. 

Niemand hat damals das Vorgehen der Teilungsmädte gegen Bolen und 
ihr eigenes Vorgehen ſchärfer verurteilt, als Maria Therefia. Bis zulegt hat 
fie gegen die Politif ihrer Berater angefämpft. Mehr als einmal offenbart ſich 
in ihren Briefen und Denkjchriften ihre ergreifende Gewiſſensangſt. Sie befennt, 
daß fie fih ſchämt, ſich jehen zu laffen. Als alle ihre Länder angefochten 
waren, habe fie ſich auf ihr gutes Recht und den Beiſtand Gottes geftüßt; jet 
jei das Recht himmelfchreiend gegen fie. Seit dem Anfang ihrer unglüdlichen 
Regierung jei al ihr Tradten auf eine wahrhaftige und gerechte Haltung, Wort: 
halten, Mäßigung und treue Erfüllung ihrer Verpflichtungen gerichtet gewefen, 
das habe ihr das Vertrauen, ja die Bewunderung von ganz; Europa, die Ehr: 
furdt und Anerkennung felbit der Feinde gewonnen. Seit einem Jahr fei das 
alles verloren, und nichts auf der Welt habe fie mehr geichmerzt, als diefer leider 
nicht unverfchuldete Verluft ihres guten Rufes. 

In der öfterreihifchen Politik jeit 1770 fah fie eine lange Kette von 
Fehlern. „Der allzu drohende Ton gegen die Rufen, unſer geheimnisvolles 
Betragen ſowohl gegen unfere Verbündeten als gegen unfere Gegner, alles folgte 
aus dem von uns aufgeltellten Grundſatze, aus dem Kriege zwifchen der Pforte 
und Rußland Gewinn zu ziehen, um unjere Grenzen auszubehnen und Vorteile 
zu erlangen, an die man vor dem Kriege überhaupt nicht gebacht hatte. Man 
wollte auf preußijhe Manier handeln und gleichzeitig den Anfchein der Ehrlich: 
feit retten.” Seht habe man fich in bie Lage gebracht, felbft von dem König 
von Preußen der Faljchheit und Doppelzüngigfeit befchuldigt zu werben, und 
jwar mit Redt. 

Am meiften ſchmerzte es die Kaiferin, daß die beiden anderen Teilungs- 
mächte nicht unterliegen, auf das Beijpiel Hinzumeifen, das Defterreich ihnen 
glei im Anfang mit der Bejeßung polniſcher Grenzlande gegeben hatte. „Unſere 
Unternehmungen gegen polnijches Gebiet,” fie geftand es ein, „gewährten dem 
Könige von Preußen einen Vorwand, einen Teil dieſes Königreihs zu befeken. 
Unfere Konvention mit der Pforte gab Anlaß zu der zwiſchen Preußen und 
Rußland. Unfere Eriegerifhen Kundgebungen beftimmten die ruffiihe Macht, 
ihre Anftrengungen zu verdoppeln und fi mehr und mehr des Königs von 
Preußen zu verfihern, indem fie ihm einen Anteil an ber Zerftüdelung Polens 
zugeltand.” Statt felbft im trüben zu filden, um einige elende Diftrikte zu 
erlangen, hätte man, fo meinte die Kaijerin, fih darauf beſchränken jollen, für 
den Fall eines preußiihen Anjchlags auf Polen ein Heer zum Einmarſch in 
Schlefien bereit zu halten. 

Wie Maria Therefia lehnte auch Kaunig die Verantwortung von fih ab; 
beide, die alte Kaiferin und ihr Kanzler, wälzten fie dem jungen Kaiſer zu. 
Preußen babe, fagte Kaunik in einem Rüdblid, jo lange nicht den Hleinften 
Schritt zur Vergrößerung auf Koften Polens gewagt, bis Defterreih die anfangs 
nur im Intereſſe der eigenen Sicherheit geplanten Maßnahmen für den Grenz: 
ihug wider feinen, des Staatsfanzlers, Nat „in einen Eroberungsplan“ ver: 


474 Achtes Bud. Dritter Abfchnitt. 


wandelt und dadurch dem Könige von Preußen die gewünfchte Gelegenheit ae: 
geben habe, fi auf dieſes Beiſpiel zu beziehen. 

Als Friedrih der Große 1775 bei Fortfegung feiner zeitgeſchichtlichen 
Dentwürdigkeiten die Geſchichte der polniſchen Teilung fchilderte, ſchrieb er, daß 
ein jo entſcheidender Schritt wie die Bejegung der an die Zips anftoßenden 
Starofteien durch die Defterreiher den Teilungsvertrag „verurſacht“ habe. In— 
dem ber königliche Gejchichtichreiber einige Jahre jpäter feinen erften Entwurf 
umarbeitete, bat er jorgjam abwägend den Ausdrud dahin abgeſchwächt, daß 
der Schritt der Defterreicher dem Teilungsvertrage „am meiften die Wege ge: 
öffnet” habe. Die Wege geöffnet — in dem Sinne, daß ohne jenes Vorgehen 
Defterreihs Rußland fih dem Wunſche Preußens nad Erwerbung des Zwijchen: 
landes zwiſchen feinen alten Provinzen nicht ohne weiteres gefügt haben würde. 


Dierter Abfchnitt. 


Weſtpreußen. 


dem polniſchen Reiche auferlegten, ſind nicht ſein erſter Eigentumsverluſt 

geweſen. In den Zeiten ſeiner Machtfülle, nach der Vereinigung mit 
Litauen, unter ber kräftigen Fremdherrſchaft der Jagellonen ſchnell empor: 
geftiegen, zum Schrecken und Schaden ſchwächerer Nachbarn, hatte das große 
Reich Schon im fiebzehnten Jahrhundert einen erheblichen Teil feiner Eroberungen 
wieder aus ber Hand geben müfjen: im Frieden von Dliva Livland an Schweden 
und Eleinere Gebiete jamt der Souveränetät über das Herzogtum Preußen an 
Brandenburg, im Frieden von Andruffom meite Landihaften am Dnjepr mit 
Smolensk, Tſchernigow und Kiew an Rußland. 

Durd das Abkommen von 1772 erwarb Preußen das Bistum Ermland, 
die Woiwodſchaften Marienburg, Kulmerland und Pomerellen, aber nicht bie 
Städte Danzig und Thorn; dazu Teile der großpolnifchen Woiwodſchaften Pojen, 
Gnejen, Inowrazlam und Brzesk; Rußland das bisher im polniſchen Befit ge: 
bliebene Stüd von Livland und die weißruffifchen, zum großen Teil von griechiſchen 
Katholiken bevölferten Gebiete Litauens öftlih von der Düna und von ber Quelle 
des Drujaf bis zu deffen Einmündung in den Dnjepr; Defterreih die nach den 
alten Landen Halitih und Wladimir benannten, aus den Stüden von fieben 
kleinpolniſchen Woiwodſchaften zufammengefchlagenen Königreihe Galizien und 
Lodomirien. Als die Defterreiher gegen den Buchſtaben der Petersburger Ab: 
funft über Bug und Weichfel noch hinausgriffen und ihre Grenzen durch ben 
fruchtbarften Teil Podoliens von der Podgorze zum Zbrucz vorjhoben, hat auch 
König Friedrih Beranlaffung genommen, feinen Anteil zu erweitern. Die Ber: 
tragsbeitimmung, daß die Nee Grenze feiner Erwerbung feien und ganz 
(en entier) ihm gehören folle, wurde dahin ausgelegt, dab am linken Ufer des 
Stroms bis zur Sübfpige des Goplo:Sees eine Lifiere — das Ueberſchwemmungs- 
gebiet der Nete, wie man ſagte — von Preußen beanfprudt werben bürfe. 
Nur ein fleiner Teil des unter diefer Begründung befegten Gebietes ift nad) 


SD Dpfer an Land und Leuten, melde die Teilungsverträge von 1772 


476 Achtes Bud. Vierter Abſchnitt. 


endloſen Verhandlungen mit Rußland und Polen, da auch Oeſterreich feine nach— 
träglihe Forderung einfchränfte, wieder geräumt worden. 

Bei einer von der ruſſiſchen Regierung veranlaßten vorläufigen Schäßung 
war man davon ausgegangen, baf bie Xofe der brei Mächte an innerem Wert, 
der Umfang, die Bevölkerungszahl und die Erträge ineinander gerechnet, ſich 
gleich fein follten. Nach diefer ruffiihen „Evaluation“ wurde für den preußifchen 
Anteil angenommen, daß er, ſowohl an Umfang wie an Einwohnern, hinter 
den beiden anderen zurüdbleiben, aber an Einkünften mehr als das Doppelte 
bes öfterreihiichen, mehr als das Dreifadhe des ruffiichen Anteils abwerfen würde. 
Zu einer irgendwie ficheren Vergleihung waren doch die damals verfügbaren 
ftatiftifchen Unterlagen viel zu dürftig. Ueber Bodenflähe und Seelenzahl ihrer 
Erwerbungen haben ſich die neuen Befiger nur allmählid und immer noch nur 
- ungenau zu unterrichten vermocht. Der Landzumahs Preußens, damals auf 
630 Duabratmeilen angenommen, war in Wirklichkeit um etwa 30 größer; ber 
ruffiihe hat nicht ganz 1700 Duadratmeilen betragen; ber öfterreichiiche nicht 
2700, wie bei der Befigergreifung ein Ingenieur berechnete, ſondern nur wenig 
über 1500. 

Der Beligergreifung trat nirgends Widerſtand entgegen. Weftpreußen 
hatte jih in die Gemeinfhaft mit der Republif Polen nie ganz hineingelebt. 
Im erften Jahrhundert nad ber Losreißung von der Ordensherrſchaft nur durch 
Perjonalunion mit dem Jagellonenreihe verbunden, hatte das eroberte Yand 
nod feine alte landftändifche Verfaſſung bewahrt; damals durfte auf dem Ge: 
famtlandtage der drei preußifchen Palatinate nicht polnifch geiprochen werden. 
Erft der Lubliner Reichstag von 1569 hatte der Sonderftellung von Polnijch: 
Preußen ein Ende gemadt; erft ſeitdem erfchienen preußiiche Landboten auf der 
polnifhen Reichsverfammlung, von der man dann freilih die Stäbtevertreter 
Schnell verdrängt bat. Im legten Jahrhundert war diefe Reichsſtandſchaft 
ganze Jahrzehnte hindurch unterbrochen gemejen; denn von 1713—28 und von 
1735—60 waren bie weſtpreußiſchen Gefamtlandtage, auf denen die Abgeordneten 
zum Reichstage zu wählen waren, nie zu ftande gefommen. Jetzt begrüßten in 
MWeftpreußen die zablreihen Proteftanten, wie vor einem Menſchenalter ihre 
Glaubensgenofjen in Schlejien, die neue Landesherrihaft mit ungeheuchelter 
Freude; fie, die bisher, wie es in einem Bericht an den König heißt, der „Härte 
und Gewalt“ des polnischen Adels und der fatholifchen Geiſtlichkeit hülflos über: 
antwortet gewejen waren. Noch ftanden die Greuel des Thorner Blutbades von 
1725 in jchredhafter Erinnerung; hoffte doch der König, daß alles, was bilfi- 
dentifh in Polen war, jegt bei ihm eine Zuflucht fuchen würde. Aber auch 
unter den Katholiten fehlte es nicht an ſolchen, bie mit dem Uebergang unter 
preußiihe Botmäßigfeit ganz einverftanden waren. Die gelehrte Gräfin Skor— 
zewsfa, am Berliner Hofe längft wohlbefannt und von dem König als „eine 
Art Phänomen” gepriefen, fam bei Nacht und Nebel verkleidet zu dem preußiſchen 
Grenzlommifjar gefahren, um ihn zu beftimmen, ihre Güter am linfen Nete:Ufer 
in die Abmarkfungslinie hineinzuziehen. Vorjichtshalber wurden auf dem platten 
Lande bei dem gemeinen Mann Hausfuhungen nah Waffen angeitellt, die aus 
dem legten Bürgerkrieg noch vorhanden fein mochten; indes war die neue 


Weſtpreußen. 477 


preußiſche Provinz ſchon ſeit zwei Jahren von den Streifzügen der Konföderierten 
nicht mehr heimgeſucht worden. Wo in der Nachbarſchaft jenſeits der neuen 
Landesgrenze einzelne Staroſten bewaffnete Haufen als ſogenannte Haustruppen 
zuſammenzogen, erſchienen preußiſche Kommandos, um die ſofortige Auflöſung 
dieſer Banden zu fordern. Bei ſolchen und ähnlichen Anläſſen blieben zwiſchen 
den preußiſchen Offizieren und den polniſchen Edelleuten Reibungen nicht aus; 
aber als der Generalmajor Loſſow einen Magnaten fordern zu müſſen meinte, 
Ichrieb ihm der König: „Meine Generals würben viel zu ſchaffen haben, wenn 
fie ih mit jedem dergleihen polnischen Narren und Windbeutel wollten zu thun 
maden und herumſchießen — es jollte mir leid fein, um ſolch einer polnifchen 
Kanaille halber einen braven General zu riskieren.“ 

Er hatte fi feine Anfhauung von den polniſchen Edlen gebildet, als er 
fie, noch Kronprinz, 1735 zu Königsberg an dem Emigrantenhofe des Königs 
Stanislaus beobachten konnte, wie fie den franzöſiſchen Gefandten umſchwärmten, 
wenn er Wechſel befommen hatte, und unfichtbar wurden, ſobald der Franzoſe 
fein Geld verteilt hatte — jo hat Frievrih das erbaulihe Schaufpiel dreißig 
Fahre jpäter einem ruffiihen Diplomaten geſchildert. Die Polen, „diefe ganze 
imbecille Gejelfchaft mit den Namen auf fi”, blieben ihm „eine in jeder Hinſicht 
verächtlihe Nation”, deren einzige Entſchuldigung ihre Unbildung ſei: „ftolz in 
der Sicherheit und feige in der Gefahr”. Mit welchem Hohn überfhüttet nicht 
jein 1771 entftandenes burlesfes Heldengediht „La guerre des Confederes*, 
ein Seitenftüd zu dem Palladion von 1749,') die Kämpen der „heiligen“ Kon: 
jöberation von Bar, die „Baftarbfinder der Zwietradhtsgöttinnen”, fie jelber und 
ihre zelotiſchen geiltlihen Hintermänner! Ohne Frage jpannte bier die Satire 
ihren Bogen zu ftraff; denn wenn auch Dumouriez und die anderen Franzoſen 
im fonföberierten Lager über bie polnische Wirtihaft diefer Glaubenstämpfer 
faum minder wegwerfend urteilten als Friedrich, fo bildet immerhin jener vier: 
jährige Guerillafampf gegen die ruffiihe Invafion ein nicht unrühmliches Blatt 
in der Geſchichte des polnishen Zerſetzungsprozeſſes. 

Nun aber war auch ſchier alles ausgefhöpft und verbraudt, was an 
Kräften des moralifhen und phyſiſchen Widerftandes in der unglüdliden Nation 
noch vorhanden geweſen war. Ohnehin wurde jeber weitere Kampf völlig aus: 
fichtslos in dem Augenblid, da nicht bloß Preußen mit den Ruſſen gemein: 
ſame Sade madte, ſondern auch Defterreih, auf deifen Unterftügung die Liga 
von Bar bis zulegt gehofft hatte. Nach dem Fall ihrer legten Veſten ent: 
wichen die Führer der Konföderierten, wie der wadere Pulawski, in das Ausland. 

Niemand wird die polnifhen Unabhängigkeitstämpfer jchelten dürfen, weil 
fie angefichts der ungeheuren gegen ihr Vaterland zufammengetretenen Koalition 
die Waffen niederlegten. Aber noch hätte dem vergewaltigten Reiche zur Rettung 
der nationalen Ehre der Weg des pajliven Widerftandes offen geitanden. Es 
hätte gegolten, dem Gewaltakt des Dreibundes unter feinen Umftänden die 
legale Anerkennung, die Sanktion durch einen Reichstagsbeſchluß zu erteilen. 

Auf eine feierlihe Anerkennung ihrer Erwerbungen, eine Abtretung in 


') 8b. I, 506 (2. Aufl). 


478 Achtes Buch. Vierter Abſchnitt 


rechtlichen Formen, legten die drei Mächte, wie ſich verſteht, den größten Wert. 
Um eine Art Grundlage für die Verhandlung zu ſchaffen, veröffentlichten ſie 
Manifeſte über ihren angeblichen Rechtstitel. „Wir wollen für die Gültigkeit 
unſerer Rechte nicht einſtehen, auch nicht für die der ruſſiſchen und noch weniger 
für die der öſterreichiſchen,“ ſchreibt König Friedrich in demſelben Geſchichtswerk, 
in welchem er die Anſprüche ſeines Hauſes auf Schleſien als „unbeſtreitbar“ 
bezeichnet hatte. 

Zum 19. April 1773 ſtand die Eröffnung des Reichstags bevor, der mit 
den drei Nachbarn über die Abtretung verhandeln ſollte. Der Zarenhof empfahl 
den beiden anderen Mächten das ruffiihe Hausmittel, das auf fo vielen pol» 
nischen Reichstagen Wunder gewirkt hatte: die Beftehung. Kaunik war zweifelhaft. 
Er meinte, es fei von dem polnifhen Adel nimmermehr zu erwarten, baß er ſich 
mit dem Vorwurf des Vaterlandsverrates beladen werde; er hielt deshalb Zwang 
für ein fichereres Mittel und ſchlug die Beſetzung noch weiterer polniſcher Ge: 
biete vor. Man entſchied fih dann für ein gemifchtes Syitem, bei dem Ueber: 
redung, Zwang und Beftehung ineinandergreifen jollten. Die drei Gejanbten, 
der Ruſſe Stadelberg, der Preuße Benoit und ber Defterreicher Reviczky, die 
Triumvirn, wie fie fi nannten, verftänbigten fi über die Verwaltung einer 
gemeinfamen Kaffe, aus der die Blutgelder an die Senatoren und bie Land: 
boten gezahlt wurden. Es fam, wie Saldern, Stadelbergs Vorgänger, beim 
Sceiden aus Warſchau geraten hatte: „Verforgen Sie fih nur gut mit Kafla, 
allhier muß jeder vier bis jechs Freunde unter den Perfonen von Gewicht und 
eine Anzahl Schreier haben; es genügt nicht, Geld unter diefe Leute auszuteilen, 
man muß mit ihnen leben, fie bewirten und trunfen madjen, in vino veritas!“ 

Schon hatten Fürft Adam Ezartorysli und andere Magnaten ihren Frieden 
mit der Zarin geichloffen, der eigentlihe Gefhäftsführer der drei Mächte auf 
dem Reichstage aber wurde der Reihstagsmarfhall Graf Poninski. Die Ber: 
jammlung tagte, um dem Liberum veto die Spitze abzubredhen, in den Formen 
eines Ronföderationsreihstages!). Am 14. Mai überwies das Plenum die Ber: 
handlung mit den Mächten einer Delegation; bis dahin hatte die Kafle der 
Triumvirn 8000 Dufaten aufgewendet. Um die Mitte des September waren 
die Gefandten mit der Delegation einig; am 30. wurden die Ausſchußbeſchlüſſe 
vom Neichötage nach mehreren erregten Situngen einftimmig angenommen. 
Boll Genugthuung meldete der öfterreihifche Gefandte nah Haufe, die Formen 
jeien derart gewahrt worden, daß es ganz den Anjchein habe, als ob ein un: 
gezwungener und freiwilliger Vergleih abgeichloffen worden fei; auch habe bie 
Sache nit viel Geld gefoftet, nur 15000 Dufaten für jeden der drei Höfe 
aus ber gemeinfamen Kaſſe. Die Volksvertreter waren nicht allzu anſpruchsvoll 
geweſen, ein polnifher Fürft hat feine Stimme für 30 Dukaten gefauft, und 
mande hatten fein Gold genommen, fondern fi mit einigen Tonnen Salzes 
begnügt. 

Mit Beihämung gewahrte der ſächſiſche Geſandte Eſſen, der an fi mit 
feinen Sympathien auf der Seite der Polen ftand, wie ſchmachvoll dieſe Märtyrer 


) Bgl. oben ©. 446. 


Weftpreußen. 479 


fih gebärbeten und wie die Ausihußmitglievder am Pharao-Tiſche dieſelben 
Friedrichsdor und Imperiale auf die Karte ſetzten, die fie eben von bem preußi- 
ſchen oder ruſſiſchen Gefandten erhalten hatten. Und ber päpftlihe Nuntius 
beftätigte ihm, daß die geiftlichen Herren nicht befier ſeien als der Laienadel. 
„Es ift fat nicht mehr möglih, das Bild der hiefigen Vorgänge zu zeichnen,“ 
Elagte diefer fähfifhe Diplomat; „soviel die Zeitungen auch darüber jchreiben 
mögen, fie jagen nicht genug. Sie jprechen nur von Inkonſequenz, von Leicht: 
fertigfeit und von den lächerlihen Erſcheinungen, aber fie fennen nicht die Rechte: 
verlegungen, bie Räubereien, das öffentliche Feilbieten der Erkenntniſſe in ben 
Prozefien, ven Ruin ganzer Familien und die Shauderhaften Dinge, welche die 
Häupter der Delegation treiben, wofern nur Gold in ihre Beutel rinnt. ... 
Auch läßt mich diefe Verderbtheit, dieſer Sittenverfall fürdten, daß das Un: 
glüd der Nation noch nicht an feinem Ziele ift.“ 

Mangel an Gemeinfinn und ſchmutzige Habgier, Parteifanatismus und 
Korruption, alle jhon fo oft gegeißelten Schäden des öffentlichen Lebens, alle 
wüften Auswüchſe der polnifhen „Anardie” waren auf diefem Reichstage, der 
die Augen von ganz Europa auf ſich lenkte, in erſchreckender Weiſe zu Tage 
getreten. 

In ihrer Anardie, in der Auflöfung aller ftaatlihen Ordnung und poli: 
tiihen Zucht, ift den Polen zuerft die Integrität ihres Gebietes und zwei Jahr: 
zehnte fpäter ihre nationale Selbftändigfeit verloren gegangen. Nachdem fie 
jelbft in wahnwitziger Lemurenarbeit die Fundamente ihres Staatswejens ab: 
gegraben hatten, mußte ber Bau endlich zufammenbredhen. 

Diefe polnische Anarchie war gehegt und gepflegt worden nicht bloß von 
den Polen jelbft, als das gepriefene Palladium ihrer republifaniichen Freiheit, 
jondern aud von den auswärtigen Mächten. Nicht bloß von den Nahbarn, 
fondern auch von denen, bie fi) als die Erbfreunde und berufenen Beſchützer 
Polens hinftelten. Denn auch franzöfiide Staatsmänner haben noch 1760 die 
polniſche „Anarchie“ als für Frankreich erfprießlich bezeichnen zu follen geglaubt, 
ganz wie vom ruffiihen Standpunkte aus Katharina Il. von der „glüdlichen 
Anarchie“ Polens ſprach. 

Frankreich hat ſich angeſichts der polniſchen Teilung mit ſeiner hiſtoriſchen 
Beſchützerrolle wohlfeil abgefunden, indem es an dem verbündeten Wiener Hofe 
eine vorwurfsvolle Vorſtellung anbrachte, die dem Fürſten Kaunitz die ſarkaſtiſche 
Bemerkung entlockte, dieſer Unmut werde ſchnell verrauchen: „vanae sine viribus 
irae.* Auch der Verſuch Frankreichs, ſeinen alten Feind England zu gemeinſamem 
Einfprud gegen das Vorgehen der drei Oſtmächte zu gewinnen, mußte fi} feiner 
Ausfichtslofigfeit von vornherein bewußt fein. Das britifche Kabinet beichränfte 
ſich darauf, feinen Vertretern im Ausland zu eröffnen: obgleich der Teilungsvertrag 
die Befürdtung nahelege, daß der Handel Europas darunter leiden könnte, fo 
mefje doch weder der König von England nod eine andere handeltreibende Macht 
der Veränderung ſolche Bedeutung bei, daß man ſich ihr direft widerfegen müſſe. 
England beunruhigte fih erft, als Klagen aus Danzig nah London famen, 
und ftahhelte nun die Danziger zum Widerftand gegen Preußen auf, ſah aber 
jofort von dieſer Einmifhung ab, als ein Edikt vom 11. Mai 1774 dem 


480 Adtes Bud. Vierter Abſchnitt. 


britifhen Handel in Weftpreußen die unter polnifher Herrichaft ihm gewährten 
Vergünftigungen auch für die Zukunft verbürgte. 

Auf den erften Blid fällt an dem Vorgang von 1772 nur bie eine Seite 
auf, daß drei Starke einen Schwachen vergewaltigt haben. Vom Stanbpunft 
ber preußiſchen Geſchichte tritt uns vielmehr die Kehrfeite entgegen, daß die eine 
ber brei Teilungsmädhte den beiden anderen, die miteinander verbünbet noch vor 
furzem ben erbittertften Krieg gegen die dritte geführt hatten, mit den Waffen 
der Diplomatie einen großen politifhen Erfolg abgerungen bat. Kaunit hatte 
es im Jahre des Hubertsburger Friedensſchluſſes als unverrüdbaren Grundjas 
für die öſterreichiſche Politik aufgeftelt, daß man Polen in feinem Befigitande 
zu erhalten juchen müfje; er hatte damals gemeint, daß die Erwerbung einer 
Landesverbindung zwiſchen Weichfel und Oder für Preußen noch von größerem 
Vorteil fein würde, als die Eroberung Schleſiens. Und noch mehr als Defterreich 
hatte Rußland wünſchen müfjen, Preußen an der Weichfel nicht feiten Fuß 
faffen zu jehen. 

Rußland erhob feit dem Beginn des Jahrhunderts den Anſpruch, als der 
Erbe Schwedens das altumftrittene dominium maris baltici auszuüben. Die 
Geftade der Oſtſee im Dften, Süden und Weften famen unter ruffiihe Herrſchaft 
oder ruffiihen Einfluß. Imgermanland, Karelien, Ejthland, Livland wurden 
ruffiiche Provinzen, Kurland eine ruſſiſche Satrapie, die Herzöge von Holftein 
und von Medlenburg, mit Prinzeffinnen aus dem Haufe Romanow vermäbhlt, 
Schüplinge zugleih und Scildfnappen der ruffiihen Politik. Und im Jahre 1713 
hat die ſchwediſche Feitung Stettin fi einem ruffifhen Belagerungsheer ergeben. 
Damals zuerft offenbarte fih, was das Emporfommen der preußifhen Monardie 
im nördliden Deutſchland bedeutete. Als Ruſſen, Polen und Dänen über die 
Spolien der zufammenbredenden ſchwediſchen Macht das Los warfen, da lieh 
ih das waffenſtarke Preußen nicht wieder, wie 1648 das noch faft wehrloje 
Brandenburg, von den Fremden ben Plat an der Sonne wegnehmen; die Oder, 
nach der Klage des Großen Kurfürften lange Zeit „fremder Nation Gefangene“, 
wurde frei, die Obermündung wurde preußifh. est, 60 Jahre jpäter, wurde 
auch die Weichfel in ihrem unteren Lauf wieder ein beutfcher Strom. Mit 
Rußlands Zuftimmung, wie 1713 die untere Ober, und doch im Grunde gegen 
Rußland. Dem Zaren Peter III. war e8 von den Ruffen jchwer verbacdht 
worden, daß er Ditpreußen dem angeftammten Befiger zurüdgegeben hatte, es 
ift nicht verwunderlih, daß Peters Nachfolgerin ſich lange gefträubt hat, Weit: 
preußen bdiefem Nachbarn zu überantworten. Eine Neußerung Katharinas gegen 
Panin läßt erfehen, daß bie Zarin fürdtete, Preußen werde im Belig von 
Danzig fi alsbald eine Kriegaflotte ſchaffen. Deshalb war man gegen ben 
dringenden Wunſch des Königs, feinem Anteil Danzig zugelegt zu jehen, in 
Petersburg ſchlechterdings taub geblieben. Sehr zutreffend urteilte Kaunig, daß 
Rußland nur duch die Macht der Verhältniſſe gezwungen in bie Teilung 
Polens gemwilligt habe, denn es habe dadurch verloren; viel mehr als um Die 
Erwerbung einiger polniſcher Landſchaften fei es der Zarin um die Behauptung 
ihres ausſchließlichen Einfluffes in Polen zu thun, den fie mit feiner anderen 
Macht teilen wolle. 


Weſtpreußen. 481 


Sp wenig ilt Friebrih der Große, wie er bisweilen es gefürchtet hatte,?) 
in dem ruſſiſchen Bündnis Rußlands Sklave geworden. Preußen hatte, obgleich 
fein 208 äußerlih das Fleinfte war, doch den Hauptgewinn bei der Teilung 
davongetragen und war der einzige unter den drei Gewinnern, ber fi bes 
Erreichten mit ungemifchter Empfindung freute. 

Wäre Polen nicht bereits jeit lange dem ruffifhen Einfluffe fo tief ver: 
fallen gewejen und hätten nicht noch zulegt, vor und während dem Sieben: 
jährigen Kriege, die Einheimifchen und die Fremden, die Czartorysfis und ihr 
Anhang und die Öfterreihifche Diplomatie, miteinander gewetteifert, das Ueber: 
gewicht Rußlands in Polen immer ftärker zu befeitigen, jo hätte ber preußiichen 
Politik vieleicht noch ein anderer Weg offen geftanden. Preußen hätte an ben 
Verfuh denfen können, im Bündnis mit Polen dem Vordrängen ber ruffifchen 
Macht an die Weichjel bewaffneten Widerftand entgegenzufegen. Aber ſchon war 
Polen in feinem felbftverjchuldeten traurigen Zuftande gar nicht mehr bündnis— 
fähig: das zerbrodhene Rohr, welches dem die Hand durchbohrt, der fih darauf 
ftüßen will. 


König Friedrich vereinigte die Hauptmafje des neu erworbenen Gebietes 
zu einem Kammerbezirk, zu dem von altem Befig noch die bisher Königsbergifchen 
Aemter Riefenburg und Marienwerber gelegt wurden; die Königsberger Kammer 
erhielt zum Erjag aus der neuen Ermwerbung das Ermland. Zu Marienmwerder 
Ichlug die neue Kammer ihren Sik auf. Im Nebelande wurde eine befondere 
Verwaltung zu Bromberg beftellt; zuerft felbftändig, it fie 1775 der Behörde in 
Marienwerber als „KRammerbeputation” angegliedert worden. Der Hauptbezirk 
mwurbe in fieben, der brombergifche in vier Kreife zerlegt, deren Landräte, wie 
in Oftpreußen, ohne Mitwirkung der Kreisinjaffen vom Könige ernannt wurben. 
Beide Bezirke erhielten den Geſamtnamen Weitpreußen und der königliche Titel 
„König in Preußen” wurde jegt nad der „Wiederergänzung” des Reiches ?) in 
„König von Preußen” verwanbelt. 

Die Rammervermwaltung der beiden neuen Bezirke trat zunächſt nicht unter 
die Sentralverwaltungsbehörde des Staates, das Generaldireftorium, jondern 
unmittelbar unter das Kabinet. Doch blieb die Sonderftellung hier nicht wie die 
der jchlefiihen Kammern eine endgültige; nad) einem Jahrzehnt ift das Neuland 
dem Amtsbereich des Generaldireftoriums eingefügt worden, beim Tode des erften 
weitpreußiihen Kammerpräfidenten, des trefflihen Domhardt. 

Johann Friedrih Domhardt war als braunfchweigiicher Unterthan geboren. 
Der Vater, vom Harz nad) Litauen eingewandert, fonnte als Domänenpädter 
auf feinen grünen Zweig fommen; erit der Sohn bradte die Wirtſchaft in die 
Höhe. Er erwarb fih als Amtmann die Anerfennung Friedrih Wilhelms 1. 
und wurde auch bem Kronprinzen Friedrich perjönlih bekannt. Ein Praftifer 
von dem Schlage, wie Friedrich fich feine Staatspächter wünſchte,“) war er 


') Oben ©. 441. 
?) „Regno redintegrato* lautete die Umfchrift der Hulbigungsdentmünge, 
®) Bd. I, 359. 360 (2. Aufl.). 

Koier, Aönig fFriebri der Große. II. 2. Aufl. 81 


482 Achtes Bud. Vierter Abfchnitt. 


1746 zum Kriegs: und Domänenrat in Königsberg ernannt, und gleich darauf 
nicht zum mwenigften wegen jeines Rufes als Pferbezüchter ') an die Gumbinner 
Kammer verjegt worden. Zu Beginn bes Krieges mwurbe er deren Präfident 
auf Empfehlung des Feldmarſchalls Lehwaldt, dem er fi beim Erfcheinen des 
Feindes unentbehrlich gemacht hatte. Domhardt it während ber ruffiichen Occu— 
pation, wie alle Beamten für die Zarin in Pflicht genommen, für das Wohl 
ber Provinz geſchickt und hingebend eingetreten; ſelbſt in einem Augenblid ftarfer 
Verftimmung hat König Friedrich nachmals das Verdienſt an Domhardt anerkannt, 
daß er bie Rufen zu fchonenderer Behandlung des Landes vermocht habe. Sein 
aus Heinften Anfängen erwachſenes Vermögen hatte der kluge Rechner auch 
während der Kriegsläufte zufammenzuhalten und zu mehren verftanden; jo war 
er im ftande, als nad dem Friedensſchluß der Bodenpreis niedrig ftand, feinen 
Grundbefig in der Provinz ſehr anjehnlich zu vergrößern. Zu dem Borfig in 
ber litauifhen Kammer erhielt er jegt auch den in der Königaberger. Domhardt ift 
in feiner langen Amtsthätigfeit, bis zulegt, nicht felten ftrengen Verweiſen aus: 
gefegt geweien, und mehr als einmal ganz unverdienten. Aber der König hat 
ihn dann wieder durch das völlig aufrichtige Zeugnis befhmwichtigt, daß Domhardt 
von allen feinen Präfidenten einer der tüchtigften fei, und als er den treuen 
Diener bald nah dem Ausgang des Krieges zu Beratungen über das Wohl der 
Provinz zu ſich befchied, gab er ihm bei einer Wanderung durch den Park von 
Sansfouci einen feiner hiſtoriſchen Krüditöde zum Andenken. Andere Gunft: 
bemweife folgten. Die Schwierigkeiten der Stellung des zugemwanderten Roturiers 
neben den vornehmen alteingejellenen preußijchen Oberräten, ben Mitgliedern bes 
Königsberger Etatsminifteriums, gli der Monard 1771 dadurch aus, daß er 
dem Kammerpräfidenten den Abel und das beredte Standbeswappen mit der 
goldenen Garbe und dem filbernen Pferd verlieh. 

Noh während Friedrih mit den Rufen über das Schidjal Polens ver: 
handelte, hatte ihm Domhardt Nahmeifungen über die Ertragsfähigfeit der be: 
nachbarten polniſchen Gebiete vorlegen müſſen. Für die Einrichtung der preußiichen 
Verwaltung in der neuen Provinz hätte feine geeignetere Kraft ausgewählt werden 
fönnen, als diefer erprobte Organifator, Kameralift und Landwirt mit feiner 
feit geichloffenen, fi überall durchſetzenden Perjönlichkeit. Domhardt behielt die 
Leitung feiner beiden alten Rammerbezirfe bei, als er jegt mit dem Titel eines 
„Sberpräfidenten ber preußiſchen Kammern” auch die weitpreußifche übernahm. 
Die Berufslaft des bereits Sechzigjährigen in feinem weiten, von den Grenzen 
der Neumark bis an die Memelmündung auseinandergejtredten Reiche hätte eine 
minder thatkräftige und jchaffensfreudige Natur erbrüden mögen. Ein wahres 
Nomadenleben, wie treffend gejagt worden ift, begann jekt für ihn, und voll 
Anerkennung jchreibt ihm fein König einmal eigenhändig: „Sie haben jetzt jo 
viel zu thun, daß ih Sie nicht überladen muß mit mehrerer Arbeit.” Wohl: 
wollend und human, ohne akademiſches Studium ein Mann von echter Herzens: 
bildung, ging Domhardt in feiner unmittelbaren Aufgabe, das fisfaliiche Intereſſe 
zu vertreten und „bas Kameralweſen in gehörigen Zug zu bringen“, nicht auf, 


') Oben ©. 376. 


Weſtpreußen. 483 


ſondern behielt allezeit das höhere Ziel, die große Erziehungsarbeit im Auge, 
aus den neuen Unterthanen, wie der König es ihm gejagt hatte, „Menſchen und 
nügliche Glieder des Staates zu machen“, 

Ein jelbfigemadter Mann, ein Beamter ohne gelehrte Berufsbildung wie 
Domhardt war auch der erite Verwalter des Nebebiftrifts, Franz Balthafar 
Schönberg von Brendenhoff. Ein Wirt aus der hohen Schule Leopolds von 
Anhalt, nad) damaligem defjauifchen Zufchnitt ohne jeden höheren Unterricht auf: 
gewachſen, bejchlagen nur in der Landwirtſchaft und in Geldſachen, bis zu jeinem 
fünfundzwanzigften Jahre Page des alten Fürften, jpäter unter dem Sohne und 
Enkel Kammerbdireftor, hatte er nach feinen Uebertritt in preußiiche Dienfte das 
Retabliffement in der Neumark und in Pommern zur vollen Zufriedenheit des 
Königs durchgeführt.) So war er an ber Nebe jchon zu Haufe, wie Domhardt 
an ber Weichjel. Auch für ihn begann mit dem Augenblid der Befigergreifung 
ein unrubiges Wanderleben, die Zeit, von ber er wohl jagte, fein ganzer Gehalt 
habe damals faum zur Unterhaltung feines Wagens und zum Biergeld für bie 
Vorjpänner zugereiht. In dem Grenzgebiet zwiſchen deutſchem und ſlaviſchem 
Weſen gewährte der unterjegte fettleibige Mann, mit den leuchtenden Augen in 
dem roten vieredigen Gefiht, dem polniihen Magnaten und Schlachtizen eine 
Gajtfreundichaft, die ihrem Umfang nah fürftlih, in ihren Formen ganz länd— 
(ih und patriacrhaliid war, wo der Scafitall abwechſelnd als Schaufpielhaus 
und als Speijejaal diente, wo Grafen, Ercellenzen, Durdlaudten, Männlein 
und Weiblein, in derjelben Stube auf einer Streu vorlieb nehmen mußten, 
und wo e& dem Hausherren nicht darauf anfam, an der Tafel fchlichte 
Adersleute zwijchen feine vornehmen Gäfte zu ſetzen. Mancher Eleine deutjche 
Fürft, fo hieß es, unterhalte weniger Leute in Sold und Brot als Brendenhoff. 
Seinen Reihtum hatte diejes Original vor dem Siebenjährigen Kriege im kleinen 
dur Pferdehandel, während des Krieges im großen durch Lieferungen für das 
preußijche Heer und glüdliche Finanzipekulationen gewonnen. Als preußifcher Be: 
amter jegte er feine Handelsgeihäfte fort, jett freilich nicht immer mit Erfolg. 
Neumärkiſche Tücher, die er für die ruffifhen Truppen im Türfenkrieg lieferte, 
ließ er in der Moldau, wo er zeitweife ein Gut in Pacht hatte, gegen Häute, 
Wachs, Talg und Honig eintaufchen. Dreifter Spekulant mit ſorgloſer Ber: 
achtung einer orbentlihen Buchführung, hatte er ſich doch ſchließlich verrechnet, 
auch feine landwirtſchaftlichen Experimente auf feinen ausgedehnten Befigungen 
ſchlugen vielfach) nicht ein, und große Kapitalien, die er ausgeliehen hatte, übertrug 
er mit den Beltänden der ihm ohne hinreichende Aufficht übergebenen Meliorations- 
falle. Zu jpät, erſt während Brendenhoffs letter Krankheit, gewahrte der König die 
„verteufelte Konfufion” in der Gejchäftsführung des Mannes, dem er das un: 
bedingtefte Vertrauen gejchenft hatte und bei deſſen Tode im Jahre 1780 ſich 
nun ein Defekt von über 100000 Thalern offenbarte. Allerdings wurde biejer 
Betrag durch den Brendenhoffihen Grundbefig gedeckt, und vielleicht übertroffen 
durch die Summen, die er mit freigebiger Hand aus feinem Eigen in die feiner 
Leitung anvertrauten gemeinnüßgigen Unternehmungen geftedt hatte. 


') Oben ©. 354. 367. 


484 . Achtes Buch. Vierter Abſchnitt. 


Den Dombardt und Brendenhoff, feinen rüftigen und umſichtigen Land: 
pflegern in dem fo lange verwahrloften „wiedergewonnenen“ Gebiete, ftellte der 
König für eine vorübergehende, aber überaus wichtige und ſchwierige Aufgabe 
als dritten den Geheimen Finanzrat Roben zur Seite: ber follte im ganzen 
Neulande die Vermefjung der Liegenſchaften, die Klaffifitation des Bodens, die 
Veranlagung einer Grundfteuer nah dem Fuß des oftpreußifchen Generalhuben: 
fchoffes in die Wege leiten. Der König hatte diefen Beamten 1763 beim Re- 
tabliffement im Klevifhen als anftellig und braudbar fennen gelernt und dann 
in die Finanzverwaltung nad) Berlin gezogen. est umgab er ihn mit einem 
großen Stabe von Kriegsräten, „den beiten und ausgelefeniten aus allen Kammern“, 
von Singenieuren und Feldmeſſern, und biftierte ihm felber zu Sansfouci feine 
Smftruftion. „Ich weiß,“ jo entließ er Roden nach Weltpreußen, „daß Er auf dem 
Generalpireftorio der fleißigfte ift; fei Er mir auch in Preußen fleißig und reite 
Er brav umber, jo wird Er mager werben und gejund wieder nah Haufe 
fommen.“” 

„Jh werbe hinkommen, um alles jelber zu bejehen und einzuridten,“ 
hatte Friedrih am 1. April 1772 an Domhardt gejchrieben. Am 4. Juni er: 
reichte er in feinem Reijewagen nad der Fahrt durch feine neue Provinz die 
MWeichjel gegenüber von Marienwerber. Domhardt erwartete ihn am linfen Ufer 
bei der roten Bude; drüben waren die Beamten der neuen Kammer zur Stelle, 
fämtlihe von ihr abhängige Landräte, Forft: und Accifebeamte, ſowie Roden mit 
feinen Gehülfen. Nah dem Ueberfegen über den Strom ftieg der König zu 
Pferde und ritt dur die Stadt in das Lager ber zur Heerfhau verfammelten 
oftpreußifchen Regimenter. Die Paujen zwifhen den Truppenübungen diejer 
Tage wurden dur die Vorträge der Beamten ausgefüllt. Als am 7. wegen 
Unmetters das Manöver abbeitellt werben mußte, ließ fi der König doch nicht 
hindern, nad der Motauer Spite zu fahren, um für die Strombauten, die er 
zu Gunften der Nogatichiffahrt vorzunehmen beabfichtigte, ein Bild von der Oert— 
lichkeit zu gewinnen. Jahr für Jahr fam er nun zum Beſuch feiner „Halb: 
wilden” wieder, regelmäßig im Juni. Im Dorfe Mofrau, in deſſen Nahbar: 
{haft die Truppenmufterung ftattfand, zwiſchen Marienwerder und Graudenz, 
ließ er fih für feine Unterkunft den jchlichten Fachwerkbau unter einem Strob: 
dad herrichten, der nun bis 1785 die klaſſiſche Stätte feiner weſtpreußiſchen 
Regententhätigfeit blieb. Er felbft war doch, die Verdienfte eines Domhardt in 
Ehren, der „eigentlihe Oberpräfident” der neuen Provinz, als den ein Mitglied 
ber Marienwerberihen Kammer ihn bezeichnet hat. 

Friedrich jagte bei jeinem erften Beſuch zu jedem, der es hören wollte, er 
babe auf der ganzen Reife nichts gejehen, als Sand, Nabelholz, Heidefraut und 
Juden. Um jo weniger, meinte er, werde man ihm den neuen Befiß neiben. 
Im ftilen gab er zu, daß er das beite Los gezogen babe. „Ach habe dies 
Preußen gefehen,” jchreibt er nad der Reife an den Prinzen Heinrid, „das ich 
gewillermaßen aus Ihren Händen erhalte. Es ift eine fehr gute, jehr vorteil: 
hafte Erwerbung, ſowohl für die politifche Lage des Staates wie für die 
Finanzen. ... Unfer Anteil ift der vorteilhafteite in Anbetracht des Handels. 
Wir werden Herren über alle Erzeugniffe Polens und über feine ganze Einfuhr, 


Weſtpreußen. 485 


und der allergrößte Vorteil iſt, daß wir als Herren des Getreidehandels zu keiner 
Zeit mehr einer Hungersnot ausgeſetzt ſein werden.“ 

Allerdings mußte er hinzuſetzen, er halte Kanada für ganz ebenſo geſittet 
wie dieſes mit feinem anderen europäiſchen Lande zu vergleichende Polen: „Keine 
Ordnung, alles außer Rand und Band. Kulm 3. B. follte 800 Häufer haben, 
nit 100 ftehen, und ihre Bewohner find Juden und Mönche, noch dazu von 
ber elenbeften Art.” Auch die 27 Kleinen Städte in dem großpolnifchen Land: 
ſtrich zwiſchen Drage, Neke und Weichjel waren fait ausjchlieglih von Juden 
bevölkert. Von Inowrazlaw jagt Friedrich, er habe nie eine mijerabler gebaute 
Stadt gejehen. Brombergs Einwohnerzahl war auf 600 gefunfen. Faft überall 
in dieſen armjeligen Städten fehlten Aerzte und Apothefen. Einander gleich in 
ihrer Dürftigkeit, unterjhieden fie fih um fo mehr durch die Mannigfaltigkeit 
von Maß und Gewidt. 

Als d’Alembert das Baltiihe Meer zu feinem neuen Herren beglüd: 
wünfchte, antwortete ihm Friedrich, daß er feine große Neigung habe, mit diefem 
Meere, nah dem Vorbild des Dogen von Venedig, jeine Vermählung zu feiern, 
denn das Klima diejer Geftade fei rauh und die Anwohnerſchaft ähnle ein wenig 
den Srofefen. „Man hat mir ein Stüd Anardie zu beijern und zu befehren 
gegeben,” fchreibt er jeinem gelehrten Freund ein anbermal. Hier wäre ein 
großartiges Verfuchsfeld für die Staatsweisheit und Regierungsfunft der Herren 
Encyklopädiften: „So ſchön ihr Staatsgebilde jein mag, ich verzweifle an meinem 
bißchen Verftand, es fo in Gang zu bringen, wie Ihre gelehrten Geſetzgeber, die 
niemals regiert haben, es vorjchreiben. Schließlich, es wird dabei herausfommen, 
jo viel wie fann, und man wird mir meinen guten Willen in Anrechnung bringen, 
etwa wie einem Schüler, der in Abweſenheit feiner Lehrer Lektionen erteilen 
will und, weil er fie nicht recht begriffen hat, e& verkehrt macht”. 

Der alte Praktiker, mit feinen ironiſchen Komplimenten für die modernften 
der Staatstheoretifer war gegen eine Schwäde jebenfalls gefeit: gegen ben dilet— 
tantifchen UWebereifer, der die Ergebnifje nicht abwarten fann und, wie Friedrich 
es nahmals an feinem Nahahmer Joſeph getadelt hat, den zweiten Schritt thun 
möchte, bevor der erfte gethan if. Ohne Raft, aber auch ohne Haft follte die 
Kulturarbeit an dem preußifhen „Kanada“ oder „Sibirien“ gethan werben. 
„Eines nad dem andern!” und „Nicht ins Wilde hinein“ waren die Lofungen, 
die er mehr als einmal ausgab, wenn feine braven Werfmeifter, um ihren Eifer 
zu zeigen, zu viel Gutes auf einmal leiften wollten. 

Den LVortritt vor allen anderen Aufgaben hatte das große Werk, das 
gleichzeitig mit der Befigergreifung begonnen, mit ftaunenswerter Spannfraft 
binnen 16 Monaten zu einem erften Abſchluß gebracht wurde. Wie die neue 
Erwerbung eine Landbrüde zwifchen der Mitte und dem Dften der Monardie 
darjtellte, fo jollte alsbald zwifchen Oder und Weichſel auch eine Wailerverbindung 
geichaffen werben. Um ji wegen des Danziger Handels jchablos zu halten, 
jei er gewillt, jo eröffnete der König am 26. Februar 1772 dem Präfidenten 
Domhardt, Weichjel und Netze dur einen Kanal zu fombinieren, die Nogat 
mehr räumen und jhiffbar machen zu laflen, um fo den Danziger Handel un: 
vermerkt nad Elbing und Bromberg zu ziehen. Noch in demjelben Jahre mußte 


486 Achtes Bud. Vierter Abfchnitt. 


mit dem Sanalbau zwiſchen Brahe und Netze, Bromberg und Natel, der Anfang 
gemadt werben. Brendenhoff beforgte die Anfchläge. Arbeiter wurden aus 
Sadjen, Anhalt, Thüringen, Böhmen herangezogen. In ber erften Zeit gruben 
an 6000 Mann Tag und Naht. Brendenhoff beklagte naher, daß man fi 
nicht Zeit gelafjen hatte, das Bruchland bei Nakel vorher auszutrodnen, was 
die Aushebung des Kanals erleichtert haben und vielen Arbeitern Gejunbheit 
und Leben erhalten haben würde. Als ber König im Juni 1773 durch das 
Netzeland fuhr, jah er die erften beladenen Schiffe auf der neuen Wafjerftraße. 
Im Jahre 1775, als die ganze Arbeit gethan war, ftrichen bereits 222 Schiffe 
und 1151 Flöße dur den Kanal. Der König hatte 680000 Thaler für das 
Merk angewiejen; bis auf 40000 wurden fie verbraudt. An diefen Bau ſchloß 
fi die Regulierung der Nege zwiſchen Nafel und Driefen. Dann wurden einige 
Nebenflüffe der Nee und der Weichjel ſchiffbar gemacht. Die Abficht des Königs, 
den Waflervorrat der Weichjel „Iucceffive, immer mehr und mehr, nad) der Nogat 
zu zwingen und abzuleiten”, wurde durch die Strombauten an der Montauer 
Spike jo weit erfüllt, daß die Nogat, bisher nur halb fo ftarf wie die Weichjel 
nad der Gabelung, von jet ab mehr Waſſer führte als der Hauptitrom. Nah 
diefem Ergebnis wurde 1783 zwifchen der Nogat und Elbing der anderthalb 
Meilen lange Kraffuhlfanal angelegt. 

Während Brendenhoff den großen Kanal baute, brachte Roden fein Ratajter: 
werk zu ftande, allerdings ohne die Vermefiung vollftändig durchzuführen. Männig- 
lih mußte Rede und Antwort ftehen, jeine Anfprüche erhärten und feine Ver: 
fchreibungen vorweifen. So eröffnete fi den Kommifjfaren und dem König ein 
voller Einblid in den Abgrund der polnifhen Anardie. 

Vom Nebegebiet hieß es: „Das Land wüfte und leer, die Viehraſſen ſchlecht 
und entartet, das Adergerät höchſt unvollfommen, bis zur Pflugihar alles ohne 
Eifen, die Aecker ausgefogen, vol Unkraut und Geftein, die Wiejen verjumpft, 
die Wälder gelichtet.” Ebenſo untröftlih jah es im polniſchen Preußen aus, 
am fhlimmften im Kulmifhen und zwiſchen Konig und Hammerftein. Ueber 
die Staroftenwirtihaft berichtete Domhardt: „Unordnung und Finfternis haben 
bisher in diefen Gegenden ihr feites Quartier gehabt. Lediglich die deſpotiſche 
Wilfür der Staroften gab den Ausfhlag bei Beitimmung ber Praestandorum 
und bei Benugung der Pertinenzien. Man findet weder Regiſter noch Red: 
nungen von den bisherigen wirklichen Einnahmen. Ausmitteln läßt fih, daß 
meiftens, namentlih in Pommerellen, die Bauernzinje jo in die Höhe getrieben 
find, daß es für die Folge unmöglich ift, diefelben zu erzwingen, wenn man bie 
Holzdiebereien nicht länger paffieren laffen will, aus deren Erträgnis größtenteils 
Brot und Zins genommen wurde. Es gibt einzelne Starofteien mit undanfbarem 
Boden, wo ſich die Mehrzahl der Bauern ohne Brot behelfen und von Wurzelwerf 
und jchlehtem Gemüſe leben mußte. Das wenige Getreide, das fie bauten, ver: 
Fauften fie, um bie ihnen auferlegten Laſten zu erſchwingen.“ Auch die Geiftlichkeit 
hatte noch jüngft ihre finanziellen Anſprüche an die Bauern jehr erheblich gefteigert. 

„Das einzige Land, wo bie Mafje des Volfes aller Rechte der Menſch— 
beit entbehrt,“ jo hat ein König von Polen, Stanislaus Leszezynafi, fein Reich 
gekennzeichnet: man betrachte hier die Bauern als Geſchöpfe einer anderen Art 


Weſtpreußen. 487 


und verweigere ihnen faſt die Luft zum atmen. Und wenn im eigentlichen Polen 
die Grundholden der königlichen Tafelgüter und der Geiſtlichkeit beſſer geſtellt 
waren als die des Adels, ſo war in Weſtpreußen die Lage ihrer aller gleich 
ſchlecht. Schon durch die polniſche Prozeßordnung von 1523 der Verfügungs— 
fähigkeit vor Gericht beraubt, waren ſie leibeigen im eigentlichen Sinne, ſeitdem 
die Konföderationsakte von 1573 den Grundherren unumſchränkte Gewalt über 
ihre Bauern zuerkannt hatte, verfaufbar und vertaufchbar, ohne Eigentumsredht 
an ihrer bemeglihen Habe, die dem Peculium der römischen Sklaven gleich: 
gerechnet wurde, geichweige denn an den Höfen und Hufen, jederzeit abſetzbar, 
ungemefjenem F$rondienft unterworfen. Auch das Beligrecht der verhältnismäßig 
nicht zahlreichen perſönlich freien Bauern, zumeift deutſcher Zuwanderer, die ihre 
Grundftüde in emphyteutiſchem Befig als Zeitpächter bewirtſchafteten, war unter 
dem Drud der Grundherren und in den Stürmen ber Bürgerfriege immer un: 
fiherer geworben. Und jelbft die wenigen erblichen Wirte, die zu kulmiſchen 
Recht angeſeſſenen Freifhulzgen und Lehnbauern und die ihnen ungefähr gleich: 
geitellten Hauländer, Erbzinsleute auf gerodetem Waldboden, litten unter ber 
Willkür der die Staatsgewalt vertretenden und ſchändenden Staroften. 

Nicht viel beſſer als die Lebenshaltung der Bauern war die bes viel- 
verfpotteten polnifchen Bauernabels, biefer Edlen, die barfuß einhergingen, weil 
fie den Baſtſchuh verfhmähten, der fie ben Bauern gleihgemadt haben würde. 
„Privilegierte Taugenichtfe,” hat fie ein Kenner genannt, „Leute ohne Befig und 
ohne Heimftätte, ftupide unwiſſend, fäuflihe Sklaven der großen Herren, aber 
bes Glaubens lebend, daß ihr Liberum veto und ihr Privileg, fi, ſoweit fie 
es dazu haben, zu beraufchen, ihre Edelmannsqualität genugfam erhärten.” Unter 
denen, die noch Grund und Boden ihr eigen nannten, waren manche doch an ber 
Grenze des Nichts angelangt. Auf dem Gut Sobongz in der pommerelliihen 
Staroftei Kiſchau fanden die preußifhen Kommiffare nicht weniger als zwölf 
Edelleute als Befiger vor, einer hatte zwei Hufen im Beſitz, drei je eine, fünf 
je eine halbe, drei zufammen drei Viertel Hufen. 

Die neue preußifche Verwaltung jchuf ſich zunächſt reinen Tiſch durch völlige 
Befeitigung der Starofteiverfaffung. Die Staroften, für die Wahrnehmung 
ihrer richterlihen und fonftigen obrigkeitlihen Aufgaben mit dem Nießnug von 
Staatsgütern ausgeitattet, hatten nad einem Geſetz von 1562 die „Quarte“ 
ihrer Einkünfte, wie fie alle fünf Jahre durch eine „Luftration” ermittelt werden 
follten, an den Staat zu zahlen; wie es um die Ausführung dieſes Geſetzes 
ftand, ergibt die 1769 feftgeftellte Thatſache, daß ein halbes Jahrhundert 
hindurch diefe Schagungen unterblieben waren. Der König von Preußen ver: 
fügte jet die jofortige Einziehung fämtliher Staroftengüter. Bis zum 1. Juni 
1773 jollten fie, um die Erträge feitzuftellen, von Staats wegen bewirtichaftet, 
von da ab, zunähft immer auf die furze Frift von drei Jahren, verpadtet 
werben. Den bisherigen Inhabern wurde eine mäßige Geldentihädigung in 
Ausficht geftelt. Es war dem König ganz willfommen, daß fi eine Anzahl 
Staroften zur Huldigung vor feinen Bevollmächtigten in Marienburg am 27. Sep: 
tember 1772 nicht einfanden und damit einen Anlaß gaben, ihr Amtsgut ohne 
weiteres einzuziehen; hat doch ein weltpreußifcher Graf damals zu der Rolle 


488 Achtes Bud. Vierter Abſchnitt. 


eines agent provocateur ſich bereit gefunden. Im ganzen ſind im weſtpreußiſchen 
Kammerbezirk als Entſchädigung an Staroſteibeſitzer 380000 Thaler ausgezahlt 
worden, einſchließlich 530000 Thaler zur Deckung ber Schulden des Biſchofs 
von Ermland. Ohne Härten iſt es bei dieſer Wiedereinziehung der Staatsgüter 
nicht abgegangen, aber der König berief ſich darauf, daß er mehr gegeben habe, 
als aus gleichem Anlaß die öſterreichiſche Regierung, oder gar die Ruſſen, die 
gar keine Entſchädigung gewährt hätten. 

Andere Staatsäcker waren unter polniſcher Herrſchaft ohne Verbindung mit 
einem obrigkeitlichen Amte als Gratialgüter an Manutenare ausgegeben worden, 
teils auf Lebenszeit, teils erblich auf vier oder ſechs Augen. Dieſe wurden zum 
größeren Teil in Rittergüter verwandelt. 

Die Herrichtung der in das Staatseigentum zurückkehrenden Ländereien 
erforderte ſehr erheblichen Aufwand. Die Wohnhäuſer waren zumeiſt „in den 
ſchlechteſten Umſtänden und mehr Viehſtällen ähnlich“, auch die ſogenannten 
Schlöſſer der Staroſten nur von Holz oder Lehmfachwerk, und als im Sommer 
1775 die weſtpreußiſche Kammer eine lange Liſte der durch einen Sturm um— 
geſtoßenen Scheunen und Ställe vorlegte, meinte der König, das wundere ihn 
bei dem Zuſtand der Gebäude in dem alten polniſchen Preußen nicht. Ins— 
geſamt hat das „Retabliſſement“ ber weſtpreußiſchen Domänen mehr als 
4 Millionen Thaler erfordert. 

Der Verftaatlihung der Starofteien ging zur Seite eine Sequeftration bes 
Kirchengutes. Ale geiftlihen Liegenſchaften, nur die Pfarräder der „geringen 
und Dorfpfaffen” ausgenommen, wurben in ftaatlihen Wirtjchaftsbetrieb ge— 
nommen, in ber Weife, daß der Grundherr, Biſchof, Prälat oder Abt, nad 
Abzug aller Unkoften die Hälfte des Reinertrages, der Staat als Grundſteuer 
die andere Hälfte erhielt; jede aus fpäteren Berbefferungen erwachſende Mehr: 
einnahme jollte zu der fisfalifhen Halbicheid gejchlagen werden. Eine Klauſel 
zu Gunften des status quo der fatholifchen Kirche in dem 1773 mit der 
Republif Polen gejhloffenen Abtretungsvertrag ließ der König für dieſe in- 
zwifchen thatjächlich bereits durchgeführte Neuordnung nicht gelten. Begrünbet 
wurde die Maßregel mit dem offenkundigen Verfall der geiftliden Gutsver— 
waltung und mit dem Hinweis darauf, daß die Prälaten durch die Wirtſchafts— 
mühen von den Aufgaben der Seeljorge allzufehr abgelenft würden. „Unjere 
Biſchöfe,“ fchrieb der König an Voltaire, „behalten 24000 Thaler Rente, die 
Hebte 7000. Die Apoftel hatten nicht fo viel. Man verftändigt ſich mit ihnen 
in der Weile, daß man fie von den Sorgen dieſer Welt entlaftet, auf daß fie 
fih ohne Ablenkung befleißigen, das himmlische Jerufalem zu gewinnen, das 
ihre wahre Heimat ift.“ 

Nur mit der Hälfte bes den Geiftlichen auferlegten Sates, mit 25 Prozent 
vom Neinertrag der Güter, wurden die Ebdelleute zur Staatefteuer, der den 
Grundfägen bes oftpreußifchen Generalhubenſchoſſes nachgebildeten Kontribution, 
veranlagt, und der proteftantifche Adel erhielt noch einen Nachlaß von 5 Prozent. 
Außerdem hatten Rittergutsbefiger und freie Bauern Lehnpferdegelder nad) dem 
Muſter der alten Provinzen zu entrichten. Für die Befteuerung der Bauern 
hatte der König die Richtſchnur gegeben, dab die Fleinen Leute möglichſt geſchont 


Weftpreußen. 489 


werben follten. Demgemäß wurden bei der Einihägung der gutsunterthänigen 
Bauern alle Fronen, Zehnten und Laften, die fie dem Grundherrn oder zu 
Kirchen: und Schulzweden jchuldeten, von dem Bruttoertrag der Wirtfchaft ab: 
gezogen; von dem jo berechneten Reinertrag hatten fie dann an Kontribution 
3315 Prozent zu zahlen. Die Kölmer und jonjtigen Freibauern wurden, ſoweit 
fie nicht Lehnpferdegelder aufbrachten, mit 28, jonft mit 25 Prozent vom Rein- 
ertrag veranlagt. Von den Stabtgemeinden zahlten die Eleinen Aderftäbte 
Kontribution, die etwas größeren Gemeinmwejen Xccife. 

Den Bauern verfündete gleich bei der Beligergreifung das Patent vom 
28. September 1772 die Befreiung von Sklaverei und Leibeigenſchaft. Die 
damit nicht aufgehobene Erbunterthänigkeit der gutspflidtigen Bauern wurde 
dur die uns ſchon bekannte Verordnung vom 8. November 1773) geregelt. 
Hatte der König anfänglih Domhardt mit der Weifung verfehen, daß fein 
Bauer mehr als drei Tage in der Woche Frondienſte leijten jolle, jo wurde 
jegt der Dienft der Amtsbauern ſogar auf 60 Tage im Jahre beſchränkt, und 
es wurde ftreng darauf gehalten, daß die Domänenpädter mit den Leuten 
nit „nad dem harten polnischen Fuß” umgingen. Den adelihen Grundherren 
empfahl die Verordnung von 1773, die Dienfte ihrer Bauern nah den für die 
Aemter aufgeftellten Grundſätzen zu regeln; da, wo bisher Dienitfontrafte nicht 
beftanden, follten die Edelleute fie binnen Jahresfriſt abjchliegen oder gewärtigen, 
daß auf ihren Gütern ohne weiteres die den Amtsbauern gewährten Bedingungen 
rehtlihe Geltung gewönnen. Den erbliden Beſitz ihrer Güter ficherte den 
Bauern eine Verordnung vom 20. Februar 1777. 

Es ift fennzeichnend, daß ber König bei der Volkszählung, die er in ber 
neuen Provinz alsbald anjtellen ließ, die Nationalität, die Sprade feftgeitellt 
willen wollte. Der Wunſch, das Land möglihft zu germanifieren, war von 
vornherein vorhanden und machte fich je länger deſto entfchiedener geltend. 

Zwei Mittel wurden gleichzeitig angewandt: Zurüddrängung des polnifchen 
Adels aus dem Grundbefig und Anfiedelung deutfher Bauern und Bürger. 

In eriter Hinfiht war mit ber Einziehung der Starofteigüter ſchon ein Er: 
heblihes erreiht. Der König entichied, daß die aus diefen und den geiftlichen 
Gütern entftandenen 79 Domänenämter nur an Deutſche zu verpachten jeien, 
zielbewußter als Dombardt, der fein Arg dabei gehabt hätte, „bemittelte und 
vernünftige polnifche Edelleute” als Staatspädhter zu empfehlen. In derfelben 
Tendenz wollte ber König die Anfäufe, bie der Staat zur Vergrößerung feines 
Domanialbefiges machte, nur auf die Güter polnifher Grundherren erftredt 
wiſſen, um, wie er wiederholt an Domhardt fchreibt, das „unordentliche polnische 
Bolt”, das „garfiige und foddrige Polenzeug” loszuwerden. Gelegenheit zu 
jolden Antäufen erwartete er genug, in der Annahme, daß die sujets mixtes, 
diejenigen Edelleute, die gleichzeitig noch unter polnifcher Oberhoheit, oder jept 
auch unter ruffiiher und öfterreihiicher ftanden, den Wunſch haben würden, 
ich eines Teiles ihrer Güter zu entäußern, um fih „unter einer Herrſchaft 
zu firieren”. Fügte es fich bei ſolchem Ankauf, daß proteftantifche Bauern aus 


ı) Oben ©. 378. 380. 


490 Achtes Bud. Vierter Abfchnitt. 


ber „Oppreffion” einer fatholifhen Grundherrfchaft gelöft wurden, jo war 
das dem Könige um fo lieber. Und entgegen feinem fonftigen Grundſatze 
geftattete er in ber neuen Provinz, daß adeliche Güter, ſoweit fie bisher in 
polnischen Händen geweſen waren, von bürgerlichen Deutihen erworben werden 
durften, wofern die Käufer nicht die „alte polnifche Wirtſchaft“ fortfegen, fondern 
den Betrieb „orbentlih und regelmäßig” einrichten würden. „Obwohl in ans 
beren Provinzen es wider die Geſetze läuft”, fo legt er in einer Inftruftion 
für die Bromberger Kammerbeputation feine Beweggründe dar, „daß Leute 
bürgerliden Standes abelihe Güter acquirieren, jo wollen Seine Königl. 
Majeftät doch in Weftpreußen ſolches accordieren, um nur bie Polen los zu 
werden, weil Ihnen borten ein guter Bürger lieber ift, als alles das polnijche 
Toll.” „Das polniſche adelihe Zeug,” fchilt der König ein andermal an: 
läßlich eines Berichtes über Grundfteuer-Rüdftände, „ift nicht orbentlid und 
verthut fein Geld in Polen;” er befahl deshalb, dab den am Hofe in Warſchau 
und ſonſt in Altpolen weilenden Edelleuten fein Pfennig von ihren Einkünften 
verabfolgt werde, bis fie ihre Abgaben völlig berichtigt haben würden. 

Den Gedanken, weſtpreußiſche Nittergüter aufzulaufen, um fie unter 
bäuerlihe Koloniften auszuteilen, bat der König in feinen letzten Jahren 
mehrfach ausgeiprocdhen, ohne daß, wie es jcheint, die That folgte. 

Mit der Anjegung deuticher Koloniften, freier Erbzinsleute, ſollten zunächſt 
ben verfommenen polnifhen Bauern Lehrmeifter an die Seite geftellt werben. 
„Das ficherfte Mittel,” jo jchrieb der König noch vor der Belikergreifung an 
Domhardt, „diefen ſklaviſchen Leuten beffere Begriffe und Sitten beizubringen, 
wird immer fein, folde mit der Zeit mit Deutihen zu vermifchen, und wenn 
es nur anfänglid mit zwei oder brei in jedem Dorfe gefhehen kann.” Später 
hielt er es für zwedmäßiger, die deutihen Zumanberer in geſchloſſener Mafje 
anzufegen: „Es müflen glei ganze Dörfer und Kolonien, mitten unter dem 
groben und butten Zeug, angelegt werben, die ganz allein wohnen und ihre 
Nahrung und Gewerbe vor ſich treiben, damit das hiefige Volk um fo befler 
fiehet und gemwahr wird, wie jene fi einrichten und wirtfhaften.” So ent: 
ftanden auch in diefer Provinz neue Dörfer, im Ganzen etwa 50, teils wie 
anderwärts !) auf den Domänenvorwerfen, die nad) des Königs Abficht jämtlich, 
foweit fie nicht Brauereien enthalten, mit Bauern befegt werben folten, teils 
auf Rodungen, im Bruchland oder im Streufand, bie meilten längs der Netze 
an der Grenze nah Altpolen. Medlenburger und Laufiger, längft als „gute 
und fleißige Wirte” befannt, ferner Pfälzer, Thüringer, Sachſen wünfchte der 
König vorzugsmweife als Koloniften herangezogen, auch Deutihe aus Polen — 
„ſchlechterdings aber feine Stodpolen“. An der Grenze ließ er vielmehr jcharf 
fahnden „auf das ſchlechte polnifhe Zeug, fo ins Land hereinfömmt”. Be: 
fondere Bedeutung für Weitpreußen gewannen die Württemberger-Kolonien, die 
in den legten Regierungsjahren gegründeten Dörfer, deren Bewohner inmitten 
der plattveutihen und polnischen Bevölkerung auf 100 Jahre hinaus ihren 
ſchwäbiſchen Typus, ihre Bräuche und ihre Lieder ſich gewahrt haben, 


) Dben ©. 368. 369. 


Weſtpreußen. 491 


Die beiten Ausſichten hatte die Germanifation in den Städten. Hier 
hatte das deutſche Element in den Zeiten der Fremdherrſchaft fich widerſtands⸗ 
fähiger gezeigt als auf dem platten Lande. Ein polnifches Bürgertum, ein 
polnifher Handbwerkerftand war noch nicht vorhanden. Es kam alfo hier nur 
darauf an, die klaffenden Lüden in ben deutihen Bürgerfchaften auszufüllen, 
die furdtbaren Spuren bes allgemeinen Nieberganges der polnifhen Wirtichaft. 

Der Wiederaufbau der verwüfteten Städte hatte mit dem Sommer 1774 
begonnen; bis dahin waren die verfügbaren öffentlihen Mittel durch den Kanal: 
bau und die Herrihtung von Kajernen in Anjprud genommen. Vorweg ver: 
fügte der König, daß das ſtädtiſche Retabliffement „nicht ins Wilde hinein, fondern 
mit Ordnung und auf eine folide Art” in Angriff zu nehmen fei, in der Weife, 
daß zuerft nur die beträdtlichften Orte Kulm, Graudenz, Bromberg, denen dann 
noch Mewe angereiht wurde, Berüdjihtigung finden follten. Als die met: 
preußifhe Kammer im Herbit 1774 das begonnene Werf glei auf fünf weitere 
Städte auszubehnen vorfhlug, tabelte fie der König, weil fie in feine Idées 
fchleht entriere. Die Gefamtkoften befjen, was für die Städte feines weft: 
preußifhen Kammerbezirks zu leiften fei, berechnete Domhardt auf 626402 Thaler. 
Der König fegte zunächſt für jedes Jahr 100000 Thaler aus. An Lurusbauten 
durfte dabei freilich nicht gedacht werden. Als nah einigen Jahren die Her: 
ftellung des großen Saales im Marienburger Schloß ihm empfohlen wurde, 
erflärte der König, bazu feinen Pfennig geben zu können. Vielmehr bot der Hoch— 
meifterpalaft jegt einer Webergemeinde, das Hochſchloß einer Kaferne Raum, 

Die dem Könige einzureihenden Voranjhläge hatten zu enthalten ein 
Verzeichnis der wüften Stellen in jeder Stabt und Liften für Heranziehung von 
Kaufleuten und für Anfegung von Handmwerfen, je nad den Ausſichten auf 
Fortkommen, die ſich den einzelnen Gewerben nad den örtlichen Verhältniſſen 
boten. Tuchmacher und Weber wollte der König zunähft nit in die neue 
Provinz ziehen, wo fie die Abfagbebingungen der neumärkiſchen Wollinduftrie 
ftören würden, fondern „nur die gemeinften Handwerker”, Maurer, Zimmerleute, 
Tiſchler, Lohgerber, LZederarbeiter, Wagenmadher und Bortenwirker. „Schufter 
und Schneider”, jchreibt er no 1775 aus feinem „Kanada“ an b’Alembert, 
„Ind in dieſem Lande geſuchte Virtuofen, weil es feine gibt.” Maurer und 
Zimmerleute aus der Fremde fchaffte die Berliner Dberbaudireftion auf bie jet 
überall herzurichtenden Baupläße herbei. Unter 927 Familien, die zu Friedrichs 
Zeiten in die von ihm erworbenen polnifhen Städte eingewandert find, begegnen 
uns 71 Schuhmader, 64 Schneider, 24 Bäder, 20 Fleifher, 64 Gärtner, 
60 Maurer, 36 Zimmerleute, 51 Tuchwirker, 33 Zeugmacher, 44 Kaufleute. 
Alle diefe Zuwanderer wurden in fertige Häufer und Werkſtätten eingemiefen. 

Ganz lag das alte Braugewerbe der Städte danieder. Gegen bie ftäbtifchen 
Privilegien von 1581 hatten allerorten die Staroften, die Edelleute überhaupt, 
Bierbrauereien und Schnapsbrennereien für den gewerbsmäßigen Verfchleiß an- 
gelegt, während fie von Rechts wegen nur für ihren eigenen Bedarf brauen 
follten, und ihre Krüge jchoben fi bis in die ſtädtiſchen Weichbilder hinein. 
Der neue Landesherr verbot die Erteilung neuer Braugeredtigfeiten an länd— 
lihe Befiger und befahl die alten Konzejfionen zu prüfen; fie alle aufzuheben 


492 Achtes Bud. Bierter Abſchnitt. 


wagte er nicht, da er damit wohlerworbene Rechte zu verlegen fürchtete. Aber 
auf den Domänen ließ er in ber Folge das Brauen ganz einftellen und er: 
munterte dafür die Städte zur Anlegung neuer Brauereien, zumal zur Her: 
ftellung des in Polen fo beliebten ftarfen Bieres nad) engliiher Art, das man 
dann jenjeits ber Grenze als echtes Gebräu an den Mann bringen mochte. 

Almählih konnte nun daran gedacht werden, den anfänglih abſichtlich 
beſchränkten Kreis der Induſtrieen zu erweitern. In Kulm, Konig, Schönlanfe 
arbeitete fih eine Tuchmanufaktur empor, die der König wieder auf die Nach— 
ahmung der englifhen Technif hinmwies; in Elbing wünſchte er eine Färberei 
anzulegen; bie Städte an ber Weichſel, wie Marienburg und Mewe, die das 
polniſche Rohlever bequem beziehen fonnten, jolten fih auf die Lohgerberei 
werfen. Auch mit der Fabrikation von Strümpfen, Mützen und Handſchuhen, 
Tabakspfeifen und Spiegeln folte ein Anfang gemadt werden. Alle dieſe 
Induſtrieen wurden mit ihrem Abſatz vorzugsmeile auf Polen angemwiejen; je 
näher ein Ort ber Grenze lag, befto geeigneter erjchien er zur Entfaltung des 
Gewerbefleißes. Die Verfertigung der in Polen ftets begehrten Schärpen von 
bunter Wolle wurde ausnahmsweiſe noch auf dem platten Lande geftattet. 

Die Städte blühten fihtlih auf. Es hat lange gedauert, bis Friedrich 
bie eriten Früchte feiner Bemühungen ſah, aber noch kurz vor feinem Tode hat 
er gegen einen feiner Minifter es anerfannt, daß die Weftpreußen anfingen, 
„etwas inbuftriöfer und aufgeflärter zu werden“; das und überhaupt der Fort: 
gang der Fabriken habe ihn erfreut. Die weitpreußiihen Stabtfämmereien 
nahmen 1774 nur 76875 Thaler ein, 1786 ſchon 141966; die Ziffer ihrer 
Schulden war in diefen 13 Jahren von 362117 auf 274634 Thaler gejunten. 

Nah den vollftändig nicht mehr erhaltenen Liſten haben fi zu Friedrichs 
Zeit neben jenen 927 in die weſtpreußiſchen Städte eingewanderten Familien 
auf dem Lande 1279 angefiedelt, ein Zuwachs von etwa 11000 Köpfen auf 
eine Bevölkerung, bie bei der Befigergreifung auf 5—600000 gefhägt wurde 
und nad) der Zählung von 1782 in den Bezirken von Marienwerder und Brom: 
berg 561372 Köpfe betrug, das Ermland mit mehr ala 100 000 Einwohnern 
ungerehnet. Raum blieb in dem dünn bevölferten Lande noch für viele; im 
Sabre 1780 legte die weitpreußiihe Kammer einen Entwurf vor, wonach nod 
14 774 Familien angefegt werden jollten. 

So mwilllommen der neuen Landesherrſchaft jeder arbeitiame Anftebler 
war, jo unerfreulih waren ihr die zahlreihen Nomaden, die man im Lande 
vorfand. Gegen Zigeuner und Landftreicher richtete fich gleich eines der erften 
Edikte, obgleich der König wußte, daß Hufarenpatrouillen hier befjere Wirkung 
thun würden, als Edikte. Wiederholt ließ er die Tucheler Heide durch Fußvolf 
und Reiter „ablleppern”, um alle „Bagabunden und loſes Gefindel” aufzugreifen. 
Betteljuben jollten ebenjowenig wie in den alten Zanbesteilen gebuldet werben; 
doch bedingten die eigentümlichen örtlichen Verhältniffe, daß die Abjchaffung 
diefer Fahrenden „nur almählih und ohne Ungeftüm“ zu bewirken war. Be: 
mittelte Juden jollten nah den für Oftpreußen geltenden Beitimmungen in den 
größeren, den „accifebaren” Städten, zumal in den Grenzitädten nad) Polen zu, 
eine Freiftätte haben. 


Weſtpreußen. 493 


Von dem Hauſiergeſchäft der Juden und von der Elbinger Kaufmannſchaft 
abgeſehen, war von Handel in der neuen Provinz, wie die amtlichen Erhebungen 
ergaben, ſo gut wie gar nicht die Rede. „Wir debitieren nirgends,“ antwortete 
die Stadt Krone kurz und bündig auf die amtliche Umfrage. Von der durch 
Domhardt vorgeſchlagenen Einſetzung eines kaufmänniſchen KKommerzkollegiums“ 
ſah der König unter dieſen Umſtänden ab, bis die Handlung der Provinz erſt 
in „Ordnung und zu beſſerem Flor“ gebracht ſein würde. Noch mehr aber als 
anderwärts ſchien es hier angezeigt, großhändleriſche Unternehmungen durch 
Monopole aufzumuntern, ja überhaupt zu ermöglichen. 

So wurde am 14. Oktober 1772 zu Berlin die Seehandlungsgeſellſchaft 
begründet: fie ſollte mit eigenen oder gecharterten Schiffen unter preußiſcher 
Flagge unmittelbaren Verkehr mit überfeeifhen Häfen unterhalten und zur 
Sicherung ihrer Geſchäfte das ausſchließliche Recht zur Anfuhr von Seeſalz und 
für das Weichjelgebiet zum Auffauf und zur Ausfuhr von Wachs haben. Für 
den Abſatz des durch die Seehandlung angefahrenen Salzes erhielt gleichzeitig 
eine andere Gejelihaft, die jogenannte Compagnie de Prusse, das Monopol. 
Schwer beeinträchtigt fühlte fih dur das Privileg der Seehandlung bie oft: 
preußiſche Kaufmannſchaft, und auch die Schlefier klagten fort und fort über ben 
ihnen dadurch erwachſenden Schaden. Nicht ohne die Billigung des Präfidenten 
Domhardt verſuchte das Königsberger Kommerzkollegium der Neuordnung ent: 
gegenzumirfen, bis ihr der König für ihr „mutwilliges und frevelhaftes Wider: 
ftreben” eine ftrenge, auch den Kammerpräfidenten treffende Rüge erteilte. In— 
befien wollten die Gejchäfte ber beiden Monopolgejellihaften nicht blühen. 
Zumal die zweite geriet in Berlegenheiten durch den Ankauf großer Salz: 
vorräte, für die e8 an Abnehmern fehlte Sie wurde nun im Mai 1775 mit 
ber Seehandlung verihmolzen, und dieſe erhielt, bis die Schulden der aufgelöften 
Gejellihaft getilgt fein würden, Nachlaß des ihr für ihre Salzzufuhren auf: 
erlegten Eingangszolles. Sehr viel verfprah fih der König von einem am 
3. Januar 1779 getroffenen Abfommen: gegen Erlegung einer Pachtſumme von 
jährlih 400000 polniihen Gulden übernahm eine Warſchauer Zweiganftalt der 
Seehandlung den bisher von der Krone Polen betriebenen Salzhandel. Aber bie 
Verwaltung der großen, jett öſterreichiſchen Salzwerfe Galiziens begünftigte Wett: 
bewerber, und jo jah fich die Seehandlung veranlafßt, im Mai 1781 ihren Vertrag 
zu fündigen. Bald darauf erhielt das Anfehen der Geſellſchaft einen harten 
Stoß, als 1782 die gegen ihren damaligen Zeiter, den Minifter Friedrich Wilhelm 
v. Görne eingeleitete Unterfuhung die unlautere Geſchäftsführung diefes Mannes, 
feine gewagten Geldgeihäfte mit polnifhen Magnaten, Wechjelreitereien, ja un: 
leugbare Beruntreuungen offenbarte. Zwar wurden die Berlufte der Seehand: 
lung dur die Konfisfation Görnefcher Güter gededt, aber der Kredit ber Anftalt 
blieb erjchüttert, bis ganz allmählich die geihicdte und fachkundige Leitung des 
Geheimen Finanzrats Struenfee befiere Tage für fie heraufführte. 

Ale Bemühungen um bie Hebung des Handels blieben freilich Stüdwerf, 
folange man, wie damals gejagt worden ift, nur den Rumpf und nicht das 
Haupt hatte, jolange Danzig außerhalb der preußiihen Staatsgrenzen blieb. 
Der Verfud, die vier preußifch gewordenen Vorſtädte am linken Weichjelufer — 


494 Achtes Bud. Vierter Abſchnitt. 


fie und den Hafen von Neufahrwaſſer hatte man kurzerhand in die Grenze 
einbezogen — auf Koften der Hauptitabt emporzubringen, führte zu feinem be— 
friedigenden Ergebnis; fie blieben wirtfhaftlih von Danzig abhängig. Aber der 
Danziger Handel litt ſchwer unter dem Differentialtarif des preußiſch-polniſchen 
Hanbdelsvertrages von 17755!) den Import ber zur Berjorgung bes weft: 
preußifchen Hinterlandes und des Königreihs Polen beftimmten Waren verlor 
man im wefentliden an Elbing; im Ausfuhrgeſchäft behauptete fi noch ungefähr 
der alte Kornhandel der Danziger, ihr Holzhandel ſank beträdtlihd. Schon er: 
hoben fih Stimmen, zumal unter dem jüngeren Geſchlecht, die ben Anſchluß an 
den mädtigen Nachbar, die freiwillige Unterwerfung empfahlen. Und zahlreiche 
Danziger wanderten in bie neue preußifche Provinz aus. Wenn bie Stadt in 
der Umklammerung durd die preußifhen Zolllinien und Militärforbons nicht ganz 
erftidt wurde, fo hatte fie das nur der Fürſprache Rußlands zu banken. 

Durchgreifender als alles, was fonft in der neuen Provinz geſchah, war 
die Einführung einer gerechten und wirkſamen Nechtäpflege und bie Schöpfung 
einer Volksſchule. 

Ein Feberftrich bejeitigte den ganzen Wuft der alten Gerichtsverfaflung, 
„die weltbefannte, und in öffentlih gebrudten Schriften polnifher Geſchicht— 
ſchreiber felbft abgefchilderte tumultuarifche und aller rechtſchaffenen, unparteiiſchen 
Rechtspflege wiberftreitende Prozedur und Gewalt ber bisherigen Gerichte, fie 
haben Namen wie fie wollen“. In biefem unglüdlihen Lande, jo jchilderte 
Friedrich den bisherigen rechtlojen Zuftand in einem Briefe an d’Alembert, habe 
ftatt jedes Geſetzes der Stärfere ungeftraft ben Schwachen unterdrüdt; aber das 
fei jegt gewejen. Fortan war niemand die Berufung von dem erjten Richter 
an einen höheren verfchränft. Weber den nad altländifhem Mufter eingerichteten 
Stadtgerichten, Domänenjuftizämtern und Patrimonialgerichten ftand das Oberhof— 
und Landesgericht zu Marienwerber, jeit 1773 „weitpreußijche Regierung” ges 
nannt; neben fie trat 1773 für den Netebiftrift das Hofgericht zu Bromberg. 
Die dritte Inſtanz bildete das Berliner Obertribunal, Für die materielle Recht: 
ſprechung erkannte die Inftruftion für die weitpreußifche Regierung vom 21. Sep: 
tember 1773 die alten ftatutarifchen Ortsrecdhte an, während das oftpreußiiche 
Landrecht von 1721, das Römiſche Recht und in gewiſſen Fällen aud das Corpus 
Juris Fridericianum von 1751 jubfidiäre Geltung haben jollten. Im Strafredt 
fanden die uns befannten menſchlichen Grundjäge des Königs Anwendung, ber 
„in criminalibus eher zu gelinde ala zu ſcharf“ erfannt wiſſen wollte. Und auf 
dem klaſſiſchen Boden der Unduldſamkeit und der Diffidentenverfolgungen galt 
nunmehr der Sat, daß ber Juftiz „ohne die mindefte Rüdficht auf die Religion“ 
ihr Lauf zu lafjen fei: „ohne daß nur gefragt wird, zu welder Religion die 
Parteien fich befennen“. 

Das Fehlen jeder Schule auf dem platten Lande bemerkte ber König 
gleich auf der Rundreife des Sommers von 1772 als eine der frembartigften 
Begleiterfcheinungen der polnischen Anarhie und Barbarei. Er erhob gegen 
die polniihen Evdelleute, die „Tyrannen“ ihres Vaterlandes, die Anklage, fie 


’) Bal. oben &. 410. 


Weftpreußen. 495 


hätten, um das Spiel ihrer Willtür defto weiter treiben zu können, das Volt 
abfihtlih in Unmifjenheit verfommen laflen. Erjt mit der Zeit, und nur durch 
eine befere Erziehung, würde man dahin gelangen, dieſe Jrofefen zu zivilifieren. 
Nah einem Bericht der Kammer, erfchien die Anftellung von zunächſt 211 Schul 
meiftern erforderlich, wenn „bie heranwachſende Landjugend“ nicht „gleich ihren 
Vätern aller Edufation und auch des notdürftigen Unterrichts” beraubt bleiben 
jolte. Der König ftiftete einen Schulfonds, deſſen Zinfen zu Lehrergehältern 
verwendet werden jollten; er wollte jeden Lehrer mit 60 Thalern an Bar: 
einfommen, Brennholz und mit einem Morgen Gartenland ausgeitattet wiſſen. 
Evangeliihe Schulmeifter mußte der Minifter Zeblig herbeiihaffen, der fie zu: 
meift dem halliihen Waifenhaus entnahm, deutſche Katholifen der ſchleſiſche 
Provinzialminifter, polnifhe der Bilhof von Ermland. Die Fürforge des 
Staates für den Volksunterricht galt zunächſt den Domanialdörfern; aber die 
Rittergüter mußten wohl oder übel dem Beifpiel folgen. Zu Ausgang des Jahr: 
bunderts, im dritten Jahrzehnt der deutihen Verwaltung, zählte man in Met: 
preußen mit Ausihluß des Netzelandes unter 750 Landſchulen 173 auf adlichen 
Gütern. In dem Bromberger Bezirk, der an dem mweitpreußifhen Schulfonds 
nit teilhatte, waren bis 1778 58 katholiſche und 177 evangeliiche Lehrer 
berufen worden; es fehlten damals noch 112 Katholifen, 43 Proteftanten. Auch 
in den Städten mußte fih das Schulweſen aus den armjeligiten Zuftänden 
emporarbeiten: die Stadt Bromberg war beim Verfall ihrer Kämmerei nicht im 
ftande, einen Lehrer für die evangeliihen Zuwanderer anzuftellen; man mußte 
die Hülfe des Königs anrufen. 

„Es war nur gerecht,” fchrieb Friedrih bald nad der Erwerbung von 
Weftpreußen an Voltaire, „daß ein Land, das einen Kopernifus hervorgebradht hat, 
nicht länger in der Barbarei jeglicher Art verfumpfte, in melde die Tyrannei 
der Gewalthaber es verjenkt hatte.” Bei der Belfigergreifung hatte er dem ver: 
wahrloften Lande verheißen, jo zu regieren, „daß die vernünftigen und wohl: 
denfenden Einwohner glüdlih und zufrieden fein könnten und feine Urſache 
haben würden, bie Veränderung zu bereuen.“ Der Erfolg hat jeine Bemühungen 
gelohnt, und an Dank hat es ihm in der neuen Provinz nicht gefehlt. „Fragen 
Sie die Leute, die an der Nee wohnen,” burfte General Zentulus 1773 zu 
einem Bertreter ber Stadt Danzig jagen, „und jehen Sie dann, wie glüdli 
und zufrieden diefelben find.” Die Aufgabe, vor der die preußifche Verwaltung 
itand, war ſchwer; ſchier unermeßlich, weil überall ſchlechterdings von vorn an: 
gefangen werden mußte. Aber fie wurde erleichtert durch das Fehlen derjenigen 
Gegentriebe, die fpäter in den ehemals polnijhen Landesteilen der Monarchie 
die Befeftigung des Staatsgedanfens und des Deutichtums gehemmt haben. 

Noch war nichts zu jpüren von einem ſolidariſchen Gegenjaß der polnischen 
Nationalität gegen die preußiiche Obrigkeit und die deutſche Mitbürgerfchaft. 
Gejhädigt fühlte fih nur der bisher herrjchende Stand, der in feiner Willkür— 
herrſchaft und in feiner Zudhtlofigfeit geftörte Adel, und ihm war mit feiner 
landſtändiſchen Verfaſſung die einzige Möglichkeit zu politiicher Oppofition ges 
nommen, wenn anders er in jeiner wirtjchaftlihen und fittliden Verkommenheit 
überhaupt noch politiide Regungen hatte. Der polniſche Bauer hatte bei dem 


496 Achtes Bud. Bierter Abjchnitt. 


Wechſel der Landesherrfchaft nur gewonnen; von einem polnifhen Bürgertum, 
einem polnifchen Handmwerkerftand, die beide fich in der Folge, dank der neuen 
Ordnung der Dinge, kräftig entwidelt haben, war wie gejagt nod nicht die 
Rede. Und vor allem bie Geiftlichkeit ftand entweder teilnahmlos beifeite, 
oder zeigte fi nad dem Vorgang der Landesbifchöfe ergeben und zuverläjfig. 
Aus der Ferne aber geihah nichts, um die Stimmung des polnischen Klerus 
gegen ben preußifchen Staat zu erregen. Die Kurie, damals von den katholiſchen 
Mächten hart bedrängt, bem König von Preußen aber, wie wir noch hören werden, 
dur mandherlei Gefälligkeiten zu Dank verpflichtet, enthielt ſich jeder Ein- 
mifhung in das Verhältnis zwiſchen diefem proteftantifhen Staate und feinen 
fatholifchen Unterthanen. So ftanden die weſtpreußiſchen Katholifen der neuen 
Herrſchaft ohne Eonfeffionelles Mißtrauen gegenüber, während alles, was 
evangeliich war, ihr warme Sympathien entgegentrug. 

Weſentlich fam ferner ber moralifhen Eroberung biefer Landſchaften ber 
Umftand zu gute, daß nah der Teilung von 1772 noch ein felbitändiges 
Polenreich fortbeftand, und daß ein einziger Blid über die Grenze in das alt: 
polnifhe Chaos hinein vollauf genügte, um die ungeheure Ueberlegenheit der 
deutſchen Kultur und die Segnungen einer feften Staatsordnung und Vermaltung 
erfennen zu laflen. Und endlih war der Umfang der neuen Provinz nicht jo 
groß, daß der deutſche Geſamtcharakter des Staates beeinträchtigt, oder daß die 
Verwaltung vor unmöglihe Ausgaben geftellt worden wäre, wie zwanzig Jahre 
fpäter nad den polnifhen Erwerbungen Frievrih Wilhelms II., dem weder 
geeignete Beamte für die Beſetzung der Behörden, noch Geldmittel für die Be— 
wirtihaftung des dem Fiskus mafjenhaft zufallenden Grunbeigentums in aus: 
reihendem Maße zur Verfügung ftanden. 

Für alles weitere jorgte eine weife Verbindung von Schonung und Strenge. 
König Friedrid hat feine Behörden bei Gelegenheit darauf bingewiefen, daß er 
gegen die katholiſche Geiftlichfeit mehr „Menagement* beobadten müffe, als die 
bem gleichen Belenntnis angehörige öfterreihifche Regierung. So wollte er 
überhaupt die Gefühle der neuen Unterthanen nicht verlegt fehen; ein Landrat 
im Negelande, der es ben abdelichen Kreisinfallen gegenüber an Takt fehlen 
ließ, wurde abgefegt. Auch wünſchte der König, daß feine deutihen Beamten 
zwiichen polnifher Bevölkerung der fremden Sprache mächtig jein follten. Nie 
aber durften Rüdfiht und Schonung zu Handlungen oder Unterlafjungen führen, 
die als Schwähe gedeutet werden fonnten. Dem Bromberger Kammerbireftor 
Ihärfte drum der König die goldene Negel ein: „So muß Er aud mit denen 
Polen feine Komplimente machen, denn dadurch werden fie noch mehr verborben, 
fondern Er muß ſcharf darauf achten, daß fie den Ordres gehörig nachleben.“ 

Die Politik des großen Königs im Weichſel- und Nepelande in ihrer 
Sicherheit und Stetigfeit, ihrem Selbitbemußtjein und ihrer Zuverfiht kenn— 
zeichnen die Worte eines feiner Gehülfen, des Generals Lentulus: „Was ge: 
macht wird, ift nicht auf kurze Zeit, ſondern auf die Jahrhunderte gemacht.“ 


Sünfter Abfchnitt. 


Sfaaftshaushalf und Beerivefen. 


———— 


und zumal an Einnahmen einen jo beträdtlihen Zuwachs, daß ber 

König ih endlih am Ziele eines lang gehegten Wunſches ſah. Er 
fonnte jein Heer bis zu der Zahl vermehren, die er ſchon 1752 als für bie 
Sicherheit der Landesgrenzen erforderlich bezeichnet hatte. 

Hinter den erften, allzu erwartungsvollen Anſchlägen blieben die finanziellen 
Erträge der neuen Provinz freilih nicht umerheblich zurüd, Friedrich hatte 
anfänglich auf eine Einnahme von 6 Millionen Thalern gehofft. In einem 
zweiten Ueberſchlage rechnete er bereits vorfichtiger auf nicht ganz 3" Million. 
Scließlih wurde in den Staatshaushaltsetat des Generaldireftoriums für 1775/76, 
den eriten, der die neuen Lande berüdfichtigte, die Einnahme von 1636595 Thalern 
für Weltpreußen einfchließlih des Netegebiets und von 140364 Thalern für das 
Ermland eingeftellt. Thatſächlich jchloß die Einnahmeredhnung bald etwas höher 
ab. Im Jahre 1779 durfte der Ertrag auf 2111000 angenommen werben, 

Die weitpreußifhe Einnahme des Rechnungsjahres 1775/76 ftand zum 
größeren Teil auf dem Etat ber Generaldomänenfafje, mit 922354 Thalern, 
von denen nur wenig über ein Zehntel (96060 Thaler) für die Zwecke der 
laufenden Verwaltung in der Provinz verblieb. Als Einnahme der General: 
friegsfaffe aus Weftpreußen wurden 714240 Thaler eingeftellt; davon wurden 
für den Unterhalt der in die Provinz gelegten neu errichteten Regimenter 
365514 angemwiefen. Wenn nun auch für diefe Truppen aus der General: 
friegsfafje unter einem anderen Titel noch weitere 133682 Thaler gezahlt 
wurden, fo belief fih doch nad dem Etat die reine Einnahme der beiden großen 
Staatshauptlaffen aus Weftpreußen auf 1041339 Thaler. Sofort konnten 
400000 Thaler von der weftpreußiihen Einnahme bei der Generaldomänen: 
kaſſe der Dispofition des Königs vorbehalten bleiben, ſei e& zur Ueberführung 
in den Staatsſchatz, fei es für gemeinnügige Unternehmungen oder zur Beftrei- 
tung außerordentlicher militärischer Ausgaben. Ein großer Teil der Aufmwen- 

Rofer, König Friedrich der Große. U. 2. Aufl. 32 


I: Erwerbung von Weftpreußen bradte dem Staate an Bevölkerung 


498 Adtes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


dungen, die für das Netablifjement der neuen Provinz gemacht wurden, ift ſo— 
mit aus ihren eigenen Mitteln gededt worden. So viel vermochte eine georbnete, 
ſparſame und reinlihe Haushaltung ſchon in ihren erften Anfängen zu leiften. 

In dem genannten Rednungsjahre betrug die etatsmäßige Bruttoeinnahme 
der Generaldomänenfafle 8095661 Thaler, die der Generalfriegstafje, ohne den 
Zuſchuß aus jener, 4992145, die Einnahme der jchlefiichen Provinzialfafje etwas 
über 31. Million. Zu diejer Gejamteinnahme von rund 16’, Million — von 
einigen anderen in bie Etats der Finanzbehörden nicht aufgenommenen Einkünften ab: 
gefehen — trug alfo Weitpreußen mit feinen 184 Millionen mehr als ein Zehntel bei. 

Auch dadurch gewann der König für feinen Staatshaushalt größere Be: 
mwegungsfreiheit, daß gleichzeitig mit der Erſchließung der mweftpreußifchen Ein: 
nahmequelle der Staatsihag eine vorerit als ausreihend betrachtete Höhe er: 
reichte. 

Beim Friedensihluß hatte der König von den großen Summen, die für 
die Fortfegung des Krieges bereit lagen,!) nad Abtragung ber Kriegsanleihe 
und nad Aufwendung von 7"; Million für die Neueinkleidung der Truppen 
und für die Ergänzung der Artillerie und bes Fuhrweſens nicht weniger als 
14158880 Thaler dem Schatz überwieſen. Doch mußte einftweilen dieſe Metall: 
mafje zum großen Teile in den während des Krieges ausgeprägten unterwertigen 
Münzen hinterlegt werden. Alljährli wurde nun ein Teil diefer ſchlechten Münze 
zur Umjchmelzung herausgezogen und durch gutes Gold erjeht; infolgedeſſen ſtieg 
der Nennwert des Schakgeldes nicht fo ſchnell, als dies im Verhältnis zu der 
wirklichen Zufuhr hätte geſchehen müſſen. Ende Mai 1769, beim Abſchluß der 
Jahresrechnung, lagen im Trefor 19157203 Thaler, darunter noch faft 6 Mil- 
lionen in geringen Sorten. 1770 war ber Schag um 224000 Thaler geftiegen, 
der Vorrat an ſchlechter Münze um 2 Millionen verringert. 1771 war fein 
mindermwertiges Geld mehr vorhanden, die Gefamtziffer aber nad) diejer Aus- 
ftoßung um 960000 Thaler zurüdgegangen. 1772 um ein Geringes vermehrt, 
hatte der Schat im folgenden Jahr nach einem nochmaligen Kleinen Zuwachs die 
Summe von 19249920 Thalern erreiht. Auf diefer Höhe ließ ihn nun ber 
König zunächft ftehen, nachdem er 1768 in feinem zweiten politifchen Teftament, 
wie jhon in dem erften von 1752,?) 20 Millionen als die Summe genannt 
hatte, welcher der Treſor zuguftreben habe. 

Außerdem ift der kleine Scha, der Mobilmahungsfonds, defien erfte Aus- 
jtattung von 640000 Thalern ſofort ausſchließlich in vollwertigem Golde beitand, 
von 1763 bis 1776 auf 4266863 Thaler gebracht worden. 

Nah Erfüllung feines Sparprogramms ftand der König jegt vor der Frage, 
wie er die im Verhältnis zu dem Gefamteinfommen des Staats jehr erheblichen 
jährlihen Weberichüffe verwenden, db. h., wie er das Ertraordinarium des Staats: 
haushalts künftig regeln follte. 

Verfügbar waren in erfter Linie 1800000 jährliche Treforgelder, nämlich 
je 700000 aus den alten Provinzen und aus Schlefien,?) und jene 400 000 


) Oben ©. 353. 
) Dal. Bb. I, 387. 
°») Bd. I, 385. 


Staatöhaushalt und Heermejen. 499 


aus Weftpreußen. Dazu gewiſſe Einnahmen, die dem Dispofitionsfonds unmit- 
telbar aus den Domänenkaſſen einzelner Provinzen zugingen. 50000 aus dem 
Königsberger und dem litauifchen Kammerbezirt, 21000 aus den Marten, 
100000 aus Oftiriesland. Weiter die in der Forft: und ber Domänen: 
verwaltung über den Etat hinaus erzielten Einnahmen, die im Jahr vor dem 
legten Kriege 705000 Thaler betragen hatten und jet im Frieden noch fliegen; 
der Ertrag des Magdeburger Tranfito:Jmpofts,?) der nad) dem Rückgang von 1766 
fih bis 1786 wieder auf 102454 Thaler hob. Endlich die Ueberſchüſſe der nad) 
dem Kriege neu eingerichteten, den alten Finanzfollegien entzogenen Verwaltungen: 
Regie, Tabafsadminiftration, Bank, Lotterie, Poſt.)) Der König hat 1779 die feit 
1763 neu erfchlofjenen Einnahmequellen, abgejehen von den weitpreußifchen Ein= 
fünften, auf faft 3 Millionen berechnet und die für das Ertraordinarium ver: 
fügbaren Ueberſchüſſe 1768 auf 4700000 Thaler, 1777 auf 5700000, 1783 auf 
7120000 — bei einer Staatseinnahme von nunmehr 21730000 Thalern. 

Abrechnungen diejes großen, jeder Aufficht der Finanzbehörden und jeder 
Kontrolle der Oberrehenfammer entrüdten Dispofitionsfonds find uns nicht er— 
halten. Aber für ein einzelnes Jahr, 1774, liegt der ſchon erwähnte?) eigen: 
händige Anjchlag des Königs über die „Depense* vor, die er aus dieſen Ueber: 
jhußgeldern zu deden gedachte. Da erfcheinen 600000 Thaler für den Nebe: 
fanal,*) weiter 40000 Thaler Entihädigung für die Inhaber der polnifchen 
Starofteigüter,’) 340000 für Meliorationen am Rhyn, in Pommern, der Neu: 
mark, im Magdeburgiihen; 56000 für die fhlefifhen Städte, 80000 für bie 
Anlage von 30 Dörfern in Oberjchlefien; 40000 an die Stadt Königsberg für 
Brandihaden; je 200000 für Berlin und Potsdam, wohl befonders für Fabriken 
und fonftige Bauten, außerdem 160000 für den Bau der Berliner Bibliothek. 
Militärifhen Zwecken jollten dienen: 300000 Thaler für die jchlefifhen, 200000 
für die weitpreußifchen Feitungen, 230000 für Kafernen, 170000 für Verände- 
rung der Infanteriegewehre, 140000 für die Artillerie. Endlich 480000 Thaler 
für die Subfidienzahlung an Rußland.) Danad betrug in diefem Jahre das 
Ertraordinarium für Aufgaben der Landeskultur 1716000, der Zuihuß für 
die Heeresverwaltung (einjchlieglid der als Ablöfung für Hülfstruppen bezahlten 
Subfidien) 1520000 Thaler. Der Zufammenftellungen für die vier leßten 
Regierungsjahre, die der Minifter Herkberg über die zum beiten der Landwirtſchaft 
und Induſtrie und für die Landeswohlfahrt insgemein aufgewandten Gelder 
veröffentlicht hat, wurde in anderem Zufammenhang ’) ſchon gedacht. 

Ein Bergleih jener Ziffern mit der Gejomthöhe des jährlichen Weber- 
jchuffes läßt erjehen, daß der König auch nad Erfüllung feines urjprünglihen 
Programms mit Thejaurieren fortfuhr. Der Chat war gefüllt, nun aber wurde 


) Oben ©, 389. 408. 

) Oben ©, 358. 385--392. 

) Dben ©. 363. Dort ift 3.13 v. u. zu lefen ftatt 1976000: 1716000. 
) Dben S. 485. 

5) Oben ©. 488. 

°) Dben ©. 455. 

’) Oben ©. 363. 


500 Achtes Bud. Fünfter Abfchnitt. 


ein Anbau nad dem andern angefügt. Zu dem Trefor und dem fleinen Trefor 
traten brei Nebenabteilungen, zulegt noch eine vierte. 

Ein Schatzdepot zu Breslau, im Keller unter ber „Kriegskaſſe“, das der 
König 1770 anzufammeln befahl, wurbe bis 1774 auf 3269000 Thaler ge 
bradt, die Jahresquote für die fyeldverpflegung eines in Sclefien mobil zu 
madenden Heeres von 70000 Mann. Einen entipredenden Geldvorrat für 
ein an ber Elbe zu verjammelndes Armeecorps ftellten die jogenannten Magde: 
burgifchen Fouragegelder dar, 1776 mit 900000 Thaler bei der Bank niedergelegt. 
Ein eijerner Beitand bei der Generalfriegsfafe war beftimmt, die rechtzeitige 
Auszahlung des Soldes im Kriege fiher zu ftellen; vor 1756 nur auf 680000 
Thaler bemeiien, den Betrag einer einmaligen Monatslöhnung, ') zählte er 
1777 ſchon 4 Millionen, und der König beabfidhtigte, ihn binnen drei Jahren 
auf 11 Millionen zu bringen. Endlich verfügte er, erft im legten Regierungs— 
jahre, daß über weitere Zugänge des Trejors befondere Rechnung „unter dem 
Titel von Subfidiengeldern” geführt werden follte, und ftattete diefes neue Konto 
alsbald mit 3 Millionen aus, 

Das fortgejegte Thejaurieren hatte feine guten Gründe. Der König be: 
rechnete nad) dem legten Kriege die Koften eines Feldzugs auf 11 bis 12 Mil- 
lionen, außer den Summen, die ſchon zur Friedenszeit für das Heer angemwiejen 
waren. Hatte er früher gemeint, nur für vier Feldzüge Vorjorge treffen zu 
müſſen, fo bielt er es nad) einem fiebenjährigen Kriege für geraten, fih auf 
acht Kriegsjahre einzurichten. Jm Jahre 1768, als der Schaf nur auf den 
Fuß von 20 Millionen zugeichnitten war, ſah ſich Friedrich jomit genötigt, 
wieder mit einer Beichlagnahme des Nachbarlandes, mit den Hülfsmitteln 
Sadjens ?) zu rechnen: 5 Millionen aus Sadjen, 4700000 Thaler an Ueber: 
Ihuß aus den eigenen Staatseinnahmen, die Treforguanta mitgerechnet, und 
2300000 aus dem Staatsihat ergaben den Jahresbedarf von 12 Millionen. 

Noch 1776 glaubte er, im Kriegsfall des ſächſiſchen Zuſchuſſes nicht ent: 
raten zu können. Zu Grunde gelegt wurde der Rechnung diesmal — denn 
neue Anſchläge ließen eine Erjparnis möglich erjcheinen — die Jahresſumme 
von 11 Milionen. Der Ueberihuß der laufenden Einnahme, auf 5700000 
Thaler berechnet, bedurfte aljo, um diefe Summe zu deden, noch der Ergänzung 
durh 5300000. Verfügbar waren damals an Erjparnifjen, außer den Mobil: 
madungsgelvdern, 19300000 im Staatsſchatz, 3200000 in der Breslauer Schat: 
niederlage, 900000 Magdeburger Fouragegelder, 4 Millionen als Vorrat der 
Generaltriegstafje; insgefamt 27400000 Thaler. Eine Summe, die um jene 
5300000 Thaler jährlich gekürzt, in fünf Feldzügen erihöpft war, ja voraus: 
fihtlih jchon in vier, da in Kriegsläuften ein Ausfall in der ordentlichen 
Staatseinnahme und mithin ein Rüdgang des Jahresüberſchuſſes vorausgejegt 
werden mußte. Und darum Ienften fih die Blide des königlichen Feldherrn 
und Staatswirtes, der für die doppelte Zeit mit feinem Schatze reihen wollte, 
auch damals wieder nad) Sadjen. 


) Bel. Bd. 1, 356. 
2) Bol. oben ©. 441. 


Staatöhaushalt und Heerweien. 501 


Nun ſollte es ſich fügen, daß in Friedrichs letztem Kriege die Sachſen 
nicht gegen ihn, ſondern an ſeiner Seite fochten, Geld alſo ihm aus dieſer 
Quelle nicht zufloß. Und ſo geſchah es, daß er bei ſeinen weiteren finanziellen 
Voranſchlägen Sachſen ganz außer Betracht ließ. Der eine Feldzug von 1778 
und die Vorbereitung zu einem zweiten haben 17 Millionen erfordert; danach 
ſchien es zunächſt genügend, in Zukunft 12 Millionen für jeden Feldzug anzu: 
jegen. Ein 1784 entftandener Anſchlag geht davon aus, daß der Jahresüber: 
fhuß von 7120000 Thalern fih zu Kriegszeiten auf 6 Millionen ermäßigen 
wird; die dann für die Feldzugsfoften noch fehlenden andern 6 Millionen will 
der König drei Jahre hindurch aus den bei ben Zweigniederlagen des Staats: 
ſchatzes aufgeftapelten Geldern und für brei weitere Jahre aus dem alten 
Trejor deden. In einem Anſchlag von 1786 wurden bie Koften eines Feldzugs 
reichlicher zu 14856259 Thaler angenommen. 

Zu Ende diefer Regierung lagen bei einer Yahreseinnahme von nicht 
ganz 22 Millionen im alten Trejor 22638339 Thaler, einſchließlich 3 Millionen 
„Subfidiengelder”; im fleinen für die Mobilmahung 4454411; im fchlefifchen 
Schat 9330000; an Magdeburger Fyouragegeldern 8800000 bei ber Banl, die 
damit (jeit 1785) das ihr bei ihrer Gründung in Ausficht geftellte Depofitum!) 
in voller Höhe erhalten hatte; bei der Generaltriegsfaffe als eiferner Beſtand 
6052250 Thaler. Im ganzen 51302010 Thaler, ftatt der rund 10 Millionen, 
die König Friedrih von feinem Vater überfommen hatte. 


Für den Unterhalt des Heeres in Friedenszeiten blieben in herkömmlicher 
Weife die Erträge der Steuerverwaltung und das fogenannte Adjutum ber 
Generaldomänenfafje beftimmt. Dieſer Zufhuß ift zwifchen 1740 und 1786 
von 1’, Million auf das Doppelte geftiegen. Das Friedensbudget des Heeres 
hatte 1740 nicht ganz 57% Million, im legten Rechnungsjahr vor dem Sieben: 
jährigen Krieg 8300000 Thaler betragen; nah dem Krieg hat es fi bis 
zum Ausgang Frievrihs II. von 9 Millionen auf mehr ale 127; Million 
vermehrt; doch blieb diefe Steigerung von 1740 bis 1786 Hinter dem Wachs— 
tum ber inzwifchen faft um bas Dreifache vermehrten Staatseinnahme erheb- 
lich zurüd. 

Das Heer war im Augenblide des Friedensichluffes nahezu vollzählig ge— 
wejen. Friedrich hat damals gejagt, daß er für einen neuen Feldzug 219000 
Mann, darunter 183000 Feldjoldaten, in Bereitichaft gehalten habe. Nach 
Auflöfung von 8 Garnifonbataillonen, aller während des Krieges errichteten 
Freiiharen, Refrutenbataillone und Landmilizen und der legten Reſte der ehe: 
mals jähfiihen Truppen?) und nad Zurüdführung der alten Regimenter?) un- 
gefähr auf die vor dem Kriege ihnen vorgejchriebenen Stärken zählte das Heer 


!) Bl. oben ©. 358, 
) Bal. oben ©. 35. 63. 170. 
) Bol. oben ©. 354. 


502 Achtes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


nad dem Friedensihluß wieder wie beim Ausbruch der Feindfeligfeiten!) etwas 
über 150000 Dann. 

Die Verringerung der Truppenzahl wurde nicht nur durch finanzielle Er- 
mwägungen, fondern vor allem dur den NRüdgang ber Bevölferung geboten. 
Den Kantons mußte Zeit gelaffen werden, fi nad der ftarfen Aushebung ber 
legten Sabre, in denen man die Bauernburfhen noch als halbe Kinder den 
Nekrutenbataillonen eingereiht hatte, zu erholen. Der König traf die Anordnung, 
daß nicht mehr als 70000 Landesfinder im Heere dienen follten. Mit dem 
Ueberſchuß über diefe Zahl blieben die Kantons in äußerften Kriegsnöten eine 
legte Hilfsquelle für das Heer, die Friedrih „wie einen Augapfel” hüten zu 
mwollen erklärte. Bei der ftarfen Vermehrung ber Bevölkerung in ben erften 
Friedensjahren?) war die Gejamtziffer der „Enrollierten“, der für den Heer- 
dienft vorgemerften waffenfähigen Jugend, bereits 1773 beträchtlich größer als 
1756, bie weftpreußifchen Kantons ungerechnet. 

Schon vor der Erwerbung von Weitpreußen war ber König 1768 beim 
Ausbruch des ruflifch-türkiichen Krieges zu einer erften neuen Heeresvermehrung, 
im Umfang eines Zehntaufends, gejchritten: zwölf märkiſche Musfetierregimenter 
wurden um 40 Köpfe auf die Compagnie, die Hufaren um 300 Mann auf das 
Regiment vermehrt, und Schleſien erhielt ein neues Feldbataillon. Es folgte 
dann 1772 die Aufftellung von 5 weitpreußifchen Musfetierregimentern, 4 neuen 
Bataillonen bei den oftpreußiihen Garnifontruppen, einem Huſarenregiment, 
2 Bataillonen Artillerie; zugleich wurden bei 36 alten Snfanterieregimentern 
die Compagnien um je 20 Mann verftärft. 

Das Heer hatte mit diefer Vermehrung die Stärke von 186000 Dann 
erreicht und zählte jegt 110 Bataillone Feldinfanterie, deren Grenadiercompagnieen 
im Kriege zu 25 gefonderten Bataillonen zufammenzutreten hatten, 7 ftändige 
Grenadierbataillone, 1 Bataillon Fußjäger, 36 Garnifonbataillone, 63 Schwa— 
dronen an Küraffieren, 70 an Dragonern, 90 an Huſaren, 10 an Bosniafen, 
eine an reitenden Jägern, 8 Bataillone Feldartillerie, 11 Compagnien Feitungs: 
artillerie. Für den Kriegsfall wurde vorgefehen die Anwerbung von 23 frei: 
bataillonen in der Stärfe von 18768 Mann, die Erridtung von 5 Schwadronen 
Dragonern und von 2 Garnifonbataillonen und eine Verftärfung ber Cadres bei 
der Kavallerie und ben Feldbataillonen. Ein 1772 bis ins einzelne ausgeführter 
Mobilmahungsplan fegte die „Summe der ganzen Force” mit 226777 Köpfen an, 
die zum Ausmarſch beftimmten Feldtruppen mit 197256; dazu follten 3832 Mann 
an Landmilizen zufammengezogen werben. 


Der preußiiche Soldat jener Zeiten war nidht mehr der miles invictus, 
als den ihn nad dem zweiten ſchleſiſchen Kriege fein Kriegsherr gepriefen hatte, *) 
aber e8 galt auch von ihm, daß er nur in Echladhten, nicht im Kriege über: 
wunden ſei: proeliis ambiguus, bello non victus. Und nit nur hoben 


ij Oben ©. 14. 
) Oben ©. 372. 
», Bd. 1, 544. 


Staatshaushalt und Heermejen. 303 


Ruhm, auch Popularität hatte fih der Soldat erworben, bei groß und bei 
Hein. Das bezeugte ber bamals durd den Siebenjährigen Krieg herbeigeführte 
Aufſchwung einer feither in Flor gebliebenen Nürnberger Jnduftrie: das Völklein 
der Kinderftuben fannte jegt fein jchöneres Spielzeug als die Bleifoldaten. Die 
Erwachſenen aber konnten fih im Schaufpiel nicht fatt ſehen an ben martia- 
liſchen Geftalten, die Lejfing und feine Nahahmer über die Bretter gehen ließen. 
Minna von Barnhelm, nach Goethes Urteil „die wahrfte Ausgeburt des Sieben: 
jährigen Krieges, von volllommen norbdeutihem Nationalgehalt”, ift ein unver: 
gleichlihes Denkmal für das damalige preußiiche Heer geblieben, welches auch 
darin fein „Soldatenglüd“ bewährte, daß es dieſen Herold fand. Leſſing hatte 
als Sefretär des heldenmütigen Generals Tauengien!) in Breslau und in den 
Belagerungslinien vor Schweibnig den Geift des preußiihen Dffiziercorps 
fennen und ſchätzen gelernt, aus dem früher einer der beiten ihm als Freund 
nahe getreten war. Die Züge Ewalds von Kleift lieh er feinem Tellheim, biefer 
Verkörperung ber preußifhen Dffiziersehre. Die Soldatentypen ber „Minna” 
waren aus dem Leben gegriffen und, wenn auch verklärt, jo doch ohne jede 
Uebertreibung gezeihnet. Als gute alte Bekannte begrüßte ein Recenſent den 
fadgroben und pudelhaft anhänglihen Packknecht Juſt und den „Luftigen, jpaß: 
haften, ehrlichen” Wachtmeifter Paul Werner, der, nahdem er lange vergebens 
gehofft, „es follte hier wieder losgehen,” Gott preift, daß noch irgendwo in ber 
Welt Krieg ift. Die Kameraden, welche die nun beginnende „Mobilmahung ber 
Armee für das Theater” einem Tellheim und feinen Getreuen zuführte, reichten‘ 
an die großen Vorbilder nicht heran, den Schaufpielern aber galten die Uniform: 
rollen ohne Unterſchied als danfbar, denn das Parterre hatte nun einmal feine 
Freude dran. 

Einem aber war bie rechte Freude an dieſem gefeierten Preußenheer jeßt 
verborben: dem Föniglihen Anführer. Das Werkzeug jeines Feldherrnruhms 
hatte ihm nicht genug gethan. Er zürnte mit dem Heere, und gar mander im 
Heere zürnte ihm. 

Es galt nad) der Heimkehr in die Friedensquartiere, die aus Rand und 
Band gelommenen, nad jedem Feldzug notbürftig immer von neuem zufammen: 
geftoppelten, ſchlecht ausgebildeten und noch ſchlechter erzogenen Regimenter 
und ihre gelichteten, mit mancherlei zmweifelhaftem Nachwuchs durchfegten, durch: 
aus nicht mehr homogenen DOffiziercorps wieder auf bie alte Höhe zu bringen. 
Da griff nun der König zu Abmweihungen von dem alten Herfommen, die zumal 
unter den Offizieren große Verſtimmung hervorriefen, teilweije geradezu als 
Strafen empfunden wurden und bis zu gewiſſem Grade in der That als jolche 
gedacht waren. Mit unverkennbarer Jronie fehrieb der Herzog von Bevern, der 
Held von Lobofig und Reichenbach, in feinem Verfud zu einer Armeegeſchichte: 
Da die Armee gegen die ganze öfterreihiiche, ruſſiſche, ſchwediſche und einen 
großen Teil der teutichen Reiche: und franzöfifhen Macht ſich aufrecht erhalten, 
fo habe das Publikum und der Vulgaire geglaubt, des Königs Majeftät würde 
von den pflichtſchuldigſt geleifteten Dienften zufrieden fein: „allein Dero jharf: 


!) Oben ©. 260. 


504 Achtes Bud. Fünfter Abfchnitt. 


fichtiges Auge hatte jo weit burchgeichaut und befunden, daß nur wenige Per: 
fonen und Regimenter das Gute, was im Laufe des Krieges geichehen, allein 
zu Wege gebradt, das Widrige hingegen von bem größten Ueberreſt berer 
anderen verurſacht worden, folglich nur wenige Belohnungen verdienten.” So 
famen die Klagen und Anflagen auf und gingen von Mund zu Munde, bie 
fpäter in den Schriften einer jüngeren, während des Siebenjährigen Kriegs her: 
angewachſenen Generation preußifcher Offiziere einen Niederſchlag gefunden 
haben in ben „Briefen“ eines Kaltenborn, den „Betradtungen” eines Beren- 
borft: daß Chefs und Kommandeure allzeit in Gefahr geſchwebt hätten, aus 
geringfügigem Anlaß, aus Laune mweggejagt zu werden; daß der König bie 
Revue allemal ſchon bei fih gehalten, ehe er einen Mann von den Truppen 
ſah, daß das Schidjal eines jeden Regiments ſchon in dem Augenblid feſt— 
geftanden habe, da der König in Potsdam in den Wagen ftieg; dat Mut und 
Geift und innerer Wert in der Armee ohne gejunde Pflege geblieben feien; 
daß Friedrich feinen prächtigen Schlachthengſt nah und nad jo kurz und ſcharf 
aufgejegt habe, bis der zulegt nicht mehr gewußt habe, wie er treten oder 
gehen jolle. 

Noch während in Hubertusburg über den Frieden verhandelt wurbe, teilte 
ber König bas Heer in eine Anzahl Inſpektionen ein, provinzweife und in den 
Provinzen nad den beiden Hauptwaffen; die Artillerie blieb außerhalb dieſer 
Gliederung. Es war ber erfte Schritt zu der jpäteren Corpseinteilung; bie 
Inſpektionen wurden die Vorläufer der heutigen Generalflommandos. Die In— 
Ipeftoren jollten verantwortlich fein für die Ausführung der Verordnungen, für 
die Gleihmäßigfeit der Disziplin und der Ausbildung bei den verjchiedenen 
Negimentern, für die Einhaltung der richtigen Mitte zwischen Milde und Strenge 
bei den Kommanbeuren, für die Haltung der Offiziere, für die Ordnung beim 
Aushebungsgefhäft. Sie hatten Vorjchläge für Auszeihnungen und für das 
Avancement zu madhen. Der von dem Könige für die Neuerung uns angegebene 
Grund it einfah und durchſchlagend: die Unmöglichkeit, auf alles mit eigenen 
Augen zu achten. Die Mafregel ſprach für fich felbft, aber fie wirkte peinlich 
und gehäffig vor allem dadurch, daß der König bei der Wahl der Inſpekteure 
fih nicht an die Ranglifte hielt und zwar in Schlefien einem Seyblig bei der 
Kavallerie und einem Tauengien beim Fußvolk das neue Amt übertrug, in ben 
anderen Provinzen aber vorwiegend jüngere Generalmajore zu feinen Vertretern 
beftellte. Der raue Namin an der Spige ber Berliner Inſpektion wurde von 
dem Könige ebenjo geſchätzt und gefliffentlih ausgezeichnet, wie im Heere als 
„eigentlich in das Zeitalter der Hunnen und Vandalen gehörig” gehabt. Einem 
Hintermann ſich unterzuorbnen, fam ben im Rang oder im Dienftalter höher 
ftehenden Regimentschefs um fo härter an, als ihre bisherige Stellung, in der 
fie unter niemand als dem Könige geftanden hatten, durch die neue Ordnung 
der Dinge ohnehin wejentlih an Bedeutung, Anfehen und Einfluß verlor. Es 
verfiel und verfchwand, wie damals ganz richtig bemerkt worden ift, die patriar- 
chaliſche Verfafjung bes altpreußifchen Heeres, nad) der bei jedem Regiment „ber 
General gleihfam ben Emir des Stammes und die elf anderen Compagnie: 
inhaber die erften Vorfteher der Hefte bezeichneten”. Der Herzog von Bevern 


Stantähauähalt und Heerwefen. 505 


in Stettin, ber als einer der älteſten Generale von der Infanterie den General: 
major Steinteller zum Inſpekteur erhielt, urteilte bitter, daß den Chefs und 
Kapitänen faft nichts übrig geblieben fei, ala Gehilfen der Inſpekteure zu fein 
und für die Anſchaffung der Heinen Monturftüde zu forgen. Das Miplichite 
war, daß die Inſpekteure ſelbſt Negimentsinhaber blieben und dadurch, wie 
wieder Bevern Flagte, in die Lage kamen, ihr eigenes Regiment „nad Belieben 
zu favorifieren”. 

In ungleich weitere Kreife wurde die Unzufriedenheit hineingetragen durch 
eine zweite Neuerung : die Reform der Compagniewirtſchaft; denn damit wurde 
den darbenden Subalternoffizieren die ermutigende Ausficht auf dereinflige aus: 
kömmliche Verforgung abgejchnitten. Wir erinnern uns, daß bisher der Com: 
pagniechef die Löhnung für die im Frieden jährlih auf neun bis zehn Monate 
beurlaubten Landeskinder einbehielt, aus diefer Erjparnis die Koften der aus: 
ländifhen Werbung beftritt und noch einen Ueberfhuß für ſich perſönlich zurück— 
legte.) Bon nun an übernahm der König die Werbegelder auf eine Zentral: 
faffe, zu ber der eriparte Sold der Urlauber bis auf einen geringen, bem 
Compagniehef vorbehaltenen Betrag eingezogen wurde. Zunächſt aus Sparſam— 
feitsrüdfichten eingeführt, erhielt diefe Immälzung, von der materiellen Schäbi- 
gung ber Kapitäne abgejehen, daburd noch einen verlegenden Stadel, daß 
einige Regimenter in Anerkennung ihrer vorzüglihen Haltung vor dem Feinde 
auf dem alten Fuße weiterwirtfhaften durften. Ya, auch unter fi wurden 
bie deflaffierten Regimenter nicht nad gleihem Maße gemeſſen: bier war der 
dem Kapitän belaffene Bruchteil feiner alten Nebeneinkünfte größer, dort geringer, 
je nachdem das Regiment in Bezug auf fein Wohlverhalten höher oder niedriger 
eingefhägt wurde. Zu der Scheidung zwiſchen Garde und Linie und zwifchen 
Feldregimentern und Garnifonen war jegt aljo noch dieſe Abftufung ber Feld: 
regimenter unter ſich nad Betragen und Leiftungen getreten. Das leuchtende 
Prinzip der gleihartigen Standesehre und des gleichen perſönlichen Wertes, auf 
welches das preußifche Dffiziercorps gegründet war, wurde durch die Verfegung 
ganzer Regimenter in eine nievere Konduitenklaffe verbunfelt. 

Die ſchlimmſte Folge aber war, daß die Verkürzung feiner Einnahme 
manden Hauptmann, der fi ſchadlos halten wollte, zu Unterjchleifen verleitete 
und ihn nad dem Vorgange der räuberijchen Unternehmeroffiziere des fiebzehnten 
Sahrhunderts die Lite feiner Dienftthuer fälfhen ließ. Mit Berufung auf 
„bäufige Denunziationen und bie befremblihe Menge ſchmutziger Prozefje bei 
verjhiedenen Regimentern” hat nad) dem Thronwechfel von 1786 ein Rundbefehl 
des Nachfolgers mit jcharfen Worten es gerügt, daß durch Männer von Ehre 
um jchnöden Gemwinnftes willen die Wahrheit aus den Liften verbannt werbe. 

Und doch hatten Friedrih Wilhelm I. und Friedrid II. unausgejegt daran 
gearbeitet, ihrem Dffiziercorps die peinlichite Ehrenhaftigfeit einzuimpfen; glaubte 
ja Friedrich als defto feiteres Pfand für adelihe Gefinnung von feinen Dffizieren 
abelihe Geburt fordern zu müfjen.?) Friedrih Wilhelm I. ließ die Bürgerlichen 


) Bd. I, 537. 538. 
2) Bd. I, 530 ff. 


906 Adtes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


zwar zu Leutnants, aber nicht zu Kapitänen aufiteigen; ber jpätere General 
Stollhofen, eines Predigers Sohn, mußte bis zu dem Thronwechſel von 1740 
warten, ehe er als Roturier Stabefapitän wurde. Friedrich hat dann der Regel 
nad alte Unteroffiziere überhaupt nicht mehr ins Dffiziercorps aufgenommen, 
denn im wejentlihen nur aus ſolchen waren die bürgerlihen Zeutnants feines 
Vaters hervorgegangen, da die Söhne des gebildeten Bürgerftandes dem Heere 
no fernblieben. Nun aber waren während bes langen Strieges zahlreiche 
Bürgerlihe aus guten Häufern freiwillig in das Heer eingetreten, Stubenten 
von den Landesuniverfitäten und Gymnafiaften; hat doch damals das Kölnische 
Gymnafium in Berlin mehrere Jahre hindurd Feine Prima gehabt. Dieje 
bürgerlichen Landeskinder hatten das filberne Portepee erworben, wie gleichzeitig 
die hergelaufenen Abenteurer, die ben Dffiziercorps der Freibataillone ihren Ruf 
verdarben. Nach dem Friedensſchluß verwarf der König fie alle, die Gerechten 
mit den Ungeredten. Die anrüdigen Subjefte wurden entlaffen, wer einwande- 
frei und braudbar war, wurde bei einem Garnifonregiment untergebradt. 
Fünf Jahre nah dem Kriege waren bei ben fFeldregimentern ber Inſpektion 
bes Generals Möllendorff nur noch vier unadeliche Offiziere, und auch fie beab- 
fihtigte der König zu verfegen. Nicht mit Unredht haben die davon Betroffenen 
dies Verfahren graufam genannt; bier wurden wieder viele brave Soldatenherzen 
mit Bitterfeit erfüllt, und mit ben gefränften Opfern murrte jeßt das ganze 
Bürgertum. 

Bald trat ein Rüdjchlag ein. Der Nachwuchs aus dem Adel dedte nicht 
mehr den Bedarf. Nicht jeder Sohn des Landedelmanns hatte Luft zu dienen; 
eine Erbſchaft, eine vorteilhafte Heirat beftimmten manden jungen Offizier, des 
Königs Rod wieder auszuziehen; der Jahrzehnte hindurch ftolz verachtete Zivil: 
ftand begann im Anfehen wieder zu fteigen. Andererjeits ſah der König jehr 
reiche und fehr vornehme Edelleute bei feinen Regimentern nicht gern. Berenhorft 
hat von feiner „Soiofynkrafie gegen Grafen“ geiproden, und zumal die Söhne 
ber fchlefiihen Magnaten ſah Frievrih mit Mißtrauen fommen, weil ihrer viele 
jchnell wieder gegangen waren. Ja 1783 eröffnete er feinem gräflichen Hof: 
marſchall, daß er ſchon Befehl gegeben habe, feine Grafen in der Armee anzu: 
nehmen: „unge Grafen, die nichts lernen, find Ignoranten in allen Ländern. 
Im Falle nun einmal ein Wunder gejhehen und aus einem Grafen etwas 
werden jollte, fo muß er fih auf Titel und Geburt nichts einbilden, denn diefes 
find nur Narrenspofjen, jondern es fommt nur allezeit auf jein merite personnel 
an.” Aud von den Söhnen feiner Generale, feiner Minifter hat er wohl gejagt, 
bie Leute jeien zu reich unb wollten nur einige Jahre zum Spaß dienen. Und 
als General Tauenkien einen Sohn bei den Gendarmen eintreten lafjen wollte, 
entgegnete ihm ber König, er jehe es nicht gern, wenn die vornehmen Leute 
alle unter bie Gendarmen gehen wollten; nach zwei oder brei Dienftjahren würden 
dann Bruftichmerzen, blödes Geſicht oder Bruchſchaden vorgefhügt: „jo habens 
20 vornehme Leute bei die Gensdarms gemacht, ih will Officiers und feine 
Durdläufer dabei haben.“ 

Um Rat gegen den ſchon fühlbar werdenden Dffiziersmangel zu jchaffen, 
wurden 1779 die Regimenter allgemein darauf hingewiefen, daß fie aus fremden 


Staatähaushalt und Heermweien. 507 


Landen Edelleute „von Berftand, Ambition und wahrem Dienfteifer“ heran: 
ziehen möchten. Auch gewiſſe Schichten des mißachteten Roture ſuchte man jeßt 
zu loden. Dur öffentliches Edift vom 28. Mai 1768 wurde den Söhnen 
bürgerlier Rittergutsbefiger, diefer do nur als unmwilllommene Ausnahme zu: 
gelaſſenen Klaſſe des ländlichen Grunbeigentums, in freilich recht ferner Weite 
die Ausſicht erichloffen, daß fie geadelt werben follten, wenn fie bei den Garnijon: 
regimentern oder in ber Artillerie bis zur Compagnie aufgeftiegen fein und 
zehn Fahre als Kapitän gedient haben würden — denn aud ihnen wurden doc 
nur biefe minber geadhteten Waffen zugänglih gemacht. 

Daneben behielten die Hufaren ihre Sonderftellung. 1779 rügte der König, 
daß der „wirklihe Hufarendienft” in Verfall gefommen fei, und wollte die 
Urſache darin ſehen, daß zu viel „junge Windbeutel” als Offiziere Aufnahme 
gefunden hätten: er verfügte deshalb, dab fortan mehr alte gediente Wacht: 
meifter zu Leutnants zu befördern jeien. Aber aud bei den neu eintretenden 
Avantageuren fam es ihm bier auf den Stammbaum nit an. Als General 
Loſſow in einer Meldung den jüngften Kornet feiner ſchwarzen Huſaren als 
medlenburgifchen Junfer bezeichnete, jchrieb ihm ber König troden: „Soviel will 
Ih Euch doch zur Nachricht jagen, dab jein Vater fein Edelmann, fondern ein 
Jäger und zugleich ein Liebfter der alten Herzogin zu Medlenburg:Strelig ge: 
weſen ift, damit Ihr nur feine ganze Genealogie willen möget.“ Bürgerlicher 
Herkunft find die nachmals geadelten Hufarengenerale Möhring, Günther, 
Salenmon, Hohenitod geweſen, wie bei der Artillerie die Generale Holtzendorff, 
Moller und Tempelhof. 

Zu allen anderen Gründen ber Verfiimmung trat noch die Klage über 
dad Zunehmen des Drills und der Sleinigkeitsfrämerei. Wieviel war nicht 
unter Friedrih Wilhelm I. auf den in die Armee gefahrenen Crerzierteufel 
geiholten worden! Jetzt feufjten die Epigonen, daß das Ererzieren, unter der 
vorigen Regierung im wejentlihen auf die Uebungswochen des Frühlings be— 
ſchränkt und auch vor dem großen Kriege immerhin noch erträglich, feit dem 
Frieden bis zum äußerften Ueberdruß, bis zur Ausmergelung ber außerhalb ber 
Frühjahrsübungen bei der Fahne verbleibenden Dienftthuer betrieben werde. 
„Rirgends war Entjagung nötiger,“ höhnte Berenhorft, „als bei den jchlecht 
refompenfierten Siegern des Siebenjährigen Strieges, wo nun die verfeinerte 
Ausipinnung der Taktik und deren zahllofe Kombinationen, in der nad Fußen, 
Zollen und Sekunden abgemefjenen Ausführung, fein geringes Studium erfor: 
derten.” Wenn der Kriegsherr unaufhörli auf ein großes Ziel hinwies, die 
Herftellung der alten Disziplin, Waffenfertigkeit und Beweglichkeit, jo fannen 
feine Oberften, wie ſich verfteht, auf Mittel und Wege, dem Ziele möglichft 
fhnel und möglichſt fiher nahe zu fommen. Daß mander Inſpekteur oder 
Regimentschef hier des Guten zu viel an „erfinderiiher Strenge” that, wird 
nicht bezweifelt werden können. Aber nicht alles, was da auögellügelt und aus: 
probiert wurde, trat in des Königs Gelichtsfreis. General von Saldern, ber 
größte Künftler unter den preußiſchen Taftifern, mußte, wie es heißt, mit feinen 
Erfindungen behutfam verfahren und führte mandes nur unter der Hand, gleich: 
fam verftohlen ein. Denn an fi war der König, wie der gewiß nicht vorein- 


508 Achtes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


genommene Kaltenborn ihm bezeugt, burhaus fein Freund vom Reglementieren 
und von „zeitraubenden Spielereien”: „Er überfhmwemmte feine Armee nicht 
mit Orders, in welchen er das ſchon Befohlene entweder hundertmal wiederholte 
ober durch einen neuen Befehl wieder aufhob. Er ſcheute alle Neuerungen; 
Veränderungen an Montierungen und andere Heine Formalitäten waren weit 
unter feiner Würde und ber, die er feiner Armee zu geben bemüht war.” Die 
Kleinigkeitsfrämer unter feinen Difizieren nannte er „Stiefelettenmajore”. Wenn 
er mit Strenge auf vorfchriftsmäßigen Anzug hielt, jo geihah das nit aus 
Kleinlichkeit, fondern in dem Beftreben, feine Modenarrheiten auflommen zu 
lafien, der Verſchwendungsſucht zu fteuern, den Offizieren das „Petitmaitre- 
Weſen“ auszutreiben. Die Läfterer behaupteten, daß er im Zmweifelsfalle das 
Gegenteil der jeweiligen Mode als Vorſchrift annahın, 

Auch das erfennt Kaltenborn an, daß der König an den Manövertagen 
den Blid nur auf das Ganze gerichtet hielt: „Won dem Augenblid an, wo er jeine 
Truppen manövrieren ließ, behandelte er jie wie in der Stunde ber Schladht 
und war zufrieden, wenn nur bie Hauptfahe gut ausgeführt wurde. . . . Er 
mandvrierte mit ungemein vieler Leichtigkeit, er quälte die Leute nicht mit bogen: 
langen Dispofitionen, man fonnte fie faft jederzeit auf ein Kartenblatt jchreiben.” 
So fei er auch beim Manöver, Tags nah der Revue, faft immer guter Laune 
geweſen, „gleihjam froh, das Unangenehme, was er zu jagen gehabt hatte, vom 
Herzen zu haben”. Und nichts fei lehrreiher geweien, als ihn bei foldhen 
Gelegenheiten fpredhen zu hören — „wenn er nicht üble Laune hatte”. „Da 
war es eine Wonne, ihn gleihiam ein militärifches Kolegium lejen zu hören. 
Er wußte genau, wer gefehlt hatte, woran ber Fehler gelegen, und wie er hätte 
fönnen und follen gebejjert werden. Seine Stimme war fanft und hinreißend, 
er ſah freundlih aus und ſchien eher einen guten Rat als Befehle erteilen zu 
wollen.” Bon den großen Herbfimanövern, die wie vor dem Kriege!) abgehalten 
wurden, fagt Friedrich jelbft, daß die ganze Uebung für die Offiziere, bie 
Generale fei, ohne daß man die Aufmerfjamfeit auf die Gemeinen richte. 

Eine Stufenfolge neuer Veranftaltungen zielte auf die beſſere VBorbildung 
und bie theoretiihe Unterweifung ber Offiziere ab. Dem Kadettencorps ſchloß 
fih als eine Art Selefta die 1765 geftiftete Acaddmie des Nobles an, für 
fünfzehn ordentliche Mitglieder und ebenfoviel Ertraneer, während als Boranftalten 
1764 die Kadettenichule zu Stolp für die Söhne des hinterpommerjchen Adels 
und 1775 die zu Kulm für die ber Erziehung noch mehr bebürftigen mweftpreußi: 
jhen Junker begründet wurden. Lehrgänge für Befeftigungstunde und für Geo— 
graphie wurden an den Eigen der neuen Armee-Inſpektionen eingerichtet, in ber 
Weife, daß ein Angenieuroffizier einer Anzahl begabter Kameraden, die nad 
Vorihlag der Regimenter einberufen wurden, vier Wintermonate hindurch Unter: 
richt erteilte. Wiederum die befähigften diefer Kriegsfhüler, der Regel nad) 
insgefamt zwölf, nahm der König in fein militärifches Gefolge auf. Er hatte 
fih ſchon vor dem Siebenjährigen Kriege einen perſönlichen Generalitab geichaffen 
und bildete jet dieſe Einrihtung weiter. Wie er als Kronprinz in Rheins- 


) ®b. I, 545. 


Staatöhaushalt und Heerweſen. 509 


berg mit feinen Gefährten fih in den wiſſenſchaftlichen Unterricht bes jüngften 
Schloßbewohners geteilt hatte, jo bielt er jegt in feinem Lehnftuhl feinen zwölf 
militäriihen Jüngern Vorträge über die Kriegsfunft, um nachher vom Sattel 
aus fie vornehmlich daraufhin zu prüfen, wie weit fi diefe angehenden Quartier: 
meifter Urteil und Sicherheit in Ausnügung bes Geländes erworben hatten. 
Für die Inſpekteure ließ er 1771 in wenigen Abzügen „Grunbfäge der Lager: 
funft und Taktik“ druden, die Ueberarbeitung einzelner Abjchnitte aus den alten 
„Seneralprinzipien vom Kriege“.) Die ältere wie die jüngere Lehrjchrift, auch 
eine kurze Zufammenfaffung der „Regeln, nad weldhen ein guter Kommandeur 
eines Batailons zur Zeit des Krieges handeln fol”, wurden den Generalen 
und Staböoffizieren unter dem Siegel des Dienitgeheimnifjes zugänglich gemacht, 
„um Durchlefen, aber nicht zum Abjchreiben”. 

Der nahmals berühmt gewordene Franzofe Dumouriez, ber das preußifche 
Heer auf feiner Fahrt nah Polen kennen lernte, hat geurteilt, daß fi damals 
in Preußen eine große Anzahl „evolutionärer Dffiziere” herangebildet habe, 
ohne daß dadurd die Heranbildung von Generalen erreicht worden fei. Begierig 
diefe Bemerkung aufgreifend, fette Berenhorft hinzu, nachdem bereits in den 
Beiten von 1746 bis 1756 der Typus des gelehrten Offiziere von ben Franzoſen 
zu den Preußen herübergetragen worden, fei jet einem Teile der offenen Köpfe 
noch das Licht der Manöverkunft nah und nad) aufgegangen: „fie entdedten 
die Wege und Schliche derfelben auf den Neißbrettern”. Man wird zugeben, 
daß die gelehrte Ueberihägung der Terrainfunde in der Folge dem preußiichen 
Heere verderbli gemorben ift und daß jener Maſſenbach, der in Preußens 
trübfter Zeit geradezu das abjchredende Beifpiel eines jchriftgelehrten General: 
ftabsoffiziers geworben iſt, unter Friedrichs Augen feine erfte Ausbildung erhalten 
bat. Der Grundgedanke aber der pädagogiſchen Beitrebungen des großen Feld— 
herrn war unzweifelhaft richtig, und auch in Bezug auf diefe Erwedung und 
Pflege des wifienfchaftlihen Geiftes im Dffiziercorps gilt das Wort Kaltenborns, 
daß Friedrich in die Armee eine ganz andere Lebensart und Ton hineingebracht, 
als er beim Antritt feiner Regierung vorgefunden habe. 

Jene „Regeln für einen guten Bataillonstommandeur” gipfeln in dem 
Sate: „Man weiß aus Erfahrung, daß die Tüchtigkeit der Truppen einzig und 
allein auf der der Offiziere beruht: ein braver Oberft, ein braves Bataillon; 
und man hat in allen unjeren Kriegen gejehen, daß wenn der Kommandeur 
recht tüchtig war, das Bataillon niemals geworfen worden ilt, es fei denn, daß 
der Kommandeur zuvor verwundet oder getötet war.” Noch deutlicher, noch 
berber fpricht fich Frievrihs Mißachtung des gemeinen Mannes in dem Tefta: . 
ment von 1768 aus: Die Ambition vermag auf den Troupier nicht zu wirken, 
„Alles, was man aus ihm machen kann, beichränft fih darauf, daß man ihm 
den Corpsgeift beibringt, d. h. eine höhere Meinung von feinem Regiment als 
von allen Truppen des Weltalls, und da bei gewiſſen Gelegenheiten die Offiziere 
ihn quer durch die größten Gefahren hindurdführen müflen, jo muß er feine 
Difiziere mehr fürchten, als die Gefahren, denen man ihn ausſetzt.“ Wie dank: 


1) 8b. I, 545. 


510 Achtes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


bar hatte einjt der junge König, der Sieger von Hohenfriedberg und Soor, den 
guten Willen, die Beherztbeit, die Hingebung auch der Gemeinen anerkannt!) 
Die Tage jeiner Niederlagen, die finfteren Stunden, in denen er feine Soldaten 
batte fliehen jehen, dieſe Schule des Unglüds war für ihn aud ein Kurfus 
der Menfchenveradhtung geworben, und der graue Schüler ift nur zu gelehrig 
gewejen. 

Sie jelber aber, diefe armen Kriegsknechte, die der alte Friedrich verachtete, 
fie liebten ihn. Die Armee liebte ihren König fait bis zur Abgötterei, bezeugt 
Kaltenborn, nachdem er vorher mweidlih auf denfelben König geſchmäht hat. 
Und einer der öfterreihifhen Gäfte von Neiße beftätigt es: jo ehr feine Um: 
gebung über bes Königs oft unerträgliche Zaunen Hagen und ihn fürchten möge, 
die Soldaten und zumal die Landeskinder feien immer enthufiasmiert von ihm, 
denn er fümmere fi um fie und erleichtere ihr Los, wie er nur fünne. Die 
Anrede Fritze oder Vater, worauf die Leute ein Gemwohnheitsreht erworben 
hatten, das treuberzige Du, das ihr Frig ihnen geitattete, andere Feine Ber: 
traulichfeiten, auch wohl derbe Ermwiderungen, die ihnen nicht übel genommen 
wurden, alles das wog ihnen der Unbilvden und Leiden viele auf. Wollends die 
Grenadiere vom erften Bataillon Garde glaubten, wie wieder Kaltenborn jagt, 
wirkliche Mitglieder und gleihfam Hausgenofien der füniglihen Familie zu fein; 
hielten fie fih daburd für berechtigt, zumeilen über ihren Hausvater zu murren 
und zwar nicht in den gewählteften Ausbrüden, fondern in den ärgften Läſte— 
rungen, jo hätte doch niemand in ihrer Gegenwart auch nur ein ungebührliches 
Wort gegen den König wagen dürfen: „Das Bataillon bewies allein, wie weit 
es jener faſt übernatürlihe Mann in der Runft, fich lieben zu laflen, gebracht 
hatte, ... Ein Blid, ein Wort aus Friedrihs Munde war hinreihend, fie für 
alles zu entſchädigen.“ Es war ein Blid, fagt unfer Zeuge ein anderes Mal, 
„dem nichts widerſtehen konnte. Ich habe immer geglaubt, ein Hauptgrund zu 
der nicht zu erreihenden Größe, die Friedrich erlangte, lag in feinen Augen“. 
Wie er mit einem der feit Zorndorf ungnädig angefehenen oftpreußiihen Regi— 
menter auf der Revue von 1773 feinen Frieden ſchloß, hat uns ein Leutnant 
diejes Negiments unter dem erften ergreifenden Eindrud ſchlicht und treu ge: 
ſchildert; wie alles fi danfend und jubelnd um den König drängt: „er wollte 
nun etwas reden; er war aber jelbit jo gerührt, daß er ſchwieg und nur weinte. 
Seine Majeftät wollte nun weg, aber wir ließen ihn nicht los. ‚Es ift gut,‘ 
fagte der König, ‚nun ift ja alles gut. Kinder, laßt mich zufrieden.‘ Der 
General trat jegt heran und dankte für das Regiment noch befonders. Da 
jagte der König: ‚Da hat er jeinen Grenadiermarfch wieder!‘ und ritt ges 
ſchwinde weg.” — 

Als der große Kriegsheld im Frühling von 1764 zum erflenmal wieder 
nad) alter Friedensgewohnheit mit feinen Potsdamer Bataillonen ererzierte, ſchöpfte 
er doch wieder Hoffnung, fein einft fo treffliches, aber durch den blutigen Krieg 
ruiniertes Heer „wie einen Phönir aus der Aſche“ auferftehen zu fehen. Aber es 
währte lange, bis alle Nachwehen überwunden waren. Leichter als das Fußvolf 


1) Bel. Bd. I, 548. 


Staatöhaushalt und Heerweſen. 511 


erholte ſich die Reiterei, die weniger ftarfe Berlufte gehabt und ihren Abgang 
ziemlich leicht erjegt hatte. Sie hatte fi, wie der König jagte, im Kriege ver: 
volllommnet, während die Infanterie mit dem Dahinſchwinden ihrer Veteranen 
von Stufe zu Stufe gefunfen war. Im vierten Jahre nad dem Friedensihluß 
urteilte Friedrich, daß noch weitere brei Jahre ins Land gehen würden, bis der 
alte „ton de solidit&* ganz mwieberhergeftellt jein werde. In der That hat ihm 
nahmals das Jahr 1770 als die Epoche ber vollen Genefung gegolten. Ein 
General im Gefolge des Kaifers fand 1769 zu Neiße die preußifche Infanterie, 
wenn noch nicht völlig erholt, fo boch ſchön, trefflich adjuftiert, ungezwungen in 
allen ihren Bewegungen; man erkenne eben die preußifche Truppe, bie ſeit 
fünfzig Jahren nad denjelben Grundfägen arbeite. Unter der Neiterei gab 
derfelbe Beobadter dem Regiment Seydlig vor den übrigen weit den Vorzug. 
Die Huſaren beftachen ihn nad ihrem äußeren Aufzug nicht, aber fie jchienen 
ihm trefflih gejhult für den kleinen Krieg, die Sicherung der Märſche, das 
Scharmützel. 

Erhöhte Aufmerkſamkeit wandte der König jetzt der Schnelligkeit des In— 
fanteriefeuers zu, ſeitdem die Erfahrung gelehrt hatte, daß der ehemals von 
ihnen verlangte Bajonettangriff den Soldaten bei Beginn des Gefechts nicht mehr 
zugemutet werben durfte.) Mit der Sekundenuhr in der Hand lief er bei den 
Revuen die Pelotons Probe hießen. Man erreichte, daß der Soldat viermal 
in der Minute lud und jhoß. Der 1773 auf Anregung des Prinzen Friedrich 
von Braunjchweig eingeführte cylindriſche Ladeftod eriparte das Ummenden des 
bisher gebrauchten, fih nad unten verjüngenden Stoßfolbens, und eine Erleich— 
terung für das Aufichütten des Pulvers gewährte feit 1781 die Tridhterform 
des Zündloches, die mit dem Orden pour le merite belohnte Erfindung bes 
Leutnant von Freytag. Nun gelang es, mit Ererzierpatronen bis zu jehsmal 
in der Minute zu feuern, während mit fcharfen doch faum mehr als vier oder 
höchſtens fünf Schüffe erzielt wurden. Die Garnifonbataillone ſchoſſen weniger 
Ihnell, waren fonft aber nad des Königs Urteil bis 1773 auf eine Höhe ge: 
bradt, daß fein General fi ihrer in feiner Brigade zu ſchämen brauche. 

An den Feſtungen, deren Chuß dieſen Garnifontruppen im Kriegsfalle 
oblag, gab es nad) dem Friedensſchluß viel aufzubauen und zu vervolllommnen. 
Am Eulengebirge entitand das jchlefiihe Gibraltar, Silberberg, mit feiner Kette 
von Feljenforts, um die Gebirgsftraßen jomohl nah der böhmischen wie nad) 
der Glater Seite zu decken und zugleih der berühmten Schlüfjelitellung von 
Landehut eine Stübe zu geben. In Weftpreußen wurde Graudenz befeftigt, als 
Bollwerk ſowohl gegen einen Angriff von Polen ber, wie als eine vierte Ber: 
teidigungsftellung gegen einen durch Dftpreußen vordringenden Feind, dem es 
gelungen war, den Memelübergang, die Linie der Inſter und bes Pregels und 
ein befeftigtes Lager in dem Pak von Löten zu forcieren. Zum Schuße der 
Dftfeefüfte wurde Kolberg, defjen ftrategifche Bedeutung ber legte Krieg ermwiejen 
hatte, zu einem Waffenplatz erften Ranges ausgebaut. 

Ehedem, in dem politiſchen Teftament von 1752, hatte König Friebrid 


) Bgl. oben S. 208. 


512 Achtes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


den Plan erwogen, nad der Erwerbung von Weftpreußen mit Danzig für ben 
Küſtenſchutz ſchwimmende Batterien, etwa dreißig Galeeren und einige Fregatten 
auszurüften, nicht aber Schlachtſchiffe. Jetzt, da die Vorausjegung, allerdings 
unter Wegfall von Danzig, gegeben gemweien wäre, ift er auf dieſen immerhin 
beiheidenen Plan zur Begründung einer Kriegsflotte doch nicht zurüdgelommen. 
„Ich glaube nicht,” fchreibt er 1777, „daß man in dieſem Lande fi jemals 
überreden lafjen fol, eine Kriegsmarine zu fchaffen. Hier die Gründe. Es 
gibt in Europa an großen Flotten die englifche, die franzöſiſche, die ſpaniſche, 
die däniſche, die ruffiihe. Niemals werden wir ihnen gleihfommen können; 
wenn wir aljo mit ein paar Schiffen den anderen Nationen immer unterlegen 
bleiben, jo wäre die Ausgabe unnüß. Dazu fommt, daß das Geld, weldes 
eine Flotte foftet, uns nötigen würde, die Landtruppen zu verringern, daß das 
Land nicht bevölfert genug it, um Nefruten für das Heer und Matrofen für 
die Schiffe zu liefern, und endlich, daß die Seeſchlachten ſelten entjcheidend find. 
Sodaß ich folgere, es iſt befler die erfte Armee Europas zu haben, als die 
ſchlechteſte Flotte unter den Seemädhten.” 

So völlig ging der Eroberer von Schleſien in der von ihm ſelbſt ge— 
ſchaffenen politiſchen Lage und in den Aufgaben des Augenblicks auf, die aller: 
dings noch faft ein Jahrhundert für ihre endgültige Löſung erfordern follten. 
Der Gegenfag gegen Defterreih blieb andauernd der Erponent feiner politiſchen 
und feiner militäriichen Rechnung. 

Immer von neuem erörterte er Mittel und Möglichkeiten, gegen dieſen 
Gegner, wenn es noch einmal zum Kampf fam, möglihit wuchtige Schläge zu 
führen; fo ſchon 1764 in der Vorrebe zu feiner Darftellung des eben beendeten 
Krieges, fo 1768 in dem neuen politiiden Teitament, 1770 in jenen „Grundſätzen 
der Lagerkunft und Taktik“, 1775 in den „Reflexionen über Feldzugspläne” und 
1777 in dem gebrängten „Expose du gouvernement prussien“, das den engen 
Zufammenhang zwiſchen Kriegsführung und Politif betont. 

Die früher aus den befonderen Berbältnifien des preußifhen Staates 
gezogene Nutzanwendung „Unjere Kriege müflen kurz und vif ſein“,) verallge- 
meinerte er jegt zu dem Lehrſatz: „Der Krieg wird nur geführt, um den Feind 
jo jchnell als möglih zu zwingen, einen uns vorteilhaften Frieden zu unter: 
zeichnen.” So verlangte er für einen Krieg gegen die Franzofen, daß ein 
Invaſionsheer nicht fieben bis acht Jahre mit der Belagerung ber Grenzfeftungen 
und jährlid einer Schlacht fih aufhalten, fondern in das Herz von Frankreich 
vordringen und die Hauptftabt bedrohen jolle.*) Große Entwürfe, das ift das 
Loſungswort aud des alten Königs für fünftige Feldzüge. Prinz Eugen, „ber 
größte Krieger des Jahrhunderts”, mit feinen drei glänzendften Kampagnen, mit 
Höhftädt, Turin und Belgrad, der ift das Mufter, das er fih und feinen 
Generalen vorhält. „Die großen Feldzugspläne,” gefteht er, „gelingen nicht 
alle, aber es kommt immer mehr dabei heraus, als bei diefen Heinen Entwürfen, 
wo man fih auf die Wegnahme eines Neftes an ber Grenze beſchränkt.“ ... 

1) Bd. I, 558; oben ©. 17. 

?) Val. auch oben ©. 167. 


Staatähaushalt und Heerweſen. 513 


„Der Mann, dem alle Entwürfe geglüdt wären, ift noch nicht geboren, aber 
wenn ihr euch nur auf Kleine einlaßt, werbet ihr immer ein mittelmäßiger Menſch 
bleiben, und wenn von zehn großen Unternehmungen, auf bie ihr euch einlaßt, 
aud nur zwei euch glüden, jo macht ihr euren Namen unfterblich.“ 

Aber kannte feine Kriegsfunft ein Mittel, wies feine Kriegslehre einen 
Weg, den großen Entwurf zu einem großen Erfolg überzuleiten? Chedem hatte 
er feinen Generalen, um das Kriegsglüd zu zwingen, die Schlacht als Fräftigftes 
Mittel empfohlen, im freudigen Rüdblid auf Hohenfriedberg, Soor und Kefjels- 
dorf, in dem ftolzen Glauben, daß den preußifhen Truppen aud die angeblich 
unangreifbaren Stellungen nicht zu ftarf ſeien.“) Jetzt lagen ſchmerzliche Ent- 
täufhungen, furdtbare Erfahrungen hinter ihm, mörberifhhe Niederlagen und 
nicht minder mörderiſche Siege, diefe Schladten, die ihn bei den Methodifern, 
bei den Bewunderern ber zahmeren Kriegsführung des Prinzen Heinrich, in den 
Nuf gebracht hatten, „kein anderes Hilfsmittel als die Schladht zu kennen“. 
Der Krieg, fagte er fich, „ift raffinierter geworben, jchwieriger, gewagter, weil 
wir nicht mehr allein Menſchen zu befämpfen haben, fondern vor allem bie 
ftarfen Stellungen und die Artillerie”.?) Es ſchien nicht wahrjcheinlid, daß die 
öfterreichiichen Generale fih von ber Methode bes Generald Daun, die Friedrich 
als bie für fie unftreitig gute anerkennen mußte, entfernen würden; jo würben 
fie im nächſten Kriege ebenfo auf gute Stellungen bedacht jein, als im legten. 
Da will er den Feldherrn tabeln, der fich überftürzen würbe, diefen Feind auf 
Bergeshöhen oder über durchſchnittenes Gelände hinweg anzugreifen. Sich felbft, 
wenn er das bisweilen gethan bat, entſchuldigt er mit feiner äußerften Notlage. 
„Der Angriff auf einen feſten Poften ift ein zu ſchwer verbauliches Stück; man 
fann leicht geworfen oder geichlagen werden, und wenn man es zwingt, fo 
gejchieht es mit einem Berluft von fünfzehn Taufenden ober zwanzig Taufenden, 
der eine zu graufame Lücke in bas Heer reißt.” Angefichts folder Stellungen 
fann man im Anfang der Schladt die Kavallerie — die in Friedrichs früheren 
Schlachten den Kampf regelmäßig eröffnet hatte — nicht benugen, und will man 
Infanterie vorfdiden, jo fann man ebenjo gut Bauern mit Knütteln loslaffen. 
Und jo weiß der König, entgegen feiner früheren Anſchauung, daß Scharmützel 
foftipieliger als eine Schlacht feien, in feiner gleih nad dem Friedensſchluſſe 
geihriebenen Geſchichte des Siebenjährigen Krieges und ebenjo in dem militäriſchen 
Tejtament von 1768 feinen anderen Rat, als ben, viele kleine Erfolge zu 
häufen: „ihre Summe ergibt große; kleine Erfolge vervielfältigen, das heißt 
einen Schat nad und nad) fammeln; mit der Zeit fieht man fich reih, ohne 
zu wiſſen, wie man es geworben ift.“ 

Auch die „Röflexions* von 1775 wiederholen bie Lehre, daß die Häufung 
Heiner Erfolge Erjat für eine gewonnene Schladt biete und auf die Länge bie 
Ueberlegenheit entſcheide. Aber bier begegnet uns der Sat unter den Rat: 
ſchlägen für die Defenfive. Die Abfchnitte über den Dffenfivfrieg laſſen erfehen, 
daß es feineswegs bie Abficht des Königs war, auf die Schladht zu verzichten. 


Bd. I, 554. 
?) Bgl. hierzu Bb. I, 551. 
Kojer, König Friedrich der Große. II. 2, Auf, 3 


>14 Achtes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


Kann er mit überlegener Macht in die Offenfive gegen Defterreich eintreten, jo 
denkt er nad feinem alten Normalplan !) Mähren zum Kriegsfhauplag zu 
erwählen und bier auf dem für den Kampf günftigeren Boden eine entjcheidende 
Schlacht zu liefern, die den Gegner zur Räumung von Böhmen nötigen und 
dem Sieger den Weg an die Donau, zur Bedrohung der feindlichen Hauptftabt, 
öffnen fol. Für die taftifhe Anlage der Schladt hält er babei an ber alten 
Regel feft, daß nur der eine Flügel in den Kampf einzufegen ift. 

Einftweilen war der alte Schladhtenheld recht froh, fremden Kriegen 
zufhauen zu können, ohne jelber eingreifen zu müſſen: er verglich ſich ben 
deutfchen Komödianten, die während ihrer Ferien die Aufführungen der Franzofen 
zu beſuchen pflegten, um fih nad ihrem Mufter zu bilden. Als Voltaire 
während des Türfenfrieges der Ruffen ihm ben Wunſch ausjprad, daß auch er 
auf Muftapha losſchlagen möge, um bie Barbaren aus Europa zu vertreiben, 
antwortete Friedrih dem aus der Rolle fallenden Friedensapoftel: „Wie, mein 
Herr Heiliger, Sie erftaunen, daß es in Europa Krieg gibt, ohne daß ich dabei 
bin?” Wir haben gefehen, wie es damals ihm glüdte, feinem Staat ben 
Frieden zu erhalten. Einmal aber mußte doch noch gefämpft fein. 


) Dben ©. 17. 64. 65. 168. 314. Bb. I, 556. 


Deuntes Buch. 


Segler Krieg und leßter Friede. 


Erfter Abfchnitt. 


Bairifcher Erbfolgekrieg. 





Friede zwifchen ihnen erhalten worden. Auch aus bem Hintergrund 

verſchwanden allmählich die Wetterwolfen. Im ruffiiden Lager von 
Kutſchuk⸗Kainardſche bei Siliftria wurde am 21. Juli 1774 von dem Fürften 
Repnin und dem Bevollmächtigten des Sultans Abdul Hamid der Friede auf 
die von Rußland vorlängft bezeichneten Bedingungen !) abgefchloffen, und zu 
Warſchau befriedigte im folgenden Jahre der Reichstag die Diffidenten durch 
eine billige Regelung ihrer Rechtsverhältniſſe, im mwefentlichen auf der Grundlage 
der Beſchlüſſe von 1768, und befeitigte fo den Anlaß des langen verderblichen 
Bürgerzmwiftes. 

Aber faum war im Drient das Kriegsfeuer erftidt, jo entbrannte im fernen 
Weſten jenfeits des Weltmeers der große Kampf zwijchen dem enalifchen Mutter: 
lande und den amerilanifhen Kolonien, und faum war die Republif Polen aus 
ihren inneren Wirren zu einem leiblihen Ruheftand gelangt, jo wurde das 
deutſche Reich abermals der Schauplaß eines inneren Krieges. 

Derweil behauptete fi noch das bisherige Allianzſyſtem; das preußifch- 
ruffiihe Bündnis auf der einen Seite, das alte Verfailler Bündnis von 1756 
zwifchen Defterreih und Frankreich auf der anderen. Die fünfte der großen 
Mächte, England, fand ihre Stellung nah wie vor dur den Gegenfaß zu 
Frankreich vorgezeichnet und ſah fich deshalb bei der beftehenden Parteigruppierung 
auf die beiden nordiſchen Großmädte angemwiejen. 

Aber auch Defterreih war zu dieſen beiden Mächten durch feine Mitwirkung 
bei der polnifhen Teilung jet in eine Intereſſengemeinſchaft getreten, bie 
allerdings weit entfernt blieb von der durch den König von Preußen bei den 
Verhandlungen von 1772 gelegentlih als Elirier für den ewigen Weltfrieden 
empfohlenen Tripelallianz. Eifrig bemüht, die in einer einzelnen Frage wieder: 


DE die DVerftändigung der drei Oſtmächte auf Koften Polens war der 





’) Oben 5. 472. 


518 Neuntes Buch. Erfter Abfchnitt. 


gewonnenen Beziehungen zu Rußland feiter auszugeftalten, hatte die Hofburg 
während der ruffifchen SFriedensverhandlungen mit den Türken biefen ihren bis: 
berigen Verbündeten ihr Wohlwollen gänzlich entzogen. Es jei im Grunde 
gleihgültig, hatte Kaunig erflärt, ob die Türken, die jegt von ihm übermütige 
und unruhige Nahbarn gefcholten wurden, etwas mehr oder weniger verlören. 
In praktiſcher Nutzanwendung diefes Sates nahm man 1774 zur peinlichen 
Ueberrafhung des Serails im Einverftändnis mit dem unſchwer gewonnenen 
ruffiihen Oberfeldherrn einen Teil der Moldau in Befig, die Bukowina, an: 
gebli vor alters ein Anhängfel von Galizien. 

Der König von Preußen wußte, daß es ber ſehnliche Wunſch der Deiter- 
reiher und zumal des jungen Kaifers war, fih in Petersburg „miebereinzu= 
hängen” und ihn ſelbſt beifeite zu fchieben. Einjtweilen aber behauptete dort 
noch Preußen den breiten Stein. Der König führte, folange der Türfenfrieg 
währte, feine Subfidien alljährlich bundestreu ab; er wahrte bei jeinen Hänbeln 
mit Danzig die Rückſicht auf die Zarin und rechnete es ſich bei ihr als Verdienſt 
an, wenn er bei den Grenzftreitigfeiten an der Nee ſchließlich einen Schritt 
zurüdging.‘) Und vor allem, er wurde auch bei einer neuen Irrung zwijchen 
Rußland und Schweden den Erwartungen und Anfprüden des Bundesgenofien 
geredht. 

Durch den Staatsitreih vom 19. Auguft 1772 hatte König Guftav III., 
jeit einem Jahre der Nachfolger jeines ſchwachen Baters Adolf Friedrich, um 
„Schweden mit Schweden zu verfühnen”, die Vorherrihaft der Reichsſtände mit 
glüdliher Hand befeitigt, erfolgreicher als feine preußifhe Mutter bei dem 
Anſchlag von 1756. Die umgeftoßene Verfafjung ftand unter Hut und Bürg: 
Schaft Rußlands, und die Zarin hatte durch jene Klaufel des Vertrags von 
1764 ?) auch Preußen zur Aufrechterhaltung dieſer Verfafjung verpflichtet. König 
Friedrih war ganz und gar nicht in den ſchwediſchen Staatsſtreich eingeweiht 
geweſen, wie in Petersburg anfänglich geargwöhnt wurde. Er war nicht minder 
al& die Zarin durch den kühnen Schritt feines Neffen völlig überrafht und 
empfand es als eine perſönliche Niederlage, daß er, der Altmeifter der Politik, fich 
das Jahr zuvor, bei Guftavs Beſuch in Berlin, durch die treuberzig klingenden 
Beteuerungen des jungen Fürften hatte in Sicherheit wiegen laſſen. Auf 
Guſtavs in einem eigenhändigen Briefe niedergelegte „Beichte” verweigerte er 
entjchieden die erbetene „Approbation“; vielmehr mahnten die beiden Obeime, 
ſowohl König Friedrich wie Prinz Heinrich, eindringlich, „das Geſchehene wieder 
gut zu machen“. Gegen ſolche Vorftellungen blieb der Bändiger des ſchwediſchen 
Adels taub; immerhin wurden die in Stodholm abgegebenen Erklärungen dem 
preußiihen König an der Newa als Beweiſe feines guten Willens hoch angerechnet. 

Wären die ruſſiſchen Streitkräfte damals nit durch den Türkenkrieg 
gebunden geweſen, jo würde Katharina fiher Schweden mit Krieg überzogen 
haben, und Preußen wäre zur Bundeshilfe verpflichtet gewefen. So aber fanden 
die befhmwichtigenden Worte, die Friedrich nach Petersburg gelangen ließ, günftige 





) Dben ©. 475. 476. 
) Oben ©. 438. 


Bairifcher Erbfolgekrieg. 519 


Aufnahme Rußland Ienkte ein. Indes verfhärfte jih zum Winter die Lage 
von neuem, da jest ein Krieg zwiſchen den beiden verfchwägerten Königen von 
Schweden und Dänemark, ein Einfall Guftavs IH. in Norwegen bevorzuftehen 
ſchien. Bon neuem erwog Rußland eine bewaffnete Einmifhung; am legten 
Ende hat doch nur der auch 1773 noch fortgejegte Widerftand der Türfen den 
Ausbruch eines Krieges im Norden beſchworen. Auch blieb Guſtav der Meinung, 
nur eine Gnadenfrift gewonnen zu haben, obgleih Katharina fi 1777 feinen 
Befuh an ihrem Hofe gefallen lief. 

Die Zufammenfünfte der fürftlihen Herrſchaften gehörten jetzt zum ftehen: 
den Apparat der Diplomatie. Friedrich ließ feine früheren Bebenfen gegen 
folde Begegnungen fallen. Als die Zarin von neuem den Beſuch des Prinzen 
Heinrih erbat, hätte diefer die beſchwerliche Reife fi gern erjpart. Aber der 
König ftellte ihm vor, daß er dem Staat ein Opfer bringen müſſe, und citierte 
ihm ein indifches Sprichwort: man müfle den Teufel anbeten, um ihn am 
Böfesthun zu verhindern. Im Frühling 1776 wurde ber Beſuch ausgeführt, 
und die Aufnahme des Prinzen am ruffifhen Hofe war wiederum ſo herzlich, 
da Friedrich dem Bruder dankbar ſchrieb: „Sie bringen es fertig, alles, was 
Sie wollen, auszuführen und alles nah Wunſch gelingen zu laſſen.“ Das fo 
mwohlverdiente Vertrauen, das die Kaiferin dem Prinzen fchenke, ſei das feftefte 
Band der Einigung zwifhen Rufen und Preußen. Auf der Rüdreife begleitete 
ben Prinzen Heinrih der Großfürit:Thronfolger Paul Petrowitih. Sein Ein- 
zug in Berlin am 21. Juli 1776 war ein Ereignis für ben Hof und die ganze 
Bevölkerung der Hauptftadt; in der Königftraße, dur die der hohe Gaft dem 
Schloſſe zufuhr, vermietete man das Fenfter für zwanzig Thaler. Paul fam als 
Werber. Schon jeine erfte, fürzlih dur den Tod gelöfte Ehe hatte er mit 
einer nahen Verwandten des preußiſchen Königshaufes, einer Pringeffin von 
Heſſen-Darmſtadt, geichlofien; jet verlobte er fi in Berlin mit Friedrichs 
Großnidte, der Prinzejfin Sophie Dorothee von Württemberg, bie bei ihrem 
Vebertritt zur griechiſchen Kirhe den Namen Maria Feodoromna annahm. 
„Unter dem Echatten diefer günftigen Aſpekten“ erfüllte fih im folgenden Jahre 
Friedrichs Wunfh, fein Bündnis mit Rußland auf geraume Zeit, bis zum 
31. März 1788, verlängert zu fehen. 

Die perfönlihen Beziehungen zu dem Wiener Hofe, in ben Zeiten bebroh: 
liher Wirren angefnüpft, wurden nah dem Gegenbeſuch König Friedrichs zu 
Mähriſch-Neuſtadt nicht weiter gepflegt; er hat den Kaifer Joſeph jeitdem nicht 
wiedergejehen. Seine Hoffnung auf eine allmählide Ausjöhnung der beiden 
großen deutjchen Staaten, auf ihr Zujammenftehen gegen das Vorbringen Ruß: 
lands, war ber Erkenntnis gewihen, daß es „faft unmöglich” fei, mit dem 
Haufe Defterreih einen feiten Bund zu flechten. Entgegen der Auffaffung feines 
Gelandten Rohd in Wien blieb er der Meinung, daß man es dort auf Baiern 
abgejehen habe. Daß aber ein öfterreihifcher Anſchlag auf biefes Land einen 
fharfen und blutigen Krieg unvermeiblih machen werde, hatte er ſchon 1765 vor: 
ausgejagt, damals in ber Erwartung, dieſen Fall jelber nicht zu erleben. Den 
Prinzen Heinrich hat er einmal daran erinnert, daß ihr Vater oft gejagt habe, 
an jeinem Nachfolger werde es fein, die Rechte des Haufes auf Jülich und 


520 Neuntes Bud. Erfter Abſchnitt. 


+ 


Berg zu diskutieren: dasfelbe gelte in Bezug auf die bairiſche Frage für das 
fommende Geſchlecht. Zugleich aber fagte er fih: „Stirbt der Kurfürft von 
Baiern vor mir und wird zum Aufligen geblafen, dann wird man wohl noch 
in den Sattel müffen.“ 

Sein politiihes Syitem, das er Schritt für Schritt einhalte, entwidelte 
er dem Bruder am 13. April 1777 in ber einfahen Formel: „Mit Rußland 
jo eng verbündet bleiben wie möglih; auf Die Schritte des Wiener Hofs, bie 
großen wie die Heinften, acht haben; mit allen anderen Mächten jo gut wie 
möglich ftehen, und zwar ſowohl um fich nicht mutwillig Feinde zu machen, als 
befonders um mit biefen Mächten auf derartigem Fuß zu bleiben, dag man, 
wenn die Umftände eine Allianz erheifhen, Verhandlungen mit ihnen an- 
fnüpfen kann.“ 

Mit Franfreih war man zu einem Handelsvertrag nicht gelangt,') aber 
die 1768 wieder aufgenommenen diplomatiſchen Beziehungen erlitten feine weitere 
Unterbredung. In BVerjailles trat das alte Gefhleht vom Schauplag. Als 
die Marquife Pompadour 1764 ftarb, jah König Friedri richtig voraus, daß 
Choifeul und jeine „Elique” fi gleihwohl behaupten würben. Erſt in ben 
Weihnachtstagen von 1770 gelang es den Umtrieben ber Gräfin Dubarry, der 
legten und niebrigften in ber Reihe der Gunftdamen Ludwigs XV., ben lange 
allmächtigen Minifter durch ihr Werkzeug, den Herzog von Aiguillon, zu erjegen. 
Angenehm überrafcht durch diejen Sturz des „ci-devant roi de France*, ſchrieb 
Friedrich damals mit vergnüglichem Spott an Voltaire: „Ich verlafie mich auf die 
hohe Einfiht Ihres Monarchen in der Wahl und Verabſchiedung feiner Minifter 
und feiner Maitrefjen.” Als diefer Monard am 10. Mai 1774, 64 Jahre alt, 
feine jechzigjährige Regierung beſchloß, widmete ihm Friedrich das Epitaph: 
„Ein guter Mann, der feinen anderen Fehler hatte, als den, König zu fein.” 
In der Satire „Ludwig XV. in ben Elyfäifhen Gefilden“ läßt er den „roi 
trop phlegmatique* im Schattenlande, wie auf Erden, fein Tagewerf zwijchen 
Liebe und Langeweile teilen und zum Bufenfreund den König Salomo wählen. 

Den Nachfolger Ludwigs XV. durchſchaute er bald als „regierungsunfähig”. 
Zugleih aber erfannte er ganz richtig, daß der fteinalte Maurepas und das von 
ihm gebildete Minifterium, welches die Kreaturen ber Dubarry ablöfte, bei aller 
Rüdfiht auf die öfterreihifhe Gemahlin des jungen Königs darauf bedadt 
waren, Frankreich nicht „unter die Herrſchaft der Kunfel” fallen zu laffen. Noch 
dem alten Herrſcher hatte in feinem legten Regierungsjahre Graf Karl Franz 
von Broglie, der Leiter der geheimen Diplomatie Ludwigs XV., die Nachteile 
der öſterreichiſchen Allianz vor die Augen gehalten, indem er auf den König 
von Preußen hinwies, der heute als derjenige Fürft in Europa zu betrachten 
jei, welcher den höchſten Grad der Macht erreicht habe. Jetzt nah dem Thron: 
wechſel ſprach Broglie e8 aus, daß Frankreih in dem Bündnis mit Oeſterreich 
durch eine Verkettung von Frrtümern und Fehlern zu einer Macht dritten oder 
vierten Ranges herabgefunten jei, daß es gelte, den hitzigen und Friegerijchen 
Sinn des Kaiſers Jojeph zu dämpfen, die alten Beziehungen zu Preußen wieder 


1) ®gl. oben S. 409. 410. 


Bairifcher Erbfolgefrieg. 521 


aufzunehmen. So völlig hat nun die Politif Ludwigs XVI. den Kurs nicht 
geändert. Wohl aber hat fi fein Minifter Vergennes die Aufgabe geitellt, 
zwifchen Preußen und Defterreih das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten und auf 
dem Kontinent einem neuen Kriege vorzubeugen, der die Bemühungen zur 
Stärkung der franzöfiihen Seemadt geftört haben würde. Denn ſchon wartete 
man in Verfailles auf die Stunde der Abrechnung mit dem Erbfeind, mit 
England. 

Von dem Zerwürfnis zwijchen England und den amerifanifhen Kolonien 
hat der König von Preußen frühzeitig vorausgefagt, daß es der engliichen 
Regierung ein Dorn im Fuße fein werde, wenn fie früher ober |päter einmal 
mit Franfreih oder Spanien den Kampf erneuern müſſe. Wie richtig war fein 
Urteil in den Anfängen diefes Streites, daß das britiſche Minifterium feine 
andere Wahl habe, als die Stempelafte, das Hauptärgernis der Amerikaner, 
einfad aufzuheben, auf die Gefahr hin, der Autorität des Parlaments dadurch 
vorübergehend etwas zu vergeben. Der Haber ber parlamentarijchen Parteien, 
der das Inſelreich jeht im Frieden um das im legten Kriege erworbene Anjehen 
zu bringen ſchien, war dem preußifchen Selbftherrfcher ebenſo verächtlich wie 
unverftändlid. Wenn die Kabinette famen und gingen, jah er in allem nur 
ben heimliden Einfluß des ihm verhaßten Lord Bute; den böſen Geiftern ähn— 
lid, von denen man ftets jprehe und die man nie jehe, hülle diefer Bute fi 
und feine Umtriebe in tiefftes Dunfel und regiere in Wirklichkeit den König 
und das Königreich. Eine Auffaffung, die infoweit zutreffend war, als das 
KRoalitionsminifterium von 1766, in welchem Willtam Pitt, damals zum Grafen 
von Chatham erhoben, Whigs und Mitglieder der neuen, auf die Stärkung ber 
monarchiſchen Gewalt bedachten Torypartei unter feiner Führung vereinigte, in 
der That das Werk Butes geweſen ift; der gemeinfame Gegenjat gegen bie 
Dligardhie des Hochadels, die Parteiherrihaft und Familienfonnerion der Whig: 
geichlechter, gegen bie Gefolgihaft der Herzoge von Nemcaftle und Devonihire, 
hatte den Günftling des Königs und den „großen Commoner” zufammengeführt. 
Ganz unabhängig aber von Bute ftellte fi fein Nachfolger in der Gunft 
Georgs III., jener Lord North, dem nad Chathams Rüdtritt die Leitung ber 
Geſchäfte zufiel und deſſen unheilvolle Verwaltung dem britifchen Reiche den Verluft 
der amerikaniſchen Kolonien eingetragen hat. 

„Ganz Europa,” jo ſchrieb Benjamin Franklin im Jahre nah der Unab- 
bängigfeitserflärung der PVereinigten Staaten, „wünſcht England gedemütigt, 
denn England hat alle Nationen durch feine Anmaßungen gekränkt.“ König 
Friedrih antwortete damals auf die Frage d’Alemberts nach feinem Urteil über 
den amerifanifhen Krieg und über das Verhalten der Engländer, er denke ganz 
wie die Öffentlihe Meinung: daß fie fih gegen Treu und Glauben vergangen 
hätten, durch den Bruch ihres Pakts mit den Kolonien, und zugleich gegen bie 
Regeln ber politiichen Klugheit und der Kriegsfunft, durch die noch dazu unge: 
Ihidte Eröffnung eines unvermeiblicherweife ſchädlichen Bürgerfrieges, durch 
thörichte Unterfhägung der gegnerifhen Hilfskräfte, durch ungenügende und 
zwedwibrige Vorbereitungen, durch Verzettelung ihrer Streitmacht, durch Rück— 
fichtslofigkeiten gegen die neutralen Staaten. 


522 Neuntes Bud. Erſter Abfchnitt. 


Aber trog feiner alten, durch die neueften Vorgänge nur noch verftärkten 
Abneigung gegen die „Goddams“ hielt er fidh feit an feinen Vorſatz, es mit 
niemand in Europa zu verderben im Hinblid auf einen Ffünftigen Krieg mit 
Defterreid. Die Sendlinge der Aufftändiichen, die im November 1776 und im 
folgenden Juni in Berlin erſchienen, Carmichael aus Maryland und Arthur Lee 
aus Virginia, wurden höflih empfangen, ohne irgend welche Zufagen oder auch 
nur eine Aubdienz beim Könige zu erhalten. Man müſſe alles vermeiden, fo 
wies Friedrich feine Minifter an, was die Amerikaner beleidigen oder verlegen 
fönnte, aber er könne fih, um jene zu begünftigen, nicht mit England über: 
werfen. Er gedenfe ruhig abzuwarten, um fi endlich auf die Seite defjen zu 
ihlagen, für den das Glüd ſich erklären werde. So lange mußte aljo der 
Handelsvertrag zurüdgelegt werden, um den fi die Kolonien bemühten und 
der dem Könige von Preußen an fi jo willkommen geweſen mwäre.') Und 
vollends mußte man es ablehnen, den amerikaniſchen Kaperidiffen den Hafen 
von Emden zu öffnen. Allemal konnte darauf hingewieſen werden, daß ber 
Natur der Sahe nah Franfreih, das fih noch immer zurüdhielt, mit ber 
Anerkennung der neuen Republif den Bortritt zu nehmen habe. 

Das Intereſſe der amerikaniſchen Freiheitskämpfer und der Wunſch des 
preußiihen Königs, die deutſchen Werbepläge nicht allzu ftarf in Anſpruch ge- 
nommen zu jehen, begegneten fih, wenn Friedrich im Herbit 1777 den in Deutſch— 
land gemieteten engliihen Hilfstruppen bei Minden die Wejerfahrt fperrte. Doc 
gab er den Flußpaß bald wieder frei, als nun mit dem neuen Jahre wirklich 
der Krieg um Baiern fam und in erhöhtem Maße politifhe Nüdfichten auf den 
König von England und Kurfürften von Hannover geraten erfcheinen ließ. 


Kurfürft Marimilian Joſeph von Baiern, der einzige Sohn des unglüd- 
lihen Kaijers Karl VII., der legte der alten bairiſchen Wittelsbacher, zählte 
bei feinem Tode am 30. Dezember 1777 erit fünfzig Jahre. „Er hat uns den 
Streich geipielt zu fterben“, fagte Kaifer Zojeph, als er die Nachricht erhielt; 
denn noch waren die geheimen Verhandlungen des Wiener Hofes mit dem Erben 
von Baiern nicht zum Schluſſe gelangt. 

Der Erbe war jener Karl Theodor, der als Sprößling einer pfälziichen 
Nebenlinie, als Gebieter des Heinen Fürftentums Sulzbach im alten bairiſchen 
Nordgau, bejcheiden genug angefangen hatte und dem vor fünfunddreißig Jahren 
beim Tode bes letzten Neuburger Kurfürften von der Pfalz die gejegneten 
Kurlande am Ober: und Mittelrhein, die Herzogtümer Jülih und Berg am 
Niederrhein und das Fürftentum Neuburg an der Donau und der Naab zuge: 
fallen waren. Sept alſo war er berufen, mit diefem alten Befig der rubolfinifchen 
Linie das ganze große Gut der wilhelminifchen zu vereinigen, ſowohl Ober: und 
Niederbaiern mit der Herrſchaft Mindelheim in Schwaben und der Landgraf: 
ſchaft Leuchtenberg im Nordgau, wie die der pfälziihen Kur im Dreißigjährigen 


) Bol. oben S. 410. 


Bairiſcher Erbfolgefrieg. 528 


Kriege entriſſene Oberpfalz. Zwar war das Haus Wittelebah beim gänzlichen 
Mangel an jüngeren Prinzen nicht mehr im Befig der acht rheinifch-weitfälifchen 
und bairijhen Bistümer, die um die Mitte des Jahrhunderts die beiden Oheime 
des legten bairiſchen Kurfürften inne gehabt hatten, ’) immerhin aber ergab bie 
Gejamtheit der bairiſchen und pfälziihen Lande unter derjelben Herrichaft eine 
Hausmadt von jolhem Umfang und Gewicht, dab Kaifer Joſeph als Reiche: 
oberhaupt wie als Nachbar allen Grund Hatte, diejer Verſchiebung der Macht: 
verhältnifje entgegenzuarbeiten. Er that es, indem er eine Verfchiebung nad 
der entgegengejegten Richtung verſuchte und die Gewichte, die er der Schale 
Wittelsbahs mißgönnte, mit fühnem Griff für die Defterreihs in Anſpruch 
nahm. Sollte ihm gelingen, was vor einem Menjchenalter feinem bairifchen 
Vorgänger auf dem Kaijerthbron jo kläglich mißglüdt war, die Vereinigung 
ber beiden größten Staaten Süddeutſchlands? Joſeph war entichlojfen, eine 
Gelegenheit, „wie fie nur in Jahrhunderten einmal wiederfehre”, nit ungenugt 
zu laſſen. 

Die unvergleichliche Gelegenheit bot der Umstand, dag aud Kurfürft Karl 
Theodor finderlos war wie fein Vorgänger und ih um das Nachfolgerecht 
eines Vetter von der Linie Pfalz: Zweibrüden herzlich wenig fümmerte. Schon 
am zweiten Tag, nahdem die Todesbotichaft nah Wien gefommen war, am 
3. Januar 1778, fegte dort der Unterhändler Karl Theodors feine Unterjhrift 
unter einen durch Kaunitz ihm vorgelegten Vertrag, und nad) einiger Bebenf- 
lichkeit erteilte „der ftille und fait furchtſame Mann“, als den der Kaiſer den 
Kurfürften charakterifierte, am 14. Januar feine Ratififation, im Widerfpruch zu 
den früher von ihm unterzeichneten Hausverträgen, welche die Unteilbarfeit der 
wittelsbachiſchen Erblande ausipraden. 

Durd den Vertrag vom 3. Januar erkannte Karl Theodor einen Erb: 
anſpruch Deiterreihs auf alle bairifchen Gebiete an, die Herzog Wilhelm von 
Baiern auf Grund der Teilung von 1353 beſeſſen hatte und die König Sigmund 
angebli dem Herzog Albrecht von Defterreih 1426 zu Lehen gegeben haben 
follte — niemand fonnte genau jagen, welchen Umfang das fo bezeichnete Ge: 
biet hatte. Genug, daß man in Wien den größten Teil von Niederbaiern bar: 
unter verftand. Der Kurfürft trat weiter die Herrihaft Mindelheim ab und 
erkannte das Recht der Krone Böhmen zur Einziehung der böhmiſchen Lehen in 
der Oberpfalz an, allerdings unter dem Ausdruck der Hoffnung, fie fih von 
neuem verliehen zu ſehen. Zur Abrundung der abgetretenen Gebiete und zu 
ihrer befleren Verbindung mit den öfterreihiihen Landen wurde ein freiwilliger 
Austauſch vorbehalten. Joſeph hoffte auf diefem Wege zu gewinnen: entweder 
alles Land öftlih einer Linie vom Austritt des Inn aus Tirol, über Waſſerburg, 
Landshut, Donauftauf bis an die böhmifche Grenze bei Waldmünden, gegen 
Zurüderftattung der weſtlich diejer Linie gelegenen Teile des durch den Vertrag 
erworbenen Gebietes; oder ganz Ober: und Niederbaiern diesjeits einer geraden 
Linie von Waldmünden bis Donaumörth, gegen Abtretung von Borderöfterreich, 
Limburg, Luremburg und der öfterreihiichen Anwartſchaft auf Württemberg. 


) 8b. I, 191. 


524 Neuntes Bud. Erſter Abſchnitt. 


Obgleich nicht vollftändig, werde die Erwerbung doch immerhin jchön jein, 
fagte Joſeph; zumal da fie nichts fofte. Maria Therefia warnte: noch jei feine 
derartige Unternehmung geglüdt, mit einziger Ausnahme ber preußiichen von 
1741; noch verfpüre Defterreih die Folgen der eigenen Ilnternehmung von 1756: 
„Zweihundert Millionen Schulden mehr, und der Wohlftand unferer Völker zer: 
rüttet.” Doc berubigte fi die Kaiſerin, als die Ratififation Karl Theodors 
vorlag. Am 16. Januar rücdten 10000 Defterreiher in die abgetretenen Ge: 
biete zur Befigergreifung ein. „Alle Welt jcheint ruhig und zufrieden,” ſchrieb 
Joſeph zu Ende des erſten Monats. 

Aber der König von Preußen hatte diefen Monat nit verloren, feinen 
Augenblid geſchwankt oder gezaudert. Am 3. hatte er in Berlin das Ableben 
bes Baiernfürjten erfahren; noch in der Nacht empfing er einen jeiner General: 
abjutanten, den aus Potsdam fchleunigit herbeigerufenen Grafen Görk, und 
eröffnete ihm, daß er feinen Bruder, den Grafen Euftahius Görk, den früheren 
Dberhofmeilter des jungen Herzogs Karl Auguft von Weimar, zu einer geheimen, 
Sendung an die wittelsbachiſchen Höfe zu benugen wünſche. Er ſei entſchloſſen, 
bie Zerftüdelung Baierns nicht zuzulaſſen und lieber Krieg bis zum äußerften 
zu führen; es gelte, erforberlihenfalls einen der wittelsbachiſchen Agnaten, und 
fei e8 der jüngfte des ganzen Haufes, gegen die Anſchläge des Kaifers zum 
Einfprud und Widerftand aufzurufen. 

Der General eilte im tieften Geheimnis nah Weimar und überrebete 
feinen Bruder, den Vertrauensauftrag zu übernehmen. Graf Euftahius über: 
zeugte fih in Münden, daß der Kurfürft völlig umgarnt ſei — jchon wurde 
au der Vertrag vom 3. Januar der Deffentlichfeit übergeben — hatte aber 
einen vollen Erfolg bei dem dort zum Beſuch eingetroffenen Herzog Karl von 
Zweibrüden. „Unjer Unglüd hört auf, fobald Seine Majeftät daran teilnimmt,“ 
fagte Karl von dem preußiichen Könige. 

Am 16. März übergaben ſowohl der zweibrüdifhe Vertreter wie der 
brandenburgifche Komitialgefandte Schwargenau dem Reichstage zu Regensburg 
ihre Verwahrungen gegen das Vorgehen des Wiener Hofes, mit Berufung auf 
die Neichsverfafjung und die faiferlihe Wahlkapitulation. Am 26. März ver: 
bürgte König Friedrich dem Herzog Karl fein Erbrecht auf Baiern durch feier 
lihen Vertrag. Die Stimmung in Baiern wandte fi ganz ab von dem neuen 
Herrn, dem Landfremden, der das Land zerftüdeln wollte. Die Witwe bes früh 
verfiorbenen Herzogs Klemens, der als Neffe des Kurfürften Marimilian Joſeph 
fein Erbe gewejen wäre, Herzogin Maria Anna, von julzbahiihem Geſchlecht 
wie Karl Theodor jelbft, wurde feine und Defterreihs eifrigfte Widerſacherin 
und forderte in flammenden Briefen den König von Preußen zum Kampfe auf. 
Das Stoßgebet „Jeſus, Maria, Joſeph“, fo witelte man, laute jegt in Baiern 
bei groß und Klein „Jeſus, Maria, Friedrich”. 

Auch bei den Reichsſtänden war die Stimmung unter dem Eindrud der 
brandenburgiihen Erklärungen am Reichstag ganz Überwiegend, wie man es in 
Wien fi nicht verhehlte, gegen Defterreih und für Preußen. Wenn aber Fried: 
rih daran gedacht hatte, gegen das verfaflungswidrige Vorgehen des Kaiſers eine 
Afjociation der Neichsfreife zu bilden, fo erwies ſich folder Verſuch ſchnell als 


Bairifcher Erbfolgekrieg. 525 


ausſichtslos; die Erfahrung von 1743 wurde von neuem gemadt.!) Er werbe 
Ihamrot für Deutfchland, zürnte Friedrich; diefe Neichsfürften feien „ganz 
Furcht”; fie feien nicht einmal zum Bellen zu bringen, während er fi für fie 
Ihlage. Nur der junge Kurfürft von Sachſen fand einen Entſchluß. Er war 
an dem bairifchen Erbfolgeftreit nahe beteiligt dur feine Mutter Maria Antonie, 
die Schweiter des verftorbenen Kurfürften von Baiern. Ihrem Anſpruche auf 
deſſen Allodialhinterlafienihaft, die man in Dresden auf viele Millionen bezifferte, 
wurde in Wien eine Vorzugsforderung Maria Therefias entgegengeitellt, gegründet 
auf die Abftammung ber Kaiferin von zwei bairifchen Prinzeffinnen des ſech— 
zehnten Jahrhunderts. Auch hatte ein Streit wegen der von Böhmen zu Lehen 
gehenden, aber unter fächfifcher Landeshoheit ftehenden gräflich-ſchönburgiſchen 
Befigungen den Kurfürften gegen den Wiener Hof aufgebradt. In der Er: 
fenntnis, daß er in einem Krieg zwifchen den beiden deutichen Großmädhten fo 
wenig wie 1756 jeine Neutralität behaupten werde, ſchlug ſich ber Dresdener 
Hof diesmal auf die andere Seite und ftellte dem König von Preußen durch 
einen Vertrag vom 2. April feine 21000 Mann zur Verfügung. 

Entſcheidender als alles andere mußte die Haltung ber europäifchen Ber: 
bündeten Preußens und Defterreih& werden. Nicht nur in Petersburg, au in 
Verjailles hatte König Friedrich alsbald feine Hebel angejegt. Sowohl Rußland 
wie ranfreih waren in dieſem Augenblid durch eigene Sorgen in Anſpruch 
genommen. Frankreich hatte gerade jet durch die Anerkennung der Vereinigten 
Staaten von Amerika einen Bruch mit England endlich herbeigeführt, Rußland 
ſah den Frieden von Kutſchuk-Kainardſche durch einen Zwift mit der Pforte über 
bie Auslegung der auf die Krim bezüglichen Artikel gefährdet. 

Zu Verfailles hielt der Minifter den Bemühungen ber Königin, der öfter: 
reihifhen Prinzeffin, das Widerfpiel. Vergennes war entſchloſſen, den Fehler 
von 1756 nicht zu wiederholen, um nicht abermals die Partie gegen England 
durch das Abenteuer eines gleichzeitigen deutichen Krieges zu verlieren. Und mie 
durfte man Baiern den Raub Defterreihs werden laffen, dieſen treueften aller 
deutihen Bundesgenofien, dem fein Martyrium im fpanifchen, im öfterreidhifchen 
Erbfolgefrieg auf Frankreichs Schuß das ftärkite Anrecht gab? Kurz, als ber 
Wiener Hof auf Grund des Vertrags vom 1. Mai 1756 die Stellung von 
24000 Mann gegen Preußen beantragte, erkannte Franfreih den Bündnisfall 
nit an und erklärte feine Neutralität. König Friedrihs anfängliche Hoffnung, 
die Franzofen fih offen gegen Defterreich erheben zu fehen, hatte fich nun frei 
lich nicht erfüllt; aber er hatte ganz recht, wenn er jagte, dab Ludwig XV. und 
die Pompadour befjere Defterreicher gemwejen feien, als Ludwig XVI. und Marie 
Antoinette. 

Aber auch ihm verjagte fi fein Bundesgenofie. Die Kaiferin Katharina 
ftellte Waffenhilfe nur unter Vorbehalt in Ausfiht und juchte inzwiſchen durch 
ihre Diplomatie auf den Wiener Hof einzuwirken. „Gejegt, daß fie uns Hilfs- 
truppen ſchicken,“ meinte Frievrih Ende März in richtiger Ahnung, „jo werben 
die vielleicht, wenn fie fich fehr beeilen, 1779 anfommen.” 


2) Bd. I, 212. 


5206 Neunted Bud. Erfter Abſchnitt. 


Niemals, jo jagte er in bdiefer Zeit der Spannung und Vorbereitung, 
jei fo viel Papier in feinem Haufe vollgefhmiert worden: „Niemals find fo viel 
Teftamente, Konventionen, Traltate, Reichsfonftitutionen mir durch die Hand 
gegangen, wie jeht; ich fürchte, ein Eleiner Eujacius, ein Pufendorff, ein von 
dem Rofte Regensburgs angefreflienes Tier zu werben, aber man muß auf diejer 
Welt Chamäleon jein und die Farben der Zeitläufte widerſpiegeln. Webrigens 
bin ih in der größten Ruhe für die Zukunft, entjchloffen meine Pflicht zu thun, 
jei es als Schreiber, fei es als Soldat, und die Zukunft den unfiheren Gefchiden 
zu überlafjen.” Mitte Februar ſprach er von der Notwendigkeit, fih auf den 
Krieg als auf etwas Unvermeidliches vorzubereiten. Anfang März wurden die 
Beurlaubten einberufen, am 18. März ergingen die Befehle zur Mobilmahung. 
Am 20. hielt der König in Potsdam Kriegsrat ab mit dem General, den er 
vor zehn Jahren in feinem militäriihen Teftament als feinen einzigen einer 
jelbftändigen Heerführung völlig gewachſenen Feldherrn bezeichnet hatte: mit dem 
Prinzen Heinrihd. Der Prinz erhielt den Oberbefehl über ein an ber Elbe zu 
verjammelndes, aus Preußen und Sachſen gemijchtes Heer; ber König ging 
am 6. April von Berlin zu dem Hauptheere ab, das in Schlefien zuſammen— 
gezogen wurde, 

Der Prinz war neben den Miniftern Findenftein und Hergberg auch jetzt 
der Vertraute aller politiihen Entwürfe und Entihlüffe, wie vordem in den 
polnifhen Wirren. Seinen Beifall aber hatten fie nit. Er meinte, daß der 
Staat bei dieſer Politik fein Intereſſe nicht fände. Er erklärte dem König von 
vornherein, daß er „diefe bairifche Affaire” unter dem Gejichtspunft bes für 
Preußen daraus erwachſenden Vorteils betrachte. Und er verftand unter Torteil 
Gebietserweiterung. „Ein Fürft von Ihrer Reputation,” fchreibt er dem König 
am 29. Januar, „kann einen Krieg nicht unternehmen, mwofern derſelbe nicht 
zur Vergrößerung feines Staats dient; in dieſem Kriege aber, wo gegen bie 
Defterreiher Sie allein ftehen würden, ift es jchlechthin nicht menſchenmöglich, 
etwas derartiges zu erwarten.” Als Friedrich über diefe Vorftellungen ftill- 
jchweigend hinwegging, entwidelte Heinrih am 15. Februar einen anderen Ge: 
danken: vielleicht werde der Wiener Hof, auf Widerftand ftoßend, geneigt fein, 
auch dem König einen Gewinn zu gönnen und beide Teile ihr Intereſſe finden 
zu laſſen. Niht daß man den Pfaljgrafen und den jähfiichen Hof opfern 
jollte; aber könnten nicht Säfularijationen dazu dienen, alle Welt zufrieden zu 
ftelen? Darauf entgegnete der König mit Nahdrud: „Es handelt ſich in dieſer 
Sade, mein lieber Bruder, nit um Erwerbungen oder Vergrößerung, jondern 
darum, ein für allemal den öfterreihiihen Ehrgeiz zu duden, damit ihre Autorität 
im Neich nicht defpotifch wird, was uns den größten Abbruch thun würbe. Aljo 
welche VBorfchläge zu Erwerbungen fie mir machen mögen, ich werbe fie alle ver: 
werfen, jehr entichloffen, den Degen nicht in die Scheibe zu fteden, ehe fie alle 
ihre Ujurpationen zurüderftattet haben werben.” 

Den Vorwurf, dab ſolche Politik das preußiiche Intereſſe vernadhläffige, 
durfte er mit Recht zurüdweifen. Es jei gar nicht jeine Abficht, fih zum Don 
Duirote der armjeligen Neihsfürften zu machen. Aber auf dem Plaß, den er 
einnehme, dürfe im eigenften Intereſſe niemand weder die Aufrihtung des 


Bairifher Erbfolgelrieg. 597 


öfterreihiichen Deipotismus im Reich dulden, noch eine Verſchiebung des Gleich— 
gewichts der Macht dur Vergrößerung bes öfterreihifchen Beiigitandes. „Ich 
weiß fehr wohl, daß allein unjer eigenes ntereffe uns in dieſem Augenblid 
zum Handeln verpflichtet, aber man muß ſich wohl hüten, es zu jagen.” 

Auch Herkberg war wenig damit einveritanden, daß ber König diefe Ge: 
legenheit nicht zur Erlangung greifbarer Vorteile nah dem Grundſatze ber 
Konvenienz benugen wollte. Immer wieder ſchlug er diefe Saite an; ja, ſchon 
im allererften Augenblid hatte er ein großartiges Taufchprojeft fertig gehabt, 
aus dem einzelne Gedanken ihn durd feine ganze politiihe Laufbahn begleitet 
haben: Defterreih jollte für die Erwerbung von Baiern bis zur far mit den 
Salzwerten von Reichenhall Teile von Galizien mit den Salzwerten von Wielida 
an die Republif Polen zurüdgeben, diefe dafür Danzig und Thorn und ben 
Grenzftrih weftlih der Obra an Preußen abtreten; aud follte Preußen zu 
feiner Abrundung dereinft Ansbah und Baireuth gegen die Laufisen eintaufchen 
bürfen. 

Aber au jeinen Miniftern konnte der König immer nur jagen, daß man 
alles vermeiden müfje, womit ber Gegner die Uneigennügigfeit Preußens ver: 
dächtigen fönne. Um den Prinzen Heinrih zu beſchwichtigen, jchrieb er ihm 
einmal, Vorteile werde man, wenn das Glüd günftig gewejen fein follte, immer 
noch als Entihädigung für die Kriegskoiten fordern fünnen; das aber mülle 
man verheimlihen wie einen Mord. 

An die Möglichkeit eines Erfolgs im Kriege aber wollte der Prinz eben 
nicht glauben. Er jah es kommen, daß Preußen nicht den geringiten Gewinn 
einheimfen, Defterreih aber im Bejig von Baiern bleiben werde. So jprad er 
fih gegen den König aus und noch viel abfälliger und bitterer gegen andere. 

Friedrich erklärte dem Bruder endlich mit ernften Worten fein Erftaunen 
über dieſe büfteren Betrachtungen zu einer Zeit, wo man ſchwere Gefahren, 
wie ehedem, für den Staat nit zu fürdten habe: „Der Menſch ift zum 
Handeln geihaffen, und wie könnten wir nüßlicher handeln, als indem wir das 
tyranniſche Jod breden, das die Defterreiher Deutſchland auflegen wollen.“ 
Der Prinz aber in feiner trüben Stimmung und im Bollgefühl feiner befjeren 
Einfiht glaubte fi berufen, zu Gunften zugleich des Friedens und ber preußi= 
ſchen „Konvenienz” die Vorjehung zu jpielen: durch die dritte Hand, feinen 
Vertrauten Anyphaufen, ließ er es dem öfterreihiihen Gejandten, dem Grafen 
Ludwig Cobenzl, zu Ohren fommen, daß ſich eine geeignete Grundlage für einen 
Vergleich bieten werde, wenn Defterreich fih mit dem fünftigen Austaufch von 
Ansbah und Baireuth gegen die Laufigen einverftanden erflären wolle. 

Mit Unrecht glaubte man in Wien diefe Eröffnung auf den König jelbit 
zurüdführen zu jollen. Fürft Kaunitz ſah fi in der Vorſtellung beftärft, daß 
Friedrich fi nie und nimmermehr zum Krieg entfchließen werde, dab es ihm 
nur um eine anſehnliche Gebietserweiterung zu thun fei, daß er gern bereit 
jein werde, mie 1772 ein Abkommen nad den Gefichtspunften der gegenjeitigen 
Konvenienz zu treffen. Nach wie vor jah Kaunig mit unendlihem Hochmut auf 
den Staatsmann Friedrih herab. Niht in jcharffinniger Vorausſicht oder 
gefunder Staatsfunft jeien die Beweggründe diefes Fürften zu fuchen, jo hatte 


528 Neuntes Bud. Erfter Abſchnitt. 


er noch jüngft geſagt, ſondern in feinem perſönlichen Charakter, jeiner Stim: 
mung, feiner mürrifhen Einjamfeit, feinem Menfchenhaß, feiner fteten Verachtung 
fittliher Pflichten, in ber Abnahme feiner Gejundbeit, in feinen perfönlichen, 
unverföhnlihen Feindihaften. „Gute Menſchen Fönnen die wilden und faft 
wahnfinnigen Ausfchweifungen eines Gemüts wie das feine, in welchem Leiden: 
ihaft und räuberifcher Ehrgeiz immerbar regieren, weber vorausfehen nod 
berechnen.” Der Staatslanzler war mit der KaiferinsKönigin darin einig, daß 
man bie bargebotene Hand nicht zurüdftoßen ſolle. Nun war Kaifer Joſeph 
nicht ohne Kriegsluft, nicht ohne militärischen Ehrgeiz. Noch mehr als Kaunig 
vertrat er die Meinung, daß Friedrich nicht ſchlagen werde. Joſeph hat damals 
wohl gejagt, daß er nichts auf das Spiel jege, denn träfe ihn das Unglüd, 
bejiegt zu werben, jo würde er dem Helden des Jahrhunderts erlegen fein, und 
falle ihm ein Erfolg zu, jo wäre ibm das um jo ruhmvoller. Er war im 
Begriff, nad) dem Vorgang feines großen Gegners fi gleichfalls ins Feldlager 
zu begeben. Aber er ließ fi den Vertragsentwurf, den Kaunig auffegte, 
gefallen. Der Entwurf ftellte die öfterreihifhen Anſprüche auf Teile von 
Baiern, die preußifhen auf Ansbah und Baireuth in Parallele, jah die gegen: 
feitige Anerkennung biefer Anſprüche vor und behielt beiden Teilen das Recht 
für einen Austaufch der bezeichneten Gebiete gegen ſolche vor, die nicht an bie 
Landesgrenzen des anderen ftoßen würden. 

Das aljo der Vorſchlag, den der Kaifer am 13. April einem eigenhändigen 
Briefe an den König beifhloß. Er babe, fo hieß es in dieſem aus Olmütz 
batierten, aber aus Wien fertig mitgenommenen Schreiben, zu vertrauliden Er: 
Öffnungen im Sinne der zu Neiße und Neuftadt ausgetaufchten Verjprehungen !) 
erſt jchreiten wollen, nachdem er der Hauptitadt und folglich „allem, was Fineſſe 
und Bolitif heiße”, den Rüden gelehrt. 

Friedrih ging auf den biederen Ton ein. Ohne einen Minifter oder 
Sähreiber bei der Hand zu haben, müfje er den Kaifer bitten, mit der Antwort 
eines alten Soldaten vorlieb zu nehmen, der ihm mit Grabheit und Freimut 
ſchreibe. Freimütig war es allerdings, wenn er nun ohne Umfchweife fortfuhr: 
Kernpunft des ganzen Streites ſei die Frage, ob ein Kaifer nah Willtür über 
Neihslehen verfügen dürfe: „Soll dem fo fein, jo werben die Zehen zu Timars 
auf Lebenszeit, über die der Sultan nah dem Tode des Inhabers beftimmt.“ 
Vebrigens fam die Antwort dem öfterreihiichen Intereſſe weit entgegen, indem 
der König dem Kaifer anheimgab, den Pfalzgrafen von Zweibrüden für feine 
bairiihen Erbanfprühe durch andere Gebiete zu entihädigen und auch Sachſen 
und Medlenburg (das Anſprüche auf Leuchtenberg erhob) dur Abfindungen zu- 
frieden zu ftellen. Die ansbach-baireuthiſche Nachfolge, ein unbeftreitbares Recht 
des Haufes Brandenburg, bat er den Kaiſer gänzlih aus dem Spiele zu lafjen. 

Im Fortgang der Verhandlung erhielt dann am 20. Mai der preußifche 
Ausgleihsvorfhlag eine feftere Geftalt: Der Wiener Hof jolle, gegen Abtretung 
von Geldern und Limburg an das Haus Wittelebah und nad Ablöjung der 
ſächſiſchen Anſprüche, von dem bejegten bairifhen Gebiet zwei an Böhmen und 


) Bgl. Bo. J, 31. 


Bairifcher Erbfolgefrieg. 529 


Oberöfterreih anftoßende, durch das Bistum Paflau getrennte Stüde behalten 
dürfen: nördlich der Donau das Revier des bairishen Waldes bis zu den Flüffen 
Regen und Cham, jühli das Land bis zur Jar und Salzach; Preußen griff 
für fih aus dem öfterreihijchen Antrag den Tauſch von Ansbah und Baireuth 
heraus, indem ihm freiftehen jollte, beide dereinft gegen die beiden Laufigen 
— nad bes Kaijers Briefe blieb doch die Oberlaufig, als an Böhmen grenzend, 
außer Betracht — auszuwechſeln. Eine öfterreihifche Antwort vom 31. Mai fam 
weſentlich auf den erften Vorſchlag zurüd, wie ihn der Kaifer überjandt hatte; 
man ftellte fih auf den Standpunkt, daß Defterreih im Intereſſe des Gleich: 
gewichts die Vereinigung der beiden fränfifchen Fürftentümer mit dem Königreich 
Preußen mit demjelben Recht befämpfen dürfe, wie Preußen jett den Uebergang 
bairifcher Provinzen an das Erzhaus. Mit Lebhaftigfeit beitritt die preußijche 
Erwiderung vom 13. Juni, daß man dem öfterreihijchen Anjchlag auf Baiern 
nur aus Gründen der Politik und des Gleichgewichts entgegentrete; der König 
wollte jegt, nachdem fich ohnehin inzwiſchen fein neuer Verbündeter, der Dresdener 
Hof, gegen das laufigiihe Tauſchgeſchäft ausgeſprochen hatte, feinen fränkiſchen 
Erbanſpruch gänzlih aus der Verhandlung ausgeſchieden wiſſen und verlangte 
unummunden Auskunft über die Entihädigungen, die Defterreih den Wittels- 
badern und dem fähliichen Kurhaus geben wolle. „Ich verftehe die Apokalypſen 
Eures Kaunig nicht,” ſchrieb er an feinen Gefandten Riedejel nah Wien, „ih 
bin fein Seher, er muß entweder jpredhen oder der Krieg bridt aus.” Und 
mit feinem Lieblingscitat aus Racine ſchloß er: „Dies Orakel ift fiherer als das 
des Kalchas.“ 

Daß die neue preußiiche Note unmittelbar nad Wien gefandt wurde, darin 
wollte Joſeph, noch immer in der Vorftellung von Friedrichs Kampfesicheu be: 
fangen, ein gutes Zeichen fehen: offenbar erwarte ber König mit der friedliebenden 
Kaiferin und ihrem Kanzler eher handelseins zu werden, als mit ihm, dem 
Kaijer, in dem von Bajonetten ftarrenden Hauptquartier. Er bezeichnete dieſe 
Verlegung der Scene nad Wien als eine Selbfterniedrigung des Königs. Darin 
fimmte die Mutter ihm zu: biefer große Mann fei doch, wenn man ihn nur 
näher anfehe, jehr Kein und ein reiner Charlatan. In der Sache aber, fo 
mußte die Kaiferin zugeben, habe „diejes Ungeheuer” leiver recht: „Unglück— 
liherweije find wir es, die fi im Unrecht befinden, da wir nicht deutlich reden, 
und wir fönnen es nicht, da wir ungerechte Dinge begehren und ihrer habhaft 
zu werben hofiten, indem wir dem Könige von Preußen die Laufit als Lockſpeiſe 
binbielten.” 

So galt denn die preußifche Note der Kaiferin als „ganz annehmbar”, 
dem Kaijer aber als „unverfhämt”, Joſeph beftand darauf, daß wiederum feine 
„deutlihe”, jondern in ber Hauptjache eine ausweichende Antwort erteilt werde; 
denn die Entſchädigungen bürften erft angemwiefen werben, wenn bie Heere aus: 
einandergegangen fein würden. Noch am 17. Juni meinte er: „Das einzige, was 
man urteilen fann, ijt wohl dieſes, daß bes Königs friegeriihe Luft jehr Elein, 
deſſen Habhaftwerbung ber Lauſitz aber fehr groß fei, und ich folgere aus all 
diejem, daß, wenn wir bei einer billigen aber feften Sprache bleiben, der große 


Friedrich mitfamt feiner Kerres:Armee endlich doch feine — Sprache 
Rofer, König Friedrich der Große. II. 2. Aufl, 


530 Neuntes Bud. Erſter Abſchnitt. 


für das Heil Deutfchlands mäßigen und feinen wejentlihen Vorteilen und ber 
Ruhe feiner alten Knochen das übrige aufopfern wird.” 

Derweil ſaß der alte Mann, dem ſolche Charafteriftif und Prognofe galt, 
täglih lange Stunden im Sattel und war mit Wort und Beifpiel bemüht, 
feinen Beratern und Gehülfen Mut, Zuverfiht und guten Willen einzuflößen: 
dem Minifter Hergberg, der immer von neuem auf diplomatifche Auswege fann, 
dem Prinzen Heinrih, der alles jhlimmfte vorausfah und vorausfagte. „Sie 
müſſen mich hinreichend fennen, mein lieber Bruder,” fchreibt ihm Friedrich 
am 21., „um mir nicht zuzutrauen, daß ich zurüdzuden werbe, nachdem ich mid) 
jo weit in die Verhandlung eingelaffen habe. Alles wird gut gehen; guten Mut 
und Selbitvertrauen, und ich ftehe Jhnen dafür ein, daß der Kaifer, obſchon ganz 
Cälar, lernen wird, Waffer in feinen Wein zu thun.” 

Am 27. Juni erhielt er aus Wien die nichtsfagende Antwort auf fein 
Ultimatum. Am 3. Juli ließ er die Feindjeligfeiten anfagen. Am 5. überjchritt 
das jchlefifhe Heer die böhmiſche Grenze, der König bei der erften Sektion der 
Avantgarde. 


Der Kaiſer war überrafcht und beftürzt. Diefe Wendung hatte er in ber 
That für ausgejchlofjen gehalten. Die Erhaltung der Monardie, fo fchrieb er 
an bie alte Kaiferin, hänge bei diefem entftandenen verberblihen und höchft ge: 
fährlihen Kriege von wenigen unglüdlihen Augenbliden ab. Er verlangte Auf: 
bietung ber äußerſten Mittel, Aushebung von mindeftens 40000 Refruten, Er: 
höhung der Steuern. Die Aufregung, die fih in feinen Briefen fpiegelte, teilte 
fih der Mutter mit und gab ihr einen jähen Entfhluß ein. Sie gewann es 
über ih, acht Tage nad der Kriegserflärung einen Bevollmächtigten in das 
böhmiſche Hauptquartier des Königs von Preußen zu ſchicken und Frieden zu 
bieten; in einem Begleitichreiben (dem erften Brief, ben fie mit eigener Hand an 
den „böfen Mann“ gerichtet hat) berief fie fich auf die Unruhe ihres Mutterherzens 
und ſprach ihren lebhaften Wunſch aus, daß das gute Einvernehmen für immer 
wieberhergeftellt werde. Wohl hatte Joſeph ihr geichrieben, daß ein Friede zu 
nur einigermaßen anftändigen Bedingungen ein ſehr großes Glüd fein werde, 
trotzdem mwurbe er jet durch den Schritt der Kaiferin auf das peinlichite und 
ichmerzlicfte berührt. Nachdem fie den Feind um Frieden „ordentlich gebeten“, 
bleibe ihm faum etwas anderes übrig, als alles im Stih zu laſſen und fid 
gerabeswegs nad Florenz zu begeben. 

Zweimal fam und ging der Friedensbote, Baron Thugut. Der König 
beantwortete das Schreiben der Kaiferin mit Worten hoher Anerkennung für bie 
Hochherzigkeit und Mäßigung, die diefe Fürftin in einer ftrittigen Sade zeige, 
nachdem fie vordem die Erbfchaft ihrer Väter mit heldenmütiger Feftigfeit be— 
hauptet habe. Aber eine Verftändigung wurde nicht erreiht. Bei der zweiten 
Berhandlung bot Thugut zunädft den völligen Berzicht feines Hofes auf alles 
bairifhe Gebiet, wenn Preußen fich verpflichten wollte, Ansbah und Baireuth 
als Selundogenitur fortbeitehen zu laſſen. Als diefer Vorfhlag mit Schärfe 
zurüdgewiejfen wurde, brachte jener noch einmal das laufigiihe Tauſchgeſchäft 


Bairifcher Erbfolgelrieg. 531 


zur Sprache, diesmal auch auf die Oberlauſitz erſtreckt; aber der Kurfürſt von 
Sachſen ſollte mit ſeinen bairiſchen Allodialanſprüchen wieder auf künftige Ab— 
machungen vertröſtet werden. Der König meinte, Thugut ſpiele die Rolle des 
Verſuchers nicht übel. Aber er widerſtand der Verſuchung. Am 16. Auguſt 
mußten feine Miniſter Finckenſtein und Hertzberg auf fein Geheiß aus Braunau, 
dem legten Schauplat der Verhandlung, abreifen, und ber Defterreicher mußte 
wohl oder übel ihrem Beifpiele folgen. 

Eben in diefe Tage, da der Faden der Verhandlung abriß, fiel auch die 
militärifche Krife diejes Krieges, die über den Charakter und Verlauf des Feld: 
zugs entſchied. 

Der preußiſche Operationsplan ging aus von dem Grundgedanken der 
fridericianifhen Strategie, dab die Entſcheidung in Mähren gefuht werben 
müſſe.) Von zwei gleich ftarfen Heeren — jedes zählte, die 20000 Sadjen 
mitgerechnet, ungefähr 80000 Mann — wollte der König das eine nad) Mähren 
führen, mit dem anderen jollte Prinz Heinrih von Sachſen aus in Böhmen vor: 
dringen. Bon einer Schladt, einem Sieg in Mähren, einer „guten Bataille” und 
der Entjendung von 20000 Mann an die Donau nad) Preßburg erhoffte Friedrich 
die Wirfung, daß die Defterreiher ihre Truppen aus Böhmen zurüdnehmen 
würden; dann jollte das eine preußifche Heer Brünn, das andere Prag belagern. 
Als weiteres Ziel wurbe beiden die Donau gemiejen. 

Für die erfte Einleitung der Bewegungen hatte nun der Entwurf alsbald 
eine Abänderung erfordert. Die Maſſe der öfterreihiihen Streitkräfte zog ſich 
nicht bei Olmütz, wie Friedrih erwartet hatte, jondern im norböftlihen Böhmen 
zufammen. Von dort konnte der Feind, wenn der König in Mähren einbrad, 
in feinem Nüden eine Diverfion nad Niederſchleſien machen oder jih auf das 
Heer des Prinzen werfen und Sachſen bedrohen. Um das öſterreichiſche Haupt: 
heer, das der Kaiſer in Perfon befehligte, feitzuhalten, war deshalb ber König, 
wie wir eben hörten, Anfang Juli aus den jchlefischen Bergen nah Böhmen 
eingerüdt, über Nachod. Er verjprad) dem Prinzen Heinrich, dort zunächſt jo 
lange bleiben zu wollen, bis jener von Norden ber feinen Einmarſch bewirkt, 
die Truppen Laudons „weggefegt” und fich feitgejegt haben würde. 

Prinz Heinrid hatte vor Jahr und Tag die Hoffnung ausgejproden, bie 
Deiterreiher würden, da der Zauberer Daun nicht mehr unter den Lebenden 
war, in einem fünftigen Kriege mit mehr Schnelligfeit und Entſchluß als früher 
operieren und jo vielleiht ihren Gegnern eher eine Gelegenheit zum Angriff 
bieten. Aber gerade im Gegenteil hatten es ſich Kaifer Joſeph und feine er: 
fahrenen Gehülfen Lacy und Laudon feſt vorgejegt, ganz in der Defenfive zu 
verharren und ihr Heil in ftarfen Stellungen zu juchen. 

An die Elbe gelangt, fand das jchlefifhe Heer den ganzen oberen Lauf 
des Fluſſes bis nad Königgräg durch dreifache Redouten und zahllofe Artillerie 
in einen furdtbaren Verteidigungszuftand geſetzt, „Ichwerer zu bezwingen als 
die Feitung Lille“. Der König urteilte, daß hier eine Dffenfive ausfichtslos jei, 
und beſchloß deshalb, feinen Feldzug nad) Mähren, um nicht allzuviel Zeit zu 





) Oben ©. 514. 


932 Neuntes Bud. Erſter Abſchnitt. 


verlieren, durch ein abgefondertes Corps unter dem Erbprinzen von Braun: 
ſchweig ſchon jett zu eröffnen. Er dachte, daß dann aud der Kaijer nad) 
Mähren detadhieren müßte und daß jo, durch eine Folge einander angepaßter 
Entjendungen von hüben und drüben, ſich bie Bühne gleihjam unvermerft auf 
mährifhen Boden hinüberſchieben würbe. 

Prinz Heinrich hatte für den Einmarfh nah Böhmen die Wahl zwiſchen 
der Straße zur Linken ber Elbe, über den Paskopol, oder dem Uebergang über 
das Laufiger Gebirge auf dem rechten Ufer. Am 13. Juli meldete er dem 
Könige, daß er fih für den zweiten Meg entjchieden habe; fo denfe er Laudon 
von ber Elbe nad} der Iſer abzubrängen und vielleicht die Verbindung mit dem 
Hauptheer zu gewinnen. Er änderte feinen Entfhluß und leitete den Marſch auf 
dem linken Ufer ein, als er am 15. zu feinem Schreden den Mitteilungen des 
Königs über die beabfichtigte Entjendung des Braunfchweigers entnehmen zu 
müſſen glaubte, daß Friedrich überhaupt aus Böhmen abziehen wolle. Das war 
nun die Meinung nicht gewejen; vielmehr verzichtete Friedrich jogar auf die Ab: 
jweigung auch nur jenes einen Corps augenblidli, jobald er Heinrichs erfte 
Botſchaft erhalten hatte, den Bericht vom 13., die Ankündigung des Vormarſches 
auf dem rechten Ufer. Er begrüßte den Entſchluß feines Bruders mit über: 
ſchwenglichen Lobſprüchen: Ein Gott habe ihm dieſen Plan eingegeben. Der 
Prinz fam demnah am 19. Juli auf fein urfprüngliches Vorhaben zurüd, ftellte 
aber die ausbrüdliche Bedingung, daß das Hauptheer in Böhmen verbarre: 
„Wenn Sie nah Mähren gehen,” fchrieb er dem Könige, „kann ich nicht in 
Böhmen bleiben.” 

Friedrich gab feinen großen Plan, „Böhmen in Mähren zu erobern” nicht 
endgültig auf. Aber er machte jeinem Bruder weitgehende Zugeftändniffe. Bis 
gegen Ende September, jo verhieß er, wolle er in Böhmen bleiben, unb bie 
Entjendungen nad Mähren würden nur ganz allmählid, in Fleinen Trupps, vor 
fih gehen. Doch geftand er, daß ihm die Unthätigkeit, zu der er fi in feinem 
Winkel von Böhmen verurteilt jah, hart anfomme. „Wir ftehen hier,” jchreibt er 
dem Bruder am 9. Auguft „mit gefreuzten Armen und bewundern Ihre jchönen 
Thaten.” 

Die Anerkennung war durchaus aufrihtig; denn der Prinz hatte feinen 
Feldzug in den legten Tagen des Juli und den erften des Auguft auf das 
glänzendite begonnen, feines Ruhmes aus dem vorigen Kriege, feines großen 
Namens wert. Auf Pfaden, die als ungangbar gegolten hatten, war er über 
die Laufiter Berge gefommen, dem Feldmarſchall Laudon zur völligen Weber: 
rafhung. Der Schreden der öfterreihiihen Kommandos war faum minder groß, 
als beim Einbruch der Preußen in jenen Apriltagen von 1757. Laubon war 
faflungslos; ohne Schwertftreih, wie ber Kaifer ſchalt, gab er alle wohlvor: 
bereiteten Verteidigungsftelungen auf; bis Münchengräß zurüdgegangen, erklärte 
er, auch die Iſerlinie nicht halten zu fünnen. Der Kaifer eilte aus dem großen 
Hauptquartier herbei, er fand bei feiner Ankunft in der Nacht auf den 11. Auguft 
die Zelte ſchon abgejchlagen für den weiteren Rüdzug, er ließ den Abmarſch 
nicht zu, aber er geitand am 14. in feinem Bericht an die Kaiferin, daß man, 
erihöpft und entmutigt wie die Truppen jeien, die Stellung an der Iſer beim 


Bairifcher Erbiolgefrieg. 533 


Nahen des Prinzen Heinrih werde räumen müſſen, vielleicht vor Ablauf von 
zwei Tagen. Und dann war auch feine eigene Stellung am Oberlauf der Elbe 
nicht mehr haltbar. Die fritiihe Stunde des Feldzugs war gelommen. 

Völlig richtig erfaßte die Gunft des Augenblids der Generalleutnant von 
Möllendorff im Heere des Prinzen Heinrihd. Er legte dem Feldherrn am 
17. Auguft Vorſchläge zur Umgehung der feindlichen Stellung vor. Graf Hendel 
von Donnersmard, auch in diefem Feldzug wie vor 20 Jahren!) des Prinzen 
Vertrauter, jetzt Oberft, jah ihn jehr aufgebracht über Möllendorff. Heinrich 
argmwöhnte, jein Untergebener werde fich mit jeinem größeren Wagemut brüjten 
wollen, und ließ fih nur allmählich durch Hendel befänftigen. Möllendorff wurde 
unverzüglih, no am 17., ablehnend beſchieden. Laudon war außer Gefahr. 

Dem Könige meldete Heinrid am 17. Auguft, daß er aus Mangel an 
Verpflegung in zehn bis zwölf Tagen nad) der Laufig zurüdgehen müfle. Friedrich 
war peinlich überraſcht. Er erklärte, daß der Abmarſch, wenn er unvermeidlich 
würde, vielmehr auf Zeitmerig zu richten ſei: „Geſetzt daß Sie entſchloſſen wären, 
nichts zu unternehmen, würden Sie dann mwenigftens Ihr Heer auf Koften des 
Feindes leben laffen, und das iſt mehr wert als nad) der Lauſitz zu gehen, nad) 
diefem ſchönen Debüt, womit Sie den Feldzug eben eröffnet haben.” 

Damit doch irgend etwas gejchehe, beihloß nun der König, die Dffenfive 
felbft auf fich zu nehmen, ganz entgegen den bisherigen Borausjegungen. Es 
galt den PVerfuh, das Heer des Kaijers in der nördlichen Flanfe, die minder 
befeftigt fchien, zu umgehen und dann von Hohenelbe über Turnau mit bem 
Prinzen Fühlung zu gewinnen. Der Kaijer, über die Abficht feines gefürchteten 
Gegners bald im Haren, war einige Tage hindurch in großer Sorge, um fo 
mehr, als gerade jetzt wieder Laudon, der ſich, fo ganz ohne Grund, noch immer 
von dem Prinzen Heinrich bedroht glaubte, feinen Rückzug von der fer als 
unvermeiblih anfündete. Erſt am 24. atmete Joſeph auf: es ſei unbezahlbar, 
fchrieb er der Kaijerin, daß ihm die Preußen den heutigen Tag für feine Gegen: 
maßregeln gelafjen hätten; jegt hoffe er einem Angriff widerſtehen zu fönnen. 
Entjcheidend war, daß die preußiiche Artillerie den Marſchſäulen im Gebirge 
nicht raſch genug hatte folgen können; auch hatte der Generalmajor von Anhalt 
am 22. die Beſetzung der die Stellung von Hohenelbe beherrjchenden Höhen 
zwifchen der großen und der kleinen Elbe verjäumt. Der König mußte fi 
jagen, daß fein Anſchlag nad unermeßlihen Anftrengungen vereitelt war. In 
Mähren, meinte er, hätte jolches ihm nicht zuftoßen ſollen. 

Von nun an bejchränfte fi der Aufenthalt der Preußen in Böhmen, ihre 
nach Frievrihs eigenem Ausdrud „inſipide“ Gampagne auf einen „Kartoffel: 
krieg“, auf die gründliche Ausleerung des von ihnen bejegten Gebiets. Der 
Feind blieb regungslos, „wie veriteinert”. Um fo mehr litt man unter Kranf: 
heiten und dem ungewöhnlich rauhen Herbft. In den legten Tagen des September 
zog Prinz Heinrih, Mitte Oftober der König aus Böhmen ab, zum ungeheuren 
Jubel der Defterreiher. Mit Selbitironie ſprach Friedrih von den „Heldenthaten 
der Siebzigjährigen”. 


') Oben ©. 100. 


534 Neuntes Bud. Erfter Abſchnitt. 


Die bis zulegt im Auge behaltene mähriihe Unternehmung führte jett, 
im Oftober, nur noch zur Beſetzung von Troppau und Jägerndorf, d. h. zur 
Sicherung der Operationsbafis für den nächſten Feldzug; denn Friedrich wurde 
durch feine neuefte Erfahrung in feiner alten Meinung nur beftärft, daß er fid 
nicht nad) Böhmen verlieren dürfe, fondern das Heil in Mähren zu juchen habe. 

Die Stimmung im preußiſchen Heere war nad diefem mit Unfruchtbarkeit 
geihlagenen Feldzug jehr gedrüdt. Die Feldherren, die Offiziere, die Mann: 
fhaften, fie alle murrten. Die Eoldaten hatten feine Schlacht gehabt, die fie 
gewünſcht hatten und die erfahrungsmäßig die Lebensgeifter der Truppe immer 
auffriihte. „Ich kenne die preußiiche Armee gegen die vorige nicht,“ ſchreibt 
ein Offizier gegen das Ende des Feldzugs, „es ift Fein Leben unter Generals 
und DOffiziers, alles läßt den Kopf hängen, und es iſt in feinem Stüde die 
mindefte Ordnung.” Ein anderer jpricht von einer über alle Begriffe eingerifjenen 
Dienftnadläffigfeit. Das Klugreden aber, das Räfonnieren und Kritteln mar 
mehr denn je im Schwange Als infolge einer Anordnung, die vom König 
jelbft ausgegangen war, einmal einer Zufuhr ein Unfall zuftieß, gab fi im 
Hauptquartier die Schadenfreude offen fund, und als ein dem Heere als Volontär 
folgender hejfifcher Prinz feinem Miffallen über ſolche Gefinnung Ausdrud gab, 
ipottete man über diefen „Noyaliften”. Ein jchwerer Schaden für den Dienft 
war die große Zahl invalider Stabsoffiziere und altersihwadher Generale. Prinz 
Heinrich hatte bei jeiner Infanterie drei Generalleutnants und drei General: 
majore, die wegen Alters und Gebredlichkeit ihm nur zur Laſt waren. Aber 
auch über die bdienftfähigen Generale urteilte der Prinz in Bauſch und Bogen 
ab; nur den einen Möllendorff ließ er gelten, und diejes Einen guten Rat hatte 
er nicht befolgt. Belling, der Schwedenverfolger aus dem Siebenjährigen Krieg, 
für jeine ausgezeichneten Leiſtungen beim Einmarfh aus der Laufig mit dem 
Ihmarzen Aolerorden belohnt, galt ihm als gut für die Ausführung, aber ber 
Zeitung bebürftig. Alles im Heere, jo Hagte er dem Erbprinzen von Braunschweig, 
ſei medhanijch geworden: „Keine Köpfe! In diefer Beziehung find wir äußerft 
heruntergefommen. Das ift die Wirkung des Dejpotismus, das ift die Wirkung 
der ſchlechten Beifpiele, die eine ganze Nation verderben.“ Zwiſchen den Zeilen 
deutete er dieje feine Auffaffung dem Könige ſelbſt an. Als Friedrich geäußert 
hatte, daß er wenig Unterftügung finde, antwortete Heinrih: „Die, auf Die das 
geht, find ohne Zweifel ſehr unglüdlih, Jhnen nicht genügen zu können, aber, 
wenn es mir erlaubt ift mit meinem gewohnten Freimut zu reden, jo ift es für 
Sie und für jene beiler, andere, denen Sie mehr Vertrauen gewähren, zu wäblen. 
Unter der großen Anzahl von Offizieren, die Sie in Krieg und Frieden gebildet 
haben, müfjen fi ſolche finden, die Ihren Beifall verdienen werden; die, welche 
ihn verloren haben, müſſen ohnehin an ihrer natürliden Thatkraft einbüßen, 
jobald fie bemerken, Ihren Dank nicht mehr zu erwerben. Nichts ift entmutigender, 
als wenn der Souverän gegen die, welde ihm dienen, verftimmt it.“ 

Der Prinz jprad von feinem eigenen Fall; deutlich genug. Er quittierte 
mit diejer Anjpielung und mit ähnlihen Stoßfeufzern die verftedte Kritik feines 
legten Feldzugs, die er aus gewiſſen allgemeinen Betrachtungen in den Briefen 
des Königs herauslefen konnte. „Krieg und Schlaffheit,“ ſchreibt ihm Friedrich 


Bairifcher Erbfolgefrieg. 535 


einmal während dieſes Winters, anſcheinend ohne jede perſönliche Beziehung, 
„vertragen ſich nicht miteinander; wer nach reiflichem Nachdenken über ſeine 
Aufgabe nichts unternimmt, wird immer ein armer Herr ſein.“ In ſeinen Denk— 
würdigkeiten des bairiſchen Erbfolgekriegs hat Friedrich abfällige Bemerkungen 
über die Unthätigkeit ſeines Bruders nicht unterdrückt, ohne doch, wie es ſcheint, 
von dem für das Urteil am meiſten entſcheidenden Vorgang, jener verhängnisvollen 
Meinungsverſchiedenheit zwiſchen dem Prinzen und Möllendorff, etwas gewußt 
zu haben. Heinrich ſeinerſeits legte ſich das Bild dieſes Krieges ſo zurecht, daß 
der König, nach der glänzenden Antrittsrolle der zweiten Armee auf ihn eifer— 
füchtig, ihn durch widerſpruchsvolle Befehle in Gefahr gebracht habe, ſeine 
Reputation als Feldherr zu verlieren; noch während des Feldzugs iſt ihm das 
gehäſſige Wort entfahren, er ſei gegen die Falſchheit des Königs mehr auf der 
Hut als gegen die Unternehmungen des Feindes. 

Aus ſeinem Winterquartier zu Dresden reichte der Prinz am 3. Dezember 
ein ſchon vor Wochen aufgeſetztes Abſchiedsgeſuch ein, das er mit der Zerrüttung 
ſeiner Nerven begründete. Der König ließ es zunächſt unerledigt; in der Folge 
beſtimmte er für den Fall eines neuen Feldzugs den Erbprinzen von Braun— 
ſchweig für den Oberbefehl an Heinrichs Statt. 


Die Ausſicht auf Frieden war zu Beginn der Winterquartiere ſehr unſicher. 
Der König leitete ſeine diplomatiſche Campagne von Breslau aus, „von früh 
bis ſpät am Schreibtiſch“ — er hieß das feine ſogenannte königliche Unabhängig— 
keit — im übrigen einſiedleriſch, „wie die Ratte im Keller“. 

Die Kaiferin von Rußland hatte keine Hülfstruppen zum preußifchen Heere 
jtoßen laſſen, jondern ſich darauf beſchränkt, am 22. September eine Note an 
den Wiener Hof zu fhiden, deren drohender Ton dort verlegte, aber den König 
von Preußen nicht befriedigte. „Bloße Worte,” jagte er, „thun feinen Schaden.“ 
Faft meinte er, daß man für den Frieden mehr von Frankreich als von Rußland 
zu erwarten habe. 

Frankreichs Vermittelung hatte der Wiener Hof nah dem Mißerfolg der 
Entjendung Thuguts angerufen. König Friedrich hatte diefe Vermittelung mit 
einigen Vorbehalten und unter der Bedingung angenommen, daß Frankreich die 
Bermittlerrolle mit Rußland teile. Als man in Wien auf dieje Forderung ein: 
ging, ließ Friedrih Anfang November den beiden Vermittlern eine „Skizze“ für 
den Friedensvertrag mitteilen. Er forderte für fih, um fünftigen Zwiftigfeiten 
vorzubeugen, volle Berfügungsfreiheit, wenn in Ansbach und Baireuth die Neben: 
linie ausftarb; er wollte den Defterreichern eine mäßige Erwerbung in Baiern zu: 
geftehen — in einem abgejonderten Schriftitüd wurde ein an Böhmen grenzender 
Strid der Oberpfalz bezeichnet; dagegen jollten fie den Kurfürften von Sadjen 
für feine Anſprüche auf das bairiſche Allodialerbe mit Geld ſchadlos halten. 

In den nädften Wochen mußten die Kuriere zwiſchen dem Hauptquartier 
de3 Königs von Preußen und den an der Verhandlung beteiligten Höfen noch 
oft hin und her fprengen, ehe auch nur in den Grundfragen Einigung erzielt 


936 Neuntes Bud. Erfter Abſchnitt. 


war. In Wien flräubte man fi vor allem gegen eine Geldzahlung an Sachſen 
und verlangte ftatt des oberpfäßziichen Grenzftrides das ſchon im vorangegangenen 
Sommer genannte Gebiet am rechten Ufer von Inn und Salzach; auch wollte 
man die Erborbnung in den fränkifhen Marfgrafihaften der Entſcheidung des 
Reiches vorbehalten. Endlich ließ Friedvrih am 10. Februar, ohne auf eine nod 
ausjtehende Aeußerung Rußlands länger zu warten, dem ruffifhen und dem 
franzöfifchen Gejandten fein Ultimatum zuftellen. Er geftand das Innviertel zu, 
verzichtete auf den dereinſtigen Austaufjh von Ansbah und Baireuth gegen die 
Zaufigen und ftellte es den beiden vermittelnden Mächten anheim, eine Ent: 
ihädigung für Sahjen ausfindig zu maden. Für die Feitftellung aller Einzel- 
beiten ſchlug er einen Kongreß vor. 

Gegen dieſe Vorſchläge ließ ſich füglich nichts mehr einwenden. Maria 
Therefia war aufrichtig erfreut über jo „angenehme Zeitung”, und der Kaijer, 
der ungern auf bie Fortjegung jeines Krieges verzichtete, tröftete fich mit dem 
Triumphruf, daß der König die legten öfterreichifhen Bedingungen pure und 
einfach angenommen habe. 

Auch Herkberg ift der Meinung geweſen, daß fein Gebieter den Gegnern 
zu weit entgegenfäme. Es wollte ihm nicht in den Sinn, daß man den Grund: 
jag der Unteilbarfeit Baierns preisgeben follte; auf jeine VBorftellungen war es 
geichehen, daß der König anfänglih ein Stüd der Oberpfalz geboten hatte; 
denn bier ließ fich wenigftens bis zu einem gewiſſen Grabe ein Anſpruch der 
Krone Böhmen zugeben. Als Hergberg einmal in einem geradezu pathetijchen 
Schreiben den König beſchwor, in der Prinzipienfrage nicht zu wanfen, antwortete 
Friedrih dem bei früherem Anlafje jchon jehr ſchroff abgewiefenen Ratgeber 
freundlich, aber beftimmt: die Ideen jeien vortrefflich und er jelbit würde wünſchen 
fie verwirklihen zu können, aber mit Ideen allein könne man feine Politik 
treiben, es frage fich, ob fie durchführbar feien, und unter diefem Gefihtspunft 
möge auch Hergberg die Verhältniffe betrachten. 

In Teihen, wo am 10. und 11. März die Bevollmächtigten fich zum 
Friedensfongreß verfammelten, ift dann noch Wochen hindurch zäh geftritten und 
gefeiliht worden. Der Vertreter der Hofburg, Graf Philipp Cobenzl, ein Better 
des früheren Gejandten am preußiichen Hofe, hatte feine leichte Aufgabe: ſchrieb 
ihm die Kaiferin, jo mahnte fie ihn, nicht zu große Schwierigkeiten zu maden; 
ſchrieb ihm der Kaijer, jo predigte der ihm Feitigkeit. Zwei Fragen ftanden im 
Vordergrund: die Auseinanderfegung zwiſchen Baiern und Sachſen wegen des 
ſächſiſchen Entihädigungsaniprudes und die Sicherftellung der Erbrechte des 
Pfalzgrafen von Zweibrüden auf Baiern. Für den Sachſen forderten die Ge: 
jandbten der beiden vermittelnden Mächte, Baron Breteuil und Fürft Repnin, 
vier Millionen Thaler; während der bairiſche Vertreter den Auftrag hatte, eine 
halbe oder höchitens eine Million Gulden zu bieten. Maria Therefia meinte 
man bürfe dem mit ihr verbündeten Kurfürften nicht die Haut abziehen laſſen, 
Friedrich aber trat mit größter Entſchiedenheit für den ſächſiſchen Anjpruch ein. 
Er jei zum Glüd, jo hören wir ihn jagen, nicht darauf angemwielen, den Frieden 
zu erbetteln; wenn Sadjen feine anftändige Entihädigung erhalte, werde ſich 
niemand in Zukunft mit Preußen verbünden wollen. So mußte der Kurfürft 


Bairifcher Erbfolgekrieg. 337 


von Baiern wohl oder übel die vier Millionen Thaler bewilligen. Nachgiebiger 
zeigte fich der König von Preußen in dem zweiten Hauptitüde der Verhandlung. 
Er hatte zunächſt verlangt, als Bürge des öfterreichiid:bairiichen Vertrages be: 
ftellt zu werden, duch den das Haus Defterreih auf die Nachfolge in Baiern 
für immer verzichtete. Dadurch, jo meinte Joſeph II., würde der König von 
Preußen das Anjehen eines Proteftors und eine Handhabe zu „taufend Chicanen“ 
gewinnen. Friedrih begnügte fih dann damit, daß der zwiſchen Defterreih und 
Baiern abgeſchloſſene Vertrag der öfterreihiich-preußiichen Friedensurkunde an: 
gehängt und ausdrüdlih als deren untrennbarer Beſtandteil bezeichnet wurbe. 
In der Sache ward mit diefem Ausfunftsmittel dasjelbe erreicht: auch jo war 
die Erbfolge des Pfalzgrafen von Zweibrüden fihergeitellt, injofern als Preußen 
fie auf Grund des Friedensſchluſſes allemal fordern Eonnte. 

Der von Hergberg jo lebhaft vertretene grundfäglihe Standpunkt fam bei 
der Friedensverhandlung dadurch zur Geltung, daß in dem Vertrag zwiſchen den 
Höfen von Wien und Münden ihr berufener Pakt vom 3. Januar 1778, bie 
Urſache des Krieges, aufgehoben wurde und daß Defterreih das Innviertel nit 
unter einem Rechtstitel erwarb, jondern in Anrechnung auf gewiſſe Zugeſtänd— 
nifje und Leiftungen an Baiern. 

Die Bürgfhaft für den Teichener Frieden übernahmen Franfreih und 
Nufland. Inſofern nun die Friedensurfunde eine ausdrüdliche Erneuerung bes 
als Reihegrundgejeg geltenden Weſtfäliſchen Friedens enthielt, glei als wenn 
er „Wort für Wort dem neuen Vertrag eingefügt wäre”, fo gewann dadurch 
Rußland dasjelbe Schugredht über den deutjchen Verfaſſungszuſtand, welches 
Frankreich jeit 1648 beſaß — ein Schutzrecht, wie es Rußland fi früher der 
ſchwediſchen und der polnijchen Verfaffung gegenüber gefihert hatte. Solches 
Ziel hatten ſchon die Staatsmänner der Kaijerin Elifabeth der deutſchen Politik 
Rußlands gemiejen, ala man während des Siebenjährigen Kriegs einen europäischen 
Kongreß in Ausficht genommen hatte, ) und das damalige Bündnis mit dem 
Hofe des deutſchen Kaijers hätte eine günftige Gelegenheit geboten. Der Kongreß 
war 1761 nicht zufammengetreten, und bei den Friedensverhandlungen zu Hubertus: 
burg hatte der König von Preußen die ruffiihe Vermittelung zurüdgemiefen. 
Seht lag die Mitwirkung der ihm verbündeten Zarin in feinem Intereſſe. Ein 
jpäteres Geſchlecht, deſſen nationales Selbitgefühl empfindlicher geworden war, 
bat an diefem Einbruch Rußlands in das Gehege des deutichen öffentlichen Rechts 
Anftoß genommen; in der europäifchen Lage von 1779 aber ergab jich die ruffifche 
Garantie als folgerichtige Ergänzung zu jenem von Frankreich ſeit mehr als 
einem Jahrhundert feftgehaltenen, erft zum Unglimpf und dann im Intereſſe 
des öfterreichiichen Reichsoberhaupts ausgeübten Schugredt. 

Am Geburtstag Maria Therefias, dem 13. Mai, wurden die Friedens: 
urfunden zu Teichen unterzeichnet, und um jeiner großen Gegnerin eine Auf: 
merfjamfeit zu ermweijen, ließ Friedrich gleich desjelben Tages, noch vor Ablauf 
der feltgejegten Frift, die von feinen Truppen noch bejegten öfterreihifchen Städte 
räumen. Er wußte jehr wohl, daß fie es war, ber er diefen Frieden dankte. 


) Oben ©. 279. 283. 


538 Neuntes Bud. Erfter Abſchnitt. 


Er ſchulde, fo ichrieb er der Kurfürftin Witwe von Sachſen, der Billigfeit der 
Kaijerin-Königin die Anerkennung, daß fie, jobald fie die Geſetzwidrigkeit ihres 
Vorgehens eingejehen Habe, mit all ihrem Können für die Wiederherftellung bes 
Friedens eingetreten ſei — minder hartnädig als Priamus, der das Blutvergießen 
zehn Jahre habe währen laflen. 

Die ſächſiſche Fürftin aus wittelsbachiſchem Stamm gab das Lob, das 
Friedrich der alten Kaiferin gejpendet, ihm mit Zinfen zurüd: „Man dachte 1777, 
daß Friedrih, Sieger in drei Kriegen, Gefebgeber und Vater feiner Völker, fich 
höher nicht erheben könne. . . . Bis dahin hatte er vornehmlich für die Seinen 
gekämpft; jegt fämpfte er für die andern; er wurde ber uneigennügige Schieds— 
tihter in den Händeln der Herrſcher, das Werkzeug der oberften Geredtigfeit, 
welche die Nationen richtet.” Was die Kurfürftin von Sachſen bier emphatiſch 
ausſprach, war ohne Frage jegt die Meinung der meiften in Deutſchland. Friedrich 
hatte die Bewunderer und Joſeph die Tabler auf feiner Seite. Der Freiherr 
vom Stein hat befannt, daß er zu jeinem damaligen Eintritt in den preußiſchen 
Staatsdienjt bewogen worden ſei durch jeine „hohe Verehrung für Friedrid den 
Einzigen, der durch die Erhaltung von Baiern die Dankbarkeit diejfes Landes und 
des ganzen Vaterlandes fid) erworben hatte”. 

Der König von Preußen war weit davon entfernt geweſen, die Verfaflung 
und Rechtsordnung des vermodernden Reiches, als deren Schirmer er jegt ge: 
priejen wurde, um ihrer jelbft willen zu verteidigen. Aber er hatte fih, wie 
wir hörten, gejagt, daß er feine deipotiihe Gewalt des Kaifers im Reiche 
auffommen laffen dürfe, weil er deren Wirkungen am eigenen Leibe jpüren 
würde. So freute er fich jegt, „ben großen Vorteil” gewonnen zu haben, „daß 
man uns im Reich als ein nützliches Gegengewicht gegen den öſterreichiſchen 
Dejpotismus betraditen wird“. Den von Nußland unterftügten Gegenfaifer 
nannte ihn Joſeph ingrimmig. Schwerer fiel für alle Zukunft noch der andere 
Gewinn in die Wagichale, daß zum zmeitenmal wie in der Epoche von 1744 
die Selbitändigfeit Baierns gerettet, das Vorrüden der öfterreihiichen Macht in 
Süddeutſchland verhindert worden war. Auch deſſen freute fi Friedrich, ber 
Creignifje von 1756 gedenkend, daß diesmal, bei der jchnellen Beendigung des 
Waffenganges ber beiden deutichen Mächte, der neue engliſch-franzöſiſche Krieg auf 
jeinen Herd beichränft blieb: „Ehedem glaubten unfere guten Deutihen, wenn 
die Kriegsbrommete in Merilo oder Kanada ertönte, man müſſe ſich aud in 
Europa jchlagen; es jcheint mir, daß man gänzlich von diefem Vorurteil zurüd: 
gekommen iſt.“ 

Doch wurde ihm ſeine Freude über den Frieden und die errungenen Erfolge 
durch die Vorausſicht getrübt, daß zwar die Kaiſerin-Königin ſich auf einen Krieg 
nicht mehr einlaſſen, daß aber ihr Sohn mit den Türken, in Italien und mit 
den deutſchen Reichsſtänden neue Händel ſuchen werde. 

Das alte europäiſche Allianzſyſtem hatte dieſen deutſchen Krieg überdauert. 
Aber keine der beiden kriegführenden Mächte war von der Haltung ihres Ver— 
bündeten ganz befriedigt. Kaiſer Joſeph urteilte jetzt ganz wegwerfend über 
das Bündnis mit den Franzoſen, den „elenden Perückenmachern ohne Herz und 
ohne Geld“, wie er ſie während des Kriegs einmal genannt hat, und auch 


Bairiſcher Erbfolgekrieg. 539 


Kaunig meinte, Breteuil habe in Teſchen mehr zu Preußens ala zu Deiterreichs 
Guniten den riebensvermittler abgegeben. König Friedrich wiederum war zwar 
mit ber biplomatijchen Bethätigung Rußlands ebenſo zufrieden wie mit der Frank— 
reihs; aber er hatte ſich überzeugt, daß er auf eine wirkſame militärifhe Unter: 
ftügung von ruſſiſcher Seite nicht rechnen dürfe. Dazu fam, da Rußland jeine 
finanziellen Gegenforderungen für eine Waftenhülfe von zweifelhaftem Wert un: 
verhältnismäßig bochgefhraubt hatte. 16000 Rufen würden dem König von 
Preußen jährlid 3300000 Thaler gefoftet haben: er berechnete fih, daß er 
biefelbe Truppenzahl für anderthalb Millionen von deutſchen Reichsfürſten würde 
mieten können. Das ruſſiſche Bündnis war wenigftens militärifch nicht unerjeglich. 


Zweiter Abjchnitt. 


Juftizpflege und Rirchenpvlifik; Tandrecht und 
Staatsform. 


ie König Friedrich bei der Rückkehr aus ſeinem zweiten Krieg unver: 
züglih die Durchführung der Yuftizreform als Lofung ausgegeben 
hatte, jo erhielt bald nah dem Friedensſchluß von 1779 das vor 
einem Menjchenalter nur halb geleiftete Werf einen neuen Antrieb, durch den 
es dann noch im alten Jahrhundert jeiner Vollendung, der Krönung durch das 

Allgemeine Landrecht, entgegengeführt werden jollte. 
Zange Zeit hatte der König die große Aufgabe der Kobififation ganz aus 
Crummmf toM dem Auge verloren. Ober vielmehr, er hielt fie bereits für gelöft. Nicht bloß 
jein geläutertes — war fein Stolz. Ohne die blutige Halsgerichts— 
ordnung Kaifer Karls V. aufgehoben zu haben, hatte er fie doch durchbrochen 
duch die Aufftellung der humanen Grundjäge,') an die fich jegt der preußiſche 
Strafrichter zu halten hatte. „Das ift bei uns ſchon gethan,“ „wir haben 
unfere Gejege gemildert und uns gut dabei befunden,” fo rühmte er ſich, als 
Ferrara nad 1764 unter dem tiefen Eindrud von Beccarias berühmtem Wert Dei 
delitti e pene auch anderwärts Folter und Blutdurft in Verruf famen. Auch 
das bürgerliche Recht, nad dem die preußiichen Gerichte urteilten, ſchien ihm 
a auf einer hinreichend ficheren Grundlage zu ruhen. Nocd 1777 ſchrieb er in 
7 feinem Expos& du gouvernement prussien: „Die Die Geſetze find bier zu Lande 
9 Efadlen, ' Binzeichenb_ weife_georbnet. Ich glaube nicht, daß man nötig hat, fie zu über: 
arbeiten.” So hoch ſchätzte er die geſetzgeberiſche Leiftung feines gefeierten 

Tribonian,?) das Corpus juris Fridericianum. 

Der König ftand mit diefer Ueberfhägung ber Coccejiihen Juſtizreform 
nicht allein. Der Großfanzler Jariges pries 1765 das Werf feines Amts: 
vorgängers als „biele glüdliche Revolution“, dank deren in feinem Land ber 
Erde die Juftiz mit gleiher Trefflichfeit wie in Preußen gehandhabt werde. 


) 3b. I, 345 (1. Aufl. ©. 344). 
2) 3b. I, 347 (1. Aufl. ©. 346). 


* 
are 


Juftigpflege und Kirdenpolitif; Landrecht und Staatäform. 541 

Das ganze Kammergericht, die Hochburg ber Jünger Coccejis, urteilte ungefähr ara 
ebenfo; auch der Freiherr von Fürft, der ehemalige Präfident diefes Gerichte, 
der 1770 nad dem Tode von Jariges die Großfanzlerwürde erhielt; auch die 
anderen Minifter des Juftizdepartements, Nündhaufen und Dorville, bie gleich 
nad dem Kriege eingetreten waren, Zeblig und Dörnberg, die nad dem Tode 
von Jariges und Dorville das Kollegium ergänzten. 

Seine eigenen Wege ging der Juftizminifter für Schlefien und Chef: Canmen : 
präfident der drei dortigen Dbergerichte, v._ Carmer. Einft Coccejis Gehilfe 
gleih Fürft, zu dem er je länger je mehr in Gegenfag trat, hatte Carmer in 
feinem jelbjtändigen provinzialen Wirkungskreis fräftiges Selbftgefühl gewonnen 
und forderte endlich eine neue Reform in einer von den Eoccejifhen Grundlagen 
meit ablenfenden Richtung: dem Prinzip jhriftliher Verhandlung, auf dem derwundh L 
Prozeß bisher beruhte, ftellte er die Offizial- oder Inquifitionsmarime entgegen, ne mt 
indem er dem Richter die Aufgabe zuweilen wollte, von Amts wegen buch zer”: 
mündliche Befragung der Parteien den Thatbeftand_ feitzuftellen; dabei follte — 
die Anmaltiaft, nad) Carmer die Wurzel alles Mebels, ganz entbehrlich werden. 
Carmer entwidelte dem König feinen Plan bei der jchlefiihen Revue von 1774. 
Der Großfanzler wandte ein, daß bei dem vorgeſchlagenen Verfahren bie große Myechem 3: 
Errungenjchaft der legten Reform, die Schnelligkeit ber Rechtſprechung, gefährdet 
werben und daß eine erhebliche Verftärfung bes Richterperſonals erforderlich fein 
würde. Beide Teile ſchidten fomit Argumente ins Treffen, die bei dem König 
auf Beachtung rechnen durften. Er ließ die Bertreter der entgegengejeßten 
Anfihten, Carmer, deſſen rechte Hand der Rat Svarez von ber Breslauer 
DOberamtsregierung war, und ben Großfanzler, dem der Kammergerihtspräfident 
v. Rebeur zur Seite ftand, in Berlin perjönlid miteinander verhandeln und _ - 
nahm ihre mündlihen Vorträge entgegen. Nach einer mehrftündigen Aubienz, 187, vet] h 
die er Nebeur am 13. Januar 1776 gichtleidend vom Bette aus erteilte, ſchnitt 7. 7 : 
er bie Erörterung mit einer entſchiedenen Abſage an Carmers Anträge kurz ab 
und begnügte fih im Sinne Fürfts mit einer neuen Verordnung zur Abkürzung 
der Prozefle. h 

So hatte Carmer zunächſt nichts erreicht, als das alte Mißtrauen gegen Warn un, i 


die Advofaten wieder aufjzuweden. Gegen fie richteten fich in der nächſten Zeit — an 9 





ee — — 


wiederholte Strafandrohungen, die ſich bald auch auf ſaumſelige Richter erſtreckten; /«? 5 hs 
den einen wie den anderen wurbe burd ein Edilt vom 11. September 17769, user 
für Verjhleppung eines Prozefjes nicht bloß Amtsentjegung, ſondern obenein 
Feſtungshaft in Ausficht geftellt. 

Auf diefe Verfügungen und auf die von dem Könige veranlaßten Vifitas/ter) ; 
tionsreifen des Großfanzlers bezieht fi in jenem Expose du gouvernementnatt ns : 
prussien die Bemerkung, es jei erforberli, alle drei Jahre die Gerichtshöfe in 


den Provinzen zu _revidieren und alle zwanzig jahre eine Unterfudung darüber 


anzuftellen, durch melde Schlide die Advokaten die Prozeſſe zu verfchleppen 
ſuchten, um ihnen Schranken entgegenzufegen: wie man es augenblidlich thue. 

Bei diefer Razzia gegen die Verdächtigen gejchah es nun, daß der Groß: F..,s, (scı 
kanzler Fürft, foeben noch aus bem Kainpfe gegen einen Rivalen als Sieger : 
hervorgegangen, das Vertrauen bes Gebieters Schritt für Schritt verlor. „Es 


942 Neuntes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Ischrelle ‚„jfommt mir vor, als wenn die Juftiz wieder anfängt einzuſchlafen“ — dieſe am 
* 289. März 1775 an den Großkanzler gerichtete Warnung wurde in den nächſten 


u Jahren bei mehr als einem Anlaß wiederholt. Wenn der König ihm drohte: 
— „Wir werden Unfreunde werden und ich werde müſſen andere Mesures nehmen“, 
— jo war das deutlich genug geſprochen. Offenbar traute er dem Großkanzler 

nichts mehr zu. armer war jein Mann, der fommende Mann. Und wenn 





er, wie es bei feiner Unzufriedenheit mit Fürſt nicht anders fein fonnte, beide 
im jtilen mit einander verglid, jo mochte e& ihn nachträglich reuen, bei jenen 
Sanuarfonferenzen von 1776 nicht burchgegriffen, nicht für den jüngeren Minifter, 

für den Neuerer entſchieden zu haben. 
Am 27. November 1779 rügte er in einem Kabinetsjchreiben an Fürft 
die Verfchleppung eines in Kleve ſchwebenden Prozeijes mit dem Ausdrud jeiner 
„höchſten Unzufriedenheit” und forderte jchleunige Abhilfe, mit der Ankündigung: 
„widrigen Falls und wo das nicht geſchiehet, werdet Ihr Händel mit mir 
kriegen“. Vierzehn Tage ſpäter vollzog ſich das Geſchick des Großkanzlers. Nicht 
der Zufall hat endlich zwiſchen Fürſt und Carmer entſchieden. Der Wechſel 
hatte ſich lange vorbereitet und war wohl auch bereits vorbedacht, als ein 

\ Tropfen die Schale des Zorns zum Ueberlaufen brachte. 
M la Armote Den Anlaß gab die Klage eines Heinen Mannes, der Streit eines Müllers 
Core 7755 mit zwei Edelleuten. 

Y Der Wafjermüller Arnold im Züllihauer Kreife ift feinem Grundherrn, 
dem Grafen Schmettau, mit der Erbpacht für jeine Mühle im Rüdftand geblieben. 
Nah Verfall der wiederholt ihm gewährten Friften wird durch das Patrimonial: 
Rath, Lt gericht die Verfteigerung der Mühle verfügt, des Müllers Klage bei dem Ober: 
inchmef [w gericht der Provinz, der neumärkiſchen Regierung, wird abgemwiejen; jeine 
vom Behauptung, dab ein Karpfenteich, den ber Landrat v. Gersdorf oberhalb der 
* unt: Mühle wieder in Stand gejeht hat, ihm das Waſſer entzogen habe, wird nicht 
| anerkannt. Nun verfuht der Müller es mit Bittſchriften beim König; der 
König läßt durch einen höheren Offizier und ein Mitglied der neumärkiſchen 
Regierung den Thatbeftand unterfuhen. Der Oberft erklärt fi für, der Re— 
gierungsrat gegen den Müller, ein Deichinipektor gibt als Sadverftändiger das 


oberflählich, widerſpruchsvoll und durch Zeugenausfagen entkräftet; er hält, ent: 
gegen der Anregung eines einzelnen Mitgliedes, weitere Erhebungen wegen des 
angeblichen Waflermangels nicht für erforderlih und beharrt bei der Abmweifung 

des Müllers. 
Us kachunm Der König wittert Unrat. Er ift von Haufe aus mißtrauiſch, jobald ein 
“dry m Edelmann gegen einen Bauern vor Gericht obliegt. Der Adel verweft die 
ländlichen Untergerichte, er hat die Präfidentenftühle und eine große Anzahl der 
Richterftellen in den Appellböfen inne; Friedrih ift dem Argwohn zugänglich, 
daß „die Gevatterjhaft im Lande mehr gilt als die Juſtiz“. Die Anfiht feines 
Oberften ſcheint ihm den gefunden Menjchenverjtand zu vertreten, das Gutachten 
rohe) Mal: bes Deichbeamten jtüßt fie. Schon fehr unwirſch, verweiſt der König die Sache 
des Müllers von der Küftriner Regierung an das Kammergericht nah Berlin. 


5 er. BF Irması , Gun dm un lan: 9 ——— . Null Ara Ad schen ’ 
- Erp&, 34: 77-w (425) Wk shrlh np 





Juftizpflege und Kirchenpolitik; Landrecht und Staatäform. 543 


Das Kammergericht_ift fi der grundfäglihen Tragweite des von ihm zu⸗⸗ . 

fällenden Urteils bewußt. Der Codex Fridericianus und ihr Eid macht es den L 
preußiſchen Richtern zur Pflicht, durch Kabinetsrefolutionen den Lauf Redtens "7 
nicht unterbrechen zu laffen. Wiederholt hat der König no in leßter Zeit, — 
zwiſchen allem Grollen und Schelten, ſich zu dem Grundſatz der Nichteinmiſchung 
bekannt, ja ſeinem „Abſcheu“ gegen Machtſprüche Ausdruck gegeben. Es gilt eine 
Probe, eine Kraftprobe. Man behandelt alſo in der Lindenſtraße den Fall ſehr 
erhaben, ſehr catoniſch, aber auch reichlich pedantiſch: von dem „linkiſchen“ 
Benehmen des Kammergerichtspräſidenten v. Rebeur hat einer ſeiner Mitarbeiter 
geſprochen. Statt dem Könige den Tenor der kammergerichtlichen Entſcheidung 
mit einem aufklärenden Bericht, wie der Referent es vorgeſchlagen hat, mitzu— 
teilen, findet man ihn mit der kahlen Anzeige ab, daß der Senat geſprochen 
habe. Materiell ſchließt ſich das der neumärkiſchen Regierung zur Verkündigung 
zugeſtellte Urteil dem Vorerkenntnis durchaus an und ſtellt dabei, ſo doktrinär 
als möglich, das unbeſtreitbare Recht des beklagten Landrats zur Anlegung 
feines Fiſchteichs als Hauptpunkt hin, die Frage nach dem entſtandenen Schaden, 
die im übrigen verneinend beantwortet wird, als Nebenjacde. 

Der König aber hält unerfhütterlid an der ihm beigebradten Meinung Ir) 7; 
feit, daß der Müller aufs Trodene gejett worden ift, weil der Edelmann das 
Waſſer für feine Karpfenzudt braucht. Der Sachverhalt jcheint ihm einfach 
und über jeden Zweifel erhaben; alle entgegenftehenden Annahmen betrachtet 
er als „Fidfadereien”, als frivole und brutale Verſuche, das Recht zu verbrehen, 
zu beugen. Er beſchließt, ein Erempel zu ftatuieren. Er läßt die brei Kammer: 
gerichtsräte, die ihm als Verfaffer des Urteils bezeichnet werden, und den Groß: 
fanzler rufen. In feinem Arbeitszimmer auf dem Berliner Schloffe fit er am C . 
Nachmittag des 11. Dezember 1779, zornerfüllt und von der Gicht gefoltert, zu“ me 
Gericht über die vermeintlich ungetreuen Richter. Ein Protokoll wird auf: © Man er 
genommen, den beftürzten Rammergerichtsräten fehlt es an Geiftesgegenwart, Zu/ . 
auf die ihnen geftelten Fragen kurz zugleih und einleuchtend ihren Standpunft 
darzulegen, fie werben gejcholten und beihimpft wie überführte Verbreder, dem 
Großfanzler, der einen ganz nebenjählihen Punkt durch eine Zwifchenbemerkung | 
richtig jtellen will, wird mit dem Donnerwort: „Marſch, Seine Stelle ift ſchon | \ 
vergeben!“ die Thür gewiejen, die Räte werden aus dem Audienzzimmer nad . / 
dem Kalandshofe in das gemeine Gefängniß abgeführt. Durch einen Machtſpruch «lt — * 
wird das Urteil kaſſiert, der Müller in ſeine Mühle wieder eingewieſen, — — 
Teichanlagen des Landrats werden zerſtört, er ſelbſt und der Präſident der 
neumärkiſchen Regierung, der Sohn des dem König durch Jugendfreundſchaft 
verbundenen Kabinetsminiſters Finckenſtein, abgeſetzt. J 

Tags nach der Entlaſſung des Großkanzlers fährt die Berliner Geſellſchaft Syauf: — 
in langer Wagenreihe am Schloſſe vorüber bei dem Geſtürzten auf, um ihm JC 


— — 


ihre Teilnahme auszudrücken und zugleich den eigenen Freimut zu bekunden.“3- ne oo, 

Vor den Fenftern des Königs aber fpielt fih auf dem Schloßplage eine FL 

Huldigung entgegengefegten Charakters ab: hier drängt fi das Wolf, Bauern 

vom Lande fommen zu Hunderten, um bei dem Schüger der Armut ihre Bitt: 

ihriften anzubringen. Manche Bürgerhäufer fieht man abends erleuchtet und I £ , 
RETTEN SE 


Rı fat | 
— FR 


Cian Ian. 


544 Neuntes Bud. Zweiter Abfhnitt. 


mit finnbildlihen Darftellungen zum Preife des gerechten Königs geihmüdt. 
Vom Kriminalfenat des Kammergerichts verlangt der König ein Strafurteil 
gegen die in Haft gejegten Richter. Der Senat legt mit eingehender Begrün: 
dung bar, daß er feine Schuld an ihnen findet, und ber Minifter Zedlig als 
Chef des Kriminaldepartements erflärt dem König, daß er demnad außer 
ftande fei, „ein kondemnatoriſches Urteil wider die in der Arnoldſchen Sache 
arretierten Juſtizbedienten abzufaflen“. Der König fieht ſich genötigt, einen 
neuen Machtſpruch zu fällen: zwei ber Richter werden fajfiert und zu einjähriger 
Feitungshaft verdammt. j 

Wer hatte richtig gejehen und erfannt? Die Frage ift bis auf dem 
heutigen Tag umftritten worden. Und doch wird ein Zweifel nicht beftehen 
fönnen. Die Behauptung bes Müllers, daß das Wafler ihm entzogen fei, 
wibderlegte ſich durch die Thatſache, daß eine zwifchen feiner Mühle und dem 
berufenen Karpfenteih gelegene Schneidemühle über Waflermangel nicht zu 
lagen gehabt hat. Diefer Umftand ift in ben Urteilsgründen des Obertribunals, 
das nad dem Thronwechſel von 1786 den Machtſpruch von 1779 außer Kraft 
jegte, gebührend in den Vordergrund gerüdt worden; die vorher mit diefem 
Mühlenprozeß befaßten Gerichte und mehr noch den Großlanzler Fürft trifft der 
Vorwurf, daß fie es verjäumt ober verſchmäht haben, über diefen entjcheidendften 
Punkt den König durch einen kurzen, beutlihen Bericht aufjuflären. Auch 
rächte es fih an ihnen, daß fie, wenn nun einmal das Gutachten eines angeb— 
lihen Sadverftändigen gegen ihre Auffaflung ſprach, dem nicht einen anderen 
Fachmann entgegentreten ließen. So haben bie Richter von 1779 in ihrem 
Männerftolz vor Königsthronen nicht geſchickt, nicht Hug gehandelt, aber untabel- 
haft, überzeugungstreu, geredht. Und Zeblitens Weigerung, ein Verdammungs— 
urteil über fie zu fällen, wird zu den ſchönſten Nuhmestiteln feiner trefflichen 
Verwaltung gezählt werden müffen. 

Hätte der König richtig gejehen und richtig entſchieden, jo wäre es für: 
wahr mit der Juftiz in preußiichen Landen damals jchledht beftellt gemejen. 
Friedrich ſelbſt fcheint in der Ueberzeugung von der Gerechtigkeit jeines Macht: 
ſpruchs nicht irre geworben zu fein; aus dem Umſtand, daß er bie auf bie 
Feſtung geſchickten Richter vor Ablauf des Strafjahres begnadigte, darf das 
Gegenteil nicht gefolgert werden. Den Glückwunſch, den d’Nlembert ihm nad) 
einem Vierteljahr zu feinem Einfchreiten für einen armen Landmann abftattete, 
beantwortete er mit der Bemerfung, die Gejege feien zum Schuge der Schwachen 
beftimmt und würden überall befolgt werden, wenn man aufmerfjam die aus: 
führenden Organe überwachte. 

D’Alemberts philofophifcher Kreis, der die Spigen bes gebildeten Paris 
vereinigte, ftellte fi auf die Seite des preußiichen Königs; nur einige Juſtiz— 
größen bezeichneten die Beftrafung der Berliner Richter als zu rigoros — 
rihterliche Kannibalen, die den Unſchuldigen auf der Folter fterben laſſen, ſchalt 
d’Alembert diefe modernen franzöfifhen Juriften, während Voltaire mit den 
Ehrentiteln „Rannibalen” und „Affen in ſchwarzer Robe“ abwechſelte. Jene 
Juſtizmorde in feiner Heimat, über die Voltaire vor ganz Europa Klage erhob, 


hatten dem noch aller Orten verbreiteten Mißtrauen gegen den Richterftand neue 





Auftispflege und Kirhenpolitif; Zandredt und Staatäform. 545 


Nahrung gegeben. Gleichzeitig hatte die von Kaifer Joſeph angeordnete Viſi— 
tation des Wetzlarer Reichskammergerichts ſchwere Schäden aufgededt, zur Ab: 
jegung mehrerer Affefioren geführt und dem Juden Nathan Aaron die Ver: 
urteilung zu jehsjährigem Gefängnis und einer Gelditrafe von einer Viertel: 
million Gulden eingetragen „wegen der bei dem Kaiferlihen Reichskammer-Gericht 
verübten abſcheulichen Juftiz.Maklereien und Korruptionen”. Es fam die Zeit, 
wo nad Goethe, dem unmittelbaren Zeugen des über die Weglarer Juſtiz ver: 
hängten Strafgerihts, „der Theater und Romandichter feine Böſewichter am 
liebften unter Miniftern und Amtleuten auffuchte“. „Den Schurken, der bie 
Geſetze falſchmünzt und das Auge der Gerechtigkeit überfilbert,” ſchalt damals 
Schiller in jeinem Jugendftil den ungerechten Richter, während Goethes Volks— 
beglüder Breme vor den „aufgeregten“ Bauern dem alten Frigen das Wort 
in den Mund legt: „Sch weiß wohl, die Reihen haben viele Advolaten, aber 
die Dürftigen haben nur Einen, und das bin ich.” 

Bei diefer Dispofition der öffentlichen Meinung jahen die Berliner Juriften, 
die fi für ihre Ueberzeugung geopfert hatten, ihr Martyrium über die Kreiſe 
des preußiihen Beamtentums und der hauptftädtifhen Gejelichaft hinaus nicht 
anerfannt. Nicht feine Tapferkeit im Prozeß des Müllers Arnold hat das 
Kammergericht Friedrihs des Großen bei Mit: und Nachwelt populär gemacht, 
fondern das taujendmal wiederholte und felbft auf die Bühne gebradte Ge- 


ihichtchen, das doch in das Neih der Sage gehört. Denn jener andere Müller, Wendt 
der in der Fridericianiihen Ueberlieferung eine Rolle jpielt, der Windmüller Ir Je 


von Sansjouci, er hat, wie urkundlich feititeht, nie Veranlafjung gehabt, das 
ihm zugejchriebene Wort: „Es gibt noch Richter in Berlin!” zu jprechen, weil 
er in feinem Befig nie bedroht geweſen ift — am wenigften durch feinen Nach— 
barn, den Schloßherrn von Sansjouci, der die hiſtoriſche Mühle vielmehr als 
ein malerijches Anhängjel feines Luſtſchloſſes betrachtete und ihre Unterhaltung! 
ſich ein gut Stüd Geld loſten ließ. 





Hat Friedrih mit jeinem Madtipruh in Saden des Müllers Arno CAamor * 


geirrt, im beſten Glauben und aus dem edelſten Beweggrund Unrecht gethan, ZI4: Maw: 


jo hat er in der großen, feit einigen Jahren fchwebenden Zukunftsfrage am 
11. Dezember 1779 zweifellos die richtige Entſcheidung getroffen, indem er zur 
Zeitung feines feines Juſtizweſ ens jetzt endlich Carmer nach Berlin berief. Ganz davon 
abgeſehen, ob die Reſormgedanken dieſes Mannes in ihrem ihrem vollen Umfange 
zweckmäßig oder ausführbar waren, kam es damals vor allem darauf an, daß 
ein friſcher Zug in das ſtockende Triebwerk hineingebracht wurde. Die Gefahr 
einer wohlgeordneten Bureaukratie wird immer fein, daß fie, von der Trefflich— 
feit ihrer für die nächſten Zwede zureihenden Einrichtungen eingenommen, ſich 
an dem beftehenden Zuftand genügen läßt, durchaus nicht immer aus Bequem: 
lichkeit und Läffigkeit, fondern vielfah aus einer Scheu vor dem Erperiment, 
vor dem Unberedhenbaren, das in jeder Neuerung liegt. Carmers großes Ver: 
dienſt um bie Entwidelung des preußiihen Rechts ift es gemejen, daß er friichen ? 


Mutes und mit feſter Hand. zugriff, mit einem Wuſt von Bedenfen aufräumte Gr 


und aud) Schärfe und Nücjichtslofigkeit genug beſaß, die Gegner jeiner Perjon 


und feines Werkes, gefcheite, jelbftbewußte und erbitterte Gegner, beijeite zu 
Rojer, Rönig Friedrich der Große. II. 2. Aut, 35 


as (fe F 


il. fen, 


(eruer 


1714 


— 


>46 Neuntes Bud. Zweiter Abfchnitt. 


fchieben. Daß er babei für die eigentlich fachmänniſche Seite jeiner Aufgabe 
an einem Sparez einen unvergleichli fähigen Mitarbeiter von unermüdlicher 
Arbeitskraft, tiefgründiger Gelehrfamfeit und vollendeter Kunft der Formgebung 
fand, war Carmers großes Glüd und doch auch wieder fein großes Verdienſt. 
Gewiß ift Sparez der eigentlihe Vater des preußiichen Allgemeinen Landrechts 
gewejen, der die von den übrigen Werkgenofien gelieferten Gußftüde miteinander 
verichmolzen und dem Ganzen das Gepräge feines eigenen Geiftes gegeben bat. 
Aber jo wenig wie Sparez könnte man fih Carmer aus der zweiten preußiichen 
Juſtizreform fortdenfen. 

Carmers Berufung bebeutete ein Programm. Die formelle Zuftimmung 
ber Krone zu Teinen Plänen erzielte ber neue Großfanzler durch den Erlaß, der 
am 14. April 1780 die föniglihe Unterfhrift erhielt. Der Reform wurden 
darin zwei Aufgaben geitellt: Umgejtaltung des Prozefjes im Sinne der In: 
quifitionsmarime, mit ber Verpflichtung für ben Richter, die Parteien ſelbſt zu 
hören, und Herftellung. eines allgemeinen Gejegbudes mit jublidiärer Geltung 
neben den zur Sammlung zu bringenden Provinzial: und Statutarredhten. 

Bei der Ausgeitaltung feiner Prozefordnung, deren Entwurf 1781 als 


, Corpus Juris Fridericianum Bud 1 erihien und die in der 1793 veröffentlichten 
“ Allgemeinen Gerihtsordnung ihre endgültige Geftalt erhielt, hat Carmer auf 


feinen einen utopiſchen Lieblingsgedanfen, die ie gänzliche Beleitigung der Abvofatur, 
verzichten müfjen, feinen Gegnern zur nicht unberechtigten Schadenfreude. Sonft 
aber bedeutete diefe Reform einen ſehr erheblichen Forticritt, und ein Gewinn 
auf immer blieb der freie Spielraum, den fie dem Richter bei Erhebung ver 
Beweife, zumal für die Abnahme von Eiden, eröffnete. Bei der Kobififatione- 
arbeit gelang der große Wurf, nah den Worten eines zuftändigen neueren 
Veurteilers, „zum eriten Mal für Deutſchland den Dualismus des römiſchen 
Rechtsſtoffes und des deutichen und modernen bejeitigt und dieje Elemente zu 
einem organifchen Ganzen, einem einheitlihen Rechtsſyſtem verbunden“ zu haben. 
Gleich den erften Teil des dem Drud übergebenen Entwurfes begrüßte der 
angejehenite Nechtshiftorifer des damaligen Deutichlands, der Göttinger Pütter, 
mit dem Wunſche, daß daraus ein ähnliches Geſetzbuch für jeden anderen 
deutichen Staat, „oder warum nicht jelbjt für ganz Deutſchland?“, erwachſen 
möchte. 

König Friedrich hat diefen eriten Teil 1784 mit buldvollen Worten der 
Anerkennung für Carmers „unermübeten Dienfteifer” entgegengenommen; an 
der zweiten, das Jahr darauf ihm vorgelegten Abteilung übte er die eigenhändige 
Kritit: „Es ift aber ſehr dide, und Geſetze müflen kurz und nicht weitläuftig 
fein.” Er bielt aljo an feiner alten Auffaffung feſt, daß ein gutes Geſetzbuch 
den höchſten Grab der Gemeinverftändlichkeit erfireben, dem Laien einen Weg: 
weiſer dur das Labyrinth der überlieferten Rechte bieten und „durch Klarheit 
und Schärfe der Beitimmungen” womöglich jeden Anlaß zum Zwiſt abjichneiden 
müfle.) Daß die Verfaffer des Landredts diefem Standpunkt weite Zugeſtänd— 
niffe gemacht, ja die Auffafjung des Königs im weientlichen geteilt haben, daraus 


) 8b. I, 340. 


Juſtizpflege und Kirchenpolitif; Landredt und Staatäform. 547 


find die jpäter oft gerügten Schwächen ihrer Arbeit zum Teil bergefloifen; jo 
die Nusmerzung der lateinifchen Kunftausdrüde, ohne daß es gelungen wäre, in 
das im übrigen anerkannt trefflihe Deutſch des Geſetzbuches hinreihend klare 
und fefte Uebertragungen einzufügen; fo ferner die allzu feine verzweigte 
Kajuiftif der Paragraphen mit ihrem ausgefprochenen Beftreben, „nicht nur die 
Begriffe der rechtlihen Gegenftände und Handlungen, ſondern aud die daraus 
herzuleitenden Folgen fo viel als möglih durch pofitive Gejege zu regeln, um 
das Schwanfende und Willfürlihe der Entiheidung möglichſt zu verhüten.” 


Das „Allgemeine Preußiſche Landrecht“, wie es 1794 nah dem Tode Code ( /777: 
Friedrichs des Großen Gejegesfraft erhielt, war nicht ausichließli ein bürger: 

liches Geſetzbuch. Es enthielt aud Säge aus dem Strafreht, Sätze aus dem 

Staatsrecht; es umſchrieb das Necht der einzelnen jozialen Schichten, der Berufs: 

und Geburtsftände; es erftredte ſich auch auf das Verhältnis zwiſchen Kirche 

und Staat. 

Der elfte Titel des zweiten Teiles „Von den Rechten und Pflichten der 
Kirhen und geiftlihen Geſellſchaften“ darf als die Abftraftion ber Fridericia- 
nischen Kirchenpolitif bezeichnet werben, auf die wir in dieſem Zufammenhang 
noch einmal geführt werden. ') 

Das Verhältnis der preußifhen Staatsgewalt zu der katholiſchen Kirche 
war während des Siebenjährigen Krieges getrübt worden ſowohl durch Beweiſe 
von Untreue aus den Reihen der jhlefiichen Katholifen, wie durch bie verlegende 
Haltung der Kurie.?) 

Doh ließ der König die nicht treu erfundenen katholiſchen Unterthanen 
nicht dauernd feine Ungnade fühlen. Der nah der Schlacht von Leuthen ver: 
fügten Aufhebung des Pfarrzwanges, den fatholijche Geiftlihe über evangelische 
Gemeindemitglievder ausgeübt hatten, wurde nach Wiederheritellung des Friedens 
der Stempel einer Strafbeftimmung dadurch genommen, daß jegt nach dem 
Grundſatz der Gegenjeitigfeit auch Katholifen, die in einem proteftantifchen 
Kirchſpiel eingepfarrt waren, von Stolgebühren und fonftigen Abgaben an 
Pfarrer und Küfter befreit fein follten. Ein weiteres Entgegenfommen durften 
die Katholiken darin jehen, daß der König 1772 zu Gunften ber unter prote: 
ſtantiſchem Patronat ftehenden katholiſchen Kirchen eine Entiheidung traf, wonach 
ein Gutsbefiger auf das Kirchenpatronat und die damit verfnüpfte Pflicht, das 
Gotteshaus, allerdings nur in ber Höhe ber herfümmlichen Laſten, zu unter: 
halten, nicht verzichten durfte. Und der Befisitand an gottesbienftlihen Gebäuden 
nad dem Fuße von 1742 wurde den Katholiken jo ftreng gewahrt, daß auch 
dann, wenn nur ein einziger Ortsangefefjener katholiſchen Bekenntniſſes noch 
vorhanden war, die Kirche den Evangelijchen gleihwohl nicht eingeräumt wurde; 
ja der König gebot, daß felbit beim völligen Erlöjchen einer katholiſchen Ge: 





!) Bol. BD. 1, 402 ff. 
2) Dal. oben ©. 159 ff. 209. 


548 Neuntes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


meinde ihre Kirhe für bie fünftig fih etwa anfievelnden Katholiken offen zu 
halten war. 

Auch für die zwiſchen der weltlihen und geiftlihen Gewalt umftrittenen . 
Grenzgebiete, auf die er fraft feiner landesherrlihen Machtvolllommenbeit den 
Fuß gejegt hatte, ließ Friedrich es fih angelegen fein, die Empfindungen und 
Empfindlichfeiten feiner katholiſchen Unterthanen zu jchonen. Wenn er nad 
dem Vorgang von 1744!) bei Erledigung geiftliher Pfründen an feinem Nomi— 
nationsrecht grundfäglidh feithielt, jo jah er e& doch nicht gern, wenn „ohne 
Not Schwierigkeiten gemacht und die Sachen aufs Heußerfte getrieben“ wurden. 
Unnachſichtig freilid und unbeugbar zeigte er fih nad dem Kriege bei der 
Forderung, daß in dem von der jchlefifchen Geiftlichkeit zu erneuernden Treueid 
die Schwörenden ausdrüdlih befennen follten, fie wollten mit einem Verſtoß 
gegen dieſen Eid Vergebung in diefem wie in jenem Leben verwirkt haben. 
Hier ließ er den Einwand ber Breslauer Domberren, daß dieſe Klaufel dem 
Saframent der Buße und der priefterlihen Abfolution vorgreife, ſchlechterdings 
nicht gelten, ſondern zwang bieje vornehmen Klerifer durh Androhung ber 
Landesvermweifung, den von ber Mehrzahl der jchlefiichen Geiftlichfeit bereits 
geleifteten Eid auch ihrerjeits abzulegen. 

Einen Grabmeiler dafür, wie weit der Anſpruch der Staatshoheit ohne 
Gewiffenszwang geltend gemadht werden Fonnte, gab immer das Beijpiel ber 
Eatholifhen Staaten. Der König verjah den ſchleſiſchen Oberpräfidenten Schlabren: 
dorff mit der allgemeinen Anweiſung, daß jedes in Frankreich oder einem anderen 
katholiſchen Neiche dem Klerus auferlegte Verbot oder Dnus auch auf Schlefien 
Anwendung zu finden habe. Daraufhin beantragte Schabrendorff im März 1765, 
daß in Zukunft nad) dem Vorgang eines joeben in frankreich erlaffenen Gejeges 
weder Bullen noch Breven des Papftes ohne fönigliche Einwilligung veröffentlicht 
werden möchten. Der König war mit dem Vorſchlag durchaus einverftanden 
und bat in der Folge wiederholt päpftlihen Verordnungen fein Placet vor: 
enthalten. 

Papſt Klemens XIII., der während des Krieges den Bund der fatholifchen 
Mächte gegen den SKegerfönig jo freudig gepriefen hatte, ?) jchwieg zu dem 
neuen firchenpolitiiden Anſpruch der preußifchen Krone ftil. Und wäre es auf 
ihn allein angelommen, jo würde er gern das freundliche Verhältnis mieder: 
bergeftellt haben, das vor jeiner Erwählung zwifchen diefer in Rom noch immer 
nicht offiziell anerfannten Krone und der Kurie beftanden hatte. Der Nuntius 
in Warſchau hat nicht lange nah dem Hubertusburger Frieden dem preußifchen 
Refidenten die freundichaftlihen Gefinnungen bes Papites gegen den König be: 
teuert und bei diefem Anlaß jenes Gerücht von der Verleihung eines geweihten 
Degens an den Marjhall Daun?) mit Nahdrud in Abrede geitelt. Aber der 
König ließ völlig ablehnend zurüdjagen, bei aller Hochachtung für den römifchen 
Stuhl wünſche er mit deſſen derzeitigem Inhaber nichts zu ſchaffen zu haben. 


) 3b. I, 409. 
2) Oben ©. 209. 
2) Dben ©. 209. 


Juftispflege und Kirchenpolitif; Landrecht und Staatöform. 549 


Das hinderte nicht, daß Klemens XII. ein Jahr jpäter bei einem ärger: 
lihen Zwiſchenfall in Schlefien durch feine entgegenfommende Haltung den Frieden 
zwifhen Staat und Kirche rettete. 

Noh einmal nämlich führte jener unwürdige Prälat einen Konflilt herbei, 
deſſen Erhebung vor mehr als 20 Jahren bei der Kurie auf fo lebhaften Wider: 
ſpruch geftoßen war. Fürftbiihof Schaffgotſch, feit 1757 in des Königs Augen 
ein Berräter, hatte zu Ausgang des Krieges um feine Aufnahme in die dur 
den Friedensvertrag vorgejehene Amneftie gebeten, da jein Verhalten zwar nicht 
von Webereilung, aber doch von Böswilligkeit frei geblieben fei; er hatte kenn— 
zeichnenderweile fein Gnadengejuh mit einem Aft der Simonie verbunden, 
indem er für den Fall feiner Wiedereinfegung dem Minifter Schlabrendorff eine 
jährlide Penfion von 1000 Dukaten anbot. Der König ließ den Beſtechungs— 
verjuh auf fi beruhen und beauftragte Schlabrendorff, dem reuigen Sünder 
die Begnadigung anzufündigen; aber nie jole Schaffgotich noch einmal wagen, 
an den König zu jchreiben oder an demjelben Ort mit ihm zu verweilen. Dem 
um fo ficherer vorzubeugen, wurde ihm, eine anftändige Form ber Einſchließung, 
die Stadt Oppeln als beftändiger Aufenthaltsort angewiefen. Die Vermefung 
bes Bistums verblieb wie bisher dem Weihbifhof und Generalvifar Strachwitz. 
Lange jeboch hielt es der Heimgefehrte im Eleinen Oppeln nit aus. Im Früh: 
ling 1766 flüchtete er ins öfterreihifche Schlefien auf fein Schloß Johannesburg. 
Die dem Generalvifar erteilten Vollmachten zog er zurüd; der König aber unter: 
fagte dem Domkapitel jede Verbindung mit dem entwichenen Biſchof, der nicht 
anders zu betrachten jei, „als ob er mit Tode abgegangen wäre”. Da ftellte 
fih nun die Kurie ohne Zögern auf die Seite des Landesherren, indem fie 
Strahmwih, jeinem Antrag gemäß und mit Hinweis auf das an das Domkapitel 
ergangene königliche Gebot, zum apoftolifhen Vikar in dem preußifchen Teile bes 
Bistums Breslau ernannte, 

Wie hätte au Klemens XIH. auf diefem Außenpoften jeines geiftlichen 
Machtgebietes einen Kampf mit der proteftantiihen Staatsgewalt ſuchen follen, 
zu einer Zeit, wo die fatholifchen Fürften des romanifhen Europas bereits auf 
der ganzen Linie den Sturmlauf gegen die Burg der Hierarchie begonnen hatten. 
Der häusliche Streit innerhalb der fatholifchen Chriftenheit war für die Kirchen: 
politif der proteftantifchen Staaten ein Gewinn. 

So wurde es für Preußen gleihgültig, ob einer von den Heißlpornen, 
den „Zelanti”, oder ein „Regalift,“ ein Opportunift, den Stuhl Petri einnahm. 
Als Klemens XII. 1769 in dem Augenblide, da ihm jeine gefrönten Gegner 
die ſchwerſte Demütigung bereiten wollten, geftorben war, jah König Friedrich 
der Wahl des Nachfolgers, „den ber heilige Geift und die Könige von Frank— 
reih und Spanien dem Konklave bezeichnen würden”, mit voller Seelenruhe 
entgegen. 

Ganganelli, der aus diefer Mahl als der Vertrauensmann ber bourbonijchen 
Kronen hervorging und fi) Klemens XIV. nannte, juchte für die Beziehungen zu 
Preußen auch das perjönliche Verhältnis wiederherzuftellen, das einft Benedikt XIV. 
gepflegt hatte. Bon diefem Vorgänger, jagte er dem Abbe Ciofani, Friedrichs 
Agenten in Rom, habe er die Verehrung für den preußijchen König geerbt; 


550 Neuntes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


denn Benedikt habe ihn immer Friedrichs Zufchriften lefen laffen, und oft hätten 
fie beide in vertrautem Geſpräch die großen und heroiſchen Tugenden diejes 
Königs bewundert, die jekt ganz Europa anerfenne. Das aufmerkjame Ent: 
gegenlommen, das man in der Grafihaft Glatz dem Vikar bes Erzbiſchofs von 
Prag auf feiner Vifitationsreife durch diefen Teil des Prager Sprengels gezeigt 
hatte, veranlaßte den Papft zu einem Schreiben an den Erzbifhof, das ihm 
empfahl, durch Dankbarkeit für jo große Wohlthat immer größeres Wohlwollen 
für fih und die Seinen bei dem Fürften jenes Landes zu verdienen. 

Gerade unter dem kurzen Pontififat Klemens’ XIV. jollte nun aber die 
preußiſche Regierung zu einem Wahrſpruch der Kurie von unermeßlicher Be: 
deutung ſich in offenen Widerfpruch fegen: zu der Bulle Dominus ac redemptor, 
welche die Geſellſchaft Jeſu aufhob und vertilgte. 

Was Friedrih von den Zefuiten hielt, haben wir von ihm jelbit gehört.) 
Sie galten ihm an ſich unter allen Mönchen als die gefährlichſten. Aber zugleich 
hatten fi ihm die franzöfifchen Jefuiten, die er zum Gegengewicht gegen die 
ichlefifhen, die Fanatifer für Deſterreich, an die Univerfität Breslau gezogen hatte, 
als brauchbar für die Aufgaben des Unterrichts bewährt. Nur find ihrer nie mehr 
als fünf gewefen, und im Laufe des Krieges find fie jamt und jonders davon: 
gegangen. Friedrichs Abneigung gegen ben Orden wuchs damals. Als in Portugal 
die Austreibung verfügt war, jchrieb er 1761 aus dem Bunzelwiger Feldlager 
an d'Argens: „Ich erwartete nicht, die Jeſuiten verfolgt zu jehen. Man würde 
gut thun, diefen Orden aus der Welt zu jchaffen, wie man es mit den Templern 
mit weniger Gerechtigkeit gethan hat. Es gibt in Schlefien viel von diefer Saat. 
Ich möchte fie nah dem Beifpiel der Katholiken abſchaffen können. Vielleicht 
fafle ih mir ein Herz und made es ihnen nad.” In der That hat er im 
Augenblide des Friedensihluffes fih von Schlabrendorff für ihre Ausweiſung 
einen Plan ausarbeiten lafjen. Und als 1765 der Papſt no einmal für fie 
eintrat, verweigerte der König der Bulle fein Placet: „nicht aus Liebe zu Calvin,“ 
fo fchrieb er damals an d’Alembert, „jondern um ein jchädliches Ungeziefer im 
Rande nicht noch mehr zu fördern, das früher oder jpäter das ihm in Frankreich 
und Portugal ſchon bereitete Los auf fich nehmen wird.” Noch 1767, als 
Spanien den beiden Nahbarreichen ſich anſchloß, beglückwünſchte er d'Alembert: 
„Es leben die Philofophen! Alſo die Jefuiten aus Spanien vertrieben! Der 
Thron des Aberglaubens ift unterhöhlt, im kommenden Jahrhundert wird er 
zufanmenbrechen.” 

Dann aber änderte er plöglih jeine Sprade, jeine Anfiht. Indem er 
feftftellt, daß die Jeſuiten jet aus ber Hälfte von Europa und jelbft aus 
Paraguay verjagt find, und nicht dafür einftehen will, was ihnen beim Tode 
der Kaiferin in Defterreich gefchehen mag, erklärt er am 7. Januar 1768 dem— 
jelben d’Alembert: „Was mid anbetrifft fo werde ich fie dulden, folange fie 
fih ruhig verhalten und niemand ermwürgen wollen.” So ſehr er Ketzer jei, 
fhreibt er wenige Wochen jpäter, jo werde er ſich wohl hüten, das Beifpiel 
der fatholifchen Mächte, die zum Zeitvertreib gegen die armen Jeſuiten Krieg 


1) Bd. 1, 413. 


Juſtizpflege und Kirchenpolitif; Landrecht und Staatöform. 551 


führten, nachzuahmen: „ch werde dieſen Orden in Ruhe lafjen, ſolange er fich 
nicht in die weltlihe Gewalt einmifchen oder mid) und die Meinen erwürgen 
wil. Man unterhält im Zirkus für die Tierfämpfe Tiger und Löwen, warım 
follte man nicht auch Jeſuiten dulden? Das gejelligite unter allen Wejen muß 
ſich mit allen anderen vertragen, und man kann mit Jejuiten, Bonzen, Talapoins, 
Imams und Rabbinern leben, ohne fie zu beißen oder von ihnen aufgefrefjen zu 
werden.” Dabei blieb er. Als die katholiſchen Höfe ihr geijtliches Oberhaupt 
ungeftümer bebrängten, ließ er im Sommer 1770 in Rom den Wunfd aus: 
ſprechen, daß eintretenden Falls die Jefuitenfollegien in Preußen von der Auf: 
löjung ausgenommen werden möchten. Wie aber hätte jolhem Wunſch, wenn 
einmal zum Weußerften gejchritten wurde, fi willfahren laſſen! Die Vertilgungs: 
bulle erihien, ohne Vorbehalte und Ausnahmen, und der König von Preußen 
verbot in feinen Landen ihre Bekanntmachung. Hätte es von ihm abgehangen, 
jo hätte der Sefuitengeneral bei ihm eine Zufluchtsſtätte ſuchen bürfen. 

Friedrichs Beweggründe liegen Har zu Tage. Das Jahr zuvor, ehe er 
fih bei Klemens XIV. für die preußiihen Jefuiten verwandte, hatte er von dem 
Auguftinerabt Felbiger einen eingehenden Bericht über das ſchleſiſche Schulwefen 
entgegengenommen, und felbiger hatte es als notwendig bezeichnet, die Gymnafien 
der Provinz in den Händen der unentgeltlich unterrichtenden Jeſuiten zu lafjen, 
da andere taugliche Lehrkräfte ebenjowenig vorhanden jeien, als Geldmittel zu 
ihrem Unterhalt. Doc riet er, dieje Anftalten unter Staatsaufficht, unter einen 
nit dem Orden angehörigen Kurator zu ftellen. Noch weniger wäre für die 
Univerfität Breslau, die einzige Bildungsftätte in Preußen für katholiſche Theo: 
logen, Rat zu jchaffen geweien, wenn man die Jejuiten verlor. Der Sat, den 
der König anfänglid nur im Scherz, unter einer Anzahl anderer paradorer 
Thejen, gegen d'Alembert vertrat: „daß die Gejellihaft Jeſu den Staaten nüglich 
it” — der gewann jegt für ihn unter jenem Gefihtspunfte eine bedingte Wahr: 
heit. Er glaubte prophezeien zu dürfen, daß auch anderwärts, auch in Frankreich 
die Jeſuiten als Lehrer nicht leicht zu miffen feien. Und hatte er früher Anlaß 
gehabt, fie ala gefährlich anzujehen, jo jchien es ihm jegt damit feine Not zu 
haben: „Der Cordelier Ganganelli hat ihnen die Krallen geftugt und das Gebiß 
ausgeriffen und fie in einen Zuftand verjegt, wo fie weder fragen noch beißen 
fönnen.” Er unterfhäßte die Zähigfeit diefes Ordens, wie er die Lebenskraft 
des Papſttums unterjhägte, wenn er die Zeit des Verfalles für die Mad, 
welche die Nachfolger Petri fih angemaßt hätten, nahe herbeigefommen glaubte 
und bald ſchon die Mönde aus der Klofterzelle in die Welt zurüdfehren jah. 

Ein d’Alembert teilte biefe Zuverſicht nit. „Wenn alle Fürften Friebriche 
wären,“ meinte er, „jo wollte ih Europa mit Jeſuiten gepflaitert fehen, ohne 
fie zu fürdten oder mich um fie zu forgen; aber die Friedriche gehen, und bie 
Jeſuiten bleiben.” 

Außer dem für ihn bereits durchſchlagenden Zwedmäßigkeitsgrund, aus 
dem ber König von Preußen feine Jeſuiten nicht fallen ließ, ſtimmten ihn nod 
andere Erwägungen jegt ihnen günſtig. Bon dem NAugenblide an, da fie, bie 
alten Kampfhähne und PBerfolger, die Verfolgten und Berfemten geworben 
waren und nun gegen die einzelnen mit Härte, ja mit Graujamfeit vorgegangen 


552 Neuntes Buch. Zweiter Abſchnitt. 


wurde, empörte fih in Sriedridh fein Duldfamleitsfinn. Er fah in dieſem Kefiel- 
treiben nur eine neue Bethätigung des Berfolgungseifers derſelben katholiſchen 
Höfe, die einft um ber Neligion willen ihre fleißigften Untertanen über bie 
Grenze oder auf den Scheiterhaufen getrieben hatten. 

Als dv’Alembert daran erinnerte, aus des Königs eigenem Munde von 
der Untreue der jchlefiichen Jeſuiten gehört zu haben, antwortete Friedrich, das 
jei richtig: „Aber bedenkt das Wejen der Milde: man kann bieje bewunderungs: 
werte Tugend nur üben, wenn man beleidigt geweſen it, und Ihr Philofophen 
dürft mir nicht vorwerfen, daß ih die Menſchen mit Güte behandle und die 
Menschlichkeit unterfhiedslos gegen alle meine Mitmenſchen übe, welcher Religion 
und welder Gemeinfchaft fie angehören mögen. . . . Beichuldigen Sie mich zu 
großer Toleranz, ich werde mich diejes Fehlers rühmen: es wäre zu wünſchen, 
daß man den Souveränen nur foldhe Fehler vorwerfen Fönnte.“ 

Wenn endlich das Haus Bourbon, das den großen Feldzug gegen den Orden 
leitete, im europäiſchen Staatenſyſtem derzeit auf der antipreußiichen Seite ftand, 
jo hatte es für den preußiichen König einen eigenen Reiz, als „Erjefuit von 
Sansfouci”, wie er fich jegt nannte, den bevrängten Vätern gegen ihre und feine 
Feinde das Widerfpiel zu halten, gegen eben dieje Höfe, die der Orden durch 
feine Beichtiger bis vor furzem beherrſcht hatte. 

Gegen die bourboniihen Höfe nicht ohne auftrumpfende Gereizheit, ging 
doch Friedrich mit feinem Jeſuitenſchutz nicht zugleich darauf aus, auch der Kurie 
einen Tort anzuthun, etwa aus Empfindlichkeit, wie wohl angenommen mworben 
ift, wegen der andauernden Vorenthaltung des föniglihen Titels von Preußen. 
Die hat nur feine Minifter, nicht aber ernitlich ihn jelber befümmert. Er wußte 
jehr wohl, daß der Vatikan mit dem Anathema gegen jeine alte „Leibgarde” nicht 
dem eigenen Triebe, nur der Not gehorchte. Zwar Ganganelli, durd) feine eigene 
Bulle gebunden und in einen jcharfen perjönlihen Gegenfag gegen den Orden 
gebracht, konnte nicht mit fich handeln laſſen. Aber der zweite Papſt nah ihm 
bat die Gefellihaft Jeſu mwiederhergeftelt, und ſchon fein unmittelbarer Nach— 
folger Bius VI. hat ihre verjprengten Weberbleibjel beaünftigt, ſoweit er es 
ohne offenen Bruch mit ihren weltlichen Berfolgern fonnte. So ift der König 
von Preußen mit diefem Papſt Ichnell zu einem Veritändnis gefommen. Durd 
eine Berfügung des Kardinals Rezzonico an den Weihbifchof von Breslau erklärte 
fih Pius VI. damit einverftanden, daß den Prieftern des vertilgten Ordens in 
Schleſien unverboten fein ſolle, das Beichtfaframent zu verjehen, zu predigen, 
die Jugend zu unterweijen und jedes andere Werf der Frömmigkeit zu verrichten; 
indes nur als Individuen und der bifchöflihen Jurisdiktion unterworfen, nicht 
als Glieder eines geiftlihen Ordens. Mit diefem Ausgleih war allen Teilen 
genügt. Die Kurie wahrte den bourbonijchen Kronen gegenüber den Schein. 
Die biſchöfliche Gewalt, der peinlihen Wahl zwiihen dem Gehorfam gegen Rom 
und der Ungnade des Königs überhoben, Jah ſich ausdrücklich ermädtigt, dem 
Nachwuchs der angeblich vertilgten Gemeinſchaft die Weihen zu erteilen. Die 
Patres lebten in ihren Ordenshäufern nad wie vor bei einander und jehten 
ihre gewohnte Thätigfeit fort, nur daß fie ihre Ordenstradht ablegen und ſich 
Geiftlihe des königlichen Schulinftituts nennen mußten. Der Staat endlich ſah 


Juftizpflege und Nirchenpolitif; Landredt und Staatsform. 553 


die Lehrkräfte erhalten, die ihm unentbehrlich jchienen, und gewann zugleich die 
unmittelbare Leitung des Unterrichts und die Verwaltung der Einkünfte: Ordens: 
general war jet der König oder fein jchlefiicher Juftizminifter. Umfang und 
Bedeutung der Neuordnung hat der König in dem Kabinetsbefehl, dur den er 
den jchlefifhen modus vivendi auf Weftpreußen ausdehnte, ſcharf umſchrieben: 
„Ihre Bezeichnung als Jeſuiten, ebenjo wie ihr Habit, find Dinge, bie ich gern 
dem Willen des Papftes opfern fann. Aber für das Wejentlihe muß ihr Inſtitut 
intakt bleiben und auf demjelben Fuße wie in Schlefien.” 

Er war aljo mit dem Ergebnis jehr zufrieden. Einen neuen Erfolg über 
die Kurie hatte er einige Jahre fpäter zu verzeichnen; fie wid auf dem viel: 
umftrittenen Gebiet der gemijchten Ehen einen weiteren Schritt zurüd. 

Die Haltung der Fatholifchen Kirche gegenüber den Ehen zwiſchen Katholiken 
und Proteftanten war in jenem Jahrhundert nachſichtig. Man jegte folchen Ver: 
bindungen in Gegenden, wo nad) der furialen Sprachweiſe die Ketzerei ungeftraft 
graffierte, eine Schwierigkeit faum entgegen; die Biſchöfe von Breslau erteilten 
den Dispens für das Chehindernis verjchiedener Religion, ohne Anfrage bei der 
Kurie und ohne auf die Zujage katholiſcher Kindererziehung zu beftehen; man 
fügte fih dem von Staats wegen aufgeitellten Grundiage, daß die Söhne aus 
gemischten Ehen der väterlichen Konfeflion, bie Töchter der mütterlichen zu folgen 
hatten. Nur wenn bei Mifchehen noch das bejondere Hindernis fanonifh un— 
erlaubten Verwandtichaftsgrabes vorlag, ergaben ſich Anftände zwiſchen der Kirche 
und der Staatögewalt. Benebift XIV. hatte der bifchöflihen Entſcheidung aud 
in diefer Beziehung Spielraum gelajjen; Klemens XIV. und Pius VI ftellten 
fih indes auf den Standpunkt, daß ein Dispens a gradibus nur vom Papft 
felber und nur dann gewährt werden könne, wenn der nichtfatholifche Teil vor 
ber Eheſchließung feinen Mebertritt erkläre. Darin jah die preußiiche Regierung 
den Berfuch der Projelytenmadjerei, eine Schädigung der Religionsfreiheit. Nach 
längerer Verhandlung wirkte endlich die Drohung des Königs, daß er in jolden 
Fällen, bei fortgejegter Weigerung der geiftlihen Behörde, die Brautleute durch 
einen proteftantiihen Pfarrer trauen laffen werde. Der Papſt ließ ſich 1777 
herbei, dem Breslauer Weihbiſchof eine bedingte Vollmaht für Dispenfe zu 
geben, die er felbft, wie er erflärte, wohl duldenden, obgleich unmwilligen Geiftes 
ertragen, nicht aber durch einen Akt feiner Autorität gutheißen könne. Ausbrüd: 
lih aber hat Pius VI. bei diefem Anlaß mit warmen Lobeserhebungen die ben 
preußiihen Katholiten gewährte jhirmende Huld anerkannt. 

Bald jollte fich diefer Papft dem preußiichen Könige noch zu größerem 
Dank verpflichtet jehen. Auch für ihn famen die Tage der Heimjuhung, wie 
für feine beiden Vorgänger. In Defterreih ſchob Joſeph II. die Grenzen der 
Staatögewalt gegen das geiftliche Gebiet weit vor und begann jein Säkulari— 
ſationswerk, das die Zahl der Klöfter und das Beligtum der verſchont gebliebenen 
jo gewaltig beichräntte. Vergebens entihloß fi der Papit, „ver Abt aus dem 
Süden”, wie man in Wien jpottete, zu einem Bittgang nah Wien, der Kaiſer 
hielt auf dem einmal betretenen Wege nit ein. „Wenn Brashi unfehlbar 
wäre,” hatte König Friedrich vorausgefagt, „jo würde er nidht die Dummheit 
begehen, einen ebenjo unnügen wie unpafjenden Schritt zu thun.“ Man müßte, 


954 Neuntes Buch. Zweiter Abfchnitt. 


meinte er, um Friedrich II. und Heinrich IV. zu rächen, dem Papſt in Wien 
einen Empfang bereiten, wie einft dem Kaiſer zu Ganojja: „Rom, das herriſche 
Rom, unterliegt feinen auffälligen Kindern, die ihm den Gehorfam verweigern, 
die Kuttenträger entkloftern, ihre Güter fih aneignen und das Joch bes Fege— 
feuers frech abſchütteln, und allerorten fchreien die Keter: wir haben es ja 
gefagt, daf die babylonifhe Dirne nicht unfehlbar iſt!“ 

In feiner Eigenſchaft als Keker, die er gern betonte, mit dem Niedergang 
des Papfttums, der Demütigung des „Vicegotts von den fieben Bergen” nicht 
unzufrieden, wußte er als Politifer alsbald diefen Vorgängen einen Vorteil nad 
der entgegengejegten Seite abzugewinnen. Für die endgültige Befeitigung der 
preußiſchen Herrihaft in Schlefien konnte nichts ihm mwilllommener fein, als die 
Drangjale des Klerus in dem fatholiihen Nahbarreihe, über deſſen Grenzen 
viele der ſchleſiſchen Katholiten noch immer hinausgeihaut hatten. Jetzt endlich, 
nad vierzig Jahren, wurden auch fie innerlich für Preußen gewonnen, als der 
König am 26. Auguft 1782 bei feinem Beſuch in Breslau durch den Weihbifchof 
der gefamten Geiftlichkeit befannt geben ließ, daß fein Stift oder Klofter eine 
Mehrbelaftung oder gar die Aufhebung zu befürchten haben folle, „jolange fie 
fih wie treue und reblich gefinnte Untertbanen verhielten“. Mit aufrichtiger 
Freude befannte der Weihbifchof in feinem alsbald erlafjenen Hirtenbriefe: „Fit 
mir mein bijchöfliches Amt je jüß und leicht vorgefommen, jo ift e& gewiß in dem 
Augenblid, wo ich infonderheit denen jämtlihen Stiftern und Klöftern dieſe 
väterliden Gefinnungen Seiner Königliden Majeftät verkünden fann.” 

: So waren die fonfeffionellen Gegenjäge in Schleſien zu Ausgang der 
Regierung des eriten preußifhen Herrſchers ausgegliden. Alle Schlefier, ob 
evangeliich oder fatholiid, waren gute Preußen geworden. 

Den evangelifchen Kirchengemeinichaften gegenüber bot fich der Staatögewalt 
nur jehr jelten Anlaß zum Eingreifen. Die Zeiten waren vorüber, da ber 
reformierte Landesherr mit dem Mißtrauen und Uebelwollen der Lutheraner zu 
fämpfen gehabt hatte. Auch war es nicht mehr nötig, zwijchen den beiden 
proteftantiihen Kirchen häuslihen Frieden zu gebieten; die einft jo beliebten 
Kontroverspredigten über die Unterfcheidungslehren famen immer mehr in Ab: 
nahme, wie überhaupt das Schelten und Poltern auf der Kanzel. Die Geift: 
lichkeit im pommerfchen Stargard zog fi 1749 einen ſcharfen Verweis aus dem 
Kabinet zu, als es noch einmal vorgefommen war, daß Gemeindemitglieder wegen 
ihrer freien Richtung öffentlich in ber Kirche geiholten und im Tode vom Friedhof 
ausgejchloffen wurden. Auch innerhalb des geiftlihen Standes ließ man den 
freifinnigen, ja freigeiftigen Köpfen weiten Spielraum. Eine Beſchwerde des 
oſtpreußiſchen Konfiftoriums über eine Abhandlung des Königsberger Oberhof: 
predigers und Generaljuperintendenten Stark, ber zugleih Profeſſor an der 
Albertina war, wurde 1776 als „Kegerflage” abgewiejen, da der Verfaſſer das, 
„was er einem gelehrten Publikum zur Erwedung weiteren Nachdenkens als 
Shriftfteller jage”, von dem zu ſcheiden willen werde, „was von ihm als Prediger 
jeiner Gemeinde zu lehren nüglich jei”. Das Berliner Oberfonfiitorium be= 
anftandete einige Jahre fpäter die „Sittenlehre für alle Menſchen ohne Unter: 
ſchied der Religion” von jenem märkiſchen Prediger Schulz, der zum Entjegen 


Juſtizpflege und Kirchenpolitif; Landrecht und Staatsiorm. 555 


der Zionswächter als der erite mit dem Zopf ftatt in der Perüde die Kanzel 
beftieg. Nun hatte dieſer Verfafler an des Königs Abhandlung „Ueber die 
Selbftliebe ald Grundfag der Moral” angefnüpft, und als Friedrich dem „Zopf: 
ſchulzen“ in einem Kabinetsfchreiben vom 5. Dezember 1783 feinen Danf dafür 
ausſprach „daß Ihr in Eurer GSittenlehre Meinen vorgezeihneten Plan weiter 
auszuführen gejucht habt”, da mußte die geiftliche Behörde wohl oder übel den 
Rüdzug antreten. Ja, der Minifter Zeblig erhob die volle Ungebundenheit des 
firhlihen Lehramts zum Grundjag, wenn er als rejoluter Jünger der Auf: 
Härung bei diejem Anlaß ausdrüdlich erflärte, da das Konfiftorium nur darüber 
zu wachen habe, ob der Seeljorger feine Gemeindeglieder zu gutgefinnten Menſchen 
bilde und mit eigenem guten Wandel ihnen vorangehe. 

Andererjeits wollte der König jeitens der Geiftlihen alles vermieden jehen, 
was bei ihren Pfarrkindern Anftoß erregen, altüberlieferte und eingewurzelte An: 
Ihauungen, auch wenn es jeiner eignen Meinung nad Vorurteile waren, verlegen 
fonnte. Als 1781 in der Hauptitadt die Geiftlichfeit im Einverftändnis mit dem 
Konfiftorium ein neues Geſangbuch einführte, baten vier Berliner Gemeinden 
den König, fie in ihrer freien Religionsübung gegen die jchriftwidrigen Neuerer, 
die ſich klüger dünkten ala die Apoſtel und Luther, huldreichit zu ſchützen. Der 
König antwortete ihnen, dab er es fi zum unveränderlichen Geſetz gemacht 
habe, jedem Unterthanen völlige Freiheit zu laffen „zu glauben und feinen Gottes: 
dienst zu halten wie er will, nur daß feine Lehrfäge und Religionsübungen weder 
der Ruhe des Staats, noch den guten Sitten nadteilig jein müſſen“. So jolle 
auch in Anfehung des Katehismus und des Geſangbuchs fein Zwang herrichen. 
Allerdings gab der Schluß des Beſcheides der frommen Einfalt zu veritehen, 
daß vermutlich das neue Geſangbuch veritändlicher, vernünftiger und dem wahren 
Gottesdienft angemefjener fein werde, weil jo viele andere Gemeinden ihm den 
Vorzug gegeben hätten. Und in einer eigenhändigen Nachſchrift vermochte der 
Monarh zum großen Schmerz der glaubenseifrigen Bittiteller den Spott nidt 
zu unterbrüden, es ftehe einem jeden frei zu fingen: „Nun ruhen alle Wälder 
und bergleihen dbummes und thörichtes Zeug mehr.” Jetzt brauchten fie für 
den Spott nicht zu forgen: 


Er ließ uns alle Freiheit, ſelbſt 
Die Freiheit, dumm zu fein! 


verfündete der Welt Friedrichs alter Bewunderer Gleim. Bald darauf begann in 
zwei anderen Gemeinden berjelbe Streit um das Gejfangbud, und diesmal erklärte 
fih der König noch entjchiedener für die orthodoren Gemeindemitglieder und 
gegen die rationaliftifche Geiftlichfeit: „die Herren Priefter oder Kathederredner, 
wer fie find, haben nichts zu befehlen, fondern nur an Chriſti Statt zu bitten, 
d. h. ſchriftmäßig, nicht als die über das Volk herrſchen.“ Seinen eigenen 
Summepifjfopat, wie es jein zweiter Nachfolger gethan hat, zur Einführung 
liturgiſcher Neuerungen zu benußen, hätte ihm völlig fern gelegen. 

So wollte er auch bei der Wahl der Pfarrer die Wünſche der Gemeinden 
möglichft beachtet jehen. „Gute Mores ift das erfte vor einem Dorfpriefter, und 
wenn er den Bauern gefällt, jo muß man fie nit dhicanieren,” lautete eine 


556 Neuntes Buch. Zweiter Abfchnitt. 


feiner Entjheidungen, und biefes jein „bei Predigerwahlfahen den Gemeinden 
feine Chicanen machen!“ hat er den Behörden unzählige Male eingejhärft. 

Den ESeltierern gegenüber wurbe das Verfahren beobachtet, dag man fie 
als Zumanderer willlommen hieß und da, wo fie bereits angejeflen waren, 
anerfannte, daß man aber ihrer Propaganda fteuerte und deshalb Profelyten 
von den der Stammgemeinde erteilten Rechten ausihloß. Die 18 Mennoniten: 
gemeinden, die man in Weftpreußen vorfand, durften fih von der Wehrpflicht 
mit Geld ablöfen. Den vordem aus Polen nad Preußiſch-Littauen geflüchteten 
Antitrinitariern erlaubte der König 1776, ihrem Bethaus die Geftalt einer Kirche 
zu geben. Schleſien öffnete fid) nad der preußiihen Befigergreifung Schwenk: 
feldern und Hufiten. Die Herrnhuter, dem Könige wegen ihrer ſchwärmeriſchen 
Richtung perſönlich widerwärtig — eine mijerable Sekte hat er fie genannt — 
erfreuten fih auf ihren Niederlaffungen in Schleſien und in und bei Berlin 
ihrer drei im Lauf der Jahre erworbenen Generalfonzeifionen. Als ein paar 
Herrnhuter in einem Mahnſchreiben den König zu befehren juchten, äußerte er: 
„Man muß den Leuten höflich antworten, fie meinen es nur gut mit mir.“ 

Wenn er beim Regierungsantritt gejagt hatte, er werde Türfen und Heiden, 
wenn fie das Land bevölkern wollten, Moſcheen bauen, jo bat er nad der Er: 
werbung von Weitpreußen in der That eine Zeit lang fi darum bemüht, Tataren 
als Anfiedler für die neue Provinz zu gewinnen. 


Das Wort des alten Königs: „Ein jeder fann bei mir glauben, was er 
will, wenn er nur ehrlich ift,“ hat in der Geſetzesſprache des Allgemeinen Land: 
rechts die Prägung erhalten: „Jedem Einwohner im Staate muß eine voll: 
fommene Glaubens: und Gewifiensfreiheit gewahrt bleiben.” Ganz den Grund: 
fägen Friedrichs entſprachen aber auch die kirchenpolitiſchen Schugmwehren, mit 
denen ber Staat fi) umgab, indem das Landrecht jede Kirchengemeinichaft ver: 
pflichtete, ihren Mitgliedern neben der Ehrfurcht gegen die Gottheit „Gehorſam 
gegen die Gefege, Treue gegen den Staat und fittlih gute Gefinnungen gegen 
ihre Mitbürger einzuflößen”, und indem andererjeits das Recht, dem zumiber: 
laufende Religionsgrundjäße zu verwerfen und an der Ausbreitung zu verhindern, 
ausichließlich dem Staate vorbehalten wurde. 

Und jo begegnen wir auf Schritt und Tritt in den das Gebiet des all- 
gemeinen Staatsredhts berührenden Abjchnitten des Landrechts den von Friedrich 
aufgeltelten und angewandten Regierungsmarimen. Wir fennen bereits das 
Ideal des fridericianifchen Ständeftaates: wie in dem alten Preußen, nachdem 
der Abjolutismus mit den politiichen Ansprüchen des Ständetums auf Mitregierung 
gründlich aufgeräumt hatte, doch die Gliederung der Gejellihaft eine ftändifche 
geblieben war; wie Geburtsftände mit den Berufs: und Erwerbsftänden ſich deden 
follten; wie jedem Stand fein Pla angemiefen, fein Wirfungsfreis jharf abs 
gegrenzt, feine Leiftungen für das Gemeinwejen genau vorgejchrieben waren; 
wie zwiihen Stabt und Land eine tiefe Kluft lag; wie der ländlihe Beſitz in 
feinem Beſtand erhalten bleiben ſollte und wieder der bäuerliche und ber adelige 
Befig jeder in dem feinen; wie aljo der Bauernftand in jeinem Beſitz geihüsgt 


Juſtizpflege und Kirchenpolitif; Landrecht und Staatäform. 557 


wurde gegen das Bauernlegen ber Herren und ber ritterichaftlihe Beſitz ab: 
geiperrt wurbe gegen die Anziehungskraft des bürgerlichen Kapitals; wie ber 
Bürgerftand mit feinen ſchnell fi vermehrenden Mitteln immer wieder auf 
Induftrie und Handel, womöglich Großhandel, hingewiejfen wurde; wie bies 
Steuerwefen und das Heerwejen durchaus dieſe ftändiihe Gliederung voraus: 
jegten; wie der eigentliche Kern der Truppen der Bauernftand, und bie Subftanz 
bes Dffiziercorps der Abel war; wie man den Grundfat der allgemeinen Wehr: 
pfliht der ftädtiichen Induſtrie zuliebe durchbrochen hatte. Diefer altüberlieferten, 
und duch die Verwaltungskunſt des modernen Abjolutismus jorgiam gepflegten 
und planvoll ausgebildeten ſtändiſchen Gejellihaftsorbnung, dieſem mwohldurd; 
daten „Syftem politiicher Arbeitsteilung”, von dem treffend gefprochen worden 
it, hat das Landrecht gleihjam den Schlußftein eingefügt, die gefeglihe An— 
erfennung verliehen und damit Ausfiht und gewiffermaßen Anſpruch auf dauernde 
Gültigkeit gegeben — und das in dem Augenblide, da in Franfreih der Baum 
des Feubalismus mit Stumpf und Stiel ausgerottet wurde. „Perjonen, welchen 
vermöge ihrer Geburt, Beitimmung oder Hauptbefchäftigung gleiche Rechte in 
der bürgerlichen Gejellihaft beigelegt find, machen zufammen einen Stand des 
Staates aus,” jo lautet einer der erften Paragraphen des Landrechts, und auch 
die äußere Anordnung des Stoffes hat fich diefem ftändifchen Prinzip anbequemen 
müſſen, in der Aneinanderreihung der Titel des zweiten Buches: „Vom Bauern: 
flande”, „Vom Bürgerftande”, „Bon den Rechten und Pflichten des Adelftandes“, 
wo nun das ganze Handels-, Wechſel-, See: und Verſicherungsrecht ſich gefallen 
laffen mußte, in den Titel „Vom Bürgerftande” eingezwängt zu werben. Wird 
doh auch, wieder ganz in Friedrichs Sinne, dem Adel, dem „erften Stande” aus: 
drüdlich die vorzügliche Berechtigung zu den Ehrenftellen im Staate zugeiprocdhen, !) 
allerdings unter der Borausfegung, daß er fih dazu geſchickt gemacht habe, 
und unter dem Vorbehalt, daß dem Landesherren die Beurteilung der Tüchtig: 
feit und die Auswahl unter mehreren Bewerbern unbenommen fein folle. 

Um jo moderner klingt daneben jene Beftimmung, auf die fi 100 Jahre 
jpäter der große Bahnbreder unjerer heutigen jozialpolitiihen Gejeggebung be: 
rufen bat: die Verkündigung des Rechtes auf Arbeit. Nachdem die Verpflichtung 
des Staates zur Ernährung und Verpflegung derjenigen Bürger ausgejproden 
ift, „die fih ihren Unterhalt nicht jelbft verichaffen können”, fährt das Land: 
recht fort: „Diejenigen, welden es nur an Mitteln und Gelegenheit, ihren und 
der Ihrigen Unterhalt felbft zu verdienen, ermangelt, ſollen Arbeiten, die ihren 
Kräften und Fähigkeiten gemäß find, angewieſen werden.” Friedrich hat das 
große Problem nicht als ſchwierig betradtet. Der Behauptung des radikalen 
Holbach, daß das Elend die Urſache der meilten Verbrechen fei, bielt er die 
Worte entgegen: „Es gibt fein Land, wo jeder, der nicht faul oder nichtsnugig 
ift, durch feine Arbeit nicht genügenden Lebensunterhalt fände.” Einer ver: 
bungernden Familie würde er das Recht auf Diebftahl zugeftehen. 

Friedrih hat die Aufgabe des Arbeiterfhuges mit Erfolg in Angriff ge: 
nommen durch Neuordnung des Verhältniſſes zwiſchen den induftriellen Unter: 


’) Bgl. oben S. 393; Bd. I, 360. 


558 Neuntes Buch. Zweiter Abfchnitt. 


nehmern und ben Arbeitern, das einer fcharfen, jenen ebenfo läftigen wie diejen 
nützlichen Staatsauffiht unterworfen wurde, um ſowohl ausbeuteriijhem Drud 
auf die Löhne wie willfürlichen Entlaffungen einen Riegel vorzuſchieben. Damit 
und mit gelegentliher Veranftaltung von Rotitandsarbeiten war bei der niedrigen 
Bevölferungsziffer und bei den einfacheren wirtichaftlihen Verhältniffen jener 
Zeit ſchon viel erreicht. 

In einer Richtung aber find die Verfaſſer des Allgemeinen Landrechts 
von den Pfaden ihres Herrn und Meifters abgewichen. 

Das liberale preußiihe Beamtentum aus Friedrichs Schule hatte nod) 
einen anderen Lehrgang durchgemacht. Man befannte fi zu Montesquieu, zu 
dem „Geift der Gefege”, zu dem Grundfag von der Teilung der Gemwalten. 
Sparez hat 1791 als Lehrer des damaligen Kronprinzen, des jpäteren Königs 
Friedrih Wilhelm III., den Grundfag aufgeftellt und als die Schutzwehr der 
bürgerlien freiheit eines preußifchen Unterthanen bezeichnet, daß der Souverän, 
der Träger der ganzen gejeßgebenden Gewalt des Staates, nicht auch die richter: 
lihe Gewalt an ſich nehmen dürfe. Er hat gleichzeitig in einem vor der Berliner 
Mittwochsgejelichaft gehaltenen Vortrag feinem allgemeinen Gejegbudh die Auf: 
gabe zugewiejen, in einem Staat ohne Grundverfaſſung eine joldhe gewiſſer— 
maßen zu erjfegen. Auch Kircheiſen, der Präfident des Kammergerichts unter 
Friedrich Wilhelm IL, bekannte fih zu dem Montesquieufchen Sage, daß der 
Fürft wohl in deſpotiſchen, aber nicht in monardiihen Staaten richten dürfe, 
weil jonft die „Verfaſſung“ zerftört und eine notwendige „Mittelgewalt” auf: 
gehoben würde. So ganz nahmen diefe preußijchen Juriften für ihre Tribunale 
die Stellung jener „intermediären Gewalten” Montesquieus in Anſpruch, die 
Stellung, um melde bie höchften Gerichtshöfe des alten Franfreihs, die Parla: 
mente, unter Zubwig XV. jo hartnädig gefämpft haben. „Es ift beinahe, als 
ob fie eine Art von Parlament vorjtellen wollten,” jo hat Friedrich Wilhelm II. 
ſolche Anſprüche ganz richtig gefennzeihnet. Auch von anderer Seite wurden 
fie abfällig beurteilt. Der Minifter Hergberg erklärte noch bei Friedrichs Leb— 
zeiten in einer feiner akademiſchen Feſtreden, daß er in Provinzialftänden ge: 
eignetere „intermebiäre Körperfhajten” jehen würde, als in Juſtizkollegien. 

Der Kampf der Meinungen unter der Regierung Friedrih Wilhelms II. 
bat dann bekanntlich dahin geführt, daß der Paragraph, welcher „Machtſprüche“ 
der „oberften Gewalt” vorweg als null und nichtig erklärte, vor der Einführung 
des Allgemeinen Landrechts aus dem Entwurf entfernt wurde. Immerhin blieb 
dem Landrecht noch jo viel an allgemeinen Beltimmungen über Wejen und 
Grenzen der Staatsgewalt, daß nachmals der geiitvolle Kritiker der franzöfiichen 
Revolution, Aleris de Tocqueville, das Werf von Carmer und Svarez als eine 
Schöpfung bezeichnen durfte, die zugleich bürgerliches Gejegbuh, Straffoder und 
Verfafjungsurfunde ſei. Volftändig zutreffend aber hat 1793 ein Gegner jener 
beiden Männer, der fchlefifche Juftizminifter Adolf v. Dandelman, gegen fie 
geltend gemacht, daß Friedrih der Große, auf den fie fih bei ihrem quaſi— 
fonftitutionellen Beftreben gern beriefen, fein Eideshelfer für fie jei; denn Friedrich 
habe zwar die Mängel des Juſtizweſens bejeitigen wollen, aber nicht entfernt 
daran gedacht, dab in dem neuen Geſetzbuche von jeinen landesherrlihen Befug— 


Juſtizpflege und Kirchenpolitik; Landrecht und Staatäforn. 559 


niffen oder gar von jeinen Berbindlichfeiten die Rede jein werde, „von denen 
legteren er glaubte, daß er auf Erden niemandem Rechenſchaft ſchuldig fei, noch 
nötig habe, durch eine Erklärung derjelben gleihlam eine neue Verbindlichkeit 
zu fontrahieren.” 

Friedrich hat fich über die Modetheorie des Jahrhunderts, über Lockes dur 
Montesquieu weitergebildete und populär gemachte Lehre von der Gemalten: 
teilung, nie vernehmen laſſen. Nur indirekt hatte er ihr mit feinem ungünftigen 
Urteil über die Wirkungen des engliihen Parlamentarismus feine Anerkennung 
verjagt.') Die wiederholt von ihm ausgeiprodhene Forderung, daß alle Zweige 
der Staatsverwaltung in ftarfer Hand feſt zufammenzubalten jeien, enthält eine 
Kritik nicht der Lehre Montesquieus, jondern der Zerfahrenheit, in der fich die 
monarchiſche Verwaltung des gealterten Frankreichs befand. Inzwiſchen war 
dort die politifche Theorie über Montesquieu weit hinausgegangen. Rouſſeaus 
Contrat social übte auf das junge Geſchlecht einen berüdenden Zauber aus. 
Auch mit diefer Lehre hat fi Friedrih nicht unmittelbar auseinandergejegt; 
aber zu den fortgejegten Angriffen der modernen Philoſophen auf die monarchiſche 
Staatsform hat der „Philofoph auf dem Throne” doch nicht ftillefhmweigen 
wollen. 

Sein pofitives Bekenntnis enthält der 1777 entftandene „Essai sur les 
formes de gouvernement et sur les devoirs des souverains“. Wohl in Anflang 
an Rouſſeau braucht er bier wiederholt den Ausdrud pacte social, eine früher 
ihm fremde Bezeihnung für einen längft ihm geläufigen Begriff. Denn mit der 
ganzen naturrechtlihen Schule der vorangegangenen Jahrhunderte hatte ſchon der 
Kronprinz Friedrih im Antimahiavell die Entitehung des Staates aus einem 
Vertrage der Mitglieder angenommen. An biefer Auffaflung, die ein Sparez 
fritifher nur als bequeme philojophifche Hypotheſe, nicht als biftorifchen Er: 
fahrungsfag gelten laſſen wollte, hält der alte König ohne Vorbehalt feit. Das 
Prinzip der Gefege und des Gejellihaftsvertrages ift ihm „die große Wahrheit, 
daß man gegen die anderen jo handeln muß; wie man wünſcht, daß fie gegen 
uns handeln“. „Da die Gejehe nicht beitehen und fich nicht vollziehen Fönnen 
ohne eine beitändige Aufſicht, jo entftanden die Obrigfeiten, die das Volf er: 
wählte und denen es fi unterwarf” — die Aufrechterhaltung der Geſetze er: 
icheint ihm als „der einzige Grund, der die Menſchen veranlaßte, ſich Obere 
zu geben”, als der „wahre Urjprung der Souveränetät“. Der Verfaſſer ſchildert 
dann an hiftorifhen Beifpielen ben aus der Unvolfommenheit der menſchlichen 
Einridtungen herrührenden Verfall jo vieler Staatsgebilde: den Untergang der 
antiken Ariftofratien und Demofratien, wobei er dem freien England mit jeiner 
parlamentarijhen Korruption, das er noch fchärfer beurteilt als 1748, das Schidjal 
der römiſchen Republif vorausfagt; die Wandlungen der mittelalterlihen Feudal- 
monardie, die uns in Polen „das einzige Modell ihrer abſcheulichen Regierungs: 
form“ aufbewahrt habe, während anderwärts in dem Ringen um die entjcheidende 
Gewalt die Vafallen entweder unterdbrüdt oder, wie im Deutjchen Reich, zur 
Unabhängigkeit gelangt feien. Won der „wahrhaft monardiihen” Regierung 


) Val. Bd. I, 344. 


560 Neuntes Bud. Zweiter Abfchnitt. 


— er meint die abjolute Monardie — jagt der abjolute König von Preußen 
mit ber größten Unbefangenheit, es ſei bie jchlechtefte oder die beite von allen, 
je nachdem fie geführt werde. Er gibt dann das „einzige Mittel” an, bie 
monarchiſche Staatsform zu einer guten und vorteilhaften zu maden, indem er 
ähnlih wie 30 Jahre früher in der poetiſchen „Apologie der Könige” ') ein 
leuchtendes Bild entwirft von dem aufgeflärten Abjolutismus in jeiner all: 
umfaflenden Thätigfeit für die einzelnen Gebiete des Staatswejens, Bolitif, 
Diplomatie, Heerweien, Kriegsführung, Finanzverwaltung, Kultus und Wolfe: 
erziehung, Landwirtſchaft, Induftrie, Handel. Wir erfennen alles in allem das 
Seal feiner eigenen Regierungs: und Verwaltungskunſt. Auf daß der Fürſt 
niemals von diejen feinen Pflihten abirre, ſoll er fi oft ins Gedächtnis rufen, 
„daß er Menſch ift, wie der geringite feiner Unterthanen.” „Wenn er ber erite 
Nichter, der erfte General, der erſte Schakbeamte, der erfte Minifter der Gemein: 
ſchaft ift, jo ift er es nicht zur Schauftellung, jondern um die Pflichten diefer 
Hemter zu erfüllen. Er ift nur der erite Diener des Staats, verpflichtet mit 
Rechtſchaffenheit, mit Weisheit und mit völliger Uneigennügigfeit zu handeln, 
wie wenn er in jedem Augenblid feinen Mitbürgern Rechenſchaft über feine 
Verwaltung ablegen müßte.” Er geiteht zum Schluß, daß dieſe Skizze eines 
Fürften die Zenforen vielleicht erinnern werde an den Urtypus der Stoifer, an 
die von ihnen ausgeflügelte und nirgends in die Erſcheinung getretene Idee des 
Weijen, der allenfalls der einzige Marc Aurel fi angenäbert habe. 

Zur Abwehr einzelner bejonders leidenſchaftlicher und gehäffiger Angriffe 
gegen das Königtum erhebt fich Friedrich in den Kritiken, die er im Jahre 1770 
zwei anonymen Schriften bes frivoliten aller Barijer Modephilojophen entgegen: 
gejegt bat, dem Essai sur les prejuges und dem berufenen Systeme de la 
nature des Baron Holbach. In feiner Kritif des „Essai* gibt Friedrih eine 
Pofition ohne weiteres auf: er will mit feinem Gegner nicht ftreiten, wenn biejer 
Königsfeind verfichert, daß die Fürften ihre Macht nicht durch göttliche Verleihung 
haben. Um ſo nachdrücklicher wendet ſich die Kritif gegen die Anflage, daß die 
Fürften die Schlädhter ihrer Unterthanen feien und zum Zeitvertreib fie in ihren 
Kriegen fich gegenfeitig erwürgen ließen. Friedrich antwortet einfah, daß bie 
Republifen aller Zeiten ebenſowohl Kriege geführt haben, als die Monardien, 
und daß nad des Verfaflers Grundfägen alle ftaatlihen Gemeinſchaften, mit 
einziger Ausnahme der Quäfer, als tyranniich verjchrieen werden müßten. Den 
Kern aber der Tendenzen, welche die ganze Gruppe der modernen „Monarcho: 
machen” erfüllten, ſchält die zweite Kritik fharf heraus, das Examen du systeme 
de la nature: jeine wahren Anfichten über Regierung, jagt Friedrich, enthülle der 
Verfafjer, indem er für die Unterthanen das Necht fordere, ihre Souveräne 
abzujegen, wenn fie mit ihnen unzufrieden feien. 

Diefen aus dem Ideenkreis des Jahrhunderts der religiöjen Bürgerfriege 
durh Jean Jacques Rouffeau mwiederaufgenommenen Anſpruch weilt der könig— 
liche Schriftfteller weit ab; vom Staatsvertrag ausgehend, betrachtet er doch 
den einmal geichloflenen Vertrag ſtillſchweigend als unlöslih, unfündbar, den 


)8b.1, 311 (2. Aufl. ©. 312). 


Juſtizpflege und Kirchenpolitik; Landrecht und Staatäform. 561 


der Staatsgewalt, dem Souverän, dem erjten Diener des Staats erteilten Auf: 
trag als unbedingt und unmiberruflih. Zwiſchen Fürft und Volk befteht nad 
Friedrichs Theorie fein Dualismus, fondern Identität. Ebenjomwenig hatten vor 
ihm jeine Landsleute, die deutihen Theoretifer des Naturrechts, die Pufendorf, 
Thomafius, Wolff, von frangöfifchen und englifchen Doktrinen abweichend, dem 
Untertanen das Recht des aktiven oder auch nur pafliven Widerftands zu: 
geitehen wollen. So fehr Friebrid dem Fürſten das Gefühl der Verantwort: 
lichkeit zur Pliht macht, fo gar nicht räumt er dem Boll das Recht ein, 
Verantwortung zu heifhen. Wohl ſprach num der Göttinger Publizift Pütter 1779 
in jeiner politiſchen Zeitfchrift von „Warianten in ber politiichen Terminologie“, 
indem er das dem vierzehnten Ludwig zugefchriebene „L’Etat c'est moi* mit dem 
Wort vom „premier serviteur de l’Etat“ verglid, das man in den Werfen des 
Königs von Preußen fand. Aber in dem Anfpruch auf fürftlihe VBollgewalt, in 
der Ablehnung eines Anteils der Unterthanen an der Regierung, unterſchied ſich 
Friedrichs aufgeflärter Abfolutismus von dem Negierungsiyitem Ludwigs XIV. 
nit. „Die Politik verlangt, daß nur ein Herr im Lande ei,” dies Wort aus 
Friedrichs erften Regierungstagen bat ihn durch fein ganzes Leben begleitet. 
Monarchie und Abjolutismus blieben ihm ftets, wie in den Königsberger Huldi— 
gungstagen von 1740,') gleichgeltende Begriffe. 

Wenn Friedrich bei jeinen theoretiſchen Erörterungen die Abftufungen ber 
Staatsform, die zwilhen dem monardiihen Abjolutismus und der reinen 
Demokratie liegen, außer Betradht gelaffen hat, jo hat er den Apofteln der 
Volfsjouveränetät in jener Kritif der Holbachſchen Schrift das ungefähr voraus: 
gejagt, was bald darauf in frankreich fich ereignete: daß die Abjegung eines 
Monarden der Ausgangspunft unabjehbarer innerer Unruhen fein wird, „Wenn 
je die hohlen Ideen unjeres Philoſophen ſich verwirklichen jollen, jo müßte man 
zuvor die Regierungsformen in allen europäifchen Staaten umjchmelzen, was 
ihm freilich eine Kleinigkeit erfcheint; auch wäre erforderlih, was mir unmöglich 
ericheint, daß dieje zu Richtern ihres Herrn erhobenen Unterthanen fomohl weiſe 
wie billig wären, daß die Bewerber um die Regierung ohne Ehrgeiz wären, daß 
weder Intrigue noch Kabale noch der Geiſt der Auflehnung ſich geltend machten; 
erforderlich wäre weiter, daß die entthronte Dynaftie völlig ausgerottet würde, 
oder man würde den Nährftoff zu Bürgerfriegen und Parteihäupter haben, die 
itetS bereit wären, an der Spitze der Parteien den Staat in Unruhe zu ftürzen.” 
Im Vergleih mit all diejen Unzuträglichfeiten nennt Friedrih die Erbmonardie, 
für welche die meiften Völker ſich entſchieden hätten, das kleinere Uebel, troß 
ihrer Gebreden; und er warnt vor den Arzneien, die jchlimmer find als die 
Schäden, über die man fich beflagt. 

Die Abwehr der Angriffe gegen das Königtum ift nur die eine Seite der 
Kritik, die Friedrih an das „Systeme de la nature* anlegte. Durchweg zog 
er in jeiner Gegenfchrift, wie wir weiter jehen werben, jcharf die Grenze zwifchen 
ih, als dem Jünger der älteren Aufllärungsphilofopbie, und den Trägern ber 
modernen franzöfiichen Bildung, den Encyklopäbdiften. 


') Bat. Bb. 1, 31. 


Kojer, Aönig Friedrich der Wroße. II. 2. Aufl. 36 


Dritter Abichnitt. 


Der alte König und die neue Bildunn. 


26 Jahre hindurch gemieden hatte, der Cinfiedler von Ferney. Der 

König von Preußen erhielt die Nachricht von Voltaire Tode inmitten 
der legten Vorbereitungen für feinen Krieg gegen den Kaiſer. Im böhmijchen 
Feldlager entwarf er die Gedäcdhtnisrede, die er am 26. November in der Berliner 
Akademie verlefen lief. Mit dem Gejchichtichreiber des Sieele de Louis XIV 
war ihm ber legte Vertreter diefer klaſſiſchen Litteraturperiode Frankreichs dahin: 
gegangen. „Mit Ihnen wird man den franzöfiihen Parnaß begraben“, hatte 
er vor fünf Jahren nad Ferney gejchrieben. 

Nah dem fhroffen Bruch von 1753 Hatte Voltaire im Siebenjährigen 
Kriege durch feine ebenſo geſchäftige wie unfruchtbare Vermittlerthätigkeit zwilchen 
den fämpfenden Mächten mwenigitens für ſich perfönlic den Frieden mit dem 
großen Könige wiederhergeſtellt.) Freilich nur äußerlib. Ihr Briefwechſel ftodte 
noch wiederholt, ganze Jahre vergingen, in denen von beiden Seiten Stillſchweigen 
beobadtet wurde. Friedrich blieb mißtrauiih, Voltaire ingrimmig. Er bielt 
daran feit, daß die rohe Behandlung, der er und feine Nichte in Frankfurt 
ausgejeßt gewejen waren, Sühne erheifche, und verlangte fie in mehr oder minder 
durchfichtigen Andeutungen. Friedrich wies ſolchen Anſpruch mit Schärfe zurüd 
und verbat fih mit Hohn, diefe Nichte noch weiter genannt zu hören, die ihn 
langweile und die nicht das Verdienft ihres Oheims befige, um ihre Fehler damit 
zuzudeden: „Man ſpricht von der Magd Molieres, aber niemals wird man von 
der Nichte Voltaires ſprechen.“ 

Tod Voltaire jollte nicht ewig grollen. Schließlich hat eine Kleinigkeit, 
wenn man will ein Zufall, fein Herz erweicht. Im Jahre 1770 vereinigten ſich 
jeine Freunde und Verehrer in Franfreih, um dem unbeftritten erften aller 
lebenden Schriftiteller noch bei feinen Lebzeiten ein Standbild zu errichten. In 


— — — — — * 


) Bgl. oben S. 122. 150. 245. 281; Bb. I, 523 fi. 


9: 30. Mai 1778 ftarb als Gaft in jeiner Vaterſtadt Paris, die er 


Der alte König und die neue Bildung. 563 


ben Plan eingeweiht, verlangte der zu Feiernde zuerft in einem ſcherzenden unb 
dann in einem recht nadhbrüdlichen Briefe an d'Alembert, daß der König von 
Preußen zu der Huldigung heranzuziehen fei: „Er ſchuldet mir ohne Frage eine 
Ehrenerflärung, als König, als Philofoph, als Litterat.” D’Alembert forderte 
nad einigem Zaubern den König zur Teilnahme auf: „Einen Thaler und Ihren 
Name, Sire,” lautete die Bitte. Friedrich ging mit aufrichtiger Freude und der 
größten Unbefangenheit auf den Wunſch ein, ohne zu ahnen, welche geheime 
Bedeutung fein Jamwort für den „Göttlichen” hatte. Er ſchickte taufend Thaler 
und ein warmes Zuftimmungsichreiben, das d’Alembert in öffentliher Sitzung 
der franzöſiſchen Akademie vorlas und protofollieren ließ: „Das ſchönſte Denkmal 
Voltaires”, jo hieß es im Eingang mit horazifhem Anklang, „ift das, welches 
er fich felbft errichtet hat, feine Werfe, die länger dauern werden, als bie Bafilifa 
von St. Peter, als der Louvre und alle diefe Bauten, welche die menjchliche 
Eitelkeit der Ewigkeit weiht. Man wird nicht mehr franzöfifh ſprechen, und 
Voltaire wird noch in die Sprade, die der franzöfiichen folgen wird, überjegt 
werden.” Nun war Voltaire befriedigt, beglüct, gerührt. Er dankte dem „großen 
Philojophen von der Sekte und der Art Marc Aurels“, dem „Pfleger und Be: 
Ihüger der Künfte” für die Förderung, die er der Anatomie durd) feine Unter: 
ſchrift zu Gunften eines alten Sfeletts zu teil werden laffe: „Diejes Skelett 
befigt eine alte, jehr empfängliche Seele, fie iſt durchdrungen von der Ehre, die 
Eure Majeftät ihr erweiſt.“ 

Von der Bruft des Skeletts war ein Alp genommen. Der Ton feiner 
Briefe an Friedrich wird jeit diefer Zeit fichtlih ungezwungener, wärmer und 
voller, vergnüglider. Und die Schmähſchrift auf den Preußenkönig, die feit 
Jahr und Tag in feinem Screine lag, erjegte Voltaire jetzt in einer neuen 
autobiographiihen Aufzeihnung dur eine ruhigere Schilderung feiner Erlebniffe 
und Erfahrungen mit Friebrih, ohne freilih für die Vernichtung des Schand- 
denfmals zu jorgen, das dann bald nad des Verfaflers Tode, mehr ihm als 
Friedrich zur Unehre, an das Licht trat. Ya, er verftand fich jet auch feiner- 
jeitö zu einer Art „Reparation”, einem artig vermummten Sünbenbefenntnis. 
In einem Brief vom Jahre 1772 erzählt er Friebrih, wie er wißbegierigen 
Fragern feinen fo außerorbentlihen Fürften zu jchildern pflege: „Meine Herren, 
das ift ein Mann, der mit berjelben Leichtigkeit eine Schlacht ſchlägt, wie eine 
Oper ſchreibt; der alle Stunden nützlich anwendet, welche andere Fürſten ver: 
geuden, um einem Hunde hinter dem Hiriche her zu folgen; der mehr Bücher 
verfaßt hat, als irgend einer feiner fürjtlihen Zeitgenofien Baftarde erzeugte, 
und der mehr Siege erfochten, als Bücher verfaßt hat. Hinzufügen werde ich, 
daß ich diefes Phänomen vor 20 Jahren geihaut habe und es noch ſchauen 
würde, wenn ich nicht ein Hein wenig unbejonnen geweſen wäre. Wenn Sie 
erraten haben jollten, wer der Held it, von dem ich Sie unterhalte, jo haben 
Sie die Güte, ihm meinen unterthänigften Reſpekt und die Bewunderung aus- 
zubrüden, die er mir jeit dem Jahre 1736 eingeflößt hat, d. h. genau jeit 
36 Jahren: nun, eine Anhänglichkeit von 36 Yahren ift feine Kleinigkeit.“ 

Friedrich antwortete, er denfe mit 60 Jahren ebenfo wie mit 24, und feine 
aufrichtigen Gefinnungen grüben fi dank Boltaires Werfen ohne Unterlaß 


964 Neuntes Bud. Dritter Abſchnitt. 


tiefer in feine Bruft ein. Hatte er früher mehr als einmal dem von ihm be: 
mwunderten Genius in harten Worten den Abftand zwiſchen feinem Geift und 
feinem Charakter vorgehalten, jo unterbrüdte er von nun an diefe Moralpredigten. 
Selbft wenn Boltaire ihn durch neue Sticheleien gegen den Lappländer Maupertuis 
reiste — denn ber Kampf gegen bie „alte Ajche” des Tobfeindes wurde mit 
heißem Haß fortgefegt — verwies ihm Friedrih dieſe Schwäche jegt nur in 
mildem Ton: „Maupertuis war brüsf, ich gebe es zu, das hat Euch auseinander 
gebradt; ich weiß nicht durch welches Verhängnis niemals zwei Franzojen in 
fremden Landen ſich Freunde find.” ’) Offener ſprach er gegen d’Alembert fein 
Mißfallen über ſolche Unverjöhnlichkeit aus; d’Alembert werde ein gutes Werk 
thun, wenn er jenem wegen diefes Schwalles abgeftandener Schmähungen, gegen 
Maupertuis ſowohl wie gegen die Schar feiner obffuren Widerjader, einen 
Verweis erteilen wolle: „Ich jchließe aus dem Benehmen Boltaires, daß er als 
Souverän mit feinen fämtlihen Nahbaren blank ftehen würde, feine Regierung 
würde ein unaufhörlider Krieg jein, und dann weiß Gott, welder Argumente 
er fi bedienen würde, um den Krieg als Naturzuftand der Gejelligaft und den 
Frieden als für den Menjchen nicht geichaffen zu beweiſen.“ 

Voltaires mit feiner perfönliden Zankſucht jo wenig übereinftimmende 
Thätigleit als Friedensapoftel, fein Poltern gegen Krieg, fein „herzliher Haß” 
gegen das „Metier Cäſars“, die „große Kunft Luzifers”, war ein weiterer Anlaß 
für Friedrich zu gelegentlicher neuer Verftimmung. Zwar rief der Friedensfreund 
ben preußiihen König, wie wir ſchon hörten ‚?) zur Bertreibung der Türken 
und Befreiung des edlen Griechenvolfes in die Schranken, hielt ihm jcherzend 
das Mufter Gottfrieds von Bouillon vor Augen und bedauerte, daß ihm der 
Hafen von Danzig mehr am Herzen liege als der Piräus. Sonft aber machte 
er aus feinem Herzen feine Mördergrube und ſchonte, wo er fi unbemerft 
glaubte, auch Friedrih nit. Nun fanden Berfe ihren Weg nah Sansfouci, 
in denen ein nur zu wohlbefannter Dichter alle Kriegeshelden vom großen Cyrus 
bis auf „diefen glänzenden König, der Zentulus ?) erzog”, jeines Haſſes verficherte: 


Man rühmt mir ihre Kunft, erhaben ohne Zweifel, 
Doch flieh’ ich alle fie und wünſche fie zum Teufel. 


Friedrich quittierte das Kompliment in einem feiner nächſten Briefe mit 
ber trodnen Bemerkung, er fei als Teutone jelbft in Voltaires Schule nit in 
alle Freiheiten der franzöfifchen Sprache eingedrungen, doch habe er nicht ge: 
funden, daß die Ausdrüde Hab und zum Teufel wünjdhen in irgend einem 
Brieffteller für Liebende ftünden, es fei denn, dak Tifiphone, Megära oder Alekto 
ihn verfaßt hätten. 

Dichteres Gewölk aljo zog am Abendhimmel diefer langen Freundichaft 
nit mehr auf. Alte Gewohnheit und ein ftets neuer Neiz verbanden fih, um 
Friedrih an den Mann zu fefleln, der ihm aud aus ber Ferne ebenfo unter: 


Bd. 1, 526. 
) Oben ©. 514. 
») Dben S. 349. 


Der alte König und die neue Bildung. 565 


rihtende wie unterhaltende Geſellſchaft leiftete. Die Ankunft eines Briefes von 
Voltaire war immer eine Art Felt. Liegt der Empfänger an folhem Tage an 
der Gicht danieder, jo erinnert er fih aus Ciceros Tusculanen bes Stoifers 
Pofidonius, der ſchwer frank den großen Pompejus nicht ungegrüßt vorüber: 
reifen laſſen wollte, und erflärt, daß jeine Krankheit ihn am Antworten nicht 
bindern fol. Er beneidet ben Grafen von Falfenftein, den Iuftreifenden 
Kaiſer Joſeph, der bei der Rückkehr aus Frankreich Ferney wird bejuchen 
fönnen; er fpottet, dab der hohe Reiſende fich jchließlih prübe die un— 
vergleichlihe Gelegenheit entgehen läßt: „Der Graf Falkenftein hat die An— 
ziehung gefühlt, aber auf feiner Bahn bat das Geftirn Therejfe ihm eine centris 
fugale Bewegung gegeben!” Auf feinen eigenen Heilen begleiten ihn Voltaires 
Schriften: „Voltaire und ich,” jchreibt er nad) den Revuen von 1775, „haben 
die ganze Fahrt durch Schlefien gemacht und find zufammen zurüdgelommen.” — 
„Rein, e& gibt feinen ſpaßhafteren Greis, als Sie,” ruft er wieder nach dem 
Eingang eines diefer unvergleihlichen Briefe aus Ferney; „Sie haben fi) die 
ganze Heiterkeit und Anmut Ihrer Jugend erhalten!” In immer neuen Wen: 
dungen beglückwünſcht er den „Patriarchen des Geihmads”, weil er aus ber 
Jugendquelle getrunfen hat, weil Voltaire und nur Voltaire die Kunft fi zu 
verjüngen fennt, weil er mehr Del auf feiner Lampe hat, als die Jungfrauen 
im Evangelium, thöricht und Eluge, zufammengenommen: 


Welch Feuer, wie viel Neiz bleibt immerdar dein Eigen! 
Sein Frührot überjtrahlt dein Tag im Niederfteigen. 
Wir, Ihon vom Froft berührt, vom Alter untergraben, 
Verloren allzubald Luft, Anmut, Geift und Gaben. 
Doch deiner Stimme Klang und Frifche ift gefeit, 

Zum Tort dem Thorenvolf, dem Alter und der Zeit. 


„Dies kleine Kompliment,” ſetzt Friedrih in Proja hinzu, „wird Ihnen 
geichuldet; oder, beiler gejagt, es ift ein Wunder, mweldes Europa in Staunen 
jest, es ift ein Problem, welches die Nachwelt zu löfen Mühe haben wird, daß 
Voltaire unter der Bürde jeiner Tage und Jahre mehr Feuer, mehr Frohlinn, 
mehr Genie befigt, als diefe ganze Menge junger Dichter, von denen Ihr 
Vaterland wimmelt.” 

Wohin Friedrichs Auge reicht, auf allen Gebieten der franzöſiſchen Litteratur 
glaubt er Verfall, Mittelmäbigfeit, Verwilderung wahrzunehmen, einen ſchlechten 
Geihmad, der vieleiht Europa in eine Art Barbarei zurüdfinfen laffen wird, 
aus der eine Menge großer Geifter uns errettet hatten. „Die Zeitalter, in 
denen die Nationen ihre Turenne, GConde, Eolbert, Bofluet, Bayle, Corneille 
bervorbringen, folgen ſich nicht jo ſchnell aufeinander, die Zeitalter eines Perikles, 
eines Cicero, eines vierzehnten Ludwig.” Für den Niedergang der humanen 
Wiſſenſchaften bietet dem Philofophen von Sansjouci das Emporfommen der 
Naturwiffenihaften und der öfonomifhen Studien feinen Erſatz und jedenfalls 
fein Vergnügen. Ein Zahlengeift jcheint ihm in die jegige Zeit gefahren. Den 
ganzen Ballaft an Werfen über Handel und Aderbau, von Berfaflern, die nie 
weder ein Schiff noch einen Pflug geiehen haben, will er als Bücher über: 


9606 Neuntes Bud. Dritter Abſchnitt. 


haupt nicht gelten lajfen. Die Franzojen thun ſich jegt etwas darauf zu gute, 
tief zu fein, ihre Bücher werden von falten Klüglern verfaßt, die Grazie, 
die ihnen früher jo natürlih war, wird vernadläffigt. Bald werden jie 
würdige Kollegen der tüdesfen Profefjoren auf us ſein. Bon der Geometrie 
fürchtet er, daß fie das wenige an Keimen erftiden wird, moraus eine neue 
Kunit erblühen könnte. Ein Myrmidonenfhwarm von Geometern verfolgt die 
Ihöne Litteratur und jchreibt ihr Gejete vor, um fie zu erniedrigen. „hr 
habt feine Dramatifer in Frankreich mehr,” ruft Friedrich Voltaire zu, „micht 
mehr dieſe niedlichen Gelegenheitsgedichte, wie fie früher in ganzen Sammlungen 
erſchienen, feine berühmten Redner mehr, feine anmutigen Verſe mehr, nichts, 
nichts mehr von al diejen entzüdenden Werfen, bie ehedem einen Teil des 
Ruhms der franzöfiichen Nation ausmachten. Sie haben als der legte diefen 
Ruhm vertreten, aber Sie werden feine Nachfolger haben.” Voltaire erjcheint 
ihm, und das war völlig aufrichtig gejagt, als die „einzige Stütze“, die „lebte 
Säule” in dem allgemeinen Verfall. Sein Troft bleibt: „Was auch kommen 
mag, ich bin Ihr Zeitgenofje gewejen.“ „Ich babe Voltaire gejehen, und wenn 
ih ihn nicht mehr jehe, jo leje ich ihn, und er jchreibt mir.” 

In dem äfthetiihen Wohlgefalen, in der Bewunderung des litterarijchen 
Genies, der allumfaflenden Produktivität ging Friedrichs Verehrung für Voltaire 
nicht auf. So ſah auch diefer in jeinem gefrönten Freunde nit bloß das 
„Mufter der Helden und ber guten Geſellſchaft,“ nicht bloß den „Berteidiger, 
Geſetzgeber, Geſchichtſchreiber und Lehrer” feiner Unterthbanen, nicht bloß den 
Mann des Jahrhunderts, Woltaire feierte den König von Preußen als den 
„König der Deiften“, und Friedrich hat in jener Gedenkſchrift Voltaire nad): 
gerühmt, daß er alle Triebfräfte jeines Genies aufgeboten habe, um das Dajein 
Gottes zu bemweilen. Die Grundlage ihrer Weltanihauung war in der Jahre 
Flucht diefelbe geblieben: das gemeinfame Belenntnis zu dieſem Deismus, den 
Friedrih als „den einfachen Kultus des höchſten Weſens“ umfchrieb. 

„Boltaire unterjchied ftets die Religion von denen, die fie verunehrten,” 
jagt Friedrih in jenem Eloge. Man fennt den leidenjhaftlihen Kampf des 
alten Voltaire gegen das, was er die Infame zu nennen pflegte, gegen bie 
Superftition, die Imposture oder im konkreten Sinne gegen die Hierardie: 
Babylon im Sinne Calvins, „die Hierarchie und allen damit zufammenhängenden 
Aberglauben”. Den Monarchen der Infame nennt einmal Friedrih in Voltaires 
Terminologie den Papft. Friedrid übernahm das Schlagwort in jeine Briefe 
an Voltaire jelbft und an d’Alembert; zunächſt, wie er diefem geftand, um ſich 
durh Einihaltung der fompromittierenden Geheimformel „Ecrasez l’infüme* 
dagegen zu fichern, daß jener die Briefe ein unberufenes Auge jeben ließ. Im 
Grunde feines Herzens ſah der Ketzerkönig diefem Kampf gegen Rom mit Gleich— 
mut zu. Als Klemens XIV. eine anonym erjchienene Schrift Friedrihs des 
Großen auf den Inder der verbotenen Bücher feste, forderte Voltaire, wieder 
einmal friegeriih, den Verfaſſer jcherzend auf, ſich den Nachfolger Petri vor: 
zunehmen, wie bie Kaijerin von Rußland den Statthalter Muhammebs, um 
Europa gleichzeitig von zwei ſeltſamen Thorheiten zu befreien. Friedrich vertrat 
gegen Voltaire wie gegen d’Alembert die Meinung, daß das Papfttum eine 


Der alte König und bie neue Bildung. 567 


Macht nicht mehr ſei. Schon fehe „der Unfehlbare auf den fieben Bergen“ 
mit Sorge die Nefte feines idealen Kredits dahinihmwinden und den Banferott 
fommen, wie der franzöſiſche Generalfontrolleur der Finanzen; freilich werde 
Franfreih, als das ältefte Königreih der Welt, bei dem Banferott den Vor: 
tritt haben. Es gelte das Gebäude der Unvernunft ftill und geräufchlos zu 
unterminieren, dann werde es von jelbit einftürzen. Voltaire dürfe fich rühmen, 
beim Belagerungsfampf gegen die Wälle des Aberglaubens mit dem Geſchütz 
feines guten Wites mehr gethan zu haben, als Bayle mit jeiner guten Dialektif. 

D’Alembert teilte ſolchen Optimismus nicht, jo wenig wie er Friedrichs 
Nachſicht gegen die Jeſuiten billigte.") Friedrih veradhte die Priefter, weil er 
fie nicht zu fürchten brauche und weil er fie zwingen fönne, aud wider ihren 
Willen duldfam, gemäßigt und veritändig zu jein. Aber in grellen Farben 
ichilderte er dem preußiſchen König immer von neuem, jo 1772 wie 1780, den 
Drud, den in Frankreich die Inquiſition der Pfaffen auf die Geifter ausübe, 
die Verfolgung, der die Litteratur mehr als je ausgejeßt fei. Friedrich hat ſich 
über die „erbauliche Vorſicht“ aufgehalten, mit der Voltaire, wo er mit offenem 
Viſier auftrat, die Kirche jchonte: der allerdhriftlichite König dürfe fich zu einem 
fo orthodoren Kammerherren beglüdwünjden; das heiße die Infame mit der 
einen Hand fragen und mit der anderen ftreidheln. Die alte Wahrheit offenbarte 
fih von neuem, daß nicht ein jeder frei ift, ber jeiner Feſſeln ſpottet. Voltaire 
verbringt fein Leben wie Petrus, hat d’Alembert einmal bemerkt, zwifchen 
Berleugnen und Bereuen. Wie er jhon zu Ferney wiederholt den Forderungen 
der katholiſchen Kirche genügt hatte, jo hat er auch in Paris angefichts des 
Todes ein Sündenbefenntnis abgelegt, unaufridtig und unter einem Vorbehalt; 
aber er wollte nicht auf den „Schindanger” geworfen werden. Friedrich ift durch 
diefe Kapitulation nicht überrafcht worden, er hatte fie vorhergejehen, vorher: 
gejagt. Die Kirhe aber hat Voltaires halben Untermwerfungsaft nicht gelten 
laſſen, jo daß d’Alembert, um feinen und bes Toten geiftlihen Gegnern auf: 
zutrumpfen, den König von Preußen bat, in der eben eingeweihten Hedwigs— 
firhe zu Berlin, dem Denkmal Fridericianifher Duldfamkeit ein feierliches 
Totenamt für Voltaire veranitalten zu laſſen. Das ift gejchehen, aber ben 
weiteren Wunſch des herausfordernden d’Alembert, dem Verächter des Kirchen: 
glaubens ein Denkmal in der Kirche errichtet zu jehen, hat Friedrich mit 
richtigerem Gefühl abgelehnt: Voltaires Büfte, mit diefer Erklärung ſchnitt er 
endlich die Erörterung ab, gehöre beffer in die Akademie, wo es nichts zu 
„ecrafieren” gebe. 

Hatte Friedrih fih mit Voltaire in den Grundanfchauungen jtets einig 
gewußt, das perſönliche Verhältnis zu ihm dagegen jehr erjchwert und lange 
Zeit völlig erfchüttert gejehen, jo hat umgekehrt d’Alembert ihm als Menſch 
näher, als Philojoph ferner geitanden. D’Alemberts Charakter bot ihm die 
Bürgichaften für die süret6 de commerce, die er bei Voltaire vermißte. Ab: 
gejehen von einer ganz vorübergehenden Berftimmung des Königs über die Ver: 
öffentlihung einiger Stellen aus feinen Briefen an d’Alembert find Mißhellig- 





1) Bgl. oben S. 550 ff. 


568 Neuntes Bud. Dritter Abfchnitt. 


feiten in zwei Jahrzehnten lebhaften und intimen brieflihen Verkehrs nie zwiſchen 
beide getreten, und Friebrih beflagte nur immer von neuem, daß dieſer an- 
ſpruchsloſe, ebenjo geiftreihe wie liebenswürbige Mann, der ihm bei jener 
Begegnung im Sommer 1763 aufridtige Zuneigung abgewonnen hatte, fi von 
feiner franzöfiihen Heimat nicht trennen wollte. An immer neuen Einladungen 
ließ er es nicht fehlen. „Das eifige Klima des Baltiihen Meeres,” jchreibt er 
1775, „würde uns Körper und Geift gefrieren lafjen, wenn nicht ab und zu 
ein gallifcher Prometheus Feuer aus dem Aether, uns wieder anzufachen, herbei- 
trüge; ich wüßte wohl einen, der uns diefen Dienit erweiſen fönnte, aber er 
wird nichts desgleihen thun.” Der alte Herriher mahnt den nur um fünf 
Jahre jüngeren Philofophen, dab fie feine Zeit zu verlieren haben, joll ihre 
Begegnung nicht etwa erft im Thale Joſaphat ftattfinden; er gefteht, daß er an 
feinem Teil ein Wiederjehen zu Potsdam in Fleifh und Bein vorziehen würde, 
da eine gejpenfterhafte Unterredung ohne Zunge und ohne Stimme nicht viel 
Reiz verjprede. Als dann der Arzt dem Philojfophen eine Reife nah talien 
verordnet, meint Friedrich, er felber würde vielmehr die preußifche Luft zur 
Heilung verjhrieben haben. Er ſchenkte nun d'Alembert das Reijegeld und 
wies, als jener am Fuße der Alpen umkehrte, die allzu mathematiſch genaue 
Zurüderftattung des unverbrauct gebliebenen Geldreites mit dem Pilatuswort 
zurüd: „Was gejchrieben ift, ift geſchrieben.“ Aber er konnte nicht veritehen, 
wie jener e& über fich gewonnen habe, jo nahe am Ziele das gelobte Land nicht 
zu betreten, zumal da er vor dem Schidjal Galileis in Rom ficher gemweien 
wäre: denn der Papft habe jih an die Umdrehung der Erde völlig gewöhnt. 

Friedrih ſchrieb an d’Alembert, wie er an Boltaire jchrieb: behaglich, 
ſprudelnd von Laune und Wi, geihmadvoll und gedanfenreih, voll glüdlicher 
Einfälle, epigrammatifch, ironifh und mit dem Humor, der gelegentlich ſich ſelbſt 
zum beiten haben fann. Nur daß hier die jenem gern verjegten Spigen und 
Bosheiten fehlen; um fo wohliger liegt über diefen Briefen an d’Alembert das 
Abendrot der fonnigen Heiterkeit, in der die Frohnatur des jungen Friedrich 
einft geftrahlt hatte. Nun hatte Voltaire mit unvergleihlihem Anpaflungsver: 
mögen feine Antworten ftets auf den Ton feines föniglihen Freundes geſtimmt, 
und auch d’Alembert war offenbar bemüht, diefen Ton zu treffen; aber jein 
Kelchglas wollte doch nicht ganz jo heil und kraus ſchäumen und perlen; jeine 
Rede fließt, wie ein feinfinniger Beobachter gejagt bat, „meilt in rubiger Klar: 
heit dahin, nur leije gehoben durch die ihm reichlich zufließenden Reminiscenzen 
aus Dichtern und Scriftftellern aller Zeiten und Litteraturen, und was ihm 
jonft von Fabeln und Anefooten, Bonmots "und Parabeln zuflog, das alles wie 
farbiges Ziergewächs den glatten Spiegel umzog“. 

Indeſſen gab es ein paar Themata, bei deren Berührung der Brief: 
wechjel unverkennbar befangen wurde, jo zwar, daß Friedrih den Ton dämpfte 
und um d’Alembert nicht zu verlegen an ſich bielt, dieſer aber gleichwohl ein 
leifes Unbehagen fühlte. 

D’Ulembert war einer von diejen Geometern, deren Formelfram und Ber: 
ftandesdürre ihm, wie wir ihn vorhin lagen hörten, die alte franzöfiiche Geiftes: 
bildung eritiden zu wollen ſchienen. Und weiter, d'Alembert war derjenige 


Der alte König und bie neue Bildung. 569 


Geometer, der ihn zuerft zum Widerfpruch gegen eine vermeintliche Vergewalti⸗ 
gung der Poefie gereizt hatte. Eine jcharfe Kritif, die jener 1760 anläßlich 
einer Preisverteilung in der Académie frangaise an den Poetaftern der Gegen: 
wart übte, faßte Friedrich jo auf, als ob durch einen wohlfeilen Angriff auf die 
Unzahl der mittelmäßigen Dichter die Dichtkunft überhaupt in Verruf gebradt 
oder aber unter mathematifhe Regeln gebeugt werden follte. Man erjehe an 
diefer Ueberhebung d’Alemberts, jchrieb er damals an d'Argens, daß die Geo: 
metrie den Geift nicht jo dreifiere, wie man es ihr nadhrühme; d’Alemberts 
neuefte Sachen ſchienen ihm der damals umlaufenden ſchlechten Kriegsmünze 
gleichwertig. Er ſetzte den „Erummlinigen Geſetzgebern“, den „Wilden“, den 
„Barbaren“, den „Ikonoklaſten“ eine Widerlegung in Profa und eine Facetie in 
Verſen entgegen und ſchickte, dba b’Argens fein Ara babei fand, beides an 
d’Alembert. Der nahm den Fehdehandſchuh nicht auf; es jei das Scidjal 
des Königs, antwortete er artig, immer auf Kriegsfuß zu leben, im Sommer 
mit den Defterreihern, im Winter mit der Geometrie; da nun das ftolge und 
furdtbare Haus Defterreih ſich als befiegt betrachten müſſe, jo werde die be 
ſcheidene Geometrie nicht fchwieriger jein wollen. Als dann Friedrich dem 
großen Mathematiker während des Bejudhs von 1763 perfönlich näher getreten 
war, ging er in dem nun beginnenden intimeren Briefwechjel dem Streit über 
die Grenzen von Geometrie und Dichtkunft aus dem Wege; aber ein Vers in 
einem Gebicht an Voltaire von 1771 


Dur comme un geometre en ses opinions 


forderte d’Alembert zu der Bemerkung heraus: „ch weiß, daß Eure Majeftät 
immer etwas gegen die Geometrie auf dem Herzen gehabt haben.” 

Die Späße und Nedereien über die Geometrie als Kunftrichterin waren 
ſchließlich weder böſe noch auch nur ernft gemeint. Schwerer fiel ein anderes 
ins Gewicht. Friedrich gewahrte an den Naturmwifienichaften ein Mifverhältnis 
zwiſchen jo viel Aufgebot tiefgründiger Forſchung, jublimiter Gelehrſamkeit und 
dem praftiihen Nuten der Ergebnifje: fein Elajfiiches Beiſpiel war der Fall 
feines großen Mathematifers Euler, deſſen exakte Berechnungen für die hydrau— 
lichen Mafchinen von Sansfouci die Waflerfünfte doch nicht zum Spielen bringen 
wollten. Hätte Friedrich das Zeitalter erlebt, wo die Naturmwifjenichaften endlich 
begannen, die das ganze wirtichaftlihe Leben ummälzende Anwendung ihrer 
großen Entdedungen zu machen, der große Praftifer wäre der erite gemejen, 
diefe Leiftungen anzuerkennen und zu bewundern. So aber hat er d’Alembert 
ganz offen einmal gefragt: „Iſt es nicht wahr, daß die Eleftrizität und alle 
Wunder, die fie enthüllt, nur dazu gedient haben, unjere Neugierde anzuregen? 
ift e8 nicht wahr, daß die Anziehungs: und Schwerkraft nur unfere Einbildung 
in Erftaunen gejegt haben? ift es nicht wahr, daß alle chemiſchen Operationen 
fih in dem gleihen Falle befinden?” Der Gefragte mußte das bis zu einem 
gewiffen Grade zugeben. „Eure Majeität,” antwortete er, „behandelt die tran- 
ſcendente Geometrie ein wenig zu ſchlecht. Ich gebe zu, daß fie oft nur ein 
Zurus müßiger Gelehrter ift; aber oft ift fie auch nüglich gewejen, und wäre 
es nur, indem fie die Phänomene des Weltiyitems jo gut erklärt.” 


570 Neuntes Bud. Dritter Abjchnitt. 


Noch eine andere Reibungsflähe war vorhanden. Dem Philofophen von 
Sansfouci war die Gefolgichaft halb lächerlich, halb unheimlih und jedenfalls 
verbrießlich, die hinter d'alembert, dem Führer zur Linken, ftand, die Schar der 
nadgeborenen Söhne der Aufklärung, die neue Richtung. Er bemunderte 
d’Alemberts Discours preliminaire zu der Eneyclopedie, diefen genialen Ber: 
ſuch zu einem entwidelnden Ueberblid über die Gejamtheit der pofitiven Wiſſen— 
ihaften, ihre grenznahbarlihen Berührungen und ihren Stammbaum; aber 
er verachtete die „Encyklopädiſten“, wie er das junge Philoſophengeſchlecht, 
gleichviel ob die einzelnen an der Encyklopädie mitarbeiteten oder nicht, unter: 
ſchiedslos nannte; und nur ironifch bezeichnete er die Encyklopädiſten ab und 
an als jeine Mitbrüder, ſich jelbft als ihren Verehrer, ihren eifrigen Schüler. 

Am Iuftigften bat Friedrich über die Encyflopädiften gefpottet in einer 
ausichließlih zu feiner eigenen Ergöplichkeit verfaßten Schrift von 1773, in 
einem der im achtzehnten Jahrhundert jo beliebten Totengeſpräche, wo er den 
eben verftorbenen Fürſten Liechtenitein, den öfterreichifchen General, jeinen be: 
rühmten Vorgängern, dem Prinzen Eugen und Marlborough als das Neuefte von 
ber Erde berichten läßt, daß man dort die großen Feldherren nicht mehr achtet, 
dank der Friebenspredigt der Encyllopädiften. Marlboroughb hält die Encyflo: 
pädiften für eine Art Irokeſen, aber Liechtenftein belehrt ihn: „Die Encyflo: 
päbiften find eine zu unjeren Tagen entitandene Sekte jogenannter Philoſophen. 
Sie glauben ſich erhaben über alles, was das Altertum in diejer Art hervor: 
gebracht hat! Mit der Frechheit der Cyniker verbinden fie die edle Schamlofigfeit, 
alle Baradoren, die ihnen in den Sinn fommen, zu verbreiten. Sie brüften ſich 
mit der Geometrie und behaupten, daß die, welche dieſe Wiſſenſchaft nicht ftudiert 
haben, nicht recht Klug find, und daß folglich fie allein die Gabe richtig zu denfen 
befigen. Ihre landläufigiten Reben find mit wiſſenſchaftlichen Ausdrüden ge: 
ipidt. Wenn ein Floh fie gebifien bat, jo find es die unendlich Kleinen der 
erften Ordnung, die fie behelligen. Wenn fie einen Fal thun, fo geichiebt es, 
weil fie das Centrum der Schwere verloren haben. . . . Alle Wiſſenſchaften, mit 
Ausnahme ihrer Rechnungen, jegen fie berab. Ein Poet ſoll nur noch algebraiiche 
Gleihungen reimen; was die Geſchichte anbetrifft, jo wollen fie die von hinten 
an ftudiert willen, mit der Gegenwart angefangen bis zurüd vor die Sündflut. 
Die Regierungen reformieren fie alle, Frankreich joll eine Republif unter einem 
Geometer als Gejeggeber werden, und Geometer werden regieren, indem fie alle 
Schritte der neuen Republik der nfinitefimalrehnung unterwerfen. Diefe 
Republik wird einen beftändigen Frieden wahren und fi ohne Heer behaupten.” 

Bezeichnenderweile hat der Verfaſſer diejes Totengeſpräch an b’Alembert 
nicht mitgeteilt und gegen Voltaire verleugnet. Aber in den „Briefen über die 
Vaterlandsliebe”, von denen er d’Alembert 1779 einen Abdrud fandte, las 
diefer zu feinem Schmerz das überaus herbe Urteil über die Encyflopädiften, 
daß neben einer fleinen Anzahl guter Sachen und einer Heinen Anzahl Wahr: 
heiten, die man in ihren Schriften finde, der Reit ein Wuft von Paraboren 
und leichtfertig, ohne Nachprüfung vorgetragener been jei. Da bielt er ji 
doch für verpflichtet, für die „ehrenwerten Leute, die an der Encyflopädie mit: 
gearbeitet“ hätten, einzutreten und injonderheit den Vorwurf der Vaterlands— 


Der alte König und die neue Bildung. 571 


lofigfeit zurüdgumweifen: jolange er felbit an der Spitze diejes Werks geftanden 
babe, würde er nie ſolche Tendenz geduldet haben; auch erinnere er fich nicht, 
dab man an irgend einer Stelle diejes gewaltigen Wörterbuches die Dummheit 
und zugleich die Kedheit bejeilen hätte, die Vaterlandsliebe zu befämpfen. Fried: 
rich entgegnete — zu feiner Entihuldigung, wie er fagte —, daß man in 
Deutichland gemeinhin alle Werke franzöfiicher Hohlköpfe auf die Rechnung der 
Encyklopädiſten jeße; „ich hoffe, daß Sie eine hinreichend gute Meinung von 
mir haben werden, um zu glauben, daß ich die d'Alembert nit mit den 
Diverot, den Sean Jacques und den jogenannten Bhilojophen verwechſele, welche 
die Schande der Litteratur find“. 

D’Alembert gab einen Rouffeau ohne weiteres preis. Er haßte und neidete 
ihn nicht, wie es Voltaire that; aber Rouffeau war ihm der Sonderling, der 
da behaupten konnte, „daß der Menih, welcher denkt, ein bepraviertes Tier 
fei”; denn fo faßte D’Alembert die Löfung zufammen, die jener 1751 für bie 
Preisfrage der Akademie von Dijon, nah dem Einfluß der Wiſſenſchaften und 
Künfte auf die Sitten, gefunden hatte. Den ungeheuren Erfolg diefes Mannes 
in Gegenwart und Zukunft, ven Zauber, den fein radifaler Idealismus, feine 
Predigt der Rückkehr zur Natur, fein Glaube an die Güte der menſchlichen An: 
lage, jein Unabhängigfeitsfinn, feine Auflehnung gegen das Herkommen, jeine 
„Religion des Herzens”, gerade auf edle Gemüter ausgeübt hat, die von ihm 
ausgehende Verjüngung der franzöfiihen und Befruchtung der deutſchen Litteratur, 
bie Fleiſchwerdung feiner politifhen Theorie noch vor Ablauf eines Menjchen: 
alters, alles das ahnten oder ermaßen weder Friedrih noch d'Alembert und 
jeine Encyllopädiften. Friedrih ſah die Wirkung der Rouffeaufhen Schrift: 
ftellerei nur in der Anſteckung anderer zur Thorheit und Tollheit und ließ es 
zweifelhaft, ob man den noch zu den Philofophen zählen dürfe, der bas Hirn 
einiger guter Hausväter jo weit verwirrt habe, daß fie ihren Söhnen die Er: 
ziehung eines Emil gäben. Angemwidert durch „die Paradoxen und den cynifchen 
Ton” dieſes „Beſeſſenen“, erklärte er doch in ihm das Unglüd ehren, den Ber: 
jolgten jchügen zu wollen. Es war im legten Jahre des Siebenjährigen Kriegs, 
als er im Lager vor Schweidnig jenen Brief aus Motiers:Travers im Neuen: 
burgijchen erhielt: „Sire, ih habe viel Uebles über Sie geredet, ich werde viel: 
leicht noch desgleihen reden. Indes, aus Franfreih, Genf, dem Kanton Bern 
vertrieben, fomme ich, ein Aſyl in Ihren Staaten zu juchen; vielleicht war es 
mein Fehler, daß ich es nicht von vornherein that; dies Lob gehört zu denen, 
deren Sie wert find.” Der König hat an Roufjeau nie gejchrieben, aber ihrem 
PMittelsmann, feinem dermaligen Statthalter von Neuenburg, dem philojophijchen 
Lord Marſchall von Schottland,!) antwortete er: „Geben wir dem Unglüdlichen 
ein Aſyl. Diejer Rouffeau ift ein eigentümliher Knabe, ein cyniſcher Philoſoph, 
der nichts außer jeinem Bettelfad hat; man muß ihn am Schreiben verhindern, 
joweit e& geht, weil er heifle Gegenftände behandelt, die in Euren Neuenburger 
Köpfen zu lebhafte Erregungen hervorrufen und das Gejchrei aller Eurer jtreit: 
füchtigen und von Fanatismus erfüllten Prieiter veranlafjen würden.” Er er: 


') Bgl. oben ©. 347. 


972 Neunted Bud. Dritter Abſchnitt. 


fannte an, daß die einzige Sünde dieſes armen Unglüdliden in feinen ſeltſamen 
Anfichten beftehe, die er doch für gut halte; allerdings jolle Rouffeau ihn nie 
überreden, zu grafen und auf vier Füßen zu laufen. 

An Diderot, den Friedrich nicht höher wertete, mißfiel ihm vorweg der 
jelbftzufriedene Ton, „die Arroganz, die den Inſtinkt meiner Freiheit empört“. 
Er erflärte die Lektüre diefes Schriftftellers nicht aushalten zu können, ein jo 
unerfchrodener Leſer er fonft fei: „So haben Ariftoteles, Cicero, Lukrez, Zode, 
Gaſſendi, Bayle, Newton nicht gefchrieben. Die Beicheidenheit fteht aller Welt 
wohl an, man muß mit Kraft Gründe entwideln, aber nicht herrijch entjcheiden. 
Das fommt davon, wenn man fchneidend jein will; man glaubt, daß ein ent: 
jhiedener Ton zum UWeberreden genügt, diefer Ton fann dem mündliden Bor: 
trag helfen, aber bei der Lektüre jegt er fich nicht durd. Wenn man ein Buch 
in der Hand hat, urteilt man über die Gründe und mofiert fi über die 
Emphaje.” Wie Rouffeau forderte Diderot die Rückkehr zur Natur und kriti— 
fierte die beftehende Gejellihaftsorbnung; er verbreitete, wie Goethe gejagt hat, 
„von dem gejelligen Leben einen Efelbegriff”; fein politiider und jozialer 
Radikalismus, deffen ftärkite Aeußerungen allerdings erit aus jeinen hinterlaſſenen 
Manuffripten befannt geworben find, und vor allem wieder jein Schelten auf 
den Krieg blieb von Friedrich nicht unbemerkt; die Zarin, jo jcherzte er, habe 
von Diderot, den fie verhätichelte, nur für jchweres Geld einen Dispens zur 
Kriegführung gegen die Türken erhalten. Ob Friedrih von dem philojophiichen 
Inhalt der Schriften Diderots, von feinem pantheiltiichen Zug Notiz genommen 
hat, ift nicht erfichtlih; hat er es gethan, fo mußte auch das ihn abftoßen. Das 
verwandte Syitem Buffons, der die Naturgeſchichte mit pantheiftiihem Auge 
betrachtete, hat er gekannt und verworfen. 

D’Alembert hätte für feinen hervorragendften Mitarbeiter an der Encyflopäbie 


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inereh roch dem König von Preußen gern Stimmung gemadt; als Diderot 1774 vom 


, ruſſiſchen Hofe zurüdkehrte, hoffte jener, daß er bei Friedrich vorſprechen werde, 
Si ‚4 und war überzeugt, daß ihm „die fanfte Wärme feiner Unterhaltung und 


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— 


das Anſprechende ſeines Charakters“ gegen des Königs Vorurteil gewonnen 
Spiel geben würden. Diderot, in Potsdam erwartet, reiſte vorbei. „Ein großes 
encylopäbifches Phänomen”, ſchrieb Friedrich an d'Alembert, „hat, eine Ellipſe 
beſchreibend, die Grenzen unſeres Horizonts geſtreift, aber die Strahlen ſeines 
Lichts ſind nicht bis zu uns gedrungen. Pompejus war glücklich genug, den 
Poſidonius zu ſehen, obgleich der Philoſoph die Gicht hatte; ich habe den großen 
Diderot weder geſehen noch gehört, obgleich er voller Geſundheit war. Aber 
es iſt nicht jedermann beſchieden, nad) Korinth zu kommen, und die encyklo— 
pädiſche Fatalität, die über die Geſchicke der Menſchen enticheidet, hat mid nicht 
begünftigt, offenbar weil ich die Jeſuiten beihüse.” Ein nodhmaliges Plaidoyer 
d’Alemberts für den encyklopädiftiichen Freund wies er nun mit Entjchiedenheit 
ab: in einem fürzlich ihm in die Hände gefallenen Buche Diderots habe er die 
Worte gefunden: „Junger Mann, nimm und lies:” „daraufhin babe ich das 
Bud) zugeflappt, weil ih wohl ſah, dak es nicht für mich gefchrieben war, da 
ih jechzig Jahr vorüber bin.... ch bewundere Eure Welſchen, wenn fie 
Bonjens und Eſprit haben; ich habe alle Achtung vor den Turenne, Luremburg, 


Der alte König und die neue Bildung. 575 


Gaffendi, Bayle, Boileau, Bofjuet, ſelbſt vor den Deshoulieres und in unjerem 
Sahrhundert vor den Boltaire und d’Alembert; aber da mein Bewunderungs: 
vermögen auf gewifle Grenzen beichränft ift, jo ift es mir unmöglich, in dieſe 
Akte der Verehrung die Mißgeburten des Parnaß einzubeziehen, die Philoſophen 
der Paradboren und der Sophismen, die falichen Schöngeifter, die Generale, 
die immer gejchlagen werben und nie ſchlagen, die Maler ohne Kolorit, die 
Minifter ohne Redlichkeit, die ac. ac. ac.” 
Von Diderot dem Bantheiften führte der nächſte Schritt zu den erklärten 7, .. + 
Materialiften und Atheiften, zu Helvetius und Holbah. Sie verwarf Friedrih Zul -.r 
vollends. Von Helvetius’ Bud „De l’esprit“ urteilte er, daß es den faft allen „ L7. .n. 
ſyſtematiſchen Werken gemeinjamen Fehler beige, vergeblihe Anftrengungen für ‘, 223 ji 
den Beweis des Paradoren zu maden. Als der Verfafler ibm 1765 feinen * Ye 
Beſuch angekündigt hatte, fchrieb er an d'Alembert, nad) jenem Buch zu ſchließen Pr 
werde der erfte Tag ihrer Bekanntſchaft der fchönfte fein. Aber Helvetius als — 
Menſch fand nun Gnade vor Friedrichs Augen. Seine Uneigennützigkeit be— ade a 1a NUT“ 
währte fi, fein Charakter ſchien „bewundernswert”, fein Herz „ebenſo rein, — 
wie ſein Verſtand leicht in die Itre zu führen“, fo daß Friedrich nur wünſchte, / 
daß er als Schriftfteller weniger jeinen Geift als jein Herz zu Rate gezogen 
hätte. Als Helvetius 1771 ftarb, erklärte fein föniglider Gönner: „Er war 
ein jo guter Menih, daß ih mit Vergnügen feine Werfe noch einmal lejen 
will”. Freilid enttäufchten ihn die nachgelaſſenen Schriften, über die Erziehung 
und über das Glück, von neuem ſchwer. Lebhaft beftritt er zumal den Satz, 
daß alle Menjchen mit ungefähr gleichen Anlagen geboren würden, } 
Die anſpruchsvollſte und felbitficherfte Leiftung der modernen franzöfiichen Helır fuus 
Philoſophie war jenes 1770 anonym erſchienene „Syftem der Natur“, Hinter 4s.—e e 
dem der Baron Holbach ftand. Hier follte das Welträtfel beantwortet, ſollten - 
die „Gefege ber phyfiihen und moraliſchen Welt“ gefunden fein. Goethe hat, 
uns gejchildert, wie er, der Straßburger Student, und fein Freundeskreis bie 
graue Theorie diejes Buches, das ihnen „unſchmackhaft, ja abgeſchmackt“ fhien, + Le, 
von ſich abjhüttelten; wie fie von dieſer „triften atheiftifhen Halbnacht“ ih, at 
wiſſen wollten, nichts von dieſer Materie, die, von Emigfeit her bewegt, nun 
mit diefer Bewegung rechts und links und nah allen Seiten ohne weiteres, 
jelber richtungs- und geitaltlos, die unendlichen Phänomene des Dafeins hervor: 
bringen jollte: „alles follte notwendig fein, und deswegen Fein Gott”. Dem 
jungen Anfänger in Straßburg brachte das „Syftem der Natur” den negativen 
Ertrag, daß er nad feinem eigenen Geftändnis aller Philofophie, bejonders aber 
der Metaphyſik, recht herzlih gram wurde. Auf den alten Mann in Sansjouci, 
der jein Leben lang fih mit philoſophiſchen Problemen bejchäftigt hatte, übte, 
das Buch ſchließlich eine ähnliche Wirkung aus. D’Alembert und Voltaire famen 
überein, daß Friedrich der Philojophie das „Syitem der Natur” nicht verzeihen 
fünne, daß Metaphyſik, ja die ganze Philoſophie jegt nicht mehr viel bei, 
ihm gelte. 
Zunädft allerdings gab ihm das, wie er jagt, auf den eriten Blid be: 
ftehende Buch neue Anregung zur Erörterung alter Lieblingsfragen. Er areift 
zur Feder, er glaubt den Verfaffer leicht widerlegen zu können. Er erhebt vor 


at 


574 Neuntes Bud. Dritter Abjchnitt. 


— allem Einſpruch gegen den bei Behandlung jo ſchwieriger und dunkler Gegen: 
— ſtände unangebrachten dogmatiſchen Ton. Er greift dann vier Haupttheſen heraus 
— 7 und an: die e Leugnu ung Gottes, die Leugnung ber menſchlichen Willensf freiheit, 

Kiel ırn Ger a die e Anſchuldigunge igungen gegen die chriſtliche Religion und gegen die Monardiie. 
—— Friedrichs Entgegnung auf den legten Punkt hat uns bereits beſchäftigt.!) 
‚9 Die riftlihe Religion will er unterjchieden willen von ihren Entftellungen durch 
den Klerus. Wie dürfe man diefe Religion als die Quelle alles über das 
Ara Zur Menſchengeſchlecht gekommenen Uebels bezeichnen, da doch, von den Lehren der 
vechum 3: „berrliden Bergprebigt” ganz abgejehen die Duinteffenz ber ganzen Moral ent: 
halten fei in der einen einzigen Vorfchrift des Evangeliums: dem Näcdhften nur 
das zu thun, was wir von ihm uns gethan wiſſen wollen! Holbah dem Gottes: 
2) ‚leugner hält er jein altes Hauptargument für das Dafein Gottes, ben teleo: 
Pr logiſchen Beweis ?) entgegen: „Die Zwecke, welche die Natur ſich in ihren Werfen 
u geſebt hat, offenbaren fich jo einleuchtend, im unendlich Großen, wie im unendlich 
Kleinen, daß man gezwungen ift, eine überlegene und intelligente Urſache, die 
über dem Ganzen waltet, anzuerkennen.” Die ganze Welt dient ihm als Beweis 
und Zeugnis; das Auge einer Milbe, ein Grashalm genügen, bie Intelligenz 
3 des Werfmeifters zu beweiſen. Mit der Leugnung der menſchlichen Willens: 
/, freiheit und Verantwortlickeit endlih, mit dem Dogma des Fatalismus jcheinen 
nn ihm die Grundlagen aller fozialen Ordnung erjchüttert: „Was aud Calvin, 
— Leibniz, die Arminianer und der Verfaſſer des Syſtems der Natur ſagen mögen, 
fie werden niemand überzeugen, daß wir nur Mühlräder ſeien, die eine not: 

wendige und unmiberftehliche Urſache nad ihrer Laune in Bewegung jeßt.“ 
Der Verfaffer jandte jein „Examen critique du systeme de la nature“, 
fein „Berk ı gegen den Atheismus“, abjchriftlih an d’Alembert. In feinem Begleit: 
jchreiben vo vom 7. Juli 1770 ſprach er von den handgreiflihen Widerſprüchen, 
den ſchlechten Schlußfolgerungen feines Gegners. Aber d’Alemberts Antwort 
zeigte ihm, daß der „Atlas unferer Philojophie”, wie Friedrich ihn jüngft genannt 
hatte, die helle Entrüftung über das „Systöme* gar nicht teilte und bis zu 
gewiſſem Grade für den Angegriffenen Partei nahm. Ein lebhafter brieflicher 
Wortwechſel begann, von Friedrichs, des „Techzigjährigen Schülers”, Seite der 
legte Verſuch, jeine philoſophiſchen und religiöfen Anſchauungen begrifflich zu 

entwideln. 
f Gegen die hriftlihe Religion wiederholte d’Alembert ganz einfach die An 
ö flage Holbachs: er müſſe fie für eine der größten Geißeln der Menſchheit halten, 
e kannt 7 und zwar wegen ber Ströme von Blut, die fie bei der ihr wejentlichen Unduld— 
rg, ſamkeit und Erklufivität, bei ihrem Anſpruch, die einzige wahre Art des Gottes: 
dienftes zu jein, mit folgerichtiger Notwendigkeit vergofien habe. Friedrich ent: 
gegnete: nicht Kindheitsvorurteile trieben ihn die hriftliche Religion zu verteidigen, 
Br‘ fondern ihr Charakter uriprünglicher Reinheit: „Erlauben Sie mir, Ihnen zu 
ER — 6) jagen, daß unſere heutige Religion der Religion Chrifti ebenjfowenig gleicht wie 
der Religion der Irokeſen. Jeſus war Jude, und wir verbrennen die Juden. 
) Oben ©. 560. 
Bd. I, 502 (2. Aufl. ©. 503). 


Der alte König und die neue Bildung. 575 


Jeſus prebigte die Geduld, und wir verfolgen. Jeſus predigte eine gute Moral, ! 
‚und wir üben fie nit aus. Jeſus bat feine Dogmen aufgeftellt, aber die! 
‚Konzile haben trefflih dafür geforgt. Kurz, ein Chrift des dritten Jahrhunderts 
gleiht nicht mehr einem Chriften des erften. Jeſus war eigentlid ein Efjäer, 
er war erfüllt von der Moral der Efjäer, die viel von der Zenos hat. Sein 
Religion war ein reiner Deismus („eine Art von Theismus”, hatte Friedrich 
früher einmal gejagt) und jehen Sie, wie wir fie verbildet haben! Wenn dem 
jo ift, fo verteidige ih mit der Religion Chrifti die Religion aller Philoſophen, 
und ih opfere Ihnen alle Dogmen, die nit von ihm herrühren.“ Die 
proteftantiiden Dogmen gab er nicht weniger preis, als die fatholifhen, alle 
Religionen jchienen ihm „vom Standpunkt der Philofophie” ungefähr gleich. 
Praktiſch gab er der proteftantifchen vor der Fatholifchen weit den Vorzug, als 
der in minderem Grade mit „Aberglauben“ belafteten und zugleich nicht ver: 
folgungsfüdhtigen, und er hat deshalb einft einer Herzogin von Gotha es ent: 
Ihieden wiberraten, ihre Tochter um einer vorteilhaften Heirat willen zum 
Katholizismus übertreten und damit einen Schritt thun zu laſſen, der die ganze 
Ueberlieferung des erneftinifhen Haufes Lügen ftrafen würde. Doch geitand er, 
daß er als Zeitgenofje Martin Luthers es darauf angelegt haben würde, jenen 
bis zum Socianismus, bis zur „Religion eines einzigen Gottes”, zu treiben; 
fo aber feien „diefer Mönch und feine Genofjen”, nachdem fie den Schleier zur 
Hälfte weggerifien, im beften Zuge ftehen geblieben und hätten noch jo viel 
Dunkelheiten ungeklärt gelaffen; er beklagte, daß jo viel Blut, Gemetzel, Krieg 
und Verwüſtung ſchließlich nur dahin geführt hätten, daß man ſich einiger weniger 
Slaubensjäge zu entichlagen wagte. Ganz in diefem Sinne hatte Friedrih ſchon 
vor drei Jahrzehnten den proteitantifhen Theologen Mangel an Folgerichtigkeit 
vorgeworfen: „Sie bedienen fih der Argumente der Ungläubigen, um die 
Zransjubftantiation der Katholiken zu befämpfen, und befämpfen die Ungläubigen 
mit benfelben Argumenten, mit denen die Katholifen die Transfubftantiation 
ftügen.“ 
D’Alembert ließ bei Fortjegung der Diskuffion die Gleichftellung des Ur: Ash 
Hriftentums mit dem Deismus gelten, ging jet aber alsbald dem Deismus 17 y? 
felber zu Leibe. Diplomatijch ſchickt er das Zugeftändnis voraus, er glaube in ’ 
Bezug auf eine höchſte Fntelligenz, daß ihre Leugner mehr behaupteten, als fie 
beweifen könnten. Dann aber ftellt er eine Anzahl ſcharf zugeipigter Fragen, 
in ihrer Abfolge darauf berechnet, den Gefragten wo nicht auf den Standpunkt 
des Fragenden herüberzuziehen, jo doch von der Unbaltbarkeit des eigenen 
Standpunftes zu überführen: „Was iſt dieje höchite Intelligenz? Hat fie bie 
Materie geſchaffen oder hat fie die Materie nur geordnet? Iſt eine Schöpfung 
möglih? Und, wenn fie es nicht ift, ift aljo die Materie ewig? Und wenn bie 
Materie ewig it und einer Intelligenz nur bedarf, um geordnet zu werden, ift 
diefe Intelligenz mit der Materie vereint oder von ihr unterjchieden?. Fit fie 
mit ihr vereint, fo ift eigentlih die Materie Gott, und Gott die Materie; ift 
fie von der Materie unterjchieden, wie verjteht man, daß ein Weſen, weldes 
nicht Materie ift, auf die Materie einwirkt?” 

Nun war die Anfangslofigfeit, die Emigfeit der Welt für Friedrich jeit 


en — 


576 Reuntes Bud. Dritter Abfchnitt. 


lange ein Ueberzeugungsfag; die Annahme einer Schöpfung aus dem Nichts 
erihien ihm miderfinnig; nicht minder die Annahme einer Entwidelung bes 
Kosmos aus dem Chaos zu einem von Gott nah Willfür ausgewählten Zeit: 
punkt. So gibt er denn die Ewigkeit der Welt d’Alembert ohne weiteres zu. 
Dann jeien fie einig, erwidert diefer befriedigt und fügt fofort hinzu, daß die 
aus der ihnen gemeinfamen Prämifje „Ewigkeit der Welt” zu ziehende Folge 
rung „feine Schöpfung und fein Schöpfer” den wahren Partifanen des Dajeins 
Gottes wenig gefallen würde, die da eine fouveräne, ſchöpferiſche, nichtmaterielle 
Intelligenz verlangten. 

Eine zweite, ihnen beiden gemeinſame Borausjegung war die Unjelbftändig- 
feit der Seele, ihre Abhängigkeit vom Körper. Auch von diefem Punkt aus 
jegt d’Alembert feine Hebel an: „Wenn bei dem Menjchen dieje ntelligenz, 
deren Wirkungen und Hervorbringungen wir bewundern, allein bie Folge der 
Organijation ift, warum follten wir nicht auch in den anderen Teilen der Materie 
eine Struktur und Dispofition von derſelben Notwendigkeit und Natürlichkeit, 
wie die Materie felbit, zulafien, aus der, ohne daß eine fremde Intelligenz fi 
einmijcht, die Wirkungen entipringen, die wir hauen und die uns überraſchen?“ 
D’Alembert fährt fort: „Und fomit find wir beim beiten Willen dahin gebracht, 
allerhöchſtens einen materiellen, beſchränkten und abhängigen Gott im Weltall 
anzuerkennen und zuzulaſſen“ — wieder nicht im Sinne der eifrigen Partijane 
des Daſeins Gottes: „fie werden uns ebenfo gern als Atheiften jehen, wie als die 
Spinoziſten, die wir find.” 

Friedrich gibt fi doch nicht gefangen. Er verwahrt fich dagegen, dem 
Syftem Spinozas nahe zu ftehen, „ober dem der Stoifer, die da alle denkenden 
Weſen als Emanationen des großen allgemeinen Geiftes betrachteten”. Nicht 
materiell will er fi die Gottheit denken, weil fie dann „burddringlich, teilbar, 
endlich“ fein würde. Er wählt jegt die Umfchreibung: „die der ewigen Organi: 
jation der eriftierenden Welten anbaftende Intelligenz“, „das Senforium des 
Weltalls“. Und die Beweile für diefe Intelligenz find ihm, er wiederholt es, 
bie erftaunliden Zufammenbänge, die in der ganzen phyſiſchen Zurüftung der 
Welt, der Gewächſe und der bejeelten Weſen beftehen, und zweitens die Intelligenz 
des Menſchen: „denn wenn die Natur vernunftlos wäre, wie hätte fie uns geben 
fönnen, was fie jelbft nicht hat?“ 

D'Alembert blieb dabei, daß man einig jei, nur in der Ausdrucksweiſe ſich 
trenne; daß nad Friedrichs Deduftion Gott nichts anderes fei, ala „die Materie, 
infofern fie intelligent it”. Er hatte die Blöße geſchickt benugt, die ihm ber 
Widerſpruch in Friedrichs Gottesbegriff bot: die Kluft zwischen feiner teleologiihen 
Beweisführung für das Dafein Gottes einerjeits und jeiner Yeugnung eines 
Schöpfungsaktes, jeiner Leugnung einer immateriellen Seele andererjeits. Friedrich 
verzichtete nun auf den weiteren Verſuch zu einer Begriffebeftimmung: „Wir 
werden nicht die einzigen fein,” jo jchloß er das Wortgefeht, „die dazu ver: 
urteilt find, die Natur Gottes immerdar nicht zu fennen.” Er verwahrte jich 
nur nochmals gegen den PBantheismus: „Ich habe nicht die Eitelkeit, zu be: 
anjpruchen, daß eine Seele eine Emanation des großen Weſens ift und daß fie 
nad meinem Tode jich ihm miedervereinigen wird, weil Gott nicht teilbar iſt, 


Der alte König und die neue Bildung. 577 


weil wir Dummheiten machen, und Gott nit, und weil endlich die ewige und 
göttliche Natur ſich nicht vergänglihen Weſen mitteilen kann nod darf, Krea: 
turen, deren Eriftenz verglichen mit der Ewigkeit nur die Dauer einer Sekunde 
hat. Das iſt mein Glaubensbekenntnis.“ 

In den Zeiten, da Friedrich noch an eine auch die kleinſten Kleinigkeiten —— e 
der Weltregierung umfafjende göttliche Vorfehung geglaubt hatte, war ihm dieje 
Anfhauung ein Argument gegen die menſchliche Willensfreiheit geweſen, für 
die fein Pla zu bleiben ſchien, wenn alle Handlungen des Menſchen nur dem 
Zwede dienten, die Beihlüffe der Vorjehung zu erfüllen. In der Folge hatte 
er, wie wir hörten, !) feinen Vorfehungsglauben dahin eingejchränft, daß er ben 
großen Weltenmeilter nur mit der Lenkung und Erhaltung des Als, nicht mit 
der Fürforge für das Individuum, den einzelnen Menschen oder den einzelnen 
Staat, beihäftigt denken wollte. In diefer Nefignation war er durch die Drang: 
fale und wirren MWechielfälle und durch die inneren Erlebniffe des jchreden: 
volliten Krieges nur beitärft worden: „Gott ift taub gegen die Bitten der zu 
Boden gejchmetterten Sterblichen“, „Gott kann fich zu uns nicht herablaffen“, 

„von ihm zu uns ift ber Abftand unermeßlich”, fo hören wir ihn während 

diefes Krieges feufzen. Nun hatte er, als er den Glauben an ein bis auf das 

einzelne Menjchenlos eritredtes Walten der Vorſehung fallen ließ, anfänglid | 

noch nicht zugleich mit jeinem alten Determinismus, feiner Ueberzeugung von der )-7 nfert 

Unfreiheit des Willens gebrochen.) Diefer Bruch war jetzt erfolgt. Als Kronz yo lu. 
prinz hatte er mit Waffen aus dem Arjenal von Leibniz und Wolff die Unfreis‘ An (nein 

beit, die Notwendigkeit, die Fatalität gegen Voltaire, den damaligen Anwalt 

der Willensfreiheit, verteidigt: ein Menfchenalter jpäter hatten beide den Stand: 

ort und die Waffen gewechſelt; denn Voltaire jtand in diefem Streit jeßt /_L, . <t- 
auf derjelben Seite wie Holbah und d'Alembert. Der Schule feines älteften 7. / all: 
philojophifchen Lehrmeifters Wolff vorlängit entwachſen, zieh Friedrich jegt den 

Verfafler des „Systeme de la nature* der Abhängigkeit von jener Schule: er 

fopiere fait buchftäblih die Lehre von der Fatalität, wie Leibniz fie dargelegt 

und Wolff fie erläutert habe. 

Er machte b’Alembert einen Bermittelungsvorihlag für dieſe „Ichmwierigite -, ., J— 
Frage der ganzen Metaphyſik“. Er wollte von einer „begrenzten“ oder „ger 4 = , 
mäßigten” Freiheit reden. D’Alembert hatte gejagt: „Der Menſch ift frei in rw dm —— 
dem Sinne, daß er in dem nicht majchinenmäßigen Handlungen fih von ſelbſt 7 
und ohne Zwang entjcheidet; aber er ift es nicht in dem Sinne, daß, wenn 
er fich enticheidet, jelbit freiwillig und aus Wahl, immer eine Urſache da iſt, die 
ihn zu der Entjcheidung treibt und die Wage für den Entſchluß, welchen er fat, 
fih neigen läßt.” Friedrich entgegnet: Der Menſch jei frei, wenn er feinen 
Leidenschaften, den Wirkungen feiner elementaren Zufammeniegung, widerftehe, und 
Sflave, wenn er ihnen gehorde; den Einwand, daß der Grund, aus dem er den 
Leidenichaften mwiderftehe, doch allemal der Notwendigkeit unterworfen fei, weift 


) 8b. 1, 503 (2. Aufl. ©. 504). gl. oben ©. 265; „Friedrich der Große als iron: 
prinz“ ©. 147 (2. Aufl. S. 150). 
2) Bd. 1, 504. 505 (2. Aufl. ©. 505. 5001. 
Stojer, König FFriebrid der Große, TI. 2, Auf, 37 


578 Neuntes Bud. Dritter Abichnitt. 


hr. * er mittelſt des Erfahrungsſatzes ab, daß Strafen und Belohnung geeignet ſind, 
‚me die angeblich zwingenden Gewalten um ihren Sieg zu bringen: alſo könne 
Ber“ der Menſch nicht im ſtrengſten Sinne der Fatalität unterworfen fein. D’Alembert 


beharrt dabei, e& ſei jehr fehwierig, das Syſtem der Notwendigkeit und abfoluten 
Fatalität nicht annehmen zu mwolen; jeder Entihluß bleibe notwendige Folge 
der nicht minder notwendigen Zufammenjegung unferer Organe und der nicht 
minder notwendigen Wirkung, welche die Aktion anderer Weſen in uns hervor: 
bringt: „Wenn die Steine wühten, daß fie fallen, und wenn fie Vergnügen 
am Falle fänden, jo würden fie alauben, freiwillig zu fallen.“ Der Wortitreit 
wird dann noch weiter fortgefegt. Friedrih ruft: „Sie würden triumpbieren, 
wenn die Yeidenjchaften es immer uns anthäten, aber man wibderfteht ihnen 
oft, ich fenne Leute, die fih von ihren Fehlern gebeflert haben.” D’Alembert 
ift um die Erklärung nicht verlegen: „Die, welche ihren Leidenſchaften wider: 
ſtehen, find nötigenden Beweggründen unterworfen, welche bei ihnen ftärfer 
wirken als felbit die Leidenſchaften.“ Friedrich ſchickt nun einen von ihm ge: 
fannten Herzog von Medlenburg ins Treffen, der die Entjheidung an ben 
Knöpfen abgezählt habe: dies Rnopforafel, dieſe Boutonomaneie, ſcheint ihm 
gegen d'Alemberts ftarres Zwangsgeſetz ſchwer ins Gewicht zu fallen. Er greift 
endlih auf einen Trumpf zurüd, den er gleich anfangs gegen Holbah aus: 
geipielt hatte: man dürfe nicht den Begriff des rundes oder der Urfache mit 
dem der Notwendigkeit verwechſeln; alles habe feine Urſache, aber nicht jede 
Urſache jei notwendig: „Wollen Sie Notwendigkeit nennen, was ich Grund 
nenne, jo iſt unfer Streit beendet; aber wenn Sie eine verhängnisvolle Not: 
wenbdigfeit annehmen, die uns wie Marionetten handeln läßt, jo würde es mir 
ihwer fallen, auf meine alten Tage Marionette zu werden.” 

— Iſt es ein Widerſpruch, wenn Friedrich ſich ſieben Jahre ſpäter ſelbſt eine 
le, Marionette, „eine der kleinſten der Marionetten“, genannt hat? In ſeinem 
Brief an die Kurfürſtin-Witwe von Sachſen vom 1. Mai 1778 leſen wir: 
„Es ift gewiß, daß die Menihen nah den Plänen, die fie ſich entwerfen, 
handeln, ohne vorausjehen zu können, wo das Spiel der Urſachen zweiter Orb: 
nung binführen wird. Alfo find wir, die Dinge genau bewertet, nur Mario: 
netten, bewegt von göttlihen Händen, die unjeren Willen und unfere Handlungen 
auf ein gemwiljes Ziel hinleiten, das wir nicht kennen, aber das fi mit Not: 
wendigfeit in die allgemeine Verkettung der Urſachen des Univerjums eingliedert.“ 
Aber wir hörten in der Disputation mit d’Alembert, daß Friedrich für 
den Willen immer nur eine „begrenzte“ Freiheit in Aniprud nahm. Dort be 
trachtete er die menfchlihen Entſchlüſſe und Willensakte auf ihre Entftehung 
und gewahrte den Spielraum, welcher der freiheit gelaſſen bleibt; bier betrachtet 
er die Entichlüfe auf ihre Wirkung und gewahrt in ber Erfenntnis von der 
Unficherbeit aller menjdhlihen Entwürfe die Grenzen jenes Spielraums. Der 
Menſch iſt Marionette, jo ift feine Meinung, nicht als ob wir uns nicht frei 
entichließen könnten, jondern weil die Verwirklichung unferer Vorſätze nicht von 
uns abhängt, vielmehr durch taufend unvorbergejehene, unberechenbare Urjachen, 

die Urjachen zweiter Ordnung (causes secondes), gefreuzt wird. 
Diefe Urſachen zweiter Ordnung find es, die er der Kürze halber gern als 


I 


Der alte König und die neue Bildung. 579 


* 


Zufall”, bezeichnet. Auf die Rechnung dieſes Zufalls will er drei Viertel der 
Weltereigniſſe jegen. Aber nicht ein blindes Ungefähr ift ihm diefer „Hazard“. 
Einen Zufall in diefem Sinne erfennt er nit an: „was man gemeinhin ben 
Zufall nennt, hat feinen Anteil an den Ereigniffen des Lebens”. Sehr be: 
fimmt erklärt er, daß er unter Zufall nichts anderes verjtanden wiſſen will, 
als „die Verfettung der Urſachen zweiter Ordnung, deren Spiel man erft nad): 
träglih bemerkt, deren Wirkungen aber in der allgemeinen Ordnung der Dinge 
einbegriffen find”. Zum Teil entfallen ihm diefe Urjachen zweiter Ordnung 
auf die allgemeine menſchliche Schwäche und Unvollkommenheit, und injofern jagt 
er gelegentlih, daß das, was das Volk Zufall und der Theologe Prädeftination 
nenne, nah dem Urteil der Weifen jeine Urfahe in der Unklugheit ber — — 
Menſchen habe. Eine lange Lebenserfahrung und Regierungspraxis hat den 
philoſophiſchen König, hat den großen politiſchen und ſtrategiſchen Rechenmeiſter 
davon überzeugt, daß dieſe Urſachen zweiter Ordnung es vor allem ſind, die 
ein planvolles, geradliniges Handeln unmöglich machen: „Das Leben der Menſchen 
hängt oft nur an einem Haar, den Gewinn oder Verluſt einer Schlacht kann 
eine Bagatelle entſcheiden.“ Indem er von den auf Vernichtung Preußens 
abzielenden Entwürfen ſeiner Gegner aus dem Siebenjährigen Kriege ſpricht, 
fragt er: „Scheint es nicht erſtaunlich, daß das denkbar Raffinierteſte in der 
menſchlichen Klugheit, verbunden mit der Stärke, ſich ſo oft durch unerwartete 
Ereigniſſe oder Schickſalsſchläge betrogen ſieht? und ſcheint es nicht, als ob 
es ein gewiſſes Etwas gibt, das voll Verachtung mit den Entwürfen der 
Menſchen ſpielt?“ 

Iſt die Verknüpfung dieſer „Urſachen zweiter Ordnung“ dem menſchlichen 
Auge nicht oder nur unvollkommen erkennbar, ſo ſpricht doch Friedrich die 
Anſicht aus, daß das Vorhandenſein der allgemeinen und ewigen Geſetze, die 
das Univerſum regieren, uns mit Fug auch Geſetze für das Einzelne annehmen 
laſſe. Ja, jene ſeine Anſchauung, daß die Gottheit nur die großen Geſetze 
vollſtrecke, den Individuen aber ihre Aufmerkſamkeit nicht zuwende, durchbricht 
doch bisweilen ein Ausblick auf eine andere Möglichkeit. „Glück, Zufall 
oder Vorſehung“, „Vorſehung oder auch Fatalität“, das ſind die taſtenden 
Formeln, die er braucht, und wenn er in dem ergreifenden Schluß feiner Dar: 
ftellung des Siebenjährigen Krieges feinen Wünſchen für die Zukunft Preußens 
Worte leiht, wagt jein Gebet, diejen jeinen Staat, wenn auch unter Zweifel, 
dem Himmel zu empfehlen, ) — „im Falle, daß die Vorjehung ihre Blide zu 
den menſchlichen Erbärmlichkeiten hinabjentt.“ 

Aus Friedrihs Nachlaß ift ein feinen legten Lebensjahren angehöriges 
Gedicht über das Dafein Gottes befannt geworden, ein Nachklang feiner Dis: 
fuffion mit d’Alembert, feiner Polemik gegen den Atheismus, fein legtes Wort 
zu den großen, ewigen Fragen, über die er jein ganzes Leben hindurch nad): 
gefonnen hatte. Noch einmal erhebt er feinen Proteit: „Cine blinde Materie 
als aller Wirkung erjte Urſache annehmen, das widerfteht und widerſpricht meiner 


Zufall oder ſcherzhaft als „Seine Majeftät den Zufall”, den „heiligen Vater — u 


) Bol. Bd. IT, 288 (2. Aufl. ©. 289). 


dert. 


) 


4 ii ff 
Ir 5 ARrLeAML 


* 4 —— 


— 


580 Neuntes Buch. Dritter Abſchnitt. 


Vernunft.“ — — „Wenn mein begrenztes Ich fühlt, denkt, will, ſich einen 
Zwea ſucht, ſoll dann das allmächtige Weſen, der Urheber des Alls und meines 
eignen Daſeins, keinen Zweck, keinen Willen haben?“ Und dann tritt der Ver— 
faſſer, wie ſchon früher oft, dem landläufigſten Einwand gegen die Weisheit 
und Güte Gottes entgegen: Alles moraliſche und phyſiſche Uebel, Peſt und Krieg, 
Hunger und Durſt, Gicht und Steinleiden, ſo viel verheerende Naturereigniſſe, 
anſcheinend wahrlich nicht die Geſchenke eines Vaters für feine Kinder, ſie alle 
find uns nur deshalb unverftändlich, weil wir ihre Stellung in der Gejamtorbnung 
der Dinge nicht kennen: 


Nicht darfit du Gottes Weisheit fhuldig nennen, 
Statt deiner Einfiht Schwäche zu befennen. 

Er, der Allmächt'ge, fette dir die Schranfen, 
Die all dein Vorwis nimmer bringt ins Wanken. 
Vielleicht will er durch dieſe Finfternifie 
Demüt’gen die Vernunft, die ſelbſtgewiſſe, 

Die ſchon frohlodte, wenn fie hie und da 

Im Streifliht eine Wahrheit dämmern fah. 
Vermeſſ'nes Menfchenfind, rebelliihes Atom! 
Wie viel fehlt dir, daß ſich dein Glüd erfüllte, 
Und deinem blöden Blide ſich enthüllte 

Das ewige Geſetz im Weltenftrom! 

Da ganz du Gottes Ratſchluß könnteſt preifen, 
Müßt' er dir erft fein gang Geheimnis meifen. 


ER Wortflaubereien nannte Friedrich feine Einreden gegen d’Alembert in 
Ahrem philofophiichen Schriftwechſel. Was könne man von einer Wiljenichaft 
willen, in ber leere und mißveritändliche Worte als Dolmetiher dienen müßten? 
Von ber Metapbyfit dürfe man wohl jagen, dab fie fih Ungeheuer geichaffen 
habe, um ſie zu befämpfen. Er zog ſich wieder ganz auf feinen Sfepticismus 
zurüd,.!) Erkennen lernen, das heiße zweifeln lernen; wer die Vhilofophie recht 
ftudiert habe, jei genötigt mit Montaigne zu jagen: Que sais-je? Ueber die 
Lüden in der Philojophie laſſe fih ein Werk jchreiben im doppelten Umfange 
ber Encyklopädie. 

Er war mit der fpefulativen Philojophie jet fertig. Aber den Peſſimis— 


um: mus jeines Erfahrungsjages „Der Menſch ift zum Irrtum geihaffen” überwand 


er durch die tapfere Lebensbejahung: „Der Menſch ift zum Handeln gefhaffen.” 

Im Dienfte des Ganzen, in der Hingabe an das gemeine Wohl ſah er bie 
Beitimmung des Menſchen, die Beitimmung jedes Einzelnen, wie feinen eigenen 
I großen Königsberuf. Die Erfüllung der Pflicht hatte er von je als das höchſte 
fittlihe Gebot hingeſtellt. An dem Bemußtjein der erfüllten Pfliht und an der 
„Hoffnung auf fein eignes beftes Bemühen bis zum Tode“ ?) hatte er fich in 
den jchweriten Prüfungen feines ſchweren Lebens, wenn jede andere Stüße ihm 





1) Bgl. Bd. 1, 505. (2. Aufl. S. 506.) 
2 Oben ©. 9. 


Der alte König und die neue Bildung. 581 


verjagte, immer wieder aufgerichtet. Hier war der feite Pol feiner Weltanſchau⸗ % — 
ung, im Wirbel aller metaphyſiſchen Zweifel über das Woher und Wohin der — 
Welt und des Menſchen. Seinen legten Willen bat er mit der Betrachtung 
eingeleitet: „Unſer Leben ift ein eiliger Uebergang vom Augenblide unjerer 
Geburt zu dem unjeres Todes; während diejes furzen Zwijchenraumes ift ber 
Menſch beſtimmt, für das Wohl der Geſellſchaft, an deren Körper er ein Glied 
iſt, zu arbeiten.“ Die Pflicht des Menſchen, ſeinesgleichen zu unterſtützen, nannte 
er den Inbegriff der Moral; ein wackeres Herz werde nicht zufrieden fein, ohne ı 
diefe Pflicht erfüllt zu haben. 

Aljo jpielt er gegen die Metaphyfif die Moral aus, als die wahrhaft 5. «<>: 
fruchtbare unter ben Provinzen der Philofophie, und gegen die Philofophen der 
Gegenwart die großen Alten. Wenn er jhon unter den Metaphyſikern Epifur 
als den Bahnbreder einer nichttheologifhen Welterflärung über Gajjendi, 

Newton und Lode ftellte, die Meiſter unter den Neueren, jo fonnte fih ihm 
vollends in der Moral niemand unter diejen mit den Stoifern meflen. Er mal: 
will den Stoifern alle Verirrungen ihrer metaphyfifchen Schlüffe ) verzeihen zu 

Gunften der dur ihre Moral herangebildeten großen Männer. Die erſte unter 

allen Philoſophenſchulen ſoll ihm die jein, die am meilten auf die Sitten Ein: 

fluß gewinnt, die Geſellſchaft zuverläjfiger, janfter und tugendhafter macht. Auf: 

klärung ift ihm Erziehung. 

„Bas nützen ber Gejellichaft,” fragt er d’Alembert, „die Entdedungen der 
Modernen, wenn die Philofophie das Gebiet der Moral und Eittenbildung ver: 
nadhläffigt, darein die Alten ihre ganze Kraft ſetzten?“ Er befennt ſich als 
„großen Partiſan der Moral“, weil er die Menjchen genügend fenne und das 
Gute mwahrnehme, das jene zu wirken vermöge. Ein Algebrift in feinem 
Studierzimmer jehe freilih nur Zahlen und Proportionen: „das aber hält die 
moralifhe Welt nicht im Gleis, und gute Sitten find für die Geſellſchaft mehr 
wert, als alle Berehnungen Nemwtons.“ 

Und jo fonnte es nicht anders jein, als daß Friedrich auf das lebhafteite 4 ne — 
die für die öffentliche Ordnung und das Gemeinmwohl gefährlihen Nuganwendungen 7 af (RR — 
befämpfte, welche die neueften Philofophen aus ihren auf ſchwankendem Grunde ., u : 
aufgebauten Theorien zogen. „Man muß geftehen,” fchreibt er, „daß der Ber: 
fafler des Systeme de la nature zu unverſchämt bie Fenſter eingeworfen hat; 
dies Bud hat viel Uebel angeftiftet, es_hat die Philofophie gehäffig gemacht 
duch gewiſſe Folgerungen aus den Vorderjägen.” Er ftellte jest Voltaire, den 
Verfaſſer des Akakia,“) als das Mufter für diejenige Wohlanftändigfeit hin, die 
jeder Schriftſteller beobachten jollte, um eine zuläffige Freiheit nicht in einen 
frehen Cynismus entarten zu laſſen. 

D’Alembert und Voltaire hatten aljo Recht mit ihrer Vermutung, daß 
Friedrich der Philofophie das Systeme de la nature nicht verzeihe. Die 
Häupter ber franzöfifchen Aufklärung wußten es ſehr wohl zu jchägen, was die 
Bundesgenofjenihaft des „nordiſchen Salomo“ für fie bedeutete. Polizei und Genfur 


RER 3. ad: 


) Bal. oben S. 576. 
Bd. I, 523. 





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——— 


* (m Ye r 
une nFh aim. 


582 Neuntes Bud. Dritter Abjchnitt. 


‚in Franfreih mußten auf das erlaudhte auswärtige Mitglied der philofophifchen 


Gemeinde wohl oder übel eine gewiſſe Rüdjicht nehmen; denn wenn bie Chikanen 
und Verfolgungen das Maß des Erträglichen überjchritten hätten, jo wäre es 
doch vielleicht einmal zu der Maflenauswanderung franzöfifher Philojopben nad 
dem preußiichen Cleve gefommen, die Voltaire eine Zeitlang geplant hat. Und 
im ganzen übrigen Europa gab der philoſophiſche König von Preußen für andere 


* gefrönte Häupter, die große Katharina und fo viele Kleinere und Kleinjte, mit 


feinem Mäcenatentum den Ton an. „Niemand hat die Philofophie und die 
Ritteratur reſpektabler gemadıt,” jo erkannte es Woltaire gegen d'Alembert rüd: 
haltslos an. Somit bedauerten fie es aufrichtig, daß Friedrich ſich der Philo: 
jophie entfremdete und fich der großen Aufgabe der Aufklärung entziehen zu 
wollen ſchien. Als den, der vorherbeitimmt jei, die Welt aufzuklären, hatte 
einft Voltaire den jungen König begrüßt; ) jegt nannte der ergraute Herricher 
ed verlorene Mühe, diefen unjeren Globus aufflären zu wollen, und erklärte es 
für wichtiger, gut zu verbauen, als das Weſen der Dinge zu erkennen. 

Als Friedrich bereits früher einmal, im Jahre 1766, bie Theje aufgeftellt 
hatte, die Maffe verdiene nicht aufgeklärt zu werden, da hatte Voltaire erwidert, 
für die Kanaille treffe das zu, aber nicht für die anftändigen Leute, „bie 
denfen, die denken wollen”. Friedrich berief fi auf die Erfahrungen, die er 
in feiner Eigenſchaft als Herrſcher mit diefer „zmweibeinigen Spezies ohne 
Federn” gemacht habe; alle Philofophen der Welt würden das Menſchengeſchlecht 
nit von dem Aberglauben, einem untrennbaren Beltandteil jeiner Miſchung, 
abbringen. „Was bedeuten,” fo fragt er jegt d'Alembert, „einige aufgeflärte 
Profefioren, einige weile Akademiker im Vergleich zu der ungeheuren Bolfszahl 
eines großen Staates? Die Stimme dieſer Yehrer wird wenig gehört und er: 
ftredft fich nicht über eine begrenzte Sphäre hinaus.” Er rechnet auf 10 Millionen 
Einwohner nur 50000, die nicht durch die Arbeit für das tägliche Brot völlig 
in Anſpruch genommen jeien: Adel und wohlhabenden Bürgerftand. Und von 
diefen 50000 fehe man die meilten ohne geiftige Intereſſen, in Dummbeit, 
Gleihgültigkeit oder Engherzigfeit oder in frivolem Genuß dahinleben: jo 
möchten vieleicht taujend Gebildete übrig bleiben, nad Geilt und Gaben unter: 
einander jehr verfchieden. Er verficht die Anficht, daß in einer Kolonie von 
Freidenfern nah Ablauf einer Reihe von Jahren unfehlbar abergläubiide Vor: 
ftellungen fich verbreiten würden; daß in feinem Neligionsiyitem die Fabeln zu 
entbehren feien. Die Superftition ift ihm die Tochter der Furdt, der Schwäche 
und der Unwiſſenheit; dieſe Trinität regiere ebenjo berriih in den Seelen der 
Menge, wie eine andere Trinität in den Schulen der Theologen. Die von den 
Philoſophen verachteten Abjurbitäten der Hierardhie ftüge der Enthufiasmus des 
Pöbels — auch ohne die Nahhülfe ſelbſtiſcher Prieiter und übel berichteter 
Fürften. Bei diefer Anlage und Stimmung der Gemüter will ihm Aufklärung 
als ein ſehr unzureichendes Mittel ericheinen: „Man müßte den Menſchen Seelen: 
mut einflößen können, ſonſt werden Erregbarfeit und Todesfurdt immer über 
die ftärfften und methodiichiten Beweisführungen triumphieren.” Alfo blieb der 





) Bd. I, 8. 


Der alte König und die neue Bildung. 583 


Birfel feines Erdentages: „Bei der Geburt habe ih die Welt als Sklavin des 
Aberglaubens vorgefunden, und fterbend werde id) fie ebenjo zurüdlafien.” 

Gern berief fih Friedrich auf Fontenelle, dem mit hundert Jahren ver: 7 Luce) 4 
forbenen Neftor der franzöftichen Akademie, , ber geiagt, wenn er die ganze Hand a 
voller Wahrheiten hätte, jo wollte er fie nicht für das Publitum öffnen. D’Alem: ;.._ —* ht Grm 
bert erwiderte: „Die Philofophen, welche die Hand zu plöplih öffnen, ſin — 
Narren, und man fchlägt ihnen die Fauſt ab; aber die, welche fie völlig ge: 
ihlofien halten, thun für die Menfchheit nicht ihre Pflicht.” 

Das war nun do, trotz jo mancher mißmutiger Klage über verlorene „, 
Mühe, Friedrichs Meinung nicht, der Menfchheit die Aufklärung vorzuenthalten. ”” 
Aber von dem feiten Punkte aus, den er für fidh jelbit gewonnen hatte, ftedte 7 jr cu — 
er der Aufklärung zugleich mit ihrem praktiſchen Ziele gewiſſe Grenzen. Es 
gilt und genügt, aus der unendlichen Zahl der Irrtümer, deren Verzeichnis 
einen dicken Folianten füllen würde, diejenigen zu bekämpfen, die der Geſell— 
ſchaft ſchaden. Unbekämpft mögen bleiben die unſchuldigen, vielleicht jogar nüß: 
lichen, die nüglichen und zugleich angenehmen Irrtümer. 

Demnach fol man fih nicht bemühen, die Menſchen von jeglihem Irrtum 54 
zu befreien und fie alle zu Philofophen zu maden, was ohnehin ausjihtslos fein, —— 
würde, fondern man fol fich beſcheiden, fie tolerant zu machen, weil Ber! ——— — 
folgungseifer den Frieden der Geſellſchaft untergräbt. Mit Genugthuung tet 1° de Zu. 
der preußische König feit, daß Deutichland, weniger rüdjtändig als das offizielle 
Frankreich, fih in diefem Sinne aufzuklären beginnt, daß man hier zu Lande 
faum noch jemand nad jeiner Konfejfion fragt. Seinem fatholifchen Freunde, 
dem Abbe Baftiani, jchreibt er zur Einweihung der Berliner Hedwigs-Kirche, in 
Bamberg, Würzburg, Salzburg u. ſ. w. werde freilih weder eine [utherifche 
noch eine calvinifche Kirche errichtet werden: „Ihr Andern, was Ihr auch jagen 
‚mögt, habt nod die Nachmwehen vom higigen Fieber des Fanatismus, fo ſeid 
Ihr auch nur halbe Menjchen.“ Auf der anderen Seite bittet er feine philo: 
fophifhen Freunde in Franfreih, es feinem echt deutichen Phlegma, feiner Hy far cs. 
Zugehörigkeit zu einer Nation mit abgeblaßten Leidenfhaften zu gute zu halten, | 
wenn er auch die Kehrfeite der Toleranz betont: „Die Toleranz muß in der 
Gejelichaft einem Jeden die Freiheit fihern, zu glauben, was er will; aber | u J- 

— 


x — Fr 





dieje Toleranz darf nicht jo weit gehen, daß fie die Frechheit und Willkür junger 
Thoren ermädtigt, was das Volk verehrt, fe zu verhöhnen.” Vorurteile, 
weldhe die Zeit in der Vorftellung der Völker geheiligt, dürfe man nicht „vor 
den Kopf ftoßen”. 

Es war wohl jehwer, hier eine ſcharfe Grenze zu ziehen. Empfahl doc 
Friedrich — wiederum, „mit vollen Händen Lächerlichkeit über den Aberglauben 
auszuſtreuen“. Und wie in vertrauten Briefen, ſo hat er auch mit dem Worte, 
vor ſeiner engeren Umgebung, an ſeiner Konfidenztafel, die chriſtlichen Dogmen, 
katholiſche und proteſtantiſche, nicht geſchont und ſeinen Wit an dem, was für 
die Gläubigen das Heiligſte iſt, ausgelaſſen. Wie dem Papſt ein parodiſtiſches 
DBreve,!) ſo hat er noch 1779 einem franzöſiſchen Biſchof einen mit natur— 


i) Oben S. 209. 


584 Keuntes Bud. Dritter Abfchnitt. 


getreuem ſcholaſtiſchen Bombaſt ausftaffierten theologischen Kommentar unter: 

geichoben und fih das Vergnügen bereitet, diefen Nachzjügler der Litterae 

R  obscurorum virorum in die Salons der Pariſer Freigeiſter einzufchwärzen. 
Ar per feine Kritit des Systeme de la nature wollte er doch nicht druden laſſen, 
da dieſe Widerlegung des Atheismus ihm an einzelnen Stellen immerhin ge: 


a _ = eignet jhien, frommen Gemütern Nergernis zu geben; das Jahrhundert jei noch 
—* I nicht ſo aufgeklärt, daß man ungeſtraft ganz laut denken dürfe: „Ich will 
— Niemand ſkandaliſieren, ich habe beim Schreiben nur mit mir ſelbſt geſprochen. 
ER de) 


i be: 7 ‚Sobald es dagegen gilt, ſich vor der Deffentlichkeit vernehmen zu lafjen, jo ift 
mein feftitehender Grundſatz, die Kitzligkeit ber abergläubiihen Obren zu fchonen.” 
Demnach erklärte er fih auch, von d’Alembert um eine grundjägliche 
Aeußerung erfucht, gegen eine unbedingte Prehfreibeit: „Ohne die Herren 
Encyflopädilten, die ich verehre, verlegen zu wollen, jo kenne ich die Menjchen, 
7) ec weil ich mich lange genug mit ihnen beichäftint habe, und bin jehr überzeugt, 
om — ddaß fie dämpfender Mittel bebürfen und jede Freiheit, die fie befigen, miß— 
rem; |brauden, ſodaß auf dem Gebiet der Litteratur ihre Werke einer Prüfung zu; 
ID urn Aunterwerfen find, nicht peinlih, aber jo, daß alles, was dem öffentlichen Frieden 
BR ) und dem Wohl der Gefellihaft entgegen ift, unterbrüdt wird.” Ueber das in 
Frankreich übliche litterariihe Autodafs jpottete er. Das ſei eine Hilfe bei 

ftrenger Kälte; werde das Holz Inapp, jo würden die Bücher es nie werben; doch 

möge man nur die Schriften und nit die Schriftiteller verbrennen, denn das 

werde zu weit führen: „Wollte man den Verfaſſer des Systeme de la nature 

verbrennen, ich jelbit würde Waſſer herbeitragen, feinen Scheiterhaufen zu 

‚löfehen.“ 

’ Die Praris in Preußen entſprach diefer Theorie. Der König hatte die 
ee li Bücercenfur, die in den erjten Jahren feiner Regierung faft außer Hebung ge: 
22 tommen war, dur) das Edikt vom 11. Mai 1749 vier gelehrten Cenſoren, 
Auriften und Theologen, nad den vier Gebieten Rehtswillenihaft, Gedichte, 

Philoſophie und Theologie übertragen, mit der ausdrücklichen Erklärung, „daß es 

feine Abficht keineswegs jei, eine anftändige und ernithafte Unterjuhung der 

weten Wahrheit zu hindern, fondern nur vornehmlich demjenigen zu fteuern, was den 
allgemeinen Grundjägen der Religion und ſowohl moralijher als bürgerlicher 
Ordnung entgegen it“. Die Akademie genoß Genfurfreiheit, und die Uni— 
verfitäten übten für bie unter ihrer Aegide ericheinenden Werke die Cenjur 
felbftändig aus. Ueber politiihe Schriften und die hauptitädtifchen Tages: 
zeitungen wachte das auswärtige Amt; in diefem Bereich blieb die öffentliche 
Diskuffion ganz unterbunden. Sonſt aber wurde die Cenſur, ſolange Friedrich 
lebte, jehr milde gehandhabt; viele Schriftiteller fetten fich über die Einholung 
einer Druderlaubnis einfach hinweg, und als die theologische Fakultät zu Halle 
1780 einer in Berlin bereits approbierten Schrift Schwierigfeiten in den Weg 
legen wollte, verwies ihr der König diefe „zweite Cenfur“ mit dem Bemerfen, 
daß die den Schriftitellern ohnedem äußerſt läftige Cenſur jo viel als möglich 
einzufchränfen fei. Als aber bald darauf ein Berliner Litterateur eine Wochen: 
jhrift unter dem Titel „Prebigerfritif” herausgab, nahm Friedrich bald Ans 
ftand, diefe „nafeweifen Leute, die nur fhwagen und nicht predigen” , ge: 


Der alte König und die neue Bildung. 585 


währen zu laſſen; er verbot diefe Wocenkritif als den gemeinen Mann ver: 
wirrend. 


D'Alembert ſah in des Königs Verhalten der poſitiven Religion gegen- 34. 


über bedenklichen Opportunismus. Er verwarf jene Unterſcheidung zwiihen den / ‚zu ven 


ihäplichen Srrtümern und den unſchädlichen, erträglihen, ja nüglihen. Der 
Anfiht, daß „Fabeln“ in feinem Religionsſyſtem zu miſſen feien, trat er mit 


dein Sage entgegen, dab man feiner Auffallung nah dem Volle immer die “7 


Wahrheit jagen müſſe. Er ftellte dem König die Gewiſſensfrage, ob es nützlich 
fei, in religiöjer Beziehung, oder in irgend einer beliebigen Beziehung überhaupt, 
das Volk zu täufhen. Er betrachtete es als eine Aufgabe der Regierungskunft, 
das Chriſtentum zu feinem Urftand zurüdzuführen, zu der Predigt der Duldſam— 
feit und Nächftenliebe und zum einfahen Kultus eines rächenden und belohnen: 
den Gottes. Nur daß d’Alembert, der fih zum Anwalt der unbedingten Wahr: 
baftigfeit aufwarf, an diefen Dieu vengeur et r&mundrateur doch jelbit nicht 
glaubte! D’Alembert hat jhon 1769 dem König nahe gelegt, das Problem, 
der Berechtigung einer Täufhung als akademiſche Preisfrage auszufchreiben, 
und acht Jahre jpäter hat fich Friedrih in der That entfchlofjen, feine Akademie, 

jo jehr fie ſich begreiflicherweife fträubte, zu der Frageftellung zu veranlaffen: 
„Iſt es dem Volke nüblih, getäufcht zu werden, entweder indem man es zu 
neuen Jrrtümern binleitet, oder indem man es in ben überfommenen beläßt?“ | 


Zu den „nüßlichen und angenehmen Jrrtümern”, die man nicht befämpfen er ; Aufense 


fol, zählte Friedrih auch den Ehrgeiz, das „Vorurteil der Reputation”. Freilih 
bei genauer Prüfung bleibe vom Ruhm fehr wenig übrig: „Von Undankbaren 


pa ——— 


beurteilt und von Thoren geſchätzt zu werden, feinen Namen im Munde eines Pöbels 7 Arare en 


zu wiſſen, der ohne Grund zuftimmt, verwirft, liebt und hat, darauf darf man 


nicht ftolz jein.” Aber, jo fragt Frievrih, „was würde aus den tugenbhaften 
und löblichen Handlungen werden, wenn wir nit den Ruhm liebten? Alle, 
die ih um ihr Vaterland verdient gemacht haben, find in ihren Handlungen 
durch jenes Vorurteil ermutigt worden. Wohl fann nad unferem Tode unjer 
Ruf uns ebenjo gleichgültig fein, wie alles, was beim Turmbau zu Babel ge: 
ſprochen worden ift — und doch, gewöhnt zu leben, find wir empfindlich gegen 
das Urteil der Nachwelt, und die Könige müſſen es mehr jein als die Privat: 
leute, da das der einzige NRichterftuhl ift, den fie zu fürdten haben. Wer nur 
ein wenig Empfindung bat, ftrebt nad) der Achtung feiner Mitbürger, man will 
mit etwas glänzen, man will nicht mit der vegetierenden Menge zujammen- 
geworfen werden. Diejer Inſtinkt ift eine Wirkung der Ingredienzen, aus 
denen bie Natur uns zufammengefnetet hat: ich habe mein Teil davon.” 
Unwillfürlich erinnern wir uns des Belenntnifjes, das der alte König 
über den Anteil des Chrgeizes an jeiner erften großen That, an der Untere 


frame: 


nehmung 1 auf Schlefien, abgelegt hat.) Wohl kennt er ein Moralprinzip, das 5 /xc ——— 


den Ehrgeiz entbehren kann und ausſtößt. Er preift und bewundert dieſe 
intereſſeloſe Moral, das Ideal der Stoiker, dieſe höchſte Sittlichkeit, die nicht 
auf ſchnöden Lohn zählt, weder im Himmel noch auf Erben, die uns lehrt und | 


1) Vgl. Bb. 1, 59. Dal. audy oben ©. 313. 


los kick: 


986 Neuntes Bud. Dritter Abfchnitt. 


befiehlt, das Gute nur um feiner jelbit willen, nur aus Liebe zur Pflicht zu 
thun.) Wohl hat ihm die Lehre der Stoa am Rande des Abgrundes ihren 
Troft angeboten und gewährt, indem fie ihm die Verächtlichkeit aller irdijchen 
Hüter zu beweifen bemüht war. Aber zugleich hatte er fih in folder Yage 
doch überzeugt, daß er mit feinen heißen Leidenſchaften die „Unempfindlichkeit“ 
des Stoifers nie erreihen, den Schmerz immer als ein Uebel ſpüren merde. 
\ Er unterdrüdte nicht den Vorwurf gegen die Stoa, daß fie dem Menſchen Leber: 
menſchliches aufbürde, mehr von ihm verlange, als er leiften könne. Ihr Weiſer 
‚enthüllte fih ihm als ein „abftraftes Weſen“. 

Nicht an den abftraften Menfchen, fondern an den der Schwäche und 
Verfuhung unterworfenen dachte SFriedrih, wenn er für die Zwecke der Er: 
ziehung ein neues Moralprinzip aufitellte, das Prinzip der Eigenliebe als der 
‚verborgenen Triebfraft aller menjchlichen Handlungen. Seit feiner Jugend 
‚hatte er mit dem Gedanken ſich getragen, mit dem er 1770 öffentlidh hervor: 
trat: „Ich wünſchte, daß man den Antrieb der Eigenliebe benugte, um den 
Menſchen zu beweilen, daß es ihr wahrhaftes Intereſſe ift, gute Bürger, gute 
Väter, gute Freunde zu fein, mit einem Worte, alle moraliihen Tugenden zu 
lüben.“ Weisheit und Vernunft galten ihm als Früchte der mittelit Furcht und 
Hoffnung auf unjere Handlungen einwirkenden Erfahrung. Er erwartete von 
diefem jeinen auf den Nugerfolg begründeten Moralprinzip, daß es ſich fräftiger 
erweifen werde nicht nur als jenes herbe Gebot der Stoifer, die Tugend jelbit- 
108 zu üben, fondern auch kräftiger als die lodende Aufforderung der Epikureer, 
in der Tugend den mit ihrer Hebung verbundenen Genuß zu ſuchen, und endlich 
auch fräftiger als das für ftumpfe Seelen allzu erhabene Gebot bes Chriſten⸗ 
tums, das Gute aus Liebe zu Gott zu thun; jedenfalls jchien ihm fein Vor: 
ſchlag treiflich geeignet, das chriſtliche Moralprinzip bei der Erziehung zu unter: 
ftügen. Der alte König empfiehlt die Erziehungsmethode, die jeder verftändige 
Pädagog beim Kinde anwendet. Seine tiefe Menfchenkenntnis, eine lange Er: 
fahrung fagten ihm, daß durchichnittlich die Menſchen in diejer einen Beziehung, 
in ihrem naiven Egoismus, immer Kinder bleiben, nicht Stoifer oder Engel 
werden. 

Den „Essai sur l’amour-propre envisag@ comme principe de morale* 
ließ der König am 11. Januar 1770 in der Akademie der Wifjenichaften ver: 
lefen. Die Schrift wirft zum Schluß den Gedanken hin, daß es vielleicht zweck— 
mäßig jein würde, Katehismen zulammenzuftellen, aus denen die Kinder von 
der zarteiten Jugend an lernen fünnten, daß, um glüdlich zu werden, die Tugend 
ihnen unerläßli notwendig jei. Einen derartigen Katechismus hat er alsbald 
eigenhändig ausgearbeitet, den „Dialogue de morale à l’usage de la jeune 
noblesse*, den er dem Kommandeur der Berliner Kadettenanftalt zuitellte: die 
praftiiche Anweilung zu einem religionslofen Moralunterriht. Hier aljo jollte 
mit dem utilitariichen Moralprinzip eine Probe gemacht werden. Die fünf Jahre 
früher erlafjene, auf wejentlih neue Unterrichtsmethoden hinweifende Inftruftion 
für die Direltion der höheren militärifhen Bildungsftätte, der Academie des 





’) Vgl. Bb. I, 501. 502 (2. Aufl. &. 502. 508). 


Der alte König und die neue Bildung. 587 


nobles, !) hatte diejes Prinzip zwar bereits betont, indem fie die Tugend als) 
„nüglih und fogar fehr nüglih” anpries, hatte aber im Sinne der Stoa zu: 
gleih als den Gipfel der Tugend die vollftändigfte Selbitlofigkeit bezeichnet. 


Der „Berfucd über die Eigenliebe”, der „Katechismus“, die „Inſtruktion“ 
und noch weitere drei, glei zu erwähnende Schriften verwandten Inhalts find , , 4 
die denfwürdigen Zeugnifle für den lebhaften Anteil, den der König in ber? ni unch 0 
zweiten Hälfte feiner Regierung an pädagogifchen Fragen nahm. Er fette ſich Rn vduculer 
ganz eigentlih vor, jegt auch der Erzieher jeines Volkes zu werden. „Je mehr $ Kr pi. 
man im Alter vorrüdt,” jchreibt er am 6. Dftober 1772 an d’Alembert, „deito 
mehr gewahrt man den Schaden, den der Gejellihaft die VBernadläffigung der 
Jugenderziehung zufügt; ich falle die Sache auf alle mögliche Art an, um dieſen 
Mißſtand zu verbeffern. Ich _reformiere_die Mittelſchulen, die Univerfitäten und 
gehe bis zu ben Dorfichulen; aber es find dreißig Jahre von nöten, um bie 
Früchte zu fehen. Ich werde fie nicht genießen, aber ich werde mid) damit . 1 
tröften, meinem Vaterland dieſen Vorteil, deſſen es bisher entbehrt hat, zu ver: Iıffar weit, 
mitteln.” Von dem Erziehungsiveal Rouffeaus, welches das junge Geſchlecht >“ La — 
bejubelte, lenkte diefe Schulreform freilich weit ab. 

Ein öffentliches Bekenntnis hat der königliche Pädagog über feine grund: j 
fäglihe Stellung zur Wiſſenſchaft, Aufklärung und Bolfsbildung niedergelegt in pi; Irscmmmrı 
dem „Discours_de l'utilite_des_sciences_et des arts_dans un Etat‘, der am % ,772 «Änike 
27. Januar 1 1772 in der Akademie zur Verlefung fam. Er ſchlägt feine Shlaht „eL RC .s 
mit zwei Fronten, gegen die alten und gegen die neuen yanatiker, gegen die „_) Aursım 
„Seltalten in jchwarzer, brauner, grauer, weißer oder ſcheckiger Soutane“ hüben 
und gegen Rouffeau drüben. Er nennt Rouſſeau nicht bei Namen, aber er 
„ſchämt fih”, vor der Afademie jagen zu müſſen, daß man die Frechheit gehabt 
habe, es in Frage zu ftellen, ob die Wiſſenſchaften der Geſellſchaft nüglich oder 
ſchädlich ſeien. Die pejlimiftiihen Töne der Briefe an d’Alembert werden ge: yrr. 
dämpft; ftatt der Klage über das Undankbare aller Verfuche, den ewig Blinden —— 
des Lichtes Himmelsfadel zu leihen, begegnet uns der Hinweis auf einen that: „, „_e 
ſächlichen Fortichritt: daß zwar die Dialektik dem Verftändnis des Pöbels ent: PER rl 
rüdt jei, daß diefer ganze große Teil des menſchlichen Geſchlechts immer — —— 
allen zuletzt die Augen öffnen werde, daß man aber gleichwohl es erreicht habe, 
auch das Volk von dem Glauben an Zauberer, Adepten und Beſeſſene und 
von ähnlichen kindiſchen Thorheiten zurückzubringen. Die Anſicht t gewiſſer ſchlechter 
Staatsmänner, daß es leichter ſei, ein unwiſſendes und ftumpffinniges Volk als 
ein aufgeflärtes zu regieren, beitreitet er auf das lebhafteſte: ein von Jgnoran: 








Paradies gleihen. Vom Standpunft gerade des Staatsmannes legt er dar, yalaa EG 
was die einzelnen Wilfenfhaften dem Gemeinweſen praktiſch leiten: Mathematit,, ea. ; 
Phyſik, Botanik, Anatomie, Mechanik, Ajtronomie und Erdfunde, Geihihte und 

Philoſophie. Die Verächter der Künfte aber erinnert er daran, dab Amphion 


) Oben ©. 508. 


oma f Av 


588 Neuntes Bud. Dritter Abfchnitt. 


dur die Klänge feiner Lyra die Mauern von Theben eritehen ließ, d. h. 
daß die Künfte die Wilden zu fanften Sitten gewöhnten und jo Raum für bie 
Begründung der Gemeinſchaften jchufen. Er führt das Zeitalter der Blüte 
Athens, das Auguſtiſche, die Renaifjanceperiode, die Regierung Lubwigs XIV. 
als die Höhepunkte der Weltgeihichte vor und jchließt mit der Warnung, wenn 
heutzutage ein Staat in Europa verabjäumen wollte, die Wiſſenſchaften zu 
ermutigen, jo würde er bald um ein Jahrhundert hinter den Nahbarn zurüd: 
bleiben, wie Polen dafür ein greifbares Beiipiel liefere. 

Der akademiſchen Abhandlung war vorangegangen eine pädagogiſche Flug: 
ſchrift. Als Brief eines in Preußen lebenden Genfers veröffentlichte der König 
Ende 1769 Betrachtungen „Ueber die Erziehung“, eine ſcharfe Kritif der in den 
Rinderftuben der oberen Schichten feiner Anficht nach eingeriffenen Verweich— 
lichung. Er beflagt, daß man die Kinder einmal durch eine blinde Liebe verzärtele 
und andererjeits den Händen der Dienerſchaft oder ungeidhidter Hauslehrer 
überlaffe, die der Erziehung und des Schliffs felber entbehrten!); er fragt, ent: 
ſchieden ungerecht gegen das Gejchlecht des Siebenjährigen Krieges, was Arminius 
oder der große Kurfürft jagen möchten, wenn fie die _verweichlichte Jugend von 
heute jehen würden. Noch ungünftiger beurteilt er die übliche Erziehung der 
Tödter. Es empört ihn zu jehen, wie man die volle Hälfte des Menjchen: 
geihledhtes bis zu dem Grade veradte, daß man alles vernadläflige, was 
ihren Geift bilden könnte. Wo bleibe einem Wejen Zeit zur Befinnung auf fich 
jelbjt, defien Tagemwerf jei, zwei bis drei Stunden vor dem Spiegel mit der 
Betrachtung, Bervolllommnung und Bewunderung der eigenen Reize zuzubringen, 
den ganzen Nachmittag mit Klatjcherei und den Abend mit Theater, Spiel, Mahl 
und wieder Spiel auszufüllen? Und das in dem Jahrhundert der großen 
Fürftinnen, die ihre männlichen Vorgänger jo weit überträfen — ein Bemeis, 
daß mit männlicherer, fräftigerer Erziehung das weibliche Gejhleht dem männ- 
lihen überlegen fein würde. 

An diefe allgemeinen Bemerkungen über die häusliche Erziehung fnüpfte 
der Verfaſſer beitimmte, no zu ermwähnende Vorſchläge für die Reform des 
höheren Unterrichts auf Gymnafium und Univerfität, und nahm deshalb Veran— 
lafjung, feine Schrift dem damals an der Spite des geiftlihen Departements 
jtehenden Miniſter v. Mündhaufen zur Beachtung zujuftellen. Dod wurde 
nicht mehr diejer, jondern jein bald darauf ernannter Nachfolger der Bollitreder 
des Programms für die Unterrichtsreform: ein wie Carmer aus Schleſien 
herangezogener Staatsmann, der bisherige Präfident der Oberamtsregierung zu 
Brieg, der bei feiner Ernennung zum Minifter noch nicht ganz vierzigjährige 


Karl Abraham v. Zedlitz, der erſte große Unterrichtsminiſter des preußiſchen 





— 


Staats, mit ſeinem freien Blide und feiner ſicheren Hand der Mann nad dem | 


Gefallen des Königs. 

Carmers aus Schleſien mitgebradtem Plane für die Juſtizreform hatte der 
König nur jeinen Arm geliehen; dem neuen Unterrichtsminifter alfo gab er 
für feine Aufgabe auch die leitenden Gedanken mit auf den Weg. 


1) Bol. Bd. I, 498 (2. Aufl. &, 199). 


Der alte König und die neue Bildung. 589 


ebung des Verftandes und des Urteils hat Friedrich als „das erſte Iufrimnet 
Fundament bei der Erziehung“ bezeichnet. Demnädjit verkündete Immanuel Kant ra 
als „Wahlſpruch der Aufklärung” das horazifche „Sapere_aude!*: „Habe Mut, A fur“ 


dich deines eigenen Beritandes zu bedienen” — in jener Umfchreibung des 
Begriffes Aufklärung, die der große Philojoph 1784 in der Berliner Monats: 


4 Pr 


ihrift_ gab: Aufflärung der Ausgang des Menſchen aus feiner jelbitverjchuldeten Kuhn 


Unmündigfeit, aus dem Unvermögen, ſich feines PVerftandes ohne Leitung eines 
anderen zu bedienen. Mit Recht durfte ſich Kant auf Friedrich jelbft beziehen: 
„3 höre von allen Seiten rufen: räjonniert nit! Der Offizier jagt: räſon— 
niert nicht, ſondern ererziert! Der Finanzrat: räfonniert nicht, fondern bezahlt! 
Der Geiltlihe: räfonniert nicht, jondern glaubt! Nur ein einziger Herr in der 
Welt jagt: räfonniert, jo viel ihr wollt und worüber ihr wollt, aber gehorcht!“ 

„Wer am beiten räfonniert,“ hat der König einmal zu Zedlitz gejagt, 
„wird immer weiter fommen, als einer, der faljiche Consequences zieht. Ein 
jeder Bauer muß jeine Sade überlegen, und wenn jeber richtig dächte, das 
wäre ſehr gut.” Brendenhoff, dem der König für das Retablifjement der 
Neumark und Pommerns!) auch die Schule befonders empfohlen hatte, faßte 
1764 in einem Schreiben an das geiftlihe Departement die „allerhöchſte Inten— 
tion” dahin zufammen, „daß das Wohl des Staates durch Erzeugung vernünf: 
tiger und gelitteter Unterthanen mehr als durch dumme und unmifjende ge: 
fördert werde”. Und in jener afademifchen Abhandlung von dem Nuben der 
Wiffenihaften für den Staat heißt es, erfahrungsmäßig ſei das Volf, je abge: 
ftumpfter, defto verbohrter und halsitarriger; es jei viel ſchwieriger, ſolche Hals— 
ftarrigfeit zu befiegen, als ein Volk, das gebildet genug ſei, um Vernunft zu 
hören, von dem Richtigen zu überzeugen. Eine Kabinetsorbre von 1769 ver: 
langt, die Landbewohner müßten einen „vernünftigen umd deutlichen Unterricht 
in der Religion” erhalten, damit „der Verftand mehr aufgeklärt” und ihnen ein 
richtiger Begriff der Pflichten gegeben werde: „die mehrften Bauernkinder 
bleiben darüber in der größten Unwiffenheit, und diefer Dummheit, um mid jo 
auszubrüden, muß notwendig am eriten abgeholfen werben.” Eben deshalb 
fomme es bei den Bemühungen um das Schulweien vor allem auf das platte 
Land an; dort ftehe es am fchlechteften, in den Städten möge es mit den 
Volksſchulen noch angehen. 

Zu einem Einblid in den Betrieb und die Mängel der Dorffhulen der 
Mark Brandenburg hatte der König im Feldzug von 1759 Gelegenheit ge: 
nommen, als er nad der Schlaht bei Kumersdorf mit feinem geichlagenen Heere 
die Hauptftadt dedte. Im Augenblide des Friedensihluffes ?) erinnerte er fi 
eines vor vier Jahren gefahten Vorjages; eine Anzahl Kabinetsbefehle aus dem 
Februar, März, April 1763 eröffneten den Behörden, daß der König nad) glüd: 
lich bergeftelltem Frieden „die Aufrechterhaltung der Schulen im Lande und die 
gute Ordnung bei ſolchen“ jegt „mit zum Hauptaugenmerk” genommen habe. Vom 
12. Auguft 1763 datiert das „Generallandjhulreglement” für die evangeliihen 











ı, Oben ©. 354. 
2) Oben ©. 341. 


Tas ——— 


590 Neunted Buch. Dritter Abfchnitt. 


Schulen, die Arbeit des unermüdlichen Direktors Heder von der 1747 bes 
gründeten Berliner Realſchule. Für die fatholiihen Schulen Schlefiens erging 
am 3. November 1765 ein Neglement; bier hatte der Prälat des Saganer 
Auguftinerftiftes die Feder geführt, der Abt Felbiger, ber fih Heders Thätig- 
feit zum Vorbild genommen batte; Heder rühmte ihm nah, daß diejer Mönd 
in Schlefien mehr Eifer für die Verbeilerung des Schulweſens zeige, als bie 
Vorstände der evangelifhen Schulen. 
Jumnerarg 4 F Die Grundlage, auf der man fußte, war die Gejeggebung Friedrich Wil: 
n dm cal Lhelms L.: das Edikt von 1717, das den Grundiag der_allgemeinen Schulpflicht 
ul i ausgefprodjen und den Eitern geboten hatte, ihre Kinder im Winter täglich, in. 
Sommer wenigſtens an zwei Wocentagen zur_ Schule zu ſchichen, und die 
Ausführungsbeftimmungen für einzelne Provinzen von 1736 und 1738. Aud 
1754 und 1759 waren derartige Einzelvorichriften ergangen, für Minden 
Kurs ri; und für Schleſien. Die neuen Ordnungen von 1763 und 1765 ſahen vor: 
176 8- 5’ eine geregelte Aufſicht t über die Säulen durch geiftliche, aber von Staats 
wann wegen beauftragte Organe, durch den Ortsgeiftlihen und durch einen Inſpeltor 
> innerhalb eines größeren Bezirks, eine Auffiht, die fih auch auf die Schulen 
an ach, Privaten Patronats erftredte; fie fnüpften die Anftellung der Lehrer an eine 
rau; vorangegangene Prüfung. Dem Lehrerjeminar, das Heder an jeiner Realſchule 
eingerichtet hatte, und den älteren in Königsberg, Stettin und Kloſter Bergen 
traten weitere derartige Anſtalten zur Seite. Das Reglement von 1763 wollte 
weiter den Lehrer ſo geſtellt wiſſen, daß er nicht auf Nebenverbienit angewielen 
blieb. Bisher war es die Regel gewejen, daß der Dorfſchulmeiſter zugleich das 
u Schneiderhandwerf übte. In dem Reglement für Schleiien mußte dem Ser: 
‚ler — fommen und den thatjächlihen Verhältniffen das Zugeftändnis gemacht werden, 
üuchere: daß „die Schneiderprofeflion, das Wirken und dergleihen“ aud fürderhin 
„vergönnt” wurde, „feineswegs aber das Bier- und Branntweinfchenfen, das 
Handeln oder das Aufwarten in denen Kretihamen mit Muſik“. Auch in den 
Ba beſcheidenen Grenzen, die man fi ftedte, ftieß die Durdführung der Regle— 
D Arc res ments auf die größten Schwierigkeiten. Die Mitarbeiter des Königs hatten es - 
vorausgewußt, daß „die Natur, die Dummheit, der Stolz und der Eigenfinn 
des Bauers, Pächters und Landedelmanns” ohne Zmwangsmaßregeln nicht zu 
überwinden jein würden. Nühmlihe Ausnahmen bildeten die jeit 1773 ein: 
gerichteten Mufteranftalten_des Domberrn von Room auf feinen Dörfern im 
Havelland und die Schulen der Maltzahnſchen Güter in Vorpommern. Nicht 
einmal die Schulbehörden felber thaten überall ihre Schuldigfeit. Die Herren 
Inſpektores hielten die Vilitationen, wie Zedlitz klagte, wohl unter ihrer Würde, 
und aus mandem Geiftlihen hätte nad dem derben Ausdruck des Minifters 
erit der Bierlümmel berausgepeiticht werden müſſen, ehe er zum Aufjeher über 
die Schule geeignet gewejen wäre. „mmerbin fam man vorwärts. Eine außer: 
ordentlihe Bifitation, die im Winter 1768,69 auf ausdrüdlichen Befehl des 


Königs. vorgenommen wurde, batte das beite Ergebnis für Oftfriesland, das 





nädhitbeite für Halberftadt, das am wenigiten befriedigende für Pommern und 
zu zweit für die Neumark. Für Preußen und Sclefien wurden die Zuftände 
wieder als gut bezeichnet. In Schlefien waren vom Frühjahr 1763 _bis zum 





Der alte König und die neue Bildung. 591 


‘ Herbft 1765 251 katholiſche Schulen neu begründet worden, bis Anfang 1769 Reentle 
weitere 240 katholiſche und 238 evangeliihe. In der Kurmarf waren 1771 
unter 1997 Dörfern noch 337 ohne Schule. 

Das größte Hemmnis blieb der Mangel an geeigneten Lehrern, die Folge/ 4 gen) 
der Dürftigfeit der Einkünfte, der nod lange nicht durchweg abgeholfen war, . ef j 
auch nicht, als der König in einzelnen Provinzen die Zinjen der dem Adel vor: © j 
geſchoſſenen Kapitalien ') teilweije für die Verbeſſerung der Lehrergehälter an: 
gewiejen hatte. Nun galt es, die zahlreihen neuen Stellen zu bejegen, dem— 
nächſt eine ganze, bisher völlig von Landſchulen entblößte Provinz?) mit Lehr: 
fräften auszuftatten und endlih für die ausjumerzenden Gevatter Schneider 
Erſatz zu ſchaffen: fie mochten fehen, wie fie allein mit ihrer Nadel ſich kümmer— 
(ih weiter halfen. Nachwuchs ließ ſich ſchwer heranziehen. Wenn der Lehrer 
vor dem 22, Lebensjahre füglich nicht angeftellt werden follte, wie fand bis 
dahin der im Seminar vorgebildete Anwärter jein Austommen? Wer fi be: 
gabt zeigte, bezog da lieber in der Hoffnung auf Freitiſch und Stipendien die⸗ — 
Univerſität. In einem ſpäteren Zeitpunkt hat jener Brenckenhoff, unter dem ust Aumlı/ 
lebhaften Einſpruch des Minifters Zedlitz, dem König vorgefchlagen, alte Unter: Fr ut 
offiziere, foweit fie geeignet fein würden, den Dorfſchulen vorzufegen. Aber Pins; 
unter 3443 Jnvaliden mujterte die Militärbehörde nur 79 als vielleiht brauch— 
bar Heraus, und von diejen 70 beftanden dann keineswegs alle die Prüfung 
vor dem Konfiftorium, in einem Bezirk von 13 nur 3, von denen einer wiederum 
wegen feiner ausgeiprocenen Unluft zur Uebernahme einer Schule ausfiel. R 
Ueber das der Volksſchule zu jtedende Ziel ftimmten die Anfichten des F ubrr eh 

Königs und des Minifters überein. Obgleich itatiltiiche Angaben nit vor: ⸗ 
liegen, darf man annehmen, daß die Zahl der Analphabeten, die bis auf den 
heutigen Tag aus den Kulturitaaten nicht ganz geihmwunden find, in dem da— 
maligen Preußen noch beträdtlih war. An diefem Punkt alfo mußte der 
Hebel zunädft angejegt werden. Die Schulordnung für Minden von 1754 
fannte nur Religion und Leſen als verbindliche Unterrichtsgegenftände, die Teil: 
nahme der Kinder an den Schreib: und Rechenſtunden war in das Belieben. 
der Eltern geitellt. Daß der Bauer nicht jchreiben lernen dürfe, galt mandem 

| Gutsheren als ausgemadte Sade, und ein alter Lehrer hat 1772 die Anficht 





/ Kuna) b- 
Zedlig faßte in einer afademijchen Nede von 1777 feinen Standpunkt dahin Mar er Dim 


jo jei es eine Thorbeit, die fünftigen Schneider, Tiſchler oder Krämer wie einen 
Konfiftorialrat oder Schulrektor zu erziehen. Der Menjchenfreund Rochow, deſſen 
Beftrebungen Zedlitz anfänglih warm begrüßt hatte, wurde ihm fpäter als 
Cosmopolite enthousiaste verdädhtig, der die Dorfjugend zu Hug made. Be: 





) Oben S. 361. 
) Oben S. 494. 495. 


592 Neuntes Buch, Dritter Abjchnitt. 


rufe zu unterrichten jei, der Bauer anders als der Bürger und als ein bereinftiger 
— 22Melehrter, hielt Zeblig auch in dem Reformplan feſt, den er nad dem Thron: 
mh “Dar. wechjel von 1786 entwidelt bat: gelehrt dürfe der Bauer nicht werben, aber 
a „ein guter und in feinen Stande verftändiger, brauchbarer und thätiger Mann“. 

Zedlitzens Leitſatz entiprad ganz der uns befannten Grundidee des Frideri— 

cianifchen _Ständeftaates ) mit feiner ſcharfen Sonderung der ſozialen Schichten, 
ER und aus * dieſer Grundanſchauung — hat der König dem —— „ein 
ihr — In — 
wine il „wiſſen ie > viel, jo laufen fie in Städte und wollen Secretairs = io 
Dupapnte was werben; deshalb muß man aufm platten Lande den Unterricht ber 

jungen Zeute jo einridhten, daß fie das Notwendige, was zu ihrem Wiſſen nötig 
ift, lernen, aber au in der Art, daß die Leute nicht aus den Dörfern weg: 
laufen, fondern hübſch da bleiben.“ 

Was den Neligionsunterriht in der Volksſchule anbetrifft, jo legte der 
Valacı / König auf ihm enticheidendes Gewicht. Nicht als ob er geglaubt hätte, die 
Arlicrome Religion zur Unterftügung der Polizei aufbieten zu müflen; denn er vertrat die 
et rn Meinung, daß eine kräftige und beharrliche Staatsgewalt die Untertbanen auch 
nk ohne die Androhung göttliher Strafen zum Gehorfam gegen die Gejege anzu: 
hans; halten vermöge. Aber wir fennen Iele Qusuhtung mo: ber Moral bes 

Chriftentums.?) Von ihr erhoffte er die fittlihe Hebung der Maſſe. So jollten 

auf die ſer Stufe des öffentlihen Unterrichtes Morallehre und Religionslehre zu: 

jammenfallen. Der Grenzen, die aller Erziehungstunft geſetzt find, blieb Friedrich 

fih auch bier bewußt. Der Philanthrop, der idealiftiihe Pädagog mag die 

Achſeln zuden, wenn der König von dem Morallehrer der Volksſchule nichts 

weiter verlangt, als daß er die Leute jo weit bringen fol, „daß fie nicht ftehlen 

und morden”; ber alte Praftifer aber wußte ſehr wohl, daß er damit jogar 

noch zu viel verlangte: „Diebereien werden nie aufhören, das liegt in der menſch— 

2/5 # lichen Natur.” Und als ihm der Profeffor Sulzer gutgläubig den Erziehungs: 

——— grundſatz der Rouſſeau und Vafedow, dab der Menſch von Natur gut ſei, 

ua " anpreifen wollte, befam er die Antwort: „Ad, Sie fennen diefe verfluchte 
Raſſe nicht genügend, der wir angehören.” i 

2,4 Von dem Religionsunterriht in der protejtantiihen Volksſchule erwartete 

; der König noch ein anderes. Der Lehrer joll den Kindern Attachement zur 

eye! Religion beibringen, „damit die Leute bei ihrer Religion hübſch bleiben und 

nicht zur Fatholifchen übergehen, denn die evangeliihe Religion ift die beite, 

und viel beijer wie bie Fatholifche”. Ein Urteil, dem er in anderem Zufammen: 

‚ hang eine bejondere Beziehung auf die Moral beider Konfeffionen gegeben hat. 

In demjelben Jahre des großen Krieges, da der König in den Zuftand 

der kurmärkiſchen Volksſchulen einen Einblid gewann, bat er ſich aud mit 

einigen Fragen des höheren Unterrichtes beſchäftigt. Um jeinen trüben Gedanfen 

eine Ablenfung zu geben, verfaßte er in den ſchweren Tagen unmittelbar nad) 

der Kapitulation von Maren?) einen Aufſatz über die Methode, wie man die 











1, Dben S. 556. 
?, Dben ©. 574. 
>) Dben ©. 234. 


Der alte König und die neue Bildung. 593 


Alten leſen müffe, und über ihr Verhältnis zu den Modernen. Er vertrat die 


Anfiht, daß man von diefen um fo größeren Gewinn haben werde, je gründ- 


liher man mit Geilt und Inhalt der Alten vertraut geworden fei. In der: 


Schrift „Ueber die Erziehung” von 1769 nannte er unter den Gymnafien feines 
Landes das Joachimsthal, das Domgymnafium zu Brandenburg, das Gymnafium 
zu Klofter Bergen bei Magdeburg als Beijpiele für einen verhältnismäßig guten 
Unterriht, glaubte aber ſelbſt bei ihnen die Ueberlaftung der Schüler mit Ge: 
dächtnisftoff rügen zu müflen: man gewöhne fie nicht an jelbftändiges Denken, 
übe das Urteil nicht früh genug, verfäume die Seelen aufzurichten und ihnen 
edle und tugendhafte Regungen einzuflößen. Auch bier legte jett Zeblik die 
Hand an, und mit größerem Erfolg als in der Volksſchule. König und Minifter 
famen überein, daß mit der Reform in der Reſidenz und in den Hauptftädten 
der Provinzen anzufangen ſei; beide waren auch über die Haupterfordernifje des 
Gymnafialunterrichtes durchaus einverftanden, wie fie der König dem Minifter 
in der Aubdienz vom 5. September 1779 noch einmal ans Herz legte: Vom 
Lateiniſchen werde er nicht abgehen, auch vom Griechiſchen nit: „das find die 
wejentlihften Stüde mit;” doch werde e8 gelten, die leichtefte Methode für die 


Erlernung ausfindig zu machen. Friedrich wünſchte dringend, von den Klaffikern, f 
lateinifhen wie griehifchen, gute deutſche Ueberfegungen angefertigt zu jehen: 3 


„damit die jungen Leute eine Idee davon friegen, was es eigentlich it, fonften 
lernen fie die Worte wohl, aber die Sache nicht.” Die weiteren Forderungen 
des Königs waren: ein guter Unterricht im Deutſchen nach der beften erreidh: 
baren Grammatik — Zeblig ſetzte fi demnädft mit Adelung für diefen Zwed 
in Verbindung; Uebungen in der Rhetorif an der Hand des Duintilian; eine 


Einführung in die Elemente der Mathematif, der PhHilofophie, Logik, Meta: ” 


phyſik und Geſchichte der Syſteme, nicht durch einen Geiftlihen, „ſonſten ift 
es ebenfo, als wenn ein Jurift einem Offizier die Kriegskunft lehren fol“; in 
der Geichichte Bevorzugung der neueren Zeit feit dem jechzehnten Yahrhundert, 
nach einem Weberblid über die früheren Perioden, der wiederum das Altertum 
vor dem Mittelalter bevorzugen folte. 

Mit dem ſtarken Rüdhalt am Throne, im Beſitz der Mar und beftimmt 
ausgedrüdten Befehle des Monarden vermochte Zeblig den da und dort ihm 
entgegentretenden, bald offenen, bald verftedten Widerftand einzelner Schulvor: 
ftände, Ruratoren, Zehrerfollegien leicht zu breden. Der thatfräftige junge Rektor 
Meierotto vom Joahimsthaliihen Gymnafium machte ihm die erite Probe auf 
die neuen Zehrpläne. Den der altberühmten Anftalt angekündigten perfönlichen 
Beſuch hat der König ihr ſchließlich nicht abgeftattet, aber dem Rektor Meierotto 
und dem Kurator Merian gewährte er am 22. Januar 1783 eine anderthalb: 
ftündige Audienz: „Es freuet mich, mein lieber Profeffor, daß ih Ihn kennen 
lerne, wie jtehts in dem Gymnaſium?“ war bie erjte Anrede; die Unterhaltung 
wurde dann franzöfiich fortgefett, der König jprad mit großer Lebhaftigfeit 
und ging nad) des Rektors Zeugnis „jehr ins Genaue in Anfehung des Gym- 
nasio und befonders der Rhetorik”. Noch mand anderer wadere Schulmann 
leiftete freudige, verjtändnisvolle und erfolgreihe Mitarbeit an dem Reformwerk, 


ein Lieberfühn in Breslau, Steindart in Züllihau, Struenfee in Halberſtadt, 
KRofer, König Friedrich der Große. IT. 2. Aufl. 38 


4; ws 37/4 


GI, FERN 


— ) 
— 


— 


l 


594 Neuntes Bud. Dritter Abſchnitt. 


NRötgers in Magdeburg, Buſching und Gedike in der Hauptſtadt. Den Dank 
der Altertumsfreunde für den. Ihren Studien angebrodenen neuen Tag erftattete 
Gedike 1781 in feiner „Nachricht von der Einrichtung des Friedrich-Werderſchen 
Gymnafiums”: „Für Ale ift außer dem unmittelbaren Nuten und Vergnügen 
der Wunfch unjeres großen Monarden, daß das Studium ber griechifchen 
Litteratur eifriger auf den Schulen getrieben werben folle, und das Beifpiel 
eine Zeblig, der täglih im Heiligtum der griehifhen Mufe fih von den 
Arbeiten des Staates erholt, und das ‚Beifpiel fo mander anderer großer Männer 


» Berlins eine kräftige Aufmunterung.“ Bald entftanden in der Hauptftadt, aus 


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hu en nk a 


m ira = 


Miles hat * 


zünftigen und unzünftigen Verehrern von Hellas zuſammengeſetzt, dieſe griechiſchen 
Geſellſchaften, die bis auf den heutigen Tag fortblühen. 
Wie von dem Gymnaſium verlangte der König auch von der Univerſität 


Feine Verjüngung des Unterrichtsbetriebes, den Bruch mit dem Schlendrian, die 


‚Einführung zwedmäßigerer Lehrmethode, die Anleitung der Jugend zu ſelb— 
ftändigem Denken und zu eigner Arbeit. Auch hier trat er mit ganzem Nach— 
drud für die Pflege der klaſſiſchen Spraden ein. Er glaubte zu bemerfen, daf 
das Studium des Griechiſchen und Lateiniſchen an den Univerfitäten nicht mehr 
jo im Schwange ſei, wie früher; an b’Alembert jchrieb er geradezu, daß ohne 
jeine Bemühungen die Erlernung der griehifhen Sprache fih ganz verlieren 
würde. Es wollte ihm jcheinen, „daß die guten Deutjchen, von der tiefen Ge: 
lehrfamkeit angemwibert, in deren Belik fie ehedem waren, jegt mit möglichſt 
geringem Koftenaufwand zu wiflenihaftlihem Ruf gelangen wollen”; in falſch 
verftandener Nahahmung der Franzofen feien fie auf dem beiten Wege, ober: 
Hächlich zu werden. Dachte der König, als er 1769 ſolches jchrieb, etwa an 
den balliihen Profefjor Klog? Es wäre wohl möglih, daß Friedrih dur 
Duintus Icilius auf das bedenkliche Treiben und den wiſſenſchaftlichen Banferott 
dieſes neumobijchen Philologen aufmerkſam geworden wäre, ber die Loſung aus— 
gegeben hatte: „Gott erweiſe Euch die Gnade, weniger gelehrt zu werben.” 

Mängel anderer Art tadelt er an ven Profefioren der Philofophie. Die Monaden: 
lehre und bie präftabilierte Harmonie, auf die fie noch immer ſchwören, nennt 
er einen „Gallimathias“, und ein andermal, etwas höflicher, den Roman eines 
Mannes von viel Genie; das ganze Syſtem des „doctissimus, sapientissimus 
Wolffius® gilt ihm als ebenio abfurd und unverftändlih wie die früheren 
Schulſyſteme; er rät den deutfhen Philojophen, gegen den einzigen Metaphyſiker, 


. der die Imagination dem Bonfens geopfert habe, gegen Locke, ihre nationalen 


Borurteile aufzugeben. So hatte er jhon 1754 perfönlih den halliihen Profefior 
Meier veranlaßt, Vorlefungen über Lodes Philofophie zu halten. Den Juriften 
ruft er zu: „Wir ftehen nicht im Jahrhundert der Worte, jondern in dem der 
Dinge.” Bon den Medizinern, aus deren Wiſſenſchaft er ſich allerhand Kennt: 
niffe angeeignet hatte, verlangt er, daß fie Hippofrates und Gallen nur ale 
Ausgangspunfte betrachten und ſich an die Lehren der neuen Meifter halten 
folen. Den akademiſchen Gejchichtslehrern empfiehlt er ungefähr denjelben 
Gang des Unterrichtes und diefelbe Stoffverteilung, wie er beides jhon für das 


rn Gymnafium gefordert hat: insbejondere eingehendere Behandlung der neueren 
Geſchichte feit Karl V., weil von da ab alles interefiant und denkwürdig werde; 


Der alte König und bie neue Bildung. 595 


weiter fol der Lehrer die Entwidelung der Berfafjungszuftände und Rechtsord: 
nungen vorführen, eine Gejchichte der Anfichten und Meinungen geben und bie 
Urſachen der großen Ereignifje darlegen. Viel mehr Wert als Ueberfüllung mit 
Yahreszahlen und unverbauten Einzelfenntniffen hat ihm auch beim Gejchichte: 
unterriht Schärfung des Urteils, wozu bier noch der praftiihe Lehrzweck tritt: 
die Erwedung der Nadeiferung durch großes und gutes Beifpiel. 

Der Bermwilderung der afabemifhen Sitten glaubte der König durch das 
Edikt vom 9. Mai 1750 wirkſam gefteuert zu haben, das ganz feiner eigenen 
Entſchließung entjprungen war und bei defien Abfafjung er mit eigener Feder 
mitgewirkt hatte. Mißtrauifch blieb er gegen Fleiß und Eifer der Profefforen. 
Noch 1784 hat er als die Hauptjache bezeichnet, „daß die Professores meinen 
Anmweifungen und Verordnungen gemäß die Studenten in jeder Fakultät mit 
aller erjinnlihhiten Treue und Sorgfalt unterridten”. Auch fand er, daß Pro- 


fessores „immer zu weitläuftig“ feien. Bon feinem Interefje an den Berufungen 7, +7, h . 


neuer Zehrer zeugen zahlreiche Randbemerkungen zu den Vorſchlägen der Minifter. 
Selbft einem Zedlitz machte er bei ſolchem Anlaß bisweilen Einwände, obgleich 
bei ihm diefer Mann, der Jünger und Verehrer von Jmmanuel Kant, der Gönner 
von Friedrid Auguft Wolf, auch als Leiter des Univerſitätsweſens eine wohl: , 
verdiente Vertrauensftellung einnahm. 


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In den Dienft des großen Erziehungswerkes, das ihm am Herzen lag, Arc | 


ftellte »der König endlich aud die Akademie ber Wiſſenſchaften. Sie hat in 
feinem Sinne und auf feine Anregung im legten Jahrzehnt feiner Regierung 
ihre Preisfragen vorzugsmweife auf das Gebiet der Moralphilofophie gerichtet, 
um eine Berftändigung über die Grundprobleme anzubahnen und dieje zugleich 
zu popularifieren — aud ein Weg, bie Menſchen befier und toleranter zu 
machen, wie Friedrich es von ber Aufflärung forderte. Solange Maupertuis 
die von ihm wiederhergeftellte Akademie beherrjcht hatte, waren die metaphyſiſchen 
Preisaufgaben an der Tagesordnung geweſen und im entſchiedenen Gegenſatz 
gegen bie Leibniz. Wolffiche Philojophie formuliert und beurteilt worden. Dann 
bradte Sulzer diefe Richtung vorübergehend noch einmal zu Anfehen: jchon 
fürdtete Friedrich, Leibnizens „ſchwangere Monade” wiederkehren zu jehen, und 
verlangte jest alfo, im Oktober 1777, daß die Akademie intereffantere und 
mehr praftiihe Fragen ftatt der unverftändlichen zur öffentlihen Erörterung 
ftellen follte. Er jelbft drängte ihr eben damals jenes heifle Thema von ber 
Zuläffigfeit der Täufhung !) auf, nit um die Akademie zu verhöhnen, wie 
wohl behauptet worden ift, fondern weil d’Alembert ihm gejagt hatte, daß nur 
vor diefem Tribunal, nicht in dem von Vorurteilen erfüllten Frankreich, jene 
Frage unbefangen gewürdigt werden könne; die Akademie hat dann, nicht das 
Ergebnis, jondern nur die Methode der Antwortſchriften vor ihr Forum ziehend, 
unter 42 Bearbeitungen des Gegenftandes je einem Anwalt und einem An: 
Eläger der „Täuſchung“ den Preis zuerkannt. | 

Die Fabel, daß der alte König feine Akademie verachtet, ja gehaßt habe, 
daß er ſich den Spaß bereitet habe, ungefähr wie fein Vater, ihr eine große 


') Oben ©. 585. 


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996 Neuntes Bud. Dritter Abfchnitt. 


NA und > Anzahl Mittelmäßigfeiten aufzupfropfen, ift nach Friedrichs Tode von dem Fran: 
ya Pa Pre zofen de Laveaur in Umlauf gejegt worden, dem bie Pforten der Akademie 
x den dam verſchloſſen geblieben waren und der fi durch feine Angriffe gegen einzelne 
7 Akademiker eine ſcharfe Zurechtweiſung ſeitens des Königs zugezogen hatte. Wenn 
Friedrich in feinen legten Lebensjahren zur Zeit feines Berliner Winteraufent: 
haltes einzelne Afabemifer nachmittags zu gelehrter Unterhaltung empfing, fo 
beweift das viel mehr fein Intereſſe an Akademie und Wilfenichaft, als daß ihm 
mit jenem hämiſchen Zoilus der Zwed, ſich über die Pedanterie feiner Gäfte 
Iuftig zu machen, angebichtet werben dürfte, gleihviel ob Friedrich in Briefen 
Fuchs, an d'Alembert dieſe afademijchen Nebenftunden ein wenig draſtiſch jchilderte: 
ka „3 habe die meiften unferer Afademiker gefehen. Die Einen haben mir von 
Lt, FT einem neuen Glauben geiprohen, die Anderen von einem neuen Kometen, ich 
N J— warte darauf, daß ſie ſein Los entſcheiden, um ihn entſprechend zu ehren. Was 
Herrn de La Grange anbetrifft, er rechnet, rechnet, rechnet über ſeinen Kurven, 
foviel Sie wollen; Herr Formey macht Lobreden, Achard dephlogiftiiche Luft, 
Weguelin ftudiert, wie man den Dreißigjährigen Krieg hätte jchneller beendigen 
fönnen.” Daß jeine Akademie manches zu wünſchen übrig ließ, daß fie nicht viel 
zuzufegen hatte, verheblte er fih nit: „Ohne glänzend zu fein, geht fie jachte 
ihren Weg.” Anı übelften war es ſchließlich um bie philoſophiſche Klaſſe beftellt, 
die in der Folge für geraume Zeit eine fo große Bedeutung gewonnen bat; 
fie war der Stolz der Akademie, weil Paris und London, teils aus Scheu vor 
einem Zufammenftoß mit der Theologie, teils aus Mißtrauen gegen den anſpruchs— 
vollen Dogmatismus der berühmten Syiteme, eine ſolche Klafie nicht befaßen; 
aber dieſe philojophifche Klafje war beim Tode des dem Könige wenig genehmen, 
aber erträglichen Wolffianers Sulzer 1779 fo hülflos, daß fie den Theologen 
Formey zum Direktor wählen wollte, „den heimlichen Feind der Philoſophie“, 
als den ihn Friedrich verjpottete, das unerreichte Mufter der Kleinlichkeit, Selbft- 
gefälligkeit und Geſchmackloſigkeit. Ihren Ruhm behauptete die Afademie in der 
Mathematik und den Naturwillenichaften. 


—— —* 


"m... torifche Gewalt) übte er jetzt ſelber aus, nicht ohne Nat und Zuſtimmung bes 
rl: m Kurator in absentia d’Alembert, aber au nicht ohne eine gemwifle Vorficht 
* ALL BR r gegenüber den Vorſchlägen diejes Beraters, wie fie fih ihm aus feinem Miß— 
trauen gegen die Philofophen der neuelten franzöfifhen Mode ergab. Hat doch 
auch die Berliner Afademie, vielleicht auf des Königs Geheiß, gegen den Atheis— 
mus bes „Systeme de la nature“ ®) eine feierliche Erklärung veröffentliht. Dem 
heimlichen Präfidenten in Paris wiederum wurden die Unterlagen für jeine Vor— 
Ichläge, joweit es fih um Einheimifche handelte, doch erft von Berlin her, aus 
den Kreijen der Akademiker, an die Hand gegeben. Die Gegner der Akademie 
jpotteten, daß die von d’Alembert empfohlenen und entjandten Franzojen von 
eben der Ware jeien, welche die Parifer Kaufhäufer als „gut für den Norden” 





1) 3b. I, 495. 
2) Dben ©. 573 ff. 


Der alte König und die neue Bildung. 597 
zu bezeihnen pflegten. Thatſache ift, dab nah 1763 die wahren Vertreter der ©, __,.. 
Wiffenihaft in der Akademie die Deutihen waren, und dab die franzöfiihen  , 7... 
Akademiker, Hugenotten von der alten Kolonie wie die neuen Zuwanderer aus _ 
Franfreih und der franzöfiihen Schweiz, mit einziger Ausnahme des großen 
Aftronomen La Grange, als Gelehrte nichts bedeuteten. Die Zahl der deutſchen 
Mitglieder aber war bei Friedrichs Tode auf fünf zuſammengeſchrumpft, fünf 
Naturforſcher. Erſt Herkberg hat dann zwölf Deutiche auf einmal, die Vertreter 
der Berliner fridericianiihen Aufklärung, die Epigonen Leifings, in die Afademie 
eingeführt. Daß fie zu Friedrichs Lebzeiten nicht völlig in Deutſchland vereinfamt, 
auf das geiftige Altenteil geflommen, der Vergeſſenheit anheimgefallen war, hatte 
die Akademie nur jenen Preisfragen zu danken gehabt, durch die fie mit der neuen 
deutihen Bildung doch einige Fühlung gewann, nicht bloß mit der Berliner 
Aufklärung, jondern aud mit den kommenden Männern, ben Kant und Herder. 


Ueber jein perjönliches Verhältnis zu der neuen deutſchen Bildung bat 
König Friedrich, ihren Trägern und Jüngern zum Xergernis und Herzeleid, ein / le : 
öffentliches Belenntnis abgelegt. Ende November 1780 erſchien die legte feiner 
pädagogiihen Abhandlungen, die Schrift „De la literature allemande*. 

Der Berfaffer entwidelt abermals jeine Gedanken für eine Reform bes 
Unterrichtes, im Sinne ber „Lettre sur l’education* von 1769, deren Dar: 
legungen bier ergänzt und zum Teil näher ausgeführt werden. Die Reform: 
vorſchläge werben begründet dur den Hinweis auf den gegenwärtigen Stand 
der deutſchen Litteratur, deren bisherige Leiftungen dem Verfafler als jo kläglich 
erjcheinen, daß er den Kampf gegen bie Urſachen ihrer Unterwertigfeit für eine 
dringende nationale Aufgabe hält. 

Seit Friedrid am 6. Juli 1737 in einem jeiner früheiten Briefe an 
Voltaire einen Blid auf die deutſche Literatur geworfen, hatte er von Zeit zu ur 
Zeit in einem müßigen Augenblid fih über ihre Fortichritte zu unterrichten >- * IN 

je !) am meiften immer durch feine dürftige Kenntnis der eigenen Mutter: | | 


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ſprache behindert: deutſche Terte zu lejen bereitete ihm Mühe, laut vorgelefen 

wurden fie ihm eher verftändlih. In Leipzig hatte er während bes Siebenjährigen 

Krieges den gefeierten, hocherhabenen Patriarden Gottſched geſprochen, ber ihm 

bald jehr mißfiel, und den bejcheidenen Gellert, deſſen Fabeln er ſeitdem mit 
Anerkennung zu nennen pflegte. Sein Gejamturteil aber über die Deutfchen ,. / 

als Dichter und Schriftfteller blieb das alte. Ex_jhreibt an Voltaire im Zui — 
1775 nicht anders als im Juli 1737: „Zwei Dinge fehlen den Deutjchen, die A" — 
Sprade und der Geihmad”; daraus erklärt er ſich ihren Wortihwall, ihre Zum—— 
Sprachmengerei, ihre Urteilslofigkeit über das, was ſchön, was mittelmäßig oder u - “t:! 
vollendet, was edel und erhaben ift: „Worausgejegt, daß viele R vorkommen, 

halten fie ihre Verje für harmonisch.” Deutichland ſcheint ihm in ber Litteratur 

nicht weiter gefommen zu fein, als Frankreich unter Franz I. Den Geſchichts— 

ichreiber Johannes Müller, der ihm 1781, von d’Alembert warm empfohlen, 


) Vgl. oben ©. 285. 


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98 Neuntes Bud. Dritter Abfchnitt. 


vorgeftellt wurde, fand er „minutiös” und bebauerte, daß dieſer „Monjieur 
Mayer” an der Nationalfrankheit der Deutihen, der Adywv draßhore, leide. 
Eine Anftellung in Preußen fand Müller ebenfowenig, wie vor ihm Windel: 
mann und Leſſing. Beiden hatte Duintus Jcilius die Stätte in Berlin zu 
bereiten verjucht, bei Hofe der eifrige Anwalt der beutjchen Bildung. So 
bradhen auch andere Männer in bes Königs Umgebung für die deutſchen Schrift: 
fteller eine Lanze, vor allen Hergberg und der Baron Grimm. Und jchon be: 
gannen unter des alten Königs Augen junge Offiziere feiner Garde für den Dichter 
des Werther zu jhwärmen, fündeten ihren Freunden in der Provinz das bevor: 
ftehende Erfcheinen des Egmont als wichtige Neuigfeit an und priefen „ganz 
bezaubert“ die Stella als „durdgehends Goethiſch, das ift warm und ftarf“. 


rs Im Widerfprud gegen die an ben König berantretenden lobenden und 


bewundernden Urteile über die junge deutihe Dichtung ift unfer Litteraturbrief 
entftanden. „Sie wundern fi,” beginnt der Verfaffer, „daß ich meine Stimme 
nicht mit ber Ihren vereinige, um den Fortſchritten Beifall zu zollen, welde 
die deutfche Litteratur, nad Ihnen, täglid made.“ Wie in dem Briefe an 
Voltaire von 1775 vermißt er eine gebildete Spradhe und einen gebildeten Ge: 
ihmad. Freilich die Klage, daß die deutjche Litteratur ſich in jo viel Dialekte 
zeriplittere, als das Reich Kreife zähle, fie verfannte die Thatjahe, daß man 
eine gemeinfame Schriftipradhe, fo ungelent und raub fie jein mochte, längit 
befaß. Ebenfo war es ein Mißgriff, daß Friedrich zur Erläuterung und Be: 
fräftigung feiner Behauptungen über die deutſche Geihmadlofigfeit Beifpiele 
heranzog, die um Jahrzehnte zurüdlagen — die den Zeiten entlehnt waren, 
da der junge Prinz lange Stellen aus der Aſiatiſchen Banife, dem 1688 er: 
ſchienenen Roman, auswendig gelernt hatte, wie er fie noch nad) vielen Jahren 
dem Baron Grimm aus dem Gedächtnis deffamierte. Hergberg, dem der Ber: 
faffer fein Manuffript vor der Drudlegung zeigte, hatte vergeblich vorgefchlagen, 
die Verſe eines Unbefannten, die Friedrich als zehnjähriger Knabe in Wuſter— 
haufen gehört haben wollte und jegt als Beijpiel der Gejhmadlofigfeit anführte, 
durch eine Gottſchedſche Strophe zu erjegen; denn jo weit war man ja vorge: 
ſchritten, daß der „anſehnliche Altvater” dem öffentlihen Spott ausgefett werden 
durfte. Die Lejer ausnahmslos überrajchte und verblüffte es, Klopftod, Leſſing, 
Wieland überhaupt nicht genannt zu hören; die Jungen und Jüngſten aber 
waren empört, daß der größte von allen, ihr Abgott, jchroff, wegwerfend ab: 
gelehnt wurde: „Man kann Shakeſpeare die bizarren Verirrungen verzeihen, 
denn die Geburtsitunde der Künfte ift nie der Zeitpunkt ihrer Reife; aber nun, 


mie mmels| fieh da, tritt no ein Göß von Berlidingen auf die Bühne, die abjcheuliche 


"Nachahmung diefer ſchlechten englifhen Stüde und das Parterre klatſcht und 


‚ verlangt mit Enthufiasmus die Wiederholung diejer niedrigen Plattheiten.” 


2 Friedrih hat ein paar Jahre darauf Wieland ein großes Verdienſt um 
die Bildung des deutihen Geihmads zuerfannt und hat an den alten Gleim, 
den er 1785 durch eine Aubdienz erfreute, die Frage gerichtet, ob Wieland oder 
Klopftod der größere ſei. Er foll über Lejfing, wie Laveaur behauptet, geſagt 
haben: „Sch würde ihn ſchätzen, wenn er nicht die Emilia Galotti geſchrieben 
hätte,” ein Stüd, in weldem der Prinz ein Dummkopf ſei, der Kammerberr 


Der alte König und die neue Bildung. 599 


ein Meuchelmörder, die Gräfin eine Furie, die Mutter eine Schwägerin, die P 
Tochter beihränft und der Vater ertravagant. Was Shafejpeare und Goethe ? ef 
anbetrifft, fo darf das Urteil über fie unter allen ſchroffen Behauptungen unferes heran 
Litteraturbriefes am menigiten überrafhen. Beide hatten damals noch eine ſtarke } Arge 
Partei in Deutichland gegen fih. Noch 1787 ſprach Formey in einer öffent: 
lihen Sigung der Berliner Akademie von gewiflen unverrüdbaren und unzer: 
förbaren Vorurteilen des nationalen Geihmads, denen, wie es jcheine, auch 
Shakeſpeare troß unbeftreitbarer Schönheiten ausgefegt bleibe. Und in Gleims 
Kreifen freute man fi, daß Friedrich wider „die Shafefpearijh wütende Rotte“ 
hart geiprodhen habe. Bor dem Mafftab der Bühnengeredhtigkeit, den Friebrich 
der franzöfiihen Tragödie mit ihren erftarrten drei Einheiten entnahm, fonnte | 
ber Götz freilich nicht beftehen; verwarfen ihn in feiner Uferlofigfeit doch felbit‘ var 2 5; 
erklärte Gegner der galliichen Aftermufe, des falſchen Regelzwanges. „Shakeſpeare = bern 7 
bat Euch ganz verborben,” meinte Goethes kritiſcher Freund Merd, während v., v- 
Leſſing nicht übel Luft hatte, im Efel über das im Kielmafjer des Göß herein: / AD 
flutende theatraliihe Unwejen mit Goethen „troß allem Genie, worauf er jo 
pocht“, anzubinden. Bald nahm niemand ftärferes Nergernis als Goethe felber an 
den Nachfolgern feines Götz, an ber wilden Maßlofigfeit des Ritter: und Räuber: | 
dramas, Wenn Friedrich aus der ganzen dramatiihen Produktion der Sturm: | 
und Drangperiode gerade das Goetheſche Stüd heraushob, jo iſt damit der 
Dichtung nur ihr Recht der zeitlihen und geiftigen Erftgeburt gewahrt worden. 
Vielleiht aber wollte der König mit der fchroffen Ablehnung des Götz auch dem ,,, ww: 
genialiihen Treiben jenes Eleinen Fürftenhojes einen Stich verjegen, an Dem In, ? 
man einen Poeten zum Minifter gemacht hatte. Als der Rektor Meierotto ihm 
auf jeine Frage nah Wielands Wohnſitz Weimar nannte, erwiderte er lachend: 
„Wo der Herzog mit feinem Goethe lebt.” Erft bei der Begegnung im —8* 
1786 lernte er dieſen Herzog ſchätzen, als den beſten des Weimarer Hauſes 
ſeit Bernhard. 

Hätte er nur ſtatt des von ihm als rühmliche Ausnahme angeführten 
„Poſtzuges“, eines heute vergeſſenen Stückes von dem Wiener Ayrenhoff, Leſſings 
Minna genannt, ſo könnte im übrigen fein abſchätziges Urteil über die deutſche 
Komödie ohne weiteres beftehen bleiben. Noch jüngft hatte ihr Lejfing in ber 
Hamburgifhen Dramaturgie das vernichtende Armutszeugnis ausgeftellt: „Unfere 
höchſt triviale Komödie.” Und wie Lejfing diefe einzelne Gattung, jo betrachtete 
Herder um 1770 unfere ganze Litteratur als dürftig, damals „als er in I, ko 
Straßburg unbarmherzig den „Vorhang zerriß”, der dem jungen Goethe „die -rı 4..,— 
Armut der deutſchen Litteratur verhüllte”. Gerade das, was Friedrih an den se — 
Deutfhen vornehmlich tadelte, empfand ja aud Goethe als ein Grundbübel, 
indem er ſich fagte, „daß der erite Schritt, um aus der wällerigen, weit: 
ichweifigen nullen Epoche ſich herauszuretten, nur durch Beitimmtheit, | 


Ari?» 


und Kürze gethan werden fünne”. Nur daß Goethe, unterrichteter und deshalb 
gerechter als Friedrich, es anerkannte, daß einzelne Schriftiteller mit mehr oder 
weniger Erfolg „bem breiten Unheil” zu entgehen gefucht hatten. 

Hätte Friedrich fih gründlider und umfaffender unterrichtet, hätte er alles 
Beſte, was zu feinen Tagen bis 1780 in deutſcher Sprache geichrieben war, ge | 


[23 
Me * 


-i- Date" 


600 Neunted Bud. Dritter Abjchnitt. 


fannt, fein Urteil würde gleihwohl nicht anders gelautet haben. Leifings Anti: 
Goeze würde er als Pfaffengezänk angefehen haben, wie Hutten anfänglich Luthers 
Thefen, und der Hamburger Dramaturg, der die großen Franzojen von ihrem 
Throne ftürzte, wäre ihm ohne Zweifel als ein Herojtrat erſchienen. Noch viel 
entſchiedener aber als Leſſing hatte fich das jüngere Geſchlecht von der klaſſiſchen 
‚Zitteratur des Siecle de Louis XIV, abgewendet, in der Friedrich fein Ideal 
und die er in Voltaire fortgeſetzt ſah. Dieſer Voltaire, jagt Goethe in der 
Schilderung feiner Straßburger Zeit, „war ſelbſt bejahrt wie die Litteratur, 
‚die er beinahe ein Jahrhundert hindurch belebt und beberricht hatte”. „Be: 
ion und vornehm“ war dieje Litteratur, war Voltaire, war auch Friedrich; fo 
ihied ihn von der neuen deutfchen Bildung der Gegenſatz zweier Generationen, 
zweier Kulturen. 

In der Erregung, in bie feine Schrift die Gemüter verjegte, unter dem 
lauten Scelten, das die Veröffentlihung begleitete, wurden die mandherlei 
treffenden Bemerkungen des Verfaſſers von den meiften überhört. Thatjächlich 
aber fam die beutjche Litteratur in ihrer weiteren Entwidelung dem Standpunft 
Friedrichs entgegen, als fie aus dem Sturm und Drang in den Klaffizismus 


Ay er mas Die ein Jahr nad des Königs Tode erſchienene Iphigenie würde 


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feinem Schönbeitsideal mehr genügt haben als der Götz. 

Auch der edle Patriotismus wurde nicht anerfannt, der ihn getrieben hatte, 
jeine Stimme zu erheben, und der ihn hoffen hieß, daß bereinft die deutſche 
‚Litteratur den vor ihr gefommenen Weltlitteraturen ebenbürtig jein werde: 


„Wir werden unjere Eajliihen Autoren haben; jeder wird fie lefen wollen, um 


‚von ihnen zu gewinnen; unfere Nachbaren werbe das Deutjche lernen; die Höfe 
‚werden es mit Vergnügen jprehen, und es wird dahin fommen, baß unjere 
'Sprade, verfeinert und vervolllommnet, jih dank unferer guten Schriftiteller 
‚von einem Ende Europas zum andern verbreitet. Dieje jchönen Tage unjerer 
Litteratur find noch nicht gefommen, aber fie nähern fih. Ich fünde fie Euch 
‚an, fie werden erjcheinen, ich werde fie nit jhauen, mein Alter verſagt mir 


se dieſe Hoffnung. Ich bin wie Mojes: ih ſchaue von ferne das gelobte Land, 


aber ich werde es nicht betreten.” 

Das war mehr als eine pathetiihe Deklamation. Auch hier jpricht der alte 
König nur lang gehegte Gedanken öffentlih aus. Denn ſchon 1772 hatte er in 
einem Briefe an d’Alembert, nad einer mwehmütigen Klage über die geringe 
Wirkung feiner Bemühungen um die Läuterung des Geihmads feiner Landsleute, 


; ‚Die Frage aufgeworfen, warum bie Wiſſenſchaften, die ja zu reifen pflegten, 
nah ihrem Beſuch in Griechenland und Stalien, in Frankreich und England, 


nicht auch einmal auf einige Zeit in Preußen ihren Sit auffchlagen follten: 


= „Man muß fi mit diefer Hoffnung ſchmeicheln, und ſchon der Gedanke er- 
— ‚freut mid.“ 


Wenn Friedrich in jeinem Litteraturbrief den Deutſchen einen Auguftus 
herbeiwünſcht, der die Virgile erweden möge, jo hatte er früher doch gejagt, 


"daß fein Fürft ein Zeitalter wie das auguftiiche oder medizäifche herbeizuführen 
, vermöge, daß die Natur die Genies hervorbringen und ihnen da ihren Pla 


anmweifen müſſe, wo jie ſich entwideln fünnten. Und fo iſt es bei uns geſchehen: 


Der alte König und die neue Bildung. 601 


„Ne entfaltete die Blume nicht am Strahl der Fürftengunft” durfte Schiller der 
deutihen Muje nahrühmen, und auch was er Hinzufeßt, entſprach nur der 
Wahrheit: er 

' Bon dem größten deutfchen Sohne, |. m «ıı! 
Von des großen Friedrichs Throne 
Ging fie ſchutzlos, ungeehrt. \ 


Dod die deutihe Muje hat dem großen Könige darum nicht gegrollt. Timer 
Erſchöpfend gefennzeihnet waren jeine Beziehungen zu der deutfchen Geifteskultur” . , PR 
mit Schillers Flammenmworte noch nicht. Nicht einmal die zu der deutichen 
Dichtkunſt. Der in Friedrichs Litteraturbrief unter allen deutſchen Dichtern am 
unbilligften angegriffene, der Dichter des nad) Friedrichs Geſchmack abjcheulichen 
Götz, hat nahmals das klaſſiſche Zeugnis abgelegt, daß der erſte wahre und 
höhere eigentlihe Lebensgehalt duch Friedrich den Großen und die Thaten des 
Siebenjährigen Krieges in bie deutiche Poeſie gefommen it; und hat nicht Schiller 
jelber daran gedacht, eine Epoche aus Friedrichs Leben, feine Größe im Unglüd, 
zum Gegenjtand eines epiichen Gedichtes zu wählen? Wiederum blieb in Herbers Her? _ 
dankbarer Erinnerung Friedrich lebendig als der Vorfämpfer der Humanität, ae Bad 
„ein großer Feldherr in ber Verſammlung der Humanitätsfreunde”. „Wir find ; 7, : 
darüber einig,“ befannte er fieben Jahre nach Friedrihs Tode, „daß wenn ein 
großer Name auf Europa mächtig gewirkt hat, es Friedrich gewefen.” Aus bes 
Königs nachgelaffenen Schriften trug fih Herder eine reihe Auswahl von „Ge: 
danken und Marimen“ zufammen; er erfannte an, daß dem König in den 
unhumanften Situationen feines Lebens feine humane Gefinnung nie ganz fremd 
geworden fei, und fprad den Wunſch aus, daß alle Fürften und Prinzen jeine ER 
Werke lefen möchten, „und zwar fo, als ob jie den großen König jelbit hörten“. | 
Und endlich bat Kant das Zeitalter der Aufklärung „das Zeitalter Friedrichs” 
nennen wollen, meil Friedrich die Freiheit gewährt habe, von der Vernunft | 
öffentlih Gebrauch zu maden. 

Die Aufklärung und ihre Träger find viel gepriefen und viel gefcholten 
worden. Die neue deutſche Bildung, der Herder und Goethe das Banner — 
vorantrugen, hatte mit einer kräftigen Auflehnung gegen den um die Mitte des 
Jahrhunderts zur Vorherrichaft gelangten Nationalismus eingefegt. In feiner 
„Bhilofophie der Geſchichte“ hatte Herder 1774 zu Gericht geſeſſen über die 
durch Voltaire vertretene Geſchichtsſchreibung mit ihrer Geringihäßung bes 
Mittelalters, über das „arme policierte” Europa der Gegenwart, über das 
Jahrhundert der Einförmigfeit und Abftraftion, über Friedrich felber, befien 
Uniform das Jahrhundert trage. Wenn nun nad Friedrichs Tode berjelbe 
Herder an den alten Gleim gejchrieben hat: „Sie find aus Friedrihs Zeit, und 
id wills s auch. jein und bleiben” — jo hat er damit anerfannt, daß ein 
[ebenbiger £ Zufanmenhang der Entwidelung vorhanden war, daß die einft von 
ihm befämpfte Aufllärung feinem eigenen Bildungsideal den Boden bereitet hatte. 


Amt 
27 


Dierter Abjchnitt. 


Der deuffihe Jürſtenbund von 1785. 


ftoff, den der alte König von Preußen feinen deutichen Landsleuten bot. 
Herder hatte im Verlauf der „Litteraturfehde” gemeint: er wünſche, 
ber König ſchriebe nicht mehr, lebte aber noch einige Jahre für Deutjchland. 
Friedrich hat die wenigen Jahre, die ihm noch blieben, bis an die legte Stunde 
genugt. Dem müden Greife gelang noch einmal ein großer Wurf. Wer hätte 
geglaubt, daß nad den blendenden Anfängen des jugendfrohen Eroberers von 
Schlefien, nah den Zeihen und Wundern, die der Held des Siebenjährigen 
Krieges im Ringen gegen eine bewaffnete Welt Freunden und Feinden zu 
Schauen gegeben hatte, nad) ben überzeugenden Beweiſen von Weitblid und 
Augenmaß, von Entichloffenheit und Mäßigung, die der Altmeiſter der Staats: 
funft 1772 bei der Wiebererwerbung von Weftpreußen und noch jüngft bei der 
Errettung von Baiern abgelegt hatte, daß nach diefer Fülle der Gefichte bie 
Teilnahme der Welt an dem Helden des Jahrhunderts noch einer Steigerung 
fähig fein würde? Und doch jollte es fo geichehen. 

Die Anfänge des neuen Jahrzehnts, die erften achtziger Jahre, ließen 
folde Wendung nicht vorausjehen. Die preußiiche Politik verlor den Stügpunft, 
der ihr ſeit 1764 gedient hatte, dad Bündnis mit Rußland. Und weiter: aus 
dem legten Kriege war der König mit der erniten Sorge heimgefehrt, daß beim 
Tode der Kaiſerin-Königin ihr Sohn jeine Bergrößerungspläne wieder aufnehmen 
mwerde.!) 

Aus diefem Grunde wünfhte man in Berlin der Kaiferin:Königin einen 
langen Zebensabend, während in Wien dem Ende des Königs mit einer gewiſſen 
Ungeduld entgegengejehen wurde. Nicht ale ob es die Abficht geweſen wäre, 
ben Nachfolger Friedrichs des Großen alsbald mit Krieg zu überziehen. Die 
Taktik des Fürften Kaunig war eine andere: es gelte, jo belehrte er den Ge: 


SD Schrift über die deutſche Litteratur war nicht der legte Betrachtungs— 


i) Bel. oben ©. 538. 


Der deutihe Fürſtenbund von 1785. 603 


fandten in Berlin ſchon 1776 während einer Krankheit des Königs, dem Prinzen 
von Preußen „alle Bejorgnis vor widrigen Abfichten, die etwa nad) dem Tode 
feines Oheims ausgeführt werben dürften, zu benehmen“: „dur ſolche perfön: 
lie Siderftellung und Beruhigung kann ber bisherige Hang des Kronprinzen 
zu Pradht und Verſchwendung am leichtejten genährt, auf eben dieſe Art aber 
die preußiſche Maſchine am ficherften untergraben und allmählih zum Berfalle 
geleitet werden.” König Friedrich fagte, die einzige Aufgabe des Faiferlichen 
Gefandten in Berlin fei, ihn auf feine Gefundheit zu beobadten. Den ftillen 
Gedanken, der die öſterreichiſchen Herzen erfüllte, hat die junge franzöfifche 
Königin Marie Antoinette in einem Briefe an ihre Mutter unbefangen aus: 
geſprochen: es fei ihr nicht erlaubt, den Tod des Königs von Preußen zu 
wünſchen, aber es würde ein großes Glüd fein, wenn er durch jeine fchlechte 
Gefundheit außer Stande wäre, ſich zu rühren. 

Fünf Jahre jünger als der „böfe Mann” in Sansfouci, wie fie den König 
nannte, ift die große Kaiferin fünf Jahre vor ihm von dem Schauplatz abge: 
treten, ben ihrer beider Wibderjtreit vierzig Jahre hindurch erfült hatte. Sie 
ftarb in der Burg ihrer Väter zu Wien am 29. November 1780. Sie ftarb 
wie fie gelebt: voll Fürforge für ihr Land bis zum legten Tage, voll Liebe 
und Güte gegen ihre Kinder und ihre ganze Umgebung, voll Ergebung und 
Dankbarkeit gegen ihren Gott, gläubig, tapfer, ohne Furcht vor der Krankheit, 
ohne Furt vor dem Tode. Als Friedrih die Botihaft von Maria Thereſias 
Ableben erhielt, jchrieb er an feinen Gejandten Riebejel nah Wien: „Die aus: 
gezeichneten Verdienſte diefer großen Fürftin find allgemein anerfannt. Ganz - 
Europa bemunderte die hervorragenden Eigenihaften ihres Geiftes und ihres 
Herzens. Es gab nur eine Stimme über den Rang, den fie unter den Souve— 
ränen einnahın. Man kann ohne Webertreibung wohl jagen, daß fie einhellig 
betrauert werden wird.” Er war entrüftet über die Undankbarkeit des über 
Steuerdrud klagenden Wiener Pöbels, deffen free Haltung bei dem Leichen: 
begängnis einen Mißton in die Trauer der Hauptitabt mijchte. 

An d'Alembert ſchrieb Friedrih, troß feiner dur das Alter gewonnenen 
Gelafjenheit angefichts des Sterbens und Geborenwerdens um ihn herum habe - 
er den Tob ber Kaiferin betrauert: „Sie hat dem Thron Ehre gemacht und 
ihrem Geſchlecht. ch habe Krieg gegen fie geführt und bin niemals ihr Feind 
gewejen.” Worte, die, in der franzöfiihen Akademie bei feierlihem Anlaß 
angeführt, ſtürmiſchen Beifall wedten. Das jchönfte Lob Hat doch der König 
feiner großen Gegnerin gejpendet, als er in eigener Gefahr fi auf das Beifpiel 
der Standhaftigkeit und des Heldenmutes berief,!) das einft die junge Königin 
von Ungarn im Kampf um das Erbe ihrer Väter ber ftaunenden Welt gegeben 
hatte. Ohne Vorbehalt ift jeine Bewunderung für diefe Frau freilih nicht 
geweſen. Als jein Gejandter in Wien ihm bald nad) dem Hubertusburger Frieden 
eine Charafteriftit Maria Therefias entwarf, wandte er ein, daß in dem Porträt 
zwei fennzeichnende Züge vergeflen feien: die Bigotterie, von ber die Religions: 
verfolgungen in den öfterreihifchen Erblanden ein Beweis feien, und bie Kunſt 





1) 8b. 1, 253; vgl. oben S. 530. 


604 Neuntes Bud. Vierter Abſchnitt. 


der Verftellung. In den Thränen der Kaijerin um die Teilung Polens, die 
heiß und echt waren, wollte er eine Komödie jehen. 

Das Urteil der Geſchichte über Maria Therefia, die größte Geftalt feit 
Karl V, in der Reihe der öfterreihifchen Herrjcher, das edelfte und reinjte Kind 


| . des Haufes Habsburg, entipricht dem Urteil des Königs von Preußen darin, 


daß diefe Fürftin auch der Nachwelt am bemwundernswerteften und liebenswürbdigften 
in der Glorie des heroiſchen Verteidigungsfampfes ihrer fieben eriten Regierungs: 
jahre ericheint. Noch auf der vollen Höhe ihres ungebrodenen Jugendmutes 
zeigte fie fich dann in der Entjchloffenheit, mit der fie, von Kaunig meifterhaft be= 
dient und rüdhaltslos mit ihm einverjtanden, den Weltkrieg zur Wiedereroberung 
des ihr entriffenen Schlefiens und zur Nieberwerfung der preußiſchen Macht 
vorbereitete, und in der zähen Ausdauer, mit der fie in den Wechjelfällen ihres 
zweiten Siebenjährigen Krieges das große Ziel feſt im Auge behielt, bis ber 


Friedensſchluß von 1763 ihr die jchwerfte Enttäufhung ihres Lebens brachte. 


Jetzt hatte fie die helle Freudigkeit, die naive Sicherheit ihrer jungen Tage verloren, 
das innere Gleihgewidht. Nah dem Tode des Gatten mollte es ihr „ichier 
unerträglich” jcheinen, noch in dem „Getümmel der Welt” zu bleiben: „bete für 
mich,” ſchreibt fie an eine Freundin, „daß Gott mich erleuchte und ftärfe, fo lang 
ih noch in diefer Welt herumfugeln fol.” Die Bahnen, die fie den Sohn jegt 
einſchlagen ſah und auf denen er die Mutter mit ſich fortriß, führten zu einer 
neuen, dem Rechtsſinn der alten Frau miderftreitenden Aera der öfterreidhiichen 
Bolitit. Die Mitwirkung bei der Zergliederung Polens, ein Bündnis mit den 
Ungläubigen und der Verrat diefer Bundesgenoſſen bei der Fortnahme der 
Bulowina, zulegt der Anſchlag auf Baiern und der Eintritt in einen neuen 
Krieg, alles das waren ebenjoviel Gewiflensfapitulationen, die der Sohn ihr 
abnötigte; in der Weichheit des Mutterherzens hat die große Herrſcherin der 
Schwäche ihres Geſchlechts den Zoll entrichtet. 

Sterbend hatte die Kaijerin den Stern ihres Haufes in verheifungsvollem 
Aufſtieg geihaut. Tu felix Austria nube! dem alten Wahlſpruch der Dynaftie 
folgend hatte die glüdhafte Politit des Fürften Kaunig ihr großes Werk, die 
Alianz mit dem Haufe Bourbon, dur vierfaches Ehebündnis gefeitet. Zwei 
Töchter Maria Therejias nahmen die Throne von Franfreih und von Neapel 
ein, dem Herzog von Parma war eine dritte vermählt, der Kaiferin zweiter 
Sohn, Leopold von Toskana, hatte eine Tochter des jpanifhen Bourbonenkönigs 
gefreit. Neben der Sekundogenitur Toskana hatte der dritte Sohn, Erzherzog 
Ferdinand, durch Heimführung der Erbtocdter von Modena: Eite eine Tertiogenitur 
feines Haufes in Italien begründet. I 

Vor allem aber hatte im Sommer vor dem Tode Maria Thereſias die 
öſterreichiſche Politik in Deutſchland ſelbſt einen großen Erfolg errungen. Auf 
die Nachfolge in Baiern hatte man verzichten müſſen, aber die Erbſchaft des 
Hauſes Wittelsbach in der Germania sacra trat das Haus Habsburg-Lothringen 
jetzt an. Seit der für die katholiſche Reaktion im Reiche jo entſcheidenden Wahl 
von 1583 war das Erzitift Köln bis 1761 ununterbrochen im Beſitz bairifcher 
Herzoge geweſen, und mit ihm bald eine größere, bald eine geringere Anzahl der 
benadbarten Bistümer. Bei dem Prinzenmangel im bairifhen Haufe, der endlich 


Der deutjche Fürftenbund von 1755. 605 


zum Erlöfchen des Mannesftammes führte, hatte Defterreich feine Beligergreifung 


am Niederrhein 1761 durch die Wahl eines feiner Anhänger, des Reichsgrafen | 
von Königsfeld, bereits vorbereitet; mit der Mahl des Erzherjogs Marimilian, — 


des jüngften Sohnes der Kaijerin, zum Koadjutor von Köln und von Münfter, 
im Sommer 1780, war die faijerlihde Politif an ihrem Ziele. Ihr Sieg war 
um jo glänzender, je heftiger ihn eine von Berlin aus unterftüßte und 


geleitete Gegenpartei ihr ftreitig gemacht hatte; die Niederlage der preußifchen _ 


Diplomatie wurde allgemein bemerkt. Sein Erzhaus mit niederdeutjchen Stiftern 
auszuftatten, war einft in den Tagen bes Reititutionsebifts der jehnliche Wunſch 
Kaifer Ferdinands II. gewejen; was fein Ahnherr vergeblich angeftrebt hatte, 
Joſeph II. hatte es jetzt erreicht. 

Und noch ein anderes großes Ereignis fiel in das lette Lebensjahr der alten 


Kaiferin. Der Beſuch Joſephs II. am Hofe der Zarin im Juni und Juli 1780 . 
ftellte fich in der Folge immer mehr als der enticheidende Wendepunkt in dem . 


Nerhältnis Nußlands zu den beiden deutſchen Mächten heraus. Als Joſeph 


jeine Reife antrat, äußerte er den Wunſch, „die Galle des teuren Friedrich“ 
dadurch jo aufzuregen, daß er plagen möge, und feinem Gefandten bei ber 
Zarin jchrieb er vorweg, er verbäte fih von ihr Gaftgefchenfe: „Die einzigen 
Juwelen, die mir Vergnügen machen könnten, wären Schweidnik, Glatz, Neiße 
und Kojel; aber Sie verftehen jehr wohl, daß die Juweliere Zeit brauchen 
werden, um fie zu faflen.” 


Die Betradhtungen über den Thronwechſel, die der König von Preußen - 


beim Tode Maria Thereſias anitellte, führten ihn zu dem Ergebnis: „Des 


Kaiſers Vergrößerungspläne werden nicht einen jo beichleunigten Gang ein: 
ſchlagen. Solche Pläne werden für gewöhnlich leichter gefaßt, als ausgeführt, ' 


und ganz mit ihnen bejchäftigt bemerft man nicht immer die zahllofen Unzu— 
träglichfeiten, mit denen fie oft verflodhten find.” Zwei Jahre mindeftens, jo 
nahm er an, werde der Kaiſer brauden, um das Chaos der Finanzen zu ent: 
wirren; auch müſſe er für eine große Unternehmung ſich erft neue Bündniſſe 
und geeignete Vorwände ſchaffen; inzwifchen werde er im deutſchen Reich mit 
feinen Ränken fortfahren und die fetteften Bistümer an fein Haus zu bringen 
traten. 

Als der ſchleſiſche Provinzialminifter Hoym in einem feiner Berichte auf 
gewiſſe friedfertige Anzeichen hinwies, antwortete ihm der König, wenn Joſeph 


fich ftelle, al& ob er das Militär vernachläſſige, To geichehe das nur, um ber 


Welt jeine Friebensliebe mweiszumadhen: „Aber es müflen dumme Leute jein, 


die fih davon einnehmen laffen. Er ift ein Komödiante, fo wie feine Mutter eine. 
Komddiantin war, und bildet fi ein, die Leute mit feinen Schelmereien zu! 
betrügen . . . Diejes, was ich bier jchreibe, müſſet Ihr hübſch in Euer Archiv 


legen, damit man hiernächſt ſehen kann, ob ich nicht recht geſaget habe.“ 

Daß Joſeph ihn aus dem Bündnis mit Rußland hinausdrängen könne, 
fürchtete Friedrich damals ernſtlich noch nicht. Der Buchſtabe der wiederholt 
verlängerten Vertragsurkunde feſſelte die Ruſſen noch bis 1788.) In dem 


) Bol. oben S. 519, 


606 Neuntes Buch, Bierter Abſchnitt. 


Konflitt zwiihen Rußland und Spanien anläßlich einer Verlegung der ruffiichen 
Handelöflagge wirfte er ausgleichend und ebnete jo dem Syftem der bewaffneten 


+. Seeneutralität die Wege, in welhem Katharina demnächſt die Staaten vereinigte, 


die an dem Seekriege Englands gegen Franfreih, Spanien und Holland, die 
Verbündeten der jungen norbamerifanijhen Republif, unbeteiligt waren; aud 
Preußen Schloß fih nach einigen Bedenken im Mai 1781 diefem Bunde an, 
der die von König Friedrich jelber vordem verfocdhtenen Grundfäte für bie 
Sicherheit des neutralen Handels als internationales Gejeß aufftellte. Geflifjent- 
lich betonte man bei diefem Anlaß auf beiden Seiten die Feftigfeit des alten 
Bündniſſes. 

Verhängnisvoll aber wurde dieſem Bündnis, daß Friedrich, ohne ein Arg 
dabei zu haben, die Zirkel der ruſſiſchen Orientpolitik ſtörte. 

Um ſeine Defenſivſtellung gegen Oeſterreich zu ſtärken, plante er die 
Aufnahme der hohen Pforte in das preußiſch-ruſſiſche Bündnis, und zwar auf 
eine Anregung bin, die ihm im Herbit 1779 durch einen türkiſchen Staatsmann 
gegeben wurde. Wir erinnern uns, daß in den Tagen, da das Bündnis mit 
Preußen gefnüpft wurde, der Gedanfe an eine Verftändigung zwiſchen Berlin 
und Konftantinopel den Petersburger Hof Schwer beunruhigt hatte.!) Diesmal 
wies Graf Nikita Panin den Vorſchlag zu der Tripelallianz, den ihm ber 
preußijche Geſandte, jest Graf Görg,?) entwidelte, nicht ab; um fo entichiedener 
aber gab Katharina ihr Mißfallen zu erfennen, ſodaß Panin dringend riet, 
nicht noch einmal auf den Plan zurüdzufommen. Gleihmwohl ließ König Friedrich, 
mit einem gewiſſen Eigenfinn, man möchte jagen mit Verblendung, an einer lieb- 
gewonnenen dee jeithaltend, die Frage ftelen, ob Rußland auch gegen ein 
einfeitiges Verteidigungsbündnis zwiſchen Preußen und der Pforte etmas ein: 
zuwenden haben würde. Wieder wies Panin auf die entſchiedene Abeigung feiner 
Gebieterin hin. Um dem preußiihen Könige für feine Türken eine Art Erfag 
zu bieten, machte man ihm zwei verjchiedene Gegenvorjchläge: zu einem Bund 
zwifhen Preußen und den deutſchen Reichsſtänden unter ruffifhem Einfluß, aber 
auch zu einem Dreibunde, in welchem neben Rußland und Preußen nit bie 
Pforte, ſondern Defterreih der dritte Teilnehmer fein jollte; ja, durch ihren 
- Günftling Potemkin ließ Katharina den preußiichen Geſandten ausforichen, ob 
jein König zu einem neuen Beutezug gegen Polen, der Aufteilung des ge: 
jamten polnifhen Gebietes unter die drei großen Nahbarmädte, die Hand 
bieten würde. Friedrich antwortete ohne Zaubern: es gelte, den Beſitz zu 
erhalten, nicht nach neuer Vergrößerung zu ftreben, vor allem aber ven Wiener 
Hof in Schranken zu halten. 

So hatten die Verhandlungen des Herbftes 1779 nur dazu geführt, die 
Divergenz des ruſſiſchen und des preußiſchen Syftems zu offenbaren. Erpanfive 
Tendenzen waren im legten Grunde beiden Staaten gemeinfam. Aber der alte 
König von Preußen Hatte 1772 mit feiner legten Erwerbung noch jelber einen 
größeren Teil des jeiner Monarhie vorgezeichneten Erweiterungsprogramms 


1) Oben &. 433. 
?) Oben ©. 524. 


Der deutſche Fürftenbund von 1785. 607 


verwirklicht, als er je geglaubt hatte, und hielt jegt um jo mehr an fich, je 
weniger er fi über den andauernd unſicheren, noch unmittelbar gefährbeten 


Zuftand feiner fchlefiihen Eroberung täuſchte. Dagegen ſah Katharina, durch 


feinen irgendwie ebenbürtigen Gegner im Nüden bedroht, von zwei Nebenbuhlern 
ummorben, das Segel ihrer offenfiven Politik von günftigftem Winde gefchmwellt. 
Sie hatte ihre orientalifhen Entwürfe von 1770 nur zurüdgeftellt für den ges 
legeneren Augenblid; fie betrachtete jowohl Polen wie die Türfei bereits als 
fihere Beute, und mußte nun jehen, wie ihr preußiicher Bundesgenofje bie 
Polen ſchonen, mit den Türfen fi) jogar verbünden wollte. Sollte fie wieber, 
wie 1770, auf dem Wege nah Konftantinopel ihrem Siegeswagen den Hemmi— 
ſchuh anlegen laſſen? Wer nicht für fie war, der war wider fie. Wer ihr 
Freund jein wollte, mußte fih ihr ganz und gar verjchreiben. Der Kampfpreis 
war rei genug, um für den Helfer einen Teilgewinn abfallen zu laffen. 


Und jo begegneten fih Katharina und Joſeph. Auch der Kaijer trachtete 


nad Gewinn und Vergrößerung, auch er wollte nit erhalten, jondern ummälzen. 
Die Vorausfegungen zu einer natürlichen Bundesgenoffenihaft waren vorhanden. 
Bei der Begegnung vom Sommer 1780 war nod) nichts verabredet worden. 


« 


Im folgenden Mai wurde ein Verteidigungsbündnis auf acht Jahre geſchloſſen. 
Und wieder nad) einem Jahre vertraute Katharina dem Kaifer ihre großen Ent: + '' 


würfe rüdhaltsloes an — in einem langen eigenhändigen Schreiben vom 


10. September a. St. 1782. 
Zwei neue Reiche jollen entitehen: das alte griechiſche Kaifertum mit der 
Hauptftadt Konftantinopel, als ruffiihe Sefundogenitur unter dem Großfürften 


4 


— 


Konftantin, dem zweiten 1779 geborenen Sohne des ruſſiſchen Thronfolgers © 
Paul, und ein Königreich Dacien unter einem Herricher griehifihen Glaubens, , 


zufammenzufegen aus Bellarabien, der Walachei öftlih der Aluta, und der 


Moldau, ein Pufferftaat, der für ewig grenznahbarlide Reibungen zwiſchen 


Rußland und dem neuen byzantinifhen Reih und zwischen Rußland und Defter: 
reich verhindern jol. Katharina gab ihrem Bundesgenofien anheim, wie viel 
von dem türfifhen Gebiet er für ſich jelbft nehmen wollte. 

Joſeph stellte aljo feine Gegenforderung auf: die Stabt Chozim zur 


Dedung der Bukowina; die Walachei weitlih der Aluta; die Donaugrenze von ı 


Nikopolis aufwärts bis Belgrad, mit einem Grenzftrih von drei Meilen am ' 


Südufer einjchlieglih der Pläge Widdin und Orfowa; alles türfiiche Gebiet 


biesfeits einer geraden Linie von Belgrad bis zum Golf von Drin, d.h. Teile ) .... ‘% 


Serbiens, Bosnien, die Herzegowina, Montenegro und ein Stüd von Albanien; 
weiter aber noch auf Koften der mit Morea, Kreta, Kandia zu entjchädigenden 
Republif Venedig deren Terra firma, zur Abrundung des Herzogtums Mai: 
land, Iſtrien und Dalmatien. Joſeph forderte endlich Sicherftellung gegen 
ranfreih und gegen Preußen. Er bezeichnete die Zuftimmung Frankreichs zu 
dem großen Plan geradezu als Vorausjegung des Gelingens, ganz wie Kaunig 


1749 und 1755 den großen Plan gegen Preußen von der Herftellung des .. 


Einverftändniffes mit Franfreih abhängig gemadt hatte’); er jchlug deshalb 


) 3b. 1, 474. 484 (2. Aufl. 475. 485.) 


608 Neuntes Bud. Bierter Abfchnitt. 


‚vor, Franfreih mit Yegypten zu loden. Er erklärte gegen Preußen in bem 
Alter des Königs, auf das Katharina hingewiejen hatte, eine genügende Sicherung 
nicht jehen zu können, und empfahl vielmehr ein Bündnis mit Sachſen und die 
Aufftelung eines ruffiihen Heeres von 40—50 000 Mann an der Grenze von 
Livland oder noch befler in Polen längs der Weichſel und Warthe. 

Auf jo viel war Katharina offenbar nicht gefaßt gewejen. Gerade das, 
was Joſeph als jeine einzige wirkliche Konvenienz betrachtete, die venetianifche 
Erwerbung, mies fie mit dem Einwand ab, dab man die Republif Venedig 
ihonen und überdies Morea und den Ardipel dem neuen griehiichen Reich 
vorbehalten müſſe. Die Aufftellung ruſſiſcher Truppen in der Nähe feiner Grenze 
würde den König von Preußen nur reizen. Sachſen bringe einem Bundes— 
genoflen, wie die Erfahrung von 1756 lehre, eher Schaden als Nugen, und 
die polnische Königsfrone, der von Joſeph empfohlene Köder für Sachſen, dürfe 
nur ein Piaft tragen. Frankreich) endlich wollte die Zarin erit im Verlauf ihres 
Krieges begrüßt und feine Neutralität nur, ſoweit es unerläßlih jein würde, 
belohnt willen. 

Joſeph fuhr auf. Die Kaiferin wolle ihn düpieren, äußerte er zu Kaunitz. 
' Der alte Staatsfanzler erwarb fich das Verdienſt, die verlegende Antwort zu: 
rückzuhalten, die Joſeph abjenden wollte und mun doch milderte. So mwurde 
ein Zerwürfnis verhindert. Aber ihren Höhepunkt hatte die öſterreichiſch-ruſſiſche 
Freundihaft in diefem Augenblid, Ende Februar 1783, bereits überfchritten. 

Denn auch Katharina war nun verftimmt. Sie jei der Meinung geweien, 
ichrieb fie jpig an Joſeph, daß bei Cäfar zwifchen Annahme und Ausführung 


‚. eines großen nüßliden und Cäjars würdigen Projefts fein Intervall liegen 


würde; ein Augenblid babe alle ihre Erwartungen zerftört. Da nun aud ber 
inzwiſchen abgejchlofjene Friede zwifchen Franfreih und England diefen Mädten 
größere Bewegungsfreiheit gab, jo erflärte die Zarin dem Cäſar in einem 
weiteren Schreiben, am 7. April a. St., daß man nad) der Umgeitaltung ber 
Lage die großen Entwürfe des Vorjahres einzufchränfen haben werde. Sie 
faßte jegt nur die Erwerbung der Krim und des Kuban ins Auge. Sie machte 
fih anheifhhig, diesmal ihren Strauß mit der Pforte auch allein durchzufechten, 
bot aber dem Kaifer, falls er bei diefem Anlaß feine Regierung durch „Siege 
und nützliche Eroberungen“ verberrlichen wolle, die einft feiner Erbfrone ge 
raubten Edelſteine an, d. h. die im Frieden von Paflarowis abgetretenen 
Provinzen. Joſeph antwortete fühl mit dem Hinweis auf die gefährdete Lage 
feiner Staaten, beteuerte aber, daß er der Kaiferin von ganzem Herzen die 
Krim mit der Halbinfel Taman und ganz Kuban gönne. Weber jeinen eigenen 
Anſpruch ſchwieg er. Seinem Bruder aber, dem Großherzog Leopold von 
Tosfana, geftand er, daß jeine Abſichten „nad einer anderen Seite” gerichtet 
feien und jein Streich geführt fein jolle, ehe man nur davon gejproden habe. 

Die ruffiihe Befigergreifung in der Krim in diefem Sommer von 1783 
und die gleichzeitigen Rüftungen Defterreihs wurden von der europäilchen 
Diplomatie als der Anfang vom Ende der Türfei gebeutet. 

Auch der König von Preußen glaubte die beiden Kaiſerhöfe zum Neußeriten 
entſchloſſen. 


Der deutihe Fürftenbund von 1785. 609 


Er hatte jeit jenem Beſuch des Kaijers bei der Zarin die Abwandlungen ‘ 
der ruffifhen Politif mit Mißtrauen und wachſender Sorge beobachtet. Katha: ' 


rinas Charakter hatte ihm perfönliche Bürgichaften für fein Bündnis mit Auf: 
land nie geboten. Er unterihägte ihre Begabung und ihre Energie; er jah in 


Katharina immer nur das eitle und launenhafte Weib, eine zweite Elifabeth, 
ba er doch ſchon dieſe Elijabeth ohne Frage unterfhäßt hatte. Bon Hochmut 
geihmwollen, in der Politik fih nur auf Gewaltthätigfeiten verftehend, behandele 
Katharina alle Gejhäfte als Bagatellen, indem fie ihrer gewohnten Trägheit 
faum einige Augenblide für die Arbeit entreiße: jo hat er fie zu einer Zeit 
harakterifiert, da die preußifcheruffiiche Allianz fih noch in auffteigender Linie 
bewegte. Im wie viel ſchärfer und bitterer urteilte er jegt, al das Bündnis 
zu Sceiter gegangen war, über die „Pantocratice* und ihren unermeßlidhen 
Hochmut: jie würde, wenn fie mit Gott dem Bater in Briefwechjel träte, zum 
mindeften Gleichheit des Ranges in Anfpruh nehmen! Und wer dürfe einer 
Frau vertrauen, die ihren Mann habe umbringen lafjen? WMufterte er dann 
Katharinas Umgebung, von der er mit Unrecht die Herricherin abhängig glaubte, 


fo war das Ergebnis ganz niederdrüdend. Panin, fo lange der eigentliche 7 >... 


Träger des jegt verworfenen preußiihen Syſtems, war im Frühjahr 1783 ge: 


ſtorben. Bis zulegt hatte er den Gegnern Preußens als der Mann gegolten, h 


ber alle jeine Ideen von Seiner Preußiiden Majeltät empfange und fie 
urteils[los ſich aneigne, in deſſen politiihem Glaubensbefenntnis Unterwürfigfeit 


gegen Preußen einen ftehenden Artikel bilde. Panins Nachfolger als Minifter - 


des Auswärtigen, Graf Iwan Oftermann, der Sohn jenes Beraters der Kaijerin 
Anna, galt als erflärter Anhänger Defterreihs. Den Günftling Potemkin und 
den jüngeren Woronzow betrachtete Friedrih als durch Joſeph erfauft, und 
Potemkin überdies als den Urheber der ausfchweifenden Entwürfe der neueften 
ruſſiſchen Drientpolitit. So zählte er nur noch auf den Großfürften-Thronfolger. 
Mehr diefem, als der Zarin hat der Beſuch gegolten, den der Prinz von Preußen 
im Herbft 1780 dem ruſſiſchen Hof abftattete, um der Reife Kaijer Joſephs 
ein Paroli zu bieten. Katharina hat fih über den preußiichen Thronfolger, 


zumal im Dergleich zu feinen beiden Oheimen, dem König und dem Prien . 


Heinrih, damals jehr abfällig und ſpöttiſch geäußert: der hochehrerbietige 
Lehrjunge müſſe noch ftart wandern, bis ein Gejelle aus ihm heraus: 
fommen werde. Aber die perfönlihen Beziehungen zu dem Großfürften Paul, 
1776 in Berlin angefnüpft, find durch jenen Petersburger Aufenthalt Friedrich 
Wilhelms ohne Frage befeftigt worden, und das wurde für die Zukunft als 
Gewinn gebucht. 

Den Kern der großen Entwürfe Katharinas ſchälte fidh Friedrih aus dem ), 
Nebel unficherer Nachrichten richtig heraus. Er mutmaßte zutreffend, daß Ver: 


iprehungen ganz perſönlicher Art ausgetaufcht ſeien und daß ſich Joſeph für 


das Projekt des ruffiich:griehiichen Kaifertums habe gewinnen laſſen. 

Das europäiiche Intereſſe, das der byzantiniſche Zukunftskaiſer, das 
Knäblein Konftantin, auf ſich lenkte, erftredte fih bis auf die jehs aus dem 
Lande der Griechen im voraus für ihn verſchriebenen Nationalammen, die freilich 


ſämtlich im entjcheidenden Augenblid für ihren großen welthiſtoriſchen Zweck 
Rofer, König Friebrih der Große. II. 2. Aufl, 39 


610 Neuntes Buch. Vierter Abichnitt. 


‚ verfagten. Wenn aber der preußiſche Gejandte Görk die Hoffnung ausgeſprochen 
- hatte, das griechifche Projekt werde fich verflüchtigen wie die Milch der griechifchen 


Ammen, jo jolte dem nicht jo fein. Der große Plan jpufte weiter, und als 


--demnäcdft der Zarin neue Großmutterfreuben warteten, meinte ber König von 


Preußen, das fommende Kind, ber dritte Enkel, werde zum Großmogul vorher: 


beſtimmt fein. 


Die Fiktion, daß jein Bündnis mit Rußland fortbeftehe, hielt der König 


J gefliſſentlich aufrecht. Bon Selbſttäuſchung aber war er frei. „Ich werde ad 


* 2 
£ j 


patres gehen,” tagt er am 18. Oftober 1782, „und unjer Land ohne Ber: 
bindungen, ohne Freunde zurüdlaffen, in einer Lage, in der es die Streiche, die 
der Kaiſer ihm beizubringen tradhtet, nicht parieren kann.” indem er fich jegt 
oft in folhen Klagen erging, meinte er doch, vorerft die weitere Entwidelung 
der Ereignifje abwarten zu follen: das Jahr 1783, fo nahm er an, würbe den 
Drientfrieg bringen, der bie beiden Kaijerhöfe entweder um jo fefter vereinen 
ober heillos entzweien mwürbe. 

Indes grübelte er fort und fort über den Möglichkeiten einer neuen Allianz. 
In den Herbittagen von 1782 dadte er viel an England, das wie Preußen 
ifolierte. Noch vor furzem waren die Beziehungen zwiſchen beiden Staaten ſehr 
geipannt gewejen, denn nad dem Teichener Frieden hatte ſich Friedrich über 
die während bes bairiſchen Erbfolgefriegs geübten Rüdfichten!) wieber hinweg: 
gejegt, ſodaß ein englifher Minifter meinte, der König von Preußen zeige 


ſich an allen Eden und Enden Europas als Englands böswilliger Feind. Aber 


# 


nad dem Miniftermechfel vom 20. März 1782 hatte der Wind umgejegt. In 
dem gefallenen Lord North hatte Friedrich den Fortfeger und, ganz mit Unrecht, ?) 
das Werkzeug des böjen Bute geſehen; das neue Whigminifterium, deſſen Haupt 
Lord Rodingyam und deffen Seele Charles For war, betrachtete er als 
„bonett”. Eine Verbindung mit England ſchien ihm jeßt für Preußen wieder 
„in den Bereih der Möglichkeit” getreten zu fein. For fam ihm weit ent- 
gegen; ein großes programmartiges Schreiben des neuen Staatsjefretärs über 
das Intereſſe beider Staaten an einer politifchen Verftändigung blieb nicht ohne 
Eindrud auf Friedrich. Was aber mehr als alles andere ihn beftimmte, dem 
Gedanken an ein Bündnis mit England Raum zu geben, war die Hoffnung, 
mit Englands Hülfe feine Beziehungen zu Rußland miederberzuftellen: unter 
dieſem Geſichtspunkte juchte er den Prinzen Heinrich, der auch jegt wie jeit je 


. vielmehr von Frankreich das Heil erwartete, mit dieſer britiihen Kombination 


zu befreunden. In befieren Tagen, Rußlands noch ganz ficher, hatte er Eng: 
land als Dritten im Bunde abgelehnt;?) jegt alfo wäre er froh geweien, feiner: 
jeits als Dritter der Tripelallianz fih anſchließen zu können, die einſt Panin fo 
eifrig empfohlen hatte. 

Darin ftimmte der König mit dem Prinzen Heinrich überein, daß er das 
frangöfiiche Bündnis dem englifchen an fich vorgezogen haben würde. Nur daß 





) Dben S. 522. 
*; Oben ©. 521. 
’; Oben S. 440. 


Der deutſche Fürftenbund von 1785. 611 


jenes nicht erreichbar ſchien, ſolange ber öſterreichiſche Einfluß ſich in Verſailles 


behauptete. Immerhin konnte jetzt die Mitwirkung Oeſterreichs bei einer Auf— 


teilung der Türkei den Bruch zwiſchen den Verbündeten von 1756 herbeiführen. 


Und dann wäre die Reihe wieder an Preußen geweſen. In einer eigenhändigen 


Denkſchrift des Königs vom 19. Dezember 1782 iſt dieſe Perſpektiye an die — 
Stelle des in den vorangegangenen Monaten viel erörterten engliſchen Planes 


getreten. Für den Fall aber, daß ein gemeinjames Vorgehen mit Franfreih ,. 


bin: wenn jehon die Türfei nicht zu retten ift, wird es den Verſuch gelten, 


\ durch Eriegeriiche Demonftrationen im Rüden der Ruſſen und Defterreicher für 
Preußen eine Kompenfation nad) der polniſchen Seite zu erzwingen, um das‘ 


nicht erzielt würde, wies diefelbe Denkſchrift noch auf eine andere Möglichkeit ER 


Gleichgewicht der Macht zwiſchen den drei Staaten nicht allzuſehr verrücken — 


zu laſſen. 

Der weitere Verlauf der diplomatiſchen Vorgänge iſt dann der geweſen, 
daß ſeit dem Februar 1783 die franzöſiſche Politik, in dem Maße, als die Nach— 
richten aus dem Orient friegerifher Hangen, näher an Preußen heranrüdte, 


während die englifche Politif durch For jegt mehr und mehr in das Fahrwaſſer 
der beiden Kaijerhöfe hinübergelenft wurde. Erit der Herbſt brachte einen 


Rückſchlag. Entjehloffen, der Zertrümmerung der Türkei entgegenzutreten und zu 


dem Behufe Preußen in ein Bündnis zu ziehen, beruhigte fih Graf Vergennes | 


doch, als er gewahrte, daß Rußland fi mit der Erwerbung der Krim begnügen - -- 


wollte. Franfreih wies nun die Anregung zu einem Bündniſſe zurüd, bie 
König Friedrih im DOftober 1783 voreilig, wenn aud nur unter der Hand, 
gegeben hatte. Am 26. November ſah diejer durch eine Erklärung des franzö— 
ſiſchen Gejandten Efterno feine Einbildungen zerftört. 

Auf diefe Art ließ Frankreich die Krim in ruſſiſchen Befig übergehen, um 
fich fiebzig Jahre jpäter vergebens zu bemühen, das Bollwerk des Schwarzen 
Meeres von Rußland wieder loszureißen. Am 8. Januar 1784 wurde in dem 


Gartenpalaft zum fpiegelnden Ahorn (Ainali kawak) bei Konſtantinopel der “ 


Vertrag abgeichloffen, durch den die Pforte Krim und Kuban an Rußland 
preisgab. Die Gejandten Oeſterreichs, Frankreichs, Englands hatten ihr zur 
Nachgiebigkeit geraten, nur der preußiiche Vertreter hatte auf Befehl jeines 
Gebieters den Schritten der anderen fi nicht angefchloffen. 

König Friedrich erhielt die Nachricht von diefer Löjung Anfang Februar. 
Er jah den Vertrag als ein für Preußen ungünftiges Creignis an. Er hätte 
den Krieg zwiſchen Rufen und Türken gewünfcht, weil ſich ihm damit die 


Ausficht auf das Bündnis mit Franfreih, auf die Endſchaft der öfterreihii—h: 


franzöfifhen Freundichaft eröffnet hätte. So aber erhielt er nur einen neuen 
Beweis für die Abhängigkeit der Franzofen von Defterreih und fagte ſich zu: 


gleih, daß Kaiſer Joſeph die Zarin noch lange feithalten werde, da ihr. .... 
griehifher Plan noch unausgeführt bleibe. England endlich fchien bei feiner >--.: . 


finanziellen Erfhöpfung nad einem verluftreihen Kriege und in den inneren 
Wirren nad Auflöfung der alten MWhigpartei auf lange zur Unthätigfeit ver: 
urteilt zu fein. Wir werden nicht eine einzige Madt finden, flagte er am 
5. Februar jeinem Findenftein, „die uns aud nur den Schatten eines Bünd— 


a 


612 Neuntes Bud. Bierter Abfchnitt. 


niffes bietet, geſchweige denn ein wirkliches Bündnis“. Schweden und Dänemarf, 
als „Wefen ohne Energie”, ließ er dabei völlig außer Betradt. 


In diefer peinlihen Vereinfamung lenkt der König feinen Blick wieder 
auf die deutſchen Reihsfürften, nachdem er ſchon vor Neujahr dem Herjog von 
Braunſchweig erklärt hatte, es fei an der Zeit, eine Liga nad dem Beiipiel 
der fchmalfaldijchen! zu errihten. Man müfle, jchreibt er am 21. Februar an 
Findenftein, die deutſchen Fürften zu einer Konföberation vereinigen, „einzig 
und allein zu dem Zwed, das Reichsſyſtem, jo wie ed gegenwärtig ift, aufrecht 


‘zu erhalten; und ich geitehe, daß, wenn die Dinge zum Kriege fommen jollten, 


‚man fi dazu vorbereiten müßte, dieje Yeute in das Spiel einzujegen und ihnen 


Subfidien zu zahlen, was nicht unmöglich fein würde”. Ein Bund der Reiche: 


ftände, den er früher ald Anhängjel zu einem Bunde mit Rußland oder aud) 
mit Frankreich oder England gedacht hatte, jollte jegt für fih allein die Stütze 
der preußiichen Politit werden, ihre legte Zuflucht: ein anderes Ausfunftsmittel 
erklärte der König nicht mehr zu fehen. Er dachte in erfter Linie an Hannover, 
Braunfhweig und Heflen, feine Bundesgenofjen aus dem Siebenjährigen Kriege, 
weiter aber an die geiltlihen Fürften: Bamberg-Würzburg, Paderborn, Fulda, 
Hildesheim. j 

Am 6. März erging an die Minifter der Befehl zur Einleitung der er: 


‚ forderlihen Schritte. Nicht von heute auf morgen, meinte der König, würden 


fo viele Köpfe fih unter einen Hut bringen lafjen; nit um ein Werf von 
vierzehn Tagen handle es fich, jondern um ein Werk von anderthalb oder zwei 
Jahren. Nur noch vor feinem Tode wünſchte er den Bund verwirklicht zu ſehen. 

Einer augenblidlihen Gefahr alfo glaubte er ſich nicht ausgelegt. Ganz 


‚ richtig fühlte er heraus, daß nicht wie 1756 ein unmittelbarer Angriff gegen 


ihn verabredet und vorbereitet war. Denn das bezeichnete doch die Yage, daß 
Defterreih durch fein nah Südoſten gerichtetes Bündnis mit Rußland von An: 
griffsplänen gegen Preußen vorerit abgelenkt wurde, und daß Rußland in diefem 
Bündniffe nur die Zertrümmerung der Türkei, nicht aber wie zu Elifabeths und 
Beitufhews Zeiten die Niederwerfung Preußens anitrebte. 

Auch jegte Friedrich beftimmt voraus, daß er, wenn es ſchon zum Bruche 
mit den beiden Kaiferhöfen fam, doch unter feinen Umftänden wie im Sieben: 
jährigen Kriege auch die Franzoſen unter feinen Gegnern jehen werde. War 
ihr Bündnis nicht für ihn zu haben geweien, jo blieben doch die Beziehungen 
zwiſchen ihnen freundlih, und als Prinz Heinrih im Sommer 1784 eine Reife 
nah dem franzöfiihen Süden antrat, gab jein föniglicher Bruder gern feine 
Zuftimmung, daß der Prinz einer ihn in Genf erreihenden Einladung zum 
Beſuche von Paris folgte. Am 17. Auguft traf der Graf von Dele, als welcher 
Heinrich reilte, dort ein, am 22. begrüßte er König und Königin in Verfaillee. 

Derweil wollten die Verhandlungen nicht recht vom Flecke gehen. Nicht 
als ob es an den fleinen Höfen an Empfänglichkeit für den Affociationsgedanten 
gefehlt hätte. Zumal aud die geiftlihen Höfe waren voll Sorge über die un: 
rubige, ausgreifende Politif des Kaifers. Wie, wenn Joſeph eines Tages das 


Der deutſche Fürftenbund von 1785. 613 


in jeinen Erblanden durchgeführte Syftem der Säfularifationen!) auf die Reiche: ° 


jtifter ausdehnte? Seine Streitigkeiten mit den benachbarten Kirchenfürſten von 


Salzburg und von Paſſau gaben ihnen allen zu denfen. Das Haus Oeſterreich 


verlor auf dem Neichstage mit diefen Bifchöfen feine getreuefte Fraktion.?) Durch 


ben freifinnigen Biihof von Würzburg und Bamberg, Franz Ludwig von Erthal, = 


wurden Beziehungen zu ben proteftantiihen Höfen von Weimar, Gotha, Defjau, 
Karlsruhe angelnüpft. Ganz in der Ausdrucksweiſe der reichsfürftlihen Gegner 
von Joſephs großem Ahnen, Kaifer Karl V., jprad man an diejen Höfen vom 
Joche, das den Schultern der deutichen Fürften drohe, von den Feſſeln, an 
denen eifrig geichmiedet werde. In feinem Eifer für bie deutſche Libertät, 
b. h. für die alte Selbftherrlichfeit der Reichsſtände, berief fih Herzog Ernit 


PR 
“ 


von Gotha fogar auf die amerifanifhen Unabhängigkeitstämpfer: ihr Beifpiel /, 


habe gezeigt, daß Rechte der Menjchheit feine Verjährung litten. Schon dadten 


diefe Kleinfürften zum Schuge gegen den Kaiſer an bie Aufftellung eines Reichs: 
heeres, defjen Oberbefehl einer aus ihrer Mitte, der neue "Herzog Karl Wilhelm 
Ferdinand von Braunfchweig zu übernehmen haben würde. Nicht bloß den 
Raifer, aud Preußen fürdtete man; die preußifhe Anmafung, von ber man 
ſprach, ſchien der deutichen Freiheit ebenjo gefährlich werden zu fünnen, wie 


der jojephinifhe Imperialismus. Darum meinte der evangeliiche Fürſtbiſchof 


von Dsnabrüd, der zweite Sohn des engliihen Königs, der Fortbeftand ber 
Reihögewalt hänge ganz von dem Gleichgewicht zwifchen Defterreih und Preußen 
ab. Augenblidlih drohte von Wien die unmittelbarere Gefahr. Es fam auf 


den Verſuch an, Preußen dadurch zu binden, auf eine fonfervative Tendenz fell: 
zulegen, daß man dieſe Macht an einem Bunde zur Aufrechterhaltung der — 
deutſchen Xibertät beteiligte, dem König von Preußen die Rolle des Beihügers 


der Neichsverfaffung zufchob. In diefem Sinne bemühten fid der Enfel des 
alten Deſſauers, Fürft Leopold Friebrih Franz, und mit ihm der Herzog von 
Braunſchweig, den preußifhen Thronfolger und den Minifter Hergberg für den 
Gedanken einer Reichsafjociation zu gewinnen. 

Hier aljo hatte die preußifche Politif einzufegen, und bei entſchiedenem 


des Königs von Preußen hemmten. 

So oft Reihsangelegenbeiten in Frage famen, die feinem vielfach wieder: 
holten Geftändnis nah ganz „außerhalb feiner Sphäre” lagen, ließ ihnen ihr 
Gebieter für die Verhandlungen wohl oder übel ftets jehr weiten Spielraum. 
Der ältere von ihnen, Graf Findenitein, war vor 35 Jahren zu einer Zeit 


Minifter geworden, als die Berater des jugendlihen Königs es als ihre Auf · 


gabe und Pflicht betrachteten, vielmehr zu hemmen und zu warnen, als zu 
drängen und Pläne zu ſchmieden.“) Friedrich fchenkte diefem Staatsmanne, 
dem ‘Freunde, dem Gefpielen feiner Knabenjahre, uneingefchränftes Vertrauen; 
zu Beiten hat er fait Tag für Tag feine Briefe an ihn gerichtet, um ſich über 


') Oben ©. 553. 
2) Bol. Bo. I, 344. 
5) Vgl. Bd. I, 548. 


heran 
Zugreifen ließ fich vielleicht jchnel etwas erreihen. Aber die eigenen Minifter 


614 Neuntes Buch. Vierter Abjchnitt. 


die politifhe Lage und ihre Bedürfniſſe mit diefem erfahrenen und einfichtigen, 
taftovollen und anſpruchsloſen Vertrauten zu beiprehen. Sehr anders geartet 
war der zweite Minifter. Ewald Friedrich v. Hergberg, 11 Jahre jünger als 
Findenftein und 13 jünger als Friedrich, juchte vor dem älteren Kollegen, der 
feiner unruhigen Beweglichkeit und feinem fpigfindigen Doftrinarismus mit 
mißtrauifshem Unbehagen gegenüberftand, nicht felten fi vorzubrängen, bem 
König fih aufzudrängen. Selbitgewiß, gerade heraus, breift — Junker Plump 
von Pommerland hat ihn ein fremder Diplomat genannt — hielt er mit feiner 
Meinung, auch wenn er nicht gefragt war, nicht zurüd. Hertzberg, jchreibt 
Prinz Karl von Heſſen nad feinen Beobadtungen im Breslauer Winterquartier 
von 1778/79, „tritt fi immer mit dem König herum,!) welcher ihn oft tüchtig 
abführte und zwar in einer ſehr derben Weife; er war eigentlih, was man 
einen Aktenmenſchen nennt, er hatte ftudiert, war aber fein Politiker“. Andere 
wollten ihm, dem Verfaſſer faft aller publiziftiichen Deduktionen feines Hofes, 
‚ nur das Verbienft eines guten Archivars zugeftehen — als folder hatte er im 
Staatsdienft angefangen, wie er ſich denn auf feine Hiftorifchen Kenntniffe und jein 
allzeit gegenmwärtiges Wiffen nicht wenig zu gute that. Eine feiner Lieblingsvor: 
ftellungen war, daß der Staat nah dem großen Muſter von 1772 Erwerbungen 
ohne Schwertftreih, nur mit den Künften der Verhandlung, denen er einen 
übertriebenen Wert beimaß, anftreben müſſe; bie Kriegserflärungen von 1756 
und 1778 hat er ftets als zwedloje Webereilungen betrachtet. Bon der Ueber: 
legenheit feiner politiihen Methode und von feiner höheren Einfiht dem alten 
König gegenüber aufridhtig überzeugt, von feinem untergeordneten Wirkungskreis 
unbefriedigt, ftets geneigt über Zurüdjegung zu lagen, ging Hertzberg jegt an 


", die den Miniftern geitellte Aufgabe nur mit dem größten Widerftreben heran. 


Was Herkberg im Sinne hatte, waren weitere Erwerbungen in Polen; 
dazu aber bedurfte es einer Wiederannäherung an die Kaiferhöfe. Von diefem 
Hintergedanfen durften die Einverftandenen im Reiche nichts hören; ihnen 

gegenüber vertrat Hergberg die Anſicht, daß man nichts überftürzen, daß man 
7 nur unter drei Vorausfegungen, nur in einer von drei „Epochen“ Hand ans 
Werk legen dürfe: beim Ausbruch eines Türfenkrieges, beim Tode des Kur: 
fürſten von Pfalz: Baiern und „noch in einer dritten Epoche” — gemeint war der 
Tod des Königs von Preußen, der dem ehrgeizigen und zuverfichtlihen Minifter 
endlich einmal freie Hand für feine eigene ungeduldige Politik geben ſollte. Herk: 
berg ging jo weit, dem Minifter des Pfalzgrafen von Zweibrüden vertraulich 
zu fchreiben, da der König plöglih auf diefe Idee gefommen fei, jo müſſe 
man ihn mwenigftens par maniere d’acquit zufriedenftelen. Das blieb jein 
Lofungswort. So verftrih Monat auf Monat, ohne daß etwas Ernithaftes 
geleiftet wurde, der König aber jchwieg dazu, weil er aus manden Anzeichen 
ſchließen zu dürfen glaubte, daß die Kaiferin von Rußland es nicht zum Brud 
mit ihm treiben werde. 

Bis dann mit dem Herbit 1784 neue Entwürfe Kaifer Joſephs neue 
Erregung in die politifche Welt hineintrugen. Joſeph verwand es nicht, bei 


) Bol. oben S. 527. 536. 


Der deutſche Fürftenbund von 1785. 615 


dem legten, für Rußland fo ergiebigen Fifchzug feiner Bundesgenofiin leer aus: 


gegangen zu jein. So reichte er denn nachträglich feinen Wunſchzettel ein. — 
Ein „freier und freiwilliger” Austaufh von Baiern und der Oberpfalz jamt 


dem Erzbistum Salzburg gegen die öſterreichiſchen Niederlande, jo pries er der 
Zarin feine „Idee“ an, entipreche auch dem ruſſiſchen Intereſſe, weil Deiterreich, 
der nachbarlichen Berührung mit Frankreich entrüdt, mit ganzer Kraft ſich dem 
großen orientalifhen Plan werde widmen fünnen. Katharina fprad ihren Beifall 
aus, wies aber jofort auf die Hindernifje hin, die der Taufchplan ſowohl im deut: 
ſchen Reich wie bei den an feiner Vereitelung intereffierten Nachbarn der beiden 
Raiferreihe — nur Preußen fonnte gemeint fein — finden werde. 

Joſeph hörte über diefe Warnung hinweg. So zuverfidtli war er, daß 
er feine politifhe Karre alsbald noch mit einem zweiten Schwergewicht be 


laftete. Im Begriff ſich feiner Niederlande zu entäußern, rief er auf belgiſchem a 


Boden einen Streit mit ben holländiihen Nachbarn hervor, den legten Strauß 
des Haufes Habsburg mit den alten Widerfahern Philipps II. Der Welt: 
fälifche Friede jperrte die Scheldemündung, um Amfterbam und Rotterdam gegen 
den Wettbewerb Antwerpens zu fihern. Dem Kaiſer dünkte es unerträglich, 
dieſen unwürdigen Zuftand länger anzuerkennen; er beichloß, die Eröffnung der 
Schelde mit Gewalt durchzuſetzen. In dem zunähft mit der Feder geführten 
Streit wurden von hüben und drüben bald andere Anſprüche hineingezogen. 
Es fam dahin, daß am 6. Dftober 1784 das holländifhe Wachtſchiff auf der 
Schelde einen nah Antwerpen jegelnden öfterreihiihen Kauffahrer unter Feuer 


nahm. Frankreich, mit beiden Teilen im Bundesverhältnis, bemühte fih zu . 
vermitteln. Sofeph, der allzu leichtfertig in diefe Händel eingetreten war, ſuchte 


jegt nicht ungeihidt den bairiihen Taufhplan und den Schelbeitreit mit: 
einander zu verfnüpfen, indem er Nachgiebigkeit gegen die Holländer hoffen ließ, 
um Frankreich defto eher für die Verpflanzung der Wittelsbacher nad) Belgien 
zu gewinnen. 


Denn das hatte ſich fofort herausgeftelt, daß Frankreih auch jegt wie, ,- , 
1778 den Taufchplan ſcheelen Blickes und mit Unmut betrachtete. Abermals . 23 
fah man in Verjailles nach kurzer Nuhepaufe die Freundfhaft zu Defterrih — 
auf eine harte Probe geitellt, wie vor einem Jahr in der türfifhen Frage und ' 


vor einem Jahrzehnt in der polnischen. Abermals führten Minifter und Königin, 
Bergennes und Marie Antoinette, ein Kampf um den ſchwachen König. Aber: 


n 


mals begann der Minifter ernitlih mit Preußen zu rechnen. Prinz Heinrich, 


deſſen Anmejenheit in Paris unter diefer Konftellation eine unvorhergefehene Be: 
deutung gewann, jah am Seineftrand die Dinge noch mehr dur die franzöſiſche 
Brille, als in feinem Rheinsberg, und glaubte die feit dreißig Jahren heiß von 


ihm begehrte franzöfiihe Allianz jchon mit Händen greifen zu fönnen. Zu i 


ſolchem Uebergang aus dem öjterreihiihen in das preußiiche Lager, wie er 
vor einem Jahre als letztes Mittel zur Rettung der Türkei ernftlih erwogen 
worden war, würde fi Franfreih bloß um Baierns willen ſchwerlich ent: 
ſchloſſen haben. Aber jo viel jegte Vergennes, von den andern Miniftern unter: 
ftügt, gegen die Königin durch, daß Lubwig XVI. in einem Schreiben an jeinen 
faiferlihen Schwager vom 6. Januar 1785 das Schidjal Baierns von einer 


616 Neuntes Bud. Vierter Abſchnitt. 


Verſtändigung mit dem König von Preußen abhängig machte, auf die doch nach 
den Erfahrungen von 1778 nie zu rechnen war. 

König Friedrid, über die weiteren Pläne der beiden Kaiferhöfe nad dem 
Vertrag von Ainali-Kawak im unklaren, betrachtete im Herbit 1784 die europäiſche 
Lage als ein „Chaos“. Aber nit den Preußen liege e8 ob, diefe Nebel zu 
jerteilen — er mochte an feine Snitiative von 1740 oder 1756 denken — fondern 
vermutlich werde ein Angriff der Kaiferhöfe gegen bie Türken ober eine Kriegs: 
erflärung des Kaifers gegen die Holländer den andern Mächten das Signal zur 
‚Sammlung geben. Nah’ Eingang der alarmierenden Nachrichten aus den Rieder: 


‚landen lieh er enblih ber ftodenden Verhandlung wegen eines Fürftenbundes 


einen neuen Antrieb; eigenhändig entwarf er am 24. Oftober das „Projekt einer 
Ligue zwiihen den Fürften Deutichlands, nad dem Modell der ſchmalkaldiſchen 
nachgezeichnet“, eine Richtſchnur für Herkberg zur Ausarbeitung der Bundes- 
urfunde. Und als wenige Tage darauf aus Zmweibrüden die Nachricht von neuen 
Verſuchungen fam, durch die der Pfalzgraf für den bairifchen Taufh gewonnen 
werben jollte, rief er jeinen Miniftern ein ungebuldiges „Du feu! du feu! 
Messieurs!* zu: „Da jehen Sie beutlih, womit ih mid vor Ihnen zu Tode 
rede, daß der Kaifer mit feiner Aktivität zulegt den Sieg über unfere Indolenz 
davontragen wird.“ 

Noh einmal wagten die Minifter zu hemmen. Sie mwarnten vor einer 
offenen Scilderhebung in einem Augenblide, da der Kaijer, wie fein jchroffes 
. Auftreten gegen die Generaljtaaten jchließen lajle, des Beiltandes von Rußland 
und Frankreich ficher zu fein jcheine. Der König lud fich Hergberg für ein paar 
Tage nah Potsdam ein, das Für und Wider mit ihm zu befpreden. Herb: 
bergs Gegengründe jcheinen nicht ohne Eindrud geblieben zu fein; jedenfalls 
ftand das Werk in den nädften Wochen von neuem ftill. 

Erit vierzehn Tage nah Neujahr 1785 veränderte fi die Scene. Aus 


Zweibrücken fam eine neue Warnung, ein Ruf um Hülfe in dräuender, ganz 


naher Gefahr. Der Vertreter der Zarin am deutſchen Reichstag, Rumianzom, 
war in Zweibrüden erjchienen und hatte von dem Pfalzgrafen Karl ftürmifch, 
gebieteriih die Zuftimmung gefordert zu dem Austaufh von Baiern gegen 
Belgien, über den der Kaijer und ber bairische Kurfürft im Einverftändnis mit 
Frankreih und Rußland ſich geeinigt hätten. Der Pfalzgraf hatte fich geweigert. 
Jetzt wurden doch auch Findenftein und Hergberg beforgt. Durch dieſen Taufch, 
erklärten fie dem König, werde der Kaifer fi} in den Stand jegen, das Eljaß und fein 
Stammland Zothringen zurüdzuerobern und dann ganz Deutſchland zu unterjodhen. 

Der Rubigere war in diefem Augenblid der König. Er wollte noch nicht 
glauben, daß Frankreich fi gebunden haben ſollte, und fein Zweifel war, wie 
- wir gejehen haben, begründet, Auch beteuerte der franzöfifche Gejandte Eſterno 
dem Grafen Findenftein, man habe die Sache fallen laffen. 

Aber Anfang Februar meldeten die Zeitungen den bairiſch-belgiſchen Tauſch 
als feite und fertige Thatfahe und ließen nur die Frage offen, ob das neue 
wittelsbadhijche Königreich in den Niederlanden Belgien, Burgund oder Auftrafien 
beißen würde; Frankreich jollte für fein Jawort mit der Erwerbung von Lurem: 
burg und Namur an dem Geichäft beteiligt jein. 


Der deutiche Fürftendbund von 1785. 617 


Friedrichs Briefe feit dem 8. Februar zeigen uns feine Erregung von Tag 


zu Tag im Wachſen. „Nah allem, was Sie mir über Ihre Unterredung mit ) _ 
Herrn Eiterno gemeldet haben,“ jchreibt er am 10. eigenhändig an Findenftein, 


„beginne ih Verdacht zu jchöpfen gegen Franfreih jelbit... Es könnte fehr 
wohl jein, daß der Cäſar Joſeph feinen Schwager dur diefen Köder (Lurem- 


burg) hat beſtechen wollen, ich weiß ſogar durch ähnliche Gerüchte, daß man fih - , 


auch den Spaß gemadt hat, uns ih weiß nicht welchen Anteil zu beitimmen, 
und der phlegmatijhe Ton, in dem Herr Efterno Sie über dieje Abfichten des 
verteufelten Joſeph unterhalten hat, läßt mich glauben, daß Frankreich in diefem 
für feine Ehre entfheidenden Augenblide es an Energie fehlen lajjen wird und 
Ichließlih wohl Najenbluten befommen könnte. O Götter, mit was für einem 
infamen Zeug haben wir es zu thun! Und wie werden wir, umgeben von 
feigen und feilen Ganaillen, für uns allein die deutſche Verfaſſung aufrecht: 
erhalten und uns der zügellofen Räuberei diefes verfluchten Wiener Tyrannen 
widerjegen können? ch geitehe Ihnen, daß mic alles das aus den Angeln 
hebt, denn in einer jo allgemeinen Verwirrung wie biejer gibt es nicht einmal 
für Ronjefturen binreihende Anhaltspunkte.” Und dem Prinzen Heinrich be- 
fannte er drei Tage ſpäter, daß fein Greifentum fehr fchlecht zu diefen fort: 
währenden Treibereien pafje, mit denen der turbulente Joſeph auf die politifche Rage 
von Europa drüde: „Schon mehr als zur Hälfte jenfeits diefer Welt, muß ich 
Klugheit und Thätigfeit verdoppeln und unausgefegt die verhaßten Projekte im 
Kopfe haben, die diefer verfluchte Joſeph mit jedem neuen Tage neu erzeugt. 
Ih bin aljo dazu verurteilt, einige Ruhe nicht eher zu genießen, als bis ein 
wenig Erde meine Gebeine deden wird,“ 


Die nähften Tage braten ihm zwar nicht die Ruhe, aber eine ftarfe - 
Beruhigung. Aus Paris wurde ihm in beftimmtefter Weiſe die Erflärung ger ; 
geben, daß der Kaifer, wie er es am 18. Januar in feiner Antwort auf jenen 


Brief Ludwigs XVI. vom 6. in der That getan hat, auf das Tauſchgeſchäft 
verzihte. Er preife den Himmel von Grund feiner Seele, jhrieb Friedrih am 
21. Februar an Finckenſtein, daß diefer Plan zu nichte geworden jei; denn fo 
jei man einem Kriege gegen bie beiden Kaiferhöfe entgangen, in weldem es 
ſchwer gehalten haben würde, Baiern den Defterreihern wieder abzunehmen. 
BZugleih aber glaubte er, nicht mit Unreht, annehmen zu dürfen, daß 


der Plan des Kaiſers nur bis zu günfligerer Stunde zurüdgelegt, nur aufe 


geichoben, nicht aufgehoben jei. Aufgeihoben bis zum Tode des Kurfürften von 


Baiern, des „unmürdigen Theodor”, oder vielleicht nur bis zu feinem, des 


Königs von Preußen, nahen Tode. Und deshalb mußten die Verhandlungen 
mit den beutjchen Fürſten fortgejegt werben. 

Am 23. Juli 1785 wurde zu Berlin mit den Vertretern der Höfe von 
Dresden und Hannover die Urkunde des Fürftenbundes unterzeichnet, zu dem 
Zwede, allen Neihsftänden, aud den geiftlihen, den Beſitz ihrer Lande und 
ihrer Gerechtſame zu fihern. Sonbderartifel gaben dem Abkommen den Charakter 
der alten Kurvereine, indem fi die drei Kurfürjten von Brandenburg, Sachſen 
und Hannover verſprachen, in allen furfürftlihen Angelegenheiten, wie bei der 
Wahl eines römiihen Königs, Feſtſetzung der Wahlfapitulation und Errichtung 


618 Neuntes Bud. Vierter Abſchnitt. 


einer neuen Kur, im Einvernehmen zu handeln. Ein „geheimfter” Artikel ver: 
pflichtete die drei Höfe, fich Verfuchen zu Austaufch oder Wegnahme von Reiche: 
landen mit bewaffneter Hand zu wiberjegen. 

Durch den Beitritt des Erzbifchofs von Mainz, der aber den geheimften 
Artikel nicht unterfchrieb, gewann der Fürftenbund die Hälfte der Stimmen im 
 Kurfürftenrat. Von anderen Reihsftänden haben fi dem Hauptvertrage an: 
geichloffen der an dem Ausgangspunkt der Verhandlungen unmittelbar beteiligte 
Pfalzgraf von Zweibrüden, der Landgraf von Heſſen-Kaſſel, die Erneftiner von 
Gotha und Weimar und die medlenburgiichen Herzöge von Schwerin und 
Strelig, die Markgrafen von Ansbah und von Baden, die anhaltiichen Fürften 
von Bernburg, Deſſau und Köthen, endlih der evangeliihe Biſchof von 
Denabrüd. 


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Das Ergebnis des deutichen Fürftenbundes von 1785 war nicht die aber: 
malige Rettung ber territorialen Selbftändigfeit Baierns, denn Baiern war 
ſchon in dem Augenblid gerettet geweſen, als Frankreich feine Zuftimmung zu 
dem Tauſchplan Joſephs II. von der Entſcheidung des Königs von Preußen 
abhängig machte. Das vornehmfte Ergebnis des Fürltenbundes war ein mo: 
 raliiher Gewinn für Preußen, eine mächtige Steigerung bes preußifhen An— 
ſehens im deutſchen Reiche und in Europa, auf der dbunfeln Folie einer großen 
politiihen Niederlage des Kaijers. Friedrich durfte nicht ohne Grund fein 
Eritaunen darüber äußern, mit welcher Leichtigkeit der Kaifer ungeheure Pläne 
entwerfe, um jie bei der geringften Schwierigkeit fallen zu laſſen. Yofeph machte 
in einem Briefe an feine ruffiiche Bundesgenojfin feinem Aerger mit den Worten 
Luft, daß man auf Grund abjurder Fabeln jo viel Dumme zufammenzubringen 
gewußt habe, um einen fogenannten Bund für die beutiche Freiheit bilden zu 
fünnen. Und Katharina konnte in ihrer Antwort ihm nur den fahlen guten 
Rat geben, diefen Bund, nachdem es ihnen nicht geglüdt fei, ihn im Werben 
zu erftiden, mit voller Gleichgültigfeit zu behandeln, ohne Gereiztheit durchblicken 
zu laſſen. 

Die Niederlage des Kaiſers war um jo empfindlicher, al& er, von ben Be: 
‚ ftrebungen Preußens unterrichtet, durch ein Rundichreiben an die kaiſerlichen 
Gejandtihaften im Reich die Reichsſtände aufgefordert hatte, zur Aufrecht— 
‚erhaltung der Reiheverfafjung mit ihm, dem NReichsoberhaupte „eine förmliche 
und feierlihe Verbindung” einzugehen. Einen derartigen Bund im Reich hatte 
das Haus Defterreich ehedem in der Affociation der vorderen Reichskreiſe von 
1697 und 1702 und in dem jchwäbiihen Bunde der Zeiten Marimilians 1., 
hatte das wittelsbachiſche Kaifertum Karls VII. in der Frankfurter Union von 
1744 zur Verfügung gehabt; ein Bund im Reiche, der feine Spige gegen den 
Kaijer gerichtet hätte, war feit dem Rheinbund von 1658 nicht erlebt worden. 
König Friedrih hat 1785 für feinen Fürftenbund ohne und gegen den Kaijer 
weit mehr Teilnehmer gefunden, als 1744 für jene Union unter Vortritt und 
zum Schuge des Kaijers. Was aber diejen neuen Fürftenbund von feinen Vor: 
gängern weſentlich unterfhied, war auf der einen Seite das Fehlen jeder fon: 


Der deutſche Fürftenbund von 1785. 619 


fejfionellen Tendenz, wie fie vom ſchmalkaldiſchen Bunde an bis zu den Unions— 
beftrebungen von 1757) fi immer wieder geregt hatte, und fodann ber 
innerdeutſche Charakter diefer Bereinigung: fie war nicht das Werk, Organ oder 
Anhängjel einer auswärtigen Macht, wie der Rheinbund Mazarins, wie ber 
Heilbronner Bund Drenftiernas im Dreißigjährigen Kriege oder wie bis zu 
gewiflem Grade auch die Union der deutſchen Proteftanten von 1609 und ber 
Fürftenbund von 1552 gegen den Sieger von Mühlberg. 


Herkberg, der aud hierin feine befondere Meinung vertrat, hätte gern, , 
dem Bunde durch Heranziehung Hollands und Englands eine breitere Grund: _ 


lage, das europäiihe NRüdgrat gegeben. Aber der König wußte ſehr wohl, 


weshalb er auf diefe Erweiterung verzichtete. Mit eiferner Beharrlichkeit bielt - 


er fih von jeder Einmifchung in die inneren Wirren des nieberländifchen Frei: 
ftaates fern; jo wenig wie er einft feiner Schwefter in Schweden gegen bie 
DOppofitionspartei Unterftügung gewährt hatte,?) fo wenig durfte im Haag feine 
Nichte, die Gemahlin des oranifchen Erbftatthalters, preußifhen Beiftand er: 


warten. Er erzielte durch diefe Zurüdhaltung den großen Vorteil, daß nun 


* 


zwar feine ber europäiſchen Großmächte mit ihm verbündet war, daß aber die 5 


zwei großen Weſtmächte, mit einander auch nach ihrem letzten Friedensſchluſſe 


noch geſpannt, beide Preußens Werke, dem Fürſtenbund, wohlwollend zur Seite 


ſtanden und gleichſam eine Reſerve für ihn bildeten. Wie England aus den 


beſonderen dynaſtiſchen Rückſichten ſeines Nebenlandes Hannover, jo hieß Frank 


reich den Fürſtenbund gut nach allen Ueberlieferungen ſeiner an der Erhaltung 


/ der reichsfürſtlichen Libertät intereſſierten Politik. In früheren Zeiten, zumal 


vor und nach dem Dresdener Frieden von 1745, war es Friedrichs Beſtreben 


geweſen, mit England und mit Frankreich womöglich gleich gut zu ſtehen: war 

' 1756 ſeine Staatskunſt an dem Verſuch, die mittlere Linie zwiſchen beiden zu 
gewinnen, gejcheitert, jo hatte er jett mit größerem Glüde operiert. Aus dem 
gefahrvollen AZuftande der politifhen Vereinſamung, in mweldem er ſich nad 
der Löfung jeiner Beziehungen zu Rußland ſah, hatte er fih mit fidherer Hand 
einen Ausweg geöffnet. Er nahm jet an ber Spige des Fürftenbundes eine 
Stellung ein, in der er für die fonfervativen und defenfiven Zwecke dieſer Ber: 

yeinigung, die Erhaltung der Verfaflung und der Befigverhältnifie im Neiche, 
auf die Unterftügung ſowohl von Franfreih wie von England rechnen durfte, 
während Rußland und Defterreih in den nädften Jahren immer mehr an 
Geltung in Europa verloren, je tiefer fich beide in bie orientaliihen Wirren 
verftridten. 

In diejer feiner fonjervativen und defenfiven Tendenz lag die Stärke und 
die Schwäche des Fürftenbundes. Indem der Bund die politifhe Lage des 
Augenblides beherrſchte, war er doc feinem Weſen nah unfähig, dem Bedürf: 
niffe der nationalen Zukunft zu genügen. Das Heil für Deutichland Fonnte 


nur von einer Reform, einer Ummälzung, einer Neufhöpfung fommen. Das 


wußte im Grunde niemand beſſer ald das Haupt dieſes auf den Grundfaß ber 


ı) Oben ©. 87. 
?) Oben ©. 46. 


620 Neuntes Bud. Vierter Abſchnitt. 


Erhaltung geftifteten Bundes, als ber König von Preußen, der vordem bie 
Frage aufgeworfen hatte, wie lange wohl diejes „bizarre und überlebte” Ge- 
bilde, das man deutiches Reich nannte, noch zufammenhalten werde, und ber 
als junger Fürft einen Augenblid daran gedadht hatte, das Reih „von Grund 
aus umzufehren“.!) Nun hätte eine lebensfähige Neufhöpfung vor allem Stärkung 
der Zentralgewalt erfordert. Der imperialiftiiche Ehrgeiz des damaligen Reiche: 
oberhauptes, durch die neuen dynaftisch «territorialen Beitrebungen des Haufes 
Defterreih getragen, erftrebte ſolche Stärkung ebenfo entſchieden, wie ihr das 
Selbftgefühl und der Selbfterhaltungstrieb der jungen preußiiden Großmadt 
entgegenarbeiteten. Preußen wollte jeine Macht dem öfterreihiihen Jmperialis- 
mus nod weniger unterordnen, als bie anderen deutſchen Fürften ihre Ohn— 
macht: jo ſchworen alle auf das Prinzip der Erhaltung des Alten. Nur in 
diefem rein negativen Programm waren Preußen und jeine beutichen Verbündeten 
von 1785 einig. 

Schon damals ift im eigenen Lager, von preußiihen Männern, die nur 
das ſpezifiſch preußifche Intereſſe gelten laſſen wollten, die Frage aufgeworfen 


. ' worden, ob es eine des Königs von Preußen mwürdige Rolle jei, Weberlebtes 


'fünftlich zu erhalten: das unförmliche Gebäude des deutſchen Reiches mit feiner 
geiſtlichen und weltlichen Kleinftaaterei, feinen verfümmerten Neihsftäbten, ber 
langjamen und parteiiichen Rechtspflege feiner Reichögerichte, dem nichtigen und 
läderlihen Gezänt feines Reichstags? Ob der König durch den neuen Titel 
eines Beſchützers deutſcher Freiheit ſich nicht lediglich Fefleln angelegt habe, in 
dem Verzicht auf die feinem Staate jo nötige Ausrundung und Vergrößerung? 
Ob die Staatsflugheit nicht vielmehr gebieten würde, nad) dem von dem 
Kaifer auf Koften der deutfhen Nachbarn gegebenen Beijpiel zu gelegener Zeit 
Gleiches zu eigenem Vorteil zu verfuhen? König Friedrich hatte noch jüngft feine 
nunmebhrigen Verbündeten mit Machhiavell als principi di Germania bisognosi 
di scudi verjpottet, hatte in früheren Zeiten eine Berichtigung der Karte von 
Deutihland durch Ländertaufh und die durch den Fürftenbund ausdrüdlich per: 
borrescierte Säkularifation geiftliher Staaten wiederholt in ben Bereich feiner 


„. politifhen Kombinationen gezogen;?) jest wies er, wie jhon 1778,°) den Ges 


danken, mit Defterreih halbpart zu machen, weit von fih. Wir willen, daß 
Kaunig bei dem Kaifer eine unmittelbare Verftändigung mit Preußen über die 
bairiihe Frage angeregt bat: als ein Gerücht von ſolchem Vorhaben nad Berlin 
drang, erflärte yriedrih feinen Miniftern, daß er feinen Anerbietungen oder 
Infinuationen jein Obr leihen, nit aus ſchwächlicher Gewinnjucht bei den de: 
ftruftiven Plänen des Kaifers gegen die Reichsverfaſſung mitwirken werde. 
Huf die Dauer ift diefer Standpunft nicht feitgehalten worden, Preußen 
betrat an Deiterreihs Seite die Bahn, die es dem SKaifer aus dem Haufe 
Defterreih 1785 verjperrt hatte. Im Reichsdeputationshauptichluß von 1803 
haben beide Staaten mit anderen weltlihen Reichsftänden über die geiftlichen 


1) Bl. Bo. I, 204. 212. 
2) Bol. Bd. I, 201. 
») Oben ©. 526. 


Der deutſche Fürftenbund von 1755. 621 


Fürftentümer und über die Reichsunmittelbarfeit jo vieler Grafen, Ritter und 
Städte das Los geworfen. Und als es zwei Menjchenalter fpäter zwifchen den 
beiden Großmädten zu dem entjcheidenden Kampf um die Vorberrfchaft in 
Deutichland fam, hat diefer Kampf neue Opfer aus der Zahl der beutichen 
Souveränitäten gefordert. 

Von dem Kampf um die Vorherrihaft in Deutihland, dem Kampf zur 
Verdrängung Defterreihs aus Deutſchland, war alſo Preußen in jver Epoche 
des deutſchen Fürftenbundes noch weit entfernt. Nur das Gleichgewicht zwiſchen 
feiner neuen Schöpfung und der alten öfterreihifhen Macht wollte Friebrich 
der Große behaupten, das Gleichgewicht, das er durch die Eroberung von Schlefien 
bergeftellt hatte und das Kaijer Joſeph durch die Erwerbung von Baiern wieder: 
aufgehoben haben würde. 

Diejes befchränkte Ziel wurde durch die Politit von 1785 voll erreidt. 
Der unbeitreitbare diplomatifhe Sieg Preußens, diefer neue Erfolg nad dem _ 
von 1779 und nad jo vielen früheren, hinter dem Gejchleht von 1785 bereits 
im biftorifhen Halbdunfel zurüdliegenden Meifterftüden des alten Helden, wirkte 
in der Gloriole einer nationalen That auf die Gemüter ſchier berüdend. Sein 
„Mebergewicht in allem”, um Goethes Ausdrud zu wiederholen, war aufs neue . 
erhärtet; „auf feiner Kraft ruhend“ blieb Friedrich dem nachwachſenden Ge: 
Ihlehte nah dem Goetheihen Bilde „der Polarftern, um den fih Deutichland, 
Europa, ja die Welt zu drehen ſchien“. 


Fünfter Abjchnitt. 


Ausgang und Ergebnilfe. 





an bis nahe an den Ausgang mit einem hiſtoriſchen Rechenſchaftsbericht 
begleitet. 

Nah dem Breslauer Frieden von 1742 entitand ein in dieſer älteiten 
Faffung bis auf wenige Bruchftüde verloren gegangener Verſuch über den erften 
Krieg. Nach dem Dresdener Frieden behandelte Friedrih die Vorgeſchichte und 
den Verlauf des zweiten Krieges, arbeitete die Darftellung des erjten um, ftellte 
beiden Arbeiten einen Abriß der brandenburgifch:preußifhen Geſchichte vorarı 
und gab dem Ganzen den gemeinfamen Titel „Histoire de Brandebourg*, Teil 1 
bis 3. Dem Jahr 1753 angehörige Vorbereitungen für eine Fortfegung von 
1746 ab führten zu feinem Ergebnis. Nah dem Hubertusburger Frieden jchrieb 
Friedrich auf Grund der ſchon beim Schluß der einzelnen Feldzüge zufammen- 
geftellten Jahresüberfichten die Geſchichte des Siebenjährigen Krieges, mit einer 
gedrängten Einleitung über die zehn vorangegangenen Friebensjahre. Die Er: 
werbung von Weftpreußen gab ihm 1775 Anlaß zur Darftellung der Ereignifje 
jeit 1763, und einmal bei der Arbeit entjchloß er fich jegt zu einer vollftändigen 
Umformung der Geihichte der beiden eriten Kriege; für die ganze Reihe feiner 
biftorifchen Dentwürdigfeiten jeit 1740 wählte er jegt den Titel Histoire de 
mon temps. Unmittelbar nah dem Tejchener Frieden jchrieb er dann die 
Geſchichte feines legten Krieges, ftellte die Verbindung mit dem Früheren durch 
eine Ueberficht über die Vorgänge von 1775 bis 1778 her und gab den Memoiren 
über die Zeit nah 1763 von 1775 eine neue Geftalt. Und endlich bradte er 
im Herbft 1784 Bemerkungen „Ueber die Politif” zu Papier, die als Skizze für 
eine weitere Fortſetzung der Histoire de mon temps betrachtet werden bürfen. 

Nur feine Darftellung der älteren Geihichte des Staates hat der Ber: 
fafjer alsbald nad ihrer Niederſchrift als M&moires pour servir à l’histoire 
de la maison de Brandebourg „zum Nußen unferer Jugend“ der Deffentlid: 
feit übergeben. Und aud fie nur bis zum Tode des eriten Königs, jeines von 
ihm jo überaus jcharf beurteilten Großvaters. Die Geſchichte feiner eigenen 


GE: Friedrih hat feine Herrſcherthätigkeit von ihren erften Anfängen 


Ausgang und Ergebniffe. 023 


Zeit bejtimmte er nur für jeine Nachfolger auf dem preußifchen Throne. Sie 
ift ihrem Zmwed und ihrem Inhalt nah von Friedrichs beiden politiichen Tefta: 
menten von 1752 und 1768 nicht fpezifiich unterſchieden; ausdrüdlih jagt er 
im Juli 1752, mit der Ausarbeitung des erften biefer Teitamente beichäftigt, 
diefes Werk werde feiner Natur nah zu demſelben Schidjal, zu ewiger Ver: 
borgenheit verurteilt fein wie feine älteren Geſchwiſter, d. h. wie die Memoiren 
zur Zeitgefchichte. 

Gleichwohl ift dann unmittelbar nah des Verfaſſers Tod auf Be: 
treiben des Minifters Hertzberg die Veröffentlihung der Histoire de mon 
temps durch den Nachfolger geftattet worden zu einer Zeit, wo Preußen, 
ohne Bündnis mit einer europäifhen Macht, aber an ber Spige bes Fürften: 
bundes in acdhtunggebietender Stellung, auf feinen ber großen Nachbaren 
befondere Nüdfihten zu nehmen braudte. Immerhin ergab fih damals 
die Notwendigkeit zu einigen in der jpäteren Ausgabe ergänzten Auslafjungen 
aus Rüdfiht auf noch lebende Perjönlichkeiten, vor allem auf den Nad; 
folger jelber. 

Die 1788 und 1789 erſchienene, noch keineswegs vollftändige Sammlung 
des litterarifchen Nadhlaffes, der Oeuvres de Frederic II, zählte 25 Bände; 
mit Recht wurde gejagt, daß hier von einem Manne der That die Fruchtbarkeit 
der jchreibjeligften Schriftfteller erreicht oder übertroffen worben jei. 

Eine Erfheinung, die als ein Rätjel daftehen würde, hätte nicht Friedrich 
jelber uns die Löfung gegeben: „Sobald id ein paar Augenblide übrig babe,” 
ſchreibt er einmal, „ergreift mich der Schreibfigel; ih fann dieſem leichtfinnigen 
Vergnügen nicht widerftehen, das unterhält mich, zerftreut mich und macht mic) 
für jpäter, zu der Arbeit, die auf mir liegt, geeigneter.” 

Wir haben einen Einblid gewonnen in die harte Arbeit, die ein langes Reben 
bindurd und Tag für Tag ununterbroden in Krieg und Frieden, in Diplomatie, 
Landesverwaltung und Staatswirtichaft, im Kabinett und auf dem Ererzierplaße 
von diefem Einzigen geleitet worden it. Wir bewundern eine Schaffenskraft, 
der die Anſpannung ein ſtetes Bebürfnis it, der ein Wechfel der Anſpannung 
bereits Erholung bedeutet und verfchafft, die feine andere Erholung begehrt, als 
neben der Königsarbeit die Thätigfeit des Schrijtitellers, welche fie ala wirkliche 
Arbeit nicht gelten läßt. 

Für die Beurteilung des Schriftitellers Friedrih und zumal aud des 
Hiftorifers Friedrich ift damit der allein zuläffige Standpunkt gewonnen. 

Mit dem doppelten Hinweis auf die Dienfte, die ihm feine Poeterei für 
fein perfönliches Wohlbehagen leifte, und auf die Selbftbeicheidung, mit der fie 
fih vor der Deffentlichfeit verberge, hat Friedrich felber fie immer entſchuldigt. 
Er jcherjt, daß er, der vieux rimailleur tudesque, als guter Poet höchſtens in 
Rußland gelten wird; er befennt, daß jeder, der nicht franzöfiih wie Racine 
fchreiben fann, die Feder lieber aus der Hand legen fol, daß er jelbft nur 
mittelmäßige Verſe gemadt hat und daß unter Verjen die mittelmäßigen 
und die ſchlechten gleich viel wert jeien. Aber er bekennt zugleih, daß er fich 
eines ihm zur Gewohnheit gewordenen Vergnügens ſchwerlich berauben würde, 
daß dieſe Beichäftigung, wenigitens Tolange fie dauert, ihn glüdlih macht; jie 


624 Neuntes Bud. Fünfter Abjchnitt. 


bat ihm in jchwerfter Seelennot Ablenkung gegeben,*) fie zerftreut ihn aud, 
wenn bie Gicht ihn plagt. 

Andererfeits haben die Schwierigkeiten, die der Kampf mit einer fremden 
Sprade bereitete, den Schriftiteller nicht abgeichredt, diefen Kampf immer von 
neuem aufzunehmen. So ift er auch an die Neugejtaltung älterer Abjchnitte 
feiner hiſtoriſchen Denkwürdigkeiten wejentlih unter dem formalen Gefidhtspunfte 
berangegangen. „Ich lede meine Stleinen,” fchreibt er 1775 bei Umarbeitung 
ber Anfänge, „ich verſuche fie zu glätten, ein Unterichied von dreißig Fahren 
macht es jchwieriger, ſich felbft zu genügen, und obgleich diejes Werk beftimmt 
ift, für immer in einem ftaubigen Archiv vergraben zu bleiben, will id doch 
nicht, daß es ſchlecht geſchrieben fein fol.” Zu groß war die Ehrfurcht, mit der 
er zu der Muſe der Geihichte aufichaute, als daß er gewagt hätte, im Alltags: 
Heide in ihr Heiligtum zu treten. Unübertrefflich ſchön hat er ben unmittel- 
baren und perjönliden Gewinn gepriejen, den das Geſchichtsſtudium bietet: 
„In die Zeiten eindringen, die uns vorangegangen find, die ganze Welt mit 
der vollen Anipannung unferes Geiltes umfaflen, das heißt wahrlich Eroberungen 
gegen die Unmifjenbeit und gegen den Irrtum machen; das heißt in allen Jahr: 
hunderten gelebt haben und thatſächlich Bürger aller Orte und aller Länder 
werden.” Nicht minder hoch aber ftellte er den erzieheriihen Wert der Ge: 
Ihichte, auf den er ihre Lehrer immer wieder bingewiefen hat,?) etwa in dem 
Sinne, in welhem Goethe das Belte an der Geſchichte den Enthufiasmus ge: 
nannt bat, den fie erwede. Er hatte weiter eine jehr jtarfe Anregung erhalten 
durch die neue Richtung in der Gejchichtsihreibung, die von Bolingbrofe ent: 
widelten, von Voltaire praftiih angewandten Grundfäße: dab Geſchichte und 
Xeben in Verbindung zu bringen feien; daß der Hiltorifer auch die Gejchichte 
des menſchlichen Geiftes und die Entwidlung des Kulturlebens in den Be: 
reich feiner Betrachtung zu ziehen habe, daß ein Geſchichtswerk nicht eine tote 
Notizenammlung fein dürfe, ſich nicht bloß an die Gelehrten, ſondern an alle 
Gebildeten wenden ſolle; daß die Geſchichtsſchreibung eine Kunftform entwideln 
müfle. Je ungenügender ihm auch auf diefem Gebiet die bisherigen Leiftungen 
der Deutſchen Schienen, je weniger ihm ihr von Leſſing ganz in Uebereinftimmung 
mit Friedrich gerügter „Mangel an Gejchidlichfeit, dem Stoffe eine Geftalt zu 
erteilen” entging, um jo mehr jtrebte er an feinem Teile nach geiftiger Durch— 
dringung des Stoffes, nach Leberfihtlichfeit der Anordnung und klarem und 
gefäligem Ausdrud, nad Leben und Anjchaulichkeit der Darftellung. Das Reiz: 
mittel Heiner pridelnder Einzeljüge aber wollte er nur fo weit angewendet 
wiften, als joldhe Zugaben wirklich charakteriftiich feien für die Sinnesart der 
Fürften und ihrer Höfe; an den Memoiren feines Höflings Pölnig mißfiel ihm, 
daß fie mit Kleinigfeiten überladen jeien. Wenn es bis auf den heutigen Tag 
ein Fehler vieler Hiftorifer geblieben it, daß fie über der Kritif des Richtigen 
die Kritif des Wichtigen vergejien, fo hielt Friedrich auch als Geſchichtsſchreiber 
ftets den Blid auf das Ganze gerichtet. Er wolle nit die Geſchichte der 


1) Oben &. 120. 281. 
2) Vgl, oben S. 594. 595. 


Ausgang und Ergebniffe. 625 


Huſaren ſchreiben, jagte er einmal, fondern die Geſchichte der Eroberung 
Sälefiens. Aber er blieb auch die Antwort nit ſchuldig, als Voltaire 
1747 das „ihredlihe und langweilige Detail” der Tagebücher über Belage: 
rungen, Märſche, Kontermärfhe, Trancheen ala den lUnterhaltungsftoff ver: 
abſchiedeter Majore und Oberftleutnants ins Lächerliche 309 und die Bemerkung 
daran fnüpfte, der Krieg müfje wohl an fi eine ſehr häßliche Sache fein, weil 
feine Details jo langweilig feier. Man müſſe, erwiderte Friedrih, den Stoff 
unterfcheiden von dem Ungeſchick der Bearbeiter. 

Nah dem Erfcheinen der Histoire de mon temps hatte Schiller an ber 
Darftellung die „Voltairiſche Manier” auszufegen, die mit einem wigigen Ein: 
fall über erhebliche Details hinwegglitfchte, und fand die Auffaffung „doch nur 
individuell”. Freund Körner lobte in einem Brief an Schiller, nad) mandherlei 
Tadel, „die wirklih ſchöne Art”, in der Friedrich von fich erzähle: „in dem 
Ton des wahrhaft großen Mannes, mit der Unparteilichfeit eines Fremden, ohne 
Anmaßung und ohne affeftierte Beicheidenheit“. Unter den Mitftreitern aus 
den beiden legten Kriegen — Zeitgenofjen der beiden erften lebten nicht mehr — 
glaubten viele, Prinz Heinrich an ihrer Spike, ihre eigenen Verdienfte von dem 
königlichen Berfafjer verfannt oder verbunfelt und ftellten jelbft oder durch 
andere, offen oder im ftillen, ihre Gegenrehnung auf, zumeift mit mehr Zu: 
verfichtlichfeit ald Berechtigung. 

Seitdem find die urſprünglichſten Urkunden der Lebensgeſchichte Friedrichs 
des Großen an das Licht getreten, bie jein Tagewerf Schritt für Schritt be: 
gleitenden diplomatiihen Weiſungen, militärifchen Befehle und abminiftrativen 
Verfügungen, wie fie in ungeahnter Zahl aus feinem Kabinet und zum großen 
Teil unmittelbar aus feiner eigenen Feber hervorgegangen find; dazu die Fülle 
jeiner PBrivatbriefe. Die Kenntnis feiner Geſchichte Shöpfen wir alfo heute nicht 
mehr aus feinen Memoiren, jondern aus jenen Urkunden. Gleihwohl find in 
neuefter Zeit Friedrichs hiftoriihe Schriften eifriger benugt worden als je, aber 
freilich zumeift als corpus vile für den Geciertifch der hiſtoriſchen Seminare 
unferer Univerfitäten. „Anders lejen die Knaben, anders Grotius den Terenz”: 
wer eine Arbeit wie die Histoire de mon temps vorzugsmweife auf ihre Ber: 
fehen anfieht, wird der Bedeutung des Werkes und dem Genius des Ber: 
faffers freilich nicht gerecht werden und vermutlich als weſentlichſten Gewinn 
das erhebende Bewußtfein mitnehmen, an Genauigkeit, die für den zünftigen 
Geſchichtsforſcher Pfliht und Töblih ift, dem großen Staatsmann und feld: 
herrn, der folder Arbeit ein paar Mußeſtunden opfert, überlegen zu fein. Friedrich 
jelber würde fragen: „Kann Er lefen?“*) 

Seine Geihichtserzählung ift beeinträchtigt worden durch eine jouveräne 
Nacläffigkeit in Behandlung der Zahlen und Daten; durch das jchlehte Ge: 
dächtnis des Verfaffers, das feiner Umgebung auffiel und über das er fich felbit 
beflagt hat; durch gewiffe Mängel feiner Unterlagen, denn ber Berfafler bielt 
fih unter anderem an jeine Bulletins vom Sriegsfchauplage, die nicht ohne 
Berechnung geichrieben waren, und an die Berichte feiner Gejandten, bie ſich 


) „Friedrich der Große ald Kronprinz” ©. 126 (2. Aufl. S. 129). 
KRofer, König Friedrich der Große. II. 2. Aufl, 40 


626 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


nicht immer zureihend unterrichtet hatten; weiter durch bie fait unglaubliche 
Schnelligkeit des Arbeitens, ohne die er jein Tagespenfum und fein Lebenswerk 
nie hätte leiften können. Friedrich hat endlich keineswegs ohne Haß und ohne 
Vorliebe geichrieben, und wie wäre dies überhaupt denkbar in einer zwifchen 
den Kriegen, ja im erften Entwurf zwiſchen den Schladten, entitandenen Dar: 
ftellung? Ueberall jpürt man den Nachklang großer und jchwerer Zeit; ber 
Tiefbrud der Atmojphäre hält an, der Sturm hat ſich für den Augenblid gelegt, 
ift aber noch nicht abgezogen. Durch Ironie wird die Leidenſchaft zwar ein- 
gedämmt und gleihjam verdünnt, der Ton aber wiederum verſchärft. Einem 
Grafen Brühl zeigt der Verfafler auf dem Papier ganz benjelben Haß, mit 
dem er im Kriege die Brühlſchen Beligungen hatte verheeren lafjen. Ihr 
Leben und ihre Bewegung, ihre Anſchaulichkeit und padende Wirkung verdankt 
feine Darftellung gerade biejer ihrer Subjeftivität. 

Friedrih hat die Dinge dargeftellt nicht überall jo, wie fie objektiv ge 
wejen find, aber fo, wie fie lebendig ihm vor Augen ftanden. An feiner 
inneren Wahrhaftigkeit, feiner Beteuerung, daß er die wahre Gejchichte jchreiben 
wolle, wird nicht gezweifelt werben bürfen. Und vieles fam ihm zu ftatten, 
um ihn andere Memoirenjchriftfteller in diefer Hinficht jchlagen zu laflen. Er 
hatte keine Rüdfihten auf Lebende zu nehmen. Er beabfichtigte anders als 
Cäfar, nicht eine Wirkung auf die Lage des Augenblides, die Meinung des 
Tages, die politiihen Gegenfäge auszuüben. Er fonnte, was für Cäjar oder 
auch für Napoleon unmöglich geweſen wäre, feine Fehler als Feldherr und als 
Staatsmann eingeftehen, und hat es gethan. Bor allem aber: jeine Rechen: 
ihaft über die Beweggründe feines Handelns in den entſcheidenden Augenbliden, 
an ben großen Wendepunften feines Zebens hat ſich doch ſchließlich als zuverläffig 
erwiejen. Er hat nicht verſchweigen wollen, daß an feiner erſten Unternehmung 
der Ehrgeiz feinen Anteil gehabt hat; er hat fi über den Unwert der preußiichen 
Rechtsanſprüche auf Pomerellen deutlih genug geäußert;') er hat fein Vorgehen 
bei der Teilung Polens mit einer Offenheit beſprochen, die einer unferer her: 
vorragendften Gejchichtsforfcher erichredend genannt hat; je mehr der urkund— 
lichen Zeugniffe über diefe Verhandlung an das Licht getreten, um fo mehr find 
Friedrichs Mitteilungen beftätigt worden. Und für die Vorgeſchichte des Sieben: 
jährigen Krieges hat ſich feine Darftellung alten und neuen Angriffen gegenüber 
fieghaft behauptet. 

Friedrichs Wahrhaftigkeit hat fih nun auch darin gezeigt, daß er die 
Dinge beim rechten Namen zu nennen den Mut gewann, ohne fi den Selbit- 
täufhungen hinzugeben, die den Berfaffer des Antimachiavell noh bis zu einem 
gewiffen Grade gefangen gehalten hatten. Er hatte die Welt und fich felbit 
fennen gelernt. Er nennt es nur zu richtig ein dur die Erfahrung aller 
Zeiten feitgeitelltes und erhärtetes Prinzip, daß in Saden der Politik nicht 
immer eine genaue Gerechtigkeit, jondern fehr oft die Konvenienz den Borfig 
im Rate führt und die Handlungen der Fürften beftimmt, und beshalb hatte er 
ſehr bald dem einft von ihm jo ſcharf angegriffenen Machiavell eine Ehren: 


') Bgl. oben ©. 478. 


Ausgang und Ergebniffe, 627 


erklärung gegeben.!) Nicht Friedrih hat die Aera der Konveniengpolitif herauf: 
geführt, wie von jeinen Gegnern, ganz unhiſtoriſch, wohl behauptet worden ift. 
Von dem „jublimen Recht der Konvenienz” ſprach man ſchon vor feinem Re: 
gierungsantritt, und unendlich viel älter als der Sprachgebrauch ift die Sache. 
Die Konvenienzpolitif mit ihrem Beftreben, das Staatsgebiet zufammenzu: 
ballen und abzurunden, abjeitsgelegene Belistümer, Vorlande, Außenpoften 
abzuftoßen und gegen Enklaven, Bindegliever, Füllftüde umzutauſchen, ftarfe 
Grenzen, natürlihe Grenzen zu gewinnen, was iſt fie anderes gewefen als die 
gejunde Reaktion gegen die territorialen Ergebniffe des feudalen Staats: und 
Fürſtenrechts, das in Uebertragung rein privatrechtliher Anſchauungen auf das 
öffentliche Leben Land und Leute als Erbgut und Heiratsgut von einem Befiger 
auf den andern, von einer Linie des erlauchten Stammbaums auf die andere 
übergehen ließ, heute bei einer Erbſchaftsteilung auseinanderriß und morgen mit 
Stüden aus anderer Erbſchaftsmaſſe zuſammenſchweißte, bis der Wirrwarr der 
Landkarte immer bunter, die Unnatur der Beligflitterung immer widerfinniger 
wurde, Die Reaktion war um jo berechtigter, als der augenblidliche Rechts: 
zuftand, gegen ben fie ſich richtete, doch im legten Grunde ein ufurpierter war, 
denn bie Erblichfeit hatten im Feudalftaat die Inhaber der Lehnsämter und 
Lehnsgüter erft ertrogt. 

Das Recht der Konvenienz hatten zu Friedrih Wilhelms I. Zeiten die 
großen Staaten, auf ihre Macht pochend, dem ſchwächeren Preußen aufzwingen 
wollen. Solch unerträgliden Anſpruch nit zu dulden, war der ftolze Vorſatz 
ihon des Kronprinzen Friedrih, dann vom eriten Augenblide der Regierung 
an des jungen Königs feiter Entſchluß geweſen. In feinen Memoiren, bie 
diefen Gefichtspunft ſcharf voranftellen, ift das eigentliche Thema die Darlegung, 
wie jein Preußen ſich neben den alten Mächten und gegen fie zur Selbftändigfeit 
emporgerungen, inmitten einer feindlichen Welt das eigene Intereſſe zu wahren 
und zu fördern verftanden hat. Nicht umſonſt hatte ein erfahrener Mentor 
einft dem Kronprinzen gejagt, daß die modernen Marimen in der Politif den, 
welcher dem allgemeinen Brauche nicht folge, faft der Lächerlichfeit preisgäben, 
und daß ein Fürft, der fih auf Nechtlichkeit verfteifen wollte, inmitten aller 
Schlingen und Fallitride den jchwerften Stand haben mwürbe. 

Friedrih war frühzeitig auf den Unterſchied zwifchen privater und öffent: 
liher Moral geführt worden, der fih aus dem eigenften Wejen des Staates 
ergibt: aus der Verpflihtung des Staates, feine Macht zu wahren, fi als 
Macht durchzuſetzen und zu behaupten, aus der „natürlichen“ Verpflichtung ba= 
zu, von der Ludwig XIV. einmal gejproden hat. Kaunig, um nod einen 
anberen der großen Realpolitifer zu hören, hat während jener rrungen wegen 
der Scheldeſchiffahrt zu einem holländifhen Diplomaten gerade heraus gejagt, 
fein Vertrag binde länger, als das Verhältnis daure, unter dem er geſchloſſen 
jei. Friedrich hat die Eide der Minifter als gleichwertig mit den Eiden ber 
Liebenden erklärt. Wie er grunbfäglich fih zu der Frage nad) der Verbind— 
lichkeit der Staatsverträge geäußert hat, wie er von dem Fürſten verlangt, daß 


') Bel. Bd. I, 181. 


628 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


er, dem Wohle der Unterthanen ſich opfernd, lieber einen Bertrag brechen, als 
das Staatswohl gefährden fol, wie er diefe Forderung in ber fpäteren Faſſung 
der Denkwürdigkeiten über jeinen erften Krieg auf ganz beftimmte Fälle ein- 
geſchränkt Hat, das haben wir in anderem Zufammenhang bereits gehört.') 

Unverfennbar dämpit der Verfafler der Histoire de mon temps den Ton, 
zumal in den jpäter entftandenen Teilen, wenn die Leiftungen der Politik und 
Diplomatie zu würdigen find. In dem Vorwort zu ber Darftellung des Sieben: 
jährigen Krieges wird „politiihen Intriguen“, wenn fie zu nichts führen, fein 
größerer Anſpruch auf Beahtung zuerfannt, als ben kleinen Reibereien, den 
„Trakaſſerien“ in der Geſellſchaft. Am Schluß der Memoiren über die Teilung 
Polens nennt Friedrih bei einem Ausblid in die Zufunft bie politifhen Be: 
rehnungen das Kinderjpielzeug der Greife. Immerhin wird von der Politik, 
die mit „Gebulb, Feſtigkeit und Gefchidlichkeit” die Erwerbung von Weftpreußen 
berbeiführte, mit einem gewiſſen befriedigten Selbftgefühl geſprochen; um fo 
fteptifcher blickt wieder die Schlußbetrachtung der Geſchichte des Krieges von 1778 
in die Zufunft. Ueber die Zunft der Diplomaten insgemein hat fi Friedrich 
bisweilen faum minder verädhtlich geäußert, als über die eine, ihm geradezu 
lächerlich erfcheinende Spezies dieſer Zunft, die rechtsgelehrten Bevollmächtigten 
am Reichstage, die Pedanten von Regensburg, und wenigftens zum Teil erklärt 
fih bei ihm aus diefer Geringfhägung die ganz auffällige Gleihgültigfeit, mit 
der er nur zu oft bei der Auswahl feiner eigenen biplomatifchen Vertreter ver: 
fuhr. Die „hohlen und unfinnigen Hirngefpinfte der Diplomaten“,?) d. h. alles, 
was nad Projeftenmacherei ausjah, waren ihm verbädtig; fein eigener Minifter 
mußte für einen künftlichen Vorſchlag zu einem großen Ländertaufhgeichäft?) 
bie Zurechtweifung hinnehmen: „Geht fpazieren mit Euren unmwürdigen Plänen, 
Ihr jeid zum Minifter für Goujone wie der Kurfürft von Baiern geichaffen, 
aber nicht für mich.” 

Friedrichs Politik erfcheint groß in dem hohen Flug ihrer erften kühnen 
Entwürfe; groß in der ſtolzen Sprade, mit der fie für Preußen den Einlaß in 
den Kreis der alten Mächte forderte; unvergleichlih groß in der Beherztheit, 
mit der fie jedesmal in der Stunde der Entſcheidung den Entſchluß aefunden bat. 
Sie erfcheint groß in ber Selbftbeiheidung und Mäßigung, die fie fi trog der 
eriten großen Erfolge nah dem Einblid in die Beichränktheit ihrer Mittel 
aufjuerlegen verftand; groß wieder in der Bejonnenheit und Feltigfeit, mit der 
fie nad) manden Bebenfklichkeiten und längerem Zaubern eine verwidelte diplo= 
matiſche Aktion, wie bie von 1771, zum glüdlihen Ende geführt hat; groß 
endlich in der vornehmen Gejchlofjenheit, mit der fie bei Anläffen wie dem von 
1778 oder 1785, ein mwürbiges, obgleich beſchränktes Ziel im Auge, der Ber: 
fuhung wiberftand, durch begehrliches Ausgreifen im Geifte jener Hertzbergſchen 
Projekte eine einfache und klare Lage zu vermwirren und zu verbunfeln. Aber bei 
aller Großzügigkeit hat diefe Politit in feinem Lebensabſchnitt ihres königlichen 


ı) Vgl. 3b. 1, 179—181 (2. Aufl. S. 180—182). 
2) Vgl. Bd. I, 183 (2. Aufl. ©. 184). 
3 Oben ©. 527. 536. 


Ausgang und Ergebniffe. 029 


Trägers verzichtet auf die Fleinen, ja kleinlichen Künfte der herfümmlichen 
Diplomatie, auf allerhand eigenartige Hausmittelhen, auf das, was Kaunik 
„dienfame Minifterialmittel” zu nennen pflegte. Ohne frage waren bes großen 
Friedrich dieje Heinen Mittel nicht gerade würdig, und fie ftanden ihm nicht 
einmal ganz zu Geſichte; denn wie e& einft dem jungen Prinzen ſchwer geworden 
war, die „verſchwiegene Kunft des Verftellens” zu erlernen und dem Vater ftatt 
des trogigen Gefichts ein freundliches zu zeigen, jo hieß es noch von dem greifen 
Könige bei den fremden Diplomaten, daß er den Ausbrud feiner Züge nicht in 
feiner Gewalt babe. Friedrich ift in feinen legten Regierungsjahren, um Frank— 
reih von Defterreich zu trennen, in jeinen Mitteln nicht wähleriſcher gewejen, 
ala ein Menjchenalter zuvor der Wiener Hof in feinem Beftreben, Unkraut in 
ben Weizen des damaligen franzöfifhen Bünbniffes mit Preußen zu fäen. Und 
er bat, al& das Wiederauffteigen des öfterreichifchen Sterns am ruffiichen Himmel 
ihn beunruhigte, es bei der Zarin an Umtrieben gegen feinen Nebenbuhler 
Joſeph nicht fehlen laffen. Ja, er hat gelegentlich kleine Künfte jpielen laffen, 
von denen er fih doch von vornherein Erfolg nicht verfprocdhen haben würde, 
hätte er nicht auf die große Mehrzahl feiner fürftlihen Zeitgenofien, die große 
Katharina nicht ausgenommen, mit Unterfhägung ihrer geiftigen Bedeutung 
herabgefehen. 

Auch dafür bieten feine Memoiren zahlreiche Belege, ganz zu geſchweigen 
von dem ſatiriſchen „Codicille* von 1770 oder jenem Briefe von 1782 
an ben Herzog von Braunfchweig, wo er die Fürſten Curopas mit ihren 
Schwächen und ihren Thorheiten Revue paffieren läßt. Beiſpiele wie ber 
Fürft von Anhalt: Köthen, der an der Tafelrunde von Sansjouci über die 
Volkszahl jeines angeftammten Reiches nicht Auskunft zu erteilen vermochte, 
erregten die Spottlujt des Königs von Preußen immer von neuem und ließen 
ihn die Thatfache überjehen, daß in Deutichland und in Europa ein neues 
Herrſchergeſchlecht herangewachſen war, welches fich in zahlreihen Vertretern von 
der Generation von 1740 jehr vorteilhaft unterjchied; ſchon 1775 hatte Voltaire 
ganz treffend bemerkt, man fönne jegt faft unter allen Souveränen Europas 
den Wetteifer beobachten, fih dur große und nützliche Schöpfungen auszu: 
zeichnen. Friedrichs aufgeklärter Abjolutismus begann in Europa Schule zu 
maden, und bis zu gemwiffem Grabe hat fein Spott über feine fürftlihen Mit: 
brüder fie angetrieben, dem großen Mufter nachzueifern. Sie fürdteten fein 
fpöttiiches Geficht: ridendo stimulat reges — das wollte einem Zeitgenoffen 
als pafiende Umfchrift für eine Medaille auf Friedrich erfcheinen. 

Wir erinnern uns, daß Friedrich einen großen Teil des Zufälligen und 
Unberehenbaren im Verlauf der Weltbegebenheiten auf die Rechnung der menſch— 
lihen Thorheit zu jegen geneigt war;!) eben in diefem Sinne nennt er die Politik 
ein Spiel des Zufall, weil Könige, Fürften, Minifter eben Menjchen feien wie 
die anderen aud. Das Kapitel von den Fleinen Urſachen und ihren großen 
Wirkungen nimmt in feiner Geſchichtsbetrachtung einen breiten Raum ein. 
„Man muß nur alt werden,” jagt er 1781, „und man wird aus der Erfahrung 


ı) Oben ©. 579. 


630 Neuntes Bud, Fünfter Abſchnitt. 


lernen, daß nichts unmöglich ift und daß der, welcher die Impertinenz hat, am 
längften zu leben, immer etwas Neues vorfindet... . Ich babe Ludwig XIV., 
faum im Grabe, mißachtet und vergeflen geſehen; ich habe eine Poiffon und 
eine Madame Lange als Königinnen von Frankreich geſehen; ih habe Feuer 
und Waller fich vereinen, die Bourbonen mit den Habsburgern fich verbinden 
fehen; ih babe die Jeſuiten vernichtet geſehen; ich habe die Philojophie die 
Wahrheit aus dem Schacht fürdern fehen; ih habe Barbaren Voltaire die letzte 
Ruhe verweigern fehen; ich jehe rebelliihe Kinder gegen ihren Vater, den Papft, 
fih auflehnen; ich fehe noch viele andere Dinge und ſchweige.“ „Das Los der 
menſchlichen Dinge,” fchreibt er 1779 in dem Schlußheft feiner Zeitgefchichte, 
„iſt dies: Heine Intereſſen enticheiden über die größten Angelegenheiten.“ 

Aber in demfelben Jahr hat Friedrih in einem Brief an d’Alembert das 
goldne Wort niedergelegt: „die Evidenz der wahrhaften Intereſſen der Staaten 
behält über die vorübergehenden Illuſionen die Oberhand.” Es gebe, ſetzt er 
binzu, auch in der Politit Dinge von annähernd mathematifcher Sicherheit; es 
hänge dann nur von der Zeit und den Umftänden ab, daß foldhe bee fi 
durchſetze und daß die Verblendung aufhöre. 

Das war dasjenige Ma von Optimismus, deſſen feine Geſchichts— 
betrachtung fähig war, da fie zu der Annahme einer göttlihen Weltregierung 
fih nicht zu erheben mwagte.') 


Friedrichs äußeres Leben verlief jeit dem Siebenjährigen Kriege jo regel: 
mäßig und einförmig wie möglid. Sein Minifter Schulenburg bat gejagt, daß 
man im voraus einen Kalender dafür aufftellen könnte, was er an bem oder 
jenem Tage thun würde: „Es ſchien jogar, daß fein Wille dem Phyſiſchen 
gebot, denn wenn er noch vor beitimmten Revuen und Reifen im Bette lag, 
war er, wenn der Tag erjhien, beſſer und that, was er fi vorgenommen 
hatte.” Zum Winteraufenthalt, dem fogenannten Karneval, fam er wie ſchon 
in ben legten Jahren vor dem Kriege,?) immer erſt in den Weihnachtstagen nad) 
Berlin und blieb den Januar hindurch dort; aber 1768 verließ er die Haupt: 
ſtadt Thon am 23. Januar, dem Vorabend feines Wiegenfeites und machte 
bald diejen Reijetag zur Regel, um ber offiziellen Geburtstagsfeier aus bem 
Wege zu geben. Bei diefen Winterbefuhen in der Hauptſtadt benußte ber 
König, der ſich ſonſt nur zu Pferde öffentlich zeigte, für die Fahrten zur Oper 
und für Bejuchsfahrten noch die unförmlidhe achtipännige Staatsfaroffe, die vor 
einem halben Jahrhundert als Glanzleiftung der Berliner Wagenbaufunft be: 
wundert worden war, und wie ehedem jchritten in zwei Reihen die Läufer mit 
ihren Stäben, Schärpen und Federhüten voraus; aber ihre Gangart war nicht 
eben eine bejchleunigte, denn es waren Kriegsinvaliden, die in mohlverdientem 
Ruheſtand jetzt den Läuferdienit verrihteten, und der greife Siegesheld lieb 
aus Rüdfiht auf die morſchen Knochen jeiner waderen Kriegsfameraden jeine 
altmodiſche Kutjche in feierlihitem Zuge fich fortbewegen. 


) Bel. oben ©. 577. 579, 
2) Bd. I, 526 (2. Aufl. S. 527). 


Ausgang und Ergebnifie. 631 


Im April, zugleih mit der Weberfiedelung aus dem Potsdamer Stadt: 
ſchloſſe nah Sansjouci, begann das militärifhe Jahr mit den Ererzitien ber 
Potsdamer Garnifon. Den 10. April, den Jahrestag jeiner eriten Schlacht, 
feierte er jedes Jahr damit, daß er das erſte Bataillon Garde antreten und 
zweimal mit Pelotons hargieren ließ und dann feierlih mit den Worten entlief: 
„So madten es eure Vorfahren bei Molwig.” In ber erften Hälfte des Mai 
fam der König auf zwei bis drei Tage zur Befihtigung der märfifchen Regi: 
menter, um ben 20. Mai auf drei bis vier Tage zur Parade nad Berlin. 
Daran fchloß fih no im Mai die Revuenreife nah Pommern, Anfang Juni 
die nach dem Magdeburgifchen; nah 1772 fanden beide in umgefehrter Reihen: 
folge ftatt, da jet der König von Stargard aus regelmäßig die weitere Reife 
nad Weftpreußen antrat. An einem Tage um die Mitte des Juni verfammelte 
er in Potsdam die Minifter des Generaldireftoriums zur Feſtſtellung des Staats: 
haushalts für das in diefem Monat beginnende Rechnungsjahr. Es folgten die 
Wochen, die er als jeine Ferien zu bezeichnen pflegte, die ganz ftillen Sommer: 
tage in Sansfouci oder im Neuen Palais. Faſt ſtets am 15. Auguſt wurde 
für den Reit des Monats nah Schleſien aufgebroden. Am September wurde 
feit 1773 auf dem Wedding bei Berlin ein eintägiges Artilleriemanöver ab: 
gehalten, das den König veranlaßte, bie vorangehende Naht in unmittelbarer 
Nähe des Schießplakes auf dem „Gefundbrunnen” zuzubringen. Mit dem brei: 
bis viertägigen Manöver bei Potsdam in der vorlegten Septemberwoche ſchloß 
der Felddienft ab. Erft im November wurde Sansfouci wieder mit dem ots: 
damer Stadtſchloß vertauſcht. 

Dem Potsdamer Herbſtmanöver und den Revuen durften fremdherrliche 
Offiziere beiwohnen, die von Jahr zu Jahr in größerer Anzahl kamen, Franzoſen, 
Ruſſen, Engländer, Holländer, Sachſen, gelegentlich auch ein Spanier. Bei 
dieſem Anlaß haben ſich auf ſchleſiſchem Boden die Gegner aus dem amerika— 
niſchen Unabhängigkeitskriege, Lord Cornwallis und Marquis de Lafayette, ge: 
troffen. Friedrichs Manöver galten der Welt als die hohe Schule ber Kriegs: 
funft. Noch war der Glaube an die Meberlegenheit der preußiichen Taktik, troß 
der geringen Erfolge des Feldzugs von 1778, nicht erfchüttert. Friedrich hat 
jeinen Nachfolgern empfohlen, an den bejtehenden Einrichtungen fo lange feft: 
zubalten, als die Kriegsfunft fich nicht verändern würde, d. 5. fjolange nicht 
Fortjchritte in der Kriegführung, neue Erfahrungen in der Praris zu Ver: 
änderungen Anlaß geben würden. Aus joldem Grunde hatte er felbft in feinen 
Anfängen feine Reiterei ſich gleichſam neugefhaffen und die Infanterie zu 
einer früher ungeahnten Beweglichkeit ausgebildet, in diefem Sinne hat er 
während und nad) dem Siebenjährigen Kriege, zulegt noch 1782, die Artillerie 
vermehrt, fie erft zu einer felbftändigen Waffe erhoben. Für feine legte Zeit 
ift die Aufmerkjamfeit kennzeichnend, die er dem zerftreuten Gefecht zuzumenden 
begann. Unter Offizieren, die in Amerifa mit diefer Kampfesart vertraut 
geworden waren, ftellte er im letzten Regierungsjahr drei ftändige Freiregimenter 
zu je zwei Bataillonen auf, nachdem die Erfahrung des legten Krieges die Un— 
zuträglichfeiten gezeigt hatte, die mit einer erſt bei Beginn des Kampfes be- 
wirkten Anwerbung leiter Truppen verbunden waren. 


632 Neuntes Bud. Fünfter Abfchnitt. 


Die alte Freude aber an jeinem Heere gewann ber König nicht wieder. 
Der Feldzug von 1778 hatte ihn noch unzufriedener gemacht. Er rechnete dieſe 
Epifode gar nicht als Krieg: er fpricht in einem Befehl aus dem Jahre 1782 
von dem zwanzigjährigen Frieden, den das Heer jetzt gehabt habe. Immer 
wieder mahnte er, im Friedensdienſt „die Kriegsgedanfen nicht einfchläfern zu 
lafjen“. Immer ſchwerer wurde es, jeinen Anforderungen zu genügen. Bei 
der Revue von Neiße im Herbit 1784 blieb er den ganzen Tag faft immer 
allein, ohne jemand anzureden; es hieß, daß er feinen Schredenablid habe. 
Dantals erging an den Inſpekteur der jchlefiihen Infanterie, den fonft jo 
hochgeſchätzten Tauenzien, eine in die ungnädigften Ausdrüde gefleivete Kabinets- 
ordre, die an eine jcharfe Kritif der einzelnen Truppenteile das Gejamtverbift 
fnüpfte, daß die Armee in Schlefien noch nie jo ſchlecht geweſen fei, wie jet: 
„wenn ich Schufter oder Schneider zu Generalen machte, könnten die Regimenter 
nicht ſchlechter fein“. L 

Dur die aljährlihen Reifen blieb der Einfiebler von Potsdam mit der 
Außenwelt in lebendiger Berührung. Wo er erwartet wurde, waren groß und 
Hein, Unterthgnen und Fremde gleihmäßig in Bewegung, um feinen Anblid 
nicht zu verfäumen. Ein junger Hamburger Patrizierfohn, Piter Poel, der 
1783 in Potsdam einer Mufterung zufhaute, bat uns den übermältigenden 
Eindrud geihildert, welchen der Anblid des Greijes auf ihn madte, „deilen 
Name alles Denktwürdige eines halben Jahrhunderts bezeichnete und deſſen 
Thaten, Leiden und Gefahren, deſſen föniglihe und menſchliche Worte, deſſen 
angeftrengte Arbeiten und heitere Tiſch- und Abendgeſpräche überall, von meiner 
Kindheit an, ein unerfchöpflider Stoff der Unterhaltung geweſen waren“ ; tief 
ergriffen jchaute er jegt vor fih, „die ſchon durch fo viele Abbildungen be: 
fannten Züge und den durchdringenden Blid”; aber das Bild ſchien „kaum 
mehr der Gegenwart anzugehören, fo fichtbar waren die Spuren der Hin: 
fälligfeit in dem zufammengefunfenen Körper und der jchlaffen Bewegung der 
Glieder”. 

Wie war nun die Stimmung, welde die Fremden in Preußen vorfanden. 
War der alte König bei feinen Unterthanen populär? 

Als der Schweizer Zimmermann, der befannte Arzt, 1771 nad Berlin 
fam, ſagte er fih, jo viel Böſes niemals und nirgends gegen Friedrich den 
Großen gehört zu haben, wie in Berlin, eine Wahrnehmung, die ihn mit einem 
Seitenblid auf die Zuftände in der Heimat zu der Bemerkung veranlaßte, er 
habe in Berlin taufendmal mehr Freiheit gefunden, als in der Schweiz und. 
zumal in Bern: „ale Menſchen von jedem Stande fonnten jagen, was ihnen 
beliebte, und feinem wird dafür ein Haar gekrümmt.” Eine ganz veränderte 
Stimmung fand acht Jahre jpäter — der bairische Erbfolgefrieg lag dazwiihen — 
der Mainzer Georg Forfter in Berlin vor. Ihm war es ärgerlih, „daß 
alles, bis auf die gejcheitejten, einfichtsvollften Leute, den König vergöttert und 
fo närriſch anbetet, daß felbit was jchlecht, falſch, unbillig oder wunderlih an 
ihm ‘ft, ſchlechterdings als vortrefflih und übermenfchlih genannt werden muß“. 
Der Zimmermannfche und der Forfterfche Bericht nebeneinandergehalten, beitätigen 
die Angaben Friedrih Nicolais über die Wandlungen im Urteil der Berliner 


Ausgang und Ergebnifie. 633 


über Friedrih. Nach dem „unbejchreiblihen Enthufiasmus“, der ſich während 
des Siebenjährigen Krieges „jomohl der Unterthanen als felbft weit entfernter 
Ausländer” bemädtigt hatte, trat in ben erften Friedensjahren, unter dem Drud 
einer wirtſchaftlichen Notlage ein entſchiedener Rückſchlag ein: man hielt den 
König, jagt Nicolai, „faft allgemein für einen bloßen Soldaten, deſſen Pläne 
nur auf Krieg gerichtet wären”. Diejes Vorurteil jei endlich gewichen, zumal 
jeitvem in der Teuerung und Hungersnot zu Beginn der fiebziger Jahre!) fich 
die Umſicht und der Nuten feiner Wirtſchaftspolitik offenbart habe: „Aufmerkſame 
Beobachter fingen an einzufehen, welde große Wirkungen ununterbrodene 
Thätigkeit, die nur auf wenige, aber wohlgeorbnete Zwede fi einjchränft, ver- 
bunden mit Ordnung und mit unermübetem Ausdauern hervorbringen fann.“ 

Forfter hatte in Berlin in Nicolais Kreife verkehrt, in der Gemeinde ber 
Aufklärer. Wäre er nicht bloß mit den freifinnigen Theologen, fondern etwa 
auch mit dem pofitiver gerichteten Konfiltorialrat Büſching in Berührung 
gefommen, er würde auch minder lobenbe Urteile über Friedrich gehört haben. 
Wie die erklärten Gegner der Berliner Aufflärung dachten, willen wir aus ben 
Briefen des „Magus im Norden”, des Königsberger Accijejetretärs Hamann. 
Dem war Berlin das verhaßte „Babel“; er jchalt, daß alles ein Leiten, ein 
Schuh jein folle, Fabrifen und Heerbienft, Litteratur und Kritif, und von der 
brandenburgiichen Herrjchaft über Preußen meinte er: „Es war dem Herzogtum 
feine jolde Schande, von Polen abzuhangen, als es dem Königreich ein Unglüd 
it, abzuhangen von der Politit der Chaldäer im deutſchen Reiche.“ Minder 
fanatiſch, aber hinreichend offenherzig äußerte fi Wieland: „König Friedrich 
ift zwar ein großer Mann, aber vor dem Glüd, unter feinem Stode sive 
Scepter zu leben, bewahre uns der liebe Herrgott.“ 

Begeben wir uns aus bem engeren Kreife der Gebildeten in bie Mitte 
des Volles. Der Breslauer Garve hat zutreffend bemerft, der König habe jehr 
wohl gewußt, daß viele jeiner Maßnahmen zum Beften bes Landes nicht den 
Beifall des Publikums hatten, jondern bald Mifvergnügen, bald Tadel erregten, 
wie die Einjhränfung des Handels zu Gunften der Fabriken und jelbft die 
Kolonieanlagen ; aber er fei im ftande gemweien, ſich durch die bloße feite Ueber: 
zeugung von der Nüßlichfeit oder der Rechtmäßigkeit einer Handlung für den 
ausbleibenden Ruhm und jelbft für ben Tadel jchablos zu halten. Nah fo 
mancher Neuerung, dur die er feit 1763 die öffentlihe Meinung gegen ſich 
berausgefordert hatte, nach dem neuen Accifetarif, der Berufung der franzöſiſchen 
Zöllner, der Beiteuerung des Tranfithandels und dem Tabafsmonopol, trug 
endlih 1781 die Einführung ber Kaffeeregie bie ſtärkſte Erregung in die Ge— 
müter.?) Und nun ſpielt ſich vor unſeren Augen jener - fennzeichnende Auftritt 
ab. Der alte König reitet, nur von einem Reitknecht begleitet, durch die 
Yägerftraße und fieht jchon von weitem, wie am Werderſchen Markt das Volf 
fih drängt. „Sie haben etwas auf Eure Majeftät angeichlagen,” berichtet der 


vorausgeſchickte Heidud, und jegt nähergefommen gewahrt der König im Bilde 


') Oben ©. 419. 
2) Oben ©. 384 ff., 391. 392. 406 ff. 


Kunden. 
erde : 


634 Neuntes Bud, Fünfter Abſchnitt. 


— ler —— ſich ſelbſt, kläglich auf einem Fußſchemel hockend, eine Kaffeemühle zwiſchen den 
aAuieen, mit der Rechten mahlend, mit der Linken gierig na erausfallenden 
Böhnen_greifend. „Hängt ed doch niedriger, daß bie Leute fi nicht den den Hals 
ausreden,” ruft er mit einer entſprechenden Handbewegung. Ungeheurer Jubel 
bricht aus, die Karikatur wird in tauſend Feen zerriſſen, unter lauten Hod: 
rufen reitet der König langſam von dannen. 

Friedrichs P Popularität in den niederen Volksſchichten war unzerftörbar, 

fie troßte auch dem Nerger über die fisfalifche Kaffeeriecherei. "Mir hörten, wie 

U Ann > im Dezember 1779 nad dem objektiv durchaus fehlgreifenden Machtſpruch zu 
M ! Gunften des Waflermüllerse Arnold und nad der Entlafjung ! des Großkanzlers 


— — 











Fürft die vornehme Geſellſchaft bei dem geftürzten Minifter in langer Wagen: 
reihe auffuhr, die Berliner Bürger aber ihre Häufer feitlich erleuchteten und 
die Bauern vom Lande unter des Königs Fenfter fih verjammelten.‘) Daß 
noch ein jeder, der unter der Bittjchriftenlinde am Potsdamer Stadtſchloß jeinen 

laeı, 6 —S emputiet. fiher war, ihn entgegengenommen zu jehen, das gab dem 
Volke ein unbegrenztes Vertrauen zu der Geredhtigfeitsliebe des Königs, ob 
immer ben Berwaltungsbehörben und den Gerichten die Prüfung dieſer nur 
zu oft unbegründeten Querelen mande Unbequemlichfeit und viel Zeitverluft 
verurfachte. Unbemerft in die unmittelbare Nähe des Monarden zu kommen, 

Sans Smci war nicht eben ſchwer. In Sansfouci zog nur für die Nacht ein Unteroffizier 

— P: mit ſechs Grenadieren zur Wache auf; bei Tage war der König bier ohne jede 
Bedeckung und buldete nicht einmal, daß die Thüren verfhloffen wurden. Einer 
feiner Tiſchgäſte war fehr erftaunt, als er eines Tages eine große Menge Land: 
leute auf_der Terrafje beim Schloffe traf, wohl an ſechzig; fie wollten eine Bitt- 
ſchrift überreichen, niemand hielt fie zurüd. 

Ausländer, die zum erſtenmal in Berlin mweilten, waren höchſt überrafcht, 
wenn ber König aus Potsdam herüberkam, und fie nun die nergelnden, ab: 
ſprechenden, jchmähfüchtigen Berliner gar nicht wiedererfannten. „Sie können 
ſich nicht vorftellen,” jchreibt 1777 der eben eingetroffene engliſche Geſandte Elliot 
in einem vertraulihen Brief an einen Verwandten, „wie das Volk fich freute, 
ihn zu Pferde zu ſehen; alles Klubgefhwäg von einem Lande, das unter dem 
Gewicht feiner Laſten ftöhne, und von einer Nation, bie mit eiferner Rute 
regiert werde, verſchwand vor dem aufrichtigen Zuruf aller Schichten der Be: 
völferung, die fich verbanben, ihre Begeifterung für ihren großen Monarden zu 
bezeugen.” Ritt der König nad einer Truppenbefihtigung vom Tempelbofer 
Felde in die Stabt ein, unaufhörlih den Hut abnehmend, dann war „das ganze 
Rondell und die Wilhelmftraße gedrüdt vol Menſchen, alle Fenfter voll, alle 
Häupter entblößt”; und doch war nichts gejchehen, jo jagt einer aus der Schar 
diejer ehrſurchtsvollen Taufende: „Nur ein bdreiundfiebzigjähriger alter Mann, 
ſchlecht gekleidet, ftaubbededt, kehrte von feinem mühſamen Tagewerfe zurüd; 
aber jedermann wußte, daß diefer Alte auch für ihn arbeite, daß er fein ganzes 
Leben an diefe Arbeit gefegt und fie feit 45 Jahren auch nicht einen Tag ver: 
fäumt hatte.” 


') Oben ©. 543. 








Ausgang und Ergebnifie. 635 


Hören wir nochmals einen Fremden, den Franzoſen de Laveaur, der... 
Jahre in Berlin gelebt hat: „Sein Braud, alle Eingaben der Unterthanen zu 
lefen, mußte dem König unendlide Mühe und Ueberdruß verurfahen, aber er 
unterrichtete ſich dadurch über alles, was vorging, und hielt alle feine Minifter 
und Beamten in einer viel ſtärkeren Furt, als fie der blinde Deipotismus, 
der aus Laune Köpfe jpringen läßt, einflößen fann. Wenn ein Minifter einen 
zu hohen Ton gegen einen Bauern anjchlug, jegte der Bauer den Hut auf den 
Kopf und jagte: Ich gehe zum König! und dieſe Freiheit, dem Könige alles zu 
fagen, erleichterte jcheinbar die Laft, die man für diefen König trug.” Dazu 
fam, daß die Spenden aus jenem großen Dispofitionsfonds, den Friedrich für 
außerordentliche Ausgaben bereit hatte, unmittelbar als Wohlthaten aus ber 
eigenen Hand des Königs empfunden wurden. Die weile Verteilung feiner 
Wohlthaten, jagt derjelbe Berichterftatter, „ſicherte ihm Segnungen und Liebe in 
allen Provinzen feines Staates, in allen Berhältnifien, in allen Städten, in 
allen Dörfern und Weilern. Alles, was in Preußen atmete, hing fozufagen 
unmittelbar von ihm ab.“ 

Wir begleiten den alten König auf feiner legten Dienftreife am 18. Auguft 
1785 nad Hirfchberg. Viele Taufende erwarten ihn feit Stunden, aus ber 
ganzen Gegend zufammengeftrömt. Ein Augenzeuge erzählt: „Man las auf 
allen Gefihtern, daß man etwas Großes mit Freuden erwarte. Endlich kam 
er, der Einzige, und aller Augen waren mit dem fprecdhendften Ausdrud von 
Ehrfurht und Liebe auf ihn gerichtet. Ich kann die Empfindungen nicht 
beſchreiben, die ſich meiner und gewiß eines jeden bemächtigten, als ich ihn 
ſah, den Greis, in der jhwadhen Hand den Hut, im großen Auge freund: 
lihen Baterblid auf die unzählige Menge, die feinen Wagen umgab und 
ftrommeife begleitete. ... Alle, die das Glüd traf, ihn zu ſprechen, waren 
über die väterlihe Milde des großen Königs außerordentlich gerührt. Der 
ganze Tag war für die Stabt ein Fefttag, und man ſprach von nichts, als 
daß der König fo freundlich geweſen wäre und auf die Menge jo mit Wohl: 
gefallen geblict hätte.” Hier war es, dab er ben Dank einer Aborbnung 
Greiffenberger Bürger für ein Gnadengeſchenk zum Wiederaufbau ihrer ab: 
gebrannten Häufer „Fichtlih gerührt” mit den Worten ablehnte: „Sie haben 
nicht Urſach, ſich deswegen bei mir zu bedanken, es ift meine Schuldigfeit, da: 
für bin ih da.“ 

Friedrih befak die große Kunft und in den meilten Fällen aud ben 
guten Willen, in jedem Geſpräch ſich der Sphäre des Angeredeten anzupafien, 
modte er nun einen General oder einen Diplomaten, einen Gelehrten oder 
Künftler, einen Kaufmann oder Handwerker, einen Pächter oder Bauer vor 
fih fehen. Lord Conway, der 1774 wohl einem menſchenſcheuen Einfiedler oder 
gar einem finfteren Menfchenfeind gegenüberzutreten erwartet hatte, war erftaunt 
über die Leichtigkeit und Freiheit, mit der der preußifche König das Geſpräch 
über die verjchiedenartigiten Gegenftände dabingleiten ließ; es war „das gerade 
Gegenteil” von dem, was der Engländer fich vorgeftellt hatte. Andere Diplo: 
maten, die an den preußifchen Hof gingen, warnte man, vor des alten Königs 
einnehmendem Weſen und feiner „faft unmwiderftehlihen Beredſamkeit“ auf der 


636 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


Hut zu fein. Auch Helvetius') lernte 1785 einen Charmeur in ihm fennen: 
„beitehend wie Voltaire, wenn er gefallen will“. Nicht umfonft und nicht bloß 
wegen jeiner politiihen Erfolge nannte man ihn den „alten Zauberer”. „Seines 
eigenen Ruhmes gewiß,“ fchreibt ein Engländer 1776, „und der Gemüter fundig, 
auf die er Eindrud maden will, weiß er, daß ein Lächeln von ihm mehr wirft, 
als wenn er all feine Schäge ausgäbe.” „Wenn man ihn zum erftenmal ſah,“ 
bezeugt Laveaux, „und bei ber mit einem fo großen Manne verfnüpften dee 
einige Unruhe empfand, fo war man nad ber erjten Frage, die er ftellte, 
beruhigt.” Er hatte die Gabe, es jedermann leicht zu machen (de mettre tout 
le monde à son aise), verfihern ber Litterat Zaveaur und der Diplomat Edels— 
beim mit den gleihen Worten. Der Rektor Meierotto hatte diejelbe Em— 
pfindung: jede Schlihternheit habe verſchwinden müfjen, bei ber Laune und 
Lebhaftigfeit des Königs. Johannes v. Müller war nad der Aubdienz, in ber 
er fo wenig gefiel,?) enthufiasmiert, Zimmermann nad) dem erften Empfang 
„su Thränen gerührt”. Der Leutnant Mafienbah war alsbald durd die „un— 
gemein janfte und Vertrauen erwedende” Stimme bejaubert; von dem Mienen: 
ipiel des Siebzigjährigen jagt er: „Ich hatte noch nie einen Menſchen gejehen, 
auf deſſen Gefiht alle Gedanken der Seele fi ebenſo ſchnell ausdrüdten als 
Gedanken aufeinander folgen. Das war eine Mobilität, die mi in Erftaunen 
jegte, diejer föniglide Ernft, und dann wieder dieſe föniglide Milde. Den 
Ausdrud, der in dem Auge diefes Königs lag, hat kein Maler erreicht, er war 
unerreichbar.” 

Friedrich ſprach lieber, als er hörte — darin ſtimmen alle Berichte über: 
ein — und liebte kurze und beftimmte Antworten. Mit der Etifette nahm er 
e8 babei nicht genau; Zimmermann wurde nad) jeiner Audienz von dem gleich: 
zeitig empfangenen Generalftabsarzt Schmuder darauf aufmerfjam gemadt, daß 
er umerhörterweife vor Seiner Majeftät geftikuliert hatte. Friedrich liebte es, 
jagt der Akademiker Thiebault, bei diefen Unterrevungen den König anjcheinend 
zu vergeſſen, allerdings immer mit dem geheimen Vorbehalt, daß der ihm 
Gegenüberftehende den König nicht vergeffen werbe. Als 1781 in Schmiedeberg 
die fchlefiichen Kaufleute feine Vorfchläge zur Hebung ihres Leinenhandels als 
undurhführbar bezeichneten, erwiderte er: „Nu, nu, es find nur jo been, Die 
ih habe, Sie müflen das freilich befjer verftehen, ich fomme zu Ihnen in die 
Schule.” Auf ihre Bitte um Verbefferung der Landftragen antwortete er lähelnd: 
„sh werde Ihre Befehle refpektieren, ich bin darum da.” 

Fremde wie Laveaur fanden, dab in Preußen das Volk in gewiljer Be: 
ziehung ſich größerer Freiheit erfreue, als in anderen, an fi minder deſpotiſch 
regierten Staaten, wo man gleihwohl die Minifter, die Sefretäre, die Kammer: 
diener, die Maitreffen und die Kammerfrauen der Maitrefjen zu fürdten habe: in 
Berlin fürchte das Volf nur den König, und fo beftehe zwiſchen allen Einwohnern 
von Berlin eine bürgerliche Gleichheit, die den gejellichaftlihen Verkehr bier ſehr 
angenehm made; ohne den anmaßlihen Dünkel des Beamtentums judhe der 


) Dben ©. 578. 
*) Dben ©. 597. 598. 


Ausgang und Ergebnifie. 637 


Minifter fein Anjehen vielmehr durch Verbindlichkeit und Leutjeligfeit zu er: 
böhen. Der Minifter wife im Grunde nur zu gut, wie wenig er eigentlich gelie. 

Wir dürfen binzufegen, daß die Minifter, ja die Beamten insgemein dies 
nicht bloß wußten, fondern auch peinlich empfanden. Hier treten wir in das 
Lager der entſchieden Mifvergnügten ein. 

Der junge König war mit feinen alten Miniftern nicht immer fein fäuberlich 
umgegangen;!) wie hätte ber alte König den jungen Beamtennachwuchs ſchonen 
follen. Wenn ehedem Voltaire ihm Artigkeiten fagte, jo vergaß er unter allen 
andern Ruhmestiteln nicht den des Herrſchers, der ohne Minifter regiere, und 
in der That fpielten in Preußen die Minifter ausnahmslos eine ſehr beſcheidene 
Role im Bergleih zu den hohen Würdenträgern der anderen Staaten. Der 
König hatte fi für die Behandlung aller feiner Diener eine eigene Pädagogif 
zurechtgelegt. Getreu feinem Grundſatz, die Menſchen, die er für feine Zwecke 
brauchte, beftändig zwiſchen Furcht und Hoffnung zu halten, war er mit feiner 
Anerkennung, mit Auszeihnungen und Belohnungen fparfam, und glaubte unter: 
jcheiden zu können, wer viel oder weniger Tadel, wer viel oder weniger Lob 
vertrug. Der einzige ſchwarze Aolerorden, ber in der legten Hälfte feiner 
Regierung auf das gefamte Minifterfollegium entfiel, hat den Zweck gehabt, 
den alſo Ausgezeichneten für einen ungerecht gegen ihn gehegten Verdacht zu 
entihädigen. Als Regel galt, daß ein jeder nur Titel und Charakter eines 
ernftlih von ihm befleideten Amtes führen jollte. In Polen gebe man jedem 
Schuhflider einen Charakter, das fei aber hier nicht der Gebrauch. Ein Bud: 
händler, der Kommerzienrat zu werden wünjchte, erhielt den Beſcheid: „Buch: 
bänbler, das ift ein honetter Titel.” Zuverläffigkeit im Dienft, jo erklärte er 
einmal, ſei der befte „Charakter“ für einen Beamten. Den Anfprud eines 
Auditeurs auf Beförderung nah dem Dienftalter lehnte er mit dem Marginal 
ab: „Ich habe einen Haufen alte Maulejeld im Stall, die lange den Dienft 
machen, aber nicht daß fie Stallmeifters werben.” 

Die Abneigung gegen das Geſchlecht der Federfuchſer, als die ihm wie 
feinem Bater die Eivilbeamten insgefamt gelten, hat ihn fein ganzes Leben 
hindurch begleitet.) Ausgaben für Bureaubedürfnifie war er geneigt als weg: 
geworfenes Geld zu betrachten, und das „enge und feine Geſchmiere“ ber zier: 
lihen Kanzleihände — „wovon ich die Hälfte erft erraten müflen” — war 
feinem Auge ein Greuel. Das Berlegendfte für die Beamten war des Königs 
tief eingewurzeltes Mißtrauen gegen ihre Integrität. Die ſchlimmen Erfahrungen, 
die er in feinen legten Jahren mit zwei hochgeſtellten Staatsdienern, Brendenhoff 
und Görne,?) gemacht hat, ſchienen einem wiederholt geäußerten Argmohn recht 
zu geben. Und doch find die von ihm erhobenen Anklagen in ihrer Allgemeinheit 
gewiß jehr ungerecht geweien. Trat nun etwa noch der befchwerende Umijtand 
binzu, daß eine Zivilbehörde das ſakroſankte Gebiet des Militärftatus verlegte 
oder zu verlegen ſchien, fo konnte fich der alte König zu Maßlofigfeiten hinreißen 


!) 3b. I, 14. 20. 130 (2. Aufl. S. 15. 20. 131). 
2) Bol. „Friedrich der Große ald Kronprinz” S. 91 (2. Aufl. ©. 94). 
2) Dben ©. 483. 4983. 


638 Neuntes Bud. Fünfter Abfchnitt. 


lafien, wie dem Beſcheid an die weftpreußifche Kammer vom 13. September 1774, 
als diefe wegen der in Marienwerber vorhandenen Wohnungsnot die Verlegung 
der Garnijon beantragt hatte: „hr feid alle Narrens. Meinet Ihr, dab ich 
um einen Kriegsrat, der eigentlich ein Dieb ift, der mit den Beamten und 
Defraudanten unter einer Dede ſticht, meinet Ihr, daß ih um ſolche Schlingels 
einen einzigen Dragoner umquartieren follte, jo betrügt Ihr Euch jehr. Unter 
100 Kriegsräten fann man immer mit gutem Gewiſſen 99 hängen laffen, denn 
wann ein ehrliher Mann unter fie ift, jo ift es viel. Ich wünſchte, daß 
der Herr Vorhoff — der Kammerbireftor — unter ber kleinen Zahl begriffen 
jei, aber ich wollte nicht davor ſchwören. Ein wenig mobefter gegen das 
Militarium!“ 

Neben ſolchen Schmähungen nehmen fi andere höchfteigenhändige Rüffel, 
wie fie fih zahllos in den Aften finden, noch harmlos aus. Der grobe Stilus 
der Kabinetsorbres, die Erbſchaft der Kanzlei Friedrih Wilhelms I., erhielt 
durch die Postscripta regia eine erhebliche Verſchärfung. Minifter und Präfi: 
denten, Direktoren und Räte, Verwaltungsbeamte, Richter und Diplomaten, 
da war feiner, der nicht gelegentlich fein Teil abbefam. „Ad, was hätten die 
Ministres nötig noch in die Schule zu gehen, da würde der Neftor Zeitvertreib 
haben,” leſen wir am Rande eines Berichtes vom Generaldireftorium, und ein 
andermal ftellte der alte König die hier in die Klippfchule verwiefenen Excel: 
lenzen mit den verborbenen Eriftenzen ber Univerfität in gleiche Zinie, indem 
er ihre Finanzkontrole mit dem Donnermworte tadelt: „Da habe ich feine 
Ministres dafür nötig und darf ih nur liederlihen Studenten das Geld an: 
vertrauen.” Der Kammerpräfident in Kleve erhält zu Weihnadten 1780 das 
Zeugnis: „Jh muß ſchlecht von Euch fein informieret worden, ober Ihr jeid 
ein Ejel, daß Ihr die Provinz nicht fennet, oder ein Windbeutel, der fih um 
nichts kümmert; man fann feinen bümmeren Bericht maden, als den Ihr mir 
da ſchicket.“ In demjelben Jahre erging über die weſtpreußiſche Kammer 
abermals ein Gejamtverbift: „Ihr ſeid Erzichäfers, die das Brot nit wert 
find, das man Eud gibt, und verdient alle, weggejagt zu werden. Wartet nur, 
daß ih nad Preußen komme.” Eine Rüge für Präfident und Räte der Magde— 
burger Kammer, daß fie Zeit und Geld verlieren, „um fi mit Qumpereien 
abzugeben”, jchließt mit dem Zeterruf: „O tempora, o mores!* Es mag über: 
rajhen, daß unter jq, brüsfem Regiment gleihmwohl einmal ein preußiicher 
Beamter fi dem wirken gegenüber einen Scherz erlaubt, wie der junge 
neumärfiihe Landrat v. Podewils, ber im Herbft 1779 für feinen vom Könige 
angezweifelten Bericht über das Auftreten von Heufchreden einige Originaleremplare 
als lebendige Belege nah Sansfouci fhidt, die beim Deffnen ihres mit Luft: 
löhern verjehenen Verlieges die philofophiihe Stille der klaſſiſchen Stätte 
ftören und nun das firenge Gebot veranlaflen, daß niemand vor zurüdgelegtem 
jünfundbreißigften Lebensjahre zum Landrat ernannt werden fol, denn „Kinder 
und junge Najeweife wollen Seine Majeftät fchlechterdings nicht zu Landräten 
haben.” 

Wir gewinnen einen Einblid in die Verfiimmung und Berbitterung, die 
offenbar weite Kreife des Beamtentums ergriffen hatten, wenn wir lefen, wie 


Ausgang und Ergebniffe. 639 


einer der thätigiten ber hohen Provinzialbeamten, der Oberpräfident Dombarbdt, !) 
in einem vertraulichen Briefe einem endlich zurüdgelegten Projekte des Königs 
den Stoßfeufzer nachſendet: „Diefer Choc ift alfo vorüber, und ich hoffe, man 
werbe weiterhin jo wenig fich felbit als uns mit dergleichen widerſinnigen 
Gedanken nicht mehr beunruhigen.” Oder wenn berjelbe Domhardt fi vor: 
fihtig erkundigt, ob eine feiner Fdeen den Anſchauungen des Thronfolgers ent: 
ſprechen würde, und wieder ein anderes Mal einem feiner Söhne ſchreibt: „Der 
Himmel laffe uns nur erjt eine andre Epoche erleben!” Von dem Nachfolger 
erhoffte Domhardt für fih und feine Familie „Grandeur personnelle*,. Nicht 
anders erwartete Hergberg für die auswärtige Politit von dem Thronmwechfel 
die „große Revolution“, eine entjcheidende Wendung, großartigen neuen Auf: 
ſchwung. Herkbergs ausgedehnter Briefwechiel mit den preußiihen Vertretern 
im Auslande liefert die Belege für feine Eritifche Stimmung in Fülle. Der Fronde 
im preußifhen Heere, der heimlichen Oppofition, die ih um den Prinzen 
Heinrih ſcharte, ift Schon gedacht worden. ?) 

Am 17. Mai 1778 war Goethe mit feinem Herzog in Berlin Gaft an 
ber Tafel diejes Prinzen. „Das Wefen der Großen, Mittleren und Kleinen 
durcheinander” wiberte ihn an. Der König ftand ſchon im Felde, Goethe ſchaute 
nur in feine Ummelt, aber er gewann ein lebendiges Bild: „Dem alten Frig 
bin ich recht nah worden, da hab ich fein Weſen gefehen, fein Gold, Silber, 
Marmor, Affen, Papageien und zerriffene Vorhänge, und hab über den großen 
Menſchen feine eigenen Lumpenhunde räfonnieren hören.” 


Im diplomatifhen Corps erzählte man fich, daß der König, jo oft er bei 
der Rüdkehr vom Berliner Karneval fein Zimmer im Potsdamer Stadtſchloß 
betrete, einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausftoße; der Berliner Aufenthalt 
fei für ihn jchlimmer als ein Feldzug, während er in feiner Potsdamer Ein: 
fiedelei, gleichſam hundert Meilen von Berlin entfernt, fi aller Schreden und 
alles peinlihen Zwanges ledig fühle. Dort haufte er alfo den größten Teil des 
Jahres inmitten feiner verzogenen Windipiele, als „alter Anachoret“ oder, wieder 
nad feinem eigenen Ausdrud, als „Vogelſcheuche“, in feiner „bis zum Cynis⸗ 
mus“ vernachläffigten Kleidung, dem blauen Rod mit ganz einfachen roten Auf: 
ſchlägen und Kragen, der jogenannten Uniform von der Armee, „vorn mit 
einer enormen Quantität ſpaniſchen Tabads garniert”, in den vergilbten, ehemals 
ſchwarzen Waflerftiefeln. 

Immer ftiller und einfamer war es um ihn geworben; er war ſchließlich 
„nur noch von Erinnerungen umgeben”. Er tröftete fih mit der Erwägung, 
dag man wahre Freunde nur unter feinen Altersgenofjen habe, und daß dies 
unfhägbare Gut des Weiſen verloren jei, wenn man feinen Lebenslauf bis in 
die zweite und dritte Generation ausbehne. Orte, die ihn an teure Tote er: 
innerten, mied er gefliſſentlich. 


i) Oben ©. 481. 
2) Chen ©. 236. 288. 504. 535. 


640 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


Als im Januar 1771 d’Argens während eines Beſuchs feiner franzöfifchen 
Heimat ftarb, nannte ihn fein föniglicher Freund feinen Quartiermeifter, ber 
„im Lande ber leeren Träume“ für ihn Wohnung beftellen wolle. Kurz zuvor 
war derjenige von den alten Rheinsberger Gefährten geitorben, der bis zulegt 
in der unmittelbaren Umgebung bes Gebieters geblieben war, der podennarbige, 
jchlieplid von Hüftweh ſchwer geplagte Wylich,') in vierzigjähriger Freundichaft 
bewährt. m Herbit 1773 ging Seyblik dahin, wenige Wochen nachdem der 
König ihn zu Ohlau an feinem Siechenbette bejucht hatte; im nädjften Jahre 
folgte Fouque, im Mai 1775 ftarben binnen drei Tagen Krufemard und der 
tagtägliche Gejellfhafter Duintus Icilius. Ale ſchien überleben zu wollen der 
alte Pöllnig, der jhon am Hofe Frievrih Wilhelms I. die luftige Perſon und, 
gefährlih genug, aud den Gejhichtenträger gejpielt hatte; er war in das vier: 
undachtzigſte Lebensjahr eingetreten und troß wiederholter Erkrankung Charons 
Nahen immer wieder entwifcht, weil er, wie der König fpottete, das Fahrgeld 
nicht bezahlen fonnte; jegt, am 23. Yuni 1775, ſchloß aud er fein bemwegtes 
Leben, „von niemand betrauert als von jeinen Gläubigern”. Um fo aufrichtiger 
beklagte Friebrih den Tod des ehrwürdigen Lord George Keith, der während 
des bairishen Erbfolgefrieges neunzigjährig in Potsdam ftarb. Ihm folgte 
noch in demjelben Jahre 1778 der franzöfierte Pommer Krockow, auf deſſen 
Namen der König einen eigenartig gemilchten Punſch getauft hatte, und 1781 
der halb erblindete Bubdenbrod, noch einer von den alten Rheinsbergern, der 
langjährige Generalabjutant. Und enblih mußte Friedrich auch den jeit zwanzig 
Jahren liebgewonnenen jchriftlihen Verkehr mit d’Alembert, der am 30. Sep: 
tember 1783 in Paris ftarb, miffen. Der Briefwechſel mit dem gelehrten 
Marquis Condorcet, nunmehr fein Berater in den Angelegenheiten der Berliner 
Akademie, gewann einen intimen Charakter nicht. 

Zängit war auch der alte Kabinetsfefretär dahingegangen, der getreue 
Eichel, Friebrihs verfchwiegener Schatten; die Fluten des großen Krieges hatte 
er noch verrinnen jehen, dann aber nur noch fünf Jahre und nur noch mit 
einem ſchwachen Reit von Lebensfräften feines Amtes walten föünnen. Als 
vielvermögend, wie Eichel, hatte lange Zeit auch Henri de Catt gegolten, der 
Vorlefer, dem feit den mährifchen Feldquartieren von 1758 die Gnadenſonne 
ftrahlte. Aber Catt hatte feit 1780 den Schmerz, ſich zurüdgejegt und aus 
der täglihen Gefeljchaft des Herren verbannt zu ſehen, doch wohl, weil er in 
jo vielen Jahren nicht gelernt hatte, wie der Kabinetsrat Stellter fih aus: 
drüdte, „den großen Unterfchied zwifchen den Konverfations: und den Arbeits: 
ftunden” zu erfennen und anzuerkennen. 

Männer wie Eichel und Eatt hatten nie zu der Tafelrunde gehört. Gerade 
beim Mahle entbehrte eine von Haufe aus jo gejellige Natur wie Friedrich die 
alten Gefährten am ſchwerſten. Erjag zu jchaffen war nicht leicht. Der im 
Jahre 1768 gemadte Verfuh, einen von früher in freundlidem Andenken 
ftehenden Fremden, den ſchwediſchen Diplomaten Rudenfchöld ?) gegen einen 


') „Sriedrih der Große ald Kronprinz“ ©. 132 (2. Aufl. ©. 135). 
?) Bgl. ®b. I, 282. 283. 


Ausgang und Ergebnifie. 641 


Ehrenfold, Tediglich zu Friedrichs Gejelihaft, nah Preußen zu ziehen, führte 
zu feinem Ergebnis. Ein furzes Phänomen für Potsdam wurde, eine Bekannt: 
Ichaft aus dem Feldzuge von 1758, jener romantische Sonderling aus Mähren, 
der alte Graf Hoditz, deſſen Zauberſchloß Roßwalde, den „Palaſt Armidens“ 
Friedrich beſucht und bejungen hatte; wiederholt dringend eingeladen, kam 
Hodig doch erit 1776, als er fih am Bettelftab ſah, und der Mann, der „fait 
wie Voltaire ſprach“, nahm num auch Voltaires Pla bei Tiih zu Sansfouci 
ein. Aber jchon 1778 erlag der alte Lebemann jeinem Steinleiden. 

Auf einer Reife durch Frankreich und Deutichland begriffen, ließ fih im 
Jahre 1779 der achtundzwanzigjährige Marcheſe Girolamo Luccheſini dem König 
von Preußen vorftelen. Er gefiel und fam auf Friedrichs Einladung bald 
wieder, um als Kammerherr Dienfte zu nehmen. Seit dem Mai 1780 verging 
faum ein Tag, baß der junge Staliener dem Könige nicht Geſellſchaft geleiftet 
hätte. Mit einem Landsmanne, dem etwas querföpfigen Grafen Pinto, einem 
Piemontejen, mit dem Oberftallmeifter Grafen Schwerin, dem Jugendfameraden, 
einem der „Blaftrons” für die Pfeile des königlichen Witzes, und mit dem 
Generalleutnant Grafen Görk!) bildete Luchefini jegt den Stamm der Tafel: 
runde zu Sansfouci oder im Potsdamer Schloß. 

Sein Tagebudh aus ber Zeit vom 8. Mai 1780 bis 25. Juni 1782 ift 
die einzige Duelle, die wir über Friedrihs Tiſchgeſpräche befiten. Selbft wenn 
außer den drei oder vier ftändigen Tiſchgenoſſen niemand eingeladen war, 
pflegte die Unterhaltung höchſt angeregt und munter zu fein. „Pranzo lieto* 
bezeugt Zuchefini in feinem lakoniſchen Notizenftil oft genug, auch wenn er 
nichts inhaltlih Bemerfenswertes aufzubewahren bat. Er verzeichnet Mahlzeiten 
im Heinften Kreis, bie fünf bis jechs Stunden mwährten. „Es läßt fi nicht 
bejchreiben,” verfihert er, „mit welcher Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit die 
Tiſchgenoſſen behandelt werden; jeder Zwang ift verbannt, e& herrſcht nur ber 
Unterſchied des Geiftes und des Willens.” Die Hauptfoften der Unterhaltung 
trug, wie fich verfteht, der Wirt; oft riß er das Geſpräch ausſchließlich an fi, 
jo daß mande feiner Tifchreden zu gefprohenen Abhandlungen wurden‘). Die 
Soupers, die zu Voltaires Zeiten die Tagesorbnung beſchloſſen und den Höhe: 
punkt der Gefelligfeit bezeichneten, fanden jegt nicht mehr ftatt, denn ber König 
batte fi während ber fieben Kriegsjahre der Abendmahlzeit entwöhnt. Aber 
nad dem Konzert, gegen ſechs oder fieben Uhr, erwartete er feine kleine Gejell- 
ichaft meift noch einmal, wenn er nicht vorzog, Luccheſini allein rufen zu laſſen. 
Man unterhielt fih eine Stunde ober länger, wie bei Tiſch „encyklopädiſch“ 
über litterariiche, philofophifche, äfthetifche, politiiche und zumal auch wirtichaft: 
liche Fragen; gern auch erzählte der König von jeinen Erlebniflen, feinen 
Schlachten und diplomatiihen Schachzügen. Seine Neider haben von dem legten ber 
Geſellſchafter Friedrichs des Großen gejagt: „Er hat Eiprit genug, um zu be: 
wundern, und nicht fo viel, um Nebenbubler zu fein”. Unbefangenere Beob- 
achter haben Luckhefini das Zeugnis gegeben, er habe es ohne die geringiten 


1) Oben ©. 524, 
2) Bgl. Bd. I, 495 (2. Aufl. S. 496). 
Rojer, Rönig Friedrich der Broße. IT. 2. Aufl, 4 


642 Neuntes Bud. Fünfter Abfchnitt. 


Schmeidhelfünfte dadurch getroffen, daß er aufmerkſam zuhörte und bei feiner 
vieljeitigen Bildung ftets Rebe und Antwort zu ftehen vermochte; durch feinen 
Geift wie durch jeinen Charafter habe er jih nicht bloß dem Könige, ſondern 
jedermann empfohlen. Ein Zwiſchenfall, deſſen das Tagebuch gedenft, läßt 
erjehen, wie ber junge Fremdling jeine Stellung zu nehmen verftand. Nach 
einer abfäligen Aeußerung über die italieniihen Marquis, die, ſchnell hin- 
geworfen, von Friedrich nicht böje gemeint war, aber doch verlegen mußte, 
verftummte Luchefini und brach während der ganzen Tafel jein Schweigen nicht. 
Als er abends wieder erſchien, war ber König „comis, blandus, humanus*: 
„ſprach über die Unmöglichkeit, augenblidlihe Einfälle zu unterdrüden“. 

Das mußte fi die Umgebung ſchon gefallen laffen, dat der alte Herr 
aus dem reihen Schage feines Gedächtniſſes diejelben Anekdoten wieder und 
wieder zum beiten gab, „befonders wenn Fremde hinzufamen, die noch nicht 
eingeweiht waren” — jo berichtet jein Kämmerer und langjähriger Hausgenoſſe 
Schöning, und Luchefinis Tagebuh gibt in der That mehr als einen Beleg 
dafür, daß Friedrich damals in feinen legten Jahren noch immer die fuftigen 
Hiftörchen erzählte, dur die er im Siebenjährigen Krieg feinen Vorlefer Catt 
zum Lachen gebracht hatte. 

Zu den Gejellihaftern, die der König von Zeit zu Zeit fih zu längerem 
oder fürzerem Befuh nah Potsdam einlud, gehörten die beiden Kabinetsminifter 
Finckenſtein und Hergbera, der verabjchiebete Minifter von der Horft und wiederum 
ein Staliener, der Dompropft Baltiani. Der Schneidersjohn aus Venedig, zwei 
Jahre jünger als Friedrih, ein Mann von riefenhafter Körpergröße und glatter 
frangöfifcher Bildung, mar nad feinem Austritt aus dem Franzisfanerorden 
1744 Hausgeiftliher des Breslauer Fürftbiihofs Singendorff geworben; ber 
Koadjutor Schaffgotich hatte ihn bei Hofe eingeführt, und der König hatte ihn 
ihon 1747 zu einer Vertrauensjendung an den Papſt benugt. Nach der Kapitu: 
lation von Breslau 1757 als Gefangener in das Stodhaus nad Wien geführt, 
war er nad feiner Freilaffung von Friedrid mit dem Worte begrüßt worden, 
jein Name werde in bem Martyrologium borussicum bewahrt bleiben. Bon 
Baitiani hieß es, daß der Geift des vollendeten Hofmannes fiebenfah auf ihm 
ruhe. Berühmt waren feine jchlagfertigen Antworten; als der König jeinen 
geiftlihen Tifchgenofien bat, ihn, den Ketzer, dereinft durd die Himmelsthür 
unter dem Prieftermantel mit einzufhmuggeln, erflärte Baftiani feine Bereit: 
willigfeit unter der Vorausſetzung, daß man dort auf die Kontrebande nicht jo 
ſcharf achthaben werde, wie in Preußen. Ein andermal ſoll er fi der 
Sartasmen des Gebieters mit dem Ausruf erwehrt haben: „Allmächtiger Adler, 
dede mich mit deinen Flügeln, aber verfhone mich mit deinem Schnabel.” Noch 
ein anderer diejer weltmännifch gebildeten Prälaten war wiederholt in Potsdam 
Gaſt, Graf Ignaz Krafichi, Fürftbiihof von Ermland, der Dichter unter den 
geiftlihen Oberbirten. 

Von Generalen war Möllendorff aus Berlin bisweilen zu Gafte, auch 
Dalwig aus Ratibor, der bei Torgau an der Spige der Spaenſchen Kürajfiere’) 


) Oben ©. 274. 275. 


Ausgang und Ergebniffe. 643 


jeinen Ruhm begründet hatte; aber der mürriſche, launenhafte, jtets zum Wiber: 
ipruch geneigte Mann war dem König mehr rejpeftabel als ſympathiſch. Anders 
Generalleutnant v. Prittwig, Kunersdorfer Angedenfens,!) der allemal, wenn 
er von Berlin berüberfam, neuen Gejprädsftoff und zumal die Chronik der 
Berliner Damenwelt mitbradte: „je ne ris qu’avec Prittwitz*, joll der alte 
König gejagt haben. Ein Jugendfreund, mit dem der junge Fürft einft viel 
gelacht, erichien in Chaſot noch einmal auf der Bildflähe. Der glänzende 
Reiterführer von Hohenfriedberg hatte nad) jeinem Austritt aus dem preußifchen 
Dienft feine Soldatenlaufbahn als Stadtlommandant von Lübed jehr friedfam 
fortgefegt. Bon dort aus ift er nah dem bairifchen Erbfolgefrieg in zmei 
Wintern zu mehrwöhigem Befuh nad Potsdam gefommen; man erging fi 
in Erinnerungen an fröhlide und an große Tage und fam dabei immer wieder 
auf Chafots Kleine Lübecker Welt zurüd: „Chafot,” jchreibt Friedrih am 2. Fe: 
bruar 1784, „ſpricht nur von Efjerei, von Champagner, Rheinwein, Madeira, 
Ungar, von der Pracht der Herren Staufleute der Lübecker Börfe, von dem 
großen Strom Trave, von dem Hafen der Stadt und von feinem Garten, für 
den er mir eine genaue Aufzählung aller Bäume, Sträucher, Pflanzen, Gemüſe 
und Kräuter, die ihn verfchönen, gegeben hat.” Wenn das jo weiter gehe, io 
veriprah er ſich, demnächſt dem großen La Duintinie mit einem Bud über 
die Gartenfunft Schadh bieten und in einer Schrift über die Nomenklatur der 
Pflanzen mit Linne wetteifern zu fönnen. 

Fremde Diplomaten und Offiziere wurden zu bes Königs Tafel grund: 
jäglih nicht zugelaflen. Eine Ausnahme wurde im Sommer 1780 mit einem 
öfterreihifchen General gemadt, dem Fürften Ligne, dem geiftreihen Wallonen, 
ben Friedrich zehn Jahre zuvor bei der mährijchen Begegnung mit Joſeph II. 
fennen gelernt hatte. „Der König übertraf thatſächlich fich ſelbſt,“ vermerkt 
Zuchefini am 11. Juli 1780 in feinem Tagebudhe, und der Gaft war ganz 
bingerifjen von dem, was Friedrich jagte, und noch mehr vonder Art, wie er 
es jagte, von der „Magie feiner Unterhaltung”: er able alles dur jein Ge: 
ſpräch, jelbit das Geringfügigfte; „alles das Pridelnde, was da in bunter 
Abwechſelung gejagt wurde, fam aus feinem Munde in einem überaus janften 
Zonfall der Stimme, ziemlich leife, ganz jo aniprechend wie die Bewegungen 
feiner Lippen, auf denen eine unbefchreibliche Anmut lag”. 

Abendtafel wurde nur no angefagt, wenn Gäſte, die bejonders geehrt 
werben jollten, eingetroffen waren. So pflegten im Herbit die Schweitern des 
Königs, die Herzogin Philippine Charlotte von Braunjchweig und die Prinzeifin 
Amalie, auf einige Zeit zu Befuh nah Potsdam zu kommen; der Bruder 
bemirtete fie im Neuen Palais?) und nahm dann jelber dort Wohnung. Seine 
Gemahlin, die Königin Elifabeth Chriftine, ſah er nad wie vor nur in Berlin, 
wenn ſich der Hof verfammelte. Einmal, im Dezember 1771 hat die ſchwediſche 
Schweiter, die ftolze, heißblütige Königin-Witwe Ulrike nad) faft dreißigjähriger 
Abmwejenheit?) die preußifche Heimat wieder aufgeſucht; durch ihre Ankunft wurde 

') Oben &. 225. 350. 


2) Oben S. 356. 
) Dal. Bd. I, 224. 469. 


644 Neuntes Bud. Fünfter Abichnitt. 


nah Friedrichs Ausdrud die ganze königliche Familie „neu belebt“, er jelbit 
fühlte fih „um zehn Jahre verjüngt”. Ulrike blieb fieben Monate. Leider 
hatte der Beſuch einen ftörenden Nachklang, denn faum hatte die Königin ihre 
Verwandten verlaffen, jo fam die Kunde von dem für die preußifche Politik jo 
unbequemen Staatöftreih des jungen Königs Guftav,!) und als Friedrih nun 
der Schweiter mit einem Krieg gegen ihren Sohn drohte, antwortete ihm Ulrike, 
noch auf ber Rüdreije aus Stralfund: „Sie werben Ihre eigene Schweiter diefen 
Platz verteidigen ſehen; ich werde überall jein, wo Ihre Kugeln einjchlagen. 
Sie werben den Plat einnehmen, daran zweifle ich nicht, aber es wird gefchehen 
um den Preis meines Blutes, und noch bei meinem lebten Atemzuge werde ich 
Ihrer würdig fein.“ 

Mit lebhafter Teilnahme hatte der König die Zukunft feines Haufes und 
des Landes, die brei Kinder des 1758 verftorbenen Prinzen von Preußen, heran: 
wachſen jehen, die Prinzen Friedrid Wilhelm und Heinrih und die Prinzejfin 
Wilhelmine. Als die Prinzeffin fih 1767 dem Prinzen Wilhelm V. von Dranien 
vermählte, begann der König einen Briefwechſel, in welchem er ſich zwanzig 
Sabre hindurch der Nichte wahrhaft als einen Vater gezeigt hat. Nicht minder 
lieb hatte er den jungen Prinzen Heinrich gemonnen; der plöglihe Tod des 
Neunzehnjährigen, am 26. Mai 1767, hat ihm tief erjchüttert. Er jelbft be- 
ftiimmte den Bibeltert für die Leichenrede: „Meine Gedanken find nicht eure 
Gedanken, und eure Wege find nicht meine Wege.“ „Mein Kind hatte mir 
das Herz entwandt”, fchreibt er vierzehn Tage fpäter, „Durch eine Menge guter 
Eigenjhaften, denen fein Fehler gegenüberftand. ch ſah in ihm einen Prinzen, 
der den Ruhm des Haufes aufrechterhalten würde. Wenn ich denke, daß diejes 
Kind das befte Herz der Welt hatte, angeborenes Wohlmwollen bejaß und für 
mich Freundſchaft empfand, jo treten mir unwillfürlih Thränen in die Augen 
und ich muß den Verluft des Staates und meinen eigenen tief beflagen. Ich 
bin niemals Vater gewefen, aber ich bin überzeugt, daß fein Vater feinen einzigen 
Sohn anders betrauert, als ich diejes liebenswürdige Kind.” 

Wer könnte verfennen, daß jolde Worte und mehr noch des Königs 
jpäter in der Akademie verlefene Eloge auf den jungen Prinzen mittelbar eine 
Kritik des älteren Bruders, des Thronfolgers, enthalten? Sein Urteil über diefen 
Neffen blieb fühl und abſprechend, ob immer der Beherztheit des Prinzen im 
böhmijchen Feldzug von 1778 einmal öffentlih ein Lob geipendet wurde. Als 
1769 die Ehe Friedrih Wilhelms mit jeiner Eoufine Elifabeth von Braunfchweig 
bei beiberjeitiger Verfhuldung getrennt werben mußte, bat der König das 
Verhalten des Prinzen auf das jchärffte verurteilt. Damals war er ernftlich 
bejorgt um die Zukunft feines Haufes, wie denn auch in Wien bereits auf das 
Erlöjhen des brandenburgifhen Mannesftammes gerechnet und gehofft wurde. ?) 
Bald hatte fih dann das Bild geändert. Nicht nur, daß dem jüngiten Bruder 
des Königs, dem Yohanniter-Herrenmeilter Ferdinand, in rafcher Folge die lange 
erjehnten Prinzen geboren wurden; ber König erlebte auch zu feiner größten 





'!, Dben ©. 51 
2) Oben S. 45 


Ausgang und Ergebniffe. 645 


‚sreude, dab dem Thronfolger aus feiner zweiten Ehe mit Friederife Luiſe von 
Helfen :Darmitadt vier Söhne erblühten, und man erzählte fih, daf er dem 
älteften der Brüder, dem Kleinen Friebrih Wilhelm, nah einem erfreulichen 
Beweiſe Inabenhaften Eigenfinnes wohlgefällig zugerufen habe: „Dir werden fie 
Sclefien nicht wieder abnehmen.” 

Kennzeihnend für des Königs geringe Meinung von feinem Neffen und 
Thronerben ift die Thatjahe, daß er während eines ſchweren Gichtanfalles im 
Winter von 1776 ermftlih daran gedacht hat, für den Fall jeines Ablebens 
ſeinsm Bruder Heinrih einen Anteil an der Regierung zu fihern, ihn „gewifler: 
maßen als Tutor zu beitellen”. Dazu ift es nicht gefommen, und es würde 
ſchwer geweſen jein, eine Form für folde Tutel und noch ſchwerer eine Bürg: 
Ichaft für ihre Dauer ausfindig zu machen. Ueberbies führte der Verlauf des 
Krieges von 1778 zu neuer jchwerer Verftimmung zwijchen den Brüdern. !) 
Zwar ihr Briefwechfel wurde bald wieder auf den alten verbindlichen und 
Icherzenden Ton geftimmt, aber der Prinz blieb auf das tiefte erbittert und 
jhalt vor feinen Vertrauten auf den König heftiger denn je. Gaft in Potsdam 
it er nah dem bairiſchen Kriege nur noch zweimal gemejen. 

Wollte der alte König einen Beſuch, den er fich geladen hatte, verabſchieden, 
jo deutete er dies mit Vorliebe durch die Wendung an, er habe jagen hören, 
daß man abreifen wolle. 

Das Gleihmaß der Tage hatte für ihn nichts Erbrüdendes. Es kamen 
Beiten, zu denen es hieß: „ch arbeite, promeniere und fehe niemand.“ Es 
war ftile um ihn, aber er fühlte fih nicht einfam. Bor allem, weil eine 
freundliche Gefolgihaft ihm treu geblieben war, die er früh gejucht und ge- 
funden hatte: die Wiffenjchaften und die Künfte, von denen der Greis bekannte, 
daß er fie feit feiner Jugend geliebt babe und daß es auf diefer Welt fein 
wahres Vergnügen gebe ohne fie. 

Seine genaue Tageseinteilung, in der jede Minute ihre eigene Beltimmung 
hatte, ließ ihn bei angeipanntefter Regententhätigkeit für die liebgewonnenen 
Nebenbeihäftigungen ſtets reichlihe Zeit erübrigen. 


In feiner Bildergalerie neben Sansjouci weilte er oft jtundenlang. Diet» 


Ankäufe von Meifterwerfen wurben noch fortgejegt, unter Bevorzugung ber 
Staliener und der Niederländer.?) Immer jagte fi dabei der erlauchte Sammler, 
daß man feinen Liebhabereien nit minder Schranken ſetzen müfle als jeinen 
Leidenihaften. Einem König Auguft ftehe frei, 30000 Dukaten für ein Bild 
zu zahlen und dafür in Sachſen 100000 Thaler Kopfiteuer auszujchreiben, das 
aber jei jeine Methode nit. Eeinen Hofmaler VBanloo, den Nachfolger Pesnes, 
fonnte er zu feinem Bedauern nicht länger als bis 1769 an Berlin fefleln. 
Das Bildhaueratelier leiteten unter jeinen Augen nah dem großen Kriege 
Sigisbert Michel und ſeit 1774 Taflaert, der Schöpfer der Standbilder von 
Keith und Seydlig. Die Boumann, Vater und Sohn, und Gontard ſchmückten die 
Refidenzen mit Monumentalbauten, den Schlöffern, Tempeln, Thoren in und bei 





1) Oben ©. 535. 
?) Bgl. Bo. 1, 480. 


— 


_ 


werde pl 


Kilefan laoler 


646 . Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


Potsdam, dem Afabemiegebäude, dem Palaft des Prinzen Heinridh, den Türmen 
auf dem Gendarmenmarkt und der Bibliothek in Berlin; auch ließ der König, 
um in der Hauptitadt einer beginnenden Wohnungsnot zu fteuern, in den vor: 
nehmiten Straßen die Privathäufer auf jeine Koften in drei: oder gar vierftödige 
umbauen und mit Nofofofafjaden verjehen. Freilich blieb derweil die Akademie 
der Künfte auf dem Niveau einer mittelmäßigen Zeichenfchule; ihr ift der große 
König nur infofern ein Förderer geworben, als er ganz zulegt, am 25. Januar 
1786, dem Minifter Heinig die Auffiht über die Akademie übertrug, der dann 
alsbald mit fruchtbaren Reformen begann. 

Der Dienft, den Friedrih von jeder Kunft für fih verlangte, war Er: 
bebung in eine Feiertagsftimmung, in bie leichte Sphäre der Harmonie und 
Gefälligkeit. Zu den realiftiichen Gebilden Chobowiedis fand er fein Verhältnis; 
dieſe Heinbürgerlihen Stoffe waren für ihn unbedeutend. „Alle Dinge in ber 
Welt,” fagt er einmal, „haben ihre Grenzen, fo auch die Künjte, die unferem 
Vergnügen dienen; dehnen wir fie über ihre Sphäre aus, jo denaturieren wir 
fie, ftatt fie zu vervolltommnen.” 

So beharrte aud fein mufifalifher Geſchmack einfeitig bei dem einmal 
erworbenen innerlihen Befig. Im Jahre 1777, als Glud, Haydn und Mozart 

reits ihren Siegeslauf begonnen hatten, ı meinte er nad der Wiederaufführung 
einer alten Oper von Hafle: „Die guten Saden bleiben fih immer glei, und 
obihon man fie oft gehört hat, hört man fie gern wieder; überdies ift die 
neue Muſik in einen Charivari entartet, der das Ohr verlegt, ftatt ihm zu 
ſchmeicheln, und ber edle Gejang ift den Zeitgenoffen nicht mehr bekannt.” ') 

Wie ein ähnlich abjprechendes Zeugnis der modernen franzöfiichen Zitteratur 
ausgeltellt wurde, haben wir jchon gehört.) Wohl las Friedrich noh immer 
viel, aber zumeijt jeine alten Belannten; mit den Neuen Belanntichaft zu 
machen, jhien ihm „nicht der Mühe wert“. Aleranders Leben von Curtius 
und Diodors Weltchronik, Rolins Geſchichte des Altertums und Boltaires 
biftorifche Arbeiten find die legten _ Werke gemeien, die fein letzter Lektor ihm 
im Zuſammenhang vorgeleſen hat. 

„Ich unterhalte mich mit den Toten, denen ich bald folgen werde,“ ſagte 
er dann gern. Und wie oft im Lauf der Jahrzehnte hat er nicht mit einem 
ſeiner „älteſten Freunde“, mit Cicero, das Lob der litterariſchen Studien ver— 
kündet, die da die Jugend bilden und das Alter erquicken, im Glück das Glück 
erhöhen und im Unglück uns Zuflucht und Troſt bieten, uns zu Hauſe erfreuen 
und bei Fremden nicht ſtören, mit uns reifen, übernachten und Hütten bauen. 
Jetzt hatte er in der That an ſich erfahren, daß, wenn alle übrigen VBergnügungen 
im Alter aufhören, dieſe flille Freude ein unverlierbares Gut ſei. Mit Recht 
durfte Herder nachmals jagen, daß für Friedrich die Litteratur „die Hauptquelle 
der inneren, höheren Freude und Ermunterung”“ geweſen jei. 

Auch zum Schreibtiich zog es ihn immer von neuem, wie ihm denn jeit je 
das Schreiben nicht weniger ein Bedürfnis gewejen war als das Leſen. Und 











) Bol. Bd. I, 511 (2. Aufl. ©. 512). 
2) Dben ©. 565. 


Ausgang und Ergebnifie, 647 


an Betradhtungsitoff fehlte es nicht, mochte er num vorwärts oder hinter ſich 
ſchauen. 

Blickte er in die Zukunft, ſo war es zunächſt die Perſönlichkeit ſeines Nach— 
folgers, die ihn mit Sorge erfüllte. „Wenn nach meinem Tode,“ ſchreibt er 1782 
in einer Betrachtung über die europäiſche Lage, „mein Herr Neffe in Schlaffheit 
einſchläft, wenn er ſorglos dahinlebt, wenn er, verſchwenderiſch wie er iſt, die 
Gelder des Staates vergeudet und nicht alle ſeine Seelenkräfte anfacht, ſo ſehe 
ich voraus, daß Herr Joſeph ihm ein Bein ſtellen wird und daß heute in dreißig 
Jahren weder von Preußen noch dem Hauſe Brandenburg mehr die Rede ſein 
wird.“ Er wußte, daß wenn die Großmacht Preußen ſich behaupten wollte, ſie 
in ewigem Gefechte ihren Weg gehen mußte. Er wußte, daß ſeine Monarchie 
zur Zeit mehr als durch ihre wirkliche Macht ſich durch ihre Reputation behaupte. 
„Die Reputation,” jo lautet eines der ſtolzeſten Worte ſeines Lebens, „iſt eine 
Sade ohne Preis und gilt mehr als die Macht.“ Hätte er eine wirflihe Macht 
hinter fich, fol er gejagt haben, ftünde er an der Spihe bes franzöfifhen Volks, 
fo follte fein Kanonenfhuß in Europa ohne feine Erlaubnis abgegeben werben 
dürfen. Und nicht ohne tiefen Sinn und einen jchwermütigen Beillang war 
der jcherzhafte Vorfchlag für neue Ordensinfignien, den er 1781 feinen Tijch: 
genoſſen entwidelte: für das Haus Dejterreih der donnernde Jupiter, für Eng: 
land der Piratenfapitän Merkur, für Franfreih der Stern der Venus, „und 
für uns ein Affe, denn wir äffen die Großmäcdte nah, ohne es zu fein“. 

Dabei war es immer Deiterreih mit jeinem donnernden Jupiter Joſeph, 
das er als den dräuenden Feind betrachtete, Deiterreih, die unbeimlihe Macht, 
die, wie er jagte, troß aller Landverlufte immer furdtbar blieb. Ein Zufammen: 
ftoß Preußens mit Franfreih lag außerhalb feiner Berehnung. Wenn er den 
Franzoſen eine „Revolution” vorausgejagt hat, jo hatte er damit doch nur den 
Staatsbanfrott, nicht einen Bolksaufftand im Sinn. Die Aera der Rebellionen 
fhien ihm für Europa vorüber. So hat au Voltaire gemeint, dab man unter 
Ludwig XVI. eine Fronde nicht zu befürdten babe, und daß die Theorien der 
Philoſophen die Ruhe der Staaten niemals ftören mürden. 

Das abihredende Beifpiel der franzöfischen Finanzen erhöhte Friedrichs 
Bejorgniffe für die Zukunft des eigenen, nur mit Hülfe peinlichfter Sparſamkeit 
groß gewordenen Staates. Seine eigenhändige Denkichrift vom 20. Dftober 1784 
„Weber die Verwaltung der Finanzen für die preußifche Regierung” richtet an 
den Thronerben eine eindringlihe Warnung: „In der Verwaltung der Finanzen 
muß man feine Grillen, feine Baffionen, feine Liebhabereien zügeln; denn erftens 
gehören die Einfünfte des Staates nicht dem Souverän, dies Geld hat nur eine 
rehtmäßige Anwendung: die für das Wohl und die Erleichterung der Unter: 
thanen. Jeder Fürft, der diefes Einfommen in Vergnügungen oder unangebradhten 
Freigebigkeiten verfchwendet, ift in feinem Treiben weniger Herriher als Straßen: 
räuber, weil er diejes Geld, das reine Blut der Unterthanen, zu unnügen und 
oft lädherlihen Ausgaben verwendet.“ Er wirft den Fürften vor, daß fie ins: 
gemein den Fehler der Verſchwendungsſucht und der Abneigung gegen finan: 
zielle Kalkuls, daß fie die Dummheit haben, ſich gewohnheitsmäßig und gleich 
gültig durch ihre Beamten beftehlen zu laffen: „Entweder muß man bie 


648 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


Regierung der Staaten nicht anftreben, oder man muß den edlen Vorſatz faſſen, 
fih der Aufgabe würdig zu mahen, indem man jich alle Kenntniffe, bie den 
Fürften ausmachen, erwirbt, und indem man jih durch einen edlen Ehrgeiz 
ermutigen läßt, feine der Arbeiten und Sorgen von ſich zu weifen, welde bie 
Regierung erfordert. Man wird 3. B. jagen: ‚Die Nechnungen langweilen 
mich.‘ ch erwidere: ‚Das Wohl des Staates erfordert, daß ich fie nachjehe, 
und in dieſem Falle darf feine Mühe mich verdrießen!‘“ Der Zerrüttung ber 
franzöfiihen Finanzen gedenkend, erflärt er, daß ein Königreih wie Frankreich 
immerhin unermeßliche Hülfsmittel behalte, aber in einem armen Lande, wie 
Preußen in allen feinen Provinzen es jei, werde der Ruin binnen kurzem voll: 
ſtändig und unbeilbar jein. 

So wenig wie die Ordnung im Staatshaushalt, ſchien ihm in feinem 
Preußen für die Zukunft die religiöfe Duldſamkeit gefihert, die er zum Re: 
gierungsgrundfag erhoben hatte. Er wollte nicht dafür gut jagen, daß nicht 
nad feinem Tode „irgend ein Priefter“ für die Wut feines Fanatismus freien 
Spielraum befommen werde — an eine bejtimmte Periönlichfeit, etwa einen 
Wöllner, den er gelegentlih einen „intriganten und betrügeriihen Paten“ 
genannt, hat er dabei nicht gedacht. Er blidte mit Befremden und Verachtung 
auf die Auswüchſe in dem reimaurerorden, dem er früher jeine Gunft zu: 
gewandt hatte, und beflagte, daß jegt in den Logen eine religiöfe Sekte auf: 
fomme, bie, was viel jagen wolle, abjurber jei, als alle bisher bagewejenen: das 
Rofenkreuzertum mit feinem kraſſen Aberglauben und jeinen Geifterbefhwörungen. 

Er ſelbſt dachte noch wie vor vierzig Jahren, als er es ausgeiprocden 
hatte, daß hier zu Lande jeder nad jeiner Fagon jelig werden jolle. „Ich laſſe 
jeden Gott anbeten, wie er es für richtig hält“, fchreibt er 1782 beim Jahres 
ſchluß, „und ich glaube, daß jeder das Recht hat, nad dem unbelannten Lande 
des Paradiejes oder der Hölle den Weg einzufchlagen, dem er den Vorzug gibt; 
ih begnüge mid mit der Freiheit, daß ich auch meinerjeits dem Antrieb der 
Vernunft und meiner Fagon zu denfen folgen darf.“ 

„Das unbefannte Land des Paradiefes oder der Hölle” — er war im 
Innerſten doch der Meberzeugung, daß niemand es betreten werde, dab ein 
„Wiederjehen im Thale Joſaphat“ nicht zu erhoffen jei. Wie er eine vom 
Körper getrennte Seele nicht annehmen mwollte, jo erklärte er auch, von einer 
unfterblihen Seele feine Borjtellung zu haben. Die Unfterblichkeit it ihm ein 
verzaubertes Schloß, das man von ferne ſchaut und in das niemand Einlaf 
erhält. Er beruft fih auf einen Philofophen feiner Bekanntſchaft, „einen in 
feinen Anfihten ziemlich entfchiedenen Mann” — er meint ſich felber, der einen 
binreihenden Grad der Wahrfcheinlichkeit für fi zu haben glaube, um zu der 
Gewißheit zu gelangen, „daß post mortem nihil est”. Tiefes Vergeſſen, 
ein andauernd Ruben, das ilt alles, was er ſich von Atropos’ Schere ver: 
ſprechen will. 

Denn aber Friedrih bie und da die Möglichkeit zuläßt, daß unſer Geift 
jeine irdifche Hülle überleben wird, dann will er fich getroft den Armen und 
dem Erbarmen des allgütigen Gottes anvertrauen, weil er nicht glauben kann, 
daß der Schöpfer fein Geſchöpf mißhandeln könnte. 


Ausgang und Ergebniffe. 649 


Ohne grübelnde Sorge wegen eines Zufünftigen, ohne Reue wegen bes 
Zurüdliegenden, ging er auf, bis zulegt, in der Ausnützung des Augenblides. 
Im jfeptifhen Verzicht auf die Erforihung des Undurddringliden hatte er 
gelebt, jo wollte er auch fterben, ohne im Thal des Todes nah Stüßen zu 
greifen, die er auf der Höhe des Lebensweges von fich gewieſen hatte. 

Er hat in feinen legten Wochen geäußert, den Tod fürdte er nicht, 
nur ärgere er fi über den Tod und möchte ihn mit der Fauſt wegſchlagen. 
Philoſophiſcher, mit glüdliher Selbftironie hatte er einige Jahre früher an 
d’Alembert geichrieben: „Wenn man nicht das ift, was man ehedem Hypochonder 
nannte und was man jest mit ungleich mehr Eleganz Vaporeux nennt, jo muß 
man dem Zeitpunkt, der unjeren Dummbeiten und unferen Qualen ein Ende 
bereitet, fröhlichen Sinnes entgegenfehen und fich freuen, daß der Tod uns von 
den Leidenſchaften, die uns peinigen, befreit. Nach reifliher Ueberlegung biefes 
wichtigen Gegenftandes denfe ih, meine gute Laune zu bewahren, jolange 
meine elende und gebrehlihe Majchine dauert. Weit davon, mich über mein 
nahes Enbe zu beflagen, muß ich mich vielmehr beim Publikum entjchuldigen, 
daß ich die Impertinenz gehabt babe, jo lange zu leben, es gelangweilt und 
ermüdet zu haben und ihm brei Viertel des Jahrhunderts zur Laſt geweſen zu 
fein, was über den Spaß geht.” Die Jugend möge am Leben hängen, jo 
philojophiert der Greis ein andermal, weil ihr alles lache, weil ihre Unerfahren: 
beit ihr alles jchön male und weil fie auf den Schwingen des Glüdes zum 
Gipfel ihrer Wünſche getragen zu werden glaube: „Wie bald zerftreut bie 
Wahrheit jolde Einbildungen! Sie enttäufcht den Glüdlihen durch feine eigenen 
Erfahrungen und zeigt ihm ftatt dieſer geträumten Glüdfeligfeiten das Nichtige 
der menſchlichen Eitelfeiten.” 

Ein poetiiher Rüdblid auf fein Leben und jein Streben führt ihn auf 
dasjelbe Belenntnis: 


Beim Aufitieg zu dem Thron dem Ehrgeiz unterthan, 
Sprad um Unfterblicfeit den Ruhm ich gläubig an, 

Da dody in feinem Staub das Wolf, ftumpf und verblendet, 
Den Tadel wie das Lob nur nah dem Zufall fpendet. 

In Sorgen und in Mühn verzehrte ich mein Leben, 
Blieb in Bellonas Dienft Uranien ergeben. 

Raftlos ließ ih den Geift von Plan zu Plane fchmweifen, 
Um in der Dunkelheit der Zulunft Bild zu greifen: 

Der nahen Sorgen Schar gefellte ich die fernen. 

Die Herriherfunft wollt! ih mit Fleiß und Acht erlernen, 
Um durd den Menfchengeift, dur ein verdoppelt Ringen, 
Durch kluge Rechnerei das Schickſal zu bezwingen. 

Was aber iſt der Menſch und was des Menſchen Dichten? 
Ein Nichts wird alſobald der Kurzſicht Plan vernichten. 


In der Stimmung dieſer Verſe, in der Erkenntnis des Mißverhältniſſes 
zwiſchen Erſtrebtem und Erreichtem, in dem Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit 
hat er gern den Ratſchlag des „heiligen Epikur“ im Munde geführt, daß der 
Weiſe ſich von den Staatsgeſchäften fernhalten ſolle; denn alle die, welche damit 


650 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


je zu thun gehabt hätten, fie müßten, daß unter 100 Gejchäften, die dur ihre 
Hände gingen, 94 ärgerlich feien, und je größere Angelegenheiten man zu ver: 
fehen habe, um jo mehr fei man den Wechjelfällen des Glüds, gewaltſamen 
Erſchütterungen ausgefegt. So jei ihm völlig klar, daß er, wenn er nur jein 
individuelles Glück hätte im Auge haben wollen, es als Privatmann hätte 
juchen müfjen, in einem Stande, der ihm die Annehmlichkeiten des Lebens aus: 
reihend ohne Ueberfluß verfchafft haben würde. 

Über wenn vor Jahren einmal die Rede davon geweien war, dab Maria 
Therefia an Abdankung denke, jo hatte er fehr richtig gejagt, daß ſolche An— 
wandlungen, wie fie auch ihm nicht fremb waren,!) nur einem „paflageren 
Degout” zuzufchreiben fein. Er wußte, daß der Tüchtige und Thätige die 
Unluft, die Mattigfeit, die elegiijhe Stimmung, die Trauer über die Unerreich— 
barkeit der Ideale immer wieder überwinden wird. Er hielt fih an feinen 
alten Erfahrungsfag: „Man ift in der Welt nur glüdlih, indem man fich 
beſchäftigt.“ Er ſagte fich weiter, daß für den Herrſcher, der jchaffen muß, die 
Bedächtigkeit und Selbftgenügjamleit, die Nefignation und Grämlichkeit des zu: 
nehmenden Alters eine Gefahr in ſich ſchließt. Indem er ſich inmitten feiner 
großen Kulturaufgaben nah einem langen Kriege zu dem Grundſatz befennt, 
man müjje das Vergangene vergeflen, da es bleibe wie es fei, und nur an die 
Zukunft denfen, meint er, das fei freilich einigermaßen „die Nede eines jungen 
Menſchen“: „aber bebenft, daß die Staaten unjterblich find, und daß die, welche 
an ihrer Spige ftehen, nicht altern dürfen, jolange fie regieren.“ Er gibt zu, 
„daß alle, die aufrichtig für das Wohl der Gejellichaft arbeiten, den Traum 
eines Ehrenmannes träumen”, aber er fett tapfer hinzu: „Das hindert mich 
nicht, in dem einen Kreife, in melden der Zufall mich geftellt hat, mit diefer 
Arbeit fortzufahren, um die, welche in diefem Kreije wohnen, glüdlich zu maden, 
und die Praris der Dinge, die mir täglid durch die Hände gehen, klärt mid 
über ihre Bebürfniffe auf.” „Die Menfhen glüdlih machen,” das war das 
Seal, wie es vor einem halben Jahrhundert der Verfaſſer des Antimachiavell 
in frifcher Begeilterung aufgeitellt hatte; „fie glüdlih machen, ſoweit es die 
menſchliche Natur zuläßt und die ſchwachen Kräfte, die ich aufmwenden kann, es 
erlauben,“ das ift der ins Alter gerettete Reit des jugendlichen Idealismus nad 
den Abjtrihen des Lebens, 

Friedrich bat ſolche Grundfäße nicht bloß im Munde geführt. Er ift in der 
That jein ganzes Herricherleben hindurch reblih bemüht gewejen, nad feiner 
beiten Ueberzeugung Gutes zu jchaffen, Wohlthaten auszuftreuen. Er erntete 
auch manden Dank für jein Bemühen, aufridtigen Danf, bisweilen in wahrhaft 
rührender Weije, wie wir es eben mit ihm in Hirſchberg erlebt haben. Aber 
er brachte ſich doch wieder um ben beften Teil feines Lohnes, durch die Menichen- 
veradhtung, die fich je länger je mehr in ihm feitgefegt hatte. 

Ihre Keime hatten von je in ihm gelegen: jein Hang zum Spott, fein 
Iharfer Blick für die Eigenheiten, Schwächen, Lächerlichleiten der Menſchen, das 
frühzeitig erwadhte Gefühl der geiltigen Weberlegenheit über feine Umgebung. 


') Dben ©. 339, 


Ausgang und Ergebnijie. 651 


Dann waren binzugetreten die lange Uebung des unumſchränkten Befehlens, die 
Gewohnheit, die Menſchen als Werkzeuge zu betrachten, die mannigfahen Er: 
fahrungen und Enttäufhungen beim Gebrauch diejer Werkzeuge, die Einblide, 
die er als Regent, als Feldherr, ala Diplomat, die er in jeinem eigenen Haufe 
und an feinem eigenen Tiſche in die dunfeln Tiefen des Lebens, in die fchlechten 
Inſtinkte des menſchlichen Herzens gethan hatte. Nach dem Abfall jeines einzigen 
Bundesgenoffen wählte er in den forgenvollen Herbittagen von 1761 „Die 
Schlechtigfeit der Menichen” zum Thema einer poetifhen Epiftel. Im bewußten 
Gegenſatz zu Rouffeau und in unbewußter llebereinftimmung mit Kant betrachtete 
er jet den Menichen als im Grunde böje und begegnete den Einwürfen der 
Optimiften mit feinem überlegenen: „Vous ne connaissez pas cette maudite 
race.“') Er fennt ben ‚Sauerteig von Wildheit‘ im Menjchenherjen, der nur zu 
oft wieder auffteigt, wenn man ihn zerftört zu haben glaubt. Der Menſch it 
ihm eine „espöce assez mechante“, gegen die man überall der Zwangsmaß— 
regeln bedarf, foll eine tiefwurzelnde Bosheit nicht alle Schranken der Rechtlich— 
feit und ſelbſt der Woblanftändigfeit umftoßen; er jpottet bitter: „in Anbetracht 
der Schmählichfeit und ber Verbrechen unferer Gattung dürften wir mit größerer 
MWahricheinlichfeit von böjen Geiltern, wenn es ſolche gäbe, abjtammen, als von 
einem Weſen, deifen eigentlihe Natur das Gute fein jol.“ Je älter er wurde, 
je mehr ſchwand fein Vertrauen zu den Menfchen; alle diefe fchroffften Aeuße— 
rungen gehören jeinen legten Jahren an. Es wird erzählt, daß Friedrich 1785 
bei jeinem letten Bejuh in Breslau, in einem philoſophiſchen Geſpräch mit 
Garve über diejen Gegenftand, die Menge Canaille genannt habe; Garve habe 
eingewandt: „Als Eure Majeität geitern in die Stadt famen und alles Volt 
zufammenlief, um jeinen großen König zu jehen, das war nicht Canaille!”; der 
König aber habe jchnell geantwortet: „See Er einen alten Affen aufs Pferd 
und laſſe Er ihn dur die Straßen reiten, jo wird das Volk ebenjo zufammen: 
laufen.” 

Und doch fonnte dieſem Menichenverädter in Augenbliden der inneren 
Bewegung noch das Auge feucht werden, jo daß den Seinen hinter der ehernen 
Herrſchermaske ſich plöglih der echte Menſch offenbarte.‘) „Sein Auge,“ jo 
beobachtete der Fürſt von Ligne, „durch angeitrengte Arbeit im Kabinet und die 
Mühſale des Krieges ftechend geworden, verflärte jich in Milde, wenn er einen 
edlen Zug, etwas Erhebendes oder Rührendes vernahm oder erzählte.” 

Schon ein Zeitgenofje ift der irrigen Vorſtellung der Fernerftehenden 
entgegengetreten, als ob Friedrich bei feinem Hang zur Einfamkeit und feiner 
Menjhenveradtung zulegt in Melancholie verfallen jei. Die, welche damals ein 
zuftändiges Urteil hatten, ftimmen darin überein, daß er „feinen angeborenen 
Hang zur Freude” nicht verloren hat; daß es ihm wider die Natur war, mürrifch 
und verdrießlich zu jein; daß er denen, die um ihn waren, nicht durch Anmut 
oder Klagen läjtig wurde; daß er fich die Fähigkeit bewahrte, alle Dinge „rofen: 
farben” zu erbliden. In feinen vertraulichen Briefen haben wir den Spiegel 


I) Dben ©. 592. 
2) Bol. oben ©. 510. 


652 Neuntes Bud. Fünfter Abfchnitt. 


diefer froben Laune. Ciceros Briefe ad familiares, hatte ihm einit Voltaire 
mit einer feiner graziöfen Schmeicheleien geichrieben, fämen denen von Frederic 
le Grand nicht gleih: Friedrich fei fröhlicher als Cicero, wie er auch der beſſere 
General jei, obgleich Cicero auf demjelben Echladhtfeld wie Alerander der Große 
geſchlagen habe. „Sein Frohfinn kam von jeiner Ueberlegenheit,” hat Katharina II. 
verftändnisvoll gejagt. 

Friedrich jelbit ſah in diefer jeiner glüdlihen Naturanlage feinen beiten 
Troft in förperlichen Leiden und jeelifhen Erregungen, die freilih wiederum 
bei diefem lebendigen Temperament um jo ftärfer auf ihn wirkten. Er beglüd: 
wünjchte ſich, daß er ſich immer glei blieb, auch al feine alte Frohnatur nicht 
verleugnete. „Ich bin alt, zerichlagen, gichtbrüchig, überjährig, aber immer 
froh und guten Humors,“ jcreibt er als Sechziger, „mein Freund, guten 
Humor!” ruft er als Fünfundfechziger dem fränfelnden d’Alembert zu; „das 
iſt das einzige Linderungsmittel, um bie Bürde des Lebens zu tragen.” Dabei 
bebarrt er. „Man muß verfuhen, das Leben fröhlich zu beenden”... „Da 
ih die Gicht nur in den Füßen und nicht im Kopfe habe, jo hindert fie mid 
nicht, einige Reſte meiner alten Fröhlichkeit feitzubalten.” Sein Wahliprud, 
„eine Lektion für uns Greije,” bleiben die Verſe Chaulieus: 


Je seme encore de quelques fleurs 
Le peu de chemin qui me reste. 


Bis in den Herbft von 1785 hat Friedrichs Jahreseinteilung durch feinen 
Gejundheitszuftand eine Störung nidt erlitten. Seine Gichtanfälle — 1776 
zählte er den achtzehnten — ſtellten zumeift fih nur im Winter ein, und wenn 
fie nur alle drei Jahre famen, glaubte er fich nicht beflagen zu dürfen. Selbit 
außerorbentlihe Anftrengungen griffen feinen Körper nicht erheblih an. Am 
13. Juni 1780 fam er nad vierzehntägiger mühevoller Inſpektionsreiſe um 
balbzehn früh nah Sansjouci zurüd, nachdem er um drei Uhr in der Nacht 
von Küjtrin abgefahren war, aljo 14 deutſche Meilen in jehs Stunden zurüd: 
gelegt hatte; er jaß dann breieinhalb Stunden bei Tiſch und war „friih und 
guter Yaune, als ob er noch nichts hinter fi hätte“. Als ihm im folgenden 
Jahre der Arzt die Fahrt nah Weltpreußen verbieten wollte, erhielt er die 
Antwort: „Doktor, Er treibt jein Geſchäft, ich das meinige, ih will bis zu 
meinem letten Moment meine Pfliht als König thun.” Fünf Jahre vorher 
hatte er einmal erklärt: „Meine Methode, mich nicht zu menagieren, bleibt 
immer biejelbe. Ye mehr man fich verwöhnt, defto empfindlider und ſchwächer 
wird der Körper. Mein Metier verlangt Arbeit und Thätigfeit, mein Körper 
und Geijt müſſen fich ihrer Pflicht anbequemen. Es ift nicht nötig, dab id; 
lebe, aber wohl daß ich handle. Dabei habe ih mich immer fehr wohl be: 
funden.” 

Seit Neujahr 1785 machten fi Verdauungsbejchwerden, die Folge fort: 
geiegter Verſtöße gegen die Diät, ftörender bemerkbar; im Frühjahr ftellte ſich 
die Gicht wieder ein; ber feit vierzig Jahren regelmäßig gebraudte Egerbrunnen 
war in dieſem Juni von nadteiliger Wirfung auf den Magen. So jhwad er 


Ausgang und Ergebnifie. 653 


ich fühlte, reifte der König nah Schlefien zu den Truppenübungen, in der 
Erfüllung feines Berufes als „KRönig:Connetable” hat er den Todeskeim in fich 
aufgenommen. Nahdem er dem ftrömenden Regen bes vorlegten Revuetags, 
des 24. Auguft, ſechs Stunden lang, ohne feinen Pelz anzulegen, getroßt hatte, 
mußte er nad) der Paradetafel fiebernd das Bett aufſuchen; gleihwohl erſchien 
er am nächſten Tage wieder unter feinen Truppen. Bier Wochen jpäter hatte 
er in Potsdam einen Schlaganfall; dem dortigen Herbitmanöver fonnte er nicht 
beimohnen. 

Der Winter im Potsdamer Stadtſchloß verlief qualvol. Die Anzeichen 
der Wafjerjucht traten immer beutlicher zu Tage. Sobald die Witterung im 
April milder wurde, mußte dem Kranken Nahmittags ein Seſſel auf die Frei: 
treppe des Schlofjes geieht werden, wo die warme Frühlingsfonne ihn beftrablte; 
„ih habe immer das Licht geliebt”, hörte man ihn jagen. 

Bald litt es ihm nit mehr in der Stadt. Auf einem Umwege von 
mehreren Meilen ließ er fih am 17. April, nad einer Rundfahrt durch die 
Dörfer rings um den breiten Schwielowfee, nah Sansjouci bringen. Dort 
empfing er nod an demjelben Tage den Grafen Mirabeau, den legten vor: 
nehmen fremden, ber Audienz von ihm erhielt. 

Je kürzer die ihm zugemefjene Frift wurde, um fo raftlofer jpannte er 
feine Thätigfeit an. Sonſt waren die Kabinetsbeamten früh um ſechs oder 
fieben Uhr angetreten, jeßt beftellte er fie bereits zu der vierten Morgenftunde. 
„Mein Zuftand,” eröffnete er ihnen, „zwingt mid, Ihnen diefe Mühe zu 
maden, die für Sie nicht lange dauern wird. Mein Leben ift auf der Neige; 
die Zeit, die ich noch habe, muß ich benugen, fie gehört nicht mir, fondern dem 
Staate.” Eines Morgens, am 29. Mai, ift einer der Kabinetsräte inmitten der 
Arbeit vor den Augen des Königs vom Sclage getroffen zuſammengeſunken; 
der König ließ einen anderen rufen und fuhr in feinem Tagewerk fort. Mit 
Genugthuung ſah er doch jetzt, da die Nacht für ihn hereinbrad, wie die große 
lange Kulturarbeit, an die er jein Leben gejegt hatte und die er als fein 
„Kinderſpielzeug im Alter” zu bezeichnen pflegte, bald da bald dort ihrem Ziele 
fi näherte. Schon 1783 hatte er verfügt, daß es in Pommern auf den 
Nittergütern mit den Staatszufhüllen für Meliorationszwede ein Ende haben 
fönne; im Magdeburgiſchen trat im Sommer 1785 der Zeitpunft ein, wo „neue 
Etabliffements” nicht mehr erforderlich fchienen; jegt im Sommer 1786 meinte 
er, daß man auch in den pommerjhen Städten mit „ſoliden Ameliorationes” 
aufhören könne. Aber noch wenige Tage vor feinem Tode hat er wieder an: 
gefragt, ob nicht doch vielleicht für Pommern „noch einige nützliche Sachen” 
ausfindig gemacht werden könnten, für die er dann auf das nächſte Jahr Geld 
anmweijen wollte. 

Der König fand in Sansfouci für fein Leiden die Linderung nicht, die er 
noch gehofft hatte. Die Nächte fpendeten immer weniger Schlaf; das Lager 
aufzujudhen, verbot die Atemnot, der Kranke blieb in feinem Lehnſeſſel: „ich 
ftehe nie auf, denn ich gehe nie zu Bette,” fagte er bei der erften Begrüßung 
dem aus Hannover herbeigerufenen berühmten Arzte, dem Ritter v. Zimmer: 
mann. Hülfe war nicht mehr möglid. Das Befinden wechſelte. Es galt als 


654 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


ein übles Zeihen, wenn man die Wagen mit den täglichen Geſellſchaftern jofort 
wieder nad Potsdam zurüdrollen ſah; denn alsdann hatte ber König die 
gemeinfame Tafel abjagen laffen. Am 4. Juli ließ er jih noch einmal auf 
den Condé, jeinen langen Schimmel, fegen und ritt drei Viertelftunden durch 
den Garten von Sansfouci, jogar im Galopp. Die Wirkung war jehr übel; 
der Reiter fam ganz entfräftet zurüd und mußte ſich erbreden. Am 10. Juli 
fagte er dem Doktor Zimmermann, daß er ihn in Potsdam nit aufhalten 
dürfe, um die Kranken in Hannover ber ärztlihen Hülfe nicht länger zu 
berauben. Als Zimmermann fi am nächften Morgen beurlaubte, 309 ber 
König feinen großen weichen abgetragenen Hut mit der vergilbten Feder und 
neigte „mit unbefchreibliher Würde, Huld und Freundlichkeit” fein Haupt zum 
Sceidegruß: „Vergeſſen Sie den guten alten Mann nicht, den Sie hier geſehen 
haben.” 

Zwei Tage zuvor war Hergberg als Sommergait feines Gebieters in 
Sansfouci eingetroffen. Seine Briefe an jeinen Kollegen Findenftein geben 
uns für die nächſten Wochen bulletinartig, fait Tag für Tag, einen getreuen 
Beriht von dem Verlauf der legten Krankheit des Könige. 

Am 21. Juli glaubte unjer Beriterftatter wahrzunehmen, daß der Kranke 
fih von Tag zu Tag erhole, aber gegen Ende des Monats zeigte fi eine neue 
Wendung zum Schlechteren, herbeigeführt durch Verbauungsbeichwerben. Am 
30. Juli abends mußte der Vorleſer in Voltaires Geſchichte Ludwigs XV. beim 
Jahre 1757 innehalten, weil die Schmerzen allzu gewaltſam auftraten; die 
Lektüre ift nach diefem Tage nicht wieder aufgenommen worden. 

Gerade in biefen Tagen, da die Auflöfung fchnelle Fortfchritte machte, 
wurde in den Berliner Buchläden ein Bamphlet voll der niedrigften Schmähungen 
gegen ben König und feine Umgebung frei öffentlich verfauft. Hertzberg wünjchte 
das Verbot der Schrift; der König, dem man fie zugeichidt Hatte, ſagte ihm: 
„Man muß das verachten.“ 

Als Friedrich fih in den nächſten Tagen wieder wohler fühlte, verlangte 
er von feinem Berliner Arzt Selle „mit feiner gewohnten Furdtlofigfeit”, er jolle 
das angefammelte Waſſer durch Einjchnitte an den Beinen entfernen. Der Arzt 
fonnte ſich dazu nicht entichließen, da er ein Hinzutreten des Brandes fürdhtete; 
die Natur half fih am 4. Auguft felber durch eine rojenartige Entzündung 
des linken Schienbeines mit reichlicher Abjonderung von Feuchtigkeit. Der Kranke 
fühlte jich erleichtert. Sein Appetit blieb vortrefflih; er ftellte fich felbit täglich 
die Speijenfolge zufammen und aß reichlich, Schwere und leichte Gerichte unter: 
ſchiedlos. Es war ein Zeichen neuer Yebensluft, daß er von diefem Tage an 
die ganze nächſte Woche hindurch feine Feine Geſellſchaft wieder zweimal täglich, 
morgens gegen elf Uhr und abends gegen ſechs, um fich verfammelte. Auch 
Hoym, der jchlefiihe Provinzialminifter, wurde in bdiefen Tagen nod zum 
Vortrag empfangen. Am 12, äußerte ber König, dab er ſich wie neugeboren 
fühle, fanf aber bald darauf in Schlummer. „Er thut feine ganze Arbeit,“ 
ſchreibt Hergberg, „aber doch mit Widerftreben, mit Eile und indem er fich 
dazu zwingt, jo daß er nicht alles mit voller Aufmerkfamteit lieft.” Am Morgen 
des 13. erzählte er dem Miniſter nach einer durch Fiebererfcheinungen geftörten 


Ausgang und Ergebniffe. 655 


Naht den ganzen Inhalt der aus Wien eingelaufenen Depeihen. Die drei 
Adjutanten, die er als jeine Vertreter zur Teilnahme an ben jchlefiihen Ma: 
növern abordnete — der Soldatenwig hatte die nicht überall gern Gejehenen 
die heiligen drei Könige getauft — verjah er am jelben Tage mündlich mit 
den eingehendften Weilungen. An diefem Abend jchlief er um jieben Uhr in 
Gegenwart jeiner Gäfte ein, ſchickte fie um acht fort und fchlief von zehn Uhr 
ab zwölf Stunden ununterbroden, ließ dann den Stadtkommandanten und bie 
jeit jehs Stunden harrenden Sekretäre vor und diftierte kurze Antworten auf 
die diplomatifhen Berichte. Die Gejelichafter wurden an dieſem 14. nicht 
mehr gerufen. 

Am 15. Auguft begann der König die Arbeit mit feinen Kabinetsbeamten 
wieder früh um fünf. Fieber war nicht vorhanden, dem ihn behandelnden 
Chirurgen ſchien der Zuftand befriedigend. Aber die Unterfchriften, die er noch 
erteilte, zeigten in ihren verjchobenen Zügen unverkennbar die Schwäche bes 
Schreibenden. 

Am 16,, einem Mittwoch, erſchienen die Sekretäre, die Adjutanten, der 
Stadtlommandant früh zu der einem jeden vorgefchriebenen Zeit; auch heute, 
wie vorgeftern, mußten fie warten. Die Stunden vergingen, endlich warb ber 
General Rohdich gerufen. Der König hatte fih in einem klaren Augenblide 
jeiner erinnert, er wollte ibm die Parole geben, er fand feine Sprade nicht; 
er ſah Rohdich mit einem klagenden Blide an, das Haupt janf jeitwärts in 
die Kiffen zurüd, der General war zu Thränen gerührt und 309 ſein Tuch vor 
die Augen, der König ſchlummerte wieder. Die Truppen, die vor dem Thore 
ererzierten, erwarteten jeden Augenblid die Nachricht von feinem Abjcheiden. 

Um drei Uhr nachmittags fam, durch einen Eilboten des Prinzen von 
Preußen aus Berlin berbeigebolt, der Doktor Selle. Das Bewußtfein war jegt 
etwas lichter, der König erkannte die Anmwejenden, aber er erinnerte fich nicht 
der heute noch nicht erledigten Regierungsgeſchäfte. Das Gefiht war leicht 
gerötet, die Augen hatten ihr altes Feuer noch nicht ganz verloren, und die 
Füße vermochten im Berlauf diejes Abends noch einige Schritte zu machen. 
Ein janfter Schlummer bradte gegen fieben Uhr gelinden Schweiß, aber die 
Beine bis zum Knie aufwärts begannen zu erlalten. Seit neun Uhr lag ein 
furzer Huften auf der Bruft, von lauten Röcheltönen unterbroden. Dazwiſchen 
nod einige Worte, einige Gebärden. Als die Wanduhr über jeinem Haupte 
elf ichlägt, horcht der König auf und fragt: „Was ift die Glode? Um vier Uhr 
will ich aufftehen.” Das Bemußtjein ift ihm noch nicht ganz gejchwunden; er 
fragt nad feinem Windfpiel und befiehlt, das fröftelnde Tier mit einem Kiffen 
zuzudeden. Er wehrte nicht, daß fein Kammerhuſar Strügfy, der den fort und 
fort in eine gepreßte Stellung Zufammenfinfenden fait alle zwei Minuten auf: 
rihten mußte, ſich endlich neben dem Stuhle auf das Knie ließ, ihn umjchlang 
und mit beiden Händen ftüßte: aljo verharrte der treue Diener noch an drei 
Stunden. Nach einem neuen heftigen Hultenanfall, der den Schleim löfte, jeufzte 
der Sterbende: „La montagne est passee, nous irons mieux*. In dem 
Nebenzimmer weilte Selle mit Hergberg, Görk und Schwerin; als der Arzt 
eine Stunde nad Mitternacht noch einmal das Kranfenzimmer betrat, zitterte der 


656 Neuntes Bud. Fünfter Abfchnitt. 


Buls und wich zurüd, das Auge war matt und feudht. Der Huften ward 
feltener und ſchwächer, das Röcheln ftärfer. Zwanzig Minuten nad zwei ein 
leifes Zuden des Mundes, der Tod war gelommen. 

Hergberg drüdte dem großen König die Augen zu und führte dann den 
alsbald aus Potsdam herbeigerufenen Nachfolger zu der Leiche. Als am Morgen 
ber junge Prinz Friedrih Wilhelm, der nunmehrige Kronprinz, nad) Sansjouci 
fam, fah er den Toten im Konzertjaal auf feinem Feldbett liegen, einen Eleinen 
Hut auf dem Kopfe, der mit einer Serviette um das Kinn befeftigt war, mit 
einem alten blauen Seidenmantel und darunter einem Pelzhemd angethan, die 
Füße in großen Gidhtitiefeln. Zwei Diener fehrten mit grünen Zweigen die 
Fliegen von dem Antlig ab. 

Und wenn nun feine Offiziere an bieje eilig hergerichtete Bahre heran: 
traten und feine Grenadiere, dann gemahnte es fie ernft und weihevoll an bie 
großen Zeiten der gemeinfamen Kämpfe: alio in feinen Mantel gehült, hatte 
er fo mande Naht auf feinem Strohlager mitten unter ihnen gerubt. Und 
bie hellen Thränen rannen über ihre Wangen. Dem einen aber von ben 
Getreuen, dem in feine ſchweizeriſche Heimat zurüdgelehrten General Zentulus, 
ſollte noch vor Yahresihluß fein Wunſch in Erfüllung geben, den er damals 
ausſprach: feinem Heldenkönig bald als Arrieregarde folgen zu dürfen, wie 
Bieten zu Anfang des Jahres die Avantgarde gebildet hatte. 

Bei der Eibesleiftung der Berliner Garnijon für Friedrih Wilhelm II., 
noch am Todestage jelbit, richtete General Möllendorff an die Offiziere tief 
erjehlittert, weinend, bie jhlihten Worte: „Sie haben den größten ber Könige, 
den eriten der Helden verloren, und ich verliere meinen Herrn und, wenn ih es 
jagen darf, meinen Freund.” 

Niht auf der Terrafje zu Sansfouci, wie er_felbit es beſtimmt hatte, ift 
Friebrich zur legten Ruhe gebettet worden, fondern in ber Potsdamer Garnifon: 
firche an ber Seite feines Vaters. Dorthin wurde der Sarg am Abend des 
18. Auguft übergeführt, nachdem die Leiche den Tag über im Stadtſchloß 
öffentlih in Parade ausgeftellt worden war. Am 9. September fand das feier: 
liche Leihenbegängnis ftatt, ganz in den Formen, in denen ſich einft die Toten: 
feier für Friedrich Wilhelm I. bewegt hatte. 








Noch nie hatte einen Sterbliden eine folche Fülle von Nachrufen zu Grabe 
geleitet, wie fie uns in der weitſchichtigen, alsbald nad) Friedrichs Tode aus dem 
Boden geſchoſſenen Litteratur vorliegt. Leichenprebigten und Gedäcdhtnisreden, 
Kantaten, Oden und Epitaphe, zufammenfaffende Lebensbeichreibungen und 
Beiträge zu einzelnen Augenbliden feiner Geſchichte, Effais und Fragmente und 
endlich jene zahlreihen Sammlungen gut oder jchleht beglaubigter Anekooten. 
Für den Geſchichtsforſcher fachlich nicht allzu ergiebig, ift dieſe Litteratur als 
Ganzes ein vollwichtiges Zeugnis dafür, in weldem Maße Friedrichs Helden: 
leben den Zeitgenoſſen Betrachtungsitoff, ihrer Phantafie Beihäftigung geboten 
hatte. Seine Perjönlichkeit war ihnen nun einmal „die größte Merkwürdigkeit 
des Jahrhunderts”. 


Ausgang und Grgebniffe. 057 


Aus der breiten Maſſe der Nachrufe ragt der eine empor: 
Willſt du aber die Meinung beherrichen, beherrfche durch That fie, 
Nicht durch Geheiß und Verbot. Der wadre Mann, der beitändige, 
Der den Seinen und ſich zu nützen veriteht und groß dem Zufall gebietet, 
Der den Augenblid fennt, dem unverfchleiert die Zukunft 

In der jtillen Zelle des hohen Denkers erfcheinet, 

Der wo alle wanfen noch jteht — 

Der beherrjcht fein Wolf, er gebietet der Menge der Menfchen. 
Einen folhen habt ihr gefehen vor furzem hinaufwärts 

Zu den Göttern getragen, woher er fam. hm fchauten 

Alle Völker der Welt mit traurigen Bliden nad. 


Goethe bat dieſe flüchtig auf das Papier geworfenen Verfe nicht vollendet 
und nicht veröffentliht. Wie weit und bis in welche Niederungen Friedrichs 
Ruhm gedrungen war, dafür traten dem Dichter auf feiner italienischen Reife 
die Beweiſe leibhaftig entgegen, von dem päpftlihen Offizier aus Perugia, der 
da willen wollte, daß der Preußenfönig insgeheim katholiſch geweſen fei, bis zu 
den fizilianifhen Kleinftädtern, deren Teilnahme an diefem Großen jo lebhaft 
war, daß Goethe ihnen feinen Tod verhehlen mußte, um feinen Wirten „nicht 
durch eine jo unfelige Nachricht verhaßt zu werben“. 

Aber Friedrihs Weltruhm und die volkstümliche Verbreitung feines Bild: 
nifjes „auf Pfeifenföpfen und Taſſen“, an der Goethe |päter feine eigene Popu— 
larität gemefjen bat, fie hatten ihre Kehrſeite. 

Mirabeau ſchrieb am Abend des Todestages aus Berlin, diefer Tag habe 
ein bemerfenswertes Schaufpiel geboten: „Alles ift büfter, nichts traurig; alles 
iſt beichäftigt, nichts befümmert. Kein Geſicht, das nicht Erleichterung und 
Hoffnung ankündigt; nicht ein Bedauern, nicht ein Seufjer, nicht ein Lob. 
Dabinaus aljo laufen jo viel gewonnene Schladten, jo viel Ruhm, eine Re: 
gierung von fait einem halben Jahrhundert voll jo vieler Großthaten. Alle 
Melt wünjchte ihr Ende, alle Welt beglückwünſcht fich dazu.“ 

Wir haben das Mikvergnügen der vornehmen Gejellihaftsihichten, inner: 
halb deren Mirabeau in Berlin verkehrte und jeine einfeitigen Beobachtungen 
machte, fennen gelernt. Die „große Revolution“, auf die Hertberg und andere 
mit ihm gehofft hatten, war gefommen. Ein engliiher Diplomat hatte ſchon 
vor Jahren gelagt: es werde faſt diefelbe Gefchidlichkeit erfordern, für Preußen 
die errungene, weit über die natürlihen Verhältniſſe hinausreichende Stellung 
zu behaupten, als fie begründet zu haben. Die Männer aber, die jegt an der 
Bahre des großen Königs ftanden, der Nachfolger und feine Berater, haben fich 
die Frage nicht vorgelegt, ob ihre Kräfte hinreihen würden, die Arbeit des 
bundertarmigen Titanen fortzuführen. Genug, daß die Zukunft jest ihnen 
gehörte. 

Nicht gegen das Regierungsiyitem Frievrihs als Ganzes, nur gegen bie 
Anwendung des Syitems in Einzelheiten und gegen feine Auswüchſe haben fich 
die Reformanläufe der nächſten Jahre gerichtet. Wie wenig man mit dem Alten 
ſchroff breden, grundfäglic etwas Neues fchaffen, ganze Arbeit leiften wollte, 

Avier, König Friedrich der Große, 11. 2. Aufl, 42 


658 Meuntes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


das beweift nichts jchlagender als die damals ausgegebene Lofung:!) Rückkehr zu 
der ‚Staatsordnung Friedrich Wilhelms J.! Die „glüdlihen Zeiten” dieſes 
Herrihers, von denen doch niemand mehr eine greifbare Vorftellung hatte, 
waren in aller Munde. Grundfägliher Widerjpruh gegen das Syftem und 
zwar vorzugsweiſe gegen jeine volfswirtichaftlihe Seite, gegen den Merkantilis— 
mus, wurde nur ganz vereinzelt, von einem Fremden erhoben. Nachdem 
zuerft 1773 der Abbe Raynal in feiner Histoire politique et philosophique 
des deux Indes die Monopole und die Negieverwaltung Friedrichs auf bas 
ſchärfſte verurteilt hatte, richtete jet Mirabeau feinen offenen Brief an Friedrich 
Wilhelm II., mit der ftürmifhen Aufforderung, zum Freihandellüberzugehen, alle 
indireften Steuern dur eine einzige Grunditeuer im Sinne der agrarifchen 
Schulweisheit der Phyfiofraten zu erjegen, das ftehende Heer durch eine Bürger: 
wehr abzulöjen, alle Adelsvorrechte und alle Monopole abzuſchaffen. Mirabeaus 
großes Sammelmwerf „De la monarchie prussienne*, die ganz auf die Mode: 
theorien bes Verfaſſers zugeipigte, geiftreihe Verarbeitung allerhand eiligit 
zufammengerafiter, höchſt lückenhafter Nachrichten über die Verwaltung, Volfe- 
wirtichaft und Statiftif des preußifchen Staates, hat dann dem Syitem Friedrichs 
des Großen durch acht Bände bindurd den Prozeß gemacht; ging es nad) 
Mirabeau, fo blieb von dem alten Preußen fein Stein auf dem anderen. *) 

Derweil hatte Friedrihs Nachfolger feine Flidarbeit, feine reftaurierende 
Thätigfeit begonnen. Man bejeitigte die bejonders unpopulären Einrichtungen, 
die franzöfifche Acciſeverwaltung, die Kaffeeregie, das Tabalsmonopol. Man juchte 
die durch die Kabinettsregierung herbeigeführte Verbildung: der Zentralverwaltung 
dur kleine Abhülfen zurüdzubilden. Man glaubte, den auf den Unterthanen 
laftenden Drud da und dort erleichtern, die jtraff geipannten Bande lodern zu 
fönnen, und geriet dabei, zumal im Staatshaushalt, jehr bald auf eine abſchüſſige 
Bahn. Weitergehende Neformgedanken fanden feinen Raum. Wöllners einft 
dem Prinzen von Preußen entwidelte Vorfchläge zur Hebung des Bauern: 
ftandes und zur Beſchränkung der Adelsvorrechte blieben unausgeführt, ja 
unerörtert. 

Ein grundſätzlicher Brud mit den Weberlieferungen der vorangegangenen 
Regierung vollzog fich nur auf dem einen Gebiete, das außerhalb des unmittelbaren 
Bufammenhanges der großen Verwaltungsmaſchine lag, in der Kirchenpolitif. 
Hier erhob Wöllner gegen König Friedrich die Anklage, daß er in feinen Landen 
„ven Hauptgrund zur fsreidenferei und zur Verachtung der hriftlichen Religion“ 
gelegt habe, und ließ zur Verteidigung des Religionsebiftes von 17883 die wunder: 
ſame Mär in Umlauf jegen, Friedrich habe zulegt feine Reue ausgeſprochen 
und befannt: „gern gebe er jeine ſchönſte Bataille dafür zurüd, daß er die 
Liebe zur Religion und die Moralität wieder jo allgemein maden fönnte, wie 
er jie bei feinem NRegierungsantritt gefunden habe.“ Wöllners Urteil über 
Friedrihs Stellung zur Religion haben viele andere und Beſſere geteilt, vor 
allen der Freiherr vom Stein. Aber ein gläubiger Ehrift, wie der General 


) Val. ©. 383. 
2) Xgl. oben ©. 422. 


Ausgang und Ergebniffe. 659 


Leopold v. Gerlach hat fi auf das Zeugnis feines Vaters dafür berufen, daß 
Friedrich Wilhelms II. auswendige Religiofität, verbunden mit feinem fittenlofen 
Wandel, der Kirche mehr Schaden gethan habe, als Friedrichs Jrreligiofität. 

Drei Jahre nah Friedrichs Tod ſchrieb Katharina II. angefichts ber 
litterarifchen Angriffe gegen jein Andenfen: „Es ift ohne Frage jeltiam, mit 
welcher Subtilität man dem Ruhm und dem Namen fFriedrihs II. zu ſchaden 
ſucht, und das drudt und veröffentlicht jih in Berlin; dieſer große Mann tft 
indes nicht erfegt.” Goethe drüdte ſich noch kräftiger aus, über die Hunde, die 
an des „größten Königs Grube” ihr Unweſen trieben. 

Friedrih Wilhelm II. hat den Namen des „Vielgeliebten”, mit dem man 
ihn begrüßt hatte, nicht lange behauptet. Bei dem Thronwechſel von 1797 
wünſchte man fi, die Zeiten Friebrichs des Großen wieder anbredhen zu 
jehen, wie man elf Jahre zuvor die Zeit des erſten Friedrich Wilhelm zurüd: 
gejehnt hatte. Nun jpottete einer von Friedrichs Verkleinerern, jein ehemaliger 
Flügeladjutant Berenhorft: ein Succefjor, wie Friedrich Wilhelm II, gehöre 
wejentlih zu Friedrichs glüdlihen Geſtirnen: zu dem jekigen Unkenruf ber 
Sfribler und Rhetoren von der übermenjhliden Größe Friedrichs fei eine 
Haupturjache dieſer Nachfolger, „den man jehnlich herbeimünjchte, von dem man 
fih viel, gar zu viel verſprach, und der jo wenig leiftete”. 

Nicht im Namen Friedrich Wilhelms I., nicht im Zeichen der Vergangenheit 
hätte gegen Friedrichs Werk der Angriff eröffnet werden dürfen. Die Gegner, 
mit denen fich die alte Monardie auseinanderjegen mußte, waren die jungen 
Mächte der Zukunft, die Jdeen, die, auf frangöfifhem Erdreich ausgefät und 
aufgefproßt, in der Revolution von 1789 ihr Haupt erhoben und fich in Frank—⸗ 
reich alsbald wenigftens teilweife durchjegten. Es war ein Kampf großer, tief: 
liegender, jchroff auseinanderftrebender Grundfäße, die in legter Linie fih auf 
den einfachen Gegenſatz von individueller Freiheit und ftaatlihem Zwang zurüd: 
führten. Das Syitem des preußifchen Staates, wie es Friedrich der Große zur 
Ihärfften Anfpannung, zur größten Vollendung gebracht hatte, ging auf Zentrali- 
jation in einer höchſten Spige hinaus, auf Unterordnung des Einzelnen, der Ge: 
meinben, der ftänbifchen Körperfchaften unter die Staatsbehörden, Unterordnung 
diefer Behörden unter den Souverän: wie zuvor das ftändifche Mitregiment burch 
die Bureaufratie, jo war jett bis zu gewiſſem Grade die Bureaufratie durch bie 
Kabinettsregierung mediatifiert worden; ber Abjolutismus war aufs äußerſte ge— 
fteigert, auf die beiden Augen des Monarchen geftellt worden. Die franzöſiſche 
Revolution gab fünf Jahre nach Friedrichs Tod in der Verfaffung von 1791 ben 
Gemeinden Selbitverwaltung, Befreiung von der Bevormundung ber Staats: 
behörden, den Behörden eine befeftigte Stellung neben dem Staatsoberhaupt, einer 
Volfsvertretung Selbitändigfeit neben der Staatsregierung. Und wie die politifche 
und abminijtrative Sphäre war nad dem alten Eyftem aud das wirtichaftliche 
Leben nicht bloß der Aufficht, ſondern der unmittelbaren Leitung der Staatsgewalt 
unterworfen; in dem Merfantilismus hatte ſich der Abjolutismus feine wirtſchaft— 
ide Erfcheinungsform gegeben. Die neue Theorie forderte ungehemmten Blut: 
umlauf in dem wirtſchaftlichen Organismus, weiten Spielraum für alle Kräfte, 
freien Wettbewerb der Individuen. Eben derjelbe Jndividualismus verwarf die 


660 Neuntes Bud. Fünfter Abfchnitt. 


foziale Schichtung des alten Staatswejens, die Drbnung und Unterordnung der mit 
den Geburtsjtänden im mwejentlichen ſich noch dedenden Berufsftände, dieſe joziale 
Schichtung, die Friedrih, wie wir gejehen haben,') auf das forgfältigfte gepflegt 
hatte. Sollte die alte, ſtändiſch abgeftufte Gejelichaftsordnung aud in Preußen 
fallen und einer einheitlihen ftaatsbürgerlihen Gejamtmafje Pla maden, dann 
fiel notwendig mit ihr auch die überlieferte Form der Steuerverfaflung und ber 
Wehrverfaffung, wie fie funftvoll und eng jener Scheidung der Stände und ber 
mit ihr zufammenhängenden Scheidung von Stadt und Land angepaßt war. 

Die Auseinanderjegung zwiſchen dem alten und neuen Syftem, 1807 in 
Preußen begonnen, bat das ganze neunzehnte Jahrhundert durchzogen; denn 
mehr als hundert Jahre find nah Friedrichs Tode dahingegangen, ehe ein jo 
wejentliher Teil des Neformprogramms von 1807, wie die Landgemeindeord: 
nung, zur Ausführung gelangt war. 

Das Ideal der Regierungskunft Friedrichs des Großen mußte in dem 
Maße erblaffen, als das nachkommende Geihleht fih das Wort des älteren 
Mirabeau aneignete, daß „die Wut zu regieren die verderblichſte Krankheit der 
modernen Regierungen ſei“ — biejes Wort, das der junge Wilhelm von 
Humboldt 1792 jeinem Verſuch über die Grenzen der Staatswirkſamkeit als 
Motto voranitellte. Der Zujammenbruh des alten Preußens am Tage von 
Sena und Auerftedt war biesjeits und jenfeits der preußijchen Grenzen für viele 
ber Beweis, daß das Fridericianiihe Syſtem völlig verfehlt gewejen ſei. Ein 
franzöfifher Schriftiteller hat fih damals gewundert, daß man Friedrich noch 
immer den Großen nenne, Als dann der Freiherr vom Stein den Staat neu 
aufzubauen begann, da fonnte es nicht anders jein, als daß er, der alles Heil 
von „dem lebendigen, feft ftrebenden, jchaffenden Geift” der Staatsbürger, von 
ihrer kräftigen Initiative und ihrem Selbftgefühl erwartete, daß Stein ein Syitem 
verurteilte und beflagte, in weldem alles auf die Selbftregierung eines Einzelnen 
berechnet geweſen fei, alle Kräfte den bewegenden Stoß von oben erwartet hätten. 
Gleichzeitig erhob in jenen Tagen der Fremdherrſchaft Ernit Morig Arndt jeine 
leidenfchaftlihen Anklagen gegen den undeutichen König, den Franzen-Affen, den 
Feind und Zerftörer der deutſchen Verfaſſung, deflen Größe Deutichland zum 
Verderben und deſſen Gedächtnis Deutjchland zum Fluch geworden fei. Ein 
anderes Angriffsfeld wählte ſich demnächſt das Reftaurationgzeitalter. In ihrem 
prinzipiellen Gegenfaß gegen die naturrechtliche Doftrin und gegen den in ihr wur: 
zelnden aufgeflärten Abjolutismus betrachtete Hallers „Reitauration der Staats: 
wiſſenſchaften“ das Fridericianische preußiihe Landrecht als den auffallendften 
Beweis von dem unglüdlichen Einfluß, den die unphilojophiichen Irrtümer auch 
auf die Fürften und ihre Umgebungen gehabt hätten. 

Uns ift der Abjolutismus einfach eine hiſtoriſche Ericheinung, der gegen: 
über wir lediglich fragen, was fie politifch geleiltet hat. Und dann lautet die 
Antwort, daß der Abjolutismus in Preußen wie anderwärts ftaatsbildende Kraft 
in bervorragendem Grade bewährt und zumal bei uns eine in befonderem Maße 
pünftliche, einfichtige und zuverläffige Verwaltung geihaffen hat, daß in feiner 


) Oben ©. 556. 557. 


Ausgang und Ergebniffe. 561 


ftrengen und harten Echule das preußiiche Volk erit erzogen, ja erit geformt 
worden ift; daß unter dem abjoluten Regiment das brandenburgifchpreußiiche 
Heer zuerft gebändigt und dann zu einem unvergleihlihen Werkzeug ausgebildet 
worden ift, der landſäſſige Abel fi zuerft an Gehorfam gewöhnt und dann als 
treu und hingebend erprobt hat, der Bauernftand zwar nicht aus jeiner Ab: 
bängigfeit gelöft, aber in feinem Befiß gefihert, durch den Waffendienit all: 
mählich zu Gemeinfinn erwedt und durch die perjönliche Fürforge des Monarchen 
mit Vertrauen zu dem Geredtigfeitsfinn der Landesherrſchaft erfüllt, das 
Bürgertum zu Sparjamfeit, Fleiß und Unternehmungsgeift angeleitet worden 
ift; daß erft der Abfjolutismus den Boden bereitet hat, dem dann zu Be: 
ginn des neunzehnten Jahrhunderts die Saat der Selbftverwaltung anvertraut 
werden fonnte. 

Daß das Syitem des Abjolutismus aud in Preußen bei den größten 
Yeiftungen offenbare Schwächen gehabt hat, ift unferer Betrachtung nicht ent- 
gangen. Wir verfennen niht, daß in dieſem Syftem reiche Kräfte gebunden 
blieben, dur die allzu ftraffe Spannung eritidt wurden; daß das Syitem, zumal 
in feiner wirtjchaftlihen Ausgeftaltung,!) einjeitig den Berhältniffen und Be: 
dürfniffen der mittleren Provinzen, der geſchloſſenen Kernlande angepaßt war; 
daß durch die Eigenart des Syftems mande Aufgaben, welche die Reformpolitif 
des Königtums an ſich gern gelöft hätte, gehemmt, ja unmöglich gemacht wurden; ?) 
daß die Ueberhöhung des Abjolutismus, wie fie in der Kabinettsregierung erfolgte, 
bis zu gewiffem Grade eine Desorganijation herbeiführte;“) daß das Syitem 
allzuſehr auf die Perfönlichfeit des Trägers zugejchnitten war.‘) Der legte 
Punkt trifft den Kern des Problems. Aber hat denn ber große Mann nicht 
das mit ihm geborene Recht, feiner Wefensart die Formen anzupaflen, die Dinge 
fich zu unterwerfen, ftatt fih ben Dingen? Jede gemwaltige Energie braucht 
weiten Spielraum, um fich durchzuſetzen, fich zu erfchließen und auszugeben. 
Wer dieje diktatorifhe Gewalt beflagen will, mit der noch jede große welthifto- 
riſche Perjönlichkeit die Schranken der Alltäglichkeit durchbrochen hat, dem ift für 
ein großes Geheimnis bes geichichtlichen Lebens der Einn verſchloſſen, der ver: 
fennt ben ftärkften Hebel des allgemeinen Fortſchritts. 

Einer unferer hervorragenditen Geſchichtſchreiber, Niebuhr bat gejagt: 
„Es hat immer Menſchen gegeben, welche an allem, was groß und ſchön war, 
Flecken auffuchten oder fie anhefteten, und diefe haben fidh immer vor der Nachwelt 
verächtlich gemacht.” Friedrich hat feine eigene Sache geführt in feiner Verteidi— 
gung Ludwigs XIV. gegen die Angriffe der Encyflopädiften: „Die Fehler diejes 
Fürften find befannt, und diefe jogenannten Philojophen haben nicht einmal den 
fleinen Vorzug, fie zuerft aufgededt zu haben. Ein Fürft, der nur acht Tage 
regiert, wird ohne Zweifel Fehler begehen, um wieviel mehr ein Monarch, der 
jechzig Jahre feines Lebens auf dem Thron zugebradt hat.” Es ift nicht abzu— 


') 3b. I, 438; oben ©. 400. 

2) Bol. oben S. 377 ff. 

2) Bd. I, 315. 316. 386. 395 (2. Aufl, S. 316. 317. 386. 395); oben S. 389. 
*) 3b. I, 319 (2. Aufl. S. 320). 


662 Neuntes Buch. Fünfter Abfchnitt. 


jehen, wie Friedrich für feine Zeit die großen Leiftungen, die er vollbracht hat, 
mit anderen Mitteln, als denen feines Syitems hätte erzielen follen. „Uniere 
Nation”, jagte er, für jeine Zeit mit vollem Recht, „bat das Auge des Herm 
nötig, um aufgemuntert zu werden.“ Und aud Stein hat anerkannt, da 
Friedrih, im Gegenfag zu Joſef Il., von willtürlihem Umformen des Vorge: 
fundenen weit entfernt gemwejen fei. Wenn nad) der eigenen Bemerkung Friedrichs 
für die hiftoriihe Größe eines Menſchen alles von dem Zeitpunkt abhängt, zu 
dem er auf die Welt fommt, fo hat in feinem Falle der richtige Augenblid den 
rihtigen Mann gefunden. 

Verſuchen wir nun, wieder nicht mit den Augen irgend eines vorange: 
gangenen Geſchlechts, jondern mit möglichft unbefangenem Blid das feitzuftellen, 
was fih, abgefehen von der Bedeutung Friedrichs des Großen für feine Zeit, 
bis heute als das dauernde Ergebnis feiner Lebensarbeit bezeichnen läßt; ver: 
ſuchen wir, was jchon 1808 die Gerechteſten und ARubigften, wie Schleiermader, 
als Aufgabe und Pflicht bezeichneten, das „Wejentliche und Bleibende” an feinem 
Werke von dem „Zufälligen” zu fcheiden. 

Friedrih hat die Ermwerbung von Schlefien als die Epoche der Größe 
feiner Dynaſtie bezeichnet.) Er hat noch jung ji rühmen dürfen, mehr als 
irgend ein anderer beigetragen zu haben zum Wachstum feines Haufes. Dieier 
Ruhm ift ihm geblieben. Er bat feinen Staat den enticheidenden Schritt thun 
lafien, ihn in den geſchloſſenen Kreis der alten Großmädte bineingeführt. 
Jeder jpätere Zuwachs an Macht ift ein grabueller, nicht wieder ein fpezififcher 
geweſen. 

Mit dieſer preußiſchen Großmacht war nun weiter die Vorausſetzung und 
der feſte Kern geſchaffen zu dem deutſchen Nationalſtaat der Zukunft. Die neue 
europäiſche Großmacht Preußen war eine ausſchließlich deutſche Großmacht, die 
deutſche Großmacht, die bisher in Europa gefehlt hatte; denn Oeſterreich, mit 
undeutſchem Beſitz überladen, konnte, obgleich mit der Krone des Deutſchen Reiches 
geſchmückt, als deutſche Großmacht nicht gelten. Bis dahin war, wie ein preußi— 
ſcher Patriot von 1808, Süvern in ſeinen Königsberger Vorleſungen, gejagt 
bat, „die Mitte Europas leer, durh Preußen befam fie Gehalt und Fülle und 
Konſiſtenz“. Noch war die Einheit Deutichlands nicht begründet, aber ein großer 
innerdeutjcher Einigungsprozeß hatte fi volljogen. Der brandenburgifch:preußiiche 
Teil von Deutihland war ein jo übermwiegendes Bruchſtück des Ganzen, daf 
diefer auf feinen einzelnen Volksſtamm beſchränkte, an keine landſchaftliche Grenze 
gebundene Staat bereits ein Kleindeutichland, ein Neudeutſchland darftellte. 
Derweil Defterreichs territorialer Schwerpunft fih aus Deutihland hinausſchob, 
war Preußen immer mehr nad Deutjchland hineingewachſen. Nicht ein großes 
nationales Zukunftsbild im Auge, nicht als bewußte Träger einer deutſchen 
Miffion, fondern immer von brandenburgiſch-preußiſchen Geſichtspunkten aus: 
gehend, hatten gleichwohl die Hohenzollern mit jeder ihrer Erwerbungen nicht bloß 
dem eigenen Vorteile, fondern auch der gemeinen Sade, dem Vorteile Deutid: 
lands gedient: jchon damals galt, daß Deutichland gewann, was Preußen erwarb, 


1) Bgl. Bo. I, 250. 


Ausgang und Ergebniffe. 663 


mochte es fih um das alte Orbensland und das ſchwediſche Pommern, oder um 
Weltpreußen und, wir bürfen es hinzufügen, um Schlefien handeln. Noch war 
die Lofung in Preußen nicht ausgegeben, zur Zeit und Stunde Deutjchland unter 
preußiiher Spige zufammenzufafjen; vielmehr hatte Friedrich feinen Nachfolgern 
den Rat erteilt, ven Staat vor allem auf eine noch höhere Stufe der Macht zu 
erheben und dann erft an Glanz und Schimmer, an einen Titel, an die Kaifer: 
frone zu denken. Denn auch nad) der Erwerbung von Schlefien und Weftpreußen 
galt noch immer das Wort Friedrich Wilhelms I., daß der preußifche Staat 
entweder zu Elein oder zu groß jei; wollte er inmitten der alten Mächte, inmitten 
jo vieler Nachbarn feine hart erfämpfte Stellung und Geltung behaupten, fo 
mußte der junge Staat wachen, fich dehnen, fi abrunden. 

Friedrih hat jeinen Staat zu einer europäifhen Großmadt, zu der deut: 
ihen Großmadt erhoben: er hat feinem Volke auch das für eine Großmadt 
unentbehrliche Selbitgefühl gegeben, hat von feinem eigenen jtarfen Selbitgefühl 
den Seinen abgegeben. Das gewahrte Goethe!) an feinem Freunde Philipp 
Hadert, der als Preuße von Geburt „feinen Teil von der Glorie des großen 
Königs ſich zueignete”, nun aber auch durch „Tüdhtigfeit, Strenge, Schärfe, 
Thätigkeit und Ausdauern“ den Belten feines preußifchen Volks ähnelte. Wer 
hatte vor Friedrichs Zeiten von einem preußiihen Volke geſprochen? Die Märker 
hatten zu Anfang des Jahrhunderts ſich gefträubt, den Namen eines fremden 
Stammes, den nad Bismards Ausdruck „damals ziemlich verjchollenen” Namen 
der Preußen anzunehmen, und die Dynaftie jelber bezeichnete fich in den erften 
hundert Jahren nad) Annahme des preußiichen Königstitels noch immer als das 
„Haus Brandenburg“. Friedrich hatte von feinen Unterthanen, vorab von jeinen 
Offizieren und Soldaten verlangt, daß fie fih Preußen nennen folten. Bald 
bedurfte es eines Gebotes nicht mehr. Die gemeinfamen Kämpfe und gemein: 
jamen Siege ber unter dem preußifchen Zepter vereinigten deutichen Stämme, 
die Siege ber preußifhen Waffen unter den jchwarzeweißen Fahnen, hatten den 
preußiihen Namen in allen Teilen der Monarchie jett vollstümlich gemadt. Man 
fühlte fih als ein Bolt und fühlte fi als ein ruhmvolles Volf. Niemand hat 
dem beredteren Ausdruck gegeben als Arndt, troß feines Verdammungsurteils über 
das Werk Friedrichs des Großen. Indem er in feinem „Geift der Zeit” feft- 
jtellt, daß die meijten Deutichen, „Bürger Kleiner Staaten”, „Teilnehmer Heiner 
Verhältniffe, Gefhäfte und Anfichten”, Großes nicht zu verlieren gehabt und 
fomit die Herrihhaft der Fremden faum als ein Unglüd empfunden hätten, fährt 
Arndt fort: „Anderes widerfuhr den Preußen. Sie hatten einen unjterblichen 
Namen, einen großen Ruhm verloren. Sie konnten ohne Ehre nicht mehr glüdlich 
fein. Alle fühlten das Unglüd, aber bitterer fühlten fie die Schande, fie trauerten, 
aber zürnten noch mehr.” So konnte die Erinnerung an Friedrich bei der Jahr: 
hunbertfeier feines Geburtstags in trübiter Zeit einem Fichte, einem Blücher die 
flammenden Worte eingeben, welche die Herzen der Hörer zu „itarfer und erniter 
Begeifterung“ Hinriffen. Und fo hat Claujewig eben damals, Anfang 1812, 
es ausgejprocdhen, wie von einem Staat mit diefer Vergangenheit ganz Europa 


ij Bol. aud oben ©. 334. 


664 Neuntes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


erwarten müfle, „daß er ſich noch einmal gegen eine völlige Unterdrüdung und 
Vernichtung erheben und durd einen Kampf auf Leben und Tod Friedrichs 
Namen fih würdig zeigen werde”. 

In fonzentrierter Kraft und Schärfe hat das preußiſche Selbitgefühl in 
dem Organ fortgelebt, dur das der große König diefen Geift geichaffen 
hatte, in dem preußifchen Heere. Was damals von den Preußen insgejamt 
gejagt wurde, galt von dem preußijchen Offizier und Soldaten insbejondere: ein 
jeder eignete feinen Teil von der Glorie diejes Königs ih an, der jein pro 
gloria et patria in die preußiichen Fahnen gefchrieben, der mit jeinem Heer in 
zwölf Kriegsjahren gegen eine Welt von Feinden das Feld behauptet und in 
härtefter Bedrängnis bewährt hatte, daß er „mehr als ein großer Feldherr“, 
daß er ein Held war. Und wußte nicht jeder im Heere bis zum jüngſten 
Rekruten, daß der Soldatenjtand im Staate ber erjte war, weil er von dem 
Könige, der jelber den Soldatenrod trug, vor allen anderen Ständen geſchätzt 
wurde? Bereits durch Friedrih Wilhelm I. feinem Volke eingeflößt, ift der militä- 
rifhe Geift in Preußen durch die übermwältigenden Erfolge des Fridericianifchen 
Heeres jo eritarft, daß er dem Staate bis auf den heutigen Tag gleihiam als 
character indelebilis geblieben ift. 

Mit Net ift betont worden, daß die neue preußifche Armee, wie fie 
Scharnhorit und Boyen gebildet haben, noch die unverfennbaren Grundzüge des 
Fridericianifchen Zeitalters trug. So hat fi auch die Reform der Verwaltung, 
die Umgeftaltung der Behörden im nmeunzehnten Jahrhundert ohne jchroffen 
Bruch mit der Vergangenheit, ohne jchroffe Preisgabe der Weberlieferungen 
Friedrich Wilhelms I. und Friedrihs II. vollzogen, und noch heute treten 
uns in ber preußiihen Verwaltung auf Schritt und Tritt Spuren jenes 
alten Syſtems entgegen, die der Zeiten Flucht, die Wandlungen von 1807 
und 1848 überbauert haben. Dieſe Zäbigfeit der alten Lebensfräfte, dieje 
Widerftandsfähigfeit des im Heer und im Beamtentum eingemwurzelten Geiites 
bat einft den Freiherrn vom Stein in einer Stunde zorniger Erregung zu 
der feitbem in mandherlei Variationen wiederholten Anklage gegen die Branden: 
burger hingerifien, daß fie doch eigentlih nur zu Korporals und Kalkulatoren 
gemadt jeien. Wenn nun Friedrich die um die Mark Brandenburg fi 
anfryftallifierenden Provinzen an der Elbe und ber Oder als ben feiten und 
für die innere Politik maßgebenden Kern feiner Monarchie betrachtet hatte, fo 
erinnern auch daran manche Ericheinungen in unferem Staats: und Gejellichafts: 
leben noch heute deutlich. 

Auch in feiner Wirtichaftspolitif ift uns nod heute Frievrih mehr als 
eine tote hiftorifche Erinnerung. In dem Maße, als gegen die lange behauptete 
Alleinherrihaft einer nationalöfonomijhen Doktrin fih während bes legten 
Menſchenalters eine Reaktion geltend madte, erichloß fih, danf eindringender 
urfundlider Studien, das Verftändnis für die Ziele und Leiſtungen der von 
jener Doktrin verurteilten Fridericianifhen Wirtjchaftspolitif, und die Praris der 
Gegenwart hat an mehr als einem Punkte, wie in der inneren Kolonijation, 
an die Vorgänge bes achtzjehnten Jahrhunderts angefnüpft. Bei Erörterung 
agrariiher Tagesfragen ift Friebrih im Parteifampf geradezu als Zeuge ange: 


Ausgang und Ergebniffe. 665 


rufen worden. Sein Induftriefhug darf nicht nad der mehr zufälligen Thatjache 
beurteilt werden, daß gerade feine Lieblingsihöpfung, die Berliner Seiden— 
manufaftur, unter veränderten Abjakverhältnifjen ihre Thätigfeit wieder ein: 
geitellt hat; jein großes Verdienſt bleibt,!) durch jeine Bemühungen einen leiftungs: 
fähigen Großbetrieb und einen technisch ausgebildeten gewerblichen Arbeiterftand 
herangezogen und bamit auch hier die feften Grundlagen für die jpätere Ent: 
widelung geſchaffen zu haben. 

Uns viel bemwußter reicht in die Gegenwart hinein die Nachwirkung jeiner 
im engeren Sinne geiltigen Erbichaft: die der Nachwelt zum Gemeingut ge: 
wordene Grinnerung an die leuchtende Thatſache, daß Preußens größter König 
fih perfönlih in den Dienft ber Wiſſenſchaft geftellt, den Künften feine Huldi— 
gung dargebradt und den Grundjag der Gemiffensfreiheit als das Palladium 
feines Staates bingeftellt hat, einen Grundjaß, der, wo er fih im Verlauf 
unſerer Gejchichte je gefährdet glaubte, an fein Tribunal wirkſamer hat appellieren 
fönnen, als an Friedrichs geharnifchten Geift. 

Das perjönlihe Verhältnis, das feine Nachfolger zu diefem Könige gefucht 
und gefunden haben, ift ein verichiedenes geweien. Der Herrſcher, der dem 
Genius Friedrichs voll warmer Bewunderung, Friedrichs Philofophie mit ent: 
ſchiedenem Widerſpruch gegenüberftand, Friedrich Wilhelm IV. hat in ſchickſals— 
ſchwerer Stunde den Hinweis auf das Beiſpiel des Fridericianiſchen Heldentums 
und Wagemuts mit dem Eingeſtändnis abgelehnt: Er ſei kein großer Regent. Nicht 
Heldengröße läßt ſich im Erbgange vermachen; das eine Stück aber aus dem 
Vermächtnis des Heldenkönigs wird bindend bleiben für alle Erben ſeiner Krone 
ohne Unterſchied: ſein Beiſpiel der Treue und der Pflichterfüllung, ſein Wort, 
daß der Fürſt des Staates erſter Diener ſein ſoll. 

Wenn einſt die heute noch unmittelbar wahrnehmbaren Nachwirkungen der 
Lebensarbeit des großen Königs ſich im Laufe der Zeiten mehr und mehr ver— 
flüchtigt haben werden, dann wird noch das Bild ſeiner ausgeprägten Perſönlichkeit, 
wie ſie in ungezählten Urkunden ſich offenbart hat, die Teilnahme der kommenden 
Geſchlechter feſſeln: die kraftvolle, widerſpruchsvolle Miſchung der Tempera— 
mente, dieſe einzige Verbindung von Thatkraft und Beſonnenheit, Feuer und 
Mäßigung, Entſchloſſenheit und Ueberlegung, jäher Impulſivität und zäher Aus— 
dauer, von Schärfe und Weichheit, Leichtherzigkeit und Sentimentalität, Spott 
und Frömmigkeit, von tiefer Verſchlagenheit und herber Wahrhaftigkeit, von 
Talent und Charakter, Genialität und Selbſtzucht. Den Dämon in ſeiner 
Bruſt behielt er in ſeiner Gewalt und wußte wiederum in derſelben Bruſt bei 
härteſter Not unauslöſchliche Gluten moraliſchen Widerſtandes anzufachen, aus 
der Tiefe ſeiner Seele unüberwindliche Hilfsmächte zu Schutz und Trutz auf— 
zubieten. Eine äſthetiſch angelegte, genußfähige, dem eignen Geſtändnis nach 
epikureiſch gerichtete Natur, das echte Kind des ſchöngeiſtigen Jahrhunderts, trat 
aus ſich heraus und nahm Heldengeſtalt an und bewährte das antike Wort, daß 
das die edelſten Seelen ſind, die bei voller Empfänglichkeit für den Genuß und 
klarer Vorſtellung von bevorſtehenden Mühſalen und Opfern ſich doch nicht ver— 


) Vgl. oben ©. 399. 


666 Neuntes Bud. Fünfter Abichnitt. 


leiten lafjen, den Gefahren aus dem Wege zu gehen. Und aljo ift es dann 
geihehen, daß dieſes achtzehnte Jahrhundert, das politiih und militäriſch als 
ein Zeitalter der Erſchlaffung begonnen hatte, einen Lebenslauf heraufführte, 
von dem ein Zufchauer gejagt hat, dab Fünftige Geſchlechter deſſen Geſchichte 
eher für ein Heldengebicht, als für die wahre Erzählung wirklich gefchehener 
Dinge halten würden. 

„Die Stärke der Staaten beruht auf den großen Männern, welche die 
Natur ihnen zur rechten Stunde geboren werden läßt” — in diefen Worten hat 
Friedrich feine Auffalfung von der Bedeutung der Perfönlichkeit für die Geſchichte 
niedergelegt. Seine eigne Geichichte beitätigt feinen Ausſpruch. 


Anmerkungen. 


Die „Bolitifhe Korreipondenz Friebrihs des Großen“ (PC) liegt 1903 mit Bd. 28 
bis Juli 1769 vor und enthält für den Siebenjährigen Krieg ungleich reichhaltigeren Stoff als 
A. Schäfer in feinem verbienftlichen Werk (Geſch. des Siebenj. Krieges, 3 Bde. 1867—1874) 
benügen Fonnte. Zu den älteren militärifhen Darftellungen, den Memoiren des Königs, 
(Euvres de Frederie le Grand IV. V. (CE.), der „Geſchichte des Siebenj. Krieges” von Tempel: 
hoff (6 Bde. 1783 ff.; val. Herrmann, Ueber die Quellen T.'s, Berliner Diff. 1885), den Ab: 
handlungen in der Defterreihifhen Militärifhen Zeitfchrift (Jahrg. 1811. 13. 20. 22. 24. 26. 
33. 35. 4143) und der „Geſchichte des Siebenj. Krieges von den Offizieren bes großen General: 
ftabs“ (6 Bde. 1824 ff.), Th. v. Bernhardi, Fr. d. Gr. als Feldherr (2 Bde. 1881) ift jekt, 
von mir in dem Anfang 1900 erichienenen Halbband I (die erfte Lieferung lag bereits 1392 vor) 
nod nicht benüßt, das neue Generalftaböwerf (G. Stab) getreten: „Die Kriege Fr. d. Gr.” 
Teil II. Bd. 1—3 (1901), bis Ende Auguft 1757; dieſe weſentlich andere Zwede verfolgende, 
ind einzelne gehende Darftellung von fahmännifher Seite beftätigt mir in den entjcheidenden 
Punkten bie Richtigkeit meiner nur in großen Umriſſen ausgeführten Zeihnung; ich verweiſe 
auf einen demnächſt in der hiftoriihen Zeitfchrift Bd. 92 von mir zu veröffentlichenden Auffak. 
— Militäriſche Darftellung von ruflifher Seite: Mafllowäfi, Der Sieben. Krieg überfegt 
von A. v. Drygalski (3 Bde., 1888 ff.), von franzöfifer Seite: Pajol, Les guerres sous Louis XV 
(1881 fi.) und (im Ericheinen begriffen, auch Geſch. der Politif) R. Waddington, La guerre 
de sept ans (1899). Für den fchwedifchen Krieg: Marfchall v. Sulidi, Der Siebenj. Krieg in P. 
(1867). Für Deiterreih in erjter Linie: A. v. Arneth, Geld. Maria Therefiadö V—X, dazu 
Arneths und Beers Aftenpublifationen. 

Für die Zeit jeit 1763 liegt eine neuere, in den Abjchnitten über die auswärtige Politik 
auf archivalifhen Studien beruhende Gefamtdarftellung vor: E. Reimann, Neuere Geſch. 
des preuß. Staats feit 1763 (2 Bode. bis 1786; 1882—1886). Urkundliches Material zur 
Geſch. der inneren Politif enthalten für den in dem vorliegenden Bande behandelten Zeitraum 
vornehmlich: Publikationen aus den preuß. Staatsarchiven (Publ.) XI. XIII. XVIII. XXIV. 
Acta Borussica (Seideninduftrie, herausg. von Schmoller und Hinge). Preuß, Urkundenbuch 
zur Vebensgefhichte Fr. d. Gr. (UB.). 


VI. 1. Verlauf und Wirkungen des Feldzugs von 1756. 


(Seite 11—26.) Vorbereitungen. Beſetzung von Sachſen. Bol;, Publ. LXXIV. Für die 
Kontroverfe über den Uriprung des Arieged babe ich dem in der 2. Aufl. des erften Bandes 
(S. 645) Bemerften nichts hinzuzufügen. Seitdem hat fih aud) ein norwegiicher Forfcher gegen 
die Lehmanniche Hypotheſe erflärt: Mosgren, Fredrik den store og syvaarskrigens oprindelse 
(1902); ebenfo Hinke in den Forſchungen zur brand. und preuß. Geſch. (im Folgenden abge: 
türzt: FBPG.) XV 280 ff. — Mähren als Offenfivziel der fribericianifchen Strategie (val. 
A. Naude, Fr. d. Gr. Angriffspläne, Marburg 1893) halte ich gegen D. Herrmann (Jahrb. 


668 Zu Bud VI, Abichnitt I. IT. II. 


d. deutihe Armee CXI) feit; fiehe Schon Bd. I 556. Bal. auh Wolf FBPG. XIII 552. — 
Sachſen: archiv. Material bei (Vitzthum v. Edftädt] Geheimniffe des ſächſ. Kabinets (1866) 
und in den preuß. Debultionen von 1756 (Neudrude in „Preußiſche Staatäfchriften” Bo. III, 
bearb, von D. Krausfe). Bal. weiter E. Herrmann, Preußische Jahrb. XLVII. XLVII. Xipvert, 
Ar.d. Gr. und Brühl, Nieberlauf. Mitteilungen VII. Bolz, Politit und Ariegführung Ar. d. Gr. 
in den erften Nahren des Siebenj. Krieges (1896). Zu dem andantır PC. XII 125 vgl. den 
Bericht des ſächſ. Gejhäftsträgers Wiedmarfter Revue historique LVIII 14. 

(Seite 26 —37.) Oeſterreichiſche Nüftung. Lobofig und Pirna. Küngel, Publ. LXXIV 
p. CLVII ff. Die Entftehbung der Depeihe an Efterhazy vom 22. Mai (oben S. 28, Bo. I 647., 
2. Aufl.) beurteilt Küngel CLXX anders; vgl. dagegen Hintze FBPG. XV 283. — Für 
Loboſitz grundlegend Granier, Die Schlacht bei 2. (1890); über das Verhältnis von Dopſch, 
Das Treffen bei L. (1892) zu Granier vgl. Immich FBPG. VI 855. Dem neuen General: 
ſtabswerk find als Ergänzungen gefolgt: Urk. Beiträge und Korihungen zur Geſch. des preuß. 
Heeres, Heft 1 und 4 (Soldatenbriefe und die Relation Ferdinands von Braunichmweig, ausder 
hervorgeht, dak der König den Homolfaberg verlaffen hat; val. oben ©. 32). 

(Seite 37-583.) Ausbau der Koalition, Neben den älteren Werten jegt Küntzel, 
Publ. LXXIV. Waddington I, Recueil des instructions donndes aux ambassadeurs de France 
(1884 ff.) Maſſlowski I. Bilbafjoff, Katharina II (vgl. I 421, II 24 über die engliihen Rad: 
rihten aus Rußland). Zur Kritif der Memoiren von Bernis: Küngel FBPG. XV 117. Für 
Schweden vgl, Arnheim FBPG. III 611; VI 242. Arnheim, Memoiren der Königin Ulrife 
Luife (1888). Für das Reich: H. Meyer, Der Plan eines evangeliihen Fürftenbundes im 
Siebenj. Krieg, Bonn 1893 (Dif.); VBitterauf, Die furbayr. Rolitif im Siebenj. Krieg (1901) 
L. Schulg, Jahrb. des Ber. für medienb. Geih. LIII. LIV. Brunner, Zeitichr. des Ver. für 
heil. Geſch. N. F. XII. — Dresdener Binterquartiere: PC. XIV; XXI 556. Heinze, 
Dresden in Siebenj. Krieg (1883), Hendel von Donnersmard, Mil. Nachlaß (1846) Ib 70 ff. (val. 
Zippert FBPG. XIII 497). Bolz, Ariegführung und Politik 202, Herrmann FBPG.I 275. 


VI. 2. Prag und Kolin. 


(Seite 54. 55.) Vorbemerkungen: Pharſalus: Sendel I b 192. PC. XIV 172; E. XXVII 
a 892.; vgl. ebend. VIII 288; XXVIII 11; XXIX 70. 83. 76. 78. 122. 126. 140. PC. I 
268. 286; III 136. 

(Seite 56—62.) Verhandlungen mit Gngland und Hannover: Zu PC. XIV val. 
v. Haffell, Die fehle. Kriege und das Kurf. Hannover (1879). Waddington I. Arnetb VI. 

(Seite 62— 76.) Feldzugsplan. Teftament von 1768 (Miscelaneen zur Geſch. Fr. d. Gr. 
143) PC. XIV. Ich habe abfichtlich bei Ausarbeitung diejes Abſchnittes die vorangegangene 
Kontroverslitteratur nicht zu Rate gezogen. Inzwiſchen erſchien die lange vermifte Biographie 
Winterfeldts in dem Buche von X. Mollmo (1899). Cine kritiihe Biographie Schwerins fehlt 
noch immer, 

(Seite 76-86.) Prag: Kritit der Quellen bei Ammann, Schlacht bei Pr. (1887). Wich— 
tige Beiträge zur QUuellenkritif für die beiden erften Feldzüge jind ferner: [v. Spig] Die 
Süßenbachſchen Handfchriften, Mil. Wochenbl. 1898, Beiheft 8; Jany, Das Gaudifhe Journal 
(Urkundliche Beiträge und Forſchungen zur Geich. des preuß. Heers, Heft 3). 

(Seite 86—98.) Kolin: vgl. meine Bemertungen FBPG. XI 174—200. Für das 
ganze Kapitel: G. Stab. III, Bb. 2, 3. 


VI. 3. Von Kolin nach Leutben. 


(Seite 99—105.) Aufhebung der Belagerung von Prag. Ankunft im Lager: 
Hendel Ib 229. MWeftphalen, Feldzüge des Herzogs Ferdinand II 12 FBPG. XII 352. — 
Heinrich: PC. XV 28. Raumer, Beiträge, II 246, Alefia: Bülow, Prinz Heinrih (1805) 
1 12. Phaeton: Arneth V 198. 502, — Rüdblide auf Kolin: Weftphalen I 195. Defterr. 


Zu Bud VI, Abſchnitt II. IV, 669 


Mil. Zeitihr. 1824 ©. 44. Bellona J 53. PC. XV 234. Raisons (E. XXVII c 269. — Richter, 
Defterr. Volksſchriften und Vollslieder im fiebenj. Krieg (1869) S. 39. 

(Seite 105— 110.) Räumung von Böhmen. Tod der Köniain:Mutter. PC. XV 
2038 ff. Raumer II 433. Mitchell Memoirs I 253. 357. (E. XII 41. — Prinz; von 
Preußen: (E. XXVI Hendel II b 152. 178. 179. 183. 184. 255. Valory Mém. II 364. 
Welichinger, La mission secröte de Mirabeau à Berlin (1900) 177. SHendel PC. XV 281. 
807. Publ. XXI 8375. Zeitſchr. für Preuß. Geih. (ZPrG.) XVII 48. Ueber die Ausgaben 
der Apologie des Pringen: CE. XXVI p. XXI. Heinrid: Hendel I b 238. 240. 245. 268. 
Strategiihe Erwägungen: PC. XV 1983. 243. 263. 268. Mitchell I 255. 356. 

(Seite 110— 111.) PBerhandlung mit England. Schäfer I 350. 523. Mitchell I 264. 
362. PC. XV 89. — Schlacht bei Haftenbed: v. Haffell a. a. D. 357 fi. 

(Seite 111— 114.) Operationen in der Lauſitz. PC. XV 280 ff. Keith bei Mitchell II 
463. Sendel Ib 267. 269. 270. Weftphalen II 19. Arneth V 504. 510. — Körperliches 
Befinden PC. XV 311. 

(Seite 114—136.) Feldzug gegen die Franzoſen. Verhandlungen: PC. XV. 
Broglie, Voltaire avant et pendant la guerre de sept ans (1898; val Volz a. a. D. 210. 
Baillae in HZ. LXXXLI 375. v. Noftiz in Hift.:Pol. Blätter CXV 849), Hohenzollern: 
jahrbuch 1899, S. 136. — Gotha: J. v. d. Oſten, Luife Dorothee von S. ©. (1893) 162. 
Burbaum, Seydlig S. 50. Hendel I b. 298. Rödenbed, Tagebuh 1 319. — Wilhelmine: 
jept Fefter, Die Baireuther Schwefter Fr. d. Gr. (1902) 149 ff. — Die Poeſien von 1757: 
(E. XIL; val. XXVII a 399. Hendel Ib 307. — Berlin: A. Naude, Märk. Forſchungen 
XX. — Zur VBorgeihihte von Roßbach vgl. Stuhr I 175. 186—189. 192. 203. 342. 348. 
Für die Neichsarmee grundlegend Brodrüd, Duellenftüde und Studien (1858); dort aud bie 
Berichte Mollingerd. Zu den in früheren Darftellungen benügten Berichten habe ich außer 
ungedrudtem Material vor allem Weftphalen III 55 ff. herangezogen. Bgl. ferner Rödenbed 
1 326. Tagebuch des Mustetierd Dominicus ber. v. Kerler (1891) 31. Berenhorft Nachlaß II. 
Finot et Galmiche, Une mission militaire en Prusse 1786 (1881) p. 86. Sammlung uns 
gedrudter Nachrichten (SUN.) IV 26. CE. XII 70. v. Haffell 463. Die württembergifche 
Standarte: Niethammer, Mil. Wochenblatt 1879, Beiheft S. 195. Ebend. 1900 ©. 119 ein 
Vortrag über Roßbach von Didhuth. 

(Zeite 1386—148.) Feldzug in Schlefien. Armeelommando Bevernäd: Die Re: 
fation Bellona VI. VII (mit Kürzungen bei Hendel Ib 374—379; identiih mit dem 
Preeis in der Süßenbachſchen Sammlung vgl. Forihungen zur deutſch. Geih. XVII 586) ift 
von Bevern jelber; vgl. v. Seidl, fir. d. Gr. und feine Gegner (1819) 159; als Entgegnung 
gegen Goltz (Bellona VII 78.; VII 3). Bgl. auch Kutzen, Die Tage von Kolin und Leuthen 
1 185; 11 167. 168. — Stimmung im Seere vor Leuthen: Barſewiſch, Kriegserlebniſſe 
(2. Aufl. 1863). Warnery, Les campagnes de Frederic II (1788) 237. 238. SUN. IV 65. 
229. [Kaltenborn] Briefe v. alten preuß. Off. I 37. — Ueber die Barhmwiger Rede und 
den Abend im Schloffe von Liſſa habe ih FBPG. I 605—618 gehandelt; die Anführung 
der traditionellen Begrüßungsworte (oben 5. 146) fließt feinen Widerfpruh mit jenen Aus: 
führungen ein (vgl. FBPG. XIII 598); die Begrüßung bat ftattgehabt, aber die Begegnung 
mit den abaefchnittenen öfterr, Offizieren (dad war der Echwerpunft meines Nachweiſes) war 
für den König ohne Gefahr. — Die inzwiſchen erfchienene Arbeit von Gerber, Die Sc. b. L. 
(1901) will al$ Zahlenverhältnis der beiden Heere 40:66 herausrechnen (?). Bgl. zu Gerber: 
Mil. Wochenblatt 1902 Nr. 40; ebend. 1900 Beiheft 291 ein Auffag von v. Leszezynsli über 
Bredlau und Yeuthen. 


VI. 4 Pas Jahr 1758. 


(Seite 149— 158.) Preußens Gegner nach Leuthen. Zum Cingang vgl. Pröhle, Fr. d. Gr. 
und die beutiche Lit. (1872) S. 70 und Weber, Benetianiihe Stimmen zum Siebenj. Kriege, 
FBPG. Ill. Bal. jetzt aud d’Ancona, Ar. d. Gr. und bie Staliener, deutih von Schnell, 
S. 7 ff. — Franfreih und Defterreich: Arhivalifches Material bei Filon, L’ambassade 


070 Zu Bud VI, Abichnitt IV. 


de Choiseul à Vienne (1872). Arneth V 277. 292 ff. Schäfer II a 525 ff. Stuhr IT 1 fi. 
423 fi. Kirchenſchändung: Schäfer IIa 527. Filon 41. 42, 52. Huſchberg 395. Schloſſer, 
Geſch. des 18. Jahrh. VI 300 (5. Aufl.) — Sadien: Stuhr 1309. Schäfer a5. — Winter: 
feldzug in Niederbeutfhland: Hauptwerf Weftphalen, Geſch. der Feldzüge bes Herzogs 
Ferdinand von Braunichweig, 6 Bde. (1859 ff.); val. Donalies in FBPG. IX und Daniels 
in Preuß. Jahrb. Bd. 77. 78. 80. 82, — La face grosse et rubiconde de M. de Bernis: 
Voltaire an d’Argental, 24. Mai 1758. — Rückzug Aprarind, Sturz Beſtuſhews: 
Arneth V 213. 288. Mafflowsli I 244 ff. Bilbaffoff I 415 ff. 424. 425. 445. Herrmann in 
Preuß. Jahrb. XLVII 576 fi.; LXVIII 1. FBPG. XV 539. — Franzoſiſch-ſchwedi— 
her Bertrag: Schäfer I a 10. Bal. Marfhall v. Sulidi 84 fi. 


(Seite 158—161.) Breblauer Winterquartiere. Auf die Epifode Yoblomwit (vgl. 
Volz, Politik und Kriegführung 170) beabfichtige ich bei Veröffentlihung der gleich zu er- 
wähnenden Vorkeichen Berichte zurüdzulommen. — Mailly: PC. XVI 435. — Zur Stim— 
mung: CE. XVII 112. 114; XIX 48; XX 269; XXIII 18. PC. XVI 156. 157. 160. 174. 
175. 189. 190. 198. 227. — Die fihlefiihen Katholifen: Hendel Ib 896. Publ. X 111. 
XV 111. und jegt Nürnberger, P. Faulhaber (1900: val. Granier, Deutiche Lit. Zeitung 1901 
Nr. 43). 

(Seite 161—170.) Vorbereitungen für den neuen Feldzug. Finanzoperationen: 
vgl. meine Unterfuhungen FBPG. XII. — Verhandlungen mit England: Bertrag 
vom 11. April 1758. Wenck, Codex jur. gentium Ill 173. Außer dem gedrudten urkund— 
lihen Material benugte ich Berichte Yorkes aus dem Public Record Office zu London, die 
ih an andrer Stelle veröffentlichen werde. Ueber Pitt val. PC. XVI 875; XVII 26; über 
Geora II. Haffell 404. Mitchell I 376. 877. Schäfer I 376. — Eventualität eines Vorſtoßes 
nad Frankreich: Berichte Yorkes; vgl. PC. XVII 24. Anm. 2. XVII 24. 16. Publ. XXII 
361. — Indemnifationsfrage: PC. XVI 348. 377. 898. 403. XVII 24. 25. Dazu 
eine ungedrudte Denffhrift Kindenfteins aus dem Januar 1758 — Feldzugsplan: PC. 
XVI 308. 332. 342. 346—8348. 375. 381. CE. IV 192. vgl. Henckel II a 28. Gen. Stab II 
211. Arnetb V 329. — Ergänzung des Heeres: PC. XVI 175. 227. 286. 291. 376. 
401. XVII 62 Märf. Forſch. XIX 71. 184. Sendel II a 30. 


(Seite 170— 175.) Mährifcher Feldzug. PC. XVII. Catts Tagebücher Publ. XXII. — 
Höhepuntt der Stimmung: PC. XVII 52. 55. 57. Mitchell II 26. Dorfes Bericht 14. Juni 
1758. — Borzeihen des militärifhen Rückſchlags: PC. XVII 50. 60. vgl. 31; XVI 327. 
392. Arnetb V 359 ff. — Gefeht von Domftabt! PC. XVII 62. Anm. 3. 94. Wobersnow 
bei Sendel IIla 67. Mitchell II 33, 

(Seite 175—177.) Rückzug durh Böhmen. Wirkung des Fehlſchlages: PC. 
XVII 96. 120. 126. 129. 149. Mitchell II 33. 34. Hendel ITa 67. — Weifungen an 
Dohna: PC. XVII 121. 122. 157. Tempelhoff II 136. — Schlacht beabſichtigt (CE. 
IV 199 nicht erwähnt): PC. XVII 132—134; vol. 184. Tempelboff II 174. — Abmarid 
aus Böhmen: (nit, wie Arneth V 401 meint, das Berdienft Dauns) PC. XVII 138. 145. 
148. 185. 

(Seite 177—186.) Feldzug gegen die Ruſſen. Immich, Die Schlaht bei Zorndorf 
(1898) vgl. v. d. Wengen, Deutjche Heereszeitung 1894, Nr. 18 ff. Ueber Fermor vol 
Mafllowsti II 2 ff. 209. 242. 306. 807. Arneth V 8. — NHanonenfurdt der Soldaten: PC. 
XVI 308. 347; XVII 84. 122. Publ. XXI 356. — Eine neue Biographie von Seydlik 
wäre erwünicht; die ältere Lit. verzeichnet Burbaum, Seydlit (2. Aufl. 1890). 


(Seite 186—194.) Feldzug in Sadjjen. Arneth V 397 fi. PC. XVII 211 ff. Publ. 
XXI 365 ff. CE. XX 271, XXVIla 406. — Dauns Mari nah Hochkirch: Defterr. Mil 
Zeitihr. 1842, 273.5; Dagegen Bernhardi I 291. Der Stromberg: Tempelhoff Il 280. 281. 
283. PC. XVII 295. 296. — Hochkirch: vgl. die Diff. von Hohenemfer, Heidelberg 1899. 
Ein Beriht Gaubis im Geh. StR. ift wenig aufflärend. Dispofition des Ueberfalld: Hendel 
IH a 2. Warnende Stimmen: Publ. XXI 198. 221. 375. 376. Retzow I 344. Maſſenbach, 
NRüderinnerungen I 202.; val. PC. XVII 279. (CE. XXVID. 162. Kampf um den Kirchhof 


Zu Bud VII, Abſchnitt 1. 571 


(fehr widerſpruchsvolle Berichte): Küfter, Vruhftüd feines Campagnelebens (2. Aufl. 1791) 
35. 72. 186. SUN, IV 87. Bellona XV 37. ©. Stab (1824) II 312. Tempelboff II 327. 
GG. IV 213. — Rüdzug: Küfter 53. Barſewiſch 82 Preuß IV 480; vgl. Publ. XXI 376. 
— Tod Wilhelminens: Publ. XXI 375. PC. XVII 318 fi. 

(Seite 194—196.) Entjag von Neiße und Dreöden. Ausgang des Feldzugs. PÜ. 
XVII 382 fi. Heinze, Dreöben 94 ff. Publ. XXI 376 ff. Stuhr II 34. 


VII. 1. Feldzug von 1759. 


(Seite 199— 201.) Strategifhe Erwägungen. Montazet: Stuhr II 25. 28. 189. — 
Ref. sur quelques chargements de la fagon de faire la guerre: CE. XXVIII 151. al. 
PC. XVII 396. 419. (CE. XVIII 116. 124. 137. 239. 260. 261. 305; XIX 67. Pegel, 
Beiheft zum Mil. Wochenbl. 1857 Nr. 3. 4. 


(Seite 201—207.) Borbereitungen. Dresdener Winterquartiere: (E. XIX 
59. Publ. XXII 222. Mitchell II 476. — Ergänzung des Heeres: PC. XVIIL 769. 
Schwartz, Landmiligen 39. 57. PC. XVII 435; G. XXVIII 163. Henckel IIa 89. Dift: 
preußen: XVIII 224. — nfanteriefeuer: Gen. Stab. (1824) I 37. 187. Barnhagen, 
Winterfeldt 201. CE. X 229. SUN. II 630; IV 62. Warnery 111. 112. 120. — Disziplin: 
Publ. XXII 340. 381. Sendel Ib 141. 143. Varnhagen, Schwerin 181. al. PC. XVIII 768. 
— Freibataillone: ebend. XVII 42, 64.; XVII 57. CE. XXVIII 162. — Berlufte an Offi— 
jieren: PC. XVII 407. — Mayr: PC. XVII 18. Brodrüd 304. SUN. IV 487. — 
Morig: PC. XVII 96. Publ. XXI 129. Rekow I 357. Berenhorft, Betrachtungen 
(3. Aufl.) 98; Nachlaß TI 148. Kugen II 213 — Bevern: Mitchell II 39. Arneth V 514. 
— Kyau: Hendel 1 b 243. Lippe, Hufarenbud 302. — Geßler ud O. M. Schwerin: 
Warnery 57. Lippe, Militaria 107. — Fouqué: PC. XVI 121.; XVIII 94. — Heinrid: 
PC. XVIII 227. und im allgemeinen Schmitt, Br. 9. ald Feldherr (1885. 1897). — Fer: 
dinand: MWeftphalen III 945. PC. XV 435. — Dohna: Familiengefhichte IV, Bei: 
beft 11 (vgl. dafelbft S. 13. 72. über Wobersnow). — Anciennitätöverhältniffe: PC. XVII 
138. 167. 177. — Artillerie: ebend. XVIII 266.; vgl. v. Duvernois im Mil. Wochenbl. 1900, 
Nr. 8—14. — Prognoftila: PC, XVII 432.; XVII 65. 150. 


(Seite 207.) Bolitifche Beziehungen. Britifhe Vorſchläge: PC. XVII 405. 415. 
428. (Spanien); XVII 17. 111. 114 (Jtalien). — Türtei: PC. XVII 258. 263. 375. 420. 
488; XVII 292. 293. — Dänemarf: PC. XVII 407. — BWarfhau: PC. XVII 398. 
405; XVII 6. 8. 36. Arneth V 10. — Zumwartende Haltung: PC. XVII 216. 258. 
375. 410. 418. 


(Seite 207—209.) Vorbereitungen ber Gegner. Nüdtritt von Bernis: CE. IV 295. 
PC. XVIII ı. 31. 33. Filon 70 ff. — Franfreih und Defterreich: Arneth IV 379. 380. 
385. 445. 450, V 2. — Vertrag vom 31. Dez. 1758: Schäfer ITa 509 ff. Arneth IV 
541. — Defterreih und Rußland: Arneth IV 448. 537. Schäfer Ila 220. 558. 


(Seite 209.) Haltung der Kurie: Publ. XVIII 36—39. Broſch, Geſch. des Kirchen: 
ftaats II 107. Meyer, Plan eines evang. Fürftenbundes 80. — Das fatirifche Breve: 
(E. XV 122. Bgl. Publ. XVII 156. XXII 492. Heigel und Bitterauf, Mündener Alle. 
Zeitung Beilage, 1895 Nr. 172; 1900 Nr. 209; 1902 Nr. 237; A. Antus, Dauns geweihter 
Degen (1897). 

(Seite 209— 213.) Neligiöfe und nationale Momente: Ci. XIX 69. Fitte im Progr. 
des Sophien:Öymn., Berlin 1899. Schild, Der preuß. Feldprebiger (1888) 51. 130. 218. 
Pröhle, Fr. d. Gr. und die deutſche Lit. 57. Böhm Z.Pr.G. VII 445 ff. 573 ff. — Deutſche 
Libertät: CE, XII 15 ff. 177 und zahlreiche einzelne Stellen. Die Verſe XII 9. 167 nad) der 
Ueberfegung bei Treitſchke, Deutfche Geſch. I 58. 

(Seite 213—216.) Der Feldzug bis Ende Juli. Ruſſiſch-öſterr Abreden: Arneth V 
1. 14. 15. Stuhr II 189. Mafftowsti IT 242. 301. — Borfpiel: PC. XVIII 189. 196. 
— Stiller erfter Alt: Val. ebend. 305. (E. XIX 73. 74. 79. Publ. XXI 391. — 


672 Zu Buch VII, Abſchnitt 1. II. 


Dauns®orftoß Publ. XVIII 386. 390. 392. 398. 408. 458. Arneth V 32. — Dohnas 
Operationen: (E V 13. PC. XVII 335. 360. 422. Gaudi bei Dohna a. a. O. 106. 
Maſſlowski III 15. 16. 18. FBPG. VI 581. 

(Seite 216— 225.) Kay und Kunersdorf. Inſtruktion für Wedell: PC. XVII 
424. 442.; val. dazu die Tradition bei Gaudi (Dohna a. a. D. 109) Tempelhof III 152, 
Bellona XVI 38. Retzow II 87. 88, und Gen. Stab, (1824) III 58. — Für Nuneräbori 
habe ih außer dem von Stiehle im Mil. Wochenbl. 1859 benugten Material u. a. den Be: 
richt Platenö herangezogen, den inzwifchen Laubert, Die Schlacht bei Kunersdorf (1900) €. 127 
veröffentlicht hat. Bgl. auch! meine Notiz über Seydlitz bei Kunersdorf, HZ. LXXXVI. — 
Die Lifte Finde oben (S. 227) enthält einen von Laubert 52 entdedten Additionsfehler; dar: 
nach betrug die Gefamtftärfe der Preußen nur 49000. 


(Seite 225— 232.) Defenfive nad Kunersdorf. Uebertragung des Oberbefehls 
an Find: PC. XVII 482. 483 vgl. CE. XXVII 40. 9. Naudé in FBPG. VI 251. — 
Zuftand des Heeres: PC, XVIII 492. 494. 496. (CE. XIX 82. SUN. IV 144. — Be: 
lohnungen: ebend. IV 459. Preuß II 367 — PVerwünfhungen: Berenhorft, Betrachtungen 
(3. Aufl.) 108. — Defterreiher und Ruffen: Arneth V 40 ff. Mafflomäti III 51. 112. 
129 ff. 426. — Kapitulation von Dresden: Bgl. Krüger, Kritif der Lebensgeſch. des 
Grafen Schmettau (Diff., Halle 1886) ©. 50 ff. Die aus Schmettauß Lebensgeih. (1806) 
11 435 übernommene Angabe, daf fi zu Dresden in der Kriegskaſſe 5600000 Thaler be: 
funden hätten (oben ©. 230), babe ich inzwifchen als tendenziöfe Uebertreibung nachweiſen 
fönnen; die Summe betrug nur 350000 Thaler: FBPG. XII 204. 205. — Krieafüh 
rung gegen die Schweden: Sulidi; vgl. Weftphalen III 697. — Heinrih und Daun: 
(E. V 15. FBPG. I 266. — Abzug der Ruffen: val. XVII 561. 586. Maſſlowsti III 
142. 430. Schäfer II a 381. Laudon archiconducteur d’ours: PC. XVIII 551. 


(Seite 232—238.) Magen. Val. Winter in „Hiftorifhe Unterfuhungen“ her. von 
Jaſtrow Heft 7. Mollmo, Die Kapitulation von Maren, Marburg 1893 (Diff.) Treufh von 
Buttlar und M. Immich in FBPG. VII. Bülow, Prinz Heinri 1145 ff. CE. XXIX 45. Airanf: 
heit bes Königs: PC. XVII 599. 608. 607. 609. 617. — Ankunft an der Elbe: ebend. 623 fi. 
Publ. XXII 403. — Gereiztheit des Prinzen Heinrih: PC. XVII 589. 604. Schöning 
II 179. — Friedrichs Biel: PC. XVII 627 636. 644. — Uriprung des Planes: Schöning 
II 190. Zempelhoff III 351. — Stimmung nad Maren: Publ. XXII 408. 409. PC. 
XVII 682. (E. XIX 106 ff. Prinz Heinrih PC. XVII 696. — Borftoß gegen Dip: 
poldiswalbde: ebend. 681 ff. (CE. XXVI 34. 


VII 2. Sriedensverbandlungen. Feldzug von 1760, 


(Seite 237— 247.) Friedendverhandlungen 175760: Borverhandlung zwiſchen 
Preußen und Enaland: PC. XVII 759; val. XVII 323 — Sächſiſche Entſchädigungs— 
forderung: ebend. XVIII 591. Weftphalen III 832. — Preußifhe Entihädigungsforderungen 
PC. XVIII 592. 602. 612, 636. 637. FBPG. II 257. — Deflaration vom 25. Nov. 1759 
ebend. 673. 680 (Tert bei Schäfer II a 570), — Ruſſiſche Ablehnung: ebend. XIX 10. 11. 
— Haltung Franfreihs: Schäfer II a 456 ff. CE. XXIII 51. 60. 66. — Sendung von Edels- 
heim nach Paris: vgl. Obfer in Zeitichr. für Geich. des Oberrheins RF. II. III. — Preußiſche 
Zufage der Reftituierung von Sadjfen: PC. XIX 40. 59. 67, 88. — Sendung von Bedlin 
nah Rußland: val. Schmitt in Deutiche Zeitfchr, für Gefhichtsmwiff. VI. — Identiſche 
Noten vom 3, April 1760: PC. XIX 257. 

(Seite 248— 251.) Maßnahmen der Gegner. Frankreich und Defterreid: 
Schäfer IIa 457 ff. Arneth VI 85 fi. 436. — Defterreih und Rußland: Armeth VI 
62 ff. Vertrag vom 1. April 1760: Martens, Recueil 1 269. Defterreihifch:ruffiiher Feldzugs— 
plan: Arneth VI 94 ff. 


(Seite 251—254.) Preuhifche Vorbereitungen: Verhandlungen mit der Pforte: 
Porſch a. a. D. Ueber die militärifche Leiftungsfähigleit der Türken PC. XIN 296. — Ber: 


Zu Bud VII, Abſchnitt IT. III. 673 


bandlungen mit Dänemarf: PC. XIX 627. gl. Vedel, Corr. du comte J. H. E. Bernstorff 
(1382) 1327 ff. Vedel, Bernftorfis Miniftertum (1882) p. 144 ff. — Beziehungen zu 
England: Umjhwung der Stimmung in E.: PC. XVII 588. 595. Schäfer IT a 445; 
b 117. 118. Hirſch, Die legten Jahre des fichenj. Krieges HZ. XXXVII. — Ergänzung 
bes Heeres: PC. XIX 23. 87. 101. 155. 161. 177. 282. 357. 404. Gen. Stab. (1824) IV 
11. 12. FBPG. VI 549 Anm. 4. — Horoſtop für 1760: PC. XIX 239. (CE. XIX 
164. Publ. XXII 425; val. PC. XIX 24. 48. 55. 324. (E. XIX 177. — Dperations: 
plan: PC. XIX 159. 225. 280. 241. 265. 270. 319. 324. — Für Heinrich ebend. 237. 
246. 391. 

(Zeite 254—260.) Feldzug in Sachen bi8 Ende Juli, Lager von Schlettau: SUN. 
IV 79. (E. XVII 119. 120. — Eröffnung an die Generale: Tempelhoff IV 47. — 
Strategifhe Erwägungen: PC. XIX 91. 102. 167. 236. 344. 395. 521. 522; vgl. (E. 
VII 8. Stuhr II 331. 332. — Anfängliche Ruhe: PC. XIX 360. 364. 390. 398. 407. 
451. — Ausmarſch zur Schladt (19. Auni): ebend. 393. 395. 416. 429. 438. 440. 455. 
Publ. XXII 426. 427. — Landshut: E. v. St, Der Feldzug deö Generald Fouqué 1760 
(1862). Laube, Die Kataftrophe von Landshut (1861). — Plan zum Mari nad Schlefien: PC. 
XIX 470. 475. — Belagerung von Dresden ebend. 488 fi. Publ. XXII 431 fi. Arneth 
V 184. 

(Seite 260— 265.) Marſch nadı Schlefien und Schlacht bei Liegnitz. PC. XIX 531 ff. Publ. 
XXII 430 ff. Mitchell II 187— 205. Kugen, Der Tag von Liegnit (1860). v. d. Wengen, Graf Wied 
(1890) 220 ff. Barſewiſch 108 ff. Bericht Hendels (Geh. St.A.). (E. XIX 189. 191; val. XVII 
186. 188. 

(Seite 265— 269.) Weiterer Feldzug in Schlefien. Depreifion der Gegner: Stuhr II 
231. 339. Arnetb VI 143 ff. 156 ff. 449. 450. — Krieg in den Borbergen: PC. XIX 
559 ff. Arneth VI 168. — Berlin: Granier im Hob. Jahrb. 1898, S. 113. 

(Seite 269— 277.) Torgau: vgl. meine Unterfuhung FBPG. XIV 272. — Ergebnis 
PC. XX 52. 76. 87. (E. XVII 191. — Für Zieten die Biographien von E. Graf zur Lippe 
(2. Aufl. 1885) und G. Winter (2 Bde, 1885). 

(Seite 277— 279.) Entmutigung der Gegner. Arneth VI 160. 193 fi. 456. 459. 
Stuhr II 350 fi. 


VI 3. Das Jahr 1761. 


(Seite 280-283.) Abwandlung der Beziehungen zu England. Tob Georgs Il.: (E. 
VI 107. PC. XX 61 ff.; val. E. X 72. 73.142. 148. — Nachdruck der Poefien: vgl. Türk 
FBPG. XII 49 ff.; im weſentlichen beftätigt durdd Lemoine et Lichtenberger, Frederie II 
poete et la censure frangaise. Revue de Paris 1901, Nr. 2. Ueber Friedrichs Flugfchriften 
aus dem Siebenj. Krieg vgl. Cauer, Zur Geld. und Char. Fr. d. Gr. ©. 178 ff. Preußifche 
Staatöfhriften III 403. — Bute: N. v. Ruville, Pitt und Bute (1895). — Heine Gebiets: 
abtretung: PC. XX 480. 481. 507. Bal. Schäfer II a 170 ff.; b 838. 400. Arneth 
VI 262. 

(Seite 284.) Maßnahmen der Gegner. Arnethb VI 232 ff. 251. Stuhr II 340. Falfche 
Borausfiht: PC. XX 273. 

(Seite 284— 289.) Preufiiche Vorbereitungen. Leipziger Winterquartiere: (E. 
XIX 212. XVII 145. 193. 194. Die Stelle wird auf Gottiched bejogen; val. Pütters Selbft: 
biograpbie S. 406 und die anderen bei Breuß II 472 ff. angeführten Beuaniffe, fowie Publ. 
XXI 380. — Ergänzung des Heeres: Gen. Stab. (1824) V a 29. 81. 148. 146. 149. 
165. PC. XX 100. 140. 161. 196—198. 209. 216. 225. Die Ravensberger: Preuß II 317 ff. 
Anekdoten VII 31. — Ausidreitungen: PC. XX 104. 105; XXI 521; vgl. dagegen Publ. 
XXI 431. €. v. Wiedebah:Noftig in Niederlaufiger Mitteilungen V, und jest (betr. Brühl) 
£ippert ebend. VII. Wegen Hubertusburg val, Preuß II 319. 320, wo aber die Notiz betr. 
den Austritt von Saldern unzutreffend if. — Auswechſelung der Kriegsgefangenen; 

Koſet, Aönig Frievrid der Große. 11, 43 


674 Zu Buch VII, Abſchnitt III. IV. 


PC. XXI 132. 456. Arneth VI 454. — Offisiere: PC. XVII 695; XX 174; XXI 351. 
Preuß 11 320 Publ. XXII 310. 425. — Contenance: Barjewiih 77. 119; vgl. PC. XX 560. 

(Seite 239-291.) Aufftellung der Heere. Heinrich: Publ. XXI 405. Schmitt II 
304. 305. PC. XX 34. Snftruftion: ebend. 348. — Hülfen: 250. — Bolt: 341. 361. 364. 
— Etärfen: Die Zahlen in der Süfenbahichen Lifte (bei Herrmann, Weber die Uuellen 
Tempelboffs 35) find zu hoch. Für das Heer in Sachſen: Tempelhoff V 82. Gen. Stab V 
605, Schmitt IE 131. 164. — Für Pommern: Tempelhoff V 296. Gen. Stab V a 505. Sulidi 
410. — Für Schleſien: Tempelhoff V 77. Gen. Stab V 179. PC. XX 392. 477. Schöning 
IIT 88. — Lager bei Kunzendorf: PC.XX 469. — Militärifche Gefamtlage: ebend. 393. 39. 
412. 413. 456. 458. 463. 513. — Gebot der Borfiht: 337. 412. 424. 446. — Goltz und 
Zieten in Polen: 387. 490. Scöning III 99. 106. 112. 

(Seite 291-293.) Oefterreichifcruffiihe Kooperation in Schleſien. Laudon in 
Oberſchleſien: (E. VI 112. PC, XX 517. 519. 538. 568. 570. 583—586. 600. Arneth 
VI 239. 466. — Vereinigung der Gegner in Niederfchlefien: PC. XX 596 ff. Tempelhoff V 
145. 150. Gen. &tab V a 370 ff. — Bunzelmwig: Duelle der ausführliben Darftellung 
im Gen. Stab V ift Tielfe, Beiträge zur Kriegskunſt III. Stärfeangaben: PC. XX 570. 608. 
Tielte III 46. Gen. Stab V a 342. Mafllowsti III 316. — Die poetifhe Schilderung: &. 
XII 163; val. XVII 125. Publ. XXII 444. Rüſter, Yebensrettungen Friedrichs IT. (2. Aufl. 
1797) 58. — Dispofition vom 3. Sept.: Tielfe III 107; vgl. Arneth VI 466. Mafjlowsti II 
320. — Entfendung Platens: Maſſlowski ITI 324. 325. Zahl der erbeuteten Wagen 
«E. VI 126 und Gen. Stab V 489 (nad Gaudi) 5000 ftammt aus Platens Tageäbericht; mo: 
nach Tempelhoff V 288 und Tielfe III 68 (nur 500) zu berichtigen. Ueber Goſtyn Einzelheiten 
bei Schwarg, Die Prov. Polen als Schauplak des Siebenj. Krieges (Zeitichr. der Hift. Ge 
fellich. für die Pr. P. V). 

(Seite 293. 294.) Ausgang des Feldzugs, Fall von Schweidnis und Colberg: PC. 
XX 629. 630; XXT 1 ff. 82. 

(Seite 294—296.) Die Rechnung der Gegner. Neue Kampfesluſt Choifeuls: Armeth 
v1 274—276. Schäfer JI b 191 fi. 327 ff. 398. — Armeereduktion in Defterreih: Arneth 
VI 254 fi. — Das Miralel von Schweibnig: ebend. 468; vgl. aud 261. 275. 298. 308. 

(Seite 296—300.) Die Rechnung des Königs von Preußen. Enge der Winter: 
quartiere: PC. XXI 111. 112. 60000 Mann: Gen. Stab VI 14; val. Schmitt II 284. 286. 
PC. XX1 153. — Warkotſch: PC. XXI 138. Küfter, Yebensrettungen Friedrichs II. (2. Aufl.) 
65 ff. Preuß II 288 ff. Janko, Leben Laudons 312 ff. — Für die Stimmung: (E. XIX 272 ir. 
Conte du violon: (E. XII 203; XIX 262. 278; XXIII 121. 128. 129. — Rüdtritt Bitts: PC. 
XXI 53. — Sirtegserflärung Spaniens an England: ebend. 175. — Türfifche Verhandlung 
Barometer: PC. XXI 87; vol. 29. 113. 152. Porih a. a. D. und (E. XII 178. 179. — 
Militäriihe Diskuſſion mit Heinrich: PC. XXI 151 ff. 171. 191. Schöning III 
261. 265. — Alternative: PC. XX1 165. (E. XIX 279. Val. zu dem ganzen Abſchnitt aud 
9. v. Sybel, Vorträge und Abhandlungen, her. v. Varrentrapp (1897) 188 ft. 


VII. 4 Siebenter Feldzug und Friedensfchlüffe. 


(Seite 501— 305.) Berhandlungen und Friede mit Rußland und Schweden: PC. XXI 
189— 478. 

(Seite 305—309.) Löfung des Bündniffes mit England. A. v. Ruville, Die Auf: 
löfung des pr.:engl. Bünbdniffes 1762 (1892); vgl. Michael in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 
1894 Nr. 4 und Ruville in Deutſche Zeitichr. für Geſch.-Wiſſ. XII 160. — Haltung Fitts: 
Schäfer IIa 247. 428. 443. 444; b 177. 417. 418. — Für die Depeiche Galizins vom 6. Febr. 
(PC. XXI 311) vgl. Ruville, Auflöfung S. 52 und Raumer II 501. — Die Frage der Eub: 
fidien: PC. XXI 109. 192. 223. 302. 318. 

(Seite 309— 312.) Finanzen: val. FBPG. XII, wo ſich mir einige Modifikationen 
ergeben haben. 


Zu Buch VII, Abſchnitt IV; Buch VIII, Abſchnitt 1. 675 


(Seite 312. 313.) Bündnis mit Rußland: Martens, Recueil V 3839. (E. XIX 323. 329, 

(Seite 313. 314.) Beginn des Feldzugs. Dffenfivpläne: PC. XXI 229. 332. 
471. 481. 490. 521. 524. — PBrandfhagungen in Böhmen: U. V 185. 186. Publ. XXII 
454. v. d. Wengen, Wied 405. 

(Seite 313— 317.) Regierungsantritt Katharinas II. Peter Ill. „deus ex machina*: 
(E. XX 285; oval. XIX 132. 177. — Friedrichs Warnung: PC. XXI 413; vgl. 510. 
Die bereit von Arneth benukten Berichte des Grafen Mercy find im Magazin (Shornif) der 
Ruff. Hift. Geſellſchaft XVIII veröffentlicht. — Ermordung Peters: Bilbaſſoff, Geſch. Kath. II., 
II a 167. Semiramis: M. XIX 369. — Manifeft vom 9. Juli und Erlaß an Sfaltilom: 
Bilbaffoff 43. 127. 130. 139; val. PC. XXIT 93, Arneth VI 331. — Die beiden Botichaften 
Tihernyihews: PC. XXI 42. 51 (der Brief an Katharina vom 18. Juli ift vorbatiert). 
Das Geldgefchen? an Tſch. erwähnt das Tagebuch SUN. II 511; ein urfundlicher Beweis fehlt. 
Tal. noch Retzow II 415 ff. 

(Seite 317— 320.) Kampf um Schweibnis. Burkersdorf: Gen. Stab VI 170. Treuſch 
v. Buttlar, FBPG. X 337. v.d. Wengen, Wied 411 ff. — Zurüdftellung ber Offen— 
jiopläne: PC. XXI 514. 524; XXII 31. 35. 41 (val. E. XXVIII 125) 111. 132. 203. 209. 
262. — Reihenbadh: neben Tempelhoff und Gen. Stab VI vgl. Bevern, Märf, Forſch. XIX 
151. Haller, Vie de Lentulus 54. Küſter, Zebensrettungen 39. Nicolai, Anekdoten IV 52. 
SUN. II 517. Arneth VI 483. Schöning, Nachrichten zur Geſch. der Artillerie II 249. Mis: 
cellaneen 127. Weber Koflow: ebend. 157. PC. XX 535. 549. 555; XXII 141. 149. — Dauns 
Rückzug: Arneth VI 333. 339. PC. XXI 150. 155. 178. 

(Seite 320— 322.) Prinz Heinrid in Sadjfen: PC. XXI 337. 382; XXII 223. 226, 
Stärfe: ebend. XXI 521. Schmitt II 235. 270. — Freiberg: Schmitt II 274 ff. — Dres: 
den: 209. 223, 226. 251. 273. 314. (E. XIX 871. 

(Seite 323—325.) Friede zwifchen England und Frankreich: Barthelemy, Le traite 
de Paris, Revue des questions historiques XLIII 420 ff. (1888). B. vermutet (S. 483), daß 
Bute beftochen war. Vgl. Stuhr IT 404 ff. Ueber die Klauſel wegen der preußiihen Befigungen 
am Rhein val. Arneth VI 352. 379. 489. Schäfer II b 697. 

(Seite 325—331.) Friede zwifchen Preußen, Defterreih, Sachſen: v. Beaulteu: Mar: 
connay, Der Hubertusburger Friede (1871). Arneth, Schäfer, Feftichrift zum 75. Jubiläum 
des K. Sächſ. Altertumvereinö (1900) ©. 146 ff. (Zippert über Fritih). PC. XXI. Publ. 
XVII 93 ff. Berichte Repnins aus dem Moskauer Hauptardiv. 


(Seite 331—336.) Schlufbemerfungen: Corr. de Bernstorff avec Choiseul (1871) 112. 
113. Arneth, Maria Therefia und Joſeph IL, I 1—12 (Denkſchrift vom 3. April 1761). 
Schäfer II b 616. Publ. XXI 369. (E. V 43; XVII 154; XIX 93. 139. 321. 322. 378. 
381. 385. 


VII. 1. Das Retabfiffement. 


(Seite 340. 341.) Borbemerfungen: Publ. XXI, 327. Droyfen, Friedrich Wilhelm ],, 
I 426. 387; U 388. — Finanzlage: (E. V 230; XXIV 95. 96. PC. XXIV 19. — 
Bündnis mit Rußland: unten ©. 424 ff. 

(Seite 341— 344.) Heimkehr and dem Felde: (CE. XXV 273. Publ. XXI 268. 366. 
409 (plan de retraite). — K. ©. vom 18. Oft. 1760: Stein, Charakteriftit II 306. — Am 
Vaterland nicht verzweifeln: (CE, I 94; VI 74. — Drei Hulturaufgaben: Publ. XI 
340; XVII 308. Korn, Sclei, Ediftenfammlung VII 402. — Beſuch von Schleſien: 
Srünhagen II 262. — Nüdfehr nah Berlin: Graf Lippe, Jahrbb. für Die deutjche Armee 
1890. Büfching, Beiträge I 401. Rödenbeck IT 211. 212. v. Hahnfe, Elifabetb Chriftine 
249 fi. PC. XXIII 4 (E. XIX 49 (gehört nicht zu 1758); XXVI 274. 281. Anekdoten 
XVII 86. — Befud der Brovinzen: (E. XXVI 275. Nicolai, Anekdoten VI 178. 
Preuß III 442 ff. 

(Zeite 344— 352.) Netabliffement des eigenen Hanſes. Beſuch d'Alemberts: (E. XXIV 
378 #. Rerue Historique XAVI. — Tedeum: GW. XXV1 279. Nicolai, Anekdoten V 122. 


676 Zu Buch VIII, Abfänitt 1. 


— Stillleben: PC. XXVI 108. 347. — Berziht auf Bergnügungsreifen: CE. XX 294; 
PC. XXV1 259. — Zurüdtreten ber Franzofen: [de Laveaux] Vie de Fröderic II, Stras- 
bourg 1787, IV 83. UB. II 233. — d'Argens: (E. XIX 386 ff.; XXIII 192. 193. Thiebault, 
Souvenirs (dd. II, 1805) 186; V 342. — Algarotti: vgl. jept d'Ancona, Fr. d. Gr. und Die 
Staliener, deutſch von Schnell, Roftod 1902, S. 83 fi. — Gräfin Camas: (E. XVII 158; 
XXVI 88. — Lord Marſchall: CE. XX 295. 297; XXIII 807. 319. 344. 354. 378; XXIV 
354. Murray, Memoirs I 132. d'Alembert, Elog® de milord Maréchal p. 138. Thiebault 
153. — Fouque: (E. XX. — Prinz Heinridh: (CE. XXVI 283. — Ferdinand von 
Braunfdweia: PC. XXV 139. 171. 175. 228. 229. [Raltenborn] Briefe eines alten preuß. Dil. 
111. Regomw 11 477. Thiebault II 372. Preuß II 356; 111 578. Weftphalen, Biogr. Skizze, Berlin 
1866, ©. 70. — Seydlig: Kaltenborn 186. 90. Blandenburg &. 81. — Zieten: Graf Yippe 
©. 64. (2 Aufl). Winter II 474 fi. — Krufemard: Schöning, Leben Natzmers ©. 449. 
450. — Lentulus: Haller, Vie de Lentulus (1787). Retzow II 454. Thiebault III 372; 
IV 313. Büſching, Charakter ©. 203. Kaltenborn I 135. Preuß IV 55. Hoh. Jahrb. 191 
€. 141. — 9. W. v. Anhalt: Miscellanen S. 156. (E. XX 227. Kaltenborn I 10 ff. 
Ligne, Memoire sur Frederie II, p. 28. *erifon aller Helden I 69. Berenhorft, Nachlaß 
II 199. Thiebault IV 318. Öbservations sur la constitution des armees de Prusse (17781 
p- 63. Zweiter Turenne: Bericht Rieds, Sept. 1763 (Wiener Ardiv). — Krodom: (E, AX 
p. XVII; XXV 596. Schöning, Bayr. Erbfolgelrieg UB, 143. Haltenborn I 10. 86; II 141. 
Briefe eines preuß. Neldpredigers (1791) ©. 17 ff. Nicolai IV 61. [Ricolai:-Blandenburg] 
Freimütige Anmerkungen über Zimmermanns Jragmente. II 97. — Prittwig und £eftwip: 
Miöcellaneen S. 157. Aneldoten I 49. UB. II 236. Berenhorft, Nachlaß II 199. Halten: 
born II 116. Une mission militaire en Prusse (1881) p. 116. Lippe, Huſarenbuch 513. — 
Duintus Jeilius: (E. XXVI 368. Nicolai VI 129 ff. Nicolai» Blandenburg I 175. 
Büſching, Charakter S. 75. Thiebault I 71. 85; V 376 ff. Kaltenborn I 84. 90. Guibert, 
Journal d'un voyage en Allemagne (1803) I 219. Preuß Il 320; UB. II 230. Sarnad, 
Geh. der Alademie I 259. 263. An der Ueberſetzung nutrimentum spiritus (oben &. 350) 
dürfte indes Quintus, entgegen der früheren Annahme von Graf Lippe, Militaria aus fr. d. Gr, 
Zeit (1866) S. 106, unſchuldig fein, vgl. Thiebault I 336. — Die braunfchweigiichen Prinzen: 
(E. XIII 5; XX 287. 295; XXI 173. 197; XXVI 276. 287; XXVU b 47 ff. Thiebault 
1 296 fi.; V 346. — Böllnig: W. XX 91 ff.; XXVI 294. 295. 297. — Verwandten: 
befuhe: CE. XVII 232; XXVI 281. 282. — Körperlihes Befinden: XX 72. 130. 131. 
138. Guibert, Journal I 210. 216. 228; II 231 ff. Bal, Graf Lippe, ZPr.G. XIV 192 fi. — 
Kur in Zanded: (E. XIX 398; XX 140; XXIV 93. 95. 399. — Unterbreßungen des 
Klauönerlebend: (E. XXV 184. Anekdoten VIII 111. 


(Seite 352—354.) Vorbereitungen für das Netablifiement bed Stanted, All— 
gemeiner Charalter: (E, VI 74 ff, vgl. Publ. XI 431. — Verteilung der Barvor: 
räte beim Friedensſchluß: FBPG. XII 359 ff. (CE. XXVI 277. 279. 280. 281. al. Ge: 
ſpräche Fr. d. Gr. mit Catt und Lucdefini, überf. von Bifhoff S. 198. — Neuordnung 
der Münze: Riedel, Staatähaushalt S. 109 fi. Preuß III 529. PC. XXII 529. — Ab: 
rüftung: (E. V 232; VI 92; XIX 885. 700. Joachim, Domhardt (1899) ©. 54. PC. 
XXI 529. Beheim:Schwarzbah, Hohenzollernſche Kolonifationen S. 310. 


(Seite 354—356.) Metabliffement der einzelnen Provinzen. VBommern: Alten 
bes Generaldireftoriums im Geh. Staatsarchiv. [Meisner], Leben Brendenhoffs S. 47. 55. 56. 
(E. V 282; VI 82. Publ. XI 836. 394. 402; 408. 422. 459. 488. 555. 556. Berger S. 105. 
107. Sergbera, Huit Diss. p. 175. Roden bei Preuß IV 444. — Neumarf: Meisner 
©. 42—44. FBPG. XII 330. 861. PC. XXIII 485. Berger ©. 108. Büfding, Erbbe- 
fchreibung VIII 550. Hergberg 177. — Kurmark: Alten des Gen.-Dir. Publ. XT 391. 430. 
451. 491. 544. 568. 591. Hertzberg 216. — Preußen: Joachim ©. 40. 46. 55. 56; das 
Anschläge aus den Akten. — Schlefien: Klöber, Bon Schleſien II 204. Schlabrendoriis 
Immediatberichte im Geh. Staatsardhiv; die am 7. Sept. 1764 von ihm vorgeleaten Säufer: 
liften weichen von den Ziffern bei Grünhagen II 268 ab. — Val. auch E. XX 126. 138. 153. 
170; XXIII 107. 108. 112. 170. PC. XXIII 484; XXIV 337. — Bau des Neuen Palais: 


Zu Bud VIII, Abſchnitt I. 677 


Selle, Potsdam und Sansjouci ©. 388. Luccheſini bei Biſchoff S. 185. Zimmermann, Frag: 
mente II 107. 108. Retzow 11 455. Publ. XXI 354. 363. Preuß I 423. Fr. Buchholz 
im Berliner Kalender 1827. Zahlenangaben aus den Alten. 


(Seite 357—361.) Mafnahmen gegen bie wirtſchaftliche Krifis (feit Herbſt 1769). 
Banferotte: PC. XVII 234; XXIII 93. 116. (E. VI 78. 79; XXVI 285. Revue Historique 
XXVI 92. Scmoller, Studien über die wirtfhaftlihe Politik Fr. d. Gr., Jahrb. für Geſetz— 
gebung u. ſ. w. (Neue folge) X 28. Hintze, Seideninduftrie II 249. 453. 457; III 155. 164. 
165. — Gründung der Preußifhen Bank: Niebuhr, Geſch. der Bank (1854). v. Bo: 
ſchinger, Bankweſen und Bankpolitif in Preußen I (1878). Hinge III 165. Naude in FBPG. 
V 223 (val. oben S. 501). E. XIII 22 fi. — Maſſenbach, Rüderinnerungen II 85. — In: 
vafionsihulden der Städte: (E. VI 82 (berichtigt nad den Angaben der ungedrudten 
älteren Redaktion). Beriht Schlabrendorffs 6. Sept. 1765 (Beh. St. A.). Vgl. auch Grünhagen Il 
272 1. Büſching, Erbfunde (7. Aufl.) IX 50. — Rittergüter: (E. VI 81, vgl. Hinke, HZ. 
LXXVI 422. Grünhagen II 330. Droyjen, Fr. d. Gr. III 44. Preuß III 78 fi. 464. Röden- 
bed, Beiträge IT 468. PC. XXVII 191. 200. — Schöpfunglandwirtihaftlider Kredit— 
verbände: (E. VI 81. Rabe, Darftellung des Wefens der Rfandbriefe in den preuß. Staaten 
(1818). Preuß II 74. Nödenbed, Beiträge II 380. Poſchinger I 26. — in Schleſien: 
Stölzel, Suarez, S. 83—110. Publ. XI 127. 619. — Kurmarf: Aneldoten VIII 108—118. 
Publ. XI 486. Stölzel S. 109. — Neumart und Bommern: Preuß III 62. Publ. XI 
564; vgl. Preuß IV 444; Berger, Fr. d. Gr, alö Kolonifator S. 108 (andere Zahl bei Meisner, 
Brendenhoff S. 53 und Hertzberg, Huit Dissertations p. 177). — Magdeburg: Publ. 
XI 526. 

(Seite 362. 363.) Urteil des Königs über die Bewohner der einzelnen Provinzen. 
Bolit. Teftament von 1768, bei Reimann, Bericht über die Thätigfeit der hiſt. Seltion der 
ſchleſ. Sei. für vaterl, Kultur 1888. — Bommern: Preuß III 62. Publ. XI 444. — 
Pferdegeftelung au8 Magdeburg: Hertzberg, Huit Diss. p. 163; vgl. Meisner, Brendenhoff 
©. 31. — Treue der Weftfalen: Herkberg S. 163. Preuß II 318; III 61. — Dft: 
preußen (E. VI 80. Joachim, Domhardt ©. 62. 188. Preuß IIT 463. FBPG. XV 408. 
— Schlejier: Grünhagen II 473. PC. XXVII 318. 


(Seite 363.) Betrag der Netabliffementsfpenden: (CE. V 232; VI 75. (Redaktion von 
1773: 20389000 Thaler.) Depense de 1774. (Geh. St.A.) Herkberg, Huit Diss. p. 130. 175. 
216. 248. Luccheſini bei Biſchoff S. 186. 


(Seite 363—366.) Methode der Metabliffementdarbeit. Allgemeine Grundfäge 
und jährlide Voranſchläge: Hinke III 283. Publ. XI 258. 341. 369. 425. 542. — 
Spezialaufträge: Brendenhoff: Inſtruktion vom 21. April 1762. — Schütz: Publ. XI 
546—654 passim,. — Reifenotizblätter im Geh. St.A. Ueber bie Reifen in Schlefien 
mehrere Konvolute im Breslauer Staatsarhiv. Pol. Fechner, Schlef. Zeitung 1889, Nr. 475. 
478. 481. — Staatähilfe bei Brandihaden, Hochwaſſer, Mißwachs: (E. VI 76. 
Sergberg, H.D. 269. Luccheſini bei Bifhoff 198. Publ. XI 470. 631. FBPG. XV 402 ff. 
— Meliorationsplan vom 21. Dt. 1774: Beiträge zur Finanzlit. in den preuß. Staaten 
(1781) 1 314. Unfichere Rittergutöbefiger: vgl. Roden bei Preuß IV 445. 


(Seite 366. 867.) Metabliffement der Städte. Nach Alten des Gen.:Direltoriums- 
— Berordnung vom 29. Jan. 1770: Beiträge zur Finanzlit. 1315. Publ. XI 371. 429. Bat. 
auh Beheim-Schwarzbach S. 364. Berger ©. 101. 102. Publ. X1 513. — Feuerjozietäten 
und Löſchordnungen: Preuß III 77; IV 484, Beiträge zur Finanzlit. 1 52 jf. Schmoller 
in ZPr.G. XI 577; XI 364. 368. 441. Publ. XI 418. Grünbagen II 348. 


(Seite 367— 372.) Meliorationdarbeit auf dem Lande. Bol. im allgemeinen Be: 
nedendorff, Zuverl. Nachrichten von wichtigen Landes: und Wirtjchaftöverbefferungen (1778). 
Lamotte, Abhandlungen 1793. — Urbarmahungen: Netze- und Warthebruh: Meisner, 
Brendenhoif. Publ. XI 393. 422. Die Unvolllommenheiten der Arbeit ftellten ſich erft ipäter 
heraus, — Pommern: Petri, Pommerſche Lebens: und Landesbilder (1880) I 283 fi. — 
Aurmarf: Preuß III 85. 86. Publ. XI 397 (Schönebera). 433. 453. 491. Beheim: Schwarz: 


678 3u Bud VII, Abſchnitt 1. 


bach 365. — Drömling: Publ. XI 57—59. — Oftfriesfand: Publ. XI 55. Preuß 111 573. — 
Weitfalen: Büfching, Erdfunde IX 410. — Dftpreußen: Zoachim, Dombarbt S. 91 ff. Lucche— 
fini bei Biihoff S. 272. — Abbau von Bormerfen: (CE. VI 80 („plus de 150 furent 
changees en villages* 1779; die ungedrudte Redaktion der Memoiren von 1773 hat „plus 
de &0*; Hertzberg p. 193 (1785: „plus de 300*). Bal. Meisner S. 60. Schmoller, Umrifie 
und Unterſuchungen ©. 587. 609. Beheim-Schwarzbach S. 362. 363, ſowie den Amtsetat von 
1673 (Borwerf mit 13 Seelen) in Urkunden und Akten zur Geſch. des Kurf. Friedrih Wilhelm 
(innere Bolitif) 1 202. — Gemeinbeitsteilungen: Publ. Xl 95. 98. 99. 368. Preuß III 
92. ZPr.G. 11 581. — Verſuche mit engliiher Bodenmwirtidaft: Publ. XI. (E. XXI 
365. Büſching, Erbbeichreibung VI 419. Joahim, Domhardt 80 und jekt Habernoll in Yand: 
wirtſch. Jahrb., her. von Thiel, Bd. 29 (1900). — Aufforftung von Sandſchollen: Publ. 
XI 441. 485. 510. 568. — Forftwirtfhaft: (CE. VI 87; XXUI 72. Publ, XL Preuß II 
94 und Boden ebend. IV 446. Schmoller, Umriffe und Unterfuchungen ©. 600. 


(Seite 372. 373.) Zunahme der Bevölkerung. Die Belege werde ih FBPÜ. 
XVI geben. 

Seite 373—975.) Anſetzung von Koloniften. Beheim-Schwarzbach, Hohenzollerſche 
Kolonifationen. Schmoller, Schriften des Vereins für Sozialpolitif XXXII (jest in „Umritie 
und Unterfuhungen zur Verfaffungd:, Verwaltungs- und Wirtſchaftsgeſchichte“ 1898 ©. 562 f.). 
— Neumarkt: Hertzberg 546. Noden bei Preuß IV 443. Büſching, Erbbeichreibung VIII 
546. Beheim:Schwarzbah 369. 569 fi. — Schlefien: Bebeim 320. 588 ff. (in diefen Zahlen 
ſtecken Widerfprüde). Bal. Grünbagen II 546 ff. Publ. XI 396. (CE. XXI 260; XXVI 
364. 371. — Pommern: Wehrmann, Fr. d. Gr. als Kolonifator in P. (Brogr.), Pyritz 1897. 9°. 
— Rurmarf: Publ. XI 58 ff. 622. 633. 634. Beheim 366. — Ditpreußen: (E. VI 0. 
Beheim 373 ff. — Geſamtergebnis Beheim 441 mit der Korreftur von Schmoller (Umriſſe 
©. 574); Schmoller ebend. ©. 622. 


(Seite 375. 376.) Vermehrung des Biehftanded: Beheim S. 441. Publ. XI, 458. 462. 
547. 556. — Butterbedarf: ebend. 199. 545. Grünhagen II 554. Joachim, Dombardt 
&, 167. — Eier: Publ. XI 206 ff. Publ. XXI 354. Luccheſini bei Biſchoff S. 250. — 
Pferdezucht: Joahim, Dombardt ©. 11 ff. 89. 


(Seite 3765-381.) Bänerliche Berhältniffe. Außer der Bd. 1631 (2. Aufl.) angegebenen 
Lit. vgl, noch Anapp und Kern, Die ländl. Berfaffung von Niederichlefien (Schmoller, Jahrbuch 
XIX). Kern FBPG. XIV 176 ff. Theodor Anapp, Ueber die Bauernbefreiung in Oft: und 
Weftpreußen 1719—1808 (Neues Korr.:Blatt für die Gelehrtenichulen Württembergs IV, 1897) 
Liebermann, Der Gefindedienitzwang in der Marf Brandenburg, Greifswald 1897 (Difi.), To: 
wie die Urteile von Wöllner (ZPr.G. Il 597 #.), Büſching (Charakter Friedrichs II. ©. 206, 
vgl. dazu Zimmermann, ragmente 11 4; NicolaisBlandenburg II 10 ff.), Schön (Papiere IV 
370 ff). — Frondienfte: val. Hinke FBPG. X 287 ff. Publ. XI 481. 605; XXX 36. — 
Urbarien: Publ. X1 619. Grünhagen 11 259 (mit günftigerem Urteil als Schutiakoff, 
Bauerngefeggebung unter Ar. d. Gr. ©. 23. 32). — Abſtrömen der ländlichen Bevölfe 
rung in die Städte: Joahim, Dombardt S. 181. — Bäuerliches Beſitzrecht: Publ. 
XI 340. 469. Preuß III 466. 467. Die Zahlen des Schlabrendorffihen Berichts (Geh. St.N.) 
weichen von denen bei Schutiafoff S. 31, Keil, Landgemeinde S. 70 ab; Zahlen für 1736 
bei Büſching, Erdbeſchreibung X 746. Die Edifte vom 13. und 18. Juli 1764 (Anapp, 
Bauernbefreiung II 63 fi.) ergingen auf eine Kab.:DOrdre an Schlabrendorif vom 5. Juli 
(Beh. St. A.). Zu (CE. VI 81 val. Schmoller, Der Kampf des preuß. Königtums um Die 
Erhaltung des Bauernftandes (Jahrb. für Gefeggebung N. F. XII 647), ſowie Umrifie S. 597. 
Beheim S. 310. 536; abweichende Zahlen in Schlabrendorffs Beriht vom 20. Mai 1765 
(Geb. St.N.). 


(Seite 381. 382) Schluß. Les hochets de ma vieillesse: (E. XXIII 360. Bat. 
(E. XX 249. 250; XXV 62. Publ. XI 544. Retzow Il 455. Rödenbeck, Beiträge II 181. 


Zu Bud VII, Abſchnitt II, 679 


VII, 2. DVermwaltungsreformen und Schuß der nafionalen Erwerdstbätigkeit. 


(Seite 383.) Borbemerfung. ZPr.G. II 599; val. auch Philippfon, Geich. des preuß. 
Staatsweſens (jeit 1786) I 84. 166. 

(Seite 384— 391.) Reform der Accifeverwaltung. Walther Schulge, Geſch. der preuß. 
Regieverwaltung 1766—1786, I (Staats: und ſozialwiſſ. Forſchungen ber. von Schmoller VII 3); 
daielbft S. 352 über die Ältere Ueberlieferung; vgl. Schmoller, S. B. der Berliner Afad. 1888, 
E. 68 ff. und Umriffe S. 186. — Frühere Anregungen und allgemeine Tendenz: 
Schulge 28. 209. Schmoller 83. (E. VI 71; IX 205. — Neue Minifter: (E. VI 75. 
Heinitz, Memoire sur ma gestion p. 13. Borde: FBPG. X!II 188 ff. PC. XXI 337. 
423. — Boden: FBPG. XIII 385. — Maſſow: Anefdoten VI 111. — Hagen: Publ. 
XI 386. CE. VI 79. Preuß II 483. — Beſuch von Helvetius: CE. XVII 252; XIX 
398; XXIV 393. 395. 396. PC. XXIV 171. Revue Historique XXV 69 ff. Wegen Duintus 
und Krockow vgl. Anefooten X 67; Zimmermann, Fragmente II 39. Nicolat-Blandenburg II 
97. — Bertrag mit de Launay: Schulte 37 fi. In dem Schreiben an de Launay vom 
29. April 1766 iſt ftatt Ardopage de yeux zu leien: de gueux. — Tarifreform: Schulte 
184 ff.; die Erhöhungen: 179. 228. 251 ff. (E, XIV 147; XXVlIla 410. Joachim, Dom: 
bardt 116. — Einfhräntung des Shleihhandels: (E. VI 77; val. Schulge 107 bis 
114. Schmoller 76. 85. — Tehnifhe Mängel: Hinge, Seideninbuftrie III 294. — Der 
abminiftrative Fortſchritt: Schmoller 78 (über die Sonderftellung der weftlichen Landes: 
teile val. Roden bei Preuß IV 433. Zimmermann, Fragmente II 8 fi. und jest Lehmann, 
Stein, 1902, 1131). — Störung der Einheitlihfeit in ber Finanzverwaltung: 
Schulge 20; vgl. Joahim, Domhardt 69. — Franzoſentum: Schulte 125. 360 und 
FBPG. V 191; vgl. ebend. II 614. Scmoller 77. Klöber, Bon Sclejien II 230. — Hobe 
Betriebäfoften: Schulge 141 ff. (vgl. (E. IX 183). 

(Seite 391. 392.) Andere Sonderverwaltungen (vgl. Wöllner in ZPr.G. li 602): Poſt— 
regie: Stephan, Gefdh. der preuß. Poft (1859) 277 ff. Preuß II 23. — Tabaksadmini— 
ftration: (E. IX 183. Philippſon I 101 (eine andere Zahl bei Riedel, Staatshaushalt 108 
und Preuß III 25). Publ. XI 517. 542. 543. 595. 596. Schulge 156. Rapp, Fr. d. Gr. und 
die Vereinigten Staaten 16. 31. — KHaffeeregie: Preuß II 26 ff. Publ. XI 508. — 
&otterie: CE. IX 183. Doebredit ZPr.G.1. 

(Seite 393— 395.) Organifatorifce Aenderungen im Generaldireftorium. Ueberficht 
bei Preuß III 444 ff. — Schulenburg:Hehnert: W. Naube, FBPG.XV 73 ff. Schmoller, 
Jahrbuch für Gefeggebung X 41 und Umriſſe 187. — Michaelis: Büfhing, Charakter 208. 
Publ. XI 502. 509. Grünhagen II 401. — Horſt: Hinge, Seibeninduftrie III 185. Zimmer: 
mann, ‚sragmente II 146 und passim. v. Hahnfe, Elifabeth Ehriftine S.65. — Görne: 
Friedberg, HZ. LXV 1 ff. (E. XXVUb 56. — Stellung bes 5. Departements: Hinke 
111 187 ff. 283 ff. (vgl. FBPG. IV 624). Scdulge 48. Publ. XI 441. 608. 609. SHeinig, 
Mm. sur ma gestion du 4me et 5me dep.; val. FBPG. II 614. 

(Seite 395—406.) Gewerbepofitif. Allgemeine Tendenz: de La Haye de Lau- 
nay, Justification du systeme d’&conomie pol. et fin. de Frödärie II (1786) p. 57 ff. 
(Deutiche Ueberf.: Friedrichs IL. pol. Finanzſyſtem 1789) und Compte rendu au roi (1. Dit. 178) 
bei Mirabeau, de la monarchie prussienne IV 258 ff. Bal. Schmoller, Umriffe 560. Hintze 
Ilt 207. 292, Publ. XI 464. — Fürforge bis ins Kleinfte: HZ. LXV 7. Rödenbed, 
Beiträge II 157. Publ. XI 464. 630. Preuß II 49. 51. — Prämien und Sub: 
ventionen: Wiedfeldt, Studien zur Entwidlungsgeich. der Berliner Induftrie 1720— 1890 
(Staats: und fozialwiff. Forſch. her. v. Schmoller XVI 2) 63. Publ. XI 511. De LZaunay, 
Finanzigitem 93. — Berlin: Wiedfeldt 55. 63. FBPG. X 376. Herkberg, HD. 355. — 
Porzellanmanufaltur: jetzt Seidel, Hoh. Jahrb. 1902. — Tudinduftrie: v, Schrötter, 
FBPG.X. XI (für Schlefien; vgl. dazu ebend. XV 235). Feig ebend. X (Ludenwalde; val. (E. 
XXVI 503). Wiedfeldbt a. a. O. Schmoller, Jahrb. XI 820. Nödenbed, Beiträge II 357 
Anm, Publ. XI 496. Heinitz, Mem. sur ma gestion 22. (E. XXIII 406. HZ. LX 263. — 


680 Zu Bud VIII, Abſchnitt 11. 


Seineninbuftrie: Zimmermann, Blüte und Berfall des Leinengewerbes in Schleſien; ans 
fnüpfende Kontroverſe zwifchen Brentano, Sombart, Grünhagen, Kern (Zeitfhr. für Sozial: 
und Wirtſchaftsgeſch. I. 1. III). Export: Grünhagen II 535. 536. Dergbera, HD. 255. Heinitz, 
M&öm. 19. Fechner, Garnhandelspolitif in Schlefien, Zeitihr. des Vereins für Geſch. Schlefiens 
XXV. Ueber die Bielefelder Zeineninduftrie val. Reeſe, Hanſiſche Geihichtöblätter 1895. — 
Ueber die induftr. Unternehmungen geiftliher Stifter in Schlefien vgl. Fechner (Jahrb. für 
Nat.:Def. und Statiftit, Folge II Bd. 4). — Seideninduftrie: Bd. 1 635 i2. Aufl.), 
Schmoller, Umrifie 530. — Dftpreußen: Joahim, Domhardt 78. 87. 188. 189. Mirabeau, 
de la monarchie pruss, III 28. 31. — Schiffsbau: MWirabeau III 36. Schmidt, Brogr. 
der Friedrich: Wilhelmöfchule zu Stettin (1858) S. 35 ff. Büſching, Erbbefchreibung VIII 701. 
— Induftrieftatiftif von 1783: Seinik, Mém. 22; vgl. Hergbera, HD. 252 fi. — 
Montaninduftrie: Heinig, M&öm, sur les produits du rögne mineral de la mon. pruss 
(mieberabgedrudt bei Mirabeau II 213 ft.). Fechner. Geſch. des ſchleſ. Berg⸗ und Hüttenweſens, 
Berlin 1903 (Sonderdruck aus Zeitſchr. f. d. Berg:, Hütten: und Salinenweſen 1900—1902). 
Leber Heinig val. jegt Steinede, FBPG. XV 421. — Berbot des ſchwediſchen Eifens: 
Fechner 333 fi. Heinitz a. a. D. 219. 231. 243. 803. Publ. X1 566. v. Schöning, Nadı: 
richten zur Geſch. der brand.:preuß. Artillerie II 287. Luccheſini bei Bifhoff 210. 243. 276. 
— Dampfmaſchinen: Fechner 290. — Steinfohlen: Fechner 255 fi. 259 ff. Schmoller, 
Jahrb. XI 830 F. Schmemann FBPG. VII 418. — Weſtfalen: jegt Yehmann, Stein 137 fi. 
— Salinen: Schwemann, Heinitz als Chef des Salzdepartements 1786—96 (FBPG. VI). 
Schmoller, Jahrb. XT 839 ff. — Ergebniffe: (E. VI88; IX 185; XXIII 326. HZ. LX 
263. Urteile von Büfh und anderen Zeitgenofien bei Schmoller, Jahrb. VIII 10. 

(Seite 406—409.) Handelöpolitit: CE. XXIII 350. — Zolltrieg mit Deiter: 
reich: Fechner, Die handelspolit. Beziehungen Preußens au Defterreih 1741—1806. Beer, 
Archiv f. öfterr. Geſch. LXXII 553 ff. Vgl. FBPG. XI 441. Hinge, Seideninduftrie III 210. 
— mit Sahfen: Biedermann in Bierteljahrsfchrift für Bollswirtihaft XIX. FBPG. X 182; 
XI 487. (E. XXIV 98 ff. PC. XXV 13. Bgl. Sadıregifter der PC. unter Defterreih und 
Sachſen. — Tranfitzölle: Schmoller, Jahrbuch X 718 ff., X125 ff. v. Schrötter, FBPG. XI 437. 
Heinig, Mem. sur ma gestion 19. Klöber II 230. 221. — Verſchiebung der Abiap: 
gebiete: vgl. Grünhagen II 542. Fechner 507. Joachim, Domhardt 166. 190. Nödenbed, 
Beiträge II 302. 

(Seite 409. 410.) Handelsverträge: Fruchtloſe Verhandlung mit Franfreidh: PC. 
XXVI 579; XXVIII 491. — Hanbelövertrag mit Bolen 1775: Eine Unterfuhung fehlt nod. 
®gl. de Launay, Justification. Heinig, M&m. sur ma gestion 10. Damus, Zeitſchr. des 
Meftpreuß. Gefh.:Ber. XX 62 ff. Fechner, Handelsberiehungen 499. 508. Hinge III 215. — 
mit Spanien 1782: vgl. Zimmermann, Schleſ. Leinengewerbe. Grünhagen II 536. — mit 
Amerita 1785: Hergberg, Recueil I 472 (2. Aufl.). Kapp, Fr. d. Gr. u, die Ber. Staaten. 
(1871) 86 ff. 

(Seite 410—412.) Monopole: Mirabeau III 334. Hintze III 292. Rödenbed, Beiträge 
II 147. 150. FBPG. XI 416. Joachim, Dombardt 189. — Geringer Unternehmungsgeiit 
der Kaufleute: Preuß III 50. Grünhagen II 536. 537. — Ecornifleurs: (E. XIII 22. Bal. 
Mangold, Progr. des Askaniſchen Gymn., Berlin 1903, ©. 16. Luccheſini bei Biſchoff 288. 


(Seite 412—414.) Handelögefellfchaften: Bank: Rofchinger 1 58 oben ©. 501. — 
Aifeluranzgefellfhaft: Nov. Corpus Const. III 575. Schmidt (Stettiner Progr. von 
1858) 33. 34. — Brennholz: und Rutzhol zgeſellſchaft: Nödenbed, Beiträge II 227. — 
Levantiſche Kompagnie: Preuß III 72. Bine III 195. 199. Schmidt a. a. O. 34. 
Niebuhr, Bank 53. Röbenbed, Beiträge Il 325. — Schweiggeriches Privileg: PC. XXV 398. 
Scmoller, Jahrbuch X 723. FBPG. XI 447. — Handel nad) Dftafien: Hergberg, HD. 257. 
Preuß III 574. Rödenbed, Beiträge II 328. Ring, Aſiat. Handlungsfompagnien 198 ff. Fried— 
rich fchreibt an de Yaunay 26. Juli 1779: „Le commerce de la Chine qui ne nous convient 
sullement, l’experience l'ayant prouvé, lorsque nous voulümes le tenter.* (Geb. St. A.). — 
Emdener Heringäfifcherei: Nov. Corp. Const. IV 3, Nr. 57. Mirabeau III 316 fi. Röden— 
bed, Beiträge II 231. — Seehandlungsgeſellſchaft: vgl. oben ©. 498, unten &. 684. 


Zu Bud VII, Abſchnitt IL. III. 681 


(Seite 414—416.) Handelöftatiftit und Bilanz: v. Schrötter, FBPG. X 163. Heinit, 
Mem. sur ma gestion 4 ff. Mirabeau III 372. NRödenbed, Beiträge II 264 ff. Schmoller, 
Jahrbuch VIII 417; XI 33. Schmidt a. a. O. 30. 31. 35. 40. 42. Hertzberg, HD. 131. 
Friedbrihs Angaben: (E. IX 184. HZ. LX 263; vgl. Luccheſini bei Biihoff 210. Bol. aud) 
Lohmann, Hanbelsftatiftift Englands und Frankreichs im 18. Jahrh. S.B. der Berliner Af. 
1898, ©. 890. 892. 

(Seite 416—422.) Agrariſches Schutzſyſtem: Mirabeau III 353. Yandwirte fiets unzu— 
frieden: Grünhagen II 533. — Getreidehandelspolitif: W. Naude in „Deutiche lands 
wirtich. Preſſe“ 1895, Nr. 14. 20 u. „Deutſches Wochenblatt” 1895, Nr. 20. 21, vgl. aud 
FBPG. XII 305: Ergebnifje der ardivaliihen Forihungen des Verf. für die Serie „Getreide: 
handelspolitik“ der Acta Borussica, von der bisher 2 Bände, bis 1740, erichienen find (1896 
und 1901); val. dafelbft I 395. 415 über Nahahmung der preuf. Getreidehandelspolitif in 
Dänemark und Rußland. (E. VI 83. 84; IX 207. Scmoller, Umrifie 670 ff. und Jahrb. 
XIııf. Joachim, Domhardt 185. Nicolai, Anefdoten I Vorwort. M. Müller, Getreide: 
politif in Schlefien während des 18. Jahrhunderts (1897). — Kornhbandelsfompagnie: 
Mylius IV 3, Nr. 13. 16. 22. Rödenbed, Beiträge II 2835. Publ. XI 869. Schmoller, Jahrb. 
X1 13. — Wollprobuftion und Handel: v. Schrötter, FBPG. X 137. 167. 174. 176. 
180. 182; XI 382. 386 ff. Schmoller, Jahrbuch XI 18. Heinitz, Mém. sur ma gestion 21. 22. 
(E. XXVI 400. Rödenbed, Beiträge II 359 Anm. Struenfee, Abhandlungen über wichtige 
Gegenftände der Staatäwirtfchaft (1800) II 187. 

(Seite 422. 423.) Schluß: (E. XXIII 407. Urfinus 1766: UB. III 86—103. Hintze 
111 166 ff. Ueber Bertram: Schulge, Regie 270 ff. 305. 323; auch fir Hoym nimmt Fechner, 
Handelsbeziehungen 406, phyfiofratifche Anmwandlungen an, ebenjo für Heinig Lehmann, Stein 
I 85. 36. 


VIII. 3, Bündnis mit Rußland und erfte Teilung Polens. 


Der eignen Darftelung Ariebridhs (CE. VI; val. F. Preuß, Die erfte Teilung Polens 
u. die Memoiren ir. d. Gr., ZPr.G. XI) folgten als archivaliich fundierte Beiträge: [Comte 
de Görtz). M&m. relatifs aux negociations qui ont précédé le partage de P. (1810). 
v. Schlözer, Fr. d. Gr, u. Katharina II. (1859). M. Dunder, Die Erwerbung von Weftpreußen 
(ZPr.G. IX, 1872; wiederholt in des Verf. Abhandlungen zur preuß. Gefch.). Beer, Die erfte 
Teilung Polens (3 Bde. 1873; nach preuß. und öfterr. Alten). Beer, fr. II. u. van Swieten 
(1874). Arneth VIII (1877; in Polemik gegen Beer). Reimann I. Bom ruffiigen Stand: 
punkt: Sſolowjow, Geſch. des Falls von Polen, über. von Spörer (1865). Smitt, Frederie II. 
Catherine et le partage de Pologne (1861). Martens, Recueil des traits conclus par la 
Russie. Bal. aud Röpell, Polen um die Mitte des 18. Jahrh. (1876). 

(Seite 425. 426.) Verhältnis zu England und Frankreich: val. PC. XXIV 308. 338 
mit Publ. XIV 365. PC. XXIII 34. 36. 268. Val. Treuſch v. Buttlar in den „Grenzboten“ 
1898, Nr. 15. 

(Seite 426—439.) Gntftehung des Bündniffes mit Rußland: Urteil von 1746: 
Publ. IV 802. Nach meiner Auffaffung ift für die Beurteilung der Allianzverhbandlung 
mit Rußland das enticheidende Moment, daß es Friedrich gelang, Rußland dur ein Bündnis 
an fich zu fetten, während Katharina nur ein Zufammengeben in einer einzelnen frage, der 
damals aftuellen Frage der polniichen Königswahl gewünſcht hätte, nur dur dieſen grunds 
fäglichen Gegenfag wurde ber Abſchluß der Verhandlung monatelang verzögert, nicht durch 
die Diskuffion über einzelne Bedingungen, aegen die Friedrich nur fo lange ſich fträubte 
(mas befonderö gegen Beer I 103 zu bemerfen ift), als der Vertrag an ſich noch nicht gefichert 
war, Ueber frühere Urteile val. die lebte Bearbeitung des Gegenftandes durch Küngel in 
FBPG. XIII 75—122; über die Gefihtspuntte Katharinas beſonders Bilbaffoff II 151; val. 
PC. XXIII 52. Röpell 172. 192, Die 62 Millionen (S. 428) aus Bericht Domhardts vom 
21. Nov. 1762 (Geh, St.A.) nad) einer Mitteilung Korfjs. — Polniihes JInterregnum 
1763/64: Askenazy, Die legte poln. Königswahl (Bötting. Diff. 1894). Haltung Ruf: 


682 Zu Bud VIII, Abichnitt III. 


lands: Bilbaffoff II 396. 404. 535. 542; die Briefe vom 17. Dit. 1768: Beer III 80. 
PC, XXIII 167. — Der türkiſche Geſandte in Berlin: Nottebohm, Die preuß.ztürf. 
Defenfivallianz 1763—65 (Feftichrift des Friedrichwerderſchen Gymn., Berlin 1881). Beer I 
123. PC, XXIII 283. 298. — Banins peripeltivifhe Neußerung: PC. XXIII 254. — 
Haltung Frantreihs und Defterreihs: Beer I 74. 77—81. 90. 116. 137. 143. 151. 
168. Choifeuld Programm (12. Oft. 1762): Bilbafioff, Monographien III 211. Bal. aud 
Boutarie, Corr. secr. de Louis XV (1866). Saint-Priest, Etudes politiques et litteraires. — 
Vertragsurkunde vom 11. April 1764: Martens, Recueil des traites conclus par la Russie 
VII. 

(Seite 439—442.) Zur Charalteriftit ded Bündniffed. Sein eigentlider Wert 
für Preußen: PC. XXIV 253; XXVI 290. — Gründe gegen Erweiterung bes 
Bündniffes zu einer nordiſchen Koalition: PC. XXIV 126. 290; XV 71. 74. 
359-361. — wegen Sachſens: XXVII 127. 183. 136. 141. — Saldern: PC. XXV 350 
(Popilius Laenas: (E. VI 15; VIII 23. Publ. LXXI 174). Bgl. PC. XXI 283. — 
Cinmifhung in innere preußiihe Angelegenheiten zurüdgemiejen: PC. 
XXV 187. 195; XXVI 18. 57. — Traditioneller Grundſatz der polnifden Politik 
Preußens: vgl. Droyfen, Friedrich Wilhelm J., Il 236. 237. 

(Seite 442—444.) Beziehungen zu Defterreih. Eventualität einer Nusiöhnung 
bei gemeinfamem Gegenfag gegen Rußland: PC. XXVI 300. 304. 323; XXVII 116. 146. — 
Streit wegen Ausführung der riedensbedingungen: Arnetb VIII 93 ff. PC. 
XXII—XXV, — Sofepb Il.: PC. XXIV 348; XXV 356. — Raunitz: Arneth VII 292. 
PC. XXIV 325; XXV 148. 216. — Bereitelte Monardenbegeanung 1766: vgl. 
Küngel, FBPG. XV 507 ff. — Abrüſtungsvorſchlag: PC. XXVI 225. 

(Seite 444— 446.) Polnifhe Reichſtage von 1764 und 1766 und Konföderation von 1766: 
PC. XXIV 422, XXV 392. — „Vous n’ignorez pas qu’avec argent on fait tout en Pologne*: 
PC. XXIV 191. 

(Seite 446—451.) Gefahr einer bewaffneten Einmifhung Defterreihs 1767. Defter: 
reihijche Demonftrationen und Nüftungen: Arneth VIII 125 ff. — Preußiihe Gegenmaßregeln: 
PC. XXV 359; XXVIS ff. 25—27. 54. 58. — Nuffiide Gemwaltfamfeit: XXVI 58. 
285. 294. 300. — Neuer Vertrag mit Rußland (4. Main, St. 1767): Martens, Re- 
cueil VI 37, mit irriger Datierung 12./23. Aprit (vgl. auch PC. XXVI 122 Anm. 1). — 
Defterreih lenkt ein: PC. XXVI 45. 77. 83. 188. Raumer, Beiträge zur neueren Geſch. 
IV 108. 109. — Auflöfung der Konföderation von Radom, Windftille: PC. 
XXVII 18. 39. 

(Seite 451.) Heilige Konföderation von Bar, Ausbruch des ruffifch-türkifchen Krieges 
1768: Herrmann V 434 ff. Saint-Priest, Etudes I. PC. XXVII 169. 188. 332. 340. 478. 

(Seite 452.) Die Teilung Poleus wirft ihren Schatten voraus. Prophezeiung 
Johann KHafimirs 1662: Urkunden u. Alten zur Gef. des AKurfürften Friedrih Wilhelm 
IX 356. ZPr.G. XV11 579. Bilbafiow 11 517 Anm. — Meltere Entwürfe: vgl. Droyjen, 
Geih.jder preuf. Politif III, 2, 196 (2. Aufl); IV, 3, 218. 239. 257; 4, 284 ff. Noorden, Eur. 
Geſch. im 18. Jahrh. II 36. — Bol. Teft. vom 7. Rov. 1768: zuerft bei Dunder a. a. D. 

(Seite 453—455.) Preußen umworben. Frankreich: PC. XXVI 579. 580. — 
Defterreich: Beer I 293 ff. Audienz vom 4. Sept. 1768: PC. XXVII 329. — England: 
ebend. 507. — Verhandlung mit Defterreih wegen Neutralität für Deutihland 
und wegen einer Monardenzujammenkfunft: ebend,. 441 ff. 453. 454; XXVIII 496. 


(Seite 455—457.) Berhandlung wegen Berlängerung des ruffischen Bündniſſes. Wir: 
fung des Türfenfrieges auf die politische Yage: PC. XXVI 230. 234. 499. — Subſidien— 
zahlung: ebend. 376. 421; XXVIII 146. 153. 169. — Preußiſcher Vertragsentmwurf 
mit Alaujel wegen Ansbah:Baireuth: ebend. 28, val. XXVII 421. 423. 515. 543. — 
Der Lynarſche Plan: PC. XXVIII 84. 160—162. 194. 195. — Schleppender Gang 
der Verhandlung: ebend. 503; an Findenftein, Anfang Auguft: zuerft bei Beer II 352. 

(Seite 457—459.) Zufammenkunft in Neiße 1769: Beer im Archiv f. öfterr. Geld. 
XLVII. Berichte Joſephs IL. bei Arneth, Maria Therefia u. Joſeph II. (Rorrefp.) I 300 ff. 


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Zu Buch VIIL, Abſchnitt III, IV. 683 


Memoiren des Brinzen Albert von Sachſen und Bericht von Ayafafa: Arneth 566 ff. Das 
aünftige Urteil Friedrichs über Joſeph in der ungebrudten Redaktion feiner Memoiren von 1775 
iſt weientlih verändert in (E. VI 25. Bal. im übrigen PC. XXIX (1908 unter der Preſſe) 
u. Kraufe, Brogr. des Altftädt. Gymn. in Königsberg 1902. 

(Seite 459.) Bündnis mit Rußland vom 23. Oft. 1769: Martens, Recueil VI 48 ff. 

(Seite 459—461.) Zufammenkfunft in Nenjtadt 1770: (E. XXVI 320. Beer im Ardiv 
f. öfterr. Geih. XLVII. Ergänzungen bei Arnetb VIII 576 ff. Ligne, Memoire sur Frederie II 
(1789). Friedrih an Königin Ulrike 1. September 1770 (glaubt Maria Therefia zu treffen). Bat. 
(E. XXVI 824 ff. 

(Seite 461—463.) Preußiſche Bermittelung im Türlenfriege, Prinz Heinrich in Peters: 
burg. Gedanfe einer Begegnung zwiichen Friedrih und Katharina: PC. XXVIII 108. Prinz 
Heinrich: (E. XXVI 320 ff., ergänzt durch Sclöger 228 ff. Dunder 196 ff. (in berechtigter 
Rolemit gegen Smitt I 134 ff.). Beer 11 53 Anm, Martens, Recueil VI 67. 

(Seite 4653—474.) Erſte Teilung Polens: Oltupation polnifhen Gebietes 
durch Defterreih: Beer II 48 ff. 68. Arneth VIII 170 fi. 295 ff. 587. 588. — Wirfung 
in Beteröburg: (E. XXVI 345 (val. Dunder 229 Anm.) — Für die weitere Verband: 
tung mit Nußland bat ſich mir aus Durdarbeitung des preußiſchen Aftenmaterialö er: 
neben, daß das Verdienſt des Prinzen Heinrih um die Erwerbung von Weftpreußen nicht bloß 
tr feinen Peteröburger Pourparlers beruht, fondern vor allem darin, daß er bei feiner Nüd: 
fehr die gewichtigen Bedenken des Königs zu überwinden vermocht hat. Die in der Fortſetzung 
des PC. zu veröffentlihenden Auszüge aus feinen Briefen an den Hönig werden feinen Anteil 
an ber Verhandlung auf das deutlichite erfehen lajjen. — Ergebnislofe Verhandlung mit Defter: 
reich in Berlin (27. April 1771) und Petersburg (31. Mai): Beer II 68 ff. 358 und 
van Swieten 22 ff. 30. Arneth VIII 309 ff. 591. Dunder 237. 238. Neimann I 391 ff. — 
Oeſterreichiſch-türkiſches Bündnis (6. Juli 1771): Beer II 16. 20. 36. Arnetb VII 
253. 290. 291. 328. — Kaunitz: Beer II 16; III 23 (die 13 Fälle), Arneth VIII 267. — 
Joſeph: Beer III 11 ff. Arneth VIII 256. 267. — Maria Therefia lenkt ein (5. Sept.): 
Beer I1 108 ff. 337 ff. u. Swieten 35 ff. Arnetb VIII 323 ff. 329 (gegen Beer) 338. — Ent: 
iheidung in Petersburg (Bersiht auf Moldau und Wallachei) und in Wien (für Mit: 
wirkung bei der Teilung Polens): Dunder 246 ff, Beer TI 111; III 173 ff. Arneth VIII 
335. — Audienz van Smwietens (4. Febr. 1772): Beer, Smwieten 58 ff; val. Beer II 341. 
357. — Die Teilungsverträge: Martens, Recueil II Nr. 31; VI Nr. 223. 225. — Ur: 
teile von Maria Therefia und Kaunig: Arneth VIII 3583. 354. 365 (ſchon bei Preuß 
IV 38 aus Hormayrs Tajhenbud 1831) 367. 376. 377. 395. Beer I p. IX; II 340. 


VIII. 4 Weftpreußen. 


(Seite 475—431.) Befitergreifung. Umfang ber Erwerbungen der drei Mächte: 
Nach einer im Staatdarhiv zu Polen gemadten Zufammenftellung über die einfchlägigen For: 
ſchungen ift annähernd ber preußifche Teil auf 664 :Meilen, der ruffiihe auf 1692, der 
öfterreichifche auf 1508 anzunehmen. Cvaluation: Beer 3, 121. — Nadträglihe Ausdehnung 
der Grenzen: Reimann I 504 ff. Beer II 230. 281. 289. 307. Arneth VIII 423. Martens, 
Recueil VI 99. 100. — Haltung der PBroteftanten: (E. XXVI 359. Graf Lippe, Weft: 
preußen unter Fr. d. Gr. 23. — Storzewsta, (E. XXIII 124; XXV 618. Meisner, Brendenhoff 
110. — Entwaffnung: UB. IV 37. 98 Preuß III 385 ff. (wodurch Kaltenborn II 93 
wegen Loſſow widerlegt wird). — Urteile Friedrichs über die Polen: PC. XXIII 
204; XXVII 352. (CE. XIV 183 (Guerre des Confederes); XXIII 205. 208. 210. 220; 
XXIV 557. 

(Seite 477—431.) Abtretung durch den Neichdtag von 1773: Die Rechtsfrage: 
(E. VI 47; val. Herkberg, Recueil I 324 ff. — Ueber den Berlauf der Verhandlungen neben 
den preußiihen Gefanbtichaftäberichten im Geh. Staatdardiv die öfterreichtihen bei Beer II 
199 — 244, bie fähfifhen bei Herrmann, Geſch. Rußlands V 532 ff. 590 ff. — L'heureuse 


684 3u Buch VIII, Abſchnitt IV. 


anarchie: Bilbaffom Il, 1, 541. — Haltung Franfreihs und Englands: Arneth VIII 
196. 428. Reimann I 53. PC. XXVII 428. Michael, Englands Stellung zur erften Teilung 
Polens (1890). Arnheim in Deutſche Zeitichr. für Geſch.Wiſſ. VIII 151. — Die preußiiche 
Ermwerbung durchgeſetzt gegen das öfterreihiiche Intereſſe: Beer 1 983. 119 — gegen das ruſſiſche: 
ebend. II 301. Bal. aud Herrmann V 360; Köppen, Fr. d. Gr. und feine Widerſacher (1840) 
148. Dunder, Abhandlungen 259. 

(Seite 451483.) Einrichtung der neuen Berwaltung: „Weitpreußen”: UB. IV 25 
V 227. — Die Bebilfen: über Dombardt vgl. Joahim; über Brenckenhoff, Meisner, 
jowie Petri, Pommerſche Lebens: und Landesbilder I 271 ff. 418. Büſching, Charakter 248. 
Rödenbed, Geſchichtskalender 111 157 und Berg, FBPG. XI 493 ff. — Roden: Preuß III 
367 ff. Zakrzewski, Reformen der direkten Steuern im 18. Jahrh. (Schmoller, Forſchungen 
VIII 2) 8.84. — SHabinettsordres betr. Weftpreußen: UB. IV 3—195; V 183—234; Preuß 
IV 374 ff. Anderes urfundliches Material: Publ. XI. XVIII. XXIV, Graf £ippe, Weitpreußen 
unter Fr. d. Gr. Otto, Aus der fridericianifhen Verwaltung BWeftpreußens, Konitz 1887. 189. 
(Progr.) M. Meyer im Jahrb. der Hift. Geſ. für den Negebiftrift 1896. — Bearbeitungen: 
Noscius, Weitpreußen 1772— 1328 (1829). Rethwiſch, Progr. des Wilhelmgymn. Berlin 1872. 
Boas, Berliner Diff. 1890 u. Jahrb. der Hit. Gef, für den Netzediſtrilt 1891. 1892. Kreis: 
geihichten für Pr.:Stargard von Plehn (1900), für Deutſch-Krone von Schul (1902). Eine 
umfaſſende Altenpublifation bereitet M. Bär in Danzig im Auftrage der preußiſchen Archiv— 
verwaltung vor. 

(Seite 454. 485.) Beſuche des Königs: Roden bei Preuß III 369. 370. (E. XXVI 
356 ff.; XXIII 8380; XXIV 587. NRödenbed, Beiträge I 495. 

(Seite 485— 492.) Retabliſſement: Kanalbauten: Garbe, Der Bromberger Kanal 
(1874). Hertzberg, H.D. 297 (vgl. dazu Preuß IV 70). — Kataſterwerk: Zaktzewski 83 ff., 
vgl. Publ. XI 535. Graf Lippe 183. Damus in Zeitfchrift des weitpreuß. Geſch-Vereins 
XXX 55. — Lage der Bauern: Beer 1 42. Hüppe, Verfaffung von Polen 62. Boas, 
Diff. S. 21. Plehn in Mitteilungen des weftpreuß. Geih.:Ber. I Nr. 1. — Bauernadel: 
Lippe 9. Herrmann V 593. Boas, Diff. S. 20. 21. — Beieitigung der Staroitei:- 
verfaffung: (E. VI 88. UB.1V 95. 119. Lippe 76. — Huldigung: vgl. die Bajallenlifte 
in Bierteljahröichrift für Wappentunde XX. — Kirchengut: Publ. XVII. (E. XXIII 242. 
Kolberg, Dotation des Bistums Ermland, Zeitfchr. für Geſch. Ermlands IX. X. — Befteue: 
rung: Zakrzewski 87 ff. UB. IV 145. — Zurüddrängung des polniihen Adels: 
Joachim 173. Publ. XI 423. 435. 578. 603. UB. IV 164. Schmoller, Umrifie 611. — 
Anfegung deutiher Koloniften: Herzberg, HD. 191, val. 173. 216. 267. Beheim: 
Schwarzbah 407 ff. UB. IV 4. 193; V 193. Publ. Xl. 479. — Netabliffement der 
Stäbte: UB. IV 71. 77. 97. 112. 168. 170. Publ. XI 440. 536. (E. XXV 18. 2ippe 114. 
Marienburg: Steinbrecht in Hoh. Jahrb. 1902. — Braugewerbe: UB, IV 31. 37. Publ. 
XI 581. Preuß 1V 382. Boas, Diff. S.26. — Erweiterung der Induftrie: Breuß IV 
376. 378. 3883. UB. IV 97. Publ. XI 536. 

(Seite 492.) Bevölkerungsſtatiſtik: Siehe FBPG. XVI. — Landftreicher und Bettel: 
juben: Zippe 834. 35. 112. UB. 10. 41; V 28. 

(Seite 493. 494.) Handel: Lippe 61. UB. V 227. — Seehandlung: Nov. Corp. 
Const. V B. Rt. 51. 55—57. Preuß III 456. Joachim 164 fi. 204. Raumer V 266. — Ber: 
trag vom 3. Jan. 1779 abichriftlih im Geh. Staatsarchiv; einiges Einihlägige enthalten die 
Berichte des Refidenten Blanchot ebend.; val. aud (E. VI 89. 90. Damus, Zeitichr. des 
weitpreuß. Gejch.:Ber. XX 93. 94. Beer III 249. 250. — Prozeß Görne: Friedberg, HZ. 
LXV. Nicolai:Blandenburg II 105. (E. XXVII b. 56. 

(Seite 495. 494.) Beziehungen zu Danzig. Damus, Zeitihr. des weſtpreuß. Geid.: 
Ber. XX. Michael, Englands Stellung zur erften Teilung Polens 21 ff. 

(Seite 494.) Juſtizpflege: Publ. XVII 45 f. CE. XXV 18. Nov. Corp. Const. V 
(die Ordnungen von 1773). Stölzel, Brandenburg: Preußens Rechtsverfaſſung u. Rechtäver: 
waltung II 260; die dafelbjt S. 262 Anm. 2 u. 264 Anm, 4 zitierte Verordnung vom 30 Juli 
1774 (Nov. Corp. Const. V 341) bezieht fi nur auf Oftpreufen. 


3u Bud VII, Abſchnitt IV. V. 685 


(Zeite 494. 495.) Schulmwefen: CE. XXIII 267. Lippe 53. 73. 76—78. UB. IV 4. 
5. 176. Rethwiſch 16. Publ. XXIV 246. 275. 

(Seite 495. 496.) Schluß: (E. XXIII 267. Damus 47. Publ. XI 573; XVII 470. 
UB. IV 140. 149; V 19. 


VII. 5. Staatsbausbalt und Heerweſen. 


(Seite 497—501.) Stantöhaushalt: Die Belege gebe ih FBPG. XVI (1903). 

(Seite 501. 502.) Heereöftärle: Reduktion 1763: Märkiſche Forihungen XIX 183. 
189 fi. (E. VI 92. 101 (in der älteren ungedrudten Redaktion fteht: „les r&giments etaient 
sur le grand pied de guerre*); XIX 385; vgl. den Etat von 1757 in Sammlung ungedr. Nadı: 
richten V 450. 454. G.Stab IIIa 126. — Firierung der Zahl der Kantoniiten: Mis— 
cellaneen 122—124. GB. IX 186. Soldaten als eldarbeiter: FBPG. X 301. — Augmen: 
tation von 1768 ff.: CE. VI 101 ff. 129; IX 186. PC. XXVII 240. 254. Märt. Forſch. XIX 
183. Graf Lippe, Weftpreußen 71. Der (E. VI 104 erwähnte Mobilmadhungsplan bat fich 
unter den neuerdings an das Geh. Staatsarchiv gelangten Treioralten aefunden; er liegt 
meinen Angaben zu Grunde und fol in den „Bublifationen aus den Staatsardiven” veröffent: 
liht werden. Ungenaue Ziffern: Preuß IV 306. Büſching, Beiträge zur Regierungsgeih. 391 ff. 


(Seite 502—510.) Netabliffement des Heeres. Popularität: Litzmann, Schröder 
II 48#. €. Schmidt, Leifing I 484. — Verfall der Disziplin im Kriege: (E. VI 91. 
92; XXVIIb 48. — Infpeltionen: Miscellaneen 131. PC. XXIII 97. 98. Märt. Forſch. 
XIX 169. Berenhorft, Betradhtungen (3. Aufl.) 171. 179. [Raltenborn), Briefe eines alten 
preuß. Off. II 111. 152 fi. Gaudi bei Jany, Gefechtätaftif der Infanterie von 1806 (Beiträge 
und Forſch. zur Gef. d. preuß. Heeres V) 8. Ueber Ramin: Kaltenborn I 85. 100; II 154. 
Thiebault IV 309. Dentwürdigfeiten des Landarafen Karl von Heſſen, überf. von Bernharbi, 
107, 127. NRöbdenbed, Tagebudy III passim. — Reform der Kompaaniewirtichaft: Mis: 
celaneen 121. 122. Büſching, Beiträge zur Reg-Geſch. 393—410. Courbiere 115 ff. Beren: 
horſt 169. 180. 294 Anm, Kaltenborn I 75; 11 117. 156. Une mission mil. en Prusse 1786 
p. 277.. Tal. auh PC. XXI 521. — Offizierforps, Abel: (E. IX 186. Schnadenburg, 
Sahrbb. f. d. deutiche Armee CXV. v. Tayfen, Milit. Thätigleit Fr. d. Gr. während feines 
legten Lebensjahres 62 ff. 72. Breuß III 332 Anm. 2. Militärlerifon IV 48, — Abneigung 
gegen Grafen: Luccheſini bei Bifchoff 227. Berenhorft 198. Preuß III 142; val. (E. IX 120. 
Kaltenborn I 109; an Tauengien 8. Nov. 1775 (ungedrudt). — DOffiziermangel: Preuß III 133. 
Eourbiere 115. — Hufaren: Zippe, Hufarenbudh 480. Winter, Bieten 1439. Preuß IV 388. 
— Der Eleine Dienft: Berenhorft 182. 183. 218. Naltenborn I 28. 122. 123. [v. Zoffom], 
Dentwürdigfeiten zur Charalteriftif der preuß. Armee unter fir. II (1826) 230 ff. Küſter, 
Leben Saldernd und Neue Militär, Blätter LVII 123. — Manöver: Miscellaneen 132. 
v. Taufen a. a.D. 85 ff. Kaltenborn I 24. 25. 29. v. Seidl, Fr. d. Gr. und feine Gegner 118. 
„Daheim” 1898 Nr. 34 (nad den Papieren des Generalleutn. v. Löbell). — Theoretiice 
Unterweifung der Dffiziere: G. Friedländer, Die K. Allg. Kriegsſchule nnd das 
Militärbildungsweien 1765—1813 (1854). (E. VI 95. 99. Miscellaneen 140. 156. Une 
mission militaire 1786 p. 287. 299. — Eleven, Generalftab: Miscellaneen 177. Fried: 
länder 143. Donalies FBPG. VIII 6.7. Maſſenbach, Rüderinnerungen I 121; 1195 ff. Berk, 
Gneifenau 1 30. Preußiſche Jahrb. XLV (Rüchel). — Elements de castrametrie: (EB. XXIX 
(vgl. VI 96). Regeln für BatKomm. ebend. — TDumouriej: Berenhorft 195. — Gejamt: 
fortichritt des Dffizierforps: Kaltenborn I 124. — Urteil über die Gemeinen: Mis: 
cellaneen 130. (E. XXIX 50; vgl. aber die Anertennung der „valeur“ (E. XXIV 570 (gegen 
Buibert). — Popularität des Königs bei der Truppe: Kaltenborn 157; II 50. 110 
Preuß ITI 365. Arneth VII 568. Saroline v. Fouqué, Blid auf Gefinnung und Streben 
in den Jahren 1774—78 (1331) S. 91. — Revue von 1773: K. v. Hülfen, Memoiren 185. 
Preuß IV 369. 371. Kaltenborn I 34. — Allmähliche Vervollkommnung des Heeres 
(E. VI 94. 96. 124; IX 186; XX 127. 131; XXVI 308. 805. 358. 364. Lippe, Militaria 47 ff, 
Arneth VIII 568 (dagegen Schöning IV 38. 39). 


686 Yu Buch VII, Abſchnitt IV; Buch IN, Abichnitt 1. 


(Seite 511.) Infanteriefeuer: (E. IV 222; XXVI 306. Miscellaneen 131. Loſſow 257 
bis 275. Berenhorſt 222. 223. 329. Preuß 11 365; IV 177. Mission mil. 1786 p. 280. 
295 und jegt Jany a. a. D. 4. 97, wonad.- Anhalt 1783 acht Schüffe und achtmal Laden in 
der Minute verlangte. 


(Seite 511.) Feſtungen: Miscellaneen 140. (E. IX 186; XXIX 76. 


(Seite 512. 513.) Keine Kriegsmarine: CE. IX 189. 190; val. 3. G. Droyien, Monats: 
berichte der Berl, Afademie der Wiff,, Januar 1881. 


(Seite 513. 514.) Strategie: (E. IV p. XVII; IX 190; XXIX 3. 21 ff. 67 ff. Mis: 
cellaneen 142 ff. Vie du prince Henri, Paris 1809, 351 Anm, 


(Seite 514.) Schiußbemerfung: (E. XXIII 154. 155; XXVI 400. 


IX. 1. Bairifcher Erbfolgekrieg. 


Mömoires de la guerre de 1778, (E. VI. Hertzberg, Recueil des deductions 11 
(1739). IArndt], Volftändige Sammlung von Staatsichriften. 5 Teile (1778—1779). Mitli: 
tärifches Hauptwerk noch immer: v.Schöning, Der bayr. Erbfolgefrieg 1859 (Mil. Korr. Fr. d. Sr. 
mit dem Prinzen Heinrich, IV) mit Urkundenbuch (zitiert: Schöning UB). Sampaane bes 
Prinzen: Beitichr. für Kunſt u. Wiffenichaft des Krieges 1845. Eine mweientlihe Ergänsung 
bieten die von mir an anderer Stelle mitzuteilenden Briefe des Prinzen Heinrich an den Erb: 
prinzen von Braunfhweig im Arhiv zu Wolfenbüttel, Zur Kritik der älteren milit. Lit. val. 
Cogniazzo IV 285, Dohm, Beiträge V 360 ff, Schöning IV 37 ff. u. v. Seidl, Fr. d. Gr. 
u. feine Gegner (1819). — Reimann, Gef. des bayr. E.:K. (1869; umgearbeitet in Reimann, 

Neuere Geſch. des preuf. Staats II). Arneth X. Beer (nad; öfterr. und preuf. Aften) HZ. 
XXXV. XXVII Radda, Der bayr. E.K. u. der Friede zu Teichen (1879). 


(Seite 517—522). Weberficht der auswärtigen Politil 1772—1777. (E. VI 111—133 
Idee eines Dreibundes der DOftmädte: Beer, Smwieten 89. 108. — Staatsſtreich 
Guſtavs III: Arnheim, Beiträge zur Gefch. der nordiſchen Frage (Deutfche Zeitihr. für Geich : 
Wiſſ. VII. VIII; vgl. aud Nationalzeitung 1892, 30. März). Hüffer FBPG. VI 384. — 
Bring Heinrich in Petersburg und Großfürft Raulin Berlin 1776: (E.XXVI. 
Korrefpondenz zwiſchen Heinrih und Solms (Geh. St. A.). Sbornit XXXVII. — Vertrag 
vom 1. April 1777: Martens, Recueil VI Nr. 227. — Beziehungen zu Defterreic: 
(E. IX 187. — Borausiiht der Anfhläge auf Bayern: (E. XVII 251. XXV1 370. 
PC. XXVII 320. 358. 387. — Friedrids Syftem 1777: (CE. XXVI 892; val. VI 130. 
Beziehungen zu Frankreich: Tod der Bompabour: PC. XXVI 302. (E. XXIII 183. 
— Choifeul: vgl. die Sachregifter zur PC.; (E. XIV. 179. 240. 260 ff. — Ludwig XV: (E. 
VI 67; XIV 260 ff.; XXIII 286. 290; XXIV 628. — Ludwig XVL: @&. VI 67: XXVI 
370. 398; val. PC. XXVII 424. Broglies Denkichrift 1773: Boutaric, Corr. secrete de 
Louis XV, T. II. — Bergennes: Tratchevsky, La France et l’Allemagne sous Louis 
XVI (1880); val. Bailleu in Revue Critique 1881, Nr. 31. — Beziehungen zu England: 
Krieg in Amerifa: vgl. PC. XXV 42; XXVI 323. — Hader der engl. Parteien und Bute 
(E. VI 114. PC. XXVI 382. Ranfe S. W. XXXYAXXXII 460 („un roi d’Angleterre que But 
möne par la lisiöere;* ebend. S. 105 in Nantes Ueberfegung mihverftanden). CE. XIII 42 
(wo mit dem enfant sur le tröne, servilement soumis aux lois de son mentor Georg III., 
nicht ber vom Herauägeber vermutete König von Portugal gemeint tft). v. Ruville, Pitt und 
Bute (1895) 64 ff. 80. — Verhältnis zu den Amerifanern: Kapp, Fr. d. Gr. unb 
die Vereinigten Staaten (1871). Bancroft, Gef. der Ver, St. (überf, von Bartels) X p. V 
und 52 ff. CE. XXV 45. 82. Nöbdenbed, Tagebuch III 117. 

(Seite 522—530.) Borgefchichte des Krieges. Joſephs Il. bayrijder Plan: 
Arneth X 303 ff. Unger in Mitteil. des Inftit. für öſterr. Geihichtsforfh. AV — Preußiſche 
Gegenzüge: Görk, Memoire hist. de la negociation de 1778 (1812). v. Seidl a. a. D. 
369 ff. (Befehle an Hoym). Meisner, Herzonin Maria Anna von Bayern (Feitichr. des Gymn. 
zu Sauer 1890), vgl. Bitterauf, Die wittelsb. Hausunion 1746/47 (Feſtgabe für K. Th. v. Heigel, 


Zu Buch IX, Abſchnitt I. II. 687 


Münden 1908 &.465 ff... — Haltung Franfreihs und Rußlands: val. Schöning 
UB. 42. 73. — Rapierverbraud: ebend. 9.11. (E. XXIII 422. — Prinz Heinrid: 
Miscellaneen 156 (befter eldherr). Val. befonders Schöning UB. 2. 4. 16. 17. 26. 32. 34. 45. 
— Herhberg: Unger, 9. Anteil an den preuß.söfterr, Verhandlungen 1778/79 (1890) 4. 27. 
121. — Berftändigungsverjude: Arneth X 376. 380. (CE. VI 183 ff. Hersberg, 
Recueil II 126 ff.; wegen der Lauſitz val. fhon (E. XXVI 372. — Defterreidifde Ur: 
teile über Friedrich: Raumer V 317. Arneth X 431 ff. 


(Seite 530. 531.) Verhandlung nad) dem preußiſchen Einmarfch in Böhmen. Beer, 
HZ. XXXVII; vgl. Arneth, Reimann, Unger. 

(Seite 531.) Preußiſcher Feldzugsplan. Erfter Entwurf: (E. VI 145; XXIX 121. 
Schöning UB. 66. — Erfte Modififation: (E. VI 146. 147. Schöning UB. 54. 82. 84. 

(Seite 531-535.) Berlanf des Feldzugs. Der König vor der oberen Elbe: 
Schöning UB. 91. 92. (E. XXIV 25. — Vorbereitungen Heinrichs: Schöning UB, 
93—95. 102. 107. Hendel von Donnersmard, Milit. Nadhlak II b 171. — Sein Ein: 
marih, Schreden der Defterreidher: Schöning UB. 98 ff. Arneth X 505. Preuß 
UB. V 177. — Die Krifis des Feldzugs: Hendel a. a. D. 182. 183 (beftätigt durch 
Möllendorffs Bericht 17. Auguft, Geh. Staatdardiv). Schöning UB. 102. 107. — Dffenfiv: 
verjud des Königs: Scöning UB, 117. 119. 128. 131. 138. Anhalt: Preuß IV 391 ff. 
Preuß UB. V 177. 180. Schöning IV 175 fi. Hendel 187. 200. Karl von Hefien, Dent: 
würbdigfeiten 100. — Les exploits des septuag£naires: (E. XXIV 29. — Mähren bis zu: 
legt im Auge behalten: (E. VI 161. Schöning UB. 132. 155. 158. — Felbzugsplan für 1779: 
(E. XXIX 126; vgl. Schöning UB. 184. 192. — Berlufte: VBlandenburg:Nicolai II 64. — 
Koſten: fiehe oben ©. 501. — Allgemeine Rerftimmung: außer den Briefen des Prinzen 
Heinrich Hendel a.a.D. 216. Schmettau, Ueber den Feldzug von 1778 (1789). Karl von Heflen, 
Denfwürdigkeiten 85 ff. — Urteile über Generale: Echöning UB. 103. 106. 123. 160. 
175. 205. 206. Sendel 216. Ueber Möllendorfi: Graf Lippe, Jahrb. für die deutiche Armee 
Bd. CIX. — Bormwürfe gegen den Bringen Heinrid: (E. VI 156. 179; vgl. XXVI 
473. Scöning UB. 119. 124. 132. 163. 164. 167. 186. 191. 

(Seite 535 —539.) Friede von Teihen. Breslauer Winterquartiere: Schöning 
UB. 197. 199. 200. 217. — Gegenkaiſer: ebend. 246; vgl. Arneth X 614. — Friedrich 
über Maria Therefia: (E. XXIV 325. 326. — Dieöffentlide Meinungfür Preußen: 
vgl. ebend. 328. Briefe Maria Therefias, her. von Arneth, IV 587. Perg, Stein VI (Beilagen 
&. 156). Ron fpäteren fteht ganz auf feiten Joſephs II. Scloffer, Geſch. des 18. Jahr: 
bunderts III. — Ergebnis für Preußen: (E, XXVI 476; vol. auch XXIV 326. 327. Reimann 
1 260. — Unzufriedenheit Joſephs mit Frankreich: Arneth X 548. 541. 631. 
665. — Der militärifche Wert des ruſſiſchen Bündnifies für Preußen prefär: Reimann 
ll 220. 238. 239. 


IX. 2. Zuſtizpflege und Kirchenpolitik; Kandrecht und Staatsform. 


(Seite 540-542.) Ergebniffe der erften Juftizreform. Aeußerungen bes Königs: 
(E. IX 188. 201. 232; XXIII 343. 405. 409. 412; XXV 375. 378. Bal. indes Holge, Zur 
Strafrehtpflege unter Fr. Wilh. T. (1894). — Die Schüler Eoccejis: Stölzel, Branden: 
burg: Preußens Nechtöverfaffung und Rechtsverwaltung II 248 ff. Hole, Gef. des Kammer: 
gericht III 281. 282. — Gegenſatz zwifchen Fürſt und Garmer, Inquiſitions- und Ber: 
bandlungsprinzip: Kamptz, Yahrbb. für die preuß. Geſetzgebung LVIII. Holte III 288 ff. 
Stölzel II 265 ff. Stölzel, Spare; 80. 137 ff. Breflau und Iſaacſohn, Der Fall zweier preuß. 
Minifter (Dandelman und Fürft) S.75 f. W. Naube FBPG. V 314. 

(Seite 542—545.) Brozeh des Müllerd Arnold. Materialien: Preuß III 489 ff. 538 ff. 
und ZPr.G. I 129 ff. Didel, Beiträge zum preuß. Rechte I (1891) ©. IX (ebend. Zufammen: 
ftellung der Litteratur). Gegen Didelö Verteidigung des Machtſpruchs vom 11. Dez. 1779 
Winter, Münchener Allg. Zeitung 1891 Nr, 277 und (von Standpunkt des Kammergerichts) 
Holge III, Svarez' Urteil: Stölzel, Sparer 316. 317 (vgl. Dohm bei Preuß III 537. 538). — 


688 Zu Buch IN, Abſchnitt I. 


Demonftrationen: Preuß III 500. Salfreutb, Mes paroles (1818). Thiebault IV 32. 
Raumer V 341. Büſching, Charakter 255; vgl. auch E. XXV 142. 145. FBPG. XV 542. 
— Grundjag der Nichteinmiſchung: Die bei Stölzel II 263 erörterte Kabinettsordre ift 
vom 27. Dez. 1772: UB. 11 19. — Weglar: Moſer, Bon der teutichen Juftizverfaffung (1774) 
II 821. Goethe, Wahrheit und Dihtung, Buch 12; vgl. „Die Aufgeregten” Alt I Sc.5. — 
Müller von Sandiouci: vgl. Schneider (Märt, Forſch. VI 165 ff.). Zange (Mitteilungen 
des Ber. für Geſch. Potsdams N, F. II 3086). 

(Seite 545547.) Berufung Garmerd. Gntftehung des Allgemeinen Landrechts 
Garmer und Sparez: Stölzel IT 292 und „Svarez” 172 ff. (Urteile von Goßler und 
Klein); abihägig gegen Carmer, Holtze III 327. — Drdre vom 14. April 1780: Kampk, 
Jahrbb. XLVI 225. Stölzel, Svarez 156. — Befriedigung ded Königs: ebend. 235. 239. — 
Tal. auch Hinihius, Svarez, Berliner Reltoratsrede 1389, 


(Seite 547549.) Kirchenpolitif in Schlefien feit 1763. Regelung der Barodial: 
und Batronatöverhältniife: Publ. XVII 137. 239. 241. 464 (für das Einzelne, auch 
im folgenden, vgl. die Sadregifter des Herausgeberd Lehmann zu Publ. XVII. XXIV). 
Grünhagen II 428 ff. — Nominationsredt: Publ. XVII 92. 135. 139. 198. 419. 433. — 
Einführung des Königl. Placet ebend. 230. — Klemens XII: ebend. 156. 157. — 
Biſchof Schaffaotih, Ernennung eines Vikars: ebend. 658. 


(Seite 549--553.) Wahl Klemens XIV. Anfhebung des Jeſnitenordens. Konklave 
von 1769: CE. XXIV 168. PC. XXVI 595; XXVII 503. Publ. XVIII 389. 392. — 
Abfiht zur Ausmweifung der Nefuiten aus Schleſien 1763:! ebend. 105. (E. XIX 
319. 321; XXIV 610; val. ebend. 396. 422; XXI 135 und noh PC. XXVII 16 (17. Jan. 
1768). — Beränderte Haltung Seit 1768: CE. XAIV 149. (1. Febr.) 429. Publ. XVII 
408. Broich, Geſch. des Kirchenftaats IT 141 Anm. Beer, Smwieten 121. — Beweggründe: 
(E. XXIII 168. 414; XXIV 440. 451. 624. Publ. XVII 347 fi. b’Ancona, Fr. d. Gr. 
und die taliener, überf. von Schnell, 67 ff. Ligne, Memoire sur Frederie II p. 54. 
Ueber die bourbonifchen Höfe (E. XXV 232. 241. — Erjuit von Sansfouci: (E. XXIII 378 
und öfter. Eine Rancune gegen Klemens XIV. möchte ih, in biefem Punkte von Witte 
(Fr. d. Gr. und die Jefuiten 1892, S. 83; zuerft im Progr. von Schulpforta 1892), der beiten 
Behandlung dieſes Gegenftands, abweichend, nicht annehmen. — Verſtändigung mit ber 
Kurie: Publ. XXIV 73. 326. 473. Bol. Dittrih in Zeitichr. für Geih. Ermlands XII. CE. 
XXIV 618. 

(Seite 553. 554.) Berhältnis zu Pius VI. frage der gemifhten Ehen: Publ. 
XXIV 229. Meydenbauer in Quellen und Forſch. aus ital. Archiven und Bibl, III 195. — 
Pius VI in Bien: (E. XXV 201. 206. 211. 217. 237 (neben dem Schriftwechjel mit der 
Gefandtihaft in Wien). — Rückwirkung auf Schleſien: Publ. XXIV 504. CE. XXIII 108. 
Grünhagen a. a. D. Bgl. noch Schön, Papiere, III 68. 

(Seite 554—556.) Staatögewalt und evangelifche Kirche. Büſching, Charakter 148 fr. 
Preuß III 220 ff. Rhilippfon, Geh. des preuß. Staatsweſens feit 1786 I 47. Stölzel, 
Sparey 341. 352. (E. XXV 177. 178. 180. 

(Seite 556.) Sehen. Bülhing, Charakter 138 ff. Preuß I 318 ff.; III 277. 278; 
IV 74. Beheim:Schwarzbah, Kolonifationen 341. 356. 378. 387. 418. Publ. X 68 — 
Zataren: (E. XXIII 344. 

(Seite 556--558.) Das Landrecht als Abftraktion Fridericianifcher Negierungdmarimen. 
Neligionspolitik: Teil II Tit.2 82. 13—15. Pal. RD. vom 17. Jan. 1781 bei Preuß 
III 227. — „Syſtem polit. Arbeitsteilung”: Hintze, Acta Borussica Vla 183. — Ndels: 
rechte: Teil II Tit.9 855; vgl. CE. IX 140; XXIV 580. Zedlig bei Preuß III 136. — Recht 
auf Arbeit: Zeil II Tit. 19 82 (vgl. Vismard im Reihätage 9. Mai 1884); CE. IX 165; 
XXIV 474,482. Schmoller inFBPG. XII 31. Hinge, Seideninduftrie III 180. 225. 234. 295 ff. 


(Seite 558.) Konftitutionele Tendenzen unter der abfoluten Monardie. Stölzel, 
Spare; 135. 313. 314. 333--338. 385. 390. 391; Rechtsverfaſſung 11 249. Hertzberg HD. 159. 
Dal. Tocqueville, L'ancien regime, notes („code du grand Frederic), 


Zu Buch IX, Abſchnitt IT. TIT. 689 


(Seite 559—561.) Friedrichs Aeußerungen über die Stantöformen. Die drei fpäteren 
Hauptichriften (E. IX 129. 153. 193. Bol. Publ. XXII 391. HZ. LXI 280 ff. — Engliſche 
VBarlamentöverfajjung: (E. IX 21. PC. passim (vgl. 3. B. PC. XXV 43; XXVI. 139. 
247. 306, wogegen die poetifche Stelle (E. XII 195 nicht ins Gewicht fällt). — Forderung 
ftraffer Konzentration: (BE. IX 190. 216 („mener de front comme les quadrigues*); val. 
8b. J 319 (2. Aufl. 321). — Autorite divine: (E. IX 151. — Pacte social: (E. IX 
196. 215. — Premier serviteur de l’Etat: (E. 1123; VIII 66. 168; IX 197. Schlöger, 
Briefwechſel Heft 21 (1779). — Bal. noch Dod, Der Souveränetätsbegriff von Bobin bis 
Ar. d. Gr. (1897), mit der Bemerkung von Hinte FBPG. XII 297. 


IX, 3. Per alte König und die neue Bildung. 


(Seite 562—567.) Späteres Berhältnis zu Voltaire. Gedächtnisrede: (E. VII 50; 
XXV 119; vgl. XXIII 125. 237. — Subffription von 1770: ebend. 166; XXIV 488. 491. 
497; XXV 333. — Belenntnis von 1772: (BE, XXI 213. — Nüdblide auf den Streit 
mit Maupertuis: ebend. 93—95. 118. 131. 145. 149. 167. 179. 307. 310; val. aud PC. 
XXVII 478. — Der Friedensapoftel: W. XX 111. 257. 265 ff. 273. 282. 284; XXIV 447. 
457. 542. 547; XXV 154. — Der Patriarch des Gefhmads: (E. XXIII 95. 138. 156. 
190. 348. 355. 399. — Berfall der franz. Litt.: ebenda 97. 99. 107. 110. 115. 125. 
126. 162. 178. 184. 212. 237. 266. 295 (zahlreiche Parallelftellen in den Briefen an d'Alem— 
bert). — Roi des deistes: ebend. 168; vgl. II 36; VII 63. — L’infäme: (E. XXIII 45; 
XXV 4; val. XXIV 397. — Das Schwinden des idealen Kredits des Bapfttums: XXIII 348. 
381; vgl. XV 24; XXIV 470. 615. 627; XXV 35. 201. PC. XXVII 97. — Intoleranz 
in $ranfreid: (E. XXIV 566. 596. 601; XXV 133. 165. — Boltaires Vorſicht: (E. 
XXIII 45. 182. 188; XXIV 415. 437. 438. 444. 449. 453. — Totenamt für ®. in Berlin: 
tk. XXV 154; vgl. 157. 161. 168. 

(Seite 567-573.) Verhältnis zu der jüngeren franzöfifchen Philoſophie. d'Alem— 
bert: vgl. Vahlen, SB. der Berl. Akad. 1899 Nr. 4. (E. XXVI 511. Luccheſini bei 
Bilhoff 244. Geometrie: (E. XXIV 373. 529. Val. (E.XX p. XXI; XXI 421 (Euler); 
XXIV 523 (Bequelin), 430. 431. — Spott über die Encyflopädiften: Totengeipräd) 
von 1773: (E. XIV 253; val. XXIII 277 (etudier l'histoire à rebours: XIV 254; XXIV 
375. 421). Weiter IX 239; XXIV 559. 582; XXV 132. 136. Miscellaneen 143. Schöning 
UB. 227. — Rouffeau: (E. 172, XX 288. 299 fi.; XXIII 116. 353; XXIV 440. Thiebault 
1 59. 63. Duboid:Reymond, Fr. d. Gr. u, Rouffeau (1879; auch in „Reben“ I). — Diderot: 
(E. XXIII 156; XXIV 620. 624. 630. 631; XXVI 511. — Buffon: XXIV 399; XXV 219; 
XXVI 506. — Helvetius: XXIII 227. 251. 253; XXIV 395. 396. 557. 561. 563. 569. 620; 
XXV 82. — Examen crit, du Systöme de la nature: IX 1. 53; XXIII 188; XXIV 480. 
— Das Eindringendfte über die verichiedenen Strömungen der franzöfifchen Philofophie des 
18. Jahrhunderts und Friedrichs Verhältnis zu ihnen bietet Dilthey, Ar. d. Gr. u, feine Akademie, 
Deutihe Rundſchau, Juli 1900. 


(Seite 574—580.) Bhilofophifche Diskuffion mit D’Alembert 1770/71. Bal. Lucche— 
fini 182 und im allgemeinen Zeller, Fr. d. Gr. als Philoſoph (1886). Chriftentum: (E. 
XXIV 485. 496. 503; vgl. VIII 155; XVII 2395 XXIV 479. — Emwigleit der Welt: 
(E. IX 157; XII 199; XIX 265; XXI135; XXIII 165. 171; XXIV 306. 503; XXV 212. 219. 
376. — Gottesbegriff: XXIV 503. 518 ff. 520. 531. 557. Gott taub: CH. XII 96. 199. 200. 
— Freiheit und Notwendigkeit: «E. XXIII 201—205. (E. XXIV 504. 516. 520 ff. 
527. 531. WMarionetten: XXIV 313. 532. — Causes secondes, hasard: I 127, IV 223; 
V 284; VI 179; XVII 20; XVIII 188; XXIV 461. 598; XXV 62. — Vers sur l’existence 
de Dieu: XIV 18; vgl. IX 89. 90; XII 95. 199. 260, 

(Seite 580—587.) Hintenanfegung der ipefulativen gegen die Moralphilofophie. (K. 
XXIV 430. 469. 472. 508. 526. L’'homme est fait pour l’erreur — l'homme est fait. pour 
agir: (E. XXI 119; XXIV 537; vgl. VII 215; XXV 62. 257. Schöning UB. 45. — 
Aberglauben unausrottbar: CE, XVIIT 240; XXIII 102, 103. 109. 111. 115. 1195 XXIV 

Kojer, König Friedrich der Große, 11 41 


690 Zu Bud, IX, Abſchnitt III. IV. 


464. 470. 471.476, XXV 138. 227. 237. — Nur die ſchädlichen Irrtümer zu befämpfen: 
XXIII 235. 341; XXIV 472. — Toleranz und ihre Grenzen: XXV 207. Publ. XVII 556. 
(E.XXIII 102.161. 168. Thiebault I 93. Bal. Binae, Die religiöfe Toleranz Fr. d. Gr. (1898) und dazu 
FBPG. XII 299. — Commentaire apostolique (1778): CE. XIV 38. — Ueber Breffreibeit: 
(E. XXIV 561—564; val. 408. 507. Preuß III 249 ff. — Zuläffigteit der Täujhuna: 
(E. XXI 376; XXIV 467. 470. 475. 478. 479. 483; XXV 88. 91. 277. SHarnad, Seid. 
der Akademie I 417. — Selbftliebe als Roralprinzip: (E. IX 90; XXV 225. Döring, 
Fr. d. Gr. ald Morallehrer (Preußiſche Jahrbb. LXX). Uebermenſchlichkeit des Stoicidmus: 
(E. XII 181 ff.; XIX 79. 109. 117. 163; XXV 226; XXVlla 204. — Dialogue de morale: 
IX 85; XXIV 579. — Inftruftion von 1765: IX 75. 

(Seite 587—597.) Büdagogifche Beftrebungen. (E. XXIV 578 580. N.D. vom 
5. Sept. 1789 zuerſt bei Nicolai, Anefooten V 33. Trendelenburg, Kl. Schriften IIT (Zeblig). 
J. Bona Meyer, Ar. db. Gr. pädagogische Schriften (1875). Fiſcher, Fr. d. Gr. u. die Volks— 
erziehung (1877). Difjelntötter u. Güterfohn in den Progr. des Gymn. zu Wefel 1892 
bezw. der Oberrealſchule zu Karlsruhe 1893. Hübler, Fr. d. Gr. als Pädagog (2. Aufl. 1900; 
val. FBPG. XV 598). — Discours von 1772, Lettre sur l’edueation: (E. IX 113. 
169; val. XXIII 213; XXV 565. Ueber frauenbildung vgl. auh XXIII 125. — Volks: 
ſchule: Glausniger in „Deutfche Schule”, big. v. Rifmann V (1901) 342 ff. 411 ff. (nad) 
archival, Forfhungen u. mit Nachweiſung der älteren Litt.). Unteroffiziere ald Lehrer: ebend. 
419 (die Angabe bei Preuß IV 486 wegen Koppy ift nicht zutreffend). Ueber Militäranwärter 
bei anderen Behörden val. Holge, Kammergericht III 278; Schmoller FBPG. 11 613. Neligions: 
unterridt: Nicolai V 39. Clausnitzer 416; vgl. (E. XXVI 500. Die Antwort an Sulser: 
Nicolai III 274. — Öymnafium: Rethwiſch, Zedlig u. Preußens höheres Schulmweien (2. Aufl. 
1886). Petri, Pommerjche Lebens: und Landesbilder 375 fi. (Meierotto). — Universitäten: 
näheres werbe ih FBPG. XVII mitteilen. — Alademie: Sarnad I. [de la Veaux] Vie 
de Frederie II, IV 70 ff. (E. XIII 104 (Formey). Publ. LXXII 298. 

(Seite 597—601.) De la litterature allemande. (CE. VII 89; XXI 78; XXI 
301. 337; XXIV 569. 598; XXV 171. 172. 337 ff.; XXVI 523 (Karl Auguft; val. Brunn, Meier: 
otto 269). Beer, van Smieten 27. Bal. Supban, Fr. d. Gr. Schrift über d. Deutfche Litt. 
(1388) und die zahlreihen anderen bei Geiger, Deutiche Litt. Denfmale, big. von Sauer Ar. 16 
(2. Aufl, 1902) u. bei Schüddekopf ebend. Nr. 122 verzeichneten Arbeiten. Geeft, Fr. d. Gr. u. 
Leſſing (Jahrbb. für die deutihe Armee CX.). 


IX. 4. Der deutfche Fürftenbund von 1785. 


Urkundliches Material: Hertzberg, Recueil des d4ductions II 364 ff. (1789). A. Schmidt, 
Geſch. der preußiſch-deutſchen Unionsbeftrebungen (1851). Ranke, Die deutfhen Mächte und 
der Fürſtenbund (1871; SW. XXXI/XXXII, 1875). Bailleu, Der Urfprung des deutichen 
Fürftenbundes (HZ. XLI, 1879). 

(Seite 602—605.) Maria Therefins Ausgang. Arnetb X 719 ff.; vgl. Archiv f. öfter. 
Geſch. XLVII 76. Arneth, M. Th. u. M. Antoinette 169. 202. 204. Arneth, Briefe Marias 
IV 518. PC. XXIII 246. (E. XXV 171. 174. Immediaterlaſſe an Riedefel 3. 6. 17. 20 
Dezember 1780; an Hoym, 2. Dit. 1782 (Geh. St.A.). Martens, Recueil des traites conclus 
par la Russie VI 99. Matrimoniale Bolitit Defterreihs: PC. XXVII 404. — Wahlen 
in Köln und Münfter: Dohm, Dentwürdigteiten I 295 ff. Arneth X 692 ff. Reimann 
II 269 ff. PC. XT 139. — Joſeph Il. in Rufland: vgl. Arneth X 831. 832. Alvens 
leben bei Reimann II 275. 

(Seite 605—607.) Preußen und Rußland. Sceneutralität: Hertzberg, Recueil 

450 ff. (2. Aufl). Dohm II 100 ff. Baneroft, Seid. d. 2 gig Staaten, deutſch von 

Bartels, X 190—192. FBPG. XV 542. Martens, Recußil des trait&s conclus par la 
Russie VI 107. Bergbohm, Die bewaffnete Neutralität 1780—83 (1884). — Türkiſche Ber: 
handlung: Bailleu a.a.D. Zinfeifen, Geſch. des osmanischen Reichs VI. Reimann II 273. 
Martens VI 120. 


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Zu Bud IX, Abſchnitt IIT. IV. 


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Zu Bud IX, Abſchnitt IV, V. 691 


(Seite 6OT— 08.) Der große Plan Katharinas. Arneth, Joſeph 11, u. Kath. 11. (Brief: 
wechjel; 1869). Arneth, Joſeph II. u. Leopold II. (1872). 

(Seite 609-612.) Zumwartende Politik Preußens: Urteile über Katharina PC. 
XXVII 260 (1769). Reimann 11 317. 349. Pantocratice: (E XXVI 497 ff. — Panin: 
Raumer V 567. Bancroft X 181. SKapp 78. Reimann II 310. — Rotemtin HZ. LX 266. 
Haumer V 556. — Nonftantin (E. XXV 247. Reimann 11 279. — Grofmogul: Raumer V 
569. — Der Prinz von Preußen in Petersburg: Brüdner, Hatharina 11. (1883) 327 ff. — Groß: 
fürft Paul: HZ. LX 268. — Verhandlungen mit Frankreich und England: Bailleu a. a. O. 
Happ 77. Neimann II 333. NRaumer V 555. Tratchefski, La France et l’Allemagne sous 
Louis XVI (1880) mit den Bemerkungen von Bailleu, Revue Critique 1881 Nr. 31. Memo- 
rials and Correspondence of Fox (1853) 1 338. Diaries and Correspondence of Harris 
(1844) II 47. 51. 77% 

(Seite 612 -618.) uiſtehuug des Farſtenburde⸗ Außer den angeführten allgemeinen 
Darſtellungen: Krauel, Prinz Heinrich in Paris (1901); vgl. Krauel, Prinz Heinrich als Politiker 
(1902) S. 31; die Einladung hatte ſich der Prinz, wie G. B. Volz im Archiv des franz. Minifte: 
viums der ausw, Angelegenheiten fetgeftelt bat, durch den franzöfiihen Gefandten Efterno 
verihafft. — Tayfen, Die milit. Thätigleit Fr. db. Gr. während feines legten Lebensjahres 
(1886) S. 20 ff. Corr. de Mercy d’Argenteau p. p. Arneth et Flammermont (1889) I 377. 
G. Wolf, Oefterreih und Preußen 1780—1790 ©. 105. 107. F. 8. Wittihen, Preußen und 
England 1785—1788 (1902). Dreier, Fr. d. Gr. u. Hertzberg in ihrer Stellung zu den 
holländ. Wirren (Breslauer Diff. 1882). Vgl. Bailleu, Hergberg, HZ. XLII. Martens, Recueil 
VI 134 137. Damus, Zeitſchr. des Weſtpr. Geich.: Ber. XX 132. Erbmannsdörffer, Bol. 
Korr. Karl Friedrihs v. Baden I (1888). Bailleu, Karl Auguft, Goethe und der Fürftenbund, 
HZ. LXXIII. — Zeitgenöffifhe Kritit vom preußiſchen Standpuntt: vgl. Dohm III 106 ff. 


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IX. 5. Ausgang und Ergebniffe, 


(Seite 622—630.) Friedrichs Geſchichtsſchreibung: CE. I—VI. HZ. LX 266. rag: 
mente von 1742 mitg. von Arnheim: FBPG. IX (mit Zitteraturangaben). Miscellaneen zur 
Geſch. Fr. d. Gr. (1879) ©. 21 ff. (Bibliographie), S. 205 ff. (Posner, Genefis der Hist. de 
mon temps u. der branbenb. Dentwürdigfeiten) Wiegand, Die Vorreden zur Hist. de mon 
temps (1874), mit treffenden allgemeinen Bemerkungen. Bilmar, Ueber die Quellen der Hist. 
de la guerre de sept ans (Straßburger Diff. 1888). Fr. Preuß, ZPr.G. XI 129 ff. (betr. Teilung 
Polens; vgl. G. Waitz in Göttinger Gel. Anzeigen 1850 ©. 707). Prinz Heinrih: Revue des 
etudes historiques 1902 (janvier); vgl. HZ. CXXXIX 174. FBPG. I 231 ff. Pal. weiter 
Garve, Fragmente II 114. (E. XXI1181. 94. 121. 197. 320 (über die poetifche Produktion); 
ebend. Ip. L.; XX 81; XXI 334. Publ. LXXI 275. Varrentrapp, HZ. LXXXI 287. 
Küfelhaus zu Schillers Werken, herausg. von Bellermann XIV 9. 10. — Gedächtnis: Publ. 
XXI 368. (E XX11 290. — Konvenienzpolitit: PC, XXVII 144. Publ. LXXII 162. 
3. G. Droyien, Abhandlungen zur neueren Geſch. 208. „Dienfame Minifterialmittel“ Beer, 
Teilung Polens. 11 276. — Spott über die Fürften: CE. XII 41 fi; XVII 241. 
PC. XXVIII 285. Ranfe, S. W. XXXUXXXI 460. Zimmermann, Fragmente II 189. — 
Auswahl der preußiihen Diplomaten: F. K. Wittihen a. a. ©. S. 157 ff. — Politit „jeu 
d’hasard“: (E. XXI 230; XXIII 197; XXV 196; vgl. I p. XV; VI 152 und dagegen 
XXV 130. 

(Seite 630. 631.) Yahreseinteilung. Nödenbed, Tagebuch III. W. Naude, Denkwürdig— 
feiten des Grafen Schulenburg FBPG. XV 413. v. d. Marwitz, Nachlaß (1852) 1 17. Kalten: 
born I 112, II 121 (Minifterrevne; vgl. Breuß IV 476.) 

(Seite 631. 632.) Militärifche Thätigkeit feit 1779: v. Tayfen, Die milit. Thätigkeit 
Fr. d. Gr. während feines legten Lebensjahres (1886). FBPG. VII 800, Essai sur la vie 
du marquis de Bouille (1853). Graf 2ippe, Militarin &, 52. Allg. Mil. Zeitung 1884 
Nr. 4—7. Jahrbücher f. d. deutjhe Armee LIV. — Zerftreutes Gefeht: Tayfen 16 ff, 


692 Zu Buch IX, Abſchnitt V. 


104 ff. any, Sefechtöausbildung der pr. Inf. vor 1806 ©. 10 ff. Berenhorft, Betrahtungen 
517 (3. Aufl.). — Areibataillone 1778: Schöning UB. 164. 167. 177. 274. 275. Henckel IL b 169. 
Die 8.:D. an Tauengien vom 7. Sept. 1784: Mil. Wochenbl. 1902, Nr. 7. Ueber das Revuebild 
von Cunningham vgl. Rödenbed III 297. 337. 


(Zeite 632— 639.) Stimmung im Lande. Bilder aus vergangener Zeit (Piter Poel) 
1584, 2.349. Zimmermann, Aragmente II 191. Karl von Heflen, Dentwürbdigteiten 141. 
Preuß III 308 (vol. Suphan a. a. D. 64). Nicolai, Anekdoten I p. X. Garve, Fragmente 
11 250. — „Niedriger hängen“: Preuß 111 275 (monad) ver Zweifel bei Nicolai-Blandenbura, 
Freymüthige Anmerkungen über ZJimmermanns Fragmente II 220 ungeredhtfertigt erſcheint; 
val. Zimmermann, Fragmente II 201. de la Venux, Vie de Frederie II, IV 319). NRaumer 
V 139. Marwig, Nachlaß I 18. de La Beaur IV 122 ff. Rödenbed III 331. — Friedrid 
im Geſpräch: Conway bei Carlyle Buch XXI, cp. 5. Raumer V 297. 305. 540. I. v. d. Dften, 
Dorothea von Sachſen-Gotha 290. de Ya Beaur IV 66. P.C. XXVII 117. Maſſenbach, Rüd: 
erinnerungen II 104. Rödenbed III 265. W. v. Haffell, Die ſchleſ. Kriege und Hannover 463. 
Zimmermann, fragmente 11147. 148 d'Ancona, Fr. d. Gr. und die Jtaliener 112. Vieux sorcier: 
(E XXV 334. Ligne, Memoire sur Frederie II, 52. — Berhältnis zum Beamtentum: 
(E. XXI 116. 151. Zimmermann, Fragmente Il 135. Breuß IV 371. Garve, Fragmente I 168. 
UB. 11 227. 229. Publ. XI 472. 522. 626. FBPG. XV 410. Graf Lippe, Weftpreußen unter 
At. d. Gr. 98. Hiftor. Monatsblätter für die Prov. Pofen II 185. Joahim, Domhardt 76. 77. 
194. 195.206. Grünhagen II 566 ff. Anderes aud hier aus den Alten. Goethe an Frau v. Stein 
17., 19. Mai 1778; an Merd 5. Aug. 1778. 

(Seite 639— 645.) Stillleben in Potsdam. Journal des franz. Geichäftäträgers Gauffen 
Abſchrift aus Paris jegt im Geh. St.A.) 23. März 1781. Thiebault I 354. (E. XXV 186; 
XXVI 356; XXVII b 51. Sohenzollernjahrbud 1897 ©. 96 ff. — Umgebung: vgl. bie 
Angaben oben ©. 675. d’Argens: (E. XXIII 187. 189. 192. 210. 211; XXIV 5834. 536. 
— Wylid: PC. XXVII 40. — Böllnig: Thiebault II 142. (CE. XXIII 246. 250. — 
Buddenbrod; (E. XXVI 53. v. Hahnke, Elifabeth Chriftine 42. Biihoff a. a. D. 183. — 
dv’Alemberts Tod: CE. XXV 349. 351; XXVI 510. — Gondorcet: (E. XXV 36T ff. — 
KCatt: Publ. XXII Einleitung. Stelter an Hoym 2. Febr. 1781 (Geh. St.A.) — Die Notiz 
über Nudenfchöld verdanke ich einer freundlichen Mitteilung von F. Arnheim aus R.S hand: 
Ichriftlicher, zum Teil 1769 gebrudter Selbftbiographie. — Hodig: (E.XX p. XXI; XXI 
197. 258. Thiebault 1 272. Büſching, Zuverl. Beiträge, Anhang ©. 9. Karl von Hefien, Dent: 
würdigfeiten 122. Graf Lippe in Berliner Revue LIX. LX. — Lucdefini: Bifhoff a. a. TC. 
d’Ancona, Ar. d. Gr. und die Jtaliener, deutfh von Schnell, S. 104. — Schwerin: Thiebault 
1 323. NHaltenborn I 87. Anefooten I 67; VII 95. Yaveaur IV 374. — Balftiani: ZPr.G. 
XVII 467. Breuß IV 212. 395. Publ. X. XIII. XVII. XXIV, Karl von Heffen 135. Zimmer: 
mann, Fragmente passim. — Krafidi: Luchefini bei Biſchoff 199 ff. (E. XX. Publ. 
XVII 469. — Dalmwig: Biihoff 208. 209. Kaltenborn I 61. — Prittwitz: Finot et 
(Galmiche, Une mission mil. en Prusse 126. Naltenborn Il 117. Berenhorft, Nadılak Il 19%. 
Chafot: E. XXVI 501. — Ulrife: Thiebault II. CE. XXIII 209. Hüffer, FBPG. VIl 384. 
— Wilhelmine von Holland: PC, XXVI ff., ihre Memoiren wird ©. B. Bol; demnächſt 
veröffentlichen. — Prinz Heinrich jun.: (E. VI 16. 23; VII 37; XXVI 308. — Der Thron: 
folger: Raumer V 289. 291. 295. Thicbault II 106. Preuß IV 105. 182. (E. VI 28. 
158, XXVI 376. Bgl. auch Berner im SHohenzollernjahrbuh 1902. — Prinz Friedrid 
Wilhelm: M. XXVII b 140. © W. v. Raumer, Kindheits- und Jugendgeſchichte Friedrich 
Wilhelms III. (Berliner Kalender 1845, ©. 25 ff.) Laveaux IV 345. — Verabſchiedung der 
Gäſte: Biihoff 204. Karl von Hefien 140. Carlyle Bud XVI cp. 8. 

Seite 645. 646.) Nebenbefhäftigungen: Haltenborn I 120. 121. (E. XXV 333. — 
Hünfte: CE. XXIV 422. 492. Seidel, Das Bildhaueratelier Fr. d. Gr. (Jahrbuch der preuß. 
Kunftfammlungen 1893). Seidel, Franzöi. Runftwerle des 18. Jahrh. (1900) S.205 ff. du Bois: 
Reymond, fr. Il. in der bildenden Kunſt 5. 23 (1887). Bode im „Pan“ 1896, Heft 1 u. 4. 
A. v. Werner in „Deutihe Revue” Jan, 1897. Publ. LXXI 214. — Lektüre: Dantal, 
Les delassemens littöraires de Fr. II (1791). &. XXI 125. 336. Suphan a. a. O. ©. 92, 


Zu Buch IX, Abſchnitt V. 693 


(Seite 646—652.) Ausblicke, Nüdblide, Stimmungen: Bal. die Denkſchriſten HZ. 
LX 255 ff. Schönina IV UB. 250. Preuß IV 401. Biſchoff 215. v. Zeidl, Fr. d. Gr. und feine 
Gegner 30. PC. VIII 46. CE. XXI 58; XXIII 374. — Toleranz: (E. XXV 168. — 
Freimaurer: (E. XXV 227; XXV1512. Biihoff 201. 256. Zimmermann, Unterredungen 87. 
Rödenbeck, Tagebuch III 400. — Unsterblichkeit: MW. IX 163; XII 99. 188; XXI 173. 
175. 232. 315; XXVI 149. 158. 198. — Todeöbereitichaft: (E. XXIV 182. Zimmermann, 
Unterrebungen 251. Formey, Souvenirs 1 133. — Poetiſcher Rüdblid: (E. XIV 96; 
vgl. XIX 158. 295; XXIV 130; XXV 235; XXVI 482. — Lob der Thätialeit: (E. IX 223; 
XVII 243; XVII 219; XXIII 169. 318 (val. Zimmermann, Fragmente IT 1); XXIV 491. 
Publ. LXXII 275. PC. XXVII 179. — Menſchenverachtung: (E. XII 172; XXIII 401. 
414; XXV 225. 231. Schön, Papiere 1 21. — Frohſinn: Dohm V 447. Ware I 332. 
Naltenborn I 122, FBPG. XV 230. (E. XXIII 221. 326 (vgl. Cicero ad Atticum V 20); 
XXV 81. 197. 

(Seite 652— 656.) Leiste Krankheit nnd Tod. Sörperliche Zähigkeit: W. XXIV 144; 
XXV 44. Biihoff 246. Preuß IV 396. Bol. im allgemeinen jegt Mamlod, Fr. d. Gr. Be: 
ziehungen zur Medicin (1902). Für das Weitere: Damus a. a. D. 137. Martens, Recueil 
VI 135. &.XXVI 518 ji. Publ, XI 607. 629. 646. 654. Preuß IV 240 fi. Dohm 111 181. 
Selle, Krantheitsgeih. Fr. II. (1736). Kletſchke, Letzte Stunden und Leihenbegängnis Ar. 11. 
(1786). [v. Maffenbah], Kurze Nahridt von dem Tode Fr. II. (1786). Sertbera, Hist. 
Dissertations 280. Jahrbuch der preuf.:brandend. Staatengeih. VII 314 ff. (1796). Berliner 
Kalender 1845, S. 45 ff. Val. meinen Aufiag in Deutſche Rundihau 1886, Auguft, wo 
außerdem die ungedrudten Briefe Hertzbergs benupt find. Ueber Möllendorff: Mirabeau bei 
Welschinger, La mission secrete de M. à Berlin p. 173. 


(Seite 656— 666.) Nachklänge und Nachwirkungen. „Anzeige der durch den Tod Ar. I. 
veranlaßten Schriften“: Allg. deutiche Bibl. LXXX 253 —83. Val. Berenhorft, Nachlaß Il 158. 
Goethes Berfe: Goethejahrbuh XIII, 227. Zu Mirabeau a. a. D. 172 (fiebe auch Wild, 
M.s neh. Sendung nad Berlin, 1901, S. 112) val. Dohm IV 181. Piter Poel (Bilder aus 
vergangener Zeit 346), Marwis, Nahlak | 20. Zimmermann, Fragmente III 113. 240. 
Graf Lippe, Huſarenbuch 523. — Ueber Mirabeaus ofinen Brief und die Monarchie Prussienne: 
Schmoller, Jahrbuch f. Geſetzgebung VII 2 ff. Ueber Naynal: Preuß III 269. Bgl. aud) 
Guibert, Eloge de Fr. Il p. 120. Zimmermann, Fragmente IIT 251. — Rüdfehr zu Zr. W. L: 
Maſſenbach, Rücderinnerungen II 33, Wöllner in ZPr.G. II 559; zu ebend. 767 vgl. Gerlach, 
Denkwürdigkeiten 11 737. — Natharina II.: FBPG. XV 230; val. Berenhorft, Nachlaß 11 
192. 212. — Ueber Süvern: Barrentrapp HZ. LXXXI 274; über Fichte: Fouqué, Yebens: 
geichichte (1840) 296; über Claufewig: Pertz, Gneifenau III 624. Val. auch Wachter FBPÜ. 
IX 585. Hintze, HZ. LXXXI 425. Friedrich „mehr als ein großer Feldherr“: Ranke, S. W. 
XXIV 24. Bol. weiter Köppen, Fr. d. Gr. und jeine Widerfacher (1840). Wiegand, Fr. d. Gr. 
im Urteil der Nachwelt (1888). Haltenborn I 125. Tout depend du moment oü l’on vient 
au monde: (E. XXIV 599; val. VIII 289. — La force des Fitats consiste dans les grands 
hommes que la nature y fait naitre ü propos: (E. VII 3%. 


HWRRARA RR 


Verbeſſerungen. 


.25 3. 17 v. o.: ſtatt Armin lies: Arnim, 

.92 3. 5 v. u: ſtatt 16 000 bezw. 14.000 lies: 18 000 bezw. 16000. 

202 3.8 v. o.: ſtatt der lies: des, 

225 3. 14. 15 v. o.: ftatt am Ufer im Fährhaufe lies: in einem Haufe am Ufer. 
318 3.20 v. u.: ftatt 7000 lies; 700. 

403 3.10 v. u.: ftatt Königsfeld lies: Königshuld. 

478 3. 5 v. u.: ſtatt gekauft lies: verkauft. 








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