Skip to main content

Full text of "Zeitschrift für Philosophie und Pädagogik"

See other formats


316 



C Besprectiuugen 



Bonifatius. Wiufried bei den Friesen, 
Hessea and Thüringern. Die Luther- 
gesohichte wird «ngeleitot durch das Ziel : 
»"Wie ein k. Mi. lif. i Höndi in Wittfliiberg 
mit dem Papst in Kom einen schweren 
£ampf b^innt.« — Lassen wir das Ziel 
gelten. — Wddie' OedttkenbeMregungen 
müasen udi daran knfipfen? Kamtif mit 
dorn Papst — davon srhon pphört: Hein- 
rich IV. Ijarbarossa-, hier L'ia Mönch. Das 
verstehen wir nicht. Grund bei jenen? — 
ob hier deiaelbe Orund — vielleicht 
Cölibat oder Khnliehes? — aber Mönch 
doch ein frommer Mfiiiti — Ausgang jener 
Kämpfe? Wie iiier wohl? — Der Mönch 
schwach, wird gewifs verlieren. Diese 
Andeutnngen, wenn andi nicht moster- 
giltig, sind doch gewife besser geeignet, 
die Kinder in die Situatiun zw versetzen, 
ihre geistige Anteilnaiime zu wecken und 
die VerbindoDg mit früherem herzustellen, 
«hl die Anfforderongen des Tezfaaseni: 
»Erzähle, was du vom PaiMtot von den 
K&nipfen mit dem Pap^t weifst*. 

Für die Darbietung lälst Verfasser drei 
Formen gelten: Erzahloog, Erarbeitung 
ans Quelleustoffeu, Gewinnung dun& dar- 
sti lU ndeu Unterricht. Die ci^e ist fani 
durchweg, die zweite nur ausn.ihmsweise 
2. B. bei Heinrich i, die dritte, auch nach 
dea Yerfoseers Urteil »die frischeste und 
geiatvolkte, aber auch die schwieriu'^tc nie | 
venvendet, da ihre Anwendung: dein Ein- 
zelnen überlassen bleiben müs.se. Iclj hätte 
jedoch gewünscht, dafe der Verfasser der 
Fbrderong: »Ans der Piiparation achon 
muls klar zu ersehen iein, welche Art 
der Darbietung für den einen oder andern 
Stoff gewählt woitlen ist« (cf. Scholz iu 
Halt I: Ans dem FId. UniveisitUaBeminai!) 
gerecht wotden wftre. Die sweite Hälfte 
der Darbietung, die Vertiefung, geschieht 
meist in der Form von Urteilen mit der 
fast stereot}i>en Emieitungsfrage: »Was 
iat über dieee oder jene Pereoo zu ur-^ 
teilen, oder: Was gefällt ims, was gefallt [ 
uns ni< ht? Dadurch wird wohl das' 
Kind und sein uuvoUkommener sittlicher 
Standpunkt zu sehr »das U&ih aller Dinge« ; 



besser lälst man deshalb dann mid wann 
auch Leute der betreffenden Zeit urteilen, 
etwa: Was haben die Freunde oder die 
Feinde etc. dazu ^jesagt? Es sollten auch 
auf dieser Stufe vielmehr die leitenden 
Ideen berücksichtigt und dann auch ge- 
fragt werden: Welehe IGttel kamen inr 
Anwendung, waren de riditig gewihlt, 
waren sie durchweg erlaubt? Über die 
Oeshdtung der Sj'stemstufe im Geschichts- 
unterricht (nach ihrer inhaltlichen Seite), 
mnd die Ansiditen noch geteilt; ob ge- 
schichtlii^he oder ethische Ergebnisse oder 
beide aufzutreten haben, ist noch nieht 
end^Mltit: eiitschicHleu. Doch darüber ist 
liiiui einig, dais iu einem Fache des Ge« 
mnnungsvnterrichts nicht Oeschiditszahlen 
mit den dazu gehörigen Geschehnissen 
alhnn als System auftreten dürfen, wie 
wir es hier fast durchweg finden; z. B. 
bei Rudolf von Habsbuig: 1254—73 Intar- 
reipauni, 1273—91 Rudolf von fiababnt^; 
1278 Rudolf Iwsie^^ Ottokar von Böhmen; 
dazu ab geographische Ergebnisse noch 
lö geographische (meist Städte-) Namen. 
Zur Erarbeitung eines aolchen Systeme 
sind aber Vei^eiohe (Verknüpfung) kaum 
nötip:. Dio.so b'Mden Stufen alier stehen 
noch mehr als die andern unter sieh im 
engsten Zusammenhang da IV nur da.s 
Ei^bnis von III iet Letiterer fehlt aber 
I im vorliegenden Fall der eigentliche Zweck, 
nämlich die Erarheitimg eines Sjrstems 
und sie entlialt didier häufig nnr metho- 
dische Übungen, die Vergleiche Mud meist 
aehr KuflKrlich, Die Anwendung enthält 
in einer grofsen Reihe von Fragen und 
Aufgaben viel Gutes und Anregendes. 

W'enn nun im Vorausgehenden auch 
dne grofiie Menge von Mängeln aufgezählt 
werden mufete, die aich dahin zuaammen- 
fas-sen la.s.sen, dafs dem Werk die gründ- 
liche meth -disrhe Durcharbeitung fehlt, 
so soll doch die fleilsige Arbeit des Ver- 
fassers nfcht onteiediltKt werden. Be- 
^ sonders für die Dartnetung hat er eine 
Menge Stoffes von verschiedenen Seiten 
(allerdiijf.-s zuweilen in sehr ouireni An- 
schluüi an Vorliegendes ohne (^uellen- 



Digltized by Google 



n FttdagogischoB 



317 



angäbe) zusammengetragen, die «ne ganz 
erwünachie Handreicboiig in bieten ver- 
mag. 

Stuttgart M. Glück 



Dr. LQddecke, Deut»ebor Sohulatlos. 

A. Mittelstufe: 71 Karten u. 7 Bilder 
auf 42 Seiten, geb. 2,öO M. 1805. 

B. Unterstufe: 33 Karten u. 3 Bilder 
anf 20 Seiten, geb. 1 IL Gotha. 
Justus Perthes. 1896. 

In dem bedeutenden geographischen 
Verln^e von Justus Perthes- Gotha sind 
inj l^iufe des verflossenen Jahres zwei 
Sobulaäanten von Dr. Lüddecke er- 
schienen, eine Ilittelstufe für Bürger- und 
MittL'lschulen, und eine rntei-stufe für 
einfache Scliulverhaltnisse. Der erstere 
hat bendta ton vielen bedeutenden geo- 
graphisohen nnd pBdagogisdhen BlSttem 
eine wohlverdient günstige BeorteUiing 
erfahron. Es kann nicht übL'rfliispig sein, 
hier auf beide Erscheinungen aufmerksam 
an machen. 

Die Torzüge, welche dem zuerst er- 
schifMionen Atlas, Mittolstufe, nachgerühmt 
werden, sind auch der ^Unterstufe'^ eigen, 
insofern, »üie&elbeu Grundsätze, welche 
den Terfaaaer hei der Bearbeitniig der 
Uittdstufe geleitet haben, auch für den 
vorliegenden (Unterstufe) maßgebend gs- 
wesen sind.« 

Mehiere Karten: 1, 2/3, 4, f), 8, 9, 
12t 13 aind dem g>6beren nnveiSndert 
entnommen, bei anderen ist eine Be- 
schränkung im Stoff eingetreten etc. 

Im wesentlichen kann ich also bei Be- 
urteilung der beiden Atlanten midi be- 
sduänken anf eine Zusammenfassung 
dosKen, was bereits von anderer Seite dar- 
über gesagt worden ist 

Es ist henorzuheben: 1. Die Mals- 
stibe der Karten bewegen rieh in den 
einfachsten Verhältnissen 1: 200, 100, 
50, 20, 10, 2';,, 1'/, Mill., erleichtorn 
also sehr dit< Vergleichuag, welche noch 
besonders dadurch eine Stütze bekommt, 
als Dentschland vielen Karten im {^eichen 



VeriiSltnia der Hanptfcarte ala Nebenkarte 
be«egeben iat 

2. Die iSati^ Qnerstdlnng der Karten 

ist vennieden. 

3. Format- und Malsstäbe ermogliciiteu 
es, weite Gebiete auch von den Um- 
gebungen der daigeetditen Under und 

Erdteile aufzunehmen«. Jeder Lehrer 
weils, dafs die Veranschanlichutig der 
'Wechselbeziehungen einen grofeen metho- 
disdien Vorteil bedeutet 

4. Auf allen Karten ist dorcb weise 
Beschränkung auf dius schulgf>m.äfs Not- 
wendigste jede UiierfüLluLig vennieden, wo- 
durch neben sauberster teehiiiäuher Au.s- 
fnhmng die Lesbarkeit der Karten erfaSht 
wird. 

5. Kine pla-stischo Wirlcung, sn\v<ihl in 
physischer wie in politischer Beziehung, 
erzielen die Karton durch Verwendung 
Uarer Farben, deren streng einheitlicher 
Durchführung durch sarofliche Karten 
besonders zn gedenken ist. 

(i. Ein Vorzug, der sich besonders 
geltend macht bei der »Unterstufe«, ist 
es, daÜB das natürliche Bald nicht getrübt 
wird durch eingezeichnete iwli tische 
Grenzen, die Erdteile Asien, Amerika, 
Afrika werden auf einer Hauptkarte phy- 
siadi daigesteOt, wihrend auf einer Neben- 
karte die polittBche Übevaidtt geboten 
wird. 

7. Den deutscheu Kolonieen: Kamerun 
und Togo, Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Süd- 
weetafrika, dentsohen Beritanngen in der 

Südsee sind besondere Karten gewidmet 

8. Dafs der ho vielfach vernachlässigten 
Einfiüirung in das Karten Verständnis Ge- 
nüge geaehehen ist, aoQ nidit nnerwSbnt 
bleiben. 

9. Wertvoll ist die Völker- und Ter- 
kehrskarte, bfi welcher die Kolonieen 
eine abermalige Berücksichtigung gefun- 
den haben. 

10. Vormifst wird in der »Untentnfe« 
-Th'.- Knie als 'Weltkörper-. 

Es befremdet das um so niehr, als der 
Verfasser Wert darauf legt, überall ein 
»In Bexiehnng setzen« heibeizoführai. 



Digitized by Google 



318 



D Aus der Fachpresse 



Die Schüler zeigen gerade für diese Karte 
leUiaftes InteresM. 

Trotz dieses Mangels kann man mit 
Bozieliuii^' auf Ix'ide Athmtfn dein liei- 
pflicbteu, was im Litteraturbiatt der deut- 
schen Lehreneituog gesagt ist: »Eine her- 



vorragende litMstuijg; kt'iu Lehrer der 
Geographie flollte es veraäuoien, sidi dar 

mit bekannt zu machen,« 
Wansleben h. Hallo 

Paul Kaap, JLehrer 



D Ans der Fachpresse 



I Aas der pbiioBophisohen Fachpresse 

Archiv fQr sytttMliiehe PhilotspMs. | Zürcher, Jeanne d'Arc, vom psycho- 
Von P. Natorp. IT, 2. ISOG. logisc hen und p8J*chopathoIogisch^'u Staud- 

Bergmann: Der Bogriff des Daseins i punkte aus. — E. Ferri, L'omicidio neU' 



und das loh-Bewobtaem. — Honrod: 
Idee und Penlhiliohkeit Stsndinger: 

Über einige Grundfragen der kantischen 
Philosophie. — Natorp: Ist das Sitteu- 
ge.Hetz ein Naturgesetz? — Stein: Die 
Wandlungsformen d« Bigentatnsbegriffs. 
— Jahresf>ericht über die Erscheinungen 
auf di'iii r,,.l,iete der systeniatisclien Philo- 
sophie in Frankreich vud England. 



dS ■AtaphytlfN «t dt Mralt 

(XSTier Leon). Paris, Hachette, 1895. 
in. An nee N' > .'. B' ptembre: 
Noel, La logi<|ue de Hegel. — Hau- 
riou, U^teruance des moyen-ages et des 
renatnaiices et ses ooDS^qnenees sociales. 
— Dimier, Le modde dans la peinture 
et la troisii^mc diinonsion — Stüdes cri- 
tiqnes. — Discussions. — Supplement 

Rsrat pyitMvMtM dt It Fhnss st de 

TEfranger. DirigeeparIh.Bibot Faris, 

F^lix Aican, 1895. 

20. annce No. 12. Decembre: 
J. Sonry, Jjs lobe oocifatal etlavisiou 
mentale. — IT. Lachelier, La theorie 
de l'indiictiMii d apK'S Pig^art (Fin). — 
E. Dürkheim, T,""ritrinf' du manage 
d'aprüä Westerniardi. — Analyses et 
oomptea randus: FouilUe, Temperament 
et caracters Selon les individus, los sexes 
et les races. — S. de Sanctis, T feno- 
meni di contrasto in psicologia. — Chas- 
lin, La confosion mentale primitive. — 



antropologia oriminale. — H. R. Marsh- 
all, Aesfhetio piindi^ea. — Ldvy- 

Bruhl, La Philosophie de Jaoobi. — 
Wilde, Jacobi a study in the oripiii of 
gtrmau realism. — Mauxiou, La meta- 
physique de Herbatt et la oritiqne dB 
Kaut. — R. Thamin, Baint-Anibmise et 
la morale chri tienno au IVc siede. — 
A. Binft, Tnivaux du laboratnire. — 
Philippe et C laviere, Sur uue iilusion 
mnscnbdrei. — litree nonveaoz. TaUa 
des matietes. 

Rivista Italiaoa di Fllosofla dir. dal Coaiai. 

Luigi Ferri. Roma 1895. Giovanni 
Balbi. 

Anno X YoL IL Settembre-Ottobre: 
A. Taldarnini, Ij» coacienza teo- 
retica. — B. Labanca, La dottrina dei 
dodici apostoli atndiata in Italia. — O. IL 
Ferrari, La libettt • U ragolaritii neOa 
arti belle e nella musica. — A. Chiap- 
polli, Rolaxione sui lavori presontati al 
coiicorso dei premi ministeriali per le 
scienxe ISloBofiohe e sooiali nell'aano 1894. 
— Bil.Iif.^^rafia. — BoUettino filosofioQ e 
pedagogico. — BoUettino letterario. — 
Rixiste eetere. — Beoenti pubblioMionL 

Tfct Hsiltt, A qnarterly magaane. Effitor: 

Dr. P. Curus. Chicago 1896. The Opoi 
Court Publishing Co. 

Vol. 6 Ko. L October: 
The Ute Oeerge J. Bomanes, The 



Digitized by Google 



D Aus der Fachpresse 



319 



Darwixüsm of Uarwuj, aud of the post- 
Darwinian schook. — Prof. C Lora- 
broso, Grimin 1 antbropology applied to 
pfKla«rofry. - 'Dr. P. To])inard, Scientt' 
aod faith. — {}. Förrcro, Arrcsted nipu- 
tation. — Prof. C. Lloyd Murgau, ^at^- 
nlimi — Dr. P. Camsi The new ortho- 
doxy. — Dr. Woods Hittollinsoiif The 
fifth Gospel. — literarj' corrospondenoe : 
Prof. F. Jodl. üemiany and Austria. — 
L. Arr<at, France. — Th. Stanton, 
A. Freooh view of the Chicago oongieaeee. 

— Critioiams and discosaioiis. — 0oob 
reviews. -» Periodioala. 

The PiUto-Meal JeimL Devotod to 
tbe Theory and Art of Sohod Teaefatng 

and dose Supervision. May 1896. 
Contents: General Culture 4(55—479. 
Study of the Classii^ Hon. Boyd Win- 
chester. — The Rise and Progress of 
Normal Schools in the Unitt-d States, 
Richard Edwards, LI* D. — High Scbool 
Extension, Fniufc A. Manny. — Some Diffi- 
culties of the Plan of »Acci'editiug« High 
Soho«^, Prof. C H. Hoae. — A LoetType, 
Mrs, M. L. Rayne. 

Tlie(.ry and Mothods 480—493. Science 
Teachiog in High Schools. — Science in 
Pkimary Grades. — After Four Months. 

— 8peed hi the Pen. ^ New Engbad 



Correspoudeuce. — Friday Af tomoon Exer- 
oiaee. — The X Ray and the Sage — 
Qualitative and Quantitative Unit. — Soln- 

t IIS and Prohlem.s. — Why? — Wi ath<>r 
\\ idom. — DiscipUne. — Sautissinm Vir- 
ginisäima. 

EditorialComment 494-506. N.RA. 
in Ruffalo. ~ Dr. E. EL White. — Fioe 

Puhlic lifirarj* of Chicago. 

Editortal Comment — Cont. National 
Union of Teacliors of England and Wales. 

A ohüd-Stody Ooqgreea. Dr. Chaa 
A. McMorry. — The Northeni Illinois 
Meeting. — Tin» Congress of High SchooLs 
an CoUegü8. — Child-Siudy in Minnesota. 
— The CSentral UlinoiB Aaaociation, — 
lUhuna Normal UniTontty. ^ Our Oteeteat 
I Educational Need. — TTow They Do in 
New England. — Editorial Con citpondence: 
Pre.^dent G. Stanley Hall ou The Public 
Sohoola. Isdatioit and ünifioation as 
Bases of Courses of Study. 

Miscellany oOT— 522. ruiversity of 
Illinois. — A ^^'fHTl on Child-Study. — 
The lUiuois Flag Law. — Some Nuniber 
Queriee. — Cnltnre Epooh Theory. — 
A Question in Child-Study. — Sorvival 
of thf Fittest. — Buffalo Meetinc:. — 
Decoration Day. — Go Slow. — Editorial 
Notes. — Among the Booka. — The Ma- 
gaahiea. 



n Ans der pidagogisclieii Fachpresse 



H. Wisge, Etwas weniger Bilderdienst. 
Fnankf. Sofanlztg. 1894, 22— U. 

Da das Bild Iceinen Ersali der Wirk- 
lichkeit bieten kann, kann es auch nicht 
Anschauungsobjekt sein, es s«-i d^'un, dafs 
die OriginaIani>cbauuug uuniittelbar darauf 
folgt; aber anoh hier edlte woU tberl^- 
Werdeo, ob nicht durch Reproduktion ver- 
wandter Vonstellunfren der Sache bfs.'>er 
gedient ist im Prinzip darf das Bild auf 
der ftufe der gyntheee nor bei der Er- 
aiteitnng der seifltoheii und rihimlichen 
Feme einen Phitz finden, um geographische 
und ppsc'hichtltcbo Erkenntnisse gewinnen 
zu lassen, nicht um konkrete Vorstellungen 



zu geben. Wohl aber ht das Bild eines 
der kon to eteeten BepTOdidrtionaniittel und 
steht hoch hber d<'in nackten Worte. Es 
gehört darum auf die Aseodationaatafe. 

H. Wiese, Sokratik, darsteUeoder Unter- 
licht, Diapotelion. Nene Pid. Ztg. 
1894, 37/38. 
So prol.s der methodische Fortschritt 
auch ist, den der darstellende Una^nicht 
bedeatet, wir mftaaen noch einen Schritt 
weiteigehen und ihn dorcfa das ent- 
wickelnde Erziililon ersetzen. Auch dio 
Disputation .sticht im Dienste der Sokratik; 
sie findet meist im realintihcheu Unter- 



Digitized by Google 



320 



D Ans der Faohpnme 



rieht Anwendung. Was nicht dnitih die 

Tlioro der Sinne hineinzieht in die Seele, 
od'T nicht aus vorhandenen pvvhi^chcn 
Elementen aufgebaut werden käua, kann 
auch nicht geistiges Eigentom werden und 
deshalb nicht Untemohtwtolf sein. Über« 
all, wo die psychische Selbstthätigkeit der 
8' hülf r |>lanvf>ll durch den Lehrer angere^ 
wird, wird sokratisiert Planvolle pt;y- 
diiBche SelhstthHtigltelt aber ist das iE^rinzip 
des Uutei ri( iit' iis, darum muTs die Schule 
für di'-' ikniti>cliL' Metli<j<Jc erobert weid0D| 
äokratos ihr König sein. 

A. Blr, Die relipSa-moraliadie Oeachiebts- 

betrachtung bei Ziller, (jöpfert und 
einigiii Geschieh ts.sclireibern des 10. 
Jahrhunderts. Neue Bahnen 18{).5, 3. 
1. Der Zweck, sittliche Lehren aus der 
Geschichte au gewinnen, wird sa einem 
Orundsatzo der Stoffanswahl, so dafs Stoffe, 
wi'li lu' als ansfhauliobe Gnindlnpc für 
jene Ei^gebnisse dienen können, bevorzugt, 
andere, die diese ESgensdiaft nicht zeigen, 
vernachlässigt werden. 2. Der eigentlich 
geschichtliche Lehrgehalt wird vielfach 
üV't'n>*'h»'n. 3. Die Beurteilung crfnlpt 
fitsi ausscliiieislich nach al«>olutfu Mafs- 
staben nnd yemadtläsagt die relative 
■\Vl■^t.sLllat/.^lIl^^ — Die VemachUissigung 
der relativen Wcrf.srhätzüntr ist fiue dvr 
Hauptursacheu, wenn der Geschichtsunter- 
richt nicht leistet, was er soll. Die Mo- 
tivenforachnog mnJIs ein edbatUndiges Glied 
drs riitt irichtsganges sdn. Die Ver- 
ti''fuug setzt sieh dann aus zwei Teilen 
zusammen: 1. Motivenforschung. 1. Er- 
kenntnis des Zieles eines Wollens. 2. Er- 



kenntnis der Bedidgimgen ffir die Bat- 

tit. lniug eines "Wollens; a) der individuell- 
psychischen, b) der sozial - psy einsehen, 
c) der kulturellen. IL Wertschätzung 
1. des WoUens und iwar a) nadi tänat 
historischea, b) nach seiner aittliöhen Be* 
rechtigung. 2. Der Handlung selbst als 
Ausführang des Wolleus a) in Kücksicht 
auf dai) gesetzte Ziel, b) auf die gegebenen 
Mitte], e) in BeatehuDg sur Ethik, d) in 
Bfleksicht auf die Folgen, e) als Glied 
einer EntwicUnngsrdhe. 

£. V. Sallwürk, Die Lohrart. Schul böte 
1 Hessen, 1885, 3/4. 

Der Unterricht durchläuft drei Stufen: 
1. Stuft.-: Einleitung. Der Lehrer sai,'t dem 
Schüler, wohin er ihn führen will. Der 
Schüler muls angeleitet, aulgefordert wer- 
den, SU sagen, was er von dem Neoen 
selbst schon wei£). 2. Stufe: Dai-stelluug. 
Hier haben wir dm < tpcrnnsinnd. um den 
es sich handelt, den Schülern vorzustellen, 
welche die dnzeben Merkmale erkameo 
und dasjenige, was sonst noHi diese Ifeik" 
male tj-agt, herbeiziehen, wodurch zum 
konkreten Einj:<'lding nach die jranzo Reih»? 
der verwandten Erscheinungen kommt. 
3. Stufe: Ebfüguug. Diese liat zonlcbst 
das Erkannte zu formulieren. Während 
auf di r 2. Stufe das Konkrete vor^'e führt 
worden ist, wii-d hier das Allgemeine ge- 
lehrt: das Prinzip, die Regel. Wenn das 
gefunden ist, werden wir in das Bewuürt- 
sein des 8ch(Uers eingreifen, der seiner- 
seits Sfin panze« Vfir.itollniigslpben öffnen 
muis, damit er das Neuerkannte au (»einen 
rechten Fiats stellen kann. Z. 



Digitlzed by Google 



A Abhandlungen 



Der labstantielle und der aktuelle Seelenbegriff und 
die Einheit des Bewuteteeine 

▼oa 
0. FüML 

(PotlMiBBBg) 

Bekanntlich ist die Stabilität unseres Sonnonsysteflns von je ein 
Gegenstand der Bewunderung gewesen. Die Massen sind so abge- 
irogen and so verteilt, dafs. wie der Astronom Schcbebt sagt^) für 
eine ewige Daner derselben gesorgt ist Es liegt nun am nächsten, 
mit ScHi HKHT die Weisheit ( Jottes zu bewundem, die jede andere Ver- 
teiliini: der blassen vermied, denn jede andere Verteilung hätte die 
Stabilitiit uniiKi^dich gemacht. Dagegen halte man die andere An- 
nahiiie, die (>twa du Phkl verficht;'-) unser Sonnf-nsysteni sri von den 
unzählig vioh'n, die weil unzwcckmiirsig gebildet, untergegangen sind, 
als das allein dauernde übi-jn; p>hlifhen. 

In beiden Fällen handelt es sich nur um eine Verschiedenheit 
der Entstehung. Aber jetzt nachdem es, gleichviel auf welche "Weise, 
ent.standen i.st und behan-t. mufs gefrairt werden, wie müssen die 
Massen verteilt sein, um die Dauer zu verbürgen, welches sind die 
Bedingungen des Bestehens? Von andern Verteilungen sieht m^ ein, 
da& ein Bestand nicht möglich war; von der wirklichen, vorhandenen 
Yertejlnng kann man rechnend nach den allgemeinen Oesetzen der 



*) Vergl. dazu Herbabt, Ein!. § 155 und Drobisch, Religionsphilosophie 131. 
^ Der Kampf ums Dasein am Himmel 1874 (FLüoel: Seelenleben der Tiere 119). 

SdlMlirffl ftr TblUMOpM« «ad WgogSk. S. tthtgtag. 21 



Digitized by Google 



322 



A Abhaadhuigea 



Mechanik nachweisen, daCs der Bestanil die notwendige Folge ist. 
Das nennt man eine Erklärung. Diese Erklärnn«!: ist nötig, oh man 
die ir^ntsteliung einer Absiclit oder einem Ziitall /uscLüceibt. Die Al)- 
sicht ist immer nur die causa finalis. die Zweckui-sache. Der Zweck 
lä&t sich aber uui- verwirklichen, wenn die wirkenden Ursachen zu- 
reioben. Denn kein causa finalis vermag, was mcfat im Bereich die 
causae effedentes (der wirkenden Ursachen) Hegt. 

Oder man nehme einen organischen Vorgang. Wie sich s. B. 
auch das Herz gebildet haben mag. Der erklSrenden Forschung liegt 
es ob, hegreiflich zu machen, wie das Herz, nachdem es einmal vor- 
handen ist, im Stande ist, nach den allgemeinen Oesetzen der Me- 
chanik und Chemie den Blutumlauf zu bewirken. 

So nun auch bei der Einheit des Bewutstseins. Man denke fiber 
den Ursprung derselben, wie man woUe. In jedem Falle mah ge- 
zeigt word( n, wie bei der allgemein angenommenen Atomistik, eine 
solche Einheit denkbar ist. Es muik einleuchtend gezeigt werden, dafs 
bei einer Verteilung der geistigen Zustände an verschiedene realo 
Wesen oder Atome wennschon des Einen Gelüms, die tbatsächlich 
gegebene Einheit des Geistes möglich wäre. Denn auch die Allmacht, 
oder die Zuchtwahl vermag nichts in sich Unmögliches. 

Tiber eine derartige Erklärung wird selbst die immanente Tcle- 
ologie nicht hinweghelfen. Lasso man einmal all die ungeheuer- 
lichen Widersprüche freiton und denke sich eine bewul'stJose Vernunft 
mit unbewufsten aber sehr klugen Zwecken, denke sich diese Ver- 
nunft aneh als Willen, der sehr weise, aber urlu.nvursterwei^e die 
Mittel wählt zu seinen Zwecken; denke endlieli diesen unbewufsten 
Willen als eine allmächtige Ivraft welche die Stoffe und Kräfte der 
Katur sei es erst schafft, jedenfalls so ordnet, dafs die Zwecke z. B. 
Erhaltung des Individuums und der Art erreicht weiden. Selbst in 
diesem Falle mufs gezeigt werden, dafs die Mittel die zureichenden 
Ursachen sind und der Zweck die notwendige Folge der Mittel ist 
Selbst die Allmacht oder die als allmächtig und allweise angenommene 
Zuchtwahl kann die uns gegebene Einheit des BewuTstseins nur im 
Einem einbchen Wesen hervorbringen. 

Als den eigentlichen Zweck des menschlichen leiblichen und 
geiBti|;en Lebens sieht Dilthey das Olück an: »Aus der Lehre vom 
Stmkturznsammenhange des Seelenlebens eiigiebt sich, dals die äu&eren 
Bedingungen, unter denen ein Individuum steht, mögen sie hemmend 
oder fördernd sein, jederzeit das Streben auslösen, einen Zustand der 
Erfüllung der Triebe imd des Glückes herbeizuführen und zu erhalten. . 
Wenn nun ein Zusammenhang der Bestandteile des Seelenlebens 



Digitized by Google 



FlCükl: Der substanüelie und der aktuelle Seeleubogriff etc. 



323 



solche Wirkungen auf I.obonstülle, Tiiebbefriedigung und Glück hat, 
so nennen wir ihn zweckmäisig.« IH84. 

ZuMüehst ist zu beachten, dafs Dii.tmky das Glück nicht empirisch 
als den Zwfck des Seelenlebens betraclitet, sondern er leitet es ab 
aus der T/chrc vom Strukturausammenhange. Und diese leitet er. wie 
es scheint, wieder aus dem (-ilücke ab. Vielleicht so, dafs Glück der 
immanente Zweck ist, welcher sich erst den Strukturzusammenhang 
schafft oder bildet, natürlich unbewufst 

Dooh wie er aiofa diee aocb denken mag, kaim. man deim za- 
gebellt dals Glück der Zweck dee Seelenlebens sei? Man mag sagen: 
rein empiiiaeh ist allerdings jeder Organismus von der Art, daß er 
im allgemeinen das ihm Schädliche ▼eimeidet oder aosstö&t, dagegen 
das ihm Nützliche herbeiführt Das gilt auch von dem, was man im 
Seelenleben der Tiere den Instinkt nennt Auch im Geisteslidben des 
Menschen mag dies gelten, dafe er das ihm Angenehme und Nützliche 
begehrt Und alle Kultur geht darauf hinaus, das Unangenehme zu 
vermindern, das Angenehme, Bequeme, Nützliche, Schöne berbei- 
zuföhren, zu vormchrcn. zu erhalten. Dadurch wird der Wohl- 
stand, werden die objektiven Olücksgüter vermehrt. Aber nun kann 
man fragen: wird dadurch ein gröfseres Mals von Glücksgefühl er- 
zeugt? Fühlt sich wirklich der Kulturmensch glückUchei. als der 
Naturmensch? Es wird dem Pessimismus nicht schwor darauf hin- 
zuweisen, wie sehnoll wir uns an das Gute gewöhnen und wie 
schnell imsore Freude darüber sich abstumpft, wie tauscndfaeli unser 
Wohlstand bedingt ist imd wie leicht er also auch gestört winl, und 
die Furcht davor recht ein Erzeugnis der Kultur ist Bekanntlich 
bebt es Kam nachdrücklieh hervor, dafs die Natur, wenn sie es mit 
UU.S auf Gluckseligkeit ab^^esehn hatte, das Ziel viel sicherer erreicht 
haben würde, wenn sie uns nicht Vernunft, sondern einen sicher ziun 
Ziele treffenden Instinkt pej^oben hätte. 

Ich glaube nicht, dafs nach dein GiUig, den wenip;stens Iiis jetzt 
die Kultur genommen hat, das subjektive Glück sich als ilas Ziel dos 
Menschenlebens herausgestellt hat Empirisch läfst sich wenigstens 
diese Meinung nicht begründen. Eher könnte man Humanität als den 
Zweck ansehn. Jedenfalls hat die Kultur wenigstens im grofsen 
Ganzen die Menschen humaner gemacht 

Doch mag man dies oder jenes als Zweck des geistigen Lebens 
ansehen, wie ist es möglich, daJb ein solch abstrakter Gedanke^ wie 
Glück, das Band sein soll, welches die vielen einzelnen geistigen Ele> 
mente zu einer Einheit znsammenfalst? Dariff scheinen aber beide, 

21* 



Digitized by Google 



324 



A Abhandlungen 



DiLTftHY and EBBDCQHAVä, einig zu sein, dafs es der Zweck ist, welcher 
die Einheit faerbeiföhrt 

Man wird sich hierron nicht einmal eine Uare Vorstellung machen 
können, was damit gesagt sein soll; dafe nämlich der Zweck abgesehen 
von einem Zwecksetzer die wirkende Ursache sein soll, etwas za yer- 
einigen, was an sich nicht vereinigt ist 

DiLTBET läfst es sich besonders angelegen sein, zu zeigen, da& 
jeder Versuch, geistiges Leben zu erklären, auf bloise Hypothesen 
hinauslaufe. Diese seien nicht nur an sich sehr unsicher, sondern 
jeder Hypothese treten ein Dutzend andere gegenüber, aus denen 
man ziemlich gleich gut oder schlecht das zu Erklärende ableiten 
könne. So sind wir in einen Nebel von Hypothesen gebannt Eine 
Hypothese solcher Art ist die Lehre von dem Parallelismus dor 
Nervenvorgfinge und <ler geistigen Vorgänge, nach welcher auch die 
mächtigsten, geistigen Thatsachen nur Begleiterscheinungen unseres 
körperlichen Lebens sind. Eine solche HypotJiese ist die Zurück- 
führung nller Bewufstseinsei'scheinimuf'n auf atnmartiij: vi »rfrestollte 
Elemente, welche in gesetzlichen Verhältnissen aufoinaiulor wirken. 
Eine solche Hypothese ist die mit dorn Anspruch der Kausalerklänms: 
auftretende Konstruktion aller seelischen Erscheiuuu^^en durch die 
beiden Klassen (h r Empfindungen und der Oefühle. wodurch dann 
das so niachtifi: auftretrude Wollen zu einem sekuudären Schoin wird. 
Durch blulse llyptdliCften wird aus j)sychischen Elementen und dcu 
rrozessen zwischen ihnen das Selhstlx wurst^sein abgeleitet. Nur Hypo- 
thesen besitzen wir über die verursachenden \ orgönge, durch welche 
der erworbene seelische Zusammenhang beständig unsere bewufsten 
Prozesse des Schliefsens und Wollens so mächtig imd rätselhaft be- 
einfluJ^t Hypothesen, überall nur Hypothesen!« 1312. 

Sollten die möglichen Hypothesen über das geistige Leben auf- 
geführt werden, so wäre es besser gewesen, wenn sie schArfer gefafet 
und die verschiedenen, die sich auf einen Punkt beziehen, einander 
gegenübergestellt wAren, So aber bezieht sich von den genannten 
Hypothesen die eine auf diesen, die andere auf jenen Funkt Es 
hätte zur Klarheit beigetragen, wenn etwa gesagt wäre: die geistigen 
Zustände sind von den einen als fiewegungszustände von den andern 
als innere Vorgänge angesehen. Nach den einen bedürfen sie eines 
Stoffes als Träger, nach den andern sind es nur aktuelle Erscheinungen. 
Nach den einen lassen sich die höheren geistigen Gebilde wie auch, 
das Selhstbewul'stsein aus den sinnlichen Empfindungen ableiten, nach 
den andern ist dazu noch ein besonderes Verm(>gen nötig. Nach den 
einen giebt es unbewulste, gehemmte Vorstellungen, nach andern 



Digitized by Go 



Ftrorx: Der substantielle und der aktuelle Seeleobojjnff «-tc. 325 



nicht; etc. Über diesen letzten Punkt änfsert sich DiLini-n'. wie 
Ebbinühaus hervorhebt, sehr verschieden. In den angofülirten Worten 
sieht er die Annahme unbewufeter Vorstellungen als eine, wie ea 
scheint unberechtigte Hypothese an; ja weiterhin 1348 lehnt er jede 
Entscheidung darüber ab, ob das unbewufst Gewordene psychisch, 
physisch odor psyrhophysisch sei und erlaubt von unbewufsten Vor- 
stellungen, von physiologischen Spuren olmo p-oistiiron Äquivalente 
ganz absehen zu müssen. Weni^re freiten spätor ( 1 ;>()()) werden wir 
^vermöge sorirfältiger Analyse (ler »'in/elripn Willenshandlunpren^ be- 
lehrt: »In jedeni von den Kulturbezjelmnij:en getni;^n'nen BowiiCstsein 
durchkreuzen einander verschiedene Zweckzusammeuhänge. iSic können 
niemals gleichzeitig iju liewufstsein sein. Jeder von ihnen braucht, 
um zu wirken, gar nicht im Bewufstsein zu sein. Aber sie sind 
nicht hinzugedachte fiktive Essenzen. Sie siiul psychische Wiiklich- 
keitcn. ^Uso, so setzt Edbinohaus hinzu, psychische Wirklu likeiten, 
die nicht im Bewufstsein sind, aber doch in diesem wirken! Also 
onbewulste VoTstellungcn. Doch könnte man allenfalls noch annehmen, 
DiLTHEY unterschiede Yotstellungen, die wohl im Bewu&tsein sind 
und wirken, deren ich mir aber im Angenblick nicht bewufet bin, 
indem so BewnJätsein und Selbstbewußtsein unterschieden werden. 
Aber auch diese Meinung Ton den unbewufsten Yorstellungen wird 
wieder aufgehoben, wenn 1347 gelehrt wird: die Ansicht von der toten 
Beprodnktion der Bilder sei unstatthaft, dafs vielmehr dasselbe Er> 
innerungsbild in der Seele so wenig unter neuen ümstSnden miruck- 
kehrt, als dasselbe Blatt in einem neuen Jahre am Bauma Denselben 
Satz soll Jaxxs mit der erstaunlichen realistischen Kraft seines inneren 
Wahmebmungsvermögen eingehend begrändet haben. 

Hier mödite man den Empiriker zimächst fragen: woher er das 
weiDs, dafs wenn ich mir jetzt das Bild meines Freundes zurückrufe, 
es nicht mehr das alte Bild ist^ das ich »inst durch die Sinne in mich 
aofgenommen habe, woher weifs er, dafs es ein neues ist, das jetzt 
erst mein Ich aus sich erzeugt? Um dsus wissen zu können, ninfs 
er doch das alto Bild mit dem neu (nicht reproduzierten, sondern) 
produzierten vergleichen. Aber dazu braucht er eben das alte Bild, 
dieses düiite also doch nicht wie ein welkes Blatt vom Baume so 
gänzlich aus dem Bewuistsein verschwunden sein. 

Ja warum bedurfte es denn überhaii[)t des ersten sinnlichen Ein- 
drucks? Wozu einer l'erze])tiiin? Hat diis lebendige Ich die Kraft 
hinterher ein Bild tau.send und a))eitausondmal rein aus Mth selbst 
ohne dafs nur eine Spur des einen zurückbleibt zu erzeugen: waium 
ist dieses Ich nicht im stände, von vornherein das Bild aus sich 



Digitized by Go 



326 



A Abhandlmgen 



selbst ohne Mitwirkung der Sinne hervorzubringen? Wenn aber 
zuerst eine Perzeption von anr>r'n nöti? war und ohne solche Per- 
zeption auch keine 5;p<*nri\ne Reproduktion niödich ist, dann raufs 
doch Has erst gewunnt nc Iiil<i iifrciidwic <'twas hinterlassen haben, 
wi lehes eine Bedin^Mini: für ilio spätere lieproduktion enthält also 
Line Spur, ein Kes.iduuni oder etwas Unbewnfstes. Wollte man 
den Wrdeich mit dem Baume cinigerniafjjen fe>rlialten. dafs also dir 
K* [»HMhiktion stets eine Neuerzeugung wäre rein aus unsenii Innern, 
dann n)ü^^t•• man erwarten, dafs sich die Kepn»(liikti«>n ^anz nach 
unsrer Wülkiii einstellte, oder dafs wie beim Baum »ich eine gewisse 
Periodizität in der Reproduktion zeigte. *) Wenn nicht Willkür herrscht 
muh die Reprodaktion nach nrnnanenten Gesetzen sidi ent&lten. 
Willkür ist in vielen Fallen ausgeschlossen, wo uns gegen unsem 
Willen Reproduktionen kommen und wo uns trotz unseres Besinnens 
Reproduktionen nicht kommen. Erfolgt die Reproduktion aber nach 
einem uns unbewnfsten Oesetz, so müDste sich entweder eine FeriodizitSt 
einstellen oder aber man legt jeder einzebien Vorstellung ein besonderes 
Oesetz bei, nach dem sie konmit und geht, sich mit andern Ter* 
bindet eta Das letztere würde dann zur Ldire von der Hemmung, 
Association und Reproduktion etwa im Sinne der HsBBiBisdhen Psycho- 
logie zurackffihren. 

In jedem Falle aber ist der Oedanke von dem gänzlichen Ver- 
schwinden, und der völligen Neuerzeugung der Vorstellungen nicht 
weniger wunderlich als wenn ich annehmen wollte, die Sterne vei^ 
schwinden, wenn sie am Tage unsichtbar werden und der Abend er- 
zeugte sie von neuem. 

Endlich sei noch beiläufig bemerkt dafs Dh^they hier die Vor- 
Bteliungen mit realen Wesen nämlich den Blättern vergleicht, was er 
sonst mit Recht überall verwirft. 

Docii welche Meinung: DiLTHKY ancli über unbewufste Vorstelluni!:en 
liegen möge, so ist seine Meinung ilariiber immer nur eine Hypothese. 
Er läfst also in diesem Punkte, wie es scheint, Hypothesen zu. I);uiii 
bleiben von den obigen fünf angeführten Hypothesen nur noch vier, 
von denon aber, wie EnnryaHAUs zeigt nur zwei in Betracht kommen, 
nämlich der psyeho[)hy}>ische Parallelismus und tlie atomistiseh- me- 
chanische Konstiuktion. Was mit der letztem genieint ist ist mir 
nicht klar ge wurden. Wo findet sich »die Zurückführung aller Be- 

') Auch nach Wvsvt (Logik 1^5 II, 166) kshieo die YorsteUangen aiemals 
ids die uäiiilichea wieder, sondf^rn s'.'tzc'ii sirli immer wieder nf»u aus elemeutaren 
Pruzebtitin zusaumieD. Keine Vuiattilaug wird wirklich reproduziert, die wieder- 
kommende ist immer eine neue.« lüö. 



Digitized by Google 



Flügel: Der sabstantieUe oud der aktuelle Seelenbegnff etc. 



327 



wuJfltseinserschemungen auf atomartig vorgestellte Elementu?« Nir- 
gend» sind die Bewurstseinserscheinungen atomartig, also die Tor- 
stf'lluniren als selbstiindigo reale Wesen oder als Atome vorgestellt. 
Der obige Vergleich mit den Blättern war doch nur ein sehr hinkendes 
Bild. Sonst hat man immer die geistigen Zustünde als Vorgänge, als 
Prozesse, Kräfte, Aocidenzon. nie als selbständige Wesen gedaclit. 
Oder wollte er vielleicht sairen, dafs imm die Seele als ein atuniartiges 
Wesen vorgestellt hat? Wenn die Ansicht HKiin.\ins gemeint sein 
sollte, so darf ihr der Purullulisnius nieiit entgegengestellt werden. 
Denn nach IL::i{baut ist dieser Paralielisinus streng durchgefülirt, so 
dafs jedem auch dem abstraktesten Uediinken ein besunderer Vorgang 
in leiblichen Elementen entsprechen mufs. Hier giebt es keine 
seelischen Vorgänge ohne physiologische Äquivalente.^) 

So lassen sich die beiden Hypothesen als Eine fosaen. Über- 
haupt würde sich der »Nebel der Hypothesen« sehr liebten und ver- 
mindern, wenn jede derselben schfirier gefalst imd näher nach ihrer 
Möglichkeit und Brauchbarkeit untersucht wäre. Es würde dann ein- 
leuchten, dafo sich keineswegs an jedem Punkte jeder Hypothese ein 
Dutzend anderer gleich guter oder schlechter an die Seite stellen läM 

Die Probleme der Psychologie wie überhaupt der Philosophie sind 
nicht so TiellKltig als es zunSchst den Anschein hat Und die mög- 
lichen Lösungen, also die Hypothesen bewegen sich dabei in einem 
sehr engen Kreise von Gegensätzen von entweder — oder. Hier lä&t 
sich zumeist, wenn man nichts Fremdartiges hineinmischt, sondern 
streng nach logiscii-naturwi.ssenschaftlichen Orundsätzen TerfiUirt} auch 
eine Entscheidung lierbeifüiiren. 

Übrigens betont Ebbinghaus mit Rocht, dafs Hypothesen über- 
haupt nicht, also auch nicht in der Psychologie zu vermeiden sind. 
Denn, sagt er, die gröisten und wichtigsten Zusammenhänge, die wii- 



M Wi M-T (Logik IS"».') II, S. IW) meint ein Recht zu haben, die Vorstfllungen 
iiu binue Hekbaki?» uIh Substaozea zu bezeiclmen. »Deou wenn man nach üblichem 
pbÜoso|iliiach0D Spracbgebmioli die Snbetaai als das defimwt, was bei allem Wedud 
der Erschettiiiiigeii beharrt« so sind gana gewib diese unTerinderUdieii vieUeicht 

sijgar iinstprWirhen Vorstellungen Substanzen.« Aber nach "Wcxdts eiguer Definition 
der Substiuiz (System 207) gehört dazu j;wpi«rlei neben der ünveränderlichkeit noch 
zweitoos: »die Substanz wird den Erscheinungen als das Sein gegenübergestellt, 
womit eidi offenbar die Anffnafteng verbindet, dab sie ein an «ch selbst Wirk- 
hehea, die Erscheinung 'aber nur ein durch irgendwelche Bulqelctive Bedingongen 
veiiindertes Erzeugnis dieses Wirklichen ist.« darnach fehlte selbst noch dieser Defi- 
mi]nn (\.'n Vojstellungen im Sinne IIkrhart'; flie Ilaui^tsache ?:ur f^uh<?tanz. nämlich 
das :>ciu au und für mcb. Die Vorstellung ist nicht ein eus in se, sondern entstanden^ 
ist eine WiAnng. 



Digitized by Google 



328 



A AbLaudltuigeu 



ans hesrimmtcn ( iriuideri für das Seclenlehen als wirksam behaupten, 
liegen uns nicht dii-rkt als letzte Tliatsachen vor, snndt'rn worden von 
uns erst hurgestuJlt. 1<S7. Die erklärende Psycliologie erkliirt und 
k(uij5üuiert ja nicht etwa nur aus blofsen hypothetischen Annahmen 
heraus, sondern sie bereitet sich die Mittel liu ilire Erklärungen erst 
diu'ch das sorgfältigste Studium des Gegebenen. 1D5. Und da:» thut 
nicht allein die Psychologie, wie steht es denn anderswo mit der 
Sicherheit z. B. in der Phjrsiologid? Statt rtmder und kategoiisober 
Antworten, wie wir sie freilich wohl haben möchten, auch hier überall 
widerstreitende Hypothesen. Hypothesen über Vererbung, Hypothesen 
über Zeugung, £mähning, Nemnprozefs, Fettresorption, Herzinner« 
Tation eta Hypothesen im grolsen und kleinen, nnd die meisten 
auch hier, ohne dafs man absehen kann, wann und woher des Rätsels ^ 
Lösung wohl kommen mag. Aber niemand nimmt daran Anstofs, 200. 

Sogar die DiUtwiKscbe Entwicklungshypothese, an sich eine höchst 
fragwürdige Sache, ist vOn ungeheurer Förderung für die Biologie 
gewesen. 198. 

Hypothrsen sind dazu da, die Erfahrungslücken auszufällen mit 
Hilfe und nach ^Vnalogie des andei-swo der gegebenen Wirklichkeit 
Entnommenen zugleich mit dem Nebengedanken, nur durch die be- 
kannten Eigenschaften des Hinzuergänzten die sonst rätselhaften Eigen- 
schaften des sonst lückenhaft Gegebenen verständlich zu machen. 
Ob sie das Tiefensehen erkiäi'en oder das allmähliche Zustandekommen 
des zweckmiilsi^aii WoUeus oder das Sprecheniernen des Kindes^ 
überall ist dies die all^meinste Uhamkteristik ihres Thuns, So ver- 
fähit jede Wissenschaft, auch die Oeisteswissenschaft. Weim der 
Historiker eine thatsächlirh angeordnete ^lafsregel Napoleons durch 
Motive erkliirt, von denen in seinen Quellen niclits berichtet wLi-d, 
die aber nach seinen sonstigen iOrfahi nngon hei Königen und Peld- 
herren vorzukommen pfleeren. thut er prinzipiell eben daiüselbc, was 
der Psychologe anstrebt, lüü. 

Wenn man diese hier geäufserten Gedanken über Hypothesen an- 
wendet auf die Psychologie Heruaiits, so begreift man kaum, wie 
Ebbikohaus diese so unbedingt abweisen kann. Die ganze Philosophie 
Hebbarts UtTst sich so charakterisieren, dals sie die Erfahrungslüöken 
durch gesicherte Hypothesen ausfüllen und so das G^bene be- 
greiflich machen will Es ist eine sehr naheliegende Hypothese, die 
Vorstellungen mit Herbart als Kräfte anzusehen, eine Hypothese, die 
sich durch ihre Klarheit, ihre Fruchtbarkeit und ihre Fähigkeit em* 
pfiehlt, den empirisch festgestellten Thatsachen sich anzupassen. Ebbing- 
HAüs sei an seine eigenen trefflichen Untersuchungen über das Qe- 



Dlgltized by Google 



Flüo£l: Der sab^tautiello uud der aktueUe Seeleubegriff eto. 329 



dÄchtnis ( rinnert, dort bemerkt er selbst, dafs ein Teil seiner ompi- 
rischen Er;:<'bni>so HKiiBAieTs Auffassung bestätige. Vnd das ist auch 
da der Fall, wo Ebblvohals dios nicht ausdrünklicli hervorhelit. •) 

Wenn er nun hier mehrfach aussprii-'ht, HKiiii vuTS Psych« ilu«:ie sei 
veriressen, sei nicht mehr aktuell, so denkt er wnlil nur an sehr enge 
Kreise. Er denkt aber nicht an die weiten Kieise von Deutschland, 
Östorreicli, der Schweiz, Ungarn, Sieboiil)iirj?on, Holland, Srhwedeu, 
England, zum Teil auch Frankreich, besonders ubei Amerika. Hier ist 
die Psjcholoirif sehr aktuell, Ebbinüil^us ist sehr im Irrtum, wenn er 
meint, HEKBAin sei das Ausland stets verschlossen geblieben. 17U.-') .Sogar 
ein Gegner HtaiBARTs, Kiechxeb in seinem Wörterbuch der philosophischen 
Grundbegriffe (1890) memt S. 321: ffinaii^Üioh der Psychologie hat in 
der Gegenwart die HsRBABTaohe Schale die meisten Anhänger. 

Noch eine Bemerkung za folgenden Worten Diltheys (S. 1365): 
»das Gmndapervu seiner Flqrchologie Terdankt Herbabt der pädar 
gogiscfaen Erfahrung, welche die frachtbare Grundlage seines Denkens 
war. Er lernte von Pestalozzi Vorstellungen als Erafte ansehen, 
welche einmal erworben, das weitere seelische Leben immerfort be- 
einflussen werden. Er verlegte stillschweigend in seine YorBteliungen 
alle die Lebendigkeit die er dann abzuleiten unternimmt« 

Hier ist zunächst die gescbichtlicbo Bemerkung zu beanstanden 
betreffend Pestalozzi. HEntBARX ist auf den Gedanken von der Hemmung 
der Vorstellungen und also zur Ansicht von den Vorstellungen als 
Kräften schon in Jena geführt worden, als er Ficutes Ich kritisierte. 
Ob Pestalozzi die Vorstellungen als Kräfte ansieht, und ob in diesem 
Punkte irgend eine Berührung zwischen ihm und Heubabt stattgefun- 
den hat, dürfte sehr zweifelhaft .sein. Wohl aber ist das richtig, diifs 
Hkhuart seine psyeholofnsche Theorie fort drehend au der Empirie, wie 
sie ihm seine fortgesetzte Thätigkeit als Pädagog reichlieh darbot, prüfte. 

Wenn man sagt, Hekbart fnfst die Vorstelhin2:cii als Kräfte, und 
weiter, er verlege stillschweigend in seint? Vorstell uuiren alle Lebendig- 
keit, SD ist doch wohl beides das.selbe. Denn wenn sie Kräfte sind, 
dann versteht es sich von selbst, dals sie mit- und widereiuiinder 
wirken, liier ist nicht wie bei Maschinen nur Eine ti*eibendo i\raft 
vorhanden, die Schwere oder eine Feder oder die Umdrehung eines 
Rades, sondern liier sind unbestimmt, unzälüig viele Kräfte, die bald 



') EKiuNCiiiAUb: Über dn.s Oediichtiiis, 1885. VciigL dasu die Besprechtuig in 
der Zeitüchr. f. ex. Pftil. XIV, \m ff. 

Vei"gL dazu m Rei^s cucyklopad. iiandbuch der Pädagogik den Artikel 
HnnABT ond sebe Schule. 



Digitized by Go 



3B0 



A Abhaiidiungeu 



mit bald widoroinanHer wirken und darnin uacli den iiiaiiiiierfaltigsten 
Bewoi:unirs<rfsetzon den Lauf des geistigen Lel)eii.s bestiuinion ; die 
geistige Lebendigkeit nach ihrer gröfsten ITnregelniäl'sigkeit und Keiiel- 
mafsigkoit ergiebt sich von selbst, sobald es gestattet ist, jede einzelne 
Yurstelhing als oine Kraft anzusehen. 

Dies kann zunäeiist. wie es Houart auch empfiehlt und Duuuisch 
in seiner mathematischen l^ychologie dureliführL, als eine blofse Hypo- 
these vei*sucht werden, die sich dann durch ihre Fruchtbarkeit zu 
empfehlen bat Und als solche hat sie sich in der That weit exakter 
nnd fruchtbarer erwiese als jede andere versochte Hypothese, etwa 
die Yorstellimgen als Bewegungen, oder als Funlctionen des mate- 
riellen Gehirns oder als Knotenpunkte ursprünglichen Werdens oder 
Wollens etc. anzusehen. AuJserdem aber lä&t sich diese Hypothese 
noch theoretisch rechtfertigen, nümlicfa durch eine Wechselwirkung 
der letzten realen Elemente der Katur, die sich gegenseitig durch ihr 
Wecbselwirken in innere Zustände Teraetzen. Und verglichen mit 
den beute so beliebte ausschweifenden Hypothesen des Panpsychismus, 
Animismus oder Voluntarismus, wonach alle Elemente als besedt und 
jede Kraft als eine geistige Kraft, ja als ein Wollen angesehen wird, 
veiglichen mit solch aus.schweifenden Tbeorieen, trägt Herbamts Hypo- 
these den Charakter dn ^^Tölsten Besonnenheit, Klarheit, Friiobtbarkeit 
und Widerspruchslosigkeit. 

Natürlich darf bei weiterer Betrachtung über den Kräften nicht 
die Substanz übersehen werden, deren Kräfte sie sind. Und alles, 
was Dü;hikv vnn dem urspriinglichen .«seelischen Zusammenhang sagt 
und wenn Dilthey und Kiihixohaus an der Associiitinnspsycliolngic es 
tadeln, dafs ans einem Kiindel von Vorstelhingen nicht die Einheit 
des Bewui'stseins lier\ori:elu'Ti könne, das alles findet seine Bestätigung. 
Berichtigung und Erklärung in der Annahme einer einheitlichen Seeleu- 
sub.NtiUiz. Ohne eine solche kann natürlich »aus dem atomistischen 
Spiel psychischer Einzel kriitte* nicht die geistige Einheit abgeleitet 
werden. Insofern ist es richtig, was Diuthkv sagt l'MVA: »Der Zu- 
sanmienhang einer Sinnes Wahrnehmung stammt nicht aus den Sinnes- 
erregungen, welche in ihr verbunden sind. Also entsteht er erst aus 
der lebendigen einheitlichen Thütigkeit in uns, welche ja selber Zu- 
sammenhang ist Bas Vergleichen, Yefbinden, Trennen, Verschmelzen 
ist ttberall Ton der psychischen Lebendigkeit getragen.« Und dies, 
so werden wir hinzusetzen müssen, ist nur möglich bei der einen 
substantiellen Seele. ^) 

*) Zuweilen sucht man gegen HKfiBAin* Psychologie auch mit übel klingenden 



Digitized by Google 



FlUgel: Der subetautiolb und der aktuelle Seeleobegrtff etc. 



331 



Fkitz Schultze 

Wir wondon um m der vorgleichenden Seelenkiindo von Fbiez 
Schultze (1. Leipzig, (»iuithci 1892). Der Verfasser glaubt, kurzer- 
hand das I'rohlejTi von Stoff urul Kraft dadurch zu lösen, dafs er nur 
die Kraft ais das Gegebene ansieht. ^^Ist es denn diirchaus notwendiir, 
dafs wir zur Erklärung der materiellen Erscheinungen Atome an- 
neluuen? Ein Stein ist eine aii?^ vielen Teilen hestehemle, fest zu- 
sammenhängende Masse. Was liiilt denn die Teih' des Steines zu- 
siuunien? Die Anzieh uugskiaft^ .sagt man. Wenn diese Kraft der 
Anziehung aufhörte, was geschähe? Die .sämtlichen Teile flögen au.s- 
einander in ilire kleinsten Teile, und diese bis ins Unendliche weiter 
bis ins Nichts Iiinein. Denn jeder noch so kleine Teil wird durch die 
Kraft der Anziehung zusammengehalten: fehlt diese, so findet die Teil- 
barkeit keine Grenzen mehr. Der Stein könnte also gar nicht exi- 
Btieren, wenn nicht die Anziehungskraft die kleinsten Teile zu dem, 
was wir Stein nennen, zusammenbände. Dann ist es aber doch nicht 
das materielle Atom, welches den Stein bildet und bindet; es ist tiel- 
mehr die Kraft, welche diese materiellen Teile zusammenhält; wäre 
diese Kraft nicht, so wäre kein Stein, und so in Jedem andern Falle: 
es gäbe überhaupt kein stoffliches Ding, keine Materie, sondern alles 
würde zunichte, zu Nichts. Das Wesentliche im Stofflichen ist also 
gar nicht der Stofi, sondern die Kraft; sie ist das eigentlich Letzte, 
Hervorbringende, Znsammenhaltende, Ursächliche. Aber man wendet 
ein, es müsse doch einen Träger der Kraft geben, und eben die Atome 
scion die Träger.' Wir ^den, dais im Gegenteil erst durch die Kraft, 
die Erscheinung einer zusamnienhängenden Materie möglich ist, ja 
bei genauerem Durchdenken des Problems wird uns klar, dafs wir 
überhaupt und nur Kräfte erfahren. Das Harfe der Wand, gegen 
welche ich mit dem Kopfe renne, ist in Wahrlieit eine i:e\visse Monge 
Widerstandskraft, die sich mir ;:et:eniiher äul'seit. Ohne diese Kraft 
gidic OS für mich keine Wand, keinen mir gefahiliclien Zu.sammenstors. 
Mit Recht hat man längst darauf hingewiesen, dafs man für die Er- 
klärung und mathematische Beieehnung der Natuiei-selieinuugen nicht 
der Atome bedürfe, sondern statt ihrer mit demselben Erfolge »iu'att- 
einheiten setzen könnte.« 12G. 

Wni-torn zu kämpfen. Man nennt sie oiue Büu(leli>sychologie, ofL^r. weil nach ihr 
die YorsteiloDgea beharren, »eine Uainsteri)Hycholügie<. Deingegenübor bei UaroD 
«rinnert, dab Jbait Paul in Ihnlioher Weise den atoellen Seelenbegriff im Sinne 
TOD Hmoe und Ficbtk abweist und- bemerkt: Darnach wäre die Seele gar nidits, 
eoodem blofse Gedanken leimten sich als KrÖteuIaich aneinander und kröchen so 
durch den Kopf und dachten sich .sel>>st (J. Müllkk: Jean Faul uud seine Bedeu- 
tung für die Gegenwart 1095, S. 135.) 



332 



A AbhaudluDgen 



^lit dieser Auseinaiulcrsctzun^'^ beweist der A'erfa-^iser. dafs er das 
l'rublem, imi das es sicli liier luiudeit, gar niclit ^etafst iiat. Es fragt 
sich: ist Kratt i)lme Stoff, oime realen Träger denkbar. Und er ant- 
wortet: Die Kraft ist uns allein, d. h. ohne Stoff gegeben. Hat dies 
jemand schon f^^'leugnet? das vei"steht sich (incii von selbst: denke 
ich alle Kruft liinweg, <laiiii hört jede Einwirkung, also auch jede 
Sinneswahrnehmung auf. Denn jede Sinneswalirnehmung fiUirt man ja 
zunäehbt auf eine liUnwirkimg d. h. auf eine Kraftäu£>eiiing der äufgereu 
Oegenstände zurück. Aber auch das ist falsch, dafs uns die Kraft allein 
gegeben sei Die Kraft als solche ist nicht gegeben. Oegeben ist 
allein die Erscheinung; gegeben ist nicht die Anziehungskraft, sondern 
nur die Thatsache z. B. der Annfthemng dos Eisens an den Magnet. 
Die Kraftf die vorhanden sein soll, auch wenn sie sich nicht äu^rt» 
die eine bleibende Eigenschaft sein soU, ist nur erschlossen, weil man 
erkennt) eine Veränderung ohne Ursache ist unmöglich, weil in sich 
widersprechend. Ja man muHs den Begriff des Gegebenen noch 
strenger nehmen. Gegeben sind uns allein unsere eigenen inneren 
Zustünde. Die Annfiherungsei-seheinimg z. B. des Eisens an den 
H^^et ist streng genommen nicht als ein äufseres Ereignis gegeben, 
sondern Eisen, Magnet^ wie deren bleibende oder veränderliche Ent^ 
fernung ist ganz ausschliefslich meine YorstelJimg. Dafe es mehr als 
Vorstellimg sei, dafs diese Voi-stellung in äufsem Ereignissen ihre 
Ursache habe, ist einschlössen. Vermöge der Einsicht, dafs ein fJe- 
schehen nicht ohne Ui*sache sein könne, ^^chlielse ich an« dem n)ir 
allein gegebenen inncm Eroifrnis der Vorstellimg auf äufsere Ereig- 
nisse, als Bedin^nniirun di^r inncni. Und von dem äufsem Ereignis 
schliel'se ich weitrr auf Knitto als Ijcharreude Eigenschaften, und von 
diesen auf unveräTnli-rlicho Wi-s'-n oder Atome, so dals der Satz aiit- 
n'cht i'iiialten bleibt: kemi- Kiatt uline Stoff. Xun kann man aber 
zum Zweck der blolsen Rechnung diese Erklärungs\ cisuche ganz bei- 
seite lassen und, wie viele Physiker tlum, einmal ganz aljsehcn vuu 
dem, was das Atom sonst noch sein mag. Man tafst es nur als Pimkt 
auf mit gewissen nach bestimmten Gesetzen wirkenden Kräften. Hier- 
aus lassen sieb sehr wohl, wio das oft auseinandergesetzt ist, die 
materiellen Erscheinungen ableiten. Hier setzt man die KrSfte Toraos. 
Die andere Frage, die hier uns beschäftigt, kommt gar nicht in Be> 
tracht: ist es widerspruchslos denkbar, eine Kraft als eine bleibende 
Eigenschaft, anzunehmen ohne etwas, was ist, was als Beales diese 
Kraft oder Eigenschaft hat? Darauf ist nun auch Fb. Schültzs gar 
nicht eingegangen. Er glaubt sie beantwortet zu haben, indem er be- 
merkt, der Stoff als solcher ist nicht gegeben — das ist richtig — 



Digitized by Google 



Flügel: Der HuUstaatiell« und dar aktuelle äeeleubegriff etc. 



888 



nur (lic Kiiftt ist gegobon — das i'^t nicht richtig:, AIkt in koinoni 
Falle ist eine Antwüit auf die Frage; bcdai-f die iüatt amoa realcu 

Ja auch luiklar ist si'iiip Rede, indoiii die aiigetan^one Ahstraktion 
nicht durchgefiihrt wird. Er sag^t: abstraliiert man von der Amii hiinp;- 
kraft, so löst sich der JStein in Nichts auf. Und dann soll die Kraft 
doch die kleinsten Teile wieder eifasson iiud zu>:iimn(Mihaltcn. Ent- 
weder sind die kleinsten Teile wirklich Nichts, danii kann keine Kraft 
sie fassen und zusammenhalten, oder die kleinsten Teile sind noch 
etwas auch ohne Kraft, dann smd sie nicht Nichts, dann ist die 
Kraft nicht das Einzige, was existiert. 

Das Bichdge sei hier nur angedeutet: die Atome sind die realen 
Wesen und in deren Zusammenwirknng unter einander macht sich 
jedes als Kraft geltend. Das Wesen ist das Primäre, die Kraft das 
Sekondäre. Aher im Erkennen gehen wir von der Kraft aus und 
schliefisen auf die realen Wesen. 

Fr. Schultzb glaubt nun mit den obigen höchst unzulänglichen 
Betrachtungen den Materialismus widerlegt zu haben. »Es löst sich 
die ganze feste, greifbare, scheinbar so substantielle Matt ric in lauter 
Kräfte auf. Die Kraft aber ist zwar in und mit den Körpern und 
doch unkörperlich. In ihrer unkörperlichen Feinheit kmiimt die Kraft 
d III Geistigen nahe; mit dem Begriff der Kraft befindet man sich 
auf dem Wege vom Materialismus zum Idealismus, imd so erleben 
wir flio wunderbare TrHgikomödie, dafs die Materie, die sich stolz auf 
der Bühne brü.stete und die einzige zu soin bohauptotc. in ihr (Jcp^n- 
teil, in die Kraft unischlägt, die materialistischo JStoffiehro zur idea- 
listischen Ki'atth'hrc wird.-r 127. 

Welchen eigentümlichen Begiiff vom Materialismus inufs jemand 
haben, der damit glaubt den Materialismus widerlegt /.ii haben«! Er 
mufs etwa denken: das liegt ja im iNamen, der Materialist läfst nur 
Materie gelten, wenn ich ihm also zeige, die Materie besteht aus 
Stoff und Kraft, alb<i nicht aus blofser 'Materie, oder g}»r: selbst der 
Stoff is.t nur Jiraft, dann ist der Materialist widerlegt Das ist eine 
sehr wohlfeile Beweisführung. Fr, Scbültze steht darin wenigstens 
nicht allein. Das hat deor Uaterialist wohl nie geleugnet, Tielmehr 
immer sehr stark betont, dafe das Wirkliche auf der Kraft beruht 
Alles, was Schultzb zu gunsten der Kraft sagt, oder wenn hervor- 
gehoben wird, daTs auch der Stoff zuletzt aus Atomen bestehe, diese 
aber als einfache Wesen nicht selbst Materie sind, oder wenn zu 
gunsten des aktuellen Seelenbegriffs betont wird, der Oeist sei nur als 
Kraft gegeben — das alles hat der Materialismus ausdrücklich gelehrt 



Digitized by Google 



334 



A Abhandluugen 



"Wa-s versrolit man tlenn imter Matehaiismus in psycholotrischer 
Bozielmnsr? L. Hcchnkh gilt doch in der Kegel als ein Matrrialist, 
Aber luhrl er etwa-s uiulere.s, als was man heutzutage den aktuellen 
Seelen begi'i ff nennt? Glaubt man etwa, Ii Lchnkk sähe den Geist für 
ein Stück gruber Materie an? Er wehrt dies ausdrücklich ab und 
sagt: '-der Gedanke, der Geist^ die Seele ist nichts llaterielles, nidit 
selbst Stoff, sondern der zu einer Einheit verwacbsene Komplex Tei>- 
scbiedenartiger ErSfte, das Hesultat eines Zusammenwirkens vieler 
mit KrSften und Eigenschaften begabten, in einer bestimmten, höchst 
komplizierten Art der Bewegung befindlichen Stoffe... In fihnüoher 
Weise wie die Dampfmaschine Bewegung henrorbringt, erzeugt die 
verwickelte Komplikation von Kräften und Stoffen im Tierieibe cdne 
Gesamtsumme gewisser Effekte, welche zu einer Einheit verbunden, 
von uns Geist genannt wird. Diese Eitfte- Wirkung ist nichts Ma> 
terielles, kann nicht durch die Sinne wahrgenommen werden, eben- 
sowenig wie jede andere einfache Kraft, Magnetismus, Elektrizität, 
sondern nur aus ihren Wirkungen einschlössen werden.*) 

Ist dies etwas anderes, als der aktuelle Seelenbegriff \on lieutej? 

Als vor einigen Jahren Büchner seinen 70. Geburtstag beging, 
war in allen Zeitimgen, die darauf Bezug nahmen, zu lesen: der 
Materialismus sei jetzt ein in der Wissenschaft überwundener Stand- 
punkt. Wie oft wird dies auch jetzt nachgesprochen! Ist dies so? 
Am Namen kann doch iiielits nrHejren sein? Der Materialismus geht 
von der (^Icielning zwiseiieii Seele und Leib ans und liist dieselbe 
vuin Standpunkt des Leibes aus. Sein Secleübe;iritt kann substantiell- 
atomi.>ti6ch oder dynamiseli sein, das eine giebt <iffenl)ar den gi'öbem^ 
da^ andere den tcineni Mateiialisnuis, (Vüijvmann u. a. 0. 8. 19.) 

W^idor den Namen Materialismus wehren sieh freilich sehr viele, 
wie WuxDT^), Padlsi-ln 3), KoiMij**), Zihhen^), Ml;.\sto{uero''), Haeckel'), 
Bovis*), Spescek"), Külpe^'^), Höffdlnu^*) etc., sie alle versichern, keine 



•) Kraft u. Stoff. 187«j. S. JOl. 

») Zeitschrift f. ex. Phil. XIX, S. 142. 

«) Ibid. XVn, S. 400 u. diese Zeitsuhr. I, 417. 

«) Ibid. XDC, a 142. 

») Ibid. XIX, 8. 414. 

*) Ibid. XIX, S. 210. 

^) Ibid. XX, S. 159. 

Ibid. XX, S. 188. 
•) lUd. XVH, a 22; XTHl, & 154. 
•<») Ibid. XIX, a 171. 
>>) Ibid. XIX, a 149. 



Fiteu: Der 8u1»taDtieUe und der aktaeUe Seeleiibegriff etc. 



335 



Materialisten zu sein. Mag der Xiinie Monismus besser küjigen. Aber 
was besagt dieser Name anders, als dafs Geist imd Leib im letzten 
Grunde identisch ist? Denn identisch hcifst doch, es ist dasselbe. 
Und wenn ausdrQcklidi eddürt wiid: Die geistigen Erscheinungen 
Bind identisch mit den leibiichai Bewegiuigsfonnen, oder die geistige 
Einheit sei dieselbe als die Einheit des Leibes, nur Ton innen an- 
geschaut, oder das Nenren^ystem sei das Organ des Bewn&lseins und 
das Snbstrat der höhem geistigen Fanktionen, oder man bedürfe für 
die geistigen Vorgänge keines andern TrSgers als den Leib etc^) 
Hat dann Lotzs nicht recht, wenn er bemeikt: der Idealismus wieder- 
holt in seiner Weise, was die materialistische Auffassung auch be- 
hauptet: Körper und Geist sind Eins.*) 

Bas ist also eine sehr wohlfeile Kritik des Materialismus und ein 
Kloben an den Worten Materie, ^v im umn ihn dadurch glaube wider- 
legt zu haben, dafs die Materie als solche ohne Kraft uns nicht ge- 
geben sei. 

Und ist denn die Kraftlehre ohne weiteres »idealistisch« und ist 
denn der IdeaIisnlu^; nhno weiteres etwas Bes.seres? 

So wird von Furrx S( nn/rzK S. 12!) TTakckki. als ein ÜberwimltT 
des Matt'rialisiiius aii,i;efühi t : er hat den Materialismus über Br.rd p> 
worten luid ist Idealist ü;^ewor(leii, weil er jedes einzelne Atom als ein 
Beseeltes ansieht und so das (Jeisti^e in den Stoff liineinleg-t. Aueb 
dieser Wendung wird man sonst bei den Materialisten idters begegnen, 
dafs sie dem Atom selbst eine Natur oder Besehaffenheit beilegen, 
die sich unter gewissen ümstiinden als (ieist kundgiebt. 

in dem Sinne, wie Fr. Schui/izi: den Materialismus sich denkt 
und glaubt widerlegt zu haben, hat es niemals Materialisten gegeben, 
die nämlich die ganze Welt, den Geist mit eingeschlossen als einen 
blolsen Haufen greifbarer Materie ohne Kraft gedacht h&tten. 

Bie Materialisten sind in den meisten Funkten nicht allein klarer 
gewesen als diese Art von Idealisten, sondern auch scharfsinniger und 
fester gegründet auf dem Boden der Naturforschung, sofern sie immer 
behaupten: keine Kraft ohne Stoff, auch die geistige Exaft bedarf 
eines realen Triigers. 

Sehen wir nun zu, wie Fa. Bcsuvrzm seinen Idealismus begründet 
und beschreibt 

»Es ist Thatsache, dafs trotz weitgreifender Zerstörung der Orofe- 
himrinde die geistigen Kräfte sich ohne Einbulse in ihrem ganzen 



Vei^l. Über Materialismüs. In Zeitscbr. 1 ex. Biil. XIX, 8. 120 ft. 
^ Hedizinisohe PbjdioL S. 1C2. 



Digitized by Google 



336 



A AbhatKUangen 



Urafan^^o wieder herstellen, obgleich das verlorene Himstiiek uieht 
wieder wüclist. Ist es der Stoff, welcher geistig wii-kt? Der Stoff Lst 
hier vernichtet, die geistige Kraft ist geblieb^,« 134. 

Wird hiennit bewiesen, dafs die Kraft nämlich die geistige Kraft 
ohne Träger ist? Nur das lehrt die angeführte Thatsache, dafs die 
geistige Kraft nicht an die Unvertetztheit des Großhirns gebunden ist, 
oder daß nicht alle Teile desselben Trüger des Geistes sind Darüber 
ob sabstantieller oder aktueller Seelenbegiiff richtig sei, wird gar nichts 
aasgesagt 

Gegen den substantiellen Seelenbegiiff Ton der Seele als einem 
einfachen Wesen oder Atom führt er S. 158 an: »Das Atom schliefst 

den Wechsel innerer Zustände aus: das Atom hat kein Bewiifstsein, 
das Atom fühlt sich nicht als Einheit.^ Das sind alles lilofse Be- 
hauptungen. Das wäre eben zu beweisen gewesen, dals das Atnni 
keiner innem Zustände fähig ist. Yeifassor nimmt hier eine \ ielfach 
angenommene physikalische Atomistik für die einzig mögliche. Er 
seihst bleibt nicht dabei, das Atom absolut staiT mid imzugänglicb 
aller iunr>m Entwicklung zu denken, denn, so nioint er 195. die 
Atome werden, indem sie in den Organismus eingehn, »in ihrer Zu- 
standsform erhöht \m(\ vervollkommnet. Das würde doch der Li liio 
Hkküauts von den innern Zuständen der einfachen Wesen zienilirh 
nahe kemmun. iVeiliih sieht man gar nicht ein, wie Schui,t/k zur 
Annahme von Atomen pelangt. Er hat im Eingang den Schlufs von 
der Kraft auf reale Träirer auf^driicklieh abgelehnt, schien also tlor 
Atome gar nicht zu bedürft n, da sieli die ^Materie in iaut(M- Kräfte 
auflöse.« 126. Wanmi nun mit einemmale die Atume eingeführt 
werden, dazu ist kein anderer Grimd für ihn vorhanden, als dafs er 
sich der allgemeinen Theorie der Natniforschnng anschliefst Im 
System Schültze ist diese Annahme nicht nur nicht begründet, sondern 
geradezu ausgeschlossen. 

Jedenfalls möchte er den Ausdruck Atom oder Wesen oder Sub- 
stanz nicht auf das Geistige angewendet wissen. Es scheint aber 
auch hier ein Yorurteil, eine Art Furcht tot dem Worte Materialismus 
als Motiv zu wirken: »Die Bezeichnung Substanz für unsere Seele 
birgt ihre Gefahren. Substanz soll zwar nur ein in sich bestehendes 
Wesen bedeuten, die einfache und immaterielle Substanz soll alles 
Stoffliche ausschliefsen. Aber imwiUkürlich schleicht sich mit dem 
Worte Substanz die Nebenhedeutung eines stofflichen Ti'ägers ein, 
und die Seele wird materialisiert, wie die Geschichte der Psyehnlojrie 
gezeigt hat. Die Seele ist keine einfache Substanz, sie ist vielmehr 
eine Kxadt. Damit ist jede Gefalu:, sie zu einem stofflichen Wesen 



Digitized by Google 



Fli'oel: Der substantielle tind der aktuelle Seelenbegriff etc. 



337 



EQ machen überwunden; ebenso die Qefohr, sie sieh räumli<^ ror- 
zustellen. Welche Gestalt bat die Seele? Das ist eine thörichto 
Frage. Eine Kraft hat keine Gestalt Die Seele ist weder ein Stoff 
noch eine einfache Substanz, sondern eine von den blinden Natur- 
krftften unterschiedene^ gleichwohl natürliche, bewurstc Kraft« 160. 

Darauf ist zu ermnem, dafs wenn die Seele eine Kraft ist, so 
mufs zu dieser wio zn jeder Kraft eine Substanz als Träg:er hinzu- 
genomraen werden. Dafs sich viele eine Substanz üur stofflich also 
sinniicii walirnehrabar denken können, mag sein, Verfasser scheint zu 
diesen zu gehören. Es ist dies aber ein Vorurteil, denn nicht einmal 
die Atome, welche die Materie bilden, sind stofflich zu denken. 
Welche Gefahr soll doch wohl diese Bezeichnung mit sich füliren? 
Pafs manche gleich an groben Materialismus denken, weun sie von 
Seelensiibstanz oder Soelenwesen hürou? Kiuiii sulch ein Vorurteil 
uns hmdern, die Seele so zu nennen, wenn sie doch als Substanz 
gedacht worden mufs? 

Übrigens steht hier Verfasser durchaus nicht allein da. Auch 
YANKtos bemerkt: Es mah zugegeben werden, dab es am geeig- 
netsten ist, das psychische Subjekt nicht Substanz zu nennen. Dieser 
Ausdruck erweckt nämlich — mit einer Art dominierender Gewalt 
über den Gedanken — die Torstellung von einer unter oder hinter 
dem Seelenleben liegenden BealitSt, welche Anffiissung unzweifelhaft 
materialisiert d. h. den wahren Begriff von dem, was Seelenleben 
eigentlich ist, yerunreinigt« ^) 

Dazu bemerkt Gutbeblbt: Dieses Bedenken scheint uns nicht 
▼on solcher Bedeutung, um den Substanzbegriff vom Seelenleben fern- 
halten zu müssen. Natürlich spricht man von Seelensubstanz nur bei 
Philosophen oder doch Männern von allgemeiner Bildung, nicht bei 
Ungebildeten. Diese letztem dürften allerdings das »Hinter« und 
»Unter« recht sinnlich verstehn , die Substanz als ein materielles 
Substrat, an welchem die nccidentalcn Thntiprkeiten haften. Al)e)- der 
philosophisclie Betriff dor Substanz kann durcii solche materielle Vor- 
stelhin^nm nicht verunreinigt werden; er ist einer der fundamentalsten, 
einfaclisten und klagten Verstand es heijri ff e: er bezeiclmet ein Sein, 
das in sich Bestand hat. nicht r ines and(Mii Subjektes bedarf, wie das 
Accidenz (oder die Kraft). Das Hinter und Unter hat also hier eine 
ganz verstandesmäfsige Bedeutung: Was wir wahrnehmen, die Acci- 
denzien insbesondere die BewursLseinszustiinde verlangen als unselb- 



Archiv für system. Phüos. v. Natobt 1805, S. 375. 
Z«llMliilft Ar PUl«Mrhl« «od FidNroflk. t. J^hifiof . 22 



Digitized by Goo^^le 



338 



A Abbaudlougea 



ständip^o Realitäten eine ihnen zugrundelico^onde Realität. Dieselbe liegt 
liintcr den sinnlichen oder wahrgenommenen Qualitäten insofern jils »'?-st 
dt r \' erstand in dieselben eindringen, durch die Accidenzieu iündurch 
sie ei*st erfassen kann und muH?. Auch das göttliche Wesen ist Substanz.« 

Oder mit andern Worten: Die Substanz der Seele ist erschlossen, 
ihre Annahme gründet sich nicht auf Krfahnuig, sondern auf Schlüsse, 
wie ja die Annahme der realen Wesen also auch der Atome sich 
gründet auf den Satz, dal's blofse Erscheinungen ohne reale Wesen, 
die die Erscheinungen bedingen, nicht denkbar sind. 

Fr. Schultze führt nun noob manches an, was ihm tauglich 
scheint, den Materialismus zu überwinden. Davon ist richtig der Ge- 
danke, dals er nicht eiidSren könne, wie die Bewegung in Empfin- 
dung umschlägt«: 135. Aber diese kurse Bemerkung ist auch das 
Ganze, was er über diesen wichtigen Ponkt sagt 

Ausführlicher ist er bei Er6rtening der Einheit des Bewulstseins. 
Er setst auseinander: wenn die verschiedenen Sinnesempfindongen 
an verschiedenen Gehirnzellen hafteten, so könnte nicht die Gesamt- 
Vorstellung zustande kommen. Die Einzelempfindongen sind noch 
lange nicht die Gesamtvotstellung »Apfel«, erst durch ihre einheit- 
liche Verhinduiii; kommt diese zu stände. Woher aber diese Ver- 
bindung der pliysiologischen Vielheit des Inhalts in mehreren Zellen 
zur pvsychologischen Einheit in der Vorstellung und im Begriff? Über 
die Verschiedenheit der Zellen und ihres Inhaltes mufs noch eine 
einigende Kraft, ein denkender Geist walten, ein T'syehologisehes über 
dem rhysiolojriscljen. ein Ideales über dem Materiellen, ein Ordnendes 
iiher dem l'ni;e'>rdneten. . . . Wir kommt es, dafs diese Aielen Mil- 
ijouen Zclltii sich nicht auch als viele Millionen Kinzelindividueu 
fühlen, von denen jedes auf sein Einzelreelit pocht.-' Dafs vielmelir 
alle diese Zellen zu einer Einheit zusanunengcfügt sind, welche sagt: 
das bin ich, ich denke dieses, ich will dieses, ich und kein anderer 
und erst recht nicht 1200 Miliinnen verschiedene Individuen? (wie niaii 
1200 Millionen Zellen gezälilt hat, die hier in Betracht kommen 
könnten). Der Physiologe könnte antworten: diese 1200 Hillionen Zellen 
stehen miteinander in äorserlicher Verbindung, mithin sind sie eine 
Einheit trotz der Vielheit Wird aber aua 1200 Millionen Menschen, 
die ich mit Stricken zusammenbinde^ Ein Individuum? Werden sie 
nicht he^g auseinaaderstreben? Die bleibe äuiserliche Vereinigung 
tfaut 68 nicht f es muSa eine innere Verbindung zur Einheit, eine 
wahre Vereinheitlichung da 8ein.c 145 f. 



') OoTmanns phUos. Johrbncb 180<H IZ, 8. 109. 



Digitized by Google 



FlIgkl: Der subtitaatielb and der aktuelle Seelenbegri£f etc. 



339 



Die natürlichste Folgerunji; aus der angeführten Thatsache ist 
ohne Zweifel die Annahme Eines einheitlichen Wesens, dessen Zu- 
stände die einzelnen Empfindnnf^cn sind. Die vielen Zellen sind 
gewissermafsen nur die Leitungen, die Hedingunp:en, imtor welchen 
in dem Einen Wesen die Zustände als Enipfindungen entistehen. 
Hier hat man im stren«?»ten Sinne eine Vielheit in der Einheit, wie 
die ErfahrimjGf es verlangt. Diesen Schiufs vollzieht al)er Fr. iScHrLr/i: 
nicht, weil der batz: keine Kraft ohne realen Träger nicht anerk.mut 
wird. Er glaubt sich eine Kraft denken zu können, ohne rcideu 
Träger, als etwas frei wirkendes, das an keinen Raum gebunden sei. 

Das Merkwuidige dabei ist nar, dafe er diese Phantasieen als 
natarwiBsensohafdiches Ergebnis, als eine Folgerung »des lierben Ybt- 
Btandes« ansieht In der Thst aber giebt er sich den alten, unwissen- 
schaftlichen Meinungen von Otganisations- oder Lebenskraft hin, die 
froisofawebend, an keinen Stoff gebunden, den toten Stoff beherrscht, 
nach sehr klugen aber unbewu&ten Ideen den Organismus aufbaut, 
aus dem bloJs vitalen Zustande in den bewufsten umschlägt und was 
dergleichen mehr ist Auch ein Name fehlt dieser wunderthfttigen 
Kraft nicht, sie helfet Psjchade. 

Von den Psychaden weife er nun viel zu erzählen in einem 
Kapitel, das er selbst eine metaphysische Phantasie nennt, in V er- 
gleich zu dem aber auch das Vorhergoiiende, das Ergebnis des herben 
Verstandes nicht weniger phantastisch ist. 

Die ganze Welt besteht liiernach aus Atomi n und Psychaden. 
Es ist freilich sehon bemerkt. daTs V«M-fasscr gar keinen Grund hat 
von Atomen zu reden, denn er verwirtt den Satx. worauf die An- 
nahme von Atomen allein beruht: keine Kraft ohne Stoff. Er nimmt 
jedoch ohne weiteres die gewöhnliche physikalische Atomistik auf 
Treu und Glauben an und also auch dies, dul's jedes Atom starr und 
aller innern Bildung unzugänglich i.st. Darum mufs er dann noch 
Psychaden hinzunehmen, die das vollbrintrcn, wuü den starren Atomen 
nidit möglich ist. nämlich das leibliche und geistige Leben. 

»Der Psych;« io wesentliches, von ihr untrennbares Merkmal ist, 
von sich zu wissen, bewufete Kraft zu sein, . . der Orad dieses Be- 
wufetseius ist oft nur ein sehr geringer, d. b. sie existiert oft tin- 
bewufst weiter.« 189. 

Man denke diesen Worten von dem »unbewufeien Bewußtsein« 
nicht weiter nach. Wer mit dergleichen Phantasieen bekannt ist, 
wundert sich daräber nicht, wenn von unbewu&ter Vernunft, von 
Qeist ohne Geist etc. geredet wird. Dazu gehört auch ein Selbst- 
bewulstsein ohne Inhalt, dessen man sich bewufet ist Verfasser hebt 

22* 



Digitized by Go 



340 



A Abhaadlongeu 



ausdrticlflich hervor, dafs der Psychade alier Bowufstseinsinlialt schwin- 
den konno und müsse und sie doch immer als imveniurserlic In s 
Merkmal dm ftelbstbewiifstsein^ wenigstens als Offiiiil behalte, ^c» 
meint er, diifs die einzelnen Ermnorun^on in den Zellen des (irofs- 
hirns iiuften und mit diesen im Tode sich aullü.sen und verschwinden. 
So verliert die Psychade allen Inhalt des Bewufstseins, dieses selbst 
aber beharrt etwa in dem Zustande, wie auch die Pflanze Selbst- 
bewnfstsein durch die ihr innewohnende Psyohade besiftBe. Ans 
Atomen nnd Fäjchaden besteht die Welt Die Paychaden snohen 
die Atome und bilden so Organismus und Temunft Warum de 
sich im Tode wieder trennen, wird so wenig gesagt als warum sie 
sich suchen. Es wird aber gelehrt: Hit dem Verlust des Gehims 
▼erliert die Psychade alle Erinnerung. Sie behält indes den Trieb 
nach neuer YeriLörperung und Terköipert sich in der That immer 
nnd immer wieder in neuen Organismen nach lüngerem oder köiserem 
Seeh nschlafe. In solcher Weise bleibt der Seele die Hoffnung, immer 
wieder zum klar bewufsten Leben zu envachen, frei lieh oline Er- 
innerung ihrer früheren Verkörpenmgra, in einer sich unaufhaltsam 
vervollkommnenden Welt 

Das Wichtigste aber ist, dafs aus der Psvchadenlohre dem ein- 
zelnen Menschen eine rechte und echte Freud ifjkeit am Tjeben ent- 
springen mnfs, weil erst durch sie jedem Individuum ein wahrhaft 
büfriodifrender Daseinszweck erwächst, den der Tod nicht zerstören, 
ja niclit einmal verhindern kann, vielmehr befördert. Was liätte 
unser Le})en mit all seiner angestrenf::ten Thätij;keit überhaupt für 
einen Zweck, wenn es im Tode mit dem Individuum aus wäre! Das 
Dai^oin wäre dann nicht daseinswert. Ich arbeite und strebe für 
mich, für meine Familie, für weitere Kn ise der (iosellschaft und des 
Volkes, für die Welt In diesen ra^stloscn Bemühungen vervollkommnen 
sich meine Fähigkeiten, ich werde an Erfahrungen reicher, im Urteile 
reifer, an Gesinnung und Chankter sittlicher, gerechter, selbeuchis* 
loser, üud nun mm Scblnl^ sollte das alles vergebens und für niefats 
gewesen sein? Das ganze von mir rührig angesammelte Eraftkaidtal 
sollte zugrunde gehen? Man tröstet mich: »Dein Streben«, sagt man, 
»hat nicht dich snm Zweck, vielmehr den, deine Nachkommen und 
damit alle zuktmftigen Geschlechter auf eine höhere Stufe zu heben. 
Die Unsterblichkeit wird nidit dem Individuum zu teil, sondern be- 
steht nur in der endlosen Beiheufolge der Geschlechter, in der stetigen 
Wiederholung des menschlichen Wesens in neuen, aber au sich ver- 
gänglichen Iri lividuen.« Mit dieser Auskunft kann sich aber keine 
krüftige Individualität zoMeden geben um so weniger, je energisoher 



Digitized by Go 



Flügu.: Üvr substantielle and der aktuelle Seeleubegrüf ctc 



341 



sie ist, lind je selb.stlHnvuiWtor sie auf ilue LcMstmigeu liml>Jicken darf. 
Denn denken wir uns einmnl die letzten Menschen. Auf unserem 
Erdball, der seiner Abkühlung' und Vereisung unausbleiblich cntiro^^en- 
geht, niufs es einmal zu einem letzten Menj»clienf<eöclilecht kummen 
und dieses luufs einmal zugrunde gehen, wenn die vereinte Erde 
nicht mehr die für menschliche "Wesen notwendigen T^bensbedinp^unsren 
darbietet l'in dieses letzten Geschleciites willen hätten also Biiliunen 
von Menschen j^estrebt und gearbeitet, gesorgt imd gelitten, um dieses 
letzten Geschlochtos willen, das im Eise erfroren daliegt! Ein schönes 
Ziel! So hätte das Leben doch keinen Zweck, und wir fhfiten besser, 
alle emete Arbeit beiseite zu legen und nur dem OenoXs des Augen- 
blicks zu frönen. Oder nehmen wir an, ein letztes Geschlecht 
sollte in hdchster Yerrollkommnung ewig fortdauern. Warum 
denn nur dieses? Warum nicht Ich und Du, die wir uns bis aufs 
Blut gequält haben, während jenes letzte glückliche GeBchlecht ohne 
jedes eigene Verdienst zur höchsten Seligkeit gelangt, die ihm unent- 
Teüsbar sicher iat; die es selbst durch keinen Frevel veiseherzen kann; 
die es in höchster Faulheit nunmehr auf Koston von Billionen um 
ihren Lohn betrogener Vorgänger geniefst? Eine teuflische Vor- 
stellung, welche jeder Gerechtigkeit Hohn lacht! S(j kann nur dann 
das Leben des Individuums ein wahrhaft })efriedigendes 2jiel hab^ 
wenn jedes Individuum als solches unsterblich ist; wenn ihm in einer 
späteren Daseinsform die Früchte seines Fleifses zu teil werden, welche 
ihm in der früheren durch die Unpinst der Umstände versagt Itlieben. 
Diese Befriedigung gewahrt aber nicht eine Unsterbliclikeitshoffnung, 
welche in einem phantastischen Walhalla alle Seelen zu üppigem Ge- 
nüsse oder zu fauler Kühe lür liie Ewigkeit versammelt, jede weitere 
Entwicklung ausschliefst und in Wahiheit die iinerti*agliehe Lang- 
weile für das stiebende Imlividuuni oder die Yernichtung aller streben- 
den Individualität überhaupt zur Folge hätte; sondern nur die Lehre 
Ton den unsterblichen und entuicklungsfäliigen Psvchadcn, welche in 
immer neuen Verkörperungen, deien Mannigfaltigkeit sich vorzustellen 
unsere an die irdischen Gestaltmigeu gebundene Phantasie erlahmen 
mufs, immer neue Stufen der VerroUkommnung ins Unabsehbare er- 
ringen und erreichen. Erst durch sie löst sich uns das B&tsel des 
Daseins; erst durch sie gewinnt das Leben seinen Zweck und Wert 
und Terliert der Tod seine Schrecken; erst durch sie weiHs ich, warum 
ich lebe, und wozu ich sterbe.« 

Man wolle überlegen, dals hier der Ver&sser das subjektive Be- 
dürfnis der peisöniichen Unsterblichkeit ganz gut anseinanderoetzt, 
dals aber was er als Trost angiebt, nur Sinn hat, wenn die Person, 



Digitized by Go 



342 



A Abhaudiimgen 



odor wie er sa^^t das Individuiiin als Ich und Du fortdauert. Allein 
er spiiciif auch lii(»r von einem IndiviUuuni ohne Individualität, ohne 
iiiflividiicllc PtMSKiilichkpit ohne Ich. Mir also, dem bewu^ton Indi- 
vidumn kann diu Fiutdauer der Fsychade, die ja nicht mein be- 
wufstos Ich ist, irorade so pleichgiltig sein, als die Fortdauer der Atome, 
welche die verschwindenden Erinnerungszellen gebildet haben. 

Es liegt hier eine sehr merk würdige Selbsttäuschung vor, dafs 
der Verfasser gar nicht bemerkt, wie er gerade den Trost, den er 
geben will, vernichtet, dals er hier ganz genau dasselbe, als der 
Materialtous lebrt Man mdohte hierauf die Worte anwenden, die 
er oben von der TragikomSdie gebrauchte. 

Koch zwei Bemerkungen mögen dazu fj^macht werden. Was 
F. ScBDLTZE vorträgt, ist nicht Wissenschaft, Bondem Phantasie und 
zwar eine sehr wenig befriedigende Phantasie. Er bemerkt selbst, 
was ihn zu solcher Phantasie bestimmt habe : wollen wir unsem 
Nicht-Materialismus festhalten, so müssen wir so und so verfahren. 
Es ist also nicht das objektlTe Denken, das nur die Sache will, sondern 
der Wunsch, nicht Materialist zu sein, was hier den Ausschlag giebt 
und ein bestimmtes Zii l vorschreibt. Zum andern: sehr ähnlidie Ge- 
danken findet man in J. H. Eightbs Päjchologie.^) (Ebitsetauig folgt) 



Ailgemeinor Jäeligionsnnterrioht in Nassau 

Dr. SnOlUlM in Wiesbaden 

Das nassauische Schaledikt vom 24. März 1817, das die gesamten 
Schulen Nassaus, höhere und. niedere, auf Grund des Simultaneums 
regelte, kannte zweierlei Art von Religionsunterricht, den sogenannten 
allgemeinen und den konfessionellen. Doch gestaltete sich die 
Behandlung dieses TJnterrichtsgegenstandes, trotzdem die Schulen ohne 
Ausnahme von Schülern aller Eonfessionen besucht wurden (und noch 
werden), in der Ausführung aufserst verschieden, weswegen wir solche 
nach den einzehien Schularten hier näher betrachten wollen. 

1. Landesgymnasium zu Weilburg. Es umfafste (1817 — 
1844) vier lOassen mit Zöglingen im Alter von in der Regel 14 bis 
18 Jahren, entsprach somit den beiden Sekunden und Primen der 
heutigen prcufsischen Gymnasien. Als Lelurstoff für den Religions- 
unterricht war als obligatorisch angegeben: »Allgemeine Beligions- und 



*) Veigl. dazu ZeitBchr. f. «c. Flui VI, 8. 409. 



Digitized by Google 



Dr. SpuEbMANif: Allgemeiner Religioiisiiiiterridit in Naman 343 



Sittonlehrec ; hmzuzofOgen ist ab setbatrersütndlich das Attribat: 
christliche, dean der ünterricht in genannter Disaplin ist stets auf 
christlicher Orondlagef wenn auch auf allgemein diristlicher, nicht 
konfessionell dogmatischer gegeben worden. Der konfessionelle Reli- 
gionsunterricht hatte dem Edikte gemäfs auf dem Lehrplan des Gym- 
nasiums keine Stätte. Für die erste Zeit bestand kein bestimmtes 
Lehrbudi für den Gegenstand; doch kann aus den Programmen ent- 
nommen wenlon, was behandelt wurde. £s war dies die Lehre von 
Gottes Sein, Wesen und Wirken (göttliche Vorsehon^, Ton Jesus, 
seinem Wirken und seiner Religion, von der Bestimmung des Men- 
schen, von seinen Rechten, Tugenden und Pflichten, von der Unsterb- 
lif^likoit der Seele, rmd die Geschichte des Christentums. Der Unter- 
richt fufste also auf Kil)el und christlicher Rcliprionsgescliichtc. Seit 
1826 war das »Lehrbuch für die oberen Religion.sklassen in Gym- 
nasien« von Niemeyer (Halle, 18. Aufl. 1S43) in Gebrauch, das den 
Reiigiousfetoff in ähnlicher Weise gliedejte und behandelte. 

2. Piidagogiün zu Wiesbaden, Dillonburg und Hadamar. 
Diese Schulen umfafsten (1817 — 1844) in je vier Klassen die Schüler 
vom 10. bis zum 14. Lebensjahre und unterrichteten etwa nach dein 
Lelirplane der Sexta bis Tertia der heutigen preufsischen Gyinüu.-.»en. 
Bei ihnen schied sich der Religionsunterricht in den obligatorischen all- 
gemeinen und in den konfessionellen, welch letzterer den nach dem 
Bekenntnisse getrennten Sdiülem in swei Wochmstimden erteilt wurde. 
AnUokgß bestand auch hier wie am Gymnasium kein Lehrbuch für 
den allgemeinen Beligionsunterricht; aus den Ftogrammen aber er> 
sehen wir den behandelten Stoff: Hiuiptwahifaeiteii der Beügions- und 
Sittenlehre oder Lehre von Gott, Welt, Mensch, ünst^lichkeit, Beoht, 
Pflicht und Togend bezw. Sündenscbtdd, Zurechnung und Vergeltung. 
Auch dieser ünterricht fulste auf Bibel und christlicher BeÜgions- 
geschichte. Seit X822, besw. 1828 wurde der Ȁbrifs einer allgemeinen 
Relipionslehre zum Unterricht der studierenden Jugend ohne Unter- 
schied der Konfession« von Muth, katliolischeni Rektor des Pädagogiums 
zu Wiesbaden, (Hadamar 1B22), gebraucht, der ähnlich wie Niehetbsb 
X/ehrbuch abgefafst war und auf dieses vorbereitete. 

^. Lanrie.^lehrerseminar zu Idstein. Diese Lehrerbildungs- 
anstalt nahm (1S17 --ISnl) sämtliche Kandidaten des Volkslehramtes 
ohne ünterschÜMi dor Konfession für alle Unterrichtsstunden auf. 
Neben dem ailgememen für alle Zö,tdinj2:e oldigatonfeclien Keli^i<ins- 
unterrichte bestand aber noch, ebenfalls obligatorisch, der kunfessio- 
nelle, für tUe Angehüiigtu beider Konfessionen getrennt. Ein Lehr- 
buch für den allgemeinen Keligiousunterricht gab es hier anfangs 



Digitized by Google 



344 



A Abhandlongen 



nicht Der Stoff für diesen ist aber in den Programmen Teneeidixiet: 
Allgemeine Glaubenslehre, Tugend' und Ffliohtenlehre (Gott» Yonohnng^ 
Menschenbestimmiing, Willensfreiheit, Unsterblichkeit). Sp&ter worden 
die beiden Hefte ^Glaubenslehre und Moral« von Scheij.enbero, Se- 
minardirektor zu Idstein, gebraucht. Die biblische Geschichte wurde 
dem konfessionellen Religionsunterrichte, der vwi den Pfarrern der 
betreffenden Bekenntnisse erteilt ward, überwiesen* Auf ihn kamen 
wöchentlich ein bis zwei Stunden. 

4. Volksseli iilen. Bezüglicli der Volksschulen, die alle Kinder 
ohne Unterschied <ler Konfession vorn i). bis zum 14. Lebensjahre 
aufnahmen, sehrieb da.s Edikt vor: ^Religion und Sittenlehre. Wo 
die E lern eil tai-srhiüe von Kindern besucht wird, deren Eltern nicht 
zur Konfessiuii des Lehrers fr(>horen, wird von den Geistlichen ihrer 
Konfes.siun für den Religionsunterricht dereelben die erforderliche Für- 
sorge eintreten.« Ferner iK'stiminto die Allgemeine Schuiurdnuu;,^: 
»"Wenn Kinder von verschiedenen Konfessionen die Schule besuchen, 
80 ist dem Lehrer die Erteilung jedes dogmatischen Religionsunter- 
richts in Gegenwart aller Schuler untersagt, \md die nidit zu seiner 
Eonfession gehörigen Kittder erhalten solohea alsdann von dem Lehrer 
oder Geistlichen ihrer EonfeesiOD, wogegen sie nicht verbunden sind, 
den Beligionsstonden in der Schule beizuwohnen, weiches lediglich 
▼on der Bestimmung der Eltern abbfingt« Weiter heil^ es in der 
Dienstinstmktion für die Sohulinspelrtoren; »Die Schnlinspektoren 
soigen f&r die Verteilung der dem Beligionsunterrioht bestimmten 
Lehrstunden, wenn Schüler von yeischiedenen Konfessionen die Schule 
besuchen, indem sie zwar allen gestatten, an dem aUgemeinen Religions- 
unterrichte teilzunehmen, dagegen aber die nicht zur Konfession des 
Lehrers gehörigen Schüler, sobald solche in die zweite oder dritte 
Klasse einrücken, zur Benutzung besonderer Religionsstiindcn nach 
dem Dogma ihrer Konfession bei dem zu derselben gehörigen Lehrer 
oder Geistlichen liinweisen. Tn allen Schulen und vor/üfrlich in denen, 
weiche von Sehüh'rn verschiedener Konfossion besucht werden, haben 
sie mit prörstcr Sorgfalt darüber zu waeiien, dafs der Keligionsunter- 
rieht auf keine den Mitgliedern anderer Kirchen anstölsige Weise 
erteilt werde. Jeder Unterrieht in kirchlichen Unterecheidungslehren 
ist in Gegenwart verschiedener Konfciibionüverwandten den Lehrern 
aufs strengste untersagt und derjenige, welcher ohn^^eachtet der ihm 
erteilten Warnung solchen erteilt, uns zur Ahndung anzuzeigen.« 
Endlich sagt die Dienstinstruktion der Schulvorstände: »Der iichul- 
Torstand wird tlber den den Schulkindern durch ihre Pfarrgeist- 
lichen erteilten Eonfesdonsunterricbt Tierteljährlich bei diesen Erkun- 



Digitized by Google 



Dr. 8piBLiiAini: Allgememer Beligioiisiiiiteincht in Nmeaa 



345 



digung einziehen und das Resultat derselben dem Schulinspektor niit- 

Der ünteisehied der Bestimmungen bezüglich der YolksBcholen 
und der höheren Lehraostaltea (das Seminar einbegriffen) ist in die 
Augen springend. Man konnte von den frisch ansgehildeten Yolks- 
schullebrem wie von den andern ans der alten Schnle im Amte noch be< 
findlichen nicht veriangen, daJlb sie gleich den gelehrten Lehrern einen 
konfessionsloBen Beliglonsuiitemdit erteilen sollten. Das war m 
schwierig, zu viel verlangt Theoretisch gestaltete sich die Sache 
nun folgendermaßen: 1. Der allgemeine Beligionsonterricht -vrurde 
prinzipiell anerkannt und neben ihm der konfessionelle. 2. Es be- 
schränkte sich aber der erstere auf die Unterklassen der Volksschulen 
als allgemein propädeutischer, historischer Religionsimterricht, während 
in den Oberklassen der konfessionelle, dogmatische an seine Stelle 
trat. Als Schcidepimkt Arurde etwa das zehnte Lebensjahr der Schüler 
angesehen. 3. Der Besn^li (Je>4 propädeutischen (allgemeinen) Relif^ions- 
Unterrichts war für die Kinder anderer Xunfession als die des Lehrers 
nicht oblipitoriscli. (wobei trotzdem <lem letzteren die konfessionelle 
BeiuuKilun^^ des ^Stoffes veH)oten war). l*rak tisch entsprach die Aus- 
fidirun^'^ jenen Bestimmungen durchaus nicht; sie vollzog t?ich auf ver- 
schiedene Weise. 1. Schulen, in denen die Kinder sänitlicli einer 
Konfession waren, also thatsäciiiiche, wenn auch nicht prinzipiell an- 
erkannte Konfessionsschulen, hatten rein konfessionellen Relijsrions- 
unterricht, vom Lehrer erteilt 2. Schwieriger wurde die Sache bei 
mebrklassigen thatsächüchen Simultanschulen; doch konnte hier eher 
abgeholfen werden, wenn Lehrer Terscbiedenen Bekenntnisses an einer 
Schule wirkten, und auf letzteren Umstand wurde von d^Begierung 
stets Bedacht genommen. 3. Bei einklassigen Simultanschulen dagegen, 
namentlich da, wo eine Konfession in der Minderheit war, ging eine 
Trennung in konfessioneller Hinsicht, eine Zuweisung der Schüler im 
Religionsunterrichte an benachbarte Ortsschulen ohne Schaden der 
Gesundheit der (namentlich der kleineren) Schttler und der Schul- 
arbeit an sich nicht an. Somit blieb thatsächlich nichts anderes übrig 
als alle Schüler dem BeligionBunterrichte des Lehrers wenigstens für 
die Unterklassen (meist aber geschah es für die Schulzeit überhaupt) 
zu überweisen, d. h. wenn die Eltern dies wünschten, dem Lehrer 
aber dabei den dogmatischen Unterricht zu untersagen. Ton diesem 
Standpunkte aus konnte man auch, wie dies 1819 geschah, die Juden- 
kinder zum Schulbesuche verpflichten mit Ausnahme der TeUnahme 
an den christlichen Relig:ionsstimden. 

Nach Möglichkeit suchte die Kegierung alles zu thun, um den 



Digitized by Google 



346 



A Abhaadlnngen 



konfessionellen Yerhültiussen and Ansprüchen Rechnung zu trugen. 
Bereite 1819 erging ein Genende, daib in gemischten Sehalen mit 
Lehrern ▼eischiedener Konfession der konfessionelle Beligionsnnter^ 
licht in drei Stunden vom Lehrer der betreffenden Eonfession unter 
Unterstützung des Pfarrers erteilt werden sollte. Die katholische 
Oeistlicbkeit kam dieser Aufforderung fast allenthalben nach und gab 
vielfach den Unterricht selbst; die evangelische dagegen zeigte sich 
sehr lässig. Deshalb hielt es 1825 die Begierung für notwendig, die 
evangelischen Pfarrer nachdrücklich zu ermahnen, den konfessionellen 
Relifxidnsuntei rieht selbst zu erteilen, und sie dehnte nunmehr diese 
Pflicht auf alle Volksschulen generell aus. Die Sache nalim aber 
dadurch keinen besseren Forts( hritt. Erst 1829 verfügte die Regierung 
abermals, diesmal kategorisch, dafs die evangelischen Pfarrer ver- 
pflichtot seien, in allen, besonders in den crcmischten einklassigen 
Schleen iiircs Wohnortes \v()chentli('h zwei kStunden konfessionellon 
Kelid'msuntcrricht zu i^eben. Es wurde hinzugefügt, dafe der all- 
geniemu Keliponsunterrielit, wo er noch bestände, die Moral als llaupt- 
p'u:en8tand zu helumdeln hal)e. Das bischöflich iinihurgischo Oniiuariat 
vüionluete etwas später, 1830, dasselbe für die katholischen Schulen 
mit der Erweiterung, dafs die Pfarrer den Unterricht auch an Filial- 
orten zu erteilen hätten. Somit war der konfessionelle Religions- 
unterriclit in den Vordergrund gerückt und der allgemeine zurück- 
gedrängt. An den moisten Orten aber nur in der Theorie; so be- 
stand z. B. an der zwölfklassigen Volksschule der Hauptstadt Wies- 
baden der allgemeine Beiigionsunterricht weiter, und der konfessionelle 
wollte nicht aufkommen. 

Aus dem Yolke erhob sich kein Widerspfruch; man war mit der 
bestehenden Einrichtung, die die Gegensätze auf religiösem Gebiete 
nicht herrorhob, sondern Tielmehr ausg^ch, zufirieden. Die erste Klage 
erhob 1831 der katholische Landesbtschof Dr. Brand tou Limburg 
darüber, dafe am Gymnasium gar kein und an den Pädagogien m wenig 
konfessioneller Betigionsunterricht erteilt werde, so da& seine künf- 
tigen Theologen nicht genügend vorbereitet würden. Die Begierung 
mochte einsehen, dafs die Beschwerde nicht so ganz unberechtigt war, 
und liefs 1833 zu, dals ein katholischer Lehrer Konfessionsunterricht 
am Gymnasium gewissermafsen privatim, erteilte. Schon 1835 aber 
wurde der Stadtj)farrer von Weilburg als konfessioneller Religions- 
lehrer angestellt. Daraufhin verlangte der evangelische Landesbischof 
zu Wiesbaden, Dr. HKYDKxuKieii, dnfs aneh den evangclisehcn Gvra- 
•nnsiasten konfessioneller Kcligionsunterricht erteilt werde, beson- 
ders, da seit l53t> ein katholischer Lehrer den allgemeinen erteilte. 



Dlgitized by Go 



Dr. Spikuuxn: AUgemoiner Keüjpuoäuuterridit io Nassau 



347 



Dies hatte ziu* Folge, Hals nach plot/lichcin liörhstcn Entschlüsse 
durch Ministerialvorfüpmg im Jahre der all|_^('nieinr Helifrions- 

imterricht am LnndosL:vinnasiuiii überhaupt aufgehoben iiiul statt (Us«;en 
der konfessionelle, vuu den Pfarrern beider Bekenntnisse erteilte, als 
alleiniger erklärt wurde. Dies war der erste Schlag gegen den all- 
gemeinen Religionsiiüterricht. 

Bisehol Dr. Hkydkxukioh war aber nicht dainit zufrieden, .sein 
Ziel betreffs des IjandesgymuiUjiums erreicht zu haben. Er nahm 
Anstois daran, dals der allgemeine Religicmsunterricht in den Volks- 
schulen — und hierbei hatte er die seines Wohnortes Wiesbaden vor- 
züglich im Auge ^ blolk die Moral berUclcsiohtigen sollte (s. o.). 
Gegen einen allgemein christlichen nach den Bestimmungen des Edikts 
und wie er meinte auf Grundlage der biblischen Geschichte hatte er 
nichts einzuwenden. Dies hatte die nftohste Wirkung, dafs die Re- 
gierung gemfils einer Ministerialresolution verfügte, dafs der Religions- 
unterricht an sfimtlichen Lehranstalten Wiesbadens (also audi am 
Pädagogium) einachlietsfich der Privatinstitute nur konfessionell und 
zwar nur von Geistlichen beider Bekenntnisse zu erteilen sei, 1841. 
Es gab bei der Au.^tführung der Bestimmung mancherlei Wiriungeii, 
sogar zwischen der Regierung und der vorgesetzten Behörde, dem 
Ministerium; allein das let7.te]e. das den streng konfessionellen Stand- 
punkt vertrat, blieb Sieger. Das einzige Zugeständnis, das es machte, 
war das, dafs der Unterricht der vier unteren Jahrgänge der Volks- 
schüler zu AViesbadon ein mehr historischer, an die biblische Oo- 
schichte anknüpfender sein und den Elementarlehrern unter Aufsieht 
der Geistlichen überlas.ven '»leiben solle. DapepMi hatten diese den 
systematisch-konfessioiielicn den vier oberen Jahrj^äuiren zu erteilen, 
1842. Am Pädagogium zu Wiesbaden, wurde, der Ke.'iolutiKn zu- 
folge, entfjeiren den Bestimmungen des Ediktes, 1843 der allgemeine 
Religionsunterricht ebenfalls aufgehoben. 

Um dieselbe Zeit begann der Bischof Dr. Bi.um von Limburg 
mit allen Mitteln und mit höchstem Eifer seinen Kampf gegen die 
Simultanschule und besonders gegen den allgemeinen Religionsunter- 
richt Die Begiermig kämpfte energisch für die ediktalen Bestim- 
mungen, bis ihr Stillschweigen geboten wurde; denn das Mini- 
steriom nahm, wie erwühnt, einen ihr ganz entgegengesetzten Stand- 
punkt ein. Es erfolgte demgem&fo 1844 eine Ministerialresolution, 
daCs an den beiden übrigen Pädagogien, zu Dillenburg und Hadamar, 
femer am Lehreiseminar zu Idstein und am Taubstummen-Institut zu 
Camberg der allgemeine Religionsunterricht aufzohören habe. Be- 
züglich der Yollrascfaulen blieb die Unterscheidung des historischen 



Digitized by Google 



348 



A Abhandlungen 



und dogmatischon Koli^ionsuntenichts noch bestehen, bis die fort- 
geseteten Remonstrutioncn des bischöflichen Ordinariats os dabin 
brachten, dafs 1.S46 verführt wukIp, der allgemeine Koliponsunter- 
richt in den \'(>lksj<chulen, der statt oder neben dem konfessionellen 
erteilt werde, habe überall wegzufidlen und an seine Stelle der kon- 
fessionelle zu treten. Wenn auch betont wurde, dafe dev eigentlieh 
k(HDfe88ioiiAll6 BeligioiisaiiteiTieht, d. h. der dogmatische nach dem 
Katechismus erst mit dem zehnten Lebensjahre der Sdiüler be- 
ginnen soll, so i;eschah der Thatsache kein Abtrag, dalä nunmehr 
der gesamte Seligionsunterricht von unten auf als konfessioneU er- 
klfirt wurde. Beligionslehrer blieb für die vier unteren JahrgSnge der 
Lehrer, für die Tier oberen JahrgSnge ebenfaUs, soweit er »quali- 
fizierte war. In der Praxis gestaltete sieh die Sache so, dafe der 
Lehrer den Beligionsnnterricht seiner Konfession unten ganz, oben 
den in der biblischen Geschichte übernahm, während der Pfarrer 
ohen. den Katechismusunterricht gab. Diese Praxis ist in den nassaui- 
schen Simultanschulen fast durchgängig bis auf den heutigen Tag 
herrechend geblieben. 

Die Beschwerden über den ail<iemeinen Religionsunterricht über- 
haupt gingen also, wie wir sahen, zumeist von der katholischen Hierar- 
chie aus, die zugleich bestrebt war, ihn als unchristlich hinzusteilen. 
Das ist falsch. Selbst der sogenannte Moralunterrieht wurde nur vom 
christÜchen Standpunkte aus erteilt. Keinesfalls war die Alisicht der 
na^sauischen Regierung, den Kindern bis zum zehnten Jaiire keinen 
dogmatischen Religionsunti-rriclit und von da ah einen snleheu nur in 
toleranter Weise erteilen zu lus.sen, unchristlich und unpädagogisch. Es 
hat gerade in jener Zeit der Begründer der neueren Untenichtstheoiie, 
Herbart, geschrieben, dafs derjenige Religionsuntcnicht, der das Eigen- 
tümliche der Konfession betrifft, den allgemein christlichen Toraussotze. 

Die Aufhebung des allgemeinen ReligionsnnterrichtB wurde be- 
klagt, besonders von den Seminaristen, die sich ohne Unterschied der 
Eonfession in brüderlicher Liebe zu Idstein Tereinten. Sie wurde 
beklagt von der Mehrzahl der Bevölkerung, die, bereits ein Ifenschen- 
alter hindurch politisch geeint, andi die möglichste Annäherung auf 
kirchlichem Gebiete gesucht und gefunden hatte. Man kann nicht 
ohne Bedauern die Mitteilung alter Leute, die den allgemeinen Reli- 
gionsunterricht noch genossen haben, anhören: wie es doch damals 
so schön und friedlich gewesen sei im Gegensatze zu dem wieder- 
erwachten konfessionellen Kampfe der Gegenwart*) 

*) Qnelldii: Aktea des Kgl. Staatearohivs la Wiesbaden. Fixnliaber, Die Namni- 
aehe BimultanvolluBehale. Wieebaden 1881—83. C G. Kwisea Nadifblger. 2 Bde. 



._^ kj o^ -o i.y Google 



B Mitteilungen 



Ans Briefen an W. Rein in Jena 

1. Herr Professor Hermau Grimm-Berlin über Alexander v. Humboldt 
(27. März ISIIG.) »Ich hal»e iu meinen studentischen Zeiten Alexander von 

Humboldt öfter gesehen, der mich meines Vaters und Onkels wegen njit einer ge- 
wissen Vertraulichkeit l>ehandelte. Das Fördemde, das in diesem Verkehre lag. bestand 
darin, d.'vis er mich ohne weiteres als den Teilnehmer einer unsichtbaren Gesellschaft 
ausall und behandelte, welche auf geistige Arbeit gerichtet ist und innerhalb deren es 
Grade gab. Dieser Eintritt iu eine höhere GeselLichaft erhob und begei-sterte mich 
und Lst einer der gröfaten Eindrücke, die mir zuteü geworden sind. Ohne Zweifel 
hatte er etwas Erzieherisches dabei im Sinne. Dieser grofse Mann, erfüllt vom Be- 
streben, das allgemeine geistige Niveau der Menschheit zu erhöhen, ist in diesem 
einfachen Ziele seines Strebens nie erkannt worden. Goethe hegte von Natur aus 
ein ähnliches Bestreben. Sein Verhältnis zum Herzoge hatte nichts Hauslehrerhaftes. 
Er wollte ilim höhere Ziele geben und es gelang ihm. Und .so hat er erzogen, wo 
er konnte. Jeden wollte er aus seinen FähigkeiU'u heraus zum Bürger des unsicht- 
baren Staates derer machen, die sich .selb.st l>eobachtend sich und das Ganze zu ein- 
facheren Gedanken zu erheben suchen. Für sich selbst kann niemand aas dem ihm 
angeborenen "Wesen heraas, mit andern verbunden kann er es wohl. Dies ist der 
Kern seiner Lehre. Dies zu vermitteln, sich und andern, war der mächtige Natur- 
trieb in ihm. Er traf darin, ein.sam und unverstanden seiner Zeit, den Geist, der 
unser endendes Jalirhundert zu erfüllen beginnt Er hat alles vorausgeseheu.« 

(31. März 18%.) »Über A. v. H. zu schreiben, wäre eine sehr ernste Angelegenheit, 
denn es i.st ihm unter den Naturforschem ergangen wie Jakob Grimm unter den Ger- 
manisten: dem Outdünken ein.seitiger Fachgelehrten anheimgefallen, sind sie als ein- 
seitige Fachgelelu-ten (mit natürlichenveiso vergänglicher Golehrsiunkeit, was das That- 
sächliche anbelangt) beurteilt worden, während uuiü für ihre Stellung als historischer 
Machtinhaber allgemeiner Art keinen Blick hat. Von diesen beiden sind wie von 
Goethe Ströme belebenden Geistes ausgegangen. Ich kann ihnen von Lebenden 
nur Troitschko an die Seite stellen, dessen Gesundheit leider sehr erschüttert ist«. 

2. Herr von Vellmar über die Stellung der Sozialdemokratie zur Schule 




350 



ß MitteüuDgen 



(9. April 1896.) »Der Fassuug des Erfurter Parteiprogramms: §7. »WelÜichkeit 
der Sdinle. Obligatorischer Besncb der Sffenilicheii Vottonchulen. Unenlgeltlichknit 

des Unterrichts, der liehrmittel und der Verpflegung in den öffentlichen Volksschulen, 
sowie in den holu'n'ii Bi!dunp<austÄlten für diejr'iiigen Schiilor und Sdiülfrinnt n, die 
Kruft ihrer Fälligkeiten zur Ausbildung geeignet erachtet werden« habe ich vurge- 
Bchlageu, folgende Fomiuliorung zu geben: »WeltUchkeit aller öffentlichen Schulen. 
BnentgeUJieUeit des XTnteiridbtB und der Lehrmittd. Bchidpflieht fnr ▼olk8> und Fort- 
bilduugsschulo bis ziun 14., l)ezw. 18. Jahre. Unterhalt bedürftiger Schüler aus öffent- 
lichen Mitteln.« Nach dor Fansunff des Entwurfs or-i hr-int der Staat als ausschliels- 
licher Eigentümer der iScbulen, »o daü^ die Errichtung von PrivatKchulea auägeschloti^ea 
v&re. Man kann nun ein grober Freund der effentlidiea Bdhiile sein und nicbta- 
destowenjger den ahMdoten Zwai^ m ihrem Besndie für nmmUlBing halten, fis 
heifst: "Wenn die Kinder der Reichen gleichfalls die allgemeine Schule besuchen 
müssen, w wird letztere bald besser werden. Wenn aber die Schule einen ("»pwissens- 
xwang au$ül)t, sei es nun nach der Seite der Gläubigkeit oder der Ungiaubigkeit — 
edlen sidi dem Kinder und £2tem einfach fügen müssen V Oder die Schule wird 
zui ni k;iin])fung einer Nationalität, zur Unteixlriickung einer Sprache milsbmucht, 
soll hier kein Widerstand eriaubt sein? Die öff.'utliclie Schule Idldt t in Deut.schlatid 
"hnehin schon die Kegel und nie soll durch Vurzii^t- allmählich ;ille Hiu^jor zu ge- 
winnen suchen ; allein das Kecijt auf Eirichtung anderer 8<jhulen gi-undsatzlich zu ver- 
neinen, ust veder notwendig^ noch mit dem Begriffe der bürgerlichen Gevisaena- 
freiheit TOreinbar. Die Feataetznng des Schulpflichtigkoitsaltera spricht für sich 
selbst, nameutlich in Bayern, wo eine kürzere Schulzeit als anderwärts Iiesteht und 
dadurch uiclit nur die Volksbildung geschädigt, sondern auch dri Beseitigung der 
Kinderarbeit eiu Hindcniis bereitet wird. Der Unterhalt bedürfüger iuuder auf 
öffentliclie Koateu ist eine notwendige Feige der Sohulpflicht, weldie ohne sie «ne 
Grausamkeit und ein Widerspruch ist.« Aluilieh schrieb K. Kautsky von dem 
JSrfurter Pai-ti itag (1S91): Ks oi-scheint uns weder notwendig, noch mit dem Grund- 
satz der (iewissensfreihoit vereinbar, den religiösen Gemeinschaften zu verbietuu, 
aua eigene Mitteln eigene Schulen zu gründen, wo sie ihre Grundsätze lelirea« — 
weshalb Kautsky ^eichfalte yoTBcUug »Weltliehkät der öffentUcfaen Schulen« xa 
sagen. (Neue Zeit, Juli oder Augu.st 1891.) 

Das staatliche Srhulmouopol dranp indns im Prf»!rrf\n>manssr)nifs (das Prcirramm 
wui-de im Plenum ohne Debatte angenommen; dui-ch; gerade die Schulfrage ist jedoch 
nooh am wenigsten duidigearbeitet und geUirt.« >) 

8. Henr Dr. Ed. David -Bad Nauheim nber Sodaldemekntie und Boibule. 
\\<n\ 189G.) »Die kürzeste Präzisioruug der Stellung der sozialdemokratischen 
Partei zur Schule finden Sie in der offiziellen Partoibrosehüro: »Gnindsät?:e und Forde- 
rungen der Sozialdemokratie. Erläuterungen zum Erfurter Pi-ogramm von Karl 



') Bayrisches Landtags^Wahlprogramm: 7. Pflege der Wissenschaft 
UBd Kunst, unbeschränkte Freiheit ihrer Lehre und Übung. Schaffung eines Soblll- 

ge.setzes auf folgenden Gnmdlap^n : TTuoutgeltli' Iikeit des Schuluntcnichts und der 
1/ehrmittel, Hestreitnne der Kosten durch den Staat, Vorl1e^scn^n^' d'-r Vrilksschnlo^ 
insbesondere duieh Au.-jduiinung der Schulzeit und Ersetzung dei' nutzlosen Feier- 
tflgssehule durch einen wurksamen Fertbildungsunterricht Verpflegung bedürftiger 
St^uUdnder auf dffentliche Kosten. Entlastung der Lehrer vnm Kirchendienst und 
Aufbessenmgr ihr^r r,.=hä!ter; weltliche SrhiiIiii>iiektion. Verfafst von Voll mar, 
angenommen vom 11. Partoititg der Bayrischen Sozialdemokratie zu Kegensburg 1892. 



Digitizcd by Lit.jv.'vi'^ 



Aus Briefen m W. Bein in Jena 



351 



Kautsky und Bruno S( luhilank-. Aus der übrigen Littoratur he^ - uh als 
besgndere bemerkenswert her\'or: Dio Scliriftcheu: 1. »Wissen ist Macht, Macht 
iat Wissen« TOn W. Liebknecht, 8. 21 ff. 2. »PreuHiische Volksschul- 
Zustiade. Ein Wort en das Volk und eeine Lehrer« von Hane Müller, 18. Heffc 
der Arbeiterbibliothek. Zu eiuzehiou Fragen, auch das höhere Schulwesen be- 
treffend, nehmen eine Reihe von Artiknln dt r Xeu.n Zeit«t (Eine parteioffizielle 
wisseuschaftüohe Rundfichauj iStellung. Ich ermahne : >N. Z.« 1695 Bd. U, S. 741: 
»Die ünfmchtharkeit dee modernen Unterrichts; N. Z. 1895, Bd. I, 8. 814: »De 
pnletariis philologicis« ; N. Z. 1894, 11,8. 824: »Die InAeinatniiale qimI die Sehlde«; 
N. Z, 1894, II, S. ^HO: Besprechung der Schrift Natorps »Pestalozzis Ideen über 
Arbeiterbilduug nw\ soziale Frage«^ von Aug. B^hel; N. Z. 11, S. 302: 

»Einige Streiflichter auf die Lage der Gymnasial lekrer; N. Z. 1093, II, ö. GOS: 
»Küster nnd Lehrer«; N. Z. 1803, II, 8. 683: »Der dentsohe Oymnasiflat Ton heute«; 
N. Z. 18!>3, II, S. 308: Bosprochung der Schrift von J. A. Herzog »Die Sehnle 
und ihr Aufb:m auf n.itürli( hi-r Clrundlago« von J. Fisch i>r. Di' s- Auslassungen 
haben natüiiii Ii nur den Wvn privater Meinungen einzelner Farteigeuosseti : sie 
geben aber iu ihrer üesamtheit ein für ihren Zweck gewifs ausreiübendos Bild der 
in Schul« und BUdnn^sfragen von der Sostaldemokratie vertretenen Prinxtpien. Zur 
Kennzeichnung meiner persönlichen Auffassung von dem Verhältnis der Sozial- 
d»^raokratio zur Schult' diene folu'i'udes: Ziel der f^« zialdeniokratio ist W'olilstand 
und Bildung für alle. Sie sieht in dem materiellen ^\'ühlcrgehen eine notwendige 
Bedingung für das ideelle Wohlergehen. Zur Erreichung und Sicherung des ersteren 
verfangt sie die Etabliening einer den modernen Aitteitsniittehi entsprechenden 
Produktionsordnung und Sie ringt um die politische Mac;ht, um mit ihrer Hilfe auf 
ge.setzli- h'"in W.'^e — soweit es auf <ie ankommt — auf die Vm- und Neugestal- 
tung des Wirtschaftslebens fördernd einwirken zu können. Bei diesem Bi^treben 
«eht sie in der möglidist gründlichen und mÜgUdist allgeindnen Wissens- und 
Willmsbifdung der handarbeitenden Massen einen der mächtigsten Hebel zur Vor- 
Wftrtsbewegong des Volks auf der Bahn su höheren Lebensidealeu. Den Sinn für 
menschenwürdige materielle Lebensbedingungen und soziale Ebenbürtigkeit r.n wrcken, 
betrachtet sie alti elue uueriälsliühe Aufgabe xur Weckung und Organisation der 
Vfllkdaaft. So ist ihr die VeiMtung von Wissen (alle WiSBenschaftssweige be- 
trefft) eineraeits Sache direkter Paiteithftti^it (Vereine, Zeitungen, Bücher, Vor- 
tilgo)-, andererseits sind ihre Vertreter in den gesetzgebenden und verwalt enden 
Körfiei-srhaften goh;ilten, für jede äufsere und innere Besserung des gesamten Schul- 
und Bildungswesens zu wirken. Hier anerkennen sie keine »Sparsauikeitc, und das 
Beste iat ihnen gerade gut genug (ßesteingeriditete Sohulhauten, vollkommenere 
Lehrmittel, erveiterier und geläuterter Lehrstoff, rationellster Unterrichisbetrieb, 
bessere Lehrerbildung und Stellung, Vorminderung der Schülerzahl pi u T^ hrkraft etc.). 
In dem heutigen Staat entseheiden Geburt und Besitz wesentlich mit l^ei der Er- 
greifung des Berufs und Erlangung einer höheren sozialen Stellung. Die herr- 
sdiemiea Sdiiditen haben ma Interesse an der Wahrung des BUdungsprivilegiuma 
für sich und ihre Kinder. Die Süindesschole bildet einen notwendigen Bestandteil 
des Klassenstaatos ; die »Volksschule« ist ihnen nur Annenschule. Iii dem von 
der Sozialdetnoki-ntie erstrebten Vf>lksstnnt winl «Iii alliremeine Volks*;ehule, in ihrer 
höchsten Volieuduug gedacht, zum Funtlament des geuaniiton Bildungswesens. Auf 
sie idrd sidi das gesamte hShere Schulwesw, des fschUche urie das humanitäre, 
aufbauen. Dabei verlangen wir volle Uneutgeltlichkeit des Unterrichts und Er- 
haltung der noch nicht erwerbafiibigen Jugend aus öffeptliohen Mittain von der 



Digitized by Google 



352 



Bb Hittoilangen. 



KleinkiiiJersi hnlp an hh tut rnivei-sitiit. Wie weit dal'oi Intoruat oder EltornhiHis 
die Heimstätte der Kinder biiden werden, ist eine heute mül^üge Frage, deren 
Entscheidung den Fachleuten und Elton überiaHsen aein wird. Ich petsOnliob ^aube 
aidit, dafe die allgemeine Duidifährung de« Internste von Toirtefl seis «ixd. — 
Als allgemeines Bildungsideal erscheint uns eine allseitige Kenntnis der Fundamente 
aller hnmanitären Wisspiisf^ebiete, zugleich Büdung des sittlichen Willens durch 
Weekong des sozialen lilichtbewulstseins. Die Ausbildung der Sinne (Handfertig- 
st, Gartenbau, Kunst etc.), sowie eine ntionelle bis sum wehrhaften Alter Ifidteo- 
loeer körperlidier Eniehimg gehören dazu. Nach Anlage und Neigung resp. Leii>tung 
winl sirli dann die fachliche (theoretische wie praktische, niedere wio liohere) Bil- 
dung; eiitschcifien. Die Wohlfahrt des Ganzen wie das Glück des lüuzclnen wird 
von der möglichst vor Fehlgriffen gesicherten BeruiHwahl abhängen. Unter Wegfall 
der heute irritiereDden Besits-, Oeburte- und Staodeehinderungen, unter Vonma- 
Setzung einer alls>>ittg aoregenden Bildungsmo^chkeit (durch vollkommen aun^^estaltetdi 
Leib und Seele. Herz und llirn, Sinnen- und nftstRsanhigen dienende Primär- 
Schulen), und unter der Vnrau'^^>(.'tzaug, (Uil's jed«>r Berufsarbeit eine materiell 
menschenwürdige und sozial eU'uburtige Existenz ah> LoUu winkt, ^teht zu hoffen, 
dab das OMok indiridnall bdriedigender BemfiBarbeit äUgmeiuer werde und die 
Arbeitsteflung höckster Vervollkommnuiig eu^genschreitet Als Instanzen für die 
Eiitwickhin^ und Leitung do5^ Bildungswesms denken wir uns kollegial oiganiaierto 
Kürperschjiften von Fachleuten. 

In Fragen der Didaktik, Disziplin etc. nimmt die Partei als solche natür- 
lich keine Stelluag ein. Das fiberUUkt sie dem ftichmtonisehen Wissen und K&naeii. 
Ich selbst bin in vielem, jedoch nicht in allein, Anhänger der Sohilletsohen Vezsuobe, 
an denen ich einige Jfihre mitg-ewirkt habe.« 

4. Uerr Fr. Faulsen, Direktor der Volkshochschule in Byalinge b. Ringe 
«uf Fenen (Dlnemvk) Aber »Yolkshochschnlen.« (14. Mai 1806.) 

»Viele junge I.ieute wollen nicht die Tolkshochschule besuchen. Sie oder ihre 
Eltern haben Vorurteile gegen die Schule. (Ich brauche nicht zu sagen, von weh ?■ 
Art) Eiuigo von ihnen gehen direkt nach den Faehschiden (technische, landwirt- 
schaftliche u. a. lu.), einige bekuiunieu em wenig Unterricht in Abendschulen. (Vom 
Sohullehrer freiwillig gestiftet und von den Schfllem freiwillig besucht). Zwisdien der 
Entlas.'^iitig aus der Volksschule und dem Eintritt in die Volkshochschule haben wir 
einige Foi-tlaldiui^'^sschuL ii. Dies sind private Schulen in unmittcITiarer Furtsetzung 
der VolkschuJe umJ sind nieht viel hpsueht. Dann halifii wir So KeaLsrhuleu mit 
ca. 8(XX) Schülern jährlich. Die liealschuier wenieti iiaupt^achlich von der >StaUt- 
jugend rekrutiert, und die Schiller sind Knaben von 14^16 Jahren. Die Lehrer der 
Volkshochschulen und landwirtschaftlichen Sc hulen wünschen gewöhnlich nicht, dafs 
ihre Schüler namentlich die Realschulen tiesurht haben. Die jungen Leute sind 
duichgeheuds fleiCsiger, hören, fassen imd arbeiten mit gröfserer Einsicht und Ver- 
stand, wenn sie einige Jahre in praktischer Wirksamkeit gelebt haben. — In Kopen- 
hsgen haben die ßtndenten einen freiwilligen Aibeiteunterriobt gestiftet. Hermann 
Trier ist der Leiter. Diese Unternehmung ist ganz bedeutungsvoll, hauptsächlich 
in sozialer Heziehnug. Der TnteiTieht kann nir;ht mit dein dt-r Volkshochschulen 
paraUelisiert worden. Er ist nur Abendunterricht und nur reale Disziplinen werden ge- 
lehrt. Weit» liaben wir die teohniachen Sdinlen in den Städten, aber sonst nichta. 
Und doch ist die Sadie so bedeutungsvoll. Sie haben mhL in Deutsdiland dieselben 
riefidirea und Krankheiten fürs Volksleben und Geistesleben wie wir in Däucniaik, 
nur bei Ihnen in gröfiseren Formen, idi meine z. B. lichtscheue Beügiositit und 



L.iyui<.LU Oy VjOOQle 



2. Bericht üb. d. 5. lleil)Stvorsaniuiluüg d. Ver. f. w. Fad. Boz. Magdeb.-Aiü». 353 



^ttlose Humanität, Kons6n'atisn)u.s mit reaktiouärer Teodenz uud Liberal i!»muä 
mit tomopoUtiscfaflr Noigiuig, und dazu die gro&e 80»iildwoti»Ö»die Purtet 
und ihr ProgFunm mit mahraran gatan Einzel -Befonneo, aber mit tuunöelicheo 

Fordeningen und unheilsamen Träumereien, nur dazu geeignet, Unzufriedenheit und 
Bittrrkt^it h»'rrorzurufeu. Wir suchen in beiden liändem die Heilmittel in df-m 
Jintieliuiigswesen zu findeu; bei uns haben wir erfahren, daß» eine für die Jugend 
wohl abgepa&te Bildaug (wo man, wie Sie wünschen, den Lehrplau in erster Linie 
daiaiif ticlitet, eine tndhtige Oesionung zu entwickeln und an befestigen — ) hat sich 
nii fit nur den obenerwiümten sozialen Krankheiten i^pfri'iiübi r wirknn:zr>voll über alle 
aiidi'iii v«^rsnr'hten Mitf*'! bnwiescn. hat aber auch der VolkMuuralitut ein ko j^rufscs 
Pias zugeführt, diiis «labei ein WiUerstandüvermögeu gegen fremden Einfluls (z. Ii. 
niedere französische Utteratur und JoamaUBtik) hervoi^ebracht ist Bg hat die 
heimatliehen Vt i haltiiisse gehoben und veredelt, die Lobeodigkeit uud ganze Wirk- 
samkeit der lAndbcvölkenuig vergröfsort und das gute Verständnis' tnnl Zn-^amniOT- 
wirken zwischen den verschiedenou Faktoren dieser Bevölkerung ennöghcht. Es 
darf nicht vergessen weixlen, dafci wir, wouu wir von der Volkshochschule sprechen, 
nicht nor mit schönen Theorieen oder Befonnen auf dem Papier zu schaffen haben, 
aondem mit einer Wirklichkeit, die sdum ihre Fruchte getragen liat. Damm wird 
gewir« k»^nn »•< litor At]]i;in;r''r von Conieniu« an der Wirksamkeit dieser Schule 
gleichgiitig vorbeigehen, wenn er sie nur kcuueu lernte uud deshalb kann ick nicht 
die Hoffnung fahren lassen, dab Ihr Tortrag in Beriin (GomeniuB-OeseUsdialt) 
ein praktiBohee Ei)gehnis herbeiführen wird. Von ganzem Herzen und in tiefster 
Überzeugung darf ich sagen, dals es für Deutschland ein Segen sein würde, wenn 
es (Mne .hiircndschuie, in deintselbon Geist geleitet M'ie die däni.srhn Volkshochschule, 
bekommt. Jeder deutsche Bädagug, der um die Volkshochschule zu 
studieren die Schule in Ryslinge mit einem Besuche beehren will, 
wird herzlioh willkommen sein.« 



2. Bericht über die fünfte Herbstversammlung des 
Vereins lür wissenschaf tnche Pädagogik (Bezirk Magde- 
burg-Anhalt) 

Vou P. NIehus- Magdeburg 

Der Be\ulliimchtigte, Kollego Goldschmidt- Magdeburg, eröffnet die Ver- 
sammlung und kommt bei seiner Begrä&nng auf das Verhalten der Deutschen Lehrer- 
vefaammloog zu Ilainlmig gegen die wissenschaftliche Pädagogik zurück. Dort habe 
man gesagt, nicht das sei eine wissenschaftliche Pädagogik, die Mrli atinKiu«^ auf 
Horbart oder Beueke, sondern die sei es, di'* sich griindo auf <l>'in Kultur- uud 
üeisteslebeu der Gegenwart. Als Vorbilder seien l'aulsen, Wuudt und Froh- 
acbammer genannt worden. Der Verein solle sich aber dadurch nidit stören 
lassen, sondern nüiig weiterarbeiten auf dem fiir richtig erkannten Wege, 

Anf der Tagesoiiimin^' >teht eine Abhandlung ober -Di'' T.il;.'*' uni die sitt- 
licheo ideea«" von K. Sachse. Der Verfasser hatte in der Einleitung kurz die Be- 
griffe des sÜtlicheu Urteik, der sittlichen Ideen uud der Lüge gebracitt und hattu 
dann im einseinen sich verbreitet über das Veihältnis der Läge zu den einzdnen 
Ideen. Bei der Besitfeehung der Einleitung zeigte es sich, dals bei den Mi(;^iedem über 
MtMlifIfl IBr Vbttoiophl« maA PUUfWftk. t. Ifthigaa«. 23 



Digitized by Google 



354 



B Mitteiliiiigeii 



diese Fimdainentalbegilffe, die der Verfasser ab gemeiBBameQ Boden voratugeeetst 
hatte) nooh redit veraohiedene Auffassuiigou hemchten. ZoräckgewieseD wurde die 

Behauptung', rlafe es eine allgeiiv i ittlicbe Ideo ge^ie, ans der die fünf Ideen 
Herbarts abgeleitet wiiron, betont wurde der Unterschied zwischen theoretischem, 
ästbetischeiu, ethischem und n)oruli.scheni Uiteil und die Definition de» Begriffes 
Lüge festgesteUt: »Lüge ist alieicfatUdie Tiosohiiiig«. lo der Debatte besprach maa: 

1. Das YeihSltDis der Lüge zu der Mee des Rechts 

2. „ . „ n -1 ,t » M tler Billigkeit 

3. „ M M »« M des Wulilwolleus 

4. „ „ „ „ „ „ der Vollkoniinouheit 

5. .j *, „ der inuerea Freüieit. 

In Aussicht gonommou w ar auch die ßespn>chung der pidagogisohen £ooae> 
quenzeu. dofh das güstattcto die vorgerückte Zeit nicht. 

Das Verhältnis der Lüge zur Idee des Rechts. Der Verfasser sagt: »Unter 
der Idee des Bechts verstehen vir ein Wiliensverhältuiä, welches sich an bestinunte 
Regeln bindet, aar Vermeidoflg des Streites.« Er nennt die Regal, nach wdoher 
sich die h' iflon stroitondeu Willen richten wollen, das »Redit im positiven Sinne« 
und gesteht jedem der hoidfn Wil!(»n das Recht zu, innerhalb des positiven Ft»chts 
nach eigenem Ermessen zu disponieren. — »Die Lüge veratüM gegen die Idee des 
BMlits, denn sie erweckt den Schein des Oebundensdna an Bsditegmndsätze und 
überlxfiit anch, aber mit dem Bewultoein, im nächsten AngenUick wieder Aber das 
t'in'HaNsen zu disponieren. Sie sucht nicht den Streit zu vermeiden, sondern herb^ 
ziifiiliri'/i.< — In der Debatte erblickt^ man in dem Begriff »positives Recht« zu- 
uciclist erneu (jegeuHatz zu dem Begriff »subjektivem Recht und kornttioiierte sich 
femeihin die Begriffe »negatives Recht« und »objektives Recht«. Klarhdt brachte 
der HinweiAii, das der Ausdruck »po.sitives Bedlt« abgeleitet sei von dem lateiotsclwn 
'lex posita" und soviel liiMlouto wie »gesetztes, vereiubailes Recht« Damit war 
auch klar, dafs von einem Ueguusatze des positiven und subjektiven Rechts nicht 
die Rede sein könne, dals letzteres das erstere vieimt-hr voraussetze. Auch die 
hineingetrsgenen B^riffe »negatives Recht und objektives Recht« gab man auf. 

Bei der Erörterung über die Frage: *In wiefern verletzt die Lüge die Idee 
des Ref'htS", vpnnifsto man du- srliarfr llcrvurhL'Ining des Gegeiist;uide?^. ^\l^rüber die 
beiden WUlen in Streit geraten. Mtui fand m der Debatte, dafs da-s Dritt. . worüber 
die beiden Willen in fcätreit geraten, die Voraussetzung sei, die dargebotene Nachricht 
sei wahr. Der B%ner »überiälst« nnd eiliebt dennoch den Streit in demselben 
Augenblick. Er gestattet, da& der Vertrauende sich in den Besitz einer Nachricht, 
einer Ausk-unft setzt, wie wenn sie ihm zugestanden wiiif. während er woifs, dafs 
das Zugestandene auf Unwahrheit beruht Der Grund dos iSti'eites i^t also ein 
Oedanke. 

Das Teihaltnis der Lüge »ir Idee <for Billi^eii Die Ansführongen des Tei^ 

fasse rs, die Lüge verletze die Idee der Billigkeit, weil sie das Zutrauen täosche, 
erfahren keinen Widerspni»'h. Ant li ühiT das Verliältnis der Lüge zur Td<>p des 
Wohlwollens war man am allgemeinen mit dem Verfasser einig. Eine Erörterung 
rief die Definition von »Wohlwollen« hervor. Der VeiÜasser ai^: im WoliIwoUen 
widmet sich der Wille motivlos einem fi-emden WiUen. Eine Reihe von Rednem 
first." km Ausdruck »motivli-s im psychologischen Sinne und meinte ein Motiv 
sei auch bei dem brstrn Willem vorhanden. Man wollte bosser sagen, der Wille 
dürfe beim Wohlwuileu keine egoistischeu Motive haben, während der Verfasser den 
frischen Anadmck im ethischen Sinne angewandt wissen wollte. 



Digitized by Google 



3. Über den Fortgaiig der Bewegnog für Volka- and JngeiKtepiele 355 



An (it'i Hand der Idee der Vollkonmietiheit hatte der Vorfasspr aasgeführt, 
dalfi die Lüge immer Willensschwäche verrate, weil es ihr bei grofeor Intensität au 
fiztensittt und Konzenti-ation des Willens fehle. Doch wurde in der Debatte an 
dem Beispiel von dem sobkuen Sinon nadigewiesen, dalk die einfoclke Idee der 
Volliommenheit nicht immer ausreiche, um zu einer Verurteilung der Lüge zu 
kommen. Sinons Lüge über das hölz.-rnp, trojanische Pft itl vprttiiii£rt alle drei Aii- 
fordenuigen, welche diese Idee an den Willen stellt Doch ist die Lüge venverflich 
Tom Standponkte der angewandtai Idee der Vollkommenlieit, der Idee des Enltiir- 
i^steins. Bei dem letzteren handelt es rieh daram, dafe die Einzeben ilire KiSfte 
zusammen fa-^sou zu einem Ganzen, es setzt Zutrauen und Glauben voraus. Der 
Lügner zei-^-ti-rt das Zusammenwirken dnflnrch, dars er .seine verlier gegebene Zu- 
stimmung zurücluümmt und Treue und Glauben uutergräbt Bei den meisten Lü^ou 
«itd also die Idee der Vellkomraeolieit nur mittelbar verietst. Ang^echten vnrda 
fenier die Behauptung: »Jede Löge resultiert ans egoistiaehen Interessen«, da man 
aocfa aus Liebe zu jemand (Krankheit) lügen kann. 

Zum Schlufs wurde noch lange debattiert über die Netlü^e. Der Verfa.sser 
hatte gelegentlich seiuer Ausführungen über das Verhiütnis der Luge zur Idee der 
inneren Freiheit folgendes gesagt: »Nun ist aber auch der IUI denkbar, dab dnrch 
die EealLsierung eines Wollens, das der sittliclK ii Ein.siiJit entspridit, eine anflrre 
Idee verletzt wird. Dndun li wird für den HandfliMlen eine Xotlaf^e f,'f»sehafft'n, eine 
Kolli!«i'>(i der Pfürlid n, die Um wohl zu eiuer Lu^'r \ t'ianlas.sen kann, wenn er sie 
im gegel>eut^n Kalle ul» das kleLttero Übel erk«,'unt. Nur von diesem Standpunkte 
ans und nnr von diesem allein eraoheint die sogenannte Notitige rensdhlich. Die 
kODTentionenen Lügen, die Notlügen aua Eitelkeit hatte er scharf abgewiesen. Einig 
war man in der Debatte <!arüTi( i, dalk vom sittlichen Standpunkt aus die Notlüge 
absttweiäen sei, doch gingeu die Meinungen daiaiber auseinander, ob die Notlüge 
mdit unter gewissen Umständen verzeihlich sein köuue. Mau glaubte diesen Fall 
an finden bei einer Kollision der Pflichten, man wies darauf hin, dab die Notläge 
nicht in jedem Falle gegen alle fB»f Ideen verstofse, ja sogar von der Idee des 
"Wohlwollens dikti- rt sein könne, man ma<!hte geltend, dals man die Beurteilung nach 
den fünf Ideeu auf den Willen, nicht auf die Xhat, die unter äulserem Zwauge ge- 
scheben l^ne. an richten habe. Doch waren auch Ansichten vertreten, die nament- 
lich vom religiasen Standpunkte aus die Verseihlidikeit der NoUüge auf das ent> 
scliiedenstc in Abrede stellten, die sie nicht eiumal einem Todki-anken gegenüber 
zulassen wollten. Man müsse in diesem Falle auf Öott vertrauen und alles ihm 
überlassen. 

Zur Besprechung der pädagogischen Mafenahmeu gegen die Löge war es leider 
an spät Unter dem Beifsll der Vosammlung sprach man dem Verfasser den Bank 
für die anregende Arbeit aas und Knllrge Schlegel, als Leiter der Del atti . schiefe 
dieselbe. Im nächsten Jahre wird Kollege Hollkamm eine Aldiandluiig liefern 
über das Thema: »Die Streitfrage des Schrtsibleseuuterrichtö vum Standpunkt der 
Herbartsdioi Ftaudiologie.« 



8. Über den Fortgang der Bevegnng fttr VoUni" und 

JngendBpiele 

Das Inteies.se an den Leibesübungen in freier Luft, das als ein wirkliches Be- 
däifttis aus den die Gesundheit sohSdigenden Lebens- und Kulturverhältuissen unserer 

23* 



356 



B Mitteilungen 



Zeit erwachseu ist, bewegt jetzt iu l>t;ut!>clilau(i zixnehnaend weitere Kreise. Der 
Zentral-AnssdiulB för Volks» und Jagendspiele^ welcher seit Jahren die Aufgabe 

übernommen hat, dies Interesse iu die broitoreu VulksseliirlitL'H hinoinzutraifen. das 
Verständnis hi»»rfür zu voHirriten und flic AVeire für die Eiufviliiun^' st.'lbst zu «Oinen 
bezw. zu schaffen, giebt laufend in seiueu Jalirbüchem iu knappster Form einen 
zusauunenfasäeudea Bericht über den For^ang dieser {««bhaft sieh entwickelnden 
Bewefung. 

Oegenwärtig ist sein V. Jahrbuch 180ü, heraasgegeben von E. von Scbenckeu- 
dorff uv<\ Dr. med. Schmidt (R. Voigtländer, Leipzig, 311 Soiton^ ei-s« liienon, 
und bietet in seinen zahlreichen Abhandlungen eine so reiche Fülle von Anregnngeu 
tind thatsidilidiflu ICtteilungen, dab es von jedenif der an dieser fUr unser Volk 
segensreichen Bewegung nur irgend weichen Anteil ninunt, gelesen werd^ sdlte. 
Von den Mitarbeitern nennon wir besonders die Namen: Direktor Kaydt, Professor 
Koch, Gymnasialdirpktr/r Eitner. Tttniinspektor He rmanu, "Wirklicher Hat Wohr r, 
Prufeääur Eulcr, Oberlehrer W ickeuhageu, Dr. Schnell, Dr. Witte, v.Ficliard, 
Professor Kefsler, Realgjnnnasialdirektor Dr. Weck, Professor Böthke. Dr. Gasoh, 
Professor Wagner, Dr. Otto Beyer und die beiden Heraasgeber des Jahrbudifl. 

Im ersten Teile giebt da^ .Talirbui h eine Keihe von Abhandlungen alliiemeinen 
und be-^ondereu Inhalts, von denen wir hervorhclu ü r Die vom Zentral- AuivschuL* 
gekrönte Preisschrift von Dr. Witte über eine zeitgeinjilse Ueform unserer Volkü- 
feste; den Bericht über die Sedan-Jubelfeier im Jahre ISSß nach den Berichten der 
deutschen Stwlte; den vuiii Zentral -Aufischufs aufgeuomnieueu Plan der Schaffung 
rinos deutKch-nationalen 01yni|iia. Ih'zw. von Nah"on:ih;ii:i'n fiii (!- iit>( hf> Kainpfspiele; 
den zu.sammenfa.ssenden Bericht über die seitherige Tliatigkeit dos Zentral - Auü- 
schus.ses und seine Stellung zuni Sport, und den auf statistischen Erhobungen be« 
ruhenden Bericht über die angeblichen Oefiüiron des Fu&ballspiels in Deutschland. 
Mit den übrigen Abhandliuigen dieses Teiles dürfte das Jahrbuch das Wesentlichste 
bii ton. Wc'is auf dieser aufblühenden Bewegung für Leibesübungen in freier Luft an 
Beweggründen und Zielen sich gegeuwäiüg geltend macht 

Im awwten und dritten Teile wird Aber die Fortschritte berichtet, die im 
Jahre 1895 auf den verschiedenen Gebieten thaisftdilich erzielt worden sindt n&mlich 
auf denen der Spiele, der Spielplätze, der volkstümlichen Übungen des Laufens, 
Werfens und Spritjgens. des Ix'iiigpns. dos Eislaufs, des Baderts und Sohwiinnjens, 
dea Kudorus, des Wauderns der bchuljugeud wie der Erwaehseuou, und der vom 
Zentral« Ausschub eingeführten 8pielkarse für Studenten , sowie für Lehrer und 
Lehrerinnen. Dieser Teil ersebeiut im Jahrbuch zum erstenmale, und bildet, da er 
sich auf dem Qebiete der Thataachen bewegt, nato^gemüb den Schwerpunkt des 
Jahresberichts. 

Im vierten und fünften Teile folgt dann eine btatiÄtischc Arbeit über einen 
Abechnitt dos gesamten Erhebungsgelnctes, das vom Zentnd-Ausschufa bekanntiidi 

als Uaozes in einem ffinfjnhrigeu Turnus behandelt wird. Dieser Abschnitt ist mit 

Gonehmigung des iin-nfsisf h. ii Ministers (los- Innern wie in friilioivi: Jahren von 
einem Beamten des Königlich preufsischen statisu.schen Büreaus, dem Herrn Dr. v. Woi- 
kowsky-Biedau, bearbeitet und behxmdelt diesmal die Spiele an den deutächeu 
Lehrerinnenseminaren, höheren Uadchen- und Ifäddien-Hittelsohnlen. Endlich folgen 

einige amtliche Mitteilungen des Zentral-Ausschu.sses. 

Wie man sir^ht, lii'^t-hränkcn .sicli dif Br-trebung-on dos Zontrnl- Axissrluissos 
keineswegs auf die eigentlichen \ olks- und Jugeudspiele, .sondern, wenn man et>^'a 
vom Radfahren, Wettrennen und dem Sport im engeren Sinne absieht, finden hier 



d by Google 



4. Erster Deutscbür Foitbilciuugttsühaltag 



Abi 



alle Leil)csiUiung(»ti in freier Luft, die uicht zu den oifrentliehen Tnrn-, GenU- und 
Freiübnn<r»>n gehören, ihre Beachtung. Dadurch wird das Jahrbuch ztini ire^mliieten 
Samuieipunict von Nachrichten iiber die vurschieUenartigsteu T^'iWübuugeu, wie sie 
v<m der Jugend und den breiteren Volltsscliichtea heute gepflegt werden. 

Von besonden'ni Interesse ist auch der Bericht üb<»r den Fortgang der 'veitt 
Zentral -.\usschuf< j.ilirliih aViuvluiltenen Kur.s'^ zur Aushildung von Lehrern und 
Lehrerinnen, von denen seit Islxt bereits an Khm) voigehildet wurden, sowie der 
Bericht über die studentischen Kui-se, io denen etwa lüüO Studenten nli neun 
Hoohsdualen zur Ansbifdung gelangten. Im laufenden Jahre werden tsolcbe Kurse 
bereite bei 23 dentBchen HocLschuIen eingerichtet 

Ein"» weiteren Antrieb wird die Bewi'<^(!n;,' orhniti'n. wenn die aus der Mitte 
des Zentral- .\asschussos hnrvni^egangene Anregung zur Schaffung von Natioualtageu 
für deutliche KajQH)fspiele xur üurchfulirung gelangen wird. Dieser Plan ist er- 
wachsen ana dner vom Zentrsl-Auiwchnls im Jahre 1^4 an^igeschriebenen Preis- 
schiift, von welcher 42 einliefen, und von denen wir am Eingang dieses Artikel« 
«lie mit d»»m ersten Preise e^ckpint«'» Srlirift vriu Dr. Witte licreits erwähnten. 
W'iüuend des Druckes des Jahrbuchs ist eine besondere Denkschrift -Die National- 
tage für deutsche Kampfspiele« (K. Voigtliinder, Leipzig) vom Geiichjlftsf uhrer des 
Zentral-AuBschusses Direktor Professor Ray dt erochienen, die m voUtstumlicher 
"Weise über die Entstehung, Bedeutung und den gegenwärtigen Stand der Sache ein- 
gehend berichtet. Antresiehts der Trn^nvitc dieser Bewegung für liie .Tu n ii- 
erziehung hat der preufsischo KultitsminLster Dr. Busse i2ÜÜ Exemplare des Jahr- 
buchs 1896 zur Verteilung au Schulen und KbHotiieken beschafft, und steht ein 
gleiches Yoi^gehen auch an einer Beihe anderer deutschen ünterriditsverwaltungen 
tn erwarten. Da die Beweg\ing auch in die breiten .Schichten des Volkes ein- 
gednmgen i.st, «'illte .Jas Jalirbuch, da.s steti«? verlie>s.'it und vervollständig wonJen 
ist, die allgemeinste Verbreitung auch in den breiten VolLsscliiciiten, für die eu in 
erster Linie g(>schrieben ist, finden. SchlielHieh sei noch des lebhaften Interesses 
gedacht, das die deutschen Städte an diesen Bestrebungen nehmen. Von den 
etM-a 750 betragenden Städten des deutschen Reichs, dit» mehr wie .')()00 Einwolitier 
Imbeu. hat sieh wie eine dem .lahrliueh l>eigefügte ('bersieht angiebt, bereits der 
vierte Teil mit einem Jahresk-itrage von beinahe 5000 M dem Zentral- Ausschufs 
angescblossflo. Von den deutschen Staatsverwaltungen hat, wie wir sehen, für 
diese hochwichtigo Bewegung im Jahre 1895 nur das preofeischc Kultus-ministerium 
einen Jahresbeitrag von 3 WO M bewährt. Es folgen in der ('liensieht dann mehrere 
Vereine, leider aber bisher nur wenige Privatpersonen. Eine Bache wie diese, 
verdiente aber dio weitgehendste Untei-stützuug. 



4. Brster Dentscher Fortbildangsschnltag zu Leipzig 

(Sonntag, den 20. September, Vormittags 10 Uhr, im Saale der in. Baigerschule) 
Freiherr v. Schenckendorff-Qörlits sprach ülicr »die soziale Bedeutung 

der Fortbildungssebnie und deren allgemeinste Verbreitvuig in Stadt nii'l I^mi.« 
Referent etitroüt zunächst ein Bild des gegenwärtigen Standes der FeinltiMuugs- 
schulwesens m Deutschland; aus dem reichen statistischen ilatcriai seien nur einige 



') Der Schatzmeister des Zentral - .\u.s.schusses ist Professor Dr. Koch in 
Braunschweig. Die Beitiäge können in beliebiger Höhe gezahlt werden. 



Digitized by Go 



358 



B MitteiluDgea 



Angaben mitgeteilt: Ubligatohsch ist der FortbimaogssL-hulunterricht nur ia aeuu 
deuisohea Staat6D; anf 1000 Ekiwohner kommen im Grolsherzogtum Eaeaea 34'/,, 
in Schaombun^-Lippe 2Vt Fortbildnngsscliäler (Sachmn steht an 5. Stdie); — von 

40000 Jünglingen Reriins in» Alter vou 14 — 18 Jahren besuchen nur 10000 die vor- 
trefflich organisierten, al>er oben fakultativen Fortbildungs.*;! hulcn. — Rpforent be- 
tont, dalä das Ausland in dieser BezieUujig unser Vaterland weit, sehr weit über- 
flügelt habe. In Bezog auf deatsche Yerfakltnisse konfltatiart er, dais die gewerh- 
liehen Fortbildungsschulen ain besten, jene landwirtsohaftliohen nod kanftnSnnisohiflti 
Cliaraktei-s minder gut, die Fitfln!r|uug?sschuleo für das weibliche Geschlecht am 
weiuf^ten entwickelt da-'^tiiiKli n ; letzteres sei um so niclir zu bedauern, als sifh ge- 
rade Madcbeu und Frauen gegenwärtig immer .stiirker am gewerblichou Ix*beu be- 
teiligen, ihre Erwerbsfähigkeit also mehr nnd mehr gesteigert werden mnlste; di^ 
g^eu hält Referent Haushaltuugsächulen für die noch schulpflichtigen oder kaum 
erst dl r S( Inil-^ entwachsenen Mädchen für \«'rrrii!it. Er w. ist darauf hin, dafe wir 
in L»i ut^( liliuid wohl eine hohe wirts« liaftlii he Entwickkmg, aber keine wirtschaft- 
liche Erziehung aufzuweisen haben, dais diese aber für Arbeitsgelegenheit und 
Nationalwohlstand namentlich innerhalb des handel- und gewerbetreibenden Mittel- 
Btandes von hoher Bedeutung sei. Ferner iNt iu sozialer und politiadiW Beziehung 
die Aiit''iIiKthme des Einzelnen und die Verpflichtimf,' r.xi derselben stfti;^ pcestei^'i-rt 
woixlen (^Wahlrecht, Schoffi.'ri^i.-rii ht, Srll>stverw;iltuti^' in den Uenieindeu), ohne dafs 
die Melu-zahl des Volkes auf die Nutzuiubuug der neuen Kechte genügend vorbereitet 
werde. Besonders bedeutsam ist, dab viele Schranken, welche f räher das Thon und 
Lassen des Einzelnen bestimmten, gefallen sind in uusi rer vurwärte hastenden Zeit» 
ohni' dnfs die weitaus meisten Bewohner unseres Vaterlandes dazu erzogen werden, 
den rechten (iebrauch von der ihnen zugestandenen Bewegungsfreiheit zu machen, 
ohne dals bei ihnen an Stelle der äulsereu Scliranken wie sonst innere Schranken 
erriditet wnden, nämlich sittliche Freiheit und Bdbstzncht, wdche sich luCmrt in 
der Achtung vor Gesetz, Ordnung und Sitte. Referent zeichnet den Unterschied der 
Entwicklung der männlichen Ju^'eiid von i in>t und jetzt während der Zeit zwischen 
Schule und Militär, also während einer Zeit kraftiger, tiefgreifender Entwicklung 
Früher gab dem noch unmündigen Jüngling der Lehrmeister wenigäteos einen ftuberen 
Halt, während jetzt auch dieser zameist gefollen ist, so dals man sich bei der An- 
zahl und Gröfso der einstürmenden Versuchungen wundem innfs. dafs die deutsche 
Jugend sich noch auf dor heutigen Höhe erhalten hat, aber dif (jef;dir weiterer 
Verwildemng droht allerwegen I liier mufs die obligatorische Fortbüduugsächulo ein- 
grellen, ma& diejenigen Gebiete der aligemeinen Bildung, für wddie der Yollc»- 
sohüler noch zu unreif ist, kultivieren, ran& ihre Zöglinge wirtschaftUoh tüditig und 
.sittlich emster und gefesteter zu macheu bestrebt sein. Für die Ausbildung der 
Fortbildungsschullehrer sind besondere Vernnstaltungen zu treffen, auch sind ans 
den iLreisen der Kichtachuimäuner Leute mit i)adagogischer Begabung zur Erteilung 
des Fachnntenichtes herBnsnakliett.c — ffietatif sprach 

Herr SchuInitPolack- Worbis über »die eracbliche Aufgabe der Fortbilduags- 
schide«. Er betonte, djdk die Zöglinge durch einen Uuterri( lit, welcher Interesse 
weckt, Begründung und Verbindung der Lehrstoffe nnfliellt. zur brsnnc; kleiner, stetig 
Sich schwieriger gestaltender Probleme ani-egt, überall das ^iachdeiikeu auf die Er- 
sdieinungen im Leben nnd Beruf lenkt, denkfreodig, durch hengewinneode, hdire 
Muster zeichnende Lehrweiae, sowie durch gütigen Verkehr und Anleitung zur Be- 
tbfiti-un- de.s Oemeinsinnes gemütsinnig und weiterbin wiüensstnrk gestaltet wenlen 
mülhteu; daduich aber, dals man die jungen Leute zu Gottesiurciit anhält, ihnen für 



uiyitized by Google 



4 Erster Deotacher FoiÜHldttDgBachiiJtag 



359 



die Fn'izeit zum (u nufs reiuor Freuiion iu guter Gesellschaft verhilft, könue man 
sie sittt»nr(>iii eriiaitoii; aus Aulago, gutem YnrhiM, stctitjor Oewölinung und ge- 
hobeoer Eiusiicht ontspro^e der sittliche Charakter, Für den Lehj^T sei uütig, da^ 
er die Individiuditiit nod Schicksale des eiiuelneD Schülera genau erkoiide, liebevoll 
sich in ihre Bedürfnisse und Wfiiiadie ▼eTSonki-. ilurch. angemessene, üna Gefühl für 
St'lbstverantNvoiiung hebetult^ I^ohandlung die Stri Kunirea veredle und ihnen in allen 
Stücken ein Muster strenger Pflichterfüllung vorlebe. 

In der Debatte äulserton Oberlehrer Dr. Kuebusch- Dortmund und Schulrat 
Besser* Altenimtg prinii^eOe Bedeniten gSRen den oUigattwisdieii Quurakter der 
Furtbildungs-schule; jener wies darauf hin, da& man durch Zwangsmalsregdn die 
widerstrel>enderj Kreisn chr-r vorliiftere als überzeug'«», und dafs schon der fn'io An- 
trieb aus der Volksseele herau« geuüge, um immer gröfeere Foitschritto zu zeitigeu. 
Dieser erklirte den Bcholzwang in den ländlichen Beairken mit patriarchalischem 
Charakter fOr nnn5t|g und wegen Mangels an geeigneten Lehriaiften f&r annötig 
und Wegen Mangels an geeigneten Lehrkräften für unmöglich. — Dem gegenüber 
bt tonto Herr Stadtverorflneter So m hart- Mai^dolniTp:. dafs es dem infolge seiner Ent- 
wicklung eigenartig geätalteten Charakter dt .s deutscheu Volkes nicht entspreche, 
ohne krSftige Anregung seitens der ßcgierungen eine dorcbgreifende Reform au 
Stande za Ivingen, welche notwmdig ist, tun oosear Totk hn Wettbewsrb der VSlker 
konkurrenzfähig zu erhalten; und Herr Schulrat Dr. Kühn -Leipzig weist, gedrängt 
durch seine zwanzigjährige Erfahrung als Scliulin.spektor, darauf hin, daTs die Ent- 
wicklung der Fortbilduugsschuleo ja stetig vor sich gehe und das Beispiel der Lohrer-' 
Schaft Sadisens beweise, wie die Lehrer den sllmittiltah axh steigernde Ansprüchen 
sich gewachsen zeigen auf Onmd ihrer bisherigen Yorbildnng» em Heranziehen ge- 
werblich durchgebildeter MihuK^r also nur in hochentwickelten, vielteiligen Schulen 
nötig erscheine. Nnrhdem am h noch die Herren Pache, Dr. IJartels-Gera und 
V. Scheu ckeudorff deu ätaudpimkt dos Verbaudu«, wie er in den beiden Yor- 
ti9gen zum Anadmek kam, gee^uldeil hatten, gelaugten folgende 88tze zar ein- 
stimmigen Annahme: 

»Der houto in Ij'lyz'i^ versammelte 1. Deut.si-Iic Fort1iil<iuiigs.schulta^' faJst im 
Anschluls an die Vorti-age des Abgeonlneten v. Schoncko ndorf f und des Schul- 
rats Polack über die soziale Bedeutung der Fortbildungsschule und deren allgemeinste 
Verbreatong in Stadt und Land folgende Besddiisse: 

1 . Die wirtschaftlicho, politische und soziale Entwicklung unserer Zeit erfordert 
einen Anshau unseres naticnaleQ Erziehuugswosens nach der TJichtnng des Fort- 
bildungssehulwesens, der sieh organisch an die Volksschule anlehnen muls. Die 
Fortbildungsschule muß daher a) den ein reiferes Verständnis voraussetzenden, von 
der Yolkssdknle nicht m bewältigenden Lehratoff aufnehmen, der ans der Entwick- 
lung des öffentlichen Lebens, von Reich, Staat, Gimt inde und Volkswirtschaft nch 
herau«;gebildet hat, ~ h) den jM!if:,'en Menschen hiTuflieh möpHehst vorbilden und 
c) erziehlich auf ihn einwirken, besonders in der Kichtung der Achtung vor Gesetz, 
Ordnung und Sitte. * 

2. Die Fortbildungsschule mnlta in ihrem Endziele eine verbindliche sein; doch 
werden alle Bestrebungen, welche das Fortbildungsschulwesen nach der genannten 
Bicbtung vorerst auf dem freiwilligen Wefro fördern, dem Verbände willkommen sein. 

3. Der Verband wird aufgefordert, für diese Ideen im Volke zu wirken, das 
ForCbildiingssckulweeen piki^tgogisdi nach den Fotdemogen der Zeit weiter ans« 
zubauen und endlidi der Fhige der Ansbüdusg von Fortbüdongssohnllehrem näher 
zu treten.« 



360 



B Mitteilougeo 



6. Die Bkandinairisohen LehrerverNunxnlnxigen 

Et» dürfte gewife von Interesse für deatsche Pädagogen sein, etwas von dem 
tu hören, was auf dorn Gebiete der Erziehung und des Uutorrichts bei den ver- 
wandten skandinavischen Völki rn vor^^t hr. Vu'l eine g»jeign'-ti' Fuiiii dafür dürften 
die folgenden MiHoihingen ulv^r die .skaudinaviäcbeo Lebrorveniaminltuigen und 
Fragen, welche dort behandelt worden sind, sein. 

Selbstverständlich gieht es in den verschiedenen nordischen Ltaidem, wie übersU, 
mauehiM'U'i Versammlungen von Lehrern und Lehrerinnen, von Gymnasiallehrern, 
von Ijehrern und I.eliivrimi.Ti ;ui MiklcheusehuliMi. afi Tnlks-' liiiL'n -'fr. Solchf Ver- 
sammlungen hat un aUgemeiueu jf-des Land für sich und vuu diesen S'ersammlungon 
wird hier nicht die Kedo seiu. Es werden nur die Versammlungen besprodien 
werden, an welchen sich die Vertreter verschiedener Schnlgaitungen and der ver- 
sohiedeiien skandinavischen Nationalitäten sich beteiligein. Natfirlioh bieten diese das 
meiste allgemeiue Interesse. 

Zu den nkaudinavischeu Volkern worden hier oioht nur Sohwedeu, Norweger, 
Ikünen, aondem auch FlnnlAnder geroohnet Die drsi ersten spreoiien swar ver« 
aohiettone Sprachen,*) diese Spradien «nd indessen nahe verwandt, und die einen 
verstehen im allgemeineu die andern ohne Schwierigkeit. Was die Fmuländer be- 
trifft, m sjtrieht ja dii* ^rofsi' ;Mehi/.;i1i! Volke« lAne von den skandinavischen 
ganz vcrscliiedeuo Sprauhu laid das Volk geliort eüiograplii^ch einem ganz uuderea 
* Stamme an. Aber zufolge der langen, mehr als $00 jährigen, Verbindung des Landes 
mit Schweden, ut die sdiwedische Sprache noch zum grölsten Teil die Sprache der 
gebildeten Klassen — viele xinter ihnen sind auch rein schwedischer Abstammung — 
sowie die Volkssprache einzelner Teile des Landes, und ch machen si(;h starke Bt»- 
strebuugen geltend, diese Sprache neben der finniandischeu, welche natürlich dio 
Hauptsprache ist oder werden mufe, anfrecht zu halten und sn pflegen. Die 
gröfsteu Schriftsteller des Ijindes, Runneberg u. a., haben in schwedi.scher Sprache 
^'osi hi ii.-Ji''ti, iiiul «lii'M' Spr;ii Ii.' i.st gewissenniifsen fin VcrMntluiiu'^l'UTid mit (I-t all- 
gcinrim'ii i'uiM|i;iis( luMi Kultur. So können nlso auch die Fiuuiuudor sich au den 
skaiidluavihdien Vei-satnnduageu beteiligen. DjUs diese Beteiligung keinerlei poU- 
(iBohe Bedentong hat, braucht wohl nicht bemerkt zu werden. Die Finnlünder wollen 
ihre eigene NatiniKilität bewahren und >tärkrQ unter den politischen Verhältnissen, 
in welchen sie luben. An eine politische Wiedervereinigung mit Schweden denkt 
keiner. 

Die wichtigsten und bis in diesem Jalue die einzigen allgemeiueu Lehrer* 
versammlangen, wo sich Vertreter aller' skandinavischen Völker beregnen, sind 

die jwles fünfte Jahr wiederkehrenden allgemeinen iiardisrhnn I.rhrertage. Ein 
solcher fand im vorigen Jahr»» in Stockholm stritt. Derselbe ist in der »Deutschen 
Zeitschrift für ausländisches Unterrichtswesen«, Juli 180G, ausführlich geschildert 
worden, weshalb hier nur einige kurze Bemerkungen darüber gemadit werden sollen, 
nachdem einige Data ans der Oesdudite dieser Lehrertage gegeben worden sind. 

Die erste allgemeine Tyehrerversanimlung dieser Art tagte in Gotheriburg, 
im Jahre 1870, die zweite in Chri.stiania 1871, die folgenden alwechselnd in den 
liauptstadteu Dünemarks, Schwedens und Norwegens. AViütiend die ersten Ver- 
aammlangen jedes vierte oder dritte Jahr stattfanden^ kommen ae nnnmehr nur 

') Die gewöhnliche norwegische Schriftsprache stimmt im haaptsäohlicben mit 

der Uanischen üboreiu. 



Digitized by Google 



5. Dio skaodinaviscbou Lehrerversaiumlimgeu 



361 



jedes fuufto Jahr vor. Die Zolü der Teilnehmer hat sich im ganzen immer mehr 
and mehr gesteigert Wihrend die Yonaaimhuig (in Oöteborg 1870 nur 842 Teil- 
nehtner rechnete, versammdteii sidi ia Kopenhagen 1890 5400 Lehrer und Lehrerionen 

und in Stockholm 1895 beinahe 7000. 

AVie schon genannt, sind bei diesen Versanimhmgen verschiedene Art*>n von 
Uuterricbtsanstalten veilreten gewesen, Universitäten, Gymnasien, Mädchenschulen, 
YoUnBohnlen etc. Da die VoHnechnUehrer and -lehrerinnen die andern Kbneen an 
Zahl weit iiben^iegcn, halx n si.- anch den bedeutendsten Teil der Lehrerversamm- 
lungen nu-^gcmarfit. Charakteristisrh für skandinavische Verhältnisse ist die grofso 
Zahl der Lebrerujneu. Bei der K tztpn V<MsaMunlung — es durfte auch von den 
vorbeigehenden gelten — aiachlen die weiblichen Teilnehmer die weit über^v legende 
Mehrzahl ans. 

Im gancen hat jede einxelne von den Versammlongcn beigetragen, da& die» 
selben imrnT mehr an Bedeutmv^ gewannen. Dies gilt auch, vielleicht in hohem 
Grade, von der letztem, der Stockholmer Versammlung. Vicld .\rH»>it und Sorge 
waren auf die Vorbereitungen dazu verwendet worden, sodafe sio idlgemein als eine 
sehr gelungene angesehen woide. 

Eine Befürchtung, die sich bei manchen gefundeu haben dürfte, wurde dnrch 
di'n AuKgiin.t; als gnmdlos bewii:'f!^*T), diojeuige nämlich, dafs die Xonvegi»r infolge 
der jjolitii^cheu Differenzen zwisclien Schweden und Norwegen weniger zahlreich sich 
bei der Versanuulung einfinden würden. Sie kamen im Gegenteil in grölserer Zahl 
als je vorher*) (die VerBammlungen in Chrietiania ansgenonunen) und die Norweger 
und Schweden veitehrten aufs freondlicb.ste mit einander, wie dies gewöhnlich der 

Fall zu sein |»flegt, wenn sie sich personli. Ii (n ffi^u. 

Übrigens scheint man sich im Auslande die gegenwärtigen politischen Diffe- 
rensen awischen den genannten Ländern a]s tiefergehend vorznst^en, als sie in 
der Ihat sind. Die weit überwiegende gemäEugte Hehnmhl der beiden Völker hSlt 
gewib auf Frieden und freundschaftliche Verhältnis.se und wird gewife zuletzt den 
Ausschlag fällen in dem Streit, der nur dun-h die Einseitigkeiten und Übertit i)nin£ron 
extremer Politiker vmd 2«eitungen beiderseits — in Schweden rechts, in ^Jorwcgcu 
links — seineu jetzigen Umfang erhalten hat Indessen sind ja schon ruhigere 
TtriUlltnisae eingetreten^ wenn auoh die endgUtiga SohUditnng der Streitigkeiten laiAA 
so nahe sein dürfte. 

In diesem Jahre sind die Verhandlungen der f^tni kholmer Vpi-sammlnn? ge- 
druckt erschienen. Sie macheu zwei Baude von zusanmieu b7ü Seiten aus. Die 
gegenwärtigen pädagogischen Interessen und Strömungen in den skandinavischen 
Ländern sind hier allseitig vertreten. DaTs die Yeriiandlungen einer Veisammlung, 
die nur drei Tage dauerte, einen solchen Umfang erhnltpn knnntpn, orklnrt sit h da- 
durch, daft Vor+riigc und Disku-^'^ioTien zu doidipr Z^it auf drei bis fünf v rschiedenen 
Stellen stattfanden-, es gab kein Lokal, das mehr als einen Ideiueu Teil einer so 
groben Tetsammlnng fassen konnte. 

Der nXchste allgemeine nordische Lehrertag findet in Chiistiania im Jahre 
1900 statt. 

Die giMlsc T l iltK lnnerzahl des Stockholmer I>ehrertagcs, welche bei künftigen 
Versammlungen dieser Art nicht ohne groJise Schwierigkeiten dürfte übei-schrittea 

') Die Teilnehmer waren folgendermafsen auf die verschiedenen Nationalitäten 
verteilt: Schweden 30<M, Norweger 1057, Dänen 1500, Finnlftnder 322, andere 
Völker 9. 



Digitized by Go 



362 



H Mitteiluagen 



werdeu küutieu, war die VeruuIasMuug, da£s hei dem Lehrertiigf iu äiuein privatea 
Kraise, wo nch unter andern leittmde Teflnehmer ans den venohiedenen nordisdhen 
Lindem befauden, die Frage aufgeworfen wtmie, oh nicht auff^er den groben Lehrer- 
tagen IcleiritTO VinNuininhin^jr^'n pädagogisch iiit''n's-iiTr«T Porsoncn ans den ver- 
«chiodeueu l^deru in den Zwiselumjahren gehalten werden konnten. iSr-i den 
kleiuereu Veri»ammluugfu könnten, su meinte man, die Fragen eingehender und m 
giQfeerer Ruhe abgehandelt werden. Dieeer Vorwhlag wurde ao^oh von ver- 
schiedeuen S' ir n it Rcifall aufgonouimen, er wurde wiüireud des Winters brief- 
lich a^i?chati(l< lt. Zuletzt wurde bfSf!iIo<5scn. dnrN oine s'^li fn« V(>rsammlnng in diesem 
iSommer stiittfmden solle. Man hielt es aus verschiedenen Gi-ünden für angemessen, 
data YerBammhiogen der hier betiproohenen Art auf dem Lande oder in einem 
kleineren Orte gehalten wurden; dadurdi würde unter «nderm der persönliobe Ver- 
kehr der Bett ili^i. ii i;efördert werden. Der Vorsteher dor Volksh'x lischule in 
A.skov (Däineniiu'k). Iai>hvi<: S( hröder, bot zum Vemmmlungaort Aäkov an, was 
mit Dankbarkeit angenommen wurde. 

Askov ist ein im Büdlidien Jiitland belegenea Döifflein, weldies um die ge- 
nannte Schule entstandMi ist Sie gilt ala die bedeutendste von den durdi die An- 
regungen des grofsen dänischen Schriftstellers Grundtvig entstandeueu Volkshoch- 
schulen und ilir Vorsteher der her\orrai,'ciifl"?to Vortreter dieser Schulen sowie der 
<j rundtvigscheu pädagogischen An.Mclitcu überhaupt J)a diese Volkshoclisohuleu 
(eowie aueh die Grnndtvigscbe Pädagogik) von groGser Bedeutang im Norden sindf 
war natüiüch Askov ein sdir geeigneter Plati für die enta Yeisammlung dieser Art 

Da deutsch.« >or im idlgemoinen nur wenig von den uordischcii Volkshoch- 
schulen wif» v<jn (iruiidtvig und seinen pädapof^nsf h^^n Ansichten kfmu'n dürften, 
mögen einige Mitteilungen darüber hier Platz fmden. X. F. S. Grundtvig, ge- 
boren 1783, gestorben 1872, GetstUoher, Geschiditsscilureiber, Diditer, euer der 
edelsten Söhne seines Volkes, hat einen sehr grtjfseti Kinnufs auf das geistige lieben 
desselben ausgeübt. So ist * r der Urheber einer bi >'iiul.>](>a religiösrn Ri' htiing 
innerhalb der dänischen Kirche. Auf po.sitivem christlichen (»rund stehend, In tont 
at vor allem pei-söiiliches christliches Leben, die christliche Taufe und die (»laubeiis- 
Bltce, welche in dem apoetoliachen Glaubensbekenntnis entiialten sind. Im G^n- 
satz zu dem Pietismiia, der ja sehr oft dem men.schlichcn Kulturlel)eu gleichgiltig 
oder feindlii h f:(\:rf>nüb''r ir''-^taiHli n Ii;»t, zeichnen sich Griindivi;; und seine An- 
hän*?er duixh em enthusiastisches Interesse für die Geschiciite und |K>eti.sche Littc- 
rutur ihres Vaterlandes, sowie für humane Kultur überhaupt aus. So haben sie sich 
4m alten nordischen Sagen und Gediditeo mit besoudersr Vorliebe mgewtndt 
Charakteristisch für (irundtvig lüs Keligionslehrer und ah PädagOff iat »das Ge- 
wicht das er logt auf »das lebendige Wort«, das frei aus dem IT- rzf'n gf'^jproeben*' 
Wort Die ürundtvigianer sind nicht als eine Sekte anzusehen. fSie gehören der 
Kirche ihres Volkes an und werden ooti>cluodea dies thun, was unter anderem 
■daraus erhellt, data der jetzige dSnisdie Kultusminister sowie der Primas der 
d&ntsdiea Eir li*>. dr r Bischof von Seeland, als lu dieser Kit iituni,' gehörend an- 
fre^'^hen weitlen. Auf das dänisrlir Kirchenleben im ganzen hat die Grundtvig- 
sche lüuhtung eine nicht unbedeutende reformatorische Einwirkung ausgeübt 

Auch in pädagogisdier Hinsicht ist der Sünfflub Grundtvigs ein sehr be- 
•dentender gewesen. Wie schon angedeutet, verdanken die Volkshodischulen den von 
Grundtvig aufgeworfenen Ideen ihre Blntstehung und ihre Einrichtung. Das Ziol 
dieser Schulen ist eine jnJte .\llgemeinhiHun*r zu golipn. und zwar zuuäclist den 
•crMachäoneu Sühnen und Töchtern von Bauern, l'ahei will man die juugeu Leute 



Digitized by Google 



5. Die »kandinavüicbeD Lehrerversaninnungeu 



3ö3 



gar nicht über ihren btand heben, sondern violiuehr sie darin festhaiteu. Auf diu 
Ausbildung religiös-sittlioher Chsnhtere tat «i abeoMheo, die, nttioiuü gerichtet, 
ihrem Volke mit gaiueer Seele dienen trollen. Wer nUiera über diese VoUuhooh- 

»chlücn zu wisM ii wüti^-rlit, wird auf den trefflichen Äi-tikel von Professor Rein in 
der »Gegeiiwaif is'j.'j. Nr, 13 hiugowies™. ') Die erbte VolI;>hf>rhsf'hu!t' wurdt- in 
Rüddiug, Dänemark, lS-l-4 oingorichteL im Jahre 18Ö3 iiatto Dänemark 77 Schulen 
dieser Art Die Toliishocluchttle ist auch niush den andern noidisdien libideni 
zuerst XonvegüK, dann Schweden, zuletzt Finiüand — verpflanzt worden und hat 
in ihnen feste Wurzelt) gi far>t. Xa< Ii den letzton Angaben hat Schweden 2'\ Finn- 
land gegen 20 VolkshocIiKchulen. *j Dif Rcdputiin?. "ttflche di^sp Schulen für die 
Hebung des Volkes in den nordischen Ländern, zunächst Dänemark, gehabt haben, 
amts sehr hoch angeschlagen weiden. 

Orundtvigs |)ädagQgiache Bedeutung Ursdnänki sich aber keineswegs auf die 
Volkshochschulen. Seine Ausithten über Erziehuiii.': und Fiiffiricht haben aurh in 
anderer Hinsicht grofsen Finflulii in seinem Vateriande ausgeübt und auch rüd i- 
gegen in den andern skandinavischen Ländern beeiufluist. Diese Absichten erinnern 
in veisohiedenen Hinaiditen an diejenigen von Herbari Oemeinsam für beide ist 
die Hervorhebung des religiös-ethischen Moments bei der Erziehong und der ersiehe- 
rischen Bedeuttuig dps Unterrichts, . bf.nso wie das stai'ko Bekünipfen von tdlein 
pädagogischen Fanatisiims uud didaktiscbeu Matenaiisnius. Allerdings bietet die 
Grandtvigsche Fädikgogik Eigentümlichkeiten, die sie gewiJs eines näheren Studiums 
der dentsohen Fidagogeo wert machen dürfte, worauf aber hier nidit die Stelle 
wttre, näher einzugehen. '^i 

"Die private uordisi hr Li-tircrverHammluncr in Askov« — m wurde die Ver- 
sanunlung von den Anordnorn benannt — dauerte eine Woche, vom 27. Juli bifi 
aom 3. Angoat. Die Zahl der T^efamer betrug gegen 70 Penoneo, unter denen 
beinahe die Hfilfte Damen. Die ttunlidien Verhlltniase bei Aatov eilauMon nieht 
eine gröfsere Zahl. Von den slcandinavischen Ländern waren Dänemark und Schweden 
am stärksten vertreten. Ans Xorwetjen m\«l Finnland kamen nur wenitre. Was Ndr- 
wegen betrifft, wiuxle wohl dies hauptsächlich dadurch veranlafst, dat» kurz nachher 
eine allgemeine Lehiervenammlnng dort stattfand, wo sehr wichtige Fi-agen beliandelt 
w^ea aallten, and was Finnland betrifft wurde es wohl nur durch ganz zufällige 
T"^mstniido verursacht. Da aus dem eben .ingegobenen Grunde die Z;ihl der Teil- 
iiehmi.'r lifsehninkt ««ein nmfste. konnte mau keine aligemeine KiulaUung zu der Ver- 
bauimiuu^ t'igthen lassen. Die Anordncr wandten sich au Personen, welche aU 
I)ädagogiscb repräsentativ in der einen oder andern Hinsicht angesehen werden 
konnten oder sich sonst als pädagogisch besonders interessiert gezeigt hatten, und 
forderten si« zur IJesfitiguug auf. Dabei war man auch daianf lunlmlit. dafs ver- 
schiedene Arten von Sdmlen, sowie die Universitäten vertreten sein sollten. Ab- 
gesehen von der etwus unebenen Verteilung zwischen den skandinavischen Ländern, 
entsprach die Betml^nng dem, was man gewfinscht und gehofft hatte. Auch in 

') .\hj.'edr\ickt in der Zcitsrlnift für Phil<.s(.]*liii. und I'iida^nfnk 1890, IX, 1. 
In Norwegen hat die Zahl der Volkshochschulen durch vorechiedene un- 
günstige Verhältnisse neuerdings abgenommen. 

*) Siehe s. B. IT. Skard: Nikolai Fredrik Sevexin Onuidtvig som skolemand 
(norwegi.scl)) in der schwedischen »Pedagojjisk Tidskrift« IB!»'), Einiges auch bei 
T. Holmhi ri:. Dip schwed. VolLshoch.schule. Deutsche Zeitschrift für ausl. ünter- 
riohtüweseu, lä*J5, Beiheft Uein, Comenius^Blätter. 18lH>, Nr. 7 u. 8. 



Digitized by Google 



HÖ4 ^ Mitteilungen / 



andern Ilinsu-htea entsprach dio Versiuniulung gänzlic h d^n Ei Wartungen, und bei 
dem Schlusse wurde die Meinung idlgemein ausgospi-ochen, da£s dieselbe eine sehr 
getangene gewesen war. 

Als die Versanunlungsteilnehmor in Askov ankiiiin n. war der Summerkursus 
d<T VnIkshorh>fhulo norh nicht gpsr li!os>-cti. Er dainTf-- nor]\ <]i:A Ta^jp fort. Da- 
durch wurde denjenigen, welche die Unterrichthait luid da« tagliche Jxben der Volks- 
hoohsdinle noch iiidit bUmt kunten, eine Gelegenheit gegeben, etwas daren kennen 
an lernen. Der Sooimeifairaas nmfa&te wie gewöhnlich nnr lUdöbenf die meisten 
zwar Töchter von Bauern, einzelne doch auch aus den höheren Klassen. Unter den 
letzteren waren eii>r> junge Schwedin und zwei junge Norwegerinnen. Die Zahl 
der Kurmisteilnehraer war di(^mal 05. 

Da die VeiBainmlangstoilnehmer jeden eine Woehe hindnich zusammen 
waren, bei den Diskussionen, Mahlzeiten, Ausflügen, am Sonntag bei dorn Gottes- 
dienst f^t. .. so entstand ein Zusammen^f>li;)ripk' itsi:'^fühl, viel stärker als l>ei gewöhn- 
lichen Versammlungen. Jeder war mit (Ifin amlfni seIhstveTständlich bekannt. Man 
fühlte sich als Mitglied einer greisen Familie. Gewife tnigen diese Anordnungen 
zu dem guten Erfolg der Versammlung sehr vid bei. 

Die erste Frage, welche behandelt wurde, lautete folgondennafset) : Soll eine 
hi^torisi hi' Mi'thiKl.^ ttei dem muttersprai"hlii.li"ti wml na(nr\\ iss.'nx luiftlii lK'n l''ntr>r- 
richt biimtzt w.'nlt n'.' Die Diskusstun dieser Frai:*' wunli' durcli einen Vortrag 
von Piof. i'. Lu Cour, Lehrer an der Volkshochschule iu Askov, eingeleitet. Prof. 
P. La Cour ist einer von den hervorragendsten VolkshochschullehTeni Dfinemarks. 
Da er \vis.seuschaftlich sehr l>eanlagt ist und sich durch gründliche Studien vor- 
bereitet hattt', s<'hiiMi iliin einmal fin*» splir vors|iri'rliciifle akadfMnisi In: T.a\inia1iij 
offen 2u .stehen. l)iese gab er jedoch auf, um sicli der Sache der VolLser^iehung 
zu widmen. Sein llauptfach ist Physik und auf diesem Gebiete hat er die wi^en- 
aohafüicben Forachongen nicht watgBgt^m. Seit mehreren Jahren hat er sich mit 
Untersuchungen darüber beschäftigt, wie die Kraft des Windes — eine Kraft, die 
sein der Nordsee angrenzendes Vatcrlniul iu rei«fi!irh(nn Mar«» bositzt — in 
elektrische Kraft umgewandelt werden könne. Er hat eine Erfindung gemacht, wo- 
durch dies praktttch und billig gesdiieht Dio elektrische Kraft wird znr Zersetztmg 
dee Wassers benutzt Auf solche Weise hergestelltes Knallgas wird zur Beleuchtung 
der Säle in der Askorer Volkshochschule angewendet. 

Bei seinem rnt«^rnHit in der Physik, ja •«otrar r!»^r Mathematik behandelt Prof. 
La Cour den Unterrnht.sstoff historisch.'^ I>abei muls daran allerdings erinnert 
werden, dab die Schiller und SchfÜerinneu lilrwachsene sind, welche die AnfsagS' 
gronde der MaUiematik schon kennen gelernt haben. — In seinem ^nleitungs- 
vortrag beschäftigte sich Prof. T.a Cour fast au-sschiiefslit Ii mit lioin historischen 
T'nterrifht in d'-r Mathematik ui:d die folgende Diskussion kam auch nicht weiter 
darüber hin. «icwifs faudt>n die unreguugsvoUou Ausichteu des Prof. La Cour all- 
gemein Anerkennung und Beachtung, sowie sie es sonst gefunden haben. Inwie- 
weit sie sich durchführen lassen, dürften doch viele als eine nodi zu entsdieidende 
Frsge ansehen. 

In Dänemark und Norweg"ii w- rden bei den höheren Schiden zwei und 
drei Jalire vor dem Abiturientene.xamen besondere Examina bestanden, welche 
gewisse Berechtigungen verleihen. In Schweden wird zur Zeit über die Ein- 

') P. J>a C^ nr, Historisk Mathematik. Kjöbenhavn 1888, — P. La Cour Og 
J. Appel, üistoiisk Physik« ü. 1. Kjöbenhavn läUti. 



5. Die Hlntndinaviaclieu JLeürorvüniaaimlaQg^n 



365 



führung eines solchen Exameuä debattiert. Eine Fi"age, wclclie das Ziel, die Lin- 
fassiing und die geeiguetattt Anordnung eiiMS wddien EgfurKmi» behandelte, wurde 
von dem Yolkwichullehrer and Reiehstagsabgeoidneten Fridtjav Berg>8toddiolm 

eingeleitet. Die folgende DiskiLssion behandelte zum Teil die Prinsipfi'nge von einem 
gemeinsamen Unterbau für die venjchiedeneii Xrfm von Erzichungsscluilon. r>er 
Einleitur hatte .sich aus pädagogüscheu und sozialen ünuideu für die Zweckiuälsig- 
Iteit eines solchen Untertmaes ausgesprochen. Dies wurde von einem andern Redner 
ganz und gar bestritten. Die grofso Mebrzalil der VexsammlongsteUnehmer neigte 
ah'T (h<T Listf n«n Ansicht zu. In diesem Znsainineubange mag envähnt werden, 
diils in Nur\vt'i^< n oine Anordnung eben eingeführt worden ist. wodurch die fünf 
ersten 8cbuljahro der Volks-schule der gemeinsame Unterbau für die verschiedenen 
Alten von I^ehongsachulen werden. (S. Hein, Allgem. VoUnschtde, »Hilfe« 1895.) 

Eine Oiskus-iion, welche von dem Direiitor der höhereu Realschule ') in Stock- 
holm, S. Almquist, eiugeleif' f wtirde, beschäftigte .sich mit den Ursachen dazu, daß« 
der verhiUtni-smöfsig hohe Stand|juulit des T'ntMrrichtswesens nicht einen entsprechen- 
den Reichtum an geistigen Interessen bei uuaerm Volke im ganzen zur Folge zu haben 
schräit. Der Einleiter schrieb dies, was die höheren Scholen betrifft, hauptsächlich 
der Überschätzung der Ida^sehen Sprachen als Erziehungsmittel zo. Diese Sprachen 
WUrdr>n ind(»ssf'n von einem aiidrrn Rt'JiiL'r li-hli;ift verteidigt. 

Auf der Tagesordnung in den skandinavischen ijundem steht die ferner die Frage 
von dem gemeiusameu Unterricht und gemeinsamer £i-ziehung für Knaben und Mäd- 
chen. Sie wurde bei der Diskussion über eine Frage behandelt, deren HauptMl folgender' 
mafsiM) fDimalieit war: »Sind liio EigentÜmliclikeiten der weiblichen Natur von der 
Alt, dals sie ein<> Iirsotidons für MäiJclu'n eingerichtete Schulorganisation fonJoriiVr 
Die Frage wurde von der tschulvorstehenn Fräulein Anna Sandstrom eingcieitet. 
Sowobl die Beschaffenheit derselben wie die Person der Einleiterin waren geeignet, 
der Frage eine gioHse Aufmerksamkeit suauziehen. Friulein Sandstrüm ist eine 
sehr begabt« pädagogische Schriftstellerin, die ihre Ansichten auch mündlich in sehr 
ansprechender Weise darzustellen vermag. Ihre Schriften und Aufsätze gehören 
gewÜs zu den bedeutendsten auf dem Gebiete der Pädagogik, die iu schwedisclier 
Bpnudie geachiieben worden sind. Sie giebt eine pädagogische Zeitschi-ift, weldie 
den Titel »Yerdandit trigt, heraus. Ihre Ansichten haben in Schweden, beeonden 
in Bezug auf die weibliche firziehung, einen bedeutenden Einflufs aa»;geübt. Selbst 
ist sie wohl ursiirünglich durch die von Urundtvig ausge£aug<2uen pädagogisohen 
i-iedankun angert^ worden. 

Die v(»i ihr eingeleitete Frage wollte sie in der Hauptsache mit nein beant- 
worten. Wenn die Schulen nach pädagogischen Orunds&tzen eingerichtet sind — was 
indossrn . wpnigstens in Bezug auf die höheren Kuabeu.schulen , iu vielen Hin- 
sichteii joizt nicht der Fcill ist — so bedarf es nicht In'sonderer St huK n für Knalxm 
und Mädchen. Die männliche und weibliche Natur haben zwai ausgeprägte Ver» 
aohiedenheiten, es ist doch möglich^ gebührende Rficksidlit auf diese Eigentümlich« 
kseitra innerlialb derst ll» !! Organisation zu nehmen. Knaben und Mädchen üben 
sogar einen heilsamen Einfluls auf einander zum Ausgleich von Einseitigkeiten in 
der Begabung der einen oder der andern aus. 

In der folgenden Diskussion trat kein prinzipieller Gegner des für Knaben und 
Mädchen gemeinsamen Unterrichts auf. Besonders in Finnland (in Privatachulen) 



') Die schwedischen höheren fiealachulen entq^reohen den preuüsischen Uber^ 
realsdiulen. 



Digitized by Google 



366 



B Mitteilungen 



und Norwegen (untere gelehrte üchuleu) hat mau jetzt viflfache Erfahning von 
solchem tTntenfoht Awdi in Sohweden ist « vieliacb und mit gutem Ei-folg in 
Frivatschulea geprüfl worden. Die selir guten Erfolge in Finnland worden wMhrend 

der Diskussion von einer Rednerin hervorgehoben. Ein amerikanischer L«ehrer, 
Mr. C!axton, der anwwend w ar, wurde aufgefordert, einiges über die in den Vor- 
einigten Staaten Amerikas in dieser Uiusicht gemachten Erfahrungen mitzuteilen, 
was er auch in en^scher Spradie that Er hob etark herror, wie die allgemeine 
Meinung dort ganz entschiede der gemeinsamen Enciehuog den Yomg giebt 

Die npucron T''nt. i"siii hiiiif,'f?n üb«3r die Xatnr des Kindes sind natürlich auch 
in den skandinavischen Ländeni beachtet worden uml wurden bei der Versammlung 
besprochen. Der Dozent J. Bager-Sjogren-Upsoia gab zuerst eine Darstellung 
von der Itiatoriechen Eotwiekloog und dem gegenwärtigen Standpunkt dieser ünter- 
Bncfattogeni woran er Bemerkungen darübei- anscblofe, was in dieser Hinsicht von 
Lehrern und anden^n ansp'iü Jitt't wcitlcii könnte. Direktor Otto SaIom<jii, lA-iter 
und Gründer des berühniti^n Slojdsennuai'M zu Nääa, sprxuüi sich zu gtuisteu eint« 
organisierten Zusammenwirkens für Kinderuntersuchuogeu aus, wie dies in Amerika 
zu Stande gekommen ist Im allgemeinen adblen man doch an glanh^ dals die 
Zeit für eine solche Organisation bei uns noch nicht gekommen wäre. 

Ijehrer E. Sahliu -Örebro (Schweden), II raiis^'elH r dor schwedisi ht n Zoit- 
schnft »Pedagogiäk Tidskrift«, leitete eine Diskassion ein, welche von dem rechten 
Yerhlltnia swisdken Reaeptivität und ProdoktiTität der Schüler in der Schularbeit 
handelte. Überwiegend schien man der Heinvng zu sdn, dals grSberer Banm, als 
im allgemeinen der Fall jetzt sein dürft«-, der produktiven Arbeit in der Schule 
zuerkaimt werden .sollte. Inh^ztig auf dt^n niutt.'rsiiiaclilirhon Unterricht wurde 
an die amerikauischon Schulcu erinnert, wo die Kiuder schon von Anfang an sehr 
hänfig damit beschäftigt werden, eigne selbet&ndige Gedanken schriftlich auszudrucken. 
Der Einleiter gab ans »einer eignen Scholpnuds sehr intereesante ICttdlungen dar 
rüber, wie man bei dem muttersprachlichen l'nterriclit die Selhstthlt^eit Qnd das 
Interesse der Schüler in Anspruch nehmen könnte. 

Denjenigen, weiche sich über die Volksschulen uüher zu belehren wünschten, 
gab eine Disknssion Gelegenheit dazu, welche von ton Yolhdiochsdittlvorsteher 
Dr. J. Nörregaard-Testrup (Dänemark) eingeleitet wnrde. Die Diskussion be- 
biuidrltc das Verhältnis der Volkshor h^f hule zu dem übrigen T^nterricht.« Der 
Einleiter tiiriunf neben Herrn Schröder die erste Stelle unter den Volkshochschul- 
vorstelieru Diinemarks ein. Die grofsc Bedeutung dieser Scliulc und die Zweck- 
mäAsIgkeit der Art, wie de ihre Aufgabe zn tösen sucht, schien andi von Lehrern^ 
welche andern Schulen angehörten, entschieden anerkannt zu werden. 

Für eiii'.' l.pfircrvorsnTnmltin^' diesor Art war natürlich di»' fol^-i-ndr Frairc sehr 
geeignet: »Was wird in <ivii hoheru und nidli iv ri Schulen dor verschiedenen nor- 
dischen Länder gothaii, um diu Kenntnis von der Nutui, dem Volksleben, der Ge- 
schickte und Ltttemtor der andem Ubider zu lördeni, und was kann noch dafür 
gethan werden?« Diese Frage wurde von dem Direktor E. Slomann- Kopenhagen 
eingeleitet. 

Die Bedeutung und Beschaffenheit der andem pädagogischen Fragen, welche 
▼on der Veraammlnng besprochen wurden, dürfte auch von seibat etnleuehten, wes- 
halb de hier nur in der Kurze angegeben werden. Sie waren folgeode: »Von Volks- 

buchsammlvmgen« : Emieiter Adjimfct A. S. Stoenberg-Horsens (Dänemark); »Von 
Haushaltschulen : Etnliiterin: Volkssdiullehrcrin Frau B. Berg-Xielsen-Kopeu- 
hageu; »Was .soll getiian werden, um bei Lehrern und anderen gröüiereä Inter^se 



Digitized by Go(i'?U 



(i. Jahresber. f. neuere deutsche litteratai]go»ch. — 8. Ferieokorso iu Jona 367 



für Enicinings- und Unterrichtsfrageu zu wecken und grülsere Einsicht darin zu 
fördern«? Emletter: Dr. N. O. W. Lagerstedt-Stookbolm. 

Bei dem ScUofiSe der Versammlung wurde man darüber einig, dafs skandi- 

navi'jchc» I^hren-ersammluugen di'iMjllu'ii Art aurh fcnit'rhiii staftfindcn soütni. die 
nächste im Jahre 189S. Als Ort für dieselbe wurde auf das Anerbieten des Horax 
Direktor Salomon hin Näas in Schweden bestimmt 

Stockholm Dr. N. 0. W. Lagers tedt 



6. Jahres berichte für neuere deatsohe Litteratur- 

geschichte 

(Stattgart, Göschen) 

Vfie haben schon mdirladi anf die in diesen Berichten enthaltenen XGttdlungen 
von Dr. Kehrbach hingewiesen^ die unter dem Titel »Geschichte des Unterrichts- 

und Erziehiinpjwespns« uiucn zasammi'nfa.';s-'nd''n Überblick über die Erschciuungea 
der letzten .lalir*' geben. Neuerdings hat n« ir Dr. Kchrlmeli. df^r verdienstvolle 
Herausgeber der Munumenta Germaniae Füdugugicu und der Mitt(;ilungen der Gesell- 
schaft fttr denische Bniehnngs» und Sdiiilgeechichte, em Unternehmen im groben 
StO begotitit'ii. das einen sichep'ii Wegweiser durch die iresamto pädafri'^'isrhe LitteiatOT 
geben will. Es orsc-liL'int iti I'xTlin (ITarnvit/. Nachful^iT) unter dem Titel: 

Das gesamte Erziehung«- und Unterrichtswesou in den Landern 
deutscher Zunge. Bibliographisches Verzeichnis und Inhaltsangabo der Bücher, 
Avfsfttxe und behSnUiohen Yeroidnungen snr dentadien Erdehnogs- und UntecriditB- 
Wiflsenscbaft nebst Mitteflnngen über Lehnaittel. 



7. School of Pedagogy ITniversity of Buffalo 

Unter den [«idagogischeu Zentralstiitteu iu den Vereinigten Staaten von Nurd- 
Ameribi nimmt die ndsgogenschule zu Buffalo nnen hohen Rang ein. Sehr inter- 
essunt ist der Ptoepelt dieser Anstalt für dits Jahr 180f3y07, in dem der Yorsteiier 
dei-selben, Herr PrAfessor Dr. Frank ^fl Mnrry, der itn Seminar zn Jona vor- 
gebildet Ist, di« Grundlinien für die Arlwit entwirft in Verbindung mit dem Über- 
lehrer der Übtmgsschule, Herrn John W. Hall, der ebenfalls mehrjähriges Mit- 
glied des pidagogischen SemÜMTs xn Jena gewesen ist Die Anstalt in Bufbdo hat 
bereits schöne Erfolge aufzuweisen; wir wünschen ihrer Arbeit, die im Geiste der 
norhartisehen Pädagogik geführt wird, den heston Fortgang! Allen, die nnhen^n Ein- 
bhck in dieselbe sich verschaffen wollen, empfehlen wir den Prospekt, der durch 
Heim Professor McMnrry an eriialten ist 

8. Ferienkurse iu Jena 

Die vom 3. — '22. Xngwst abgehaltenen Kurse waren von 108 Teilnohmorn be- 
sucht Der Besuch hat von Jahr zu Jahr zugenommen; in diesem Jahre haben die 
Koise mit ilirem Bestehen die höchste Besachsäffer anfsawosei^ Unter den lOSTeiL 
nehmen waren 71 Herren und 37 Damen; 48 waren Inländer, 60 AuslBnder. Yer- 

troton waron fr>lOTndo Länder: Amerika (S), ndirion (t2), Dänemark ('.V<, Dontsch- 
land (4b), England (17), Frankreich (1), Holland (4), Ust((rr< i< h und l'njrain (jo 4), 
KuXsland und Finnland (je 4), Schweden (8), Serbien (1). Et» wurden 18 Kurse aJ>- 



Digitlzed by Go 



B Mitteiliuigeu 



gülialteu: teils uarurwüäen&cbafüiciic , teils philosophiscbe und pädagogibcbe, teils 
littenuiscko uud gesdiichtlidie. Besimdfln Bteik wurdflii die pliilu^ophisolieD imd 
pädagogischen Vorlesaiigen beandit Allgemeine Pädagogik hörten 00, pbyaitdogisdie 

Psychologe T)0 Toilnehmer. Ad zwei Abeuden wurden sehr besuchte Vereamin- 
hinrr»'» t0>tr<>halteü, in "svolfheu interes-sante Mitteiluniir-n fiKri dio <;nmd?ü?p '1*m- 
fcjcUuLeinrichtuugeu in den hier vertreteßeu aufsenleutsciieu lodern gemaclit 
worden. Die Aunflüge nach Dorobuig, Sdiwartburg. Eiaenach und Weimar waien 
trotz des ungönst^en Wettere gnt besucht. In Weimar wurde ain Goethe-Schiller^ 
Deulnnal von den Ausläuderu ein Kt-niiz iiifili-i^'rltL'f. f'litiaus /.alilreich waren 
die Ättberongeu der BefriedigoDg über die üüarichtuDg der Feriookuise. 



9. Sclmlrat Karl Snpprian, Handbuch der Erzielmiigs- 

and Unterriohtslehre 

Leipzig, Oüir 189Q 

Der VerfosBer giebt seiner 8tdlung zur herbertMen Bidagogik in Muer 

Selbstaozeige seines Buches in foIg(>ndea Worten Ausdiiick: »Den Uerrcu von der 
.päcinpvL-is'iHMi Sfainj.fmiihlo' der fiiiif formaloti Stuf*-!i. um mit E. v. Sallwürk 
zu re<ien, bemerke ich zum ÜcbluJü, daSa ich ihnen diuikbar sein werde, weim sie 
mein Btiebl^n vom «wiseensduiftUdiea Standpunkt* ana einer Prüfung für wert halten 
aellten. Ist ihnen das nicht genehm, so wollen sie die Anzeige genehmigen, dab 
wieder eiuuial ein ,VoIlblut-Einpirikor vom rreuilsischeu Soniinardienst eine Päda- 
gogik jbrjjiuigeii' hat. YiellL'ii ht Mrnpfichlt .sich dabei die Formel: ,Karl Supprian 
war ein Nachfulger vou Karl Borniaun, das liuch it>t auch darnach!' Für Beiiick- 
aichtigung der Kulturstufen im Lchntoff habe ich einigen Fiats gefunden. Für 
Märchen im OesinuungsuDterricbt und für formale Stufen in der Uoterweitsung bin ich 
als evangelischer T!i".il'i!: zu sehr ,in der Wulle gefärbt", wenn ich auch den 
Kirchenrook niemals jui^i'ha'tt habe; ein Fehler, fb-r unoh Auswpt«^ dt r (?pspbichte 
der I'ädagügik ja auch nicht iudolübili.s ist. In der letzteren Beziehung habe ich alt» 
preu&iecher Schulmann zu viel einklasvige Schulen getiehen.r 



10. Zur Erixmeiimg an Karie HUlebrand >) 

»In Neuonbain, eine Viertelstunde hinter Bad Soden an der Stralso nac h König- 
stein, .schaut von ««iner ternusscuartig austeitrenden Höhe ein bramies. li'-iti-r uni 
etwas luftig aus.>ohendes Gebäude über die Vorborgo des Taunu.s hinweg. Bas ist 
ein »Pennonat«, ein »Institut«, eine »Erziehungsanstalt« für Müddhen, hatte man 
mir gesagt, als idi vor dnigeo Jahren vorbeisohlenderte. Es soUe da andeia va- 
geheu als in den meisten Instituten, und es werde viel davon gesprochen. Die 
Ijciterin der Anstalt sni Fraulnin Marie Hillebrand, eine Tochter de« ehe- 
umügeu Professors uud Ober-Studieurats Josef Ilillebrand in Gielsen (ehrenvoll 
bekannt als gelehrter und geistreicher Schriftsteller und als unentwegter K&mpfer 
gegen die Koaktion in II» ->''ii i. Der wegen seiner au.sgezeichneton Schriften über 
Frankreich geschätzte Karl Hille braud sei ihr Bruder. Bestimmtes über die Ein- 

') Aus der »Frankfurter Z 'itung* Mai 1887. S. Joau Kolaud, Marie Uille- 
brand 1821— 18ü4. Giebeu, Rickei, 18U5. 



L.iyui..LU Oy VjOOQle 



10. Zur Erinnening an Maiie Uiilabrand 



369 



ric!ituii>: d' i An'^talt, iiher die Art und Weise des ünterrichte and der finüebung 
kouate icli nicht fi-faliren. 

Ein Fieuiid tioi Anstalt — er daiüct ihr die Erziehung von vier Töchtern — 
lieb mir den Wonaoh ensspreofaeD^ der letstea Halbjahxe-Pffüfiing beizuwohnen. 

Herr RolAnd, welcher die äulseren Angel^eoheiten der Anstalt besorgt, 
einpfinf!;^ mirh aufs freTindlirlisfo. Tch wnr um zwei Stundeo zu früh gekonmieu. 
Dauklmr nahm ich dio Einladung an, bis zum Beginn der Prüfung in der Anstalt zu 
verweilen. 

Einige vienig MSddiea im Alter von aolit bis aehizehn Jshien weiden liier 
eraogen. Die jüngeren Zn<^'liiige kommen nicht selten direkt aus den FomiUen, die 
älteren aus den vorsf^hiodciist^'n Schulen ntul Instituten, wo manche bereits den 
ganzen l»brplaujnäIsigon Kurativ durchgemacht haben. Sie verbleiben in der Anstalt 
je nadi dem Alter, in weh^em sie eingetreten, ein Jabr nnd bis fünf und sechs 
Jahre. Die meisten Ittdchen stammen natQriidi ans Deutsdiland; aber auch aus 
England, Frankreich, der Schweiz, Rumänien sind mehrere da und wird deshalb 
deutsch, on^lisch und französisch gesprochen und unterrichtet. Man kann sich die 
Verschiedenheit der Zöglinge kaum noch grö&er deukt ti. Da ist h nun wunderbar, 
da& alle diese Midohen nicht in gesonderten Abteilungen (Klassen) von mehreren 
Lehrerinnen und Lehrern, sondern insgesamt von Fräulein Hillebrand allein 
unterrichtet und erzogeu weulru. Nur für Sprachen, Oesang und Klavierspiel, 
Zeirhnon und Malen, überhaupt für die sogenannten teobnisobea Fächer, kommen 
Hilfslehrer aits der Umgegend. 

Wihrend so Herr Boland alles, was mir neu oder doch ungewöhnlich war, 
bereitwiDigHt beschrieb und erklärte, ging plötzlich neben mir die Tluir*' auf und 
etwa« stürmisch trat fhw altf. schv (>iiifa<h f:oUoidi>te Dame ein. Lh li.itto kaum 
Zeit aufzu.stehen und da** »Fräulein Hiilel/i andlr dos Herrn Roland zu ver- 
nehmen. Sie falste mich bei beiden Händen und iu der freundlichsten, liebens- 
wnidigsten Weise begrttlbte sie mich wie einen alten Bekannten, den man seit 
langer Zeit nicht gesehen. »0 ich habe grofse Angst vur Ihnen, — &ß sollen so 
strenge sein — \m mir ist so weni?, wa^ die Welt interessieren kann - a1)*'r Sie 
sehen ja gar nicht so schlimm aus!« Danüt erhob sie ihre Lorgnette mir !>cliwariser, 
ungemein brcitcr und dicker Uomeinfassuug, hielt sie mir ganz dicht vor die Augen, 
schante mehrere Sekunden schweigend, als wollte sie das Innere meines Kopfes er- 
gründen, wandle sieh dann ab, setzte stofa auf einen Stnhl und «og mich nieder auf 
einen audorcn. 

^>un begann eine äutjerst lebhafte Unterhaltung. Unsere Anstalt — uu- 
geilihr antwortete mir Fräulein Hillebrand in heiterstem Tone auf die Fragen, die 
ich mir eriaubte — ist kein Institut, kein Pensionat, keine Familie, aber alles zusammen, 

am mei.«<ten eine Familie. In gesunden Körpern gesunde Seelen zu entwickeln ist 
das Endziel, dem hier alles dient. Wir bemühen uns, dio Zöglinge zu oi<fenor Thätig- 
keit anzuspornen, an eigenes Denken zu gewöhnen. Nicht gelehrte, sondern allgeineia 
gebildete, liebevolle, veratiUidige, tbXttge und heitere Fnm^ Imineht die Welt Für das 
Hans, für die Familie werden sie erzogen, gleidiviel 6b es ihnen beschieden vrird oder 
nicht, selbst eine Familie zu griinden; häu.sliche Tugenden zu bothätigen sind sie doch 
alle benifon. Und darin werden sie täglich 5,'^pübt. werden zur Sorg^ für andere und 
zur Ordnung augehalten, die sie selbst zu erhalten hal)en. lo diesem binne geschieht 
es, dalh sie sich in die versdiiedenen Pfltohten des Haushalts teilen und darin ab- 
wechselnd üben. Für die kleineren Kinder haben die älteren Madchen mütterlich 
zu sorgen. Gepflegt, gekleidet^ beim Spiel und bei der Arbeit beanfuchtigt werden 

2«llt«hilil lir FhitoMpkte nad PSdagOffk. S. Jalitgasc. 



Digitized by Goo^^Ie 



370 



B Mitteilungen 



die Kleinen nicht von Dienstboten, sondern wie in woiilgeoixineten Familien von 
treuen Schwestern, so hier von ihren älteren MitächiUerinneu. Ohne mein Wissen 
und Wollen, weder tm Lniine noch nnventändiger liebei darf auoh nur das 6e> 
lingste eigenmächtig verfügt werden. Sn liosorge ich «gentüdi die Kleinsten, aber 
ich besoi^ge sie durch die Orflfspren, damit die.se es richtig thun lenion. In dem 
gleichen Sinne wie die Kleinen werden die GroDsen erzogen — alle bilden ja bei 
mir eine einzige FkunOie, Aher je entsoiiietoier mit den ganehmendeo Jahren die 
Gh«raktw*Ajnbtgen sioh auBpiigen, um eo nötiger wird es, an der Stelle instinktiver 
Impulse eine donkende und verbindende Fürsorge walten zu lassen. K> ist nicht 
einerlei, welche Schülerinnen sich zu einander hingezogen fühlen. I>a Madi lien in 
diesem Alter mehr einem allgemeinen Bedürfnisse dos freundschaftlichen Anschlüsse» 
folgen, ale wirUioh indlvklm^e Znnoigungen empfinden, so kann und mub man ihie 
Gefühle auf den passenden Gegenstand su lenlCen suchen, Strohe einander näher 
bringen, tii" sii.h wfililtlmtig zu erp'inzer) geeignet sind und die so ;^eV»i1dntt_Mi Vlt-inon 
Gruppen dabei mit <li iii grofsen Ganzen in lebendiger Berühmug erhalten. Kiu \\\«'r- 
schwengliches Gefühl darf nicht die l'flichten gegen andere in den Uintcigrund 
aurBcfcdritogen ; der überaO schädliche Elgotsmns ist anoh in dieser Foim su he- 
kämpfen. Nur dadurch liUst sich die Bildung von Clitjueu und Koterien, das Auf- 
kommen klcinlii lnM" Intrifruen und gehü-ssiger Klutst tisiicht verhüten; nur so kann in 
dt r (iesuintheit, zum Glück und Wohl jeder I<Iinzeluen, eine Gemeinsamkeit ernster 
Arljeit und fieudigen Strebeu-s bestehen bleiben. 

lu den höheren Ifädchenschnlen, bemerkte ich, ist die Neigung, Cliquen und 
Koterien zu bilde», eine höchst auffällige Eim h< inung. Ks giebt da Cli'iuen nach dem 
Standn, tmcli d< n f^ozialeu VerhältnissiMi der Eltern, nach den Kmifossinnfn, die einen 
Verkehr miteiuaudur nur auf das Ciuschuftliche — möchte man sagen — beschiünken. 
Gfie werden jedenfalls begünstigt und gefördert durch die Schülerinnen -Kränzchen 
mit Kuohen, Kaffee, Wein, Tftnscheu und Maaketaiton, wie sie jetat Vöde sind und 
gegen die vor einigen Jahren dn ez&hraier Sohuldirektor in Fnuokfnrt alle guten 
Mütter aufrief. 

»Wohl veigebens!« meinte Fräulein Uillebrand. »Sie wissen leider nicht, 
was alles in diesen Kränzchen und den anhängenden Cliquen vorkommt Mädchen, 
weldie an soldien teilgenemmen, sind für eine Anstalt die grSbte Gefahr; ae sind nicht 
selten so in den Grund veixlorben, dafe wir sie möglichst schnell entfernen müssen.« 

*AhPT ist es nicht traurig, solche Mädchen hinaus zu stofeen? Bei Urnen war 
vielleicht der einzige Platz, wo sie noch gut werden konnten.« 

»Ja, es ist tnurig, und nur um die übrigen Zöglinge vor gewissen Gefahren 
zu schützen, entsehlieÜBen wir ans zu diesem üulkeistea Schritte. Aber eine Er- 
liehungs-Anstidt ist noch keine Besse rungs- Anstalt.* 

'Nehmen Rie in solchen Fällen nicht die Hille der £ltem, namentlich der 
Mütter in Anspruch?« 

»Ich thue es, leider fsst immer ohne den gewünschten Erfolg. ÜbHgena haben 
meine Erfahrungen mich zn dem Orondsatze ^führt, von meinen ZQglmgen jede 
Mitwii ktui^. ]• den KinfluHs der Eitern fernzuhalten. Entweder man vertraut mir die 
Kinder ganz an oder jrar ni'-lit.c 

Von den Müttern kamen wu uu£ dit) Erziehung in der Familie, auf die Kinder- 
l^lrten, ihre Bsgrunder und ersten Apostel, denen Fribdein Hillebrand zum Teil 
peisönlich nahe gestanden, auf die Gegner uud die geistlosen mochauisiercndea 
Epigonen nnd manf^hes nnden\ Aber die für niiidi sehr IfhrrfirlK' rnterhaltung 
mußte abgebrochen werden, denn die Stande der Prüfung war herangemukt 



Digitized by Google 



\ 

10. Zur Brinnanng an Marie Hillebrand 37I 



In doetn hellen Saale des erstou Stocks hatten üorren und Damen au«; der 
Umgegend und aus Frankfurt Platz genomnieu. Die Ausstathin*,' <Iph Saales war 
sehx einfach; ein Fest ächitmeu nur einige BlumouäträuJiio auf dem Katheder an- 
deuten SO sollen. Die Hftdohen Warden nidit wie eine Kompagnie Soldaten in den 
Saal geführt, ünbe&ngen nnd ungeordnet bainen sie herein, die kleinen und die 
grofsen, schoben und pafsten die aus dem anstofsendon Siuil»' init^iji'hrni hton Stülilt! 
mit zieiullohem Geräaeche hin und her, bia lüle in leidlicher Ordnung bei^uem bitzea 
konnten. 

Hier gieM'e also weder lange ^ke, nodi »wiesensdiaftlioh auGigdttlnstelte, an 

die Zwangsstühle in Zucht- und Irrenhäuser erinnernde Bank- und Tisch-Systeme^ 
in denen zwei o<i>T vier nebenoinand"r |L;t'sf''clcte Kinder s'u'li williivtHi ii< s aller- 
gntfstrii Teiles üjres Lehens nur vorsi< htig ruliren utjd wenden, hubeu und spctzfii 
können. Also auch deutsche Kinder d<uf mau, wie längst die amerikauischeu, uluie 
Sdiaden fttr die Itorperliehe nnd reUgiüs-idttliehe Eniehnog anf gans gewöhnlichen, 
billigen Stühlen während des Unterrichts sitzen lassen! Allerdings safsen die Sißld- 
ehm auch nicht wie die Automaten mit zweimal genau rechf \vinl<!if; j;'''r.iii'ktom 
Körper, mit aneinander geklemmten (iliederu und senkrocht aufgesetztem Kopie. — 
Nur wenige der gröCseren Mädchen hatten zu der Prüfung »Toilette gemacht«; die 
meiateii waren offenbar in den einfachen AlltagsUeidem erschimen. Keb HMdohea 
hatte es anstandig gefunden, äoh mit einem Sattel anter dem Rocke lächerlich zu 
machen, und keines hatte — wenn ich reiht jresehen — mit oiiifm Schnüiloihchen 
eine »Büstet im Geschmack der Schneidergesellen und i'uppen-Kuusiier geformt 

Fräulein Eillebrand trat dicht zu den Mädchen, musterte sie aufmerkaam 
durch die Loignette und die Prüfung begann. Von der eiageo Behringsstra&ef 
welche Aneu und Ameiika anaetnanderhütt, ging ee mit Fragen und Antworten über 
die Strome und Gebirpo der neuen Welt bis zum Meer, dann flus^s nach dem alten 
£uropa und hier in allerlei Kreuz- und Querzügen durch Uriechonlaud, Italien, das 
alte fiom, durah Fjrankrdch, England, die Schweix, Deutsoiüand. linder, Stidte nnd 
Telker, die in den Antworten ersdiienen, wurden geschickt zu Anknüpfungspunkten 
für die Geschichte und litterator aller Zeiten benutzt. Die Mädchen gaben mit ge- 
nauen Zcitznhlon Auskunft üb^^r füe» Tr\rf|uinf) und Jtiüus Cäsar, über Perikles und 
die Paläoiogen, über i'hiiipp den Schönen und das Zeitalter Ludwig XIV,, über die 
Angekachaen und Heinrich VIIL, tiber Wilhelm Teil und Karl von Burgund, über 
Dietrich von Beni und die Gudrun, Aber die Helden tind Heli&inen der Nibelui^sen, 
über die I{oformatoren und die Hohenzollern , über Katharine von Medici und 
Elisabeth von England, über Portia, di»» Gemalilin des Brutn«^, und Gertrud, Stauf- 
fachers Gattin. Ein Vergleich ergab, dafs die deutsche Frau in Sclxillers »Wilhelm 
Tdlc viel grttfeer erschebe, wdt höher stehe, als die romisdie Frau in Shakespeares 
Drama. Das Ges-präch der Gertrud mit Stiuffachor wurde von zwei Mädchen vor- 
getragen, und mit erhobener Stimme, mit feierlichem Nachdruck wiederholte die Er- 
zieherin die Von^e: 

»Die letzte Wahl steht auch dem Schwächsten oiEfen: 
Bin Sprang von dieser Brücke macht mich frei.« 

— So ging es in fireundliober, oicmals stockender Unterhaltung bis nahem 
halb seelis. Xi. inand war ermüdet, ani wenigsten die alte Dame, die Iömik-h Au<,'"ii- 
blick gesessen und sich nur manchmal auf eines der gröfsercn Mädchen gebtutzt hatt' . 

Das war eine merkwürdige l'iufung. Der systematisch geschulte I'iidagog,', 
der strenge Unterridit»>Techniker hatte vieles an den Fragen und Antworten aua- 
snaetien gehabt; aber das Ganse und der Geist, der es durchwehte, selbst das 

24» 



Digitized by Google 



372 



Wiäsea, dus in deu Aotwoilen dot MMchen zu Tage trat, kouuto jedun befriedigeu. 
Wie die eüuigo alte Daino, die denn vtendg MUdieii in der Weise zu unter- 
richten und xa erziehen vemuig» vie ich es in der Fröfong gesdien, int mir nicht 

klar. lu einem zwiir goimckten, aber nicht veröffeutlichton Prospeikte wird gesigt, 
die Zi>£r!inpp iniisstjn deu Stoff, welcher in der Lehrstuude vnr«<etrafrfn und durch 
Kreuz- und ^uti fragen vielbeitig beleuchtt;t worden, selbstaudig verarbeiten und 
smax gruppenweise, in einer Gemeinsamkeit der Anstrengung und gegenseitigen An- 
regnng;, wobei die ilteren Mädchen als Lehigehilfinnen die jüngeren notetatAtaen 
und leiten. Das kÜn^^f •->hr » infnrh. Xhcv um diose Mothcidf», die übrigens auffällig 
ai« Pestalozzis Sclmli- in liurpluif L'nim-'ii, \ ullstäiidi;/ vri-stolit'ii tmd wlmligen 
zu kuunen, würde auch der erfalireue l'ädi^joge eine iauger«? Beobjiclitung nötig • 
haben. 

Zoni Schluüse wurden die hübscheu Zeichuuugen und Handarbeiten beeehen 
Qud von den iläddien einige !iii'hi-sti!niiii;ro IJeder gesungen. Nach « iiicrn guten 
TmbiLs durften die MiUi' hon tanzen, wozu — wie Herr Kolaud freundlich be- 
merktc — sie ijumer Lubi liiiiten. 

Ifan darf wohl annehmen, dafe, wenn iigend wo and irgenA wann der Erfolg 
entscheidet, er über Erziehung und Unterricht das hetzte Wort hat TT-'ir.-u und 
'Dainfti. 'U'p'.i'ht» dii' Anstalt tlunli eigene Kiiid<'i- uud durch Kindrr befreundeter 
Familien kanuteu, waren des uueingest-hränkteu Lobtss voll. Mädchen, k(> ei"ziihlteu 
tue, welche daheiju die »wildesten Uunimelu« gewesen und in öffentlichen Schuleu 
und abgeecUossenen Instituten nidit gnt getfaan, seien bei Frftnlein Hillebrand in 
verhältnismäTsig kurzer Zeit fleUlsig und gesittet gewoiden. Die Schwachen wüi-den 
.stark, die Krüuklich«^n ^'esund. Denn die Er/iehunjj umfa-^-se hier alles: Kinpfiuden 
und Denken, Arbeiten und Spielen, Schlafen uud Wachen, Essen und Trinken. 
Keine »Ordnung« regle das Leben, sondern aus dem Leben miteinander ergebe sich 
nngeswungen die Ordnung. Jedes wisse sich mit allen anderen gleich beachtet und 
gleich geliebt. Ks wurden mir Eltern genannt, welche der '. r dt drei und vier 
Töchter zur Erzielnm»!; anvertraut. Mütter, die vor vielen Juiiren hier erzogen 
worden, hätten auch um Aufnahme ilu-er Töchter gebeten. MÄduheu, selbst solche, 
die schon »teil für die Oesellsdiaft«, erbäten von ihren Eitern als schönstes Oe- 
achenk die Etlaubnis, noch Ifiuger in dem abgelegenen Neuenhain bleiben an dürfen. 
Bei dem .\bendessen machte eine elegante Dame die Honneurs wie etAva eine 
lucJiter, die naeli luiif^^er Abwe.seuheit heijni,'ekointnon und durrh dio l.b'ho beglückt 
wird, Wülciie man von allen Seiten ilirer Mutter er^veist ^Ist die Dame eine Vor- 
wandte des Hauses?« fragte ich leise meinen Nachbar. »Nein; üe ist hier enogen 
worden und kommt zu jeder fustUchen Gelegenheit ans Frankfurt herüber.« — 
Auch wxirdi'u Beispiele erzählt, wie Frauen, in dio Drangsale des Lebens verschlagen, 
mit dem letzten Keste der Hoffnung zu ihrer alt<ni Erzieherin geeilt, um getröstet 
und bemtcn zu werden, uud wie sie diuiu mit fn.schem Mut und fester Zuversicht 
die harte Arbeit um ein neues Glück begonnen und an Ehide geführt haben. Ton 
Menschen, welche die «Tagend bilden, kann Kühmenswerteres nicht gesagt werden. 

Ich erzälüo nur, was ich Loschen und gehört habe. Ich getraue mir nicht, 
von einem Muster zu sprechen; ai>er auf ein BeLspiol möchte ieh die Blicke lenken. 
Über die Erziehung und Bildung der Mädchen wird gegenwärtig viel verhandelt. Es 
will mir scheinen, dab Männer und Frauen, beamtete und unbeamtete, auf ganz 
neue Gedanken kommen würden, wenn sie aucli Anstalten, wie die in Neuenhain, 
gründlich keuuon zu hörnen suchten, wenn sie Erzieherinnen, wie FräuKin Marie 
Hille bland, auch sorgsam beubachteu und ihre ErfaUiuugeu uud Ansichten prüfen 



Digitized by Google 



11. Nationaltage für deutsche Kampfspiele 373 



uuü mit dou Grundsätzou uud Vom'hnft<m iu »Ordnungen«: und 'Regnlativeu- ver- 
gleidieu wollten. Fruilicli, mit aller Unbefaugenlieit mülste es geschehen, auch wenn 
es nioht su venneide» wilre, em^ berfihmte Schablonen und Meister vor dem hier 
waltenden Geiste eiligst sn verbeigen.c 



11. IJationaltage für dentsclie Kampfspiele 

Aus der Mitte des Central - Aussr!ni<tso«; zur >YiHf'ninrr der Volks- und .Tii^^'nd- 
$piele in Deutschlaocl ist der i'lau erwachsen, ein deutsches Uiyinpia zu schaffen, 
, d. h. eine geweihte Stütte, anf welcher in regelmftlaiger Wiederkehr ein allgemeines 
deutedbes Fest nach Axt der olympiaohen Sjmle der allen Hellenen stattfinden soU* 
Erwachsen ist dieser Plan aus einer vom O^ntral - AuHschufs im Jahre 1894 aus- 
geschriebenen Prfifis'rhrift : »Wie sind die dffciitliclipn Ffsto dos deutschen Volkes 
aeitgeniäts zu reformieren und zu wahren Volksfesten zu gestalten?« Im Mittel- 
punkte des dentscben Olj inpia soll, yenchmit durch die Kunst, die deutsche Mannes» 
jugend stehen^ welche iu körperiidien Übnogon mannigfacher Art deutsche Kraft 
uud Stärke zeigen soll. Gedacht wirl das Fest iu dem durch die gixifse Völker^ 
Schlacht geweihten Leipzig. Die erste Feier .soll im .lahro 11)00 stattfinden. 

Abgesaadto des Central -Ausschusses und der deutscheu Xuruorschaft hal)en zu 
diesem Zwecke einen provisorischoi Ausschuls gebildet, so wdchem siwter Vertreter 
nationaler sportlicher RicbtuDgen hinzugezogen werden sollen. 

Dieser für unser Vaterland hrufi hedeut^niric I'Ian wiixl jetzt in uiiar Di'iik- 
schrift unter dem Titel »Natirinalta^je iuv ileut^iche Kiunjdspiele« (deutM Ii - iiatKiiuih's 
Olympia') vom Geschäftsfühler des Ceutnü - Ausschusses zur Förderung der Volks- 
und Jngendspiele in Deutadiland, Realschuldirektor Ba yd t- Hannover (Voigtländers 
Veriag, Leipzig, GO Pf.), eingehend und in einer Darsti'Uung, die von hoher Be- 
g.-'is-tcrun^^ für dieses echt vaf"iIiui(]lM lie Zid frotra;,'.'ii i-t, (!»'r nffnjflichkeit unter- 
breitet. Die 32 üktavseiteu unifwÄseude liruschun* gliedert den 8toff in die 12 Ab- 
schnitte: Das alte Olympia, Internationale olympische Spiele, Verhältnis zu den 
Tomfesteo, Gesdiicbte der neueren Bestrebungea für ein deutsehes Olympia, Ist die 
Zeit fftr ein deutsches Olympia gekommen? Wie kann njan sich ein deutsches 
Olympia vorstellen? Ort des deutschen Olympia. Zeit dfv Vcninstaltttug, Kcgel- 
mälsige >Mcderkehr des Festes. National tage für deutsche Kampfspiele, Vorläufige 
Oiganisati(«L und Schlulswort. 

Die Denkacbrift verdient die weitgehendste Verbreitung und sollte von jedem 
guten Deutadien gelesen werden, auch von demjenigen, der im Augenblick noch 
dem Gedanken eines allgemeinen deutschen Festes zucifoltul f,'i i,'i'iiülir'r steht. Den 
Freunden des Plaues wiixi die Schrift aber ein wilikommones Forderungsuüttel sein. 
Ob ifoiaelbe \m sonen eibeUichen Sdiwicrigkoiten auf den eisten Antrieb hin sur 
glncldichen Durchführung gelangen wird, möge der weiteren Entwicklung vor* 
behalten bleiben. Aber, einmal aufgenommen, wird er niemals wieder verschwinden; 
denn unser fle\itMrhp<? Volk*;tum bedarf bei der lii^titi<ren Einwirkung so maiiingfaclior 
auseinandertreibender Kräfte auch solcher Kräfte, die wieder einigend uud erhobeud 
einwiiken. Und dies werden von patriotiBoher Begeisterung getragene National- 
tage thun. 



Digltized by Google 



374 



B Mittuilungeu 



12. Der Scliultreund 

SüdUeutsclio llliittL'r für erzieiieiidcn rntt.'rricht. Herausgegeben von J. L. Jettor, 
Lehrer in Steinbeim a. M. 5. Jatu-gaug. Ei-scheint mouatlicU eiuiiial. 

Programm 

]. Der Scbolfreiind will der Erziehung in der Sdiule besonders dnroh den er- 
gehenden Unterricht dienen. 2. Damit Stellt er sich aufs entschiedenste auf den 

Bod''n <ler rhristlirlit'n Tvi>ligion und fiepen allf iri."-'iid\vio niatrnallstisch ^art^^to 
Auffassung und Ausübung des Lehrerberufes. 3. Er sucht Fühlung mit aUen 
Kreisen, die an der Erziehung beteiligt sind. Er wendet sich darum nicht blols an 
die Lriirer, sondern vor allem rach an die Eitern und dw Geistlichen. 4. Er strebt 
init allem Emst nach einer Verbessenm-; <lrs l"'ntorrir'ht8, ja einer Besserung der 
Zu.ständo im ^'anzen Schulwesen. 5. Er M);i< lit ^il■h auch die Fordt ninj? der iimeru 
Hebung der Lohrer zu einer wichtigen Angelegenheit, in der l berzeugung, daln da- 
von in erster linie die Hebung der Schale abbXugt Auch wird dadurch der 
inberen Hebung des Sohulstandea am besten gedioii 6. Er tritt ein für eme 
Änderung der Schulverfassung in der Richtung, dafs nicht blofs dem Lolnorstaude, 
sondern allen bei der Erziehung hnteilipton Faktoroii ihr Recht teil wenie. 

7. Iii allen diesen Bestrebungen wird er sich getreu und unbeirrt nach festen 
Qrandalttxen richten, wie sie die wiasensohaftüche I^dagogik an die Hand giebt. 

8. Er wild «ii volbtXndig freies Blatt aein, unabhängig naoh oben und unten, 
nach rechts und links. 9. In ihm soll die so TemachlSasigte ehrliche Kritik der 
bestehenden Srhuhuslandr» ihre Heimstätte haben. 10. Er wird die Wahrheit sagen, 
wie sie ist, uut>ekummert darum, ob sie genehm oder nicht genehm ist. 11. Er 
strebt an sdnem lieile nach einer Befreiang der Schule von allen Parteieinflflesen. 
Der Beruf äber allea, vor allem und über allem t 



18. Handbudi der Ersiehmiga- und ITnterriohtBlBhre 

für höhere Sohnlen^) 

In Verbindung mit den Herren Arendt (Leipzig), Brc-cks (Marionwerder), Bruuner 
(München), Dettwcilcr fB*'ii>hrdm\ Frirs (Hnüp). la iiiiinj^ (NüniliLir). Günther 
(München), Jaeger (XoJni, Kie.s»liug (Hamburg), Kirchhoff i^Uulle), Kotel- 
mann (Hamburg), Lion (Leipzig), Loew (Berlm), Matthaei (Kiel), Matthiaa 
(Düsseldorf), Münch (KoUenx), Plew (Strabbuig), Sohimmelpfeng (Dleld), 
Simon (Strafsburg), Toi scher (Prag), "Wandt (Karlsnihe), Zange (Erfoit), 
Ziegler (Stxafobuig) n. a., herausgegeben von Dr. A. Baumeister. 

Ans dem Prospekt 

Während man an den liölieron Schulen noch vor kaum einem Monscheualter 
im allgemeinen nur wenig von der Wissenschaft des Unterrichtens als solchen 
wissen wollte und sehr heiroiragende SchulmSnner sogar nicht selten auf die pKda- 
gogischen Theorien geradezu mit Oeiingschätzung herabsahen, tat w ilhrend der letalen 
Jahrzehnte in dieser Kichtung ein vollständiger Umschwung erfolgt Es ist mm- 



*) Das Werk besteht aus 4 Bänden, Lex. -8% C H. Beckeche Yerlagsbuch- 
bandlung (Oskar Beck) in Müuchen. 



Digitizcd by Lit.jv.'vi'^ 



13. Haadbttck der Erziehungü- und Unterricbtsielirc für höhere Schulua 375 



uiohr eiue allseitig iuiuikaimte Wahrheit, dats obeuso wie das Studium seiner Spezial- 
wLsi>enächaft für den Lehrer an höheren Schulen auch die Beschäftigung mit der 
WisseiiBciwft der Fttdagngik und Didaktik notwendig Bei, und dab, wenn, wie es 
früher so oft der WsH war, Anfänger ihre Kräfte ohne alle pädagogische theoretische 
Schulung zu probleren, eenötigt waren, d'w Sihiilcnvrlt (J'-rartitro Expcrinifiiti' oft 
genug hat teuer bezahlen müssen. In iuuner weitere Kreise der l.,ehrem'elt i.st du» 
Bewufirtaein gedrungou, dali die mann^faidien endehenden Elemeiite, die in jedem 
ünterriditefBafae liegen, ädi not da bewShien können, wo sie mit T<dlem Bewulst- 
sein imd methodisch aagewandt werden, und dofs nicht in dt r oi-drückenden Stoff- 
ma.sse irgend welchen l"'ntorrichtsfjpponstaude.s die Zauberkraft ^'cistbildf^nilcr Wirkung 
bei-uhe, sondern zur Leitung jugendlicher Geisler und zur harmuuiächeu Entfaltung 
aUer Se^nkiifte ein imch genaner K«mtii» dieser Seele adlet gegrttndeter Lehr- 
gang fftr jedes Lehxfach ausfindig zn machen ael Aus dieser Erkenntnis ist 
während der letzten Jahrzehnte durch das gemeinsame Bemühen zahlreicher Kräfto 
eine Art von neuer pädagogischer Wissenschaft und Praxis entstanden und auch 
die Staatsregierungen haben mehr und mehr die Berechtigungen dit^r Bestrebungen 
anerkannt Entweder hat man sdioa mit der Einführong einer sjstemalisoliett 
Lehrerhihlung for hjjhere Schulen Emst gemacht oder man ist dcch im BegrUfe, 
es zu thun! 

Um die auf dmn Gebiete dieser Bestrebnui^cn liislier t;.»wonnenen Ki;^n-bniss»> 
sn sammeln und zu einem Oesuntbilde der heutigen Wissenschaft, Praxis und 
(hganisation des höheren Unterriohtswesena au Tereimgen, inabesondere aber um 
den Lehrern an den höheren SchiUen selb.st samt denen, die es werden wollen, 
also den Studierenden und Lehranifskaiididaten, ein aasreichend i s umJ be^iuem zu- 
sammfnirefafstc«; Material für dio Tlieurie und Praxis des hnh»>reii Unterrichts und 
der Erziehung zum Studium und zum Nachschiageu au die Hand zu geben, haben 
die ünteneidmeten den Flan au dem yoiü^nden »Handhnoh der Ersiehung»* 
und Unterrichtslohre für höhere Schulen« gefafst. Das Werk tritt in An* 
laiTP und Ausstattung dem »Handbuch der klassischon Alft tluniswissenscliaft, heraus- 
ge^'e>H?ii vou Iwau V. Müller« ergänzend zur Seite. Wie dieses mit so gro&em Bei- 
fall aufgenommene Werk will es vou dem Vorteil der Arbeitsteiltuig Gebrauch 
madien, also fär die einaelnen Oehiete FaobkapasiläteD das Wort geheUf und ^aabt 
damit den Weg an betreten, der zu dem gesteidien Ziele am siebenten hin- 
führen wird. 

Wie schon der Titel besagt, wüi unser »Uaudbuch der Erziehutigs- tuid 
Unterriohtslebre« aussohlielslich der »höheren Schule«, dieser aber insgesamt, dienen. 
Es wendet sidi alao sowohl an die hnmanistischen als an die realistiachen Bildnngs- 

anstalten. Daraus erheUt, dafe keine vorciugenommone Parteistellimg imser Werk 
bef'infliUlst. Wohl vorkennpn wir nicht die dt r OolchrtoDschiüe in unseren Tajircti 
drohenden Gefahren; vielmehr war einer der gewichtigsten ikjwoggrunde für unser 
Unternehmen die Erwägung, vieBei^t etwas zur Sicherstellung der Grundlagen der 
hnmanisiisohen BUdnng beizutragen, indem es anf einen pftdagogisch und didaktisch 
geläuterten, den veränderten modernen Verhältnissen angemessoni^n Rehulbotrieb der 
kLi>sischen Sprachen und Unterrichtsgf'<;r»n«?täude an seinem Teil hinarbeiten helfen 
will. Vollberechtigt auf den ihr zugewiesenen Gebieten stellt sich aber neben die 
Oelehrtenachide im engeren Sinne, die wir allerdiogs toH anfnchUialten wollen, 
anoh die Reabcfanle in ihren veraohiedeneu Gestaltiuigen, mit und ohne Latein, und 
wir wünschen sie im Bewtilstsoin ihrer Unentbohrlichkeit in unseren Tagen in 
{Richer Weise wie jene gefördert zu aeheu. Die formalen Aniorderuugeu des 



Digitized by Google 



376 



B IGtteflniigen 



Unterrichts an der }?« a!sf Imlo in dt'ii bf'züfilii In n Fächern sind von denen an der 
humanistischen üelehrteoscbule nicht verschieden ; soweit die graduellen Unterrichts- 
ziele boider Katcgorieeu etwa auseinandeigehen , wird es Aufgabe der spesidlea 
Didiktik Min, diesem Punkt entsprediende Anfmeiteunkflit luinwenden. bidem 
wir aber nach rerflioher Erwägung dem vorliegenden Werk di« Anlage gabon. (infs 
es he'v\e Kxohhm^pn des höheren Unterri< htswfsens glei<-liniärsi£r berücksichtii^t. haben 
wir uns von der Hoffnung leiteu la&ieu, damit zugleich dem friedlichen Nebeneinauder- 
«rbeitmi und der «ntnetrebendea verkommenen Anssöhnnng zwischen denselben 
föxdedklb ta «ein. 

Ist nun nach dem vorgeführton Pm^ramm die Aufgabe unseres »Handbuch 
der Erzit'hungs- und Unterrichtslehre fiir hitbPTt^ Schiden« der Natur der Sache 
nach in erster Liuio eine praktisch- pädagogische und will unser Werk vor allem 
der Sdrale aelljet nnd den Schnlmftnnem dienen, so schwebt nnserem Unternehmen 
doeh auch noch ein Nebenzweck vor Augen. Die iiäiln^'op sehen Fniiri n sind ja in 
unseren Tiujt ii eines d^ r SchoCskinder der öffetitli' In ri Meinung gewoi-den. Fmircti 
wie die über den Wert der klassischen Sprachen fiir die Erziehung der (legeuwiirt 
oder der sogenannten Cbcrbürdimg der Schüler beschäftigen die Tresse aller Parteien; 
der Wettstreit swisdien Oymnaaiam nnd Bealacbule wird in öffentlidien Ver^ 
samndungon und Vereinen erörtert Um die Verfassung, Aufgaben und K«3chte der 
h'ilierMii Si:liul--ti in ilircn vorschicdcnr«n Abarten ist uiiti'r allv'ii (''oliiMcten ein 
Meinungsstreit entbrannt. Würde nun dieser Kampf >itets mit derjenigen Kenntnis 
der wahren Verhältaisse geführt, die für die Beurteilung unumgängliches Erfordernis 
ist, 80 würde er auch gewifo weniger Gefahren bieten. Wir hegen oon die HofCnung, 
dafe YUMer Werk, indem es gleichsam einen Recheoscbaftsbericht über die Zielet 
T/cistungen und Methode der höheren Schule in ihren vcr*;i: liicdcticn Oo^italtun^'u 
ablegt, dsizu beitragen wird, diese Kenntnis auch aufserhalb der eigentlichen Schui- 
kreise zu fördern und wir würden uns ganz besonders freuen, wenn durch dasselbe 
asioh Nichtfoohnfdnneni der gebildeten KlaasO) den Eltern und namratlioh anch den 
Beratern der Gemeinden und Staatsbehörden, Abgeordneten o. s. w. Dienste geleistet 
wurden. 



14. Die Zeit 
•19M für MtftMlei MallsoHK tnf chrMUAer Cmdlage ^) 

Waa wollen wir? 
Von Pfarrer Friedrich Nanmann 
Bs wire sehr schön, wenn wir sagen könnten: wir wollen den ewigen Frieden 

und das Glück aller Menschen. Wer sollte beidt« nicht wünsi^heu? Aber Wünschen 
nnd Wfillen ist zweierlei. Wollon kann man nnr Diiip^r-. welche sich in absehbarer 
Zeit verwirklichen lassen, zu deren Verwirklichung man selbst beitragen und deren 
Kommen man einigermaben Toihw heredUMo kann. Nnr in diesem Sinn axAl unsere 
Frage verstanden sein: Was wollen wir? 

Wir wollen in erster linio ein politisches Blatt sein und deshalb muTs <lie 
Antwort einen politischen Charakter trajjcn. Es liandelt sich um lanpsanie aber 
zielbewulste Vorbereitung einer neuen Partei im offeutlicben Leben Deutschlands 
und zwar einer Partei ffir nationalen Sosialismns anf ohristlioher Grund- 



Durch die Post au bezieben; vierteyahrUch 2,40 M; Festaeitungslist« Nr. 3262. 



DIgltized by Google 



15. Die Zeit Organ für nationalen SoziatismiiA auf ebrietUcher Orondlage 377 



ln^f\ Eiuü s*>li hl- Partei ist nötig, Vena der ßoxialisnus unserem Volke mm 
dauernden Sogni wi idtMi soll. 

Bis jetzt hat die Sozialdemokratie diö Führung der sozialistischen Be- 
wegung in Händen und wird sie Yermadieh auch noch Ittnipere Zeit behalten. 
Dennoch glanbvu wir nicht, dafii die Soziiddemokntie. deren Yerdienste nin die 
Organisirnmi; des Arbeiterstandn«? fjanz unbestreitbar sind, sicli ('iCT''n wiixl, viel zur 
Verwirkiii Uuug ihrer eigenen Ideen durch die Gesetzgebung beizutragen, weil sie 
eioeui Grunderfordemis nicht genügt, ohne welches ein regierungsfähiger Sozialismus 
nicht gedacht werden kann. Die Soatiaklemokratie verkennt die Bedeutnng der vater' 
liindisdK n M.\üht in den Kämpfen der Völker. Sie hat kein Gefühl dafür, dar» 
l)< utM bland stark und mächtig sein nmfs, wenn die di titschp Arbeit ertragreich 
sein .soll. Solange die Soziiddemokratie bei ihrer Ablehnung der nationalen Macht, 
des Heeres, der Flotte, des Kaisertums hieiht, wird sie immer nur Oppositiouspaitoi 
aetn. Bs acheint aber die Zeit zu kommen, wo ein positiver vaterländisoher Sozia^ 
lismus möglich ist. Diese Zeit wird dann kommen, wenn die Kegieruug den aua- 
reichenden Schutz des Vaterlandes von den in sich zusammensinken b n ixlt^n Parteien 
nicht mehr erreichen kauu, weou sie genötigt sein wird, mit dem alten Sozialismus 
eincu Pakt zo machen, um das Vaterland m eriialten. Dafe dieser Tag nicht bald 
kommen wird, ist van» gewib. Uin wollen wir Torbereiten, 

Auch wir wissen, dafs im Fleer niclit alles Gold ist., waa glänzt und dwU auch 
KHi«er\vortp jiicht unfehlbar zu sein brauchen, aber wir wollen uns durch die be- 
rechtigte Kritik nicht die Freude an Deutschlands Macht trübeu und die Einsicht 
in die Notwendtgkdt wetterer nationaler Eftmpfe Termindeni lassen. Das neue 
deutsche Reich hat noch gewaltig nm seine ExistMis zu ringra. Wer ist dieeea 
Reich? Das sind wir alle, und der wird auch in der innei'en Politik dieses Reiches 
das meiste bedeuten, der in der äursprcn T*f>litik unbedingt sicher i-^t. Danun mufs 
ein Sozialismus, der nicht blofs Worte machen, sondern Hilfe bringen will, eiue 
andere Gesamtpolitik verfolgen, ab die heutige Sozialdemokratie. 

Den Gegnern des Soaalismus mub ein für allonak) die Waffe entwunden 
werden, dats sie .si<:h für die »staatserhaltenden« ansehen. Wir leugneu, dafa 
die alten i'artei«»n in ihrfin heutigen Bestand staatserhaltend sind. Sie wollen vom 
Staat erhalten weixicu, ihn aber zu erhalten, sind sie viel zu lahm. Dazu gehört 
Zukonftsfreudigkeit, Begeisterung, Oftferfrendigkeit. Wo aber sind diese in den alten 
Partien. Wir wollen ihnen das Wort »staatserhalteod« wegnehmen und ee zu 
unserer PaiX)le nhK^hen. Wie kann ein moderner St.iat orhiüteu w«'rden, der im 
Interesse von einer K^sitzenden Minderheit geleitet wird? Staatserhaltend ist eine 
Kegieruug, die sich auf die gesunden und auft>treb(.>ndeu Teile der Volksmasse stützt, 
und staatserfaaltend ist eine Partei, welche weiJh, dab sie nur gewinnen kann, wenn 
die Staatsmacht zunimmt, und dab sie dem Vaterland einen Dienst erweist, wenn 
sie den Einflufs der bisherigen bevorzugten Klassen mitidnrt. 

Den oi-sten Schritt, den f»itio Partei d<^s nntionalen Sozi.ilistmis thun mufste, 
würde sein, dids sie die freiiit-itiicheu Bestrebungen des iu seinem Fnihliug erfrorenen 
Liberalismus fortsetzt Wir haben noch kein freies deutsohes Verein^^tz, 
keine Sicht^rOBg des politisch notweudigi ii fivi. ii "Wortes, wir haben keine gosctz- 
lirhi' Ant'rkcnnnnjr dor frei sirh iM'Mi'iulm ncnifxiii^anisationoii, wir haben keine 
Vertretung der besitzlosen Ma.«*se im gmfctci» üindtag Üeutsclilands und in den 
meisten Städteverwaltungen. Diese Dinge zu erringen, ist noch nicht im engeren 
Sinn sodalistisch, aber es ist ^e Vorbedingung sozialer Refonnen. Mit den heutigen 
Stadtvertretnngeti und Landtagen iKfot sidi ein praktischer Sozialismus nicht machen. 



Digitized by Google 



378 



B Mitteilaiigea 



Ent also handelt es sieh um nationale Frelhettsrechtef am jene Meute, die von der 
nationalliberalcD Partei zum alteu Eisen fevoifen worden sind. 

Es handelt sii-h aber uicht unr nm <»in Erbe vom dtnitschou Liberalismas, 
suiideru auch um oiti solches vom Kouservatisinas. Die Konsul vativen habeu das 
Christentum hochgühalteu, wiibruud LibüralLsmu» uud Sozialbmuü m dcu ver- 
gangenen Jabrsehnten in seiner Verurteilung dnig waren. Nun, wo die Waaeer 
des Materialismus sich verlaufeu habou. kommt das Chi isttutuin wieder und mddet 
sirlv als di»^ WL'ltaD.schauniij: 'irr n.l ■h-t^d Ei>o<:he. Aber fiX'ilich ist es nicht uu- 
berührt vuu doni Umschwung des Denkens im allgemeinen, es kommt al« soziale« 
Chiutentum und greift die wahre imd ewige Pci^ou Jesu aus dem Beiwerk der 
Zeiten heraus, atdlt ihn in die Mitte, liebt ihn, will sich von ihm lehren und leiten 
lassen. Ein solches w ahrhaft evangelisches Christentum« dxs mit der Bibel emst TO 
ntachen sucht, pafst nicht zu konservativen Trad}tion<>n niid (Inniin irrciffn wir es 
auf uud lai>seu es uu»er Licht seiu, eine Leuchte vuu unerlösehliciiein Oianze, von 
noaasBchöpflioher Leuditkraft Um diese unsere Stellung zum Christentum mm vorn- 
herein klar und fest auszusprechen, reden wir von nationalem Sncialismus auf christ- 
licher (»rundlage. 

Von drei Seiten i])>hin<>n wir also unsere Uruudgedtuiken und von drei Seiten 
er^varteu wir JiCser und Mitarbeiter: 

1. Sozialisten, weldie mit der allgemeinen politiachen Haltung der Sotial« 
demokratie nicht zufrieden sind; 

2. Liberale, welche mit natiomd»Mn Liberalismufi Ernst machen wollen; 

3. Konservative, welche das praktische Christentum der iiiUe und der Ihat 

foixlern wollen. 

In welcher Weise «ich diese dreierlei Elemente zusammenfinden und zu einem 
leistungsfähigen Körper zusammenwaohsen können, wird die Zjiknnft zeigen. Augen- 
blicklich ist erst die dritte dieser (iruppen in stärkerer Gärung hcL'riffen. T>io 
christlich-sozinleti Elemente troiinen sieh vom Konservatismus. Olii' kaufl Macht 
euch frei, ganz frei, innerlich frei, dann Wüi\let ihr die Vurtruppeu der kummcudeu 
Partei werden können! Ihr allein seid zu wenig, ihr vertretet auch nur ein Drittel 
dessen, was wir brauchen. alM>r ihr .seid die Ersten, andere werden kommen, wenn 
die innere Politik Pr(it-.rlilari'K sich M'eiter entwickelt. Welche Mor rinderen Gruppeti 
.sich zunächst von ihr ri lii:^lierigeu Zusiunmenhängen lösen wml, ist heute iiKch 
uicht zu sagen. En>t dauu, wenn alle drei gekummeu üind, iat eine Partei im volleu 
Sinne des Wortes möglich. Bis dahin heibt es: arbeiten, denken, reden, sclueiben, 
oigansicren lud mit leuchtendem Auge der Zukunft entgegensehen! 



Am 30. September WM] starb 1)4 Jahre dt M 1 1 tz Wilhelm Drrbisch 
in i^eipzig, seit 1842 Dozeut oii der Uuiveräitat I/'ipzig. Seine zahlreichen 
Schriften sind verzeichnet im l, Heft der Zeitschr. f. ex. Phil, und in der 
Ribliogra])hie der Schule Üerbarts in Rems encyklo|»üdischem Handbuch. 
Über Person und Bedeutung, veigl u. a. Brasch: Leipziger Philosophen. 
18114. S. 14. 

Aus dem Naclilafe des Vcrstorbeucn ist noch ein umfangreicher Brief- 
wechsel zwischen Uerbort und Drobisch zu erwarten. 



Digitized by Google 



C Besprechungen 



I Philosophisches 



H. Hertz, Die Priuzipien der Mechanik in 
neuem Zusammen hange darf^estellt. 
Heinrich Hertz .starb am 1. Januar 
1894. Kurz vor seinem Tode ül)orj,'ab er 
den grüfsten Teil des Mauuskriiits vor- 
bezeiehueteu "Werkes der Verlagsbuch- 
handlung und übertrug die Herausgabe 
einem seiuer Schüler. — v. Helm holt z 
hat über den friili Verblichenen den Aus- 
spruch gethan: »In alter kla.ssi.scher Zeit 
w'ürde man gesagt haben, er sei dem Neide 
der Gütter zum Opfer gefallen.* So werden 
die Darlegungen de.s Verfaiisers obiger 
»Prinzipien« , geschöpft au.s den tiefsten 
Dienschlichen Blicken in das ^Vescn der 
Bewegung und getragen von der Absicht 
nach Vollendung logischen Au-sbaues auch 
im Leserkreise dieser Hefte wohl oimge 
Beachtung finden. 

Mau braucht nur an den Ursprung des 
Kraftbegriffes, an die Schwere, die Pol- 
richtuiig der Magnetnadel etc. , au die 
Muskelkraft zu denken, um die Entwick- 
lung der Mechanik, wie sie in den New- 
tonschen Gesetzen ihren Abschlufs hat, 
erklärlich zu finden. Die Mechanik ver- 
wendet hier vier Grundbegriffe: Kaum, 
Zeit, Masse und Kraft, und auf letzterem 
Begriffe, als dem einer Ursache der Be- 
wegung, liegt das Hauptgewicht. Yüt die 
Lfisung praktischer Aufgab«'n hat sich zu- 



denj die so aufgebaute Wissenschaft als 
völlig ausreichend ergeben und sie bildet 
dalier noch heute das herrschende Lehr- 
gebäude. Nun haben aber Kraft und 
Masse als getrennte Begriffe offenbar 
nicht jenen Wert eines unrückführbaren 
Grundbegriffs wie Ha\im und Zeit, luid 
nach bestbegründeter Hyi»othese, dids 
Kraft ohne Masse nicht existiere, erscheint 
»Kraft nur als eine Auffa-ssungsform, und 
als Grundbegriff tritt »Masse« allein ein. — 
In ähnlicher Auffa.ssung sagt soh(m K i rch- 
hoff: >Bewegung ist Ändenmg des Orts 
mit der Zeit; was sich bewegt ist Materie. 
Zur Auffassung einer Bewegung sind die 
Vorstellungen von Raum, Zeit und Materie 
nötig, aber auch hinreichend.« Trotzdem 
lehnen sich Kirchhoffs Vorlesungen 
über njatheniatischc Physik noch zu sehr 
an die bisherige I^hre au, als daCs sie 
vorbesprochenen Gedanken zur vollen 
Geltung gebracht hätten. Hier nun tritt 
Hertz ein, und stellt in dem zweiten 
Buche seines Werkes ein einfaches, ja 
sogar leicht verständliches I/ehrgebäude 
der Mechanik auf, welches nur auf den 
drei Grundbegriffen Itaum, Zeit und Masse 
berulit, und aus einem einzigen Erfahruugs- 
satz deduktiv abgeleitet ist. Die auffälÜgo 
und gleicljMohl durchaus zutreffende De- 
finition beniht in dem Sj\tze: »Ein Massen- 



380 



C BespTedningen 



teilchen ist ein Merbnal, darclh welches 
wir einen bestiinniten Punkt des B&unu s 
zu f!;pf:»^?)<^nrvr Z''it oiiifli ufiir zu ordueu 
einem bosTimmtea Puukte des Kaameä zu 
jeder andern Zeit« 

Jene vorern^ate Einfidiheit imd 
Leichtverständlicbteit wird WMenllich da- 
dur< h nrr<*ipht. dnf« alle d^r Geometrie 
uüd Analysis augehimgea Oedaukengänge, 
welche als HUfsmittKl der Mechanik dienen, 
in doem eisten Boche »Zur Geometrie 
und Kinematik der materiellen Systeme ^ 
vonvp«,' dnrirpstollt werden. Hier werden 
Konf]g;iratton und absolute Lage der Sy- 
steme der materielle» Ptinlcte, Verrftclnuf 
gen der Systeme« Bichtnngsimterachiedo 
uud Zusammeusetzuugen vonVerrückungeu, 
die Auciniiuderfiipinrr uueudlidi kleiner 
Verrückuugcu zur Bahn des Sytitems, die 
Krümmnngder Bahn, die Zusammenhänge, 
welchedieBewegongsfretheiten bestimmen, 
ferner gewisse ausgezeichnete Babuen, ge- 
radosto. kürzeste, geodätische Bahneo etc. 
bebimdelt. 

Charalcteristnch ist diesen analytischen 
DarsteUangen eine neue, dem (»egenstaude 
glücklich angejiafste Form un l iIlt Um- 
stand, da£s gleich von vornherein ganze 
Systeme von Punkten vorgestellt weiden 
uiid »0 die ^handlnng des einzelnen 
matoriellen Punktes ftiatganjs rers('lr.vindet. 

Der Inlialt dieses («rsttTi Bii< ln-^ lic- 
ruht nach Hertz »auf den (ie.setzen der 
innem Anuchauung uud den Formen der 
eignen Logik des Ausjugenden und bat 
mit der äuberen Erfahrung keinen andern 
Zusanmienhang, als ihn diese An.schau- 
UDgeu uud Formen (>t\^ a habeu.« Um- 
gekehrt bemht dagegen das sweite Buch, 
die eigmttidie Mechanik anf einem« and 
zwar eiuem einzigen Erfahrungssatze, dem 
(•nuidge«pf7". — Bci'ifn Bii<^bern p^ht 
eine umfangreiche Einleitung voran, auf 
welche wir spftter torückkommen. Sie 
ist für den Philosophen höchst lesenswert 
und erbiilt ein iiiforessaute Beleuchtung 
durch ein Vonvort von v. Helm hol tz, 
wohl einem letzten Schriftstücke dieses 
Forsdiers. 



I Wir hetraehten nnn das von Herts 

aufgestellte Grundgesetz, die au-s dem- 
selli'Mi ;ili;,'oI>'it('ton T,o!trsritzt' und deren 
Zusammenhang, bezw. deren Identität mit 
den «ogenannten Prinzipien onsrer ge* 
wShnlidien Mechanik. 

Es handelt sich zunächst nur um freie 
materielle Sy.steme, d. h. solche, in d»^nen 
die ZusammeohÄnge unabhängig sind von 
der Zeit und Ton der lege des ^rstems 
gegen alle ihm nicht angehöngeii Massen. 
Das vorerwälmte ans der Erfalirung abge- 
loitcte (rrundgosetz a, lautet alsdann in An- 
lehnung an den Wortlaut des 1. Newton- 
schen Gesetzes: 8ystema omne liberum* 
perseirerare in stata sno quiescendi vel 
movendi uniformiter iu directi-ssimam. ') 
Das Gnnulp'si't^ enthält sonaeh zwei Teil- 
aussagen durch die Worte: 1. unifunuiter 
und 3. in directissimam. Man kann aber 
aus dem (imndgesetz einen andern Satz b, 
.ibleiten, >den der kl'nr:str[i Pn'srhleuni- 
gxiug^ , welcher das Grundgesetz vell in 
einer unteilbaj'en Aussage vertreten lianu, 
aber eine weniger dnrdisichtige Bedeutung 
hat, nämlich: Kiu freies System bewegt 
sich in srdcher Weise, dafs dio Gi'ifse 
seiner Beschleunigung in jedem Augen- 
blicke die kleinste Ist, welche mit der 
augenblicklichen Lage und Gesdiwindig- 
keit und dorn Zusammenhange des Systems 
sich verträgt 

Auch c, djus D' Alembert.sche Prinzip 
(Gleichgewicht zwischen den Molekular* 
Wirkungen und den TiügheitskiSften, wel* 
che den rerttndorlidipu krummlinigen Be- 
weginigen der verschit?deneu Elemente 
entsiireclieu) läfst sich .ins dem Grund- 
gesetz herleiten und umgekehrt kann das 
D ' AI em b e rtscfae Prinzip das Grundgesets 
voll für alle Svstome vertreten. Dies 
lerzttT'' trifft aller nicht zu für den 
gleichfalls aus dem «irundgcsetz ableit- 
baren Sais d, von »der Erhaltung der 



') Jedes freie materielle System ver- 
harrt in «meinem Zustande der Ruhe oder 
der gleichförmigen Bewegung in möglichst 
geradliniger Bahn. 



Digitized by Google 



381 



Eiiorute-. den» niis li't?;ferer folgt zwar 
die zweite Teilaussage des üruüdgesetzes, 
nidit aber die eiste. 

Aus (i< in Gnindgesotz folgen ferner 
bezüglich des Überganges eines holonoinon ') 
Systems aus einer Anfangslage m eine ge- 
nügend Leuaehbaile Endlage Sätze, welche 
bekannten sogenannten Pnnzi|nen der 
Mechanik entsprechen : 

e) Die ii;tfürliche Balm ist die kürzeste 
Balm (eutäprecbend Jacobi'ä Piinzip der 
kleinsten Wirkung). 

f) Die natürliche Bahn bedarf bei 
gleidieni konstanten Wert der Eneflgte der 
kürzestt'U Zt'it (entsprecht tu! Maupertnis 
Prinzip der kleiuütäu Wirkung). 

g) I>er natürlichen Bahn entspricht 
das Ueinate Z^tintegral bei gteichem Zeit> 
Ix'darf (entsprechend Hamiltons Prinzip) 
Die Sätze f und g körnieti das Grund- 
gesetz Vürtreteu, jedoch nur für holonouie 
Systeme. 

Aus dem Qrundgesetse folgt femer 

der Satz h entsprechend Gaufs' Prinzip 
des kleinsten Zwangs.') Zu.sammen mit 
dem Iragheitügüöetz kaim die» Prinzip das 
Orandgesets voll und swar fär alle Sy- 
steme vertreten. — £b folgen aus dem 
Grundgesetz femer i, die Differential- 
.^chaugea der Bewegung'), eutspreoheod 



*) Ein hdonomesSsrstem ist ein System, 
zwischen dessen möglichen Legen alle 
doiikharen stetigen Übergänge anoh mög- 
liche *»ind. 

Die Grülse dea Zwanges, d. Ix. der 
AbBndemng, weldie die simtUchen Zu- 
sammenhänge eines materiellen Systems 
an seiner nesehlcuuignug hervorrufen, ist 
in jedem Aii^'euUicko für die naturliche 
Bewegung eiuus freien Systems kleiner 
als ffir irgend eine andere m(Sf^che Be- 
wegoxng, welche in dem Ik? trachteten Augen- 
büeko nach r.age und Geschwindigkeit mit 
jener zusaumieuiallt. 

^ Sata von Düferentialgleichuogcn, in 
wekÄien die Zeit die nnabhttngige Variable, 
die Koordinaten des Systems die abhän- 
.gigen Variablen sind, und welche zu- 



Lug ränge' s Gleichungen 1. und 2. Fonn, 
desgleichen k, die entsprechenden Glei- 
tflügen endlicher Form, gebildet mit 
üamiltuns Funktioneu, endlieh 1 und 
m, die bekannten sngortaimten Priuzipieu 
de?< SehwerpuiikLs iuni lier Flachen^. 

En handelt sich nun darum, die für 
freie Systeme gefundene Oesetse auf alle 
andern Systeme, geleitete (Beispiel: be- 
wogte Kugel in bewegter Schale), von 
Kräften beeinflufsto und die sogenannten 
kunservativen Systeme zu übertragen. Dies 
geschieht unter dem gemeinsamen Oe- 
sichispunkt, daCs sie Teile eines umfaiaenden 
freien Systems seien. 

für uuti liabeu nur die beiden letzten 
Xlasaen Intoesse; annichst alao die durch 
Krttfte beeinflttihten Systeme. Hier ist die 
Geburtsstätto unserer üblichen Mechimik. — 
Hertz nennt zwei materielle Systeme 
»direkt gekop[)eit«, wenn eine oder meU- 
lere Koordinaten des einen, einer oder 
mehreren Koordinaten des andern dauernd 
gleich sind. Jedes der zwei gekoppelten 
Systeme ist nur ein unfreies System, 
beide bilden at)er zusammen (oder mit 
weiteren gekoppelten Systemen) ein freiee 
System. Kraft ist liiernach der selbständig 
vorgestellte Einfluls, welchen da>> eine (A) 
von zwei gekoppelten Systemen auf die 
Bewegung des andern (B) ausübt. Der 
Einflufe von B auf A ist nach dieser De- 
finition also au(.-h eine Kraft und aus dem 
Gnin<lgt;set/, folgt der SntZ, dals beide 
Kräfte gleieli siuii (lex tertia Newtuni das 
New tonsche Ge-tutz enthalt unseru letzten 
Satz ToUatindig; es eothült aber mehr, 
wenigstens wiid es auch angewandt auf 
die Wirkung von Fernkraften, d. h. von 
Kräften von Koqjern, welclie kerne ge- 
meinsameu Koordinaten haben. Das Vor- 
handensein soldier gemeinsamer IE^nti> 
naton ist aber eine wesentliche Voraus- 
setzung der ganzen llertzst hen Jleeliauik. 
Ihm, Uertz, ist oa höchst zweifelhaft, 



sammen mit «hier Anfangslage und An- 
fangsgeschwindigkeit die Bewegung des 
tiystems eindeutig bestimmen. 



Digitized by Goo^^Ie 



382 



C Besprechangen 



(Jafs Fernkrüfte existiemi und or hean- 
stiindet, dafe jeuos vorbezeichuete Mehr 
m den Groodgesetzen der Heduuiilc hinzu- 
gereobnet werde. Hierin und damit zu- 
samnienhängerid iu der Aunahmo über- 
wiegend verborgener Massen (vun den««!] 
nachtiteboud gesprochen wiixi) liegt der 
gmndlegflode Zwiespalt, welchen Hertz 
Mechanik von der fiblichea trennt. 

Als Über^raug zu der anderen w ichtigen 
Klasse, derjenigen der konservativen Sy- 
steme schieben wir zuiuichüt einige Be- 
merlningen Aber eydisehe und verboiigen« 
Bewegungi'u ein. Zu den cydisofaen Be- 
wff^'HH^'oii geiiören Verrüekunireo. weiche 
nur eine eyelLseho Vcfrtauschung der 
Massen, uicht aber eine Änderung der 
MassenverteUtuig sur Folge haben. Bei 
solcher Unverändedichkeit entziehen sich 
leicht derartig cydisch bewegte Massen 
unserer Beobachtung, wie wir ja z. B. 
eine farblose homogene bewerte Flüssig- 
keit in einem dieselbe v&Sig umechlieben- 
den Gofäfso weder in sich noch nach Be- 
M'Cf^ung li* nu rkcn würden. Aber die 
cyclisclien Bewegungeu köuueu ihr© Ver- 
boigenheit nicht lange bewahren, sobald 
man Mittd gewinnt, auf die einzefateo 
oydisdien Koordinaten zu wirken und 
die cyclischen Inten^^itfitpn beliebig ab- 
zuändern. Kb kauii aber auch bei gewissen 
oydiaehflii Syat^en, den dialmtisclieii, 
d. h. aolcheo, bei denen die oydiBchen 
Ifomente konstant bleiben, eintreten, dafe 
(^\n fTPiwtni<:cn!iimitt"HiarorEinflufsauf die 
Kooixiiiiate« dauernd ausgeschlosseu ist. In 
diesen Systemen wird man daher vorzugs- 
weise die für die Beobachtung danemd ver- 
borgenen Bewegungeu zu suchen haben. 

So können neben sichtbarfn Massen 
auch verborg^"ue zu einem freien System 
vwbiuidMi sein; und wenn letzteres keine 
anderen verboigeuen Massen cntiiiüt, als 
solche, welche adiabatische cyclisi li.- Sy- 
steme bilden, so nount es Hertz in Au- 
lehuuug an den ijebrauch der Mechanik 
ein Iconservatives System.') Die ver- 



; borgenen Massen üben in solchen Sy- 
j stemeo auf die sichtbai'eu Wirkungen aus, 
I weldie dnidi Funktion ü, die sogenannte 
I Kräft^nktiOD, bestimmt werden, nnd da 
j letztere nur sichtlan- Koordinaten nnd 
! konstante Grofsen enthält, so ist »^s nH»g- 
lich, die Bewegung der sichtbaren Massen 
trotz der voÄandeneo Unkenntnis aber 
die verborgenen Masst n zu l estiramen« 
Es ist aber zu bemerken, daJs die konser- 
vativen Systeme doch nur Ausnahmefälle, 
und sogar nur annäherungsweise erreichte 
sind. Erfehrangsm&ltig sind vielmehr die 
S\ st. iiie der NatuT dtssipattT, d. h. die 
Energie siclitbnn^r Massen jr^ht vorzntr-- 
wi'ise in Energie verborgener Massen über 
und dieser Umstand findet nach Hertz 
eine hinreichende Eridärong in dessen 
Hypothese, »dab in der Natur die Zahl 
der ve!VH:yr*:eri'^ii Mas.sen und ihrer Be- 
weguugsfreilieiteu miendlich grols sei gegen 
diu Zähl der sichtbaren Massen und deren 
sichtbaren Koordinaten, so dafo für eine 
beliebig herausgegriffene Bewegung eine 
unendliche Wafirscheinlichkeit dagegen 
si)richt, dafs sich die Energie gerade in 
der besonderen und ausgezoidmetan ffidi-* 
tung von jener grofeen Zahl von Ibssen 
auf diese ganz bestimmte kleine Zahl hin 
konzentrier" . In dieser Äufserung zeigt 
sich besonders jtriignant die Hertz sehe 
Auffassung der Bewegung der "Wdt 

Nun sind wir in der Lage, a\if dem 
besonders losensweiieu Teil des Werkes, 
auf dessen umfangreiche Einleitung ein- 
zugehen. — Das Verfahren, dessen wir 
uns zur Ableitung der Zukunft ans der' 
Teigangenheit stets bedienen, ist nadi 
Hertz dieses: Wir machen uns innere 
Bilder der änrscreu Of-^en^-tänd»' von der 
Alt, daüi die denkuotweudigeu Folgen der 
Bilder stets wieder Bilder seien von den 
natnmutwendigen Fdgen der abgebildeten 



I baren Koordinaten ist es bei diesen Sy- 
stemen jederzeit möglich, Energie, welche 
in die Eneigie der verboigenen Maasen 
übergegangen ist, in Eneigie der sloht- 
Bei freier Verfügung über die sidit- i baren Masaen zurück zu verwandeln. 



Digitized by Google 



I Philosophisches 



38S 



Gegenstände. Wie am Modell können wir 
dann in kurzer Zeit die Folgen entwickeln, 
welche ia deräuIseren'WdterRtioIäQgerür 
Zmt anftretsn verdeo. Dio Klder sind 
Tinsere ToiBtellimgen von den Dingen. 
Die Bilder dürfen keinen Widerspruch 
des DenkoLS in sicli tniijen. d, ii. sie 
mü!$sen lügisuh zuiaüsig »ein; sie müssen 
zweitens richtig sein, d. h. ihre weeent- 
liehen Bestehnngen dürfen den Beziehungen 
der änlscron Diti^'e nir-lit wiflersprcchen. 
Aber den vorgenannten beiden Bedingungen 
können versuliiedene Bilder derselben 
OegenstSnde Genüge thun. Diese BOdor 
werden sich nach Zwockniätsigkeit unter- 
soheiilf'ii. DasBiJd wird ihts zwi-ckmafsigore 
sein, welches mehr wo&öudiuüe Beziehungen 
des Gegenstandes widurspiogolt, und die 
geringere Zahl nberflfts^ger odw leerer 
Beiiehnfigon enthält, also welches deut- 
licher ntiü einfacher ist. Nach diesen 
Eigonsfliafti-n der logischen Zulüssigkeit, 
der Richtigkeit und Zweckmälsigkoit prüft 
nun Herts drei yerschiedene Systeme 
wissenschaftlicher DusteUong der Me- 
chanik. 

Das erste Bild liufert uns die gewöhn- 
lidie Darstellung der Meohsnik} hernhend 
anf den Grondb^griffen Baom, Zeit, Kraft 

und Masse, zusainmengefafet in den New- 
tonechen GeseUen^) and erweitert durch 



Lbx prima. Corpns omne perao' 
Tsme in stata ano qmeacendi vel moreiidi 

iniforaiiter in directum, nisi qjiatenus 
illud a Airibus imjiressis cofritur stahirn 
suun\ uiaüue. — Lex secunda. Mutationem 
miiitts proportionalem eeee vi motrici im- 
pnssaa, et fieri seoondnm lineam rectam, 
qua VIS illa imprimitur. — Iax tertia. 
Actioui coutrariain sempicr et aequaleni 
esse reactiouem: sive corporuui duonuu 
actionee in se mntno semper esse aeqnales 
et in partes contrarias dürigi. 

Erstes Geset?:: Jeder Korjior vfrharrt 
in seinem Zustande der K'iilie oder der 
gleichförmigen Bewegung in geradliniger 
Bahn, so lange er nicht daxdk einwirkende 
Kiiilte gezwtiDgen wird, diesen Zostand 



das d' Alembertscho Prinzip, welches 
da? Krfrehnis- d'>r Statik auf den Fall der 
Bewuguug überträgt. Die Kraft ist hier 
gedacht als die vor der Bewegung und 
unabhängig von derselben bestehende Ur- 
sache der Bewps^inp. — Hertz findet iu 
diesem Systeme ^^ewisse logische Un- 
bestimmtheiten , vielleicht hervoigeniiou 
dadaroh, dafa die Vorateliang Kraft des 
ersten und zweiten Gesetzes um ein ge- 
rinire?; vorsehteden ist von derjenii^n des 
dritten Gesetzes, Diese MaiiL'' ! iiukditen 
sich \iclleicht heben lassen. Jedenfalls 
aber fehle der DarsteUung dee Systems 
bisher die hinreiGli!^ scharfe Unter- 
<?cheidan'^ des<;en, was in dem ent- 
worfenen Büd»! aus Denknotwondigk(?it, 
was aus der Erfahrung und was aus 
unserer Willkür stammt — Anoh besQg- 
li<;h der Zweckmälsigkeit kann man den 
Gedanken nicht unterdrücken, (Ins System 
möge den darzustellenden Dingen l>es.st'r 
angepaüät sein. Nicht alle Bewegungen, 
w^che die Grundgesetze zolassen, kommen 
in der Natur vor, umgekdirt köimeu wir 
von den natürlirhen Bewegungen. Kräfte», 
Verbindungen mehr aussagen, als jene Cie- 
setae thun. Das System ist in mancher 
Beziehnng nicht genügend sparsam an un- 
wesentlichen Zügen. In vielen Fällen 
laufen die Kräfte nur als loerirr-hende 
Nebenräder mit, luii da autser Wirksam- 
keit zu treten, wo es gilt, wirkliche That^ 
sadien darzustellen. 

Wir kommen jetzt zu dem zweiten 
Bilde. In neuerer Zeit lieht es die Physik, 
die Kuükfübrung der in ihr Gebiet fallen- 
den Ersdhdnungen auf die Gesetze der 



zu ändern. - Zwtdtes Gesetz : Die Ände- 
runjr der Bewei^Miiig ist der einwirkenden 
Kraft proportiouid und findet in der liich- 
tung der Geraden statt, in welcher die 
Kraft einwirkt — Drittes Oesetz: Bei 
jeder Wirkung ist immer eine i:! eiche 
und f»ntp»gengeselzte Geprenwirkimg vor- 
handen: oder die Wirkungen, welche irgend 
zwei Körper aufemander ausüben, and 
immer ^eidi und entgegengesetzt gerichtet 



Digitized by Google 



384 C Beepreuhuttgeu 



Ei^jrpioverwaadlung als letztes Ziel zu 
betrucktCQ. Dem würde .eine neue Dai- 
atelluBg der Medianik entapreohmi in 
weli-hor <!' ) !> iiff Kraft zu guusteu des 
RcL^riffs der Energie zuiiicktHtt. Die 
< i)un(il><'':nff.' wiireu Kaum, Zeit, Ma^ne 
uud Eueigie, beide letztere als iu ge- 
gebener Uenge vorhandene unserstörlwre 
und unvermelii l III •• Wesenheiten. Als 
orsto allp^^tnoitii' Ki falmin^tr ist nin/uführeu, 
dafs die vorhandene Energie Mvh s^teLS in 
zwei Teile, die potentielle und kineiisdie 
Eneii^e xerliltlen ISbt Zudem vuide 
man al.s einzigen erfahrungsm&biges Onind- 
gt s, der Mechanik etwa den Satz auf- 
stellen , daiä jode» System uatüiliuher 
Mttwen sk^ ao bewegt» abi «ei ihm die 
Attigabe gestellt, gi^beoe Ligen in ge- 
gebener Zeit zu erreichen uud zwar in 
.solcher Wei??p. drds iüp Differenz zwischeu 
kiuetLscher und poteutioller Kuei^ie im 
Hittei über die ganze Zeit so klein ana- 
falle wie möglich. Der Begriff der Kraft 
wäit! hier nur eine der Kürze halber ein- 
geführte Hiifsbezeichmni^'. — Dies zweite 
Bild der natürlichen iitut g^ungeu ist eut- 
flohieden dentüoher, es giebt mehr Eigen» 
tümtiohkeiton der fiewf^angen wieder als 
das ei-Jite. Zudem venneidet es in Hin- 
sieht der Eiufaehlieit Klippen, au welchen 
die Zweckuiaibigkeit de» ei'steu Bildes ge- 
fährdet iet Eb meidet von Dingen su 
reden, von denen man >- hi sv- ni^^ w. iLs. 
Während der Bo^Miff li.'r Ki.ift uns zwingt, 
an tlio Betraclituiij; dci jH' hTintisrhen 
uiiizciuen Atome uud Molekel a.uzui>.iju[jieja, 
treten nach der Eoeigielidire in die Vorans- 
Hctzungen der i'robleme nur die der Er- 
fal)nnisr uimiitttHiar zuganglichen Merk- 
male »'in. Gegenuber diesen Vorzügen 
erbeben sich aber erhebliche ßtjdenkeu; 
namentlicfa ob diee Bild auch wirklich die 
gesamte Mannigfaltigkeit der starreu Ver- 
bindnrifren »Tithii'lti' uml >>]> sich ilas Sy- 
stem überhaupt m logu>i h nuwurf.sfreier 
Form entwickeln lälst. liier widerstrebt 
nnter anderem die angeUicfa sttbatanx» 
artige Eoeiigie besügüch ihres potentiellen 
TeiU jeder Definition, welche ihr die 



Ktir''nsclKift('n i-iucr Substanz beilegt. — 
Auch der Euiwuud kauu nicht wuhl als 
grandtoa xnrnckgewieaen weiden: ea sei 
niflht doukbar, düEs das im zweiten Bilde 
zupnindo gelf^fto Hauptgesetz iu Wahrheit 
ein Grundgesetz der Natur darstelle; dafür 
sei es viel zu verwickelt, mache die g<^en- 
wllxtige Bewegung alilUbigig von Folgen, 
weldie in der Zukunft her\-ijrtreton 
können nad mute dadurch der leblosen 
Natur Absichten, ja sogar sinnlose Ab- 
sichten zu. — Aus diesen Gründen bat 
Herta aelbet den Weg der DaisteUang 
der Mechanik nach diesem zweiten Bild 
aufgegeben, uac1i<li>in or ihn zuerst zu 
verfolgen versucht hatte. 

Daa dritte Bild ist die solioa oben be- 
sprochMie, den Inhalt dea zweiten Buches 
dos Uortsschm Werkes ausmachende 
Mcchsuiik. Wir vorvollstiinditr'^n zunächst 
durch einige Naohti-äge unsere obige Dar- 
stellung. Die dem ersten nnd zweiten 
Bilde wesentlichen Orandbegriffe Kraft 
beziehungsweise Energie sind hier nur 
matheinatisf'ho Hilfskonstruktionen. Es 
tritt luer als £t>>atz die Hyi>othese ein, 
dais das Yerborgene, was wir dort als 
Knift oder potentielle Energie ansprechen, 
; uichts anderes sei als Bewegung und 
I Masse, uud zwar suh he Bewegung und 
1 Masse, welche sich von der sichtbaren 
I mcht an sich, sondern nor in Beziehung 
auf unsere gewöhnlichen Mittel der Walir- 
. nflimuntr tinlci-sciK-i^tet. — Das von Hertz 
zugrunde gelegt»? Hauptgesetz welches 
das gewöhnliclie Trägheitsgesetz und das 
Oaufsaohe Prinzip des Ueinsten Zwanges 
zusammenfabt, sagt ans, dalb, wenn 
die Zusammenhänge des Systems einen 
Aug«!n blick gelöst werden könnf^^n, dafs 
sich dann seine Massen in gerudhniger 
gteichförmiger Bewegung seratrenen wür- 
den, dals aber, da soldie Auflösung 
nicht moglii h ist. sie jener ane'pstToMen 
Bewegung wenigstens so nahe bleiben als 
möglich. — Nach Hertz ist bei seiner 
Daistellnng der Mechanik die Annahme 
starrer Verbindungen zwischen den Ma.ssen 
nnentbdurlkih. £s wftre zu wünschen, da£i 



Digitized by Google 



385 



er diese Auffassung näher dargelegt hätte. 
Man ninfs wohl an fin festes Medium 
deiiikeu, in weiuhem gleichwohl fortdauenid 
AbwetchuDgen der ManenteOdiea von der 
Ruhelage oder cyldföche BeweguDgen der- 
belben staltfindi^n , welche VoigftngO wir 
als Kfjr]ionvolt auffassou. 

Mutlidcm Hertz sein eigoues System 
nach obigen Veigletchspiuilteii eingehend 
geprüft, kommt er, indem er das zweite 
BÜJ f.illi-u liil.st. zu dorn Ergebnis. tUs 
mau das «-rste und dritte Bild bezüglich 
Ictgiäcber Zulässigkeit und Zwockuiä£>igkeit 
ab gleichwertig betrachten k&nne, unter 
der Annahme, dafs es geläuge, dem ersten 
ncv'h fino ht'friedigeudiMi' (Jrstnlt zu ppbon. 
Bic'htig aber kouue uur dui» uiue oder da.s j 
andere dieser beideu Bilder soiu. AVas 
uns swinge, m gunsten des enten 
Bildes zu entscheideu, sei der Umstand, 
dafs wir wirklicli unvoriinderlicho Fern- 
kräftc auf wei^eu können. Aber dies ändere 
sich zu gunsten des dritten Büdeitf so- 
bald etwa yerfeinerte Eitenntnia «eigt, 
dafe die Annahme solcher Kräfte nur 
eine ei"ste Annälienmg an dio Wahrheit 
liefert, weluher Fall in dem Gebiete der 
elektrischen und magnetischen KiSfte 
hereits eingetreten ist Und die Wage 
schlage vollends über zu guusten des 
dritten Bildes, sobald eine zweite An- 
näherung an die Wahrheit dadurch erzielt 
weiden Itann, dafe man die vermeintliohe 
WiAnng der Fenüuifte znrüdtfühit auf 
Bewegungsvorgäuge in einem raumer- 
füllenden Mitt«>! , dessen kleinste Teile 
starren Verbmduugen unterliegen, em Fall 
der ^eichfalls in dem erwKhntmi Gebiete 
nalieza verwirklicht erscheint Auf diesem ' 
Felde müsse <it'i Eutscheidungskampf zwi- 
schen den Grundmio:itiin<>n der Meohaoik 
einst ausgefochten weixiun. 

Und nun hören wir hierüber snm 
Schluls V. Heimholt 2* Meimuog: »Frei- 
lich mu£s Hertz die Hypotlieso hinzu- 
nehmen, dals es eine ^toIs*^ Anzahl \\n- 
wahruchm barer Mabaeu uud uuftichtbarer 
Bewegungen denelben gebe, um dadnrdi 
die Existena der Kitfte swischen dem 

SttuelMiA Ihr PliJlMO»U» «ad Pta«t«glk. ; 



nicht in unmittelbarer Berührung mit ein 
auder befindlichon Kf»ii)eni zn erklären. 
Er scheint hierbei hauptsächlich auf die 
Zwisoheoedialtung cydisßher Systeme mit 
unsichtbaren Bewegimgen Hoffnung ge- 
setzt zu lialitju. Englische Physiker wie 
Lord Kelvin 'i und Maxwell hahou sich 
offenbar durch aiiulichc Krkhu'uugeu besser 
befriedigt gefählt, als durch die Uofee all- 
gemeinste Darstellung der Thatsachen und 
ihicr Gi srtzr, wit! sie durch die Systeme 
der Diffei'fntial';lL'itluni^n der Physik 
gegeben wiixl. Ich muis ge»tuhfu, dais 
ich selbst Irisher an dieser letzteren Art 
der Darstellung festgehalten, xmd mich 
d;uluieh am besten gesichert fühlte; doch 
inwhte ich gegen den Weg, den .so hen'or- 
i-agendo Physiker, wie die drei genannten, 
eingeschlagen haben, kerne prinaipiellen 
Einwendungen erheben. € 

Boppard a. Bh. J. Bedlich 

W. Schneider, Domprobst und Professor 
in Paderboni: Die SitUiohkeit im lidite 

der Darwinschen Entwieklungslehre. 
Paderborn, Schöningh, 1895. 200 S. 
Im zweiten Bande dieser Zeitschrift 
bin ich in der Abhandlung: »Neuere Ar- 
beiten über die Oeffihle« bemüht gewesen, 
darzuthun, dafe die Tliatsache der sitt- 
lichen Oefühlo nicht verträglich ist mit 
der Theorie des Evoiutiouismus, im be- 
sondem, dab ans den egoistischen Intern 
essen niemals die sittficben Ideen folge- 
recht al>geleitct werden kömien. Dieselbe 
Absicht verfolgt d:is angeführte Buch von 
Schneider, und zwar geschieht dies mit 
grober Belesenheit in der evolutionisti* 
' sehen ethischen Ijtteratur, mit Scharf- 
sinn, Beredtsamk<':t. Klarheit. Witz und 
mit einer sittlich tiuiiti^en <iosiunung. 
Er beginnt mit einer Kritak des ebensten 
sittlichen PrinzipB Darwins nämlich mit 
der Füiaorge für das allgettieioe WoblL 
Dies, hagt er, ist im Widerspruch mit 
der DAn^HNsrhen T^'iire aufgestellt, denn 
nach die.-.er wii-d der einzelne nur iuuner 



>) Sir \rilliam Thomson. 
8. JaktiMkf. 25 



Digitized by Google 



386 



G Bespreohongen 



für srin Wrihl sorf:**n, für das der anderen 
aber aur, sofern dies seinem eignen luter- 
ease dient Dieseu Gedaukeu führt der 
VvrtaBBm oiit BuckBiebt auf die ver« 
Bduedeoem Wendungen bei den Evolutio- 
üiston aus. T'nd iit wifs wird dies auch 
ütets der Ilau[)teunvaud sein, dab au» dem 
E^ismus dar AltmiamuB memato folgt. 
AUe Venwäkßf eine selche Ableitong m 
geben, laufen höchstens auf die Kluglieit 
Iiiuaus; do ut des, ich schone und helfe 
andern, damit die&o mir wieder helfen, 
im heeteik Falle kann darana eine Art 
Legalität £ar das Hankln, nie aber Mum- 
lität für die Gesinnung folgen. Wollte 
man jedoch einmal annehmen, die Men- 
schen seieu aus i-eiu egoistiücben TrielH3u 
daau geUuigt, das allgemeine Wohl als 
das Höchste aoznstroben, so »ist die Er- 
gänzung dazu, dafs dieser Zweck das Nüttel, 
die Einaelhaudluüg heiligt. Wer also zu 
der festeu Überzeugung gelaugt ist, äcincm 
Volke oder Yaterlande durch UeuchelDioRl 
und Raub, durch Lüge, Trenbrach und 
Verrat wesentliche Vorteile zu vei-srliafffn. 
wäro nirht blofs bereehtif^t, sondern auch 
verpflichtet, sich mit seinem besser be- 
ratenen BewoMsein Über die üiteOe der 
Menge oder überlieferte Regeln hinw<»g- 
zusf't:^pn. 10. Gesteht das Wi\stMi d>-r 
Sittlichkeit t iiizij,' und allein in der Sorge 
und Arbeit für das (lomeinwohl, so rücken 
die grofeen, segensreichen Entdeehingen 
und Erfindungen an die Spitaeder Tugend- 
han(l!un;ri?u. Der stimune, gotlL'!>'cbene 
üuider uag*-gen, der, auf dem Sclnn. i /ens- 
lagor die ileldoukrone erkiüupfeud, schon 
dnich aeb betrübendea Dasein fremdes | 
Glück stört, hat kein Becht auf die Ver- 
dien^t[jaliin'. Dann nnissvn die, VNt'I' ln' 
zur Fordenujg der heiiuischeu Kräiner- 
iuteresscu den Eingeborenen Australiens 
twd der Sädseeioseln, den Indianern und 
Afrikanern wie wilden Tieren oachstelleti. 
als Tui^- iMilichirn angesohn wordtn. denn 
sie schaffen die iliuderuisse der iiLultiir 
aus dem Wege. 15. Die Vorausaetznugoa 
dos DanrinismnsT nämlich eine vorsittliche 
Menschheit, eine stetige sittliche Entwick» 



lung der Völker, femer dafs die Sittlich- 
keit die beste Waffe ijn Kampfe ums Da- 
sein sei — dies alles trifft nicht zu. Dar- 
w in sdbet giebt zn, da& eine hohe Stttlich- 
keitsstufe dem dnaelnen Menschen und 
dessen Kindern nur finen gerin<£fn oder 
gar keinen Vorteil üt>er die Stammes- 
genoasen darbietet. Also eigentlich weder 
entatehen noch atch atnbilden dorfte, da 
nur das Zwockniäff^iiro d. h. das die Inter- 
essen Fördernde entstehen und fortbestehen 
konnte, 114; ja Darwin geht soweit zu 
sagen, dals ein Stamm, dessen geseUsdiaft^ 
liehe Instinkte starker waren, als die eines 
andern, der Mitleid und Schonung übte, 
d:pspn überflügelte und verdrängte, 80. 

Hiemach ist die Sittlichkeit nickt uur 
keine Waffe, sondern ein Hindernis im 
Kampfe ums Dasein nnd sollie längst aus- 
gerottet sein. Nimmt man aber, wie dies 
die meisten Darwinianer thun, das Gegen- 
teil au, dals das sittlichere Volk auch 
nnter sonst gleichen Umständen der Sieger 
blieb, so inüCste man erwarten, dafs Un- 
sittlicliki if !;inc«;t nnsijestorlwn und die 
Menschheit durch Sittlichkeit den üin- 
ständcn angopafst wäre. 

Wollte man ancb zngesteben, dafs ans 
reinem Egoismus das Mitit id i utstind, so 
fnlp-n diii'h daraus nifdit dh' Tuiri^nden der 
(ierechtigkeit, der Mälsigkeit etc. Viel- 
mehr mufs das Mitleid erst sehr geregelt 
und gesohnlt werden, nm echte Sittlich- 
keit zn erzeugen. 

Verfasser bespricht iümIi aiLsführlich die 
Versuche der Darwinianer, das Gewissen 
aus der Yemuuft, aus der Billigung und 
MibbiUigang der Oenossen, ans der Oe> 
wohnheit, aus der natürlichen ZuohtwaU, 
aus der Sitte, aus der Neigung, aus dem 
F{unilieu.sinu zu erklären, und er kommt 
zu dem äcbluüse, dals bei allen diesen 
Versuchen im besten Falle nicht ätflidie 
Gesinnung, aoodem nur kinges Mabhalten 
herauskomme. 

Eiuigt» Bemerkungen erlaube ich mir 
hiaanxnfBgem. Verfasse audttaiM^ denen 
geredit zn werden, welche es ontemom- 
men haben, die wahre, die christiidie 



Digrtized by Google 



I Riilosoiifaisches 



387 



Sittenlehre Fnit dem Darwinismus aLs ver- 
träglich diirzustellen. TinhiA hätte ati«;- 
löhilicher dai^elegt werden könnuo, wio 
die sittlich«!! üttefls Äoh ntttnrlioli «neb 
bei fLea Danrinianexn ^eidiaam mit ele- 
mentarer Gewalt einstellen und ohne daJa 
es die Vortreter merken, ^ich untor dorn 
Namen der iiühereu Bedürfuisbefnedi- 
gungen oder Shnlichen eioBdileichfin. Bei- 
spiele siehe in dieser Zeitschrift n, 2(iO ff. 

Ferner ist zu bemerken, die Evolutio- 
nisten fehlen nicht daiin, dals sie lehren, 
die Moral und Moralität sei uui sehr all- 
mählich entstandeo, nsd den üttlicheii ür- 
teQeu und Handeln sei ein Urteilen und 
Handeln nach blofseu egoistischen An- 
trieben vorau^<'(r;tn«reii und bt'dfitet sie 
noch stets. Sondern sie fehlen darin, dafö 
sie nnr egoistische Triebe zulassen nnd 
also die thatsäehlich vorhandene Sittlich- 
keit als Egoismus oder Folgen dee £gois- 
mus darstellen niü^^'^r'n. 

Es ist aber wider die Thatsachcu, nur 
egoistische Triebe mzulssseo. Schon die 
llsäietischen TriebSf die sich, ohne Vorteil 
zu irewähren, erhcbrri, sind ein Zrw^u\<, 
dafür, dafs der Meusth es \vn\i, auch 
Urteilen zu folgeu, die uiclit aus ego- 
istischen Trieben entsprungen sind. *) Httlt 
mau dies fest, so könnte man den Evo- 
lutioni-tcii iiire sonstigen Eutwickliinp;- 
gcdaukon zugeben. o!ino der Äuturiüit 
des Sittlichen etwas zu vergeben. Die 
Ethik seigt sich andi in dieser Hinsicht 
nnabhsogi.i; vm jeder ThLKirie. 

Endlich sm-ht Vt'rfas.SL'r (l:ir/.utlmii. 
ilafs der Sittliciikeit ohne Keligion sowohl 
Mafsstah als Sporn fohle. Davon glaube 
ieh, ist nnr riehtigf da& ohne Beligion 
der Sittlichkeit ein Spora, ein wesentlicher 
Antrieb. ali'T keineswetrs ji'dcr Antrieb 
fehlen würde. Hingegen ist die Kthik von 
der Theorie auch insofern unabhängig, als 
sie sls Wissensdiaft den sitUidien Maß- 
stab nidit der Bd^ion entlehnt Der 

Das Nähere siehe diese Zeitschr. 11, 
165 St n. 0. Flügel: Das Ich nnd die 
sittlidten Ideen etc. ISO ff. 



Verfas.ser si>richt dies auch selbst aus, 
wenn er S. 11 sa<rt: Rtempelt mau die 
Ftlicbtgebiete zu Wiiikürvorschrifteu eines 
MsichtwiUenB nm, der stett der bestehenden 
auch andere hStte erlassen k^non, dem 
es frei stände zu gebieten, was er ver- 
l»oten, und zn initersagen, was er befohlen 
hat, so hat mau das sittlich Gute vom 
guten INUlen abgelost nnd seine Qaelle 
trocken gelegt. Ist dasselbe nur darum 
gut, weil es geboten ist., und sein Gegen- 
teil nur da mm schlecht, weil es verboten 
ist, so darf mau gewisse Notlagen als 
Winke deuten, daü» ein Pfliohtgebot dem 
Drucke dieser ungewöhnlichen YeriiUlt- 
nisso zu weichen habe. AVii-d die innei-o 
Outheit und Schlechtigkeit der Handlungen 
geleugnet, so sind sie alle an sich oder 
ihrer Natur nach betrachtet, sittlich i^eich- 
giitig, und sie erhalten iliren sittlichen 
Chai-akter erst durch die lieschaffeuheit 
des Zwor-kes, um dessi'n willen sie ge- 
wollt und vollbracht werden. Das aber 
ist der berüchtigte Satz: Der Zweck heiligt 
die Mittel.* Hiermit ist anerkannt, dafs 
das Oiilo l iu.' innere Gutheit hat, und 
gut ist ganz unabhängig von jedem AV^illen, 
dafs auch der allmächtigo Wille nicht das 
Gute erst zum Onten madit, nnd, wie 
Verfasser sagt, oft hervorhebt, es ist gut 
auch abirr-ilm von jedem Erfolg'', ob es 
beltihüt oder bestraft wird. Es hat keinen 
Zweck aufser sich. 

Oleichwohl hebt Verfasser dies ge- 
wissermafsen wieder auf, wenn er S. 27 
lehrt, der menschliche Wille wird nur 
di\durch sittlich gut, dafs er dem in sich 
oder wesentlich fest und unveränderlich 
guten Willen sidt gleichförmig macht, 
mithin von ihm die Richtschnur und das 
<i '^ tz seinor froien Solhstbe.stimmung an- 
nuunit. . . Der Endzweck und das höchste 
Gut ist der Schöpfer selbst ... Die Gott- 
heit ist das ür- und Vorbild, der oberste 
Wertmesser und das höch.ste Gesetz aller 
geschöpflichen Onfheit. .. Gott als der 
A\'eltgrund, ist auch der oberste Welt- 
zweck und das hlichste Weltziel etc. 
Doch UAl sehe davon ab, Tielleicht ist 

25* 



Digitized by Google 



388 



C BespreciiuugßQ 



das Richtipo. %v;vs der \'t i'fas>c'r wohl im 
biune hat, nur dadurch avhiet ausgü- 
drüolct, weil er sich den Wendnngpit 
der Aristoteli.scbeD Metaphysik von Gott 
als dem Weltxweok annischliefsen sucht. 

0. F. 

Jilln Uppwrl, Eiütoigeschicfate der 

Meosdiheit in ihrem urgnuisclien Auf- 
lau. '2 Bde. G53 ii. 05»; S. Loxikon- 
furiii. btuttgait, Verlag vou Fcixiiuand 
Knke, u Bd. 10 M., eleg. geb. 12,äü M. 
Nachdem Julius Lippert in einer 
ganzen Reihe bedeutungsvoller Werke 
(»Der Si 'loukult , Die Religionen der 
©uropäisehen Kulturvölker«, »Christeutum, 
Yülksglaube tind Yolksbrauch«, »AHge- 
meine Geschichte des Priestertums«, »Oe- 
sehiclite der Familie«) einzelne Zweige 
d* r Kn!hii^e.s(;hii;hte monographisch be- 
arbeitet und sich i>o für eise grui^ere Auf- 
gabe tüchtig gosdrolt hat, ontoiaiimmt «r 
in dem vorliegendun Werke den einheit« 
lirln ü Aufbau einer allgemeinen Kultur- 
goschichtt", indrin er sich das hohe Ziel 
steckt, die Üesaiuthcit des menschlichen 
LAetA in alien ihren Sisdi^ungeo, in 
denen sowohl, welche das Endresultat 
langer EntwicUungsreihoTU wie in denen, 
welche die zahlreich zururk^^cbliehr'nou 
Beste abgebrochener sind, klar zu machen, 
den Entwicklungsgang der Menschheit als 
ein organisches Gebilde einsclilieMich selbst 
der Natiirnot\vendigkeit in seinen Irrungen 
darzustellen und auf solchem Cirunde auf 
das Vei-stäudiils des Gegeuwartigeu La 
allett seinen Fennen hinznwiiton. Dabei 
bleibt Lippert überall auf dem festen 
Hoden dLs ungehouem Thatsachenmateriuls 
hteheu , wtlches die Ethnologie in den 
letzten Jahrzehuteu aufgcjjpeichert hat. 
IteÜieh kam dieses Thatsadtenmaterial 
«neh sdion bei Fr. ron Hcliwald in 
grrjfsem Umfange rur Vorwertunj,', alor 
die iSchiüsse, die dieser daraus ^0{.', waren 
nicht selten sehr kühn und gingen weit 
über das Oegebene hinaus. Diesen Fehler 
venneidet Li|)pert; er zieht nur solche 
bohlüsse, welche auch der strengsten Prü' 



fung standhalttMi. Nirgends wt.rdeu die 
I ethnologischen Data gebraucht, uro vor- 
jgefofete Meinungen zu stützen, sondern 
das Lehrgebäude wächst recht eigeutüch 
aus ihnen hortins. Selbstverständlich soll 
damit nicht gesagt sein, dafs Lippert 
überall die abschliefsende Wahrheit bietet ; 
immeifain nu^ der eine oder andere Zug 
später im Lidite neuer Thatsachen eine 
andere Denturjg verlangen, das Bild im 
grofsen und ganzen aber wird das alte 
bleiben. Wie nicht anders zu erwarten, steht 
Lippert auf dem Boden der EntwioUungs- 
lehri'. Die Ansicht, welche nochOerland als 
Fortsetzer (h^i< grofsen Werkes von Waitz 
vertritt, dafs uicht nur in einzelnen FäUeo, 
sondern ganz allgemein der niedex« Knltnr- 
zustand der Naturvölker ate die Folge des 
Uerabsinkens von einstiger Hoho ihres 
sittlichen und intellektuellen Zustandes 
zu betrachten sei, die schon vou Lubbok 
an den sozlakn Yeihilfniaseii der Nstnr- 
TöUcer geprüft und zuruckgewuMeii wurdev 
hat in demselben Matse au Boden ver- 
loren, in dem die Forschunij zur erweiterten 
Kenntnis der tbatsächlicheu Verhältnisse 
vorgedrungen ist. DteintellektnellenFort- 
{ schritte hisBen sich angesichts derselben 
■ kauin noch leugnen; um so festt;r klainmert 
mau sich an die Vorstellung von einem 
sittlichen Zustande des Urmeusohen, der 
sich über den der nachfolgenden Oene- 
rtUionen eibebe. Der Klarstellung dieses 
Verhältnissos widmet T-ippert darum sein 
besoudei-es Atii^emncrk und zei^'t, dafe es 
zwar uicht möglich ist, das jeweilige Ver- 
hfiltnis des tiiatsädilichen Handelns sum 
Sittüchkeitskanon der Zeit genau fest- 
zustellen, dafs aber das Mafs der snlij--k-- 
tiveji .Sittlichkeit l>ei einfachen Verhält- 
nissen uaturgemäis ein grülseres sein mu£i, 
dab man diese aber nicht als idealere 
Sittlichkeit bewundern darf, sondern eher 
als ungestörtere Stilin;irsij,'keit des Lebens 
lx>zciehuen kann, in der man anderseits 
j wieder di4s Zeugnis der grolseren Armut 
I seines BitUiehkeitskanon erkennen mufe. 
; Lipport verkennt nicht d!\s Verdienst- 
' liehe der Yersuche, die Kultuigeechichte 



Digitized by Google 



1 Philosopbifiches 



389 



in ein Systi^m vnn diixiiwlni^is.'li :iufcin- 
auUörfolgeuden PenoUen /,u zerlegen, aber 
«r weib auch, wie we&ig Fönlenmg sich 
die Ei^fflsung des WeseotUcbatea in der 
Kiüturgosi-hicbte sowohl von einer allzu- 
sehr li- tonteu (jlie<lernn£f nneh Ita-ssen und 
Yöilierscbafteu ab auch von einer nach 
ohiosologiadier Ausmeseiiiig vergebltcdi 
ringenden Systematik versprechen kann. 
AN'ohl ist die ITuterscheidung einer älteren 
luid jüngeren Steiu-, einer Rnmze- und 
Eihcu-, oder einer Stein- und Metalizeit 
nach einigm Bichtnogen recht wertvoll, 
aller so wichtig das Weikzeng eelhet fnr 
den Begriff menschlicher Kultur ist und 
so sehr sein Wert mit dem Stoffe in Ver- 
bindung bteht, SU kann man in diesen 
ünterecheidusgen doch nicht den Mittel- 
punkt wirkender Ursachen erkranen. Bei 
der Einhrit dnr Bahnen, 'wi^ldie der mensch- 
liehcu Kuiturenlwi' kluiis^' iufolge der Ein- 
heit der cr&teu Antriebe und der Kinlteit 
der Denbgesetze — trotz mannigfaltiger 
D<'u'h.TL'rlinis>i' l'i i der Anwendung auf 
die durch mehr oder weniger zuverlässige 
Wahrnehmung gebotenen Elemente des 
Denkeua selbst — angewi(?sen «ind, em- 
pfiehlt sich für eine pragmatische Kultur- 
ges ! i lite eine Einteilung nach den wesent- 
lichsten Faktoren der Knltw-eotwicklung. 
Der Einheit des nur stufenweise in die 
Erscheinung Tretenden entspricht die Ein- 
heit des Omndantriebes aller Kultur. Bei 
aller Mannigfoltigkeit, welche die Ge- 
s' hiolite ('in»s iiieri^'fhliehnn Instinktes oder 
einer einflulsreicbeu Sitte auszeichnen 
kann, erscheint im tiefsten Grunde immer 
wieder ein und dasselbe Prinsip wirksam, 
die Lebensfürsorge. Dieser überall herr- 
schende Gnuj'laiif rieb schuf ;iiif !iie<lerster 
Sttxfo die einfachsten Instiniite zur Be- 
friedigung des auf Selhsterbaltung zielenden 
Verlangens, sie legte dann denselben In- 
stinkten jeno'Ziigel an, deren EinfluTs für 
die Erhaltung einer sifb k^nstitniercnden 
Gesellschaft zuträglich war. Sie erscheint 
in den verschiedensten Formen, indem sie 
sidi mit immer neu herbeigezogenen Ele- 
menten verbbdet und mit den eigenen 



Schöpfungen neue V. rhältnisse einpoht. 
Die Lebensfürsorge unterster Stufe kenn- 
zeichnet Mch durch das groiste Mafs von 
j Besohitakung nach der Richtung de« 
, Räumliehen und Zeitlichen. Sie greift zeit- 
lich nicht über den Augenblick <]<■< <'m- 

ipfuodeueu 13edarfes hiuauä, unischiierst 
rttumlioh, vom mätteriiolieD Instinkte ab- 
I gesehen, nur die eigeiM PeisönSohkeit. 
Wesentliche Etiippen iu der zeitlichen Er- 
weiteninfT der liebensfiirsorire bilden die 
Bei-eitung von Werkzeugen und Waffen 
über den Gebrauch dee natürlidien Steines 
und Stabes hinaus, der Anbau von Pflanzen 
und die Gewinnung von Fleischnalimng. 
Die Fürsorge über die Person hinaus 
wurde durch den Gebnuicii des Feuers 
mäcbt^ gefördert, die Sprache wurde der 
gesellschaftltchen LebensCürsoige Werk- 
zeug und Waffe. Nicht schwer ist es 
zu zeigen, dafs die Rechts-rrunilsritze und 
ßechtssatzuugen iu jenem Boden iliren 
Grund haben. In Öirer Wandelbarfceit 
kommen die veiKchiedeneu Stufen der 
sozialen Lebensfürsorge zum Ausdrucke; 
Kechtsgesetz und Sittongesetz sind die 
zwei letzten Stufen der auch räumlich 
erweiterten, in die ferne Zukunft hinaus* 
greifenden Fürsorge. Auch die Religion, 
die nicht die sittlichen Idc»Mi geschaffen, 
wohl aber dem Sittlichkeitsgesetze die 
Strafsanktion gegeben und so das Gew iswen 
gesobaffen hat, ist durch das Band der 
Lebensfürsoige mit dem Anfang der 
niciisihliihen Kultur verknüpft. Noch 
herrsdien weithin Religionssysteme, wel- 
che iu der Auffassung des Einzelnen ihr 
Aijsehen vorzugsweise auf eine über den 
! Tod hinaus verllngertc I^bensfü isoige 
liabeu. Frfahnniirse!-«f li"iniin^r''n haben zu 
der t'berzeugung von einem zweiten Leben 
' geführt, und in dieses hinein hat sich früh- 
I zeitig mit der relativen Tutensitüt derÜher- 
[ Zeugung und nach dem Mafs-stabe des je- 
I welligen wirtschaftlielien I;- I cDsttnT^dps 
die I^bensfürsorge zu erweitem gesucht. 
Die Religion erscheint im Gebiete dos 
Naturmenschen nidit als eine Religion 
der Spekulation, sondern als die des Kultes, 



Digitized by Google 



890 



C Besprechuugeu 



uitI fler Kult ist nichts anderes als die 
Ei^treekuug der I^l)eui>füii>oiigo in eiu 
Gebiet, das sich in stmroenswütdiger Über- 

einstinimuiit? die kindliche Vorstellung de» 
M<'nschon überall erschlossen hat. Mit 
dem Kult stoht dann die Entwifkhmi: der 
redeudeti und bildenden Künste in inniger 
Besiehniig, nameDtlich mit der höheren 
Stufe, wie sie das Priehtertum darstellt, 
selbst ili>' ei-ste \vissens<;haftliuht> 



Tiiiitigkeit sdilii Ist sich aufs engste an 
jeac Vorstellungen an, wolcho der Kult 
als eine Ereohmnungsfonn der Lebens- 
fürsorge dem Meusehengoiste uahe gelegt 
hatte. siiinnf sich in dpr Knltnrent- 
wickluug eiu b'wh^n ;ms dem audeni, indes 
dos eine Ende immer in jenem Urantriebe 
der Lebensfürsoiige mht, den der Uensoh 
zwar mit den nit^dorsten lA*be\vesen teilt, 
der ihn al>er in der Häufung und Diffei"'>n- 
zierung der Befriedigungsmittel weitab 
von allen geführt hat Von deu liier ent- 
wickelten Gedanken aosgehend, verbreitet 
sieh Lippert im 1. Bande dos AVerkes | 
splir «rrüudlich ül)er folgend«' Punkte: Die 
Urzeit, Ausblick mif die Verbreitung der 
Menschheit, die ersten Fortschrittsversucbe 
der Lebensfürsoiige, die Zähmung des 
Feuers die Fortschritte des Werkzeugs 
als Waffe, Auslilir k auf dii' Entwirklung 
Uiffereuziei-ter «»erate, Fortschritte der 
Speisebereituog, Forb^hiitte des Schmuckes 
und der Kleidong und ihr soziiüer Ein- 



flufs, der beginnende Anbau und dio Vor- 
breituug der jüugeruu Völker in Europa, 
das yomsdenimn und die Verbreitung der 

Zuchttiere, die Nahrungspflanzen im Ge- 
folge der Kultur, die OcnuCsmittel engereu 
Sinnes in ihrer kulturgeschichtlichen Be- 
deutung. Nachdem or so die Eluraent« 
vorgeführt, ans denen sidi das soziale 
Ix^ben des Menschen als das eigenste seiner 
Art zusammenfügt, untemimmt er es im 
2. Bande, diesen Krui vor uns entstelx'n 
zu lassen. Es seien aucli von diesem Jiier 
die Kapitdöbemohriften mitgeteilt: Fort- 
schritt«' diT Organisation auf dem Gebiete 
der T'rfatiiili.', rioi'Ifs' liafisfunneii ifii Vte- 
r<'i< he des Muttcricrlites, der Kmtritt der 
Mauneshcri'schaft und dos Vaterrechtes, 
Stammformen der HochzeitsbrftQdie und an- 
schlief-eiKlc Sitten, die Wohnstätte und das 
ITaus, diT Kiiifliil' 1 r Mctallv-'nvcnduTi'T, 
die Foit-schritte des Kultes und der Ke- 
ligioDsvorstelluugeo, der Mensch als Gegen- 
stand der Kuttleistung, EnltTorstellungea 
im Zusammenhange mit sozialen Gestal- 
tunif'M». der Fotisi.'1a-~iinj"< iuitcr<T Stufe, 
der fortgeschrittene Fetischismus ds so- 
ziider Faktor, Geschichte der Patriarchal- 
famiüe und ihrer Zersetzung, Ontndrifo 
der Geschidite der Staatenbildung und des 
Hei'htswesont;. dir» Erlösungsreligionen Qud 
die Belierrschuiig der Natur. 

Eichen C. Zicgler 



II Pädagogisches 

Welche Stufte sind nach den Foixleningen | Forderungen der Gogenwart^^ zu derFra^e 
der Gegenwart aus dem Leltrplan der | enger begrenzt hatte «Wdohe Stoffe sind 
Volkssobule zu entfernen bezw. dem- nach den Forderungen der Gegenwart dem 

s(Hh II in/.ufügen V Veröffentlicht auf Ijchriilan der Volksschule einzufügen Iwzw, 
Beschlufs der XII. llauptver^attitnlung aus demselben zu entfernenV^ war vom 
des Anhaltischen I^ehrervereins. Dessau anhaltischeu Lehrei-vereia die ähuliuhe 
and Leipzig, itich. Kahles Verlag. ISüU. Finge »Welche Stoffe konnten ans den 
50 S. • heutigen Lehrplänen der Volksschule zu 

Noch ehe der deutsche Lf-hrervcrein [ gunsten einer wahrhaft fruchtbringenden 
^f'.n V«'il)andsth<-ma »Umgestaltung der | Behandlung d r M- iliendpu ausgeschieden 
liildiuig.szielo der Volksschule nach deu i weixieuV« als Xhenia für seme llauptver- 



Digitized by Google 



II Fudagügisches 



391 



»«amuilimg 1895 aufgestellt worden. In 
den aohaltisohen ZweigvereiiuHi und Gau- 
YersBuimlaiigen wnrdo diesoB Thema leb- 
haft erörtert, und der Bcmburger Zweig- 
vereiu betraute eiueu besonderen Aus- 
scbulä von 7 Mitgliedern uüt der gründ- 
Jidimwi Dnidutrbeitußg des niemah Die 
vcm diesem Atmobob ad^gestellten ISttze 
wnirden auf der Hauptversammlung zu 
Bornlnirt^ am ?,. ("»ktober I8?»5 dtn*ch einen 
Vortrag von Schmidt-Bemburgniiher be- 
leaolitet, von allen Animenden ange- 
nommen und vom obeistieD Leiter des aa- 
haltischoD Schulwesens im ganzen gut- 
geheifspTi. {^ie licp^n nadi omontrr Prü- 
fung uud Ergänzung zusammen mit dem 
ScbmidtsohenTartragein obigem Sobrift- 
«hon gedruckt vor. 

Der Yni-frai; will »einigen aufgetauch- 
ten Bedenken biT^fOTien, die Bedeutung 
des Themas im ailgemeiDen, die Gründe 
für die Notwendi^it einer wissensdiaft- 
liehen Ixisuug desselben und den inneren 
Zusammenhang der nnftro.^t. Ilten Gnind- 
sätze in aller Kürze darlegen.« Uns- intcr- 
eesieren besonders die au:^estüllten ürujid- 
sfttM. Bs sind folgende: 

1. »Die LebipUittfrsge kann nur im Zu- 

samnionhnntr mit dem oHorston Bildungs- 
«iel behandelt und gelost werden.« 

2. »Das oberste Ziel unserer päda- 
gogisclien n^keit ist, den Zdgling som 
sittlichen Handeln innerhalb der Kultur- 
fr<^meinsf<haft zn T cfähigen. Das- sittliche 
liandelu vollendet sich in drei einander 
bedingenden Momenten: im sittlichen 
Wdilen, in der Idaren Erkenntnis und im 
sicheren Können. Daraiw f(»lgt, dafs jedes 
der dadurch gekennzeichneten Lehr- und 
Stoffe biete bei der Stoff bera(^uug die 
Berücksichtigiuig er6iliten mnlä, welche 
seinem Anteile an der Charakterbildung 
entspricht.« 

3. Unscro Lohrplfiin' s. 'Ilteti den Unter- 
richtsstoff auf das Mals beschrüuken, wel- 
ches sich im Sinne einer allseitigen und 
aelbstilndigeo Beberrechnng, im Sinne einer 
charaktergemäfsen Auffa-ssung und Durch- : 
driugong des StoUtas verarbeiten lädst 1 



4. >Ju klarer die Anschauungen auf- 
gdfsM werden, je sicherer das Kind über 
sön Wissen verfügt, um so greiser wird 
seine Aufnahmefähigkeit, seine sogenannte 
Fassungskraft. Bei dnti Sirmesanschau- 
uügen sollte der Unterricht am iäugsteu 
verweilen. Auf dm untersten Stolen ist 
den realistisdien Stoffe efn breiterer 
Raum zuzumessen als den ethischen.« 

5. »Un» eine vielseitige imd griind- 
liche Ineinanderarbeitung der Unterrichts- 
stoffe zu ermöglichen, müAtoi a»^ die 
einzelnen Unterrichtsfteher in unseren 
Lehrplänen in einen angemessenen Zu- 
snmmenhang gebracht werden. Dadurch 
Mürde Zeit gespart uud infolgedessen 
Banm för notwendige Wissensstoffe ge- 
wonnen werden.« 

(l Der zTiküiiftige Wirkungskreis un- 
serer Kindi r liegt in dem hrimatlichcn 
Volksleben. Dieser Lebeuskreis ist des- 
halb bd der Mengenbestimmung des 
Stoffes in erster T,inii' zu berücksiclitigwL 
Di*-> FnMii.l'' und die Vergangenheit knni- 
men nur in lietiiii ht, soweit sie geeignet 
sind, unsere Kinder in ein tieferes Ver- 
ständnis ihrer Hdmat nnd der O^enwart 
ein/.ufülireu.« 

7. »Jeder Lehrplan ist iinlividufll zu 
gestalten, d. h. er hat htn der Auswahl 
uud Mengenbestiuimung des Lehi'stoffes 
in erster Unie die eigentümliehen Yer- 
hältnlsse der engsten Heimat, das Oe* 
schlecht der Kinder, und dio Gliederung 
der Schulanstalt zu beachten.« 

Diesen Grundsätzen kann im ganzen 
wohl zugestimmt werden, wenn sie ancfa. 
die Foidenin^'r-i). wt l< lic die pädagogische 
Wi.ssenschaft (/.. 1>. di»^ Herbar ts<.'he 
Pädagogik) au einen Lehrplaa stellt, nicht 
erschöpfen. In Oxondsatz 1 stünde viel- 
leidit besser »Endehungsäel« anstatt »Bil* 
dungsziel«, da es sich empfiehlt, beide 
Begriffe aiLseinanderzuhalten. Auffallend 
ist, dals in Grundsatz 2 bei Aufstellung 
des Erziehungsziels das chrisdich-religiöse 
Moment niehi erwähnt wird. C9mstliche 
: Religiosität, Frömmigkeit (nicht zu ver- 
I wechseln mit lürchjüchkeit) giebt bekannt- 



Digitized by Google 



392 



C Besprechungen 



lidh einen kififtigen Antrieb tvm sitt- 
lioben Handeln. Dem in Ontndsats 6 ent* 

halteuen (jotlaukon, dafs die Vei^angeu- 
heit nur soweit in Betracht lomnipn soll, 
alti sie geeigDft ist, das Kind m eiu 
tieferes Verstindnis der Gegenwart ein- 
suföhren, kdnnen wir nicht onbedingt 
zustinmion; denn das hiefse den Bil- 
duTiiTHwert der Vergaogeolieit zn gering 
aehti'n. 

In dem zweitem Teile des Sdiriftchens 
Bind die GrundtRtse für die Auswahl und 

Mengenbestiminuug der tMnzclrjen Lehr- 
stoffe nie<lfTTr»»Ie!rt. Die Unterrichtsfächer 
weixlen in drei üruppea gebracht«: rea- 
listisobe (Natnricunde, Raomlehn*, Rechnen , 
Erdkunde), ethische (Oesehichtc, Deutsch, 
Religion) und technisch»? Fächer. Für 
jedes Fach der beiden ersten Gruppen 
Würden »aUgoiuoinu Grund-siitzc«, «auszu- 
scheidende Stoffe« und VorsdUikge sur 
methudischen Behandlung und Anordnung 
d^ Stoffes gegeben. 

Die Arbeit zeigt, wie grtindlich und 
mit welcher Sachkcuotnis die Verfasser 
sieb ihrer Aufgabe entledigt haben. Be- 
sonders bemerkenswert ist folgendes: In 
Xaturknii'!''. I>. ut>r|i lunl Ixrli-i 'ji weixlen 
die einjjelnen Zweige des Unierrichts zu 
einem organischen Ganzen verbuuden; für 
die Geometrie werden »Formongemein- 
sdiaften«' verUmgt-, das Rechnen soll vor- 
wiegend »Sachrechn»*n- sfin; dif» V,,^- 
schichto Süll die Elemente der \ olkswirt- 
Bchaftslebre, Verfassungskonde und Rechts- 
binde aufnehmen. IKe Verfasser werden 
nicht den Ruhm beanspruchen , dafs sie 
mit jedem ihrer Voi"schläge neue Balmt ii ' 
wandeln; dooh ist nicht genug au^u- 
erkennen^ dafa sie unbannherzig .so vieles 
für die Volksschule Wertlose streichen, 
was in den bisherigon Dnrclischnittslehr- 
plänen als nnntitzt«r HalLtst mitgeschleppt 
wuxxie. Im einzelnen worden manche 
Lehrer, wie die Verfasser selbst erwarten, 
anderer Meinung sein. Z. B. können wir 
uns damit nicht einvcrstundon erklären, 
dafs das reine Naturlehen nicht un» seiner 
selb&t willen eine Stelle im Lehrplau be- i 



anspmdieii könne, sondern nur insofern 
und soweit in Betracht komme, als es das 

Kulturleben des Einzelnen bedinge; (S. 21) 
denn in diesem Satze und den daraus 
sich ergebenden praktischen Folgerungen 
Liegt eine rem utilitaristisdie Tendens. In 
Religion geht uns die Ausscheidung nicht 
weit genug. Eine ganze Anzahl von biln 
lischen Geschichten des alten Testament«: 
ScliüpfungKbericht , Turmbau zu Babel, 
Jakobs Betrug bei Laban, David und 
Goliath Ui a., femer Luthers Erklämng 
zu den tO Geljotcn und zum christlichen 
Glaubensbekenntnis werden nicht unter 
den >auszu.scheidendenStofloa< aufgeführt, 
obgleich ihr {mdagogiacher Wert doch sehr 
fraglicli ist. — 

Da.s Srhiiftchen sei bestens empfohlen. 

Weimar Groli^kopi 



Heuer« Utteratur zum BeiolMai- 

TTntorricht 

Besprochen von Rob. Dauer in München 
L 

AMwt LthmuM, Zeichenlehrer: Der Zei' 

chenunterricht in seinem Verhältnis zu 
den übrigen T'iif' riii hts^ichem. Bei- 
lage zum Jahresbericht des Realgjm- 
nasiums der Frauckcschen Stiftungen zu 
Halle a.S. Ostern 1896. Halle a. 8. 
Druck der Bncfadruokerei des Waisen- 
han sfs. 

Der Herr Verfasser wünscht, doDs der 
»Zeichenunterricht« inak&oftigc in »Kunst- 
Unterricht« umgetauft werde. Ob über- 
haupt oder nur an den liöheren Schulen 
ist srinvcr ersii htlich. Er will dadurch 
erkenntlich machen, dab der Schwerpunkt 
des ZeichenuDterrraldB nicht anf der tech- 
nischen Seite des bloflwn Erienena det 
Zeichnens zu liegen habe, sondern viel- 
ni. lir <iar,iuf. dafs d"-i Schülers Au^*'n und 
Interesse mit üiife des Zeiuliuens geöffnet 
und geweckt weiden aoUen fOr die bil- 
dende Kunst und ihre Brseugnisse. 

Kaum wird sich gegen diese Idee und 
gegen den Wunsch dos ifloaMenkenden 
llerru Verfassers, der für semc Ansicht 



Digitized by Google 



II Pädagopiscihps 



Batterio auf Batterie vou vortrefflichen 
Aussiiriif^hen bedeutender Pädagogen auf- 
fahrt, etwas nagen lassen. Nur schade, 
dab in den, an Oytmiaaifta nnd Bed- 
gjnnnaBien dem Zeichenonternoht ge- 
güimten wenigen Stunden der unteren 
Klassen erst d^s leidig»» Handwerk erlernt 
werden mufe, die höheren Klassen aber, 
ia denen erst das lidit «ofKudämmeni 
bei^nt, dem Zeichen- besngUch »Kunst- 
unterriebt« verschlossen sind und, wie 
es jetzt mehr als je scheinen will, 
noch lauge vurschlosseu bleiben werden. 
Jeder ▼erstAndnisToUe Ifonu von Flaeh 
wild das mit Schmerz und Entmutigung 
empfinden, aber — . Über die leitenden 
Gedanien des Vortrags, der ja auch im 
Titel besonders hervorgehoben ist, »Der 
ZeidbeDontemcht in seinem YerhaitniB an 
den übri^Tii Uiiterrirlit.-filrliem«, apiidit 
sich der VeiiasstT eines Längeren aus, 
betont, wie wiciiti^' der Zeichenunter- 
richt für allü auderou Fächer und wie 
wichtig diese Wechselwirkung für die 
Hebung des Zeichenunterrichts selbst sei. 
Er stellt klar, zu weU-hcn Fär-hcrn ins- 
besondere der Zeiclienuuterriclit hilfreich 
in Beziehung zu treten habe. Leider aber 
ist aus dem Vortrag nicht an ericennen, 
in weicher "Weise das ennöglicht werden 
soll, welchen Lehrgang und wclcfien Lehr- 
stoff der Verfasser zur Ern icliung dioses 
Ziel^ für notwendig hält. Da aber gerade 
darüber die aUerverschiedeiisten Ansichten 
hemofaen, die entgegengesetztesten Vor- 
schläge gemacht werden, so A\äre eine 
Auslassung des Verfa-ssers über diesen 
allerwichtigsteu Punkt doch recht bedcu- 
tnugSToU gewesen. Ober das Endsiel sind 
wir ja wohl alle Uar, aber der Weg dahin 
ist streitig. 

Soviel aus einigen Andeutungen er- 
kennbar scheint der Verfasser das Heil 
in der Pflege des Ornaments an suchen. 
Ob er aber von ganz unten beginnen, ob 
er bis oben hinaus allein den Stoff bilden 
soll, ob Wandtafel, Vorlage oder Modell 
ab die ÜbermitÜer gelten aoHen, ist wie 
gessgtf sdiwer oder nidit au eisdien. 



"Wenn doch einmal einem l>edeuteuden 
Künstler zugleich die (^lelehrteti Weisheit 
und die {jädagogisühe Erkenntnis uud Er- 
Ishmog veiliehen würde, um aDe die 
anl dem Gebiete des ZeicbenuDterrichts 
sehwebenden Flragen endgilt^ zu ent- 
scheiden! 

n. 

Dr. Altalbart Matthasl, Gymnasiallehrer in 

Gietsen: Das bewuTste Sehen in der 
Pchiile. Ein Lehrbtich des Zeichen- 
unterrichts für Gymnasien unter lie- 
rückstchtigung der Bescblfisse der BerL 
Schiükonferenz vom Dezember 1890, 
1. Die Verfassung des Zei<'henuntcr- 
riehts. II. Der Lehrstoff, Gieüsco, 
J. Richter, 1S91. 

ISb dürfte aUerdings der Hübe und 
Kosten wert sein, nach Giefsen zu reisen, 
um sich diiieli eigne Anschauung r.xi 
überzeugen, ^^ i • weit es dem A'erf;u<s.T 
gelungen ist, die praktischen Ke.sultate 
seines Zeichenunterrichts mit dem, was 
in dem Büchlein geschrieben steht, in 
Einklang zu hringf»u. Oder ob der Herr 
VerfiUsser nicht blofs allzuzärtlicher Vater 
ist, der wohl genau weifs, wie man er- 
ziehen mnfe, für die Sehwüdien seiner 
Kinder aber blind ist? Der Verfasser 
seheitit in "Wirkliehkeit die Qualitäten eines 
füiu gübüdetoii und geschickten Lehrers 
mit der einer gewissen Künstlerschaft in 
seltener Weise zu verbinden. Ob dieee 
seltene Vereinigung nicht — wenigstens 
zur Zeit, wo der Zeirhonnntem'rht nn 
Gymnasien noch schiecht bezahlt ist und 
der Zeid^nlthrsr eine nnteigeordneta 
Bolle spielt, sohon mn bedenkliches Hin* 
dcmis für die Einlebuug der Gedanken 
des Verfassers bilden dürfte? 

In derThat wird jeder strebsame Fach- 
mann dem Verfasser ohne weiteres nnd 
gern zustinunen, wenn er beim gymnaüal i n 
Zciehenimterricht den Sehwcrpunkt auf 
tlas Kennen und Sehen legt, da ja für das 
Kuunen, so wünschenswert au sich, die 
nötige Zeit und — ich will nicht sagen 
das Tident aber bei vielen die ndtige Lust 



Digitized by Google 



394 



C Besprechuugeu 



UfKl Imho — fehlt. Deshalb ist auch dxs 
Zeiehoeu nur qIa allgtijueiuoü Bilduogs- 
mittd uad nicht auch Eugleidi als eine 
AitsbildtiDg im technischen Können zu be- 

tni' lit -II. Ich njuTs sajjen leider, deun dafs 
der üritlü Punkt dr«s vom Verfii.s>-»T rmf- 
(jt'Stellttm Prof:ninHns, die Guschinaeks- 
bildung, erst bei einifermaTNen geschickter 
Datatellnngsfithigkeit zu ihrem Recht kom- 
men kano, i>-t \xnh\ zweifellos. Es .«eh. int, 
als läge hier, wie bei den meisten iiliii- 
lithcu Leiirgilngou, dor kitzliehe i'uukt. 
Voll nnd ganz ist dem Torfasser zuzu- 
sti-niiii-n. wriiri er lü«' \'.'ikiHi]ifung des 
Zoieheuunterrichts mit ili u iibrif,'en Unter- 1 
richtsfächeni (Konzentration » nnstrelit. 

Welcheu Zeichenleiirer hat uielit diese 
Frage schon viel Nachdenken gekoatet? 
An «ieh dient ja jeder Zeieheuunterrieht 
s<chnM vi^lon HrnhTf'n T'nt'MriLlitsfailit'in. 
denn wenn da.s Auffas.sungs- und Anscliau- 
ungsvermögen geweckt und geschärft wird. 
80 wird flämtlicber Unterricht davon profi- 
tieren. Abf'i aui Ii (Iii' Au<walil des Stoffes 
wird zum Ti'il den Uelii-'ti'ii diT ;intl'*ren 
Unterrichtsfächer, nanientlicJi der Natur- 
wii>s«tuichuft^ outQonimeu .suin. Leider ist 
aber die Indienststellnng des Zeidienanter- 
richts, besoudoiN au (ryniuasien — denn 
an anderen Au.staUrn z. 1]. an Iu'al-<"hulcn, 
au Gewerbeschulen ist sie es weit mehr — 
nodi seht gering und in indirekt — aber 
auch sehr sdiwer. ünd ich mub gestehen, 
dafx auch dor I.-In i-lan dos Yerfassers 
iiif ht v!o| mehr bietet Auch sein Zf^-ii ben- 
stoff steht nur in sehr lockerem Zu.sammcu- 
bang mit den «ndereti FSchem, andi sn- 
gegeben, dab es Oirlich sein dürfte, die 

Modelle immer s»"» zu beschaffen, dafs sie 
den Schülern ein klares und hübsches Hild 
<les Däizuätell enden geben. Ich fürchte, 
dab dies z. B. auf dem Gebiete der Archi- 
tektur, der Oeschichte. der Oeogni{>hio 
seine Schwierigkeit haben dürfte. 

Und dann N]ii> !t hi'T nnrh wieder die 
oft schou berührte Frage der L iivereinbar- 
koit Ton ModellBeidinen und Mas^ienuntero 
rieht mit. Und wenn die M^idelle 50 cm 
und mehr grols bind, trie sie der Ver* 



fa.sser verlan<rt «nd wenn niich zwei Mo- 
dellö für die lüasse aufgestellt werden, 
so wird, und wenn sich die Schüler noch 
so eng zusammendrücken, die Frontstellung 

nur für weni;,'0 richtig erscheinen, die 
anderen niü»;<;f'n «ic >if !i denken (wier die 
scliwierigere Uberecksteliung zuerst zeiclx- 
nen, abgesehen davon, daCs unsere kttrz- 
sichtigen Gymnasia.sten schon auf der 
dritten oder vierten Vti'.uk keine Kante 
itiphr sHiarf sehen wunit n. "Wie man 
eine gute, iila-stisicbe Beleuchtung bei zwei 
nuff^estoUten Xörpem herstellt, ist auch 
nii ht lci< ht verständlich. 

Wie >.iion anfangs er\väliiif. wütilo 
sich viell' ii lit <ler eine oder der andere der 
aufgeworfi-iieu Zweifel bei jienioulicbem 
Besuch der Oiebener Schule erledigen. 
Und wenn die kleine Schrift Ter- 
favv-r»rs nur dnzn V'citrüirc di-- Hr-rreu 
Direktoren und Schul bohiinien zu bewegen, 
nach dem Gielüener Beispiel dem Zeichen- 
unterricht etwas willflihriger und den 
Zeichoolehrem etwas kollegialischer eot- 
i'oi'i^n 7H kommen, so hätte' der Herr 
Vcrfjt.sser sich schon ein groüses Verdienst 
erworben. 



Der Talir-aiiiT ISTi". de- Fa.'liUiattes der 
ysterrpi' lii^chcu ZeicljeulelniT. 

,,Zaitaobrill für Zelohei- und Kumt- 
Unterricht", 

geleitet von KobertSeoliurk, reiht .sich, 
was den nielu' geschatilichen Teil anbe- 
trifft, den früheren Jährigen gleich- 
wertig an. In der Wahl der Abhand- 
lungen al>er, .so will uns b*"!ünkeu, stellte 
m;ui die zweite Hälfte des Titels — 
den Kunbtuuterricht — ein wenig zu 
sehr in den Yoidergrond. Wir halten das 
I für gefahrlich. Für die Lehrer an höheren 
I Kunsfaiistalt>'ii. Akaiientien n.dei^l. scheint 
' d.xs kleine iiiatt <iucii niciit recht augethau 
. und auch wohl von Haus aus kaum be- 
stimmt Zu hoch und breit angelegte Auf- 
sätze — wir kommen noch auf einige 
zurüidc — gelangen also nicht an die ricfa- 



Digrtized by Google 



D Ans der Fachpii^o 



395 



tigo Adresse, werdeu abt>r dagegen iu den 
Erdsen, wo die Zeitsdirift haufttsSx^ich 
gt'losHU wird| eotweder übei-schhigen (»der 
sie sind dazu arip^^than Kün.stl»'i-dtink«'I /,u 
orzouq-t n und dem Zeifhonunterriclit über 
die ibm gLbulueiiduu ürouzou liioauH auf- 
sttbauschen. 

"Wir IkiIkii diese ücfiüir, eine der 
Sohlimin.steu für den ScliulzMich<'iiunti>r- 
ricbt, oft genug kennen und seine lioelist 
bodenldichon Wirkungen auf Lehrer und | 
SdiMer fOreliten gelernt. Ifiui sollte aa | 
fiachJnuidiger Stelle gerade hier sehr vor- ; 
sichtig sein. Zu dieser Art von Abhand- 
lungen gehört vor allem »Der muuiich- 
lidie Kopf in der Kotnr und in der Antike« 
von dem k. k. Pro&eflor Alwin von Wou- 
vermann. 

Cowife reich an einer Überfülle guter 
Gedanken und voiliefflicher Winke für 
Küneder und Knnststudentcu, selidnt mir 
aber das oben geengte Bedenken doch hier 
sehr ani Platz. 

Recht jnkant geschri<^l>en . wie alle 
Artikel dieser Kunst beflissenen , aber 
doch Ton zweifelhaftor Existenzbereoh- 
tigong an dieser Stelle und namentlich in 
dieser kurzen mehr aitli"iii>ti>'.lii_ii Furm, 
ist Agnes- Riists >Fi uhiiugsausstellung 
der Öecession in ifujichen«. 

Ambrosia Aualaasungen über Steil- 
echrift» über den Wei-t des Stricheins bei 
dem Aulegen der Zeichnungen, über die 
hohe Bedeutung der Horizontale, haben 
ia ihrer {»elbstgofülligeu Langatuiigkeit 
wenig Überseogendes und sind deshalb 
l^eiohMls von fraglichom Wert 



Dagegen sind Artikel wie Th. W und e r- 
liohs %An der Jahreswende« ein BudE- 

blick über die Entwicklung des Zeichen- 
unterricht'^ im Jahre 181t4 und fiten«» 
desselben Verf:ussers ■'Der Weise von 
Ivordou-^ als Begründer «les modernen 
Sohulseichenunterricbts« zur ISO^Ouigen 
Ooburtstagsfeier Pestalozzis oder »Pro- 
fessor Kaj'ftan ü^or Volksrikadeniifii* 
für die hier hauptsäehlicJi in Frage kom- 
moiidcu Kreise unserer Aitöiuht nach Sehr 
lebrreidi und mindestens sehr anregend. 

Ebenso treffen Fragen wie -Sind 
Zi ji hon-Ausstelluugen noch zeitgemätsV'^ 
von Martin Ludwig iu Leipzig, oder 
»Sind die aligolieferten Schulerzeicknongen 
von Seite des Lehrers mit Zensuren zu 
versehen oder nicht?« vun Büi-gei-schiU- 
direktor II. Neu mann in Kukidis recht 
empfindliche stellen in der Schulpraxis, 
und ihre Beleuchtung in rechtem licht 
von Seite erfahrener Piaktiker ist gewife 
vielen sehr willkununen. 

Die I)('f^]prfi liung dor neueren Kr- 
öcheinungeu auf den» Oebiete der Zeitheu- 
litterator sind auch in diesem Jiüirgaug 
durchaus sachgen^ und treffend. 

d;i! f im ganzen dem Jalirgang 18d5 
ein ^uii.<tii:"S L'ih gespendet werdeu. 

Hoffen wir, dais unter der neuen Lei- 
tung, Herr Seeböck hat die seinige dem 
Vernehmen n;w h niedergelegt, sich — 
vielleicht mit einiger Berürksii htigung di's 
Hervorgehobenen — das Jahr IbÖü dem 
alten wüixlig anschlielse. 

M&nchea B. Bauer 



D Ans der FaohpxeBfte 

I Aus der philosophischen Fachpresse 

Kantstodien. I'hilosophische Zeitschrift. | Phil' ^-oiihif^ an <!<>r üniv^rsität Halle. 
Unter Mitwirkung von Adickes, Bon- [ Hamburg und Leipzig, Verlag von Leo- 
troux, Caird, Cautoui, Chreighton, Dil- i poM Vofe. Pro» 4 IL 
iheji Erdmann, Fischer, Heinze, Bänke, Adickes: Die bewegmden Kräfte in 
lUehl, "Windf'l! s 1 1 u. a. herau.sgegeben Kants philosophischer Entwicklung. — Eine 
von Dr. Hans Vaihinger, o. Prof. der | Sozialphilosophie auf J^tscher Grundlage 



Digitized by Google 



396 



D Aus der Fachpresse 



von Wiriaudor. — Kant in Spanien. Von 
Luboslavvski. — lx)se Blätter aus Kants 
NachlaTs. 

aulbertef 8 Phllosophischet liMwIi. 

IX. Jahrgang. 4. Heft. 
1. Abhandlungen: 1. U Schütz, Der 
Hypnotismvs (Forts.). 2. J. üebinger, 
IHe matLematischen S<hriften dfs Xik. 
Cusanns (F<iit>.i. .'!. .1. H:ich, Zur (Jo- 
.sthiclite der lfl»en(ien Kiiiftu. 4. J.üeyser, 
Die philosophüicheu Begnffe TOii Ruhe 
und Bew^^uig in der Körperwelt, ent«, 
V i< k> if im inschluJjs aa die Versuche an 
der Atwood'scben Fallmasdüne. 

Ar«hl¥ fir fietobiohte der Pbiloeophie. 

Bd. 9 (N. F. 2) U. 3. 

Horn, Zur Philebusfrage. — Ridez, 
Observation« sur «luehjucs fragnif^ftts 'l'Em- 
jxidoclo et do Parmeniüe. — Orunwald, 
MiMellen. — Messer: Fnusciscas FhileU 
tthos de mondi diseiplina. Saenger, 
J<^hn Stuart Mill, .T ah n;sbM richte übor 
deutsche, englische invl italienische Piiilo- 
Hophie der letzte i-en J:dire. 

Aroiliv fIr tyttemtltdM PMItttpMt. 

P. Natorp. 11. 3. 
Inhalt: .1. neri^mnnu, Der Hegriff 
des Daseins und da.s Ich-Iiüwufstseiu. — . 
P. Natorp, Omndlinien einer Theorie | 
der Willensbildung. — H e n n o E r d - ; 
manu, Di«* p.sychologischen GruudiiigL'ii 
der Heziehuiigea zwificbea bpreeben und 
Denken. 

Vlirtttjahrssohrift fOr wissenobifllliilie 

Philosophie. Hd. VJ, H. 4. 

Kodis, .1., Die Anwendung des Funk- 
tionsbegriffs auf die Bcschieibung der Er- 
fahrung. — Plötz, A., Ableitung einer' 
Rassenhygienc und ihre Dezieliungen zur 
Ethik. — Blei. F., Die Metaphysik in 
der Nationalökonomie. — Wlassak, R., 
Bomerkiuigeu zur allgemeinen Physiologie. 
— 20. Jahrg., H. 1. Carstanjen, Fr., 
Entwicklungsfaktoren der niederländischen 
Fkühreuaissaace. £ia Ycrsuoh zur Psy- I 



chologie des kuuMtlerischou Schaffens. I. — 
Cornelius, 11., Das Gesetz der Übung. 

— Willy, Der EmpiriokritiGismns als 
einiig vissensdiaftllcher Standpunkt 

Zeitschrift für Philosophie und philo- 
sophische Kritlli. N. F. Bd. 107, U. 2. 
Siebecl:, H., Baton als Kritiker 

aristoteliseher Ansichton. II. — Berg- 
mann, Jul., tiber Glaube umi Gewifs- 
heit. — Simniel, G., F. Nietzsche. Eine 
moralphilosophische Silhouette. — Szlä- 
Tik, H., Zur Gesohichte und litteratur 
der Philosophie in Ungarn. — Müller, J., 
Vian Erituiorn. — Vorländer, K., Demo- 
knts ethi.sche Fragmente. Ins Deutsche 
übertragen. — Rennnonen. — Bd. 106, 
H. 1. Siebeck, U., Flaton als Kritiker 
aristotelischer Ansichten. III. — Groton- 
felt, A., W'antni vertrauen wir den üTiuid- 
Icgeudeu Hypothesen unseres Denkens .' I. 

— Hartman E. von. Die letstea 
Fragen der Erkenntnistheorie und Meta- 
physik. T. — Vorländer, K., U. Spen- 
cers Sozif lntrie. — Döring, Über Nerr- 
liclis Dogma vom klassi:>chen Altertun». — 
Rezensionen. 

Glossner's Jahrbuch fIr Phllotophie ni 

Theologie. XI, 2. 

Inh.: 1. Dr. Eugen Kol f es, Rektor in 
Frauweiler. Die angebliche Mangelhaftig» 

keit der aiistotelischen Gotteslehre. 1. Ar- 
tik' 1 II. Kanonikus, Dr. M. Gloss- 
ner , Mitglied der römischen Akademie 
des hl Thomjts, in München. Des Kar- 
dinal P. P&zm&ny Physik. — UI. P. Mag. 
Theo!. Gundisalv Feldner, Ord. Praed., 
Prior in I/muIx ii:. Di<' Neu-Thoiiii-^ten. 
(Fort-s. von Xi, Ol»). — IV. V. Joseplius 
aLeonissa, 0. M. Cap., in Wiirzburg, 
Die unbefleckte EmpfAngnis der Gottes- 
mutter und i' I M. Tlioiiuts. (Forts, von 
XI. 57.) — V. Fr., f. J. L. .Jansen. C. SS. 
K., iii Witfein {Holland), Zur FLxieniug 
der Probabilismusfi-ago. — "VI. Dr. jur. 
Raymund Zastiera, Oid. Praed., in 
Wien, Die Grenzen iloi Staatsgewalt, mit 
besonderer Büoksicbt auf das staatliche 



Digitized by Google 



0 Aus der Faohpross« 



397 



Strafrecht, (Forts, von XT, 42. Schlufs.) 

— Yll. Dr. C. M. Schneider, Pfarror 
in Floisdorf^ Die Onmdprinsipieii hl. 
•ThomaB von Aqnin und der modeme 
Soxialianus. (Ports, vou X, 337.) VTII. Diu 
Kiri ho und die Fi-eihoit. — YHL Litte» 
jarisciiü Bespreuhuiigeu. 

lalttdirifl fflr PayoMogie und Pbytio» 
logie der Sinnesorgane. XJI. 2. 

lubjüt. Abluindlg. Vou J. vou Kries, 
Über die Wirkmig kurzdauorudor Licht- 
tetse auf das Sehoigaiu Mit 1 Tafel. — 
Biohard Simon, Zur Lehre von der Ent- 
stehung der ki.oniiiii.'rt Ancjcnbrwpf^iinjxon. 
Mit 11 Fitaueu im Text. — E. Koeme rJ 
Zur Frage der psychischen Zoitinossungeu 
bei Oeiatnkranton. — Litteratarbericht 

Miad edited by Stout Jeiy. 1806. N. 19. 

Contents. L A. E. Taylor, On the 
Literpi-etation of l'lato's i'amieuide.s (L). 
r- n. MiiB Bain, Ethics from a pordy 
Practical Standpoini - III. Henry 
Sturt, CoiisLienco. — IV. The Editor, 
Voluntary Actiou. — V. Henry Rutgers 
Mars hall, Couüciuusuesä aud Biological 
Evolution (LX — Discnsaions: 8. H. 
Meilono, The Notare of >Siibjeotive<' 
Knowledge. — YIL Gritical Nottcea. 

Revue Nto-Soalastique. Nr. 3. Aodi 1806. 
Sommaire. Indioea deoinunix. 194^1. 

IX. D. Mercier, La psydiologiß de | 
Deecartes et I'antlu-opologie scolastiqua. 

— U. Le ineoauisme applique ü Tctude 
de rhomme on k ranthropologie. — 510,L 
JL P. ICanaion« Fkindpea de Metagio- 1 



nietrif on de <5^«mptrio geuöralo. — 185,1. 
XI. A. Thiery, Aristote et la Psychologie 
physiologique du r<ve. — 335. XIL C 
Van Overbergh, Le Socialisme sdenti- 
fique d'apK's le Manifeste oomniuniBte. — 
Melange« & Doeumenta. 

RavM «to MMapkyiiqae tt 4% Marala par 

L^n. 4. N. 4. Jufllet 1800. 

Troi.sieme ceutenairo de la uaissance 
de Defif-artes. I^a Mctliode. H. Oi Visoh, 
La »geontetrie« do Dcscartes au jKjiut de 
vue de sa Methode. — J. Berthet, La 
Methode de De^carte» avant le Bisoours. 

— Metaphysiqni'. P. Natorj), Le 
dpv<dn{tj)ement de la pensee de Descartes 
depuiH les »Begulae« jus(^u'aux »Modi- 
tationa«. — A. Hannequin, La preuve 
outologique cartösienne däfendue contra 
Leibnitz. — H. ^f^ hwnrz. Lcs' rrfhen lif*; 
de Dencartes snr la ciiiiiKiissaiJcu du iDOnde 
exteriuur. — La Physique. P. Tauuery, 
Deaoertes physioien. D. J. Körte weg, 
Descartes et Snelliqa, d'apres quelques 
dücument« uouveaux. — La Morale. E. 
Boutroux, Du rapport de la morale a 
la scicncc dans la philosophio de Descartes. 

— V. Broohard) Le trutd des pasaiona 
de Descartes ot l'EHiiqae de Spinoza. — 
Varietös. Tjan^oii, T/inflnonno de la 

I Philosophie cartesienne sui- la litteraluro 
Irauyaiüc. — M. Blondel, Le chriütia- 
niame de Descartes. — F. Tooco, Dea- 
j cartes jugo par Vi' u. — Ch, Adam, 
C'inesjioiuluiicc dv I)i.sc;u t«'s (AutOf^'iapheS 
et cüpies manuscntes;. — kSupplemout: 
livrea nouveaux. — Rerueset p^riodiqnea. 
lüheaee de doctoiat — Ooireapondanoe^ 



n Aus der pädago 

I. Hama, H., Fünf Thesen znr Keform 
des get^raphischen Unterrichts. Ein 
Vortrag. Hamburg, J. F.Richter. 1895. 
»Em belebender Hauoh dutuhweht 
<lie moderne Meth(xlik. Doch nicht gleich- 
mii£äig sind die einzelnen Di>zi|ilinpn von 
ihm erfafßt, und zu den am "tteuigstcu 
berfthrten gehört der gcographtaobe ünter- 
lioht Seine beiden reaUstiaohea Oe- 



gischen Fachpresse 

schw ister, der gesehichtliclie (!) und der 
naturgeschiehtliche Unterricht .sind iiiitteu 
in einem Yerjüngungsprozefit begriffen, 
und sdion erkennt man freodig ihr neuee 
Antlitz ; der geographische Unterricht aber 
kann sich trotz vieler Bemiihimgeu wrdtl- 
meinender Freunde noch inwier nicht 
entschliefiien, seinen alten, unmodernen 
Charakter abzulagen. Warum? 



Digitized by Google 



398 



D Aus der Fachpresse 



I. Der Oeographie-Unft^rricht ist zu 
vielseitig iui Stoff. Es muls sich zur 
Taterländischen Erdkuude abruu- 
den. Die aufserdeutBohen Stoffe 
Bind auf das d urchaus Notvendige 
2U beschränken. (Thfso 1); 

a) Dur geographiücho Uutorricht der 
VoitBSohttle kanik so lange nidit in bilden- 
der Weise betrieben Verden, als er sich 
mit eiuor gewissen OleichniälMgkeit fib« r 
die gimze Enlo erstreckt. 

b) Er uiuls sich, um »iiu kleinen fiauni 
die grö&te Kraft« zu entfalten, in der 
HaQptaacihe aaf eioMt badeatsameii Eid- 
niuni zurückzieheu und diesen einer all- 
seitigeu und gründlichen Behandlung unter- 
werfen. 

c) Dieser Erdranm kann nur das Vater- 
land sein, dessen eingidiende Behandtnng 

sich allein schon aus uatioualea Orfinden 
als eine Notwendigkeit erweist. 

d) Durch die gründliche Behandlung 
des Yateilandes wird zugleich der BUck 
geschärft für die VeibSltniase der anfeer- 
deuf.schen Länder, so dals deren Auf- 
fassung später lun so leichter und sicherer 
von statten geht, zumal sie vergleichs- 
weise oft hermigezogen werden. 

II. Der (Jeogmphio- Unterricht ist zu 
eiust i»];; in der Methode. Er mufs sich 
einer mtensiveron Hehandlungsweiso «u- 
wenden, ujid zwar uiuls er 

a) das Bild al» gleiohbereebtigt neben 
die Karte treten la.ssen und der auf Karte 
iiinl Bild l.a>i.rt*ii 8chiUlening mehr 
Kaum gewähren (These 2); 

h) dem entwickelnden Utiterrichts- 
prinzipf weldios für den Oeographie-Ünter- 
rioht als 'Rift»»rsche Metliode^ eine be- 
sondere Bezei< hnuiig führt, mehr gerecht 
werden (These 

c) das geologische Moment berück- 
sichtigen (These 4) und 

d) in eine eingehende Kultuigeographie 
anamünden (These 5). 

II. Arnstroff, W., Einheitliche Gestaltung 
des Religionsunterrichts in Schule und 
Kirche. Sarnndung |Nidag. Vorttüge. 



Tin. Band. Heft a Bielefeld, A. 

Helmich. 

1. Der ReiigiuHsunterricht muls, da er 
der wichtigste und hervonagendste aller 

L»higegenstände ist, im Mittel |)tmkt dea 
gesamten SchuIunterricJifs stehen. 

2. Er kann seinen \)iui. Zweck, auf das 
gesamte Denken, Fühlen und Wollen der 
Sdiöler einen bestimmenden Einflufs ana- 
zuüben, nur dann erreichen, wenn er 
nicht nur in jilleu Klassen niner und der- 
selben Schule, sondern auch in Schule 
und Kirche einheitlich gestaltet wird. 

3. Die einzelnen Zweige des Reüpons- 
unterrichts, wie Gebet, biblische Geschichte, 
Sftru'-Ii. Kntf'rhisnui.s, Lied und BiV)cll*»SMn 
dürfen deshalb beim Unterricht nicht neben 
einander beigeben; sie müssen vielmehr 
in der Weise zn einem einliettlichea Unter- 
richtsgegenslande verhuuden werden, dafs 
einer dieser Zweige in f!"n Mittelpunkt 
des gesamten IJeligionsunterrichtes gestellt 
wild ond den leitenden Tadea für den- 
selben bildet, imd dals alle übrigen reli- 
t::?>voii Li lirstoffe an geeigneten, aber ge- 
nau zu bezeichnenden iStelleu oiganisch 
in denselben eingefugt worden. 

4. Die Geistlichen haben die für die 
Schule vorgescliriebenen Sprüche, Lieder 
urtf! Kritechismrisvtii, kl', soweit sie sich 
auf den im pfarranitiichen Unterrichte 
durchzunehmcudcu Lehrstoff bezieben, in 
ihren Lehrplan aufzunehmen. 

5. Für die Sehlde bildet die bibl. Ge- 
schichte 'M-iitHllii:-' tiiid drTi Mittr-l- 
punkt des gesamten Keligiousuntcrrichtes ; 
im pfarramüichen Unterricht wird im 
eisten Jahre das MatAäuseTangeliam, im 
zweitim der Katechismus behandelt. Der 
sonNtiiT') zu bei-ücksichtigf»ndc iiHgiöse 
Leiwstüff hat sich an den geeigneten, 
aber genau zu bezeichnenden Stellen au- 
cnschliersen. 

(5. Die Anfertigung einer Pensenver- 
teilung würde auf !i für den pfarramtlichen 
Iveligiunsunterricht sehr eräpheiklich sein. 

7. Wie bei der bibUsohm OesdüditB, 
80 soll den Kindern andi beim Bibelleaen 
snerst immer das Einzdne cum VeistKnd- 



Digitized by Google 



D Aus der Fachpresse 



nis gebracht werdeu; erst dann sind sie 
in den Zusiunmeahaug des Ganzen ein- 
zufülireQ. 

8. Beim Kaieohismiisiuiterrichtsbd die 

einzelnen bei Behandliing der biblischen 
Cleschichto i^i"'wonneren religiösen und sitt- 
lichen Waiu h. iteu zu saminolu. zusammen- 
zuülollen und übersichtlich zu urduea. 

9. Oer SdigioiiBiinterriclit in Sdhvle 
und Kirche bedarf einer Fortsetsung im 
Jünglings- und Jungfranenalter. 

III. firäve, Diu l*flego der Volksdichtung 
und ihre Bedentnng ffir die heotige Zeit 
Samniiuij;; \>Äd. Vorträge. VIII. Band. 
Heft I. Biol. f.M, A. Urlmioh. 

1. Die L»*bens-, Ki-werbs- und Ver- 
kehrsvcrhiiltnitjso der neueren Zeit er- 
schweren es in hohem Mafee, die deatschen 
Tngiendeil, die niiser bestes nntioniües Erb- 
gut au'5mai"hpn. zu bewrihrffi und auf die 
nachfolgenden Geschlechter zu vererben. 

2. Die deatschu Volksschule hat die 
Pflicht, den gaten Ooist der Ahnen in 
der Jugend zu pfk^^'<>u, und mnb dalier 
dem in unser VoIk.stum eindringenden 
Materialiäuiuü der Get>iimuiig entgegen- 
treten und den deutschen Idealismus su 
bewahren suchen. JSa. hervomgendes 
Mittel hierzu Ist die Riuführutig der 
Jugend in fli*» deutsi Dichtung, be- 
sonders die Volksdichtung. 

3. Vdksniärchen, Vdkssaget Volks- 
spruch und Volkslied sind Spi^^bilder 

drs deutschen Volkscharaktei-s: sie er- 

♦ 

heim) und idealisieren, wa.s die lii ntij^'o 
Zeit vorflacht; sie bieten der Volk.sschule 
wertvollen Stoff cur Pflege deutschnado- 
naler Tngeoden. 

4. In der V()lk.sdi(;htiuig liegt eine be- 
dputfnde Einigungskraft für die Stände 
und btainniö unseres Volko<i. 

5. Die Vdkssditüo gewähre der Volks- 
diditong auf allen Stufen eine Heim- und 
Fflegstättc. 

n) Auf der Unterstufe gebührt dorn 
Alarchen, vveim auch nicht eine ceniraJe 
Stelle, so dodi dne herromgende Be- 
deotong unter den Enihlstoffen. 



b) Auf der Mittel- und Oberstufe fiudo 
die Sage gol>iihr»»nfir> Beiiicksiehtigung und 
zwar im heiniatkunJIiclieu Unterricht ditt 
Orissage, im Oesohichts-, Oeogra{)hie- und 
lieseunterricht die Helden- und Götter- 
sage, lotztero besonders im Iliublick auf 
die Sitton niid Gebräuche des VoIksloW^ns, 
die im altgermanischou Gottorglauben 
worzeb. Das Lesebuch enthalte den 
Stoff des Nibelungenliedes in einer 
dem kindlichen Verständnis angepafst^n 
Bearbeitung, wie ferner eine Aii*<\vahl 
der übrigen Sagen, die durch typi.sche 
Bedeutung und nationalen Büdungswert 
hen'orragen. Ergänzt wenle der den 
Schülern il;ii/.uliift-Mi<h' Sau'i'ri-t..ff durch 
plaunüifsige Benutzung der 8<'liulerbiblio- 
thek, die muütergiltige Sammlungeu von 
Helden-, Odtter- und Landschaftssagen 
enthiüten mub. 

c) Die Volkssprichwürtor gehören in 
reicher Au.s\vahl ins I>?sebuch. Sie dürfen 
im Uuterrichto als Mittel zum Zwecke, 
als Sachbeispiele in der ^rachlehre, als 
ÜbunghStoff bei den Kechtschrcibübungen, 
jUs Vorschriften im Schim.schreibuuter- 
richte, erst dann auftreten, wenn ihr 
Sinn und Inhalt im Oesinnongsunterrichte 
erläutert und zum geistigen Etgontum der 
Kinder geuKicht ist. 

d) Das Volkslied mu£s in den I/^se- 
uud LitidorbüuherQ, im deutächeo Spracb- 
tmd Oesangunterridite mdir als bidior 
berücksichtigt werden. 

IV. Frltzsche, X.-u-li wolch-Mi finitKiN-itzen 
iüt der Geschichtsunterricht zu gestillten, 
wenn er monardiisch -patriotische 6e- 
sinnoiig wecken und historisdien Sinn 
bilden soll? Sammlung |»jid. Vorträge. 
VII.Band,]!. ft K«. RielefeM. A.Tl-hnirh. 
1. Wahre vatt.'rlandische Gesinnung und 
wahren anfopferungsfahigen Patriotismus 
vermag am besten die nationale Geschichte 
zu erzeugen. Damm gehört in <it n lAjhr- 
plan einer deutschen Volks.schule auch nur 
die Güsichichtü des deutschen Reiches. 
Doch sind nur diejenigen Begebenheiten 
sa behandeln, welche von nachhaltigem 



Digitized by Google 



400 



D Aas der Fachpi-esse 



Werte uud vou bleibender Bedeutung g«- 
wordön tmd die Haupfeigentümlich- 
Iteiteo der nationalen Entfaltung in helles 
Lii'ht st<!llen. Die Geschichte der ftbrigen 
Kulturvölker kann und ihuf nur insownit 
Berücksichtigung finden, als sxq zuui Ver- 
flUrndniB der patiopalen unbedingt erforder- 
lich ist 

2. Den Inhalt des nationalen Geschichts- 
unterrichtes hat nicht wie bisher Hie Stants- 
geschichte, i>ouderu die gosmute Volks- und 
Kaltnigeechiohte zu bilden. Doch können 
im Volksschulanterrichte nur die Mark- 
steine deutschen Kulturlebens eingehende 
Betrachtung erfahren, und aus ihnen ist 
wiederum uuida« hcrvorzuheboUf was iliueu 
-^isch ist und das Verstündnis der natio- 
nalen Entwicklung und die Erkenntnis des 
sozialen Fortschrittes zu fördern iinstand eist. 

3. Der national« (»es«-hichtaiuiterriciit 
schreitet vou Ei)oche zu Epoche chrono- 
logisch vorwfirts. Innerhalb jeder Epoche 
be.stitnmt jedoch den Gang des Unterrichts 
iiidit die Chi-ouologio, sondern die A]i|ier- 
zepiionsfahigkeit der Zöglinge, um so den 

^ inneren L i-sacheu leichter und besser nach- 
gehen zu können. Durch retrospektive 
Betrachtung wird der auLsere Zusammen- 
hang der Ereignisse hergestellt. 

4. In der normal -gegiit-derteu acht- 
klassigen Schule erfolgt die Vorteiluug 
des ges^ditiichen Stoffes stufenveis, so 
daLs jedem Schuljahre einheltlidief abge- 
schlosscne Hosi hii litsfratizo 7,ugewieson 
werden. iJoch euipfiehit es sich, aus psy- 
ohologischüu uud praktischen Gründen, im 
letzten Schuljahre eine abschließende und 
vettiefende Betiacbtung oamentliah der 



Neuzeit vorzunehmen. Die weniger ge- 
gliederte Tolkssdiule kann der konzen- 
trischen Kreise nicht günzlich entbehren, 

und darum empfiehlt sich für diese eine 
zweimalige Durchwauderung des Stoffes, 
doch so, dalä die zweite nicht neubaueod, 
sondeiB ausbauend und vertiefend Teiliuft 

5. Der Oesohiobtsunterridit stfltze siob 
soviel als müi:lich auf die Anscliauung. 
Darum wurzele er in t\fr Heimat, ziehe 
.->uwLnt ids möglich die mit lebenden Eiozel- 
zügen aiLsgestatteten Quellenstoffe heran 
und sorge für eine Idare und deutliche 
Auffassung des Schauplatzes und der Zeit- 
verhältnisse der histArischon Dpg<»>>f'nheiteu. 

C. Der G<^chichtsunterncbt verschaffe 
dem Sdiüler eine klare Einsicht b den 
inneren und äufsoren Werd^^g seiner 
Xatiiiii uud in das innere und änfsere Oe- 
wurdensein der gegenwärtigen Verhältnisse. 
Darum decke er die Wechselbeziehiugea 
zvischen den emzelnen Ereignissen auf, 
lasse die historischen Charaktere und That- 
sacheii in sittlichem Lichte erseh einen und 
stelle (iurcli \\ertvoUe Vergleichi' den Furt- 
schritt der nationalen und sozialen Ent- 
wicklung von Epoche zu Epoche fest 

7. Der Geschichtsiuiterricht trage Sofge, 
daf'i des S' liiiloi-s historisclie«? Wissen Kur 
freien Verwendbarkeit gebracht werde. 
Darum bilde er zusauunonhängende Keiheu 
aus, stelle fl^&lg sielbewuTste Wieder* 
holnngen und planmäfsige Übungen an und 
brinate CDdlieli d;Ls u'''S( hi< litlifhe Wissen 
mit dem gesaiateu Uuterrichtä&toif in 
engste Verbindung. 

£. Rs. 



-CB^IC 



Drask TOB 



Bvyvr * BOba* io LmtgtMils*. 



Digitized by Google 



A Abhandlungen 



Der substantielle und der aktuelle Seelenbegriff und 
die Einheit des BewuTstseins 

Von 

0. FlOqel 

(PorU«tiung) 

Flkchsio 

Bei Fi.ECHSio ist weniger die Rede von dem akhiellen oder sub- 
stantiellen Seelenbegriff, vielmehr handelt es sieh bei ihm vor- 
nehmlich um die Grundlage der Einheit des Bewufstseins, nämlich 
um die Associationen. Zwar huldigt er auch hinsichtlich des ersten 
Punktes einer bestimmten Ansicht, sie spricht sich etwa in den Worten 
aus: »Zum umfassenden Studium alles geistigen Geschehens, ganz 
gleichgiltig, ob es ins Bereich des Normalen oder Pathologischen fällt, 
mufs sich gesellen das Streben, jede geistige Erscheinung zurück- 
zuführen auf Eigentümlichkeiten, auf Faktoren der körperlichen Or- 
ganisation, auf körperliche Vorgänge. Hierzu bedarf es auf der einen 
Seite einer naturgemäfsen Zergliederung der Seele, welche wirklich 
<lic Dai*stellung der letzten seelischen Elemente gewährleistet, und der 
Anknüpfung dieser Elemente an ihre materiellen Träger insbesondere 
des Gehirn.« ^) Hieniach wird keine substantielle Seele angenommen, 
sondern Seele ist nur ein zusammenfassender Ausdruck für die Gesamt- 
heit der einzelnen geistigen Vorgänge, und diese werden gedacht als 
Zustände, Akte, Funktionen des materiellen Gehirns nach seinen ein- 
zelnen Teilen. Diese Anschauung wird auch im folgenden immer 
deutlicher hervortreten. Doch seheint sie überall ohne nähere Er- 
örterung vorausgesetzt zu werden. Flechsig hat sich für seine Ar- 
beiten zunächst folgende Fragen gestellt: Welche Hirnteile sind in 
Thätigkeit, wenn wir denken oder fühlen, welcherlei chemische und 

') Flkchsio, Profes.sor der Psychiatrie in liOipzif^: Die Grenzen geistiger Ge- 
sundheit und Krankheit. Kede. lieipzig, Veit, 18<lß. S. 17. 

Zeitiohrifi f(lr Phlloioplüe und Fäd&goglk. 9. Jahrgang. 26 



Digitized by Google 



402 



A Abtuuidluugen 



phj'sikalische Yorgänf^ü sind hierbei beteiligt? Unser gesichertes 
Wissen beschränkt sich im wesentüclicn auf die Gestaltnnorsvorhältni.^se, 
die Form der Gewebselomento, an welche die geistiiron Erscheinungen 
geknüpft sind, ihre gegenseitige Veibindunjx, ihre Lokalisotion im 
Gt'liirn. Ein Zui'ückführen auf die zu Grunde liegenden Substanzen 
und Kriift(; ist noch nicht möglich. Wir wissen nur. dafs die im 
Gehirn vurhundenen chemischen Elemente in I^ctiacht kt)ramen: wir 
vermuten, dafs diese Elemente sich im lebenden Gehirn zu den kom- 
pliziertesten Körpern unseres Planeten verbinden; aber wir kennen 
vorläufig nur Zei'sotzuug.spruduku* der psychischen Substanz und somit 
liegen selbst die vorstellbaren Grenzen des Naturerkennens aui dicbt iu 
Gebiete noch in nebelhafter Ferne. ^) 

Demnach sieht Flechsig yorläafig ab von der Frage, welcherlei 
Erilfte die geistigen Zust&nde sind, ob BewegungszostSnde oder xiidity 
er fragt nur, an welche Sabsümzen erfahrongsgem&Ts das geistige 
Leben geknüpft ist oder welches die unabweisüchen Bedingungen 
dafür sind. Baiauf ist die Antwort: Die geistigen Ecscbeinimgen 
zeigen sich gebunden an das lebende Gehirn, und dessen Elemente 
scheinen die kompliziertesten Eöiper unseres Planeten zu sein. 

Die Kompliziertheit der Gehimteüe und deien Moleküle wird für 
nnsre HBRBAjiTSche Metaphysik noch weit grdlser dadurch, dals wir 
Gnind haben, die inneren Zustände hinznznnehmen. Damach isjt 
jedes cinzebie Element eines Moleküls Träger eines sehr komplizierten 
Systems innerer Zustände; femer entsprochen sich innere und äufsere 
Znstände immer ganz genau. Die äufseren Zustände, also die Vor- 
gänge der Bewegung und des Gleichgewichts erzeugen gewisse innere 
Zustände in den einzelnen letzten einfachen Elementen. Ebenso 
mufs mit der Abänderun«r des inneren Oleiohf^ewiehts auch eine Ab- 
änderung des Oleiohirewiclits unter den äufseren Zuständen verbunden 
sein. Wenn wir nun die i^eistij^en Vorgänge als <iie innern Zustande 
des einfachen Wesens der S(>ele ansehen, so versteht sich die Wech.sel- 
wirkuiij: zwisclien T/cib und »Seele im allgemeinen ganz von selbst wie 
dies schon oft auseinandergesetzt ist. Dies sucht die Hirnanatomie 
und Physiologie im besondem darzuleij^en, nämlich welche Teile des 
Gehirns bei diesen und welcljc bei jenen geistigen Zuständen thätig 
.sind. Es kommt ihr also auf eine LokalisierunL'^ der Bedingungen an, 
an welche die verschieden geistigen Funktionen gebunden sind. 

Bei der Feststellimg dessen, was in dieser Hinsicht der Physio- 
logie als gesichert gilt, ist bekanntüoh die äulBerste Yoiaicht nötig. 
Sagte doch Lotze, er habe im Stillen die statistische Bemerkung ge> 

') Fi*aiHiQ: Gehirn und Seele. Rede. Leipzig, Veit, 1896, S. 11. 



Digitized by Google 



Flüoil: I>er sabstaatielie and der aktudle Seelenbegriff etc. 



403 



macht, da& die großen epoohemachenden Entdeekungen der Him- 
phjsiologie etwa eine Lebensdauer Ton 4—6 Jahren haben. Und 
Henlb bemerkt: »Die Anatomen vie Casus und Hvscbke waren dienst- 
fertig genug, eine den drei Seelenvermögen der Psychologen ent> 
sprechende Breiteilimg des Gehirns ssu unternehmen. Dem Vorsiellungs- 
vermögen wurde die GroJI^himhemisphare, dem Geftthlsvermögen TeiUe 
des Mittelgehims, dem Willensvermögen das Eteinhim eingeräumt« 
Und über Metnbrt urteilt "FLECBSsay dalk seine Anschauungen über 
Gliedenmg des Grolshims und einen vorderen motorischen und hinteren 
iisiblen Teii sich auf eine Fülle von falschen Voraussetzungen \md 
MirsverstSndnissen zum Teil der giobsten Art stützen. £s handelt 
sich hier um ein wahres Labyrinth von Irrtümern.« (Gehirn und 
Seele 68.) Gowifs bomerkt Flechsig mit Recht: »Vermuten läfst sich 
auf dem Gebiete der Himanatomie vieles; die absurdesten Angaben 
haben oft lange Zeit geherrsclit.« -) 

Auch daran sei erinnert. Fi.KrnsK; hat seine Schrift dem ver- 
stoilionon Physiolofxcn Iadwu! gewidmet. Dieser wandto in seinem 
vortroffMclion T.ohrhuch (]r-r Physiologie (1^59, I, 594) ^o^en dir An- 
nahme einer einfachen Seele im (iehirn ein, bei dieser Annahme 
bedürfe es noch mannigfaltiger Zwisclienuiirane zwischen Nerven und 
Seele.'*) Nun an dergleichen Zwischeuorganen fehlt es nicht Jede 
Seite der FiKrHsio sehen Ailieiton legt davon Zeugnis ab. 

Wenden wir uns nun zu Flkchsig selbst. Er besclireibt zunächst 
die Sinnescentren, in welche die Sinnesnerven endigen und von wo 
gewisse Bewegungsnerven au.sgehn. Verschieden davon sind die drei 
grofsen Associationscentren. Aufserdem giebt es noch Associutions- 
bahnen teils innerhalb der Sinnescentren, teils zwischen diesen, teils 
zwischen den Sinnescentren und Assooiationsceatren. Doch hören wir 
ihn selbst ausführlich darüber: »Der uralten Unterscheidung yon 
Sinnlichkeit und Verstand entspricht die Sonderung von Sinnes^ 
und Associationscentren. Nur etwa ein Dritteil der menschlichen 
Grofshimrinde steht in direkter Verbindung mit den Leitungen, welche 
Sinneseindrücke zum Bewußtsein bringen und Bewegungsmechanismen 
(Muskehx) anregen; zwei Dritteile haben hiermit direkt nichts zu 
schaffen, sie haben andere höhere Bedeutung. Welcher Art dieselbe 
ist» l&fet schon die mikroskopische Untersuchung bis zu emem ge- 

') Hkm.k: Anthropolop. Vortrügt'. ISSO. II. 27. 

') Rede, 180G üi Miuicbeu geimlteu auf liom Päycholugeutoge. S. 10. 
8. FlDobl: Der llaterialismiiB 1865f 8. 34. }Sxnmm hmgeigen meinte, all» 
ZwischeDoiigane ^vüi^Jcu onnfitXy wenn die Seele emfach wäre. Veii^. Zeitechr. f. 
ex. Fhü. XIX, 427 ü, 

26* 



Digitized by Google 



404 



A AbhaucUuogeQ 



wissen Grade erkennen. Während jedes Sinnoscentrum der Hirnrinde 
einen besonders rharakteristischen Bau besitzt, Hrr bei einzelnen 
deutlich orimiürt an die Nervenaushreitiin^on je in den zup:cnrdnetoTi 
äufscni 8inneswerkzeugen, tra^Mjn die höhern Centren — wolcho ich 
der Vci"ständlichkeit halber von voinheroin als goistit^c bczciclinc3U 
will, als Donkorgane gegenüber den innem Sinnen, ein mehr einheit- 
liches Gepräge, einen gleichmärbi;^en Tvpus der uiikrtjskopisehen 
Struktur, obgleich sie sich über die verschiedenen Regionen der llirn- 
oberfläehe ausbreiten Sie bilden einesteils das eigentliche Stiruhirn, 
den liiuter der freien Stirnfläche unmittelbar über den Augen ge- 
legenen Himteil, ferner einen grofsen Tt;il der Schläfen und Hinter- 
hauptshippen, ein mächtiges Gebiet im hintern Scheitelteil und endlich 
die tief im Innem de& Hirns versteckte insula Eeilii. Aiso mehrere 
gro&6 wohlgegliederte Bezirke giebt es im menfiohlioheii Oehiin, 
welche nicht direkt mit Sinneseindrttcken von aufsen her oder ans 
dem Eorpeiinnenif noch mit Bewegungsimpulsen zu thun haben, 
deren Th&tigkeit somit ganz nach innen gerichtet ist — Aber die- 
selben bieten noch andere Besonderheiten, welche von Tomherein auf 
ihre höhere geistige Bedentong hinweisen. 

Ifoch einen Monat nach der Oeburt sind die geistigen Gentren 
unreif, günzlich bar des Nervenmarkes, wahrend die 8innescentren 
schon vorher, ein jedes für sich, völlig nnabhangig von den sndem, 
herangereift sind. Erst wenn der innere Ausbau der Sinnescentren 
zum Abschlufs gelangt ist, beginnt es sich allmählich in den geistigen 
Centren zu regen, und nun gewahrt man, wie von den Sinnescentren 
her sich zahllose Markfasem in die geistigen Gebiete vorschieben und 
wie innerhalb einer jeden dieser letzteren Leitungen, die von ver- 
scliiedenen Centren ausgehn, mit einander in Verbindung treten, in- 
dem sie dicht nebeneinaiidei' in der Hirnrinde enden. Die geisti<;en 
Centren sind also Appaiat'\ welche die Thätigkeit mehrerer inneren 
(und somit auch äu&eren) Sinnosorgane zusammenfassen zu hohem 
p]iuheiten. Sie sind Centicn der Association von Sinneseindrücken 
versciiiedeiier Qualität vou Gesichts-, Gehörs-, Tasteindrückeu etc. uud 
sie eis( lieinen insofern auch als TräiLjer einer Coagitation, wie die 
lateiniische Sprache prophetisch das Denken bezeichnet hat; sie kuunen 
also spezieller Associations- oder Coagitatii>nscentron heifsen. — 
Diese aus dem auatumischon Hau sich unmittelbar ergebende, sich 
geradezu aufzwingende Hypothese könnte so lange für unzureichend 
begründet gelten, als sie nicht die Probe der klinischen Erfahrung 
bestanden hat; diese aber ergiebt thatsächlich zahllose Beweise fflr 
ihre Richti^eit Die Erkrankung der Assodationscentren ist es vor- 



Digitized by Google 



FlDqkl: Dor substantielle und der aktuelle Seelenbegriff etc. 



405 



nehmlich, was geisteskrank macht: sie sind das eigentliche Objekt 
der Psychiatrie. Sie finden wir vorändert bei denjenigen Geistes- 
krankheiter», deren Natur uns am klarsten ist, weil das Mikroskop 
Zelle für ZeUe. Faser für Faser deuflieh die zugrunde liegenden Ver- 
änderungen erkennen Uifst; und si» kennen wir direkt nachweisen, 
welche Folgen es füi- (\n< geistige Leben hat, wenn sie zu mehreren 
oder zu vielen oder uucii sämtlich desorganisiert sind. In ein wirres 
Durcheinander geraten die Gedanken, neue fremdartige Gebilde er- 
zeugt der Geist, wenn sie krankhaft gereizt werden, und völlii, ver- 
loren geht die Fähigkeit, die Vergangenheit zu nützen, die Folgen 
der Handlungen vorftossusehen, wenn sie vemichtet werden. Sie 
sind die Hauptträger von dem, was wir Erfahrung, Wissen und Er- 
kenntnis, was wir Grundsätze und höhere Oeffthle nennen, zum Teü 
auch die Sprache; nnd so wird all das Können mit einem Schlage 
hinweggefegt, wenn z. B. Gifte die geistigen Centren ihrer Erregbar* 
keit berauben? (Gehirn und Seele S. 24.) 

Hieran mag zunächst die Frage gelLnttpft werden: Hat man die 
Associationscentren in dem Sinne zu deuten, da£i wenn sie noch nicht, 
oder nicht mehr gesund vorhanden sind, auch die Association aus- 
bleibt? Dos ist nicht der Fall. Es wird berichtet: »Bei der Maus 
und dem Hamster (und wahrscheinlich allen Nagern) fehlen die Asso- 
cintionscentren vollständifr. Sinncssphäre stÖfst an Sinnessphäre... 
Bei den Baubtieren sind die Associationscentren noch klein ; man ver^ 
gleiche nur das durch Rindenreizung abgrenzbare frontale Centrum 
des Hundes und der niedern Affen mit dem menschlichen! Erst in 
der Reihe der Katarhinen (höheren Affen) erreichen die Associations- 
centren die deiche Ausdehnunir wie die Sinnescentren und erst beim 
Menschen wachsen sie dnrübei- hinaus (a. a. 0. 84). 

Ans diesen Mitteilungen gelit hervor, dafs zur Association der 
Vorstell nnjiren die Associationscentren iiieiit erforderlich sind. Asso- 
ciationen der verscluedensten Sinneseind rücke nnd deren gegenseitige 
Reproduktionen nach dem Gesetz der Gleichzeitigkeit, der Rpihenfolge 
wie dem der Ähnhehkeit finden bei der Mans und dem Hamster 
und gar bei dem Hunde in hohem Grade stutt, ja num möehte sagen, 
ebenso gut als bei dem Menschen, in mancher lieziehung sind die 
Associationen z. B. beim Finden eines früher gegangenen Weges beim 
Hunde noch fester als bei uns. Darum bemerkt auch FLECHSKi, dafs 
da, wo die sogenannten Assodationscontren fehlen, doch Associations- 
fasem und Bahnen innerhalb der Sinnescentren vorbanden sind. Die 
Binde jeder Sinnessphftre setzt fiioh aus zwei verschiedenartigen 
ScMchteukompiexen zusammen. Erstens aus den für sie spezifiscben 



Digitized by Google 



406 



A AbhatuUungen 



Elementen (z. B. Körnern der Sehsphäre, Cylindem'llen der llör- 
sphäre etc.) und zweitens aus Elementen des Associationssystems, 
welche sich Uber die gesamte Rinde verbreiten. Die Associutions- 
centren enthalten in ihrer Rinde nur Elemente der letzteren Art; 
diese Schichten gehen aber auch auf die Sinneecentren über, so dafs 
letztere vielfach Aniclange an den Bau der Assodationscentren er- 
kennen lassen« (Gehirn und Seele S. 85). Bei der Maus und dem 
Hamster finden sich von Associationssystemen nur solche, welche inner- 
halb der Rinde verlaufen.« Die Association kommt demnach auch 
ohne die Associationscentren zustande. Es genttgen dazu die soge- 
nannten Associationsapparate innerhalb der Sinnesspbären. 

Bleiben wir zunächst bei den Aasocuitionszellen innerhalb der 
Binnessphären stehen. Denken wir zuerst an eine Sinnessphfire. Die ver- 
schiedenen Empfindungen eines Sinnes wordon assneiicrt, wie die Töne 
einer Melodie, oder dio Reihenfolge der ( iosichtseindrücke eines Weges, 
oder Farbe und Gestalt etwa die Form der Flasche mit dem Weifs der 
Milch. Derartige Associationen kommen nicht lediglich dadurch zu- 
Stande, diifs die betreffende Sinnessphiire eine zusammenhängende Masse 
bildet, und die verschiedenen Eindrücke hier sich ausgleichen. Viel- 
mehr mufs jeder Eindruck iinvorändert und distinkt bleiben, nicht so, 
dafs etwa zwei Tone in einen mittleren, zwei Farben, wie etwa rot 
und blau in die mittlere violett Übergehn. Die Empfindungen bleiben 
qualitativ unverändert, aber sie werdrn associiert; wenn also der 
Ton c und der Ton c i^deu hzeitig erklingen, so wird zunächst jeder 
dureh eine besondere Neivenfnser des Hörnerven u;eleitet, aber auch 
im If<irncentruni müssen sie gesondert oder unterseliieden hled>en, 
weiui nicht der mittlere Ton d sich ergeben soll. Ks muls also aueh 
hier as.sociiert werden. Ohne Zweifel wird Flechsiü als das Mittel, 
woduri h diese Association stattfindet, die Associationszellen innerhalb 
der Sinnessphäre ansehen. 

Nun hebt Flechsig sehr oft hervor, dafs sich die Sinnesnerren 
und Sinnescentren im Menschen eher entwickeln, als die sogenannten 
Associationszellen. »Manche Sinnesleitungen sind im achtmonatlichen 
Fötus schon »fix und fertig«, wenige Tage oder Stunden nach der 
Geburt sind die Sinnesleitungen fällig Sinnoseindrücke zu vermitteln. 
Allein »betrachtet man das Oehim einee Neugeborenen nSber, so er^ 
giebt sich, dals die einzelnen Sinnossphären unter einander fast voll- 
ständig leitender Terbindungen entbehren.^)« 



*) Am ftManoB Bodo über die AasodatiooBoentren des mensdhUcb«! OehiniB, 
gehaltea auf dorn Münchener FBycliologookoDgreds. 1896, S. 9. 



FLCau.: Der substantieiie uud der aktuelle Seelenbegriü eto. 



407 



Und aus diesem Fehlen leitender Verbindungen zwischen den 
Sinnescontrcn schliefst nun Flkchsio, dafs woh! z. B. Gesichts- und 
Tastempfind iinj^en jede für sich entstohon kr.iinen. aber keine Asso- 
ciationen y.wischon dvii ICmpfindun^cii aus verschiedenen Sinnessjihären 
also z. B. zwisclicii (iosichts- und Tastempfin(hmc:on. Denn es würde 
durchaus unerklärlich sein, wie es y.ur Association v(»n Hör- und op- 
tischen Eindrücken kommen sollte, wenn dir Sinneserregungen nicht 
über die eine oder andere Sinnessphäre hinaus sieh erstrecken sollte. 
(Gehirn und Seele, S. 58.) »Das Xeugebome, das jün;;e Kind hat 
also vermutlich eine ganze Anzahl gesonderter ßewufstseinskreise. 
Jede Sinnes-spluiru repräsentiert zunächst ein besonderes selbständiges 
Organ, welches Sinneseindrücke einer Qualität in sich aufnimmt, mehr 
oder weniger Terarbeitet d. b. verknüpft, sie auf den Bewüguugs- 
apparat de» zug^rigen Sinneswerkzeugea überträgt, vielleicht Be- 
wegungen desselben einübt u. dergl. m. Im Anfang erscheinen also 
die zwischen den einzelnen Sinnescentren liegenden unentwickelten 
Bezirke der Grorshimlappen geradezu als Isolatoren, wie die Keeres- 
flachen, welche die Kontinente der Erde trennen.«!) (Hünchener 
Rede 9). 

Also innerhalb derselben Sinnessphäre werden die einzelnen 
psychischen Reize verknüpft. Und zwar treten derartige Associationen 
sehr frühzeitig auf. So berichtet B. PfiBXz: »Das Süfsschmeckende 
wurde einige Stunden nach der Geburt angenommen, das Bittere, 
SaurO} Scharfe dagegen mit mehr oder weniger Widerwillen zurück- 
gewiesen. Die Unterscheidung dieser beiden Arten Ton Geschmack 
setzt schon wenigstens ein unbewuistes Gedächtnis voraus, wie das 
Beispiel von jenem Kinde zeigt, das am eisten oder zweiten Tage 
ohne Verziehen des Gesichts Ricinusöl angenommen hatte, dies aber 
einen oder zwei Tage hartnäckig zurückwies.«-) Kbenso heifst es: 
»Das Richten des Blickes, um einen Gegenstand zu suchen, reicht 
bis in die ei'sten Wochen zurück.« Wenn diese und ähnliche Er- 
falirun^ren und ihre Deuhm^eii richtipr sind, so hätten wii- fast gleich- 
zoitij: mit den Sinneseindriicken aucli deren Yorkniii)fiinf; wenigstens 
innoriialb derselben Sinnessphäre, jn das zweite Beispiel liefse auf 
Association von Sehen und Gefühl schliefsen. ^'un Verknüpfung inner- 
halb derselben Sinnessphäro giebt ja aucli Flechsiu zu, aber nicht 

1) Mrd woUe hier uBchlesen, was in dieeer Zettsebrifl III, 99 von Baylb ge- 
sagt ist, dor sidi desselben Gleichnisses vou eiuein Globus bedient, um uaohzuweisen, 
dli fr auf •lic^'** WeiKf dir- Kinhoit des Buwursts- ins nicht zustande komiiK'n würde. 

') Die Aufäuge des kindlichen 8eel»'ulübens. Nach Ufer8 Übereetzung. in 
M&XKs Deutscheu Blättern eto. 1894, S. 13. 



Digitized by Google 



408 



A Abhandlungen 



zwischen den Einrlriieken verschiedener SiniU'>.si>hären. bevor Asi>o- 
ciationsbahnon aiis^-i hildot sind. Doch achte man darauf. Das ist 
nicht Thatsache. sondern es wird jjesagt: Assofiatioiion waren »nn- 
erkhirlich« ohne As8ociationsbahnon. P>s handelt sich also um eine 
Deutung der Thatsache, dafs Associationsbahnen erst später als die 
Siimescentren entstehen. Ob aus diesem anfänglichen Fehlen oder 
Unauggebildetsein dieser Bahnen wirklich das PeUen der Assodatiosen 
folgt, wird sich eifabrungsmärsig nie feststellen lassen. Denn man 
könnte am jungen Kinde immer nur vermuten, dalk ein Sinnesein- 
druck mit einem andern gleichzeitig wohl bewnfst ist, und wie dann 
doch der eine den andern nicht reprodcudert Aber auch dies Aus- 
bleiben der erwarteten Reproduktion ist nur erschlossen aus dem Aua- 
bleiben der erwarteten Aufserung der Termnteten Association. Indes 
schon Ton vornherein, wenn man von dem Bau des Gehirns gar 
nichts wttfste, ist nicht anzunehmen, dars in den ersten Wochen bei 
einem Neugeborenen aus dem dumpfen indifferentiierten Lebensgefühl 
zwei oder mehrere Sinnesempfindungen sich gleich/eitii: mit Ro!oher 
Klarheit bestimm f liorausheben sollten, dafs sie eine feste Association 
eingehen und infolge davon eine die andere reproduzieren sollte. 

Nun sagt Flechsig: Das Neugeborene, das junge Kind hat ver- 
mutlich eine ganze Anzahl gesonderter Bewufstseinskreise. Unter 
Bewurstsfinskroisen ist wohl nichts anderes gemeint als mehr oder 
weniger Itostiniintf Simies;f'mpFiii(luiiir''n. Es ist ahor nicht irosar^t, ob 
diese zii^'^leich «kI^m- nacheinander eintreten snllcn. Dals inchrci<> nach- 
einander ins Bcwiifstsoin eintretende 8innesempfindungcii >:c>(>nilt>rt 
bk'ibt'n, hat Ixi einem Kiiidc ^n„»wir«5 nichts Auffallende^-, k^innit das 
ja doch ttft iri nnjr vor auch bei späterer Ausbildung des Ich, wovon 
bei Neugeborenen noc^h nichts vorhanden ist. Flechsio kann also 
nur irlHehzeitii,^ vurhau<lene Bewufstseinskreise im Sinne haben, die 
trotz üirer ( ileichzeitigkeit gesuudert l)Uil)on. Ganz ähnlich meinte 
Phevkr; anfangs, wenn die Seh-, Hör-, Riech-, Schmeckcentren im 
Gehirn noch unentwickelt sind, perzipiert jedes für sich, da die 
Wahrnehmungen auf vei^liiedenen Sinne^gebieten noch gar nicht 
miteinander verknüpft werden.... Erst durch hKußgee Zusammen- 
vorkommen disparater Sinneseindrflcke bilden sich die intercentralen 
Yerbindungsfasem aus.« 

') Preyeh: Dift Seele de« Kin-i.s. S. m^. Sieh dazu FtfaEL: Die 

Seeleafra^, ISOO, 8. 114. Bei juiigttu Tiereu, naineutiich Hühnern scheinen Asso- 
ciationen von EmpfiodungOD verschiedener Sinuesgebietc schon in den ersten Stimdea 
dee Lebena vonukommen, w«nn jetfooh der Anblick dee FuttetSf oder der Buf der 
Glucke, oder i$» OefiUd dee Rauhen sn den FOCmh Mimmte Bewegongen rar 



Digitized by Google 



Fi.f oKt: Der substantielle und der aktuelle Seelenl)egrif£ etc. 409 



Dabei iBt fesfaEuhalten, dafs bei Neugeborenen weder das Zagleicb- 
vorkommen mehrerer bewnfster Sinneaemdrücke noch viel weniger 
deren Oeeondertii>leiben (also der Mangel an Association) beobachtet 
werden kann. Aurserdom ist es auch ein kaum vollziehbarer Qetlanke, 
dafis in einem Neugeborenen oder nur wenige Tap:o alten Kinde — 
denn nach etwa zwei Monaten sind angeblich die Associationscentrcn 
ausgebildet — mehrere Vorstellungen zugleich bewufst sein sollten 
ohne in Ein Bewulstsein zu fallen. Und abgosehn davon ist dies 
wider alle Analogie. Anfantrs verschmilzt in dorn Kinde, soweit wir 
es beobachten krmnon. alles, was sich uloidizritii: darbietet, m oinom 
Ganzen. Drr Tiscii und die Stiil)t\ liild und Rahmen, K^fs und 
lieitei-, Kahn und Fühmiann ete. werden in einem Akt(> auch als Hin 
Diii^ antgefafst und mit Einoni l^aut benannt. Eist alhnafilieh infolp* 
der B<>\ve<jlichkoit der Dinare tritt die fSondenuig ein. Xiii^cads zeigt 
sich das Zus.aninienfu.sHen verschiedener SinnesenipfinthinL'"en odor 
Merkmale als ein besonderer Akt nach oder neben dem Auffassen 
der einzelnen sinnlichen Merkmale des Dinge.s. Vielmehr macht es 
dem Kinde offenbar Mühe das Ding z. B. Zucker oder einen Apfel 
in seine einzelnen Merkmale zerlegt zu denken. Es ist fast als suchte 
man Kants falsche Erkenntaisthcorio physiologisch zu rechtfertigen, 
wie der bertihmte Gehinkforscher Hoschke einst Kasts drei Seelen- 
vemögen physiologisch nachwies. Kakt dachte die sinnlichen Merk- 
male durch die Sinnlichkeit aufgefafst, dann kommen nach ihm 
die Formen und ordnen die Wahrnehmungen nach Raum und Zeit, 
weiter kommt der Verstand und bringt die so geordneten Wahr- 
nehmungen in die Kategorieen der Subetantialitftt etc. Dann kommt 
die Temunft mit den Ideen; danm erinnert folgender Sats von Fijscbsio: 
Einer aelbstttndigen ThStigkeit ohne die Sinnescentren sind die Asso- 
ciationscentren nicht fähig, der Inhalt wird geliefert von den Sinnes- 
centren, aber die Anordnung, welche sie diesem Inhalt geben, hängt 
ausschliefalich von ihrer a priori gegebenen Mechanik ab. Ohne den 
Besitz der Associationscentren würden wir völlig auFser stände sein, 
die Naciirichten, welche die verschiedenen Sinne von einem und dem- 
selben äufseren Objekte geben, eu einem einheitlichen Ganzen zo 
verarboitan, zu einer Objekt\orstellung zu verknüpfen. Es lassen sich 
unschwer Gehirnformen denken, welchen die Thätigkeit abgelit. die 
Eindrücke der verschiedenen binne zu einheitlichen Gebilden zu ver- 



Folge hat, so winl wohl hier ein durch den ganzen Organismus bedingter Meclia- 
nismiiK nu<^!:< !''<st. Dantuf aber ist die Association vorliandeii, sieh Fl^okl: Seelen- 
kbeu der Tiere, Itm. 



Digitized by Google 



410 



A Abhandluugea 



arbeiten — und unter krankhaften Vcrliältnissen kommt dif»s ja auch 
beim MtMisclien vor. (^funchoner Rodo 19.) Ja unter kraakhafteii 
Yorbältnissen, wit sich etwa das Icli in niolirere Ich gespalten hat, 
oder Ix'i so geringer fjcistiircr Kntvvickhmf^. wo kaum zwei verschie- 
dene Vor^telhm^on distinkt und gleichzeitig vorhanden sind. Jeden- 
falls ist ein Aki der Synthese im Sinne Kants als ein besonderer 
Akt nicht zu beobachten. Aber entschieden falsch ist es, zu sa^en: 
Die Anordnung der sinnlielien Eindrücke hängt ausschliefslich 
von den a priori in den Associationscentreu gelegenen Mechanisnieii 
(den Kantisdien Kategorieen) ab. Dals wir anf die Tone nnr die Zeit 
(nicht den Baum), auf die GesichtBwabrnehmungen Zeit und Raum 
anwenden, dals wir dieses Papier als Yieredr und nicht als Kreis an- 
sehen, dalls wir ein Merkmal des Schnees etwa dessen Lockersein 
nicht mit der Einheit des Goldes yerknüpfen etc. — Das hfingt sicher- 
lich von den sinnlichen Eindrücken selbst und der Art, wie sie von 
der AuJkenwelt gegeben werden, ab, nicht von unsem von den sinn- 
lichen Merkmalen unabhSngig a priori in uns angelegten Mechanismen. 

Elkcbsio stütst nun seine Ansicht von der Bedeutung der Asso- 
ciationsfasem auch nicht auf psychologische Beobachtung, sondern auf 
Deutungen des anatomischen Befundes, dafs nämlich gewisse Teile 
des Gehirns Monate nach der Geburt erst reif worden. Er setzt 
voraus erstens, dafs die Sinnessphären jede für sich ihres Inhaltes 
sich l)ewurst sind und zweitens, dafs die .sogenannten Associations- 
fasem die A.ssociation vorniittehi. Flechsig sagt darum nicht: Asso- 
ciationen sind ohne jene Uahntn nicht vorhanden, sondern er sagt, 
sie sind ohne dieselben nicht ei-klürl i eh, nämlich vorausgesetzt, 
dafs die Association diirch jene Bahnen vermittelt wird. Es möge 
einmal diese \ ni-aiisset/ung gemacht und nun gefragt werden: sind 
durch diese Bahnen die As^oeiati(»nen erklärlich? 

Die Torknüpfung. sagt Fi.EcHSKi (ilimchener Rede 17K erfolgt 
vt rmutlicli durch besondere umfängliche Zellengruppen, deren Thätig- 
keit ausscliliefslich im A.s.sociieren besteht.« 

Wie hat man sich nun die.se Thiitigkeit zu denken, vs.uUiiili 
eine Association bewirkt wird? Nehmen wir an, es soll ein (lesichts- 
oindruck mit einem Tone associiert werden, es sei eine Associatioos- 
faser zwischen beiden Yorhanden. Wer hat nun die Association, also 
beide Empfindungen? wo kommen sie zusammen, damit sie sich Ter- 
binden? *Es ist verführerisch leicht, durch einen Federstrich (in 
der Zeichnung des Gehirns) neue Bahnen zu eröfinen, wenn man 
etwas zwischen zwei Stellen des Gehirns besorgt haben will, die bisher 
in keiner gegenseitigen Verbindung gestanden haben. Wenn man 



Digitized by.GQQgle 



Flügel: Der substantieUe uod der aktuelle Seeleubegriff etc. 411 



sich solclio iipuo Bahnen durch Nervenfasern roprjisentiert denken 
soll, so hcfindot iiiiin sieh f::c\vil"s auf dem Gebiet einer sehr lockern 
H3'polhe?;e: dcim ^vir halx-n aufser in den frühen Kutwicklungspcriodcu 
kein Beispiel «htvon. (hifs Xei\ cnfasem. die früher nicht leitend go- 
• Wesen sind, es mit einmal aiifan^M.'n zu w erden.« •) 

Die Phantasie hilft ja leiclit nucli. unvvillkiirlieh stellt man sich 
ein Aui^t vor, welelies die betreffende Oesichtsempfindung und Er- 
regung im Höreenti'um samt der beide verbindenden Assoeiationsbulin 
überblickt und zusararaenfafst. Hier konmit m dem alles über- 
gcbatieiiden Subjekt die Association zustande. Allein damit ist man 
von der Torauasetzung abgewichen. Wenn ein solches Subjekt aii> 
genommen wird, so verdient die Ajssodationsfaser nicht ihren Namen, 
denn nicht in ihr, sondern in dem Subjekt associieren sich die beiden 
Empfindungen. Selbst wenn man dem Seb- und dem Höroentrum 
und der Faser Bewu&tsein beilegen wollte, so hätte man drei ge- 
sonderte geistige Vorgänge. Die Gesichtswahmehmung wü&te von 
sich aber nicht von dem Tone, und dieser nichts von jener, und beide 
nichts von der Faser. Und die F^r? Weils sie vielleicht von 
beiden, weil sie beide verbindet? So verbindet ja freilich ein Stock 
oder ein Strick sein rechtes und sein linkes Ende und bildet insofern 
ein Ganzes. Aber doch nur für ein auffassendes Subjekt^ welches 
beide Enden und das Verbindende zuirleich vorstellt Oder soll auf 
der Verbindungsbahn die eine Empfindung zu der andern wandern? 
Oder sollen sie sich in der Mitte troffen? T)i\s hiefse erstens die Em- 
pfindung ansehen als einen äulsem Zustand, der sich ablösen könnte 
von seinem Träger. Sodann müfste die Theorie es gestatten, dafs der 
Ton wanderte und vorgestellt würde in einer Sphäre, die nicht Hör- 
sphäre ist Endlich al)er würdt» man damit zufiebcn, worauf unseie 
ganze Betrachtung: hinausläuft, dafs niimlich die l)eiden Empfindungen 
irgendwo Zusammensein, beide auf Emen Punkt, natürlich keinen leeren 
Punkt, sondern auf Ein Wesen ühorti'agen werden müssen, um sich 
associieren oder übeihaupt auf einaiuler wirken zu können. 

Tbatsächlich ist nun unser Bewuistscin das Eine Subjekt, dem 
alle unsere geistigen Thätigkeiton innewohnen. Auf dieses müssen 
also auch alle durch das Gehirn vermittelten Einplmduiigen über- 
tragen werden; und alle die Centren und Bahnen sind nur Organe 
der Leitung und Übermittelung der Reize. Ohne solche Übermitte- 
lung wäre weder Vorstellen noch Associieren möglich. Und die 



') C. Uksük, Prof. der MeUiain iu Kopeuhagou : Über Oemütsbewegungeu. 
Eine peiydio-pby^iologische Stndit. 1887, S. 70. > 



Digitized by Google 



412 



A Abhaodlungen 



geistigen Thätigkeiten werden niiterbloihen. oder nur manirclliaft aus- 
fallen, wenn die Tifitungsbalinen luiterbrochen oder erkrankt sind. 

Nonnen wir das Eine Wesen, in welchem die AssiM-iatinnen zu- 
fctiuido ktunmen, die Seele, so mufs diese in innigster Wechselwirkung 
mit den verschiedensten Teilen dos (reliirns stehen. 

Und wie genau die Verbindung alier Teile des Gehirns ist dar- 
auf macht Flixhsiu oft und nachdrücklich aufmerksam. »Der gröfste 
Teil des menschlichen Grofshimmarkes besteht thatsSchlioh ans nichts 
andern als aus Millionen wolilisolierter, insgesamt Taiisende von Silo- 
meter messender Leitungen, welche die Sinnescentran untereinander, 
die Sinnescentren mit den geistigen Gentren und diese wieder unter- 
einander verknüpfen und nur ans dieser Mechanik resultiert die Ein- 
heitlichkeit der Grofshirnleistnngen (Gtohim und Seele 26). Die 
Trennung des Hirns in swei Hälften ist thatsächlich nur eine schein- 
bare, eine rein äulserliche; die Associationssjsteme des Balkens sind 
für die Einheit des Ganzen wichtiger, als es eine Verwachsung der 
Hemisph&ren in der MitteUinie, als es der ununterbrochene Über* 
gang der Rinde der rechten Hemisphäre in jene der linken sein 
konnte. Durch die doppelte Anlage der Hemisphären Avinl das Gehirn 
nur doppelt leisfimgs&hig, nicht in seiner Thätigkeit halbiert Von 
den Assodatiousfasern entwickeln sich die Balkenfasern auffallend 
früh, sowohl die, welche inmitten der Sinne^eentren, als die, welche 
von deren Peripherie ausgehn, ein Umstand, der die genauere ;Be- 
grenzung der Sinnessphären frelop^entlich nicht unerheblich ersehwert. 
Die Natur ht offenbar beniiilit. vcn vornherein die sensiblen Kiii- 
drücke beider K'or])crhälften zur Kinlu-it zu verschmelzen. Ks wenlen 
die Empfinduniren der linken und rs-cliten Tastsphäre früher assoHiert 
als die Erregungen z. B. der linken Tast- und Sohsphäre, der rechten 
Seh- und Jlörsphäre.-r 8H. 

Aus (icni Mitgeteilten ersieht man, wie genau alle Teile des Ge- 
hirns mit einander verbunden sind. Man konnte also gt-neigt sciiu 
da.s, was bei Fi,k< nsn; Associationsapparate innerhalb der Sinnessphäre 
heifst, nicht als Assuciations- sondern Leitungsbahnen anzuboheu, 
als Leitungen, ivelche den Heiz bis zur Seele fortführen, ^vo dann 
die Association cnstande kommt Natürlich könnten sich in der 
Seele die Associationen -nicht vollziehen, wenn nicht die Heize bis 
cur Seele geleitet würden und hier die Empfindungen auslösten. In* 
sofern sind sie auch bei den Associationen beteiligt und dabei unent- 
behrlich. Aber die Physiologen wie auch Flbchsiq haben weniger 
die Associationen im Auge, als die Beproduktion. Denn die Unter- 
suchungen beziehen sich nicht auf die Zeit, da zwei oder mehrere 



Digrtized by Google 



FlDob.: Der »ibrtantielie and der aktaeUe Sedenbegriff etc. 



413 



VorsteDniigeii sich Terbi&den, als vielmehr auf die spätere Zeit, wo 
eine die andere reproduzieren sollte. Wenn also bei gewissen Stö- 
rungen ein Unvermögen eintritt, einen Oesichtseindruck richtig zu 
benennen, oder Geschriebenes zu lesen, so zeigt dch streng genonunen 
nicht die Association als gestört, sondern die Reproduktion. 

Bei den klinischen Beobachtungen handelt es sich immer um 
Erinnerungsbilder, die vorher mit einer Wahrnehmung verknüpft 
wurden. Weil nun bei Yerletzungen der sogenannten Associations- 
centren gewisse ESrinnerangen ausbleiben, wie etwa an den Namen, 
an den Gebrauch, wälirend das GesichtsbUd z. B. des Löffels noch 
wahrgenommen wird, so führt dies unmittelbar auf die Termutung 
dals die Associationscentren zu den Erinnerungsbildern selbst in be- 
besonders naber Beziehung stehen« (Münchener ßede 17). Ganz gewiß 
wird dies der Fall sein. Es fragt sich nur, wie man »diese Beziehung« 
deutet Wenn die Reproduktionen oder die Erinnernngsbildor unter 
Umständen ausbleiben, so ist zweierlei möglich. Entweder die Asso- 
ciation ist wirklich gelöst oder die Reproduktion ist nur gelähmt, ge- 
hemmt zeitweise oder für iimuer. Unter einer wirklichen T/)Sting der 
früher gesciielienen Association hätte man sich etwa zu denken, dafs 
die Erinneriingsi)i[der wirklich ihren Sitz hätten in gewissen Zellen; 
mit dem A'ersch winden oder der Erkrankung dieser Zellen würden 
natürlich auch die von ihnen getragenen Bilder verschwunden sein. 
Dann würde wohl, da ihis Sinnescentrum unverletzt ist, das Oesichtsbild 
Löffel entstehen, aber die sonst damit verbundenen Erinnemngsbilder 
Name, Gebrauch etc. würden ausfallen, weil die Zellen, in denen die 
. Erinnerungen sitzen, verloren gegangen oder erkrankt sind. Bas ist 
die Deutung, welche etwa Munck, Hetnebt, Zoben und wohl auch 
Flbchbio den Erscheinungen der sogenannten Seelentaubheit oder 
Seelenblindheit geben. Sehr energisch gegen eine solche Deutung 
erklfiren sich (abgesehn von Goltz) z. B. Heklb, Moksterbero^ Gold- 

SCHEmRB, LiKPXAXN.') 

') Verg]. Zeitschr. f. ex. Phil. XIX, 377. Ebenso hcifst <?s in oine?n Bericht 
über dea Müaciieuer I^ychologentag; »Bemerkenswert sind die lijrortcruugen des 
FrdEefttMHS H. O M e mmaw« «ns Wimi &W »Die matefldlefi Orandlagen des menecli^ 
lidieD BewabtMonflc (Sektioii I). Defsdbe behauptet im OegeDsatte xa dem Materi»- 

liiäinu.s, 03 8eit?n zwar in der innern Organisation des Nürven.systeui.s gewisse Be- 
dingungen gegeben, die das Zustandekommen jener Vorgänge ermöglichen., die man 
als »beviodste« zu bezoiobaen püegt, es sei aber doch noch kelneHwegs erwiu&eU| 
dsJs diese in dem aaatoisisehea Bnn des Gehirns gelegnen Bedingungen sudi mir 
amiihetiid genagteo, ans die Bew ofetseinsakte rerntändlich zu niachen. Man sei 
sehr gern geneigt, auf (^itind loilit schwankender IlypotlH-s-'M Thcorifn über die 
seelischen Prosesse aufxustelleu, die sich, anscheiaead auf auatomi»che ThatsauheD 



Digitized by Google 



414 



A AbhaDdlaDgen 



Dala Vorstellungen, seien es sinnliche Empfind unpen, seien es 
Erinnerungsbilder ihren Sitz haben sollen in gewissen Zellen, ist ein 
nnvoUziehbarer (iodanke. Ein geistiger Vorgang kann immer nur ein 
innerer Zustand in einem einfachen Wesen sein. Eine Zelle ist aber 
ein höelist zusaiiimcTifresetztes Oebilde. Die räumliche Boziehunir der 
einzelnen Klenionte. welche eino Zolle ndor aucli ein Molekiil der- 
selben bilden, oder eine Bewegung dieser einzelnen Elemente, ist 
selbst kein geistiger Znstand, so gewils ein äulserer Voiirantr (Be- 
Weisung) kein innerer (geistiger) Vorgan^^ i.<t. Man konnte also den 
geistii^en Zustand, immer nur Einem dor Klcincnto einer Zelle zu- 
schreiben. Al»er diesem Einen Wesen niiifsten dann alle geistigen 
Zustände, sofern sie mit einander in Wechselwirkung also Association 
treten, zugescluiebeti werden, .suwohl alle Empfindungen als alle Er- 
innerungen. Dazu bedarf es allerdings Yerbiudungen dieses Einen 
Wesens nach allen Richtungen. Und daran i.st ja kein Mangel. 
Wenn HsTKiatT annimmt, dafs von 600 Millionen Zellen alle mit 
allen Terbanden sind, ist gewlTs die Annahme gestattet, dofs Ein 
Wesen mit 600 Million«! ZeUen in Verbindung steht 

Hfilt man nnn fest, dafe eine Zelle nie im eigentlichen Sinne 
der Sitz einer Voistellnng sein kann, femer, dafis Associationen nur 
in Einem Wesen stattfinden können, dessen Zustftnde eben die sich 
assocüerenden Yorstellimgen sind, dann bleibt zur Erklärung des 
Ausfalls gewisser Vorstellungen, oder der Seelenfaubbeit, Seelenblind- 
heit nur die zweite Möglichkeit übrig, dafs nämliofa die ausgefallenen 
Vorstellungen gehemmt sind. Sie sind noch Torhanden, aber latent 
Ohne Zweifel liegt es doch am nüchsten, dergleichen Ausfallserschei- 
nungen zu erklären, wie man sonst das Vergessen erklärt, dafs bei 
mangelnder. Reproduktion auch die Association gelöst sei, das ist eine 
Deutung, die schon empirisch angesehen, in den allermeisten Fällen 



stützeu, aber eiucr -tiv'Di.'rrti Kritik nicht Stand hjdton könoon. So sei selbst das 
Dopmn, dafij die Hirunude Sitz do« Bcwufstscins sei, nicht f<'«t fnndi'Tt; c<? frpho 
sogar niunche Erscheinungen, die dieser Anschauung eher widersprechou. Auch die 
Anfbfisung einselner Teile der HinmiMle, z. B. der fiinde des Stimlappens als »Sitt 
der iDteUigenz« sei anfechtbar. Man habe in jüngster Zeit Bewegungen an den 
Nervenzellen oder Oliederfasem zu piiicr ErklänuiL; d"r versrhiiNl.TH'n Vorglinge 
und Zustände de«? Rewnfsh^ctn': hoririLrezogea. Es fehlten aber für die Berechtigung 
einer solchen Annahme noch die sichern Beobachtungen Wenn auch die Asso- 
ciatioiisbahneD zviecheii den eioBelnen Rindenstdlen bei der psyehisehen Th&tigkdt 
jeden&Ua in Aktton treten köimea und weiden, so können sie doch als blofse 
I>eitung«bahnf»n niclit das Zentrum, den Ausgangspunkt darstellen. Wir seien des- 
halb nicht imstande, in unsem jetzigen anatomischen Kenntnissen die genügenden 
Grundlagen für das Verständnis der seelischen Vorgänge zu finden. 



Digitized by Google 



Flügel: Der fmbstantieDe nad der aktaelle Seeleobegriff eto. 



415 



nicht zutrifft} denn wie oft kommt es vor, dafs man doh auf etwas 
nicht besinnen kann, trotzdem man sieh genau die damit verbundenen. 

Umstände gegenwärtig hält, aber diese Umstände sind jetzt nicht ver- 
mögend, das botreffende Wort, oder dergleichen zu reproduzieren, 
bald darauf aber tritt es ins Bewufstsein and zeigt, dafs dir- Asso- 
ciation voriiauden war und ist, trotz des augenblicklieben Mangeis 
der Keproduktidii. 

"Wie nun die Reproduktion durch leibliche Einflüsse ganz oder 
teilweise gehemmt oder zuwoilen anoh gefönlert werden kann, 
ist oft prezcigt worden, Der Grund lit\irt immer in dem Umstände, 
dafs iniieiü und äul'sere Zustände einander zur Folge haben müssen, 
dafs also auch jedem Gedanken in der Seele gewisse Zustände im 
Leihe und umgekehrt entsprechen. Wenn demnach ein Gesichts- 
eindruek einen Namen reproduzieren soll und es gelingt nicht, so 
mufs eine Kraft vorhanden sein, welche es verliindert. dafs der Xamo, 
der mit dem Gesichtseindruck associiert ist, aus der potentiellen 
Energie in die aktuelle iil»ergeht. Diese Kraft liegt in gesunden 
Tagen meist in den übrigen Vorstelluugcn. Es kann aber auch 
geschehen, dafs die leiblichen Zustände, die sonst mit der Vor- 
stellung des Namens eintreten, ausfallen. Dieser Ausfall ist bedingt 
durch eine (krankhafte) Yerfinderung, und dieser Yeranderung mofb 
auch ein Zustand in der Seele entsprechen. Und dieser letztere Zu- 
stand oder wohl richtiger Komplex von Zuständen ist die Kraft, 
welche das BewuTstwerden des Namens ganz oder teilweise ver* 
hindert 

Dais also Vorstellungen, ja ganze Vorstdllongsgebiete Tollig oder 
teilweise, für immer oder zeitweilig ausfallen« wenn gewisse krank- 
hafte Yeränderungen im Gehirn eintreten, ist eine ESrscheinung, die 
nach unserer Psychologie sehr erklftrlich ist; darnach sind dies alles 

nur Hemmungserscheinungen, die ausgefallene Vorstellung ist that- 
sächlich der Seele nicht verloren gegangen, sondern beharrt hier in 
potentieller £nergie,') sie war nur nicht ausgelöst worden, weil die 

•j Aulser auf UiiRBARx sei hier hitigowieseu auf Cornkuus: Über die Woclisel- 
mrkdng «wiBchen Leib uad Sode 1871, Beiträge dazu 1880, Alshandlungen xur 
Natunrissmudiaft ond Psychologie 1888. Vouous Yolkxaxn: U^hrbuch der 

Psychologio § 2G, 69, 82. Ballauff: Die Grundlehren der I'sy* hol.>^i.' 1S90, 
S. 282 ff. GRtF<;T\nFn: Pnthologie und Ther;iiii*> iler psyt hischen Kraiikli- iti ii. IsriEL- 
iuiia: Diagnostik der Goistüskrankheitou.Sxki MrKLL: Patiiologische Psychologie, üfek: 
Weson des SchwadiBinns 1893. Ufbb: Binnestypou 1895. Flüobi. in der BespiechiiDg 
von MihiSTKKiiF.RQ, ZiEHmi, Hbtnekt q. a. ZeitBobr. f. es. FhiL XIX, 371, 423. 710 u. ». 

*) "Wer sich über das Beharron der Vorstellungen unterrichten will, der si i 
auf folgendes hingewiesen: VouuiAa t. Volkmasn, Fs^yofaologie § 20 o. U9, femer 



Digitized by Google 



416 



A Abhandlungen 



vtnhaiKlciipn Kräfte nicht stark f^^^mi^ .sind, tleu Druck zu beben, 
weicher von der leiblichen Krauklieit au.sgeht. 

Xacli unserer Ansicht sind deninacli die Zellen der Sinnes- wie 
der As>ociatiünscentren nu-la Sitze oder Träj^er der Vorstellungen 
gelbst, bündern nur Sitze und Trager derjenigen äufseren und inneren 
Zustände, ohne welche die betreffenden Vorstellungen in der Seele 
nicht in aktueller Energie aufti'eten können. Verlust oder Erkrankung 
dieser Zellen hat gewisse AnsfaUsetsoheinungen im geistigen Leben 
zeitweilig oder für immer sar notwendigen Folge. 

Wae man dafür anführt, dafii die Yorstellungen selbst ihre Sitase 
in gewissen Zellen haben, ist nichts anders, als was FLiscBsie be- 
merkt : »Es darf als sehr wahraoheinlich bezeichnet werden, da& die 
GedfichtnisBpuren der Sinneseindrücke haaptsäohlich in den Ganglien- 
zellen der Assodationsoentren zu suchen sind, bis zu welchen bei 
Sinneseindrücken die Erregungen von den Sinnescentren hervor- 
dringen« (Münohener Bede 17) und »daJs die Gedächtniaspnren über- 
haupt materieller Natur sind, geht schon aus der einfachen Thatsache 
hervor, dafs chemische Agentien wie Alkohol u. a. sie vorübergehend 
oder dauernd verschwinden machen, letzteres ausnahmslos dann, wenn 
durch das Gift die Ganglienzellen und Nervenfasern der Rinde in 
fserer Menge autgelöst werden« (Gehirn und Seele 27). Diese 
Thatsachen beweisen weiter nichts, als die Wechselwirkung, nicht die 
Identität leililiclier und geistiger Zustände. Was FLEcnsir, die Oc- 
däclitnisspuren nennt, sind flie notwendigen physiologischen Be- 
dmgungen (conditio sine (jna non, wie in dieser Beziehung Gold- 
scHEmKii sagt), ohn" w*'l< lio die Vorstellung oder die Reproduktion 
derselben nicht eintreten kann. Vor allem mulk mau festhalten, der 



ZeitRcbr. f. ex. P!iil. IV. 320, TX. XIIT. ISI. XTV. 129, XV. :V\ XYI. 104, 
XVni. 188. XIX. KHl. 392. XX. 22U. Ötri mpkll: Einleitung in die i'hüos. R. 273. 
Hier ist zugleich auf .Hugcnunoto unbewulste Vorstellungeü oder Dispoüitioaen Kuck- 
stcht genommen. Ferner sei an folgende Avssprüdie ormnert: Jeder Akt des Den- 
kens. Fiihl< IIS uud WoUcn.s hioterläfirt: eine unvortilgbare Spur. Dklboecv Bev. philos. 
IX. ir*:!. Xirfifs. M as in den meo'^' hlii hen Geist eingetretfin ist, gebt verloron. 
liicirfrr uml Eiicyei. Bntt. Artic. Psy Ii. S. XX. 

1Ie.n8kn: AVcoh das Gediicktuis sialt ciut; Disposition der Loitungswegc zu sein, 
auf bestinunton AbSndenmgen der molelmlaren Anordnung centraler Teile beruht, 
80 würde doch di< s . rasch vor as^ gehoude Krneuening der Substanz unaeree 
Körpers sehr bald soldiu Spiirfiildmigeu vemii litcn. 

BuHM, philus. MünaLshefie XIII. Der Stuftbegriff selbst imd hauptsächlich 
der Stoffweohs«! M;keiiien un» der Permanenz der Bilder direkt zu widci^precbeu. 
Eb fehlt das VehUnilnm für dieet^Iben, die Ständjgkeit dee Trägen der sich ^ob- 
bleibenden Voratellungen. 



Digitized bv 



FlCokl: Der sabatanlieUe und der aktuelle SeeleolMtgrifi eto. 



417 



Hatcrinlismns oder die Annahme, die Zellen selbst seien die Träger 
d<T Empfindungen und Vorstellungen, ist keine Thatsache, sondern 
eine l)lofse Hvpotheso. dio Klinik und der Sektionstisch bieten That- 
sachen. keine Theoj ieen. That>;ache ist, dafs nach isolierten psychischen 
Ausfallerscheinungen oft HfM-derkrankungen gefunden werden: dafs 
Vurstellunrrpn oder Erinnerungsbilder in den zerstörten Zeilen ge- 
sessen haben, ist die daran geknüpfte Theorie oder vielmehr eine 
dem iuuidgrtiflicheü Wesen der praktischen Medizin angepafsten 
Bildersprache«. *) 

Was dieser Theorie entgegensteht, ist abgeseiion von andern, dies: 
Einmal luufs noch angenommen werden, dafs jede Erinnerung in 
mehreren Zellen sitzt, dafs also jede Krinnerungszelle noch so und 
80 viel Reservezellen mit dem gleichen Inhalt bat. Aus dem hypo- 
thetiBch angoiommenen Vorbandensein der ResenreEollen und deren 
Aktivwerden erklärt man es, wenn der geistige Ausfall wieder weioltt, 
also die Erinnerung wieder wach wird. Zum andern mnls man 
fragen: warum werden nicht alle Erinnerungen mit einemmal wach? 
Was bewirkt die Enge des Bewa&tseins? Wir sind ans bekanntlich 
in jedem Augenblick nnr sehr weniger Yorstellangen gleichzeitig be- 
wufst, wshrend wir nacheinander eine überaus ^rolse Zahl reprodu* 
zieren können. Was wirkt hemmend auf die allermeisten unserer 
Vorstellungen? .Es giebt wie Meymikt sagt, wohl einen allgemeinen 
Schlaf, aber nidit ein allgemeines Wachen der Hirnrinde.^) 

Nach unserer Herbart sehen Psychologie ist beides sowohl das 
Wiederhervortreten der unterdrückten Vorstellungen nach Wegfall der 
Hemmung wie auch die Enge des Bewulstseins notwendig und be- 
greif licli. 

Den Haupteinwand aber gegen eine Verteilung der geistigen Zu- 
^^tiinde an verschiedene Zellen oder Elemente bildet die Einheit des 
Bewiif^tseins. Diese fordert unbedingt, dafs alle bewiü'sten und un- 
bewulsten \ oi-steüuugen die Zustande Eines einfachen Wesens, der 
Seele sind. 

Flkchsk; selbst spricht einmal (Münciieuer liede 18) von solchen, 
»welchen jeder Versuch, das Bewufstsein, zu lokalisieren, überhaupt 
nui" als Beweis unlogischen Denkens ei-sciieint. s Gemeint ist der 
Versuch, verschiedene Bewurstseinszustäiide an verschiedene Zellen oder 
Centien zu lokalisieren. Dies ist allerdings ein Beweis unlogischen 
Denkens, das es für möglich hält, dafs Zustände aufeinander wirken, 

1} ZeitBohrift f. FbyolioL u. Ibysiologie der Sionesorgaiio, Y, 1893, S. 322. 
<) ZeitBohr. f. «x. FhU. XIX. ^2. 

SrilMlirifl fn FbUofvphI« vmä PIdfttosllt> t« JahUM«. 27 



Digitized by Google 



418 



i 

A Abhaudlungcu 



diü gar nicht zusanijnen sind. Zusammensein und Zusammenwirken 
können inn<Me Zustand»» nur, wenn sie nicht an verschiedene Wesen 
verteilt, sondern Zusitäude Eines einfachen Wusens sind. Fi.Kt nsio 
hält diesen Erwäerunffcn entgegen: für den Ar^t, welcher taj^tU^dich 
in diesen Fragen arbeitet, Kranke beobachtet inid die Huübachtungen 
sorgfältig durch Leichenbefund kontrolliert, können Zweifei (an der 
Lokalisation des Bcwufstsein.s) kaum ins Gewicht füllen.-- 

Was beweisen solche ErCahrangen? Was siebt der Arzt? Dafs 
das Bewu&tsem an Terschiedene Lokalitäten im Gehirn verleilt ist? 
Keineswegs. Nor dab das geistige Leben Ton den rersehiedenen 
Teilen nnd Zustünden des Gehirns abhängig, mit bedingt ist^) 

Fassen wir nun noch n&her ins Auge, was FLBCBSie von den 
eigentlichen Associationsoentren lehrt 

Soviel steht fest, ein greiser Teil von Assodatiionen und Repro- 
duktionen ist ohne diese Centren möglich. Das geistige Leben mit 
seinen mannigfaltigen, festen und beweglichen Associationen entfinltet 
sich bei den Nagetieren ganz ohne solche Centren, und das hoch- 
entwickelte geistige Leben des Hundes, des Pferdes, des Elefanten etc. 
begnügt sich nur mit ganz geringen Ansätsen von Associationsoentren. 
Erst bei den menschenälmlichen Affen treten letztere deutlicher her- 
vor. Man könnte aber zweifeln, ob ein Gorilla oder ein Hund geistig 
höher steht 

Gleichwohl darf man es wohl als gewifs ansehen, dafs die geistige 
Über] Offenheit des Menschen mit durch die Associationscentren, die 
bei ihm allein den Sinnesrentren »jleiehkommen und sie oft üborrafi:en, 
bedingt ist Dann ist aber der Name Assoeiationscentren nicht ganz 
passend gewählt. Es ist wahr, das geistige hidiere Leben beruht auch 
auf der Association. Aber die Association und Reproduktion kommt 
ebenso dorn niedern geistigeMi Leben zu. Insofern i.st ilie Association 
nicht das Charakteristische der menschlichen geistigen Entwicklung. 
Darum nennt Flechsig diese Centren auch die geistigen, die Denk- 
organe oder Cogitationscentren. Welche Bedeutung werden diese 
Organe für das geistige Leben haben? Dafs ihre Erkrankung auch 
geistige Stönmg nach sich zieht, kann nicht befremden. Das hat man 
ja immer gewuist, daXs gewisse Gifte wie Opium, Lachgas, Alkohol etc. 
bestimmte Einflüsse auf das geistige Leben ausüben, auch da& diese 
Einflüsse nur durch das Gehirn bewirkt werden können, dalh also das 



übrigens iat der Yorsucb, die geistigeo Vorgänge zu loLüisiercu so alt^ ulä 
die Ftgrchologie aelbst, von Flato bu auf tuiBere Zeit AiufühiüoliM fiber die Ge- 
acbiehte dieses Yeisnohee e. Voldumn Volxmjji F^ch. § 69. Amneik. 



Digitized by Google 



Flüobl: Der substuitieUe und der aktuelle Seelenbegriff eto. 



41» 



Gehirn durch jene Gifte eine gewisse bl(?ihende oder vorüberp^ohende Ver- 
änderung erleiden mufs. Das ist nun <ier Fortschritt der neuen Korsehnng^ 
dafs gezeigt werden kann, w dr-lie Veriinflming und wo diese stattgefunden 
bat, so dafs diese oder jene Veränderung m gewissen Gehirnorganeu diese 
oder jene geistige Störung zur Folge iiat, wie auch umgekehrt, dafs aus 
der Beschaffenheit der geistigen Störung aul eine hcstinimte Erkrankung 
gewisser Gehimorgan© sichere Rückschlüsse gemacht werden könnon 
Und so kann die Medizin derartigen Störungen, wie sie etwa durcli 
Alkoholismus oder Syphilis herbeigeführt werden, durch Warnungen 
vorbeugen, vielleicht auch die leibliche Störung (und damit die geistige) 
heilen. Insofern ist es gewifs sehr wichtig, zu wissen, wie die Er- 
krankungen im Gehirn entstehen und welche Folge sie haben. Und 
dahin gehen die Untersuchungen Flecbsios. Er nahm früher vier 
Aasodatioiis- oder Cogitatioiifloentreii an, jetzt nimmt er die oben er- 
wähnten drei an. Diese sind aber keineswegs geistig völlig gleich- 
wertig, was schon durch ihre Lage bedingt ist, nimlich durch die 
benachbarten Sinnescentren. Die klinische Beobachtimg ergiebt, dafs 
bei Lfisionen des hintern grofeen Associationscentram n. a. die SSfaig- 
keit schwindet, gesehene und getastete finJäere Objekte richtig zu be- 
nennen, eventaeÜ auch (bei doppelseitiger Störung) richtig 2U deuten 
und so richtige Oesamtrofstellungen Ton der umgebenden Aufsenwelt 
zu bilden, während die Ersdieinungen bei doppelseitiger Erkrankung 
des vordem Associationscentmms darin überein kommen, dafs die 
Vorstellung der eigenen Person als eines handlungsfähigen Wesens 
und die peisönliche Anteilnahme an äolsem und innem Gescheh- 
nissen irgendwie verändert werden ja cTentuell gänzlich Torloren 
gehen. 

Bei den koniplicierteren geistigen Leistun?:!'P!i wirken wohl alle 
geistigen und Sianescentren zusammen, da sie untereinander durch 
zahllose Nervenfasern verbunden sind, (riehiru und Seele 2l>.) 

Welche Aufgabo die^o Centren haben, wa^ sie positiv in geistiger 
Hinsicht wirken, kann man immer sehen lui dem, was eintritt, wenn 
sie aufhören, in geordneter Weise zu wirken. Mit ihrer Erkrankung 
tritt Zerfall des hohem geistigen Lebens ein, also wird geistige Ge- 
sundheit an die Gesundheit dieser Centren gebunden sein, wie dio 
eben angeführten Beispiele zeigen. Dahin gehört auch folgendes: 
»Indem die körperlichen Triebe die Kinde erregen, beginnt auf asso- 
ciativem Wege unter Teilnahme der äulsem Sinne jener Wechsel, 
jenes Arbeiten der TorsteUungen, welches uns das Selbstbewullstsein 
als Kampf der Sinnlidikeit mit der Vernunft wahrnehmen lä&t 
Neben den treibenden Vorstellungen treten solche auf, an welche 

27* 



Digitized by Google 



4 



420 Abhaadlua|$ea 



hemmonde Gefühle geknüpft sind — und so erlangt die Auslösung 
vnn Frinnoninti^sbüdern durch körperliche Triebe auch eine eminent 
sittiicho Bedeutung. Deshalb werden mit Notwendigkeit die Triebe 
aller idealen Charaktere entkleidet, darum fällt ieder Kampf zwischen 
den sinnliehen und den an Ideen gebund* ii ii sittlichen Gefühlen 
hinweg, wenn die Kraft der geistigen Centren erlahmt, wenn ihr 
geistiger Inhalt schwindet. Jeder Zügelung bar herrschen dann die 
Leidenschaften; die niederu Begierden, Zorn, Wut, Angst und alle 
andern (remütshewegungen treten in den Vordergrund und behaupten 
das Feld so lange bis? uik Ii die Meclianismen, an welche sie gebunden 
sind, funktionsunfähig werden. Schon der gewohnheitsmäfsigo Alkohol- 
nüDsbrauch zeigt uns dieses abschreckende Bild des in seinen edelsten 
Hiinteilen entarteten Menschen.« (Oefaim und Seele 31.) 

Was hier geschildert wird, ist daSf was eintritt, wo die hdbem 
apperzipierenden Torsteilungen ganz fehlen oder zu schwach sind. 
Mangel der Selbstbehenschuni?. Selbstbeherrsdrang ist erst ein Er- 
Zeugnis der Erziehnng. Sich selbst übeilassen würde jede Begierde, 
jeder Trieb in gerader Linie seine Befriedigung suchen; ja wobl jeder 
Gedanke würde Ton gewissen Leibesbewegungen begleitet sein. Jede 
Yorstellung hat ja das Streben sich im Bewulstsein zu halten und, 
falls sie unterdrück ist, ins Bewufstsein zurückzukehren. Wie kommt 
Selbstbeherrschung zustande? Dadurch dals mit gewissen Gedanken 
oder Trieben andere Gedanken associiert werden. Diese werden als- 
dann von jenen reproduziert; steigen die sinnlichen Triebe, so steigen 
auch die nüt ihnen associierten Verbote, Erinnerungen an Strafen, 
Drohungen, sittüchen Maxime etc. So kann dem Hunde das selb- 
ständige Verfolgen des Wildes yot'-on seine natürlichen Neigungen 
abgewölint werden. So kann eine Katzo dazu gebracht werden, mit 
Mäusen in Fi e len zu leben. So lernt auch der Mensch in weit 
höherem Mafse an sich zu halten und die niedern Triebe zu beherrschöL 
Aber sobald die Gedanken, welche die andern beherrschen, wegfallen, 
oder geschwächt werden, werden jeae niedern Triebe ohne Zucht 
nach ihrem eignen MechMiisnuis sich geltend raachen. 

Diese apperzipierenden. Gedanken, auf denen die Selbstbeherrschung 
beruht, können nun auch durch leibliche Einflüsse geschwächt oder 
gehemmt werden. Wir erfisfarein dlee alle in unzähligen Fällen, wenn 
man z. B. aus Müdigkeit in Geeellscfaaft gähnt; wenn Kinder am Ende 
einer Lehrstnnde, also ermüdet, mehr Eehler machen als sonst; wenn 
Kranke sich in der Sprache gdien lassen nnd Dialekt reden etc. oder 
man denke an den l^nm, wo meist ganze Teile des Ichs unterdrückt 
Bind. Wenn nun in den edelsten Teilen des Gehirns eine solche 



Digitized by Google 



Flüobl: Der sabstuitieUe und der aktuelle äeelenbegnfl eto. 



421 



Veränderung vor sich gegangen ist, dafs sie nachträglich sogar durch 
das Mikroskop fpstp:estel!t werden kann, so ist sdir natürlich, dafs 
dadurch Zustände in der Seele ausgelöst •werden, welche schwächend 
oder vüliig hemmeml auf die apperzipierenden Voi-steHun^en einwirken. 
Verlieren diese ihre Kraft, dann herrschen allein die durch den. 
Körper und die nuirenblickhche Lage bedingten Trielte. Dazu kommt, 
dafs die beherrsi Im nden Vorstellungen später gewonnen sind, als die, 
welche sich aui unser leibliches Wohl beziehen. Jeder Mensch ist 
von Haus aus Eixoist. iScliun der Erhaltungstrieh übt beim Kinde 
die Handlungen ain frühesten ein, welche sich auf leibliches Wohl- 
sein beziehen. »Sorgfältige Beobachtungen, bestätigen voUkommeu den 
i^goismns der Kindesnatur, der erst im Lattfe der Zeit dnroh Aus- 
bildung anderer Gefüblskomplexe, nämlich solcher, die sich auf den 
Nächsten, auf die Gesellschaft beziehen, mehr oder weniger im Zaume 
gehalten wird. Zur Ausbildung der Yorstellungsgruppen altruistischer 
Natur ist aber lange nicht soviel Gelegenheit, ja Nötigung Torfaanden, 
als zum Egoismus, und es entsteht daher beim Schwachsinnigen nicht 
(und, setzen wir hinzu, es unterliegt beim Yerfiill des Gehirns) der 
grolse, reiche, in allen seinen Teilen innig yerbundene Gedankenkreis, 
den Hebbabt als den stärksten Hebel der Erziehung ansieht« ^) 

So erklärt Flechsig einen grofsen Teil der Ursachen der Ver- 
wahrlosung bei Gewohnheitsverbrechern aus intellektueller Inferiorität, 
dafs nänilicli die sogenannte Associations- oder Deuksphären schlecht 
entwickelt sind. Daher vielfach die fliehende Stirn do:^ Gewohnheits- 
verbrechers, welche durch eine ungeheure Entwicklung der luft- 
haltigen Stirnhöhlen oft scheinbar kompensiert, in der Regel aber noch 
auffälliger wird. Eine Folire davon ist der völlig mangelnde Hunger 
nach Wissen, nach jL^eistiirein Besitz, der 31angel emster objektiver 
Interessen, die Untiihifikeit. sicli von der Zukunft ein unifassendes 
Bild zu machen imd so konsequent nach einem vernünftigen Ziele 
zustreben. Vielleicht beniht auf der ^'erin^jen Entwicklung der gei- 
stigen Centi-en auch die (bei \viikliehen Idioten noch viel stärker aus- 
geprägte) Lust und Freude au violiacli kaleidoskopisch weehsehideu 
aui>tjii Eindrüeken: die eigentliche Wurzel des Vagubundencharakters 
und die dmuit häufig verbimdone Erschöpfliarkeit des Gehirns, welche 
schon nach kurzer Konzentration der Aufiuorksamkoit lebhaftes körper- 
liches Unbehagen erzeugt und solche Individuen arbaitsscbeu macht, 
ja zum Verbrechen zwingt, wenn ihnen die Allgemeinheit nicht frei- 
willig Subsistonzmittel zur Verfügung stellt 



*) Ufer: Da» Wesen des Sdiwaehsinas, In Manns Dentooben Blätiani, 1892, S. 38. 



Digitized by Google 



4S2 



A AbbaDdloc^n 



Doch schon diese letztem Charakterzüge lassen sich nicht ohne 
gewissen Vorbehalt ledifrlich nm der Kleinheit der geistigen Centren 
abJeiten. Denn zahlreiche eiütacli beschränkte Individuen mit schlecht 
entwickelten geistigen Centren des Gehirns lassen keinerlei verbreche- 
rischen Tendenzen erkennen. Die Ursache des eigentlichen aggressiven 
Vorgehens gegen die Gesellschaft, des Verbrechens bei hoher Intelligenz 
steht FkJBOBSio in einer Reihe \on Einwirkimgen auf das Gehirn, 
welche alle in einem Punkte übereinkommen, dann, dafe sie voraber- 
gebend oder dauernd die Schmerzgefühle aufheben. Zu solchen ür- 
sacfaen rechnet er erbliche Belastonj?, aUe Narkotika, erschöpfende Ex- 
zesse, anch hfiofige Hypnose etc. Hierdurch sieht er besonders die 
EtfzperfählsphSre im OehiTUf also den Sitz des Schmerzes als ge- 
schwächt ja chemisch verftadert an.^) 

Und nun ist es ja sehr natfirlioh zu sagen: wer selbst Sdmiera 
nur im geringen Orade empfindet, kann sich auch anderer Schmerz 
nicht wirksam Yorstellen, es werden ihm also die Mitgefühle mehr 
oder weniger fehlen, und er wini zum Verbrechen gegen andere 
neigen. Das ist bekanntlich ein Grundgedanke Lombrosos, dem ja 
Tlbswiq sonst vielfach entgegentritt 

AHein so einfach und einleuchtend dieser Gedanke ist, ist doch 
viel Vorsicht dabei nötig. Ich habe mich mehrfach in StrafanstÄlten 
erkundigt, eh derfrleichen Verbrecher besonders imempfindiich pegen 
köi7)erliche Strafen sind. Dies wnHn verneint, (ieiade rlie Messer- 
helden, hicls es, sind die fei<j:;sten ; sie zu leiten, bedarf es meist gar 
nicht der körperliciien Züchtigung, blofse Androhnncr, Zeigen der 
Peitsche, die blo^e Gegenwart bei einem Züchtigungsakt genügt, um 
sie diiicii Turcht in Ordnung zu haUen. 

>Ian wird sich also hüten müssen, diesen einen Punkt ansschüefs- 
lieh zu betonen. Aiifsei'deni denkt man sich die Sache wohl zu ein- 
fach, wenn es heilst: Abschwachung der Sclnner/^gefühle verdirbt den 
Charakter. Denn es ist ein sehr zusammengesetzter, weitläufiger Vor- 
gang, wie solche Abschwächung der Schmerzgefühle auf die Phantasie, 
das Torstellen, die Mitgefühle, den Willen, die Gewohnheit etc. ein- 
wirkt 

Alle die bisher besprochenen Beispiele des Einflusses des Leibes 
auf die Seele betrafen sch&dliohe Einwirkungen, so da& Krankheit, 
Verstärkung der niedem Begierden, Schwüohung der Gegengewichte, 
Verminderung des Benkens, des Gedächtnisses, des Gefühls, des 
Wollens etc. die Folge waren. Es ist nun natürlich zu fragen: wird 



^) Die Qfenseo gebtigsr Oeeondhett und Exaakheii B. 31 iL 



Digitize 



iLLUKL: Der substantielle und der aktuelle Seeleubegriff eto. 



423 



die Aus'bildimf^ des Geistes auch positiv f^efördort durch gewisse Eigen- 
schaften dos Gehirns? Man könnte hiei-aiif heziehon. was Fr.Kfusi« 
vom G(Miie sai^t; Da8 Genie beruht im wesentlichen auf einem Fort- 
f^ehi itt nicht auf einem Kiiclvschritt (Degeneration) der Himentwicklung; 
indem es hierbei indes eventuell zu von der Norm abweichenden 
Gröfsenveiliiütnissen der einzelnen Hirnteile untereinander kommt, 
also insbesondere zu einora unverhältnismafsigen Überwiegen des hin- 
tern giofsen über da^ fiontale Associationscenti'um (vielleicht auch 
gelegentlich umgekehrt), wird zu erwägen sein, inwieweit hierdurch 
Abweichungen vom gemein - menschlichen Wesen bedingt werden, 
insbesondere jene Eigentiimlichkeiten , welche zu der uridtcn (von 
JjOHBVOf» emenerten) Sage von der Wesensverwaadtsohaft der Genialen 
und der Geisteskranken gefOhrt hat« (Gehini and Seele 102). »Wir 
finden, dafs das geistige Centram der hinteren Scheitelgegend sich 
bei allen wahrhaft genialen MSnneni, deren Hirn bis jetzt ontersacht 
worden ist, durch eine besonders starke Ausbildung auszeichnet 
Bei manchen Künstlern wie Beethoven und ▼ermutlich auch Bach fttUt 
ausschlielslich die abnorme Entwicklung dieser Hirngegend auf, bei 
grofsen Gelelirten, wie bei dem Mathematiker Gaoss tl a. sind die 
hinteren und die vorn im Stimhim gelegenen Centren stark entwickelt 
Das wissenschaftliche Genie zeigt also andere Verhältnisse des Hirn- 
baus, wie das künstlerische. Richakd Wagner nimmt eine Sonder- 
stellung ein.« (Die Grenzen.. 13.) 

jiDt alledem ist noch keine Andeutung gegeben, welchen positiven 
Beitrag eine gewisse Vergröfsening bestimmtor Himpartieen auf die 
Fördeninp: des Geistos liefert. In dieser Beziehunj^ ist in den Kieisen 
der ilKHii AKTschen Psvrliolo;j:ie die Untemichnng laugst eingeleitet imd 
weiter ^^ehililct. Nicht nur im alij;emeinen ist die Wechsel wirkimg 
zwischen leii>liclHMi nnd ^^eistii;en Zuständen, deren ,m'p»nseitige i'urde- 
rung, Schwächlings Verzögerung, Störnne erklärt. Siindern die gegen- 
seitige Korrespondenz, namentlich den leiblichen Druck hat IIerbart 
imd seine Schule verwendet, um auch insbesondere geistige Eigen- 
heiten, Anlagen, Tempenunente, Stijnniungen u. dergl. zu erklaren, 
wie da, wo »die Wölbung und Zuspit7.ung« gestört wird, es teils an 
Verknüpfung des Neuen mit dem Alten, teils an Präzision der Auf- 
fassung fehlen mnlk, wie Köpfe entstehen müssen, die nichts eiraten, 
nichts in seiner Tollen fiesiehung auffassen, während sie sonst mecha- 
nisch fleifsig lernen etc. Femer wie durch eu frtthe Ermttdung 
längere Gedankenreihen sich nicht bilden oder, wenn gebildet sich 
nicht entfalten können. Solche Naturen sind lebhaft aber ohne Tiefe. 
Sie scheuen die Einsamkeit weil es ihnen nicht gelingt, einen längeren 



Digitized by Google 



424 



A Alihandlaiigen 



Gedankenfaden zu verfolgen, ücsollschaft oder ein Buch muTs ihnen 
zu Hilfe kommen, nur keine gar zu ernste Gesollschaft, kein streng 
systematisches Buch, das nennen sie trocken und langweilig; soboid 
sie sich aufdcbtig üuJseni.« NatSrJicli war za Hebbabts Zeit die Er- 
kenntnis des Gehirns noch viel mangelhafter, als sie heute noch immer 
ist Allein dies ist zum Teil dnrch seine Schüler nachgeholt, teils ist 
es für die Psychologie weniger wichtig zu wissen, woher ein physio- 
logisches Hindernis kommt, nämlich aus welcher Gegend des Gehirns, 
Tiel wichtiger ist für sie, welche Wirkungen auf den Yerlauf dee 
geistigen Lebens das vom Leibe ausgehende Hindernis ausübt Man 
wird unschwer bemerken» dafs die von Flechsig oben geschilderten, 
zum Verbrochen neigenden Charaktere in vielen Stücken mit dem 
übereinstimmen, was Herbabt in den Briefen über Anwendung der 
Psychologie auf Pädagogik Ton den schwor zu erziehenden Kindern 
sagt Herbabt geht dabei psychologisch zu Werke und betrachtet das 
physiologische Hindernis nach seinen psychologischen Wirkungen, gleich- 
viel wuhcr es kommt. FF,K< nsif; spürt gernde dioser letzten Frage nach. 
Insofern ergiinzen sich hcitle Betrachtungen. Festzuhalten ist (ial>ei 
immer, dafs gerade Charaktere von der geschilderten Art » iiier be- 
sonders ihrer Individualität angopafsten Erziehung bedürieii, damit sie 
nicht dem Vcil»i<M iieii anheim fallen. 

Was nun weiter (his Genie anlangt, so hat Volkmann im An- 
schluTs an die Untei"suchuagen Hkudarts ausgeführt, wie dies nament- 
lich auf den frei steigenden Vorstellungen beruht, imd wie Vorstellungen 
nur soweit freisteigen, wieweit das Vitalgefühl den Voi-steliungen 
freien Baum zum Steigen gewährt. £iu solcher fieior B&um ist so 
gut als gar nicht vorbanden im Blödsinn. Er wird bewirkt, wie 
Flecbsio (Münchener Bede 14) hervorhebt, durch doppelseitige Er- 
krankung der Associationsoentren, und zeigt besondere Charaktere, je 
nachdem die Stimlappen oder die hintern Centren erkrankt sind — 
dort überragt im allgemeinen die Indolenz, hier die Inoohfirenz. 

HsRBABT sieht den Blödsinn gewissennafsen als den Nullpunkt 
des geistigen Lebens an und bemerkt: Der erste Unterschied der 
Menschen ist ihre Entfernung vom Blödsinn. Und Yolkiunn setzt 
hinzu: Wir haben soviel Genialität, als unsere Entfernung vom Blöd- 
sinn beträgt.^) Die Entfernung vom Blödsinn bedeutet das Mafs, 
welches das Gehirn der eignen Bewegung der Vorstellungen also der 
geistigen Entwicklung gestattet. Das ficio Steigen der Voi"stellungen, 
worin die Genialität mit ihrer Produktivität wurzelt, setzt die höchste 



'> VoLKMAXif V. YoLKWAs: Lebrboch d«r PtQrcbologie, § 71. 



Digitized b 



f^ÜQKL: Der substantiaUe ' und der aktuelle Seelenbegriff etc. 



425 



Freiheit odor dio •rorin^rsto lumiittelbare Ablian,e:ii:koit dos Geistes vom 
Gehirn voraus, und dieses mafr wohl bedingt sein durch die von 
Flecusio ange^rebene Entwickhini: des betreffenden Hirnteils. 

Bei der von uns überall vuiaus<:osetzten durchgäUjBrigen Wechsel- 
wirkung leiblicher und geistiger Zustiiiide müfste die Abhängigkeit 
der Seele viel giiifser sein, als sie Lra gesunden Zustande wirklich 
ist; es würden diu hohem Gebilde des Denkens, der Vernunft und 
Sittlichkeit gar nicht entstehen können, wenn nicht Organe voriumdea 
wltran, die, eososagen, die Seele gegen die bestlndigen Einflüsse des 
Leibes sohÜtstODU Herbabt sah daram in der Gröfee des roeasohlichen 
Gehirns die Ursache, dals die Voistellungen in der Seele des Menschen 
ungleich mehr als bei den Tieren nach ihren eignen Gesetzen auf- 
einander wirken können. Wenn die sogenannten Associattonscentren 
diejenigen Teile sind, die dem Menschen in so hervorragender Weise 
Tor den Tieren zukommen, so werden wir darin die Organe zu er^ 
bücken haben, welche die Einwirkungen des Leibes einigermaiSBen 
abdämpfen. 

Nur so wird den Vorstellungen Baum und Freiheit gewährt. 
Daruni bemerkt HtiiiDAirr: »Warum findet man das Gehirn verhältnis- 

inüfsig so giofs im Menschen und von einer so grofsen Blutmasse 
durchströmt, während es in niedem Tieren immer kleiner wird, immer 
weniger Zusammenhang unter seinen Teilen zeigt, ja auf den untersten 
Stufen des tierischen Lebens gar verschwindet? Warum anders, 
als weil das Oehim zunächst für die Seele, aber nicht tür das vege- 
tative Leben des Organismus vorhanden ist... Die Dicke und die 
Ausbreitung der üb«Tgeschlagenen Markhlätter des Gehirns werden, 
indem sie die Menge der Elemente vermehren, welchen jede Aktion 
der Nerven mufs mitgeteilt werden, aiu h zur Dämpfung, zur Mil- 
derung dieser Aktion dienen können; sie werden gleichsam den 
Ungestüm auffangen, dafs er die Seele nur wenig oder gar nicht 
treffe und störe. So hatte demnacii die Seele in der Gröfse des 
Gehirns ihren Schutz und Schirm wider die Anfälle des übrigen 
Organi8mu8.€ 

Ohne Zweifel wird jedem, auch dem abstraktesten Gedanken ein 
innerer Zustand in gewissen Himelementen und wahrscheinlich eine 
dadurch bedingte molekulare Bewegung entsprechen. Das Günstigste 
dabei aber ist, da& von selten des Leibes keine Hemmung, sondern 
eben nur Begleitung, Resonanz eintritt Eine positive Begünstigung 
Ton Seiten des Leibes ist bei der Verarbeitung der Yorstellungen 



BMBMxty P&ych- ala Wissenschaft. § 157 n. 150, Wecke TL 108 o. 117. 



Digitized by Google 



426 



A AbhandloAgeii 



kaiaii anzunehmen. Jede iStockmig oder Störung wie auch zu gröfse 
Schnelligkeit in der leiblichen Begleitung hat jedesmal eine iSturung 
der geistigen Thätigkeit mr Folge. 

An einem Beispiele mag man ersehen, nie nötig es für ein sach- 
gemärses Denken ist, daTs die Vorstellungen im Geiste sich nach ihren 
eignen Gesetzen gruppieren und nicht so bleiben, wie sie gegeben 
werden. Sonderbarerweise sieht FLBCHSie unser Natorerkonntnis an 
lediglich als ein Abbild der Anisenwelt Er meint, dal^ alle unsere 
anschauliche Kenntnis der Anfsenwelt nur ans Sinneseindrttcken und 
unbewufster Arbeit des Gedächtnisses stammt Indem die Natorror- 
gänge gesetzmftlsig verlaufen, kehren Reihen nnd Gruppen von Sinnes- 
eindrttcken hAnfig in derselben Verbindung wieder, und das oft Zu- 
sammentreffende, die Häufung gleicher Eindrficke lüTst besonders 
feste und festgeschlossene Gedächtnisspuren zurück, während durch 
einen gesetzlosen Zufall zusammengeführte Erscheinungen schon ver^ 
möge ihrer seltenen Wiederkehr sich nur lose miteinandw verknüjrfeiL 
Der allem geordneten Denken zugrunde liegende Zusammenhang der 
Erinnerungsbilder heniht in letzter Linie zum guten Teil auf Eiprcn- 
schaften der Aufsenwelt, des Weltganzeu.« f'LUOHSio beruft sich hier 

auf Hw.MWOLTZ. ') 

"Wenn man granz ausschliefslich an eine rein empirische Natur- 
betrachtun^ denken wnUto. dann könnte man sich allenfalls genügen 
lassen, wenn der Zusammenhang und die Reihenfolge unserer Vor- 
stellungen derselbe wäre, als die Reihenfolge der Aufsendinge, durch 
welche unsere Vnrstellunsren und ihre Reihenfolge entstehen. Dann 
aber müfste man auf jedes ursäcliliche Erklären verzichten, d. h. man 
müfste auf das Erklären überhaupt und also auf das Erkennen ver- 
zichten. Denn eine UR>ache als solche ist bekanntlich nie gegeben. 
Freilich beginnt der Begriff der ürsache mit der Reihenfolge, zu- 
nScbst gilt das Vorzeichen, das Antecedens als Ursache des Nach- 
folgenden. Und wenn unser Denken allein auf dem Gedächtnis, auf 
der gegebenen Reihenfolge der Vorstellungen beruhte, wMe auch 
unser Begriff der Ursache und des Naturerkennens dabei stehen 
bleiben, falls man überhaupt den Begriff der Ursache gewönne. Wollte 
man der Katze etwa einen Begriff der Ursache zuschreiben, so moiis 

^} Ei sei hier erinnert, dafs nach elDcr oben angeführten Äufi;enuig Flrchsios 
nur Hi*» iinvor^nn'lpnen , zn^nmnT^nhanfrslospn sinnlichon Empfindungen von der 
Au£scuwtiit »tamuien, dals deren Zusammenhang aber ausschliefslich von den ia 
den AflsodatianBoentren a priori angelegten Medmiiisnien beiritü wenden adl. Nadi 
den jMiletzt angeführten Worten aber soll sogar der irinensohafHidie Zusammenhang 
der NatnrerkenntnisBe lediglicb eine Abspiegelung der Aulaenwelt sein. 



Digitized b 



FlOoil: Der aubstantiell« und der aktaelle Seelenb^giiff eto. 



427 



"^ie ihr Miauen als die wirkende Ursache dason ansehen, da& die 
Thüre sich öffnet Denn in ihr haben sich durch häufiges Zusammen- 
treffen ihr Miauen und das Offnen der Thür associiert Das ist das 
Denken nach dem post hoc ergo propter hoc, die Nacht ist dann die 
Ursache des Tages, und der Sommer die Wirkimg des Frühlings. 
Warum hinter der Mühle der Fhifs so schnell geht? Die Mühle 
treibt ihn fort. So berufen sich auch die Chinesen darniif. ilafs 
infolge ihres (Joschroios die -Mondfinsternis verschwindet, denn noch 
jedesmal ist d*'r Moud wieder nach ihrem Geschrei erschienen. Un- 
zählige Irrtümer und Trugschlüsse beruhen eben darauf, dafs der 
natürlich entstandene Gedankenzusammenhang für den kausalen Zu- 
sammenhang der Dinge selbst galt 

Hier sieht man recht deutlich, dafs die Erkeuntnis nicht ein 
blopKes mechanisches Ablaufen der Oedanken iüt in der Reihenfolge, 
wie sie wohnlich oder inmier von der Aufsenwelt geboten werden. 
Vielmehr müssen die erworbenen Oedanken nach ihren eignen psycho- 
logischen und logischen Gesetzen verarbeitet werden. Es ist ja frei- 
lich richtig, dafo all unsere Erkenntnis in letssfeer Linie nur auf 
Sinneseindracken benibt, femer dafo die Verarbeitung dieser Eindrücke 
nach Gesetzen geschieht, die man auch Naturgesetze nennen kann. 
Bas vornehmste dieser logischen Gesetze ist, dals Widersprechendee 
nicht sein noch geschehen kann. Darum muls zu jeder Veränderung 
eine Ursache hinzugenommen werden. Insofern köim.te man ja auch 
sagen, weil die Natur gesehdich geordnet ist, so dafs in -sich 
Widersprechendes nicht geschehen kann, darum muJs unser Denken, 
das auch ein natürliches Geschehen ist, den Widerspruch vermeiden;^) 
imd in dieser Beziehung gUt es: wenn unser Weltbild bedingt ist 
durch unsere Organisation, so ist eben diese unsere Organisation be- 
(\m<:^t durch die Welt Das (fosetz des Denkens ist eben zugleich 
Gesetz der objektiven Wirkliclikeit.« -) Dieses Gesetz lautet, was in 
sich widersprechend ist, das ist auch faktisch unmöglich. 

Auf eigentliche psychologische Zusammenhänge der (Jedanken 
nimmt Flkchsi-? itbcrliaupt keine Rücksicht, er untersucht nur, wie 
weit das Gehirn an unscrcin freisti^ren Leben beteiligt ist. Es hat 
aber zumeist den Anschein, als ob er iiierin das ^xanze Geschäft der 
PsycholoL'ie sähe. YorUiufi;: meint er freilich hinsiclitiich der hohem 
geistif,^en (icfiililo. sio hissen sich noch niclit näher lokalisieren. Sie 
sind aber zweifellos genau so au die Uirnsubstanz gebunden wie die 



») VergL Zeitschr. f. ex. PluL XIX, 407. 
*) WMKioiar, WirkUokkeitsstaadpiult 1880. 



Digitized by Google 



428 



A AbhandluDgea 



niedern z. B die Öchiiior/ceiüpfindunjp. Denn ganz wie die letztem 
werden sie verändert durch Einwirkungen von (giften, Krschüttenmgon 
des (r('liii-ns etc. 99. An diesem allgemeinen Satze kann niemand 
zweiieln. der eine genaue Wechsehvirkung zwischen Leib und Seele 
annimmt. P>s ist aber Aufgabe der Tsjehülogie zu zeigen, wie aus 
dem Gedankenverlauf unter Mitwirkung des Leibes sieh auch die 
höhern Gefühle und WiUensbestrebungen entwjckehi und wiederum 
auf den Leib zurückwirken. Verfasser sieht davon ab. 

Wenn man fragt, welche Ansicht hegt FtJBCBsie über die Seele, 
ao machen seine Aueeinandenetzungen meitit den Eindruck, als halte 
er die geistigen Zustande ohne weiteres für Thatigkeiten der Ter- 
sehiedenen Gehimteile. Träger der geistigen Vorgänge scheinen ihm 
die Gehirnzellen zu sein. 

Allein er hebt auch ansdrücklich hervor (Gehirn nnd Seele 34), 
dalk er gegen »das Degma von der Immaterialitat der Seele« nichts 
einzuwenden hat Und in Wahrheit ist keine einzige von ihm er- 
wähnte Thatsache vorhanden, die sich nicht unmittelbar mit der An- 
nahme einer Seelensubstanz vereinigen liefse; vorausgesetzt, dab deren 
Immaterialität nicht als Entbundensein vom EausaJzusammenhang an- 
gesehen wird. Man wird dann das, was Flechsig als geistige Thätig- 
keiten des Oehims bezeichnet, betrachten als die materiellen Be- 
dingungen der geistigen Thätigkeit Wenn er bemerkt, man müsse 
auch von der körperlichen Seite die sittliche Hebung des Menschen- 
,c:oschlechts in Anfrriff nehmen, und dafs die Kraft des Heistes auch nacli 
der sittlichen Hiehtung hin im weitesten Mafse vom Kiirper abhängt, 
so wird man dies gern ziif^eben. zumal er selbst hierlu'i zunächst an 
die sittliciien Verwüs-fungen des AlkohMlmilsbrauchs ete. denkt. 

Flech.sig scheint einen iiesonderii Wert darauf zu legen, dafs 
seine Ansichten in einigen Tunktru mit Scauri:.NH.vT i;k übereinstimmen. 
Mehimals ist davon die Rede. P.r bespricht den gmfsliiinlusen Hund, 
welchen Goltz läntrere Zut am Leben erhalten und beobachten konnte. 
Der Hund nahm Nahrung' auf, äufserte Hunger etc. ^-Die körper- 
lichen Bedürfnisse wirken also auch bei völligem Grofshirnmangel 
noch treibend auf den Gesamtkörper und setzen überdies alle die 
Einzelapparate in Bewcgimg, welche der unmittelbaren Befriedigung 
der körperlichen Triebe dienen. Sind diese aber gestillt, so erlöscht 
die Unruhe und ein ruhiger anscheinend traumloser Schlaf umfängt 
den Körper, bis intensivere äuTsere Reize oder von innen her Nah- 
rungsmangel u. dergl. das Bewuistsein von neuem anfachen, oder 
wenigstens entsprechende Äurserungen auslösen. Diese Beobachtungen 
lehren uns die Macht und die Selbständigkeit der körperlichen Triebe 



Digitized by Google 



FlCokl: Der BabstantieUe und der aktuelle Seelenbegiiff etc. 



429 



und (lafs ein p^rofsor Teil der tierischen Handlungen ausschliefslich 
durch köi-perliche Einflüsse ausgelöst wird und mit dem Geist absolut 
nichts zu schaffen hat. Die Triebe erlangen einen psychischen Cha- 
rakter erst dadurch, dafs sie im Bewufstsein als Gefühle auftauchen: 
die letztem stollon alsn nur die psycliische Kehrseite der Triebe dar. 
Aus den Trieben entwickfln sich die Wiilenshandkuigen erst dnrrh 
Association der Triebgefühie mit andern knr]-»erlichon rJefülilen (der 
Sättifrnnfr etc.) und SinnoswahmoliinunpMi (der die Triebgutühie be- 
üeitigendon d. h. stillenden (ieschiniicko. liewof^ungen etc.). Ei'st wenn 
diese Associationen zustande gekunimon sind, setzt sich der zuniiclist 
nur ein Leiden andeutende Schrei des Neugehoreaen in eine aktive 
zielbevvufste Aufserung um. Eist der durch die Erinnerungsbilder 
beeinflufste Trieb sollte als AVille bezeichnet werden; insbcsundere 
jedes Wählen setzt Erinnerungsvermögen voraus. . . Die Beobachtungen 
am grofehimlosen Hunde beBtätigen sich am Menschen insofern, als 
dem Neugeborenen Gro&him und Nervenmark fast voUständig fehlt 
und 80 auch chemisch sich von dem des Erwachsenen wesentlich 
unterscheidet Der Mensch gleicht also anfangs einem grofehimlosen 
Wesen. Und doch sind die Triebe schon mit dem ersten Atemzuge 
in ihm mfichtig, und schreiend verlangt der Körper nach Nahrung. 
Sind die Triebe befriedigt» wird der Körper nicht von Unlust wecken- 
den äu&eren Reisen getroffen, so schwinden auch die Zeichen des 
BewuTstseins regehnälsig-c (Qehim und Seele 17, 48.) 

Was zunächst die Zeichen des Bewnlstseins am groish im losen 
Hunde betrifft, so ist es sehr die Frage, ob man es hier mit wirk- 
lichen geistigen Thätigkeiten, mit Bewulstsein zu thun hat Muxck 
deutete bekanntlich die von Goltz an dem betreffenden Himd be- 
schriebenen Bewegungen und Äufsemngen als blofse Reflexbewegungen, 
<lie <ich, ohne zum Bewufstsein zu gelangen, unmittelbar von den 
iJlmpiindungsnerven auf Bewegungsnerven übertragen und so ungewollt 
und nnbcwufst die betreffcndo Bewegung ausfilhren. Es sind Aus- 
lösungen besonders angelegter, wohl auch eingeübter Mechanismen. 

Auch Flechsio scheint zu zweifeln, ob man es hier mit BewuPst- 
seinsäufserungen zu thun hat. Er spricht wuhi von Zeichen des Be- 
wufstseins, meint aber zugleich, dafs diese Handlungen mit dem Geist 
absolut nichts zu schaffen haben; bemerkt freilich auch wieder, Goltz 
habe klar be\riesen, daDj auch das des Grofshirns beraubte Säugetier 
keineswegs aller seelischen Regungen völlig bar ist Jedenfalls schliefst 
er bewulsten Willen aus» 

Sonst wird man dem nur anstimmen, wenn er bemerkt, dafs die 
niedem Triebe ganz und gar in der leiblichen Beschaffenheit ange- 



Digilized by Google 



430 



A AUumdlimgeii 



legt sind , dafs erst einip:e iu tahrungen der Befriedig:iin^ gemaclit 
und mit den Trieben associicrt sein müssen, damit Begehiimgen und 
dann später daraus bewufste Willenshandlungen entstehen können. 
Das ist ja von selten der HERBARrschen Psychologie Vielfach nfiher 
sowohl hinaiohtlich der Tiere als der Menschen aoseinandeiigesetzt 
Bemerkenswert dabei ist nur der Zusatz Flechsiqs: »Wenn ich hier 
in nicht zu verkennender Weise mich den Anschauungen nShere, 
welche die Grundlage von Schopxnhatjebs Philosophie bilden, so machte 
ich betonen, dab ich durchaus auf selbstfindigem Wege dazu ge- 
langt bin.c 

Hier Uegt ein Irrtum Tor. Mit der Betonung, dafs die leib< 
liehen unbewuJsten Triebe noch nicht Willen, nicht einmal Begehrungen 
sind, näliert er sich nicht Schopenhauer, sondern entfernt sich von 
ihm. Nach Schofenhaveb ist alles Geschehen aueh in der unorganischen 
Nat^r Wille, nach ihm sind gerade die unbewufsten Triebe recht 
eigentlich Wille, ja die Organe, in denen diese Triebe ihren Sitz 
haben, sind nicht Ursachen, sondern Erzeug^sse des Willens. »Die 
Aktion des Leibes ist nichts anderes als der objektivierte, d. Ii. in die 
Erscheinung j;etrotene Akt des Willens. Zähne, Schlund und Darin- 
kanal sind der objei^ti vierte Hunger, die Genitalien der ()i)jektiviei'te 
Geschlechtstrieb; die greifenden Hände, die raschen Fiüse entsprechen 
dem schon mehr mitt*'!baren Streben des Willens, Der Wille schafft 
sich den Leib und zündet sich die ij'ackel des Intellekts au, um sich 
Befriedigung zu schaffen,*) 

Von solchen abenteuerlichen Gedanken der alten Naturphilosophie 
hält FLKriisio sich ferne, wie er ja die gnnz ähnlichen Spekulationen 
von 1'allsk.\ über die immanenten Be/.ithiuigen des Kinzelbewufst- 
seins zur Weltseele oder einem geistigen Allleben »gern und neidlos 
andern überlassen willc (Gehirn und Seele 10). Weltseele und 
geistiges Allleben ist bekanntlicfa nur ein anderer Ausdruck fOr das, 
was bei Schopekb&ueb Wille hei&t; nennt doch Paülbkn selbst seine 
Psychologie nach Scbopeshaukb eine voluntaristische. 

Bemgegenfiber hebt I^jscasio mit Recht hervor, dall^ ein eigent- 
licher Willensakt weder der Erinnerung noch überhaupt des Bewußt- 
seins entbehren kann; daJh also der Wille nicht der An&ng der 
geistigen Entwicklung ist, wie Sgbopbkbaukr meint, sondern der Wille 
ist ein Torhältnismftfidg spätes Enseugnis des Geistes; nur auf der 
Grundlage von Gedächtnis, Gefühl, Begehrung kann sich der Wille 
bilden. (Foiteetsnng lolgQ 

') Veigl. hienu Zeiischr. f. ex. FhiL TE u. Ym über ScBonmuüBss etbi- 
scbea Afheiuniie XVm, 06 n. Herhabt XII, 369. 



Digitize 



F. Hollkamm: Herr v. Massow und die Refon« des Landschxdwescus 431 



Herr v. Masbow und die Beform des Landsdralwesens 

Vor- 

F. Hollkamm in Glindenberg 

Im dritten Kapitel seines Werkes: »Reform oder Revolution*') unter- 
zieht Herr v. Massow unter anderm anch das Landschiilwrseii einer 
eingehenden Betrachtung; und macht inbezug aut dasselbe eine Reihe 
von Refonnvüi"schlägen. Da der Herr Verfasser selbst von seinen 
Vorschlägen (S. 119) sagt: sOb diese Mittel., die riclirigen sind, will 
ich dahin gestellt sein lassen-, so möge es einem seit längerer Zeit 
im Landschulweson thätigen Lehrer gestattet sein, dieselben einer 
voruiteiisloseu Beurteilung zu unterwerfen. 

Herr v. Massow fufst seine Reformvorschläge, soweit sie das 
niedere ^cliulwesen betreffen, folgendermafsen zusimimen: Vei-staat- 
lichung der Volks-, obligatorische Einführung der Fortbildungsschule, 
FttiBorge für Schüleiv und Yolksbibliotheken, Hebung des Lehrer- 
Standes und Dnrchsetzimg desselben mit Elementen, welche durch 
das Leben selbst geschult sind.« Mit jenen Elementen sind civil- 
Tersorgungsberechtigte Unteroffiziere gemeint, die naoh Besuch eines 
Seminars in den Lehrerstand eintreten sollen. (S. 119.) 

Auf dem Lande wOrde sich nach Herrn v. Massow das Schul- 
wesen etwa folgendermaben gestalten: An jeder Landschule, ins- 
besondere an den einklassigen Schulen, wird neben dem Lehrer eine 
Lehrerin angestellt (S. 109). Sie hSlt am Morgen eine Spielschule 
(Kindergarten), an der auch sechs- und siebenjährige Kinder, die 
sonst ohne Aufsicht blieben, teilnehmen können. Unterdes unter- 
richtet der Lehrer Ton 6 — 8 Uhr die Oberstufe, von 9 — 10 Uhr hat 
er eine Pause, worauf von 10 — 12 ülu: die Mittelklasse an die Reihe 
kommt. Die üblichen Pausen zwischen den Stunden fallen fort. Es 
wird vielmehr 120 Minuten hintereinander untenichtet. Diese Zeit 
wird in 3 Lektionen zu je 40 Minuten geteilt. Das giebt wr»chent- 
lich 18 Lektionen, wovon für die Oberstufe zwei auf Turnen, drei auf 
Geschichte und Geographie^ drei auf Rechnen, drei auf Naturkunde 
und sielHMi auf Religion und Deutsch kommen. Die Mittelstufe hat 
zwei Leiitionen Turnen, drei Geschichte und Geographie, z^\ei Natur- 
kunde, zwei Rechnen, zwei Schreiben, vier Religion und vier Deutsch. 
Von Gesang und Zeichnen schweigt der Verfasser. Die Lehrerin 
unterrichtet nachmittags von 2 — 4 Uhr die Unterstufe. Wie hier die 
Lektionen veiteilt werden sollen, wiid nicht gesagt. An einigen 



Berlin, bei Otto Liebmann, 1894. 



Digitized by Google 



Ji Abhandlungen 



Abenden giebt ^ie Unterricht in weiblichen Handarbeiten. Daneben 
erhalten die Mädchen Uaushaltimgs- und Koehunterricht Es wird 
eine Küche eingerichtet zur Speis5ung armer Schulkinder und solcher, 
die einen weiten Schulweg haben. Im Winter kommt dazu der For^ 
bildungsschulunterricht, der im Sommer verschiedener Ursachen wegen 
ausfällt. An drei Abfanden werden von 5 — 7 Uhr die 14 — ITjährij^on 
jungen Loute unterrichtet. Ij^>sen. Schreiben und Rechn^ wird hier 
nicht in besonderen Lfktittnin. sondein im Anschlufs an Geschichte, 
Aufsatz , HanshnltungNlelire und Buchführung gelehrt. Aufserdera 
wt-nien die Schüler in Verfassungslehro und (u'sefzrskunde unter- 
richtet, damit sie später ihre stiuit.>bürgi'rlieh('n Fflichten zu erfüllen 
vermögen und als Wähler nicht zum Stininn ieh herabsinken. Auch 
in den Organismus der öffentlichen Verwaltung, soweit derselbe in 
ihrem Gesicht.<kreise lirgt, sollen sie eingtfiüiii werden. Die der 
Schule entwachsenen Mädchen erhalten ebenfalls an drei Abenden 
von der Lehrerin Unterricht Yierteljährlich einmal erscheint der 
Ereisschnlinspektor, — die Lokalinspektion soll aofgehobcn werden — 
um die Schule zn revidieren. Die SchulTorstandasitzungen, an denen 
nicht nnr als Yertreter der Kirche der Geistliche und als Tertreter 
des Staates der Gemeindevorsteher , sondern auch als Repräsentant 
der Schule der Lehrer Sitz iind Stimme hat, werden unter seinem 
Yorsite abgehalten. In seiner Abwesenheit ist der Lehrer sogar stell- 
vertretender Yorsitzender des Schulvoistandes. 

Was Herr v. Massow sonst noch über die Landschule und ihre 
Lehrer aufsert, ist vielfach durchaus zutreffend, so insbesondere, was 
über die Stellung der Landlehrer zur Sozialdemokratie gesagt wird. 
Es ist walir. dafs die ökonomische Lage derselben »Hilfe um jeden 
Preis« T^iangt und dafs mit der zunehmenden Machtlosigkeit des 
Freisinns, von dem die Lehrer bisher Hilfe hofften, die A^ersuchung 
für den T>ehrer immer gröfser wird, sich der Sozialdemokratie in 
die Arme zu warfen. (S. 09.) Jedenfalls ist eine eifrigo I^ekiimpfimg 
der Umsturzpartei von ihm nicht zu erwarten. (S. 100.) Ks ist darum 
mit ( irnugtluiung zu begrüfsen. wenn unter den Reform vorschlagen 
des Herrn v. Massow in erster Linie steht, dafs der Lelirerstand eine 
höhere Bildung empfange, und dafs seine ökoiiomisclie Lage gebessert 
werde. Auch würde der Fortfall der LokalschulinspekLion wenigstens 
für die i'inkla.ssig('n Schulen, die Einführung der Kreissciiulinspektion 
im Hauptanite, die damit verbundene häufigere und gründlichere 
Revision der Schulen sowie endlich die Vertretung des Lehrers im 
Schulvorstande von günstigen Folgen für unser Landschulwesen seiiL 
Selbst über innere Schulfragen urteilt der Yerfasser manchmal recht 



Digrtized by Google 



F. Houkamm: Herr t. Mamow nod die Reform den Landsobulweffene 43B 



oinsiclitevoll. wie aus folgender Äufserung hervorgeht: v Jeder rirlitige 
Lehrplan mulk »ich angliedern an ein Hauptfach. - Für die Volks- 
schule haben wir keine Wahl: ihm Hauptfach kann nur Religion 
sein. — Deshalb kann man auch den Roligion.sunterricht nicht dem 
Lehrer nehmen und dem Geistlichen ühertrap^n, wonifrstens bei den 
cinklassijren S^ehnlon nirlit, woil d<'r l'ntcnit'lit in diostT Klassp pin 
einheitlichpr und der Lehipr in drr Lai^e sein muls, in aliou übrigen 
Fächern an das Hauptfach anzul i npfen.« (S. 104.) 

Haben vc\r es demnach in Herrn v. M.vssow nur einem Manne 
zn tlinn, der einen Blick für die praktisciien Bednrtnisse des niedeiii 
Scliuhveseus besitst und demselben wohlwollend gegenüber steht, m 
legt uns dn.s die Pflicht auf, seine Reformvorschläge gründlich zu 
prüfen. Die Kritik wirtl sich besonders auf vier rnnkte richten 
müssen, nämlich erstens auf die vorgeschlagene Verstaatlichung des 
Schulwesens, zweitens auf die Forderung der obligatorischen Fort- 
bildongsscbulc, drittens auf die durchgängige Beschulung der Unter- 
stufe durch Lehrerinnen und viertens auf die Sonderung der drei 
Hauptabteilungen der Yolksschule und alles, was damit zusammenhangt. 

Vor Betrachtung dieser Punkte gestatte der Ijeser ein paar all- 
gemeine Bemerkungen. Herr t. Massow urteilt in erster Linie vom 
politischen Standpunkte aua^ nicht vom pädagogischen. Eine tiefere 
Einsicht in das Wesen des erziehenden ünterrichts würde ihn ab- 
gehalten haben, gewisse Vorschlüge zu thun, wie 2. B. die Anstellung 
ausgedienter Unteroffiziere als Lehrer (S. 115—118). wofür hauptsäch- 
lich angeführt wird, dafs »diese Känner neun Jahre nichts gethan 
haben als lehren und immer wieder lehren.« Diese Einsicht würde 
andere Vorschläge wesentlich modifiziert haben. Herr v. Massow 
fragt nicht: Wie mufs die Schule reformiert werden, um ihr päda- 
gogisches Ziel erreichen zu kiinnen, sondern stets: Wie ist das Schid- 
wesen einzurichten, damit der Sozialdemokratie Einhalt gethan werde ? 
Bei solchem Standpunkte der Beurteilung ist es verzeihlich, wenn 
dem Pädagogen manches recht «schief erscheint. Zweitens ist Herr 
V. Massow vipI 7a\ sehr Realjioliriker, um Vorschliicre zu machen, die 
sich ei>t in vicllei<ht fnnci Zukunft verwirklichen la.sson würden. 
.Seine J{ef(imien leiden dalier inbezu;:; auf die Schule an einer ge- 
wis.sen Halhhcif und ]nkonsct|nenz. Kinenveits soll z. B. der Lchrer. 
stand auf ein höheres Niveau gebraelit werden. Aber ^-studierte T^ohrer 
worden wir in al>si lidarer Zeit nicht haben' , und es kann darum der 
Krei.s&eiiuiinspektur nicht dem Lehierstaude entnommen werden. Ferner 
soll der Lehrer zwar niciit mehr als 32 Stunden wöcheutlich erteihju 
und muls daher bei Einführung der Forthihlungsschulc Hüfc bekommen. 

Z*tt«ehTift für Philotoplüe uod Pädikirogtk. 3. J»targftDg. 28 



Digilized by Google 



434 



A Abiumdlungea 



Aber jede Schul© mit zwei Lehrern xu besetzen würde zu teuer sein, 
finlif'T- Anstellung einer Lehrerin. Drittens strebt Herr t. Massow 

zwar darnach, System in seine Vorschläge zu bringen, dazu gehört 
aber, dafs man das Ziel erkannt habe, dem unsere gärende Zeit 
überall entgegenrnigt. Über ein solches Ziel spricht sich Herr 
V. Massuw nirgends deutlich aus. Immer ist es nur drr eine Punkt, 
auf den scint» (iedanken sich riciiten: Wie kann duii-li Hoformen 
eine Kevulution vennieden werden? Daher steht er auch zu s» ! r 
in und zu wenig über dem Streite der Parteien. Der Gegensatz 
gegen das lihcralo Mandiotertunk hat ihn waiirseheiulich dazu ge- 
fulnt. die gogeuwüitige, wenn auch geringe Freiheit auf dem 
Schulgebiete zu verwerfen und Ausdehnung «Ici Staat.somnipotenz 
auf die Schule zu verhuj^ n , obgleich die freie Schule eim ni 
lobenswerten Gmndsatze jener Richtung entspricht, nämlich dem 
Prinzipe, freie Bethäti^mg für jede Individualität zu schaffen. Knd- 
Jich steckt in manchen Vorsohlfigen des Herrn v. Massow ein guter 
Kern in sonderbarer Schale. So soll man z. B. dem jungen Lehrer 
vor der zweiten Prüfung den Titel Unterlehrer geben. Nach dieser 
Prüfung heilst er Lehrer, nach 10 Jahren VolksscbuUelirer, nach 
weiteren 10 Jahren ObervolksschuUehrer. (S. 99.) Der Wahrheits- 
kem dieses wunderlichen Yorschlages ist die Notwendigkeit einer 
Regelung der Lehrerlaufbahn, die sich natürlich auf mehr als auf 
den leeren Titel erstrecken müfste. 

Was nun die vier oben genannten Vorschlfige betrifft, so halten 
wir die vom Verfasser empfohlene Teilung der Schulstnfen für durch- 
aus unzweckm&Tsig aus folgenden (hünden. Einmal kann die Land- 
schule, wenn sie ihr pädagogisches Ziel, d. 1. harmonische Ausbildung 
aller menschlichen Anlagen, wie Pxstalozzi, oder glt ichsch webend- 
vielseitiges Interesse, wie Hekilvri sagt, erreichen will, weder Gesang 
noch Zeichnen noch irgend ein anderes der Fächer entbehren, die 
wir in unseren Lehiidänen haben. Smlann dürfte der Lehrstoff nicht 
allzusehr vermindert werden, denn in einem gar zu armseligen Ge- 
dankenkreise vermag kein Interesse emporzukeimen. Ferner verdienen 
schwache und mäPsig begabte Schüler die besondere Sorgfalt des 
Lehrers, und zwar nicht biofs deshalb, weil das Genie, namentlich 
wenn es willenskräftig ist, sich zur Xot auch ohne Lehrer durch- 
hilft^ sondriii liauptsächlich um do^willt ii. w. il ohne Frudcrung der 
schwa< lu'ii Scltnlpr. der Lehrer nie ywo gleichmäfsig durchgehildete 
Schülerniasse brknnimt, die eine VorhiMÜngung für erfolgreichen Massen- 
nntemcht ist. Zur lierücksichrigmig der wenig begubtmi Schüler 
aber gehört Zeit und immer wieder Zeit. Ohne sie kämpfen nicht 



Digitized by Google 



F. HoiUAMf : Herr vox Mamow and dio Reform den LundeeliidweeeM 435 



nur GSttnr, sottdam auch tttditige Pädagogen gegen Dummheit ver- 
gebens. Zeit aber giebt. Heer v. Massow dem Lohrer nicht in go- 
nü^ondem Malse. Was vollen zwei Stunden tä^lioh bedeuten I In 
solch knapper Zeit könnten weder die üntenichtsgegenstände voll- 
ständig^ und gründlich bebandelt, noch die liäus!i( hen Arbeiten ge- 
höriff durchgesehen, nocii neue Aufgaben genügend vorbereitet werden. 
Es litte also auch der Privatfieifs der Schüler Schaden. Man müfsto 
auf häusliche Arboiton vi rzichton. weil Zoit znv Koiitrolle fehlt, und 
könnte dnch auch in der .Schule da* iiiclit vornehmen, was snns-t zu 
Hause hätte fzethan Averden müssen. Endlich können die l'ausen 
zwischen deu Unterrichtsstun(h>u nicht ohne weiteres fortfalh n. Das 
würde zu Störungen während der Lektionen fiihren. i heihaupt er- 
sc^hcint die Einteilung der zwei Stunden in drei Lektionen zu 10 Mi- 
nuten auf dem Papiere ebenso leicht, als sie in Wirklichkeit schwer 
iuDcznhalten ist. Die von der Einrichtung erhofften Vorteile ver- 
wandeln >\ch übrigens bei genauer Beti'achtung in ebensoviel Nach- 
teile. Man erreicht dabei, dafs die Obei-stufe den Eltern im Haus- 
halt und bei der Arbeit eine wirksame Hilfe sein kann« , meint 
Herr v. Massow, das bedeutet zwar einen wirtBobaftlicben Vorteil fär 
die £ltem, dagegen einen gewaltigen Nachteil für die geistige oder 
aittlicbe Bildung der Kinder. Denn nun können die Arbeitgeber mit 
Einwilligung der gewinnsüchtigen oder von der Not gedrückten Eltern 
die armen 11— 14jährigen Kinder schon von 8 Uhr morgens an ins 
Arbeitsjoch spannen, und die Schule geht leer aus. Noch schlimmer 
sind die Kinder daran, deren beide Eltern sur Arbeit gehn müssen, 
wie das auf dem Lande sehr häufig vorkommt In den meisten 
Fällen würden sie sich aufeichtslos auf den Stralsen herumtreiben. 
Auch könnten sie, da sie den Lehrer bis 12 Uhr in der Schule 
wissen, ungestört den gröfsten Unfug treiben. Von dem Schaden, 
der dadurch in sittlicher Hinsicht angerichtet wird, weife jeder an 
einer Halbtagsschulc angestellte Landlehrer zu berichten. Übrigens 
hat man den Vorschlag des Herrn Massow bei uns im Magde> 
burgischen bereits vor 100 Jahren zu verwirklichen gesucht.^) Allein 
die Zuchtlosigkeit der Jugend nahm derart überhand, und die Fertig- 
keit besonders im Schroibon und Lesen nahm derart ah, dafs man. 
den gesonderten Unterricht der Abteilungen i)al(l wieder aufgab und 
zum gemeinsamen Unterricht zurückkehrte. Wenn drr Herr Verfasser 
für seinen Vorschlag noch anführt, dafs nur wenige Ijandiehrer das 
schwierige Problem, im liiere Abteilungen erfolgreich nebeneinander 

') Der Zustand des J^dscbulwosons im Fürstentum llagdebutg v. AsNOLfi, 
Kantor in Scluantleben. Magdebuiig IdOO. 

28* 



Digitized by Google 



43H 



A Abbandlungca 



ZU unterrichten, voll und ganz zu loscu a\ iirbtea, .so niöj^on seine per- 
sönliclit'n Erfahrunp'n diosem Urteile Berechtigung gegeben haben. 
Man darf aber nicht vci^^t sscii, dafs der Grund dafür hauptsächlich 
in äufscren Verhältnissen zu suchen ist. Die Lehrer eiiiklassiger 
Landschulen haben die schwierifp>te Arbeit und sind am dürftigsten 
besoldet Daher suchen die meisten von ihnen ein leichteres und 
einträglicherem Amt in der Stadt zu erhalten. Das gelingt zwar tüch- 
tigen Lehrern bald, die minder tüchtigen aber mfissen bleiben, wo 
sie sind. Jene verlassen ihre Stellen zn schneU, um das Problem 
lösen zu können; diese sind zur Lösung nicht fähig. Solange dieser 
Zustand anhält, ist auch bei gesondertem Unterricht der Abteilangen 
auf Besserung nicht zu hoffen. Denn wer seine Schüler aus Träg- 
heit oder Untachtigkeit sechs Standen träumen Iftfet, der lälst sie 
auch zweimal zwei Stunden träumen. Bessern sich aber die äuisem 
YerhSltnisse der Landschulen, so werden die auf dem Lande rer- 
bleibenden tüchtigen Lehrer das Problem auch theoretisch lösen und 
sich praktisch darin üben können, mehrere Abteilungen erfolgreich 
zu beschäftigen. Allein je schwieriger das Problem, desto gröi^r 
sind die Vorteile, wenn es glücklich gelöst ist Bei gemeinsamem 
Unterrichte der Abteilungen gewinnt der Lehrer an Zeit; er kann 
die schwachen Schüler unter seinen Augen arbeiten lassen, kann die 
^Vnfertigung der gestellten Aufgaben überwachen, den j ungern Zög- 
lingen (lif> Unterstützung der ältem vorschaffon nnd überliaupt die 
ganze S( hidcnnasso besser beobacliten und beeinflussen. Diese und 
andere Vorteile liowirken es, dafs die Leliior oinklassiger, ungeteilter 
Schulen in der Jieiri l »'ine TriUnii: ihrer Schulen nicht wünschen. 

Ziemlich ^(•h\\ieng zu beurttileii ist die Forderung, dals jeder 
Landschuilehier eine Lehrerin zur Hilfe erhalten solle. Zun!i<'hst 
nuil^te dann, wie auch Herr v. Massow andeutet, der Lrhn r ein 
älterer und verlieirateter Mann sein. Das wird sich jedoch niclit 
immer ennöglieheu his.sen, besuiuh is unter den gegenwärtig so un- 
günstigen äufsern Verhältnissen nicht. Würde man aber für die 
Volksschulen mehr Alittel als bisher aufwenden, so wüide die Hilfe 
eines jungen Mannes dem Landlehrer sicherlich lieber sein als die 
eines jungen Mädchens. Denn bei gleicher pädagogisch-psychologischer 
Ausbildung spricht für den Mann die grö&ere, eine erhöhte Leistung 
verbürgende Kraft Da nun die Kinder unseres IiandTolkes gewöhn- 
lieh überaas sprach- und Torstellungsarm in die Schule eintreten, so 
ist die Arbeit in der Unterklasse die sauerste. Hier kommt es am 
meisten darauf an, den Überblick über die Masse nicht zn verlieren 
und doch dem einzelnen Kinde, besonders dem schwachen, genügende 



Digitizc 



F. HotLKAMM: Herr tok }SjMcNt und dio K^ffurui des Landscliulwefiens 437 



Aufmerksamkeit zuzuwenden. Über der letzteren Fonlerung die 
erstore nicht zu vergessen, gerade das ist es, was <lcn Lehrerinnen 
häu% recht schwer füllt. Ihren weiblich -mütterlichen Neigungen 
folgend widmen sie zwar dem rinzelnen Kinde liebevolle Sorgfair, 
aber es wird ihnen schwer, das (ranze im Auge zu behalten. Darum 
bereitet ihnen in rreiniscliton Volkssoimlklassen oft scliim die Auf- 
rechtcrhaltung »1 r Ordnung viel mehr Mühe als dem Älanne. Das 
Oesafzto erleidet natürlich zahlreiche AusnahmcMi, da es bekanntli<*h 
nicht nur seh wache Männer, sondern aueli energische Frauen giebt. 
Es kommt iilieihaupt in diesem Punkte so viel auf die einzelnen Per- 
ßonliclikt Hi n an, dafs sich weder für noch gegen Herrn v. Massows 
Vorx lilag etwas Sicheres behaupten läfst. Jedenfalls suilte n)an bei 
der für jeden einzelnen Fall zu treffenden Entscheidung, nb Hilfs- 
lehrer oder Lehrerin, dem 1. lA'hrer als dem verantwortlichen Leiter 
der Schule die ausschlaggebende Stinnne lassen. Was sonst noch für 
dio Lehrerin geltend gemacht wird, läfst manchen Einwand zu. Die 
Lehrerin soll die Spielschule leiten. Das wfirde ihr zwar den Unter- 
rieht in der Elementu-klasse erleichtern. Ahw ist die Spielsohule 
nicht selbst ein Notbehelf^ wie so Tiele andere Einrichtungen der 
Gegenwart? Nicht in die Spielschole, sondern in die IHntter- 
sebnle gehört das Torschulpflichtige Kind, weil es bis zum sechsten 
Jahre einer durchaus individuellen Behandlung bedarf. Femer soll 
die Lehrerin den Fortbildungsunteiricht der aus der Schule entlassenen 
Mädchen übernehmen. Der Koch- und Hausbaltungsunterricht aber 
würde auch Ton der Lebrerfrau besorgt werden können, da dieser 
die gröfsere Sachkenntnis zur Seite steht, während die Lehrerin doch 
in den meisten Füllen nnr eine halbe Haushaltung führt Noch einen, 
wenn auch nicht pädagogischen Grund führt Herr v. Massow für 
seinen Torschla;^- an. »Wir müssen«, sagt er (S. HO), >dem weib- 
lichen Geschiechte einen ehrenvollen Beruf eröffnen, in dem es sich 
sein Brot durch geistige Arbeit verdienen kann.« Die Erörterung 
dieses Punktes mü.ssen wir uns für später ersparen. 

Der Volksschule soll sich di" obligatorische Fortbildungs.schule 
anschliofson. l'^her dio Niitwendigkeit einer weiteren Ftntbildung der 
Schüler nach dem 14. Jahre ist Referent mit dein llenn Verfasser 
durchaus einvorstanden, ebenso darin, dal's dio gegenwürtiire Regelung 
deii FortlHl(hingsseluihve>5ens sich auf die Dauer nicht halten lassen 
wirtl. Allein die '»bligatorische Fortbildun;jsschnle mit direktem Schnl- 
zwang scheint ilnn unter den gegenwärtigen mangelhaften Schnl- 
verhultnisiscn bedcnklicli , \vt>nii;stens auf dem I^nde, wälaend eine 
gründliche lieform des gesamten Schulwesens den direkten Zwang 



Digitized by Google 



438 



A Abhandluugen 



übprf!üs??i»]: machuri würde. Zili.kr wies sclion vor Jaiireii im Spmiiiar- 
buclu;') (hirauf hin, dafs dip Beorderung der obligatorisclioii Fort- 
bildiingssc'liule d*ki Zugeständnis in sich schliefse, die Scliuie erreiche 
ihr Zi*'l nicht In der That, wenn es der Schule gelungen wäre, der 
Jugend Interesse, also Wi.s.scnsi- und Hildungsdnm^r einzuflöfsen, so 
brauchten wir die Fortbildungsschule niclit ol)li<jiitürisch zu machen, 
weil die erwachsene Jugend sich freiwillig um uns scharen und Be- 
friedigung des erzeugten Interesse verlangen würde. Höchstens ein 
indirekter Zwang würde um Platze sein. Wamm ist das gegenwärtig 
nicht der Fall? Weil der Yoikssdiale und ihren Lehrern überall 
HindemiBse entgegentreten, die eine Erreichung jenes erxieblichen 
Zieles erschweren oder unmöglich machen, als da sind mangelhafte 
Ausbildung der Lehrer selbst, ungenügende Pflege der Schulen, niobt- 
fachmännische Beaufeichtigang und vieles andere. Hier muTs zu> 
nächst reformiert werden, damit vor allem die Schule als der Unter- 
bau fest gegründet sei. Denn hat die letztere ihr pädagogisches Ziel 
nicht erreicht, so ist mau genötigt, eine Schar von lemunJusttgen, oft 
rohen Burschen für einige Abendstunden in ein Lokal zusammen- 
zuzwingen und sie mit Dingen zu plagen, von denen sie nichts 
wissen ^vollen, weil sie ihnen noch von der Schule her zuwider sind, 
oder wie sie sagen, »zum Halse heraushängen . Damit erreicht man 
nur, dafs der Widerwille go<:en Wissen und Bildung bei ihnen noch 
grofser wird als zuvor. Für den Lehrer aber werden diese Stunden 
zu einer Qual und bereiten ihm manche schlaflose Nacht.') Seine 
Kraft wird zei-splittert und der Volksschule entzogen, (tlauht man 
aber, dafs eine freiwillige Fortbildung der Ju«rend mit dem vierzehnten 
Jahre noch nicht zu erhoffen ist, so verlängere man die Schiil/eit, 
oder räume dem Fortbildungsiinterricht wenigstens die Vonnittags- 
stunden rin statt der Abendstunden, an denen die junf^en Leute müde 
und abgespannt sind. Auch wäre ihnen dann wenijrer Gelegen lieit 
zu grobem Untug gegeben, zu dem die Dunkelheit geradezu einladet. 
Hauptsache abpr ist in jedem Falle eine bedeutende Vernielirnng 
der an dw liihiiuig unserer Jugend arlicitendeu Kräfte, deren Zalil 
heute scIkhi für den gewöhnlichen Scliulunterricht bei weitem nicht 

'i Mat.'ii i!i -1! zur spozielleu Pädagogik, Dre*leii bei Blt^yl u. Kaeuunerer. 

3. Aufl. VUU M. ÜKKONKli. 

*> In Wolmtratedt bei Miigdobm-^ ist die obligatorische Fortbiidnngsschale ein« 

gegangen. we3 sich. kein I>ehrer mehr borcit finden Hefs. an ihr zu mit > i richten. 
DiH l><'hr«T wari'n zulotzt am Alioud auf dor Stralsc ihres Lebens nicht niehr 
sicher, und der eine von ihnen entging? nur durch einen glücklichen Zufall dem 
Schicknal, durchgejiiügelt zu werden. Ähnliche Zustünde sind den» Kefereutcu auch 
aus andern Orten Ueboint 



Digitized I 



F. Hollicvmm: Herr von Mas^ow iiud dw R(;fonn des Laud8<;hulwesens 439 



jiusreicht. Was von der Fortbildung der Knaben «resagt worden ist, 
gilt im allp:eiHoinen auch von der der Miidchen, die aus iiaheliegonden 
Gründen schneller als jene zum Abschlufs gelan^'on kann. 

Inbezu^ auf den vierten Punkt, die Verstaatlichuag des gesamten 
Sehulux'sens, können wir uns kürzer fassen und Herrn v. Massow 
auf die Schulverfassungssehriften Dörpfklds hinweisen, in denen die 
Nachteile der Staatsschule in, wie wir glauben, überzeugender Weise 
dargelegt sind. Übrigen» geben die Vorgänge der letzten Jahre auf 
dem Sobulgebiete Do&ppeld nur £u sehr Recht Zeigen sie doch mit 
grausamer Deutlichkeit, dar« der von den politischoi Parteien regierte 
Staat nicht fühig ist^ Nennenswertes znr Y^esserong dee Schulwesens 
211 thun. Man denke nur, dafs ein so einsichtsvoller christlich gesinnter 
Mann wie Dr. Bosse es in Freufsen bis jetsst nicht fertig gebracht hat, 
den Lehrern, die 750 M und darunter erhalten — ihre Zahl beträgt 
in Freufsen 12185 — ein Gehalt von wenigstens 900 M m ver- 
schaffen. Wenn Herr v. Massow durch die Leistungen unseres 
Heerwesens, unserer Posten und Eisenbahnen geblendet auf die Ver- 
staatlichung der Schule geführt wird, so vcrgifet er, dafs das Heer 
seine Erfolge nicht dem Umstände verdankt, dafs es eine staatliche 
Einrichtung ist, sondern dem, dafs einsichtsvolle Militärs ihm die 
rechte Vorfassung gaben, und dals man, seit langer Zeit von der Not- 
wendigkeit überzeugt, gegen äursera feinde gerüstet 2U sein, dem 
Heerwesen jederzeit hohe Pflege liat zuteil werden lassen. Man gebe 
nur der Schule anstatt der mangelhaften gegenwärtigen Schulverfassung 
eine bessere. v<ai I^iidagogen entworfene Verfassimg, man helfe nur 
der Überzon^niu«: zum Duniibruch. dafs wir uns fjej^fn Dummheit. I'n- 
sittliohkeit und Irrcliiciusitiit clx-uso cifri^'^ als ^efjen äufsere Feinde 
rüsten müssen und briu^'^c dfuizufdl^M' für das Schulwesen zum 
mindesten die i^ltichen Opfer, wie für das Hi orwosrn. so wird die 
Schule auch olmc \'erstnatlichung mehr Erfolge aufzuweisen haben. 
Um die für ilas S( lml\vi'>en nötigen T/^istnnir^n nötigenfalls zu er- 
zwingen, wäro zwar fin Kingreifen des Staates, aber keineswegs gänz- 
liche Verstanrliehung crfurderlii h. Unser Schulwe.sen bruuclit vor allen 
Dingen Freiheit, weil .seine Diener in erster Linie an die Vorschriften 
der pädagogischen Wissenscliaft und Kunst, und erst in zweiter Linie an 
staatliclie Mafsnahmen gebunden sein sollten. Diese Freiheit aber ist 
bei der reinen Staatsschale beständig gefährdet IVir fordern deshalb 
auch fttr das Landschulwesen die auf der freien Schulgemeinde ruhende 
Schulverfassung. Der Baum verbietet uns« ihre Vorteile genauer darzu- 
legen oder die Gründe, die Herr v. MASSow für Verstaatlichung der Schule 
anführt, zu widerlegen. Nur auf einen Hauptpunkt sei noch hingewiesen. 



Digitized by Google 



440 



A Ablumdlangea 



Wer unsere Zeit im Lichte kulturhistorischer EntAviokking be- 
trachtet, der wird erkennen, dab sie trotz aller Oäruug und aller 
Wirren dennoch einem bestimmten Ziele zusteuert Die französische 
Revolution hat die mittelalterlichen, auf dem Prinzip des Zwanges 
beruhenden sozialen Gemeinschaften gestOrzt Eine Periode der Frei- 
heit, in der dch besonders die Entwicklung des Handwerks zur 
Orofsindustrie bemerkbar macht, ist gefolgt Der Segen, der durch die 
freie Entwicklung der materiellen Kultur, durch Entdeckungen und 
Erfindungen aller Art sich über die Vdlker ergossen hat, rerUmgt, 
wenn er sich nicht in Fluch verwandeln soll, ein Geschlecht, das von 
Wohlwollen und christlicher Nächstenliebe erfUUt ist Diejenigen, 
welche durch Macht und Besitz dazu berufen sind, die Segnungen 
unserer modenien Kultur in oivter Linie in Kinpfanir /xi nehmen, 
haben als Chiisten die Pflicht, sie auch den übrif^en Volksgenossen 
zu übermitteln. Das aber geschieht nicht in genügendem Mafse, weil 
wahrhaft christlicher Sinn wohl einzelne Menschen beseelt, aber noch 
nicht 80 weit verbreitet ist, um auch in den Massen die Herrschaft 
führen zu können. Chri.stlicher Sinn aber wird dem Men.schen nicht 
angeboren, sondern unter Gottes Beistand diirch Vermittlunuj der 
Kirche, Schule und vor allem der Familie diMii i^Iinschen anerzogen. 
Es gilt <ioslialb zunächst diese drei uml dann auch weiterhin alle 
übrigen sozialen (ieinein^chatttMi his hinauf zum Staate auf Aov 
Grundlage ehristl i <'li er Freiheit neu zu tirgan isieren oder 
zu reformieren. Daln i luuls natürlich mit der Familie begonnon 
werden und zwar »«.», dai's man ihr durch .soziale Reformen duich- 
greilCniler Art zunächst die materielle Existenz erniriglicht. Der 
Famili(Mi\ ater mufs unbedingt in «ifu Stand ircsctzt weiden, seine 
Familie allein mit Klneu zu ernähren, und die Mutter mufs Zeit er- 
halten, neben der Besorgung des Hauswesens auch ihre Kinder er- 
ziehen zu können, ohne sie zur Spielschule schicken zu müssen. Da 
nun der Vater nicht nur Ernährer, sondern auch Priester, Regent und 
Lehrer seiner Familie und die Mutter dabei seine Gehilfin sein soll, 
so müssen beide befähigt werden, diesen Pflichten genügen zu können. 
Dabei wird die Hauptaufgabe der christlichen Endehungsschule zu- 
fallen, die zu diesem Zwecke zu einer durchaus selbständigen, aber 
in engstem Bunde mit der Kirche arbeitenden sozialen Gemeinschaft 
erhohen werden mufs. Hand in Hand mit der Reform des Ftoiilien- 
lebens mufs sodann die des Gemeindelebens gehen, die nicht allzu- 
grolse Schwierigkeiten bieten wird, wenn die Familie zur Gesundung 
kommt Wir müssen also rückw&rts zum christlichen Familienleben, 
nicht Torwärts zur Staatsallgewalt auf allen Gebieten. Daher sind alle 



Dig'itize 



F. UoixKAMJki: Herr von Massow und die Kufonn den Lacdscliulweseus 44I 



Voi-sclilÜLM^ ZW bekunipfen, die ein solches Familienleben gefährden, vor 
alJen Dingen alsn das Eindringen der Frauen in (iehiete, wo sie floni 
Manne Konkurrenz machen, den JjAm seiner AHx if hm-alxlrückf 11 uiui 
ihm dadurch die Onmdung einer Familie ersehwcrcn. ') Frr'i!i(Mi. i\or 
ersten Not miils al)^'eholfen werden, denkt der arme, alx-r an ToditiMTi 
1» : -Ix' Mann, wenn er eine soiiuM' Töchter I^lueriii wciiicn liiist. 
Wer «her Sozial reform im giolsen Stile tieiben will, wie Herr 
VON Massow (Irr nmls weiter denken. Im Interesse des Kapitalisimis 
nml der Ueidheri-schaft mag es liegen, wenn übeiall, am li im Srhul- 
wesen, an Stelle der teureren Männerarbeit tlie billige FraiK iiaibeit 
tritt. Aber im Interesse der Sittlichkeit, im Interesse der armen allein- 
stehenden Mädchen liegt es nicht, wenn, wie in Amerika, Hundert- 
tausende von jungen Männern nur darum keine Familie gründen 
können, weil die F^nen ihren Lohn herahdrttcken. Sicherlich ziehen 
unsere dentschen Hftdchen wenigstens den Bern! als Ftau and Matter 
noch jedem andern Berufe tot. Man stelle deshalh an öffentlichen, 
ans Knahen und Mädchen gemischten Volksschulen nnr Lehrer an. 
Man besolde sie so, da& sie heiraten können, im Notfall auch ein 
vermögensloses Miidchen, und man wird weiser handeln, als im ent- 
gegengesetzten Falle. Obertrttgt man dann gegen entsprechende Ver- 
gütung der Lobrerfrau den Handarbeits-, Koch- und Haushaltungs- 
nnterricbt, worin sie selbstverständlich eine Prüfung ablegen mttfste^ 
so ergeben sich daraus zahhreiche Vorteile. Der Lefaier wird genötigt, 
bei der Wahl einer Frau mehr als bisher aof Bildung und hauswirt- 
.schaftliche Tüclitigkoit zu sehen. Er kann seiner Frau inbezug auf 
•lie pädagogische Seite der Arbeit ein Ratgeber sein. Endlicli würde 
di^ materielle Lage der Lehrerfamilie verbessert, und die Frau in den 
Stand gesetzt eine Magd halten zu können, so dafs auf diese Weise 
zahlreiclie weibliche Personen in den Kreis gebildeter Familien ein- 
treten könnten. Sollte man gegen alle solche Vorschläge die Kosten 
Iiis Feld führen wollen, so ist einfach m envidern, dafs die Kosten 
wohl aufgebracht würden, wenn man nur erst vmi der WiclitiL'keit 
einer Ketonn des Schulwesens innerlich überz<Mii^t wiiif. Ks «riit also 
zunächst Hcfniiuen ins I>«?ben zu rufen, die iiiciits k-nstcn. mid dann 
durch die t,d«M<-hzeitig neu zu bciciicude Kirche die < icscllschaft iiiit 
chri.stlicheia Geiste zu erlullen. Ist dieser ei"st vorhanden, so brauchen 
wir für alles ('biige nicht mehr zu sorgen. 

') Mit di».'ser Auscinaniicü-sct/.uug kauu sich die tSchriftleitung diin haus nicht 
einverstamliio erklöreo. Aas sachlichen Oründen ist die Mitarbeit der Frauen in 
der Entiefaung und im Unterricht gar nicht sa eatbehren. Man stelle sie «her den 
Uünnem vollstündig ^eich in der Bezahlung; für gleiche Arbeit gleiclier Lohnt 

Die Schnftleitung. 



Digitized by Google 



442 



A. Abhandlungen. 



Damit kommea wir mm Sohlufs unserer Ansfahrimgea. Herr 
VON Hassow meint (8. 119) er sei gern zufrieden, wenn man bessere 
Mittel TorBchlage. Ob die Yorscbläge, die Referent infolgedessen zn 
machen genötigt ist, bessere sind, das möge der Leser beurteilen. Sie 
laufen auf nachstehende Hauptpunkte hinaus: 

1. Jeder Lehrer, auch der Landlehrer, mufs eine gediegene päda- 
gogisch-wissenschaftliche Bildung emp&mgen. Ohne sie kann 
er keinen erziehenden Unterricht erteilen. 

2. Jeder Lehrer mußi ein auskömmliches, mit den Jahren steigendes 
Gehalt empfangen, weil Nahrungssorgen die Berufsfreudigkeit stören. 
Dafür müssen ihm alle Nebonfimter abgenommen, alle Nebenarbeiten 
nicht-pädagogischer Art verboten werden. 

3. Die äiirseren Sohulverhältnisse müssen rastlos verbessert werden. 
Überfüllte Klassen, mangelhafte Schulorganisationen, wie Halbtags- 
schulen etc., Fehlen von Lehrmitteln machen oft die treueste Lehrer- 
arbeit zu schänden. 

4. Der Lehror mufs nielit nur l'flicliton, sondern auch Kcclite 
und Fifiliciten haben. Ohne sr.ldie liat ilrr Lehrer auch kciuH Be- 
jreistorun-;. solidem thut nur so viel, als er notgedrungen muls. Als 
s< liehe Rcclitt' iitMiiien wir den Vorsitz im Schul vorstände, das Veto- 
recht bei der Wald eines Hilfslehrers, das Kecht zur Fühnmg eines 
Dienstsiegels. Auch im Kirchenratc und Gemeindevorstande mufs er 
Sitz und Stininie haben, um die Interessen der Schule hier veitroton 
/AI kttuiien. 

ö. Seine Laufl)ahn mufs ^^tMvgolt werden. Such Beendigung seiner 
Studien tritt er als Hilfslehrer au die Seite eines erfahrenen Schul- 
mannes. Daun wird er zum ordentlichen Lehrer und endlich bei 
( rpiobter Tüchtigkeit und nach abgelegtem Rektoratsexamen zum 
Hauptlehrer befördert Wer auf höhere Stollen im Schulwesen An- 
spruch macht, hat zunächst Jahr unentgeltlich als Hilfslehrer 
zu arbeiten, und zwar am besten an einer einkiassigen Schule. Hier 
ist die Hilfe des jungen Kandidaten am nötigsten, hier lernt er einen 
vollständigen Schuloi^ganisrous im kleinen kennen und die Tüchtigkeit 
des Ijchrers, der einen solchen erfolgreich zu leiten weifs, am meisten 
schätzen. Nach Durchlaufen aller andern Zwischenstufen müfete ihm, 
dem akademisch gebildeten Manne, die Bahn zu den höchsten Stufen 
des Schulwesens offen stehen. 

(). Was den Unterricht in den Lsmdschulen betrifft, so ist er in den 
einkiassigen Landschulen so zu regeln, dals der Lehrer in allen den 
Stunden, wo die Schüler leicht zu beschäftigen sind, wie in Schreiben, 
Zeichnen, Gesang, Turnen, Deutsch und jRechnen, die verschiedenen 



Dig 



F. HoLiXAMx: Herr to» Maimow und die Beform des Lftadachulveseus 443 



Abteilungen kombiniert und so gemeinsam iinteniehtet und beschäf- 
tigt In allon andorn Fiiclu rn, also in Reli^non, (nsfhichto. Eni- und 
Naturkunde ei>»chiMiuMi i iitweder die oberen Abteilungen oder die 
Unterabtpüuntr. um ires.indert unterriehtet /ai werden. Die Xaeh- 
niittagc Idoibun im Soinnier ffei und werden zu Seliulspaziorpingen, 
Arbeiten in i^ebulgarten und Schul Werkstatt oder zum ilandarbeits- 
iinterrii lit der Mädchen verwendet. Im Winter ist auch nachmittags 
Untonicht. 

7. Die Lokalschulinspektion und die Krcisischulinspcktion im Nebon- 
«nt sind zu beseitigen. Der Lehrer einklassiger Scholen steht unmittel- 
bar unter dem Kreisschulinspektor. An Stelle des Lokalscbulinspektois 
tritt bei mehrklassigen Schulen der HaupÜehrer. Das Amt eines fach- 
männischen Kreisscbulinspektors ist auch tüchtigen Hauptlehrem offen 
zu halten. Der Kreisschulinspektor kommt so oft als möglidi, erteOt 
sachgemäTsen Bat und hält dem Lehrer Musterlektionen Tor, um ihm 
Tor allen Dingen zu zeigen, wie er musteigiltig zu unterrichten hat 

8. Kein Kind darf früher aus der Schule entlassen worden, als 
bis es das Ziel der Schule etreicht hat Eine besondere Prüfung wird 
dazu nicht erforderlich sein^ mufs aber auf V(rlangen der Eltom in 
ihrer und in Gegenwart des Schulvorstandes abgehalten wenlen, wenn 
nämlich gegen das Urteil des Lehrers Berufung an den Kreisschul- 
inspektor eingelegt worden ist. Für schwache Kinder ist unentgeld- 
lieh Nach hi Ifen nterricbt zu erteilen. Idioten y.m\ keinesfalls in der 
Schule zu dulden, sondern müssen besonderen Anstalten tiberwiesen 
werden. 

9. Dem Lidirer mufs es y.nv Ptlieht gomaeht wordon. oineisoits 
die Mütter boi der Mtitterschule, aüUererseits die aus der Schule ent- 
lassene» Jugend bei ihiei' Fortbildung niit Hat und That zu unter- 
stützen und /.war unentgeltlich. Hausbesuche, öffentliche Voiiiüge. 
Elternabende werden zu Iteidem (iplogenheit geiien. Für jeden Konfir- 
mandon entwirft der Lehrer feiner einen besondei'cn Fortbildungs]dan, 
je nach seinen t)e><inderen Fähigkeiten und A'erhültnissen. Er .sorgt 
weiter für die netigeu liuciier. welche entweder vom Schüler selbst 
angesi hatit oder aus der Volksbibliothek entliehen werden. An jedem 
J^onnabend überzeugt er sich dann von den Fortschritten seiner ehe- 
maligen Z(iglingo. Daneben wirkt er im Jünglings- und Jungfrauen- 
vereiue au der Seite des Geistlichen. Er sorgt auch dafür, dafs überall, 
wo ein intelltgcnter Landwirt oder Handwerker vorhanden ist, die 
Jugend auch über landwirtschaftliche und gewerbliche Dinge theo- 
retisch und praktisch belehrt werde. (Obstbaumzucht, Bienenzucht, 
Handfertigkeit etc.) In allen diesen Dingen wird kein unmittelbarer 



Digitized by Google 



444 



A Abhaodliuigeo 



Zwan«: ausgeübt. Wohl aber wird dafür jros<irp:t. dnfs redliches Streben 
seiiHm T.ohn. Trii^'heit ihre Strafe ompfaiiL-"''. Am Ende do?< 17. oder 
1 ^. Jahres inüfste eine Prüfuni: flrr Jim^-hnge und .hniL^fi aiion statt- 
fimifii. lim festziif^tvHen, mit wrlehem Erfolge si»' ihrer Fi»rthi!dun^j 
ob<xf"l*L''fii hattL'ii. Die Pnifung rnüfst-e vom KnMsx-iiiilinsju'ktor al)- 
p« tnininii'u und ein Zeugnis ausgestellt werden. ITensi haften inüfsteu 
bei der Wahl von Dienstboten, Meister bei Annahmt" von Oesellen 
zujinchst nach diesem Zciiirui.sse fragen. Eltern, die naehwii^lich ihre 
Kinder an der Foithildmig gehindert haben, dürften nie diLs Keeht 
beanspruchen, von ihnen untei. stützt zu werden. Niemand dürfte das 
AVahhecht erhalten, der sich gar nicht oder nicht genügend fort- 
gebildet hätte. Diese einzige Mafsuahnie gerecht und konsequent 
dnrcbgefßhrt, dürfte mehr helfen als alle Ordnungsstrafen der ohii- 
gatorischen Fortbildangsschnle. Knaben endlich , die durch ihre 
Leistungen zeigen, dals sie aus dem Holze sind, aus dem das Vater- 
land seine grofeen Männer schnitzt, müfeten auf Kosten des Staates 
Gymnasien und Hochschulen besuchen, und jeder Landlehrer müfste 
das Recht haben, solche Knaben zur Prüfung vorschlagen zu dürfen. 

Mit diesen Forderongen ist das Endsiel charakterisiert, dem 
unsere Landschulen mit Hilfe der Schulyerwaltnng zuzustreben hätten. 
Wir werden uns ihm natürlich nur schrittweise nähern können und 
zunächst das zu verwirklichen streben, was sich honte schon und 
ohne allzu grofse Kosten verwirklichen läfst. Wir rechnen dazu 
besonders die Gewährung von Sitz und Stimme im Schulvoistande, die 
l^eseitigiing der Lokalschulaufsicht und die Abschaffung der niederen 
Küsterdienste. Sodann würde es wenig kosten, neben der schon ein- 
geführten neuen Sprache auch eine alte Sprache im Seminar fakultativ 
zu treiben und dann denen, die beide Sprachen mit Erf(dg studiert 
haft*Mi. die Berechtigung zum fnivemtätsstudiuni zu vciieihen. Solchen 
Lehrern konnten nach beendeten philosophisch-pädagogischen Studien 
sehr wohl die hohem Aufsichtsposten verliehen werden. Doch damit 
ist die Frage der Lehrerbildung berührt, die ein andrer Artikel be- 
haiKleln soll. Sollte nun Herr v. Massow tr'otz der Versicherung, 
dals die vorgeschlagenen lieftinneii mir nach und naeh verwiiklicht 
werden sollen, sie dennoch als für zu weitgehend versverten u«ler als 
Utopien beluclieln, so nK)chte ihn Referent auf sein eigenes "Wort 
(S. 101) verweisen: >Mit liefunuen im kleinen Stile ist die Sache 
nicht gemacht Helfen kann uns nur eine Kefonn im grofsen Stile,* 
ein Wort, das in erster Linie vom Schulwesen gilt 



Dlg'itlze 



B Mitteilungen 



1. Volkshochschule zu StraCsburg 

Auch ia dem abgt'luufciiüu Scbuljahro hat sich der ürgaoisinus der Volks- 
hochschule SV Strafsbarg bevShrt. Bekanntlidi ist diese Anntalt die ernte in 

D<'ut st hland. \vel<hf' fs untemoillineD hat, don im skainliiiavischen Norden so 
hlii!u>i!'l''ti Srliiil.'ii i;!iMi liMti Nnmens, soweit os rlic dcutschiTi Vcrliiiltnissf f:»>statten. 
iiaihzupifiTi). Di iiii in I>rnt<(hland niufst<» sich notwt'iidijrpnvcise die Neiifro- 
btaltung au die lifitits ht'it Jahrzohuten U-stehenden Foilbildungsschuleu aiischliefreu ; 
diese aber beschäftigen ihre Sdiüler nur abends, nidit anoh tages, \rie die diniftchen 
Vollshochschult'n. odor alu-r sie win 1. w im Tapichulen, zu reitn'ii Kachsclmli-ii <^<>. 
word''n. \^i<- Sf rarsl)nrger V<>!ksho''h-«i luilt' hat dii' Altfridschule durch die Ta^^M-hule 
<'i^:,inzt uiiil h'-tieibt ungefähr diesidben L('hr;:t'f:('nständc' wio die däuisi lu'ii Volks- 
hoclischuhn. Ein wesentlicher Unterschied ist allerdings dadurch bedingt, dafs 
letztere sich sehr bedeutender finanzieller Unterstfitzung seitens des StaiMtes nnd 
der OiMneiiidfii zu orfreueti habon, was bei der Strafsbuiger 8chule bisher leider 
nidit (liT Fall ist, so dafs dir-;.' sii li fast i'inzifr aus ili-in darum nicht titihi'd.'uft'ndt'n 
Schulgolde erhalten nnds — bis etwa die Hrhordeu, diu hoho Wichtigkeit der An- 
stalt besser erkennend, sie der Untei-stutzung wert halten wci^den. Die Volkshocli- 
fwhnl«» will allem Volk, allen Erwadisenen jeglichen Standes, welches Fortbildangs- 
ixl irfnis i :iii< h hr<rou mögen, zu ihrem Zwecke behilflii h sein. Auf ihrem 
Lehrplaut' --f> lp ii deshalb nicht nur die ntMitTcu. sondern aui'h <li>' ■•ilti-ii S|iraclii'n: 
nicht nur di<' ^cs« hi<-htlirhen. soiiiieni aiK-h die natiirwisseiisi haftlichen I)i>zi|>linen, 
nicht nur golchrle, sondern auch populäre Lehrgegeustandu (V'olkswirtschuftsleiire, 
Oesehs- und Verftussungskande, Wechsellehre, Tagesgeschichte, Stenographie etc.); 
nicht nur Praktikern (Militäranwärteru, Subalterubeamten, Oewerb treiltenden. Kauf- 
K'uten) will sie (lel('<.'enli' it zur F<trtl>ildun>; {jeben, si»rideni am h soh !:«• I*ei"soneii. 
die durch irgendwelches (je^cbick o<ler fidschc .Motive höheren Schulen fern ge- 
blieben wann), XU höheren Zielen (Einjährigfreiwilligeu-, Fähnrich»*, Ablturienteu- 
Präfnng) vorbereiten. Der ünterschicd von den öffentlichen Lehranstalten besteht 
darin, dals der Iiehr|»lan der Volkshochschule fast (his Dopjielte der Lelu-stunden 
and»'rer Schulen uml liistifiitM aiif\vei-t: was d;iihn> h erreicht wird, dafs die Pauer 
der Ferien und der Zwischenstunden vi rniindcrt, die Abendzeit zu Hilfe genommen 
und jede Lehrrtonde, um Übermüdung zu vermeiden, auf 45 Minnten heschilnkt 



Digitized by Google 



446 B. Mitteil angeu. 



ist. ÜbcrbürduDg ist dadurch verhütet, dafe die Hauptaibait nicht auf das Haus, 
Mmdern auf die Schule verlegt ist, nicht schriftiiche, Rondero mündliche Ülmogea 

übenviojjeii. Ferner ist statt des Klassousysttiins das Fachsystom iu Anwendung 
gebracht, so dafs, da alle Srhül-T (l<:'r vfrsthiedcncu Klnsscii gl.'irliz.Mtii: in und 
demselbeii Fache unterrichtet wenJi'ii, es ihnen ermöglicht wird, narli rj.'in Stamli' 
ihrer Kenntuisise die für «iie geeignete Klasse zu basuchua. So kouinit es denn, dals 
neben jungen Bartlosen fcftrttge FamiliMt^ter, neben Oewerbtraihenden nnd Kauf- 
leuteu iSoldaton, Beamte und Sm I tfu dem Unterrichte lauschen, and dafs kein 
anderer Konflikt \in\^:i- iliix-u allt ii Ix-stdit mI- Jit, sich vor den andern auszn/.''ii hiH'n. 
Und dem entsprci^hcu die Hcsultat". Der L tzto .TahiTsl^ericht erwähnt, dais die 
Abendschule von 280 Schülern; die Unterstufe der Tagesschule (Ziel: Vor- 
bereitong snr Eänjähiigfieiwilligenprüfung, ÄbitnrientenprQfung der Bealschule, Ober- 
sekunda der anderen höhereu Schulen, Apothekcrpriifung, Aufnahme in technische 
Lehraiistnltf'n nnd in die Hau|itkailfttt'iian.sfalf, Suppmumciariat der Yenvaltunfjs- 
bohÖnli'U etc.) von üÜ; di«- OIj' r^tuf.' iZi<l: Vorhereitung für Prima und Abi- 
turieutcuprüfung des Gymuitäiuui», Kealgymua^iums, HefurmgAUinaisiums und der 
Oberrealschule, Eintritt als PortepeeflUiorich, als Supeniunierar in den h&heren 
Dienst bei d» r Post-, Eisenbahu- und Steuerverwaltung, Tierarsst, Zahnarzt etc.) von 
37 Schüli'iii Ik sui lit war. Sclmn in st'inom drittpn Spmfster bestand ein Privat- 
beamter v.m ,{J .Jahii'n mit Kluineutarschulvorbildung die lü'ifüijrüfung bei der Ober- 
reoliichule; juidere erzielten iihuliche Eifulgc iu der Uiiifte der sonstigen Schulzeit; 
bei der Einjährigfrdwilligenprüfung bestanden die Tolkshochschüler immer am besten 
uüd zahlreichsten. Zum nächsten Termine dieser Priifung haben sich 14. zu dem 
der Al>ituricntfiipriifnnir de^s < lynui.'L-^iums (j, d<^s Healgyninasiunis 2. der Olx.'ni'al- 
schule 3 geineidet. L'ni ausuaitigen Familien die Uarantie zu vPT-srliaff.Mi. dalk ihre 
Augehörigen auch auTserhidb der Schule gut untei^ebracht sind, liui die Schule nun- 
mehr ein Anstaltspenstonat (Internat) erriühtet, das unter der lieitnng eines 
LehrerH und der Oberaufeicht des Direktors steht. Der Direktor, Prefesäor 
Barthi>ldy, der 11 Jahre Direkior gymiifisialer und realer lichranstaiten in i'ieufsen. 
20 Jahre ei^ster Oberlehrer am Strafsburger Lyoeum war, 1875 die Abendfortbdduags- 
schule, 1803 die Volkshochschule gründete, wird \"on erprobten Lehrkräften uuter- 
st&tat Das Programm der Volkshooliscbnle wird jedermann auf Wunsdi vom 
Direktor fmHnfrei zugasendet 

Bei dieser Ooiegenheit mag auch darauf liin^jewi^seti wei-den, dafs im Lanfe 
des Winters die ersten öffentlichen Vortragskurse in Jena gehalten werden: 
Botanik (Prof. Dotmer); Hygiene (Prof. Gärtner); Kulturgeschichte (Dr. Stein- 
hausen); Physik (Dr. Straubel). In Jena ist mit diesem Winter aach ein» 
vortrefflich eiugeri<htetc Volkslesehalle, 160 Zeitungen und Zeitschriftou entp 
haltend, und eine öffentliche Yolksbuoherei (ca. 3000 Bde.) eröffnet worden. 



2. Die Oeflamtiahl der Volksschüler 

in Deutschland betragt rund 8 Millionen, sn drds im Durchschnitt auf je 100 Ein- 
wohner 10 Volksschüler kemnvn. Dieser Durchschnitt wird üHorsebritten in den 
Staaten IJppe (18,22), Waldeek (18,23), Sachsen - Meiniugeu il7,«)Uj.. Keuis ä. L. 
(17,51), Sachsen -Altenbui^ (17,34), Schaumbnrg- Lippe (17,20), tScfawaraburg-Sonders- 
hausen (17.17). Braunschweig (17,09), Oldenburg (17,02), Schwarsbnrg- Rudolstadt 
(D).OO), Anhalt (1(M)3), Sachsen (lü,4<)), Baden (Ulli), Hessen (lt>,-J2). Sarhson- 
Weimar (lt},42), Preuken (IMl)» Uea£i jj. L. (1Ü,2S) und Such^en-C^obui^-Gotlui (10,21). 



Digitizc 



3. K Arm An, LehrerbiUuog 



447 



3. A tanArk^psös as egyoteiai oktatäs 

Fb^agogiai tanulmasy Irta Karm&n MÖr [Die ProfesBorenvorbilduug und 
der UniveraitätBQoterricht Ein pädn^ogiscber Essay von Moris Kirmän] 

Der Vt ifasscr der hier zu bespreche udea uugnrisciien »Schrift ist autü der 
detiisdien i>ädagügiädien Welt ^ein Unte^nter. Schon vor nabeca einem Vieitel- 
jditbondeit bette er ab Mitf^ed des Zillerschen Beminars io Leipzig niriit un- 
bedeutenden Auteil an dem Zustandekommou cJt s orsteu Ix'ipzi;(er Senunnibucbes ; 
h|>ät(?r bringen Keiu.s Pädagogische Studien weitvoll*» Beitrüge aus seiuer Feder; 
vor einigen Jahren lieb 0. Frick in den von Uiui berausgegubeuun imdagügi»cheu 
Abhandlungen die von Karman verfafote länleitung an den ungaiisehen Gymnasial- 
instruktiouen crhcheiueu, und in freundlicher Anerkennung gab ihr Fri<-k selbst dtu 
Titel »Beispiel eines rationellen Lehrplaus für Gymna.sieu«, und endlieh in 'L i- 
allerjünfTNton 7Mt liefert Kärniän für Baumeisters neue Eiu-vklopädie den Bt nuiit 
über djis liöhere iScbulweseu Ungarns. Selbstverständlich sind diese deutsctieu 
Schriften nur ein kleine« Braohstttck der umfassenden Wirksamkeit des ungarischen 
Ge]''liit.'ii. dt r in si iueni Yaterlaude uulK'Stritten als dessen bedeutendster fKidn- 
gogLsc^er Denker ^ilt; .stMiie Arbeiten, immer für dan uniiiitti'lf)are geistige Be<lürfnis 
rngarus bedacht, sind, flifu die ohpncnvtihnten tleutsr-hcii Ki/.i ugnisse ausgunummeu, 
m uugiiriscber Sjuache erschienen, umi biliicn für lange Zeit einen kostbaren Grund - 
atook ungarischer pädagogischer litteiatur. 

Wenn ^vir nun aus dieser Beihe der ungarischen Schriften K&rmäns seine 
jün<^str' Arbeit lienuisliflifiu um mit ihreiii liiluilt rlif Ix^ser dieser Zeitschrift be- 
kannt zu rn:icheu, so tluui wir dies nicht nur, weil wir wissen, wie rege in Deutsch- 
land tiutz seiner eigenen grulsen Schöpfungen auf dem Gebiete des Unterrichts 
und der Untemchtswissenaohaft das Interesse für alle einaoUi(gige«i wertvollen 
Erzeugnisse des Auslandes ist, ndi m auch, weil die Frage, die in der oben be< 
zeichneten Schrift einer einf^'chendeu theeri'ti>eheu Erörterung unterzogen winl, 
doch eilen zu jenen pelujit, über die wuJireml der letzten Jahre in Deutschland so 
manches Wort hüben uuU drüben gespj'ochen wurde, uuU über die erst vor kurzem 
der Leiter dieser Zeitachriit mit emem anderen bedeutenden Vertreter deutscher 
Wissenschaft sk h iti so entschiedener Weise auseinandergesetzt hat.') 

Es itit die Fnige der Vorbildung der T/'hirr für das höhere Schuhiiiit, und be- 
SLiiidt rs ihr VerhäUtiis an den Aufgaben der Univenütät, d. i. der philosophischen 
Fakultät. 

Diese Frage, »Die Kardinalfrsge h5heren Schalwesens«, die u. a. in Preußten 
vor einigen Jahren — wie aioh Fries ansdrfiokt — zu einem vorläufigen Abschluls 
gekoTnmon ist, trat in Ungarn gerade vor einem Jahro stark iu den Vordergrund. 
Es war zum erstenmale von einem Lehrstuhle der philosophischen Fakultät ein 
Uuterrichtsmin ister gekommen, uämiich d«r Physiker Baron Roland Eötvös, und 
mit ihm, der selbst viele Oenerationen von Lehren für das höhere Lehramt heran- 
gebildet hattp, tnit die Fnige der Lehrer>-orbilduu^' mit erneuertem Nachdrucke 
her^'or. Im Ministerium s^lLst beschäftigte man sii Ii k bliaft mit ein'-r alten 
Li"ri!inp-ide(> ungarischer ünterrichtsvemaltung, der Errichtung eines liiteruates fiu' 
Kaudiüateu dos höheren Lehramtes, wobei mau gerue, mit nicht recht begründetem 



») Siehe Zeitschrift für Phil. u. Päd. III, 1. lieft S. 47 ff. 



Digilized by Google 



448 



B Mittetluagen 



Mut zur Et-olü normale sujwi ieure lu Faris als Vorbild emporblickte, und in dar 
l»sldagogi(sch»n Facbpreflse, vie anch in den yeraanmlangea der pBdagogiAoben Oe" 
seUschaft wurde das Thema dt-r Profes»jreiivorbilduufr'), man bei uns in Ungarn 
zu sagen )>f!t*irt, fifric Ii('s|(roch*'n Nach finamlfr ctHi'liiriifri tTrörs-rrt» und kleinere 
Broschüren und Aufssitze über die wiciiti|4e Frage, ohne dals ntaii zu eiuer befricdigeu- 
den J^suug gekommen wäre. Es handelt sich bei uns auf diesem Gebiete um eiuen 
alten Streit zwischen der pbiloeophisclien Fakultät der Budapester Unirerntat und 
einer ihr zur Seite stehenden, zam grölMen Teile auch durch die Hit|glieder der 
Fakultät versorgton Institution, dem Krtpenannten Professnrensetninar oder f^ouauer 
der Professoren bilduugsanstalt (Tanärkepzöintezetj. Die Aufgabe dieser Institution 
wäre es gewesen, sämtliche Professoren der philosophisdien Fakultät und ftu* mathe> 
matisdi-natorwissenechaftliche Vidier auch einige Ftofeieoren der tecJ»niwchen Hodi- 
si luili; und wenige sonstige hervorragende Lelnkrilfte zu einer KÖrpeiaobaft zu ver^ 
emi^r'ti. die unter der Fühninj,' cinf«? Direktuis fiir eine planmäisige, wenn auch nicht 
schulniälsig starre tiestaltnng der Studien aller Ijeluamtskandidaten zu sorgfm hätte. 
Diese Institution der ProfessorenbildungHanstalt ging Kolbstveratandliob von der nahe- 
li^enden Voraussetzung aus, dafe die phüosophiHdie Fakultät e» für ihre Tomehmste 
Aufgabe halten werde, dem Lfuid»' Professoren heranzubilden, sowie die theologische 
Fakultät (;ei>;tlirlin , die juristi^^rlie I\irlitL'i uikI Kochtsanwälte , die iiu-<lizinische 
Ärzte heranbddet. Diese Zumutimg au die pbiioKophischo Fakultät war migig^icht.s 
der thatsäcliliehen Zustände gewiCs nicht ungeheuerlich, da die eigentliche Uörer- 
Bchaft luiserer phflosopbisdien Pakultit (von den zum Belegen philoeophisohtar Golleipa 
verpflichtehm Hön'rn der Schwestei-fakultäten abgesehen) sich nahezu anssehlieJäicb 
aus Kandidaten d- ^ Iiiili-Tfn Lehramtes rekrutiert. Die Auf;:,il>i' di-r Professoren- 
Vorbildung im l'riDZip zurückzuweisen vermochte die philosophisclie FakuMt wohl 
auch nicht, ja sie bekannte sich in eiueni 1870 dem MiaiHterium unterbreiteten 
Elaborat offen zu derselben, und doch wünschte sie die kolleI(ü^'e Institution der 
Professorenvorbildungsanstalt durch wissenschaftliche Kinzelseminare nach deutschem 
Muster ersetzt, in deiirn jeder rnivcrsitätsprofessfif fiir sii-h sf'mp Hörer in seinem 
eigenen Spezialfache auf stiu' \\'.>iso beschäftigt, ohue sich um ihre sunstigen 
Studien, oder die Zusammenlu^nüg df*i>eibon in eiue dun Zwecken des Lehrauitee 
vntaprechende, sclbf^venftändlich auch duroh philosophtsoh-iriklagcigtsche BÜdüug be-' 
dingte Einheit zu kiiinmern. Dem Elaborat der i»hilosopluschen Fakultit Sntgegen' 
erklärte sie], ,!,'p I,Mid' -\interri<-htsr;it für Aufieehterhaltiniir dor Professorenbildungs- 
anstalt iu ilirer aiten ( »rganisatiou. Die Kegiemng loste die Frage bis auf den 
heutigen Tag nicht in einer entschiedenen Weise. Wold sorgte sie für Erweitenfcig 
und nühore Ausstattung der wiRsenfiohaftiichen Fachseminaio an der nnivenität, 
jedoch blieb daneben audk die ProfessorenbÜdungsanstalt in ihrer alten Form be- 
>tehen, nur sank sie immer mehr an wirklich» r liedeutting, weniger durch eigene 
Schuld oder durch die Fehler ihrer Oi"gamsation, als vielmehr durch die ablelmeudc 
Haltung der philosoithiscben Fakultät, deren Mitglieder wohl zumeist ihre Stellen ak 
!.iehrer an der PrufessorenbildungKanKtalt behielten, aber — in einer mehr bequemen, 
als berechtigten Auffassung dar liohi-frpiheit befangen, dun^hans nicht gewillt warsn in- 



') BekaDotlich wird in rr?sani ebenso wie iu (»st erreich und 8üddeutschlan>I 
der l.ehier an riymua.sieii und Keal>chulen. d. i. der akadeinisi h tr- bildete I^hrer 
der da.-)*->lb:>t unter dem Xanten »Mittelschuleu» zusaiumeugefalsteu iiüheren Scliul- 
arton, •Professor« oder speziell zur Unterscheidung vom Univet^ntatalebrer »Mittel - 
suhalprofesaor« genannt 



Digrtized by Google 



3, K4rm4ii, Lebrerbüdoog 



449 



der Einrichtung ihrer Kollej^ion dnn unmittelbareu zukünftigen lirnifblxniüi'fnissen 
der l/^lir:initskandidatf>n auf |ilannuifsipe Wf>iw Rwhnunp: zu tnip'ii. Das Unge- 
suude UieKur ZuatäüUti trat besoodei*» hvi den J^ehramtsprüf uuguri dereu Forde- 
vmgen mit der gedeiUiolieit EntwioUimg des heimischen Büdungswesens immer 
ghifser wurden, zu Tage: bei einer wachsenden Spezialbildung für oinzolno kleine 
Sondergebipt»- lier Wissonsehaft snnk immer iiu>hr die für dm zukünfti^^di l^ hror 
unumgünglich nutweudtge Ubersicht ul)''r diis Ganze der betreffeudeu Schuldis^ipliueu 
als solcher und lusbesundere die philosophisch-pädagogische SchluJsprüfung wujxlo 
gewahnhoh xu «ner Harter nicht nur für die Prüflinge, tondem auch Ifir die 
prüfenden, und an^asiohts eines hereiubrechotulen V^ngolit an I>ehrer war man ge- 
nötigt in di'T Prüfimpsprixis weit hinter den Forderungen des Priifunf«;Htatute8 zu 
bleiben. Dies fühlte immerfort von ;dlen fcieiten zu nur allzusehr berechtigten 
Klagen, und so wurde die Reform der Professorenbildung unter dem Bogime des 
liinisteo» Edtvös, wie mr eingangs erwihnien, m einer brennenden TIagesfrage, die 
eine Flnt von VerbesserungsvorsoÜi^n henrorbrachte. 

Die Reihe dieser die Prof essomn Vorbildung behandelnden Schriften, unter deren 
Verfassertl sich die bedeutendsten Schulmäouer und üniveraitätsleiurer Ungarns be- 
fanden, schlols endlich K arm uns Buch. 

Kärm&n, der als PreCeesor der PhiloBophie und Pidagogik am Ifiltelachid- 
professorenseminar und pädagogischer Leiter dos Übaitg^gymnasiums, seit nahezu 
einem Viert eljalirliundert der vornehmste Bildner unprariseher Mittelschulpnife<y?oren 
war, ergriff mit dieser Öchnft nicht zum erstenmalc das Wort in dieser wichtigeu 
AiigeJegenheit Zwanzig Jahre aiiid ee schon her, wie uns auch das Vorwort und 
die Bhdeitiing des Buches mitteilt, dab Karmin, seinerzeit als Schriftführer des 
Landesunterri( htsrates, seine ersten Organisationsentwürfe bezüglich der Vorbildung 
der Mittelst. Im! pro fess*»r>Rn nn<?arheitetp, nnd war es ihm wohl auch gelungen, zu 
diesen Entwürfen, die vor allem die Herstellung des richtigen Verhältnissos zwischen 
UniveisitiU und Professorenseminar bezweckten, im Prinzip die Bill^ng mafsgebender 
B^ierungsfaictoren zu eriaogen, so konnten doch die gemachten Yorsohläge, haupt- 
siichlich infolge eines gewissen pjissiven Vriderstandes der philosophischen Fidiultat 
nicht ztir Wirkliehkeit M-enlon. Als nun die Frafro der Professoren Vorbildung unter 
der ilimsterschaft des Barons Eötvos, wio schon wiederholt erwälmt wurde, wieder 
einmal in den Tordei^grund des Isgestnteresses getreten war, entaöbklb sidi K6rm&n 
jene Arbeiten, deren leitende Prinzipien er anch für die heutigen Verhältnisse als 
vollgiltig erachtete, herau.szugebon. Er mochte sich jedoch nicht damit begnügen, 
dns m-hou einmal fJeschriebene blofs 7\i sn ni rn e n z u st«l len , sondern hielt es für geraten, 
jener nouedierten Sammlung alter Hchnftstuckc auf weiter historischer Umschau 
fttbende theoretische Betrachtungen Toranssoscbicken, die mit einem stariten Appa- 
rate btldungBgeschichtlicher Forschung ausgestattet, in eingehender Weise begriinden 
solltou, was die nahezu ein Vierteljahriiundert alten Entwürfe zumeist nur in der 
knappen Form vnn Parnt^raphen zu sagen genötigt waren. 

Dies die i^lutstehuiigsgeschichte dos Buches, das nun iila Beilagen jene idteren 
gehaltvollen Schriftstücke meist amtiidien CSiaraicters bringt, in sdnem Uauptteile 
hingegen — sozusagen als historisch-theoretische Begiündimg derselben — einen Essay 
über Professcrenvorbildnng und Universittttsunterricht im allgemeinen enthiUt 

*) Die Befilhigung für das höhere Leliramt ist in Ungarn an f'rei Prüfungen 
gekniipffr 1. Die Orundpnifunp:. "i^h dem vierten Universitätssemester; 2. die 
»Fachprüfung« nach dem achten Semester und 3. die »pädagogische Prüfung« nach 
dneni an einer öffentlichen Lehranstalt verbrachten Übungsjahre. 

8«|tMMft fOr Pkilofl«!*!« wd PUacoflk. $. JskitMff. 28 



Digitized by Google 



450 ' 



B Mitteiluugea 



Wir wollen dem l^ufe der Eütstehungsgfschieiile des Buolies folgeud erst 
jene Bmlagen einer Iratsen Betrachtniig unterrieben. E» täoA denm vier Haapt- 
whI vier Nebenstödte. Die erste der Haiiptl)eilageu ist eine aus dem Jahre 1875 
stammende Arbeit Kärniaiis ül>er die Kefoi-m der PnifrssorrnvoiliiUliinL'. in der er 
p»'k'gfiitlich eiues vom Unterriditsmiuisterium an dpn Liimie.suntfn irlit-^rat ;.'->rie}itptou 
Ktiskriptes uuumwuudeu den Satz aufäteüt, dnls ebenso wie die jiuiätiaclje und 
inetUsinieelie Fakultät ihre YorlesnngeD den AnfordeniDgen der laküuftigen prak« 
tisclien Lebensbahn Uirer Hörer anbequemen, müsse auch die philosophische Fakuitilt 
ihre systematischen Yorlesun^'on unbedingt den Erfordn iiisscn di r Pnif's.t^nren- 
vorbildung entsprechend einrichten. Die phtljsr>plii';' ht' FMknItiif — meint der Autor — 
kann eben kein höheres Ziel vor Augen linken, ul.> dem Unterrichtswesen des Landes 
stt dienen. Falech ist der Einwand» da& ein plan* und fiichtnaJisigee Einrichten der 
Lehrkursf» die T^hrfreiheit im wain-en Sinne des AVortes verletzen wüitie. Die Be- 
rührung mit dem praktisch cn T-''l"'ti ist kein Ilindeinis ilrv firifn Entwirkhinc d'>r 
\Vis4:r^nschaften, sondern vieimelir euje Bedingung derseH»en. Die philosophisdio 
Fidiuitat der Universität würde dadurch, d;ils die Vertreter der in ihr vereinigten 
rerscbiedenen Lebittcher die gebBrige Oiganieation der ' ProfeBsorenverbildung ab» 
ihr geineiusehaftlichoe Ziel anerkennen wollten, und somit den Eiforderoisaen des 

jdlgeUR'inen Bildungswesens entspreehf-nd die Ki-iln» ihrer Vniltsuntren oninen 
wiirden: neue Kraft erlangen und den Klagen über den Niedergang der freien 
Studien ein Ende bereiten. Neben der philosophLschen Fakultät ist behufs inten- 
siverer KSnübang in die eigentUdien 8ebttldi8zi|»iinen ein beeondeivs Professoien- 
kolleginm der eigentlicben l'rofessorenbilduugsanstalt nötig, da die Zeit der Faknltiits- 
pref«««'<ernn dnfh nielit nnssrhltpfKlieh zu Zwecken der Wi-><"nsr!i;iftM)i i ( t e II ii u in 
Ansprucli genommen werden kann. Dieses besondere l'iofesst>ienkollegiuin muihte 
liiusicbtlich seiner Vorbildung auf dem UDiversitätsuiveau stehen, und i&war derart, 
dai^ diese Stellung, in Verbindung mit der UniversitHtadozentur und doch eng ge> 
knüpft au die Schulpraxis, als Vermittler »wisclien Univei-sität und Scluile dastände. 
Auf;j:al>e dieses Professoren koUegiums wäre es el>en durch fortwährenden p. Männ- 
lichen Umgang mit deu Lekiamt.Hkundiduteu iu diesen das (iefühl ihres iit^nites 
wacbsuhalten und mittelst gehöriger individuell gearteter Fingerzeige die eigeutüniliehen 
FSbigkeitcn ttinea jeden einzelnen auf eine den Interessen des Schuldienstes ent- 
sprechende AV'eise zu entwickehi. 

Die zweit ■ llatiptlieilage des Kä riiiä n. sehen Buclies entliält ein Elaborat dfs 
Laudesimterriclirsmtes aus dem Jahre 1878, welches an deu Minister gerichtet, dem- 
selben einen detaillierten Entwarf Uber die Oiganisation der Professorenbild ungs- 
an«»talt unterbreitet. Es würde zu weit führen, über diesen Entwurf hier eingebender 
zu berichten. Nur soviel sei duiiuis hervorgehuben , dafs dieser Entwurf eine 
rrofe.ssoreiil.iWunii-:in»^talt n!- Uiiiveisitätsinstitut und intcgriereuden T"il der pliilo- 
sophi.scUen Fakultät seiiaiteii will. Die Austalt hätte ein aus dorn vom Könige m 
ernennenden Direktor, 18 leitenden nnd 10 assistierenden Professoren bestehendes 
Rollegiom. Der ganze Leiirkurs der rrofessoi enbildmigsaDstiüt enthielte vier Jahr- 
gänge, deren drei ei-ste der faehwisseiiscliaftlichen Ausbildung, der vierte hingfu'^tm 
dein Erw erben i)i»dagogim-her Bildung luxl Ges« hickliclikeit gewidmet wäi-e. Dein- 
Uiieh hätte die Anstalt aus zwei Abteilungen zu bestehen: einer faohwiH.senHchüft- 
liehen und einer pädagogischen. Der faehwissenschafütche Unterricht wäre auf 
Qrund eines bestimmten Lehrplanes zu leiten. l>ieser lytduplan wäre nach zwei 
Ht'htungen hin festzustellen vir.: 1. jds dreijähriger lA'hrkurs der Vorlesungen nnd 
t bongen an der Univemtät; 2. mit KücLsicht auf die Konferenzen und Übungen 



3. K Arm An, lielirerbilduof; 



451 



in der Profossorenbildungsanstalt. Den dreijährigen Kursus der Uuiversitäfsvor- 
lesungeu uiid Übungeu hätte auf Gn>nd der VorschÜif,n' d- r pliilusDphischen Fakultht 
dfr rtittrrif*htsminister festzu'-tpllfn. wobei vor allem die Forderungen des Pmfeshort'u- 
prüfuiighstatutüs zu berückhii litige« wären. Die püdagugische Abteihuig hatte diti 
Aufgabe, dahin, su wirken, dab die Kandidaten jene Oefichicklichlceit erwerben, die 
nebst der Bewandertheit in den Fachwisseusdiafton zum methodisch» !) Hniidhaben 
des M ittelseh ulunterriebtes erforderlieh ist. Di» du— i Zwerk zud< i' Ii mii.- thcn. 
retisehe und eine praktische Schuhing eiheiMlit. best«'lie zu diesem Heiiufo eine 
duppelte Institutiun: l. Methodische Kouferenzen <,Tbeureticaj ; 2. die t'buugsschule. 

Die als dritte Hanptbeilage seioea Buches von EArmin neaedierte 84^ft int 
nicht seine eigene Arbeit, sondern oben ein seinen AtiM-iiiandersetlungen, Tesp. denen 
(]e> I,.'indesunten ir litsrates feiudlieli überstehendes Klabnrat. jeriM oHenenvalinto 

uiunlich, welches die piiiiosojihische Fakultät in der Angelegenheit der i'rofessoreu- 
vorbllduiig dem ünterriditsuiiuister im Jahre 1879 unterbreitete. In dieser Schrift 
trachtet die phflosophiaohe Fakoltttt den Beweis an erbringen« dab ein neben der 
philoaophtachen Fakultät zum Zwecke der Profeaaorenliildung bestehendes, jener zum 
Teile sogar heterogene'? Institut An Sai he nur srl-.ädlirh sei, wie nueh die Y<'v~ 
einigung der verschiedeneu rrufessureu zu einer unter der i/Mtung eines DnektoJ's 
atehendeo Körper»cbaft und das hieitiurch hervorgerufene oiuheitliche Zusamniou- 
wirken der Teradiiedenen Faehleiter überflussig ist Btatt deafwn ist die Förderung 
des Facbseinioacsystem.s, wie es ia Deutschland herrscht, vor allem die Vermehruiig 
apeaieller wissensohnflli« her Fadisemiuarien, das einzig Wünsolionswei-te. 

Dieses vom Dekan der philosophischen Fakultät gezeichnete Schriftj<tuck wuiide 
vom Miniater dem LaudesunterridiLärate behufs Bogutachtmig zugewiesen, und eben 
diesee Gutachten enthalt die vierte Hanptheilage de« Kftrm&n sehen Buchca. 

In diesem (iutachten untei/.ii ht il> r I^indesunterrichtsrat, des-sen l-V-der KurmAd 
ftihrt. flr!«; Elabdr.if (L i iihiIos,>|,liiis<j|iüti Fakultät eife'r eingehenden Kritik. Dies ge- 
schieht auf Oioind einer entsprechenden Umschau in dou eiusdilägigea Gebieten des 
aualändiacben Unterrichtüweseus, die sich beeondera auf die in Deutschland laut ge> 
wordenen Klagen fiber die von den UniversitiUen gegen die ingalegenhetten der 
Sehule bekundete Teilnahmelostgkeit erstreckt, wie auch einer genauen Prülmig der 
heiniis( !jen thatsächliehen Verhältnisse. Uns h'csultat. zu dem dies (iutachlen des 
I^udesuutorhuhtijmtes geliiugt, ist der Satz, dids au deu bisherigen uugeoügüudoti 
Erfolgen der Frofcsaorenbildungsanatalt in erater Reihe die philosophiiiclie Fakultfit 
der Universität Reibst Schuld trage, und zwar hauptsächlich darum, weil sie auf den 
zukünftigen Beruf ihrer Ilöivr so wenig Rüeksiclit ninuiit, dafs nahezu .Inlirzehote 
vergeben, ohii" dafs die f'ir ein«»ti zukütiftitreti i •yiiinasiiü- oder Kealsebullehier 
wiehtigbteu Disziphueu Gegenstände von Kollegien waien, oder di« wichtigsten fcJchul- 
autoren einer wiasenschafUiuhen Behandlung an der Uni%'oraität unterzogen würden. 

Diesen vier interessanten Hauptboihigen schliolden sich vier Xebenbeitagen an, 
unter denen die ersten drei Statut und Ii«»broninui)g der alten (ISTU 7Ier) und der 
fieuorganisicrten Dudapester rrof« ssor»'tiliiI'!nnt:-r!ii<tnlt L'< K''tt. wahrend die vierte eiti'' 
lur die Geschichte der Lehrfreiheit au der ungariselieu l'uivei-sität wichtige Ein- 
gabe der Privatdozenten aus dem Jahre 1892 mitteilt. Auf den Inhalt dieser letzt- 
■ I^^iihnten fichriftstUclEe näher einzugehen, hindert uns die Beschränktheit di's 
iiaumes. 

Di«' soeben besproebeuen, mehr oder minder alten und mir ii'Miedieiten Doku- 
mente büdeu, wie gesagt, deu Grundstock des K u rnianseJien Buches, und ihnen 
geht eine aus sieben Ki4>itehi beet^ende htstorisch^tiieoretiadie Einführung voran, 

29* 



Digitized by Google 



452 



B Mitteilnogen 



die wenn aurh nowissormafsen zur näheren Edäuterun{r der in den alten Doku- 
menten niedergeh'^^fen Sätze bostimmt, doch aurh für sii-h einen selbstäiidigeii Essay 
über Professorenvorbildung und Universitätsunterricht bildet 

Das ente Kapitel führt den Titel »Die deateche philoBopbieohe FaVoltiitc und 
giebt an der Hand quellennuifsiger Belege ein Bild der deutschen philosophischen 
Fakultät, wie sie sieb in cliesL-in .Taliihundcrto Piitwickolto, mit besonderer Hiii ksifht 
auf ihr Verhältnis zu deu Aufgraben der Ijebrcrluldnug. Hei aller aufrichtig» !! l^e- 
wuuderuug der ewig grulseu Verdienste, die die deutsche philosophische F<dkultat 
um die Wissenecbaft hat, glaubt KArman doch ans den Statuten verachiedener 
deutscher Universitäten, den Prüfirngsordnungen fSüt das höhere Lehramt, den Er- 
lässen und Voiorduungen (l. uf.sdior R.i:i<'ninpr''n. namontlifh d^r prpufsischen, l)e- 
weisen zu können, dafs die iihilüsojjhische Fakultät in der Erfüllung ihrer Anfgabeo 
jds Bildnerin von Männern eines öffentlichen Lebensberufes mit den übrigen deutschen 
Fnkoltiiten nicht Schritt halt Während die übrigen FakoltiUen, an ihrer Spitze die 
medizinistrhe, ihr Aogenmerk immer mehr auf die wichtigen nationalen Lebensberufe 
ncht™, dcripn sie wissen^rhaftlich t^fbildrl.' Fachleute zu orzioh' n liabru. mid diesen 
Benifen entsprechend ihre Vorlesungen und Übungen systemutiseh eiuzuin littiu bo- 
«trebt sind, widmet sich die pliilosophische Fakultät ihrer eigentlichen Aufgal^?, der 
Lehrervorbildang (dab ne heute thaisSehlich gr5&tentetl8 Lehrer fär das höhere 
Lehramt bildet, mub sie wohl doch gestehen), als eclcher, nicht so, wie 8ie sollte, 
und er/i»'ht inoi!^(f»ns nur nach dem l^ilde ihrer Meister jjomtene AdoptiTi für vt^r- 
schiedene Zweige welteutfremdeter (ielehrsamkeit, und nicht, wie man von ihr er- 
wartet, begeisterte Träger und Verbreiter nationaler Bildung. Mit dem fortwährenden 
Verkennen, oder sollte man «agm, Verachmühen dieser ihrer eigentlichen Anfgabe, 
welches die philosophische Fakultät an den Tag legt, steigt am h das Mifstrauen des 
Staates «r<>w.niib«'r ihrer die Vorbildung dot L-'-hror bflii'fft'iitii'ii U'istungsfähigkeit, 
was sich in dem unmer stärker werdenden Jüagetone der staattiehen Verorduuugeu 
und Erl&ase laut genug offenbart, und andi in der berühmten Kaiserkonferene von 
1890 genfigenden Ausdrtick fand. Oanx anders dachten sich wohl, meint Karm an, 
im Anfange dieses Jahrhund< it I- Schöpfer modenior deutscher Universität die 
philosophisi'bp Fakultät, als d;us Hild derselben in dt»rn für die Chici^m^r Wolt- 
ausstelluug verfalsteu Berichte Friedrich Paulscns uns entgegentritt. ') Trotz der 
unbestrittenen Hohe ihrer mneren WissenschaftUchkeit und geistigen Macht bietet 
<loch die dentsclie philosophische Fakultät mit Uirein allzustarken Oelehrtenbewafi«t- 
sein und ihrem teilweise unbegreiflichen Abschlieben vor den unmittelbaren Er- 



*) ^''■rgl- mit «liesen Ausfühnintron Kar maus die schon oben envähiiten P>i'- 
morkuugeu Keius zu einer anderen Paulseuscheu S^^hrift (Zeitschr, t i'hii. u. 
FSd. III. 1. H., S. 45 ff.). — Ich kann es mir nicht versagen, bei dieser Gelegen- 
heit auch die vielleidit wenig gekannten Worte eines der grofsten deutschen Genies 
aller Zeiten anzuführen, welche in s( bncideiider Kfn/.'' dasselbe sagen, w:us Karmän 
iu seinem Buche des weitereu au*<ziifuhi cd versucht. K '-in Geringerer, als Richard 
Wagner ist es, der im Juni 1872, au den später so unglücklichen Friedrich 
Kietzsche, damals Profeesor der Philologie in Basel, folgendes sehreibt: »Während 
die theologische Fakultät uns Pfarrer luid Konsistorialräte, die juristische Richt<*r 
und Anwälte, di" ni'di/ini*' !ii- Ärzfc li.-f.'it. I:intcr prakfi^t Ii iiiif /.lii hi' l^iirLTcr. liffert 
die Philologie immer nur wieder Pliilologen, welche rem nur sich unter sich selbst 
von Nutzen werden.'' (Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard 
Wagner, Leipzig, 1873| IX, B. S. 353.) 



Digitized by Google 



3. K&i'ui4u^ LehrcrbüduDg 



453 



fordurnissen Tiutiuruilou Uilditngswescus keineswegs das Bild einer allen ibi«n Auf- 
gabou gereiht werdendeu IiistitutioQ. 

Anders ei-scheint neben dem Bilde der deutschen philosopluBdien Fsknltät das- 
jenige, welches K Arm An in dem zweitisn Kapitel seines Budies von den Faoultos 

des It'ttres et des s< i'-nr-os und dem hölu-rou frauz^■'^i^'•b•'U Unterricht.swc'seD ühcr- 
hnupt ü' f'Tt. Froind aller zünftist-hon Abgesoudortheit stehen die Thor»' französischer 
lluchstliuleu offoü für jedcrmaun, dor nach Bildung durstet. Fniiikreicbs erst» 
groCae Schale, der Stois ftnnsoeisdiai Oelebrtentams, das Orflego royal, heute College 
de France, stellte sioii im Zeitalter der Itenaissance geradezu der Zonft der alten 
tTniv('!-^!t:st < ;iti:c;ri'n als freie S<;bule neuer Studien. Franzosische Denker des vorigen 
Jabrhuudeiis waieii in denen olirn das kritische Bptra< liteu des althergebracht'»ii 
UoiveniitatsweseuM zuer.->t deu greisen Uedaukeu der nntiotialen Erziehuug eutstetien 
liefi», nationaler Eruehung iu des Wortes doppelter Bedeutung: erstens, dals die Er* 
aehnng immerdar den zeit|^mäfeen Forderungen der Nation cn entsprechen habe, 
un«l zweitens daln sie sich auf die ganze Masse dersellien erstrecken müsse. Unter 
den) Einflüsse dieser Prinzipien entstand zu J?e<riun unseres Jahrhunderts die a!l- 
umfas-sende Oeäamtkeit französischen l'uternchtsweseus, rUuivun>ite, berufen, alle 
Oattiuigen der öffentlichen ünterrichtsanstalten, von den Eioderasylen an bis hinanf 
KU den obersten, gelehrte Spesialisten erziehenden Instituten, in »ich zu vereinen, 
damit jeder Iielii' ndc von der untereten Stufe an bis hinauf zu dt-r al!» rlii,« hston 
fühle, (Ms er im Dienste der grofsen Sachf nationaler Erziehung stehe. Im 
bihofse dieser Gesanitlieit wu&te iiich aucii diL>^ WeHea der Hochschdeu auf eiuo 
edle Wdse zn entwickeln. Das höhere Unterrichtswesen Fninkreichs zeffiUlt 
eigentlich in zwei (»nippen: in die an die Stelle dor alten Uoivenut&t getretene 
Oesninthcit rlcr Pakultäti-ii, ilie sich iu deu grörscrcii Proviiizstiidtcn Frai(kr»!ichs, 
aber auch iu Paris finden, und deu groLsen Pnriser Hochschulen, wie du.s College 
de Fmnce, das Mu^seum d'hLstuire naturelle und die Ecolc des haute» Stüdes. Jeue 
sind eigentliche Fachschalen, die für die (^lehrten Beruftartm des Arstes, des 
Juristen, des Lehrci's etc. vorzubereiten haben, die^se hingegen sind mächtige Pflauz- 
»tiitteu wissen<!chnftlirhfr l'Virschuiifr. Puiilvtlii-lu-s Aufriuauil'-rfolgpri d<">r Studien, 
vollständiges ineinandergreifen von VürieäUiigeu luid Prüfungen charakterisiert die 
erüteren, muglichät groLse Freiheit und Uubesohräuktiieit die letzteren. Die zwei 
Fakultäten, die binatchtliah der Frofeesorenvorbüdung eigentlich in Betracht kommen, 
nänüich die facultes des lettres et scienees, welclie an die Stelle der alten eioheit« 
liehen faoultiis ai-tiuni i:<-tr'-fcii >iuii, wi--i'n mit ciii.'m frt'iiau kI;ip|ii-ii<lon Apjiarat 
fac)jwi.ssenschaftiicher Vortwsreituiig die Pflege idl^emeiuer natiuii;iJer iiildung zu ver- 
finigeu. Schon der Umstand macht sie gewisse rmafeeu zu iiuteru des nationalen 
IKldungsgutes, dab sie ee sind, die durah Verleihnng des Baccalaureatgrades das 
Darchsoboittsmars nationaler Bildung bezeugen. Für die speziellen Zwecke der Bil- 
dung von Pittfessoren sorgt nebst drii Fakultiilcn lYv V.<-u]- nnrnmlf. di.-s.' grofs- 
artige, jungst IW Jahre alt gewoi-riene Sdiopfuug der Idee nationjder Bildung, diese 
machtige Anstalt, die einer Uirer berühmtesten Schüler, Jules Simon, die erste 
Schule der Welt genannt hat Was die £cole nonnale für Frankreichs Bildungs- 
Wesen geworden, wie ihre Ijchrer. di" . rleuchtetstou Geister der fnmzösischen Nation, 
dio kleinon und geringfügig scheinenden Auf^'ali. ti drs I^htprlMM-ufi-s. z. 11. das 
K«»i rigieren der Aufsätze von Kandidaten nicht vei-schnuüieu, wie sie sich dazu her- 
gebeu, selbrt in der Provinz lebende Kandidaten auf brieflichem Wege mit Arbeiten 
und Anspülen zu versehen, wie sie besondere Znsanunenkänfte, die Conferences de 
jeudi veranstalten, um es den nicht in Paris Wohnenden möglicb m machen, sie 



Digitized by Google 



454 



B Mitteiluui^ii 



mindesteos einmal io der Woche sn höreo, wie sie sieh dazu uksdiidceD, die pidai* 
goigtiiche FkicbiHldtttig weit fiber den. Kreil» der Hittehehulprofessoren ansnidehnea: 

iill dies gehört zu <len edlen Seiten französischen höheren futerriththwesens, für 
d«?ren hennlt« SchilderuDg wir unserem Verfasser sa beeonderejn Danke verpflichtet 
tMjin üurfou. 

Stellt sieh DeutschUnds philosophische Fokultikt die von dem praktisdieo Leber 
afagesooderte Pflege wissenschÄftlich^r Fot^hung, Frankreichs focultes (te lettres et 

Siienee?? vnr iillcni ein«; den iiatiuualen Bildungsbedürfnissen enLsprechende Fach- 
liildung zur Auf^'nhc. km st»'!).«!! Knirlniid«; T^nivf-rsitälen, mit denen sich das dritte 
Kapitel in KarinansHuoh beschäftigt, als eni von den vorigou verschiedener dritter 
Typus höheren Bildungswesens da. Sie sind in jeder Hinsicht die Erben und Fort- 
setzer der alten fuculta^» ai-tium, also noch immer die >'ollender der allgemeinen 
fi -i'Mi Bildung ihrer Nation. Nicht immer war es Englands grofsen Universitiitcn, 
Oxford und Cambridge. gegeb*>n. in ihres Volkes I?i!dufi!r tind rsffentlir'hcr Mcujung 
diu vuru^Uinu Rulle zu spielen, wie heute. Hin zum Anfang diet^e.s Jiüuliuuderts 
Standen sie unter dem Banne einer gewinsen Art von klerikalen Traditionen, die 
ihnen in ko mancher Hinsicht genidezu ein klustcrüclics und auf jeden Fall ein 
starr k<inf' S>ioneUes Gepriiire verliehen. Ka' h und nach erhoben sie sich schon 
vom Beginn dieses Jahrhuudert.s, und besondere thatkräftig von seiner Mitte an zu 
den höchsten Bildnern der Nation, des Volkes in des Wortes weitester Bedeutung. 
Das Bieten von Ftohbildung liegt ihnen eigentlich lerne; die Vollendung allgemeiner, 
klassisch-litterarischer, mathematischer und philosophisoher Bildung ist ihr vornehmster 
Beruf. In der Erfüllung dieses Benifes gelang e?< ihnen nach und nach alle Fesseln 
zu spit'ngen, von denen sie buige Zeit eingeengt wuitieu. Vor allem fielen die 
Schranken konfessioneller Natur. B;dd wurde jedoch auch an jenen Mauern gö- 
rüttdt. die ans geschlenhtlidienf aoaialen und wirtechaftüchen Unterschieden auf- 
gehallt, das (iebiet höherer Bildung dem weiblichen (Geschlecht, den mitt]ei*en und 
unteren Klttssen di»s Volkes verschlossen, rnt'-r der Devise: D;is Tulk kann nicht 
zur Universität kommen, aber die Uuiversitiit wohl zum Volke« entstund jene grotse 
Bewegung, die University E.\teusiou, die es sich zur Aufgabe machte, höhere Bil- 
dung allen Schichten des Volkes, und Ittnnern, wie Frauen saganglich zu machen; 
eine Bewegung, die von beiden grofsen Universitäten ausgehend, heute schon mäch- 
tige Erfelge ;iMfziiw-'is<-n hat. Kli<>r)sn, wie die höhere. Iiat aiu h die mittlere I^>il- 
dung in den L niversitaten liir g»*ineinsaines Sammelbecken, in das ihre Streme zn- 
samuieulaufen. Durch Fhifungen und Verleihung von Univei'sitälsgrjuieii sind 
Oxford und Cambridge ffir alle Zweige enfdiechen Schnlweeens ma&- und richtung- 
gebend geword<>n. Als Il<K'hschiden allgeinoiner Bildung hielten es Englands Uni- 
versitäten laiii;e Zi'it iiit lit für nötig, behufs A usKildun^ von Mit1el>i'hul|irofes.soren 
besondere \ eivuisiaitungen zu tndfen. Wer ihre Haiion mit dem ürado des Ma- 
gisters oder gar des Doktore vei"sehen verliefe, hatte, dessen konnte uiuu sicher sein, 
das vollreichende Mala jener allgemeinen Bildung inne, die der Mittelsdiulprofessor 
zur Weitergab*» nötig hkt. Erst in der allerjüogsten Zeit, seit au(;h an den Pforten 
onglischer Mittelschulen neue Bildungsbestiebnn'/en nnd neue sittüehe Fra<ren p^vcheni 
sah man sicli veranlidst, auf eine wissenschaftiiciie Würdigung pädagogischer i'rn- 
blome das Augenmerk zu richten. Unter dem Einflüsse dieser neueroo Bewegungen 
entstand z. B. in Cambridge das Teacher Training Syndicate, nnd wnrde auch vor 
zwei Jahren eine k<)niglicho Kommission eingesetzt, die mit der systemati.schea 
Olgnnisistii .1) MittelschuKvo.sens betrant wurde. K> ist nun wrdirscheinlirh. dafs 
En^and zum .S lilu.sso des Jabrbuudertes seine grolse geistige und sittliche Um- 



Dig 



3. K^rniAD, Lebrorbüdaag 



465 



pestalhitifif auf dein (n liicto des öffontlichon Uutprrirbtes damit kiYinpii weixle, womit 
im Aufange des Jai^irhuiiderts l*rcuis>eu und Fnwkreich ihr L oterncbtsweäea be- 
gründet haben, dab es nümlich die Profeseorenvorbilduug orgaaisieit nnd ein Uoter- 
riehtsminuterinm errichteL — 

Ro stellt uns dor historisuhe Teil des K ü r m ä d sehen Buches in den Uuiversi- 
täteu Dout-schlauds, Frankreichs und Englands drei Typen des Iirihorrn T^nterrichts- 
weiiens dijr, uuü derea individuellen Zügen hieb drei verschiedene Aufgalieu des 
Untversitittsunterricbtes eq^eben: Waitnng der Interessen gelehrter Koredinng, fest- 
gefügte Gliederung wissenschaftlioh grimdlidier Faehvorbereitang, edle FUrsoige für 
ein bohea Niveau nationaler AUgeineinbildung. 

Wie sieh diesen von ptnnuder gnmdverschiedeueu, aber ploichcrmalscn bedeu- 
tenden Au%abeu gegenüber die ungarische Universität und speziell deren phUo- 
flophische Fakaltit verhalten solle, ist nun die Frage, die Karmännaoh vollendetem 
Abrisse der drei wichtigsten ausländischen Universitätsgaltungeu sich vorlegt, und 
drieii IJoanfwortnng er vor allem dsis vierte I\:i|iitcl stMiivi Si lnift (tjnter dem Titel: 
Lusere Auft^abe) widmet. Die gpsrhi<'htlif he UniSchau ül*er deu Kutwickiungiigaug 
der fremden Uuiversitiiten bestärkt den Verfasser nur in den), wu*» er im Namen 
dn Landeennterrichtantea schon vor zwanzig Jahren ansgesprochen hat, dafe die 
philosophische Fakultät sich keine höhere Aufgabe stellen könne, als 'I- i all^oineiDein 
Bildung, dem rnt^Trichtswesen der Xati^xi. also in erster Reihe der Profcssnrt^n- 
bildung zu dienen. Die Li>snnf< dieser Aufgabe müsse Ungarn jedoch auf ünind 
selbständiger Einsicht und uiciit mittelst bloiser Nachahmung fremder Muster zu 
erstreben trachten. Die nngarisohe Nation ist heute in Europa vohl die einzige» 
deren Universitiitswesen nicht eine oigenartigOf von dem aller anderen YölkiM- ab- 
W'firln'Ddo Gestalt nnpenommrn liat. Dieses soll und nuil's anders wonlen. lu ¥.1'- 
mangeluug .'dler nationaler Traditionen auf diesem Gebiete bleibt Ungarn nichts 
anderes übrig, als auf Grund aus einer wettumscbauenden Empirie geschöpfter 
Prinzipien ganz Nenea zn achaffen. Es hiebe also ganz Neues schaffen, ineofeme 
Ungarn keine der ausländischen Institutionen, weder die deutsche, nocfi die fran- 
zösische, o*l<'r die englische gedankenlos iibfrt raffen nnd auf hsMinisrlifu Boden 
pflanzen zu woUeu dürfe, und doch historisch Bewährtes gründen insoferne, als 
dem Lande die aus der Entwicklungsgeschichte der fremden Einrichtungen ge- 
wonnenen Erfiüimngen zugute kommen, und ea vor allem notwendig is^ all das 
Edle und Gute, das die letzteren einzeln bieten, vereinigt zu verwortwi. 

lIi<Taiif .<nt\vi( kclt K ä rm ;i n in d>'n lidzton drei Ka]tit*'lii seines Buches 
(Kollegien, 1" hangen und ^Konferenzen, Lehrfreiheit und Urufungen), immer auf der 
Höhe prinzipieller Standpunkte weilend, eine förmliche Universitätsiiädagogik, wie 
sie, soweit mir bekannt ist, in der einschligigen litteratnr, namentiich waa die 
immer niitcin^rrw i bto historisch-empirische Begründung betrifft, vereinzelt dasteht. 
Was der Autor hier üVkt die Ilcdrutun;; d*'s mündlichrii Univfrsitätsvortragfs ^epen- 
übcr dem blofscn Büchei-studium, über die zwei Arten von Kollegien, die zusammen- 
fasseodea systematischen Knn>6 und die, eigene Forschungsarbeit mit ihrra Zwecken, 
Methoden und Hilinnitteln vor Augen führenden 8pezialkollegien, ferner von dem 
Verhältnisse theoretischer und praktischer Univf rsitätsbilduug. von dem waliivn 
Chamktrr eehter Lohi-freiheit und dabei doch wohlgeregelter L»^ruordnung, von d-^ii 
staatlichen Berufsrigoroseu und den streng genommen gelehrten Fakultätspruiungen 
sagt, gehört meines Eniditena zu dem Bedeutendsten und Tiefstgedachten, was auf 
diesem Oebiete je gesagt wurde. Und inmitten der aUgemeinen Theoreme über den 
Universitäfsnnterricht überhaupt verliert der Verfasser sein eigentlidiea Special* 



Digitized by Google 



456 



B Mitteilungen 



tlienia. die Professoren vurbililuuf^ uii !it aus dem Auge. Überzeugend weifs er dar- 
zulegen, dals es der philosophischen i<'akultät als solcher einzig und allein obliegt, 
fär die Professorenvorbilduiig Borge su tngeo, dab «i« vor atlent, schon um dea 
übrigen Fakultäten ein Muster pädagogischer Ordnuiig zu bieten, auf ein gehöriges 
Neben- und Nacheinander von Studien und Prüfungen zn lit«Mi lialv, dafs sio ihre 
Vorlesungen, die allgemein zusammenfassenden gi-ofsen ebenso, wie die in Einzel- 
gcbiete gelehiter Forschung eioführeudea SpeziaUoUegion in der Uaad derselben 
Frofeesoren vereiiiigen müiisef ja dab sie selbst die Übangem und Repetitorien nicht 
etwa auf ein ihr heterogenes Institut, z. B. ein separates Professorenseniinar einfach 
übertnigen dürfe, sondern al!''>. wa?« mit der Ausbildung dos zukünftigpn Professors 
zusammenhäogt, selbst m die Hand uehmeu und von ihren eigenen Fakultätsmit- 
gUedMn leilea lassen mOsse. Die plaomSUg betriAeneD Btndien iolleu nadi «nem 
sweijihiqpea, in eiater Reih« für allgemeines Wissen und Wissen^gseohlohte sor- 
genden Unterbau mit einem deuselben abschliefsendeu Fuudamentalexameu , und 
einem zweijlilirisrfn. namentlich aufs Praktische und das Sammeln von Erfahrungen 
gerichteten Uberbau von zweierlei Prüfungen gekrönt werden, enitens dem i^taat- 
liohmi Beni&eKanen , und dann «nl nach diesem, der e^ntiieben Oelehitm- 
d. l der Doktoiatsprufong. — ~ 

In dem Vorhergehenden hätte idi, soweit es in dieser Kürze giug, den Inhalt 
des Karmanschen Buches wiedergegeben. Selbstverständlich konnte ich von dem 
reichen Uehalt das Buches und besonders von der Fülle an historischem Material, 
weldies darin verarbeitet ist, nur ein maBgeUisfteaBild liefern, sind dodi darin einzdne 
Stellen, ja FuDsnoten, die geradezu den roUätftndigen Stoff zu einer oder der anderen 
Monnr^rn[>!ii«- ans dem Gebiete des höheren Unterrichtes und der BUdungsgeschichto 

iai aligemeinen anflehen. 

Schade, daik der Verfasser üidi damit begnügte, seine gewils weit über den 
Bahmen lokaler Interessen ddi ausdehnenden, allgemeiner Beachtung würdigen 
AusfOhrangen nur dem verhältnisonälsig doch engen Le^ekiei^o seiner Landsleute 

voizulegen . und nicht Mittel und Wege fand, sie in eine der westoun)j>aischeu 
Sprachen, in erster Reihe in die dotitsehe zu übertragen oder übertragen zu lassen. 
Vielleicht ist es noch nicht zu s[»at dazu. 

Budapest Dr. Johann Waldapfel 



4. Professor Natorp in Harburg: ffiber volkstflmUclie 

TJniversitätskuTse" 

(Akademische Kevuc U, Ueft 23/24) 
Dieser Aufsatz bildet eine vortivfflirhe Ergänzung imd weitnre Ausführuntj des 
Artikels »Fortbildungskurse au der Univernität» in Reins Handbuch der Pädagogik, 
II. Bd. Es ist höchst erfreulich zu sehen, wie auch in Deutschland immer mehr 
die Überzeugung Platz greift, dala zur Beseitigung der sozialen Oefehren der Hebel 
nicht nur bei der ßesitznngleiohbeit, sondern vor allem bei der Bildungsungleichbeit 
anzusetzen ist, und dafs nn-^ere T^iiversitäten mit dazu beruft n sind, an der Aibeit 
der geistigen Ilebung der unteren und mittleren Yolkaklas&en lu piauvoHer Weise 
sich zu beteiligen. FtaUich gilt es da noch viele Vorurtsile zu beseitigen und den 
Hochmut des spezifischen Faßh-Oelehrtentums auf das redite Mab zurückzuführen, 
das im Besitz einer Art Goheimlehre zu .sein glaubt, die möglicLst auf enge 
Kreise zu beschränken »ei, damit sie nicht an ihrer Jkraft verliere. Und doch liegt 



Digitized by Google 



5. Terein für Fraaen-Studiimi 



457 



OS auf der Hand: je kli'iiicr di'V Rrois ist, der an gewissen Mysterieu teilnimnit, 
f]p9io gröfser ist die Wirkungslosigkeit der Arbeit nuf das t^' t^ti^'i- Leben und damit 
uiif deo Fortsuhhtt deü Vüik'os. Es liegt uns ferne, duaiit irgeudeincni vvisseuschaft- 
licbdD Gebiet zu nahe treten xa wt^en, das ftberhattpt tüchtige Arbeiter anzmiehoi 
and in engen Kreis SU Iwnuen vermag; aber das mub genagt werden: je starrer 
unsere Universitätpn von dm Arlxjitsproblemon und den riii^Miiden Strömungen der 
Gegenwart sich absciilielsen, um ko mehr verlieren sie an Einflufs auf die künftige 
Oestaitung unseres Volkslebens. Die altkonsenativen Uni vertsi täten Englands, Cam- 
bridge und Oxford« haben diese Gefahr vor Jahren sehen eikannt und in der »Uni- 
▼ersity Extension« Mittel und Wsge gesucht und gefunden, den Zusammenhang 
zwischen Wissenschaft und Leben enger zu prstaltpn, p wifs nicht zum Nni htoil dt-r 
Uochscbule und nicht zum Schaden des Volkslebens. Dais wir in E)eutschhMid ähn- 
liche EinrichtuugeQ treffen möchten, dafür tritt Professor Natorp in Marburg aufs 
wünuste in dem empfdileneD Artikel ein. Er berührt sich darin mit Darlegungeti, 
die sich in folgenden Schriften und An&ätzen vorfinden: 

1. Schultzo-Gävernitz , Zum sozialen Frieil»jn. 1H90. 

2. Reyher, Handbuch des Volksbildungsweseu.s. Wien 1895. 

3. Rasell-Boyer, Die Volkahochsobulen in England und Amerika. Leipzig, 
ToigÜHnder 1805. 

4. Tön nies, Ethische Kultur, 1804, Nr. 36 und 37. 

5. E. Schnitze, Vos.s. Zpitnng; Sonntagsbeii. Nr. 25, 18Ü6. 

Auch möge bei dieser Oelcgoubeit an das Wort von Ilans Delbrück erinnert 
werden. Er sagt (»Die Zeit«, 1896, 28): »Nur das Tolk wird sich daaemder Ge> 
sundhsit eifreoen. deHsen beste und gebüdelste Ifibiner oieht nnr fttr sich selbst 
gebildet sind, sondern anoh dafür soi^n, dab von ihrsr geistigea Kraft ein starker 
Teil auf das Voiksganxe aitBStrahlt« 



5. Verein für Frauen-Stadium 

Sauuiigen 

§ 1. Zweck. Der Verein ersti-ebt Erachliefsung der wi.ssensclm£tlulie!i Be- 
rufe für die Franen. Er hSIt sidi fem T<m jeder politi^en oder religiösen Partei- 

Stellung. — § 2. Mittel. Als ICttol zur Erreichung dieses Zweckes soll einerseits 
die Errichtung und ünter>tüt7iHipr von Lehranstalten, wcl« hc dfi weiblichen Jugend 
die gleiche Vorbildung zum rnivci-sitätstudium sichern wie der männlichen, anderer- 
seits eine allgemeine Propaganda für die Er>chlictsung der wissenschaftlichen Be- 
rufe für die Frauen dienen. 3. Mitgliedschaft and Jahresbeitrag. Mit- 
glied des Vereines kruini ii ci\v;u hs* ne Personen, sowie Koriiorationen wei-deu; es 
genü-rt nnindlii I r M-hriftliche Anmeldung b- ini Vorstande. Der .TaliK'shfMtrag 
ist mindestens 3 M. Uns Rechnungsjahr läuft vom 1. Januar bis 31. i<ezember. — 
§4. Veruinssitz, Der Verein hat seine CentralstcUe am Wohnsitze der jeweiligen 
l. Vorsitzenden nnd aufiienlem Ortsgruppen in jeder Stadt, in der mehr als 10 Mit« 
glieder sind. — § 5. Vereinso rgnne. Organe des Vereines sind: der Vorstand 
und die Hauptversammlung. — ^ fJ. Der Voi-stximl wird in jiMli-r ITauiitv«MN.iinm!ung 
gewählt; er besteht aus 5 bis 9 Personen: 2 Vorsitzeudeu, 1 Seliatzmeistenn, 2Schrift- 
ffthrerittuen und eventuell 1 bis 4 Beisitzenden. Er hat das Hecht sich nach Be- 
darf zu ei^zeo. Das Amt der I. Vorsttsenden kann nnr von einer Fran bekleidet 
werden. — § 7. Der Vorstand fährt die Verwaltung des Vereines. Nach aulken 



Digitized by Google 



458 



H Mitteilungen 



vertritt ihn die crsto Vuniitzende wler deren Stellvertretung. Zur (iültigkoit von 
Schriftstüdteiif welch« den Verein verpfliditen, ikt die Gegenzeidmung eines 2. Vor- 
standsmitgliedes eifordorlicb. Elioufalls ist dio Vorsitzende, bezw. deren StuU- 
vertivtung, unt^r Mitwirkung eines Vf>fst!indsniitglier!»'s zn allfn L'<'ii<'htJiL'hen und 
auCst'rgf'riclitliffu'u Handlungen, eiuschliefslieh derjenigen, für welche das Gesetz 
SpeziiÜYolluiacht erfoi-dcit, ermächtigt. — § 8. Üie Uitsgru|i|)en wählen ihren Vor- 
stand nnd regcb ihre Oeschäftsffihrung selbbt. Jeder Ortsgruitpenverstand hat dto 
rflicht, innerhalb seiner Gruppe die Interesseo Verdös su fördern, den Mit- 
gli-<lt ru tli.« V-Teiusmitteilungen zuj^nglich zu mnfhen, von ihnen die Bi'itnige zu 
erheben und au die iSehatznieistenu abzufuhren. .I> iie ( trfsf,'rnp]t'> ist lierechtigt, vou 
doQ bei ihr eingehenden Beiträgen bis zu '/^ fui Julvulc Zwecke zu verwenden, 
Reohunngslegnog und Enthistung erfolgt auf der HauptversamuluDg. — $ 9. Die 
Hanptvei-sanimlung findet jährlich im F^hjahr statt. Eine jede bestimmt den Ort 
der nächsten. Die Einladung mufs mindestens J WiH h.'ii vorh>'r unter Hekanntgabe 
der Tagesordnung »erfolgen. — § 10. Der Vorstand ist verpflit litet, der Hauptver- 
sammlung den Juliresbericht vorzulegen und Eütlitoiuug zu beantragen. Die Be- 
Bohlusse werden mit einfacher AhjoritKt der Anwesenden gefabt Btatutenänderongen 
erfordern eine Majorität von der anwesenden Mitglieder. — § II Pm^ sondere 
Bestimmungen. Die Anflösnnfj Vt'nin»^s kann nur auf einer dazu 4 Woclien 
voriier einzuberufenden lljuipt Versammlung durch ".^ der Anwesendeu beschlussen 
werden. Dieselbe Vei-«immluug bes>clüiclist mit einfacher Majorität über die Ver- 
wendung des etwa vorhandenen Vermögens. 

Meldungen und Mitgliedsbeiträge sind an die Vorstandsmitglieder zu richten: 
Frnu von Witt, Berlin, Courbii-'tvstrafse 14, I. Vorsitzende Natalie von 
Milde, Weimar, lisztstralso 18, II. Vorsitzende. Frau Sera rrodss, Berlin, 
Lutherstrafüe 51, 1. Schriftführerin. Charlotte Bauer, München, Hessüti-aliie 32, 
II. Schriftführerin. Agnes Hundoegger, Hftnnover, Nienburger- Strafte 13, 
Sdiatuneisterin. Anita Augspurg, München, Kaulbaehstrafso öl a. Bei-sitzende. 
Frau Marie Stritt, Dn-sflcn. Ri iduitz« iNti-ifsc JS. I?ej«?itz«'nde. Ika Frenden- 
berg, München, Beisitxende. Frau Baronin v. Woizogeu, Müuühou, Maria 
Josephastralse 2a, Beisitzende. 



6. Prof. Dr. C. S. Cornelins t 

Am 1. Nuvenjber 1S9<? >t.ir)) 77 Jsdiro alt rn>fes.sor Dr. C. Cornelius in 
Halle a S. Er war noch ein unmittelbarer behuln ITfrbarts. D;ih Tiobiet, das er 
wissenschaftlich be.soudoi-s beaibeitet hat, war da.s, wo Physik. Chemie, l'hysiologie, 
Psychologie und Metaphysik sich berühren. Seine Schriften und Abhandlungen sind 
sDsammengestellt in JSeins BncyUopidischem Bandbudi im Artikel Her hart 



7. Zar Lehrerbesoldung 

-Kf^ine Siimnii' kmiti licssor venvandt w*'i'dnn. als für nn'^cri:' Iml>'n, Wf»un 
<lie Vemendung auf anderen Staatsgebieten zehnfa- ln' Fni< lit(;' tr;ii:t. s<j werden die 
V^erwendvujgen für unsere Schulen tiwsendfältige ideale und inaterieUu F muhte tragen.« 
Abgeordneter Dr. Miquel (1875). 



Digitized by Google 



C Besprechungen 



I Ptiilosophisohes 



A. Tienes, Lotzes Gedanken zu den Prin- 
«pien-Fhigen der Ethik. HeidelbeTi:. 
Hörning. 1896. 57 S. 

Lotzes n'ichfr (ifist niul ti»>f«'S*(io- 
miit ist leider au keinem einzigen Punkte , 
der Wissenschaft wirklich zur Erkenntnis < 
davohgedrangea. Überall sohUgt er die ' 

VBiaohiedeosteo Wege ein, nimint i^wny. 
entgegengesetzte (»fdnnk'-n auf luid siidit 
«ich gegenseitig Aussclilit-lhondes zu ver- 
«inigen. Was der Verfasser dieser Dar- 
eteUnngder in LotseBWeitea flberall ser- 
Ktreuten etbiseben Gedanken „ein schönes 
hannonischps Ndienoinander" der ver- 
sohicdouuu l^ichtuugcu bei Lo t z e nennt, ist 
in Wahriieit der stets niUsUngende Ver- 
such, Unvereinboree ra vereinen. 80 
auch hiiT, wo er z. B. Eudämonisnius und 
Alisolutlirit di r sittlichen Urteile, kausalt'ti 
DetenninisuiuM mit kausallosem lude- 
terminiamiui venolimelien wüL | 
Dabei pflegt dann jedes der «nander | 
■widerepn'i'hfii.len Gliid-T etwas um- 
gedeutet zu werden, um dvu Widersprueh 
an miideru. üo z. 13. behauptet er, das 
sittliche Handehi beruhe auf der Lust, 
aber es wi|d diese Lust von der niedem 
Lust unterschieden und culetxt nichts 



anderes darunter verstanden als was 
H erbart das absolute WohlgefsUen nennte 

das kann ja e]>enfa]l8 audi eine Lust 
lieilsen, aber doch eben von irnnz anderer 
Art, als was sonst mit diesem Namen be- 
zeichnet wird. (Vergl. diese Zeitschrift. 
II. 280 fL) Um so nnsutreffender ist 
es. wenn von Lotze gegen Ilorbart 
ful^'eudes anpi fiihft wird: 'Ilerbart will 
den sittlichen Uelxjteu wühl einen un- 
bedingten Wert zugestehen, doch will er 
sie nicht in eine Besiehung su den Ge- 
fühlen der Lust und Unlust gesetzt wissen. 
Dieser Theorie kann Lotze nicht zu- 
stimmeu. Deun weun unser (.iewis.sen 
die Gesetze unseres Handelns billigen oder 
mibbOligen iMjtl, so mfissen wir hierbei 
auch Lust oder Unlust empfinden, einfach 
deshalb, weil Hilligen und Milsbilligen 
duch Dicht sowohl eine Thätigkeit des 
DenkenSf als Tielmehr eine soldie des 
Fuhlens bedeutet Solohe Uitdle der 
Billigung und Nicht- Billigung kann daher 
ülicrhaupt nur ein Wesen fjUlen, dem es 
möglich ist zu fübleo. Lust uud Unluht 
SU empfinden. Also wird anoh Herbart 
zugeben mfissen, dab seine praktischen 
Ideen gar nicht jeder Verbindung mit drai 



Digitized by Google 



460 



Begriff der Lost sich eutziübeu köuneo.« 
Hat denn sich Herbart dieser Rrkennt- 

nis entzogeil, hat er dies nicht auädrüdE- 
licli honorgehohen ? nur hat er eben, wie 
da» äo uotig ist, Lust und Lust uoter- 
schieden, gani ähnlich wie auch Lotse 
befttrebt ist, dies zu thun. Es ist ovr ein 
\V(»rtsti-eit, wenn das Wort Lust soweit 
gefrt£st wiffl. dafs auch das völlig selbst- 
losa »ittiiche Urteil und WoUcu eine Luat 
genannt wird. 

Auf Selbstlosigkeit des Wohlwollens 
geht auch Lotze's Ethik aus, ja er läfst 
das Wohlwollen als eiuzige sittli< ht> Idee 
und als einziges sittliche» Motiv gelten. 
Man h5re, wie Lotse das Wohlwollen 
schildert und achte darauf, wie überall 
die sittlK hen Ideen Herbarts durch- 
schimjnein. Das Woblwolleu ist für 
Lotze das Prinzip der Etliik, uiid zwar 
das Wollen dabei* sdbsf wenn die Hand- 
lung ▼erhindert würde. Was das Motiv 
anbetrifft, so snl! drinsrllien Wärme d'-"^ 
Gefühls ei;:ou sein, die mit liebovolleoi 
Vur^täuduis sich in der Menschheit Leid 
und Freud versenken luuin, die steh nicht 
beschrankend auf einen engen Kreis nach 
allen Seiten hin anregend tind angeregt 
ein Interesse für das allgemeine Wohl- 
ergehen äulsert, die dabei aber immer 
dem wiridiehen Werte des SSnzelnen 
Keohnung triigt, das ürofse ernst, leicht 
das Kleine nohnieiKl. Diigcf^L-u ist <'iii»' 
kidte maschiuenmäroige Kedüchkeit, die 
ohne Herz für dos Unglück, am Glück 
ohne Freude, gleichmiUsig. unbeweigt ihre 
Pflicht tiiut, Sittüdi nicht zu billigen, 
wenn sie aueh zuweilen für dns praktische 
Leben von Nutzen sein kann. — Was 
dann dos Handeln selbst anlangt, so ist 
für Lotse das erste Gebot, überhaupt sn 
handeln, aus eigner Kraft, unabhängig 
von erst dazu zwin«rendon Umständen 
sich eine Ihätigkeit zu suchen, durch die 
man zum Wohle der Menschheit, zur 
VerwirUidiuag alles SdiÖnen, Outen, Edlen 
in der Welt beitnigen kann. Nur kein 
besehauliches, oder p^ir asketisches, nicht 
einmal eui au<i6cblielslicb dem Denken ge- 



widmet«« Leben führeot Dabei sollen 
wir aber nichts Ünmögtiehes durdizosetsem 

oder TJmrermeidliches abzuwenden trachten, 
sondern von dem Un»»rreiehhnrpn mit >>e- 
scheidener Kesignation zurücktreten, wah- 
rend wir nach dem erreiebbaren SKele 
auch mit einer Willenskinft, die das Grobe 
und das Kleine mit gleicher Hingebung 
vollbringt, zu streben hnhen. Dneh mufs 
natürlich un.ser liuuüt.iu im Emkiaiig mit 
unserer tlberzeugung stehen. Liegen in 
einem Streitfslle Terschiedene Ansichtea 
vor, so dürfen wir nur dann die uusrige 
nnlifylinirt geltend inaehen wollen, wenn 
wir überhaupt gezwungen aind zu handeln. 
Überall auch ohne zwingende Veranlassung^ 
seine eigne Übersengung durchsetzen zu 
wollen, zeugt vou verderl lii lu m Fanatis- 
muH. Weiterhin soll der üandelnde eine 
i^ersöulichkeit, ein Charakter sein, der be- 
stimmte Grundstttae hat, eine Koosequenx 
besitzt, der alle jene unschiinen Auf- 
walluni^L'U des Auf^cubliekes freiiiJ 5;iud, 
Dieser Charakter winl zum iiuiieru Ideido 
nocti, wenn er da« Gute vollbringt ohne 
Torherigon Kampf mit dem BQeen, wenn 
ihm das sittliche Handeln zur zweiten 
' Natnr p worden ist. . . T);is pietätvolle 
Wohlwollen l;ir?ät uns auch dann, wenn 
wir in unsem Üe^ttiebungen an einem und 
demselben INinkte mit denen eines andern 
I zusammentreffen, genie soweit nachgeben, 
' flafc beide Teile befriedigt werden. Dieses 
I bnngt es auch mit sich, dafs wir Ver- 
geltung üben, dankbar uns zeigen für em- 
pfangene Wohlthaten, aber audi um 
des allgemeinen Besten willen für eine 
böse Gesinnun? Strafe vom Sehieksal 
— sie selbst zu vollziehen, dazu haben 
wir nicht ohne weiteres ein Iteclit — 
verlangen.« 

Gegenüber solchen sittlichen Ideiüon, 
wie sie wolij keitier Ethik, wohl auch 
keuiem bessern Uumane etc. fehlen, fiüüt 
man so recht das Verdienst Herbarts, 
aus dem allgemein mtthohen Gesamturteil 
oder Ideal die einzelnen IHinkte oder Ideen 
gesondert, jede einzelne für .sieh sauber 
gezeidmet und bestimmt zu hubeu, wio 



Dig'itized by 



1 PhUosophiflohes 



461 



«ie zusammen wirfcon nnd welchon Beitrag 
eine jHp üpfcrti imils, nm das ei^Dtücbe 
Jiittlichü Ideal zu büdeu. 

Ülnigens wird ans dem Mitgeteilten 
hervorgehen, in welch vortrefflichem 
Or'i.sd' L(»t z.'S Et!iik frrlwiltcii ist. Lntze 
meint uberiüi da8 Kichtigo. Abur i s ist 
für einen Philosophen nicht genug, da» 
Kiohtige ttur sn meinen^ oh mttfe bevtimmt 
von dem Falschen und Halbwahren unter- 
schieden weixlen. Der Lotze^i hen Ktluk 
fehlt darum der wibsensohaftiiehL- C'lia- 
rakter. 0. F. 



fieorg Hatfner, Die menschliche Seele. 
Eiu Vuitrag. Frankfui-t u/M., Brechert. 
1893. 32 & (ViOM. 
Man kann nach der cbristiiehen Lehre 

die Seele als eine gf'gebene Tliatsjwhe be- 
trachten tmd ihr Leben beschreih« «ii. Da- 
gegen ist nichts einztiwenden. Der Gang 
einer solchen psychologischen Uuter- 
enchung int einftidi, klar und veratünd« 
lieh. Er empfiehlt sich deshalb nicht 
unr in Schuh' und Kirche, sondern auch 
vor einem Kreise von Zuhörern, von 
denen die meisten in philosophischen 
Spekulationen nicht gefiht sind. 

Die Seele gehört nicht zu den Din- 
g*^n, die uns in unmittrlhaif^r Erfah- 
rung gegebtin sind. Alles (i»'gebene ist 
veiindeilich. Es nn6 also den Dingen 
etwas Bleibendes. Seiendes zu Grunde 
liegen, aus dem diis Werden, der Wechs«'j, 
die Vcrätulcrunf: hervorgeht. "Wenn nichts 
ist, dann kann nichts werrlen. Setzen wir 
diesen Oedanken fort, dann gebt die über- 
legung weiter dahin, oh es nar ein Seien- 
des oder ob es viele Seiende giebt, wie 
das Seiende zu denken ist. wflthc <>iinli- 
tat es hat, und endlich, wie die Si ieudwu 
in Verbindung und Zusammenhang ge- 
langen k(innen. Wenn diese Oedanken in 
logiscIi.M- Weise fortichreiten, jrelanu'*'n 
wir zu Ki>.""bnis«i'n. dir* pr-wifs siiul. uud 
an deren Hiclitigkeit zu zweifeln wider- 
sinnig ist 

Die gegehene Welt, wozu auch die 



Erscheinung des Seelenlebens gehören, ist 
schh'chterdings imfafsbar und unerklürbar, 
wenn wir fdv> nicht durch das wirkliche 
Dasein von abeduten Wesen zu begreifen 
und zu erklären vermögen. Zu diesen 
Wrst'iilieiten, Seienden, Kr-alitäten, oder 
w riehen Nnimen man dafür wählen möge, 
die .sich durch metiphyaische Fonichung 
ergeben, rechnen wir auch die Seele, die 
als ein imstuffliches, untrilljaros, un- 
vt ran (Irrliches Wesen denkbar, aber nicht 
vorstrliliar ist. 

Zu ganz entgeg«'Ugüsetzten Ansichten 
gelangt jedoch der Verfasser der obea 
genannton kleinen Arbeit. Ks wird darin 
nicht nur behauptet die Seele sei ver- 
änderlich, sondern sogar, sie sei ver- 
gänglich. Piüfen wir deshalb, ob die 
Gründe lür diese Behauptung stidihaltig 
sind. 

Drr Vortrjifr bostfht aus (lr<>i Teilen. 
Der erate Teil handiit über Art und 
Wesen, der zweite über Gesundheit und 
Krankhdt, der dritte über Zeit und Ewig- 
keit der menschli<>hen Sede. Davon ist 
der ei"ste Toil nach unsf»rm Dafürhalten 
der wichtigste; ihm werden wir deshalb 
auch die meiste Aufmerksamkeit schenken. 

HerrHalfner beginnt damit, daik wir 
nie die Dinge an sich, sondern nur uns 
selbst untpf dem Kindnick der Dinge und 
unter ihren Wirkungen kennen lernten. 
Deshalb, hmlkt es weiter, müssen vir 
eben »glanben«, dals die Dinge das auch 
sind, Wils sie uns nach ihren Eindrücken 
und Wirkungen zu sein scheinen. S. 4. 

Ditö Wort glauben ist hier gebraudit, 
um es awcifelhaft la lassen, ob die Dinge 
auch so sind, wie sie scheinen. Das bat 
aber gar keinen Sinn, denn wenn uic^lits 
da ist. kann auch niehtii scheinen. Zu- 
nächst haben wir e.s imu&r nur mit 
unseren Vorstellungen su thun. Unser 
Denken aber zwingt ans sur Anerkennung 
der Tliatsache, dafs eine reale Welt aufser 
uns existiert; und wir sind dessen gc- 
wifs, dals sie so existiert, wie sie uns iu 
widenpmchsfreier Weise gedacht werden 
muik» 



Digitized by Google 



462 



C Bcsprediuogen 



Zu Attfaiitr (fcs frston Teiles winl zu- 
iiächst die ADSchiiiuing verwi»rfen, dafN 
innerhalb den ätofflicbun L43ibes die uu- 
•toffltche Seele wohDt, weil Bie »bei 
tiäluM-or BeachäftigUDg mit der Sache und 
boi tit^ferer Foi-sehuug in der Si.'hrift nicht 
mehr bleibeu kiuia«. S. 5. Kio anderer 
(iruod för diese seltsame Behauptung 
wird TorUittfig nicht angegeben. Wir 
werden nachher teigon, diUs der Ver- 
fa<K*M- seiner eigenen ßehamrfnng wider- 

Dann wird gesagt, dals wir eigentlich 
nnr auf dem W^ge der Selbstbeobachtung 

zur Erkenntnis der mensch) iehen Seele 
gelanp ii kiniiien. wa-s man billig bezweifeln 
darf. S. 0. Das Wesou der Seele läTüt 
(rieh nidit beobaditen, sondern nnr er- 
schliefsen. Dem widerspricht aber der 
Vortrag! wo behauptet wird: »Das Wesen 
der Dinge lorneu wir überhaupt nicht 
kennen.« S. 3. 

"Waa läfet sidi denn beobachten? Hier» 
über lesen wir: »Idi atoUe midi mir nur 
dar zunächst jils eine doppeltgeartete 
Sunune von Vorgängen. Es sind da leib- 
liche Vorgänge uud seelische Vorgänge.« 
8. b. Das int aber ein «ehr niißsTemänd* 
lieher Sata. Wie geraten die »leiblichen« 
Vorgänge in das IchV Weitien wir uns 
der physiol»ii{isehen l'n>z<'s><(^ unseres 
Leibes niclit au-ssclilielslich duivh seelische 
Vorgftnge bewubt? Mit dieser Erfahruugs- 
tfaatsache wurde ja der Vortrag begonnen. 
Ferner meinen wir, ein entwickelter 
Meuseli habe zuerst djis Ik'wufstsein von 
seinem Ich. diUs er in allen Jx'ben.sLjgen 
immer deniolbe ist. Wenn er dann den 
Inhalt des Ichbewufstseitis gli.Hlert und 
sond rt. L'<-Ianfrt er zu der iVIanuigfaltig- 
keit .seelischer Thatsiu ben. Dir.se That- 
sachen waren freilich schon finhor du, 
Me bildeten auch das fiewuCstaein, aber 
sie wareu noeh niclit zu der Vorstellung 
des b h \ ersclimolzen. 

»1^'ibliche Vorgänge« — uas kann be- 
doaten, die wirkLiclwn Vorgfaigo in, au 
nnd mit dem Leibe oder die Vor« 
Stellungen von diesen Vofgfingen. Jene 



sind Gegenstände der Nahirw istseu.schaff. 
Soweit diese jene Ersclieinuugen klar- 
gestellt hat, k:um die p8,vchologje wegen 
der gegenseitigen Abh&ngiglieit von Leib 
und Seele sie verwerten. 

Vu) nnn die seelischen Vi-i<riinjro 
besser erklären zu können, folgt ia dem 
Vortrage jetzt eine Abschweifung in das 
Gebiet der leiblichen Vorgftiige, weil diesa 
uns sondotbarerwei.se bekjuinter sein 
und begreiflicher scheinen aollen, wns 
aller Erfahrung widerspricht. Es werdeo 
da drei Arten leiblicher Vorgänge unter- 
sdiieden: Wahrnehmen, Empfinden, Be- 
wegen. Sie werden näher bezeichnet a!» 
centripetale, centr.ile und centrifu<;n'e 
Thätigkeit. Die Werkzeuge zur Aus- 
fOhrung dieser drei Arten von Tluitigkcit 
sind die Binnesoigane, die Empfindnngs> 
nerven und die Bewegungsnerven. S. 7. 
Darnach sind die Sintiesdrirane, w'w auch 
im Vorti'uge behauptet Mird, nur zum 
Wahrnehmen da. das Empfinden nnd 6e> 
wegen ist nicht ihre Aufgabe, trotzdem 
sie mit den entsprecht^nden Nerven ver- 
sehen sind und die beiden andern Tliati'^- 
keiteu auch v«rrichteu könueu, wie di« 
Erfahrunjr beweist. Ohne die Koocht^n 
und Muskeln Idnnen auch die Neneu 
keine Hewe^nnjj ausführen. Jene Be- 
hauptung ist also ganz unzuti-effend. Veu 
wem aber die drei Werkzeuge den Au- 
trieb zur Th&tigkcit erhalten, wird nicht 
verraten. 

Ein jeder I>oer wir] (!e;:keu, der 
Iv»?ib S'-i der rrheber der lltatigkeit. AIht 
im Vortrag heilst es: Der L«>ib ist >uur 
ein Name für die Summe dieser letblidien 
Vorgänge'. S. 8« Er ist aber d<)<h auch 
eine Ver.stellniig vüu einem wirkli'ii ver- 
liaudenen Ding, von dem es dann heilst: 
•Zum Wahniehnieu gelaugt dieser eiuheit- 
licheTrtlger jedenfrtllsniubt.« $.8. Alsoei>t 
wiitl die Existenz des Tiiigers bezweifelt 
und dann wii<| etwas vc«n ihn» ausges.ngt. 
l nd ferner beucUto man den Wider- 
spruch: Das Wahrnehmen sdJ mn leib- 
licher Vorgang sein, aber der Leib suU 
nicht zum Wahrnehmen gelangen. 



Oigitized by 



I Philosophisches 



463 



A>i.'r frelangt d.T Tvoib etwa zu Ein- 
Iifiudungen oder liewegungeu V Es wii-d 
uus uichts darüber gesagt. Wäre der 
Leib föhig, ohne Hitwirlraitg der Seele 



Onippon oingetoilt : Yorstollen, Fuhlen, 
Denkoij, und wiwlfM nah-T bestimmt als 
ccDtripetale , centrale und eentrifvigale 
Th&tigkeit einee «nbekannteD Ihätigeo. 



Schmerzen zu empfinden, dann vUre die S. 8. 



Anwi^iulmi;: l>«.t.iu1>t'ndi>r Mitt<'l bei chi- 
rnvgis(-'ln.«n (>|jenitiuni'ii unmitz. T*-t beim 
Sehreiboü die Bewegung der Hand nur 
eine oeDtiilngaleThiitigkeitderBewegungs- 

nervou, oder ist rs nicht vielmelir der 

Willr. ii,M- (ii.']lai)il lie\v.'>rt. Her mensch- 



Das vom Kr<'i'>*' li»'rjrfnommene Prinzip 
der Einteilung ist hier wie vuH.iii i'iri 
sehr äu&erlicbeä, nämlich eiue Destiiiiniuug 
des Orte« oder genauer der Bichtung der 
Thätigkeit. Das Vörstetten soll sich von 
aufsen nnrh irmi'ii rifhton. (ins Fillili'U 
liehe Koqter unterliegt den physikjüischen s>oü im luueni geschehen, das Denken 



und chemischen Gese tzen. Er macht die 
Bewegung des Fallens, wenn er «einen 



von innen nach auisen gehen. Nähere 
Erlänterungen oder Beispiele werden für 



Schwerpunkt v(M-loren hat, unabhängig . lücse Behauptungen nicht angeführt. So 
von unserm Willrii. Xnn sob-hen Bo- bleibt 'Xi\m. \u»erfitit]li< h , was mit innen 
wegiuigQU ist hier aber nicht die Rede, uüU auiseu eigentlich gi-memt wiixl, und 
Die hypnotischen Versuche haben fest- t das tun so mehr, weil die Seele ebenfalls 
geoteUt, dafe der Leib zumeist kein Glied be<- 1 nur >ein Name üir die Summe der 
wegen kann, wenn die ThStigkeit der Seele seuliscben Erscheinungen ist* . 8. 0. Von 
unterbunden ist | einer S<>olo, dif* ein unbekiuiutes Din^r und 

Innerhalb des Leibes giebt es kein gfi- j ein vollendetes Nichts ist, kauu iiuui doch 
füge» Leben, aondem nur physikalische j im Ernste nicht behaupten, dab sie eine 
und chemische Vorginge, die von uoaenn | Thätigkeit entfalte und dafs diese Thltig- 
AVillen unabhängig sind, so wie wir es l^eit gcschclie nadl innen, nach aufiiea 
weder hindern nofh föixleru können, wenn ; od«'r im Innern. 



8ich die riuneten bewegen, wenn der 
Sauerstoff an dem Eisen den Rost erw 
ztnigt, oder wenn sich die Elektrizität der 

Luft entladi't 

Wir mus<5on also die aufgestellte I)r<>i- 
teilung des leiblichen Lebens al» völlig 



liHü Einteiluugiüpriuzi|), welches lieir 
Haffner angewandt hat, ist hier nicht 
am Platze. Der durchgreifende Unter^ 

schied in den seelischen Ei"scheinungeu 
ist nicht der, dafs ah' in ihrer Kichtung 
vei'scbiedcu »iud. Die Emteilung mul» 



verfehlt bezeichnen. Sie widerspricht auf den Inhalt des geistigen Lebens Btiuk» 
nicht nur der Ei-faliruug, sondern aie j sieht nehmen. Das haben suhon Piaton 

steckt niu h voller Widersprüche. und Aristoteles gethiui. Piaton imti-r- 

(»anz unverständlich ist es uns, wie schied iu den Vorrütiireu der Psyche drei 
die Bemerkungen über die leiblichen Vor- I Gruppen : 1. wius der 3JoD.>>ch mit den 
gänge und den Leib mit dem Gedanken ' Tieron gemeinsam luit, 2. wodurch er den 
abi^cblietsen : »Wir wissen schlechterdings Göttern venv.indt ist, 3. was ihm allein 
nicht, wie wir uns den Leib vorzustellen eigen ist. Aristoteles unterselii* d vier 
haben. Es hat auch so grorseii Wert Lebeusprinzipien oder Seelen : 1. die vege- 
uicht, zu wis.sen, ob er existiert oder i tierende, die empfiuüeude und wahr- 
nicht.« 8. 8. Das soU keinen großen 1 nehmende, 3. die begehiiende, 4. die 

Wert haben? Eine Kiehero. unzweifel- denk' i;'!- Seele. iMinh den Einfhifs der 

' I 

hafte Erkenntnis ist stet^ wertvoll, weil rhilosoi»heu Leibniz. Wolf nini K'unt 
sie uns von Irrlumein befreit. k;un es dahin, dafs man die lA'bcns- 

Wir gelangen nun zu den Erörterungen, priuzipien des Aristoiel&s als Kräfte oder 



die sich mit den seelischen Vorgängen 
befassen. Diese werden ebenfalls in drei 



Vermögen der einen mensdilichen Seele 
aufCabte, wobei man von der »T<>getiercn« 



Digitized by Google 



464 



C Besprechungen 



<ieo Seele« absah. Mau uoterschiod bei 
jedem Seelenvermögeu eine untere und 
obere Sphftre. Diese im vorif^ Jahr^ 

hundert ausgebildete Theorie xShit noch 
heute vit'lt' Anhänppr, obgleich sie die 
Thatsache nicht erkhiren kann, dals sich 
doch alle seeliaohen Vorgänge in einem 
und demselben Bewobtaein verrinigeii, 
was doch bei drei selbstitndigen Seelen- 
vpmiöjTpn nh oine Unmöglichkeit ^r- 
scheiuen, von andern Ungereimtlieiten ab- 
gesehen. Naoh Her bar ts Theorie bilden 
die Empfindungen« die dnrdi die Ein- 
wirkung der Aufsenwclt auf die Seele ent- 
Htoh»'»! . df»n Oniiidstoff df«?^ p^istigen 
Lebens. Aus ihnen gehen du« Voi^tellungen, 
Gefühle und 8trebuDgen hervor, die sich 
inhaltltch nnterecbeiden. 

Diese historischeu Notizen zeigen, dafs 
die Philosophen bei der Klassifikation 
{)i>ychologischer Phänomene immer auf den 
Inhalt derselben Rücksicht genommen 
haben, weshalb die Rinteiluug sich im 
nllfrnnieiDen immer gleich hWiA,. alleixiings 
UK'ht- die Begründung der Einteilung und 
auch nicht die Au£fa»sung vom Wesen 
der Seele. Doch sind die Unteischiede 
auch nicht so grofs, wie vielfach geglaubt 
wird. Aus den Df^nkfehlern dt r Xach- 
fdlger haben die Nachfolger oftinai» etwas 
gulcrnt, was vorher nicht beachtet ward, 
^tbet die beiden Dreiteilungen der leib* 
lichfn und seelischen Vorgänge, wie sie 
in H.iffnei-s Vortnig dargole|rt •.lud. cr- 
innem an die drei Wolfst-h»'» .Seelen- 
vermügcu mit den oberen und unteren 
SphAren. Aber Haffner unteindieidet 
attfeerdem no<-h den Willai als ein be- 
sonderes Vürmögeu, wie wir später er- 
fahren, und eine selbstiindige Seele giebt 
e» ja nach seiner Meinung überhaupt 
nicht, wie wir schon vorhin bemerkt 
haben. Diis ist doch ©in sehr grofser 
Unt<.'rs4liitHl zwischen seiner und der 
frühe reu Psychologie. 

In dem Tortrage wird nun zwischen 
TVahmehmung und Vorstellung unterw 
schieden. Das ist ja möglich, aber die 
hier aufgetitellte Unterscheidung ist doch 



nicht haltbar. Man urteile selbst dar- 
über: »Die Wahrnehmung ist immer nur 
Eänsebea, ein Ton und wiedmr ein Ton, 

eine Farbe und wieder eine Farbe. Die 
Vorstellung ist ein Ganzes, oin Zu<;ammen- 
bängendes, ein Bild, also eine Melodie, 
ein lied, eine Figur, eme Landeduift« 
8. 9. Hit den relatiTen Bezeichnungen 
Einzelnes und Ganzes soll hier ein Unter- 
schied klar gemacht werden. Als ob ein 
>Gauzeü« nicht auch ein Einzelnes wäre 
oder sein k9nne, z. & «ine Uelodie für 
sich allem oder als eui Stück ans einer 
Oj)er. 

Woou Herr Haffner seine Theene 
streng durchfuhren wollte, müTste er sagen, 
Walundimttng als leiUidier Vorgang \a>A 
Vorstellong als seelischer Voi^ig haben 
nichts mit einander genieinsam. Der Ton 
ist idso etwas Leibliches, die Melodio aH<'r 
ist etwas Seelisches, der Baum im Felde wird 
von dem Gesichtaoi^gan »wahigenommen«, 
die ganze Landschaft aber von einem noch 
unbekannten Rcelenorgan »vorgestellt». 
Hätte er so st»ino Thoorie .nn di*r {\\[' 
geiueineu Er-faiirung geprüft, dann wureu 
ihre Ungereimtheiten ihm sofort klar ge- 
worden. 

In Wiikli ' hkeit i.st es doch so. Ge- 
setzt, jemiiud geht an einem schönen 
Hause vorbei. Da sieht er ein Ornament, 
er nimmt es wahr. Wenn er sich um- 
wendet, vermag er aber nidit, es sich 
v<yrzu>tr!l.'ii. Wendet er si'-h nun wieder 
hin und vertieft sich iu die Zierform, so 
nennen wir diese Thätigkeit anschauen. 
Wessen Auge nun nicht in der Betmohung 
von Ornamenten geübt i.st, der wird erst 
nach mehrmahpein \iis(?haui ti im stainle 
i sein, sich das Ornam»Mit so vorzu.itelien, 
wie er sich etwa sei neu Vater oder seine 
Mutter vorstellen kann. Eine Wahr- 
nehmung ist niemals möglich, wenn nicht 
ot^was in oder aufser uns auf di«» Socio 
einwirkt. Die Vorstellung aber i>t das 
Bild einer früheren Wahrnehmung; der 
Gegenstand selbst braucht dabei nicht 
gegenwärtig zu sein. 

Auch zwischen Vorsteilen und Denken 



Digitized by Google 



I Philofiophiaohes 



465 



kanu m;ui niilit in (ior Weise uutor- 
scheidcu, wie ea Herr Ilafiayr versucht. 
Er sagt, jenes sei eine nadi ümen, dieees 
eine nach au&en gprichtetc Thätigkeit. 
Fragen wiv auch in diesem Falle die all- 
gemeine Erfahrung. Es stellt sich jemand 
em bestimmtes Gebäude, eioe Reihe von 
TöDeOf den Oedankengang einer gehSrten 
Rede vor. Jedesmal tritt ein gewifwos 
Bild vor sein geisti^^es Auge. Da.s ist 
Vorstellen. Aber wuuu dieselbe Person 
hor^ dafe kgemiwo gespidt wird, dann 
können sich ihre Oedanken darvol riishteOf 
da& da auch S|<ie1or '^eiu müssen, anf 
\ras für einem Inslruineut gespielt wird, 
ob dabei Fehler geniatht werden^ u. 8. w. 
Ich sehe aar Hitt^igszeit eine Menge 
Arbiter anf der Straflie; der nächste 
Gedanke ist, dids sie aus der Fabrik 
kommen, dafs sie nach Hause wollen, wo 
die Mahlzeit auf sie wartet, u. s. w. Wo 
ein OenUilde ist, das mir gefüllt, da lobe 
ich den Maler. Wenn ich den Blitz sehe, 
wat-fe ich auf den Donner, zälilc die 
iSekiuideu und berechne die Kntferuuug 
des Gewittere. Das ist Denken. Miui 
nacht da einen Schltüb von der Wirkung 
anf die ÜTSaohe^ oder von der Ursache 
nnf ri'n' Wirkung. Beide Arten dieses 
psycliischen Geschehens sind im Gedaukeu- 
kreise beschlossen, einen thatsächlichen 
IBcbtanj^unterSGhied giebt es da nicht. 
Will man hier im figürlichen Sinne ein 
AufHeii und Innen tTTitcrsclioiden , dann 
ist es doch so, dafs die V erstell imgshilder 
ons vorschweben, als wären sie auTser 
Qus; das Denken aber geschieht in uns; 
wer nachdenkt, erscheint als in ädi Bdhst 
versunken. 

Ein viel wichtigerer Unterschied zwi- 
schen Vontelien und Dooken ist aller- 
dingR vorhanden, jedoch wird er im 
Vortrage nicht erwähnt. Das Vor- 
stellen bezieht sich nämlich auf die Dinge 
und Erscheinungen um uns her, auf 
unsem Leih nnd seine Umgebung. Von 
sexner Lunge, von seiner Sprache kann 
sich niemand einen Begriff bilden, son- 
dern nur eine Vorstellung. Das Denken 

MtMhrlfl far nillMopblt nad PUkfoafk> 



aber ist eine absichtlicho oder unbeai»- 
sichtigte Bearbeitung der Vorstellungen 
za Begriffon. Aus den Vorstollusgen, die 
die Ofaethinme in meines Vaters Qarten 
in mir erzeugl hatfeii, entstand in meiner 
Seele längst der Begriff Obstbaum, ehe 
der Lohrer in der Schule ihn sachgemäls 
entwickdte. Ein Begriff ist nidit wahr- 
nehmbar, nicht anachaabar, nicht verstell- 
bar, sondern nur denkbar. 

In gewöhnlicher iiedo freilich werden 
Vontellen nnd Denken, ViMteUung und 
Begriff oft ab annverwandte W&ter ge- 
braucht Man nimmt es so genau nicht 
und versteht sich doch, wenn mau sieh 
verstebeu will. Deshalb sind aber auch 
dio Begriffe des gewöhnlichen Denkens 
samt nnd sonders mit Widerspruch«! be- 
haftet Das philosophische Denken aber 
sucht die überliefeiten Beg^riffe se zu be- 
arbeiten und so ru fassen, dals sie frei 
von Inneren Widersprüchen sind. 

HeiT Haffner s;urt dagegen: »Im 
Denken suche ich mich der Dintrf zu be- 
mächtigen. Ich gehe an sie heran, ich. 
suche sie zu begreifen, zu ordnen, za 
trennen und an verbüiden.« 8. 0. Das 
Denken, welches sich mit »Dingen« be- 
schäftigt, nennt man Vorstellen. An die 
Dinjrc herantrehen. ^ie ordnen, trennen, 
verbiudeu, — w as i.st da» anders als Au- 
schanen wirklicher Dinge? Wirken die 
Dinge auf unsem Körper, oder wirkt ein 
THl dos Koriiers auf einen andern Tfil 
des Korjjers, daim entsteht ein Keiz. Der 
lieiz erzeugt die Empfindung ; es folgt die 
Wahrnehmung nnd Ansdianung. Dann 
bildet sich dio Vorstellung. AttS Yor- 
stellunpen freht der B-»griff her\'or. 

Weil nach Herrn Haffners Ansicht 
für die leiblichen Vorgänge (Wahrnehmen, 
Empfinden, Bew^n) Oigane vorhanden 
sind, deshalb — sagt er — »nehmen wir 
an«, dafs auch für da«? Vorstellen. Fühlen 
und Denken Organe vorhanden sind, wenn» 
gleich wir keine »wahrnehmen« können. 
1 8. 9. Also »wir« nehmen an, das helfet 
I doch genauer: Das Denkorgan des Vor- 
I tragenden nimmt an, dafo ein Vorstellungs- 

B. JahfgMiff. 30 



Digitized by Google 



466 



G Bespraohungen 



oi^gan, ein Gefühkorgan und ein Denk- 
oigon Toriiandeii ist; »itgeodwieverbuidtfa^ 

irigendwie ziusammeDgelagert mit den leib- 
lichen Organen.« S. 0. Diosn Annahme 
ist doüb sehr verdAchtig, da sie die vier 
Seelen des Aristoteles in enemier und 
vemiehrtor Anflage eiechemen Übt Da 
der bisher aus dem Spiel gulasMone Wille 
doch jedenfalls nuoh ein Orpfin hat, kann 
Uerr Haffnor wohl mit Hecht klagen, 
dab er nicht wiese, wie er aicli seinen 
I/eib »vontellen« solte, — denn es wohnen 
hiieben »Socjcn* darin, um den alten heid- 
nischen Ausdruck m nffbraurhen. 

Aber Saherz beiseite. Ist ditö noch 
em »Oenicen«, das fftr die Summe der 
leiblichen und fftr die Summe der seelisehen 
Vor^ilnpp koines einheitlichen Trägers 
dcirf, das aber für jedes Drittel jeder 
Summe ein «Organ« annimmt ? tiedürfeu 
denn die drei leiblichen nnd die drei 
seelischen »Orgauec keiner Tniirer ? Ist das 
noch ein «Denken-, wenn Herr Haff iier 
in einem späterou Ab>elinitte die leililichen 
und seelischen YorgUugi' und Urguiie als 
»swei Linien« anflabt? 8. 10. Diese 
Ollgaue und Linien gind Ergebnisse eines 
Denkens. d;i^ weder die Tliat.s;i> lieii der 
Erfahrung, noch die Kegeln der Logik be- 
achtet hat 

Die TTnierauohong: aber die seriischen 
Vorgänge schliefst mit dem Satz-: »Wir 
stehen im Seeli^ Iien auf noch geheimnis- 
vollerem IkKieu ais im Leiblichen.« S. 9. 
Dagegen hei&t tu Anfang des Vor- 
trags: »Die Dinge selbst, was sie sind und 
wie sie sind, lernen wir nicht kenneu.« 
P. 3. Darnach erscheint doch das eine 
80 geheimnisvoll als das andere. 

Aus der Erfahrung steht fest, dals 
jeder Mensch seine Gedanken, Ernpün- 
dangen und Bestrebungen bei einiger .\uf- 
merksanikeit leicht licobaditon und sich 
Rechenschaft davon gebou kann, aber was 
in Hers nnd Nierea, in den Nerven tind 
M Qskeln Toigeht, die ehemiachen Proieaae^ 
das Wachstum, das alles ist den meisteD 
Men«chon sehr unbekannt. 

betrachtet man die Weit vom meta- 



physischen Standpunkte, so steht ebenfalla 
fest, dab wir über die Aobenwdt, woza 

j nicht uur jeder andere Mensch, sondern 
auch unser Leib gehört, nichts Gewisses 
wisseu köQueu, solange wir über das 
seelische lieben nicht zu gana bestiaunten 
Wahrheiten gelangt sind. 

Das Deuken hat seine Schranken. Wie 
der Nerven reiz zu einer SeelonempfinduDg 
wird, wie Wasserstoff uud Sauerstoff sich 
zu Wasser verlnnden, das sind Thateachen, 
die sich durch kein Denken eigränden 
lassen. Wenigstens Dach unserer Ansicht. 
Wo al)er Herr Haffner schon Hoheim- 
nisse zu sehen glaubt, da siud kt^ine. 

Es «iid non die Frage aufgeworfen: 
»Was i.st die Seele?« S. 9. Die Antwort 
lautet: "VN'us der Beobachtung gegeben, 
das sind nur seehsw^he Vor^'Hngo. Das 
\\ ort Seele ist der Name für die Summe 
der seeliBcheD Voi^ge. Unser Deokan 
schliefst auf einen einheitlichen Trtiger der 
st'eli-elien Funktionen. Aber hat miser 
I)enken ein Heeht zu di''seni Sehlufs? 
Zum Wabruehinuu jedeululiä gohuigt dieser 
einheitUohe Tritfter nidit. Wir wissen 
auch schlechterdings nicht, wie wir ihn 
uns vorrusteU'Mi haben. Es liegt auch 
gar uiclit SK) viel daran, zu wissen, ob die 
Seele als eine Einheit hinter den seel buchen 
ErscheinuDgeu» als eine Honade existiert 
oder nidii« 8. 10. 

Hier wird zum zweitenmale ge<<nirt, 
dais die logische Notwendigkeit vorliegt, 
von der Thätigkeit auf ein Thätiges zu 
scblieüsen. Hinterher aber wird nidit die 
Richtigkeit, sondern die Berechtigung zu 
diesem Schlüsse, also die NntwendiL'keit 
des Schlusses, iu Frage gestellt. Durch 
welche Bedenken die Zweifelsfrage hervor- 
gerafen weiden ist, erfahren wir leider 
nicht. Da t?in Flüchtigkeitsfehler aus- 
geschlo«;sf>n i.st, stehen wir hier vnr der 
Thatsjiche, dals Herr Haffner der Kau- 
salität der Dinge keine ahaolnt» Oeltnog 
snauerkennen scheint. Gr hesweif elt nicht, 
dals man wegen Mangelhaftigkeit der 
Vordersätze ?m ninem ffilsehen Schluls ge- 
laogea kann, oder dals man wegen des 



Digitized by Google 



I Philosophüjcbps 



467 



Mangels an YorderBützon, dals man wcgeu 
UnxnUbigtichkeitdesBeobfMshtiuiipniuilerHds 
noch Iceinen Scfalufe machen darf, sondern 
er sagt, daf^ man trotz aller Vollständig- 
keit dor Priinüssen den Induktioiiss^hhifs 
nicht voUzieiiun dürfe. Natürlich nur in 
diesen beiden FMlent wo es hUii tun Leib 
nndr Seele handelt. E.s scheint uns so, 
wolfpn wirKapfn, als wi.Ilc Herr Haffner 
die KaviKalität liier lu'^'ieien, sonst wäre 
seine Frage ju ohne 8inn. Wer aber die 
absolute KansalitSt besweifMt, wie will 
der noch etwas begreifen? Schelling 
hat darauf geantwortet: Dunli iiitellek- 
tuale Anschauung, durch Intuitioc, da- 
durch dals er sieh in eiuen übei'sinuliulieu 
Zustand veisatii und so in das Oentrum 
der Dlngn eindringt I Gewib ein schdner 
Rat, nur schade, dab man üm uoht be- 
folgen kann. 

Zum zweitenmale bringt eä Herr 
Haffner fert%, von einem Ding, über 
deesen Existenz er in Zweifel ist, etwas 
aufizusa^'M!!. »Zum Wahriiehineii gelangt 
dieser einheitliche Träger (Seele l jeden- 
falls nicht« S. 10. Hier liegt ein logi- 
eohes Kunststuckdien vor: keine Pribnissen 
zu haben, und doch einen Bchlufs zu bilden. 
ÄhuUch diesem: Es ist uuliostiniiiit. ob 
auf dem Monde Menschen wohnen, aber 
Geld haben sie Jedentiüb niditl Wie ge- 
langt übiigena das »Wabrnehmen« jetxt 
auf einmal unterdie seelischen Funktionen ? 
der zweitfolpcnde Abschnitt bpgijint: fu 
un.serer Wahrnehmung verwandelt sich 
die ganze Welt aolber uns in Toigäugo 
Ithysiacber und peydiiadier Art.« 6. 10. 
Welch eine Logik I Sie wird am besten 
gekennzeichnet, wenn wir die einzelnen 
Behauptungen übersichtlich zusammen- 
ataUen: 

a) Wabmebmen ist ein leiblicher 

Vorgang. 

b) Der Leib. do<;sen Existenz unsicher 
k>t, kann nicht wahrnehmen. 

c) »Wir«, d. h. das Denkorgan oder 
irgend ein anderes Oigan, kontrollie- 
ren, wie die Wahrnehmungen snstande 
kommen. ' 



d) Die Seele, deren Das4.'m auch uu- 
gewife ist, kann nicht wahmdunen. 

e) In der (leiblichen) Wahrnehmung 
nehmen wir 9ogu pttychiscbe Voi)|^ge 

wahr. 

Noch mehr wunderliche Reden kann 
man sich auf acht Seiten nicht leisten! 

Wie schou beim Leibe, so wird auch 
bei der Sf'f'lc --s als ein Mang« ! fiiipfunden, 
dafs wir nicht wissen, wie wir sie un.* 
'voi'zuütellen« haben. Das ist aber kein 
Orund, die Existenz der Seele xn be- 
zweifeln. Die (iottheit kann m.-m sich audi 
nicht vuistollen, aber s'u: Wt dr-ukbar, 
denkbar auch für dt>n. der niebt an sie 
glaubt Aus der Tliatsache der Einheit 
des Bewnlhtseina, wovon im gansen Vor- 
trage mit keinem Wort.' ii.^ Rede iat, 
schli»rseu wir, dafe in jedem einzilnon 
Meu.schen ein reales Wys<»n, eine »Seele,, 
vorhanden ist, in dem sich die seelischen 
Erscheinungen vereinigen. 

Die folgerichtige Durchführung der 
Untersuchung, wie aus der Einlieit des- 
Bewulstseius das Da.seiu einer realen 
Seele erschlossen wird, ist gewüj« schwierig. 
Nach dem ersten, scheuen Schritt, zu dem 
Herr Haff n e r sich nicht das Recht zutraut, 
setzt er d»>n Fufs zimirk; üh»:>r die Schwie- 
rigkeitt^u hilft er sich weg mit der Be- 
merkung: »Bs liegt nidit vid daran za 
wissen, ob dne Seito eacistiert oder nidit« 
Im Gegenteil, daran liegt sehr viel, übri- 
gens finden wir es nicht gerade riihinens- 
wort, eine ernste Sache in solcher Weise 
absuthon. 

Ksher haben wir noch nidit ver« 

nommen, diiTs Herr Haffner in seinen 
Darlfgungt-n ^u irgend einem iKusitiven 
Ergebnisse gelangt ist Wir hören nur; 
1. Es giebt keinen Leib; er hat sich 
ihm aulgdöat *in lanter Vox^ge, nicht 
in einheitliche unteilbare Ding*'.« Sind 
denn die drei leibhchen »Organe«, wovon 
früher die Rede war, auch Vorgänge ? 
Snd Vorgänge mögUoh ohne Dinge, Hand» 
lungen ohne Handelnde, 13ewegimgen ohne 
iBowogtos? 2. Es giebt keiuo Seele; 
er nimmt an, dais drei Seelenorgane vor- 



30* 



Digitized by Google 



468 



C BeBpreohungen 



iiandea «iod; aber bekannt nnd ihm nur 
<Ue seeliecben FtinktiMien. 

Herr H af f n e r kommt jedoch zu folgen- 
dem Ergebnis: Der Mensch ist also ein 
Doppelweseo; aber nicht ein Doppelweson 
aus zwei Punkten, auch uiuht oiu Doppel- 
wesen ans zwei Kreisen, sondern ein 
Doppelwesen aus jtwei Linien. Bs werden 
da ZWO! Rt'ihen von Vorgängen wahr- 
genommen, die leibliche Ruibe und die 
seelische Itetbe.« 8. 10. Das sind viele 
Worte; das Resultat ist aber aadi: keine 
Seele, kein Leib, — jedocfa die »zwei 
Iinien<c als Ersatz dafür. 

Was für Linien? frnp>n wir. mathe- 
matische Abstrakta oder wirkliche Diugo, 
etwa Kreidestriebe? Einerlei^ ein Doppel* 
wesen ans zwei Unien — darunter haben 

wir uns nichts Vernünftiges denken können. 
Vicimi'hr oi"soh<^ifit fs nm als ein ai^er 
Milsgriff, Haudluugcn (^leibliche und see- 
lieche Yergüuge) mit Gegenständen (Linien) 
zu vergleichen. Es fehlt auch jede An- 
deutung darüber, weshalb es gerade Ijuien 
sein miisson, wesh;i!h Kroist- nnfi Punkte 
uicht das erklan^u kouueu, wa.*? durch die 
Linien dai^esteilt werden soll. 

Wir leaen weiter: Jede Reibe hat 

ihre eigenartigen Cieset/.e und ihren eigen- 
artigen V<'rlauf. S, Das iiiuTs <h.'v 
Leser gläubig hinnehmen, bewiesen, er- 
klärt wild US nicht. »Irgend eiu Vorgang 
in der einen Rdhe hat einen Voigang 
neben sich in der an<I> m Ik' the.« S 10. 
Dnniit sfi'l \V(vliv,.l\ r-rliiiltnis gegen- 
seitiger Abhängigkeit zwischen Leib und 
Seele bezeichnet wei"den. Es weixleu auch 
einige passende Bebpiele dazu angeführt 
Nach dem bisherigen Verlaufe der Unter- 
suchung ist der M»'ner !i ;t!so eiu Doppel- 
wtistiu, das mau wohl mit t^iuer Strick- 
leiter vergleichen kann. 

Wir gehen nuu eiueu Scliritt weiter. 
»Unser Denken kann bei diesem psycho- 
physischen Parallelisimis als einer beob- 

jicbMon Thatsjiche nirlit st"hi'Ti Mfiben. 
Das i»t.'nken sucht die Einheit des mensch- 
liclieu Doppelwesens. kimu den Meu- 



schen nicht in zwei Httften auseinander- 

fallen lassen.« S. 11. 

Also hier scheint endlich der Stblufs 
auf einen eiulieitlichen Trager der beiden 
IJuien dotrh augebracht zu sein. Herr 

Haffner f&Kühtet das Aoseinanderfollen 

des Menschen. Onindlose Furcht, wdl 

er den Parallelismus, der doch pegenseitige 
Verbindung sein soll, als l>eobaüktete >Tbal- 
sachev kennen will. 

Ehe Herr Haf f ner uns seine eigene 
Ansicht über die Einheit dos ineDSCh- 
lichon Doppelwosens offenbai-t. hält er es 
für gut, Materialismus und Spiritualismus 
ah> unhaltbare Theorien zu bozeichneu, 
weil me die ISnheit des Doppelwceena 
nicht erweisen können. Der Beweis hier- 
für ist sehr naiv. Vom Materialismus heifst 
es : » Diese Autsobauung ist gar roh und wider- 
siuijig.« S. 12. Weshalb? Antwort: »Seeli- 
sches kann nur dunA Seelisches produziert 
werden.* S. 12. Aber auf der vorigen 
Seif'' steht: »Ilerzafffktionen (niso Ix'ib- 
liches:) bringen iuigstliche Stimmung (See- 
lisches!) hervor, oft wiiUidie AngstanftUe 
(auch Seelisches !). Über den Spiritualiamaa 
sagt er: » Diese Anschauung ist überspannt 
und nicht weniger widei-sinnig. Leibliches 
kann aber doch uui von Leiblichem produ- 
ziert werden.« 8. 12. Eine Seit« vorher 
l> sen wir: »Freude madit die Augen er- 
glänzen und das Heiz schlagen.^ Wenn 
licibliches nur von l.eibürhein produziert 
werden konnte, dann entstanden z. B. die 
Häuser^ Schiffe, Stnüsen von selbst» ohne 
Zutbon des menschlichen Geistes. 

Selbstvci-stäudlich erwarten wir von 
dem Retiner ni' lit. daf«« er in seinem ver- 
li.Utüismäfsig klciueu Vorti'age eine voU- 
stüiidige Widerlegung materialistificber oder 
spiritualtstisctier Theorien giebt. Wieviel 
er uns bieten will, ist seine Sache. Wel- 
chen Wert d;us (Jebotcne hat. das ist aber 
nicht nur seine, .sondern auch uu.scre Sache. 
Wir haben nachgewiesen, dab das Ge> 
l»otene sich selbst wideispdcbt Darum 
ist es wertlns 

E.> folgt nun die Ii affn ersehe Theorie 
über die Einheit des menschlichen Wesens. 



Digitized by Google 



I PhiloBOphHohefl 



469 



»Die iSnlidt des LnUidieii tind See- 
Ifedien ist gegeben in dernienschlichen 

Persiitilichkeit, in dem Ich dos Men- 
schen. — Das leh ist keine IJnie mehr. 
Da« Ith ist eia i'imkt. Das Ich iüt der 
Punkt, in dem sich die beiden Reihen, die 
beiden Liiiieu des Seelischen und Li.'ib- 
licheu durchsclineideu. Im Ich des Men- 
schen, in seiner I'ei-sönlifliknit ist das 
Leihliciju vom Seelischeo und diu> Seelische 
vom Leiblichen dnrchdnineeu und durdi- 
woben. Kin wunderbarer PoiJtt, der Brenn- 
ptitikt lind <ler S. liwrriPiinkt nnsers pjuzeu 
W rsi iis! Ein geheimnisvoller Funkt, eine 
wunderbare Thatsache! Keine WLssensclwft 
kann das Ich erklären. Keine Wissen- 
schaft kann es leugnen. Es mufs eben 
hingenommen und anerkannt werden.« 
S. i:^. Da.s wäre alsu des Rätüels LüüUng! 
Leider ist die Lösung falsch. 

Das Idi ist firoJieb »g^dmi«, deshalb 
hätte HetT Haff Der nur gl^ch damit an- 
fangen könn<?n. "Wir haheji schon vorhin 
gesagt, dafs njan von der Thatsache der 
£iuheit düs Bewulstseins, von der Ich- 
voratellungf von dem Ichbegritf oder von 
dem lchbewurstj>ein, auf den Namen soll 
es un.s nicht ankommen, ausgehen niüs.se, 
weuu mau das Diu>eiu d^ realen Seelen- 
Wesens o^etsen wolle. 

Aber daTs in dem loh zjuAi die »län- 
heit des Leibliehca und Seelischen« ge- 
geben sei, ist eine l?<»h;inptunf,'. für die 
uiui der Beweiü schuldig geblieben ist. 
Der Bewds ist auch gar nicht sn führen. 
Unterziehen wir das Ich einer Analyse, 
.so crhiUteu wir eine Summe von Vor- 
stc!hni«rfn . (.Jefühlen und Begehrungen, 
aber niemals stoffliche Dinge, etwa den 
Kopf oder die Beine oder das Hera. Wer 
durch einen Unglücksfall seinen Arm ver- 
liert, der verliert damit nicht auch einen 
Teil <Hn('s !«-h. Das Ich ist eine Vor- 
fateiiung dessen, wa» sich im Bewulstsuiu 
vorfindet, ein Wisben von sich selbst Das 
Ich nmfttfet nicht den wirklichen Leib, 
sondern nur die VorMtellung v ^n ili>m Leibe, 
von sei neu Teilen, von seinen Zu.ständeu. 

Wie das Wasser die Einheit von zwei 



Molekülen Wasserstoff und einem If olekül 
Sauerstoff darstellt, so erscheint der mensch« 
liehe Körper als die Kinheit von Leib und 
Seele. Da.s lehrt die Erfahnnig, dius lehrt 
auch die heilige Schrift. Aber diese Ein- 
heit int zerstörbar. Nach dem Tode ser- 
füllt der I>eib in seine Atome, das weilft 
jeder. Ob auch die Seele si* h auflöst, 
darüber kann unsere Erfahrung nichts 
aussagen. 

Es ist möf^chf dab zwei Voigänge 
(Beweiduifen) zusammenfallen und da& 

dann cino neue Bewe^'Tui«: («ntstt^ht, die 
Besultiernidn. AVie aber ein l-Mhih lu r Vor- 
gang wie der btuflwechsel, mit eiiieui see- 
lischen Totgang, s. B. dem Ablauf einer 
Vorstelliuigsreihe, sich verschmelzen kann, 
das kann kein Vei-st-md eiii>t In u. Es ist 
oben eine u!)f;ehnuerüche Beliauptuug. 
Aber die Mögliclikeit zugegeben, oho Vor- 
gänge sollen sich durchdringen und durch- 
weben können, SO entstehen doch nur 
neue VorgäiifjM. es kann (iadiinh il' >1i 
nicht der materielle Stoff des mensch- 
lichen Körpei's entst(>huu, der uns erfah- 
rungsgemäß g^eben ist 

Das Ich des Herrn Ilaffner ist dar- 
gestellt als (ior Punkt, in dvui >\i h füe 
beiden Keiheu oder Linien schneiden. 
Über diesen »Punkt« vernehmen wir nun 
wohl pathetische Deklamationen, aber offen 
gestanden, wir wis.sen nicht. wn.s wir dabei 
denken «ollen, l'nsere Unwissenheit be- 
treffs dieses geheijnuisvollen< Tunktee 
ist aber zu entsdhuldigcu , deun »keine 
Wiasenscbaft kann ihn erkiftrsn«. Das 
mag wohl sein ; aber woher hat denn Herr 
Ilaffner sein Wissen vnn diesem Punkte? 
£r behauptet nämhch noch sehr viel von 
ihm; das Behauptete auch zu beweisen, 
erscheint freilich ab nnndtig. Wir sollen 
es gläubig annehmen. 

»D.is Ml i-t uu-ht in «idi Hautn hinoia- 
gebuuden wie dtis Iv.'ibliclie. Das ich ist 
nicht in die Zeit binetngebunden wie das 
Seelische. Das Ich ist raumlos und zeit- 
los.. S. LS. 

Wie alle geistigen Zustände, so ist 
auch das Ich rauml<^ uod zeitlos. Aber 



Digitized by Google 



470 



C Be«prachuQgen 



mit dem Haf f n ersohea [<A Ist es gerade 

uuij^fkehil: es ist räumlich und zeitlich, 
wi il t's der Punkt ist, in dorn sich die 
l>eiden Linien des räumlichen leiblichen 
und des zeitlicbea ^ülischeo durchschnei- 
den. Weil iD dem Haffnersobeo Ich 
Ltnblic hi s und Seelisches sich gegemieitig 
duix-kdrungen und durrh\vol»en haben, wie 
«8 im vorhüijgeheodcn Abschuittt) belTst; 
iveil ferner das LeiUiche iftamlieh und 
das Seelisnhe settiich ist« wie im obigen 
Citat behauptet winl; di shalb ist in dem 
Jeh-Punkt ani'h Hamnlit-ln-s und Zfitliolies 
durchdrungen und durchwoben. Das »ich« 
ist alao iftnmUch und zeitiicb! Sollen wir 
nnn deklamieren: Kn wanderbares loh! 
Ein geheimnisvolles Ich! Keine Wissen- 
sthrifT kann erklürrn! Herr Haffner 
lieunt es selber nicht, weil er ihm zwei 
wichtige Eigenschaften abopriditi 

Vielleicbt aber haben wir SU früh trinm» 
jiliiL'i-t. lu den unmittelbar folgenden 
Siif zt ri wird behaupt^'t , nicht auch be- 
wieseo: »Die beiden Linien des leiblichen 
und des SeeUscben sehneiden sich nicht 
im (iebiet(! des Oebandeueu, sondern im 
Gebiet des Freien, «ufser idier tiehimden« 
heit. Diui Ich ist frei. S. 13. 

Wir bemerken luerzu: Ei>it eine Neben- 
sache. Wo die beiden Gebiete sich be- 
ll nden mögen, davon haben wir keine 
,\bniinfr. I^er fc>inn di-^ser «schwer ver- 
.ständlicii>;ii Satze scheint utisct-- frühere 
Yennutuiig üu rechtfertigen, <Jids Uerr 
Haffner die Kausalität der swingenden 
(»riiude leugnet, soweit dSS Gebiet dcS 
freien, die übersintilich". mit den Sinnpn 
nicht wahniMhmbare Welt inbet rächt kommt. 
Bas Ich hat frei, — das kaun in dem 
oben mitgeteilten Zusammenhang nidits 
anders heilsen al.s: e.s i.st nicht der logi- 
Hihen Kausalität, überhaupt keiner uns 
bi>kannten Kausalität imterworfen. Nun 
snr Uauptisache : Es ist doch ein komplcter 
Widerspruch, dafe die in Raum tmd Zeit 
hiueiogebundenen Reihen sich im Gebiet 
des Freien schneiden > .flcü l>as geht ja 
gar nicht Ein /weiter Widerspruch: 
Wenn das Ich frei Ist, oino der Schnitt« 



punkt, dann ist sowohl ein 1^ des Bee- 

lischcu als auch ein Teil des blichen 
»auTserholb aller Gebnndenheit.. Ein 
dritter Widerspruch: Kaum liebes und Zeit- 
liches BchneKdok sich, aber der Sclmitt- 
pnnki soll namlos nikt seitlos sein, — 
wobei wir davon absehen, dafs das eine 
unvollziehbare Vnrstplluog ist. Ein vierter 
Widerspruch: Ix?ibliche und seelische Vor- 
gänge schttdden sidh; — das ist eiofsch 
nicht möglich! Aber die HS^hkeit ein- 
mal zugegeben; — dann ist das Ich nur 
die innigste Verbuidutij^ eines leiblichen 
und seelischen Voi-ganges, es erscheint 
nicht frei, sondern als doppelt gebunden. 
Fünfter Widerspruch: Wenn die leibliche 
Reihf keinen einheitlichen Ti!ip.»r hat, 
wenn auch die seelische Kciüe keinen 
solchen Träger hat, dann kann der Scbnitt- 
ponkt beider Reihen dodi audi kein T ri- 
gor sebf kein NeueSf wodurch die Ein- 
heit markiert wird. l ud endlic h ein 
sechster Widerspnirh, der der iichwer- 
wiegendste ist: Aus den vergänglichen 
Erscheinungen des Leibes und der Seele 
bildet sich die alles Vergängliche uber- 
dauernde Pci-scMili« likcit . CS ^cht aLso das 
Absolute aus dem Udalivm hervor. 

Nun noch eine Frage: in welchem 
Lebensalter des Menschen schntnden sich 
beide Reihen? S. 2«. 

In d'-n unmitfclhfir folor'nden Sätzen 
wird weiter behauptet: »Die Funktion der 
Persöiilichkcit ist nur eine einfache. Die 
Funktion der Persönlichkeit besteht darin, 
dafs^ sie <ich selbst behauptet. Die Funk- 
ti'.n iler I'ei-söulichkeit besteht d;irin. dafs 
.sie sich selber setzt, dafs sie sich selbst 
behauptet Die Funktion der Persönliohkeil 
ist der Wille. Ich wUl — das ist die Ferw 
sönlichkeit. Der Mensch ist das, was er 
will. Der M tisch ist so, wie er will. 
In seinem W illeu ist der Meoscb selbbt 
vorbanden. Man kann sagen: stellt 
sich Tor in mir, es fühlt in mir, es denkt 
in mir. Das 8eelenlel>cn hat etwas Un- 
pei"sönliehes nn und für sich in seinen 
Funktionen. Mau kann aber nur sagen: 
Ich wiD. Der Wille ist das FersSnliche 



Digitized by Google 



I FhikMopUflcliM 



471 



im Meosühen.« S. 13. AVie uion »iubt, 
es winl «^ini' Rehauptunp auf die audero 
gehäuft^ über von einein Bewein ist auch 
kein Schatten zu spüren. Woher stammen 
diese OffenlNunifigen? Wie Uod jemand 
verlangen, dab teMM BelMUptungeu nur 
»eVx n hingenommen ttnd anerluuuit wer- 
den« sollen? 

Die Persönlichkeit hat die einzige Aul- 
gabe, rieh MlbBt SQ eetaeo, das soll heiJben: 
sich selbst erBchaffeD. iHt e» nicht völlig 
widersinnig, dafs ein Niehtvorhandenes 
eine Funktion haben, dais ein liichtvor- 
faandenes sich aelbet aetien Itann? 

Wie reimen sieh ferner diese beiden 
Bdiattptuugen : 

a) Die Funktion der Persönlichkeit i&t 
der Wille. 

b) D«f Wille ist die Persilnlioiikeit 
Diese BehAaptmigen sind logisch un- 
möglich. Der Zustand (Wille) einer Sub- 
stanz (Persönlichkeit) ist doch nicht die 
öubetauz selbst A hat die Funktion 
ntm ist doch nloht A •* a. Der Ofen hat 
die eönsige Funktion, Wirme zn erzeugen. 
Aber die Wäruieeraeogang ist doch, nicht 
der Oipn selbst. 

Eme neue llngereimtheit in den ilaf f- 
ner sehen Behauptungen tritt vor vns hin, 
weoa wir die Frage stellen: Wann ent- 
steht der WüIp r,<h>r di»' rci-söiilichkeit? 
Ein wirklicher Wille zciut sich beim Men- 
schen erst dann, wtuu das geistige Leben 
sich einigermaben entwickelt bat Von 
dem Kinde im Matterleibe kann man nicht 
sagen, es habe einen Willen od* r eine 
PersÄnlichkeit, »die sich selber setzt«. 

Es wird behauptet: *Das Ich ist frei; 
das Ich ist die Penönlioblcelt, das Ich ist 
der Wille.« .Also: Der Wille ist frei. 
Das soll heifsen: Der Wille ist unabhängig 
vom (ledankenkrcisf»; er läfst sich durch 
Vorstellungen uicbt bestimmen. Das ist 
die Meinong. S. 26. Demnach sind Er- 
ziehung^ Unterricht, Seelsorge, Gesetz- 
gebung:. L-nndesrefrifTunf: üboi-fliLssig, denn 
wenn 'h'V Wilie fn'i ist, dann ist eine 
Einwirkung auf ihn rein unmögUch. Aber 
thatslohlich ist es raSglich, den Willen 



zu bilden, zn Jetten, ta Stttrken und zu 

untenlrüekr^n. Das zeipt uns tlic allge- 
meine Erfahrung, deshalb ist die in<Mi?^«-h- 
liche Persönlichkeit, von der Herr Ii aff- 
ner redet, nichts anderes ab ein Oe- 
dankendbg, das an smneo eigenen Wider- 
sprüchen erstickt. 

Zum SchluTs sucht Herr Haff nor seine 
Lehre noch dadurch zu unterstützen, dals 
er sich auf dio Philosophen der Gegenwart 
beruft Er sagt: »Es ist doch Wahl- 
zunehmen, dafs dir- Philosophie der neueren 
Zeit den Willen immer mehr als das eigent- 
lidie Centrale des Mensohen ansieht, als 
eine fundamentale ThatBaohe. Die Not- 
wcridipkeit macht sich immer fühlbarer, 
d< II Willen aus der alten seelischetf Drei- 
heit — Denken, Fühlen, Wollen — horaus- 
annefamen nnd ihm däe andere Stelle an- 
zQwmsen.« 8. 14. 

Wir wis-sen nur, daÜä die neueren 
rntf'rsurhmijErpa sich hmtptsilchlich mit 
dem Wechselverhältnisse zwischen l>'ib 
nnd Seele besobäftigen. Da hat es sich 
gezeigt, dais die Abhftngq^t der Seele 
viel gröfser ist, als man M^^hor antr^mommen 
hatte. Dies iiaclif^ewics.ni zu haben, ist 
ein Verdienst des Materialismus, den Herr 
Haf f ner als gar roh nnd wid«rBinnig be- 
zeichnet Auch die Enistehnu^Lr d- s Wil- 
lens wird ni-ut-niings wieder iH'liaiidf^It. 
Aber dt ii Willen »als eine fundamentale 
Thatsache« aus dem Leben der Seele 
heFBnssnnehmen , das ist nodi keinem 
neueren Philosophen eingefallen. Sie sind 
aüf» darüTi(>r einig, dafs das (logebene, 
Scheinende, Werdende auf etwiis Bki- 

j beudes, Seiendes, Unvergaugliches hin- 
weist; sie untersdieiden sioh dadurch, dab 
die meisten annehmen, ein Seiendes g(*- 
nügc, die Erfnhninp zu f^rklSfn; nur 

' wenige sind davon überzeugt, dais viele 
Seiende als absolute reale Wesen vor- 

I banden sein müssen, um die in der Er- 
fahrung gegebene Welt sa begreifen. 

; Das Seiende ist nicht abhiindsr vf<m <«f- 

i gobeoeu, soodero umgekehrt W'ttö Herr 
Haf f ner als PersBidlahkeit, Ich oder Wille 
ansgiebt, ist veiigleifdiuugswdse an absolnt 



Digitized by Google 



472 



G Beitprocbaiigeii 



Seiendes, ii;)> <^ich bildet ans zw<»i Arfrn 
des uur relativ Gegebenen. Wie sehr ver- 
kehrt das isit, dm kiuin nur d«r völlig 
ennesMDtdem metaphysische Überi^gungen 
.nicht güiizlich fremd sind. 

llaf fuers Ansicht, dafs ili,- Single nicht 
wirklich ak ein selbitäodiges Weseu exi- 
stiert, sondern nur ein Name fftr die 
Summen der seelischen Vorgttnge ist, hat 
z. B. auch Wundt in .seinen »Gruud- 
zügeo dor nhysi(i!ogi.schen Psychologie« 
ausgesprochen. Nach ihm iüt die Seele 
nur «in Subjekt, dem wir die Thatsachen 
der innem ErfiihniDg als Prädikate bei- 
le^'i-n. aJi- r si'- \>\ so wcuii^ aN Substanz 
VDihauden, wie Ehre, Tugend und Ver- 
nunft. Aber auch Wuadt ist doch da- 
von überzeugt, dafs alle Katurerschei» 
nuDgeo, wo/.u er auch das Seelenleben 
rechnet, dun Ii letzt»', einfache Wfseu 
bethngt sirui. deren innere und äuläere Zu- 
stande t'inuuder cutspivcheu. 

Es ist richtig» dals die alte seelische 
Dreiheit, wie die meisten Psychologen sie 
noch lehren, nicht haltbar ist. Die Ent- 
steimri^ des Wüieus wird nämlich nicht 
iu genügender Weise erklärt. Das trifft 
aber nicht die Lehre des Philosophen 

Hcrli;ir(. "Wir haben schon gesagt, ilafs 
n:ii h Hcriiarts Aiiff:i.-.uii^'' die Einpfiii- 
duugen (ins Matena! sind, aus dem die 
höheren Formen des geistigen Lebens 
hervorgehen. Das ist also eine ganz andere 
.\uffassuQg als in der seelischen Dreibeit, 
die Haffner verwirft. 

Die folgenden Abachoitto daa Vortrages 
liandaln davon, daJb den Pflanzen ondTiereu 
wohl etwas Beelist^ies eignet, aber nicht 
'! IS !'ei-sr>nli -he. Aber wie es kommt, dafs 
rtlan/eii uiut Tiere als Doppel wesou au.s 
Leiblicliem und S>eeljschen» ohne verbin- 
donde länheit nicht ihre beiden Hälften 
anseinanderfalloo, ist total vergessen. 

Endlich erfahren wir noch, dafs das 
Herz der Punkt des menschlichen Inneu- 
lcbeUä> ist , wo das Leibliche uud See- 
lische in Eins zusammentreifen und sich 
durch.schueideu. Welche (»i-üude diese 
Ansicht erhärten, erfahren wir nicht lüt 



der uralten Ansicht, dafs die Seele im 
Blute liegt, hat Uaffuers Behauptung 
nichts sn thun, wsü nach jener A.nf£888nng 
die Seele ein selbständiges Wesen 

Iliennit haben wir den wichtigsten Teil 
des Vortrages erschöpft. Die darin ent- 
wickelten Ansichten viber das Wesen der 
Seele widersprechen sich selbst und wider" 
spradien alier Erfahiong, deshalb sind 
sie fal.sch. 

Es i.st nun wohl möfrlieh, dafs Herr 
Ilaf fuer über die Gesundheit uud Krank- 
heit der mensdilichen Seele ans dem täg- 
lichen Leben, ans Krankheitsberiditen etc. 
wertvolle Einzelbeobacht\ingeu gesammelt 
hat und diese prakti.sch vei^werteu kann. 
Aber auf der Grundlage einer falschen 
Seelenlehre ist es unmöglich für ihn, seine 
Eifidirungen mit seiner Lehn- sn in übeF- 
einstiminunp zu hrin^'cn. dafs »■ni,> Dar- 
stelhinL; liur ersten logischen Foitierung 
genügte, .sich nicht selbst zu widersprechen. 
Gehen wir den zweiten Teil des Voitrages 
durch, so finden wir, dafs dieselben Behaup» 
tiiDu'en Jiiit Jen näinÜchen Worten wieder- 
holt werden uud dals neue Ungereimt- 
heiten noch hinzukommen. Einige Be- 
lege daf&r. »Das Idi des Uenachen kann 
alles beherrschen und bestimmen.« 8. 18. 
Dieser Satz könnte wohl dem altet» Fichte 
in den Mund gelegt werden, \ orhin 
haben wir gehört, da& das Ich dnioh db 
iimigste Verschmelzung des Leiblichen und 
Seelischen erzeugt wird. Jetzt wird uns 
versi''liert, dafs da.s Ich fiüiif; ist. Iiis zu 
emem gewissen Grade« das Leibliche, 
^ noch mehr« aber das Seelische zu dondi- 
dringen und zu bestimmen; aho kann es 
nicht «Alles« beherrschen und bestimmen. 
Waren dies nur Widersprüche ppg^Mi die 
Erfahrung und gegen die Logik, so konnte 
man zur Entschuldigung sagen, der Vor- 
tragende besitzt unzuläo^che Kenntnisse 
vom gegebenen Beobachtungsmaterial und 
ist im scharfen Denken wenig geschult. 
Viel schlimmer ist es, dafs t^r mit sidi 
selbst im Widerspruch ist, denn an einer 
Stelle behauptet er etwas, and hinterher 
behauptet er das gerade Gegenteil. So 



Digrtized by Google 



II Fidagogwches 



473 



wenig ist er über «ein eigwes System 

sich klar geworden. 

"Wie hoch diT Klu^' seiner PhantAsie 
goht, ersieht man aus dicsoii» Satze: »Es 
niuis gestattet seiu, für diu Kiaukheiteu 
in der Spbftre des seelischen Lebens auch 
seelische Krankboitsorreger sich zu denken, 
nachdem für viele der loiblichon Kinnk- 
beiten leifiliche, stoffliehe Krankheits- 
erreger feHtgei,tellt worden.« S. lU. Als 
seeliSGiie Krankheitserreger betmohtet Herr 
Halfner die Dämonen. Damit hätte er 
donn die Fbydiologie als Wissensohaft be- 
seitigt 

Von der seelisohen Eraiikheit ver- 
schiedea ist die gattUche Krankheit; ihre 
Urheber sind der Satan und seine Engel, 

wenn das Ir>h sieh di»^t»n hinpeht. DifS" 
letztere KrauJiheit ist »ein Vorrecht des 
Hensoben, der Persönlichkeit ist« Solche 
Inft^n Phantasiegebüde verdienen keine 
ernste Be.sprechung. — — 

Der dritti' Tfil des Vortrafjes handelt 
Uber Zeit und Kwigkeit der menschhcbeu 
Seele. Nach vietem Oered» nebeiiBi&oh- 
lieher Natur kommen die Sätze: »Die 
heilige Schrift redet bekanntlich nirgends 
von der rnstrrhiichkcit der Seele. Die 
heilige 8chrift redet von der Auferstehung 
des fleisches und Tom ewigen Leben. 
Der ganze Mensch wird leböi und er- 
scheinen vor dem Angesicht Gottes.« S. 29. 
Nach Haff nors Ansicht ist das unmöglich. 

Und hier macht er thatsächlich dou 



I nach seiner Theorie richtigen, aber in 
sachlicher Hinsicht falschen Schlufs : >Ewig 
I lebend an und für si< h ist weder J.-Ah 
I noch Seele, noch Pci-soniichkcit.' 8. 21». 
Die Güter werden, weuu die Morgenröte 
der Ewigkeit beginnt, alle mit dem Ewig- 
Cuton zu einer Einheit sich vereinigen, 
ilir srtb^täiidif^i's Dasein liiift dann auf. 
In derselbeu Weise worden die Bosen alle 
des Teufels. 

Nach der Haffner sehen Metaphysik, 
giebt es also nur zwei absolut Seiende, 
einen (»oft und Teufel, au«? df»ren 

Wechselwirkung, aus deren Kampf gegen- 
einander die Welt besteht Wir Meu^chuu 
sind in diesem Streite nur soviel wie die 
Uffiziei-e auf dem Schachbrett. Wenn 
am Endo der Tage einer der K;ini]ifer 
schachmatt gesetzt ist, dauu ist ailea 
vorbei. 

Wir wagen es nicht, von Herrn Haf> 

uer zu behaupten, dats er wirklich diese 
Au.schauung über die Welt und das I^eb^m 
hege; wir wollen glauben, dais er nach 
christlicher Lehre den göttlichen Weltplan 
wesentlich als einen Heibplan auffafet 
Aber dafs er in jene heidnischeo Weit* 
|)hantasien hineingeraten mufs. wenn seine 
(pedaaken über Zeit und Ewigkeit der 
Peraönlichkeit in konsequenter Weise zu 
Ende fährt, darin wird uns jeder bei- 
pfUchten müsaenf der darüU.'r nachdenkt. 

J. Honke 



II Pädag 

K^euere Xiittenitur zum Zaichea- 
Uutorrioht 
Besprochen von Bob. Bauer in München 

(ForUetrUDf) 

III. 

Dr. Albert Heim , Prof. der «Voiocic 
am eidgcnö8sij>cboD I'olytechoikuin und 
an der Untveisitftt in Züridh. Sehen 

und Zeichnen. Vortrag, gchnlrrn auf 
dem Rathause zu Zürich am 1. Kohr. | 
18il4. Ba.sel, Benno Schwabe, Schwoifr- 
hausehsche Verlagsbuchhandlung, 18W4. . 



ogisches 

Es ist hier der in neuerer Zfit immer 
mehr Vcitoidiger fiudendo Gedanke, doli» 
der Schwerpunkt des Zeidienunterrichts 

auf dem Sehenlenien zu liegen habe, da- 
hin variiert und WLit<M :ui-L;vdehnt worden, 
dafs dorn Zeichnen das Verständnis, »be- 
wulste 6»'henc ueiuit es der Herr Ver- 
fasser, de« zu zeichnenden Gegenstandes 
viiiaus/ugehen habe. Denn nur was der 
ZiMihinT richtig vr-iNtcho, vonnfiiii^e er 
uh-Miiau|^t auch richtig zu zeiciuien. Der 
ilerr Veifivsser entwickelt seine Gedanken 



Digltized by Google 



474 C BeeprednmgiNi 



in 8chai-for uod klarverotändlicher Weue, 

namentlich den Prozefs df^ hewufeten 
Sehens selber und die Probe darauf, in- 
wieweit wir einen Uegenstaud buwu&t 
gesehen haben, nBmlich diireh das Zeichnen 
aus der EriuneniBg* 

Da^^ i>f allis frnnz vortrefflich und so- 
weit dio tluMnotisc h«' Hcliandlung in Frage 
kommt^ «ini .sich unter den Fachleuten 
wohl kaum ein Widerapnich erheben. 
Ja, es darf gern zugegeben werden, dofs 
dem Gel>'hrtHn auch viel praktisdu' eigene 
Erfahrung zur Seite g(^??taiKii n hat, und 
wäre nur zu wünschi^u, dulW die vor- 
liegende Abhandlung äber das bewofirte 
Sehen mit rechter Anfmeikaamkeit und 
HehcrziguDg von allen Zeichenlehrern, 
namentlich dencu höherer Schulen, studiert 
werde. 

Ein anderee Ding ist's Aicilioh — und 

hier wird der Verfasser vielem Kopf- 
schütteln bei erfahrenen Zeirhfnlphtvm 
begegnen — wenn er sich auf das Feld 
der l'raxiü seihst, ncnueu wir es der 
niederen Praxia, denn ee ist ja ansdrüdt» 
lieh das Alter von 51 — 15 Jahren genannt, 
begiebt. »Natur! Natur! Natur! Weg 
mit allen Vorlagen luid Wandtafeln ! Hinaus 
mit Euren steifen Gipsen und Modellen! 
Weg mit allen Ornamenten nnd atiliaierlen 
Iflanzcu !^ Da befindet sich nun der Ver- 
fasser iiiitton auf (Iciii TtlattoiH. was so 
•schön glitzert, so bchttH-hcnd leuchtet und 
bpiegelt Aber hütet Euch nur, doli» Ihr 
nicht an Falle kommt Halt doch der 
Verfasser selbst für zweckmäfsig, das pfad- 
sichernd«^' Ornamont und Schönz* !. liti- n, 
aU »freilich nicht ganz entbehrlich« auf- 
auetreuen. 

Nehmen wir an, wie d«r Verfasser 
verlangt, der l'ntorricht beginnt mit der 
Sexta. Sn» (vt iO Srhült-r stark. Davon 
aiud nach Ansicht zärtlicher Tauten und 
Grofemütter wenigstens die Hälfte aehr 
talentiert. Mit den altgewohnten geraden 

IJnien darf nach Ansieht dos Verfassers 
nicht boponnon \r.^rfl«'ri, dns langNveilt die 
Kinder und ertutt't das Talent, die Kinder 
xeiohnen viel lieber kmnune linien — 



wdoher Zeidienlehrer wird daa beatreiten, 

zcichnon sie doch selbst die geraden krumm 
— N\'as Ix'fjiimcn '■' — »Warum das Kind 
in einen solcheu (.laug zwingen und ihm 
▼erbietBQ, das an verwerten, was es schon 
beobachtet hat, was es .schon kennt V< 
fragt der Vcrfafäser. Also frisch darauf 
km zu dein ersten der 40. »Was kannst 
du gut? Was hmt du schon öfter ge- 
aeichnet«? »SoUaten«, m dem sweifen: 
>Was dac? »Pferde« und Hunde, Katsen, 
Hirsche, Häuser, Srlilachten wird es aus 
dem Munde der kleinen Gottbegnadeten 
fort und fort ertönen. Keiner aber nennt ein 
EphenUatt, einen Apfri, eine Stachel- 
beere u. dergl. einfachste Fofinen, mit 
denen doch die Möglichkeit vorlüge, ^nen 
Versuch zu wagen. 

Was nun thun? — Wir können keine 
Sddalen, keine Pferde, Hönde oder Birsche 
in die Schulstube bringen« um damit an 
fin'^ von den Kindern vermeintlich Ik*- 
obachtete, Geübte, >Vürluuideuo« anzu- 
sohliels^ Wir müssen also, wohl oder 
ttbel, eiofsche Oegenstinde nadi eigener 
Walllaussuchen. Und da wir nicht 40 ver- 
schiedene Naturgegecständc jcilc Stunde 
beibringen können, so müisten wir gruppen- 
weise TiMgehen. Da aber fast alle hier 
in Finge kommenden Oegenstände an klein 
sind, um von .'>, 6 oder gar 10 Schülern 
richtig gesehen worden zu können, so 
müTste uacii dem Uilfsuüttel groiser Mo- 
delle gegriffen werden. Damit bekäme 
aber s<dion diese ganse Natoneidien- 
methfxie ein mächtiges Loch, Wie aber 
sühe p«; mit der narstellnnfr^niö*j1ir'hkeit, 
wie mit der Koireklur der 40 Schüler 
ans? — Ich will gar nicht an die allere 
meisten hentigen ZeichensSle denken, deren 
Einrichtung diese Art Naturzeichenmethode 
vollständig ausschlösse. 

Damit mochte ich aber ums Himmels 
willen nicht dahin mißverstanden werden, 
als wolle ich die Natnr aus dem Zeichen- 
untprrirht verbannen. Nichts liegt mir 
ferner. Aber icih betrachte das Natnr- 
zeichnen als das Endziel, oder wentgtüteus 
eist dann am Hats, wenn der Sehftler 



^ kj i^uo uy Google 



n PBdogogiiwiii» 



475 



«inigennafiWD fiber du BMidw«rk Herr 
gewordea ist 80 gai wie du Kiod erst 
das Schreiheo Ion]«'ü mufK. ehe es einen 
Aufsatz, nwfh den kleinKtcn, schreiben 
kann. £s hilft all(^ oichtti, und darüber 
bUft auch die bestecbendste gelehrte Aqs« 
eiaandenetzung nicht hinveig: Ks mub 
die Hand und das Auge sich erst ein ge- 
wisses Mafs von Fertigkeit errintron. Es 
muiä das Kiud, gobcu wir einmal m, dal» 
die Hehnahl wiitiicfa durakteristisoh tu 
sehen vermöge, vh luufs dieses Gesehene 
auch zu PapiMi- liniii:.'n können. Und das 
i<?t. Was wir Zeichenlehrer das Zfirhnen- 
kujiiien, das ZeichoeiUomBn nennen. Dafs 
das nidit so ohne weiteres sogleich mit 
dem Sehen dem Kinde zufällt, sondern 
emsthaftest und mit Ot'finM und Ausdauer 
erlernt werden nnifs. wciLs je<ler, der sich 
damit beschäftigt hat. Vielleicht lielso 
sich, um dem Verfasser und aUen, die der 
Nstnrzei h tiiiiothodo im Sinne des Ver- 
fassers da« Wurf n dt'ii. dailiin h pntgegen 
kommen, ohne doch den Hoden der Aus- 
führuügsmögUchkeit zu verlassen, dafs man 
den Spiels hemmdrehte. Nicht dab man 
mit dem Herrn \'erf<asser »freilich das 
Ornament- und Schötizi ichnon nicht ent- 
behren kann«, sondern man InH^e im 
wesentlichen den seitherigen Oaug, gebe 
aber den Kindern — wenn andi nidit 
auf der alh nitit' reten Stufe das »lustige 
SkiKZ«'ulmrh dabei und lassp s\f\ da ja 
unleugbar die jetzige Methode zeitweilig 
ermüdend wirkt, dann und wann zur Er- 
firisdbtmg, cur Belohnung Vetauche nach 
einfachen Naturgegenständen in der Schule, 
mm'hr'H oder fordere sie auf. dergleichen 
zu Hause zu zcichnoa uud bespreche mit 
ihnen das MÜgebrachte. Was weiter der 
Herr Verfasser darttber, wie der Künst* 
ter arb«'iten sollte, sagt, möchte ich 
am Itph^ton mit Stillwjhweigen ülier- [ 
gehen. i]s sind Uedaakeu und Batsohläge, ! 
denen der Gelehrte ans jeder Silbe herans- 
sohant Kein Künstler würde sie ernst 
nehmen. 

Der Zeivhordohn r a^if*r sfijj rli-n TTiTrii 
Verfasser ja recht ernst netunen und wäre 



w aiKdi nur, «m doh* Tor Schlendrisn 
sn bewahren. 

IV. 

Albert KarabU. Zeichenlehi^r am liym- 
nssinm sa Fieiburg im Breisgau. Bas 
Zeichnen nach der Natnr, VoKMhllge 

zu einer Reform des Zeichenunterrichts 
an höheren LehranstiJten. 1^1 it 08 ¥ig. 
im Text uud Ö Liohtdrucktafeln. Frei- 
burg im Breisgau. Hexdeiscbe Veriags» 
handlnng. 1800. 
Hier begegnen wir nun Vorschlägen 
über ein Thema, was in neuerer Zeit sehr 
viel und dringlich besprochen wird. Die 
meisten der bisherigen Vorsohl^ge stammten 
aber entweder von Oelehrten, die herrlich 
über das Thema zu sprechen wiifsfon. aber 
noch nie an dar Zeichentafel einer 8e.xta 
oder Quinta gearbeitet hatten oder von 
Künstlern, d«ren Ange weit über die 
Orenzo des.sei: hinausflogSD, was unter den 
li< s( hrünkten nedingunffpu einer Zeichen- 
Htuudo im Üyuinaaäam zu erreichen uiög- 
lieh ist. 

Der VeTfr.»Fer als erfahrener Fach- 

mann hat siel) wohlweididi lo der Haupt- 
sache an das gehalten, was nun einmal 
gegebeu ist und was den Schülern zu- 
gemutet werdm darf. ZnnScbst verlangt 
er einen schon sinigerraaben geech&rften 
Blick und eine etwas geübte Hand. Er 
denkt deshalb gar nirlit daran mit der 
Sexta oder selbst Quinta das Naturzeichneu 
beginnen zu hisssn, sondern beliftt diesv 
untersten Klassen bei den seitherigen Vor« 
Übungen. Und auch nachdem er in Quart.i 
wirklich begonnen, so hnifst ihm dn« Natur- 
zeichnen nicht etwa ein Zeichnen nach 
wi^ohen NatargegeustKnden mit Schatten 
und licht, und mit allen Zuflilligkeiteu 
der Farbe und Form, sondern er verlangt 
zunächst, wie es ja f'isher s^'hon fast iil wr- 
all vorgesch.rieb«'n und eingeführt ist das 
perspektivische Zeichnen naeh Modellen. 

Aber er legt den Drahtinodell vor, wor- 
über sich wohl mit Hecht streiten !:iF«t 
und vorhlfiM htn dem Jdasaeoanterricht 
vor einem Modell. 



Digrtized by Google 



476 



D Aus der Fwih^teue 



StrhoD Fachleute von Ikdeutung 
habeu darüber ges|»rochen tituI ffsrhriebeu, 
da£s nur der Eiuzehuiterneht im stände 
Bei, dem Schuler immer das richtige Bild 
des Korpers tu zeigen und die richtige 
8tufenfülf(t? zu gesitatten, ab^'^f :?i'ht'o davon, 
dals alleiu der Einzeluntfi ri' ht jeden 
fcJohuler crmi^cht nach Fleils und Be- 
gabung vorwärts su schreiteo, wodurch 
erfahnuigsgemäb audi die Tiigereu mit 
fortgerisKi-n wpixlen. 

Der Verfasser lär«ät seine Sdiuler eng 
zuHammeurückeu , um den Körper mög- 
liclist 80 rn seiieD, wie er ihn wünscht. 
Aber das ist ein dürftiger und trüglicher 
X^'tbehplf. Sdioii <l.'r zweite Schüler 
recht« oder hnki» vom Modell sieht z. B. 
die Wagerechten des in der Front stehen- 
den Quadrats oder Würfels nicht mehr 
wagerecht Er zeichnet sie wagerecht, weil 
es ihm f»o gesagt wird, nicht weil er sie 
so Msiert hat. 

Ich muls ja zugeben, dal» Erklärungen 
und Korrektur bei dem Klassenmodell 
viel einfacher mid weniger anstrengend 
bind, dafs auch die Disziplin Icii lilcr zu 
handhaben ist, wiihrend andererseits der 
Einzelunterricht ein Ausruhen keinen 
Moment erlaubt, sondern Körper und Oeist 
desLelirf'i-s unniisgesetztaufe ÄuLsersto an- 
spannt und infolgedessen auch rascher ver- 



braucht; aber werdarf denn nachdem Lehrer 
fragen, wenn es den» Schüler zu gute kommt. 

Aber wie dann der Verfas-ser ver- 
standen hat das eriemte perspektivnche 
Zeichnen ins Leben überzuführen, es für 
den Schüler lelifudiir zu ni,nf'h'»n. das ist 
vortrefflich und tnfft d< n Na;:<'l .uif den 
Kopf. Freilich sc-heint nur, dalls nicht allzu 
volle Klassen, viel Zeit des Lehrers und 
eine hübsche anregende landschafütche 
ümgebunfT d>'s Schulortes voraiisxitsetzen 
sind. In grolsen Stiidten mülstnn eben 
an die Stätte der schwer erreichbaren 
Natur Museen und Sammlungen treten. 

Vielleicht hat der Verfasser nicht so 
ganz unrecht, wenigstens wird Ii" Ail>fit 
für den Lehrer dankbarer &eiu, dais er 
füi- die oberen Klassen dem fakultativen 
ünterricht den Vorzog giebt Wenigstens 
dann, wenn die Klassen stark besetzt sind. 
Ob dem Obeitertian*^r tnhn- T'^ntcrsi'kun- 
daner auch bei ganz guter, zeichnerischer 
Begabung, immer so viel Erkenntnis und 
Streben innewohnt, dab er auf alle Fllle 
das Zeichnen auch ohne das MuCs fort- 
setzt, darf wohl lun h \ ii-lfacluT Erfahnmg 
bezweifelt w erden, selbst wenn der Lehrer 
noch so anregend zu wirken verateht 
JedenfsUs ist der Aufsatz des geübten 
Fachmanns für den Fachnumn sehr lehr- 
reich. 



D Aus der Fachpresse 



I Aus der philoaophUchen f achpresse 



Die Ktaderfehler. Zeitschrift für i>äda- 
gogisehe Pathologie und Therapie in 
Haus, Schule und ?07.i;iltMn Leben. Von 
Koch, Ufer, Zimmer, Trüper. 
Langensalza, Hermann Beyer u. Söhne, 
ISiHi, L Nr. 5. 

Iiih.ilt: A. Aldinndlungen: Erziehung 
und gescblcchtliche Venrnin»en. T. Vor- 
bemerkung der Redaktion. T r u p o r. II. Er- 
ziehung und Homoaexualiiät Von And rd 
Rafaiovich in London. Das Ehrbar- 



keitsgefühl bei Kindern. Von LuigiAn- 

fosso in Kos^ann. — B. Mitt<<iitingen : 
Moritz Wilhelm Drobisch t. r. Krb- 
licher Älkoholismus. Tr. — C Zur Litte- 
ratur: Die Gesetzmäßigkeit in unsem 
Sprech-, Schreil>- und Leaefefaleni. Von 
Max Donati in Altenbuig. 

L'aonee Philosophique. Publiee sous la 
Direction de F. FÜlon. Paris 1896. 
Felix Acan. £ditear. 



Digitized by Google 



D Ans der Flachpresüi' 



477 



Sixietue Annee 1895: 
Ren Ott vier, Bonte on croyance. — 
L. DauriftQ, Peur la phüosophie de la 
contingunce. Röponse m M. FouiUöe. — 



No. 435: • 
Preparadön pua el estudlo de la Mota> 

fisica, por D. B*. de Castro. — Sobre 
enseüanza siiporior. por D. F. Oiner. — 



F. Pilloo, L'Evoiution de l'Idealisnie au ' Mas sobre proteccjou ä la iufaooia, por 



XVIIIe siecle. — L'idöalisme de Lauioa 
et )e sceptioiune de Bayle. — F. Pillon, 
Bibliographie philoeophique fmifaiae de 
i'aimee lim. 



Dofia L Sam«. — Bevista de Revietae. 
— La modadf por R. Ihering. — 
Nuestros rios, por B. B. Torres Cnin- 
pos. — Nota !cida on !a Jxinta f,'enenil de 
accionistas celebrada en 31 do Mayo de 
1896, por D. 0. Flore I. ~ Eztzacto del 
acta de la Junta general de aoeioiustaB, 
celebrada el dia 31 de Mayo de 1896^ — 



Boietia de la [nstitaciöii libre de ense- 
firaaa. Uadrid ISW. 
Anno XX. No. 432: 
La |iosibilidad y el derecho <\p emennr. Notioia. — Gorreepondeaoia. 
por el Dr. D. F. A. Berra. — La giin- 
nasia esooler y la edueadön fbica, por 
B. K. Bnbio. — Revista de Revietas. — 
El inuQici|)io his|)ano-godo, por D. E. Pc- 
rez Pujol. — liSisartes industriales fuora 



ZeKtobrlft fOr Philosophie oad philo- 
sophische Kritik. Von Falckenberg. 

lA'ipii^', rfrffor. ISifii. 108 Bd. 2Hft. 



de Ebpaüa dcsde el Chhstiani&uio hasta i Wai uia vortraueu wir deu gniodlegeo- 
Bttestros dias, [lor B. H. Oiner de los den Hyi>othesen unseres Beokens? Von 
Ries. — Notas acerca de la literatura | Arvid Orotenfelt (Sohlufe.) — Bio 

francesa en 1805, por I). J. Urta Sar- letzten Fragen der Erkeuutnistheorio tind 
thoti. — Li.sta de mieva.s ac i' ni s y do- , Metaphysik. Von Eduard von Hart- 



uativos. — Libros recibidos. — CÄmespou- 
dencia. 

No. 433: 

Pestalozzi y la educaciön nacional, por 
Fifbt«'. — Cuestioues actujiles do t'use- 
nanzu i)nrnaria, por 1). R. Kubio. — La 
ensefianxa en Valeocia, por B. R. Borne- 
nech. — I»s aifkos doli neuen tes , por 
1). E. du I;i Ldinix. — Revista 'h' Re- 
vistns. — l^iH ai"tes industrinlf^s fiu-ra de 
Espafia desde el Christiaüiinno hjihUi nue- 
stros dian, porB. H. Oiner de los Ries. 
— Libros recibidos. — Cotrespondenoia. 
Nu. i:n: ; 

Henri Marion, por D. K. lt. — I 



ntauu. (Schluis.) — ISpmozjistiidieu. Von 
J. FrendenthaL — Resensionen. 



InternaUoBal louroal of Ethics. Devoted 
to tfae advancomeot of ethieal knov- 
ledge and practioe. Bditor: Bums Wes- 

ton. Philadelphia 1896. 
Vol. VI No. -1. .Tuly: 
Ls Pleasure the Suimmim Bonuni? 
James Seth. Brown University. — Rights 
and Buties. J. 8. Maokensie, Cniv«r- 
sity College, Gaidiff. — Ethieal aspot ts 
Af sofiiil stionc-e. Lester F. Ward. 
Washington, D, C. — Tho jewish «[uestion 



El estudio de la educaciüu en la Sor- i in itü receut aj>i)ect«. Morris Jas trow, 



bona, por U. H. Marion. — Los nifio» 
delintueutes, por D. E. de la Loma. — 
iVstaluzzi y 1a educaeicm iia' ir nal , \}or 
Fichte. — Rensta de Kevisra.s. — l^a 
opiniou publica como objeto de Jnvesti- 
gacion oientifica, por F. de Holtzen- 
dorff. — ()rgaiiiza<-iün jMjlitica y soeial 
y <'M!tura de la Esj>afia nuisulinana desde 
el .sigio VIII al XL por D. R. Altamiia. 



j r., University of Pennsylvania. — Hegels 
tbeory of punishment J. Ellis Mc Tag- 
gart, Trinity (''illege. Canil»ri<lge. — Di-^- 
eu.s.»jions. -The Moral .\speets of Soeialism. t 
Bernaid Bohanquet and Ilelun Bosauquet. 
Birect Legislation Befended, Eltweed Po- 
nicroy, Spinozas Doetrine of the Rela- 
tion.ship between Mind and Body, W. Uale 
White. 



Digitized by Google 



478 



D Aq8 der Faohpmase 



I, A qiuiteriy review of peycho- 

logj' and phil<jso|ihy. Ed. fcy 0. P. 
Stout. London IdML Willuuns and 

Norgate. 

I. Evolution and Psychology in Art: 
Dr. Co Hey March. II. Tbe Oontrary 

and the Disparate: F. H. Bradlcy. 
III. Oll the Interpretation of Rato's Pat- 
memdes (Ii): A. E. Taylor. lY. Tiie i 
l'lace oi the Cuucept in Logiual Doctrine: 
J. JB. Mnirhead. Y. Ootudoiuaefls and 
Blological Evolution (II.): Henry Uut- 
gers Marshall. VI. Critical Noti< ('s: ' 
J. M. E. McTaggart, Studie» in the Höge- 
liaa Dialectio: W. Wallace. L. Mabilleau, 
Htstoire de la PhOoeoplüe Atomistiqae: 
A. E. Taylor. W. Wundt, Gnindrias der 
Psychnlojrjp : \n s E. F. Stevenson. 
VIL New Buokh. VilL Philosophical iV- 
xiodicala. JX. Notes and News. Adver- 
tisement of Welby Friae. 

Tbe Hoilfst. A f]nartorly mfurazino. Editor: 
Dr. P. Carus. Chicago IbUÜ. The Upen 
Court FnUiahing Cu. 

VoL 6 No. S. April: 
Prof. Ernst Mach, On the Stereo- 
»cobic Application of Roentgens Kays. — 
Prof. ilermann Schubert, On the 
Nafture of Roentgens Bays. • Edward 
Atkinson, The Pliiloeophy of Hoaey. — 
Prof. W. Lutoslawski, In Search of Truo 
Beinfp. — Fr<»f. JoHcph Ip Conte, From 
Animalto Man. — Prof. J. Clark Murray, 
The Dnalistio CoBoeptkm of Nature. — 
Prof. Kurd Lasswitz, Xatore aad the 
Individual Mind. — Dr. Paul Carun, 
Th'' Nahirf» of Pleasure and Pain. In 
Couunont on Prof. Th. Kihots Theory. — 
Laciem Arr^at, literary Gorre.spon- 
deuoe. Franoe^ — Book reviem. — Perio- 
dioab. 

Revue philosophique de la Fraaoe et de 1 
rltrMKier. Dirigi>eparTh.Ribot Fuis' 
]»i6. Felix Alcan. l 



21. ann^e. Juillet; 

Ii. Danriao, lütide aar la pi^oho- 
logie da musicien. — VI. I.,e phiaär et 
remotinn musicale. — G. Dumas, Ke- 
cherches e.xpi'rinientales sur la joie et la 
tristesse. — IL Iji tri8te.sse. — B. Muns, 
La logipae de renfani ^ Y. Henry, 
TiavaiLx de psyrliophyaiqne. — Anidyses 
et ruinptes reudiis. — Revue des perio- 
diqucs etrangers. — Ubser\'atiuDS et doeu- 
mente. ^ Livree nonveanz. — NonToUe«. 

Revue Neo-Scola«tique. Publieti pai U 
8od€te philoeophique de Louvaio. 
3. aD06e No. 2. 1. Mai 1806: 

M. De Wulf, Lea theories estbetiques 

propres a saint Thomas d^Aquin. — II. Le 
beau et le bieu — Conclusiou. — P. Man- 
Hion, Prindpea de M^tag^metrie on de 
gtemetrie gäaerale. — O. Le Grand, 
"W. [Richer et rhistorisme economique. — 
D. Meroier, T-i psycholü^'ie de Des- 
cartes et l'authropologie scaLastique. — 
I La Psychologie de Deeoarles. — Me- 
lange« et docttmente: Bref de 8. S. Leon 
XIII relatif »i Tlnstitut Superieur de Philo- 
sophie. — M. Buiieux, La psyrhologie 
dos peuples. — hulietin de riustitut su- 
perienrde phüoeophie: BomtnMre du Goars 
de Critcriologie proftaae par D. Mercicr. 
— Hecompeuse decemee par l'lnatitat de 
P'raoce 4 M. Ualieox. 

Itovae de rUoiversiti de Braxallei* 

I. annö 181>G. No. 7: 
Fr. Sosset, I>e Tissage dans ?a Om-o 
autique. — Paul Errera, Esquissedua 
cours de dnnt oonslitutionnef oomparA 
(Sttite). — RHcuzö, I^ Pithecanthropus 
en'ctus. R<^ftifi( ;ition. — • Bibliograplii»- : 
Ouvrages de MM. Wauwemians et Artiiur 
Desjai'dins; Bibliographie de I'IIistoire dö 
Belgiqne. — Ctuonique univeisitaire. 



Digitized by Google 



D Aus der Fachpresse 



47Ü 



n Aus der pädagogischen Faohpres&e 



7 Noch etwas über Deatache Aufsätze. 
Praktischer Schulinaun 1896, 2. 
I)n der Aufsatz, wi«- wir ihn haben, 
»nicht rentiert«, eni|ifiehli Verfa»i>t'r diu 
Haximo: Mehr lesen, veni^r flohreibeiL 
Franklio, Roseegge r u. a. sind durch 
bU>fM!S Lesen ausge/iMrhufte Stilisten ge- 
worden. Zur Bel' huiiir des Unterrichts 
wäre »die Lektüre in umfasseudem Malso 
benmzaäeben, als es jetit gesdueht« ; nur 
sind »unsere Le.st>hüchcr mit ihswi Litte- 
rafurliirstlion uh-ht im standf», d<»ti ent- 
Njuxtht-ndeu Dienst zu leisten. En mufs 
vor allein liebevolle Versenkung in ein 
gröberee Oaoie gefordert werden.« (Ober 
die .FünlLiiiu^' di r »Ganzheit« in Bezug 
auf das Lesebuch und dir- Schülorbiblio- 
thek vergl. Pädagogische ätudiim 
8. 162 ff.) — e. 

E. THtel, Die Heimatskunde als Orund- 
liigp de^ (<eschicbtsiioterrioht8. Prakt. 
Schulm. IBDt), 2. 

Teiiueer wiJl im 3. tuid 4. Scbuljalir 
niofat Nibelnogenssgen «. e. 1 behandehi, 

sondern aus heimatkundlichen Stoffen zu- 
nächst ein«' ei'Sfhirhtüchpn Sinn f»rst 
weckenden Vui-kui>>us bilden. Als solche 
Stoffe betraohtot er: Die Ortsnamen, die 
«nxelner Ortsteile, Hftaser, Ruinen etc., 
heimatliche Sagen, StraTsen, Eisenbahnen, 
gewerbliche Retriebe, Fabriken, di« (ias- 
Qud die elektrische Beleuchtung. Erst 
vom 5. Schuljahre an betnohtet er das 
Heimatliche mit ZilUg und den Eise- 
nachor Schtiljuliivu uls aii.ilytischcii Stoff. 
Das vom V'erfa-ss.'r lu'nitiL,'t'zogene Material 
betrifft das westliche Erzgebuige. ~ e. 

W. Fleh, über den BUduu^swL ii der Ge- 
schichte. Aus der Schule VIIT. I. 2. 
D**r Geschichtsunterricht und die Inter- 
essen der Erkenntnis — der Geschichts- 
unterricht als idealer Umgang. 

6. Rusch, Krieg und Frieden. Osterr. 
Schulbotc ISUt), 1. 



Es hie&e, ein völlig falsches Bild 
bicron, wollte iv-ui fü-« iJt'schirhte mit 
Hiiiwfglassung der Kneg»; erzählen. Die 
Zustande des Friedens sind häufig die Er- 
gebnisee gewaltiger Kriege, andererseits 
drängen gewisse Zustände der Kultur zum 
Kriege. Nir^^*'tnls stollt .sich das Kultur- 
leben eines Vulkes bestimmter und deut- 
licher dar als iu einem Kriege. 

Behring, Über die Einheitlichkeit des Holi- 
srionstmtL'nichti'S. Kv. Si hulltl. ISjH?. '). 
Der Katechismusuiiterncht entspricht 
der letzten Stufe iu der Behandlung einer 
metfaodisohen Einheit, wo der Unterricht 
vom Allgemeinen zum Besondeni zorfick« 
.s^li reitet. Er hild' t fn'^'Üch kein selb- 
ständiges Lehrfach, für welches auf dem 
Stundenpläne besondere Stunden angesetst 
werden; wohl aber ist anf der Obemtufe 
Zeit und Kaum an geeigneter Stelle für 
eine ausführliehe Behandlung der einzelnen 
Haupttitücke oder deren Teile zu geben. 



, Unser Katedbismusunterricht 

und die Forderungen der Gegenwart. 

Sachs. Schutztg. 1890, 1.'». 
Die methodische Arbeit muls bestehen: 
in einem Zurückgehen anf die biUische 
Geschichte als auf die anschauliche Grund- 
lage, in einem Herausheben der wesent- 
lichsten Momente dorsellicn. in einem er- 
neuten Durchdenken und einem Eingehen 
snf den Lebenskreb des Kindes, um so 
die Wahrheit ab wirkliches Bgentum für 
Kopf und Hers gewinnen tu lassen. 

Fiedler, Noch oiuuuii aie öffentiu hen Prü- 
fungen. Schlee. Sohulztg. 1896, 11. 

Die RevisioDsprufung mulis von der 
öffentlichen Prüfung getrennt werden und 
dieser vorativele n. Di»- letztere hat sich 
ganz IUI iiuhnieii des Jahrespeusums zu 
bewein, und es ist eine kleine Vorbo» 
reitung von vielleicht einem Tage zu ge« 
statten und Vorführmi^,' einer frn'r->iT''n 
ätoffgruppe zu verlangcu. Lehrer und 



Digitized by Google 



480 



D Aus der Fachpreese 



1 



Sf^ttlor könnm sich dann etwas oiien- 1 

tieren, und es findet nicht so ein Heraus- I 
quiilen der Resultate statt, das rlen Liinn 
laog^veilt und abstumpft. üffcutlicbe i 
Prüfling nrafii «ne Fefltstüninuug durch- 1 
wehen, und das ist nur mOgtioh, wenn 
mit einer gewiasen SScfaerheii produzieit 
wmL 

IL Agalid, Kleiae Sklaven. Sohlee. Schnlztg. 
1896, 3. 4. 

Gegen die gewerbsmäfsige N'djt'ube- j 
schäftigung schulpflichtiger Kinder. Viele 
Nebenbebchäftiguogou eotsprechea uicht 
der körperlichen Kraft, nnteigraben die 

Gesundheit^ gefährden die Sittlidikeii, I 
hindern die pei>ti^^-:' Au^l'ildunp. ver- ' 
grftrscrii dir (iffuliteu der Fnihruife mid 
schwiioheu die elterUche AuU»ntat. 

J. Tew8, Kinderarbeit. D. Bl. 1895. 52. 

Es ist Aufgabe der Sozirdpolitit. dem 
schwer ringenden FaniilieuvaUT die iiaud I 
ZU reichen und ihm die Möglichkeit su 
bieten, seinem Kinde das Brot zu be- 
s- hafft ii, iihne dafe er es zur Mitarlieit 
herunzii iit'ti muTs, Die I^jsung dieser 
Aulgabe mag .schwer sein, uumögUch i^t 
sie auch unter den heutigen VeihSltnlseen 
nicht 

J. Tew» , Der erste fctehritt im Leben. 1 
D. Bl. 1890, 17. I 
VorHchlSge tat Schaffung eines gmrd> | 

ueteu Arbeit smarkte.s für Jugendliche unter | 
erziehli< !i"ni I^ ii if. IVr T,ehrer mülsto hier 
als J^'uuftrugter dti^ Staate» haudela. 1 



F. Briob, Jndividnalitätenlisten oder nicht 
Bayer. I^hrerztg. is':m;. n ii. 

vFür mich ist di'> Krits. ii..'i.iiiri;j: dninit j 
hchon vollzogen, dais die befürwortenden ■ 
Anregungen alle nur von der Theorie aus- , 



len, wShrend die Praxis mit einer 

Reihe schwerwiegender Gründe die T7u- 
thTinlirhlcPTt der D.irchfiihning darthut 
Wenn sich etwas theoretisch als noch so 
schfin und gut anpreiet, bo mah dodi von 
ihm abgesehen werden, wenn Toa der 
Praxis her ein kräftiges non po^<samus 
erschallt. . . Srhülercliamktpri;jtiken rechter 
Art werden noch tauge ein fromuior 
Wunsch Ueihen müssen. Zar tratwOltgen 
InangrüEnalune kann sie natürlich jedem 
Lehrer nur warm angeraten weiden. 

Rtobter, Voubtelleu und Sprechen, l'äd. 
•61. f. L. 1806, 2. 
Wenn auch als leatstshend anzusehen 

ist, dafs: VorsteHunpsprozesse sich that- 
shchlieh vicif.ach ohne Mitwirkung der 
Sprache vollzieJieu, dals für das im sprach- 
lichen Leben stehende Individuum und 
l^eBcmders für das innerhalb einer Sprach- 
trerneinschaft luifw at'liseiido Kind die Eut- 
wickelxing des Vorstellungslebens sich unter 
wesentlidter Mitwirkung der Spradie ni 
vollsteheu pflegt und durch sie hi weit- 
gehender Weise bestimmt wird. Klang», 
reihen und Bewegungsreihen asseeiieren 
sich untereinander zur Wortvorsteliuug 
und mit dieser die Bedentungsvorstetlung, 
für welche beim Hören und Sprechen das 
Wort als Symbol dient. Auch ganze Lant- 
reiheu und s-< lltst panz«^ Sätze anHoeiieren 
sich umnittclbar mit dem Oedaukeniuhalt, 
der in sie gelegt ist 

K. H. Hieoiesoh. Die Willensbildung. D. Bl. 

1890, IS 21. 

Wesen und Ursprung des Willens — 
Zweck und Ziel der Willensbildung — 

.Möglirlikeit der Willensbildung — Mittel 
der ^^';l^•n-l^i^il^lt'■: V'ii li'»reiteude Mafs- 
regeln, iiiittolbare Erziehung tuid uumitte!- 
barc Erziehung. Z. 



Druck vciu HerniADn Hrjar & Süijue io i.iia^ea«tüxft. 



Digitized by Google