Skip to main content

Full text of "Deutsche Volkskunde im Zeitalter des Humanismus und der Reformation"

See other formats


Deutsche 
Volkskunde im 
Zeitalter des 

humanismus 



und der ... 





Erich Schmidt 




of tbc 

TUnivereU^ of Misconain 



Digitized by Google 



Digitizedby Google' 



HISTORISCHE STUDIEN 



VflROFFBNTLlCHT 



VON 



E. EBERING 

DR. PHIL. 



HEFT XLVIl, 

DBUT8CHB VOI.KSKrXDK IM ZEITALTER DES TTTMAXISMUS UND DBB 
REFORMATION. VOK ERICH SCHMIDT. 



BEBLIN 190i. 



Digitized by Google 



Deutsche Uolkskttitde 

im Zeitalter des Humanismus und 
der Reformation. 



Von 



Erich Schmidt. 



Berlin 1004. 

Terlsf Ton E. S b e r i n f . 



Digitized by 



Digitized by Google 




84305 

'SCH5 



Hermann Oncken 



lugeeignet. 



Digitized by Google 



Digitized by Google 



Inhaltsübersicht. 

Seite 

Einleitung. 13 

Definition und Bedeutung der Volkskunde. Die bis - 
herigen Ansichten über ihre Vorgeschichte sind irrig. 
Weder Altertum noch Mittelalter haben eine Volkskunde 
gekannt. Aber in der Zeit der Renaissance waren die 
formalen und niaterialen Vorbedingungen zur Schaffung 
einer wissenschaftlichen V'olkskundc wohl vorhanden. 



Erstes Kapitel. 

Vorbereitung einer Volkskunde durch den Früh- 
humanismus. 

§ 1. Erweiterung^ des iibcrlicforteii Wissensgebietes 

durch die Italiener. 22 

Aeneas Silvius der erste moderne Kosmograph. Seine 
Methode: Verbindung von Gelehrsamkeit und Erfah- 
rung. Beschreibung Deutschlands in seiner „Europa". 
„Volkskundlichcs" dabei. Die „Germania". Die Ita- 
liener als Meister der I3cobachtung. Aeneas Silvius 
der Apostel des Humanismus in Deutschland. 

§ 2. Die kosmopolitisclien ersten deutschen Humanisten 
in ihrer Befani;enheit durch die ethischen, philo- 
logischen und ästhetischen Tendenzen. 29 

Wissenschaftliche Ideale und Produktion der ersten 
deutschen Humanisten. Rudolf Agricola: kein Natur- 
bcobachter, sondern Ethiker; Johann Reuchlin: kein 
Historiker, sondern Philologe; Erasmus von Rotterdam: 
kein Patriot, sondern Kosmopolit: sie und ihresgleichen 
sind ungeeignet zur Hervorbringung einer Volkskunde. 



— 8 — 



Seite 



§ 3» Anfänge einer Volkskunde durch Liebe zur engeren 
Heimat, historischen Sinn, klassische Studien, 
im Bunde mit einer Erweiterung des Horizontes 
durch Reisen. 33 

Werner Rolevinck schildert Land und Leute seiner 
alten Heimat aus Dankbarkeit, zum Lobe und zur Er- 
bauung. „Laus Saxoniae": die älteste volkskundliche 
Monographie. Frater Felix Fabri schildert seine neue 
Heimat im Anschluss an seine Pilgerfahrt. Seine Ab- 
hängigkeit von Enea Silvio. Der „Tractatus de civi- 
tate Ulmensi": das eigenste Werk Fabris. Volkskund- 
liche Angaben im Anschluss an topographische Schil- 
derung. Einteilung der Bewohner. Verwaltung der 
Stadt. Organisation der Handwerker. Bevölkerungs- 
statistik. Vergleich mit Rolevincks Schrift. Fabris 
Motive sind die allgemeinen Humanistischen. Johann 
Nauderus schildert in seiner Chronik die Deutschen 
nach ihren drei oberen Ständen und das Gerichtswe- 
sen. Fabris und Nauderus' Anregungen bleiben aber 
einstweilen verborgen. 

§ 4. Konrad Celtes: Volkskunde im Anschluss an 
empirische Naturkunde in Betätigung patrio - 
tischer Begeisterung. 45 

Das länder- und völkerkundliche Programm des Cel- 
tes. Völkerkunde tind Volkskunde in seinen Gedichten. 
Die ,,13eschreihung Nürnl:)ergs*' und ihre systematische 
Volkskunde. Verhältnis des Celtes zu Hnea Silvio. 
JVlängel und Verdienst seiner volkskundlichen Leistun - 
gen. 

§ 5. Unter dem Einfluss des Celtes Verbindung von 
Geographie und Geschichte, Gelehrsamkeit und 
Leben, aber ohne Erweiterung der Wissens - 
gebiete. 52 

Die „Germania illustrata": ein allgemeines Ziel der 
deutschen Humanisten. Jakob Wimpfeling; Willibald 



— Q - 



Bfiite 

PIrckheimer. Heinrich Bebel. Die Schüler des Celtes: 
Aventin der Historiker, Vadianus der Geograph. Fran- 
ziscus Irem'cus und seine »Gerinatiiae exegesis": eine 
Kompilation. Ihr Inhalt. Vergleich mit dem Meister 
Celtes. 



Zweite« Kapitel. 

Erhebung der Volkskunde zur systematischen 
Forschung durch den Humanismus. 

§ 1. Das Leben des Johannes Bohemus. 60 

Geburt. Bildungsgang. Der Himer Humanistenkreis. 

Der „Libcr heroicus". ,,Qmnium gentium moros". Be- 
deutung dieses Buches für die wissenschaftliche Lite- 
ratur jener Zeit. Fernere Werke. Die Freundschaft 
mit Andreas Althamer. Seine. Gesundheitsverhältnisse. 
Verhältnis zur Reformation. Aufenthalt in Capfenburg. 
Bekehrung zum Luthertum. Tod in Rothenburg o. T. 
Sein Charakter. Seine wissenschaftliche Bedeutung. 
Die Spärlichkeit der Nachrichten über ihn. Der He- 
braiker Johannes Bocmus und das Identitätsproblem. 
Unterscheidung der I^crsoncn. 

§ 2. Die Volkskunde des |ohannes Bohemus in 

systematischer Darstellung. 83 

Anordnung. Körperliche Beschaffenheit. Wohnung. 

Kleidung. Nahrung. Sprache. Allgemeine Charak- 
teristik der einzelnen Stände und Stämme. Verfassung. 
Soziale Verhältnisse. BeschäftiKung im allgemeinen, ' 
im besonderen bei den einzelnen Stämmen. Soziale Ein - 
richtungen. Rechts- und (jerichtsverhäitnisse. Rechts- 
altertümer. Vergnügungen. Festliche und symbolische 
Volksgcbräuche nach Ordnung des Kirchenjahrs. V^cr- 
gleichung der Volkskunde des Bohemus mit der seiner 
Vorgänger. 



— 10 — 



Drittes Kapitel. 

Einwirkung der Reformation auf die Volkskunde. 

§ 1. Sebastian Franck der Vertreter der reformatorischen 

Zeifströmiing auf dem Gebiete der Volkskunde. 108 

Schärfung des kritischen Blicks durch die Reformation. 
Förderung der Volkskunde durch die erhöhte Geltung 
der deutschen Sprache und des Bauernstandes. Aeusserc 
Anregungen Francks zur Volkskunde. Seine besondere 
Veranlagung dazu. Sein Unterschied von Bohcmus. 
Seine Volkskunde als Einzclart seiner religiösen Schrift- 
stellerei im grossen. Der besondere Charakter seiner 
Volkskunde: psychologisch; nicht Einzelheiten son- 
dern Zusammenhänge: wissenschaftliche Volkskunde. 

§ 2. Volkskunde bei Sebastian Franck. Iis 

Das „Weltbuch*'. Abhängigkeit von Johannes Bohe - 
mus. Ergänzungen zu dessen Abschnitt über Franken. 
Schilderung der Elsässcr. Gebräuche bei sakramentalen 
Feiern. Bettelbrauch der St. Antoniusbrüder. Funk - 

tiontMi der Heiligen. Pfaffciihoch/cit. Zwölfhdtcn- 
ziehen. Formen des Aberglaubens. lU'|,näbnisftier - 
lichkeitcn. Bedeutung des Sebastian 1 raiick für die 
Volkskunde. 



Viertes Kapitel. 
Die Volkskunde und der spätere Humanismus, 132 

Die Arbeiten zur Vollendung der „Oermania illustrata*' 
des Celtes. Sebastian Münster, Seine „Oermaniae de- 
scriptio", seine „M^ppa Europae". Der Einfiuss 
Francks. Die „Cosmographcy". Volkskunde darin. 
Sein Verhältnis zu den Vorgängern und seine dauernde 
Bedeutung. Die Volkskunde im ausgehenden Humanis- 
mus. Kaspar Brusch über Irenicus und Franck. 



— 11 ™ 



Ml 



Die Ausgestaltung einer wissenschaftlichen Volkskunde 
im deutschen Humanismus ist verhindert durch dessen 
Gebundenheit an das klassische Altertum und in ethi- 
schen (pädagogischen und religiösen) Tendenzen, Die 
Bedeutung des Humanismus für die Volkskunde. 



Verzeichnis der Ausgaben der ./unniuin gentium mo 
res" des Johannes Hohemus. 



Eünigc bisher nicht gedruckte Slückc aus dem Hrief- 
wechsel Wolfgang Richards (Kodex der Hamburger 
Stadtbibliüthek). Nr. 1-9. 



Anhang I. 



146 



Anhang lt. 



148 



Mpniflnvflr zeinhnig 



Einleitung. 

Wer von Volkskunde /u sprechen unternimmt, ist ge- 
nötigt, eine BestirTiniiing dessen, was er unter diesem Worte 
versteht, vorauszuschicken; denn diese ganze Gruppe von 
.Wissenschaften, die wie auch Anthropologie und Völker- 
kunde den Menschen mehr in der Art der Naturwissenschaften 
behandeln, ist noch zu jung, als dass für ihr Gebiet schon 
eine endgültige Nomenklatur geschaffen wäre. Doch fehlt 
es für die Volkskunde mehr an einer genügenden Formel, 
als an Einigkeit über den Inhalt. Wenn man die verschiede- 
nen Züge und Merkmale der bisherigen vielfachen Aufstel- 
luiil^en mit einander verbindet,^ kann man wohl ohne Be- 
denken so formulieren: der Volkskunde gilt es, das innerste 
Wesen eines Volkes zu erkennen, wie es in seinen ursprüng- 
lichen, regelmässigen Lebensäusserungen zu Tage tritt: in 
Wohnungsbau, Tracht, Nahrung, Sprache und Poesie, Le- 
bens- und Weltanschauung (mit Sage und Aberglaube), in 
Recht, Sitte, Geselligkeitsformen, Vergnügungen und Fest- 
gebräuchen, vomehmlidi des gemeinen Mannes. Und wenn 
man dann nodi die Volkskunde beschränkt auf die Erfor- 
schung des eigenen Volkes, so ist ihre Unterscheidung von 
der Völkerkunde um so deutlicher, von der sie sich vor allem 

1. Es wurden hier besonders Iierangezogen: a) G. Meyer» Essays 
und Studien, 1885 1 S. 145; b) K. WeinhoId. „Zur Einleitung" Zeitschrift 
des Vereins für Volkskunde I 1891 S. 1— H»; c) E. Mogk in: Neue Jahr- 
Bücher für das klassische Altertum II lH99Bdlllu. IV Heft 1 S. «3—67 
d) Hofftnann-Krayer: Die Volkskunde als Wissensciiaft 1902; e) K 
Reitschel: Vollcsltiindliche StrdfzQge. 1903 Nr. 1. 



— 14 — 



durch die zeitliche Abgrenzung ihres Gebietes abhebt. Denn 
die Völkerkunde hört auf, wo die Volkskunde — als Alter- 
tumskunde — begfinnt: im gleichen Stadium der Entwickelung 
eines Volkes, da dessen politische und Kulturgeschichte ein- 
setzt. Neben diesen Schwesterdisziphnen und zu ihrer Er- 
gänzung sucht dann die wissenschaftliche Volkskunde durch 
zeitliche und räumliche Vergleichung dem Ideal einer immer 
einheitlkheren Anschauung der Entwickelung eines Volkes 
näher zu kommen. 

In sokher Gestalt findet die Volkskunde dieser Tage 
eine ständig vermehrte Pflege. Fast jeder deutsche Landes- . 
teil sucht durch die Arbeit eines Vereins und seiner Fach- 
zeitschrift mit Sammlung von Stoffeinzelhetten der Qesamtr 
forschung zu dienen; und der Bemeisterung des ins Un- 
übersehbare anschwellenden Materials sind wissenschaftliche 
Organe und zahlreiche Darstellungen gewidmet 

Es ist natürlich, dass man auch schon bald begonnen 
hat, sich um die Geschichte der so rasch emporgebluhten 
Disziplin zu bemühen. Alle dahinzielenden Betrachtungen^ 
sind in Einklang mit einander darüber, dass der eigentliche 
Beginn des wissenschaftlichen Betriebes der Volkskunde, spe- 
ziell der deutschen Volkskunde, zu erblicken sei in den Ar- 
beiten der Brüder Orimm um Erschliessung des Verständ- 
nisses der Volksseele aiiis Sagen, Märchen und Rechtsan- 
schauungen. Die Zeit der Romantik also mit ihrem leb- 
haften historischen Sinn und ihrer begeisterten Vaterlandsliebe 
hat sit zur Ausbildung gebracht Ueber die Vorgeschichte, 
der Volkskunde aber bestehen vor allem zweierlei verschie- 
dene Ansichten. In dem einen Falle wird von einer Volks- 
kunde der Griechen und Römer gesprochen, Herodot der 



2. Ais die erste gilt W. H. Riehls Aufsatz „die Volkskunde als 
Wissenschaft" in seinen „KuUurstudien zu drei Jabrliiuiderten." 1903 in 
S. AufL (Voitn« von 1868) S. 835—251. 



Digitized by Google 



- 15 — 



Vater der Volkskunde ffenanni' In dem anderen Falle wird 
für die gesamten früheren Jahrliunderte nur der kleine Satz 
übrig gelassen: » . . . Nicht als ob sich tastende Versuche, 
die volkstümlichen Ueberlieferungen aufzuzeichnen und zu 
würdigen, nie vorher gezeigt hätten . . ."^ 

Die erste Auffassung verliert sofort jedes Recht, wenn 
man sich der eingangs gegebenen liegriffsbestimmiing an- 
schllesst.'' Bei den vielfachen Berührungen, die im Alter- 
tum die Kultunölker des Mittelmeeres mit ihren Nachbarn 
nah und fern hatten, bildete sich naturgemäss ein Wissen 
um die Eigenheiten und daraus fliessenden Bedeutungen der 
fremden Völker heraus: als Bedürfnis des Verkehrs, als Mittel 
zur Ausbeutung, als Nahrung der Fantasie und der allge- 
meinen Wissbegierde. Herodot und Strabo sind als hervor- 
ragende Schilderer von Land und Leuten zu nennen, und vor 
ihnen Tacitus mit seiner klassischen völkerkundlichen Mono- 
graphie Germania". Doch um das eigene Volk haben sich 
diese antiken Autoren nicht so gekümmert. Werui Aristoteles 
auch da, wo er einmal die induktive Methode bei seiner Un- 
tersuchung anwendet,'' m^^führlich über die Lebensformen 
des Volkes seiner Zeit und seiner Stadt handelt, vom Fa- 
milienleben, von der natürliclien Erwerbskinist: Viehzucht, 
Jagd, Krieg' und Ackerbau, von der Hereicherungskunst: 
Tauschhandel, Geldverkehr, See-, Land- und Krämerhandel, 
so abstrahiert er docli dabei völlig vom konkreten Ein/.elleben. 
Seine Sehilderung, die freilich nicht Selbstzweck ist, verharrt 
bei den allgeniciiihkn Zügen und gibt mir indirekt ein Bild; 
sie würde zugleich für manche andere Stadt ebenso gut 

'!. R. M. Meyer „die Anfänge der deutschen Volkskunde" Zett- 
schrift für Kulturgeschichte 4. Folge, Jahrg. Ii 18Ö5 S. 13ö— 6ö; W. H, 
Riehl a. a. O. Ist defselben Meinung; er unterscheidet dabei noch nicht 
zwischen Völlcerkunde, Volkslcande und Kulturgesciiichte. 

4. K. Reuschel „Volkskundl. Streifzüge" 1903 Nr. 1 S. 17. 

5. In dem Meyerschcn Aufsatz wird Gegenstand und WissenscliafUr 
betrieb mit einander verweciiselt. 

6. Politik, Buah 1 (ed. Kirchmann) Kap III. VIII. IX, XI. 



Digitized by Google 



- 16 - 



wie für Athen passen. Und später malt beispielsweise Am- 
mkniis Marcellinus^ die Aristokratie und den Pöbel von 
Rom; doch trägt er alle grellen Lichter nur in der Darstellung 
des vornehmen Lebens auf, zeigt den Patron im Hause, im 
Bade, auf Reisen durch die Campagna, beim Mahle, er dia- 
rakterisiert sein Gefolge, seine Lektüre, seine Liebhaberden 
in Musik und Theater; die niedrigeren Schichten aber werden 
nur in einer allgemeinen Schattenmasse vorgeführt. Viele 
seiner Züge sind denen der älteren Satiriker ähnlich, und 
das Ganze ist bestimmt und durchglüht von der ethisch-poU* 
tischen Tendenz des Verfassers. — Wie viele Volks- und 
völkerkundliche Einzelheiten so auch zusammen kommen 
mochten, alle solche Kenntnis blieb ohne ein morphologisches 
und erst recht ohne ätiologbches System ; nicht so sehr weil 
die Alten dazu unfähig gewesen wären, sondern weil das 
Objekt, das alltägliche Leben der Menschenmasse an sich dem 
antiken Forscher der liebevollen Beschäftigung nicht wert 
erschien, besonders nicht das der eigenen Volksgenossen. 

Auch von einer „nationalen Volkskunde" der Germanen 
zu sprechen^ hat wenig Sinn, wenn man damit die naiven, 
volkstümlichen Charakteristiken in Spruch undNsme während 
der frühesten Zeit und Aehnltches meint. Zum ersten Male 
vielmehr kann man diesen Ausdruck mit einigem Rechte 
gebrauchen für die Bestrebungen, die durch Karl den Grossen 
hervorgerufen als eine erste deutsche Romantik gleichsam 
sich darstellen. Allein dieser Antrieb war doch nur von sehr 
kurzer Dauer und für die Folgezeit ohne jeden Einfluss. 

Mit dieser alleinigen Ausnahme aber brachte auch das 
Mittelalter trotz des Christentums noch keinen Fortschritt 
zur Volkskunde. Die Bereicherung des völkerkundlichen Stof- 
fes durch die Kreuzzüge und die Reisen der Araber, Pilger 



7. Geschicittedesröm. Staates XIV. VI. 4 etc. und XXVlll. IV. A. 
etc. Vergl. Gregoroviiis, Gesch. der Stadt Rom im Mittelalter I* S. 199 ff. 
6. Wie 1^. M. Meyer a.a. O. & 162—165 es tut. 



Digitized by Google 



- tr 



und Kaufleule blieb für die Scholastik unfruchtbar. Die wis- 
senschaftliche Produktion der historischen und naturbeschrei- 
benden Darsteller bewegte sich durchaus in den Bahnen 
ihrer klassischen Vorbilder. Adam von Bremen als seltene 
Ausnahme hielt es auch für wert,^ n«ben seiner Bistumsge- 
sdiichte das aufzuzeidinen, was er aus dem Munde des 
Königs Sven Estritson und der Kaufleute, Seefahrer, Missi- 
onare über die Lebensweise und Eigentümlichkeiten der frem- 
den Völkerschaften erfahren konnte, und was er doch in sei- 
nen Büchern — Aristoteles, Orosius, Solinus, Plinius etc. 

nicht vorfand. Der allgemeine Schematismus des Mittel- 
alters verhinderte hier wie überall |eden Fortschritt. 

Erst die Wiederbelebung des klassischen Altertums Hess 
dann mit der neuen Liebe zur Welt neue Wissenschaften 
geboren werden: wie sich der Horizont nach alten Richtun- 
gen hin erweiterte, so ward der Blick auch mit grösserer 
Schärfe auf das Nahe und Kleine gerichtet. Denn in den 
Jahrhunderten der logischen Exerzitien waren die Fähigkeiten 
herangebildet worden, die nun, da. die Freude am Leben und 
an der Welt hinzukam, bald in exakter Forschung, genauer 
Beobachtung und Kritik, genialer Kombination über die Er- 
gebnisse des Altertums unendlich weit hinausführten. 

Und so ist denn auch für diese Zeit ein »Aufschwung 
der deutschen Volkskunde" zu konstatieren gewesen.*** Er 
zeigt sich in den Beobachtungen eines Poggio und Enea 
Silvio, in Luthers Achten auf die deutsche Sprache, in Agri- 
colas Erzählung von auffallenden Haartrachten, in Fischarts 



9. W. H. Riehl a. a.O. sieht den Grund der allgemein geringen 
Schätzung der Völker- und Volkskunde in der Enge des auserwMhltcn 
Kreises, für den die mittelalterlichen Chronisten ihre Aufzeichnungen 
berechneten. 

10. R. M. Meyer a. a. O. S. 160 U woraus der folgende Passus 

referiert. W. H. Riehl freilich findet a. a. O. S. 883 nur, dass „Zitr 
Renaissancezeit wenigstens mit Httfe der Satire das Leben deär Natiop 
besuchtet worden war." 



Digitized by Google 



18 — 



vielen volkstümlichen Einzelheiten, in Musculus Hosenteufeb 
Predigten und zeigt sogar einen Beginn ernsthaft wissen- 
schaftlicher Beschreibung von Land und Leuten in Sebastian 
f^rancks Weltbuch. Und von dieser Zeit an erlischt nie mehr 
das Interesse an diesen Dingen vöHig, ja das Ende des 
XVL Jahrhunderts sieht bereits in Montaigne den Propheten 
der vergiekhend-en Volkskunde! 

Muss bei solchem Tatbestände nicht vielleicht die /weite 
der oben verzeichneten Ansichten über die Vorgeschichte 
der deutschen Volkskunde als übereilt angesprochen werden ? 
Wenn überhaupt vor dem XIX. Jahrhundert, so scheint es, 
dann müssen in dieser Fpoche die Keime der neuen Wissen- 
schaft liegen. Dass man eine echte X'nikskunde in der Welt 
des Humanismus zu suchen eigentlich berechtigt ist, darauf 
führt ja auch schon die offenbare Verwandtschaft, welche die 
Wende des XV. Jahrhunderts mit der Epoche erkennen lasst, 
die uns die g^rosse deutsche Romantik und die Geburt der 
heutigen Volkskunde gebracht hat. 

Die wichtigsten Bedingungen /n solchem Ergebnis waren 
auch damals vorhanden: eben begann die neue Epoche der 
objektiven Wissenschaft. Eine scharfe Grenzlinie zu ziehen 
zwischen dem Scholastizismus und dem Humanismus ist wohl 
unmöglich. Genau wie die Reformierten nach dem Bruch 
mit der alten Kirche noch lange Reine neuen Menschen wa- 
ren, die nichts behalten hätten von den ( icistesfesseln ihrer 
Jugend, so waren auch die Humanisten nur befreite Scho- 
lastiker, die ifiehr oder weniger noch zu tief in der Tra- 
dition steckten, um gleich völlig frei zu sein. An Stell« der 
zu Ende gehenden Alleingeltung des Aristoteles und der 
Bibel für alle Wissenschaften sdiufen sich die Humanisten 
zunächst nur einen neuen, erweiterten, aber auch ziemlidii 
blin^ft Autoritätsglauben. Bis weit ins XVL Jahrhundert hinein 
galt bestimmend für die Wissenschaft der Grundsatz, der 
auch das Zevtalter der Scholastik beherrscht hatte, dass alles 
gelehrte Wissen aus den klassischen Schriftwerken unter Vor- 



Digltized by Google 



- - 

aussetzung richtiger Interpretation zu schöpfen sei, dass def 
Einzelne mit setner Forschung nur ausbauen könne, waä 
im 'Griinde schon angelegt war. Aber es vollzog sich «ine 
atlmähKche Befreiung, und zwar in erster Linie an der Hand 
der Gewinne an Naturericenninis. Man musste inimer meht 
neue Tatsaclien anerlcennen, deren Wahrheit offenkundig war, 
und es gelang nicht mehr, sie aus den guten alten Quellen 
zu begründen und zü bezeugen. Der Naturwissenschaft, be^ 
sonders ' der Geographie, trat in dem Befreiungswerk zur 
Seite die kritische Geschtclitsbetrachtung : in ihr betätigte sich 
die zweite grosse wissenschaftliche Tendenz der Zelt 

Die Einheit der neuen Epoche ist gefunden worden in dem 
Erwachen eigenen. Lebens bei den Nationen und den Indivi- 
duen. An dem Stolz auf die nationale Vergangenheit und das 
Erbe der Väter und an der Liebe zur so mit erhöhter Bedeu- 
tung begabten Heimat erhob sich der Stolz und das Selbst- 
bewusstsein der Einzelnen, ihr Ehrgeiz und Drang zur Be- 
tätigung im allgemeinen Betriebe des Lebens, Die liaillener 
waren darin vorangegangen; und es ihnen gleichzutun afi 
Beherrschung der verschiedenen Kulturelemente: Sprache, 
Kenntnis der Alten, Lebensführung, aber auch an Reichtum 
und Macht einer eigenen Tradition, war das wichtigste Ziel 
des deutschen Bildungsstrebens, bis sich der nationale Ge- 
nius seine eigenen höheren Werte setzte. Es ist ersichtlich, 
dass dies vorher — seit dem Untergange der alten Welt — fast 
niemals vorkommende Bewusstsein vom besonderen Werte 
des eigenen Volkstums die bedeutendsten Antriebe geben 
konnte zu den vielen neuartigen Untersuchungen auf dem 
Ocbiete der Länder- und Völkerkunde, die im Humanismus die 
Wieder^T^burt der Naturwissenschaften, besonders der geo- 
graphischen," finden lassen. Zudem erlebte der immer schön 
starke Wandertrieb .der Deutschen im Zeitalter der. Egt^ 

II. ■ S. Oantber: „Der Humanismus in seinem Einfiuss auf die l^nt- 
wicklung der Erdkunde*, Verhandttmgen des 7. Internationalen Geographen- 
kongresses Ted U 1901 & 819-^844; auch Geogr. Zeitschrift Vi. isod. 



Digitized by Google 



Ä) - 



deckun^en einen neuen Aufschwung während den Ro- 
nianeii der Westen und Süden für ihre Taten anheimfiel, be- 
gannen die üermanen, den Norden und Osten für die Wissen- 
schaft zu erobern, wobei auch der grösste Teil des deutschen 
Reiches in Betracht ivam;^ ' viele, die in der Ferne gewesen, 
lernten daraus, verständnisvoller ihre Heimat /u beobachten. 

Und noch ein anderes Moment kam hinzu, gleichfalls 
geeignet, eine Volkskundt /u befördern. Wohl hatte das 
Christentum von Aniang an den unendlichen Wert jeder 
einzelnen Menschenseele gepredigt, aber die Gelehrten d€s 
At)ciidlandes waren cm geschlossener, vornehmer Stand, 
durch den Gebrauch der lateinischen Sprache weit vom ge- 
meinen Volke und seinem kleinen Leben geschieden : die mit- 
telalterliche Kultur war der Hervorbringung einer Volks- 
kunde nicht giinstig gewesen, wie im Lehnsstaate der Hörige, 
der Arme keine Rolle spielte. Durch Mystik und Reformation 
aber wurde bei der Erneuerung der christlichen Religion vol- 
ler Emst gemacht mit der Gleichheit aller Christenmenschen. 
Und nach Erfindung des Buchdrucks nahmen imm«r weitere 
Kreise an dem Bildungsleben und dem Wissenschaftsbetriebe 
teil; auch das niedere Volk. Es war die Zeit, da Thomas 
Morus seinen Idealstaat auf Gleichheit und Brüderlichkeit, 
auf Ackerbauer und Handwerker begründete. 

So waren die formalen und materialen Vorbedingungen 
zur Ausbildung einer deutschen Volkskunde im Zeitalter des 
Humanismus und der Reformation wohl vorhanden. Ihren 



Ebenso: Galiois: Les g^ographes allemands de le rcnaissancc. 1890. 
Kap. XI. 

12. V. Hantzsch: die detitschen Geographen der Renaissance. 
Geogr. Zeitschr. Bd III 1S9T. 

1^. Einziges Beispiel für den Stand damaliger Heimatkunde sei 
die Tatsache, dass noch nach der nGermaniae descriptio" Sebastian 
Mflnsters von 1630 die Spree als aelbstständiger Strom in d(p Ostsee 
mOttdet. Russiand «rarde recht eigentlich erst entdeckt dnrch den 
Baron vonHertierstein: Rerum Moscoviticarum commentariL Vlenna 1Q69. 



Digitized by Google 



— 2t — 



Spuren, ihrer Entwicklung dort gelten die folgenden Unter- 
suchungen. Denn in dem Zusammenwirken der verschiedenen 
damals die Produktion der deutschen Gelehrten beherrschen- 
den Tendenzen: .der Freude am Wandern und am Schauen 
fremder Völker und Lander, der Liebe zur engen Heimat und 
zum grossen Vaterlande, der pietätvollen Pflege der Ver- 
gangenheit und des allgemein mächtigen historischen Sinnes, 
des Strebens nach Veredelung, des Lehrtriebs und des Be- 
mühens, die Werke der Alten fortzusetzen und zu ergänzen, 
echUesslich des demokratischen Zuges der Zeit — im Zu- 
sammenwirken alkr dieser Kräfte ist allerdings eine nationale 
Volkskunde entstanden. Dabei kann aber völlig abgesehen 
werden von jenen zufälligen, zu rhetorischen oder poetischen 
Zwecket! herangezogenen volkstümlichen und volkskundli- 
chen Materialien, die in der Literatur jener Epoche — cha- 
rakteristisch für die Richtung des allgemeinen Geschmacks 
und Interesses einen so grossen Raum einnehmen, wie 
z. B. die Sprichwörtersammlungen, Facetien und ähnliches, 
wie natürlich auch von allem Derartigen, das vereinzelt in 
Briefen und als Beiwerk zu ganz anderen Arbeiten auftritt. 
Sondern nachdem vornehmlich durch Konrad Geltes — 
die italienische Kunst zu Sehen in der gelehrten Welt Deutsch- 
lands heimisch geworden, entwickelt sich aus dem Betriebe 
der Geographie, der Cuschichte, der Völkerkunde eine echt 
wissenschaftliche deutsche Volkskunde, die in Johannes Bohe- 
mus ihren ersten Vertreter svst^matischer Stotfsaninilung fin- 
det und in den Wehhiicht rn Francks und Münsters für zwei- 
undeinhalb Jahrhunderte lestgeiegt ist. 

Während dieser ganzen Zeit fand dann freilich kein we- 
sentlicher Fortschritt darin statt, und die moderne Entw icke- 
lung knüpfte nicht an die humanistischen Anfänge an, son- 
dern ging vun anderen Wissenschaften aus: nur so konnte es 
kommen, dass jene zwar folgenlosen aber tüchtigen Leistun- 
gen bisher su wenig beachtet worden sind. 



Digitized by Google 



4 



Erstes Kapitel. 

Vordereitung einer Volkskunde durch den Frühfaumanisnras. 

' § 1. 

Wie das scholastische Mittelalter im allgemeinen für die 
Naturwissenschaften unfruchtbar gewesen war, so halte €s 
auch im besonderen das geographische Weltbild, das aus 
dem Altertum üb^Tliefort w orden, ohne u es-.^iitliche Erwei- 
terung gelassen. Den entscheidenden Anstoss g;ib auch 
hier wie überali die Wiedererweckung d-.'S klassischen Alter- 
tums. Im Jahre 1410 wurde zum erstenmale in Italien die 
„Geographie" des Ptoiemaeus ins Lateinische übcrtrai^en und 
von da an den Gelehrten d^-s Abendlandes erst in vollem 
Umfange /ugänglich. Weit über ein Jahrhiuidert lang schloss 
sich alle geographische Arbeit an ihn und di? anderen Kom- 
pendien des Altertums, Pomponius Mcia, Plinius etc. an, 
fast jeder der bedeutenden f iunianisten hat durch Editionen 
und Kommentarien sich betätigt, bis dann endlich als der 
Letzte auch Strabo 1523 seine lateinische Ausgabe erfuhr, 
und bis alle alten Autoren durch die modernen Kosmo- 
graphien Francks und Munsters ersetzt wurden. Viel früher 
freilich war schon die Unzulänglichkeit der Alten erkannt, 
aber um ein Besseres an ihre Stelle setzen zu können, war 
die junge Wissenschaft lange noch nicht reif genugf. 

Der Erste, der aus eigener Kraft in der neuen Zeit 
eine neue Erdbeschreibung zu schaffen unternahm, war 
Aeneas Silvius.^ Doch hat er nur die beiden Teile vollendet, 



1. Darüber: Alfred Berg: Etica Silvio de' Piccolomini in seiner 
Bedeutung ais Geograph. Hallenser Dissertation, 1901. 



Digitized by Google 



— 23 — 



die Asien und Euröpa behandeln. „Die Asia ist sein g;e- 
leli'rtestes Werk":^ die ganze Fülle des von den Griechen 
und Römern überlieferten A^terlals, soweit es ihm, dem 
Einsprachigen, schon damals zu Gebote stand, Ist darin ver- 
arbeitet: nach einem Jahrtausend zum erstenmale wieder 
wird hier Strabo genannt, der kurz zuvor von Guarino über- 
setzt worden war.^ Aber daneben sind auch die lebens- 
vollen Berichte des Nicolaus Conti herangezogen. Anders 
verfährt Enea bei dem Buche, das als der zweite Teil des 
geplanten Werkes, als „Europa" gelten kann.* Während die 
Absicht in} allgemeinen schon war, eine Geschichte der Völ- 
ker der Erde zu geben, beleuchtet durch Beschreibung ihres 
Landes und ihrer Lebensbedingung^en, so tritt in der Europa 
das rein geographische fast ganz hinter das historische Ele- 
ment zurück, und um so mehr geschieht es, dass der Ver- 
fasser bei seiner Darstellung das «igene Erleben und die 
jüngsten Quellen vorzieht und nur in Ergänzung dioser und 
zur wissenschaftlichen Vervollständigung die alten Autoren 
benutzt. So wird sein Bild der Wirklichkeit entsprechender 
als die Darstellungen seiner Vorgänger. 

In zwan/ii^ Kapiteln behandelt er die einzelnen Teile 
Deutschlands; so ausführlich, denn ,,die alten Chronik- 
schreiber haben gar wenig von Teütschen landen, als ob 
die selbig nation ausserhalb des umbkreyss der Welt lege, 
gfeschrieben, und alles träum \\\ iss von Teütschen sachen mel- 
dung gethon".^ Die Behandhing der einzelnen Landesteile 



2. ücorij Voigt: Enca Silvio de P. Bd. II. S. 336 (3. Aufl.). 

3. Oscar Peschel, Geschichte der Erdkunde. 1865, S. 198 
(Peschel-Riige> S. 218). 

4. Aepcae Piccolominei Scnensis cardinalis De hls quae Fride- 
rico III. Imperante in Germania et per totnm Eurnpam ijcsta .sunt 
usque ad annum U')X Commentarius. In Fieher Script, rcr. Oerni. Tum. II. 

ö. Aus der „Europa" Kap. XAlii so von Seb. Franck übersetzt 
iiQ Weltbuch Fol. 41^ und im Chron. germ. Vorrede Pi>l. 7. 



Digitized by Google 



24 — 



ist sehr verschieden nach Umfange und Inhali. Meistens wer« 
den die Grenzen angedeutet, die wichtigsten FlGsse und 
Städte genannt und das Land nach seiner allgemeinen Be- 
schaffenlieit, nach Fruchtbariceit und Bedeutung fiir den Ver- 
kehr und Handel charakterisiert. Anderseits wird der Ur- 
sprung der Bevölkerung angegeben, ihre Sprache, ihr Cha- 
rakter, ihre spezifische Nahrungsweise, wichtigste Beschäf- 
tigung und in ganz besonderem Masse ihre rechtlichen Ver- 
hältnisse bestimmt.^ Wenn der Autor — zum Beispiel — 
von Nürnberg handelt, stellt er zunächst fest, dass es zweifel- 
haft sei, ob die Stadt zum Stammgebiet der Franken oder der 
Baiern gehöre: der Name weist auf Baiern (Noricum) hin, 
die kirchliciie Zugehörigkeit {/u Baml>erg) auf Franken. Die 
Nürnberger selt>st wollen für kv'ins von beiden, sondern für 
einen ganz besonderen Stamm gehalten werden. — Die Stadt 
zeichnet sich aus durch ihre ansehnlichen, kostbaren Bauten J 
sie liegt auf sandigem Boden : darum ist das Klima so g^^sund 
und für die Bewohner leitet sich daher ihre ausserordent- 
liche Betriebsamkeit: all? sind Haiuiwerker oder Kauflcutc, 
daher viel Reichtum dort herrscht. (Kap. XXXI). 

Von systematischer l)arstelkni<r kann freilich nicht die 
Rede sein. Was dem Reisenden in einem Lande auffiel, 
oder was er bei irgend einem Schi ittsteller darüber Sonder- 
bares las, oder was ihm ein Bekannter an Merkwürdigem 
erzählte: das ward aufgeschrieben und eiiig zum Buche ver- 
einigt; dabei sind z. B. Schwaben, das Rheinland,^ Hessen, 

6. Darüber: Heinrich Getigler: Aeneas Silvius in seiner Bedeu* 
tung für die deutsche Rechtsgeschichte. Frlangen tSöO. 

7. „Wie viele Bürgerhäuser kann man da .sehen, die eines 
Königs würdig sind; Schottlands Könige möchten sich wünschen, 
so prächtig zu wohnen, wie mittlere Burger in Nürnberg" (aus der 
.»Germania", 1496 S. äO); daneben auch Hervorhebung der günstigen 
Lage im Zentrum des Reichs; älinlich in der „Oesterreidiischcn 
Geschichte". 

8. Franziscus Irenicus, der zuerst nach E. S. wirklich ganz 
Deutschland beschrieb, bemerkt diesen Fehler in seiner „Gcrmaniae 



Digitized by Google 



— 25 — 



Oesterreich fast bloss mit historischen Notizen vertreten. Auf 
diese Weise wurden aber auch vereinzelte absonderliche 
Ptclitsaltertiimer in die \\ issenschaftliche, speziell die geo- 
graphische Literatur eingeführt und zum eisernen Bestände 
alier zukünftigen deutschen Volkskunde erhoben. 

Um die rebellischen Westfalen endgültig beim christ- 
lichen (jl.iulien festzuhalten, so berichtet der Kardinal, ver- 
ordnete Karl der Grosse heimliche Gerichte, dlz bis in die 
Gegenwart ihre Justiz im Verborgenen ausüben: unerkannt 
reisen die Vorsitzenden Schöffen im Lande umher, merken 
sich die Verbrechen und führetr vor dem Gerichte dann 
die Anklage. Die Verurteilten werden in einem Budie ver* 
zeichnet, die Vollstreckung des Urteils niederen Schöffen an- 
vertraut: sie töten den Schuldigen, wo sie ihn finden, ohne 
dass er etwas von seiner Verurteilung erfährt. „Dies Ge- 
richt ist al>er jetzt heruntergekommen, den es werden auch 
unwürdige Personen zugelassen, und sie wagen es, sich auch 
mit Zivilprozessen zu befassen, obwohl ihnen nur Zuständig- 
keit für Kriminalsadien gegeben war.'"^ — Der Würzburger 
Bischof hat, während er die Messe abhält, vor sich auf dem 
Altare ein blosses Schwert: denn er gilt als der Herzog 
in Franken. — Aus deutschem Grenzgebiet wird die selt- 
same, umständliche Feierlichkeit beim Herrschaftsantritt eines 
neuen Kämthenischen Fürsten — das Zwiegespräch mit dem 



exegesis«* Lib. U. Fol. Darnach wörtlich in Francks „Cermaniae 
Chronicon". Vorrede: „Eneas Silvias hat in „Europa" mer verheyssen. 

dann gcleyst, dnnn er ^edoncket der Rheinstett gar nicht." 

i». Dieser Bericht von der Vehmc aus der „Europa" Kap XXIX 
findet sich z. B. mehr oder weniger wörtlich bei Felix Fabri „Historia 
Sneviae" Kap. VII (p. 59;fM) ed. Goldast); Nauclerus „Memorabilium 

Chronic! commentarii** Lib. II. Fol. 114t»; Franziscus Irenicus 

„Germaniae exei^csii;" II. 21. p. 65 f.; Johannes Rohemus ..Omniuni 
gentium mores** III. Kap. XIV; Sebastian Münster MOermaniae 
descriptio" S. ÜH; Sebastian Franck „Weltbuch'* Fol, i>l, 



Digitized by Google 



— 26 — 



Bauern tm Herzo^^stein bei St. Veit, wird die vollcstfimlich'e 
Bestrafung d€$ Diebstahls in Klagenfurt beschrieben: alle 
Verdächtigeil werden erhängt ; wenn ihre Unschuld sich dann 
erweist; erhalten sie ein ehrliches Begräbnis, wenn nicht, 
bleibt der Leichnam hängen, bis er von selbst zerfällt (Kap. 
XI 11). — Und wie dann von dem Schlangenkultus der heid- 
nischen Lituanier (Kap. XX), so erzählt Cnea auch von dem 
jährlichen Sühnungsfeste im Halberstädter Dome: am ersten 
Tage der Fasten wird ein grosser Sünder aus dem Volke 
auserwählt, der in Traueigewand und mit verhülltem Haupte 
der Messe beiwohnt, darnach aus der Kirche gejagt wird. 
Während der vierzig Tage durchirrt er barfuss die Stadt, 
schläft nur nach Mitternacht auf den Plätzen, spricht kein<!n 
Menschen an, empfängt seine Nahrung von den Priestern. 
Am Gründonnerstage wird er dann wieder in die Kirche 
geführt und feierlich von seinen Sünden absolviert. Das Volk 
bietet ihm Geld, das aber der Kirche überlassen w ird. Diesen 
Menschen nennen sie „Adam'' und glauben ihn aller Schuld 
ledig. (Kap. XXIII.) 

Im selben Jahre wie die „Furopa" verfasste Enea Silvio 
ein kleines Werk, das unter dem Namen „Germania** be- 
kannt Wcjrd.i" Es war als Antwort bestimmt auf ein Schreiben 
des Martin Mair, Kanzlers des Main/er Erzbischofs, an seinen 
alten Freund, den nunmehriijen Kardinal Piccolomini über 
die „dcconi irravarnina Ot-rmaninc nationis" von 1457; und 
somit Will der Zweck dieser Schrift, die aus Deutschland 
über die Alpen tonenden Klagen gegen di2 römische Kurie 
zu beschwichtif^en, ifire Begründüntr zu bestreiten. Darum 
enthält der Sciulhriet, neben anderni, auch einen Abschnitt 
zur Widerle<2:ung der sogenannten 10. Beschwerde, dass 
Deutschland infolge der Aussauf^ung durch die Kurl ' ver- 
armt sei : eine bewundcrungsvoUe Schilderung des damaligen 



10. Eigentlich „De situ ntii, moribus et conditiotic Oertnaniae 
(resp. I'cutoniaej descriptiu ' i4ö8 Febr. J.; edieft UWü und lölö. 



Digitized by Google 



~ 27 — 



(durch die Kirche herbeigeführten) geistigen und matcrieUen 
Wohlstandes des ehemals — nach Caesar und Tacitus rr- 
so oden und wüsten deutschen Landes. Dabei wird gewisserr 
niasseu der entsprechende Abschnitt der „Europa*' in einigen 
Lücken ergänzt, besonders die Lebensfülle am Rlicm entlang 
findet hier ausgedehnte Würdigung; bei (leiegcnheit werden 
die Nationalitatsverhältnisse der Helga r erörtert; einige Züge 
aus der „Europa" kehren auch wieder: das Herzogsschwert 
des Würzburger Bischofs, das schöne Forchheimer Weiss- 
brot; zur allgemeinen Volkskunde gehört die Bemerkung 
über die deutsche Jugenderziehung: die Knaben lernen eher 
reiten als sprechen (Germania Fol 23. «d. 1496). ^ Im 
Vergleich mit der „Europa" aber in ihren besseren Teilen 
ist diese zumeist in kahler Aufzählung bestehende Schilde- 
rung dürftig; dazu kommt ihre tendenziöse Färbung, di^ 
von den deutschen Humanisten wohl empfunden wutde^^ 
und die ,,Germania" an Einfluss hinter die wissenschaftlichere 
,,Europa'' zurücktreten Hess; denn diese trug zwar die Mangel 
ihrer allzu eiligen Zusammenstellung, gab aber wohl, gerade 
durch die Vorzüge ihrer Lebendigkeit und Unabgeschlossen- 
heit den deutschen Humanisten überaus reichlich Anregung: 
Anreiz zu weiterer Ausführung und Vollendung des hier 
von einem Fremden Begonnenen. 

Die Italiener waren in dieser Zeit zuerst dazu gelangt, 
in dem Kultus der Vei^angenheit die Gegenwart ihres 'Volkes 
und Landes zu studieren ; italienische Augen, angeleitet durch 
das Muster der neuentdeckten lateinischen und griechischen 
Naturbeobachter, geübt, mit den historischen Bildern ihre 
Umwelt zu vergleichen, hatten so zum erstenmale den Unter- 



11. Jakob Wtmpfelinj^ schrieb an den Erzbischof Albrecht von 
Mainz im Widmungsbrief zu seiner Neuausgabe der sog. „Ciermania" 
von 1514: ^.Eneas ut Italus nostnim veritia aurum suae natiani 
subduci, Martini querelas niultis verbis confutat, ac gemianiae blan* 
diens eius uiIms, templa, familia, nobillssimas praecipue dotnos, dul- 
cibus praeconiis exomat . . .** 



Digitized by Google 



— 28 — 



schied konstatiert, der zwischen dem Deutschland des XV. 
Jahrhunderts, das sie sahen, wenn sie die Alpen überstiegen, 
und dem Oennaiucu bestand, das Caesar und Tacitus, Plu- 
tarcli und Strnbo, PompoDius Mcl;i und Püiiius g^ekaniit und 
gesciiiklcrt hatten, dessen Bild durchs Mittelalter hindurch 
SO gut wie unverändert in der Wissenschaft fortbestanden 
hatte. Angenehm sowohl wie nützlich erschien es nun, an 
Stelle des Veralteten das Wirkliche zu setzen. Dem Bei- 
spiele des Aeneas Sylvins folgten dabei viele nach. Es ge- 
nügt, auf die Berichte der Oesatidlen hinzuweisen, die von 
den italienischen. Städterepubüken an den Hof des deutschen 
Kaisers geschidct zu werden pflegten, um dann Auskunft 
zu geben Qber alle die Auftraggeber angehenden Fragen 
der deutschen Volks- und Landeskunde. Zum Beispiel lieferte 
Macchiavelli seiner Vaterstadt drei solcher Berichte» sein Ge- 
fährte Vettori die Schrift „Viaggio in Allemagna'S der Vene- 
tiaMr Vinoenzo Quirin! seine „Relazione di Germania", an 
denen allen die scharfe Beobachtungcfabe zu bewundem ist, 
durch dfe eine Fülle von kulturgeschichtlichem Material über 
die deutschen Zustände jener Zeit uns überiiefert ward.^' 
Aeneas Silvius ward der Apostel des Humanismus, des 
neuen Lebens, in Deutsdiland, weithin wirkend durch sein « 
ausgebreitete persönliche Bekanntschaft,^^ weiter aber durch 
seine vielen Schriften: er ward für das nächste Jahrhundert 
nach ihm einer der beliebtesten und meistbenutzten Quellen- 
schriftstelkr. „. . Bald waren es die philosophischen De- 
duktionen, bald die Frivolitäten, oft aber war es auch nur die 
altrömische Eloquenz und die Schönheit der lateinischen 
Sprache, was hier Bewunderung fand. Des Aeneas Briefe 
haben zur Verpflanzung der humanistischen Formgewandt- 



12. Darüber: Hermaan Rösemeier „Die drei fleisen Macchia- 

velliS in Deutschland". Kieler Dissertation, 1891. 

13. Darüber: Karl Hagen „Deutschlands literarische und religiöse 
Verhältnisse im Reformationz^italter' 2. Ausg. IböÖ. Bd. I., S. 81—99. 



Digitized by Google 



- 

heit nach Deutschland nicht wenig beigetragen, sie haben 
den Schriften des Cicero und Livius den Weg gebahnt."** 
Indem die alten und jungen Studenten ihn studierten und von 
seiner eleganten und lebhaften Darstellung begeistert wurden, 
trachteten si« nicht nur darnach, ^nc gleiche VoUkommen- 
hett und Flässigiceit des Stiles zu erwerben, sondern sie 
lernten auch, auf seine Art und Weise zu sehen; und indem 
sie für ihre Leser seine Geschichten nacherzählten, liegannen 
sie sich auch selbsttätig mit dem Stoffe zu beschäftigen: 
sie erfanden ähnliche Anekdoten, und sie fanden neue Züge 
zum Bilde ihres Volkes, je nachdem die Richtung ihres Den- 
kens und ihr Verhältnis zum Volke sie führte. 



§2. 

Seit Beginn des XV. Jahrhunderts ziehen deutsche Stu- 
denten in ständig wachsender Zahl über die Alpen, um in 
Bologna, Padua, Siena oder Rom die beiden Rechte, dann 
uicli ! hilosophie zu studieren; in der Heimat verwenden 
SIC das (ielerjite als Stadtschreiber, Notare und Kanzler, 
Dornherrn oder einfache Pfarrer zu Nutz und Vergnügen. 
In der Rezeption der neuen Bildung ist ihr wissenschaftliches 
Ideal gesetzt; ihre Produktion ist bestimmt duich die herr- 
schenden Tendenzen der Zeit: Vertiefung des religiösen 
Lebens, Eindringen in das Wesen der klassischen Sprache 
und Literatur zum Zweck echten theologischen Studiums, 
und aus beiden erwachsend: Veredelung der Sitten nach 
den Mustern der alten Welt 

Rudolf Agricola, Schüler des Thomas von Kempen, bildet 
das Beispie! dieser ersten Humanistengeneration, bei dem 

14. Georg Voigt „Die Briefe des Aeneas Silvitis vor Miner Eir. 
hebung auf den päpstlichen Stuhl" (IV), Archiv für a«taT. Oesch.- 
Forschung XVI. S, m l 



Digitized by Google 



- ^ - 

die thtolog^ische Richtung der klassischen Studien vorherrscht. 
Bei Johannes Reudilin tut das die philologische. Beider 
Werke sind Früchte ihr6s Fleisscs vor den Büchern, sio 
haben ihren Ruhm als [Pfadfinder und WegAveiser Für \ iile; 
aber sie kommen nicht selbst ins ß-dohte Land. Agricolas 
wenige hinterlassen o Schriften zeugen vom Hcsit/ der neuen 
Formen als glänzender Zierraten, aber kaum einen Hauch 
vom lebensfreudigen und freien Geiste in djr Ansehung von 
Well und Leben: er gehört zur (Iruppe derienigon Renais- 
sancemenschen, ,,die im Oegensat/e /u den W . Itkindern und 
Tatkräftigen iiui schauend sich und ihren Neigungv.'n leben, 
von der Welt, dem Ciegenstande ihrer Betrachtung, nicht 
störend berührt sein wollen."' Das Studium djr antiken 
Philosophie ist ihm nützlich als Vorbereitung auf die heiligen 
Schriften, „diese allein führen uns auf gewisser, sicherer, 
rechter Strasse, sie verscheuchen allen Nebel und lassen nicht 
zu, dass der, der ihnen folgt, enttauscht wird, vergeht oder 
jemals abirrt" Und dann: „es gibt auch andere Dinge, 
deren Kenntnis mehr zur Zierde unseres Geistes und zu 
ehrenvollem Vergnügen dient, als zu Notdurft und Ge- 
brauch. Solcher Art ist iedes Forschen nach der Natur der 
Dinge''. Gewiss hat das Naturstudium auch für ihn seinen 
WeH» schon weil es „keinen Raum lässt für niedrige und 
eitle Sorgen'', hauptsächlich aber, weil jede nähere Kennt* 
nrs der Wirklichkeit uns tiefer davon uberzeugt, „dass alle 
Sorge auf das Heil der Seele gewandt sein muss". In der 
Opposition jedoch gegen den scholastiscban Wissenschafts- 
betrieb steht er ganz auf der Seite der Neuen: „An die 
Dinge selbst muss man sich halten und erforschen die Lage 
der Lander, Meere, Belage und Flüsse, die Gegenden und die 
Sitten der dort wohnenden Völker, ihre Grenzen und Lebens- 
lagen, die erduldeten und ausgeübten Herrschaften und eben» 
so auch die Kräfte der Bäume und Kräuter, wie Theophrast, 



1. Friedrich v. Bezold: „Rudolf Agricola/< 1884. S. 5. 



Digitized by Google 



- 31 - 

so auch Entwicklung^, Abstammung und. Arten der Lebe- 
wesen, wie Aristoteles in seinen Schriften es tat."' Auch 
Medizin, Landwirtschaft, Kriegs- und Bauwesen und alle 
Künste empfiehlt er zum Studium; aber ihre Hauptbedeu- 
tung sieht er dodi in ihrem erziehlichen Wert, im Unterschied 
von Adelmann von Adelmannsfelden zum Beispiel, der schon 
im Jahre 1481 die humanistischen Studien als Mittel zurh 
Zwecke des Fortschritts der objektiven Wissenschaft er- 
kannte.-' Von Rudolf Agricola ist nichts erhalten, was ihm 
in einer Geschichte der Volkskunde eine Stelle gäbe; und 
ebenso wenig wird dort Aufnahme finden sein Nachfolger 
in (ter Führung des deutschen Humanismus: Johannes 
ReiichUn. 

" Diesem wurde die Wissenschaft 2um Selbstzweck; ihrem 
Fortschritt galt sein Lebenswerk, Obgleich er durch sein Alter 
weit hineinreicht ins XVI. Jahrhundert und in die nächsten 
Generationen, hat doch er sowenig wie die älteren Huma* 
nisten von Agricotas Art Teil an den naturfrohen und weit- 
schweifenden Oedanken, die auch für das deutsche Land 
ein Zeitalter der Entdeckungen herauffuhrten. Natürlich ist 
er als Humanist von höchster Ehrfurcht vor der Oeschidite 
erfüllt, — ,,nemo non agnoscat» ut omhis vita, omne studio* 
TUm genus indigeat historia'^* — , und ihm besonders lag 
sie nahe in seinem Berufsleben, wo er beständig bei deA 
Rechtshändeln der verschiedenen Menschenklassen die Spureln 
und Folgen der Vergangenheit in Satzung und Anschauung 
vor Augen hatte. Aber als Mann der VE^issenschaft ist er 
kein Historiker,'^ und wo er sich einmal auf das ihm fremde 



2. Alle Zitate aus der kleinen Schrift „Dt formaJido. studio", 
Cöln 1555 (auch 1521) erschienen. 

3. Hagen „Deutsdilands Kteraritthe tmd fdigiöse VerbiHmsMS 
etc." Bd. P S. 871. r • 

4. Reuchüns Vorrede zu Joh, Naucleri Chronicon 1516. < 

5. Ludwig Geiger: Joh. Reuchlin ' 1871. S. 65 f. 



Digitized by Google 



- 32 - 



Oebkt begab — «r identifizierte n^dif der Sitte der Zeit 
zu Cbren «eines Gönners Frtedridis des Weisen die Sachsen, 
Thüringer und Meissner mit den homerischen Axenern, My- 
sem und Tyrigeten^ — verfiel dem Spotte der Kundigen^ 

Voltends Desiderius Erasmus, der Genosse und Nach- 
folger wiederum Reuchlins in der höchsten Geltung der Oe- 
tehrtenwelt, wird ganz aus dieser Betrachtung auszuscheiden 
sein. Die Pflege der Geographte zwar empfahl er dringend 
für die Schute, atier doch hauptsächlich in Verfolgung seiner 
pädagogischen Forderung: den Unterricht der Sprachen durch 
den Stoffgehalt des Getesenen den Schülern schmackhafter 
zu machen; es geschah weniger aus «igener Vorliebe zur 
Naturwissenschaft, wte denn auch seine griechische Ausgabe 
des Ptotemaeus^ — dte erste in Deutschland — weit ge- 
ringer als seine übrigen Leistungen seinem Ruhme dtente: 
ste <enthält von ihm aus höchstens philologische Arbeit und 
konnte leicht überholt werden.^ Zeit seines Lebens aber 
stand er dem Volke in seiner Eigentümlichkeit und All- 
täglichkeit so fem, dass er sich dessen rühmte, in keinem 
Lande, wo er geweilt, sicii um die Sprache der ihn um- 
lebenden Menschen gekümmert zu iialnn; und keiner Nation 
fühlte er sich von Herzen verbunden.^" 

Nicht von diesen Führern des Humanismus konnte eine 
deutsche Volkskunde eröffnet werden, und nicht von denen, 
die in ihrem Wesen ihnen ähnlich waren — mehr oder 

6. In der Vorrede zur l eberset/.unjj des ConstanttUS magllUS. 

7. Darüber Hagen a. a. ü. I S. 301). 

H. Ex cod. Pettichli Basil. 1688. 

9. Darüber: H. Tollin „Michael Senet als Geograph" in der 
Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Bd. 10. 1875. 
S. 190 f. 

10. Seine scharfe Schilderung deutschen (und französischen) Wirts- 
hausiebens — In: Colloquia, Diversoria [n>iij] - gehört in das Kapitel 
der Satire, von der W. H. Riehl SfM'ach: oben S. 17, Anm. 10; eine 
Uebersetzung davon steht bei A. Schultz: „Deutsches Leben im 14. 
und 16. Jahrhundert." la&i. 



Digitized by Google 



33 - 



weniger kosmopolitisch empfindende Esoteriker, hchc^rrscht 
von den theologischen, philologischen, ästhetischen Tenden- 
zen der Zeit. Die entscheidende Anregung ging von der 
lebhaften VaterlandsUtbe aus. 



§ 3. 

Liebe zur Heimat und ihren Bewohnern führte dem 
Kölner Karthäusermönch Werner Rolevinck die Feder, als 
er in den siebziger Jahren des XV. Jahrhunderts sein Buch 
vom Lobe Alt-Sachsens, das ist Westfalens, schrieb.^ Er 
wandte sich dabei nicht an Einsiedler und Mönche, sondern 
an Menschen, die von der schweren Sorge um Zeitliches 
bedrückt sind; deshalb bringt er Geistliches und Weltliches 
vermischt, denn er will Erholung sowohl als auch ein wahres 
Muster zur Nacheiteruntr darbieten.- Anfangs ist seine Dar- 
stellung ausschliessHcli histrrlsch; als ihn aber nach der Zeit 
Karls des Grossen seine Quellen'^ im Stich lassen, o-eht er 
sogleich über zur Schilderung der Sitten und Verhältnisse 
der Westfalen seiner eig^enen Zeit. Im Mittelpunkte steht 
ihm die „heilig^e Sendung" seines Volkes für den Erdkreis: 
da die Heimat die Fülle der Bewohner nicht ernähren kann, 
so /.lehen alljährlich die armen Westfalen hinaus in die Welt, 
um der Menschheit mit ihrer Kraft und Treue zu dienen 
und dafür überall zu hohen Ehren zu gelangen; wegen der 
grossen Zahl und weiten Verl)iciTung westfälischer Auswan- 
derer kann eigentlich kein Mensch sagen, er habe von seinen 

1. De laude Veteris Saxoniae, nunc Westfalia dictae. Köln 1478 ca. 
Nach Potthast in sieben lateinischen Editionen <z. B. 1500 Köln; 1514 
Köln etc.); Dazu deutsch 1834 Lemgo und 1865 Köln, die let/te 
von r. Tross nach der ältesten Ati?;gahe, laleiniiich uml ikiifsch. 

-2. Laus Saxoniae ed. Tross. S. 248, .'lO. (Cbendaraus die folgenden 
Zitate) 

3. U«ber die Quellen Rolevindcs: AI. Eisner „De vita et scriptis 
historids W«ni€ri Rolevinck. Bftslau 1872; bier tpciicU S. 40. 



Digitized by Google 



— 34 — 



Ahnen keinen Tropfen westfälischen Rlut€s in seinen Adern 
{S. 186). Daran knüpfen sich dann in buntem aber wahl- 
losem Kranze g'eschichtliche Exkurse, pclehrte Erinn jrnii<^cn, 
erbauliche Betrachtun^ren, personliche Erlebnisse und charak- 
terisierende Anekf^nten : im ( ian/en ein Hymnus auf die 
Tüchtigkeit, Rejjaluiri;^', Treue der Volksg"enossen. Alle Tu- 
genden besitzen sie iii hervorragendem Masse; und der Lob- 
gesang wird zur Verteidigungsrede gegen die im Umlauf 
befindlichen Schmähreden. Die Vorwürfe der Grobheiten 
(S. 166), der Dummheit und l 'iigeschickUclikeit (S. 170- 72), 
der Freibeuterei, des Betruges werden entkräftet (S, 210); 
die Frcihcutci sind in Westfalen verhältnismässig gering an 
Zahl; und war hei Enea Silvio' zu lesen, das Sprichwort 
ginge um, lasterhaft und trügerisch seien die Westfalen 
leichter, als dumm, so hört man nun : die westfälischen Be- 
trüger gehen so plump zu Werke, dass sie sehr leicht er« 
tappt werden: sie sind eher dumm als verschmitzt. 

Bei solcher Orundrichtung kommt es trotz der Absicht 
nkht zu einer systematischen Sittenschilderung: es finden 
sich nur zerstreute Oenrabildery etwa die Hochzeit der Nichte, 
auf der Werner Rolevinck dem Brauche gemäss den Reigen 
führte, eine Leuchte mit der Unken ergreifend (S. 214 f.), 
zum Teil von grosser Farbigkeit wie z. B. die Jugend armer 
westfälischier Bauernsöhne in harter, selten erheiterter 
Mühsal, ($. 146—148), wie das qualvolle Noviziat der jungen 
Adligen, ihre Erziehung oft zum Galgen geschildert wird 
(S. 212), mit Anfuhrung der bekannten Spruchwörter — im 
deutschen Wortlaut 1 — : 

Ruten, rowen, dat en is ghein schände 
Dat doynt die besten van dem Lande, 
worauf die Bauern erwidern: 

Hangen, raden, koppen, steken enis gheyn sunde 
Wer dat nicht, wy en behelden neit in den Munde. — 
Einige volkskundlich^ Angaben kommen hinzu: die 

4. „Europa" Kap. XXVL 



Dlgitized by Google 



- 35 - 

Velime (etymol. aus „vre my" = „wehe mir" erklärt!) 
(S. 100), der Wechsel von der Bezeichnung Meier zu Schutte 
(S. 128), die Einrichiung des Bistums Munster (S. 204), im 
ganzen aber: gegen die Kunde des Enea Silvio bedeutet 
das Buch Rolevincks inhaltlich keinen Fortschritt und nur 
insofern verdient es Erwählnung, als es vielleicht die älteste 
volkskundliche Monographie ist, und als Zeichen, wie in 
alkn Kreisen der gelehrten Welt damals die Lkbe zum Vater- 
lande eine Verschmelzung des toten Wissensstoffes mit dem 
persönlichen Erleben herbeizuführen begann. 

Eine direkte Abhängigkeit von den Italienern, von Enea 
Silvio im besondern, ist hier nicht zu bemerken. Dass Role- 
vinck* Schriften des gelehrten Papstes gekannt hat, geht aus 
seinem „Fasciculus temporum**'» hervor. Von seiner Bekannt- 
schaft mit der „Europa" bringt die Untersuchung Eisners 
keine Spur; vielleicht aber könnte man eine Erinnerung an 
Eneas „Germania," wo Strassburg seiner Kanäle halber mit 
Venedig verglichen wird, darin finden, dass Rolevinck, der 
Weitg"ereiste, einmal von einer (nicht genannten) Stadt spricht, 
wo er gewesen: veluti secunda Venetia (S. lf)()).'' — 

Wenn man gesagt hat,' das;'^ infolge dieses Werkes Alt- 
sachsen mit seinem damaligen Leben wie keine /.weite Ge- 
gend Deutschlands der Nachwelt im Bilde vergegenwärtigt 
sei, so bedarf das wohl doch einer Einschränkung: das Bild, 
das der „Traktat von der Stadt Ulm" des Dominikaner- 
mönches Felix Fabri vom Leben in der alten Hauptstadt 
Schwabens und in ihrer Umgebung entwarf, ist doch be- 
trachtlich inhaltsvoller. 

Frater Felix Fabri „alias Schmidt", der im Jahre 1441 
zu Zürch geboren, später zu Ulm im Diiminikanerkloster 

ß. Köln 1480. Fol. 03b. 

6. Eisner deutet es — ohne zureichenden Orund auf Lübeck. 

a. a. O. S. 3. 

7. Laus Saxionae ed. Tross: Praefatio S. XVL darnach Eisner 
a, a. O. S. 40. 



Digitized by Google 



— 36 — 



ansässig wurde, reiste in den ;icht/iger Jahren des XV. Jahr- 
hunderts, wie so viele seiner Zeitgenossen, nach dem hcihgen 
Lande und berichtete nachher über seine beiden Pilpi^er- 
fahrten an seine Freunde, Die zweite R 'iseheschreibun^, 
das sogenannte „Evagatonuin", das beide Reisen vereiniget 
darstellt, gilt als das bedeutendste Werk der damaligen 
Pilgerreisenliteratur. Den SchliK-s dieses Evagatoriunis bildet 
ein Kapitel „Histoiia Suev<irutn" und ein „Tractatus de civi- 
tate Ulmensi**.^ darin der v jn seiner Reise Zurückkehrende 
die weitere und engere Heimat gleich mit beschreibt; denn 
wenigstens die Grundabsicht auch dieser Teile der Arbeit war 
gcügraphiscbe Schilderung» wenn auch das geschichtliche und 
volkskundlicfae Element stark in den Vordergrund tritt. Man 
hat den — berechtigten — Vorwurf gegen Fabri erhoben, 
er lasse sich von seinem Stoffe mehr beherrschen, als dass 
er ihn beherrsche, und von Anfang an hat man bei ihm 
kritische Sichtung des Materials seiner historischen Abschwei- 
fungen vermisst.^ Aber dieser Mangel beschränkt sich auf 
die geschichtlichen Teile seiner Arbeiten, das heisst auf die- 
jenigen, bei deren Abfassung er auf fremde Quellen zurück- 
gehen musste. Zwar hat er einige Kenntnis klassischer und 
moderner Autoren und grosse Fertigkeit im Exzerpieren und 
Zitieren : Enea Silvio besonders ist ihm durch seine „Europa" 
wohl bekannt und eigiebige Quelle aber wegen seiner 



8. Das Evagatorlum blieb bis ins IQ. Jahrhundert utigedruckt. 
Die „Hist. Suevorum" wurde zuerst von (loldast 1605 zu Frankhirt 
in den „Scriptorts rennii Suc\ icariim*' heransfjecfchcn ; darnach neu 
zu Ulm 1727 v<in I). Baillivjluinaeus ; schliessiich eine kritische Aus- 
gabe von Gustav Veesenmeyer, Tubingen 1880 von dem „Tradatus 
de civ. Ulmensi"} eine Sonderausgabe (in Auswahl) der eigentl. 
„Historia Suev." war von H. Escher 1884 im VI. Bande der Quellen 
für die Schwei>crgcschichte erfolgt. 

9. Schon üoldast in seiner Vorrede 16Ü5 Script, rcr. Suev. Dazu 
auch: F. D. Haeberlin „Vita, itinera et scripta Fr. F. Fabri", Oöt- 
tingen 1742; besonders Uber die Quellen Fabris. 

^la Sie lag seit 1488 auch in Deutschland (Memmingen) gedruckt vor. 



Digitized by Google 



— 37 ^ 

Kritiklosigkeit gegenüber allem, was er gedruckt vorfand, 
sind doch nur diejenigen Teile seiner Darstellung wertvoll, 
bei denen seine Kenntnis auf eigener Erfahrung' und An- 
schauunj^r beruht: eben in geographischer und volkskund« 
Ikher Schilderung. 

In der Beschreibung Deutschlands, bei ihm „Schwabens", 
herrscht zunächst durch Benutzung der antiken Quellen das 
Historische und Oeog^raphische vor. Doch verdient hier her- 
ausgehoben zu werden die ausführliehe Charakterisierung 
der Schwaben : eine Gruppe lobvvürdiger Züge, die vielleicht 
freilich mehr als das Kulturideal des Fabrischen Horizontes, 
weniger als treffende Schilderung merkwürdig ist: darnach 
z. H. waschen sich die Schwaben überaus oft.ii Den Ab- 
schluss des Bildes gibt eine Vergleichung mit andern Volks- 
Stämmen, wie sie in Sprichwörtern vuii alters her so be- 
hebt waren, wie sie ja auch Werner Rolevinck bei seinen 
Ausführungen im Sinne giflegen hatten: die Schwaben sind 
klüger als tlsässer, vornehmer als Baiern, gerechter als Bra- 
banter, reicher als Franken, frömmer als alle übrigen Ger- 
manen. Bei der Erörterung d^T Abstammung kommt es 
dann zu einem phonetischen Exkurs : die Suitenses stammen 
von den Suebi, aber durcK sprachliche Eigientfimüchkeit ist 
diese Verwandtschaft aus den Völk'emamen gesdiwunden.^^ 
Und wie vor zehn Jahren Rolevinck von seinen Westfalen 
die uhberechenbare Fruchtbarkeit rühmte und dabei zu einer 
Behauptung griff, die an Probleme der modernsten Wissen- 
schaften erinnert,^^ so tut es ähnlich hier auch der Ulmer 
Mönch: fast unter allen germanischen Stämmen finden sich 
Schwaben ; ohne sie wäre das Elsass halb öde. Kein anderes 
Volk liefert so viele Priester, Schriftsteller, Musiker, Schul- 



11. Kap. X. ed. 1889. S. 128. 

12. Ebenda S. 131: ,,iMos enini est in Suitcnsiurii locutitmi , iit, 
ubicumque Sucvi iitimtur „a", ipsi dicunt „e", et ubi Suevi habeut 
„e", Suiceri habent „i", ut in plurimis.'* 

liCDavba oben S. 38/34. 



Digltized by Google 



- 38 - 



meistcr. Ueherall sind schwäbische Weinbauern, an allen 
FürsttMihöfcn schwäbische Diener; und auch das weibliche 
Cieschlecht zieht in die Ferne: /u häuslichem Dienste oder 
in Frauenhäuser; wie in allen Frauenhäusern der Welt, so 
sind aber auch in allen Nonnenkiösteni der Welt Schwä- 
binnen /u finden, und nirgends ist die Zahl der Frauen- 
klöster so gross Wie in Schwaben (S. 132). 

So reichlich die Schwaben, so kärglich sind die übrigen 
Stämme Deutschlands in der Schilderung bedacht worden. 
l>er Verfasser beruft sich darauf,'^ dass es noch keine aus- 
reichende Beschreibung Deutschlands gäbe, und so sieht er 
sich überall, wo eigene Anschauung ihm nicht zur Seite 
steht, genötigt, auf die nur geringen Bericlite der bis dahin 
[Deutschland behandelnden Autoren zurückzuErreifen : beson- 
ders begegnet man bei ihm auf Schutt und Tritt laugen 
Zitaten aus der „Europa" des Enea Silvio. 

Der wichtigste leil des ganzen Werkes ist darum der 
let/te, der „Tractatus de civitate Ulmana", worin Fabri seine 
zweite Heimat beschreibt: sein eigenstes Werk, bei dem ihm 
kein Acn^as Silvias als Vorbild dienen konnte, bei d€in er 
ganz auf sich' gestellt war.^^ 

Die beiden ersten Hauptteiie der Schrift handeln vom 
Ursprung und Alter der Stadt Schon hierbei finden inter- 
essante Vergleichungen der bestehenden und früheren Zu- 
stände ihr« Stätte; ts wird das Bild der Stadt gezeichnet, 
wie es in den Anfängen sich gestaltete: im Zentrum die 
kleine eigentliche Stadt, ruhig und vornehm, der Sitz der 
reichen Bürger, in den ausgedehnten Vorstädten aber das 



14. Kap. 4. bei Goldast S. 54: „Optavt videre aliquam Ger- 
maniae descriptionem, sicut alianim provincianim inveni, sed nullam 

reperire potui, nisi quacdam brevis ex Isidore et alliis, ex quibus 
et de cxpcricntiis propriis enm. ut scquitur, non dico descriptionem, 
sed circumscriptionem comporiavi." 

15. „DiffidUs est auiem mihi huius oppfdi descriptio, cum tiemi- 
nent ante me reperiam, qui vel modicum de eo scripserit" 



Digitized by Google 



— 39 — 

lännend« Lehen des Handwerks, des Marktes und der Ver- 
gnügungen, auch des Gottesdienstes.^^ Dann folgt nach Er- 
zählung der Geschichte der Stadt im „Principale III" eine Be- 
schreibung des dem Verfasser gegenwärtigen Zustandes, die 
im Anschluss an die topographische Aufzählung eine FQlle 
von volkskundlkhen Angaben enthält. Bei Nennung des eben 
vollendeten prachtvollen Domes wird von den pekuniären 
Verhältnissen des Stadtpfarrers gesprochen» von den 15000 
Kommunikanten der Osterzeit; „im Verhältnis dazu wer' 
den täglich fünf Kinder getauft, und aller Täuflinge Namen 
werden aufgeschrieben und eingezeichnet". Den ganzen Tag 
über steht die Kirche geöffnet, dem EHiithgange aller frei; 
und es ist auch Trubel genug darin, zumeist von faulen 
Klerikern, die hier ihre Zusammenkünfte und Unterredun- 
gen haben, wenn ihnen gerade etwas in den Sinn kommt 
— Auf den Tortünnen sind immer zwei Hornbläser, in 
der Frühe und am Abend blasend, bewafhiete Ankömm- 
linge von fern her meidend; aucii für die nach Torschluss 
Kommenden und von der andern Donauseite her Einlass 
Begehrenden ist ein Wächter bestellt — In den Mauer- 
türmen befinden sich die geheimen Verliesse, wo in aller 
Verborgenheit Gefangene durch Ertränken bei Seite ge- 
schafft werden; hier befinden sich die Folterkammern: vor 
dem Tode werden die Delinquenten in ein freunclliches, son- 
niges Beigemach geführt, gebadet und mit religiöser Trös- 
tung versehen. — Von der Mauer herab sieht man das Bleich- 
feld, wo die „panni bombycini,^^ qui vascania dicuntur" la- 
\ 

16. ». • • Nain parochia nulla erat in oppido, tu* pulsu, cantu, 
conciirsii, scpulturis oppidtim inquieretur, sicut hudie est ia 
quam plurimis civitatibus Ciraeciae, Italiae, Dalmatiae. . . . Ante 
portam vero Leunum etiam suburbium grande et tutnultuosum lioü.- 
pitiis et mercantlis ibi erat, et vendebatur panis, et tumultus nuptia- 
runi, convivioiiJin et chorearum ibi celebrabantur. . . 

17. Nach der Erklärung in der ed. Veesenmeyer: Gewebe nach 
vaKonischer Art. (S. 47.) 



Digitized by Google 



- 40 — 



gern, durch deren Verfertigung die Stadt ihre Reichtfimer 
gewinnt: auf jeden pannus kommen drei Solidi Gewinn für 
die Stadt. — Und so geht die Besdireibung um die Stadt 
herum ; auch der Oespensterspuic im Oremlinger Turm wird 
nicht vergessen* In gleicher Beziehung wird der Brunnen 
„der ahen Röhren'' hervorgehot>en, aus dem nächtlicher Weile 
Nymphen steigen und ihr unheiliges Wesen in den Strassen 
treiben.iB — Innerhalb der Stadt wird wiederum von den 
Kirchtürmen herab und durch Wächter den Büiigern der 
Stand der Zeit regelmässig verkündet. — Am Sonnabend ist 
der Markt: ein grosses Gedränge, besonders auf dem Wein- 
markt, wo oft 300 Wagen und Karren voll Wein stehen: 
und alles wird am Vormittag verkauft, und zwar gegen Gul- 
den und Groschen bar. Als Ergänzung aus Späterem sei 
hier gleich beigefügt, dass die wichtigsten Exportfabrik'ate 
ausser dem Tuch noch Hostien und Spielkarten bilden, die 
bis nach Sizilien verkauft werden (Princip. V Kap. II). 

Das vierte Principalc wendet sich den Bewohnern der 
Stadt zu: es brin^rt die Einteilung der Bevölkerung in ihre 
sieben Stände; jeder einzelne Stand wird charakterisiert nach 
seinen Funktionen innerhalb des Oemtiinx esens, nach seiner 
rechtlichen Stellung, nach seiner Geschichte und besonde- 
ren Lebensweise; innerhalb eines Standes gibt es wiederum 
noch feinere Unterschiede; der Uebergang von einem Stande 
zum andern ist nur teilweise möglich. 

Die Verfassung und Verwaltung der Stadt findet ihre ge- 
sonderte Behandlung im fünften Hauptteile. Eingangs eine 
historische Skiz/c der Entwickhing IHms zur freien Reichs- 
stadt; dann wird die jetzig^e Verfassung eingeliend h-jsciirie- 
ben, mit vollständiger Anführung der städtischen Aemter: 



t& S. Ii: „aevo nostri temporis delirae mulierculae asserunt absque 

rubore vulhis, cx liiatu fontis antiquarum cannarum formosissimas 
mulieres prodire ei ascendere per grades noctu, ülmamqiie perva- 
gari . . zu vergleichen a. a. 0. S. 221. 



Digitized by Google 



~ 41 — 



vom Bürgermeister und den „Fünf Qtheimen" bis zu den 
Werkmeistern, Feucrg-eschworen jn und „Barciietschauem**. 
So huldigt hier Felix Fabri als einer U^r ersten in Deutschland 
einer Neigung, die für die italienischen Humanisten so cha- 
rakteristisch ist: zur systematischen Schilderung der histo- 
risch bcgruiidLlen Verfassun^sf(j] m^a, wie sie beispielsweise 
Leonardo Bruni schon ein halbes Jahrhundert vorher gtgeb>:?n. 

Einer l>esonderen Betrachtung wird dann der Stand der 
Handwerker gewürdigt: er teilt sich in die 17 Zünfte, die 
jedoch nkht zusammenfallen mit den Gewerben — sonst 
würde es unzählig viele g>eben sondern sie sind nach 
dem Bedürfnis der Vorzeit beliebig von den damals Eni' 
scheidenden formiert. So befinden sich jetzt die verschieden- 
ai tigsten Gewerbe in einer Zunft zusammengeschlossen : eine 
neue Einteilung würde ganz anders verfahren müssen. 

Wenn sodann untersucht wird, worauf der Aufschwung 
beruht, den Ulm letzthin genommen hat, so wird zu seiner 
Bestimmung zunächst an statistischen Beispielen die Ver> 
mehrung der Bevölicerung verdeutlicht Gab es vor 70 Jah- 
ren nur 2 Backer, Goldschmiede etc., so sind es jetzt deren 
20; auf ehemals 2 Barbiere kommen jetzt 10; auf einen 
Priester jetzt 10; auf einen Gastwirt früher kommen jetzt 
20, auf einen Arzt jetzt gar 30. Und für diese Bevölkerungs- 
zunahme werden die Gründe gefunden: neben dem Reich* 
tum der Stadt, der vielen Nahrung gibt, der unbestechlichen 
Gerechtigkeit der Gerichte, der geringen Steuerbelastung ist 
es vor allem die allgemeine Betriebsamkeit, wegen der auch 
die Kinder der Armen sich ihr tägliches Brot verdienen kön- 
nen; es ist schliesslich auch die Anziehuncrskraft, die Ulm 
nun als Grossstadt immer mehr ausübt durch die dort. ge- 
währte ausg^ezeichnete Befriedigung alier Bedürfnisse: schöne 
Predigten, Orgelspiel, Chorgesang werden hier geboten, 
Schauspiele, Sehenswürdigkeiten, Gesellschaften, zierliche 
Frauen, massloser Luxus und alle Tage Neuigkeiten aus Ost 
und West, 



Digitized by Google 



— 42 — 



Der let/tc Hauptab^clmiit schildert die Umgebung Ulms 
mit ihren Klosttm, Naclil ar^tädten i;tc. : vornehmlich in geo- 
graphischer Be/iehuiig ikIjcii der geschichtlichen. I^och 
in Uhu die üespenster im (jr^riihrigcr Turm und der Nym- 
phenspuk am Brunnen der ahen Rfihrc'n erzählt wurde, so 
hier die Sage V(;m .,Singremisteiii", in djssen prachtvoll 
widerhallender Höhle wohl Nymphen odjr Musen — meint 
d«r gelehrte Mönch — mit nächtlichem Singen ihre festlichen 
Zusammenkünfte abhalten ; oder aber der Name kommt vom 
Kraute „ingrien", das dort am Felsen wächst.** 

SichcrUch hält Frater Felix FabrI und dieser sein Trao 
tatiis de dviiate Uimana einen Veiffleich mit Werner Role- 
vincks Laus Saxoniae aus; er tibertrifft den Kölner sogar 
bei weitem durch die systematische Geschlossenheit seiner 
Schilderung und die Fülle der Einzelzüge. Die gleiche Ten- 
denz, des Rühmens tritt hier nur selten und dann nicht be- 
herrschend zu Tage, von lehrhaftem Pathos und voreinge- 
nommener Apologetik ist nichts zu spüren; die Schwächen 
seiner historischen Leistungen, Kritiklosigkeit und Zerfahren- 
heit, sein Ungeschick, klassische Reminiszenzen mit der le- 
bendigen Gegenwart zu verknüpfen, fallen hier nicht stö- 
rend ins Gewicht Und wenn er auch freilich seinem glän- 
zenden Gemälde nicht durch Hinzufügung von Schatten völ- 
lige Plastizität verleiht, so macht das Ganze doch den Ein- 
druck einer objektiven, wissenschaftlichen Darstellung. 

Bemerkenswerter als die Form der Einkleidung aber ist 
die Auswahl des Stoffes, für die ihm kein Muster vorlag: die 
alten Städtechroniken können nicht dafür gelten. Für Werner 
Rolevinck schon war es gewiss nicht ohne Bedeutung, dass 
er im Dienste seines Ordens oft Reisen nach Nah und Fem 
unternehmen musste und dadurch andere Länder kennen 
lernte, um in der Fremde dann um so innif^^er an dem Lande 
seiner Kindheit zu hängen. An Felix Fabri aber wird es 



19, Nach Veesenme)fers Deutung: Sinngnin: vinca minor L» 



> 



Digitized by Google 



— 43 — 



so recht deutlich, wie in jenen Jahr/ttintcn die Liebe zur 
engen Heimat im Bunde mit historisch t m bmn, klassischen 
Studien und einem durch Reisen erweiterlen Gesichtskreise 
den Aufschwung der Wissenschaften herbeiführten, neue For- 
schungsgebiete eröffneten , 

An erster Stelle steht dabei dns Motiv der Heimatliebe; 
auch ein Gelehrter von so gerin^cni Suine für Geographie 
wie Johann Nauclerus, der von seinen Reisen nach Holland 
imd Italien nichts merken liess, wurde von seinem provin- 
zialen Patriotismus zum Verlassen seiner schlicht kompilato- 
rischeii Darstellungsweisc verführt. Wo von Schwaben die 
Rede ist, iallt er in panepvrischen Ton: wie Hartiiiann 
Schedel, der gleichzeitig udci kurz vor ihm seine Chronik 
schrieb. Schedel freilich war dabei trotzdem seiner Me- 
thode treu geblieben und hatte sich in Bezug auf Volks- 
kunde — sogar da, wo er von Nürnberg, seiner Vaterstadt, 
spricht — mit einer Wiedergabe aus Enea Silvios „Europa" 
begnügt. Nauclerus benutzte auch gerne diese Quelle und 
zitiert z. B. die Darstellung des Veh'msferlchies der West- 
falen wörtlich von Enea Silvio (fol II. 114 b); hier bei 
Schwaben aber macht er eine Ausnahme und gibt aus seiner 
persönlichen Anschauung heraus eine Schilderung der Be- 
• wohner und ihres Lebens, während im übrigen auch seine 
Chronik^** fast ausschliesslich ^geschichtliche Mitteilungen 
bringt. 

Nachdem er im Anschluss an Caesar und Tacitus ein 
Sittenbild der alten Deutschen gezeichnet hat, fährt er fort: 
,,Heut aber gibt es wohl in ganz Schwaben drei Arten 
von Bewohnern, soweit sie Bedeutung haben,^^ das sind; Oeist- 



20. „Mcmorabililltn omnis aetatis et oniniuni gentium Chronic! 
comnientarii a Joanne Natit!ero J. l'. Hoctore. Complevit opus J. 
Nicolaus Basellius Hirsaugensis 1514. Gedruckt: März 15H>; abge- 
lasst aber schon zwischen 1490 und lölO. Darüber: Erich Joachim: 
,.J. Nauclerus u. s. Chronik." 1874. & 19. 

21. „Eomm homimim qui in aliquo precio habentur*'; II. Fol, 



Digitized by Google 



44 — 



lichkcit, Adel und Städter." Und der Reihe nach werden 
dann diese Stände geschildert nach Lebensweise, Kl-idun^^, 
Tätiglveit, inneren Unterschieden und Abstufungen, auch ihrer 
Stellung im Staatsleben. Sein juristisches Interesse lasst ihn 
besonders bei den rechthehen Zustanden verweilen. Das ver- 
schredene Verfahren im Straf- und Zivii[)r()/ess w ird beschrie- 
ben, der Missstand einer Konkurron/ der l.aiengeriehte mit 
d<;n gelehrten Appeilationshofeii daigciegt. Die Darstellung 
ist hier nicht teilnahmslos, sondern in dies^'n Zeilen gibt 
er ganz seine persönliche Meinung kund. Die Geistlichen 
werden mit Ächtung behandelt, die höheren Ordnungen des 
Adels „schmücken das Land wie Blumen im Felde''. Die 
niederen Adligen aber erfahren leise Ironie, obwohl Nau- 
derus selbst aus Ministerialengieschlecht stammt „Sie, die 
nur für Sold dienen, auf ihren Burgen auf Berghöhen und in 
Wäldern oder an Fürstenhdfen leben, glauben, ihre Würde 
werde entweiht, wenn sie Handel oder Handwerk treiben, 
wenn sie aus bürgerlichem oder niederem Volke eine Gattin 
nehmen, wenn sie in Städten wohnen . . . Doch wenn ihre 
Einkünfte nicht reichen, tragen sie kein Bedenken, bei Ge- 
legenheit Beute zu machen." Die vermögenden Patrizier in 
den Städten ahmen diese Ritterwürde nach, indem sie von 
ihrem £rl>e leben. Wenn ein Plebejer reicher geworden ist 
und versucht in den Ritterstand aufgenommen zu werden, 
so wird er zurücl^wiesen ; so kommt es, dass lange Zeit 
hindurch schon beide Stände in ihren Grenzen verharrt haben. 

Die Chronik des Nauclerus hat sich der grössten Ach- 
tung der Humanisten zu erfreuen gehabt. Erasmus und 
Reucblin sorgten für ihre Ausstattung und Empfehlung. Die 
Urausgabe erschien aber erst sechs Jahre nach dem Tode 
des Autors im Jahre 1516. Fortan bildete sie eine der be- 
liebtesten Quellen für die späteren Chronikschreibcr, w ich- 
tig im besonderen auch durch ihre schwäbische Volkskunde. 
Zunächst aber, in der Zeit ihres Entstehens: an der Wende 
der Jahrhunderte, blieb die in ihr liegende Anregung zur 



Digitized by Google 



- 45 - 



Volkskunde der grossen Welt verborgen. Freilich nicht so 
lange wie die Arbeit Felix Fabris.-- Deren erhaltene Ab- 
schriften zeigen /.war, dass frühzeitig Kenner und Liebhaber 
sie hoch zu schätzen wussten. Einige dieser Handschriften 
befanden sich um 1500 in Nürnberg, wo der Anrt und Chro- 
iiikschreiber Schedel sich selbst /.wei Kopien nnfertigte. Nur 
als entfernte Möglichkeit ] i^^t es sich ausbjirerhen, dass 
vielleicht auch Konrad Celtes, der im Hause Pirckheimers 
ein Jahrzehnt vorher seine Besclireibung Nürnbergs ver- 
fasste, Kenntnis oder auch mehr von diesem seinem Vor- 
gänger erhalten hat. Des Uhner A\önches Werk erhielte da- 
durch noch höhere Bedeutung. Aber e<? blieb doch in der 
Stille; um den ntuen Kräften, die in ihm wie in der Chronik 
Nauklers und der Laus Saxionae Werner Roljvincks schon 
mächtig gewesen waren, in der beharrenden Welt der schul- 
mässigen Wissenschaften zur Geltung und zum Durchbruch 
zu verhelfen, bedurfte es der wdthin hallenden Rufe eines 
glänzenderen Herolds« 

§4. 

Bei Konrad Celtes, dem deutschen „Erzhumanisten**, 
kommt die naturwissenschaftliche Tendenz des Humanismus 
zur Länder- und Völkerkunde, hewusst als Betätigung der 
patriotischen Begeisterung, zum deutlichen und einfluss- 
reichsteii Ausdruck.* 

In seinem Erstlingswerke schon, der „ars versificandi**, 
bezeichnet er es als eine der Aufgaben des „Dichters", die 
Völkerschaften und ihre Sitten darzustellen. Al)ir es gilt 
nicht nur die Fremde zu erforschen; „Einige licilich rüh- 
men sich, Gallien und Spanien, beide Sarmatien und Panno- 



22. Zu vergleichen darüber oben S. 26, Anm, 1. 
1. Th. Oefger: „Konrad Celtis in »inen Beziehungen 2iir Geo- 
graphie." 1896. (MOnchener geofiirapliische Studien II.) 



Digitized by Google 



- 46 — 

nien und sogar überseeische Lander durchwandert und ge- 
schaut zu haben. Ich aber achte nicht geringerer Ehre wert 
den deutschen Gelehrten, der das Gebiet seiner Mutter- 
sprache eifrig beobachtet, sowie die Menschen, die darin woh- 
nen, ihre Gebräuche, Sprechweisen, Rehgionen, auch ihr Go- 
bahren und ihre Leidenschaften, ihrer Körper verschiedene 
Formen."* 

Diesem Programm der hciniailichen Landes- und Volks- 
kunde widmete Celles sein Lebenswerk : eine grosse „Ger- 
mania iliustrata" in vier Büchern wollte er schaffen zur 
Rehabilitierung Deutschlands, das von der Weltliteratur bis> 
lang so arg vernachlässigt war. Zunächst als Vorarbeiten zu 
diesem Werlte sind seine Gedichte, die „Quattuor Itbri Arno- 
rum", die „Libri odarum quattuor" und die »,Epigramma- 
tum libri quinque"^ aufzufassen. 

Im Anschluss an seine zehnjährigen Reisen durch 
Deutschland und seine Grenzgebiete schildert Geltes bei Er- 
zählung seiner Erlebnisse — mit Freunden und Freundinnen, 
mit Feinden oder altein — die durchfahrenen Städte und 
Länder und ihre Bewohner nach Aussehen, Charakter und 
nach Ihrer besonderen Lebensweise. Er begnügt sich nicht 
damit, wie die meisten der wandernden Gelehrten, äberall 
nur die gleichstrebenden Humanisten um sich zu sammeln, 
sondern er sucht auch den persönlicben Umgang mit dem 
niederen, ungebildeten Volke: deshalb lernt er in Polen 
und Böhmen die Landessprache. Mit sicheren Zügen zeichnet 
er den polnischen Volkscharakter: seine Hasilina ist feurig, 
aber auch zugleich aristokratisch spröde.^ Die Polen ver- 

■2. Quattuor lihri amorum loibi, im: Panegyr. prima pars ad 
Max. R.. letzte Seite. 

3. Die beiden ersten erschienen 1502 zu Nürnberg und 1513 
ZU Strassbur^; die Epigramme erst gesammelt ediert von K. Hart- 
felder, Berlin 1881. 

4. Dies wie die meisten der folgenden Zitate nach Th. Geiger 
a. a, O. S. 11 ff. 



Digitized by Google 



— 47 — 



schlingen in offener Schüssel geschmorte Speisen und sind 
dem Trunk« ergeben (Ep I, 14); sie nähren sich von Pferde- 
fleisch (Ep. I, 12). Die lioiieren Stände sind verweichlicht: 
sie schlafen auch zur Zeit der Sommerhitze in Federbetten 
(Ep. I, 47). Das Weih herrscht dort (Ep. I, 43) ; und der 
Leichtsinn des Volkes zeichnet sich ab in der Sinnlichi<eit 
seiner zum Tanz lockenden Kirchenmusik (Ep. I, 39). — 
Die Böhmen sind gefrässig, ihr Lieblingsgericht ist Erbsen 
und Speck (Ep. I, 71, 72). — Und in gleicher Weise cha- 
rakterisiert der Dichter die verschiedenen deutschen Stämme;' 
die rauhe Sprache der Schuahen vergleicht er mit dem Ge- 
räusch des Nussknackens (Ep. III, 114). Die Baiern lieben 
nach ihm rohe, schamlose Witze, die Knaben und Mädchen 
sind respektlos, die Männer barbarisch (Ep. II, 15). „Rü- 
benfresser" nennt «r sie (Ep. II, 91). — Wie in Polen das 
Salzbergwerk von Wieliczka (Am. I, 6), so werden hier die 
grossen Eisenschmelzen am Inn geschildert (Am. II, 6). 
— Die Franken sind lebenslustigf (Od. I, 7). — Mit bunten 
Farben wird das Fest der Weinlese, das Martinsfest, iii 
Mainz (beschrieben (Ep. III, 24). — In allgemeiner Charak- 
teristik werden Fehler und Vorztig« der Deutschen zusam- 
mcni*estellt: sie sind dem Spiel — bei dem hässlich ge- 
flucht wird (Ep. II, 18) — , dem Wein und der Sinnlichkeit 
sehr zug-etan (Ep. II, 16), zugleich aber treu und wahrheits- 
liebend, ritterlich! gegen Schwache und Bedrängte, anhäng- 
lich gegen die angestammte Religion (Germ, generalis). Und 
es wechseln in den Gedichten beständig Lob und Tadel, wie 
die Stimmungen des Dichters oder seine Erlebnisse es mit 
sich! bringen. Seine Absicht bleibt dabei im allgemeinen 
immer, dem Leser die deutsche Heimat bekannt und ver- 
traut zu machen, ihren Oestaltenreichtum zu zeigen, ihre 
Vorzüge und Merkwürdigkeiten. Aber wie einerseits seine 
Gedichte als lyrische Kunstwerke unter dieser didaktischen 
Tendenz leiden, so leidet andererseits ihr wissenschaftlicher 
Wert unter der Form der Einkleidung in persönlich gefasste 



Digitized by Google 



48 - 



Augenbhcksbilder. Wenn der Dichfer ;)uc-h programmatisch 
erklärt, nichts sei dem wahren Poeten unwichtig, so ist doch 
in der Praxis die Auswahl der Stoffe durch Form und Nei- 
gung- sehr beschränkt und Irisst natürhch Systematik und 
Vollständigkeit nicht zu. Nur Schilderung des Selbstg-esehe- 
nen, geschmückt mit Reininiszen/.en des gebildeten Kenners 
des klassischen Altertums, wird hier gegeben : so ist es teils 
Vorzug, teils Mangel der Berichte des C.eltes, dass sie sich 
an die räumliche und zeitliche Gegenwart halten; die Ge- 
schichte tritt zurück, die sonst von den Humanisten mit 
grösserer Liebe — freilich oft genug spielerisch und un- 
fruchtbar /u allem herangezogen wurde; selten sind na- 
mentlicli die sonst so beliebten wunderlichen Theorien über 
Völkerschaftsgenealogie. Und doch sind diese Gedichte ohne 
hochgelehrten Apparat von grosser Bedeutung für die Wis- 
senschaft gewesen: wie in ihnen zuerst in Deutschland die 
beschreibende Geographie praktisch auf ihre wahre Methode 
zuriickgeführt wurde, die das Studium des Erdbodens selbst 
hif^ so auch in der Völkerkunde, die Celtes hier erhob 
über das -ewige Wiederholen und wechselweise Kommen- 
tieren der klassischen Autoren zum Reproduzieren der eige- 
nen Anschauung. 

Eine besondere Stellung unter seinen V«^erken nimmt die 
„Beschreibung Nürnbergs"* ein, das einzige vollendete und 
erhaltene Sttick der geplanten grossen Prosabeschreibung 
von ganz Deutschland: es zeigt im besonderen Masse 
die Begabung des Celtes für den Betrieb der Volkskunde — 
in Stärke und Schwäche. Wiederum — ähnlich wie es in den 
Gedichten und auch bei Felix Fabri war ~ im Anschluss 
an topographische Daten wird hier durch einzelne Zuge ein 



5. L. Gailois: Les geographcs allcinands de la rcnaissancc. Paris 
18yO. S. 163 f. 

6. „De origine, situ, moribus «t institutls Norimbergae Ubdius/' 
Zuerst 1502 «Is Anhang der „Amores" gedruckt 



Digitized by Google 



— 49. — 



Bitd des Lebens in Nürnberg' gezeichnet: die Hornsignale 
der Wächter auf den Türmen, ihr Abendlied und die Ver- 
kündigung der Stunden bei Tag und Nacht; die Bleiche am 
Fluss und dabei des Abends das plan krnde und singend 
sich ergehende Volk; di^; Badehäuscr, der Anger mit sei- 
nen Belustigungen an Festtagen r den Wettspielen der Kin- 
der, den kriegerischen Uebungsspielen der Männer etc. — 
Wie CS ein Fremder in einem Lande ganz anderer Kultur tun 
würde, so schildert C'eltes hier den Nunihergern ihre Häu- 
ser mit den vergitterten Butzeii^ciicihLnfenstern und den Blu- 
mentöpfen davor, die Kirchen mit ihren Orgeln — „crede- 
res Corybantum chonim incedere" — , mit ihren „ungeheu- 
ren Erzgefässen, die man „campana" nennt, die mit ihrem- 
Schall das Volk zum Gottesdienst rufen, Begräbnisse gelei- 
ten, Sturmwolken zerstreuen, brechen und vertreiben" 
(Kap. VIII). Und es ist System in diesen volkskundlichen 
Angaben, wenn im Zusammenhange mit der Charakterisie- 
rung des Klimas die davon abhängige endemische Krank- 
heit, ihre Ursachen und die Art ihrer Bekämpfung angeführt 
wird, die spezifische Leibesbeschaffenheit der Nürnberger 
— bränetter Typus herrscht vor; die geistigen Eigenheiten 
der Bevölkerung in ihrer Abhängigkeit von den geographi- 
schen Bedingungen — „ingenia utriusque sescus delicata et 
vafra" (Kap. Vll), „elevatiora et prospicatiora« (Kap. VI); 
das Gemisch der Dialekt^ — an den vier Toren der Stadt 
sprechen die Bürger unter einander je schwäbisch oder frän- 
kisch, bairisch oder oberländisch („montane"): infolge des 
die Sprache korrumpierenden Verkehrs mit den vielen ver- 
schiedenen die Stadt besuchenden Fremden (Kap. VI); die 
Kleidung in ihren einzelnen Formen, die teils durch den 
bütgerlkhen Stand der Träger, teib durch die wechselnde 
Mode bestimmt werden — , nur die Patrizier und Senatoren 
halten an der alten und ehrwürdigen Tracht fest. Hinzu' 
kommt eine Angabe des wichtigsten Gewerbes (Schmiede: 
Kap. V), der wichtigsten Einfuhrartikel (Kap. XVI), ein Ver- 



Digitized by Google 



— 50 — 



such von Bevölkenino;sstatistik wie bei Felix Fabri: jähr- 
lich werden 40ü(i Kinder gehurcii — dies und der Verbrauch 
an Getreide lässt auf 52 000 Einwohner schliessen 
(Kap. Xlli);' und es wird auch ein Bild von der städtisclien 
Verfassung, der Vcrwaltungstätigkeit und R?chtspfleg"e, von 
den sozialen Einrichtungen, den Hospitälern, Anstalten /ur 
Armen- und Waisenversorgung etc. entworfen: im ganzen 
ein Qesamtgemälde von grosser Anschaulichkeit und Le- 
bendigkeit, frei von Schematismus und Prunken mit Ge- 
lehrsamkeit, durch frehnütige Aeusserungen von Missfaiien 
über -einzelnes und ebenso offene Schilderung des Elends 
wie des Glanzes sich abhebend von den üblichen Panegv- 
rik«n, sieb darin vorteilhaft auch unterscheidend von dem 
einseitigen Bilde Fabris. 

Friedrich von Bezold hat in Hinsicht auf diese Beschrei- 
bung Nürnbergs den Scharfblick des Celtes in Erfassung 
der Wirklichkeit treffend verglichen^ mit dem seines Vor* 
gängers und Meisters Enea Silvio. Und in der Tat lässt sich 
die geistige Verwandtschaft des Franken mit dem Italiener 
leicht erkennen. Nicht allein» das« vielfach charakteristische 
Züge aus den Schriften des Enea bei Celtes wiederkehren; 
so in Bezug auf Nürnberg;!^ Der Name bedeutet Noricum 
mons; durch ihre zentrale Lage in Deutschland ist die Stadt 
besonders geeignet zum Sitze des Kaisers, der Reichstage; 
die Intelligenz der Bewohner, ihre Tüchtigkeit in Handel 
und Industrie ist zurückzuführen auf den sandigen trockenen 
Boden der Stadt; die Häuser der deutschen Bürger wett- 
eifern an Pracht mit kcniiglichen Palästen — r Nicht allein, 
weil er die Schriften des Enea mit Nutzen gelesen hat, son- 
dern seine ganze Art, mit raschem Blicke das Wesentliche 

7. In ähtilichcr Weise war von Cilovanni Villanni schon Statistik 
getrieben worden: Burckhaidt, Kultur der Renaissance. 8. Aufl. LS. 81. 

M. F. V. Bezold „Konrad Celtes» der deutsche Erzhumanist." Hist. 
Zeitschr. Bd. 4Q. S. 37. 

9. Zu vergleichen^oben Seite 24. 



Digitized by Google 



— 51 — 

• • 

und Wirkungsvolle aus der f Alle des ihltn Enigegeniretenden 
herauszufinden, es mit scharfen Strichen zu zeiclinen, die 
Kenntnis des Geschichtlichen, den Besitz der klassischen Bil- 
dung geschickt zur Vertiefung des Bildes zu verwerten, diese 
Art des Sehens und der Schilderung in engster Verbindung 
von Erleben und Studium zeigt Celtes auf Sdi'rjtt und Tritt 
als Schüler des italienischen Reisekünstlers. Vor diesem zeidi- 
net ihn aus das bei ihm noch weit stärkere Vorherrschen 
der eigenen Erfahrung und — in Bezug auf deutsche Volks- 
kunde im besonderen — die durch seine Vaterlandsliebe 
bedingte grössere Umfänglichkt it seines Stoffgebietes. An- 
dererseits wird seine wissenschaftliche Leistung benacht-.'iligt 
dadurch, dass ihm die herzfremde Sachlichkeit des Auslän- 
ders natürlich mangelt, dass er in der Wahl und Darstellung 
seiner Objekte sich bestimmen lässt von Neigung und Ab- 
neigung, ja dass er mweilen sogar, persönlichem Nutzen 
zulieb, das Bild der Dinge verfälscht. Bei der Beschreibung 
Nürnbcrq-^-^ die er /u Dank und Loh und um den Lohn 
seiner vornehmen Gönner im Rate der Stadt schrieb, ver- 
schweigt er bei ausführlicher Eröaerun^^ der nri'^tnkratischen 
Geschlechfsverfassung, dass (seit 1379) auch acht Handwer- 
ker dt in Rate zugeteilt worden waren ^^d auch eine 
Entstellung des bevölkerungsstatistischen Ergebnisses ist ihm 
nachzuweisen gewesen." Wenn nicht bewusste Fälschung, 
zu der ihm auch sonst der Wille nicht immer fern lag, so 
ist hier doch eine Folge der Un/uverlässigkeit auCh in der 
wissenschaftlichen Arbeit zu erbiicketi, die im Leben die 
Führung seiner Ingolstädter Professur charakterisiert.' - 

Dabei bleibt es als sein Verdienst bestehen, dass seine 
Werke, die Gedichte und die „descriptio Nurinbergae" er- 
reichten, was ihre Bestimmung war: dass sie in geeigneter 

10. Th. Geiger, a. a. O. S. 23. 

11. K. Hegel: „Chroniken der deutsche Städte. ^ Nfimbeig.'* II. 

S. 504/5. 

U OuüJtm V. Beaoid Hist Zeitschrift Bd. 49. S. 37—42. 



Digitized by Google 



— 52 — 



Foim propagierend die (jeichnen der Zeit hiiuMeson auf 
die Reizt' und Reichtümer, die iti der iungfraulichen Klein- 
welt der Heimatkunde den ^()rscilcr erwarteten: seine Schü- 
kr sind sein Ruhm. 



§ 5. 

Schon der P'rater Felix Fabri hatte (\cn Mangel einer den 
modernen Ansprüchen genügenden Beselireihung Peutsch- 
lands nach Land und Leuten schwer empfunden, K xirad 
Celles hatte sich die Ausfüllung dieser Lücke zum Lel)en<;- 
ziel gesetzt: er war unt.r den Vorarbeiten dazu gestorben. 
Aber sein Wirken hatte Schule gemacht tinter den jungen 
Gelehrten, und im Kreise seiner Freunde und Jüngor kam 
der grosse Plan einer ,,üerniania illustrata" nicht zur Ruhe. 
Vom Standpunkt der Historie aus suchten Wiinpfeling, Pirck- 
heimer, spater Aventin und Beatus Rhenanus den Zweck 
zu erreichen, vom rein geographischen waren es vor allem 
die Wiener Schüler des Celles; Suntheim, Vadianus, Olarea- 
nus und andere. 

Jakob Wimpfeling knüpfte bewusst an Aeneas Silvius an, ■ 
den er als den besten Schilderer I>eutschlands zur Einfüh- 
rung in den Schulgebrauch empfiehlt ^ Er selbst besorgte 
im Jahre 1515 «ine Neuausgabc von der „Germania". Und 
€r .ist «s, der die erste moderne Geschichte des deutschen 
Volkes schrieb, die „Epithoma rerum Oermanicarum ust^ue 
ad nostra tempora" 1505. „Sie zeiclinet sich aus durch dk 
stete Beziehung auf das literarische und künstlerische Leben 
jedes Zeitalters, politisches und geistiges Leben des Volkes 
gleichermassen umfassend/' ^ Dk Schilderung der deutschen 
Malerei, Plastik und Architektur freilich ist nur ein Rühmen, 



1. B. Schwarz „Jakob Wimpfeling". 1875. S. 152. (In Wimpfelings 
„Diatriba" von 1514. Kap. VI.) Zu vergleichen auch Gallois a. a. O. S. im. 

2. Schwarz a, a. O. S. 179f. 



Digitized by Google 



- 53 - 



und auch die Charakterisierung der Deutsrhen: mit lantrer, 
kräftiger Gestalt, mit ihrem im Frieden freundlichen, im Kriege 
aber schrecklichen Antlitze, ihren flammensprühenden Augen 
und ihrer furchterregenden Stimme, mit Frömmigkeit, Züch- 
tigkeit und anständiger Kleidung ist mehr getragen von Be- 
geisterung als wissenschaftlicher Sorgfalt. 

Mehr herrscht die Wissenschaft vor in Wilibald Pirck- 
heimers ,,Oernianiae perbrevis expiicatio**. Das Büchlein ist 
eine Verarbeitung der bewährten klassischen Autoren, be- 
schränkt sich auf Schilderung des alten Deutschlands und 
gibt als eigene Arbeit nur antiquarische Studien über die 
Einordnung der alten Ortsnamen in die veränderte Lage 
der Gegenwart.-* Auch er ist dabei erfüllt von patriotischem 
Selbstbewusstsein : er weist die Identifizierung der Deut- 
schen und Franzosen durch Strabo energisch zurück: die 
ehemalig stammverwandten Franken haben sich unter dem 
Einfluss ihres Landes an Oemüt und Gestalt so verändert 
dass sie nicht mehr zu den Deutschen gehören ; dass diese 
untereinander zu einer Bruderschaft verbunden sind, davon 
zeugt noch das allgemeine freundliche Empfangen, Hände- 
bieten und der niederländische Kuss, die Kriegführung nach 
gleicher Art^ der gleiche Bau der Häuser, und ausserdem 
die Gleichheit in sittlichen Anschauungen.^ — Bei diesem 
stolzen Patrizier war jedoch ein liebevolles Eingehen auf 
das kleinere Leben des Volkes nicht zu erwarten: nur das 
Interesse am Heldenhafthtstorischen und am Philologischen 
führte ihn bei seiner Arbeit. 

Mehr Früchte für die Volkskunde könnte man 'im Gegen- 
satz ^u ihm vielmehr von Heinrich Bebel erwarten, der selbst 
als Bauer geboren war und zeitlebens den volkstümlichen 



.3. Uebcr den grossen Wert dieser Studien: S. Günther: „Willi- 
bald Pirckheimer, der Wiedererwecker der Oeographie In Deutsfdi< 
land." (Bayerland. Jahrgang IV.) 

4f Zitiert von Seb. Franck. Chron. Germ. Vorrede FqL. V.^ ■ 



Digitized by Google 



— 54 — 



(jcist m seinen Schriften walten licss Seine ,,Paceticn** sind 
eine Fundgrube für die volkskundliche Forschung, aber sie 
sind /um Zweck der Unterhaltung {geschrieben, ohne wissen- 
schaftliche Begründung. Wenn auch in gleicher Absicht ver- 
f.isst, so dürfen doch seine Arbeiten zur Sprichw()rter'^anini- 
lung \ielleicht eher ihm als Verdienst um die V'oik.skunde 
angerechnet werden : eins der w ichti<^'jrcn Ciebiet.' ist hier, 
weiui auch nur stoltsamnielnd, zum erstenmal von einem 
Gelehrten in Angriff genommen. In seinem Entwurf einer 
deutschen (ieschichte' beschränkt er sich auf reine Historie, 
ohiiL aiit Lander- und Volkcikundi auch nur Streiflichter 
fallenzulassen. Dasselbe gilt von seinem anderen historischen 
Werk: „de centum Suevorum pagis". 

In gleicher Weise als Sammler sind auf Spezialgebieten 
der Volkskunde tätig gewesen Christoph Scheueil und Hart- 
mann Sdiedel, dessen umfanffpeictie Inschriften-Sammlungen 
aber bis heute unverarbeitet geblieben sind. Peutinger jn 
seinen „Tischgesprächen"*^ pflegte ausschliesslich, wie Pirck- 
heimer, die antiquarische Forschung ohne sondere Beziehung 
auf das Lebende. 

Neben diesen Freunden des Geltes steht die Gruppe 
der Humanisten, die geradezu als seine „Schule" bezeichnet 
werden kann: das Gemeinsame und Wesentliche an ihren 
Arbeiten ist, dass sie die von alters her überk<ommene Wissen- 
schaft in Verbindung bringen mit der lebendigen Gegen- 
wart, mit dem Boden, darauf sie stehen, mit der Zeit, in 
der sie wirken, mit den Erfahrungen und Erkenntnissen, 
die sie selbst mit ihren Augen und Ohren erworben: Histo- 
^ riker und Geographen zugleklh, suchten sie die Umwelt aus 
der Veigangenfaeit zu beobachten und zu verstehen. 



S. Epitoma Laudum Suevorum. ed. Goldast. Rer. Suev. sciipt. 
im S. 28-45. 

8. Sermones convivales. Abgedruckt in Schardlus redivivus Tom. 
I p: 210. 



Digitized by Google 



— 55 — 



Aventiri formulierte seine Ansicht von der Aufgabe der 
Historie dahin, ^ dass es ihr {^^elte, die Länder und Völker, 
ihre Art und i-agc, dio Heschaffetiheit des Bodens, die Reli- 
gionen, Eimiclitungcii, Gesetze, neuen und alten Ansiede- 
lungen und Reiche /ii erforscheii ; und er wusste, dass dieses 
Ziel nur durch genaues Studium der l opofriaphic und durch 
unerniiidliches Wandern erreicht w erden könne. Er selbst 
hatte f-rankreich, Deutschland, Polen, Italien und l 'uL^arn 
gesehen, und er meinte, nur diese eigene lange E.rtahrung, 
der Anblick des Lebens, der Länder und Menschen habe 
ihn zum Historiker gemacht. 

Das realistisch^e Prinzip in der Geographie, deren Be- 
trieb es bei trockener Gelehrsamkeit und leerer Spekulation 
so lange gefehlt hatte, scharf aufgefasst zu haben, ist der 
besondere Ruhmestitel des Vadianus.^ Er strebte darnach, 
der auf induktiver Forschung ruhenden Erdbeschreibung im 
Kreise des akademischen Unterrichts eine würdige Stellung 
zu emugen. In seinen Scholien zum Pomponius Meta sowohl 
wie in der „Descriptio lacus Acfronü" — einem Periplus um 
den Bodensee — bringt er die Früchte der Autopsie zur . 
Geltung; so berichtet er von einer Besteigung des Pilatus 
zur Erprobung der Volkssage von einem See, dessen Be- 
rührung unheilvolle üeberschwemmung bringe. In langen 
Exkursen behandelt er zwischendurch historische Fragen, die 
Geschichte des Judentums, des Christentums, des Mönchs- 
wesens, sodass seine Büdier ebensogut in das Gebiet der 
Historie als in das der Geographie gehören ; bei der Beschrei- 
bung Hollands erwähnt er voll Stolz den dort geborenen 
Erasmus. — Und gleich wie Vadlanus verbanden Glarcanus 
und Nikolaus Gerbel, Cuspinianus und manche andere histo- 



7 Briefwechsel des B. Rhenanus, ed. Horawitz u. Hartfelder» 
S. 344 (vom 22. XI. 152&). 

8. G. Oeilfuss. „Joachim von Watt»3fgenannt Vadianus, als geo- 
graphischer Schnftstf Uer." Wiqterthur 1866. 



Digitized by Google 



— 56 — 

risch-philolo^sche Arbcif'niit der ^^uo^raphischen im Sinne 
ihres Lehrers Celtes. Alle diese Schüler, auch die nicht direkt 
von Celtes angeregten, hielten sich aber auch zugleich völlig 
im Rahmen des vom Meist v.t beschritte ti tu Oebictes. Neue 
Stoffe fand keiner hinzu, auch der nicht, der mia das Buch 
schrieb, welches eine Zusammenfassung des Wissens seiner 
Z«it um Land und Volk der Heimat sein sollte und somit 
als der erste abgeschlossene Versuch zur Erfüllung des all- 
gemeinen Wunschies — nach der »,Qermania illustrata'* — r 
gelten kann: der dreiundzwanzigjährige Franziscus Irenicus 
mit seiner j^Germaniae exegesis" von 1518. 

Als Anhang dieses Buches wurde die Beschreibung Nürn- 
bergs von Celtes gedruckt und damit die auf den grossen 
Plan des Meisters zielende Absicht des Verfassers kundge- 
tan. Leitend war auch hier die Begeisterung für das Vater- 
Jand, der Schimerz darüber/ dass es noch immer der Ge- 
Schichtsschreiber entbehre, die seine ruhmvolle Vergangen- 
heit, seine herrliche Gegenwart allen Völkern kundtun und 
der Nachwelt Im Gedächtnis halten könnten. Und Wilibald 
. Pirckheimer schrieb dem jungen Franziskaner eine Vorrede, 
In der er das Werk als die Erfüllung patriotischer Wünsche 
pries. 

Sein überschwengliches Lob galt freilich nur dem Wollen, 
nicht dem Vollbringen. Das Buch ist eine Frucht sehr grossen 
Sammelfleisses, eine umfangrekhe Zusammenstellung von Zi- 
taten aus klassischen Und modernen Autoren. Da stehen 
neben Ptolemaeus und Plinius — aber auch Hunibald (Lib. IL 
Cap. 30. Fol. 38b) — Sabellicui», Blondus, Eneas SUvius, 
Bebel, Wimpfeling, Cocleus, Peutinger (,,cui post Cunradum 
Celtem ramum tribuo": Lib. I. Cap, II. Fol. 2). Freilich 
übt der junge Autor viel „Kritik" an seinen Quellen: ganze 
Abschnitte sind mit Korrekturen an Strabo, Sabellicus, Blon- 
dus (Lib. II. Cap. XXX) und sogar an Celtes (Lib. IX. Cap. 0. 
Fol. 188b, Cap. 10, Fol 189 etc.) gefüllt. Aber diese Kritik, 
wie auch alles, was er selbst beschreibt, schöpft er doch 



Digitized by Google 



— 57 - 



nur aus fremden Quellen, aus Büchern oder Berichten von 
Augenzeugen; er selbst hat keine Reisen gemacht. Und 
wenn auch das Eranze Werk von Anfang bis Ende g'etrairen 
ist von einer glühenden patriotischen Begeisterung, die immer 
wieder hervorbricht, so ist es als Ganzes doch trocl<en, un- 
einheitlich und in jeder Beziehung- nur ein Versuch einer 
wissi. n^L liaftlichen Arbeit: eine Kompilation.^ Der Verfasser 
kennt selbst den Qrund seiner Mängel: er hat eben nicht, 
gleich Geltes, durch die deutsclien Lande fahren und alles, 
worüber er schrieb, selbst in Augenschein nehmen und er- 
leben können (Lib. I. Cap. IX); er ist zwar der Ansicht, 
mehr Wert als alL' Autopsie habe die geistige Durchdringung 
des Stoffes (Oratio protrciitica am Schluss des Werkes, Fol. 
8 b); aber eben diese Durchdringung ist an seiner Arbeit 
nicht zu finden. Bemerkenswert ist daran hauptsächlich, dass 
mehr als gewöhnlich das kulturgeschichtliche Element ver- 
treten ist 

Iii zehn Büchern wird Deutsdiland geschildert nach seiner 
Lage, Einteilung, nach seinen Zuständen in alter und neuer 
Z«it. Dabei wechseln rein geographische Bücher (1, Vll, VI 11, 
X) mit genealogischen (III), historischen (V, VI), literarischen 
(IX) Abschnitten; zwei letzte Bücher (XI und XII) enthalten 
einen sehr ausfübriichen Katalog der behandelten Oegien- 
stände. Ueberaus bunt ist der Inhalt der einzelnen Bücher; 
so folgt z. B. im Lib. II aufeinander: 12) De humanitate 
et xenia, 13) De latrocinia, 14) De amicicia, 15) De fide, 
16) De victu, 17) Quod ebrietas non tantum germanis ascribi- 
tur, 18) Mos comedentium veterum germanorum, 19) De 
vasis fidilibuSy 20) De jure et poenarum afflictione, 21) De 
venatione etc. etc. — Im selben Buche zahlt er dann , zur 
Verteidigung seiner Landsleute gegen den Vorwurf der Bar- 
barei — wie Trithemius in seinem Catalogus virorum illu- 



9« ^Hlein ist die Kompositton ausserordentlich liederlich; so ist 
z. B. die Reihenfolge der Ka^ritel im Lib. I; 36, 40, ^7, 28^ ^ 3Q. 



Digitized by Google 



— 58 



^triiini CS auch getan hatte - - eine grosse Reihe seiner be- 
rühmten Zcitg<Mi()sscn auf, die j»^rosscn Gelehrten von Eras- 
mus bis Melanchthoii („alter praectptf r no^fcr*'), und 42 
deutsche Theologen (Kap. 12), darunter ,,omnibus autcm 
Oennnnis antesignanum Martinum Luthcruin Witenbergen- 
sium ordiiint iiim, publico nomine the()l();.,^orum appcllare hono- 
ris gratia voiuinius, ob egre^j^iam eruditionem a tali viro aum- 
patam". Darauf erfolj^t dann wieder die weitere Sehilde- 
rung altgermanischcr Zustände. — Im siebenten Buche han- 
delt Kapitel 24 von .»wunderbaren Herg.Mi: Noni „Hirzel- 
berge", in dem „Silvani" und „Satyri" hausen sollen, vom 
„nions Martis** in Westfalen, dem ,,Zufn ^rg**, wo noch 
drei ehemalige Marsaltäre stehen sollen, wo ii:iehtliehcrweile 
Spukhaftes geschieht, vom „Calus mons" in Hessen, wo 
noch eine Fussspur Karls des Orossen /u sehen ist, von 
dem „Hcchclberge** in Norwegen, mit seiner heissen und 
kalten Quelle, den schwarze Raben beständig krächzend um- 
fliegen. — So vielseitig aber auch immer seine Schitdcning 
ist, so bewegt sie sich doch nur auf alten Bahnen, nur 
dass «ben alles bis dahin je Behandelte hier zusammenge- 
tragen ist: und zwar in Oegenäberstellung des neuen, gegen- 
wärtigen Zustandes in Deutschland und des alten: aber ohne 
rechte Volkskunde. Einen Vergleich mit seinem Meister hält 
Irenkus in keiner Weise aus.^<> Das zeigt sich am deut- 
lichsten dort, wo ^ sich an einem gleichen Gegenstände 
versucht, wie dieser: obwohl er ein so glänzendes Muster 
einer Stadtbescfareibung seinem Werke als Anhang beifügte, 
ist doch seine eigene Beschreibung Nürnbergs völlig wert- 
los und rein panegyrisch: „Non est in tota urbe quod con- 
temnas" (tib. III. Cap. 117). 

So beruht denn der Wert der „Cermaniae exegesis" 



10. Daruber auch Qailois a. a. O. S. 186 f., wo er die Oro- 
graphie des Irenicus mit derjenigen des Celtes vergleicht 
lU Ztt yei|[leicheo auch Üb. X. Cap. XII- Fol. 196b. 



Digitized by Google 



50 - 



für die Wissenschaft ausschlir«;s1irh darauf, dass sie ziemlich 
vollständig den Stand der Kenntnisse repräsenncrf, die vor 
ihm die deutschen Humanisten von Land und lAutui ihrer 
Iii iiiiat hatten; immerhin ein Dokument davon, wie hti C»tL's 
1111(1 meiner Schule das geographische und historische Wissen 
und Interesse in patriotischer Begeisterung \ ersehmoizjn, wie 
Wissenschaft und Leben untrennbar verbunden waren. 

Zwei Jahre uaciiher crscluen das Buch, das nicht nur einen 
bedeutenden Fortschritt in der Wissenschaft bedeutet, son- 
dern das hauptsächlich den Versuch rechtfertigt, von einer 
wissenschaftlichen deutschen Volkskunde bei den Humanisten 
zu icdeii W\il der Verfasser dieses Buches aber bisher 
durch ein sonderbares Missgesehick von der (ieschiehte arg 
vernachlässigt worden ist, möge zunächst, soweit möglich, 
über ihn und sein Leben Licht gebreitet werden. 



Digitized by Google 



Zweites Kapitel. 

Erhebung der Volkskunde zur systematischen Forschung 
durch den Humanismus. 

§ 1. 

Johannes Bohcmus,' wie er sich selbst in Briefen nennt 
and nennen lässt, Boemus, wie er in seinen Büchern und 
späterhin meist genannt wird, oder Böhm, wie sein deutscher 
Name lautet, ist in Franken geboren: zu Aub, einem klei- 
nen Städtchen der Diözese WQrzburg, das an der Gollach, 
einem rechten Nebenflüsschen der Tauber, gelegen ist. Seine 
Geburt — direkte Anhaltspunkte zu ihrer Bestimmung fehlen 



1. Um sich ein Bild von seinem Leben zu entwerfen, Ist man an« 

gewiesen auf seine beiden Werke — den „Liber heroicus" 1515 und 
„Omnium g* ntiuni mores u. s. w." 1520, von denen weiterhin die Rede 
sein wird — und ein Dutzend Briefe: an Althamer, die von A. Ballen- 
stedt in ,Vita Althameri", Wolfenbüttel IIH), S. öl ff., abgedruckt sind 
und im folgenden mit »Brief 1—8" zitiert werden, zudem an Wolf- 
gang Richard, von denen zwei bei Schellhorn „Amoenitates literariae* 
]1-J'\ Tom II, S. 497 ff. stehen, während die übrigen, bisher nicht ge- 
druckt, einem handschriftlichen Kodex der ffamburv:er Saätbibliotliek 
angehören. Dieser Kodex, ein starker Band in Oktav format, gilt als die 
von Wolfgang Richard selbst in seinem Alter angefertigte Sammhing 
der von ihm empfat^;enen tmd abgesandten lateinischen Briefe. Er ent- 
hält über ;UM> beschriebene Seiten mit fast ()()0 Stücken; viel wertvolle 
sind nicht darunter, es ist zum weitaus grössten Teile Korrespondenz 
mit seinem Sohne Zeno. Die Sammlung ist ohne ordnendes Prinzip 
angelegt, die wenigsten Stücke sind datiert Eine vollständige Abschrift 
von ihr befindet sich im Stadtarchiv zu Ulm. — Die hier hauptsächlich 
benutzten Stücke sind im Anhang II wiedergegeben. 



Digitized by Google 



- 61 - 



— fällt wahrech€inlich in die achtziger Jahre des XV. Jahr- 
hunderts.- Eltern und Verwandtschaft sind niclit ucitcr be- 
kannt ausser zwei Oheimen, Johannes Zchender,'' Parätianus 
in Aub, der seinem jua^cii NcUen viele Wohltaten erwies, und 
Jorius (Georg) Böhm,' der im Dominikanerkloster zu Hall 
in Schwaben achtundzwanzig Jahre lang Prior war, 

Ebendort in Hall besuchte Johannes Böhm um das Jahr 
1503 die Schule.^ Vielleicht hielt er sich vorher oder später 
im Bambergtschen Gebiete Bui;^ vor allem weilte er je- 
denfalls im Würzburgischen,' und hier im Frankenlande hatte 
er seine Heimat, auch wenn er einen grossen Teil seines 
Lebens in der Feme zubringen musste.^ Er widmete sich 
dem geistlichen Stande: wann und warum, ist jedoch ebenso 
in Dunkel gehüllt, wie sein Studiengang. Die Vermutung 
liegt nahe, dass er in Tübingen^ studiert ha^ wo seit 1497 
Heinrich Bebel lehrte, mit dem er nachmals im Verkehr stand, 
und wo er vor allem seinen späteren intimsten Freund Wolf- 
gang Richard kennen lernen konnte, der seit 1500 dort In- 
skribiert war; sicherlich hat er eine sächsische Universiiat 
besucht^*) Wo aber auch immer: jedenfalls hat er sich eifrig 



2. Wenigstens würde nur diese Annahme oder eine ähnliche zu den 
wenigen bekannten Daten seines Lebens passen, man kann auch viel- 
leicht annehmen, dass sein intimster Freund ungefähr gleichaltrig mit 
ihm war: und Wolfgang Richard ist liHi) geboren, 

3. Liber iieroicus, Zueignungsschreiben S. 3. 

4. Im Brief 7 an Althamer am Schluss: vom -29. V. 15*21. 

r». Ebenda: „ibi ante annos ik iHam in scolis tuis litteris desudavi". 
<j. Zii vergleichen: „Omnium gent. mores etc." cd. Lyon IM!, 
Lib. III, S. 21t*, 

7. Ebenda & 296. 

8. Ebenda S. 991 (speziell: .... „quae de externis scribun' 
tur*'). auch S. 22;i (Kap. Franken) „ p a t r i a m e a". 

u. Weder die gedruckte Matriicel von Tübingen nocli die von 
Heidelberg zeigt seinen Natnen. 

10. Er selbst sagt: „Quondam cum studiis dives me Mixna fo* 
veret . ,** Lib. her. & 8; aber auch die gedruckten Matrikdn von Leip*> 
zig, Erfurt, und Wittenbeig nennen ihn. nicht; ebenfalls hi der Fraak^ 



Digltized by Google 



— 62 



und erfolgreich mit den verschiedensten Wissenszweigen be- 
sdiSftigft: neben den theologischen Studien, die ihn als 
Priesterbruder ins Deutschherrenhaus zu Ulm führten^^^ trieb 
er hauptsachlich Geschichte und beschreibende Geographie. 
Von den alten Philosophen'^ und ihren Theorien über die 
Entstehung der Welt und des, Menschen hatte er zwar eine 
Ahnung, aber sie galten ihm als irrig: er schloss sich lieber 
der kirchlichen Lehre an. Mit der Bibel und den Kirchen- 
vätern (Augustto, auch ,,Berosus'') verglich er die Berichte der 
Ptolomaeus, Plinius, Solinus, Diodorus Siculus u.s.w.: die 
Fülle der klassischen Autoren, soweit sie damals eüiem Kenner 
des Lateinischen zugänglich waren. Denn Bohemus hat nur 
Lateinisch gelernt,'^ das aber freilich bis zu einer weit das 
gewöhnliche Mass fibersteigenden Fertigkeit klaren und leb- 
haften Ausdnicks.^^ Auch seine Verse sind meist glatt und 



furter Matrikel, wo eine Andeutung ihn suchen lässt, ist er nicht zu 
finden; vei^l. Uber her. S. 16: „Vidimus elapso pauxillo tempore 
pestem Orassari nimium coeptam per moenia cuncta Et campos 
Oderae . .** 

11. Zu vergleichen Voigt: Geschichte des deutschen Ritterordens 
in seinen 12 Balleien in Deutschland, 1h;M», Bd. I, S. 280: „Zur Auf- 
nahme der Priesterbrüder in den D. Orden war nicht adelige Geburt 
erforderlich, wohl aber gewisse Kenntnisse, besonders genaue 
Bekanntschaft mit dem kirchlichen Ceremonial und den gottesdienst- 
lichen Gebrauchen, die sie steh z. T. auch erst in einem ein Jahr lang 
dauernden Noviziat erwerben konnten." 

12. „Omniiim gentium mores u. s. w." ed. 1"4I, S. is, (Kap. 2). 
i:t. Brief K an Althamer: „Graecis et Hebraicis literis eum imbutum 

scribis (SC. Fabficiutn Capitonem) quas cgo nondum iniellegere, sed 
nec legere scio**. Zu vergleichen auch Brief 8 an Altb.: „Graecum 
esse videtur (sc.: „Oertophius Ulmanus'9i eins interpretationem mihr 
quoque scribe". 

M. Gallois „Les g^ographes allemands de la rcnaissance" S. 235 f. 
führt eine Stelle aus Böhms Hauptwerk (ed. l'>n, S. 211 t.) an, die er 
irrtttmlich Seb. Münster zuschreibt (sie war, wie so vieles, von Mdnster 
wörtlich in seine Kosmographie hinöbergenommen* erst deutsch 1544, 
dann i6ß0 im Ist Original in die lateinische Kosmographie, mit sefai 



Digltized by Google 



- 63 - 

schlicht. In gleicher Weise wie die Alten studierte er die 
neuen Autoren : Sabellicus, Aeneas Sylvius, Baptista Mantu- 
anus nicht nur, sondern auch Konrad Celtes,^-'' jakob Winiphe- 
ling/'" Henricus ülareanus,*' Nauclerus; und er scheint die 
grossen damals die üelehrtenvvelt beschäftigeiukii Diskussi- 
onen'^ mit Teilnahme verfolgt /.u liaben, wenn auch beine 
Stellung nirgends hervortritt. Erholung und Erheiterung von 
seinen Arbeiten aber suchte er nicht wie so viele seiner 
Standesgenossen in rohsinnlichen Freuden, sondern bei der 
edlen Frau Musika: bei Gesang und Saitenspiel.^^ 

Als ein solcher „vir doctissimiis et bttmanissimus" er- 
scheint Johannes Bohemus im zweiten Jahrzehnt des XVl Jahr, 
hunderts im Hause des Deutschordens zu V\m,^ In dieser 



charakteristischen AuStassungen freilich; darOber spflterhfai), und er 
ineint dazu bewundernd: „N'y a-t>il pas dans ce passage (fiber die 
Bauern) quelquc chosc de l'amcrtumc de la Bruyere?" 

15. Brief 4 an Althamer» Omn. gent mor. Lib. a, Kap. 12: Zitat 
aus Celtes. 

16. Brief 1 an Altfa. 

17. Brief 6 an Alth. 

18. Brief 3 an Alth.: „De illo GertopMo Ulmano^ qui Erasmi Mss- 
typa in-sf ( fntiir nihil sein, Mutiiatum nomen est, quemadmodum iltud 
Triumpiii Keuctiliniani. Quaere tarnen, quid nn?7ien illud sibi velit" - 

Der im 12. Kap., Buch III, von „Omnium gentium mores" sich findende 
Ausdruck „Pbalariites'' für: „grausame Adl^e*' konnte vielleicht auf 
eine Bekanntschaft mit Huttens 1517 erschienenem Dialoge „Phalaris* 
mus" hinweisen. 

la. Uber heroicus S. 17: 

„O quot nos hodie mentis propelHmus illis 
Desidis affectus, horrendaque crimina: saepe 
Conspicimus melicum festa post prandia luce: 
Dum ludo suavique mero veneriqne vacantes 
Aut aliis vitiis alii praestantius auro 
Tempus contererent, solum residere qiiiete in 
Conclavi: et duplici palma percurrere nervös: 
Voce vel aiguta Carmen cantare notatum.*' 
aa Auf Seite 8 des Lib. heroicus 1515 als „J. B. AubensiS Theutoni- 
conim ordinis presbyter . . . Uhnae datumexdomo nostraTheutoolca. 



Digitized by Google 



- 64 - 

Stadt hatte sich ein Kreis von humanistisch gebildeten und 
interessierten Männern zusammengefunden, ähnlich, freilich 
bei weitem nicht so bedeutend, wie in den anderen Miitel- 
punlcten Oberdeutschlands, in Augsbuiig und Nümbeqf. Die 
Rolle Peutingeirs oder Pirckheimers dort spielte hier etwa 
Wolfgang Richard.^* Zu Oeisslingen 1485 geboren, in Tu- 
hingen zum Dolctor der Philosophie und Medizin promoviert, 
seit 1513 als Nachfolger des Doktors Stockar Arzt für Ulm 
und die Klöster und Dörfer der Umgebung, war er zugleich 
als Freund und Förderer aller humanistischen Bestrebun- 
gen tätig. In seinem Hause fand sich zu fröhlichen Gelagen, 
die durch gelehrte Oesprachc gewürzt wurden, zusammen, 
was an Freunden der neuen Studien in Ulm wohnte oder die 
Stadt auf Reisen berührte und auch in den Klöstern der Um- 
gebung lebte. Bei Neckar-, Rhein- und Etschwein genoss man 
da alle Freuden eines gebildeten Umganges: Schwelgen in 
antiken Fantasien, und gejgenseitiges Lobpreisen und aristo- 
kratisches Erheben Ober das gemeine Leben. Zuweilen zogen 
dann auch die Städter hinaus, um bei ihren Freunden in 
den Klöstern einzukehren, zum Wiblinger Bencdiktinerkloster, 
wo ein Maurus Hochstädter und Bartholomeus Stocr („Stella") 
der Dichtkunst und Philosophie lebten, zum Elchinger Klos- 
ter, wo Johannes Philcremus, der tüchtige Lateiner und 
Grieche, wo Andreas DyrJin, erst Frater, später Prior dor^ 
die üescllschaft bewirteten. — Von ihren ständigen Mitglie- 
dern ist keiner zu höchstem Ruhme f^elangt: meist waren- 
es bescheidene Leuchten im kleinen Kreise: Nikolaus Ellen- 
bogen, Mönch und Prior in Otteubctiren, der sich mit Mathe- 
matik und Astronomie hcfasste; Daniel Mauch, der später 
Sekretär beim . Kardinal Cau^pegius war und bischöfliciier 

21. Ueber ihn und den Ulmer Humanistenkreis zu vergleichen: 
Th. Keim „W. R., der Ulmer Arzt, ein Bild aus der Reformationszeit." 

Theologische Jahrbücher, herausgegeben von Chr. Baur und E. Zeller, 
Bd. XII. 1853 Heft a i<. schreibt meinen Namen selbst Rychard. 



Digitized by Google 



öS — 



Vikar in Worms ; Nikolaus Schmierner, Dominikaner in Ulm, 
dann Aktuar des Pfalzgrafen von Baden ; Kaspar Volland, 
später Kanzler Ulrichs von Württemberg, Jodokus Hesch aus 
Oeisslingen, Ludimagister in Rottweil, Blaubeuren, Ravens- 
berg, der nach dem Tode seiner Frau Kartheusermönch zu 
Ittingen in Thiirgau wurde. Aber man stand doch in Ver- 
bindung mit der grossen Welt und mit den grossen Män- 
nern: so Augustinus Marius (Mayr) aus Lehr bei Ulm, der 
spätere Wiener Professor der Theologie, ein Lieblinjr des 
Erasmus; und Johann Magenhucher, erst Schulmeister in 
Ulm, dann der Mitarbeiter Melanchthons. Vor allem aber 
hatte Richard selbst durch seine Tübinger Studien bedeu- 
tende Freundschaften sich erworben, die nun eifrig durch 
Briefe und Besuche gepflegt wurden: mit Heinrich Bebel, 
Urban Rhegms, Jakob Locher Philomusus, Johann Alexan- 
der Brassicanus. 

In diesem Kreise dichtete Johaiuies Bohemus, der in- 
timste Freund Woifgang Richards, von den (Irossen und Klei- 
nen mit gleiclier Hochachtung geschätzt, seine Carmina und 
Elegien, schrieb er seine Bücher. 1515 erschien der ,,Liber 
heroicus",-- ein kleines Heft von 22 Blättern, als (iahe der 
Dankbarkeit dem Üheim Zehender in Aub gewidmet, be- 
gleitet von der Bitte, es den Aubensern /u zeigen, denen 
vielleicht die StudienvoUendung des Autors bislang verbor- 
gen geblieben. Auf dem Titelblatt steht keines Verfassers 
Name. Von den 32 Gedichten haben indessen 25 Johannes 

2^. Sein voIlständi'j;er Titel lautet: „In hoc libello contineütin Liber 
heroicus de Musicae lauUibus. Carmen sapphicum de laude et situ 
Ulmae civitatis Imperiaiis Sueviae. Oratiuiiculae itm Metrlcae sex, ad 
sex sanctissimas personas: quae nostrae redemptioni tnterfuenint. 

Quaestio quaedam Theologica, qnattttor aimi partes cum studüs suis 
coniplcctens. Elegiae duae qiiarum prima quattiiordecim beatae virRinis 
Mariac ^audia: altera tcrccntum ciusdcni vir^^iiiis nomina comprehendit. 
Cum multis aliiä Eppigranimatibus. ' Am Schlusä: Apud Jo. Miller, 
Aug. Vindeliconiin, 14. Des. MDXV. 



Digitized by Google 



- 66 - 



Bohtmus zum Vater, der sich im Bewusstsein der guten 
Verskunst voll Selbstgefülil dazu bekennt: ,J. B. A. Theu- 
tonicus dominus, rinn latinus" (so Seite 18, 24 und 40). Be- 
gleitvcrse haben Bebel, Richard, Johannes I^inicianus, An- 
dreas Dyrliii, Philomusus beigesteuert. Das Büchlein trägt 
den Namen von einem 12 Seiten umfassenden üedicht „l.i- 
bellus de iucundissimae Musicae laudibus"; das ist ein ge- 
mütvolles, zuweilen launiges Loblied von der überall im Le- 
ben wirksamen Macht des Oesanges, von der in tausendjäh- 
ris^er üeschichte nun zu wunderbarer Schönheit vollendeten 
Instrumentalkunst, von dem Lohn des Verehrers der Mu- 
sen: hohen Ehren und Seeknti ledcn (S. 6—18). — In 
einem weiteren grösseren (jedichte (S. 20 23) folgt dann 
„Lob und Beschreibung Ulms der Hauj)t>ladt Schu ai)ens", 
wodurch der Zugewanderte seiner neuen Heimat den Dank- 
zoll abtrug. Die guten Sapphischen Verse unterscheiden sich 
vorteilhaft von vielen ähnlichen Dichtungen jener Zeit: frei- 
lich wird nicht ganz Umf die üblichen typischen, den klassi- 
schen Mustern entnommenen Preismotive verzichtet, aber mit 
Geschick werden die charakteristischen Vorzüge Ulms her> 
vorgehoben, so seine gesunde Kanalisation, seine weitbe- 
rühmte Stadtkirche. — Die nächsten Gedichte sind schul- 
mässigfe Stüübungen schlichtester Art: Es sind religiöse, 
theologische Stoffe nach der Schablone gezeichnet, z. B. „Ar- 
chilochium tetrametnim Dactylicum ad sanctas dei genetricis 
sorores'' (S. 26) oder „Tercentum nomina beatissimae Semper 
Virginis Mariae ex sacris literis non sine podae labore ex- 
piscata comprehendens" (S. 36), und ähnliche. Den Schluss 
bilden persönliche Ekdicationen. Ein grösseres Gedicht aber 
verdient noch besonders genannt zu werden, das des Verfas- 
sers eigenste Züge trägt: „Die vier Jahreszeiten mit ihren Be- 
strebungen" (S. 27—31).»» Der Frühling beginnt den Reigen: 
mit grossem Geschrei suchen die Wandervögel ihre beimat- 



SS. Als „quaestio Theologicaiis" auf dem Titelblatte angekOndiit 



Digitized by Google 



- 61 - 



liehen Dächer wieder auf; da begfinnt die Biene ihre emsige 
Arbeit, und ihr nach der Mensch in Acker und Weinberg. 
Auf den Halden sanimehi die Mädchen Veilchen und Rain- 
weide in ihre Körbchen, und das arme Weib mit ihren Kin- 
dern sucht im Walde Beeren für den Stadtmarkt zum Lebens- 
unterhalte. Dann kommt der Sommer mit Kuckucksruf und 
NaclitJ^allenschlag, mit seiner ^dühenden, erschlaffenden Hit/e 
am Tage und dem erfrischenden Bade am Abend. Er brmgt 
die Mühen und breuden der Ernte auf dem Felde, der Herbst 
bringt die Fnichte des Obstgartens und /um Sciiluss die 
neue Kornaussaat. Mit 4 Stieren fährt danach der Bauer 
von den Bergen ins Tal hinab Holz für die Kamine: denn 
nun kommt der Winter mit seinem Frost. Jetzt wird die 
trnte verkauft, jetzt werden die auf der Eichelweide ge- 
mästeten Schweine geschlachtet: man verbringt die Tage mit 
Essen und Trinken, mit dem Würfelbecher oder Kartenspiel 
am warmen Herde, oder man scherzt bis spät in die Nacht 
mit den Mädchen in der Spinnstube: jetzt ist auch die Zeit 
für (fochzeitsfeiern. Weihnachten kommt und nach dem Bei- 
spiel« des Herrn beschenken sich die Menschen gegenseitig: 
mit 'einem Kapaun oder Hasen, Kuchen oder vergoldeten 
Aepfetn. Und nach wenigen Rubewochen kommt abermals 
frohe Festzeit: die lustige Fastnacht; als 'Gespenster ver* 
kleidet springt das Volk und tanztauf den Gassen und Plätzen 
Tag und Nacht schmausend umher^^ — der Dichter dieser 
Distichen war weder durch die Priesterweihe noch durch 



24. Als Probe: 

„Induimus iarvas iemuruni strigumque figuris 

Peiores: nigris Eumenidtitnque typis. 

Hoc habittt nipimur (quoftdam ceu Baccha sacerdos) 

Per cunctos vicos, per mediumque forum. 

Curas cantamus Papliiac, saltamiis in aftum: 

Per totas noctes mandimus atque dies. " 
Der Dichter scheint selbst solche Tage mitgefeiert zu haben; das be- 
deutet: nicbt alliufrflli häk er sich der geistitehen Laufbahn gewidmet. 



Dlgitized by Google 



— 68 — 



?;eine gelehrten Studien aus dem heimatlichen Boden geris«;en, 
spiidcrn er wurzelte fest und hing mit Liebe an dem Volke, 
aus dem er hervorgegangen. 

Während der Jahre von 1517 bis 1520 arbeitete Bohemiis 
an seinem Hauptwerke, das bei Sigismund Grimm, dem Augs- 
burger Humanisten und Arzt — dem es zugleich gewidmet 
war — gedruckt wurde und herauskam. Auch das neue 
Buch — sein erstes wissensehaitliches--'' — hat keinen so 
grossen Umfang; es sind SÜ Folioblätter Text nebst 7 Blät- 
tern Vorrede, Register usw. Der Titel lautet: „Repertorium 
librorum trium Joannis Boemi de omnium gentium ritibus. 
Item Index rerum scitu digniorum in eosdem. Cum privilegio 
Papali ac Imperiali.'' Es folgen einige Seiten mit Kapitel- 
übersieht und alphabetischem Inhaltsverzeichnis (nach den 
Randnoten), dann ein zweiter Titel : „Omnium gentium mores 
leges et ritus ex' muHis clarissimts rerum scriptoribus a 
Joanne Boemo Aubano sacerdote Teutonicae Militae devoto 
nuper coUectos: et in libros tris distinctos Aphricam, Asiam» 
Europam, optime lector lege/' Die Ulmer Freunde gaben 
ihre Empfehlungsverse mit Der junge Andreas Althamer 
aus Gundelfingen schrieb die Nachrede („Paleospbyra^'). 

Der Inhalt des Buches stellt sich, wie der Titel andeutet, 
dar als im Wesentlichen eine Sammlung von Exzerpten aus 
alten und neuen Schriftstellern, von denen 19 in der Vorrede, 
8 andere zerstreut im Texte genannt werden — „ut in uno 
libro conscriptos haberes, facileque quando usus deposceret, 
inven^res'^ Gegenstand sind die Sitten, Gebräuche und Ge- 
setze der Völker, die Schauplätze ihres Lebens, ihre Sprachen, 
Beschäftigungen, die Weise ihrer Nahrung, Kleidung und 
Wohnung: kurz, eine allgemeine Völkerkunde. Die Gliede- 
rung des Stoffes ist dem Muster des Pomponius Mela nach- 
gebildet, aber in umgekehrter Anordnung. Auf den ersten 
16 Foiioblättem werden die Völker Afrikas, von Westen nach 



26. Aus dem Anfang der WklmungsepisteL Das Titelblatt s. & 145. 



Digitized by Google 



69 



Osten zu aneinandergereiht, geschildert, auf den nächsten 24 
diejenigen Asiens, auf den letzten 40 blättern die Völker 
Europas vom Osten zum Westen. 

Als den Zweck des Buches gibt der Autor an: Iis solle 
den vielen, denen es die Verhältnisse nicht gestatten, die 
Welt selbst zu durchreisen und sich [Ki ^onlich durch An- 
schauung die Vorteile und Annehniliciikeitcn zu verschaffen, 
die eine Kenntnis der Sitten und Eigenschaften vieler und 
fremder Völker gewährt, einen bequemen Ersatz bieten. So- 
mit gehört das Werk in die Reihe der geographischen Lehr- 
bücher, die in jenen Jahren lias ausserordentliche Interesse 
des breitesten deutschen Pulilikuius fanden. Noch iminci 
war der, welcher sich über die Erde und das Leben auf 
ihr unterrichten wollte, angew icsen auf die grossen Sammel- 
werke des Altertums, die in immer neuen Auflagen ihm 
dargeboten wurden ; noch hatte Enea Silvio mit seinem küh- 
nen Plan einer neuen- Kosmographie keinen Nachfolger ge- 
funden. Seit der „Cosmographiae Introductio" des grossen 
WaldseemfiUer freilich, die im Jahre 1507 zu St Di6 er- 
schienen war, pflegten auch die Lehrbücher der mathemati- 
sehen Geographie und Astronomie kurze Abrisse der Erdbe- 
schreibung zu enthalten, in denen die wichtigsten Angaben 
aus den alten Autoren mit den Nachrichten von den grossen 
Entdeckungen kompiliert wurden.^^ Die Beschreibung aber 
ward durchaus vom Einfluss des Ptolemaeus bestimmt, die 
geographischen Ortsbestimmungen standen im Mittelpunkt 
und im Uebrigen zog man die physikalische Geographie iinter 
Aufzahlung vieler trockener Namen vor; das anthropogeo- 
graphische Element hingegen spielte eine sehr geringe Rolle, 
wie denn auch dessen Vertreter im Altertum, Strabo, den 
deutschen Geographen der Renaissance unbekannt blieb — 
Enea Silvio war der Einzige, der im XV, und Anfang des 



ftn. Wie z. B. die „Luculentissima terrae descripHo'* des Jobannes 
Schöner von löl& Darüber Galtois a. a. O. & 78, 97, 106. 



Dlgltized by Google 



— 70 — 



XVI. Jahrhunderts auf seinen Spuren gewandelt war*' — , 
bis er endlich im Jahre 1523 zu Basel seine erste Ausgabe in 
Deutschlatul erfuhr. So bildet dann das Buch des Johannes 
Bohemus eine Erj^änzung /u der von den berufsmässigen 
Geographen geübten einseitigen Pflege ihrer Wissenschaft: 
es ist eine originale Zusammenfassung des damaligen Wissens 
um die Völker der Erde. f>as rein Geographische tritt durch- 
aus zurück und bildet nur den Rahmen für die Schilderung 
der Bewohner. So kann man das Buch wohl als das erste 
Kompendium der Völkerkunde bezeichnen. Durch seine feste 
und klare Komposition steht es an wissenschaftlichem Werte 
hoch über dem Werke des Irenicus und ähnlichen Koinpi- 
iationeit. 

Die Bedeutung des Buches für den besonderen Zweck 
dieser Untersuchung — den Nachweis einer humanistischen 
deutschen- Volkskunde — wird späterhin erörtert werden. 
Zunächst möge das Lebensbild des Verfassers weitergezeich- 
net werden, soweit es möglich ist. 

Mit dem Abschlüsse des Hauptwerkes war die wissen- 
schaftliche Tätigkeit des Bohemus nicht erschöpft Im selben 
jähre, da seine Völkerkunde herauskam, machte er sich an 
eine Uebersetzung der Ovidischen Metamorphosen;^^ zwar 
kam er damit nicht zustande, wenigstens ist nichts von ihr 
weiter bekannt; aber allein schon das Unterfangen ist 
bemerkenswert, insofern als die erste deutsche Uebersetzung 
der „Verwandlungen" tatsächlich erst in den vierziger Jahren 
erschien.'^ 

Aehnikhes Missgeschick traf auch ein weiteres Werk: 
die deutsche Uebersetzung einer Schrift, die im Jahre 1520 



27. Darüber QaHois a. a. O. S. 155; Voigt, Wiederbelebung usw 

. II 3 S. 190 ff. 

•2H. Brief B an Althamer vom B, Dezember 1520: „Metamorpho- 
sim Ovidci Theutonicam facio." 

89, 1545 Kolmar: von }(kg Wickram; auch 1545 Mainz (nach Degen: 
Versncli einer vollst Utentur usw.)» 



Digitized by Google] 



— Ti- 



voli Augfttstinus Niphtis*^ verfasst war. Der Inhalt war eine 
Widerlegung der astronomischen Konjekturen eines Johannes 
Hasfurt, Johannes Carion und anderer, die für das Jahr 
1524 eine grosse Sintflut prophezeit und dadurch weite Kreise 
in Schrecken versetzt haften. Zur Beruhigung dieser Irrege« 
fährten» zu denen auch sein Freund Richard gehörte, schrieb 
Bohemus seine l^ebersetzung;^^ sie ist uns nicht erhalten 
worden. 

Nach dem „Uber heroicus'' sind zwar keine Gedicht- 
publikationen von ihm bekannt, aber in freundschaftlichem 
Verkehr kargte er nicht mit Gaben seiner Muse.'^ Aber 
nicht nur in eigenen Gedichten zeigte er sein metrisches 
Talent, sondern auch in Umschreibungen : er verfasste einen 
kurzen Auszug aus dem Psalter des heiligen Hieronymus in 
der Form von Distichen; ausser einem Gedicht, das Wolf- 
gang Richard als Geleit für die Veröffentlichung geschrieben 
hat,^^ ist aber auch von dieser Arbeit jede Spur verloren.^^ 

In das Jahr 1320 fallt der Beginn der Freundschaft Böhms 
mit dem jungen Andreas Althamer,^^", von der ein reger 
Briefwechsel direktes Zeugnis ablegt Althamer befand sich 



m Gessneri Bibl. f. Kr) ff.: Aug. Niphus iryM. Aug. Vindel. 4» „Libri 
trcs de falsa diluviae prognosticatione." Bohemus hat seine lieber- 
Setzung fOr Joh« Heybier verfertigt: Brief an Rkhard bd Schelborn 
II S. 497. 

;il Brief an Richard vom «. Febr i ' J l bei Schelborn II S. 479. 
Spätestens im Jahre des zitierten Briefes, also ]'yJ\, Febr. 

6.i. Z. B. in den Brielen an Althamer 1, 4 u. 5; auch Bqjieiivcrsc 
tu Althamers Tacltuskommentar t63<i; desgleichen im Manuskriptfcodex 
fol. 38 ^ 61 87. 

34. „In compendiariam brevitatcm minoris psalterii a divo Hicro- 
nymo excerptuiiu et iam latina Musa a Bohemo per dysticha redditittn 
sapphicum Vulcani Kychardi ad iectorem" (ü Strophen). Im Manuskript- 
kodex fol. ^54 

H5. Dasseihe muss von dem „tractatulits ille meus Bohemicus" ge- 
sagt werden, um den er Richard einmal bittet: Im Man.-Kod. fol. 261b. 
36. Oarfiber auch Theodor Kolde „Andreas Althamer" S «ff. 



Dlgltized by Google 



— 72 — 



damals zu Studienzwecken in Leipzig und Bohemus hklt 
ihn nicht nur über die Personalverhältnisse in Ulm und den 
gemeinsamen Freundeskreis auf dem Laufenden, eröffnete 
ihm durch Empfehlung an seine eigenen Bekannten in der 
Ferne neue ehrenvolle Verbindungen, so vor allem mit Wili- 
bald Pirckheimer/'*' sondern nahm auch' teil an den wissen- 
schaftlichen Bestrebungen seines jüngeren Freundes, die sich 
vor allem auf deutsche Altertumskunde erstreckten. Bohemus 
gab die Anregung zu dem Eretlingswerke Althamers „Ueber 
die 100 Gaue Schwabens": ein kleines Schriftchen, das der 
Student seinem Oheim, auf dessen Kosten er studierte, zum 
Beweise seines Fkisses 1521 ubersandte. Schon damals aber 
war Althamer beschäftigt mit den Vorarbeiten zu seinem 
spateren grossen Tacitus-Kommentar, der freilich erst 1536 
erschien und ihm den Ruhm, einer der besten Kenner deut- 
schen Altertums zu sein, eintrug. Iti diesem Kommentar ist 
die Nachwirkung des Böhmischen Einflusses nicht /u ver- 
kennen, z. B. stammt unzweifelhaft aus dieser Quelle Alt- 
hamers seltene Ansicht vom Ursprung des Wortes Gau pagus 
von rtr^yt} Bacli, worüber in den Briefen seines Ulmer Freundes 
ausführliche Erörterungen sich finden.^^ 

Von keiner Zeit des Lebens liegen soviel Nachrichten 
über Bohemus vor, als eben von diesen Jahren, da er auf 
der Höhe seiner Tätigkeit in Mini stand. Seine Gesundheit 
war ständig schlecht- Jahr für Jahr niusste er heilende Bäder 
aufsuchen. Als ihm einst die Möglichkeit eröffnet wurde, 
als Begleiter eines Ordenskomthurs nach Italien zu reisen, 



Tt. Die betreffende BrielsteHe, die zugleich die einzige ist, wodurch 
das Verhältnis des Bohemus zu Pirckheimt r bplruclitct wird, lautet: 
,J)e dnminr» Wilibaldo Pirckhamcro id-ni jursuadi rem (sc. Besuch und 
Gruss). Scrtbam ad eurn, quam pritnuni mihi aiiquid impressuni fucrit. 
Nam ad ea beneficia, quibus me excepit» vacints ad eutn scribere non 
audeo: im Brief 1 an Althamer. 

38. Brief 4 u. 5 an Althamer. Dazu in AHhamers Comment in 
Tac. im S. 274. 



Dlgltized by Google 



— 73 — 



vereitelte seine Krankheit diesen Plan (Man.-Kod. Fol. 220). 
Von der im Winter 1520 auf 21 in Schw aben wütenden Pest 
blieb er verschont, obwohl sein Vorgesetzter im Deutschhause 
ihr zum Opfer fiel; doch er schwebte in unausgesetzter Sorge 
um sein Leben.3® 

Als aber die Oefahr g^ewichen war, verfiel er in schwere 
Krankheit, die ihn gan/lich entmuti}:^e. im Auj^ust bejrab 
er sich /in Kur nach Baden zu den dortigen warmen Quellen. 
Ueberraschend gut war der Erfolg: „Er hat abgetan in 
unseren badensischen Thermen seine gerunzelte Stirn 
und das Antlitz eines Jünglings wiedererlangt. Auf den ersten 
Anblick wirst Du ihn nicht wieder erkennen," schrieb sein 
Freund Schmierer über ihn an Richard (vom 18. September 
1521 aus Baden. Man.-Kod. Fol. 217)^^ Ende September kehrte 
Bohemus nach Ulm zurück mit leerem Beutel,^^ aber gesund. 

In seinem Hauptwerke deutet keine Spur darauf hin, 
dass der Autor ii^g^endwie in nähere Beziehung getreten sei 
zu dem grössten Streite, der damals Deutschland zu erfuUeii 
begann. In gründlkher Ausführung wird von Bohemus das 
Gebäude der christlichen Kirche mit allen seinen Institu- 
tionen geschildert (12. Kap. Lib. 11), auf das Monchsgezänk 
der Theologen aber keine Anspielung gemacht.*^ Franzis- 
cus Irenicus hatte schon 1518 in seiner „Germaniae exegesis", 
als er von Sachsen und Wittenberg sprach, Luther gerühmt, 



Bit. Brief -2 an Althamer: »Ego quidem, ut scis, homo mollls et 
pusillanimis anxius de ntea Salute, noimihil miiii ipsi subtractus atque 

alienatus fui." 

40. Brief 8 an Alth.: ,,Miln nihil rcliquum, quam quem aUspecto, 
interitum. Elumbis homo sum; Machaeram, qua conficiendus sum, in 
podice giestoJ* 

4L Man.-Kod. fol. 217: „Expolita est et crutnenula sua cxpolitissima: 
nihil ponderis, nihil gravitatis in ca: lihera iam et vacua cantabit coram 
latrone securissima: taata vis aquae nostrae." 

42. Im Gegenteil sagt er vom Sachsenlande: Lib. III Kap. 13 
S. 315: „CbrisUanam fldem . . . quam hodfe cum caeteiis Qermanis 
reli^iosisslme observaf 



Dlgltized by Google 



— Ti- 



den „antesipfnanus*' deutscher ( iottesgelehrtheit;*^ bei Bo- 
hemus findet sich nichts davon, obgleich die sonst noch die 
Gemüter damals bewegenden Probleme ihre Schlaghchter 
auch in seine wissenschaftliche Darstellung werfen. Er hält 
nicht zurück mit seiner Entrüstung über die bedrückte Lage 
der Bauern (Lib. III, Kap. 12, S. 206 f., S. 211), über den 
Unfug der Frauenhäuser (S. 232), mit der Verurteilung- der 
kaufmännischen Aussaugung (S. 231), mit setner Abneigimg 
gegen das Eindringen der gelehrten Juristen in die Recht- 
sprechung (S. 206). 

Aber naturlich konnte- sich damals keiner so weit ab- 
schliessen, dass der Strom, der alles mitzureissen begann, 
ihn nicht wenigstens streifte. In eben den Tagen, da des 
Bohemus- Buch ausgegeben wurde, erschienen die wichtigsten 
Streitschriften Huttens, erschienen die grossen Reformations- 
programmschrtften Luthers, und dem über die Alpen zum 
Reichstage heranziehenden päpstlichen Legaten schienen 
Neunzehntel der deutschen Nation auf Seiten der Angreifer 
zu stehen. Von Anfang an hatte sich Süddeutschland bei- 
fallend der von Sachsen ausgehenden Bewegung zugewandt. 
Es waren hier die Zentren der humanistischen Bildung, wo 
die Kampfrufe begeisterten Widerhall fanden. Hier schrieb 
Pirckheimer seinen „Eccius dedolatus*'; Nürnberg als die 
erste Stadt in Franken erklärte sich für Luther. In Augsburg 
traten Bernhard Adelmann von Adelmannsfelden, Konrad Peu- 
tinger, Oecolampadius, Urban Rhegius für ihn ein. Da konnte 
Ulm, die Hauptstadt Schwabens, nicht fehlen: die Reforma- 
tion fand einen begeisterten und tätigen Verfechter und Ver- 
breiter in dem Arzte Wolfgang Richard.'^ Schon 1520 nannte 
dieser den Wittenberger Prediger „einen zweiten Elias'*^^ 



4'd. Davon in Kap. 1 § 5, oben S. 58- 

44. Darflber Th. Keim: Die Reformation der Reichsstadt Ulm, 104« 
und von demselben: „V/oi^aag Ricliard" in Theol. Jahrb.: Xli 1853. 

45. Scbelhoni, amoenlt LUer. I $. 297. 



>. 



Digitized by Google 



— 75 — 



und am 28. Januar 1521 bekannte er sich in einem Briefe 
an He^^endorfer in Leipzig unumwunden als Lutheraner und 
konnte da versichern, Luther werde in ganz Schwaben ge- 
feiert, die Mönche aber allgemein gehasst."' Mit unermüd- 
lichem Eifer betrieb Richard die Propaganda für die von ihm 
ergriffene Partei; er setzte seinen ganzen grossen EinfUiss 
in IHm und Lhugebung dafür ein: schon im September 1522 
konnte er in einem seiner laufenden Berichte an Mageiibuch 
in Wittenberg schreiben, auch in den Klöstern Blaubäuren, 
Elchingen, Wiblingen beginne das Evangelium sich zu rühren. 

So ist es selbstverständlich, dass auch derjenige, der 
ihm zu jener Zeit wohl am nächsten stand, bedrängt wurde, 
die alten Bahnen zu verlassen. Es sind einige Briefe erhalten 
(Man.-Kod. Fol. 50b und 247 ff.), in denen er um Johannes 
Bohemus wirbt: Gedichte, die an den Humanisten vor allem 
sich wenden: weil doch die ganze Schar der Poeten auf. 
Seiten Luthers stehe, solle auch er nicht zögern, nach dem 
viele sich richten, der durch sein Beispiel der guten Sache 
einen grossen Sieg schenken könne. (Fol. 248.) Aber die 
Bemühungen blieben veigeblich. Anfang des Jahres 1521 
rief er den gemeinsamen Freund H«gendorler zu Hilfe: Von 
Nah und Fern sollten beständig die Mahnrufe den Zögemden- 
treffen. Jedoch auch das half nichts. Böhm blieb fest bei 
seiner Fahne. Eck war ihm der Verteidiger des alten guten 
Glaubens, Luther nur der Urheber der Spaltung (Fol. 51a). 
Wohl stimmte er den Gegnern bei in der Missbilligung der 
kurialen Uebelstände und Missbräuche; aber wenn Richard 
verallgemeinernd auf die faulen Bauche der Mönch« schalt, 
so wies er mit Selbstgefühl aufsein eigenes Dasein hin. Seine 
Weisheit war: beide Seiten muss man ansehen; alles hat 
seine Schwächen.^^ 



4B. Schelhorn, am. Lii II S. 509. 

47. A. a. O. ,,Ad dextram videas pariterque sinislra: CfficitQfHduni 
pra ino4o nemo suunit" 



Digitized by Google 



— 76 — 



Ohne von seinem ablehnenden Wnlialten bekehrt 7U sein, 
ohne aber auch die Freundschaft mit Richard und den anderen 
Genossen, die wie Hegendurfer, Horiiburger, Althanicr sich 
schon bald dem neuen Olauben anfi^csciilossen hatten, auf- 
geben zu müssen, verhess Büheuius iin Sommer des Jaiires 
1522 Ulm und siedelte auf Anordnung seines Ordens in 
das Deutschhaus zu Kapfenburg, nordwestlich von Ulm, über. 
Er war zunächst mit dem Tausche im Ganzen wohl zufrieden: 
die Ordenszuchi war dort um vieles milder als in Ulm; 
er konnte gehen, wohin es ihm beliebte und in Wald und 
Wiesen seine Unterhaltung suchen. Er fühlte sich in der 
ländlichen Natur wohler als je. Allgemach aber begann er 
unter der Einsamkeit zu leiden, er begann den anregenden 
Verkehr mit den fröhlichen und gebildeten Freunden sehr 
zu entbehren; kein Gleichgesinnter war in seiner Nähe, so 
musste er glauben, von den Musen selbst verlassen zu sein ; 
nur Wolfsgeheul und Hundegebell war um ihn zu hören 
(Fol. 261b). Flehentlich bat er darum die alten Gefährten 
um häufige Nachricht; und so gern sie auch dem Verlassenen 
in seiner Einsamkeit mitleidig Briefe über Briefe schickten, 
sie konnten ihm nicht genug tun. Hier in Kapfenburg wandte 
er sich dem Studium der religiösen Sireitfragen zu, und was 
keinem Drängen der Freunde gelingen konnte, das erreichte 
hier die Einsamkeit und gewissenhafter Fletss. Er ward von 
der Wahrheit des Lutherischen Evangeliums überzeugt und 
indem er nun nicht mehr begriff, wie er sich so lange hatte 
sträuben können, zögerte er nicht, sich offen für seine neue 
Partei zu erklären. Mit dem Studium Lutherischer Schriften 
brachte er jetzt Tage und Nächte zu, nichts weiter sich 
wünschend, vollkommen glücklich; und er achtete es nicht, 
dass er immer fremder wurde in seinem Kreise, dass er den 
anderen Pfäfflein als Lutherischer ein Räthsei wurde, und 
dass ihm kein Verkehr mit den von minderen Oedanken 
erfüllten Gefährten mehr gefallen konnte (Brief II an Richard 
bei ^heihorn). Auch Karlstadts Lehren suchte er zu ver- 



Digltized by Google 



- 77 -~ 

stehen, doch ward er nicht zu ihnen bekehrt (Man.-Kod. Fol. 

277 f. vom 12. II. 1525). 

Wann sein Ifeberg'ang zum Luthertum erfolgt ist, steht 
nicht fest. Richard sagt später einmal, es sei an der Schwelle 
seines — des Bohemus — L ehens geschehen.*** Der Brief 
an Richard, darin er von dem Cjluck seines neuen ülaubens 
spricht, ist das letzte direkte Zeugnis von ilun. Von seinem 
ferneren Leben ist nichts Näheres bekannt. In Kapfenburg, 
das nicht von den heilen Haufen überrannt wurde, wie so 
manches Ordenshaus,^'* wird er während des Bauernkrieges 
in Sicherheit gelebt haben. Noch vor seinem Tode aber 
wechselte er abermals sein Haus und siedelte nach Roten- 
burg an der Tauber über. Daselbst ist er im Jahre 1535 
gestorben.^o 

Nur gering an Zahl sind die Dokumente, die von seinem 
Leben geblieben sind; aber doch ist seine Persönlichkeit, 
sein Wesen in ausgeprägten Zügen /u erkennen. Ob unter 
Bauern oder Doktoren: fröhlich ist er mit fr()hlichen Ge- 
nossen; sein Ordeiishaus ist ihm zu eng: sein Freundeskreis 
ist auf alle Stände verbreitet. Aus ländlichem Volke hervor- 
gegangen: der Bauern Leid liegt ihm nah am Herzen, ihnen 
zu Liebe hasst er die herrischen, grausamen Adeligen, die 
wuchernden Händler. Er begleitet hilfsbereit die Entwicklung 
seines jungen Freundes mit Rat, Fürsprache und eigener Arbeit. 

48. Man.'Ko(t. foL mb Richard an Schmierer 1M3 aus Ulm: 

„• . . Abfit hinc Bohemus poeta et quod molestius est, e vita mikravit 
immatura peremptus mortc : factus etiam in vitae suae calce Lutheranus." 
41). Darüber Voigt a. a. O. II S. ;{ff. 

M). Althamer in seinem Kommentar zu Tacitus (lö3ü), an der 
Stelle, wo er von Rothenbuiig a/Tauber sfiricht: „inea veterem amicum 
Joannem Bocmum Musarum alumnum, Teutonicl Ordtnis Presbyterum 
editis etiam in^eiiit sui monumentis'clarüni p'nyimo anno amisi. (In 
editione Atnbcrj^ von I'mO S. Es ist mir nicht trsichtlich, aus 

welchen Gründen Ballenstädt a. a. O. S. <il und ihm nach Th. Kolde 
in seinem Buche über Althamer sich im Anschluss an eben dies Alt- 
hamersche Zitat für das Jahr 1638 als Todesjahr Böhms entscheiden. 



Digitized by Google 



-70- 



Mit vielen Mühen reisst er sich aus den Banden der 
Kirche los, und dieses Zögern kann ihm nicht zur ScIi i ule 
gereichen: denn es gehörte in den Jahren der bcginneiRkn 
Reformation ein zicinhcher Grad von Treue dazu, den alten 
Glauben in Ulm weiter zu bekennen; die Mönche besonders 
waren harten Verfolgungen ausgesetzt/'* Um so mehr ist 
dieses Verharren bei einem zu achten, der von Natur zag» 
haften Gemütes ist, geneigt zur Mutlosigkeit, von banger . 
Sorge um des Leibes Gesundheit viel geplagt. Das Gludc, 
das der Einsame, spät AbtrOnnige, in seinem neuen Glauben 
gefunden, ist wohlverdient. 

Als Gelehrter steht Bohemus würdig in der Reihe der 
Humanisten. Die neue Wissenschaft hat er sich angeeignet 
nicht btos in ihren äusseren Formen: dass er bei Jupiter 
optimus maximus schwört und die heilige Jungfrau besingt; 
sondern er nimmt Teil an den eigentlichsten humanistischen 
Bestrebungen: Sein wissenschaftliches Lebenswerk ist ge- 
weiht der Belehrung, seine Forschung beherrscht von der 
Liebe zum Vaterlande und seinen Volksgenossen, und seine 
Arbeit hat eine tüchtige Leistung zu der Lösung der Aufgabe 
jener Zeit beigetragen, in der Wissenschaft dem Fortschritt 
der praktischen Erfahrung nachzukommen. Diese Leistung 
verdient umso mehr Ruhm, als sie für seinen Stand etwas 
ganz Ausserordentliches ist. Die Geschichte weiss sonst nichts 
von höheren geistigen Bestrebungen aus der Mitte der 
Deutschordenspriester. Nur der ungenannte Verfasser der 
„Deutschen Theologia", die Luther edierte, stellt als „ein 
Deutscher Herr, ein Priester und ein Custos in der deutschen 
Herrn Haus zu Frankfurt" dem Joh. Bohemus in der Literatur- 
geschichte zur Seite.^' — Trotz seiner Bedeutung, die doch 



51. Darttber z. B. Th. Keim: Die Reformation der Reichsstadt 
■Uhn 1851. S. 6i. 

58. Voigt a. a. O. Bd. J, & S91. 



Digitized by Google 



- 70 - 



— in seinem Kreise wenigstens — viele Anerkennung fand,^^ 
ist er aber frei von Eitelkeit und Ueberhebung: er weiss, 
dass seine Theorien über Etymologie /. B. eben nur Theoneen 
sind und rät selbst davon ab, sie als unbedingt wahr anzu- 
nehmen (Brief an Alth. 5.) ; und es ist nicht unbescheiden, 
sondern gerechtfertigt, wenn er tv tz seiner kompilicrendea 
Arbeitsmethode für seine Völkerkunde wissenschaftlichen 
Wert in Anspruch nimmt (im Brief 1 an Alth.); das gespreizte 
Wesen anderer Humanisten aber, so des Alexander Brassi- 
canus, verdricsst ihn. — U ahilich, sein Prcuiid Althamer hat 
bei der Nachricht \( m Tode Böhms mit Recht ihn „ingenii 
sui moiHinuMitis claruiu" giiiannt. 

Vlmsomehr ist es vervvumJcriich, dass die Mitwelt und 
auch die Folgezeit bisher so wenig von ihm Notiz genommen 
haben. Freilich hat es seinem Buche nicht an Freunden 
gefehlt, die daraus Anregung und vieles Einzelne geschöpft 
haben, aber einer Nennungf seines Namens, auch bei offen- 
baren Entlehnungen, I^gegnettoian doch höchst selten: wie ja 
denn im allgemeinen damals die wissenschaftliche und Ute- 
rarische Produktion Gemeingut und herrenlos war, soweit 
sie nicht durch päpstliche und kaiserliche Verordnung 
geschützt war.M Dadurch aber ist es gekommen, dass auch 
in der späteren Wissenschaft der Name dieses Vorläufers 
hinter die seiner berühmteren Nachfolger, Franck und 
Münster, zurücktrat. Damit hängt auch die Spärlichkeit von 
Nachrichten über sein Leben zusammen. Die kurze Notiz 
Althamers mit der Todesmeldung ist — soweit ich sehe — 

53. Mit Recht wohl wird die Aeusserung Ebcrlins in seiner »Zweiten 
vermanung an die Stadt Ulm" (ed. Erfurt 1533^ \^y. »Das Teutschhaus 
hat einen man, der wisst was" auf BOhm bezogen: Veesenmeyer Im 

Ulmer Prniramm 1H06. 

In dieser Privilegleriint,', deren sich die „Onin. gent. mores" zu 
erfreuen hatten, mag der Grund liegen, dass bis zum Tode des Autors 
lfi35 keine zweite Ausgabe, kein Naclidniclc erschien; wenigstens ist 
keiner bekannt 



/ 

Digitized by Google 



— 80 - 



das einzige Denkmal, das von den Freunden in der Literatur 
ihm gesetzt worden ist. In den Tritheim 'sehen Katalog be- 
rühmter Männer ist er nicht aufgenommen; erst Konrad 
Gessner in seiner 1545 erschienenen „Bibliotheca universalis" 
nennt ihn: schon mit unvollkommener Kenntnis der Person 
iitid des Erscheinungsjahres seines Buches/'-'' Gessners Werk 
aber bildet die Hauptquelle für die spateren Literaturk.it iloge. 

Bei solcher Unklarheit gleich am Anfange ist es erklärlich, 
wie sich bald eine Personenverwechslung einbürgern konnte: 
zumeist, wo Bohemus genannt wird, wird er mit einem Ulmer 
Priester gleichen Namens verwechselt, der, älter als er, sich 
auf dem Gebiete der spradilichen Forschung nicht unbeträcht- 
liche Verdienste erworben hat 

Konrad Pellican von Rufach erzählt in seiner Haus- 
chronik^^: „. . . Doch glückte es mir, noch im August dieses 
Jahres (1500) mit meinem Lehrer Paulus nach Ulm zu 
kommen, wo, wie ich gehört, ein guter Mann lebte, der 
Priester Cantor Johannes Behaim. Er hatte von den Juden, 
vor ihrer Vertreibung (1400), hebräisch gelernt und um 
schweres G^ld einem armen Israeliten viele von diesem selbst 
trefflkh abgeschriebene Sachen abgekauft . . . Der gute 
Priester Behaim überliess mir auf meine bescheidene Bitte 
gern die beiden Grammatiken zum Abschreiben, und der Herr 
hat ihm das gewiss im Himmel droben reichlich und ewig 
vergolten. . Zu Ulm befand sich Pellican zum zweiten Male 
auf einer Visitationsreise mit dem Minoritenprovinzial Kaspar 
Saizger und berichtet dazu S. 47: „Dort hatte ich viel freie 
Zeit und benutzte sie, um, dank der gefälligen Vermittlung 



K. Gessner: „Bibliotheka universalis, Fol. :utl: .Joannes Boemus 
Aubanus, Nation c T h e u t o n i c u s , scripsit ante aliquot 
a n n o s omnium gentium mores leges et ritus. Opus ateolntum tribus 
libris Africam, Asiam, Europam, complectens et cum indtce impressum: 
Friburgf l."»4o, Lugduni l."»4l. 

5«. ediert von Th. Vulpinus» Strassbui^ (S. 21 ff.) 



Digitized by Google 



des trefflichen IHmer Cantors, Herrn Johannes Behaim, einige 
hebräische Schriften abzuschreiben . . 

Von diesem f reunde Pellicans ist nichts weiter bekannt, 
als dass er auch dem grossen Reuchlin durch Uebennitthuig 
seiner hebräischen Schätze hilfreich wurde und so Bedeutung 
erianijte für die üeschichte der Sprachstudien.-** 

Ausser PeiUcan nennt noch Sinimler^^ und Widmann- 
stadt'^^ diesen Hebrail<er und nach Smunler und Widmannstadt 
richtet sich Crusius*^". Alle vier aber wissen nichts davon, 
dnss er Deutschordenspriester war, und ein Buch „omnium 
gentium mores" schrieb, während andererseits AlilKuner 
(1536!) und Oessner (1545!) nichts von den hebräischen 
L-eistungen ihres Johannes Bocmus Aubanus sagen. 

Georg Veesenmeyer identifizierte zum ersten Male 1793 
in einem kurzen Verzeichnis der um das hebräische Sprach- 
studium verdienten Ulnier' ' die beiden Böhms, indem er 
unter Vernachlässigung des Wortes „Aubanus" dem Hebraiker 
von vielleidit Ulmer Herkunft die Briefe an Althaoier (und 
damit die Schriften) des Franken und Deutsdiordenspriesters 
zuschrieb. Ihm folgte darin Albredit Weyermann^^ ohne 



57, Darüber Ludwig Geiger: „Das Studium der hebräischen Sprache 
in Deutschland", Breslau 1870, S. 19, Aiun. I. — Die Bemerkuiiij 
Geigers, Johannes Behaim in Ulm, dieser Freund Reuchliiis und Pirck- 
iielmers, der die erste hebrflisclie Grammatik besass» sei der Vater des 
bekannten Nürnberger Humanisten Lorenz Behaim gewesen, ist, wie 
aiu-in sclion die Priesterschaft des Ulmer Kantors es unmöglich macht, 
irrtümlich. 

öH. In „Gessneri Bibliotheka in cpitonien redacta" unter „Joannes 
Beliam«*. 

59. In condusione ad Widmannstadios suos: addUa nSyriacae 
litiguae primis elementis", Wien 165& 

60. Suevicorum annaütim Lib. IV, S. 4m() n. isi». 

Gl, „Commentatio Historico-Literaria de Ulmensibus benc de re 
literaria ürientali meritis". Schuiprogramm 1793. 

68. hl seinen „Nachrichten von Geleiirten, Kflnstlem und andern 
meifcwflrdiceii Personen aus Uhn^ Ulm lim, & 61. 



Digitized by Google 



-82- 



jedoch die „Volkerkunde" zu erwälincii. Im Jahre 1806 fasste 
dann noch einmal Veesenmeyer'^ ' /usammen — vielfach 
irrend •— , was in den Literatur\ cr/eichnissen über die beiden 
Männer zu finden war, und versuchte, die sich ergebenden 
Widersprüche und Bedenken zu beseitigen. Nach Veesen- 
itieyer alier richtete sich die Auffassunpf während des ganzen 
XIX. JahrhüiiUcil^ bis in die jüngste Zeit,*'^ 

Und doch geht aus vielen Gründen klar hervor, dass hier 
unbedingt zwischen zwei Personen j^lcichen Namens unter- 
schieden werden muss. 

Durch die ununterbrochene V-erknüpfung mit den 
Freunden Bebel, Locher, Richard, Althamer wird erwiesen, 
dass der Verfasser des „Liber heroicus'^ der„Omnium gentium 
mores", und der Korrespondent Althamers und Richards 
ein und dieselbe Person Johannes Bobemus, geboren in Aub, 
ist. Wenn nun Widmannstadt oder die ihm Folgenden ihrem 
Hebraiker eine Ulmer Herkunft zuschreiben, so muss das 
entweder auf einem Irrtum beruhen, oder aber es handelt 
sich «ben um zwei verschiedene Personen. Für dies Letzte 
spricht die. Unmöglichkeit der x:hronologischen Einordnung. 
Nach Crusius hat Böhm im Jahre 1490 — das ist vor Ver- 
treibung der Juden — in Ulm die hebräische Grammatik 
gekauft und gelernt, und er war dort 1500 als Kantor und 
Priester dem Pellican zu Diensten: man musste annehmen, 
dass er spätestens etwa 1470 geboren stl^ Aber im Jahre 
1503 besuchte Böhm aus Aub erst die Schule in Schwäbisch- 



H'ii. In „Coiiiiiicatatio liistoiico-litcraria de Joanne Boemo Aubano". 
Schulprogramm, Ulm 1806. 

64. z. B. Th. Keim in „Wolfgang Richard" 1H56 a. a. O. und auch 
noch Th. K'oldc in seinem „Althamcr" ls«Mi. 

ti'^. Weyerinann hat in einer NL'iih<.'arlHMttnv:; seiner , Naciirichtcn" 
von 1K2<J, die aber Manuskript geblieben ist, die Herkunft Böhms aus 
Ulm als irrig aufgegeben, laut einer Mitteilung aus dem Ulmer Stadt- 
archiv. Auch Veesenmeyer hatte sich schon für Aub als Geburtsort 
erklärt. 1806« a. a. O. - 



Digitized by Google 



Hall: sollte er sich schon 13 Jahre vorher mit den seltenen 
hebräischen Studien befasst haben? Drei Jahre vorher schon 
Priester in Ulm gewesen sein? Diese Daten sind nicht in 
Uebereinstimmung zu bringen und zudem : er selber versichert 
es ganz klar, dass er überhaupt nicht Hebräisch getrieben 
hat.***^ Füi h ii Aubaner Böhm ist wohl frühestens die Geburt 
in der Mitte der achtziger Jahre des 15. Jahrhunderts anzu- 
setzen ; dazu würde auch passen, dass er im Briefwechsel mit 
Althamer einmal etwas spöttisch von einem alten Onkelchen 
redet/'' was im Munde eines Fünfzigers doch etwas befremd- 
lich kläntre: dazu würde auch passen, dass Wolfgang Richard 
seinen Tod mi Jahre 1535 als einen allzu frühen bezeichnet.*''^ 
Ueber den älteren Ulmer Priester Johannes Böhm, der 
sich aber in einigen erhaltenen Nachrichten „Peham"^''* und 
„Bechern"'*' schrieb, ist garnichts näheres bekannt; immerhin 
steht nun w ohl die Persönlichkeit des Deutschordenspriesters 
unzweifelhaft fest. 

§2. 

Im dritten Teile seines Hauptweric^s, in fünf Kapiteln, 
behandelt Bohemus das deutsche Volk und verfährt dabei 
in gleicher Weise, wie bei der Darstellung der übrigen Völ- 
ker der Erde: in knappem geographischen Rahmen gibt er 
eine Schiklerung der deutschen Lebensverhältnisse und zwar 



6(t. Davon oben S. 63 CAlthamer-Brief 8) Anm. 18. 

67. Brief 8: „Fuit apud me patruus tuus vetulus sacerdos. Per- 
suasi totts viribus, ut tibi pro magisterio consequendo ulteriori auxilio 
Sit. Facile induxi s e n c m." 

Davon oben S. 77 Anm. 48. 

«0. Veesenmeyer teilt in seinem Programm 1806 einen Zettel mit 
von „herrn bansen peham» obrister korsinger" von anno 1492. 

70. Veesenmeyer im Programm l7i>H hat einen Brief des Fraters 
Nikolaus Ellenboi^en an ,,Joanni Bechern presbytero Ulmensi" von 1511 
enüiaileuU eine Bitte um Auskunft über einige hebräische Wörter. 



Digitized by Google 



84 - 



hier, wie immer, wenn ihm auch jüngere Kunde zu Gebote 
steht, die neue Zeit der alten gegenüberstellend. Im ersten 
dieser Kapitel (12) spricht er von den I>eutschen im allge- 
meinen, nach iliiiii Ständen geordnet; er schliesst sich dabei 
ganz an die gleichen Ausführungen des Nauclerus an, in- 
dem er ihn jedoch vielfach ergän-tt. Am wichtigsten ist, 
dass bei ihm, der seine f terkunft nie veigass, als der 'vierte 
Staad die Bauern hinzukommen. — Darnach in den näch- 
sten vier Kapiteln werden die einzelnen Stämme in ihren 
besonderen Eigenarten vorgeführt; Sachsen, Franken, Schwa- 
ben, Baiern (Kap. 13— If)). — ("aesar und Tacitus, Aeneas 
Sylvins und (Heltes sind seine wichtigsten (iewährsmänncr, 
wo eigene Kenntnis ihm fehlt; auch diese letzt:^ aber ver- 
wendet er in so ausserordentlichem Masse, dass schon an 
Umfang seine „Volkskunde" alle frühere übertrifft; ihre aus- 
fuhrliche, systematische Darstellung ist daher wohl ange- 
bracht 

Ueber die körperliche Beschaffenheit, die von der 
modernen Volkskunde^ zur Einkitung gleichsam herange- 
zogen wird, finden sich' bei Bohemus nur zwei Angaben: 
ein Zitat aus Plutarch über den Leib, das Antlitz, die Haare 
der Sueben, (S. 229) und Erwäh'nung der Kröpfe bei den 
Steirern (S. 246). Reichlicher sind die auf Wohnung, Klei- 
dung und Nahrung sich beziehenden Bemerkungen. Die Ad- 
ligen wohnen in starken Burgen, in glänzenden Schlössern 
auf Bergen, in Wäldern, auf dem platten Lande (S. 206). 
In den Städten stossen die Privathäuser fast alle aneinander 
und sind je nadi dem Vermögen der Bürger und den Ver- 
hältnissen der Strasse gebaut Die Reichen bauen prächtig 
aus Stein und Zement, die Armen aus Holz und Lehm» 



1. So bei K. Weinhold: Zeitschrift d. Vereins f. Volkskunde, 1. Heft. 
1691, wo ein allgemeines Schema volkskundlicher Schilderung aufge- 
stellt ist; desgl. bei E. H. Meyer „Deutsche Volkskunde" 1903^ 
die als Mu8teidarstelluii£ angesehen wird. 



Digitized by Google 



- 85 — 



beide aber decken ihre Häuser mit Ziegeln oder Schiefer, 
„ob zum Schmuck oder gegen Feuersgefahr, kann ich nicht 
sagen". In Sachsen und anderswo deckt man mit bchauenen 
Pfählen, wodurch die Städte wcnioer hübsch aussehen und 
feuergefahrhcher sind. Die Stadtpiätze sind meist mit Stei- 
nen gepflastert. Die Stadttore sind mit hohen Türmen be- 
wehrt: die Wächter darauf sollen die Heranziehenden den 
lorhütern unten zur Warnuii^r melden. Zum Schutze der 
Stadt dient entweder die natürliche Lage hinter den Flüssen 
oder auf Rercrcn, oder kün-tlKlie Befestigung durch Mauern, 
Gräben, Tuitne, Schan/tu und Wälle; auch wird das xor den 
Mauern lie^j^ende Land durch zahlreiche liefe üräben für 
Feinde unpassierbar gemacht. — Die Bauern wohnen von 
einander getrennt, jeder mit seiner Familie und seinem Vieh 
in ärmlichen, niedrigen Hütten aus Holz und Lehm, die 
mit Stroh bededct sind (S. 210/1]). 

In gleicher Weise sind zunächst nach den Ständen grup- 
piert die Angaben über die Kleidung der Deutschen im 
allgemeinen. Die Geistlichen haben je nach ihrer Art ihre 
l>esondere ziemliche Tracht Die Weltgeistlichen tragen 
lockere Kutten von meist schwärzlicher Farbe, auf dem Haupte 
eine wollene Mitra, die nicht sehr hoch ist, aber bis zu 
den Ohren herabreicht Vom Halse hängt ihnen, wenn sie 
auf die Strasse gehen, eine seidene oder wollene Binde, 
doch nur zur Zierde, herab. Sie ziehen dann auch über 
ihre Schuhe Sandalen, die sie, nach Hause zurOckgekehct, 
wieder ablegen (S. 205). 

Die Adligen schhiücken sich mit glänzender Kleidung, 
mit GoM und Silber, buntfarbiger Seide so Männer wie 
Weiber, zu Hause und ausserhalb: von vielem Gesinde be- 
gleitet schreiten sie dann einher mit solch vollendetem ein- 
studierten Gange, dass man sie auf den ersten Blick vom 
Volke unterscheiden kann. Dabei halten sie es für ein Zei- 
chen von Armut, grössere Strecken zu Fuss zu gehen (S. 206), 

Pte Biu]g^ tr,agen des Alltags im aligemeinea Qur einfach^ 



Digitized by Google 



— 86 



KU itliitig, an Festtagen nur weni^r g^lan/ciidere; die Männer 
gLw ohiilich Wolle, die Weiber Leinen, jedoch von so vcr- 
scliicdeiier harbv: und Form, dass selten zwei gleich ge- 
kleidet erscheinen. Fremde Mod^n, besonders itahenische 
und französische, sind sein beliebt. So nahmen die Männer 
„vor einigen Jahren" stumpfe Schuhe, Röcke mit faltigen 
und geschlitzten Aermcln, und geflochtene Hüte, sogenannte 
„Pyrethen'' an. Bis dahin waren („nach meiner Erinnerung") 
Schnabelschuhe, kurze und enge Wämser und Zipfelmützen 
getragen. Die alte Schlichtheit ^mg heute ganz zu den Wei- 
bern: diese haben die vielen Tücher abgelegt, mit denen 
sie einst ihre Köpfe so dick machten, sie hüllen sich heute 
in ein- einziges. Silber und Gold, Perlen und auserlesene 
Verbrämungen aus verschiedenen und kostbaren Tierfcllen 
und Seide haben sie fast ganz abgelegt. Schleppen werden 
kaum mehr beim Adel gesehen. Bei aller Ziemlichkeit und 
Zierlichkeit der Frauentracht wäre höchstens der zu grosse 
Ausschnitt am Halse zu tadeln. — Bei Begräbnissen und 
Letchenschmäusen kleidet man sich schwarz (S. 2091). 

Die Bauern sind mit einem Leinenrock, Stiefeln und ge- 
färbter Mütze gekleidet: zu aller Zeit unsauber. Sic gehen 
beständig mit einem Schwerte bewaffnet. (S. 211 f.) 

Bei d<:n Sachsen (S. 216) und Frank^^n (S. 220) wird 
besonders bemerkt, dass sie sich in ihrer Kleidunj; in keiner 
Weise von den andern Deutschen unterscheiden. Die Baiern 
al>er tragen am liebsten blaue Kleider und lieber Stiefel 
als Hosen.^' Die Kärnthner bedecken sich mit Mänteln aus 
ungefärbtem Fell und tragen allgemein Hüte. 



2. „ocrcis libcntiiis quam caIii,Ms calciatur" S. 214. T r.uuk irn 
Welthuch Fol. .'»4'» übersetzt wie üben. Bei dieser Gelegenlielt finde 
die Bemerkung Platz, dass jede volkskundliche Prüfung der Wahr- 
heit und des Wesens solcher einzelnen Angaben bei Bohemus und 
ebenso bei den anderen behandelten Humanisten unteiblieben ist, 
weil sie als ru entlegen vom eigentlichen Gange der gegenwärtigen 
Untersuchung erschien, 



Digitized by Google 



— 87 — 



Während ciic Adlijrcn köstliche Mahle halten, ieheii die 
Bürger sehr massig. Üie Arbeitenden essen viermal, die 
Nichtstuenden zweimal des Tages. Oeringes Brot, Haferbrd 
oder gekochte Bohnen bildet die Speise der Bauern, Wasser 
oder Molken ihren Irank. Die Sachsen backen Weissbrot, 
trinken Bier, ihre Sp;'ise ist schwer und ungeschickt: Speck, 
trockene Würste, rohe Zw iebeln, i^esalziMie (ungcscihte) But- 
ter. Vielfach wird am Sonntag gekocht, was die Woche 
hindurch dann gegessen wird. Die Kinder w erden dort nicht 
— „wie bei uns" — mit Brei aus Mehl und Milch ernährt, 
sondern mit festerer Speise, die in das Kindermündchen ge- 
steckt wird, nachdem sie von der Wärterin gut vorgekaut 
ist: daher werden auch die Sachsen, an solche Speisen in 
zarter Jugend gewöhnt, zäher und stärker als andere. 

Die Westfalen essen Schwarzbrot, trinken Bier; Wein 
trinken nur die Retchen, weil er nur mit grossen Kosten 
vom Rheine her zu ihnen kömmt. 

Die Franken trinken den Wein, den sie bauen, nicht 
selbst: sie müssen ihn verkaufen und sich selbst mit Wasser 
begnügen. Bter aber verachten sie. 

Neben diesen rein äusserlichen Formen des Lebens finden 
eine eingehende Behandlung auch die inneren, wobei dem 
Verfasser auch mehr Beispiele früherer Autoren gegeben 
waren. Als ein wichtiges Charakteristikum der Völker war 
von allen Humanisten die Sprache bewertet worden, und 
so erhalten denn auch die Sprachenverhältnisse des deut- 
sehen Gebietes bei Bohemus einige Berücksichtigung. Bel- 
gien wie das ganze Rheingebiet ist der deutschen Spradie 
gewonnen worden: die Belgier werden unwillig, wenn man 
sie Gallier nennt'(S. 196). In gleicher Weise ist die deutsche 
Sprache nach Preussen und in die Schweiz verbreitet. In 
Kärnthen und Steiermark reicht die slavische Sprache ins 
Reichsgebiet hinein (S. 245 f.). Aber auch über die Dialekt- 
verschiedenheiten im Innern falten einige Bemerkungen: die 
Sachsen haben „peculiarem linguam'' (S. 216); in Baiern 



Digitized by Google 



— 88 — 



spricht man in gleicher Art wie in Oesterreich, Steiermiirk 
und Käriithen. (S. 233.) 

Auf einer alten Tradition von den Schriftstellern des Mit- 
ti lalters beruht die Ausübung einer allgeniv'inen (^harakteristiii 
der Vcjlkcr und einzelnen Stämme.-' Nicht nur durch die 
Gelehrten, sondern auch durch vulkstümliehe Formeln und 
Sprichwörter war eine Fülle von Zügen festgelegt worden, 
die naturlich in einer allgemeinen Volkskunde, wie Bohe- 
mus sie geben will, nicht fehlen dürfen. Zunächst schildert 
er im grossen und ganzen die Art des Adels, wobei ihm sein 
Bauerntum böse Worte diktiert, sodass wohl keiner der 
vielen, die in dieser Zeit über den Adel schelten, ihn an 
Schärfe übertreffen mag,^ Dagegen findet Anerkennung die 
allgemeine Frömmigkeit der Bürger; sie tut sich kund in 
dem reichlichen Almosengeben, besonders aber audi darin, 
dass z. B. kein Handwerker des Morgens vor Beginn der 
Arbeit die Messe versäumt und auch sein Gesinde zu ihrem 
Besuche treibt Eine Versäumnis aus Faulheit oder sonst 
einem leeren Vorwande wird mit schimpflichem Tadel be- 
straft. In diesem Zusammenhang mag auch die Angabe ihre 
Stätte finden, dass die Trauer um Verstorbene drcissig Tage 
anhält; derweilen werden drei Totenmessen gelesen, am 
ersten, siebenten und dreizehnten Tage (S. 210). 

Bei der Abhandlung der einzelnen Stämme werden deren 
besondere Laster genannt: bei den Sachsen der unruhige 
Sinn von Alters her; vor allem ihre Trunksucht, die dem 
Schilderer offenbar persönlich einstmals peinlich geworden 



3. Darüber z. R. M. Meyer a. a. O. S. 153 f. 

4. S. 207: „Gens superba, inquieta, avara, ecclesiae prelatis et 
corurn boni«? insidias scnipcr, <?ubditos rusticos irremissa ser>itute 
cxercet. Increiiibile dictu, quantum miseros ^t infeltces homines vexet, 
quantum exugat. Esset Qemtania nostra ter quaterque felix, st Cen- 
tauri istt Dionysii et Phalarides avt eiiceretitur, aut saltem tpsoram 
tyrannide refrenata et potcstate diininuta privatim, quemamodum 
in Heivetia, nobiles vivere oo^erentur," 



Digitized by Google 



99 — 



war (S. 213). — Die Westfalen sind kriegerisch und erfinde- 
risch; das Sprichwort, das schon Aeneas Silvius gebracht 
hatte, wird vermerkt. — Die Franken sind ausdauernd bei 
der Arbeit, aber hochmütig, anmassend, unverschämt, an- 
dere Nationen verachtend: um heimiscii unter ihnen zu wer- 
den — viele Schwaben, Baiern, Hessen wohnen in Franken 
— bedarf es grosser Geduld. Sic sind fromm im [Dienste 
des Herrn, aber doch kiLkt das ganze Volk an zwei grossen 
Lastern: Ciotteslastciung und Strassen rauh, und halt das 
erste für lein (decoruni), das zweite lui ehrenvoll (hones- 
tuni) und wegen langer Uebung erlaubt. Von den Schwaben 
wird ihre allzu grosse Neigung zum Venusdienst erwähnt, 
wovon ja auch schon Felix Fabri gesprochen hatte. Auch 
hier wird ein Sprichwort zugefügt: ,,Schwaben allein könne 
ganz Deutschland reichlich mit Buhlerinnen versorgeä, wie 
Franken mit Räut>ern und Bettlern, Böh!men mit Ketzern, 
Baiem mit Dieben, die Schweiz mit Henkern -und Kupplern, 
Sachsen mit Saufern, Friesland und Westfalen mit JMeineidi- 
gen, das Rheinland mit Fressern/' Die Baiem schliesslich 
sind in ihrem Charakter dermassen entsprechend ihrer jall- 
gemeinen Schweinezucht, dass mit dem übrigen Deutsch- 
land verglichen, sie wohl Barbaren genannt werden kön- 
nen („barbari dico") (S. 244) ; zwei Laster zeichnen sie noch 
besonders aus: Ungastliddceit und Stehltrieb. I>aneben 
Sussert ihre Frömmigkeit skh in den sehr beliebten Wall- 
fahrten. Aachen wird bevorzugt, doch ziehen auch einhei- 
mische Wunderorte zahlreiche Pilger von nah und fern an- 
sich: die heilige Jungfrau von Dettingen und St. Wolfgang, 
So geringfügig an sidi nun auch alle diese Einzelheiten 
sind, sowohl die äusseren als die inneren Charakteristika der 
Deutschen und ihrer Stämme, und so oft auch schon ein- 
zelnes davon hier und da bei früheren Autoren zu finden 
ist: hier zeigen sie sich doch zum ersten Male in solcher 
systematischen, über ganz Deutschland ausgedehnten Samm- 
lung und erscheinen zumal dadurch als wis^enschi^ltcb wert- 



Digitized by Google 



— QO — 



voll, nis eine echte Volkskunde. Das nilt in noch friösserem 
Masse von den vielen Anj^i^aben über Beschäftigung, s o/iil«; 
Gliederung, politische Verfassung, Gerichtswesen, geselliges 
Leben und allerlei Einrichtungen des bürgerlichen Lebens 
die gerade und nur durch ihre ( ieschlo; senheit hiiT die Dar- 
stellung des Bohemus /u einer Volkskunde crh.'bcn. 

In der Oesaintiibvrsicht sowohl, wie bei den ein/ilncu 
Stämmen wird neben der kur/en geogra[)hiselien Abgren- 
zung und ^Charakteristik auch einig\'S über (he |i<)litisehe 
Verfassung eingefluchten (ausser bei Sachsen und Sclnva- 
bcn): Die Stellung der Linsten im Reiche, ilir Verhältnis 
zimi Kaiser und ihre Klassen (S. 200) ; der Unterschied zwi- 
schen Reichsstädten und Territorialstädten (S. 207), das Amt 
der Magistri rusticorum neben den Schultheissen (S. 212). 

Die Westfalen stehen unter der Botmässigk cit Kölns 
(S. 218), Franken ist fönf Herren Untertan, von denen der 
Wurzburger Bischof des Herzogsamts waltet (S. 219). Baiern 
hat vier Bistümer ($. 233), Kärnthen steht unter österreichi- 
schen Erzherzögen, die Grossjägermeister des Reiches sind 
(S. 244 und 246). 

Von den Angaben Über die sozialen Verhältnisse wurde 
schon die Einteilung in vier Stände genannt, von denen jeder 
in seiner Eigenart ausführlich geschildert wird, mit seinen 
besonderen Beschäftigungen und Erwerbsweisen. Die Geist- 
lichen, eingeteilt in Weltgeistliche und iViönche, leben von 
Speiden und Steuern; dafür halten sie Gottesdienst und 
treibten Seelsorge, studieren die Schriften und führen ein 
heiliges Let>en in Ehelosigkeit. — Die Adligen haben Grund- 
besitz und glauben, ihi^n Glanz zu verringern, wenn sie Han- 
del oder Handwerk treiben, wie auch, wenn sie eine Frau 
geringeren Geschlechts heimführen, oder in einer fr jniden 
Stadt nach Bürgerart leben. Teils halten sie sich an Fürsten- 
höfen auf und tun Kriegsdienste, teils leben sie von ihrem 
Gelde zu Hause, Ihre Beschäftigung dann ist gemeinsame 
Jagd; die ihnen allein zustehen^ allen andern verboten sejn 



Digitized by Google 



— 91 — 



soll, und Raub, wenn die Not sie treibt. — Die Rv!r[;n'r der 
Städte zerfallen in Patrizier und Plebejer; jene leben von 
ihrem Erbe und alinuMi den Ritterstand nach, diese liegten dem 
Handel und Cicw i.*rbe ob. Sie führen ein re<^es Cieineinschafts- 
ieben: an öffentlichen und privaten Orten kommen sie za- 
satnmen, treiben Handel, spielen und reden mit einander; 
selten ist Betrug oder Streit. Wo oder wann immer sie ein- 
ander begegnen, Männer und Frauen, begrüssen sie sich 
(S. 208/9). - Die Bauern wohnen auf dem Lande in Dör- 
fern und Weilern und bebauen den Roden. Ihr j Lat/e ist eine 
äusserst gedrückte. Von ihren adeligen Herren werden sie 
unbarniher/ig prcijualt. Dij Erträgnisse ihrer Aecker und ilu .f 
Viehzucht führen sie /um Verkaufe in die benachbarten Städte 
und beschaffen sich dort, wafc ihnen nötig ist: denn sie haben 
nur wenige oder keine Handwerker bei sieh wohnen. Einen 
grossen Teil des Jahres müssen sie ihren Herren Frohn- 
dienste leisten : <Jcn Boden bearbeiten, säen, die Frucht schnei- 
den und in die Speicher schaffen, Holz hauen, Häuser bauen, 
Gräben ziehen und alles nujgliche. Sie wagen keinen Wider- 
stand gegen solche Bedrückung, denn sie sind von schwe- 
ren Strafen bedroht Am schlimmsten aber empfinden sie 
die Pflicht, den grösseren Teil ihrer eigenen Erträgnisse jähr- 
lich noch an ihre Herren abgeben zu müssen (S. 211 f.). 

Je nach den verschiedenen LandesteÜen herrschen dann 
noch besondere Erwerbsweisen vor. In Sachsen wird Erz 
und Stjber gegraben; bei Goslar und vielen anderen Orten 
aus Quellwasser weisses Salz gekocht und damit grosser Ge- 
winn erzielt (S. 215). In Franken blüht die Gartenkultur: 
nirgends in Deutschland gibt es solche Zwiebeln, Rüben, 
Kohlköpfe wie hier; im Bamberger Gebiet werden ganze 
Wagenladungen von Glitzenhauser Süssholz^ gewonnen. Auch 



5. S. 219: „ut ingetites currus ea onerari videas^', d. h. wohl: 
B. hat es selbst gesehen; Franck, Weltbuch f. 40^ flberäetzt ,,radk:em 
tnelle^ni" wie o^n. 



Digitized by Google 



— 92 — 



die Obstgärten und Wiesen sind hervorragend. tKe Jagd 
ist hier in geordneter Pflege. Das Wild wird in Fürstin 
gehalten, worin offene Ställe im Winter Futter, Salz und 
Schutz vor der Witterung gewähren. Besonders herrscht in 
Franken ck i Weinbau vor: an den Hügelgdänden der vielen 
Täler sind die Reben gepflanzt, und mit ihrer Pflege sind 
Männer und Weiber beschäftigt. Der Termin der W;.Mnernte 
ist von den Herren, denen der ZchntJ davon zukommt, 
abhängig; und zwar schneidet nicht der eine heute, der 
andere morgen, sondern alle zusammen nehmen den Wein 
eines einzigen Hügels ab, der an jedem Tage bestimmt wird. 
Der Zehnie wird dann unten im Tale gldch ausgelesen. 
Wer tangisamer, als -es befohlen ist, sclineiden will, darf 
es tun, muss dann aber den Zehnten auf eigene Kosten in 
die Kelter des Herrn liefern (S. 226). 

In Schwaben befassen sich fast alle Reicheren mit Han- 
del; viele schliessen sich zu einer Genossenschaft oder einem 
Verbände zusammen, und jeder gibt dann eine bestimmte 
Summe zum Einkauf von allerlei Waren, besonders der 
wertvollen Kolonialguter, aber auch von billigen Waren, wie 
Löffel, Nadeln, Spiegel, Messer*^ und ähnlichen ; ja sie kau- 
fen sogar Wein und Korn auf: zum grossen Schaden nicht 
nur der Handwerker und Bauern,^ sondern des ganzen Lan> 
des, weil man alles Nötige nicht um geringen Preis bei 
den benachbarten Völkern kaufen darf,^ sondern nur bei 
jenen Monopolinhabern zu Stuttgart und anderswo, wo sie 
ihre Märkte haben. Die Unternehmer treiben dabei keinen 
eigenen Handel, sondern durch gemeinsame Verwaltung, und 



6. S. 231 : ,,coclearia, actis, specilia. pupae etc.*' von Franck, 
Weltbuch Fol. 53 mit „Nadeln, Spiegeln, Docken" wiedergegeben, 

7. („qui sua ante tenipus grvphonibiis istis nc potins diram 
vel mercatoribus, vendunt quae posttnodum necessitate cogentc duplo 
aere reditnere ab ipsis debcnt''.) 

6. („SK fnim a corruptfs munere principibns impetratum".) 



Digitized by Google 



— 93 — 



rechnen in gewissen Zeiträumen mit «inander über die ein- 
zelnen Gewinnanteile ab (S. 231). 

Das Hauptg^cwcrbe der Schwaben ist die Leinweberei, 
von der aucii Felix Fabri schon rühmend gesprochen hatte. 
Stellenweise sitzen nicht nur Weiber und Mädchen, sondern 
auch Burschen und Männer im Winter am Spinnrocken, Sie 
liefern „I^irgath", eine Art Zeug aus leinener Kette mit 
baumwollenem Einsclil i^, und „Golsch" genanntes Rein- 
leinen. Zu Lllm alkiii werden von jeder Art jährlich 200 000 
Stück hergestellt: daraus kann man sehen, wieviel im gan- 
zen Lande geleistet wird. Diese Stoffe werden weithin ver- 
frachtet, und besonders /uciinal an Jahr zur Frankfurter 
Messe. Daraus ziehen die Schwaben ungeheure Einlcünfte 
(S. 232). 

In den wdten Wäldern Baierns werden solche Mengen 
von Schweinen mit Eicheln und Waldäpfeln gemästet, dass 
die bairisdie Schweinezucht für gank Europa genügt, wie 
die Rinderzucht Ungarns. Nur in den sfidlichen Teilen des 
Landes wird Wein gebaut. In Steiermark wird Salz ge- 
kocht und zu den Nachbarvölkern gebracht. Auch wird Eisen 
und Silber gegraben, aber wegen der geringen Fürsorge der 
Fürsten nur wenig (S. 246). 

An sozialen Einrichtungen werden folgende erwähnt: öf< 
fentlkhe Hospitäler für mittellose Fremde, dann die öffent- 
lichle Ernährung der Kurrendeknaben, die das Elternhaus 
verlassen, um sich dem Studium zu widmen, im Lande um- 
herwandem und sich oft in grossen Scharen in den Städten 
sammeln; von Haus zu Haus ziehen sie da bettelnd und sin- 
gend und haben so ihren Lebensunterhalt. — Bei Jeder 
Pfarrkirche ist eine öffentliche Schule, in der diese Knaben 
mit den Bürgersohnen zusammen täglich unterrichtet wer- 
den. Tuchti^Tc und gelehrte Leute stehen solchen Schulen 
vor. Faule und Unfugtreibende werden mit Ruten gestrichen 
oder mit harten Worten gestraft (S. 210). 



Digitized by Google 



— 94 - 



Einen breiten Raum nehmen in der Darstellung des Bo- 
hemus auch die Kvchts- und Oerichtsverhältnissc ein. Enca 
Silvio hatte schon von dcui heinihchen Gericht der Westfalen, 
von dem Schw ert auf di.'m Altar bei der Messe des Würzburger 
Rischofs, von einem seltsamen Brauch beim Herrschaftsan- 
inti eines Kaiiiihiier Fürsten, hatte von üer sonderharen Dieb- 
stahlsbestrafung in Klagenfurth erzählt. Bohemus wieder- 
holt diese Erzählungen ; die Würzburger Vorgänge aber schil- 
dert er ausführlicher, als der Italiener: wohl aus eigener 
Anschauung. 

Auf dem Altar bei der Messe liegen Schwert und Fahne. 
Am Tage des ersten Einzuges in Stadt und Ksdiofssitz reitet 
der neue Bischof mit einem prächtigen Gefolge heran. Unter 
dem Tore steigt er vom Ross und legt statt aller Pracht 
eine graue, ärmlich^ Kutte an, tut einen Strick um den Leib 
und steigt so barf&ssig und barhäuptig zu den Domherren 
in die Kirche hinauf. Denen gelobt er Treue und wird dann 
auf seinen Platz gieführt: zuvor aber stellt man ihn vor die 
Bildsäule eines früheren Bischofs und ermahnt ihn ernstlich, 
dem nachzueifern, der, von niedrigem Stande erhoben, die 
Kirche wohl regiert habe: zu Würzburger Bischöfen werden 
niemals Grafen oder Fürsten gewählt, sondern nur Glieder 
des niederen Adels, damit das Bistum bei denen verbleibe, 
aus denen der grössere Teil der Domherren besteht. — Die 
Wurzburger Probstei ist sehr bedeutend: so oft ein neuer 
Besitzer einzieht, ist er schuldig, in vielen Dörfern des Lan- 
des, aus denen er den Zehnten erhält, ein grosses Geschirr 
voll Wein öffentlich aufzustellen und einige Schüsseln darin, 
woraus jeder trinken kann, dem es gefällt (S. 219 f.). 

Neben diesen historischen Kuriositäten nach dem Vor- 
gange Enea Silvios fügt Bohemus in Anlehnung an Nau- 
clerus seinerseits mancherlei der Darstellung bei, das nicht 
.sowohl ausserordentlich, als vielmehr allgemein geltend ist 
und sich so seinen übrigen Schilderungen des damaligen 
Lebens anschliessL So spricht er von der Oerichtsverfassung 



Digitized by Google 



I 



- ^5 — 

der Geistlichen (S. 203) : die geringeren Streitigkeiten werden 
vor den Bischof gcbraclit, zuweilen vor die römisciie Kurie, 
wodurch ihren Schädigern grosse Verluste erwachsen. 

In den Städten treten bei Kriminalprozessen die von der 
Bürgerschaft dazu erwählten Richter zusammen; die Ange- 
klagten werden gehuiKltu '«orgcfiihit, die Aiiklagor sowohl 
wie die Verltidiger der Beklagten erhalten Gelegenheit zu 
reden; darnach wird das Recht gesprochen, nicht nach Ge- 
setzen, sondern nach Meinung und Gewohnheit. Ebenso 
geschieht es in Zivilprozessen, ausser dass bei diesen Ap- 
pellation an den Kaiser statthaft ist, bei jenen aber nicht 
In einigen Städten und E)orfem werden zwölf ehtenwerte 
Männer ohne Rftcksicht auf ihre Bildung: ausgewählt Sie 
müssen das Richteramt zu bestimmter Zeit ausüben zum 
allgemeinen Wohle, ohne Entgelt dafür zu erhalten. Früher 
fand keine Appellation von ihren Urteilen statt, weil es un- 
würdig schien, den Beschlüssen so vieler umsonst richtender 
JMänner zu widersprechen. Heute aber fängt man hier und 
da an, von ihnen zu appellieren; das fuhrt zu vielen Wirrun- 
gen, weil die Richter, an die man appelliert, nicht nach der 
Wei^e der ersten, sondern nach geschriet>enen Gesetzen ur- 
teilen, wodurch dann oft die Urteile gerade umgekehrt aus- 
fallen, als wie zuerst: „hoc quam iustum sit, viderint ipsi" 
(S. 209). Sowohl dem Stoffe als der Beurteilung nach hat 
Bohemus diese Darstellung des Gerichtswesens von Johan- 
nes Nauclerus übernommen, ihr aber eine nicht nur auf 
Schwaben, sondern auf ganz Deutschland ausgedehnte Gel- 
tung j^egcbcn. 

Der Adel hat sein besonderes Standesrecht. Nicht nur, 
dass er das R^cht der Jagd allein für sich in Anspruch ninnut: 
mit Aucj-cnausstechen, zuweilen mit Kopf;ibschlagen wird die 
Jagd von Hasen, Rehen, Hirschen an Privatleuten geahndet, 
lind nur schädliche Tiere darf jeder fangen ; — sondern die 
Adligen haben auch ihre eigenen Gewohnheiten zum Aus- 
tragen von Streitigkeiten unter einander: das Fehderecht 



Digitized by Google 



- ^ - 

Durch Brand und Schwert und Raub suchen sie sich Ge- 
nugtuung (S. 206 f.). 

Neben diesen Einzelheiten verdienen aber eine ganz be- 
sondere Hervorhebung die Ausführungen, die Bohemus 
macht, um zu zeigen, welches die Sitten und LcbensGfCwohn- 
heiten der Baiern waren zu der Zeit, als sie das C^hnsteiitum 
eben angenommen hatten. Er tnbt hier (S. 233 — 243) eine 
Zusammenstellung von alten Volksrechtssätzen, die zum Teil 
noch damals in Geltung waren. Dadurch leistet er einen 
bedeutenden Beitrag zu den rechtshistorischen Arbeiten der 
Humanisten. Bisher galt als die erste Publikation deutscher 
Volksrechte das Büchlein des Juristen Johatni Sichard vom 
Jahre 1530.^ Böhm hat offenbar andere Q)uellen benutzt 
als Sichard, denn er gibt das, was jener unter allemanni- 
schem und bairischem Recht gesondert anführt, mit ein- 
ander vermischt; auch deckt sich das Material weder im 
Umfang:, noch auch verschiedentlich im Inhalt. Doch ge- 
hört die Frage nach den' Quellen und nach der Bedeutung 
dieser «rsten Veröffentlichung alter Volksrcchte ins Gebiet 
der Rechtsgeschichte/i* für den gegenwärtigen Zweck genügt 
der Hinweis, dass hier zum ersten Male in volkskundlicber 
Schilderung in Oegenüberstellung von Gegenwart und Ver- 
gangenhieit in grossem Umfang« die Rechtsgewohnheiten des 
Volkes herangezogen wurden. 

In der Beschreibung Nürnbergs hatte auch Celtes schon 
von den Vergnügungen gesprochen, denen sich Alt und Jung 
an Feiertagen auf den Wiesen vor der Stadt hinzugeben 
pflegten; und auch hiervon spricht Bohemus. Die Geist* 
liehen bringen die Nachmittagsstunden mit Spiel und Trunk 
hin (S. 205). Die Bürger belustigen sich an gemeinsamen 



Q. „Leges riboarionini, Baioarionimque, quas vocant a Theodorico 
rege Francorum latac. Item Alenuinnonim leges, a Lothario rege 
latae. Nunc primum vetustatis ergo cxcusae/' Basiieae 1530. 

10. Dazu Qengler a. a. O. S. 94. (Note 196.) 



Digitized by Google 



- 07 - 



Spielen. Die Bauern kommen an Feiertagen vormittags in die 
Dorfkirche, um alle das Wort Gottes anzuhören. Nach- 
mittage aber beschäftigen sie sich unter der Linde oder an 
einem anderen öffentHcheii Platze mit ihren weltlichen An- 
gelegenheiten. Die Jungen tan/en nach den Klängen einer 
Flöte, die Alten suchen die Sdienkc auf und trinken Wein. 
Besonderer Schilderung werden die Trinkgelage der Sachsen 
gewürdigt. (S. 21 5 f.) Solche Unmassen Bier müssen diese ver- 
tiigen, dass ihnen dabei keine Becher genügen: sie stellen 
einen Melkeimer voll Bier auf den Tisch, tun eine Schüssel 
darein und ermahnen jeden, nach Belieben zu trinken. Das 
gegenseitige Nötigen, die Ausdauer der Zechenden über das 
Erbrechen fainatis zu abermali^fer Trunkenheit durch Tage 
und Nädite hintereinander weg, der Ehrgeiz, am meisten 
trinken zu können und den Siegerkranz aus duftenden Kräu- 
tern oder Ros«n zu erringen, das offizielle Oebah'ren bei der 
Aufforderung zum Mittrinkend^ und die vielfachen daraus 
erwachsenden Streitigkeiten und Schlägereien : das alles miss- 
fällt allerdings dem Franken zu sehr,^^ als dass sein Bild 
ganz objektiv nur zu fassen wäre. Den Sachsen wird schuld 
gegeben, dass nun auch im ganzen Reiche die stärksten 
Weine in aolchem Unmasse getrunken werden, wie dort 
das Bier. 

Neben den Rechtsaltertumem fand sich in der ,,Europa" 
des Enea Silvio bei Erwähiiung von Halberstadt auch die 
Erzählung von dem merkwürdigen ,,Adams'^-Brauch als 



11. „Hospiti v«l alten eum lociitn, in qua bibitur,* subeunti, 
potum quot habent assurgimt; et porrecto poculo ad combibeo' 
dum officiosissime boriantur. Inimlcus arbitratiir, qui saepius . 

invitatus non praetciita causa compotare recusat: caede non numquam 
et multo sanguine hoc dedecus expiatur." S. 2\(i. 

12. „Dictu incredibile est, quantum huius liquoris in se immo- 
desiisBima gens capiat, quantUm ttiutuo ad bibendum cogant et hör- 
tentur. Non sus, non taurus tantum ingurgitare^'' 

tö. Kap. XXUl Davon oben & 80^ 



/ 

Digitized by Google 



- 98 - 



vereinzelte Anekdote hatte sie dort Plnt/ gefunden. Dieser 
Haiberstädter Fastenbrauch ist bei Bohemus ebenfalls er- 
zählt, wenn auch nicht mit den gleichen Worten wie bei 
Enea. Jetzt aber befindet er sich nicht mehr in gleicher 
Vereinzelung. Bohemus gibt vielmclir in einem Zyklus zu- 
sammenhangend die verschiedensten bedeutungsvollen Qe- 
brauche des Volkes, indem ei dabei dem V^crlaufe eines 
Jahres und seiner Feste folgt. Zuweilen d 'hnt er die Gel- 
tung eines solchen Brauches zwar auf ganz Deutschland 
aus; doch schöpft er wohl ausschliesslich aus seinen eige- 
nen Jugenderinnerungerl im Frankenlande. Allein selbst in 
dieser Beschränkung ist seine Darbietung von ausserordent- 
licher Bedeutung, denn niemals vorher sind diese Dinge 
in einem wissenschaftlichen Werke einer solchen umfassen- 
den Behandlung geuiirdigt worden. Natiulicli leitet ihn bei 
seinem Tun in diesem f-alle hauptsächlich die Heiniatliebe 
und pietätvolle Erinnerung an seine fröhliche Jugendzeit; 
aber daneben doch auch wisscnscii aUlu lies Interesse: er will 
- wie er sagt (S. 221) — durch seine Darstellung verhüten, 
dass inhaltlose Fabeleien Fremder für wahr gehalten 
werden. ^1 

Dieser Teil seiner Arbeit ist es, der in neuerer Zeit zu- 
weilen Beachtung gefunden hat,'^ ohne doch in seiner vollen 
kulturhisiorisdien Bedeutung gewürdigt zu sein : er gibt im 
Rahmen des Ganzen' mehr als das andere alles die Berechti- 



14. Im Kap. IRt S. ; vielleicht eine Anspielung auf ein zeit- 
geddssischcs Lileraturwcrk, deren Sinn mir jedoch nicht bekannt ist. 

1">. Vor allem in den kulturgeschichtlichen Darstellungen von 
A. Schultz (der grosse Partieen daraus in Ucbcrsetzung wiedergiebt): 
„Deutsches Leben hn 14. und lö. Jahrhnndert'* lS9i und' neuerdings: 
„Häusliches Leben der Kulturvölker Europas^ 11M)3; dann auch im 
Einzelnen von Karl Weinhol J Beitrag zur Nixenkunde auf Grund 
schlesischcr Sagen", ZeitschriÜ des Ver. f. Volkskunde Jahrgg, 189,*». 
S. 12;); deägl. Eduard Hahn „Demeter und Baut>o", t8üG. Lüb^k. 
Anm. u. V. a. . ' ■ ' 



Digitized by Google 



- - 



gung, hier von einer deutschen Volkskunde zu sprechen. Es 
wird sich daher lohnen, ihn ebenfalls in Ausführlichkeit vvie- 
derzu|TL'b<-'n, wenn auch das einzelne alles schon längst hier 
und da gedruckt und allgemein bekannt geworden ist. 

Den Anfang macht nach Ordnung des Kirchenjahres die 
Adventszeit: in den Nächten der drei Donnerstage, die dem 
Geburtstage des Herrn am nächsten vorausgehen, ziehen 
Kinder beiderlei Geschlechts von Haus zu Haus, klopfen 
an die Türen, singen von der bevorstehenden Ankunft des 
Heilandes und verkünden ein ofesegnctes Jahr; dafür er- 
halten sie von den Hausbewohnern Birnen, Aepfel, Nüsse 
und auch Geld. 

Am Weihnachtstage wird ein Knabcnbildchen, das den 
Neugeborenen darstellen soll, auf dem Altare aufgestellt; 
dann tanzen die Jünglinge und Mädchen im Kreise darum 
ihre Tänze, und die älteren singen dabei in wahrhaft kory- 
bantischer Weise. 

Am 1. Januar, wo das jahi und alle unsciv: Bereeluiung 
beginnt, besuchen die Verwandten und Freunde einander, 
reichen sich die Hand und wünschen sich gegenseitig Se- 
gen im neuen Jahr und verbringen den Tag mit festlicher 
Beglückwünschung und gemeinsamem Trünke. Nach lir- 
alter Sitte «cfaicken sie sich an diesem Tage aucb Geschenke 
— nadi Art der römischen Saturnalitien, der griechischen 
Apophoreta — und hier zitiert Bohemus sich selbst, nach 
seinem Uber heroicus (fot. d. IV.), wo er von der Neu«' 
jahrsbeschenkun£^ singft: 

Und durcih dein Beispiel ermahnt, den Freunden da 
schicken wir Oahen, 
Seis einen fetten Kapaun, oder «in Häslein ins Haus, 



16. „Seniores cantent inorc haud multum ab cü quidcni diverso, 
quo Corybantes olim in Idae montls antro drca Jovem vagicntem 
exultasse fabulantur" $.221. 



/ 

Digitized by Google 



— 100 ^ 

Oder wir geben auch Kuchren, in sinniger Bildform 

gebacken, 

Oder wir schicken im Korb goldener Aepfelchen zehn, 
Goldener Aepklchen zehn, umkränzt mit grünendem 
Buchse, 

Mit wohlriechendem Kraut, köstlich, von mancherlei 

Art. 

Zu Epiphanin«; bereiten sich die einzelnen Familien aus 
Honin-, Mehl, Zimiiit und l'feffcr einen Kuchen und wählen 
sich auf folgende Weise einen König. Die Mutter bäckt einen 
Kuchen, in den sie heim Kneten ohne Berechnunj)^ einen 
Groschen steckt; dann wird er ohne Feuer auf dem heisscn 
Herde getrocknet und in so viele I eile gebrochen, als Men- 
schen in der Familie sind. Schliesslich erhält jeder einzelne 
seinen Teil. Dabei werden auch Teilstucke für Christus, 
die heilige Jungfrau und die drei Weisen bezeichnet, die 
dann als Almosen gespendet werden. In wessen Teilstück 
aber der Groschen gefunden wird, iler wird von allen als 
König bcgrüsst, auf einen Stuhl gesetzt und unter Jubel 
dreimal ni die Höhe gehoben. Er selbst hat dabei ein Stück 
Kreide in der Rechten, mit der er ebenso oft das Zeichen 
des Kreuzes auf die Balken der Zimmerdecke malt. Diese 
Kreuze sollen vor sehr vielen Uebeln schützen; darum wer- 
den sie sehr in Acht genommen. 

In den zwölf Nächten zwischen Weihnacht und Epipha- 
nias wird jedes Haus im Frankenlande mit Weihrauch oder 
einem anderen riechenden Stoffe zum Schutz gegen die Nach- 
stellungien der Teufel und Hexen ausgeräuchert. 

Drei Tage vor Beginn der grossen Fasten verfällt ganz 
Deutschland plötzlich in Raserei: isst und trinkt, spielt und 
scherzt, als ob es morgen sterben müsste und heute noch 
aller Dinge satt werden wollte. Jeder sinnt sich etwas aus, 
durah irgend ein neues Spektakel alle zu belustigen, ihre 
Bewunderung zu erregen. Masken werden vors Gesicht ge- 
tan, damit die Possentreibenden nicht durch Scham gehindert 



Digitized by Google 



— 101 — 



werden ; falsches Geschlecht und falsches Alter w ird vor- 
gespiegelt, Weiber und Männer tauschen ihre Kleider aus. 
Manche wollen Satyre oder bose Teufel darstellen und fär- 
ben sich mit Zinnober oder schwarzer Farbe und entstellen 
sich' mit scheusslicher Tracht. Andere rennen nackt umher und 
spielen die Luperke, wie einst die vornehme Jugend Roms, 
„von der, wie ich glaube, diese Sitte der alljährlichen Rase- 
rei zu uns gekommen ist".'^ Die römischen Jünglinge rann- 
ten ja auch bei der Feier der Luperkalien nackt, das Gesicht 
mit Blut beschmiert, durch die Stadt und schlugen tiu ihmn 
Begegnenden mit Riemen: was jetzt mit Aschsäckcu getan 
wird. 

Am Aschermittwoch werden alle Mädchen, die das Jahr 
hindunrh am Tanze sich beteiligt haben, von den Burschen zu- 
sammen gebracht, gleichsam als Pferde vor einen Pflug ge- 
spannt, und dann mit einem Flötenspieler, der blasend darauf 
sitzt, in den Fluss oder in den See gezogen.^^ „Ich weiss nicht, 
warum das geschieht, wenn nicSit dazu, um sich davon zu 
entsühnen, dass man sich an Petertagen gegen das Gebot 
der Kirche seines Leichtsinns nicht entschlagen hat." 

In der Mitte der Fasten macht die Jugend ^ „in patria 
mea" — aus Stroh ein Gebilde, das den Tod darstellen soll 
und dementsprechend angemalt wird. Auf einer Lanze wird 
diese Puppe unter Gesang in der Nachbarschaft umheige- 
tragen. Dort wird die Gesellschaft teils sehr freundlich auf- 
genommen, mit Milch, Elisen, getrockneten Birnen — „qui- 
bus tum vulgo vesci solemus'* — versehen und heimge- 
schickt, teils aber auch, als Verkünder^von Unheil mit Waffen 
und ScNmpf vertrieben. 



17. Iii ähnlicher Weise wurde im Kap. 11 der Festbrauch der böhmi- 
schen Sekte der Orubenhelmer mit den Bacchanalen verglichen, die 
ursprünglich in Etrurien, dann auch in Rom gefeiert wurden. 

IS. Orimm, Mythologie I 218 u. 522 zitiert dies nur nach Franck, 
Weltbqch 5U . * 



Digitized by Google 



- 102 — 

Gleichzeitig ist auch noch folgender Brauch im Sdiwange: 
Mit Stroh wird ein altes hölzernes Rad umwunden und von 
den Burschen im grossen Haufen auf einen hohen Berg 
gebracht; nacii vei'schiedeneii Spielen, die auf jenem Berg- 
gipfel den ganzen Ta^ über, wenn die Kälte nicht daran hin- 
dert, veranstaltet werden, wird dann j^cj^en Abend das Rad 
angezündet und brennend vom Gipfel lieiai) in.s Tal gerollt. 
Viele, dir dieses stautienerregende Schauspiel nocli nie ge- 
sehen hatten, glaubten, die Spiuie oder der Mond falle vom 
Himmel.»'* 

Zu Ostern werden gemeinhin Kuchen gebacken, von de» 
nen einer, zuweilen zwei — je einer für Knaben und Mäd- 
chen — von einem Reicheren ausgesetzt werden: auf der 
Wiese, wo sich vor Nacht eine grosse Menschenmenge sam« 
melt, wird ein Wettlaufen darum veranstaltet. 

Zur Kirchweibe, die nach kirchlicher Einrichtung jährlich 
mit grosser Freude und ausgemachterweise vom ganzen Gau 
gefeiert wird, zkh'en die Burschen aus den andern Dörfern 
scharenweise hert>ei, nicht um die Kirche, sondern um den 
Tanzplatz aufzusuchen, mit Waffen und Pauken wie zur 
Schlacht, die sie häufig auch finden oder veranlassen; und sie 
kehren oft mit blutigen Köpfen davon heim. 

An den drei Tagen (vor Himmelfahrt), wo nach päpst- 
itcher Verordnung überall auf der Erde grössere Litaneien 
abgehalten werden, kommen an sehr vielen Orten Frankens 
viele „Kreuze'^ (so nennt man die Pfarrgemeinden, denen 
dann das Zeichen des Kreuzes vorgetragen wird) zusammen. 
In der Kirche singen- sie dann nicht alle gemeinschaftlich 
dieselbe Melodie, sondern jede einzelne Gemeinde singt im 
Chore ihre besondere: Mädchen und Junglinge,. sauber ge- 
kleidet, das Haupt mit Laubkränzen geschmückt, mit Wei- 
denstäben in den Händen. Die Priester der Kirchs stehen 



19. Grimm a. a. O. I 522 zitiert dies nach Franck Fol. 5U 
irrtümlich als Fastenbrauch, 



Digitized by Google 



— 103 — 

dabei, aufmerksam auf das Sinj^cn der einzelnen achtend; 
und von welcher OeniL-iiide sie den (iesang" nm lieblichsten 
finden, der sprechen sie nach einer alten Sitte einige Becher 
Wein zu. 

Zu Pfiniijsten {geschieht fast überall folgendes: Alle, die 
Pferde haben, «)der sich eins leihen künn^'n, kommen /us iin- 
men, einer von den fViestern, ebenfalls zu l'ferde, ninitnt 
die Hostie in einem Beutel am Halse hangend mit, und dann 
reiten sie die Grenzen ihres ganzen Ackerlandes ab, sin- 
gen und beten, Oott möge ihre Saaten vor aller Wettersnot 
bewahren. 

Am Si Uii)anstage kommen Winzer auf dem Markte 
oder sonst an einem öffentliclien Platze zusammen, stellen 
einen Tisch auf, belegen ihn mit Tüchern, Laub und vielen 
Kräutern und stellen darauf ein kleines Bildchen des heiligen 
Pontifex. Das bekränzen sie üppig mit Wein und tun ihm 
alle Ehre an, wenn der Tag sonnig ist; wenn es aber regnet, 
dann lassen sie das nicht nur, sondern sie bewerfen es 
mit Lehm und überschütten es mit vieleni Wasser. Sie glauben 
nämlich, dass durch das Wetter und die Vorbedeutung dieses 
einen Tages der Wein, der dann in Blüthe steht, gedeihe 
oder verschlechtert werde. 

• In der Johannisnacht werden in fast allen deutschen Städ- 
ten und Dörfern öffentliche Feuer angefacht, bei denen Alte 
und Junge beiderlei Geschlechts zusammenkommen, singen 
und tanzen. Auch* werden viele abergläubische Gebräuche 
beobachtet: Bekränzt mit Beifuss und Eisenkraut,** in den 
Händen Blumen, die ihrer Aehnlichkeit mit Sporen wegen 
„Rittersporn** genannt werden, schauen sie das Feuer nur 
durch diese hindurch an; sie glauben, dass hierdurch die 
Augen durch das ganze Jahr vorm Krankwerden bewahrt 
werden. — Wer Abschied nehmen will, wirft die Kräuter, 



20. So hat Franck Fol. 51b des Weltbuchs an gleicher Stelle. 
Böhm: „Artemisia et verbena*'. 



Digitized by Google 



• 



— 104 - 

mit d«tten «r umkränzt war» ins Feuer und spricht: „Weg 
damit! Und mit ihm soll all mein Unglfick verbrennen l^^^ 

Auf dem Bergie, der die Stadt WOrzburg überragt, wird 
vor der Burg von den Hofleuten des Bischofs auch ein 
Feuer angesteckt und kleine hölzerne durchlödierte Scheiben 
hineingelegt; wenn diese in Brand geraten sind, werden sie 
au! biegsame Stodce gesteckt und mit Geschicklichkeit und 
Kraft hoch in die Luft über den Main hin geschleudert. Wer 
sie noch niemals sah, hält sie für fliegende feurige Drachen. 

Zur gleicl^n Zeit werden gewisse Topfe hergestellt, die 
durch Löcher so verschlitzt und durchbohrt sind, dass die 
Teile kaum noch zusammenhalten; die Mädchen kaufen sie 
sich, füllen sie mit roten Rosenblättem, stecken ein Licht 
hinein und hängen sie aus dem Giebelfenster als Laterne 
hinaus.-- — Dann bringen auch die Burschen ganze Fichten 
ins Dorf: die unteren Zweige werden abgeschnitten, die 
oberen mit Spiegeln, Glasscheiben, Blumengewinden, glän- 
zendem Goldflitter geschmückt. Dann wird der Baum in 
der Erde befestigt und bieibt den ganzen Sommer hindurch 
so stehen. 

bei der Weinlese wird in Würzburg jedem Weinbauern, 
um einen Betrug bei der Ablieferung des Zehnten zu ver- 
hindern, ein Bursche beigegeben, der fleissi^" anfpasst und 
veranlasst, dass jeder zehnte volle Korb seinem Herrn zuteil 
wird. Nach Beendig^ung der Ernte kommen diese Burschen 
alle auf dem Felde zusammen, machen sich aus Stroh, das 
eigens zu diesem Zwecke herangeschafft wird, jeder eine 
oder zwei Fackeln, beitderen Schein sie dann nachts singend 
in die Stadt einziehen. Sie ^a jen, auf diese Weise entsühnten 
und verbrennten sie den Herbst. 

Die Tage des heiligen Martin und des heiligen Niko- 
laus werden von den Franken sehr fröhlich und feierlich 

21. Bei Qrimm, Mythologie 1 514 f. nach Franck 51b Weltbuch 
zitiert 

72, Bei Qrimm a. O. I. 514 ebenfalls. 



r 

Digitized by Google 



105 - 

begangen, der eine in der Kirche und auf dem Altar, der 
andere auf dem Tisch und in der Küche. Keiner ist so 
arm im ganzen Lande, der nicht am St. Martinsta^^e eine 
fette Cans oder ein Ferkelchen oder ein Kalb zum Schmause 
ha^ der sich da nicht etwas dem Weine hingibt. Denn 
seine neuen Weine, deren er sich bis dahin enthielt, leostet 
da ein jeder und lässt sie Icosten. In Würzbui]^ und anderswo 
wird an diesem Tage auc^i den Armen aus Barmherzigkeit 
Wein gespendet. Oeffentlidie Schaustellungen werden ver- 
anstaltet, zwei oder mehr wütende Eber in einen Kreis ge- 
schlossen, damit sie sich gegenseitig mit ihren Hauern zer- 
reissen. Ihr Fleisch wird, wenn sie an Ihren Wunden zu- 
sammengebrochen sind, teils dem Volk, teils den Behörden 
zugeteilt 

Am St Nicolaustage wählen die Jünglinge, die der Wissen- 
schaften halber die Schule besuchen, drei unter sich aus: 
einen, der den Bischof, zwei, die die Diakonen spielen sollen. 
Jener wird an ebendiesem Tage feierlichst von der Schul- 
gemeinde in die Kirche geführt und leitet (praesidet) dort 
mit einer Binde geschmückt das Hochamt Nach dessen 
Beendigung sammelt er mit Auserwählten von Haus zu Haus 
singend Geld ein; doch leugnen sie, das sei ein Almosen, 
sondern meinen, es sei Unterstützung des Bischofs. 

Am Vorabende dieses Tages werden die Kinder von 
ihren Eltern aufgefordert, zu fasten : sie glauben, dass die 
kleinen Geschenke, die ihnen bei Nacht in ihre dazu unter 
St. Nicolaus kommen. Deshalb fasten sie meist mit solchem 
den Tisch gestellten Schuhe gesteckt werden, vom freigebigen 
Eifer, dass sie zum Essen getrieben werden müssen, weil 
sonst für iiire Gesundheit gefürchtet werden könnte. — 

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Bohemus die Arbeit 
de< Fraters Felix Fabri gekannt hat; sie war zu Ulm in 
mcliiLicn Handschriften vorhanden und auch zugänglich: 
denn Franck hat sie bei seinem Ulmer Aufenthalte excer- 
pieren können, Aber mehr als höchstens äussere Anr^ung 



Digitized by Google 



I 



— 106 — 

hat er doch w.iiil nicht von dem Dotninikaner empfangen.*^ 
Fabri hatte die politische' Verfassung Uhns, den (lew erb- 
fleiss seiner Mitbüi<iej beschrieben; Celtes, dessjn ,,I)escriptio 
Norinibergae" dem Bohcmus bekannt war,-' hatte ein recht 
farbenreiclks Bild vom L^ben und Treiben einer Grossstadt 
entworfen; Natidents hatte die drei oberen Stände in ihrer 
Eigenart charakterisiert; hier aber bei Bohemus ist die Schil- 
derung systematisch auf das ganze deutsche Volk ausge- 
dehnt. Offenbar hat Enea Silvio mit seinem universalen Hori- 
zont, mit seinem vielseitigen Interesse den führenden Ein- 
fluss ausgeübt Aber die wenigen Anekdoten, die Enea vom 
deutschen Rechtsleben und aus ähnlichen Gebieten erzählte, 
oder die drei Sagen Fabris, oder die Berichte von Sage 
und Aberglaube, die Irenicus gab in seinem Eifer, nichts 
Erreichbares zu übergehen : diese Beispiele alle erklären doch 
nicht den Umfang der neuen Volkskunde. Keiner sprach 
je in einer wissenschaftlichen Darstellung in solcher Aus- 
dehnung von den Formen des täglichen Lebens, von den 
Gewohnheiten und symbolischen Gebräuchen seines Volkes, 
wie es hier geschehen. 

Wie Konrad Celtes hat Bohemus durch Autopsie die 
Verschiedenheit im Leben der einzelnen deutschen Stämme 
kennen und erkennen gelernt, wenn auch in geringerem 
Masse: nur Franken, Schwaben und Sachsen. Wie Felix 
Fabri hat er durch die Bekanntschaft mit den alten und 
mit fremden Völkertypen — so von der Völkerkunde aus- 
gehend — gelernt, die Lebensformen seiner Umgebung, seiner 
Zeit in Parallele zu stellen mit den sonderbaren Gebräuchen 
der exotischen Völker, mit den allvertrauten Formen des 
antiken Lehens. Und er hat dies getan nicht nur durch 
äusserliche AngUederung des Neuen an Altes, des Seibst- 



23. Ooldast a. a. O. übertreibt das Abhängigkeitsverhäitnis.. 
154VJ mit den Qu. libri amor. erschienen, woraus B. Kap. 1*2 
„Igennania generalis" zitiert. 



Digitized by Google 



- 107 — 



crlcbttii an das Gelernte, des Fremden an Heimisches, son- 
dern auch indem er es vergleichsweise in Beziehung setzt: 
so brauclit man nicht im Auslande zu suchen, um einen 
Propheten der vergleichenden Volkskunde zu finden. Frei- 
lich hat Hohemus sicher nicht <;e\vusst, welches die ganz 
besondere Bedeutung tlieser seiner Zusa:iinit n^teliungen war, 
er hat sich aller w fitergehenden Schlüsse enthalten und hat 
nicht einmal systt inatisch als trg.-hnis die Unterscheidung 
bestiniuri ausgeprägter Vulksiudividualitäteu gewagt. At^er 
mau wird doch inuncrhui üicht verkennen können, dass bei 
ihm eine wesentlich andere Leistung \orlijgt, als bei allem 
vor ihm Gegebenen. Auf deiTi Boden des i iuuianisuius war 
hier «ine deutsche Volkskunde erwachsen. 



25. Wie oben R. Ai Meyer von Montaigne S. 18. 



Digitized by Google 



Drittes Kapitel. 
EInwirkNRO der Reformation auf die Voli(skunde. 

8 ^• 

Im dritten Jahrzehnt des sechzehnten Jahriiunderts war 
das Leben und die Literatur Deutschlands vollkomroen be- 
herrscht durch die Reformation. Wer darnach das deutsche 
Volk in seiner Kulturentwkklung schikiern wollte, durfte 
schon nicht mehr es mit der Urzeit, mit dem Mittelalter 
und mit der Epoche Maximilians bewenden lassen, sondern 
er musste eine neue Periode anzeigen, die mit dem Auf- 
treten Luthers begann^ und das bis dahin wenigstens doch 
in geistlkher Beziehung einheitlich geleitete Volk in immer 
neue Parteiungen und Sekten zerriss. Durch die Spaltungen 
aber und durch die damit verbundenen gegenseitigen Bekäm- 
pfungen wurde der BIfek — kritisch — gerichtet auf man- 
cherlei, was vorher als allgemein und selbstverständlich einer 
Betrachtung sich entzogen hatte. 

Ehemals hatte Johannes Stammler, Priester in Kissingen, 
die Religionen und Rehgionsgebräuche der Tartaren, Sara- 
zenen, Türken, Juden und Heiden mit dvu Fnrmen des christ- 
lichen Glaubens und Lebens verglichen- und hattv; in einem 
„Vorwort quasi Germant Freidanck et Truiecart ad lectorem" 

t. Wolf^aiig Richard z. B. datiert 162-2. „anno ab adventu Spiri- 
tus Heliae IV**; das wurde von Magenbuch nachgeahmt; „qiiod 
et Martino arrisit". Th. Keim in „Wol^. Richard" a. a. O. 

2 ,,Dialogus de diversarum gendum sectis et mundi rel^ionibus." 



Digitized by Google 



sein I Vtcil gesprochen : „Wahrlich die Welt ist wol ein Vogcl- 
hauss, und sitzen mertails Narren darinn." Alle Narrheit 
*nber fand er hei den l^ngläub}>ft'n ; der Katholizismus war 
heilig und über alle Kritik erhaben. Das musste anders 
werden, als dicht bei einander im engen R mm die ver- 
schiedensten Arten der Rciigionsübung in Geltung kamen; 
zugleich mit dem Vorurteil von der Notwendigkeit und End- 
gültigkeit des Katholizismus war eine gewichtige Fessel d«r 
Volkskunde gefallen. 

Noch mehr für die Volkskunde bedeutend ist der aus- 
gesprochene demokratische Zug, der die ganze Zeit und 
besonders die Reformationsbewegung bestimmt. Es war üb- 
lich gewesen, wie es Nauclerus in seiner Chronik getan, 
dass Kleriker an dem Leben der Adligen ihre Kritik übten, 
wie umgekehrt auch der Klerus Gegenstand kritischer Be- 
leuchtung von Seiteri der Vertreter des Ritterstandes oder 
der freien Literaten geworden. Der Bauernstand aber war 
für Nauckriis noch nicht da. Nun aber trat er offen auf 
die Weltbühne, in den Mitteipunict des Interesses. Luther 
stellte die Kirche auf den Boden des allgemeinen Prlester- 
tums; Geistlichkeit und Obrigkeit war verordnet, für das Heil 
des armen Kunzen 'm soiigen. Noch weiter gingen die Bauern* 
Propheten ; denen waren die ungebildeten, frommen und ein- 
fältigen Bauern die eigentlichen erleuchteten Kinder Got- 
tes,' die stolzen, grausamen Ritter und Herren aber, die 
geizigen, protzenden Kaufleute und die spitzfindigen, eitlen 
Gelehrten des Teufels Beute. 

Die Produktionen der Gelehrten spiegeln auch diese Ten- 
denzen der Zeit getreulich wieder. In der ungelehrten Litera- 
tur war ja schon lange das volkstümliche Element stark 
vertreten; nun kam auch in der Wissenschaft durch Johannes 



s. Darilber besonders: Friedr. v. fiezokl: »Die »armen Leute*' 
und die LIterattir des spateren Mittelalters'«. Hist Zdtschr. Bd. 41 
1879. S. 2 fi 



- ilO - 

BoheiDus, der noch nicht an dem Ideenkreise der R^for- 
matioii teilhatte, das bäuerliche Standesgefühl wesentlich be- 
stiinrnend zu Worte. Vor ihm hatte ein Heinrich Bebel die 
erste Sammlung deutscher Sprichwörter — der Weisheit des 
einfachen Volkes — nn «gelegt, und durch eben eine solche, 
die grösste, die es damals jj^ab, erwarb sich Sebastian Franck 
hohen Ruhm: er ist es, an dt-ni die Hedeutunf{ der reforma- 
torischen Zeitstr()mun{^ lui die Volkskunde olfenbar wird. 

Sebastian Franck verkehrte im Jahre 1527 als evangelischer 
Fruhmetter im Hause des Pfarrers Andreas Althamer, des 
jüngeren Freundes Böhms, zu Gustenfelden bA Nürnberg, 
ehe er im folg<enden Jahre diese Stellung aufgab, um fortan 
ein ungebundenes Schriftstellerleben von umfangreichster 
Produktivität 2U führen. Es liegt auf der Hand, dass der 
fleissige und gelehrte ^Humanist hier im Hause des ange- 
sehenen Altertumsforschers im besonderen wohl auch das 
Buch „Omnium genthim mores" — zu dem Althamer ja eine 
Oeleitepistel verfasst hatte — kennen lernte und daraus die 
wichtigsten Anr^ungen zu eigener Tätigkeit erhielt* Des- 
gleichen wurde ihm Felix Fabris Traktat über die Stadt 
Ulm wohl schon früh bekannt: 1533 im Sommer setzte sich 

4. Dies bildet ciiu' notwendige Ergänzunp^ /ii dem sorgf;iIti;qfen 
Bilde, das hr. Wemkauff in der „Alemannia" Hd. V VII von der 
Entwicklung Francks gezeichnet hat. Dort wird auch die volks- 
kundlichc Bedeutung Francks ausfährlich erörtert (Bd. VII, S. 27—40), 
ohne dass der Name Job. Bohemus auch nur ein einziges Mal 
genannt würde. tine Stelk' in Francks „Chronicrj, 7eitbuch und 
Geschiclitsbibcl** von 1531 legt übrigens die Vermutung nahe, dass 
Franck vielleicht sogar Böhm selber kennen gelernt hat. Daselbst 
Fol. 474b erzählt er mit Entrüstung von der Verkommenheit des 
beutschlu t rnordens: . . . „ja an etlichen Orten hat mich eyn ordens- 
mann diss ordons bericht, hnfien sie darumb die Kirchen von neuwem 
weissen lassen, das mit tiiimpf der Burger Wappen herauskeinen". 
„. . Und wie mich der erst gcmellt bericht, haben sie an etlichen 
Orten die Spital abgebrochen . . " — Ein ritterlicher Ordensbruder 
wenigstens wird ihm diese Mitteilungen schwerlich gemacht haben, 
die ganz in Böhms Gesinnung gehalten sind. 



Digitized by Google 



~ III 



Franck vorübergehend in Ulm fest, und auch schon in Nürn- 
berg, wo er hl den Kreisen der Humanisten und Künstler 
verkehrte, mag ihm eine Abschrift der Heimatkunde jenes 
Mönches in die Hand gefallen sein/' 

Nicht nur durch äussere Anregungen, sondern vor allem 
durch eigene Veranlagung war Kranck praedestiniert zu volks- 
kundhchen Leistungen. Aus geringem Stande geboren, ver- 
lor er nie den Sinn für das heimische deutsche W^sen, 
wenn er auch von früh auf eine gute gelehrt.' Bildung -er- 
fuhr, und s(i umfassend auch seine Beherrschung humanisti- 
scher r^is/iplineii, seine theologischen Studien waren. Wie 
er in früher Jug>.'ii(l im Wirtshause seines Oheims /u Nörd- 
lingen das Lebjn und Treiben an der Landstrasse kennen 
gelernt haben mag, so zog er aLs Mann beständig im Lande 
umher, hauptsächlich in Schwaben, als Huchhändler oder 
als Seifensieder, und brachte so einen grossen Teil seines 
Lebens gemeinsam mit dem niederen Volke zu. Und wenn 
er auch aus dieser intimen Kenntnis des ungebildeten Land- 
und Stadtvolkes schliesslich eine tiefe Verachtung der ttr- 
teilslosen, leichtverföhrten JV^enge gewann, so galt sie doch 
mehr der menschlichen Schwäche und Schlechtigkeit im all* 
gemeinen, als gerade den verhältnismässig einfach schlechten 
Ungebildeten, die seinem Herzen um Vieles näher standen 
als die Mächtigen und Klugen dieser Welt, die all Ihre 
feinen Künste und grossen Kräfte auch nur zum Bösen üben; 
aus allem seinem Schelten auf den wankelmütigen „Bofel*^ 
klingt doch mehr Mitleid und die grosse aus seiner Weltan- 
schauung entspringende göttliche Traurigkeit, als arlstokra* 
ttscher Hochmut So wählt er auch für »eine Schriftstellerel 
die deutsche Sprache; und seine ganze Lebenstatigkeit ist 
der Verbreitung von Aufklärung unter den gemeinen Leuten 



5. Dr. Hartmann Schedel z. B. hatte dort noch vor \W2 zwei 
Abschriften davon angefertigt: G. Veesenmeyer in seiner Ausgabe des 
Tradahis de ctv. Ulm. 1889. Vomde S. VI. f. 



Digitized by Google 



— 112 — 



gewidmet, im Ocßcnsatz zu den stolzen Humanisten, die 
ihre Muttersprache verschmähten und mi csotcrisch'^n Zirkel 
die Wissenschaften um ihrer selbst willen pflegten. 

Wenn Franck nun neben der Historie und Geographie 
auch Volkskunde popuiarisiertL% so war allein durch den 
Gebrauch der deutschen Sprache ein beträchtlicher Fortschritt 
dieses neuen \X isst ns/weiges gegeben; abgfesehen davon, 
dass nun jedermann von dem Lesen her lernen konnte, auf 
volkstümliche Dinge zu achten und nach dem gegebenen 
Bcisiuele die Kunde zu fördern, so wurde doch besonders 
dadurch direkt erreicht, dass die teilten Formen des Volks- 
lebens fixiert werden konnten, unverfälscht durch Latinisie- 
rung der hergebrachten, charakteristischen Ausdrücke. 

Wi-e Sebastian Francks Geschichtsschreibung nur aus 
dem Charakter seiner religiösen Stellung zu verstehen ist,*^ 
so ist es auch mit seiner Volicsicunde: beides sind nur Einzel- 
arten seiner religiösen Schriftstellerci im weitesten Sinne. 

Bohemus war zu seiner Arbeit aus reiner Freude an 
ihren Gegenständen geicommen. Nur ganz selten verliess ihn 
die ruhige Sachlichkeit Angenehm und nützlich erschien ihm 
die Kenntnis der Sitten, Religionen, Staatsformen, Gesetze, 
Einrichtungen der verschiedenen Völker, nützlich zur Erwei- 
terung des Gesichtskreises und deshalb besonders denjenigen 
zu empfehlen, die zur Verwaltung und Regierung eines Volkes 
berufen sind (Widmungsepistel). Und durch seine Neben- 
einanderstellung der alten und neuen Zustände glaubte er 
den grossen Fortschritt in der allgemeinen Kutturentwickiung 
dargetan zu haben.' 

Sebastian Franck schreibt seine Bücher unter dem Gebot 
der Pflicht; das Gefiihl der Verantwortlichkeit des berufenen 



6. Das zeigte Hermann Oncken: „Seb. Franck als Oeschichts- 
Schreiber." Hist Zeitsciir. Bd. & 8a5ff. 

7. Praefatio: „cognoscas, quam pulchre et feliciter hodie, quain 
item inciUte et simtiUcUer olim pdml mortaUum . . vixerint 



Digitized by Google 



^ 113 - 

Publizisten zwingt ihn, sich auch mit Stoffen zu befassen, 
die ihm an sich keine Freude maclicn. „Ich mag die Super- 
stition der törichten üentilitat nit alle erzählen, von ihren 
gräulichen Gottesdiensten und Ceremonien" (Germ. Chron. 
Fol. V). Aber: „Weil kein Mensch ihm selber geboren sein 
soll, sondern je einer dem andern leben soll,, hab ich mit 
diesem dem gemeinen Nutzen wollen dienen, und ja an 
dem Bau des gemeinen Nutzens diese meine Steine wollen 
tragen. Wer mehr hat und besser kann, der geb mehr und 
thu es besser." ^ »Der Welt und Länder Leben, Wesen, 
Glauben und Rcgiiuent anzuzeigen, wie in mannigfaltige Sek- 
ten die wüste, wilde, finstere Welt zerteilt und zerrissen sei, 
sodass schier so viele Glauben und Gottesdienste sind, wie 
viele VÖli(er, Länder, ja Städte und Köpfe: diesen Jamm«r 
zu beweinen und der blinden, törichten W<elt ihr blindes 
Tappen, Fehlgreifen und Scharmützeln, ja ihren Narrenkolbe^ 
um den Kopf zu schlagen, hab ich diese Arbeit für die 
Hand genommen, ob wir doch «inmal verständen, warum 
Christus die Welt eine Finsternis und des Teufels E^ich 
nenne/' (W<eltbuch Fol. III.) Und: „Dies alles stell ich 
der Welt vor die Augen, nit darum, dass ich' verhoff, dass 
sie sich w«rde sagen lassen, und dem treuen Eckard folgen, 
wohl wissend, dass sie zu der Wahrheit kein Ohr hat und 
ihr weder zu raten noch zu helfen ist . . . Sondern darum 
sag und -erzähle ich dies, ihr zum Zeugnis, über ihren Kopf, 
dass sie hören muss (atier nicht glaul>en), was für eine 
schöne Tanztochter sie sei ... Darum ist mit der Welt 
nichts anzufangen, sie ist zu allen guten Werken verderbt 
und untüchtig, nichts als eitel Unkraut. Darum schweige 
nur jedejmann und mache sich selbst (sich selbst hierin 



8. Oenii. cbron. 1538 Fol. 206b; zu veiglelchen auch: Welt- 
buch 1534. Fol 163b. und Sprichwörter II. 57. Auch: „Einer soll 
des andern Fusstritt (= Staffel, gradus) sein": Chronik Fol. 93a. 



Digitized by Google 



^ 114 — 

betrügend) keine vergebliche Hoffnung, er wolle etwas rechts 
mit der Welt anfangen oder ausrichten. Hilf Gott, sie höret 
nichts, wie alle Schrift zeuget, es ist alles den Tauben ge- 
siino-en, in den Wind gesät und n-e«;chlagen, und die edel 
feinen Perlen Wahrheit verschüttet und vor die Säue und 
Hunde verstreuet. Will man aber je reden oder schreiben 
aus Gott, so sag man ihr alles allein /um Zeugnis über 
ihren Kopf, und nit zur Besserung'' (Weltbuch Fol. 157). 
— Dieser Hoffnungslosigkeit zu trotz schrieb er doch Buch 
um Buch. 

Ethische Tendenzen herrschen also, wie es dem Zeit- 
alter der Reformation angemessen war, hei F'ranck vor. Wenn 
aber dennoch bei seiner Arbeit von wissenschaftlicher Be- 
diutung auf dem Gebiete der Historiographie und Geo- 
graphie-' - und fiir die Volkskunde gilt genau dasselbe 

die Rede sein kann, so kommt es daher, dass erstens 
seine Ehrlichkeit noch über seinem geistlichen Eifer steht, 
dass er glaubt, die O-ewissen wecken zu können gerade 
dUFCh Zeigen der Wahrheit: nicht nur wie die Geschidite, 
sondern auch wie das gegenwärtige Leben sich abspielt, 
sodass er trotz aller Ironie nie wissentlich' fälscht; und dass 
zweitens ein stark!es wissenschaftliches Interesse ihn wie zur 
Oesdiichte gerade zu den lander- und völkerkundlichen Stof- 
fen zieht. Nie freilich geht er so ganz in seinem Gegenstände 
unter, wie seine emsigen Vorganger in der Weltgeschichts- 
beschreibung, sondern immer wieder bricht sein subjektives 
-Oefühl hervor — ,,wer sollte da nicht weinen, wer sollte da 
-nicht lachen!" — und immer wieder muss er sich selbst 
daran erinnern, dass objektive Darstellung zu geben sei: 
„Nun wir wollen ihrer (sc. des Papsttums) nicht spotten, 
und ihren Glauben und Ordnung emstlich erzählen", „Nun 
wir wollen emstlich daran" (Weltbuch 126b). . 



9. Darüber R. Oosdie: S. F. als Geograph. Zeitsdir. fOr allgem 
Erdkunde. Bd. I. 1853. 



Digitized by Google 



- 115 - 



Durch die Onindabsicht seiner Arbeit wird die Auswahl 
des Stoffes beschränkt: nicht jedes Cjcbici der wissenschaft- 
lichen Darstellung erscheint ihm gleich nüt/Hch /ur Errei- 
chung des Hauptzwecks. Er wendet sich mit Unw illen gegen 
die fleissige aber weltfremde Oelehrtenarheit der Pirckhei- 
mer, Beatus Rhciianus etc., die in Aitcf tuniskunde und Na- 
menforschung leben, deren Notwendigkeit er zwar zugibt: 
„jedoch wollte ich, dass man nit ewig in diesen Dingen 
und unnötigen, doch feinen Stücken ^Iso grüble und suche und 
dabei das Nötigste, ja das allein Not ist, vergesse, nämlich' 
Mariae Teil: au! Oottes Wort und Weric sehen, was er 
uns damit anvertraut und angezeigt haben will, und nit also 
ewig in Wortkriegen liegen von den eitlen Namen der Dinge; 
nit in den Naturen und Ursachen aller (EinzeU) Dinge, warum 
eine Laus sechs Füsse und eine Kuh nur vier habe und doch 
viel grösser sei, warum das Meer auf- und anlaufe etc/' 
(WeHbuch Fol. 23.) — Nicht mit Cinzelforschung also will 
er sich befassen, sondern mit den grossen Zusammenhängen ; 
und für diese Art der Arbeit bringt er eine neue und lebens- 
volle Anschauung mit, die man bei seinen Vorgängern ver- 
geblich suchen würde, und die den Wert seiner Leistung 
bestimmt; wie denn Ja darin Francks Bedeutung überhaupt 
besteht, „dass er durch die Ideen dieser deutschen Reform- 
zeit Leben und Zusammenhang in den geschichtlichen Stoff 
der Chroniken brachte**,*"^ 

Seit Enea Silvio ist Franck der erste echte Jünger Stra- 
bos in der Geographie, und so sucht er in der Volkskunde 
zunächst den Zusammenhang zwischen dem Erdboden und 
seinen Bewohnern aufzuzeigen: „weich Land, milder Him- 
mel, weich Gemüt" (Chron. germ. VI. Vorr.). Damit hängt 
zusammen, dass „jedes Land, wie vor andern sein eygen 
Oabe und UrteU, also sein eigenes angeborenes (vielleicht 



10. W. Dilthev : „Auffassung und Analyse des Menschen im 15. 
u. 16. Jht" Arcliiv Mr Geschichte der PhUosophie^ Bd. V. S. aoa 



Digitized by Google 



— 116 — 



Influenz des Himmels) Laster hat" : „ländlich sittlich'^ (Chron. 
gcrm. V.).ii ! 

Auch ßohemus hatte — nach dem Vorgange Herodots 
— allgemeine Prinzipien aufgestellt: „In glücklich gelegenen 
Gegenden ist alles friedlich, in trübseligen kriegerisch und 
männlich." (Lib. Iii. C^ap. 1.) Aber so etwas blieb bei ihm 
doch nur einfache Lesefruch^ die hinübergenommen wurde, 
wie Notizen tatsächlichen Gehaltes. So findet sich denn bei 
ihm als Erklärungsgrund für die Verschiedenheit der Spra* 
eben und Sitten zugleich auch : die allzu frühzeitige Trennung 
der Sohne Noä und ihres Geschlechts von dem Stammvater 
und sei|ier guten Zucht (Lib. I. Cap. 1). Bei Franck aber, 
das Ist der wesentliche Unterschied zwischen beiden, sind 
gerade sokhe theoretische Erkenntnisse die Träger der ganzen 
Darstellung. 

Die Einzelformen der Menschenarten sind nicht der eigent- 
liche Gegenstand seiner Betrachtung, dl? demnach nicht bei 
der rein deskriptiven Völker- und Länderkiiiuli- stehen bleiben 
will; sondern hinter den nach äusseren Liiitlüssen verschie- 
denen Formen sieht er eine aligemeine Menschheit mit we- 
sentlich sich gleichen Zügen: „Die Länder verkehren sich 
wohl nm Haare, Stimme, Kleidung, Sprache, aber nit am 
Gemüt; wer eine Stadt siclict, der si?het sie alle, ja die 
ganze Welt. Was der Türke in seiner Kleidung, Manier, 
Sprache sucht, redet und tut, das sucht, redet und tut der 
Deutsehe, hranzosc etc. in der seinen. Wie Eva in allen 
Weibern, so ist ^mii böser Mensch Adam in allen Menschen 
. . . So wenig wir einander gleich sehn unter Augen, so 
gleich sehen wir alle einander im Ciemüt" ((ierm. ehron. Vorr. 
V). Arn Masse dieses Begriffs der allgemeinen Mensehheit, 
nicht in tlcni Stande der Süiuh-, darin sie sich befindet, 
sondern in dem Stande der Gotteskindschatt, darin sie sein 

11. Zu veigleichen auch Weltbuch Fol. 58b: „(Die Sachsen) 
haben eine eigne Zung und Gestalt nach des Himmels Einfluss." 



Digitized by Google 



— 117 — 



sollte, werden nun alle die bes^ond^ren Lebens- und Denk- 
forincri der vcrsfliiedeiit-n Völkei und Individuen gfemessen, 
und sie verlieren dabei jeden objektiven Wert: alles Zeit- 
liche ist eitel. Wie das Szepter der W-Itlierrseliaft unter 
den'Völkern der Erde umgeht gleich dem Glücksrade (Welt- 
buch Fol. 52b), so wechseln die Staatsforinen, Relij^ionen 
und Kulturen (Oerm. (Jhron. Fol. Hbf.), und vom l'ebel 
ist der Wort^daube der Türken wie der Christen, der Lutheri- 
schen wie der Papisten. Darum tritt Franck mit der Vor- 
urteilslosigkeit eines Fremden an die Institutionen seiner Hei- 
mat, an die Anschauungen seiner Zeitgenossen heran und 
übt so eine Kritik des gesunden Menschenverstandes, vor 
der so leicht nichts standhält. „W-enn ich mich an eines 
Heiden (oder Juden) Statt stelle, so will mich bedünken, 
sie spotten . . (Wjitbuch 126 b). „Ich wollt, du setztest 
die Gewohnheit auf ein Ort, und setztest dich eine Weile 
ernstlich an eines Juden oder Heiden Statt, unsem Glauben 
fleissig anzusehen und gegen das neue Testament zu halten: 
Gott, wo du dich da nicht wirst kreuzigen . . /' 

So universalistisch und kosmopolitisch at>er auch Francks 
Weltanschauung ist, steht ihm übrigens doch das deutsche 
Volk hoch über allen Völkern: „Ja, wo die Deutschen ihren 
eigenen Reichtum wüssten und sich selbst verstünden, was 
sie im Wappen führten, sie wurden keinem Volk zwar wei- 
chen und w ie um kein Stück Brot, also auch um keine Gnad, 
Rat, Tat, Weisheit, Lehre, Verstand zu (inad und Füssen 
fallen'' (Oerm. Chron. Vorr. Ib). Diese Liebe und Ver- 
ehrung jed( Ii veranlasst ihn nur zu umso härterem Schelten. 

Es ist also nicht der alles Erreichbare zusammentragende 
üelehrtenfleiss, nicht patriotisclier Stolz auf alles Vaterlän- 
dische wie bei Irenicus, es ist nicht die pietätvolle Sorgfalt 
eines Rohemus, was Sebastian Franck bestimmt, in seinen 
Chroniken auch volkskundliche Kleiniifkeiten der nfrosscn Ci?- 
schichte beizufügen. Wie oft auch im ein/ 'Inen vielleicht 
das ein« oder das andere dieser Motive mitgesprochen hat. 



Digitized by Google 



4 



— 118 — 



in dt. Hauptsache ist doch massg-ehend dazu geworden seine 
Lrkenntms — die -er als erster in solch klarer Weise erfasst 
und betätigt hat — , dass gleich den Staats- und Kirchen- 
foiiiicn, gleich der politischen Oescliiehte und Wirtschafts- 
weise auch die alltäglichen Lebensgewohnh jiten der Volks- 
masse dienlich und wichtig sind zur Erforschung des Cha- 
rakters eines Volkes und, durch Vergleichung der Völker, 
weiterhin der Menschheit. Und insofern würde ihm aller- 
dings das Verdienst zugesprochen werdjn müssen, als erster 
mit vollem Kewusstscin wissenschaftliche Volkskunde getrie- 
ben zu haben. 

§ 2. 

In drei Büchern nimmt Franclc Veranlassung^, sich mit 
dem deutschen Volke wissenschaftlich zu beschäfti|$en. In 
seinem ersten historischen Werke, der Oeschichtbibel von 
1531, geht seine Betrachtung aber von zu eng bestimmten 
Gesichtspunkten aus, als dass er zur eigentlichen Volks* 
künde käme. Wähipend auch das letzte der drei, das „Chro- 
nicon Oermaniae" von 1538 ausschliesslich Geschichte bringt, 
bietet ihm das „Weltbuch" 1534 Gelegenheit, vergleichende 
Völkerkunde und Volkskunde in dem Sinne Enea Silvios 
und Böhms zu treiben. Schon in der Vorrede zur Geschichts« 
bibel kündigt er sie an : „Derbalben, so ich sehe und empfin- 
de, dass dir diese meine mühsälige Arbeit nutz oder ange- 
nehm wird sein, will ich in einer sondern Chronik mit der 
Zelt wills Gott hinnach schicken, was auch andere Nationen 
für seltsame Glauben, Sitten und Ceremonieen haben in all 
ihrem Wesen, auch Gelegenheit und Beschreibung des gan- 
zen Erdbodens, Asiae, Africae und Europae, deren darin 
gelq^en Länder und Völker, Eigenschaft, Glauben, Religi- 
onen, Sitten, Ceremonieen, I^olliceien, Regimenten, Kriegen, 
Oesetzen, Gewerben, Bräuchen, Flüssen, Früchten, Kleidun- 
gen, Gebäuden,- Künsten, Gestalten, Leben etc. und nit allein 



Digitized by Google 



— 119 — 



der Länder sondern auch der Völker darin mit all ihrem 
Tun und Lassen ... nit allein unserer Nachbarn und An- 
stösser der Böhm«n, Ungarn . . . sondern auch in Asia und 
Africa ..." 

im Jahre 1534. erschien dann das Weltbucfa, zum ersten 
Male in d<eutscher Sprache eine Darstellung des gesamten 
Wissens der Zeit von der Erde und ihren Völkern bietend, 
von höchster Bedeutung für die Verbreitung alter und neu- 
gewonnener Kenntnisse. In dem vorangestellten Autoren- 
verzeichnis stehen neben den alten Römern und Griechen, 
Kirchenvätern und mittelalterlichen Chronisten^ auch die 
neuesten Geographen und Historiker: nach Enea Silvio und 
Flavio Blondo Pirckheimer, Beatus Rhenanus, Petrus Api- 
anus, Christoph Columbus, Amerigo Vespucci, Ferdinand 
Cortez, Lorenz Friess, Sebastian IViänster und vor allem 
an vierter Stelle genannt — „Joannes Aubanus Boemiis", 
Nicht nur hier, sondern auch im Text späterhin wird dieser 
letzte als Quelle genannt- und oft auch ohne dies mancher 
Absatz in wörtlicher Uebersetzung aus den „omnium gen- 
tium mores** herübergenommen, ohne dass doch dieser Buch- 
titel angeführt wird: also konnte er wohl ebenso als all- 
gemein bekannt vorausgesetzt werden, wie die Werke der 
genannten Grossen. 

Ganz besonders hei Schilderung der modernen Deutschen 
liegt ihm die Darstelluii^ des Rohem iis' iw Grunde. — :,Von 
dem jetzigen Stande der Deutschen, den wir vor Augen 
sehen, darf ich uns Deutschen nit viel sehreiben, denn die 
Erfahrung lehret -es, dazu macht die tägliche Veränderung 

1. Darunter z. B. „Chronica Herr Jacobs Kirchherr zu Trusen- 
heim, Anno 1386 beschrieben allermeist von Strassburg und Elsass", 
die Franck zu Strassbuig im Manuskript kennen gderat liatie, wie 

zu Ulm den Traktat Felix Fabris. 

2. Fol. 7, 14b, 42. IST, 234b. 

;;. Ausser Lib. III Kap. 12-17 auch Üb. II Kap. 12; »De Christianls 
eorumque origine et ntibus. 



Digitized by Google 



- 120 — 



der Sitten, Reicfa-e, Glauben, Religion» Pollizeicn u. s. w., 
dass man nichts Gewisses, ob man gleich wollte, davon 
schreiben mag'' (Fol. 45 und 47). „Nit viel'' also: aber 
doch geht er in manchem über sein Vorbild sogar hinaus. 

Von der Kleidung, Nahrung, Wohnung, Beschäftigung, 
sozialen Gliederung, sagt er im grossen und ganzen das- 
selbe wie Bobemus, doch wird er im einzelnen oft aus- 
' fuhrlicher, wie er z. B. fol. 137b die Kirche beschreibt: mit 
Pfeilern, Orgeln, Marmor, Gold und Silber, mit köstlichen 
Altären, Bildern, Ampeln, Leuchtern, Schilden, Helmen, der 
Chor vom Schiffe getrennt, daran die Sakristei, der Glocken- 
turm, ringsherum der Friedhof mit den Gräbern» Die allge- 
meine Charakteristik des deutschen Volkes weist originale 
Züge auf. — Nach ilcm gegebenen Schema werden auch 
hier erst die Dcutsclien im ganzen, dann die einzelnen Stäm- 
me behandelt, und in jedem Falle wieder erst die alten 
Zustände, dann die neuen: da aber setzt Franck eine aller- 
neuste Epoche an, die mit dem Jahre 1520 beginnt und 
Deutschland aus der ehemals einheitlichen Leitung durch 
die Geistlichkeit befreit und in wohl zehn verschiedene Glau- 
benssekten zerrissen hat (fol. 44). 

Im Abschnitt Franken" (f'»l. 4Qh ff.) gibt Franck zunächst 
die wirtschnftsgeographischcii ujid volksrharakterislischeii No- 
tizen des Bohemus wieder, auch die Gebräuche beim Ein- 
tritt des neuen Wür/bur^er Bischofs, beim Amtsantritt des 
neuen üoniprobstes. Dann fährt er fort: „Sie haben viel 
seltsame Bräurhe, ciie ich darum erzählen will, dass man 
dies, so von Au^la^dern gesagt wird, desto eher glauben 
wird, und dass wir nit wähnen, die Juden, Türken, Heiden 
etc. seien allein Narren, weil wir wohl so thörichte Bräuche 
vor der Thür in unsern Landen haben, und dennoch ( bristen 
wollen sein."^ Nach diesen Worten wiederholt er die Er- 



4. Zu verj^leichcn sind hiermit die Worte, durch die Bohemus 
den gleichen AbschniU einleitete. 5. 9« oben. 



Digitized by Google 



— 121 — 



Zählung des Bohcmus — einiges jedoch sich für später auf- 
sparend — in gleicher Weise dem Laufe eines Jahres fol- 
gend; aus eigener Erfahrung gibt er hier noch seinerseits 
Variationen und Erweiterungen dazu.^ 

So ziehen in dän Weihnaditstagen die Knechte und ledigen 
OeseUen auf dem Lande herum durch die ganze Nacht vor 
den Häusern — auch an etlichen Orten in den Städten — 
und singen die Leute an, „mit grosser Heuchelei," loben 
den Hausvater und sein Qesinde von Fuss auf und ersammeln 
mit ihrem Heudieln viel Geld. Etliche von ihnen ziehen 
herum durch das ganze Land mit einem Olöcklein, läuten 
und singen, für ein Gotteshaus sammelnd. 

In den zwölf Nächten zwischen Weihnacht und der drei 
Könige Tag hat man grosse Acht, wie das Wetter der zwölf 
Tage ist: also soll ein jeder Monat im Jahr das Wetter ha« 
ben, von denen jeder seinen eigenen zugerechneten Tag hat: 
der erste Monat den ersten Tag, der zweite Monat den zwei- 
ten Tag u. s. w. 

Das Pflugziehen zu Aschermittwoch wird in einigen Or- 
ten so gehandbabt: man zieht einen Pflug, auf dem ein 
meisterliches Feuer angemacht ist; sodass er in Brand gerät, 
bis er zu Trümmern fällt. 

Auch hält man zu vieren ein Leinentuch bei den vier 
Zipfeln. Darauf legt man eine Strohpuppe, die mit Hosen, 
Wams und Larve wie ein toter Mann ausstaffiert ist; die 
schwingt man dann mit den vier Zipfeln auf in die Höhe 
und fängt sie wieder im Tuche auf. Dies treiben sie durch 
die ganze Stadt 

Im Anschluss an die Rosenlaternen der Mädchen zu 
Jühannisnacht, bei denen man um einen Kran/ Meistcrlicder 
singt, erzählt Franck: Sonst auch oftmals im Jahr zur Som- 



'> Diesen Abschnitt zitiert J. Grimm oft in seiner „Deutschen 
Mythologie" als primäre Quelle. Bohemus scheint ihm unbekaanf 

gewesen zu sein, 



Digitized by Google 



— 122 — 



merszeit, so die Mägde am Abend in einem Ring herum 
singen, kommen die Gesellen in den Rinjy und singen um 
einen Kranz, gewöhnlich von Nelken gemacht; welcher das 
beste tut, der hat den Kranz. — Am Schluss des Kapitels 
heisst es dann wieder: „das alles sag ich darum, dass wir die 
Türken nit allein für Narren halten''. — 

Von den Zuständen und Beschäftigungen der Schiwaben 
(fol 52) und Baiern (fol. 53b ff.) wird ebenfalls die Schilderung 
des Bohemus wiederholt,*' die bairischen Vollc'srechte aber 
sind in starker VerkOrzung* und in vielfach anderer Fassung 
wiedergegeben. Ein grosser Teil wird zusammengefasst in 
den das Wesen des Volksrecht charakteristerendien Satz: „In 
Summa, all ilAie Sachen und Gesetze von Ehehändeln sind 
mit Geld abgetragen, gestraft und gebüsst worden und sonst 
fast alle UebeHaten/' 

Von ^en Sachisen werden die Trinkgelage, auch der 
„Adams"-Brauch beschrieben (fol. 59b); dazu steht hier noch: 
„die heusser seind schlecht von Kat gemacht, schier wie in 
Ungern.'' Das Volk ist oft reich, missbraucht aber ^ seine 
Schätze nicht zu grosser Pracht. 

In der gleicfafen Art werden dann auch einige Landes- 
teile behandelt, die von Bohemus nkht so berücksichtigt wa- 
ren. Meist dient hier Enea Silvio als Quelle (besonders 
ffir Friessland fol. 60b); nur für Elsass stand dem Schilderer 
eigene Erfahrung zu Gebote. 

Die Elsässer sind „streitbar, mild, schlicht und nicht 



6. An Rofevinck und Fabri übrigens erinnert es, wenn Franck 
an anderer Stelle sagt (Germ, chroo. Vorn IV^l)- Diese Länder 
Reben aller Welt Volk genug, und ist dannoch allzeit mit solchem 
Ueberfluss besetzt, dass Dörfer und Städte zerrinnen wollen, und 
der Güter und Herberg in einen solchen Aufschlag kommen, dass 
kaum höher mag.*' Höchst merkwürdig Ist der Ausweg aus dieser 
Bedrängnis, den Franck vorschlägt: eine Auswanderung nach Un« 
gam; selbst wenn 100 000 \Unn dort sich ansiedelten, würde man 
III Deutschland den Verlust nicht merken. 



Digitized by Google 



— 123 — 



prachtlich an Kleidung, arbeitsam, zerhaftig (?)*'. Ein Grund- 
zug ihres C'harakters ist die üastlichkeit. Wenn ein Nachbar 
stirbt, so tröstet man die Freundschaft mit einem Gastmahle; 
wird einem ^in Kind geboren, pfleget man ein Freud-enmahl 
zu halten. In jeder Zunft werden dem Bürger, dem ein Erbe 
geboren wurde, Geschenke gegeben. Wohl der dritte Teil 
der Bewohner des Landes sind Schwaben, Baicrn oder Fran- 
ken: Fremdlinge werden hier fr<;undlich aufgenommen; man 
fragt hier nicht, \v€r er sei, von wannen er komme. Wenn 
ein FremdvT sich redlich hält, kann er ebenso wie die Ein- 
geborenen zu Ehren und Acmtern koniiiien Wenn einer, 
nachdem er Bürger geworden, in einen Rcchtihamicl \er- 
sliickt wird, so helfen ihm alle mit Hab und Gut heraus 
„und haben ein fast freundlich Bündnis mit einander". — " 
Der Gastlichkeit steht im Volkscharakter der Elsässer ihr 
grosser Leichtsinn gegenüber. Sie lieben den Wein und über- 
haupt das Wohlleben : wenn sie etwas besitzen, so jubeln sie 
meist in den Tagf hinein, ohne an ein Morgen zu denken; 
und weil sie keine Vorräte sammeln» so kommt es, dass 
im Lande trotz aller Fruchtbarkeit leicht Hungersnot aus- 
bricht. Die Stadtverwaltungen müssen Speicher anlegen, um 
dann der Not steuern zu können. Die Städte und Dörfer sind 
schlecht gebaut, denn die Elsässer legen nicht, wie die Schwa- 
ben, viel Kosten und Fleiss an die Häuser, sondern lieber 
an Wohlleben und Essen: deshalb versetzen sie auch oft 
Aecker und Wiesen, und schier nichts ist unverpfändet bei 
ihnen. — Man ist hier nicht eifersüchtig gegen die Weit>er, 
sondern badet in öffentlichen Bädern „alles under einan- 
der'', doch ehrbarlich bedeckt und eingehüllt. Ausser mit 
Wein (der hier gekocht wird) und Korn ist kein besonderer 
Handel oder Gewerbebetrieb im Elsass. Seine Bewohner 
gebrauchen kaiserliches Recht, sind freilieitliebend und ja 
auch nicht an Tyrannen gewöhnt (fol. 62b ff.). 

In der Schweiz gehen die Männer mit dem Vieh um, 
melken, bereiten Käse: das ist bei ihnen keine weibische 



Digitized by Google 



— 124 — 



Arbeit; ja, wenn keine Frauenhand dazu gekommen ist, so 
glauben sie, dass die Ware desto besser geraten sji (fol. ö4). 

Brabant ist mit kühnem, sehönem, geradem Volke besetzt, 
das unter einander friedUch und freundUch lebt; ein wohl- 
tätiges, mildes andächtiges Volk, nicht unähnlich dem frucht- 
baren Erdreich, darinnen sie wohnen; also dass Volk und 
Land gleich gut sind {fol. 62) u. s. w. — 

Am Schlüsse seiner „Luropa'', des zweiten Teiles im 
Weitbuch, gibt dann auch Franck — wie Bohemus in seiner 
,,Asia" (Üb. II) — eine Gegenüberstellung des christlichen 
und des türkischen Glaubens. Im äusseren Gange der Dar- 
stellung auch hier seinem Muster folgend, zuweilen — bei 
den Institutionen, Sakramenten, Glaubenssatzungen ~~ nicht 
so ausführlich wie dies, flicht Franck jedoch gerade in die- 
sem Abschnitt eine Fülle neuen Materials ein, wodurch der 
' Umfang der Volkskunde um die Gebräuche bei sakramen* 
taten Feiern, vor allem der Hochzeit, und auch sonst etwas 
erweitert wird (fol. 127b ff.). 

Bei der Taufe wird der Täufling hoch empor gehoben, 
„dass er flucks wachs*'. „An etlichen Orten vertrinckt man 
die Kinder, hält Kindschenken, Kindl>etthof, Küchelbad, und 
wird die Frau wieder eine Jungfrau oder Grometh, welches 
ein Heyd aber verlachen möchte, weil es der Taufe Christi 
eben so gleich stehet, als ein Schiieck ein cm Jagdhunde." 

Zur Eheschliessung (fol. 128) kommen die Christen, nach 
der Verordnung eines Papstes, vor die Kirchtür. Dort segnet 
sie ein Pfaffe ein, und alsobald fällt dem Bräutigam jeder- 
mann, wer da kann, in das Haar. Die Braut prangt einher 
mit ihrem Frauenzimmer und ein paar Gespielen, mit Trom- 
meln, Pfeifen, Geigen oder anderen Instrumenten, erstlich 
in die Kirche, darnach /um Altar ihr Opfer /u brinc'en. Zu- 
letzt ^ehen sie alle der Orchiiniü; nach nach der Messe w ieder 
zum Altar. Dort gibt der I^riester jedem einen Trunk aus 
dem Kelche; diesen <rese<)n i-ten Wein heissen sie Sankt Jo- 
hannissegeii ; dann geben sie der Kirche Urlaub und gehen 



Digitized by Google 



125 — 



zu Tisch. Der Braut trä^t man an vielen Orten ein Reis 
oder Ihyrsis vor. — Ati etliclum Orten reitet man um den 
Löffel als jj;elte es Leih und Lehen. Wer zuvor kommt und 
der Hraut den L(')ffel hringt, der hat von ihr ein Geschenk, 
und dies ist eine Ehre. — An etlichen Orten fangen die 
jungen Gesellen die Braut und ihr Zimmer, dass sie sich 
von ihnen löse. — An etlichen Orten kommen die g^emeinen 
Weiber auch auf die Hochzeit, und die Braut muss ihren 
Mann von ilinen losen. Darnach wrbrinj^ft man das Mahl 
mit jj^ai christlichen Uebungen, nanilich mit Spielleuten, Hof- 
fieieii, Sciialksnarren, Schwänken und ,,Jauiiknidt" oder 
„Lre) hart"-Sprüchen. Darnach jilet man dem Tanze zu: da 
gilt es unsinnig sein. An etlichen Orten bittet man der 
Braut ihr Schappel, Kranz oder Jungfrauenzeichen ab: sie 
muss alsdann weinen vor Scham, aus Gewohnheit, wenn sie 
es nidit gern täte; sie wäre sonst keine Jungfrau. — Nach 
dem hat man in mancherlei Weise an mancherki Orten 
der Braut (die nach' 4^ Landes Sitten vor andern seltsam 
angetan und gekleidet ist) zu schenken. — Zur Nacht legt 
man sie zusammen und singt sie an mit einem christlichen 
Liede, wie sie sich mit dem Bräutigam soll halten und bei- 
sdilafen, und andere unnütze Dinge. Zuvor aber tanzt man, 
und im Tanze verzückt man die geile, mutwillige Braut 
Da kommen an dem Tage allerlei SpieKeute, Lotter, Frey- 
harten, die haben auch ihre Ernte auf der Hochzeit. An et- 
lichen Orten legt man die Brautleute des Nachts zuvor zu- 
sammen, so sie am Moigen zur Kircbe gehen wollen. „So 
mit grosser Gottesfurcht greifens diese christlichen Eheleute 
an." - 

Stirbt ein I^riester (FoL 128b), so begräbt man ihn mit 
grossem Gepränge und eiuem wächsernen Kelche in der 
Hand, in einem vollständigen Messgewande, als wolle er 
am Altar stehen in der Kirche; dass er also auferstehen? 
werde am jüngsten Tage. 

Merkwürdige Bräuche haben die christlichen Brüdeiy 



Digitized by Google 



— 126 — 



Schäften, um zu ihrem Oelde zu kommen. So hängen z. B. 
die von der St. Antoniusbniderschaft einigen Schweinen 
GIcKkiein in die Ohren, lassen sie in der Stadt umherlaufen, 
um die Gemeinde zur Ehrung St. Antons herbeizuziehen: 
wer ihnen etwas gibt, dessen Vieh wird von allem Unglück 
bewahrt. Wenn nun die Schweine feist werden, dann werden 
sie von den Pfaffen mit ihren heben Fräuleins um St. An- 
tonius' willen gegessen. Dieser Heilige hat auch in den 
Kirchen Linen Trompeter mit zwei Qlockcn, die eine Terz 
von einander klingen, um die armen Thoren, die altweg 
gern läuten hören, herbei zu locken. Die Olöcklein läuten, 
wie etliche auslegen: „Heller Pfennig", „Gieb mir, tnangel 
du!" — 

Dann gibt Franck auch an, welche spezielle Funktion 
die wichtigsten Kalenderheiltgien haben, während Bohemus 
nur ihren Festtag aufgezeichnet hatte (Lib. II. Cap. 12. S. 
147 f.). St. Wendelin ist auch (wie Antonius) ein Kuhhirt; 
sein Bild hat gemeinhin viele Tiedein vor sich hängen. 
St Florian muss das Haus vor Feuer bewahren; St. Sebastian 
ist gut für Pestilenz. Alle Kirchen sind voll von Bildern 
dieser Heiligen und voll Ampeln, — Jedes Handwerk! hat 
seinen eigenen Heiligen : so St. Katbarina für die Gelehrten, 
die Aerzte haben St. Kosman und Damian etc.; St Marga- 
reta wird bei Geburten angerufen, St Barbara in Todes- 
nöten; ihre Verehrer sollen nicht ohne das Sakrament ver- 
scbeklen. Bosen Augen hängt man vor St Ottilien Bild. 
St. Apolonia hilft bei Zahnweh und so fort. Auch jedes 
Land hat seinen besonderen Heiligen : die Franken St Kilian, 
die Schwaben St Ulrich etc. (Fol. 129 b). 

Zuweilen zieht das Volk mit Gabeln, Sicheln, Melkgdten, 
Kindern auf Wallfahrten. — 

Wenn ein Pfaffe seine erste Messe liest, feiert er seine 
„Hochzeit": die Kirche ist an diesem Tage sein, er muss 
sie kaufen. Da setzt er sich eine Kugelkappe auf und sieht 
heraus» wie eine Spinne aus einer Löget Reinheit muss 



Digitized by .Google 



— iir — 



er schwören und geloben und gibt sich die Kirche zum 
Weibe. Jedoch gibt man dem andächtigen Priester auf diesen 
seinen Hochzeitstag eine Braut zu, etwa eine schöne Jung- 
frau, die den Namen hat, die ihm auch lieber wäre, als 
seine Kirche ... Er nimmt sich auch einen Vater und eine 
Mutter auf diesen Tag zu seinen rechten Eltern hinzu, etwa 
reich und wohlhabend; alles der Geschenke wegen, dass 
sie ihn als einen Sohn mit einem Gulden oder zehn in seinem 
Leid ergötzen, und damit er sie allweg als eine Zuflucht 
habe. — 

Die römischen Christen ziehen auf folgende Weise „Zwölf- 
boten". Der Messiier hat ein Rad , darauf sind die zwölf 
Boten (Apostel) gemalt, deren jeder seine eigene Schelle 
hat. Das Rad wird zum Umlaufen gebracht, und welches 
Apostels Schelle einer von Ungefähr ertappt, der ist sein 
„ZwöHbote'', dem fastet er jähtüch an seinem Abend tuid 
hat ihn als seinen Fürsprecher bei Oott fleissig im Gebet 

Etliche halten an ihrem Geburtstage ein grosses Fest 
und feiern den Tag ihres Patrons und Namens mit grossem 
Qef ress. — 

Zur letzten Oelung geht man zu dem Kranken Ober die 
Gassen mit einer Laterne voran» davor bfidcen sich' die Leute; 
meist sogar knieen sie nieder (Fol. 130 b). 

Im Zusammenhang folgt hiemacb (Fol. 130 b— 135) ein 
Kapitel über „der römischen Christen Fest, Feier, Tempel, 
Altar, Begräbnis, Besingnis und Bräuchen durch das ganze 
Jahr": ziemlich vollständig nimmt er da noch einmal — 
ohne Namensnennung die entsprechenden Ausführungen 
des Bohemus aus dessen Kapitel über Franken in seine 
Arbeit herüber; und auch hier tut er seinerseits viele neue 
Einzelheiten hinzu.^ Wie Bohemus bleibt auch er nicht bei 



7. Dm bisher voigebradite wiid als Probe seiner Volkskunde 
dieser Art genflgeti; das meiste findet man gedruckt bei A. Schultz: 
.»Deutsches Leben im 14: und 16. Jahrht" $. 40i ff. 



Digitized by Google 



— 128 — 



den kirchlichen Gebräuchen stehen, sondern er geht sehr 
ausführlich — weit mehr als jener — auf den Aberglauben 
im allgemeinen ein. 

Wenn man bezaubert ist oder krank, oder wenn man 
etwas verloren hat, sucht man Rat bei Zauberei etc.: etliche 
Sehens in Kristallen, etliche sonst Sie haben auch viel Aber- 
glauben und Segen bei den schwangeren Frauen in Kinds- 
nöten, Weibnehmen, Buhlen, Viehlcaufen, Hochzeiten, Erlah- 
men, Wahrsagen, Teufelbeschwören, Wettermachen. Item 
bei den Kindbetterinnen, die sie mit einem Lichte ein und 
aus der Bettstadt se^rnen, mit viel Kreuzen, und machen die 
Frauen furchtsam, als ob ihnen der Teufel mehr gefährlich 
sei als sonst etc. Und ist schier kein Mensch unter diesen 
Christen, der nit seinen eigenen Segen und Aberglauben 
hab. — So oft es ubel wettert und fiberzwerch geht, so 
hat es nicht Gott, sondern Hexen getan, derer sie auch viele 
martern, verbrennen. — Noch segnen etliche sich selbst gegen 
Waffen, Wasser, Feuer, Feinde, Gcschoss, Wölfe, mit aber- 
gläubischen Worten, Segen, Zeichen, Ceberden etc.; etliche 
auch ihr Vieh gegen Ungeziefer und Unholde. Etliche binden 
ihre Bäume mit einem Strohband in der Weihnacht für alle 
Hagel, Würmer und Brand. Etliche fahren auf dem Bock, 
Gabel etc. Etliche machen aus Verhürif^nis Gottes Wetter, 
lähmen die Leute, und derlei mehr. Etliche tragen etwas 
am Halse für alles Unglück. 

Und w ie Franck so von der Taufe an alles beschrieben 
hat, wie das Leben seiner Zeit^jcnossen von seltsamen Ge- 
bräuchen begleitet wird, so berichtet er zum Abschluss nun 
noch von den Verfahren beim Begräbnis. So cin :r verschieden 
ist, so läutet man ihm mit allen Glocken (ist er reich) j^jen 
Himmel: alsdann weiss die Freuiidschalit, wann sie zu dem 
Opfer kommen soll, den Verstorbenen zu begraben . . . . 
Der Pfaffe steht dann vor dem Altar, und es kommen die 
Freunde zum Opfer viele Meilen Weges, opfern Geld, Wein, 
Mehl, Brot, Lichter, je nach des Landes Brauch. Derweilen 



Digitized by Google 



— 129 — 

singt der Pfaffe, solange das Opfer währet; so sie damit 
aufliören, verstummt er. Nach Beendigung der Messe geht 
man mit einem Rauchfass über das Grab. — So geleiten 
die Freunde die Erben h^lm, man gibt ihnen dann ein gutes 
Mahl, besonders, so sie weit hergekommen sind. Dabei be- 
singen sie den Verstorbenen. Bald folgt der siebente, dar- 
nach der dreissigste (Tag), so ist die Klage aus: da ziehet 
der Kläger die feindselige Klagekappe wieder aus, an etlichen 
Orten streifen sie sie an den Hals, an etlichen schlägt man 
sie allein um den Kopf und zieht sie vor das Maul, damit 
die Leute des Erben Ladien nicht gewahr werden. — Etlich 
bestimmen vorher, wie man sie soll begraben, wie viel Kerzen, 
Schüler, Messpfaffen man nehmen soll . , . Etliche machen 
ihren Grabstein lange vorher, mit ihrem Wappen, Unter- 
schrift und Namen ... An etlichen Orten, so die Erben 
nit weinen noch klagen mögen, besolden sie Klageleute, 
alte Bejreinen, die vorangehen und die Augen mit Zwiebeln 
bestreichen, dass sie weinen und sich kläg^lich stellen. 

,,Es seind auch an anderen Orten, mir nit hewusst, viele 
aiitUie liicherliche Bräuche; denn auch in der Latiner Olau- 
ben sind nicht durchwepf einerlei Ceremonieen, sondern schier 
jedes Land hat die seinen, wie wir von Engdland, Hispania, 
Italia, Francia jrehört haben (Pol. 138)". Allmählich aber 
verlässt den sorgfältigen Weltbeschreiber die Geduld: Da- 
von nun genug!" Zwar ist noch „viel anderen Narren werks 
das Papsttum voll" und „hier wäre viel /u sag"en von den 
besonderen Bruderschaften, Heiligen und Altären der Hand- 
werker, wie ein jeder seinen eigenen HeilifT^en, Bruderschaft 
und Altar hat, ^ut fiir alles Unglück, an dessen Festtagen 
sie grosse Baukette haben und mit vielen Ck^remonieen das 
Fest begehen". „Aber wer kann dies Narrenwerk alles stück- 
weis beschreiben ? Es ist kein Unglück, Not oder Krankheit, 
die nit ihren eigenen Heiligen dafür habe. Wer will aber 
die Aberglauben der römischen Christen all erzählen, von 
ihren tausendfältigen Segen für alle Geschosse^ Wunden, Vieh, 



Digitized by Google 



— 130 — 

Bäume und alles Unglück? Item was für Zauberei sie mit 
. iluem geweihten, bezauberten Brot, Wasser, Palmen, Kräu- 
tern, Wachs, Sal/, Wein etc. anfangen? . . . Weiter: wie- 
viel hätt ich m sagen von ihrem Oott dem Papst? Item 
wer kann die Wallfahrten alle erzählen? Wer kann nur von 
den Orden allen sagen, ihrer Superstition, Kleidung, Orden, 
Regeln, Ceremonieen .... davon wäre auch Wunder zu sagen, 
wer Lust hätte, die Sache noch länger zu beschreiben." Aber 
€ben diese Lust geht Franck aus, und so schliesst er den 
Abschnitt von d«n Gebräuchen der römischen Christenheit, 
4«s heisst seiner Landsleute, wie sie wenigstens noch kurz 
.1 zuvor allgemein gegolten blatten, um zu den Griechen und 
den anderen orientalischen Kirchen überzugehen. 

Wie aus der hiermit gegebenen Zusammenstellung er- 
sichtlich wird, ist Franck in seiner Volkskunde in der Haupt- 
sache abhängig von Bobemus. Dieser hat den neuen Stoff 
als solchen in den Wissenschaftsbetrieb eingeführt und ihm 
. seine Stelle im Oesamtbercich' der historisch-geographischen 
Wissenschaften ang«wiesen.^ Und dieser Anregung folgend, 
nimmt Franck in grosserem Umfange Sitten und Gebräuche 
des deutsdiien Volkes in sein historisch-geographisches Ge- 

- mälde desselben auf, vomehhiUch, weil er die seelenkündende 
. Bedeutung dieser Sitten erkennt Deshalb haben die volks- 
. kundlichen Materialien, die nicht direkt — nach dem Stande 

seiner Anschauung — geeignet sind, ihm für seine wich- 
• tigsten Zwecke zu dienen, nur nebengeordnetes Interesse, 

- wie Nahrung, Kleidung, Wohnung. Zwar lässt er als fleissiger 
Enzyklopädist auch derartiges, wie es durch seine Vorgänger 
und, Muster zusammengebracht \\ar, nicht unberücksichtigt; 

. aber er geht auch nicht ~ oder doch nur in Einzelheiten 
ohne grösseren Wert — über die alten Grenzen hinaus. 
. Und er, der wohl wie wenig andere seiner Zeitgenossen 



8. Also muss diesem der grösste Teil des Verdienstes joigesprochen 
werden, das W. H. Riehl Franck und besonders Münster gibt. 



Digitized by Google 



- 131 - 

Auge und Sinn hatte für das Charakteristische in den all- 
täg-lichcn Lebensformen seiner l'mwelt, hat doch weniger 
der Volkskunde neue Qebiete eröffnet, als vielmehr ihren 
gegebenen Stoffbereich weiter ausgebaut. 

An jeder Stelle ist der Einfluss der reformatorischen Zeit- 
strömung" siciitbar. Wie alle seine Wissenschaft hat Franck 
auch diesen neuen Stoff als Mittel der Argumcntierung seiner 
ethischen Tenden/.en herbeigezogen ; und weil seine Ten- 
denzen von der offiziellen Welt der üeleiirten, Theologen 
und Staatsmänner geächtet wurden, hat er den wesentlichen 
Teil dieser Kunde, der für ihn am fruchtbarsten war, dis- 
kreditiert; oder vielmehr: er hat die wissenschattliche Eben- 
bürtigkeit der nationalen Sittenkunde mit Historiographie und 
Geographie, die durch Cohemus ihr vciiith^ii war, wieder 
in Frage gestellt. Wie es im Mittelalter gewesen war, dass 
«ine Sammlung der charakteristischen deutschen Volksge- 
bräuche nur in eifernden Predigten stattfand, so waren «es 
auch in der Folgezeit wieder bekehningseifrigfe Moralisten 
vor allen, die in der Literatur diese Dinge lebendig erhielten. 

Sebastian Francks Bedeutung für die wissenschaftliche 
Volkskunde besteht aber — abgesehen von seiner einzig- 
artigen Anschauung ihres höheren Sinnes^ — auch darin, 
dass er dieses ganze von Celtes und Bohemus eröffnete 
Stoffgebiet — ausgenommen freilich die festlichen und sym- 
bolischen Volksgebräuche — durch sein deutsch geschrie- 
benes Buch der Laienwelt als einen Gegenstand der Wissen- 
schaft ins Bewusstsein brachte, dass er es ferner — durch 
Vermittlung Munsters — in der Gelehrtenwelt heimisch mach- 
te: mehr als dies dem Buche des Bohemus selbst gelungen 
war.*" 

9. Darüber oben S. 118. 

10. Vielleicht steht es doch auch im Zusammenhang mit dem 
Erscheinen des „Weltbuchs" 1534» dass erst vom folgenden Jahre 
ab rasch hintereinander die zahlreichen Neudrucke der „omnium gen- 
tium mores" erfolgten. 



Digitized by Google 



Viertes Kapitel 



Die Valkskyndfi und der spätere Humanismus. 

In der geographischen und historischen Literatur der 
zwanziger Jahre ist eine Beeinflussung durch das Werk des 
Bohemus einstweilen noch nicht zu bemerken. Die Ar- 
beiten der älteren Schule nehmen ihren ununterbrochenen 
For^ang. EKe „Germaniae exegesis" des jungen Irenicus 
fand zwar manchen Beifall, aber als en^ltige j^friedigung 
des alten Desideriums konnte sie doch nicht gelten: sie er- 
lebte auch nur eine einzige Ausgabe. In den Kreisen der 
Aventin, Beatus Rhenanus etc. blieb der Gedanke des Mei- 
sters Celtes lebendig, dass nur durch Zusammenwiilcen vieler 
einzelner Gelehrter, von denen ein jeder seine besondere Hei« 
mat erforscht, ein wirklich getreues, vollständiges Bild des 
gemeinsamen Vaterlandes, des bisher noch immer so nebel- 
haften deutschen Landes gezeichnet werden könne. Wäh- 
rend sich die Geographen — Schöner, Apian, Suntheim — 
ihre wesentlichen Verdienste um Erweiterung des Gesichts- 
kreises mehr durch Bekanntmachung der neuen Welt und 
topographische Einzelforschung erwarben,' kam es von Seiten 
der Historiker" zu praktischen Versuchen zur Lösung der 
nationalen von Celtes hinterlassenen Aufgabe. 



1. Darüber Oallois a a. O. S. 183. 

2. Natürlicfi darf bei dieser Gegenüberstellung nicht verfressen 
werden, dass dei Hctritb der einzelnen Wisscnsohriften damals noch 
in keiner prinzipiellen Weise getrennt war; die verhaltttisniiissig 
sdiarfe Spezialisienuig bei Bohemus ist eine seltene Ausnahme. 



Digitized by Google 



— 133 — 



Avcniin hatte schon 1517 in Ingolstadt den Plan einer 
«»historischen Kommission für Deuischland'',^ dem Kaiser 
Maximilian seine Gunst schenkte, verwiriclichen wollen. Im 
Jahre 1525 wandte er sich dann an Beatus Rhenanus, der 
sich' des Gedankens mit Eifer annahm. Noch im selben 
Jahre begann er um Mitarbeiter zu werben, und er verfiel 
dabei auch auf Sebastian Münster, den er schon als tüch> 
tigen Ceographen kennen j^lemt hatte. Diesem Münster 
fällt das Verdienst zu, das grosse Werk in seiner Kosmo- 
graphie von 1544 zu einem Ende geführt zu haben. 

Zunächst fasste «r seine Aufgabe rein geographisch, ge- 
mäss dem speziellen von Rhenanus empfangenen Auftrage, 
die Rheinufer topographisch aufzunehmen. Im Jahre 1528 
gab er als seine erste Veröffentlichung ein kleines Heft- 
chen heraus: „Erklerung des newen Instruments derSunnet^ 
nach allen seinen Scheyben und Circkeln. item eyn ver- 
mannung Sebastian! Münster an alle liebhaber der Kunstenn 
im hilff zu thun zu warer und rechter beschrevhurig Teüt- 
scher nation." Aber wie die ähnlichen Versuche Aventiiis 
und Rhenanus' gescheitert waren, — Grund genug dafür 
liegt ja in den politischen und religiösen Verhältnissen jener 
Jahre - so scheint auf Münsters bewegliche Bitte, die er 
an viele Gelehrte, Fürsten^ und Magistrate deutscher Städte 
richtete, zunächst nichts erfolgt zu sein. Denn zwei Jahre 
darauf lieferte er selbst ein kleines i3üchkin über Deutsch- 

3. Zu vergleichen daniber: Max Lenz, „Geschichtsschreibung 
und Geschichtsaufassung im Elsass zur Zeit der Reformation" 1896. 
Speziell S. 24 etc. 

4. Auch Schöner in seinem „opusculum geographicum" von 1533 
wandte sich an die Fürsten mit seiner Bitte und F.rmahnung zu 
speziellen Landesaufnahmen: doch war ja den Fürsten bei den kriege- 
rischen Zeitläuften die allgemeine Unbekannthett ihres Gebiets, sei- 
ner Strassen und Hilfsmittel meist nur angenehm, sodass sie nicht 
gern die Hand zur Aufklärung boten. Eine rühmliche Ausnahme 
bildet auch später noch Kurfürst August von Sachsen; ni ver^rleiehen 
dazu: Ludwig Schmidt; «Kurt Aug. v. Saciisea als Geograph." iöö8. 



Digitized by Google 



— 134 — 



land, das durchaus aus frcnidcn Quellen, fast ausschliess- 
lich aus alten Autoren geschöpft ist.-^ Es enthält zun ü bst 
eine Beschreibung' der deutschen Lande, der Grenzen und 
Gebiete, wie sie aus Tacitus, Ptolemacus etc. bekannt waren: 
die neuen üren/cn werden mit den alten verglichen. Daiui 
folgt ein Abschnitt über die alten Völkerschaften üerma- 
nienSi ebenfalls auf Grund der alten Quellen, doch werden 
dabei auch solche genannt, die keinen Glauben verdienten: 
Berosus und Hunibald. Was Münster über die einzelnen 
Stämme zu sag-en findet» ist fast ausschliesslich historisches 
Material, nur einmal gibt er der Volkskunde Raum : er spricht 
mit den selben Worten, wie Bohemus (S. 246) es getan, von 
den Kröpfen der Steirer. Um die Kürze seiner Darstellung 
zu erklären, weist er wiederholt* auf ein grosses Werk in 
deutscher Sprache hin, in dem er ausführlich eine geogra« 
phisch-historische Beschreibung Deutschlands zu geben ge- 
denkt: schon 1530 also stand der Plan seiner Kosmographie 
in seinen Anfängen bei ihm fest Aber erst sechs Jahre 
später Hess er von diesen seinen Arbeiten etwas Weiteres 
sehen: «in kleines Heftdien von 24 Blättern in Quart: 
„Mappa Europae":' es zeigt, wekhe WandUing die Auf- 
fassutig Münsters von seinem Plan in den Zwischenjahren 
erfahren hat: das geographische Element ist hier — in der 
Art Strabos — herrschend geworden, die rein historischen 
Ausführungen sind fast ganz verschwunden, und an Stelle 



5. Aber auch aus Apian (S. 8), Krantz (S. 12): „Gcrinaniae atque 
aUaruni regionum, qua ad imperium iisque G>nstantiiiopolttanufn pro- 

tenduntur, descriptio per Seb. Mucnsterum ex Historids atque Cus- 
mographicis, pro tabula Nicolai Cusae intelllgenda exccrpfa " Basil. 
1530. 70 Seiten. Das Wcrkcluii ist i'eutingcr wegen seiner Ver- 
dienste um die Geographie zugeeignet. 

6. Z. B. S. 25, S. 23 („in vulgari libro descripsi" und ,,de hoc 
iudtcio ftisiiis in vemaculo lÜMO mentionem faciam'* steht neben- 
einander). Auch S. 31. 

7. Gedruckt in f raokfuxt a. M. 1530. 



Digitized by Google 



— 135 — 



der Tacitus und Ptolemaeiis werden hier als Quellen Bili- 
baldus Bickheyn»erus, Apian und S. Franck genannt. Doch 
lässt sich die Herkunft seiner neuen Wissenschaft noch ein- 
facher bestimmen, denn der grössere, beschreibende Teil 
(spez. Fol. 23 b etc. und 42—101) ist wörtlich' herüberfire. 
nommen aus dem vor zwei Jahren erschienenen Weltbuch 
des Sebastian Franck (von Fol. 7 an). Freiltcb wurden dabei 
starke Kürzungen vorgenommen: mancbe Abschnitte fielen 
ganz aus, bei andern wurden die — unwissensdi^afflichen 
— kritischen Bemerkungen, bei andern, z. B. „Franken'', die 
ausgedehnteren volkskundlichen Teile weggelassen. Neu ehi- 
geschoben sind nur dürftige Beschreibungen einzelner Städte. 
Diese „Mappa Europae" war das Programm gleichsam der 
„Cosmographey'S deren Quellgebiet hier schon — durch Re- 
zeption aus dem „Weltbuch" — vollständig vorgezeichnet 
war; auch die Ausbreitung der Darstellung^ über den ganzen 
Erdbai! in dem grossen Werk wird wohl auf die Anregung 
durch das Franck 'sehe Buch 7urückg€hen, da in der An- 
kündigung von 1530 ja nur eine Beschreibung Deutschlands 
ins Auge gefasst wurde. Wegen seiner anregenden volks* 
kundlichen Schilderungen^ — es zeigte sich ja nun wohl 
alljremeines Interesse für diese Gegenstände im Lesepubli- 
kum — erlebte die Mappa Europac noch zwei Auflagen: 
1537 und 1558 (zu Frankfurt a. M. und Basel); die entschei- 
denden Teile nahm Münster aus diesem Heftchen auch hin« 
über in seine Ausgabe der Oeo£jr;ip!iic des Ptolemacus, die 
er 1540 veranstaltete, und die ilu^trscits fünf Auflagen er- 
lebte.» 



a Darüber V. Hantzsch: „Sebastian Münsters Leben, Werk und 
wissenschaftliche Bedeutung." Leipzig. 1698. S. 37, auch S. 44— fia 
Hantzsch sowohl wie W. H. Riehl a. a. O. betonen die Abhängig- 
keit Mihistcrs von Franck nicht scharf genug, 

9. Diese selben Schilderungen des Seb. Franck — resp. Joh. 
Bohemus und Nauclerus — bilden auch den Abschnitt „turopa" 
In dem 1M9 zu Frankfurt erschienenen „M. Efucidarius, von' aller- 



Digitized by Google 



— t36 — 



Wiederum vier Jahre später, als sein Wegweiser schon 
verschoben war, erschien dann endhch die grosse ,,(^osmo- 
graphey". Als Frucht einer achtzehnjährigen Arbeit stellte 
sie laut der Vorrede sich dar. Strabo hat das iV\uster abgc- 
gegeben, neben den Alten haben viele Neuere als Quellen 
gedient: Michow, Sahellicus, Johannes Hoemus, Vartoman- 
nus, f'aulus Venetus, Vespuccius, Albertus Krantz, Nauclenis, 
Beatus Rhenanus. Egidius Schudus, Irenicjs etc. — Prancks 
Name fehlt. Da/u kommt dann noch tier Stab der Mitarbeiter, 
die dein Werben Münsters FoIq-.? gegeben und ihm die Resul- 
tate ihrer persönlichen lokalen h.ni/_"lforschung übcrsandt ha- 
ben: auf diesen Berichten, nebst den eigenen geographischen 
Mitteilungen Münsters beruht der Hauptwert der „Cosmo- 
graphey". Wo solche Originalstudien fehlten, ist nichts als 
fkissige Kompilation aus den genannten bewährten Quellen. 
Um nur das grosse Werk zum Absdiluss zu bringen, weiden 
auch ungesehene Teile Deutschlands „beschrieben, wie sie 
von den HIstorienschreibem verzeichnet worden", aber: „ja 
zum offtern mal ausgelan was hessig und ongeschafFen darin 
gefunden'': das heisst also unter Verzicht auf alle persön- 
liche Kritik an den daiigestellten Zustanden, wie sie das 
„Weltbuch" etwa geübt hatte. 

Ohne Zweifel ist die „Cosmographey" gelehrter als jenes 
Buch. Inbezug auf die Entwicklung der Volkskunde aber 
bedeutet sie einen Rückschritt Sebastian Franck, der -für 
die „Mappa Europa«" so viel gegeben hatte, wird, wie ge- 
sagt, gar nicht erwähnt, der Einfluss des „Wettbuchs" auf 
die „Cosmographey" ist nicht direkt erkennbar. Das von 
Böhm zuerst in Angriff genommene, von Franck dann weiter 



hand geschöpffen Gottes, den Engeln, den Himmeln, gcstims (Pla- 
neten) und wie alle Creaturen geschaffen sein auf Erden. Auch wie 
die Erdt in drey Theil getheilt, und deren Länder, sampt der Völker 
darin, Eigenschaften und wunderbarlichen Thieren, aus Plintö Se- 
cundo, Solino und andern Weltbeschreibern, eine kurze lustige An- 
uigfiog.** 41 Blätter. 



Digitized by Google 



— 137 — 



angebaute Gebiet der volkstümlichen Festgebräuche it. s. m-. 
ist ganz aufgegeben, das volkskundliche Material übiThaupt 
im Vergleich mit demjenigen des „Weltbuchs" ausserordent- 
lich gering-. Was davon vorhanden ist, ist fast gänzlich auf 
Bohemiis /urüci</uführen.^^ So werden die Charakteristiken 
der vier deutschen Stände wörtlich herübergenommen, neu 
ist daran nur etwa der Zusatz, dass in Dänemark und hnirland 
der Adel nicht die vielen Unterschiede hat, wie in Deutsch- 
land; alles weitere aber wird für überflüssig erklärt: „Es 
weiss fast jedermann, was und welche Kleider und Speis 
in Teutschland jct/t im Brauch seind, darumb nit von nöten 
ist, darvon /u schreiben.**" Nur Unbck an iitcres ist ihm der 
Aufnahme würdi^^. Wie Hohemus die allemannischen und 
bajuwarischen Volksrcchte abgedruckt hatte, wie Beatus 
Rhenanus und nach ihm Franck (fol. 3öb) alte fränkische 
Landrechte, so gibt hier auch Münster (fol. 198) Nachricht 
von „Landrechten, die im Keysertum seind gemacht worden" 
nach eine: ! ihn» vom Baseler Bürgermeister Adelbert Meier 
verschafften handschriftlichen Kodex. So gibt er auch aus- 
führlich die Satzungen des Kampfgerichts zu Schwäbisch-Hall 
für die Streitigkeiten ritterniassiger Leute (fol. 393 ff.)» der- 
gleichen die Statuten des Turniers, wie sie in Sachsen üblich 
geworden sind (fol. 483). Aus Böhlm — bezw. Enea Silvio 
— entlehnt ist wiederum die Schilderung des Vehmgerichts 
(fol. 490), des Trinkunwesens der Sachsen (fol. 476), der 
schwäbischen Handelsgesellschaften und Weberindustile (foL 
398). Auf Irenicus, Geltes und Enea Silvio geht es zurück, 
wenn er die Geschicklichkeit, den Fleiss und die spitzige Ver- 
nunft der Nfirnbeiger mit dem sandigen Boden ihrer Stadt 



10. In den lateinischen Ausgaben der Kosmographie ist in den 
betrcffen(fen Abschnitten der Originaltext aus Bohemus reproduziert 
Darüber oben S. hj Anm. 14. 

11. Unter ähnlicher Begründung hatte Franck die Ausführungen 
des Bohemus über die Bauern verschmäht (Weltbucfa, fol. 47). Zu 
vergl. auch S. 119. 



Digitized by Google 



— 138 — 



in, Zusammenhang bringt (fol. 448). Seine eigenen Zutaten 
aber — etwa Einzeltieiten zu dem Wirtschaftsbetrieb der 
Alpenbewohner etc. — halten sich durchaus im Rahmen 
der von den Vorgängern eingeschlagenen Bahn. Die Al- 
tf;rtumskunde: Aufbewahtung von allerhand Denkmälern der 
Vergangenheit, wie Ruinen etc., nimmt hier einen grösseren 
Raum ein, neben Heraldik, Genealogie und Oeschichtc. 

Auch die spätere von Münster selbst besoigte Ausgabe 
der Kosmographie von 1550 ist im selben Rahmen gehal- 
ten. Nur ganz gekgentlich wird ein so merkwürdiger Brauch 
erzahh, wie die Aechtung der Bauern im Wallis, wo sie einen 
„Matz" vors Haus tragen, „ein seltsam Gewächs von Wur- 
zeln der Bäume oder Reben, darauf ein wüstes Menschenant- 
litz (wie ein Kastnachtsbutz) geschnitzt" (fol. 393); oder es 
wird eine so alte f:rzählung, wie die vom Einzug des neuen 
Würzburger Bischofs, weiter nus^^esponn^n und ein Bericht 
über die Feieriichkcitcn t)cim Begräbnis desselben angefügt 
(fol. 803 f.). Die allgemeine Weltbcschreibung, die in Se- 
bastian Francks Weltbuch ein Weg gewesen war zur Errei- 
chung geistlicher Ziele, die der reformatorische Zeitgeist ge- 
steckt hatte, war hier in Sebastian Münsters ,,CosnK)graphcy" 
zurückgekehrt zur Bahn schlichter Naturwissenschaft von der 
Erde und iiiren Völkern. Die V'nlkskunde im besonderen 
hatte die psychologische Bedeutung, di^ sie bei Franck ge- 
wonnen hatte, wieder verloren; ihre Gegenstände waren hier 
neben Nahrung von besonderer Eigenart die soziale Gliede- 
rung, Beschäftigung u. s. w . ; sie war der Topographie und 
Wappenkunde als rr|eichgeordnetes Glied im Rahmen der 
reinstofflichen tfu/yklopädie zur Seite getreten. 

Indem aber nun diese „Cosmographey" ihrer Zeit und 
lange nachher als ein Ideal wissenschaftlicher Leistung galt, 
erhielt aucli alles darin Aufgenommene die gleiche Bedeu- 
tung als Gegenstand der Wissenschaft: so wurde auch end- 
gültig die Kunde vom besonderen Wesen des deutschen 
Volkes und seiner Stämme, wie es sich äussert in den For- 



Digitized by Google 



— 139 — 



meii des alltäglichen Lebens, dem System der Wissenschaften 
angegliedert: freilich noch nicht selbständig, uiKi in der Re- 
bchiaiikung, die dici>c Volkskunde durcli Munster erfahren 
hatte. 

Eine Fortbildung über Münster hinaus im Sinne Francks 
sollte sie zunächst sehr lange nicht erhalten. In der zünf- 
tigen Gelehrsamkeit des nach den Stürmen der Reformation 
ausgehenden Humanismus war — mit steigender SchuU 
mässigkeit der Bildung, mit der Häufung der Stoffmassen, 
die sich anschaulich zeigt am beständigen Wachsen des Um- 
fangs der späteren Ausgaben der „Cosmographey'' — kein 
Raum für eine, Bescheidenheit und Liebe erfordernde» Ver- 
feinerung der Volkskunde. Bezeichnend für die dafür ver- 
antwortliche Gesinnung der Gelehrten ist ein Brief des frei- 
lich höchst mittelmässigen, aber doch ebenso angesehenen 
Kaspar Brusch aus der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts 
an seinen Freund Mergel.^^ Bei Gelegenheit des Dankes 
für ubersandte Bücher schreibt er: „Ich sehe, dass der gute 
Irenicus manches geschrieben hat, nicht wie er es selbst ge- 
sehen, sondern wie er es von andern Berichterstattern und so- 
gar Lügnern gehört hatte. So wie wir auch zu unserer Zeit 
gesehen haben, dass Sebastian Franck ungeheure Geschichts- 
werke ohne alle Kritik, ohne alle Anschauung (sine et iu- 
dicio et experientia) zusammengestoppelt hat, den Philipp 
Melanchthon oft in öffentlicher Vorlesung zu Wittenberg 
„Franck, den Regründer der ungclehrten Historie" nannte. 
Wir müssen jedoch gegenüber Ireninis, einem gelehrten Men- 
schen in jener Zeit, die noch roh und der Bildung unteil- 
\ haftig war, Milde walten lassen und den guten Willen ver- 

1 ehren: Franck aber müssen wir tadeln, dass er als Unge- 

lehrter einem so überaus gelehrten Zeitalter seine Unzu- 
länglichkeiicn (ineptias) auf/udrangen und anderen vorzu- 
ziehen kein Bedenken getragen hat." 



12, Schelborn, amoen, Utt. 1, 2^7 ff. Brusch war 1518 geboren. 



Digitized by Google 



140 — 



An die Stdle der jugendlichen patriotischen Begeiste- 
rung, die einen Celtes und einen Irenicus bei ihren Ar- 
beiten beseelt hatte, an Stelle des anspruchslosen Fleisses 
und der I^ictät, des neben dem priesterlichen auch leben- 
digen bäurischen Standesgefiihles Köhms, an Stelle der uni- 
versal gestimnUijn Menschenliebe Prancks wai nun der sam- 
melnde Eifer trockener Schulgelehrsamkeit, die Beschränktheit 
eines bildungsstolzen Epigonentums getreten; und dem war 
das Volk an sich in seinem alltäglichen Dasein nun kein 
der wissenschaftUcben Erforschung würdiges Objekt mehr. 



Digitized by Google 



Schluss. 



Ebenso wenig wie Altertum und Mittelalter hat die Zeit 
des Humanismus und der Reformation von Agricola bis 
Münster in Deutschland eine Volkskunde hervorgebracht, die 
als jfleiehberechtigtes, selbständiges Glied im allgemeinen 
Systeme der Wissenschaften dauernd Platz s^efunden hätte. 

Zwar waren manche Tendenzen der Zeit wohl darnach 
angetan, neben der Geographie, Altertumskunde, Geschichte 
auch die Volkskunde als besonderes Forschungsgebiet aus- 
zubilden. Aber der deutsche Humanismus trug dodi von 
vornherein zwei massgebende Beschränkungen an sich, die 
es nicht dazu kommen Hessen. Das war zunächst ein vom 
Scholastiztsmus herubergenommener unbedingter Glaube an 
die Autoritäten des klassischen Altertums, der Bibel und der 
Kirchenväter, der nur ganz allmählich durch die Wucht der 
neuen Erkenntnisse ins Wanken geriet und erst spat einer 
bewussten Erweiterung des überkommenen Wissensgebietes 
Raum gab. Mit diesem Autoritätsglauben war ein aristo- 
kratischer Zug der humanistischen Bestrebungen verbunden; 
die Kultur, die der ursprüngUchc Humanismus suchte, war 
eine wesentUch ästhetische. Die Italiener wollten ihren mit 
dem Lorbeer der Unsterblichkeit geschmückten Ahnen 
gleichen; und die Deutschen bemühten sich, ihre barbarischen 
Vorfahren gegenüber den bevorzugten Nachbarn wenigstens 
in der gleich feinen Bildung der Kinder würdig zu repräsen- 
tieren : ihr Sinnen und Trachten wohnte auch im alten Rom, 
das Bürgerrecht in der neuen geistigen Republik erwarben 
sie allein durch den Besitz der lateinischen oder gar 



— 142 — 



griechischen Sprache, und sie waren dadurch erhöht über 
die noch barbarischen Volksgenossen. In den rohen Formen 
des Lebens dieser Ungebildeten konnten sie kein Objekt der 
Wissenschaft sehen. 

Freilich trat im deutschen Humanismus das Icosmo- 
politische Esoterikertum, wie es in Erasmus etwa verkörpert 
ist, weit zurück vor dem sellistbewussten Patriotismus, der 
um keinen Preis einem fremden Volke einen Vorzug zuge- 
stehen mochte: der Liebe war auch die Unkultur der Heimat 
werter als die wesensfremde Pracht des Südens. Wenn bei 
' der Bewältigung des ftildungsstoffes die Beurteilungen und 
Beschreibungen Deutschlands in den alten Schriftstellern mit 
dem der Zeit vorliegenden Bilde verglidien wurden und es of- 
fenbar ward, dass eine grossartige Veränderung mit dem Vater- 
' lande und seinem Volke vor sich gegangen sein musste, so 
ging das Trachten wohl darnach, durch Schilderung des gegen- 
wärtigen glänzenden Zustandes das veraltete, beschämende 
Bild aus der Literatur und den Köpfen der Menschen — so 
weit sie gebildet waren, das heisst also im Kampfe mit den 
antiken Autoritäten — zu verdrängen. Und auf diesem Boden 
— Liebe und Stolz — hätte sich nun, ausgehend von der 
Kritik und Polemik, scheinbar leicht eine freie geordnete 
deutsche Volkskunde entwickeln können, wie es mit der 
"Landeskunde geschehen ist. 

Allein dem trat die zweite wesentliche Beschränkung 
des deutschen Humanismus entgegen: das Vorherrschen 
ethischer Tendenzen. Zuerst galt es die im Süden erworbene 
geistige Kultur in die Heimat zu verpfhui/en, das Rüstzeug 
zu erwerben für eine echte Auslegung der heiligen Schriften, 
dem I eben der Volksgenossen durch trziehung die nun 
schniLF/iichst vermiv^^te internationale Zivilisation zu geben, 
[daneben war niciit Raum noch Zeit für eine sorgsame Be- 
trachtung der Bauernstuben. 

Und dann, als u irkhch immer weitere Kreise des Volkes 
- in den Lichtkreis des neuen Kuituriebens getreten waren. 



Digitized by Google 



143 - 



da fanden sie Wichtigeres zu denken, zu begehren, als 
Eloquenz und literarische Unsterblichkeit; da galt es ihnen, 
die werteste Frucht aller Mühen zu pflücken: die ijeistliche 
Fremdherrschaft abzuschütteln und die nationale Kirche zu 
gründen. 

Sowohl die pädagogische Tendenz als die religiöse 
wurde dem Gedeihen einer wissenschaftlichen Volks- 
kunde hinderlich. Wohl stellte der enz) klop idische Sam- 
meleifer und der Patriotismus — in dem Buche des 
Johannes Bohemus — neben die Kunde von den frem- 
den Völkern auch die Kunde des eigenen Volkes. Aber 
der schwariiiciide Eifer zog — im Weltbuch Sebastian Francks 
— diesen neuen Stoff in den Krieg der (iedankcn hinein und 
bereitete ihm dadureh (zu einem wesentlichen Teile) das 
eigene Schicksal, Und auch ohne dies war die Entwicklung, 
die der deutsche Humanismus, der Träger der Gelehrsamkeit, 
allmählich nahm, nicht günstig für die Weiterbitdung der 
Volkskunde. Die expansive Kraft, die zu Beginn nach allen 
Richtungen des Horizontes hin so ungeheure Eroberungen 
gemacht hatte, ging zu Ende. Das Erworbene musste erst 
schulmässig verarbeitet werden: da wurde fallen gelassen, 
dessen Bedeutung schulmeisterliche Engherzigkeit nicht ver- 
stehen konnte, und in die Kosmographie des Sebastian 
Münster fand nur ein kleiner Bruchteil der neuen Kunde Auf- 
nahme. 

Von dauernder Bedeutung für die Geschichte der Volks- 
künde ist der deutsche Humanismus Immerhin dadurch, dass 
nun zum ersten Male sich Gelehrte mit den Gesamtzustanden 
ihres eigenen Volkes beschäftigten und auch die alltäglichen 
Lebensäusserungen des gemeinen Mannes der wissenschaft- 
lichen Betrachtung und Aufzeichnung für wert hielten. — 

Am Schlüsse der „I>eutschen Geschichte im Zeitalter der 
Reformation" überschaut Ranke die Arbeit des deutschen 
Geistes in dieser Epoche und bemerkt: „Wir nehmen nicht 
ein Bestreben wahr, das aus dem Schosse der Nationalität 



Digitized by Google 



— 144 — 



ohne fremde Einwiifcunsf hervorgegfan^fen wäre; der deutsche 
Oeist sucht vielmehr den Boden der schon vor Zeiten ge- 
gründeten Wissenschaft nun auch seinerseits vollständig zu 
gewinnen und an der Arbeit der Jahrhunderte tätigen An- 
teil zu nehmen." Auch der eben getane Blick über einen 
schmalen Ausschnitt der unerschöpflichen LebensfUUe jener 
Zeit ergibt im wesentlichen eine Bestätigung dieses Urteils: 
wohl betrat der deutsche Humanismus in der nationalen 
Volkskunde aus innersten Antrieben ein neues Land, aber 
doch nur an der Hand des Cornelius Tacitus und Enea Silvio. 



Digitized by Google 




Digitized by Google 



I 



. Anhang 1^ 

Vorsfliclin» der Ausgaben der „omnium gentinm mores" des 

Johannes Bohemus. 

1520. Augsburg, bei Sigismund Grimm und Max Wtrsung. 
Fol. (In der Berliner Königlichen Biisliothek). 

1535. Lyon, bei Seb. Grsrphius. 8^ (In der. Berl. Bibl.). 

1536. Freiburg i./B., bei Job. Faber Emroeua. 8®. (Nach 
Gengier: „ Aen. Silv. als Rechtshiatoriker" und Brunet 
„Manuel du libr."). 

1536. Lugduni, bei Francisc. Justi. 8^ (Nach Panzers 
Annalen). 

1536. Paris, bei Anibr. Giranet. 8^ (Nach Panzers Ann.). 
1538. Paris, bei Galliot du pr^i. 8°. (Nach Brunet). 
1538. Antwerpen, bei Joh. Steelesius. 8°. (Nach Brunet), 

1538. Strassburg (Nach PauUtschke „Die Afrikaliteratur in 
der Zeit von 1500 bis 1750 p. Chr." Wien 1882.) 

[1538. (cum libro ex Jac. Zieglero de reg. septentrion;) 
(Nach Jücher, Allerem. Gelehrten-Lexikon)]. ■-■ ; 

1539. Paris, bei Galliot du pre. ö*^. (Nach ]irunet). 

1540. Freiburj^.^- i./J3r. bei Joa. Faber Emmeus, 8**. .(Nach 
Gessner). (in der Berl. Bibl.). 

1540. Anvers, bei Antoine de Goys. 8". (Nach Brunet). 

1541. Lyon, bei Scb. Gryphius. 8°. (Nach Gessner). (^es 
die zitierte Ausg"ube). 

1541. Lreiburg (Nach Paulitschke). ' ~' 

1542. Paris, bei Arnoul L' Angelier, 8^ (Nach Brunet). 



Digitized by Google 



— 147 — 



154^. Venedig-, 8**. (Katalog- des Britischea Museums). 
1543- Venedig, bei Lucio Fauno. 8®. (In der Berl. Eibl.). 
1545. Tigurinum, (Nach Schelborn, Am. litt. 11, S. 497), 
1547. Paris (?), i6<>. (Brit. Mas.). 

1549. Venedig-, (Nach Jöcher). 

1552. Lyon, bei J. de Toumes. lö®, (Nach Brunet). 

1555. London, (Brit. Mus.). 

1550. Lyon, 12^ (Nach Gengier). 

1556. Anvers, bei Mart. Nucio, durch Francisco Tamera. 

8". (Nach Brunei ). 
1558. Venedio", 8^. (Nach Geng-ler). 

1560. V^eii liL, bei Lorenzini. S'\ (Brit. Mus.). 

1561. Lyon, 12®. (Nach Gengier). 
1564. Venedig-, 8®. (Nach Brunet). 
1566, Venedig-, 8^ (Nach Bnint^t). 

1570. Lyon (?), bei Franziscus Perinus. 12°. ^Nach Scheihorn). 

1570. PVeiburc;- (Nach Paulitschlce). 

157 1. Antwerpen, (Nach Veesenmeyer, Progr. iboo). 
1570. Lyon, bei Barth. Vinceutiuiu. 8^ (In der Berl. Bibl.). 
1585. Venedic»- (Nach Paulitschke) 

1591. Lyon, bei Joh. Tornaestutn. 12^^. (In der Berl. Bibl.). 

1591. Genf, lü*^. (J. B. Mencken Catalog-ue). 

1592. Antwerpen, 8^. (Nach Geng-ler), 

1596. Papiae, bei Heiir. Farnesius, 8*^. (Geng-ler). 

1604. Lyon, bei Joh. Tornaesius. 12^. (In der Berl. Bibl.). 

1609. London. (Nach Paulitschke). 

1620. Genevae, 12^. (Brit. Mus.). 

ttto, Lugduni. (Nach Paulitschke) 

1620. Augsburg-. „ „ 



Digitized by Google 



Anhang II. 

Einige bisher nicht gedruckte Mcke aus dem Briefkedex 
Weifgang Richards (in der Hamburger Sladtbibllothek). 

/. 

FoL 51a. 

Wolfyango Rytlundo physlca vigilantissmo tt sirenuissimo 

Bohemus. 

Trita sequar patrmn fidci niunumenta prioruiii: 

Et mihi Lutherus sdsiii.iiis antor erit, 
Eccius at fortis fidei dofi nsur avit.ie: 

Üüuec sub rigfido iinlit e [nij>na manci. 
In quancunque cadet st nientia trailita {»allein 

A<.'(iuii.>i" : hnic jdausus .stet favt-atquo lueus. 
Num lue livor edax iiianis ri\a diioium 

Insessa fidei sturaet ab arce äacLae? 
Pontificis nuin Romani mandata rescindam, 

llliiis et luxiiin damnein et av iciani? 
Quae dementia, viciuas uou ceruere flammas, 

Longinquas tantis prodere crebro vonis? 
Ad dextratn videas, videas pariterqae «Inistrani: 

Efficit officium proh modo nemo suuin. 
Id cupimus quodcumque placet per fasque nefasque: 

Sexus uterque vides peccat uterque Status. 
Quo regfes satrapae v» modo, vet qiiis(|ue profanus 

Vivunt? delyrant rex populuul sue 



Digitized by Google 



_ 149 — 



Larg'a sacerdotum si te sie ocia turbant: 

Oda cur sequeris dum mea scripta leg'is? 
Cur Doo interea terram ipse ligfone fatig-as, 

Et vir'iim^ri^ido cumque labore paras? 
Te labor ecce decet: sed contemplatio Christi 

Presbyteros: sacros vita quieta viros. 
Non nova res est: sed prisco de more recepta: 

Hoc qui presbyteros doii.it honoro suos. 
Quid nutrire 'nequit Germania dives aluiiiuos 

Quos .statuit summo sacrificare deo? 
Proh pudor: o patribus prole.s indiiirna vetustis 

I^og-atura suis'mox pia thura deis. 
Si quereris Latiuni damnatuni fraude doloque 

iam penitus loculos evacuasse tuos. 

Fol 217. 

Magnae erudiiionis viro domino Wolfyango Rychardo 
meäicmae dodori doetissimo domino sm eijamicorum amieissimo 
Nieolaua Schmiera' phoreensis Ouriae iitdidt Badenais actuor 
riu8* (1521, September 18. atts Baden.) 

S. et omne bonum^doctissime et humanissime vir, 
En dominum / Bohemum nostrum foris et in cute 
examussim expurgatum / splendidum profecto homincni: 
et qui tibi a&tea nemo formosior visus: exutus est in 
thermis oostris Badensibus caperatani frontem nactus 
vttltum quodammodo adulescentis. Quid ergo aquae 
nostrae non possunt? Non dubito quin hominem primo 
intuitu niinime cog-nosces. Fabulantur poetae pleras- 
que Promethei transformationes: sed nihil Bohemi nostri 
subita transformatione et luirabilius et iucundius. A 
vertice enim ad pedes usque / nuUa in eo ampliua labe- 
cula. £xpolita est et cnimenola sua expolitissime: nihil 
ponderis / nihil gxavitatia in ea: libera iam et vacua 



r 

Digitized by Google 



— 150 — 



camabit coram latrooe securiasinia: Tanta vis aqoae 
nostrae. Tu cuca mi Maecenaa noater, ut Bohemus 
tuus immo meus diu sanus sano vivat in corpore: sis 

que tu Semper foelix et fortunatus: viveque longos et 
optimos annos. Kcro pnim bene et optinie vitam ago, 
deo opt. max. conniventc. Ex Baden, decima octava 
die meosis Septembris aono 1521. 

Fol 2m. 

Wolfyango Mychardo med. docf. amkoruminrimarw Nkolaua 
Schmmer phorcensis iudicii curiae Badensi asecretis \?] 

(1522, November 1. aus Baden,) 

. . . Qttod Bohemus noster io Capenburgam (. soli* 
tttdioem quam tu vocas .) proscriptus sit, dolco. Nam 
homo est / ut scis / humanus: quo cum multi multa 
humanster egerunt. Scriprit mihi iam dudum ex 
Capeoburga / quo in statu res suae slnt: gaudeo eum 
esse incolumem et sanum: quaerit sibi solatia per 
ncmora et virentia prata: neque est eo loci adeo regula 
(. ut dicitur .) suae alligatus / quemadmodum Ulmae 
fuerat. Scripri sibi quantum et npgocia sinebant: tu 
cura / si tibi tabelio oblatus fuerit / hasce meas ad eum 
transmittas literas. ... ex Baden. Cal. Novembris 152^1. 

4. 

Fol, 219. 

CeUhri ae doeto viro Byehardo Videano ülmensium medieo 
amico sibi Imge eharissimo Joannes Bohemus, 8, D, 

(Juli 8, aus Kd^feriburg), 
Quum mi Mecenas humanissimas literas tuas accepis- 
sem dubius diutius atque admirans steti: cuii» nam 



Digitized by Google 



— 151 — 



ipsae essent: Philoniusi me Hercules putabam: adeo 
inusitata literaruni tuarum linianienta nie fallebant. 
Onmino imitaris honiinem scribendo: quamvis scripta 
tua tanto nie delectant iiiagis scriptis huius: quanto 
tu a rnorosis huius futiÜs ac invidi hominis nioribus es 
alienus. Nihil nie deus iuvet (. ut orationein repetam ,) 
scriptis tuis acceptius: nihilque iucundius: rescriberein- 
que saepius: facereni(]ue ut tibi desideriuiu hoc nostri 
salteni literis satiarem: nisi tani nialivola tainque avara 
tabellariorum esset in suscipieiidis schcdis vohuitas. 
operani tanien dilicfentem navabo: ut opportunitatein 
oniittani nu-liiiu; i[Vi-ii ininio et hoc teniporis mihi 
suffurabor quam lubentissiine : quod bono atque optinio 
amico tribuam: nihilque facinore hoc pulchrius ac 
niagis decorum existitnabo. Velim si Brassicano homint 
rescripseris / ubi loci nunc cohabitem certificaris. Hgit 
iarn apud nos quidam diebua aliquot non infimae erudi- 
tionis vir ut puta in solo patrio Lauchensis / qui se 
loannem Seccerium scribit, apud Anshetmum olim 
Tubing'ae / postea Hagnoiae Hteras aeneas composuit 
Hic priinum me non novit: secundumque comtnunem 
aordem fratrum nostrorum iudicavit pro conditione sua 
me sprevit: Excepi honiinem multa comitate nec 
etiam minori humanitate: nihil effeci: abiit Witten- 
bergam ad complices aaos Lutheranos / quibua ani- 
mam et corpus suum devovit omne. Lutherus apud 
nos omnino male audit / nihil detestabilius hotnlne. 
Ceterum mi doctor Vutcane gfratissime vitam tuam sie 
institue: ut homint adhaereas quantum vitae tuae 
optime consulttisse cognosces: ecclesiae praelatis obe- 
diendum. Vale amor meus. Hx Cappfenburgo. Datae 
sacro die .Kilian^ ad multum noctis. 



Digitized by Google 



— 152 ~ 



Bumam et dodo viro domim Wolfgango Byduirä/o ameo 
singtUariter düecio loannes Bohmug. 8, D. (Aua übn,) 

Nuper duldsame doctor / quidam de superioribus 
nostris / ac comm^datorem novitiunrj domui et nobis 
praefecere: a qaibus et e^o appellatua auditiuque: 
▼oluere ut in Italiam cum commendatore Venetiano 
tFansmigraietn: affensi eis: verum cum forsan maturius 
de re illa cooauluissent, raucissona vox mea causam 
dedit quo captum consilium progfressum sortitum sit 
nullum. Commisere me novitio domino meo: ut operam 
omnem adhibeat: doctores medicos inquirat/ au ullis 
remedüs mihi subveniri et auxiliaii possit. Quare ne 
tantam opportunitatem et occasioDem mihi oblatara e 
manibus decidere sinam. Hodie ventilavt causam: roga- 
vique dominum / ut comiaaione accepta me curare 
faciat: quaesivit qua id via putarem fieri. Ego quod 
iam totus prurio et scabie vexor ob baiueationes quas 
annis precedentibus frequentavi: hocque anno praeter- 
misi/ ut me in therm as Helvetianas Pfefers mittat 
rogavi. Respondit se tuis consiliis usurum. Quare 
praestantissime doctor consilium prebe quod de re 
mea crit. Bis aut saepiiis iincfentts Mercurio comniix- 
tis illiuilus / tantum modo per naturales illas calidarum 
aquarum scaturigines curari me posso spero : vocales 
que arterias et fibras per frigidas capitis clistillationes 
contractas aut dissointns restitutas iri: diutiusque 
attentassem iiisi mihi seiuper necessariao inipedimetito 
fuissent. Veniet forsan ad le ipse commendatur; aut 
dominus Petrus: persuade diligenter. Purgandus forsan 
prius ero, quod per te fiet. Habes hiscuin literas cjuas 
hodie ex Lipsia accepi : in quibus pauca de Luthero 
scribuntur: perlege atque remitte. Si quid novi habeas: 



Digitized by Google 



— 153 — 

mihi quoque Interim communicato. Yalo deciis et 
amor nieus, et nie tibi in coiiHiiissd causa conniiissuni 
habe. 

6, 

Bohemo suo hene agere cpUst (Byduntdue), 

Nec mundi ritus: nec consuetudo vetosta 

Ulicitis poasuot esse medela malis. 
Nec terrenus ager coelestes reddit aristaa: 

Qtti flulcat terras terrea doiia metet. 
Tempora sunt tnimdi inodius: ritusque parentum 

Ex terrae medio gurgite saepe fluunt. 
Quare igitur sequeris patrutn monumenta priorum 

Si mala fecerunt, cor mala gesta probas? 
Sunt homines quicunque patres vixere per orbem: 

Nec phlegethontaea labe carere queunt. 
Et si multa simul superis auffragia grata, 

Ediderantr soli sunt ea nota lovi. 
Imputat bumanis cladem, vel praemla fatis 

Dextera sola dei quae pia corda sciat 
Divino stygios hostes propellere sceptro 

Alque prophetarum fungier officio 
Et miseros imo manes revocare sepulcbro 

Haec miracla hominum sunt dubiosa mihi. 
Pectoris alma fides oculis non cernula nostris 

Sola potest sanctos iiiittere ad astra vtros. 
Imprudens ausus mortali fidere feci. 

Solos enim Christus dux via. vita. salus. 
Hic nobis certum fidei praetendere 5!copum 

Creditur: humanae fallere res poterunt 
Res hiimnna quidem longfos praescripta per annos 

Et vitfidae vitae longa .scMjaela patrum. 
Nil facit ad iidei suniniaiu: })rae(:ordia lustrat 

luppiter; et mentein; non be&e gesta videt. 



Digitized by Google 



— 154 — 



Nostra fides hominum nihil est vicina fritiUo: 

Perplexus iniindi nil Wffnt ordo polos. 
Desine (juaproptor mores tciiipusf]vie referre : 

Nil via trit.i iuvaL, teinpora loti'^T! quoque 
Quin potius trito peiores traniite currunt; 

Ad superos Verdens est via stricta nuigis. 
Tempora si iactas: Christum paulumque priores 

Esse reor: Thomas est novus atcpi»- Srotus. 
ludiciuni expectas: ad Graecas forte taleudaa 

Nascetur soholes ex elephante pius. 
Sed fidei Minos nullam tardandus in horam: 

Per lucem ferias (\ms patietur iners, 
Et glacies veuiet post vitain et noxius imber 

Nullaqua post mortem commode messis habet. 
Tempus adest: ralanios / et Apollinis arma capessaa 

Thesauro.s Plio«'l)i pande Boheme tui. 
Et tili: laiji'itmu diviiia sorle talentuiu 

Ad üuniini iaudes ocyus addu lovis. 
Si te non rumor / si te non fabula vulg^i 

Persuadere solent quo pia scripta leg-as 
Te tarnen admoneat quod contio Pallados omnia 

Lutheroque favet delphica tota cohora. 
Pellege Lutherum: si qttis removendas aborsua 

Inciderit: iusta tolle bilance strophas. 
Et doctus doctos inter subsciibe poetas: 

Lutherum macnia parce notare ui^>^ra. 
Mille pati possim media de plebe creatos 

Luthero dantes crimina falsa viros. 
Tu tarnen eximios tnter numerandus amicus 

Aonioque mihi Semper amore sacer. 
Duriter Herculeo puogis mea pectora conto 

Meque gygantea mole Boheme quatis. 
Calculus atque tuus studia in contraria versus: 

Seosibus evacuat pondera magna meis. 



Digitized by Google 



— 155 — 

Tu dubiam reddis multani inihi crede catervam: 
Quae ben« fisa tuis viribus haeret adhuc. 

Nani plebeia tibi sunt non male nota cerebra: 

Passibus insistit pleba furibuuda ducis. 
Tu Caput es patriae: tu vera lucerna Suevis: 

Quo duce Phoebus adest: quo duce Musa vig'et. 
Si videant homines te scripta probare Lutheri: 

Ceptis accedet frugibus ampla fides, 
Vive. vale melius Lutheri doffuiata librans: 

Quae sapiunt verum cum pietate deum. 



Fol 254, 

In compendlarunn hreritatem muiorh psaUerii a divo Hicro- 
nymo cxcerplum: et iam Jaiivn ^fusa a Bohemo per di/sticha 
rcddUum, aapphicum Vulcani Rychardi ad iGCtorcnu 

Qui vides longos recitare psalmos 
Pauculis vateni foliis Bohemum 
Ke pedeni lector retrahaa moaemus 
Copia restat. 

Saepe aub rebus taticat pusillis 
Grandior virtus; spaciosa marcet 
Corporis moles: nemorum catervas 
Silta vincunt. 

Gemma prneru])ios scopulos niinuta 
Vincit: et fontis ])otius liquorem 
Quam niaris magni bibimus lacuoas 
Nitra scateutis. 

Caiculo quare Clavio probemus 
Omne vel punctum tribuamus illi 
Parvulos magnis pedibus cothumos 
Jüngere qui seit 



- 156 - 



Quis neget vati meritum triumphum 
Qui sciat vasta-. pelacfi procfMlas 
lo brevem sensu bene c;oiu'inente 
Claudere conchani. 

Herculis clavam rapuisse parvcm ei.t 
Pondus Atlantis facile esse dicain 
Integrum ex magno minitnuin facit qui 
Baccaae dignus. 



8. 

Fol, mb. 

Praestaniimmo artium et medtemete dodori domino Wolfyanyo 
Bychardo amko suo longe onuuum diarissim lwinn9$ 

[1522] (Oktober 31 aus Kopfenburg). 
Mettdaceni hoiiiiDem nonque aintctim me tibi colen- 
dissime et praestantissime dorn ine doctor suspicari et 
dicere posses merito: si tibi ut pollicitus sum statum 
et conditioneni hanc meam nuper acceptam non 
significareni. Scias igitur nie feliciter adhuc (. deo sit 
habita gratia.) Capfenburgae agere. Placeret mihi 
ultra niodum adliuc locus, placeret et Status (. ut loquar 
ita.) si solum modo''coelum a peatilente spirttu defe> 
catum purumque esset: quod unum me multum frangii. 
Scis quam homo sim permiscull cordis, quam facile 
ad omnem metum expalleam et totus frangar. Alias 
conquererer nihil. Liber suni: quo übet vado. Laute 
largeque vescirnur: sed nemo circum circa nos est, 
qui bonas Musas, politiores videÜcet Uteras sectetur 
aut colat: Quare Musis etiam ipsis orbatus videor. 
Nihil magis tarn tibi significare habeo: quam quod 
maxime te rogatum velim: ut mihi quoque nonnuni- 
quam scribas quicquid novi habueris. Htc nihil audio 



Digitized by Google 



— 157 — 



quam luporuni canuinque venaticoruin crebras ulu« 
latus: foolictssime seinper vale : Joannis tui Bohemi 
memor. Si tractatulum illum nicum Rohemicum repe- 
reris eLiaiii transinitU* ini colmiibiiiuin .siuiviutn mi 
deliciae meae: ex arcc ( 'a7)ffcnburt>- in vit>-ilia omnium 
sancturum. Salvere iubeas ineo noiniue affinem ve- 
strum bonutn nieiim aiiiicum loannem Hulilcr apote- 
carium inilh' tnilics. Donasti ine nuper preciosi.s douis: 
aeoft' fere])aiii et iiiiiU-in, nun euiin quicquain a te 
sperabani: d t^ratias inultimodas ago: deus tibi maiora 
reddat refundatque. 

9. 

m 277b, 

jPraestanti viro domno Rye^do medidnanm doct(ni aptid 
ülmenses integerrimo amieo ehmimmo loamm Bohemtis. 8. D 

/I5Sr)J (Februar 12. aus Kapfenhurg) 

Facinus fretjucnles lilerae (juil>us nie dulcissiine 
Rycharde unis super alias affaris: nullamfjue onumu) 
scribendi oceasionem praeterniittis, ut vicissim et ipae 
sollicitus aniinadvertam ne uUa mihi elabatur commoda 
rescribeudi hora. Lübens et paratus tibi Semper 
respondebo. Ternas abs te nuper uao nuatio accepi 
litcras: quibus quicquid ex te diu rescire cupiveram 
omne affatitn instruxisti. Laudo igitur diligeotiam 
tuam plus quam diUgentein: paratus lubentissime 
respondere: acciogebarnque ob id me diebus superio- 
ribus ad provinciam: semique iam exaravcram literas 
quas appellato prius tabellario ad te demitterem/ 
subito affertur eum abiisse / stoinachabundus et papy- 
rum et calaraum abieci, alium praestolaturus / cotnmode 
Aotonius meus venit: qui cum aniraum totum meum 
tibi adaperirem : si haberem modo quae te digoa essent. 
Miror equidem quam maxinie Carolstadium adeo non 



Digitized by Google 



— 158 — 



ab aliis suae farinae doctoribus, sed a tota erudiiorum 
schola dissentire. l^g-o ut ipsi subscribaui nunquam 
introducar, Pie credani Jesuni Christum et hunc pro 
peccatis nostris crucifixuin, sesiHju*' nobis sab pane 
atque vino mystico ceu symbolo recoleadum mandu- 
candumque praebuisse. Admonet Paulus uo plus quam 
oportet sapiamus. Naiu si deus et homo iit Anasta- 
sius scribit, uüus est Christus, et resurrectioueni ipse 
suam tanti a nobis aeslimandani voluit, doceri a te 
velim: quare caro eius prosit nihil: stupidus Hercules 
in aduiiranda hac doctoruin dissensione sedeo: afferun- 
tur utriimiue inulta. Est absque dubio daeuion calliUu.s 
et inq-enio.sus: qui Germaniam hanc nostr.iui tlorentem 
in pracceps sie agere cuuatur: deus prohibeat avertat- 
que omne malum. Sunt enim ul audio ubique iam 
plebeiorum tuniultuationes rixae et dissensiosan 
niaximae: quid sequuturum aliud censes quam caedea 
hominum cruentissimas. Eg-o ut cum domo tota tu- 
perbelle valeas seniper opt. max. rogo. 
Ex Capfenburgv dacdecima februarii. 



Digitized by Google 



Namenregister. 

(n — nota — hinter den Seitenzahlen bedeutet, dass der Name in 
den Anmerkui^en der betreffenden Seite zu finden ist. Die Namen 
des L Anhanges sind hier nicht angeführt.) 



Adam von Bremen 1_L 
Adelmann von Adelmanns- 
felden, B. V. -IL LL 
Agricola, Jofiann JJL 
Agricola, Rudolf 21i ff., LLL 
Albrecht, Erzb. von Mainz 
21 IL 

Althamer, AndreasGO nff.,f)S, 
Zü IL LI ff., 79, M ff.. UlL 
Amberg 13 m 
Anastasius i.">s. 
Anshelmus i r> i . 
Antonius i.^^7. 

Apianus lU^ 132, iMn, UüL 
Aristoteles 11 1, H 
August, Kurf, von Sachsen 

im IL 
Augustin üi^ 

Aventin, Johann 52, 55, iü2 f. 

Ballenstaedt, A. Qu n, 77 !L 
Bartholomäus, D. 8<i n. 
Basellius, Nikolaus AB il 
Baur, Chr. Gi 

Bebel, Heinrich 5iL 56, Ol, 

6üf., 82, LLiL 
Bechern SIL 
Behaim, Joh. öüf. 
Behaim, Lorenz El IL 
Beham, Joannes iL 



Berg, Alfred 22 iL 

Berosus 62, LLL 

Bezold, Friedr. von aü n, 50, 

üJ n, 109 0. 
Blondus, Flavius 56, i i9. 
Bohemus, Johannes 21. 25 n, 

üuff., no, 112, Iii ff., 

124. I2fif., 130ff., 1.^2 n, 

134. MI>ir, um f., L31L 

143. 14!» ff. 
Böhm, (s. Bohemus) üü. 
Böhm, Georg tLL 
Brassicanus, Joh. Alex, 65, 

79, UlL 
Bruni, Leonardo IL 
Brusch, Kaspar 139. 
Bruyere, La üün. 
Burckhardt, Jakob 5D el 

Caesar 21 f., 43, SL 
Campegius, Kardinal 
Capito, Fabricius ü2n. 
Carion, Johannes IL 
Celtes, Konrad 21^ 45 ff., 51 f., 

54, äii ff., 63, 84, 96, 106, 

Liif., 13L 
Cicero 2iL 
Cocieus, Joh. 5fi. 
Columbus, Chr. US. 
Conti, Nikolaus 2iL 



— 160 - 



Cortez, Ferdinand US. 
Crusius, Joh. aif. 
Cusa, Nikolaus von IMn. 
Cuspinianus hlh. 

Degen 70 m 

Dilthey, Wilhelm iläü- 
Diodonis Siculus Gi 
Dyrlin, Andreas 64^ ü<L 

Eck, Johann 14 f., UM. 

Eberlin Ii) n. 

Eilenbogen, Nikolaus C4.8:j n 
Eisner, AI. Ü3 n, iüi , liü il 
Elucidarius, Magister lään. 
Erasmus, Desiderius 32, 
44, 5i)^ i)8i «i3 Hl 14'2. 
Escher, R 3fi n. 
Estritson, Sven LL 

Fischart, Joh. LL 
Fabri, Felix iälL ^Iiff., i^i 
48, äO, i)2, 89, V)3, lü5f. 

110. US IL ^ ^ 
Fettich a2 iL 

Franck, Sebastian Ih, Ii f., 
23n, 2ö|L I»an.TlLHüiL 
ül n,92 IL lül nff., llOff., 

mf., mff., HiL 

Freher, Marquardt üiL 
Friedrich III., Kaiser 22. iL 
Friess, Lorenz UiL 

eallois, L. 2ÜIL 48 1L äin, 
58iLfi2iLmilLlün,l3-2lL 

Geiger, Ludwig 31 n, Ül n. 

Geiger, Theodor ü iL Iii IL 

IL 

Geilfuss, 0. däiL 
Gengier, Heinrich il IL üii iL 
Gerbe!, Nikolaus 



Gertophius (Ulmanus) 62 n, 

Gessner, Konrad 11 n, »OL 
Glareanus, Henricus 52, 05, 

Gosche, R. 114 IL 
Goldast, Melchior 2^0, aiin, 

08 n, QliL llM>iL 
Gregorovius Iß il 
Grimm, Brüder Ii 
Grimm, Jakob lül nf., 104 n, 

121 IL 

Grimm, Sigismund üfL 
Guarino 23. 

Günther, Sigmund Iii !L ü3 iL 

Haeberlin, F. D. iL 
. Hagen, Karl 2S n, äl n, 32 n. 
Hahn, Eduard ÜHm 
Hantzsch, Viktor 20 n, n. 
Hartfelder, Karl 4üil iän- 
Hasfurt, Johannes IL 
Hegel, Karl il iL 
Hegendorfer, Joh. IM 
Herberstein, Baron von 2ii iL 
Herodot UL, UiL 
Hesch, Jodokus iü. 
Heybier, Joh. 11 iL 
Hieronymus LL 1^ 
Hochstädter, Maurus ILL 
Hoffmann-Krayer Lü iL 
Horawitz, A. iL 
Hornburger TG, 
Hosenteufel, Musculus 
Hubler, Johann löL 
Hunibald 50, L^ 
Hutten, Ulrich QAth^ 

Irenicus, Franziscus 24 n, 
2jiL ii^^- 7(L 73, IMi 
117, 132. lüüf., LML 
Joachim, Erich Iii iL 



- 161 - 



Karl der Grosse Ijv, 25, 
Karlstadt, Andreas lr.7. 
Keim, Th. ül n, Ii 78 n, 

iiSrii IMtL 
Kirchmann lü il 
Kolde, Th. U n, H n, 82n. 
Krantz, Albert m n. i3iL 



Lenz, Max l:i3n. 
Livius 2iL 

Locher, Jakob Qhi., 82^ UlL 
Lothar, Kaiser öfitL 
Luther, Martin 17,58, Iii ff-, 
ms f., 148, liüf.. 154 f. 



üachiaveiii, Niccolo 
Magenbucher, Joh. 65^ 75^ 
ins IL 

Mair, Martin 26, 21 iL 
Mantuanus, Baptistn ijlL 
Marius, Augustin (Mayr) ÜiL 
Manch, Daniel QjL 
Maximilian, Kaiser Jün, lOH. 

Mayr (Marius) Qlh 

Mela (Pomponius Mela) 22. 

28^ 55. £H. 
Melanchthon, Philipp 58, 65, 

Mergel liüL 

Meyer, Adelbert m. 

Meyer, E. H 84 il 

Meyer, 0. la ll 

Meyer, R. M. Lä n, Ifi 

LIn, 88 n, lüliL 
Michow, Joh. IM. 
Miller, Joh. 05 iL 
Mogk, E. VA IL 
Montaigne 18, lHßn 
Morus, Thomas 2ü 



Münster, Sebstian 20 n, 21 f., 
2^0, 0211, Iii, H^i 1^0 n, 

VM, 133 ff., ui, ua. 

Musculus Hosenteufel Ifi. 

Nauclerus, Johann 25n, Mn, 
43 ff., 63, 84, 94, lOR, 
109. man, 

Niphus, Augustin 71. 

Oecolampadius 24. 
Oncken, Hermann J_L2a. 
Orosius 11. 
Ovid HL 

Paulus 80, 154^ 
Peham SIL 

Pellican, Konrad, von Rufach 
Hü ff. 

Peschel, Oskar 23 n. 
Petrus li22. 

Peutinger, Konrad 54, 56, 

64, 74, IMIL 
Phileremus, Joh. &L 
Pinicianus, Joh. fiiL 
Pirkheimer, Wil ibald 45, 52 ff. , 

56, 64, 72, 74, ai n, 

115, 119. Hin, 
Plinius 17, 22, 2S, 56, 62, 

136 n. 
Plutarch 28, 84. 
Poggio Ü 

Pomponius Mela 22, 28, 55, 

88. 

Potthast, August M iL 
Ptolemaeus 22, 32, 56, 62, 
69, 134 f. 

Quirini, Vincenzo 2fi. 

Ranke, Leopold von 143 
Ravensberg 65^ 



~ 162 — 



Reuchlin, Johann 2üff., 44. 

Reuschel, Karl Iüil LStL 
Rhegius, Urban 05^ II. 
Rhenanus, Beatus 52, ;i5n, 

115. 119. mf., IM f. 
Richard, Wolfgang üD n^ 61, 

QAfl, 71.71 n,ZÜff., ß2f., 

man, 14h ff. 
Richard, Zeno fiDiL 
Riehl, W. tL Un, L5il 

lIiL ii2tL 13Qn, lüä n, 
Rolevinck, Werner 33 ff., 3L 

42. 45. L^IL 
Rösemeier, Hermann 2S iL 
Rüge (Peschel-Ruge) MtL 
Rychard (Richard) 64 iL 



Sabellicus 56, 63, IBIL 
Salzgcr, Kaspar 8£L 
Schardius redivivus iL 
Schedel, Hartmann 43, 45, 

54i Hin. 
Schelhorn ßün, lin, 74nff., 

139 n. 

Schmidt (= Fabri) 
Schmidt, Ludwig 133 il 
Scheurl, Christoph iLL 
Schmierner (Schmierer), Ni- 
kolaus 65, 73, Ii IL liüf- 
Schöner, Joh. üan, 132. 
miL 

Schudus(Tschudus)Joh. 136. 
Schultz, Alwin 32 n, 98 Qi 

121 IL 
Schwarz, B. 52il 
Scotus (Duns) 154. 
Seccerius, Joh. 1 5 1 . 
Servet, Michael 32 iL 
Sichard, Joh. 9^ 



Silvius, Aeneas (Enea Silvio) 
17, 22 ff., Mff., 38, 43, 
50, 52, 56, 63, 69, 84, 
89, 94, Ulf., 10(n J 15, 
118 f.. 122, 137. UiL 

Simmler, G. 8L 

Solinus lY, 62, Hiß IL 

Stammler, Joh. I08. 

Stockar, Dr. tiA^ 

Stoer („Stella"), Bartholo- 
maeus 

Strabo 15, 22 f., 28, 53, 56, 

60, US, I34i IM. 
Suntheim 52, 132, 

Tacitus 15, 27 f., 43, 11 n, 
12 n, II IL ^ 134f., ]AL 
Tschudus(Schudus), Joh. 136. 
Theoderich der Grosse Q6 il 
Theophrast -iH 
Thomas (von Aquino) 154. 
Thomas von Kempen 29, 
Tollin, 32 IL 
Tritheim 57, aü 
Tross, Ludwig a3aff. 
Trusenheim, Jakob von 113 il 

Ulmanus (Gertophius) ö2 a f. 

Vadianus(von Watt), Joachim 

52, 5iL 
Vartomannus, Ludwig 136. 
Veesenmeyer, Georg 72 iL 

81 ff. 

Veesenmeyer, Gustav 3fi n, 

39 n, i2n, III IL 
Venetus, Paulus i^^H- 
Vespucci, Amerigo 119. 136. 
Vettori, Francesco 2iL 
Villani, Giovanni 5üil 
Voigt, Georg 23 n, 23 0, 

Ü2n, lün, U IL IB IL 



- 103 — 



Volland, Kaspar 66. 
Vutpinus, Th. 80 n. 



Waldseemüller 69. 
Weinhold, Karl 13 n, 84 n, 
98 n. 

Weinkauff, 1 ranz 110 n. 



Weyermann, Albrecht 81, 

82 n. 

Wickram, Jörg 70 n. 
WidmannsUdt 8if. 
Wimpfeling, Jakob 27 n, 52, 
66, 68. 

Zehender, Joh. 61, 65. 
Zellei , E (i4 n. 



9 



Digitized by Google 



♦ 



DigitizecTby Google 



Digitized by Google 



ft<IOm75l>bli 




Bi809H7SM«A 





Digitized by Google